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Full text of "Pädagogischer Jahresbericht für die Volksschullehrer Deutschlands und der Schweiz"

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030 





HARVARD UNIVERSITY 


LIBRARY OF THE 


GRADUATE SCHOOL 
OF EDUCATION 








Pädagogiſcher 
Jahresbericht 


für bie 


Vollsſchullehrer Deutſchlands und der Schweiz. 


Im Verein 
mit 


Bartholomäi, Debbe, Gräfe, Hentihel, Kellner, Petſch, 
Prange, Schlegel und Schulze 


bearbeitet und herausgegeben 


Anguſt Küben, 


Gemtnarbirecetor in Bremen. 


Achtzehnter Band. 


’ Leipzig: 
Friedrich Brandftetter. 
1866. 


L0 / 


‚3P3 
IE TU 


HAKVARD UNIVERN 
MRAQUATE SCHOOL OF EDUCATION 
LIBRARY 


JAN 4 1883 
I), — G d. 
A I dolle ed‘? wi 


c 


Inhalts» Berzeihniß. 


L Religionsunterridht. Bon Dr. Moritz Säulze. . . : ei 

HD. Mathematit. Bon Dr. Fr. Bartboloemät . . . .». . . 75 
II. Dieneuefleu Eriheinungen anf bem Gebiete des dent⸗ 
[hen Spradunterrihts. AZufammengeftellt und befprochen 

von Dr. 8. Relner . . . . 2 > 2222er 126 

. Literaturlunde Bearbeitet von A. Rüben . . . -» ». 157 

Anſchauungsunterricht. Lefen. Schreiben. Bon A. Lüben 180 

Naturkunde Bon A. Lüben. -. - 2 2 0020. 217 

Allgemeine Päpagogit. Bon Dr. $. Gräfe. - . . - 267 

Zeichnen. Bon A. Lüben. 2 0 nen 352 


Jugend- und Bolkoſchriften. Bearbeitet von C. F. Debbe 360 
Belang. Mufitwiffenihaft. Orgel⸗, Elavier- und Biolin- 


ſpiel. Bon €. Hentidel -. - - >». > 2 2 2 2 nen 385 
Geographie. Bon WB. Prange . . . 2 2 2 220. 463 
Gedichte Bon A. Plh - - » 2 20222 502 


Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchnule und ?}. . 
ihrer Lehrer. 

Dentiäland. Bon A. Küben -. -. - - > 2 222. s 567 
Die Schweiz. Bon 3.3 Säle . .-. - ... .. 632 


Verzeichniß der Schriftiteller. 


Helen, 170. 
Abt, 445. 


Benele, 276. 
Berger, A., 216. 


Adermann, 31. 50 (2.) —, 9., 61. 


Adams, 364. 
Addner, 368. 
Adelberg, 58. 370. 
Albrecht, 152. 
Alrebi, 177. 


v. Alvensleben, 525. 


Andraͤ, 527. 
Andree, 383. 
Arnold, 203. 
Aſſmann, 527. 
Auguſt, 123. 
Auras, 211. 
Autenheimer, 115. 


Baader, 816. 
Baggeſen, 169. 
Balck, 603. 
Ballien, 155. 
Baron, 360. 361. 
Barth, A., 449. 
—, €. G., 360. 
Barthel, 167. 
Battig, 96. 
Bauer, 152. 
Baumblatt, 98. 
Baumeifter, 178. 
Beilflein, 264. 


Bergner, 460. 

Berlin, 245. 

Bernhardt, 373. 

Bertbelt, 59 (2.) 213. 
250. 

Berthold, 251. 

Beſchnitt, A583. 

Befler, 250. 

Beumer, 215. 

Beuſt, 115. 

Billert, 455. 

Biihoff, 289. 

Bloch, 260. 

Blum, 252. 

Blümel, 101. 

Bodamer, 101. 

Bodemann , 59. 

Bodenmüller, 54. 265. 
266. 

Böhme, 93 (2.) 

Bolze, 261. 

Bone, 153, 

Bopp, 259. 

Bormann, 292. 

Boßhard, 197. 

Bopmann, 121. 496. 


. Brähmig, 444, 


Brandes, 46. 
Brandt, A., 458. 
— M. ©. W., 251. 
Brandrapp, 371. 
Braun, 380. 
Braäunlich, 102. 
Bredow, 527. 
Brehm, 248. 
Brentano, 152. 
Brinkmann, 137. 
Brohm, 449. 
Bromme, 248. 
Bronn, 248. 
Broſig, 455. 
Brugier, 166. 
Bruhns, 128. 
Brünnert, 61. 
Bühler, 151. 
Burdard, 460 (2.) 461. 
v. Burger, 489. 
Burgwarbt, 205. 


Caminada, 138. 
Gannabih, 492, 
Gaspari, 73. 865 (2.) 
Caspers, 78. 

Caſſian, 527. 
Chriftoffel, 67. 

Chun, 265. 

Chwatal, 445.452. 460. 


vi 


Glafen, 114. 
Caudius, 118. 
Colshorn, 211. 
Cotta, 375. 
Cũrie, 256. 
Eurtmann, 285. 


Daniel, 495. 
Davids, 110, 
Deinbarbt, 198. 
Deltzer, 24. 
Deutih, 59. 
Dielitz, 564. 
Dietlein, H. R., 205. 
—, ®., 558. 
Dietrich, 87. 
Dietſch, 551. 
Döring, A., 173, 
—, ©., 450. 
Dixpfeld, 57. 68. 
Dörr, 149. 
Dorſchel, 108. 
Dreßler, 276. 
Düder, 150. 
Dulon, 336. 
Dünper, 174. 


Ebeling, 444. 
Edardt, 51. 

Eder, 445. 

Eiben, 247. 

Eidhofj, 444. 
Eijelen, 530. 

v. Eiterlein, 455. 
Emsmann, 259. 

Erk, 438. 444 (2.) 445. 
Ernſt, 863. 
Fack, 491. 

Faäſch, 102. 150. 
Feaur ‚321. 

v. Feuchtersleben, 177. 
Siedler, 349. 

Fiſcher, H. L., 530. 
—, D., 98. 

— R., 154. 

Fittig, 264. 


Fliedner, 262 (2.) 
Foͤrmes, 200. 
Forſteneichner, 245.376, 
Foͤrſter, 553. 
Foßler, 124. 
Frank, 530. 
Franke, 143. 

v. Sranlenberg, 555. 
Franz, 365. 

—, N, 452 (3.) 
Fräsdorff, 49. 
Frich, 261. 

Frickart, 113. 
Fride, 452. 
Sriahöffer, 101. 
Fritze, 95. 263. 
Fröbel, 304. 
Froͤhlich, 814. 
Frypell, 581. 
Fuhr, 197. 
Yürbringer, 59. 61. 62. 


Garde, 361. 
Gallenlamp, 1283. 
Gandtner, 122. 
Gartz, 445. 

Georg, 150. 
Gerftäder, 375. 
Ofrörer, 533. 
Gläfel, 198. 

Glajer, 497. 
Gnerlich, 202. 211. 
Gödele, 211. 
Goebele, K., 384. 
Goldammer, 295. 
Goldhann, 858. 
Gottſchalg, 102. 
Gottwald, 452, 
Götzinger, 150. 
Graben-Hoffmann, 431. 
Graf, 150. 

Greef, 438: 458. 
Grimm, 179. 
Gröfchel, 453. 
Grofie, 257. 379. 
Grogfeld, 151, 
Grube, 172. 533, 534, 


Verzeichniß der Schriftfteller. 


Gruppe, 168. 

Gſell, 359 (3.) 
Gute, 172 (2.) 
v. Gugler, 327. 
Guillemin, 500. 
Gurde, 2083. 

@utelunft, 178. 
Guth, 110 (4.) 


Häberlin, 368. 

Hahn, 556, 
Hartmann, E. F., 285. 
—, %, 431. 

Häfters, 100 (2.) 
Haug, 141. 

Hechel, 125 (2.) 
Heidemann, 438. 
Heine, 558. 

Heis, 112. 

Held, Fr., 444. 

v. Held, J. Ehr., 351. 
Henneberger, 373 (2,) 
Hentſchel, 103. 

Herbit, 534. 

Hergt, 67. 

Herrfurth, 202. 
Herrmann, 285. 
Heufinger, 350. 
Hibeau, 362. 
Hiltenlamp , 207. 
Hirſch, C., 101. 

—, W., 449. 
Hobein, 170. 
Hoffmann, F. L., 284. 
—, Frz., 363. 880. 


Hoos, 141. 

Hoͤpfner, 168. 

v. Horn, 363 (2.) 370 
(3.) 382. 383. 

Hoͤrſchelmann, 489. 

Hövelmann, 59. 

Hübner, H., 264. 

—, D., 498. 











Verzeichniß der. Schriftiteller. 


Hülftett, 176. 
Hüttner, 362. 
Hugelmann, 564. 


Köpp, 102. 
Koppe, 254. 
„Körner, 371. 


Huyſſen, 68. Rortenbeitel, 562. 
Kojad, 96. 

Jaͤger, 373. Rothe, 432. 438. 439. — 

Jaͤlel, 59 (2.) 213. Kotz, 316. 

Janjen, 438. Krebs, 459. 

Jaspis, 71. Kretzſchmar, 33. 35. 

Saflram, 210. Kreutzer, 111. 

‘ber, 56. Krißinger, 374. 


Johnſton, 264. Kroymann, 110 (2.) 


Sperott, 56. Kühn, 202. 
Junghänel, 150. 154. Kühne, 204. 

| Runge, 439. 
Kappes, 535. _ Küpper, 488. 
Keferftein, 248. Kurts, 350. 


Kehr, 150. 214. Kurz, 167. 171. 

Kebrein, 129. 143. 174. Rüfter, 444. 458. 

Reilmann, 102. 

Keller, G,, 176. Raban, 257. 258. 
‚8. 6., 494. Zange 211 (2.) 537. 

Rellner, 151 (2.) 209. Langenberg, 97. 125. 
292. 170. 


VIL 


üben, 200. 206 (2.) 


209. 210 (2.) 213, 
256. 357. 


Zucan, 173. 


Ludwig, €. A., A458. 
—, 53. L., 350. 

Lührs, 29, 

Lukas, 307, 

Luz, 438. 


Mad, 455. 
Mangin, 500 (2.) 
Marggraf, 540. 
Marihall, 626. 
Materne, 40. 62. 
Maurer, 539. 
Meirner, 493. 
Mentel, 56. 
Menzel, 123. 


. Merk, 105. 


Meyer (:Hilpburgh.) 501. 
462. 


—, ®., 438, 452. 
Minoja, 432. 


Kerner, 215. Laudhard, 140. 362. Möbus, 139. 211. 
Kieſel, 535. Zautenfchlager, 381 (3.) Möbius, 305. 
Rage, A60. Ledderhoſe, 383. Molitor, 357. 


Klatt, 258 (2.) 
Kleffel, 453. 460. Le Hon, 254. 
Klein, 444. Lehrer, 198. 
Kleinpaul, 91. 106 (2.) Leitrig, 70. 


Lederer, 287, 


Kette, 369. 370. Leonhardi, 73. 

v. Klöden, 495. Leunis, 255. 

Klofe, 202. Leutemann, 369. 
Klotzſch, 136. Lindemann, J., 491. 


Klusmann, 202. 
Rnauth, 65. 366. 
Rnieban, 100. 
Knigge, 384. 
Rnupfer, 103 (2.) —, K., 49. 
Koͤhler, 216 (2.) 296. Lobe, 455. 


—, W., 167. 
Lippelt, 215. 
Liſzt, 459. 


305. Loͤbker, 565. 
Kolb, 246. Loebnitz, 101. 
Kolberg, 438. Lommer, 449. 
Kolde, 51 (2. Lorenz, 455. 
König, 460. Lorey, 108. 


Köpert, 536, 537. .. Lübben, 171.. 


v.Littrow,3.3.,499.500. 


Moofer, 109. 

Morf, 283. 
Moshamer, 365. 
Mühlbrecht, 455. 
Diüller(«Heilbronn.) 540. 


un ) K., 375. 
Mushake, 601. 


Nade, 200. 206 (2.) 

209. 210 (2.) 218, 
Naumann, 176. 
Naveau, 369. 
Neumann, ©., 490. 
—, ©. €, 452. 


—* 199. 861. 
540 .. 





vm 


Niendorf, 104. 
Niffen, 28. 
Nitzelnadel, 541. 
Noad, 51. 
Nöldele, 69. 


Divenwald, 438. 
Oblert, 113. 
Dltrogge, 212 (2). 
Oppermann, 370. 
Ortmann, 197. 
Deften, 460. 

Dtto, 371. 379 (2). 


Paldamus, 213. 

Balme, 438. 

v. Palmer, 270. 

Banig, 135. 

Pauliſch, 203 (3). 

Par, 444. 

Pechner, 204. 

Bernat, 216. 

Peter, 3. Chr., 158. 

—, 9. 49. 

Betermann, 59 (2).218. 
881. 


Pfau, 384. 
Bfifter, 270. 
Pflüger, 102, 
Pierſon, 559. 
Piſchon, 52. 
Pladüter, 202. 
Bohl, 264. 
Bollal, 104. 
Poͤtſchel, 202. 
Preſſel, 384. 
Preuß, 438. 
Priem, 371. 
Prinzing, 68. 
Prohl, 361. 
Pröhl, 159. 


Haue, 270. 
Ravoth, 803. 
Nebau, 248. 
Rebling, 445. 
Reclam, 247. 


Verzeichniß der Schriftfteller. 


Heiler, 94. 

Reißmann, 459. 
Neigel, 438. 

Rengier, 209. 
Renneberg, 541. 543. 
Reuſch, 178. 

Richter, 132 (2). 
Niede, C. F., 544. 
—, 6. A., 150. 
Niedel, 256. 262. 263, 
Rind, 458. 
Node, 432. 
Röder, 200. 
Röhm, 100. 
Kohn, 151. 
Rolfuß, 270. 
Römer, 252. 
Rößler, 209 (2). 
Röth, 371. 
Ruchte, 263. 
Rudolph, 149. 
Rüegg, 286. 
Ruhſam, 91. 
Ruland, 289. 
Ruß, 245. 


Sandter, 216. 
Saupe, 168. 176. 
Schaͤfer, 167. 
Scharlach, 124. 
Scharpf, 100. 
Schaubach, 373. 
Schäublein, 438. 449. 
Scheibert, 288. 294. 
Scherf, 150. 
Scherz, 150. 154. 
Schilbe, 56. 
Schinnagl, 130. 
Schlecht, 118. 
Schlegel, 4. A., 72. 
—, K. F. 201. 
Schletterer, 432. 430. 
452 (2). 455. 
Schlimbach, 199. 214. 
Shlotterbed, 108. 
Schmidlin, 251. 
Schmidt, F., 981. 


Schmidt, Ferd., 376 (2). 
— %t., 296. 398. 
-, % U, 249. 
—, 8., 274. 

, K. A, 270. 
—, RM. 9. 432. 
Schmitt, D., 124. 
—, %, 54. 207. 
Schmig, 150. 158. 
Schmued, 548. 
Schnabel, 444. 


* Schneider, J. 132. 


’ ud . 


Schoͤdler, 246. 

Schrop, 857. 

Schubert, F. L., 455. 
47 


Schuler, 62, 152. 200. 
439. 


Schulz, 127. 


Schuſter, 565. 
Schüge, 27. 
Schwark, 550. 
Schwarzloſe, 458. 
Schwedler, 561. 
Sederholm, 42 (2). 
Seebold, 51. 
Seidel, 175. 297. 838. 
Seiffart, 500. 
Seinede, 210. 

v. Seld, 379. 
Sellheim, 104. 
Selkjam, K., 20%. 2086. 
—, &, 209. 
Sering, 459. 
Seyffarth, 51. 
Sieber, 432, 
Silcher, 445. 
Simrod, 174. 175. 
Smidt, 366. 867. 
Sommer, 127. 
Sönkſen, 491. 
Spalving, 92: 119. 
Späth, 863. 





Verzeichniß der Schriftiteller IX | 


Spieler, 120. 

Epig, 122 (2). 

Stade, 550. 

Stahl, H., 
198. 214. 

v. Stahl, H., 439. 

Stählin, 624. 

Stangenberger, 350. 

Start, 311. 

Steger, 201. 

Stein, 349. 

Gteinhaujen, 445. 

Gtephan, 439. 

Steuer, 202. 

Etöber, 364. 

Gtolley, 431. 

Straube, E., 201. 

—, %, 498 

Stroeſe, 151. 

Etubba, 11P. 119 (8). 

Stublmann, 357. 

Stüßner, 49. 

Sulge, 460. 

Gutermeifter, 178. 


Taſchenberg, 249. 
Zerlinden, 93. 124, 
Teſchner, 449. 
Theobald, 259. 
Thienemann, 869. 


Thierbach, 445. 


149 (2). 


Troſchel, 3855. 356. 


v. Tihudi, 265. 
Zuma, 432, 
Zylor, 327. 


Uhlenhuth, 879. 
Ule, 245. 
Ullrich, C. 145. 
— G., 261. 
Ulrich, 432. 
Ulrici, 271. 
Ungewitter, 66. 


v. d. Velde, 501. 
Vetter, 438. 
Viole, 460. 
Vogt, 460. 
Voigt, 365. 
Voigtmann, 134. 
Volcmar, 176. 
Volkening, 430. 
Völker, 358. 
Böllinger, 356. 


Bormbaum, 563. 
Wadernagel, 175. 


Dagner, A., 247. 
—, €, 327. 
—, 128. 


Weiß, J. A., 107. 
Welder, 101. 
Welter, 551. 
Wenck, 262. 
Werner, 490. 
Wernicke, 551. 
Wetzel, E., 144. 
—, 5%, 144. 
Widmann, 131. 452. 
Miede, 125. 262. 
Miedemann, 364. 
Wiejendanger, 136. 
Wigand, 122. 
Wild, 8., 365. 
—, % 8., 382. 
MWildermuth, 270. 
—, D., 369. 
Minderlih, 150. 
Wittſtod, 267. 
Moebfen, 305. 
Moldemar, 322, 
Molf, 63. 

Mölfel, 453. 
Wörle, J. ©. C., 568. 
—, K. 566. 
Würth, 215. 

Wyß, 153. 


d., 
—, 5 250. 254. 255 Zäh, 445. 


—88 450. 


Thomas, G. A., 458 (2). Walter, 63. 


—, L., 59 (2). 213. Wangemann, 51, 64. 


Thumfer, 253. 
Zieh, 438, 
Töpfer, 455. 
Trappe, 261. 


Meber, 551 (2). 
Meegmann, 128. 
Megener, 137. 


Meigeldt, 132 (2). 


Zraut, 130. 131. 380. Weib, 538. 


Zähringer, 120. 124. 
Beller, 292. 

Biller, 285. 
Bimmermann, C., 73. 
—, R., 168. 
Zitzelsberger, 564. 
Zſchokke, 259, 
Zuberbühler, 188. 
Bimeigle, 460. 


Negifter der Sammelwerke, Zeitihriften und anony- 
men Bücher. 


Auswahl geiftlicher Lieder für Schule 
und Katechiſation, 439. 


PBeatushöhle, die. Cine Erzählung ıc., 
366. 

Bilder zum Anſchauungsunterricht für 
die Jugend, 199. 

Bilvderfibel. Ein Geſchenk für artige 
Kinder, 205. 

Blätter, neue, für die Volksſchule der 
Herzogthümer Bremen, Berben 2c., 
606. 

Blüthen chriſtlicher Dichtung, 177. 


Erde, die, und das Meer, 500. 


Seftreden. Zur Erinnerung an die 
Enthüllung des Melanchthon⸗Denk⸗ 
mals, 72. 

Fibel. Buchſtabir⸗ und Leſebuch, 204. 

Forty-sixth annual Report of the 
Controllers of public schools 
etc. of Pennsylvania, 343. 


Geſangbuch, chriſtliches, 69. 


Geſchichte, die bibliſche, des alten 
und neuen Teſtaments, 59. 


Helilon. 
452. 
Herr Jeſus Chriftus, der, 62. 


Cine Sammlung Lieber. 


Subeldiffertation des alten Dr. Stiebel, 
283. 


Katechismus der chriftlichen Lehre ıc. 
für Rheinhefien, 49. 

Katechismus, der Heine, ıc., 52. 

Runft, die, des Klavierſtimmens, 
455. 


Lehr⸗ und Unterrichtsplan, 349. 


Lehrer⸗Kalender, 601. 

Leitfaden der Geographie, 493. 

Leſebuch für die Mittelklaſſen, 208. 

Leſe⸗, Schreib: und Spraͤchſchuͤler, ber 
kleine, 208. 

Lieder, deutfche, ıc., 370. 

Luthers, Dr. M., Katechismus, 50. 





Negifter ber Sammelwerke, Zeitfchriften ac. 


—, Ratehiömus, erläutert durch die 
Bibel ıc., 51. 

—, mit einem Anbang, 52. 

—, mit Sprüchen, 51. 


Rechenhefte, 101. 

Regeln für die deutſche Orthographie, 
136. 

Nepertorium für Sologejang, 452, 


Schulblatt, Hannoverſches, 606. 

Schulmeiſter, der, von Haſelwang, 
382. 

Schulzeitung, Hannoverſche, 606. 

Sonntagsfreude, 380. 

Staatsſchulen, Pennſylvaniſche, 344. 


XI 


Teſtament, das alte, ıc., 62. 


Veberfiht der Thätigkeit des Kaiſerlich 
Ruſſiſchen Minifteriums ber Volles 
aufllärung, 322, 

Vögel, hundert, aus allen Landern, 
256. 

Vollserzählungen ıc., 882. 

Vorbilder, 383. 


Mandtafeln zu F. W. Hungers Hand» 
fibel, 204 (2). 

Winke zum Verſtaͤndniß der Bibel» 
ftellen, 50. 


Bauberflöte, die. Zerterläuterungen 
3c., 456. 


.- 








I. 


Neligionsunterridt. 
Bon 


Dr. Morig Schulze, 
Sup. und Beirfs-Schuliufpector zu Obrbruf bei Gotha. 


Mer e3 ernftlih meint mit feinem Berufe als Religionslehrer, muß 
auch dem Fortſchritt huldigen. In allen übrigen Zweigen der Päda: 
gogik wird doch ganz entſchieden von ihm verlangt, daß er mit der Zeit 
fortfchreite ; wie könnte ihm auf dem Gebiete der Religion diefe Forderung 
erlafien werden | Steht der ftabile, der reactionäre Lehrer nicht in der ſtets 
fortſchreitenden Welt da, mie eine Ruine aus alter Zeit? Kann er hoffen, 
Bertrauen in feinem Kreife zu finden, wenn er aud nur in einem Punkte 
der Zeitbiloung fremb bleibt oder ihr wohl gar Hohn Sprit? Und Tann 
es nun vollends ein hriftlicher Neligionslehrer vor feinem Gewifjen vers 
antworten, wenn er gegen den Kortfchritt fi erflärt? Gilt doch au ihm, 
und vor Allem ihm, die bibliide Mahnung: Schicet euch in die Zeit! 
Prüfet Alles und das Gute behaltet! Wachſet in der Erfenntniß ! 

Einem riftlihen Neligionslehrer, der den Geift der Religion, die er 
verlündigt, richtig erfaßt und ber fein Auge für die gefchichtlihe Entmwide- 
lung derſelben ofien erhält, kann es nicht entgehen, daß das Chriften: 
thum eine Religion des Fortſchritts iſt. Wohl ift vorauszufehen, 
das diefe Behauptung Manchen höchſt bevenklich erfcheinen wird, die durch 
biejelbe das göttliche Anſehen unferer Neligton, ihre ewige Giltigleit und 
Dauer bedroht fehen. Allein betrachten wir näher, mas mit jener Behaup- 
tung ausgeſprochen ift, jo müflen alle Bedenken dieſer Art ſchwinden. 

Iſt das Chriftenthbum, wie ich behaupte, eine Religion des Fortſchritts, 
fo liegt allerdings darin ver Gedanke ver Veränderlichkeit ausgefpro- 
hen, mögen wir den Ausbrud „Fortſchritt“ im eigentlichen oder im bild— 
lihen Sinne nehmen. Was fortjchreitet, bleibt nicht auf der nämlichen 
Stelle, auf der es fi anfänglich befand, es verändert in jedem Augenblid 
feinen Standpunkt. Der Wanderer fchreitet fort, indem er fich mit jeden 
Schritie weiter von der Stelle entfernt, von der er ausging. Der im Un 
terrichte fortſchreitende Schullnabe erleidet eine Veränderung, indem er an 

Päd. Jahresbericht. XVII. 1 


2 Religionsunterricht. 


Kenntnifien zunimmt, immer Neues zu dem ſchon Erlernten binzulernt, im: 
mer mehr der Fertigleiten und Gefchidlichleiten fich erwirbt. Der Wagen, 
das Schiff, der Himmelstörper fchreiten fort, indem fie ihren Standpunkt 
gegen benachbarte Gegenjtände verändern, und in ihrer Laufbahn fortrüden. 
Es ift alfo keine Frage: „Fortſchreiten“ fchließt den Gebanten ber Ver: 
änderung in fih ein. Bezeichnen wir alfo das Chriftenthbum als eine 
Religion des Fortſchritts, jo jagen wir damit aus, daß aud auf das Chri⸗ 
ftentbum der Begriff der Beränderlihleit anzumenven, daß es nicht 
zu allen Zeiten fich gleichgeblieben fei, daß es im Laufe der Yahrhunderte 
jehr verfehiedene Geftaltungen angenommen habe. Und denken wir babei 
nur an die äußere Erſcheinung der chriftlihen Neligion, nur an das Ger 
wand, in dem fie auftritt, fo wird, jo kann an biefer Bemerkung gewiß 
Niemand Anftoß nehmen. Die Religionsgefdhichte lehrt ung ja zur Genüge, 
wie ſehr die Formen der Belenntnifie gewechjelt haben, wie viele Parteien 
in der einen chriftlihen Kirche entftanden, wie verjchieden die Confeſſionen 
berfelben find, und ſchon der Schullnabe weiß es, mie weit unfer proteftan- 
tiiher Glaube von dem der katholiſchen Kirche fi entfernt hat. Über von 
etwas ganz Anderem ift die Rede, wenn wir das Chriſtenthum eine Reli: 
gion des Yortjchritts nennen: nicht von den äußeren Formen, in benen es 
auftritt, fondern’ von feinem innerften Kern, von den Lehren Jeſu 
ſelbſt. Wir behaupten, daß auch fie einer allmähliden Fortbildung 
fähig find, daß fie weiter und weiter fih entwideln, daß das in ihnen 
Gingebüllte mehr und mehr zu Tage kommt, ungefähr ebenfo, wie 
aus dem Samenlorn bei günftiger Witterung die Pflanze fih entwidelt. 
Aber, höre ich fagen, iſt diefe Anfiht nicht eine Gottegläfterung? 
ift fie nicht Verfündigung an Gottes Wort ? ift nicht die Religion, zu 
der wir uns befennen, eine göttlihe Offenbarung? fagt nicht Je 
fus: „Meine Lehre ift nicht mein, fondern dei, der mich gefandt hat ?“ 
Gott ſelbſt hat aljo durch Jeſu Mund zu uns geredet, er, der Gwige 
und Unveränvderliche, der keinem Irrthum unterworfen ift und feinen feiner 
Rathſchlüſſe zurüdnimmt, er, der ewig Wahrbaftige, der Allvolllommene. 
Was er jagt, bleibt ewig wahr; was er thut, bleibt ewig volllommen. 
Wohl haben Menihen fein Merk oft verborben und verderben es noch, — 
baben fi erbreiftet, ihm nachbeſſern zu mollen, haben ihre Erbichtungen 
feinen Belehrungen untergefhoben, haben fein Wort nah ihren menſch⸗ 
lihen Einfällen verdreht. Aber alles Dies ift au in den Fluthen der 
Beit wieder untergegangen oder erwartet noch feinen Untergang. Nur was 
von Gott ift, die von ihm geoffenbarte hriftlide Wahrheit bleibt 
ewig fteben ; denn fie ift volllommen : fie bedarf keiner Nachbeſſerung, tei- 
ner Ergänzung, feiner Läuterung. Sie ift eben darum keiner Verän— 
derung unterworfen; es ift Frevel, bei ihr von „Fortſchritt“ zu reden. 
Um dieſer Widerrede und Anklage gegenüber den Fortſchritt des 
Chriftentbums in's rechte Licht zu feßen, antworte ih zunähft mit einem 
aus der Erfahrung genommenen Gleich niß. Der Landmann betradtet 
das Samenkorn nur nad feiner äußeren Geſtalt; er weiß, wie es ausjeben, 
wie es fich anfühlen, welche Farbe, welche Schwere ed haben muß, wenn 
ed gut genannt werden und für feine Zwede tauglich fein fol. Ein An« 





Religionsunterricht. 3 


berer bleibt nicht blos bei ver Betrachtung der Außeren Hülle ſiehen: er 
zerlegt das Samentorn in jeine Beftanptheile und entdedt darin einen 
Keim, der von Samenlappen eingeſchloſſen if. Noch ein Anderer unters 
ſucht es mit dem Mirofeope und nimmt in bem fleime ſchon die Haupt: 
tbeile der künftigen Pflanze wahr: das MWürzelhen und den Stengel, der 
fih über die Erde erhebt. Der Chemiler endlich weiſt in demjelben durch 
weitere Unterfuhungen auf's genauejte dad Quantum des Nahrungsftoffes 
nad, das ihm eigen iſt. So findet jeder nachfolgende, tiefer blidende For: 
ſcher in dem gleihen Samentorn mehr, als fein Vorgänger. — Wie nun, 
beißt das die Werle Gottes tadeln, fie ändern, fie beilern wollen, wenn der 
Mann des Fortichritt3 mit Hilfe der fi meiter entwidelnden Wiſſenſchaft 
durch fortgejegte Forſchungen immer mehr, immer Befleres, immer Gehalt- 
volleres in ihrer Einrihtung erfennt? Muß es nicht vielmehr unfre Bes 
munderung der ewigen Weisheit fteigern, die in das eine Samenlorn fo 
. viel für den denkenden Beritand zu legen wußte, daß berjelbe immer Neues 
an demſelben entvedt ? 


Auf ähnliche Weife verhält es fih mit dem Worte der heiligen 
Schrift. Es liegt in demjelben ein fo vielfadyer, tiefer Sinn, daß mir 
nicht hoffen dürfen, ihn jemals ganz zu erihöpfen. Je öfter wir die Aus: 
ſprüche unfer8 großen Erlöferd durchdenken und je beſſer wir dafür vor: 
bereitet find, ein deſto größerer Gedankenreichthum fchließt fi in ihnen ung 
auf. Sf es aljo zu verwundern, wenn in Jeſu Lehren der Eine mehr, 
der Andere weniger findet, — ver Eine beim nächſten Sinne der Worte 
ftehen bleibt, der Andere einen entfernten und tiefer liegenden Sinn in ihnen 
entdedt? ift ed zu vermundern, wenn bie eine oder die andere biejer An⸗ 
fihten bei Solden, die gleiher Gefinnung, gleihen Streben, gleiher Bils 
dung find, Anklang und Eingang findet, in weiteren Kreifen fi) verbreitet 
und die religiöfen Bebürfniffe ganzer Gemeinden ſammt ihren Anforderun: 
gen an. die chriſtliche Kirche dadurch ſich ändern ? Diefe Veränderung hängt 
offenbar mit der fortfohreitenden geiftigen Bildung bes Men— 
fhen zufammen. Sie treibt ihn mehr und mehr von den Aeußerlich⸗ 
keiten fih abs und dem inneren Kern der Wahrheit fih zuzu— 
wenden. 


Darin aber beftehbt das, was ih den Fortſchritt des Chriſten— 
thums genannt habe. Die beforgten und fo leicht zur Verketzerung ges 
neigten Gegner mögen fih aljo beruhigen. Nicht in einer Beräns 
derung der Lehren felbft befteht der Fortfchritt, um den es fi bier 
bandelt, fondern in einem rihtigeren Verſtändniß und tieferer 
Auffaffung derſelben von Seiten der Menjhen. Es wird damit nicht 
behauptet, dab Gottes Wort mit der fortfchreitenden Beit vervolllommnet, 
wohl gar von den Menſchen durch ihre zunehmende Einſicht verbefiert 
werde, fondern nur, daß der Kern des reinen und wahren Chriſtenthums 
immermehr entwickelt werde, daß bie Menſchen zu einer immer rich: 
tigeren Ertenniniß des goͤttlichen Worts gelangen, je mehr ſie an 
wiſſenſchaftlicher Bildung zunehmen, je mehr ſie von herrſchenden Vorurthei⸗ 
len ſich losmachen. 


1* 


4 Religionsunterricht. 


Wenn nur biefe Vorurtheile nicht bei Vielen jo mädhtig und feftitebend 
geworden wären, daß fie ganz blind find gegen bie überzeugendſten Gründe 
der Vernunft und der Erfahrung ! Sie haben Augen und jehen nicht; fie 
baben Obren und bören nidt. Sie verleugnen die nad immer fort: 
ſchreitender Erkenntniß der Wahrheit verlangende Natur ihres eigenen 
Geiftes. Sie überhören die Mahnung des von ihnen jelbit über 
Alles hochgeſchätzten göttlihen Worts: zu wandeln, nicht wie bie 
Kinder der Finſterniß, jondern wie die Kinder des Lichts, — zu fors 
Shen in ver heiligen Schrift, ob ſich's auch aljo halte, — zu prüfen 
und das als gut Erfundene zu behalten, — zu wachſen und je mehr und 
mehr reih zu werden an Erkenntniß und Erfahrung, — nicht zu mäh: 
nen, daß man es ſchon ergriffen babe, fondern dem nachzujagen, daß 
man’s ergreifen möge. Sie überjeben ganz die Erfahrungen ihres eignen 
Lebens, ihrer eignen geiftigen Entwidelung ; — denn koöͤnnen fie leug- 
nen, daß ihr Glaube feit ven Jahren ihrer Kimpheit ein anderer, daß er 
mehr geworden ift und immer mehr werden kann ? Sie überfeben ganz 
die Ergebnifje der Gejhichte des Gottesreichs, die ja fo au: 
genſcheinlich ein Fortfchreiten des Menſchengeſchlechts in feiner religiöfen 
Bildung befunden. Sie erlennen in derjelben den fortſchreitenden Stufen: 
gang der Offenbarungen, den aud die heilige Schrift andeutet, wenn fie 
fagt: „Nachdem Gott mandmal. und mancherleimeije zu den Vätern ge: 
redet bat durch die Propheten, hat er am lebten zu uns geredet dur den 
Sohn’ ; aber gleihmwohl erkennen fie es nicht an, daß Gott auf Grund bie: 
jer „lebten“, dieſer volllommenften feiner Offenbarungen das Menſchen⸗ 
gejchleht in jeiner religiöfen Bildung meiter und immer weiter geführt 
jeben will. Nicht einen Stillftand derfelben follte die Lehre Jeſu berbei- 
führen, ſondern vielmehr eine Anregung geben zu fortfchreitender Erkennt: 
niß der Wahrheit. Darum verhieß auch der Stifter unjrer Religion fei- 
nen Süngern, daß fie der heilige Geift, der Geift feiner Offenbarung, der 
Geift des Worts, der lebendig macht, fie in alle Wahrheit leiten ſolle. 
Und fo fehen wir ja auh an den Apoſteln, nicht nur daß, fonvern 
auch wie fie fortfhritten auf Grund der Lehre Jeſu. Ich erinnere 
nur an den Streit derfelben über die Aufnahme der Heiden in’s Chriften: 
thbum und mie endlih dem Petrus ein Liht aufging, daß er ſprach: 
„Run erfahre ic es in der Wahrheit, daß Gott die Perfon nicht anfieht, 
ſondern in allerlei Bolt, wer ihn fürdtet und recht thut, der ift ihm 
angenehm.” — Die Gegner des Fortſchritts überſehen aber auch ganz 
und gar, wie überzeugend die Geſchichte des Chriftenthbums ein 
Hortfchreiten in unferm Sinne nadhmeilt, überzeugend für Jeden, der ſehen 
will; denn zu allen Beiten, aud in den dunlelften, gab es einzelne Män: 
ner und ganze Gemeinden, die ihrem Jahrhundert vorangeeilt waren. Sie 
überfehen ja, und das ift ganz befonders auffallend, daß Luther jelbft, 
auf defien Worte fie ſchwören, ein Mann des Fortfchritts war, und 
daß der Geilt des Broteftantismus ein Geift des Fortjchritts if. 

Einen geößeren Yortjchritt des Chriftentbums bat die ganze chriftliche 
Religionsgefichte nicht aufzumeifen, ald in dem großen Werfe der Refor: 
mation. Gelbit die ftabilften Orthodoxen preijen fie als die fegensreichfie 








Religionsunterricht. 5 


Sntwidelungsepohe des Chriſtenthums. Zwar betrachten fie die Refor- 
mation nicht ſowohl als einen Yortjchritt, jondern vielmehr ala einen 
Rüdjchritt zum reinen Svangelium ; aber dennoch werden fie, wenn fie auf: 
richtig fein wollen, nicht leugnen können, daß die Rirhenverbejjerung 
wiflih ein Fortſchritt zum Befleren war, daß fie das war, was id 
oben als Fortfchritt des Chriſtenthums bezeichnet habe: eine Entwidelung, 
richtigerer Erlenntniß des wahren Chriſtenthums, ein bejleres Verſländniß 
und eine tiefere Auffafiung feiner Lehren. Luther war aber ein Mann 
des Fortſchritts nicht nur beim Beginn feines großen Unternehmens, 
jondern er blieb e3 fein ganzes Leben hindurch. Er ſchritt von einer Ber: 
bejlerung des Krütlihen Weſens zur anderen fort; er drang immer tiefer 
in den Sinn des göttlihen Wortes ein und erklärte, daß er immer ein 
Schüler der heiligen Schrift bleibe, mit deren Grlenntniß er nimmer fertig 
werde ; er hatte in dem Streben nah der Wahrheit nimmer fih genug 
getban und weit entfernt, fein Wert als vollendet und unverbeſſerlich 
zu betrachten, ſprach er vielmehr noch in feinen lebten Tagen den Wunſch 
aus, daß es Andere nah ihm beſſer mahen möchten. Er felbjt 
aljo, der Mann des Fortjchritts, forderte zum Fortjcritt auf; und wie ihm 
von feinem feiner Anhänger, auch nicht von den jtrenggläubigften, der Vor⸗ 
wurf gemadt wird, er ſei als Mann des Fortſchritts, der er unleugbar 
war, von der chriſtlichen Kirche abgefallen, jo follte doch dieſer Vorwurf 
auch benen nicht gemacht werben, die in feinem Geift auf der Bahn des 
SortjchrittS weiter geben. 

Berehtigung, ja die Verpflihtung zum Fortſchritt gibt und aber auch 
der Geift des PBroteftantismus. Diefer ift offenbar nicht ein Geiſt 
der Stabilität, fondern ein Geift des Fortſchritts, wie ja die Reformation 
jelbft ein Fortfchritt war. Es ift ganz vergeblibe Mühe, zu beweijen, daß 
Zutber und jeine Mitarbeiter ein unabänderlihes, für ewige Zeiten giltiges 
und bindendes Glaubenöbelenntniß hätten feitftellen wollen. Nicht einmal 
die proteftantiihen Bekenntnißſchriften, auf deren unbevingte Gel: 
tung und Befolgung die dem ftarren Confejjionalismus Ergebenen mit fo 
großem Eifer dringen, wollen für eine unabänderlihe Lehrnorm gehalten 
werden. Dies zu beweijen, genügt die Anführung einer Hauptftelle aus 
der Concordienformel, dur welche bekanntlich der ſtrengſte Luthera⸗ 
nismus feitgejtellt werben jollte. Sie jagt: „Wir glauben, lehren und be 
fennen, daß allein die einzige Regel und Rihtihnur, nad wel- 
cher zugleih alle Lehren und Lehrer gerichtet und geurtheilt werben jollen, 
feien allein die prophetiihen und apofloliihen Schriften des alten 
und neuen Zeftamentes. Andere Schriften aber der alten oder der 
neuen Lehre, wie fie Namen haben, follen ver heiligen Schrift nicht gleich 
gehalten, ſondern allzumal mit einander berjelben unterworfen, und anders 
niht angenommen werben, denn ald Zeugen, meldergeftalt nad ber 
Apoftel Zeit, und an weldhen Orten ſolche Lehre der Propheten und Apo: 
ftel erhalten morben." Nachdem nun die Concorbienformel biefe Zeugen 
namentlich aufgeführt hat, nämlich die drei allgemeinen Symbole, die Augs- 
burgiſche Eonfefiion, die Apologie derſelben, die beiden Gatechismen Luthers 
und die Schmalkaldiſchen Artikel, fährt fie fort: „Solchergeſtalt wird ver 


6 Religionsunterricht. 


Unterſchied zwiſchen den heiligen Schriften alten und neuen Teſtaments und 
andern Schriften erhalten, und bleibt allein die heilige Schrift der 
einzige Richter, Regel und Richtſchnur, nad welcher als dem einzigen 
Probirſtein ſollen und müflen alle Lehren erkannt und beurtheilt werben, ob 
fie gut oder bö3, vecht oder unrecht ſeien. Die anderen Symbole aber 
und angezogenen Schriften (nämlich die Augsburgifhe Confeffion u. f. w.) 
find nicht Richter wie die heilige Schrift, fondern allein Zeugniß und 
Erklärung des Glaubens, wie jederzeit die heilige Schrift in ſtrei⸗ 
tigen Artileln in der Kirche Gottes von den damals Lebenpen ver: 
ftanden und ausgelegt, und die bderjelben mwidermärtige Lehre ver 
worfen und verdammt worden iſt.“ — Bedarf es meiter Zeugniß, daß das 
oberfte Princip des Proteftantismus das ift: Die heilige 
Schrift als einzige zuverläjfige und richtige Erlenntnipquelle chriftlicher 
Glaubens⸗ und Lebensregeln zu betradhten, — daß die ſymboliſchen 
Bücher felbit ihre innere Autorität nur allein in ihrer Uebereinfiimmung 
mit dem Worte Gottes ſuchen, — daß viefelben nur als Zeugniß für 
den fchriftgemäßen Glauben der damals lebenden Proteftanten, wie er 
nach dem Stande damaliger Beitbildung erfaßt werden konnte, angejeben fein 
wollten, — und daß mithin auh den nahfolgenden Geſchlechtern 
dad Recht zufteht, den chriftlihen Glauben nad den Lehren der beiligen 
Schrift zu prüfen und die Lehrſätze, die fie nad dem Stande ihker Zeit⸗ 
bildung als nicht in derjelben begründet erachten , reiner und richtiger bar: 
zuftellen.. Wir könnten alfo nicht wahre Proteftanten fein, wären wir nicht 
auch Freunde des Fortſchritts. 

Auf Grund des Schriftprincips ift denn auch in der That die pros 
teſtantiſche Kirche fortgefhritten und es bat fi dur die unabweis⸗ 
baren Nefultate der immermehr fih entwidelnden tbeologifhen Wiſſenſchaft 
und des allgemeinen Culturzuftandes ſehr viel in dem Glaubensbes 
wußtfein der proteftantifhen Seiftlihen und Laien geän: 
dert. Es läßt fih dies an vielen Lehren deutlih nachmeilen ; 
bier aber mögen einige Beilpiele genügen. Bor Allem ift die wichtige Ver: 
änderung zu erwähnen, welche fih mit der Lehre von der Inſpiration 
der heiligen Schrift zugetragen hat. Man hielt an der Ueberzeugung 
felt, daß jedes Wort, jeder Sab in der Bibel göttlihe Offenbarung fet, 
weil fie der heilige Geift den Verfaſſern derſelben eingegeben, gleihfam im 
die Feder dictirt habe. Dieſe Vorftellung mußte fich aber bei denkenden 
Theologen bald als unbhaltbar ergeben, und ſchon Carpov gab in feinem 
Syſtem der Dogmatit (1737) zu, daß die heilige Schrift in mathematifchen 
und phyſikaliſchen Dingen nicht nach der objectiven Wahrheit, ſondern nach 
dem jubjectiven Schein fprehe, — und Baumgarten in feinem Syſtem der 
Dogmatit (1757) leitete die Einrichtung und den Stil und Bortrag der 
bibliſchen Bücher von ihren DVerfaffern ab und behauptete, daß fie bei Er⸗ 
jorfhung. der Gegenftände ihrer Berichte Fleiß und eigenes Nachdenken hät 
ten anwenden müfjen und daher auch in mande Heine chronologiſche und 
hiſtoriſche Fehler verfallen feien. Aber eine noch weit größere Veränderung 
erfuhr die Inſpirationstheorie durch die Profefloren Semler zu Halle und 
Ernefti zu Leipzig, jener durch feine Unterfuchungen über den Canon und 











Religionsunterricht. 7 


feine biftorifchscritifhen Schriften, dieſer durch bie richtigen Grundſätze der 
Bibelerllärung, die er in feinem Lehrbuch der Auslegung des Neuen Teſta⸗ 
ments (1761) aufftellte. Als nun die Fortfchritte in der Bibellunde, Bis 
belauslegung, Zerteritit, Sprachwiſſenſchaft, Alterthbumstunde, fowie der Phis 
Iojopbie, namentlid der Pſychologie und Anthropologie, der Geſchichte, der 
Aftronomie, der Geognofie und anderer Miffenichaften immer weiter fich ver 
breiteten und die Anfichten der gebildeten Laien fehr veränderten, mußten 
auch die Theologen zum Fortbau ihrer Wiſſenſchaft ſich entjchließen, wenn 
fie nicht in immer größeren Widerſpruch gegen die Cultur der Zeit treten 
und ihrer befchräntten Anſicht wegen mißachtet fein wollten. So ftellte ſich 
denn immermehr heraus, daß auch die Bibel vom mifienfchaftliden Stand» 
punkte aus zu beurtheilen, daß fie rüdfichtlich ihrer Abfaſſung menſchlichen 
Urſprungs, dak wohl Gottes Wort in der Bibel, aber nicht die Bibel Got⸗ 
tes Wort fei. Nachdem nun diefer Hauptgrundfag feſtſtand und bei fort 
gefeßter Prüfung ein immer befjeres Verſtändniß der heiligen Schrift erzielt 
wurde, verbreitete fi auch ein reineres Licht über fo manche Kirchenleh⸗ 
ren. Die ſymboliſchen Bücher erflären fih ganz entſchieden für die Drei- 
einigkeitslehre; aber wie viele Veränderungen hat diefelbe im Laufe 
der Zeit erlitten, da es Vielen wie Luther erging, der da fagte: „Es ifl 
ein näriih Ping vor der Vernunft, daß Drei Eins fein follte”‘, umd 
fie durch allerhand Grllärungen fi zu helfen fuchten. Die fortgefchrittene 
Bibelerllärung känn fie nicht mehr als giltig anerfennen ; die Hauptitelle 
1. Joh. 5, 7, die allereinzige im: ganzen Neuen Zeftament, in welder ge 
fagt wird: ‚‚Diefe Drei find Eins”, ift als unecht ermwiefen ; ja, ſelbſt Eis 
ner der ftrenggläubigften Orthodoxen, der verftorbene Sup. Hahn in Bres⸗ 
lau, bat eingeftanden, daß die Säbe des athanaſianiſchen Symbolums über 
die Dreieinigteit fich gegenfeitig aufhöben oder zum Tritheismus führten. — 
Wie fegensreich ift die große Veränderung, die mit ber Lehre vom Teus 
fel vor fi gegangen ift, eine Veränderung, die uns nicht nur von dem 
Hexenglauben befreit hat, der noch bis in die erften Decennien des vorigen 
Jahrhunderts über fo viele unfchuldige Perſonen namenlofe Folter: und To⸗ 
desqualen bradte, — fondern die und auch frei gemadt hat von ber 
Furcht vor den Verführungen durch die Gewalt des Teufeld, an bie auch 
Luther noch glaubte, obgleih Johannes verfihert, Jeſus fei gelommen, daß 
er die Werke des Teufels zerftöre, und obgleich Jacobus fo beftimmt lehrt: 
„Ein Segliher wird verfuht, wenn er von feiner eignen Luft gereizet und 
gelodet wird.” — Wie ganz anders wird die Schöpfungsgejchichte, bie 
Lehre vom Chbenbild Gottes, vom Sündenfall, von der Erbfünde, vom 
Dpfertode Jeſu und von vielen anderen Lehren jebt aufgefaßt, als in den ' 
fombolifhen Büchern! — 68 ift darüber fchon genug geichrieben und 
aud) von mir in früheren Referaten des Jahresbericht bemerkt morden. 
Jeder aljo, der fehen will, wird erfennen, daß die proteftantifche 
ſKirche keineswegs die Geifter in Feſſeln ſchlagen und in Menſchen⸗ 
fagungen bannen will (denn Menfchenfabungen find ja doch die bei ihrer 
Entftehung als „Beugnib des von den „damals Lebenden‘ für echt evan⸗ 
geliſch ertlärten Glaubenslehren und die darauf gegründeten Confeffionen), 
Sondern vielmehr fortfchreitende Entwickelung chriſilicher Erkenntniß 





—— —— 


—— — 


8 Religionsunterricht. 


der Wahrheit auf Orund des Schriftprincips jedem Proteftanten zur Pflicht 
macht. Ebenſo wird Jeder, der ſehen will, leicht erkennen, daß in der 
That ein großer Fortſchritt geſchehen iſt, daß die Zeitſtrömung Alle mit 
ſich fortgeriſſen hat, daß ihr auch die Strenggläubigen nicht haben wider: 
ftehen fönnen, ja daß ihr Einfluß jelbit in den Schriften der Orthodoxeſien 
ſich nachweifen läßt. - 

In richtigem DVerftändniß des proteftantishen Princips und in treuem 
Feſthalten an demfelben, aber auch in gerechter Würdigung der Forderungen 
des gegenwärtigen Gulturzuftandes haben in unjern Tagen evangelifch : ges 


ſinnte Männer einen Bund gefchlofien, der die Fortbildung ber proteftantiichen 


Kirche in Lehre und Verwaltung bezwedt. Sein Name — „Broteftans 
tenverein“ — bezeihnet beutlih genug den Boden, auf welchem feine 
Mitglieder ftehen, und den Zwech, dem fie dienen. Gr ſchließt Keinen aus, 
der ein Herz für's deutſche Boll und für die proteftantifche Kirche hat; er 
umfaßt Männer der verſchiedenſten tbeologifhen Nihtung und Abt Duld⸗ 
ſamkeit gegen Jeden, ver nur Liebe zur heiligen Sache hat und von bem 
eifrigen Streben befeelt ift, durch meiteren, zeitgemäßen Ausbau der pro⸗ 
teftantifchen Lehre und Verfaſſung zur Förderung chriftliher Wahrheit und 
chriſtlichen Gemeindelebens mitzuwirten. Es follte aber auch kein protejlans 
tiſcher Lehrer von diefem Verein ſich felbit ausichließen ; er verleugnet ja 
fonft den Geift des Fortjchritts, den wir aus allem bisher Geſagten als 
den Geift des Chriftentbums und des VProteftantismus erlannt haben. Der 
Lehrer fol fich ja ſtets auf der Höhe der Zeit halten, und liegt ihm daran, 
insbeſondere feinen Religionsunterricht zeitgemäß fortzubilden, um denſelben 
mit dem Leben, das ihn umgibt, in Einklang zu bringen, und Chriften der 
Gegenwart, nicht Chriften des Mittelalters zu bilden, jo darf er auch gegen 
die überaus wichtige Zeiterfcheinung des ‘Proteftantenvereins nicht gleich 
gültig bleiben. 

Ehen deswegen ift aber auch im biesjährigen Jahresbericht als em 
hervorragendes Greigniß des vorigen Jahres 

Der erjte deutſche Proteftantentag, gehalten zu Eifenad 
am 7. und 8. Juni 1865, 
zu erwähnen und auf die Schrift binzumeifen, melde dieſen Titel führt 
(Elberfeld, bei Friedrih, 1865. 12 Sgr.). 

Wohl find die Männer, melde den Proteftantenverein fchlofien, ver: 
jhieden nad) Stand und -Beruf, verſchieden auch nad ihrem religiöfen 
Standpunkt, aber eins in der Liebe zur proteftantiichen Kirche und voll Ei⸗ 
fers, ihr durch zeitgemäße Fortbildung in Lehre und PVerfafiung eine wür⸗ 
digere Stellung und fegensreihere Wirkſamkeit zu fihern. Der Rame des 
Veroins deutet hinlänglih an, daß feine Mitgliever auf dem Boden „des 
evangeliichen Chriſtenihums“ ftehen und daß fie von den Grundprincipien 
des Proteftantismus fi leiten laſſen. Der Zweck veflelben ift in dem 
Statut deſſelben kurz ausgeſprochen: „Erneuerung der protelan- 
tifhen Kirche im Geifte evangelifher Freiheit und im Eins 
Hang mit der gejammten Culturentwidelung unfrer geit.“ 
Im einzelnen ſetzt es ſich zum Zwed: 








Religionsunterricht. 9 


1) Den Ausbau der deutſchen evangeliihen Kirhen auf der Grunds 
lage bes Gemeindeprincipg je nad den befonderen Berhältnifien der vers 
ſchiedenen Länder mit deutſcher Bevölkerung, fowie die Anbahnung einer 
organischen Verbindung der Landestirchen ; 

2) Die Belämpfung alles unproteftantifchen hierarchiſchen Weſens ins 
nerhalb ber einzelnen Landeslirchen und die Wahrung der Rechte, Ghre 
und Freiheit des deutſchen Proteftantismus ; 

3) Die Erhaltung und Förderung chriftliher Duldung und Achtung 
zwiſchen den verfchiedenen Gonfeffionen und ihren Mitgliedern ; 

4) Die Anregung und Förderung des chriſtlichen Lebens, ſowie aller 
der Kriftlihen Unternehmungen und Werke, welche die fittlihe Kraft und 
Wohlfahrt des Volks bedingen. 

Welcher Proteftant, und namentlich welcher proteftantifche Religions: 
lehrer, der nicht ganz von dogmatifchen Vorurtheilen und unduldfamem Nes 
ligiongeifer befangen ift, follte fih nicht einem Verein mit ſolchem Zwecke 
von ganzem Herzen zuneigen ? Oder kann er Proteftant fein, wenn er nicht 
aud proteftirt gegen Alles, was gegen den Fortſchritt des won Luther be- 
gonnenen Reformationsmwerls ftreitt ? Und „wogegen proteftirt der 
Proteftantenverein?“ Diefe Frage hat einer der würbigften, gelehr: 
teften und erfabrenften Geiftlihen des Herzogthums Gotha (Sup. E. Här: 
ter) in der Both. Landeszeitung fo trefilich beantwortet, daß ich mic nicht 
enthalten kann, fie bier wörtlich mitzutbeilen. 

Er fagt: „Warum bat der Proteftantenverein, deſſen Übfichten durch⸗ 
aus friedliche find, dennoch einen Namen ſich beigelegt, der ziemlih kampf: 
luſtig klingt? Hätte er fi nicht lieber den evangelifchen oder den chriftlich- 
irenijhen Derein nennen jollen? Die Antwort liegt nahe. Der Berein 
war fi bewußt, daß er bei aller Friedensliebe doch nach entgegengejeßten 
Seiten bin zu proteftiren haben werde. 

ft jeine Abfiht, den chriftlihen Glauben und die Wiſſenſchaft mit 
einander auszugleihen, fo kann er einmal nicht zugeben, daß der Glaube 
der wahre fei, der fih um die unbeftreitbarjten Ergebnijje der 
Wiſſenſchaft niht fümmert, oder ihnen ohne haltbare Gegenbeweije 
widerſpricht. Dagegen wird er ebenjo ernſtlich ſolchen Freunden ber 
Wiſſenſchaft entgegentreten müfjen, welche den chriftlihen Glauben, auch den 
Slauben deſſen, der für die Wahrheit zu zeugen gelommen war, durch 
die Wiſſenſchaft für widerlegt und überwunden auszugeben 
(1. Ror. 8.). Auch ift gegen bie zu proteftiren, welche den Bwiefpalt 
des Glaubens und der Wiſſenſchaft für unausgleihbar er: 
tlären, obgleih der Glaube, was ihm die Willenfchaft zu feiner Begrün- 
dung bietet, gern benußt, und obgleih die Wiſſenſchaft denen, welche ihren 
Forſchungen und Berehnungen nicht zu folgen vermögen, deren Nefultate 
doch zu gläubiger Annahme empfiehlt. 

‚Der Proteftantenverein proteftirt gegen den Aberglauben, weil, — 
und gegen den Unglauben, inſo weit derſelbe unvernünftig ift, gleich: 
wie aud der Herr gegen die Unvernunft (Marl. 7, 22) proteftirt hat. Ges 
gen beide nimmt er den Glauben in Schuß, welcher Licht, Kraft und Zroft 
gewährt, und er ſchaͤtzt diejenigen Glaubenswahrbeiten am höchſten, welche 


10 Religionsunterricht. 


nicht dem einen oder dem anderen Bebürfniffe, fondern allen dreien gleich: 
mäßig entgegenlommen. 

Der unkirchliche Sinn fo vieler unfrer Zeitgenoſſen iſt dem Pros 
teftantenverein keineswegs ein erfreuliches Zeichen der Zeit, vielmehr ift es 
ihm eine wichtige Angelegenheit, dahin zu wirten, daß die Mittel zur Hei: 
ligung zwedmäßig gebraudt werden. Demnach widerſpricht er ſowohl des 
nen, welde die Tage des Herm einzig und allein materiellen Zweden und 
Genüflen weihen, als aud denen, weldhe durch orbnungsmäßige Eonntags: 
feier allein ſchon den vollgiltigen Beweis ihres Chriſtenthums führen zu 
lönnen, vermeinen. 

Der Wunfh des Proteftantenvereind, den einzelnen Gemeinden grö: 
Beren Einfluß auf die Leitung und PBermwaltung der äußern und 
innen kirchlichen Angelegenbeiten zu verjhaffen, wird ihm 
den Widerſpruch Derer zuziehen, welche zunädft in dieſer Beziehung mohl- 
gemeinte Berathung der Gemeinden wünſchenswerth erachten, bezügli aber 
auch den Kampf gegen die, welche Willlür an die Stelle ber Freiheit feßend 
auch in kirhlihen Dingen ihre Sonderinterefien. keinen Augenblid aus den 
Augen zu feßen gewohnt find. Als Freund der Reformation und als 
Feind confeffionellen Haders wird der Proteftantenverein gegen die zu pro: 
teftiren haben, welche no in confejfionellen Borurtheilen befan» 
gen leben, nicht minder aber auch gegen die, denen Duldſamkeit nichts als 
Gleichgiltigkeit ift, und die den Werth oder Unwerth eines Gonfef: 
ſionswechſels nad den materiellen Vortheilen oder Nachtbeilen bemeſſen, 
welche derjelbe in feinem Gefolge hat. 

Doch es bedarf wohl nicht die Häufung von Beifpielen um nachzu⸗ 
weifen, daß der Proteftantenverein feinen Namen nit mit Unrecht führt, 
daß er gegen Undriftenthbum und Scheindriftenthbum zu proteftis 
“ven bat, und daß ihm die Zuftimmung und Beihilfe Derer, welche das 
Chriftentbum nad feinem wahren Werthe ſchaͤtzen, fehr zu wünſchen ift. 

Seine Aufgabe ift eine große. Möge ed ihm gegeben fein, das un- 
veräußerlihe Reformationswerk der Kiche auf eine ebenfo gemifienhafte, 
uneigennüßige, gottinnige Weife in unfrer Zeit zu üben, als ed von ben - 
Reformatoren und den erften Freunden und Beförberern ihrer Veftrebungen 
vor drei Jahrhunderten geſchah! —F 

Daß dieſer Wunſch in ſchöne Erfüllung gehe, iſt gewiß das herzliche 
Berlangen aller wahren Freunde der proteſtantiſchen Kirche und des deut⸗ 
fhen Volles, Und geht er in Erfüllung, welch eine heilſame Wirkung des 
echt proteftantiihen Sinnes und Strebens wird fih dann auch im Kreiſe 
der Lehrer kundgeben ! Wie viel biblifcher, wie viel einfacher, wie viel frucht: 
barer wirb fih dann der Religionsunterricht geftalten! Der Lehrer 
wird dann zwar immer in gerechter Würdigung der hoben Verdienfte unfrer 
großen Reformatoren und in aufrichtiger Bewunderung des großen Forts 
ſchritts, den burd fie die chriftliche Lehre gemacht hat, aber doch auch ein= 
gedenk feines proteſtantiſchen Berufs, die weitere Fortbildung des Nefor: 
mationswerks fördern zu helfen, — ſich bemußt werben, was es heißt und 
wie jehr es feine Pflicht ift, ein proteftantifcher Lehrer des 19. Jahrhun⸗ 
derts zu fein. Gr wird fi freuen, daß er, frei von hierarchiſchen Drud 


Religionsunterricht. 11 


und von den Feſſeln des Symbolzwanges, dem beſſeren Gefühl feines Her⸗ 
zend ungehindert folgen und fih ganz der reinen Chriftuslehre hingeben 
fann. Es wird nit nur in Einklang ftehen mit dem Leben der mächtig 
fortgefohrittenen Zeit, fondern auch, was noch meit höher anzujchlagen ift, 
mit fich felbft; er wird Ruhe finden für feine Seele, indem das Gemifien 
ibm bezeuget, daß er es redlich mit der Wahrheit meint. 

Mag es aber immerhin no viele Lehrer geben, die ihren Proteftan- 
tismus nur im Fefthalten am Buchſtaben der ſymboliſchen Schriften ſuchen, — 
es wird die Zeit kommen, wo aud fie erlennen werben, daß biefe Schriften, 
weil fie menſchlichen Urfprungs find, ihre großen Mängel haben, und daß 
überhaupt der Reichthum der evangeliihen Wahrheit viel zu groß und uns 
erihöpflih ift, ald daß er in bleibenden, für alle Zeiten giltigen Belennts 
nißſchriften aufgeftellt werben könnte. "Man kann höchftens fo viel davon 
geben, als das gegenmärtige Zeitalter davon erkannt bat; ein fünf: 
tiged Gejhleht wird tiefere Blide thun und wielleiht nit wenig ſich wun⸗ 
dern, wie fehr auch wir noch an der Echale gehangen. 

Mag es immerhin Viele geben, die es dem Proteftantenverein zum 
Vorwurf machen möchten, daß ed auch ihm nicht gelingen werde, Alle zu 
einer vollen Uebereinfliimmung des Glaubens zu ‚bringen. Das will er gar 
nit, und kann es auch nicht. Immer mird auch bei den durch äußere 
tirhlihe Gemeinfhaft Verbundenen — mie es ja felbft bei den Ortho⸗ 
doreften der Fall ift — die größte innere Glaubensverſchieden— 
beit bleiben. Denn der Glaube muß fih ja bei Jedem verfchieden auss 
bilden, da die geiftigen Anlagen, die Empfänglicleit für Religion, die Er- 
ziebung, die Erfahrungen und Erlebniſſe, melde alle die Ausbildung des 
Glaubens bevingen, bei den Menjhen fo verfchieben find. So wenig im 
Staate die Verjchiedenheit der Stände je aufhören wird, fo wenig werden 
ih die Chriften je in einem Glaubenabefenntniffe vollftändig einigen, fo 
verfchieden wird bei ihnen immer die fubjective Auffaffung des Glaubens 
fein. Darum verlangt der Proteftantenverein von feinen Mitgliedern nur 
den protejtantifchen Geift des Vorwartsſtrebens und ven chriſilichen Sinn 
der Duldung. 

Mag es immerhin Viele geben, die das Chriftenthbum für gefährbet 
balten, wenn jo Manches von feinen alten Formen fällt. Die Wahr: 
beit bleibt, wie auch die Form wechſele; fie ift geblieben felbft unter den 
mißgeftaltetften Formen ; fie wird fiegreih allen Wechfel der Form über: 
dauern. Aber der Proteflantenverein will dazu helfen, fie zu läutern und 
fie in der Form erfcheinen zu laffen, wie fie die Beitbildung fordert. Und 
dabei fürchtet er die Widerfaher des Fortſchritts nit. Sie 
empören ſich wider Gottes Ordnung, fie empören fi miber den Geift, der 
dem Werke Chrifti einwohnt, fie empören ſich wider die menfchliche Natur, 
die auf Wahrheit im Denken und Handeln ausgeht. Wider diefe Mächte 
vermögen fie ja nichts. Nein jüdiſcher Hoherath Löfchte mit feinen Gemaltthas 
ten das Licht des Chriftenthums aus; kein Papfttbum mit feinen Werfen 
der Finfterniß konnte das Verlangen nah Glaubens: und Gemifiensfreiheit 
dämpfen ; fein Feind des proteftantifchen Fortſchritts — weder innerhalb, 
noch außerhalb unferer evangelifhen Kirche — mit feinen offenen und vers 





12 Religionsunterricht, 


ftedten Angriffen konnte der weiteren Entwickelung riftlicher Religionger: 
kenntniß wehren. 

Das Gute gedeiht nur langjam, die Wahrheit bricht fih nur allmäb: 
lih Bahn ; jenes kann eine Beit lang niedergebrüdt, aber nie ganz unter: 
drüdt, diefe kann verbunfelt, aber nie ganz ausgelöjht werden. In biejer 
Zuverjiht und im Bewußtſein feines redlichen Strebens hofft der Proteitan- 
tenverein auf eine beflere Zulunft unferer Kirche und bemüht fi, fein 
Scherflein zur Herbeiführung verjelben beizutragen. An dieſem Bemühen 
tbeilzunehmen bat aber offenbar, nächſt dem Geiftlihen, feiner einen größe: 
ven Beruf, al$ der Lehrer. Ihm fei es daher angelegentlih empfohlen, 
fih nicht gegen diefe Strömung der Zeit abzufchließen, fondern fi mit den 
Beitrebungen und Leiftungen jenes Vereins näher befannt zu machen, felbjt 
zu prüfen und erft nad gewiſſenhafter Prüfung zu urtheilen. Namentlich 
verjäume er es nicht, außer ber ſchon erwähnten Schrift „Der erjle 
deutfhe Proteftantentag”, die. eine überaus wichtige Frage behan⸗ 
delnde Schrift von Dr. Peterjen, Generaljup. in Gotha, „Die pros 
teftantifche Lehrfreiheit und ihre Grenzen“ (Frankfurt a. M., 
bei Winter, 1865) zu lefen und fih die „PBroteftantifhen Flug: 
blätter (im Auftrage des Proteftantenvereind herausgegeben und redigirt 
von Dr. 8, Zittel, bei Friedrichs in Elberfeld, 1866. Preis 10 Sgr.) 
zu halten, Sehr viel LXehrreihes und Anregendes für den Neligionslehrer 
enthalten auch die A Nummern der „Proteftantifhen Slugblätter 
für Baden“ von Zittel, melde ſchon 1865 erſchienen find (gebrudt 
von Mohr in Heidelberg). In einer überaus Haren und anfprechenden po: 
pulären Darftellung werben in denſelben mehrere der wichtigſten Religions: 
feagen verhandelt, wie in den Auffägen „von den Belenntniffen‘, von 
ber Bibel‘, „zum Oſterfeſte“, „von dem apoftoliichen Glaubensbekennt⸗ 
niſſe.“ 

Wenn wir nun den Zwed und die Bedeutung des Proteſtantenvereins 
in's Auge faſſen, ſo erkennen wir in ihm ſogleich ein Hauptmittel, den 
Fortſchritt der religiöſen Erkenntniß und des religiöſen Lebens im Geiſte des 
Proteſtantismus zu fördern, — lönnen und aber auch vorberjagen, wer 
die entichiedenen Gegner dieſes Vereins fein werden. Es find die Tra:= 
bitionellen, die an dem Buchſtaben kirchlicher Sabungen felthalten, und 
bie’ hierarchiſch Gefinnten, die unter dem Abjolutismus der alten 
Kirhenverfafjung fih wohlfühlen. 

Solcher Gegner gibt es leider noch fehr viele, mwie au das vergan- 
gene Jahr wieder nur zu ſehr tundgegeben hat. Denn wo nur ein Zorts 
ſchritt zur zeitgemäßen Berbefierung des Religionsunterrichts geſchehen ift, 
da hörte man auch immer wieder den unbegründeten Notbihrei: „Die 
Religion ift in Gefahr!" Das ift das Lofungswort der katho⸗ 
liſchen Beloten, durch welches fie, wie namentlich im Großherzogthum Ba: 
ben — das Volk gegen jede Schulreform im Geifte der Neuzeit einzuneb: 
men ſuchen. Man braucht nur den Hirtenbrief zu erwähnen, ben der Erz⸗ 
biſchof von Freiburg im vorigen Jahre erließ, um das aufrühreriſche Treiben 
dieſer Partei erkennen zu lafien. Stellt er doch in Mannheim verfolgte 
Mitglieder des wandernden Cafıno als Märtyrer dar; ſchildert er doch das 





Religionsunterricht. 13 


neue Schulgefeb als im höchſten Grade verberblih für die Religion; be 
bauptet er doch, der Neligionsunterricht allein genüge nicht, um die Kinder 
bei der fatholiihen Kirche zu erhalten, wie die Erfahrung bei höheren Vür⸗ 
ger: und Mittelfchulen lehre ; fordert er doch geradezu zur Wiperfeglichkeit 
gegen das zu Recht beftebenve Schulgefeß auf, indem er unterfagt, daß 
Geiftlihe in den DOrtsjchulratb treten, damit fie nit auch zu biefer Re 
ligionsverberbniß beitragen. — „Die Religion ift in Gefahr!” So rufen 
aber auch die proteſtantiſchen Zeloten aus, die es bei ihrer hierarchi⸗ 
fen Gefinnung nicht ertragen können, daß die Beauffihtigung der Schule 
in die Hände von Sachverſtändigen gelegt ift, und die bei ihrer firengscon- 
feffionellen, d. i. traditionellen Richtung: es für höchſt bedenklich halten, daß 
der Religionsunterriht nicht nah dem Buchſtaben des Katechismus, fondern 
nad der reinen Lehre der heiligen Schrift ertbeilt mwerben fol. Ja, es 
wurde ſelbſt im Herzogthbum Gotha bei einer PVerfammlung des Guftav: 
Adolf⸗Vereins behauptet, der Schule dürfe keine Liebesgabe dieſes Vereins 
mehr zugewendet werden, weil fie „ver Kirche den Rüden gelehrt habe” ; 
und ein junger Geiſilicher ging jogar fo weit, daß er behauptete, „vie Leh⸗ 
rer müßten nad dem neuen Schulgefeß undhriftlicd werden, wenn fie es 
nicht ſchon wären. — So weit für die blinde Parteifucht der. Eiferer für 
veraltete Orthodoxrie! „Sie eifern um Gott, aber mit Unverſtand“ (Roͤm. 
10, 2); fie fpreben den Lehrern, die rein bibliſchen Religionsunterridt 
treiben, alle proteftantiiche Rechtgläubigkeit ab ; fie bedenlen gar nicht, wie 
unrecht fie ihnen damit thun, wie tief fie damit ihr innig religiöfes Gefühl 
verlegen, wie ſehr fie damit in Widerſpruch mit fich felbft geratben und 
proteftantiihen Sinn, bejonvers aber den Geift der Wahrheit und der Liebe 
verleugnen. 

Es wird hier am Orte fein, einige Thatſachen, die doch am ſchla⸗ 
gendften Verunglimpfungen widerlegen, ven zelotiſchen Widerſachern entge 
genzubalten. Ich halte mich dabei an die mir zunächſt liegenden, weil ich 
dabei aus eigener Grfahrung reden kann, und weil aud die gothaiſche 
Schulreform von den Gegnern des Fortſchritts hart angegriffen und ale 
religionsgefährlic bezeichnet worden iſt. Wie ungereht und aus ber Luft 
gegriffen der Vorwurf ift, daß unfere Lehrer und mit ihnen das ganze Land 
durch Das neue Schulgefeg enthriftliht werden, das lehren ſchon bie 
geſetzlichen Beftimmungen, melde unfer Staatsminifierium mit den 
Zanbtagsabgeorbneten vereinbart bat. Diefe ftellen unter allen Unterrichts- 
gegenftänden ver Bollsjchule die Religion oben an in die erfte Reihe, ge: 
treu dem Grundſatze: „Es ift in feinem Andern Heil’ ıc. 5; fie forbern 
zwar Befreiung vom Symbolzwang aus Gründen der Pädagogit und ber 
Religion („Werdet nicht der Menſchen Knechte!“) und ftellen Menjchen- 
wort nicht dem Gottesworte gleih, aber fie veradhten nicht das Wort Zu: 
tber’s, fondern halten es in Ehren und fordern angemefiene. Verwerthung 
defielben; — fie fchreiben einen NReligionsunterriht vor, der fih auf 
die biblifche Geſchichte, namentlih des Neuen Teſtaments gründet, alſo einen 
echt evangelifchen, ertheilt mit der feiten Ueberzeugung: „Ich jchäme mid 
bes Evangeliums von Jeſu Chriſti nicht, denn 20.“ ; — fie verlangen Her⸗ 
anbildung der Kinder zu einem wohlverftandenen, Har erfaßten Glauben, 


14 Religionsunterricht. 


nad dem Grundſatz: „Prüfet Alles ꝛc.“ — Noch mehr belundet die evan- 
geliichschriftliche Auffaſſung eines ſolchen NReligionsunterrihts der für ben: 
jelben vor ein paar Jahren vom Schuiratb Dr. Schmidt herausgegebene 
Entwurf, über melden bereits früher berichtet wurde, und bie große 
Sorgfalt und Gemwifienhaftigleit, mit welcher verjelbe von allen Seiten be 
rathen worden ift (ſ. Jahresbericht 1865) und jebt von ben Herren Über: 
confiftorialratb Dr. Schwarz und Sculratb Dr. Dittes zu einem Leit- 
faden für unjere Volksſchulen ausgearbeitet wird. Und ganz befonders wird 
die Ausführung des Schmidt'ſchen Entwurfs, wie fie der Seminar-Inſpector 
Kehr im 1. Band feines „hriftlihen Neligionsunterrihts in 
der Volksſchule“ (f. Pad. Jahresberiht, 1865, ©. 26 ff.) begonnen 
bat, jeden Unbefangenen überzeugen, wie ungeredht der Vorwurf ber Reli 
gionsloſigkeit ift, wie evangelifch-chriftlih vielmehr der Neligionsunterricht bei 
uns behandelt wird. 

Wir haben aber auch noch andere Thatſachen aufzumeifen, durch welche 
der chriſtliche Geiſt unferer Schulen auch unter dem neuen Schulgefebe treu 
bewahrt wird. Unfere Lehrer verftenen nämlid die CEmancipation der 
Schule von der Kirche keineswegs in dem Sinne, wie fie von beſchraͤnkten 
Köpfen aufgefaßt und verleumderifcher Weife uns fchuldgegeben wird : — als 
ein Losſagen von der Kirche, als eine Berleugnung des Chriftentbums, als ein 
Aufgeben der Religion. Sie find verftändig genug, um einzujeben, daß ihre 
Emancipation nur in einer Beränderung der Schulverwaltung 
ober in einer Uebertragung ber Beauffichtigung und Leitung der Schulange: 
legenheiten von kirchlichen auf Schulbehörven, aber keineswegs in einem Ver: 
lofien der Kirche oder gar in einer ihr feindfelig entgegenftehenden Richtung. 
Eie find aber au religiös genug, um es tief zu empfinden, welch uns 
ausiprehli großen Werth die Religion für die Schulerziehung bat und 
würden ihr und fi die Seele entzogen fehen, wenn ihnen der Religions 
unterricht genommen würde. Auch find fie, wo ihnen nicht hierarchiſcher 
Hochmuth oder jonft ein feindjeliges Verhältniß entgegentritt, friedfertig ges 
nug, um gern das freundlide Einvernehmen mit. ihren Drtögeiftlihen fort- 
beftehen zu laſſen. Ja, fie fühlen fi verpflichtet, in dem gemeinfamen 
Merle der Erziehung zur Neligiofität mit den Geiſtlichen Hand in Hand zu 
geben, und auch durch die Schule die Zwede ber Kirche zu fördern. Das 
find aber nicht leere Behauptungen. Gerade in meiner Amtsthätigleit, als 
Bezirks⸗Schulinſpector, habe ich der Beweiſe dafür in Menge. Ciner diene 
für viele. In einer Conferenz mit den Lehrern meines Bezirks hielt einer 
derfelben einen Vortrag über-bie Frage: „Iſt der Lehrer berechtigt," nach der 
Trennung der Kirche von der Schule die Schullinder zum Beſuch ber Kirche 
zu zwingen und ift ein folder Zwang namentlid Tleinerer Kinder, vom 
jebigen Standpunkte der Pädagogik aus betrachtet, zu rechtfertigen ?“ Wei 
der Verhandlung über dieſen Gegenſtand ſprach fih nicht nur der Vortra⸗ 
gende mit Wärme für Erziehung der Kinder zur Kirclichkeit 
aus, fondern es ſprachen fi) aud alle anderen Lehrer entſchieden dahin aus, 
daß es Pfliht der Schule fei, für die Kirche zu wirken, daß fie bie Kinder 
zwar nicht durch phyſiſchen, wohl aber durch moraliihen Zwang an den 





Religionsunterricht. 15 


Beſuch der Kirche zu gewöhnen hätten (beſonders bie drei lebten Schul: 
jahre) und daß fie durch ihr eigenes Beiſpiel kirchlichen Sinnes, durch Er⸗ 
läuterung der Kirchenlieder, durch Belehrung über das Gebet, durch Erklä⸗ 
rung des Sonntagsevangeliums, durch Abfragen der Predigt dahin wirken 
müßten, die Theilnahme am Gottesdienſte den Kindern lieb und ſegensreich 
zu machen. — Heißt das, wie die Verleumder fagen, „ver Kirsche ven Rüden 
lehren‘, „teligionslos fein‘‘, „entchriftlicht werben $" 


Meitere Thatfachen ſprechen hbinlänglih dafür, daß die neue Schul 
reform gar nicht darauf ausgeht, eine Sheidewand zwiſchen Kirche 
und Schule aufzuführen over die Geiftlichen principiell von der Betheis 
figung am Sculwerle auszufhließen. In der Oberbehörde berathen ſich 
Geiftfihe und Schulmänner über dafjelbe; an der Bezirks⸗Schulinſpection 
find ebenfalls Geiftliche betbeiligt (mie 3. B. der Schreiber diefes), menn 
fie nad) der Forderung des Schulgeſetzes als „practiſch-geübte Schulmäne 
ner” fih bewährt haben; in den Orts-Schulvorſtänden bat der Geiftliche 
Sig und Stimme und ift mit nur wenigen Ausnahmen zum Vorfißenden 
ernannt worden. Ueberhaupt befteht, mo nicht auf der einen oder der ans 
deren Seite gefehlt wird (und welcher Stand wäre von Solchen ganz frei, 
die ihren Beruf verfennen und ihre Rechte mißbrauden ?), unter Geiftlichen 
und Lehrern das gute Verhaͤltniß fort, wie früher. 


Hinweg alfo mit dem unbegründeten, lieblojen Vorwurfe, daß durch 
die neue Schulteform der Lehrer entchriftlicht, die Schule der Kirche entjrem: 
det werde. Mag es immerhin etwas yarabor Hingen und Manchem an- 
ftößig erfheinen — das Wort, welches Lüben auf der XV. allgemeinen 
deutſchen Lehrerverfammlung in Leipzig ſprach: „Die Schule beparf 
der Kirche nicht und die Kirche bedarf der Schule nit“, feine 
Wahrheit wird fih doch überall bewähren, wo bie Schule in das ihr zu: 
ftehende volle Recht eingetreten ift und, wie in allen übrigen Unterrichtss 
gegenftänden, jo namentlih auch in Bezug auf den Religionsunterricht 
gewiſſenhaft ihre Schulvigkeit thut. Man darf nur nicht etwas Anderes in 
jene Worte legen, als in ihnen liegt, wenn man fie in Beziehung auf ſolche 
Orte auffaßt, an benen die Schule bereits zur Selbſiſtaͤndigkeit gediehen 
if, — mithin als eine hiftoriihe Wahrheit, ale das Ergebniß aus vorlie⸗ 
gender Erfahrung. In diefem Sinne hatte fie Lüben geſprochen, wie fi 
aus feiner Rechtfertigung derſelben (Allg. deutihe Lehrerzeitung, 1866, 
Nr. 8) gegen die Ginwendungen Dr. Riede’3 (ebendaf. 1865. Nr. 42 
und 46) ergibt ; er redet nur von dem Verhältniß, welches thatjädhlih in 
Bremen beflebt.. Wie dort, fo ift es z. B. auch bier — im gothaiſchen 
Lande — zur Wahrheit geworben: die Schule bedarf der Kirche niht. Wo 
die Schule unter der Leitung einer ſachverſtaͤndigen (doch gewiß aud in 
Bezug auf den Religionsunterricht ihrer Aufgabe gewachſenen) Oberſchul⸗ 
behoͤrde fteht, da hat fie in diefer Stellung Beruf und Mittel genug, um 
auch in religiöfer Hinſicht von felbft und für ſich allein ihre Miſſion zu 
erfüllen. Es bedarf dann aber auch die Kirhe der Schule niht — naͤm⸗ 
lich als Mittels zur Heranbildung eines chriftlich gefitteten Volles; — denn 


16 Religionsunterricht. 


fie kann gewiß fein, daß die Schule dieſe Aufgabe ganz zu ber ihrigen 
macht oder maden muß, wenn fie überhaupt ihren Beruf als den einer 
chriſtlichen Vollsſchule im Auge bat und heilig hält. Die Beſorgniß vom 
Gegentbeil könnte nur aus einem Mißtrauen entftehen, das man gegen bie 
intellectuelle Befähigung oder gegen den guten Willen der Schulbehörbe 
faßt, die ja den Lehrern keine Lehrmwilllür geftattet, fondern ihnen genaue 
und ftrenge Lehrvorſchriften gibt und die Befolgung derſelben gemwifienhaft 
überwadt. Auch bat ja der Geiftlie immer noch einigen Antheil an bie 
fer Ueberwahung : er lernt beim Confirmandenunterriht die Refultate des 
Religionsunterricht3 der Schule kennen, — er muß als Mitglied des Schul: 
vorjtandes des Lehrers Treue in der Ertbeilung dieſes wie alles anderen 
Unterrichts beauffichtigen ; und wenn er ſich nur nicht felbft von der Schule 
trennt, wenn er es verſteht, mit dem Lehrer ein vertrauensvolles Verhält⸗ 
niß zu erhalten, wie förberfjam kann er zu einem fruchtbaren Religions⸗ 
unterricht mitwirlen! Gemwiß, wenn Geiltlihe und Lehrer Hand in Hand 
geben, jo werben fi alle Beiorgnifie heben, welche man in Betreff der 
neuen Schuleinrihtung ausgefproden hat. Sie find ja doch hauptſächlich 
aus dem Vorurtheil entitanden, daß Geiftlide und Lehrer bei dieſer Ein- 
richtung „wider einander” arbeiten würden. Sollen fie das? will das die 
neue Schulgejeßgebung ? kann das geſchehen, wo Liebe die Herzen einigt ? 
Aber es fchwindet freilich alle Liebe aus den Herzen Derer, die mit 
ftarrer Herzenshärtigleit am Alten fefthalten und erllärte Feinde des 
Fortſchritts find. Schon im vorigen Jahregfbericht babe ih an einem 
mir nabeliegenden Beiſpiele gezeigt, wie dieſe Stabilen in ihrer eingebil: 
deten Rechtgläubigleit das Berdammungsurtheil über Anderspenlende aus: 
ſprechen und Alles mit jeſuitiſcher Heimtüde verleßern, was dem Yortfchritte 
dienen fol. Auch in dieſem Jahresberichte ift Aehnliches zu berichten. Die 
mertwürbigite Zeiterjheinung bes vorigen Jahres in dieſer Beziehung iſt bie 
Encyclica des Papftes. Durch diefes Nundfchreiben, das überall in 
der ganzen gebildeten Welt den größten Anftoß erregte, hat der Bapft jevem 
Fortſchritt der Beitbildung Hohn geſprochen und ſich förmlich losgeſagt von 
der Aufgabe, die Religion in Einklang zu bringen mit der gefammten Cul⸗ 
turentwidelung unferer Zeit. Nein Wunder, wenn nun die katholifche Geift: 
lihleit — namentlih in Baden, — ſich für berechtigt und berufen hält, 
ihrem Oberhaupte in der Verletzerungsſucht nacdzueifern. Aber anftatt daß 
den Stabilen und Reactionären unſerer Kirche über fol unchriſtliches Trei⸗ 
ben die Augen aufgeben follten und daß ihnen klar werden follte, wie fehr 
fie den Geift des Proteltantismus dadurch verleugnen und der Tatbolifchen 
Kiche in die Hände arbeiten, treiben fie ihr zelotiſches Weſen fort und 
ſuchen auf alle Weife ven Ausbau ber Schulreform zu hindern. Kann es 
ein gehäffigeres Zreiben geben, als die auch im vorigen Jahre noch fort 
dauernde Proteſthetze gegen Schenkel? ift es nicht ein unzweideutiges 
Zeichen katholifirender Verketzerungsſucht, daß die proteltantiihen Stabilen 
in den Untenruf der Ultramontanen „bie Religion iſt in Gefahr” fo ent 
ſchieden einftimmen ? läßt es nicht auf die .gehäffigfte Aufhebung des Volks 
ſchließen, daß, wie öffentlich berichtet wurde, ein Schulmädchen aus der Schule 
weg und mit dem Schredensruf: „ber Schenkel ift dal der Schenkel ift 


Religionsunterricht. 17 


da 1 durch's Dorf lief, als ein baden'ſcher Schulrath, ein ſehr wohlwollen⸗ 
der Mann, zur Bilitation in die Schule kam ? *) 

Doch je plumper die Angriffe und je ſchroffer die Widerſprüche find, 
deito mehr ift zu hoffen, daß der gefunde Sinn des Volks das Rechte von 
dem Falihen unterjcheiden lernt. Mit diefem Gedanken tröfte auch ich mich 
bei den Angriffen, welche auf mid — namentlih als Referenten für den 
„Paͤdag. Jahresbericht“ — geſchehen und durch melde die Traditionellen 
mein Chriſtenthum, ja ſelbſt meinen Charalter zu verdächtigen ſuchen. Er⸗ 
Härt doch der eine derſelben, Ballien, ſelbſt unverholen, daß er von 
„principieller Antipathie“ gegen mich erfüllt ſei, alſo von vorgefaßten 
Meinungen bei ſeinem Aburtheilen über mich ſich leiten laſſe; ſucht er doch 
meine Ehrlichleit und Wahrhaftigkeit in Zweifel zu ziehen, — er, dem 
Männer, wie Dr. Dielterweg, Dr. Lange, ein K. Sil. (im theol. Literatur: 
blatt der Darmftäbt. Kirchenzeitung, 1865, Nr. 33—66) das Urtheil ges 
ſprochen haben, — er, den der preußiihe Minifter von Mübler der Un: 
wahrheit bezüchtigt (ſ. Dieftermegs Rheiniſche Blätter, 1865, Juli und Aus 
gufl) und dem derjelbe die Fähigkeit abſpricht, practiihe Handbücher für 
den Neligiondunterricht zu liefern, da ihm dazu die nöthige tbeologifche Bil: 
dung abgehe! — Gin Anderer, ein Medlenburger, — €. Seubert un: 
terzeihnet er fih, — greift mich in einer jo unwürdigen Weiſe an, daß er 
gar nicht verdiente, bier nur erwähnt zu werben ; benn er treibt einen ge- 
meinen Spott mit mir, indem er mid, ja auch Diänner wie Lüben, R. 
Schmidt und Schwarz (dem er eine „geiſtdurchwirkte Perjönlichleit” nennt) 
zu verunglimpfen und in folder Bornirtheit erjcheinen zu lafien ſucht, daß 
Jeder, der mih und die Anderen nur aus feinem Schmähartikel Iennt, 
ftaunen muß, wie man ſolche kenntniß- und urtheilslofe, ſolche unchriſtliche 
und irreligiöje Menjhen, wie wir na chſeinem Urtheile find, in ihren ein: 
flußreichen Nemtern laflen kann. Er ſcheint überhaupt auf dem Gebiete des 
literariichen Kampfes feine anderen Waffen zu kennen, als hämifche Sronie 
und lieblofe Verletzerung. In diefen Waffen ift er ftark, aber ſehr ſchwach 


* Wie fih ber Fanatismus in Folge folder Aufbetzungen gegen bie 
Kreunbe des Fortſchritts auch unter ben Laıen ber fatholifchen und proteftantifchen 
irche weiter verbreitet bat und auf's Entjchiebenfle äußert, dafür nur zwei den⸗ 
felben charakterifirende Beijpiele aus dem vorigen Sabre. Um bei der angeb- 
lichen Religionsloſigkeit der Univerfitäten befjer für die Bildung excluſip 
katholiſcher Männer zu forgen, haben Sräfinnen alles Ernftes daran ge 
dacht, eine rein katholiſche Univerſität zu gründen. Gleichen ihnen nicht 
in ihrem Streben die confejfionellen Eiferer unter den Proteſtanten, die eine 
rein und fireng confelfionelle Vollsſchule haben wollen und, wo biefelbe zeitge- 
mäß reformirt wird, auch von Neligiouslofiyleit der Schule reden? — Ein an 
deres Beiſpiel berichtet die Proteftantiiche Kırdenzeitung (1865, Nr. 6, ©. 148): 
Einer der Hamptagitatoren bei den Proteften gegen Schenkel, ber Bürger und 
Brivatmann Herr ©. U. Fabricius in Heidelberg, bat in einer neueften „An⸗ 
ſprache für Chriſten aus verjhiedenen Städten und Ländern” (Preis: 2 Kreuzer) 
feinem theologiſchen Beitstanz ſoweit Raum verftattet, daß er von „unferen drei 
majenätifhen, wahren, großen ©dttern” redet und dieſelben auf's 
Aderhöflihfte um Intervention erfucht mit ben Worten: „Erbarmen Gie 
ih unfer regt guädigli 1!" 
Bid. Jahreſbericht. XVIIL 2 


18 Religionsunterricht. 


in Gegengründen. Er holt dieſelben weit ber — aus der Ruͤſtkammer mit 
telalterlicher Dogmatik, — ſchreibt fie nad und ſtuͤtzt fi ohne ſelbſtſtän⸗ 
diges Urtheil auf Autoritäten. Eben deswegen aber iſt dieſer Katechismus⸗ 
held hier zu erwaͤhnen, da ſein Beiſpiel recht deutlich zeigt, wie ein Lehrer 
des 19. Jahrhunderts nicht fein ſoll und wie laut der Geiſt der päpflichen 
Encyclica aus denen fpricht, die jedem Fortſchritt der geiſtigen und veligiös 
fen Bildung feind find. Wer feinen Schmäbartilel lefen will, der findet 
ihn im Medlenburger Schulblatte von Kliefoth, 1865, Ar. 44, 
45, 47, A8 und 52. Es fällt mir nit ein, mich dem Verf. g 
zu vechtfertigen und feine Gntgegnungen zu widerlegen ; ich babe mid oft 
und Mar genug über die traditionelle Orthodoxie und den Katechismus aus⸗ 
geſprochen, fo daß.es keiner Wiederholung bedarf. Aber mein Seberrichter 
bätte doch fo gewifienhaft fein follen, daß er, ehe er gegen mich fchrieb, 
erſt meine Anfihten und deren Motive kennen gelernt und wenigſtens meine 
ausführlihen Crörterungen über den Katechiämusunterriht (Allg. deutſche 
Lehrerzeitung, 1853, Nr. 11) und über den hannover’ihen Katechismus 
(Pädag. Zahresberiht. XVI., S. 42 ff.) berüdfichtigt hätte. Zur Charak 
teriftil des Seubert'ſchen Schmähartifels wird es genügen, nur Yolgenbes 
anzuführen. Der Verf. will nicht verfteben, was Schwarz; damit fordert, 
daß er fagt: „Die Grenze der Lehrfreiheit darf nicht durch die Autorität 
bet Buchſtabens ber heiligen Schrift beftimmt werden”, und doch kennt 
er ja wohl das Wort: der Buchftabe töbtet, ber Geiſt iſt's, der lebendig 
maht! Mir ftellt er die Aufgabe, den Katebismus auf meinen Bibel: 
trichter (I!) zu legen und chemiſch zu fcheiden, was von dem Inhalte 
aus der Schrift und was aus ber alten Kirchenlehre if, — „eine Arbeit, 
die wohl in das Bereich der Inmöglichleit gehören dürfte ().“ Ueber 
Schmidts Wort: „Nicht Oppofition, fonden Pietät gegen den Rates 
chismus its, daß wir ihn aus der Schule herauslegen“, fagt er: „Pas 
it eine Abfurdität, die meiter nicht ber mindeſten Beachtung würdig 
if, — aber fein vernünftiger Lehrer wird fih durch folde Gründe 
in feinem Urtheile über den Katechismus wankend machen lafien.“ — lm 
ſich felbft als einen Rechtglaͤubigen auszuweiſen, ſetzt er ſehr ausführlich die 
Lehre von Jeſu als einem wahrhaftigen Gotte und von ſeinem dreifachen 
Amte auseinander, ganz fo wie fie Anjelm im finfterften Mittelalter aus: 
gebildet hatte. Gr fagt dabei unter Anderem, daß unfer Schöpfer (Je 
fus) unfer Bruder geworben (während doch im Natechismus felbft flieht, daß 
Gott, der Bater, der Schöpfer des Himmels und ber Erbe fei), ferner daß 
Jeſus ein ftellvertretendes Strafleiven babe erbulden, daß er als ein wirt: 
liches Opfer, daß ein Gott für uns babe fterben müflen! — Doc genug 
für jeden denkenden, nicht mehr im Mittelalter lebenden Religiondlehrer. 
Als „Facit“ feines Aufſatzes gibt der Verf. felbft an, „daß ein Religions⸗ 
"unterricht, in Grundlage des Neuen Teſtaments ertheilt, nicht ein chriſt⸗ 
Lücher genannt werden kann, wenn bie Gottheit Chriſti geleugnet und fein 
Merk ald Prophet, Hohepriefter und König ignorirt wird.“ Als Haupts 
tendenz aber gibt er dabei fund: „ven päbagogifchen Jahresbericht bei allen 
chriſtlichen Lehrern zu verbrängen.” — Nun, von einem mecdlenburgiſch 
geſchulten Lehrer ift ein ſolches Auftreten nicht zu verwundern. Biber dab 








Religionsunterricht. 19 


auch von Württemberg aus ein gleicher Angriff erfolgt ift, das muß 
befvemden, da bort jo viele wackere Männer wohnen, bie, dem Obfcuran- 
tismus abhold, mit Harem, gediegenem Willen und marmem Herzen vor- 
wärts ftreben in allem Guten. Doch der Gegner, der boft gegen mich auf: 
tritt, fteht ſehr vereinzelt da und fein maßlos unbefonnenes, abſprechendes, 
ſchmah⸗ und verbammungsfüchtiges Auftreten bat aud unter feinen eigenen 
Landsleuten und zwar bei allgemein geachteten Perfönlichleiten ven tiefiten 
Unmillen erregt. Grobheit jcheint ihm zur anderen Natur geworden zu 
fein und wohl gar für die Straft des Glaubens zu gelten. Er überbietet 
darin ſelbſt ven Medienburger. Sein Name ift Kübel, Pfarrer in Eifin- 
gen, ein jugendlicher Heißſporn von 30 Jahren. Er war aljo noch nicht 
geboren, ala ich ſchon jeit Jahren in Amt und Würden ſtand; und ich 
babe mich nah Kräften bemüht, an meiner theologifchen und pädagogiſchen 
Fortbildung zu arbeiten und mid auf der Höhe der Zeit zu halten, habe 
auch in verfchiedenen Berufsfreifen nah beiden Richtungen bin reiche 
Gelegenheit gehabt, mir der heilſamen Grfahrungen viele zu erwerben. Und 
nun tritt diefer junge Mann, dem man zurufen mödhte: „Bleibe zu es 
richo, bis Dir der Bart gewachſen ift”, als mein Lehrmeilter auf und bes 
handelt mich wie einen balbblödfinnigen Schulfnaben, der „eine Lection vers 
dient.” In einer breitheiligen Strafpredigt will er beweilen, 1) wie „ans 
maßend“, 2) wie „oberflächlich“ und 3) wie „zweideutig“ ich „mit dem 
chriſtlichen Glauben umſpringe!“ Es ift nit möglid, die ganze Menge 
grober Verunglimpfungen, die in biejen drei Theilen aufgejpeichert find, bier 
wieder zu geben, und fie alle zu widerlegen, ift wahrhaftig auch nicht der 
Mühe werth. Nur Giniged werde angedeutet, um den blinden Eifer des 
jungen Mannes zu charalterifiren. Gr hält mir vor, daß ich die Thatſache 
einer objectiven Erlöſung verwerfe; aber will er denn gar nichts 
wiflen von dem Worte des Ichlefiihen Dichters: „Sit Chriftus taufenpmal 
in Bethlehem geboren und nicht in Dir: Du bliebeft ewiglich verloren” 
oder non dem Worte des Apoftels: „Wer Chrifti Geift nicht bat, der iſt 
nicht fein?” Cr tadelt es, daß ih Gott nit für ein rache⸗ und blutdür⸗ 
ftiges Weſen, jondern für einen Gott der Liebe halte, der nicht verjöhnt zu 
werben braucht ; aber denkt er denn gar nicht daran, daß es heißt: „Alſo 
bat Gott die Welt geliebt, daß er feinen eingebornen Sohn gab ꝛc.“, 
und daß „Bett die Welt mit ihm felber verfähnt” hat, nicht aber fid 
mit der Welt? Gr nimmt daran Anjtoß, daß ih „ven. perfünliden 
Teufel vermwerfe ;”’ aber fchreibt er denn wirklich noch in unjerer Zeit das 
Hagelwetter und andere zeritörende Naturereignifie dem Zeufel zu? mill er 
denn fo gänzlich ignoriren, welch Unheil dieſes Dogma über fo viele Mens 
ſchen gebradyt hat und wie Viele in Folge defjelben als angeblide Verbüns 
dete des Teufels auf's graufamfte gemartert und einem qualvollen Tode 
preisgegeben wurden? Gr meint, id „verflüchtige den objectiven Gehalt des 
heiligen Abendmahls“, aber glaubt er denn wirklich an eine magifche 
Wirkung des Sacramente ? gilt es ihm wirklich mehr, den wahren Leib und 
das wahre Blut Chrifti beim heiligen Abendmahle in fih aufzunehmen, 
als ven wahren Chriſtus, feinen Geift und Sinn, und dieſe heilige Feier 
fo zu begehen, daß er in Wahrheit von ſich fagen kann: „Ich lebe, doc 
‚ 2* 


20 Religionsunterricht. 


nun nicht ich, Chriftus lebt in mir ?“ — Go viel vom erſien Theile ber 
Strafprebigt, der fih auf die Anmaßung bezieht, mit ber ich mir erlaube, 
eine andere Anſicht von ver chriſtlichen Lehre zu begen, als der junge Zelot. 
Im zweiten Theil,>der von meiner Oberflaͤchlichleit handelt, will er zeigen, 
wie ih, aller Klarheit und Logik baar, in einer entfeglichen logiſchen Con⸗ 
fufion mid befinde. Nun, das ift ein Tadel, ven ich zum erften Male 
bier vernehme; denn auch die fchärfften Recenjenten baben mir bis⸗ 
ber noch nie Klarheit und Logit abgeiprohen. Es wäre mir zwar ein 
Leichtes, dem jungen Manne nachzuweiſen, an welcher Unklarheit und Bes 
grifiöverwirrung er felbft noch leidet und wie wenig er darum befähigt und 
berechtigt ift, über die Logik Anderer zu urtbeilen; doch man lönnte mir 
vorwerfen, daß ich damit nur zu leichten Kaufs den Zabel zurüdgegeben 
hätte. Seine Art zu verketzern wird genugfam erkannt werben, wenn id) 
fur; darlege, wie er bier ganz in die Luft fit. Er citirt Worte, bie id) 
gar nicht gejagt, und ſchiebt meinen Worten einen Sinn unter, den ic 
ofjenbar nicht damit verbunden habe. Er will feine Lejer glauben machen, 
ich fei jo beichränkten Geiftes, daß ich eine Religion ohne Glaubens⸗ 
inhalt wollte, und bebucirt feitenlang in wahrhaft kindiſcher Weife, daß 
eine Religion ohne Dogma undenkbar ift, wozu er übrigens ſogar noch fremde 
Autoritäten berbeizuzieben für nöthig hält. Fun babe ich zwar gegen die 
Dogmen geeifert, aber gegen welche? Schon das Vorſtehende deutet es bins 
laͤnglich an; aber ich habe es auch deutlich und oft genug ausgefprocen, daß es 
die ſcholaſtiſche Dogmatik, daß es das Unhaltbare in der traditionellen Kirchen: 
lehre, baf es die Menſchenſatzung ift, wogegen ich anlämpfe. So gehört denn 
der junge Zelot zu denen, die Augen haben zu ſehen und doch nicht feben, 
die lefen und nicht willen, was fie gelefen haben, oder, was noch Tchlimmer 
ift, die den Verfaſſern Dinge andichten, die fie gar nicht gefagt haben, nur 
um fie vor den Leuten anzufhwärzen. Gibt er mir do ſchuld, ich hätte 
behauptet, daß „jeder folle lehren können, was ihm beliebt”, ‚ich made 
immer aus dem Pfarrer den Popanz (1), welches Letztere allerdings, wie 
er jagt, fehr „komiſch“ wäre, da ich ja ſelbſt ein Pfarrer, und zwar ein 
Oberpfarrer bin. — m legten Iheile wirft er mir noch Zweideutigkeit 
vor, weil ih „die heilige Schrift ftets in den Vordergrund au 
ſchieben ſcheine, um aus ihr Capital gegen ven Katechismus zu machen.” 
Hier kennt feine Schmähfuht feine Grenzen mehr. Hatte er mich vorher 
zu einem Deutſchkatholilen geftempelt und trotzdem in feiner unlogiſchen 
Weife von mir aud wieder gejagt, ih hofire gegen Rom, fo macht er 
mich bier zum größten Ignoranten, der nicht einmal die paulinifhen Leh⸗ 
ven kennt, noch die Entwidelung der religiöfen Erkenntniß feit des Heidel⸗ 
berger Paulus Zeiten, in die er mich zurüdichreibt ; ja, er fagt geradezu, 
daß ich mit der heiligen Schrift „todettire”, „um ihr unter lauter böfliden 
Mefpectöbegeugungen ihren eigenen Inhalt zu rauben !“. — Dagegen ein 
Wort zu fagen, halte ich unter meiner Würde. Fehlt doch dem jungen 
Beloten gang der heilige Ernſt, wo es fih um das SHeiligfte und Ernfiefte 
handelt! Mo bleibt da die Liebe, die aus dem Glauben kommt, die Liebe, 
bie nicht nah Schaden tradhtet ? wo auch nur der Anftand, den ein gebil⸗ 
deter Menſch beobachten fol ? Wehe, wenn ein Obertribunal der Inquifition, 


Religionsunterriäht. 21 


aus ſolchen Heißfpornen gebilvet, über Andersdenkende abzuurtheilen hätte ! 
ein Tribunal von foldyer Flachheit, Verblendung, Arroganz und Perfidie, 
wie fie dieſer glaubensftolge Giferer an den Tag legt. Wie wird er fi 
vor ſich jelbft ſchaͤmen, menn er nah Jahren diefe Verunglimpfungen mit 
ruhiger Ueberlegung wieder liest! Sie find, das ſei ſchließlich noch erwähnt, 
zu lefen im „Südbdeutfhen Shulboten“, 1865, Nr. 9 und 10. 

Eine Andeutung in dem fo eben Mitgetbeilten, daß ih naͤmlich „mit 
Rom hofire‘‘, gibt mir Beranlaflung, nochmals, wie es ſchon in früheren 
Berichten geſchehen ift, darauf binzumeifen, wie fehr die Trapitionellen 
unter den Broteftanten per katholiſchen Kirche in die Hände ars 
beiten. Das babe id Schon früher nachgewiefen und je mehr ich gegen 
den traditionellen Confejlionalismus eifere, weil er ganz entjchieben .eine 
tatbolifirende Richtung nimmt, je beutliher ich dies ausgeiproden 
babe, deſto unbegreiflicher ift es, wie Herr Kübel von mir fagen kann, „ic 
bofire mit Rom“, ich’ liebäugele mit der katholiſchen Kirche. Er muß meine 
Aeußerungen über diefen Punkt gar nicht gelefen haben, durch melde id 
dod wahrhaftig zu folhem Vorwurf keine Veranlaſſung, im Gegentheil eine 
ganz entgegengejebte Richtung kund gegeben habe; höchſtens könnte er ihn 
darauf gründen, daß ih auch an Werken katholifcher Verfaſſer gern das 
Gute, was ich in ihnen finde, rühmenn anerfenne.. Aber dann müßte er 
mir auch ſchuldgeben, ich liebäugele mit den Belennern des Mofaismus und 
mit den Anhängern der altorthodoxen Lutheraner, da ih auch an den Wers 
ten des Israeliten Löwenheim, fowie eines MWangemann, Materne u. U. ges 
Iobt babe, was zu loben if. Doch es gilt bier nit fo wohl meiner 
Rechtfertigung gegen jenen Vorwurf, den ein verftändiger Lejer des Pädag. 
Jahresberichts im Ernſt mir gar nit machen Tann, fondern nur von 
Neuem zu conftatiren, daß die Traditienellen wirklich der katholiſchen Kirche 
in die Hände arbeiten. Als der Bapft die Welt mit feiner Encyclica über» 
zafchte, in der er Alles, was den heutigen Völlern hochheilig, was in allen 
Berfafiungen fanctionirt ift, led ald Irrthum verwarf, die Rüdlehr in mit: 
telalterliche Prieſterherrſchaft und Geiftesbeprüdung in Ausficht ftellte, und 
am Schluſſe ertlärte, es fei nicht daran zu denken, daß ber heilige Stuhl 
fih jemals mit dem Fortſchritt der Zeit, mit den liberalen been, mit ber 
modernen Givilifation verföhnen fünne und folle: was thaten da die Zions⸗ 
wächter der proteftantifchen Orthodoxie? Sie ſchwiegen; — meld ein 
beveutfames Schweigen! Ja, fie geben deutlich genug zu verftehen, daß fie 
mit den päpftlihen Sägen eigentlich ganz einverftanden wären. Nur Eins 
wird von ihnen beflagt: daß der Papft ſtolz und wornehm genug war, bie 
angebotene Allianz mit der proteftantifhen Reaction zu verfhmähen, daß 
er vielmehr auch von ihr unbebingte Unterwerfung forderte. Indeſſen ar: 
beiten fie doch immerfort an einem Buͤndniſſe mit der latholiſchen Kirche 
und erſt vor Kurzem (am 17. März 1866) wurbe aus Heidelberg gemel- 
det (f. Proteft. Kirchenzeitung Nr. 12), daß dort die „confefjionelle 
Allianz” ver ultramontan-tatholifhen und pietiftiich-proteftantiihen Stürs 
mer vollzogen fei, gegründet befonders „auf den guten und feiten Boden 
dogmatiſcher Einheit.” 

Diefer Tatholifivenden Tendenz kann nicht beſſer entgegengewirkt mer: 


22 Religionsunterriäht. 


den, als durch einen den Forderungen ber Beit entſprechenden Religions⸗ 
unterricht, gegründet auf das klare Wort der heiligen Schrift, getragen von 
echt evangelifch:proteftantifhem Geifte und durchdrungen von frommer Liebe 
zu Zeju, dem Anfänger und Vollender unjered Glaubens. Gute Winle für 
einen folhen Neligionsunterridht geben die Aufſäße von Fiedler, Dir. der 
Bürgerfhule zu Waltershaufen bei Gotha, über den Religionsunterricht in 
der Elementarllafje (Allg. deutihe Lehrerzeitung, 1865, Nr. 3 und 4) und 
in der Oberllafie (Ebendaſ, 1866, Nr. 13 und 14); — von D..: 
Apborismen über das Princip der Entwidelung im NReligionsunterridhte 
(Ebendaſ., 1865, Nr. 8); — von N. N.: Ein Wort über anſchaulichen 
Religionsunterricht (Ebendaf., 1865, Nr. 25); — von Ziedemann: 
Wie muß der Religiongunterricht befchaffen fein, wenn er die Schüler wahr: 
baft religiös machen foll? (Ebenpaf., 1565, Nr. 81, vorgetragen auf ber 
XVL allg. deutſchen Lehrerverfammlung). 

Auf diefe und andere lefenswertbe Abhandlungen näber einzugehen, 
würde bier zu weit führen, zumal da die nachfolgenden Beurtheilungen der 
in Sabresfrift erfchienenen Bücher zu aͤhnlichen Bemerkungen Beranlafjung 
geben, wie bier zu machen wären. Eine Bemerkung aber muß dieſen Bes 
urtheilungen noch vorausgefchidt werten, die nämlich, daß fih aud diesmal 
wieder eine zu fpecielle und umfaffende Ausführung einzelner 
Disciplinen des Religionsunterrihts fund gibt. Das ift nun zwar für 
die Selbfibildung des Lehrers fehr heilfam ; aber es verleitet ihn auch 
leicht, den überreichen Lehrftoff, den er fih aus ſolchen Schriften angeeig- 
net hat, auf feinen Schulunterridt überzutragen ; ja, es ilt mander Ber: 
‚fafler folder Specialfchriften (wie über Bibelkunde, über Geſchichte der Kir⸗ 
chenlieder und des Nirchengefanges, über das chriftlihe Kirchenjahr, über 
Geographie Paläftina’s ıc.) fo von wer Wichtigkeit feines Gegenjtandes ein- 
genommen, daß er ihn aud in der Schule ganz fpeciell ausgeführt willen 
will. Diefe und manche andere Erfahrung hat mic veranlagt, in ber All⸗ 
gemeinen deutſchen Lebrerzeitung (1866, Nr. 8) einen Aufjag über bie 
Bereinfahung des Religionsunterrichts zu verdffentliben. In⸗ 
dem ich auf denſelben verweife, enthalte ich mich bier einer näheren Mo: 
tioirung obiger Bemerkung. Für diesmal fei nur noch eines jpeciellen 
Zweigs des Neligionsunterrihts gedacht, der in den Schulen oft gar zu 
eingehend und zu gelehrt cultivirt wird. Sch meine die Bibellunde. 
Kehr fagt in feinem „Chriftliben Religionsunterriht in der Vollsſchule“ 
Bo. I, S. 42, wo er von dem Plan für den Religiondunterricht der 
Oberklaſſe ſpricht, fehr richtig: „Mit einer Belehrung über Namen, Werth, 
Eintheilung ꝛc. ver Bibel foll begonnen werben, weil die Rinder bie religiö« 
jen Wahrheiten in und aus der Bibel leſen follen. Bibelkunde ift 
unbejftritten nothwendig.” Über er vermeift babei auch auf ein 
fehr beberzigenswertbes Wort von Schüren, mwelder jagt: „Was man 
gewöhnlid Bibelkunde nennt, ift nichts Anderes, als ein langmweilendes 
Sprechen fiber die Bibel, eine Mittheilung von Notizen, weldhe langfam 
gelernt und fchnell vergefjen werden. Der mit folhem Unterrihte verbun⸗ 
bene Zeitverluft ift zu bellagen, aber viel beflagenswerther ift der Ber: 
luft, ven die Rinder dabei an ihrer Seele erleiven tönnen. Diejes Sprechen 





Religionsunterricht. 23 


über Gottes Wort raubt den Kindern fo leicht die Freude an demjelben und 
täufcht fie über ihre Herzensftellung zu demjelben. Denn ein Rind, welches 
jo über die Bibel fprechen kann, weldes 3. B. weiß, wann, von wem und 
zu welchem Zwece vie Pſalmen gefchrieben worden find, wie viel Arten von 
Plalmen es gibt, was Yußpfalmen, meſſianiſche Pfalmen u. j. w. find, 
lommt doc leicht in die Gefahr, zu glauben, es fei mit ven Palmen belannt. 
Was hat es aber an biefem Gerippe ? Kann es dadurch im Leide getröftet, 
in der Verſuchung geftärkt, auf dem Sterbebette beruhigt werden ? Ich habe 
das eben Genannte und noch manches Andere über die Palmen gewußt, 
batte aber noch einen gelefen, fondern kannte höchſtens einzelne Sprüche, 
wie fie zeriireut im Katechismus vorlommen. Iſt das aber Bibeltunde, 
wenn man über die Bibel zu ſprechen — zu ſchwatzen — weiß, die Bibel 
jelbft aber nicht kennt? Während man heutiges Tages die Naturkunde in 
rechter Weife jo treibt, dab man die Kinder einführt in die Natur, 
die Dinge und Erſcheinungen darin fie fehen läßt und dadurch verliehen 
lehtt: belommt manches Kind Kunde von der Bibel, ohne daß es dieſelbe 
gebörig lief; alfo eine Kunde ohne Kenntniß.“ — Freilich hat 
aud das Bibellejen feine Bebentlichleiten, wenn es nicht mit geböriger 
Auswahl gejchieht, und wenn es nicht gehörig geleitet und beauffichtigt 
wird. Ich babe wiederholt darauf hingewieſen und lafje jetzt einen Andern 
reden. Gin Mitarbeiter an den „Zeititimmen aus der reformirten Schweiz“ 
hält in dieſem Blatte (1866, Nr. 3, S. 44 ff.) über Bibellunde unter 
Anderem folgende Anſprache an bie Lehrer: „Ihr jagt: Die Bibel ift das 
Wort Gottes und als ſolches abjolut wahr, ohne menſchlichen Irrthum, ohne 
einen wirllichen, wenn auch mit manchem ſcheinbaren Widerſpruch in fich jels 
ber. So werdet Ihr mit voller Ueberzeugung aud Eure Katechumenen lehren 
und fie daher energifch und erfolgreich ermahnen, bie Bibel vom erfien 
bis zum legten Worte zu lejfen und als Wort Gottes gläubig an⸗ 
zunehmen. Die Befiern unter ihnen folgen Eurer Mahnung. Es iſt Euch, 
wie es ſcheint, ein völliges Geheimniß; aber es ift leider eine Thatſache, 
daß diefe Eure Zöglinge ſchon das erfte Mal trog alles guten Willens jehr 
ſchwer durch die Bibel hindurchkommen, gejchweige denn, daß fie bier ein 
zweites Mal den Muth hätten, fih durchzuſchlagen. Denn don das erfle 
Mal bleiben fie, wenn nicht im zweiten, doch im dritten und vierten Buch 
Mofes faft gar fleden, fintemal fie da mit aller Mühe kein abjolutes Wort 
Gottes, welches Ahr ihnen doch fo beftimmt verheißen habt, herausfinden 
können ; fondern fie finden fonberbare und unglaublihe Geſchichten und 
längft abgethane Gebräudhe und Geſetze. ine Erholung find ihnen dann 
die Eurzweiligen Gefchichtöbücher und wir wollen glauben, daß fie im Glau⸗ 
ben an Guere Unterweifung die Widerſprüche mit in den Kauf und die 
Mythen und Sagen und Legenden als baare Gedichte hinnehmen und fi) 
dadurch, fo gut oder fo ſchlecht es geht, den Einn für gefhichtlihe Wahr: 
beit mit Gewalt verderben. Vom Buche Hiob verftehen fie das 1. und 2. 
und das 42. Kapitel; dagegen vom 3. bis 41. Kapitel iſt's ihnen ein 
ziemlih duntled Wort Gottes. Die Palmen treten ihnen näher und er- 
ſcheinen darum als heilig und ſchön. Viele Sprüde verſtehen fie auch 
gus; ben Prebiger weniger und das hohe Lied gar nicht. In den Pro: 





24 Religionsunterricht. 


pheten allen ſind ihnen die Verſe mit großgedrudten Buchſtaben, weil ſie 
aus dem neuen Teſtamente als an Jeſus Chriſtus erfüllte Weiſſagungen 
ihnen befannt find, Worte Gottes; aber bazwifchen lange, lange Streden 
unverftanden und ungenofien. Am Ende des canonifchen alten Teflamentes 
angelangt, find fie gegen das Wort Gottes, das Ahr ihnen verfprachet, 
ſehr kühl geworben ; fie koͤnnen's nicht finden, werben unterdeß älter, legen 
die Bibel bei Seite. Sie behelfen fih dann im Leben mit Menigerem, mit 
dem, was fie im neuen Zeftamente verſtehen, mit Gebets⸗ und Geſang⸗ 
büdhern. Chriftenmenihen können fie Deſſen ungeadhtet gewiß fehr wohl 
bleiben. Es wäre ganz gegen die Erfahrung geurtbeilt, wenn man meinte, 
wer die Bibel nimmer leſe, fei deshalb kein Ehrift mehr. Aber au nad 
unferer Erfahrung ifl’d doch ein großer Abbruch für das religiöfe Leben 
des Einzelnen und der Gemeinfchaft ; dafielbe verliert an Freudigkeit, Saͤt⸗ 
tigung, Kraft ſehr viel, wenn es nidt aus der Bibel ſelbſt, als dem claſ⸗ 
fiihen Fund: und Sammelorte urfprünglichfier Religion immer iwieder neu 
fih bereichert.” — Was fcheint aljo zwedmäßiger und nothiwendiger für 
das Bibellefen nicht bloß in der Schule, fondern auch im Haufe zu fein, 
als ein Bibelauszug in der Weife und nad der Form, wie ih es in ben 
beiden vorigen Jahresberichten vorgeſchlagen habe ? Gewiß werben auch bie 
ortbodoreften Gegner, wenn fie nur pädagogifhen Sinn haben, aus Liebe 
zum Worte Gottes diefen Vorſchlag billigen, fo bald fie denjelben ernſtlich 
prüfen und ihre Schulerfahrungen dabei zu Hilfe nehmen, namentlich aber 
aud, wenn fie aus dem ſchon früher erwähnten „Alten Zeftament im Aus⸗ 
zuge für Schule und Haus, nad Luther's Ueberjeßung‘ herausgegeben von 
Kris (Leipzig, bei Tauchnitßz) die beantragte Einrihtung näher kennen ges 
lernt haben. 

Schließlich fei im Voraus auf ein Werk ver nachfolgenden „Literatur“. 
nämlih auf das von Sederhbolm, Nr. 12, befonders aufmerlfam ges 
madt, weil e8 am meilten dem gerecht zu werben fucht, was wir in Bor: 
flehendem als unabmeisbare Forderungen unferer Zeit an einen wahrhaft 
chriſtlichen und fruchtreihen Religionsunterricht bezeichnet haben. 


Literatur. 


A. Religionslehre. 
1. Für Lehrer. 


1. Kritit und Abfertigung der Schrift: „Der religißfe Unterrichtöftoff 
für ein», zwei⸗, drei⸗, vier⸗, fünf« und fechellaffige Vollsſchulen in Stadt 
und Land, ausgewählt und vertheilt von Dr. Gaulborn, in Gemeinſchaft mit 
E. Meier, Paftor, und F. Miller, Landſchullehrer“, vom praktiſchen Stand» 
punkte und lediglih mir Rüdfiht auf die einklaſſige Volksſchule. Cine 
Denkſchrift von J. 5. Deltzer, evangel. Volksſchullehrer. Eibing, Nen⸗ 
mann⸗Hartmann'ſche Buchhandlung (Edw. Schlömp). 64 ©. Preis 6 Sgr. 


So klein dieſe Schrift iſt, ſo intereſſant iſt ſie doch, weil ſich hier ein 
an die preußiſchen Regulative gebundener Lehrer über ven Lehrplan zum 


8F 





Religionsunterricht. 26 


Religionsunterrichte in einer Weiſe vernehmen läßt, mie man es nicht zu 
bören gewohnt ift und wie e3 wohl nur wenige preußifche Lehrer zu thun 
wagen. Er tritt bier gegen den von Saalborn entworfenen und von 
der hödften Unterrihtsbehörbe anerkannten Lehrplan auf. In ſehr gemäs 
Bigtem Tone, aber fehr Har und entfchieden zeigt er die Verlehrtheit dieſes 
Lehrplanes (jevod nur in Bezug auf ein klaſſige Schulen) nah und man 
hört aus Allem den praktiſchen Schulmann reden, ber fein Miethling ift, 
fondern dem bie religiöſe Erziehung feiner Schulfinder wirllih am Herzen 
biegt, und der mit denlendem Geifte aus feinen langjährigen Erfahrungen 
fi ein gefundes paͤdagogiſches Urtheil gebildet hat. Es ift nur zu bes 
dauern, daß er unter dem Drude der Regulative lebt. Wie ganz anders 
würde er feinen Neligionsunterridht einrichten, wenn er fih ganz frei bes 
wegen könnte! Es verdient aber alle Anerfennung, daß er gleichwohl fo 
unverholen feine Bedenken gegen die Beflimmungen der Regulative äußert, 
und um ben blinden PVerehrern der legtern ein Beilpiel vorzuhalten, wie 
fih Lehrer, die nicht Sklaven, nicht bloße Drefiurmafchinen fein wollen, troß 
des Regulativzwanges ein felbitfländiges pädagogifhes Urtheil bewahren 
Lönnen, führe ich aus der vorliegenden Echrift folgende Erllärung des Ber: 
fafier® an: „Der-im 3. Regulativ für die beiden erften Schul: 
jahre ausgewählte, beziehungsmweife angebeutete religiöfe Unterrichts: 
Koff überfteigt nad meinem Dafürbalten die Faſſungskraft der Kinder die 
fes Alters in der Negel weit. Es ift eine anerfannt richtige pädagogifche 
Zorderung, daß von den Rindern nihts gelernt werden darf, 
was niht vorher erflärt, verflanden und zur bemußten 
Aneignung fähig gemacht worden if. Die Regulative betonen 
dieſe Forderung überall aufs Nachdrücklichſte. Diefelbe fließt aber noth⸗ 
wendig eine andere in fi, nämlich die, daß den Kindern nichts zu 
lernen gegeben werde, was fie auf dem zeitigen Stand» 
puntte ihrer geiftigen Entwidelung noch nicht zu faſſen 
vermögen unddarum ihnen auch nicht erflärt werden fann. 
Wenden wir das auf den vorliegenden Fall an. — Das Bater unfer 
ift ein Gebet, das zum vollen Berftänpniß feitens des Betenden nit nur 
eine gereifte chrifilichereligiöfe Erkenntniß, fondern aub, und das vielmehr 
noch, einen gewiflen bereit erreichten Standpunkt des inneren Glauben? 
leben3 bedingt. Der Iutberifhe Morgen: und Übendpfegen, fo 
einfah ſchön und vollsthümlih fie auch fein mögen, eignen fi megen 
ihres dogmatifchen Colorits eben fo wenig für Heine fehsjährige Kinder, als 
das haͤusliche Meimvershen: Chrifi Blut und Gerechtigkeit, das 
iM mein Schmud und Ehrenkleid, damit will ich vor Gott beiteh’n, wenn 
id werd’ in den Himmel eingeh’n. Die Säße: Das malte Gott Ba: 
ter, Sohn und heiliger Geift, — durch Jeſum Ehriftum, 
deinen lieben Sohn, — dein heiliger Engel fei mit mir, 
daß der böfe Feind Feine Macht an-mir finde — können nur 
mit Bugrundelegung der am ſchwerſten verftändlihen Hauptdogmen der evans 
geliihen Kirche; von der Dreieinigleit, von dem Mittleramte Jeſu Chrifti, 
von den Engeln und Teufeln zum Berfländniß gebradht werben, und eine 
folhe Unterlage der chriftlichsrefigiöfen Erkenntniß wird man bei fehsjäh: 


26 Religionsunterricht. 


rigen Kindern weder vorausſetzen, noch vermitteln wollen. Gbenjo verhält 


es fi) mit den meiften Wochenſprüchen und Wochenliedern, weide 


die Kleinen bei dem mit dem jebesmaligen Morgengebete der Schule ver 
bundenen Herſagen derſelben feitens der älteren Kinder fih allmäblih an⸗ 
eignen follen. Für diefe Kinder, von denen ein Schulratb ſehr wahr ger 
fagt bat (of. die minifterielle Dentichrift vom 16. Febr. 1861), daß fie 
zum großen Theil geiftig unentwidelt und ungemwedt, flumm und ſprachlos 
find, find auch die biblifhen Geſchichten von ber Schöpfung, dem 
Sünvenfalle, der Sundfluth, Abraham's Berufmg, Mofis Sendung und 
auch viele neuteftamentliche kaum anders ala Abſtracta. — Mid vünkt, 
man tbäte befier, wenn man dieſe Kinder während ber erſten Hälfte des 
erften Schuljahres — wie es fromme Gltern bei ihren bäuslihen Andach⸗ 
ten thun — ftille fiten und mit gefaltenen Händen dem Religionsunterrichte 
ber größeren Schüler zuhören ließe. Gmpfängen fie do fo aud eine Ah⸗ 
nung von bem über fie waltenden himmliſchen Vater, Und, nachdem in 
diefer Zeit durch den anderweitigen Unterricht ihr Geift einigermaßen ge 
wedt und ihr Mund geöffnet ift, wenn dann der Lehrer wöchentlich 
einmal zu ihnen redet von dem Gwigen, Unfichtbaren, von Gott, bem 
Schöpfer Himmels und ber Erde, dem Allmächtigen, Allwiflenden und All⸗ 
gegenwärtigen, dem Heiligen und Gerechten, dem Bater der Liebe, der 
alle feine Geſchoͤpfe, große und Meine, ernährt, erhält und bebütet, befon- 
ders auch die frommen Kinder, und jpäterhin an fie heranträte mit einem ge: 
eigneten Chriftusbilde und es ihnen freunplich erflärte, wie ein Kind es kann 
verlieben ; wenn er fie dann noh 10 leicht verftändlide Sprüde, 
ferner 10 von den in großer Auswahl vorhandenen und das kindliche Ge⸗ 
müth entjprechenden Reimverschen: Gott ift, wo die Sonne gläht, — 
Db ich lange leben werde, — Fürdte Gott, liebes Kind, — Wie der Kleine 
Jeſusknabe, — Zwei Augen hab’ ih klar und bel, — u. |. w., endlich, 
wenn man durchaus will, bie gehn Gebote und das Pater unfer 
lehrete; mich dunkt, fage ich, ein folder Unterricht würde für die erfle ve 
ligiöfe Entwidelung der Kleinen von größerem Erfolge fein, als das täg- 
lihe Herplappern unverktandener oder ſcheinbar verftan: 
bener Sprüche, Kirchenlieder, biblifher Geſchichten; und ber 
Lehrer würde feinerjeit3 das freudige Bewußtſein haben, der Mahnung 
Jeſu: „Laſſet die Kindlein zu mir kommen; denn ihrer ift das Himmel: 
reich“ nachgekommen zu fein. — Ob der Lehrer in dieſer Begiehung feine 
Schuldigkeit gethban habe, das wird der geittenge Herr Revifor leicht erlen- 
nen können an der Freudigkeit, mit welcher bie Kleinen ihre wohlner: 
ftandenen Sprüche, Gebetlein und Lieververschen aufjagen und fi über bie 
ihnen vorgezeigten Chriftusbilder ausfprechen. — So vorbereitet könnten fie 
dann ſchon im zweiten Schuljahre an dem georbneten Religionsunterricht 
ber Unterklafje freilid nah Maßgabe ihres Bildungsgrades 
und ohne fie mit Memorir: und Lernftoff zu überſchütten, 
jelbitthätigen Antheil nehmen.‘ 

Diefes Neferat aus dem Keinen Schriftchen wirb ben Werth deſſelben 
und die päbagogiihe Züchtigleit ſeines Verfaſſers klar andeuten und man 
wird darnach ſchon vermutben lönnen, in weiber Weile er ſich über ben 








⸗ 


Religionsunterricht. 27 


verkehrten Saalborn'ſchen Lehrplan, namentlich über vie Anzahl der Lebe 
Runden, über Auswahl und Bertheilung des Unterrichtd: und Memorirftofies 
ausſpricht. Näher auf Einzelheiten einzugeben, erlaubt der Raum dieſes 
Blattes nicht. Aber ih kann nicht umhin, wenigftens noch meine Freude 
darüber auszubrüden, dab ein Lehrer aus dem Lande ber Regulative fo 
frei und offen für die Wahrheit eintritt, und daß aud er auf eine Ber: 
einfahung des Religionsunterrichts binzielt, wie ich fie in mei: 
nem fchon erwähnten Aufſatze (Allg. deutſche Lehrerzeitung, 1866, Nr. 8) 
empfohlen habe als da3 naturgemäße Mittel zu einer wahrhaft riftlich- 
frommen Erziehung unſerer finder. 


2. Entwürfe und Katecheſen über Dr. M. Luther's Heinen Katechismus. 

Bon Dr. Fr. W. Schüke, Seminardirector. Leipzig, Teubner, 1864 — 

65. 2.—8. Lieferung & 7) Sgr. 

Ueber die erfte Lieferung dieſer Entwürfe und Katecheſen, ſowie über 
die Schrift deſſelben Berfaflers: „Die katechetiſche Form nah ihrer 
hiftorifchen Entmwidelung und ihrem Stand in der Gegenwart‘, welche gleich 
fam ein ausgeführter Proſpectus zu jenen ift, wurde bereit3 im vorigen 
Sahresberiht das Nöthige mitgetheilt. Das Werl wurde dort von allen 
Denen, welhe den Katehismusunterriht ausführlih und in ftrenger Auf 
einanderfolge zu betreiben Luft und Beruf haben, beitend empfohlen, weil 
fie aus demselben lernen können, dieſen Unterriht klar und erbaulich zu 
ertbeilen. Auch in feiner weiteren Fortführung zeigt es fi) ebenſo empfeh⸗ 
lenswerth, wiewohl die Lehrer, die nicht auf dem ſtreng confeffionellen 
Standpunlte ftehen, an manden Lehren und Auseinanderjegungen Anftoß 
nehmen werden und der Schreiber Diefes bei feiner Anfiht von der Noth⸗ 
wendigleit einer Vereinfachung des Neligionsunterricht3 mit der Breite und 
Ausführlichleit des hier gegebenen am wenigſten einverftanden fein kann. 

Mit der 5. Lieferung ift der erfte Band (447 ©. ſtark) geſchloſſen. 
m ihm iſt das erfte Hauptftüd abgehandelt. Die Lieferungen 6—8 
reihen bis zum Schluſſe des erften Artitels (bereits 294 ©.), fo daß ber 
zweite Band, der das zweite Hauptftüd enthält, noch viel volu⸗ 
mindöjer werben wird, als der erfte. 

Es ift merkwürdig, mit welcher Zaͤhigkeit die ftreng Confeflionellen an 
diejer Anordnung des Katehismus fefthalten. Obgleich auch fie überzeugt 
find: Aus dem Glauben kommen die Werke, und obgleich Luther felbft am 
Schluſſe des 1. und 2. Artikels auf die Entmwidelung der riftfihen Ge⸗ 
finnung und That aus dem Glauben hindeutet, bleiben fie doch dabei, bie 
Sittenlehre der Glaubenslehre vorangehen zu lafien. Und warum? Weil 
im Katechismus die 10 Gebote den Glaubensartileln voranftehen. Aber 
nit bloß aus Reſpect vor der beftehenden Ordnung, fondern aud aus 
dogmatifhen Gründen. So der Verfaſſer. „Wir verlennen nicht, jagt er 
(S. 6. des 2. B.), die Bedeutung ver Gründe (namentlih Lisko’s) für 
die — eben jeßt angedeutete — Ordnung, meinen aber, daß die Gründe 
für die gewöhnliche Ordnung der Lehrftüde überwiegen. Iſt es jchon bes 
dentlih, den Katechismus, und wäre ed auch nur in der Anordnung feiner 
Lehrftüde, vor den Kindern corrigiren zu wollen, jo ſcheint es auch boge 





98 Religionsunterricht. 


matiſch völlig unrichtig, hinter dem Belenntnifie zu Gott dem Bater, 
welches entſchieden ein untrennbares Stüd des chriſtlichen Glaubens if, auf 
das Gefeh zurüdzugreifen und auf den vordhriftlihen Boden zu tre 
ten, ftatt, wie es der Katechismus thut, unmittelbar zu dem Belenntnifie 
an Gott den Sohn überzugeben. In unferm Glaubensbefenntniß darf 
alfo zwiſchen dem erften und zweiten Artilel kein Lebrftüd eintreten, am 
allerwenigften da6 Geſetz. Denn wer nah dem erfien Artilel von Her 
zensgrund Gott als feinen Bater beiennt, der ift nicht mehr unter dem 
Geſetz.“ 


Der Verf. verlangt alſo alles Ernſtes, daß wir erſt Juden werden 
ſollen, ehe wir Chriſiſen werben, und doch ſagt der Apoſtel: „Ihr habt 
nicht einen knechtiſchen Geiſt empfangen, daß ihr euch abermal fürchten ſollt, 
ſondern ihr habt einen kindlichen Geiſt empfangen x.” Gr hält es noch für 
durchaus nöthig, „auf.das Geſetz zurüdzugreifen” und erft „unter dem 
Geſetz“ zu fieben. Gr folgt dabei lieber dem belannten dogmatiſchen 
Vorurtheile der ſcholaſtiſchen Orthodoxie, ald ver Bibel, die uns lehrt, daß 
Gottes Güte uns zur Buße leiten fol. Er felbit erllärt das zweite Haupt: 
ftüd für das „Hauptftüd der Hauptftüde” und hätte es darum aud einer 
Religionslehre zu Grunde legen und voranftellen jollen; gleihwohl ftellt er es 
in zweite Linie und wirb dadurch in die Nothwendigkeit verjeßt, aus dem⸗ 
felben im erften Hauptftüd gar Manches zu anticipiren. Cbenjo bat er 
felbft am Schluſſe des erften Artileld einige Moral beifügen müflen (wozu 
natürlich die Worte Luthers Beranlaflung geben), obgleih er es für „Dog: 
matiſch völlig unrichtig” erllärt, bier „auf das Gefeß zurüdzugreifen. Wir 
meinen, der chriftlihe Religionslebrer folle gar nicht „auf den vordrift: 
lihen Boden treten“, um Moral gu lehren; er folle vielmehr bei ber 
chriſilichen Moral fliehen bleiben und nicht nur bei jedem Glaubensſatz auf 
die Früchte hinweiſen, die der eben behandelte Glaube bringen foll, ſon⸗ 
bern auch die in der Glaubenslehre mitgetbeilten Sittenlehren, nad jener 
in guter Orbnung zufammenfaflen. — Wenn er es übrigens „bedenklich“ 
findet, „ven Katechismus, und wäre es auch nur in ber Anorbnung feiner 
Lehrftüde, vor den Kindern corrigiren zu wollen’, fo darf man freilih von 
ihm nicht erwarten, daß er ihn in noch viel wejentliheren Punkten corris 
giren werde, wie er denn aud in ber citirten Stelle von „dem Belennt: 
nifie an Gott den Sohn” redet und damit in den entichiedenften Wi⸗ 
berfpruch zu Jeſu eigenen Worten tritt, der jo ernſt und nachdrücklich jagt 
(ob. 17, 3), daß wir nur an den alleinwahren Gott glauben, in 
ihm, Jeſu Chrifto felbft, aber den erkennen follen, ven er geſandt hat. 


3. Unterrebungen über ben Meinen Katehismus Luther's. — 
Ein praktiſches Handbuch für Scähullehrer von 3. Niffen, weiland Schul⸗ 
Iehrer in Glüdſtadt. Achte Auflage Kiel, E. Homann, 1865. XVI 
und 74 8. 2 Thlr. 


Fünf Auflagen diefes Werts hatte der Verf. noch felbft beforgt und 
haben fich feit dem Tode befielben (1858) wieder drei Auflagen nöthig ges 
macht. Beugniß genug, dab das Buch belannt genug und in weiten Krei⸗ 
fen empfohlen iſt. Es bebarf daher Teiner neuen Empfehlung, natürlich nur für 





Religionsunterricht. 29 


Golde, welche den ſtreng confeffionellen Standpunkt des Verfafiers theilen. 
Andere werben zwar auch viel Anregendes und Lehrreiches in dem fleikig 
und mit warmer Liebe gearbeiteten Buche finden, jedoch aud Vieles, mas 
fie mit ihrem rein bibliichen Chriftenglauben nicht vereinigen koͤnnen. So 
gibt fi) der Verf. 3. B. vergebliche Mühe, die Kirchenlehre von der Drei- 
einigteit zu beweifen. Gr überfiebt ganz den Widerfprud, der darin 
liegt, daß brei unterſchiedene Subject, — denn von der „Perfon‘‘ fagt ex, 
daß fie „ihrer ſich felbft bewußt ift und fi von Andern unterſcheiden kann, 
und baß fie ſelbſt denken und wollen kann”, alſo doch wohl ein jelbfiftän: 
diges Weſen iſt, — doch ein Subjert bilden, „gleiches Weſens, gleich 
ewig, glei gewaltig.” — Sehr ſchwach find auch die Beweije für Zaus 
berei, die der Verf. wirklich für etwas „Reelles“ hält. 

Seit der 5. Auflage, bie der Verf. noch ſelbſt bejorgt hat, ift nichts 
Weſentliches an dem Buche geändert worden. 


4. Katechismusſchule für Lehrer in Kirche, Schule und Haus über Dr. 
Martin Luther’s Heinen Katechismus mit Erklärung von Dr. Albert 
Lührs, Superintendent in Beine. Quae bene didiceris, bene docebis. 
In drei Abtbeilungen. Erſte Abtbeilung X und 167 S., zweite 
Abtheilung. 230 S., dritte Abtheilung. 280 S. Hannover, Hahn'ſche 
Buchhandlung, 1863. 

Was man in diefem meitfhichtigen Werke finden und mie Nef. über 
dafjelbe urtheilen werde, darüber kann dem Lefer diefes Berichts kein Zwei⸗ 
fel fein, wenn er erfährt, daß Lührs einer der Herausgeber des fogen. 
„neuen“ hannover'ſchen over richtiger des Walther'ſchen Katechis— 
mus von 1653 if. Man wird ſich des ausführlihen Berichts über den 
„Hannoverihen Katechismusſtreit“ und der eingehenden Beurtbeilung des 
„neuen“ (Walther’ichen) Katehismus im XV. B. des Paͤdag. Jahresbe⸗ 
richts erinnern. Wir können uns daher einer Charafterifirung des vorlies 
genden Buches enthalten, da es, wie der Verf. felbit fagt, an den neuen 
bannover’fhen Katechismus ſich anfhließt. Freilich hätte der 
Berf. am liebften Walther felbft zu feinem Führer fih ausgewählt, da 
eben der neue” hannoverſche Katechismus venfelben „für die Gegenwart (}) 
bearbeitet hat’, und da nad des Berfafiers Ueberzeugung in ihm die ganze 
fatechiftiiche Entwidelung von Quther bis heute zum Ausprud kommt (2 1), 
fo hat er ihn bei feinem Buche zum Führer gewählt. Gr fühlt alfo die 
Nothwendigkeit des Fortſchritts nach zweihundertjaͤhrigem Gtillftand (fett 
Walther) ; aber ift der Kortjchritt, den er in dem „neuen“ hannover'ſchen 
Katehismus findet, wirklich ein Fortfehritt, wie ihn „bie Gegenwart” fors 
dert ? zeigt er nicht felbft überall, daß zwifchen ihm und Walther tein wer 
jentlicher Unterſchied obwaltet? Der Lejer mag felbit urtbeilen ; wir bieten 
ihm bierzu wenigfiens ein Beijpiel dar. Walther fagt von der Erb: 
fünde: „Darinnen ein jeder Menſch empfangen und geboren wird, durch 
Mangel des Ebenbildes Gottes und durch Befledung mit dem Bilde Adams.’ 
„Dieſe Erklaͤrung Walther’s”, jagt nun der Berf., „charaklteriſirt doch bie 
Erbfünde nicht nad ihrer wirklichen Beichaffenheit, wie fie leibt und lebt, 
fondern ift rein formaler Art, dazu hat fie für eine fo widtige all 
gemeine Kirchenlehre und für. einen Katechismus zu viel perjönlihen Aus: 





80 Religionsunterricht. 


beud‘‘; er zieht daher die Erklaͤrung der Erbſuͤnde im neuen hannover jchen 
Katechismus vor, welche fo lautet: „Sie iſt das fündliche Werberben, in 
weldhem nad dem Fall Adam’s und dem Berluft des göttlichen CEbenbildes 
alle Menſchen geboren werden; da fie zu Glauben, Furcht und Liebe Bots 
tes untüchtig und voll böfer Suft find, und in foldem Stande Kinder des 
Zornes und Todes. Gr rühmt an diefer Erllärung befonbers, daß fie ſich 
eng an die Augsburger Eonfeflion Art. 2. anſchließt. Wer aber wird im 
ihr — ſowohl in ſachlicher, als aud in ſprachlicher Müdficht — eine (rs 
Härung finden, bie den Forderungen der „Gegenwart“ enifpricht ? 

Das Wert ift alfo nur folhen Lehrern zu empfehlen, die den alt» or» 
thodoren Standpunkt einnehmen oder bie genöthigt find, nady dem „neuen‘‘ 
bannov. Katechismus zu unterrichten. Finden fie in demfelben aud nicht 
eine fo praftifche Anleitung, wie in anderen Handbüchern, fo finden fie doch 
in diefem mit Wärme und viel Gelehrſamkeit gefchriebenen Bud viele Ans 
regung zum Nachdenken, namentlih in den zahlreichen Citaten aus anderen, 
beſonders aus Luther's Werten. 


5. Der lleine Katechismus Luther’s erläutert und ben Müttern unb 
Slementarlehrern zum Gebrauch bargeboten von 5. A. Hofmann, Uber- 
lehrer einer Armenihule in Hamburg. Hamburg, Nolte (Herold'ſche Buch⸗ 
handlung), 1865. VIII und 302 ©. — 1Thir. 

Für die Glementarklafie ift der Unterricht beftimmt, zu welchem der Berf, 
bier ein Handbuch für den Lehrer liefert. Cr bat nun zwar ausdrüdlich 
bemerft, daß er nicht die unterfte Elementarklaſſe dabei im Auge 
bat, fondern die folgende (mit 8: bis Yjährigen Kindern); aber au für 
diefe bietet er zu viel, und er hätte den Gebraud feines Buches füglich 
nod auf die Mittelllafle ausdehnen ſollen. Es trifft auch bier ein, was 
Rei. in feinem Auffage über Bereinfahung des Religionsunterrichts gejagt 
bat: daß von manden recht mwohlmeinenden und eifrigen Lehrern beim Res 
ligionsunterridte des Guten zu viel geſchieht. Cinigermaßen hat das aud 
der Verf. gefühlt, indem er ſelbſt meint, es könne ibm möglicherweile zum 
Borwurf gemadht werden, „daß er zu viel gegeben, daß Einzelnes für dieſe 
Klaſſe noch zu hoch ſtehe und daß namentlich die beiden legten Hauptitüde gar 
nicht in die Elementarklafje gehören‘‘ ; ja er erkennt felbft die Aufnahme dieſer 
beiden Hauptitüde als einen „Uebelftand, den er nit ganz zu bejeitigen wußte‘, 
er jagt jelbit, daß diefe Haupttüde die tiefften Wahrheiten des Chriftenthums 
behandeln und dem Rinde ferner ftehen als die erſten“, rechtfertigt jedoch ihre 
Aufnahme damit, daß er behauptet, „die Kinder feien während der Beit, daß 
die erfte Hälfte des Katechismus behandelt wird, in der Regel auch ſchon 
geiftig fo herangereift, daß fie etwas feltere Speife vertragen können.’ 

Aber gerade das iſt dem Berf. am meiften zum Vorwurf zu machen, 
dab er fhon in der Elementarklaſſe Katechismusunterricht 
treibt, und auf feine Frage: „Iſt es nicht unpädagogiſch, den Kates 
chismus ſchon in der Glementarklaffe behandeln zu wollen ?'' — antwortet 
Mef. mit einem entjchiedenen Ja, indem er ſich ftatt weiterer Begründung 
theils auf feine Erflärung über den „Religionsunterricht für Schullinher ber 
beiben erften Schuljahre” in ber allg. deutſchen Lehrerzeitung (1862, Nr 





Religionsunterricht. 31 


415—14) beruft, theils auf das Verfahren der meiften orthodoren Päbagos 
gen bei Behandlung des elementaren Religionsunterrihtd. Doch ſcheint der 
Ber. nit nur daran gebunden zu fein, „die fünf Hauptitüde ſchon in ben 
Siementarflafien auswendig lernen zu lafien‘‘, fondern er iſt auch felbft für 
den Katechismus fo eingenommen, daß er den Wunſch ausſpricht: „Möchte 
er wie für das Haus fo namentlid für die Elementarklafie das einzige Bud 
fein, nach welchem fi recht im Segen unterrichten läßt." 

Die gemahten Ausftellungen bindern indeß den Ref. nicht, das vor 
Begende Buch als ein jehr empfehlenswerthes zu bezeichnen, und 
zwar nicht bloß für jolde Lehrer, die an den Katechismus gebunben find, 
fondern aud für ſolche, die es für „unpädagogiſch“ halten, ihn ſchon in ber 
Glementarklafie zus Anwendung zu bringen. Denn der Verf. befolgt nicht nur 
die richtigſten paͤdagogiſchen Grundfäge, ſondern verfteht es auch, den rechten 
Zon zu treffen, um feinen Unterriht anfchaulih und erbaulid) zu machen. Gr 
wil, „daß die Kinder nie Etwas lernen, wobei fie ſich nichts zu denken, 
womit fie nicht irgend einen Begriff zu verbinden wiſſen“; er behauptet: 
„Die Form des Unterrichts muß bei dieſer Katechismuslehre noch mehr als 
bei den andern Lehrbisciplinen dem kindlichen Faſſungsvermögen 
völlig angepaßt, die chriſtlichen Wahrheiten müflen nicht als abfiracte 
Dogmen dem Rinde vorgetragen, jondern durch Geſchichten aus ber 
beiligen Schrift und dem täglihen Leben ihm auf concrete Weile ans 
Ihaulicd und anziehend gemadt, ihm als natürlich und nothwendig nahe 
gebracht, und die Beifpiele aus dem Grfahrungstreije des Kindes 
felbft hervorgeſucht werben; immer beutlih, anregend und lebendig 
fein. Beſonders aber verfieht es der Verf. recht gut, den Ton zu treffen, 
in welden man zu ben Rindern eben muß, um ihnen bie 2ehren bes 
Chriſtenthums nicht nur „deutlich und mundrecht“, fondern auch „lieb und 

’ zu mahen. Darum und weil das Buch eine reiche Fundgrube 
von praltifhen Beziehungen auf das Slinderleben und trefilide Anwendun⸗ 
gen vom bibliſchen Geſchichten und anderen Grzählungen, von anſprechenden 
Verſen und Bibelfprühen enthält, wird es den Lehrern der Unter, ja aud) 
der Mittels und Oberllaflen fehr mwilllommen fein. Immer aber bleibt ber 
Wunſch übrig, der Verf. möchte für feinen Zwed den Katechismus ganz 
unberüdfichtigt gelafien haben: wie viel einfaher, naturgemäßer und wirt 
famer würde fein Unterricht ſich geftalten! Gewiß würde er dann auch das 
für die erften Kinderjahre noch durchaus nicht paſſende Vaterunſer hier ſchon 
anzuwenden Bebenten getragen haben. Bei Lepterem beftemdet es, daß ber 
Berf. die dritte Bitte nur auf die Schidjale der Menjchen deutet, während 
hier doch der boppelte Wille Gottes zu berüdfichtigen ift: der, welcher uns 
Gebote vorjchreibt, und der, welcher uns Schidſale auferlegt. 


6. Handbuch zu Luther's Katehismus mit Bibeliprüchen von Dr. €. 
Adermann, bergofprebiger. Salzungen, Lonis Scheermefler. 1857. 
vw 216 17 


Hierzu gehört Nr. 18: uther’e Katehismus mit Bibelſprüchen für ben 
Religionsunterricht in Stabt- und Landſchulen. 

Noch dem Datum der Vorrede bat Dr. Adermann in Meiningen vor 

Rehendes Handbuch ale Erläuterungs: und Erklärungsfchrift gu 





32 Religionsunterricht. 


dem von ibm 1855 herausgegebenen lutheriſchen Katechismus mit Bibel 
fprühen veröffentliht. In ſolcher Geflalt ift es in den Verlag obiger Hof: 
buchhandlung zu Salzungen übergegangen, welche feit ihrem Beftehen große 
Thätigkeit entwidelt und kein Mittel jcheut, befonvers auf dem Gebiete der 
Kirche und Schule und zwar nicht bloß für niedere, fondern auch für höhere 
Unterrihtsanftalten (wir erinnern nur an „Der Menih und feine Vergei⸗ 
ſtigung. Ein Wort an die nad Wahrheit ftrebenden Yünglinge von G, 
ih. Arnold” und „Sagen der alten Griechen, der reiferen Jugend bei⸗ 
deriei Geſchlechts erzählt von AR. Schneider, Prof. am Gymnafium zu 
Meiningen‘) fehr gebiegene Schriften zu verbreiten. Im Intereſſe derjeni⸗ 
gen Schulen, in welchen der Religionsunterriht auf Grund des Luthe⸗ 
riſchen Katechismus noch ertheilt wird, machen wir auf died Hands 
buch, weiches bereitö unter den Lehrern einen guten Klang bat, von Neuem 
mit Freuden aufmerkjam. 

Das Handbuch geht den „‚Borbemerlungen‘ zufolge zunähft auf bas 
Einzelne ein, indem es Erklärungen der Hauptitäde und der Bibelſprüche 
enthält und Auffhluß über Anorbnung und Behandlung des Lehrfiofis in 
bem erwähnten Leitfaden gibt. Der Verf. geiteht felbit ein, daß, wie im 
Katechismus, jo auch im Handbuch Manches fteht, was nicht für alle 
Schulen paßt. Was in Volksſchulen, oder wenn bie Zeit Inapp zuges 
mefien ift, weggelafien werden fann, ift, wie im Leſebuch, in Klammern eins 
geſchloſſen. Berichtigte Ueberſetzungen der Bibelſtellen jollen bloß 
für den Lehrer und nicht in ben Unterricht gehören, ein Wink, dem wir 
doch nit unbedingt folgen möchten, indem es hinfichtlih gar mander 
Stellen im A. und N. T. nit ſchaden lann, auch die Schüler auf bie 
richtigere Ueberſetzung berfelben hinzuweiſen. Großen Fleiß hat der Verf. 
auf die MWorterflärungen verwendet. Sollten dieſelben ihrer Cinfachheit wer 
gen als überflüfiig erjcheinen, jo gibt der Verf. mit Recht zu bedenlen: 
8) das Nächfte wird oft am meilten überſehen, es muß aljo darauf hinge⸗ 
wiefen werben; b) beim Erklaͤren wirb in boppelter Weife gefehlt, man 
findet zu wenig darin, man legt zu viel hinein, — dem zuletzt genannten 
Fehler beugen hauptſächlich die jcheinbar überflüffigen Erflärungen vor, ©) 
diefe einfahen Erklärungen joll nicht der Lehrer nem Schüler, jondern ber 
Schüler dem Lehrer geben, d. b. der Lehrer foll fie dem Schüler nicht 
vorfagen, fondern abfragen. — Das Berhältniß, in welchem das Hand: 
buch zu dem Lehrbuch ftehen joll, bezeichnet ber Verf. mit den Wor⸗ 
ten: „Es ift in beiden Büchern obngefähr wie in der Stereoflopie mit den 
2 Bildern ; nur im Zuſammenſchauen der beiden hebt fi das Ganze rund 
und voll heraus.” — Ueber die Grllärung der Sprüde äubert ſich 
ber Verf. fo: „Meine Meinung ift nit Die, daß ber Lehrer Spruch für 
Spruch in feiner Schule erllären fol. Die gegebenen Grllärungen haben 
großentheils mehr einen negativen als politiven Zwed; fie wollen abhalten, 
falſch aufzufallen und falſch auszulegen. Ich bin im allgemeinen lein ſon⸗ 
derlicher Freund vom ausführliben Erklären der Bibeliprüde im Religions 
“ unterriht, aus Gründen, von denen ich bier nur zwei andeuten will: a) es 
wird viel Beit damit verbracht, b) es wird viel Dünfel damit erzeuget. Die 
ſich einbilden, fie verftännen einen Spruch, wenn fie eine jogenannte Gr: 





‚Religionsunterricht. 33 


klaͤrung davon geben können, verftehen ihn erft recht nicht.  Bum rechten 
Bibelverftändniß führen nicht fomwohl Commentare, als vielmehr Leben und 
Grfahrung. Wichtiger als die Auslegung der Sprüde ift daber für jugend» 
lihe Gemütbher Leben und Erfahrung Damit foll natürlih ihrer Auss 
fegung in den Schulen keineswegs aller Werth abgefprodhen fein.” Mas 
die Art und Beſchaffenheit der Sprüche anlangt, fo befolgt der Per: 
fafieer den Hauptgrundſatz bei aller Bibelauslegung: „Schrift wird 
durh Schrift erklärt“ „Wer ſich des Handbuchs bedienen will, 
ũberſehe daher die Bibelſtellen nicht, auf die darin verwieſen wird, ſondern 
ſchlage ſie auf und leſe ſie durch.“ — Zum Ueberfluß rechtfertigt ſich der 
Verf. deswegen, daß viele Beiſpiele, wie manche Sprüche mehrmals vor: 
kommen. „Dies wird wohl“, heißt es mit Recht, „nicht auffallen, da ein 
und derſelbe Spruch, wie ein und dieſelbe Thatſache verſchiedene Seiten 
und Beziehungen hat.“ Wie der Lehrer die im Handbuche erklärten 
Sprüche behandeln ſoll, darüber ertheilt ver Verf. den ſehr beher- 
zigenswerthen Wink: „Es iſt nicht nöthig, den logiſchen Bau jeder Spruch⸗ 
gruppe, den das Handbuch in's Licht ſetzt, lehrhaft einzuprägen oder gar 
auswendig lernen zu laſſen, ſondern es reicht hin, ihn anſchaulich und 
fühlbar zu machen, am beſten ſo, wenn der Lehrer durch geſchickte Fragen 
dem Kinde Anleitung gibt, ihn ſelbſt herauszufinden und gewahr zu wer: 
den.” — Was den beabfichtigten Nußen feines Handbuchs anlangt, fo 
ſpricht fih der Verf. darüber fo aus: „Sol das Handbuch erfprießliche 
Dienfte leiften, jo muß es nicht bloß gelefen, fondern auch durchdacht und 
geiftig verarbeitet werden. Lehrern, die es, ohne fih auf ben Unterricht 
vorzubereiten, bloß in die Schule mitnehmen wollen, um daraus abzulefen, 
was fie brauchen, wird es nicht wiel helfen.” 

Mir unterlafien es, an Beijpielen nachzuweiſen, wie der würbige Verf. 
Das, was er in den „Vorbemerkungen“ in Ausficht ftellt, wirklih ausgeführt 
bat. Die competenteften Beurtheiler haben ihm ſchon bei dem erjten Ers 
feinen des Handbuchs das Chrenzeugniß gegeben, daß er Zrefiliches ges 
leiftet hat. Ja, wir ſiehen niht an, zu betennen, daß der Berf. mehr 
getban hat, als er veriprohen. So finden wir 3.2. bei den citirten Lie- 
derverfen ihre Verfaſſer nebft deren Todesjahr angegeben. Auch fehlt es 
nicht an Kernſtellen aus ven Schriften Luther's und anderer Kirchenmänner. 
Beide Buthaten- find gewiß dem Lehrer, mwelder feinen Religionsunterricht 
moͤglichſt fruchtbar zu machen fucht, jeher mwilllommen. 

Nun, jo möge denn das Adermann’she Handbuch immermehr Anerlens 
nung und Eingang finden. Unter treuer Benußung und forgfältigem Ges 
brauch diefer Handreihung kann ein ftrebfamer Lehrer füglich abſehen von 
den Statehiämuserflärungen, melde ſich bereits zu einem umüberjehbaren 
Haufen aufgethürmt haben und Jahr aus Yahr ein aus allen Winkeln 
Deutſchlands wie Pilze zum Vorſchein kommen. 

7. Kurzgefaßtes Handbuch zu Dr. Martin Luther's Heinem Kate» 
chismus, mut bejonderer Berüdfichtigung des Zwidauer „Leitfadens zu 
einem einjährigen Neligionsunterrichte”, von Karl Theodor Kretzſch⸗ 
mar, Öberlehrer am Eymnaſium zu Plauen. Dritte, vielfach vermehrte 


Auflage. Zwickau, Buchhandlung des Bollsfchriften« Vereine. 1861. VI 
und 200 ©. 221 Ggr. 


Päd. Jahresbericht. XVIO. 3 


34 | Religionsunterricht. 


Hierzu gehört Nr. 20: Leitfaden zu einem einjährigen Religionsunter- 
richt, — —* Nr. 21: Winke zum Verſtändniß ber im Zwidauer Leit⸗ 
faden zum Katehismus-Unterricht angeführten Bibelſtellen. 

Im Anſchluſſe an die legte Bemerkung zu Nr. 6 theilen wir zunächſt 
die erften Worte aus dem Vorwort zur zweiten Auflage des vorliegenden 
Buches mit. „Die Katehismusliteratur ift feit wenigen Jahren fo anges 
wachſen, daß fie faum noch in ihren bedeutenderen Griheinungen überſehen 
werden kann. Es ift dies ein erfreuliches (?) Zeichen davon, daß man in 
immer weiteren Kreifen zurüdtehrt (l) von felbft gewählten Wegen zu 
dem beilfamen Worte, darauf unfere theuere Kirche erbauet if. Auch vors 
liegendes Handbuch, das ſich zunädft an die Zwidauer Ausgabe des Ka⸗ 
techismus anſchließt, tritt in zweiter Auflage wieder in Reih und Glied, um 
an feinem geringen Theile ferner noch Handreichung zu thun zu bem gro⸗ 
gen heiligen Baue Der Berf. ftellt fih alſo jelbft als einen Gegner 
des Fortſchritts dar und freut fi, daß man ‚in immer weiteren Krei⸗ 
fen zurüdtehtt — nicht zur einfachen, aus dem lauteren Worte Gottes ge: 
ſchöpften Chriftenlehre, fondern — zu der ſcholaſtiſch-dogmatiſchen Kirchen⸗ 
lehrte. Gr betrachtet daher auch nit die chriftlihe Lehre, die uns Jeſus 
gegeben hat, als die Hauptſache beim Religionsunterrichte, ſondern die Lehre 
über Chriftus, wie fie von ber Kirche dogmatiſch ausgebildet worden if, 
und warnt ausbrüdlich davor, dem 1. Artilel eine zu große Ausdehnung 
zu geben, nur damit dem „Mittel: und Höhepunkte des Katehismus, dem 
briftologifhen Theile fein volles Necht geſchehe.“ 

Der Geift des Werks wird aus diefer Mittheilung genugſam erkannt. 
Die Anordnung defielben folgt vom erjten bis zum legten Hauptflüde ftreng 
den Worten des Katehismus. Die Darftellung ift gebrängt und firebt eine 
Form an, die fich leicht in die Tatechetiiche Behandlungsweiſe übertragen läßt. 
Der Verf. läßt ſich aber leicht, befonders durch feine Gewährämänner, wie 
Ahlefeld, verleiten, einen Gedankenreichthum zu entfalten, ver mehr glänzt, 
als nüßt, mehr ein Spiel der Phantafie, als ein einfach natürliches Ver⸗ 
ſtaͤndniß des Wortes erzielt. So ©. 195: „Er nahm Brot und 
Wein. Brot: bie ftärlenve, Leben erhaltende, Wein: die erfreuenbe, edle 
Gottesgabe. Lebensmittel find Lebensbilder. Ich bin euch fo unentbehrs 
lich, fo genießbar, ald Brot und Wein. Lavater. Bi. 104, 15. Wollen 
wir noch weiter ſuchen, fo ift das Korn in der Mühle zesmalmt, das Brot 
des Lebens in der Hite bes Feuers gebaden, ver Wein aber in der Son⸗ 
nengluth greift und dann durch die Slelter gegangen. So ift auch das Brot 
des Lebens in der Hiße und Gluth bereitet, Ahlefeld. Wenn ver Herr 
das Brot, das doch aus vielen Körnern zufammengefjegt ift, feinen Leib 
nennt, fo zeigt er damit an, wie unjere Gemeinde vereinigt jei, und eben 
bie Bedeutung hat ed, wenn er den Wein fein Blut nennt, denn es iſt aus 
vielen Zrauben und Beeren ausgepreßt. Chryſoſtomus.“ Ebenſo gejucht 
find die Beweife, welche der Verf. für die Dreieinigkeit aufftellt, na⸗ 
mentlih feine Anmerlung S. 83: ‚Die göttliche Dreieinigkeit erbliden 
wir unter andern im Mofaifhen Segen, wo breimal der Herr genannt wird, 
der Gott Israel's, der doch nur Einer ift, und zwar zuerft al3 ber Urſprung 
alled Guten (der da fegnet und bebütet), jodann zweimal verbunden mit 








- Religionsunterricht. 35 


dem Worte Angefiht, erftlich als die Quelle des Lichts und der Gnade, 
nämlich als der Sohn, wie ihn Johannes darftellt, und hierauf als ver 
ewige Geift des Friedens und der Volllommenheitl. Nah Meyer, Vorrede 
zum Bibelwerf, 1. Theil.” Ob mohl ver Verf. felbft im Ernft glaubt, daß 
Mofes fi) den „einigen Gott“ als ein aus drei Perſonen beftehendes We 
fen gedacht, daß er bei jeinem Segenswunſch diefe drei Perfonen im Auge 
gehabt, daß er überhaupt bei feinem ftrengen Monotheismus an eine 
Zrinität gevaht babe?! — Unter ven Werten des Teufels zählt der 
Ber. merkwürdiger Weife auch das auf, „daß er uns bei Gott verklagt 
wegen unjerer Sünde, den Tod für uns fordert.” Wie finnlih, wie un: 
würdig von Gott gedacht! und wo bleibt das anklagende Gewiſſen? — 
Die Intoleranz des Verfaſſers leuchtet aus der Strenge hervor, mit mweldyer 
er die Ausübung der Grcommunication empfiehlt mit dem fehr ſchwa⸗ 
Ken und unhaltbaren Hinweis auf einen Trunfenbold, der vom Abenpmahle 
auszuschließen ſei. Evangel. Rirchenzeitung. 


Doch genug. Das Buch hat bei allen Mängeln auch fein Gutes und 
hat auch ſchon im Kreife der Geſinnungsgenoſſen des Berfafjers Beifall ge 
funden. Es foll zum eigenen Denken anregen, nicht Ejelsbrüde fein. Der 
Verf. jagt deshalb felbft, und das ift bei allen ſolchen Handbüchern zu be 
berzigen: „Es joll dadurch Niemandem eine gründlibe Vorbereitung 
und Anlegung eines eigenen Heftes erfpart werden. Es ift nicht 
gut, in der Schule und bejonders in der Religionsftunde aus der Hand in 
den Mund leben.” 


Noch fei bemerkt, daß die Verlagshandlung jedem Gremplar des Hands 
buchs den „Bwidauer Leitfaden‘ gratis beigibt. 


8. Der dritte Artilel nach dem Heinen Lutherifchen Katechismus in zwöolf 
Katehejen. Bearbeitet von Karl Theodor Kretzſchmar, OÖberleh- 
rer am Gymnaſtum mit Realfchule zu Plauen, und Wilhelm Leopold 
Große, Bicedirector am Seminar zu Plauen. Zwigau, Buchhandlung des 
Volksſchriften ⸗ Vereins, Julins Döhner, 1865. VI und 127 ©. 15 Sgr. 


Dies Werk ſchließt ſich eng an das fo eben unter Nr. 7 beſprochene 
an, fo wie es auch zum Theil denſelben Verfaſſer hat. Die Herren Krettz ſch⸗ 
mar und Große geben nämlich bier eine Probe methodifcher Behandlung 
des in jenem Werke gegebenen Stoffes. Sie betrachten es mit Recht als 
„eine eigenthümliche Erſcheinung, daß, während die Ratehismuslitera: 
tur, foweit fie die commentatorifhe Behandlung des Stoffes be 
trifft, feit ein paar Jahrzehnten fait zu dem am reihften angebauten 
Gebiete der pädagogiſchen Literatur fih entfaltet hat, die katechetiſche 
Behandlung des Stoffes im Verhältniß zu jener äußerft kärglich ver 
treten iſt. Diefe Erſcheinung erllärt fih hauptſächlich aus der Schwierig. 
keit, den Katehismus nad den Regeln der Katechetik ſchriftlich zu bearbeis 
ten.” Trotz diefer in Wahrheit mohlbegründeten Schmwierigleit haben ſich 
bie Berfafler, von maßgebenver Seite wiederholt aufgefordert, eine Anzahl 
Katechiſationen zu ſchreiben, die Aufgabe geftellt, mit Zugrundelegung des 
Sprudmateriald im Bmwidauer Leitfaden an einer Anzahl von Rates 

3 * 


36 Religionsunterricht. 


chiſationen die katechetiſche Verwendung des im Kretzſchmar'ſchen 
Handbuch gegebenen Stoffes zu erweiſen. Um über die ſchwierigſie Partie 
des Katehismus namentlich jüngeren Lehrern eine Handreichung zu bieten, 
baben die Berfafler ven vritten Artikel zum Gegenftanb ihrer Kateche⸗ 
jen gemadt, von welden Kretzſchmar die erften 6 und Große vie letz⸗ 
ten 6 bearbeitet bat. 

Die Digpofitionen zu den 12 Katecheſen find folgende: J. Ich glaube 
an den heiligen Geift: 1. Wefen des heiligen Geiftes, 2. Offenbarung 
feines Weſens in der beiligen Geſchichte, 3. Nothwendigkeit feiner Sendung. 
II. Die Berufung: 1. Was beißt: der heilige Geift hat mid berufen ? 
2. Wodurch beruft ber heilige Geiſt? 3. Wie beruft der heilige Geift ? 
4. Wie kann fi der Menſch dazu verhalten? II. Der beilige Geift 
erleuchtet mit feinen Gaben: 1. Der heilige Geift erleudtet uns 
dur das Geſetz über unfere Eünde. 2. Der heilige Geift erleuchtet uns 
durh das Evangelium über Gottes Gnade. 3. Er führt uns daburd zur 
Belehrung. IV. Bon der Rechtfertigung aus dem Glauben: 
1. Vom rechten Glauben. 2. Bon der Nedtfertigung aus dem Glauben. 
3. Vom Frieden, durch den uns der heilige Geift unfere Rechtfertigung bes 
zeugt. V. Der heilige Geift bat mih im rehten Glauben ges 
beiliget: 1. Der rechte Glaube bewirkt die Liebe 2. Die Liebe treibt 
zur Seiligung in Gedanken, Worten und Werten. VI. Der beilige 
Geift erhält mih im rechten Glauben: 1. Was verfteben wir 
darunter ? 2. Welches find die Feinde, die vom Glauben abwendig maden 
wollen ? 3. Wie erhält uns der heilige Geift im Glauben? VII. Bon der 
Kirche: 1. Das Weſen. 2. Der Name. 3. Die Eigenſchaften der Kirche. 
VOL Die Kirhe mit ihrer Erfheinung: 1. Das Merk des hei⸗ 
ligen Geiftes an der Kirche. 2. Eintheilung der Kirche in eine fihtbare und 
unfihtbare, fämpfende und triumpbirende. IX. Bon den hejonderen 
Kirhengemeinfhaften: 1. Wie find die einzelnen Kirchengemeinſchaf⸗ 
ten entftanden ? 2. Welches find die Hauptunterfchiede ? 8. Wie haben wir 
uns gegen andere Kirchengemeinſchaften und 4. wie gegen unfere eigene 
Kirche zu verhalten? X. Vergebung der Sünden: 1. Was ift die 
Bergebung der Sünden? 2. Wie ift fie zu erlangen ? 3. In welchem Um: 
fange werden bie Sünden vergeben? 4. Wem werben bie Sünden ver 
geben? XI Bon der Auferſtehung des Fleiſches: 1. Was ift die 
Auferftiebung des Fleiſches? 2. Mit welcherlei Leibe ftehen bie Zodten auf? 
3. Worauf gründet ſich diefer Glaube? 4A. Was foll er in uns wirkten? 
XI. Bom emigen Leben und von der ewigen Berdbammniß: 
1. Bom Mittelzuftand als Borzuftand von Beidem. 2. Vom ewigen Le 
ben. 3. Bon der ewigen Verdammniß. 4. Wichtigkeit diefes Glaubens für 
unſer ſittliches Leben. 

Fürwahr inhaltsſchwer ſind die Hauptſätze und Theile der dargebotenen 
12 Katecheſen, bei deren Bearbeitung die Verfaſſer „eine Oberklaſſe von gu⸗ 
tem Mitteldurchſchnitt“ vorausgeſetzt haben. Die Geſichtspunkte, welche 
fie dabei geleitet haben, find: 1. „Analytiſch⸗-ſynthetiſche Entfal— 
tung des Katechismus auf Grund der heiligen Schrift, mit 
Herbeigiehbung der bewährten fatehetifhen Hilfsmittel. — 








Religionsunterricht. | 37 


Dies iſt treulichft geſchehen, ohne freilih dem alten und neuen Grundfaße 
wifſenſchaftlicher Theologie, deren goldene Früchte auch der Schule zu Gute 
tommen follen, nämlich dem Grundſatze: „ver Buchftabe tödtet, aber der Geift 
macht lebendig” Rechnung getragen zu haben. Lehrer, welche von Oben ber mehr 
anf ven Buchltaben als auf den Geift hingemwiefen werden, finden in biefen 
wegen der Natur ihrer Hauptfäße und deren Theile theilmeife mehr era» 
minirenden als unterrichtenden Katecheſen eine ziemlich ergiebige Quelle. 
2. „Möglihft correcte Sragform und Fragftellung, ohne big 
zur Pedanterie getriebene Strenge” Wir find keine fonderlichen 
Freunde von pebantifher Strenge, weder in mündlicher noch in ſchriftlicher 
Katecheſe, können aber doch nicht umbin, den Verfafiern den wohlmeinenden 
Nath zu geben, zu Vater Dinter noch fleißiger als fie gethan, in bie 
Schule zu geben, um von ihm noch mehr zu lernen, was Ratechefen, welche 
für Lehrer muftergültig fein follen, notbthut, nämlich die Anwendung und 
den Gebraud der materiellen Gigenfhaften der Fragen: Deutlichkeit, 
Beitimmtbeit und Bmedmäßigleit. 8. „Ueberfihtlichleit in Ord— 
nung und Behandlung.” Dafür ift im Allgemeinen gejorgt worden; 
nur hätte an mehreren Punkten auf die Durdfichtigleit der augzuführenden 
Gegenftände mehr Fleiß verwendet werben follen, damit die Kinder aus kla⸗ 
rer Veberzeugung mit David fprechen lernen: „Dein Wort, o Gott, ift 
meined Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.” 4A. „Rind: 
lier, erbauliher Zon, mit Bermeidung aller Salbapderet. 
Ob die Berfafler von lebterer ganz frei find, laſſen wir dahin geitellt fein. 
Kindlicher, erbaulider Ton wird zwar oft angeftimmt, aber ficherlich bald 
wieder gedämpft unter den dem kindlichen Geifte und Herzen aufgebürbeten 
maffiven Werkftüden einer Dogmatit, aus welcher der Geilt eines Rein: 
bardt, v. Ammon und Käuffer gewichen ilt durch bie beliebte theo- 
logiſche Reaction in dem fonft jo aufgellärten Voigt: und Sachſenlande. 


9. Dispofitionen Über Bibelterte, ein Hilfsbuch für ben Lehrer beim 
Religionsunterrihte. Gefammelt und herausgegeben von 8. Dietrich, 
2. Knabenlehrer zu Auerbach im Boigtlande, und mit einem Vorworte ver- 
feben von 8. ©. Betermann, Director der evangel. Freiſchule zu Dres- 
den. Zweite, verbefierte und vermiehrte Auflage. Dresben, Adler, 1864. 
XXVI und 310 ©. 20 Sgr. 


Diefe Dispofitionen werden gemwiflenhaften Lehrern won Werth fein, 
welche gewohnt find, fih namentlih auf die Religionsftunden gründli vor: 
zubereiten. Sie geben einen reihen Stoff zur frudtbaren Behandlung der 
biblijhen Geschichte, fowie einzelner Abjchnitte der Schrift beim Bi⸗ 
bellejen 3. B. ver fonn: und felttäglihen Perilopen. Auch beim Ka⸗ 
techismusunterrichte laſſen ſich viele verjelben mit Nußen anwenden. 
Die Dispofitionen find freilich nur kurze flizgenartige Gerippe, denen ber 
Lehrer felbft erſt Beift und Leben einzubauden bat. Aber fie geitalten fi 
dann auch gewiß zu Gebilden, die fih dem Geift und Herzen des Schü⸗ 
lers einprägen und befrudtend auf deſſen religiöjes Leben wirlen. Dan: 
tenswerthbe Zugaben zu den meiften Entwürfen find Hinweifungen 
auf beftinnmte Verſe im zu behandelnden Zerte und auf verwandte Aus 
ſprüche der heiligen Schrift, melde zu weiterer Ausführung und Ber: 


38 Religionsunterridht. 


werthbung der in der Dispofition angedeuteten Gedanken dienen follen. 
Die Dispofitionen find wohl zum größten Theil Previgtiammlungen ſtreng⸗ 
gläubiger Kanzelredner entnommen, womit nicht gefagt fein fol, daß 
nicht auch Lehrer, welche auf einem freieren tbeologifhen Stanbpuntte ftes 
ben; die meiften derfelben fehr gut für ihren Unterricht benuben können. 
Vorausgeſchidt ift eine „überfichtlihe Angabe der Bibelftellen‘ (nad 
der Reihenfolge der bibliſchen Bücher) S. VI—XXVI und am Schluſſe 
S. 297—310 ein alphabetifheg Sadhregifter, wodurch der Gebraud 
des Buches weſentlich erleichtert wird. 


10. Srundlinien des Religionsunterrihte in ben unteren unb 
mittleren Klaſſen ber deutſchen Bollsfhulen von Georg Hoffmann. 
Erfter Theil, enthaltend Unterweiſung zum Gebete nebft ben erſten Be⸗ 
lehrungen über ben breieinigen Gott, ferner Behandlung ber altteftaments 
fihen Geſchichten und bes erflen Artikels. Bayreuth, in Commilfion bei 
Carl Gießel, 1865. XIII und 202 ©. 

„Obwohl diefem Büchlein eine ſolche Geftalt gegeben if, daß es als 
Lehr⸗, Lern, Lejes und Gebetbuh für die Kinder in Schule und Haus dies 
nen kann, fo ift es doch nicht ſowohl für die Sand des Schülers, als viel 
mehr des Lehrers beftimmt und will diefem eine Handreichung fein 
zur Ertheilung eines gründlichen, geiftigen und nachhaltigen Religionsunter- 
rihtd auf der Unter» und Mittelftufe. Cs bietet daber nicht bloß den 
Lehre, Lern⸗, Geſchichts- und Lefeftoff, fonbern gibt auch, bald in kurzen 
Andeutungen, bald in ausgeführteren Unterredungen, Winke für unterricht⸗ 
lihe Behandlung vdefjelben und zeichnet fo die Grundlinien des geſammten 
Religiondunterrichtes in den untern und mittleren Klaſſen der evangeliſchen 
Boltsihulen nah Stoff, Plan, Gang und Methode.” 

So ſpricht fih der Verf. felbft im Vorwort über Inhalt und Beftim- 
mung jeines Buches aus. Indeſſen meinen wir doch, daß ſich daflelbe gar 
nicht dazu eignet, aud den Kindern in die Hand gegeben zu werden, 
wie der Verf. meint. Denn abgejehben davon, daß die 32 Eeiten lange 
Einleitung nur eine Methodik für ven Lehrer ift, fo find auch dem für 
bie Finder beftimmten Texte viele methodische Winke, viele Anſprachen, ent: 
widelnde Fragereihen und erllärende Bemerlungen beigemifcht, die doch nur 
den Lehrer beim Unterrichte unterftügen jollen. Ueberdies feßen die Anwei⸗ 
jungen, die bier dem Lehrer gegeben, die Fragen, die ihm in den Mund 
gelegt werden, bei demjelben eine fo große Unfähigkeit fich felbft zu helfen 
boraus, daß er vor den Eltern feiner Schullinder, denen dann doch auch 
dieſes Buch zu Gefihte fommen würde, ſich jchämen müßte wegen des ge= 
ringen Vertrauens, das bier in feine geiftige Befähigung und paͤdagogiſche 
Bildung geſetzt wird. 

Veranlaßt wurde der Verf. zur Abfafiung feines Buchs durch den Bes 
ſchluß der baierifhen Landesſynode, durch melden das Religionsbüchlein 
„Erſter Unterriht von Gott” abgefhafft wurde. Cr will nämlih vor der 
Einführung eines neuen Religionsbuchs einen Beitrag liefern zur Löfung 
ber Frage über das Was und Wie eines Religionslehrbuchs für die 
untern und mittleren Klaſſen der evangelifhen Volksſchu— 
len Baierns, 


Religionsunterricht. 39 


Der Geift, von dem er ſich dabei leiten läßt, ift der ftrengsconfefs 
fionelle, wie ſchon daraus abzunehmen ift, daß er „vorzugsweiſe die 
einſchlägigen Werle von Wangemann, Ranke, Materne, Kurk, Bormbaum, 
Theel, Wiedemann zc. bei feiner Arbeit benußt bat.‘ Gr vrängt daher 
nicht nur ſchon den Kindern der Unterllafien den Ratehismus und bie 
daran gelnüpfte Orthodoxie auf, fondern läßt fi auch zu ‚ganz unpädngos 
giihen und unbiblifhen Dingen verleiten. So lehrt er die Rinder des er: 
ften Schuljahres recht [hön und zwedmäßig zu Gott beten und ihm danken 
für feinen Schuß, dann aber ganz dafjelbe wieder gegen Jeſum ausſprechen 
und 3. 2. beten: 

Die Naht nunmehr vergangen ift, 
wir danken Dir, Herr Jeſu Chrift, 
daß Du uns frei von aller Plag 
geſund läßt ſehen diefen Tag. 

Dir bitten Di, Du Onabenftrahl (?), 
leucht uns in diefem Jammerthal (1), 
beſchirm uns täglich und auch beut, 
bewahr uns ferner allezeit. Amen. 

So unzwedmäßig es ift, Heine Kinder jelbit bei ihren Gebeten in Wis 
derſpruch mit fih zu führen und jo unpädagogifh, fie bier vom „Onas= 
denftrabl” und „Jammerthal“ reden zu läfjen, ebenjo unzwedmäßig 
und unpaͤdagogiſch ift es, mit ihnen fchon die Lehre vom heiligen Geiſte 
zu behandeln und fie zu ermahnen, daß fie ihn nicht betrüben und ihn 
um Hilfe bei ihrem legten Ende anrufen follen, — fie ſchon von ber 
Dreieinigleit zu unterrichten, — fie ſchon das Vater unfer beten 
zu lebren ꝛc. 

Doh wir entbalten ung, meiter von den zahlreihen Mißgriffen und 
Irrthümern zu reden, welche die Folge der Hyperorthodorie des DVerfafjers 
find. Dagegen müfjen wir die große Sorgfalt und Liebe rühmen, die un: 
vertennbar den Verf. bei feiner Arbeit befeelt, und die guten Winle und 
Beifpiele, die er den Lehrern für die Behandlung des gebotenen Stoffes ge: 
geben bat. Wir müfjen nur bedauern, daß er dabei fo fehr im alten Syitem 
befangen if. 

Der Plan feines Werks ift, den Religionsunterriht in folgenden 4 
Abftufungen zu geben: 1. „Unterweifung zum Gebete nebit den 
erften Belehrungen über den dreieinigen Gott’, um „das Verftänpniß 
und den rechten Gebraud der zu lernenden Gebete zu vermitteln und bie 
Bafıs für die bibliihen Gefhichten und den weiteren Unterricht in der Ne 
ligion zu gewinnen.” — 2. „Hierauf ſoll das Kind hören von den großen 
Thaten und Eigenjhaften Gottes”, nämlich die wichtigften Geſchich⸗ 
ten des 4. 7. mit Anfchluß des erften Glaubensartitels an bie 
Schöpfungsgefhihte. — 3. Soll es über den heiligen Willen Gottes 
(die zehn Gebote — Crlenntniß der Sünde und Verlangen nad dem Gr: 
Idfer) belehrt werden. — A. Soll es vom Heilande und feinem Werte 
hören (die wichtigſten Gefcichten des N. 7. - Crlöfung, Heiligung, lebte 
Dinge). — In vorliegendem Buche find bloß die beiden erften Stufen be: 
arbeitet, die beiden folgenden follen in einem zweiten Theile gegeben werben 


40 Religionsunterricht. 


11. Der erſte Religionsunterridht fir Kinder evangelifcher Chriſten. 
Mit befonderem Anſchluß an die „Erläuternden Beftimmungen zur Anwen- 
dung der Grundzüge, betreffend Einrichtung und Unterricht der evangelifchen 
einflaffigen Elementarſchulen“ ber konigl. Regierung zu Merfeburg vom 
2. Januar 1855. Bon 8. Materne, Director des Schullehrer-Seminars 
zu Schloß-Eifterwerda. — A. Für den Lehrer. Zweite Auflage. Eis⸗ 
Ieben, ©. Reichardt, 1865. 147 ©. 15 Sgr. 

Der Verf. täufcht fih, wenn er meint, der von ihm der unterfien 
Stufe für den erften Religionsunterricht zugewieſene Lehrſtoff biblijcher 
Geſchichten, der Katechismusſätze ohne Erklärungen, einzelner Verſe des Kir⸗ 
chenliedes und einer beftimmten Summe von Gebeten redtfertige ſich von 
jelbft als den im Allgemeinen rihtigen. Daß außer Anderen na= 
mentlid der Referent den Religionsunterriht für die Kinder der erfien Schul: 
jahre ſich anders denkt und einrichtet, wird denen nicht unbelannt fein, die 
gelefen haben, was er feit länger als zehn Jahren darüber in der allgem, 
deutfhen Lebrerzeitung und in Diefterwegs Jahrbuch gejhrieben hat. So 
findet er es ganz ungeeignet für die erften Schuljahre, den Unterricht, wie 
es im vorliegenden Buche gefhieht, mit dem Vater unfer zu beginnen, 
deſſen herrlicher, tieffinniger Inhalt von Heinen Kindern ſchlechterdings nicht 
gefaßt werden kann und deſſen verfrühete Anwendung gewiß bie Segenstraft 
defielben für alle fpäteren Jahre beeinträchtigt. Cs ift Zäufhung, wenn 
der Berf. fhon in der zweiten Schulwoche beginnt: „Ihr verfteht 
nun, das Vater unfer zu beten” und darauf die zweite Gebetsübung mit 
den Worten einleitet: „Das walt’ Gott, DQater, Sohn und heiliger 
Geiſt! Ich danke Dir, mein himmlifher Bater, durch Jeſum Chriftum, 
Deinen lieben Sohn, daß Du mich dieſe Naht ꝛc.“ Referent bat Lehrer 
gefunden, welche jelbft die erften Worte dieſes Gebet3 unrichtig auffaßten, 
weil fie die lateiniſche Conftruction derjelben nicht verftanden. Es ift Tau⸗ 
fung, wenn er bei den Heinen Kindern ein richtiges Verſtändniß der 
Worte vorausfeßt: „Schaff' in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir 
einen neuen gewiſſen Geiſt“, die er ihnen in der dritten Schul: 
woche nad der „Bußtagsanfprade” zu lernen und zu beberjigen gibt. 
Man hat Mühe genug, den größeren Kindern die ungewöhnliche Bedeutung 
der Worte „einen gewiſſen Geiſt“ begreiflih zu mahen. Doch Referent 
fieht von Richtigkeit und Zmedmäßigleit des ausgewählten Lehrſtoffs ab, da 
die Wahl defielben durch den confejfionell-traditionellen Standpunlt des 
Verfaſſers bedingt ift. 

Wichtiger dünkt dem Berf. eine „Auslaffung über die Ordnung des 
gegebenen (und von ihm als richtig angenommenen) Materiald zu fein.“ 
„Die biblifhen Gefhichten find nad dem Kirchenjahr geordnet, wobei 
natürli die Rüdfiht auf das natürliche Jahr nicht ausgeſchloſſen if. Der 
Zeit vom 1. Aovent bis zu Trinitatis find Gefhichten aus dem N. T., 
ber Zeit von Trinitatis bis zum 1. Advent Geſchichten aus dem A. T. zus 
gemwiefen.” Zur Rechtfertigung diefer Anordnung jagt der Berf.: „Es gilt 
mir als das allein Richtige, bei der biblifhen Gefchichte mit den Klei⸗ 
nen jih durch das Kirhenjahr leiten zu lafjen. Wir geben 
als Hriftliche Lehrer von vorn herein ja nicht allein darauf aus, fünftige 
Staatebürger zu erziehen, die unter dem Landrechte ſtehen; wir erziehen ja 





Religionsunterricht. 41 


Sole, die der Herr bereit im Sacramente der Taufe zu den Seinigen ges 
macht bat, deren einiger Zroft im Leben und Sterben einft das fein fol, 
daß fie des Herrn eigen find; wir erziehen Glieder der hriftliden 
Kirhe.” Wie entſchieden und abfprechend aber auch der Verf. jede andere 
Anordnung als unrichtig verwirft, ja, wie undriftlid auch nah dem mits 
getheilten Edict des Verfafierd jeder andere NReligionsunterriht erjcheinen 
muß, der nicht nad) feinem kirchlichen Syſtem geordnet ift, jo erlaubt fi 
Referent doch, anderer Meinung zu fein, felbft auf die Gefahr hin, von ihm 
für undriftlih gehalten zu werden. Referent hält es nun einmal für weit 
natürlicher und zur Erweckung kindlich frommer Gejinnungen wirkſamer, den 
Religionsunterricht der Kleinen an das anzuſchließen, mas dem leben und 
Ideenkreiſe derjelben am nädjiten liegt, an ihr pflichtmäßiges Verhalten ges 
gen Eitern, Lehrer, Mitſchüler, und von da allmählid zum Verhalten gegen 
Gott fortzufchreiten, als mit dem Baterunfer zu beginnen (mas die Kinder 
‘ mit einem Mebermaß von gang neuen, frembartigen religiöfen Begriffen und 
Anſchauungen überjhüttet) und nur des Kirchenjahres wegen zuerjt (von 
Dftern bis Pfingften) den Kindern mitzutheilen: „wie am Oftermorgen brei 
fromme Frauen zu des Herrn Jeſus Grabe gelommen find“, „wie der Herr 
Jeſus fih der Maria Magpalena gezeigt hat "und — nad einigen anderen 
bibliihen (namentlid Wunder) Geſchichten — „wie der Herr Jejus gen 
Himmel gefahren iſt“ und ‚mie die Jünger am Pfingitfefte den heiligen 
Geift empfangen baben.” Indeſſen glaube der Berf. nicht, daß Referent 
bei den Kleinen gar nicht auf das Kirchenjahr Rüdficht nehme ; es geſchieht 
von ihm auch, aber nicht in dieſer zmangvollen und gezwungenen Weife, 
und doch, wie er glaubt, behaupten zu können, fo, daß aud er feine Schüs 
ler zu „Gliedern der Kirche“ erziebt. Der Verf. bat übrigens ſelbſt das 


Zwangvolle und Unnatürlihe dieſer Ordnung gefühlt und daher bemerlt: 


„Den Kleinen, welde zu Dftern in die Schule treten, und bie nur noch bis 
Zrinitatis Gejhihten aus dem neuen T. bören, ift durch die zwijchen 
Oſtern und Trinitatis mit den älteren Schülern der Unterftufe anzuftel: 
lenden Wiederholungen ein Blid in die Gefdhichte des SHeilandes er- 
öffnet.” Damit kann ſich aber Neferent gar nicht einverftanden erllären, da 
er es für ſehr beventlich hält, die Kleinen von vorn herein an das ftille Zus 
bören bei dem Unterricht der Größeren zu gewöhnen (was erfahrungsmäßig 
nichts nübt, aber viel ſchadet), und da es doch zu viel verlangt ift, wenn 
die Kleinen aus einem Bruhftüd vom Ende der evangeliſchen Geſchichte 
„einen Blid in die Geſchichte des Heilandes’ gewinnen follen. 

Wie gut es übrigens der Verf. verfteht, auch die nach unferer Anſicht 
vorzeitig beigezogenen confejfionellen Lehren zum Heil der Schüler zu ver: 
wertben, und welchen Beifall diejer erfahrene Schulmann bereitd gefunden 
hat, ift bekannt genug. Und fo wird auch dieſes Werk feiner Hand nicht 
bei der zweiten Auflage ftehen bleiben, zumal da die confefjionaliftifcy ges 
ſchulten Lehrer an demfelben einen lehrreihen Führer finden. Dieſer gibt 
ihnen nicht nur gute pädagogiihe Winke, ſondern auch eine fehr durchdachte 
und forgfältig durchgeführte Vertheilung des Lehrſtoffs auf die einzelnen 
Schulwoden. 

Zu bemerken ift no‘, daß bie erite Abtheilung des Buchs den Gur 


42 Religionsunterridt. 


fus für eine Unterllafle mit 4 Stunden für den Religionsunterricht, bie 
ziveite den für eine Klaſſe mit 24 Stunden für den Religionsunterriht ent- 
bält, dieſe jedoch nur mit Hinweifungen auf jene, dagegen mit Zugaben zu 
beiden Abtbeilungen und mit Crweiterungen zu einzelnen Geſchichten der 
1. Abtheilung. 


2. Für Shüler. 


12. Leitfaden ber evangelifhen Glaubens- und Gittenlehre. 
Ein Borfhlag zur Körberung bes Relipionsunterriäte, Bon Dr. Karl 
Seberholm, evangel. Prediger (in Moskau). Leipzig, Breitlopf und 
Härtel, 1865. XV und 88 S. 15 Ser. 


13. Grundzüge der chriſtlichen Sittenlehre für bie Jugend. Bon 
Dr. Kari Sederholm, evangel. Prediger. Ebendaſelbſt, 1865. IV und 
43 ©, 71 Ser. 

Dies Wert muß allen folgenden Lehrbüchetn der Religion für Schüler 
vorangeftellt werben, ba es ſich vor allen anderen dur das Streben nad 
einer zeitgemäßen und praktiſchen Geftaltung des Religionsunterrichts aus⸗ 
zeihnet. Ich fagte: „Das Werl’; denn es ift nur eins, da Nr. 13 „nur 
ein wörtliher Abdrud des legten Abfchnittes vom Leitfaden Nr. 12 ift. Und 
wodurd zeichnet fich dieſes Werk vor anderen fo rühmlich aus, in denen ſich 
die „großen Gebrechen unferer Dogmatik“, wie der Berf. fast, 
nur zu fehr wieberjpiegeln ? Der Lefer wird fich dieſe Frage fofort felbft 
beantworten lönnen, wenn wir ihm die Ausftellungen aufzählen, die ber 
Berf. an den vorhandenen Leitfaden des Neligionsunterrihts madht. Es 
find in kurzen Andeutungen folgende : 1. Die meiften find zu lang; „man 
macht das Lehrbuch felbft zum Lehrer. Alſo Ueberfütterung (vergl. meinen 
Auffab über Vereinfachung des Neligionsunterrihts). ‚Man vermeide bie 
einfchläfernde und geifttödtende Breite 1" — 2. €3 fehlt in ihnen Haupt: 
ſächliches. „Namentlich ift der officiele Katehismus unferer Kirche, 
der Heine Iutberifche, viel zu kurz und lüdenbaft und baber ungenü: 
gend.” — 3. Die meiften entwideln nur die conventionelle Kir: 
henlehre‘ und find in der That nichts als Gompendien der „Conſiſto⸗ 
rialreligion‘‘, des „octroyirten Regierungsproteftantismus‘‘, „‚verlürzte do g⸗ 
matifhe Compendien‘, „Leine Hutteri redivivi nah hergebra cd; 
tem Schlendrian geſchrieben.“ „Wir kommen doch in dem Lerftänbniß 
der chriftlichen Wahrheit immer weiter, und wir müflen daher auch im 
Stande fein, die theologiihen Formeln, von denen unfere Katechismen 
ftrogen, bei denen aber der junge Chrift gewöhnlich ſich ſchlechterdings nichts 
zu denlen vermag, in verftändlide Wahrheit aufzulöfen und umzuſetzen. Es 
ift nicht recht, wenn wir ihm dies nährende Brot vorenthalten und ihm 
dafür. einen Stein, das Petrefact todter Formeln reihen.” — 
4. „Die meiften unferer Katehismen tragen an fi das Gepräge der 
Menſchenfurcht. Nicht ver heilige Geift, der ein Geift der Freibeit ift, 
Sondern unfer papierner Papſt, das Belenntniß und das Concordiens 
buch bat fie dictirt.“ ‚Die Anmaßung, die in der Behauptung liegt, daß 
die im Belenntniß niebergelegte Auffafiung des Wortes Gottes unfehl: 
bar, daß fie immer die durchaus richtige und bie ihm volllommen ent⸗ 








Religionsunterricht. 43 
” 


ſprechende fei, foll hier zurüdgewiefen werden. „Das Wort Gottes 
iR wahr, ob aber auch unfere Auffaſſung deſſelben mahr fei, 
bleibt nod lange eine offene Frage, welche die Kritik zu erheben wohl 
beredhtigt if.“ „Es ift eine nicht zu leugnende Thatſache, daß ein Wider: 
ſpruch befteht zwijchen der als rechtgläubig proclamirten Kirchenlehre 
und dem religiöfen Bewußtfein unferer Zeit. Diefer Wider: 
fprud will vermittelt und verjöhnt werben, und gerade in einem Lehrbuch 
für das Bolt Io der Verſuch gemacht werben, dieſe Vermittelung anzu⸗ 
bahnen.” — 5. „In den meiften der vorhandenen Leitfaden ſpiegelt ſich 
der Standpunkt ab, auf dem der Verfaffer eines jeden ſteht und 
gibt ihm eine bald buchftabengläubige, bald rationaliftifhe, bald pietiftifche 
Färbung ; das geſchieht aber immer auf Koſten des reinen Chriſtenthums.“ 
Alfo ift das erfte Erſorderniß an ein chriftliches Lehrbuch: „ein durchaus 
gejundes Chriftenthum, ein Chriftentbum ohne Beigefhmad.” — 
6. Die meiften Katechismen — mit Ausnahme des erften, des lebensfrifchen 
Heinen lutheriſchen — find in einer trodenen, abftracten Sprade 
geichrieben.” — 7. „Die Form von Fragen und Antworten an un: 
jeren Katechismen ift fiherlid von Uebel. Sie fteht der Tatechetifchen 
Durdarbeitung des Lehrftoffs im Wege und ift ein Eingriff in die Aufgabe 
der Katecheten. — 8. Es ift unpädagogifh, das angezogene Schriftmwort 
vom Zerte abzujondern und als Gontrole unter denfelben zu eben ; 
vielmehr muß es in den Tert verwebt fein und mit ihm Ein Ganzes 
bilden. — 9. „Sin Leitfaden des Religionsunterrichts, welcher Segen ſchaf⸗ 
jen fol, muß aus dem Vollen gefhöpft, aus ver lebenpigften, hei— 
ligften Ueberzeugung heraus gefchrieben fein. Ob aber dieſes auch 
mit allen den vorhandenen der Fall fei, mögen Andere beftimmen. Wir 
mäflen bier unfer Urtheil zurüdhalten.” 

Den größten Anftoß aber nimmt der Verf. daran, daß bie meiflen der 
vorhandenen Leitfaden zwar die Glaubenslehre ausführlich geben, „die Sit: 
tenlebre aber der Jugend ganz, ober fo gut wie ganz, vorenthalten.” 
Und doch, meint er, „muß vor Allem die fittlide Energie, in ber 
das Weſen des chriftlichen Glaubens befteht, von dem jungen Chriften ge 
lernt werden, — er muß lernen, den „natürliden Menſchen in fih jelbft 
zu überwinden, lernen, wie er fein Leben lang an fich felbft zu arbeiten 
bat und ſich felbft anhalten fol, den Willen Gottes zu feinem Willen zu 
madhen. Dazu gibt ihm die riftlihe Sittenlehre die Anleitung. Und 
von der ift beim Religionsunterrichte wenig oder gar nicht die Rede! Und 
was etwa davon gegeben wird, das ift meift jo kümmerlich und wirb fo 
abftract und kühl gegeben, daß es unmöglih Frucht bringen Tann,” 

Eeit 54 Jahren ift der würbige Verf. bemüht geweſen, einen Leitfaden 
zu Stande zu bringen, der die gerügten Gebrechen vermeide und den auf 
geftellten Forderungen entfpredhe. Erſt nah Verwerfung von wenigftens 
zwanzig Entwürfen ift der vorliegende, „mehrmals überarbeitete Verſ uch“ 
zu Stande gekommen, den er nur zu dem Zwecke veröffentlicht, eine allſei⸗ 
tige Prüfung feiner Grundfäge herbeizuführen und die SHerftellung eines 
möglichft genügenden Leitfaden zu veranlaflen. Diefe Beſcheidenheit des 
hochbetagten Berfaflers ift ebenfo anerfennungss und ehrenwerth, wie ber 


44 Religionsunterricht 

Hare Blid, der praltifhe Sinn und der fromme Eifer, mit welchem er au 
dem Ausbau eines fruchtbaren chriftlihen Religionsunterrichts arbeitet. Er 
ſelbſt bezeichnet fein edles Streben mit den Worten von EL Harms, 
defien lebensfrifche Darftellungsweife er befonders liebt, von feinem Zeitfa- 
den fagt: er will geben, „mas den Geift erhebt und den Willen ftärlt, 
was den Glauben nährt und die Sitte regelt das ganze Leben lang.” 

Der Lehrgang, den der Berf. einfchlägt, ift ein ganz eigenthüms 
liher. Er bält nämlih drei Eurfe ein. Auf der erfien Stufe gibt er 
(&. 1214) den Katechismus, aber nur den Tert der fünf Hauptflüde 
unverändert, von den Crllärungen Luther's aber nur „fo viel als benugt 
werden konnte” und mit Hinzufügung weiterer Erflärungen. Als Beijpiel 
geben wir den Anfang und Schluß des erflen Hauptflüds: „Das erfte 
Gebot: Gott fpridt: Ich, der Herr, bin Dein Gott. Du follft nicht an⸗ 
dere Götter haben neben mir! Du follft Gott über alle Dinge fürchten, 
lieben und vertrauen und ibm treu anbangen. — Nichts in der Welt 
fürdte jo, ald Dich zu verfündigen an dem heiligen Willen Gottes. Nichts 
in der Welt liebe fo, wie Gott, Deinen Bater im Himmel. Auf Gott vers 
traue und nicht auf Menſchenmacht. — Wenn Du aber irbifhe Luft oder 
Hab’ und Gut oder Anfehen mehr liebft als Gott, jo haft Du andere Göt- 
ter neben dem Ginen, und verachteſt Gott, Deinen Herrn und Bater, 
und bift nicht werth, dab Du fein Kind heißeſt.“ Zu dem Schluſſe der 
Gebote „Ich, der Herr ıc.” fügt der Berf. die Crllärung ; „Gott ifl ge 
recht. Cr jpriht: Der Sohn foll nicht tragen die Mifiethat des Baters. 
Allein die Folgen der Sünde können aud den Unfchuldigen treffen. 
Darum fpricht Gott bier zu den Menſchen: Hütet eu vor der Sünde, 
denn wo ihr meine Gebote übertretet, fo kommen die Folgen euerer Ueber⸗ 
tretungen nicht bloß über euch, fondern auch über euere unſchuldigen Nach⸗ 
tommen. — Fürchte Gott und balte feine Gebote, fo werden die Folgen 
Deines Wohlverhaltens aud Deinen Rahlommen zu gut fonımen, und fie 
werden Dih noch in Deinem Grabe fegnen” Und weiter fügt der Berf. 
binzu: „Gott ſpricht: Ich bin der allmächtige Gott, wandle vor wir umd 
jei fromm. Darum follt ihr heilig fein, denn ich bin heilig, der Herr euer 
Gott. Das if die Summe der zehn Gebote Gottes. — Rein 
Menſch ift zwar je heilig, allein wir follen trachten immerbar, daß wir ims 
mer beiliger werden. — Das aber it das Große Gebot, weldes uns 
unfer Herr Zejus Chriſtus gegeben: Du fol lieben Gott x.“, und 
nun folgen noch vortreffliche Vorſchriften über vie kindliche Liebe zu Gott 
und über die brüderlidhe Liebe zu den Menſchen, die allerdings im erflen 
Hauptftüde nur zu ſehr fehlen. 

Auf der zweiten Stufe (6. 14—34) gibt der Berf. eine „Summe 
der biblijhen und der Kirchen⸗Geſchichte“, wo er in gebrängter 
Kürze folgende Abjchnitte behandelt: 1. die Bibel, 2. die Urgefchichte des 
menſchlichen Geſchlechts, 3. die Berbeibung Israels, A. Jeſus Chriſtus, 
5. die apoftolijche Kirche, 6. die katholiſche Kirche, 7. die evangeliſche Kirche 
Diefer Abſchnitt foll eine ausführliche bibliſche Gefchichte (durch deren Aus: 
dehnung oft Wichtigeres verfäumt wird) entbehrlich machen und ein Mittel- 
glied zwiſchen der 1. und 3. Abtbeilung bilden. Des Berf. gibt bier eine 


Religionsunterricht. 45 


gute Auswahl des Nothwendigſten, was jeder Chrift won ber Geſchichte des 
Gottesreihd und von den Schidfalen der chriftlihen Kirche „ſchlechterdings 
wiffen muß.” — Merkwürbig, daß er noch die Schreibart Pabſt beibehält. 

Auf der dritten Stufe (S. 3545) wird die „Summe der 
evangelijhen Glaubenslehre” aufgeftellt, und zwar in folgenden 
Abfchnitten: 1. Gott, 2. Offenbarung Gottes, 3. der Menſch, 4. Gottes 
Vorſehung und MWeltregierung, 5. die Abkehr des Menfhen von Gott, 
6. Chriſtus, unfer Erlöfer, 7. die Kirche Chrifti, 8. die Ewigkeit. Auch 


bier, wie überall im Bude, ift nirgends ein Bibelcitat zu leſen; aber die’ 


Bibellehre und die Bibelmorte find überall in die einzelnen Lehrjäße gejchidt 
und wirkfam verwebt. Es weht überhaupt durch das ganze Bud ein echt 
biblifcher, kindlich frommer und fromm ergreifender Geilt ohne alle dogma- 
tiſche Berbüflerung. 

Seite 46— 88 nehmen endlich die „Örundzüge der hriftliden 
Sittenlehre“ ein, mithin ven Haupttheil des Buchs. Auf die Sitten- 
lehrte legt aljo der Berf., und mit Recht, das größte Gewicht; und doch 
if fie von den drei Lehreurjen ausgeihlofien! Wie gebt das zu? Der 
Berf. hat nämlich, wie es jcheint, nur jene 3 Abtheilungen für die gemwöhn- 
lihe Volksſchule, wie wir fie haben, beftimmt; denn er jagt: „vie 1. ift 
für Kinder, die 2. und 3. für Confirmanden und die 4. (die Sit 
tenlebre, für Schüler, deren Denkkraft durch geordneten Shuls 
unterriht geübt worden iſt.“ Aber er wünſcht, „daß die Sittenlehre 
jedesmal in den Eonfirmandenunterriht bineingezogen werde, und er gibt 
ſelbſt dazu in jenen drei erften Abtheilungen überall Anleitung, wie bei den 
einzelnen Lehren das praktiſch-ethiſche Moment zu berüdfichtigen fei. Wir 
haben alfo in der vierten Abtheilung einen höheren Curſus, in mel- 
chem ebenfalls Glaubenslehre mitgetheilt wird, aber nur als Subſirat der 
ausführlicher zu behandelnden Sittenlehre. Er behandelte diefelbe nach fols 
genden 10 Pflihtgeboten des Chriftenthbums: 1. Mache auf, der Du 
Schläfft, und erkenne Dih! 2. Achte auf die Mahnung Deines Gewiſſens 
und thue Buße! 3. Wade und bete! 4. Kämpfe ven guten Kampf des 
Blaubens! 5. Schaffe treu das Deine! 6. Trachte zuerft nad dem Reiche 
Gottes! 7. Halte treu an Gott dur Chriftus. 8. Liebe Gott über Alles ! 
9. Liebe Deinen Nächſten wie Dich felbft! 10. Heilige Did Gott! — 
Gern theilten wir einige Proben diefer Sittenlehre mit, namentlich die von 
Nr. 119—125, welche von der Belämpfung des Geſchlechtstriebes han⸗ 
deln, zumal da der Verf. felbft diefen für die Heiligung des Lebens fo 
überaus wichtigen Gegenftand zu ganz bejonderer Beachtung empfiehlt ; aber 
wir haben unfer Referat ſchon weiter ausgedehnt, ald es fonft zu gejchehen 
pflegt. Dies geſchah aber auch nur, weil wir es für unfere Pflicht hielten, 
nicht nur dem ehrwürbigen Verf. ein Zeichen der Anerlennung feines hei« 
ligen Eifers und feines tieſdurchdachten Werks zu geben, ſondern auch, fei- 
nem Herzenswunſch entjprechend, zu zeitgemäßer, wahres Chriſtenthum för: 
dernder Umgeftaltung des im ganzen „jo kläglich zurüdgebliebenen religiöfen 
Unterrichts” aufzumuntern. Wie Viele beihämt es, daß bier ein Ruſſe den 
Deutihen mit gutem Beiſpiele vorangeht, wie Biele aud von Denen, die 
doch nicht unter dem Symbol: oder Regulativgwang ftehen | 


46 Religionsunterricht. 


So jehr wir übrigens vie biblifche Fafjung des Werles ehren, fo aufs 
fallend iſt es uns doch, daß der Verf. geflifientlich jedes Bibelcitat ver: 
meidet. Wir ftimmen ihm allerdings darin bei, daß „das Bibelmort mit 
dem Zerte ein Ganzes bilden muß‘; aber um dem Bibelſpruch einen blei⸗ 
benden Eindrud und Halt zu verfchaffen, ift ed doch gewiß gut, wenn er 
als Bibelwort befonders markirt, als bibliihe Beglaubigung bezeichnet, ober 
wenn er aus ber heiligen Schrijt felbit wenigftens in ein neben dem Bud 
zu führendes Spruchbuch eingetragen wird. Ebenſo auffallend ift die Kürze, 
mit der die biblifhe Geſchichte behandelt wird, da doch eine eingeben: 
dere Beiprehung einzelner biblifcher Geſchichten fo viel zur Beranfchaus 
lihung religiöfer Wahrheiten und Sittenlehren beiträgt ; doch weiß man ja 
nicht, wie der Verf. diefen Theil feines Buchs in feinem Unterrichte aus 
führt. Endlich müflen wir noch bemerken, daß das Werl des Berfaflers, fo 
frei au defien Standpunkt ift, doch hier und da einen leiſen dogmatiſchen 
„Beilhmad‘ bat, wie 3. B. der unbibliſche, ſcholaſtiſche Ausdruck „Gott⸗ 
menſch“ zeigt, dagegen ift der Teufel gänzlih aus demſelben verbannt. 

Mit Freuden begrüße ih den mürbigen Verf. als einen Gefinnungs- 
genofien, namentlih in Bezug auf die auch von mir eritrebte Vereinfachung 
des Religionsunterridhts. 


14. Ratehismus ber Kriflihden Lehre. Nur aus Worten ber 
Schrift für Schulen veformirter und unirter Gemeinden zuſammengeſtellt 
von Friedrich Brandes, reformirtem Pfarrer zu Göttingen. Göttin« 
en, Vandenhoeck und Ruprecht, 1865. VII und 176 S. 10 Sgr. 24 

pl. & 73 Ser. 

Auch dieſes Werk ift, wie das fo eben beſprochene Sederholm'ſche, rer 
formatorifher Art, darauf berechnet, dem Neligionsunterrite, eine neue, 
vom Katehismus ganz unabhängige, den Forderungen der Gegenwart in 
evangelifhem Geifte entſprechende Faſſung, — kurz einen rein-bibli⸗ 
hen Unterricht zu geben. Es unterjheidet fi aber von jenem da⸗ 
dur, daß es nicht Lehrſaͤtze in bibliicher Faſſung, fondern nur Bibelmorte 
zu freier Faſſung der Lehren gibt. 

Wir erbliden in diefem Werte eine erfreulihe Frucht des hanno⸗ 
ver'fhen KRatehismusftreites oder der Anregung zum Beſſeren, bie 
derfelbe gegeben bat, und rühmen — nicht nur den Freimuth, mit welchem 
der Berf., felbft ein Hannoveraner, durch fein Werk der kirchlichen Reaction 
offen entgegentritt, fondern auch und nody viel mehr — den evangelifchen 
und irenifchen Geift, der aus feinem Unternehmen ſpricht. Gr felbft äußert 
fih über die Veranlafiung und Tendenz befjelben im Vorworte folgender: 
maßen : 

„Die vorliegende Arbeit ift durch die Katechismusnoth veranlaßt, 
wie fie in den legten Jahren fühlbar genug hervorgetreten if.‘ Das hat 
fih wohl Mar herausgeftellt, daß die einfache Wiedereinführung der Lehr: 
bücher aus dem 16. und 17. Jahrhundert eine Unmöglichkeit fei, ſchon we⸗ 
gen des Mißtrauens und Wiverwillens, mit welchem ſolche Verfuche von 
den Gemeinden aufgenommen werden. Es ift nicht wohl möglid, die ges 
fammte evangelifche Kirche auch in ihren wirklich chriſtlichen Mitgliedern fo 


Religionsunterricht. 47 


um einen von den Katechismen der Reformationdzeit zu verfammeln, daß 
nit gegen die theologische Faſſung deſſelben aller Orten offener und. ges 
beimer Widerſpruch ſich erböbe und nur durch eine Gewiſſensbedrüdung 
ohne Gleichen würde deshalb die Wiederherftellung eines ſolchen Buches in 
den Bollsunterricht gefchehen können. Die aus der Reformationgzeit über: 
lieferten Katechismen baben als Unterrichtsbüder ihre Zeit gehabt, jebt 
aber find fie ſchon deshalb unbrauchbar geworden, meil fie, wie die Erfah: 
zung lehrt, nur dazu dienen können, den Frieden der Kirche zu ftören und 
mit dem Streite Verwüftung in biejelbe hinein zu bringen. Wenigfteng 
kann der Berfafjer vorliegender Arbeit keine andere, als diefe Ueberzeugung 
ausfprehen, auch auf die Gefahr bin, veshalb von dieſer oder jener Seite 
geſcholten zu werden, aber ex meint au, die Frage, welcher Katechismus 
zu gebrauchen, fei nicht lediglich Sache des Glaubens, fondern auch ber 
Zwedmäßigleit. Jedes Buch, welches Unfrieden und Verwü— 
ftung in die Gemeinden trägt, ift eben dadurch verderblich, und bie 
evangelifche Kirche ift nicht berufen, ben Katechismus Luther's oder den 
Pfälzer, jonden — das Evangelium zu treiben.” 


Um nun das Anftößige der altreformatorifhen Katehismen fern zu 
halten (was er nicht nur in ihrer einer früheren Zeit angehörigen Form 
und Sprache, fondern auch in ihren der Theologie jener Zeiten entſprun⸗ 
genen und dieſe enthaltenden Faſſung ver einzelnen chriftlihen Lehren 
findet) ftellt er bier „ein Lehrbuch zujammen, welches das Chriftenthum 
lediglid mit den Worten der urjprünglichen Quellen, ver Bibel felbft 
darftellt, welches aljo nicht irgend eine, ob zwar auf dem Grunde des 
Schriftthums erwachſene, Beittheologie, jondern den unmittelbaren Ausdrud 
des chriſtlichen Glaubens gibt, wie ‚ihn die Apoftel und Propheten in 
ihren Schriften niedergelegt haben.” Gin foldes Wert, meint er mit Recht, 
dürfte, wenn e3 gelungen, „als ein Werl des Friedens für unfere 
Kirche bezeichnet werben.“ 

Der Inhalt ift folgender: Ginleitung: Bon ber Religion im All: 
gemeinen. I. Theil: Bon Gott unferm Vater: 1. Von Gottes Dar 
fein, Weſen und Eigenſchaften, 2. Von Gott ald dem Schöpfer, Erhalter 
und Regierer der Welt, 3. Bon Gottes BVerhältniß zum Menſchen, A. Bon 


des Menſchen Verhältniß zu Gott, 5. Von Gottes Verhalten gegen den 


Sünder; — IL Bon Chrifto Jeſu unferm Erlöfer: 6. Chrifti 
Perſon, 7. Leben, Peiden, Sterben, Auferftehen, 8. Wert, 9. Wie der Chrift 
das Heil erlangt; — III. Vom heiligen Geiſte unferer Kraft: 
10. Der Ehriften Hoffnung, 11. Wandel im Allgemeinen, 12. Berhalten 
zu Gott, 13. — in Beziehung auf fi jelbft, 14. — gegen den Nädjften, 
15. Bon der. hriftlihen Gemeinde. 

Als Proben der Darftellung geben wir zunädit die erfle Frage 
der Einleitung: 


41. Wac verſteheſt Du unter Religion ? 


Daß ih mih zu Gott halte und meine Zuverſicht febe auf ‚den 
Heren, daß ih verlündige alle fein Thun. (Pi. 73, 28); 


48 Religionsunterricht. 


ferner den Anfang des J. Theils „Bon Gott unferm Baler“ : 
15. Kannfl Du Gott kennen lernen ? 


Daß man weiß, daß Gott fei, ift und offenbar, denn Gott felbft 
bat es uns ofienbart. (Rom. 1, 19.) 


16. Wodurch beun offenbart ſich Gott den Menden ? 

1. Gottes unſichtbares Wefen, das ift, feine ewige Kraft und Gottheit 
wird erjeben, jo man be wahrnimmt an den Werten, nämlihd an ber 
Ehöpfung ver Welt; aljo daß fie feine Entſchuldigung haben. 
(Röm. 1, 20.) 

2. Ihr Gewiſſen bezeuget fie, dazu aud die Gedanken, bie ſich 
unter einander verklagen oder entjchuldigen. (Röm. 2, 15.) 

3. Ih gedenle an die vorigen Zeiten, ich rebe von allen Dei⸗ 
nen Thaten und fage von ben Werken Deiner Hände. (Bj. 148, 5.) 
u. ſ. fj. 4 u. 53 

endlich geben wir noch eine Probe aus dem II. Theil „Bon Chriſto 
Jeſu unſerm Erlöfer” und zwar von Ehrifti Werk: 

133. Zu welchem Bwede bat nun ber Sohn Gottes bas Alles tbun unb 

leiden müſſen? 

Gott hat den, der von keiner Sünde wußte, für und zur Sünde ges 
madht, auf daß wir in ibm würden die Gerechtigkeit, die vor 
Gott gilt. (2. Cor. 5, 21.) | 

134. Wie lautet beshalb die Ermahnung, mit welcher bie Betſchaft von 

Chrifto an jeden Menihen und fo auch an Dich berantritt ? 

Laſſet euch verjühnen mit Gott! (2. Cor. 5, 20.) 

135. Was iſt denn bas: mit Gott verföhnt werben ? 

Daß mir die Kinpfhaft Gottes empfangen. (Gal. 4, 5.) 

136. Wer ift denn ein Kind Gottes ? 

Welche der Beift Gottes treibt, die find Gottes Kinder. (Rö⸗ 
mer 8, 14.) 

Wir glauben damit ein anjchaulihes Bild vom Geifte und von der 
Form des Lehrbuchs gegeben zu haben, müfjen aber noch bemerken, daß 
wir der Kürze wegen die Sprüche meggelafien haben, die jeder der — 
im Ganzen 426 — Fragen und Antworten (ausgedrudt, aber mit Eleineren 
Lettern) beigegeben find. Diefe Sprüche follen zur näheren Erläuterung 
und Begründung dienen, während nur die großgedrudten auswendig gelernt 
werben follen. 

„Der Menſch fragt und Hottes Wort antwortet”, das, fagt der Verf., 
it no immer die Praxis der- evangelifhen Kirche geweſen; und biefem 
Grundſatze ift er auch in feinem ganzen Buche treu geblieben. Welcher 
evangelifche Lehrer follte ihm darin nicht beiftimmen ?- Und doch mirb es 
unter den ftreng Confeffionellen nicht menige geben, die an diefem Buche 
Anftoß nehmen, weil es die traditionellen Formen über Vord wirft und 
weil ed jo mande Sprüche nicht enthält, die von ihnen um ihrer Lieblings⸗ 
dogmen willen vorzugsweiſe betent werden. Aber kann es unter den pro⸗ 
teftantishen Lehrern anders zu einer Einigung kommen, ald wenn fie ber 











Religionsunterricht. 49 


Tradition entfagend, „vie Schrift, nur die Schrift, aber auch die ganze 
Schrift“ bei ihrem Unterrihte zur Geltung kommen lafjen ? 

Als ein Dert des Friedens für unfere Kirche bezeichnet der Verf. 
feinen Katechismus; derſelbe ift aber auch als ein Wert des Fort: 
ſchritts zu bezeichnen in dem Sinne, wie wir es in der Einleitung zu unferem 
diesjährigen Referat gewünjcht haben. Wir wünjchen darum aud von Herzen 
mit dem Berf., daß „eine Bereinigung von evangeliihen Männern, wie dies 
jelbe etwa aus einer Synode hervorgehen könnte”, ſich's zur Aufgabe machte, 
im Geifte des Verfafiers und auf Grund feiner Vorlage der Kirche ein 
Werk zu liefen, „Das nur die Schrift zum Worte kommen ließe”, und bie 
Herflellung einer wahren „Unionskirche“ anbahnte. 


15. Leitfaden bei Erklärung bes Luther'ihen Katehiemus für 
Oberklaſſen evangelifcher Volleſchulen bearbeitet von Conrad se 
ner, Kirchſchullehrer in Pohl. Plauen, NReupert, 1865. 95 &. geb. 4 
Sgr. 25 Expl. geb. 3 Thlr. 

16. Kotehismus ber hriftliden Lehre für bie eamgelläbrateftantifihe 
— inabeſondere für Rheinheſſen. Mainz, Kunze, 1866. 72 

gr. 

17. Säte und Sprüde I michriſtlichen Religionsunterriht vom 
achten bis zehnten Jahre. Gin Handbüchlein für Kinder. Auszug 
aus dem zweiten Lehrgange ber Anleitung zur planmäßigen Behandlung bes 
Lehrbuchs ber Kriftliden Religion nad ben Grundſätzen der evangeliichen 
Kirche in vier Echrgän en ber Schule unb im Konfirmanbenunterricht von 
2». 5. €. 8 8dorff, weiland Prediger und ee I Zieſar. 
Dritte Auflage. Brandenburg, Wieſike, 1862. 20 S. 13 S 
Dieſe drei Schriften nehmen einen weniger ſtreng ——— Stand⸗ 

puntt ein, als die unter den nachfolgenden Nummern genannten. 


Nr. 15 (Stügner) folgt zwar aud dem Gange des Ratehismus, 
aber nicht dem altsorthopogen Syſtem. Go bezeichnet der Berf. die Erb: 
fünde als die angeborne Neigung zum Böfen und unterjcheidet fie von der 
wirtlihen Sünde. So erllärt er die Dreieinigleit nur als drei ver 
ſchiedene Dffenbarungen des einigen Gottes in der Schöpfung, Erlöfung 
und Heiligung. Kurz es weht bier mehr ein freier, echt biblifcher Geift 
und man vernimmt nur leife Anllänge an das traditionelle Dogmenſyſtem. 
Die Lehrläge find Mar und bündig; nur an einigen Stellen könnten die 
Grllärungen treffender fein, wie in Bezug auf die „kanoniſchen“ Bücher 
der Bibel. Bon den Apokryphen fagt er mit Red: : fie follten in keiner 
Bibel fehlen. 

Ebenſo frei vom Symbolzwang und orthodoren Ideen hält ſich Nr. 16 
(Rheinheffifher Katechismus). Er ftellt dad Glaubensbelennt: 
niß voran und gibt diefes, fo wie die nachfolgenden 10 Gebote, das 
Gebet des Herrn und die Einfegungsworte der heiligen Sacramente ohne 
Grllärung auf den beiden erften Seiten. Die Glaubenslehre handelt fol: 
gende 6 Hauptſtüle ab: 1. Gott und feine Eigenjchaften, 2. Schöpfung 
und Vorſehung, 3. Sünde, A. GCrlöfung, 5. beiliger Geift, feine Gnaden⸗ 
wirlungen und Gnadenmittel, 6. künftige Leben ; die Sittenlehre handelt 

Päd. Sapresteridt. XVII. 4 








50 Religionsunterricht. 


von den Pflichten gegen Gott, gegen uns ſelbſt und gegen den Naͤchſten. 
Einige Schul⸗, Morgen: und Abendgebete und eine „lurze Geſchichte der 
chriſtlichen Kirche” machen den Schluß. Wir können das Büchlein em 
pfeblen. 

Auch Nr. 17 (Fräsporff) empfiehlt fih als in freierem Geifte ge: 
ſchrieben. Das zeigt fih ſowohl in feinem einfah natürlihen Lehrgang 
und kindlich verſtändlichen Lehrſäten, ald aud in feinen Lieberverfen und 
Gebeten. 


18. Luther's Katehismns mit Bibelfprüdhen für ben Religionsunter- 
richt in Stabt- und Landſchulen eingerihtet von D. Adermann, Ober 
bofprebiger (in Meiningen). Fünfte verbefferte Auflage. Salzungen, 
Scheermefierihe Hofbuchhandlung, 1865. IV u. 88 S. 3 Sgr. 

19, Hauptſätze (dr den Eonfirmandenunterriht nad Luther's Laze⸗ 
chismus von D. C. Adermann, Oberhofprediger. Sechſte Auflage. 
Hildburghauſen, Keſfelring'ſche Hofbuchhandlung, 1865. 31 5. 2 Sgr. 
Nahdem das Handbuch zu Nr. 18 bereitö oben unter Nr. 6 beipro 

hen worden ift und das Büchelchen bereits die fünfte Auflage erlebt bat, 

bedarf es keiner meiteren Beſprechung deſſelben. Daß der Lehrer zu den 

412 „Lernſprüchen“ von den ihm zur Auswahl auf jeder Seite beigefüg: 

ten Sprüden noch mehrere lernen lafien werbe, fteht wohl nicht zu er 

warten. 

Nr. 19 Tann ebenfalld, da es in ſechſter Auflage erfchienen ift, als 
befannt vorausgeſetzt und nad Nr. 6 beurtheilt werben. Es befolgt ftreng 
die Ordnung der ſechs Hauptftüde des Katehismus. 


20. Dr. Martin Luther's Katehismus mit untergelegten Bibelſprüchen 

und biblijhen Geſchichten ale Leitfaden zu einem einjährigen Reli» 

ionsunterridht. Bierzehnte Auflage Zwickau, Buchhandlung bes 
oltsjchriftenvereins (I. Döhner), 1865. 79 S. 14 Ber. 

21. Winke zum Verſtändniß ber im Zwickauer Leitfaden zum Katechismus 
Unterricht angeführten Bibelftellen. Zwickan, Julius Döhner (Buchh. des 
Bolfsichr..Vereins), 1865. VII u. 50 S. 6 Sgr. 

Das zu Nr. 20 gefchriebene Hanpbuh von Kresfhmar ift unter 
Nr. 7 beſprochen worden. Der fireng=confeffionelle Geift und Lehrgang 
dieſes Leitfadend ift darnach zu beurtheilen. Einen großen Borzug bat 
derſelbe vor vielen andern Leitfaden, daß er auf den auf 45 Schulwochen 
abgemefjenen Stoff nur je drei Lehritunden wöchentlich rechnet. Ob aber 
in denfelben alle angegebenen Sprüche durchgearbeitet werden können, ift 
jehr die Frage. Viele derfelben könnten auch wegbleiben, da ſie nur mit 
Beziehung auf veraltete Dogmen ausgewählt find. 

Der Verf. von Nr. 21 geht von der „Wahrnehmung aus, daß ber 
Zwickauer „Zeitfaden” noch viel zu oft als ein gewöhnliches Spruchbuch 
angejeben und gebraudt wird. Hierdurch veranlaßt, will er mit feinen 
„Winken“ in das rechte Verſtändniß der dem Natechismusterte bort 
untergelegten Bibeljprüche einführen, damit diefelben, ihrem Zwecke ges 
mäß, den Tert der Hauptftüde, fowie der Beifügungen und Anmerlungen 
zu benfelben bibliſch begründen, erläutern und befräftigen. 








Relig ionsunterricht. 51 


Dadurch aber fol nit der Gebrauch eines Handbuchs überflüjfig gemacht 
werden, und es bat auch Herr Kretzſchmar (vielleiht der Verf. diefer 
„Winke“) ein folhes gejchrieben, wie wir oben unter Nr. 7 angezeigt has 
ben. Jene „Winke“ follen alfo die Behandlung des „Leitfadens“ erleich- 
tern und, indem fie „bie logifhe Verwendung der in ihrer Vielheit (ja 
wohl!) Manchen vielleiht übermwältigenden Sprüche andeuten,“ den Xeit- 
faden recht würdigen und fruchtbar zu machen lehren. Denen, die nad 
dem Bwidauer Leitfaden lehren, wird daher diefe Schrift zu einer gründ- - 
lihen Vorbereitung auf den Unterricht von großem Ruben fein. 


22. Dr. Luther's kleiner Katechismus für ben Schul- und Konfirman- 
benslinterricht in Frage und Antwort kurz und fahlih erläutert unb mit 
poflenden bibliſchen Beifpielen, Liederverfen und Nachweis längerer Bibel- 
abſchnitte, ſowie mit nöthigen Anhängen verfeben burhd Dr. T. Wange 
maun, ÜUrdibiaconus und K. Seminarbirector zu Cammin in Bommern. 
Berlin, bei 3. A. Wohlgemuth, 1865. VI u. 138 ©. 10 Sgr. 


23. Erfies Religionsbuch für Kinder evangelifcher Chriften. Bon Karl 
Adolf Kolde, Paſtor in Fallenberg in Oberſchleſien. Sechſte Auflage. 
Drealan. bei Trewendt, 1865. VII u. 102 ©. 3 Sgr., dauerhaft 
geb. 4 Ser. 


24. Luthers feiner Katechismus, in Kragen und Antworten einfach zer- 
liedert und mit Zeugniffen aus Gottes Wort und ber Kirche verfehen von 
. A. Kolde, Paftor in Fallenberg in Oberſchleſien. Bierte Auflage. 
—— bei Trewendt, 1865. II u. 124 ©. 4 Sgr., dauerhaft gebun⸗ 

5 x. “ 


25. Sprüde ber heiligen Schrift und Geiſtliche Lieder nad bem 
bibliſchen Geſchicht⸗⸗ und Katechismus. Unterrichte für'e Auswendiglernen 
ſtufenweiſe geordnet, nebſt Luther's kleinem Katechismus. Bon Ernft 
Eckardt, Schuldirector zu Glauchau. Dritte, umgearbeitete Auflage. 
— oh 1865. IV u. 99 S. 5 Sgr. 25 Er. roh 27% Thlr., 
geb. 31 r. 


26. Einfache Erklärnug bes kleinen Katechismus Dr. Martin Luther's, 
in ezzen und Antworten verfaßt und mit Zeugniſſen der heil. Schrift 
verſehen. Zum Gebrauch beim Schul⸗ unb Confirmandenunterricht. Bon 
Hermann Seebold, Probſt und Primariatpfarrer zu. Lüchow. Vierte 
berbe erte, Auflage. Sdttingen, Bandenhoed u. Ruprecht, 1865. VI unb 

. or. 


21. Dr. Martin Lutber’s Heiner Katechismus nebſt 180 Sprüchen 
nah dem einzelnen Lehrſtüceen geordnet und mit kurzen Bemerkungen ver- 
ſehen von 2%. W. Seyffarth, Hilfsprebiger und Rector ber ftäbtifchen 
Zürgeriäuien zu Luckenwalde. Luckenwalde, Selbfiverlag bes Verfs. 1865. 

. gr. 


28. Luther's Tleiner Katehismus mit Sprüchen. Neuflabt a. O., 
Karl Wagner. 51 ©. 3 Ger. 


29. Dr. Martin Luther's kleiner Katechismus, erläutert burdy Bibel 
und Gefangbud für Kirche, Schule und Haus. Zum Beſten ber oberber- 
alien Lehrer - Wittwens und Waifen- Kaffe herausgegeben. Elberfeld, 
ideter [ce Bude und Kunftbandlung (A. Martini u. Grüttefien), 1865. 

n. 


30. Spruchbuch zu Luther's kleinem Katechismus nebft 3 Anhängen. Her⸗ 
ausgegeben von A. Noad, Rector ber evangeliſchen Bürger⸗ und Elemen⸗ 


4* 


52 Religionsunterricht. 
tarſchule iu Glogau. Zweite erweiterte Auflage. Glogau, Zimmermann, 
1865. 28 ©. 


31. Spruchbuch für Schulen In drei Eurfen verfaßt vou Dr. F. A. 
Piſchon, Königl. onnftoricl-dtath Prediger und Profefior emerit. in 
Berlin. Erfier Curfus nad dem Ratehismus Lunther's. Eicbente 
Auflage. Berlin, 8. Laſſar's Buchhandlung (Eduard Bloch), 1865. 20 ©. 
24 Sgr., 40 Er. 2 Thlr. 20 Sgr., 100 &r. 5 Thlr. 


32. Der fleine Katehismus Doctor Martin Futher’s nebſt grruäbuß. 
Zweite unveränberte Auflage. ehleomig, Drud unb Berlag bes 
Taubſtummen⸗Inſtituts, 1864. XVII u. 54 ©. 


33. Dr. Martin Luther's Kleiner gaicsiemus mit einem Anbang. 
Für die Kleinen. Dreiunddreißigſte Auflage. Schleswig, Drud und 
Verlag des Taubflummen-Inftituts, 1865. 80 
Dieſe Schriften jchließen fih jämmtlih dem Ratehiämus an und ge: 

ben zu demjelben mehr oder weniger erllärende und beweifende Bibelfprüche, 

Liederverfe, Hinmeifungen auf biblifhe Geſchichten und eigene erläuternde 

Zuſaͤtze. 

Die folgenden Nummern ftehen ſämmtlich auf dem ſtreng:confeſſionel⸗ 
len Standpuntlte. 

Wie namentlich der Geift, der Inhalt und die Behandlung von Nr. 
19, 20 und 21 bej&haffen fei, braucht nicht erjt erörtert zu werden, da 
die Berl. — Wangemann und Kolde — bekannt genug find und 
von dem ftreng orthodox⸗regulativiſchen Weſen ihrer Schriften ſchon in frü- 
beren Berichten die Rebe gemejen ift. 

In dem Wangemann’ihen Katehismus ift durch größere Lettern 
unterſchieden, was für den Schulgebraud beitimmt tft, von dem, was beim 
Gonfirmandenunterricht gegeben werden fol. Der kleine Drud ift aber ein 
ſchädliches Augenpulver. Im Anbange werden behandelt: 1. die Beichte 
und das Amt der Schlüflel, 2. die h. Schrift, 3. Gefeß und Suangelium, 
4. das riftlihe Kirchenjahr, 5. der chriftlihe Hauptgottesdienſt, 6 
Unterfheidungslehren, 7. die äußere und innere Miffion, 8, die —æe 
9. die Taufhandlung und der Pathenſtand, 10. die Confirmation. Dann 
folgen noch die 24 Artikel des augsburgiſchen Glaubensbelenntniſſes und 
Schulgebete. Den orthodoren Lehrern wird dieſes Buch feiner präcifen 
Faſſung und feines reichen Inhalts wegen willlommen fein. 

Ueber Kolde's Katehismus 3. Aufl. ift im 14. Jahrg. des Päd, 
Jahresb. (vergl. 15. Jahrg. ©. 59) referirt worden. Sein Erſtes Ne: 
ligionsbuh (Nr. 20) ift eigentlih nur bibliihde Gejchichte für Kinder 
nom 6—9. Jahre mit vorausgejhidten Gebeten und nacfolgendem Rates 
hismus. Den Geſchichten find feine Lehren, aber gutgemwählte Sprüche 
und Liederverſe (lebtere jevoh meiſt aus veralteten Regulativliedern) 
beigegeben. 

Bei der Beſprechung der 2. Aufl. von Nr. 22 (Ed ardt) in ®. 15, 
©. 62 ift fchon der Fleiß des Vfs., fowie die jorgfältige Vertheilung bes 
Stoffes und die feite Repetitiondorbnung, die er vorjchreibt, gerühmt, aber 
auch das Vebermaß des Memorirftoffs gerügt worden. 

Der Berf. von Nr. 26 (Seebold), ein orthodorer Hannoveraner, 
ipricht im Vorworte nur von feiner großen DBerebrung des Katechismus 











Religionsunterricht. 33 


und gibt denſelben zunachſt in feiner ganzen Vollſtaͤndigkeit mit dem Mor⸗ 
gen⸗ und Abendſegen, mit dem Benedicte und Gratias, mit der Haustafel 
und mit den Fragſtücken. Dann folgen Lieder zum Katechismus und dann 
die Erklaͤrung deſſelben. Nach ſeinem Inſpirationsbegriffe können die Apo⸗ 
kryphen nicht zur Regel und Richtſchnur des Glaubens und Lebens dienen. 
Der Geift feiner Dogmatik ift durch und dur der alte fcholaftifche des 
Mittelalters. 

Gleichen Geiftes ift Nr. 27 (Seyffarth), wie ſchon ber eine Lehr 
füaß „Gott ift Menſch geworden‘ genugjam anbeutet. Die Auswahl ver 
Cprüde ift ganz nad) diefem Geifte getroffen, der nur ein Buchitabengeift 
ift. Uebrigens ift auch diefe Schrift, wie die von Deltzer (Nr. 1), vers 
anlaßt dvurh Dr. Saalborns religiöfen Unterrichtäftofj, der von der K. 
preuß. Regierung empfohlen war und mit dejlen Auswahl und Anorbnung 
der Berf. nicht übexeinftimmt. 

Die Wahl der Sprüde in Nr. 28 (Neuftädter Nat.) die, obne 
irgend einen Lehrſatz, nur nad der firengen Folge des Katechismus geges 
ben find, tft befjer, als bei Nr. 27, deuten aber doch auch zumeilen auf 
eine ortbodore Dogmatik bin. 

Nr. 29 (Elberfelder Kat.) gibt in 76 Lectionen den Wortlaut 
des Rat. ohne alle weiteren Zufäße, als nur Bibeliprüdhe, Lieber; Lehrab⸗ 
ſchnitte und Geſchichten aus der Bibel. Gin Anhang gibt 1. Erklärungen 
zu einigen Haupiftüden des Kat. nah Dr. Sad, 2. die Bücher der heil. 
Schrift, 3. die hriftlihe Haustafel, 4. das chriſtliche Kirchenjahr und 
5. einige Gebete, Troftiprühe und Lieder. 

Ne. 30 (Noad) gibt nit einmal den Text des Kat., ſondern nur 
Sprüche zu den einzelnen Abſchnitten deſſelben und im Anhange eine „Vers 
theilung des religiöfen Memorirftoffes auf 6 Klaſſen, bezüglich auf 1. Ka⸗ 
tedhismustert, 2. Sprüde, 3. Palmen, 4. Kirchenliever, 5. bibliihe Ges 
Fichten. 

Nr. 31 (PBifhon) ebenfo, aber auf 52 Wochen vertheilt, und im 
Anhange „Lieber des Geſangbuches, zum gotteödienftlihen Gebrauch für 
evangeliihe ©emeinen, nah ven verjchievenen Zeiten des Jahres zu 
lernen.” 
Nr. 32 und 33 (Schleswiger Kat.) find durch und durch ſchola⸗ 
ftich-orthobor, mas fi namentlih aud in ber gejhmadlofen Auswahl 
von Liederverfen zeigt. So fteht in Nr. 32 ©. 29 folgender Bers: 


In meines Herzens Grunde 
Dein Nam’ und Kreuz allein 
Zuntelt al’ Zeit und Stunde; 
Drauf kann ich fröhlich fein. 
Erſchein mir in dem Bilde 
Zum Zroft in meiner Roth, 
Mie du Herr Chriſt jo milde 
Dich (!) Haft geblut' (!) zu Tod. 
Insbeſondete ift für „pie Kleinen‘ in Nr. 33, jo niedlich auch das 
Format des Weftentafhenbüchleius ift, doch zu viel für die unterſte Klaſſe 


54 Religionsunterricht. 


gesehen, nämlich der gunze Katechismus, eine kurze (meiR gut gefakte) 
ehe Jeſu, Danz 1. chriſtliche Gedichte, 2. Gebete, 3. ne a 
und zum Schluſſe nah alter Art das Giumuleins. 


31 Enchiridion. Dr. Martin Luthers Heiner Rıtehiemns. Nah dem 
Irizizal-Amtgıben herausgegeben ven Dr. 2. Fi Th. Säueider, König- 
* *8 wirecteꝛ zu Reuwiet. Gehfe Unflsge. Newwied, Genfer, 
Gar nichts weiter, als der Tert der fünf Gauptflüde des Katechis⸗ 

mus; würke in Uctaviermat mer ein paar Eeiten füllen. Barum fi 

duber ein Königl. Eeminartirectee als den Herausgeber breit macht, und 
warum das Gane wicht einem Leſe⸗, Religions: oder Spruchbuche beige: 
geben iR, läyt ach nicht einfchen. 

35. Unweijung für Eltern Schrer ‚aut Eduaiveriäube yet Ertheilung 
bet Neligiontsunterrihte bei Kindern wen 5—7, beriebungäweile 

5 Jahn Ben S Bebenmäller, Directer em — — 
nar im im ritte, verteitere Auflage Freiburg um Breiögen, 
Serker, 1 1865 Ville. 1528 10 Sy. 


gen, 1854, beigegeben werben. In berjelten wird die möthige Darmonie 
der Schule mit der dhriflicen Jumilie berädfichtigt.” Ge berühtet ber 
Beri. jeltR und fügt fyüter hinzu, daß feine Edriit won 

minnern empfichlen und ihm veriichert werben jei, „Dit Benubung biefer 
Schrift jei ſſets von gutem Grfelge kegleitet gemein“ Wir wellen aud 
agehen, bob fe Latbolifcen Sabre von Rupen fei 

tiie Lehrer aber künnen ven ihr feine Anwendung in ihren Eulen ma: 
hen. Der gegebene Stoff belebt in: 1. Gebeten, 2. Eprüden, 3. Un 
ftuuungeunterribt mit religiöjer Beztebung und 4. bibliiden Grzäblungen. 
Man fiebt vwielich ans biefem Bude, wie manden Rasen bie Tatholifche 
Echule bereits vom ber protekıntijchen gegagen hat. 


36. Auleitang zur Grebeilung ae ee ur Ben 
3. Edmitt, Kepetiter am erNiichälichen Et, Peter. 
Kır Xpprebatien tes hedwwärtiglicn Derra Erzkiigeit — _Aweite 
Aufse. Freiburg im Breisgan, Derter, 1565 VIIw268 €. 18 Ger. 
Pir haben viefes Wert an den Schlaf unjers Referats über Die Re 
:suölehre gekellt, weil es theils für Lehrer, theils für Edüler ge 

jtrieben ik, un» weil ed nur eine einzelne Yehre, nämlich die vom 

Eacrament bes Altars um» befien würküger une fegensreicher eier 

i ürde 


Religionsunterrictt. 55 


Auch wir müfien, — felbft auf die Gefahr hin, abermald von dem 
zelotiſchen Pfarrer Kübel als Einer verfchrieen zu werden, der mit Rom 
bofire, — den Berf. rühmend auszeichnen, da er ben heiligen Gegenftand, 
den er hier abhandelt, fo ernit nimmt, die Katecheten fo gründlich über 
denjelben unterweift, fie fo eindringlih ermahnt, ihre Katechumenen auf bie 
beilige Feier des erſten Abendmahls mwürbig vorzubereiten, und mit fo 
warmer Liebe .zu den Rindern redet, dab man aus dem Allen den erjahr: 
nen, wohlmeinenden und gewillenhaften Seelforger erkennt. 


Was der Verf. gibt, ift in folgende drei Abſchnitte vertbeilt: I. Winke 
für den Katecheten: 1. Wichtigkeit der eriten Communion und des 
Erftcommunicanten » Unterriht? , 2. Anforderungen an den SNatecheten, 
3. Welche Kinder find zur erften heil. Communion zuzulafien? 4. Drt, 
Zeit, Umfang des Erſtcommunicanten⸗Unterrichts, 5. Weiſe des Unterrichts, 
6. Unmittelbare Vorbereitung, 7. Der weiße Sonntag, 8. Nach dem weißen 
Sonntag. II. Der Unterriht von dem allerbeiligften Sacıa 
ment: 1. Bon der Gegenwart Chrifti im allerheiligften Sacrament, 2. Bon 
dem beil. Mebopfer, 3. Bon der beil. Communion. III. Die Vorbe— 
reitung zur Generalbeicht: 1. Der Unterricht über die Generalbeicht, 
a. die Generalbeiht überhaupt; ihr Nutzen, b. vie einzelnen Beftandtheile 
(Gewiſſenserforſchung, Reue, Vorſatz, Beiht, Genugthuung), 2. Anreben 
an die Gıftcommunicanten in der Beichtwoche (Beftimmung des Menfchen, 
Todfünde, Folgen der Todſünde, läßlihe Sünde, der verlorne Sohn, die 
Beharrlichkeit). Anhang: Einige Anreden für den weißen Sonntag. 


So zwedmäßig und anfprehend nun auch die Daritellung, und fo 
berzlih auch insbejondere die Anreden an die Kinder in diefem Buche find, 
fo kann doch felbitverftänplih die Anerkennung dieſer guten Eigenschaften 
deſſelben von unjrer Seite nur eine relative fein. Denn nimmermehr kön: 
nen wir und von dem Standpunkte der proteſtantiſchen Bibelmifjen- 
ihaft aus mit den ftreng ortbobor=:tatholifchen Kirchenlehren einver: 
ftanden erflären, welde bier vorgetragen werden, wie 3. B. .mit denen 
vom Meßopfer, von der Brotverwandlung, von den gäten. Werfen ıc. 
Sie haben den größeren Mainzer Katehismus von P. Debarbe 
(Mainz, 1860) zur Grundlage und der Verf. erklärt es felbft als feinen 
Grundfaß, fih „ganz fireng an das Katehismuswort zu halten.” Ins 
defien können doch auch Proteftanten aus diefem Buche lernen, indem es 
auch für fie mande gute und beberzigenswertbe Winte enthält, wie fie 
väterlih auf die Herzen der Finder, welche fih auf den wichtigen Tag der 
Gonfirmation vorbereiten, einzumirten und ihr Verhalten in dieſer Zeit zu 
überwaden und zu heiligen haben. Nebenbei künnen fie aus demſelben 
auch gar Manches über Entftehung und Bedeutung Tatholiiher Gebräuche 
und Symbole lernen und durch eine Wergleihung ber evangelif hen Lehren 
und Einrichtungen mit ‘ven katholiſchen neue Stärkung in ber Liebe und 
Werthſchaͤzung des 6 Proteftantiomus gewinnen. 


56 Religionsunterricht, 


B. Biblifhe Gefdidte. 
1. Für Lehrer. 


37. Handbuch zur unterrichtlichen Behandlung ber bibliſchen 
Geſchichten. Enthaltend Erklärungen, praktiſche Diaterialien und Ans 
leitungen, Tatechetiiche Beilpiele und Winke für Lehrer in Bürger⸗ unb 
Boltsihulen von 3. Chr. Igerott. Zweiter Theil. Neues Tefa- 
ment. 3meite, verb. u. verm. Auflage. Quedlinburg, Bafle, 1865. 
VII u. 636 ©. 1% Thlr. 

Die zweite Auflage des 1. Bandes ‚Altes Teſtament“ ift 3. 16 
S. 40 f. angezeigt worden. Diefe Anzeige ifl auf der Müdfeite des vor⸗ 
liegenden Buches abgedrudt. Der Lefer lann daraus entnehmen, daß er 
aud in diefer Fortſetzung troß der Vorliebe des Bis. für die Regulative 
viel Gutes zu erwarten hat. Auch wird er einen großen Reichthum an 
Material zu gründliher und praltifher Verarbeitung der biblijhen Ge⸗ 
Schichten finden, fowie eine gute Anleitung zur Verdeutlichung und Bes 
feftigung derfelben durh ragen. In lesteren zeigt fih der Verf. aud 
bier als einen Katecheten, der die Meifterihaft Dinter’s in dieſem Fache 
nicht nur anpreift (f. Vorwort zum 1. Theil), fondern auch ſich anzueig» 
nen und den Lehrern anzuempfehlen bemübt if. Den pädagogiihen Talt 
des Verfs. erfennt man aud daraus, daß er im Bormworte zu vorliegendem 
Theil die Lehrer warnt, alle Lehren und Ermunterungen, alle Gedan⸗ 
fen, die in einer Geſchichte liegen (und die auch bier in großer Fülle ge: 
geben find) auf einmal vorzutragen und zu entwideln, unb fie vielmehr 
anmeift, bei jeder Gefhihte Einen Hauptgedanten durchzuführen. 
„Hu verſchiedenen Zeiten und verſchiedenen Gelegenheiten Berfchiedenes, 
fagt er, — Anderes bei Kleinen, als bei Größeren, — Ginen Ge: 
danken gut und erbaulich durdgeführt, ift befier, ald über Vieles 
wenig oder gar nichts fagen und das Herz der Kinder kalt laſſen.“ 

Neu bearbeitet find in der 2. Auflage folgende Geſchichten hinzuge⸗ 
fommen: 1. Dig böjen Weingärtner, 2. Das cananäifhe Weib, 3. Bom 
Züngling zu Nain, 4. Bahäus, 5. Jeſu Einzug in Serufalem und vie 
Zempelreinigung, 6. Einſetzung des heil. Abendmahls, 7. Philippus und 
der Kämmerer aus Mohrenland. Aber auch außerdem fehlt es in dieſem 
Theile nicht an vielen Verbeſſerungen und Zufäßen. 


Der Berf. kann überhaupt mit Recht von feinem Buche fagen: „Für 
Seminarien und Präparanden-Anftalten dürfte es ſich empfehlen, da in 
bemjelben die h. Schrift in den wichtigſten Abjchnitten ihre Erklaͤrung ges 
funden bat und wohl Etwas dazu beitragen möchte, daß die Katechetif 
nicht vernadläffigt wird, die für die Lehrer jo unentbehrlich if.” 


38. Handbuch für Lehrer zur unterrihtlihen Behandlung bibli— 
her Geſchichten in ber Vollsſchule. Bearbeitet von A. Schilbe, 2. 
Mentel, F. Iber, Lehrern zu Homburg in Kurheſſen. Erſter Band, 
Geſchichten des alten Teflamentes. XVIu. 460 8. — Zweiter Band. 
Beihichten bed neuen Teftamentese. IV u. 276 © Dritte ver 
befierte u. vermehrte Auflage. Caſſel, I. ©. Ludharbt, 1865. 1 Chlr. 
20 Ser. 


Meligionsunterricht. 57 


Die Verfafier diefes Buchs, von denen der erftgenannte, Schilbe, 
1862 geftorben ift, beiennen ſich felbft zum ftrengften Eonfejfionalismus 
und altorthoporen Supranaturaligmus und weifen Beurtheilungen, welde 
nit den Glaubensgrund, auf dem fie ftehen, anerfennen, im voraus als 
unwilllommen zurüd. Da Ref. nun nicht zu denen gehört, die, am ſtreng⸗ 
fien Sufpirationsbegriff feſthaltend, jeden Fortſchritt der Schriftforichung 
und religiöfen Aufllärung zurüdweilen, — die, nur um ibrem ftarren 
Buchflabenglauben treu zu bleiben, ver heiligen Schrift Gewalt anthun, — 
die, von Wunderſucht getrieben, mit dem SHereinragen der unfichtbaren 
Welt in die fihtbare ihre Spiel treiben, — die fih nicht fcheuen, jetzt noch 
bie Lehre von einem perfünlihen Teufel und feinem Wirken in der grob- 
finnlichſten Weife aufzufaflen, wie vie Verff. thun: jo kann und mag er 
fh aud nicht in eine Kritil des Buches einlafien. Ref. begnügt fi) da⸗ 
ber mit einem kurzen Berichte über deſſen Tendenz und Anlage. 

Die Berfi. betrachten die heiligen Geſchichten, als „Facta, um ihrer 
felbft willen gefcheben, leineswege bloß als Yolie für einzelne oder einen 
Gomplerus von Lehren, darum müſſen fie au in ihrem Berlaufe, (dem) 
äußeren zunähft, dann (den) innern erfaßt werben. „Dieſer Unterricht 
fol den neuen Menſchen aufbauen helfen und muß darum einen er: 
bauliden Charakter haben. „Das haben wir gewollt, ernftlih, unter 
Gebet, daß Gott uns öffne die Augen, damit wir erlennen möchten bie 
Wunder an feinem Geſetz und die Wunder. am Wort vom Kreuz.” ‚Das 
Dort (des Lehrers) muß nicht bloß zum Herzen der Kinder, fondern auch 
zum Herzen Gottes gehen.“ Das Handbuch joll den Lehrern zunaͤchſt 
die Geſchichten ,,. warm machen am Herzen, fie follen zunächſt den Se 
gen empfangen und dann aus ihrer Fülle den Stleinen geben. Das Bud 
„will darım keine Krüde für die Lehrer, fein Magazin von 
Dispofitionen, feine Sammlung von abgerifjfenen Lehren 
und Rubanwendungen fein, eine bloßen eregetiihen Crcurfionen 
(Ecurſe), endlih auch nicht allerlei erbaulide Gedanken über bie Ge: 
Schichten geben, welde nur an biefen vorüber und um fie herum 
fübren, fondern es will wirllih in fie hinein führen.‘ Indeſſen 
haben doch die Berfi. einer jeden Gefchichte eine aus dieſer felbft entlehnte 
Dispofition zu Grunde gelegt, die auch in ihren Hauptzügen jaft durchweg 
angegeben iſt; auch haben fie das, was nur für den Lehrer ift, durch den 
Drud bemerllid) gemacht. Aus dem N. T. find 67 Geſchichten (bi Gera 
und Nehemia), aus dem N. T. 48 (bis zur Ausgießung des heil. Geiftes) 
bearbeitet worden. — Bon Rudelbach, Gueride, Bölter, Flügge u. A. ift 
das Werk fehr empfohlen worden und wird ortboboren Lehrern aud ferner 
eine willlommene Handreichung fein. 


39. Ein Wort über Zwed, Anlage und Gebraud des Schriften: 
Enchiridion ber biblifhen Geſchichte ober oragen zum Berkänd- 
niß und zur Wieberholung derſelben (beffelben ?). n %. W. Dörpfeld, 
Hauptiehrer in Barmen. Zweite Auflage. ——Sæ C. Bertelsmann, 
1866. 34 S. 2 Sgr. 


Hierzu gehört Nr. 34 Endiridion ıc. 
Dem Ber. kommt es, wie ber Zitel anbeutet, vor Allem darauf an, 


58 - Religionsunterricht. 


die bibliſche Heilsgeſchichte fo zu behandeln, daß bei den Schülern gutes 
Berfiehben und fihres Behalten erzielt werde. „In Abfiht auf 
das Berfänpniß ift zumächft ſchlechtweg die Bethätigung des „verflandes: 
mäßigen” Denlens gemeint, und in Anſehung des Bebaltens bie 
Uebung des „GOedaͤchtniſſes“, ein gebächtnißmäßiges Wiederholen, — jedoch 
mit Ginsehnung beflen, worauf ſchon die Sprache hindeutet, weldye „Den: 
fen’ und „Gedachtniß“ als verwandte, eng verbundene Dinge fafien lehrt.” 
— Bu dieſem Bwede fhrieb der Berf. das Endiridion, in welchem 
er auf Bü Geiten nur die Ueberſchriften der einzelnen bibliſchen Geſchichten 
und zu denfelben ragen gibt, mit deren Beantwortung der Schüler dem 
Lehrer in der Schule oder ſich felbft daheim den Hauptinhalt der einzelnen 
Geſchichten wienerzugeben hat. Zu dem Endiridion aber ſchrieb der Berf. 
aub dies Wort über Zweck, Anlage und Gebraud jenes Schrift: 
chens, um die praktiiche Anwendung und Nüplichleit deſſelben zu zeigen. 
Die von Ihm angewendete Frageform findet er darım empfehlenswerth: 
1. weil fie die Uufmerlfamleit wedt und baburd ein fchärferes Merten, 
ein reicheres Griennen und Freude am Griennen und Lernen bewirtt, — 
3. well ſie Ueberſichtlichkeit, Verftändlichleit und Behaͤltlichkeit befördert, — 
8. well fle durch Berglieverung das Beherrſchen des Stoffes erleichtert, — 
4, well fie durch diefes Berlegen das geiftige Band bloßlegt, welches die 
einzeinen Theile zuſammenhaͤlt; — 5. weil fie der unmittelbaren Repeti⸗ 
ton dienen kann. Mit großem Bedacht bat au der Verf. feine Fragen 
ſo geftellt, daß die Schüler angeleitet und ermuthigt werben, in längeren 
Antworten das Gelernte wiederzugeben, dab fie die Neibenfolge ver Bes 
gebenbeiten ſich ſicher einprägen, daß fie mit Worten des Tertes antwor- 
ten können und daB fie einen guten Führer zu grünblicher Repetition ba- 
ben. Befonderen Werth legt Ref. aber darauf, daß die Schüler in paflen: 
der Weife mit der Beantwortung der Fragen ſchriftlich befchäftigt werden 
können. Nur will ibm jcheinen, als ob es babei zu jehr an Anleitung 
feble, don Geiſt und die Haupttendenz ber einzelnen Gejdichten Har ber: 
vorzuhbeben, worauf es doch bei der Verwerthung des Hiftoriihen haupt: 
ſachlich ankommt, das ja nur bazu dienen foll, den Glauben zu ftärten 
und das flttliche Urtbeil zu fhärfen. — Schließlich eifert der Verf. noch 
peaon das „Berlatehifiren und Memoriren voluminöfer Katechismen, didleis 
iger Veltladen ac. und fordert auf, nad) feiner einfacheren Methode den 
boden, „elaſſiſchen“ Werth der VBibelbücher wieder mehr zur Anerlennung 
u bringen. 


2. Für Schüler. 
a Für Oberflaffen und ganze Säulen. 
40, Die heilige Geſchichte den Kindern erzählt von Dr. Hermann 
Adelberg. Erlangen, Unbr. Deichert, 1865. an 239 ©. 7 Sur. 
Auch unter dem Haupttitel: 


Seſchichtebibliothetef 
* Ha —88 —W r Kinder herausgegeben von Dr. Hermann 


4. Die bibliſche Geſchichte det alten und neuen Teftamentes 





Religionsunterriäht. 59 


ür katholiſche Boltefchulen bearbeitet von einem Priefler der Diöcefe 

aſel. Mit Gutheißung der Hochw. Biſchöfe von Baſel, Ehur, St. Gallen, 

Saufanne, Genf und Sitten. Einſtedeln, New⸗York und Cincinnati; Drud 

ee von Gebr. Karl und Nikolaus Benziger, 1864. 235 ©. 
gr. 

42. Biblifhe Geſchichte des alten und neuen Teflamentes für bie 
untern Klaſſen fatholifher Gymnaſien und anderer höherer Unter⸗ 
rihtsanflalten. Bon W. Hövelmann geiftl. Lehrer am Gymnafium zu 
Paderborn. Mit kirhliher Approbation. Paderborn, Junfermann (Pape 
Wwe.), 1866. IV u. 272 ©. 

43. Bibliſche Geſchichte. Mit Worten der Bibel erzählt von Friedrich 
Wilhelm Bodemann, Paftor zu Fintenwerber. 13. revidirte Auflage. 
Gdttingen, Bandenhoed und Ruprecht, 1865. VI u. 201 S. 5 Ger, 
24 Exempl. 3 Thlr. 

4. Bibliſche Geſchichten für Schule und Haus, ber heiligen Schrift in 
Dr. Luther's Ueberſetzung unter Feſthaltung des inneren Zuſammenhanges 
nacherzäplt und mit pafienden Bibelſprüchen und erbaulichen Lieberverjen 
begleitet von Friedrich Deutſch. Zweite umgearbeitete und vermehrte 
Auflage. Breslau, ©. Morgenftern (Aug. Schulz u. Eomp.). IV und 
222 ©. 6 Sgr. 

45. Bibliſche Geſchichten mit Bildern. Mit Worten ber Beil. Schrift 
erzählt und herausgegeben von A. Berthelt, 3. Jäkel, 8. Petermann, 
2. Thomas. Mit 104 Illuſtrationen nah Driginalgeihnungen von Emil 
Sachße. Zweite, mit Bibelfprüchen vermehrte Auflage. Leipzig, J. 
Klinthardt, 1865. IV u. 244 ©. 9 Ngr. 25 Er. 53 Thlr. Belin-Pa- 
pier 12 Nor. 25 Er. 74 Thle. 

46. Biblifhe Geſchichten. Mit ben Worten ber heil. Schrift erzählt und 
mit Bibelfprüchen verjehen. Ausgabe ohne Bilder. Herausgegeben von X. 
Berthelt, 3. Zälel, 8. Betermann, 8. Thomas. Dritte unver 
änderte Auflage. Leipzig, I. Klintyarbt, 1865. 6 Ngr., 25 Er. 34 Thlr. 

47. Bibliſche Geſchichten. Kür bie Obertlaffen ber evangeliſchen Bolfs- 
fhulen bearbeitet von Mori Fürbringer, Stadtiſchulrath in Berlin. 
Nebft einem Anhange, enthaltend eine Sammlung von Gebeten unb feſt⸗ 
ſtehenden Theilen bes liturgiihen Gottesbienftes. Bierte Auflage. Berlin, 
Divin Prausnit, 1865. XXI un. 364 ©. geb. 12 Ser. 


Wie der Haupttitel von Nr. 40 (Adelberg) andeutet, ift dieſes 
jeßt erſchienene Bändchen der Anfang eine Geſchichtsbibliothel. 
Der Berf. ift nämlid von der Erfahrung ausgegangen, daß die Kinder am 
liebften wahre Geſchichten hören, daß der Flinderfreund in der Weltge⸗ 
ſchichte eine unerfchöpflihe Duelle wahrer Gefchichten findet, daß er fie 
aber in lebendig anſchaulicher Weile vortragen muß, wenn die Kinder das 
sechte Intereſſe daran nehmen follen, und daß er darum nicht bloß bie 
Greignifie in der Geſchichte jchildern muß, fondern vor Allem auch „vie 
Berfönlichleiten, welde die Geſchichte machen, und den Schauplaß, auf 
welchem fie fi) bewegen.” „Kurz, fagt er, die Gefchichte muß den Rindern 
in Geſchichten erzählt werben. So will denn der Berf. nun die Welt 
geſchichte in diefer Weiſe für Kinder und Lehrer bearbeiten. Ex beginnt 
fie mit der „heiligen Geſchichte,“ weil viefelbe nah feiner Anficht 
„jowohl die Anfänge aller Geſchichte, als auch den Faden eines 
böbern, wahren Berftänpnifies der Weltgefchichte enthält, ohne welde man 
fh in berfelben, wie in einem Labyrinthe, nimmer zuxecht findet. Gr 


ai Religionsunterricht. 


fuhrt fie jedoch nur von der Schöpfung bis zur „Geburt Sefu, des neu 
gebornen Ronige der Juden“ fort. Die Sprade ift „ſo viel als möglih” 
bie Gprache der heil, Schrift, die Darflellung klar und fließend, aber durch⸗ 
webt von fireng orthodoxem Weifte, ber eine freiere Auffafiung der Ge⸗ 
ſchichte nicht guläßt. 

Die beiden folgenden Nummern 41 und 42 haben Ratholilen zu Ber: 
ſaſſern und ſind für katholiſche Schulen gefchrieben, jene für die Ober: 
Malen der Volleſchulen, diefe für die unteren Klaſſen latholiſcher Gymnaſien 

Der ungenannte Verf. von Nr. 41 bat bei feinem Buche die Werte 
von Suunacher, Schmid, Overberg und Ming, namentlih aber 
das von Sqhuſter zu Grunde gelegt. GE if ibm bei feiner Arbeit be 
ſondere darum zu tbun geweien, ben organiſchen Zuſammenhang zwiſchen 
vom A. une R. J. möglich Mar darzußellen‘ Gr zieht darum auch bäufig 
m den Aumetkungen RParallelen zwiſchen dem U. u. R. T., z. B. bei der 
Wiyubtung ven Thurudau zu Wabel, wo er bemerlt: „Dur den Stol; 
ver trurmbamee zu Babel wurten die Sprachen verpieljältigt; durch die 
Cemutb der Meſtel am Rfngitiviie wurken fie geeinigt.“ Zwei Bei 
wmben yullaltin 9, Yarelüde aus der beil. Schrijt (Bibelfiellen zum Aus: 
Wräbhtliinen Und zur Verdereitung auf den Unterraht, und 2. Ueberſicht 
wi Wbnbaren der Aatechisuus in ihrer Verbindeng wit den bibliihen Gr 
iſen. Das Buch iR ſchön ausgeſtattet und reichlich wit Bildern, 
Auch mi einer Relieſtarte vom heil. Lande verfehen Bei feiner ſieten 
Vtealebung anf den katholiſchen Glauben ift es natürlich wur für katholiſche 
waulen au empfeblen. 

Ar, 49 (Hövelmann) if zwar für Symnafien geſchrieben, aber 
doch nur für die Serta und Quinta, „für welde allein die bibliſche Ge: 
ſchichte (und zwar für Serta die des A., für Duinta die des R. T.) nad 
dom allgemeinen Unterrichtsplane ein beſonderes Lehrjach bildet.” Die 
Weichichten des U. Z. werben in 115, die des N. T. in 131 Grzählun: 
an, jene unter 8, diefe unter 5 Abſchnitten mitgetheilt. Der Berf. gibt 
nur den Test des heil. Edhrift ohne alle Zuthaten, natürlich in felbfiflän- 
diger Ueberfepung und Behandlung, wobei man freilich oft die Kernſprache 
vutber's vermißt. Die Darftellung ift Mar und gefällig, Das katholifche 
Clement blidt in derfelben nicht durch. 

Die biblifche Gefhihte Nr. 43 (Bodemann) bat in der 12. Auf 
lage (die 15000 Gr. ftart und binnen 2 Jahren vergriffen war) ein Ju: 
bildum erlebt, indem fie mit derſelben nunmehr in 100,000 Gremplaren 
verbreitet IR. Die 13. Auflage bedarf darum keiner neuen Gmpfehlung. 
Wie der Titel fagt, iſt fie mit den Morten ber Bibel erzählt. Die 124 
Oeſchichten des A. (Vorbereitung des Heils) und des NR. I. (Ausrichtung 
des Heil) find ohne alle Beigaben; nur am Schlufie findet fi eine Zeit: 
tafel zur biblifhen und Kirchengeſchichte. 

Re, 44 (Deutſch) gibt d1 Geſchichten des N. und 78 des R. T 
mit Worten der Vibel und einer guten Auswahl von Bibeliprüchen,, ſowie 
mit fa durchgangiger WBenugung der 80 Lieder der Regulative 
Wo bei den lehteren „der alte AÄusdrud, weil unſrer Zeit nicht mehr ver 
Randlih, In don gegenwärtigen Sprahgebrauh umgefebt 





Religionsunterricht, 61 


werben mußte, geſchah es mit der größten Pietät ohne bie geringfle Aen⸗ 
derung des Inhalts. Die ſprachliche DVerjüngung mußte erfolgen, wenn 
das betrefiende Lieb der Kirche erhalten werden fol. Wie jeder Menich, fo 
bat aud jedes Beitalter feine Gaben.“ Cs ift anerlennenswerth, daß ver 
Berf. hiermit der Zeitforderung Rechnung trägt, und mit Recht beruft er 
fih denen gegenüber, „die am Buchſtaben Kleben bleiben wollen,” auf 
2 Ror. 3, 6 (der Buchſiabe tötet ıc.) und auf Luther's Vorgang, der ja 
auch alte Kirchenlieder zeitgemäß bearbeitet bat, ſowie auf die Barianten- 
menge der lutberiihen Bibelüberſetzung. Sein Buch ift, wie früher vom 
Gen. Sup. D. Hahn, jo jet vom Gen. Sup. D. Grbmann warm em» 
pfoblen worden. Die neue Auflage deſſelben ift vielfad durch Umarbeitung, 
Erweiterung und Verkürzung mander Geſchichten und durch Aufnahme - 
neuer wichtiger Stüde verbeflert worden. 

Die bibliihen Geſchichten von Berthelt zc. (Nr. 45 u. 46) find 
befannt genug und aud bereits B. XIV, ©. 53 beiprocden. 

Ueber Nr. 47 (Zürbringer) fiehe die Anzeige B. XVII, ©. 47. 
Das Buch hat fi ebenfalls, wie die unten ſtehenden für die Mittel: und 
Unterllaſſen (Nr. 48 und 51) bereits in mehreren Auflagen Bahn ges 


b. Für Mittelllafien. 


48. Biblifhe Geſchichten. Für die Mittelliafien ber evangeliichen 
Boltsichulen bearbeitet von Morig Kürbringer, Stabtichulrath in Ber⸗ 
lin. Nebft einem Anhange, enthaltend eine Sammlung von Morgen, unb 
Abenbgebeten und Liedern. Achte Auflage. Berlin, Alwin Prausnig, 
1865. XVI u. 179 ©. geb. 74 Sgr. 


49. Ausgewählte bibliſche Geſchichten bes alten und neuen Teflamen- 
tes für Mitteltlajfen, möglihf wortgetreu nad ber heiligen Schrift 
erihle und mit Kernfprüchen verfehen von E. Brännert, Lehrer an ber 
Nädchenſchule zu Rudolſtadt. Rudolſtadt, Verlagsbuchhandlung ber fürfl. 

priv. Hofbuchbruderei, 1864. VIII u. 120 ©. 6 Sgr. . 


Biblifhe Erzählungen, für Schüler in ben Unter- und Mittel» 
Haffen ber Vollsſchulen bearbeitet von H. Berger, Schullebrer. Deflau, 
Baumgarten u. Comp., 1866. 74 ©. 4 Sgr. 

Nr. 48 (Fürbringer) ift das Mittelglied zwifhen Nr. 47 u. 51. 
Diefe bibliihen Geſchichten follen durch ihre Verbindung mit den beiden 
erften Artileln des hriftlihen Glaubens die Erlenntniß des durd die ganze 
heil. Geſchichte gehenden Heilsplanes Gottes in der geeignetfien Weife vor: 
bereiten. Die Kirchenlieder find gang nach dem Driginalterte abgebrudt. 
Bergl. die Anzeige im B. XVII, ©. 48, 

Der Verf. von Nr. 49 (Brünnert) glaubt bei feinem Unterrichte 
gefunden zu haben, „daß bie einfahe Bibelſprache den Kindern oft 
verftändlidher war, als unfre Schriftſprache, in welcher manche Bücher 
die biblifhen Geſchichten erzählen.” Andere denken barüber freilich anders, 
wie z. B. Schuler, |. Nr. 53. Bon den mitgetheilten Geſchichten follen 
20 mit einem Sternchen bezeichnete den Kindern des erften Schuljahrs zu 
bieten fein. Nubanwenbungen gibt er nicht, faßt aber den Hauptgebanten 
jeder Geſchichte in den unter diefelben gejeßten Sprüchen zuſammen. 


50 


62 Religionsunterricht. 


Auch Nr. 50 (Berger) verfährt in gleicher Weife, wie Ar. 49, nur 
durch zwedmäßigere Kürze fih von dieſer unterfcheidend. 


c. Für Untertlaffen. 


51. Biblifhe Geſchichten. Für bie Unterflaffen ber evangeliidhen Bolts- 
ulen bearbeitet von Morig Hürbringer, Stadtſchulrath in Berlin. 
Nebſt einem Auhang, enthaltend eine Sammlung von Sprüden unb Lies 
bern, mit pen schn Geboten unb bem Gebete bes Herrn. Siebente 
Aufl in, Wwin Bransnis, 1866. X und 80 ©. geb. 5 Ger. 


52. Der erſte Keligionsnnterrigt für Kinder evangeliſcher Ehrißen. Mit 
befonderem Anſchluß au bie „Srläuternden Beflimmungen zur Auwendung 
der Grundzüge, beireffenb Eintihtung und Unterricht der edangelilen eine 
Haffigen Clementarſchulen“ der Königl. Regierung zu Merfeburg vom 2. Ja- 
Bi 1855. Bon 8. Materne, Directer bes Schullehrerſeminars zu 

Säloß-EiRerwerba Ausgabe B: Für die Schüler. Eisleben, ©. Reichardt, 
1865. 74 ©. 3 Gar. 

. Uusgewählte ide ins Für bie drei erfien Schuljahre 
bearbeitet vom Präceptor Ehr. 8. — Lehrer an der Elemen⸗ 
tar aub —— in —R Stuttgart, Chr. Balſer, 1866. IV unb 


. Das erſte Religionsbud für evangeliihe Kinder von 5 bis 8 Jahren 
von Dr. 8. Schneider, Königl. Seminardirector in Bromberg. Ausgabe 

für die Schule. Poſen, Heine, 1566. 48 ©. 

Ba ee a —— 

beten. Grimma, Oscar Senn. “6 ” 

56. Der Herr Zeine ebrinun 44 Heine Geſchichten aus feinem Leben. 

Für Bleinere Kinber. belſprüchen. Grimma, DO. Sem. 46 ©. 


Ar. 5 (Fürbringer), die unterfte Etufe zu Rr. 47 u 48 gibt of 
fenbar für die erfien Edhuliahre zu viel und zu Schweres. Der Berf. fügt 
nämlich zu un 9a t. und 18 n. t. Erzählungen auf die beiben erſten 


& 


> 


* 


mit Deiner Gnade :c.”, „Jeſus lebt x.”, die die Faſſungskraft der Kleinen 
überfleigen.. Die Sprüde find meiſt ſehr gut gewählt, aber aud zu 


Bon Rr. 52 (Materne) gilt dafielbe. Hierzu gehört die oben um 
ter Rz. 11 befprocddene „Ausgabe für den Lehrer.“ 

Der Bar. von Rr. 53 (Schuler) findet es nit zwedmäßig, daß 
die Zahu’ichen bibliſchen Hiftorien in den unteren Klaſſen der höberen Lehr: 
anfalten zu Stuttgart eingeführt find. Gr erflärt es mit Recht für un« 
paſſend, die Geſchichten (mie es dort geſchieht) Kindern von 6—9 Jah⸗ 
ren mit den Borten der Bibel zu geben, weil deren veraltete 
Sagconfructionen für Kinder diefes Alters nimmermebr 
verkändlih find und es ihm unmöglid machen, nad foldem Ruſter 
die Geſchichten zu leſen und nachzuerzählen. Auch nimmt er Anſtoß an 
vielen unpafienden, oft das Ehamgefühl der zarteren Jugend ver: 
legenden Ausprüäden, durch welche der Lehrer feibh nicht felten in 
Berlegenbeit fommt. Bon felden Aufhten geleitet, bat er mit feinen 





Religionsunterricht. 63 


bibliſchen Geſchichten ein, von vielen Lehrern und den Eltern ihrer Schü: 
ler längft gefühltes Bedürfniß zu befriedigen und der Jugend eine heilige 
Geſchichte zu liefern gejucht, welche fie mit Leichtigkeit, Luft und Freude lefen 
und in ihr zartes Herz und Gemüth aufnehmen können. Fernerhin hat er 
aber dabei die fchönen und kräftigen Ausprüde Luther’s, und befonders dies 
jenigen, welche als Memomirftoff dienen, verbote(nidt ti)nus aufgenoms 
men. Mit richtigem Tacte bat er dafür geforgt, daß die Erzählungen nicht 
zu lang und wo möglid nicht mehrere derjelben in eine zujammengefaßt 
wurden. Wir können diefe Hare, einfahe Darftellung als eine in den meis 
ſten Fällen recht wohlgelungene, das Kindesalter anfprechende empfehlen. 

Nr. 54 (Schneider) gibt nur 18 Geſchichten, aber jede in kurze 
Abſchnitte getheilt und entipricht darin, fowie in einer einfachen und gefäls 
ligen Darftellung den Grundfäßen der vorigen, unter Nr. 53 angezeigten 
Schrift. Indeſſen hält er fih doch firenger an das Bibelmort und gibt in 
den Katechismusftüden, Liederverfen und Gebeten den Negulativgeift zu ers 
fennen. Das Büchlein ift für Kinder von 5—8 Jahren beftimmt ; und nicht 
bloß die Seminarübungsihule, jondern auch feine eigenen finder haben 
dem Berf. als Correctiv für die Verftändlichleit der Darftellung gebient. 

Die bibliſchen Gefhihten von Nr. 55 und 56 find mit Worten der 
Bibel erzählt und haben nichts Eigenthümliches, außer daß den im Anbange 
zufammengeftellten Sprühen Fragen oder erklärende Ueberſchriften voran: 
geftellt find, um die Kinder befier auf den Inhalt derſelben aufmerkſam 
zu maden. 


d. Hilfabücher zum Unterridte in ber biblifhen Geſchichte für 
Si Schüler und Lehrer. 9 Bite | 


37. Endiridbion ber biblifhen Geſchichte oder: Fragen zum Verſtändniß 
und zur Wiederholung berjelden von F. W. Dörpfeld, Hauptlehrer in 
Bremen. j 8 8 eite vermehrte Auflage. Gütersloh, C. Bertelsmann, 1865. 
50 ©. gr. 


58. Hilfsbüchlein für ven Unterricht in ber Bibelkunde. Erſte Stufe. 
Lefen und Aneignen bes hiſtoriſchen Inhalts der Bibel. Bearbeitet von E. 
Walter, Hauptlehrer an ber Knaben-Bürgerfhule. Mit einem Vorwort 
von Dr. Otto, Rector der Knaben-Bürgerihule zu Mühlhauſen. Mühle 
haufen i. Th, Danner, 1866. 112 ©. 


59. Die Bedeutung ber Weltſchöpfung nah Natur und Schrift von M. 
Dei Kranffurt a. M., Heyder und Zimmer, 1866. VII unb 96 ©. 
Ueber Zwed, Anlage und Gebrauh des Enchiridions (Nr. 57) bat 
fih der Verf. (Dörpfeld) in einem bejonveren Schriftchen ausgefprochen, 
über welches bereits oben zu Nr. 39 ausführlich berichtet worden if. 

Nr. 58 (Walter) ift eine Nahbilvung von Nr. 57, wenigftens in 
Tendenz und Einrichtung das getreue Ebenbild deſſelben, und bedarf daher 
keiner nochmaligen Befchreibung Wie Dörpfeld (Nr. 39), fo empfiehlt 
bier Dtto, im Vorwort, die Methode dieſes Yragebüchleins als eine vor: 
trefflihe Anleitung zum Leſen, Verftehenlernen und Uneignung des Lehr 
und Lernſtoffs, zu ſelbſtſtaͤndiger Durcharbeitung defielben, zu guter und 
gründlicher Repetition und nebenbei zur Sprachbilvung. 














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Religionsunierricht. 66 


miliennamen dieſes lieben Mannes, nämlid Schwarz, Schwarzer ober 
Schwarzert auch „für Alt und Jung” wieder an’s Licht bringt. — Die 
Darflelung im „Lutherbuͤchlein“ ift anſchaulich, lebendig und feflelnd. Auch 
it die Sprache anmuthig und fließend, obſchon altertbümlihe Formen, an 
denen unjer „Jung und Alt“ keinen rechten Geihmad findet, wie „fintes 
mal, gewann“ u. ſ. w. gebrauht werden. Nädft dem „Reformatiensbüchs 
lein” von Nonne (f. Bd. XVII, ©. 52) verdient das „Lutherbüchlein“ 
gebübrende Anerkennung. 


61. Philipp Melanchthon. Ein Lebensbild für Ult und Jung von Franz 
Knauth, Rector zu Mühlhaufen in Thüringen. Zweite, vermehrte Auf 
lage. Mit Ph. Melanchthon's Statue von 3 Drake nebft dem Contrefey 
feines Petſchafts. (Lin Theil des Neinertrags ift für Verunglüdte, für 
Kranke und für Kinder und Rettungshäuſer befiimmt.) Berlin, 9. U. Wohl 
smmb. 1865. 143 ©. 5 Egr. 

Das beſcheidene Schrifthen, mweldhes zum erften Mal im %. 1860 er 
ſchien, verdankt feine Entftehung dem Wunſche, dem deutſchen Wolle evan- 
geliſchen Belenntnifjes für die damals bevorftehende Säcularfeier des Todes 
Melanchthon's ein mahrheitsgetreues und allgemein verftändliches Bild fei- 
nes Lebens und Wirkens vorzuführen. Da das Büchelchen nicht mifien: 
Ichaftlihen Zweden dienen, fondern lediglich das Gedaͤchtniß des großen 
„kraeceptor Germaniae“ im deutſchen Volle new beleben follte, fo kam 
es dem Berf. weniger darauf an, neue Uuellenforfhungen zu bieten, als 
vielmehr die Momente im Leben des ausgezeichneten Mannes heraussubeben, 
aus welchen ſich der Reichthum und die Kraft feines Geiftes, der Adel fei- 
ner Gefinnung, die Innigkeit feines Glaubens und die Bedeutung feines 
Wirkens für das Gelingen der Neformation am leichteften erkennen läßt. 
Im Rahmen feines äußeren Lebens tritt uns feine innere Entwidelung, 
feine jeltene geiftige Begabung, die Fülle feines Wiſſens, die Tiefe feiner 
Gelehrſamkeit, das innige Freundfchaftsverhältniß zu Luther, fein verbienft: 
liches Wirken für Kirhe und Schule, feine fchriftitelleriihe Thätigleit, feine 
erfolgreihe Mithilfe an der Bibelüberſetzung, fein unerſchrockener Muth bei 
der Beförderung und Pertretung des Reformationswerks, aber auch fein 
fanfter, verföhnliher Sinn, feine Borfiht und Schüchternheit, ja Aengfilich« 
keit, die immer wieder durch Luther's Entſchiedenheit und kraͤftiges Vor⸗ 
fchreiten überwunden werden mußte, entgegen. 

Unter den Beilagen befindet ih Paul Eber’s Weberfegung von 
Melanchthon in lateinischer Sprache verfaßter Gevihte: „Von dem Echutze 
der heiligen Engel gegen des Teufels Lift“, ferner M. Johann Gigas 
Weberfegung einer precatio Melanchthon's und zweier lateinischer Tifchgebete 
deflelben. 

Möge das mit Liebe und Fleiß gejchriebene Werkchen aud auf feiner 
neuen Wanderung zum deutfchen Volle fi der freunplihen Aufnahme zu 
erfreuen haben, die ihm bei feiner erjten zu Theil ward und die es in 
Wahrheit verdient. Volks⸗ und Schuibibliothelen follte es nicht fehlen. 


62. Die Geſchichte ber Inden von der Hüdtehr aus ber Babtzloniſchen Ge- 
fangenfcheft bis zur Aufloſung ihrer nationalen Gelbftflänbigteit, mit ſieter 
War. Jahreßberit, XVIU. 5 


66 Religiondunterricht, 


Hinweifung auf bie Heilige Schrift. Ein Haudbuch beim Lejen und Unter 

richten in der Heiligen Schrift ; insbeiondere beim Studium ber Geſchichte 

und Geographie Paläſtina's, fo wie ber flaatlidhen, kirchlichen und bürger- 

Iihen Ginrihtungen und Gebräuche ber Iſraeliten zur bibliihen Zeit. Bon 

Friedr. Bild. Ungemwitter, Lebrer in Lennep. Mit 4 Zeittafeln. Gli⸗ 

tersloh, ©. Bertelsmann, 1865. VII und 173 S. 20 Ger. 

Aus dem durch ernftes Bibelſtudium genäbrten Geifte und Herzen eines 
achtbaren Lehrers ift das vorftehende Hanpbud zur Geſchichte der Juden 
hervorgegangen. Sein umfangreicher Titel gibt genügend an, was er ent 
hält und bezwedt. Mit vollem Rechte fagt der Verf. im Borworte: „Um 
‘einen (durchaus unentbehrlichen) Weberblid, einen in etwas fideren Stand⸗ 
punlt beim Studium der Bibel zu gewinnen, gehört vorzugsweife, daß man 
ſich mit der Geſchichte der Juden, überhaupt mit dem Volle, welches 
Gott auserjeben und befähigt hatte, ein Segen für alle Geſchlechter der Erde 
zu werden, gründlid befannt zu maden; daß man ſich eine moͤglichſt Klare 
Einſicht in das Verhältniß dieſes Bundes:Bolls zu feinem unſichtbaren 
Oberhaupte zu verfchaffen ſuche, die Geflaltung feines äußern unb innen 
Lebens in den verſchiedenen Beitepodyen, feinen Einfluß auf die übrigen 
Nationen u. A. m. genau kennen lerne, fpeciell anzugeben wiſſe. Um bas 
bin zu gelangen, fol vorliegende Bearbeitung eines wichtigen Abſchnittes ber 
jüdifhen Geſchichte bilfreihe Hand leiften und fo zugleid einen Beitrag zur 
Grflärung des N. T. insbeſondere liefern. Die in dem Xert enthaltenen 
Bibelſtellen follen entweder das Ausgejagte beftätigen, vervollftändigen, oder 
neue Ideen erweden. Bei der Ausarbeitung dieſes Geſchichtsabſchnittes find 
vorzugeweile „Das Morgenland von ©. Preiswert“ und „Das Neue 
Zeftament von Otto von Gerlach“ benust worden.” Daß die Be 
nutzung dieſer Vorarbeiten eine umjihtige, einfichtspolle und forgfältige ges 
weſen iſt, davon legen die 61 Abfchnitte, welche von dem Berf. beſprochen 
werben, jehr genügendes Zeugniß ab. Die Lectüre der ganzen Schrift, de⸗ 
ren reihem Inhalt auch die ſchöne Form entipridht, bat uns viel Genuß 
gewährt und wird allen Gebilveten, welche den bezeichneten Abſchnitt ber 
Geihichte des Volls, aus welchem das Heil gelommen ift, näber Tennen 
lernen wollen, insbejondere allen Lehrern, welche zum Beiten ihrer Schu⸗ 
len auf tiefere Begründung und weitere Vermehrung ihres geſchichtlichen 
Wiſſens bedacht find, aus voller Ueberzeugung empfohlen. Wir wünſchen 
von Herzen, daß dieſer erfte Theil des angezeigten Buchs freundliche 
Aufnahme findet, damit der Verf. zur Veröffentlihung der von ihm beabs 
fihtigten anderen beiden Xheile, in welden „die Geographie von Bas 
läftina mit 4 Meinen Karten” und „ber Tempel und das Haus ber 
Siraeliten zur biblifhen Zeit” behandelt werben foll, ermuthigt und gektäfs 
tigt wird. Bon Heinen Berihtigungen und Ergänzungen, bie da und bort 
vielleicht gemadt werden könnten, ſehen wir bier ab, können jedoch nicht 
umbin zu bemerfen, daß der an fi ganz vortrefilihe „Aufruf an Iſrael“, 
welcher mit den Worten anbebt : 

Komm doch berzu, o Sirael, 

Und trinle aus dem füßen Duell ꝛc. 
erft dann in Erfüllung gehen wird, wenn bie Schutt: und Steinmaſſen 
fammt Dornen und Heden, welche in allerhand Menſchenſatzungen dieſen 


Religionsunterricht. 67 
„Quell“ umgeben und abfperten, binweggeräumt fein werden durch die Kraft 
des Geiftes evangelifcher Wahrheit. Ä 


63. Charakterbilder aus der Reformationsgefhihte Italiens. 
Zur Belehrung und Erbauung ber Gemeinde, bargeftelt von Rages Chris 
foffel, Pfarrer in Winterfingen, Bafelland. Erſte Lieferung. Erlangen, 
Andr. Deichert, 1865. V und 73 ©. 7} Ser. 

Dieſe Schrift will einem doppelten Zwecke dienen, nämlih: erſtens 
einen Einblid in die evangelijhe Erwedung in Jtalien gewähren 
und damit zugleich zum Verſtändniß des italienifchen Bollscharactere, ſowie 
zur Grlenntniß der Gründe für das Scheitern der reformatoriichen Beftres 
bungen in Stalien das Shrige beitragen, — fodann durch Vorführung 
einzelner Glaubenshelden in ihrem Leben, Wirlen und Leiden um 
bes Glaubens willen zur Erbauung der chriftlihen Gemeinde mitwirken. 
In der vorliegenden erften Lieferung ift das innere und äußere Leben Ga⸗ 
leozzo Caracciolo's und Baldaffare Altieri’s gefhildert. Er 
fterer, ein hervorragendes Mitglied der evangelifhen italienischen Gemeinde 
Genfs und mit Calvin innig befreundet, ift infofern ein Märtyrer feines 
reformatorischen Belenntnifjes geworden, als er ihm zu Liebe auf die Bor: 
theile verzichtete, welche ihm hohe Geburt und Reichthümer gaben, und fi) 
von feiner italienischen Heimath, feinem Weib und feinen Kindern freiwillig 
trennte. In Altieri tritt uns das Bild eines thatlräftigen Mannes ents 
gegen, der eifrig beftrebt ift, dur Verbreitung der Schriften der deutſchen 
und ſchweizeriſchen Reformatoren und durch diplomatiſche Wirkſamkeit bie 
evangeliſchen Gemeinden Italiens feſter zu gründen und gegen die Verfol⸗ 
gungen der päpftlihen Partei zu jchüten. — Beide Charakterbilder find ans 
ziebend geichrieben und wohl geeignet, den oben angegebenen Zwed zu fürs 
den. Wir empfehlen fie denen, die fih für Specialitäten aus der Refors 
mationsgeſchichte intereffiren. | 


D. Bibliſche Geographie. 


64. Paläftina beichrieben von C. Hergt, Berfafler der dem Sophienfift 
in Weimar gewidmeten Wanblarte des [gelobten ?] Landes. Weimar, geor 
graphifches Inſtitut, 1865. XII und 499 S. 24 Thlr. 

Der Ber. hat nicht die Abſicht, das reihe Material aller Quellens 
Schriften über PBaläftina in ſyſtematiſcher Weife nach allen Richtungen 
bin erjchöpfend zu bearbeiten; feine Darftelung ift daher nicht die ftreng« 
foftematifhe, fondern nimmt oft ven Charakter von Reifeberihten an, 
Die Aufgabe, die er ſich geftellt hat, gebt nämlich dahin, „was allgemein 
wifienswerth wäre, jo an einander zu reiben, wie ed in möglihft abge= 
rundeten Bildern fich gegenfeitig am natürlichften beleuchten, am zweck⸗ 
mäßigften ergänzen und ftufenmweife die Auffafiung von größeren Gruppen 
bis zur Ausbildung einer klaren Gejammtanfchauung befördern möchte.” 
Und fo gibt er denn — nad einer Schilderung der plafliichen Geſtalt des 
Landes und nad) einer biftorishen Weberfiht über die vorisraelitiihe Bes 
völlerung, über die Nachbarvoöller und über bie Zeiten nach der israelitiſchen 

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Eimmizterun Pi Viere Iıe — auttiitrlige Beihreibun: 
gen dea erıne zureiome Beriee, Dei Gbet vom See 
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Kutter Eirfrear Tune rad Isse Fer zus feine mäclten Vlies 
sehen. ta2 Mur:i>er ren Tıriz ıriterzes veu Eupen ber durch 
te Sie It. eiee tas Fencır nee Sımarı, Kifenchene am 
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‚ Religionsunterridht. 69 


das Gebet kurz und kindlich fei, daß fein Inhalt die ganze Schularbeit 
heilige und darum allgemeiner Natur ſei, an den inhalt des ges 
meinſchaftlichen Gefanges anfnüpfe und mwomöglid zu der nachfolgenden 
Bibelftelle hinüberleite, — daß es nicht frei gefprocen, ſondern feftftehend 
formulirt werde, — daß der Lehrer felbft bete, während die Echüler 
mit gefalteten Händen und zu Boden gefentten Bliden fiehen, und daß er 
überhaupt „ſelbſt durch fein Gebet den Kindern ein rechtes Vorbild 
werde und ihnen durch fein eigenes Vorbild zeige, mie ein Chriſt mit ſei⸗ 
nem Gott und Heiland im Gebete Umgang pflege.” Der liturgiſche 
Gang, welchem auch die Gebete hier eingeordnet werden, iſt folgender : Lied, 
Gebet, Zert, V. U., Lied, Segen. Zuerſt gibt der Verf. Morgengebete für 
die Vollsihule und Gebete zum Anfang und Schluß der Nachmittagsſchule, 
dann folgen Gebete für die Sonntags: und Feiertagsſchule, Morgengebete 
für Mittelſchulen, Abenpgebete für Erziehungsanftalten, Confirmandens, Beicht⸗ 
und Abendmahlsgebete, Tiſchgebete für Erziehungsanftalten, Schulgebete in 
befonderen Fährlichkeiten und bei bejonderen Feierlichkeiten, endlich kurze 
Reimgebete und Bibelſprüche für Kleinkinderbemwahranftalten. Im Anbange 
ftehen : ein Berzeichniß der fonntäglihen Perikopen und eine Oftertabelle (in 
welcher aber bedeutende Drudfehler find: 34, 38. und 5. März !). — Ueber: 
mande Grunbjäße und Behauptungen des Berfaffers ließe fich ftreiten ; doch 
flimmen wir in der Hauptfadhe mit ihm überein. Der orthodoxen Färbung, 
die bier und da hervortritt, entſpricht auch die veraltete Form ſo mancher 
in bie Gebete verwebten Verſe, wie S. 11: 

Daß mir würben losgezählet, 

baft du wollen fein gequälet ; 

daß wir möchten troſtreich prangen, 

baft Du fonder Troſt gehangen. 


67. Chriſt liches —— für Schulen. Bierte Auflage, bearbeitet 
von Dr. W. Nöldele, Director der Stabttöchterjchule zu Hannover. ‚van 
nover, HDahn' ſche Hofbuchhandlung, 1865. VI und 216 ©. 10 Sgr 


68. Ehriflihes Geſan and für böbere an Sdttingen, Banbenhord 
und Ruprecht, 1865. und 96 S. 6 S 

Beide Geſangbücher unterſcheiden ſich buch Umfang und Anordnung, 
Nr. 67 gibt 200 Lieder mehr als Nr. 68 und ordnet ihren Gang nad dem 
Kirchen⸗ und Schuljahr, während Nr. 6% den hiſtoriſchen Weg einjchlägt 
und, ‚von Luther bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts fortjchreitend, die 
Geſchichte des Kirchenliedes zur Anſchauung bringt. Beide Gejangbücher 
ftimmen aber aud überein in dem ortboporen Geifte, der fie durchweht 
und in ihrem Gejhmad an ven veralteten Formen ber Kernlieber. 

Nr, 67 (Nöldele), verfaßt von Ahrens, Havemann und Lü— 
deling (1836), hat fih hauptjäkhlich ven „Verſuch eines allgemeinen evans 
geliichen Geſang⸗ und Gebetbuchs, Hamburg bei Perthes, 1833“ zum Mus 
ſter genommen und ift in der 4. Auflage nur wenig verändert erfchienen. 
weil no de des Buches kann man aus ber einen Probe erfens 

: (Rr 24 


70 Religionsunterricht. 


Der Menih von eim Weib gebom 

Mit Web und Schmerzn in Gottes Zorn 
Und lebt allhier ein Heine Zeit 

In Jammer, Noth und Dürftigleit. 


Sm Anbange gibt ed Verzeichniſſe der Melovien, der Bibelftellen, der 
Liederbichter und der Lieder. 

Nr. 68 (Göttinger Geſangbuch) hat die meiften Lieder aus Nr. 67 
entlehnt, ift aber noch mehr auf ben urfprünglichen Text zurüdgegeben. Mit 
pädagogischer Bwedmäßigleit hat es die möglichfte Beſchraͤnkung angefirebt, 
um „nur das Belle, jo zu jagen kirchlich Klaffifhe, und zwar wirt 
lid Sangbares der Jugend darzubieten. Der Anhang diefes Buches gibt 
ein Berzeihniß der Lieder a) nad ihrem Inhalte b) nad alphabetifdher 
Reihenfolge. 


69. Beiträge zu einer frudtbaren Behandlung ber burd bie preu- 
ßiſchen NRegulative beflimmten evangelifhen Kirhenlieder Unter 
befonberer Bezugnahme auf ben Unterricht im lutheriſchen Katehiemus, wie 
der Kirchen⸗ und Baterlandegeſchichte und mit Berüdfictigung des gejamm- 
ten Liederkreiſes der bewährteften evangeliihen Geſangbücher bearbeitet und 
herausgegeben von Wilhelm Leitrig. Mit einem Borwort von W. 
Stolgenburg, Tönigl. Regierungs- und Schulrath in Liegnitz. Dritte 
vermehrte und verbefierte Auflage. Berlin, bei Ebuarb Bad, 1865. AV 
383 ©. 28 Ger. 


Nah allen Seiten hin hat der Berf. mit großem Fleiß und mit ums» 
fihtiger Auswahl dafür gejorgt, durch fein Wert „ein umfangreiheres , tie 
feres und darum fruchtbareres Verſtändniß des evangelifhen.Kird: 
liebes zu vermitteln, als es burch die vorhandenen Hilfsbücher ermöglicht 
wird“, zugleih aber au „in dem Material, das für ſolche Bermittelung 
berbeigezogen ift und mit dem Kirchenliede in engfter Verbindung ftebt, an= 
deren Disciplinen der Volksſchule, wie dem Katechism̃usunterrichte, 
der Kirchen⸗ und Vaterlandsgeſchichte ungelünftelte, wirkſame Handreichung 
zu gewähren.” Für jenen Zmwed beſtellt er ausführliche lebensvolle Bio: 
graphien der Dichter bei jedem Liebe in den Vordergrund, gibt dann 
den Gedanfengang der einzelnen Lieber an, weiſt durch beigefügte Bi⸗ 
belfprühe auf die biblifhen Srundlagen und Anklänge derſelben 
bin und nimmt auf die Erklärung mißverflandener Gonftructionen und als 
terthümlicher Wörter und Wortformen Rüdfiht. Für diefen gibt er mehr 
denn hundert anſchauliche Erzählungen für den Katechismus, für Kirchen⸗ 
und Vaterlandsgeſchichte; auch fügt er Notizen über die Melodien der Lies 
der bei, fowie Hinweifungen auf die Stellen verjelben, die ſich beim Re⸗ 
ligionsunterriht anwenden lafien. Dieſe Sinweifungen bat er im Anbange 
ſowohl für die bibliſche Geſchichte, als aud für den Katehismus überficht: 
lih zufammengeftellt, denen er auch noch Megifter über die Lieder, Dich: 
ter und Tonmeifter beifügt. — . Das Werk enthält jehr viel Gutes ; wenn 
nur das Beſſere der Neuzeit nit Jo ganz vernadläffigt und das ungenieß⸗ 
bare Alte nicht in feiner abftrufen Form gegeben wäre! Nur ein’ Regula 
tivmann kann ed für gut finden, ber jebigen deutſchen Schule noch Berje 
zu bieten, wie bie in dem berrlihen Liede „Wach' auf, mein Herz ꝛc.“: 








Religtonsunterricht. 71 


„Heint, als die dunkeln Schatten Mich ganz umgeben hatten, Hat Sa⸗ 
tan mein begebret, Gott aber hat's verwehret. Ja, Vater, ald er ſuchte, 
daß er mich frefien mochte, War ih in Deinem Schooße, Dein Flügel 
mich beſchloſſe.“ Das ift doch der Schule der Gegenwart zu viel zus 
gemutbet ; und warum follen die wirklich guten Verbeflerungen alter Lies 
der nicht angenommen, und die herrlihen neuen Lieder von Hey, Bretjchneis 
ber, Niemeyer, F. Schmidt, Lover u. v. A, verworfen werben ? 


F. Erbaulides. 


70. Sieben Briefe über das Lefen ber Bibel, gerichtet an eingefegnete 
Zünglinge und Zungfrauen, bie Gottes Wort lieben; wie am evangelifche 
Ehriften überhaupt von Dr. A. S. Jaspis. Herausgegeben und verlegt 
von dem Hanpt-Berein für chriftlide Erbauungsichriften in ben Preu«- 
Bifhen Staaten. Berlin, Magazin be® Haupt-VBereins, 1864. VI und 
626. 5 Ger. 

Der Verf. ift zum Schreiben diefer Briefe durh die Wahrnehmung 
veranlaßt worden, daß es im criftlihen Volle am eifrigen Lejen ver hei⸗ 
ligen Schrift und noch mehr an eingehender Schriftbetradhtung überall fehlt. 
Dem Mangel an beftändiger und verftändiger Beichäftigung mit Gottes 
Wort kann feiner Ueberzeugung nah nur dadurch abgeholfen werben, daß 
man bie heranwachfende jugend, und zwar ſchon vom 12, Lebensjahre an, 
gewöhnt, täglich in der Schrift zu leſen und das Gelefene zu bebdenlen und 
zu beberzigen. Diefe Briefe jollen dazu mithelfen, daß die Bibel der Ju⸗ 
gend für das lange, ernfte, oft überaus ſchwere Leben nahe gebradht, zu 
einer Quelle der Kraft und bes Trofles für das ganze Leben gemacht werde. 
Und in der That find fie recht geeignet, zu einem fruhtbringenden 
Bibellefen anzuleiten. Die Sprache des Verfaſſers ift einfah und vers 
ftändlich. Man merkt es ihm an, daß e3 ihm die Sache des Herzens und 
Gewiſſens ift, die Jugend ſchon früh auf das Heilige zu lenken und in ihr 
Liebe zur Schrift zu entzünden. — Im erften Briefe gibt er die Gründe 
für ein öfter wiederkehrendes Bibellefen an. Der erfte Grund ift: daß bie 
Bibel der unmittelbar aus Gott fprubelnde Duell der Wahrheit und Er⸗ 
quidung für Geift und Herz ift, jede andere religiöfe Schrift nur Waſſer 
bietet, welches aus ihr gefhöpft if. Der zweite Grund iſt: daß die Kraft 
des heiligen Geiftes mittelft des Mortes fih dem Menſchen mittheilt, durch 
das Leſen der Schrift das menſchliche Gewiſſen gellärt, gewedt und ges 
Ihärft wird. Der 2. Brief gibt Antwort auf die Frage, mie die Bibel mit 
Segen gelefen werben fol. Der 3. und 4. Brief ertheilen hierzu noch ber 
fondere Rathſchlaͤge. Der 5. bringt auf ein tägliches Bibellefen, räth, die 
biblifhen Bücher im Zuſammenhange und planmäßig zu betrachten, dabei 
auf die einzelnen Zeiten des Kirhenjahres Rüdficht zu nehmen und natürs 
lih aud durch Grlebniffe und Stimmungen des Herzens fi leiten zu laſ⸗ 
fen. Die Bewegung des Gelefenen im eigenen Herzen, die Anwendung auf 
das eigene Leben bleibt immer das Wichtigſte. Diefem Briefe find 4 Bei⸗ 
lagen angehängt, enthaltend : 1. eine Sammlung von Bibelftellen für die 
Seftzeiten ; 2. eine dergleichen für befonvere Lagen und Bedürfniſſe; 3. Minte 
für eine eingehende Betrachtung von Kol, 1, 1-23; 4. Das Lied Gellert’$ 


73 Religionsunterricht. 


über das Bibelleſen: „Soll Dein verderbtes Herz zur Heiligung geneſen zc.‘ 
Der 6. Brief nennt einige Hilfsmittel zu einem tiefer einpringenden Berftänb: 
niß der Schrift, 3. B. Bengel’d Gnomon. Im 7. Briefe redet der Berf. 
von dem Bimede ber einzelnen n. t. Schriften und ihrer Bedeutung für bas 
Ehriftenleben. 

Theilen wir auch des Berfafiers ftreng kirchlichen Standpunkt nicht 
und können wir und darum aud nicht mit einzelnen Heußerungen befielben 
einverftanden erllären, die einem Inſpirationsbegriffe entjpringen, welchen 
wir als durch eine unbefangene tbeologifche Wiſſenſchaft überwunden betrady- 
ten, fo drüden mir doch dem Berf. dankbar die Hand für das gute Wort, 
das er zur rechten Zeit geiprochen und wünſchen ibm Lohn für daſſelbe, 
daß e8 eine gute Statt in recht vieler Jünglinge und Jungfrauen Herzen 
finde und in denſelben Luft und Liebe zum Verkehr mit Gottes Wort wede. 
Mögen auch die Lehrer dazu mitwirken | 


11. Sechs Reben an ſcheidende Schüler Eine Mitgabe ber Schule und 
des Hanfes für Iünglinge und Jungfrauen. Bon Aug. Adolph Schle⸗ 
nel, Rector an der Bürgerihule zu Adorf. Plauen, bei Neupert, 1866. 
VI und 28 ©. 

Aus dem Vorworte dieſes Schrifthens erhellt, dab der Verf. die freund: 
liche Abfiht Hat, „dem vielbefchäftigten Lehrer einige Srleihterung bei Bor: 
bereitung auf dergleichen Neden zu gewähren.” In materieller Beziehung kann 
es auch wohl manchem Lebrer dieſen Dienſt leiften ; aber in formeller Hin» 
fiht möchten wir diefe Reden nicht als Mufter empfehlen, va fie zu viel 
Doctrinäres enthalten, oft zu flelettartig abgefaßt und bei allem Wohl: 
meinen doch nicht berzergreifend find. Wie viel vorzüglicher find doch bie 
„Schulreden“ von Clemen u. A., von denen ber Verf. gar nichts zu willen 
fcheint, da er übers ven Mangel folder Neben Hagt. 


712. Feſtreden. Bur Erinnerung an die Enthüllung bes Melanchthon⸗ 
entmals am 31. Drtober 1865 in Wittenberg. Gerausgegeben vom 
Comitd der Melandhtbon- Stiftung. Wittenberg, bei R. Herrofe, 

1865. 52 ©. 

Nachdem am 19. April 1860, bei der 300jährigen Gedächtnißfeier 
bed Todes Philipp Melandtbon’d auf dem Marlte zu Wittenberg neben 
Luther's Stanpbilde der Grund zu dem Melanchthon⸗Denkmal gelegt 
worden ar, ift daflelbe am Neformationsfefte 18565 feierlih enthüllt wor 
den. Das vorliegende Büchlein enthält nun 5 Reden, die bei dieſer Feier 
am 30. October (vom Gymnaſialdirector Dr. Schmidt, Director des Pre⸗ 
digerfeminard Dr. Schmieder, Rector der Uniwverfität HallesWittenberg 
Dr. Dernburg, Decan der theologischen Facultät vafelbft Dr. Jacobi 
und Decan der pbilofopbifhen Yacultät Dr. Rofenberger) gehalten 
wurden und vom 81. October die Seitprevigt de Sup. Dr. Shapper, 
die Weibereve des Generaljup. Dr. Hoffmann und die liturgifhe Dane 
kesfeier von Dr. Schmieder. Bom 1. Nov. ift, da die „Nachfeier nur 
für die ftäpdifhen und vorſtädtiſchen Schulen beftimmt war”, nichts mitge⸗ 
theilt als, die mehrfach verlangte Predigt des. Archidiaconus Dr. Seel: 


. Religtondunterricht. 13 


fiſch. Die lettere ift, ba fie für bie Kinder gehalten wurde, natürlich po⸗ 
pulärer gefaßt, als jene Neben und Predigten, in denen aber auch für den 
Zebrer gar mandyes Lehrreiche und Erbauliche enthalten ift. 


73. Das erfie Hauptſtuck des Heinen Katechismus Lutheri, das finb bie 10 
Gebote, autgelegt in Brebigten für das chriſtliche Boll von 8. 9. 
Caspari, weil. Pfarrer zu Münden. (Predigten L). Fünfte Auf 
lage. Stuttgart, bei Steintopf, 1865. 187 S. 74 gr. 

Diefe Predigten des als Volldlehrer bewährten, in München 1861 ges 
florbenen Pfarrers Caspari gehören infofern aud in den Pädag. Jahresbe⸗ 
richt, als fie den Lehrern, die den Katechismus zu erklären haben, ein Hilfs⸗ 
mittel bei der Auslegung ber 10 Gebote fein künnen. Der Verf. redet in 
einer Haren, bünbigen und echt populären Sprade zum Volle, und daß 
er damit Anklang gefunden, beweift das Erjcheinen der fünften Auflage, 


74. Der Katechismus der Kreugträger in ben Pjalmen 42 unb 43. 
Ein Lehr» und Troſtbüchlein für Leivende von A. Easpers, Kirdenpropft 
and Hanptpaflor zu Hufum. Leipzig, bei Teubner, 1865. VIII und 
108 &. 12 ©gr. 

Ref. nahm Anftand, dieſes Schriftchen mit den vorausſtehenden unter 
die Rubrik „Erbaulihes” aufzunehmen, da der Inhalt nad feinem Gefühl 
ein ſehr unerbaulicher if. Um den Geift vefielben kurz zu charalteriſiren, 
finde eine einzelne Stelle aus dem Capitel von des Kreuzträgerd Kampf 
mit Gott bier Platz: S. 42 heißt es unter Anderem: „Die Angft von 
Satan angeregt wird durch des Satans Mittel der Hoffnungsloſigkeit 
noch vermehrt. Satan bietet Alles auf, Satan öffnet die Hölle. Die 
Hölle ſchredt mit ihrer Zlammengluth und mit der Ewigkeit ihrer Qual 
Die Hölle ſchreckt mit der lechzenden Zunge des reihen Mannes, mit ſei⸗ 
ner flehenden Stimme — es ift mir, als ob feine Zunge meine Zunge, 
feine Stimme meine Stimme wäre. Ich böre als zu mir geredet: Sohn, 
Du haft Dein Gutes empfangen, und nun wirft Du gepeiniget, und Got⸗ 
tes Gnade und Jeſu Blut kann Dich niht mehr retten.” — Das ift 
denn doch wohl auch für den Strenggläubigen des Satans und der Hölle 
etwas zu viel. Wer jedoch nad foldher Belehrung und Grauidung für 
feine Seele verlangt, der findet in dieſem, nicht ſpeciell für Lehrer und für 
die Zwede der Schule gejchriebenen Büchlein reihe Nahrung. 


G. Allgemeine. 


75. Katechetiſche Bierteljahrefhrift für Geiſtliche und Lehrer. 
Ein Beiklatt zum bomiletifhen Monatsblatt „Geſetz und Zeugniß“ beraus- 
egeben unter der verantwortlichen Rebaction von ©. Leonbarbi und ©. 
Simmermann, evangelifch-Iutheriichen Pfarrern im Königreihe Sachſen. 
rfler Jahrgang 1865. Leipzig, bei Teubner, 1865. VII und 240 ©. 
Jaährlich 1 Er. 
Diefe Zeitfehrift, welche mit dem hbomiletiihen Monatzblatte „Geſetz 
und Zeugniß“ zufammen halbjährlih 1 Thlr. 20 Sgr. koftet, ift aud für 
fi allein zu haben (jährlih A 1 Thlr.) Sie enthält: 1. leitende Artikel 


74 Religionsunterricht. 


über die Behandlung des Katechismus und einzelner Stüde befielben, über 
Ratehismus: Sramina, über Confirmanden» Unterriht und Religionsunterricht 
in der Schule; 2. Katecheſen und Katechiſations-Entwürfe; 3. Erklärungen 
von Bibelabſchnitten für die Vollsfhule,; A. kürzere Schulreden. Im Ans 
ſchluß werben die neueren Erſcheinungen der latechetifchen Literatur in kun 
gen Recenfionen beiprocen. 

Im diefer Zeitfhrift jollen die Diener des Katechismus und Gchrifts 
worts in Kirche und Schule fi gegenfeitig „über ihre Lebrart und 
Lehrrefultate wiſſenſchaftlich ausſprechen und in praltifhen Beifpielen ver: 
antworten. Sie will „dafür mitwirken, daß das katechetiſche Wort des 
Religiondunterrichts in Kirche und Schule individual durdgearbeitet und 
hiermit feiner individualen Wirkung mehr und mehr zugeführt werde.” Und 
dadurch foll fchließlih „der Zuſammenhang geftärkt werden, in welchem ber 
Religionsunterriht der unerwachſenen und heranwachſenden Jugend mit ber 
Kirche des reinen Lebrworts fteht und zum Gedeihen von Schule und Kirdye 
ungerrilien ftehen muß.” 

Daß die Herausgeber und Mitarbeiter einer fireng kirchlichen Richtung 
buldigen, wie fih aus den Abhandlungen und Necenfionen ergibt, hindert 
nicht, ihre Zeitfchrift als ein Magazin lehrreiher Interweifung und Un» 
segung zu empfehlen. 





II. 
Mathematik. 


“ Bearbeitet von 
Dr. Bartholomäi in Jena. 


I. Methode. 


1. „Man bat e3 oft und gewiß nicht mit Unrecht als einen Vorzug 
der franzöfifchen mathematifchen Literatur gegenüber ber deutihen gerühmt, 
daß in dem Lande der Gentralifation die bebeutendften Gelehrten es nicht 
unter ihrer Würde halten, auch eigentliche Lehrbücher verjenigen Wiſſen⸗ 
ſchaften zu fchreiben, zu deren Vervolltommmung fie jelbft am Meiften beis 
trugen, während bei und vie Verfaſſung von Lehrbüchern nur ben diis 
minorum gentium überlafien blieb, over höchſtens die erfte Arbeit eines 
bei diejer Veröffentlihung noch wenig befannten Gelehrten zu fein pflegte, 
der fih damit der mathematiſchen Welt im Ganzen und Großen vorftellen 
wollte. Der Grund diefes Gegenjaßes liegt nicht etwa darin, daß der 
Deutihe weniger die Ueberzeugung gehabt hätte, mit einem guten Lehr⸗ 
buche ſegensreich wirken zu können. Das Bewußtſein iſt wohl ſchon längft 
allgemein verbreitet, daß für den Anfänger das Beite eben gut genug ift, 
während eher in den höheren Xheilen der Wiſſenſchaften dem Schüler 
Lüdenhaftes oder gar minder Genaued geboten werden darf, wo er ſchon 
die Fähigkeit erlangt hat, ergänzend und kritiſch feinen Lehrgang zu con 
troliren. Der Grund lag vielmehr fiherlih in der politiſchen Geftaltung 
unſeres Vaterlandes, welche es nahezu unmöglid machte, daß das Lehrbuch 
eines, wenn auch noch fo bedeutenden Schriftſtellers in den benachbarten 
Duodezſtaaten eingeführt wurde, der auf ſeinen eigenen Mathematiker viel 
zu ſtoiz war, als daß er feine Schriften nicht vorgezogen hätte. Darin 
war allerdings ein Hemmſchuh für bebeutende Männer, ihre Zeit und 
Mübheleiftung an Schriften zu wenden, in welcher untergeorbnete Geifter ihnen 
Concurrenz machen und dabei auf Erfolg hoffen durften. Es if ſicherlich 
kein Hereinziehen von Politit in damit nicht Zufammenhängendes, wenn 
ich behaupte, ein geeinigtes Volt und gute Lehrbücher in irgend einem 
Zweige der Wiſſenſchaft gehen ftetd Hand in Hand, und wie ber Gedanke 
einer naturnothwendigen Zuſammengehoͤrigkeit in den beiden legten Jahr: 
zehnten deutlicher und kräftiger zum Durchbruche kam, jo wird Niemand, 


ze m ertere Sch Yyrtieeen dvie Hermalbildung 
geaast aber ben B-'rterrzıa med Geinitsichene Iemeiwegs Daher 

neu Des Kixterıe, weite ıhre Leitner, zri wenn viele zu 
Den beten Eki.cm artizer, ie wer Iricthor “ren: buber Te lands 
Emubige Iberiate, bch irn joxger ———— 


feine Nriacke: iü ein Zuridietren auf tie Ginbeit beim Drei, 
Zunft mur Bieliag ci eime umnithig Peulirttrit, als eine Zeitverichwen: 
bung zu betra&bten"* _“ 


Eileen eine Neu von iczensunten Rebnungss 


—— Kur —— katt daß er turanf tenten ſollte, ihr 


*, Canter, Zeiridr. für Raid. = Fivi. IX fir ©. 
—* ract. Rechnen x. j34 VRerwert — Da fe dieſe deal- 
meierei, gemiidt mit balber uud ganzer Unmatzbeit, weil auf llebertreitung be- 
zuhenb ? Die Sule bezwet un tie fermale Riltung, end den beien Scha- 
ber Rauimenn wenig brauchdar finden, Leim janger DBaubandwerier 
feinen Echulfenntminen befe “ 


iefelben Uebertreib was 
en uud nicht ne in Erng anf dei, 





Mathematik, 177 


möglihft zu vereinfachen und dadurch überfichtlicher zu machen. „Man bes 
firebe ſich zunaͤchſt — fagt Dr. Unger — die Schüler innigft vertraut 
zu machen mit ben Weſen der Zahl und verweife viejelben ſpäter, nach: 
dem fie bereit3 die erforderlihen Fortſchritte gemacht haben, um es gehörig 
würdigen zu lönnen, bei jeder Gelegenheit auf ven oberiten Grundſatz alles 
practifhen Rechnens: „Man rechne ſtets mit den kleinſten und 
bequemften Zahlen’ aufmerljam, und man wird ber befonderen Ned 
nungsvortbeile nicht bedürfen; der Schüler wird feine anwendbare Ablür- 
zung überfehen, ohne daß ibm hierzu beſondere Vorſchriften gegeben zu wer: 
den brauden, oder daß man auf eine Regel zu verweilen bätte, die für 
den vorliegenden Fall und für die insbejondere vorlommenden Zahlen einer 
Bereinfahung fähig it. — Man leite ferner den Unterricht fo, dab der 
Schüler jo wenig wie möglih nad gegebenen Regeln zu rechnen veranlaßt 
wird, jondern ftets felbjt aus den vorliegenden Bedingungen die entſpre⸗ 
ende Regel finden muß, und man made nicht das Ginüben der bereits 
gefundenen Regel, jondern das Finden derjelben zur Hauptbeſchaͤftigung. 
Man befolge beim Unterricht überhaupt den Grundſatz, daß man dem Schü- 
ler nicht ſogleich das Allgemeine gibt und feine Thaͤtigkeit lediglich darauf 
bejchräntt, das Gegebene auf bejondere Fälle anzuwenden, fondern man 
laſſe ihn zunächſt umgelehrt von dem Beſonderen nah und nad zu dem 
Allgemeinen auffleigen und erft alsdann das Gelbftgefundene unter bejon- 
deren Bedingungen benußen, und man wird auf diefe Weife nicht nur ges 
wandte, fondern auch gründlihe Rechner bilden; man wird die Denk 
kraft der Schüler nicht blos bei einzelnen Momenten des Unterrichts in 
Anſpruch nehmen, fondern dieſe in fortwährender Thätigleit erhalten. Der 
Schüler wird aljo auch nicht blos von Zeit zu Zeit Gelegenheit haben, zu 
denten, jondern er wird fortwährend an's Denten geübt und fomit an’s Den 
ten gewöhnt und. dadurch befähigt werben, alle äußeren Erjcheinungen rich⸗ 
tig aufzufafien und zu beurtheilen.‘ 

„Es darf daher 3. B. ein Gejhäftsmann, der einen Realſchüler als 
Lehrling aufnimmt, nicht verlangen, daß biejer mit allen Rechnungsvortbei: 
len jeines Geſchaͤfts belannt, wohl aber verlangen, daß er in den Stand 
geiest fei, über die Zahlverhältnifie einer Aufgabe ein Mares und ficheres 
Urtheil zu fällen und recht bald mit Sicherheit fi in dem Gebiet der Bes 
rechnungen feines Gefchäftes bewegen zu können *).“ 

4. „Unſre Zeit vrängt in allen Gebieten auf Vortbeile und Abkürzun⸗ 
gen, verbunden mit Sicherheit und Einfachheit, bin. Im Rechengebiete ift 
diefed nicht immer recht gewürdigt worden. Bielleiht aus dem Grunde, 
weil man fih zu jehr vor dem Moloch des geilttöbtenden Mechanismus 
fürdhtete. Viele unferer Rechenbüher wiflen daher aud nichts mehr von 
Vortheilen und Ablürzungen, und nur in ber legten Zeit traten einige das 
wit, wenn auch jparfam, hervor. Mer die Furt vor dem Mechanismus 
nicht überwinden Tann, den bitten wir das Buch anzufehen, und er wird 
die Ueberzgeugung gewinnen, daß alle Bortheile und Abkürzungen nicht nur 
auf mathematiſchen Grundfäßen beruhen, jondern auch, daß das Suchen 


*) Ruhſam Programm ber Aunaberger Realſchule [2] 1865. ©. A. 5 


18 Mathematik. 


nad) Bortheilen und der Verkehr mit denfelben eines Thells ungemein ben 
Scharflinn, das Sicherheitsgefühl, die Erkenntnißkraft wedt und flärft, an- 
dern Theils aber zugleih ven Willen übt und erregt, audy das Schwierigfte 
durch gefchidte Operationen zu überwinden, — eine Uebung, durch welde 
die Rechenkunſt an Geiſtesgymnaſtik wenigftens nichts einbüßt.” *) 

5. „Erzielung mechaniſcher Fertigleit ift Die Hauptaufgabe des Rechen: 
unterrichts bei Elementarfhülern. So wie der erfte Unterriht im Leſen 
und Schreiben hauptſächlich nur bezweckt, ven Schüler zu diefer Fertigkeit 
zu bringen, fo zielt ver erfte Unterricht im Rechnen eigentlih nur darauf 
bin, den Schüler dahin zu bringen, daß er rechnen kann. Das Rechnen 
mit volllommen klarem Bemwußtfein und die Einficht in die vielfältig ſich 
darbietenden Rechenvortheile ift bei Glementarfchülern nit immer zu em 
reichen, weil es mathematifhe Anlagen (?) vorausfebt. Bei vielen Schülern 
muß der Lehrer fi damit begnügen, fie zu der unumgänglih nöthigen 
Rechenfertigkeit zu bringen, die fie befähigt, fih in Zahlenkreiſen höherer 
Ordnung zu bewegen. Das ift immer möglid, denn die Schüler eignen 
fih eher eine Fertigkeit an, als eine Gewandtheit im Denken. Die mei: 
ſten Schüler können nicht viel denken und lernen es, wenn fie ed jemals 
lernien, doch erft fpäter. Daß man mit Slementarfhülern auf eine weit: 
ſchweifige Art, wenn fie faum eine Species mit erträglicyer Fertigleit rech⸗ 
nen können, ein wirkliches Denkrechnen durchgeht und auf dem Wege der 
Theorie ihnen das volle Verftänpnig und Gründlichleit beizubringen fucht, 
ift Zeiwerluſt. Der Lehrer thut befier, wenn er ein ſolches Rechnen auf: 
fchiebt bis zu einer Zeit, wo die Schüler die mehanifhe Schwierigleit über: 
wunden und das nöthige Handwerkzeug für die Behandlung der ihnen vor: 
gelegten Aufgaben gewonnen baben und der dabei in Betracht kommenden 
mannigfachen Verbältniffe kundig find. Mit folden Schülern, die leine 
Gewandtheit im Dperiren mit Bablen haben, kommt man, felbft wenn fie 
ziemlich fähig find, nur langfam vorwärts. Man trifft in manden Schulen, 
felbft in Oberclafien, Schüler, weldye bei guter Befähigung eine genügende 
Sertigleit in den A Species haben. Sie find vernadläffigt worden, und 
mit ihnen ift nit eher etwas zu maden, als bis fie das Verfäumte nach⸗ 
geholt haben. Cs lohnt fi nicht, mit ihnen eine Rechentheorie durchzu⸗ 
geben, und mwäre fie no fo klar und gründlih; es bilft nit, wenn 
man fie auf die Nechenvortheile aller Art hinweiſt; es ift vergebens, daß 
man ihnen Stoff zum Denten bietet; mit den ausgemwählteften Aufgaben 
macht man keinen Cindrud auf fie; fie fühlen fih verratben uud verkauft, 
wenn fie fih auf dem Gebiete bes verfiandesmäßigen Rechnens und in 
verwidelteren Grempeln oder gar in ber Rechen kun ſt bewegen follen. Der 
Lehrer verfäume es daher nicht, ſchon bei den Elementarſchülern den Grund 
zu ber für das fpätere Rechnen und zu ber fürs Leben nötbigen Fertig⸗ 
teit und Sicherheit im Rechnen zu legen; im vorgerüdten Alter läßt fich 
das Berfäumte nur ſchwer nachholen, ähnlich wie beim Lefen. 

„Aus diefen Gründen hält es der Berf. für pädagogifch richtig, das 
Rechnen mit größeren Bablen verhältnigmäßig früh eintreten zu lafien und 


*) Langenberg, Vortheile und Ablirzungen im Rechnen [11] ©. ILL 





Mathematik. 79 


dagegen das Rechnen mit Sortengroͤßen ſo lange zu verſchieben, bis die 
Schüler eine hinreichende Fertigkeit dazu haben und im Stande find, es 
ohne Unterbrechung durchzuführen. Er hält es gleichfalls für richtig, daß 
die vier Specied nacheinander behandelt werben, damit der Schüler erft in 
einer Grundrechnung recht tüchtig werde, bevor er zu einer neuen fchreitet. 
Diejes ift wenigſtens beim Tafelrechnen feftzubalten, wogegen der Lehrer 
beim Kopfrechnen die vier Species gerne mit einander vermiſchen kann.“*) 

6. „Um den Fleiß der Schüler anzuregen und ihren Eifer hervor zu 
rufen ift ed gut, wenn dieſelben in der Necenftunde nad ihrer Gejchide 
lichteit im Rechnen — etwa gruppenmweijfe nach der Stufenfolge der Erem⸗ 
pel — zufammenfiken. Dabei fiten alfo diejenigen, die auf gleicher 
Stufe ftehen, und eine Abtheilung bilden, zufammen, und zwar in jeber 
Abtheilung der Yertigfte oben an. Bei befonberen Uebungen, welche mit 
ganzen Glafien vorgenommen werden, um die mechaniſche Yertigleit der 
Schüler zu befördern, und melde man „Proberechnen‘ oder „Wettrechnen“ 
nennen kann, wechſeln die Schüler ihre Pläbe. Bei jevem aufgegebenen und 
ausgerechneten Srempel rüden diejenigen Schüler, welche ihre höher figenden 
Nachbarn überflügeln, um einen PBlab höher... Solde Uebungen muß (?) 
der Lehrer mit Elementarſchuͤlern faft fortwährend treiben, mit den größeren 
Schülern aber wenigftens zu Anfang jedes Semefters. Für bie Schüler if 
dieſes Verfahren ganz erſtaunlich anregen, und für den Lehrer hat es das 
Gute, daß er von dem Stand und von den Fortfchritten ver einzelnen 
Schüler genauer Kunde erhält, die Schwähen und Lüden bei dem ſchlech⸗ 
ten Rechner leicht entvedt und die guten Rechner nicht überfhäßt.**) 

7. „Man glaube nicht, daß bei der Bevorzugung der mechanischen 
Zertigleit, vie man auf diefe Weife zur Grundlage des Unterrihts macht, 
die formelle Seite des Linterrichtd zu wenig PBerüdfihtigung findet, Es 
ift unausbleiblich, daß der Schüler dadurch aud formell gewinnt. Der Ge 
winn, daß in dem Knaben das Bemußtjein erzeugt wird, daß er etwas 
mit Fertigleit Tann — fei ed auch nur addiren einftelliger Zahlen — tft 
ſchon beträchtlich; dieſes Bewußtſein erzeugt in ihm ein reges Intereſſe für 
den Unterricht, das der verſtändige Lehrer ſchon benutzen wird. Iſt die 
Fertigkeit erſt da, fo pflegt auch ſehr bald das klare Verſtaͤndniß zu kom⸗ 
men und man kann mit leichter Mühe Ergänzungen machen.***) 

8. „Bon unendlihem Nugen ift e8 auch für den zulünftigen Kauf⸗ 
und Gefhäftsmann, wenn er als Nealfhüler wenigftens bie drei unteren 
Claſſen einer Realſchule abfolvirt, alfo erſt aus der A. Claſſe ins geſchaͤft⸗ 
liche Leben übergeht. Für ſolche aber, die für das Comptoir ſich worbereis 
ten wollen, wird es hoͤchſt zwedmäßig fein, wenn fie den ganzen Realſchul⸗ 
eurfus abfolviren. Denn die wahre tiefe Einficht in die höheren Rechnungs⸗ 
arten 3. B. in die Zinfeszing-Rentenberehnungen sc. ift ohne mathematijche 
Kenntniſſe gar nicht zu erlangen. 

„Doch nicht blos der zu erlangenden Ginfiht wegen in beſondere 
höhere Rechnungsarten ift dad Studium der Mathematik unerläßlih, ſon⸗ 

* Davids, Rroymenn te Zweites Rechnenbuch. [47] S. VI. VII. 


*0) Ebendaſelbſt &. VII 
““) Ebendaſelbſt ©. VIII. 


30 Mötemtif 


dern audy des allgemeinen geiftbildenden Ginflufies wegen if es wünſchens⸗ 
werth, tüdhtige Kenntniſſe in dieſer Wiſſenſchaft fih zu erwerben. Und wie 
- jeher eine tiefe geifiige Bildung aud dem Handelsſtande in unferer Zeit 
Roth that, Das ſieht Jeder ein, der die Anforderungen ber Jetztzeit und 
die hohe Aufgabe dieſes Standes in Bezug auf das materielle Wohl des 
Gtaates kennt *).' 

9. „Ss if nothwendig und durchaus ohne Nachtheil, den Rindern An⸗ 
fange Gäbe vorzufprehen, da ihnen oft der Ausorud mangelt und fie daber 
fhüdtern und gar nicht antworten**).” 

10. „Ih bin kein Freund von Aufgaben, welde mit weitläufigen 
Zexien dem Schüler eine Menge von geographilchen, ſtatiſtiſchen, hiſtoriſchen 
und technologiſchen Kenntniſſen beibringen wollen, denn ich glaube, daß von 
al ven zahlreichen Notizen in den NRecenftunden doch nichts gelernt wird. 
Dagegen halte ich es für fehr nothwendig, daß der Schüler ſchon auf den 
unterfien Stufen eine große Gewanbtheit und Sicherheit im Zifferrechnen 
erwerben, und dazu halte ih die Klammerrechnung für durchaus unent- 
bebrlid ; weil nur fie den Schüler zu gleichzeitiger Anwendung verſchiedener 
Regeln nöthigen***)."‘ 

41. „Die Grempel find muftlaliihen Sompofitionen zu vergleichen; 
Aufgabe und Facit bilden ein harmoniſches Ganzes, in weldem das Facit 
ver Schhlußaceord if. Diefen Schlußaccord will der Schüler bören, ſobald 
ex bis zu demjelben gelommen if, und man darf ihm bdenjelben nicht ver: 
enthalten, weil man ihn dadurch um das Gefühl der Beiriedigung bringt, 
das gerade der Rärkite Sporn für ihn fein fol. Intereſſirt es ihn nicht 
mehr, am Schluſſe feiner Rechnung zu erfahren, ob er richtig rechnete, oder 
wicht, jo iR jein Seichäft zu einem blojen Geſchäft berabgelunten. Außer: 
dem giebt das Facit dem Rechner, wenn es ibm belannt ift, leitende Ge⸗ 
danten; es veranlaßt ihn, wenn er das Grempel nicht zu rechnen verftebt, 
Die Probe zu machen; er denlt fidh in das Erempel binein, macht Berjude 
zur Röfung, und dieſe gelingt ibm vielleiht ohne Hülfe, währen ohne 
Facit das Erempel ſchon weniger Reiz für ihn bat, und er vor einem fol- 
dyen, wenn es ihm zu ſchwierig erjcheint, wie vor einem Schlagbaum fille 
Rebt und, in Untbhätigleit verbarrend, pie Hülſe des Pförtners, der vielleiht 
anderweit beidhäftigt ift, erwartet oder auch mit einem Rutſch über den 
Schlagbaum binwegiest. Die Facite pflegen in eigenen Facithüchern zu⸗ 
jammengettagen zu werben und bann bat entweder ber Lehrer allein bas 
Sacitbuch in den Händen (oorausgefegt, daß der Schüler nicht verfiohiner 
Weile in ven Beſiß eines ſolchen gelangt ift) oder die Schüler haben es 
in Gebrauch. Im erften Falle hat der Lehrer das zeitraubende Berhören 


*) Rubjam, Programm ber Annaberger —— [2) 1865. ©. 5. 
“) Reiſer, Denkrechnen in der Bolteihule. [7] & 
“) Sofmann, Aufgaben ans ber niederen Keiihmeit dj. © 3. 
a Greunke ber augewanbten Aufgaben glauben nicht etwa, baf durch beſagte 
tigem entſetzlich viel gelernt werbe, ſondern ſetzen voran, bag ber 
ben Gepenfanh Ion einigermaßen fennt und meinen, dag Anwendungen nüß- 
(id; feien, wenn fie fo eingerichtet finb, daß bie Sache feier zur Sroänjung das 
Rechnen fordert. — Ueber bie eeihligteit bes Rehuens mit Slammern Rub 
wir vollkänbig einverfiauben, aber bas iſt nichts Neues 





Mathematif. 81 


der Facite vorzunehmen, wobei mitunter die Facite von ſolchen Crempeln, 
die der Schüler gar nicht gerechnet hat, verhört werben, und er macht 
dann gar oft die unangenehme Entdedung, daß die Schüler, vielleicht, 
weil fie etwas mißverftanden, oder überjehen, ins Blaue hinein rechneten 
und die Stunde aljo ohne ein wejentlihes Reſultat verlief. Im zweiten 
Falle find meiftens viele Schüler ohne Facitbuch; entweder hat der Schüs 
ler es gar nicht angeſchafft, oder er hat es vergeflen, verloren, feinem Brus 
der geliehen, oder zerrifien, oder er behilft fi mit einem Facitbucde, das 
zur Auflage des Buches gar nicht paßt u. j. w. u. |. wm. Es kommt nicht 
felten vor, daß einzelne Facitbücher förmlich in der Clafje circuliren, wobei 
vielfahe Störungen und Streitigkeiten vorlommen. Ein folder Schüler, 
der das Facitbuch nit zur Hand bat, feßt ſich oft, nachdem er fein Exem⸗ 
pel halb ausgerechnet hat — er will, um ſich eine vergeblihe Mühe zu 
mahen, erft mal fehen, was da kommt, jo lange müßig fein, bis er ein 
Facitbuch erhafhen kann. Wenn er endlich eins befommen, es fich viels 
leiht ertämpft bat, jo gebt das Blättern und das Suchen in dem Wald 
von Faciten an, wobei venn oftmals mehr geblättert als gefucht wird. 
Nah meiner Meinung müflen die Facite, wenn fie den Exempeln nicht 
unmittelbar hinzugefügt worden find, den betreffenden Abfchnitte jedesmal 
angehängt werden.‘ *) 

12. „Zwar bezweifelt wohl faum Einer, dab das Capitel von ben 
Gleichungen ein lehrreiches ift, und die Geiftestraft des Schülers ungemein 
fördert, wohl aber meinen Biele, die Durcharbeitung defjelben müfle höheren 
Lebranftalten überlafien bleiben und jei für die Voltsfhule ein Ding ver 
Unmögligpleit, dennoch können die Gleihungen auch in der Vollsſchule mit 
erheblichen Nutzen durchgenommen werben**).“ 

18. „„Die gemeinen Brühe fallen von felbit weg (?), wenn alle 
wit einander in Berbindung zu bringenden Größen zunädhft nah dem Sys 
ſtemalfyſtem getheilt find. In Frankreich find von hundert gebildeten Men⸗ 
ſchen vielleicht nicht zwei im Stande zwei Brüche wie 44 und 44 mit ein 
ander zu multipliciren oder burd einander zu dividiren, fie haben es aber 
auch in ihrem ganzen Leben nicht ein einziges Mal (?) nöthig. Alle ihre 
Rechnungen führen auf Hundertheile oder Tauſendtheile, aber nie auf ſolche 
untheilbare Zahlen. Obwohl es bei und aud nicht vorlommt (?), daß 
ähnliche Aufgaben im Verkehr auftauchen, werben body die finder in den 
Schulen gezwungen, dergleihen mühjelige Fipereien vorzunehmen, durch bie 
ihnen die ganze Luf am Rechnen und einer mathematifhen Dentweife (7) 
für immer genommen wird, ohne Nuten (2) und ohne Sinn, nur weil es 
der alte verfiorbene Magifter dem Herrn Lehrer es eben jo eingebläut hat. 
Drittel, Siebentel, kurz alle gemeinen Brüche giebt es naturgemäß (1?) gar 
nit für das decadiihe Zahlenſyſtem. Dies hat ed nur mit Zebnteln 
x. ⁊c. zu thun. Daß aber die Sünde der Bäter, melde die gemeinen 
Brüche eingeführt haben, noch an den Kindern heimgeſucht wird, indem fie 


2) Davids, Kroymanns Zweites Redenbud. [47] ©. IV. V. — Cs 
wäre bierzu viel zu bemerfen, grade deshalb milfien wir's heute unterlaflen. 
.. ) Ausmann, Pract. Schulmann XIV, 30. 


wab. Jahreßberiht. XVII. 6 


82 Mathematik. 


gezwungen werben, mit dem unnüben, jchwerfälligen Wuft (9) zu bantiven 
ift ein bimmeljchreiendes Unrecht (I), welches zu unterdrüden und zu jüßs 
nen die Aufgabe jedes Menjchenfreundes ift. Wir verhehlen uns nicht, daß die 
Einführung der Decimaleintheilung auf fehr viele Schwierigleiten ftoßen 
muß, allein diefe können fein Hinderniß fein, welches unüberfteiglih wäre; 
und es find vorzüglich die Kaufleute und Lehrer berufen, an ber Beleitis 
gung der Widerfiände zu arbeiten. Die Erfteren, indem fie die Ueber: 
jeugung von der Nothwendigleit einer Neform fich jelbft verfchaffen und vers 
breiten, die Andern, indem fie die Jugend mit den Mitteln vertraut mas 
hen, fi die Bejchwerlichleiten der Uebergangsperiode zu erleichtern." — 
So ſpricht Herr Zöllner; fiher aber ift er in feiner Begeifterung für das 
Decimalſyſtem zu weit gegangen. Zu Lehrern wendet er fich, indem er fie 
der großen Sünde zeiht, die gemeinen Brüche eingeführt und fort behanu⸗ 
delt zu haben, und indem er verlangt, daß fie die VBeichwerlichleiten bes 
Uebergang3 zur Decimalbruchrechnung erleichtern folen. Ich bezweifele, 
daß Herr Zöllner ein Lehrer ift, und zwar deshalb, weil er von den 
Zweden der Schule und dem Weſen der Brüche fonderbare Begriffe zu bes 
gen fcheint. Die Schule hat höhere Zwede als die blofe Abrihtung fürs 
nächte practiiche Leben. Der formale Zwed des Unterrichts ift der hoͤchſte 
und wichtigſte; derjelbe kann aber durch ein blofes Dreifiren und Abrichten 
in den menigen Handgriffen und durch mechaniſches Arbeiten nad ver 
Schablone nicht erreiht werden. Die Eymnaſtik des Geifles liegt vielmehr 
in den Dingen, welhe man gar zu gern als „mühfelige und unnüge Fitze⸗ 
reien” ausgeben möchte. Leider aber bat fi das frebsartige Uebel ſchon 
weit verbreitet, daß man die Unterrichtsmittel allein nad dem trägerijchen, 
verführerifhen und verberbliden Maßftabe beivertbet, wie fie ſich unmittels 
bar in Hingende Münze umfegen lofien, und daß man jede Wiſſenſchaft, 
die fih nicht gerade ald Milchkuh ausbeuten läßt, als unpractiſches Zeng 
über Bord wirft. Statt der gebiegenen, allgemein menſchlichen Geifteabil« 
bung, welche das einzig fihere und wahre Befähigungsmittel eines jeden 
Menſchen und die ftrictefte Aufgabe einer jeden Schule fein follte, erwartet 
man von denſelben nichts meiter, als eine bloje Anweiſung zu den näch⸗ 
ften practiihen Handgriffen, und indem die Lebrerinftitute kraftlos dem 
Einfluffe der herrſchenden Richtung nachgeben, verfallen die meiften jener 
materiellen Richtung, die nit im Stande ift, Die wahre geiftige Befähigung 
als Pfahlwurzel in den Boden der Praris hinabwachſen zu laſſen. Ich 
kann nicht begreifen, wie Herr Zöllner von einem Unterſcheiden zwiſchen 
gemeinen und Decimalbrühen und von einer Uebergangsperiobe reden fan. 
Es giebt dem Weſen nah gar feinen Unterfchied zwifchen gemeinen und 
Decimalbrühen; blos in der Darftellung unterjheiden fie fi) von einander. 
Jeder Bruch ift das NRefultat oder eigentlidh die bildliche 
Darstellung einer Divifion. Die gemeinen Brühe können und 
werden daher nie wegfallen. So lange man noch mit 17 und 23 bdiyie« 
dirt, jo lange wird es auch no 17tel und 23tel geben, eben fo gut in 
Frankreich als in Deutfhland. Es ift daher ein colofjaler Irrthum, wenn 
Herr Zöllner meint, daß es Drittel, Siebentel zc. ıc. naturgemäß für das 
decadiſche Spitem nicht gebe. Er wollte wohl jagen, daß man fie in ber 








Mathengtik, 83 


Form von Decimalbrüden nit barftellen und bandhaben könne Die 
gemeinen Brühe 44 und 44 und die Decimalbrüde „Ay, und „445, find 
in ihrer Behandlung ganz glei, nur laſſen fich die beiden letzten nad) ber 
Natur unferes Zahlenjyftems durch die bloſe Angabe des Zählers ſchreiben, 
nämlid 75 — 0,11 und 7425 = 0,013. Der die Multiplication ober 
Divifion von +} mit J% nicht verfteht, der verfteht es auch nicht bei „I, 
und 3308, und wenn er das Lebtere dennoch kann, fo hat er es mecha⸗ 
nisch gelernt. Die Decimalbrühe befördern den Mechanismus, aber ſchwer⸗ 
lih die „mathematiſche Denkweiſe“ und ich fürchte, daß viele Nechner dies 
jelben biejerhalb lieb gewonnen haben und noch lieb gewinnen werden. Es 
mag wohl ver Fall fein, daß viele Kranzofen mit der Bruchrechnung nicht 
vertraut ‚find, ob dies aber ein Vortheil für fie it, oder ihnen gar zum 
Lobe gereicht, das ift nach meiner Anſicht eine andere Frage.*)” 

14. „Selbit die beiten Lehrbücher haben eine Darftellung der Ber 
wandlung periobifcher Decimalbrüche in gemeine, der ein höchft überflüffiges 
und den Anfänger beläftigendes Glement, nämlich die unendlihe Reihe ein: 
geführt. Es läßt ſich aber dieſer Webelftand leicht vermeiden, wenn man 
gleih von vorn herein bei der Verwandlung gemeiner Brühe in Decimal; 


brühe den Reit mit in Betracht zieft. — Es fei > ein Achter Bruch und 
werben dabei n Decimalen berüdfichtigt, fo ift 

& r 

3 I Ca Cg ... Ca + 5700 

wo r den Reft beveutet. Iſt nun c, Cn.0g . . . On die Periode des Deci⸗ 
malbruchs font r = a, allo 


70 0, 63. 


folglich wenn auf beiden Seiten ſubtrahirt wird, 


& 
Ba rT ne 


& 1 
b dm) =(,c, 62 03... 
alſo ... 
2 0, 0, O9 Oz... On yax 
b — 1 ) 
I 


*) Hedelmann in Mag. für Kaufleute. J. ©. 174. | 
**) Aus 5 unert6 Archiv für Math. u. Phyſit. Iſt auch für Elementar 
brauchbar, 3. B 


5 5 Bu 
. tr rt 
bat man alfo 
z— 045 45 45... 
fo iR i 
x 
7 2 040 ty 
I.... 6* 


84 Mathematik. 


15. Ueberraſchend ift die Naturgemäßbeit, Gründlichleit und Einfach: 
beit des „Bruch- oder Zweiſatzes“ und unverlennbar der bildende Einfluß 
auf die Dentthätigleit des Schülers, groß die Yaplichleit des Verfahrens 
und erfreulih der Zeitgewinn.’‘ *) 


2. Formenlehre und Geometrie. 


16. „Die naturgemäße Entwidelung des Kindes, in welcher der geos 
metriſche Anſchauungsunterricht die Hauptrolle fpielt, bat ihre entfchiedenen 
und mächtigen Gegner. Zu diejen rechnen wir den ganzen ultramontanen 
Klerus ebenfo wie die proteftantifhen Pictiften. — Die aus den Jeſuiten⸗ 
ſchulen der Jetztzeit erwachlenen frommen Verderber eben jo wie die aus 
dem Rauhen Haufe, den Eiberfelver und Basler Miiftonsbrütanftalten aus 
dem Ei gebrochenen Leiſetreter und die Anhänger der preußifhen Regula⸗ 
tive. Unſere Gegner find alfo, um es kurz zu fagen, alle diejenigen, 
welche aus unfern Kindern, ein dummes, an Autoritäten willig glaubenveg, 
leicht lentbared Volk erziehen wollen.” **) 

17. „So irrig und unmahr es ift, die Anſchauung in untergeorbneter 
Bedeutung oder in Trennung oder gar im Gegenjaß gegen andere fogenannte 
Geiftespermögen in dem fogenannten Anſchauungsunterricht zu faflen, und zu 
meinen, vermöge des Anſchauungsunterrichts hätte man den Zögling zu den 


ober 


x 05 85_5 
y,_1»ı 
100 


Beiläufig kann die Verwandlung eines unrein periodiſchen Decimalbruches 
in einen gemeinen leicht auf bie Verwandlung eines reinen zurüdgeführt wer» 
ben. Es if z. B. 

X == 0,306 81 81 81... = 2,306 + 0,000 81 81 81... 


. 306 1 
Nun if aber 0,306 — 000° und 0,000 81 81 81... = 0° 0,81... 
1.8 alſo 
1000 99’ 306 1 9 
0,306 81 8181.. = 1000 t Ivo’ pp’ 


ober, wenn wir beide Brüche auf einerlei Nenner bringen, 
0,306 818181... EL, 
Diefe Auflöfung, die an fich bemerkenswerth if, ift aber höchſt nubequem. Da- 
ber jeßen wir 99 = 100 — 1, aljo 306. 99 — 306 . (100 — 1) = 30600 — 306, 


und erhalten 306 + 
0600 — 306 +81 60381 — 306 
0,306 81 81 81 g95000 * — 99000 


2) Rubjam, Progr. der Annaberger Realſchule 1865. [2] ©. 7. 
“*) Beuft, ber wirklihe Aufhauungsunterricht zc. sl .2 





Mathematik. 85 


höheren geifligen Sunctionen zu entwideln und heranzuziehen, fo unwahr 
und irrig ift e3 andrerjeits, den menſchlichen Geijt im Kindes und Jugend» 
alter noch fo ſehr von der Sinnlichleit um: und befangen vorauszufeßen 
unb anzunehmen, daß er der Abftraction gar nicht fähig und ihm deshalb 
die fogenannten abftracten Begriffe ganz fern zu halten ober in möglichft 
finnlich⸗ymboliſcher Anfhauungsform nahe zu bringen ſeien.“*) 

18. Worin ſoll nun der eigentliche Unterricht feinen Anfang oder feine 
beftinnmende oder bejeelende Mitte haben? Schon in den Fröbel’jhen 
Kindergärten fpielt die Mathematik eine vorherrſchende Rolle. Man pflegte 
dafür allerlei Gründe anzugeben, die mid keineswegs befriedigten. Freund 
Beuft betrieb mir nun gar die Beichäftigung mit dem Maß mit jo aus: 
ſchließlichem Nachdrucke, daß ich gerade zu an das Morgenland von Kunft 
und Willenfhaft, an Aegypten und an des alten ägyptiſchen Volkes gött⸗ 
lihe Berehrung für das Maß gemahnt wurde, gemahnt wurde daran, daß 
die eigentlihen Erfinder der Kunſt und Wiſſenſchaft und unjere Erzpäda⸗ 
gogen, die Griechen, die Wiſſenſchaft vom Mae, Wiſſenſchaft (Mathematik) 
im engern Sinne nannten. Es fiel mir ein, daß e3 nichts "gebe im Him: 
mel und auf Erden und unter der Erbe, im Reihe der Natur und ber 
menſchlichen Geſellſchaft, wo nit das Maß eine ganz befondere Herrſchaft 
führe, jo daß jelbfi ein Ariftoteles den Begriff der Zugend nicht beſſer als 
die maßvolle Mitte des Zuviel und Zumenig beftimmen zu können glaubte. 
Und in der That, ift nicht alles organifche, leibliche und geiftige Leben an 
das Maß gebunden? Iſt nicht das wahre Schöne und Gute durd das 
Maß bevingt? Keine Kunft ift möglib ohne Maß, keine fittlihe That 
obne Maß, kein gejellihaftliher Organismus, feine Wahrheit, keine Wiſſen⸗ 
ſchaft. Es zieht ſich das Maß durch alles Dajein ſchlechthin bevingend 
und beſtimmend hindurch, daß ohne daſſelbe nichts waͤre als das Chaos, 
und es daher verzeihlich iſt, wenn man das ganze Univerſum auf beitimmte 
fefte Zahlenverbältnifle hat zurüdführen zu können geglaubt, und mancher 
eingefleiichte Mathematiler es noch glauben mag. Unleugbar alſo ift es, 
daß das Maß die Grenze bildet zwifchen Leben und Tod und zwar im 
Reihe der Natur wie des Geiftes; unleugbar ift, daß die höhere cultur: 
geſchichtliche Entwidelung des Menſchengeſchlechts im gebeimnißvollen reli: 
giöfen Ahnen der göttlihen Kraft des Maßes und mehr noch im begriffs⸗ 
mäßigen Grfaflen und Handhaben vefielben den Anfang nahm; unleugbar 
endlich, daß das Leben des Kindes im Maße zu pulliren, das Kind im 
Mape zu athmen anfängt, ja im Maße fih im Dafein und felbft in feinem 
Berhalten zur Mutter und fpäter zum Vater zurechtfinden und fühlen und 
freuen lernt. | 

„Das Leben hat im Maße feine beftimmende Bebingung. Es find nicht 
nur überall im leiblichen wie im geiftigen Organismus felte und innerhalb bes 
fimmter Grenzen unabänderlihe Maßverhältniffe, ſondern nach diefen gegebenen 
Mabverhältnifien findet fi auch der Menſch zuerft in Raum und Beit zu recht, 
und jefte Maßverhältnifie find es, die ihn in feinen Empfindungen zuerit beftimmen 
und beberrfhen. Er lernt den Raum meflen nad) der Länge feiner Arme und 


2) Ladendorf, ber wirkliche Aufhauungsunterridt ꝛc. [54] &. 25. 





86 Mathematik, 


Füße und beftimmt vie Unterfhiede der Zahl nad den Fingern, die ihm 
jogar die natürlide Grundlage für das wiſſenſchaftlich begründetfte und 
practifh braudpbarfte decadiſche Zahlenſyſtem bieten. Aber wir geben wer 
ter und mahnen nicht nur an das theilweiſe noch gebeimnißvolle Walten 
der Zahl und des Raumes für die Entwidelung und Thätigleit der Sinne, 
jondern müflen auch aufmerfjam madyen auf das noch geheimnißvoliere 
Walten verfelben Zahl und defielben Raumes für die Entwidelung bes 
äfthetifhen und ethiſchen Sinnes, ja felbft der Duelle alles höheren Lebens 
— des BWahrbaftigleitsfinnes.*) 

19. „Der Anfhauungsunterriht hat es zunähft in feiner Anwen: 
dung auf die Größen: oder Maßenlehre nicht blos mit der abftracten Zahl 
und deren mehanifh zu übenden Berbindungsweifen oder nur mit bem 
nicht minder abftracten Raume und deſſen ftofflofen Formen und Geftaltun: 
gen zu thun. Pielmehr ift die Größe und deren Verhältniſſe in ihrer, das 
natürliche und fittlichgefellfchaftlihe Leben beberrfchennen und regelnden 
Mirklichleit Stoff und Inhalt des Unterrichts.‘ **) 

20. ‚Es ift eine eigentbümliche Erſcheinung, daß die Formenlehre 
bisher fo wenig Beachtung in den Volksſchulen gefunden bat. 

„Es ift doch nicht leicht ein Gegenſiand, der fo tief in alle Beichäfe 
tigungen des wirklihen, ja felbit des landwirthſchaftlichen Lebens eingriffe, 
als die Geometrie, abgefehen davon, daß fie der Lehrgegenftand ift, der am 
meiften zur formellen Bildung des Geiftes beiträgt, indem er jeder Alters: 
ftufe eine entſprechende höchjft genügende Nahrung bietet. 

„Ich kann mir diefe Erſcheinung nur dadurch erflären, daß dieſe Wif: 
fenfchaft, bisher nur ein Monopol der Fachmänner, auf eine Weile behan⸗ 
delt wurde, die jeden Laien die Erlernung derſelben erfchwerte und einen 
Nimbus von Gelehrſamkeit um fich zog, der das fchlichte Auge des Volle: 
ſchullehrers blendete. 

„Nebenbei waren es allerdings die Requifiten: Zirkel, Wintelmaß, 
Transporteur, die man von der Geometrie jo unzertrennlih glaubte, daß 
fie die Symbole derfelben wurden, welche die Einführung biefes Willens 
in die Boltejhulen als unausführbar erjcheinen ließen. 

„Es ift auch wirkli nicht zu leugnen, daß die Anſchaffung eines auch 
nur einigermaßen entfprechenden Zirkels und die Schwierigkeit, ihn zu hand⸗ 
haben, ſchwer zu überfteigende Hindernifje fein mögen 2c.“***) 


*) Tadendorf, der wirflihe Anſchauungsunterricht 2c. [54] S. 31—33. 
— Bir wollen uns dieſe Lobpreifung im Ganzen gefallen lafien, können aber 
nicht verichweigen, daß fie an lebertreibung, Unffarheit und Unrichtigkeit Teibet. 
„Unleugbar aljo ift es 20.” bedeutet, daß bie mit biefen Worten eingefeiteten 
Behauptungen ats ſolche bezeichnet werben, welche durch das Vorhergehende be- 
griintet find; dieſe Begründung aber fcheint uns zu fehlen. Was benkt ſich ber 
Berfafler bei Säken wie: „Das Maß ift die Grenze zwilchen Leben und Tod 7?“ 
Das decadiſche Syſtem ift um fein Haar beffer begründet, ale jebes andere. 
Seine Brauchbarkeit liegt in der Sprache. (Vergl. Bartholomät Philoſophie der 
Math. &. X.) 

**) Laden dorf, ber wirkliche Anſchauungsunterricht 2c. [54] ©. 34. 

”**) Schledt, Raumlehre. [56] — Herr Schlecht hat leider Recht, wenn 
er bie Gtiefmätterlichkeit hervorhebt, mit weicher ber geometrifhe Unterricht bie 
und ba in der Volksſchule ertbeilt wird. An elementarifher Behandlung fehlt 





Mathematik. 87 


21. „Das Aufjuhen der Durchſchnittspunkte gerader Linien ift eine 
ſehr fruchtbare und allfeitige Geiftesübung, daher die nambafteften Metho— 
bier, befonders der Peſtalozziſchen Schule fie empfehlen. Allein, es darf 
nichts gegeben werben, es muß Alles dur eigne Anſchauung unter An: 
leitung des Lehrers gefunden werden. — Gollte es zu meit fortgefegt 
werden, jo würde es unfruchtbar, meil zu viel Reflerionen vorausfegend 
und daher langweilig und geifttöbtend. Es ift daher nicht ratbjam, über 
vier Linien mit der Entwidelung des Geſetzes hinauszugehen.‘‘*) 


22. „Die Volksſchule kann keine Feldmeſſer beranbilven, aber fie kann 
ten Schülern der Oberclafie Gelegenheit bieten, fih im Mefjen von Linien 
auf dem Felde zu üben, kleinere Grundſtülde aufzunehmen, die Pläne ders 
felben zu zeichnen und die Fläche derjelben zu berechnen. Eoviel gebört 
in den Lehrplan der Volksſchule, und ſoviel ift auch erreihkar, wenn fols 
gende zwei Bedingungen erfüllt find: 1) der Lehrer muß die Sache Ner« 
ftehen,, 2) die Schulgemeinde muß die Ausgabe von 30 bis 85 Fr. für 
die Inſtrumente nicht fdyeuen.’‘ **) 


23. „In mandhem Seminar (der Schweiz) wird der Unterricht fo 
ertheilt, wie ihn die Lehrer jpäter verwenden können. Das Seminar bes 
fißt koftbare Inſtrumente, welche die Volksſchule jpäter nicht hat und melde 
er auch für feinen Unterricht nicht brauchen kann, falls er fie hat. Wenn im 
Seminar ausfhließlih mit fo koſtbaren und complicirten Inſtrumenten ges 
arbeitet wird, und dem künftigen Lehrer nit auch die einfachen Verfah⸗ 
rungsweiſen gezeigt werden, weldhe in den gewöhnlichen Fällen einer and: 
vermeflung, einer Adervertbeilung, eines Nivellements eine hinreichende 
Genauigteit bieten, fo ift er zu einem fruchtbaren Unterriht in ber Gens 
metrie in einer Volksſchule nicht befähigt. Das Seminar follte daher in 
erfter Linie die einfahen Verfahrungsmweifen lehren, bei welden man ſich 
auf wenige und mohlfeile Inftrumente bejchräntt und erſt fpäter auf den 
theurer Inſtrumente eingeben. Nachdem im Ceminarunterriht die Plani- 
metrie durchgearbeitet ift, Lönnen die gewöhnlichen Aufgaben des Feldmeſſens 
mit Kette und Winkelkreuz gelöft werden; und das kann im erften oder 
zweiten Seminarjahr gefhehen. Am Edlufie des maibhematifhen Unter: 
richts, der außer der Planimetrie auch die Elemente der Stereometrie, der 
ebenen Trigonometrie, der Projectionslehre und der Algebra zu umfaſſen 
bat, tritt auch noch ein Curfus der practifhen Geometrie ein, bei welchem 
die Theorie des Meßtiſches, des Nevellirinftrumentes und des Winkelſpiegels 
ertlärt werden. Bis dahin werden die HZöglinge Fertigkeit im technijchen 
und topographifhen Zeichnen erlangt haben und auch in der Phyſik fo 


es nicht und aus ber Volleichule ift wohl überall Euclib vertrieben; auch bie 
„Mtienfilien” find nit Schuld an dieſer Vernachläſſigung, fondern bie Behör⸗ 
den, die Seminarien, bie Lehrer. 

” Schlecht, Raumlehre. — Die Fruchtbarkeit ber Uebung ſoll nicht bes 
ſtritten werben, aber ihre Altlfeitigleit können wir nicht zugeben. Wenn bie 
Anleitung bes Lehrer® nicht nothwendig ift, befto beſſer. Mit vier Linien ift 
die Sache gewiß nicht abgethan. 

“) Bähringer, Leitfaben ac. [61] S. 184. 


88 Mathematik, 


weit vorgerüdt fein, daß fie in das Berftänpniß der Inftrumente eingeführt 
werden Tönnen. Schließlich erhalten fie aub Anleitung zur Grtbeilung 
bes geometriihen Unterrichts in der Volkaſchule.““) 

24. „Der Volksſchullehrer kann dem geometriſchen Unterridhte nur fehr 
wenig Seit widmen, er wird fi daher auch beim Feldmeſſen auf bie ein 
fachſten Aufgaben bejchränten müſſen. Diefe wenigen Aufgaben müfjen aber 
fo gelöft werben, daß die Löfungen einen practiihen Werth haben, d. h. daß 
die Zeichnungen und Berechnungen etwa einem Haufe oder einem Tauſche 
oder einer Theilung zu Grunde gelegt werden können.“ **) 

25. „Es ift nicht zu vertennen, daß es von hohem Werthe wäre, 
wenn auch den Mädchen der Sinn für geometrifhe Formen erfchlofien 
würde; denn fie find ja in der Folge die erſten und mwichtigften Factoren 
bei der Bildung und Erziehung des aufblühenden Geſchlechts, überdies 
unterftügt mande Gewerbsfrau und Lanbmwirthin ihren Mann in dem leichs 
ter auszufübrenden Theile feines Gejchäftes, fie ift ibm die Gehülfin. 

„Daß die Hausfrauen auch im Garten, beim Stellen und Aufhängen 
ber verſchiedenen Geräthe und Gegenftände in Zimmer und Kühe Sinn 
für Form und Symmetrie brauden, ift allgemein anerkannt.” *”*) 

26. „Der Stoff des geometrifhen Unterrichts ift nicht mie bei ber 
bibliſchen Geſchichte, der Naturgeſchichte zc. ald ein gegebener und zu ge: 
bender anzujehen, jondern: Der Schüler hat unter Anleitung des Lehrers 
zu ſuchen, zu finden, zu conftruiren.‘}) 

27. ‚Der Lehrer ift der Steuermann; er bejtimmt bie Richtung bes 
Weges; er leitet den Gang und behütet nor Abwegen; doch foll der Leh- 
ter dad Suchen den Schülern nie ohne Weiteres überlafjen, jondern ftets 
durch Fragen birigiren, durch Fingerzeige anregen; ſonſt wird das Suchen 
leicht zu einem dumpfen Pinbrüten, zum voreiligen Verzweifeln an dem 
Erfolge.” ++) 

28. Meifenborn +++) hält die heuriftifch:genetifhe Methode beim Un: 
terrichte mit Anfängern für unzwedmäßig. Entweder nämlid — fo argu: 
mentirt er - -- ift die ganze Methode nur Schein, der Lehrer leitet durch 
jeine ragen und Bemerkungen die Echüler zu dem gewünſchten Ziele bin, 
das mwird der Schüler bald merken und wünſchen, man möge ibm lieber 
das Reſultat gleich mittheilen, da es jedenfalls leiter fei, die Richtigkeit 
eines Satzes zu bemweijen, als den befhmerlihen Meg zur Entdedung bess 
jelben zurüdzulegen. Oder man läßt wirtlih den Schüler jelbftftändig die 
verjhiedenen Säge finden. Diejes kann auf drei Arten geihehen. Man 
fönnte den Schüler jeven nur möglihen Weg verfolgen lafjen, damit er 
entweder ein brauchbares Refultat finde, oder zu der Grlenntniß gelange, 
daß auf diefem Wege kein ſolches zu erreichen fei. Dieſes würde jeden: 
falls eine faus eine arge Zeitvergeudung fein. Man wird deshalb in der Megel den 


9 Bübringer, Seitlaben ıc. [61] S. 184. 

*s) Ebendaſelbſt. ©. 1 

“er, Sartenhaufer, Anfangögrände ber Geometrie ꝛe. ©. III, 
+) Block, Bract. Schulm. XIV, 23. 

+y) Ehenbafelbfi. 

+rr) Elemente der Planimetrie. Halle 1864. 








Mathematik. 39 


Schüler vor unfruhtbaren Unterfuchungen abhalten. Zu dem Bmede kann 
man ihm nur deutlih maden, warum ein beftimmter Weg zu feinem Ziele 
füht, ein Verfahren, welches wohl gleihfalls zu zeitraubend iſt. Daher 
wird man ſich meiſt mit dem bloßen Abmahnen von ver Betretung un⸗ 
fruchtbarer Wege begnügen, wobei aber wieder ein großer Theil des beab⸗ 
ſichtigten Nubens ver Methode verloren gebt. Die genetifch = heuriftifche 
Methode hat aber au die Nacıtdeile, daß fie dem Hange der Jugend zu 
planlofen Reden Vorſchub leiftet und in dem Schüler den Düntel erzeugt, 
ala könne er bereits durch Entdeckungen die Wiſſenſchaft bereichern.” 

29. „Dieje Bemerkungen — jagt Gretihel*) — haben uns über 
raſcht; mir haben es für eine abgethane Sache gehalten, daß der inter 
richt in der Geometrie nad der genetiihen Methode erfolgen jolle, damit der 
Schüler die Freude des Auffinden der einzelnen Säße mit geniche und 
einjebe, warım gerade dieſe Säße und Probleme an jeder beftimmten Stelle 
zur Sprade kommen. SHeurifliih in dem Sinne, daß man den Schüler 
jeden Weg, auch wenn es ein Irrweg wäre, gehen läßt, ohne durch eine 
berichtigende Anmerkung in feinen Gedanlengang einzugreifen, ſoll natürlid 
das Verfahren niht fein. Die Gedanken der Schüler auf der richtigen 
Fährte zu erhalten, fie nicht von dem gejebten Ziele abfchmweifen zu lafien, 
das ift eben die Pflicht des Lehrers. Planloſem Geſchwätz dürfte übrigens 
der geometriſche Unterricht bei Weitem weniger Vorſchub leiften, als jeber 
andere Zweig des Unterrichts, bei welchem ver Lehrer die Selbitthätigtelt 
der Schüler zu mweden weiß; der Gegenftand felbft, die Sicherheit und 
Strenge des geometriihen Gedanlenganges find dem entgegen. Daß aus 
der Etärlung der eignen geifligen Kraft und aus dem wachſenden Vertrauen 
auf diejelbe eine jo arge Selbjtüberhebung des Schülers die Folge fein 
müfle, wie der Verf. meint, darf wohl billig bezweifelt werben; märe dies 
wahr, jo bliebe nichts meiter übrig, als den Schüler fo weit als nur mög: 
lih durch die Unterrichtsmethode unfähig zu felbfiftändigem Denten zu ma- 
hen. Bereinzelte Erſcheinungen dürfen bier nicht als allgemeine Norm ans 
genommen werden.’ | 


80. Belanntlih unterſcheidet man in der Arithmetil eine zweifache 
Null, die abjolute und die relative. Die eine wie die andere bezeichnen 
Richts (?), und die Verſchiedenheit ift nicht ſowohl objectio als fubjectiv (2), 
indem fie allein auf der Operation beruht, wodurch die Null entftanden ift. 
Denkt man fih nämlih die Null entftanden durch die Subtraction zweier 
an Werth gleicher Bablen, ift mit andern Worten O0 — a — a, fo hat man 
die abjolute Null; denkt man fih aber die Null entftanden dadurch, dab 
man 1 durd eine unendlich große Zahl getheilt hat, alſo O — ſo 
bat man die relative Null 

„Dem entiprechend giebt e3 auch einen zweifahen PBarallelismus, einen 
abfoluten und einen relativen. Das Weſen des abjoluten, ideellen Baralles 
lismus befteht darin, daß der Winkel zweier Geraden einer Ebene abfolut 0 
ſei. Solde Linien ſchneiden fih nicht, ſelbſt wenn man fie unendlich lang 


*) Zeitfährift für Math, m. Phyſil. Lit. IX. ©. 110. 111. 


90 Mathematik. 


denkt; denn wenn fie ſich ſchnitten, fo bildeten fie einen gewiſſen, wenn 
auch noch jo Leinen Winkel. — Das Weſen des relativen Parallelismus 
befteht darin, daß zwei Linien einer Ebene fi im Unendlichen oder mas 
auf daflelbe hinausläuft, unter einen unendlich Heinen Winkel treffen. — 
Weil wir vermittelft unſeres Anſchauungsvermögens nur endliche Stre⸗ 
den verfolgen können, fo fällt dieſer relative Parallelismus dem Weſen nad) 
mit dem abfoluten zufammen; und wenn etwa die Wintel, welche bei dem 
Durchſchnitt zweier abfolut parallelen Linien entfliehen, einen gewiflen nus 
meriſchen Zufammenbang haben, jo wird dieſer BZufammenbang auch für 
die Mintel gelten müflen, welche bei dem Durchſchnitte zweier relativ par: 
allelen Linien entftehen, und umgelehrt; oder ed müßte denn ein numeriſch 
angebbarer Unterfchied der abjoluten und relativen Null beitehen, was nicht 
bes all ift.‘‘*) 

"31. „Mit Recht muß man fih wundern, daß die Gergonne⸗Tell⸗ 
kampf'ſche Erklärung der Aehnlichkeit nicht ſchon längft in alle Lehrbücher 
übergegangen ift, da fie die Aehnlichkeitslehre wefentli vereinfacht.‘ **) 


*) Feaur, Lehrbuch ıc. [64] ©. 24. 

”) Boymann, Geometrie der Ebene. [63] Borwort. — Wir glauben 
vielmehr, daß es ein arger Mißgriff ift, wenn man befagte Definition zum Aus- 
gangepuncte nimmt und zwar aus dem einfahen Grunde, Weil in ihr keine 
unmittelbare Hinbeutung auf die Korm liegt, und weil fie eine Lage fordert, 
bie an fi gar nichts wit ber Form zu thun bat. Nach dem populären Be 
‚griffe ber Aehnlichkeit find Dinge ähnlich, wenn ihre entiprechenden Elemente 
dafielbe Verhältniß Haben. Alſo find Vielecke V und V“ ähnlich, wenn ihre 
eniſprechenden Seiten a,b,c,...m; a‘, b‘,c’‘,... m‘ und ihre entiprechenben 
Wintel @,B, Yı...u; a, BY’... ga: daſſelbe Verhältniß Haben ober weun 

a:b:c:...m=a’/:b';e':....m‘, 
a:ßıy:...uma:ßiy's..:m. 
it. Hieraus folgt aber 
re me Tu tst te 
b:b=a+b+cHt... mia +b+c+...+Fm 
c;e=a+b+c+...+m:#+b’+c+...+m‘ 


m:m'=a+b+c+..+m:a+b’+c'+...+m' 
a=a+rß+yt... tu: + +y +... t+u' 
B:f=atptyt.. tue +ß+y+-..+u 
yıy=arßt+yt+.. te: + tY'+... tu 


: a:W=atpßt+yYt.. te + ty tr..t+e' 
man Lönnte alfo folgende Definition aufflellen: Vielecke find ähnlich, wenn je 
wei entſprechende Seiten wie bie Seitenfummen und je zwei entſprecheude Win⸗ 
auf wie die Wintelfummen fi) verhalten. Aus unferen Gleichungen ergiebt fich 
eiter 
a: a — b: p — ... =m:m' 
al, y—y',..ıum—u' 
was bie übliche Definition ergäbe. Die Gergonne-Telllampf’iche findet natux⸗ 
gan erft fpäter und nach einer neuen Vermittlung ſtatt. Schon ber Umfland, 
aß man bie letztere nicht wohl uriprünglih für die Congruenz brauden fan, 
iM ein ficheres Zeichen, daß ihr eine anbere Stelle, ala am Eingange der Aehn⸗ 
lichleitslehre gebührt. 








Mathematlik. 91 


II, Literatur. 


1. Arithmetil. 


a. Rechenbücher für ben Lehrer. 


1. Anweiſung zum practifchen Rechnen für ben Gebraud an Real⸗, Handels⸗, 
Gewerb- und Bürgerichulen, ſowie namentlih zum Selbflunterricht für 
Lehrer, Haublungslehrlinge, Commis und felbfifändige Geihäftsleute bear- 
beitet von Dr. Ernft Kleinpaul. 3. Auflage. Barmen und Elberfeld 
Langewieſche's Verlagsbuchhandlung, 1865. 421 ©. 

Das Bud hat ſich vielfah Freunde erworben; auch wir haben es (X, 
276) lobend erwähnt. Sn diefer neuen Auflage hat ver Verf. fämmtlicye 
Abſchnitte infofern umgearbeitet, als er alle Auflöfungen auch ohne Pros 
portionen giebt, fo daß dem Lehrer freie Hand gegeben wird, die Propor: 
tionen beizubehalten oder fallen zu laflen. Die Darftellung ift faßlih und 
Mar, die Beifpiele practifch, das Material vielfeitig. 


2. Der Redenunterricht in ben untern Claſſen der Realſchnlen. Vom Ober⸗ 

lehrer Rubfam. Programm ber Annaberger Realſchule. 1865. 

Der Berfafler haracterifirt in diefem Programm die Art und Meile, 
wie ber. Rechenunterricht in der Annaberger Realſchule betrieben wird. Von 
feinen allgemeinen Anfihten haben wir ſchon unter Methode (3, 8 
und 15) Einiges mitgetheilt. Die Methode caracterifirt ſich nun zunädft 
dadurch, daß in den drei unterften Claſſen dafjelbe getrieben wird. Dafür 
ſpricht der Gintritt verfchieven vorgebildeter Schüler und Nüblileit der 
Nepetition. Sodann aber verarbeitet jede Claſſe das Penfum der vorher: 
gehenden in anderer Form und auch mit anderem Material. Sin der fol: 
genden Claſſe find alfo die Aufgaben ſchwieriger, die Verhältniffe mannig- 
falliger, die Auflöfungen allgemeiner. Um dem Lehrer ein anfchauliches 
Bild des Fortfehritts zu geben, wollen wir folgende Fälle berausjchreiben: 


I. Curſue. IL urfus. II. Eurfus. 
Subtractionsprobe durch Subtractionsprobe durch Subtractionsprobe durch 
Addiren. Subtraction. die Neunerprobe. 


Echte, unechte; einfahelStamm: und abgeleitete Doppelbrüche, gemeine u. 

und gemiſchte Brüche. gleich: und ungleichnamigeſbeſondere Brüche. 
Brüche. 

Addition und SubtractionlAopition und Subtraction| Addition und Subtraction 

gleihnamiger Brühe. auch folcher ungleichnamisjauch folder ungleichnamt- 
ger Brüche, deren Genesiger Brüche, deren Gene: 
ralnenner ohne bejonvereiralnenner durch eine be 
Rechnung gefunden wird. ſondere Rechnung gefuns 


" den wird, 
Capital, Zinſen, Zinsfuß, Glaͤubiger, Schuldner ,‚Staatspapiere, Actien, 


Procent. Promille, Hypothelk. Coupons, Dividenden, 
Praͤmien u. ſ. w. 


92 Mathematif. 


Der Inhalt eines Dreieds wird gefunden, wenn gh 2F 
man das Product aus der Grundlinie und Höhe? — J 6 * Jr⸗ h 
durch 2 dibibirt, 2 F 

u. |. w. — F 


u. ſ. w. 
Ps, rod x. in einen De⸗ I4, „Iz 2c. in einen Deslä, „7, ıc. in einen Des 
cimalbrud) zu verwandeln.'cimalbruch zu verwandeln.|cimalbrud) zu verwandeln. 
256 Thlr. geben zu 6%, 11345 fl. geben zu 44 Wie viel hat man für 
in 5 Jahren wie vielin 2 Zahren 6 Monateni450 Thlr. 24 %, Staats: 
Binfen? wie viel Zinfen? ſchuldſcheine, am 20. Dec. 
mit demnächſt fälligen 
Coupon getauft bei einem 
Cours von 98% zu zahlen ? 
6 Säfl. Weizen werden 6 Säfl. 3 Mg. tofteni6E Schfl. Toften 305 fl. 
mit 28 Ihlen. bezahlt, wie 29 Thlr. 25 Sgr., wieſöſtr. Wie viel Scheffel 
viel koſten 31 Scheffel? viel koſten 15 Malter? für 16 Thlr. 174 Sgr.? 


38 Ile, 31 Schit. 909 Me. 142 Thir. 1305:244= 6} 6äfl.:x 








28.33 14.81 __ 179 (mit Meglaffung der Ne: 
6 = 77) 1. — 6.99 Ahle. benrechnungen) 
u. |. w. | u. ſ. w. 


Der Verf. beehrt ſeine Methode mit dem neumodigen Namen der Con⸗ 
centration indem er von derſelben nur zu ſagen hat: „Die Methode der 
Concentration, beſonders beim Unterrichte der jüngeren Schuͤler ift die na⸗ 
turgemaͤßeſte, die auf die paͤdagogiſche Regel baſirt iſt: „Von dem Einfachen 
zum Zuſammengeſetzten“, die Methode iſt jedoch fo obngefähr das Gegentheil 
was man jonft Concentration zu nennen pflegt; das ift nun zwar fein 
Fehler, aber das Wort ift flörend. Genug die Methode trägt den Ber: 
bältnifjen in ganz verftänbiger Weife Rehnung und was die Sache ans 
langt, fo lernt der Schüler in jedem nädjten Curſus nicht nur etwas, ſon⸗ 
dern fogar viel Neues und meiflens etwas, was ihm auf der vorhergehen⸗ 
den Stufe zu ſchwer fein würde. Man kann die Anordnung des Stoffes 
auch fo anjehen, daß an das Welernte foviel Anwendungen gelnüpft wer: 
ben, als bewältigt werden könne, und daß fih der Umfang der Anwen: 
dungen erweitert, wenn ber Theoretische fich erweitert bat. Dieſer Gedanke 
ift bereit3 mebrfah durchgeführt worden, und man fann daher die Arbeit 
des Verfafiers als eine eigenthümlihe Modification defielben betrachten. 


3. Das practifche Kopfrechnen, enthaltend Beifpiele aus dem Kinbertreife unb 
dem bürgerlihen Leben mit Berüdfiätigung der in ben Oftfeeprovinzen 
gebräudhlihen Münzen, Maße und Gewichte nebft einigen ingerzeigen und 
Erläuterungen von 3. Spalving, wiljenichaftlichem Lehrer an ber Kreis 
khulc zu Dorpat. 2. Aufl. Dorpat, E. J. Karow, 1865. 170 ©. 
2 gr. 


Winter und Hentichel waren die Mufter, welche dem Berf. vorlagen. 
Gr behandelt die Zahlen von 1 bis 10, von 1 bis 100, über 100 hin⸗ 








Mathematik. 93 


aus, die Brüche, die benannten Zahlen. Es werden die Zahlen eingeübt, 
dann mit ihnen gerechnet. Die Fingerzeige und Erflärungen And anfangs 
ziemlich zahlreih,, nehmen aber gegen das Ende immer mehr an Umfang 
und Menge ab; Bortheile und Abkürzungen fehlen nicht; algebraifche Auf: 
gaben, die fi recht gut zum Kopfrechnen eignen, werden bargeboten, die 
Addition der arithmetischen Reihe ift, wenn auch nur in ihrer einfachlten 
Form aufgenommen worden; Pieljeitigleit der Auflöfungen wird angeftrebt, 
von ber Aufgabe 23: 4 werben 3.2. 13 Auflöfungen mitgetheilt, und die 
Beitrehnung ift mit zmedmäßigen Vorbereitungsaufgaben verſehen. Dagegen 
fol das Einmaleins auswendig gelernt werden, und mande Aufgaben ents 
balten einen Widerſpruch mit dem Refultate. So ift 3. DB. auf die Frage: 
„Die viel Beine haben zwei Hagen?” gar feine Antwort möglih; denn 
4 Beine ift falſch weil 4 A= 8 ift, und 8 Beine ift faljh, weil jede 
Kape eben nur ihre 4 Beine und keinerlei Theil an den 4 Beinen der 
andern Kate hat. Urfprünglih ift das Dividiren nur ald Meflen auf: 
gefaßt, während es in der Bruchrehnung aud als Theilung behandelt wird. 
Ungenau find Ausdrüde wie folgende: „Wie heißt ein Theil, wenn das Ganze 
in 4 gleiche Theile getheilt wird 2”, „70 ift 6mal größer als 11% u. |. w. 


4. Anleitung zum Unterriht im Rechnen. Gin methodiſches Handbuch für 
Lehrerfeminariften und Präparanden bearbeitet von A. Böhme, orbentlicher 
Lehrer an der Königl. Augufts-Schule zu Berlin. 3. Aufl. Berlin, 1865. 
328 © 1 Th. 


68 bedarf nach unferer früheren Beurtheilung (XV, 92) nur die Ans 
zeige diejer vermehrten Auflage. 


5. Aufgaben zum Kopfrechnen. Ein Handbuch für Lehrer, namentlich in Volles 
fhulen, von A. Böhme, orbentlicher Lehrer an der Auguſta⸗Schule in Ber- 
fin. 2. Aufl. 1865. Leipzig, ©. W. 5. Miller. 136 ©. 15 Ser. 


Vergl. unfere Anzeige der 1. Aufl. XI, 71. 


6. Kopfrehenaufgaben, Decimalbrüihe, Ansziehung der Quadrat⸗ und Kubil⸗ 
wurzeln für Seminarien und Bürgerſchulen von 3. Terlinden, Seminare 
lehrer in Neuwied. Neuwied und Leipzig, 3. H. Heuſer'ſche Buchhandlung. 
1865. 54 ©. 5 Ser. 

Die wir aus dem Vorwort erfahren, bildet vorliegendes Schriftchen 
eine Abtheilung eined demnächft erjcheinenden Wertes. Der Inhalt ift auf 
dem Titel vollftändig angegeben. „Die Kopfrehenaufgaben — fagt ver 
Berf. — fogenannte Dentrechenerempel, die vorzugsweife den Verftand als 
Refleriong: und Combinationsvermögen üben follen, find meift algebraifche 
Aufgaben, melde aber ohne Sleihungen mit rein arithmetifchen, vollsthüm⸗ 
lihen Aufgaben zu rechnen find. Ich vente mir biejelben geförberten Res 
chenſchulern von Zeit zu Beit neben dem anderen Rechenunterrichte ber als 
zu Inadende Nuͤſſe, gewiſſermaßen als Bahlenrätbjel aufgegeben.” Diefels 
ben find ganz intereflant, obgleich fie hie und da präcijer ausgedrückt fein 
fünnten. Die Decimalbrüde find zwar ganz gut behandelt, bieten aber 
mit Ausnahme der Bemertung ©. 19, über das Berwandeln gemeiner Brüche 


9 Mathematik 


in Decimalbrüche nichts Eigenthümliches. Die Wurzelausziehung iſt eben⸗ 
falls ganz tadellos gearbeitet, aber ebenfalls ohne beſondere Cigenthumlichkeit. 


7. Das Denkrechnen im der Volkeſchnle. Bollſtändige Anleitung zur metho⸗ 
diſchen Behandlung dieſes Unterrichtsgegenſtandes mit einer großen Anzahl 
ſyſfematiſch geordneter Uebungsbeiſpiele und Andeutungen zur Loͤſung beriele 
ben bearbeitet von H (?) Reiſer, Muſterlehrer zu Gammertingen, Ritter 
bes Tönigl. preußiſchen Kronenordens 2c. 2. Aufl. Stuttgart, Albert Koch, 
1865. 256 ©. 24 Gar. 

63 begegnen und zunädjft folgende Uebungen: 1) die Bahlen von 1 
bis 3 werben lennen gelernt, 2) die Zahlen von 4 bis 6 werden kennen 
gelernt, 3) die Ziffern 1, 2, 3 werben Iennen gelernt, A) die Ziffern 4, 
5, 6 werben kennen gelernt, 5) praktiſche Beifpiele über die Zahlen 1 bis 6, 
6) das Abzieben innerhalb ver Zahlen 1 bis 6, 7) die Zahlen und Zif⸗ 
fern 7 bis 10 werben fennen gelernt, 8) das Zuzählen innerhalb der Zah: 
len 1 bis 10, 9) fchriftlihes und münbdliches Zuzählen der Zahl 2, das 
Abziehen von 1 und 2 x. ES gebt nun in den Zahlen in Kleineren und 
größeren Abtheilungen weiter und zwar faft immer in elendem ESchematid: 
mus. Und daneben eine nicht geringe Anzahl von Aufgaben, melde ganz 
prähtig find, die der Berfajjer mit Fleiß und Gefhid erfunden hat. 
Recht gut ift au der mit „das Berlegen in andere Zahlen‘ überfchriebene 
Abſchnitt. 


Trotzdem würden wir dem Berfafler die Führung der Kinder im Be⸗ 
reihe der ganzen Zahlen gern überlafien ; in der Bruchrechnung jedoch möch⸗ 
ten wir ibm faum einen Bapagei anvertrauen. Auf ber zweiten Seite wirb 
bei der Definition von Zähler und Nenner angelangt, dann werden Brüche 
erweitert und gehoben, wofür ver Verf. ohne alle Scrupel vergrößert und 
verkleinert jagt, ald ob 3 < $ wäre. Dann wird erzählt, wenn 
Brüche durch 2, A ⁊c. abgekürzt merben können, ohne daß der geringfte 
Grund dafür angegeben wird, wähtend der Sag eine Stelle findet: „Wenn 
die Querfumme von Nenner und Zähler durch 3 und 2 tbeilbar find, läßt 
ih der Bruch durch 6 ablürzen.” Zwar wird hinzugeſetzt, daß dieſe Ne 
gel nicht zuverläfftg jei, aber das macht die Sache nach ſchlimmer, denn 
Regeln, weldhe in der Arithmetit nicht zuverläflig find, - find eben feine. 
Die Addition der Brühe beginnt mit den Worten: „wenn bie Brüche, 
welche zufammen gezählt werben follen, gleiche Nenner haben, fo addirt man 
die Zähler und fept den Nenner darunter.” Go fteht immer bie Regel — 
bie no dazu einjeitig iſt, weil fie ſich nur auf die fohriftlihe Darftellung 
bezieht — an ber Spige Wie ftimmt das mit den häufig fogar breiten 
Gniwidelungen in den erfteren Parthien des Buchs?, wie fiimmt es über- 
banpt zum „Denkrechnen“? — Troßtzdem ift auch bier wieder viel gutes 
Material zufammen gearbeitet. Die angewandten Rechnungen bieten eine 
Menge von Aufgaben mit den Zwijchenrefultaten, an denen man nur feine 
Freude haben kann. In Summa: Gin fo ungleich gearbeitetes Buch ift 
uns ſelten vorgefommen, ungleih in Stofj und Behandlung, verftändig und 
unverfländig. Irren wir nicht, jo kannte fi der Verfaſſer nicht beruhigen, 
bevor er durch eine originelle Leiftung die Meifter in der Rechendidactik, 





























Mathematik. 98 


insbeſondere Grube hinter fi gelaſſen hatte. Das ift ihm nun leider nicht 
gelungen. Die Grube'ſche Arbeit ift aus einem Gufle, aus einem Grund⸗ 
gedanken hervorgegangen und darum .anregend und fürberlich, felbft wenn 
fe auf Irrthum beruben follte.e Hier wird aber auf wunderliche Weile 
combinirt, was bei Grube und beiläufig bei den übrigen Meiftern getrennt 
ift, und umgekehrt. Auch würbe wohl keine von dieſen im Sabre des Heils 
1865 feine Anweifung mit den Worten beginnen: ‚Rinder, jeht euch ein: 
mal im Schulzimmer um und nennt mir Dinge, die nur einmal vorhanden 
find! Was fiehft Du nur ein Mal? — Kind: den Dfen, die Ubr, den 
Kaften, das Pult. Lehrer: Was habe ich auf der Tafel (richtiger: auf die 
Zafel) gemacht? ıc.” Auch folgende Aufgabenreihe würde Keiner von ihnen 
zufammengebradht haben : „Unna hatte O Pflaumen getauft und aß davon 
fogleih 2; wie viel brachte fie nad Haufe (zwei logiſche Sprachfebler, denn 
die richtige Antwort ift: das weiß Niemand, weil man nicht weiß, wie viel 
fie nachher gegefien hat) ? — Bu Haufe gab fie ihrem Brüderhen 2 Pflaus 
men, wie viel bleiben ihr von 7? — Anna hatte noch eine Heine Schwes 
fer, der fie von ihren 5 Pflaumen ebenfalls 2 fchenkte, mie viel behielt fie 
jest noch übrig? — Der Mutter hatte es gefallen, daß Anna ihre Pflau- 
men mit ihren Gefchwiftern theilte (Geben und Schenlen ift nicht Theilen), 
und da fie kurz zuvor auch Pflaumen gelauft batte, jo jchentte fie ihr 6 
Pflaumen (mas beiläufig von der Mutter ziemlich albern war). — Anna 
fing nun an, ihre Pflaumen zu eflen, und dieſe ſchmedten ihr vortrefflich, 
weil die Mutter fie gelobt hatte (davon ift nichts erwähnt worden). ıc. 


8. Hüulfebuch für den Rechenunterricht. 2. Heft. Zunächſt für Schulfehrer- 
Seminarien beftimmt. Bearbeitet von 2. Fritze, Lehrer am Lönigl. Schul- 
lehrerfeminar zu Oranienburg. Brandenburg a. H. Adolph Müller. 1865. 
100 ©. 74 Ser. 

-Das erfte Heft haben mir bereit? (X VI, 66) angezeigt. Das gegen 
wärtige handelt von den Decimalbrühen und der Ausziehung der Quadrate 
und Gubilwurzeln und enthält einen Nachtrag zum erften Hefte. Die Des 
cimalbrũche find tadellos abgehandelt, nur bezweifeln wir, daß die Verwand⸗ 
lung ver Decimalbrühe in gemeine Brüche nach der Darfiellung des Vers 
faſſers verſtaͤndlich wird. Wenigſtens ift die Induction nicht vollftändig, 
und deshalb der allgemein ausgeſprochene Sag unzuläſſig. Doch ſoll ung 
dies nicht geniren, da die zweite Methode fomohl eract als leicht verftänds 
lich if. In der Lehre von den Duabratwurzeln heißt es: „Aus 7569 ſoll 
die Quabratwurzel gejucht werden. Durch die in 8. 2 beſprochene Grup: 
pentheilung erfahren wir, daß die Quadratwurzel bier zweiftellig ift. Nennt 
man die Zehner deſſelben a, die Einer b, Jo ift in 7569 enthalten: 1) as, 
2) 2 ab, 3) b?. Da a eine Anzahl Zehner beveutet, jo macht a? Hun: 
derter aus, a? ift alſo in den 75 Hunderten der gegebenen Quadratzahl 
enthalten. Die kleinſte Quadratzahl ift 64 mit der Wurzel 8; a kann 
alfo höchſtens 8 Zehner betragen. Nimmt man a?, d. b. 64 Hunderter 
von 7569 hinweg, fo bleibt ver Reft 1169 und’ in diefem muß 2ab + b? 
enthalten fein. Da 8a Behner und b eine Anzahl Einer beträgt, jo iſt 
2ab eine gewille Anzahl Zehner und muß in den 116 Behnern bie Bahl 


96 Mathematik. 


1169 geſucht werden, in denſelben kann aber auch gleichzeitig ein Theil 
von bꝰ enthalten fein. Nun iſt 2a == 16 Behner, 2 ab vielleicht = 
16. Behner oder aud etwas weniger ; mithin ift b-wahrfcheinlih 116 Zeh⸗ 
nee: 16 Behner = 7 Einer. Dann beträgt 2ab 112 Behner; der 
Net von A Behner + 9 Giner reiht gerade für br aus. Nach biefer 
Auseinanderfeßung werben folgende practiihe Ausführungen Har jein 


y75 |] 69 = 87 
64 


20 = 16) 116 
112 (2ab) 
49 
49 (b? 
0 — 

Das iſt alles ganz rationell und verſtaͤndig und für Seminariſten eine 
ganz paflende Auffaſſung; aber es ift die Frage, ob man mit der Formel 
(a + b)? = a? + 2ab? + b? ausreicht, wenn fie ifolirt dafteht und 
miht durch die ganze niedere allgemeine Arithmetit getragen wird. eben: 
falls muß fie erft vielfah auf das Quadriren decadiſcher Zahlen in voller 
Umftändlichleit angewandt werden, ehe man fih beim Radiciren auf fie ver 
lafien kann, 3. ®. 

324? = [(300 + 20) + 4]? 


= (300 + 20)? + 2.(800+20).4+4°2 


— 90000 — 9 (32) 
+ 12000 + 2 (2.3.2) 
+ 40 + 4 (2?) 

+ 2560 + 256 (2.32.4) 
+ 16 + 16 (42) 


= 104976 = 104976. 
Doch wollen wir biermit dem Verf. perjönlic feinen Vorwurf machen, 
fondern nur die Forderung ausgeſprochen haben, daß in den Lehrplan ver 
Seminare die allgemeine Arithmetit aufgenommen werde. 


9. Leitfaden für ben Unterricht im Rechnen. Für Lehrer an Bollsihulen und 
Scullebrerjeminare bearbeitet von Guſtav Battig, Lehrer am Tönipl. 
karholiihen Scullehrerfeminar zu Breslau. 3. Aufl. Breslau, Wild. Bottl. 
Korn, 1865. 135 S. 12 Sgr. ’ 
Eine kurz gefaßte Anleitung, die zwar in der Methode nicht gerade 
etwas Eigentbümliches bietet, aud wohl nicht bieten foll, aber unbedenklich 
als Wegweiſer empfohlen werden kann. Die vier legten Abjchnitte behan⸗ 
deln die Decimalbrühe, die Quadratzahlen und Uuabratwurzeln, die Cus 
bitzahlen und Cubilwurzeln und die Berhältniffe und Proportionen. Ueber 
die Wurzelausziehung vergl. Nr. 8. 


10. Leitfaben für ben Unterricht im Rechnen in höheren Unterrichtsanftalten 
nebſt zahlreichen Beifpielen von Dr. Carl Koſack, Oberlehrer am Gym 








Mathematik. 9 


nafiunm 38, Nerbhauſen. 2, Aufl Berhhanlen, 1865, Carl Haacke. Erfie 

Ath. 95 &. Zweite Abıh. 107 ©. 6 © 

. Der: Darf. jet die Fertigkeit im Rechnen kt ganzen Zahlen voraus 
und beginnt nun feinen Unterriht mit Definitionen, Säßen und Regeln. 
Daflelbe Verfahren wird auch in der Bruchrechnung fortgefeßt. In der 
zweiten Abtbeilung treten. die Regeln zuräd und neben den Grllärungen 
Meifterbeifpiele, hin und wieder auch allgemeine Formeln in den Vorder⸗ 
grund, wie 3. B. die Formel der Ainsrehnung 1002 — cpt in ihren 
verjchiedenen Formeln. Nah alle dem hat der Verf. einen nachfolgenden 
reinwifienfchaftlihen Curjus im Auge, den vorzubereiten mit zu feiner Auf 
gabe gehört. Die Entwidelung iſt genetiih. Die beigefügten Aufgaben find 
ſehr einfach formulitt und daher auf kleinem Naume in ziemlicher Anzahl 
vorhanden. 


11. Bortheile unb Abtiirzungen im Rechnen. Kür den Schul- und Geſchäfts⸗ 
mann und ſolche, bie €8 werben wollen. Bon E. fan Benberg Güters⸗ 
lob, 1865. Verlag von €. Bertelsmann. 156 ©. 224 Sgr. 

Der Ber. ift den Leſern des Yahresberichts bereils als tüchtiger Di: 
dactiker befannt, und diefer kann ſchon aus dem Titel und dem Umfange 
der Schrift errathen, was er zu erwarten bat. Es wird -uns in ber 
That eine große Menge von Abkürzungen und Auflöfungsmethoden gebos 
ten, welche für den Unterricht höchſt ſchätzenswerth find. Gleichwohl müf: 
fen wir Einzelnes bemerlen. Yür den im der allgemeinen Arithmetik Ge: 
ſchulten find die Abkürzungen auf ven erften Anblid verftändlich, aber ficher 
gibt es Lehrer genug, welchen das Zeug zu diefem Verflänbniß fehlt und 
für die der Verf. mehr Sorge hätte tragen ſollen. Dahin gehört die Addition 
der geometriihen Reihe, die Umformung 97.103 — (100 — 3) (100 

+3) = — 100? — 3?, die ſchoͤne Divifion 
64321 : 29 


"84321 : (30 — 1) = 221738 
60 | 


4 
2.1=2 
63 
60 
3 
2.1 = 2 
52 
30 
22 
1. 12 4 
231 
210 
21 
7.1 7 | 
28 Reit. 
Päd. Jahresbericht. XVII. 7 


98 Mathematik. 


Sodann dürfte bie und da eine Ablürzung doch nur Aebhaberei ſein. 
Ich wenigſtens rechne mit der Zerlegung 108 — 8.3.8.4 weniger 
ſchnell als mit 108 = 9.12. Endlich haben wir ftellenweife über Raum: 
verſchwendung zu Hagen. So heißt ed 5. B. 
894 X 906 
8046 
5364 


819964 
Oder: 
894 X 900 + 6 
804600 
+ 5364 


809964 
Und fo geht's 5 Seiten in einem Zuge fort. — Der Schüler wird 
gewiß durch die Beihäftigung mit diefen Ablürzungen ſchneller rechnen ler: 
nen, nicht weil er fi die Negeln aneignen, fondern weil er durch fie in 
das Weſen der Zahl eingeführt wird. Der Berfafier behandelt das ganze 
Gebiet des elementaren Rechnens und eröffnet überall eine reiche Fundgrube 
arithmetifchet Beziehungen, welche das Verfahren .ablürzen oder mindeflens 
lehrreich find und die Zahlkraft ftärken. 
12. Sechs Reihen arithmetiſcher Regeln innerhalb ber vier erfien —— aler 
ten zur Repetition über ben Schulunterricht insbefonbere für Nealj 


von 10 bis 14 Jahren aulammengefell von Dtto Fiſcher, Oberſtudien⸗ 
—F 2. Aufl. Ulm, 1865. erlag der Wohler’ihen Buchhandlung. 


Inhalt: I. Anfang der Bruchrechnung. Aliquote Theile. II. Bon den 
Doppelbrüden und vom Zweiſatz. IIL Bon der Schlußrehnung und vom 
Gnthaltenfein. IV. Kettenſatz. V. Bon den Decimalbrühen. VI. Bon den 
Bablformen überhaupt von den Verhältnifien und Proportionen ; Anfang zu 
Kopfrehnungen und mündlihen Beiprehungen (S. 40—52), — Der Le 
fer wird wohl manches Brauchbare finden, aber nicht viel. Die Sprache 
ift mitunter etwas kauderwelſch, wie 3. B. glei im erften Sape, ber da 
beißt: „Ein Bruch ift eine Anzahl von Zheilen der Einheit, welche man 
ih in lauter gleiche Theile zerlegt vorflellt.” Auch neumodige Namen 
fommen vor: Anſatzhruch ein Bruch, defien Nenner und Zähler oder befien 
Nenner oder Zähler ein Product ift; ver leitende Satz, deſſen Begriff Re 
ferent vergebens gejucht hat. Die Darftellung ift dogmatiſch, die Beweiſe 
fehlen nicht felten, find faft durchweg einförmig und daher einfeitig. 

13. Dae praktiſche Rechnen mit befonberer Berldfichtigung bes Decimalſyſtems. 
Ein Handbuch für angehende Kaufleute und alle Stänbe im bürgerlichen 
Leben. Bon 2. Baumblatt, Tönigl. Lehrer ber Handelswifienfchaften an 
ber Kreiſsgewerbsſchule zu Kaiferslautern. Kaiferslantern, Verlag von Hugo 
Meuth, 1865. 215 &. 20 Ser. 

„Das Bud ift für jeden Gejchäftemann im bürgerlichen Leben, bejon- 
ders für junge Kaufleute gefchrieben, die bereits in Geſchaͤften fiehen ober 
in folde mitreben wollen. Das praltiſche Rechnen mit Zugrunvelage der 








Mathematik. 99 


Decimalbrühe wurde ausführlih und faßlich gelehrt, das ContosCorrent in 
feinen verjhiedenen Formen durch Muſter⸗Conto⸗Corrente mit ins und aus: 
laͤndiſchen Geldern erörtert; den Gelprebuctionen und der Binsrechnung 
wurde die möglichſte Sorgfalt zugewendet; auch wurde ber Frankfurter 
Eourgzettel ertlärt und das metriihe Maß und Gewicht nad ber Fürzeften 
Methode rebucirt.” Seinem Zwecke entſprechend gebt der Verf. ſogleich 
mediam in rem, beftrebt fih und zwar meiftens mit Glüd faßlich zu 
fchreiben und ſchafft recht gutes Material herbei. Nur in der Geſellſchafts⸗ 
rechnung greift er einige Male ſehr fehl. Die Regel für die Vermiſchungs⸗ 
rechnung ©. 49 kann präcifer ausgebrüdt werben. Die Zinsrechnung be 
ginnt mit dem Guriofum : „Die allgemeine Formel ver Zinsrehnung ift 
a.p.n 
100° 
Diefer Ausprud iſt aber Feine Formel, denn jede arithmetiſche Formel 
ift eine Öleihung. Er wird zur Formel, wenn man ihn dem gleichjebt, 
was er bebeutet, nämlich dem Zins z: 
a.p.n 
100° 
Hat der Lernende das Zeug dazu, dieſe Formel zu verftehen und da⸗ 
mit zu operiren, fo gibt man ihm diejelbe am 1 paflenbfien in der Form 
100 z =a. 
und bat damit mit einem Schlage bie ganze einfache Zinsrechnung erledigt, 
indem ohne Weiteres 
—_ &d.p.n 100 z — 100 z _. 100 z 
* 0 = p.n '’?P a.n 7 .p 
aus derjelben folgt. Auf jeven Fall aber ift es inconfequent, den Sins nad 


‚ die andern Zahlen aber ohne Hinzunahme dieſes Ausbruds zu bes 


“ 











apa 
100 ’ 
rechnen. 


b. Rechenbücher für den Schüler. 


14. Fo aben aus ber nieberen Aritimetil. Zum Gebrauch in ben unteren 
en höherer Lehranftalten bearbeitet von Kriebrihd Hofmaun, Pro- 
er ber Mathematik am Gymnaflum zu Bayreuth. Bayreuth, 1865, Hein- 

rich Grau. 115 ©. 12 Ser. 

Da der Berf. kein Freund von angewandten Aufgaben ift (vergl. 
Meth. Nr. 10), fo ift es confequent, daß er keine folhen aufgenommen 
bat. Die erfte Abtbeilung enthält Aufgaben über unbenannte ganze Bahlen 
und zwar fo, daß erft jede Rechnungsart für fi geübt und hierauf jede 
mit den übrigen verbunden wird. Die Verbindungen werben immer zu: 
fammengejebter und buch Klammern bargefteli. Die einzelne Aufgabe 
nimmt ſehr oft 6 und 7 Zeilen in Anſpruch. In der zweiten Abtbeilung 
werden Aufgaben über einfach benannte Zahlen gegeben. Dieje werden da: 
bei 3. B. in folgender Weife dargeftellt : „Der Ertrag eines Feldes ift in 6 
auf einander folgenden Jahren afl,bfl,cefl,d fl, e fi, £ fl.; wie 
groß ift der Durchſchnittsertrag ?' 

7* 


100 Mathematik. 


a == 3945 5868 7892 
b== 4123 6087 8217 
ce = 3816 6259 7946 
d = 8786 5748 7658 
e = 4077 6137 8025 
f — 39239 5972 8108. 


Die dritte Abtheilung bat mehrfach benannte Zahlen zum Gegenftante. 
Die Form der Aufgaben ähnlih wie im 2. Abſchnitte, z. B. „Wenn m 
Stüde einer Maare a Thle. b Sgr. o Pf. often, was koſten n Stüde 


a 6) @ (16) 
m — 6 27 6 8....: MM 
a= 7 51 5 3..... 405 
b = 23 21 17 2T ..... 21 
e=5 9 11 8 ..... 3 
n = 45 8 90 128..... 107.“ 


Die vierte Abtheilung bietet Aufgaben über gemeine unbenannte Brüche, 
die im Allgemeinen, wie die Aufgaben im 1. Abfchnitte vom Einfacheren 
zum Sufammengefebteren fortſchreiten. Daffelbe gilt von dem fünften Ab- 
Schnitt, welder die Decimalbrühe enthält. Die Schrift liefert auf dieſe 
Weiſe ein ungemein reihes Material für die einfachften und zujammenge- 
fegteften Zablenverbindungen. 


15, Rechenbuch für die VBollsihule von Albert Häſters. Beſonders bearbei⸗ 
tet für bie norbbdeutichen Staaten außer Preußen von U. Knieban, Leh- 
rer in Lutter a. B. I. Rechenbuch für Unterllaflen. 53 ©. 21 Sr: — 
IL Rechenbuch für bie Mittelklaſſen. 104 S. 5 Sgr. — IH. Rechen⸗ 
buch für bie Oberfiaflen. 160 SS. 8 Sgr. Eſſen, G. D. Bädbeler. 
1865. j 


Bergl. Paͤdag. Yahresberiht XV, ©. 96. Die Ausgabe für den 
Lehrer enthält zugleih Methodiſches. 


16. Rechenbuch für die Volkefhule von Albert Häfers. Beſonders bear- 
beitet für die füddentichen Staaten von Philipp Röhm, Lehrer an ber 
oberen Knabenſchule in Kaiſerslautern. I. Rechenbuch für Unterllafien. 
53 ©. 10 fr. — II. Rechenbuch für Mittelliafien. 104 S. 18 tr. — 
Kechenbuqh für Oberklaſſen. 172 ©. 28 kr. Eſſen, G. D. Bädeker. 
1 v 


Vergl. Pädag. Jahresbericht XV, S. 92. Die Ausgabe für den Leh⸗ 
rer enthält zugleich Methodiſches. 


17. Sammlung von Aufgaben für bie Schlußrechnung. Bearbeitet für Realan⸗ 
Kalten und gehobene Bolleichulen von Oberpräceptor Scharpf, Lehrer ber 
Mathematik am Lönigl. Gymnaſium, an ber Fortbilbungs- unb Gewerb- 
fhule in Ulm. 4. Aufl. Ulm, 1863, 3. Ebner'iche Buchhandlung. 1. Bochn. 
115 ©. — 2. Bochn. 114 ©. Reſultate. 47 ©. 


Die Anorbnung erfieht man aus folgender Inhaltsangabe: Aufgaben 
zu deren Löfung 1) nur ein Schluß nöthig ift, 2) zwei ober mehrere 











Mathematik. 101 


aͤhnliche Schlüſſe, 3) nicht ähnliche Schluüͤſſe ꝛc. noͤthig find. Ueber die 
Aufgaben felbft iſt nicht viel zu ſagen. Sie find gefhidt zuſammengeſiellt 
und haben bereit3 vie verbiente Aufnahme gefunden. Wir empfehlen auch 
diefe neue Ausgabe. | 


18. Rechenbuch für Vollsſchulen und untere Gymnaſialklaſſen von ©. Th. Loe b⸗ 
nis, Lehrer am Gymnaſium Andreanum zu Hildesheim. Hildesheim, 
1864, Gerſtenberg'ſche Buchhandlung. — Erfter Theil. Die vier Grunde 
rechnungen mit benannten und unbenannten Zahlen, gemeinen und zehn⸗ 
theiligen Brücken. 168 S. 8 Sgr. — Zweiter Theil. Die zuſammen⸗ 
geſetzten Rechuungsarten. 178 S. 8 Sgr. — Antwortenheite. 


Wir empfehlen diefe neue Ausgabe mit Verweifung auf Pädag. Jah⸗ 
reöberiht XIII, ©. 75. 


19. NUebungsbuch zum mündlichen umb fchriftfichen Rechnen filr Elementarſchüler 
fowie fir die Schüler in Abend⸗ unb Sonntageiulen. Bearbeitet nad 
bem Leitfaben zum Unterrihte im Rechnen von Konrector 8. Frickhöffer. 
Neu bearbeitet von 3. Welder, Oberlehrer in der Knabenabtheilung ber 
Mittelfchule auf dem Markt in Wiesbaden. Wiesbaden, Chrifian Lim⸗ 
barth. 2. Heft. 4. Aufl. 1864. 60 S. — Reſultate. — 3. Heft. 
1863. 56 ©. & 4 Sgr. . 


Wir verweilen den Leſer auf unfere frühere Empfehlung (XV, ©. 98). 


Rechenbuch für die Hanb des Schülers von C. Hirfch, Lehrer zu Lüders⸗ 
borf bei Neuflofler in Medlenburg- Schwerin. 1. Heſt. Zahlraum von 
1—20. Bismar, Roftod und Ludwigsluſt, Hinſtorff'ſche Buchhandlung und 
beim Verf. 1865. 24 Ser. 


Enthaͤlt nur einfache Aufgaben, die zur ftillen Beichäftigung recht gute 
Dienfte leiften werben, 


20 


‘ 


21. Rechenhefte. Stufenweis georbnete Aufgaben zum jchriftlihen Rechnen für 
Schulen entworfen und herausgegeben. Nordhauſen, Verlag von Carl 
Haade, 1864. 1. Heft: Zahlentreis.von 1 bi8 10. 32 ©. 2. Heft: Die 
vier Species in erweitertem Zahlenkreiſe. 32 ©. & 2 Ser. 


Die Aufgaben fließen faft alle Anwendung aus und befleißigen fich 
der größten Ginfachheit. In dieſer Beſchränkung find fie aber als gut zu 
bezeichnen. 


I 

22. Anfgaben zum praltifchen Rechnen nach einem naturgemäßen Stufengang 

für dentſche Bollsſchulen. Bon ©. Bodamer 1. Heft: Rechnen im 

Zahlranme von 1 bi6 20, 2. Heft: Rechnen im Zablraume von 1 bis 100, 

3. Het: Rechnen im Zahlraume von 1 bis 1000 mit reinen unb ange⸗ 

wandten Zahlen, 4. Heit: Rechnen mit Zahlen über 1000 mit reinen und 

angewandten Zahlen, Auflöfungen zum 2. und 3. Heft. Biberach, Dorn’iche 
Buchhandlung, 1864, 1865. & 2 Sgr. 


Höchſt einfahe Aufgaben. Die Anwendung tritt fehr zurüd, im 1. 
und 2. Hefte fehlt fie gänzlich. Sonſt gut. 


23. Aufgaben zum Zifferrechnen. Bon I. Blämel, zweiten Lehrer an ben 
Vorbereitungsflaflen bes Stifabetanum. Breslau, Iofef Mar u. Comp. 


102 Mathematik. 


1. Heft. Die vier Species in einfach benannten Zahlen fortgefeht von R. €. 
Pflüger 5. Aufl. 656. 3 Sgr. — 2. Heft. Die vier Species mit 
mebr benannten Zahlen. 3. Aufl. 1862. 56 S. 3 Sgr. — 3. Heft. 
Die Brüche. 3. Aufl. 1863. 56 S. 3 Sgr. — A. Heft. Negelbetri, 
Zins, Geſellſchafts⸗ und Miſchungsrechnung, Decimalbräche. 3. Aufl. 1864. 
111 ©. 5 Sgr. (fortgeießt von Pflüger. Facitbuch zum 1. Heft. 


Diefe Aufgaben erfhienen zuerft 1854 (IX, 133), haben fih alfo 
gut durchgeſchlagen und werben es auch ferner thun. 


24. Praktiſches Rechnenbuch für Landwirthe, Handwerker und Kauflente, beſon⸗ 
ders zum Gebraude in Fortbildungsſchulen von I. G. Keilmann. Hep⸗ 
penheim a. B., Verlag von G. Allendorf. 1863. 10 Sgr. 


Was das Schriftchen ſoll, kann man ſchon aus der oben (Meth. Nr. 2) 
errathen, beſtimmt aber aus der Art erſehen, in welcher der Verf. die Her⸗ 
ausgabe deſſelben motivirt: „Aber — ſagt er — immer wird das Gedächt⸗ 
niß einer Stutze bedürftig fein, und dieſe ſoll in dieſem Büchlein geboten 
werben.” Dieſe Stütze kann es aber nad unſerer Anſicht nicht gewähren, 
und koͤnnen ihm alſo keine Empfehlung mit in die Welt geben; es müßte 
denn etwa wegen des Anhangs (60 ©.) geihehen, der in der That man: 
ches gute Material über die verſchiedenſten Verhältnifie darbietet. 


25. Die vier Grundrechnungsarten in unbenannten ganzen Zahlen. 9. Aufl. 
1864. (24 S.). — Die vier Grundrechnungsarten in gleich und ungleich 
benannten Zahlen. 8. Aufl. 1864. (48 &.) — Die vier Grundrechnungs⸗ 
arten in unbenannten, fowie in gleih und ungleich benannten Brüchen. 
5. Aufl. 1864. (48 S.). — Die Anwenbung ber vier Grunbrechnunge 
arten 20. 7. Aufl. 1865. Bon Georg Kdpp. Worms, Rahle. & 24 Ser. 


Sn XIHO, 75 zeigten wir beziehungsweife die 5., 4., 3. und 2. Auf: 
lage dieſes Rechenbuchs an. Es ift alfo fleißig gebraudt worden. Daß 
es nichts Ausgezeichnetes bietet, haben wir ſchon gejagt, doch mag es fehr 
viele Schulen geben, für die es genug gibt. 


26. Vollsthümliches Rechenbuch für Elementarſchulen. Herausgegeben von U. 
Bräunlid und W. Sottfhalg. Weimar, Herrmann Böhlen. II. Heft: 
ür Mittelllaffen. 2. Aufl. 1864. 56 ©. 24 &gr. — II. Heft 1. Abth.: 

ür Oberklaſſen. 1865. 72 ©. 24 Ser. 


Dir müflen auf unfere lobenden Anzeigen in XVIL 6 und XI, 
135 verweilen. 


27 Aufgaben zum Zifferrechnen. Mit Berldfichtigung ber neueren ſchweizeriſchen 
Münzen, Maße und Gewichte. Herausgegeben von Friedrich Fäſch, 
Lehrer in Bafel. St. Gallen, Huber u. Comp. (Fehr). 1. Heft. Jahlen⸗ 
raum von 1 bis 100. 3. Aufl. 1862. 44 ©. — 2. Heft. Das Rechnen 
mit größeren Zahlen. 3. Aufl. 1862. 32 S. — 3. Heft. Das Rechnen 
mit Sorten. 7. Aufl. 1865. 36 S. — 4. Heft. Das Nechnen mit 
Brüchen. 3. Aufl. 1865. 426. Schlüffel jum 1. bis 3. Hefte. & 3 Ser. 


Für Schulen, melde den Rechenunterricht mehr oder weniger befchrän- 
fen müflen, recht gut (vgl, XIII, ©. 78.) 








Mathematif. 103 


28. Hufgasen über bie Decimalbruche. Kür den Schulgebrauch entworfen und 
mit ‚ Erläuterungen en verjehen von E. Hentſchel, Seminarlehrer in Weißen⸗ 
ee Leipzig, Carl Merjeburger, 1865. 52 8. 2 Sgr. Antwortenbeft. 

r. 


Die Aufgaben ſind in folgende Abſchnitte vertheilt: „Einleitende 
Uebungen, die vier Grundrechnungsarten in reinen und gleich benannten 
Zahlen, die vier Grundrechnungsarten in ungleich benannten Zahlen, vers 
mifchte Aufgaben, abgelürzte Multiplication und Diviſion.“ Dieſe lebtere 
Abtheilung würden wir nicht ald Anhang betrachten, wie der Verf. thut, 
fondern als integrivenden Theil des Ganzen. Die Aufgaben find wohlge⸗ 
ordnet und fehreiten flufenmäßig vorwärts. In den Anmendbungen enthal 
ten fie interefiante Notizen und führen recht vielfeitig in die fremden 
Maße u. ſ. w., bejonvers die franzöſiſchen, ein. Die Srläuterungen ent» 
halten nit viel weniger als eine Anleitung zum Rechnen mit Decimals 
brüden. So ift 3. B. das Verwandeln der Decimalbrühe in gemeine 
Brühe und die Divifion jo ausführlich auseinandergefeßt, daß ſich ber 
Schüler leicht zurecht finden kann. 


29. Sammniung von Rechnungsaufgaben für das Zifferrechnen über bie vier 
Species mit unbenannten unb gleichbenannten Zahlen. Gin Lernmittel 

für bie Sand der Schüler von Bartbolomäns Kuupfer, Lehrer. Frei⸗ 
Burg | i. — Srer ſche V⸗rlagsbuchhandlung. I 1864. 6 &. IL. 1865. 


30. Sammlung vom Rechuungsaufgaben über das Zifferrechnen über bie vier 
Species mit uubenaunten unb ungleichbenannten Zahlen. Für die Hand 
bes Lehrers von Bartholomäus Anupfer, Lehrer. Freiburg i. B., 
Herder'ſche Buchhandlung. I. 1864. 88 ©. I. 1865. 152 ©. 8 Sr. 
Ich hatte mich laͤnger als eine Stunde plagen müſſen, um nur zu er⸗ 
fahren, in welcher Weiſe die aufgeſtellten Zahlen zu Aufgaben benutzt wer⸗ 
den, und zwar vergebens geplagt; ich mußte alſo unverrichteter Sache ein⸗ 
fach weiter blättern und abwarten, ob der Verf. an ſpäterer Stelle Aufllä- 
rung gäbe. Dies that er dann wirllich. Das Brincip ift das ben Rechen 
fäben zu Grunde liegende. Um eö zu veranfchaulihen, wollen wir ben 
einfachften Kali befhreiben. Das erfte Heft für Schüler enthält 10 „Zet⸗ 
tel’, jeder 6 Zeilen folgender Art: 
12 


7065, 4670; 369, 5634. 

Die Sal 12 gehört nur zur Multiplication und Divifion. Die Zahl 
7065 3. B. enthalt nun folgende Bahlen 7, O0, 6, 5; 70, 06, 65; 
706, 065; 7065. Nun werben folgende Aufgaben gebildet 

7+04+6+5+44+6+7+0+3+6+9+5+6+3+4, 
70 +6 +65 +46 +67 +70 +36 +69 +56 +63 + 34, 
‘706 + 65 4 467 + 670 + 369 + 563 + 634, 

7065 + 4670 +.369 + 5634, 

70 — 65, 70. — 46, 69 — 36, 56 — 34 

706 — 65, 670 — 467, 69 — 36, 634 — 563 

7065 — 4670, 5634 — 369 


104 Mathematit. 


:+65.2,70.2,69.2,34.2 
65 .2,670.2,369 . 2, 634. 2 
7065 . 2, 4670 . 2, 369 . 2, 5634 „2 
65 :2,70:2,69:2,34:2x. 

„alfo meld ein unerfchöpfliher Duell von Aufgaben“, ruft der Verf. 
Unerſchoͤpflich, aber es ift auch darnach, denn viel und gut iſt felten bei 
fammen. Bei den Subtractionsaufgaben mag außerdem noch mancherlei 
Verwirrung unvermeidlich ſein. 


a. Sammlung von Aufgaben für ben Rechennuterricht. Hereueßegehen von ®; 
Bridge, Lehrer am Lönigl, Schullebrerfeminar in Oranienburg, ©. Sell» 
ein, Lehrer ber höheren Bürgerfchule zu Neuſtadt Eberswalde und E. 
tenborf, Lehrer an ber höheren ühteriqufe Zſelbſt I. Heft. 4. Aufl. 
Brandenburg a. 9., 1865, Adolph Müller. 
Enthält das Rechnen mit angewandten gaben in einfachen Aufgaben. 
welche aber dur jorgfältige Benugung des Raumes ziemlich zahlreich find 
Sie genügen nur in beſchränkten Berhältnifien, find aber für dieſe recht gut 


32. Lehr⸗ unb Uebungsebuch ber Elementararithmetik mit faft 3000 Aufgaben 
und beren Löſungen zum Gebraude der Yatein-, go Gewerbfehufen, ſo⸗ 
wie der höheren Feiertagsſchulen von Dr. Pollak, Rector und 
Profeſſor am königl. Lyceum zu Dillingen. 3. Aufl. Augsburg und München, 
Berlag der Mattb. Rieger'ſchen —— 1865. 358S. 20. Egr. 
Das Buch muß für ſehr reicher Leute Kinder geſchriehen fein, denn 

es heißt die eine Aufgabe: „An dem Tage der Preifevertheilung erbielt ich 

von meinem Vater um 4A fl. weniger zum Gefchenf, als von meinem On⸗ 
fl. Wie viel hat leßterer mir gefchenkt, wenn ich von erfterem 7 fl. be 
kommen babe?" Wenn wir dem Leſer fagen, daß auf S. 3 mehr als 
2Ozifferige Zahlen vorlommen und auf ©. 4 die Aufgabe geftellt ‚wird : 

„Melde Zahlen erhält man, wenn man die Einheit zuaft um 1, dann 

um 2, bernah um 3, 4, 5, 6, 7, 8 und zulegt um 9 Ginbeiten ver: 

geößert *”, fo wird er in einer Hinſicht vollfländig orientirt fen. Der 

Verf. veführt den Grundfaß : „vom Leichteren zum Schwereren I” im «Sans 

zen vollfländig, während er ihn in den einzelnen. Mbfchnitten fehr wohl bes 

achtet. Was die Aufgaben anlangt, fo finden‘ ſich foldye, welche nicht ‚viel 

.merth find, in nicht unerbebliher Anzahl. Zu folden reinen wir auch 

jolde, welche äußerlih ein ganz unſchuldiges. Geſicht madhen, im Innern 

aber doch voll Schalt’s find, 3. B. „Wie viel Tage. brauchen 5 Mann, 
wenn fie täglih 5 Stunden arbeiten, um einen Brunnen gu graben, went 
zu einem andern eben fo tiefen Brunnen. bei gleicher Vodenbeſchaffenheit 

3 Mann 80 Tage braudten, wobei fie täglib 8 Stunden arbeiten ?' 

Ganz richtig ift Hier ‚der gleiche Boden, vqrausgeſetzt, aber es ift Die Yrage, 

ob die Arbeitsvertheilung bei 5 Mann eine eben fo bequeme ift, als "bei 

3 Mann; und ob fi jene nicht theilmeife im Wege fiehen, währen». ich 

biefe gegenfeitig fördern. Dagegen finden fih auch gange. Parteien von 

recht guten, ja ausgezeichneten Aufgaben, wie Die Beiſpiele über wirkliche 

Berhältnifje S. 10, die jhönen Aufgaben über Beituerhältgifie ꝛc. — Pie 

Sprade ift unbeholfen, bisweilen geradezu entjeglih. So beißt es z. 2. 


Machematik. 105 


„Ssebex wmrehr. periobiiche Decimalbruch ift einem gememen Brüuche glei, 
deſſen Zahlen bie Ziffern, welche ſich nicht wiederholen, nebft denen, die zur 
Periode gehören, enthält; von diefer Zahl ſind uber noch die zur Periode 
nicht gehörenden Ziffern abzuziehen, und veflen Penner aus fo viel Rennern 
beſteht, als die Beriove Bifferitellen bat nebit ſo viel daran gehängten Nullen 
als außerperiodiſche Ziffern vorbanden fin.” — Was den Ynhalt des 
Buches anlangt, fo werben außer den jonft üblihen Gegenftänden die De 
cimalbräche, vie Kettenbräcde, vie Proportionen und die Ausziehung der 
Quadrate und Cubilwurzel behandelt. Sodann treten überall Megeln und 
Lehrſätze bald mit, bald ohne Beweis auf. Die Beweisführung dürfte nicht 
überall Beifall erwerben. Win theilen folgennes Beifpiel mit: „Sin Brad 
wird burd einen andern dadurch dividirt, daß man ben zweiten Bruch (den 
Divifor) umftärzt, d. h. deſſen Zähler zum Nenner und veflen Nenner zum 
Zähler macht, und ſodann den erflen Bruch durch den andern multiplicht. 
Es iſt z. B. I 


F — 0. 
Wird, nämlich der Bruch 4 durch 5 dividirt, fo iſt der Quotient 

3 BE 6 
5 8 mal zu klein, weil man mit 8 mal zu viel dividirt bei ‚ bar 
ber muß ber erhaltene Quotient noch mit 8 multiplicirt werden, woduck matt 


EXKB 5 5 apatee 
Zi EX erhält. 








1 


33. Sammlung von Aufgaben ans der einfachen und zuſammengeſetzten Regel⸗ 
betri mit befonbexer rAttigung bes höheren Gejchäktsvichrene. Watt 
Stern, Diefterweg, Henſer u. A. für Glementar- und Realjchulen von Dr. 
C. met, Lehrer an der Gr. Realfchule zu Biedenkopf. Gießen, 1864, 
J. RN M)iderfche Buchhandlung. 2. Aufl. Erſte Stufe. 36 ©. Zweite 
Stufe. 32 ©. à 4 Sgr. : Du 
“ Die erſte Auflage 'ift nicht in den Buchhandel gefommen. Inhalt der 

„Erften Stufe: I. Hauptſaͤchlich nah dem Inhalt geſchiedene Yufgaben,; 

1. Aufgaben vorbereitenden Inhalts, 2. Waarenrehmung, 3. Gewinn: und 

Verluftrehnung, A. Durchſchnitisrechnung, 5. Arbeitsrehnung, 6. Theilungs⸗ 

rechnung, 7. Geſellſchaftsrechnung, 8. Zinsrechnung; II. Vermiſchte Adfı 

gaben ; Inhalt der „Zweiten Stufe” : I. Nah dem Inhalte gefhiedene Aufs 
gaben: 1. Spejenrehnung, 2. Rabattrehnung, 3. Binfeszinsrechnung, 

4. Terminrechnung, 5. Miidungsredinung; O. Münzrechnung, 7. Wechſel⸗ 

rechnung; II. Vermiſchte Aufgaben. Sn jedem Abfchnitte ſiehen vie leich⸗ 

teren Aufgaben voran. Die Aufgaben find zwar nicht masgezeichnet, aber 
fo gut, wie viele andere, bürften nber in manden Abfehnitten nit iw hin» 
reichendet Menge vorbanben ſein. Aus der Geſellſchaftsrechnung mag fol 

gende Aufgabe bier eine Stelle finden: „„E. beginnt ein Geſchaͤft mit 8246 

Thalern. Nachdem er daſſelbe 24 Jahr auf eigene Rehnung betrieben, 

tritt noch F. Hinzu mit 1200 Thalern, und abermals 14 Jahr fpäter noch 

G. mit 950 Thalarn als Compagnon . in baffelbe ein. Wenn nun bie 

Auflöfung des Geſchaͤfts, die genau 6 Jahr nad feiner Eröffnung erfolgte, 


106 Mathematik. 


ber Gewinn 12,800 Thaler betrug, fo if zu berechnen, welchen verhält 
nißmäßigen Gewinnantheil Jeder zu empfangen bat. Die Möglichkeit 
diejes Falles ift nahezu undenkbar ; denn handelt es fih um gemöhnlide 
Geſchäfte, fo wird beim Gintritt eined neuen —— a freie Bahn ge 
mat, 2) wird der Gewinn in lürzern ober längern Fritzen von Neuem 
angelegt oder vertbeilt; es Lönnte alſo nur von einem Unternehmen bie 
Rede fein, das feiner Natur nad) erft nah 6 Jahren abjchließt und dann mit 
einem Male 12,800 Thaler reinen Gewinn abmwirft, aber auch in dieſem 
Balle, der übrigens unwahrſcheinlich genug ift, wird beim Gintritt bes Com⸗ 
pagnons ein Vertrag gefchlofien. Webrigens wollen wir dieſe Aufgabe nicht 
gerade dem Verf. aufſiechen. Man findet derartiges Fabrikat auch ander: 
wärts in Hülle und Fülle. Unſere Spar:, Conſum⸗ und Borjchußvereine, 
Actiengeſellſchaften ꝛc. werben für die Gefellfehaftsrechnung faft gar nicht 
benubt. Ebenfalls blos um eine Bemerkung daran zu tnüpfen, theilen wir 
nachfolgende Aufgabe mit: „Wenn ein Malter Korn befter Qualität zu 
10 fl. SO kr. von der mittleren zu 9 fl. und von ber geringiten zu 7 fl. 
20 fr. verlauft: wird, fo ift welches der Mittelpreis des Kornes? Diefer 


fol nun offenbar arme FIR FIRE _ 8 fl. 56% fr. 


fein. Dies ift aber fall. Denn And a Malter zu a fl. und 4 Malter 
zu b fl. vorhanden, fonft der Mittelpreis 
aatpb . ‚_.&+tb 
m nicht m —— 
Es iſt nur dann m = m , wenn 
@—b)(@—A)=o 
ift, d. b. wenn die Mengen glei find. Yür n Preife ift 
eretret. 4m _ stb+rot+...+m 


B+y+...+tru n 
wenn bie Sleihung Befeht; 
(e+ß+y+. Ma tbtor. .ton)=ı(ea+ 
Ab+yc+...+um) 
Man muß alſo zu dieſen Aufgaben wenigflens. eine Bemerkung machen. 


34. Aufgaben „em praltiſchen Rechnen für Neal⸗Handels⸗, Gewerbb⸗ umb 
Bürgerſch Bon Dr. Ernfi Kleinpaul, Hector in Barmen. 5. Aufl. 
Barmen u. Elberfeld, W. Langewieſche's Buchhandlung. 152 ©. 124 Ser. 


35. Keen — Aufgaben zum praktiſchen Rechnen von Dr. Ernſt Kleiw 

aul x 

„Rah dem in der 4. Auflage die durch die neueren Münze, Gewichte- 
und Goursverhältnifie nothwendig gewordenen Veränderungen durchgeführt 
und zugleich die in Bezug auf Ausdehnung und Anorbnung einzelner Abs 
Schnitte als zwedmäßig erkannten Verbefierungen getroffen worben find, 
konnte ich für die vorliegende 5. Auflage keine Beranlafiung zu wefentlichen 
Abänderungen finden. Nur rüdfichtli der dſterreichiſchen Eomrsverhälmifie, 
bei der Gold⸗ und Silberrechnung, jowie bei der Mifhungsrachnung ift eine 





Mathematik. 107 


Umgeftaltung der Aufgaben eingetreten.” So ver Berfafier. Wir verwei⸗ 
fen einfach auf unjere frühere Empfehlung XV, S. 100. 


36. Erſter Unterricht im Rechnen auf Anſchauung und 60jährige Erfahrung ge⸗ 
grümbet. Entworfen und beranpgegeben von Joſeph Auton Weiß, Ti« 
niglicher Rath und quiesc. Vorſtand des königl. Eentraltaubftummen-Infi- 
tuts in Münden. Zum Gebrauch für ben Privat- und Schulunterricht. 
I. Abtheilung 1865. (49 ©). 12 Sgr. 

Die Arb it ift autographirt. Nachdem ber Verf. in der Beſchreibung 
feines Werkchens, mit der „Jugend“ alfo gefhälert: „Auf den Seiten von 
41 bis Seite 48 habe ih auch die Uhr durch alle Stunden und Viertel⸗ 
ftunden anſchaulich dargeftellt, weil ich öfters wahrnahm (Du wirft mir nicht 
übelnehmen, wenn ich das fage), daß fo Manche von euch, nicht mehr fehr 
Hein, wohl nicht die rechte Kenntniß der Uhr befigen und daher manchmal 
zu ſpät zur Schule kommen“ beſchließt er die Vorrede mit folgenden Wor- 
ten: „Würde Dir diefes Werkchen einigen Nutzen bringen, was ich herzlich 
wünjdhe, und ich die Ueberzeugung gewinnen, nicht fruchtlos die vielen Tau: 
ſende von Punkten gebildet zu baben, fo follft Du recht bald ein ähnliches 
Werkchen, wohl für größere Schüler berechnet, nämlich die Bruchrechnung 
anſchaulich dargeftellt, erhalten. Nun liebe Yugend ! fo fei Gott mit Dir 
und halte dieſes Sprüdlein feit im Sinn: 

Stehſt Du einft ald Bürger diejer Welt 
Im Umgang mit Waar’ und Geld, 
So halte rechtlich Maß in allen Dingen, 
Diefes wird Dir Gottes Segen bringen. 
Der Berfafler, Dein väterliber Freund.“ 

Es thut uns leid, für die Arbeit des Münchener Veteranen, der über 
58 Jahre gelehrt hat, nad) unferer Ueberzeugung lein empfeblendes Wort 
zu haben. Doc wollen wir unſer Möglidhftes thun, und dieſelbe möglich 
genau beſchreiben. Auf Seite 1—3 finden fih alle Summen, welche klei⸗ 
ner als 21 find, in Punkten bargeftellt und zwar in folgender Form 

8+7 — 14 


©. 4 big 8 enthält die Differenzen aller Zahlen bis 19 in folgender 
allerdings pſychologiſch richtiger Form 


10 — A=6 = oo. oo 0.60 . 0.00 


©. 9 bis 16 treten die Producte von O0 X 1 bis 10 9 auf 
und zwar in der Yorm 


3x 7 m ee 1.0. oe.) 0 © .0eo..... 


Hieraus folgen S. 17 bis 24 bie Umterungen, mie 3. B. 
2:8— 


Az eo. .o. 


‚8323 und 26 enthält das Theilen mit Sieft, z. ec 2:5 =2X 
2 + 1 °. 0. ., 6. 27 das Cinmaleins, S. 29 und 30 Tas 


108 Mathematik 


bellen zum Addiren, Multipliciren, Subtrahiren und Numeriren, S. 81 - 
48 die Maße und Geldmaß, Schwermaß, Getreidemaß, Laͤngenmaß, Flaͤchen⸗ 
maß, Ellenmaß, Holzmaß und Zeitmaß. Bei dem Geldmaße z. B. iſt 
ein Gulden gezeichnet, darunter 2 halbe Gulden, unter dieſen 10 Sechſer, 
unter dieſem 20 Groſchen, darunter 60 Kreuzer und darunter endlich 240 
Pfennige und zwar fo, daß man an der Anordnung ſieht 1 Gulden = 
2 halbe Gulden = 10 Sechſer — 20 Groſchen — 60 Kreuzer — 240 
Bfennige, 1 halber Gulden = 5 Sechfer — 10 Grofhen — 30 Kreuzer 
— 120 Pfennige, 1 Sehfer — 2 Grojhen — 6 Kreuzer — 24 Bien: 
nige, 1 Grofhen — 3 Kreuzer — 12 Pfennige, 1 Kreuzer — 4 Pen: 
nige if. Gulden und balbe Gulden find fo zu jagen nad der Natur ge 
zeichnet, die übrigen Münzen nur durch Symbole dargeftellt, welche bei den 
Kreuzern bis zu Punkten zufammenfhrumpfen. Ob das Werkchen für Zaub: 
ftumme brauchbar ift, wagen wir nicht zu entjcheiden, werden ung aber 
von einem Taubftummenlehrer ein Urtheil darüber erbitten und, dafern bies 
günfig ausfällt, im nächſten Jahre mittheilen. 


37. Aufgaben bes praftifhen Rechnen nebſt kurzer Anleitung zur 2öfung derſel⸗ 
den vortı Standpunkte der Concentration aus für VBürger- und Voltsfchn- 
Ien, ſowie für mittlere Klaſſen böberer vebzamftalten Fortbildungsſchulen 
unb Gewerbetreibende von A. Lorey nud R. Dorſchel in 4 Abtheilun⸗ 
gen. 2. Aufl. 1865, Verlag von Heimbert Iacobi. 176 S. 16 Ser. 

Mir fügen zu unferem Urtheile (XV, 104) nod das des „Kirchen⸗ 
und Sculblatts’, in welchem es beißt: „Die ıc. find Aufgabenfammlun: 
gen, die dem immer. mehr zu Geltung lommenden Grundjage huldigen: 

Der Unterricht fei vor Allem praltifch und made tüchtig für's Leben. Sie 

bieten ein reiches Material, haben aber mehr die gehobenen Bürgerichulen 

Im Auge”, mit der Bemerkung, daß wir mit Freuden in dem Buche das 

vermifien, was man fo häufig in banaufifcher Weife „praltifch” nennt. 


38. Rechenbuch fiir das praftifche Nechnen von B. Schlotterbed. Schwerin, 
1865, Berlag von Auguft- Hildebrand. . 1. Heft. Zahlraum von 1 bie 10. 
46. 1) Sgr. — 2. Heft. Zahlraum von 1 bis 100. 40 ©. 2 Sgr. — 
3. ‚ peit Zahlraum von, 1 5i8 1000 und darüber. 40 ©. * — 


wirthſchaftliche Aufoaben (für größere Mädchen). 64 S. 5 Sg. 
39. Antworten zum 2, 4. und 5. Heft von Schlotterbed's Rechenbuch xc. 


„Roh ein neues Rehenbud für Medlenburg ? Ich daͤchte, wir bätten 
bereits an Werner und Goltan-Moltmann, an Duikow und Wagner ge: 
nug.“ So odet ähnlich mag wohl ver Eine ber der Andere beim Gr: 
ſcheinen dieſer Hefte ausrufen. Und dennoch hofft der Verf. auf ein be 
ſcheidenes Pläschen in den medienburgifhen Schulen für feine Büch⸗ 
lein ; ja er glaubt fogar, "daß diejelben bie und da mwilllommen fein wer: 
ven, da fie bei großer DBilligleit und zwedmäßiger Einrichtung -ebenfos 
wohl das Vedorfniß der gewöhnlichen Bollsfhule wie des bes gehobenen 








Mathematik 109 


Bolks⸗ und Vurgerſchule befriedigen. . . . . rm ift aber für: den. ſpuaͤte⸗ 
sen Gewerbtreibenden ein gewerbliches Rechnen, für den Landwirth ein land 
wirtbichaftlihes, für das Maͤdchen ein hauswirtbfchaftlihes Rechnen ‚eben 
jo berechtigt und nothwendig, als für den fpäteren Kaufmann ein kaufmän- 
nifhes. So der Berfafler. Daß feine Aufgaben fih neben andern Büs 
dern Bahn brechen werben, ift nicht zu bezweisefn, benn enthalten fie auch 
gerade nicht3 Ausgezeichnetes, jo können, fie doch ben Vergleich mit vielen 
anderen aushalten. Was die verjchiedenen praltiichen Rechnungen anlangt, 
fo liegen uns nur die hauswirthſchaftlichen Aufgaben für größere Mädchen 
. vor. Dieje find unbedingt zu empfeblen. Denn ift aud die eine oder bie 
anbere nicht tabelfrei, fo find fie im Ganzen doch ſo vortrefflich, daß 
man unwillkürlich zur Feder greift, um zu ſehen, wie die aufgeftellten wirtb: 
ſchaftlichen Regeln durch die Zahl bewahrheitet werben. 


40. Sinigaben zum Tafelrehnen für Vollsſchulen, herausgegeben von Ludwig 
Moofer. Meißen, Louis Moſche. Erſtes Heft. Bür Elementarklaſſen. 
Die vier Orunbrechnungsarten mit reinen, gleich benannten Zahlen. 7. Aufl. 
48 ©. — Zweites Heft. Für Mittelliafien. Die vier Grundrechnungs⸗ 
arten mit ungleich benannten Zahlen. Durchſchnitis⸗ und Zinsrehnung, 
Regelbetri ohne Brüche, Münzen, Maße, Gewiöte sc. 7. Aufl. 46 ©. — 
Drittes Heft. Kür Oberklaflen. Die vier Grundrehnungsarten mit Brü⸗ 
hen, Berhältnig- Proportionen, Regelbetri mit Brüchen. 5. Aufl. 40 ©. 
— Biertes Heft. Decimalbruchrechnung, Zinsrehnung, Zufammengeſedte 
Regeldetri mit directen und indirecten erhältniffen, Negel mit Kinf Sägen 
Be septem, novem etc., Kettenrechnung. 4. Au . 
ünftes Heft. Decimalbruhrehnung, Rechnung von Zins auf Bine ober 
Injesgmerehnung Termintehnung oder Rebuction der „rapitalterthine, 
rocentrechnung, Rabattrechnung ober Discontorechnun OR 40 ©. 
— Gecjfies Heft. Einfache und zufammengefetste Geſe (Gaftesehmung, Re 
er Miſchungarechnung, Progreſſionen oder Reiben, 2. Aufl. 
14 6 


Bei A von diefen Heften fehlt vie Jahrzahl, bie beiben legten find 
1859 erjdienen. Daher jcheint ed, als ob fie Labenhüterbienfte verrich⸗ 
teten, und wir fühlen uns nicht veranlaßt, ein Wort zu jagen, wodurch fie 
von diefem Dienfte befreit würden. Die Zitel der einzelnen Hefte erweden 
kein gutes Vorurtheil für die Logik des Verfaſſers. Da wir eine ältere 
Sammlung vor uns haben, wollen wir uns kurz fallen und nur ein Paar 
Einzelheiten berühren. „Eine SHochzeitsmutter hatte 4 Kuchen, den einen 
ſchnitt fie in 8, den zweiten in 12, den britten in 15, den vierten in 18 
Theile. Gin Dieb nahm von jedem Kuchen 5 Theile. Mit welchem Bruche 
läßt fih das Geftohlene ausprüden ? Gewiß eine wunderliche Hochzeitsmut⸗ 
ter, noch wunderlicher ift aber der Dieb und am wunderlichiten die Frage. — 
Oh, men 0, .. ehe} und 
0,00... 886 m Daher der Regel ꝛc.“ Diefes „Daher iſt ren 
aus ber Luft gegriffen. — „Wie viel bat Dominit in einer Wode 
zu verzehren, wenn er jaͤhrlich 260 Thlr. Gehalt hat!" Mer meiß 

das? — Wie viel braucht er für Wohnung, Kleinung, zur Kirmſe, zum 
Geburtstag u. |. w.? Erſt wenn man das weiß, kann das Verzehren einer 


110 Mathematik. 


Rechnung unterworfen werden; waͤre aber der Mühe nicht werth. — Im 
Bezug auf die Reihen nur die Frage: was werden die Schüler mit den 
Formeln 

—3m — — +1 
anfangen? — Schließlich wollen wir nicht verſchweigen, daß die Aufgaben 
rein arithmetiſch, im Ganzen nicht übel find, und vielen andern durchaus 
nit nadhfteben. 


41. Das grundlegende Kopf» unb Hifferreinen. Eine Sammlung methobifch 
angelegter Hechenaufgaben mit ganzen unb gebrochenen Zahlen für Bolle- 
und Reallulen von 3. Fr. Guth, Muflerlehrer am Königlichen Schul⸗ 
Ichrerieminar zu Nürtingen. 2. Aufl. 1866, Karl Aue in Stuttgart. 








42. Das angewandte Kopfs und Zifferrechnen ale Vorſchule bes Lebens. Cine 
Sammlung praltifger Rechnungsaufgaben für Bolls- und Realſchulen, ſo⸗ 
wie für die unteren Klaſſen der Kortbilbungsfhulen von 3. Fr. Guth, 
Mufterlehrer am Königl. Seminar zu Nürtingen. 4. Aufl. 1865, Karl Aue 
in Stuttgart. 156 ©. 


43. Refultate zu dem grunblegenden Kopf⸗ unb Ziflerrehnen von I. Er. 
Guth «. 


44. inne zu bem angewandten Kopf- und Zifferrehinen von I. Er. 

uth x. 

Was Nr. 40 anlangt, fo verweilen wir auf unfere frühere Anzeige 
(XV, 97 und XVI, 65). In Nr. 39 wird mit der Rechenbildung Miß⸗ 
brauch getrieben. Sonft ift die Mannigfaltigleit des Ausdruds zu loben, 
die Auswahl der Ausgaben als eine gute zu bezeichnen und der Andeu⸗ 
tungen zu erwähnen, welche in der Bruchrechnung auftreten. 


45. Aufgaben zum Kopfrechnen für Schüler in Stabt- und Lanbichulen von U. 
Stubba, Oberlehrer in Bunzlau. 3. Aufl. Leipzig, Eduard Kummer, 
1865. I. Die vier Species in unbenannten Zahlen. 16 ©. I Ser: 
II. Die vier Species in benannten Zahlen. 16 ©. 14 Ggr. Die 
Brüde. 16 ©. 14 Ser. 


Weber dieſe recht gut gearbeiteten Aufgaben |. Pädag. Zahresbericht 
vm, ©. 168, 


46. 3. Kroymann's Erſtes Rechnenbuch ober Rechnen für Aufänger, gänz⸗ 
lich umgearbeitet von ©. Davids, Lehrer an ber Realihule in Neumün- 
fler. 13. Aufl. Altona, Johann Kriebrih Hammerich, 1865. 8 Gar. 


47. 3. Kroymann's Aweites Rechnenbuch für Mittelklaſſen, gänzlich umgear- 
beitet von ©. Danibs, Lehrer an ber Realfchule in Reumilnfter. 16. Aufl. 
Altona, Johann Friedrich Hammerich, 1865. 12 Ber. 

Nah den Auslaffungen (Math. Nr. 5 fi.) des Verfaflers über vie 
Aufgabe des Nechnens können wir und nicht unbedingt für feine Arbeit 
ertlären, wer aber feinen Grundſaͤten hulbigt, findet in ihr, mas er braucht, 
zu Genüge. 





Mathematik. 111 


48. Rechenſibel von R. L. Rreugen. 5. Aufl. Friedberg, Bindernagel unb 
mpfi, 1865. 20 ©. 4 
Vergl. Padag. Fahrerbencht XI, S. 203. Zu bemerken iſt, daß das 
Schriſtchen zum Beſten der Alicen-Stiftung verkauft wird und durch feine 
vier erften Auflagen 200 fl. eingebracht bat, welde Enmme zum Beſten 
von Wittwen und Waifen von Lehrern verwandt murbe. 


c. Wiſſenſchaftliche Lehrbücher. 


49. Lehrbuch ber Arithmetit. Erſter Curſus. Bon Dr. B. Ohlert, Nector 
der höheren Bürgerſchule in Gumbinnen. Elbing, 1865, Reumann-Hart- 
manu’fhe Buchhandlung. 201 S. 20 Sgr. 

Inhalt: Allgemeine Einleitung. Buchftabenrehnung — entgegen: 
geſetzte Groͤßen; Potenzen und Wurzeln — negative Potenzen, Ausziehen 
der Duabrate und Gubilwurzel, Wegfchaffen ver Srrationalität des Ren 
ners, doppelter Werth der Duadratwurzel, reelle Imaginäre Größen, Bruch⸗ 
potenzen ; Zahlenlehre — Bahlenfyfteme, Numeriten, vier Species, Deci- 
malbrüde, Theilbarleit der Zahlen, Kennzeichen dafür ; Berbältnifie — arith: 
metiſche Proportion, Regelvetri, Rabattrehnung, Discontorehnung, die Re 
gula falfi, Gefellihaftsrehnung, Kettenregel; die algebraifhen Gleichungen 
vom erften Grade mit einer und mehreren Unbelannten. 

Diefe Inhaltsangabe erwedt kein gutes Borurtbeil und der Inhalt 
felbft wird von uns zu leicht befunden. Im Ginzelnen wäre etwa noch 
Zolgendes zu bemerken. Der Begriff des Bruchs wird gleich bei der De: 
finition der Zahl gegeben, es ſcheint aber naturgemäßer, ihn erſt bei ber 
Divifion heroortreten zu laſſen. Der Gegenfag bejtimmte und unbeftimmte 
Zahlen für bejondere und allgemeine ift wohl nicht zu billigen. Der Saß 


ab —= ba ift nit bewieſen. — wird eine unausgeführte Divifion ges 


nannt; in a : b fiehbt man aber gerade — als das Refultat der Dis 


vifion an. „Entgegengeſetzte“ Größen werden als ſolche befinirt, „melde 
die Beſchaffenheit haben, daß die eine dur Hinzufügung der anderen nicht 
vermehrt, fondern vermindert wird. Damit jcheint dem Anfänger wenig 
ar zu fein, und dann fragt ſich es noch, was entgegengejeßte Zahlen 
d. Die natürlichfte und rationellite Ableitung ift die aus der Biere, 
+ atbre et... 
Die Divifion eined Polynoms durch ein Polynom — ro Tr. *— 
würden wir lieber in folgender Weiſe entwideln: Setzt mınb+c-+. 
=pb+re+t...=p, ſo iſt 


a +tbroe +... ar” F 
folglich nach dem Begriffe der Divifion 
a+p = (@ +P)+tx(@+p) 


112 Motbematik. 
alſd, wenn n (# + p‘) fubtrahirt wird, 


+9 —-Zze+tNM=-ı@+tr) 
woraus ohne Weiteres 


mithin 


atp „ _ & mp. ray +P) 


— — 
⸗7 .— f] 


at+p a e + p | 
folgt. Die Ausdrücke „negative Potenzen’’ für Potenzen mit negativen Ep 
powenten, und „Brudpotenzen” für PBotengen mit gebrochenen Erponenten, 
ſollten bei Anfängern nie gebraucht werden. Die NRationalrechnung des 
a 
Nenners fchließt mit der Form —— —— ab, was wohl bald i 
ſchließ 5 Try: hl zu R. 
Die Potenzgeſetze werden, wie es in der Orbnung ift, auch für negative 
und ‘gebrochene Erponenten bewiejen, aber es fehlt jebe Anbeutung, ob 
m 


fie für (a + b) ” mb (a + b)* gelten. Man könnte audy über bie 
Allgemeinheit der Beweiſe an der Potenzlehre überhaupt ftrelten, denn der 
Verf. bevient fi nur der befonderen Srponenten, doch trifft dies nur bie 
Form. Auch Aufgaben find beigegeben. Die äußere Cinrichtung derfelben 
wird zum Theil in Beifpielen erkannt werden können: | 
u Ta—2b+8co+B5d ' 
— 4. —9b+8c— d 





ER | 


* 


9a —50—7d 
at 8b — 6co — Ad 
—5a+ b+ Ile 
— 7b+ 9e — 8d 
3a + 9b +2d 


12a — b+40 —3d . 
68 follen a) alle 8 Reihen abdirt werben (D. b) die vier erſten Nei- 
ben abbirt (II), die vier legten Neiben addirt (III), d) II von I ſubtra⸗ 
hirt, e) III von UI fubtrahirt, £) I von III fubtrahirt werden.“ 


50. Lehrbuch ber allgemeinen Arithmetit und Algebra für höhere Lehrauſtalten. 
Theoretifher Leitfaden zu ber Sammlung von Beilpielen unb Aufga⸗ 
ben von Prof. Dr. Eduard Heis. Bon Dr. Kari Wilhelm Neumann, 
Oberlehrer an der Realſchule 1. Orbnung zu Barmen. Elberfeld, Langer 
wieſche's Berlagshandlung, 1865. 165 & 24 > 


Die vortrefflihe Aufgabenfammlung won Heis if befannt. Zu ihr 
enthält das vorliegende Lehrbuch das vollftändige theoretiiche Material in 
der von Heis gegebenen Ordnung. Fügen wir noch hinzu, daß ber Berl. 
feine Aufgabe gut gelöft hat, jo haben wir Alles, was nothwendig ift, gejagt. 





Mathematik. 113 


51. Lehrbuch ber Arithinetit und Algebra für Bezirks» und GSecunbarfchuien, 
Lehrerfeminare und zum Selbſtunterricht. Bon K. S. ridart, Lehrer ber 
Mathernatit umd Naturkunde an ber Bezirksſchule in Zofingen. Exfter Eur- 
ſus. Aargan, Remigius Sauerlänber, 1865. 256 ©. 1 Thlr. 6 Ser. 
Inhalt: Die Grundrehnungsarten mit einfad benannten Zahlen, das 

Rechnen mit vielfach benannten Zahlen, das Nehnen mit Brüchen, Rechnen 

mit Decimalbrühen. Das Buch gibt der Hauptfahe nad eine elementa- 

rishe Behandlung jfämmtlicher theoretifher und praftifcher Aufgaben, welche 
dem angegebenen Inhalte entſprechen, aber es begnügt fi nicht mit der 
anihaulichen Behandlung, fondern macht überall Uebergänge zur wiſſen⸗ 

Ihaftlihen Darftellung und ſucht Alles ftreng zu erweilen. Die verfchies 

benen Ausprudsformen für verfchiedene Begriffe, Säge und Beziehungen 

werben zufammengeftellt, Subtraction ſowohl wie Divifion, wo es fein muß, 
ftreng als Doppelaufgabe gefaßt, allgemeine Säge über die Operationen 

entwidelt, Klammern eingeführt und mit Functionen gerechnet, wie z. B. 

8 +1) (4 + 2). As Anihauungsmittel bedient fi der Verf. oft 

des Rechtecks. Die Lehre von der Zheilbarleit ift ausführlih, ftreng, mit 

Sinzunahme der Buchftaben behandelt. Die Aufgaben find praltifd), bie 

Löfungen viclfeitig, in ver Zeitrechnung bieten fie ein Stüd Geſchichte des 

Kalenders. Die Kettenbrühe find ausführlich zur näherungsweifen Abkür- 

jung der Brüche behandelt, der Kettenſatz ftreng abgeleitet. 

Zu diejer allgemeinen Beſchreibung des Buches, die fo günftig ausge- 
fallen ift, noch ein Paar einzelne Bemerkungen. Der Berf. weiß, daß ber 
Ausdrud „mal größer ala 4“ falſch ift, braucht ihn aber doch und fors 
dert, daß man ihn in dem Sinne von „3 mal fo groß als 4“ auffafien 
jole. Wir glauben nit, daß dies zuläffig if. Bei der Multiplication 
wird die Neunerprobe bejchrieben, aber der Beweis mit der Bemerlung ver: 
hoben, daß die Gründe dafür erjt fpäter entwidelt werben könnten. Das 
ift nicht richtig, indem der Beweis in der That ſchon möglich ift; auch find 
wir mit folchen vorausgenommenen Sägen nur in dem alle allenfalls ein- 
verfimden, wenn man Etwas bamit erreichen Tann, mas aber bier durchaus 
niht der Fall if. Das Aufjuhen der Theiler der Bahlen würden wir 
lieber etwa in folgender Weiſe darftellen : | 

Sind 3. B. die Theiler der berühmten Zahl 360 anzugeben, fo hat 
man zunädjit _ 

560 = 2.2.2.3.3.5—=2°.32,5 


Aus den Grundfactoren 2, 2, 2, 3, 3, 5 bildet man nun jämmtliche 
Kombinationen mit Sinzunahme von 1 und erhält 


—1114 
Eee 


E nd Zr 
DD DB ww 


RD DIN DD mi 
wenrW@n 


- 


Päd. Jahrebberich. 


114 Mathematik, 


2.2.2.5 40 2.2.2.3.3=72 
2.2.3.3=- % 2.2.2.8.5 = 120 
2.2.3.5 60 2.2.3.3.5 = 180 
2.3.3.5 9 2.2.2.3.3.5= 360. 


oder man kann, da der Verf. die Multiplication ver Summen kennt, die 
Theiler durh das Product 
1+2+4+8 


(+2 +44 8) (1 +34 9) (1 + 5)=!+3 +6+12+24 \ .(1+5) 
+9+18+36 +72 
—=1+2+448+3+6+412+244+9+18+36+72+5+10+ 
20+40+15+30+60+120+ 45 +90 +180+360, 
in welchem Refultate die Summanden die Zheiler find. Aus der lebteren 
Darftellung findet man auch ohne Weiteres die Zahl der Theiler t 
t=(8+1)(Z+1)(1 +1), 
oder allgemein die Zahl vr Theiler für ar bI cr... 
t=p+Na+NAe+N. 
welche nach der Anlage des Buches Tanz am Platze gewefen wäre, 


52. Die elementare Arithmetik in ihrer wiſſenſchaftlichen Begründung und prak⸗ 

tiihen Anmwenbung von B. I. Claſen, — ter an ber fönigl. 

großh. Rormalfchule in Luxemburg. Luremburg, eter Brüd, 1865. 12 Gar. 

Inhalt: Die ganzen Zahlen, die Decimalen, die Brühe oder Yractios 
nen, Numeration, Apbition, Subtraction, Multiplication, gemeinſchaftliche 
Mape, gemeinfchaftlihe Theile, gemeinſchaſtliches Vielfaches, gemeinſchaft⸗ 
lider Nenner, Primzahlen, Theilbarkeit der Zablen, Rechnungen, bei welden 
mehrere des vier Nechnungsarten in Anwendung kommen. Einfache Regel: 
detri, Procentrehnung, Zinsrechnung, das Einfachſte über Staatspapiere 
und Xctien, Kettenregel, Durchſchnittsrechnung, Repartitions: und Gefell- 
ſchaftsrechnung, Miſchungsrechnung, Gold⸗, Silber und Münzrechnung, Bro: 
portionen. — Man kann nicht läugnen, daß die Begriffe ſcharf gefaßt mer: 
den, ebenſo wenig, daß viele Aufgaben ſowohl ein ſcharfes Auffaſſen der 
Begriffe vorausſetzen als umgelehrt den Schüler zur richtigen Auffaſſung 
zwingen. Dahin gehören 3. B. Aufgaben folgender Art: ine Diviſion 
ergab zum QDuotienten 45 und ließ feinen Reit, welchen Quotienten hätte 
fie ergeben a) wenn der Dividend 5 mal fo groß geweſen wäre, als er 
mwirklih war? b) wenn er nur ber fünfte Theil gemwefen wäre von dem, 
was er wirklich war? c) wenn der Divifor 5 mal fo groß geweſen wäre, 
als er wirklich war d) wenn der Divifor nur dem 5. Theil feines wirk⸗ 
lichen Werthes betragen hätte? e) wenn Dividend und Divifor zugleich 
5 mal jo groß gewefen wäre, als fie wirkli waren ? f) wenn beide den 
fünften Theil ihres wirklichen Wertbed betragen hätten ?” Auf der andern 
Seite aber können wir und mit der Darftellung nicht befreunden. Bon 
dem Sape: „Eine Größe, die fo groß ift als die Einheit, beißt eine Ein» 
beit” und von ähnlihem wollen wir abjehen, obgleih eine Größe, die fo 
groß ift als die Einheit nicht blos eine Einheit heißt, fondern auch iſt, 
weil jedes Ding aud ein Ding it; aber was foll man zu Darftellungen 
fagen wie die folgende: ‚Man kennt das Product und den Multiplicand 








Mathematik. 115 


und fucht den Multiplicator, d. h. man ſucht, wie viel Größen eine ge 
wiſſe Anzahl von Einheiten ausmacht, wenn man weiß, wie viel Einheiten 
in dieſer Größe enthalten find.” Oper: „Wenn man eine Zahl A in 
zwei Xheile zerlegt, B und C, fo ift das Neunzehntel von A == dem 
Neunzehntel von B + dem Neunzehntel von C ober 5 = m + nn 
Wählt man nun den Theil B fo, daß er durch 19 theilbar iſt, fo ift das 
Neunzehntel von A == eine ganze Zahl + das Neunzehntel von C. Pas 
Reunzehntel von A ift alſo dann und nur dann eine ganze Zahl, zc.” fas 
gen? Und andere Sätze übertreffen diefe nody mit an Schwerfälligleit und 
Unbeholfenheit. 


53, Elementarbuch ber Differential» und Imtegrafrehnung mit zahlreichen An- 
wenbungen aus der Analyfis, Mechanik und Phyſik zc. für techniſche Lehran⸗ 
Ralten bearbeitet von Frie drich Antenheimer, Rector ber Gewerbe 
ſchule in Ball. Weimar, 1865, Bernhard Friedrich Voigt. 406 ©. 
2 Thlr. 10 Ser. 

Der Verf. Ihlägt das ganz gewiß richtige DBerfahren ein, jede Theorie 
alsbald anzuwenden und auf die mannigfaltigite Weife zu verwerthen. Die 
Theorie ift ein wenig dürftig, aber die Anwendungen find nit nur uns 
gemein zahlreich, ſondern auch höchſt vieljeitig und inſtructiv. Naͤher auf 
den gediegenen Inhalt einzugeben, ift aus begreifliher Weiſe bier nicht 
geſtattet. | | 


2. Geometrie 


a. Sormenlehre. 


54. Der wirkliche Anfhauungsunterriht anf ber unterfien Stufe ber Größen- 
lehre von Friedrich Beuſt, Vorſteher einer Exrziehungsanftalt in Zürich. 
Züri, I. Schabelik, 1865. 71 S. 10 Ser. 

Das Schriftchen hat zwei Verfaſſer. Herr Beuft „geſteht bereitwillig”, 
daß in dem Auffage Ladendorf’3 die wiſſenſchaftliche Seite des Anſchauungs⸗ 
unterricht3 tiefer erfaßt, volllommener und würdiger durchgeführt ift ala von 
ihm ſelbſt, und er „nimmt daher feinen Anjtand, feine eigene Arbeit zum 
Dpfer zu bringen”, während auf der andern Seite Herr Labendorf „die Ars 
beit des Freundes freudig begrüßt und ihr die mohlverbiente Anerfens 
nung wünſcht.“ 

Was nun zunädft die „wiſſenſchaftliche Begründung des Anſchauungs⸗ 
unterricht3”' won Herrn Ladenberg betrifit, jo ift fie uns fo ziemlich ungenießbar. 
„Die Wiſſenſchaft unferer Tage ift, mag man vom fogen. apriori’schen Den- 
ten oder vom erfabrungsmäßigen Beobachten ausgeben, in beiden Yällen, 
darin ausgemündet, daß alles wahrhaft Ideelle, auch wirklich, alles 
Wirkliche aber individuell oder doch irgend mie finnlih wahrnehmbar fein 
muß . . .. Die abftractefte und wenn man will angeltrengteite geiftige 
Ahätigleit, das logifch-begrifflihe Denten, d. b. das Denten ber rein los 
giihen Begrifisbeftimmungen kann und darf den mütterlihen Boden der 
Anſchauung nicht verlafien, nod von fi weiſen, ohne fofort unwahr ober 

8 % 


116 Mathematik. 


felbft unlogifch zu werden.” Mit diefen Worten dharacterifirt ber Berfafier 
feinen wiſſenſchaftlichen Standpunkt. Wir können venfelben nicht einneh⸗ 
men, jei es, daß wir den Berf. nicht verftehen, ſei es, daß er wirtlih an- 
derer Anfiht ift, ald wir. Den eriten Sa müflen wir ohne Weiteres zu: 
rüdweifen. Der Logarithbmus 3. B. ift gewiß etwas Ideelles und auf 
jeden Fall auch wahrhaft ideell; aber wirklich ift er nit. Cr ift lediglich 
ein Probuct unferer Gedanken und ihm kommt außerhalb derfelben keine Eri- 
ſtenz zu. Sinnli wahrnehmbar ift er erft recht nicht. Aber auch das Wirk: 
liche ift nicht finnlih wahrnehmbar. Denn was wir wahrnehmen ift lediglich 
unfere Empfindung, d. h. wir nehmen ein Geſchehen wahr, was in uns, 
zwifhen und und ben Dingen ftatt bat, aber nichts von den Dingen jelbft. 
Das ift nicht blos eine philoſophiſche Anſicht, fondern fie ift bereits Ge⸗ 
meingut aller Naturforſcher geworben, und einer der geiftreichften unter den 
Lebenden, Helmbols, fpricht fie deutlih in den Worten aus: „Die Sins 
nesempfindungen find uns nur Symbole für die Gegenftände der Außen: 
welt und entſprechen diefem etwa jo wie der Schriftzug und Wortlaut dem 
dadurch bezeichneten Dinge. Sie geben uns zwar Nachricht von den Eigen 
thümlichleiten der Außenwelt, aber nicht befler, als wie einem Blinden 
durch Wortbefhreibung von der Farbe geben.” Was den zweiten Sag ans 
langt, fo ſcheint das Logiſche und Pſychologiſche vermengt zu werben. Die 
Logik forderf, daß der Begriff blos die Qualität des Gedachten im Den: 
ten enthalte, nichts mehr und nicht3 weniger; aber diefe Abftraction ges 
lingt uns thatfächlich nicht, indem fi der Umfang des Begriffes in Folge 
des pſychologiſchen Mechanismus mit einmiſcht. Wir jubftituiren gemifier 
maßen dem allgemeinen Begriffe Beſonderes, Individuelles, beftimmte Ans 
fhauungen, aber wir müfjen, wenn wir keinen logijhen Fehler machen 
wollen, dieſes Beſondere wieder eliminiren, d. b. in der That in dem 
Beionderen nur den allgemeinen Begriff feſthalten. Pſychologiſch find wir 
an den Boden der Anſchauung gefeflelt, aber logiſch müſſen wir uns da⸗ 
von befreien, wenn wir überhaupt die Wahrheit finden wollen. Alle gro« 
ben Fortſchritte in der Mathematik insbefondere, find durch rein begriffliche 
Denloperationen, durch die höchſte Abfiraction und PVerallgemeinerung zu 
Stande gelommen. Wir werden alfo in einem gewiſſen Sinne jagen köns 
nen: Das logifhe Denen kann den Boden der Anſchauung nicht verlafs 
jen, muß ihn aber doch verlafien. 

Den pädagogifhen Hauptfag formulirt Herr Ladendorf, ähnlich wie 
Schleiermacher, in folgenden Worten: „Der Zwed der Erziehung wie alles 
Lebens ift der Selbftgenuß des Dafeins, die möglichſt böchfte Lebensfreudigleit, 
die jedes menſchliche Individuum nur in der leiblich geiftigen Selbftbethätigung 
bat und empfindet..... In diefer Zwedbeſtimmung ber Erziehung find alle 
übrigen mit enthalten, fo weit fie Wahrheit und Wirklichkeit in fich tragen.“ 
Dem erften Sage können wir nicht beiftimmen, theils weil er undeutlich, 
theils weil er zu unbeftimmt if. Undeutlich aber ift er, weil man nicht 
fteht, was Selbfigenuß im Gegenfaß zu Genuß und noch viel weniger, 
was Selbfigeuuß des Dajeins bedeutet; unbeftimmt ift er, weil es rein 
willfürlih ift, worin wir die hoͤchſte Lebensfreubigleit oder in welcher leib⸗ 


Mathematik. 117 


lich geiſtigen Selbſtbethätigung wir dieſelbe ſeßzen wollen. Wir wären damit 
in den ſchroffſten Subjectivismus und Eudaͤmonismus zurückgeworfen. Da⸗ 
ber müſſen wir auch den zweiten Sab verwerfen. 


Die nun fo häufig bei berartigen allgemeinen Auseinanderfeßungen 
des Monismus. das, um was es fich eigentlih handelt, gar nicht aus ben 
Auseinanderfeßungen folgt, fo ift es auch bier. Die Methode des Herrn 
Beuft ift von den aufgeftellten wiſſenſchaftlichen Lehrfägen völlig unabhän- 
gig. Die Darftelung der Methode nimmt 30 Seiten ein und da ſich der 
Berfafler mit Ausnahme der Sleihungen einer lobenswertben Kuͤrze befleis 
Bigt, fo ift aud ein Auszug nicht möglid. Die Anſchauungs⸗ und Lehr: 
mittel überhaupt, die auch bei dem Verf. zu haben find, find folgende: 


1) Stäbdn . . — fr. 70 Cent. 
2) Fuß⸗, Ellen: und Ruthenbändihen . 1:8 =: (9) 
3) Bund von 100 Stäbdhen . . — ; 10 ⸗ 
4) Baulaflen mit 8 Würfeln & 1 Gubitzol — : 85 5 
5) Baulaften mit 4, 4, 4 Cubilzollen — ⸗ 90 = 
6) Baufaften mit }, 4, * 4, 4Cubitzolle 1: — ⸗ 
7) Baukoſten bis zu „2% Cubilzollen . 1 s 20 s 
8) Anſchauungsmittel 8 Flaͤchenrehhnen — s 75 ⸗ 
9) 1 Wage, 2 Hectogr., 10 Decagr., 50 | 

Gr., 10 Gentigr., 10 Halbgr., 10 Decage. 9 > 50 = 
10) Räftgen mit-Orammgemidhten . 2 — ⸗ 


11) Büchschen mit 10 Sünfeentigramme, 10 

Center. . . 
12) 20 Einer von Rupfer, 20 Fünfer, 20 

Zehner, 20 Zwanziger von Zink, 20 

halbe und 20 ganze Fr. von weißer Com⸗ 

pofition, 20 Fünffr., 20 Zehnfr., 20 

Zwanzigfr. von Meffing mit Banknoten 

von 100, 500, 1000 Fr. . . 6: — ⸗ 
13) Drabtwürfel von 1’ bis 3" Rantenlänge. 


Zu jedem Lehrmittel wird ein Leitfaden gegeben. 


Aus diefen Lehrmitteln kann ſich wohl der Lejer ein ohngefähres Bild 
der Unterrihtömethobe machen. Zu Anfang „erhalten die Kinder 10 Stäb- 
hen, jedesmal einen Zoll lang. Damit legen fie ſymmetriſche Figuren, 
zeichnen dieſe in natürlicher Größe ab und zählen, wie viele Zolle fie ver: 
braucht haben. Der Lehrer dagegen fchreibt, indem er dem Kinde ben 
Stift fo in die Hand gibt, wie daſſelbe ihn führen ſoll, mit deſſen Hand 
die entfprehenden Ziffern dazu. Das Kind muß diefe Ziffern überfahren 
und nachzubilden fuchen.” Kennt nun das ind die Längen von 1’ bis 
10° und die dazu gehörigen Ziffern, jo fchreitet der Unterricht zu beſtimm⸗ 
ten Aufgaben. SR z. B. die Aufgabe „3 + 4’ gegeben, fo muß das 
Kind zuerſt die Aufgabe lefen, legt fovann zwei Figuren, von melden bie 
eine mit 3, die andere mit 4 Stäbchen zufammengefebt iſt, 3. B. 


118 Mathematik. 


zeichnet fie ab, legt die Stäbchen beider Figuren in eine gerade Linie, uns 
terſucht, wie lang diefelbe ift und fchreibt das Ergebniß 3" + 4" = 7" 
neben die gezeichnete Figur. Für das Weitere müflen wir auf die Schrift 
jelbft verweifen. Es kann nicht zweifelhaft fein, daß durch eine geſchidte 
Benußzung der dargebotenen Anjhauungsmittel zur Selbfithätigleit des Schi: 
lers Veranlaſſung gegeben wird, und wir empfehlen daher die gemachten 
Borfchläge der Beachtung und Prüfung. 


55. Leitfaden für den erſten Unterricht ber Planimetrie. Bon C. Clandius, 
Hauptlehrer der Gewerbeſchule in Lübed. 2. Aufl. Dittmer'ſche Buchhand⸗ 
fung, 1865. 44 ©. 


To nur Definitionen und Aufftellung der Lebrfäge (vergl. XIV, 
119). 


56. Kleine theoretifche und praktiſche Raumlehre nach einer neuen Methode auf 
unmittelbare Anſchanung gegrümbet von U. Schlecht, köonigl. geiſtlichem 
Rath und Imipector am königl. Scullehrerfeminar zu Eichſtätt. Erſter 
Curs. Eichſtätt, 1864, Druck von Martin Däntler. 38 ©. 

Die von dem Verf. in Anwendung gebrachte Methode hat ihren 
„Schwerpunkt in dem quadrirten Papier, welches nicht nur den Zirkel ent⸗ 
behrlich macht und zu allen Conſtructionen nur ein Lineal und einen Win⸗ 
tel erfordert, ſondern auch den Grund des Verfahrens unmittelbar in con⸗ 
cretem Falle zur Anſchauung bringt, daß es des abſtracten Beweiſes nicht 


bedarf.” Wahrſcheinlich wird mit uns Mancher ſtaunen, daß der Schwer⸗ 


punkt der Methode im Papier liegen ſoll, und wenn es auch „‚quabrirtes‘’ iſt; 
das ift jedoch fireng genommen nicht der Fall, jondern die Hauptſache find 
die Quadrate, in welche die Zeichnungsebene eingetheilt if. Dieſe Quadrate 
find nun vom Berfafler in der That in zweierlei Hinfiht mit Vortheil be: 
nußt worden. Cinmal zur. Flächenvergleihung und dann zur Zerlegung ber 
Bewegung in zwei andere, melde ſenkrecht auf einander ſtehen. Auch die 
Parket⸗ und Teppichornamente haben uns recht wohl gefallen. Damit hört 
aber nach unferer Anficht die Fruchtbarkeit der Duadrate auf. Was in einer 
Beziehung gut ift, verdient deshalb noch nicht in jeder Hinficht Berüdfidh: 
tigung oder gar den Vorzug. Die Quadrate gewähren in der That vielfad 
feine Grleichterung und nöthigen zu unnützen Beihränlungen. Wir haben 
ſchon früher (IX, S. 138) ein ähnliches Unternehmen von Hillard erwähnt 
und uns won demfelben nicht viel verſprechen können ; auch heute nad) zehn 
Jahren haben wir unfere Anfiht in diefem Punkte nicht ändern können. 
Daber können wir der „neuen Methode“ Teine große Zukunft verlündigen, 
ihren geehrten Erfinder aber wollen wir darauf aufmerkſam maden, daß Abs 
fürzungen wie wr, auf, wlıc. hödhft ftörend find und um fo mehr vermie⸗ 
den werben können, da durch biejelben nicht viel Raum gejpart wird. 





* Mathematil. 119 


57. Anhang zum Leitfaden idr den geometrischen Aufhauungeunterricgt von $. 
Spalving. Dorpat, E. 3. Karow, 1865. 15 ©. 3 Sgr. 

Enthält blos Definitionen und barunter ſeiche, welche dem Schüler 
vorerſt noch unverftänblid fein werben. Wir halten deshalb Das Schrifts 
hen für wertblos. 

58. Aufgaben für bie rechnenbe Geometrie. Für bie Oberflafien der Vollksſchn⸗ 
len und gewerbliden Fortbildungsſchulen zufammengeftellt von A. Stubba, 
Oberlehrer am Seminar in Bunzlau. Zweites Heft: Planimetrifche Auf⸗ 
gaben, zu beren Berehnung Quadrat⸗ und Eubifwurzeln nöthig find. Leip⸗ 
sig, Eduard Kummer, 1866. 33 ©. 


59. Berechnungen der Aufgaben bes zweiten Seite ber Aufgaben für bie red" 
nende Geometrie von A. Stubba. ıc. 


60. Facitbädlen zum ameiten Seite ber ulsaden für bie rechnende Geometrie 

von A. Stubha. x. 11 

Das erfte Heft haben wir here (XVI, &. 74) angezeigt. Das vor: 
liegende enthält Aufgaben über Dreiede, Bierede, reguläre Vielede, Kreife, 
Elipfen und Opale und Berwandlung der Figuren. Die Aufgaben find 
wie die des erften Heftes ebenfalls einfah, nur daß Duadratwurgeln und 
Quadratzahlen gebraucht werden, weshalb aud der pythagoreiſche Lehrfag 
eine Hauptrolle jpielt. Bemerlenswerth find die Aufgaben, in welchen Bers 
bältnifje von Beitimmungselementen gegeben find. Anläufe zu praktiſchen 
Aufgaben wie „Bei einem Neubau, der ſchon 20 Fuß hoch geworben ift, 
fol eine ſchräge Auffahrt zum Hinauffchaffen des Materials angebracht wer: 
den. a. Wie lang wird fie, wenn 36 Fuß weit vom Haufe angefangen 
wird? b. Wie viel Bretter von #° durchſchnittlicher Breite 2c. gehören zu 
diefer Brüde?” ſollten öfters gemacht werden. Sonft find die Aufgaben 
nur zu loben. 

Die „Berehnungen” macht der Berf., jo wie fie der Schüler loͤſen 
würbe oder follte, wa wir ganz in der Orbnung finden. Bei ber Berech⸗ 
nung ber Aufgabe „Zwei Reifende bewegen fid von demfelben Punkte aus, 
der eine nah Süden, der andere nach Weſten. Wie weit find fie von 
einander entfernt, wenn fie bei gleicher Gejchwindigleit jeder 80 Meilen zus 
rüdgelegt haben? haben wir die Bemerkung vermißt, daß die Auflöfung 
nicht fireng richtig iſt. Auch konnte ſchon die Frage geftellt werden, ob bie 
Auflöfung richtig ſei. Dezeihnet man nämlih den Bogen zwifchen beis 
den Reiſenden durch ꝙ und die Bogenabftände berfelben von dem Kreu⸗ 
jungspunlte ihrer Wege durch a und 8, jo iſt bekanntlich 

co @ = cos a cos $ + ein & sin P cos 
wobei u den an den Seitenwinleln « und 4 eingejhlofienen Flächenwin⸗ 
tel bedeutet. Diefer ift bier 90°, aljo 
eos @ == coB a cos 4 

Am einfachften if e3 nun, den Yequator als Ausgangspunlt zu neh⸗ 

men. Dann iſt $ = co, aljo 
co8 P = cos & 

Rechnet man unter diefer Vorausſetzung die vorliegende Aufgabe, fo 
ergibt fih die Entfernung ber beiven Reifenden zu 113, während Herr 
Stubba 118, 187 hält. Das ift lein großer Fehler, er wird aber be: 


120 Mathematif. - 


trächtlicher bei größeren Entfernungen. Denten wir, daß jeder der Reifen: 
den einen Quadranten burdlaufen habe, jo beträgt ihre Entfernung von 
einander ebenfalls einen Quadranten, aljo 1350 Meilen, während fie nad 
der Auflöfung mit Hülfe des pytbagoreifhen Satzes mehr ald 1890 betra- 
gen, alfo um mehr als 540 zu groß ausfallen würde. 


61. Leitfaden für dem Unterricht in ber Geometrie an ſchweizeriſchen Volksſchu⸗ 
fen. Bon H. Zähringer 2. Aufl. Züri und Glarus, Rieger unb 
Seller, 1864. 104 ©. 16 Sgr. 

„Die ganze Anlage des Buches ift diefelbe geblieben, aber im Einzel 
nen find viele Berbefierungen und zahlreihe Erweiterungen binzugelommen.” 
Mir laſſen es deshalb bei der Einmeifung auf unjere frühere Empfehlung 
(X, ©. 284) bewenven, und maden nur noch bejonders auf die gebie- 
genen methodologiſchen Augeinanderfegungen des Verfaſſers aufmerkjan. 


b, Wiſſenſchaftliche Lehrbücher. 


62. Lehrbuch der ebenen Geometrie mit Uebungsaufgaben für höhere Lehran⸗ 
falten von Dr. Th. Spieler. Oberlehrer an ber Realſchule zu Potsdam. 
2. Aufl. Botsbam, 1865, Verlag ber Hiegel’ichen Buch⸗ und Mufilalien- 
handlung. 260 S. 25 Sgr. 

Der Berf. erzählt uns, was Lehrſatz, Aufgabe, Beweis ıc. fei und 
behandelt dann die Lage geraver Linien, die ebenen Figuren im Allgemei- 
nen, die Congruenz der Dreiede und das Parallelogramm. Sodann bes 
gegnen wir einer Abhandlung über die geometrifhe Aufgabe mit Daten 
und Hülfsconftructionen nebft einer großen Schaar von Hebungsaufgaben, 
ferner der Lehre vom Kreiſe, der regulären Polygone, der Bleichheit ver 
Figuren, der Proportionalität der Linien, der Aehnlichleit der Figuren und 
der Ausmeſſung des Kreiſes. Das zufammen genommen bildet den erften 
und zweiten Curſus und enthält das üblihe Material. Aber ver dritte 
Eurjus, der von den Transverjalen, der harmonischen Theilung, den Achn- 
lichleitspuntten, den Chorbalen, ven Berührungsaufgaben und den Streig- 
polaren handelt, ift jo reich bedacht, daß er, abgeſehen vom Lebungsftoffe, 
das Bud denen zuorbnet, welche die neuere Geometrie am meilten berüd: 
fihtigen.. Der vierte Curſus endlich bringt die Anwendung der Algebra 
auf die Auflöfung geometriſcher Aufgaben, metrifhe Relationen vom Dreied 
und ben Figuren im Kreife. Die Darftellung ift euklidiſch, kurz und knapp, 
aber doch beſtimmt und verſtändlich. Jedem Sage wird fein logifcher Titel 
gegeben, und was wir für fehr zwedmäßig halten, viele Säße find mit 
Namen belegt und mit Weberfchriften verfehen. Die Uebungsaufgaben find 
jebr gut. Der Eucliveanigmus zeigt fi bei unferem Verfafler recht au: 
genjheinli in ber Heranziehung der apagogifhen Veweiſe, wo fie gar nicht 
nöthig find. Geht man genetifch zu Werke, fo wird man oft nicht einmal 
an einen folden denken können. Nehmen wir zur Grläuterung die Umkeh⸗ 
rung des Saßes des Ceva. Werben bie Seiten (felbft) AB, BC, CA eines 
Dreiedd ABC an den Edtransverfalen in den Punkten Z, X, Y fo ge= 
ſchnitten, daß 
1) AZ. BX.CY=AY.BZ.cxX, 





Mathematik. 121 


fo ſchneiden ih AX und BY in O im Innern des Dreieds, und man 
erhält alfo vie Grade CO, melde vie Seite AB (felbft) in 2’ fchneivet. 
Daber ift nad) dem Gabe des Ceva 
2) AZ.BX.CY== AY, BZ’. CX, 
folglich erhält man durch Diviſion der Gleihung 2) dur die ®feihung 1) 
AZ _ BZ 
AZ BZ 
oder 
AZ : BU —= AZ: BZ, . 
woraus ohne Weiteres folgt, daß AZ’— AZ ift over daß die drei Punfte 
C, O, Z in gerader Linie liegen, daß alfo auch die Gerade CZ durch O 
gebt ꝛc. Schielt man bier nicht auf das, was bewiejen merben foll, fon: 
dern läßt man ſich lediglich durch das Gegebene weiter trieben, fo Tann 
man, mie gejagt, gar nicht auf den apagogiſchen Beweis verfallen, der beis 
läufig bier auch nur die Form defielben hat und ven hier entwidelten Gedan⸗ 
tengang verbedt. 


63. Lehrbuch der Matbematit für Gymnaſien und höhere Lebranftalten von 
Dr. Johann Robert Boymann, Oberlehrer am Gymnaflum zu 
Coblenz. I. Geometrie ber Ebene 3. Auflage Köln und Neufl., 8. 
Schwann'ſche Verlagsbuchhandlung, 1865. 20 Sgr. 


Inhalt: Allgemeine Ginleitung, Grundbegriffe, gerade Linie, Winkel 
und Parallelen, Dreied, Viered, Parallelogramm, Kreis, Gleichheit gerad: 
Iiniger Figuren, Maß, Verhältniß, Proportion, Aebhnlichleit der Figuren, 
BProportionalität ihrer Seiten und Flächen, Eigenfchaften ver Vielede, bes 
fonderd ber regulären, Berechnung des Kreifes und Beftimmung der Zahl zz. 
Der Anfang enthält „harmoniſche und polarifdhe, Potenz: und Aehnlichleits: 
beziebungen. Die Darftellung ift euflivifh, deutlih und überfihtlih. Zu 
bemerlen ift der Beweis des ‚‚merfwürbigen Punktes, des Dreieds“, in wel⸗ 
chem fi die Geraden von den Winkelſpitzen nad den Mitten der Gegenſei⸗ 
ten fchneiden. Die Aehnlichleitsvefinition ift oben (Math. Nr. 31) erwähnt. 


64. Lehrbuch der elementaren Planimetrie von Dr. B. Féaux, Oberlehrer am 
Oymnafium zu Paderborn. 3. Aufl. Paderborn, Ferdinand Schöningh, 
1865. 192 S. 224 Ser. 

Inhalt: Begriff und Einleitung der Geometrie, Lehre von den Punk⸗ 
ten, Lehre von den Linien (gerade Linie), Lehre von den ebenen Figuren 
(dad Dreied, Viereck, Mittellinien des Dreieds, die vier merkwürdigen 
Punkte des Dreieds), Lehre von den Polygonen, Kreis, Projectionen, 
Gleichheit der Figuren, Ausmeflung ver Figuren, pythagoreiſcher Lehrſatz, 
Proportionalität der Linien, Aehnlichkeit der Figuren, Flächenraum ähnlicher 
Figuren, Verwandlung und Theilung der Figuren, harmoniſche Theilung, 
harmonische Strahlen und Anwendung, algebraiſche Geometrie, reguläre Fi⸗ 
guren mit Rüdfiht auf den Kreis, Kreisrehnung u. f. w., geometrifche 
Ordn. Der Sag von der Wintelfumme des Dreied3 ift mit dem Thibauts 
fchen Beweife verfehen. Mittellinie des Dreieds nennt ber Berfafler eine 
mit der Grundlinie eines Dreieds in der halben Höhe parallellaufende Ges 


122 Mathematik. 


rade. Er macht von derſelben fruchtbare Anwendung, beſonders auch bei 
den ſogenannten vier merkwürdigen Punkten des Dreieds. Der kleine Ab⸗ 
ſchnitt über Projectionen hängt in der Luft und bleibt lieber weg. Die 
harmoniſche Theilung iR recht a aehrheft dig. 120 iſt nicht richtig. Das 
im Einzelnen. Im Ganzen liebt der Berf., wie ganz reiht, die allgemeinere 
Auffaflung und verfiebt aud vie lleineren Abſchnitte mit Ueberſchriften 
Die Darſtellung iſt gut. 


65. Lehrbuch ber ebenen Geometrie nebſt einer Sammlung von 650 Uebunge⸗ 
aufgaben zum Gebraude an höheren Lehranflalten und beim BSelbffnbium 
von Dr. Carl Spig, Lehrer am Polytechnicum in Carlsruhe. 3. Aufl. 
Leipzig unb Heidelberg, ©. F. Winter’jhe Berlagshandlung, 1865. 
255 ©. 12 Ggr. 

66. Anhang zu bem Lehrbuche ber ebenen Geometrie von Dr, Earl Spik. xc. 
87 ©. 12 Ser. 

Inhalt: Einleitung, von den geraden Linien in der Beſtimmung einer 
Ebene, von den Winleln, von den ebenen Figuren im Allgemeinen, von den 
Winkeln in den geradlinigen Figuren, von ber Congruenz der Figuren, von 
ber Gleichheit und Berechnung der gerablinigen Figuren, der Kreis in Berbin- 
dung mit den ein- und umgefjchriebenen regelmäßigen Bieleden und Berech⸗ 
nung bes ftreifes, von den Doppelverhältnifien, von der Snvolution. Aus 
biefer Inhaltsangabe erhellt, daß die neuere Geometrie berüdfidhtigt worden if, 
von ber übrigens der Berf. einen beträchtlichen Theil der Aehnlichleit ſub⸗ 
fumirt bat. Die Darftellung ift die euclidiſche, die Definitionen aber werden 
genetiih entwidelt. Der Uebungsftoff ift redyt gut, die Darftellung Har und 
deutlih. Nur bei der Involution dürfte der Anfänger etwas rathlos fein. 


67. Planimetrie für Gymmaflen, Real- und Bürgerihulen von Dr. Au gar 
Bigand. Halle, Drud und Berlag von 9. W. Samitt. Erſter Cur⸗ 
us. 7. Aufl. 1863. 86 ©. — Breiter Eurfus. 6. Aufl. 1864. 105 

.— Dritter Surius. 1866. 69 © 


Das vorliegende Lehrbuch ift wie wir bei feinem erflen Erſcheinen 
ausfprechen, (III, S. 115) nit nad unferem Sinne, wohl aber in fei- 
ner Art vortrefflich gearbeitet. Seitdem ift es in vielen Tauſend Eremplas 
ven verbraudht und dem Unterrihte zu Grunde gelegt worven, jo daß wir 
ben fchlagendften Beweis haben, daß es der genetifhen Methode nicht leicht 
wird in die Gymnaſien einzubringen. Näher auf die drei vorliegenden 
Curſe einzugeben, halten wir bier für unnöthig. Nur zweierlei fei bemerkt. 
Erftens enthalten die beiden erfien Curfe eine Anzahl von Lehrfäßen und 
Aufgaben, die in jeder Hinficht Anerkennung verdienen, bejonders auch in 
fofern als die des zweiten ben dritten vorbereiten. Drittens ift ein neuer 
Curſus binzugelommen, welder bie neuere Geometrie enthält. Die Dax 
ftellung ift kurz und knapp, aber deutlid, die Figuren find zwedmäßig ge 
wählt, fo daß an ihnen der Anfänger eine große Hülfe bat. Deshalb 
möchten wir diefen Curfus denen zum erften Studium empfehlen, welche 
fih in die neuere Geometrie einarbeiten wollen. 


. 68. Die Elemente. der analytifden Geometrie für den Schnlunterricht bearbeitet 
von Dr. D. Gaubtner, Director des Symnafiums wub ber Reafichafe 











Mathematik. 123 


zu Minden. 2. Aufl. Minden, 1865, Berlag von Auguſt Bollening. 

65 S. 74 Gar. 

Da wir viefes Schriftdhen bereits (X VI, ©. 76) rühmend erwähnt 
haben, haben wir nur zu bemerfen, daß die neue Auflage die Ableitung 
der Euren aus der allgemeinen Gleihung des zweiten Grades enthält 
und eine ziemlihe Anzahl von werthvollen Aufgaben varbietet. 


8. Mathbematil, 


69. Bollänbige logarithmiſche unb trigonometriſche Tafeln von Dr. E. %. Au⸗ 
guß, Profeſſor und Director bes Kölniichen Benigpmnaflume in Berlin, 

itter bes rothen Adlerordens vierter Claſſe, Mitglie mehrer geehrten Ge⸗ 
ſellſchaften. 6. Aufl. Leipzig, Veit u. Comp., 1865. 15 S 


Die Kürze der Beit, welche ſeit dem Erſcheinen ber 5. ef verfloflen 
iR (X VI, 6. 74) beweift zur Genüge, daß dieſe empfehlensiwerthen Tafeln 
fleißig gebraucht werden. 


70. Die Elemente ber Mathematil Ein Leitfaden ſür den mathematiſchen Un⸗ 
terricht in höheren Lebranftalten von Wilhelm Gallentamp, Director 
der ftäbtifchen Gemerbeipute in Berlin. 3. Au I. Theil. Arithmetik 
unb Algebra. re und die Planime e. Sferlohn, Julius Bä⸗ 
deler, 1865. 140 S 
Wir verweiſen auf unſere früheren Anzeigen (XIV, 126 XV, 120) 

in denen wir dieſes guten Lehrbuches lobend gedacht haben. 


71. Mathematiſches Wörterbüclein. Für Lehrer der Mathematik. Bearbeitet 
von 3. Menzel, Berlin, Berlag von Adolph Stubenraud. 147 S. 15 Sgr. 
Greifen wir einige Artitel beraus, um eine Probe der Behandlung 

zu geben. „Abfolut, lat. absolutus = von nichts Anderem abhängig; 
keiner nähern Beftimmung bedürftig, unbedingt. 1. Eine unbenannte Zahl 
kann baber eine abjolute Zahl genannt werden, da fie das Vielfache einer 
von einem beftimmten Begriffe unabhängigen Einheit if. 2. Eine Zahl, 
welche unabhängig von der Beziehung auf Pofitivität und Negativität be 
trachtet wird, aljo nicht mit den befannten Vorzeichen bedacht ift, heißt 
man abfolute Zahl.” Wenn die unbenannte Zahl ein Vielfaches der Ein: 
beit ift, fo üft fie buch die Einheit bedingt, und nur dieſe abjolut. Die 
Zahl, welche mindeitens ein Denken vorausfegt, felbft iſt ‚nichts ſchlechthin 
Abfolutes. Redet man aber von abfoluten Zahlen, fo fiebt mau von 
diefer Bedingtheit ab und man kann diefen Namen ganz unbedenklich brau⸗ 
den, da 3. 3. die Zahl 4 dieſelbe ift, mag fie ſich auf Ellen oder fonft 
etwas beziehen. Dann find aber alle Zahlen, die in der urfprünglichen 
Zahlenreihe nicht gegeben find, relative Bahlen, alfo nit nur + 4 und 
— 4, fondem auch 4, V5: VAA ꝛc. Auch wären wohl relative und 
abjolute Primzahlen, velative und abjolute Höhe und dergleichen zu er: 
wähnen. — „Abftand: das Abftehben, ver Raum, um melden zwei Orte 
von einander entfernt find. 1. Der Abftand eines Punktes von einer ge 
raden Linie oder einer Ebene wird angegeben durch die Rechtwinlelige, 
weiche an dem Punkte auf die Linie oder Ebene gezogen werben kann ıc.” 


124 Mathematik. 


Hier vermiflen wir den Abftand zweier Punkte im Raume, den Abftand 
zweier Punkte auf der Kugeloberflähe, den Abftand eines Sterns oder 
überhaupt eines Himmelspunttes vom Zenith. — „Abftumpfen x.” hier 
fehlt die Abftumpfungsflähe. — „Abſciſſe“ wird wohl mit der Ordinate 
zufammengefaßt werden müflen. — „Apagogifch (vom griechiſchen apa- 
gög6) ıc. — „Apothem (vom griechiſchen apotithämi) :c” Cs if 
inconjequent, das eine Mal das Subftantiv, das andere Mal das Verb ans 
zuführen. — Unter „eliminiren” fehlt die fogenannte englifhe und 
franzoͤſiſche Slimination. Die erflere mußte neben den angeführten erwähnt 
werden. — Die „Ellipfe” ift nicht als Kegel: oder Cylinderſchnitt aufs 
gefaßt. Unter gerade fehlt gerade Zahl Parzahl. Unter imaginär 


2 . 

wird behauptet: „Die Zahl Y_-9 ift imaginär, denn fie eriftirt gar nicht, 
bat nur ven Schein der Eriftenz. Sie eriftirt aber, wie jeder Mathematiler 
weiß, fo gut wie J. „Spur“ wirb geometriih als Grundſchnitt gefaßt, 
Grundſchnitt aber erllärt als die Linie, in welder eine ebene Flaͤche eine 
Projectiongebene ſchneidet. Wo bleibt da die Spur einer Geraden, eines 
Punktes? — Aus dem Gefagten wird erhellen, daß wir nicht viel zur 
Empfehlung bes neuen Wörterbüchleins zu fagen haben. 


Nah Abſchluß der vorftehenden Arbeit gingen aus dem Sabre 1865 
noch ein und follen im naͤchſten Bande befproden werben: 


1. Kopfrehenaufgaben, Decimalbrüde, unslebung der Qua⸗ 
dDrat- und Cubikwurzeln für Seminarien und Bürgerſchulen von J. 
Zerlinden, Seminarlehrer in Neuwied. 8. (III und 55 S.). Neumieb 
n. Leipzig, 3. H. Heufer, 1865. cart. 5 Sgr. 


2. Aufgaben zum praltifhen Rehnen für [hweizeriihe Bolls- 
fhulen. Bon H. Zähringer. L bis XII. Heft. Züri und Glarus, 
Meyer u. Zeller, 1865 m. 1866. 


8. Die Arithmetil in ſyſtematiſch georbneten Aufgaben für Sähu- 
en umb zur Gelbfibelehrung bearbeitet von 3. Foßler, Lehrer am Groß⸗ 
geraogt. pceum in Karlerube. I. nm. II. Abtheilung, nebſt Refultaten. 

arlörube, Chr. Fr. Müller, 1865. 


4. Lehrbuch der Arithmetik zum Gebraude an Fortbilbungsfchuien und 
zum Gelbftunterrichte. Mit Tabellen zu gegenfeitigen — und 
Reductionen in⸗ und ausländiſcher Maße, Gewichte und Münzen nebſt vie⸗ 
len Beiſpielen hierüber fo wie über bie verſchiedenen Rechnungsarten im 
bürgerlichen Leben, über geometriſches und kaufmänniſches Rechnen von D. 
Echmitt, Lehrer der Mathematif an ber Lönigl Gewerbfchule und latei⸗ 
niihen Schule zu Landau. Mit einer Steintrndtafel. gr. 8. (VIII unb 
204 ©.). Landbau, Ed. Kaufler. 1865. 20 Ger. 


5. Aufgaben zu Uebungen im ſchriftlichen Rechnen für Bürger- umb 
Boltsfhulen von J. ©. F. Scharlach, Schuldirector in Halle. 1. bis 5. 
Heft. Halle, Schroͤdel u. Simon, 1865. cart. & 3 Ger. 





Mathematif. 125 


6. Sompenbium ber Planimetrie nad Legenbre für bem Säulpe- 
brauch bearbeitet von Dr. Earl Heel. Zweite Auflage. gr. 8. ( 
n. 67 ©.). Reval, 5. Ringe, 1865. 4 Thlr. 


7. Stereometrifhe Aufgaben nebft ihren Aufldfungen, für ben 
Gebrauch in höheren Lehranflalten bearbeitet von C. Hechel. Erſtes Heft. 
gr. 8. (116 S.) Ebendaſelbſt. 3 Thlr. 


8. Bortheile und Abkürzungen im Rechnen. Für ben Schul⸗ und 
Geſchãftsmann und folhe, die es werben wollen. Bon E. Langenberg. 
gr. 8. (VII n. 159 ©). Gütersloh, C. Bertelemann, 1865. 224 Gyr. 


9. Lehrbuch der Mathematik für höhere Unterrichtsanſtalten von Dr. 
Paul Wiede I. Theil. Planimetrie und ebene Trigonometrie. 8. 
(206 &. und 1 Xafel). II. Theil. Arithmetit (VI u. 317 ©.) Mit 3 
Säuftrationen. Leipzig, D. Wigand, 1665 u. 1866. 


Die Redaction. 


Il: 


Die neneiten Erfcheinungen auf dem Gebiete 
des deutſchen Sprachunterrichts. 
BZufammengeftellt und beſprochen 
von 
Dr. 2. Kellner. 





Meberfidt. 
1. Sprachlehrliche Schriften nee Elementarſchulen im Allge⸗ 


Bruhns, Nr. 3. — Beegmann — Rigert Nr. 5. — — 
Nr. 6. — Traut, Nr. 9. — — und "Rißter, Wr .11.— Bieten 

Nr. 16. — Wegener, Nr. 17. — Brinmann, Sr. 18. — Gaminaba, 

19. — Landyardt, Nr. 21. — Haug, Nr. 22. — Franke, Nr. 23. — 
Uri, Nr. 26. 


U. Sprachlehrliche —— — —2 — Lehranftalten und zum 


Sommer, Nr. 1. — Schulz, Nr. 2. — Trant, Nr. 7. Satmagel, 
Nr. 8. — Volgtmann, Nr. 12. — Panik, Mr. 13. — Klokfä, Nr. 15. — 
Wetzel, Nr. 26. 

II. Styl- und Aufſatzlehren. 
A. Für Elementarſchulen. 

Weegmann, Nr. 4. — Ritſert, Ar. 5. — Wibmann, Rr. 10. — Wei⸗ 
elbt und Richter, Nr. 11. — „, Gaminaba, Nr. 19. — Laudhardt, Rr. 21. — 
ranfe, Nr. 23. — Ulli, Nr. 

B. Für höhere Shulanftalten. 

Ritfert, Nr. 5. — Widmaun, Wr. 10. — Möbus, Nr. 20. — Lande 
barbt, Nr. 21. — Kehrein, Nr. 24. 

IV. Rechtſchreiben und Interpunktion betreffend. 

Panitz, Ar. 13. — Päbag. Berein in Bromberg, Nr. 14. 





Die n. Erfcheinungen auf d. Gebicte des b. Sprachunterricht. 127 


1. Kleine dentſche Sprachlehre. in Leitfaben für ben Unterricht in der 
Mutterſprache mit vielfachen Aufgaben zu münbficher und fchriftlicher Webung 
zunächſt für untere Klaſſen höherer Lehranftalten wie zum Selbftunterrichte 
von W. Sommer, Lehrer an der höheren Stabtihule zu Olpa. Pader⸗ 
born, Berlag von Schöningh, 1866. gr. 8. VIU und 130 ©. 10 Ser. 


Der Berf., welcher erft Mirzlih ein Hülfsbuh für den Unterriht im 
Deutihen Aufſatze herausgegeben bat (fiehe den vorigen Jahrgang, ©. 
140), gebt von der Anfiht aus, daß e3 Aufgabe höherer Unterrichtsanftals 
ten fei, dem Schüler zuerft dasjenige aus der Grammatik der Mutterfpradye 
zum Bemwußtjein zu bringen, was ihn befähiget, das Fremde zu verftehen. 
Gr Hagt, daß der Schüler Declinationen und Caſus ꝛc. unterſcheiden folle, 
ohne durch feine Mutterfprache einen Haren Begriff davon erhalten zu ba: 
ben, und daß deshalb ver Iateinifche Unterricht nicht recht fort wolle, 
Darum lehnt er feine Spradlehre an die gangbarften lateinifhen Grams 
matiten an und beginnt mit der Wort: oder Yormenlehre, gebraucht auch 
ſtets neben der deutfchen die lateinische Terminologie. Orthographie, Inter: 
punktion und das Nöthigfte aus der Berslehre find in einem Anhange bes 
bandelt. 


Mir möchten bezweifeln, daß unfere Gymnafiallehrer von dem vor: 
arbeitenden Gebrauche einer ſolchen deutſchen Grammatik ſich fonderliche Cr: 
leihterung des Unterrichts im Lateinischen verſprechen werden. Wir glau⸗ 
ben vielmehr, daß eine Vorbereitung, wie fie fih der Verf. dentt und 
wünscht, praktiſch ſchwer auszuführen fein dürfte, und daß fie Dinge, die 
einmal gelernt, d. h. auswendig gelernt werben müflen, auch nicht jehr er 
heblich erleichtern würde. 

Hiervon abgejehen ift übrigens anzuertennen, daß die Arbeit des Ber: 
faflers eine fleißige und brauchbare iſt, die das Nothwendigſte faßlih und 
richtig zufammenftellt. Auch dem Gelbitunterrichte von Schulpräparanden 
kann fie allenfalld genügen. 


2. Die dentſche Grammatik in ihren Grundzügen. Kin Leitfaden 
beim Unterrichte in ber Mutterſprache von Dr. Bernhard Schulz, Gym- 
nafinlichrer. gaaberborn, Berlag von Schöningh, 1865. gr. 8. VI und 

57 ©. gr. 


Der Berfafjer unterrihtet an einem Gymnaſium (Conig in Weſtpreu⸗ 
Sen), deſſen Schüler theild geborne Deutſche, theils aber auch polnischer 
Nationalität find. Diefer Umftand muß den Unterricht allerdings ſehr er: 
ſchweren und jcheint dem Verf. wichtig genug, um die bejondere Betreibung 
des deutſchen Sprahunterrihts und die Herausgabe einer Grammatit für 
die Schüler zu rechtfertigen. Er hält in einer ſolchen utraquiſtiſchen An: 
ſtalt vie gelegentlihe Antnüpfung der grammatifchen Regeln an bie Zectüre 
wicht für ausreichend. ’ 

Wenn wir aud dieſe Anſicht theilen, jo hätten wie doch gerade des⸗ 
wegen eine Einrichtung des Buches erwartet, melde ſolch' eigenthümlichen 
Zufländen Rechnung trüge und ſich deshalb auch durch eigenthümliche Folge 
und Handhabung des Unterrichtäftoffes auszeichnete, namentlih aber auf 


128 Die neueften Erfcheinungen auf bem 


die in den Umfläuden begründeten Schwierigleiten des mündlichen Aus: 
drudes und auf desfallfige Uebungen Rüdjiht nähme. 

Dem ift jedoch nit fo. Das Buch ift eine Srammatil, welde ſich 
ihrer ganzen Yafiung nad auch in jedem anderen Gymnaſium, in jeder an- 
deren höheren Schule gebraudyen läßt und von ihren zahlreihen Mitſchwe⸗ 
ſtern in nichts Wefentlihem abweicht. Mit diefer Thatfache foll jedoch nicht 
in Abrede geftellt werben, dab das Buch für feinen befonderen Zwed in ben 
Händen eines tüchtigen Lehrers noch von Nutzen fein und auch im Allge 
meinen als brauchbar bezeichnet werden kann. Cine Inhaltsüberſicht hätte 
den bequemeren Gebrauch erleichtert. 


3. Kurzgefaßte beutfhe Spradlehre. Bon &. Fr. Bruhns. Dritte 
Auflage. Lübed, Dittmer’ihe Buchhandlung, 1865. 8. 42 ©. 5 Ger. 
Ohne irgend ein Borwort und ohne Bezeihnung des näheren Zwedes, 

tritt diefes Büchlein in die Welt. Es enthält ein Serippe der Gramma- 
tik, weldyes jedoch ein vier Seiten umfafiendes Verzeichniß der ablautenden 
Beittörter gibt, dagegen der Saplehre nur drei Seiten mehr widmet und 
ebenfo auf drei Geiten die Orthographie erlediget. Uebungsaufgaben 
feblen. 

Wir vermuthen, daß dieſes Büchlein in die Hände der Schüler ge 
geben und die Grundlage des vom Lehrer ertheilten grammatifchen Unter: 
richtes abgeben fol. Es mag im Ganzen auch bierzu, wie fo manche an⸗ 
dere feines Gleichen, pafjend fein. 


4 Geſchäftſsaufſätze in fahlicher und kurzer Darftellung ale Leitfaben für 
bie Hand der Schiller ber III. Elementarfiaffe, jowie für Sonntage- und 
Winterabend-Schüler bearbeitet und herausgegeben von J. mans, 
Lehrer. 6. Aufl. Biberach, 1863, Dorn'ſche Buchhandlung. gr. 8. 
51 ©. 4 Sgr. 

Wie ſchon der Titel befagt, handelt es fi hier um eine Sammlung 
aller möglihden Gefhäftsaufjfäse, melde die Schüler in den Händen 
baben follen, um die gebotenen Mufter zu lefen und hiernach felbftthätig 
äbnlihe Arbeiten zu liefern. Deshalb find auch den einzelnen Beifpielen 
kurze Aufgaben beigefügt. Der Anhang gibt eine Erflärung der im bürger 
lihen und gewerblichen Leben vorlommenden Fremdwörter. Das Bud lies 
fert auch brauchbare Dictirfioffe und kann überhaupt mit Nuben verwendet 
werben. 


5. Die Lehre vom beutfhen Style ober praftiihe Anleitung zum rich⸗ 
tigen deutſchen Gedankenausdrucke für bie oberen Klaſſen ber Boltsichulen, 
höhere Möpchenfchulen, Schullehrerfeminarien, umb einzelne Klaſſen ber 
Realanflalten und Gymnaſien, wie aum ion En Bon Ernfi Zub» 
wig Nitfert. Neu bearbeitet von Dr. Fridolin Wagner, Ditprebiger, 
Siufpector und Lehrer der höheren Mädchenſchulen zu Darmflabt. Achte 
Aufl. Darmftabt, 1865, Verlag von Job. Phil. Diehl. gr. 8 XI und 
468 ©. geh. 24 Ser. 


Neben mannigfahen Belehrungen über deutſchen Styl und die ver 
ſchiedenen Arten der fchriftlihen Darftellung enthält das umfangreiche Buch 





Gebiete des deutſchen Sprachunterrichts. 129 


eine ſehr große Anzahl theils ſtizzirter, theils ausgefuͤhrter und im Ganzen 
gluͤdlich gewaͤhlter Uebungsaufgaben, Dispoſitionen und Muſterbeiſpiele. 
Der geſammte Stoff iſt unter folgende Rubriken gebracht: L Beantwor⸗ 
tung von Fragen. IL Erzählungen. ILL. Beſchreibungen: 1) Lehrbeſchrei⸗ 
bungen. 2. Schönbejhreibungen (Schilderungen). IV. Pergleichungen« 
V. Erllärungen (auch Raͤthſel). VI. Abhandlungen. VII. Gefpräke, 
VIH, Briefe (freundfhaftlihe und Geſchaftsbriefe). IX, Geſchaͤftsauf⸗ 
ſaͤze. Schon aus dieſen Rubriken können wir auf die ungemeine Reid 
haltigleit des Buches ſchließen, melde noch buch einen theilmeije come 
prefien und ökonomiſchen Drud gefteigert wird. Wer fo Vieles bringt, 
muß mohl Jedem Etwas bringen, und jo möchte denn kaum eine 
Kategorie von Lehrern genannt werden tünnen, melde nicht etwas Brauch: 
bares in diefem Buche finden würde. Volklsſchullehrer werben namentlich 
den I II. III. und VII. Abſchnitt für ihre Zwede benugen können, 
Gymnaſial⸗ und Realſchul⸗Lehrer finden in ben Abſchnitten IV. VI. VU. 
und III. 2 gar viele brauchbare Stoffe. 

Wir ftehen nicht an, diefe Styljchule als eine ber veihhathafen, da⸗ 
neben aber auch wohlfeilſten angelegentlich zu empfehlen. 


b. Hilföbuch zum deutſchen Sprachunterricht in allen alaſſen der 
Elementarſchule von J. Kehrein, Seminardirector in Montabaur. Pader⸗ 
born, Verlag von Schöningh, 1865. 8. V und 171. 10 Sgr. 
Der auf dem Gebiete wifienfchaftliher Sprachforſchung rühmlich be: 

kannte Verfafier bat fich mit diefem Büchlein wiederum auf das Gebiet ber 

Schulpraris begeben. Die Gliederung des Ganzen ift nad SJahrgängen ge 

ſchehen und ftellt für jeden Jahrgang etwas Beftimmtes al3 Aufgabe und 

diel hin. Es iſt nämlich, wie zumeift in fübdeutihen Schulen, angenommen, 
daß die Kinder vom fehlten Jahre ab, wo fie ſchulpflichtig werden, bis 
zum zurüdgelegten dreizehnten Lebensjahre jedes Jahr in eine andere höhere 

Mafie oder Adtheilung übergehen, und daß fih fomit auch jedes Jahr ver 

Unterrichtsftoff fteigert. 

Das Büchlein zerfällt in zwei Hauptabtheilungen, von denen bie 
erfte in kurzen Bügen und ſtizzenhaft darlegt, was jeder ber acht Jahr⸗ 
gänge zu leiſten hat. Die zweite Abtheilung ift dagegen ein Hilfsmittel 
zur praltiihen Ausführung des in der erften Abtheilung Verlangten. Der 
Accent liegt hierbei weſentlich auf den ſchriftlichen Auffagübungen, welche 
der Verf. zugleich für den mündlichen Gedankenausdrud benugt wiſſen will, 
Biele der Mebungsaufgaben find entlehnt, namentlih aus Mepler’3, Boden: 
müller's und des Referenten Schriften. Ein Anhang bietet Belehrungen 
über die Declination und Gonjugation, ſowie eins Weberfiht der ſtarken, 
tüdumlautenden und unregelmäßigen Verben. Xebtere mag bem Lehrer im: 
merhin willlommen fein, in die Volksſchule felbft wird fie in folder Vollftäns 
digleit nicht Eingang finden Tönnen. - 

Das Schriften enthält viele Shäßbare Winke und Aufgaben und 
wird namentlich in den Händen gut worbereiteter jüngerer Lehrer Ruben 
Riften und Mißgriffe hindern können. 

Die Ausftattung ift gut. Der Preis war nicht angegeben. 

Päd. Jahresbexicht. XVII. 9 


130 Die neueften Erfcheinungen auf bem 


1. Grundzüge der neuhochdeutſchen Grammatik nebf einem An⸗ 
bange: Zropen unb Biguren, Metrit and ser. 6.8 u — 
ten, insbeſondere Seminarien. Von Dr raut. Leipzig, 
Verlag von Merſeburger, 1865. EI. 8. ie 136 *. 9 Sgr. 


Hr. Dr. Traut will mit ſeinen Leiſtungen auf dem Gebiete des deut⸗ 
ſchen Sprachunterrichts allen Verhaͤltniſſen gerecht werden, und liefert dem: 
nah in dem vorliegenden Büchlein einen Leitfaden für höhere Lehranſtal⸗ 
ten und Seminare. 

Zunädhft bemerken wir, daß der Verf. mit einem Motto von Gtod: 
mayer aus der Enchllopäbie des Erziehungs⸗ und Unterrichtsmwefens beginnt, 
wonach von Sedem, der die Mutterſprache verſtehen will, nicht blos gram: 
matische, fondern auch mundartliche und hiſtoriſche Kenntniſſe gefor: 
dert werben. . 

Was ift demnach natürlicher, als daß wir in dem Büchlein munbart: 
lihe und hiſtoriſche Kenntniſſe juchten. Allein wir fuchten vergebens. Denn 
die zwei Seiten Einleitung und einzelne wenige Bemerkungen über die 
Vollsiprahe (über melde ?), ſowie die Beifügung einiger althochbeutjchen 
oder mittelhochdeutichen formen lünnen wir doch nit als mundartlidye und 
biftorifche Kenntniſſe betrachten. 

Mir möchten jedoch dieſe getäufchte Erwartung weniger hoch anſchla⸗ 
gen, wenn wir nur wüßten, wie der Verf. mit jenem Motto (laut einer 
Bemerkung am Schluſſe der Borrede) es rechtfertigen will, daß fein Bud 
insbefondere für Lehrerſeminare paſſe. 

Das Bud ift einfach eine Grammatit, wie wir deren ſchon viele 
baben, und als ſolche auch für Lebrerfeminare fhon brauchbar ohne die Re⸗ 
quifite jenes Motto's. 

Cher möchte fih die Bezeihnung „für Seminare” bei Dielen 
rechtfertigen, wenn der Verf. auf die Volksliteratur oder auf die Li⸗ 
teratur im Allgemeinen eingegangen wäre. Einen Anlauf zu lebterem bat 
er in dem Anhange gemacht, welchen wir zwedmäßig finden, weil er zum 
Berftändnifie und zum böberen Genufle der poetiſchen Literatur befähigt. 
Doch können wir nicht unbemerkt lafien, daß Hr. Traut zu diefem Anhange 
nicht immer die beften Quellen benupt zu haben jcheint. So hätte S. 99 
das Verbältniß der Uuantität zur Betonung, wie es im Deutſchen Geltung 
bat, hervorgehoben werben follen. Manche Erflärungen find ferner nicht 
richtig oder nicht beftimmt genug, fo 3. B. die Erllärung vom Reime, vom 
Sonette, vom Märchen und von der Novelle. Den Unterfhied zwiſchen 
Ballade und Romanze hat und Echtermeyer Mar gemacht, Leſſing den ride 
tigeren Begriff von der Fabel, J. Paul den ber Idylle gegeben. 


8. Zitfaden Beim Unterrichte in ber deutſchen Formen⸗-⸗ und 
Satzlehre für bie unteren Klaſſen der Gymnaften und Realfchufen nad 
ben neueflen beutichen Spraäbliern bearbeitet von Maurus Schinnagel, 
riefter und Profeflor in Wien. 6. Aufl Wien, bei Bed, 1805. ge. 8. 

u. 170 ©. 18 Sgr. 


Es läßt fi von dieſer kurzen Grammatik weiter nichts fagen, als 
daß fie zwedmäßig eingerichtet, in faßlicher, Harer Weile und guser Kirb« 
ung die wichtigeren fprachlihen Regeln und Formen barftellt und auch in 








Gebiete des deutſchen Sprachunterrichts. 131 


ver Satzlehre genügt. Der Bert. hat weſentlich Becker's Syftem und An- 
ſichten ‚befolgt, ohne ſich gegen andere Auffafiungen abzufchließen. Daß der 
Leitfaden bereitd die 6. Aufl. erlebt bat, beweift übrigens, mie fehr man 
ihn in Deflerreich ſchaͤtzt. 


9. Kleine dentſche Sprachlehre nebft Mebungsanfgaben und einem An⸗ 
hange; Satzausdrudelehre und Auffatzlehre. Fir Bollsſchulen. Bon Dr. 
H. Th. Traut, Bürgerſchullehrer in Leipzig. Leipzig, Verlag von Merſe⸗ 
burger, 1865. tl. 8. VIII und 119 S. 6 Sgr. 

Der fleißige Verfafier (vergl. den vorigen Zahrgang, ©. 125) will 
die Grammatik nicht aus dem Mereihe der Vollsſchule verbannt wiſſen. 
Das im Mechenunterrichte für die einzelnen. Aufgaben bie arithmetijchen 
Regeln find, das find ihm fir die fprachlichen Arbeiten die grammatifchen 
Regeln. Er neigt fih mit Stern der Anficht bin, daß bald die Zeit kom» 
men werde, in welder man wieder ganz unabhängig vom Leſebuche in 
ſtreng georbnetem Gange die Grammatik in der Schule, wenigſtens -in ber 
gehobneren Bollsjchule treiben werde. Wir wollen mit ihm weder über 
diefe Anficht, noch über die gewagte Parallele mit dem Nechenunterrichte 
echten, fondern lieber noch bemerten, daß Hr. Traut in feinem Büchlein 
ein Minimum geben will, deſſen ein Seder bevarf, der Anſprüche auf 
Sdulbildung macht. Wir haben gegen diefes Maß unter der Vorausfegung 
nichts Wefentliches einzuwenden, daß der Berf. gehobene Volksſchulen im 
Auge hat. Etwas Neues will er weder in Betreff des Inhaltes noch in 
Hinſicht auf die Methode geben, nur einzelne veraltete Irrthümer wegjchafs 
fen. Zu folden rechnet er beifpielsweife die Copula und den Conbitiona- 
18. Der Inhalt iſt folgender: I. Lautlehre. II. Wort: und Wortformen: 
ihre. III. Saglehre (Rection.. IV. Sapzeihenlehbie — Anhang: 
I. Sapausprudslehre. II. Auffatzlehre. — Beiſpiele und Uebungsaufga: 
ben find den einzelnen Capiteln beigegeben. 

Das Büchlein, welches vecht freundlich ausgeftattet ift, reiht ſich den 
befieren Sprachlehren biefer Art ebenbürtig an. 


10. Der ſchriftliche Gedankenausdrud. Lehre and ucbung für Bür⸗ 

gerſhulen bearbeitet von B. Widmann. I. Heft. X und 67 Seiten in 8. 

— Ameites Heft. 106 S. Verlag von Merſeburger in Leipzig. Beide 

Hefte zufammen 12 Sgr. 

Der Verf. ſpricht fih dahin aus, daß man beim Sprachunterrichte 
bald analytifch, bald ſynthetiſch verfahren müfle, daß die Schule bei der 
Aualyfe jedoch immer von einem Heinen Ganzen auszugehen und die Sprach⸗ 
erjheinungen biesan zum Bewußtſein zu bringen habe, Er will nun die 
ſen analytijchen Unterriht an das Leſebuch antnüpfen, da aber gar vers 
ihiedene Lefebücher im Gebrauche find, fo bat er felbft Mufterftüdte zus. 
Behandlung ausgewählt. 

Weiter geht des Verfafiers Anficht dahin, daß bie verſchiedenen Sprach⸗ 
formen nur einzeln, nah und nach vom Schüler aufgefaßt und erlannt 
werden können. Auf der unteren Lehrſtufe befchräntt ſich der Untere 
richt blos auf die mwefentlicfte Erläuterung und auf richtige Darſtellung des 

9 


132 Die neueſten Erſcheinungen auf dem 


Geleſenen (Rechtſchreihung) vermittelft Abſchreibens und Wiedergebens aus dem 
Gedaͤchtniſſe. — Erſt auf der mittleren Stufe (etwa mit dem 9. oder 
10. Altersjahre) beginnt der eigentliche formelle Sprachunterricht. Doch 
iſt dieſer Unterricht anfangs wieder blos propädeutiſch, indem er das 
Formelle der Sprache nur in ſoweit berüdſichtigt, als es wieder zum Ver⸗ 
ftänpniß des Geleſenen und zur eigenen ſchriftlichen Darftelung dient. — 
Die beiden. Hefte beginnen mit dieſer mittleren Stufe und vertbeilen das 
ganze Gebiet in folgender Weife: I. Kenntniß der Wort» und Saparten. 
U. Die Wortbiegung. IL, Die Wortfügung. IV. Das Gapgefüge. 
In der Orthographie hat der Berf. Dr. Klaunig’s3 belanntes Werl: 
hen zur Richtſchnur genommen, am Schlufie aud ein ziemlih ausreichen: 
des Mörterverzeihniß gegeben. Das Bud ift mit Fleiß und methodiſchem 
Gejhid ausgearbeitet und wird jebem Lehrer der deutſchen Sprache will 
tommene Uebungsftoffe liefern. Die meiften Mufterftüde find paſſend ge 
wählt und lönnen wegen ihrer Kürze auch den Schülern leicht dictirt 
werben. 


11. Styliſtiſche und grammatifhe Aufgaben für die Kinder ber un 
teren Stufe der Mittelllaſſe. Bearbeitet von C. D. Weigeldt und 9. F. 
Richter, Bürgeriäulicheer zu Chemnig. Chemnitz, Verlag von ©. ode, 
1865. 8. 56 ©. 24 Gr. 

und: 

Sammlung auegeführter Stylarbeiten nebſt einem Anhange gramma- 
tiſcher Aufgaben für Mittelllaſſen. Gin Huifsbuch für Lehrer bei Erthei⸗ 
lung bes ſtyliſtiſchen und fprachligen Unterrichts in Stadt⸗ und genden 


len. Bearbeitet von den Obigen. Chemnitz, ode, 1865. 8. 
130 ©. 10 Ser. 


Die Berfaffer wollen die Stylarbeiten der Mittelllafien beichräntt 
willen : 
1) auf Wiedererzaͤhlung kurzer Erzaͤhlungen, 

2) auf Anfertigung einfacher Beſchreibungen, 

3) auf Einlleivung von Erzählungen und Beichreibungen in Briefform, 
und endlich: 
4) auf Anfertigung einer Briefe aus dem Kinderleben. 

Darum liefert das zweite der oben genannten Büher Erzählungen 
(61), Beihreibungen (120) und Briefe (47), denen noh 20 Berglei: 
hungen beigefügt find, um auch denjenigen Lehrern zu genügen, welde 
derartige Bearbeitungen für Mittelllafien münden. Den Schluß bilden 
einige grammatische Aufgaben über die wichtigſten Rebetheile, ven Gab und 
die Wortbildung. Es ift diefe Sammlung eine Vorſchule over L Abthei⸗ 
lung der im vorigen Jahrgange (S. 142) angezeigten und empfohlenen 
„Stolaxbeiten für Mittelllafien‘ von Aler. Junghänel und 3. G. Scherz. 

Die gegebenen Erzählungen find mit durch gejperrten Drud marlirten 
Mertmörtern verfeben. Dieje DMertwörter ſoll der Lehrer bei Be 
ſprechung der Erzählung an die Wandtafel anfchreiben und nad ihnen vie 
Erzaͤhlung erft muͤndlich, dann fchriftlich wiedergeben laflen. 


4 








Gebiete des deutſchen Sprachunterrichts, 133 


Das erftere der beiven Bücher ift ein Aufgabenbuch für bie Sand ber 
Kinder und nad obigen Grundſätzen eingerichtet. Bei den darin vorkom⸗ 
menden Beichreibungen find keine Merlwörter, ſondern hinleitende Fragen 
angegeben. Die folgenden Beifpiele werden unjern Lejern das Berfahren 
Har machen. 


L Mit Merkwörtern. 


Der treue Hund. 


— Dieb — Haus, — ſtehlen. — Hund — Wurſt — nicht bel⸗ 
len —. — erkannte — Abſicht — ſprach: — mich beſchenkt, — nicht 
bellen — damit du ungehindert — ſtehlen — — achte — Geſchenl 
nicht! — fing — an — bellen, — Herr erwachte. — Dieb ſprang — 
Fenſter —, ohne — entwenden —. 


Mer nicht hören will, muß fühlen, 


Bwet Knaben, — Garten, — Bienenhaus —. — rief. — Gärts 
ner —: — nicht — nahe! — Bienen — ſtechen! Auguſt geborchte. 
Karl —: — nie — geſtochen! — näherte —. — Schritte gethan, — 
Stich, — ſchmerzte. — Geſchrei — Gärtner herbei —: Siehe, — nicht 
bören — fühlen ! 


Der Fuchs und der Rabe. 


— Nabe — Kife — Baum, — verzehren. — Fuchs, ſchlich — 
ſprach: — Nabe, — ſchöner Vogel! — Gefieder — Federn — Adlers. 
— Etimme — ſchön, — fhönfte Bogel —. — Rabe, — figelte, — 
freien, — öffnete, entfiel --—. — Fuchs ſprang —, ſchnappte —, vers 
ſchlang — late — aus. 


I. Mit Fragen. 
Die Milch. 

1. Bas ift die Milch? 2. Wie ift ihr Gefhmad? 3. Mas bildet ſich 
auf der Mil, wenn fie einige Zeit ruhig in Aeichen ftehen bleibt 2 4. Wie 
nennt man dieje Dede ? 5. Womit wird der Rahm abgenommen ? 6. Wozu 
benugt man denfelben ? 7. Wie heißt bie übrigbleibenve Starlet 8. Was 
macht man aus ihr? 


Das Kochſalz. 


1. Bas if das Salz? 2. Woraus gewinnt man bafielbe? 3. Mas 
erbalten viele Speifen durch Beimifhung des Salzes und wie werden fie 
dadurch? 4. Wovor werben viele Speifen (nenne einige) dur Einſalzen 
geſchutzt? 5. Kür welche Thiere ift das Salz unentbehrlih *_ 6. Welde 
Farbe hat das Koch⸗ und welche das Viehſalz? 


134 Die neueften Erjcheinungen auf dem 


Das Mefler. 


1. Was ift das Mefler ? 2. Bon wem wird das Meffer verfertigt ? 
8. Woraus beftebt dafielbe? 4. Aus welchen Stoffen tft vie Klinge und 
das Heft gemaht? 5. Wozu braudt man das Mefler? 6. Wie muß es 
daher aud fein? 7. Nenne einige Arten von Mefiern. 


Die Arbeit der Verfafler ift im Ganzen brauchbar, feßt jedoch voraus, 
daß der Lehrer Geift und Leben vor Mechanismus und Langweiligleit zu 
bewahren wiſſe. 


12. Dr. Mar Müller's Bau-wau-Theorie und ber Urfprung ber 
Eprade. Ein Wort zur Derfländigung an ben SBerausgeber ber „Bor- 
Icfungen über bie Wifſenſchaft ber Sprade.” Bon Dr. Ehriſtopb Sottl. 

Voißtmann, Brofeffor im Coburg. Leipzig, Berlag von Bernhard Schlicke, 
1865. 8. VIII n. 173 ©. 1} Thlr. 


Das Bud des Dr. Müller wurde in vorvorigem Jahrgange eingehend 
befproden und dürfen wir daher unfere Lefer zunächſt auf diefe Beſprechung 
verweijen. 

Die Frage nach dem Urſprunge der Sprache iſt alt und ſchon oft an⸗ 
geregt; Herder bat in neuerer Zeit das Intereſſe für deren Loͤſung wieder 
aufgefriſcht. — Zwei Theorien find zur Löfung dieſes Problems haupt⸗ 
jählih aufgeftellt und erörtert worden, welhe Müller der Kürze wegen bie 
Bau⸗w wau (Nahahmung des Hundegebelld) und Bah:pah (Interjection) 
Theorie nennt. 

Der eriten zufolge find bie Wurzeln der Sprache Nahahmungen von 
Lauten, der zweiten zufolge find fie unwilllürliche Interjectionen. Die erfte 
Theorie war bei den Philoſophen des achtzehnten Jahrhunderts ſehr popu= 
lär. Es wird demnach angenommen, daß ber noch ſtumme Menſch auf die 
Stimmen der Vögel, Hunde, Kühe, den Donner des Gemitterd, das Braus 
fen des Meeres, das Säufeln des Laubes ıc. gehorcht und dann verfucht 
babe, diefe Töne nahzuahmen. Indem er dann feine den Naturtönen nad: 
gebildeten Laute für die Bezeihnung der Gegenftände, von welchen jene 
Zöne audgingen, braudbar fand, verfolgte er biefen Gedanken weiter und 
arbeitete fih die Sprache aus. . 

Es wird nun in der vorliegenden interefianten Schrift gezeigt, „daß 
bie Tonnahahmung — fogenannte Onomatopoieia — als Bau⸗wau⸗Theo⸗ 
rie, d. 5. fo allgemein gefaßt, mie Prof. M. Müller e8 thut, zur Erflä- 
rung des Urjprunges der Sprache allerdings zwar völlig unzureichend if, 
daß aber mit M. Müller die Tonnachahmung bei der Frage nad dem Ur: 
fprunge der Sprache für die Löjung bderfelben für überflüffig zu halten, 
oder ganz zu verwerfen, viel zu weit gehen, und das Rind mit dem Babe 
ausfhütten beißt. Es wird vielmehr bewiefen, daß beftimmte Natur: 
laute neben beftimmten Naturgefegen die einsigen äußeren Factoren 
find, die für den Urfprung der Spradhe in Betracht kommen und das 
dunkle Raͤthſel Iöfen können. — 

Es kann nicht Aufgabe des Jahresberichts fein, auf die erwähnte Trage 
jelbft einzugehen oder dem gelehrten Verfaſſer der vorliegenden Schrift in 








Gebiete des deutſchen Sprachunterrichts. 135 


feinen Beweifen und Deductionen zu folgen. Unſere Leſer wiflen nun, was 
fie von Hm. Boigtmann’s Arbeit zu erwarten haben, und wer ſich für ders 
artige Speculationen intereffirt, möge ſich das gut ausgeftattete Buch kau⸗ 
fen. Wenn er nad) deſſen Lectüre auch in der Hauptfache keineswegs alle 
Zweifel und Dunkelheiten gelöft fieht, fo wird es ihn doch jedenfalls in 
wiſſenſchaftlicher Beziehung fördern und ihm namentlih in etymologijcher 
Hinfiht und in Betreff der Verwandtſchaft der Spraden mande ebenfo 
Ihäsbare als belehrende Aufichlüfie geben. 


13. Das Wefen ber Lautfhrift. Zur Begrüßung ber 15. allgemeinen 
deutfchen Lehrerverfammlung zu Leipzig von Dr. K. Ganis, Oberlehrer au 

der Realſchule in Leipzig: Weimar, Berlag von H. Böhlau, 1865. gr. 8. 

46. 8 Sgr. 

Der Verf. will durch feinen anziehenden Vortrag dazu mithelfen, daß 
bie allgemeinen Grundſätze für die Verbeſſerung unferer Orthographie ges 
prüft und feitgeftellt werden. Ein Grunpfaß, der phyſiologiſch-pho—⸗ 
netiſche, ift es deshalb, den er in feinen GConfequenzen zur Grörterung 
bringt, weil diejer ihm ver erfte und michtigfte zu fein fcheint und außer- 
bem eine zufammenbängende Erwägung noch nicht gefunden hat. 

„Jeder Glementarlehrer, jagt er S. 35, der bei den Anfangsgründen 
des Lejens und Schreibens auf die Laute zurüdgebt, weiß ed, wie fehr 
durch jede Incongruenz zwiſchen Laut und Schrift feine Thätigleit. erſchwert 
wird, und die Berfuche, die Schreibweife der Deutſchen zu verbeflern, ha⸗ 
ben darum bei den Volksſchullehrern fo viel Intereſſe gefunden, weil Alle 
aus Erfahrung willen, daß hauptſächlich die Inconſequenz der Schrift und 
das Mißverhaͤltniß zwiſchen Laut und Schrift die Schuld davon tragen, 
daß der größte Theil der Zeit des Unterrichts in der deutſchen Sprade 
mit orthographiichen Dingen zugebracht werben muß.” 

Wir werden ſchon durch diefe treffende Bemerkung auf das Ideal der 

Rechtſchreibung, welches dem Verf. vorfchwebt, hingewiefen. Gr jagt bar: 
über: „‚Diejenige Schreibung ift Nechtfchreibung, welche die Aufgabe ber 
Särift überhaupt erfüllt, welche die Laute des Wortes nah Qualität und 
Quantität genau wieder gibt, oder melde reine Lautſchrift ifl. Jede 
andere Aufgabe, die man der Schrift ſonſt ftellen und wonad man den 
Begriff der Rechtſchreibung beftimmen mag, ift ihr fremd. Alle biftorifchen, 
grammatifchen, logiſchen Principien, durch die man die Schreibung zu be: 
ſtimmen verſucht, haben nicht? mit dem Weſen und der Aufgabe der Schrift 
zu thun, find ihe völlig fremdartige Dinge. Wir willen wohl, daß dieſer 
Begriff der Orthographie ein Ideal iſt, ein Seal, dad Jedem, der bie 
Sprache eines Volles zuerit in Schrüftzeihen zu faſſen verſucht, vorjchwebt, 
ein deal, das, da jede lebende Sprache im ewigen Flufle der Veränderung 
fi befindet, nimmer erreicht werden kann, das aber demungeacdtet, wenn 
die Schrift nicht "zur Hieroglyphe werden foll, fortwährend angeftrebt mer: 
den muß. Jede Schreibung ift nur infofern Rechtſchreibung, als fie dieſem 
Ideale ˖ ſich nähert ; jede Verbeſſerung der Rechtichreibung muß dieſes Ideal 
zu verwirklichen ſuchen.“ 

Unſere Leſer werden hieraus entnehmen, was ſie im Weſentlichen von 
dem Vortrage des Hrn. Verfaſſers zu erwarten haben. Cr bietet eine Fuͤlle 








136 ‚Die neueſten Erſcheinungen auf bem 


von ebenfo geiftreihen als treffenden Anfihten und Reflerionen und wird 
jeden bentenden Lehrer vom Anfange bis zum Ende gleichmäßig fefleln. Im 
‚engen Rahmen find bier die Mejultate gründlicher Forſchungen und ernften 
Nachdenlens zufammengedbrängt. Als näherer Beleg hierzu möge noch die 
fpeciele Jubaltsanzeige folgen: 

1. Lautſprache und Arten der Schrift. 2. Aufgabe der Lautſchrift im 
Allgemeinen. 3. Qualität des Lautes. 4. Duantität des Lauted. 5. Ber: 
änderung der Qualität des Lautes durch feine Ouantität. 6. Wirkung der 
Quantität der Vocale auf die der Confonanten. 7. Schriftlihe Bezeich⸗ 
mung ber Qualität des Lautes. 8. Schriftliche Bezeihnung der Duantität 
des Laute. 9. Werth der Lautfhrift. 10. Allgemeinheit der Lautfchrift. 
11. Begriff und Ideal der Orthographie. 


14. Regeln für bie beutfhe Orthographie und Interpunktion, 
ausgearbeitet im Auftrage des pädagogiſchen Vereins hierſelbſt. Bromberg, 
1865, Berlag der M. Aronſohn'ſchen Buchhandlung. ML. 8. 20. 2 Gyr 

Der pädagogifche Verein in Bromberg hat eine Commiſſion erwählt, 
weldye ein kurzes Regelbuch für die Ortbograpbie und Interpunktion ent⸗ 
werfen folltee Das Refultat der Arbeit ift vorliegendes Heften, an mel: 
ches die Hoffnung gelnüpft wird, daß es einen Heinen Beitrag zur Gleich: 
foͤrmigkeit in der deutſchen Rechtfchreibung liefere. 

Das Unternehmen war jedenfalls ein nüßlihes und nachahmenswer⸗ 
thes; die Ausführung felbft befchräntt fih zwar nuf auf dus Nöthiofte, 
wird aber immerhin dem wichtigen Zwede foͤrderlich fein. 


15. Die Formenlehre der neuhbochdeutſchen Schriftſprache. Bon 
Dr. Zheodor Klotzſch. Leipzig und Heidelberg , Berlag der Winter’fchen 
Buchhandlung, 1865. gr. 8. XIV und 143 ©. 20 Sgr. 

Der Berf. jagt in der Vorrede felbft, daß er weit davon entfernt fei, 
ben Lehrern etwas Neues bieten zu wollen, und daß fein Werlchen nur den 
Bmed habe, das aus dem unermeßlichen Schatze unferer gegenwärtigen 
Sprache mit Fleiß und Sorgfalt zu fammeln, was dazu dienen kann, das 
Verſtändniß der Formen und die Weberfiht über die Geftaltung unjerer 
neuhochdeutſchen Schriftiprache zu erleihtern. Das Bud verfolgt biernady 
zunächſt den doppelten Zweck, Denen, weldye deutfhe Sprache zu lehren 
haben, ein praktisches Handbuch zu fein, und Denen, welche die deutjche 
Sprade lernen mollen, als ein überfichtlihes Hülfsbuch zu dienen. 

Wir können diefem nur hinzufügen, daß der Verf. feinen Zwed mit 
Sadlenntniß und guter, das praftiihe Moment berüdfichtigender Auswahl 
verfolgt und ein brauchbares Buch geliefert hat. Nur ftellen wir anbeim, 
ob es nicht zwedmäßig geweſen wäre, auch Einiges aus der Satzlehre 
und Wortfolge im BZufammenhange zu geben. Ausländern, auf 
melde ja aud gerechnet wurde, dürfte damit gedient fein. 

Die Ausftattung ift ſehr gut. 


16. Dentſches Sprachbuch für die erfle Klaffe der Secundarſchulen auf 
Grundlage des neuen zürcheriſchen Lehrplans bearbeitet von U. Wieſendan⸗ 


ger. Zürich, Drud und Berlag von Friedr. Schultheß, 1864. 218 
‚in 8 13 Sgr. 








Gebiete des deutſchen Sprachunterrichts. 137 


Deutides Sprachbuch für Die zweite ‚Rtafie ber Secundarſqhulen, von 
demſelben Verf. 1865. 316 ©. 15 Sgr 

Das vorliegende Buch fol ein Seprmittel jein, welches den gefamm- 
ten Unterrichtsftoff für die deutſche Sprade in ſachgemäßer Gliederung ent- 
hält. Ein bloßes Leſebuch, das nicht NRüdfiht nimmt auf die fchriftlichen 
Arbeiten der Schüler Tann bei aller fonftigen Vortrefflichleit nie dem Schul⸗ 
bevürfnifje ganz entfprehen. Die vorliegende Arbeit enthält demnad einen 
Berfuh, die Schullectüre mit den fchriftlichen Arbeiten der Schüler in’ ven 
naturgemäßen Zuſammenhang zu bringen. 

Die beiden Theile des Buches enthalten nun eine große Anzahl fin 
fenmäßig georbneter Lefeitüde in Proja und in poetiiher Form, an welche 
fh mehrfach Aufgaben für den ſchriftlichen Gedankenausdruck anreihen. Auch 
einzelne Entwürfe zu Auflägen find gegeben. Den Schluß eines jeden 
Iheiles bildet die Grammatil, das beißt, eine Auswahl und Zufams 
menſtellung deſſen, was für jede Klafle angemefien erfcheint. Die deutſche 
Grammatik ift hierbei auch mit der franzöfifchen in vergleichende Beziehung 
gebracht. Kür Secundarfchulen, melde belanntlih über das Ziel ver Ele 
mentarfchule hinausgehen, wird das Werl ein geeignetes Hülfsmittel beim 
Unterrihte fein und mande recht gute Aufgaben bieten. 


17. Praktiſche deutſche Sprachlehre für Volksſchulen von H. Wegener, 
Lehrer in Gr. Lobke. Hildesheim, 1865, Verlag der Fincke ſchen Buchhand⸗ 
lung. 8. VIII und 85 ©. 14 Sgr. 

Der Verf. jagt in dem Vorworte: Die Sprache erlernt ſich keines⸗ 
wegs blos durch die Grammatik; jedoch ohne diefe geht's auch nicht. Meiner 
Meinung nah ift ein Dreifaches nöthig: Grammatit, — münblide und 
ſchriftliche Uebung, und Leſen guter Stüde, natürlih im Geſichtskreiſe der 
Boltsfhule. Deshalb babe ich neben den DBeifpielen viele Aufgaben gegeben 
und ab und an Lefeftüde hinzugefügt. So belommt ber Unterricht Leben ! 

Weſentliche Dienfte haben bei Abfafiung des Büchleins geleiftet: ber 
praftiihe Lehrgang von Kellner und die beutihen Spradlehren von 
Jahns und Wanzenrind. 

Im Uebrigen fönnen wir au in Betreff diefes Schriftchens nur das 
iwieberbolen, was wir am Schluſſe der Anzeige des Leitfadens von Ad, 
Brintlmann fagten. 


18. Leitfaden für ben Unterricht in der beutfhen Sprade. Zum 
Gebraud (e) für Schüler vom achten Sabre an bearbeitet von Ad. Brink⸗ 
many, Collaborator am Progymmafium zu Leer. Leer, Berlag von C. Meyer. 

. VII und 119 ©. 7 Ser. 

Der Verf. will, daß der Lehrer den Dialect, die provinziellen Eigen» 
tbümlichleiten der Sprache ald den Standpunkt anjehe, von wo aus er bie 
Schüler in das große Gebiet ver Mutterſprache einzuführen bat. Je mehr 
es ihm gelingt, behauptet ex weiter, den Schüler. zum vollen Verſtaͤndniß 
der Sprache zu bringen, die er täglich hört und ſpricht, um fo ficherer 
wird er ihn auch die deutſche Literatur (?) verftehen und demnächft felber 
deutſch jchreiben lehren. 


138 Die neueften Erfcheinungen auf dem 


Zunähft if das Bud für Progyumnafien beftimmt, der Verf. wünſcht 
aber auch veflen Eingang in die Volksſchulen. Das Ganze zerfällt in 3 
Hauptabtheilungen, deren erfte Borübungen namentli unter Berüdfich⸗ 
tigung der Orthographie bietet. Der zweite, gleich dem erflen auf ein Jahr 
berechnete Theil umfaßt die Wortlehre; der dritte Abſchnitt enthält das 
Weſentliche aus der Satzlehre. Dringend empfiehlt der Verfafier überall 
fhriftlihe Uebungen ; Kreide und Schwamm, Griffel und Schiefertafel follen 
nicht viel ruben. 

Denn der Verf. den Dialect als den Standpunkt angejeben wiſſen 
will, von dem der Unterriht ausgeben fol, fo würben ſich unfere Leſer 
doch irren, wenn fie.eine methodiſche Anweifung biezu oder Proben von 
Dialecten in dem Buche fuchhten. Außer der plattdeutichen Ueberſchrift eiwer 
und wenig pafiend erfdheinenden Mordgeſchichte (die quaade Foelle) haben 
wir nichts Dialectifches finden können. 

Im Uebrigen ift das Buch eine von den Gridheinungen, wie fie uns 
jedes Jahr bringt ; bald mit dieſen, bald mit jenen größeren oder gerin- 
geren Movificationen. Es ift brauchbar in der Sand eines tüchtigen Leh⸗ 
rers, der als Lebensweder au dem Abftracten oder Mechaniſchen anſchau⸗ 
lihe Friſche und Geift zu geben verſteht. 


19. Aufgaben zur Uebung im münbliden und [hriftlihen Sprad» 
ausdrud(e) in ben mittleren Klaflen ber Vollsſchule. Kür die Hand bes 
Schülers eingerichtet. — Mit einer Anleitung für den Lehrer. Heraus⸗ 
gegeben von J. M. Caminada, Lehrer der Mufterihule in Chur. Mit 
einem Borworte von (m), Seminarbirector F. Zuberbüßler. Chur, 1865, 
Drud und Berlag von 8. Hit. 56 und 100 Seiten. reis ber Aufgaben 
für Schüler. 4 Ger. 


Neferent macht vor der Beiprehung dieſes Schrifthens zunaͤchſt dar 
anf aufmerliam, daß es der Uebung im mündliden und fchriftlichen 
Sprahausprude gewidmet if, aljo den grammatischen Unterricht ausſchließt. 

Der Berf. will den Sprachunterricht nicht vom Lefeunterrichte trennen. 
Er erwähnt daher zunädjit die Abjhreibeübungen und legt biefen 
wohl in Betreff des Rechtſchreibens, nicht aber in Hinfiht auf Sprachver⸗ 
fländniß Werth bei. Gr will das Abfchreiben daher auch auf bie unteren Klaſ⸗ 
ſen beihräntt willen. Veſſeren formalen Gewinn verſpricht ſich der Berf. 
vom Nachſchreiben, weldes die Stufe der Nachbildung vepräfentirt, 
doch aber für höhere Zwede nicht hinreiht. Hr. Caminada kann daher mit 
diefen an's Leſebuch anzulnüpfenden Mebungen um fo weniger zufrieden 
fein, als er eine Hauptbebingung für das Gedeihen des Unterrichts in ber 
Mannigfaltigleit erblidt. Diefe Mannigfaltigleit befteht nun nad 
der Anleitung des Hm. Caminada in folgenden Uebungen : 

I. Stufe. Uebungen in Beränderungen der Form. Seine Er 
zäblungen in einfahen Sägen bilden den Stoff. II. Stufe Verän⸗ 
Berungen der Form mit Anwendung von zujammengefebten Sähen. 
IH. Stufe. Auffindung des Planes von einem gegebenen Stüde. 
IV. Stufe. Anordnung von ungeorbnetem Stoff nad einen ge 
gebenen Plane. V. Stufe Entwerfung von Aufjägen nad "gegebenem 








Gebiete des beutjchen Sprachunterrichts. 139 


Plane. VI. Stufe. Gebichte, deren Inhalt in die profaifche Form über: 
tragen werben joll. 

Der Berf. hat über jede dieſer einzelnen Stufen methodiſche Winte 
gegeben, die manches Treffende und Gute bieten. 

Wenn auch die oben bezeichneten Uebungen das betreffende Feld kei⸗ 
neswegs erjhöpfen oder ganz neu find, vielmehr bereits in manden Lehr: 
gängen zur Anwendung kamen, fo ftimmen mir im: Wefentlihen doch dem 
Borworte des Directors Zuberbühler bei, welcher fie für vorzüglich geeignet 
erllärt, die Sprachkraft zu ſchärſen, das Denken zu üben und den Ausdruck 
freier zu geftalten, " 


20. Stoffe zu deutſchen Stylübungen. Eine Sammlung von Mufter- 
an ‚Entwärfen und Aufgaben für die Oberklaſſen höherer Schulen von 
. Möbus. Berliu, 1865, bei R. Gärtner (Amelang). VIII u. 280 @. 

in 8. gebeftet. r Thlr. 

Der Berf. erfennt in der Vorrede felbit an, daß an Schriften, wie 
die vorliegende, fein Mangel, meint aber, daß die vorhandenen entweder an 
Ginfeitigleit leiden, indem fie gewiſſe Hauptgattungen des Style umbeadhtet 
laflen und fich vorzugsweije auf dem Gebiete des Berftandes bewegen, fel: 
tener aus dem nicht minder reichen Quell des Gefühls⸗ und Willenlebeng 
jhöpfen, oder daß fie bei fonftiger Mannigfaltigleit eine zu geringe Aus: 
wahl bieten, — anderer Schattenfeiten nicht zu gedenken. 

Unferes Bedunkens will dieſe Entſchuldigung nicht viel jagen, ja 
fie Scheint, infofern fie auch zugleih Beſchuldigung ift, den Schriften 
gegenüber, welche der Berf. benutzt bat, ſogar wenig oder auch gar nicht 
gerechtfertigt. Sie ift eben nur ein Gemeinplap. 

Aber e3 bedarf auch einer ſolchen Entſchuldigung gar nit. Iſt das 
Buch gut, fo wird es neben den bereitö vorhandenen ähnlichen Schriften 
Ihon Anerlennung und Wege finden. Das Bedürfniß auf dem Felde des 
ſchriftlichen Gedanlenauspruds ift jo groß, mannigfah und vielfeitig, daß 
neue Schriften immerhin willlommen find, wenn aud feine derfelben allen 
Berhältnifien genügen kann. 

Das Buch des Hrn. Möhus ift gut, und fomit berechtigt. Es ent 
halt zunaͤchſt 94 Erzaͤhlungen, Beichreibungen, Schilderungen und Charak⸗ 
teriftilen,, meiftens aus muftergiltigen Schrüfftelleen entnommen. Hierauf 
folgen 40 Betrachtungen, Gntwidelungen und Abhandlungen, gleichfalls aus 
Mufterjhriftftellern entnommen. — Daran reiben fih 115 Gebantenfloffe 
und Dispofitionen, meiftend aus den Schriften von oft, Bed, Cholevius, 
Viehoff, Herzog, Kellner u. A. entlehnt. Den Schluß des Ganzen bilden 
über 200 Aufgaben ohne weitere Ausführungen oder Grläuterungen. 

Als den beften und praktiſch braukhbarfien Theil des Buches möchten 
wir die Gedankenftoffe und Dispofitionen anſehen; bier ſcheint auch die 
Auswahl der Themata durchweg am gelungenften. Dagegen finden fi 
unter ben voraudgehenden Mufterflüden doch einzelne, die wir mit Inhalts» 
reiheren, gebiegeneren und lernigeren Stüden vertaufcht ſehen möchten, jo 
3.3. Rr. 15 6. 21 (Großartige Empfangsfeierlihleiten), Nr. 83 ©. 120, 


140 Die neueſten Erſcheinungen auf bem 


Ne. 90 Seite 129. Die empfindfame Raturbetradhtung könnte auch weniger 
vertreten fein! 
Die Ausflattung des Buches ift gut. 


21. Anleitung zum Unterridte im beutfhen Styl für Vollsfhulen 
und Kortbildungsflafien. Auf Grund ber reprobucirenden, collectiven unb 
probueirenden Thätigleit. Bon Dr. &. F. Lauckhard, Großherzoglich Säch⸗ 
ſiſchem Oberſchulrath. Weimar, Verlag von H. Böhlen, 1864. 8. VI und 
186 Seiten, 18 Sgr. 

Das Boah zerfällt in einen allgemeinen, mehr tbeoretifivenden 
und einen befonderen, vorwiegend praltifhen Theil. Der erftere gebt 
bis Seite 82 und nimmt demnach faft die Hälfte des Ganzen ein. Der 
zweite Theil gibt Aufgaben für die Elementar⸗, Mittels, Ober: und Yort: 
bildungsllafle.e Aus diefer Delonomie des Buches läßt fi ſchon entnehmen, 
dab es Fein Aufgaben: Magazin ift, und daß fi bieienigen Lehrer 
taͤuſchen würden, welde ein folches erwarten. Der Accent liegt wefentlid 
auf der Methope. 

Mie gewöhnlich, redhtfertiget der Verf. auch die Herausgabe feiner An: 
leitung mit der Behauptung, daß der Unterricht im ſchriftlichen Gebanlenaus- 
drude mit den übrigen Lehrgegenftänden der Volksſchule nicht gleichen Schritt 
gehalten, d. b. noch nicht das Erforderliche geleiftet habe, und daß die Ur⸗ 
fache biervon entweder in der Methode felbft, oder doch in deren falfcher 
Anwendung zu fuchen ſei. Vorerſt weilt er darauf hin, daß man gar oft 
das Lehrobject nicht rihtig auffafle und die Aufgaben namentlich) 
nicht von denen für böbere Bildungsanftalten unterfhieve. Hiernach fordert 
er, daß man jeden Aufſatz vor allen Dingen als ein Ganzes auffafie und 
die Schüler an diefe Auffafiung gewöhne. Namentlich gilt ihm die Er⸗ 
Ienntniß und Auffafiung des Hauptſatzes oder Hauptinhaltes einer jeden 
Arbeit für durchaus nothwendig, indem fie fidher zurecht führt und bei 
einiger Uebung Luft und Liebe zur Ausarbeitung ſchafft. 

In Betreff des Lehrverfahrens unterfcheidet der Verf. drei Arten von 
Uebungen, nämlih reprodbucirende, producirende und collective. 
Die erftere bat den Zweck, einen vorhandenen. Stoff, ein Leſeſtück, wenn 
es nad feinem Inhalte oder Zuſammenhange aufgefaßt ift, in kürzerer oder 
ausführlicherer Form fchriftlich darzuftellen, die legtere, über ein gegebenes 
Thema eine fchriftliche Ausarbeitung, einen Auffag zu maden. Bei beiven 
Arten der Thätigkeit des Schülers ift die Feftitellung des Hauptgedantens 
oder Hauptinhaltes vor der Ausarbeitung ein weſentliches Exrforderniß. 
Der Berf. ſchaͤrft hieneben ein, daß das Reproduciren ein münbliches und 
ein fchriftliches fein Kann und fol, und daß man das erftere viel öfters 
benugen müfle, als gewoͤhnlich geſchieht. 

Die producirende Thatigkeit bat das Eigenthümliche, daß bie eins 
fhlagenden Borftellungen, Begriffe und Gedanken nicht gegeben, ſondern 
vie Dinge und Berhältniffe nur genannt find, das Thema allein gegeben 
ft. Die Gedanken müfjen gefunden und in Zuſammenhang gebracht, da⸗ 
neben aber aud fürs Intereſſe am Gegenftande geforgt werden. 

Da jeboh dem jo wichtigen Lehrgegenftande mancherlei Hindernifle 
entgegen treten, welde theils im Schüler, theild im Lehrer und in fonftigen 








Gebiete des deutſchen Sprachunterrichts. 141 


bemmenden Berhältnifien liegen, fo glaubt der Verf. nody ein Lehrverfahren 
in Vorſchlag bringen zu müflen, welches zwijchen ben beiden erwähnten 
mitten inne fiebt und als vermittelnder Uebergang zwifchen beiden betrach⸗ 
tet werden Tann. Er bat diefe Betreibungsart die collective Thaͤtigkeit 
genannt, weil nach derfelben durch die vereinten Kräfte aller Schüler und 
des Lehrers die Aufgabe gelöft wird und die Arbeit als Product vereint 
wirlender Kräfte zu. Stande kommt. Das Wefentliche des Verfahrens bes 
fteht darin, daß der Lehrer die aufgegebene Arbeit in der Schule unter 
der Beihilfe Aller zu Stande kommen läßt. — Hieran fchließen ſich noch einige 
praltiihe Bemerlungen, namentlich aud über die Correctur der fchriftlihen 
Arbeiten. Der Berf. empfiehlt wechſelſeitige Gorrectur dur die 
Schüler, welder eine Selbftcorrectur vorausgehen und dem Einzelnen 
dadurch erleichtert werden foll, daß einige der muthmaßlich befleren oder 
mittleren und ſchlechteren Auffäge laut vorgelefen und befprocdhen werben. 

Mir haben im Obigen den Gang und die Anfihten des Herrn Berf. 
zumeift mit deflen eigenen Worten wiedergegeben und fomit den Lefer in 
den Stand geſetzt, felbft zu urtbeilen. Uns will es fcheinen, als ob der 
theoretifche Theil zu Gunften des praltiihen hätte kürzer gefaßt werben 
lönnen, und daß hierdurch die Deutlichleit nicht gelitten haben würde. 
Was die drei Stufen anlangt, fo würden wir die collective als eine 
durchaus nothwendige betradhten, dagegen die producirende hauptfſaͤchlich nur 
auf die DOberllafien befchränten. Es will uns aud feinen, als wenn die 
Unterfheidung der einzelnen Stufen nicht ganz fireng und klar bezeichnet‘ 
und durchgeführt worven fei. Die Aufgaben des praftifchen Theiles lehnen 
fih zumeift an das im Großherzogthume eingeführte Leſebuch an und find 
gut gewählt, wie denn überhaupt die ganze Schrift des Herrn Verf. anregt 
und belebrt. 


22. Die Grammatil in ber Boltsfhule Bon. J. Haug, Seminar- 
Oberlehrer in Gmünd, und F. 3. Hoos, Schullehrer in Hobenberg. 
Ravensburg, Beriog ber Dormihen Buchhandlung, 1865. gr. 8. IV. und 
74 Seiten. 12 Sgr. 

Das Schriften zerfällt in 2 Abtheilungen, deren erfte fi über vie 
leitenden Grundfäge und die Sichtung des Stoffes ausspriht, — deren 
zweite die Perarbeitung des Stoffes und die Vertheilung veflelben auf 
drei Mafien bietet. Der zweite Abjchnitt wurde vom Lehrer Hoos, ber 
erfie vom Oberlehrer Haug bearbeitet. 

„Man tft jest faſt allgemein der Anfiht, heißt es im eriten heile, 
daß in ver Volksſchule der Sprachunterricht von dem Sachunterricht nicht 
zu trennen iſt; daß die Volksſchüler durd den Gebraud der lebendigen 
Sprache felbit, alfo durch Uebung im münblihen Unterricht, am Leſebuch, 
bei ihren Auffchreibungen zu befähigen find, ein fchlichtes Hochdeutſch zu 
verftehen, und fib darin mündlich und ſchriftlich einfach und correct auszus 
drüden.” — 

Die Spradlehre fol demnach nicht Selbitzwed fein, fondern rein 
praktiſchen Bmweden dienen, und es fragt ſich demnädft, welde 
Regeln und befonderen Belehbrungen aus der Grammatik in 
er Volksſchule nicht zu entbebren find?! — 


142 Die neuelten Erjcheinungen auf bem 


Der Verj. weit vorerfi darauf bin, daß bie preußiſchen Regulative 
leine theoretische Kenntniß der Grammatik von den Kindern fordern, daß 
Sem.Director Bod und Paſtor Bölter, ebenfo wie Bumüller und 
Shufter das grammatiihe Material möglichft (auf ein Minimum) bes 
ſchraͤnken, daß jedoch andere Methodiler, . B. Ohler, der alten theore⸗ 
tiſchen Grammatik die Schulthüre weiſen, diefelbe aber in ihren fpeciellen 
Lehrgängen wie zu einer Hinterthür wieder bereinlaffen. 

" Die Frage: Was foll aus der deutſchen Grammatik in 
der Bollsfhule gelehrt werden? ift nah der Verf. Meinung bier: 
nah nod eine ofjene und deren Beantwortung Zwed der Schrift. 

Ehe die Antwort verjuht wird, bemertt Herr Haug, dab er als Se 
minarlehrer noch keine Gelegenheit gehabt babe, Kinder zu unterrichten, 
ein Geſtaͤndniß, was allerdings ſehr auffallend Eingt und bejondere eigene 
Erfahrungen nit vermutbhen läßt. Doch führt Herr Haug als ſolche an, 
dag er vielen Schulprüfungen beigewohnt, durch dieſe jedoch nicht die Ueber: 
zeugung babe gewinnen können, daß das vorgenommene Grammatilalische 
ziemlih mehr ale Gedaͤchtnißwerk fi. Man mag dies gugeben, zugleich 
aber auch entgegnen, daß fich diefelbe Erjcheinung auch bei anderen Unter⸗ 
rihtögegenftänden finden fünne, und daß hiernach vorerft zu ermitteln ſei, 
in wie weit Trägheit oder Ungeſchick des Lehrers dabei mitwirfen. benfo 
mödhte man den Vorwurf, daß viele Methobiler theoretiih Einſchraͤnkung 
der Grammatik predigen und praltiich wieder ihre Predigt vergellen, bamit 
entihuldigen können, daß die Schulen gar mannigfaltig in ihrer Einrichtung 
und ihren Bedürfnifien find, weshalb das Streben Allen zu genügen, leicht 
eine Stofffülle beranlaßt, die unter gewiflen Berhältnifien geradezu ſchädlich 
wirt. Dem jei aber, wie ihm wolle, immerhin ift es ebenjo wichtig, als 
nüßlih, jene Frage gründlich zu erörtern. Die Verfaſſer haben gu diejem 
Zwede wejentlih den „negativen Weg eingefhlagen, indem zunädhft 
feftgeftellt wird, was von der Grammatit nit in die Volksſchule gehört, 
alfo ausgeſchieden werden muß. Ob es hierbei nicht befier gewejen wäre, 
diefe Ausſcheidung mit fpecieller Beſchraͤnkung auf die Landſchule vor: 
zunehmen, jtellen wir anheim. Uns möchte dieſe Beſchraͤnkung um fo ge 
rechtfertigter erjcheinen, als, wie ſchon angedeutet, die Vollksſchulen nad 
Dertlichleit und Ausdehnung fehr verfchieden find und demnach auch ver: 
fchiedene Bedürfnifie haben. Cine 3Haffige Elementarſchule in einer etwa 
noch gewerbfleißigen Stadt, aus der die Knaben mohl gar in eine höbere 
Unterrihtsanftalt übertreten, mag immer noch Volksſchule bleiben; — aber 
fe wird im wiſſenſchaftlichen Unterrichte doch entſchieden höher gueifen 
müflen, als die einklaſſige Landſchule. Referent ijt in feiner Volks⸗ 
ſchulkunde (5. Aufl.) bemüht gewefen, dieſen Verhältnifien und Abftufungen 
auch im Sprachlichen Rechnung zu tragen. 

Wir nehmen indeflen an, daß Herr Haug vorzugsweiſe Landſchulen im 
Auge hat und billigen daher auch die beim Ausſcheide-Prozeß beftimmende 
Frage: „Fordert das Sprachverſtändniß oder der mündlide 
„und namentlih fohriftlide Ausprud dieſe oder jene 
„grammatilalifde Belebrung unumgänglich?“ — 

Herr Haug folgt nun bei feinen ferneren Augeinanderjegungen dem 


Gebiete des deutſchen Sprachunterrichts. 143 


Gange der gewöhnlichen Sprachlehren, und wir können ihm bei jeinem 
AusiheivesProzefie im Ganzen genommen mit Zuftimmung folgen, natürlidy 
unter der erwähnten Borausjegung, daß er einfache Landſchulen im Auge 
hatte. Obgleih wir uns überzeugt haben, daß Ainaben von 13 bis 14 
Jahren unter der Leitung eines tüchtigen Lehrers ſelbſt ſehr ſchwierige Satz⸗ 
gänge mit Sicherheit und vollem Verſtändniſſe zergliederten und durch ſolche 
Uebungen ofienbar an Denb und Sprachfertigleit gewonnen hatten; jo find 
wir body mit den vom Derf. angegebenen desfallfigen Beichränlungen im 
Mefentlihen einverftanden. Nur möchten wir darauf kein fo befonveres 
Gewicht legen, daß in Betreff der Saplategorien oft Verſchiedenheit 
der Anſichten herrſcht. Das sub judice lis est, gilt in gar vielen 
Rapiteln der Spradlehre 3. B. auch in der Orthographie. Oft lünnen 
beide Streitende Recht haben, und immerhin werben dur die Erwägung 
Denkt: und Sprachfertigkeit gefördert. 

Wie die I. Abtbeilung des Büchleins unfer Intereſſe erregt und im 
Ganzen unfere Zuftimmung erworben bat, jo auch die zweite, praftiihe Abs 
theikng. Wir haben das empfehlenswerthe, gut ausgeftattete Schriftchen 
mit jener Befriedigung aus der Hand gelegt, die man nad einer Unter: 
baltung mit denkenden praftiihen Männern zu empfinden pflegt. 


23. Aufgabenfammiung für ben Unterridt in ber beutfhen 
Sprache, georbnet nad 3 Lehrfiufen. Bon Hermann Franke, Lehrer 
im Weimar. Weimar, Verlag von. 9. Böhlau, 1864. 8. 4 Bar: 


Die Aufgaben find nad den brei Klaſſen der Schulen (Unter:, Mittel 
und Oberklafie) zufammengeftellt, ohne daß die eine oder andere ‚ver beiden 
oberen Abtbeilungen eine Wiederholung oder Befefligung des Früheren aus: 
ſchließt. Das Ganze Inüpft fih an die früher bereits erjdienenen Mate: 
tialien bes Verfaſſers und bietet auch Stoffe zu Dictaten. Die Uebungen 
ſind finfermäßig, zumeift nach Maßgabe des grammatiſchen Syſtems, georbnet 
und berüdjichtigen vielfah auch die Orthographie. Das Büchlein bietet 
neben Vielem, was den Schüler geiftig anregt und zum Sprachverſtändniſſe 
und zur Spradjfertigleit führt, auch Mandes, was eben nur dem Mecha⸗ 
nismus ftiller Beichäftigungen dient, ift aber doh im Ganzen genommen 
brauchbar und empfehlenswerth. 


24. Entwürfe zu beutfhen Auflägen und Reden nebft einer Einleis 
tnng, enthaltend das Wichtigfte aus der Styliſtik und Rhetorik fiir Gym⸗ 
naflen, Seminare, NRealihulen und zum Selbſtunterrichte von Joſeph 
Kehrein, Seminar-Director ꝛe. zu Montabaur. Bierte, verbefierte und 
nermebrte Auflage. Paderborn, Berlag von Ferdinand Schöningh, 1865. 
gr. 8..X und 314 Seiten. 24 Ser. 


. Das Buch ift bereit durch fein viertes Erfcheinen genugſam gerichtet. 
Es ift eine der veichhaltigften Stofffammlungen, die wir lennen, ausgezeich⸗ 
net Durch richtigen Takt in der Wahl und durch zwedmäßige Anordnung 
des Stoffes. Daß dabei die ethifche Seite, das Berhältniß des Menſchen 
zu Gott, zu feinen Mitmenſchen, zur Natur, überhaupt das Chriftentbum 
mit feinen Lehren, Pflihten und Belohnungen mehr berüdfichtigt it, als 
Lies in. den meiſten äbnlihen Magazinen der Fall, geweiht dem Buche 


144 Die neueiten ‚Erjcheinungen auf dem 


zum befonberen Verdienſte. Auch die Ginleitung über Styliftik und Rheto⸗ 
rit gibt kurz, aber gründlich und anziehend das Wichtigfte zur Sadye, und 
ift für Lehrer und Schüler gleih nüglihd. 

| Der Herr Berfafler bat gute Quellen benupt, wie joldes bei feiner 
umfafienden Kenntniß der Literatur nicht anders zu erwarten war; aber er 
bat auch niemals unterlafien, diefe feine Quellen gewiſſenhaft anzugeben, 
was um jo mehr hervorgehoben zu werben verdient, je feltener ein ſolches 
Berfahren zu werben fcheint. 

Beſonders glüdli tft der Berf. in der Auswahl der Broben zu ein 
zelnen Gattungen der profaifhen Darftellung (II. Abtbeilung) gewejen, und 
fefielt diejer Theil auch ſolche, die nicht gerade eines Entiwurfes oder Thema’s 
zum deutſchen Aufſatze benöthiget find. 

Die äußere Ausftattung ift dem guten Inhalte angemefjen, der Preis 
biernady billig zu nennen. 


25. Die dentſche Sprade. Line nad methobifhen Grunbfägen bearbeitete 
Grammatik für böbere Lehranftalten und zum: Gelbfiunterrichte von Ed, 
Wesel und Fr. Wepel, Lehrern in Berlin. Zwei Theile in einem 
Bande. Berlin, Verlag von X. Stubenrand, 1865. gr. 8, XVI unb 403 
Geiten. 27 Sgr. 


Eine umfangreihe, nicht gemöhnlihe Arbeit zweier thätiger Lehrer. 
Die Berf. machen zunähft darauf aufmerlfam, daß in ben meiften Lehrob: 
jecten Lebrbüher und Leitfäpen vorhanden find, nad welchen das Unter 
rihtömaterial auf die verjchiedenen Stufen vertbeilt werden Tann, daß 
folhes aber gerade für den Unterricht in der deutfhen Sprade, foweit der» 
felbe höhere Lehranftglten angeht, meiftens nicht der Fall il. Hieran knupft 
fih ſodann der Nachtheil, daß auf ganz verfhiedenen Stufen fait derfelbe 
Unterrichtsftoff verarbeitet wird. Diefer Nachtheil hat auch noch darin feinen 
Grund, daß den Zöglingen kein Buch in die Hand gegeben werben konnte, 
wonad fie beflimmt memoriren und repetiren, oder ſich Raths erholen 
koͤnnen. 

Die vorliegende Grammatik ſoll nun ſolchem Uebelſtande durch eine 
methodiſche Gliederung des Stoffes für verſchiedene Stufen abhelfen. Der 
Natur einer höheren Schule entſprechend, in welcher eine Vorſchule, eine 
Mittelſchule und eine obere Schule unterſchieden werden muß, haben die 
Verf. den ganzen Unterrichtsſtoff auf drei Stufen vertheilt, jo zwar, daß 
die Etymologie ſich über alle drei Stufen ausdehnt, die Orthographie vor⸗ 
nehmlich der eriten und zweiten Stufe anheim fällt, bie Syntax und bie 
Interpunktionslehre aber befonders auf der zweiten und dritten Stufe zu 
behandeln find. Um die Anſchaffung zu erleichtern, ift das ganze Buch in 
zwei Theile getheilt, von denen jeder bejonvers Läuflih, Der erſte enthält 
die Etymologie und die Ortbographie, der zweite die Syntax und die Inter⸗ 
punttionslehre. Aeußerlich haben die Verf. die 8 Stufen durch verſchiedenen 
Drud und durch die Marginalbezeihnungen I., II. und II. unterſchieden, 
wobei e3 ſich von felbft verfteht, daß nicht immer jeder Paragraph alle 
diefe Nummern enthält, fondern wohl je nah feinem Inhalte die Behand» 
lung auf einer ober der andern Stufe ausfhließt. Der Wortbildungslehre 








Gebiete des deutſchen Sprachunterrichts. 145 


baben die Verf. befondere Aufmerkſamkeit gewidmet, meil fie mit Necht 
glauben, daß dieſer oft vernadläffigte Zweig des Sprachunterrichtes nicht 
nur die Jugend lebhaft intereffirt, fondern au auf Spradverftänpniß und 
Sprachfertigleit einen ſehr weſentlichen Einfluß übt. 

Wir haben in diefer Spracdlehre, wie fchon oben bemerkt, keine ge- 
wöhnliche Yabrilarbeit, keine Fruͤhgeburt fchulmeifterlicher Eitelfeit vor uns. 
Die Verfaſſer haben über ihre ſchwierige Aufgabe reiflih nachgedacht und 
die Refultate ihres Nachdenkens mit der Erfahrung verglihen. Doc glauben 
wir bei aller Anertennung darauf aufmerkjam machen zu müflen, daß vie 
Vertbeilung des Stoffes auf drei Stufen in den meilten Fällen ſchwerlich 
genügen oder den thatſächlichen Verhältnifien und Bepürfnijien entjprechen 
dürfte. Auch möchte das Nebeneinander der verjchiedenen Stufen etwas 
unbequem und verwirrend fein. Wenn ferner dem erften Theile die Ety⸗ 
mologie zugemwiefen worden, fo wollen wir nicht unbemerkt lafien, daß diejer 
Begriff jehr allgemein genommen worden ift, indem man in biefem eriten 
Theile auch die gefammte Lehre von den Mebetheilen, von der Flexion und 
Rection findet. Daß die Orthographie im erften Theile ald Anhang und 
ganz jelbitftändig bingeftellt worden, bat auch feine Bedenken, und dürfte 
ed methodiſcher geweſen jein, fie theilmeife ind Ganze, aljo in bie Etymo⸗ 
Iogie, in die Lehre von den Wortarten, von der Flerion der Rection 
x. einzufügen, fodann aber erft das Ginzelne kurz und überfihtlich zuſam⸗ 
men zu ftellen. 

Die Berf. geſtehen felbft zu, daß fie Vieles, daher auch Allen Etwas 
bringen. In der That gehen fie in Manchem zu fehr ins Detail, fo 
z. B. bei der Conjugation des Verbs. Die jehs Klafien könnten be 
Ihräntt, Die Rebuplilation ganz meggelafien werben. Iſt lebtere doch im 
Neudeutihen faft ganz verſchwunden und überhaupt nur noch fo verftedt, 
daß zu ihrem tieferen Verſtäaͤndniſſe nothwendig auf das Lateinifhe, ganz 
befonder8 aber auf das Griehifche verwiefen werden muß. 

Diefe Bemerkungen follen der tüchtigen Arbeit keinen weſentlichen Ab: 
bruch thun. Referent ertennt vielmehr gern die Hare Darftellung, die im 
Ganzen gelungene, aufs Praltiſche gerichtete Auswahl, die in der Haupt: 
lade angemefiene Gliederung des Stoffes an und glaubt, dieſe Grammatif 
allen Lehrern, felbft den Volksſchullehrern empfehlen zu können. Letztern 
dürfte fie ein fehr zwedmäßiges Mittel zum Selbſtſtudium fein. 

Die Ausftattung ift recht gut, weshalb der billige Preis um fo mehr 
Anerkennung verdient. 


26. Stoffe und Entwilrfe für praktiſchen Spradunterricht in ber 
Volksſchule. Zufammengeftellt und bearbeitet von C. Ullrich, I. Haupt- 
Ichrer am Waiſenhauſe zu Kaſſel. Kaflel, 1865. Berlag von 93. ©. 
Zudharbt. gr. 8. VI und 145 Seiten. 12 Sgr. 


Schon in früheren Jahrgängen unjeres Berichtes (1861) ift ber 
Zeitungen des Berfafjerd auf dem Gebiete des Spracunterrichtes aner: 
lennend gedacht worden‘, und wir haben daher auch biefen neuen Beitrag 
mit günftiger Meinung zur Hand genommen. 

Ghe wir näher auf das Buch felbft eingehen, fei ed und vergönnt, 

Pad. Jahresbericht. XVIU. 10 


146 Die neueften Erſcheinungen auf bem 


einen originellen Paſſus aus dem Vorworte anzuführen. Der Verf. 
jagt: 

„Zwei Hinderniffe find beim Sprachunterrichte zu belämpfen: unſere 
Kurzſichtigkeit und unfere Kurzathmigkeit. NKursfichtig find wir, 
denn es fehlt unferem geiftigen Auge fo oft der pfychologiſche Blick, alfo, 
daß mir über dem Object fo leicht das Subject, den Schüler in deſſen 
leiblicher und geiftiger Entwidelung, in feiner organifhen Entfaltung außer 
Augen lafien, während doch nur unter der Borausjegung, daß auf Grund 
dieſer pſychologiſchen Erkenntniß das ganze Unterrichtsmaterial gefichtet und 
Iharf begrenzt wird, das Ideal: lebendige Wechſelwirkung, ge- 
treue, auf ®egenjeitigleit gegründete Dienftleiftung von 
Gefammtnnterricht und Sprache — zu erreihen flieht. And bie 
Rurzathmigleit, — ſowohl die der Producenten als au ber Gonfumenten, 
— ter wollte diefelbe in Abrede ftellen? Wie kommt es, dab ſich bie 
Literatur auf dem Gebiete des methodiſchen Sprachunterrichtes fo auffallend 
mehrt? Weil Jeder, in deſſen Kopfe eine neue Idee auftaucht ober dem 
die Praris eine friihe Manier zuwirft, alsbald den Fund der Allgemein: 
beit darbietet, was ja an und für ſich nicht zu tadeln wäre, wenn nicht 
die Cinzelidee anſpruchsvoll für das verlörperte Ideal fih bielte, und wenn 
nicht jo viele Käufer lebenslang fih daran genügen ließen. Rein! fo 
wenig die Könige, die aus Munificenz für den Kölner Dombau gefchentten 
prächtigen Fenſter für den Dom felber halten, ebenfo wenig dürfen Schrift 
fteller und Lehrer auf einem fo unfertigen Gebiete, wie dem der Methodik 
des Spradhunterrichtes glüdlihe Gedanken und geſchickte Manieren für ein 
untrügliches Syſtem ausgeben und anfeben; wir wohnen ja bis dahin nur 
in proviforishen Hütten, und wenn der eine oder andere fein Fenfterchen 
mit einer wilden Rebe umkraͤnzt bat, fo muß mit der Entblätterung die 
Illuſion fterben.” | 

Mas hier der Verf. über die Kurzathmigkeit, wie ers nennt, fagt, ift 
jedenfalls praltiſcher und klarer, als fein brillanter Excurs über die Kurz: 
ſichtigkeit. Wer, glei dem Referenten, die Aufgabe übernommen bat, nicht 
bloß Kataloge, fondern auch die Bücher durdzumuftern, welche binnen 
Sahresfrift im Gebiete des Sprachunterrichtes erfcheinen, der wird jene Kurz. 
athmigkeit allerdings nur beftätigen können. 

Herr Ullrich liefert nun zunächſt im vorliegenden Schrifthen „Grup: 
pirte Lefeftüde,' melde inhaltlih mehr oder weniger verwandt find. 
So beitebt 3. 2. die Erfte Gruppe aus folgenden Stüden: 1) Das 
Früblingsmahl (Gedicht). 2) Des Frühlings Pflangenfhmud (Brofa). 
3) Das erwachende Thierleben im Frühlinge (Proſa). 4) Zrühlingsgloden 
(Gedicht). 5) Die Taverne (Gedicht). — An diefe innerli verwandten 
Stüde knüpfen fih nun Entwürfe für deren Behandlung, melde den Zwed 
baben, das tiefere Verſtaͤndniß zu fördern, Bergleihungspunfte zum deut: 
lihen Bewußtſein zu bringen und aud den Inhalt für die mündliche und 
Ichriftlihe Spradhgewandtheit zu verwertben. Das formell Grammatifche 
ift hierbei unberüdfichtigt geblieben. 

Lehrer und Schüler können dur foldye vergleichende Behandlung von 
Lejeftoffen nur gewinnen, vorausgejegt, daß der erflere ein Mann von 





Gebiete des deutſchen Sprachunterrichts. 147. 


Geift und Leben if. Doc Scheint ung die Mahl der Lefeftoffe und deren 
prattiihe Behandlung für gewöhnliche Volles und Landſchulen etwas zu 
hoch angelegt und zu flizzirt zu fein. 

Ein zweiter Abjchnitt des Buches gibt Sapbilder. Der Berf. jagt, 
dab die Lehrer fih oft mit Kreuz und Querfragen vergebens abmühen, 
das Berftändniß größerer Sabganzen zu erzielen, daß alsdann die Schüler 
den Wald vor lauter Bäumen nicht fehen. Er will ein beſſeres, fichereres 
Mittel bieten. „Wenn die Bimmerleute, jagt er, die Ballen, Niegel, 
Schwellen ꝛc. behauen und zugeridtet haben, bezeichnen fie die einzelnen 
Stüde zum Merkmal für die rafhe Zufammenfügung, und wenn Kinder 
aus den befannten Klöbchen einen Bau aufrihten wollen, verfinnlicht ihnen 
eine Beichnung, ein Bild das Modell dazu. Ganz ebenjo wird den Schülern 
unter einem anſchaulichen Bilde der grammatiſche Bau gebotener Säge und 
Perioden dargeftellt, Haupt: und Nebenfäge erhalten unterſcheidende Bezeich⸗ 
mung, und die Schüler werben veranlaßt, das Ganze nad) dem einen oder 
dem andern Bilde umzuformen. Sind fie dur eine Reihe von Uebungen 
bier in der Aufflellung der einfachſten Sagbilder und dem Beritänpnifle 
derjelben feftgewworden, dann findet die Anwendung derſelben auf das Leſen 
und die Anfertigung Heiner Auffäbe ftatt.‘ 

Dies Berfahren, welches wohl aub nur ald Manier bezeichnet 
werben darf, ift nicht gerade neu, und’ in der praltiihen Anwendung auf 
den jchriftlihen Ausprud zweifelhaft. Damit es einzelnen Lejern defto deut: 
licher werbe, möge ein Beijpiel des Berfaflers folgen. 

„Die lebhaften Schilderungen, welde die Tarentiner ihm von dem 
glüdlihen Leben machten, das im ruhigen Schoße ihres Vaterlandes und 
in Gejellfchaft feiner dortigen Freunde auf ihn warte, vollendeten endlich 
die Wirkung, die der gewaltfame Buftand, worin er feit einiger Beit gelebt 
batte, auf ein Gemüth, wie das feinige, machen mußte, indem fie ihm zu: 
gleih den ganzen Wiverwillen, den er nach feiner Verbannung von Athen 
gegen den Stand eines Staatsmannes gefaßt hatte, und feinen ganzen 
Hang zur Abgeſchiedenheit von der Welt und zum Leben mit fi felbft und 
mit guten Menſchen wieder gaben, welches ihm, wie er glaubte, jetzt um 
jo nöthiger war, da er fein Gemüth auch von den geringften Noftfleden, 
die von jenem ſyrakuſiſchen Hofleben zurüdgeblieben fein könnten, zu reinigen 
wuͤnſchte. (Wieland.) 


Mn 

A, a, aꝰ, A, b,b2,b, c2,b, c,d?,c, e?,ad,e?, b3,a%,b3, 
A Die lebhaften Schilderungen, 
a welde die Zarentiner ihm von dem glüdlichen Leben machten, 
a? das im ruhigen Schoße ihres Baterlandes und im Kreiſe feiner 

bortigen Freunde auf ihn warte, 
A vollendeten endlich die Wirkung, 
b bie der gewaltfame Zuſtand, 
b* worin er feit einiger Zeit gelebt batte, 
b auf ein Gemüth, 
0? wie das feinige, 
b machen mußte, 

10* 


148 Die neueften Erſcheinungen auf bem 


c indem fie ihm zugleich den ganzen Widerwillen, 

d? den er nad feiner Verbannung von Athen gegen den Staub eines 
Staatsmannes gefaßt hatte, 

c und jeinen ganzen Hang zur Abgeſchiedenheit von der Welt ıc. 
wiedergaben, 

oꝰ weldes ibm, 

I wie er glaubte, 

oe? jegt um fo nöthiger wear, 

b® da er fein Gerkütb auch von den geringften Noftfleden, 

a* die von jenem ſyrakuſiſchen Hofleben zurüdgeblieben fein könnten, 

b3 zu reinigen wünfdte. 


Erläuterung. 


A — einziger Hauptfab durch einen eingeſchobenen Nebenfag erften und 
zweiten Grabes getheilt; 

a — ein fih unmittelbar auf den Hauptfag beziehender Adjeltivſaß, 
alfo Nebenjag erften Grades; 

a? — ein den vorangehenden Nebenjag erften Grades beſtimmender Ad: 
Meltivfag, aljo Nebenjas zweiten Grades; 

b — PBeifügung zum Objelt („Wirkung“) des Hauptfages, ein ben 
Hauptfag beftimmenvder (durch ein Baar ihm untergeorbneter 
Nebenjäge zwei Mal getbeilter) Adjektivſatz, alfo Nebenjag erſten 
Grades; 

b? — Beifügung von „Buftand”, ein ſich auf b beziehender Apjeltivfag, 
aljo Nebenfag zweiten Grades; 

c? — Beifügung zu „Gemüth‘, ein b untergeorbneter, verlürzter Ads 
jektivſatz, alfo Nebenfaß zweiten Grades; 

ce — Nebenfag erften Grades. Denfelben logiſch gefaßt ift er zweites 
aa: von A (die Schilderungen vollendeten -— und gaben 
wieder); 

d? — Beifügung zu „Widerwillen“ im Nebenfab co, aljo Nebenſaß 
zweiten Grades; 

oe? — ein auf c fi beziehender Adjektivſatz, alſo Nebenjag zweiten 
Grades; 

a? — ein e? untergeorbneter Adjektivſatz, aljo Nebenfag dritten Grades; 

b3 — Ergänzung (Grund von „um fo nöthiger”), ein auf e* fih be 
ziebenvder, durch eine Einjhiebung getbeilter Adverbialjag, als 
Nebenfab dritten Grades; 

at — Beifügung zu „Roſifleden“, ein b° untergeorbneter Aojeltivfag, 
alfo Nebenjaß vierten Grades, 

Den Schluß des Ganzen bilden Stylprdben, auf ven Gegenſaß 
gegründet, und für die Oberklaſſe einer gehobenen Voltsjhule berechnet. 
Solhe vom Verf. ausgeführte Gegenſätze find: Leben und Tod, — Der 
Morgen und Abend, — Der Winter und Frühling. — Ueber die pral- 
tiſche Behandlung und Verwerthung diefer Stoffe fehlen die Fingerzeige. 

Unfer Endurtheil über das Audy geht dahin, daß es zwar gute Steffe 


Gebiete des beutjchen Sprachunterrichts. 149 


enthält, daß dieſe aber nicht genug in praktiſch⸗methodiſcher Hinficht verar: 
beitet worden find, und daß das Ganze daher noch den Eindruck des Un: 
fertigen macht. Gar mandem Lehrer wird das Buch einerfeits zu viel, 
anderntbeils zu wenig geben. Der adhtungswertbe, warm für feinen Ge: 
genftand begeifterte Verfaſſer idealiſut zu ſehr, ſowohl nad der jubjectiven 
als objectiven Seite hin. . 


Schlußbemerkung. 


Referenten iſt auch in dieſem Jahre eine Anzahl Schriften zugegangen, 
welche ſchon in früheren Jahrgaͤngen des Jahresberichts angezeigt und bes 
urtheilt, aber im Laufe der Zeit neu aufgelegt wurden. 

Wenn der Jahresberiht nicht einen unverbältnigmäßigen Um: 
fang erbalten fol, jo erjcheint es als Nothwendigkeit, ſolche neu aufgelegte 
Sähriften nur anzuzeigen und dabei auf die früher gefhehene Befprehung bins 
zuweifen. Namentlid dürfte fich diefes Verfahren alsdann volllommen rechtfer- 
figen und den Wünjchen aller Leſer genügen, wenn die neue Auflage keine w es 
ſentlichen Aenderungen erfahren hat. Wir jagen uns zwar, daß es Lejer 
gibt, welche nicht alle Yahrgänge des Berichtes beſitzen; aber ebenjo gibt es 
auch wieder Lefer, die fie ganz oder doc zum größeren Theile zu eigen haben. 
Es ift billig, auf letztere vorzugsweiſe Rüdficht zu nehmen und ihnen nicht zuzus 
mutben, das mehrmals zu laufen und zu lejen, was fie ſchon gelauft und 
gelefen baben. Ebenfo wenig kann dem Referenten auferlegt werden, nur 
zu wiederholen, was er bereit3 früher geurtheilt hat. 

Im Nachfolgenden geben wir daher ein Berzeihniß der neuaufge: 
legten ſprachlehrlichen Schriften, welde uns in diefem Jahre zu: 
gegangen, aber bereits mehr oder weniger eingehend beſprochen wurden. 


1. Des Kindes Sprach heft, oder praltifche deutſche Sprachlehre. Heraus- 
gegeben von Wilh. Friedr. Dörr, Lehrer zu Bobenheim. 3. verb. Aufl. 
Preis 8 Krenzer. Worms, 1865, Berlag von 3. M. Rable N. 8. 48 
Seiten. Siehe Jahresbericht von 1859 Geite 81. 


2. Das Leſebuch in der Mittelklaſſe. VBegleitichrift zu dem erfien 
Sefte bes deutfchen Sprachbuches von Heinr. Stahl, Lehrer an ber höberen 
Bürgerſchule zu Wiesbaden. 2. verb. Aufl. Wiesbaden, Verlag von Lim- 
back ‚ 1865. Preis 4 Sgr. 8. 28 Seiten. Siehe Iahrgang von 1860 
Seite 152. 

3. Deutihes Sprachbuch. Ale Uebungöbeit zum Lefebuche, bearbeitet von 

ar. Stahl. I. Heft. Für Mittelflafien. 2. umgearbeitete Auflage. 
iesbaden, Berlag von Limbartb. 1865. Preis 4 Sgr. 8. 88 Seiten. 
Siehe Jahresbericht von 1860 Seite 152. . 


rattifhes Handbuch für den Unterricht in beutfchen Stilübungen van 

ndiwig Rudolph, Oberlehrer an einer höheren Töchterſchule in Berlin 
3. Abtheilung. 2. Aufl. Berlin, Nicolai. 1865. 8. 340 Seiten. 1 Thir. Siebe 
Zahresbericht von 1862 Seite 143 und von 1860 Seite 116. 


5. Dentijhes Uebnugsbuch. Eine Sammlung von Mufterfiüden, Auf- 
gaben und Sprachregeln für Volloſchulen und bie unteren Klaſſen höherer 


4 


150 Die neueiten Erſcheinungen auf bem 


10. 


13. 


14. 


15. 


Säulen. Nach methodiſchen Grunbfägen georbuet und mit Berüdfichtigung 
ber von einer Kommilfton im Auftrage bes ſchweizeriſchen Lehrervereins feR- 
eftellten Orthograpbie und Terminologie. Herausgegeben von Friedrich 
173 Lehrer in Bafel. I. Heft für Unterflafien. &t. Gallen, Berlag von 
Huber u. &omp., 1864. 8. 88 Geiten. 9 .— IL Heft für Mittel» 
Hafien. 8. 154 Seiten. 13 Sgr. III. Heft für Oberllafien. 234 Geiten. 
18 Sgr. Siehe den vorjährigen Bericht Seite 118. 


. Aufgaben gu mündlichen unb fhriftlihen Spradäbungen in 


nieberbentfchen Volkeſchulen. Bon JZch. Friedr. Düder, Lehrer in Reue 
ſtadt. 4. Aufl. Neuftabt, beim Berf. u. in ber Aladem. Buchhandlung in 
Kiel, 1864. 8. 188 Seiten. Angebunden: Aufgaben zur Erzeugung unb 
Einprägung der Wortbilder, von demſelben. 2. Aufl. Neuſtadt, fiver- 
lag, 1864. 46 Geiten. Siehe Jahresbericht von 1860 Geite 115. 


. M. W. Goͤtzinger's Aufangegründe ber dentſchen Sprachlehre in Regeln 


und Aufgaben. 10. Auf Leipzig, Berlag von Hartknoch, 1865. ML 8. 
247 Seiten. 10 Sgr. Siehe Jahresbericht von 1861 Seite 155. 


Stoff zum Dictiren nach methodiſch georbneten Regeln ber beutichen 
Orthographie. Zum Gebrauch für Lehrer und Schüler an Bolle- und 
höheren Bürgerſchulen und ven ’untern Klaſſen ber Gummaflen, wie 


-auch für Erwachſene zum Gelbfiunterrihte. Bon Earl Winderlich. 2. 


Aufl. Breslan, Trewenbt, 1864. 8. 136 Seiten. 15 Sgr. Eiche Jahres⸗ 
bericht flir 1847 Seite 402. 


- Sammlung ausgeführter Stilarbeiten für Mittelllaſſen. Gin 


Hilfebuch für Lehrer bei Ertheilung bes fliliftifchen Unterrichtes in Stadt⸗ 
und Landihulen. Bon Alex. Jungbänel und 3. G. Scherz. 2. verm. 
und verbeflerte Auflage. Chemnitz, Verlag von E Fode, 1865. 8. XII 
und 132 Eeiten. 10 Sgr. Siehe Jahresbericht fiir 1862 Seite 133. 


Materialien zur Uebung im mündlichen und ſchriftlichen Gedankenans⸗ 
brude für Bollsfhulen von C. Kehr, Seminar - Iufpector in Gotha. 2. 
Aufl. Gotha, Verlag von Thienemann, 1865. gr. 8. 88 Seiten. Preis 
10 Sgr. Siehe Jahresbericht für 1860 Seite 118. 


. Die Wort- und Satzlehre ber beutfhen Sprade für untereunb 


mittlere Klaſſen höherer Lehranftalten von Werd. Schmitz, Lehrer an ber 
Realſchule I. Ordnung in Barmen. 3. Auflage. Elberfeld, Bäbeder, 1865. 
8. 64 Seiten. 5 Sgr. Siehe Jahresbericht für 1857 Seite 134. 


. Die Grundzüge ber beutfhen Grammatil. Gin Leitfaben beim 


Unterricht in der Mutterfprahe von Dr. 2. Georg, Hauptiehrer am Real- 
gymmaflum zu Bafel. 2. verbeflerte Auflage. Bafel, Verlag von Bahn- 
maier, 1865. gr. 8. VII und 72 Seiten. Preis 74 Sgr. Siehe Jah⸗ 
resbericht für 1860 Seite 113. * 


Aufgaben zu den methobifhen Stylübungen. Bon © af. 


2. Auflage. 2 Ser. 
1865 unb 1864. Leipzig, Verlag von %. Klinfharbt. Siehe Jahresbericht 
file 1863 Seite 112. 


Deutſche Sprachlehre in finfenmäßig fortichreitenden Aufgaben von U. 
Scherf, Rector in Ebftorf. 3. verbefierte Auflage. Lilneburg, Verlag von 
Engel, 1865. gr. 8. 40 Seiten. 3 Sgr. Siehe Jahresbericht für 1861 Geite 148. 


Das Nötbigfie aus der deutſchen Spradlehre für Vollsiähliler 
(verteilt in Unter, Mittel- unb Oberllafie) von Dr. G. U, Riecke. 3. 
verbeflerte Auflage. Stuttgart, H. Lindemann, 1865. g. 8. 48 Geiten, 
Preis 6 Krenzer. Siehe Jahresbericht für 1861 Seite 146. j 


Gebiete des beutfchen Sprachunterrichts. 151 


16. wege: ber dentſchen Sprachlehre für Elementarihulen von 
TR. Nohn, Seminariehrer. Braunsberg, in Commiſſion bei Eduard 
Beter, 1866. 8. 32 Seiten. 2'/s Sgr. Zweite verbeflerte Auflage. Siehe 
den vorjährigen Jahresbericht Seite 123. 

17. Kurze dentfhe Sprachlehre nach ben bewährteften Grunbfähen und 
Forſchungen; ansgeflattet mit Haffifchen Beiſpielen, mit Wieberbolungsfragen 
und einem Uebungsfelde. Gin Leitfaden zum Gebrauche in Seminaren, und 
in ben mittleren Kiafien böberer Schulanftalten ; insbefondere eine Vor⸗ 
ſchule zu tieferem Stubium in der Muitterſprache. Bon 2. Kellner. 
12. ſehr verbefierte Auflage 1866. Altenburg, Verlagsbuchhandlung von 9. 
A. Bierer. gr. 8. X und 166 Seiten. 12 Sgr. 


18. Der Sprachunterricht in feiner Begründung durché Leſebuch. 
Ein Leitfaden für den ſprachlehrlichen Unterricht in ben Mittel- und Ober» 
Haffen der Volls⸗ und Bürgerfchulen, von 2. Kellner. 11. Auflage (erſcheint 
Ende 1866). Altenburg, H.X. Pierer. 16 Sgr. 


Anhang. 


Bearbeitet von Auguſt Lüben. 


J. Spradlehrlide Schriften für Elementarjdulen. 


1. Kleine beutfhe Grammatik ohne Worte. Beifpiele, Ueberjchriften, 
Tabellen, Wörter-Berzeichniffe als Grundlagen bei dem Unterrichte in ber 
Sprachlehre. [Für Kinder in Volksſchulen. Zufammengeftellt von U. 
Stroeſe, Tonrector in Coswig. M. 8. (40 ©.) Wittenberg, U. Herrofe, 
1865. 24 Ger. 

Der Titel gibt den Inhalt des Buches treu an. „Ohne Worte‘ 
beißt: obne erflärenden Xert. Ohne Zweifel will der Verf. dadurch zu er: 
tennen geben, daß er das Hauptgewicht auf die Beſprechung der Beiſpiele 
legt und baran bie Belehrung Inüpfen will. Darin ftimmen wir ihm bei 
und wird ihm Jeder beiftimmen; aber wenn man in ſolchem Büchlein 
dem Schüler auch noch einfache Erklärungen gibt, fo bat er darin ein nicht 
zu verachtendes Material für Wiederholungen. So werben aud Biele mit 
uns denten. 


2. Sprachlehre für Volkeſchulen. Bon W. Bühler. 8. (VI und 
87 &.) Freiburg in Br., Herber’ihe Verlagshanblung. 1865. 
Die wichtigſten Regeln der Wort: und Saplehre find in gewöhnlicher 
Folge dargelegt und durch Beifpiele erläutert. Daran reihen fich zahlreiche, 
im Ganzen recht zwedmäßig geftellte Aufgaben. 


3. Lehrgang zur leihten Erlernung ber deutſchen Sprade. 
Für die Bolleſchnle angefertigt von J. Grotzfeld, Lehrer. Heit 1-6. 
12. Aachen, Heufen. Zufammen 121 Sgr. (Deft 1 vierte, Heft 2 zweite, 
Heft 3 zweite Auflage. 


Die erften fünf Hefte find im XV, und XVI, Bande angezeigt und 


m 


152 Die neuejten Erjcheinungen auf ben 


zur ftillen Selbitbefhäftigung empfohlen worden. Diefem Zwede entfpridyt 
auch das fechlte Heft, welches die Saßlehre behandelt. 


4. Leitfaden für den deutſchen Sprahunterridt in ber Bolke— 
fhule Bon Wild. Albrecht, Lehrer an ber Herzoglichen Haupiſchule 
in eölken. Dritte Auflage. 8. (VI und 140 Seiten.) CEbthen, P. Schett- 
er, 1865. 

Diefer Leitfaden enthält die Hauptregeln der Sprache und zu denfelben 
ausreichende Beilpiele und Aufgaben zur Uebung. Die dritte Auflage ift 
von der zweiten nicht mejentlich verjchieben. 


5. Sprachheft bes Elementarſchülers. Bon Bräceyter EB. u. 
Schuler, Lebrer in Stuttgart. Vierte, verbefferte und vermehrte Auflage. 
8. (48 Seiten.) Stuttgart, H. Tindemann, 1865. 3 Ger. 


Enthält hauptſaͤchlich Stoff zu Sprahübungen. 


6. Handbud der dentſchen Sprachlehre für Volkeſchulen. Nach 
dem neuen Syſtem bearbeitet von Joh. Schneider, Lehrer au ber Knaben⸗ 
fhule am Himmelpfortgrunde. 3. Klaſſe. Kilufte Auflage. 8. (III und 
70 Seiten.) 4. Klafie. 1. Semefter. Bierte, uuveränderte Auflage. (65 
Seiten.) Wien, Lcop. Sommer, 1865. cart. 4 und 6 Ser. 

Die grammatiihen Belehrungen find meiftens in Latechetifcher Form 
dargeftellt, wodurd für Schüler eine unangenehme Breite entftebt. 
Die vorliegenden Auflagen find den früheren gleich. 


HD. Spradlehrlide Schriften für höhere Lehranftalten 
und zum Selbftunterridt. 


7. Grundzüge ber nenhochdeutſchen Grammatik filr höhere Bildungs⸗ 
Anftalten von Friedrich Bauer. Siebente berichtigte Auflage. gr. 8. 
(XVI und 209 ©.) Nörblingen, €. H. Bed, 1865. 14 Sgr. 


Dieje Arbeit ſtützt ſich wefentlih auf die Forſchungen J. Grimm's und 
gibt auf jeder Seite Zeugniß von den tüchtigen grammatiſchen Kenniniſſen 
des Berfafierd. Die Anordnung ift, der Beltimmung gemäß, eine willen: 
ſchaftliche; doch gibt der Verf. in der Vorrede jpecielle Anweifung für bie 
Bertbeilung des Materiald nad methodiſchen Geſichtspunkten, was jeden⸗ 
falls als jehr dankenswerth anzuerkennen ift. Die Darftellung iſt durchweg 
eine populäre, gariz dem Bebürfniß der Schüler entjpredhend. Tiefer ein: 
gehende Unterjcheidungen find in Anmerkungen verlegt, ebenjo die gut ge 
wählten Beifpiele. 

Wir empfehlen vdiefe Arbeit nicht nur der Beachtung der Gelehrten: 
ihulen, jondern wünſchen fie auch in die Hände der Vollsfchullehrer, da 
wir überzeugt find, daß fie ihre grammatiſchen Kenntniffe durch biefelbe er: 
weitern werben. 


8. Deutige Grammatik und Stilübungen zunächſt für Gewerb⸗ und 
Realfhulen von Dr. Brentano, Lehrer an der königlichen Gewerbſchule in 
Fürth. I Kurs. Fünfte, verbeflerte Auflage. (XIV und 114 Seiten.) 
Rüruberg, 3. L. Schmid, 1866. 8 Sgr. — II. Kur, Bierte, vechefierte 


\ 


Gebiete des beutichen Sprachunterrichts. 153 
Auflage. 1865. 10 Sgr. III. Kurs. weite, verbeflerte Auflage. 1860 
10 Sgr. 


Dies Wert ift bereitö im IX. und XII. Bande befprohen und als 
ein für höhere Schulen braucpbares bezeichnet worden. Jenen Urtheilen 
fügen wir binzu, daß der Verf. bemüht gemwefen ift, dem Merle in den 
neuen Auflagen die möglichfte Bolllommenheit zu geben, ohne jedoch Haupt⸗ 
verändberungen barin vorzunehmen. 


9. Die Wort- und Saplehre Der deutſchen Sprade für untere und 
mittlere Klaſſen böherer Lehranftalten von Ferdinand Schmitz, Lehrer an 
ber Realfchule I. DO. in Barmen. Dritte Auflage. MM. 8. (64 ©.) Elber- 
feld, Bädeker'ſche Buch. (AM. Martini und Grüttefien). 1865. 5 Ser. 
geb. 6 Ser. 

Dies Schrifthen enthält die Elemente der Wort: und Sablehre in 
überfüchtlicher Anordnung und faßliher Darftellung. Jeder Sprachregel find 
die nöthigen Beifpiele hinzugefügt. jedenfalls ift das Büchlein zu Wieder 
bolungen ganz geeignet. 


10. Srammatifhe Grundlage für den beutfhen Unterriht im 
höheren Lehranftalten. Bon Heinr. Bone, Prof. und Director bes 
Gymnaſiums zu Mainz. Zweite, vermehrte Auflage. 8. (VIII und 128 
Seiten.) Köln, Du Mont-Schauberg’ihe Buchhandlung, 1865. 15 Sgr. 
Da die vorliegende Auflage von der erften nicht weſentlich abweicht, 

jo können wir bier auf die Anzeige derjelben im XV. Bande zurüdweifen. 


11. Die erfien Grundregeln der deutſchen Sprache. Nach den An⸗ 
chten der neueren Grammatiker bearbeitet und mit vielen Aufgaben ver- 
eben. Kür Schüler der unterften Klaſſen höherer Lehranftalten. Bon Fr. 

Er. Peter, weil. Lehrer an der höheren VBürgerfhule zu Hannover. 

Vierte, mit Berlitfihtigung der vom Königlihen Oberihul- Kollegium 

empfohlenen Orthographie vermehrte Auflage, gr. 8. (VIII und 92 ©.) 

Hannover, Hahn'ſche Hofbuchhandlung, 1865. 5. Thlr. 

Der Berf. hat feiner Zeit den pädagogiſchen Grundfag, in der Gram: 
matik vom Satze auszugehen, mißverftanden, dahin nämlich, daß er glaubte, 
man müfje gleih zu Anfange menigfiens das Wejentlichfte der ganzen 
Satzlehre nehmen. In Folge deſſen redet er ſchon auf den erften Seiten 
feines Buches von elliptiihen, von zufammengezogenen und zufammenges 
festen Säßen, von Haupt: und Nebenſätzen u. vergl., handelt auch ſchon 
Eeite 10 die ganze Interpunttionglehre ab. Das zeigt von Mangel an 
methodischen Takt und methobifcher Durchbildung. Auch in den Beleh⸗ 
rungen felbfi vermißt man den Methodiler. Dagegen verdient der Reich: 
thum an meiltens gut gewählten Beiſpielen Anerlennung. 


HI. Styl- und Auffaslehren. 


12. Leitfaben der Styliſtik für ben Schul⸗ und Selbſtunterricht von Fr. 
Wyß, Lehrer der beutihen Sprache am Seminar in Münchenbuchſee. 8. 
(VI und 107 Seiten.) Bern, 3. Dalp, 1865. Cart. 4 Thlr. 


Das Werken ift für Schüler, felbfiverftändlich für Schüler höherer 


154 Die neueften Erfcheinungen auf bem 


Säulanftalten, beftimmt und vom Verf. bereit in dem Seminar benugt 
worden, an dem er als Lehrer der deutihen Sprade wirkt. Es enthält 
Alles, mas Jemand zu willen nöthig bat, der fih von anerkannten Regeln 
bei Anfertigung von Auffäben der verfhiedenfien Art will leiten lafien. 
In höheren Anftalten, folglid aud in Seminaren, muß folde Kenntnif 
erreiht werden. Ob dazu das ganze Willen erforderlich ift, was der Berf. 
in feinem Leitfaden vorträgt? Das möchte ich nicht gerade bejaben ; immer 
bin aber muß das Wichtigfte daraus zur Erkenntniß kommen. Am beften 
wird das gewonnen werben durch Betradhtung von Muſtern. An Beiipielen 
zur Grläuterung läßt es der Verf. im Allgemeinen nicht fehlen, wohl aber 
an ausgeführten Muften. Wie für die Abhandlung, fo würden wir aud 
gern Muftern für die übrigen Stylarten begegnet fein; es würde bei paſ⸗ 
jender Wahl dazu nicht viel Raum erforderlich geweſen fein. 


Abgefeben hiervon, gehört das Buch entſchieden gu den guten, das 
höheren Anftalten wohl zur Einführung empfohlen werben kann. 


13. Sammlung ausgeführter Stilarbeiten für Mittertiaifen 
Ein Hälfebu für Lehrer bei Ertbeilung bes ſtiliſtiſchen Unterrichts in 
Stabt- und Lanbichulen. Bon Alex. Zunghbänel und I. &. S 
Ameite, vermehrte und verbefferte Auflage. 8. (XH und 132 Seiten.) 
Chemnig, ©. ode, 1865. 10 Bar. 


Dies Büchlein enthält 60 Beichreibungen, 28 Grzählungen, 10 Um: 
ſchreibungen kleiner Gedichte, 20 Nachbildungen, 20 Bergleihungen, 40 
Briefe, 20 vermifchte Auffähe und 10 Crflärungen von Spridwörtern. 
Das Material ift im Ganzen für Mittelllaflen geeignet. inter den Briefen 
finden ſich einige, die der Kindesnatur nicht ſonderlich entiprechen, oder auch 
überhaupt nicht als gelungen bezeichnet werden können. In den Beſchrei⸗ 
bungen von Naturgegenftänden kommen bier und da Unrichtigleiten und 
Ungenauigleiten vor, zu deren Aufzählung es uns jedoch an Raum fehlt. 
Die oben angezeigten Arbeiten von Weigelot und Nichter leiden bieran eben⸗ 
fall und find in diefer Beziehung mit einiger Vorſicht zu gebrauden. 


IV. Säriften über Ortbograpbie. 


14. Orthographiſches Uebung buch von R. en Rector ber höheren 
Töcterihule. Bromberg, M. Aronfohn, 1865. 


Das Uebungsmaterial ift nad) den Regeln der Orthographie geordnet 
und beftebt faft ausfchlieglih aus Wörtern. Die Uebungen follen mit der 
Grammatit in Beziehung geftellt werden. Der Unterricht wird aber doch 
der Hauptfahe nad darin befteben, daß die Schüler die dargebotenen 
Wörter durch wiederholtes Anſchauen richtig jchreiben lernen. In der Hand 
mittelmäßiger Lehrer dürfte der Unterricht leicht uninterefiant für die Schüler 
werben. 








Gebiete des deutſchen Sprachunterrichts. 155 


V. Für den gefammten Sprahunterricht der Unterftufe. 


wär Fabeln von W. Hey. Für die Unterfiufe behandelt von TE. 
alien. 12. (79 &.) Brandenburg, Selbfiverlag, 1865. 6 Ger. 


Nah des Verjſaſſers Anficht ift bisher in den allermeiften Schulen 
viel zu wenig Gebrauch von den Hey'ſchen Yabeln gemacht worden. Seine 
Arbeit foll daher die Aufmerkfamleit der Lehrer auf diefe „echten Rinder 
poefien’’ Ienten. Nach unferer Kenntniß von der Sache kommt der Berf. 
damit zu jpät. Seit mindeftens fünfzehn Jahren ift kein gutes Leſebuch 
mebr erjchienen, das nicht veih an Hey'ſchen Yabeln wäre. 

Der Berf. tritt, wie das Vorwort fagt, mit diefem Büchlein „ohne 
den allergeringftien Anſpruch auf“, jedenfalls aber doch in ber Abficht, 
Lehrern zu zeigen, wie fie diefe Fabeln auf der Unterftufe zu behandeln 
haben. Daß er aud in diefer Beziehung den Neigen nicht eröffnet, wird 
ihm belannt fein; aber damit wollen wir nicht jagen, daß feine Arbeit 
hätte unterbleiben lönnen. Herr Ballien kann ja feine Vorgänger übers 
trefien. Sehen wir feine Arbeit darauf näher an und wählen wir zugleich 
Nr. 1, „Der Pudel”. Seine Behandlung dieſer Zabel zerfällt in folgende 
nenn Abſchnitte: 1) Vorſprechen. 2) Bors und Nachſprechen. 3) Kurze 
Behandlung. 4) Auffchreiben einzelner Wörter. 5) Niederſchreiben Heiner 
Säge. 6) Niederfchreiben der Fabel in ganz einfachen Sägen. 7) Was 
für ein Thier if der Pudel? 8) Wörtliches Auffchreiben der Zabel... 9) 
Hinzufügen der Fabel vom Möpshen und Spischen. 

Neu find, wie jeder fieht, diefe Gefichtspunfte nit. Aber darin foll 
kein Borwurf liegen; wenn nur die Ausführung gut if. 

1) Borfprehen. In diefem Abſchnitt zeigt der Berf., wie der 
Lehrer vorzufprechen babe. Die erfte Zeile: „Wer hat hier die Mil ges 
naſcht ?“ ſoll „in Scheinbar heftigem, raſchen Tone’’ gefprochen werben. Dazu 
paßt aber der fonft ruhige Ton der Yrau nicht; wie es ſcheint, ſoll der 
Lehrer fi mit diefer heftigen Frage an die Kinder felbft wenden und thun, 
als befände fich der Naſcher unter ihnen; denn der Verf. ſagt: „Du bift's 
geweſen!“ unb „Biſt Du's geweſen?“ Auf die Beſchuldigung ſagen die 
Kinder „Nein, nein, id nicht!“ Der Frage fügt der Verf. ſelbſt die Worte 
hinzu: „Ei freilich, Du haft ja Deiner Mutter neulih die Milk im Topfe 
ansgetrunten. Wer bat fih denn von Eu ſchon einmal darüber ber: 
gemacht?” „Sch, ich, ic auch!“ antworten die finder. 

Beim Sprehen der Worte: „Pudel, komm doch!“ foll der Lehrer 
winten, beim Vortrag der Zeile: „Die Hausfrau fah ihn an mit Lachen“, 
„laden, [7 beiter ftellen, zur Erde jeben, als fei der Pubel da’; vie 
beiden Zeilen: „ba bing er den Schwanz bis auf die Erben und heulte 
und ſchaͤmte ſich fo ſehr!“ follen „ſchwer, hohl, langſam“ gejprochen werben, 
die Schlußzeile endlich „kraͤftig“. „Der naſchet wohl fo bald nicht mehr.“ 

Dramalifirungen diefer Art halten wir nicht für empfehlenswerth. 
— „Hergemaht” gehört der niedern Ausdrudsweiſe an, kann alfo 
Lehrern nicht empfohlen werden. 

2) Bor: und Nahfprehen. Die Kinder follen zuerft leife mit: 


156 Die neueften Erfcheinungen auf bem Gebiete zc. 


ſprechen. Das ift nicht empfehlenswerth; man fpridt zwedmäßiger laut 
vor und läßt fogleih laut nad ſprechen. 

3) Kurze Behandlung. Hier zeigt der Verf. eigentlih nur, wie 
die Fabel abzufragen if. Wir erwarten daher vor allen Dingen correcte 
Fragen. Man böret „ft die Frau ſchon drin in der Küche geweien, bat 
fie etwa zugefehen, wie ihr die Mil ausgenafcht worben iſt?“ — „Wo 
mag fie den Zopf mit der Milch bingeftellt gehabt haben? Recht hoch 
hinauf?“ — ‚Wer hat da binaufreihen lönnen? Der Pudel. Wie hat 
er das gemacht?“ — ‚Hat die Hausfrau den Pudel wohl gleich gefeben, 
als fie in die Küche hinein getreten iſt?“ — „Was würde fie denn mit 
dem Pudel, dem Dieb, gemacht haben, wenn fie ihn beim Milchnaſchen 
ertappt hätte? — Es würde ein Baar Schläge gegeben haben.” — 
„Bas für ein Dieb? Der Milchdieb.“ — „Barum foll er ſich bes 
feben laſſen? Weil er einen weißen Bart hat.” — „Wie mag der Pu⸗ 
del an feinem ganzen Leibe ausgejeben, was für Haare mag er gehabt 
haben?” — „Und wie fpottet fie ihn nun aus, wie fagt fie zu ihm?” 
— ‚Run (,) das bat den Pudel wohl fehr gefreut? O nein! Nicht? 
ich dente (‚) Hund und Katze find gute Freunde?“ 

Sole Fragen können einem Lehrer wohl einmal beim Unterrichte enb 
f&hlüpfen ; in einer fchriftlihen Anweiſung für Lehrer dürfen fie aber nicht 
vorlommen. 

4) Auffhreiben einzelner Wörter. Dabei bleibt es nidt; es 
werden auch grammatiſche Belehrungen ertbeilt, wogegen indeß nichts zu 
erinnern ift. 

5) Niederfhreiben Heiner Säge. Unter Wr. 4 kommen die 
GErllärungen Hauptwort und Gefhlehtsmwort vor; hier wird eine 
Definition von Eigenfhaftswort gegeben. Drei Wortarten in einer 
Stunde zu erllären, dürfte fich jchwerlid empfehlen. 

6) Niederfhreiben der Kabel in ganz einfahen Säßen. 
„Der Pudel bat die Mil genafht. Der Pudel hat einen Milchbatt. 
Die Hausfrau lacht, oder lat ihn aus.” U. f. w. 

Zu folden Uebungen ift die Fabel zu gut. Statt die Fabel in fo 
ſchlechtem Deutſch darzuftellen, laſſe man fie lieber auswendig lernen; das 
wird die Spradhe der Kinder mebr bilden, als das Aufichreiben folder Säße. 

Gegen Nr. 7—9 haben wir nichts Wefentliches zu erinnern. 

- Ob ver Verf. mit feiner Arbeit den Clementarlehrem einen banltens- 
wertben Dienft erwiefen hat? Die Lehrer mögen felbft urtbeilen. 








IV. 
Literaturfunde, 


Bearbeitet von 
Auguft Lüben. 


I. Methodik. 


1. Die Anſicht, daß die Hafjifhe Literatur die forgjältigfte Berüdfich- 
tigung in allen Schulen verdiene, findet immer mehr Anerlennung In 
den höheren Schulanftalten ift ihr ſchon feit Jahren ein Ehrenplaß gefichert, 
namentlich feit der Zeit, wo Hiede mit feinem Bude „Der deutſche lin: 
terriht auf deutſchen Gymnaſien“ (Leipzig, 1842) dafür eintrat, und durch 
Erllärung von Gedichten zeigte, worauf es darin in erfter Linie anlomme. 
Die Gymnaſien, Realſchulen und höheren Töchterihulen dürften wohl zu 
den wenig beneidenswertben Ausnahmen gehören, in denen der Literatur: 
geſchichte nicht wöchentlich mehrere Stunden ausgeſetzt wären, und in denen 
weben einem Maren Ueberblid über das ganze Gebiet nicht auch durch aus: 
reichende Proben der nöthige Einblid gewährt würde. Selbſt die mittleren 
Bürgerihulen, mit welchem Namen wir die fünf» bis ſechsklaſſigen Stadt: 
ſchulen bezeichnen, in denen fremde Sprachen nidht oder doch nur ausnahms⸗ 
weiſe und in geringem Umfange gelehrt werden, bleiben ſeit einem Jahr⸗ 
zehnt und länger nit mehr unberührt von der Literaturgefchichte, wenig: 
ftens nicht von dem Kern derſelben, den Literaturproben. Dafür haben die 
Lejebüher der Neuzeit gejorgt, diejenigen derjelben nämlich, welche reich find 
an guten Poefien nicht nur der neueren, ſondern aud einer etwas zurüd- 
greifenden Zeit. Wo folche Lefebücher verftändig gebraucht werden, da bat 
man Literaturkunde und damit Literaturgefchichte, wenn der Lehr: und Lec- 
tionsplan auch feine bejonderen Stunden dafür anfest. Ja nod mehr: 
felbft in die gewöhnliche Volksſchule dringt die Literatur ein, theils eben: 
falls durch die Lejebücher, theild dur die Beziehungen, welche andere Un⸗ 
terrihtögegenftände darauf nehmen. Daß dies fo umfangreid mie möglich 
geicheben möge, dafür nimmt der Schuldirector R. Schufter in Oſchatz in 
Rr. 27 der „Sähfiihen Schulzeitung‘ won 1865 das Wort. Cr wünjdht, 


158 Literaturfunde. 


daß die Literatur und ihre Geſchichte namentlich berüdfichtigt werden möge 
in der Religion, im Lefen, in der Geographie und Geſchichte. Im Reli: 
gionsunterricht fol hauptſächlich auf das Kirchenlied, alfo auf bie ber: 
vorragendſten Liedervichter, auf Luther, B. Gerhardt, Gellert u. A. binge: 
wiejen und fo viel über ihre Leiftungen gejagt werden, ald ben Kindern 
dienlich if. Wenn die einfhlägliche Literatur der legten Jahre einen Schluß 
hierauf geftattet, jo geſchieht das auch wohl bereits in größerem oder ge: 
zingerem Grabe in den preußiſchen Volksſchulen, für welche die Regulative 
die Beiprehung von „achtzig Kernliedern“ fordert; wenigftens bieten bie 
Unweifungen zur Befprehung derſelben, deren belanntlidy mehrere vorhan⸗ 
den find, hierzu Beranlafjung genug. Wo man nod etwas weiter geben 
und eine Geſchichte des Kirchenlieves geben kann, dba bietet fich die weiter 
unten beſprochene, von Prälat Zimmermann bevorwortete kleine Schrift 
„Geſchichte des evangeliichen Kirchenliedes“ brauchbares Material. Im Lefes 
unterricht fol hauptſächlich in der Oberllafie auf Literaturfunde Rüd: 
fit genommen werben. Der Berf. will darüber natürlich die Hauptaufgabe 
der Lejeftunde, „ausdrudsvolles und verftändiges Leſen“, nicht vernadyläf: 
figt feben, fagt aber fehr nichtig : „Jedes einzelne, namentlich jebes werth⸗ 
vollere Lefeftüd fordert zu einer kurzen Beiprehung auf, und dabei kann 
es nidht fehlen, daß aud Bemerkungen aus dem Gebiete der Literaturge⸗ 
fchichte oft vorlommen. Man follte die finder in oberen Klaſſen überhaupt 
daran gewöhnen, die den einzelnen Lejeftüden untergebrud: 
ten Namen der Verfaffer niht zu überfeben, diefe Namen 
fogar mit vorzulefen. Auf befonders wichtige und gefeierte Namen 
macht man dann noch befonders aufmerlfam, indem man fi über die ge 
nannten Schriftfteller und über diefes und jenes Werk derſelben ausfpridt. 
Auch kann hierauf der Lehrer felbft eine gut gewählte Probe aus den Wer: 
ten eines von ihm erwähnten Schriftfiellers vorleſen. Gewoͤhnlich bören 
die Schüler oder Schülerinnen dies recht gern, erinnern vielleicht gar den 
Lehrer in der naͤchſten Stunde an das ihnen in der vorigen gegebene Ber: 
ſprechen, ihnen ein Gedicht oder irgend einen Abfchnitt aus einem größeren 
Werte vorzulefen.” In Bezug auf die Geographie fagt der Verfafier : 
„Bon Weimar zu ſprechen und dabei nit von den Zeiten Karl Auguft’s, 
von Schiller, Göthe, Herder, das dürfte dem Freunde der Literaturgejchichte 
beinahe unmöglih fein. Unb unnüß ift bei ber fortfchreitenden Bildung 
die Crwähnung folder Männer, welde von der ganzen Nation gefeiert 
werden, doch wahrlih nicht! Spricht der Lehrer von Florenz, jo gedenkt er 
auch des Dante Alighieri und des erhbabenen Monarchen, unferes Königs, 
der als Prinz die Verſe dieſes Dichters in unfere theure Mutteripradhe 
überjegt hat. Davon kann wohl kaum ein Lehrer unjerer Heimath ſchwei⸗ 
gen, — das muß jedes Sachſenkind erfahren. Und den Namen Leſſing 
wird man bei Erwähnung der Stadt Camenz, den Namen Paul Fleming bei 
Erwähnung von Hartenftein einem ſächſiſchen Schulkinde nicht verjchweigen, 
und an Gellert und feine Zabeln und geiftlihe Lieder wird man es erin: 
nern, wenn man von Hainichen redet.” In Bezug auf den Geſchichts- 
unterricht heißt es: „Die meiften großen Helden und Ereignifle der Ge⸗ 
ſchichte find durch Schriftfteller und Künftler, durch Wort und Bild, durch 





Literaturkunde. 159 


Gedichte und Denkmaͤler gefeiert worden, — man bringe doch alſo auch dieſe 
Helden und dieſe Ereignifie der Geſchichte und die großen Meiſter, in deren 
Werken fie uns vorgeführt werben, in Verbindung. Bei der Erzählung des 
Trojaniſchen Krieges gedenle man auch des Homer, bei der Erzaͤhlung der Schick⸗ 
ſale Coriolan's und Caͤſar's nenne man auch, wenn man es überhaupt für gut 
findet, den Shalefpeare, und erzählt man von der Jungfrau von Orleans, von 
Maria Stuart, von Ballenftein, fo ermähne man auch die mit diefen Perſonen 
fih beſchaͤftigenden unvergänglihen Werte Schillers. Welch großes Ber: 
gnügen gewährt allen Kindern die Geſchichte (oder die Sage) vom Tell! 
Und wie gut werden fie fih das gleichnamige Zrauerfpiel merten, wenn 
man es mit der Erzählung jener Geſchichte in Berbindung bringt, vielleicht 
gar die tieferfchütternde Klage des Arnold von Melchthal: „O, eine edle 
Himmelsgabe ift das Licht des Auges” zc., oder den Monolog des Tel 
ihnen mittheilt.” — — ‚Die Beziehungen des Nibelungenlieves auf Attila 
geben erwünfchte Gelegenheit, diejes großartigen Gedichtes Erwähnung zu 
thun. Dft aber braudt man derartige Verbindungen gar nicht erſt zu jus 
hen, oft genug bat die Geſchichte felber Helden der That und Helden des 
Liedes und der Kunft, Fürflen der Erde und Fürſten im Reiche der Dicht 
kunſt und anderer Künfte in Verbindung gebradht. Mancher berühmte Dich: 
ter oder Künftler lebte am Hofe irgend eines geſchichtlich bebeutenden Fürs 
fen gder trat mit einem ſolchen in Verbindung, — erzählt man von dem 
Yürften, fo kann und darf man aud des Dichters, des Künftlers gedenten. 
Ber 5. B. ſaͤchſiſche Gefchichte lehrt und bei Heinrich des Grlauchten Gr: 
werbung von Thüringen einen Blid auf die Landgrafichaft wirft und dabei 
ven Landgrafen Hermann erwähnt, der wird aud gern zu den lindern von 
dem befannten Sängerktieg reden. Und iſt auch dieſe Erzählung vielleicht 
nur Sage, — die Dichter, welche ſich dabei den Sieg ftreitig gemadt ha⸗ 
ben follen, haben meift wirklich gelebt, fo Wolfram von Eſchenbach, Wals 
ther von der Bogelweide, Heinrih von Dfterdingen, Reinmar von Zweter 
und Biterolf. Und nun kann man ein wenig ftehben bleiben bei biejer 
Blüthezeit mittelalterliher Poefie, vielleicht ſogar eine pafiende, leicht ver 
ſtaͤndliche Probe aus jener Zeit, 3. B. aus den Gerichten des lieblichen 
Sängers Walther von der Vogelweide, den Kindern mittbeilen, und das 
Jutereſſe der Kinder für die Gefchichte wird dadurch beftimmt nicht beeins 
tädtigt, fondern erhöht.“ 

Wenn wir auch aus napneliegenden Gründen für die Volksſchule auf 
die Geſchichte der Literatur wenig Gewicht legen, vielmehr es auf Kennt⸗ 
niß der Literaturproducte abſehen, fo ſtimmen wir dem Vorſchlage des 

Verfaſſers doch volllommen bei, und wüunſchen recht ſehr, daß bie Lehrer 
recht bald "überall mögen befähigt fein, denſelben auszuführen. 

2. Herr Dr. H. Proͤhl in Berlin, vortheilhaft befannt auf dem Ge 
biete der Literaturgejchichte, hat ſich in einer befondern Schrift : 

Der deutfhe Unterriht in feinem Verhältniß zur Nas 
tionalliteratur. ge. 8. (X und 102 ©.) Berlin, W. Mö—⸗ 
fer, 1865. Thlr., 


160 Literaturfunde. 


ausführlid über den Unterricht in der Literaturgeſchichte und alle damit 
verwandten Fragen ausgeiprochen. Obwohl er dabei nur die höheren Schu: 
len im Auge bat, fo berührt er in feinen Auseinanderfegungen doch Nan⸗ 
des, was auch für ven Volksſchullehrer und die gehobene Vollsſchule ins 
tereflant if. Aus diefem Grunde geben wir nachſtehend die Ueberſchriften 
der befprodyenen Gegenftände an und fügen da, wo es erwünfjdht erjcheint, 
einige Bemerkungen binzu. 

Der deutfhe Unterriht vor fünfundzwanzig Jahren 
und Hiede’s Auftreten. Diefer Abſchnitt gewährt einen Weberblid 
über die Beftrebungen, den Unterricht im Deutſchen neu zu geftalten. 

Die jepige Stellung des deutfhen Unterrichts an Öym 
nafien und Realſchulen. 

Beziehungen des deutſchen Unterrihts zu den übrigen 
Unterrihtögegenfländen. Der Unterricht in der Mutterjpradhe ſoll 
zunähft in enge Beziehung zu dem im Lateinifchen, dann aber auch beſon⸗ 
ders zu dem in ver Geſchichte gefebt werben. „Zu einer fehr engen Ber- 
bindung des gefcichtligen und deutſchen Unterrichts findet fich eine vor⸗ 
treffliche Gelegenheit, wenn in einer Obertertia die Geſchichte von 1517 bie 
1645 (mit befonderer Berüdfihtigung der deutihen) das Winterfemefter 
ausfült. Dan kann dann faft Alles an Schiller’s Profa anlaüpfen. Muß 
auch leider Schillers Abfall der Niederlande für Secunda aufgefpart wer⸗ 
den, jo kann doc die Belagerung von Antwerpen und ber breißigjährige 
Krieg vollftändig gelefen werden. Wegen ver großen Bortheile einer fol: 
den Verbindung und da gerade in der Zertia eim velllommenes Mufier 
für die Profa zu geben ift, wenn der Schüler überhaupt jchreiben lernen 
foll, finde ich während die ſes Semeſters gegen eine entichiebene Bevor: 
zugung der Profa nichts einzuwenden.” 

Die Lectüre als Mittel der Erziehung. Diefer Abſchnitt 
enthält viel Beherzigenswertbes. Mit Hiede, Heiland (Provinzialſchulrath 
in Magdeburg) u. A. erlennt der Berf. die Lectüre unjerer deut- 
[hen Klaſſiker als die eigentlihe Grundlage des deutſchen 
Unterriht® an. Aber was gelejen wird, das foll auch vortbeilhaft auf 
die EGittlichleit des Schülers wirken. „Wie bei aller Unterweilung, fo 
kommt es auch bei dem deutſchen Unterrichte nicht ſowohl auf Ausbildung 
des Scharflinnes, des Wiges, als auf Erziehung des Herzens an. So oft 
die Nationalliteratur mit. den Grundjägen der Schulerziehung in Wider: 
ſpruch tritt, wird die Schule die Kenntniß der Klafjiter nicht verbreiten kön- 
nen. Gerade die vaterländifche Literatur darf ein jugendliches Ge: 
müth am wenigften ärgern.” — — Wieland's Oberon ift nit für 
die Schule gejchrieben, und Platen's Werle können dem Schüler nicht 
in die Hände gegeben werden. Gr ift durch die wenigen Heinen Gedichte, 
die in Schullefebühern von ihm fteben, wenn fi eine oder die andere 
Ode auf Jtalien unter ihnen befindet, ſchon genügend vertreten.” 

„Alaſſiſche Schriften von mehr oder weniger fittenlojer Haltung in ber 
Schule zu lefen, um vor falſchen Richtungen zu warnen, wird laum Je⸗ 
mand einfallen. Aber aud), daß einzelne Werke ver deutichen Literatur nur 
deshalb in ver. Schule gelefen werben jollen, um die faljhen religiöfen 





Literaturkunde. - 161 


KRichtinigen in der Literatur aufzubeden, ift für mich und gewiß für mans 
den anderen Lehrer des Deutjchen, der nur in einem einfachen und reinen 
Material arbeiten möchte, ein höcft abftoßender Gedanke.” Leſſing's 
Nathan der Weife fol jedoch nicht ausgejchlofien werden. „Dieſes Drama, 
indem es fih did aktiſch geradezu mit religiöfen und ethijchen ragen in 
großem Maße beichäftigt, ftellt feinem unverlennbaren Angriff auf das Chri- 
ſtenthum .(?) ein jo erhabenes fittlihes Ideal gegenüber, daß ſowohl ber 
Autor als die hriftlide Schule, welche die deutſche Literatur gaftfreundlich 
bei fih aufgenommen bat, die Erläuterung des jchwierigen Stüdes während 
des Unterrichts als ein Recht beanfpruchen kann.’ 

Mit dieſer letzteren Anficht fühle ich mich volllommen in Einklang. 
Ich habe ven Nathan oft mit den Seminariften der erften Seminarflafie 
befprochen und immer gefunden, daß ber Gewinn daraus für fie ein fehr 
erheblijer war. 

Ueber die Stellung der Jugendfhrift zur Schülerlec» 
türe Der Berk. faßt hier nur die reifere Jugend und die klaſſiſche Nas 
tionalliteratur in's Auge. ALS geeignet werden genannt: Michael Kohl- 
haas von Heinr. von Kleift, Wilh. Hauff's Lichtenftein, Theod. Koͤrner's Er: 
zählungen und Dramen, Novalis’ Heinrih von Ofterdingen, Immermann's 
Hofſchulze (der illufteirte Roman, aus dem die Gefchichten von Mündhhau: 
fen und deſſen Schloſſe ausgefchleven find). 

Prüfung eines Vorjhlages von Roth und Lübker. Be: 
zieht fih auf die planmäßige Lectüre von Schriftftellern des jechzehnten 
Jahrhunderts. 

Grimm's Sagen und die Gedichte von Claudius. Beide 
‚werben eindringlich empfohlen. Den Sagen wird in ber Schule ber Bor: 
zug vor den Märchen gegeben ; lebtere ſollen vorzugsweiſe erzählt werben, 

Bemerkungen über das Verhältniß dererjtenguten Bro: 
faiften der neueren deutſchen Literatur zum Unterricht, Der 
Berf. weiſt beſonders auf Windelmann bin. „Sein Styl flötet ſiark 
und voll, wie die erfriihte Schalmeie, welche eine Nacht hindurch im vollen 
Brunnentroge gelegen bat.” 

Leſſing. Leſſing's Proja if den Schulen in neuerer Zeit ganz be: 
ſonders und fiber mit Recht empfohlen worden, da feine Brofa die gute 
Schreibart unferer gegenwärtigen guten Schriftfteller begrünvet hat. Der 
Berf. empfiehlt dieſelbe nicht fo ganz unbedingt, er weift vorzugsweife auf 
vie bin, „wo es vom Haflifhen Wltertbum ausgeht, um die Gefetze ber 
Boefie und ver bildenden Künfte zu unterfuchen. „Sn der Prima muß 
ver Laokoon gelefen werden.” 

Herder. Im: Uebereinftiimmung mit der „Realſchulordnung“ für Preu: 
Sen will der Verf. Herder berüdiichtigt ſehen, auch fein Leben, da feine Ju: 
gend fo muſterhaft ſei. Als vorzugsweile beachtenswerth, auch für höhere 
:öchterihulen wird der Sid bezeichnet ; von den Schulreden werden nur 
empfoblen „Nicht der Schule, ſondern dem Leben” und „Bon der Annehm⸗ 
lichteit, Nüplichleit , Nothwendigkeit der Geographie.” Dann auch die klei⸗ 
neren Sachen, die fi ſchon in Lejebüchern finden. 

Pab. Jahtesbexicht. ZVIIL 11 


.162 Literaturkunbe. 


Goͤthe. „Er ift mehr ein Dichter für Männer als für die Jung⸗ 
linge. Nicht die Schule foll dem Jünglinge, ſondern das Leben dem 
Manne ihn ganz zu verfiehen lehren.” Aus feiner Proſa werben empfoh- 
len: die Kaiſerkroͤnung, Friebrid'$ des Großen Bedeutung für die deutſche 
Poeſie, der Straßburger Münfler, die Gampagne in Frankreich. Von den 
‚größeren Dichtungen in erfler Linie Hermann und Dorothea und bie 
Ipbigenie, dann Gög von Berlihingen. „Am meiften aber ent 
ziehen fib Göthes Gedichte der Schule.” Doch hält der Verf. ſolche 
Gerichte, „deren Inhalt nicht finnliche Leidenſchaft, ſondern ein geiftiges 
Streben bildet, zur Erklärung in der Schule für geeignet. Dazu gehören 
die jchon in Leſehüchern verbreiteten. 

Schiller, Seine Proſa wird als Mufter für die reiſere Jugend 
bezeichnet. Bon den Gedichten foll umfaflender Gebrauch gemacht werben, 
Aus den Dramen werben hervorgehoben: Wilhelm Tel, die Jungfrau von 
Drleans, Maria Stuart, Wallenftein. 

Ueber die Lyriler feit Klopftod, mit befonderer Rüd: 
fit auf ihre Beziehungen zum fiebenjährigen und zum 
Freiheitstriege. Klopftod fol nidt, wie man vorgefchlagen, bin 
fort nur „ebrenvoll erwähnt”, fondern forgfältig befprocdhen werben, worin 
ih dem Verf. ganz beiftimme. Dann wird befonders auf Voß, Gleim, 
Namler, Körner, Ernſt Schulze, Arndt und Rüdert bie 
gewieſen. 

Moderne Richtungen. Lenau wird als wenig geeignet bezeich 
net, Heine verworfen, namentlich auch feine in vielen Lejebüchern befind⸗ 
lien „Grenadiere“, „in denen ein wahres lebermaß von Schwärmerei für 
Napoleon fpult.” War denn aber die große Mehrzahl der franzöſiſchen 
Soldaten nit in der That in dem Grade für Napoleon begeiſtert? Richt 
ber eigenen, fondern biefer Begeifterung bat der Dichter Werte geliehen. 
Von diefem Standpımlte babe ic) das Gedicht immer angefehen. 

„Eine große Anzahl unferer Lejebücher enthält von den Producten der 
neueren Lyrik entweder zu viel oder das, was fie liefert, in falſcher Aus: 
"wahl." Dies Urtheil erfheint um jo härter, da der Berf, nicht näher 
darauf eingeht, vielmehr nur auf Ed. Mörike, „als auf einen der klar⸗ 
sten Köpfe unter den neueren Lyrilern“ hinweiſt. 

Meber die deutfhen Lefebüdher für Shuien. Was ber 
‚Berf. im diefem Abſchnitte fagt, ift nicht bedeutend. Die Leſebücher follen 
nach feiner Anſicht ihren pädagogifchen Bwed ſcharf in's Auge faflen und 
nicht zugleih Anthologien ober literarhiſtoriſche Handbücher jein wollen. 
Das wird allerdings nicht nöthig fein, werm die. Schüler eine Gedichtſamm⸗ 
lung wie den Echtermeyer und neben derſelben alle größeren Dichtungen is 
Driginalausgaben haben. Aber wo ifl denn das burihzuführen ? 

Ueber Dialectpzoben. Dafür ift der Verf. nicht ſehr eingenom⸗ 
men. Doch empfiehlt ex für Lejebücher, die nur in NRiederbeutichland 
gebraucht werden, Gedichte von Voß, Frit Reuter ober Klaus Groth, für 
märtifche nur. Bornemann’sche Gebichte, 

Das Mittelhochdeutſche. Abweichend von, Rud. von Naumer, 
will der Verf. das Althochdentſche un» Oothiſche von den Gynmaßen und 








Literaturkunde 163 


Nealſchulen ausgejchlofien haben. Gegen das Mittelhochdeutſch ift er das 
gegen nicht, wünjcht vielmehr, daß die Nibelungen oder der Iwein 
auf Schulen gelefen werden möge. 


Meberfeßungen aus fremden Spraden. 


Borbereitung des Lehrers auf die Klaſſenlectüre. Hier 
über wird fat zu wenig gejagt. 

Die. Erläuterung und ihre Örenzen. Die Berglieverung fol 
nicht lünftlidher fein als die Gliederung, welde der Dichter felbft feinem 
Bropucte gegeben bat. „Um vie Schönheiten einer Dichtung zu zeigen, bes 
darf es oft nur weniger Worte; nicht felten werden fie fich fogar fchon 
beim Leſen darlegen laflen. Ein zur Vorbereitung der eingehenden Be: 
ſprechung oft wieberholtes Borlejen jcheint nicht pafiend. Der Lehrer lieft 
das Leieftüd nicht zuerft, ſondern nötbigen Falls nah den Schülern mit 
Heworhebung aller von ihnen falſch gelefenen Stellen.” Ich halte das 
-Umgelebrte für das Ridtige. Denn 1. erleihtert gutes Vorleſen durch 
den Lehrer das Berftänpniß, und 2. lernt der Schüler durch gutes Borlefen 
beffer leſen, als durch Verbeſſern nes fehlerhaft Gelefenen. Das iſt eine 
alte und bewährte pädagogische Negel, nad der man ja 3. B. auch in der 
Orthographie verfährt. | 

Die Lectüre von Dramen und Balladen in der Klaſſe. 
„Dramen werden am beften von den Schülern mit vertbeilten Rollen unter 
Leitung des Lehrers oder nom Lehrer allein vorgelefen.” Ich ziehe Lebteres 
vor, da das Verſtändniß hierdurch Mehr gefördert wird. Der Lehrer muß 
aber ein klangreiches Organ bejiten unb ein guter Leſer fein. Der Berf. 
iſt gegen den Vorſchlag Rudolf von Raumer's, ven Schülern vor der Lec⸗ 
türe die unerläßlihen Erklärungen zu Dramen gebrudt in die Hände zu 
geben ; ex will vielmehr aucd hierin den Uharalter der Schule gewahrt 
willen. Eingehende Grörterungen will er jedoch als Ausnahmen angefehen 
wiſſen. Das Maß der Erörterungen hängt, wie begreiffih, von dem gan- 
zen Bildungsgrade der Jugend ab. Da ein gutes Drama ein Kunſtwert 
ift, fo wird immer viel Anlab zu eingehenden Beſprechungen vorhan⸗ 
den fein. 

Lefen und Declamiren. Der Bert. empfiehlt größere Beady: 
tung des Declamirens, warnt aber vor dem „mimijchsgefticulatorifhen Zu: 
ror der alten Declamirftunde.” 

Verhbältniß der deutſchen Literaturgeſchichte zur 
Lectuͤre. | 

‚  Beifpiel einer falfjhen Unterrichtsmethode, welche an 
die deutſche Lectüre gelnüpft ift. Der Verf. warnt in dieſem Ab⸗ 
Schnitt wor Benutzung ungeeigneter Muſter. 

Ein Blid auf vie Volls: und Bürgerfhule, fo wie 
auf ben Unterriht der Töchter höherer Stände Für diefe 
Schulen joll das Deutſch der Hauptgegenftand fein. Die Lejebücher für 
diefelben jollen von einem vollstbümltchen Geift durchweht fein. 

Untverfität und fpäteres Leben. 

11* 


164 Riteraturfunde, 


N 3. Grube fpriht fib im I. Bänpchen feiner unten angezeigten 
„Aeſthetiſchen Vorträge”, S. 103 f., über die Behandlung der Schiller’: 
hen Romanzen folgendermaßen aus. 

„Die Schiller ſchen Romanzen bebürfen weder eines gelehrten noch 
eined weitläufigen Commentard, um verftanden zu werben; wohl aber 
kommt ihnen eine Erläuterung oder vielmehr Auslegung des in ihnen lie 
genden reihen Ideengehaltes zu ftatten, und von dem auch für das Be 
wußtjein aufgefchlofienen Inneren ausgehend wird dann auch um fo befier 
die Ihöne Form, die kunftvolle und doch jo einfah und durchſichtig ſich 
barjtellende Compofition verftanden und gewürdigt werden. Wird vieles 
Verſtaͤndniß nicht durch ermüdende Grünplichleit und pedantiſche Kleinig⸗ 
teitsträmerei verleidet, dann wirb es aud eine bis in das fpätefte Alter 
fortwirlende Liebe zu diefen Gedichten begründen, vor Allem aber jenes ge: 
dantenloje Ableiern, jenes hohle Pathos beim Leſen und Declamiren, das 
fo oft das feinere Ohr beleidigt und bie äſthetiſche Wirkung beeinträch⸗ 
tigt, gründlich befeitigen. Diefe Gedichte find wie zum Declamiren ges 
fchaffen, vie Mufit ift fo ſehr in die Rede felber übergegangen, daß fie bie 
mufilaliihe Begleitung nicht mehr brauden, ja geradezu abweifen. Weil 
man aber die Jugend viel zu früh die Schiller ſchen Romanzen lefen und 
berjagen läßt, früher, als ein tiefered Verſtaͤndniß möglich ift, ald das Bar 
‚thos nicht bloß im Gefühl, fondern aud im Geift einen Wiederhall findet 
— weil in den „Flegeljahren“ wohl das kräftig ausgeprägte dramatiſche 
Leben der Handlung lebhaften Anklang findet, aber, fobald ver Reiz der 
Neuheit vorüber ift, aud das Ernſte wieder in's Komiſche gezogen wird: 
jo iſt es nicht zu verwundern, daß gerade durch die Schule vie nachhaltige 
Wirkung der Schiller'ihen Romanzen wieder beeinträchtigt wird, indem fie 
jelbige zu früh überliefert oder in ungeeigneter Weiſe zu grammatifchen und 
ſtyliſtiſchen Uebungen benußt.“ 

„Der Mißbrauch hebt aber den Gebrauch nicht auf, und das Rechte 
wird fih immer mehr und mehr Bahn breden. Es würde nicht blos für bie 
äfibetische, ſondern auch für die fittlihe und nationale Bildung eine empfind: 
lihe Xüde geben, für eine tiefer gehende Geiſtes⸗ und Herzensbildung ein 
nicht wieder gut zu machender Fehler fein, wenn Schillers Gedichte im 
Unterricht der deutihen Jugend keine Stelle finden würden. Das haben 
alle einjichtigen deutjchgefinnten Erzieher und Schulmänner aud wohl ers 
fannt und dem Dichter, der wir kein Anderer vor und nah ihm ein Leh⸗ 
ter und Biloner des deutſchen Volles (nicht eines Bruchtheils vornehmer 
Geister) geworden ift, in den Herzen ihrer Böglinge eine freundliche Stätte 
zu bereiten gefirebt, unbeirrt von dem frivolen Treiben jener negativen ſtri⸗ 
tifer, die, ſiatt mit wahrbafter, der Eigenthümlicdhleit und Größe unfers 
nationalften Dichterd gerecht werdenden Kritik das liebevolle Eingehen in 
den Geift und Kern Sciller’8 zu fördern, auf den Wegen ver blafırten 
Gebruͤder Schlegel gewandelt find, aber auch ſchnell genug das Schichal 
diefer Romantiler erfahren haben. Wie alle Meifterwerle überhaupt, wer: 
ben auch Schiller'3 Romanzen insbeſondere durd ihre pofitive Wirkung alle 
negative Kıitit zu Schanden machen. 

Die in Borftebendem ausgelprochenen Anfihten find ohne Zweifel 








Riteraturfunbe. 165 


richtig, aber, wie mir fcheint, nad der einen ober andern Seite hin etwas 
zugeſpitzt. Grube erlennt an: 

a) Die Schiller'ſchen Romanzen find ein treffliches Mittel für die 
äfthetifche, fittlihe und nationale Bildung der Jugend ; 

b) fie werden aber der Jugend durchſchnittlich zu früh zugeführt ; 

c) fie bedürfen weder eines gelehrten noch eines weitläufigen Commen⸗ 
tars, wohl aber j 

d) einer Auslegung des in ihnen liegenden reihen Ideengehaltes. 

In Betreff des erften Punktes theile ih mit vielen Andern ganz 
Grube’ Anfiht und würde es mit ihm für eine bedauerliche Beeintraͤch⸗ 
tigung der Jugend halten, wenn man ihr diefe Dichtungen vorenthielte, 

Die Frage, mann die Jugend mit den Schillerjhen Romanzen bes 
fannt gemacht werden folle, ift nicht ganz leicht zu beantworten ; jedenfalls 
fol das aber nicht früher gefchehen, als bis ein ausreichendes Verſtändniß 
derjelben möglih if. Das bängt aber nicht von den Jahren, fondern 
von dem Bildungsftande ab. Für ein gar zu weites Hinausſchieben 
fann ich nicht flimmen ; der Schüler foll auch bei der Beiprehung etwas 
Ordentliches lernen, er foll fid mit einiger Anftrengung in das Berftänds 
niß bineinarbeiten, foll lemen, daß man fi ein Kunſtwerk, an dem ein 
genialer Mann vielleicht Monate lang gearbeitet, an dem er noch nad) Jah⸗ 
ren neue Berbeflerungen angebracht, nicht fo im Umſehen anzueignen ver: 
mag. Für ein erfolgreiches Arbeiten vdiefer Art halte ich gut gefchulie 
zwölf bis vierzehnjährige Knaben geeignet, und wer fi) dieſer Anſicht nicht 
anſchließen kann, der muß die Schiller'ſchen Romanzen der großen Zahl ver 
deutjchen Knaben und Mädchen, melde ihre Bildung in den fünf: bis ſechs⸗ 
Haffigen Stadiſchulen erlangen, vorenthalten, 

Hinfichts des dritten Punltes geben die Anfichten der Lehrer audeinans 
der, mehr aber wohl auf dem Papier als in der Schule. „Srmübende 
Gruͤndlichleit und pedantiſche Kleinigkeitskraͤmerei“ find natürlid überall 
vom Uebel, mithin aud bei der Erliärung Schiller'ſcher Rmanzen. Aber 
wer mir darin zuftimmt, daß es fih vom pädagogiihen, ja felbit vom 
fittlihen Standpunkte aus empfiehlt, daß der Schüler fi) das Verſtändniß 
erarbeitet, ber wird mehr zu erllären haben, als derjenige, melder 
die Beiprehung diefer Dichtungen nur mit der reiferen Jugend vornehmen 
will, ohne daß man ihm jenen Borwurf machen kann. Sicher aber wird 
derfelbe, falls er den Gegenftand überhaupt begreift, mit Grube der Mei: 
nung fein, daß die Darlegung des Speengehalts eine Hauptjahe bei ber 
Beſprechung einer Romanze ift, das, wozu alles Andere dienen fol. Gram⸗ 
matiſche Uebungen an den Romanzen vorzunehmen, halte ih auch für 
unangemeflen, obwohl e3 ja begreiflihder Weiſe mehrfach des richtigen Vers 
ftändnifies halber erforderlich ift, auf Saßeonftructionen einzugeben. We⸗ 
niger empfindlich dagegen bin ich gegen ſwliſtiſche Uebungen, mündliche mie 
ſchriſtliche. Es kann feinen Widerwillen gegen eine Romanze erzeugen, wenn 
ih den Schüler veranlafle, ſchriftlich und mündlich den Inhalt derfelben ans 
zugeben, ven Gedankengang, die Idee darzulegen, die darin auftretenden Pers 
fonen zu charalteriſiren, zwei verwandte Dichtungen mit einander zu vergleis 
hen u, |. w. Solche Uebungen habe ich vielfach und mit fehr gutem Grjolge 


166 Literaturfunde. 


anftellen laſſen und immer gefunden, daß fie gun; geeignet find, ben Gchäler 
tiefer in das Berfländnik der Tichtungen einzuführen und ihm in ungepwungen 
fer Weife zu Spradgewandtheit zu verbeifen. Niemals babe ih die Grjab: 
rung gemadt, daß den Echülern durch eine Behandlung in dem angegebenen 
Einne eine Dichtung wäre verleivet worden. Wie Sollte das aud möglich 
fein ? Kunftwerte, wie wie Schiller ſchen Balladen, bleiben Gpelfeine, wenn 
fie aud, fo zu Tagen, mit Füßen getreten werden, und erweiſen ihre wohl: 
thätige Wirkung fo oft, als fie Jemand auf fi wirten läßt. Daß Grube 
im Grunde eben fo denft, glaube ich aus einer Aeußerung in der Borrede 
ju dem zweiten Bändchen feiner „‚Achbetiichen Borlefungen‘ entnehmen zu 
lönnen. Dort heißt ed nämlih: „Frei und often flellt fi die Natur 
vor Aller Augen bin, die Menfhen fönnen und fjollen fie erfor: 
fhen, berehnen, zergliedern; aber ihr unendlich ſchöpfe⸗ 
riſches Leben behält fie doch, und es wohnt in ihr ein göttliches 
Gebeimnib, das wir wohl glauben und empfinden, aber mit unferm Ber: 
flande doch nit ausdenten und ergründen lönnen.“ 

„Ss ift der gleihe Fall mit der Raturpoefie des Boltsliedes. 
Daſſelbe wird in feiner Fortpflanzung fiets verändert, umgebilvet, neuge 


ſchaffen, und bleibt doch immer fi ſelbſt gleih. Ich habe hier 


die edelften Geftaltungen im Sinne, in welden der Gharalter der Allge⸗ 
meinheit noch nicht in den der Gemeinheit berabgejunten it. Diefes echte 
Bollslied if zwar aud in Aller Munde; es wird an allen Orten und 
Enden, vom Wanderburſchen und der Stallmagd, in der Spinnftube und 
auf der Alp, auf der Straße und im Wirthshaus gefungen — und es 
wird doch nimmer alltäglihd und alt, ed bewahrt eine ju- 
gendlide Friſche und Schönheit, die ihm bleibt, auch wenn es 
aus dem Gedaͤchtniß des lebenden Geſchlechts längf geſchwunden und nur burd) 
ein Jahrhunderte altes „fliegendes Blatt” auf die Gegenwart gelommen if.‘ 

Gerade fo denke ih auch über unjere Haffiiche Kunſſpoeſie, ſpeciell 
über die Schillerſchen Romanzen. 





U. KRiteratur. 


1. Literaturgeſchichte. 


1. Geſchichte der deutſchen NRational-Literatur. Zunächſt für hö⸗ 
bere ZTöchterfäulen und weiblihe Erziehungsanſtalten bearbeitet von @. 
er. gr. 8 (XVI und 301 ©). Freiburg i. Br., Herder, 1865. 
Diefe Shrift ift zum Gebrauh für Schülerinnen beflimmt. Vieles 

bat fie natürlih mit zablreihen andern Büchern biefer Art gemein; von 
einer nicht geringen Anzahl derſelben unterfcheivet fie ſich jedoch dadurch 
vortheilbaft, daß fie das große Heer mittelmäßiger Dichter unberüdfichtigt 
läßt, fidh kurz, aber anregend über Zeiten und Berfonen ausſpricht, nach 
moͤglichſter Unparteilichleit firebt und fo viel Proben einlegt, als zur Bes 





Literaturkunde. 167: 


gründung ber abgegebenen Urtheile erforberlih find. Völlig ausreichend zu 
der Bildung, welche in höheren Töchterfchulen dur die poetiſche Literatur 
erreiht werben fol, halten mwir diefe Proben allerdings nod nicht; aber 
dafür kann ja leiht durch Einführung einer guten Sammlung geforgt 
werben. 


2. PAR RL LT ber bentihen Fiteratur vom deinvih 
. e, verbefierte Auflage. gr. 8. u einzig, 
©. ©. Teubner, 1865. 1 EL ge. ge “ Fan 
Diefer Leitfaden hat bald die Anerkennung gefunden, welche er ver: 
dient. Der erften Auflage baben wir im XIII. Bo. des Jahresberichts 
rühmend gedacht und dabei den Wunſch nad Verringerung des Materials 
ausgeſprochen. Der Berf. ift hierauf jo weit eingegangen, als es ſich mit 
feiner Anfiht vertrug, und bat dafür einzelne wichtige Partien etwas er: 
weitert. Bon einer weiteren Bejchräntung hielt ihn die Anficht zurüd, daß 
ein Leitfaden für höhere Schulanftalten auch sum Nadfchlagen müſſe ge 
braucht werben können. Dagegen wollen wir um fo weniger etwas einwen⸗ 
den, als das Linmwefentlichere ohnehin durch kleineren Drud ausgeſchieden 
worden ift 


3. Orundriß ber Geſchichte ber deutſchen Literatur von Dr. J. W. 

Schäfer. Zehnte, auf's neue durchgearbeitete und verbefierte Auflage. gr. 8. 

( und 204 ©.). Bremen, 4. D. Geisler, 1866. 124 Sgr. 

Diefe neue Auflage gibt, wie die früheren, auf jeder Seite Zeugniß 
von dem Beitreben des Verfafiers, feinem Werte die möglihfte Vollendung 
zu geben. Dadurch bleibt das Buch auf der Höhe der Wiſſenſchaft und 
verdient fi immer neue Empfehlung. 


4. Die beutfhe Nationalliteratur ber Neuzeit, in einer Neibe von 
Borlefungen bargefiellt von Karl Barthel Siebente Auflage, in Amer . 
fungen ergänzt und fortgeführt von ©. Emil Barthel. gr. 8. (XVIU 
und 647 ©.) Braunſchweig, Ep. Leibrod, 1866. 2 Thlr. 

Dies Buch ſcheint fich immer neue Freunde zu erwerben. Die ſechſte 
Auflage erfhien Ende 1861, und nun ift bereits wieder eine neue da. Das 
Wert hat Geift und Ton unverändert beibehalten; der jeßige Herausgeber, 
der Bruder des Verfaſſers, hat aber bereit manche ſchätzenswerthe Anmer⸗ 
tungen hinzugefügt, die den Text theil erweitern, theils berichtigen und 
fortführen. Da die Zahl diefer Anmerkungen aber ſchon auf 185 fi bes 
läuft, fo dürfte es nun angemefjen erſcheinen, fie dem Zerte einzuvers 
eiben. " 


5. Geſchichte der deutſchen Literatur. Bon W. Lindemann. Crfie 
bis dritte Lieferung. gr. 8. (Bogen I—27.).. Freiburg i. Br., Herder’ 
ſche Berlagshanblung. 1865 und 1866. & Lieferung 12 Sgr. 

Das Werk wird fünf Lieferungen umfaflen und in kurzer Zeit vollens 
det fein. Die dritte Lieferung bricht in dem Abſchnitt „Bon Opitz bis 
Gottſched“ ab; das Merk geftattet daher no fein begründetes Urtbeil; 
wis werden deshalb im naͤchſten Bande darauf zurüd kommen, 


168 Literaturfunbe. 


6 Leben und Werke dentſcher Diäten. ee ber ben 

in ben brei lehten Jahrhunderten von O 

Mit ſecht Bildniſſen in Stahlſtich. gr. 8. 9 ob Es er ac Ba 

Fr. Brudmann, 1866, 

Auf diefe tücdhtige Arbeit haben wir bereitö bei ver Beſprechung bes 
erfien Bandes die Aufmerkſamkeit unferer Leſer zu Ienten gefuht. Es 
zeichnet ſich vor verwandten Arbeiten dadurch aus, daß es bie bedeuten 
deren Perſoöͤnlichkeiten der legten drei Jahrhunderte ausführlicher beſpricht 
und an ihnen die ganze Gutwwidelung der Literaturgeſchichte dieſes Zeit⸗ 
raumes zeigt. Dies Verſabren iR das allein richtige für alle Diejenigen, 
welcht ſich näher mit der Lireraturgefchichte befannt machen wollen, ohne 
fie zur Ledentauigabe zu machen, aljo für die große Mehrzahl der Ge⸗ 
dildeten. 

{er verliegende Wud enthilt das ſiebente bis dreizehnte Bud). * 
Nar darin wie Anderen derreden: die leßten Schleſier, Günther, Wer⸗ 
nide. KRedet. Gotder. Srüerrt, Sıhumwer, Hagedorn, Haller, Uz, G. Ch. 
Kar, Namier, Diem. Widocüs, fat alle mit einer gewiſſen Vorliebe, 
wu irn mamind eine Undel der Sc zu wergüten, das geftörte Gleich: 
gewicht derzudeen. dos Neritelver pureätjuräden und der deutſchen Li 
teratur eine Nerde non ide söımn, ia er Art wahrhaft dichteriichen 
Veſtrebdungen zu retten mmuren“ 

Tie wenden Erztitihe ferien Gettichen, Lichtwer, Hagedorn, 
Gellert, Yeodes war Zirliaxr kur. 


T. Gei&iäte fee eranzeli Gen Kirdenliches für Schule und Hans. 
Deserwerzei zen Dr. 8 Zimmermann, Grebbeg hefſ. Prälar. 
— XVIIIG © Hale 3. Fride, 1865. 71 Ser. 
Tas „Rene“ an tier Ausgebe iR der Titel. Das Werten erſchien 
ua2 bat weil leme weite Rertreiteng aeumien. Dennod) iſt es 


555, 
em kısıtares Dale für Abe, die ab im Kirze mit ber Geſchichte des 


8. 34 Se 3 Gin —— ur Ge⸗ 

Eruk Höpfner, Obetlehrer am 

Syanchum ju Ic - Kun N (II us 59 €.) Berlin, Stilla 
aut ven Mapten, 1565. | Tr. 

Wedberlin wurte 1584 —— und furt 1651, überlebte alſo Opiß, 
als teiten Tergänger er oft bejeichnet wird, um zwölj Jahre. Ragt er 
au witt als beieutender Dichter beroer, fe bat er doch mandes friiche 
Lied gejungen und ſich dadurch eime Stelle in der Citeratungeidhichte gefichert. 
Der Beri. beſpricht feine Berbienfte unparteiic und hat offenbar gründliche 
Studien tazu gemadit. Wer ih etwas eingehender mit Literaturgeſchichte 
beichäjtigt, darf dieſe Arbeit wicht unbeachtet Iajien. 


“ Görbe’s Lehen aunt Werke in hronelrgiihen Tafeln für gebil- 
ee Berehrer des Dichters deardeitet von Iulind Saupe, Profefior am 








Literaturkunde. 169 


mm n Gera. eite Auflage. Snppiementbanb zu Tänmtlichen 
hm nd Gdthe's Werten. ne 155 ©.) mie Ar 4) 
Gera, Ranits, (1854) 1866. 12 Ser. 

Es if befannt, daß Goͤthe's Gedichten Erlebtes zu Grunde liegt, mess 
halb er feine Arbeiten aud „vie aufbewahrten Freuden und Leiden feines 
Lebens” nannte. Daß nun durch Kenntniß der „Erlebnifle” das Berftänds 
niß der Dichtungen wefentlich erleichtert wird, verftebt fi von ſelbſt. 
Das Studium einer guten Biographie des Dichters ift daher unerläßlich. 
Die vorliegende Arbeit enthält eine jehr gebrängte Biographie Göthe's und 
die genaue Angabe von Jahr und Tag der Entftebung und Vollendung 
jeder Arbeit. Jede Seite des Buches ift zu dieſem Zwecke durch eine ſenk⸗ 
rechte Linie in zwei Hälften getbeilt; bie linke Hälfte enthält die Biographie, 
die rechte die Angabe der Arbeiten. Die Einrichtung ift praktiſch, das Bud) 
daber. ven Berehrern Göthe'3 zu empfehlen. Schabe, daß wir es nur wit 
einer Titelausgabe zu thun baben; denn ficher würde ber Verf. mande 
Aenderung und Bermehrung geliefert haben, da feit 1854 über verfchiebene 
Arbeiten genauere Auskunft gegeben worden ift. 


2. Biograpbien. 


10. Albrecht von Haller als Chriſt und Apologet. Bon ©. Baggefen, 

er am Münfter zn Bern. gr. 8. (114 ©.) Bern, H. Blom, 1865. 

Der Berf., ein evangelifcher Geiftliher, ift feiner Zeit von ven Be⸗ 
ftrebungen C. Vogt's, Moleſchott's, Büchner’s, Darwin’s u. A. unangenehm 
berührt worden. Da man deren Uinglauben bäufig als Folge ihrer tieferen 
Kenntniffe der Natur anfieht, jo wird Mancher beventlih und befürchtet 
von den weiteren Fortiſchritten auf diefem Gebiete Gefahr für den &riftlichen 
Glauben, ja völligen Sturz deſſelben. Dieſe Anficht theilt der Verf. nicht 
und ftüßt fi dabei auf einen der größten Naturforſcher des vorigen Jahr: 
hundertö, auf Haller, der namentlih in feinen fpäteren Jahren einer 
des rechtgläubigften Chriften geweſen fei und die Zreigeifter feiner Zeit, vor 
Allen Voltaire, belämpft habe. ‚Er (Haller) bleibt, jagt der DVerf., ein 
Beugniß für Beides, daß der Glaube die echte Wiſſenſchaft nicht zu fürchten 
bat, und daß die MWiflenfchaft im Dienfte des Glaubens von ihrer Würbe 
und Wahrheit nichts einbüßt.” Wenn der Verf. dabei an einen mit ber 
Vernunft in Einklang befindlihen Glauben denkt, fo ftimmen wir ihm voll 
fommen bei, ftügen uns aber bierin niemals auf eine einzelne Perſoöͤnlich⸗ 
teit, alſo auch nicht auf Haller. Es beweiſt Nichts, wenn ein alter, kraͤnk⸗ 
liher Mann orthodox wird. Auch kann heut Niemand behaupten, daß 
Haller diefe Richtung würde eingefhlagen haben, wenn er in unferer Beit 
gelebt Hätte. Diefen Beweis aus den Schriften Haller’s führen zu wollen, 
it daher ein ganz unfruchtbares Unternehmen. Wenn die GBeiftlichen: dem 
von ihnen befürdten Unglauben entgegentreten wollen, fo mögen fie dafür 
forgen, daß Naturforfhung und Chriftenglaube in Ginllang bleiben 
tönnen, Das wird möglich fein, wenn fie ihre flarre Orthodoxie auf: 


179 Literaturkunde. 


geben und ihre Predigten fo einrichten, daß auch die Gebildetſten 
Zeit ihnen freudig zuſtimmen koͤnnen. Es wird darum mit der Gittlich: 
keit nicht ſchlechter ſtehen. 


11. Göthe in den Jahren 1771 bite 1775. Bon B.R. Abeken. Zweite 
Auflage. gr. 8. (434 S.) Hannover, C. Ruͤmpler, 1865. 14 Thlr. 
Das Buch behandelt den Zeitraum von Göthe’3 Aufenthalt in Straß 

burg bis zu feiner Weberfievlung nad Weimar. Diele Beit ift infofern von 

befonderem Sinterefie, als fie uns mehr als jede andere Bötbe's Autwidelung 
eriennen läßt. Aus Goͤthe's Geſpraͤchen mit Edermann wifien wir, daß 
aud er „vie Epoche der Entwidelung als die wichtigfte eines Individuums‘ 
anfabe. Der Gedanke, den genannten Zeitraum zum Gegenftanb einer bes 
fonderen und ausführlihen Darflellung zu maden, kann daher als ein 
glüdlicher bezeichnet werden. Nach unferem Dafürbalten bat der Berf. die 
ih geftellte Aufgabe fehr gut gelöft. Er trägt nicht nur alle Thatſachen 
dieſes Lebensabſchnittes treu vor, fondern unterwirft diefelben auch einer 
eingebenden Beurtheilung. Dur Lebteres befommt die Darftellung eine 
gewifie Breite, aber man muß doch auch zugeben, daß durch eine ſolche Bes 
urtbeilung der Zwed der Schrift weientlich gefördert wird. Der Berf. gibt 
ſich ohnehin als einen ebenfo einfichtigen, als vorurtbeilsfreien Beurtbeiler 

Goͤthe's zu erfennen. Große Anerlennung verbient aud der Yleiß, welden 

der Verf. auf die Erforſchung der Göthe⸗Literatur verwandt bat; es bürfte 

faum ein Verl, ein Auffag, ein Brief vorhanden fein, deflen nit an 
pafiender Stelle gedahht würde. Das Werk fei daher den Freunden Göthe's 
beftens empfohlen. 


12. gen abe © Arndt. Sein Leben unb feine Schriften. Don €, 
angenderg Mit einem Stahlfih: Arndt's Denkmal in Bonn. gr. 8. 

ri und 280 ©.) Bonn, Weber, 1865. 14 Thlr. 
Diefe Biographie gehört zu den beften, bie wir über Arndt haben. 
Der in Bonn lebende Berf., der dem trefflihen Manne gewiß näber fand, 
erweilt fih als ein genauer Kenner des Lebens und der Schriften Arndt's, 
md es ſcheint ihm fein Bug von Belang daraus entgangen zu fein. Seine 
Darftellung iſt einfach, aber koͤrnig. Arndt's Schriften werben überall da 
berangesogen, wo fie der Zeitfolge nah bingebören. Wo es wirkungsreich 
ift, läßt der Verf. Arndt jelbft ſprechen und macht dadurch den Leſer nad 
und nad vertrauter mit defien Denkt: und Spradmeife, als es fonft mög: 
Ih gemefen wäre. Bon den 34 Abſchnitten ift einer dem „Dichter“ 

Arndt gewidmet, der uns befonders angeſprochen bat. 


13. Weber Klaus Groth und feine Diätungen, zum Theil au® unge» 
brudten Quellen, von Ed. Sobein. (60 S.) Hamburg, Perthes, 
Befler und Maufe, 1865. 12 Sgr. 

Die erfien 15 Seiten find dem Leben Groth’ gewidmet, die folgenden 
feinen Dichtungen. Das Leben biefes in kurzer Zeit berühmt gemorkenen 
Mannes bietet auffallende Ereignifie nicht dar, verdient aber dad die Bes 
achtung begabter Yünglinge. 

Groth iſt am 24. April 1819 in Heide, dem Hauptfleden ver Nord⸗ 








Literaturkunde. 174. 


hälfte des Landchens Ditmarſchen, geboren. Sein Vater hatte dort einen 
Heinen Landbeſitz und kaufte fpäter eine Windmühle dazu, da er das 
Müller: und Zimmergewerk gelernt hatte. Klaus beſuchte nur die dortige 
Bürgerjchule, da die Rectorihule dem Vater zu theuer war und auch wähs 
rend der Sommermonate regelmäßigen Schulbefuh forderte. Im 16. 
Lebensjahre wurde er bei einem benadbarten Kirchſpielvogt Schreibgehülfe, 
Die ibm bier bleibende Muße benußte er zu feiner Selbfibilvung. Die 
Freude am Lernen erwedte den Entjhluß in ihm, Lehrer werben zu 
wollen. Er beſuchte zu diefem Zmede das Seminar in Tondern. Rafls 
Iofe Studien bewirkten, daß er ausgezeichnete Fortfchritte machte und am 
Schluß des Kurfus ein glänzendes Examen befland. Er wurde darauf 
Lehrer an der Mädchenſchule feines Geburtsortes. Die vierzig wöchentlichen 
Gtunden, welche er zu geben hatte, binverten ihn nicht, ſich den ernfteften 
Studien hinzugeben. Mathematik, Aeſthetik und Spraden waren es vor: 
zugsweiſe, denen er fi mit dem anftrengendften Fleiße widmete. Seine 
Ürbeitzzeit begann des Morgens 4 Uhr. Nah und nad reifte in ihm 
der Plan, der Dichter feines Volles zu werden. 1847 ging er nad ber 
Infel Femarn zu einem Freunde, zunädft in der Abficht, feine geſchwächte 
Sejundheit wieder berzuftellen. Aber bier ſchuf er aud feinen „Quidr 
born”, mit dem er 1852 hervortrat und fofort ben allgemeinften Beifall 
erwarb. 1853 ging er nad) Kiel und fand dort an Prof. Müllenhof einen 
fördernden Freund; 1855 verweilte er am Rhein; 1856 wurde er Ehren» 
doctor der Bonner Univerfität, und jeit 1857 wirkt er in Kiel als Bro: 
feflor der Literaturgefchichte. 

Groth's plattveutihe Gedichte find allgemein bekannt; es ift daher 
nicht nöthig, bier näher darauf einzugeben. Das bier genannte Schriftchen 
gibt ohnehin genügende Auskunft über dieſelben. 


14. Dentſche Dihter und Brofaiften von der Mitte bes 15. Jahrhunderts 
bis auf unfere Zeit nah ihrem Leben und Wirken geſchildert. 2. Abth. 
3. Bd. Bon Heinrich Kurz. Mit 16 Bortr. (in Holzſchn.) gr. 16. 
(III und 645 ©.) Leipzig, Teubner, 1865. 4 Thir. 


Lag uns nicht zur Beurtheilung vor. 


3. Erläuterungen von Dichtungen. 


15. Wörterbuch zu ber Nibelungenot (Lied). Bon Auguſt Lübben. 
Zweite, vermehrte und verbefjerte Auflage. gr. 8. (III unb 206 ©.) 
Oldenburg, G. Stalling, 1865. 


Die neue Auflage ift eine mefentliche verbefierte ; überall bemertt man 
in berfelben den großen Einfluß, den Holtzmann's Arbeiten auf dieſem 
Gebiete ausgeübt haben. Freunde des Nibelungenlieves werben dies Wörter- 
buch nicht entbehren können, F 


16. Erlänterungen deutſcher Dichtungen. Nebſt Themen zu ſchriftlichen 
Aufſätzen, in Umriſſen und Ausführungen. Ein Hülfsbuch beim Unterricht 
in des Literatur, Erſte Reihe. weite, vermehrte nud verbeilerte Auflage, 


172 Literaturfunde, 


Seransgegeben von C. Bude, Lehrer an ber höheren Tochterſchule in 

Magdeburg. gr. 8. (XI und 307 &.) Leipig, Kr. Branbfetter, 1866. 

Die erfte Ausgabe dieſes Theiles erfhien 1858. Die gegenwärtige 
fann mit gutem Rechte eine „vermehrte und verbeflerte” genannt werben, 
eine vermehrte, da fie 75 Seiten ftärler ift, als bie erfte, eine verbefierte, 
da der Berf. fih bemüht hat, vie einzelnen Arbeiten etwas mehr abzu⸗ 
runden. 

Gude's Art der Erflärung iſt befannt: Darlegung und allgemeine Bes 
urtbeilung des Inhalts vom künftleriihen Standpunkte und Charalteriftrung 
der auftretenden Perfonen ift ihm die Hauptfahe. Aus dem Leben der 
Dichter wird nur fo viel herangezogen, als zum Verftändniß der erläuterten 
Dichtungen erforderlih ift. Directe Sprahbildung liegt nicht im Plane des 
Buches oder doch nur fo weit, als aus den Beiprehungen Beranlaflung 
zu Stilübungen genommen wird. 

Für weitere neue Auflagen oder neue Bearbeitungen empfehlen wir 
dem Berf., die Gliederung innerhalb der einzelnen Arbeiten durch paſſende 
Drudeinrihtung au dem Auge bemerkbar zu maden, ba bierburdy dem 
Lefer der Gebrauch des Buches erleichtert wird. 


17. Erläuterungen beutfher Dichtungen. Nebft Themen zu fAhrift- 
fihen Auffägen, in Umriffen und Ausführungen. Dritte Reihe. Herans⸗ 
gegeben von &. Bude, Lehrer an ber höberen Töchterichule zu Magdeburg. 
gr. 8. (VII und 196 ©.) Leipzig, Fr. Brandfletter, 1865. 3% Thlr. 
In diefem Bändchen find 17 Dichtungen behandelt, nämlid von 

Schil ler: Wallenftein, Klage der Geres, das Eleuſiſche Zeit, Kaflandra, 

bee Zander; von Göthe: der König in Thule, Sängers Klagelied, 

Mignon; von Chamiffo: die alte Wafchfrau; von Schwab: die Thurs 

brüde bei Bischoffszell; von Uhland: des Knaben Berglied, Bertran de 

Rom, Graf Eberhard der Raufhebart; von %. 8. von Stolberg: 

Lied eines deutfhen Knaben; von W. Müller: Schwertlied; von Klop⸗ 

ftod: die Frühlingsfeier. Außerdem ift noch eingelegt eine Vergleihung 

zwifchen Schiller und Göthe und zwiſchen Schiller und Uhland. 


18. Heftbetifhe Borträge von U. W. Grube. Erſtes Bändchen: 
Göthe's Eifenballaden und Schiller's Ritterromanzen. 
Zweites Bändchen: Deutſche Volkslieder. br. 8. (IX und 213, IV 
und 306 Seiten.) Sferlohn, I. Bäpeler, 1864 und 1866. °/s unb 
1/e The. 

Das erfte Bändchen" enthält folgende neun Vorträge: 1) Nordiſche 
Elfenlieder und Göthe's Erllönig. 2) Göthe’3 Fiſcher. 3) Vergleiche mit 
deutſchen Elfenliedern. 4) Schiller's Romanzen im Gegenfaß zu Goͤthe's 
Balladen. 5) Schiller's Taucher. 6) Der Handſchuh. 7) Der Kampf 
mit dem Draden. 8) Der Nitter Toggenburg. 9) Der Graf von Habs» 
burg. — Das zweite, flärtere Bändchen behandelt nur drei Gegenftände, 
diefe aber ausführlicher, nämlih: 1) Deutfche Volkslieder. 2) Bom Kehr⸗ 
veim bes Volksliedes. 3) Der Kehrreim bei Göthe, Uhland und Rüdert. 

Dir haben beide Bändchen mit Vergnügen gelefen und halten uns 
überzeugt, daß dieſelben viele aufmerkſame Lefer finden werben, wie fie denn 








Literaturkunde. 178 


dieſelben auch verdienen. Wo es ſich um Beſprechung von Poeſien han⸗ 
delt, da hat es der Verf. vorzugsweiſe auf Darlegung des Ideengehaltes 
abgeſehen, und hierbei zeigt er die Geſchicklichkeit, die wir längſt an ihm 
tennen und ſchaͤtzen. Feine pſychologiſche und äſthetiſche Auseinanderfegungen 
treten und auf jeder Seite entgegen und machen uns die Dichtungen werth. 

Wenn wir die Arbeiten auch unſern Lejern, den Lehrern alfo, beftens 
empfehlen, jo wollen wir damit nicht auch zugleich Jagen, daß fie diefelben 
als für den Schulgebrauch berechnet anjehen follen; Schulbücher find dieſe 
„Aeſthetiſchen Vorträge” nicht und follen es auch nicht fein; aber Lehrer 
werden daraus Manches im Unterricht verwenden koͤnnen. 


19. Shakſpe are's ee feinem Grundgedanfen und Inhalte nach erläu- 

te Fe Dr. Auguf Döring. gr. 8. (96 S.) Berlin, Grote, 1865. 

In einer längeren Ginleitung charalterifirt der Verf. alle Schriften und 
größeren Auffäße, die bis jet über Shakeſpeare's Hamlet erfchienen find, 
und weit die Hauptirrthümer in denſelben nah. Darauf entwidelt er feine 
eigene Anfiht am Faden des Drama’s mit großem Scharfſinn. Näher 
bierauf einzugehen, müflen wir uns verjagen, da wir es bier zunädhft nur 
mit der deutfchen Literatur zu thun haben. Aber wollten doch nicht unters 
lafien, die Freunde des großen englifhen Dichters auf diefe Schrift aufs 
merlfam zu maden. ' 


20. Iphigenie auf Tanris. Ein Schaufpiel von Gothe. Für e unb 
4a g eiintert —* H. — p (70 S.) —— Aue, 
1865. 9 Sgr. — 

Der Berf. gebt von der völlig richtigen Anſicht aus, daß Dichtungen, 
wie Goͤthe's Iphigenie, für Biele der Erläuterungen bebürfen, wenn fie von 
ihrer Lectiixe wahren Nußen baben jollen. Bor Allem ift das für die veifere 
Jugend nötbig, die man jebt mit Vorliebe und mit völliger Berechtigung 
in die deutfche Kaffifche Literatur einzuführen bemübt ift, theils um ihr einen 
höheren Grad allgemeiner Bildung zu verleihen, theils um fie ſprachlich zu 
fürden. Der Berf. liefert hiezu einen recht guten Beitrag, Geine Gr 
Härung ift einfah und allgemein verftändlid, daher weiteren Kreiſen zu⸗ 
gänglid. In der Einleitung. wird der. Begriff das Drama, das Goͤthe'ſche 
Schauspiel und ſein Berhältniß zur antilen Sage, der Eharalier ver: auf 
tretenden Perjonen und endlich die Idee der Dichtung beiprochen. SHieran 
reihet ſich eine fpeciellere Erklaͤrung einzelner Ausdrũcke und Beiprehung 
ver Berhältnifje in den einzelnen Aufzügen. Gin Anhang bezeichnet 25 
Stellen von fprudartiger Schönheit und Kurze. 


21. Ueber Schil ler's Wilhelm Tell. Ein Vortrag gehalten zum Beflen 
bes Halliiden Frauenvereins zur Armen- und Kranfenpflege am 2. März 
1865 von Dr. Karl Lucae, Brivatbocent. 8. (35 &.) Halle, Buchhand⸗ 
lung des Waifenhaufes, 1865. Yes Thlr. ’ 


Der Berf, befhräntt ſich der Hauptſache nad darauf, zu zeigen, wi⸗ 
Schiller die bekannten Quellen ſeiner Dramen benutzt hat; nur hier und 
da wird ein einzelner Theil der Dichtung analyfirt. Vor einem gemiſchten 


[ > 


174 Literaturkunde. 


Publikum iſt ſolch eine Behandlung gewiß am Platz und ſicher auch ganz 
interefiant gefunden worden; auch wird es dem Vortrage jetzt, nachdem er 
gedrudt vorliegt, nicht an Lefern fehlen; aber Reues über Das vortreffliche 
Drama haben wir nirgends darin gefunden. 


233. Schiller ale Iyrifger Dichter. Bon Heinrich Düntzer. gr. 
(IV nuub 263 Geiten.) Wenigen-Jeue, C. Hochaujen, 1864. 8 Gyr. 
Schillers Iyrifhe Gedichte. Grläutert von Heinrih Düntzer. 8 Hefte. 
gr. 16. Ebendaſelbſt, 1864 und 65. & Heft 4 Sgr., einzeln 6 Sgr. 


Beide Schriften gehören zuſammen;: die zuerft genannte iſt gewiſſer⸗ 
maßen die Ginleitung zu der zweiten. Schon in den vorhergehenden Bän- 
den haben wir wiederholt anerlannt, daß der Berf. zwar mitunter etwas 
weitläufig wird, dennoch aber ganz entſchieden zu den geſchickten Erklärern 
unferer klaſſiſchen Dichter gehört, wie er durch zahlreiche einfhlägliche Ar: 
beiten dargetban hat. Daß der Verf. übrigens merkliche Fortſchritte im 
Crläutern gemacht bat, beweift diefe neue Arbeit; es ift Alles abgerundeter 
darin, als in früheren. Ban kann und foll fo ein Buch nit in einem 
Buge lefen; aber was wir gelefen, bat uns fehr mohlgefallen. 


16. 


4. Ausgaben älterer Dichtungen. 


2. ltand, Leben und Lehre. Rab dem Altſä von 2. 
. —* Fer Auflage. 8. Av hf: er 3 , R 2. 
Friedrichs, 1866. °/ı Thlr. 


„Was Klopftod wollte und nicht vermochte, das chriſiliche Cpos dich⸗ 
ten, das war vor taufend Jahren einem newbelehrten Ghriften gelungen“, 
einem fähfiihen Bauer, wie die Sage berichtet. Dieſes herrliche Gpos ift 
von Stannegieher, Grein, Köne, Rapp und Gimrod äberfegt und dadurch 
Allen zugänglich gemacht worben, bie mit der altnieberbeutfchen Sprade 
des neunten Jahrhunderts unbelannt find. Die erfte Ausgabe der Sims 
sod’fchen Ueberjegung erfhien 1856, und daf nach zehn Jahren eine neue 
erforberlich war, beweift, dab fie viele Freunde gefunden hat. Daß fie bie 
felben verdient, iſt laͤngſt anerlannt. Wir fremen ums, fie in guter Aus 
Rattung awo zu billigen Breife wieder zu baben. 


4. Das Annolied. Genauer Abdruck bes Opibifchen Tertes mit Aumer⸗ 
tungen und Wörterbuch von Joſeph Kehrein, Director des herz. nl 
Lehrerfeminars zu Montabaur. 8. (VI nnd 85 ©.) Franffurt a. M. 
Berlag für Kunft und Wiffenfchaft. G. Hamacher, 1865. 12 Ger. 


i Das Unnoliev wird von Prof. Holtzmann in das Jahr 1080 ver 
st umd dem Prieſter Lambert von Hersfeld zugejhrieben. Es ift ein 
dgefang auf den Erzbiſchof Anno. Herder nennt es „ein Pindariſches 

Loblied“ und Holgmann „ein tiefpoetifhes, hormoniſches, auf reicher Bil- 

dung ruhendes Wert, ein Wert aus Einem Guß and Fluß, kbeall jelbRändig, 

briginal.“ Kehrein wanſcht, daß es namentlich in unfern Gymnaſien neben 
dem Mbelungenliede möge geleſen werden. Mit Hülfe des ganz vollſtaͤm⸗ 





Literaturkunde. 176 


digen Worterbuches, in dem ber Herausgeber von Neuem feine ausgezeich⸗ 
nete Kenntniß des Althochdeutſchen dargethan bat, wird Jeder zum Ber: 
fländniß des Gedichts kommen, der es ernſilich will. 


25. Die FrithiofSage. Der Jugend erzählt von Friebrich Seidel. Mi 

—— ii 3 Huhn u. He 8. & u. ir & eng: 

J. 83. Weber, 1866, 

Die ſchöne, in Deutfchland bereits viel befannte Frithjof⸗Sage erfcheint 
bier in einer illuftrirten Bearbeitung für die Jugend. Sie kann derfelben 
auch ohne Bedenken in bie Hand gegeben werden; denn fie ifl gut er: 
zählt. — In vielen Scenen läßt der Bearbeiter Proſa und Poeſie 
wechſeln und bereitet dadurch paſſend zum Lejen metrifher Ueberſetzun⸗ 


gen vor. 


5. Gedichtſammlungen. 


26. Edelſteine dentſcher Dichtung und Weisheit im XIII. Jahr⸗ 
hundert. Ein mittelhochdeutſches Leſebuch zuſammengeſtellt und mit einem 
Wörterbuche verſehen von Philipp Wackernagel. Dritte, verbeflerte Auf. 
Inge. gr.8. (XXXVI am 312 ©). Frankfurt a. M., Heyber umb 
Bimumes, 1865. 14 Thir. | Ä | 

Die ‚Edelfteine” find den Lehrern un Gelehrtenſchulen hinreichend be 
fannt ; es bevarf daher bier nur der Anzeige der neuen Auflage. Für le 
jüngeren unferer Leſer bemerfen wir jedoch, daß alle Terte in der Sprache 
des dreizehnten Jahrhunderts gegeben find, das einen großen Theil bes 

Buches einnehmende Nibelungenlied nah der Ausgabe von Lachmann, der 

betanntlih nur eine mäßige Anzahl von Abenteuern für echt anertennt. 

Außer diefer Dihtung enthält das Wert noch: Den armen Heinrich, Otto 

mit dem Barte, Lieder non Hartmann von Aue, Reinmar dem Alten, Wal 

ther von der Wogelmeide (59), Einiges aus Freidanks Veſcheidenheit, Profa 

aus David von Augsburg und Berthold von Regensburg. . J 

Das angehaͤngte Woͤrterbuch iſt ganz geeignet, dem Anfaͤnger das 
Studium zu erleichtern, ebenſo, was in ber Vorrede über die Vocale und 
Gonjonanten gejagt wird. 0. 

Dem Herausgeber gebührt das Berdienft, durch diefe Schrift und an⸗ 
dere Arbeiten nachdruͤdlich auf die germaniftifchen. Stubien biugemwiefen zu 
haben. . | 


27. Das dentſche Räthſelbuch. Geſammelt von Karl Simrock. Zwelle 
Auflage. Frankfurt a. M., Chr. Winter. Gebrudt in dieſem Jahre. 
Diefe neue Ausgabe unterjcheidet fi von der erften dadurch, daß der 

Herausgeber Alles ausſchloß, was das Anſtandsgefühl verlegen kann; bie 

vollſtandige Ausgabe ift neben biefer zu haben. Wir können biefe Aus 

ſcheidung nur billigen, va das Bud nun auch der Jugend in die Hand 
gegeben: werden kann. Diefelbe bat an hen 1242 dargebotenen Rummern 
noch genug zum Zeitvertreih und zur Echärfung bed. Racbenle. . . : 


176 ‚Riternturtunde. 


28. Der altdentſche Helbenfang in drei Proben. Nibeln — Gudrun 
— Parzival, für Schule und Haus von Julius Caupe, Prof. am Gym⸗ 
nafhım zu Sera. 8. (VIII und 136 ©.) Gera uw. Leipzig, H. Kauitz, 

. 10 gr. 


Die drei großen, auf dem Zitel genannten Epen find in Proſa er 
zählt. Die Erzählungen haben den Grad der Ausführlichleit, der erforbers 
ih ift, um ein vorläufige Bild von den Dichtungen zu erlangen. Be 
deutfamere Stellen find metrifh, nah guten Weberfegungen, wieber- 
gegeben, 

Für den Schulgebraud ift die Arbeit nicht geeignet ; dagegen empfeh⸗ 
len wir fie der etwas reiferen Jugend als eine gute Lectüre zur Einfüh: 
rung in diefe Dichtungen, 


29. Sammlung ausgewählter Stüde aus den Werten beutfher 
Brofaiter und Dichter, zum Erklären und münblichen Bertragen iu ben 
verfhiebenen Klaſſen der Gpmnafien, herausgegeben von Dr. ©. 8. U. 
Hülftett. Zweiter Theil: aus bie beiden mittleren Klaſſen. Zweite Ab» 
theilung: Für die dritte Klaſſe. Dritte, forgfältig durchgeſehene, verbefjerte 
und vermehrte Auflage: gr. 8. (XXI und 336 ©.). Leipzig, Priebr. 
Fleiſcher, 1865. 25 Gar. 

Die übrigen Abtheilungen dieſer Sammiayg And mir nicht. befannt ; 
die vorliegende enthält viel Gutes in Proja und Poeſie, Mberfichtlich geord⸗ 
net, wird ſich daber für den auf dem Zitel angegebenen Zwed als brauch: 
bar erweijen. 


. 


30. Sammlung deutſcher Gedichte, welche ſich ‚um Declamiren in ben 


mittleren nnd oberen Gymnaſialllafſen eignen, herausgegeben von Dr. 4 
Volckmar, Director am Lönigl. —*8 zu Aurich. Dritte, verbeſſerte 
Auflage. — (IX und 470 ©.). Göttingen, Vandenhoeck u. Ruprecht, 
1865. 1 . 


Sm dieſer Sammlung find die beſſeren unſerer Dichter faſt alle ver- 
treten, die hervorragendften natürlich durch eine gröfere Anzahl von Etüden. 
Die Auswahl ift mit Geihmad angefertigt. 


31. Sammlung beutfher Gedichte, di Schule und Sans. Gefammelt 
und methobitch zufammengeftellt von Ernſt Keller, Sechſte Auflage. 8. 

(160 ©.). Berlin, ©. Hempel, 1866, 5 Egr. . 

»_ . Aus 47 Dichtern der neueren Beit, etwa von. Gellert und Gleim an 

gerechnet, find für diefe Sammlung benußt worden. Die Auswahl kan 

als zwedmäßig bezeichnet werben und fcheint auch — nad den Nuflagen 

34 ſchließen — Beifall gefunden zu haben. 


32. Gellertbuch. Herausgegeben von Ferdinand Naumann. Mit einem 
Titelkupfer: Das geifllihe Lieb Gellert's (nad) einer Originatzeichnung des 

Brof. E. Benbemann) unb drei Lithographieen: das Portrait,‘ EOrab uuib 
-. : Faeſimile Gellerts. Zweite, unveränberte Auflage. Ir. 8. (VII und 
307 6). Dresben, &. ©. Meinhold und Söhne 1 Chr. . ., - 


.. Gine größere Anzahl von Dichtern und befannten Schriftſtellern hat 
Beiträge zw diefem -,,@ellestbuche” gelisfert, von denen fi ein Theil direct 


— 


— 





Literaturkunde. 177 


auf Gellert bezieht. „Züge aus Gellert's Leben“ von dem gemüthvollen 
G. Chr. von Schubert eröffnen das Werl. Den Freunden Gellert's wird 
Manches dargeboten, was ihnen Freude machen wird. 


33. Charis. Griechiſche Antbologie in dentſcher Ueberfeung. 
Ausgewählt für Frauen von Berta Alrebi. Nebft kurzer Geſchichte der 
griechifchen Poefie und mythologiſchem Anhang. br. 8. (VI und 602 ©.). 
Berlin, H. Kaftner, 1865. In engl. Einb. m. Goldſchn. 3 Thlr. 

Das Streben, die poetiſchen Echäbe des klaſſiſchen Altertbums gebil⸗ 
deten deutſchen Frauen in guten Ueberjeßungen zugänglib zu machen, ift 
in neuerer Zeit wiederholt hervorgetreten, und verdient Anerlennung und 
Ermunterung. Gern weiſen mir daher auf diefe neue griebiihe Anthos 
logie bin, und um fo lieber, da fie mit feinem Tacte angefertigt ift und 
nur Zrefflihes enthält. Diefelbe bringt Proben aus den verjchiedenften 
Dibtungsarten, fo namentlihd aus Homer's Ilias und Odyſſee, aus Heſiod's 
Merle und Tage, Hymnen, Glegien, Epigramme, Yamben = Dichtungen, 
lyriſche Dichtungen, Idyllen und Dramen von Aeſchylos, Sopholles und 
Quripives. Hier und da find kurze Grläuterungen unter dem Terte ges 
geben worden, Mythologiſches ausgenommen, wofür der Anhang genü: 
gend forgt. 

Die Ausftattung ift ausgezeichnet. 


34. Blütden Hriftlider Dichtung aus allen Zeiten ber Kirche für jeben 
Tag des Zahret. Kine Mitgabe auf die Lebensreile. Füufte Auflage. 16. 
(397 ©. mit 1 Chromolith.). Stuttgart, 3. F. Steinfopf, 1866. 17 Sgr 
Die Auswahl kann ald eine gute bezeichnet und Erbauungsbepürftigen 

wohl empfohlen werben. 


6. Auszüge aus Klaffilern. 


35. Geiſt deutiher Klaſſiker. Eine Blumenleſe ihrer geiftreihfien und 
gemütbvoliftien Gedanken, Darimen und Ansiprüde. Herausgegeben von 
Ernſt Freiherr von Feuchtersieben, Verfaſſer der Diätetil der Seele. 
Driste Auflage. 1.—10. Theil. 16. Wien, Hartenleben’® Berlag, 1966. 
2, Thlr. 

Die vorliegenden zehn Bändchen enthalten Auszüge aus Götbe, 
Schiller, Herder, Hippel, Klinger, Lejfing, Lichtenberg, 
Bieland, Benzel:Sternau und Jean Paul. Jedem diefer Dich 
ter ift ein Bändchen gewidmet: Es ift nur Profa ausgemäblt worden. Als 
Ziel wurde dabei in’s Auge gefaßt, „nicht nur durch organifche Anorbnung 
in jedem Bande ein anziehendes und inftructives Ganze, fondern auch durch 
die Art der Auswahl ein Gefammtbild der Lebensanfiht jedes einzelnen 
Schriftftellers zu geben.” Dieſe Aufgabe hat der Herausgeber in vortreff: 
lichſter Weiſe geloͤſt. Verwandte Gedanlen ftehen überall beifammen und 
find mit befondern Ueberſchriften verfeben ; daraus erwächſt der fehr erhebliche 
Vortbeil, daß man einem beitimmten Gedanken längere Zeit nachgeben und 
ſich ihn von verſchiedenen Seiten ber Tann beleuchten laffen, wodurch das 


Bär. Jahreabexicht. XVIL. 12 


doch gem 
jar E:r5 weten Orime ws jedes Rünchen darch eine zwar kurze, 
aber sıte Gi:ralteriiik des beireffenten Tit:ers 


7. Peetil 


36. Leitfaten ker Boetil für tm Zul» aut Eelt-Usterridt. Ben 
Etts Eut Lehrer ber terrixn Errade und Piterstar. gr. 98. 
(VI amp 72 €.) Zänd, Sr. Eduiiheg, 1865. 5 Zr. 

Zies Sckriftchen zeiknet fih ver vielen äbniiden Arkeiten vortheilbaft 
durch Ciniskteit und Peihräntung des Steñes und lebentige Tarftellung 
aus. Ter Berf. lebat fi, ebne jeine Selti:rintigleit aufzugeben, haupt: 
ſäclich an vie Meitter ättbetiiter Wipenſchaft, an Th. Bilder und M. 
Girriere an, und lift tiefe, wie aub andere Männer von CEinſicht, oft 
feitft reden. Die Wahl der zur Beranjhauiihung dienenden Boefien iR 
eine recht gute. 


8. Mytbologie, 


37. Die nordiſchen Götterfagen, einfah erzählt von „Dr: A. Reulh. 

8. (VI und 139 E.). Berlin, H. Edyintler. 1565. 20 Ser. 

Die alten fhönen Eagen, welbe die Grundlagen unferer dentſchen 
Mythologie bilden , werben vom Berf. in einfader, auch der reiferen Ju- 
gend verſtaͤndlichen Weiſe erzählt und durch gut entworfene Holzſchnittzeich⸗ 
nungen erläutert. Um Lefer, die nody ganz unbelannt mit dem Gegenftande 
find, nicht durch die barbarifhen Namen abzujdhreden, bat der Berf. dieſel⸗ 
ben in Anmerlungen unter dem Text erllärt. Die ſechs Abſchnitte, in 
weldye das Material gebracht wurde, tragen folgende Ueberſchriſten: 1. Die 
Welten und ihre Entſiehung. 2. Odhin und das Aſengeſchlecht. 3. Thor 
und feine Großthuten. A. Hänir und die Banen. 5. Freyja und ihre 
Liebhaber. 6. Leli und das Weltende. 


38. Kulturbilder aus Sriebenlanbs Religion und Kunſt. Popu⸗ 
läte Dorträge von Dr. U. Baumeifter. Mit ficben Abbilbungen. gr. 8. 
(VOL und 232 &.). Wainz, C. G. Runge, 1865. 1 Thlr. 12 Ser. 
Ausgerüftet mit ausreichenden philologiihen Kenntniſſen hat der Verf. 

(Sriehenland bereift und alle die Derter aufgefudht, über welche die Maf- 

fiiben ESchriftfieller fo anſchaulich berihten. Was er aus ihnen geſchöpft 

und was er dort gefhaut hat, davon giebt er in diefen Vorträgen Kunde. 

63 find folgende fieben Vorträge, die er darbietet: Der Barnaß und Delphi. 

Die eleujinishen Mofterien. „Prometheus. Das griehiihe Theater, zwei 

Borträge. Ueber das Kunftideal in den griedifchen Götterbilvern. Gries 

chiſche Götterbilder (Zeus, Hera, Apollon, Artemis, Hermes, Bacchus). 

Alle find ar, anſchaulich und fehr interefiant gejchrieben, jedem Gebilvdeten 

verfländlih ; Lehrer der griechiſchen Literatur und Geſchichte, jo wie übers 








Riteraturfunde. 179 


baupt Alle, welche nad vollem Verſtändniß einjhläglidher Poeſien ftreben, 
werden das Bud mit Nupen lefen. 
Die Abbildungen (Lithographien) ftellen griechiſche Gottheiten dar. 


39. Sagen und Märchen aus ber Heroenzeit der Griechen und 
Römer für die Jugend bearbeitet von A. 2. Grimm. Mit fehe Illu⸗ 
Rrationen. Dritte, jehr ſtark vermehrte Auflage der „Märchen ber alten 
Griehen und Römer.” gr. 8. (IX und 498 S.). Leipzig, I. M. Geb» 
hardt's Verlag, 1865. cart. 2 Thlr. 

Dies Wert behandelt diejelben Stoffe, welche Schwab in feinem be 
kannten Werle „Die fchönften Sagen des Hafliihen Alterthums“ bearbeitet 
bat. Da dies Werk jedoch älter ift, als das Schwab'ſche, fo haben mir 
nicht eine Nachahmung vefielben vor uns. Aber auch wenn das der Fall 
wäre, fo können. doch beide Arbeiten gar wohl neben einander befteben. 
Die Grimm'ſche ift in höherem Grade für die heranwachſende Jugend bes 
ftimmt, als die etwas höher gehaltene Schwab'ſche. Das Wert gewährt 
eine gute Grgänzung des Geſchichtsunterrichts, jo weit er die alten Gries 
hen und Römer betrifft, und kann der Jugend wohl empfohlen werden. 

Der Drud iſt vortrefflich. 


12* 


V. 
Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


Bearbeitet von 


Auguſt Lüben. 


I. Agcthodiſches. 


1. Anſchauungsunterricht. 


1. Die Stimmen, welche ſich mit uns gegen einen geſonderten 
Anſchauungsunterricht ausſprechen, mehren ſich. Kehr ſagt in ſeiner unten 
beſprochenen „Methodik des ſprachlichen Elementarunterrichts“ ©. 44: „Wir 
fordern den Anſchauungsunterricht als das Erſte des Elementarunterrichts 
und verbinden ihn organiſch mit dem geſammten Sprach⸗ und Schul⸗ 
unterricht. Es gibt noch Pädagogen, welche dem nicht beiſtimmen. Sie 
geben den Anſchauungsunterricht in geſonderten und beſonderen Stunden. 
Dir thun das nicht. Der Grund für unſer Handeln iſt einfach der: Wir 
fordern, daß der Spradhunterriht mit der Anjhauung, daß der Reben 
unterricht mit der Anjhauung (Stäbchen legen), daß Geographie mit 
der Anſchauung beginne, mit einem Worte, daß aller Untrriht Ans 
fhauungsunterridt fein fol. Wir fragen nun mit Recht: Wenn 
aller Unterridt Anſchauungsunterricht ift und fein foll, wozu nod ertra 
Anjhauungsunterriht in befonderen Stunden? Uns ift der An— 
- fhauungsunterriht feine Disciplin, fondern ein Brincip.‘ 
— Rector Blod fagt in feinem „Einrihtungss und Lehrplan für die 
zweite Bürgerfhule zu Merjeburg” ©. 16: „Als Grundlage des elemen- 
taren Sprachunterrichts wird häufig ein abgefonderter Anſchauungs—⸗ 
unterricht gefordert und geordnet. Derfelbe wird alsdann wohl als ein 
Stammunterridt für die fpäter felbfiftänpigen Zweige des Uns» 
terrichts angefehen. jeder Wiſſenszweig bat aber feinen eigenen Anfang, 
feinen eigenen Anſchauungsunterricht. in felbfiftändiger, abgefonderter An» 
ſchauungsunterricht erjeint daher objectlos.“ — Geminardirector 











Anfchauungsunterriht. Lefen. Schreiben. 181 


Albrecht in Cöthen ift derſelben Anfiht. In feinem Auffabe ‚Der 
Anfhauungsunterriht” (Evangeliſche Volksſchule von Ballien, 1865. 4. Heft) 
fagt er an der Stelle, wo er fi) über das Vogel’fche Verfahren im Schreib: 
leſe⸗Unterricht ausſpricht (S. 346): „— und beshalb habe auch ich ſchon 
längft den ifolirten Anſchauungsunterricht auf meinem Lectionsplan ges 
ftriden. Die Centralijation bat zu ber Einfiht gebracht, daß die Ber 
fplitterung des Elementarunterrichts in befondere Anſchauungs⸗, Denkt: und 
Spredübung, Leſen, Schreiben und Auswendiglernen der geiftigen Förderung 
bes Schülerd nachtheilig und daß ein befonderer Anjhauungsunterriht auf 
der Etufe der Anſchauung ein unorganifhes Clement ei.“ 

2. Ueber die Gegenftände, welche zur Anſchauung gebracht und 
beſprochen werben follen, herrſcht noch immer große Verſchiedenheit unter 
den Lehrern, ungeadhtet es doch nicht fo ſchwer ift, hierüber ſich endlich zu 
einigen. Biemlih allgemein wird doch anerkannt, daf der Anfchauungs- 
unterricht, wie jeder andere Unterrichtögegenftand, auch eine materiale 
Eeite bat. In Betreff des Materials, welches bei der Bildung der Jugend 
verwandt wird, ſteht allgemein feft, daß es ein werthvolles fein foll. 
Halten wir das für den Anfhauungsunterricht feft, jo müflen wir fordern, 
daß nur Gegenftände, Erſcheinungen und Berhältnifle darin zur Sprache 
gebracht werden dürfen, die es werth find, daß die Kinder das 
mit befannt gemacht werden. Die Summe der werthvollen Vor: 
Rellungen und Begriffe, die ein Kind befigt, muß dur jede Stunde 
Anihauungsunterriht vermehrt werden, fonft erfüllt viefelbe 
ihren Bwed nit vollitändig. Am ficherften wird das geſchehen durch 
Betrachtung von Naturlörpernund Naturerfheinungen, bemnädft 
von Berbältniffen der Menſchen untereinander. Darauf rihte man 
aljo das Augenmerk. 

Albrecht fpriht fih a. a. D. für das Betrachten von Körpern, 
vorzugsweife Naturlörpern aus, und bält das überhaupt für leichter, als 
das Betrachten von Bildern, worin wir ihm natürlich beifliimmen. Cr 
empfiehlt, Bilder der betrachteten Gegenftände bei Wiederholungen zu bes 
nußen, aljo den Körpern nachfolgen zu laflen, wogegen nichts einzu: 
wenden ift. i 

Dem ſehr gebräuchlichen Verfahren, den Anfhauungsunterrigt mit der 
Sähulftube und den Gegenftänden berjelben, oder mit dem menſch⸗ 
liden Körper zu beginnen, tritt Hector Seyffarth im „Sculblatt 
für die Provinz Brandenburg” (1865, 7. und 8. Heft) entgegen. Weber 
die Bänle, den Dfen, die Fenfter der Schulftube zu ſprechen, hält er für 
eine unrichtige Auffafiung des Grundfaßes „vom Nahen zum Yernen‘‘, 
worin ihm nicht Viele beiflimmen werden. Gr faßt den Unterricht als „auf 
Anihauung gegründete Denkt: und Sprehbübungen” auf und legt 
demjelben vie bekannten Wille'fhen Bilder zu Grunde. „Die Kübe 
und die Pferde auf dem Bilde und der Knecht Johann, der aufs Feld 
reitet,” das ift das, mas dem Rinde „geiltig am nächlten liegt, was feinem 
Einplihen Weſen am meiften zuſagt.“ Das mag fein, wenn das Kind dabei 
an die Kühe und Pferde und an den Johann des Baters benlt. Aber 
Rammen denn alle Glementarfchüler aus folhen Berhältnifien? Darf denn 


182 Anfhauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


alfo ein Bauerjüngelden allgemein maßgebend werben für die Auswahl 
des Stoffes für den Anſchauungsunterricht? Soll der Lehrer in Elementar: 
Uoflen von Schulen mit Kindern aus höheren Ständen auch damit beginnen? 
Diefe Frage wird der Verf. nicht bejahen wollen. Ob er aber für folde 
Kinder die Abbildung etwa des Innern eines Salons mit Jagd⸗ und 
Schooßhunden, betreßten Bebienten, Kammerzofen u. dergl. in Borfchlag 
bringen würde, müßte dahin geftellt bleiben. 

Der Ber. zeigt an einem Beifpiele, wie man die Unterhaltung über 
eins ber angesogenen Bilder (Taf. 8) führen fol, um „auf Anfchauung 
gegründete Denk⸗ und Sprehübungen” zu erhalten. Des befieren Berfländ: 
niſſes halber theilen wir den Anfang beflelben mit. 

„Wer ftebt bier auf der Straße? 

Auf der Straße fteht ein Mann. 

Mas bat der Mann an? 

Der Mann hat einen Kittel (Nutte) an. 
Wie fieht der Kittel aus? 

Der Kittel fiebt blau aus. 

Was bat der Mann umgebhängt ? 

Der Mann bat einen Kober umgehängt. 
Woraus ift der Kober gemacht? 

Der Kober ift aus Stroh gemacht. 

Mas bat der Dann auf dem Kopfe? 

Der Mann hat einen Hut auf dem Kopfe. 
Woraus iſt der Hut gemaht? — aus Stroh.” 

Ich erlenne natürlih an, daß die Kinder bei diefem Verfahren urtbeilen 
und ſprechen. Aber welder Gewinn erwädhft ihnen fonft noch daraus? 
©elangen fie zu neuen Vorftellungen, oder werden ihnen mindeftend früher 
erhaltene deutliher? Das muß Jeder mit mir verneinen. Denn ob ein 
Mann mit blauem Kittel und Stroblober auf der Straße ſieht, das iſt ein 
Willen ohne allen Werth, und eine Unterhaltung darüber mit Kindern iſt 
darum nichts weiter, ald ein Geſchwätz. Zu ſolchen inhaltslojen Unter: 
tedungen hat die Schule feine Zeit, auch die Elementarjchule nicht. Darum 
weg mit ſolchen Bildern und folhen Unterrebungen, 

3. Der Anjhauungsunterriht verfolgt befanntlihd auch den Bwed, 
das Sprachgefühl zu bilden und die Sprachfertigkeit zu fteis 
gern. Man erreiht Beides, indem man im Unterricht nad und nad 
die gebräudlichften Sprachformen in rihtigen Saͤtzen Borführt und einübt. 
Letzteres gilt natürlich vorzugsweife von den fehwierigeren und den findern 
weniger geläufigen Yormen. Welche Yormen der bejonderen Ginübung bes 
bürfen, darüber muß fich der Lehrer vor Beginn feines Unterrichts ebenio 
Har fein, als über die Folge, in der das gejcheben fol. Eelbitverftänplid) 
können und ſollen nit alle Säße, die bei der Beiprechung eines Gegen⸗ 
ftandes als Antworten gegeben werben, die in Angriff genommenen Sprach⸗ 
formen enthalten. Das Geſpräch wird vielmehr in ungezwungener Weife 
geführt, und nur darauf gefehen, daß die betreffende Form an geeigneten 
Stellen zum Ausdrud kommt. In meinem Schrifthen „Erundfäge und 
Lehrgänge für den Sprachunterricht“ (Leipzig, 1858) habe ich die Sprach⸗ 








Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 183 


formen, welche im erſten und zweiten Schuljahre auf dieſe Weiſe eingeübt 
werden ſollen, bezeichnet und auch zugleich die Folge angegeben, in der das 
geſchehen kann. Es iſt dabei dem Grundſatze „vom Leichtern zum Schwe⸗ 
rern“ Rechnung getragen worden. Die Gegenſtände der Beſprechung 
find bei jeder dieſer Sprach- Uebung genannt, und aus dem Citat bei der 
erfien Uebung (S. 23) erfieht Jeder, daß diefelben Gegenftände in derjelben 
Drbnung auch im erften Theile meines „Lefebudhes für Bürger: 
ſchulen“ behandelt find, und zwar in der zweiten Abtbeilung deſſelben, 
die erft im zweiten Halbjahr, etwa zu Anfange bes letzten Vierteljahres, 
Gegenftand des Unterridhtes ift. 

Rector Seyffarth fpriht ſich a. a. D. auch für Einübung der 
fhwierigeren Sprachformen in, der bezeichneten Weife aus, will aber dem 
Lehrer keine Folge dafür vorfchreiben, fordert indefien doch aud „einen ge: 
willen Plan, nah dem vom Leichtern zum Schwerern vorgejchritten wird.” 
Aun, den habe ih eben aufzuftellen geſucht, und wenn demfelben auch die 
Folge zu Grunde liegt, welche die Saplehre an die Hand gibt, fo verdient mein 
Berfahren darum dod nicht „grammatiſches Schematifiren’ genannt zu werden, 
wie Herr Rector Seyffarth es thut. Es find zwei Geſichtspunkte, welche bei 
Seitftellung eines Lehrganges für den Anihauungsunterriht genommen werden 
müjjen. Es müfjen nämlich zuerft die Gegenftände gewählt und geordnet 
werden, über welche im Laufe des Jahres geſprochen werden foll, und 
dann ift feftzuftellen, welche Sprachformen in den Geſprächen über die= 
felben einzuüben find. Weber das Eine, noch das Andere fann dem Lehrer 
erlajlen werden, am wenigiten dem Anfänger. 

„Bilder, fagt Hector Seyfiarth, können zwar (nämlich bei meinem Ber: 
fahren) auch benußt werden, verlieren aber bei diejer Behandlung faft ganz 
ihre Bedeutung.” Ja mohl; aber ih habe auch ſchon oft genug gejagt, 
daß ih Bilder wie die Wilte’fhen, Winkelmann'ſchen und Stahl’ihen für 
den Anjhauungsunterricht verwerfe. 

Hätte Nector Seyffarth die Sache etwas genauer angejeben und nas 
mentlih auch gelejen, was ich feit 1861 im Päpdag. Yahresberiht und im 
Prakt. Schulmann darüber gejagt, er würde mich fchwerlid zu denen ges 
zäblt haben, melde ven Anſchauungsunterricht auf Koften der Kindesnatur 
fchematifiren. 

Die Kinder in einem Geſpräch, das ich überjchrieben habe „Das 
Kind in der Schule“, zu Sätzen zu veranlafien wie „ic grüße, ich ſitze“ 
hält Nector Seyffarth für „unpſychologiſch“, und fuht das aus der 
Gigenthümlichleit der Kinder zu erweifen, daß Kinder anfangs immer in der 
dritten Perfon von ſich fpreben. „Darin, jagt er, liegt ein wichtiger 
Fingerzeig aud für die Jahre, wo fie das Ich ſchon gebrauden; fie be: 
ſchaͤftigen ſich lieber mit dritten Berfonen und Dingen außer ihnen, als mit 
ſich ſelbſt.“ Freilich! Aber folgt daraus, daß es unpafiend jei, mit ſechs⸗ 
jährigen Kindern ein Geſpraͤch, wie das bezeichnete, zu führen, und ihnen 
darin die Frage vorzulegen: „Was thuſt du, wenn bu in die Schule trittft 
und den Lehrer erblidit?” Oder wenn ber Lehrer an das vor ihm fißende 
Kind im Laufe des Gefprähs die Frage rihtet: „Was thuft du jetzt?“ 
Graͤulicher Pedantismus wäre ed, wenn man aus dem Örunde, dab breis 


184 Anfchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


jährige Kinder nit fagen „ih — trinken, fondern Karl — trinten, wenn 
fie trinten wollen”, in einem Geſpraͤch mit fechsjährigen Fragen wie bie 
aufgeworfenen vermeiden wollte, damit fie nur nicht in den Fall kommen 
zu fagen „ich grüße, ich ſitze“. Ginen hoben Grad von Naivität ſetzt es 
voraus, wenn Nector Seyffarth ſich bei diefer Gelegenheit zu jagen erlaubt: 
„Wer fchon Kinder genau beobadtet hat, wenn fie anfangen zu fprechen, 
der wird bemerkt haben, daß fie von fich immer in der dritten Berfon zuerft 
ſprechen.“ Diefe Rindermädchen:Weisheit foll ih natürlih in Er 
wägung ziehen und bei meinen etwaigen künftigen ſchriftſtelleriſchen Arbeiten 
beachten, ich, der ich feit einem Menfchenleben Zaufende von Kindern bes 
obachtet babe. Ich weiß nicht, wie alt Rector Seyffarth ift; aber nach diefer 
Aeuberung möchte ich ihn für — recht jung halten. 

4. In einem Auffage in Nr. 24 der Sidi. Schulz. von 1865 
werden von E. Kühn in Rleinftruppen die Borderungen feftgeftellt, denen 
Bilder für den Glementarunterricht entfprehen müſſen. Bir 
heben daraus einige beadtenswerthe, wenn auch nicht gerade neue Sätze 
heraus, 

„Die durch wirkliche Gegenftänve, fo durch Abbildungen follen bie 
Kinder zum Sehen gebildet werden. Der Synthefis müſſen die Bilder nad 
Folge und Ausführung entſprechen. Für die Glementarllafle gehört nun 
jedenfalls der Anfang der Entwidelungsreihe. Zunächſt werde 
den Kindern die Abbildung nur eines Gegenflandes bingegeben. Denn 
bei Zerlegung eines Gompleres werden bie Kleinen durch Einzelheiten irre 
gemacht; fie verwechſeln das Weſentliche mit dem Unwefentliden. Daraus 
ergibt ſich fogleih eine weitere Forderung: Die Bilder follen nit nur 
einfahe Gegenftände darbieten, fie follen auch fo einfadh als 
möglich dargeftellt fein.‘ — Gemalten Bildern ift entſchieden der 
Vorzug zu geben; „denn fie nähern ſich der MWirklichleit am meiften und 
erleichtern nicht. nur die VBermittelung für die von den Kindern zu 
zeihnenden Umrifie, fondern fie fleigern auch durch die Farben das Intereſſe 
der Kinder. Der bloße Umriß verlangt eine breifade Abftraction: Abftrao 
tion von der Räumlichleit, von der Farbe und vom Schatten; darum er 
ſchwert der bloße Umriß dem Kinde die Auffaffung; er fegt einen Reich: 
tbum von Anfhauungen voraus, den das in der Anfhauung ungeübte 
Meine Kind nicht haben kann.” — „Zu bunt und zu grell gemalte Bilder 
ftören das Gleihgewicht der Anfhauung. Andrerſeits darf aber die Wahr: 
nehmung auch nicht zu ſchwach fein, denn fie erfüllt bei nur einiger Dauer 
die Seele mit Unmuth und läßt ein trübes, verwijchtes Bild zurüd. Bei 
Darftellung von Bildern für den Unterrichtsgebrauch ift alfo die rechte Mitte 
zu balten: ein mildes, aber doh audh lebendiges Colorit muß 
ihnen gegeben werden.” — „Die Bilder müjjen auf weißes Papier 
in fcharfen Umriſſen gezeichnet fein.” — „Für die Clementarftufe darf eine 
Tafel nur eine Abbildung enthalten.” 

5. Zn Rr. 19 (1865) des Oldenburgiſchen Schulblattes ift von DE. 
ein „Lehrplan für den Anfhauungsunterriht in der Volle 
ſchule“ mitgetbeilt worden. Ohne daß es direct ausgeſprochen wird, erfennt 
man doch jogleid, daß der Verf. an einen gefonderten Anjchauungsunterricht 


Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 185 


denkt. Cr bat das Material für zwei Jahre feſtgeſtellt und angeordnet. 
Wir flizgiren den Lehrgang nadflehend kurz. 

Erſtes Jahr. Bom Mai bis zu den Hundstagsferien: 
einige Gegenftände aus der Wohnftube, einige aus der Kühe, aus der 
Kammer, dem Stall. — Bon da bis Michaelis: Gegenftände ans der 
Schule und vielleiht einige Handwerld- und Adergerätbe, aber nur jolde, 
welche vorgezeigt werben können. — „Wenn zwifchendurd ein gefangenes 
Mäushen, eine von den Kindern erlegte Schlange, ein Froſch oder eine 
Heufchrede beſprochen wird, fo wird das die Kleinen ganz bejonders ers 
freuen, doch dürfen dergleihen Ausnahmen nicht zu oft wiederkehren, damit 
fie den einmal feftgeftellten Plan nicht zu fehr ſtören.“ — Michaelis 
bis Weihnachten: Beſprechung der Hausthiere nach guten Bildern und, 
wenn die Zeit vorhanden, einiger wilden Säugethiere und Vögel, die dem 
Kindern mehr oder weniger belannt find. — Weihnachten bie März: 
Der Menſch. Zunähft Betrachtung ber einzelnen Theile, dann Unters 
rebungen über die Bebürfnifie des Menſchen, über Erhaltung und Zerſtö⸗ 
rung bes Körpers oder einzelner Theile, Gejundheit und Krankheit. — 
März bis Mai: Zhätigleiten der Eltern und Geſchwiſter, Handwerker 
und Landleute. Auch werben einige Lectionen über das Wohnhaus, über 
das Gebäude, Pläße, Etraßen des Wohnortes fruchtbar zu machen fein. 

Zweites Jahr Sechs⸗ bis adtjährige Schüler vereinigt. Der 
Blan im Großen und Sanzen berjelbe; es werden aber andere Gegenftände 
zu Grunde gelegt. Im Sommerfjemefter: Pflanzenreih und ein Theil 
des Thierreihe. „Aus dem Pflanzenreih find Bäume, Sträucher, Blumen, 
Getreide, Gemũſe, Gewürze, insbefondere auch Giftpflanzen zu berüdfichtigen. 
Bei Beiprehung der Zhiere wähle man, mo möglid, aus jeder Orbnung, 
aljo ein Raubthier, ein Nagethier ꝛc., einen Klettervogel, einen Eingvogel ꝛtc.“ 
— Mihaelis bis Ende November „Der Menſch. Nachdem bie 
einzelnen Theile möglichjt alljeitig befprochen find, finde Alles Berüdfihtigung, 
was über die Mittel zur Erhaltung der Gefunpheit, über das Verhalten 
bei gewiflen Krankheits⸗ und Unglüdsfällen für die Kinder wiſſenswerth er 
fpeint.” — December: einige Mineralin. — Januar; Betrachten 
matbematifher Körper, ale: Würfel, Walze, Kegel ıc. — Februar bis 
Mai: geograpbifch:phufiicher Kurfus, nah Harder. Den Schluß bildet die 
Heimathskunde. 

Wo man gefonderten Anſchauungsunterricht ertheilt, da kann ein Lehr: 
gang wie der vorftehende immerhin innegehalten werden; nur rathen wir, 
auch mit SLandlindern nicht gar fo tief in die Viehftälle einzubringen, da 
beflere Gegenftände in Menge vorhanden find, und die Kenntniß deö menſch⸗ 
lichen Körpers bis auf fpätere Zeit zu verfchieben. 

6. Im vorigen Bande beipraden wir die Idee des Pfarrers Jäger, 
die Schöpfungsgefchichte der Bibel als Feitfaden für den Anſchauungsunter⸗ 
richt zu benugen, und fpraden dabei aus, daß ein fo origineller Vorſchlag 
wohl noch nit gemadht worden fei. Heut haben wir über einen vers 
wandten Vorſchlag zu berichten. M. Chrenberg in MWermsporf- hat in 
ver Sädf. Schulz, Nr. 35 (1865) einen Lehrgang mitgetheilt, in dem 
der Anfhauungsunterriht In Verbindung mit der bibliſchen 


186 Anſchauungsunterricht. Lefen. Schreiben. 


Geſchichte und der Katechismuslehre gejeßt wird. Der Berf. bat 
dabei das zweite Schuljahr im Auge. Es wird zum Verſtaͤndniß feines 
Lehrganges ausreihen, wenn mir ein paar Stufen daraus und von ben 
übrigen die Ueberjchriften mittheilen. 

1. Die Schule Gefprädsftoff: Der Menſch bedarf von früher 
Jugend an der Bildung, der Erziebung, des Unterrichts. Das Haus kann 
das allein nit. Die Schule ift nothwendig. Werth einer guten Schul: 
bildung für künftige Zeiten. Pflichten des Schülers ꝛc. — Die geeignetten 
biblijhen Geſchichten würden bier fein: Johannes, Jeſus, Moſes, 
Samuel’ Kindheit. — Auch können zur Erheiterung und Veranſchaulichung 
$abeln, 3.3. „Die beiden Hunde”, eingejhaltet werden. — Paſſend ge: 
wählte Bibelſprüche und Dentvershen befefligen das bier Ent: 
widelte und Gegebene, fo wie auf allen nachfolgenden Stufen. 


2. Das Haus. Das Bild eines Haufes wird in den ein 
jachſten Conturen vorgezeihnet. Die Kinder verfuhen die Nahbildung. — 
Gefprähsftoff: das Bebürfniß, der Nugen befielben. Der Bau, die 
Arbeit, das Material und deflen Gewinnung. Die einzelnen Theile, Räume 
und ihre Beitimmung. Die Wohnftube, Form, Größe, Möbel ꝛc. Dann 
die Bewohner, die Familie. Verhältniß der Glieder; Thätigkeit, Sorg⸗ 
falt und Liebe der Eltern; Pflihten der Kinder. Geſchwiſterliebe ꝛc. — 
Das vierte Gebot erklärt und memorir. — Biblifhe Geſchichten: 
Das erfte Ehepaar, Kain und Abel, Noah und feine Söhne, Abraham, 
Iſaak, Jacob und feine Familie, Eli und feine Söhne, Abfalom ꝛc. 

. Der Garten. 4 Der Bauerbof 5. Der Wohnort. 
6. Die Heimatblihe Gegend. Das Baterland. 7. Die Erde. 
8. Der Himmel. 9. Gott, der Herr. 10. Chriftus. 

Mir haben nichts Dagegen, wenn bei paflender Gelegenheit neben finn- 
lichen Anſchauungen auch fittliche gegeben werben; aber eine Berbin: 
dung, wie fie bier angeftrebt wird, halten wir für unnatürlid und weder 
im Interefie des Anſchauungs⸗, noch des Religionsunterrichts. 


2. Leſen. 


1. Im vorigen Bande wies ich auf das allerwärts fih fund gebende 
Streben hin, für jedes Laͤndchen, für jede Provinz größerer Staaten 
bejfondere Leſebücher herzuſtellen. Dies Streben ift vielfah von 
Lehrern ausgegangen, die auf diefe Weife ihre Ideen am vortbeilbafteften 
zu realifiren gedachten, theild aber aud von Regierungen, welche fih Nupen 
von der Uniformirung ihres Schulweſens verſprachen. Nah unjerem Das 
fürbhalten ftebt died Streben im Zuſammenhange mit der Borftellung , die 
man gegenwärtig von den Leſebüchern für die Volksſchulen bat. Man ſieht 
biefelben vorzugsmeife ald Bücher an, melde den Schüler befannt maden 
follen mit dem Stüdchen Land, das er feine engere Heimath nennt. Gr 
fol dadurch die Heimath kennen und lieben lemen, damit er ſichs niemals 
einfallen laſſe, auszuwandern. Das fpricht man freilich nicht offen aus, 





Anjhauungsunterriht. Leſen. Schreiben. 187 


aber daß es im Hintergrunde liegt, iſt unfchwer zu erfennen. Man will 
diefen Particularismus aus Gigennuß und fragt nichts nad dem unfäg- 
lihen Unheil, das daraus erwächſt, wie die traurigen Erſcheinungen dieſes 
Sabre (1866) beweiſen. Schwerlid würden bie deutſchen Voͤlker in fo 
verabfcheuenswürdiger Wuth gegen einander entbrennen, wenn diejer Partis 
cularismus nicht feit Jahrhunderten und in unferer Zeit mehr als jemals 
genährt worden wäre. Zwar bat man das Häßliche defielben in letzterer 
Zeit wohl gefühlt und eine allgemeine Verbrüderung herbeizuführen geſucht; 
aber mehrtägige Sänger, Turn: und Schüßenfefte vermögen nicht gut zu 
machen, was Schule und Staatsleben unaufhörli verderben. Solche 
Sefinnungsäußerungen des Volkes werben erft ihre Wirkung haben, wenn 
man aufhört, jedem Jungen während feiner ganzen Schulzeit feine engere . 
Heimath zu einem Eldorado zu machen, das feines Gleihen nicht mehr in 
der Welt bat. Man lehre ihn Deutfchland als feine engere Heimath ans 
ſehen und forge durch Unterricht und Erziehung dafür, daß er das lieben 
lerne, dann wird die fo lang erfehnte deutſche Cinheit von ſelbſt kommen, 
und ohne blutige Kriege. Bon diefem Standpunlte aus wünfchen wir, daß 
man die angebdeutete Anficht über das Volksſchul⸗Leſebuch verbefiern und ihm 
fatt des provinziellen einen allgemein deutſchen Charakter geben möge. 
Damit wollen wir aber nicht fagen, daß es von Deutfhthum überfprudeln 
ſolle Immerhin möge ed an paflender Stelle die Schönheit des deutſchen 
Landes und die Tüchtigleit feines Volles hervorheben; aber in weit höherem 
Maße muß es dur feinen Inhalt darnach ftreben, jedem veutichen Finde 
eine allgemeinsmenjhlide Bildung zu verleihen, muß es dafür 
forgen, daß e3 dur die anerkannt trefflihen Geiftesprodufte un: 
ſerer beften deutſchen Denker und Dichter deutih fühlen, deutſch 
denten, deutfh handeln lerne. 

Daß die Herftellung und Einführung von Lanbeslefebühern auch noch 
andere Nachtheile zur Folge bat, das bat Theodor Hoffmann aus 
Hamburg in Nr. 13 der Allgem. d. Lebrerzeitung (1865) überzeugend nach⸗ 
gewielen. Cr bejorgt, daß fie dem Aufblühen der Schulen binverlich fein 
werden, „indem fie dem Wiſſen der Lehrer beftimmte und daher bald zu 
enge Grenzen ziehen”, auch dem Streben ber einzelnen Lehrer, zur Vers 
befierung der Volksſchul⸗-Leſebucher beizutragen, hemmend entgegentreten, 
„Lehrern und Verlegern würde bie Quft vergeben, neben dem Landesleſebuch 
Neues zu fchaffen, da fie auf eine Verbreitung ihres Werkes, auf einen ger 
nügenden Abſatz nicht rechnen können. In Wahrbeit lönnten die 
beften Bücher für die Schule dann die niht gefhriebenen 
fein.” 

„Wir wollen einen ftrebenden, wenn auch vielfach irrenden und fehl: 
greifenden, doch immer friſchen, lebendig vorwärts dringenden Lehrerftand, 
der mit der Beit lebt und feinen Blid offen erhält für das, was feine Zeit 
fordert, und mas ihm nod fehlt, ihren Forderungen zu genügen. Und 
eben deshalb erllären wir und entſchieden gegen fogenannte Landes» 
Lefe: und Lehrbücher.“ 

„Bir glauben, die Benugung wirklich ſchlechter, auch nur in auffallen» 
dem Maße fehlerhafter Bücher kann nicht leicht fortvauern, wenn bie eine 


188 Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


Bedingung nur erfüllt wird, daß das ganze Schulweſen unverhüllt vor den 
Augen liegt. Jede Schule muß in dieſer Beziehung ihre Bücher und Lehr⸗ 
mittel in den regelmäßigen Berichten, welche an die VBorftände und Behoͤr⸗ 
den zu liefern find, genau anführen. Wenn dann Zufammenftellungen und 
Beurtbeilungen von Sadverftändigen gemadt und in Bereinen befproden 
werden, fo übt man einen moralijhen Zwang auf die Lehrer aus, fich des 
Unbraudhbaren zu eniledigen und unter den vielen wirllih guten Büchern 
eines nah dem Etande der Schule und nad eigenen Wünſchen zu mäblen. 
Wir wenigfiens ſehen in der Mannigfaltigleit einen Vorzug vor der Ein⸗ 
förmigleit und völligen Webereinftimmung und wollen lieber eine zu große 
Yengftlichleit bliden lafien, als durch Gleichgültigleit gegen Einrichtungen, 
welde vie freie Entwidelung der Schule hindern, irgend welcder Gewaltherr- 
ſchaft auf diefem Gebiete Vorfchub leiſten.“ 

Damit fchließt Hoffmann feinen leſens⸗ und beberzigenswerthen 
Aufſatz. 

2. Der Seminardirector Dr. Schneider in Bromberg hat unter dem 
Titel „Aufgabe und Biel der einklaſſigen Volksſchule“ einen aus der Ber 
rathung des Seminarlehrer:Collegiums hervorgegangenen Aufſatz, austrüdlid 
als Rathſchlag und Hanpreihung für die Lehrer bezeichnet, veröffentlicht. 
Der Lehrplan ift auf die einfachften Ziele und die ſchwierigſten äußeren 
Sculverhältnifie berehnet. In Bezug auf den Lefeunterridt heißt 
es barin (nad dem Gentralblatt von Stiehl, DecembersHeft 1865): „S- 20. 
Für den eigentlichen Lefeunterricht bleibt dem Lebrer die Wahl zwiſchen der 
Schreiblejemethode und der Lautirmethode; lebterer wiederum 
eben jo wohl in ihrer älteren Form, wie in derjenigen, welde fie durch den 
Director Grügmader erhalten hat. — Es darf vorausgejeßt werden, daß 
nur nod die allerälteften Lehrer die Buchftabirmethode treiben. Den Ber: 
fuh mit der JZacotot’fhen Methode dürfen ſich nur bie begabteften Leh⸗ 
rer erlauben, und auch diefe nur dann, wenn ihre Schule fehr regelmäßig 
befucht wird. — „8. 21. Weihe Methode nun auch der Lehrer einſchla⸗ 
gen möge, jo muß von ihm verlangt werden, daß alle feine Schüler 
nah denerftien zwei Shuljabren zufammenbängende Sprade 
ftüde lefen und ganze Sätze jhreiben tönnen; und zwar müf- 
fen die Kinder nicht nur von der Vorſchrift, oder von der Fibel abſchrei⸗· 
ben, fondern auch einen ihnen vorgefprocdenen oder von ihnen gebilteten 
Sap ohne Vorſchrift richtig aufichreiben Lönnen.” — „Sg. 22. Auf der 
Mittelftufe find die Kinder dahin zu bringen, daß fie ganze Spradftüde 
in gebundener und ungebundener Rede in deutſcher und lateinifher Schrift 
ſinnrichtig lefen ; deutſche und lateiniſche Schrift geläufig aufzeichnen, ein 
kurzes Dictat nachſchreiben und ein nad Form und Inhalt leichtes Sprach⸗ 
ftüd felbftftändig niederfchreiben können.” — „8.23. Auf der Oberftufe 
müfjen die Kinder jedes größere Echriftftüd, aud ein foldhes, das ihnen bis 
dahin fremd mar, mit Ausdrud richtig und leicht zu lejen verfteben, ſofern 
der Inhalt deſſelben dem Lebenstreis des Schülers nicht zu fern liegt, Sie 
müflen jedes Dictat richtig nachſchreiben und zuſammenhaͤngende größere 
Spradftüde, wie münblih, fo auch ſchriftlich reproduciren lönnen.“ — 
„J. 24. Auf allen drei Stufen werben geeignete Sprachſtüde poetiſcher 


Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 189 


Form, amf den beiden oberen auch proſaiſche nach vorangegangener aus⸗ 
führlicher ſachlicher Beſprechung von den Kindern memorirt.“ 

Wir find mit dieſen Forderungen einverſtanden, hätten aber gewuͤnſcht, 
daß den Lehrern noch befonders zur Pfliht gemacht worden wäre, für ge: 
naues Verſtändniß aller Lefeltüde Sorge zu tragen; denn hieran 
lafien es in der That viele Lehrer fehlen; fie meinen ihr Ziel erreicht zu 
baben, wenn die Kinder die Stüde des Leſebuchs nur fließend leſen 
fönnen. 

Auf einen incorrecten Ausdrud, dem man recht oft begegnet, müflen 
wir aber noch aufmerkſam mahen. Man darf nänmlich nicht jagen: dem 
Lehrer bleibt die Wahl „zwiſchen der Schreiblefemethode und 
der Lautirmethode“, fondern muß fagen: zwifhen der Lautirme⸗ 
tbode mit, oder ohne Anwendung der Schreiblefemethode; 
denn die Schreiblejemethode läßt ebenfomohl das Buchſtabiren wie das Lau⸗ 
tiren zu. Das Lautiren muß man aber in unfern Tagen von 
jevem Lehrer für das Lejen fordern, da es die natürlide Me 
thode dafür ift; man kann ihm aber frei geben, ob er 

a. Lefen und Schreiben vollftändig trennen, oder 

b. das gemiſchte Schreiblejen, nad) dem Drud: und Schreibſchrift zus 

gleih angewandt werben, oder 

co. das reine Schreiblefen einführen will. 

Für uns freilich ift dieſes Dreierlei nichts Gleichgültiges, da wir nur 
das Schreiblefen auf Grund des Lautirens für richtig halten 
und die Lehrer davon zu überzeugen fuchen würden. ber wo man es 
mit Lehrern ſehr verfchievdener Bildungsitufen zu thun bat und nicht pers 
ſönlich einwirten kann, da halten wir dieſes Freigeben in ber Methode für 
nothwendig. 

$. Lehrer M. Richter in Lunzenau ſpricht fih in der Sächſ. Schule 
zeitg., Nr. 23 (1865) für das reine Schreiblejen aus und verfichert, 
die günfligften Erfolge dadurch erzielt zu haben, was wir aud leinen Aus 
genblid bezweifeln. Oberſter Grundfag ift ihm: „Die Kinder lernen zuerft 
die Schreibihrift fertig ſchreiben und leſen. Dies ift das Fundament, 
worauf ſich alsdann die Beibringung der Drudicrift gründet. Dieje wird 
leiht erlernt, weil zwiſchen ihr und der Schreibjchrift mannichfache Aehn⸗ 
lichkeiten vorhanden find.’ Ueberraſchend iſt, daß der Verf. fein Verfahren 
für neu bält. Wahrſcheinlich verleitete ihn dazu „Lebensbilder J.“, die er 
bei feinem Unterricht gebraudt. 

4. Es ift zu bedauern, daß die Volksſchullehrer fo felten Gelegenheit 
haben, die Schulen tüchtiger Lehrer des In⸗ und Auslandes kennen zu 
lernen ; mande Ginfeitigleit und Verkehrtheit würde dann unterbleiben oder 
doc bald befeitigt werden. Einer folhen begegnen mir in Nr. 33 des 
Medienburgiihen Schulblattes von 1865. in junger Elementarlehrer zeigt 
dort, wie er das Schreiblefen betreibe. „Die erfte Schreiblejeftunne, 
fagt er, beginnt damit, daß der Lehrer den Echülern das Beichen und den 
Namen fir das „ti gibt.” Während die Kinder das i fchreiben, „zieht 
der Lehrer ſchnell jedem Kinde auf feine Tafel einige Linien für die Grund⸗ 
buchftaben, wobei er ſich Raum läßt, um fpäter die Linien für Tiefs und 


190 Anſchauungsunterricht. Lefen. Schreiben. 


Hochbuchſtaben zwiſchen einzureiben.‘ Gehört das auch nody zur Schreib: 
lefemethode ? 

„In der zweiten Schreiblefeftunde, am Nachmittage, beichäftigen ſich 
die Kinder eine Zeitlang fchriftlid und mündlich mit dem „i“. Sur Ab: 
wecjelung (1) gibt man ihnen nunmehr das Zeichen „n’ und fagt: „Das 
Ding (I) beißt ‚‚n” (Name) und läßt es fchreiben. Nachdem „i” und „n“ 
abwechſelnd gejchrieben ift, lieft der Lehrer, der eine Seite der Wandtafel 
voll „ni und „in“ geſchrieben bat, diefe Seite vor und jagt den lindern, 
er babe die Seite „geleſen.“ Jetzt müflen diefe auch leſen. Der Lehrer 
jagt ihnen: ‚Bei dem Lefen thun wir zu dem „mn“ (Name) jo: „n“ 
(Laut). Damit man Abwechſelung (!) gewinnt, wird das „i” auch als 
Borlaut einige Tage gebehnt gelefen. Mährend die Kinder leſen, hat eines 
von ihnen den Beigeftab und deutet auf das Wort, welches gelefen werben 
fol. Hierzu wird die ganze Klafje herangezogen. So lernen vie finder 
ohne Mühe das Nachleſen. Wie das „i” und „n“, fo werden alle Budh: 
ftaben ver Fibel bis zum „L‘ bin behandelt, indem mit jedem einzelnen 
alle möglihen Berbindungen eingegangen werben ; doch treten ſchon in ber 
zweiten Schulmohe die beweglichen Drudbuchſtaben ein, mit welchen eben» 
falls die in der Sprache vorlommenden Bujammenftellungen, inſoweit vie 
Kinder die Laute kennen, vorgenommen werben.” 


Sclimmeres fann man wohl nicht über die Schreiblefemethope zu leſen 
befommen, und man muß fib in der That wundern, daß fo etwas in einem 
Blatte veröffentlicht werben kann, deſſen Redacteur ein Seminarbdirecs 
tor iſt. Schreibſchrift, Drudicrift, YBuchftabiren, Lautiren — das Alles 
mit einander verbunden nennt man „Schreiblefeunterriht ?" Gibt es denn 
gar kein Mittel, die einzelnen Lehrer dahin zu bringen, wenigftens etwas 
von dem zu lejen, was über den Unterricht in der Elementarjchule gejchries 
ben worden ift? 

5. Sn der Rurbeffifhen Shulzeitung (Nr. 11—16, 1865) 
findet ſich ein längerer Auffag über den erften Leſeunterricht, in dem 
alle vernünftigen Gedanken, melde bis jeßt hierüber veröffentliht wurden, 
zu einem überfihtlihen Ganzen verarbeitet find. Da wir faft Alles, was 
darin berührt wird, wiederholt in ähnlicher Weiſe im Jahresbericht ausges 
ſprochen haben, fo bejchränfen wir uns darauf, unfere Leſer auf dieſe Arbeit 
aufmerffam zu maden. 

Ebenso können wir uns zu zwei leſenswerthen Aufjägen in Saug’s 
Magazin der Pädagogik, Heft 1 und Heft 5 von 1865, verhalten. 
Der erftere hat den Lehrer Fr. Strigl, der zweite den Lehrer Joh. 
Beil zum Verfaſſer. 

6. Wenn auch in allen Unterrichtsgegenftänden darauf zu halten if, 
daß die Kinder ein reines, gutes Hochdeutſch fprechen, möglidhft frei 
vom Dialect, fo liegt diefe Sorge doch in erſter Linie dem Lefeunterridht 
ob. Wie wenig aber in dieſer Beziehung in recht vielen Schulen gefchieht, 
davon kann man fih nicht nur in den Schulen jelbit, ſondern auch überall 
im gewöhnlichen Leben überzeugen. Die große Mafle des Bolles redet in 








Anfchauungsunterridht. Leſen. Schreiben. 191 


den meiften Gegenden Deutſchlands, als märe nie ein Verſuch mit der Cul⸗ 
tur ihrer Sprache gemacht worden. Und vielerorts geſchieht das auch wirk⸗ 
lich nicht ; denn theils fprechen die Lehrer oft genug ſelbſt den Dialect ihrer 
Heimath, theils glauben fie, nichts zur Verbeſſerung des Dialectes beitras 
gen zu können, oder ſcheuen auch wohl gar die damit verbundene Mühe 
und Anſtrengung. Aus eigener Erfahrung weiß ih, daß der Lehrer viel 
zur Erzielung einer guten Ausſprache beitragen kann. Dafjelbe beftätigt der 
Hofprediger Dr. Schweißer in Gotha in Nr. 378 des Hamburger Schul 
blattes. „Im Confirmandenunterricht ſprechen die Kinder der Bürgerfchule 
bier (in Gotha) ihr Deutſch nicht mehr thüringiſch“, jagt er. Darauf müſ⸗ 
jen aud die Beitrebungen allerwärts geridytet fein. Etwas wird bei ber 
ungebilveten Boltstlafje immer vom Dialect zurüdbleiben ; aber dahin follte 
man ed dod bringen, daß man fich überall einander leicht verfieht, der 
Nordländer den Süpländer, der Nheinländer und MWeltfale den Oftpreußen. 
Wie gelangen wir aber zu dieſer Einheit in der Ausjprade, zunädt we⸗ 
nigſtens innerhalb des Kreiſes der Gebilveten ? Schweiger jagt: „Wollen 
wir in diefem Punkte eine Einheit, und es it der Mühe werth, daß bie 
Schule dazu hilft, daß jedem Redner die deutſchen Worte richtig aus dem 
Munde perlen, wie man es jet faſt nur bei großen Scaufpielern hört: 
fo müflen die Lehrer fih geradezu die gute Bühnenſprache aneignen 
und lehren.” Dieſer Gedanke war mir neu. Über es liegt etwas Wahres 
darin. Schade nur, daß nur der Heinfte Theil der Lehrer öfter Gelegen» 
beit hat, die „gute Buͤhnenſprache“ zu hören. Ich in meiner Stellung 
als Seminardirector, der ich auch tagtägli mit der ſchlechten Ausſprache 
meiner Zöglinge zu kämpfen habe, weile diejelben überhaupt auf das bö- 
ber gebildete Publikum bin, deſſen Sprache doch durchſchnittlich auch die 
verebeltere if. 


In einem zweiten Aufſatze in derjelben Nummer bezeichnet Schweißer 
das fhöne Lefen als ein Kennzeihen wahrer Bildung, worin wir 
ihm gern beiftimmen. Cr jagt darin: „Ein Beihen wahrer Geiftesbiloung 
ift e3 daher immer, wenn Jemand einen großen Schriftfteller feines Volkes, 
namentlid) die Dichter und ganz beſonders die Dramatiler, richtig und gut 
vorlefen kann. Darin zeigt ſich eindringender Geift, Verjtänpniß des wür⸗ 
digften Gedankengehalts, der erhabenften Gefühle, der edelften Grundſätze. 
Niemand kann das ohne Berftänpniß für fremde Eigenthümlichkeit, ohne er 
weiterten Gefichtöfreis des Geiſtes. Darum ift die Hebung im guten Vor⸗ 
lefen würdiger Kunſtwerke aud ein mejentlihes Mittel, zur wahren Bils 
dung zu gelangen ; und jeder ſollte die Gelegenheit zu ſolcher Uebung un» 
ter tücdhtiger Leitung eifrig benugen. Auch ift es heilfam, wenn die Far—⸗ 
bung in der Jugend lebhafter wird. Das Map kommt jhon mit ver 
wadjenden Reife. Das Vorlefen von Dramen — nur Haffifhe foll man 
dazu wählen — mit vertheilten Rollen fteht, was den Ton betrifjt, dem 
Agiren auf der Bühne unmittelbar nahe, und ift beſonders bildend.” 


Es dürfte fih empfehlen, daß die Lehrer in ihren Conferenzen ben 
Gegenſtand in diefem Sinne pflegten. 


192 Anſchauungsunterricht. Lejen. Schreiben. 


8. Schreiben. 


3. Ueber den Ehreibunterriht ift in den legten Jahren viel Gutes 
gejhrieben worden. Deßungeachtet wirb er von vielen Lehrern, mitunter 
in ganzen Gegenden, noch jo nah altem Brauch eribeilt, als eriftirten 
Edriften, wie wir fie von Dietlein, Herkfprung, Hirſche u. 1. 
haben, noch gar nicht. Wo die Lehrer felbft nicht von ſolchen Arbeiten 
Kenniniß nehmen, da follten es doch die Schulauffeher tbun, um das Nö: 
thige veranlafien zu können. Lehrer Osſswald gibt in Ballien’s Evang. 
Volksſchule, 1865, A. Heft, ein Bild vom „Echreibunterriht nah dem al 
ten Styl“, fagt aber darin nichts, was nicht ſchon von Andern, jo na 
mentlih von Dietlein, gejagt worden wäre. 


2. Bom Lehrer Schmidt in Ludlum wird im Braunfhmeigifchen 
Schulblatt, 1865, 3. Heft, ein Conferenz:Bortrag über „Die pſychiſchen 
Vorgänge beim Auffafjfen und Nieverfhreiben eines Bud: 
ftaben‘ mitgetheilt, in dem vom Standpunkte der Beneke'fchen Pſycholo⸗ 
gie aus gezeigt wird, daß zur ſcharfen Auffafjung der Buchftaben fcharfes 
Anſchauen der Form und der einzelnen Theile deſſelben und wiederholte 
Uebung im Darftellen erforderli fe. Ich glaube, das mußten die Lehrer, 
die fih um Methode befümmern, ohnehin ſchon. An feine Darftellung reis 
bet er dann folgende vier Theſen: 

a. Der Schreibunterriht muß feine Durhführung ganz und gar auf 
die pſychiſchen Vorgänge gründen, welde bei der Auffaſſung und Darſtel⸗ 
lung eines einzelnen Buchſtaben, wie überhaupt aller objectiven Dinge, für 
die Beobachtung fi geltend machen. 

b. Die Vorſchriften find, wie fie bisher als Vorlagen benupt 
wurden, gänzlih aus dem Schreibunterridhte zu entfernen, 
weil fie für die richtige Darftellung der Schrift von ganz untergeorbnetem 
Werthe, vielmehr ein Hinderungsmittel find. 

ec. Die Correctur beim Schreibunterridte ift lebiglih darin zu 
fuden, daß a. verfehlte Formen an der Wandtafel nahgewies 
fen und dann b. durch entſprechende Lebungen in die rihtigen 
verwandelt werden. 

d. Ein Hauptmüttel für Erzeugung einer fiheren Hand 
ift die oft wiederholte Analyje der Buchſtaben, wodurch nas 
mentlih am beiten der Berwilderung der Schrift vorgebeugt werben Tann. 

Diefe vier Grundfäge haben die Anerkennung tüchtiger Methodiker 
ion längft erhalten; fie bilden die Fundamentalſätze der Methode des 
Schreibunterrichts und verdienen daher wohl, wieder in Grinnerung gebracht 
zu werben. 


3. Das Provinzial:Schulcollegium zu Königsberg hat 
fi von den evangelifhen Eeminaren ber Provinz Bericht über den 
„Schreibunterricht in den Schullehbrer-Seminarien“ erftatten 
lafien und daraus zu einer Verfügung über dieſen Gegenfland Anlaß ge: 
nommen, aus der wir nad dem Gentralblatt von Stiehl (1865, 1. Heft) 
das Wejentlichfte mittheilen, 











Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 193 


Nach Anſicht der Seminarlehrer fehlen gegenwärtig noch Vorlegeblaͤt⸗ 
ter, die ſich nach Schrift und Inhalt für den Unterricht im Seminar eig⸗ 
nen. „Die tbeils im Gebrauch befindlichen, theils blos beurtheilten Bor: 
legeblätter von Herziprung, Rojed, Walpheder, Näpdelin und 
ven Langenfalza’er Schul:Verlagsvereine find. mit Recht als in ber 
Schriftform mangelhaft und deshalb nicht brauchbar bezeichnet. Es ftimmen 
die Gutachten auch darin überein, daß der Ductus in den Vorſchriften von 
Heinrichs ein mufiergültiger iſt. Gleichwohl können fie aber auch nicht 
als Vorlagen für die Zöglinge gebraucht werden, da fie feinen ftufenmäßigen 
Gang und angemeflenen Stoff enthalten. Aus diefem Grunde orbnen wir 
on, daß für ven Schreibunterriht die Schrift der Vorlagen 
von Heinrihs maßgebend fein foll, gebrudte Vorſchriften 
aber jerner niht mehr in Gebrauch genommen werben.” 

Hiergegen ift im Ganzen nichts einzuwenden ; immerhin aber halten 
wir e3 für recht erfprießlih, wenn den Seminariften der oberften Schreib: 
tlaſſe gegen den Schluß bin, etwa im lebten Halbjahr, gute mehrzeilige 
Vorſchriften zur Nachahmung gegeben werden, da die Schönheit der ge: 
ſtochenen Borjchriften durch Borfchriften an der Wanpdtafel niemals erreicht 
wird, ein trefflihes Mufter aber fehr zur Naceiferung anfpornt. Nur auf 
diefe Weije lernt der Seminarijt erlfennen, was im Schönjchreiben geleiftet 
werden kann. Auch für Kinder der Oberklaſſen ver Vollsjchulen empfiehlt 
fih der Gebrauch gedrudter Vorfchriften aus demfelben Grunde. 

Die Verfügung fährt nun meiter fort: 

„Der Schreibunterriht im Seminar hat den boppelten Zwed : 

a. daß die Seminariſten ſelbſt gut jchreiben lernen, 

b. daß fie gut fchreiben lehren lernen. 

Daraus folgt, daß fie das Schönfchreiben fo lernen müflen, wie fie es 
lehren follen, und daß fie dur die Analogie des Unterrichts, den fie em⸗ 
pfangen, mit dem, ven fie zu ertheilen haben, gleihwie in anderen Gegen: 
flänven, fo auch im Schreiben eine unmittelbare Anleitung zu erhalten ba: 
ben. Für die Vollsichule ift es aber feit lange durd die Erfahrung be- 
wiejen, daß es nicht allein keiner Borjchriften bedarf, ſondern es auch för: 
verlich ift, die Schüler nad der Vorfchrift des Lehrers an der Wandtafel 
jchreiben zu lafien, ausgenommen die Schulen, in denen ber Lehrer dazu 
nicht fähig. iſt.“ 

„Sol der Schüler einen Buchftaben gut fchreiben lernen, fo muß er 
denfelben nicht auf der Vorſchrift fertig daftehen, jondern vor feinen Augen 
an der Wandtaſel entjteben ſehen, damit er jeden Zug jaßt und genau 
wahrnimmt, wie bie einzelnen Züge fich zum QBuchftaben verbinden. Dabei 
wird gezeigt, warum er die Striche fo und nicht anders maden barf, und 
wie er fie zufammenzufeßen bat. Auch wird er vor biefem und jenem Feh⸗ 
ler gewarnt.” 

„Nach diefen Erläuterungen beginnt das Schreiben des veranſchaulich⸗ 
ten Buchftabens nad dem Vorbilde, das die Schüler an der Wanpdtafel 
entiteben ſehen. Die Uebung ift jo lange fortzujegen, bis die gorm im 
Ganzen .richtig bargeftellt wird. Erſt wird frei, dann nad) dem Zacte ges 
ſchrieben. Die Buchftaben werden nad der genetijchen Folge geübt, erit bie 

Wär. Jahreßbericht. XVII. 13 


194 Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


kleinen deutſchen, dann die großen, darauf die lateiniſchen Heinen und gro⸗ 
ben. Auch die Zufammenftellung der Buchſtaben zu Wörtern, und fpäter 
die Berbindung der Wörter zu kürzeren und längeren Säben wird an ber 
Zafel gezeigt.‘ 

„Nachdem fo die Schriftformen einzeln und in ihrer Verbindung wit 
einander gelehrt, mit dem Auge fiher gefaßt und von der Hand bis zur 
rihtigen Darftellung geübt find, werden verſuchs⸗ und zeitweife längere 
Stüde, welche den verſchiedenen Gegenftänden des Seminar-Unterrichts an 
gehören, ohne Borfchrift frei gefhhrieben. Dann aber find eingelne Bud 
ftabengruppen zu wiederholen, Wörter und Säge nad) Borfhrift theils frei, 
tbeild mit Angabe des Tactes zu üben, fo daß der Schreibgang noch ein 
bis zwei Mal durdgearbeitet wird. Dabei müflen fih die Geminariflen 
über die Bildung der Buchflaben ausſprechen und einzelne von ihnen ſchrei⸗ 
ben mit Kreide an der Wanbtafel.” 

„Nachdem der Schreibgang zum eriten Dale abfelvirt ift, empfiehlt es 
fih, in der erflen Hälfte jeder Stunde eine Buchftabengruppe zu wiederho⸗ 
len, in der zweiten dagegen Wörter, in welden die eben geübten Budhfla- 
ben häufig und in ben verfchiebenften Berbindungen vorlommen, fowie 
Säbe jchreiben zu laflen. Dabei werden die Budftabenformen, welche nicht 
correct gebildet worden, vom Lehrer an der Tafel vorgemadyt und von den 
Schülern erläutert. Auch machen Einzelne alle genannten Uebungen an ber 
Wandtafel mit durd.” 

„Im zweiten Jahre werben auch Geſchaͤftsaufſätze (Quittungen, Red 
nungen u. dergl.) nad) Vorſchrift an der Wandtafel oder diotando geſchrie⸗ 
ben, fo daß jeder Seminarift eine Heine Sammlung für den Schulgebrauch 
erhält.” 

„Der oberfte Seminarcurfus bat feine Schreibiiunden mehr, es wird 
monatlich eine Querfolio⸗Seite, halb deutſch, halb lateiniſch, in ein befon- 
deres Heft gejchrieben. Dieje Probefchriften find bei den Abgangsprüfungen 
als Ausweife über die Leiltungen im Schreiben vorzulegen.” 

„Der hier bezeichnete Gang bezwedt au, die gewöhnliche Handſchrift 
. der Schoͤnſchrift conform zu bilden. Nachdem durch die Vorfchrift an ber 
Wandtafel eine genaue Darftellung der Buchſtaben, theils einzeln, theils im 
der Verbindung mit einander erreicht if, werden Verſuche ohne Vorbild ge 
macht und zuleßt wird ganz frei geſchrieben.“ 


a. Man lafje nit ungemöhnlih groß ſchreiben, fondern die Buchſta⸗ 
ben etwa in der Größe darftellen, die fie in der Handſchrift haben 
müflen. 

b. Man geftatte au im Anfange keinerlei Ridhtungslinien ; ed wird 
nur auf einfache Linien gefchrieben und wenn ausreichende Fertig: 
keit erlangt ift, müfjen auch diefe wegfallen. 

o. Man lafie in den Schönfdhreibeftunden die Buchſtaben nicht fo 
langſam fchreiben, daß es nicht mehr Schreiben, jondern Zeichnen 
zu nennen ift. Allmählich ift raſcher zu jchreiben, als Aufangs, 
wo die Buchftabenformen geübt werden. Um das Tempo gu re⸗ 
geln, wird der Tact angegeben, 





Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 195 


d. Es darf weder in der Schön:, noch anderweitigen Schrift geduldet 
werben, daß die Schüler die Buchftaben verfchnörteln und allerlei 
verfchönernde Striche, die nicht notbiwendig zur Form gehören, an: 
bringen. 


e. Endlich ift mit Gonfequenz darauf zu halten, daß die Seminariften 
ihre fämmtlihen jchriftlihen Arbeiten gut und jauber jchreiben.‘ 


4. Das Hamburger Shulblatt enthält in Nr. 375 einen mit 
J. F. C. H. unterzeihneten Lehrplan für den Schreibunterridt, in dem 
vom Zweck, vom Stoff und von der Methode gehandelt wird. Als Auf: 
gabe für die Untertlaffe wird „vorzugsmeije Einübung der Buchftaben- 
formen durch Tactjchreiben‘ bezeichnet, woraus zugleich erhellen joll, „daß 
die Verbindung der Buchftaben, wenn auch niht ganz zu: 
rüdgefest, doch nicht wefentlih betont wird, daß dagegen auf 
richtige Darftellung der vier Alphabete und ver Ziffern aller Fleiß verwen: 
det werben muß.” Wie das aus dem Tactjchreiben folgen joll, begreife 
ih nicht; denn durch das Tactjehreiben ſoll der Schüler ja überhaupt ba: 
bin fommen, daß er jpäter ſchwungvoll, aljo mehr oder weniger immer im 
Zacte ſchreibe. Die Buchftaben ein paar Jahre lang nur oder doch vor: 
zugsweiſe ohne alle Verbindung mit andern darftellen lafjen, heißt die Auf: 
gabe zur Hälfte in Angriff nehmen. ine ſolche Zrennung ift unnatürlich, 
daher unftatthaft, eben fo unftatthaft, als wenn man ein Jahr lang ohne 
alle Rüdfiht auf Betonung wollte leſen lajien, etwa zu dem Zmwede, um 
erſt mechanische Fertigkeit zu erzielen. Der Berfafler verftößt mit feiner 
Vorſchrift gegen allgemein anerlannte Grundfäße der Didaktik. 


Was der Verf. über die „Normalſchrift“, bejonders über das 
Größenverbältnig ver Buchſtaben jagt, verdient feine Nachahmung. 
„Alle fpigen Oberlängen, das find t, k, d, 8, t d follen 3, die Schlei⸗ 
fenlängen, alfo I, b, d, h, k, 1, b, dagegen A Grundſtriche hoch fein.“ 
Ebenfo werden die Verbältnifie für die Unterlängen beftimmt. ‚Die Dop: 
pellängen find 6, refp. 7 oder 8 Grunpitridhe lang, aljo 6 Grundftride: 
ſ, 7 Grundſtriche: f, ft, 8, und 8 Grundſtriche: s, f, ss.’ Weiter Tann 
man ja wohl die Willkür, denn nur dieje herrfcht hier, nicht treiben. Wie 
weit follen die Linienfyfteme auseinander gerüdt werden, damit Ober: und 
Unterlängen und die Langbuchftaben einander nicht berühren ? Oder kommt 
darauf nichts an, daß dieſe Buchitaben mit ihren Spigen in einander fah: 
ven und oft durch mehrere Linienfyfteme hindurch ein unförmliches Gezerre 
bilden ? Wir haben anderwärts, fo namentlih auch in Bremen, diefe Will: 
für auch angetroffen, haben fie aber aud überall für unftatthaft, für ge 
ſchmadlos erklaͤrt. Wie man in der Drudihrift dergleihen Unſchicdlichkei⸗ 
ten niemals ausführt, jo darf man das auch in der Schreibſchrift nicht. 


Die Frage, ob mit Linien, oder mit Linienblättern, oder 
ohne Linien gefhrieben werben foll, beantwortet der Berfafler dahin: 
„Es ift ſehr ſchwer, ohne Linien ganz langjam und doch gerade zu fchreis 
ben, wogegen die Linien bei der Schnelljchrift nicht felten hinderlich find; 
daraus folgt: 

13* 


196 Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


a. Die Mittel: und Unterklaſſe ſchreibt nur auf Linien, damit bie 
Schüler allen Fleiß auf die Buchftaben verwenden können. In der Mit: 
tellfafje wird der Uebergang zum Linienblatt gemadht. 

b. Die Oberklaſſe fchreibt durchweg auf Linienblättern und übt fi, in 
der Kladde und im Schnellicreiben allmählich ohne alle Linien gerade zu 
Schreiben.” 

Hierüber werden die Anfihten wohl immer getheilt bleiben. Da das 
Schreiben ohne Linien aber von Allen als Ziel bezeihnet wird, Jo follte 
man nicht vergefien, daß man dies um ſo ſchwerer erreicht, je länger man 
ſich der Linien bevient. Als ich noch Schreibunterricht ertheilte, babe ih 
von der Elementarklaſſe an gar feine Linien anmenben lafien, und ba 
bei ſtets gute Reſultate erzielt. 


5. Auch in der Kurheſſiſchen Shulzeitung (1865, Nr. 4—8) 
ift ein Lehrgang für den Schreibunterricht enthalten, der fich über Alles 
verbreitet, was dabei in Betraht kommt. Der Verf. lehnt fih an bie 
Hedmann'ſche „Reform” (eine Anleitung zum Schreibunterriht für Lehr 
rer) an, und empfiehlt deſſen „UnterlagNege” und „Schreibpapier-Nepe” 
ſehr dringlid. ine fiebenjährige Benugung verfelben bat ihn von ihrer 
Vortrefflichkeit überzeugt. Auh Oswald (j. oben) fpridt fi für die 
Hedmann’ihe Methode und deflen Lehrmittel aus, 


6. Die bayerſche Negierung bat den Gebrauch dieſer Hedmann'ſchen 
„Unterlag:Screibneße unterjagt, weil fie den nadhtheiligiten Ein: 
fluß auf das Sehvermögen der Kinder üben müſſen. Das ift 
ganz begreifid. Oswald in dem oben angezogenen Aufſatze meint, dies 
Verbot fei nur dur die ſchlechten Nachahmungen der Hedmann’ihen Bor 
lagen hervorgerufen worden. Wir fennen dieſe Nahahmungen nicht, befipen 
aber die Hedmann’schen Vorlagen felbft, und halten dafür, daß die bayer’iche 
Regierung wohlgethan hat. Dieſer ganze Linienkram ift entbehrlich. 

7. Das Echreiben mit Griffeln auf Schiefertafeln führt drei 
Uebelftände herbei: übermäßige Drüden, zu feltes Halten der Feder und 
faljhe Lage der Hand. Diefe allgemein beltannten Erfahrungen macht ©. 
Mayer in Heilbronn in der Volksſchule von Hartmann in Ulm 
(1865, 3. Heft) zum Gegenftand der Beſprechung und empfiehlt, während ber 
Beit des Tafelſchreibens auf die Darftellung der Grundſtriche zu verzichten, 
damit der Schüler gar nicht veranlaßt werde, ftärker als beim Haarſtrich 
aufzubrüden. „Für den Schreibunterricht, jagt er, iſt es ja doch ganz gleiche 
gültig, ob der Buchſtabe Schatten und Licht bat oder nicht, wenn nur die 
Form richtig iſt! Geht man fpäter zum Screiben mit der Feder über, fo 
ift e8 gar nicht jo ſchwer, Srundftrihe machen zu lernen, da die Feder eben 
zu diefem Zwecke gefpalten if. Aus diefem Grunde bedarf ed dann aber 
auch nur eines verhältnigmäßig leichten Drudes, um die gewünfchten Grunds 
ftrihe zu bilden. Daß man bei diefem Verfahren mit der ridtigen Hals 
tung der Finger und der Hand nichts mehr zu thun haben werde, will ich 
natürlid nicht behaupten, aber das behaupte ich mit aller Entſchiedenheit, 
daß es viel leichter damit gebt, und dab auch für fpäter viele Unzuträge 
lichleiten abgeſchnitten find.’ 











Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 197 


Dieſer Vorſchlag iſt jedenfalls der Prüfung werth. 

8. Im Schul⸗Archiv für die ſächſiſchen Herzogthümer, 
1865, Nr. 21, findet ſich eine lefenswertbe „Schutzrede für die Tacts 
fhreibemethbode” von Pfarrer 9. Startloff. 

9. In Württemberg ift feitend der Regierung eine Commiffion -zur 
Fefflellung einer Normalfchrift ernannt worden, 


U. Eiteratur. 


1. Anfhauungsunterridt. 


1. Anſchanunge⸗, Dat und Sprechübungen für bie britte Siementar 
Hafie von 8. J. v oßhard. Dritier beſchreibender Theil. 8. (X und 
104 S.). Zürich, Meyer u. Zeller, 1865. 12 Sgr. 
Den erfien und zweiten Theil diefer nun beendeten Arbeit haben wir 
im XVL und XVII. Bande angezeigt und empfohlen. Wie im zweiten 
heile, jo ift auch bier die Grammatik mit hineingezogen worden. Die Bes 
ſprechungen find im Allgemeinen etwas höher gehalten, ganz wie es der 
entwideltere Standpuntt der Schüler fordert. Wenn in den verjcies 
denen Schulen auch nicht alle hier behandelten Gegenftände zur Anſchauung 
und genaueren Beſprechung gebracht werden können, jo wirb das Maß der 
realen und ſprachlichen Kenntniſſe, welche in dieſem Anfhauungsunterricht 
gewonnen werben, doch immer ein erfreuliches fein und eine gute Grund» 
lage für den weiteren Realunterricht abgeben. 


2. Der Anigauungs-Unterrit in der Boltsihule Ober: An 
ſchauen, Denten, Sprechen unb Schreiben F an ber Realien, des 
Stols und der Srammatil. Bon I. H. Fuhr und & H. Ortmann. 
IL Heft: Stylübungen für alle Klaſſen 2 Boltsihule gr. 8. (XX und 
‚306 ©.) Dillenburg, C. Seel, 1865. 1 Thlr. 


Auh unter dem Titel: Die Stylübungen mit angelebnter 
®rammatil für alle Klaffen der Bolleifhule Im Anſchluß 
an ben Anfhauungsunterricdt. 

Das I. Heft vieles Wertes haben mir im XVI. Bande angezeigt 
und als recht brauchbar für den Anjchauungsunterriht empfohlen. Dies 
I. Heft erweitert nicht nur den Streis der Gegenftände des Realunterrichts, 
die zur Anſchauung und Beſprechung gebraht werben, fonvern verbindet 
damit georonete Stylübungen und grammatiiche Belehrungen. Dadurch ges 
ftaltet fih die Schrift zu einer Anweiſung für Stylübungen und hätte auch 
unter den Sprachſchriften aufgeführt werben können. Die meilten Styl⸗ 
übungen ergeben ſich ganz naturgemäß aus dem Anfchauungsunterrichte, 
andere, wie die Geſchaͤftsaufſaäͤtze, erjcheinen fremdartig dazwiſchen, mußten 
aber, da die Schule ihre Berüdfihtigung fordert, doch an geeigneter Stelle 





198 Anfchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


eingefchaltet werden. Im Ganzen wird fidh der Lehrgang als brauchbar er: 
weilen, wenngleih wir der Meinung find, daß die Bezeihnung „An: 
Ihauungsunterridt” für „Realunterricht“ auf der mittleren und oberen Uns 
terrichteftufe nicht als ſehr zutreffend erſcheint. 


3. Materialien für Aufhauuugsunterriht und Heimathékunde. 
Bon Heintih Stahl. Wit 4 großen colorixten Wanbtafeln, gezeichnet 
von M. 3. Lens in Wiesbaben. - Zweite, vermehrte Ausgabe. gr. 8. (XI 
und 160 ©.). Wiesbaben, W. Roth, 1866. 23 Ser. 

Eine Bergleihung diejer „zweiten, vermehrten‘ Ausgabe mit der erften 
ergibt, daß wir ed nur mit einer Titel-Ausgabe zu thun haben. Die „Ber: 
mehrung” beftehbt nur in einem „Vorwort zur zweiten Ausgabe” und einer 
Lithographie, welche eine-der großen Tafeln ſehr verkleinert darftellt, wodurch 
ih der Verleger das abermalige Berfhiden der großen Zafeln erfparen 
wollte. Wenn ein Verleger derartige Wege einſchlägt, feine Waare in Er: 
innerung und an den Mann zu bringen, jo jagt man heut zu Tage wer 
nig dazu; ein Autor follte aber diefelben nicht mit ihm betreten, 

Unfer nicht ſehr günftiges Urtheil über das Wert haben wir im XVI. 
Bande abgegeben. 


4 Das Stäbchenlegen und die Erbfenarbeiten im Bolleihul- 
unterridte. Als eine Girunblage bes Zeichnens, bes Rechnens und ber 
geometzilhen Formenlehre. Herausgegeben von Heinrich Deinhardt und 

briftian Gläfel, Lehrern der vereinigten evangelifchen Schulen in Wien. 

Mit 40 Lithographirten Tafeln. gr. 8. (31 ©.) Bien, €. Gerold'e 

Sohn, 1866. " 

Das Stäbchenlegen und die Erbjenarbeiten Froͤbels können gar wohl 
als eine Grundlage für das Zeichnen, Rechnen und die geometriihe For: 
menlehre angejehen werden, aber wegen des Materiald do nur als eine 
unvollfommene, wenigitens für das Zeichnen und bie Formenlehre. Wenn 
der Kindergarten ſich damit bejchäftigt, fo finden wir das ſehr angemefien ; 
die Volksſchule muß aber darauf auch noch aus andern, nahe liegenden 
Gründen vetzihten und fi) befieren Materials bedienen. Zur Ausbildung 
„des praftiihen plaftifchen Darſtellens“, was bie Verf. fordern, wird es 
dabei nidht an Gelegenheit fehlen. 


5. Stuttgarter Bilderbud. ar Anihauungsunterridt für Kinder von 
brei bis acht Jahren von Ehr. F. U. Lehrer. Mit Illuſtrationen von C. 
Dffterbinger, H. Leutemann und @. Kolb. qu. gr. 4. (30 Ehromolith. und 
30 ©. Text.). Stuttgart, Thienemann (Jul. Hoffmann.) cart. 2 Thlr. 

Die bier dargebotenen Bilder follen nicht einen methodiſchen Anz 
ſchauungsunterricht vermitteln, fondern zur Grundlage ungezwungener Un: 
terbaltungen dienen, die am natürlichften von den Müttern mit ihren fin: 
dern geführt werden. Bor gewöhnlichen Bilderbüchern zeichnet das vorlie: 
gende ſich fehr vortheilhaft durch böchft gelungene Ausführung jo wie da: 
dur aus, daß jedes Blatt nur Verwandtes darbietet. Dargeftellt find 
Kunſt⸗ und Naturgegenftände, Scenen aus dem Leben ver Rinder und ber 











Anſchauungsunterricht. Lejen. Schreiben. 199 


Erwachſenen. Bw jeder Tafel gehört eine Seite Tert, welche eine Anleitung 
zur Beiprehung des Dargeftellten gibt. 

Wir empfehlen das hübſche Bud Müttern, melde nad einer bilden» 
ben Beihäftigung für drei⸗ bis fechajährige Kinder fuchen. 


6. Bilder zum Anihauungs-Unterriht für bie Ingeub. I. Ente 
baltend 30 colorirte Blätter mit Abbilbungen verſchiedenartiger Gegenftänbe. 

IL Enthaltend 30 colorirte Blätter von Abbildungen mit Gift⸗ und Eule 

tur- Pflanzen. Zweite, verbefferte Auflage. gr. Kot (16 u. 13 ©. Tert.). 

Chlingen a. N., 3. F. Schreiber. cart. & 13 Zhlr. 

Die 16 eriten Tafeln des I. Theiles ftellen verſchiedenartige Kunſt⸗ 
gegenftänbe dar, die folgenden Thiere aus verſchiedenen Klafien, namentlid 
aus den oberen. Der II. Theil enthält, wie auch der Titel angibt, nur 
Pflanzen. Das Colorit der Naturgegenftände ift in den meiften Fällen zum 
Griennen binreihend treu, wie auch die Zeihnung; man kann ſich der 
Abbildungen daher auch im Schulunterricht bedienen. Der Tert gibt aus⸗ 
seihende Erllärungen ver Abbildungen, 


2. Leſen. 


1. Für den Slementarunterridt. 


2 Reines Schreiblejfen. 

1. Fibel von ©. Schlimbach. gr. 8. (54 ©.) Gotha, E. F. Thiene 

mann, 1866. 

Die eriten 36 Seiten find der Schreibjchrift gewidmet, die folgenden 
18 der Drudihrift. Die Vorführung der Schreibbudftaben beider Alpha- 
bete erfolgt auf den erften 20 Seiten. Der Berf. ſchließt fich dabei dem 
Verfahren von Bogel an, gebt aljo von Hauptwörtern ald Normalwörtern 
aus. Die durch die Hauptmwörter bezeichneten Gegenftände find neben ben 
felben bildlich dargeftellt, im Allgemeinen gut. Dann folgen Säße und 
Leſeſtücke. Die Drudſchrift geht bald von einfahen Eäpen zu Heinen Er: 
zäblungen und Gedichten über. Zwei Gruppen von Gigenfchajts: und Beits 
wörtern, die auf Dinge bezogen werben follen, haben eine ziemlich iſolirte 
Stellung und wären wohl entbehrlich. 

Die Schrift ift gefällig ; nur hätte das Bufammenftoßen von Langbuch⸗ 
ftaben noch forgfältiger jollen vermieden werben. 


2. Schreiblefe-Kibel. Bon Robert Riedergeſäß. gr. 8. (73 ©.). 
ı 5 Sallmayer u. Comp. 1865. 12 Sgr. Anleitung dazu (16 ©.) 
Diefe Fibel enthält auf 50 Seiten nur Schreibſchrift, auf den folgen: 

den Seiten Aufgaben zu jchriftlihen Sprahübungen in Drudſchrift. Als 
erfted Lejematerial dienen Wörter und Säße; die Hauptwörter werben bis 
zum Cintritt der großen Buchftaben klein geſchrieben. Die Schrift ift recht 
gefällig, von der zweiten Seite an aber fon zu klein. Die Anleitung 
hätte für Lehranfänger noch etwas praltiſcher fein können, 


200 Anfhauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


#3. Leje- und Anufhauungebud für die erſten Schuliahre. Bear 
beitet von Fr. Möder und P. Foͤrmes, Lehrern in Darmfabt. gr. 5. 
(IV u. 136 ©). Darmfladt, E Zernin, 1565. 8 Ser. 

Der Schreibſchrift ſind 28 Seiten gewidmet. Der Fortjchritt in ben 
Uebungen ift im Ganzen angemejlen. Die Verfafler haben das Hedmann’jde 
Linienneb angewandt, wozu uns in den Glementarflafien wenig Beranlaj: 
fung vorhanden zu fein jheint. Denn daß daraus den Kindern eine Gt: 
leihtesung für das Schreiben erwüchſe, beruht auf Täuſchung; die Finder 
gebrauchen ziemlich viel Zeit, ebe fie in dem Linienneß fchreiben lernen. 
Dazu kommt noch, daß durch das Liniennetz die Reinheit der Schrift mert: 
li beeinträdtigt wird, auf den legteren Seiten, auf denen bie Buchſtaben 
Keiner find, fo fehr, daß das Ganze wie mit Flor bevedt ausfieht. Mer 
genöthigt ift, folhe Schrift lange anzufehen, hat Nachtheil für feine Augen 
zu beforgen. 

Die zweite und britte Abtheilung des Buches enthalten Drudidrit. 
Anlage und Auswahl machen eine Verbindung des Anſchauungs⸗ und Leſe⸗ 
unterrihtd möglih, was dem Bude zur Empfehlung gereiht. Der 
erfte Theil meines Lejebuches ſcheint den Berfaflern maßgebend geweſen 
zu fein. 


4. Erſtes Leſebuch für Shulen und zum Privatunterricht, zu- 
gteid als Srundlage für den ortbographiihen und ſprachlichen Unterricht. 
on Präceptor Ehr. 2. Echuler, Lehrer an ber Slementar- und Realanftalt 

in Stuttgart. 8. (118 ©). Stuttgart, H. Lindemann, 1866. 8 Ger. 


Der erfte Bogen ift der Schreibfehrift gewidmet, alles Folgende der 
Drudirift. Gegen die Stufenfolge in der Schreibfchrift ließe ſich Manches 
einwenden, da mehrere fchwierig barzuftellende Buchſtaben zu früh auftreten, 
mehr jedoch noch gegen den Inhalt, der vielfah nur aus Sylben und Form⸗ 
wörtern beftebt. Daſſelbe gilt von einem großen Theile des Stoffes in der 
zweiten Abtheilung, und man erfennt, daß der Verf. durd fein Buch nur 
Lefefertigleit erzielen will, eine Aufgabe, die fih gute Leſebücher nicht mehr 
ausſchließlich ftelen. Sole Lejebücher haben wenig Anziehendes für Die 
Kleinen. Bon diefem Standpunlte aus müflen wir ed auch tadeln, daß 
der Berf. fo viel dürres Material für den grammatifchen Unterriht auf: 
genommen bat. Erſt in ber dritten Abtbeilung wird anziehenverer Leſe⸗ 
ftoff dargeboten. Einen Fortſchritt finden wir fonah durch das Büchlein 
nicht begründet. 


5. Leſebuch für Bürgerfhulen. Herausgegeben von Auguſt Züben, 
Seminardirector in Bremen, und Earl Nade, weiland Lehrer der I. Bür- 
gerſchule in Merſeburg. Erſter Theil. Mit Abbildungen zur Unterſtützung 
des Anſchauungsunterrichts. Neunte, verbefierte Auflage. gr. 8. (IV und 
88 S.). Leipzig, Fr. Branbfletter, 1866. 4 Ser. 


Die I. Abtbeilung, S. 1—40, enthält nur Schreibfchrift, die II. nur 
Drudichrift. Auf allen Stufen ift durd den Lefeftoff vie Verbindung des 
Anihauungsunterrihts mit dem Schreiblefeunterricht wie mit dem fpäter 
jelbftftändig auftretenden Lefeunterricht ermöglicht, 


Anfchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 201. 


6. Leſebuch fir &@lementartlaffen ber Volkeſchulen mit Aumwenbung 
der Schreiblefemethobe bearbeitet von K. F. Schlegel, Lehrer an ber hö⸗ 
beren Zöchterichule in Magdeburg, und Fr. U. Steger, Lehrer in Hohen⸗ 
rode. Achte Auflage 8. (IV und 84 ©.) Weißenfels, &. Prange, 
1865. 3 Ser. 

Die Schreibfehrift umfaßt 19 Seiten und ift im Ganzen gut, Dann 
treten zunädft Schreib» und Drudicrift neben einander auf. Bon Seite 
26 an dient das Material vorzugsweiſe ver Orthographie. - Erft gegen den 
Schluß kommen anſprechende Lefeftüde. 

Wir können ed nicht billigen, wenn ein Leſebuch das bloße Lejenlernen 
und die Orthographie jo ftark betont, wie es bier geichehen iſt. 


7. Erſtes Uebungebuch im Lejen, nah ben Orunbfägen ber Schreib- 
leſemethode für Bollsihulen und Elementarliafien höherer Lehranflalten be- 
arbeitet von E. Otraube. Dritte, berichtigte (Titel-) Auflage. gr. 8. 
(VI und 144 S.). Elbing, F. W. Neumann-Hartnann. 1865. 44 Sgr. 
In der Vorrede gibt der Berf. eine kurze Anleitung für ben erften 

Lefeunterriht, wie er nah der reinen Schreibleſemethode zu ertheilen ift. 
Kleinigkeiten abgerechnet, ift das Gefagte durchaus richtig und zeigt von 
Kenntniß der Methode. Eigenthümlich ift dem Verf., daß er ven Kindern 
das Leſebuch erſt nah 6 bis 7 Monaten will in die Hand gegeben mwif: 
fen; der Lehrer joll das Schreiblefe-Material an die Wandtafel fchreiben 
und fih fpäter zur Cinübung der Drudichrift einer Lefemafchine bedienen. 
Mir billigen das Verfahren ganz, da auf dieſe Weife eine größere Aufmerk- 
famleit der Kleinen und ſonach ein rafcherer Fortfchritt erzielt wird, em: 
pfeblen aber eine merllihe Abkürzung der Zeit. Den Lehrgang für dies 
Berfahren enthält pas Buch in Drudjhrift; Schreibjchrift fehlt, gegen 
alle Gewohnheit, in dem Buche ganz, da der Lehrer fih bafür der Tafel 
bedienen joll. 

Das Lefematerial ift für zwei Jahre ausreihend und im Ganzen gut 
gewählt. Sinnloje Sylben fehlen im erften Abfchnitt ganz ; doch kommen 
etwas viel Wörter darin vor, die den Kindern für fich nicht leicht ver- 
ſtaͤndlich gemacht werben können, was jedenfalls ein Uebelſtand ift. 

Auf eine Verbindung des Anſchauungsunterrichts mit dem Lejeunterricht 
ift nirgends Bedacht genommen, mas wir bedauern. 


p. Gemifhtes Schreibleſen. 


8. Erſtes Leſebuch zum Gebrauche bei Anwendung ber Leſemethode nach 
acotot. Bon K. Seltzſam, erſtem Lehrer an den Vorſchul⸗Klaſſen bes 
ymnaſiums zu St. Maria⸗Magdalena. Zehute Auflage. 8. (122 ©.). 

Breslau, ©. 3. Aderholz. 3 Sgr., geb. 4 Ser. 

Dies Leſehuch unterjcheidet fi von allen anderen, die mit ibm für 
das erfie Schuljahr beftimmt find, dadurch, daß es gleich mit ganzen, für 
das bezeichnete Kindesalter berechneten Lejeftüden beginnt, die barin ges 
gebenen Wortbilder auffaflen und dann nah und nah in ihre Beitanbtbeile 
zerlegen und biefe fefthalten läßt. Dies Verfahren gewährt mindeftens ven. 
Vortheil, daß das Kind von Anfang an etwas Verftehbares und Interefſan⸗ 


202 Anfchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


tes zum Leſen erhält und vor dem tobten Sylbenlram, der in älteren, ja 
vielfah auch noch in neueren Fibeln zum großen Leidweſen der Kinder ſich 
findet, bewahrt wird. Nach vieler Richtung bin hat dies Leſebuch jeden: 
falls auch ſehr wohlthätig auf die Lefebücher für Anfänger eingewirkt ; denn 
wenn dieſelben auch nicht, wie bier gefchieht, mit ganzen Lefejlüden begin» 
nen, fo machen fie dod mit verftehbaren Wörtern den Anfang und geben 
möglihft bald zu Säben über. 

Der Berfafier verbindet mit der Druchkſchrift von Anfang an die 
Schreibſchrift, was wir aus oft dargelegten Gründen nicht für angemefien 
halten. 

Der Inhalt des Lefebuches ift gut. 


9. Kibel. Des Kindes erfies Schulbuch. Nach der Methode bes Dr. Vogel 
in Leipzig zufammengeflellt von Kluſsmann, Lehrer in Jever, und F. 
Buaduter, Lehrer in Oldenburg. Zweite Auflage. 8. (IV u. 103 ©.). 

Idenburg, ©. Stalling, 1865. 4 Ser. 

Die erfte, 1862 erjhienene Auflage haben wir im XIV. Bde. ange: 
zeigt. Der Vorrede zufolge haben die BVerfafler nur wenige Aenderungen 
bei diefer Auflage vorgenommen, für die fie „unzweifelhaft den Beifall der 
Kollegen‘ zu erwarten hoffen. Wir haben dieſe Aenderungen nicht aufs 
fuhen mögen, da der Berleger uns ein ungebeftetes Eremplar 
fandte, was heut zu Tage Niemand mehr thut. Wenn man zu der Roth, 
weldye der inhalt der Bücher den Recenfenten oft madt, auch nod die 
Unbequemlichleit binzufügt, dann darf man fi wohl nicht wundern, wenn 
fie folde Bücher künftig ganz unberüdfichtigt laſſen. 


10. Erſtes Lefebud zum Gebrauch in Elementar-Schulen unb beim 
Privat-Unterricht von Franz Kühn. 21. Auflage. 8. (148 ©). Bres⸗ 
lau, W. ©. Korn, 1865. 34 Sgr. 

Nur für katholiſche Schulen. Wir haben bereit3 im 10. und 14. 

Bande dies Lejebuh als ein brauchbares bezeichnet, wenngleih es nicht 

ganz unjern Anſichten entjprict. 


11. Erfies Leſebuch für katholiſche Stadt» und Landſchulen. Mit 
Rüdfiht auf den Schreiblefeumterriht. Herausgegeben von Joſeph Steuer, 
Nector an der Pfarrihule zu St. Matthias in Breslau. 18. Auflage. 8. 
(IV u. 156 ©.) Breslau, 3of. Mar u. Eomp., 1865. geb. 3 Sgr. 
Schon in der vorhergehenden Auflage find die bebeutungslofen Sylben 

des eriten helles entfernt worden, und die Schreibichrift hat einen Blaß, 
freilih nur einen ſehr befcheidenen, zwifchen der Drudſchrift erhalten, wäh: 
rend fie diefer fonft angefügt war. Ber zweite Theil enthält „kürzere Leje: 
ftüde zur Wedung einer religiöfen Gefinnung”, und darin einen Abſchnitt 
über Gott, der mit ber Dreieinigleitslehre beginnt. Sole und andere fi 
daran reihende Stoffe gehören nicht für die erſten Schuljahre, und hindern 
und, das Bud befonders zu empfehlen. 


12. Erftes Lefebuh nad ber Lautlehre methobifch bearbeitet von G. 
Snerlig, 8. Herrfurth, G. Klofe, ©. Poͤtſchel, Lehrern in Breb- 








Anfchenungsunterricht. Leſen. Schreiben. 203 
lau. Elfte, verbeflerte Auflage. 8. (128 ©.) Breslau, E. Trewendt, 
1865. 3 Sgr. 


Das Buch gehört feiner ganzen Anlage nah einer älteren Zeit an; 
denn wer bietet wohl heut noch Lefeftoffe dar wie: aß oß uß eb auß Auß 
iß ab öß Be eb ab Ba ib Auß Be Bi äß of.“ 


13. Schreib» und Lefefibel von &. Gurde. Mit Bildern von Dtto 
Spedter. Siebente Auflage. 8. (104 ©). Hamburg, D. Meiner, 
1865. cart. 6 Ger. 

Da mir das anfprehende Büchlein mehrmals im Jahresbericht bes 
fprohen haben, jo genügt ed, das Dafein der neuen Auflage ans 
zuzeigen. 


14. gunb Bibel Erftier Theil. Uebungsbuch zum grundlegenden Leſe⸗, 
chreib⸗ Het: und Schönfchreiberlinterriht in der Unlerklafſe ber 
VBolksſchulen. Zugleich als Einführung in die poetifhen und profatichen 
Lefetüde der Hand⸗Fibel von Otto Schulz. Bearbeitet von F. Pau⸗ 
liſch, Lehrer in Merka bei Sommerfeld. weite, verbefferte Auflage. 8. 
(1 5 Berlin, L. Oehmigle's Berlag ( Fr. Appelius), 1865. 2 Sgr., 
geb. gr. 


Dazu: 
Begleitiworte zur Hand⸗Fibel von 4 Pauliſch. Für die Herren Leh⸗ 
zer. Zmeite Auflage 8. (8 S.). Ebenbaſelbſt. 
Hand-FKibel. Zweiter Theil. Poetifhe und proſaiſche Leſeſtücke; 

Gedichte ; Sprüche der heiligen Schrift ; bie fünf Hauptfläde des chriſtlichen 

Glaubens. Für die Unterllaffe der Boltefchulen. Bearbeitet von F. Pau⸗ 

liſch. 8. (64 ©.). Ebendaſelbſt, 1866. 24 Ser. 

Der erfte Theil enthält viel Sylben und Wörter. Der Stoff bezwedt 
nur 2efefertigleit und etwas Orthographie, leidet aljo an großer Einfeitig: 
keit. Die Schreibfhrift tritt nur in einzelnen Buchftaben auf. Die auf 
den erflen Seiten eingebrudten kleinen Bilder find bürftig. 

Das Lei Material des zweiten Theiles befteht aus Kleinen Gedichten 
und Erzählungen, die ziemlich planlos an einander gereihet find. Die 64 aus 
gebrudten Bibelftellen find dem größten Theile nah für Kinder der Elemen: 
tarklaſſe eben fo unverftändlich, wie bie ſich daran fchließenven fünf Haupt: 
ftüäde das chriſtlichen Glaubens. 

Die Schule würde Nichts verloren haben, wenn beide Büchlein unger 
drudt geblieben mären. 


15. Elementaräbungen im Auffaflen und Nachſprechen, Schreiben und Le- 
jen mit Bildern zunähft für Zaubfiumme und Vollfinnige mit mangel- 
haften Sprachorgan. Bon W. Arnold, Infpector an ber Taubftummen- 
Anſtalt in Riehen. 8. (VIII u. 102 ©.) Fraukfurt a. M. 8%. Brönner, 
1865. 4 Zhlr. 

Mir müflen uns bier auf Mittheilung des Titels bejchränten, da uns 
Erfahrungen auf dem Gebiete des Taubitummenslinterrihts fehlen. Vom 
Gebrauch des Buches für Bollfinnige mit unvolllommenen Spracdporganen 
mäüflen wir aber abratben; denn wer würbe bei biefen wohl mit dem am 
jchwierigften bervorzubringenden Laut h beginnen und ſchon auf ber fünften. 


204 Anſchauungsunterricht. Lefen. Schreiben. 


Seite Lautserbindungen bringen wie bfsh! Auch gegen bie fonftige Rei: 
benfolge würden wir viel einzuwenden haben; denn wer bildet wohl auf 
ein und derſelben Seite ſenkrecht über einander, einen gefliefelten Sporn, 
einen Bfarrer im Zalar, einen Pfropfen auf der oberen Hälfte einer 
Weinflaſche und darunter eine Rolle Draht ab! Gegen einen Theil der 
Abbildungen laſſen fih aud fonft fehr erhebliche Einwendungen maden. 


c. Für Drudiärift allein. 
* Wanbtafeln. 


16. Wandtafeln zu F. W. 8 Handfibel. Zweite X 
Sol. ( 18 a, Grauen — 3 Thlr. 3 "Rge. gr. 
Diefe 18 Tafeln enthalten Sylben und Wörter, etwa in ber Folge 
der älteren Fibeln für Drudſchrift. Die Schrift ift groß und fhön. Im 
Allgemeinen ift die Zeit folder Wandtafeln aber vorbei. 


17. Banbtafeln zu F. W. Hunger’s Handfibel. Alphabet in Schreib⸗ 
und Drudicrift. gr. Foi. (6 Blatt.). Ebendaſ. 4 Thlr. 

Die 6 Blatt ſollen zu einer großen Wandtafel zufammengellebt und 
dann im Schulzimmer ‚aufgehängt werden. Drud: und Schreibbudfta: 
ben fteben übereinander und find binreihend groß, um von einer ganzen 
Klaſſe gejehen werben zu können. Die Schreibformen find im Ganzen ge 
fällig, werden jedoch nur da benubt werben, mo biejelben gerade gebräuch⸗ 
lich find. Die Zorm des großen D Läuft oben zu ſpitz zu. 


** Bücher (Bibeln). 


18. Uebungsftoff beim erſten Lefe-Unterridt nad —— Methode 
zu den Leſetafeln und dem erſten Leſebnche von Franz Kühne. Dritte 
Auflage. 8. (8 Seiten). Breslau, W. G. Korn, 1865 4 Biennige. 
Das erfte Lefebuch, zu dem dieſer „Uebungsftoff” gehört, haben wir 

im vorigen Bande angezeigt. Die darin dargebotenen Geſpräche und Fa⸗ 

bein find für Schulen beftimmt, deren Lehrer Verehrer der Methode Jaco⸗ 

tot’s find, 


19. Kleiner Kinderfreund ober erſtes Lefebüchlein für Meine Kinder, bie 
nach ber Yacotot’ihen Methode Lefen lernen. Bon Fr. Pechner, Rector 
ber Bürgerfchule in Birnbaum. 2. Auflage. gr. 8. (24 ©.). Lanböberg 
a. d. W., Bolger und Klein. 1865. 24 Sgr. 

Enthält 30 Heine Erzählungen und Gedichte, die ganz für Heine Kin⸗ 
der geeignet find. 


20. girl Buchſtabir⸗ und Leſebuch. 18. Auflage. 8. (52 &.). Baberborn, 
D. Winkler. 2 Sgr. 


Gehört nad Anorbnung und Inhalt einer laͤngſt vergangenen geit an, 
Wo läßt man überhaupt noch buchſtabiren? 


Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 205 


21. Bilber-Fibel. Ein Geſchenk für artige Kinder. 8. (16 Blatt.) Berlin, 

Hugo Kaftiner, Leipzigerfir. 61. 1 Sur. 

Dos erfte Blatt enthält die Heinen und großen Buchftaben des 
deutfchen und lateiniſchen Alphabets. Die naͤchſten 13 Blätter haben auf 
ihrer Vorberjeite je zwei Gruppen Bilder, meiftens Scenen aus dem Kinder⸗ 
leben. An irgend einer leeren Stelle ift darin ein Buchſtabe des Alpha⸗ 
bet3 angebracht, zu dem die Bilder einige Beziehung haben. Die Bilder find 
grob, die Blätter meift überfüllt. Die vier legten Seiten enthalten kleine 
Gebete und Gedichte und das unentbehrliche Einmaleins, mit dem bie liebe 
Jugend jo früh als möglich zu quälen man ſich verpflichtet hält. 


2. Zür das zweite und britte Schuljahr. 


22. Sprech⸗Schreib⸗Leſeſtoffe für benvereinigten Elementarſprachunterricht. 
Zugleid als Anihluß an jede .; Volftändiges Elementarſprachbuch für 
die drei erfien Schuljahre von Y. M. Dieklein, erfiem Lehrer in Warten- 
burg a. E. Zweites Heft: Die Drudichrift. Der einfach erweiterte und 
der zufammengezogene Sat. gr. 8. (VIII und 136 ©.) Langenfalze, 
Verlaga⸗Comptoir, 1866. 7! Sgr. 

„Der erfte Unterriht in der Mutterfpradhe d. i. der 
erfte Unterriht im Anfhauen, Denten, Sprechen, Schrei⸗ 
ben und Lefen ift auf der Unterfiufe ftets als ein harmo— 
nifhes Ganzes aufzufaffen, zu handhaben und durchzu—⸗ 
fübren, die genannten einzelnen Theile defjelben find in 
gegenfeitige Beziehung und ftete Wechſelwirkung zu feben, 
die erfien Vebungen im Anſchauen, Denten und Sprechen 
find an die zu Grunde gelegten Schreib: und Lefeftoffe 
anzulnüpfen und endlid: die Schüler jind durd fleißigen, 
planmäßigen und rechten Sprachgebrauch zum richtigen 
Spreden ung durch gründlide Bildung ihres Spradge: 
fühls zum reiten Spradverftändniffe zu führen.“ 

Hält der Lefer viefe Worte des Verf. mit dem ausführlichen Titel zus 
ſammen, jo wird er ſich eine Vorftellung von dem bier angezeigten Büchs 
lein machen können. Wo man bafjelbe dem Unterricht zu Grunde legt, da 
wird es nicht ſchwer halten, einen gedeihlichen Clementarunterricht darnach 
zu ertbeilen. Auf allen Seiten ift Beranlaflung gegeben zu guten Ans 
ſchauungs⸗, Sprech⸗ und Leſeühungen. Das Yuch enthält namentlich auch 
einen großen Reichthum an guten Gedichten zur Bildung des religiöfen, 
fittliden und aͤſthetiſchen Gefühle. Die vom Verf. jelbft herrührenden Ar⸗ 
beiten find meiltens recht anſprechend und nur bier und da nicht einfad 
genug in den Saßconftructionen. Auch in der Nachbildung Hey'ſcher Fabeln 
bat fi der Verf. nicht ohne Glück verſucht. 


23. Erſtes Schul-⸗ und Bildungebud. Bearbeitet von H. Burgwardt, 
Nector der Bürger- und Boffsfäufen zu Wismar. Zweiter Theil: Leſe⸗ 
Rüde für den vereinten Leje-, Dent-, Sprech⸗ unb Sprachunterricht, für 
die Heimaths⸗ und Raturfunde, fowie für ben fittlich-religiöfen Anfchauunge« 
unterricht, nebſt 230 methodiſch geordneten Aufgaben zu mündlichen und 





206 Aunſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


ſchriftlichen Spradlibungen. 29., verbeflerte umb vermehrte Auflage. 12. 

(XIV und 332 ©.) Altone, @. 67 Sälüter. 1865. 83 Ser. 

Dies Bundy darf nicht als ein Leſebuch angeſehen werden, wie die 
neuere Zeit fie gebracht hat, als ein Buch nämlich, welches das Belle in 
Brofa und Poeſie aus unferer Literatur darbietet, foweit diefe für Schul: 
finder verwendbar if; es muß vielmehr als „Schul: und Bildungs 
in dem Sinne betrachtet werden, wie der Zufab auf dem Titel angibt, als 
ein Bud, das die Refultate des gewöhnlichen Anfhauungsunterrichts bringt, 
ver Grammatik dienen und außerdem bie fittlich:religiöfe Bildung fürdern 
will, und zwar durch Erzählungen und Gedichte. Jene Stoffe find für 
ein Lefebudy als „trivial” bezeichnet worden, wie wir aus ber Vorrede zu 
diefer Auflage erfeben, von dem zuerft genannten Stanbpunlte aus mit 
Recht. Denn welhes Kind vermag fi daran zu erheben, wenn es leſen 
muß: „Hinter dem Haufe ift ein Stall. Im Stalle habe ih manche 
Dinge geſehen. Da ift das Pferd, das Füllen, die Hub, das Kalb, das 
Schaf, das Lamm, der Dchje, die Ziege, das Schwein, der Gjel, das 
Huhn, der Hahn, die Gans, die Ente. Dies find lebendige Geſchöpfe, 
Thiere.“ Oder: „Wenn id etwas von mir felber ausfage, fo nenne id 
nicht meinen Namen, fondern feße für meinen Namen das Wörtchen ich, 
3. B. ih leſe. Sind da mehrere Perfonen, die etwas von ſich ausjagen, 
fo nennen fie ſich wir, z. B. wir lejen.” Aber wenn man ſich au ganz 
auf den Standpunft des Berfaflers ftellt und das Buch zugleih als ein 
Hülfebudy für den Anſchauungs⸗ und Sprachunterricht anfieht, fo fragt ſich's 
doch, ob es ſich verlohnt, dergleichen Sachen den Kindern gebrudt barzubie 
ten; es werben das Manche mit uns verneinen. 

Die neue Auflage unterfcheibet fi von den früheren durch einen Am 
hang von 20 Gedichten, durch welche das gute Lefematerial nicht unerheb⸗ 
lich vermehrt worden ift. 

Sin Betreff der angewandten Orthographie fei bemerkt, dab der Berf. 
ftatt ſſ überall ß jchreibt, was Vielen nicht recht jein wigd. 


24. Lefebuh für Bürgerſchulen. Heransgegeben von Yuguft Xüben, 
Seminarbirector in Bremen, und Earl Nade, weil. Lehrer der J. Bür- 
gerfchule zu Bremen. Zweiter Theil. Fuufzehnte, verbeflerte Auflage. 
gr. 8. (VII und 168 ©.). Leipzig, Fr. Branbfletter, 1565. 6 Gar. 


Im vorigen Bande wurde die 14., im Sabre 1865 erjchienene Auf 
Inge angezeigt ; noch in demfelben Jahre war eine ziveite, die hier genannte 
1b. Auflage, nothig. Während ich dies fchreibe, wird die 16. Auflage 
vorbereitet. 


eefebuh für Bürgerſchulen. Heransgegeben von Auguſt Küben, 1m und 
I Node. Bierzehnte, verbefierte Anflage. (VIII und 200 ©.). 
ve 1866. 8 Ger. 


25, Der Heine Lefe-, Schreib- und Sprach⸗Schüler. Des Schälers 
zweites Schulbuch. 8. (192 S). Elberfeld, Bädeler (U. Martini and 
Grüttefien), 1865. 8 Sgr. 


Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 207 


Mit dem Lefeftoffe wechſelt Material zu Spradübungen ab. Beibe 
find im Ganzen zwedmäßig gewählt und angeordnet. Das Buch dürfte 
ſich daher in Vollsſchulen ald brauchbar erweilen. 


83. Für Mittelklaſſen. 


26. Baterländifches ehr. und Leſebuch für bie Mittelfaffen der Volle⸗ 
— Bon Johann Schmitt. 8. (VIII und 232 S.). Darmflabt, 
Ehr. Fr. Wil, 1865. 7 Sgr. 

Um dem Titelmorte „Lehrbuch“ Rechnung zu tragen, bat der Her: 
ausgeber bejonders die weltkundlichen Gegenftände in's Auge gefaßt, welche 
nad feinem Dafürhalten in dem Unterricht der Mitteltlafien auftreten müf- 
fen. In richtiger Würdigung beginnt er mit ver engften Heimath des 
Kindes und behandelt zunädft die Schule, das Haus, den Garten, Dorf 
und Stadt, das Feld, die Wiefe und den Wald, das Wafler, Himmel und 
Erde, d. b. das, was das Auge an jedem Orte der Erde am Himmel er: 
blidt (Sonne, Mond, Sterne, die augenjälligen Lufterfheinungen) und was 
fi nicht felten in der Erde findet (die befannteften Mineralien). Daran 
reihet fi) die weitere Heimath, nämlich das Großherzogthum Heflen, und 
Deutſchland. Der lebte Abſchnitt hat den Menſchen und Gott zum Ge 
genftande. Bon Gott ift natürlih nur in Gedichten und Erzählungen die 
Rede. Das Kapitel Über den menſchlichen Körper würden wir ausgefchlof- 
fen und in das Leſebuch für die Oberklaſſe verlegt haben, da nur die rei: 
feren Kinder der Volksſchule für einen eingehenderen Unterricht über dieſen 
Gegenftand befähigt find. Die Auswahl ift in allen Abjchnitten als eine 
angemefjene zu bezeihnen. Am mwenigfien haben uns mehrere Stüde über 
die Schule gefallen, fo namentlih Nr. 1, in dem die Kinder über vie 
Sculverfäumnifie belehrt werden, und Nr. 8, in dem „Hans Schluri“, 
eine unnatürlih darakterifirte Perſon iſt. 


27. Der Kinderfreund. Ein Denk⸗, Spred- und el für bie mittleren 
Klaflen der Borteiäulen, herausgegeben von U. Hiltenkamp, Lehrer in 
Sof. 8. (262 ©. u. 8 ©. lith. Schreibfchrift u. Beichnungen). Soeſt, 
Naſſe, 1864. 6 Ggr. 

Für katholiſche Schulen beſtimmt. 

Die ganze Anlage und Haltung des Buches laͤßt ſich ſchon aus dem 
nachſtehenden Inhaltsverzeichniß erlennen. 

Gebete und Lieder. I. Abtheilung. Einfache Saͤtze als fortgeſeßte 
Uebung im elementariſchen Leſen, als Uebung im Leſen mit Verſtand und 
Ausdrud und zum Aufſchreiben ver Gedanken. II. Abth. Leſeſtüde in gebun⸗ 
dener und ungebundener Rede, zur Fortſetzung der Sprechübungen, Refoͤr⸗ 
derung der Leſefertigkeit und der religioös⸗ſittlichen Bildung III. Abth. 
Blide in die Natur. Erſcheinungen in der Natur; die Erde, das Weltall, Zeit 
eintbeilung, das Kirchenjahr. IV. Abth. Einiges aus der Naturbejchreibung. 
V. Abth. Der Menſch. VI. Abth. Einiges aus der Geographie. VII. Abth. 
Sprahübungen. VII. Abth. Kleine Briefe für fleißige Kinder. 

Der Berf. ift wohl von ber neueren Leſebuchliteratur und ven dem, 


208 Anfchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


was über viefelbe feit Jahren gejchrieben worden if, unberührt geblieben; 
er ſteht no auf dem veralteten Standpunkte der Kinderfreunde“, bie an 
den „moraliihen Erzählungen‘ und am „Nüblichen” geftorben find. Gleich 
die Ueberſchriften der eriten Lefeftüde laſſen das zur Genüge erlennen. 
„Bas ein Ding if. Die Dinge haben Namen. Was ein Ding thut. 
Wie ein Ding if. Was mit einem Dinge geſchieht. Bon welchem Stoffe 
ein Ding gemacht wird. Was ein Ding bat oder beſitzt. Die Dinge be: 
fteben aus Theilen. Die Dinge haben eine Farbe.” U. |. mw. Wer daran 
noch nicht genug bat, ber leje Folgendes. Nr. 51. Die Schreibfeder. 
rüber gebrauchte man zum Schreiben nur die didfien Febern aus 
einem Gänjeflügel ; jebt nimmt man faft nur mehr (?) die Stahlfeder. Auf 
welhe Weife wurden die Federn zum Schreiben tauglich gemadht ? — 

Born bat man der Feder einen Schnabel mit einem Spalt ge 
geben ; nun laſſen fih zarte und ſtarke Stride damit bilden. Drückt 
man nämlich auf bie Feder, fo gibt fidh der Spalt etwas mehr auseinam 
der, und der Strih wird breit. Hört man auf zu drüden, fo jpringen 
beide Spigen zujammen, und der Zug wird jein. 

Der Schnabel ift pfeilfürmig, oben breit und unten ſpiß. Da 
durch erhält er Kraft, gerade jo wie der Schnabel eines Vogels oder ein 
eiferner Nagel. 

Die Federn find vorher durch's Yeuer gezogen worden. Dadurch 
baben fie das überflüffige Fett verloren und an Härte gewonnen. 

Man ſchneidet die Fahne nit dicht über der Spule ab, ſondern 
läßt die Feder lang, damit man fie beſſer halten könne. 

Mer der Jugend nicht befiere Bildungsftoffe zu geben vermag, der 
jollte ſich doh ja auf den engen Kreis feines unmittelbaren Berufes bes 
ſchraͤnken und nicht als Schriftiteller. 


28. Leſebuch für die Mittelllaflen ber Bollsfhule. Herausgegeben 
von ben beiben Sole ien ber dritten Abtbeilung der Bürgerſchule zu 
Chemnitz. gr. (VIII und 271 ©.). Chemnik, Pickenhahn u. Sopn, 
1866. 74 Ser. 

Dies Buch kann zu den brauchbaren gerechnet werden. Die Stoffe 
entprechen dem Alter von 9—11 Jahren und geben Anlaß zu Belehrun- 
gen über allerlei Gegenftände und Erſcheinungen, welche den Rindern nabe 
liegen. Auch an guten Gedichten fehlt es nicht. Am wenigſten geeignet 
und zu dem Geift der übrigen Stüde paflend ift Nr. 1, in dem das Kind 
mit den Schülerpflichten belannt gemacht wird. Dazu kommt, daß immer 
die zweite Perjon gebraudt ift, während doch das Kind als Leer zu den: 
fen ift und angemefiener aljo von fi felber ſpräche. Die fi daran reis 
benbe „Mahnung zur Selbftthätigleit” ift auch nichts werth, eben fo Nr. 

4, „Was mir ein Leſebuch erzählt.‘ in Anhang enthält „Aufgaben für 
den Spradunterrihi”, die es auf Benußung der Lejeftüde zu gram- 
matiſchen Zweden abſehen und im Ganzen fih als brauchbar erweifen 
werben. 


20.  Deutihes elebnd für bas mittlere Kindesalter. Herausgegeben 
von den Brübern K. Gelgam, erfien Lehrer an den Borjchul-Kiaflen des 


Anfhauungsunterricht. Lefen. Schreiben. 209 


Magbalenen-Gyumnaflums zu Breslau, und 2. Seltzſam, erſtem Lehrer an 

den Vorſchul⸗Klaſſen bes Eliſabeth⸗GGymnaſiums zu Breslau. Fünfte, 

verbeflerte Auflage. 8. (XVI und 336 ©.) Breslau, %. Hirt, 1865. 

123 Ser. 

Das Buch ift feinem ganzen Inhalte nah für Mittelllafien geeignet. 
Srzäblungen, Gedichte und belehrende Auffäße wechſeln mit einander ab, 
von legteren find die naturbiftoriichen durch 85 Holzjchnitte illuſtrirt. 


30. Lefebuh für Bürgerfhulen. Herausgegeben von Auguſt Lüben 
und Carl Nade. Bierter Theil. Zwöilfte, verbefferte Auflage. gr. 8. 
(VIU und 216 ©.). Leipzig, Sr. Branbfletter, 1865. 9 Ser. 


31. Leje- und Sprachbuch für Taubſtummenſchulen zum Gebraud 
bei bem Anſchauungsunterrichte von Ed. Mößler, Infpector ber Königl. 
Taubſtummen⸗ Anftalt zu Osnabrüd. J.-III. Abtbeilung. gr. 8. Osna⸗ 
brüd, F. Rackhorſt, 1864 und 1865. & 12 Ser. 


32. Zwei Bilderbogen, ein Hülfgmittel für die erfien Sprech⸗ und Sprach⸗ 
übungen mit Taubſtummen, enthaltend über 300 bilbliche Darftellungen 
von Gegenfländen aus den nächſten Anfhanungegebieten in einer bem all- 
mähligen — in der Lautbildung entſprechenden Ordnung von Ed. 

ößler, Inſpector der Königl. Taubſtümmen ⸗Anſtalt zu Osnabrück. Eben⸗ 
dafelbft, 1865. 6 Gar. 

Da der Jahresbericht den Taubftummenunterriht nicht in ben Kreis 

feiner Beſprechungen zieht, jo begnügen wir uns bier mit der Angabe des 

Titels diefer Schrift und der Bilderbogen. 


4. Für Mittels und Oberllafien. 


33. Leſebuch. Für Mittel» und Oberklaſſen gehobener Mäbchenichufen, als 
Borftufe des deutichen Lefe- und Bilbungsbuches für böhere Töchterſchulen 
und weiblide Erziehungsanflalten, herausgegeben von Dr. L. Kellner Ne⸗ 
gierungs- und katholiſcher Echulrath in Trier. Zweite, durchgeſehene Aufe 
lage. 8. (XI un. 487 ©.) Freißurg i. Br., 1865. 16 Sgr. 

Der gefammte Inhalt zerfällt in ſechs Abtheilungen mit folgenden 
Ueberſchriften: 1. Erzählungen, Parabeln, Zabeln und Maͤrchen. 2. Rer 
ligion und religiöjes Leben. 3. Schilderungen und Bilder aus der Natur: 
geſchichte. A. Bilder aus der Geographie und Geſchichte. 5. Lyriſche und 
didaktiſche Gedichte. 6. Erzaͤhlende Dichtungen. 

Auswahl und Anordnung geben in allen Abſchnitten Zeugniß von 
dem feinen Geſchmack und pädagogiichen Takte des Herausgebers ; das Leſe⸗ 
buch kann daher von Neuem latholiſchen Töchterſchulen beſtens empfohlen 
werben. 


34. Kleiner Leſe⸗Freund. Gin Uebungsbuch für mittlere Klaſſen katho⸗ 
liſcher Elementarſchulen. Bearbeitet von M. Mengier, Lehrer an ber 
Dom-Knabenichule zu Paderborn. Dritte, verbefierte Auflage. 8. (139 ©.). 
Baberborn, F. Schoͤningh, 1865. 4 Ser. 

Der Inhalt zerfällt in zwei Abtheilungen, von denen bie erfte Be 
f&reibungen, die zweite Erzählungen enthält. Die Beſchreibungen behan: 
Wär. Jahreßberiht. XVII. 14 


210 Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


deln Gegenſtaͤnde des Anſchauungsunterrichts und find im Ganzen etwas 
troden gehalten. Einen größeren Theil derfelben müfjen wir als ungeeig- 
net für ein Lefebuch erahten. Man urtbeile felbft: „Unſer Lehrer bat in 
der Echule einen Stuhl. An dem Stuhle fehe ich einen Giß, eine Lehne 
und vier Füße. Der Eig ift groß und flach; man kann bequem barauf 
fipen. Die Lehne heißt Rüdlehne. U. ſ. w. Die Erzählungen erinnem 
febr an die der verfjchollenen Kinderfreunde : „Spiele nicht mit Schießge 
wehren. Die böflihen Kinder. Gin Schüler, wie er nicht fein jol. Gin 
unartiger Knabe. U. f. w. 


5. Für Oberllafien. 


35. Deutfches Lefe-, Lehr⸗- und Sprachbuch für Schule und Haus. 

Bon H. Jaſtram, zweiter Lehrer an der Parochialſchule zu St. Albani 

in Göttingen. 8. (XVI u. 450 ©.) Göttingen, Deuerling, 1865. 

10 Egr., geb. 124 Ser. 

„Das vorliegende Lejes, Lehr: und Sprachbuch will einerjeitd uner⸗ 
jhütterlih fefthalten an dem Alten, Bewährten, andererjeit3 aber ſich den 
Fortſchritten der Neuzeit nicht verfchließen. Und weldes ift jenes Alte, 
Bewährte? Cs ift das Wort Gottes, und bei biefem Grunde will auch 
diefes Buch bleiben und fi nit wiegen und wägen lafien von allerlei 
Wind der Lehre.” 

Mit diefen Worten der Vorrede ift der Geift des Buches bezeichnet. 
Das ganze Material ift in folgende vier Abfchnitte gebracht: I. Erzähluns 
gen und andere Lejeftüde. II. Weltlunde. III. Bibellunde. IV. Sprach⸗ 
lehre. Im erften Abfchnitt find 158 Nummern dem Lutheriſchen Katechis⸗ 
mus gewidmet. Der Abjchnitt über die Welttunde bietet reichlich jo viel 
dar, als in einer Volksſchule verarbeitet werben kann, aud der über Gram⸗ 
matik. Man kann zugeben, daß der Voltefchule Bücher dieſer Art zur Wieder: 
bolung erwünfcht find ; aber ein Leſebuch im Einne und Geifte der Gegenwart 
können fie nicht erjegen. Wenn irgend ein Schulbuh, fo muß es gerade 
das Lejebuch fein, welches der Jugend eine Richtung auf das Ideale gibt. 


36. Leſebuch für Bürgerfhulen. Herausgegeben von Auguſt Küben 
und Earl Nade. Fünfter Theil. Zehnte, verbefferte Auflage. gr. 8. 
(VIII u. 224 ©.). Leipzig, Fr. Brandfletter, 1866. 9 Ser. 

37. Leſebuch für Bürgerfchulen, Herausgegeben von Auguft Lüben und 
Earl Nade Sechſter Theil. Giebente Auflage. gr. 8. (VIII u. 348 
S.). Leipzig, Fr. Branbfletter, 1865. 124 Sgr. 


Ich erlaube mir bier nur die Bemerlung, daß neben ver bisherigen 


Ausgabe des ganzen Leſebuches auf befonderen Wunſch aud eine Ausgabe 
für katholiſche und confeffionellegemifchte Schulen veranftaltet worden iſt. 


6. Tür höhere Schulanftalten. 


38. Deutfhes Leſebuch für die unteren Klaffen ber höheren Töch⸗ 
terfhulen. Erſter Theil. Herausgegeben von Dr. Ferd. Seinecke. 
Zweite, verbeflerte Auflage. gr. 8. (VIII u. 280 ©.) Dresden, 2. Eh⸗ 
leımann, 1866. 16 Sgr. 








Anfhauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 211 


Dies Leſebuch ift für Mädchen von 7—10 Jahren beflimmt, enthält 
daher verhältnigmäßig leichte Dejeftüde, daneben aber auch gar mandhe, 
die nad Inhalt und Umfang über dies Lebensalter hinausgehen. Cine 
Anordnung vom Leichtern zum Schwerern ift vom: Herausgeber verfucht 
worden, aber wohl fchwerlid durchweg gelungen ; es foll dem Lehrer über: 
laflen bleiben; die für feine Klaſſe wünſchenswerthe Folge berzuftellen. Nach 
unferem Dafürbalten gehört dies zu den Aufgaben des Herausgebers eines 
Leſebuches. Bei der Auswahl fah der Herausgeber darauf, Stüde zu 
wählen, die ſich nicht bereits in jedem Leſebuche fänvden ; daher begegnen 
wir bier manchem weniger befannten Stoffe. Für unbegründet müjjen wir 
aber die Anficht des Herausgebers halten, daß das Erjcheinen eines neuen Leſe⸗ 
buchs nur dann als gerechtfertigt erjcheine, wenn es wenig ſchon benußte 
Leſeſtüce enthalte. Die Lejebücher haben vielmehr mit dafür zu forgen, daß 
das Belle Gemeingut der ganzen Nation werde, 

Der Vorrede zufolge find die Veränderungen, weldhe der Herausgeber 
bei diefer zweiten Auflage vorgenommen hat, jo bedeutend, daß wir es fall 
mit einem ganz neuen Buche zu thun haben. 


39. Lefebuh für Bir erfünten, beſonders für höhere Knaben⸗ und 
Mädchenſchulen von di Möbus. II. Stufe. Kür Mittelklaſſen. Erſte 
Abtheilung. Zweite, vermebrte Auflage 8. (III u. 168 S.). Berlin, 
R. Gärtner, Amelang’iche Sortiments-Bughanblung, 1865. 8 Sr. 


Dies Lejebuc gehört zu den befieren der neueren Zeit, ohne fich jedoch 
gerade bejonders vor anderen auszuzeichnen. 


40. Deutſche Leſeſtücke, für ben Abſchluß bes Lefeunterrichts im ber geho- 
benen Deittelfchule, zugleich als Vorſtufe zu bes Verfaſſers Deutihem Leſe⸗ 
buche ſür die mittleren und oberen Klaſſen höherer Lehranftalten, zufam« 
mengeftellt von Dr. D. Lange, PBrofefior in Berlin. Iweite Auflage. 
gr. 8. (VIn. 217 ©.). Berlin, R. Gärtner, Amelang’ide Sortiments. 
Buchhandlung, 1865. 12 Sgr. 


41. Deutſches Leſebuch für die mittleren und oberen Klaſſen höherer Lehr⸗ 
enfalien. Ein Lehr⸗ und Hilfebudh für den aclamımmtunterziht in ber beute 
ſchen Sprache, herausgegeben von Dr. D ange, Prof. in Berlin. Erſter 
Theil. (Mittlere Stufe). Fünfte, sei uflage. gr. 8. (VIII und 
312 ©.). Cbenbafelbft, 1865. 16 © 
Beide Schriften find im XV. Bande von uns angezeigt und empfoh⸗ 

len worben. 


42. Eoldhorn und Godeled8 Deutſches Leſebuch. Aus den Onellen. 
Erfter Theil. Zweite Auflage. Belorgt von Theodor Colshorn. 8. 
(IV u. 325 ©.) Hannover, ©. Rumpler, 1865. 12 Sgr. 

Den erften, 1859 erſchienenen Theil dieſes Leſebuches haben wir im 

13., die beiden folgenden im 14. Bande angezeigt und empfohlen. Da 

die vorliegende zweite Auflage nur zwei neue Stüde erhalten bat, fo kön⸗ 

nen wir auf jene Beurtheilung verweilen. 


43. Dentſches Leſebuch. Bon R. Auras und G. Gnerlich, ordentlichen 
Lehrern an der Realſchule am Zwinger zu Breslau. Zweiter Theil. Vierte, 


14” 


212 Anfhauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


verbeflerte und vermehrte Auflage. gr. 8. (VIII u. 392 ©.). Breslau, 
F. Hirt, 1865. 224 Sgr. 

Proja und Poeſie find in dem Buche getrennt. In der erften Ab: 
theilung find die verfchiedenen Darftellungsformen vertreten, in ber zweiten 
die epifche und lyriſche Poeſie; aber in feiner derjelben find fie überfichtlid 
geordnet, was wir für ein Lebensalter, für mweldes dies Buch beftimmt if, 
als wunſchenswerth, ja als nothwendig erachten. Wer dann das Verwandie 
nit Behufs fruchtbarer Vergleihungen hinter einander lejen lafien will, 
dem ift für Planlofigkeit noch Raum genug gelafien. 


Die vorliegende neue Auflage bat mancherlei Berbefierungen erhalten 
und bietet in der That viel lefenswerthes Material dar. 


4. Deutiches Leſebuch. Zweiter Curfus. Bon ©. Dltrogge. Zebnte, 
nachgejchene, ſonſt unveränderte Auflage. gr. 8. (VIII u. 424 ©.). Han- 
nover, Hahn, 1865. 20 Ser. 

Schon bei Anzeige früherer Auflagen haben wir bies Leſebuch als ein 
gutes empfohlen, lönnen daher jebt auf Begründung unſeres Urtheils ver: 
sichten. 


45. Deutfhes Lefebud von ©. Ditrogge. Neue Auswahl. Erſter Theil. 
Ameite, verbefierte und flark vermehrte Auflage. gr. 8. (XIV u. 546 ©.) - 
Dannover, Hahn, 1866. 

Bor etwa 30 Jahren bat Oltrogge unter demjelben Titel ein Leſe⸗ 
buch für höhere Schulen herausgegeben. Die ziemlih weite Verbreitung 
befjelben binderte ihn, die Verbefierungen anzubringen, welde ihm wün- 
ſchenswerth, ja nothwendig erſchienen. Namentlih wünſchte er eine Ver⸗ 
mehrung oder auch Vertauſchung der Stücke durch gute Productionen der 
neueren Zeit. Dagegen proteſtirten aber die Lehrer, welche das Leſebuch 
gebrauchten, und ſo entſchloß ſich der Herausgeber ein neues Leſebuch von 
der Tendenz des erſteren anzufertigen und zum Gebrauch neben dem aͤlte⸗ 
ren anzubieten. Das bier genannte Buch ift der erfte Theil defielben. Er 
ift für Kinder von 11—13 Jahren beftimmt. Das Material zerfällt in 
zwei Theile, in einen profaifhen und einen poetifhen. Jener umfaßt 366 
Eeiten, diefer nur 180. Doch tritt mit dem poetifchen Theile kleinerer 
Drud ein, jo daß aljo die Zahl der Poeſien immerhin eine jiemlih be: 
trädhtlihe it. Der hier angewandte Drud erſcheint jedoch ald etwas zu 
Mein und ganz geeignet, zur Schwähung der Augen beizutragen. Der 
profaifche Theil enthält Erzählungen, Maͤrchen, Sagen, geſchichtliche Dars 
ftelungen, Befchreibungen, und zwar naturgeſchichtliche, phyſilaliſche, Schils 
derungen aus der Länder: und Völkerkunde, endlich unter der Rubrik „Bes 
fehrungen” etwas über das Weltgebäude. Der poetifhe Theil enthält 
epiſche, lyriſche und dramatifche Dichtungen, in einem Anhange Rätbjel und 
Sprühmwörter. Die epiſche Dichtung ift dur Stüde aus der Odyſſee, aus 
dem Nibelungenliede, durch Erzählungen, Legenden, Balladen, Romanzen, 
Fabeln und Parabeln vertreten, die dramatische durch Scenen aus Schiller's 





Anſchauungsunterricht. Leſen. Echreiben. 213 


Wilhelm Tel. In einem Leſebuche für höhere Schulanftalten würden wir 
den Tell einem fpäteren Alter aufbewahren. Sonft kann die Auswahl im 
Ganzen als gut bezeichnet werben. 


46. Dentſches Leſebuch von Dr. F. E. Paldamud, Director ber böberen 
Bürgerichule in Frankfurt a. M. Obere Stufe. Zweite Abtheilung : Aus⸗ 
wahl beutfher Profa. gr. 8. (XXI u. 569 ©.) Mainz, C. ©. Kunze, 
1865. 1 Thlr. \ 

Mit dieſem Bande ift das „Deutjche Lefebuch‘ beendet. Die vorans 
gegangenen Theile haben wir in den früheren Sahresberihten beſprochen 
und den höheren Schulanftalten empfohlen, ohne uns dabei zu Weber 
ſchwenglichkeiten zu erheben. In diefem Theile ift der Herausgeber bis 
auf Johann Geiler von Kaifersberg (1445— 1510) zurüdgegangen. Von 
ihm aus find die hervorragendſten Profailer bis zu den jegt lebenden, bis 
zu Leo in Halle, Liebig, Gutzkow, Auerbah und Mommfen, berüdfichtigt 
worden. Die Auswahl ift durchgängig mit Umſicht und richtigem päbas 
gogiſchen Tacte getroffen, bei den älteren Profaitern jedoch zu reichlich aus⸗ 
gefallen. Wenn man beventt, daß jedes Stüd mehr oder weniger einges 
bend bejprodhen werden muß, wenn es fi für allgemeine und Sprach⸗ 
bildung erſprießlich ermweifen foll, jo weiß man in Wahrheit nicht, wo die 
Zeit dazu herkommen foll. 

Die erften 131 Seiten haben auffallend Heinen, für unſere ſchwach⸗ 
äugige Tugend viel zu Meinen Drud, was man überall bevauern wird, mo 
man das Buch in Gebrauh nimmt, 


47. Lebensbilder IV. Leſebuch für höhere Bildungsanflalten. Bon Ber: 
thelt, Jaͤkel, Petermann, Thomas. Bierte, vermehrte und verbeflerte 
Auflage. gr. 8. (XX u. 651 ©.). Leipzig, 3. Klinkharbt, 1865. 1 Thlr. 
BVartiepreis 10 Erpi. 71 Thlr. 

Das reihe Material zerfällt in zwei Übtheilungen, von denen bie 
erite ald Grundlage einer Literaturgefhichte dienen, die zweite den Realuns 
terriht unterftügen foll. Sn ber erften Abtheilung find faſt alle Dichtungs⸗ 
arten in guter Auswahl vertreten, das Drama jedoh nur durch Brud: 
ftüde; die zweite Abtheilung enthält Naturbilver, Bilder aus der Voölker⸗ 
und Länderlunde und Geſchichtsbilder. 

Die vorliegende vierte Auflage bemeift, daß das Werk Beifall gefun- 
den bat. Im Intereſſe der Jugend wünſchten wir etwas weniger Stoff, 
aber größeren Drud, | 


48. Lefebuh für Bürgerfhulen. Herausgegeben von Auguſt Lüben 
und Carl Nade. II, bie VI. Theil. Leipzig. Fr. Brandftetter. 
Näheres fiehe oben! Diefe Theile find auch für höhere Schulanftalten 
geeignet. Der VI. Theil Tann als Grundlage für den literaturbiftoriichen 
Unterricht benugt werden. Cr führt pas Material in chronologiſcher Folge 
vor und enthält kurze Lebensabrifie der hervorragendften Dichter und Schrift: 
ſteller aller Zeiträume, 


214 Anfchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


7. Unmeifungen zur Behandlung des Leſeunterrichts. 


49. Die Methodik des fpradliden Elementarunterridhte. Hiſto⸗ 
rifhe Entwidelung ber Leſelehrmethoden und tbeorerifch-praftifhe Anwei⸗ 
fung zur Behandlung des vereinigten Anſchauungs⸗, Spreh-, Schreibe, 
Lefe- und Sing Unterrichtes für Die Volksſchule. Bon €. Kehr, Seminars 
infpector, uud G. Schlimbach, Elementarlehrer. gr. 8. (X und 164 ©.). 
Gotha, E. F. Thienemann, 1866. 

Der Inhalt diefer Schrift zerfällt in zwei Theile, von denen der erfte 
die geſchichtliche Entwidelung, der zweite die theoretijch-praltiihe Darftellung 
des ſprachlichen Clementarunterriht3 für die Volksſchule behandelt. Im 
erften Theile wird die Zeit der Buchftabirmethode, der Lautirmethode, der 
Schreiblejemetbode und des vereinigten Anſchauungs⸗, Sprech⸗, Schreib, 
Leſe⸗ zc. Unterrichts (Elementarunterrihts) beſprochen und darauf die Stel⸗ 
fung der Berfafier hierzu bezeichnet. Im zweiten Theile werben zunächft 
bie Grundfäße für diefen Elementarunterrit dargelegt, dann wird dem ans 
gehenden Lehrer gezeigt, wie er neu eingetretene Glementarfchüler zu behan- 
bein und melde Borübungen er für den Clementarunterricht anzuftellen 
babe, und hieran reihet fih eine Behandlung der Normalmwörter der oben 
angezeigten Fibel von Schlimbach, von dem aud diefer Theil des Buches 
tft, während alles Andere Kehr zum Verfaſſer bat. 

Dir haben uns diefer Echrift gefreut. Denn menn fie aud, wie 
leicht begreiflih, in der Sache felbft nichts Neues bringt, fo ftellt fie doc 
alles Bekannte überfidhtlih und anregend dar, gerade in dem Umfange, wie 
Lehranfänger dieſes Wiſſen zu einer erfolgreichen Thätigkeit nötbig haben, 
wenn fie diejelbe bemußt ausführen wollen. Die Hauptarbeit (bis S. 80) 
bat natürlich Kehr geliefert, der fich in derfelben von Neuem als erfahrener, 
einfichtiger Ehulmann und gefchidter Darfteller feiner Gedanken ermeift. 

Kehr befennt ſich zu der Vogel'ſchen Schreiblefemethode, bat biefelbe 
jebod merllih mobificirtt. So ift er 3. B. für Vorübungen zu dieſem 
Unterricht und führt diefelben ganz fo aus, mie ih es 1863 im XIL 
Bande meines „Praltiihen Echulmannes‘ gezeigt habe; dann wendet er 
Anfangs, wie ih im I. Theile meines Lefebuches, nur die Schreibſchrift 
an, und läßt die Drudichrift erft auftreten, nachdem die Kinder bereits 
leidlich leſen können. Bei folhen Abänderungen verſchwindet ein Theil 
der Echmierigleiten, welche die Vogel'ſche Methode darbietet, menngleih die 
Folge, in der die Schreibbuchſtaben vorgeführt werden, den Fortjchritt vom 
Leitern zum Schwerern völlig unbeadhtet läßt, ganz abgefehen davon, daß das 
große und Heine Alphabet zugleich eingeübt werden müfjen, was mit 
dem Grundfaß der Ginfahheit auch nicht in Harmonie if. Hier ftimme 
ih mit Kehr nicht überein, was mich aber nicht abhält, dies Buch ange: 
benden Lehrern beftend zu empfehlen. Befolgen fie auch nicht die von ihm 
angewandte Methode, fo werden fie doch namentlich daraus lernen, mie die 
Anihauungeübungen mit dem Schreiblefeunterricht zu verbinden find und 
ben Clementarunterricht bildend und intereflant zu maden iſt. 


50. Das Lefebuch in ber Mittelklaſſe. Begleitſchrift zu bem erften Heft 
bes beutihen Sprachbuchs von Heinrich Stahl, Lehrer an der höheren 





Anſchauungsunterricht. Lejen. Schreiben. 215 


. Bürgerfchnie zu Wiesbaden. Iweite, umgearbeitete Auflage. 8. (IV und 
28 ©.). Wiesbaden, Chr. Limbarth, 1865. 4 Ser. 
Was der Verf. in dieſem Schriften über das Lefen und Erklären 
ber Lefeftüde jagt, ift richtig, aber fo wenig neu, daß wir bier davon ab» 
ſehen lönnen, näher darauf einzugeben. 


3. Schreiben. 


1. Methobifher Lehrgang für den erfien Shreibunterridt. Ein 
Beitrag zur Löſung der Schreibirage von C. ©. Kerner, Borficher einer 
Borjhule für Knaben. gr. 8. (16 ©. Drud u. 8 ©. Lithogr.). Gtutt« 
gart, A. Schaber, 1865. 74 Sr. 

Das Berfahren des Berfafiers beim erften Schreibunterriht ftügt ſich 
auf Benugung eigenthümlich liniirter Schiefertafeln und gut berechnete Vor⸗ 
übungen. Seine Anmeifung hätte ſich für Anfänger im Unterrichten über» 
zeugender und überfichtlicher darftellen laſſen. 


2. Borlegeblätter für ben erften Unterricht im Schönſchreiben. 
Bon K. Würth, Lehrer in Biblis. Erſtes def: a deutſche Schrift. Vierte, 
verbefjerte Auflage. Worms, I. M. Rahlke. 

Einige Buchſtaben abgerechnet, iſt die ar u anfpredienb, Die Stu⸗ 
fenfolge ift im Ganzen angemefjen. 


3. Shönfhreibe-Enrfus für deutſche und lateiniſche Schrift 
in 13 Heften. Seransgegeben von P. 3. Beumer, Lehrer. Neue, ver⸗ 
befierte Folge. 4. Weſel, A. Bagel. Preis pr. Dutzend 10 Sgr., alle 
13 Hefte in Kapfel 11 Ser. Jedes Heft wird einzeln abgegeben. 

Die erſten 6 Hefte umfaſſen die deutſche, die folgenden 7 bie latei⸗ 
niſche Schrift. Jedes Heft befteht aus 10 Linürten Blättern und einer 
eins oder zweizeiligen Vorſchrift. Stufenfolge und Text find gut, vie 
Schrift ift kräftig und gefällig Wo man fi folder Schreibbefte über: 
haupt bevienen will, da werben ſich dieſe als recht brauchbar und zugleich 
als ſehr billig ermeifen. 

Die innere Seite des Umſchlags enthält als Bugabe einen Glemens 
tarsCurfus im Rechnen, in der deutſchen Sprade, Geographie und Nas 
turkunde. 


4. Borſchriften in deutſcher und lateiniſcher Schrift geſchrieben 
von G. Lippelt, ordentlicher Lehrer am Königl. Gymnafium zu Ratibor. 

4. (26 Steintafeln). Natibor, Thiele, 1864. 12 Sgr. 

Gegen dieſe Stufenfolge ließe ſich namentlih in der Currentſchrift Eis 
niges einmwenden ; die Schrift aber ift gefällig und kräftig. Wenn die Ab⸗ 
fiht des Herausgebers dahin gebt, die einzelnen Vorſchriften den Schülern 
in die Hände zu geben, fo halten wir den Fortichritt in den erften Uebuns 
gen für zu raſch. 


216 Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


5. Sandter's Vorſchriften für Schnlen und zum Selbſtunterrichte. 1. 
u. 2. Heft. qu. 4. (& 10 lith. Blatt). Prag, Santow. 7 Egr. 
Das erfte Heft enthält Current, das zweite lateiniſche Schrift. Gegen 
die Stufenfolge ift nichts Erhebliches einzuwenden ; die Schrift if ſchön. 


6. 35 Borlegeblätter zum Schönſchreiben in beutfher Current für 
Schüler ber Oberflaffen von Auguft Berger. Zweite Auflage. qu. 4. 
Nördlingen, C. 9. Bed. 12 Sgr. 

Der Tert ift der Naturkunde entnommen und kann als gut bezeichnet 
werden. Die Schrift ift Fräftig und gefällig. 


7. Die Eurrent-Ralligrapbie. Anleitung in ſecht bis zehn Stunden 
ſchön jdreiben zu lernen, von F. &. Pernat, Lehrer der Kalligraphie im 
Miünchen. Dir einem Bormort von G. Mayr, Gentral-Bräfes des bayr. 
fath. Gelellenvereins. I. Theil. Deutſche Currentſchrift. 4. (12 und 28 
lith. ©). Münden, Lindauer, 1865. 8 Ger. 

Dies Werkchen befteht aus einer kurzen Anleitung zum Schreiben und 
aus einem lithographirten Schreibhefte mit den nöthigen Vorſchriften. Die 
Uebungen haben das Eigenthümliche, daß jeder Kleine Buchſtabe mit einer 
etwa zolllangen wagerechten Linie beginnt. Wir geben zu, baß durch dieſe 
Hebung das Geradefchreiben erleihtert wird, können uns aber nur wenig 
davon für die gute Darftellung der Buchſtaben felbft verfprehen. Die 
Schrift felbft hat nichts Gefälliges. Alte verborbene Hände mögen ſich bei 
gutem Fleiße nad des Verf. Methode in kurzer Frift verbefiern; für die 
Schule ift das Verfahren nicht anwendbar. 


8. Kalligraphiſche Mufter-BTätter aller Schrift-Gattungen mit ben 
verichiedenften Verzierungen für Verehrer der höheren Kalligraphie, fo wie 
befonber® für Kalligraphen-Lithographen, Graveure und Edildermaler von 
Auguft Köbler. Giebente, fehr vermehrte und verbefierie Auflage. 8. 
(32 81. Lith.). Hamburg, €. Gafmann. 


9. Kalligraphiſche Studien zur Benntzung für Lithographen, Schreiber, 
Screiblebrer, Maler, Graveure 2c., fo wie für alle Freunde ber höheren 
Kalligraphie von Auguſt Köbler. quer 4. (10 Steintafeln, wovon 1 in 
Bunttrud). Ebendaſelbſt. 18 Sgr. 

Eulen liegt die Benutzung folder Mufterblätter ſern; Kalligraphen 
von Fach, Lithographen, Graveure und Schildermaler werden biefelben aber 
gut benugen können. Die Ausführung ift durchweg gefhmadvoll. 


nn nn 


VI. 
Naturkunde. 


Bearbeitet- von 


Auguft Lüben. 


I. Methaik. 


1. Ullgemeine Naturlunde. 


1. Die Frage, welhe „Stellung der Volksſchullehrer zu 
den Naturwiffenjhaften einzunehmen babe“, ift oft aufgewor: 
fen, aber nicht von allen Seiten ber übereinftimmend beantwortet worden. 
Die Einen halten dafür, daß ed am beften wäre, wenn der Volksſchullehrer 
gar feine Stellung zu den Naturwiſſenſchaften hätte, fich vielmehr fo weit 
als thunlich abwehrend zu venjelben verhielte. Für ihn genüge es voll: 
fommen, wenn er fih mit der biblifchen Naturgeſchichte befannt mache, 
etwa nad der im Calwer Berlag erichienenen Schrift, damit er über bie 
in der Bibel vorlommenden naturhiftoriihen Namen im Neligiondunterricht, 
rejp. beim Bibellefen,. die nöthige Auskunft geben könne Gin Wiſſen, 
welches hierüber binausgehe, fei für den Volksſchullehrer nicht nur völlig 
entbehrlih, ſondern geradezu ſchädlich, wenigſtens in vielen Fällen, da es 
bie chriſtliche Religion gefährde, von Gott abführe, wie das Beifpiel bedeu: 
tender Naturforjcher, wie C. Bogt, Molefchott, Büchner, Ropmäßler u. U. 
fattfam beweife, „zur Vergötterung der Natur führe”, wie auf der Allgem. 
deutſchen Lehrerverfjammlung in Mannheim von Einer Seite ber behauptet 
wurde. Aus diefen Gründen wird in gar manchen beutihen Seminaren 
den künftigen Bollsjhullehrern nur ein Minimum aus der Naturlunde dar 
geboten, kaum etwas mehr, ald was in den für die Volksſchule beftimmten 
Lefebühern darüber enthalten ift. Aber auch da, mo man ſich von den 
angebeuteten Anfichten nicht leiten läßt, fehlt es doch an ber nöthigen Zeit 
für die Naturkunde, da andere Gegenftände ein fo großes Maß derfelben 
in Anſpruch nehmen, fo namentlih die Mufit, demnächſt auch der Reli⸗ 
gionsunterricht. 

Andere ſind der Meinung, der Volksſchullehrer habe eine ſehr be⸗ 
ſtimmte Stellung zu den Naturwiſſenſchaften einzunehmen, eine ſolche näm⸗ 





218 Naturkunde. 


lich, durch die er ganz in diefelben eingeweihet werde. Dars 
nah müfle er fi) ganz vertraut maden mit allen Theilen verfelben, die 
in der Schule gelehrt würden oder von denen ber Beitgeift dringend fordere, 
daß es geſchehe. Er müfie aljo mindeftend ganz befannt fein mit dem 
äußern und innern Pau der Nepräfentanten aller größeren Gruppen des 
Thier⸗ und Pflanzenreiches, der äußern Geftaltung und chemiſchen Zuſam⸗ 
menfegung ber Hauptgruppen des. Mineralreihes, der allmäligen Bil: 
dung der Erdrinde, mit ven Lehren der Phyſik und Chemie, durch 
welche nicht bloß die Mechanik des Himmels, ſondern auch alles dasjenige 
erflärt werben könne, was in der Induftrie, in den Gewerben und in der 
Landmwirtbichaft zur Verwendung komme. Ja noch mehr: er foll nicht nur 
in dem Genannten fo fiher, fo gut bewandert fein, daß er nichts Faljches 
mebr darin lehrt, alfo nicht Anfichten über dies und jenes vorträgt, bie 
längit als unrichtig erwiefen worden find, nein, er foll aud in feiner ens 
geren Heimath, im nädhften Umkreiſe feines Wohnortes nämlich , geradezu 
als Naturforicher auftreten, foll beobachten, was kreucht und fleudt, was 
da wächſt, wodurch an biefer und jener Stelle dies und das MWahsthum 
bevingt ift, foll Wind und Wetter beobadhten, Thermometer und Barometer, 
fol die Schweine auf Trichinen unterfuchen können und viele® Andere. 
Die das von den Volksſchullehrern verlangen, gehören zu den vorurtbeils: 
feeieften, gebilvetfien Männern unferer Beit, zu Denen, welde die jebige 
Zeit zu beurtbeilen vermögen und aus eigener Erfahrung wiflen, in wel 
hen Umfange das Wohl der Voͤlker durch die Ausbildung der Naturwiſ⸗ 
jenichaften bedingt wird. Sa, ein fehr erbebliher und nicht gerade ber 
ſchlechteſte Theil der Volksſchullehrer felbft gehört mit zu Denen, die das 
unbedingt anerfennen und eifrig nachzuholen ſuchen, was bie Seminare bei 
ihnen verfäumt baben. 

Daß ich felbft auf der Seite diefer „Anderen“ ftehe, braudye ih wohl 
nicht erft zu fagen, wie e3 ja auch unnöthig ift, dieſen Standpunft jet 
noch als den allein berechtigten nachzuweiſen. Unfere Seit fchreitet bereits 
mit gewaltigen Schritten über die Häupter Derer hinweg, welche den Volks⸗ 
ſchullehrer von der naturmwiflenfchaftlichen Bildung ausfchließen wollen, und 
noch ebe ein Bierteljahrhundert vergangen fein wird, wird man von ihnen 

erzählen, wie wenn Einer heut in Kinderkreifen oder in Spinnftuben ans 
fängt: „Es war einmal ein Mann, der bieß . . 

Nummer 19 der Sähjijhen Schulzeitung von 1865 tbeilt 
eine Rede mit, die ein ſächſiſcher Seminarlehrer, 3. in A., am 12. De: 
cember 1864 bei einer feierlihen Gelegenheit im Seminar gehalten bat, die 
fih über „die Stellung des Volksſchullehrers zu den Naturwiſſenſchaften“ 
verbreitet. Der Berf. zeigt feinen Zöglingen zunädlt, „welchen Werth die 
Kenntniß der Natur für den chriftlihen Lehrer babe”, und erörtert bann, 
„mas er beim Studium der Naturwiflenichaften zu beadten babe. eb: 
teres ift für uns bier natürli die Hauptſache. „Wenn aber auch die Be 
bauptung, jagt der Berf., daß die Naturmifienichaft von Gott abführe, 
zurüdgewiejen werden muß, fo möchte ih doch beshall nicht fagen, daß 
das Studium der Naturwiſſenſchaften für den Einzelnen, und nament: 
li für den chriſtlichen Lehrer, ohne alle Gefahr jet, es gilt vielmehr, wie 


Naturkunde. 219 


beim Stubium jeder Wiflenfchaft, fo namentlich bei dem ber Naturwiſſen⸗ 
Ihaft das Wort eines alten Heiden: „Wage, weiſe zu fein !' Wenn ic 
Ihnen daher, meine jungen Freunde, die Beichäftigung mit naturwiſſen⸗ 
ſchaftlichen Gegenftänden angelegentlih empfehle, jo mögen Sie dabei Fol⸗ 
gendes im Auge behalten: 1) So wie bie heilige Echrift fein Lehrbuch 
ber Naturwiſſenſchaft ift, jo ift 2) auch nicht Alles Naturwiſſenſchaft, was 
fih dafür ausgibt. Es kommt vielmehr 3) Alles darauf an, die Natur 
immer vom Standpunkte der driftlihen Weltanfhauung gu betrachten.” 
Nur der letzte Punkt hat bier für uns ein Intereſſe. Was der Verf. als 
weitere Ausführung bierüber gibt, fpricht er in dem Satze aus: „Die Na: 
tur ift nicht nur ein Wirtungsplag von Naturkräften und Gefeßen, fon= 
dern in dieſen Gejeßen find die Gedanken des lebendigen Gottes verlörs 
pert.“ Bu dieſem Sab befenne ich mi auch fehr gern. Aber ih halte 
es nicht für richtig, dies als cine nur „chriſtliche Weltanſchauung“ zu bes 
zeichnen ; denn dazu kann fi auch der Jude und Muhamedaner erheben, 
vielleicht felbft der gebildete Heide. Wenn man alfo nur das verlangt — 
und nah meinem Dafürhalten kann man allerdings nicht mehr verlangen, 
richtiger wünſchen — fo braucht man in der That nicht beſonders zu 
betonen, daß der Vollöfchullehrer die Natur immer vom Standpunft der 
chriſtlichen Weltanfhauung betrachten ſolle. Ich halte dafür, daß die Nas 
turlunde in den Seminaren wie in den Schulen ganz einfach zu lehren if, 
wie fih ihr Inhalt unbefangenen Sinnen barbietet und wie fie im Laufe 
der Jahrhunderte, vor allen Dingen in unferem Jahrhundert erforiht wor: 
den if. Einer befonders dazu gefärbten chriftlihen Brille bedarf es nicht, 
wohl aber — eines guten Mikroſkops, um damit tief in’d innere der 
Natur zu ſchauen. Finden chriftlich erzogene Seminariften und Kinder 
dann in den mannigfahen, oft bewunderungswürdigen Vorgängen Gott 
nicht, jo nöthige man fie nicht, gegen ihre Leberzeugung zu befennen, fon: 
bern warte ab, bis ein tieferes Verſtändniß der Cache fie dazu führt. 

Mebrigens ift der Verfaſſer ein entfchiedener Freund der Naturkunde, 
und es ift darum nicht an einem guten Crfolg feines Unterrichts zu zweifeln. 

In ähnlichem Sinne ift es wohl zu verftehen, wenn Carl Ruß in 
feinem unten genannten Buche „Naturwiſſenſchaftliche Blide in’s tägliche 
Leben” die Aufgabe eines Lehrers der Naturwiſſenſchaften mit den Worten 
bezeihnet: „Er bat das hehre Ziel, feine Schüler zu den Quellen ber 
ewigen Wahrheit und des Lichts zu führen, ihnen alle Wunder des Lebens 
und der Welt zu erfchließen, und ihnen die Genüfle, Freuden und Vortheile 
zugänglich zu machen, welche eben das rechte Innere der Natur in unend» 
lich reicher Fülle bietet! “ 

2. Das Schulblatt der Provinz Sachſen bringt in Nr. 9 
(1865) einen Bortrag von C. Schreiber in Zeig über „Die Stel: 
lung der Volks- und Bürgerfhule zu den Naturwiſſenſchaf— 
ten”, in dem bie große Bedeutung ber letzteren für das Leben und als 
Bildungsmittel in überzeugenpfter Weife bargetban wird, Der Berf. for: 
dert baber für alle Volls- und Bürgerjchulen einen ausreichenden Unter: 
sit darin und bezeichnet die Aufgaben deſſelben mit Worten, die ich einit 
gebraucht babe. Go lange der Naturkunde in den genannten Schulen noch 





220 Naturkunde. 


nicht ihr Recht wird, ift es immer noch ſehr loͤblich, foldhe Vorträge in 
Lehrerconferenzen und andern geeigneten Verfammlungen zu halten und zu 
veröffentlichen. 

3. Es ift eine befannte Erfahrung, daß eine große Anzahl von Men 
ſchen keinen Einn für die Echönheiten der Natur befist und daher eine 
Neihe von edlen Genüfien entbehrt, ganz abgejehen davon, daß fie in folge 
befien auch nie recht kennen lernen, was ihnen in ber Natur müßt oder 
fhadet. Die Urſache des Mangels an Naturfinn if in der Vernach⸗ 
läfjigung zu fuchen, welde die große Mehrzahl in der Jugend nad) dieſer 
Richtung bin erfährt. Auf dem Lande, mo fih in den allermeiften Faͤllen 
die anſprechendſten Naturgenüffe ungeſucht darbieten, findet fi oft Nies 
mand, der die Kinder in finniger Weife darauf binwiefe; die Eltern find 
überhaupt, namentlid aber in dieſer Richtung ungebilvet, und die Lehrer 
glauben in vielen Fällen, daß dem Leſen, Schreiben und Rechnen jo brobs 
lofer Rünfte halber keine Stunde entzogen werden dürfe. In ſolchen Fällen 
fehlt au die Ahnung davon, was man den Kindern vorenthält und wie 
man fie für ihr ganzes Leben ſchaͤdigt. In großen Städten, wo es nidt 
an gebildeten Eitern und Lehrern fehlt, bleibt der Naturfinn unentwidelt 
aus — Mangel an Natur. Treibt dann fpäter die Mode fo armfelig ev 
zogene Großftädter nad) dem Harz, nad der fähfifhen Schweiz, dann bat 
ber Beobachter reichlich Gelegenheit zu ſehen und zu hören, wie die mübe 
machenden Berge verwünjcht werden und wie es in jo beſchwerlichen Ges 
genden keinen höheren Genuß gibt, als — eine gute Flaſche Berliner 
Weißbier. Viel befier ald die Kinder der Lanpbewohner und Großftädter 
find die in den kleineren Städten daran, da die Natur bier leichter zu⸗ 
gänglih und das Maf der Bildung im Allgemeinen etwas größer ift, als 
auf dem Lande. Der Umftand aber, daß der naturkundliche Unterricht im⸗ 
mer noch zu den wenig gepflegten Gegenftänden gehört, bewirlt auch in 
diefen günftigeren Verhältniffen nody immer, daß der Naturfinn bei ber 
Jugend mehr oder weniger unentwidelt bleibt und ber Naturgenuß ſich 
auf eine gute Mahlzeit von — Erdbeeren und SHeivelbeeren beidhräntt. 

Einſichtige, naturfinnige Lehrer haben diefen Mangel in der Jugend» 
erziehung längft gefühlt und zur Abhülfe aufgefordert. In diefem Jahre 
ift das wieder gejhehen von Ramde im „Schulblatt für das Her— 
jogtbum Braunſchweig“ (2. Heft, 1865) und von €. Ruß in ber 
„Cornelia“ von Pilz (IV. Bd. 3. Heft, 1865). NRamde redet an 
gedachter Stelle von dem „erziebliden Einfluß, den ber Unter: 
riht in der Naturlunde auf das Kind ausübt” Gleich zu 
Anfange fagt er: „Es ift die Sache der Erzieher, durch zeitige Einwir⸗ 
tung auf Berftand und Gemüth des Kindes den Naturfinn zu erweden, 
und billig follte das Elternhaus damit ſchon früh beginnen ; aber wie bort 
nicht allein Vieles verfäumt wird, was der intellectuellen und fittliden Ent⸗ 
widelung des Kindes förderlich fein könnte, und vielmehr der Schule über: 
lafien bleibt, da3 dazu Nöthige zu leiften ; fo zerftört vielmehr der häus⸗ 
lie Einfluß noch oft die guten Keime, die aud in diefer Hinficht in der 
Schule gewedt und genährt werden.” Bon der Schule nun fordert ber 
Derf., daß fie das Verfäumte nachhole. In welcher Richtung Haus und 


Naturkunde. 221 


Schule wirlen follen, um jevem Menſchen „einen Reichthum der reinften, 
edelften, unjchulvigften und wohlfeilften Freuden““ zu verfchaffen, das zeigt 
er in angemefienfter Weile. Wir heben daraus nur ben folgenden Sag 
bervor : „Wenn wir bei des Winters ftarrer Kälte, welche die ganze Natur 
in das weite weiße Sterbegewand gehüllt hat, hbinaustreten und ſehen in 
tauſend Arvftallformen Zweige und Grashalme bereift, in denen fih die 
Haren Mittagsjonnenftrahlen tauſendfach fpiegeln und bredien; wenn wir 
dem Beeifen unjerer Fenfterjheiben zujehen, wie die Eisnadeln ſich ihre 
Spigen reihen, um die lieblichſten Gebilde von Palmen, Feljen: und 
Baumgruppen zu formen; wenn wir bei mäßigem Yroft die fallenden 
Schneefloden auf dunkelm Grunde auffangen und die regelmäßigen Formen 
derjelben erfennen ; wenn wir enblich unjer Auge zu dem mit Sternen über- 
fäeten Himmel eines ftrengen Haren Winterabends emporrichten, jo muß 
das Gefühl der Bewunderung, des Staunend und der Freude unjer Herz 
bewegen.” 

Ruß beantwortet a. a. D. die Frage: „Wie erzieht das Haus 
fein Kind zum Naturfreunde?“ Wir übergehen, was der Berf. im 
erſten Theile feiner Arbeit über „Werth und Nugen aller Naturkenntniß 
für’3 tägliche Leben” fagt, und heben daraus nur hervor, daß nach feiner 
Anfıht „das erfte und wichtigſte Material der Erziehung in 
der freien Natur zu finden ſei.“ „In ihr gibt es nichts Unwahres, 
nichts Unfhönes, fie bietet nur reine und hehre Genüſſe. Mit großer Ein« 
fiht und vollem Recht fchöpft daher auch bereit die Froͤbel'ſche Methode 
der allererften Erziehung (in den Kindergärten) unermeßliche Schäbe aus 
der Natur — während dagegen die häusliche Erziehung, ſowie die ver 
Schulen dieſen wundervollen Reichthum leider noch falt völlig unbeadhtet 
laſſen.“ 

„Mit aufmerkſamem Blicke können wir den Einfluß der Natur von 
den erften Stabien der Erziehung an leicht verfolgen: Thier, Pflanze und 
Stein find die erften dem erwadhenden Kinde in die Augen fallenven 
Gegenftände — und melde Fülle fchöner, poetijcher und für alle Zeit blei⸗ 
bender Ginvrüde vermag die finnige Mutter mit ihrer Huͤlfe hervorzu⸗ 
bringen.” 

„Dann weiter: der lebhafte Knabe, das rubeloje Mädchen — womit 
wären fie wohl leichter und erfolgreicher zu bejchäftigen — und zu befries 
digen, als mit den Gegenftänden der Natur? Sie bieten einen fo wuns 
dervollen Reichthum aller Mufeftunden, wie ihn der pedantiihe Fachmann 
vergeblih in irgend etwas Anderem zu entdeden vermöchte.‘ 

Dem Borftehenden fügen wir noch aus dem zweiten Theile der Ars 
beit den Abſchnitt hinzu, in dem der Berf. zeigt, wie eine verftändige Mut⸗ 
ter ihre Kinder zur Naturtenntniß zu führen babe. Cr jagt: „Nur em 
Heines Fledchen von Gottes ſchoͤner Erde genügt zum Beginn unferer Stu: 
dien; ja, ed muß fogar Hein und eng begrenzt fein, damit wir und nicht 
zeriplitteen, fondern vielmehr erſt dasjenige, was es bietet, recht genau ken⸗ 
sen lernen. Hier wachen Blümchen, die wir längft kennen, deren lieb⸗ 
licher Bedeutungen wir aus ber Jugendzeit und wohl erinnern, die wir aber 
ſeitdem meiftens vergefien haben. Es ift Tauſendſchoͤnchen, Butterbiume, 


— u. vr -- — 


222 Naturkunde 


Bienenſaug. Sie find zu den erſten botaniſchen Unterhaltungen der Mutter 
allermeiſt ausreihend. „Tauſendſchonchen nennt man dieſe Blume, weil fie 
jo fhön ift und ihrer viele Zaufenb über die Aue zerfirent find.“ Oder, 
„weil das Blümchen aus jo vielen ſchönen Blättdyen befiebt, dab mar de 
ren wohl Zaufend zählt.” „Auch Gänjeblümdyen beißt ed — weil es dort 
wächſi, wo die Gänje auf die Weide geben.” Run aber gar die Butter 
blume — ‚fie bat ihren Ramen davon, bab man jie den lindern in der 
Sonne unter'3 Kinn hält, um am dem gelben Wiederſchein zu fehen, ob fie 
gern Butter efien.” Der „Bienenfaug aber hat feine Benennung davon, 
daß die Bienen fo fleißig aus feinen Blütben Honig faugen” Rum 
tnũpfen fih bieran fogleich zahlreiche andere Belehrungen. Cin Butterbiu: 
menftengel ift bereits mit den zierlichen, wolligen Samen befegt, und wäh 
rend ein Bubchen feine Blastraft an denfelben erprobt, ertlärt die Mutter, 
daß dies die Samen der Pflanze feien, welde ver Wind neu ausjäet und 
aus denen dann wieder lauter neue Pflanzen mit Blumen erwachſen. Das 
Saugen der Biene führt dann aus der Botanik zur Zoologie. Welche 
dülle von Belehrungs: und Unterhaltungsftofi bietet nicht das Leben der 
Biene, dann das der Ameife, das eines Regenwurmes in feiner Schäplid: 
feit, das eines Froſches in feinem Nutzen für den Haushalt der Natur!“ 
„Gelegentli wird dann aber die treue und verfländige Mutter des 
Abends aud wohl ein Stundchen Muße finden, um in einem guten nas 
turgeichichtlihen Werte über Zaujenpihönden , Butterblume, Bienenfaug, 
Biene, Ameije, Regenwurm und Froſch nadzulefen. Und wahrlid, es bes 
dürfte nur weniger folder Spaziergänge der Mutter mit den Kindern, 
weniger Leſeſtündchen der erfteren, dann — davon find mir feil übers 


jeugt ! — finden beide Theile bald inniges Vergnügen daran, ja wahren 


Heißhunger nad) diefen bisher ungeahnten Genüflen.‘ 

Um wie viel befler wird das Alles aber gelingen, wenn wir erft 
Mütter haben werden, die nicht blos durch Franzoͤſiſch, Engliſch, Mytho⸗ 
logie u. dergl., jondern aud durch und für Naturkunde werden gebilvet 
fein. Darauf ift in erfter Linie binzuarbeiten. 

4. Zn ähnlihem Sinne, wenn audy zu anderen Zwecken, fpricht fi 
W. Werner in der „Cornelia” von Pilz (TIL. Bd., Heft 4, IV. Bd., 
Heft 2, V. Bd., Heft 3) in einem Aufſatze mit der Ueberichrift „Das 
Sausmufeum” aus. Um beobahten zu lernen, um zu einem auf Ans 
fhauung gegründeten Willen zu gelangen, foll der Knabe in freier Natur 
ſammeln, was feinen Blid auf fi zieht, Tbiere, Pflanzen und Mineralien 
und daraus und Anderem ein „Hausmuſeum“ erflehen zu lafien. In vie: 
len Familien geichieht das ſchon, in anderen ift man gleichgültig dagegen, in 
nod anderen ſucht man es zu verhindern, weil Kleider aller Art entſetzlich 
dabei leiden. 

„Das Sammeln, jagt der Berf., ift zunädft eine Gtiquettenfrage. 
Auf dem geraden Wege liegt fo wenig, was die Kinder anzieht, unb von 
ihm abzufhweifen, führt bier in den Sumpf, dort in die Domen oder 
wohl gar in die nichtliebenden des Feldhüters, — in lauter verdrießliche 
Dinge. Darum freut fih wohl der Bater, wenn feine Kinder auf bem 
Sonntagsipaziergange hübſch neben oder hinter einander gehen, mit bem 





Naturkunde, 223 


Geſichte gerabeaus. nur dem Orte zgugelehrt, wo das Biel des Weges liegt; 
darum ift die Bonne fo befriedigt, wenn fie endlich die Zöglinge, die wan⸗ 
deinden Püppchen, forgfältig, majchinenhaft langweilig vor ſich berjchreiten 
fiehbt. Mühe, große Mühe hat's gemacht, die Kinder fo weit zur Ctiquette 
zu erziehen — wir möchten fagen — jo arm zu madhen. Sa, verarmt 
find folde Kinder. Für fie blühen die Blumen am Wege vergeblich ; fie 
ſehen fie nur als ferne, mehr oder weniger bunte Punkte auf der Wiefe, 
da die ſchöne Geftalt fih nur in der Nähe erlennen läßt. Ihnen gligern 
die Steine umfonft jo heiter und bunt vom Boden herauf, und „ei wie 
langfam, ei wie langjam, ei wie langfam kriecht die Schned’ von Ed’ zu 
Ga” haben fie zwar im Buche auswendig gelernt, jahen es aber nie mit 
eigenen Augen, denn jene wandert andere Wege, ald die Landſtraße. Ges 
wiß find folhe Kinder arm an eigenen Grlebnifien und Beobachtungen, 
Was fie lernen, nehmen fie auf Treu und Glauben an, jagen es, wie die 
Beweiſe der Richtigkeit, buchftabentreu nad), aber kommen auf diefem Wege 
wohl nie zu der Fähigkeit, fich jelbft die fiheren, realen Grundlagen für 
theoretiſches Wiflen zu verfehaffen, oder die ihnen vom Leben zugeführten 
und aufgenötbigten Eindrücke denkend zu durchſchauen, zu orbnen, zu fidhten 
und eine eigene jelbititändige Weltanficht fi zu bilden. „Es gibt feinen 
tönigliden Weg zu den Wiſſenſchaften“, gilt, wie jenem Prinzen, dem es 
gejagt wurbe, noch heute jedem Finde, das durch eigene Zhätigleit fein 
geiftiges Leben felbft begründen foll. 

„Die Schule ift nach Zeit und Mitteln nit im Stande, für Alles, 
was fie lehrt, die realen Belege zu bringen. Im Geographiihen, Ges 
ſchichtlichen, Naturgeſchichtlichen, ja in jedem Zweige muß fie namentlich bei 
größeren Schülern eine Summe von im Leben gefammelten Beobachtungen 
und BVorftellungen vorausfegen, und der Unterricht wird jederzeit die 
Schüler am einflußreichften berühren, welche bereitd reih an Anſchauungen 
und Voritellungen find, die fie nur zu verbinden und in Beziehung zu 
fegen brauchen.” 

„Die Beobachtungsluſt, diefe vornehmite Quelle des Wifjens, zu eröffr 
nen, beginnt die Schule mit Anfhauungsunterricht, der, recht geleitet, dem 
Bögling unbemußt eine zwedmäßige Weife für kindliche Beobachtungen an: 
gewöhnen wird.” 

Aus der weiteren Begründung beben wir nur noch folgende beach⸗ 
tenswertbe Säbe aus, 

„Rege Theilnahme an der umgebenden Welt ift der Grund des Sam: 
melns, und darum gilt’s, dieſen Zrieb nicht zu unterbrüden, ſondern in 
die rechte Bahn zu lenken. Ein fammelndes Kind füllt nicht blos die 
Zaſchen mit Steinen und Scherben — fondern auch den Kopf mit Vorſtel⸗ 
lungen und Erinnerungen.‘ 

„Sammelnde Kinder zeigen mit gefundem Naturgefühl, wie wenig fie be 
dürfen, um glüdlich zu fein, indem fie das Gewöhnlidye nicht verſchmaͤhen.“ 

„Der Heine Sammler ift auf dem beften Wege, feine Heimath gründ: 
li kennen und lieben zu lernen ; denn ihren Inhalt zu begreifen, hat ihm 
Mühe gemacht.” 

„Gekaufte Sammlungen haben kein beimathliches Gepräge, find allge: 


2324 Naturkunde. 


meine und, was wichtiger iR — ver Verkaͤuſer pactt Die Gigenichaften bes 
Sammlerd niht mit ein. Die erziebende Wirkung ver Bemühung des 
Selbftihaflens, die mit dem ſich mehrenden Ber fleigenbe Freude, der 
fhibare Grfolg ſtetiger, wenn aud geringes Bemühungen ; der fid) ent: 
widelnde Schonheitsſunn, welder Anfangs mit rohen Formen, fpäter nur 
mit den fchönften fi) begnügt ; die werdende Urbnung, zu der nur andeu⸗ 
tend Erwachſene Beranlafiung geben vürfen : das Alles geht verloren, wenn 
dem Meinen Sammler eine wohlgesrunete Sammlung, fertig gelanft, über: 
geben wird. An diefe Gegenftände ſchließt ſich keine Grinnerung von Re 
benumfländen, Fundort u. f. w.; es bleibt nur das pbantajielofe Ginerlei 
des Herausmehmene und des Himeinlegens, und enblid Unordnung oder 
Zerſtoͤrung als Ginziges, wodurch fidh der Xhätigfeitätrieb daran äußern 
tann. Außerdem find Sammlungen, wie fie für das Hausmuſeum im 
Ausſicht genommen werden follen, eben nicht zu kaufen. Das Hausmufeum 
muß entiteben.” 

Mir wünfcen, daß recht viele Gitern durch diefen Aufſaß für den 
Gegenfand mögen angeregt werben. 

5. Daß der Unterricht in der Raturfunde in neuerer Zeit zu größerer 
Wnertennung gelommen if, unterliegt einem zweit Unter den neueren 
Freunden und Goͤnnern befjelben finden ſich aber in den höheren und nie 
deren Schichten vielſach foldhe, die ibm nur das Wort reden, weil fie 
„praltiihden Nußen“ von ibm erwarten. ee Regierungen ihüben 
die Raturwijienichuften und Alles, mas fie fördert, weil fie von ihrer Ber: 
breitung und Wnwendung im Yeben Grböbung 
der Landmann und die Gemerbetreitenten, weil fie davon Verbeſſerung 
ihrer Slonemilhen Xage beiten. Gm Borfieber eines lanbwirtbichaftlidhen 
Vereins fügte wir unlängf: „Der naturkundliche Unterricht in unjern 
Yandidulen muß praltiicher werben. Statt über Zellyewebe und dergleichen 
Dinge zu |peciben, mülen bie Yebeer won Ammenisl reden und wo mög: 
lich in jeder Unterribtöltunde darauij zurädiommen.“ Damit if die Ans 
ſicht dieſer Leude über den naturctundlichen wie überhaupt über allen Un⸗ 


He 
Hi 
35 
h 


hung mebmen. dom —— Lie „Berliner 


wubre ut der Katurtunte bezeichnet wma im treffenden Beifpielen int 


Die enscae Grbeen ——— ut ein 
ellgemims Raturgejeg Mir inikeriim 5 9. ein Gremplar von Lö⸗ 
wenzte eder Tanz unbe um ter tue cinximm Vilanzen fjelbR zuloms 

* als Repräfentant 


Naturkunde. 225 


eines wichtigen Gattung des Pflanzenreihes, der Syngenififten. Der 
Schüler foll eben eine dee gewinnen von den wichtigen Familien des 
Pflanzenreichs und ſchließlich vom Pflanzenreih überhaupt.” 

„Beim phyſikaliſchen Unterricht intereffirt uns eine MWaflerpumpe, eine 
Sprige nur in fofern, als fie das Borbandenfein und die eigenthüms 
lihe Wirkung des Luftoruds erkennen laſſen. Auf diefen Punkt, auf die 
Geſetze des Luftoruds muß fih die Aufmerkfamleit bei Beiprehung jener 
Gegenſtaͤnde concentriren.” 

„Und fo ift beim naturtundlihen Unterrichte alles Detail nur Hülfs⸗ 
mittel und Ausgangspunkt, um, foweit die Verhältnifie der Schule es ges 
flatten, zur Renntniß des Großen und Ganzen ber Natur zu gelangen. 
Jenes ift das Fundament, diejes der eigentlihe Bau, um deſſen 
willen jenes gelegt wird. 

In Betreff des praltiichen Nubens ver Naturkunde fagt der Berfafler : 
„Was die Echule für die einzelnen Berufsarten an praltiihen Kenntniſſen 
mitgeben kann, das ijt in dieſen Gegenftänden kaum das ABC, ja kaum 
der erfte Buchftab deſſelben; und in der Werlitätt, auf dem Ader, im La» 
ven ac. felbit wird jedenfalls in ein paar Stunden oder in noch fürzerer Zeit 
Alles (und wohl noch mehr) gelernt, was die Schule mit vieler Diübe und 
beim beften Willen nur immer lehren kann, weßhalb es fih nit der Mübe 
verlohnt, im Schulunterrihte auf diefe praktiſchen Kenntniſſe befonderes 
Gewicht zu legen. Wollte fi der Schulunterricht ernftlih auf dergleichen 
Dinge einlaflen, jo müßte er fich zerjplittern in ein ganz maßloſes Gemwirr 
von praltiiden Anweiſungen, zufammengerafit von allen Eden und Enden 
des ungeheuer weitjchichtigen Gebietes menſchlicher Thätigkeit. Und in ber 
Werkſtatt, in der Küche u, |. w. würde man ſchließlich lächeln über bie 
paar bürftigen Broden unzujammenbängenver Kenntnifje, die für den Eins 
zelnen dabei abfallen würden.” 


2. Naturgeſchichte. 


6. In der im September 1865 in Gotha abgehaltenen Hauptvers 
fammlung des allgemeinen gothaifhen Landes:Lehrervereins hielt der Ses 
minarlehrer Burbach einen Bortrag über das Thema: „Welches ift der 
Zweck des naturgefchichtlihen Unterrichts in der Vollsſchule und was ift in 
Bezug auf Stoff und Methode zu beachten, wenn diefer Zwed erreicht wers 
den foll, und welde Mittel find dazu erforderlich ?’ Den erften Theil der 
Frage beantwortete er dahin: „Der Zmed des naturgeſchichtlichen 
Unterrihts it: den Schüler heimisch zu machen in der Natur feiner 
Heimath, indem ihm die Mannigfaltigleit, Gejeßmäßigleit und Schönheit 
derfelben zum Bewußtſein gebracht wird.” Man wird Urſache haben, fi 
zu freuen, wenn das Biel überall erreicht wird ; aber genau genommen ift 
es doch ein wenig zu enge gefaßt, da aud die jchönfte und in naturhiftos 
riſcher Beziehung am reichſten ausgeftattete Gegend Thüringens nur ein 
Brudftid aus der Gejammtnatur darbiete. Kenntniß der beimifhen Nas 
tur muß den Anfang bilden und jo umfafiend angeftrebt werben, als thuns 
lid) ; aber die wahre Aufgabe des naturgefchichtlihen Unterrichts ift doch 

Päd. Jahreabericht. XVII. 15 


226 Raturfunbe. 


bie, zur Kenniniß der Hauptgruppen der Naturlörperüberhaupt 
und dadurdy zu einer allgemeinen Kenntniß der Ratur zu führen. 
Tiefe Aufgabe erheiſcht aber, daß man in der Zoologie aud von den Affen, 
Bären, Löwen, Zigern, Hyänen, Elephanten, Känguruh's, Wallfiſchen, Bas 
pageien, Pfefferfrefiern, Etraußen u. f. w., in der Botanik von den Citro⸗ 
nen, der Baummolle, dem Thee, den Gacteen, den Palmen u. 9., in ber 
Geſchichte der Erpbildung auch von anderen Formationen ſpricht, als fie 
gerade in der Heimath vorlommen. 

7. Lehrer E. Senf in Berlin beantwortet in Ar. 8 der „Berliner 
Plätter” (1865) die Frage, wie der naturgeſchichtliche Unterricht 
in der Großftadt als Mittel für die Gemüthsbildung der 
Jugend zu benupen fei. Die Hindernifle, weldye ſich namentlidy dem 
botaniſchen Unterriht in fehr großen Städten darbieten, liegen auf ber 
Hand, und wo man es nidht dahin bringen kann, daß ein paar Kräuter: 
frauen oder Tlänner angeftellt werden, welde die Pflanzen für die Schu⸗ 
len in friihen Gremplaren bejorgen, oder wo man ſich nicht entichließt, 
das nothwendigſte Material jährlidy in Blumentöpfen zu ziehen, da werben 
die Finder allerdings nit viel Pilanzen zu ſehen befommen. Selbfiver: 
fänplih wird dann auch die Gemüthsbildung leer ausgehen. Als Griab 
für die lebende Pflanze fhlägt der Baf. Abbildungen verfelben vor. 
Die Abbildungen follen aber groß, naturgetreu, jchön ausgeführt und faus 
ber colorirt fein. Werde der Unterriht etwa fünf Jahre lang an dieſel⸗ 
ben angelnüpft und namentlih mit dem Anſchauungs- und Lefeunterricht 
direct verbunden, jo würde das find eine Menge von Borftellungen erhal« 
ten und dann eine große Freude empfinden, wenn es einmal Gelegenheit 
erbielte, die Gegenſtände felbft in der freien Natur zu feben. 

Unter fo ſchwierigen Berhältnifien werden allerdings fehr gute Abs 
bildungen einen leidlihen Erjaß für die Natur bieten ; aber ein Nothbe⸗ 
helf bleiben fie immer, und man follte daher nicht fo umfaflenden Ge⸗ 
braudy davon machen, wie bier empfohlen wird. 

Bezug nehmend auf den bier angeführten Auffaß, zeigt Lehrer C. 2. 
Zahn in Berlin in Nr. 21 und 22 ver „Berliner Blätter‘, worauf Leh⸗ 
rer bei botaniſchen Excurſionen das Augenmerk zu richten haben. 

8. Im December:Heft des „‚Centralblattes” (1865) von Stiehl iR 
„Aufgabe und Ziel der einklaffigen Boltsihule” nah dem ‚Lehrplan‘ des 
Eeminardirectord Dr. Schneider in Bromberg feſtgeſtellt. Wir theilen 
daraus das mit, was die Naturgejchichte betrifft und begleiten es mit 
einigen Bemerlungen. 

„S. 47. Der weltkundliche Unterrigt kann in einer vecht umfaſſenden 
Weiſe betrieben werden, ohne daß e3 dazu einer befonderen Lebrfiunde bes 
darf, wenn nur die Eprehübungen ordentlich vorgenommen und die Sprach 
ftüde verjtändig gelefen werden.“ 

In die „Sprehübungen‘’ läßt fih allerdings Bieles aus der Natur: 
geihichte, auf die es uns hier nur anlommt, verlegen ; aber durch verftän« 
diges Leſen der Spradhftüde läßt ſich wohl Giniges über die Raturlörper 
mittheilen, die Naturgegenftände jelbft lernt indeß dadurch kein Kind 
kennen. 








Naturkunde. 2897 


„8. 52. Im der Naturkunde (Naturgefchichte) haben die Kinder die 
wichtigften Mineralien nad ihrer Art, wo es wefentlich iſt, nach ihren 
Beſtandtheilen, nach ihren Kraͤften und ihrem Gebrauch im Haus und in 
der Werkſtätte kennen zu lernen.’ 

„Sie find mit dem Bau und den Beſtandtheilen der Pflanze ver 
traut zu maden und haben die Anſchauung von ihnen und ihren weſent⸗ 
lichen Unterfchieven an der Betradhtung ver in ihrer Heimath vorlome 
menden Giftpflanzen, der einheimifhen Nubpflanzen und (2) Ob ſi⸗ 
bäume zu gewinnen. Bon ausländiſchen Pflanzen find ihnen bie 
in der heiligen Schrift zumeift genannten, wie Delbaum, Balmen, Ce 
der, Yiop , ferner diejenigen Culturpflan zen zu bejcdreiben und wo: 
möglih in Abbildungen zu zeigen, deren Producte bei uns täglih im 
Braud find, wie die Baummollenftaude, der Theeſtrauch, ver Kaffeebaum, 
das Buderrohr u. |. w.“ 

„Don Thieren baben die Kinder ebenfalld zuerft die einhei— 
mifchen, fodann die in der heiligen Schrift meiftgenannten, endlich 
die für das Eulturleben der Menfhen wichtigen kennen zu lernen. 
Dei der Behandlung kommt ed darauf an, daß die Aufmerkjamfeit bes 
Schüler auf die Lebensart des Thieres (Ameiſe), auf den Dienft, den es 
bei jeinem Leben oder nah dem Tod den Menfchen leiftet und auf die 
Weiſe diefed Dienftes (Biene, Seidenraupe) und auf die wunderbaren Er- 
ſcheinungen des thierifhen Lebens (Schmetterling) gerichtet werde.” 

Wir vermifien in dieſen Beftimmungen die Betonung der wahren 
Aufgabe des naturhiſtoriſchen Unterrichts, mie mir fie bereitö oben angedeutet 
und in früheren Bänden genauer bezeichnet haben; dagegen find Bibel und 
Nubanwendung mehr al3 billig hervorgehoben. Die Bibel als ſolche hat 
mit der Aufgabe des naturhiſtoriſchen Unterrichts gar nichts zu thun, und 
ihre geflifientlicye Erwähnung kann nur dazu beitragen, den rechten Stand: 
punkt zu verrüden. 

9. G. Karl in Breitenbig gibt in Nr. 10 des „Schulblattes der 
Brov. Sachſen“ (1865) feine „Berthbeilung des naturgefchichtlichen 
Unterrichtöftoffes in der zweiten Klaſſe der Bürgerſchule.“ Die Auf: 
gabe, welche er fih für dieſe Klaſſe geftellt hat, bezeichnet er folgender: 
maßen. 

„Die Natur in ihren taufend und abertaufend Wechfelbeziehungen fen: 
nen zu lehren, die innige Harmonie in dem unerjchöpflihen Reichthum der 
Sricheinungen und hierdurch die wunderbare Erbabenheit und Schoͤnheit 
wenigſtens ahnend empfinden zu laſſen, das iſt mir bei der Thaͤtigkeit in 
diefer Klafie ein Hauptaugenmert gemefen. “ 

„Ras Aufſuchen des Thema's aus all’ den reizenden Variationen — 
Arten genannt, die Unterfuhung über die Größe der Aehnlichkeit und 
Verſchiedenheit verjelben mit dem verarbeiteten Gedanken, dem Gattung: 
und Familiendharatter — das ift mit Recht die zweite Stufe des Unters 
richts und eine ebenfo intereflante wie bildende Gymnaftit des kindlichen 
Geiſtes, der durch die Abwefenheit folcher Ideen und allgemeinen Geſetze 
nur gelangweilt, wo nicht gequält wird ; aber wenn die Fannilienzufam: 
mengehörigleit auch im Allgemeinen das verfnüpfende Band ber Betrach⸗ 

15* 


228 Naturkunde. 


tungen der Naturlörper it — für den Sommer, wo die ſchoͤne Natur 
unverhüllt dem febenden Auge entgegenftrahlt, foll fie ſelbſt, foll fie jo 
unmittelbar wie möglid vor die Piorten des Geiftes treten. Darım we 
niger die leibliche Verwandtſchaft, fondern das zeitlihe und räumliche Beis 
einanderjein leitet unfere Betradhtungen, nicht die Genealogie der verſchie⸗ 
denen Geſchlechter, nicht die Blutsverwandtidaft, wohl aber die Lande 
mannſchaft und Zeitgenofienhaft und deren Urfahen und Wirkungen find 
unjere fommerlihen Führer, find die leitenden Sjpeen. Nehmen wir im 
Lauje des Blumenjahres Abſchied von den legten feines Geſchlechtes, das 
wir nun auf ein ganzes Jahr wieder verſchwinden fehen, dann widmen wir 
uns ihm ausſchließlich, erzäblen von den Helden feines Haufes : fiellen den 
Gattungs⸗ und Yamiliendaratter zuſammen.“ 

„Hieraus ergibt fi ſchon, welcher Werth auf die Ausflüge der Schü⸗ 
ler in die Natur zu legen ift, wie ein vernünftiger Unterrit in der Ras 
turgeihidhte ohne perjönliden Verlehr mit der Natur gar nit gebadıt 
werden kann.“ 

Hieran reihet der Verf. eine fehr gute, von Erfahrung zeugende Dar: 
legung jeines Verfahrens auf Excurſionen mit der Klaſſe, von ber wir 
Kenntniß zu nehmen bitten. Das Weſentlichſte daraus enthalten folgende 
Schlußſaͤtze: 

„a) Die Excurſionen find zum gedeihlichen Betriebe des naturkund⸗ 
lihen Unterrichts unentbehrlid und befördern die Kenntnik und Liebe zur 
Natur in eigenthümiid erfolgreicher Weife. 

b) Die Ercurfionen follen nicht blos einzelne Zweige des naturkund⸗ 
lihen Unterrichts, ſondern alle, d. h. Zoologie und Mineralogie ſowohl ala 
Botanik berüdjihtigen und ergänzen. 

c) Die GErcurfionen müflen im innigften Zuſammenhange mit bem 
Schulunterricht ftehen. 

d) Die Ercurfionen jollen namentlih auf die Mechjelbeziehungen der 
Naturgegenftände unter fih und auf die gegenfeitige Bujammengehörigteit 
aufmerljam madyen. 

e) Die Disciplin darf nicht zu loder fein, damit der Zwed der Ep 
eurfion. nicht darunter leidet.” 

Die „Stoffvertbeilung” hat der Berf. im Wefentlihen nad 
der Jahreszeit vorgenommen, jedoch das Schwierigere in den zweiten feiner 
Curſe geftellt. Dabei ift bis auf die Viertelftunde hinunter bezeichnet, was 
in jeder einzelnen Lection zur Beiprehung kommen foll. Diefe Bertheilung 
inne zu balten, halten wir für unmöglid. Ohnehin wird es feinem Ken⸗ 
ner der Gegenftände und des Unterrichts entgehen, daß das Penfum für 
die meiften Stunden zu groß ift. Cine Häufung des Material hat Ober 
flädhlichleit zur Folge, die überall, in hohem Grade aber in der Raturs 
geſchichte ſchädlich ift. 

10. Der Schul- und Seminardirecior Boſſe in Wolfenbüttel 
theilt im erſten Hefte des „Schulblattes für das Herzogthum Braunſchweig“ 
(1865) feine Anſicht über den Unterricht in den Realien auf ber 
Mittelftufe der Landſchule mit. Der Aufjag fchließt fih an einen 
im vorigen Jahrgange deſſelben Blattes enthaltenen über den Anſchauungs⸗ 








Naturkunde. 229 


unterrit an, der an die Wilke'ſchen Rilvertafeln angelnüpft worden iſt. 
Nah der Anficht des Berfafiers gehören für die Mittelfiufe aus den Rea⸗ 
lien befonders Geographie und Naturgeſchichte. Beide follen jedod nicht 
getrennt, jonden mit einander verbunden gelehrt werden. 
Diefe Anfiht theile ih nicht. Denn wenn beide Gegenjtände auch dem⸗ 
felben Zwecke — der Heimathelunde — dienen, fo ift dod ihre fachges 
mäße unterrichtliche Behandlung zu verfchieden, als daß ſich eine Verbin⸗ 
dung empföhle. 

In noch höherem Grade als gegen diefe Berbindung muß ih mid 
gegen den Lehrgang erllären, den der Verf. dafür auffiellt. Es find näms 
li ungefähr diejelben Sefihtspunfte, welhe man fonft im Anjhauungss 
unterricht nahm, die ihm die Grundlagen für feinen Leitfaden geben, näms 
Kb: 1. Uebung im Gruppiren der Dinge unter allgemeinere Begriffe. 
2. Zheile der Dinge. 3. Die Größe der Dinge. 4. Geftalt der Dinge, 
5. Farbe der Dinge. 6. Stoff und Entitehung der Dinge. 7. Ort und 
Lage der Dinge. 8. Zweck und Nutzen der Dinge. 9. Die Beit. 

Für die Naturgefchichte geftaltet fich darnach der Fehrgang folgenpermaßen. 

Abfchn. 1. Gruppirung der Thiere, Pflanzen und Mineralien nad Kiaſſen. 

Abſchn. 2. „Die Theile des menfhlihen Körpers; Theile des Huns 
des, einer Taube, einer Eidechſe, eines Karpfens, eines Mailäfers, eines 
Kohlweißlings, eines Regenwurms, eines Baumes, einer Mobnpflanze (die 
Benennungen: Stamm, Stengel, Schaft, Halm), einer Blüthe ber wils 
den Roſe.“ 

Abſchn. 3. „Angabe der Größe einiger Thiere.“ 

Abſchn. 4. „Die Bezeihnungen: Keilförmig, jehwertförmig, bogen: 
fürmig, gabelförmig, röhrenfürmig, trichterjörmig, glodenförmig, eingebogen 
und gemwölbt, ſchlank, glatt, raub, und Angabe von betrefienden Gegenſtän⸗ 
den, befonders aus dem Pflanzenreiche.“ 

Abſchn. 5. Gegenftände aus dem Thier⸗ und Pflanzenreihe, an des 
sen fih die an Bapierftüden (I) angefhauten Farben befinden. 

Abfehn. 6. „Die Entitehung der Pflanzen. Der Same (Gchote, 
Kapſel). Das Säen der Pflanzen und das Bervielfältigen derjelben durch 
Seglinge. Gebauete und wildwachſende Pflanzen ; bejondere Urſachen der 
Ausbreitung der legteren. — Fortpflanzung der Tbiere, der Säugetbiere durch 
lebendige junge, der übrigen (?) durch Gier. Verwandlung der Inſecten.“ 

Abſchn. 7. „Der Aufenthalteort der Thiere: Hausthiere und wilde 
Thiere, Verbreitung und Aufenthaltsort ver Maus, des Maulmurfd, des 
Hamfters, des Hafen, des Rehes und anderer Eäugethiere. Aufenthaltsort 
der Bögel; Schwimmvögel, Sumpfoögel. — Der Standort der bisher den 
Kindern befannt gewordenen Pflanzen.” 

Abſchn. 8. „In diefen Beziehungen werden betrachtet: — — die 
Thiere (Schädlichleit mancher Zhiere), die Pflanzen (Giftpflanzen), Eteine, 
Eifen, Blei, Steinkohle, Torf. Gefährlichkeit einiger Minera.i:n, als: des 
Schwefels, des Arſeniks, aber au ihr Nutzen. — Die Naturproducte des 
braunfhweigifhen Landes.” 

Abſchn. 9. „Das Alter der Pflanzen — einjährige, zweijährige, viel 
jährige. Der Lebenslauf einer einjährigen Pflanze im Allgemeinen. An: 


230 Naturkunde. 


gabe über die Blüthezeit verſchiedener Pflanzen, welche den Kindern bereits 
befannt geworben find. Die Lebensdauer verſchiedener Thiere und die des 
Menſchen (die verſchiedenen Altersftufen deſſelben).“ 

Ich babe manchen recht eigenthümlichen Lehrgang für bie Naturge⸗ 
ſchichte, auch für die Mittelſtufſe, kennen gelernt; dieſer ſteht leinem der 
eigentbümlichiten nach. Eine größere Zerreikung des von Natur zuſammen⸗ 
gehörigen Materials, als fie bier willlürlihen Kategorien zu Liebe vorge 
nommen worden, if ja wohl kaum nod denfbar. Wenn Jemand in ben 
zwanziger Jahren jo etwas verſucht hätte, jo würde man vielleicht we⸗ 
niger bedenklich geweſen fein, da man fih damals in dieſen Rategorien 
verrannt hatte; aber heut noch einem fo veralteten, längft überwundenen 
Standpuntte zu begegnen, erregt unier Erſtaunen. 

Jeder Naturlörper iſt ein Ganzes, und muß als ſolches aufgefaßt 
werden, wenn man ibn verfieben will; feine Entſtehung, Vollendung und 
Geſchichte gebören daher zujammen. Heut die Pflanzen zu „grappiten”, 
nah einem Monat ihre „Theile benennen laſſen“, nad weiteren vier 
Moden „die Größe‘ derfelben ermitteln, nad Verlauf won abermals vier 
Wochen ihre „Geſtalt“, wiederum fpäter ihre „Zarbe‘ u. |. w. in's Auge 
taten, das it in einem Grabe unnatürlich, der wohl faum nod übertroffen 
werden fann. 

Der Umftand, daß der Berj. diefen Lehrgang ſchon vor einer Reihe 
von Yabren entworfen hat, ändert nichts in der Sache; denn er wird nicht 
nur jept, 1865, veröfientlidt, fondern wird aud in der Bürgerjchule im 
Wolfenbüttel bejvlgt. 

11. Das ZulisHeft 1865) des „Centralblattes“ von Stiehl bringt 
ein Reierut, welches ver Berathung einer Eeminarbirectoren-Gonferenz zu 
Grunde aelegen hat, ala es fih um Feitflellung eines Lehrgangs für 
den naturaeibidhtliden Unterridt am Eeminar handelte 
Aug Grund der requlativiihen Beſtimmungen bezeichnet der Berf. die Auf: 
gabe des naturgeſchichtlichen Unterrihts wit den Worten: „Die Zöglinge 
ſollen dur jinnige Betrachtung des Ginzelnen eine Ahnung von dem gro: 
Ben Naturganzen gewinnen, um dadurch in der Rutur heimiſch zu werben 
und ſie als eime Urentanmg der Weisbeit und Güte Gottes ſowie als 
dus Subitrat für die dem Menſchen von Gett übertragene Herrſcher-Thaͤ⸗ 
tigteit ertennen zu lernen.” Dieje gebrängte Zujummmenfafjung lönnen wir 
faum als den Sinn deſſen bejeichnen, was die Reyulative etwas umfländ: 
licher und weientlih bejier jeiiitellen. Nicht „um im der Ratur heimiſch 
zu werden und fie ald eine Tijenbarung der Weisheit und Güte 
Gottes kennen zu lemen‘, joll vie Raturgeichichte gelehrt werden, fon: 
dem um das große Wert der Schöpfung, wie hohe, göttliche Jdee, die fidh 
tarin fund gibt, veritehem zu lermen, uud uns dieſem Verſtaͤndniß beraus 
das geiitige wie leibliche Wedl der Menſchen zu ſoördern. Als völlig um 
aus und die Hauptaujgabe trübend if der Zujah : „als das Cubfirat für 
vie dem Menſchen von Gott übertragene Herrjcher: Thäͤtigleit.“ Herrſcher⸗ 
xlüfe durch den naturgeſchichtlichen Unterricht zu näbeen, if es 
Yegte, was turin anzufireben iR. Das Kind mie der Seminarii lernen 
leicht begreiien, daß wir bie Raturlörger mie die Returiräfte für uns 


r 











Naturkunde. - 231 


wenden bürfen, ja verwenden müflen, wenn wir eriftiren wollen, und bas 
mit ift ed eben genug. 

An dieje Feſtſiellung der Aufgabe des naturgeſchichtlichen Unterrichts 
ſchließt fi eine Kritit der Wege, melde bisher dafür eingeſchlagen wor: 
den find. Diefe Wege find: 1) „Der alte ſyſtematiſche“, 2) „vie 
Lüben’sche Methode“, 3) „ver Weg’der Monographie und Grups 
pirung.” 

Der „alte foftematifhe Weg” wird mit Net als „unelementariſch“ 
bezeichnet, und dann noch hinzugefügt, „daß er an dem Mangel (!!) leide, 
daß er, nad einer gewiſſen Bollftändigkeit ftrebend, zu viel Stoff anhäuft 
und darüber die genaue Betrachtung des Einzelnen unterläßt. Dieſer 
Vorwurf trifft nicht volllommen zu, da dieſer Fehler dem „alten fyfie 
matifhen Wege‘ nicht durchaus mefentlich ift, fondern nur der, daß er vom 
Allgemeinen zum Befondern fortjcpreitet und ein naturhiftoriihes Syſtem 
zum 2eitfaden macht. Cinfeitig aber ift ed, daß der Verf. hier nur vom 
„alten ſyſtematiſchen Wege” redet und den gegenwärtigen außer 
Acht läßt. Gin „Iyftematifcher Weg” darf überhaupt nit im Semi⸗ 
narunterricht (wir reden zunädft nur von der Naturgefdichte) befolgt wer: 
den. So völlig gebroden ſcheint der Verf. überhaupt nicht mit dem „ſy⸗ 
ſtematiſchen Wege” zu haben, denn er glaubt, dem bezeichneten „Mangel‘ 
durch beflere Ausmahl abhelfen zu können, verlennt aljo ganz und 
gar, daß das nicht das Weſen des „ſyſtematiſchen Weges’ ift. Faſt heiter 
Klingt es, wenn der Verf. feine ungenügenve Beurtheilung des ſyſtematiſchen 
Lehrganges mit den Worten fchließt: „Ueberdies bemerle ih, daß die neue⸗ 
ren, allerdings richtigeren Behandlungsweiſen des naturgejchichtlichen Unter: 
richts meines Wiſſens noch nicht die Refultate aufzuweiſen haben, die ihrer 
Zeit der alte Raff und Schubert's Naturgefhichte erzielt haben.” Woher 
weiß denn ber Verf. das? Wo fahe er eine richtige Methode ohne ges 
nügenden Erfolg anwenden ? Was hat denn das oberflähliche, zum Xheil 
Läcerlihe Gerede Raff's für Nugen gehabt? Was haben Echubert’d Ro: 
tigen und gemütblihe Phrafen über die Naturlörper zur Erkenntniß ber 
Natur beigetragen ? Mer heute noch folche Todten heraujbejhmört, von dem 
möchten wir mit Hans Sachs fagen: „Du (Petrus) magil's (die Lands⸗ 
Inechte) laſſen rein (in den Himmel), du mußt mit jhn bebangen jein.” 

Mit noch größerer Unkenntniß fpridt der Verf. von meiner Me 
thode. Seine Darftellung derſelben läßt mid vermuthen, daß er fie nur 
aus meinen allererfien Darftellungen kennt, und daß er von ihrer Auss 
bildung durch jpätere Echriiten und zahlreihe Abhandlung im Jahres» 
berichte und im Praktiſchen Schulmann gar keine Kenntniß genommen bat, 
Das aber durfte ih von einem Manne, von einem pädagogisch und nas 
turbiftorifch gebildeten Eeminardirector erwarten, ber von feiner Behörde 
auserfeben war, die Grundlinien für eine fo belangreiche Berathung zu zie- 
ben. Was foll ich dazu fagen, wenn der Verf. behauptet: „Bei Bejchrei= 
bung ver Repräfentanten wird in biefer Methode gewöhnlich das Haupt⸗ 
gewiht auf Einübung der Terminologie gelegt!" Iſt denn ber 
Standpunft des Verfaſſers ein jo bejchräntter, daß er nicht erlannte, daß 
ih durch Alles, was ich über einen Naturlörper fage, volle, dem jedes: 


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wenu ter Tert. I.n: „ie Aucrübrliiten ka Berkreikemg 
Argri'satanten nam ber jeder neuen Eise Des linterrides 
unt mehr at und periä’t Ih im legten Gurjins bei Deiradtuug ter Fe 
milien und Urenunsen im türen Sande der Syſtenatit Seel Cure 
hindurch ſind meine Beſchreibungen aueführlid. I es wide begreiink. 
tuß ver Unterricht fi nad Erlangung foldyer Kenntnifte kurzer jan mE 
auf (vrung derſelben zu ber neuen Aufgabe fdhreiten faun, nämlıd das be 
funute Material mit neu binzulommendem zu grappiren, d. b. zu Fa 
milien, Urpnnungen und Alafien zufammen zu fallen * Iſt das „dürrer Sans 
ver Syſtemaſtit“, wenn man den Schüler zur Ertenntniß der Ginbert 
fuhrt, nie In der Ihm bis dahin vorgeführten Mannigfaltigleit berriät 7 
Und ſchließt denn m-ine Methode überhaupt mit der Syſtematik ab? Folgt 
nit vielmehr darauf in der Zoologie und Botanik noch ein vollländiger 
anatomiſch⸗phyſiologiſcher Curſus ? 

Lie ſiarkſie Probe feiner Unkenntniß nicht nur meiner Methode, ſon⸗ 
dern des ganzen Weſens des naturbiftorifchen Linterrichts bringt der Berf. 
um Schluß, Indem er fagt: „Sodann iſt diefe Methode — mit Recht — 
auf die Unſchauung bafirt; die genaue Beihreibung der Repräfentanten 
bat nur dann Werth, wenn an das Naturprobuct felbit oder eine febr 
ante Abbildung angelnüipft if, Wie nun aber, wenn der Lehrer das Na⸗ 
turproduct zur Lehrſtunde nicht beforgen kann oder, — meil er nachlaͤſſig 
it — nicht beforgt ? wenn die Abbildungen, die er ald Surrogat benußt, 
Ichlecht find, oder wenn er gar keine Abbildungen bat? In allen folden 
Fallen Ift die genaue Beſchreibung des Naturproducts nad Beftalt, Farbe, 
Uelichnung, Bau u, ſ. f. ohne das Subftrat der Anjhauung eine wahre 
Nothzuͤchtigung der Cinbildungskraft und völlig erfolglos. Die weniger 


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Naturkunde. 233 


genauen, mehr fhildernden und erzäblenden Beſchreibungen der alten Lehr: 
büder, etma der Echubertfhen Naturgeſchichte, können das Naturproduct 
oder das Bild weit eher entbehren.” Wahrlich, eine folhe Blöße würde 
ih kaum ein Präparand geben, der irgend etwas von mir über meine Me: 
thode gelejen hätte. Niemals babe ih gejagt, daß meine Bejchreibungen 
vorgelejen oder frei vorgetragen werben follen, mich vielmehr ftet3 ernftlich 
davor verwahrt. Eie haben feinen andern Zwed, als dem Lehrer zu zei: 
gen, wie er die Naturlörper betrachten laſſen fol und ihm dabei etwas an 
die Hand geben. Weiß denn ferner der Verf. nicht, daß ich für meinen . 
erflen und zweiten Eurjus, alfo da, mo von Repräfentanten die Rebe ift, 
nur folde Repräfentanten gewählt babe, die überall leicht zu haben, allge: 
mein befannt find? daß ich in den Fällen, mo die Objecte nicht in die 
Kaffe gebracht werben können, immer auf gute Abbildungen gedrungen 
und bereits felbft begonnen habe, ſolche zu liefern? Iſt Verftand in ver 
Behauptung, daß meine Methode ſich nicht empföhle, wenn fie im Seminar 
von einem Lehrer angewandt werde, der zu „nachlaͤſſig“ ift, die erforder: 
lien Naturkörper oder Abbildungen berjelben zu beforgen ? Wäre es nicht 
in der Ordnung, ftatt die Methode aufzugeben, einen folhen Seminarlehrer 
zum Lehrfaal binauszumerfen ? In jolhen Fällen empfiehlt der Verf., zum 
Schubert zu greifen; ich dagegen empfehle, wenn fol ftrafbarer Unfug 
nicht abgeftellt werden kann, gar keinen naturbiftorifchen Unterricht ertbeilen 
zu laſſen. Denn es ift befler, die Seminariften lernen eine Sade gar 
nicht, als ſchlecht, als völlig verwerflich. 

Man erkennt unfhmwer, daß ver Verf. hat gegen meine Methode po: 
lemifiren wollen ; aber er bat es herzlich ſchlecht, jchülerhaft gemacht. Ich 
fann Tadel vertragen und nehme mwohlbegründeten mit aufrichtigem Dante 
bin. Aber unverftändige Reden weiſe ich zurüd, erforderlichen Falls auch 
etwas derb. 

„Der Weg der Monographie und Gruppirung”“, wie Mafius, Grube 
und Herm. Wagner ihn betreten, ift dem Verf. au nicht der rechte für 
den Seminarunterricht, ungeachtet er in unüberlegter Uebertreibung behaup⸗ 
tet, daß derjenige, „der es vermöcdte, auh nur ein Wiefenblümden in 
allen feinen Theilen, in allen feinen Beziehungen, in der Totalität feines 
Dafeins und Lebens zu durchſchauen, der habe in ihm die ganze Na⸗ 
tur!“ Mafius darf bier kaum genannt werben ; denn fiher hat er nie 
mals daran gedacht, daß der naturgefchichtlihe Unterriht pure nach feinen 
„Ratur-Studien’’ erteilt werden folle ; feine „Zoologie“ beweift das ſchon, 
obwohl aud fie noch Fein mwirklihes Schulbuch ift, auch nicht fein foll. 
Auch Grube hat wohl ſchwerlich daran gedacht, den ganzen naturgefchicht: 
tigen Unterriht aus Biographien beftehen zu lafien, wie er fie geliefert, 
eben jo wenig Wagner, wie feine „Pflanzenkunde“ beweift, in der er bie 
Biographieen im Grunde nur in dem Umfange anwendet wie ih, der ic) 
fie im erften und zweiten Curſus auftreten, doch aber auch für michtige 
Objecte noch im dritten Curſus gelten laſſe, wie aus meinen einjchlägliden 
Arbeiten im „Praktiſchen Schulmann” genugjfam zu erfennen ift. Zuſtim⸗ 
mend erfläre ich mich, wenn der Verf. fagt: „Alle diefe Herren (Mafius, 
Grube, Wagner) tragen in die Natur etwas hinein, was nicht in ihr liegt. 


234 Naturkunde, 


Die Natur ift aber in fi felbft jo Shön und herrlich, dab fie dieſes Hin: 
eintragend nicht bedarf: es bedarf eben nur einer finnigen Vertiefung in 
die ihr wirkidh innewohnenden Schäße, einer keuſchen Anfchauung der Nas 
tur ſelbſt, dann wird fie dem Beſchauer größere Schönheiten erſchließen, 
als alle von Außen bineingetragene Philofophie und Poeſie ihr zu borgen 
vermögen.” Wie ſiark der Verf. in feinen Schlüſſen ift, daS möge folgende 
Probe erweiſen: „Soll und darf, jagt er, der naturgejhichtlide Unterricht 
ven gleihen Weg einſchlagen, aljo etwa durch Vorführung einer ausgewaͤhl⸗ 
ten Reihe folder naturgefchichtlihen Lebensbilver die Schüler im ganzen 
Gebiete der Natur orientiven ? Ich glaube fon daraus, daß fein Lehr 
bud eriftirt, meldes dem Lehrer bei Ginjhlagung dieſes Weges zur 
Benupung empfohlen werben könnte, erhellt die Unausführbarleit 
dieſes Vorſchlages.“ Aljo daraus? D, dafür würde bald geforgt 
werden. Herr Geheimrath Stiehl brauchte nur zu veröffentlichen: künftig 
ſoll aller Unterricht in der Naturgejhichte in Biographien ertheilt werden, 
und ehe ein Vierteljahr verginge, würden wir bie betreffenden Lehrbücher 
nah Dugenden zählen. Dan ſehe doch nur auf die literariihen Erzeug⸗ 
niſſe bin, weldye die Regulative hervorgerufen haben ! 

Nah Ablehnung der vorfiebend genannten Unterrichtswege für die 
Naturgejhichte geht der Verf. nun über zur Darlegung feines eigenen Weges. 
„Ich befenne mich, jagt er, ale Pävagog zum Standpunlte des Ellecticis- 
mus, der nad dem Grundjage verjährt: Alles ift Euer! Folgendes würde 
nad) meiner Anſicht der einzufchlagende Lehrgang fein.‘ 

„a. Cine Reihe von Repräfentanten der michtigften Orbnungen (nicht 
der mwidtigften Gattungen und (?) Geſchlechter — das würde zu viel wers 
den —) bildet die Grundlage des Unterrichts. Sie werden aus den ein: 
beimijchen Naturproducten ausgewählt, ihre Bejchreibung geht von genauen 
Anfhauungen der einzelnen Theile aus, will jedoch nicht bloß bie Zermis 
nologie ald Grundlage des fpäteren Unterrichts einüben,, fondern fie ſchil⸗ 
bert das Leben des Naturproduct3 in feinen Beziehungen zum Naturgans 
zen, d. h. der Lehrer gebe für jeden NRepräfentanten ein monograpbijches 
Lebensbild.“ 

„b. Nachdem die Zöglinge in dieſer Weiſe mit den wichtigſten Grund⸗ 
typen aller Naturproducte belannt geworden find, werben auf ber zweiten 
Stufe an diefe Repräfentanten diejenigen zur gleichen oder einer verwandten 
Orbnung gehörenden wichtigften Naturproducte angejchlofien, vie zwar nicht 
fo ausführlid, aber doch ausreihend bejchrieben und durch Abbildungen 
veranfhaulidt werden. Bei der Ausmahl verjelben ift darauf zu rüchſich⸗ 
tigen, ob fie für die praltiihe Anwendung von Bedeutung find, 3. B. der 
Kaffee, oder ob fie von folder Merkwürdigkeit find, daß heut zu Tage jelbft 
der gemeine Mann mit ihnen befannt gemaht werben muß, 5. B. ber 
Löwe. Nach biefen Gefihtspunkten läßt ſich leicht eine nicht zu große Zahl 
von Naturgegenftänden auswählen, deren Kenntniß dem künftigen Vollks⸗ 
ſchullehrer unentbehrlich ift.” 

„o. Nachdem folder Geftalt das Gebiet im Einzelnen durchwandert 
ift, wobei duch den Anſchluß an die Grundtypen fhon ein Weberblid ver 





Naturkunde. . 235 


Ordnung und Harmonie des Naturganzen angebahnt ift, findet nun auf ber 
dritten Stufe des Unterrichts die gruppirende Naturbetrachtung ihre Stelle, 
3. B. der Wald und jeine Bewohner ; der Garten, feine Feinde und 
Freunde ; die Getreidepflangen und ihr Bau; die Pflanzen und Thiere der 
ftebennen Gewäjler ; das Naturleben des hohen Nordens verglichen mit dem 
der hödhften Gebirge u. f. w. Daneben ift eine kurze ſyſtematiſche Klaſſi⸗ 
fication der drei Naturreiche als Abſchluß erforderlich, damit die Zöglinge 
ſich in der Natur mit Sicherheit orientiren lernen. In der Botanik ift es 
das Linne’she Syſtem.“ 

nd. Durch alle drei Stufen bes Seminar-Unterrichts sieht ih aber 
nod eine Thätigleit hindurch, die den Zwed bat, den Zögling in der ihn 
umgebenden Natur heimiſch zu machen und ihn zur finnigen und freudigen 
Beihäftigung mit derfelben anzuregen und anguleiten. Jeder Zögling bringt 
zur naturgejchichtlichen Stunde mit, was er von Naturgegenftänden aus 
den brei Reichen gefunden hat: der Lehrer nennt den Namen und zeigt 
das hervorſtehendſte charalteriſtiſche Merkmal der mitgebradhten Dinge. Die 
Spaziergänge, die Arbeiten im Garten, die unter Leitung des Lehrers ver: 
anftalteten Excurſionen bieten Gelegenheit zur Sammlung dieſes Materials, 
und üben in der Kunft zu ſehen und zu ſammeln.“ 

„Was endlich die Beziehungen auf das praltiihe Leben anbetrifft, fo 
ift fie bei der Auswahl der Repräfentanten fowohl als der an fie ange 
ſchloſſenen Orbnungsgenofien vorzugsweife maßgebend, bei den Gruppirun: 
gen in Stufe 3 gibt fie die hauptſäͤchlichſten Gejichtspunlte ab, und durch 
den ganzen Unterricht wirb jede Gelegenheit zu berartigen Mittheilungen 
auf's forgfältigfte und gefliffentlichfte benutzt.“ 

Diefe Aufftelung der Stufen für den naturgeſchichtlichen Unterricht 
zeigt zur Genüge, daß es nicht Anmaßung war, wenn ich oben ſagte, meine 
Methode habe in hohem Grade beftimmend auf den Unterricht in der Na: 
turgeſchichte eingewirkt. Die hier gelennzeichneten drei Stufen find im Weſent⸗ 
lien meine drei erften Curſe. Der am Schluß der Charalterifirung der 
eriten Stufe gebrauchte Ausdrud „monographiſches Lebensbild“ ift zwar fein 
von mir gebrauchter oder aud nur acceptirter ; aber meine ausführliden Be: 
ſchreibungen von Thieren und Pflanzen, wie fie theild meine „Anweiſun⸗ 
gen’ enthalten, theils der „Praltiſche Schulmann” fie von mir gebracht hat, 
find im Ganzen dafielbe, was man „monographilches Lebensbild“ nennt, 
eine Benennung, die vom Standpunfte eines georbneten Schulunterrichts 
wenig Sinn bat. 

Nicht ganz zutreffend ift in dem in Rede ftehenden Abjchnitt (a.) ber 
Ausdrud „Ordnungen“, da er wohl in Bezug auf das Thierreich, weniger 
gut aber auf das Pflanzenreich gebrauht werden kann. „Oattungen und 
Geſchlechter“ ift unzuläffig, ba beide Ausdrüde daſſelbe bezeichnen, nämlich 
genus. 

Der bier gezeichneten zweiten Stufe fehlt, um meinem zweiten Curjus 
ganz zu entſprechen, nichts weiter als der Zuſatz, daß auf die Bildung 
von Gattungen Rüdficht zu nehmen fei. Im Laufe des Unterrichts wird 
fih das ohnehin ganz von felbft machen; denn wenn auf der eriten Stufe 


286 Naturkunde. 


j. B. von der Nabe die Rede geweſen ift, und es foll auf der zweiten 
Etufe, wie der Verf. beifpielsweife anführt, der Löwe charalterifirt werben, 
fo wird daburd die Battung begründet. 

Die dritte Stufe des Berfafiers entjpriht meinem britten Eurfus, 
eine Forderung abgerechnet, die ich aber aud verwerfen muß, bie For: 
derung nämlich, welche als „gruppirende Naturbetrachtung“ bezeichnet wor: 
den if. Als Gewährsmänner für diefe Betrachtungsweile führt der Berf. 
Tſchudi, „Die Alpenwelt“, Schacht, „Ber Baum“, Roßmäßler, 
„Die Ratur im Winterlleide‘‘, „Die vier Jahreszeiten‘, „Das Süßwaſſer⸗ 
aquarium‘, und Taſchenberg, „Was da fliegt und riet“, an. Bon 
dieſen Edhriften if feine einzige weder für den Schul-Unterricht beftimmt, 
noch geeignet: es find Gahriften für erwachſene, gebilpete Naturfreunde, 
Mus der MWerf. in feiner dritten Stufe fpeciell bervorhebt, enthalten dieſe 
ES. triiten obnebin nicht, was bier freilih nebenfählid ift. Hätte der Verf. 
unteriaiien, Beiſpiele anzuführen, fo würde Niemand unter „gruppirender 
Nuturbetradtung“ verftanden haben, was er damit bezeihnet. Denn bei 
„grußirenter Naturbetrachtung‘‘ denkt jeder naturhiftorifch Gebildete an eine 
Wetratungeart, die den Zwed bat, die zufammengebörigen Natur 
Nuper in groͤkeren oder Heineren Gruppen (Klaſſen, Orbnungen, Familien, 
Gattungen) sufammenzufiellen und einer Betrachtung zu unterwerfen. 
Btwmar Anderes bat ja auch in ber Naturgeſchichte gar feinen Ginn. 
‚Wale, „Warten“, „ftehende Gemäfier” u. |. w. find gar keine naturbiftos 
Ucden Vegriffe, auf die ſich beftimmte, von Natur zufammengehörige Na« 
tuntorper deziehen, fondern Bezeihnungen von eigenthümlich gearteten 
Brdlofalttäten, G©egenflände, die der Erdoberfläde ein beftimmtes 
Geprage verleihen, mo fie in einiger Ausdehnung auftreten, alfo Glemente 
dor pbyfitalifhen Geographie. Man begegnet wohl bier und ba 
jolchen Begriffsvermedfelungen, erwartet fie aber nicht bei einem preußiſchen 
Seminardirector. Naturgefhichte und Geographie berühren ſich allerdings 
bier ; aber wenn man ein Bild von einem Walde geben will, fo nennt 
man wohl die darin vorlommenden Pflanzen und Thiere und redet kurz von 
ihren gegenfeitigen Beziehungen, aber man läßt fi) nicht auf genauere Be: 
trachtung ihres Baues ein. Wo wollte man aud da enden, ivenn man 
fo verführe I 

Neben dieſer abzumweifenden „gruppirenden Naturbetrachtung“ fol 
„eine kurze ſyſtematiſche Klaffification der drei Naturreiche‘ erzielt werben. 
Gine furze? Wie fol das verftanden werden ? Der Sa: „Sn der Bo- 
tanik tft es das Linnd’fche Syſtem“, gibt hierüber Auskunft. Das Lin 
néoſche Pflanzenfpftem ift eine braudybare Tabelle für das Beitimmen, für 
das raſche Auffinden einer Pflanze ; einen weiteren Zwed aber hat es 
niht. Im Seminar foll aber burd die Syſtematik jo viel als thunlich 
gezeigt werben, daß eine Reihe von Gewächſen immer nad einem Mufter 
gebaut find, alfo natürlihe Bamilien bilden, und daß diefe Familien wies 
der unter ſich Berührungspunlte haben und in ihrer Totalität ein orgas 
nifhes Ganze bilden. Dieſer Zwed kann aber nur durd ein natürliches 
Syſtem erzielt werden, Wie viel Zeit zur Darlegung eines folden erfor: 





Naturfunde. . | 237 


derlich ift, hängt von der Menge des ben Böglingen befannten Materials, 
bauptjächlidy aber davon ab, ob dafjelbe mit Nüdjicht hierauf gewählt wor 
den oder, wie oft genug gejchieht, nur planlos aus der naͤchſien Umgebung 
zufammengerafft worden if. Man fiebt aljo, daß es wenig Sinn und 
Werth bat, die Syſtematik jo furzer Hand abthun zu wollen. 

ALS einen weſentlichen Mangel in dem Lehrgange des Verfaflerd muß 
man es bezeichnen, daß an feiner Stelle darin vun. dem inneren Bau und der 
inneren Berufsthätigleit der Organe die Nede ift. Abgefehen von dem, was 
in der Boologie gelegentlid im Großen und Ganzen vorkommt, muß bier: 
auf zum Schluß des ganzen Unterrichts Bebacht genommen werden, in dem 
Einne und Umfange, wie ich e3 in meinem vierten Curſus thue und wos 
für ich mir erlaube, auf die neuefte Auflage meiner Pflanzentunde hinzu⸗ 
weiſen; denn ohne diejen Theil ift aller naturhiſtoriſche Unterricht unzu⸗ 
länglid. Wir haben von einem organifchen Naturlörper erft genügende 
Kenntniß, wenn wir ihn, fo zu fagen, in» und auswendig kennen. Ohne: 
bin entſpricht ein folder Unterricht allein der Art und Weiſe, dem Geifte 
der jegigen Naturforfhung. Wer fih mit dem Aeußern allein begnügt, der 
gleiht, um nur ein Beijpiel heraus zu greifen, ven alten Cochyliologen, 
die ih auf das Sammeln der Schnedenhäufer und Mufcelichalen ber 
ſchränkten und in Glasfchränten Staat damit machten. Dergleichen erllärt 
man heut zu Tage 'für eine amüfante Rnaben:Befchäftigung, nicht aber für 
Naturgeſchichte der Weichthiere. Wer hiervon noch keinen Begriff hat, dem 
empfehlen wir, einen Blid in ven III. Band von Bronn's „Klaſſen und 
Ordnungen des Thierreihes”, den mir weiter unten angezeigt haben, zu 
werfen. 

Was der Verf. unter d. jagt, klingt ganz empfehlenswerth. Dennoch 
müflen wir fehr ernftli davor warnen, die Einrichtung zu treffen, daß 
jeder Seminarijt Naturgegenflände aus allen drei Reichen mit in die Uns 
terrichtöftunden bringen darf, um fie ſich benennen und bie charalteriftifchen 
Mertmale zeigen zu lafien. Cine derartige Einrichtung macht jeden geord⸗ 
neten Unterriht unmöglih, ganz abgejeben davon, daß er einen Lehrer mit 
ganz vorzüglihen naturbiftorishen Kenntniſſen vorausfeßt. Die Seminas 
riften müfjen angehalten werben, aufgefundene Naturkörper felbft zu unter: 
fuhen, zunädit in der Art, daß fie jeden gefammelten Naturlörper vom 
Scheitel bis zur Zehe fo genau befehen, daß fie mündli und aus dem Kopfe 
davon Rechenſchaft geben koͤnnen, dann mit Hülfe geeigneter Bücher den 
Namen felbft zu ermitteln ſuchen. Iſt Beides erfolgt, dann möge, falls 
noch Unſicherheit herrſcht, der Lehrer außer der Unterrichtszeit gefragt wer⸗ 
den. Bon ſolchem Verfahren darf man ſich Erfolg verjprechen, nicht aber 
von jenem, 

12. Lehrer E. Franke in Eisleben verfuht in Ballien’s „Evans 
gelifher Volksſchule“ (Heft 3 u. 5 von 1865) in Roßmäßler's Fußftapfen 
zu treten, d. b. ftatt Naturgefhichte Naturkunde zu lehren. Es hans 
beit fi dabei um die Mittelftufe (3. Klaſſe) einer mebrllafiigen Töchter 
ſchule. Die Naturgefchichte ſoll zwar den Leitfaden für den Unterriht abs 
“geben ; es ſoll aber außer derſelben auch zugleich das Leichtere aus der 


238 Naturkunde. 


Chemie, Phyſik und Technologie berüdfihtigt werden. Die Ausführung 
wird an zwei Beifpielen gezeigt, an der Beſchreibung der Kuh und des 
Huhns. Die Beihreibung der Kuh wird benußt, um die Mil, die des 
Huhns, um die Gier von diefem Standpunkte aus zw betradhten. Bei 
Beiprehung der Milch bält fih der Berf. im Ganzen im Bereich des Bu: 
laͤſſig, da er fih darauf befchräntt, nad Stöchhardt die Beftanptbeile der 
Mich: „Wäfirige Fluͤſſigkeit, Fettkügelchen, Käſeſtoff, Milchzucker“, zu zei⸗ 
gen oder auch zu nennen; bei Behandlung des Eies wird dieſe Grenze 
aber bereit3 überfchritten. Da heißt es: „Das Ei befteht aus einer Schale 
von koblenfaurem Kalle Verſuch: Webergieße die zeritoßene Schale eines 
Gies mit verbünnter Salzfäure, und fie Löft fih unter ſchwachem Aufbraus 
fen in der Säure auf. Das Aufbraufen entftehbt dur die Entweichung 
der Koblenjäure, die durch die Salzjäure bewirkt wurde ; da ſich beide Säus 
ren im alte nicht vertrugen, fo mußte die ſchwächere der ftärleren wei⸗ 
hen. In ver Salzfäure befindet ſich jetzt aufgelöfter Kalk; gießen wir 
etwas Schmwefeljäure unter dieſelbe, jo fchlägt fich der Kalt ale Gyps nie 
der, indem er fich mit der Schwefelfäure verband.” 

Es gehören nur mäßige chemifche Kenntnifie dazu, um zu erlennen, 
daß in dieſer Belehrung eine Anzahl Borftellung (Koblenfäure, Salzfäure, 
Schwefelſaͤure, Kalt, Gyps) unerörtert bleiben, auch in der That bei biefer 
Gelegenheit nicht erörtert werben können, und daß der Unterricht in Folge 
defien ftatt entwidelnd — dogmatiſch wird, alfo gegen den oberften Grund: 
faß der Didaltik verftößt. Cs ift eine völlig unnüge Berfrübung, auf 
einer ſolchen Bildungsftufe hier und da ein Stüdhen Chemie oder Phyſit 
aus dem Zuſammenhange berauszureißen und dadurch die jo nothwendige 
Einheit des Unterrichts zu ftören. Man leiftet nur etwas Tüchtiges, wenn 
man fi concentrirt, nicht aber, wenn man ſich zerftreut. Es ift früb ge 
nug, wenn die Rinder dergleichen Gelehrfamteit ſich auf ber Oberftufe ans 
eignen, wo ohnehin für Chemie und Phyſik der rechte Plazt ift. 

Die Beiprehung des Eies enthält noch Einiges, was ausgeſchie— 
den werden muß, worauf wir aber nad dem Geſagten nit einzugehen 
brauden. 


13. Lehrer Lamprecht in Trebbin beantwortet im 6. Hefte von 
Ballien’3 „‚Evangelifcher Voltsfhule” (1865) die Frage: „Wie find bie 
Kinder mit den Gewächſen ber Heimath belannt zu maden, 
und wie iſt der Sinn für Pflanzentunde dadurch im ihnen 
zu weden und zu ſchärfen?“ Aus der ganzen Arbeit erfieht man, 
daß der Verf. den Gegenftand mit Liebe und auch in der rechten Weile 
betreibt. _ Da wir indeß nichts darin gefunden haben, was nicht wiebers 
bolt im Jahresbericht und anderwärts gefagt worden wäre, jo begnügen 
wir ung mit dieſer Bemerkung. 


14. Ueber das Verfahren Herm. Wagner’s, bei der Betrachtung 
der Pflanze vom Samen und defjen nähfter Entwidelung 
auszugeben, iſt weiter unten bei Anzeige feiner Pflanzentunde Giniges ges 
jagt worden. 





Naturkunde 289 


3. Phyſik. 


15. In der Hauptverſammlung des allgemeinen gothaiſchen Landes⸗ 
Lehrervereins wurden folgende Theſen über den phyſikaliſchen Unterricht in 
der Volksſchule zur Verhandlung geſtellt. 

„a. Beim Unterrichte in der Phyſik iſt in der Volksſchule alljährlich 
das erſte Halbjahr zur Durchſprechung der mechaniſchen Erſcheinung der 
Körper zu verwenden, Die übrigen Kapitel der Phyſik fallen demnach auf 
die Winterhalbjahre, und die allgemeinen Eigenfchaften der Körper find nur 
da zu erwähnen, wo ſich Gelegenheit darbietet.“ 

„b. Jeder Abjchnitt beginnt mit dem Erperimente, aus dem die Na- 
turgejege abgeleitet werden, und am Schluffe eines jeden Abfchnittes muß 
nachträglich das Syſtem vom Schüler felbft, unter Anleitung des Lehrers, 
aufgeflellt werden.‘ 

„©. Ohne Experiment ift der Unterricht in der Phyſik in der Volks⸗ 
ſchule ohne Nußen, und die Verſammlung beauftragt daher das Präfivium, 
bei Herzogl. Staatsminifterio den Antrag zu ftellen, bafjelbe wolle verfüs 
gen, daß jeder Ortsvorſtand alljährlich eine gewifle Summe, jedoch mins 
deſtens 15 Zhaler zur Anſchaffung von phufilaliihen Apparaten für feine 
Ortsſchule zu verwilligen bat.” 

Wir bedauern, daß für die erfte Theſe die Begründung fehlt, da wir 
nicht einzufehen vermögen, warum die mechanifhen Eigenſchaften der Koͤr⸗ 
per den Curſus eröffnen follen. Wir halten dafür die Lehre vom Magne: 
tismus und von der Märme für viel geeigneter. 

Die zweite Theſe bat ſich bereit3 allgemeine Anerkennung erworben. 
Der Antrag unter c. ift die Confequenz derfelben. 15 Thaler jährlich ift 
zu hochgegriffen; 10 Thaler auf zwei, höchſtens drei Jahr reichen vollloms 
men aus, das Nöthigfte zu beſchaffen, wenn die Lehrer jelbft Hand anlegen, 
d. h. allerlei Heine Apparate felbft anfertigen. 

Ueberrafchend aber iſt das Nefultat, das die Debatte über dieſe The: 
fen ergab, nämlid: „Es ift vorerft darauf zu ſehen, daß die Schüler der 
Volksſchule im Lejen, Rechnen und Schreiben die nöthige Fertigkeit erlangt 
haben, ehe mit dem Unterrichte in der Phyſik begonnen wird. Diefer Un- 
terricht muß zwar mit Grperimenten begonnen werden, doch find hierzu feine 
theueren phyſikaliſchen Apparate nothwendig.“ 

Was ſoll man bei ſolchem Beſchluſſe denken? Sind die gothaiſchen 
Volksſchulen in der That noch fo weit zurück, daß fie im Leſen, Rechnen 
und Schreiben niht das Nöthige leiften? Wann gedenken fie denn dahin 
zu kommen? Muß dazu erft das reorganifirte Seminar die geeigneten Leb: 
er bilden ? Ober verfteht die große Mehrzahl der Volksſchullehrer jo wenig 
Phyſik, daß fie fih vor der neuen Aufgabe fürdtet ? Oder finden fih uns 
ter ihnen Solche, die der Phyſik aus Gründen abhold find, wie fie fidy bei 
manchen Theologen unferer Tage finden ? Es ift ſchwer, fich bier durch zu 
finden, und ih wünſchte, daß ſich hierüber ein vorurtheilsfreier und fach: 
fundiger gothaifcher Lehrer ausſpraͤche. 

16. In erfreulihem Gegenjaße hierzu fteht ein Beſchluß der tatho⸗ 
liſchen und evangeliſchen Oberſchulbehörden Württembergs. Nachdem 


240 Naturkunde. 


von Sachverſtäͤndigen die Herſtellung eines billigen phyſikaliſchen 
Apparats durch den Mechanikus Spindler in Stuttgart veranlaft 
worden war, haben die genannten Behörden befohlen, daß er innerhalb 
des Schuljahres 1865—1866 auf Rechnung der Shulfonds angeſchafft 
werde. Der ganze Apparat koftet mit Berpadung, Kiſte und ber unten 
genannten Schrift des Reallehrers Bopp 9 il und enthält folgende Ge: 
genftände : 

a. Magnetismus: 1. Hufeifenmagnet. 2. Mognetnabel, zugleich 
für Gleltro-Magnetismus eingerichtet. 

db. Slettricität: 3. Grüner Glasflab. A. Kugeln von Hollunder: 
mark an einem Seidenfaden. 5. Elektroſtope. 6. Clektrophor von Kaut⸗ 
ſchuk mit Dedel. 7. Leydener Flache. 

0. Sleltro: Magnetismus: 8. Galvanijhes Glement. 9. Glel 
tromagnet. 

d. Licht: 10. Brennglas. 11. Glasprisma. 

e. Wärme: 12. Thermometer. 

f. Bufferdrud: 13. Verbundene Röhren, zugleih zur Nachwei⸗ 
fung des Luftdruds zu gebrauden 14. Epringbrunnen durch Waſ⸗ 
ferprud. 

g. Quftdrud: 15. Stechheber. 16. Släferne Eprige. 17. Saugı 
beber. 1%. Heronsball, zugleih als Epringbrunnen durch Luftorud, als 
Sprigflafhe und zur Erklaͤrung der Feueriprige zu verwenden. 

b. Unziebung: 19. Sechs Haarröhrdhen, nad) abnehmender Weite 
geordnet, 20. Bleigewidht zur Beſchwerung bes Huſeiſenmagnets umd 
Sleltromagnets, 


4 Chemie 


17. „Solldie Chemie in den Lehrplan der Bollsfhule 
aufgenommen werben?!“ Dieſe Frage wird von G. Gejell in Gh. 
in Rr, 43 ver „Alsem. veutichen Lehrers.“ ven 1865 anfgeworfen und 
durd Sinweiſung au) das Verſtändniß, welches der Schüler dadurch über 
Rd ſeldit. nämlich über feine Xerblihleit, über eime Reihe von Erſchei 
gen in tur Katar wand im Vereiche des gewähalihen, mumentlih auch 


1 


gerrerdliden Ledent erhal, dejabet. ZJugleich wire amd im Kürze gejeigt, 
dad 03 ehme fetture Mpparate un Chumiziws möglich ſei, dieſen Unter 
dire ia der Qritsitule zu ertieien, welt Ber Verj. je meit gebt, zu bes 


hurden. daß fer ter Sande urd gewehrühe Staetj eigentliche Cxpe⸗ 
man mitt vndedingt netdrendig jeien, inden man nur auf die Bei⸗ 
erce des täaguden Ledens Bi ine um» dieje za erfliren brumche, 

Kr kıamia dem er. darin ini. Auf tee Sürmmenie der Chemie auch 
in den \unVisu\ce geichet Ierten suite um Auf Aahär mücht erbebliche 
Autılne terderi:d em, aim ader für, daß min Ad gar michi 
urau) iriııe doc, une wre Mut auf Nernbe werzäbien müßte, 

I Teer izmr mi mndume Aa zu Ver Batte der Echule 


u 
met Dr. G Durre ia Nero Dre: iz Sr 
derdðchen Iuderrz.“ zen INES vunım Unizag 2m? Dem zum Geburisiage des 











Naturkunde. 241 


Großherzogs von Baden vom Prorector der Univerfität Freiburg, Profefior 
der Chemie 2. von Babo, erlaflenen Programm, die Chemie als Bil: 
dungsmittel des Arztes betreffend, mit, in dem an treffenden 
Beijpielen gezeigt wird, welche Bedeutung das Studium der Chemie auf 
die Behandlung der Kranken ausübt. So fern diefe Mittbeilung au den 
Lehrern zu liegen fcheint, fo ift fie doch geeignet, Solchen eine Ahnung 
von der großen Wichtigkeit der Chemie zu gewähren, die hiervon noch feine 
Borftellung haben. Bon dieſem Standpunlte aus wünjhen wir, daß die 
Lehrer von diefem Audzuge, noch befler von dem Programm ſelbſt Act neh⸗ 
men mögen, Die Chemie ift für Viele noch etmas völlig Unbelanntes; 
fie halten dieſelbe für ein nüglihes Willen für Apotbeler und etlihe Fa⸗ 
britanten, nicht aber für Etwas, wovon auch der Lehrer Kenntniß nehmen 
oder wovon er gar in der Schule ſprechen folle. Es ift darum dankenswerth, 
wenn bdiefelben von Zeit zu Zeit darauf aufmerkſam gemadıt werden, daß 
die ganze Welt voll chemiſcher Vorgänge und Jeder gut beratben ift, 
wenn er diefelben mindeſtens fo weit kennt, als er davon berührt wird. 
Den Schluß des Auffages erlauben wir uns nachftehend mitzutheilen. 
„Es wird (in dem Programm) der Vorſchlag gemacht, die auf den 
Gelehrtenſchulen vorzugsweife herrſchende Bildung etwas zu bejhränten und 
durd die jogenannten eracten Wiſſenſchaften die formelle Geiftesbildung zu 
vervollftändigen, weil in Mathematit und Phyſik eine viel fchärfere Konſe⸗ 
quenz geübt werde ald in Sprachen. Auch die Naturgefhichte biete, be⸗ 
fonders in den untern Klafien, bei heuriſtiſcher Methode, ein treffliches 
Mittel zur Schärfung der Beobachtungsgabe. Der Mediciner follte alſo 
im 2yceum ein Jahr weniger bleiben und dieſes auf der Univerfität mit 
Mathematil, Phyſik u. ſ. w. füllen. Dann würde das 3. und 4. Semeiter 
um dieſe Studien erleichtert jein und Raum für Chemie bieten. Wir übers 
geben dieſe Art der Zeiteintheilung nad dem neuen Plane, weil es uns 
genügt, auf die formelle und materielle Wichtigkeit ver Chemie und auf 
die Nothwendigkeit, fie zu ftudiren, aufmerkſam gemadt zu haben.“ 
„Wenn beute von Anthropologie die Rede ift, jo kann die organifche 
Chemie, jo wenig fie immer noch ausgebildet fein mag, nicht umgangen 
werden. Alle Declamationen gegen Materialismus verhallen mit der Zeit, 
ja werden bald gar keinen Wiverhall mehr erzeugen. Der Arzt foll freilich 
mebr fein als Thierarzt, ſoll aud auf das Gemüth feiner Kranken zu wirs 
fen fih bemühen, und kann, wo er das rechte Vertrauen gewonnen, aud) 
ein Eeelenarzt fein. infeitigleit ift nirgend mehr geftattet, aud bei dem 
Lehrer nicht. Die Chemie muß viel tiefer in die geſellſchaftlichen Schich⸗ 
ten eindringen. Alles, was v. Babo für den Arzt gejagt, wiederholt fi) 
in vielen Ständen bis zu dem Landmann hinab, der viel zu beobadten, 
zu überlegen, Beziehungen und Creignifie in Rehnung zu bringen bat. 
Wie viel aber der junge Lehrer formelle Bildung aus diefem Studium 
in feine Klafjenführung mitbringen würde, das möchte wohl Jedem einleuchs 
ten, ber unfern Auszug aus dem v. Babo'ſchen Programme mit eingehen: 
der und nachelfender Aufmerkſamkeit gelefen hat.” 
„Es follte in allen größeren Städten den lernbegierigen Lehrern zur 
Weiterbildung in diefem Sache Gelegenheit geboten werden. Man möchte 
Päd. Jahreßberiht. XVII. 16 


242 Raturfunbe. 


mehr thun, als die Adyieln zuden, wenn man hebt, an welchen Schäden 
unſer Boltsfhulmefen durch mangelnde Borbildung der Lehrer leidet.” 

Lesteres bedauern wir mit Türre, zugleich aber auch, daß man ſich 
noch immer nicht entſchließen kaun, Lehrftoffe in der Bollsfchule aufs 
jugeben, die der Chemie, Phyſik u. ſ. w. den Eintritt in dieſelbe erſchwe⸗ 
ren, ja unmöglih mahen. Ban prüfe, wie viel aus dem aliteflament- 
lichen Material für den Neligionsunterriht als Ballaft über Borb geworfen 
werden könnte, ohne die religiöfe Bildung der Jugend im Mindeſten zu 
beeinträchtigen ! 

19. Unter der etwas geſuchten Ueberſchrift „Bielleiht ein Stüdchen 
Wegebauarbeit“ empfiehlt ein Uingenannter in Ar. 35 der „Berliner Schul⸗ 
zeitung“ (1865) die Beihäftigung mit Chemie, und zwar zunähft bes 
Vortheils wegen, den fie ihm in der eigenen Hauswirtbichaft und beim 
Landbau gewähre, dann als Mittel zur Berbefierung feiner Gtellung im 
den Gemeinden, da er durd feine chemiſchen Kenntnifie ſowohl dem Ge⸗ 
werbsmanne als dem Lanbmanne nützen lönne, enbli des naturtundlichen 
Unterrihts halber. „Ich behaupte, jagt der Verfafler: Wer Nidis von 
Chemie veritebt, kann keinen guten naturtundlichen Unterricht ertbeilen. 
Er kann weder die Nothwendigleit der Athmung noch dieſe ſelbſt erklären, 
eben fo wenig, woher die Pflanzen die Menge von Kohlenftoff, deſſen der 
Boden nur wenig enthält, nehmen. Wer will in der Mineralogie grünklid 
unterrichten, wenn er nicht weiß, was Ralf und Gyps iſt? Wer in der Phyſil 
von der Wärme handelt, wird ſchwerlich die Wärmeentwidelung beim Kalllöſchen 
und bei Mifhung von Echweielfäure und Waller umgeben, erflären aber 
nur mit Hülfe chemijcher Kenntnijie können. Muß einen Lehrer, dem foldye 
fehlen, nicht ein drüdendes Gefühl befchleihen, wenn er im naturkundlichen 
Unterriht genannte Dinge und Erfcheinungen oder Aehnliches zu behandeln 
bat? Ich meine, wir haben jhon mehr denn zu viel ſolches Drudes zu 
leiven, den abzumwerfen nit in unjerer Macht ſteht. Befreien wir uns 
darum doch von dem, der unjerer Kraft und unjerem Willen weichen muß. 
Studiren wir! Treiben wir namentlid auch Chemie! Sie fördert unfere 
Wohlfahrt, ift unentbehrlih für's Amt und obendrein interefjant. Ich 
zahle einem Jeden 50 Thaler, der mir bemweift, daß ihm drei Stunden beim 
Romanlefen fchneller vergangen find, als diefelbe Zeit beim chemiſchen Er: 
perimentiren.“ 

20. Der gegenwärtige preußifche Unterrihtäminifter bat die Berfügung 
feines Amtsvorgängers vom 19. November 1859, wonach „in dem Semi: 
nar⸗Unterricht die mwichtigften elementaren Lehren der Chemie, namentlidy 
foweit fie auf Agricultur Bezug haben, mehr als bisher, etwa im Anſchluß 
an die Unterweifung im Gartenbau und in der Obftbaumzudt, Berudfiche 
tigung finden könnten“, bei Gelegenheit der Empfehlung ber weiter unten 
von uns angezeigten „Anfangsgründe ber unorganiſchen Chemie’ von Fritze, 
unlängft (33. März 1865) anerlannt. Aus dem Behufs Empfehlung dies 
fer Schrift eingeholten, im MärzHefte des Centralblattes von Stiehl ab: 
gedrudten Gutachten entnehmen wir Folgendes : 

„Es laßt ſich nicht verfennen, daß heutzutage eine Bekanntſchaft mit 
den Anfangsgründen der Chemie und mit den vornehmften Anwendungen 





Naturkunde. 243 


derfelben innerhalb des Gebietes derjenigen Bildung liegt, die das Leben 
von dem Lehrer fordert. Die Berührung mit Induftriellen und mit gebils 
deten Landwirthen, das Verſtaͤndniß von Beitungsartifeln, über die man 
von dem Lehrer Auskunft verlangt, die Vortheile, die unjere Beit über 
haupt der Verwerthung chemiſcher Entvedungen verbanlt, ſowie die bildende 
Kraft, die in dem Anfchauen und Erklären chemiſcher Vorgänge liegt, 
maden es nothwendig, daß der künftige Lehrer nicht bloß eine allgemeine 
Borftellung von dem Weſen chemiſcher Erfcheinungen erlange, ſondern daß 
ihm eine ausreichende Anzahl verjelben vor Augen geführt, erklärt und 
nah ihrer praftiihen Anwendung und Bedeutung beſprochen werde.“ 


21. „In Berlin find auf Anorbnung des Magiftratd und ber 
Stabtverorbneten extra für Lehrer praktiſche Curſe über Chemie u. ſ. w. ans 
geordnet.“ (Rh. Bl. XV. Bo. 3. Heft 1865.) 


5. Landwirthſchaft. 


22. Die landwirtbfchaftlichen Vereine, die jeßt in allen deutſchen Läns 
dern eine erfreuliche Thätigkeit im Sinne des Fortſchritts entwideln, fahren 
fort, von den Seminaren eine umfaffendere, auf das Prak— 
tifhe gerihtete naturmwiffenfhaftlide Bildung zu verlan- 
gen, damit die Lehrer befähigt werden, in dieſer Richtung in ihren Echus 
len, in Fortbildungsſchulen und in ihren Gemeinden überhaupt thätig zu 
fein. In diefer Forderung werden fie mädhtig vom Zeitgeift unterftüßt 
oder richtiger : der Beitgeift ruft diefe Forderung hervor. Kein Landlehrer 
kann ſich ihr heutzutage ohne Nachtheil entziehen. „Die Gegenwart ver 
langt in jedem Dorfe einen Mittelpuntt, jagt Diefterweg (Rh. Bl. XV. 8. 
1865), von dem die Gefammtbildung der Bewohner, befonders der Ju⸗ 
gend, einheitlih und harmoniſch ausgeht, einen Mittelpunlt, an den man 
fh zu wenden bat, wenn von Verbefierungen in Bildungsangelegenheiten 
die Rebe ift. Diefen Mittelpuntt bildet fein Anderer als der Lehrer, Wir 
verlangen daher eine fo alljeitige Bildung von ihm, daß er ben dadurch 
eniftebenden Anforderungen entſprechen kann.“ Diefterweg hat hierbei nicht 
bloß vie allgemeine Bildung, fondern auch die eben bezeichnete naturwiſſen⸗ 
fhaftlihe im Auge Wir tbeilen feine Anfiht ganz und gar. Jeder Lebe 
zer ijt ja ohnehin von Haufe aus ein praltiiher Mann, und darf fi das 
ber auch dem praltifhen Leben, d. h. dem Leben jeiner Bemeinde nit 
entziehen. Wöge der Lehrer immerhin bei feinen Naturſtudien und in ſei⸗ 
nen Schul⸗Unterricht einen höheren Gefichtspunlt nehmen, die Verwendung 
feiner einfhlägliben Senntniffe für den Wohlftand der Glieder feiner Ge: 
meinde beeinträchtigt ihn dabei nit. Die größten Naturforfcher unjerer 
Zeit gehen ihm in großem Maßftabe mit ihrem Beifpiel voran. Es darf 
auch nicht unbeachtet bleiben, daß eine verartige Stellung in der Vemeinde 
ganz und gar im Intereſſe der Lehrer jelbft liegt ; denn wenn die Gemein» 
den durdy irgend Etwas zur Verbefierung der Lehrerftellen geneigt zu machen 
find, jo ifl e8 ein ſolches Entgegenkommen der Lehrer, ein foldes Nützlich⸗ 
wachen berfelben, 

16” 


244 Naturkunde. 


Im Grunde haben die Seminare auch ſchon ſeit Decennien darauf 
bingearbeitet, ihre Böglinge für einzelne Zweige der Lanpwiribichaft zu bes 
fähigen, namentlih für Obftbaumzuht und Gemüfebau, und in manden 
Ländern gewiß mit gutem Erfolg. Die preußiihe Seminarbirectoren:Con: 
ferenz, deren wir oben bei der Naturgefhichte gedacht haben, hat auch bier: 
über ihr Gutachten abgeben. Sie fagt: 

„In Betreff des praltiiden Gartenbaues und der Obftbaumzudt 
wurde feftgeitellt, Daß jeder Seminarift in beftimmten wödhentliden Stun: 
den alle Arbeiten und Beihäftigungen erlernen müfle, welche nothwendig 
find, um den Boden hinlänglich vorzubereiten, Pflanzen zu ziehen und 
Dbftbäume zu veredeln, daß in Bezug des legtern jeder Seminarift beim 
Abgange eine Probe abzulegen im Stande fei. Jedes Seminar wird in 
einem fpeciellen Lehrplan das Nähere nahmeifen. In Betreff der Theorie 
für Garten und Obſtbaumzucht ſei ein abgefonderter Unterricht nicht zu er 
theilen. Sie fließt fih an den naturkundlichen Unterriht an und wird 
bei den betreffenden Stellen deſſelben angereibet werden.‘ 

„A. Anſchluß an die Naturgefhichte, a. im Thierreih iſt beſonders 
Rücſicht zu nehmen auf die nützlichen und ſchädlichen Thiere; b. bei den 
Pflanzen ift Beichreibung, Anbau und Verwendung 1. der Gemrüfearten, 
2. der Zutterpflanzen, 3. der Arzneigemäcfe beſonders zu beadıten, jo wie 
die Ernährung der Pflanzen, PBervielfältigung und Berjeßung berfelben, 
Beredlung der Obſtarten, von den Lebensbevingungen der Pflanzen, bie 
Aderung und Loderung des Bodens zu berüdfichtigen ; co. bei der Mine 
salogie ift auf die Bodenarten einzugehen.‘ 

„B. Anſchluß an die Chemie. Bon der fehlerhaften Bodenmiſchung, 
der Düngung, deren Einfluß auf die Pflanzenftoffe, woraus fi die Pflan- 
zen auferbauen, find zu erörtern. Auch die Verwendung der Pflanzen zu 
tehnifchen Bmweden, 3. B. Brauerei, Brennerei, Zuder», Eſſigfabrikation, 
ferner die Gasbereitung, Bildung des Zorfes, der Braun: und Steinlohle 
9— beſprechen.“ (Stiehl, Centralblatt, 1865. September⸗ und October⸗ 

eft). 

Dieſen Beſtimmungen können wir zuſtimmen, da durch Nichts darin 
die Zwede der Lehrerbildung beeinträchtigt werden. Wir bemerken mit 
Vergnügen, wie der Geiſt unſerer Zeit die Naturkunde, die man hier und 
da im Intereſſe der Religion fern zu halten ſucht, in die Lehrſäle der Se 
minare bineindrängt. 

23. In Nr. 10 des „Württembergifhen Schulblattes” (1865) wird 
von Ph. Schüz die Forderung, in den Werktagsſchulen landwirthſchaft⸗ 
liche Kenntniſſe anzuftreben, ganz entſchieden und mit Recht abgelehnt : 
„Der befte Hebel der Landwirthſchaft von Seiten der Schüler ift eine tüch⸗ 
tige allgemeine Schulbildung und von Eeiten der Lehrer eine mufterhafte 
Bewirtbichaftung ihrer eigenen Güter; auch fönnen, wo e3 angeht, freie 
Vorträge ver Lehrer über landwirthſchaftliche Gegenftände vor intelligenien 
Bauern ſehr förberlih wirken; nur follten fie in keinerlei Hinfiht mit un⸗ 
fern gewöhnlichen Forthildungsſchulen vermengt werben.” 











Naturkunde. 245 


U. kiteratur. 


1. Allgemeine Naturkunde. 


1. Naturbilder. Kür Jung und Alt. Bon A. Forſteneichner. Mit 
Originalzeichnungen von H. Küſter. br. 8. wI 2. 506 S.). Schaffhau⸗ 
fen, $r. Hurter, 1865. 14 Thlr. 

„Eine eine Rundſchau in der Vogel⸗, Injectens und Pflanzenwelt I 

Und zwar fo, daß der Verf. mit finnigem Auge und reihem, poetiichen 

Gemüth dem Leben in der Natur nahgeht und das Walten Gottes darin 

empfänglien Herzen zeigt. Der Berf. lehnt fih an Tſchudi, Maſius, 

Zafchenberg u. A. an. Der alfo an folden Darftellungen Freude findet, 

dem darf das Buch beflens empfohlen werden. Manches daraus kann 

man aud für die Schule gebrauchen. Der Berf. ift Katholik; Proteftanten 
brauden fih aber darum nit von der Lectüre ded Buches abhalten zu 
laſſen. 


2. Vaturwiſſenſchaftliche Blicke in’s tägliche geben Bon Karl 
Au. Mit 27 in den Text gebrudten Serii@nitten. (HI u. 427 ©.) 
Breslau, Ed. Trewendt, 1865. geb. 1 Thlr. 


Das Bub ift zunächſt für Frauen beftimmt, wird aber auch vom 
maͤnnlichen Gejhleht mit Nußen können gelefen werden. Die „Chemie 
der Küche“, die „Phyſik in der Häuslichkeit”, „Frauenbotanik“ und „Ge 
fundheitslehre” find die in demjelben beſprochenen Gegenftände. Der Berf. 
bat es verftanden, den alltäglichjten Gegenftänden ein großes Intereſſe ab: 
zugewinnen, theils indem er ihren Einfluß auf das Leben, bie Geſundheit 
und auf die Bildung des Geiftes und Herzens nachwies, theils indem er 
feinen Belehrungen eine ſchöne Form gab. 

Wir glauben uns nicht zu irren, wenn wir dem Buche eine gute Zus 
kunft propbezeiben. 


3. Die Natur. Ein Leſebuch fir Schule und Haus. Nah dem Schwe⸗ 
difchen des Profefiors Dr. N. 3. Berlin in Lund frei bearbeitet von Dr. 
Lorenz Tutſchet. Mit 175 Holgihnitten. Dritte, unberänberte aufage. 
8. (X u. 560 S.). Münden, Literariſch⸗artiſtiſche Anſtalt ber J. 
Eotta’ihen Buchhandlung. 1866. 1 Thlr. 


Die uns vorliegende dritte Auflage ift wirklih eine „unveränderte“, 
denn fie enthält fogar alle die Fehler, welche ich bei Anzeige der zwei⸗ 
ten Auflage (j. Band 16) gerügt habe. Da hiervon weder die Verlags: 
handlung, noch der Herausgeber Kenntniß genommen, jo kann von einer 
weiteren Beiprehung des Buches abgejehen werden. 


4. Dr. Dtto Ule’8 ausgewählte Heine naturwiſſenſchaftliche Schriften. 
I. Bändchen: Die Chemie der Küche. 8. IV u. 256 S.). II. Bänd⸗ 
hen. Bilder ans ben Alpen unb ans der mittelbentfüen Ge⸗ 
Re 8. (U und 239 ©) Halle, ©. Schwetſchle, 1865. 

18 r. 


246 Naturkunde. 


. Der Verf. ift unſern Leſern längft als Mitherausgeber der naturwiſ⸗ 
ſenſchaftlichen Zeitſchrift „Die Natur‘ vortheilhaft bekannt. Es genügt da⸗ 
ber, auf das Erſcheinen' dieſer Schriften aufmerlfam zu machen. Was in 
ben beiden Bändchen vorliegt, ift fhon in der genannten Zeitſchrift ver- 
öffentliht worden, bringt aljo wenigftens in ber Hauptſache nichts Neues. 
Aber darauf kommt es auch in der That nit an; es ift vielmehr ehr 
angenehm, nun das beifammen zu haben, was fid dort zerſtreut findet. 

Das erite Bänden wünſchen wir vor allen Dingen in die Hand 
jeder Hausfrau, damit fie daraus lerne, was zur Ernährung gehört und 
wie die Nahrungsmittel zu bereiten find, damit fie die befle Wirkung ber: 
vorbringen. Wir mwünfchen daſſelbe aber auch in bie Hand der Lehrer, 
damit fie in der Chemie, in einer Chemie, vie in jeder Volksſchule gelehrt 
werden muß, ihre Schüler und Schülerinnen über dieſe wichtige Angelegen: 
heit belehren. 

Das zweite Bändchen werden Alle mit Intereſſe leſen, bie jene Ge: 
genden bejudht haben, aber auch Alle, denen bies nicht vergömt ar. 
Sie werden zugleih daraus erjehen, wie man reifen muß, um Nußen vom 
Reifen zu baben. 


5. Das Bud der Natur, bie Lehren ber Phyſik, Aftronomie, Chemie, Mi⸗ 
neralogie, Geologie, Botanik, Phnftologie und Zoologie umfaflend. Allen 
Dune der Naturwifienichaft, imöbelonbere den Symnaften, Real» und 

öheren Bürgerſchulen gewidmet von Dr. Friedrich Schödler, Directer 
der Großherzogl. Seiten Provinzial Realigule in Mainz. Fünfgehnte, 
burchgefehene Auflage. In zwei Theile. Mit 976 in ben Text eingebrudten 
Holzſtichen, Sternfarten, Monblarte und einer geognoſtiſchen Tafel in Far⸗ 
bendrud. gr. 8. (I. Thl. XL u. 447 ©. II. Thl. XIV m. 565 ©&.). 
Braunſchweig, Bieweg u. Sohn, 1865. 24 Thlr. 


Mas dies Buch enthält, gibt der Titel an. Der Inbegriff der ge 
fammten Naturkunde wird darin dargeboten, und zwar fo, daß in jeder ein: 
zelnen Willenfhaft das Wichtigfte in zufammenhängender miflenfchaftlicher 
Meile, aber in durdaus populärer Darftellung gegeben und durch ganz 
vorzüglih ausgeführte Abbildungen verfinnliht wird. In allen Theilen 
entfpricht der Tert dem gegenwärtigen Standpunlte der Wiſſenſchaft. Um 
aber äußere Veränderungen dieſes beliebten Schulbuches möglihft zu ver: 
büten, bat der Verf. bei der vorliegenden Auflage den Zert jelb nicht 
weſentlich geftört, die neuen Entdedungen aber ald Anhänge in jeder eins 
selnen Abtheilung hinzugefügt, was volle Anerlennung verbient und dem 
Bude feine bisherige ebrenvolle Stellung in [ber Literatur auch ferner 
fichert. 


2. Naturgeſchichte. 


A. Abbildungen. 


6. Großer Atlas der Naturgeſchichte. Ein Aufhanungs-Unterricht für 
Säule und Haus. Das Thierreih in 80 colorirten Tafeln mit 40 Bo⸗ 
en Tert und zahlreihen Holzſchnitten. Von ©. Kolb. 14. Lie 
ferung. Fol. Stuttgart, Krais u. Hoffmann, 1865. & 1 Thlr. 





Naturkunde. 247 


Die 12. Lieferung haben wir im vorigen Bande angezeigt, die 13, 
it uns nicht zugegangen ; dagegen erhielten wir Lieferung 6—11 nad» 
träglih und können nun dem Früberen hinzufügen, daß ber Tert bis Bor 
gen 33 vorliegt und mit den Fiſchen abichließt. Derjelbe ift durchaus 
brauchbar, die in denſelben eingedrudten Holzſchnitte lafjen nichts zu wuͤn⸗ 
jhen übrig. Ebenſo haben die colorirten Tafeln etwas Frifhes und An: 
ſprechendes. Einigen Inſecten⸗Tafeln hätten wir etwas weniger Staffage 
gewünſcht. 


B. Sammlungen. 


7. Oſtfriesland's Laubmoofe. Geſammelt und herausgegeben von €. 
@. Eiben, Präceptor in Aurih. Erſte Lieferung. Nr. 1 bis 50. Kol. 
Selbſiverlag. In Commiſſion bei R. 3. Frerichs in Aurih, 1865. Su 
Mappe 1 Thlr. 

Die Mooſe diefer Sammlung find auf fteifem Papiere befefligt, bie 
Heineren in Bapierlapfeln, Name und Fundort find auf gebrudten Betteln 
enthalten. Die Anorbnung ift eine fyjtematiihe. Die Eremplare find fehr 
gut gepreßt, der großen Mehrzahl nah mit Früchten verjehen, und jehr 
reichlich gegeben worden, reiher als in andern uns befannten Täuflichen 
Moosfammlungen. Wir empfehlen daher das Unternehmen allen Freunden 
der Mooskunde. Gelingt es dem Herausgeber, nah und nad alle von ihm 
aufgefundenen Moofe Oftfrieslands in feiner Sammlung darzubieten, fo 
wird diejelbe nahezu eine Sammlung der norbveutihen Moosflora reprä: 
jentiren.” An der Hand diefer Sammlung wird es dann Jedem leicht wer: 
den, die Mooſe Deutſchlands zu ftubiren. 


8. Herbarium zum zweiten Eurfus ber Pflanzenkunde von Hew 
mann Wagner. Herausgegeben von Albert Wagner. Bielefeld, Vel⸗ 
bagen u. Klafing. 2 Thlr. 10 Sgr. 

Dies Herbarium ift mir nicht aus eigener Anſchauung befannt. „Es 
enthält, jagt Hermann Wagner, außer den in der dritten Auflage des 
Buches fpeciell behandelten 36 Arten noch 64 andere deutfche Pflanzenfpe: 
cies, theild derjelben, theil3 verwandten Familien angehörig, im Ganzen 
alfo 100 Arten, Die gut zubereiteten Pflanzen find fauber auf meißes 
Belinpapier aufgebeftet, mit lateinifhen und deutſchen Namen, Angabe der 
natürlihen Familie und der Klaſſe des Linnéſchen Spitems, des Standortes 
und der Blüthezeit verfehen und nach dem natürliden Syſtem geordnet.“ 


C. Schriften. 


a. Füur Lehrer. 
1. Anthropologie. 


9. Geſundheitslehre für Schulen von Earl Reclam, Profeſſor ber 
Medicin und Poligeiarzt zu Leipzig. gr. 8. (31 ©.). Leipzig und Hei⸗ 
beiberg, ©. F. Winter, 1865. 2 Sgr. 

Der duch fein „Buch ber vernünftigen Lebensweife” auf dieſem Ger 
biete längft vortheilhaft befannte Verf. bat in dieſem Schriftchen Alles zu: 


245 Lten 


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allen drei Peiten if das Eikt:-2e berrstuhehen zus m anrdeabie 

Eeife keitricben werden. Sas tem Meniten müpt eder febet, in min 

gets vergefien, aber nicht im den Ücrberurumb aektelit werten; werkmeit 

bemüht fich der Berf., feine Leier im das Leben ber Rater einzuiähren mi 

ihnen das wunterkare Kalten darin zu zeigen. Te Abbildungen ge 

nügen. 
3. Zenlegie. 


11. Dr. $. ©. Broun’s Klofien und Irtuungen bes Thierreihe, wifewideft- 

lich bargefeflt in Bcrt und Bit. Forigeiekt von Dr. W. 

Sreiefio in Söıtingen. 2er. 8. 40.—45. —A— Boegen 76- A, Id. 

CX -CXXXVI. —* unb Heidelberg, C. F. 1865. 

⸗Von dieſem bedeutenden Werke iſt nun der dritie Band vollendet 
Er enthält die Weichthiere oder Malacozoen, während der erſſe die Amor: 
phozoen, der zweite die Actinozoen bradte. Wir müjlen wieberbolen, was 
wir ſchon in den früheren Anzeigen ausſprachen, daß das Werl zw ven 
vorzüglichſten gehört, die wir in der zoologijchen Literatur beiigen, möge 
man den Tert oder die Abbildungen darauf anſehen. Grflerer zeigt im 
allen Abtheilungen den gegenwärtigen Stand der Zoologie, indem er neben 
eigenen Forſchungen die ganze vorhandene Literatur berüdfihtigt, Lebtere 
machen die foftbarjten Kupferwerle entbehrlih, wenn es fih niht um Epe: 
cies:Etudien handelt. Die Ausführung ift mufterhaft. 

Um die Vollendung des Werkes nicht mehr zu lange binauszufchieben, 
find die nody fehlenden Bände zugleih in Angriff genommen, und find für 
die Ausführung Fachgelehrte von Auf damit beauftragt worden. Der Her: 
ausgeber wird die Mürmer bearbeiten, Dr. Gerftäder in Berlin die Glie⸗ 
bertbiere, Dr. Steindadhner in Wien aus den Wirbelthieren die Fiſche. 
Diefer Urbeitövertbeilung können wir ung nur freuen, ba fie zur Vervoll⸗ 
fommnung bes Wertes weſentlich beitragen wird. Von ber Arbeit über 
die Oliederthiere Liegt ſchon die erfte Lieferung vor ; fie enthält das Allge⸗ 
meine über die Gliederfüßler. 


12. Illnftrirtee Thierleben. Cine allgemeine Kunbe des Thierreiches 
von Dr. A. E. Vrehm , Director bes zoologiſchen Gartens in Hamburg. 





Naturkunde. 249 


Dit Abbildungen nach der Natur, ausgeführt unter Leitung von R. Kreiſch⸗ 
mer. Lieferung 35 bi 50. 2er. 8. (Bogen 1—49.) SHilbburgbaufen, 
Bihliograph. Juſtitut. 

Diefe Hefte enthalten die Naturgefchichte ber Vögel und führen die 
jelbe bis zu der ſechſten Ordnung, den Singvögeln, fort. Es ift befannt, 
daß der Berf., wie fein Vater, ein ſehr tüchtiger Ornitholog iſt; er fhöpft 
daher für diefe Abtheilung fo recht aus dem Bollen, aus der reichften Cr» 
fahrung, die durch feine Stellung als Director des zoologiſchen Gartens in 
Hamburg täglih vermehrt wird. Es ift in der That ein Vergnügen, jeis 
nen lebenspollen Darftellungen, denen er nicht felten einen poetiſchen Hauch 
zu verleihen weiß, zu folgen. Er ſpricht von feinen Vögeln wie von alten 
Belannten, mit denen er Jahre lang zufammen gelebt, Freud und Leid mit 
ihnen getragen bat. Fein Zug in ihrem Leben, kein Seelenzuftand derſel⸗ 
ben ift ihm entgangen. Die Abbildungen find nad Compofition und Auss 
führung Meifterflüde, möge man darauf die großen Tafeln, deren jede Lies 
ferung zwei bat, oder die einzeln eingebrudten Stüde anjehen. Das 
Bert gereiht den Verfaſſern, den dafür thätigen Künjtlern und der Vers 
lagshandlung zu großer Ehre. 


13. Die Hymenopteren Deutſchlands nah ihren Gattungen unb theil- 
weile nah ihren Arten als Wegeweiſer für angehende Hymenopterologen 
unb gleichzeitig als Verzeichniß der Halle'ihen Hymenopterenfauna analy» 
tiich zufammengeftellt von Dr. E. 8. Zafchenderg. Mit 21 Holzſchnitten. 
gr. 8. (VI u. 277 ©.). Leipzig, &. Kummer, 1866. 1% Thlr. 

Eine neue Bearbeitung der Hymenopteren war längft Bebürfniß ; der 
kundige Berf. bat fi daher ein Verdienſt durch Abfafjung dieſer Schrift 
erworben. Die Yamilien und Gattungen diefer interefjanten Ordnung mer: 
den ausführlih und jcharf charalterifirt, von den Arten viele durch Angabe 
der unterjcheivenden Merktmale, während andere nur genannt werben, was 
wir infofern bedauern, als bie Befiter des Buches nun doch noch nah ans 
deren Schriften greifen mũuſſen. Dan kann das Werk übrigens als eine 
Hymenopteren⸗Fauna von Nord: und Mitteldeutichland anfehen und als ein 
recht gutes Hülfsmittel für das Studium diefer Inſeltengruppe betrachten. 


4. Botanit. 


14. Anleitung zur Kenntniß ber natürfiden Kamilien ber Pha- 
nerogamen. Gin Leitfaden zum Gebrauch bei Borlefungen und zum Stu» 
bium der fpeciellen Botanik von Dr. Joh. Anton Schmidt. gr. 8. 
XXIV u. 350 S.). Stuttgart, E. Schweizerbart, 1865. 1 Thlr. 20 Ser. - 
Dies Werl behandelt vorzugsweiſe die natürlichen Yamilien, melde in 

Deutihland vertreten find. Es geſchieht das in der Meife, daß zuerit die 

widtigften Merkmale in Form einer ‘Diagnofe vorangefhidt und dann die 

Familien ausführlid und mit Hervorhebung der Abweichungen daralterifirt 

werden. Als Beifpiele werden bejonvers folhe Pflanzen hervorgehoben, 

welche für die betreffende Familie vorzugsweiſe charalteriſtiſch erfcheinen, denen 
dann noch ſolche angefügt find, welche durch ihre Producte oder ald Bier: 
pflanzen Anwendung finden. Die Slennzeihen ber Gattungen und Arten 


250 Naturkunde. 


fehlen gewöhnlih ganz. Behufs bes Weiterftubiums iſt bei jeder Familie 
die einfchlägliche Literatur aufgeführt, was eben fo wichtig als dankens⸗ 
werth ift. 

Das Buch kann ala eine tüchtige Arbeit bezeichnet werben. 


15. Pflanzenkunde für Schulen von Hermann Wagner. Zweiter Eur 
fus: Das natürliche Pflanzenfynem, an 36 beutiche Pflanzenarten auge 
ſchloſſen. Dritte, völlig umgearbeitete und mit zahlreichen Abbildungen 
verfehbene Auflage. 8. (X u. 258 ©.). Bielefeld, Velhagen und Klafing. 
1865. 3 Thlr. 

Diefe dritte Auflage ift ein meues Buch geworben, 36 Pflanzen bies 
nen als Nepräfentanten von eben fo viel Familien. Die für diefen Zwed 
gewählten Pilanzen find ausführlich beſchriehen, und zwar nad ihrer gan» 
zen Entwidelungsweife. Es wird mit der Betrachtung bes Samens bes 
gonnen, die allmählide Entwidelung deſſelben mitgetheilt und dann zu ber 
Beichreibung der vollkommenen Pflanze fortgejchritten. ch babe dies Ver 
fahren ſchon in früheren Bänden des Jahresberichtes als ein naturgemäßes 
empfohlen, war jedoch ver Meinung, daß es für bie richtige Auffafjung der 
Pflanzenentwidelung genüge, wenn eine mäßige Anzahl Pflanzen aus ver: 
ſchiedenen Abtheilungen des Pflanzenreihes in ihrer Gutwidelung aus dem 
Samen von den Schülern felbft im Laufe des Sommers un: 
ter Anleitung des Lehrers beobadtet würden. Ich halte dieſe 
Anfiht auch noch heut für richtig. Fuͤr Wagner's Verfahren gehören fehr 
begeifterte und fehr rührige Lehrer, wenn die Mittheilungen über die Ent: 
widelung der Pflanzen mehr als Wortwerk werden follen. Abgeſehen bier: 
von, find die Befchreibungen ver Pflanzen durchweg gut und ganz fo ab: 
gefaßt, wie fie im Unterriht verwandt werben können. Gute Abbildung 
der Heineren Theile der Bluͤthe und Frucht unterftüben den Text. An die 
Pefchreibung der Repräfentanten reibet fih eine fehr kurze, oft nur aus 
ein paar Worten beftehende Charakteriftit der belannteften Arten verfelben 
Gattung, dann werben die Gattungs⸗ und Familienkennzeichen mitgetbeilt, 
und zum Schluß wird auf verwandte Familien bingewiefen, gemwöhnlid 
au nur mit ein paar Worten. Daß ich dieſen Fortgang im Unterricht 
für den richtigen halte, ift aus meinen eigenen Arbeiten auf diefem Gebiete 
befannt ; ich halte aber dafür, daß man Behufs Aufftellung von Familien 
noch etwas mehr Material nöthig hat, ald Wagner gibt, oder daß man 
doch das von ihm angebeutete noch ausführlicher behandeln muß. 

Diefer Abweichungen ungeachtet empfehle ich aber das Buch doch ber 
Beachtung der Lehrer. 


16. Bilanzentunbe Für Schulen und zum Gelbfiunterrihte.e Bon U. 
Berthelt und Ernſt Beſſer. Dit vielen Abbildungen. Zweite, verbeſ⸗ 
ſerte und vermehrte Auflage. gr. 8. (X u. 229 ,. Leipzig, I. Klink⸗ 
barbt, 1866. 4 Thlr. 

Ueber die ganze Anlage des Buches haben wir im 14. Bande Bes 
riht erftattet und dort die Arbeit als eine für den Schul und Selbftunters 
richt brauchbare bezeichnet. Die Lehrerwelt hat diefe Anſicht getheilt, wie 








Naturkunde, 251 


die nad vier Jahren erfolgte neue Auflage beweiſt. Worin die Verbeflerun: 
gen und Vermehrungen befteben, ift natürlich ſchwer nachzuweiſen; aber 
ed läßt fih mit gutem Grunde annehmen, daß die Berfafler gewiſſenhaft 
dabei werden verfahren fein. . 


17. Populäre Botanik von Eduard Ehmiblin. gr. 8. Lieferung I— 

11 (30 Bogen und 30 colorirte Tafeln). Stuttgart, G. Weije. 1865. 

& Lieferung 4 Thlr. 

Die erften 224 Eeiten behandeln die allgemeine Botanik in einer dem 
gegenwärtigen Stanbpunfte im Allgemeinen entſprechenden Weije, wenn auch 
die neueiten Forſchungen noch nit überall Berüdfihtigung gefunden has 
ben. Der fpecielle. Theil gibt zunaͤchſt Anleitung zum Botanifiren und 
Planzeneinlegen, dann einen Schlüffel zum Unterfuchen der Gattungen und 
Arten der Pflanzen Deutſchlands, worin unſichere Aeußerlichkeiten, wie ber 
Habitus und die Blüthenmonate die Grundlage abgeben. So zmwedmähig 
es ift, dem Anfänger möglihft viel Hülfen zum Beltimmen zu geben, fo 
halten wir doch fo unfichere für wenig empfehlenswerth. Wir haben dafür 
ohnehin ſchon zwedmäßig eingerichtete Werte. Ein Werl wie bas vorlie 
gende hätte ſich diefe Aufgabe gar nicht ftellen, fondern vielmehr dem ab 
gemeinen Theile eine Beſchreibung ver heroorragenpfien Pflanzengeftalten 
anreiben und durch Abbildungen erläutern folen. Abbildungen find dem 
Werte allerdings auch beigegeben, aber viefelben find durchgaͤngig zu Hein 
und baber nur bem Kenner verftändlih, für ben fie natürlich üben 
flüſſig find. 


18. Die Gefäß-Tryptogamen Weftfalens von C. Berthold, Gymna⸗ 
fiolfehrer zu Brilon. 4. (36 S. u. 2 lithogr. Tafeln). Brilon, M. Fried⸗ 
länder, 1865. 4 Thlr. 

Diefe Heine Schrift enthält eine zufammenhängende Parftellung ber 
äußern Form und des innen Baues der Gefäß-Cryptogamen, eine fyite- 
matiſche Aufzählung und Beichreibung der bis jetzt aufgefundenen Arten 
und eine Ueberſicht über die Vertbeilung derjelben. Wenn der Verf. aud 
bier und da älteren Anfichten über den Bau der Gefäß-Eryptogamen be: 
richtigend entgegentritt, fo Tann man doch nicht eben jagen, daß er den 
Gegenfland felber weiter führt oder auch nur in allen Theilen dem 
gegenwärtigen Standpunfte gemäß barftellt, woran wohl die Abgelegenheit 
Brilon’3 von großen Bibliothefen einen Theil der Schuld tragen mag. 
Milde’s Arbeit über die höheren Sporenpflanzen Deutſchlands und der 
Schweiz fheint dem Verf. noch nicht zugänglid geweſen zu fein. 

Meftfäliihen Freunden der Botanik, fpeciell dieſer Pflanzengruppe, 
fann die Arbeit aber immerhin empfohlen werden, da die Beſchreibungen 
zur Beflimmung ausreihend und die Fundorte genau angegeben find. 


19. Das Pflangenleben, deſſen Wachtthum, Sprache und Deutung in Ger 
dichten und Ansiprühen. Ein Beitrag aur finnigen Betradtung ber Na- 
tur von M. ©. W. Brandt. 8. (XXXVII u. 579 ©) Frankfurt 
a. M., Chr. Winter, 1866. 


252 Naturkunde. 


Im Zabre 1851 ließ der Herausgeber ein ähnlihes Werl unter dem 
Titel „Die Pflanzenwelt, deren Leben, Sinn und Sprade in älteren und 
neueren Dichtungen’ erjcheinen. Die Liebe zu dem Gegenftande hat ihn wohl 
bewogen, denfelben noch ferner im Auge zu bebalten. lnbelannt gebliebene 
Quellen eröffneten fih ihm, Freunde halfen fammeln oder dichteten ſelbſt, 
und fo hatte fi nad und nad bei ihm Material zu einem zweiten Werke 
angejammelt, Das er jet unter dem Titel „Pflanzenleben‘’ darbietet. Wie 
in jenem Werte, fo wechſeln auch in diefem Dichtungen und Proſaaufſätze 
ab, doch herrſchen jene vor. Die verſchiedenſten Dichter und Schriſtſteller, 
befannte und unbelaunte Größen haben bazu beigefteuert, aud ber Heraus⸗ 
geber. In der Natur folder Dichtungen liegt es, daß fie ipmbelifiren. 
Das kann nad verſchiedenen Richtungen bin geſchehen. Der Herausgeber 
liebt von biefen nur die religiöfe, richtiger : die firenggläubige. Nach bies 
fer Bemerkung wiſſen die Lefer, was fie zu erwarten haben, und merben 
fih nicht überrafht finden, wenn fie Namen wie ob. Arnd (wahres Chri⸗ 
flenthum), Zac. Böhme, Hamann, Kriginger, Binzendorf u. A. begegnen. 
Neben ſolchen trifit man allerdings auch nicht felten Männer wie Herber, 
Nüdert, Uhland, Hoffmann von Fallersieben, R. Reinid ; aber dennoch 
bat Bas ganze Bud die bezeichnete Färbung, felbft die Ginleitung nicht 
ausgenommen. Ber nun den Etandpunlt des Herausgebers theilt, dem 
wird die Schrift manden Genuß gewähren, und denen fei fie empfohlen. 
Aber das können wir nicht wünſchen, daß der botanishe Schulunterricht 
eine Färbung diefer Art befommen möge ; von einer Benubung des Buches 
in diefer Richtung möge man daher abjeben. 


5. Mineralogie. 


20. Die neueften Kortihritte der Mineralogie unb Geognofie 
zufammengeflellt von F. U. Römer, Bergrath nnd Borland ber känigl. 
Bergalatemie zu Clausthal. (Eine Ergänzung der Syuopfis der Minera⸗ 
logie ımb Geognofie. Hannover, 1853.). gr. 8. (IH u. 59 ©.). Same 
ver, Hahn, 1865. 4 Thir. 

Der Verf. ift wiederholt aufgefordert worden, von feiner 1853 erſchie⸗ 
nenen „Synopſis der Mineralogie und Geognofie”, die den dritten Theil 
von Leunis' Eynopfis bildet, eine neue Auflage zu beforgen, hat aber zu 
jo einer umfaflenden Arbeit die Zeit niht finden fünnen. Damit feine 
Arbeit aber noch brauchbar bleibe, hat er fi zur Herausgabe der hier ge⸗ 
nannten Heinen Echrift entſchloſſen. Alle Entvedungen, die auf dem ge 
nannten Gebiete in den lebten 12 Jahren gemacht worden, find bier in 
Kürze niedergelegt und daher leicht zu überfhauen. Obwohl der Berf. ſich 
an feine Eynopfis anlehnt, fo ift diefe neue Schrift doch aud für andere 
ältere Schriften über Mineralogie zu gebrauchen und mird ſelbſt denen an» 
genehm fein, die fi nur fchnell mit dem Neueften belannt machen wollen. 


21. Die Mineralien nad den Kryſtallſyſtemen georbnet. Ein Leit- 
faden zum Beſtimmen berjelben vermittelt ibrer kryſiallographiſchen Eigen- 
Ihaften von J. Reinhard Blum. gr. 8 (VIn. 32 S.). Leipzig und 
Heidelberg, C. F. Winter, 1866. 5 Thlr. 





Naturkunde. 253 


Herr Profefjor Blum übt feine Zuhörer alljährlih in einem Pralti: - 


kum im Beftimmen von Mineralien. Eine reihe Sammlung von Kryftal: 
len liefert ihm bierzu das erwünjchte Material. Die Anwendung von Buchs 
ftaben für die Kryſtallſyſteme und Kryſtallgeſtalten geftattete große Kürze 
und Ueberfichtlichleit, zwei Eigenſchaften für ein zum Beftimmen bergeflells 
tes Buch, die für feine Brauchbarleit entſcheiden. Mit Benutzung eines 
Anlegegoniometerd wird daher Jeder, der die Sache ernftlih nimmt, feinen 
Zwed erreichen. 


22. Pragmatifhe Geſchichte von Entflebung, Geftaltung, Ber- 
wandlung, Sranit-, Eis⸗, Waſſer⸗, Iufeln-, Thier⸗, Men- 
fhen- und Mondbildung, Ueberfluthung, Zertheilung, Ocea⸗ 
ntrung und Fortentwidelung der Erde nad phyſiſch, geologiſch, 

Wbibliſch, mythiſch, gefchichtlihen Quellen, ein Buch für Schule und Haus 
son ae. gr. 8. (IV und 211 ©.). Münden, 2. Finfterlin, 1865. 

r. 


Was bisher über die Entſtehung, Geſtaltung ꝛc. der Erbe gejagt wor: 
den ift, genügte dem DBerf. nicht ; er unterwarf daher den Gegenftand einer 
neuen Prüfung. „Ich babe geſucht, jagt er, und mit Gottes Hülfe gefun- 
den, und übergebe meine Forſchungen ſowohl den Herren Fachgelehrten, als 
allen denkenden Menfchen, die nah der Erkenntniß Gottes und der nicht 
despotiſch verheimlichten, ſondern liebreih geoffenbarten Natur traten.’ 
Recht dankbar find wir dem Verf. dafür, daß er uns die Beurtheilung fei- 
ner neuen Hypotheſen dadurch ſehr erleichtert hat, daß er fie uns in einem 
turzen Paragraphen überfichtlih mittheilt. Wir maren dadurch der Mühe 
überboben, das ganze Bud zu lejen, was für einen Recenfenten unter Um: 
ftänden eine ſehr jchwere Aufgabe it. Um dieſe Mühe auch unfern Lejern 
zu erfparen, feßen wir dieſen Paragraph ber. 

„Nachdem ich bereits in der im Januar d. J. erfchienenen Brofchüre : 
„sur Offenbarung der Weltorbnung”, insbefondere Entftehung, Drehung 
und Mebrung ver Weltlörper die allgemeinen Gründe dafür aufgeftellt 
babe, daß alle Planeten und Firiterne magnetiih find, daß ſich alle 
duch magnetiihe Kraft um ihre Mittellörper bewegen und fi Dres 
ben müflen; daß durch ihre Drehung ihre Ausdehnung nothwendig 
wählt und durch Außere Ausdehnung ein innerer Hohlraum entfteben 
muß; daß fih dur ftete Vergrößerung des hohlen Baumes -die innere 
Hitze vermehrt ; daß die ftet3 größere Hiße die inneren Wände des Plas 
neten jhmilzt ; daß dadurch inwendig ein Schmelzfluß entfiehen muß, mels 
cher bei ftets fteigender Hike in Gas übergeht; daß durch dieſen Schmelz 
fluß die Wände des Planeten allmählich durchgerieben werden; daß der 
Schmelzfluß envlih den Gleicher durchbrechen muß und, einem Schleuder⸗ 
ftein glei, in den weiten Himmelsraum fortgefchleuvert wird und einen 
Cometen bildet ; daß auf diefe Art, wie alle Planeten, auch unjere Erbe 
aus der Sonne entſchleudert wurde und Anfangs ein Comet war: nad 
Allem dem kann ih nunmehr, nachdem jeit vem Erfcheinen obiger Broſchuͤre 
feinerlei Wivderlegungen () aufgetaudt find, zur bejonderen Geſchichte des 
Erdkörpers übergehen.“ 

Auch wir beabfihtigen „keinerlei Widerlegung“ dieſer lühnen Ideen, 


254 Naturkunde. 


bedauern aber, daß uns der Raum fehlt zu weiteren Mittbeilungen Ber 
28 Sgr. für feine Grheiterung ausgeben kann, dem können wir das Bad 
beitens empfehlen. Schon ver Radhmeis, daß Feldſpath von Welt: 
{path abgeleitet ift und Granit „Geranni“, „Grfigerann” be 
deutet, it allein 5 Sur. wertb. 


33. Histoire complöte de la grande eruption du vesuve de 
1631, avec la carte, au 1/25,000, de toutes les laves. de ce volcan, 
depuis le seizidme sidcle jusqu’au-jourdhui; par H. Le Hon. gr. 8. 
(64 ©.) Bruxelles, C. Muquardt, 1866. 

Der Veſuv gebört für uns zu den intereffanteften Bulcanen, da mir 
ihm am meiften Aufihluß über diefe großartige Naturerfheinung verdans 
fen. Es verlohnte fih daher wohl, ihn zum Gegenfland einer monogta⸗ 
phiſchen Arbeit zu machen und die große Gruption von 1631 zum Aus 
Hangepunlt zu nehmen. eine mühſamen Unterfuhungen bat ver Verf. in 
einem großen, fhön ausgeführten Kartenbilde aud bildlich dargeſtellt Gs 
find darauf mit verjchiedenen Farben und eigenthümlidher Schraffirung alle 
Lavaſtroͤme feit jener Zeit dargeſtellt. 


b. Für Sääler. 
= Für Schüler höherer Säulen. 
Alle drei Reide. 

24. Leitfaden für ben Unterridt in der Raturgefhichte Bon 
Karl Kopye, Vrefeſſer aut Oberlehrer am könial. preußgiihen Gynmaflam 
zu Sof. Dritte, werbeflerte Wuflage. gr. 8. (VII u. 184 ©.) Gfien, 
G. D. Bibeler, 1565. 2 Tplr. 

Die zweite, 1857 erſchienene Auflage baben wir im 11. Bande be 
fprodhen, die erfte im 8., und lünnen darauf zurüd verweilen. Die Schrift 
entfpriht den gegenwärtigen Anforberungen nit ganz, fon darum nicht, 
weil der innere Bau der Organismen, namentlid der Pflanzen, ganz unbes 
rädjichtigt geblieben iR. 


25. Naturgeſchich te. Der Ingend gewirmet von Hermann Wagner. Mit 
zablreihen Abbilbungen auf 18 celoririen Tafein und 32 Holsichnitten. 
br. 5. (IV m. 258 S.). Stattgart, 8. Thienemann's Berlag (Zul. Hoff» 
mann), 1565. cart. 1 Thlr. 


An Arbeiten, wie die vorliegende, haben ſich ſchon Biele verſucht, 
Wenige mit der Befähigung des Verfaſſers. Wagner beit reiche Specials 
tenutnifie und eine treffliche Darftellungsgabe. Daher kann er das Paf- 
fende wählen und richtig und angenehm vortragen. Dem Zwede ent 
fprehend, find in diefem Werte nur die intereflanteften Bertreter der widh-- 
tigften Gruppen aller drei Reiche behandelt werden, nicht in fpeciellen Be 
ſchreibungen, ſondern nad ihren Lebenderjbeinungen, ihrer Ontwidelung, 
ihren Bejiehungen zum einander, ihrer Pebentung für ven Menihen. Was 
die Beſchreibungen in Betreff der Ausfübrlichleit vermifien laflen, dad er⸗ 
jegen die beigegebenen, meiltens coloristen Abbildungen. Wir halten da⸗ 





Naturkunde, | 955 


für, daß der Berf. nach jeder Beziehung hin das Nechte getroffen hat und 
empfeblen daher fein Buch der Jugend mittleren Alters zur fleifigen Be 
nußung. 


26, Entbedungs-Reifen in ber Wohnftube. Mit feinen jungen Kreun- 
den unternommen von H. Wagner. Zweite, vermehrte und verbefierte 
Auflage. Mit vielen Abbilbungen, fowie mehreren Xonbildern. gr. 8. 
( u. 163 ©.). Leipzig, Spamer, 1866. 4 Thlr. cart. 3 Thlr. 


27. Entdelungs-Reifen in Hof und Haus. Mit feinen jungen Freunden 
anternommen von H. Wagner. Zweite, vermehrte und verbefferte Auf- 
lage. Mit 100 in den Text gebrudten Abbildungen, Buntdrud- und Ton⸗ 
—7— gr. 8. (VIII u. 168 S.). Ebendaſelbſt, 1866. 4 Thlr. cart. 
4 Thlr. 


28. Entdbedungs-Reifen in Flur und Feld. Mit feinen lieben jungen 
Freunden und Freundinnen unternommen von H. Wagner. Zweite, 
burchgefebene Auflage. Mit 110 Abbildungen, zwei Buntbrud- und brei 
—— gr. 8 (VIII und 164 S.). Ebendaſelbſt, 1866. 3 Thlr. 
cart. r. 


29. Entbedungs-Reifen im Wald und auf der Haide. Mit feinen 
lieben jungen freunden und Freundinnen unternommen von H. Wagner. 
Zweite, durchgefebene Auflage. Mit 130 Abbildungen, zwei Buntdruck⸗, 
zwei Tonbildern und einer Ertrabeilage von getrodneten Moovien. gr. 8. 
(VIII und 192 ©.). Ebendaſelbſt, 1866. 3 Thlr. cart. 3 Thlr. 


30. Entdedungs-Reifen in ber Heimath. II. Stabt und Fand. 
Naturgeichichtiiche Streifzlige in Mitteldeutſchland, mit feinen jungen Freun⸗ 
den unternommen von H. Wagner. Mit 100 Abbildungen, drei Ton« 
drud-, fowie einen bunten Titelbilde. gr. 8. (V un. 192 ©.). Ebendaſelbſt, 
1866. 3 Thlr. cart. $ Thlr., 


Diefe Schriften haben gleich bei ihrem erften Erſcheinen die Aufmerk⸗ 
ſamkeit der Lehrer: und Jugendfreunde auf fi gezogen und bereit3 den 
ihnen gebührenden Beifall gefunden. Der Verf. verfiebt e3 in hohem 
Stade, in anjhaulider und anmuthiger Weife über naturhiſtoriſche Gegen: 
ftände der mannigfachften Art zur Jugend zu reden. Mas er bejchreibt, 
bildet er zugleih mit kunftgeübter Hand nah der Natur oder nad guten 
Originalen ab, ohne fih dabei auf Zotalanfichten zu bejchränten, wie das 
jo oft in derartigen Schriften gefchiebt ; feine Abbildungen geben vielmehr 
ſtets Ginfiht von dem Bau der Objecte, wodurch allein tiefere Kenntniß 
erlangt werden Tann. 


Zoologie. 


31. Schul⸗Naturgeſchichte. Kine analytiſche Darflellung ber drei Natur- 
j reiche, zum Selbfibeftimmen der Naturkörper. Mit vorzüglier Berück⸗ 
Arion der nütlihen und ſchädlichen Naturlörper Deutſchlands für höhere 
ebranftalten bearbeitet von Dr. Johannes Leunis, Profeſſor der Natur- 
geihichte am Joſephinum in Hildesheim. Erſter Theil. Zoologie. Fünfte, 
verbefierte umd vermehrte Auflage. Mit 700 Abbildungen auf 500 Holy 
föden. gr. 8. (XVI und 367 ©.) Hannover, Hahn, 1865. 28 Sgr. 


Die Einrihtung des Buches iſt geblieben, da fie ih dem Verf. bes 
währt bat; aber innerhalb der einzelnen Abfchnitte find alle die Verän⸗ 


2866 Naturkunde. 


derungen angebracht worden, welche der Fortſchritt in der Zoologie fordert 
und dem Zwede des Buches dienlich find. Die Abbildungen find vermehrt 
worden. Das Buch kann ſonach von Neuem empfohlen werben, 


32. Naturgeſchichte. Thierkunde für TZöhterfhulen und deu Pri- 
vatunterriht. Mir befonverer Rückſicht auf den häuslichen Beruf des 
weiblihen Geſchlechts bearbeitet von Jakob Niedel, Lehrer an ber höheren 
Bürgerfchule [2 Heidelberg.” Mit 54 in den Tert eingebrudten Figuren. 
gr. 8. (XVI u. 278 ©.). Heidelberg, 3. Groos, 1865. 20 Ger. 

Der Berf. ift der Anficht, daß der Zwed des naturhiſtoriſchen Unter- 
rihts bei Maͤdchen erreiht ift, wenn fie die nöthige Stenntniß vom Bau 
der Thiere im Allgemeinen, von ihrer Lebensweiſe, ihren Eigenthümlichkei⸗ 
ten, ihrem Nugen und Schaden haben. In diefem Einne ift die vorliegende 
Arbeit ausgeführt. In allen Abtheilungen bejchräntt fih der Verf. auf Mit: 
tbeilung des Allgemeinften und defien, mas im Leben Verwendung zuläßt. 
Dabei geht er überall vom Allgemeinen aus und redet, wie nicht zu ver 
meiden, dabei von Specialitäten, wie wenn diefe den Stindern bereits be⸗ 
tannt wären. Für die Darfiellung hat er die Form des Vortrags in bem 
Grade gewählt, daß er felbft die Anredewörter groß jchreibt, das Thema 
abbricht, um feine Schülerinnen nicht zu ermüden u. |. w. Das ift jicher 
nit die Art, wie Mäpchen Raturgefhihte zu lernen baben. Statt 
ihnen Vorträge zu halten, gemähre man ihnen Anfhauungen und fordere 
fie zum eigenen Beobadhten auf. Daraus wird fih das gewünſchte „Al: 
gemeine über den Bau der Thiere‘‘ von felbit ergeben, außerdem aber noch 
viele Andere von nicht geringerer Bedeutung Gin Buch aber, welches 
dazu Anleitung geben will, muß etwas anders ausſehen, als das vor 
liegende. 


33. Hundert Bögel aus allen Ländern Zur Anſchauung und Beleh⸗ 
rung für Die Jugend in Karbendrud ausgeführt. Ler. 8. (8 Chromolith.). 
Stuttgart, 9. Müller. cart. 18 Ser. 

Die belannteren in= und ausländischen Vögel find nad ihrer natür 
lihen Verwandtſchaft zufammengeftellt und im Ganzen ziemlich gut gejzeich⸗ 
net und colorirt. Man kann das Werken daher jüngeren Schülern wit 
bejonderer Vorliebe für Ornithologie wohl in die Hände geben. 


Botanil. 


34. P. F. Türie’s Anleitung, die im mittleren und nörblihen Deutſch⸗ 
land wilbwadhfenden und angebauten Pflanzen auf eine leichte und fichere 
Weile durch eigene Unterſuchung zu beſtimmen. Elfte, verbefierte Auflage.- 
Dritte Auflage ber Bearbeitung von Auguft Lüben, Seminardirector in 
Bremen. 8. (VIII und 400 ©.). Leipzig, 3. €. Hinrichs'ſche Buchhand⸗ 
fung, 1865. 1 Thlr. 


Dieje neue Auflage enthält alle botanifchen Entdedungen, welde in 
den lebten Jahren in dem Gebiete, welches die „Anleitung“ umfaßt, gemadht 
worden find, ift alfo für dafielbe eine vollftändige Ylora der Phanerogamen 
und Gefaͤß⸗Kryptogamen. Die erflien 40 Seiten enthalten Alles, was ber 








Naturkunde. 257 


Anfaͤnger aus der Organographie und Syſtematik zu wiſſen noͤthig hat, um 
mittels des Buches jede ihm vorkommende unbekannte Pflanze durch eigene 
Unterſuchung beſtimmen zu koͤnnen. In der Tabelle für die Aufſuchung 
der Gattungen liegt das Linné'ſche Syſtem zu Grunde, während dagegen 
in dem zur Beſtimmung der Arten dienenden Theile die Anordnung nah 
einem natürlihen Spfteme erfolgt it. Dur dieſe Einrichtung wird der 
angehende Botaniter unvermerft mit beiden Spitemen zugleich vertraut. 
Um leiht möglihe Jrrungen zu verbüten, find bei den Gattungen und 
Arten jo viel Merkmale angegeben, daß bei aufmerkſamer Beobachtung Nies 
mand fehlgehen kann, wie zahlreiche Erfahrungen gelehrt haben. Vortheil⸗ 
bafte Drudeinrihtung hat es dabei möglih gemaht, dem Buche einen - 
Umfang zu geben, der die Taſche des reifenden Botanikers nicht fehr be: 
Ihwert. Das Werkchen darf ſonach Lehren, Schülern höherer Schul 
anftalten, Seminarien, Pharmaceuten und allen Freunden der Botanil von 
Neuem empfohlen werben, 


35. Zafhenbuh ber Flora von Nord- und Mittel-Dentidland. 
um Gebrauhe in Schulen und auf Ercurfionen, bearbeitet von Dr. Ern 
roffe. 8. (VI u. 236 ©.). Aſchersleben, O. Carſted'ſche Buchhand⸗ 

fung (L. Schnod), 1865. 121 Sgr. 

Dies Taſchenbuch umfaßt das Gebiet, welches Garde's Flora und Cüs 
rie's Anleitung, von mir bearbeitet, fich geitedt haben, Böhmen ausges _ 
jchlofien. Die Anordnung ift nad dem Linné'ſchen Spftem erfolgt. An 
Mertmalen find von Gattungen und Arten nur die eigentlich unterjcheiden: 
den aufgeführt ; von Charafteriftit der Gattungen und Arten ift aljo nicht 
bie Rede. Das Buch ift ein bürftiger Auszug aus Garde, der dur zahls 
reihe Abkürzungen unerquidlid wird. Wir halten Bücher, die über die 
Gattungen und Arten fo wenig Mertmale mittbeilen, mie bier gejchieht, für 
den Schulunterricht nicht für erfprießlich. 


36. Flora ber Umgegenb von Hamburg und Altona. Anweiſnug 
zum Beftinimen ber phanerogamiſchen Gewächſe der Heimath für Schüler 
und angehende Botaniker von $. C. Laban. 8. (III u. 164 ©.). Ham⸗ 
burg, B. ©. Berendſohn, 1865. 12 Ser. 

Diefe Flora hat im Ganzen die Einrihtung meiner Bearbeitung von 
Curie's Anleitung zum Befimmen der Pflanzen Nord: und Mitteldeutſch⸗ 
lands. Die erfte der drei Abtbeilungen dient zur Ermittlung der Linné'⸗ 
ſchen Klaſſen, die zweite zur Beftimmung der Gattungen mittels dichoto⸗ 
miſcher Zabellen, die dritte zur Beitimmung der Arten. Gin Anhang gibt 
eine Weberfiht der im Gebiete vorkommenden Pflanzenfamilien. In der 
dritten Abtheilung ift die Anorpnung nah Koch's Flora erfolgt. Die 
Kennzeihen der Sattungen find bier im Zufammenhange wiederholt, was 
zwedmäßig if. In der Angabe der Merkmale beſchränkt fi der Verf. 
überall auf das geringfte Maß, auf die eigentlich unterjcheidenden Merl 
male. Blütbezeit, Größe und Standort find überall hinzugefügt. 

Die Lehrer und Schüler der Hamburger Schulen find dem Verf, für 
diefe Arbeit zum Dank verpflichtet, 

Bäb. Jahresbericht. XVII. 17 


258 Naturkunde, 


37. Flora des Herzogtbums Holftein, bes Fürſtenthums Lübed, 
der Stadt Tübed und deren Umgegend. Anweiſung zum Selbſt⸗ 
beflimmen aller im Herzogthum Holftein, ım Fürſtenthum und anf tem Ges 
biete ter Stadt Füred mild wacdhtenden phanerogamiſchen Pflanzen, für Echü⸗ 
ler, angehende Botaniker und PBharmaceuten von F. K. Kaban. 8. (V u. 
250 S.). Hamburg, B. S. Derendiohn, 1866. 

Bon Lübed und Holftein aus bat man gegen den Verf. den Wunſch 
audgeiproden, ihnen für ihre Gebiete eine Flora anzufertigen, wie die eben 
beiprodhene von Hamburg. Cine jolde zu liefern, konnte dem Berf. nicht 
ſchwer werden, da es ſich im Grunde nur darum handelte, den in der Hams 
burger Flora aufgeführten Pflanzen die Stanvörter von Lübed und Hob 
ftein hinzuzufügen. Daher ftimmen beide Schriften in allen andern Theilen 
auch fajt wörtlich überein. 


38. Flora des Herzogthums Lauenburg, oder Aufzählung und Beſchrei⸗ 
bung aller im Herzogtum Lauenburg wiltwachjeuden ‘pflanzen. Bon 
Dr. W. Klatt. 8. (II und 224 ©.) Hamburg, W. Jowien, 1865. 
24 Syr. 

Einen wiflenfhaftlihen Werth bat diefe Flora nit, beaniprudt fie 
auch wohl nicht. Dagegen Türfte fie fich Freunden der Botanik jenes Lund: 
hend und dortigen Eulen in ihrer Beſchränkung empfehlen. Die Un: 
ordnung ift nach einem natürlihen Epftem erfolgt. Familien, Gattungen 
und Arten find für ben bezeichneten Gebrauch ausreichend charakteriſirt, 
jedoch nicht bejchrieben, wie der Titel vermuthen läßt. 


39. Norddentſche Anlagen-Klora, oder Anleitung zur fchnellen Beftim- 


mung der in den öffentlichen Unlagen towie in den gewöhnlichen Yuftgärten 
. NE. Klatt. Mit 


vorlommenten Zierbäume und Zierſträucher. Von 
30 lıthogr. Zafıın Zeichnungen des Berfaſſers. gr. 8 (AU u. 84 E.). 
Hamburg, W. Jowien, 1865. 18 Sgr. 


Dies Werk enthält: 

1. eine Beitimmungstabelle der Zierbäume und Sträucher nach den 
Blättern, 

2. eine Ueberfiht der Bierbäume und Sträucder nad dem Linné⸗ 
fhen Geſchlechtsſyſtem, 

3. eine Ueberſicht der Zierbäume und Sträuder nad) dem natür 
lihen Syſtem, und vollftändige Beſchreibung berjelben, 

4. Ungaben über die techniſche Benußung der Zierbäume und 
Bierfträucher, die ſich in unfern Anlagen und Luftgärten 
finden. 

Ein Werk dieſer Art kann für Laien in der Botanik als nützlich be 
zeichnet werben, und mir würden das vorliegende empfehlen, wenn ſich der 
Berf. etwa mehr Mühe gegeben hätte, feinen Gegenftand erj&höpfender zu 
behandeln. Co aber fehlen gar mande Bäume und Sträuder, bie ſich 
z. B. in ven öffentlihen Anlagen Bremens, das dod auch zu Norddeutſch⸗ 
land gehört, vielfah finden. Die Zahl der bejchriebenen Arten beläuft 
ih auf 157. Bon jeder Art ift ein Blatt abgebildet, was Anfängern 
immerbin eine gute Crleichterung gewähren wird. 








Naturkunde. 259 


Mineralogie, 


40. Leitfaden zum mineralogiihen Unterriht an Gymnaſien nud 
Gewerbſchulen. Bon Dr. Th. JIſchokke, Profeflor an ber aargauifchen 
Santonejchule. Zweite, verbefierte Auflage. gr. 8. (Illu. 47 ©.) Aarau, 
H. R. Sauerländer, 1664. 6 Sgr. 

Der Verf. wünfcte für feine Schüler ein Buch, das ihnen die nöthig: 
ften Anbaltepunlte gewährte, eine fruchtbare Wiederholung erleichterte, aber 
feine Vorträge nicht entbehrli machte. Darum verfaßte er den bier ges 
nannten Leitfaden. Cr enthält die SKennzeichenlehre, eine Ueberficht der 
Stunpftoffe, eine zum Beſtimmen tauglide Weberjiht des Mineralreiches 
in analytiſcher Form, und eine fpecielle Orpktognofie, die zujammengejeßten 
Mineralien mit eingefhlofien. Die Anordnung ift eine natürliche. 


41. Leitfaden der Naturgeſchichte für höhere Schulen und zum Selbſt⸗ 
unterricht mit beſonderer Berückſichtigung bes Alpenlandes von G. Theo- 
bald, Brofefior an der Kantonsfhule zu Chur. Mit Abbilbungen im 
Holzichnitt. Dritter Theil. Mineralogie (X u. 263 ©.) Chur, 2. 
His, 1865. 20 Ser. 

Das Buch bebandelt die Orpktognofie und Geologie, beide in wiſſen⸗ 
ſchaftlicher und für ven Zweck höherer Lehranftalten ausreichend ausführ: 
licher Darftelung. Auch die Anwendung der Mineralien ift überall berüds 
fihtigt worden. Wegen ver fpeciellen Bezugnahme auf die Alpen empfiehlt 
ich der Leitfaden vorzugsweiſe den höheren Sculanftalten der Schweiz. 

Den erſten und zweiten Theil dieſes Wertes haben wir fchon früher 
angezeigt ; jener erihien 1863, dieſer 1864. 


3. Phyſik. 


. a Kür Lehrer. 


42. Erfier Unterricht in ber Phyſik. Anleitung zum Gebraud ber für 
die württembergifhen Bollsihulen zufammengeflellten pbyfitaliichen Appa⸗ 
rate. Mit Genehmigung der königlichen Commiſſion filr die gewerblichen 
Fortbildungsichulen bearbeitet von Reallehrer Bopp. 8. (44 ©.). Ra⸗ 
vensburg, Dorn, 1865. 4 Sgr. 

Die Grundlage für den in diefem Büchlein ertheilten Unterricht bilden 
die oben aufgeführten phyfitalifhen Apparate. Es wird dabei immer von 
Berfuhen ausgegangen, wie die Methodik es verlangt. Die Darftellung 
ift verſtaͤndlich; das Büchlein kann daher Lehrern und Schülern zum Ges 
brauch empfohlen werben. 


43. Phyſikaliſches Hanpwörterbucd. Hülfebuch für Jedermann bei phy⸗ 
fitaliſchen ragen. Mit in den Text eingedrudten Holzichnitten. Bearbeitet 
von A. H. Emsmann, Dr. und Profeſſor. Zwei Bände, gr. 8. (IV, 
565 u. 714 ©.). Leipzig, Otto Wigand, 1865. 53 Thlr. 
Bei dem heutigen Umfange der Phyſik und den ſich völlig drängen: 
den Entdedungen in dieſem Gebiete ift ein phyſilaliſches Handbuch, das über 
das Vorhandene Auskunft gibt, für Alle Bedürfniß, die für biefen Gegen 


17* 


260 Naturkunde. 


ftand Sinterefie haben. Verbindet ein ſolches Buch in den einzelnen Ar⸗ 
titeln mit der erwünjchten Bouftändigleit Kürze, jo ift es um fo angeneh⸗ 
mer und braudbarer. Dies kann im umjfajjendften Sinne von dem bier 
genannten Merte gejagt werden. Ich habe eine Reihe Artifel eingehend 
geprüft, aber keinen gefunden, ver mid nicht vollftändig befriedigt hätte, 
Das Ruch kann daher Allen, die fih auf dem gegenwärtigen Standpunkte 
der Phyſik erhalten wollen, beftens empfohlen werden. 
Die Ausstattung ift ſehr anſprechend. 


44 Oründlicher Einblid in bie gebeimnihvollen Wunder ber 
Naturkräfte. Bepuläre Naturmiflenfhaft zur Seibfivelehrung. In an⸗ 
ziebeuder und leicht faßliher Korm für dem benfenden Mann, die wißbe⸗ 
nierige Jugend, fomie aud für die gebildete Damenwelt bearbeitet von 
Emil Bio. Erſtes für ſich völlig abgeſchloſſenes Bändchen: Die Luft 
und ihre Wirkungen. 8. (X u. 93 ©.) Augsburg, in Commiſfion 
von 3. A. Schlofler, 1865. 12 Sgr. 

Schon mehrere Jahre bat fih ver Verf. mit dem Gedanken beichäf: 
tigt, „ob denn feine Möglichkeit vorhanden fei, die Naturwiflenfchaften in 
eine Form zu kleiden, in welder fie jeder Gebildete, der ſich für dieſelben 
intereffirt, wenn er auch durchaus feine mathematiſchen Vorkenntniſſe befißt, 
nicht nur gründlid und wiſſenſchaftlich erfaflen kann, ſondern daß diejelben 
zugleihb aud eine angenehme und anziehende Unterhaltung in den Mufe: 
ftunden (Mußeftunden) bilden.” Nachdem er fih alle Echwierigleiten ‚nor 
tirt“, die er bei feinen eigenen Studien kennen gelernt hatte, glaubt er 
„Died hohe Ziel’ erreihen zu können. Wodurch? Dadurch, daß er die 
Briefform mählte, die ihm geftattete, breit und rebfelig zu merden. Zu 
folhen Anſchauungen gehört in der That eine große Naivetät. 

Mer dieſe Form liebt, der wird in biefem Büchlein feine Rechnung 
finden. Um dem Berf, gerecht zu werden, fei bemerkt, daß die behandelten 
Gegenftände zu den interefjanteren der Quft gehören, daß der Berf. jedoch 
Mandes mit beranzieht, was man nad dem Specialtitel nit erwarten 
durfte. 


b. Für Schüler höherer Säulen. 


45. Compendium ber Phyfit von Theodor Sob, Dr. med., Brofeffor 
der Phyſik in der philoſophiſchen Section des königl. Lyceums zu Bamberg. 
Mit 61 Helzſchnitten. gr. 8. (U u. 279 S.). Grlangen, Ferd. Enke, 
1866. 1 Thlr. 6 Sgr. 

Das Bub ift, wenn das auch weder auf dem Titel noch in einer 
Borrede gejagt wird, für den Unterriht in höheren Schulanftalten beftimmt, 
da es ſich auf die höhere Mathematik ftügt. Hierfür wird es fich feiner 
Ueberſichtlichkeit und Klarheit wegen als fehr braudbar erweiſen. Jutereſ⸗ 
fant ift die Gruppirung des Materiald. Der Berf. bat nur drei Hanpt- 
abſchnitte: I. Allgemeine Phyſik. IT. Phyſik des wägbaren Stoffes. 
(Bleihgewiht und Bewegung der feften Körper. Die Zlüffigfeiten. Die 
Bafe. Lehre vom Ecall.). III. Phyfit des Aethers. (Liht. Wärme. 
Magnetismus. Gieltrictät.). 





Naturkunde. 261 


46. Die Phoſik, für den Schulunterricht bearbeitet von Albert Trappe, 
Königl. Profeffor und Prorector an ber Realihule am Zwinger zu Bres⸗ 
lau. Dritte, welentlich verbeflerte und bereicyerte Auflage. Mit 245 in ben 
Tert gebrudten Abbildungen. gr. 8. (VII u. 296 ©.). Breslau, Ferd. 
Hirt, 1865. 25 Sgr. 

Die zweite Auflage haben wir im 12. Bande beurtheilt und nad 
mehrfacher Beziehung hin als ein „recht braudbares Schulbuch” bezeichnet. 
Die vorliegende dritte Auflage hat außer mancherlei Berbeflerungen einen 
ziemlich umfangreihen Abjchnitt über Chemie erhalten, dasjenige nämlich, 
was hieraus in Gymnafien gelehrt zu werben pflegt. Jedenfalls hat das 
Wert dadurh an Brauchbarkeit noch gewonnen. 


47. Lehrbuch der Phyſik für Schule und Haus. Bon Dr. Heinrich 
Bolze. Zweite, vermebrte und verbefierte Auflage. gr. 8. (III u. 294 ©.). 
Cottbus, U. Heine, 1965. 27 Sgr. 

Die zweite Auflage unterfcheidet fi) von der erften der Hauptſache 
nah nur darin, daß die Abjchnitte „Polarismus“ und , Geometrifhe Auss 
einanderfeßungen” meggelafien find und dafür ein kurzer Abriß der Chemie 
hinzugefügt if, der an den Schluß geftellt wurde. Sonſt bemühte ſich der 
Berf., noch größere Kürze und Schärfe in der Darftellung zu erzielen. Dies 
Streben ift von Erfolg gemefen ; denn das Lehrbuch zeichnet ſich in der 
That dur erfreuliche Klarheit aus. 


48. Anfangsgründe der Naturlebre von Dr. 3. Frick, Großberzogl. 
Bad. Schulrath. Fünfte, gänzlich umgzarbeitete Auflage. Mit 254 in dem 
Tert gebrudten Holzſchnitten. gr. 8. (XIII u. 217 S.). Freiburg i. Br., 
Fr. Wagner, 1865. 27 Sgr. 

Die früheren Auflagen waren für die höheren Bürgerfhulen und bie 
mittleren Klaſſen der Oymnafien beftimmt, enthielten daher Manches, was 
für Letztere nicht ganz geeignet erſchien und durch Sternchen bezeichnet wor: 
den war. Die meitere Entwidelung der höheren Bürgerſchulen erforderte 
nah und nad einen umfangreicheren Unterricht, das Bud wollte daher für 
diefe Anstalten auch nicht mehr recht paſſen. Diefe Umftände haben den 
Berf. bewogen, dafjelbe nur für die mittleren Klafien höherer Echulanftals 
ten zu befliimmen und darnach neu zu arbeiten. Daß die Arbeit dadurd 
an Braudbarleit gewinnen mußte, leuchtet ein; fie bat nun einen Kreis, 
in dem fie ganz genügt. 


49. Lehrbuch ber Phyſik für bie unteren Klafjen der Mittelfhu- 
fen. ®on Dr. Georg Ullrich, Director der Landes⸗Oberrealſchule im 
Krems. Mit zahlreihen in ben Tert gedrudten Holzichnitten. 8. (III u. 
150 S.). Wien, Sallmeyer u. Komp., 1865. 3 Thlr. 

Für die auf dem Titel genannten Klafjen gehört dies Buch zu den 
beiten, die uns feit längerer Zeit vorgefommen find. Der Verf. gebt 
überall von Erfheinungen und Berjuhen aus, deutet diefelben jedoch mehr 
an, und fchließt hieran die Begriffsbeftimmungen und Folgerung in fehr 
befimmter und fnapper Form, woraus dem Ecüler für feine Wiederho— 
langen eine große Hülfe erwaͤchſt. Für die Wiederholung ver im Unter: 


262 Naturkunde. 


richt gehabten Anſchauungen geben die ſaubern Abbildungen genügenden 
Anhalt. Die Ausflattung iſt anſprechend. 


50.0 Aufgaben aus der Phyfit nebfl einem Anbange, pbofitalifche Tabellen 
enthaltend. Zum Gebrauche für Lehrer und Schüler in höheren Unterrichts⸗ 
anftalten und befonders beim Selbftunterricht bearbeitet von Dr. C. lied: 
ner, ordentlihem Sauptlehrer am Gymnaſium zu Sanau, früher an ber 
Realſchule daſelbſt. Mit 55 in ben Tert eingebrudten Holiftiden. gr. 8. 
(XII, 118 u. 25 ©.‘. Braunſchweig, Fr. Bieweg u. Sohn, 1865. 16 Ber. 

51. Aufldöfungen zu ben Aufgaben in ber Phyſik. Mit 103 in ben 
Tert einnebrudten Holzſtichen. Dritte‘, verbeſſerte und vermehrte Auflage. 
gr. 8. (II u. 165 ©.). Ebendaſelbſt, 1865. 24 Ser. 

Dir haben uns bereits über die früheren Auflagen anertennend aus: 
geſprochen und können uns daher mit Wiederholung unferer Empfehlung 
begnügen. 


52. Die Mechanik. Em Lehr- und Handbuch zum Gebrauche an Gewerbe 
und Realſchulen, fowie zum Privatſſudium von Dr. Julius Wend, Di- 
rector ber herzoal. Gewerbeſchule zu Gotha. Mit 175 Figuren in Holy 
fohnitt. gr. 8. (X u. 493 S.). Leipzig, F. 4. Brockhaus, 1866. 13 Thlr. 

Eeit der Zeit, mo neben dem Baufahe das Mafchinenwefen einen 
hoben Aufſchwung genommen, bat man aud in den höheren modernen 

Schulanſtalten, fo namentli in den Gewerbe: und Realſchulen, der Me 

chanik größere Aufmerkſamkeit zugewandt und fie wiederholt jelbitftändig bes 

arbeitet. Diefen früheren Bearbeitungen reihet fih die bier genannte in 
mürdiger Weife an. Der Verf. war zunaächſt darauf bedacht, dem Lernen: 
den ein klares Bild von den Gefepen der Mechanik und ihrem Zuſammen⸗ 
bange zu geben und Beides dann dur ausgeführte Beijpiele zu fördern. 

Die Anwendung diejer Gejeße auf das Mafchinen: oder Baufach blieb aus 

geſchloſſen, ein Verfahren, was Billigung verdient, 


53. Leitfaben für den Unterridt in ber reinen und angewandten 
Mechanik! Bon Dr. Paul Wiecke. Mit 46 eingebrudten Holzſchnitten 
und 1 litbographirten Tafel. gr. 8. (ITT und 172 ©.) Leipzig, Otto 
Wigand, 1865. 20 Sgr. 

Von der Wend'ſchen Schrift unterſcheidet ſich dieſe durch größere Knapp⸗ 
beit, eine geringere Anzahl von eingedrudten Figuren und durch größere 
Rudfihtnahme auf die Anwendung der Mechanil. Da der Vortrag ein 
Harer ift, jo wird fih das Buch als Leitfaden” gewiß aud als brauchbar 
erweijen, namentlih auch als Anhalt für felbitftändige Durcharbeitung des 
im Unterrichte Gebörten. 


54. Bopuläre Phyſit oder leihtfaglihe Naturlehre für Töchter» 
ſchulen. Mit befonderer Rüdfiht auf den häuslichen Beruf des weiblichen 
Geſchlechts bearbeitet von Jakob Miedel, Lehrer an ber böberen Bürger- 
ſchule zu Heidelberg. Mit 75 in den Tert eingebrudten Figuren. gr. $. 
(XIX u. 224 &.\. Heidelberg, I. Groos, 1662. 20 Ser. 


Der Verf. weiß von feinem Buche viel Vortrefflihes zu jagen, hätte 
aber jedenfalls befier gethan, das Nühmen unparteliihen Recenfenten zu 





Naturkunde. 263 


überlafien. Wenn wir aud zugeben, daß der Verf. im Ganzen ben rid: 
tigen Stoff für höhere Töchterfchulen. gewählt bat, fo müflen wir doch auch 
von diefer Arbeit jagen, was wir oben über die „Thierkunde“ des Verfaſ—⸗ 
ſers ausſprachen, daß fie nämlid an unangenehmer Breite leidet. 

Was der Verf. über den Gebrauh feines Buches in der Vorrede 
fagt, läßt ung feine ſehr günftige Meinung über feine methodifchen Grund: 
fäge befommen. Tarnad wird „ver Pehrer am beiten thun, jeden einzelnen 
Baragraphen vorher von den Schülern lefen zu lafjen, und ihn felbit nad: 
ber in feinem Vortrage erklären, ergänzen oder weglafjen, was er für gut 
findet. Das auf diefe Weile in einer Stunde Durcdhgenommene kann dann 
für die nächſte Stunde aufgegeben werden, damit fo auf dem Wege des 
Privatfleißed das Gelernte mehr befeftigt werde und in Fleifh und Blut 
abergehe.“ 


e. Für Schüler in Volkeéſchulen. 


55. Naturlehre für Volksſchulen und Fortbildungsſchulen von. 
Miedel, Lehrer an ver höheren Bürgerſchule zit Heidelberg. Dritte, ver» 
mebrte und verbejlerte Auflage. Mit 23 Holzſchnitten. 8. (57 5.) Hei⸗ 
beiderg, G. Weiß, 1865. 4 Sgr. 

Diefe Heine Schrift ift ein gedrängter Auszug aus des Verfaſſers 
oben bejprodener „Phyſik für Töchterjchulen‘‘, hat daher audy diefelbe An: 
ordnung, d. h. diefelbe, die den Büchern für höhere Schulanftalten eigen 
ift, wonach mit den allgemeinen Eigenfihaften begonnen und mit dem Welt: 
gebäude gejhloflen wird. Daß diefe Anordnung einen Kortichritt vom 
Leitern zum Echwerern nit in ſich ſchließt, ift befannt. Gehen wir das 
von ab, jo können wir von dem Büchlein jagen, daß ed das Wichtigfte 
aus der Naturlehre für Kinder der Volksſchule darbietet, auch in angemeſſe⸗ 
ner Form; man kann fich deſſelben daher wohl für den Unterricht bedienen. 


4 Chemie. 


56. Grundriß der Chemie. Gin Leitfaden für den Unterricht an Gewerbe⸗ 
ſchulen und verwandten Lebranftalten. Unter Beriidfihtigung der Beftim- 
mung der Schulordnung für bie techniſchen Lehranftalten bearbeitet von 
Dr. &. Nuchte, Lehrer ber Chemie und Naturgeſchichte an der königl. Ge⸗ 
werbeihule zu Neuburg a. d. D. gr. 8. (VII u. 338 S.). Rofenheim, 
&. Huber, 1866. 24 Ser. 


Die Anorbnung des Materials ift die gemöhnlide. Es wird nämlid 
das Allgemeine vorausgefhidt, dann die anorganiſche und hierauf die or: 
ganiſche Chemie abgehandelt. Den Schluß macht eine kurze Geſchichte der 
Chemie. Anerlennenswerth ift, daß der Verf. eben fo ſehr nach klarer Eins 
ficht, ala nad) Verwendbarkeit des Wiſſens im Leben, namentlih im Bes 
reich der Gewerbe und Fabriken, ftrebt. Aus diefem Grunde kann das 
Buch den auf dem Zitel genannten Anftalten beftens empfohlen werden. 


57. Anfangsgründe ber unorganifhen Chemie. Bearbeitet von L. 
riße, Lehrer am Scullehrer Seminar zu Oranienburg. br. 8. (Il u. 
112 &.). Brandenburg, A. Müller, 1865, cart. 10 Ggr, 





264 Raturkunde. 


Was Boftel Iund Schlichting in ihren früher von uns beſprechenen 
Schriften anftrebten, verfuht der Berf. diefer „Anfangsgründe.” Eein Ber: 
fahren ift weder von dem dieſer Echriftfieller, nody von dem Stöchardt's, 
dem Begründer der richtigen Methode für den Unterricht im der Chemie, 
verfhieden ; aber er bietet etwas weniger Stoff als jene, wogegen wir an 
und für fih nichts zu erinnern haben. Wir würden uns vielmehr jehr 
freuen, wenn erft endlich in allen deutfchen Seminaren fo viel Chemie gelehrt 
würde, als bier geboten wird. Hoffentlich ſchließt aber der Verf. Die ar: 
ganiſche Chemie nicht ganz aus, da fie für das Leben von großer Wich⸗ 
tigteit it und außerdem Auffchluß über die Zufammenfegung der Organis- 
men gibt. 


58. Chemiſche Bilder aus dem Alltagsleben. Nah dem Englildhen 
bes James Johnſton. Neue Ausgabe. gr. 8. (XVI u. 460 ©.). Leip- 
zig, Senf, 1865. 1 Thlr. 

Dies Werl erihien 1854 und hat feitvem feine neue Auflage erlebt ; 
auch die jetzt vorliegende ift nur eine Titel-Ausgabe.. Man muß fi dar: 
über wundern, denn die Schrift ift wirklich gut; fie verbreitet ſich, aͤhnlich 
wie Ule's Chemie der Küche, über die wichtigſien ®egenftände für das 
menſchliche Leben, und belehrt in ſehr anſchaulicher und anziehender Weile 
darüber. 


59. Zeitfährift für Chemie, Archiv für das Gefammtgebiet ber Wifien- 
haft. Herausgegeben von F. Beilftein, R. Fittig und H. Hübner in 
Böttingen. Neuer Jahrgang. — Neue Folae. II. Band. 1. Heft. gr. 8. 
(2 Bogen). Leipzig, Quandt u. Händel, 1866. Jahrlich: 34 Thlr. 

Dieje Zeitfchrift hat fi eine doppelte Aufgabe geftellt: raſche Veröf 
fentlihung eingefandter neuer Driginal:Arbeiten und auszugsweife Mitthei⸗ 
lung aller irgend zugänglichen in: und ausländifhen neuen Abhandlungen. 
Dadurch bildet fie gewiſſermaßen einen laufenden Jahresbericht für vie 
Chemie, was für vielbejdhäftigte Chemiler und Alle, die fihb mit den 
Fortſchritten der Chemie vertraut halten wollen, fehr widtig if. Daß die 
Zeitſchrift diefe Aufgabe jehr gut löſt, ift befamnt. - 


5. Technologie, 


60. Lehrbuch der hemifhen Tehnologie, Bon Dr. Jof. Joh Pebl, 
Profeflor ver Chemie und Technologie am k. k. polytechuiſchen Infitut im 
Wien. Ginleitung zur chemiſchen Technologie. Erſte Hälfte Mit 57 dem 
Terre eingebrndien Holzſchnitten. gr. 8. (208 ©). Bin, B. Braw- 
müler, 1865. 14 Thlr. 


Die Einleitung zur chemifhen Technologie zerfällt in einen allgemei: 
nen und einen bejondern Theil ; erfterer Tiegt ganz vor (S. 1— 176), leß⸗ 
terer iſt erft begonnen. Der Berf. hatte bei der Abfafiung ficher das po: 
Intechnifche Inftitut vor Augen, an dem er als Brofefior wirt. Seine 
- Darftellung ift daher eine gelehrte, immerhin aber ſehr Klare und anfchauliche. 

Für Anftalten, wie die genannte, kann das Buch daher als ein vortrefi: 
liches bezeichnet werden. Die Ausftattung deſſelben ift fehr gut. 








Naturlunde 266 


6. Landwirthſchaft. 


61. Ueber die Berückſichtigung volkswirthſchaftlicher Geſichte— 
punkte im gefhihtlihrgeographifhen Schulunterricht. Ein 
Vortrag, gehalten in der Berfammlung mittelrbeiniicher Lehrer an Real⸗ 
fhulen und verwandten Schulanflalten, von Guſtav Chun, Oberlebrer in 
Frankfurt a. M. gr. 8. (II u. 12 S.). Frankfurt a. M., 5. 8. Auf 
fartb, 1865. 2 Ser. 

Der Berf. verlangt, dab im Unterriht in der Geographie und Ge: 
ſchichte volkswirthſchaftliche Gefihtspunfte genommen und vollswirthicaft: 
lihe Grundſätze zur Beiprehung gebracht werden follen. In dem Bor: 
trage wird das aber mehr angedeutet als klar gezeigt, mas darin feinen 
Grund bat, daß der Verf. beftrebt ift, das Weſen der Volkswirtbſchaft dars 
zulegen, ftatt vorauszuſetzen. Wir geben übrigens dem Berf. injofern Recht, 
ale wir der Anficht find, daß Geſchichtsunterricht, der ſich's nicht zur Auf 
gabe macht, die Entwidelung des Menſchengeſchlechts zu zeigen, von unter: 
georbnetem Merth iſt. Gefchieht das aber dagegen, fo knupfen fih daran 
ungeſucht vollswirthſchaftliche Lehren. Rur warnen wir vor dem Zuviel, damit 
nicht die Hauptfadhe beeinträchtigt wird. Cs dürfte übrigens zmedmäßig fein, 
die Idee durch Beifpiele zu erläutern, wozu wir dem Berf. den Praktiſchen 
Schulmann empfehlen. 


62. Landwirthfhaftiihes Leſebuch von Dr. Friedrich von Tſchudi. 
Bom ſchweizeriſchen landwirthſchaftlichen Berein getrönte Vreisſchrift. Vierte, 
verbeſſerte Auflage. Mit 61 Abbildungen. gr. 8. (XIII und 388 S.). 
Frauenfeld, 3. Huber, 1865. 1 Thlr. 

Dies mit großem Beifall in der Schweiz mie in Deutichland aufges 
nommene Buch bat folgenden Anhalt: 1. Von der Landwirtbicbaft und dem 
Landwirt. 2. Bon Luft, Wafler, Wärme und Licht. 3. Der Boden und 
bie Bodenbearbeitung. A. Bom Dünger. 5. Vom Bau und Leben der 
Pflanzen. 6. Die verfchiedenen Adergewaͤchſe. 7. Obft und Wein. 8. Die 
Hausthiere und ihre Pflege. 9. Allerlei Lehren und Betradhtungen. 

Der Berf. bat fein Leſebuch für Yortbildungsfchulen beftimmt, nicht 
für die Volksſchule, die ſich direct nit mit der Landwirthſchaft befafien 
fann. Die ganze Haltung defjelben ift eine vortreffliche; denn während 
die Verfaſſer ähnlicher Schriften nit aus den Kuh⸗ und Schweineſtaͤllen 
beraustommen, bemübt fi Tſchudi, feine Leer anzuregen, das Selbftven: 
fen zu weden und zu fördern und fittliche Lebensanfhauungen zu befeitigen. 
Es ift für ſchweizeriſche Schulen beftimmt und nimmt ganz direct auf dor⸗ 
tige Verhältnifie Rüdficht ; da aber die landwirthſchaftlichen Verhältnifie in 
Deutihland mit denen der Schweiz in vielen wejentliben Stüden überein: 
flimmen, fo verdient das Buch au von deutfchen Lehrern und Landwir⸗ 
then Beachtung. 


63. Anleitung zur Obſtbanmzucht in Schullehrerjeminarien, in 
Werktags- und Kortbilbungsihulen. Bon F. 3. Bobdenmüller, 
Geminardirector in Ettlingen. Dritte, verbefferte Auflage. Mit vier litbo- 
arapbirten Tafeln. gr. 8. (VIII u. 48 S.). Ettlingen, F. Diehm'ſche 
Buchdruckerei, 1866, 


266 Naturkunde. 


Dies Schriftchen behandelt die ganze Obftbaumzudht fo Mar und «. 
ſchaulich, daß jeder ſich felbit darnach unterridten kann, woraus von felbk 
folgt, daß es fi jehr gut für den Unterricht in Seminaren und Schulen 
eignet. Der preußifche Uinterrichtsminifter und der badiſche Oberſchultath 
baben das Büchlein für den gedachten Zwed betvefienden Orts empfohlen, 
welcher Empfehlung wir uns gern anſchließen. 


64. Die Maikäfer und Engerlinge, mit befonberer "Berüdfichtigung ihrer 
Vermehrung, des durch fie entfiebenden Schadens unb ber Art ihrer Ber 
tilgung. Bon F. J. Bodenmüller, Seminardirector in Ettlingen. Mit 
einer lithographirten Tafel. gr. 8. (VI u. 27 S.). Karlsruhe, G. Braun, 
1966. 


Diefe Schrift it aus dem Wunſche entftanden, zur Verhütung bes 
Schadens beizutragen, den die Dailäfer oft in Deutichland anrichten. Der 
Verf. beichreibt zu diefem Bwede den Mailäfer und feinen Engerling, zeigt 
die Größe des Schabens, den er anridtet und gibt die erprobten Mittel 
zur Bertilgung befielben an. Belanntlid ift über diefen Gegenftand ſchon 
viel gejihrieben worden. Das Beſte darüber findet ſich jebod in größeren 
Merten, wie 3. B. in den „Forfi:{jnfecten‘ von Ratzeburg; es mar daber 
immerhin zwedmäßig, Zuverläffiges in einer Heinen, leicht zugänglicen 
Schrift zufammen zu fielen. Das ift denn auch in der That bier mit 
Geſchick geſchehen: nur in der Beſchreibung des Mailäfers felbft find einige 
Heine Untidhtigleiten untergelaufen, worauf indeß bier nicht viel anlommt, 
da Jedermann den Maitäfer jo weit kennt, als für feine Bertilgung er 
forderlich iſt. 


vl. 
Allgemeine Pädagogik . 


Bon 


Profeſſor Dr. H. Gräfe, 
Borfteher der Bürgerfchule in Bremen. 


1. Encyklopaͤdie der Paͤdagogik. 


1. Encyliopäbdie Der Pädagogik im Grundriß. Zum Gebrauche bei 
Borlefungen und zum Selbfiftudium. Bon Dr. Albert Wittftod. Hei- 
beiberg, Fr. Baflermann, 1865. 134 ©. 8. 24 Sr. . 

Der Berf. gehört bekanntlich zu den Nadicalreformern auf dem Gebiete 
der Schule, und fein Eifer für Hebung berjelben und des Lehrftandes ver: 
dient unftreitig Anerlennung. Die von ihm vorliegende Encyllopädie muß. 
aber in dem fahlundigen Lefer ven Wunfch erweden, daß er zur Zeit von 
wiſſenſchaftlich⸗ paͤdagogiſchen Arbeiten, oder doch von ihrer Veröffentlihung, 
ſich noch fern halten möge. Denn fein Wiflen bewegt ji im Gebiete der 
Paͤdagogik, d. i. der Erziehungsmifienfchaft, noch ganz auf der Oberfläche. 
Es gehört ein bober Grad von Selbitgefühl dazu, eine ſolche Arbeit zum 
Gebrauche bei Borlefungen (doch wohl auf der Univerfität ?) zu beftim- 
men, und daß der Verf. fie wirklich dazu beftimmt hat, muß gerechte Bes 
denken gegen die pädagogiihe Alademie hervorrufen, vie er, wenn ich nicht 
re, in Frankfurt begründen will. 

Der Berf. glaubt, daß er einem tiefgefühlten Bepürfnifie abgeholfen habe, 
da es ſehr noth thue, „ih auf dem jebt von fo vielfadhen und verichlun: 
genen Wegen durchkreuzten Gebiete der Pädagogik zu orientiren. Zugleich 
will er aber durch feine Arbeit andere Päpdagogiler anregen zu ähnlichen 
Arbeiten; denn die Anfichten feien verfchievden und die Wiſſenſchaft werde 
nur gewinnen, wenn recht viele Encyllopädien der Pädagogik entftünden (?). 
Das ift in der Ihat eine etwas ſeltſame Anfiht, wenigftens müflen wir 
dringend wünſchen, daß die etwaigen Nachfolger des Berfafierd Befleres 
liefern. " 

Die ſyſtematiſche Encyllopädie der Pädagogik verfolgt nur den 
formalen Zwed der Drientirung ; fie it nur ein Wegweiſer. Ihre Auf 
gabe befteht nicht darin, das ganze erziehlihe Wiſſen ſachlich erihöpfend 





268 Allgemeine Pädagogik. 


barzulegen, was Sache der pädagogiihen Real encyklopädie ift, fondern 
nur darin, den Inbegriff dieſes Willens überjihtlih und gegliedert ausein- 
ander zu legen, damit fih das Weien und der Umfang der Erziehungs 
wiſſenſchaft und ihrer einzelnen Theile oder Disciplinen, ſowie die innere 
Beziehung diefer zu dem Ganzen und zu einander erfennen, und dadurch 
ein fruchtbarer Ueberblid über das Ganze der Wiſſenſchaft gewinnen läßt, 
der zugleich zeigen kann, was in berjelben bereits geleiflet worden, was 
noch zu leiften if. Die Löfung diefer Aufgabe ift nur möglich durch phi⸗ 
loſophiſche (alfo auch logifche) Entwidelung, die von dem Begriffe der Cr 
ziehung ausgeht. 

In der Arbeit unſers Verfaſſers findet fih aber weder Etwas von 
Entwidelung überhaupt, noch weniger von philofophifcher und logifcher Ent: 
widelung. Gr gibt nur willkührliche Worterflärungen, zählt ohne fyftema 
tifhe Ordnung Disciplinen auf, die Glieder der Pädagogik find oder aud 
nicht find, ſpricht darüber fehr ungezwungen, ohne in das Wejen berfelben 
irgend einzugeben, gibt ftatt feiner Anſicht vielfach nur die Anderer, aber 
ohne Plan und Auswahl und zählt ohne alle Kritit in bunter Reihe vice 
Büchertitel auf, läßt aber nicht felten wichtige Werke unerwähnt. Et 
kennt fogar keine andere Bearbeitung der fpflematifhen Encyklopaͤdie der 
Pädagogik als die von Stoy, obgleih er die „pädagpgifhe Wiſſen 
Ihaftstunde von Wörlein fpäter citirt. 

Der Berf. unterſcheidet als Haupttbeile der Pädagogit Fundamen⸗ 
talsWiffenfhaften (Anthropologie und Ethik), hiſtoriſche Päda: 
gogil und fyftematifhe Pädagogik. Die hifloriihe ftelit er vor 
die fpftematifcge, weil zuerft nah den Quellen der Wiſſenſchaft 
geſucht, zuerfi der biftorifhe Boden, auf welhem fie rubt, 
betradhtet werden muß, damit ihr wahrer Inhalt nicht ver 
feblt werde, und begreift darunter die Literaturgeihichte der 
Pädagogil, die Gefhihte der Pädagogik und die Hermenen: 
tit und Kritil der pädagogiſchen Syſteme. Dieſe unwiller 
Ichaftliche und unlogifhe Auffaffung ift ſchon ein genügender Beweis, dab 
es dem Verf. an innerem Berufe zur Löfung der Aufgabe fehlt, die er ſich 
ftellen zu müflen geglaubt bat. Ob die biftoriihe Pädagogik ihre Stelle 
vor oder nad der ſyſtematiſchen zu erhalten bat, mag zweifelhaft fein. 
Beide bedingen ſich gegenfeitig, wie die Glieder in jedem Organismus ; di 
hiſtoriſche Pädagogik kann aber in keiner Weile die Gewähr geben, daß dit 
Erziehungswiſſenſchaft zu ihrem wahren Inhalt gelange. Dem Verf. ſcheint 
dabei vorgefihwebt zu haben, daß die Päpagogit keine rein philoſophiſche 
Wiſſenſchaft ift, fondern vorzugsweife auf Grfahrung beruht, und er bat 
ierthümlich Gefchichte und Erfahrung als gleichbedeutend genommen. Refe 
rent hält es, wie er ſchon früher dargelegt hat, für das Angemeflenfte, die 
biftorifhe Pädagogik auf die ſyſtematiſche folgen zu lafien, weil tiefe ohne 
jene verftändlih und fruchtbar ift, nicht aber umgelehrt jene ohne bisfe. 

Bon größerer Bedeutung ift es aber, daß des Berfaflers Auffaſſung 
der biftorifchen Pädagogik aller Wiſſenſchaftlichkeit und Logik entbehrt, 6Es 
werden Literaturgefchichte und Hermeneutik ber Geſchichte der Paͤdagogik 
wehengeoränet, Neu ift dies allerdings, aber völlig verkehrt. Die Liter 


Allgemeine Pädagogik. 269 


tnrgefhichte der Pädagogik gehört eben jo wenig zum Organismus ber 
Erziehungswiſſenſchaft, ſo wenig der Einband eines Buches zum Buche 
jelbft gehört. Keinem Berfafier einer theologifhen oder juriftiihen Ency: 
Mopädie ift es jemals eingefallen, die Fiteraturgejchichte der Theologie oder 
Jurisprudenz zu einem organifchen Gliede der Wiflenfchaft zu erheben. 
Mas aber die Hermeneutif betrifft, welche bekanntlich die Grundfäße dar: 
legt, wie Schriften zu verftehen und auszulegen find, fo bat bdiejelbe gar 
feine bejondere und eigenthümliche Beziehung zur Wifjenfhaft der Päpa: 
gogil. Bon einer fpecififh:pädagogiichen Hermeneutik zu ſprechen, ift ein: 
fah Unfinn. Dem Berf. bat vorgefhwebt, daß in der theologifchen und 
jeriftifhen Encyllopädie von Hermeneutif die Rede ift, er bat aber dabei 
vergefien, daß diefe Wiſſenſchaften pofitive im ftrengen Einne find, inmie: 
fern fie auf gefchriebenen Quellen von eigenthümlicher Art beruhen, die für 
fie eine Autorität bilden, der fie fi unterwerfen müflen. Das genaue 
Berftänpniß und die rihtige Auslegung dieſer autoritativen Quellen erfor: 
dert zwar leine andern Grundjäße als die der allgemeinen Auslegung: 
tun (Hermeneutil), aber doc in der Anwendung bderjelben bejondere Bor: 
und Umficht, und nur infofern ift von einer bejondern theologijhen und 
juriftifchen Hermeneutik die Rede. 

Bon der Aufgabe der biftoriihen Pädagogik bat unfer Verf. Teine 
völlig Mare Anfiht, wiewohl er bier nody am meiften Richtiges fagt. Er 
hält die Geſchichte der praftiihen Erziehung und der erziehlihen Xheorie 
nicht auseinander, und er hat eine ©liederung der hiſtoriſchen Pädagogik 
nicht einmal verjudt. 

Die jpftematifhe Pädagogik, deren Begriff nicht einmal feft: 
geftelit wird, läßt der Berf. in die theoretifhe und praftifhe Päs 
dagogik auseinander treten. Dagegen ift Nichts zu erinnern, menn auch 
Referent die Bezeihnung reine und angewandte Pädagogik ſchon 
darum für angemefiener hält, weil dadurch einer Verwechſelung der praf: 
tiſchen Pädagogik mit der praftiihen Erziehung von vornherein vorgebeugt 
wird. Die theoretiihe Pädagogik wird fehr fur; und nur mit einigen 
Ausfprüden von Erziehungstbeoretifern über Begriff und Princip der Er: 
ziehung abgefunden. Sie wird als verjenige Theil der Erziehungswiſſen⸗ 
Schaft bezeichnet, welcher fi mit dem Aufſuchen und Ordnen der Grund» 
fäße und Regeln für das Geſchaͤft der Erziehung befaßt. Diefe Definition 
ift zu weit, da fie auch die praltiihe Pädagogik umſchließt. In der Auss 
führung (wenn von einer folden überhaupt die Rede fein kann), wird 
aber die theoretiiche Paͤdagogik wieder in allauenger Beichränlung gefaßt, 
indem ihr nur die Feftftellung der oberften Principien, des Zieles der Er- 
ziebung zugewiefen wird. Die praftifhe Pädagogik ſoll dagegen nad: 
weifen, wie viefes Biel erreicht werden kann. Die theoretifhe Pä⸗ 
dagogik ſchrumpft daher zu einer bloßen pädagogifhen Zwedlehre (Te 
leologie) und entgegen der praktiihen faft auf Nichts zufammen. Sn 
die legtere, welche der Berfafler bei feinem Mangel an logifhem Den: 
ten aud als päbagogifhe Prarid bezeichnet, fällt nun natürlih aud 
das, was fonft und mit vollem Rechte der theoretiſchen zugetheilt wird, 
namentlih die körperlihe Erziehung, die Disciplin, der Unterriht. Die 


270 Allgemeine Pädagogik. 


praftifhe Pädagogik umfaßt nad) dem Verf. zwei Haupttheile: vie Erzie⸗ 
bungslebre und die Unterrihtslehre, und bie erftere zerfällt in 
folgende Theile. 1. Koͤrperliche Erziehung: a. Sanitäts:Päpagogit (Diätes 
tit und Gpmnaflit), b. Heil:Pädagogil ; 2. Geiftige Erziehung, c. Familien 
Pädagogik, an melde die Paͤdagogik des Kindergartens ſich anfchließt, 
d. die Lehre von der Mädchenerziehung, e. Inſtituts Paͤdagogik (Waiſen⸗ 
Erziehung, Rettungsbäufer), f. Schul-Pädagogil, deren untergeorbnete X heile 
wiederum find Volksſchul-Paͤdagogik, Fachſchul⸗Paͤdagogik (Gymnafial:Bädar 
gogit, Berufsihulen), Schul:Berjafjungslehre (Schulgefepgebung und Schul: 
reht, Schulauffiht und Schulftatiftit), Magiftral:Bäpagogit (Vorbereitung 
für das pädagogifhe Studium, Lehrerbildung, der Hauslehrer, Amtsfüh⸗ 
tung), die Lehre von der Disciplin. — Die Unterridhtslehre, der 
zweite Haupttheil der praltiihen Pädagogik, ſchließt in fih a. Didactik, 
b. Methodik (Katechetik, Sokratik) und c. pädagogijches Seminar. Diejes 
wüfte Durdeinander von wirklichen und eingebilveten paͤdagogiſchen Die 
ciplinen ſpricht aller logifchen Gintheilung und ſyſtematiſchen Anordnung 
Hohn, und es verlohnt fi nicht der Mühe, ein weiteres Wort darüber zu 
verlieren. 

Die eigenen Anſichten, die der Verf. bei Beiprehung der einzelnen 
Dieciplinen darlegt, geben öfters zu Widerfprud Veranlaſſung. So 3. B., 
wenn er die Gymnaſien und Realſchulen als Fachſchulen bezeichnet, die 
Schulbehörden ausfhließlid mit „ausgebildeten Pädagogen’ bejebt willen 
will, den Communalſchulen unbedingt das Wort redet, den Zaubftummens 
und Blinden:Unterriht in die Heilpädagogik vermweilt. 


2. Sncyllopäbie bes gefammten Erziehungs. unb Unterrichte⸗ 
weſens bearbeitet von einer Anzahl Schulmänner und Gelehrten, berau& 
gegeben unter Mitwirlung von gorofefior v. Palmer und Brofefior Dr. 

ildermuth in Tübingen von Dr. 8. U. Echmidt, Rector des Gym⸗ 
nafiums in Stuttgart. 44.—48. Heft. Defterreih (Schluß, bie Geſchichte 
ber YPädagogıl. 5. Bb. ©. 289-768. Gotha, Rudolf Befler, 1865. 
& Heft 12 Sgr. 


Der im 43. Hefte begonnene Artifel „Defterreih” (von Dr. Ficler) 
füllt mit Ausnahme weniger Eeiten das 44., 45. und 46. Heft. Die 
übrigen bemerkenswerthen in ben vorliegenden Heften enthaltenen Artikel 
find : Oldenburg (von Harms), DO:ppofitionsgeift (von 9. Lange — namenb 
lid von jüngeren Lehrern ſehr zu beberzigen), Orbnung (von Ylashar), 
Pädagogit (von Ernft Moller), Pädagogik des Alten Teftamentes (von 
Debler), Paͤdagogik ded Neuen Zeftamentes (von Palmer), Geſchichte der 
Pädagogik (von ©. Bauer — noch nicht beendigt). 


3. Real-Encyllopäbie bes Erziehungs. und Unterrihtewefene 
nah Latholifhen Principien. Unter Mitwirkung von geiftlichen 
und mweltliden Schulmännern für Geiſtliche, Vollsſchullehrer, Eltern und 
Erzieher bearbeitet und herausgegeben von Hermann Molfuß, Pfarrer zu 
Reileifingen im Großherzogthum Baden, und Adolph Pfifter, Pfarret 
und Ecyulinfpector zu Rißuffen im Königreihe Württemberg. Dit Appro⸗ 
batiou des Hochwürdigſten biſchöflichen Drbinariats zu Mainz. Dritter 


Allgemeine Pädagogik. . 271 


Band britte und vierte Lieferung. Bierter Band erfte Lieferung Muſik 
bis Roufjeau, Mainz, Klorian Kupferberg, 1865. 1866. 3. Bd. &. 337— 
638. 4 Bd. ©. 1—160. gr. 8. Jeder Bd. 2 Thlr. 

Die bemerkenswertheſten Artifel in den vorliegenden Heften find: 
Ortsſchulaufſicht. Pädagogik und ihre Geſchichte (etwas dürftig), Peltalozzi, 
Philanthropie, Realfhulen (ungenügend), Neligionsunterriht und Geſchichte 
defielben. Der polytechniihen Schule in Karlsruhe find in dem Artikel: 
„Realſchulen“ 7 Seiten gewidmet, obgleih fie gar nicht hierher gehört. 
Noch weniger gebührt dem Artikel „Orgel’ eine Etelle in einer Real⸗Ency⸗ 
Hopädie des Erziehungs» und Unterrichtswejens. 


2. Anthropologie und Pſychologie. 


4. Leib und Seele. Grundzüge einer Pſychologie des Menſchen. Bon 
Dr. Hermann Alriei. Leipzig, T. D. Weigel, 1866. 725 ©. gr. 8. 

3 Thir. 24 Sgr. 

Das wiſſenſchaftliche Denken erzeugt viele Irrthümer, es bejeitigt aber 
auch diefelben immer wieder bald nad Fürzerer, bald, nach längerer Zeit. 
Giner der gefährlichiten dieſer Irrthümer ift der Materialiömus, der den 
Geift leugnet und, obgleich jchon früher als ein Irrthum erkannt, in neue: 
fier Zeit von Diolefhott, Bühner und Karl Vogt erneut und uns 
ter das Voll gebraht worden if. Diejer Irrthum fchien zwei Jahrzehnte 
hindurch fiegreich zu fein, aber er hat nur den Anftoß gegeben, die Natur 
des Menſchen von Neuem und gründliher zu unterfuhen, und durch bie 
wiflenfchaftlihen Ergebnifje dieſer Unterfuhung ift der Materialismus in 
feiner ganzen Blöße, Unhaltbarkeit und Nichtigkeit dargeftellt worden. Zur 
Zeit find diefe Ergebniffe freilich erft das Eigenthum wifjenjchaftlicher Den- 
fer geworben, fie werben aber fiher nah und nad auch in andern Kreiſen 
zur Anerkennung gelangen. Außer mehrern berühmten Phyſiologen haben 
fih um die Widerlegung des Materialidmus auf dem Gebiete der Pſycho⸗ 
logie bejonders 3. H. Fichte und Hermann Ulrici verbient gemadt. 
Weber die gediegene Arbeit des erftern ift im vorigen Bande des Jahres⸗ 
berichts berichtet worden, die des leptern liegt gegenwärtig vor. 

Ulrici's Werk zerfällt nad einer Ginleitung in zwei Haupttheile, 
den phyſiologiſchen und pſychologiſchen. Jener unterfuht in 4 Abſchnit⸗ 
ten das Wejen des Stoffes und den Begriff des Organismus, die Bezie⸗ 
bungen des menſchlichen Leibes zu den pſychiſchen Erſcheinungen, das Ners 
venfyftem und .die Seele, die Sinnesorgane, ihre Functionen und pſychiſche 
Bedeutung. Der pſychologiſche Theil hat 5 Abjchnitte: das Bemustjein 
der Ausgangs: und Mittelpunft der Piychologie in feinem Grund und Urs 
ſprung, die bewußte Seele in ihrem Verhalten. zu ihrem Körper und zu 
anderen Körpern (Wachen, Schlafen, Träumen, Somnambulismus, Geiftes- 
ftörungen und Gemüthstrantheiten, TZemperamente, Lebensalter, Geſchlechter, 
Race und Nationalität), die bewußte Seele in ihren Beziehungen zu ſich 
ſelbſt (Gefühlsleben, Vorftellungsleben, peenafjociation, Cinbildungstraft 
und Bhantafie, Triebleben, Streben, Begehren, Wollen), die bewußte Seele 


272 Allgemeine Pädagogik. 


in ihren Beziehungen zu andern Seelen (natürlid-fociale Triebe und Ges 
fühle, ethiſche Gefühle, Borftellungen und Strebungen, Erziehung und Bil: 
dung des Menfchen), die Eeele in ihrem Verbältnifie zu Gott. 

Die Tendenz des Verfaſſers und die Ergebnifje feiner Unterfuhungen 
treffen im Wejentlihen mit denen 3. H. Fichte's zufammen. Auch Ul 
rici gebt nicht von Abftractionen oder in der Luft ſchwebenden Theorien 
und Hppotbejen, fonvdern von den Ergebnifien der Naturwiflenidaft aus 
und gelangt auf felbft gebahntem Wege, durch felbfiftänpige Forſchung zu 
einer idealiſtiſchen Lebens: und Weltanfhauung, d. h. zu dem Ergeb⸗ 
nifie, daß der Seele gegenüber dem Leibe, dem Geifte gegenüber ber Na⸗ 
tur nicht nur ein felbftftändiges Dafein, fondern aud die Herrſchaft nicht 
bloß gebühre, ſondern aud thatſächlich zuftehe. Darin liegt allerdings ein 
gewifier Dualismus, der jept vielfach für veraltet und befeitigt gilt, aber 
doch nicht ein folder Dualismus, der Seele und Leib, Geift und Natur als 
directe Gegenfäße betrachtet. Daß aber zwifchen den Erſcheinungen im Eee 
lenleben und im Leben bes Organismus, zwifchen den geiftigen und natür: 
lihen ein Unterſchied ftattfindet, ift unleugbar. 

Ich muß es mir leider verfagen, den Weg anzudeuten, auf welchem 
Ulrici zu dem angegebenen Reſultate gelangt, und mid damit begnügen, 
auf fein Buch nur aufmertfam zu mahen. Denkende Lehrer, die im Stande 
find, einer wiſſenſchaftlichen Darftellung zu folgen, und geneigt, über den 
neueften Stand pfychologifhen Wiſſens fi zu unterrichten, werben nicht 
verfäumen, das Buch zu ftubiren. Die Form der Darftellung if zwar 
eine wiſſenſchaftliche, aber doch fo einfah und Mar, daß auch diejenigen, 
die nicht Philofophen vom Fach find, dem Berf. in feinen Unterfuhungen 
folgen" können. 

Der neuere Materialismus ift, namentlih durch Büchner's Schrif⸗ 
ten *) gegenwärtig weit verbreitet und hat leider auch unter den Lehrern, aus 
fehr natürlichen Urſachen, nicht wenige Anhänger ; denn er erhebt feinen 
Anſpruch auf ftrengeres Denken, die Schriften, in welden er geprebigt wird, 
find fo oberflählich, daß jeder des Leſens Kundige fie verfiehen kann, feine 
angeblihen Beweife fo handgreiflich, daß man feinen Kopf dur Nachden⸗ 
fen nicht anzuftrengen braudt. Um ber weitern ®erbreitung dieſer alle 
Grundlagen der fittlihen Natur des Menfhen umb ber Erziehung unten 
grabenden Denkart unter den Lehrern einigermaßen entgegen zu wirten, 
will id wenigſtens eine Stelle aus Ulrici's Buche ihrem wejentlihen Zw 
balte nady mittheilen. 

Der moderne Materialismus bedient ſich des ſpecifiſch phyſiologiſchen 
Begriffes der Secretion und behauptet, die Vorftellungen würden vom Gehirn 
in ähnliher Art ausgefchieden, wie die Galle von der Leber und der Urin von 
den Nieren, oder auch, der Gedanke jei eine Bewegung, eine Umfebung des 
Gehirns ; der Wille if der nothmendige Ausprud eines durch äußere Einwir⸗ 
tungen bedingten Zuflandes des Gehirns. Von Freiheit des Willens, fagt Ulrici 


*) Büchner, Dr. Enid, Kraft und Stoff. 8. Aufl. 1862. Derſelbe, Geiß 
und Natur. 2. Aufl. 





, Allgemeine Pädagogik. 273 


mit Recht, kann bei einer ſolchen Anſicht gar nicht die Rede fein, Sünde und 
Berbrehen find dann nur die Folge eines krankhaſten oder naturwidrigen 
Buftandes des Gehirns ; und, ſetze ich hinzu, es ift völlig unbegreiflich, wie 
eine moralifhe Erziehung nod möglich fein, wie durch moralifhe Mittel, 
durch das Wort, durch Ermahnung und Vorftellung der Wille beftimmt wer: 
den kann. — Nach dem modernen Materialismus ift der Menſch nur bie 
Summe von Eltern und Amme, von Ort und Zeit, von Luft und Wetter, 
von Schall und Licht, von Koft und Kleidung, oder: Der Menſch ift 
nur das, was er ißt. Dieſe Säbe — fo heißt es bei Ulrici weiter — 
richten in ihren Conſequenzen den Materialismus ald Syſtem. Denn 
confequenter Weiſe kann diefen Eäben gemäß von einer wahren und fals 
ihen Auffafiung, Meinung, Borausfegung nicht die Nede fein, ihnen ges 
genüber finlen Wahrheit und Unmahrheit herab zu leeren Namen ohne 
Sinn und Bedeutung. Denn fo gewiß es verkehrt wäre, von einer wah⸗ 
ren oder unmahren Umjeßung des Hirnftoffes, einer wahren oder unwahren 
Secretion der Galle zu reden, oder gar diefen Urin für wahr, jenen 
für unwahr zu erllären, jo gewiß ift es auf materialiftiihem Stand⸗ 
punlte widerfinnig, wahre und unwahre Vorftellungen zu unterjheiden, fo 
gewiß ift es alfo eine nicht nurvöllig willlürlide, ſondern 
ſich ſelbſt widerfprehende Behauptung, wenn der Materia— 
lift feine Gedanten und Säße für wahr, die der Gegner 
für unmwahr erklärt. ft der Gedanke und alle Gedankenverknüpfung 
nur der Erfolg eines bloßen Naturprocefjes, der als folder unter den ges 
gebenen Umftänden und Bedingungen unvermeiblih jo und nicht anders 
erfolgen muß, jo haben alle Gedanken, alle Begriffe, Urtheile, Echlüfle 
das ſchlechthin gleihe Recht. Dies führt der Verf. noch weiter aus 
und zeigt durch eine nicht zu widerlegende Schlußfolge, daß es eine durchaus 
leere und baltlofe Fiction ift, wenn die Materialiften Anfpruh auf bie 
Richtigkeit ihrer Anfiht machen. 

Wie der Materialismus nicht dabei ftehen bleiben kann, die Wahrheit 
der ihm gegenüberftehenden Anficht zu beftreiten, ſondern confequenterweife 
alle Wahrheit leugnen muß, jo kann er eben fo wenig dabei ſtehen bleiben, 
die Freiheit des Willens in Abrede zu ftellen, ſondern er muß confequen: 
termweife den Willen felbft negiren. Denn der Wille ift thatfächlich nichts 
Anderes, als die Thätigleit, durch welche ich einen gegebenen Impuls zum 
Beweggrund meines Strebens und Handelns made, gleichvief, ob ber 
Act, durch den ich ihn dazu made, ein freier oder von anderen Einflüfjen 
abhängiger if. Müßte ih, wie der geftoßene Stein, dem gegebenen 
Antriebe unmittelbar folgen, jo hätte ih nicht nur Heine Freiheit, fondern 
überhaupt Teinen Willen, eben fo wenig, wie der fortgeftoßene Stein. Mit 
der Freiheit des Willens hört natürlich aller Unterſchied zwifhen Gut und 
Boͤſe, alle Berantwortlichkeit auf. Daher erflärt auch der moderne Mater 
rialismus Lafter und Sünde für bloße Aeußerungen kranlhafter Zuftände 
des Gehirns und Nervenſyſtems. Diefe Confequenz verftridt ihn aber wies 
derum in einen vernichtenden Selbſtwiderſpruch, denn es ift noch Niemans 
dem gelungen, zwijchen dem Behirn des Tugendhaften und dem des Lafter 

Pay. Jahreberiqᷣt. XVII. 18 


274 Allgemeine Pädagogik. 


baften, dem Gehirn des abgefeimteften Betrügers und dem des ehrlichen 
Mannes irgend einen Unterſchied zu entdeden. 

Der Materialismus als wiſſenſchaftliches Syftem ift völlig unbaltbar. 
Wenn der Gedanke nur das Product eines reinen Naturprocefies if, fo 
folgt mit Nothwendigleit, daß es überhaupt keine Wahrheit, leine Er⸗ 
kenntniß und Wiflenfhaft, fo wenig wie Recht und Sittlichkeit für den 
Menſchen gibt, daß alfo auch der Materialismus für fih nicht in Anſpruch 
nehmen kann, was überhaupt nicht eriftirt. — Die Nichtigleit der mate⸗ 
rialiftiihen Auffafjungsweife der pſychiſchen Grideinungen wird ſodann 
— die ganze überaus klare Darſtellung dieſer Erſcheinungen nach⸗ 
gewieſen. 


5. Die Wiſſenſchaft vom Menſchen in feinem Leben und in fei- 
nen Thaten, mit befonberer Berüdfihtigung der Menfchenergiebung. 

Dargeftellt von Karl Echmidt. Mit Holzichnitten und coforirten Litho⸗ 

graphieen. Auch unter dem Titel: nntbropelagie x. 2. Thl. Dresben, 

onis Ehlermaun. 1865. 607 ©. gr. 8. 2 Thlr. 21 Wer. 

Der Inhalt diefes lebten Wertes des zu früh dahin geſchiedenen Schul: 
ratb8 Schmidt ift bereits im vorigen Bande des Yahresber. ©. 453 mits 
getbeilt worden, und ich kann mich deshalb hier auf einige allgemeine Bes 
merkungen über den Charakter des Buches beichränten. Dafielbe fiellt die 
Anthropologie in ihrem ganzen Umfange dar, und es liegen der Darfiel- 
lung die allgemeinen Gedanten zu Grunde, daß Kraft und Materie, Geift 
und Leib nit nur ein Giniges, fondern überall aud ein Individuelles, 
Geftaltetes find, daß das Leben ein fteted Werden, eine ununterbrocdhene 
Bewegung, die gefammte Natur und jedes Einzellebendige ein einig ewig Ent⸗ 
ftehendes und Vergehendes if. Auf diefer Grundlage ift zwar das ganze 
Spftem der Anthropologie aufgebaut, und der Verf. zeigt fih nit nur 
als Denter, ſondern au als gefühlvoller, für alles Gute und Edle begei» 
fterter Menſch, aber dennod fehlt dem Syſtem vielfad die Einheit, indem 
der Perf. nicht überall den Stoff durch felbitfiändiges Denten entwidelt 
-und verarbeitet hat. In der Ausführung feines anthropologiſchen Syflems 
ift er Gllectiter, d. h. er bat Auffafiungen und Anſchauungen verjchieden: 
artiger phyſiologiſcher und pſychologiſcher Syſteme für das feinige heran» 
gezogen und zu einem Ganzen verarbeitet, wodurch die Einheit des Geban: 
fenganges oft geftört wird. So begegnet man z. B. an einer Stelle eigen: 
thümlihen Auffafjungen der Beneke'ſchen und Herbart'ſchen Piychologie, an 
einer andern foldhen, welche dieſen pſychologiſchen Syſtemen völlig fremd find, 
Damit foll indeß in keiner Weife die Arbeit als eine Art Compilation be: 
zeichnet werben. Sie ift im Ganzen durchaus eine jelbftändige von eigenem 
Denten getragene und aud) die anderdwoher genommenen Gedanken bat ver 
Verfaſſer für feine Auffafiung denkend zu verwertben geſucht; fie ift nur 
nit, wie man zu fagen pflegt, überall aus einem Guſſe. 

“ Die befannte lebendige, blühende, ſchwungreiche Darftellung, wodurch 
der Berf. ‚feine Zuhörer und Lefer für feinen Gegenftand zu interefjiren, für 
feine Anfiht zu gewinnen und zu erwärmen wußte, findet fih auch in fe: 
ner Anthropologie wieder. Ob dieſelbe gerade bier am rechten Plage if, 





Allgemeine Pädagogik. 275 


läßt ſich bezweifeln. Die Darftellung der Anthropologie erfordert nament⸗ 
lich in ihrem pſychologiſchen Theile mehr ein ruhiges, bejonnenes, klares 
Denten und- eine einfache, fehmudlofe, den Gedanten fcharf ausprägende 
- Darftellung ; eine poetifirende und fombolifirende Sprache, Heranziehung 
von Stellen aus Dichtern leiften für die Wahrheit von Anſichten, für eine 
vernünftige Weberzeugung nichts, und find nur geeignet, bie klare Auffajr 
fung zu trüben. 

Daß der Berf. ein Anhänger der Phrenologie ift, wurde ſchon im 
vorigen Bande des Jahresberichts hervorgehoben. Seine Darſtellung der 
Pſychologie hat dadurch nicht gewonnen. 

Bin ich hiernach auch mit dem Verf. mehrfach nicht einverſtanden, ſo 
erkenne ich doch gern an, daß ſein Buch nicht nur von großem Fleiße 
zeugt und viele vortreffliche und fruchtbare Gedanken enthält, ſondern daß 
auch bie ganze Lebensanſchauung, die ſich darin ausfpricht, eine durchaus 
edle ift, wie fih von Schmidt's idealer Richtung ſchon von vorn herein 
erwarten läßt. Vieles Cinzelne mag Widerfpruch finden und verdienen, in 
den Endrefultaten wird Jeder ihm gern beiflimmen, dem felbit eine ideale 
Natur inmwohnt. 

Der Begriff der Anthropologie wird vom Verf. in einem ungleich 
weitern Sinne genommen, als es in der Wiſſenſchaft gebräudlidh iſt. Sie 
umfaßt nah ihm im Grunde Alles, was den Menſchen und fein Leben 
betrifft, nit nur die Anatomie (in die für den eigentlihen Zweck des 
Werkes zu ſehr in's Einzelne eingegangen wird), und Phyſiologie, fo wie 
das, was man gewöhnlid unter der Piychologie begreift, jondern aud die 
Logik, Methaphyſik, Ethik, Erziehungslehre im gedrängten Umrifle, ja ſogar 
eine Art Encyllopädie der Wifienfchaften. Das ift in der That des Gw 
ten zu viel, und der Hauptgegenſtand hat dabei jchwerlih gewonnen ; ja, 
diejes Bielerlei kann leicht für die Lehrer, welche das Buch vorzugsweije 
im Auge bat, nadhtbeilig werden, weil fie zu dem Glauben verleitet wers 
den können, als erhielten fie durch einen ſolchen Umriß der Wifjenfchaften, 
der übrigens im Einzelnen vielfah Widerfpruch heraus fordert, eine Einficht 
in das Mefen einer jeden. 

Das Gelungenfte in dem Werke fcheint mir der Abjchnitt über die 
Erziehung zu fein, und was fonft gelegentlih über Erziehung gefagt wird. 
Hiervon nebme ih nur die Anfiht des Verfaſſers von den Kindergärten 
aus. Die Lehrer werden da bie fruchtbarſten Anregungen für ihr Denten 
und Thun finden. Beſonders made ich aufmerlfam auf das, was über 
die Erziehung der Individualitaͤten (S. 593) gejagt wird; denn gerade 
den Lehrern muß immer und immer wieder zugerufen werden : berüdfichtige 
fo viel als möglid die Individualität eined jeden Deiner Schüler. Die 
Schule kann und foll freilih nicht die Individualität jedes Schülers ge 
währen lafien oder fie weiter fortbilden im Gegenfaß zu ber Individualität 
der andern Schüler. Sie kann es nicht, weil der Lehrer nicht im Stande 
if, Die Individualität eines jeden genügend fennen zu lernen, fie foll es 
nicht, weil es gerade ihre Aufgabe ift, das Gemeinfame ber verfchiedenen 
Individualitäten in ihrem Schülerkreife herauszubilden, die Individualitäten 
gegeneinander auszugleichen und fie dem Ganzen bienftbar zu machen. Dieje 


18* 


276 Allgemeine Pädagogik. 


Aufgabe kann aber um fo volllommener gelöft werden, je mehr die Indie 
vidualität eines jeden Schülers in Allem, wo fie Berechtigung hat, Beach⸗ 
tung findet. Wie jelten dies in Schulen gefhieht, oder — wenn dies zu 
bart fein follte — mie oft es nicht geſchieht, ift befannt genug. Alle 
Lehrer find mehr oder weniger geneigt, in der Schule nur ihre Individua⸗ 
lität zur Geltung zu bringen, und zu fordern, daß alle Schüler auf die 
gleihe Art fih benehmen, ihre Pflicht erfüllen, wo nicht gar in ihren 
Kenntniſſen fortfchreiten.. Wie oft ernten nicht die ſchwächer begabten, die 
ungeadtet ihrer Anftrengung unvolllommene Arbeiten liefern, Tadel ftatt 
verdienten Lobes ; wie oft wird nicht die in Folge rafcher körperlicher Ent⸗ 
widelung fich zeigende geiftige Schlaffheit und Trägheit falſch beurtheilt, 
wie oft der in Folge feiner Individulität zur Zerftreutheit und Unaufmerk⸗ 
ſamkeit Geneigte, der von der Natur mit einem fanguiniihen Tempera⸗ 
mente Ausgeitattete und deshalb Flüchtige, Leichtfinnige, Muthwillige für 
feine Vergehungen härter geftraft, als recht ift! Es ift deshalb fehr zu 
wünjchen, daß dasjenige, was im vorliegenden Werke über die Erziehung der 
Sndividualitäten jo treffend gejagt wird, allgemeine Beachtung Anden möge. 


6. Dr. F. &. Beneke's Neue Seelenlehre, für Freunde ber Naturwahr- 
beit in anſchaulicher Weile Dargefiellt von Dr. G. Raue, Profefior an ber 
mebicinifhen Alabemie in Philadelphia. Vierte Auflage. Mehrfach um 
gearbeitet, verbeſſert und vermehrt von Johann Gott ich Dreßler, &- 
minar-Director a. D. in Baugen. Mainz, F. H. Erler (&. Faber' ſche 
Buchhandlung), 1865. 263 S. gr. 8. 1 ZThlr. 

Dreßler, der Bearbeiter und Herausgeber diefer neuen Auflage bes 
Raue’ihen Commentars über Beneke's Seelenlehre, ftellt an die Spiße ſei⸗ 
ner Vorrede den Saß: „Bei der vierten Auflage eines Buches kann ſich 
bie Vorrede kurz faſſen.“ Wenn dies etwa beißen foll, daß die vierte Aufs 
lage ein unumftößliher Beweis von der Vortrefflichleit des Buches und ber 
Nichtigkeit feines Inhaltes ei, jo müßte das beftritten werden. Ein Bud), 
das mehrere Auflagen erlebt, ift darum noch nicht vortrefflid ; man kann 
von ihm zunächſt nur jagen, daß es große Verbreitung gefurtben bat. 
Neben guten Büchern haben auch nicht wenige feichte und oberflädhliche 
viele Auflagen erlebt. 


Menn angenommen werben lann, daß die Schrift von Raue unter 
den Volksſchullehrern große Verbreitung gefunden hat, jo könnte man von 
der Bildung diefer und ven Seminaren beinahe eine fehr ungünftige Mei 
nung erhalten. Denn der Berf. bat, um Beneke's Seelenlehre feinen Les 
jern zum Berftändniß zu bringen, eine Form der Darftelung gewählt, wie 
fie in einer Vollsjchule oder allenfalls in einer Präparandenanftalt am 
Plate fein würde. Lehrer, welden man die Piychologie nad einer fo 
elementarifh:anfhaulihen Methode wie die von Raue beibringen muß, 
würden befier thun, mit der Pfychologie ſich gar nicht zu befaflen. 

So einfah die Methode ift, welche zur Erllärung und Begründung 
der pſychiſchen Erjcheinungen angewendet wird, fo populär und handgreif: 
lich ift die Art der Erflärung und Begründung jelbft, und fo eigenthüm: 
ih die Logik, die dazu angewendet wird. Hier ein paar Beiſpiele. 





Allgemeine Pädagogik. 277 


Gine der ſchwierigſten Fragen in der Pſychologie betrifft das Be⸗ 
wußtjein. Das Bewußtfein als Thatſache kennt Jeder, denn Jeder ift 
fih defien bewußt, was er fiebt, hört, empfindet, was er dent, fühlt und 
wil, Worin aber das Mefen des Bewußtſeins zu fuchen iſt, worin es 
feinen Grund bat, wie es entfteht, das find Fragen, die bis jebt noch feine 
allgemeiner als richtig anerlannte Beantwortung gefunden haben, Beneke 
und nah ibm Dreßler-Raue macht fih die Beantwortung der Frage 
nad) der Entſtehung des Bewußtſeins leicht, indem er die durch nichts 
bewiefene Behauptung aufftellt, daß das Bewußtſein durch die Anſammlung 
unbewußter Spuren (Empfindungsrefiouen) entſtehe. Yortlage*), 
der fih über Beneke's pſychologiſche Arbeiten im Allgemeinen nicht ungün> 
fig ausſpricht, erklärt ganz mit Recht dieſe Behauptung für eine folce, 
die den Regeln der Logik widerjpreche, weil aus der bloßen Anſammlung 
vieler unbewußter Elemente nad den Dentgefegen nichts andres entitehen 
lönne als ein großer Haufen unbewußter Elemente. Und damit müßte 
Drepler-Raue einverftanden fein, da er an einer Stelle gewiß mit 
Recht erllärt, daß aus Nichts nicht Etwas werden könne. Jene Benele ſche 
Behauptung wird nun von Dreßler:Raue folgendermaßen erläutert: 
Als wir zum erften Male in die Schule famen, zeigte uns der Lehrer 5. 2. 
den Buchſtaben A. Wir faßten ihn auf und es blieb davon eine Spur 
zurüd. War uns nun diefer Buchſtabe ſchon Har bewußt ? Leider zeigte 
fih das Gegentheil, als wir am folgenden Tage danach gefragt wurben. 
Was that der Lehrer? Cr ließ uns vdenfelben wiederholt genau anſehen 
und nachſprechen; wir hatten neue Auffaflungen von ihm und fie alle 
vereinigten ſich mit der erften zurüdgebliebenen Spur. Jet war ung ber 
jelbe ſchon klarer bewußt u. |. w. Nicht wahr, das iſt ein recht anjchaus 
liher und unumftößlicher Beweis, dab das Bewußtſein durch Anfammlung 
von bewußtlojfen Spuren **) entſteht? Nur Schabe, daß diejer Beweis gar 
nichts beweilt. Denn böchftens würde dadurch dargethban, daß duch Ans 
fammlung von Spuren nur das Bemwußtjein Elarer wird, daß es alfo 
ſchon mit der erften (nach Benele unbewußten) Spur vorhanden ift. Aber 
auch nicht einmal dies wird durch die anſchauliche Auseinanderjegung von 
Drepler:Raue bewiefen; denn es ift in derjelben offenbar das Be: 
wußtfein mit der VBorftellung verwechjfelt, die zwar Inhalt des Be: 
wußtjeind werden kann, aber nit das Bemwußtjein ſelbſt if. Die Ent« 
ſtehung des Bemwußtfeind wird von Dreßler-Raue noch unter einer an« 
dern Form dargeftellt, nämlich jo: die Uxrvermögen ***) find unbemußt, 
tragen aber ſchon urfprüngli die Fähigkeit in fi, bewußt zu werden, und 
es entwidelt ſich dieſe Fähigkeit zum wirklichen Bewußtfein, fobald die 
Bermögen durch Reize, die auch unbewußt find) erregt werden und beide fich 
mit einander verbinden. Dagegen ift zuvörberft zu bemerken, daß dies 
eine ganz willlürfihe Annahme ift und das Selbfibewußtfein, dad nah Be⸗ 





*) Syſtem ber Pſychologie. 1. Thl. ©. HU. 
**) Bergl. Bo. 14 des Jahresberichts S. 497 ff. 
>) Vergl. Bd. 14 bed Jahresberichts ©. 497, 


O2 — -- —— —— 


einem Ulrvermigen) eine Gurizrun: eure, tie am at med gar mit bewußt 
zu werden braztt, wie der Säz.ınz beweit, bei weile ſich jertmährend 


| 
| 
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f 
f 


Pinfiologen, von welden ih nur Loge, Iudmwig, Wagner, Bell: 
mann, Zid, Helmbolg, Schiff nennen will. Die Bexele ſche yiy 
chologiſche Schule nimmt in ihrer abicluten, uwnwinienichaitlichen Abgeſchloſ⸗ 
fenheit von diefen Forſchungen nicht die geringiie Retiz, weil ihr Beier 
dem zu feiner Zeit übrigens entihulpbaren Ginfall hatte, alle pfycholo⸗ 
giihen Thatjachen lediglich aus dem Gelbfibewuhtjein erflären zu wollen 


dies ein Grundſehler der Benele ſchen Pſychologie if, leuchtet ein. Seele 
und Leib bilden für diefes Leben eine untrennbare, lebendige Ginbeit. Die 
dur das Denlen von ihrem Organismus abgetrennte Eeele if Richts als 
ein Abftractum. Dies ſcheint Drefler gar nicht gefühlt zu baben, fonfl 
würbe ex entweder nicht ein fo großer Berehrer der neuen Piychologie fein, 
oder das Abfiracte weniger baflen **). 

Durch jeden finnlihen Reiz wird, nad Beneke's Lehre, ein jinnliches 
Urermögen verbraudt, es bilden fih aber während des Schlafes immer 
wieder neue Umermögen an, durch welde die verbrauchten erjeßt werben, 


*” Dr. I. Fr. Bruch, PBrofefior der Theologie und Prebiger in Straß⸗ 
burg, Theorie bes Bewußtſeins. Straßburg, 1964. 

=) In feinem Bude: „Benele oder die Seelenlehre als Naturwiffenichoft 
(Bauten 1846) Theil II. S. 144 heißt es am Schluſſe ber Anmerkung wört- 
ih: „Wäre e6 erlaubt, dem Bater Unfer eine Bitte zuzufegen, fo würbe ich 
vorfhlagen: „Bater im Himmel erlöfe uns vom Abſtracten!“ Diefer 
Gedanke if, von feiner völlig unpaflenten Form ganz abgeieben, in ber That 
eine höchſt merfwürdige Aeußerung aus der Reber eines Biochofsgen und BL- 
dagogen. Daß gewifle Völker, 3. B. Negerflämme in Afrika, feinen Siun für 
abfractes Denten und in ihrer Sprache keine Wörter für Abftractes beſitzen, if 
— unbegreiffig aber, wie fi Jemand nach einer ähnlichen Sulturkufe zu- 
siidfehnen kann, 


Allgemeine Pädagogik. 279 


und zwar geſchieht diefe Anbildung (von welcher das Selbfibewußtfein nichts 
weiß) vermittelft derjenigen Liht:, Schalls und anderen ſinnlichen Reize, 
bie während des Wachens auf die Seele einwirlen (oder in der Sprache 
der Beneke'ſchen Schule) in die Seele eingehen, mit dem Urvermögen fich 
aber nicht feit verbinden. — Was für eine monftröje Vorftellung, daß aus 
Licht⸗, Schall: ıc. Reizen Urvermögen entftehen follen, die doch zum Weſen 
der Seele gehören! — Sehr naiv maht Raue (5. 244) ſich felbft den 
Einwurf: „Uber wird, wenn die pſychiſchen neuen Lrvermögen diefen 
Entftehungsgrund haben, die Seele nicht ein Ding, das aus Licht, Luft, 
Duft ꝛc. befteht * Und wie finnreich und anfchaulid weiß er dieſen Gin: 
warf abzuweifen! „‚Hiergegen frage ich: wird der Leib- dadurch, daß wir 
Kartoffeln 2c. genießen, ein Ding, das aus Kartoffeln beſteht?“ Daß 
Licht, Schall, Duft zc. wirklih mit der Seele felbft in Verbindung kommen, 
wird von Dreßler und Raue alles Grnites als fiber angenommen. 
„Breilich”‘, jo beißt es weiter, „müflen wir annehmen, daß Licht, Schall ıc. 
den Kräften unferer Seele verwandt feien, wie die Nahrungsmittel mit den 
Kräften unſeres Körpers verwandt find. Und was ftünde diefer Annahme 
entgegen ? 

Mittels der Hypotheſe von dem Verbrauche der Urvermögen erflären 
die Benelianer die Erſcheinung, daß wir eine Ermüdung und Abfpannung 
der Seele (nämlich des Vermögens oder der Vermögen der Seele.zu fehen) 
fpüren, wenn wir uns einige Stunden in einer Gemälvegallerie oder einem 
Raturaliencabinet mit Befichtigung der Gegenftände befhäftigt haben. Die 
„neue Pſychologie“, die Alles aus dem „Selbftbemußtfein‘ zu erklären vor: 
gibt und den leiblihen Organismus, alfo au die Sinnesorgane, vornehm 
ignoriert, fieht die Urſache diefer Ermübung und Abfpannung darin, daß 
durch das ftundenlange Betrachten mannigfaltiger Gegenftände die für das 
Sehen beftimmten Urvermögen der Seele, die vorher leer waren, jebt von 
den zahlreichen Reizen alle (?) oder faft alle erfüllt und dadurch verbraudt 
worden find. Wer mit der „neuen Piychologie” nicht belannt ift, kann 
freilih auf den Einfall gerathen, die Urfache jener Ermüdung und Abſpan⸗ 
nung ganz oder doch zum Zheil zu juchen im Sehorgane, in den Nerven, 
welde das Sehen vermitteln, und einen Beweis zu finden in jener Naͤh⸗ 
terin, die vom Morgen bis zum Abend mit feinen Näharbeiten bejchäftigt 
ift und am Abend über Angegriffenfein und Schmerzen ihrer Augen Hagt. 
Ein folder Einfall wäre aber völlig ungereimt, wie die Benelianer zu be: 
weifen im Stande find. Denn fie mwiflen pofitiv, daß das Auge für das 
Sehen feine andere Bedeutung hat, als die eines Fenftervorhanges, ven 
man zuziehbt, um das grelle Licht der in das Kenfter fallenden Sonnen⸗ 
ſtrahlen zu mildern *). 

Die „neue Pſychologie“ hat naͤmlich die große Entvedung gemacht, 
daß das Organ des Sehens, das Auge, nicht die Urfache des Sehens 
ſei. Als ob jemald vor Benele ein Seminarift jo dumm geweſen wäre, 
dergleihen zu glauben! Es heißt in der That fein Publikum für fehr bes 


.- — 


”) Bergl, Dreßler a. a. O. J. S. 21. 


280 Algemeine Päbagogif. 


ſchraͤnlt halten, wenn man ihm ſolche Dinge als neue Authällungen 
Gewiß, das Auge if nidt die Urſache des Sehens; denn es hi. i 
Seele 


Eeele, welche ſieht. Das weiß fah jedes Kind, Bisher, d. h. bis 
Benele bat freilih Jedermann auch die Anſicht gehabt, daß die Eee 

Sehen das Auge als Drgan bevürfe, d. h. daß das Gehen, vwelches ei 
Thaͤtigleit der Eeele ift, durd daS Auge vermittell werde. Doch weit ges 
fehlt! Seit den Offenbarungen durd die „neue Pſychologie“ wiſſen wir 
das beflr. Das Sehen it em unmittelbarer Act der Seele und das 
Auge erſcheint höchſtens zugleich thätig. Es ift alfo noch fehr die 
Frage, ob es überhaupt mit dem Sehen etwas zu thun hat. 
Die „neue Pſychologie“ will diefe Frage aber nicht verneinen. Das Auge 
ift allerdings nötbig ; denn Paulus madt 1. Cor. 12, 17 die trefiende 
Bemerkung: „Wenn der ganze Leib Auge wäre, wo bliebe das Gehör ? 
Wie vermöhte die Eeele dem maſſenhaften Andrange des Lichtes zu wi⸗ 
berfiehen, wenn nicht dafür geforgt wäre, daß das Uebermaß des Lichtes 
von ihr abgehalten würde? Und lediglich diefem Zwede dient das Auge. 
68 ift nur dazu da, das mafienhafte Einſirömen des Lichtes in die Seele 
zu verhindern, zugleidy aber auch, einer mäßigen Menge von Licht den Zu⸗ 
gang zur Seele zu geflatten. Warum zu diefem Zwede nicht eine bloße 
Deffnung binreicht, warum das Auge unnötbiger Weife fo kunfiwoll einge 
richtet if, wozu die feinen Nerven nöthig find: das und Anderes himmert 
die „neue Pſychologie“ nicht. Eie bat Beweife für ihren Hauptfas in Be 
reitſchaft, durch melde ſich alle Nebenfragen von felbft erledigen. Hören 
wir diefe Beweiſe! Gewiſſe Krante konnten bei verſchloſſenen Augen ein 
bejchriebenes Blatt, das man ihnen auf die Serzgrube legte, lefen *). 
„Sollte es da glaublid fein, daß das leiblihbe Auge ber Lejer fei, die 
Seele nur den Bericht vernäbme ?" Nun, das bat, ich wiederhole ed, noch 
fein vernünftiger, d. b. vdentender, Menſch geglaubt. Jene Thatſache 
als richtig vorausgefegt, Lönnte man dann nicht ſchließen, daß aljo doch 
in gewifien Iranthaften Zufländen der ganze Leib Auge wäre? Und wie 
gebt es da doch zu, daß die Eeele durch das mafienhafte Zuftrömen des 
Lichtes nicht geflört wird, daß fie dennoch der überwältigenden Macht der 
maſſenhaft eindringenden Lichtreize fich zu erwehren vermag? Oder follte 
etwa der von mir aus jener Thatſache gezogene Schluß faljch fein ? Eolite 
die Somnambüle das befchriebene Blatt nur haben lejen können, weil es 
ihr gerade auf die Herzgrube gelegt worden war? Gut, dann bitte ich 
nur, daß mir die „neue Piychologie‘‘ erkläre, „warum nur die Herzgrube 
und nicht aud ein anderer heil der Körperoberfläde, z. B. die Nabel: 
gegend, oder der Naden, in ſolchen kranthaften Zuſtaͤnden eine Pforte bil- 
det, durch welche das Licht in die Eeele einftrömen kann. Etwa die Ner⸗ 


5x 





*) Bei Somnambülen ſoll biea beobachtet worben fein. Der Somnambn- 
lismus ift aber noch wenig aufgellärt. In den Beobadhtungen beffelben mag 
einiges Wahre mit viel Taͤuſchung vermiſcht fein. Mertwürbig if jedenfalls, 
daß gerade Dreßler das oben Erwähnte als eine unbeftrittene Thatſache 
nimmt. 





Allgemeine Pädagogik. 281 


ven mit in's Spiel zu bringen, das darf die „neue Pſychologie“ nicht, 
denn. diefe haben nach ihr mit dem Sehen gar Nichts zu thun. 


Vielleicht ſteht es aber mit einem andern Beweife befier. Als ein 
ſolcher joll nämlidy die Frage dienen: „Hat der Sterbende nicht zuweilen 
fhon Stunden lang vor dem wirklichen Tode zu fehen und zu hören auf 
gehört, obgleih Auge und Ohr unverjehrt geblieben find? Woher weiß 
denn aber die „neue Pfychologie”, daß diefe Organe bei dem Sterbenven 
wirflih noch in vollkommen gefundem Zuftande find? Iſt nicht der nabe 
Aod ein Beihen, daß das organiſche Leben im’ Verlöſchen kegriffen ift ? 
Und wird man wohl das Recht haben, ohne irgend einen Beweis anzu: 
nehmen, daß die Sinnesnerven allein von dem bis auf den hödhften Grad 
geftiegenen Leiden des Organismus ausgenommen find’? Noch mehr! Nach 
der Lehre der Benelianer, der ich nicht widerfprehen will, nimmt bie 
Seele an innerer Stärke bis zum Tode ftetig zu. (Raue, ©. 254.). Kurz 
vor dem Zode wird fie alfo wohl den höchſten Gradı der Stärke erreicht 
haben, ven fie im irdifchen Leben erreihen kann. Und troß diefer Stärte 
fieht die Seele des Sterbenven nit, obgleih das Licht wie in gefunden 
Zagen ihm in's Auge fällt? Kann dies vernünftiger Weife ein Beweis da- 
für fein, daß die Seele unmittelbar fiebt ? Ich meine, man könnte daraus 
eher alles Andere erfchließen, als gerade die. Ach weiß nicht, mie 
Dreßler die von ihm angeführte Erjheinung erllären will. Ih für 
mein Theil vermag diefelbe nur dahin zu deuten, daß entweder das Auge, 
d. b. feine Nerven, nit mehr im Stande find, das Sehen zu vermitteln, 
oder wenn dies wirklich nicht der Fall wäre, daß die Seele kein Intereffe 
mehr bat, zu jeben, daß fie nicht mehr fehen will, Diefes Nichtwollen 
fommt aber belanntlid (und auch Dreßler weiß es) gar oft auch bei völlig 
gefunden Menjhen vor. Wir fehen häufig nit, was vor unfern Augen 
vorgeht, weil das ganze Intereſſe, die ganze Aufmerkſamkeit unferer Seele 
von einem andern Gegenitande völlig in Anfprud genommen if. Was 
folgt nun hieraus? Iſt es ein Beweis dafür, daß die Seele den Lichtreiz 
unmittelbar in fih aufnimmt, daß fie unmittelbar fieht, daß das 
Organ des Sehend das Sehen nicht vermittelt ? Gewiß nicht! Es bemeift 
nur, daß zum Sehen noch etwas gehört, was Dreßler nicht erwähnt. 
Der Lichtreiz mag vermittelt oder unvermittelt in bie Seele gelangen, bie 
Seele fieht in beiden Fällen nur, wenn ihr Intereſſe, ihre Aufmerkſamkeit 
in irgend einem Grade bazu tritt. 


Mas bisher vom Sehen und dem Auge gegen Drefiler gejagt 
worden, gilt analog von den übrigen Arten der finnlihen Empfindungen 
und den übrigen Einnesorganen. Zur Eteuer der Wahrheit muß id) 
übrigens bemerlen, daß in Betreff der Sinnesorgane Raue nit ganz fo 
weit gebt, wie Dreßler, indem er wenigſtens zugibt, daß biefelben 
nicht blos eine negative Beftimmung haben, ſondern aud die von außen 
ber zu entwidelnden Seelenvermögen pofitiv zu unterflügen beflimmt 
find. Denn zur Grzeugung finnliher Empfindungen bebürfe die Seele ge: 
junde Sinnesorgane. 








Duantitatives niemals DBualitatives, d. b. eine blohe Menge 
von Dingen oder Zufänden von einer befimmten Beſchaffenheit niemals 
ein anderes Ting von einer ganz andern Beſchaffenheit erzeugen Tünne; 
oder, um Raue’s anſchauliche Beweisführung beizubehalten, daf aus 
einem Haufen Gerfientörner, made man ihn auch nod fo groß, niemals 
Hafer werde. Gegen dieſes Gejeg verftöht die Logik der Benele’ihen Biy: 
dologie, wicht muz bei bem miblungenen Berjuhe, ven Uriprang bed Der 
wußtfeins zu ertlären (ſ. oben), fondern auch bei andern Gelegenheiten. 
So findet Benele z. B. zwiſchen der Thierfeele und der Menfchenfeele nur 
einen quantitativen Unterſchied, obgleih er wohl laum geneigt fein 
wird, zwiſchen den pſychiſchen Erſcheinungen und Yeuberungen beim Thiere 
und beim Menſchen alle qualitativen Unterſchiede zu leugnen. Denn die 

fittlihen und religiöfen Gefühle, Borftellungen und Begriffe finden ſich 
beim Thiere gar nicht. Nah Benele muß diefe qualitative Verſchie⸗ 
denheit zwiſchen dem Menſchen und dem Xhiere aus quantitativen 


alfo alle fih fpäter herausftellenden qualitativen pſychiſchen Unterſchiede 
- der Nenſchen zulegt aus jenen blos quantitativen bervorgeben. 

Die pſychologiſchen Arbeiten Benele’3 begannen feit 1820 befamnt 
zu werden ; fein abgeſchloſſenes Syſtem erſchien zuerft 1833 in feinem 
Lehrbuche der Pſychologie, defien zweite Auflage im %. 1845 noch von 
ihm ſelbſi beforgt wurde. Seitdem ift, namentlid veranlaßt durch genaue 
und ergiebige phyſiologiſche Unterfudungen (ſ. 0.) und die Erneuerung des 
Materialismus der Pſychologie erhöhte Aufmerkfamleit gewidmet worden, 
und es haben fi pſychologiſche Auffafiungen geltend gemacht, die den frü⸗ 

heren vielfady widerjpredhen , fie als unbaltbar nachgemwiefen haben. Die 
Arbeiten von Fortlage, Schaller, 3. H. Fichte, Ulrici, Brud, 
Staegmann, Bundt und Andern haben der Pſychologie eine völlig 
neue Geftalt gegeben, fo daß die früheren pſychologiſchen Auffafjungen und 
Spiteme, au die von Herbart und Benele in ihren eigenthümlichen 
Grundlagen gegenwärtig als veraltet bezeichnet werden können. Dreßler 
und Raue, die Sommentatoren uns Berbreiter der Beneke ſchen Pſycho⸗ 
logie, haben von den neueften Fortjchritten ihrer Wiſſenſchaft nidyt die ge- 
tingfte Notiz genommen ; für fie find jene Arbeiten gar nicht vorhanden. 
Meng dies aber als ein jhlimmes Zeichen angefeben werden muß, fo ift 
ſolches Ignoriren doch in fofern gerechtfertigt, als das pſychologiſche Syſtem 
Benele’3 auf willtürlihen Hypotheſen mühevoll und küͤnſtlich aufgebaut if 
und für Grgebnifje der fortfchreitenden Forſchung durchaus keinen Raum 
bat. Ein Lächeln muß es aber erregen, wenn die Anhänger Benefe’s bie 
Pſychologie ihres Meifters noch fortwährend als die „neue Pſychologie“ bes 
. jeihnen, und damit ihre völlige Untenntniß auf dem Felde ihrer Wiſſenſchaft 
an den Tag legen. . 


‚Allgemeine Päbagogif. 283 


7. Des alten Doctor Stiebel Iubelbiffertation fir Aerzte, Erzie⸗ 
ber und Kinderpfleger. Frankfurt a. M., I. D. Sauerländer's Verlag, 
1865. 100 ©. gr. 8. 15 Ser. 

Enthält vier Abhandlungen: 1. Gehirndiätetik der Säuglinge und 
Heinen Kinder (Miniatur: Pfychologie) ; 2. Rathſchlaͤge für angehende Kin⸗ 
berärzte; 3. Warum die Säuglinge ſchreien; 4. Ueber das Verhalten bei 
bigigen Ausihlagstrantheiten der Kinder. Nur die erfte Abhandlung hat 
auch für Erzieher Interefie. 


3. Zur hiſtoriſchen Pädagogik. 


8. Zur Biographie Heinrih Befalozzi’s. III. Bon alt Seminar 
director Morf, Wailenvater in Winterihbur. Winterthur, Buchbruderei 
von ©. Bleuler⸗Hausherr. 94 ©. Lex. 8. 

Das vorliegende Heft diefer werthvollen Schrift ift Dieſterweg ges 
widmet. Der Berf. hat zu demfelben viele handjcriftlihe Quellen benutzt, 
die ihm von verfchiedenen Seiten bereitwillig dargeboten wurden. Gr fdil- 
bert in der neuen Gabe in 12 Abjchnitten Peſtalozzi's Leben und Stre⸗ 
ben in Burgdorf. Die Abfchnitte führen folgende Ueberfhriften: 1. Sein 
Verl. 2. Nefultate feiner Berfuhe in Stanz. 3. Seine Verſuche in 
Burgdorf. 4. Weitere Hülfe durch Stapfer. 5. Das erfte amtliche Zeug: 
niß. 6. Peſtalozzi's erſie methodiſche Schrift. 7. Die erſten Gebülfen Pe: 
ſtalozzi's. 8. Das Gutachten der Gefellfhaft für das Erziehungsweſen. 
9. Wachſender Ruf. 10. Von dem Buche: „Wie Gertrud ꝛc.“ 11. Die 
nächſten Folgen dieſes Buches. 12. Die Gegner. Der lebte Abjchnitt. 
ſcheint noch nicht abgeſchloſſen zu fein, denn er befhäftigt fi nur mit den 
Gegnern aus der Baſedow'ſchen Schule. Bon befonderem Sntereife ift der 
fünfte Abjchnitt, der das erfte amtliche Zeugniß über Peſtalozzi's Wirkſam⸗ 
feit in Burgdorf bringt. Daſſelbe ift erftattet von der Schulcommiffipn zu 
Burgdorf, auf Grund einer abgehaltenen Prüfung der Schuljugend, die 
Peſtalozzi 8 Monate lang uriterricytet hatte, an den „Bürger Peſtalozzi“ 
gerichtet und vom 31. Mai 1800 datirt. Es heißt darin unter Anderm: 
„In dem Alter von 5—8 Jahren, in welchem nad der bisher befannten 
marternden Methode die Kinder: die Buchftaben kennen, fillabiren und lejen 
gelernt, haben Ihre Schüler niht nur diefe Penſen in einem bisher un« 
gewohnten Grade ber Vollkommenheit zu Ende gebracht, jondern die faͤhig⸗ 
ften unter ihnen zeichnen fich bereits als Schönfchreiber, Zeichner und Rech⸗ 
ner aus. Bei allen haben Sie die Neigung zur Geſchichte, Naturgefchichte, 
Meßkunſt, Erdbeſchreibung u. f. w. zu erweden und beleben gewußt, daß 
ihre künftigen Lehrer, wenn fie von diefen Vorbereitungen vernünftigen 
Gebrauch zu maden willen, ihre Arbeit -ungemein ’erleichtert finden müfs 
fen.’ — „Aber was hat Ihre Lehrart noch für Vorzüge vor andern, die 
man bi3 dahin getrieben hat ? Neben den fchnellen Fortſchritten, die darin 
gethan werben, im zarten Alter, wo jeder Unterricht ſchon feine Stelle findet, 
ift fie hauptfählih dazu geeignet, daß fie im häuslichen Zirkel von jeder 
Mutter, von jedem älteren Kinde, ja von jeder verftändigen Magd unter 


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ws nıAt bereits beiszat ik, wul:t ver ältee bis jegt bekannte Lebe 
Han !iı ere veride Eule je, mut ik bepreiieln. Wenigſtens 
4 bıuns zu vermutben, daß i 
vom 5. 1308, auf die ih im | 
hangewieſen habe, auch ein Lehrplan beñnde. Indeß if mir dieſe Schul 


L; 





Allgemeine Pädagogik. 285 


ordnung gegenwärtig nicht zur Hand, jo daB ich darüber nicht entſchei⸗ 
den kann. 


10. Biographiſche Bilber und Skizzen aus bem Herzogthum Meéſi⸗ 
ningen. Herausgegeben von E. F. Harimann. IL oe. Zum Beften 
bes eRalogi-Dereind, Salzungen, 2. Scheermeſſer'ſche Hofbuchhanblung, 
1865. 51 ©. 8. 5 Ger. 
Eine gewiß mühfame und im Iocalen Intereſſe verdienftlihe Arbeit, 

die jedoch auf allgemeineres Intereſſe leinen Anſpruch macht. Ueber Schu⸗ 

len und Lehrer enthält fie nur ganz kurze Notizen, und nur einige wenige 
bavon liefern einen vereinzelten Strih zu dem Bilde der Schulzuftände 
früherer Zeiten. In einem Dorfe wurde die Schule bis 1808 in Privat- 

bäufern und von da bis 1862 im Hirtenhaufe gehalten. In einem ans . 

dern bielt der Lehrer, der 1723 verftarb, im Winter Schule, während er 

im Sommer das Vieh hütete. In einem dritten waren von 1650 an nod 

Hirten Lehrer, die im Winter die Kinder lehrten und im Sommer das Vieh 

hüteten. Unter dieſen Lehrern befanden fih auch zu Zeiten Zagelöhner 

und Bauern, die wegen körperliher Schwäche ihre Güter ihren Kindern 
übergaben, von biejen ihre Alimentation empfingen und die geringe Lehrer: 
befoldung als Biergeld betrachteten. 


4. Erziehung uud Unterricht. Bolksfchul- Pädagogik. 


11. Lehrbuch der Erziehung und bes Unterrichts von Dr. W. J. G. 
Eurtmann, emeritirter Director bes Schullehrer-Seminars zu Friedberg, 
Nitter des Kaiferl. Rufl. St. Stanislausordens und bed Großherzogl. Se. 
Ordens Philippe bes Großmüthigen. Erſter Theil. — Auch unter bem 
Titel: Lehrbuch der Erziehung von x. Siebente revibirte Auflage bes 
Schwarz Eurtmann’ihen Werkes. Heidelberg, ©. F. Winter'ſche Verlags» 
bandlung, 1866. 420 ©. gr. 8. 


12. Allgemeine Unterridts- und Schulerziehungslehre. Eine An- 
leitung zur gwedmäßigen — des Lehramtes für Volksſchullehrer. Nach 
dem beſtehenden Metbobenbuche bearbeitet von Franz Herrmann. II. Auf⸗ 
lage. Prag, 1865, Fr. Aug. Erebner. 266 ©. 8. 20 Sgr. 


Scheint nur eine jogenannte neue Titel-Ausgabe zu fein. Bergl. Jah⸗ 
reöberiht Br. 14. ©. 530 f. 


13. Grunblegung zur Lehre vom erziehenden Unterrichte. Nach 
ihrer wiſſenſchaftlichen und praftifcgereformatorifchen Seite entwidelt von 
$rof. Dr. &. Ziller. Leipzig, Louis Pernitzſch, 1865. 490 ©. gr. 8. 
1 Thlr. 15 Sgr. 

Am vorigen Bande des Jahresberichts konnte ih nur über bie erfte 
Hälfte diefes interefianten Buches berichten, die zweite Abtheilung hat es 
mit der näheren Beflimmung bes Unterrihtszwedes zu thun, und es iſt 
deshalb in den Paragraphen 12 bis 20 von dem Intereſſe und der Biels 
feitigfeit defjelben nah ihren verſchiedenen Berhältnifien die Rede. Das 
allgemeine Urtbeil über die Schrift, das ich bei ber Anzeige der erften Abs 
theilung ausgefprodhen babe, muß ih auch nach Durchſicht der zweiten auf 
recht erhalten. Veranlaſſung zum Widerfprud bietet mir dieſelbe weniger 


286 Allgemeine Pädagogik. 


dar, als die erfte ; vielmehr finde ich mich binfichtlich der näberen Beftim- 
mung bes Unterrichtszwedes meift mit dem Verf. in Uebersinftimmung. Da 
ih das Weſentliche der eigenthümlichen Anfihten und reformatorischen Bes 
firebungen vefielben bereits im vorigen Jahre beiprodyen babe, jo erjcheint 
mir ein näberes Eingehen auf den Inhalt der zweiten Abtbeilung um fo 
weniger erforderlich zu fein, ald diejenigen, melde fi für wifienihaftliche 
Pädagogik intereffiren, jedenfalld mit dem Bude nähere Belanntihaft 
maden werben. Schade, daß durch die oft mehrere Seiten ohne Unter⸗ 
bredung fortlaufenden Abjäge und durd lange Perioden das Studium der 
gedankenreichen Schrift nicht wenig erſchwert wird. 


14. Die Pädagogik in überſichtlicher Darflellung Gin ne 

für Lehramtscandibaten, Volkeſchullehrer und Erzieher. Bon F. U. 

Director am deutſchen Lebrerfeminar bes Kantons Bern. Zweite Häl 

Bern, 3. Dalp’ihe Buch⸗ und Kunſthandlung, 1866. ©. 161—377. 3 

Der bier vorliegende Schluß dieſes vortrefflihen Lehrbuchs der Päpa- 
gogit, das bereits im vorigen Bande des Jahresberichts (S. 474 f.) em: 
pfoblen worden itt, führt, gunädft mit der praltifchen Etziehung den zweiten 
Adfchnitt zu Ende. Der dritte und letzte Abjchnitt legt „das Syſtem ber 
Erziehung‘ dar, ftellt in der Einleitung zunächft den Begriff und die Io 
gifche Gliederung defielben feit und handelt fodann von der Pflege, der 
Bucht und dem Unterrihte nah Zwed, Mittel und Methode. Die 
Unterrichtögegenftände werden in drei Gruppen getbeilt: 1. Die idealen 
Fächer (Religionsunterriht, Sprahunterriht, Geſangunterricht). 2. Die 
realen Faͤcher (Zablenlehre, Raumlehre, Realunterriht). 3. Die Fertigkei⸗ 
ten (Beichnen, Schreiben, Turnen). Dieſe Rlaffifitation der Lehrſächer, wie 
freilich jede andere ebenfalls, läßt manchen Bedenken Raum. Zunächſt Tann 
die Gruppe der Fertigkeiten logifch nicht den beiden andern Gruppen neben; 
geordnet werben, da fie auf einem ganz anderen Eintheilungsgrunde beruht, 
als diefe letztern. Sodann ift es ar, daß eg nicht von dem Lehrſtoffe 
oder dem ftubftantiellen Inhalte eines Lehrgegenftandes abhängt, ob ber 
Lehrgegenftand zur idealen oder realen Gruppe zu rechnen ift, ſondern 
lediglich von der Art und Weile, mie dieſer Lebrftoff im Unterrichte bear 
beitet wird. in und derſelbe Unterrichtögegenftand kann ebenſowohl der 
idealen als der realen Bildung dienen. So 3. B. die Gefhidte, die Na: 
turfunde, felbft der Religionsunterriht. Von dem Sprachunterrichte an fid 
läßt fi in feiner Weiſe behaupten, daß er ein ideales Lehrfach fei, obgleich 
derfelbe das nothwendige Mittel für jeden idealen, aber aud realen Unter: 
richt ift, und das Zeichnen könnte faft mit gleihem Rechte, wie ber Ge 
fang, in die Gruppe der idealen Unterrichtögegenftände geitellt werden. Iw 
deß ift auf diefe Bedenken gegen die vom Berf. angenommene Rlaffification 
der Lehrfächer kein zu großes Gewicht zu legen, da, wie gejagt, jede Klaſ⸗ 
fification logifhe und ſachliche Bedenken zuläßt. 

Hoffentlich mwird die vortrefflihe Schrift von Ruegg in der Lehrerwelt 
bie verdiente Beachtung finden und in berfelben über mandye Partien der 
Grjiehungss und Unterrichtslehre ein helleres Licht verbreiten, namentlid 


Allgemeine Pädagogik. 287 


über die Unterrihtsmethope. Ueber dieſe berrihen noch die unklarſten Bor: 
ftellungen, wodurch der Unterricht vielfah in Methodenkünftelei und in 
falfhe Bahnen bineingetrieben worden iſt. Unfer Verf. hat das Wefen ver 
Unterrihtsmethode richtig erfannt. Sie ift diejenige Thätigleit des Lehrers, 
wodurch der dem Schüler zunächft äußerlich als ein Fremdartiges entgegen- 
tretende Unterrichtsgegenſtand fo zubereitet wird, daß derſelbe nah und nad 
von dem Schüler innerlih aufgenommen und zum völligen geiftigen Eigen⸗ 
thum werben kann und wird. Die Methode gliebert fih in den Lehr⸗ 
gang, der gewöhnlid allein als die Methode angefehen wird, und der es 
damit zu tbun hat, den Lehrftoff in zwedmäßiger Weife auseinander zu 
legen und die Aufeinanverfolge feiner Theile richtig anzuorinen, die Lehr: 
form, welde dem Lehritoffe die geeignete Form gibt, um vom Geifte des 
Schülers aufgenommen werben zu lönnen, und bie eine innere (An⸗ 
ſchauung, Borftellung, Begriff) und eine äußere (akroamatiſche oder vor⸗ 
tragende, erotematifche oder fragende) ift, und in die Lehrweiſe, welche 
die innerlihe Aneignung des Lehrftoffes und die Umwandlung deſſelben in 
geiftiges Eigenthum vermittelt, unmittelbar vom Geifte des Lehrers ausgeht 
und in der Klarheit, Lebendigkeit und Wärme des linterrichts befteht. Die 
Bezeihnung Lehrgeift ftatt Lebhrweife würde noch trefiender und dem 
Mißverftändnifle weniger ausgelegt fein. 

Die Methodik der einzelnen Lehrfächer hat der Verf. mit Recht aus⸗ 
gefchlofien, da dies dem Plane feines Lehrbuches entjpricht. 


15. Erziehungslehre für ifr. Aeltern, Lehrer und Tehramtszdg- 
linge. Bon A. Lederer, Muſterhauptſchuldirector und Lehrerbilbner an 
der Tönigl, ifraelit. Präparandie in Verb. Peſth, 1865, Robert Lampel. 
184 ©. 8. 2% Sgr. 

Der Berf. gebt von der Anfiht aus, daß die bereits in vielen Schrif: 

ten bargelegten richtigen Erziehungsgrundfäße noch lange nicht genug in bie 

Maſſen des Volks gebrungen find, und deshalb fo lange für die Verbrei⸗ 

tung berjelben durch Schriften wie durch die That gemirkt werden müfle, 

bis jeder Vater ein denkender Erzieher, jede Mutter eine verftländige Erzie⸗ 
berin, jedes Gemeinbeglied ein warmer Schulfreund, das ganze Zeitalter ein 
pädagogijches wird. Diefe Anficht, fo wie der Umftand, daß es ifraelitifchen 

Eltern und Schulamtszöglingen nod immer an einem pädagogifchen Lehr 

bude fehlt, das mit ihrem angeerbten Glauben und ihrer religiöfen Ueber: 

zeugung völlig übereinftinmt, bewog den Verf. zur Ausarbeitung und Her: 
ausgabe feiner Erziehungslehre. Nach einer Eintheilung, weldhe von der 

Pädagogik und ihrer Eintheilung, den leiblihen und geiftigen Anlagen, den 

Lebens: und Entwidelungsgejegen und der Beltimmung des Menjhen ban- 

delt, werben in drei Abfchnitten die Grundfäße der Erziehung im Kindes⸗ 

alter, im Stnabenalter, im Sünglingsalter dargelegt. Auf ſyſtematiſche An⸗ 
ordnung und wiſſenſchaftliche Begründung hat der Verf. natürlich verzichtet, 
dagegen Alles für die praltiihe Erziehung Wichtige auf dem Grunde dhrift: 
licher Erziehungsfchriften in Kürze dargelegt. Das fpecififh Sfraelitifche in 
der Schrift zeigt fih nur in der Beifügung hebräiſcher Wörter zu manchen 


288 Allgemeine Pädagogik. 


deutfhen Wörtern, in der Bermeibung ſpecifiſch chriſtlicher Ausvrüde und in 
häufiger Bezugnahme auf das 9. 7. 


16. Der Kern ber Grsichnnge. Wrage. Bortrag zum Veften der Innern 
Miſſion gehalten von Dr. ert, Abnigl. PBrovinzial-Schulrath. Stet⸗ 
tin, Th. von der Nahmer, 1865. 44 ©. 12. 74 Ger. 

Bon der Kinderftube ausgehend, gelangt der Berf. durch Hinweiſung 
auf Grfabrungen, die jeder Vater und jede Mutter machen kann, zu fol- 
genden Saͤtzen: Jedes Kind hat einen ihm eigenthümlichen geiftigen Urzaze 
fand. Diefe urſprungliche Verſchiedenheit in den Geiſtesrichtungen der Kin⸗ 
derfeelen ift eine ſpecifiſche und weſenhafte. Jede einzelne Kindesſeele bat 
neben ven allgemein menſchlichen Begabungen einen bejondern, ihr eigen- 
tbümlihen @eiftesgehalt von und aus Gott erhalten, und fie bat bamit 
die Aufgabe überlommen, in dieſer ihrer Richtung innerhalb der menſch⸗ 
lichen Beichräntung und kraft des allgemeinen menſchlichen Vermögens 
ihren Geiftesgehalt zur vollendeten Darftellung zu bringen. Die Erzie⸗ 
bung bat demnah die Aufgabe, an jedem Kinde nicht nur das all⸗ 
gemein Menſchliche, fondern auh das ihm Gigentbümlihe und Jndi⸗ 
viduelle fo zur Gntwidelung und Reife zu bringen, daß berfelbe 
Menſch in allen Lagen und allen Lebensäußerungen, in allem ort: 
jhreiten und notbwendigen Wandel feiner Dent: und SHandlungsweife 
als: ein urfprünglies, fi ſelber ftets getreues und durch und burdh 
barmonifh geftimmtes Weſen fih fund gibt. Cs liegt daher weder in 
der Vollmacht noch in der Macht der Eltern und Grzieber, das ihnen 
anvertraute Kind nad einer ganz beliebigen und willkürlichen Richtung hin⸗ 
zuleiten. Die individuelle Anlage ſchließt auch die Kraft ihrer Entwidelung 
in fi ; der Erzieher hat deshalb vor Allem die Individualität des Kindes 
zu erforjchen, zu verfteben, und fo aus und von dem finde zu lernen, 
wie, woburd und wozu es erzogen fein will. Sodann hat die Erzie 
bung dafür zu forgen, daß von dem finde alles Dasjenige fern gehalten 
wird, was durch befondern Reiz jeine Entwidelung ftört, in faljche und 
fündige Richtung treibt ; daß eine geiftige und fittlihe Atmojphäre um daſ⸗ 
jelbe hergeftellt wird, aus der es gejunde und geſundmachende Ginprüde 
empfängt ; daß ihm ein Beichäftigungstreis angewieſen wird, in weldem 
es ſich möglichft frei bewegen kann; daß ihm ein Pflichtentreis übertragen 
wird, in dejlen wohl erreichbarer ,. aber nie erreichter Erfüllung, es fih in 
feiner fittlihen Schwäde und fo ſich felber in feiner tiefiten Schädigung 
erlenne. 


Das iſt der Kern der Erziehungs-Frage und der Hauptinhalt des 
Vortrags. Was von S. 29 an nod über Staat, Kirche und namentlid 
‚über die Schule gejagt wird, kann hier um jo mehr unberührt bleiben, al# 
der Verf. aus Nüdfiht auf feine Zuhörer nur die höheren Schulen im 
Auge bat. 


Meferent ftimmt dem Perf. darin bei, daß dem Kinde nicht bios 
quantitative Eigenthümlichleit angeboren iR, wie die „neue Pipe: 





Allgemeine Pädagogik. 289 


logie” behauptet, ſondern auch qualitative; ebenfo aud darin, daß bie 
der Individualität entſprechende Erziehung die richtige und bie Bildung bes 
Charakters das Weſentliche ſei. Cr bebauert nur, daß die engen Grenzen 
eines Bortrages dem fcharf beobachtenden Verf. nicht geftattet haben, tiefer 
auf die Frage von der urſprünglichen Individualität des Kindes einzugehen, 
da biejelbe für jeden Erzieher, aljo auch für den Lehrer von entſcheidender 
Wichtigkeit ift.. Bei diefer Frage verdient befonders Zweierlei einer ge 
nauern Grörterung. Das Eine ift der jo überaus verfchievene Grad der . 
"Stärke, in welcher die urjprüngliche Gigenthümlichfeit in den einzelnen Kin: 
dern ausgeprägt it. In vielen ift fie fo ſchwach, daß man fie in der 
That nicht mit einiger Sicherheit erfennen und daß man aus ihnen Alles 
machen fann, was man will, Das Zweite betrifft die Unterfheidung def 
fen, was wirlklich urſprüngliche oder nur unwilllürlid anerzogene 
Eigentbümlichleit im Kinde if. Cine Verwechſelung beider ift ungemein 
leiht, führt aber natürlih nur zu erziehlichen Mipgriffen. Dem Verf. 
würden viele. Erzieher dankbar fein, wenn er in anderer Form ſeinen Ge⸗ 
genſtand weiter ausführen wollte. 


17. Die neuen Elemente, bie das Chriſtenthum in das Erzie- 
hungs⸗ und Unterrihtswejen eingeführt bat. Beleuchtet von 
Carl Ruland. (Separatabdrud aus dem Repertorium ber päbagogilchen 
Journaliſtik und. iteratur XIX 6). Münden, Louis Finfterlin, 1865. 
19 © 8 4 Sgr. 

Durch DVergleihung der vorhriftlihen Zeit mit der chriſtlichen werden 
als ſolche Clemente gefunden : Richtigere Auffafiung der Beſtimmung des 
Menihen, der nicht blos, wie man im Altertbume meinte, für den Staat, 
jondern ala abjoluter Selbftzmed zur Gottähnlichkeit zu erziehen iſt; eine 
edlere Anfiht über die Willenihaften und deren Zmed, und Herporhebung 
des moraliſchen Gefühle als Stüßen der Erziehung ; Herftellung des rich: 
tigen Verhaͤltniſſes zwiſchen dem irdifchen und ewigen Berufe des Menfchen 
und demgemäß die Erhebung der Religion zum Hauptgegenftande bes Un⸗ 
terrichts; die Gleichberehtigung und Gleichftellung aller Menſchen; die 
würbigere Stellung des Weibes, die Heiligkeit der Ehe, die höhere Würde 
der Familie und größere Reinheit des Yamilienlebens, damit auch eine 
befiere Yamilienerziebung ; Berallgemeinerung des Unterrihts und der Schus 
len. Durch das Chriſtenthum wurde auch das Verhältniß des Staates zur 
Erziehung eine andere und befiere, und manches brauchbare erziehliche Ele⸗ 
ment des Altertbums in veredelter Geftalt in die chrifilihde Welt berüber 
genommen, 3. B. das ganze Gebiet der Wiſſenſchaft und Bildung, das bie 
Alten mit dem Namen Mufil bezeichneten. — Dies find die Hauptgedans 
ten der Abhandlung, die bin und wieder noch etwas befier hätten ausges 
führt werden lönnen. 


18. Eines nah dem Andern! Ein Vorſchlag zur Reform bes Unterrichts- 
wefens mit befonderer Rüdfiht auf bie Gelehrtenſchulen, bargelegt von 
Albert Biſchoff. Nörvlingen, &. H. Beck'ſche Buchhandlung, 1866. 
35 S. 6 Ser. 

Der Titel und die Tendenz dieſer Heinen Schrift erinnert an bie früs 

Her (Bd. 16, ©. 512) angezeigte, die den Titel „Eins“ führt, unterſcheidet 

Päd. Jahresbericᷣt. XVIIL 19 


290 Allgemeine Pädagogik. 


ih aber ſonſt von diefer in weſentlichen Punkten. Der Berf., der Sub: 
rector zu Uffenheim in Mittelfranten ift, und von der päbagogijhen Lite: 
ratur eine Außerft geringe Meinung hegt, weil jie nad feiner Anficht meift 
Unkraut enthält, bat fich verpflichtet gefühlt, aus der Stille feiner Studir⸗ 
und Schulitube auf den offenen Markt hinaus zu treten, um einen Uebel⸗ 
ftand in unferm Unterrichtsweſen zur Sprache zu bringen, auf dem bisher 
zwar hin und wieder bingemwiejen worden ift, aber vergeblid. Der Unter 
richt in den Schulen aller Art, au in den Bollsichulen, wird vom ihm 
als ungenügend bezeichnet, und Daß der Lehrerftand dies felbft fühle, jollen 
die häufigen Lehrerverfammlungen bemeifen, die überall eine Reform der 
Schule fordern. Den Grund, warum der Schulunterriht Ungenügendes 
leilte, jo darin liegen, daß es demjelben an Einheit fehle, daß zu Vielerlei 
neben einander getrieben und dadurch Zeit und Kraft der Schüler zu 
ſehr zexrfplittert werde. Daher will er durch Geltendmahung des Grund⸗ 
jages : „Eines nad dem Andern‘ den Schulunterriht zunädft in den Ge: 
lehrtenſchulen, dann aber auch in allen andern Schulen reformirt wifien. 
„Eins nah dem Anden! Gehr's nicht gleichzeitig, fo wird's vielleicht 
naheinander gehen. Wie märe es denn, eine Beitlang blos Xatein 
und faft nichts als Latein zu treiben ? Laßt einen Anaben vier Fahre blos 
Latein lernen, jo wird er wohl zulept etwas Tüchtiges leiften, und lat 
ihn dann zwei Jahre lang blos das Griechiſche treiben, er wird ſchnell 
zu einer Yertigleit kommen, wie er fie jebt nie erlangt, und laßt ihn dann 
ein oder zwei Jahre Gefchichte oder Mathematit oder Phyſik oder neuere 
Spraden lernen, entweder inmitten jener Beit oder am Schlufle, aber im- 
mer nur Eines nad dem Undern, meinetwegen au das Eine und Andere 
nur ein -halbes Jahr lang, aber beftändig, täglich, nicht blos in zwei Stun⸗ 
den der Woche, — was gilt die Wette? er lernt lieber, grünblicher, ex 
lernt mehr und befier. Auf diefe Weife brauchen wir nichts aufzugeben 
von dem, was einmal Unterrichtögegenftand ift, und mit dem non multa, 
sed multum wird's jeßt rechter Ernft.” Das geht freilich auf die Gym- 
naſien; man darf aber nur ftatt Latein und Griechiſch andere Lebrfächer 
jesen, ſo kann es auch auf Real⸗, Bürger: und ſelbſt Volksſchulen bezogen 
werden. 

Es iſt nicht zu verkennen, daß der Verf. auf einen Uebelſtand in 
unſerm Schulunterrichte hinweiſt, der ſchon vielfach gefühlt worden if. 
Dadurch, daß viele Lehrgegenſtände neben einander und natuͤrlich jeder nur 
in ein paar wöchentlichen Stunden, getrieben worden, entſteht eine Zer⸗ 
jplitterung an Zeit und Kraft, welche die Fortichritte der Schüler ungemein 
bindert. Das Mittel, welches der Verf. zur Bejeitigung des Uehelſtandes 
vorjhlägt, würde im Allgemeinen gewiß recht wirkſam fein, wenn ſich nur 
bie Lehrer zur Anmendung deſſelben bequemen wollten. Diefe haben aber 
gegen eine Einrichtung des Unterricht3 wie bie vorgejchlagene allerlei Be⸗ 
denfen. Sie fürdten, der Unterricht möchte zu einfürmig werben und bie 
Schüler würden die Luft daran verlieren. Das in einem Lehrfache Gelernte 
würde auch bald wieder vergefien fein, wenn bafjelbe noch während der Schul⸗ 
zeit aufhörte, betrieben zu werden. In den Schulen mit mebrem Lehrern, 











Allgemeine Pädagogik. 291 


und wo unter biefen einige Fachlehrer find, würden auch vielleicht manche 
äußere Schwierigleiten entftehen in Bezug auf Vertbeilung der Lehrſtunden. 

Dieſen Bedenken juht der Verf. entgegen zu treten, und fie find 
in der That nit von großem Gewichte. Denn die Meinung Tann. ja 
nit dahin geben, alle wöchentlichen Lehrftunden immer nur einem ein- 
zigen Lehrfache zuzumenden, fondern nur dahin, daß ſtets nur einige Lehr: 
fächer zu gleicher Zeit neben einander betrieben werben, damit man jedem 
täglich mwenigftend eine Stunde widmen kann. Und mas das Vergeſſen 
des in einem Lehrfahe Gelernten betrifft, jo tritt dafjelbe nad dem Ab- 
laufe der Schuljahre do ein. Was für einen Werth mag doch ein Wil: 
fen haben, das durch ununterbrodene Pflege nur während ver Schulzeit 
ein mehr oder weniger unficheres Beſitzthum bleibt, nach berjelben aber 
bald verloren geht? Wollte man nur den Stoff in jedem Lehrfahe auf 
das für die Bildung wirklich Nothivendige befhränten, dieſes Nothwendige 
aber nur vecht tüchtig üben, jo würde es auch dann noch eben fo lange, 
wie ber Lehrſtoff ‚bei der gegenwärtigen Cinrichtung, im Geifte des Schülers 
baften, wenn aucd der betreffende Lehrgegenftand in ber Schule einem ans 
dern Plaß madhte. 

Der Verf. bat fih nur bemüht, pen Grundſatz „Eines nad) dem An⸗ 
bern” zur Anerlennung zu bringen und er gibt für bie Anwendung deſſel⸗ 
ben nur wenige, ungenügende Andeutungen. Damit bat er gerade das 
unterlajlen, was für ihn das Wichtigſte hätte fein follen. Die Aufftellung 
allgemeiner Grundſaͤtze und ihre theoretiihe Begründung hilft wenig, wenn 
die Möglichkeit ihrer Durchführung in der Praris nicht nachgewielen wird, 
Mancher Lehrer wird vielleiht die Nichtigkeit des Grundſatzes an ſich zus 
zugeben geneigt jein, er vermag fih nur nit zu überzeugen, daß er prals 
tiſch durchjührbar if. Auch hat der Verf. ein Bebenlen ganz unerwähnt 
gelafien, daS vielleiht gerade das wichtigſte if. Die meilten Lehrfächer 
enthalten Bartien, die in einem frübern Alter durchgenommen werden köns 
wen, und wieder andere, deren fruchtbares Verſtändniß ein reiferes Schul 
alter vorausfegt. Nehmen wir 3. B. das Rechnen in einer Bürgerjchule, 
Es ift nit möglih, daſſelbe in den erften drei oder vier Schuljahren ſo 
weit als es nöthig ift zu lehren, weil für gewiſſe Rechnungsarten erft das 
ſechſte und fiebente Schuljahr geeignet if. Derfelbe Fall findet auch bei 
alten Spradhen Statt. Der Berf. hat ſich nicht darüber ausgefprochen, in 
welchem Alter des Schülers er das Latein angefangen willen will. Setzen 
wir auch diejen Anfang in das zwölfte Lebensjahr, was nad der allge 
meinen Praris belanntlih etwas fpät ift, jo muß doch bezweifelt werben, 
daß die Schüler in vier Jahren, felbjt bei 12 und mehr wöchentlichen 
Lehrftunden, dahin gelangen werben, einen ſchwierigern lateiniſchen Schrift 
fteller mit einigem Nußen für ihre geijtige Bildung zu lefen, weil zum Ver: 
ftänpniß nicht nur ein etwas veiferer Geift, Sondern auch die Velanntfchaft 
mit Geſchichte und Nealien erfordert wird, die vielleicht erjt jpäter eintreten 
follen und können. Dadurch wird allerdings, nad meinem Ermeſſen, ber 
Grundjag und die Anfiht des Berfaflers nicht geradezu umgeftoßen, aber 
doch dahin beſchraͤnkt, daß in den obern Klaſſen die Anzahl der neben 

19* 


282 Allgemeine Pädagogit. 


Es ift ein allgemein als gültig anerlanntes logifches Geſetz, daß blos 
QDuantitatives niemald® Qualitatives, d. h. eine bloße Menge 
von Dingen oder Zuftänden von einer beftimmten Beſchaffenheit niemals 
ein anderes Ding von einer ganz andern Beſchaffenheit erzeugen lönne ; 
oder, um Naue’s anſchauliche Beweisführung beizubehalten, daß aus 
einem Haufen Gerftenlörner, made man ibn auch noch fo groß, niemals 
Hafer werde. Gegen diefes Gejeß verftößt die Logik der Benele’ihen Pſy⸗ 
hologie, nit nur bei dem mißlungenen Berfuche, den Urjprung bed Bes 
wußtſeins zu erllären (ſ. oben), fondern auch bei andern Gelegenheiten. 
So findet Benele 3. B. zwifchen der Thierjeele und der Menfchenjeele nur 
einen quantitativen Unterfihieb, obgleih er wohl kaum geneigt fein 
wird, zwiſchen den pſychiſchen Erjcheinungen und Aeußerungen beim Thiere 
und beim Menjhen alle qualitativen Unterjdiede zu leugnen. Denn bie 
fittlihen und religiöfen Gefühle, Vorſtellungen und Begriffe finden fi 
beim Thiere gar niht. Nah Benele muß dieſe qualitative Verſchie⸗ 
denheit zwifhen dem Menſchen und dem Xhiere aus quantitativen 
Berbältniffen 'erflärt werden. Diefelbe vertehrte Logik findet fih aud im 
feiner Anfiht vom Angeborenen. Gr meint nämli, daß der Seele (oder 
deren Urvermögen) nur quantitative Unterſchiede angeboren feien, daß 
alfo alle fi fpäter berausftellenden qualitativen pſychiſchen Unterſchiede 

- der Menſchen zulegt aus jenen blos quantitativen hervorgehen. 

Die pipchologiihen Arbeiten Beneke's begannen jeit 1820 belannt 
zu werben ; fein abgefchlofienes Spitem erſchien zuerit 1833 in feinem 
Lehrbuche der Pſychologie, deſſen zweite Auflage im J. 1845 nod von 
ihm ſelbſt beforgt wurde. Seitdem ift, namentlid veranlaßt durch genaue 
und ergiebige phyſiologiſche Unterfuhungen (f. o.) und die Erneuerung des 
Materialismus der Piychologie erhöhte Aufmerkjamleit gewidmet worden, 
und es haben fih pſychologiſche Auffafiungen geltend gemacht, die den frü⸗ 

heren vielfady widerſprechen, fie als unhaltbar nachgewiefen haben. Die 
Arbeiten von Fortlage, Schaller, J. H. Fichte, Ulrici, Brud, 
Staegmann, Wundt und Andern baben ver Piychologie eine völlig 
neue Geftalt gegeben, fo daß die früberen pſychologiſchen Auffafjungen und 
Syiteme, au die von Herbart und Benele in ihren eigenthümlihen 
Grundlagen gegenwärtig als veraltet bezeichnet werden können. Dreßler 
und Raue, die Commentatoren und Berbreiter der Benele'ihen Pſycho⸗ 
logie, haben von den neueften Fortichritten ihrer Wiſſenſchaft nicht die ge 
tingfte Notiz genommen ; für fie find jene Arbeiten gar nicht vorhanden. 
Meng dies aber als ein ſchlimmes Zeichen angejfehen werden muß, fo ift 
ſolches Ignoriren doch im fofern gerechtfertigt, ald das pſychologiſche Syſtem 
Beneke's auf willtürlihen Hypotheſen mühevoll und künſtlich aufgebaut ift 
und für Ergebniſſe der fortfchreitenden Forfhung durchaus feinen Raum 
bat. Gin Lächeln muß es aber erregen, wenn die Anhänger Beneke's die 
Pſychologie ihres Meifters noch fortwährend als vie „neue Pſychologie“ bes 
zeihnen, und damit ihre völlige Unkenntniß auf dem Felde ihrer Wiſſenſchaft 
an den Tag legen. . 








‚Allgemeine Päbagogif. 283 


„71. Des alten Doctor Stiebel Jubelbiffertation fir Aerzte, Erzie- 
ber und SKinberpfleger. Frankfurt a. M., I. D. GSauerländer's Verlag, 
1865. 100 ©. gr. 8. 15 Sgr. 

Enthält vier Abhandlungen: 1. Gehirndiätetik der Säuglinge und 
Heinen Kinder (Miniatur: Pfychologie) ; 2. Rathſchläge für angehenve Kin⸗ 
deraͤrzte; 3. Warum die Säuglinge ſchreien; 4A. Ueber das Berhalten bei 
bigigen Ausichlagstrantheiten der Kinder. Nur die erfte Abhandlung bat 
auch für Erzieher Intereſſe. 


3. Zur biftorifchen . Pädagogik. 


8. Zur Biographie Beni PBeftalozzi’s. IIL. Bon alt Seminar 
director Morf, Wailenvater in Winterihur. Winterthur, Buchdruckerei 

von ©. Bleuler-Hausherr. 94 ©. er. 8. 

Das vorliegende Heft diefer werthvollen Schrift ift Dieſterweg ge⸗ 
widmet. Der Verf. hat zu demjelben viele handſchriftliche Quellen benußt, 
die ihm von verfchiedenen Seiten bereitwillig dargeboten wurden. Er ſchil⸗ 
dert in der neuen Gabe in 12 Abſchnitten Peftalozzi’d Leben und Stres 
ben in Burgdorf. Die Abſchnitte führen folgende Meberfhriften: 1. Sein 
Merl. 2. Nefultate feiner DVerjuhe in Stanz. 8. Seine Verſuche in 
Burgdorf. 4. Weitere Hülfe durch Stapfer. 5. Das erfte amtliche Zeug: 
nie. 6. Peſtalozzi's erfte methodiſche Schrift. 7. Die erften Gebülfen Be: 
ſtalozzi's. 8. Das Gutachten der Gefellihaft für das Erziehungsweſen. 
9. Wachſender Ruf. 10. Bon dem Buche: „Wie Gertrud ꝛc.“ 11. Die 
nächſten Folgen dieſes Buches. 12. Die Gegner. Der lebte Abfchnitt. 
Scheint noch nicht abgefchlofien zu fein, denn er bejchäftigt fih nur mit den 
Gegnern aus der Baſedow'ſchen Schule. Bon befonderem Intereſſe ift der 
fünfte Abfchnitt, der das erfte amtliche Zeugniß über Peſtalozzi's Wirkfams 
keit in Burgdorf bringt. Daſſelbe ift erftattet von der Schulcommiffipn zu 
Burgdorf, auf Grund einer abgehaltenen Prüfung der Schuljugend, bie 
Peſtalozzi 8 Monate lang unterrichtet hatte, an den „Bürger Peſtalozzi“ 
gerichtet und vom 31. Mai 1800 datirt. Es heißt darin unter Anderm: 
„In dem Alter von 5—8 Jahren, in welchem nad der bisher befannten 
marternden Methode die Kinder die Buchftaben kennen, fillabiren und lejen 
gelernt, haben Ihre Schüler nicht nur dieſe Penfen in einem bisher uns 
gewohnten Grade der Volllommenbeit zu Ende gebradt, fondern die fähig» 
ften unter ihnen zeichnen fich bereits als Schönfchreiber, Zeichner und Rech⸗ 
ner aus. Bei allen haben Sie die Neigung zur Gefhichte, Naturgeſchichte, 
Meßlunſt, Srobefhreibung u. ſ. w. zu erweden und beleben gewußt, daß 
ihre künftigen Lehrer, wenn fie von diefen Vorbereitungen vernünftigen 
Gebraud zu machen willen, ihre Arbeit -ungemein ’erleichtert finden müͤſ⸗ 
fen. — „Aber was bat Ihre Lehrart noch für Vorzüge vor andern, die 
man bis dahin getrieben hat? Neben den jchnellen Fortjchritten, die darin 
gethan werben, im zarten Alter, two jeder Unterricht ſchon feine Stelle findet, 
ift fie hauptfächlih dazu geeignet, daß fie im häuslichen Zirkel von jeder 
Mutter, von jedem älteren Finde, ja von jeder verftändigen Magd unter 


284 Allgemeine Pädagogik. 


der häuslichen Arbeit angewendet werben kann. Welcher Gewinnft für die 
Gemeinden, für die Eltern und für die Kinder. — 


Im Jahre 1800 bildete fih eine „Gefellihaft von Freunden des Er⸗ 
ziehungsweſens“ in der beftimmten Abſicht, die Beſtrebungen Peſtalozzi's zu 
unterftügen und zu allgemeinerer Anerlennung zu bringen. Cine Commij: 
fion aus ihrer Mitte erhielt den Auftrag, Peſtalozzi's Methode an Ort und 
Stelle zu prüfen und ber Gefellfihaft Bericht zu erftatten. Männer von 
Bedeutung, wie Paul Ufteri von Züri, Lüthi von Solothurn u. A. was 
ren unter den Mitglievern derjelben. In dem von dieſer Commiffion er» 
ftatteten Bericht beißt es unter Anderm: 


„Allererft haben mir bemerkt, daß die Kinder der Peſialozzi'ſchen An⸗ 
ftalt außerorventlih geſchwind und Außerft volllommen budftabiren, lefen, 
Schreiben, rechnen lernen. In einem einzigen halben Sabre find fie im 
Stande, hierin auf jene Stufe zu gelangen, zu der nur irgend ein Dorf 
ſchulmeiſter in 3 Jahren fie zu erheben vermöchte. Wahr iſt's, die Dorf: 
ſchulmeiſter find gewöhnlich Teine Peitalozzi, und man findet auch nicht alle 
Tage ſolche Gehülfen, wie Freund Peſtalozzi. Aber uns büntte do, daß 
nit das Perfonal der Schule diefe außerordentliche Erſcheinung hervor⸗ 
gebracht habe. Es dünkte uns, die Lehrart felbft fei Urſache davon.” 


„Und worin befteht die Lehrart ? Darin, daß man der Natur allein 
die Hand bietet, daß man fie zur eigentlichen Lehrerin macht. Die Ge 
lehrten jollen fih auf folgende Weife hierüber ausdrüden: Diefe Lehrart 
geht nur von Anjhauungen aus und führt das Kind allmählig und von 
felbft auf abftracte Begriffe. Noch einen Bortheil bat dieſe Lebhrart; er 
beftebt darin, daß eben diejer Erziehungsweg überall nie einen Lehrer er 
bliden läßt. — Er erfheint nirgends als ein Weſen höherer Art, fondern, 
wie die liebe Natur, ift und mwebt und lebt er mit den Kindern als mit 
Seinesgleihen, und fcheint eher von ihnen zu lernen, als fie etwas zu 
lehren.‘ 


Nah dem Vorworte ift leider feine Ausfiht vorhanden, daß im fol 
genden Sabre das folgende Heft dieſes vortreffliden Wertes erſchei⸗ 
nen wird. 


9. Der älteſte, bis jetzt belannte Lehrplan für eine beutfde 
Schule (die Schule der Stabt Eisleben) im Jahre 1525, aufgefunden und 
nah dem Driginalbrude nebſt einigen Bemerkungen herausgegeben von 
Sriedrih Lorenz Hoffmann, Dr. der Rechte. Hamburg, Perihes⸗Beſſer 
und Maule, 1865. 32 S. 8. 6 Ser. 

Der urjprünglih in Placatformat gebrudte Lehrplan ift lateiniſch ab: 
gefaßt und für die bamals in Gisleben beftehende vreiklajfige lateinifche 
Schule beftimmt. Daß diefer Lehrplan, der übrigens kaum Etwas enthält, 
was nicht bereits bekannt ift, wirklich ver ältefte bis jetzt befannte Lehr 
“plan für eine deutſche Schule fei, muß ich bezweifeln. Wenigſtens babe 
id Grund zu vermutben, daß fi in der Stuttgarter Schulordnung 
vom %. 1501, auf die ih im XIV. Bande des Yahresberihts ©. 515 
bingewiefen babe, auch ein Lehrplan befinde, Indeß ift mir diefe Schul 





Allgemeine Pädagogik. 285 


ordnung gegenwärtig wicht zur Hand, fo daß ich darüber nicht entjcheie 
den Tann. 


10. Biographiihe Bilder und Skizzen aus bem Perpstbum Mir 
ningen. Herausgegeben von E. F. Harimann. II Het. Zum Beften 
bes eRalogi-Dereine, Salzungen, 2. Scheermeſſer'ſche Hofbuchhandlung, 
1865. 51 ©. 8. 5 Ser. 
Eine gewiß mühſame und im localen Intereſſe verbienftliche Arbeit, 

die jedoch auf allgemeineres Intereſſe leinen Anſpruch macht. Ueber Schu: 

len und Lehrer enthält fie nur ganz kurze Notizen, und nur einige wenige 
davon liefern einen vereinzelten Strih zu dem Bilde der Schulzuftände 
früherer Beiten. In einem Dorfe wurde die Schule bis 1808 in Privat 
bäufern und von da bis 1862 im Hirtenhauſe gehalten. In einem ans 
dern bielt der Lehrer, ver 1723 verftarb, im Winter Schule, während er 

im Sommer das Vieh hütete. In einem dritten waren von 1650 an noch 

Hirten Lehrer, die im Winter die Kinder lehrten und im Sommer dad Vieh 

hüteten. Unter dieſen Lehrern befanden fih auch zu Zeiten Zagelöhner 

und Bauern, die wegen lörperliher Schwäde ihre Güter ihren Kindern 
übergaben, von biefen ihre Alimentation empfingen und die geringe Lehrer: 
beſoldung als Biergeld betrachteten. 


4. Erziehung und Unterricht. Bolksfchul- Pädagogik. 


11. Lehrbuch ber Erziehung und bes Unterrichts von Dr. W. J. ©. 
Eurtmann, emeritirter Director bes Schullehrer-Seminars zu Friedberg, 
Nitter bed Kaiferl. Ruf. St. Stanislausordens und des Großherzog. Sc 
Drbens Bhilipps des Großmüthigen. Erſter Theil. — Auch unter dem 
Titel: Lehrbuch der Erziehung von ꝛc. Siebente revidirte Auflage des 
Schwarz Eurtmann’shen Werkes. Heidelberg, ©. F. Winter’iche Berlags- 
handlung, 1866. 420 ©. gr. 8. 


12. Allgemeine Unterridte- und Schulerziehungslehre. Eiue An⸗ 
leitung zur zwedmäßigen pübrung bes Lehramtes für Volksſchullehrer. Nach 
bem beftehenden Metbobenbuche bearbeitet von Franz Herrmann. II. Auf 
age. Prag, 1865, Fr. Aug. Erebner. 266 ©. 8. 20 Ser. 

Scheint nur eine fogenannte neue Zitel-Ausgabe zu fein. Bergl. Jah: 

reöberiht Bd. 14. ©, 530 f. 


13. Srunblegung zur Lehre vom erziehenden Unterrichte Nach 
ihrer wiſſenſchaftlichen und praftifchereformatorifchen Seite entwidelt von 

rof. Dr. T. Ziller. Leipzig, Louis Pernitzſch, 1865. 490 &. gr. 8. 

1 Thlr. 15 Sgr. 

Im vorigen Bande bes Syahresberichts konnte ich nur über bie erfte 
Hälfte dieſes intereſſanten Buches berichten, bie zweite Abtbeilung bat es 
mit der näheren Beilimmung des Unterrichtszwedes zu thun, und es ift 
deshalb in den Paragraphen 12 bis 20 von dem Intereſſe und der Biel: 
feitigleit deſſelben nah ihren verfchiedenen Verhaͤltniſſen die Rede. Das 
allgemeine Urtheil über die Schrift, das ich bei der Anzeige der erften Abs 
theilung ausgeſprochen habe, muß ich auch nah Durchſicht der zweiten auf 
vecht erhalten. Beranlafiung zum Widerſpruch bietet mir dieſelbe weniger 


296 Allgemeine Pädagogil. 


fie dur ihre Grienntniß auch zur richtigen Darflellung derfelben gelangen. 
Aus diefen Grundgedanken allein Läßt fi ermefien, „ob das ganze Eyyfiem 
mit all feinen geifligen Conjequenzen den Forderungen entipridht, von des 
ren Grfüllung feine Lebensfähigleit abhängig if.” Die Erlenntniß von 
Froͤbel's Grundgevanten ift aber nicht leicht, denn er jelbR gibt fie in einer 
Form, die vielfah gedeutet werden kann und deshalb oft unverflänblich 
wird. Auch find feine Aufichlüfie felbft wieder nur Bruchflüde größerer 
Sedantenreiben, Aphorismen, denen bald die Begründung, bald die Folge, 
bald die legte Confequenz fehlt. Da „jede Reform auf dem Gebiete der 
Erziehung nur dann vor ſich geben, nur dann Ausfiht auf Erfolg haben 
fann, wenn fie von einer Reform der Lebensanfhauung, des Begriffs der 
Menſchheit, der Idee ihrer Beitimmung kegleitet wird” : fo verfudht ber 
Berf. nadbzumweilen, daß die Welt: und Lehensanfhauung Fröbel's in ber 
That diejenige fei, zu welder auf ihrem jegigen Standpunkte die Menſch⸗ 
beit naturgemäß bingebrängt wird, und daß temnad die aus biejer Welt: 
anfhauung fi entwidelnte Erziebungsmethobe die richtige fein müſſe. 

Die Weltanſchauung Fröbel’s findet der Berf. nun in defien Anficht 
ausgeſprochen, daß überall in der Melt eine fi ftet3 gleiche, aber flufen: 
weis fi fleigernte Kraft wirkſam if, ein und daſſelbe Geſetz waltet, nad 
dem jedes Ting fih zu dem entwidelt, wozu es feiner Organifation nad) 
befimmt if Dieſes Geſetz if auch im Menfhen und in der ganzen 
Menitbeit wirtjam. So ſpricht fih Froͤbel allereings in der „Menſchen⸗ 
erziebung‘ aus, nur iſt tiefer Gedanke nicht von ibm allein und zuerft ge: 
dacht worden ; derfelbe war fen vor Fröbel Gemeingut aller Denkenden. 
Tiefe Weltanſchauung Fröbel's kann, wie der Rerf. ebenfalls richtig be: 
merlt, mit den Austrüden Pantheismus, Nationalismus oder Materialis⸗ 
mus nidt velitändig richtig bezeichnet werten. Denn fie if, fo wie Frö⸗ 
bel fie aufjaßt und in etwas dunkeln Andeutungen darftellt (vgl. Jahres⸗ 
beriht Bd. 16, S. 474) ein Eemiſch aus Schelling'ſchem Pantheismus 
und chriſtlicher Reit. Der Berf. gebt zu weit, wenn ex fagt, daß Fro⸗ 
bel dem Menſchen wieder feine rechte Eielle im Weltall angewiefen babe, 
wenn ex den rbilcicrbiihen Grundgedunfen yröbel’s für fo frudtbar hält, 
dag aus ihm eine neue Erziebungstheorie ſich entwideln lafie, eine völlige 
Ummwälzung in der praftiihen Erziehung dadurch bewirkt werben könne, 
und wenn er glaubt, daß aus den nad Froͤbel's Erziehungsanſichten ein: 
gerichteten Erziebungdanftalten beitere, reinere, beiligere Menſchen bervor: 
geben würden. Mit ſolchen Ueberihwenglichteiten it der Sache Fröbel’s 
nicht xdient. 


24. Kindergarten, Bewabr-Anfult and Elementar⸗Klaſſe. Her⸗ 
tgegeben water Witwirkung tes „Deutichen frrötel-Bereins“ von U. 
Killer in Getha. Fr. Echmidt unt Fr. Seidel in Beimar. VI. Jahr- 
ganz Weimar, Hrrmanz Bẽdlau, 1565. 12 Nummern & 1 Bogen. gr. 8. 
Bierteljährtig I Egr. 


Ter vorliegente Jahrgang tiefer Zeitickrift, über welche bereits in 
ven beiden vorhergehenden Baͤnden des Jahresberichts berichtet werben iſt, 
bringt unter Anderem zwei Aufiüge, welche eine kurze Beiprehung heraus⸗ 


Allgemeine Pädagogik. 297 


fordern. Der eine ift gegen meine Auslaffung über die Froͤbel'ſchen Kinder⸗ 
gärten in Bd. XVI. des Jahresberichts S. 484 ff. gerichtet, bricht aber in 
Nr. 7 unvollendet ab. Es fiel mir natürlih nicht ein, zu erwarten, daß 
meine dort ausgeſprochenen Bedenken überall Zuftimmung erhalten oder gar 
die Arbeiter am Fröbel’ihen Kindergarten überzeugen würden. Erwarten 
durfte ich aber, daß dieje letztern, wenn fie es der Mühe werth hielten, 
mir zu entgegnen, meine Bedenken widerlegen würden. Dies ift jedoch 
nicht gejchehen, die angeblihe Wiverlegung beginnt damit, daß die Gegner 
der Kindergärten „Stillftande» und Rüdſchrittsmaͤnner“ titulirt werben. 
Das heißt in der That, die Widerlegung fih etwas zu leicht maden. 
Nicht anders iſt es mit dem, was bdiefem Eingange folgt. Der Auffab 
balt fih namentlih daran, daß ich gefagt habe, die Kindergaͤrten wären 
zur Modeſache geworden, die Speculation hätte ſich derfelben bemädhtigt. 
- Wie in aller Welt hat man darin Gründe gegen die Kindergärten finden 
können ? Glaubt man vielleicht, ich wüßte nicht, daß der Mißbrauch einer 
Eade gegen diefe felbft noch nichts beweift ? Und wie bat man nicht er 
fennen können, daß ich durch jene Worte lediglich etwas Thatfächlihes habe 
ausſprechen wollen, woraus ſich die rajche Verbreitung der Kindergärten 
zum Theil erllären läßt? Bon allen meinen Bedenken gegen bie Kinder⸗ 
gärten ift nur ein einziger berührt, aber nicht widerlegt, nämlich ber, daß 
diefe Anftalten allmählich aber ficher die Erziehung der jüngeren finder ber 
Yamilie und der Mutter entzögen. Zur Entlräftung dieſes Bedenkens 
wird gejagt, der Kindergarten nähme die Kleinen nur wenige Stunden bes 
Tages in Anfpruh, die Mutter bätte fie unter allen Umftänden einige 
Stunden des Morgens, des Abends und die liebe lange Nacht (12). Iſt 
bad Scherz oder Ernſt? Will man die Erziehung der Mutter darauf ber 
jchränten, ihren Kindern Speife und Trank zu geben, fie zu waſchen und 
anzulleiden, fie zu Bett zu bringen und bie fchlafenden zu überwachen ? 
Oper will man die häusliche Erziehung zur bloßen Sonntagsjade machen ? 
Und vergibt man, daß dur die Kindergärten nothwendig in den Müttern 
der Gedunfe erzeugt wird, daß fie felbit wenig oder nichts mehr für bie 
Erziehung ihrer Kinder zu thun hätten, weil ja der Kindergarten ſchon 
das beforge? Allerdings entzieht auch die Schule die Kinder dem Haufe 
mehrere Stunden des Tages, aber in einem Lebensalter, mo fie der müt: 
terlihen Erziehung nicht mehr in demfelben Maße bebürfen, wie in bem 
Borjchulalter, und zu einem Zwede, der im Haufe gar nicht erreicht wer 
den kann. 

Ich babe zugegeben, daß bei der Abgefchlojjenheit, in welcher fich die 
Yamilien in größeren Städten von ihren Nachbarn leider zu halten pflegen, 
eine Beranftaltung wenig oder kein Bedenken erregen würde, melde bas 
BZufammenlommen, Zufammenleben und gemeinfchaftlihe Spielen von Kin⸗ 
dern für ein paar Stunden des Tages ermöglichte und förderte, Es wird 
darauf geantwortet, daß dies ja gerade dafjelbe fei, was Froͤbel gemollt 
babe und mas die Kindergärten wollten. Wirklich? Ich hatte hinzugefügt : 
„Die „Kindergärten” haben aber eine weiter gehende Tendenz und eine an 
dere Einrichtung : fie find Spieljhulen geworden. Warum wird biefer 
Zuſatz ignorirt ? Will man die Nichtigleit der darin enthaltenen Behaup⸗ 


2% A xmen: Ixtewst 





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Der Aufſatz von Prof. Kühne will daher der Idee der Kindergärten bei 

dem großen PBublitum und insbeſondere bei den Müttern nod mehr Gim- 
gang verihaffen. Und er ift für biefen Bwed ganz vortrefflih geichräeben, 


Das Fortfchreiten der Cultur macht auf dem Gebiete der Erziehung, 
wie auf jedem andern Gebiete menschlicher Thätigleit, eine Arbeitstheilung 
nöthig, wenn das hödfte Ziel erreicht werden foll, welches die jeweiligen 
Eulturverhältnifie geftatten. Diefe Arbeitzibeilung begann mit der Grün- 
bung der erfien Schulen und wurde allgemein mit der Ginführung bes 
Schulzwanges. Seitdem iſt das Gebiet der Erziehung zwiſchen Haus und 
Säule getheilt. In Folge des gewaltigen Aufihwunges der Eulturverhält: 








Allgemeine Pädagogik. 299. 


niſſe ift aber da3 Bedürfniß einer Arbeitstheilung auch bezüglich des bi 
ber der häuslichen Exziehung allein überlafienen Gebietes immer ftärler herr 
vorgetreten. Dafür zeugt die Entſtehung der Kinderbewahranftalten, ber 
Kindergärten, vie feit lange beftehende Gewohnheit begüterter Familien, 
in Kinder vom zarteften Alter an der Pflege von Bonnen zu über 
geden. | 

Es ift richtig, daß das Princip der Arbeitstheilung ſich nicht blos im 
Gebiete des Materiellen, fondern auch auf geiftigem Gebiete mit der fleis 
genden Cultur mehr und mehr geltend macht. Ein Blid auf die Willen 
Shaften Tann Jeden davon überzeugen; auch die Entftehung ver Schulen 
liefert dafür den Beweis, Dieje Arbeitstheilung findet aber in der Natur 
der Dinge und Verhaͤlmiſſe ihre Grenze. Sie kann niemals bis in’s Un⸗ 
endliche fortgehen, fie ift aud nicht für Alles nothwendig. Es gibt Dinge 
und Zerhältnifie, die jo einfah und in ſich abgeſchloſſen find, daß fie ber 
auf fie gerichteten Thätigleit gar keine Beranlaflung zu einer Zheilung und 
Defonderung darbieten, wenn niht rein äußerlihde Umftände 
binzutreten. Auf dem Gebiete der Erziebung ift ed nur die Schule 
und ihr Unterricht, wo das Princip der Arbeitstheilung ſich geltend machen 
kann und muß. Die Erziehung im engern Sinne ift fo wenig abhängig 
von den Fortjchritten der materiellen und wiſſenſchaftlichen Eultur, daß 
ihre Ziele und Mittel ieh nur in langen Zeiträumen merklich verändern, 
die zur Löjung ihrer Aufgabe erforberlihe Thaͤtigkeit aber jedenfalls fo 
einfach, daß fie zu feiner Zeit und auf keiner Culturftufe, ohne den Hin⸗ 
zutritt bejonderer äußerer Umftände, unter die Familie und andere Perfo: 
nen vertheilt gu werden braudt. Sole äußere Umftände haben aller 
dings bei den Kinderbewahranftalten mitgewirkt, bei den für die wohlhaben⸗ 
deren und reihen Volksklaſſen find fie nur in der Einbildung vorhanden 
oder durch verkehrte Richtungen der Eultur, die nicht zu fürbern, jondern 
zu belämpfen find, hervorgerufen. Daß begüterte Familien ihre Kinder 
vom zarteften Alter an Bonnen, zu deutſch Kindermaͤdchen, übergeben, mag 
in nicht wenigen Fällen feinen guten Grund haben und wird dann gewiß 
nit zu mißbilligen fein, wenn die Mutter das Kindermädchen als Erzie⸗ 
hungsgehülfin nur infoweit betrachtet, als fie verbinvert ift, das Erzie⸗ 
hungsgeſchaͤft felbft zu beforgen, immer aber bleibt fie auch dann diejenige, 
welche die Leitung der Erziehung in der Hand behält, und das Verhaͤltniß 
ift ein ganz anderes, als das zwiſchen Mutter und Kindergarten. Jeder 
mann würde es mit Recht tadeln, wenn die Mutter die Erziehung ihres 
Kindes den größern Theil des Tages ohne Noth dem Kindermädchen ſelbſt⸗ 
ſtaͤndig überlafien wollte, wie es ficher den flärkiten Tadel verdient, daß 
namentlih in Frankreich viele wohlhabende Eltern ihr Kind ſchon als 
Säugling außer dem Haufe und Mohnorte in Pflege geben und Fremden 
feine Erziehung während mehrerer Jahre überlafien. — Des Berfaflers 
Princip der Arbeitstheilung auf dem Gebiete der haͤuslichen Erziehung 
würbe übrigens in ‚feiner Conſequenz weiter führen, nämlich zu einem 
Borlindergarten. Denn wenn die gegenwärtige Culturftufe für bie 
Erziehung vom 3. bis zum 6, Lebensjahre eine Theilung der Erziehungs: 


3) Allzemeine Tiragegif. 


arbeit vurh ven Slinperzıruen erisrtert, je muß, ba bie Gultur mit Üchen 
kleiten oder zur rudrirts wien, icadern zei weit i 

feäter gewiß eine Guitsrtze eintreten, tie eine Weitere Ibeilung ver Ex 
Peiungtarbe in den veri erlien Schenöizkren bei Kindes nöthiz maden 


N iocate Mrz — Wit ver higmzen Gultur wahien fertmäheens 
Die materiellen und geitizen Berärtzine, werden mit jedem Tage die Ber: 
hältninie des cñentlichen unt geielligen Lebens verwidelter. Ilm jeme Bes 
Dürt:i”e zu beirietigen, tiefen Anferberungen zu entipredien, bedarf ed von 
Log zu Tage mehr Anftrenzung ver Kräfte, mehr Aufwınd am Yet. Es 


zurkdi&rauben wollen. Der Meni aber tft ein Product feiner Zeit, ein 
Glied eines großen Ganzen und laun ungeftrait wicht eigenmächtig binter 
den Anforderungen feiner Zeit und der Geſellichaft zurädbleiben. Jener 
Mehraufwand an Kraft und Zeit if demnach wwerläßlih; und da bes 
Menſchen Kraft beſchränkt, die Zeit der Arbeit ihm zugemeflen iR, fo wirb 
es eben zur Nothwenvigleit, den Theil der Arbeit, den er nidt mehr be 
wältigen fan, in andere Hände zu legen, eine neue Arbeitstbeilung vor- 
en. 

ft dies nit — freilich ohne daß der Berf. dies beabſichtigt — ein 
vortrejjlihes Plaidoyer für die leider jo zahlreihe Klafie der Frauen, die 
„ihren Morgen dem Bug und Putzladen, den Radymittag dem Spazieren⸗ 
geben, den Abend aber der Gefellihaft und dem Theater‘ wibmen *) und 
die eine folhe müffiggängeriihe Thätigleit für eine dur bie fleigende 
Eultur an fie geftellte Forderung, als eine ſociale Pfliht betrachten ? Da, 
wo die gefteigerten materiellen Bebürfnifje wirklich die Arbeit der Frau zur 
Erhaltung der Familie erfordern, wird man es nidht tadeln, wenn fie ihr 
Kind einer Kinderbewahranfialt oder einem Kindergarten zuführl. Die über 
wiegende Mehrheit der Mütter, welche vom Kindergarten Gebraud machen, 
find aber in einer andern ungleih günftigern Lage. Sie haben mit Küche 
und Hausweſen wenig oder nichts zu thun, weil dafür Köchin und Haus: 
mädchen forgen ; für die Toilette forgt die Näbterin und Putzmacherin, für 
die Wäfche die Waſcherin. Sie fhiden ihre Kinder in den flindergarten 
nicht wegen lieberhäufung mit häuslichen Arbeiten, fondern weil fie es für 
eine von der gefteigerten Cultur ihnen auferlegte Pfliht halten, am Bor: 
mittage in eleganter Toilette mit einer Luxusarbeit fih zu befhhäftigen, ein 
belletriftiiches Journal oder einen Roman zu lefen, Befuche zu empfangen 
oder zu erwiebern, unter Anleitung des „Bazar Pläne für ihren Pup zu 
machen, nad Tifhe auf dem Sopha von ihrer VBormittagsarbeit ein Stümd- 
hen ungeftört auszuruben, dann eine Landpartie oder einen Spaziergang 


* Mobins in ber unter Nr. 29 aufgeführten Schrift ©. 12. 











Allgemeine Pädagogik. 301 


zu machen ober einer ftaffee-Gefellichaft, des Abends aber einer Borflellung 
in der „öflentlihen Bildungsanſtalt“, Theater genannt, oder einer Theege: 
jellihaft oder einem Balle beizumohnen. Daß in Folge der fteigenden 
Eultur, oder richtiger Aftercultur, ſolche Erſcheinungen in der Frauenwelt 
von Tag zu Tage häufiger werben, ift unleugbar, es wird barüber faft 
allgemeine lage geführt. Das find keine gefunden, heilſamen Früchte, das 
find ſchaͤdliche Auswüchſe der fortjchreitenden Cultur, die man nicht bejchö- 
nigen, nicht befördern darf, denen man mit aller Kraft entgegenwirken 
follte. Die Kindergärten aber geben dieſen Auswüchſen neue Nahrung, 
und nicht wenige Vorjteher von Nindergärten und Freunde der Flindergars 
ten⸗Idee beftärlen die oben nad der Natur geſchilderte Klafie der Frauen 
in dem Wahne, daß fie nur ihrer focialen Stellung, ihren gefelligen 
Pflichten, den Anforderungen der fortgejchrittenen Cultur genügen. 

Die Kindergärten können diefen Vorwurf nicht mit Grund von fi 
abweilen ; fie beabſichtigen freilich nicht, die Mütter darin zu beftär 
ten, ſich ihren erziehlichen Pflichten zu entziehen, fie (d. h. diejenigen, welche 
nicht lediglich der Speculation ihre Entftehung verdanken) wollen vielmehr 
die Familiemerziehung veredeln; aber ihre ganze Tendenz leiftet gegen ihren 
Willen dem mehr und mehr um fich greifenden Uebel Borfhub, Denn fie 
beſchraͤnken ſich nicht darauf, den Familien, für deren materielled Beſtehen 
bie Mutter durch ihre Thätigleit mit forgen muß, zu dienen, fie erbeben 
vielmehr den Anſpruch, ein nothwendiges Glied in dem Erziehungsganzen 
zu fein, und fie find in übermwiegender Anzahl gerade für die Kinder wohl: 
babenver und reicher Familien beftimmt. 

Der Berf. des in Rebe ſtehenden Auffoges macht nun noch weiter auf 
Folgendes auſmerkſam: 1. die Eltern find nit im Stande, die Erziehung 
in dem zarteiten Alter jo zu leiten, wie es bie Grundfäße einer vorgeſchrit⸗ 
tenen gefunden Pädagoge — darunter ift natürlih die Pädagogik bes 
Kindergartens gemeint — erheiihen. Bei einer verkehrten Erziehung geben 
die in jedem Kinde jchlummernden herrlichen Keime und Xriebe verloren 
oder fie können ſich erſt in jpäter Zeit durch den Schutt erziehlicher Ders 
fehrtbeiten mühfam durcharbeiten. — 2. Die heutige Erziehung der Ju⸗ 
gend ift nicht darauf eingerichtet, viefelbe zu Erziehern auszubilden. Der 
Knabe muß zur Aneignung allgemeiner Bildung fidh vielerlei wiſſenſchaft⸗ 
liche und praftiihe Kenntnifje erwerben, dann ſich fperiell für feinen künfs 
tigen Beruf vorbereiten und in dieſen eintreten. Das Mäpdyen verläßt 
die Schule, um in einem PBenfionate allerhand auf die Ber; 
Ihönerung des lünftigen Lebens berechnete Dinge zu lers 
nen, und lehrt dann in das elterlibe Haus zurüd, um die 
Beit mit Ueberwahung des Haushalts, Lectüre, Mufil, 
Stiderei und gejellige Unterhaltung auszufüllen. Der 
Berf. wünſcht aber, daß jede Jungfrau, deren Zeit und pecuniäre Mittel 
es geftatten, einen praltiichen Curſus in einem gutgeleiteten Kindergarten 
durchmachte. — 3. Durch die Arbeitstheilung wirb das häusliche Leben der 
Zamilie nicht ärmer, es wird im Gegentbeile reicher. Der: Kindergarten 
fol die häusliche Erziehung nicht erjegen, er joll fie ergänzen. Die Früchte 
des Kindergartens werden in das Haus übertragen. 


802 Allgemeine Pädagogik. 


Hierauf muß ih Folgendes entgeguen: ad 1. Die Richtigleit ber 
Kindergarten: Pädagogit wird bier vorausgefeßt, während fie doch erft zu 
erweifen if. Die Fortfchritte der Pädagogil betreffen vorzugsweiſe die 
Schulpaͤdagogik und die Hauspädagogif wird kaum davon berührt, vielleicht 
nur mit Ausnahme der phyſiſchen Crziehung. Die bäuslihe Erziehung der 
Kinder vor Eintritt der Schulzeit ift glädlicher Weife fo einfady und erfor: 
dert fo wenig Kunft, daß dazu ſchon Liebe zu den Kindern unb gejunder 
Menihenverftand volllommen ausreiht. In der Vorſchulzeit ver Kinder 
erfolgt die Entwidelung der Slräfte und Anlagen vorzugsweiſe durch die 
Natur jelbft und durch Den unbeabfichtigten Einfluß der Umgebungen. Die 
erziebliche Fuͤrſorge braucht bier mehr bios pflegend und verhütend einzutre⸗ 
ten. Borzeitiges Weden und Grregen der Kräfte durch ſyſtematiſche und 
tünftlie Einwirkung tft in der Negel geradezu jhäpli und rädt ſich Ipäs 
ter durch geiftige Schlaffheit. Freilich Laßt in vielen Familien die Exzie- 
bung der Rinder viel zu wünfchen übrig ; dies trifft aber mehr die reichen, 
wo Lurus und Genußſucht als Lebenszwed gelten und bie armen, wo 
Mangel an Bildung und Noth des Lebens binberlid find. Daß die bäus: 
lihe Erziehung im Allgemeinen oder in ber Mehrzahl ver Familien ſchlecht 
fei, läßt ſich jchwerlic mit Grund behaupten. Aber aud nicht alle Kinder: 
gärten find annähernd fo, wie fie der Idee nad fein jollen, und gar 
manche jelbit in einem Seminare gebildete Flinvergärtuerin wird nicht im 
Stande fein, die Erziehung richtig zu leiten. Ueberdies wird es dem Kin⸗ 
dergarten ungleich jchwerer ald dem Haufe, bie Individualität der Finder 
zu berüdfichtigen, was gerade in dem Vorſchulalter beſonders wichtig ift. 

Ad 2. Eine befondere Borbildung für den Vater: und Mutterberuf 
iſt gar nit nöthig, wenn nur fonft die Bildung der Ainaben und Mäb- 
den. die rechte und das Familienleben ein fittliches if. Die Bildung vie 
ler Maͤdchen ift freilich fo, wie Brof. Kühne fie audeutet, nur barüber 
kann man fih wundern, daß er diefe Art der Bildung ganz in der Orb 
nung zu finden und die Beftimmung bed Weibes nur darein zu feben 
fheint, ſich das Leben zu verfhönern, nicht dur treue Erfüllung ihrer 
Pflichten als Gattin, Hausfrau ‚und Mutter, fondern durch gejchäftigen 
Mübiggang, eiteln Tand und Befriedigung der Genußſucht. Vielen Min 
nern wird durch eine Frau dieſes Schlages das Leben gewiß nicht verſchoͤ⸗ 
nert, wie jchon bie fi ſtets vermehrende Anzahl der Hageltolgen zeigt. 
Denn eine Bildung und Stellung der Frauen, wie Prof. Kühne fie ans 
deutet, wirklih eine nothwendige Yolge der fteigenden Gultur wäre, jo 
müßte man fie und damit auch wohl die Kindergärten ala ein nothwendiges 
Uebel hinnehmen. Dann werben aber auch jo gebildete JZungfrauen wenig 
Quft bezeigen, einen Curfus im Kindergarten durchzumachen. 

Ad 3. Das find Zlufionen. Mütter, die auf der Höhe der Eultur 
ftehen, haben ja nicht Zeit, ſich viel um die Erziehung ihrer Kinder gu 
befünmern, und es ift um fo weniger anzunehmen, daß fie dies thun wer« 
den, als ja der Kindergarten ihnen die Sorge und Mühe abnimmt, und fie 
zu der Zeit, wo bie Rinder aus vemfelben zurhdlehren, andere von bex 
Cultur gebotene gejellige Pflichten zu erfüllen haben. Cs fdheint mir ein 
Widerfprud darin zu liegen, bie Noethwendigkeit der Kindergärten damit zus 








Allgemeine Padagogik. 303 


begründen, daß die heutigen Mütter keine Zeit haben, in genügender Weiſe 
die Erziehung der Kinder in die Hand zu nehmen, und body vorauszufeken, 
daß diefelben Mütter durch die Nlindergärten in den Stand gefeßt würden, 
ihre Erzieherpflichten befier zu erfüllen. 

Aus dem Vorſtehenden ergibt fich jebenfalla, daß Prof. Kühne den 
Keen der Trage nicht berührt hat. Die Bedenken gegen die Kindergärten 
beruhen nidyt blos darauf, daß fie die Yamilienergiehung untergraben, ſon⸗ 
dern bauptijählih auch darauf, daß fie Spielfhulen find, meil ihre 
ganze Einrichtung eine ſchulmäßige if und fein muß, das Spiel in ihnen 
ſchulmäßig und mit einer gewiſſen Syitematil betrieben wird, woburd das 
Spiel als folhes und fein mwohlthätiger Einfluß auf das Kind verloren 
geht und an die Stelle der natürlihen Entwidelung eine künſtliche tritt, 
endlich weil fie durch abfichtlihe Verfnüpfung von Uebung der ntelligenz 
mit dem Spiele bie geiltige Entwidelung zum Nachtheile diefer und des 
fpäteren Unterrichts verfrüben. Können diefe Bedenlen wirklich widerlegt 
werben, fo wird wenigſtens die pädagogische Berechtigung ber Kindergärten 
an ſich gewiß allgemeine Anerlennung finden. 


Als Anhang zu biejem Referate mögen noch einige Bemerkungen Platz 
finden. 8. Schmidt im zweiten Theile der Anthropologie (S. 443 fi.) 
empfiehlt von Neuem die ‚Kindergärten, ohne daß feine Anſicht vom Spiel 
damit in vollem Einklange wäre. Das Spiel ift ihm ganz mit Recht die 
zhbätigleit ohne andern Zwed, als thätig zu fein, die finder: 
poefie, da8 Epos, die Iliade und Odyſſee, die jedes Kind durchlebt und 
jedes Kind jchreibt. Es ift das freie Sihausleben der Kinder: 
träfte, obne äußern Zwed, um ihrer jelbit willen. Dennod 
billigt er die Vermiſchung won Spiel und Beihäftigung in den flindergär: 
ten, die abjihtlihe Ausbildung aller Leibes: und Geifteskräfte durch das 
künſilich veranftaltete und ausgefonnene Spiel, die Anknuͤpfung geometrifcher 
Anihauungsübungen an dajjelbe. 

Gegen die Kindergärten erflären fih außer Scheibert (Mr. 22): 
Dulon (Nr. 39), wenn auch nit ausprüdlih, doch durch feine Anficht 
vom Weſen des Spiels, Woebde (Nr. 28), und Möbius (Nr. 29) fieht 
fie als ein nothwendiges Uebel an. 


25. Die matbematifhe Formenlehre ber Fröbel'ſchen Spiel- ınd 
Beihäftigungsmittel für Kinder er und zum Berftändniß 
ber Fröbel'ſchen Pädagogit von Dr. E. Ra Mit in den Tert ges 
drudten Gollhnitten. Berlin, 1866, an 8 Th. Chr. Ft. Enslin. 
101 © gr. 8. 12 Sgr. 

Mas die —e Auffaſſung der Kinderſpiele als bloße Mittel, 
möglichſt angenehm die Zeit zu vertreiben, betrifft, jo bat der Berf. ganz 
recht, dieſelbe zu verwerfen; er hätte nur binzufügeh follen, daß dieſe Auf- 
fafjung die der großen Menge ift, welche weder Fähigkeit, noch Zeit, noch 
auch Bedurfniß bat, über alltaͤgliche Erſcheinungen tieffinnige philoſophiſche 


304 Allgemeine Pädagogik. 


Betrachtungen anzuftellen. Das Spiel tft Arbeit bes Kindes, durch bie es 
feine lörperlihen und geiftigen Kräfte übt, entwidelt und bildet. Diefe 
Wirkung haben die Stinderfpiele ſchon lange vor Yyröbel gehabt und haben 
fie auch bei den Kindern, welche nicht in Kindergärten das Spiel ſchul⸗ 
mäßig erlemen. Der Berf. fragt, ob es recht fei, ven Kinderſpielen, dieſer 
Kindesarbeit, gleihgültig, gedankenlos, theilnahmlos zuzuſehen. Gemiß 
nicht! Man foll fih aber aud um die Spiele der Kinder nit mehr be 
fümmern, als durchaus nöthig ift, man foll die Kinder bei ihren Spielen 
nicht gängeln, man fol ihnen nicht die Freiheit rauben, das Spiel nicht 
in Syſteme bringen, nicht abſichtlich Borftellungen und Begriffe dem Kinde 
daran zum Bemwußtfein bringen wollen, bie erft für fpätere Zeit geeignet 
find. Denn das Spiel hört eben damit auf Spiel zu fein, es wird Zwang, 
Unterriht, es wird unnatürlih, es verliert dadurd gerade bie bildende 
Kraft, die ihm eigen ift, es verbildet. Und gerade dies ift es, was man 
wohl nit ganz mit Unreht den Spielen in den Kindergärten zum Borwurf 
macht. Die. Seele des Kindes abftrahirt ſchon in den erften Jahren ganz 
unbewußt gar Biele8 und eignet es fi an, aud die einfahen geomes 
triihen Formen. Hierzu bedarf es in der That befonderer Spielmittel nicht, 
da jeder Gegenftand dazu Stoff und Beranlaflung darbietet. Wer aber 
darauf ausgeht, durch bejondere Mittel, abfichtlih und nah einem gemifien 
Syſteme die geometrifhen Vorftellungen in Kindern von 4 und 5 Jahren 
zu anjchaulidem Bemwußtjein zu bringen, verfündigt fi an ber richtig ver: 
ftandenen naturgemäßen Entwidelung des kindlichen Geiftes, denn folde 
geiflige Zreibhausgärtnerei ift Unnatur und führt zur Unnatur. Glüdlicher: 
weiſe erreichen dergleichen einer gefunden Paͤdagogik Hohn ſprechende Ber: 
ſuche und Beftrebungen immer bald ihr Ende. So ſuchte man ſchon in 
der Blüthezeit des Peſtalozzianismus die mathematischen Lehren, 3. B. die 
Ausziehbung der Quadrat: und Cubilwurzel, wenn aud nit vier: und 
fünfjährigen, doch neun⸗ und zehnjährigen Knaben durch die Anſchauung 
beizubringen, man ließ aber derartige Verſuche mit vollem Rechte bald wie 
der fallen. Mie in Feld und Garten jede Art der Gewächſe ihre Zeit des 
Säens und Pflanzens hat, jo hat auch in dem Unterrichtsgarten jeder Ge 
genftand feine Zeit und jede Verfrübung hindert fein Gedeihen und bringt 
die geiftige Entwidelung in faljhe Bahnen. 

Des Verfaſſers Meinung geht nun allerdings nit dahin, daß bie 
Elemente der Geometrie, die er in feiner Schrift gibt, in den Kindergärten 
gelehrt werben jollen; es ift aber aud nicht erfihtlih, mas die Kinder 
gärtmerinnen damit anfangen können und wie fie dazu zu dienen vermögen, 
die 6 erſten Spielgaben Fröbel’3 in ein belleres Licht zu jeßen und gu 
fruchtbarerer Benutzung derjelben beizutragen. 


26. Mutter⸗ unb Kofelieder. Dichtung unb Bilder zur edlen 
Pflege bes Kinbheitlebens. Ein Familienbuch von Friedrich Frö⸗ 
el. Bmeite Auflage. Mit Randzeihnungen, erflärendem Terte und Sing⸗ 
weifen. Berlin, Th. Chr. Fr. Enslin, 1866. 92 ©. Tert und 35 ©. 
Singweijen. gr. 4. 33 Thir. 
Den reihen Freunden ber Fröbelihen Kinderpaͤdagogik wird dieſe 
neue Ausgabe der Mutter: und Koſelieder, die mit Recht in ihrer urfprüng: 


Bd 





Allgemeine Päbagogif. 305 


fichen, wenn auch oft mangelhaften Geftalt wieder erjcheinen, mit ihren hüb⸗ 
ſchen Randzeichnungen unftreitig eine willlommene Gabe fein. Wie man 
aud über den poetischen Werth diefer anſpruchsloſen Lieder urtheilen mag, 
wahr ift es, daß ſich darin ein an Liebe zu der Kinderwelt reiches Gemüth 
wiberjpiegeli. 


271. Die Bewegungsipiele bes Kindergartens. Nebſt einem Anbange 
von Ball-, Kugel- und Bauliebern und kurzen Sprüden. Bon Auguſt 
Köhler, Director des Lehrerinnen-Seminars in Gotha. Zweite umgear- 
beitete und vermehrte Auflage. Weimar, Hermann Böhlau, 1866. 
164 ©. gr. 8. 1 Thlr. 

Die erfte Auflage erihien 1862. In der Einleitung ſpricht fich der 
Verf. über das Spiel aus, ohne das Weſen deſſelben erjchöpfend zu bes 
zeichnen, da er durch feine Ueberzeugung von der Vortrefjlichleit der Kin⸗ 
dergartenfpiele gebunden if. Wenn er jagt, daß diejenigen, melde vie 
Behandlung und Verwerthung des Spiels in den Kindergärten nicht bil 
ligen, für unbedingte Spielfreiheit der Kinder kämpfen, fo ift dies uns 
richtig ; denn es verfteht fih won jelbft, daß eine Anregung, Ueberwachung, 
ja jelbft eine Leitung des Spield nit unzuläffig fein kann, unter Umftäns 
den fogar nöthig ift (vgl. Bd. 17 des Jahresberichts S. 494), nur bie 
Art der Ueberwachung und Leitung in den Kindergärten halten fie mit dem 
Weſen des Spiels unverträglid. Vom Standpunlte der Kindergaͤrten ift 
das Buch durchaus zu empfehlen, wie auch die fobald nöthig gewordene 
zweite Auflage beweift, daß e3 viel benußt wird. Weber die Poefien darf 
ih nichts fagen, da fi der Verf. allen Tadel von Golden verbittet, die 
nichts Beſſeres geben können und id in der That zu dieſen gehöre. 


6. Weibliche Erziehung und Bildung. 


28. Die Befimmung und Erziehung bes Weibes. Gin Vortrag, ge⸗ 
halten im literarifch-gefelligen Verein zu Oldenburg von Karl Woebden. 
Didenburg, 1865, Schulze'ſche Buchhandlung. 104 S. 8. 10 Ser. 


29. Die Korberung ber Gegenwart an bie Bildung ber Frauen. 
Kefirede am 12. Sanuar 19866 im Auftrage des Leipziger Lehrervereins ges 
halten von Dr. Paul Möbius, Direstor der 1. Bürgerfchule. Leipzig, 
3. 3. Weber, 1866. 20 ©. gr. 8. 5 Sgr. 

Beide Vorträge verbreiten fih über eine Yrage, die feit einiger Zeit 
für die päpagogifhe Beiprebung mit auf der Tagesordnung ſieht und der 
ren große Bereutung nicht verlannt werden kann. Die Berfafjer ftimmen 
in allem Wejentlihen volllommen überein. Mit Abmweifung aller ertremen 
Anfichten, wie die des Gngländers Mill, welcher den rauen auch das po⸗ 
litiſche Wahlrecht zugeiprohen und den Butritt zur Rednerbühne im Bars 
lament zugeftanden willen will, find beide darin einverftanden, daß die heu⸗ 
tige Erziehung der Mädchen vielfach verkehrt fei, daß bei der Bildung der 
felben ihre natürlihe Beſtimmung als Hausfrau, Gattin und Mutter feft 
im Auge behalten, aller bloße Flittertand abgemwiejen werden müſſe. Wenn 
beide Verfaſſer weiter für das weibliche Geſchlecht eine tüchtige Schulbil⸗ 
Wan. Iahreßberigt. XVIIL 20 


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27 
4 


Erſahrungen vor. 

Der Bortrag unter Rr. 28 wiberjpricht mit vollem NRechte einigen zu 
weit gehenden Anforderungen Birhow’s am den Unterricht in Züchter: 
ſchulen, indem ex betont, daß die Erziehung für das Hausweſen im engerem 
Sinne fowohl während der Schulzeit, ala bejonders nad ihrem Abichluffe 
weſentlich Sache des Hauſes bleiben werde 

Beide Schriften verdienen die Beachtung Derer, welche für die Sache 
der weiblichen Bildung Intereſſe fühlen. 


1. Di in Deutſchland, ‚, England und 
e Schule in tie ‚ Rußland, Eng 


Die Säule in Deutſchland. 


Die veutihen Schulen überhaupt, befonbers auch vie Vollsſchulen, 
gelten für die beften auf der Erbe. - Andere Böller finden zwar an den 
Dentihen manche ſchwache und dunlle Eeiten, und mande ſehen, allerdings 
nit ganz mit Unrecht, etwas geringfhäbig auf uns herab; den Ruhn 
lafien Sie uns aber alle, daß in Deutihland für den Unterricht ber Zus 
gend aller Stände beſſer gejorgt ift, als irgend wo. Wem man auch wicht 
jeven Bug im beutfchen Schulweſen {hin und vortrefflich findet, jo hut 
mas dafielbe doch überall zum Muſter. Deutſchland bat allerbinge eiw 
Hecht, die Anerkennung dieſes Vorzugs beflens zu accepiises un» barauf 
ftolg zu fein. Nur mögen wir uns wor Ueberhebung bewahren tab nicht 
in den bünlelhaften Bahn verfallen, unfer Schulweſen in allen feiswew 
Zügen, Tintihtungen und Tendenzen als ganz volltommen. als unverbeſſer⸗ 
lih anzufehen,; nur mögen wir uns durch ben geredyifertigten. Güolz auf 





Allgemeine Plubagogik. 307 


unfere ſchuliſche Arbeit nicht jo weit: verblenden laſſen, deb wir auch das 
Umpolllommene, die ſalſchen Richtungen und ſchwachen Selten, die unſer 
öffentliches Unterrichtoweſen unſtreitig neben ſeinen Vorzuͤgen darbietet, über 
ſchon ones. gar für Bolllommenheiten halten. Davor kann uns neben dem 
befonnemew Bl auf wufere Schulzuftände boſonders auch die prifenbe Ber 
achtung ver Stimmen bewahren, wie fi lobenb ober tadelnd im In⸗ und 
Awdlande darkbex vernehmen lafien, und es wird daher am PBlabe jein, 
ſelche in der lebten Zeit Iaut gewordene Stimmen zu vernehmen und ben 
Grunde oses Ungrans der Urtheile, die ſie über die deutſche Schule aus- 
— 28 zu prufen. Hoͤren wir zuerſt eine Stimme aus dem ultramontes 
en r. 


20. Der Schulzwamg, ein Stüd moberner Tyraunei. Ben Joſ. Lukas. 
Lanbehut, 1865, Joſ. Thomaun’ihe Buchhandlung. 162 ©. 8. 16 Sgr. 
Unter Schulzwang verfieht man belanntlich zweierlei, nämlich im weis 

terw Sisme des Werkes vie Shutpflihbtigleit ver Kinder, melde die 

Eitern nötbhigt, dieſelben nach Erreichung eines gewiſſen Lebensalters in 

eine Schule zu ſchicken, und im engern Sinne bie Verpflichtung der Bltern, 

ihr Amd im eine beftimmte Schule zu fchiden, oder wenn fie dies nicht 
wollen, an dieſe Schule das herloömmliche Schulgeld und andere gejepliche 

LZeiftungen zu entrichten. Den Schulzwang in lebterm Sinne hat der 

Bat. nicht im Auge; man würde ihm fjonft wohl allgemein beiſtimmen; 

vom em folder Schulzwang ift unnötbig, unberechtigt, ja wranniſch, und 

wo er nady beftebt, follte ev je eher, je lieber bejeitigt werden. Nur mit 
dem Schulzwange dor erſtern Art, oder riektiger mit der allgemeinen 

Schulpflichtigleitd bat es der Verf. zu thun. Indeß ift auch biefe 

wur: dad Aushaͤngeſchild, hinter welchen fich der eigentlide Gegenſtand ver 

Rledt, vem er zu Leibe geben will, fo wie ders, was er erfirebt. Diefer 

eigentlichen Gegenftand , feine eigentliche Tendenz verbirgt er unker einem 

andern Rauten, weil eu ſich fcheut, fe in Deutiſchland ehrlich und offen zu 
beysichwen, weit er hofft, das Boll zur täwjchen und als angeblicher Ritter 
gegen eme Tyrarmel un für eine Freiheit daffelbe für fich zu gewinnen. 

Gr. ſtrebt nach nichts Beringerem, als darnach, den Vollsunterriät 

vn Deutſchland wieder ganz in die Gewalt der Kirche, tn 

Die Hand der Geiſtlichkeit zu bringen. Diefe Tendeng durfte er 

feeilid, weder auf dem Titel, neh in der Schrift felbſt offen befennen; 

Denn bie überisiegende Mehrzahl: des Volkes, ſelbſt in Latholiihen Landen, 

id diefer Tendenz. deu latholiſchen Kirche und Geritlichleit entgegen. 

Die in Dewtichland ‚gefeplihe Schulpflichtigkeit ſchließt allerdings 
eisen Zwang in fi, wenn die Eliern ihr Kind nicht zu rechter Zeit einer 
Schale übergeben, Diefen Zwang wird Niemand als eine Härte, als Ty⸗ 
varmei mit Recht bezeichnen können. Denn jede Familie, die für einen ge 
eigneten Unterricht ihrer Kinder ſelbſt forgen lann und will, ift von bie 
fer Berpflihtung ausgenommen. Die übrigen aber, die dieſe Sorge weder 
übernehmen tönen, nody wollen, müflen ſich doch gewiß moraliich verpflich⸗ 
sat fühlen, ihr Kind im irgend eine Schule zu fehiden. Unfer Verf. ift nun 
froilich weit. davon entfernt, dieſe moraliſche Verpflichtung der Eltern aus⸗ 

20* 


Alymeine Pãdagegit 


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2 Sinsiy Sagäsps- -23.38f 

TEEN ERH INTER WEH REIN I, 


"Allgemeine Päbagogif. 309 


umd die Tyramei des Schulzwangs in den modernen Staat eingeführt has 
ben follen. Hätten fie nur der Kirche und der Geiftlichleit allein die Ju⸗ 
genderziehung überlafien wollen, fie würden ihm liebe Verbündete geworden 
fein. J. ©. Fichte, PBeftalozzi, Zahn und Conforten werben tüchs 
fig mitgenommen, weil fie an den beillofen Zuftänden der deutfchen Schule 
und an der Einführung der Tyrannei des Schulzmanges große Schuld tra 
gen, der Haupt-Sifndenbod ift aber Diefterweg. Proteftantismug, Li⸗ 
beralismus und Nationalismus tragen und halten den Schulzwang und 
bie verkehrte Richtung im Schulmefen, Katholicismus und Volkswirthſchaft⸗ 
Iehre find allein geeignet, die Schule aus den Banden der Tyrannei zu 
befreien und fie in die patriarhalifhen Zuftände des Mittelalters zurüds 
zuführen. Riehl mit feinen mittelalterlihen Anfchauungen und Neigungen 
iR deshalb ein Leibmann des Verfafiers. 

Herr Lukas fordert im Namen der Freiheit Aufhebung des Schul⸗ 
äwanges und — Freiheit des Unterrihts. Diefe legtere ift des 
Pudels Kern. Was die kirhlihe Partei in Belgien durchgeſetzt bat, das 
will unfer Verf. auh in Deutſchland durchgeſetzt wiſſen. Der Staat foll 
felbft keine Schulen errihten, was ihm ja fo viel Mühe und Koften ver: 
urſucht; er ſoll die Errichtung von Schulen völlig freigeben, ſich alles 
Ginfluffes auf diefelben enthalten, damit — die Kirche ſich der Ju— 
gendbilbdung wieder ganz bemädtigen kann. Kirche und Geift- 
lichleit wollen damit nicht nur dem Staate eine große Laft abnehmen, fon» 
dern die Eltern aud von der Tyrannei des Schulzwanges befreien ; denn 
ftatt poligeilicher Mittel werden fie das fanftere Mittel des — Gewiſ⸗ 
ſenszwanges anwenden, um die Eltern zu nöthigen, ihre Kinder den 
kirchlichen Schulen anzuvertrauen. 

Herr Lukas würde aufrichtiger geweſen fein, wenn er auf feine Fahne 
nicht: „Schulzwang“, fonden: „Freiheit des Unterrihts im 
Sinne der katholiſchen Geiſtlichkeit“, gejchrieben hätte. Cr möge 
fi aber über den Erfolg feiner Bemühungen nit täufben. Schon Bel: 
gien könnte ihn vor einer ſolchen Täufhung bewahren. Dort waren alle 
Bedingungen vorhanden, die zum Gelingen eines folchen Planes erforbers 
lich find, und doch ift derfelbe nur halb gelungen ; in Deutichland findet 
fi aber faum eine einzige diefer Bebingungen. — Weber die jogenannte 
Freiheit des Unterrichts brauche ih mich bier nicht weiter auszufprechen, 
fondern auf Band 16 des Jahresberichts S. 510 f. zu vermeifen. 

Wie Herr Lulas über den YZuftand der deutſchen Schule denkt, läßt 
ſich Thon Daraus abnehmen, daß er eine radicale Ummälzung in Betreff 
ihrer Stellung für unumgänglid nothwendig erllärt. Nach ihm leiftet felbft 
in Preußen, dem „klaſſiſchen Lande der Schulen und Kaſernen“, die Volks» 
ſchule fo gut wie gar Nichts und er bringt für feine Anficht drei Beweiſe 
bei. Der erfte ift einem Auflage in dem Schulblatte der Provinz Brans 
denburg vom Jahre 1839 entnommen, in welchem ein Scullehrer über 
eine yäbagogifhe Reife durch 30 Dorfihulen der Provinz Brandenburg 
Bericht erftattet. Diefer Lehrer richtete. in einer Schule 30 bis 40 Fragen 
über bibliſche Geſchichte an die Kinder, aber nicht ein einziges vermochte 
auch wur eine berfelben richtig oder nur überhaupt zu beantworten. Richt 


310 Allgemeine Pabdagogik. 


ein einziges wußte, warum das Weihnachtsffeſt gefeiert wird, und auf Die 
Frage: ſeid ihe auch dhriftlihe Finder ? antworteten alle im Char: Re! 
Mo bleibt aber da die fo ſehr gerühmte ergiehlihe Wirtjamleit ber Fo⸗ 
milie ? Lernen dies die Kinder in der Regel wicht ſchon, che fie die Schule 
beſuchen ? Over könnten und Sollten fie es nicht menigfiens ſchon non ihren 
Eltern lernen? — Ein Bauernburfch aus einem andern Dorje, der als 
Knecht diente und mit dem ber Berichterflatter fi in An Geſprüch einlich, 
konnte nicht den vierten Theil von 7 Thalern herechnen, meinte, dab das 
Neue Teſtament 25 Gvangelien eutbalte, und antwortete auf die Frage, 
an wen ex benn eigentlih glaube: „Un wen web id benn eigentlich 
glauben * An den König von Preußen.” Und dieſer Burſche batte, wie 
er ſelbſt fagte, in feiner Kindheit nach einander zwei Schulen beſucht, zwös 
chentlich böchftens einen Tag gefehlt und immer gut gelemt. Herr Lulas 
fiebt diefe Grfahrung als einen Beweis an, bis zu welchem Grabe ber 
Verdummung der wifjenihaftlih und methodiſch ‚getriebene Vollsunterricht 
unferer Beit die unteren Klaſſen hinumter drüden könne, wie ber Bauer 
feines gefunden Mutterwitzes beraubt werde, ohne daß ber Auflug ven 
Buchftabenmeisheit, den er dafür erhalte, fo weit ginge, ihm als eine xt 
Erſatz für Die eingebüßte Naturkraft zu dienen Wie leichtfertig ift tiefes 
Urtheil! Sch babe ven betreffenden Jahrgang bes Schulblaties wicht zur 
Hand, möchte aber faft glauben, daß es um bie große Mehrzahl jewer 
Säulen beſſer beftellt geweſen jei, weil fonft Herr Qulas es bei biefen paar 
Erfahrungen nicht würde haben bewenden Jaflen. 

Den zweiten Beweis bilden mehrere ungünfiige Meußerungen über 
Volksſchulen, Seminare und die in ihnen gebildeten Sehrer, die Her Lu⸗ 
kas in den „biftorifchspolitiichen Blättern‘ geleſen hat. Dieſe ganz allgemein 
gehaltenen Aeußerungen ftammen aus ber Beit kurz nach dem Tode bes 
Minifters v. Altenſte in umd aus Kreiſen, welche ben Nachfelger befiel- 
ben, Eihhorn, zur „Umkehr“ drängen wellten, ober, wit andern Won 
ten, aus dem Lager der politiſch⸗ und flirchlich reactionären Partei, haben 
mithin nur eine geringe Beweistraft. 

Der dritte Beweis, aus ber .neueften Zeit hergenommen, ſcheint ge 
wichtiger zu fein. Nach SBeitungsberichten befanden fih im 3. 1863 am 
tex den 66,700 zum Militär GEinberufenen 8800 ohne alle Schulbilpung 
(d. b., wie es fcheint, fie Zonnten weber lefen noch jchweiben). Am um: 
günftigften war das Verhältniß in der Provinz Preußen, wo von 5358 (2) 
Mann 1314 weder lefen no ſchreiben konnten, am günſtigſien in ber 
Provinz Sachjen, mo auf 11,764 Cingeftellte nur 86 ohne jebe Schuk 
bildung waren, 

Es gehört in wer That sine große Verblendung dazu; aus Baiſpielen 
and Thatſachen ſolcher Art von Schluß zu ziehen, daß Das gegemmärkige 
preußiſche Schulweſen ſchlecht ſei und ber Grund avon im Schagzwange 
und im Staats⸗Schulregiment liege. Mad würde ſich erſt zeigen, wenn 8 
An die Willkühr ver Eltern geftellt wäre, ob fie ihre Kiuder übesbaupt, 
oder wie oft und lange Zur Schule Jchiden wollten! Die Merbältnigie bei 
der zum Militär einberufenen Mannidaft zeugen gerabegu gegen Iren Mer 
fafer. Denn in ‚ver Prinz Sachen, wo daſſelhe mm günfigfiem Max, 





Allgemeine Pudagogik. sı1 
** ——— und das vom Herrn Lukas verabſcheute Schulregiment 


Emwas findet unfer Verfaſſer aber doch am neueſten preußiſchen Volks⸗ 
jchulweſen gut, nämlich die „Regulative.“ Dadurch ſei doch die revolutio⸗ 
wäre Richtung der Schule in ihrem Abfalle von der Kirche, die unter dem 
Minierium Wltenftein in böchfter Blüthe geftannen, zurüdgebrängt, wenig: 
Pens die äußere Disciplin unter den Schullehrern wieder hergeftellt wor: 
ben. Dies jei aber auch das Einzige, was in neuerer Zeit in ber preu⸗ 
siihen Vollsſchule befier geworben. 

Das Schulweſen in Preußen bat, wie das deutſche überhaupt, noch 
mande Mängel, und fie haben fi gewiß nicht vermindert, feit dort die 
Shubeswaltung emen Weg «ingeihlagen bat, der dem vom Dinifterium 
Atenfiein erfolgten gerabegu emtgegengejegt iſt. Gin fpecifiiher Mangel in 
den preufiichen Schulen iſt der militärische, in Schelt: und Schimpfmörtern, 
heißender Ironie, zohen Ausprüden ſich kundgebende, unfreunbliche Zom, 
nen jo häufig Lehrer gegen ihre Schüler anfchlagen, und von dem ſich jelbft 
Seminarlehrer nicht frei zu erhalten wiſſen. Es hieße uber ver Wahrheit 
in’s Geſicht fchlagen, wenn man die Leiſtungen der preußifchen Schule im 
Wigemeinen nicht rühmend anerlenwen mollte. 

Kebex vie Mängel der Bollsichulen in dem außerpreußishen Deutſch⸗ 
land weiß Here Lulas Nie zu fagen, als daß viele Schullehrer in Baden 
amd Württemberg politifcherevolutionär find oder waren, und daß in Baiern 
mach Der Anſicht des Miniſteriums bei vielen Lehrern die Berftandesrich: 
Sung ‚übesiwiege. 

Aus dem Mitgetheilten geht wohl zur Genüge hervor, wie ſchwer «3 
Ham Lulas geworben iſt, nachiheilige Folgen des Schukwanges und reale 
Grunde für feine „wreiheit des Unterrichts‘ aufzufinden. 


31. Fi Bolte Wule in Defterreid. Bin Beitrag zu Ihrer Neugeftaltun 
De. Gran Stark. len. Yan Salnayer n rar & 

* ar 6 Ser. 

„Die — Schulverfaſſung der deutſchen Volksſchulen für die 
4. 2. öftemeichiihen PBrovingen vom Jahre 1805 enthält manche für da⸗ 
als trefitihe Beftimmuug umd hatte unfere Schulen denen anderer beut: 
Sen Staaten zum Theil gleich, zum heil vorangeftellt. Allein bald än⸗ 
derte fich dieſes Verhaͤltniß. Während faft überall die fpäter folgenden 
Bricbensjahre weile benicht worden find, ver Bollsbilvung eine geiſtige md 
materielle Macht zu ſchaffen, auf ber jeve Größe des Staates ſich aufbaut, 
wurde in unfem Reiche alles was wahre Bildung ber Staatsbürger zu er 
zeugen geeignet geweſen wäre, nicht nur von ben untern, fonbern von allen 
Staͤnden abſichtlich fern gehalten und nach Sträften mehr oder minder gewalt: 
thätig untervrücdt Man unterband alle Palsadern des geiftigen und po⸗ 
litiſchen Lebens und irrte fo weit ab, dab man glaubte in der Trägbeit 
wer Alnthätigleit nes Vollageiſtes, ja in einer alle Schichten durchdringen⸗ 
ren Mutfütihung ben Talisman für vie Sicherheit nes Throne umb bie 
Wohlfahrt des Staates gefunden zu haben.” 

Diefes Urtheil, das der Verf. an die Spike feiner Schrift ftellt, ift 


312 Allgemeine Päbagogik, 


hart, enthält aber fidher nur Wahrheit. Das in allen Berhältuifien auf 
regend wirlende Jahr 1848 brachte au in die öfterreihische Echulverwals 
tung neues Leben. Es wurte amtlih anerlannt, daß „Bermebrung ber 
Schulen und ihres biöherigen allzuärmlichen Lehrftoffes, höhere Bildung ber 
Lehrer, eine gümfligere äußere Stellung verjelben, endlih eine folde Lei⸗ 
tung des Volksſchulweſens, welche alle Interefien defielben mit gleidem Gifer 
und gründlicher Einfidht verfolgt”, dasjenige fei, was vorzüglich Noth thue. 
Die neue Regung blieb jedoch ohne durdhgreifende Folgen, und vie jo eben 
angebeuteten Uebelſtaͤnde wurden nicht gehoben. 

Zwiſchen ven ſchulpflichtigen und ſchulbeſuchenden Kindern 
findet, mit Ausnahme von Tyrol und Salzburg, in allen Provinzen Deflers 
reichs ein großes Mißverhältniß ftatt. In jenen beiden Provinzen ift nadh 
dem Berf. die Anzahl der jchulbefuhhenden Kinder größer, als die ber ſchul⸗ 
pflihtigen ; in den übrigen Provinzen befuchen aber von den 3,822,719 
ſchulpflichtigen Kindern nur 2,544,514 die Schule, und 1,278,205, alfo 
380 Procent find unbefhult. Es fommt 1 ſchulbeſuchendes Kind im ganzen 
Reihe auf 183 Einwohner, in Tyrol, Mähren und Böhmen auf 7, in 
Schleſien auf B, in Ober: und Unteröfterreih und in Salzburg (?) auf 9, 
in Steiermark auf 10, in Kärnthen auf 12, in ber jerbiihen Wojwod⸗ 
fhaft und in Ungarn auf 18, in Siebenbürgen auf 14, in rain auf 15, 
im Küftenlande auf 18, in der Militärgrenze auf 20, in Galizien auf 37, 
in Croatien-Elavonien auf 40, in Dalmatien auf 47’, in der Bulowina 
auf 63 Einwohner. Hierbei ift zu beachten, daß die Schulpflidht mit dem 
vollendeten 6. Lebensjahre beginnt und für die Alltagsfchule mindeſens 6 
Jahre dauert, 

Die Anzahl der Schulen betrug in Deſterreich (das öfterreidhifche Jtalien 
ausgenommen) 25,799 im 5. 1850, und 28,997 im 3%. 1859, batte fih alfo 
in diefem Beitraume um 3198 oder um 12% Procent vermehrt, während 
in demjelben Beitraume die Bevöllerung von 33,006,502 auf 35,236,518 
Verfonen, aljo um 2,230,011 oder um 6% Procent, und bie Anzahl ber 
Edullinder von 2,338,763 auf 2,670,655, mithin um 332,392 ober 
um 14 Procent geftiegen ift. Veſonders groß ift in Defterreid der Mangel 
an befondern Mädchenſchulen. Selbſt in mancher Hauptftadt ber beutjchen 
Provinzen findet man noch Schulen, in welchen durch alle Klafien Knaben 
und Mädchen gemeinſchaftlich unterrichtet werden. Die ganze Monardie, 
mit Einſchluß des öfterreichifhen Staliens, hat 2240 Städte und 66,377 
Martifleden und Dörfer, aber nur 1407 öfientlihe und 245 Privat Mäp- 
chenſchulen, und von ven erftern fommen 412 auf Zyrol, 294 auf lin: 
garn, 207 auf Siebenbürgen, 111 auf Italien, auf fämmtlihe übrigen 
Provinzen aljo nur 383. 

Der Unterriht in den Bollsfhulen (Trivials und Haupiſchulen) ers 
firedt fib auf Epradunterriht (Lefen, Sprachlehre, Rechtichreibung, mund⸗ 
liher und jchriftlider Gedanlenausdrud), Schreiben, Rechnen, Gejang und 
(in den Hauptſchulen) Zeihnen. Bon Geſchichte, Geographie, Raturlehre, 
foll überall nur dag Wichtigfte in Verbindung mit den Leſeübungen bei- 
gebracht werben. 


Allgemeine Päbagogik, 313 


Ueber die Leiftungen ver äfterreidhifchen Volksſchulen urteilt der Verf, 
nicht günftig. Gr bat dieſes Urtheil aus mündlichen und brieflihen Mits 
theilungen inländifher Echulmänner, aus Berichten und Abhandlungen in 
pädagogifchen Schriften und Tagblättern, aber auch aus eigenem Ginblid 
in den Unterricht in» und ausländifher Volksſchulen gefchöpft. 

Im Neligionsunterridht werden Katechismus und biblifche Ge⸗ 
ſchichte zu wenig mit einander in Verbindung gebradht, zu wenig auf das 
Gemüth berechnet und lebendig angeeignet, dagegen meiſtens überwiegend 
ald Verſtandes⸗ und Gedäaͤchtnißſache troden behandelt. (So ift eö wohl 
auch in den meiften außeröfterreihifhen Schulen). Die Kinder werden zur 
erſten Beichte und Communion ſchon in einem Alter zugelafen, mo fie die 
Bedeutung dieſer heiligen Handlungen noch nicht verfiehen. (Iſt Schuld 
der Kirche.) in großer Theil der Schuld des mangelhaften Religionsuns 
terrichts fällt auf die unzwedmäßig abgefaßten Religions:Lehrbücher. 

Die Denk⸗ und Sprebübungen werden in vielen Schulen gar 
nicht, in den meiften andern verkehrt oder oberflädlih, oft nur wegen der 
Prüfung, überall aber vom Lefen und Schreiben getrennt behandelt. 

Das Schreib:Lefen findet fi nicht häufig. Gewöhnlich wird 
das Leſen mit der Drudichrift begonnen, häufig noch buchſtabirt. Beim 
Sefen fehlt oft das Verſtaͤndniß, die mechaniſche Fertigkeit wird felbft von 
ben Schulbehoͤrden als Hauptſache angefehen; beim Schreiben wird zu 
ſehr auf Schönheit der Schrift geachtet. Im Rechtſchreiben ift ge: 
wöhnlib das Auswendiglernen von Negeln die Hauptfahe. Auf den 
mündlihen Gedanlenausdrud wird wenig Werth gelegt und wenig 
Sorgfalt verwendet, und im fhriftliden Gedanltenausdrude erw 
reicht es die Mehrzahl der Schulen nicht, daß die Kinder lernen, ſich über 
Dinge der Umgebung und der Natur, über Berbältnifie und Creignifie, 
weiche die eigene Perſon berühren, in leichten Aufjägen und Briefen deut- 
lich und richtig auszubrüäden. Das Rechnen mirb entweder gar nicht 
oder doc zu wenig als formales Bildungsmittel benußt, zu wenig auf die 
praltiſchen Lebensverhältniſſe bezogen, das Kopfrechnen gewöhnlich nur nes 
benbei, gelegentlih und ohne organifhen Zuſammenhang mit dem ſchrift⸗ 
lichen Rechnen betrieben, ° 

Auch die weitere Ausführung diefer Mängel ift fehr allgemein gehal⸗ 
ten, und es muß dem Berf. die Vertretung feines Uriheils natürlich über: 
lafien bleiben. Nur darauf fei hingemwiefen, daß derſelbe die ſchweizeriſchen 
Schulen und den Unterricht in ihnen für ganz vorzüglich hält, und daß 
Unvolllommenbeiten, wie er fie an dem Unterrichte in den öfterreichifchen 
Schulen bervorhebt, filh, wenn auch minder häufig und in geringerem Grade, 
aud außer Defterreidh, felbft in der Schweiz finden werben. 

Was der Verf. auferdem noch über die Hauptfchulen (höhern Volks⸗ 
ſchulen), die weiblichen Arbeitsſchulen, die Wiederholungsſchulen, Schulauf⸗ 
fichtsbehorden, ſagt, kann bier übergangen werben, eben fo wie feine gewiß 
zwedmäßigen Borfchläge in Bezug auf die Unterhaltung der Schulen. Da: 
gegen möchte nod das Wichtigſie über Lehrerbildung, Yortbildung, Stellung 
und Beſoldung der Lehrer kurz zu erwähnen fein, 


7 
| 
i 
f 


250 Fl. laun erſt einer langen Reihe von Dieufjahsen bis 
500 #1. Feigen. Im Vergleich damit find die Lehrergehalte in Mari: 
fleden und Dörfern meift befier. Die Unteriejeer haben anf vem Tanke 
oft uebft Wohnung unb Kol 70 Fl. Gehalt und auferbem noch einem 
Abeil des Mefnerei-Ginlommens, der nicht felten über 100 Fi. beträgt. 
Gelb in ganz armen Gegenden Böhmens bann das Einfsmme eines 
Dorfihullehress zu 250 — 400 ZI. angawmmen werken. (Bergl. Iahees- 


32. — en ek ein — bie Desenmert 
t von » Yröftih, Rector TR 
—* S.⸗Weimar. Jena, Friedrich —— * 190 ©. 


Der Berf. hat die durchaus richtige Anſicht, daß vie deut ſche Volls⸗ 
ſchule unter den ähnlihen Anfalten aller Euliusuöller der Bor umb Jet: 


auf perdiene. Dennoch müſſe eingeflanhen werben, daß auch die 
deutſche Volksſcule ihre Aufgobe noch nicht vollſftaͤndig ‚get bhaibe. 


mus, endlich auch die auf Vervolllemmnung bes Bolleichulumnterrihts ab⸗ 
jielenden Preisfragen üher bie „abftracte Richtung“, die „geringe Rachhal⸗ 
figtet des Unterrichts” unb amdere Berhäktnifle, jo wie bie wieliahen Bor 
jhläge zur Mefomu der Bollefhulen, bie won Crziehern uns Lehrem felbft 
ansgehen. Die Urſachen der nad beiishenden Ungenüge ver Ballsfdhuie 
fiebt der Verf. hauptsächlich in folgenden Punkten : 4. Die Vollaſchele fehlt 
iR eine unvolifiändige, sine biofe Rindberfäule, 2. Das Leben 
madt in der Gegenwart ſehr große Aniprühe an kie, welche is daſſelhe 
eintreten; 8. die Vollsſchule übergibt ihren Zögling dem Leben nod um: 





Algemeise Päbagegif. 815 


seit, und es tritt nam für ihn big gu feiner Selbſiſtändigleit eine bilbungs- 
loſe, gefährlide Zwifchenzeit ein. Der Berf. glaubt alje, baß ben Der 
deutschen Volksſchule noch anbaftnden Mängeln buch eine weitere 
Ausdehnung ihrer Wirtfamleit abgeholſen werden könne, unb er mill 
fie deshalb rüdwärts durch eine Vorſchule für das 3. bis 6. Lebens: 
jahr und vorwärts dur) eine SZünglingsfchule für das 14. bis 20. oder 
wenigfiens 18. Lebensjahr erweitert wifien. ir fiheint ver Verf. da in 
‚einem großen Irrthume befangen. Wenn die Thätigleit des Ginzelnen iu: 
nerhälb eines gewifien Kreiſes nicht den erhofiten Exfelg hat, fo ift eö ficher 
nicht anzuratben, daß er dieſen Wirkungslreis erweitere. Aehnliches gilt 
von dem reife des Schulunterrihts für die Vollsjugend. Der Berf. 
fudht die Urſachen ver Unvolllommenheit und des Ungenügenden in der 
Birtfamkeit ver Vollaſchule nicht ba, wo fie zu Juden find. Nicht Karin 
beftebt dieſe Unvollkommenheit, dag es der Vollaſchule überhaupt nicht 
möglid ift, innerhalb ihres gegenwärtigen Wirkungskreiſes das Nothwen⸗ 
dige und Wünfchenswertbe gu Jeiften, weil »iejer Kreis äußerlich zu eug 
‚gezogen iſt; fonbern barin, dag fie innerhalb dieſes Kreifes das an fie 
Möglihe wegen vielſacher ungänfiiger Veshältnifie wicht zu leiten vermag. 
Dieſe ungünftigen Berhälmifie Fiegen theils in dem Lehrer, theils außer ihm, 
werben ſich niemals ganz befeitigen laſſen, können aber durch Zuſammen⸗ 
wirten der betreffenden Kräfte an Zahl und Ginfluß noch weſentlich ner 
mindert werben. 

Sodann Spricht fi in der Forderung des Verfafſers and eine Bar: 
kennung der Bildung und Bilbungsquellen und eine Ueberſchätzung der 
Schulbilbung aus. Die Bilbung, wie fie seinem jeven Mienjchen zu wüns 
chen wäre, befteht nicht in einem moͤglichſt hoben Grabe ver Ausbildung 
ber intellectwellen und aͤſthetiſchen Anlagen ober in ber möglidit großen 
Menge von Senntnifien, Sondern vielmehr in ber den Lebensverhältnifien 
angemefienen und werhaltuiimägigen Ausbildung alle Anlagen des Men 
ſchen, wobei das Hauptgewicht unter ‚alles Umſtaͤnden auf die Ausbildung 
des religiös-fittlihen Gefühls, welches die Grundlage der Geſinnung jein 
muß, und den Charakter fällt. Diefe Bildung kann und foll zwar 
durch die Schule begründet und möglich gemacht, kann aber durch biejelbe 
niemals vwellendet werben, wenn man ihre Wirkfamleit auch bis zum 20, 
Lebensjahre des Menſchen ausdehnen wollte. Sie vermag ihre relative 
Vollendung mer durch bie eigene Arbeit eines Seven unter dem GEinflufle 
des Lebens felbft zu erlangen und es unterliegt Seinem begründeten Zwei⸗ 
fel, daß Jedem die Grwerbung ver ihm nüthigen und gutzäglihes Bildung 
nur erſchwert werben würde, je länger er über einen gewiſſen Punlt hin: 
aus gejhult wird. 68 ift einer der größten und nachtbeiligiten Irtthü⸗ 
mer in der Lehrerwelt, die Wirkfamleit der Schule, bie S hulbildung, 
entgegen der Selbfibilvung und ber bildenden Macht des Lebens, zu über 
Sägen; es iſt ein arger Jrrthum unfess Berfafens, wenn er meint, daß 
durch die Schule allein ‚oder vorzugsweiſe, und bux eine Erweiterung ber 
felben Genußſucht, Lurms, Egoianum und andere ſittliche Gebrechen befeitigt 
werden konnten, und es iſt faſt anbegreiflich, wie er alles Ernſtes meinan 
kann, das Heil wurxde Inmmen, on hie Pollsſchabe als Zürglings- 


816 Allgemeine Päbagogit. 


ſchule fortgefebt würde. Unter dieſer Juünglingsſchule verſteht er nicht 
eine Fortbildungsſchule in dem gewöhnlichen Sinne, mie fie hier und da 
als Sonntags: oder Abendsſchule beſteht; denn er fagt ausprüdlih, er 
wife wohl, daß der Verwirklichung feiner Jünglingsſchule große Echwies 
rigleiten entgegenftänden, und er wolle ſich deshalb vorerft mit einer Fokt⸗ 
bildungsfchule begnügen, in welder bie Jugend vom 14. bi zum 17. 
Lebensjahre täglih 2 Etunden Unterriht in Religion, Deutſch, Rechnen 
und Nealien erhielten. Aber au in viefer Beſchränkung muß die, dor» 
derung des Verfaſſers in ihrer Allgemeinheit eben fo beftritten werben, wie 
feine allgemeine Forderung einer Kinder⸗-Vorſchule für das 8. bis 6. Les 
bensjahr oder eines fogenannten Kindergartens. Der Himmel möge in 
Gnaden unfere Volksjugend davor bewahren, vom 8. bis zum 17. Lebens» 
jahre fo gejchult zu werden, wie der Berf. es für nötbig bält. Ich geböre 
befanntlid nicht zu denen, melde die Schulbildung des Bolles auf das 
Notbpürftigfte, auf das vom unmittelbarften Bedürfniffe Geforderte befhräntt 
eben wollen, wie die preußiſchen Regulative dies anftreben, aber die Lieber: 
zeugung ftebt bei mir feh, daß 8 Schuljahre für die Vollsjugend vollkom⸗ 
‚men ausreiden, um ſich alle erforberlihe und wünſchenswerthe Schulbil⸗ 
dung anzueignen, wenn nur die Hinderniffe und ungünftigen Berbältnifie 
befeitigt werden können, die innerhalb dieſes Beitraums der Wirkſamkeit der 
Volksſchule im Wege fteben. 

Der Verf. bat in den Abfchnitten feiner unverlennbar von reiner Liebe 
für das Volt und feine Bildung getragenen Schrift, mo er von ber oben 
und techniſchen Leitung, den Arbeitskräften der Vollsſchule, der Schulver 
faflung, den äußern Hülfemitteln, dem Innern und der Schulgeſetzgebung 
ſpricht, mande dieſer ungünftigen Verhältniſſe berührt, aber andere nicht 
minder einflußreihe unberührt gelafien oder nit genug bervorgeboben. 
Seine Eule der Zukunft gleiht einem Baue, der durch feinen Um: 
fang und feine äußere Ausftattung einen vortreffliden Eindruck macht, 
defien Grund und innere Einrichtung aber feinem Zwede nicht genügend 
entſpricht. 


33. Unſere Zeit und bie Schulreform. Bon J. B. Kotz, Schullehrer 
in Unterbießen. Augsburg, 1865, 8. Kollmann’iche Buchhandlung. 40 S. 
gr. 8. gr. 


34. Die Bolleihute ine Studie und Kritil von Geor El Baader. ver 

burg, B. Schmid'ſche Derlagsbuchhandlung, 1865. 20 

Beide Echriftihen behandeln, Nr. 34 als Gegenihrift von Nr. * 
die ſchon ſo vielfach beſprochene Schulfrage, ohne neue Geſichtspunkte zu 
entwickeln, und beide hätten füglich ungebrudt bleiben können. Es wird 
nad und nad des Guten doch zu viel, wenn gegenwärtig no& immer 
Einzelne über Reform und Gmancipation der Schule das fo oft Gefagte 
lediglich wiederholen, ohne eine neue Idee binzuzubringen, jumal wenn 
dies in einer fo fhwerfälligen Sprache, mie in Rr. 33 und fo weit aus 
bolend wie in Nr. 34 geſchieht. Ich könnte das Referat über beide Rum: 
mern hiermit fchließen, wenn es mir diesmal nit darauf anfäme, Anſich⸗ 
ten und Stimmen über die Schule in Deutſchland vorzuführen. 


Allgemeine Pädagogik. 817 


Hear Koh hat eine äußerſt günflige Meinung nom deutſchen Volke, 
Nah ihm ift die Eintracht in demſelben feit gewurzelt, es bat feinen Bes 
ruf erlannt, daß die Macht des Staates nicht in der Perjon des Regen: 
ten‘, ſondern in ibm ſelbſt wurzelt; es bat Selbftvertrauen gewonnen, es 
iM aus langem Schlafe aufgemedt worden — durd die Bildung bes 
Boltes, welde für zwei Drittheile der Bewohner eines Landes durch die 
Vollsjchule vermittelt wird. Diefe bat wejentlihen Antheil an dem fich 
überall fund gebenden Streben nah Bolllommenbeit, an der Blüthe des 
Gewerbfleißes, an dem vermehrten Wohlftande, an der lebendig gemorbenen 
potriotiihen Gefinnung. Freilich zeigen fi auch manche Uebelftände und 
Gebrechen. Seit einigen Jahren wird die Jugend trog allen Lehrens und 
Lernens, ungeachtet aller Ermahnungen und Belehrungen immer rober, uns 
gehorfamer und trogiger (7); die Zahl der Strolche und Bettler im Lande 
vermebrt fi, die Zuchthäufer find überfüllt. Die Urſachen diejer betrüben: 
den Erſcheinungen ſieht der Verf. in dem fo häufigen Mangel an religiös 
fittliher Bildung in der Yamilie, befonders aber in der allzu großen Hus 
manität unjerer Zeit, in der allzu humanen Gefeßgebung, aber auch wieder 
in dem allzu ftrengen Anjälfigmahungs:®ejebe, und weiter in der wenigſtens 
für das Land allzulurzen Schulzeit (die in Baiern allerdinge zu kurz ift, 
jo viel ich weiß). Wieviel geholfen werden künnte, wenn der Volksſchule 
mebr Aufmerljamteit, Sorgfalt und Unterftüäbung zugewendet würde, gebe 
ſchon daraus hervor, daß die meiften Verbrecher in den Kreifen fich zeigen, 
wo die Bollsbildung noch am weiteſten zurüd it. Die Volksſchulen leiften 
ſchon jebt Befriedigendes, aber es kann in ihnen noch Vieles befier werben. 
Indeſſen beſcheidet fi der Berf., daß alle Gebrehen der Menjchbeit durch 
die Volksſchule gehoben werden können, und darin bat er unbeftreitbar 
Recht. Manche Klagen über die unzulänglide Wirkſamkeit der Volkesſchule 
baben lediglich ihre Mängel in den übertriebenen Borftellungen von biefer 
Wirkſamkeit und den maßlofen Anſprüchen an biefelbe. 


Es gewährt. flets Intereſſe und Belehrung Unfichten über die deutfche 
Säule von Männern zu vernehmen, die in berjelben arbeiten over aus 
msmittelbarer Nähe fie zu beobachten Gelegenheit haben. Bon nicht min» 
derem Intereſſe und noch belehrender find aber die Urtheile, die aus dem 
Auslande fich über den BZufland unferer Schulen vernehmen lafien und die 
hervorgegangen find aus einem Vergleich dieſer mit den Schulen eines 
fremden Landes. Ich führe daher noch zwei ſolche Urtbeile an. 

Das erſte lommt von einem deutſchen Amerilaner, dem Berfafler bes 
unter Nr. 39 aufgeführten Buches, Zur richtigen Würbigung deſſelben 
muß zuvor bemerkt werden, daß Dulon, vor 18 Jahren Baftor in Bre⸗ 
men, in lirhlider und politifher Hinficht zu den fortgejchrittenften Forts 
fchrittsmännern zählte, viele Anhänger batte, in Folge feiner agitatorijchen 
Zhätigleit — ob mit Recht oder Unreht, muß ich bier dahin geftellt fein 
Iafien, da die Anfihten hierüber getbeilt find, und ich nicht (Gelegenheit 
gehabt habe, mir eine eigene in ber Sache zu bilden — von feinem Amte 


vorſteher thätig geweſen if. Große Behkbigung, Uuwgie uns Frrimeth 
werden auch feine Gegner ihn zugeſtehen müflen, währe and eine Frrunde 
eine gewifle Obexflächlichleit feiner Anfihten und Bhrafenveicktbuau ter feines 
Ausvrudsmeife nicht mit Grund werben abweilen innen. Dulsn ba 
in feinem weiter unten zu beſprechenden Bude in oiwem beſondern Abſchnitte 
fein Urtheil über die deutſche Schule abgegeben. 

„An der Spitze der Schule der Wels ſteht dis ventſche Schule, ix 
verfitäten, Gynmafien, Seminare, Burgerſchulen, Bollsſchulen — Alles dm 
geihlofien, ver Werlflätte wurdiger Borfichuinreifter nicht zu vergefiem.“ 
Mit viefem Sape beginnt jener Abſchnitt. Ich übergebe natürlich daB, 
was er über bie liniverktäten und Gymnafien ſagt. Nach ihnen ſprtcht 

er zumäcdft won den Schullehrer⸗Seminaren. Er meint freilich, daß eigen» 
Ki auch bie Volksſchullehrer auf der lniverfität ihre Bildung erhalten 
follten, aber praltifcher wie manche Enthufiaflen in Deutſchland, verkennt 
er nicht, daß die Verwirklichung dieſes Gedanbens unter deu Berhältuiiien, 
wie fie gegenwärtig finb und ned lange bleiben werden, weder möglid 
noch zuträgiid fein würde, deshalb will eu, wis bie Sachen mm einmal 
liegen, das Schullehrer⸗ Seminas in hoben Ghren halten. „Die Seminase 
baben in großer Zahl Bollsfchullehrer gebildet, Die in ihren Wiſſen uud 
Können hoch über der Maſſe des Volles ſtehen und mil: rüfiger: Koft ilwes 
Schüler von Stufe zu Stufe beben. In ihnen beſiht Deutſchlann . eime: 
Macht der Bollsbilvung, um die jedes Land ber Welt es beneiven Ian.“ 
„Sie lönnen ihr Verdienſt nach Umfang und Dedeutung getroſt neben das: 
der Univerſitaͤten und Gymnaſien ſiellen 

Die deutſchen — zeichnen ſich nad: Dulon 3 Uetheile au® 
durch methodiſchen Unterricht, darch bie: Sicherheit und Gewandtheit, wo⸗ 
mit Rinder von verſchiedenem Schulalter. zu glebiher Zeit untereidtet- ws 
beſchäftigt werden, durch der Umfang unb bie: Btünpiidkeit' des Wiſſtus 
das fie vermitteln, durch die Erregung bes Selbſtdenlens in den Schülern, 
durch die vortreffliden Schulbücher, die in ihnen eingeführt find, durd bie 
Ruhe, Ordnung, Regelmäßigleit, den äußern Anftand, die in ihnen vorherr⸗ 
ſchend find. In Bezug auf vies Letztere ſollen aber die Belwen den Ruhm 
nicht ſich ausſchließlich anrechnen; denn „ie ganze Dent« und Anſchaunage⸗ 
weiſe, die in ber monarchiſchen Luft großgezogen wisb, ber monandifhs- 
Geiſt, der alle Windel durchkriecht, alle Berkältnifie durchdringt: unv. im 
allen ſich einmiftet, thut mehr abs ihre padagogiſche Meiſterſchaft. Mit deu 
Muttermilch jaugt das Kind den Geilt des Gehorſams ein.‘ 

Neben großen Borzügen haben lniverfitäten und Spnmaflen, wand 
Dulon’s Urtheil, auch mande Schattenjeitew;. in Bezug auf die Bollz- 
ſchulen erwähnt er, außes ber bürftigen Beſoldung und zu untergeorbrmiens 
Steflung der Lehrer, nur zwei Mängel, bie nad ihm aber nid in Sem 
Lehrern, fonbern in dem Monarchismus Deutfchlanns ihren Grund habeu. 
Diefer Monarchismus ſchafft nämlid, nah Dulon, aus jedem Schufa 
rector, Schulinfpector, Schulmeiſter einen Staatsbeamten, einen kleinen Mo⸗ 
naschen, und fühet in bie Schulen den religiöſen Glauben ein, „der cud 
weder das Probuct der Befdränttheis oder des Dechnaniel der Heuihelch if,” 














Allgemeine Pudagegil. 818 


Die Schulen Werben zur Frommigkeit commanirt: VBibel, Kuatochismus 
und Geſangbuch fpielen eine Hauptrolle in dem ontſetzlichen Trauerſpiels“ 
„Der Unfug des erzivungenen und auf obrigleitlicyes: Gonunantn Werttiebenen 
Religion iſt die. püfterfte aller Schattenfeiten, die die vautfher Schule dar⸗ 
bietet!” Damm erlennt man den Repwblilaner. und den: ertvemen Rutionaliſten. 
Beinen enthält jein Uxtheil etwas: Wahrheit. 

Ein ganz anderes Urtheil über die deutſche Schule faͤllt im Englaͤnder, 
der Bi. von N. 38, der fi dabei auf die Anſchaumgen und Mittbeilun: 
gen, Anderer fügt, namentlich eines Herrn Pattiſon, der Deutſchland 
bereit bat, um deſſen Schulweſen lennen zu lemen. Her Tylov abs 
GEnglaͤnder, Borftand im Romits einer Londoner Schule und Anhaͤnger der 
in England zahlreihen Partei, welche alle Schulangelegenheiten. ven freien 
Gatidliehungen der Eltern und der Gejellichaften von Schalfseunden über 
lafien willen will, welche zur Grhaltung der Schulen Gelpbeiträge liefern, 
nimmt naturlich zunächtt Anftoß an dem Schulzwange in Deutichland. Daher 
komme 03, dab die Schule häufig Kinder erhalte, deren Eltern auf den Unterricht 
wenig Werth legen und ſich nicht darum kümmern, ob etwas gelernt wird. 
Da der Staat non jedem Rinde ein beftinmtes Minimum von Kenntnijien 
und Fertigkeiten fordere, jo müfle der Lehrer feine meifte Zeit auf die ta⸗ 
ientlofen und. trägen Schüler verwenden, umb koͤnne die befiern nicht fe 
fördeun, wie ihre Begabung es verbisnen würde, Dadurch werde jede Schufe 
auf ein gewiſſes Durchſchnitts⸗Niveau herabgedrückt, über welches fie fich 
beträchtlich erheben könnte, wen der Zwang wegfiele. In den deutfchen 
Bollsſchulen finde fi daher eine: ziemliche Gleichförmigleit des Miflens, 
aben leine geiftige Frijche.” Daß dieſe letztere den deutfchen Schulen im 
Allgemeinen abgejprochen wird, beruht ficher auf mangelhafter Beobadıtung; 
wit der ziemlichen Gleifärmigfeit des Willens hat es aber feing Richtig: 
keit. Weit entfernt jedoch, daß dies den beutfchen Schulen zum Tadel ges 
reihen Ian, liegt darin nur ein Lob für viefelben. Bei aller Gleichfor⸗ 
migfeit wiflen unfere Schüler doch ungleidh mehr, ala vie beflen in den. 
engliihen Schulen, und es if gewiß ein großer: Ruhm, daß bei uns vie 
mittelmäßigen und ſchwachen Köpfe über den guten nicht. vernachlaͤſſigt werben, 

Die von der Peſßalozzi ſchen Schule in ven Vordergrund geftellte for: 
male Bildung wird von dem Gngländes für einen Irrihum erflärt, oder 
nad für übel angebracht bei Kindern zwiſchen 7 und 14 Jahren. Denn 
Das Sind müſſe zuerfi realen Stoff erhalten, über welchen es denken lann, 
und verfelbe wüfje ihm eingeprägt, eingeäbt, nicht blos vorgetzagen werben. 
Die preußiſchen Negulative, welche dem Lehrftoff auf ein ſehr geringes Maß 
zurüdgeführt hätten und in ganz Norddeutſchland (?) und in einem großen 
Theile des übrigen Deutſchlands (2) zur Richtſchnur vienten, hätten ihr 
Ziel auch überfchoflen, nur eine Uebertreibung mit einer andern vertauſcht. 
Sie fiellten den Grundſatz auf: „Was das Kind in der Schule zu erwer⸗ 
ben bat, if nit ein Wiffen, jondern ein Können; der Glementaw 
Unterriht liefert niht Wiſſenſchaft, ſondern Fertigleiten. Diejer 
Grundſaß fei dunlel, und die aus einer preußifchen Dorfihule ausgetretenen 
Kinder ſchienen allerdings wenig zu wiſſen, aber auch wenig zw können. 
Es ſei ein gesade fe unpraltiicher Irrchum wie ber des: Peſtalozztanismus, 


320 Allgemeine Pädagogik. 


wenn man glaube, eine folibe reale Grundlage für den Unterricht durch 
unmäfiges Memoriren gejchriebener oder gebrudter Worte zu gewinnen. — 
Was die NRegulative anlangt, wird man gern beiftimmen; aud) das Urtheil 
über die formale Bildung der Behalonifcen Schule if nit falſch, trifft 
aber nicht mehr zu, da in Deutſchland bereits feit längerer Beit der ein» 
feitige Formalismus aus der Schule verbrängt worden iR, ſchon vor dem 
Erſcheinen der Regulative. 

In Sachſen, den thüringifhen Herzogthämern und weiter ſüdlich — 
fo ſpricht ſich das engliiche Urtheil weiter aus — fheine das bewegliche 
Naturell der Bevoͤllerung das gedaͤchtnißmaͤßige Drillen fi) vom Leibe ges 
halten zu haben, und in Preußen felbft fäbe bie Regierung (??) ven Rif 
griff bereits ein. 

In Deutfhland — fo heißt es weiter —, und namentlich in Rorb- 
deutfchland fehlt es den Eltern an Intereſſe für Schulfragen, was fid 
nur daraus erklären läßt, daß das ganze Schulweſen von officiellen Ber: 
fonen geleitet wird, welche einzig ihrem Vorgeſetzten verantwortlich und als 
Beamte des Staates dem Wirkungskreiſe der Gemeinden, dem Ginflufie der 
am Sculorte fib bildenden Anfihten und Wuͤnſche entrüdt find. — Die 
Nichtigkeit diefes Urtheils kann unmöglid geläugnet werden. Denn wenn 
auch nicht fo allgemein, wie unfer Engländer anzunehmen fcheint, fo herrſcht 
doc vielfach, bejonders auf dem Lande, unter den Gltern eine überaus 
große Gleidhgültigleit gegen die Schule, und zwar aus dem angegebenen 
Orunde Es ift daber auch nady meiner Anfidht nicht unbedenklich, wenn 
die Lehrer fo eifrig darnach fireben, Staatsdiener und von allem Ginflufle 
der Gemeinden und des Eltern völlig frei zu werben. jene Gleichgültig⸗ 
feit würde fiher nody weiter um fidh greifen, wenn die Beſtimmung im 
den Grundrechten von 1849, wornad aller oͤffentliche Unterricht unents 
geltlih fein fol, jemals in Kraft treten follte. Mertwürbig bleibt es in⸗ 
deß, daß jener Tadel von einem Engländer ausgeſprochen wirb, da Enge 
land's Volksſchul⸗ und Bollebildung der deutfchen fo fehr nachſteht, und 
zwar gerade deshalb, weil eine fo große Anzahl der Gltern gegen alle 
Schulbildung fo gleichgültig ift. 

In Würtemberg — fo bören wir von dem englifchen Berichterftatter, 
Seren Battifon, weiter — giebt es eine Partei, die die Aufhebung des 
Schulzwanges anitrebt und zu welder Dr. v. Steinbeis, Director der 
t. Gentralftelle für Gewerbe und Handel, gehört, derjelbe, der auch bei den 
belannten Schulausftellungen mit an der Spige fand”). Diefe Partei geht 
weder von einem abitracten Principe perfönlicher Freibeit noch von ultramonta= 
nen Principien aus, fondern von praktiſchen Erfahrungen über die Wirkung 
fiaatlider Schulverwaltung, und begt die Meberzeugung, dab nad Beſeiti⸗ 
gung des gejeblihen Zwanges die Schulen fi) gerade fo füllen würden wie 
jest (?), Andere geben nicht fo weit, fondern wünſchen nur den Wegfall 
der ausschließlich kirchlichen Schulverwaltung oder größere Theilnahme des 


*) Dr. v. Steinbeis Hat wenigſtens die Unterfiellung als „ungereimt” bes 
zeichnet, daß er gegen die Unterfägung ber Schulen durch den Staat ſei. 


Allgemeine Padagogik. 321 


Volles und der Eltern an derſelben, ein Wunſch, der unſtreitig vollbe⸗ 
rechtigt iſt. 

Herr Tylor ſchließt mit folgender Bemerkung, in der viel Wahres liegt: 
„Man f&eint es in Deutfchland bis jegt noch für unmöglich zu halten, die 
Unterhaltungstoften für Anſtalten wie bie mürtembergijhen Yortbildungss 
ſchulen ganz ohne Negierungshülfe aufzubringen. Aber ſchon das in Wür- 
temberg befolgte Eyftem, nad) welchem ein Theil dieſer Koften durch die 
Schulgelder, der Reit zur Hälfte von der Gemeinde, zur Hälfte vom Staate 
gededt wird, bat viel vortheilhafter gewirkt, als jemals Freifchulen oder 
Zwangsſchulen oder reine Staatsſchulen wirken werben.” Diefe Bemerkung 
enthält Wahrheit, nicht blos für Fortbildungsſchulen, fondern auch für die gemöhns 
lihen Volksſchulen, und in dem noch weitverbreiteten Syſteme der Freiſchu⸗ 
len — nit zu verwecjeln mit dem Epfteme der Freiſchüler — ſehe ih 
einen nicht geringen Webelftand; dagegen ift die in Deutſchland übliche ges 
ſetzliche Schulpflichtigkeit, die nur von unordentlihen und gegen das mahre 
Wohl ihrer Kinder gleichgültigen Eltern als ein Zwang gefühlt wird, uns 
fireitig eine Pfliht gegen die Jugend, eine Wohlthat für das Boll, ein 
mäcdhtiges Förderungsmittel allgemeiner Bildung. 

Daß im deutſchen Vollsfhulmefen noch Manches befier fein Tönnte, 
wird von Allen bereitwillig zugeftanden werden, und es ift aucd in dem 
Jahresberichte mehrfach gelegentlih darauf hingemwiefen worden. Bor Allem 
ift zu beflagen, daß für die Jugend in unfern Schulen binfihtlidh der Ges 
junpheit und der körperlihen Erziehung nicht gut genug geforgt iſt. Die 
äußere und innere Einrihtung der Schulhäuſer läßt viel zu wünſchen übrig; 
den meiften Volksſchulen fehlen geeignete Epielpläße, das Turnen ift noch 
lange nicht allgemein als nothwendig wenigſtens für ſtädtiſchen Schulen ans 
erfannt. Gngland und Nordamerita übertreffen uns in dieſer Beziehung. 
Dort wird der Ausbildung des Körpers mehr Aufmerkfamfeit gemidmet, 
und bei Erbauung und Einrichtung der Edhulhäufer werden die gejunpheits 
lihen Rüdjichten befjer gewahrt. 

Ein anderer Mangel in unferm Schulmefen betrifit den Lebrftoff. 
Meber die Lehrfächer herrſcht jo ziemlich Uebereinſtimmung, welcher Stoff 
aber aus jedem in die Volksſchule gehöre, darüber giebt es noch fehr ver⸗ 
ſchiedene Anjihten. Bald wird, wie dur die preußiſchen Regulative, der 
Lehrſtoff allzuſehr bejchräntt, bald überfteigt feine Maſſe das zuträgliche 
Map, wie viele Lehrpläne zeigen. Ueber dem blos Wuͤnſchenswerthen wird 
das Nothwendige nicht felten vergefien, und die Lehrziele werden oft weit 
böber geitedt ald die allgemeine Bildung erheiſcht. Wo dies der Fall iſt, 
kann nur eine oberflählihe und unzureidende Schulbildung erzielt werden, 


Unſern Volksſchulen fehlt ſehr häufig der erziehende Charalter, fie find 
noch vielfah bloße Lernſchulen, die ihre Schulpigkeit volllommen gethan 
zu baben meinen, wenn fie ihren BZöglingen nüglihe Kenntniſſe und Fer⸗ 
tigleiten aneignen. Das BVerdienft, das fie fi dadurch erwerben, darf nicht 
gering angejchlagen werben, fie würden fi aber noch ungleich verbienter 
maden, wenn fie für die Erziehung, für die Bildung des Gefühld, der 
@efinnung, des Willens, des Charakters eine größere Thätigleit entjalteten. 

Pad. Jahresbericht. XVII. 21 


328 Allgemeine Padagogik. 


Mit diefem Letzten hängt ein Mangel zuſammen, ber ſchon oben in 
Bezug auf die preußiſchen Schulen gerügt worden ift, nämlidy der unfreusd- 
lihe Zon der Lehrer gegen die Schüler, der ſich vielfah, wenn aud nicht 
fo grell, in den außerpreußifhen Schulen findet. Diele Lehrer meinen, die 
Kinder wären nur um ibretwillen da, und fie müßten diefen durch eine 
firenge Amtsmiene, durch einen ftrengen Amtston imponiren. Jedes Ber 
geben wird als eine Art Majeftätsbeleivigung, jeder Widerſpruch als Unge⸗ 
borjam und Frechheit angeſehen, jugendlicher Leichtfinn mit böjem Willen 
verwechſelt und Unzulänglichfeit der geiftigen Kraft als Schuld angerechnet, 
zu geſchweigen von den Schimpfwörtern und Obrfeigen, womit bie Jugend 
traktirt wird. Viele Lehrer wähnen, vergleichen gehöre zu einer ſtrengen 
und guten Schulzudt. 


Die Schulen in Rußland. 


35. Ueberfiht der Thätigleit des Ruſſiſch⸗Kaiſerlichen Miniſe⸗ 

riums ber Bollsaufllärung und der ihm untergeorpmeten 

elebrten und Lehranftalten in den Jahren 1862, 1863 und 1864. 

Fr us bem Auffiichen überſetzt. Gt. Petersburg, 1865. 332 und 375 Seiten. 
exic. 8. 


36. Zur Geſchichte und Statifil ber Belehrten- und Schulanfal- 
ten bes Kaiferlih Ruſſiſchen Minifteriums der Bollsanftlä- 
rung. Nach oiftciellen Quellen bearbeitet von &. Woldemar. Erſte Aus 

abe. — Für das Jahr 1865. Gt. Petersburg, 1865. Buchbraderei don 
—* Aſſmann. 271 ©. Lexie. 8. 


Dieſe beiden Baͤnde geben ein ſchoͤnes Zeugniß von dem Cifer, dem 
Ernſte und der Umſicht, womit die ruſſiſche Regierung die Volksbildung 
durch Errichtung neuer und Verbeſſerung ſchon beſtehender Schulen zu he⸗ 
ben beſtrebt iſt, und gewiß wird es vielen Lehrern angenehm ſein, über 
diejenigen Schulen in Rußland etwas zu hören, die unjern Bürgers und 
Volksſchulen entſprechen. 

Unfern Bürgerſchulen ſtehen in Rußland ungefähr die Kreisſchu⸗ 
len gleich, deren es zu Anfange des Jahres 1863 unter der Leitung des 
Miniſteriums der Aufklaͤrung 416 mit 23,952 Schülern und 2743 Leh⸗ 
rern und Beamten gab. Dieſe Schulen entſprechen aber, nad der allge 
meinen Anfiht der ruſſiſchen Pädagogen, in ihrer jepigen Einrichtung und 
Wirkſamkeit dem Zmede gar nicht, zu welchem fie gegründet worden find. 
Sie haben mindeftend 3, viele A, wenige 5 Klaſſen und werden von recht⸗ 
gläubigen (griehifh orthodoren), katholiſchen und proteftantifhen Schülern, 
in manden Bezirten auch von Muhamedanern, Lamaiten und Gößenanbe- 
tern beſucht, wovon etwa NO Procent Söhne von Naufleuten, Bürgern 
und Bauern find. Die Lehrfächer find im Allgemeinen Religion, ruſſiſche, 
franzöfifhe, deutſche, zumeilen auch italienifhe Sprache, Arithmetik und 
Geometrie, allgemeine und ruſſiſche Gefchichte, allgemeine und ruſſiſche Ges⸗ 
graphie, Galligraphie und Beinen, in einigen auch Handelswiſſenſchaſten 
und Buchalten. Nah der Abſicht ihrer Gründung foll in den Keeisfſchu⸗ 





Allgemeine Päbagogik. 823 


ien der Jugend, welche der Möglichkeit, eine Symnafialbilbung zu erhalten, 
beraubt ift, und namentlich den Kindern der Bürger, unbemittelter Adeli⸗ 
gen und ber untern Beamten eine abgejchlofjene Bildung zu Theil werden. 
Um einen fihern Erfolg in den Lehrfächern zu erzielen, wurden kurzgefaßte 
Schulbücher zufammen geſtellt. Man hatte aber nit an die Vorbildung 
von Lehrern gedacht, die fähig wären, die dieſen Schulen geftellte Aufgabe 
sihtig und rationell zu löfen. Die Folge davon war ein todtes, gedädht: 
sißmäßiges Einlernen des Inhaltes der Schulbücher. Statt wirklicher Kennt⸗ 
nifie erhielt ver Schüler blos Definitionen, Worte, Namen und Zahlen. Sie 
lernten zwar, wie viele Declinationen und Conjugationen die ruſſiſche Sprache 
befist, oder welche Endung der Genitiv der erfien Declination hat, waren 
aber nit im Stande, den einfadhiten Brief logiijh und zufammenhängend 
abzufuflen; fie konnten nit nur die Ramen aller ruffifchen Fürften mit 
Angabe der Jahreszahlen ihrer Thronbefteigung,, fondern aud die Namen 
eguptifcher, babyloniſcher, afiyrifher und anderer Fürften aufzählen, ohne 
auch wur irgend eine hiſtoriſche Thatſache zu verftehen; fie kannten die Nas 
men vieler Flüfle Afrilas, während fie nicht mußten was ein Fluß ift, 
woher ex kommt und welche Flüſſe ſich in ihrer naͤchſten Umgegend befinden. 
Mit einem Worte, in Folge der Verpflichtung ber Lehrer, den abgejchlofjenen 
Gurjus nad) den vorgejchriebenen kurzgefaßten Schulbühern durchzugehen 
und bei dem gänzlihen Mangel pädagogiſcher Kenntniſſe und Einfiht trat 
der Unterricht in den Kreisſchulen in vollftändigen Widerſpruch mit dem 
praltifchen Leben, und eine Folge davon war ihr allgemeiner Verfall und 
Gleichgültigkeit des Publilums gegen diefelben. Die Eitern jchiden ihre 
Kinder größtentheild nicht deßhalb hin, damit fie den ganzen Lehrcurfus 
burhmaden, fondern nur damit fie eine Beitlang irgend etwas lernen. 
Daher kommt es, daß die oberften Klaſſen nur wenige Schüler zählen, 
während in bie unterfte Klafie zu Anfange des Curſus viele eintreten, wo⸗ 
von aber fchon nad) einigen Monaten nicht wenige wieder weggehen. Durchs 
jchnittlid kommen auf jede Kreisihule nicht über 57 Schüler, oder je 19 
Schüler auf jede Klaſſe, da die meiften diefer Anftalten, nur drei Klaſſen 
haben. Ginige baben fogar 20 und noch weniger Schüler, fo daß auf 
einen Lehrer nur 2 oder 3 Schüler kommen. 

Das Minifterium kennt diefe Mängel, die übrigens nicht in allen 
Bezirken in gleihem Grade obwalten, und denlt auf eine Reform der Kreis⸗ 
ſchulen. Es wird beabfichtigt, ftatt derjelben, je nach den localen Bedingungen, 
zweierlei Arten von Schulanftalten zu errichten: in Städten, wo die größte 
Anzahl der Lernenden dem Bürgers und Bauernftande angehört, die feiner 
Gymnaſialbildung bevürfen, und denen eine gründlide Clementarbildung 
genügt, follen zweiklaſſiſche höhere Parochialſchulen mit einem den localen 
‚Bedürfnifien der Bevoͤlkerung angepaßten Unterrichtölurfus, die Stelle der 
Kreisſchulen einnehmen. In Städten dagegen, wo fid unter den Schülern 
viele Kinder von Edelleuten, Beamten, wohlhabenden Kaufleuten und as 
brifanten befinden, die einer höheren oder Gymnaflalbildung bedürfen, follen 
an die Stelle der gegenwärtigen Kreisſchulen PBrogymnafien oder Gymnafıen 
treten. Außerdem dürften einige Kreisfchulen in Lebrerfeminare zur Bor: 
bereitung von Glementarlehrern umgeflaltet, oder bei denſelben wenigftens 

21” 


[4 


324 Allgemeine Pãdagogik. 


pädagogifche Abtheilungen zu dieſem Zwede errichtet werben. Die Kinlei- 
tung einer folben Reform ver Kreisfebulen hat bereit begonnen. 

Die Kreisichulen ftehen unter unmittelbarer Aufjicht des Gouvernement⸗ 
Schuldirectors und an ber Spitze jeder Anftalt befindet ſich ein Inſpector. 
Das Lehrerperſonal beſteht gewöhnlich aus 1 Religionslehrer, 3 wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Lehrern und 1 Zeichenlehrer, fremde Sprachen werden übrigens 
nur in einigen getrieben. An Gehalt beziehen ber Inſpector S50—500 
Rubel, der Religionslehrer 200 , die wifjenjchaftliden Lehrer 300400, 
der Schreib: und Zeichenlehrer 200 Rubel. 

Die Boltsfhulen in Rußland find von verſchiedener Art und 
fteben unter verſchiedener Oberleitung. Die Zahl der unter bem Miniſte⸗ 
rium der Volksaufklaͤrung ftehenden, iſt die geringſie und betrug zu Anfang 
des 3. 1865 im Ganzen 1846 mit mehr ald 80,000 Schülern. Die 
Anzahl der unter geiftlicher Verwaltung, unter den Minifterien bes Innern, 
der Reichsdomaͤnen und Apanagen ftebenden iſt ungleich größer und beträgt, 
mit Ausnahme der weftlihen, baltiihen und fibirifhen Gouvernements, 
mebr als 30,000 mit über 600,000 Lernenden auf eine Einwohnerzahl 
von 45 Millionen. Es kommt hiernach 1 Schule auf 1500 und 1 Schuk- 
find auf 70 Bewohner, fo daß auf dieſem Felde nod viel zu thun if. 
Mebr als die Hälfte diefer Schulen find Kirchſpiels- oder Parochialſchulen, 
die von der griechiſcheorthodoxen Geiftlichleit unterhalten werden. Auf Ber 
mehrung der Bollsihulen hat die Aufhebung ber Leibeigenſchaft bereits 
großen Einfluß gehabt. Die Koften der Unterhaltung der nicht kirchlichen 
Boltsihulen tragen vorzugsweife die Gemeinden, ein lleinerer Theil derſel⸗ 
ben wird vom Staate getragen und durch freiwillige Beiträge von Privat 
perfonen beftritten. Der Unterricht in den Volkeſchulen umfaßt Religion, 
Leſen, Schreiben, Rechnen (die 4 Species) und Kirchengeſang, wenn bie 
vorhandenen Mittel es geftatten. In den ſtädtiſchen Vollsſchulen erhält 
der Unterricht je nah den vorhandenen Mitteln und Bedürfnifien gewöhn⸗ 
(ih eine größere Ausdehnung, z. B. auf die Elemente fremder Spraden, ber 
Geometrie u. f. w. Die Leiftungen der Volksſchulen in den nothwendig⸗ 
ften Lehrfächern ift fehr ungleich, am wenigſten befriedigend im Allgemeinen 
in den von ber Kirche und ven Geiftlihen gegründeten und geleiteten. 
Wie wenig felbft im Mittelpuntte der Auftlärung die Sertigleiten bed Les 
ſens und Schreibens verbreitet find, geht daraus hervor, daß bei der Volks⸗ 
zäblung in Petersburg im December 1862 fih 274,521 Perfonen janben, 
die nicht leſen und jchreiben konnten. 

Die obere Leitung und Verwaltung der Volksſchulen war früher unter 
mehrere Behörden vertheilt, aljo zerfplittert. Dieſer Uebelitand ift feit 
1864 für mehrere Gouvernements durch Einführung von collegialiiden Schul 
bebörden unter dem Titel „Schulrath“ befeitigt und dadurd) Das nothwen 
dige Zuſammenwirken der oberfien Behörden, von melden die Schulen in 
legter Inftanz abhängen, angebahnt worden. Diele Schulräthe befteben 
aus den Nepräjentanten jener Behörden, und das Minifterium der Bolte« 
aufllärung ift darin durd den Schuldirector des Gouvernementd oder einen 
der Schulinfpectoren vertreten. In den Befugnißlreis des Schulraths ge 
hören alle innern Ungelegenheiten der Schulverwaltung, während dem Mi 








Allgemeine Pädagogik. 325 


niſterium ber Bollsauflärung die Oberleitung des Unterrichtsweſens zufteht. 
Bugleih ertheilt dieſes Minifterium auf Antrag der Schulräthe Zuſchüſſe 
an die verjchiedenen Volksſchulen. 

Dem Reglement der Elementar:Boltsfhulen vom 14. 
Juli 1864 liegt der durchaus richtige Hauptgedanfe zu Grunde, daß die 
Regierung dem frühern Syſtem der Kronſchulen — d. h. der Staats⸗ 
ſchulen, der Gründung der Volksſchulen durd die Staatöregierung — ent: 
fagend, von nun an der Thätigleit der Gemeinden und Privaten in bdiefer 
Angelegenheit einen möglichft weiten Epielraum geftattet und ſich die Aufs 
gabe ftellt, ftatt überall felbft Vollsfhulen zu gründen, nur deren Grüns 
dung zu begünftigen, vie Privatthätigleit auf diefem Gebiete anzufpornen, 
die Beitrebungen der verfchiedenen Behörden, Perfonen und Inſlitutionen 
unter einander in Einklang zu bringen und auf das eine gemeinfame Ziel 
binzulenfen. Diefer Grundidee gemäß bat das neue Reglement hauptjädh: 
lih Folgendes im Auge: 

1) die Fortfchritte der Aufflärung nicht durch Mittel des Zwanges, 
fondern der Aufmunterung zu beſchleunigen. 

2) Nach Möglichkeit die Centralifation und büreaufratiiche Verwaltung 
der Schulen zu vermeiden. 

3) Den Unterricht möglichſt frei zu geben, indem den Gemeinden und 
Privatperfonen ein weiter Spielraum in der Anlage von Schulen geftattet 
und der Zutritt zum Lehramte erleichtert wird. 

Die das neue Reglement wirken wird, läßt fi zwar bei der Kürze 
der Zeit noch nicht ermefien. Da jedod die darin ausgejprodenen Grund: 
fäge durchaus richtig find und in Deutſchland ſich vielfach bewährt haben, 
fo unterliegt es feinem Zmeifel, daß fie auf die allmählige Hebung des 
Volksſchulweſens den heilfamften Einfluß ausüben werden, wenn man fie 
nur conjequent feitbält und durchführt. Dies iſt freilih eine unerläßlidhe 
Bedingung. Wie nachtheilig es für das Schulmelen ift, wie ſehr der ges 
deihliche Foriſchritt deſſelben aufgehalten wird, wenn die oberiten Behörden 
in den Grundfäßen für die Leitung der Schulen ſchwanken, und die befte- 
henden Einrichtungen öfterem Wechſel unterliegen, davon zeugen unwiderleg⸗ 
lich mande deutſche Staaten. Auch davon liefert die deutſche Volksſchul⸗ 
geſchichte Belege, daß es für das Schulweſen nicht förderlich it, wenn von 
oben ber zu viel in dafjelbe bineinregiert wird. 

Bei der weiten Ausdehnung des Neiches und ben bisherigen Verhält- 
nifien wird es freilich in Rußland nod einer langen Zeit und großer Ans 
ftrengung bedürfen, ehe die Volksbildung fih auf eine befriedigende Stufe 
erheben wird; die weſentliche Grundlage hierzu ift aber bereits vorhanden, 
theils durd die Aufhebung der Leibeigenichaft, die Rußland dem bochberzis 
gen Entſchluſſe des Kaiſers verdankt, theils dadurch, daß das Minifterium 
Kar erlannt hat, was Noth thut. Dies Leptere zeigt fih aud in den 
Maßnahmen zur Förderung einer beflern Vorbildung der Lehrer für 
ihren Beruf. 

Der Volklsſchule fehlt es gegenwärtig noch fehr an tüdhtigen Lehrkräfe 
ten, worüber man fih natürlih nicht wundern darf. Zum Unterrichten 
und zur Errichtung von Schulen foliten zwar früher nah dem Geſetz nur 


326 Allgemeine Pabagogik. 


Perſonen zugelaflen werben, welche beftimmte Kenntnifie beſäßen und bas 
gehörige Zeugniß über ihre Gittlichleit vorzumeilen vermödten, Es wurde 
von dem Bewerber um ein Lehramt an Volksſchulen gefordert, daß er den 
Curſus einer Kreisſchule vollendet, oder die Prüfung in gemifien Fächern 
beftanden babe. Diefe Einjchräntung der Lehrfreiheit hat fih aber, nad 
den Erfahrungen des Minifteriums, nicht als zuträglid erwieſen, weil ber 
Lehrer nicht blos Kenntniſſe bedarf, fondern auch zu unterrichten verſtehen 
muß. Ungeachtet der ſcheinbaren Strenge bei Zulaſſung zum Lehramte an 
Volksſchulen drängten ſich doc fortwährend Perfonen zu, die der allernoth⸗ 
wendigften Eigenſchaften eines Lehrers ermangelten. Auch wurde das Gejeg 
vielfah nicht beachtet, jo daß nicht nur in Dörfern, fondern aud) in Stäpten 
viele Perſonen mit Unterrichten ſich befchäftigten und noch gegenwärtig fid 
beſchaͤftigen, melde die vom Gejege geforderten Zeugniſſe nicht beſißen — 
verabſchiedete Soldaten, Schreiber, des Leſens und Schreibens fundige Bür 
ger und Bauern. Nach dem neuen Reglement ift die Zulaflung zum Uns 
terrihten nur abhängig gemacht von der Genehmigung des Kreisichulrathes. 
Diefer wird aber doch wohl eine folhe Genehmigung nur dann ertbeis 
len, wenn der Bewerber wenigſtens die erforderlihen Kenntnifie nachweis⸗ 
bar befigt ? 

Die Nothwendigkeit einer rationellen Ausbildung derjenigen, vie fid 
dem Vollsſchulamte widmen wollen, wird von dem Minifterium vollftändig 
anerlannt. Hierzu find in Rußland früher nur einige vereinzelte Berjudye 
gemadht worden. Im %. 1820 wurde beim Petersburger Gymnaſtum ein 
BVorbereitungscurs für Elementarlehrer eingerichtet, der aber ſchon nad) zwei 
Jahren wieder aufhört. in ähnlicher 1838 an dem ehemaligen pädage: 
giſchen Hauptinftitute gemachter Verſuch fand nah zehn Jahren fein Ende. 
Dagegen hat das 1828 gegründete Lehrerfeminar in Dorpat befiern Fort⸗ 
gang und auf die Vollsihulen der Oftfeeprovinzen den fegensreichfien Ein⸗ 
fluß gehabt. Das Minifterium hat Maßregeln zur Borbildung von Zeh 
vern ſchon länger ins Auge gefaßt. Bereits im 3. 1860 wurden babin 
abzielende Entwürfe ausgearbeitet, und 1862 und 1863 einige Lehrer ins 
Ausland gejendet, um an Ort und Stelle die Ginrichtung der Lehrerſemi⸗ 
nare beſonders Deutfhlande und der Schweiz Tennen zu lernen. Auch 
außerhalb des Kreiſes des Minifteriums wurde die Frage der Lehrerbildung 
vielfach erörtert. Drei Anfichten fuchten fih geltend zu maden. Nur 
Wenige wollten die Borbildung für das Lehramt für ganz überflüffig er: 
Hären und den Bollsunterriht, namentlihb auf dem Lande ganz und gar 
der Geiftlihfeit anvertraut willen. Andere erllärten fih für Einrichtung 
befonderer Lehrerbildungsanftalten, noch Andere für Ginrihtung pädagagi- 
ſcher Curſe an den Gymnafien und Kreisichulen, und nit Wenige bielten 
ed für möglih, auf rein praltiihem Wege Lehrer beranzubilden, indem die⸗ 
jenigen, die Neigung für das Schulfach bejäßen, ſich für daflelbe bei tüch⸗ 
tigen Lehrern ausbildeten. Das Minifterium entſchied fih für die Grün: 
dung befonderer Lehrerjeminare, was unter der Vorausſetzung, daß die bei: 
den andern Wege nicht geradezu ausgeſchloſſen werden follen, durchaus zu 
billigen if. So lange der Mangel an einigermaßen tüchtigen Lehrern in 
Rußland jo groß ift, wie gegenwärtig, follte jever Weg zur Heraubildung 


Allgemeirie Padagogik. 827 


von Lehrern benubt werden. Cs find nun auch 1862 ein Seminar in 
Finnland, 1864 mehrere im Koͤnigreiche Polen und eins für die fpeciell 
euffifhen nordweſilichen Gouvernements gegründet worden. Außerdem ift 
noch jeit 1862 bei der liniverfität in Kijew, im NKafaner und Moskauer 
Lehrbezirk für Bildung von Lehrern proviſoriſch Fürforge getroffen worden. 
Jedenfalls wird mit Errihtung von Lehrerjeminaren nah Maßgabe ver 
vorhandenen Mittel und Lehrkräfte fortgeſchritten werben. 


In Nr. 86 werden no einige Nachrichten über die Seminare in 
Dorpat und Molodetſchnja, einem Fleden im GBouvernement Wilna, 
mitgetbeilt. Das erftere, das 1861 neue Statuten erhielt, ift Staatsan- 
Ralt und auf 10 ZBöglinge berechnet, die aus den fleißigften unbemittelten 
Kreisſchülern ausgewählt und auf Staatsloften erzogen werden. Mit die: 
fem Seminar, auf welches jährlid 3179 Rubel verwendet werben, ift eine 
Elementarſchule und eine Armenfchule verbunden, und in der erflern verje 
ben die Seminariften den Unterriht. Das Seminar in Molodetſchnja 
ift 1864 gegründet, bat 2 Klaſſen und ift für 60 NKronzöglinge eingerich⸗ 
tet, wovon jeder jaͤhrlich 830 Rubel an Stipendien erhält, und außerdem 
für 20 Böglinge, die für ihren Unterhalt felbft zu forgen haben. Diefe 
Anftalt Loftet jährlih 11,800 Rubel. 

Es könnte aus den beiden Bänden noch viel Intereſſantes über den 
Zuſtand der Vollsfchulen, über die ifraelitiiden Schulen, über die Mädchen⸗, 
Privat: und Sonntagsihulen mitgetheilt werden, wenn dies bier nicht zu 
weit führen würde. Es mag nur no erwähnt werden, daß in Wir. 85. II, 
und zwar ©. 346 ber Beilagen, das Verzeichniß der ausländiichen Gelehr⸗ 
ten und Literaten mitgetheilt ift, melde an der Beurtheilung der Entwürfe 
der Statuten für die ruſſiſchen Univerfitäten und allgemeinen Bildungsans 
Halten Theil genommen und Orden erhalten haben. Es finden fich unter 
Andern darunter Curtman in $riebberg (St. Stanislausorten 2. AL), 
Dr. Keferftein, Lehrer an der Handelsfhule in Dresden (St. Stanis⸗ 
lausorden 8. Kl.), NRegierungs:Schulratb Bod in Königsberg (St. Annens 
orden 3. AL). 


Schulen in England. 


37. Das Bolksſchulweſen in England und feine nenefte Entwide 
Iung, bargeftellt von Ernft Wagner, Dr. phil. Stuttgart, 3.8. Meb- 
ker’ihe Buchhandlung, 1864. 215 ©. gr. 8. 

38. Indufrie und Schule Mittheilungen aus England von Alfred Ty⸗ 
lor. Auf Veranlaſſung der Königl. Württemberg. Eentraiftelle fir Ge⸗ 
werbe und Sanbel dentſch bearbeitet von Dr. Bernhard v. Gugler, Rec- 
tor an der Königl. volytehniihen Schule in Stuttgart. Mit einem An⸗ 
yang des Bearbeiters über engliihes Unterrichtsweſen. Stuttgart, Wilhelm 

igichle, 1865. 351 ©. 8. 1 Thlr. 12 Sgr. 

Ne. 37. enthält 13 Abfchnitte, die folgende Weberjchriften führen: 1. 
Schulverhältnijle bis zum Ende bed 18. Jahrh.; 2. die Volksſchule im 
Anfang des 19. Jahrh.; 3. der Staat und das Vollsſchulweſen; 4. die 
Jeitenden Behörden im Volksſchulweſen; 5. die Lehrer; 6, die Schulen ; 


328 Allgemeine Päbagngil. 


7. der Unterricht ; 8. die Kleinkinderſchulen; 9. die Abendſchulen und Fortbil⸗ 
dungsſchulen, Prüfungen ber Society of Arts; 10. Armenſchulen; 11. Schu⸗ 
len für Bermahrlofte, Rettungsanftalten, Anftalten für jugendliche Verbrecher; 
12. Militärs und Flottenſchulen; 13. die Schulgejeßgebung von 1862. 

Nr. 38. ift veranlaßt worden dur die internationale Ausftellung von 
1862, und verbreitet ſich über die Verhaͤltniſſe der Induſtrie und der ges 
werbtreibenden Klaſſen in England, über die englifhen Schulen und (nur 
furz) über die Schulen in Frankreich, Deutfchland und Belgien. 

Seit einer Reihe von Jahren wendet fih der Blid deutfher Schul: 
männer mit einer gewillen Vorliebe dem Echulwefen Englands zu, wevon 
ber Grund unftreitig darin liegen muß, daß dafielbe Gigenthümlidleiten 
bat, die geeignet find, Intereſſe zu erregen, und daß man darin gewiſſe 
Vorzüge zu finden glaubt, die dem unfrigen fehlen. Das Folgende wird 
ergeben, ob dies wirklich ver Fall ift. 

Bis vor wenigen Jahren befümmerte fih in England die Etaatäregies 
zung um ben Sculunterriht der Bollsjugend gar nit. Derfelbe war 
lediglibd Sache der Eltern und wohlthätiger Gefelliaften, die fi für 
Schulzwede bildeten. Dies Verhältniß war ber natürlihe Ausfluß des in 
England herrſchenden Principe der Selbftverwaltung und ber perſönlichen 
Sreibeit, welches alle nicht durchaus nothwendige Cinmifhung der Etaatss 
regierung in die Angelegenheiten der Gemeinden, der Corporationen und der 
Einzelnen entſchieden zurüdweift. Ungeachtet der rühmlihen Thätigkeit für 
Gründung von Schulen für die Vollsjugend, welche namentlich feit Beginn 
des gegenwärtigen Jahrhunderts bedeutende Schulgefellichaften entwidelten, 
zeigte fi do vor etwa 50 Jahren, daß die Bildung der ärmern Klaſſen 
in England eine der Ausdehnung nah fehr beſchränkte und der Qualität 
nad höchſt mangelhafte fei, und daß es in hohem Grade an den unents 
bebrlichften Bildungsmitieln fehle. rmittelungen ergaben no vor 30 
Jahren, daß faft die Hälfte aller fchulfähigen Kinder theild einen gamy 
unzulängliden, theils gar feinen Unterricht genofien, und die übrigen jeden 
falls keinen, der fi annähernd dem in deutihen Boltsihulen hätte an 
die Eeite ftellen künnen. Die Aufmerlfamleit der Staatsregierung wendete 
ſich nunmehr, freilih zunähft in ungemein bebutjamer und faum bemerk⸗ 
barer Meije, der Schulbildung der Jugend ber unbemittelteren Stänve zu. 
Im Jahre 1833 murde zuerft ein Beitrag für Volksſchulzwede aus der 
Staatslafje verwilligt, und 1839 eine aus fünf Mitgliedern beftebende 
Abtheilung des Geheimen Rathes ald eine Art Oberſchulbehoͤrde eingejept, 
die jedoh nur die Aufgabe hatte, die Verwendung der vom Parlamente zu 
Zweden der Förderung der Volksbildung verwilligten Gelder zu überwachen. 
Die Allgemeinheit diefer Aufgabe mußte von jelbit dahin führen, daß viefe 
Behörde fih einen wirklichen Einfluß auf vie Schulen zu verſchaffen fuchte, 
was ihr auch, nad deutſchen Begriffen freilich in fehr befheidenem Maße, 
gelang. Die Gründung einer Staatsnormalſchule zur Bildung von 
Lehrern und Lehrerinnen fcheiterte zwar an der Echwierigleit, dem Nelis 
gionsunterrichte eine allgemein befriedigende Einrichtung zu geben, dagegen 
wurde 1840 das Spftem der Schulvifitationen durch eigens dazu ernannte 











Allgemeine Pädagogik. 329 


Inſpectoren unter allgemeinem Beifalle durchgeführt. Nach diefem Spfteme 
erhält keine Schule und fein von einer Gefellfchaft oder einem Privatmanne 
gegründetes Seminar eine Staatsunterflüßung, wenn nicht der Oberſchul⸗ 
behörde das Recht ver Pifitation durch die Inſpectoren eingeräumt wird, 
Die Pifitation wird alfo keiner Anftalt aufgezwungen. 
Sm Jahre 1861 maren 60 folder Inſpectoren thätig, die von A00 bis 700 
Bir. St. Gehalt bezogen. Gewöhnlich wird angenommen, daß der Inſpec⸗ 
tor während 35 Wochen des Jahres wöcentlih 5 Schulen (eigentlich 
Klafien) infpicirtt. Die von ihnen erflatteten jährlihen Berichte werden 
durch den Druck veröffentlicht. 

In den Jahren 1846 und 1847 wurden mehrere neue Schulverorbs 
nungen erlafien, welde die an befondere Bedingungen gefnüpfte Unterftüßung 
der Schulen durd jährliche Beiträge betrafen, und auf befiere Bildung der 
Lehrer, auf Verbeſſerung der Lehrergehalte, auf Ausftattung der Schulen 
mit zmwedmäßigen Lehrmitteln abzmwedten. Die Ausgaben vermehrten ſich 
dadurch ehr bedeutend. Im Jahre 1850 betrug der jährlihe Staats 
beitrag 125,000 Pfund Sterling, 1860 aber bereits nahe an 800,000 
Pi. Stel. — Unftreitig ift, wie aus Nr. 37. bervorgebt, die be 
ſchränkte Yürjorge des Staates für das Volksſchulweſen ſchon bis jekt von 
den mwohlthätigften Folgen geweſen; dennoch zählt in England das foges 
namte Yreimilligenfyftem (voluntary system), das jede Eins 
mifhung des Staates in das Vollsſchulweſen, jede flaatsfeitige Unterftüßung 
abweiſt, noch zahlreihe Anhänger, zu denen aud Herr Tylor, Verf. von 
Nr. 38. gehört. Diefer fucht zwar feine Anfiht durd Gründe und Er 
fahrungen zu rechtfertigen, welhen man bebingte Wahrheit nicht abfprecdhen 
ann, die aber doch durd eine Vergleihung des gegenwärtigen und frübern 
Buftandes der Vollsſchulen thatfächlich widerlegt werden. Nur der Unterints 
niß deuticher Schulzuftände Tann man es zufcreiben, wenn Engländer das 
beutjhe Schulſyſtem mit feiner Schulpflictigteit und ftaatlihen Leitung als 
ein Bwangsfyftem (compulsatory system) verfchreien. 

Biel Eigenthümlihes bat in England die Lehrers und Lehrerinnen: 
Bildung, die fih in zwei Stufen vollendet. Die erfte oder unterfle Stufe 
umfaßt eine Lehrlingszeit. Schüler und Schülerinnen der Volksſchu⸗ 
len, die ſich durch Ordnung, Fleiß und Fortfchritte bervorthun und Neigung 
zum Lehrfach haben, werden bis zum 18. Lebensjahre in der Schule zu⸗ 
rüdgebalten, um zur Unterftügung der Lehrer als Gehülfen (nit mit den 
Monitoren des Lancafterfyftems zu verwechfeln) zur Seite zu ftehen. Sie 
beißen Schullehrlinge, erhalten von dem Lehrer oder der Lehrerin auch 
Unterricht, für ihre Mithülfe in der Schule vom Staate eine Vergütung 
und müflen ſich jährlih einer Prüfung dur den Schulinſpector unterzies 
ben. Nur gut eingerichtete, mit tüchtigen Lehrkräften verjehene Schulen 
haben das Vorrecht, ſolche Schullehrlinge zu halten. Seminare find von 
Schulgeſellſchaften, religiöfen Gemeinſchaften und von der Staatskirche ein» 
gerichtet, erhalten aber vom Staate Unterftügung. Im Sabre 1863 beſtan⸗ 
den 16 Lehbrer:, 15 Lehrerinnens und 4 gemifhte Seminare, deren Zög⸗ 
linge meilt frühere Schullehrlinge waren. Das größte hatte 172, das 


330 . Allgemeine Pädagogik. 


Heinfte 15 Böglinge Die linterflügung aus Stantsmitteln beitrug 78 Pre 
cent ber Gefammtloften, die fih im Ganzen auf 103,000 Po. Sterl. be 
liefen, jo daß durchſchnittlich auf jedes beinahe 3000 Pfo. St. kommen, 
Mit den Seminaren find Uebungsſchulen verbunden. Die Zöglinge erhal 
ten größtentheild vom Staate, andere von Gefellichaften oder aus Stiftun 
gen Stipendien. Der Unterricht erfiredt fi auf bie Lehrfaͤcher der Volle 
fhule, die nur eingebender und vollftändiger behandelt werden, und auf 
andere rein formal bildende Lebrgegenftände (Mathematit, Lateiniſch, eng⸗ 
lifche Literatur, Naturlebre und Mechanik), Aus diefen lehteren kann jeder 
Seminarift beliebige wählen, er braudt fi aber nur in einem einzigen 
prüfen zu laflen. Für bie weiblihen Böglinge ift der formale Unterricht 
natürlich nicht ganz berjelbe, dagegen lfommt in ihnen Haushaltungstunde 
vor. Die Prüfung im Zeichnen und in Muſik ift facultativ. Gricchiſch 
lönnen in einigen Seminaren die Zöglinge lernen, wenn fie wollen, neuere 
fremde Sprachen find aber überall ausgeſchloſſen. Jede Lection dauert / in 
der Negel eine Stunde ; ber betreffende Gegenſtand wird vom Lehrer vor 
getragen, dann abgefragt, oder auch von Anfang an mit den Böglingen 
durchſprochen. Wöchentlihd werden 30—40 Lectionen ertbeilt und 18 
Stunden für den Privatfleiß ausgejegt. Weber Pädagsgil und Schulmethode 
werden von den Muſterlehrern Vorträge gehalten. Aus den Seminaren 
geben die fogenannten geprüften Lehrer und Lehrerinnen hervor, weil 
fie ein Faͤhigkeitezeugniß nad einer abgelegten Prüfung erhalten. Außer 
dem gibt es aber au viele ungeprüfte Lehrer, welden jedoch ber 
Staat keine Gehaltszulage gewährt, die Zahl der geprüften Lehrer mehrt 
ſich jährlich. 

Der Gehalt eines geprüften Lehrers kann durchſchnittlich auf BA Pfb. 
Gterl., einer folben Lehrerin auf 62 Pd. St., der ungeprüften bezw. 
auf 62 und 35 Pfd. St. berechnet werden. Einzelnen Lehrern fell es 
gelingen, durch Nebenverbienft ihr Cinkommen bis auf 300 Pid. St. zu 
bringen. Durchſchnittlich kommt 1 Lehrer auf etwa 120, ein Schullehr⸗ 
ling auf 50 Schüler. An Stadtſchulen bat ein Hauptlehrer nicht jelten 
200, zuweilen gar 400 Schüler. Die engliiben Lehrer führen faft dieſel⸗ 
ben Klagen wie die deutſchen. Eie wünſchen ein größeres Ginlommsen, 
mehr Anſehen und Ghre in der Geſellſchaft, geringere Abbängigleit von ber 
Localichulleitung und den Geiftlihen, enplid die Möglichkeit, Schulinſpec⸗ 
toren zu werden. Der Lehrer ift weder Staats» noch Klirchendiener, meiß 
auch nicht Diener der Gemeinde und er bat daher nur auf Schäßung u 
rechnen im Berbältniß feiner Leiftungen oder nad ber Stellung, die ex 
fih zu den nädften Leitern der Schule zu verſchaffen verſteht. Dex Leh⸗ 
rerſtand als ſolcher genießt in der öfientlihen Meinung keiner befondeven 
Achtung, wie dies doch in Deutihland der Fall it, aber dem tüchtigen 
Lehrer fehlt die Achtung in der Regel nicht. 

Der lönigl. Schulinfpestor ift fein Vorgejebter des Lehrer, ſondern 
übt auf denfelben Einfluß aus nur durch den Beriht übes feine jährliche 
Biktation. Auch außerdem bat ver Lehrer feinen Vorgejebten in unferm 
Sinne. Dagegen flieht er nach vorausgegangenem Bertrage ausprhelich im 
Dienfte der Localjeulleitung und es hängt von den Berfönlichleiten biefer 


Allgemeine Paͤdagogik. 831 


für ihn Alles ab. Es ann fein, dab man ihm Vertrauen fchenlt und ihm 
in feiner Schule völlig freie Hand läßt und er hat dann eine beneidenss 
werthe Stellung ; e3 fann aber auch fein, daß jedes auch noch fo unerfahs 
rene Mitglied des Localausfchufles fi ein Urtheil über feine Wirkfamteit 
anmaßt, daß Herren und Damen, die einen Beitrag zur Unterhaltung der 
Schule geben, in feinen Unterricht drein reden, ihn critificen, ihm immer 
neue Pläne aufdringen. Gewöhnlich find in den Localausſchüſſen Geiſt⸗ 
liche, die dann in der Regel den Borfiß führen und dieſe üben dann als 
folde, wenn auch nicht als @eiftlihe, ein anerlanntes Auffihtsrecht über 
die Schule. Diefe Abhängigkeit des Lehrers wird in dem Falle nod 
brüdender, wenn ein heil der Beſoldung vom Schulgelde beftritten wird, 
weil er dadurch auch von der Laune der Eitern abhängt, die ihre Kinder 
beliebig aus der Schule nehmen koͤnnen, oder fobald die Geiftlihen als 
Borftände der Localausihüfie auch die Regulirung der Befoldungsverhält 
nifie in der Hand haben. Won der Regierung kann der Lehrer niemals 
wirkſamen Schuß erhalten, denn dieſe kann höchſtens der Schule die Staats» 
unterftüßung entziehen, wodurch jedod die Stellung eines Lehrers noch 
übler werben muß, 

Die Verwendung von Lehrern als Säulinfpectoren findet vielfah Wis 
derſpruch, felbft unter den Lehrern. Man meint, der Schulinſpector müſſe 
ſchon wegen der Mitglieder der Localleitungen und der Geiſtlichen, mit wel⸗ 
chen er in geſchaͤſtliche Beziehung kommt, alademiſche Bildung beſitzen. 
Nah der neueften Echulgefeßgebung von 1862 ift indeß die Verwendung 
von Lehrern mwenigftens als Gehülfen der Schulinfpectoren vorgejehen. 

In der ganzen Stellung ver Lehrer in England ift Unbeftimmteg, 
Unſicheres, Schwankendes. Die Unftellungs:Verträge, melde die Local 
Schulausihüfie mit den Lehrern abſchließen, find ſehr verſchieden, eine ger 
fiherte Stellung, einen feftbeftimmten Gehalt, der wenigſiens nicht vermins 
dert werden kann, haben die Lehrer in England nicht, wenigftens. nicht in 
dem Maße, wie in Deutihland. Auch findet ein geordnetes Aufrüden von 
niedrigern Stellen in höhere nicht ftatt, obgleich die Möglichkeit dazu nicht 
abgeichnitten if. Die befiern Stellen haben in der Negel die tüchtigern 
Lehrer inme, und der häufige Stellenwechjel hat feinen Grund hauptfächlich 
darin, daß die Lehrer ibre äußere Stellung zu verbeflern ſuchen. Für bem 
Fall eintretender Dienftuntüchtigleit haben nur diejenigen Lehrer Ausſicht 
auf eine hoͤchſtens zwei Drittel der jährlihen Beſoldung betragenden Pen: 
fion, welche an Schulen angeftellt find, die Staatöunterftügung genießen. 

England eigenthbümlih, und fiher aud in Deutſchland nachahmungs⸗ 
wertb, ift es, daß die Schulen für Mädchen gewöhnlich, häufig auch die 
Glementarliafien der Knaben, von Lehrerinnen verfeben werden. Die 
Zahl diefer kommt daher der Zahl der Lehrer zgiemlih nahe. Im J. 1862 
befanden fih in Großbritannien unter 10,082 geprüften und angeftellien 
lehrenden Perſonen 5888 Lehrer und 4194 Lehrerinnen, und unter 
15,752 Scullebrlingen 7963 männlihe und 7789 weiblihe. Der Berf. 
von Nr. 37, der das englifhe Schulweſen dur eigene Anſchauung genauer 
kennen gelernt bat, fpricht ſich namentlih auch über die Lehrerinnen im 
England ſehr vortheilbaft aus, Gr jagt: „Ih fand unter Schulmei⸗ 


332 Allgemeine Pädagogik. 


ſtern *) und Lehrerinnen fehr würbige Berfönlihleiten, die mit Ernſt und 
Liebe in ihrem Beruf arbeiteten und fi eines fegensreihen Wirkungskrei⸗ 
ſes erfreuten. Die Disciplin, welche fie in den Eulen handhabten, war 
meift trefflich, troß der großen linregelmäßigkeit im Schulbefuh und ver 
vorherrſchenden Tendenz, die Strafmittel fo viel als möglich zu beſchrän⸗ 
fen. Insbeſondere war ich überrafht, in den Mädchen: und Kleinkinder 
fhulen, auch in ſehr zahlreich beſuchten, melde unter der Obhut von eb: 
rerinnen ftanden, überall die firengfte Orpnung, Ruhe und Aufmerffamteit 
zu finden, die mir bewies, daß aud eine große Zahl von Mädchen, durch 
die beftimmte, aber zarter auftretende Autorität einer Lehrerin ebenjo gut 
oder vielleiht noch befier im Baum gebalten werben kann, als durch die 
mehr fohredende männlidhe Energie eines Lehrers.‘ 

Die Vollsihulen in England find theils Privatſchulen, theils 
döffentlide Shulen. Die Anzahl der erfteren ift ſehr groß; fie ent- 
halten mehr ale 30 Procent der überhaupt eine Schule befuchenden Kinder. 
Unter 3594 lehrenden Perfonen in den Privatichulen von 10 Diftricten 
befanden fih 523 Lehrer und 3071 Lehrerinnen, von welden nur 10 Leh⸗ 
rer und 7 Lehrerinnen ein Fahigkeitszeugniß erworben hatten. Die öffent: 
lihen Schulen find theils vom Staate unterftüßte, theild vom Staate ganz 
unabhängige. In England und Wales beftanden 1858 24,563 öffentliche 
Säulen (d. i. Schulklaſſen) mit durchſchnittlich 68 Kindern in jeder, neben 
34,412 Privatſchulen, wovon jede durchſchnittlich 25 Schüler zählte. Unter 
1895 Schulen in 10 Bezirken befanden fih 22 Procent für Knaben, 18 
Broc. für Mädchen, 49 Proc. für beide Gefchlehter und 11 Proc. Klein 
finderfhulen. Die Anzahl der in die Regifler der öffentlihen und Privat 
Werktagsſchulen einfchließlich der Kleinkinderſchulen eingetragenen Rinder bes 
trug etwa 40 Proc. aller Kinder zwiſchen 3 und 15 Jahren, und etwa 50 
Broc. aller Kinder zwifhen 6 und 15 Jahren, wobei in Betracht zu ziehen 
ift, daß von fämmtlichen Kindern zwiſchen 3 und 15 Jahren etwa 12 Proc. 
andere als Volksſchulen beſuchten. 

Von der Anzahl der in die Schulregifter eingetragenen Kinder darf 
man nicht auf die Schulbildung der Bollsjugend einen Schluß maden, 
denn die englifhen Volksſchulen leiden an drei großen Webelftänden : ‚der 
Kürze der Schulzeit, dem unordentlihen Schulbefuhe und dem öftern Wedh: 
fel der Schule, Uebelftände, die ihren Grund in der feiner Be: 
Ihränlung unterworfenen Willkür der Eltern haben. Die 
bierher gehörigen Verhältniffe laflen fich fehr jchwer genau ermitteln, aber 
fo viel ift ficher, daß fehr viele Slinder ſchon vom 11. Lebensjahre an bie 
Säule verlafien, die meiften nur etwa A Sabre ihres Lebens die Schule 
mebr oder weniger regelmäßig beſuchen. Manche urtbeilsfähige Stimmen 
wollen jogar wiflen, daß die mittlere Dauer des Beſuches der Volksſchule 
nit mehr als 2 Jahre betrage, was indeß wohl eine zu niebrige Ans 


*), In England wirb die VBegeihnung „master (Scähulmeifter) dem „tee- 
cher‘ (Lehrer) vorgezogen. Das Ietstere Wort bezeichnet mehr einen bloßen 
Fachlehrer, das erftere einen Lehrer, ber zugleih die Zucht, ba® Regiment ix 
der Schule in ber Hand hat unb ber Borgeieite ber Schullehrlinge if, 

‘ 








Allgemeine Pädagogik. 333 


nahme, oder doch nur etwa dann zutreffend ift, wenn die verfäumten Schul: 
tage in Abzug gebracht werden. Der Schulbeſuch ift jehr unregelmäßig. 
Man kann annehmen, daß von fämmtlihen Kindern in den Vollsſchulen 
17 Brocent nur 50 Tage im Jahre zur Schule lommen, 19 PBrocent 50— 
100 Zage, 21 Procent 100—150 Zage, 24 Brocent 150—200 Tage, 
19 Brocent über 200 Tage, wobei zu bemerfen ift, daß im Jahre an 220 
Tagen Schule gehalten wird. Die Eltern wechſeln mit der Schule, bie 
ihre Kinder befuchen, ungemein häufig, Unterſuchungen, die hierüber in 
einer größern Anzahl von Schulen angeftellt worden find und fich über 
einen 7Tjährigen Zeitraum erftredten, ergaben, daß von 100 Scullindern 
41 nur 1 Jahr, 24 nur 1— 2 Jahre, 15 nur 2—3 Jahre, 9 nur 3—4 
Sabre, 6 nur A—5 Jahre, 5 über 5 Sabre dieſelbe Schule be 
ſuchten. 

Die Schulhäuſer find ſehr verſchieden, aber durch den Einfluß der 
an beftimmte Bedingungen gelnüpften Staatsunterftügung in der neueren 
Zeit beiler geworden. Die meilten find einftödig und die Schulräume bes 
finden fih aljo zu ebener Grove. Die Wohnungen der Lehrer find in der 
Regel nit darin. Meiſt enthalten die Schulhäufer nur einen einzigen 
großen Saal, der bis 500 und mehr Kinder fafien fann und in welchen 
die 3 oder mehr Klafien einer Schule ihre bejonderen Plätze haben, die 
duch Gänge, oder auch dur Borpänge von einander abgejondert find, 
bezw. abgefondert werden können. In größeren Schulen find die Geſchlech⸗ 
ter getrennt und haben dann entweder bejendere Schulräume oder auch bes 
fondere Schulhäufer. Yür die Trennung ber Geſchlechter haben fid in 
Sngland befonders jachverjtändige Frauen ausgejproden. 

Die Eintheilung der Schüler einer Schule in befondere Klafien bat 
große Schwierigkeit, da es völlig in dem Belieben der Eltern ftebt, in wel⸗ 
chem Lebensalter und zu welcher Zeit fie ihre Kinder zur Schule ſchicken 
wollen. Daß dadurd überhaupt der Unterricht ſehr erjchwert und der Gr: 
folg deſſelben, zumal bei den andern oben angedeuteten Mebelfländen, jehr 
gehindert werden muß, iſt ſelbſtverſtaͤndlich. 

Der Lehrplan hängt meift vom Lehrer ab, und umfaßt gewöhnlich 
Leſen, Schreiben, Rechnen, Religion, Grammatik, gemeinnügige Kenntnijie, 
Geſang, Zeichnen, Leibesübungen. Die einzelnen Lectionen dauern meift 
nur eine halbe, jeltener eine ganze Stunde. Das früher in den engliſchen 
Schulen berrihende Syftem der Monitoren findet nicht mehr ftatt. An feine 
Stelle ift das Chorlefen, Chorfprehen, Chorantworten getreten, bad aber 
in neuefter Beit mehr und mehr dem individuellen Lebrverfahren weicht, 
wie ed in deutihen Schulen üblih if. Der Unterricht im Lefen und in 
der Orthographie hat bei der linregelmäßigleit der Schreibweife und 
Ausſprache im Engliſchen feine befonderen Schwierigkeiten. Bielfah if 
noch die Buchftabirmethode in Gebrauch obgleich ihre Nachtheile mehr und 
mebr anerlannt werden. Die Lautirmethode läßt fih nicht gut auf das 
Engliihe anwenden ; neuerdings gebrauht man deshalb die fogenannte 
Seh: und Sprechmethode (look-and- say method), eine Abändes 
rung der Lautmethode, welche darin befteht, dab man die einzelnen Buchs 
flaben glei in Sylben und Heinen Wörtern dem Kinde vorführt und zus 


334 Allgemeine Pädagogik. 


fammen ausiprechen läbt. Das Rechnen wird faft nur durch mechaniſche 
Ginübung nah Regeln gelehrt. Der Unterricht in der Grammatil be 
ftebt in dem Auswendigiernenlaflen von Definitionen und Regeln. Die 
Geographie wird mit Hülfe von Wanblarten zwedmäßiger gelehrt und 
durch Sartenzeichnen auf der Schiefertafel eingeübt. Bon Geſchichte 
tommt nur die bibliſche und englifche vor. 

Das GejammtsErgebnik des Unterrihts in Gngland kann unter ben 
angedeuteten Berhältnifien, namentli im Vergleich mit Deutſchland, nur 
ſehr unbefriedigend fein, und es ift gar nit unglaublid, daß, wie 1858 
ein Sculinfpector in feinem Berichte fagte, in den ftaatsjeitig inſpicirten 
und unterftägten Schulen nur etwa 4 der Schüler am Schluſſe ihrer Schul 
zeit fo weit gebracht find, daß fie eine (nad engliihen Begriffen) ausreis 
ende Schulbildung erhalten haben, namentlidy befriedigend leſen, ſchreiben 
and rechnen können. Wie mag da das Grgebnik in ben nidt infpicitten 
Schulen fein | 

Die Disciplin ift in den engliiden Schulen im Allgemeinen gut. 
Freilich fehlt dem Lehrer die arktlihe Autorität der deutfchen Lehrer, und 
er lann nur durch feine Perjönlichleit ſich Reſpect verfchaffen. Dagegen if 
die engliiche Jugend rubiger und, gleih den Erwachſenen, geneigter, bem 
Allgemeinen Geſetze, deſſen Nothwendigkeit fie einmal erfannt hat, fi zu 
unterwerfen. Die allgemeinen Disciplinarmittel, Belohnungen und Stra⸗ 
fen, kommen natürlih auch in Gngland zur Anwendung. Die leptern 
befteben in törperlicher Züchtigung (nicht gar häufig), Strafarbeiten, Nach⸗ 
ſihen, SHinabrüden auf einen .niedrigern Pla, ſchlechte Noten und Zeug: 
nifje; unter den Belohnungen jpielen die Shulpreife (Geſchenke von 
Büchern, Bildern, Reißzeugen, Farbenſchachteln ıc., aber auch Chrenzettel) 
eine große Rolle, und es wird von den Gliern ein großer Werth darauf 
gelegt, oft leider ein zu großer, indem ſchon mande Gitern ihre Finder im 
eine andere Schule brachten, weil in derſelben mehr und befiere Breife ver 
tbeilt wurden, als in der vorigen. Einen fehr wohlthätigen Ginfluß auf 
die Disciplin bat die perfünliche Iheilnahme, welche theils die Lehrer, theils 
die Mitglieder der Localleitungen, oder einzelne Privatperjonen, oder die 
Sculgemeinden überhaupt, den Kindern gegenüber zu äußern pflegen. Den 
Lehrern muß daran gelegen fein, daß ihre Schule bei den Gitern beliebt iſt 
and bleibt, daher bebanveln fie in der Regel auch die Kinder freundlich, 
beteiligen ih an Luft und Spiel derjelben. Scyulfefte im Freien werden 
oft veranftaltet. . 

Das Schulgeld, welches in allen Volksſchulen, die nicht gerade Ur 
menfchulen find, von den Eltern bezahlt wird, if verfhieden. In ven 
meiften Schulen beträgt es wöcentlih 1 bis 3 Bence (10 Pfennige bis 
24 Sor.), in andern fteigt e8 bis A Pence und darüber. Gin großer 
Mebelftand ift die wöchentliche Entrichtung deflelben, venn da es nur für 
die Wochen bezahlt wird, wo das Kind die Schule wirklich befucht, werben 
dadurch die Schulverjäummnifie befördert. Schulen, in welden ein 
Schulgeld nit begahlt wird, werden in Sngland felbfi won 
den Arbeitern am wenigſten geachtet. 


Hllgemeine Pädagogik. 335 


Es würbe zu weit führen, wenn bier auf die einzelnen Ärten der 
Volksſchulen eingegangen werden follte. Das Vorftebende wirb genügen, 
um fi eine Borftellung von der englifchen Bolksfchule zu mahen. Wer 
über das Einzelne fi noch näher unterrichten will, muß die Schrift von 
Wagner felbft nachleſen. Rus einige allgemeine Bemerkungen mögen noch 
einen Blap finden, 

In England find nur bie erften Anfänge einer Verbeſſerung der 
Bollsbildung durch Die Schule gemacht worden, aber für die kurze Zeit 
(denn ein halbes Jahrhundert ift für eine Sache diefer Art ein kurzer Beit- 
raum), daß der Volksſchule Aufmerkſamkeit und Sorgfalt zugewendet wor⸗ 
den iſt, ſind die Ergebniſſe ſchon bedeutend. Die beſſere Schulbildung, die 
ſelbſt von der arbeitenden Klaſſe ſehr geſchätzt wird, hat bereits auf die 
Geſittung des Volles den wohlthaͤtigſten Einfluß gehabt. Gleichgültigkeit 
gegen die edleren menſchlichen Intereſſen, Aberglaube, Rohheit, Verbrechen 
Aaben fib vermindert. Darüber, ob die Fürforge des Staates für die 
Schulen diefen zuträglih ift, find die Stimmen in England noch getbeilt. 
Biele, und darunter gehört Herr Tylor, der Berfafler von Nr. 38, ver 
neinen e3. Sie ftügen ihre Anfiht auf volkswirthſchaftliche Principien und 
anf die Erfahrung. Sie meinen, jo wie jede Cinmiſchung der Staatsregies 
zung in bie induftriellen Berhältnifie und Intereſſen nur Nachtheil bringe, 
eben fo nachtheilig ſei diefelbe in Bezug auf die Bildungsinterefien und 
Schalverhaͤltniſſe. Eine ftantsfeitige Bevormundung der Erziehung des Vol: 
tes jei eben fo unftatthaft, wie eine Bevormundung des Handels, der Fa⸗ 
brifen, der Gewerbe. Hierbei wird nur überfehen, daß materielle Intereſſen 
und Bildungsinterejien von weſentlich verfchiedener Art find. Die Sorge 
für die materiellen Interefien kann man getroft. denjenigen überlafien, denen 
fie angeben; denn da auf ihnen die äußere Griftenz eines Jeden berubt, 
wird auch Jeder ohne fremden Antrieb oder fremde Fürforge ihnen die ers 
forderlihe Aufmerkfamleit jhenten. Die Bildung gehört aber zu den 
ideellen Bedingungen und Grundlagen aller menſchlichen Eriftenz, eben 
fo wie Das Recht und die Sittlichkeit, die, meil fie mit der Außer 
Kam, materiellen Erifteng nicht unmittelbar zufammenzuhängen fcheinen, 
von den meiften Menfchen gering geachtet und vernadläffigt werden wür« 
den, wenn fie nicht Anregung und Unterftügung erhielten, biefe Beringuns 
gen zu beſchaffen. Was würde beraustommen, wenn es den Ginzelnen 
überlafien bliebe, für ihre Recht, ihre Sittlichkeit felbft Sorge gu tragen, 
ohne Unterflüßung des Staates, der Kirche? Eben fo würde es lange 
dauern, ehe Bildung dur alle Klaſſen der Bevölterung dränge, wenn die 
Sorge dafür lediglich den Einzelnen überlaffen würde. Es ift ganz richtig, 
daß wie arbeitende Klaſſe im Allgemeinen Menfchenverftand genug befibt, 
ihre Angelegenheiten zu beforgen und zwar befier, als Andere es für fie 
thun Sönnten. Es läßt ſich auch nicht in Abrede fellen, daß diejenigen 
Kinder in der Schule am meiften vorwärts kommen, die zu Haufe eiterlidhe 
Wuffiht und Zucht finden. Verkehrt ift es aber ficher, daraus die Schlüffe 
gu sieben, daß die arbeitende Nlafie auch für ihre höhern, ideellen Ange 
logenheiten ohne alle anderweite Hülfe genügend fergen, und- daß. mar al 


336 Allgemeine Pädagogik. 


len Eltern die Fürforge für die Bildung ohne alle Ginmilhung des Staas 
tes oder (was auf daflelbe hinausläuft) von Geſellſchaften überlafien lönne. 
Herr Tylor erwähnt nod, daß in England die Arbeiter, die oft erſt nad 
den Jugendjahren in Sonntags: und ähnlichen Schulen Bildung juchten, 
die ihnen gebotenen Wege und Mittel mit großem Gifer benugten und mit 
Aufwand von viel Gelbfithätigleit ihre Bildung zu vermehren fuchten, wähs 
rend in Deutſchland nad der Schulzeit fich weniger Eifer für weitere Fort 
bilvung zeige. Died mag wahr fein, bemweift aber für feine Anficht nichts. 
Denn in England wird folder Eifer gewiß nur bei einer Meinen Minder⸗ 
zahl der betreffenden Bevöllerung zu finden fein, wie ftatiftijhe Erhebun⸗ 
gen beweilen, und in Deutjchland ift das Berürfniß, fih nah der Schul⸗ 
zeit fortzubilden aus dem Grunde geringer, weil eben, mit geringen Auges 
nahmen, Alle in der Schule eine ungleich befiere Bildung erhalten, als in 
England. Uebrigens fehlt in Deutſchland in den betreffenden Klaſſen ber 
Gifer für Yortbildung nit in dem Maße, wie Herr Zylor anzunehmen 
ſcheint. 


Die Schulen in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. 


39. Aus Amerila über Schule, denutſche Säule, amerikaniſche 
Schule und beutfh-ameritaniihe Schule von Rudolph Dulon. 
Teiniig unb Heidelberg,” &. F. Winter'ſche Verlagshandlung, 18686. 
10 S. 8. 


Dieſe Schrift, über deren Verf. ich bereits oben einige Andeutungen 
gegeben babe, gibt nicht ein einigermaßen vollftändiges Bild des amerilas 
niſchen Schulweſens, fjondern nur allgemeine Anſichten und Herzensergies 
Bungen über bafjelbe, und enthält 4 Abjchnitte: 1. die Schule; 2. Die 
deutihe Schule; 3. die amerikaniſche Schule; 4. die deutſcheamerikaniſche 
Schule. Nur die zwei lebten Abjchnitte geben uns bier an. 

Die amerikaniſche Schule zeigt viel Engliſches, bat fi aber eigens 
thumlich ausgebildet. Die Volksſchulen zerfallen in zwei Hauptarten, näme 
lich in die Clementarſchule (Primary School) und die Grammar 
School (Brammatil:Edhule). In mehrern größern Städten find beibe 
getrennte Anftalten mit bejonderen Vorſtehern, in anderen bilven beide zus 
fammen eine einzige Anftalt unter der Bezeihnung Diftrictsfhulen. In 
der Glementarjchule find fait durchgehende die Geſchlechter gemijcht, in den 
Grammatikſchulen bald getrennt, bald gemijht. Jede Volksſchule zerfällt 
in eine Anzahl Stufen, die zumeilen big 12 fteigt. 

In der Clementarſchule ift Lefen, Buchſtabiren und Morterllärung 
(definitions) die Hauptfahe. In den unteren Klafien wird ein „zweifels 
haftes“ Kopfrechnen getrieben, in den mittlern und obern Tafelredynen, das 
jedod nur in dem mechaniſchen Einlernen der vier Species befieht. Die 
„kurze Divifion‘ erjcheint als das Ziel der Slementarfchule, und bödhflens 
werden noch die Gintheilungen der Maße und Gewichte gelernt. Schreiben 
und Beichnen kommen in den oberen Klaſſen vor, es wird aber wenig 
darin geleiftet, Auch dem Unterrichte im Gefange und in den gemein« 
nügigen SKenntnifien wird nicht viel Aufmerlfamleit gewidmet. In der 


Allgemeine Pädagogik. 337 


Grammatitihule werden Lefen, Buchſtabiren und Worterllärungen fortgefegt, 
dad Hauptgewicht fällt aber auf die Grammatil. Mit der Analyfe des 
einfahen Sapes wird begonnen und den Schluß in ver oberften Klafle bils 
det die Correctur fehlerhafter Säke und die Anfertigung von Aufjäben. 
Schreiben und Rechnen treten nun in den DBordergrund ; im erfteren wirb 
ziemlich viel geleiftet, und das lebtere beginnt mit der „langen Divifion‘ 
und der Gintbeilung der Münzen ber vereinigten Staaten, gebt durch bie 
Brühe und Decimalbrühe, kommt zu den angewandten Rechnungsarten und 
Ichließt mit der Gewinns und Verluftrehnung. Bon Algebra kommt nur 
wenig vor, die Geſchichte beſchraͤnkt ſich meift auf die vereinigten Staaten, 
Geographie wird eifrig betrieben, im Geſang und Zeichnen nicht viel ges 
leiſtet. 


Die Unterrichtsmethode in den amerikaniſchen Schulen iſt die Gedaͤcht⸗ 
niß⸗Methode. Von Anſchauung und Entwidelung wiſſen die Lehrer in der 
Regel nichts. Alles wird gebächtnißmäßig eingelernt. Der eigentliche Leh⸗ 
rer ift das „Terxtbuch“ oder Lehrbuch. Jedem Lehrfad wird, fobald vie 
Kinder lejen können, ein foldes zu Grunde gelegt. Diefe Textbücher wiſ⸗ 
jen mit fiherm Tacte das Intereſſante, Wichtige und praktiſch Brauchbare 
bervorzubeben und zeichnen fih in der Regel durd große Klarheit und 
Sablichkeit der Darftellung aus. Das Geſchaͤft des Lehrers befieht nur 
darin, ein Penfum aus dem Tertbuh aufzugeben, das die Schüler zu ler⸗ 
nen haben, und dafjelbe in der nädften Stunde abzubören. Der Lehrer 
braucht jelbft von dem Gegenftande nichts zu wiſſen, er kann ihn mit den 
Schülern zugleih aus dem Tertbude lernen, und gerade darin feben bie 
Amerilaner einen großen Vorzug diefer Bücher und ihrer Lehrmethobe. 

Die Disciplin ift, nad Dulon, in Amerila eine befondere Kunft 
und Fertigleit, die befonvers gelernt und eingeübt fein will. In der Kin⸗ 
derwelt Amerila’s herrſcht große Zuchtloſigkeit. Mit den Züßen floßen, 
mit voller Fauſt in’s Gefiht jchlagen, mit Steinen werfen und aͤhn⸗ 
liche Rohheiten find bei der Jugend ſehr häufig, und es verbindet 
fi damit eine Nüdfichtslofigleit, die fih um die Folgen wenig befüms 
mer. An Muth zum Angriff, an SKedheit im Magen, an Unvers 
ſchämtheit den Erwachſenen gegenüber fehlt ed dem amerilanifhen Sina 
ben nicht. Von der Blöpigleit, der Befcheidenbeit, der Burüdhaltung 
bes deutſchen Kindes weiß der junge Republilaner eben fo wenig, wie 
von Pietät gegen ben Lehrer. Gilt es, dem Lehrer oder der Schule 
einen Streich zu ſpielen, fo find alle bereit, obne Nüdjiht darauf, 
wie empfindlih und fchmerzli der Lehrer daburd betroffen wird. Gin 
innigered Verhaͤltniß zwiſchen Lehrern und Schülern, wirkliche Anhaͤnglich⸗ 
keit an die Schule findet fih nit. Der amerilanifche Knabe ift ein mun⸗ 
terer, aufgewedter, kraͤftiger Burſch mit hellem Kopfe und großem Selbſt⸗ 
vertrauen, aber ohne Tiefe des Gefühls, ohne höheres Interefie, ohne Spur 
idealer Richtung ; ein vielfach liebenswürdiger Burſch, jedoch oft jehr uns 
verihämt und durchaus oberflählich, äußerlich, zudtlos. Die Schule macht 
diefe Uebelſtaͤnde nur noch ärger, indem fie durch ihren fchlechten Unterricht 
die Jugend langweilt, abftumpit, ihr läftig wird. Da die Lehrer größtens 

Pad. Jahreßberigt. XVIN. . 22 


838 Allgemeine Pädagogik. 


theils es nicht verftehen durch methodiſchen Unterricht, burh Wort und 
Bid die Jugend in guter Bucht zu erhalten, fo beifen fie fidh mit einem 
Mechanismus, mit einer Urt militärischer Ordnung. Wird es während 
des Unterrichts unruhig, fo wird commanbirt : eins, zwei, drei — und bie 
ganze Klafie erhebt fi, fteht kerzengerade da, kreuzt bie Arme über die 
Bruſt, dann über den Rüden, und auf gleihes Commando fest fich die 
ganze Klaſſe wieder, und es wird im Unterrichte fortgefahren. Auch das 
Hinausgehen aus der Schule erfolgt auf Commando bantweile und bie 
Ordnung wird da bis an die Pforte erhalten. Außerhalb dieſer hört aber 
alle Ordnung auf. Neben viefem militäriſchen Mechanismus jpielen die 
„Verdienſmoten“ (merits) eine bedeutende Holle in der Disciplin. Am 
Schluſſe jeder Lection oder jedes Schultages erhält der Schüler nah Maß: 
gabe feiner Leiftungen in Fleiß und Betragen eine Anzahl Merits, die in 
ber Negel die Zahl zehn für eine Lection nicht überfteigen. Rur vor ber 
Prüfung, die einen Schulabfchnitt beſchließt, Meigt die Zahl der möglidyen 
Merits oft bis auf Hunderte für jedes Jah. In den unteren Klaſſen erhält 
nun der Schüler, der die genigende Zahl von Merits erworben bat, an 
jedem Tage ein Billet oder eine Karte, wodurch die Runde des Wohlver: 
baltend den Eltern mitgetheilt wird. ft eine gewifie Anzahl gewöhnlicher 
. Bervienftlarten erworben, fo erfolgt eine größere Berbienftlarte, und na 

vier derjelben ein Preis, der in einem Bilde, einem Buche u. dal. beſieht. 
In den oberen Klaſſen werden die Merits während eines ganzen Schulab⸗ 
fchnittes regiftrirt und auf Grund der Geſammtzahl erhält dann jeder Sch: 
ler einer Klaſſe feine Nangnummer. 

Der Schultag währt in der Regel von 9—12 und von 1—3 Uhr; 
ber Sonnabend ift ganz frei. Mit den Schulftunden, welche bie Lehrer er 
theilen, wechfeln die Lernftunden ab, in weldhen die Schäler unter Aufficht 
ber Lehrer „ihre Bücher ftupiren‘‘, auch wohl ſchriftliche Arbeiten anfer: 
tigen. Diefem „Studiren” find täglich bis zwei Stunden gewidmet, fo daß 
für den eigentlihden Unterriht nur drei täglihe Stunden übrig bleiben. 
Um in biefen wenigen Stunden Seit für den Linterricht in ben verfchiebes 
nen Fächern zu finden, werben bie Lectionen arg zerrifien. Wan findet 
sicht allein Lectionen von 30 Minuten, fonden aud von 20, 15, 10, 
ja — von 5 Winuten. Selbſt Anfchauungsunterricht, der fih in manchen 
Lectionsplänen findet, fol oft nur 5 bis 10 Minuten dauern. 

Das Schulmefen — die Militärs und Navigationsfchulen andgerem: 
men — ift nicht Sache der Union, fondern nur Sache der einzelnen Staa: 
ten, welche die Union bilden. Die Unionsregierung bat daher mit der 
Säulverwaltung nichts zu thun. Un der Spike des Schulweſens eines 
Staates fteht der Staats: Superintendent des öffentlichen Unterrichts oder 
der Staats: Schulinfpector, der Mitglied des Oberfchulrathes iſt. Derſelbe 
bat, die Oberaufiht über die Schulen und leitet diefe durch allgemeine 
Vorſchriften und Negulative nah den Staatsgejeßen. Die Schulen jedes 
Bezirles haben einen Bezirksſuperintendenten, der jährlih über ven Stand 
der ihm unterftellten Schulen an den Staatd:Superintendenten zu berichten 
bat. Die Anzahl der Schulgefeße ift meift groß. Im Allgemeinen regeln 
fie einen awedmäßigen Mechanismus, indem fie jevem Betheiligten den 


Allgemeine Pädagogik. ‚339 


- Kreis feiner Berpflihtungen mit einer oft peinlichen Pünktlichkeit anmeifen, 
als läme das Heil der Schule mehr von einem georbneten Ineinandergrei⸗ 
fen mechaniicher Beitanbtbeile, als von dem Geilte der Lehrenden. 

Die Bildung der Lehrer läßt ungemein viel zu wünjhen übrig. Es 
werden zwar im einigen Staaten junge Leute auf Öffentliche Koſten auf Ala⸗ 
bemien zu Lehrern ausgebildet, aber in völlig unzureichender Weile. Sie 
werben nämlich daſelbſt vier Monate lang unterrichtet, dann eraminirt und 
ald Lehrer angeftellt, und nicht felten erftredt fich der Unterricht lediglich 
auf-das Nothpürftigfte der Lehrfächer in den Volksſchulen. Erft feit Kur⸗ 
zem bat man angefangen, die Notbwendigleit einer befiern Ausbildung der 
Bollsichullehrer anzuertennen. Es find bier und da unter ber Bezeichnung 
„Normalſchulen“ Bildungsanflalten für Lehrer und Lehrerinnen ent⸗ 
flanden. Am meilten rühmt Dulon die Normalfchule im Staate Illinois, 
für welche ein Gebäude für 182,000 Dollars erbaut worden ift, und im 
der 1864 mehr als 300 Yöglinge ſich befanden, darunter 200 junge La- 
dies, die fich zu Lehrerinnen ausbildeten. Der Curjus umfaßt drei Jahre 
und die Böglinge find daher in drei Klaſſen getheilt. Das erfte Jahr ift 
der engliihen Spracde, dem Schreiben, Zeichnen, dem Gefange, der Geo: 
graphie, dem Rechnen, der Algebra und, fofern ed gewünſcht wird, der la= 
teiniihen Sprade gewibmet. m lebten Drittel diefes Jahres beginnt aud) 
ver Unterricht in der „Wiſſenſchaft, Methode und Geſchichte der Erziehung.‘ 
San zweiten Jahre treten ein Gefchichte, Chemie, Botanik, Pſychologie. 3 
britten Jahre werden mehrere ber genannten Gegenftände fortgejeßt, es tritt . 
facultativ höhere Mathematik hinzu, der Nahdrud wird aber auf die Uns 
terrihtömethoden und auf die praftiihe Uebung in der Mufterfchule gelegt. 
Eine ähnlihe Anjtalt in St. Louis bat nur einen zweijährigen Lehrcurfus 
unb etwa 60 Zöglinge. . 

In den amerifanifchen Voltsjchulen arbeiten ungleich mehr Lehrerinnen 
als Lehrer, und zwar nicht blos in den Mäpchenfchulen und in gemijchten 
Klafien, fondern auch an Ainabenjchulen. In Newyork waren an einer Be- 
zirkatnabenſchule zwei Lehrer und fieben Lehrerinnen, und an einer Bezirks: 
mädchenjchule neun Lehrerinnen und kein einziger Lehrer. In St. Louis 
waren für 12,500 Kinder fchulpflictigen Alters 18 Lehrer und 167 Leh⸗ 
rerinnen angeftellt. Der Grund von dieſer großen Anzahl der Lehrerinnen 
mag zum heil darin liegen, daß fie weniger koften, als die Lehrer. Die 
Lehrerinnen erhalten in den größern Städten 300 bis 900 Dollars, wäh⸗ 
zend . Lehrer nicht oft weniger ala 900 D., in vielen Fällen jedoch 1200 
bis 1500 D. erhalten. 

Die öffentlichen Schulen (neben welchen es eine große Menge Privat: 
Fchulen gibt) find in Amerika Staatsanftalten, und werben auf Roften jedes 
Staates erhalten. Wo fih das Bedürfniß einer Schule zeigt, wird eine 
foldye errihtet. Die Schulhäufer find gut, zwedmäßig eingerichtet und mit 
allem Nöthigen, auch mit Lehrmitteln vortrefflich ausgeftattet. Die großen 
.Stäpte zeigen dabei gewöhnlich eine Liberalität, wie man, nad Dulon, in 

‚Deutihland wohl in fürftlihen Marfiällen und beim Bau von Schweine: 

‚und Kubftällen auf königliben Domänen, aber felbjt in bedeutenden Gym⸗ 

nafien leineswegs immer findet. 

22” 


840 Allgemeine Pädagogik. 


Die öffentlihe Schule ſieht allen Kindern offen, nicht allein Denen 
der Bürger des betreffenden Staates, ſondern aud den Kindern ber —— 
anderer Staaten, der Nichtbürger und Fremden. Alle Kinder, die Iommen, 
werden ohne — und Bedenken a ler unterrichtet. Und nicht 


Gtaatsloften mit der größten —— aber auch ohne alle —⸗s 
dargereicht. Die Unentgeltlichlkeit des Unterrichts erſtredt ſich in mehreren 
Staaten über die Boltsfhule hinaus. GE gibt nicht wenige höhere Schu- 
len, Alademien und Univerfitäten, wo der Unterricht Jedem, der Tommi, 


madıt, wird in der Republik ausreichend gejorgt durch guieingerichtete wn- 
entgeltlihe Abendſchulen und unentgeltliche Borträge über bie verjchiedenften 
Facher und in den verfhiedenfien Formen. Selbft für Einwanderer beſtehen 
Abendſchulen, in welchen fie unentgeltlih und, wie Dulon fagt, in ſehe 
tüchtiger Weiſe in der englifhen Sprache Unterricht erbalten. 

Der republilanifhe Geift verſchmäht natürli jeden Bwang, wo fel- 
der nicht unumgänglidy nötbig if. Daher kennt man in der Union keinkn 
Schulzwang. Die Benupung der Schulen flieht Jedem für feine finder 
frei, aber er wirb dazu nit durch das Geſetz genöthigt. Dulon fagt 
nichts von dem Einflufie diefer unbefchränften Freiheit auf den Schulbeſuch 
- and den Erſolg des Unterrichts; er fpriht fi aber über die Wir 
fung der Schulen auf die Vollsbildung im Allgemeinen aus. Das ame 
ritanifhe Boll, fo fagt er, hält fid für das gebildetſte und cultivirtefte 
Bolt der Erde, und es bat darin unbeflreitbar recht, wenn man den Maß 
tab gelten läßt, der in der Negel angewendet wird, und die Neger und 
die eingewanderten Srländer außer Beirat läßt. Es gibt kein Boll der 
Grde, in dem einige Fertigleit im Schreiben, im verfländigen mimdlichen 
und fchriftlihen Ausprude fo allgemein verbreitet wäre, wie unter ben ein» 
geborenen weißhäutigen Ameritanern. Dan wird ſehr felten einer Berfon 
begegnen, die nicht lefen, fchreiben und in leidlich guten Sägen ſprechen 
tann. Knaben im ſchulfähigen Alter verfallen allerdings recht oft dem 
wüſten Straßenleben, recht oft auch der frühen Erwerbgier, und bie beutiche 
Regelmäßigleit empört fi über den Unfug. Allein aud der verwahrlofete 
Knabe erkennt feiner Zeit die Nüglichleit, ja Nothwendigkeit des Schreiben- 
lernens und benußt endlich die Abendſchule. Das Ehrgefühl iR bei dem 
Ameritaner nicht in ſehr hohem Grade entwidelt, aber nicht fchreiben zw 
lönnen, das würde fein Land bejhimpfen. Perfonen, die volllommen ges 
läufig lefen und fchreiben können, eine nicht unerheblide mit leivlicher Or» 
tbographie und Grammatit verbundene Gewandtheit im ſchriſtlichen Auge 
drud befigen, einige Fertigleit im mechanifchen Rechnen felbft in ber Löjung 
ſchwierigerer Aufgaben des kaufmaͤnniſchen Rechnens befigen, mit den ber» 
vorragendſten Thatſachen der heimathlichen Geographie und Geſchichte belaumt 
find, ein verftändiges Urtheil über die Verfafjung der DVereinigten Staaten 
haben und bei denen einige Anllänge an phyſilaliſche und aſtronomiſche 











Allgemeine Pädagogik. 341 


Kenntmifie gefunden werben, find fo häufig zu finden, daß man, nad Dis 
Ion, annehmen Tann, fie maden in den Staaten, wo die Schulverhältnifie 
am günftigften find, 90 (?) Procent der Bevöllerung aus. 

- Eine Eigenthümlichkleit der amerilaniihen Schule ift ihre völlige „Res 
ligionslofigkeit”, wie man fi in Deutſchland auszuprüden pflegt. In der - 
Unionsverfaflung ift völlige Gewiſſens⸗ und NReligionsfreibeit verbürgt, und 
in Folge dieſes oberſten Princips verbieten die Gefepgebungen der einzelnen 
Staaten Alles, was das religiöfe Bemußtjein des Einen oder des Andern 
verlegen Eönnte. Die Schulen werden von Rindern aller religiöfen Bes 
tenntnifje und Secten ohne Unterſchied beſucht, und es werden in ihnen 
leine Lehrbücher geduldet, die im Intereſſe der. einen oder andern religiöfen 
Genoſſenſchaft verfaßt worden find. Dagegen findet die von Dulon als 
wunderlid bezeichnete Sitte ftatt, jeden Schultag mit dem Lefen eines fur 
gen Abjchnittes der Bibel zu eröffnen. Jede Erflärung, jede Commentirung 
dos gelefenen Abfchnittes, jedes mwilllürlihe Eingreifen des Lehrers in das 
individuelle religiöfe Bewußtſein ver Schüler ift aber unterfagt. Natürlich) 
find aud die Schulen von allem kirchlichen und geiſtlichen Ginflufie völlig 
frei. In den Staatsſchulbehörden befinden ſich allerdings zumeilen Geiſt⸗ 
liche, aber nicht als folde, fondern als Bürger, die durch das Vertrauen 
ihrer Mitbürger dazu berufen find. 

In Deutfhland finden fih nit Wenige, welche die amerilanifche 
Schule wegen ihrer „Religionglofigleit”, ihres rein ftaatlihen Charakters 
und der linentgeltlichleit ihres Unterrichts als Mufter anfehen und nah ihr 
die deutſche Schule umgeftalten mwollen. Es ift aber ftets ein mißliches 
Ding, einzelne Einrichtungen eines Landes berausgerifien aus ihrem natürs 
lichen Bufammenhange mit vielen andern, in ein anderes Land mit ganz 
verſchiedenen Verhaͤltniſſen, die ſich hiftorifch gebildet haben, zu verpflanzen. 
Dabei lommt in der Regel etwas Gutes nit heraus. Die deutſche Schule 
mag mander Berbeilerung bedürfen, die amerilanifhe wollen wir aber 
nicht copiren. - 

Unter deutſch-amerikaniſcher Schule verftebt Dulon bie von 
Deutihen gegründeten und geleiteten oder nad deutſcher Art eingerichteten 
Privatſchulen oder Bereinsihulen in den vereinigten Staaten. Er bat von den 
Deutihen in Amerika vielfach feine gute Meinung und gewiß nicht mit Uns 
recht; denn gar viele mögen fi) durch Trunkſucht und andere unliebjame Eigen⸗ 
ſchaften unvortheilhaft auszeichnen. Indeß erkennt ſie Dulon in Bezug auf 
Bildung als eine Macht an, namentlich durch ihre Geſang⸗ und Turnvereine, 
ſowie durch ihre Schulen. Ueber dieſe letzteren ſpricht er ſich theils nur 
in allgemeinen Ausdrüden, theils mit ganz ſpecieller Beziehung auf ſeine 
Schulunternehmungen in Newyork aus. Hier mag nur erwähnt werben, 
daß Schulen, wie fie in Deutfchland eingerichtet find, in Amerila fein 
Glüd machen, fondern eine traurige Rolle fpielen würden. Jeder Deutfche, 
der dort eine Schule gründet, muß ſich den dortigen Anfihten, Vorurthei⸗ 
len und Gewohnheiten mehr oder weniger anbequemen, wenn er nicht von 
vorn herein Schiffbrudh leiden will. Daher zeigen die deutſch⸗amerikaniſchen 
Schulen eine Mifhung deutſcher und amerilanifcher Einrichtung in äußeren 


342 Allgemeine Pädagogik. 


Dingen, wie in Unterriht und Metbove. Sie haben mit den größten 
Schwierigteiten zu länpfen, die aus der Willkür der Eltern entipringen wub 
in der Natur und Stellung der Privatichulen liegen. Immerhin aber wire 
in ihnen der Unterricht im Allgemeinen auf eine jwedmäßigere, mebr äuf 
die Bildung des Geiftes berechnete Art ertbeilt, als in den fpecififch-amerts 
kaniſchen Schulen. Und dadurd haben fie bereitd angefangen, auf dieſe 
legteren einen günftigen Ginfluß auszuüben, der nad) und nad) gewiß fich 
verſtaͤrken wird. 

Den bei weitem größten Theil des legten Abſchnittes in Dulon’s Bude 
füllen die Mittheilungen des Verfaſſers über feine Schulunternehmungen im 
Newport und das, wie er fagt, dur die Schuld ſchlechter Menjchen , bie 
unter der Maske der Freundſchaft ihn bintergingen, berbeigeführte Scheitern 
derſelben. Hierauf kann natürlid hier nicht eingegangen werben. Dagegen 
wird es nicht unpaflend fein, noch einige allgemeine Bemerkungen anzufü- 
gen, die ich der brieflihen Mittheilung eines Freundes iu Newyork ver 
danke. Derfelbe fchreibt mir im Wefentlihen Folgendes. 

- Das Gewicht defien, was bie Wortführer, fo auch Her Dulon 
über das amerilanishe Schulweſen jagen, hängt nur zu ſehr von ber per 
fönlihen Stellung und allerlei Intereſſen der Darleger felbft ab. In dem 
biefigen Schulweſen findet ein häufiger Wedel, ein ftetes Auf: und Rie 
derfluthen kaum entftanbener, dann ſchon wieder fpurlos verſchwundener An: 
ftalten ftatt. Das ſpecifiſch amerilanifche Echulmwefen liegt allerbings in 
Folge feines alibefannten bloßen Mechanismus fehr im Argen. Dennoch 
werden diejenigen, melde überhaupt eine Schule beſuchen, in berjelben ums 
ter dem mächtigen Einflufie des öffentliben Lebens und ber allverbreiteten 
Zeitungslectüre, für das biefige Leben und feine Ziele merkwürdig brauch⸗ 
bare und früh felbftftändige Leute. Freilih Alles nicht in unjerm Sinne, 
der mehr auf das reale als das Materielle, mehr nach der Tiefe als nad 
bei Breite bin: gerichtet if. Lobt nun, abgefeben von dem Schulmechanis 
mus, 3. B. Herr Dulon das amerilanishe Schulweſen doch mit einer ge 
wifien Emphaſe, fo ift ihm dieſe überhaupt eigen, wenigfiens ftet3 ba, wo 
er nachher einen Fußtritt ertheilen will. Ich muß indeß bezweifeln, daß er 
das amerikanische Schulwejen aus eigener Anfhauung genügend kennt, um 
ein jelbitftändiges Urtheil darüber abgeben zu können. Was er in feinem 
Buche über dafielbe fagt, bat er wohl mehr aus befannten Quellen ober 
aus Mittheilungen Anderer entnommen. Die deutſch-Amerikaniſchen 
Säulen, welde immer aufs Neue in Programmen die Reform des gefamm: 
ten „verrotteten ameritanifchen Abrichtungsweſens ala einer Hunde: und 
Affendrefiur ꝛe.“ in die Melt hinein proclamiren, machen os eben wieber 
nad ihrer Façon und oft herzlich ſchlecht. Ihr erſtes Princip, womit fie 
das Publikum, dieſes taufendföpfige Ungeheuer, zu paden und feine Taſchen 
zu Öffnen fuchen, lieft man auf ihrem Ausbängefhilb: Die freie 
deutſch-amerikaniſche Schule Darunter verfteben ſie nun ſchon 
lange nicht mehr die von Kirchengewalt und geiftliher Willlür emancipizte 
oder die an confefjionellen Religionsunterriht als obligaten Lehrgegenſtand 
nicht gebundene Schule, fondern eine ſolche Schule, die von vornherein 
aller Religion Hohn jpriht und die unmündige Jugend, noch ehe ſie ſich 





Allgemeine Pädagogik. 343 


felbft die Hofen zufnöpfen kann, zur Selbfiftänvigleit durch „reines Dens 
fen”, zum Materialismus binleitet, und aus ber dann allein ganz freie, 
jeve Autorität, jede dem philoſophiſchen Erkennen ſich entziehende Ueberlie— 
ferung verwerfende Menſchen — die Menfchheit der Zukunft — bervor- 
gehen müſſen. Diefe Menfchheit aber, jo lange fie bier die Schule beſucht, 
it dann wahrlid um kein Haar gelitteter, wie die eine amerifanijche bes 
ſuchende, und wenn fie die Kinderſchuhe ausgezogen und bergeftalt nur 
„am Bufen der Natur’ gejogen bat, fo trinkt fie mehr Bier, verpufft für 
tendenziöfe blos äußerliche ;yeitlichleiten mehr Geld, begt unter ſich mehr 
Zank und Zerſetzungsluſt, als irgend ein anderer Theil der Bevölkerung, 
und kommt und führl bei alledem dem Enpziele allgemeiner Bervolllomm- 
nung und Menfchenbeglüdung ſchon und lepiglih auf Erden um 
feinen Zoll näher; denn fchon der nächſte Schritt fiebt Die vom vorher⸗ 
gehenden zurüdgelafiene Fußtapfe mieber im Gande verweht. Die Lehrer 
folder Schulen — und bier liegt's eigentlid — find meift jene neunmal 
weiſen, doch nie mit dem Heinften Penſum ihrer Selbftläuterung fertig wer⸗ 
denden Menjchen, zuvor gewöhnlih Zeitungs: Mitarbeiter, ZTheaterrecenjen- 
ten zc., oder aus Deutjhland um irgend eines Vergehens willen bierher 
gejchafit, die dann mit der Prätenfion fommen, bier alle Mängel zu heben. 
Betommen fie eine Stelle, jo find fie Anfangs zu Allem bereit, was nur 
irgend billiger Weiſe verlangt werden darf, bald aber willen fie entweder 
nicht oder thun nichts. Das Bierfeidel, hier wohl nody mächtiger, al3 ın 
Deutſchland, regiert, und nicht felten werfen an öffentlihem Orte der Di: 
vector und feine Lehrer dieſe Gefäße ſich gegenfeitig an's freie Haupt. — 
Die deutſch-amerikaniſchen Privat: oder Penfionsanftalten find eigentlich 
dajjelbe, nur vornehmer. Sie glänzen mit einer Menge Lehrer und Lehr: 
damen, imponirenden Localitäten, prächtigen Ankündigungen in Briefen und 
Zeitungen, mit allen möglichen Lehrfähern in ihren Lectionsplänen, und 
ziehen dadurch für kurze Zeit Zöglinge an, für welde um des Renommé's 
willen ein hohes Schulgeld bezahlt wird, verſchwinden aber, ba ihre Lei— 
ftungen in zablreihen Ankündigungen nicht entfprehen, bald wieder, wie 
zahlreiche Beiſpiele beweijen. 


Da die Dulon'ſche Schrift die Organiſation des amerikaniſchen Staats⸗ 
ſchulweſens kaum, oder eigentlich gar nicht, erkennen läßt, ſo glaube ich 
im Sinne der Leſer des Jahresberichts zu handeln, wenn ich aus zwei mir 
vorliegenden Jahresberichten über das Schulweſen im Staate Pennſylvanien, 
wo das ſtaatliche Syſtem am meiſten entwidelt zu fein ſcheint, noch einige 
Mittheilungen anfüge. 


40. Forty-sixth annual Report of the Controllers of public 
schools of the first school-distriet of Pennsylvania, 
eomprising the City of Philadelphia: for the year ending deeember 
3t, 1864, with their gecounts. Philadelphia 1865. 328 ©. gr. 8. unb 
mehreren Abbildungen von Schulbänfern im Auje und Grundriß. 





344 Allgemeine Päbagogik. 


4. Pennſylvaniſche Staateſchulen. Bericht bes Superintenbenten ber 
Staatsſchulen von Pennfylvanien. Klir das Zahr endend mit dem 2. Juni, 
1862. Harrisburg: Staate-Druderei, 1863. 225 Seiten unb 102 Seiten 
ſtatiſtiſche Tabellen, gr. 8. 


Die größte Stadt in Pennſylvanien, Philadelphia, mit etwa 600,000 
Ginwohnern, bildet den erften Schulviftrilt des Staates und hat eine 
eigene Schulverwaltung. Im Jahre 1818 befanden fi in ben öffentliden 
Schulen der Stadt 3082 Höglinge, im J. 1864 dagegen 74,343, bie in 
876 Schulen von 84 Lehrern und 1194 Lehrerinnen unterrichtet werden. 
Die Schulen bilden 5 verfdhiebene Gattungen. Es finden ſich darunter 
nämlih 1 Central: Hohfhule (die zwiſchen einem Real: Gymnafium unb 
einer polytehnifhen Schule in der Mitte fteht), 1 Hoch⸗ und Normalſchule 
für Mädchen (etwa gleich einer Realſchule erfier Ordnung für Töchter mit 
Lehrerinnen-Eeminar), 61 Grammar schools (höhere Bürgerfhulen), 70 
Secundarſchulen (Bürgerſchulen), 190 Primärfhulen (Elementarfhulen), 
53 Säulen, die in feine diefer Gattungen pafien (unclassifled schools)., 

Die Central: Hodhfhule mit 449 Zöglingen hat außer dem Principal 
(Vorfieber) 14 Profefioren der lateiniſchen, deutſchen und franzöfiiden 
Sprache, der Geſchichte und fhönen Wiſſenſchaften, der theoretifhen und 
praftifhen Mathematil, der Aftronomie, der Anatomie, Phyſiologie und Nas 
turgefchichte, der Phyſik und Chemie, der Moral, Bhilofopbie und Bolitik, 
der Kalligraphie und der Buchbaltung, des Zeichnens. Das durchſchnitt⸗ 
lihe Alter, in welchem vie Zoͤglinge eintreten, ift 14 Jahr 10 Monate, 
einzelne find aber bereits 16—17, ja 18 Jahr alt. Der geſammte Lehr» 
curſus ift sjährig, 70 Procent der Zoͤglinge verlafien aber die Anftalt 
ſchon vor Ablauf von zwei Jahren, 15 Procent bleiben länger als zwei 
Sabre aber nicht vier Jahre und 15 Procent bleiben vier Jahre Der 
Gehalt des Principals ift 2250 Dollars, der Profefioren 1200 bis 1800 D. 

Die Hoch⸗ und Normalihule für Mädchen mit 300 Böglingen bat 
1 Vorſieher, 9 Lehrerinnen für Rhetorik, alte Gefhidhte, Geologie und Bos 
tanil, Zeichnen, böbere Mathematit, engliiche Literatur, Beredtſamkeit, 
Grammatik und Aufiäge, neuere Gefhichte und Geographie, Algebra und 
Arithmetit und 1 Lehrer der Muſik; der Vorſteher trägt vor: Theorie unb 
Praris des Unterrichts, Algebra, Chemie und Phyſik Das Alterder 71 im 
Jahr 1864 eingetretenen Zöglinge war burchjchnittlih 164% Jahr. Der Ge» 
balt des Vorſtehers ift 1800 Dollars, der Lehrerinnen 600, des Muſik⸗ 
lehrer 400 D. 

Die Grammar-schools, deren es 61 giebt, find theild höhere Knaben⸗, 
theild höhere ZTöchterfhulen, darunter auch einige für farbige Knaben und 
Mädchen. Ihr Umfang ift verjchieden; die Heinfte zählt nur 160 Zög⸗ 
linge und bat nur 3 Lehrer, einfchließlich des Vorſtehers; die größern ba: 
ben über 300 Böglinge und 5 bis 6 Lehrer. Nur in zwei biefer böbern 
Bürgerfhulen werden Knaben und Mädchen zufammen unterrichtet. Wie 
böbern Anabenfchulen haben einen PBorfieher mit 1500 Dollar Gehalt, 
fonft mit wenigen Ausnahmen Lehrerinnen, deren Gehalt 340 bie 450 D. 
beträgt, vie hoͤhern Töchterjhulen ohne Ausnahmen Borfteberinnen wait 
750 D. Gehalt und Lehrerinnen mit 340 bis 450 D. 


Allgemeine Päbagogi. 345 


Der Secunbarfhulen find im Ganzen 70, theils für Knaben, tbeils 
für Mäpdhen; nur in wenigen find die Geſchlechter gemiſcht. Sie haben 
(au die Knabenfhulen), mit geringen Ausnahmen, Vorſteherinnen, die 
450 D., und 3 bi A Lehrerinnen, die 320 bis 360 D. Gehalt beziehen. 

Die Primarſchulen, deren Anzahl 190 beträgt, find meift gemifchte 
Schulen, indeß giebt es einige, für Knaben und Mädchen befonvers. Sie 
haben faft ohne Ausnahme Vorfieherinnen und Lehrerinnen, wovon vie 
erſtern 400, die legtern 300 bis 340 Dollar Gehalt beziehen. 

Unolassified schools giebt e8 im Ganzen 53. Sie enthalten meift 
Anaben und Mäpchen und haben gewöhnlich nur eine oder zwei Lehrerins 
nen, zuweilen auch wohl einen Lehrer. Der Gehalt it 300 bie 400 Dollars. 

Ueber den zwifchen den vier Gattungen der Volksſchulen ftattfindenden 
Unterſchied, ihre Klafieneintbeilung und ihren Unterricht giebt der Bericht 
keine Auskunft. Es ift aber anzunehmen, daß in den höhern Bürgerfchus 
len teine fremde Sprache gelehrt wird, 

Die Gehalte der Lehrer und Lehrerinnen find für die Lebensverhälts 
niſſe in Philadelphia nur mäßig, und namentlih die der .legtern bält der 
Bericht für zu niedrig. Er meilt nah, daß 800 Lehrerinnen täglih nur 
80 Gents, 200 nur 1 Dollar per Tag, alſo kaum foviel erhalten, als 
eine Waſchfrau an Tagelohn, und daß die am beften befolveten fi) meifl 
ſchlechter ftehen, als die Pförtnerin (Schuldienerin). Dabei iſt es nod ein 
fehr großer Uebelftand, daß die Gehalte nicht baar, fondern in Anweiſun⸗ 
gen auf die Staatslaffe ausgezahlt werden, die die Lehrenden nur mit 
einem Berlufte von 12 bis 15 Procent anbringen können, wodurch z. B. 
ein Gehalt von 400 Dollars auf 352 bis 340 D. berabgebrüdt wird. 
(Died Verhaͤltniß ift mir aus dem Berichte nicht völlig Mar geworden.) 

Auffallend ift die fo fehr überwiegende Anzahl der Lehrerinnen, die 
in der Hochſchule für Mädchen fogar höhere Mathematik, Geologie, Botanik 
lehren. Der Bericht jagt, daß das Syſtem der Lehrerinnen fi nicht blos 
durch die Rüdfiht auf Koſtenerſparniß als nüßzlich erweiſe, ſondern fidh 
auch in der Schule felbft bemährt habe, daß die Schulinfpectoren nicht blos 
in Philadelphia, fondern auch in den verfchiedenen Kreiſen (counties) bes 
Staates über die Wirkſamkeit der Lehrerinnen fi fehr vortheilhaft aus⸗ 
fprächen (was allerdings Nr. 41 beweift), und daß wahrſcheinlich in nicht 
langer Beit alle Volksſchulen im ganzen Staate, die größern Grammar 
schools für Knaben auögenommen, mit Lehrerinnen bejegt werben würben. 
Vebrigens mar (nad Nr. 41) im Jahre 1862 im ganzen Staate Penn 
folvanien in Bezug auf die Anzahl der Lehrer und Lehrerinnen das Vers 
hältniß diefes, daß unter der Gefammtzahl von 14,380 lehrenden Berjonen 
fih 7987 Lehrer und 6393 Lehrerinnen befanden. 

Das gefammte äffentlihe Schulweſen von Philadelphia fteht unter ber 
Leitung einer befondern Überfchulbehörde, dem Board of Controllers of 
Poblio Schools, die einen Bräfiventen, einen Secretair und Hülfsſecretair 
bat, und deren 27 Mitgliever in 10 Ausfhüflen (committees), jeder aus 
5 Berfonen beſtehend, fih in die Gefchäfte theilen. Der 1. Ausſchuß bat 
bie Verwaltung der Hochſchule für Knaben, der 2. die für Mädchen, ber 
8, die des Grund: und fonftigen Eigenthums, ver 4, bes Rechnungsweſens, 


346 Allgemeine Pädagogik, 


der 3. der Beifteuern (? supplies), ber 6. der übrigen Schulen, außer 
den Hocfchulen, der 7. hat die Prüfung der Lehrer, ver 8. die Gorge für 
bie Textbuͤcher, der 9. beforgt die Ausgaben, ver 10. hat es mit den Be: 
richten zu tbun. Behufs der Specialverwaltung ber öffentliben Schulen, 
bie beiden Hochſchulen ausgenommen, ift die Stadt in 26 Bezirke getheilt, 
deren jeder eine der Oherſchulbehoörde untergeordnete Schulbebörde hat, die 
aus einem Präfidenten und 12 Mitgliedern befteht und am erflen Montag 
jeden "Monats eine Sigung hält, 

Die gefammten Ausgaben für Schulzwede betrugen 1864 in Phila⸗ 
delphia 822,162 Dollars. Bon diefer Summe kamen 21,585 D. auf ueue 
Schulhäufer, 2500 D. auf Schreibhülfe bei den Bezirks : Schulbehorven, 
5036 D. auf Drudtoften und Heine Ausgaben, 20,942 D. auf Schulges 
raͤthe, 45,751 D. auf den Lohn der Schuldiener, 30,121 D. auf Defen, 
59,729 D. auf Feusrung, 22,070 D. auf Reparaturen und Anjchaffungen, 
49,874 D. auf Bücher und Lehrmittel, 11,996 D. auf Grundzins, 35,778 D. 
auf Miethe von Edulhäufern und 524,750 D. auf die Beſoldung der 
Lehrenden. 

Mit Ausnahme von Philadelphia gab es 1862 in dem Staate Penn⸗ 
ſylvanien 1808 Schulbiftricte und 11,990 Staatsſchulen mit 14,380 Leh—⸗ 
vera und Lehrerinnen uud 617,839 Schülern und Schülerinnen. Die Geſammt⸗ 
Inften der Schulen betrugen 2,227,164 Dollars, die durch einen Beitrag von 
262,000 D. aus der Staatslafle, durch eine „Schultare” und eine „Bautaze‘ 
nufgebracht wurden. Für Anlauf, Bau, Miethe und Reparatur von Schul: 
baujern wurden 355,315 D. ausgegeben, und für den Unterricht 1,367,181 D. 
Der Gehalt eines Lehrers betrug monatlich im Durchſchnitt 23 Dollars 
81 Cents, der einer Lehrerin 18 Dollars 55 Cents; die Kojten eines 
Schullindes einſchließlich ver Lehrergehalte, Feuerung und gewöhnlichen Aus: 
gaben jährlich im Durchſchnitt 2 Doll. 61 Gt. Die Gehalte ver 65 
County⸗Superintendenten (Bezirt3 : Schulinfpectoren) find ſehr verſchieden, 
im. Allgemeinen nad der Anzahl der unter ihrer Aufficht ftehenden Schw 
len.. :Derjenige, welcher die geringfte Anzahl Schulen, nämlih 11, unter 
ſich batte, erhielt nur 185 Dollars Gehalt, während diejenigen, die 273 
bis über 500 Schulen beauffichtigen, meift 1000 Doll., einer 1250, einige 
aber auch nur 800 Doll. erhielten. 

Fuͤr die Bildung von Lehrern und Lehrerinnen ſcheint gut gelorgt 
zu fein, Für die letztern allein gab es 1862 7 Seminarien mit 40 Leh⸗ 
vorn und 929 BZöglingen. Jedes Seminar hat eine Bibliothel (durch⸗ 
ſchniitlich von 467 Bänden) und die erforderlichen Sehrapparate. Die Sg 
linge find zu zwei Drittheilen Erterne, zu einem Drittbeil Interne ober 
Roftgänger. Der: Aufwand für die leptern betrug ohne ben Unterricht 
durchſchnittlich 2 Doll. 66 Cts. per Kopf und Woche. 

3, In den meiften Gounties ober Bezirken, die Stäbte ausgenommen, 
in nur im Winter Schule und zwar durchſchnittlich während eines Zeit⸗ 
raums von 5 Monaten 10 bis 12 Tagen. In ben Landdiſtricten wirb 
He Winterjhule gewöhnlich im November oder December eröffnet und im 
April geſchloſen. Da, wo aud im Sommer währen 3 bis 4 Monaten 
Schule gebakten wish, geſchieht dies, wie aus ben einzelnen Berichten in 


Allgemeine Pädagogik. 847 


Me. At hervorzugehen ſcheint, auf Koften der Familien, die zu diefem Bwede - 
zufammentreten und einen Lehrer miethen. Diefe Sommerſchulen werden 
vorzugsweiſe von jüngern Kindern beſucht. Der Schulbefuh der Winter: 
Schule ift übrigens ehr unregelmäßig. Bon den im Jahre 1862 in die 
Schulliften eiftgetragenen 607,839 Kindern waren durchſchnittlich nur 63 
Brocent in ben Schulen anwefend. Der Kriegszuftand hatte nur in fehr 
geringem Grabe auf den Schulbefud eingemwirkt; denn im J. 1861 waren 
ducchfchnittlih nur 64 Procent der eingefchriebenen Kinder in ver Schule 
anweſend. ns 
Die Lehrer haben keine feite Anſiellung, fondern werben nur für dig 
Winterſchule und dann wieder für die Sommerjhule, wo ſolche flattfindet, 
angenommen. In den meilten Fällen mögen diefelben Lehrer immer wieder 
von Neuem angenommen werben; dennoch ift der Wechſel der Lehrer nad 
einem oder einigen Winterhalbjahren ſehr häufig, oft unterrichtet in demfel: 
ben Schulhaufe im Sommer ein anderer Lehrer als im Winter, und viele 
Lebrer müfjen im Sommer fih eine andere Beidhäftigung ſuchen. Lehrer: 
verfammlungen finden in den meiften Diftricten jtatt, und mehrere Scyul: 
infpectoren rühmen den Eifer, mit welchem die Lehrer trog ihrer kaͤrglichen 

Befoldung ihre Fortbildung anftreben. \ 
Gin großer Mebelftand ift eg, daß in 24 von den 65 Counties bes 
Staates noch die Sitte anzutreffen if, daß die Lehrer Wohnung und Kofl 
wöchentlich abmechfelnd bei den Eltern der Schüler erhalten. In einigen 
diefer Counties finden ſich zwar nur vereinzelte Fälle vieler Sitte, "in ark 
dern dagegen ift fie faft allgemein, weil dadurd die Schulſteuer verminvert 
wird. Einige Schulinfpectoren mollen in derſelben nidt gerade etwas 
Nachtheiliges erbliden, während die meiften fi entſchieden dagegen erflären. 
Diefe Sitte, Tagen fie, ift ein Ueberbleibfel aus der Zeit des Barbarismus, 
dem auf einmal ein Ende gemadht werben follte. Sie hat ihren Urfprung 
in der Selbſtſucht und Abt nadıtheiligen Einfluß auf die Lehrer aus in 
Bezug auf Moral und Smtelligenz. Die Lehrer (und Lehrerinnen) müffen 
oft 1, 2 und mehr Meilen*) geben, um von der Schule nad ihrer zeit: 
weiligen Wohnung und von biejer zu jener zu gelangen, durch Did und 
Dünn, Schmuß und Schlamm, Schnee und Sturm. Dft finden fie in ih⸗ 
rer Wohnung keinen geeigneten Plab, fih zu trodnen und zu wärmen; 
oft erhalten fie naſſe Füße und lehren mit feuchten Kleidern guräd, um 
dann in einem Halten Zimmer und feuchten Bette zu fchlafen. Manche 
gehen auf dieſe Weife in wenigen Jahren ihrem frühzeitigen Grabe entges 
gen. Nicht minder nachthoilig ift das Reiheum: Wohnen (. Boarding Runde‘) 
in Bezug auf Moral und Intelligenz. Die Lehrer haben keinen Pla zum 
Studieren, und wenn fie fih den Tag über in ber Schule müde gearbeitet 
baben, find fie gemöhnlicd gezwungen, den ganzen Abend in der Yamilie 
zuzubringen und ſich in eine lebhafte. Converſation einzulaflen, wenn fie 
nicht ald ungejellige Lümmel betrachtet werden wollen. Dadurch wird es 
ihnen au unmoͤglich gemacht, fi auf den Unterricht vorzubereiten. Uebri⸗ 
.)J 


.Hcengliſche, wonom 63 — 1 dentſchen Mehle.. :  . u mann 


1upagriagpgge zuggagamıa 


HEHE ı; au] | all 
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Ti Saaliupecteren 
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—— 16 Jahr 
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— Senurtbeil gegen 
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Scheer erfolgreich 
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mar ze uchtzeilige Ginjenbung 


| 


Allgemeine Pädagogif. 848 


die Schulen verwendeten Geldmittel, noch fehlt), um mit dem Schulweſen 
in Deutihland einen Vergleich aushalten zu können. 


8. Lehrplan. Disciplin. Bermifchtes. 


42. Lehr⸗ und Unterrigts-Plan einer gemiſchten Klaſſe. Bien, * 
ſtock und Lubwigsluſt. Hinſtorff ſche Hofbuchhandiung. 1865. 46.8 


43. Nor mal⸗Lehrplan für die erſte und zweite Bürgerſchule zu Baltert- 
haufen von Dr. D. Fiedler, Schuldirector. Waltershauſen. Egling’ ide 
Buhbruderei. 1866. 23 6. gr. 8 . 

Nr. 42 ſcheint für eine beftimmte Schule entworfen und für ähnliche 
Schulen als Mufter aufgeftellt zu fein. Ob dabei Borfchriften der Schul, 
bebörde zu Grunde gelegen haben, ift nicht zu erfehen, aber zu vermutben, 
Die Schüler, von 6 bis 14 Jahr alt, find in 6 Abtbeilungen gebracht, 
die aber nicht in allen Stunden zugleich anweſend find und in einigen 
Lectionen in eine geringere Anzahl zufammengezogen werben. Neben der 
Bertbeilung des Lehrſtoffes ift meift auch der Lehrgang angegeben. Bon 
den 26 wöchentlichen Lebrftunden find 3 der Ratechismuslehre, 2 dem Nas 
tehiamusaufjagen, 8 ver bibliihden Geſchichte, 2 dem Bibellefen, 1 den 
Berilopen, mithin 11 religiöfen Stoffen gewidmet. Nah der täglichen 
Morgenandadht werben jeden Tag fogenannte Morgenpenien (der Katechis⸗ 
mus, Lieder, Palmen, chriftlihe Fragſtüde und Haustafel, Sprüche) berge 
fagt. Die Religion ift unftreitig der wichtigfte Lehrgegenftand, aber von 
26 Stunden 11 auf religiöfe Lebrftoffe zu verwenden, ift doch zu viel. 
Chriftlihe Frömmigkeit wird dadurd gewiß nicht gefördert. Beim Echreibs 
lefen werden erft alle einfahen und Doppel:Bolale vorgeführt, dann nad 
und nad die Confonannten, und jeder von dieſen wird mit jedem Vokale 
verbunden, eine Manier, die nicht zwedmäßig if. Das Lehrverjahren beim 
Rechnen ift befler, auch das bei dem Spradunterriht. Die Weltkunde 
umfaßt Geographie, Weltgefhichte und Kirchengeſchichte. Aus der Geogras 
phie kommen außer den Elementarbegriffen blos Deutihland und insbejons 
dere Medlenburg vor, bie übrigen Länder Curopa's und die übrigen Erd⸗ 
theile nur, wenn nod Zeit übrig bleibt. Die Naturkunde ift ganz ausge⸗ 
ſchloſſen. Man fieht, diefer Lehrplan ift eben kein Muſter. 

Nr. 43 bringt den Lehrplan für die Bürgerſchulen in Waltershaufen. 
Die erfte Bürgerſchule hat 7 Klaſſen; die A unterfien find für beide Ge⸗ 
Schlechter und der Lehrcurſus ift in jeder einjaͤhrig. In den beiden ober» 
ſten Klaſſen, die einen zweijährigen Curfus haben, find die Geſchlechter ges 
trennt. Gegen die Vertheilung des Lehrftoffes in die verfchiedenen Klaſſen 
läßt fih wenig einwenden. Die aſtronomiſche Geographie fommt in Kl. IIL 
wohl zu früh, da die Geometrie erft in der IL. Knabenklaſſe eintritt. Die 
Geſchichte beginnt in der IV. Klaſſe, aljo mit Sjährigen Schülern ebenfalls 
zu frab, und es ift ſchwerlich zu billigen, daß mährend eines ganzen Jahr 
zes wöchentlich 2 Stunden in dieſer Klafie auf die altgriechiſchen Sagen 
und in der IIL Klafie auf die thüringiihen Sagen verwendet werben. 
Auf keinen Kal kann man das Geſchichte nennen. Beſſer würde es gewiß 
fein, dieſen Sagen weniger Zeit zu widmen, ben Gejchichtsunterricht auf 


0 Allgemeine Pähngogik. 


Die zwei oberfien Klaſſen zu befdränten und in ver III. und IV. Klafie 
lieber der Geographie mehr Zeit zu widmen. Das Turnen für. Die Auaben 
ift in den Lehrplan aufgenommen. 


44. Ueber das Wefen und bie Bedeutung ber Shul-Disciplin. 
Bortrag bei ber Schullehrer⸗Conſerenz bes Kirchenlreiſes Brieg am 13. 
Septeinbee 1865, gehalten von Friedrich Kurtd, Hector ber Stabtſchulen 
h Brieg. Herausgegeben zum Bellen der Schiefiihen Lehrer- Wittwen- 

nterKügungs-Anftalt. Brieg, 1565. Adolph Bänder. 24 ©. 8. 21 Ser. 


Dieſer Vortrag, eine Bearbeitung des von ber Regierung zu Breslau 
nen Lehres:GenferenzBereinen für 1865 geftellten Thema’s, ift gut geſchrie⸗ 
ben, .entwidelt dad Weſen und die Bedeutung der Schulvisciplig zwar in 
gebrängter Kürze, aber richtig, betrachtet wie Grziehung als ein weſentliches 
Städ der Schulaufgabe und meift die erziehende Macht des Unterrichts 
wortrefjlih nah. Der Anhalt der Heinen Schrift verdient daher von allen 
Behrern beachtet und beberzigt zu werben. 


45. Elternhaus und Schule Beiträge zur Löſung ber einheitlichen Er⸗ 
jiehungsaufgabe in Schule unb Haus. Herausgegeben von &. Heufinger, 
Organiſt und Lehrer in Neuftadt bei Coburg und J. Ctangenberger, 
Lehrer in Hambur ., IV. Jahrgang. 4 Hefte & 6 Nummern von 4 Bogen. 
Leipzig. . G. Priber. 1865. 188 ©. gr. 8. 20 Sgr. 

Diefe Blätter wollen den Eltern und Lehrern nicht Fertige, nicht 
einen Curſus der Erziehung barbieten, fondern mehr den Sinn für Jugend 
erziehung weden, als ihn befriedigen, mehr die Beobadhtung jhärfen und 
die Erfahrung bereichern, als erziehliche Necepte geben. Sie bringen baber 
Vieles — Eigenes und Entlehntes —, was nur eine fehr entfernte, mit 
unter gar keine Beziehung zur Erziehung bat. Die in verfchiedener Form 
ausgeprägten Mittheilungen zeugen von einem linderfreundlichen Sinne, 
von beiligem Ernſte für die Sache der Erziehung und die ſprachliche Dar: 
ftellung ift gewiß wohlthuend friſch und lebendig. Zuweilen ftößt man auf etwas 
zu viel Sentimentalität. Als das Zeichen wahrer Rinderfreundlichleit dürfte 
e3 jchwerlich gelten können, wenn Jemand (S. 12) die Tafchen ftets mit 
Bonbons und füßem Nafchwerk gefüllt hat, um jedem bübjchen Kinde auf 
der Straße davon mitzutbeilen. Daß dieſe Zeitfchrift, die nicht eine Schul: 
zeitung fein will, aber für Eltern und Lehrern Interefie bat, gegenwärtig 
ſchon vier Jahre beiteht, iſt unftreitig ein gutes Zeichen, und fie würde 
gewiß noch mehr Ruben ftiiten, wenn fie mehr als bisher Charalterzeich 
nungen us der Kinderwelt, Grziehungsbilder und Erziehungsrejultate brin- 
gen molite, 


46. Unterridt in ben für das Bollewefen wichtigſten Beftimmun- 
—X des bayeriſchen Straf- und Polizeiftraf-Bejegbudes 

e Säulen bearbeitet von J. 2. Ludwig, Lehrer und Kantor zu Bindlad 

bei Bayreuth. Bamberg. Buchner’ihe Buchhandlung. 1866. 52 ©. 8. 

Es mag Vielen noch fehr zweifelhaft fein, ob Belehrungen über vie 
Strafgeſetze in die Volksſchule gehoͤren, jedenfalls verdient der Verſuch, den 
her "Verf. hierzu gemacht bat, alle Anerkennung. Im den Vorbemerkungen 





Allgemeine Pädagogik. 351 


ſpricht er fi über den Zmed und Gebrauch des Schrifthens ſehr verftän- 
dig aus, wie von ihm als dentenden und erfahrenen Pädagogen erwartet 
werden konnte. Sowohl Auswahl, ald Anordnung ift zwedmäßig. 


41. Schulreden. Ein Beitrag, dur Symnafial-Päbagogif von Dr. Johann 
Chriſtoph dv. De 8. B. Schulrath und Stubiendirector. Zmeite Samm- 
tb, Grau'ſche Buchhandlung. 1866. 347 ©. gr. 8. 


Da diefe Schulreden Gymnafiaiverhältnifie betreffen, jo kann über 
fie bier nicht ‚berichtet, und nur gejagt werben, daß einige verjelben zugleid) 
auch auf allgemeinere Gegenftände ſich beziefen, namentlih Nr. 2 Grinne: 
zung an Beltalogzi, Nr. 3 über den fittlihen Beift des Lernend, Nr. 5 
Erinnerung an Göthe, Nr. 6 Betrachtungen über den Lehrerberuf, Nr. 9 
über den Anftand, Nr. 15 zur Borfeier des Schillerfeftes, Nr. 19 am ein: 
bımdertjährigen Geburtätage Jean Paul Friedrich Richters. 


fung. Bayreu 


VID. 
Zeichnen. 


Bearbeitet von 
Auguſt Lüben. 


I. Methodiſches. 


1. Der ſchon in dem Abſchnitt über die Naturkunde angezogene 
„Lehrplan“ des Seminardirector Dr. Schneider in Bromberg weiſt 
dem Zeichenunterricht eine ſeiner Wichtigkeit angemeſſene Stellung in der 
Volksſchule, ſelbſt in der mit großen äußeren Schwierigkeiten Tämpfenbne, 
an. Derfelbe foll in allen Abtbeilungen ertheilt und in der oberen bis 
zur perfpectiviihen Beiprehung von Körpern ausgebehnt werden. Um feis 
ner Aufgabe ganz zu entfprechen, foll der Unterriht auf allen Stufen wit 
geeigneten Sprehübungen in Verbindung gebracht werben. „Die Aufgabe 
diefer Beiprehung ift, das Kind zu einer fiheren und Haren Grienntniß 
und Unterfcheidung der Formen und Maße der Dinge, unter denen es lebt, 
zu erziehen.‘ 

„Es wird demnah ein Beichenunterricht, welcher die Kinder einjeitig 
und gedankenlos mit Abmalung von allerlei Vorlegeblättern bejchäftigt, und 
defien NRefultat darin befteht, daß wenige Kinder eine ziemliche Fertigkeit in 
der Darfiellung von Zeichnungen erlangen, die in’3 Auge fallen, während 
die allermeiften gar nichts lernen, von der Volksſchule ausgejdlofien.” 

Der Lehrgang wird darauf in folgender Weife flizzirt. 

„Auf der Unterftufe fügt fi der Beichenunterriht in denjenigen, 
welcher dem Schreiben, Sprechen und Lejen gewidmet ift, ein, und bat nur 
den Bwed, der Heinen Hand eine gewiſſe Kertigleit in der Darftellung von 
Linien zu geben und das junge Auge zu einer Vorftellung von dem Bilde 
zu bringen. Dazu reiht aus, daß das Kind die beim Schreiblefeunterridht 
befprodhenen, an der Wanbdtafel in einfachen Linien vorgezeichneten Gegens 
fände, jo gut es kann, auf der Schiefertafel nachzeichne.” 

„Die Mittelftufe zeichnet in befonders dazu angejeßten Zeiten ein- 
fache geometrische Figuren abwechſelnd aus freier Hand und mit Lineal usb 





Zeichnen. 353 


Map. Es kommen der Reihe nad) das Duabrat, das regelmäßige Adhted, 
das regelmäßige Sechsed und der Kreis zur Behandlung. Durch Theilung 
von Seiten, durch Biehen von Hülfslinien, durch Weglöfchen einzelner Theile 
der Figur entftehen Schönheitsformen und Lebensformen.‘ 

„Biel diefer Stufe ift die Bildung einer ficheren Hand und bie Uns 
Fe im Gebraud der einfachiten Inſtrumente, wie Lineal, Maß und 

ixkel.“ 

„Bei den Beſprechungen der vorkommenden Operationen wird das 
Kind die gerade Linie, gleiche, ungleiche, gleichlaufende und ungleichlaufende 
Linien; ebenſo rechte, ſpize und ſtumpfe Winkel; Dreiede, Vierede, regel⸗ 
mößige Figuren, den Kreis und deſſen Hülfslinien und Winkel kennen und 
unterjcheiden lernen. Dabei wird fi ihm eine Klare Vorftellung von der 
Sleihheit der Linien. und Winkel, von der Gleichheit und Congruenz ber 
Figuren einbilden.‘ 

„In der eben bejchriebenen Ausdehnung und in der bezeichneten Ans 
ſchaulichleit gehört die Raumlehre in die Volksſchule; was darüber hinaus« 
gebt, wie Definition, Beweisführung, Lehrſatz, Yormel u. dgl. ift ausges 
ſchloſſen. 

„Auf ver Oberſtufe hat das Kind zuerſt vorgezeichnete Figuren nad) 
gegebenem verjüngten ober erweiterten Maßſtabe nachzuzeihhnen, darauf hat 
es geometriſche Anfihten von einfach gejtalteten Gegenftänden nad) gegebenem 
Mapftabe darzuſtellen. Solche Gegenſtaͤnde find Bimmergerätbe, Garten 
flächen, Bohnhäufer, Kirchen, Gebäude überhaupt ; kurz Körper, welche ge 
rade Kanten und große Flächen barbieten. In den Zeichnungen werben 
Conturenſchatten eingeführt.” 

„Das gemeinfame und allen Kindern erreichbare Biel ift ein nod 
fihererer Gebrauch der Geräthe, eine gewandte, leichte Hand und ein jcharjes 
Auge für die Merlmale der Form und deren Berhältnife. Dabei wird 
das Kind eine Klare Borftellung von der Aehnlichleit der Figuren ge 
winnen.” ® 

„Während auf diefer Stufe an ſich fhon dem Lehrer eine große Mans» 
nigfaltigleit der Bewegung und Auswahl gelafien wird, ift fähigen Kindern 
das weitelte Feld aufgetban. Sie werden im Zeichnen von Plänen und 
Grundrifien geübt, zur Anlegung von Karten angeleitet ; weiter haben fie 
fchwierigere geometrifche Formen, zufammengefeßte Anfichten darzuftellen, end» 
lich die Gegenftände fortfchreitend nad der Bejchreibung aus dem Gedaͤcht⸗ 
niß nad eigenes Erfindung zu zeichnen.‘ 

„Geförberte Lehrer thun mit bejonders begabten Schülern den legten 
Schritt, indem fie diefelben zur perfpectivifchen Betrachtung und Darftellung 
einfacher geometrijcher Körper anleiten und zu derjenigen ‚anderer körper⸗ 
licher Gegenſtaͤnde führen.‘ 

„Die Ausdehnungen werben dem Kinde gegeben, von ihm gemefien, 
nad dem Augenmaße gejhäßt. Sie werben erft genau feitgebalten, ſodann 
nad verjüngtem oder erweitertem Maßſtabe genommen. Cbenjo wird aud 
bier von der Copie zur Darftellung des Befchriebenen, zu der des Belanns 
ten fortgefhritten. In den Zeichnungen werden Schattirungen von Flaͤchen 
angebradht. Die Beiprehung macht die Rinder mit den einfachen Körpern, 

Pad. Jahresbericht. XVII. 23 


354 Zeichnen. 


wie Würfel, Säule, Kegel und Kugel und mit deren Mafverhältniffen 
betannt.“ 

Der Lebrgang enthält nichts Neues, aber er iſt für die bezeichneten 
Berhältnifie zwedmäßig. 

2. In den weiter unten aufgeführten „Monatsblättern zur Yörberung 
des Zeichenunterrihts’' von H. Troſchel hat fi ein Streit entipounen 
über die Frage, ob Wanpdtafeln für den Beihenunterriht zu benußew 
find oder nicht. 

Die Benußung von Wandtafeln, die in ihrer Gefammtheit einen ger 
orbneten Lehrgang vdarftellen, hat zur Borausfegung, daß alle Schüler einer 
Klaſſe oder größeren Abtheilung im Zeichnen auf gleiher Etufe fehen, 
alfo im Ganzen gleihe Zeichenfertigteit haben. Bei dieſer Borausfepung 
macht der Zeichenunterrit wenig Schwierigteiten und kann mit fehr guteim 
Erfolg jelbft von Xehrern, denen die Disciplin Schwierigfeiten macht, sder 
die nur mäßige Fertigkeit im Zeichnen befigen, ertbeilt werden. Wir find 
principiell überall da für einen ſolchen Kllafjenunterriht, wo er nur irgend 
ousführbar if. Es entfleht durch denfelben ein frifher Wetteifer unter dem 
Echülern, und der Lehrer behält Zeit zu allgemeinen Belehrungen. Lang: 
jährige Erfahrung bat uns aber überzeugt, daß man die Schüler einer 
Klaſſe nur im erften Curjus des Freihbandzeihnens mit Nupen jo zuſam⸗ 
menbalten kann. Wenn für irgend einen Gegenftand, fo finb namentlich 
die Kinder für das Zeichnen fehr verfchieden begabt. Ginigen fliehen Gar 
und Auge in einem Grade zu Gebote, daß ihnen nad furzer Anleitung 
alle den Kräften angemefiene Darftellungen in befriedigenpfter Weiſe gelin⸗ 
gen; Andere dagegen quälen fi) monatelang ab, ehe es ihnen nur gelingt, 
eine ſaubere gerade Linie zu zeichnen. Es ift begreiflih, daß beiberlei Schü- 
ler leiden, wenn alle Schüler der Klaſſe dieſelbe Aufgabe zu löfen baben, 
ganz abgefehen davon, daß ein derartiger Unterricht manche disciplinariſche 
Ungebörigteiten hervorruft, und aud da, wo dergleichen nicht zu beforgem 
fteht, die fähigeren Schüler, welche die Aufgabe früher löfen, als die ſchws⸗ 
heren, gegen den Schluß der Stunde zum Pauſiren verurtheilt. Man 
muß auf den übrigen Stufen von diefem Zufammenhalten ver Klaſſe ab» 
feben und die Schüler durchaus nad ihrer Befähigung bejhhäftigen und 
weiterführen. Das ift auch in der That nicht fo fchwierig, wenn ber Leh⸗ 
ver die Schüler ftets nah ihrer Fähigkeit ordnet, alſo alle diejenigen zu 
jammenfegt, die auf ziemlich gleicher Stufe fih befinden. Bon Wandtafela 
läßt jih dann aber natürlid fein Gebrauch machen; an ihre Stelle müſſen 
Borlegeblätter treten, fo lange von ihnen überhaupt Gebraudy zu 
machen iſt. Rach Beendigung eines Clementarcurfus, etwa in dem Um⸗ 
fange, wie ihn meine weiter unten genannte „Anleitung zum Zeihenunter 
richt‘ enthält, find die Schüler zum Naturzeichnen überzuführen, wozu man 
nd am zmedmäßigiten der Peter Schmidt'ſchen oder ber Heimerding ſchen 
(Hamburg) Holzlörper bedient. Der angemefjene Fortſchritt erfordert, daß 
jeder Schüler feine Körpergruppe vor fi bat, alfo nit mi 
einer größeren Schülerzahl, von denen jeder einen andern Standpunkt Dazu 
bat, zu gleicher Zeit diefelbe Gruppe zeihnet. Schüler, melde das perfpen 
tiviſche Beichnen beginnen, nehmen ven Lehrer in ven erften Wochen vol 





Zeichnen. 355 


fändig in Anfpruch, wenn fie raſch und bewußtvoll fortjchreiten follen. Es 
empfiehlt ſich daher fehr, immer nur fünf bis fehs Schüler zugleih in dieſe 
Stufe einrüden zu laflen und die übrigen, was gar nicht ſchwer ift, fo gu 
befhäftigen, daß fie mit Nuben für fi arbeiten können. 

Troſchel vertritt die Mandtafeln, während Andere (Gennerich in 
Berlin, Hube in Greifswald, Stuhlmann in Hamburg) gegen ben 
Gebrauch derfelben find. Unſere Stellung hierzu gebt aus dem Vorſtehen⸗ 
den hervor. Auch find wir mit Stuhblmann (Hamburger Schulblatt 
Nr. 367) der Anfiht, daß Troſchel den Gebrauch der Wandtafeln zu weit 
ausdehnt und daß perjpectiviihe Darjtellungen auf venfelben nicht als Vor 
bereitung zur Berfpective angejehen iverden können. Hierzu gibt es nur 
ein Mittel: die Benupung geeigneter Holzlörper. Mit Stuhlmann geben 
wir denen von Heimerding den Vorzug vor den Peter Schmidt'ſchen, 
da fie mannigfaltiger find und fünftliche, leicht verrüdbare Körperzufammenr 
ftellungen entbehrlich machen. 


DO. Literatur. 


1. Monatsblätter zur Förderung bes Zeihenunterridhts an 
Schulen. Herausgegeben von Tugs Troſchel, Kupferſtecher uub Zeichen» 
lehrer an ber Dorotheenfläbtiichen Healichule zu Berlin. Erſter Jahrgang. 
gr. 4. Berlin, Nicolaifche Verlagsbuchhandlung (G. Parthey). Seit —* 
1865. Bierteljährlih 15 Sgr. 

Von dieſer neuen Zeitſchrift liegen uns nur die erſten fünf Nummern 
vor. Ihr Zweck iſt: Förderung des Zeichenunterrichts. Da der Zeichen⸗ 
unterricht in höheren wie niederen Schulen in der That noch ſehr darnie 
derliegt und an vielen Orten noch gar nicht ald nothwendiger Schulunter: 
richts-Gegenftand anerlarmt wird, fo kann man ſich Diefes Unternehmens nur 
freuen und ihm guten Fortgang und lange Dauer wünfhen. Dazu ift aber 
erforderlich, daß fih außer den Zeichenlehrern auch tüdtige Pädagogen bes 
theiligen, die etwas vom Beichenunterricht- verftehen. Denn die ım$ vorlies 
genoen fünf Nummern geben ſchon Zeugniß, daß Niemand weniger geeignet 
it, einen gedeihlichen Fortgang und eine wirkliche Förderung der guten 
Sade zu fihern, ald die dazu fpeciell Berufenen, die Zeichenlehrer. Schon 
die oben berühbrte Wandtafel⸗Angelegenheit hat einen beißen, unerquidliden 
Streit hervorgerufen. Wir wünjcen mit dem Herausgeber nicht Ängftliche 
Vermeidung alles Streites, halten aber dafür, daß man erjt einen tüchtigen 
Grund legen ſollte, ftatt jih auf dem unbeaderten Felde umberzubeißen. 
Diefen Standpuntt empfehlen wir vor Allen dem Herausgeber, ber im 
„Proſpect“ zum Kampf berausfordert, und zwar um jo mehr, da feiner 
Feder offenbar noch die nöthige Gewandtheit fehlt. 

Bon den größeren Arbeiten der vorliegenden Nummern nennen mir: 
Ueber Beter Schmidt, G. Schabow und bie Brüder Dupuis. Bon Tro⸗ 
ſech el. Ueber ven Zeichenunterriht bei den Griechen. Bon F. Lorking 

23” 


356 Zeichnen. 


in Berlin. Ueber Wandtafeln. Bon Troſchel. Ueber die perjönlide 
Stellung der Zeichenlehrer. Von Troſchel. Iſt der Zeichenunterricht auf 
Gymnaſien den Anforderungen der heutigen Zeit genügend ? Bon Dr. Ba: 
ter. Ueber den Zeichenunterriht nad Porlegeblättern, Wandtafeln und 
Modellen. Bon C. Hube (gegen Troſchel). Ueber den Zeichenunterricht 
in Realfchulen. 

Außerdem enthalten die meiften Nummern kurze Anzeigen von neuen 
Merten für den Beichenunterricht. . 


2. Zeichenſchule in Wandtafeln für ben Stufen-Unterriht an Schulen. 
Herausgegeben von Hugo Troſchel. Berlin, Nicolaifhe Verlagsbuchhaud⸗ 
lung (G. Parthey), 1865. 

Dies Werk ift auf 12 Lieferungen, jede zu 10 Zafeln, Imp.:Fol, 
berechnet, und der Preis einer Lieferung auf 2 Thlr. 20 Sgr. fellgeftellt 
worden. Einer Anzeige ded Werkes entnehmen mir folgende Inhalts⸗ 
Ueberſicht. 


Erſte Stufe: Lieferung I. II. Für Schüler von 8—10 Jahren. 
(Serta und Quinta.) a. Flaͤchen (Formenlehre). b. Körper (Grundbe⸗ 
griffe der Perſpective). c. Vorübungen zu Ornamenten. 

Zweite Stufe: Lieferung IH. IV. Für Schüler von 9—12 
Jahren. (Quarta.) a, Körpergruppen (Elemente der Perfpective mit Ans 
wendung der Diftanzpuntte.) b. Gefäße und Ornamente, 


Dritte Stufe: Lieferung V. — X. Für Schüler von 11— 14 
Sahren. (Zertia,) Lieferung V. Geſichtstheile. Lief. VI. Köpfe im Profil. 
Lief. VII. Köpfe en face. Lief. VIII. Köpfe 4. Lief. IX. Die Peripew 
tive und die Projectionslehre. 

Bierte Stufe: Lieferung XL Für Schüler von 13 —16 Jahren. 
(Unter:Secunda.) Theorie und Entwidelung der Projectionslehre und ber 
Berfpective. 

Sünfte Stufe: Lieferung XL—XIL Yür Schüler von 142—19 
Jahren. (Ober:Secunda und Prima.) a. Anwendung der Perjpective (In⸗ 
terieurs zc.). b. Conftruction der Schatten. c. Planzeihnen. 

Die VL Lieferung ift erfhienen und mit bem dazu gehörigen Texte 
zu 3% Thlr. beredynet worden. Da wir fie nur flühtig im Buchladen ge 
lefen und fie uns jetzt nicht vorliegt, fo fünnen wir ein begründetes Urtheil 
darüber nicht abgeben. 


3. 40 Wandtafeln für den erfien Unterriht im Ornament-Zeide 
nen. Entworfen von 2. Völlinger. 1. u. 2. Lieferung. Tafel 1 bie 20, 
gr. Fol. Regensburg, U. Coppenrath, 1865. & 26 Sgr. 

Beide Heſte enthalten ornamentale Blumen: und Blattformen in ein: 
fachen Umriſſen und ohne Schattenangaben. Die Formen find gefällig, in 
kräftigen Strichen ausgeführt und überall, wo es erforderlich war, mit den 
nöthigen Hülfslinien verfehen. In Klaflen mit Schülern von nahezu glei- 
her Zeichenfertigleit wird man dieſe Wandtafeln daher gebrauchen können, 


Zeichnen. 357 


4. Erläuterung zu den 24 Wandtafeln für den elementaren 
Unterriht im Freibandzgeihnen von Dr. A. Stublmann. Be- 
leitet von einem Vorworte von Otto Jeſſen, Director ber öffentlichen 

erwerbeichule in Hamburg. Mit 24 litbographirten Figuren auf 4 Tafeln. 

gr. 8. Hamburg, X. Grining, 1866. 7% Sgr. 

Der Inbalt der uns nicht vorliegenden „Wandtafeln” ift auf den 4 
beigegebenen Zafeln enthalten. Gr befleht in ebenen oder ganz flach ger 
baltenen Gebilden, die faft alle aus dem Leben entnommen und meilteng 
von ornamentaler Bedeutung find. Contourſchatten fehlen, was wir nicht 
gerade billigen können, da fie den Gindprud, den eine Zeichnung auf den 
Beihauer macht, erhöhen und ohnehin leicht verftändlih zu maden find. 
Die. Figuren felbft find anſprechend. Gegen die Reihenfolge dürfte ſich bier 
und da etwas einwenden lafien. Ueber die Art und Weiſe ihrer Ausfüh- 
zung geben die Grläuterungen Auskunft. Wir bemerfen nody, daß die 
Wanpdtafeln einen Clementarcurfus vorausfegen ; der Verf. empfiehlt dafür 
das von Fröbel begründete Nebzeichnen. 


5. Anleitung zum erftien Zeihenunterridt für Knaben- und Mäbchen- 
ſchulen. Bon Auguſt Lüben, Seminarbirector in Bremen. I. bie V. 
Heft. Bremen, Hermann Geſenius, 1866. Ale Hefte zufammen 1 Thlr., 
einzeln Heft L—IV. à 6 Sgr., Heft V. 9 Ser. 

Diefe Anleitung ift jet in den Verlag von Gefenius in Bremen 
übergegangen und ganz neu und ſehr fauber bergeftellt worden. Sie ent» 
hält einen vollfiändigen Lehrgang für das Elementarzeihnen, nad deſſen 
Durcharbeitung die Schüler zum Naturzeichnen geführt werden können. Das 
erfte Heft enthält 30 Borlegeblätter, auf denen gerade Linien, Winlel, ges 
radlinige geometrifhe Figuren, ohne und mit Verzierungen, dargeſtellt find, 
das zweite 25 gerablinige Vorderanfihten von verfchiedenen Gegenftänden. 
Diejen beiden Heften entfprechen die beiden folgenden in der Art, daß im 
dritten 30 theils einfache, theils verzierte frummlinige geometrifhe Figuren, 
im vierten dagegen 25 krummlinige Vorderanſichten verfchiedenartiger Gegen» 
fände Darftellung gefunden haben. Das fünfte Heft enplih enthält 16 
größere Figuren, Vaſen und Verzierungen, in gr. Quart, welde eine directe 
Borbereitung für Bauhandwerker gewähren. 


6. Elementar⸗Freihandzeichnen für Boltsjhulen, insbefonbere für 
Mittelſchulen und gewerbliche Kortbildungsfchulen von U. Schrop, Zeichen« 
lehrer an der thurgauiſchen Cantonsjchule. Leichte Ornamente in bloßen 
Umriffen. qu. 4. Frauenfeld, 3. Huber, 1865. In Mappe 16 Ser. 


Das Heft enthält 24 in NKreivemanier ausgeführte Beichnungen, bie 
Sämmtlid leiht und geihmadvoll find, auch angemefien vom Leichtern zum 
Schwerern fortſchreiten, fih daher für den Schulgebraud empfehlen. 


7. Benetiih Lane mar ide Grundlage des Freibandzgeihnens 
von Dr. 3. ©. Molitor. Kür alle Schulen, in denen ein grünblicher 
Unterricgt ertbeilt wird. L Abtheilung: Gerablinige Formen 42 Blatt. 
II. Atheilung : Krummlinige Formen 42 Blatt, gr. 4. Carlsruhe, J. 
Beith. à 1 Thlr. 6 Ser. 


358 Zeichnen. 


Dies Werk ift für den erften Unterricht im Beichnen berechnet und 
beginnt vemgemäß mit einfachen Linien und Winkeln, gibt aber jhon von 
Tafel A an perſpectiviſche Darftellungen. Dies halten wir für einen gro: 
ben Mißgriff. Kinder von 8 Jahren, mit denen der Zeihenunterricht durch: 
fchnittlich mit Erfolg begonnen werden kann, haben für perfpectiviihe Dar 
ftellungen noch kein Berftänpni. Daher entftehen, wenn fie Vorlegeblätter 
diefer Art copiren follen, eine Menge Fehler, die nicht nur das Auge be 
leidigen, fondern das des Schülers geradezu verbilden. Wir lönnen diejen 
Lehrgang daher nicht empfehlen. Wo man es aber für angemeflen erach⸗ 
tet, in der Beit, wo das Naturzeihnen nad einfachen Modellen geübt wird, 
noch perfpectivifche Darftellungen copiren zu laflen, da wird man von den 
bier dargebotenen Gebraud machen koͤnnen. 


8. gen enfante für Volkeſchulen, Wiederholungsſchulen umb zum 
elbſtunterrich von Joſeph Goldhann. 1. u. 2. Heft. quer ge. 4 
Ye alt Steintafeln und 7 ©. Text) Wien, Sallmeyer u. Comp. 
Die hier dargebotenen Zeichnungen follen vom Lehrer an die Wand⸗ 
tafel gezeichnet und darnach von den Schülern copirt werden. Wir haben 
gegen dies Verfahren, fo lange es fih um einfache Figuren handelt, Nichte 
einzuwenden, rathen aber aus nahe liegenden Gründen davon ab, fobald 
das Borzeihnen einen größeren Theil der Zeit in Anfprub nimmt, mas 
von manchen der Zeichnungen gejagt werden muß. Mit dem innegebalte 
nen Stufengange können wir ung nicht überall einveritanden ertlären, ba 
mehrfach gegen den Fortſchritt vom Leichtern zum Schmwerern verfloßen wor 
den iſt. Ginfichtige Lehrer werben aber derartige Verſtöße leicht verbeflern 
lönnen.» 


9. Arbeiteſchule. Herausgegeben von Fr. Seidel und Fr. Schmidt. 
VO. Das Netszeichnen. II. Abtheilung. Krummlinige Figuren für Kinder 
von 7 bis 12 Jahren. qu. gr. 4. (13 Steintafeln und 4 ©. Text) 
VID. Das Thonmodelliren. Für Kinder von 4 bis 14 Jahren. (9 Stein⸗ 
tafeln und 4 ©. Tert.) Weimar, Böhlau, 1865, & 12 Ser. 

Das VII. Heft enthält eine große Anzahl von krummlinigen Figuren 
auf Neptafeln. Gegen die Stufenfolge ift nichts Erhebliches einzuwenden. 
Auch find die meiften Yiguren anſprechend. Hier und da finden fi Heine 
Berftöße gegen die Perfpective, die in folhem Werke allerdings hätten ver 
mieden werben follen. Die Linien find alle auffallend ftar. In leinem 
Valle dürfen diefelben von den Schülern jo ausgeführt werden. 

Das VIII. Heft enthält eine Anleitung zum Thonmodelliren. And 
bei diefer Wrbeit find die Herausgeber fichtlih bemüht gewefen, eine gute 
Stufenfolge herzuftellen und gejchmadvolle Gegenftände auszuwählen. Ja 
wie weit Erſteres gelungen ift, vermögen wir nicht mit Sicherheit zu fagen, 
da uns die Fertigkeit im Mobelliren fehlt. Gegen die Perjpective if im 
biefem Hefte noch ärger verjtoßen, als im VII. 


10. Das Breibanbzeiänen nad geometrifhen Körpern und Gyp® 
mobellen. Für Real» und Gewerbsſchulen. Bon Joh. Wilh. Säle, 


Zeichnen. 359 


Brofefior an ber Eantonsichule in St. Gallen. br. 8. (IV und 67 ©. 
mit 23 Steintafeln, worunter 6 in Tondrud.) St. Gallen, Huber u. Comp., 
1865. 27 Ser. 

Diefe Schrift ift für Schüler und foldhe Lehrer beftimmt, melde ſich 
jelbft im Zeichnen fortbilden wollen. Nach einer längeren Einleitung, in 
welder von ver Wichtigkeit des Zeihnens und von ber Metbobe für den 
Zeichenunterricht die Rede ift, kommt die Anleitung felbft. Sie erftredt fich 
auf das Zeihnen nad; geometrifchen Körpern, auf das Verfahren beim pers 
fpectivifchen Conftruiren der Körper, auf das Schattiren derjelben und 
auf das Zeichnen nah Gypsmodellen. 

Wir bedauern, von diefer Schrift fagen zu müflen, daß fie fih weder 
für Schüler, noch für Lehrer befonders eignet, da die Darftellung nirgends 
elementar genug if. Wer die Perjpective in der hier angegebenen Weije 
lernen foll, kann fie fih nur ganz mechaniſch aneignen und wirb daher 
faum zur rechten Selbftftändigfeit darin kommen. 


11. Kleine Vorſchule des Zeihnens. Enthalten 18 Blätter leichte Vor⸗ 

lagen für bie erften Tinblihen Zeichnungsverfuhe auf ber Schiefertafel. 

Herausgegeben von Franz fell. Chur u. Leipzig, Grubenmanı. 4 Ser. 

Die beiden erften Zafeln enthalten Dreiede und Duadrate, alle fol- 
genden Vorderanfihten von gewöhnlichen Gegenftänden (Tiſch, Leiter, Schaus 
fel, Eimer, Thür u, |. w.), bis Tafel elf in geraden Linien, von der zwölf: 
ten an in geraden und krummen. Der Kortjchritt vom Leichtern zum 
Schwerern iſt nicht durdhmeg gewahrt. Gin Theil der Figuren hat etwas 
Steifes. Die Linien find durchgängig zu ſtark, zur Förderung eines fau- 
beren Zeichnens daher wenig geeignet. 


12. Borlegeblätter zu einem fiufenmäßigen Selhnungs-Unter- 
sit in der Bolleihule und zur Selbſtbildung. Herauegegeben 
von Franz fell. XI. Heft. 8. (12 Blatt.) Ebb. 4 Sgr. 

Jede Tafel enthält einen recht anſprechenden, gut ausgeführten Land⸗ 
ſchaftstheil (Baum, Baumgruppe, Felspartie, Haus mit Bäumen, Mühle 

u. ſ. w.), ganz geeignet für junge Landfchaftszeichner mit mäßiger Fertigfeit. 


13. Borlegeblätter zu einem ftufenmäßigen Zeihnungs-Unter- 
zieht in ber Volkoſchule und zur Selbfbildung. Herausgegeben 
von Franz Gfel. XV. Seit. Lanphäufer. 8. (18 Blatt.) Ebd. 4 Sgr. 
Die Lanphäufer find nur in Vorderanfihten, alfo ohne Perjpective, 

dargeftellt, darum aber doch nicht auffallend leicht, was feinen Grund in 

den mannigfahen arditeltonifchen Verzierungen bat. Die meiſten Anfich: 
ten find recht anfprehend. Die Ausführung ift fauber. 


IX. 
Sugend- und Wolksichriften. 


Bearbeitet 


von 


©. 9. Debbe, 
E&ulvorfteher in Bremen. 


A. Jugendſchriften. 
IL Erzählungen. 


1. Trudchen, das Waifenfind. Cine Erzählung von Richard Baron. 

Verlag von Eduard Trewendt in Breslau. 75 Egr. 

Die Erzählung tbeilt uns die Lebensihidjale eines jungen Mädchens, 
der Zochter eines polnifhen Edelmanns, welcher im Aufftand feines Boltes 
gegen Rußland ums Leben kam, mit. Aud die Mutter verliert auf der 
Zludt das Leben. Das hülflofe, noch nicht einjährige Trudchen findet in 
der Familie des guten Paftor Holm liebevolle Aufnahme. Auf wunder: 
bare Meife finden ſich enplich die Angehörigen des Kindes. — Abgeſehen 
von einigen Unmwahrfceinlichleiten (Unverlegtbleiben des Kindes bei ber 
Schlittenaffaire und diefe felbft) ift die Erzählung durdaus lebensvoll und 
interefiant. Die Charaktere, welche darin auftreten, find vortrefflid gezeich⸗ 
net. Das Buch ift namentlich für die weiblihe Jugend zu empfehlen. 


2. Der Regerlönig Zamba, eine Sclavengeſchichte. Seitenſtück zu On⸗ 
tel Zoms Hütte Aus dem Engl. bearbeitet von Dr. C. G. Bart. 2. 
Auflage. Sıuttgart, I. F. Steinfopf, 1865. 15 Egr. 

Diefe zuerft im Jahre 1853 in deutſcher Sprache erſchienene Grzäh- 
lung giebt uns das Lebensbild eines in Gefangenſchaft und Sclaverei ges 
rathenen Negerhäuptlings. Der Berfafler nennt die Erzählung ein Seiten: 
ſtüd zu Onkel Toms Hütte. Wer nun aber erwartet, einen Roman, ähn⸗ 
ih dem erwähnten von Mr. Stove, in diefem Bude zu finden, ber 
wird fich getäufcht ſehen. Wir begreifen in der That nit, wie der Bes 
arbeiter dazu kam, dieſe Bezeihnung mit auf das Titelblatt zu feben, da 
077 Grählung mit Onlel Tom nichts weiter gemein bat, als daß 


Jugend- und Volksſchriften. 361 


ſie auch, wie dieſes, eine Selavengeſchichte iſt. Die Erzählung iſt in den 
bekannten Miſſionsſchriftenton geſchrieben, welche die Barthſche Jugend⸗ 
zeitung charakteriſirt. Anhaͤnger dieſer Richtung werden die Schrift mit 
Intereſſe leſen. 


3. Bas der Menſch ſäet, das wird er auch ernten, von Richard 

Baron. Breslau. Eduard Trewendt. 74 Sgr. 

Dieſe Erzählung ſteht der oben genannten etwas nah. Wir beſtreiten 
die Swedmäßigfeit, jungen Lefern fo verichmigte Charaktere vorzuführen, 
wie den Branz in diefer Erzählung, zumal fie Gottlob im Leben ſehr jelten 
vorlommen. Die Charatteriftit des Ernſt ift vorzüglih gelungen. Der 
Berfaffer bat ſich die verfchiedenen Situationen Mar vorgeftellt und fie 
gleihjam abgezeihnet. Das dargeftellte Verhältniß des Knaben zu feiner 
Mutter ift wohl geeignet, jugenplihe Herzen für ein ähnliches Verhaͤltniß 
zu begeiftern. Die Schrift ift empfehlenswerth. 


4. Sei willkommen! Drei Erzählungen von Dom Prohl, mit 6 Bil 
bern, in lithographiſchem Farbendrud von Louiſe Thalheim. Breslau, 
Eduarb Trewendt. 1865. 1} Thlr. 

Wir haben alle drei Erzählungen mit Intereſſe gelefen. Die Palme 
gebührt der Erzählung ‚das Baterhaus.” Die Erzählungen eignen ſich für 
die reifere Jugend, insbejondere für Mädchen. 


5..Der Taubſtumme. Eine Erzählung für bie Iugenb und beren Freunde 

von Mobert Riedergeſäß. (8. 173 ©. mit 1 Holzſchn). Wien, U. 

Pichler'ſs Wwe & Sohn. 1865. cart. 3 Thlr. 

Der Berfafier erzählt uns die Lebensihidjale zweier Brüder, deren 
einer taubftumm if. Die Kinder werben durd eine Bigeunerbande geraubt 
und kommen, der eine nach Berlauf von einigen Jahren, der andere erft 
im Munnesalter, ind Elternhaus zurüd. Was die Ausführung anlangt, fo 
bemerfen wir mit Freuden, dab die Erzählung im Oanzen als gelungen 
bezeichnet werden darf. Der Schluß ift etwas künſtlich. Der Titel paßt 
nicht bejonders zum Bude, indem gerade der Taubftumme quantitativ ges 
gen feinen Bruder fehr zurüdtritt. Für Norbdeutiche ift die Orthographie 
ftörend: Wirt, Tränen, Sonnenftral ıc. 


6. Die Shwalben. Eine Erzählung für bie reifere weibl. Iugenb von 

Hedwig Gaede. 8. (184 ©.) Berlin, Guſtav Neumann. 1865. 18 Ser. 

Die Berfafierin will uns mit dem Leben zweier Familien, einer reis 
hen und einer armen, belannt mahen. Sie f&hlägt den eigenthümlichen 
Meg ein, dies durch die gegenfeitigen Erzählungen benachbarter und bes 
freundeter Schwalben zu thun. Für die Sade felbft wird dadurch natür⸗ 
(ih nichts gewonnen. Die einzelnen naiven Bemerkungen der Schwalben 
haben feinen Werth. Biele Shwierigleiten bietet aber der Weg. Die 
Schmalben find belanntlid Zugvögel. Was nun während ihrer Abweſen⸗ 
beit geſchieht, bringt uns entweder die Berfaflerin, oder die Schwalben ers’ 
fahren es nachtraͤglich und erzählen e6 uns dann. Viel befier wäre es 


362 Jugend⸗ und Bolfsichriften. 


geweien, wenn die Schwalben ganz aus der Geſchichte weg geblieben wären, 
Die Geſchichte ift fo intereffant, und die Berfafferin legt fo viele Proben . 
ihrer Begabung an den Tag, daß das Buch, in der von und vorgeſchla⸗ 
genen Weije bearbeitet, ungetheilten Beifall würde gefunden haben. 


1. Robinfon Erufoe, des Welteren Reifen, wunberbare Abenteuer und Cxr- 
lebniſſe. Nen bearbeitet von Ludwig Hüttner. ingeführt burd eine 
Geſchichte der Nobinſonaden, fowie eine Lebensjtigge von Daniel be Fos, 
dem Berfafler des älteften Robinfon, von Dr. C. F. Laudharbt, Groß 
berzogl. Sachſen⸗Weimar. Schulrath. Prachtausgabe. Zweite, verb. Auflage. 
Mit vielen Abbildungen. Leipzig, Otto Spamer. 1866. 

Diefe Schrift ift bereits im 15. Jahrgange des Jahresberichts ange 
zelgt und befprochen worden. Die raſche Folge der zweiten Auflage bes 
ftätigt das dort ausgefprochene lobende Urtheil. Wir find überzeugt, daß 
fih das Buch auch fernerhin viele Freunde erwerben with. 


8. Die Meine Robinfon. Oder: Wunderbare Schickſale einer jumgen 
Schweizerin, für die weibliche Jugend. Bon Dr. 2. Hibequ. Mit einem 
Zitelbilde. 8. (200 ©.). Berlin, C. A. Ed. Meyer. cart. 15 Ggr. 
Ein junges Mädchen, Tochter reicher Eltern, hat eine ſtrenge Erziehe⸗ 
ein. Aus Rache verleumdet fie diefelbe, fürchtet aber die Zolgen und ent 
läuft. Sie fällt Seiltänzern in die Hände, bleibt indeß nur wenige Gtun- 
den bei ihnen und findet dann Gelegenheit zu entfliehen. Bon mitleidigen 
Menihen mit nach Hamburg genommen , dient fie dort als Kindermädchen; 
fie verkleidet ſich als Knabe, nimmt Schiffsdienſte an und ſchifft fih nad 
Oſtindien ein. Auf der Hüdreife wird das Schiff ſchadhaft. Unna, als 
Matrofe Dres genannt, ſetzt mit dem Kapitain, behufs einer Recognoſci⸗ 
ung an eine Heine Inſel. Während ihres Verweilens dafelbft kommen 
Seeräuber und nehmen das Schiff weg. Die beiden Menſchen führen kurze 
Zeit ein Leben & la Robinfon. Eines Tages verjchwindet der Kapitein 
beim Baden. Dres fest ihm ein Denkmal und findet bald darauf Gele 
genbeit, mit einem Schiffe nah Amerila zu entlommen. Das Schiff ver 
brennt in der Nähe des Landes. Dres wird von wohlwollenden Den- 
ſchen mit nah Mocca genommen. Dort des Diebftahls angeklagt, kommt 
fie ins Gefängniß; fie entflieht und fchließt fih einer Karavane an, vie 
nah Mecca und Medina reift. Eie zieht mit einer zweiten Karavane nad 
Jerufalem. Dort kommt fie in große Noth, fie trifft aber den gutem 
Grafen Sternfeld, und reift mit ibm nad Ronftantinopel und Rom, 
und von bort in die Heimath zurüd. Hier trifft Anna ihren alten Kapi⸗ 
tain, in Nom findet fie ſchon ihre ehemalige Erzieherin. 

Man fieht, der Verfaſſer hat Phantaſie. Das ift aber auch Alles. 
Die gröbften Unwahrjceinlichleiten jagen einander. Dazu noch die Menge 
der naturgefchichtlihen Schniger. Das Buch ift natürlich nicht zu empfehlen. 

9. Ein gutes Herz. 

10. Kleine Berjäumniffe. 
11. Glüdswegjel. 
12. Bdjeg Gewiſſen. 





Sugend= und Bolksichriften. ah? 


13. Der Vaſcherjunge. 

Erzählungen von Franz Hoffmann. Stuttgart, Schmibt & Spring. 1866. 

cart. & 4 Thlr. | 

Die Erzählungen von Franz Hoffmann können füglih Jugendromane 
genannt werben. Sie fcheinen nur den Zwed zu haben, ben Leſer für 
kurze Beit zu unterhalten. Der Verfſaſſer verfteht es, die Situationen jo 
zu verflehten, daß fie den Leſer ſpannen. Nicht aber verfteht ed ver Ver: 
fafler, Perfonen fo zu charakteriſiren, daß fie dauernd unfer Intereſſe in 
Anfpruh nehmen. Die Gejhichte wird mit Wuth gelefen und — vergejien; 
denn das müßte ein bornirtes Kind fein, welches die Erfindung an den 
Hoffmannihen Erzählungen nicht merkte. Auch die Sentenz der Erzählun: 
gen ift verwerflih. Der gute Menjch hat allerlei zu leiden, böfe Menſchen 
ereiten ihm allerlei Herzeleiv. Endlich fiegt die Tugend und ihr Lohn ift 
Reichthum und Erdenglück. Möchte der begabte und talentvolle Schrift: 
fteller doch endlih eine andere Bahn einſchlagen. Er hat durchaus Talent, 
interefjant darzuftellen. Wir empfehlen ihm, Stoffe aus der Geſchichte zu 
entnehmen und fie wahr und lebensvoll für die Jugend zu bearbeiten. 

Mas die Stahlftihe anlangt, welche den obengenannten Büchern beis 
gegeben find, fo begreift man oft nicht die Ungefhidlichleit, mit welcher 
die Situationen gemählt und aufgefaßt find. u 


14. Erzählungen für die weibliche Jugend von Eharlotte Späth. 
Zweite (Titelj- Auflage. 8. (III u. 298 ©. mit 5 Stablfidhen u. Titel in 
Stahiftih). Leipzig, Emil Berndt. 1866. Im engl. Einb. 14 Thlr. 
Das Buh enthält 9 Erzählungen. Diefelben erjcheinen hier nit 

zum erften Male im Drud, fondern find von ber Berfaflerin aus Zeitjchrif: 

ten mit dem Wunſche zufammengeftellt, „daß injonderbeit der Herr feinen 

Segen darauf legen möge, und daß durd fie ein Körnlein auf dem großen 

Felde der innern Miffion ausgeftreut werde.’ Man erkennt aus dieſen der 

Borrede entnommenen Worten, melden kirchlichen Standpunkt die Verfaſſe⸗ 

rin einnimmt. Freunden diefer Richtung kann das mit Gejhid gefchriebene 

Buch empfohlen werden. 


15. Nah der Arbeit. Erzählungen für die reifere weibliche Jugend von 
Elara Ernft. 8. (140 ©.). Stuttgart, Schmidt & Spring. cart. 27 Sgr. 
Sechs Erzählungen. Sie enthalten Skizzen aus dem Leben, und ſind 
wahr und anfhaulih erzählt. Die begabte Verfaſſerin verſteht es, die 
Herzen der Lejerinnen zu feileln, und weiß ihre Erzählungen jo anzulegen, 
daß aus ihnen Manches gelernt wird, ohne daß der Leſer auch nur im 
Geringften die Abfiht merkt. Wir empfehlen das Buch namentlih für 
Töchter über 15 Jahren. Ä 


16. Bas ans einem Hirtenbüblein werben kaun. Mit 4 Abbild. im 
Stahlſtich. 16. (124 S.) 


17. Die Belzjäger der Hubfonsbaicompagntie Mit 4 Abbilb. ir 
Stablſtich. 16. (112 ©.) 
Be gen von W. DO. v. Horn. Wiesbaden, Iulius Niebner. cart. 


364 Jugend- und Volksſchriften. 


Der fleißige Verfaſſer bietet bier wieder zwei kleine Bänbdhen bar, 
welche von der ‘jugend gewiß mit derjelben Freude werden aufgenommen 
werben, wie die zahlreihen vorhergehenden. Bei mandyen fehr productiven 
Schriftſtellern kann man es nicht loben, daß fie jährlih eine größere Zahl 
von Jugenderzählungen bringen; bier freut man ſich. Hom griff früh ge 
nug in die reale Wirklichkeit, er entnahm feine Helden der Geſchichte alter 
und neuer Beit. Die ihm zu Gebote ftehende Kunſt, die Charaktere wahr 
und interefjant zu zeichnen, bürgt für Lejer. Berfafler konnte es verſchma⸗ 
ben, Situationen zu erfinden, fie ergaben fih ihm von ſelbſt. Horn's 
Schriften haben vor vielen andern den Borzug ftrengiter Wahrheit, Harfter 
Darftellung und anſchaulichſter Charakteriftit der Perſonen. Pr. 16 erzählt 
uns die Lebensgefhihte Dupals, Wegründers und erfien Auffehers der 
weltberühmten kaiferlih öftere. Münzfammlung, der Inhalt von Nr. 17 
ergiebt jih aus dem Titel. Beide Hefte lönnen empfohlen werden. 


18. Der Schatten bes Kreuzes. Aus dem Engl. von W. Adams. 4. 
Auflage. 16. (60 ©.). Berlin, Juſtus Albert Wolgemuth. 5 Sgr. 
Ein Schrifthen im Styl der Tractäthen und Miffionsichriften. Da 
wir dergl. Sahen eher für nachtheilig, als fürdernd halten, fo können wir 
das Heft nicht empjeblen. 


19. Nazi, ber Geißbub. Ein Bild aus ben Salzburger Alpen, gr. 16. (104 6). 
20. In Ungarn. gr. 16. (122 ©.) 


. Was bie Natur ben Kindern erzählt. gr. 16. (116 &.). 
Erzählungen für Kinder von 8— 14 Yabren von Franz Wiedemann. 
9—ı1. Bändchen von Wiedemanne illuftr. Bibliothek für die Jugend. Dres 
den, Louis Ehlermann. geb. & 10 Sgr. 


Recht empfehlenswerthe Bücher, die von der jugend dankbar werben 
aufgenommen werden. Nazi it ein vortreffliher Typus eines armen, aber 
rechtihafinen Buben, der fhon in der jugend lernt, auf eignen Füßen 
geben. Staffage bieten die Alpen, welche vortrefflich befchrieben und ge 
f&hildert find. Nr. 20 wird dem jugendlichen Lejer wohl zuweilen eine 
Gaͤnſehaut jchaffen; da indeß nichts Webertriebenes vorlommt, jo läßt fi 
Nichts dagegen erinnern. Nr. 21 richtet das laufchende Ohr und ſuchende 
Auge des Kindes auf die Natur. Es giebt dort viel zu beobadhten. “Der 
Berfafier weiß es, und er leiht dem jungen Naturfreunde willig feine er 
fahrene Führerhand. 


22. Geſchichten bes Pfarrers Siebentifh von K. Stöber. gr. 16. 
(128 S.). Stuttgart, 3. F. Steintopf. 1865. cart. + Thir. 


Der Titel paßt nicht zum Buche. Daſſelbe enthält Mancherlei, unter 
Anderem auch Erzäblungen des Pfarrers Siebentiid. Der einheitliche 
Faden fehlt. Stöbers Schriften zeichnen fi jonft duch Originalität und 
einen eigenthbümlichen, zumeilen etwas derben Humor aus. Davon bat 
auch dieſes Bändchen Beifpiele aufzuweiſen. Das Buch ift Alt und Jung 
zu empfehlen. 


Jugend- und Bollsichriften. 365 


23. Der Seidenmweber Eduard Danbitz. Aus. ber Belagerung von Nörb- 
fingen 1634. Zwei Erzählungen von K. Wild. gr. 16. (152 ©.) Stutt⸗ 
Hart, 3. F. Steinkopf. cart. 7} Sgr. 

Ein vortrefflihes Bud. Die erfte Erzählung theilt bie merfiwürbigen 
Erlebnifle eines Webergejellen mit. Derfelbe bereift Frankreich, tritt dort in 
die deutjche Legion ein und macht die Reife nad Algier mit. Die Erzählung 
ift durchaus frei von allen romanhaften Webertreibungen, und haft. nicht 
nah Effelt auf Koſten ber Wahrbeit. Die zweite Erzählung ftebt der er: 
fien nit nach; fie iſt, wie aus dem Titel erfihtlih, eine biographijche 
Darftellung aus der Beit des breißigjährigen Krieges. 


24. Alte Geſchichten aus dem Speſſart von K. 9. Caspari. 3. Auflage, 
25. Zu Straßburg auf ber Saanı — Dorffagen. ah 9. Cas- 

Yart. 3. Auflage. Stuttgart, 3. F. GSteinlopf. & 74 © 

Gaspari war Prediger auf der Kanzel und als —— Seine 
Lebensbilder find Predigten, wozu ihm die Wirklichkeit den Text giebt. 
Ohne in frömmelnde Salbadereien zu verfallen, zeigt er Gottes Walten in 
den Geſchicken der Menihen. Seine Schriften verdienen bie märmfte 
‚Smpfeblung. 


26. Aus dem Bolfsleben. Erzählungen für bie Jugend von J. U Mob: 

pamer. gr. 8. (246 ©. mit 1 Holzfohnitttafel.) Wien, A. Pichlers Wwe. 
Sohn. 16 Sgr. 

Der Verfaſſer bietet «Meine moraliihe Erzählungen im Vollston bar. 

Die Darftellung ift gut. Manche der Leinen Geſchichten find aber recht 

fade und entbehren der Pointe. Das Bud ift für kathol. Leſer gejchrieben. 


27. Des Leinen Albert Reue von Emma gran. 8. (130 ©. mit 1 
Holzſchnitte und 3 color. Bildern.) Wien, U. Pichler Wwe. & Sohn. 
cart. 3 Thle. 

Unter obigem Titel erzählt die Verf. eine Reihe Kleiner anziehender 
Geſchichten, welche einen Einblid in verſchiedene Familien gewähren. Etwas 
ſtörend ſind die vielen Provincialismen (Jauſe? — „ich aber kenne mich 
in Allem aus,“ ſtatt ich bin geſchickt genug, mit Allem fertig zu werden). 
Auch die Orthographie iſt bedenklich: Kafeh ſtatt Caffee, Schämel ſtatt 
Schemel, Sofa, Sofie ꝛc. Jugendſchriften müſſen in jeder Beziehung cor⸗ 
rect ſein, und neue Orthographie durch Jugendſchriften einführen wollen, 
halten wir für ein verfehltes Unternehmen. 


28. Theodor, das Muſter eines Sohnes, der ſeine Eltern liebte und ehrte 
und bem es daher wohl ging auf Erben. Moraliihe Erzählung jr bie 
reifere Jugend. rei nad dem Wranzöflihen bearbeitet von H. 
2. Auflage. Mit 1 Stahlſtich. 12. (191 ©.) Augsburg, B 5. Same: 
Berlagsbuhh. 12 Sgr. 


Der Berfafier verfällt in den gewöhnlichen Fehler orthodorer Jugend⸗ 
ſchriftſteller. Er legt Kindern Worte in den Mund, welche ſelbſt von Er⸗ 
wachſenen geiprohen das Prädikat überfchwenglih und raffinirt verdienen. 
Obwohl der Verlauf der Erzählung im Großen und Ganzen interefjant und 





368. Jugend⸗ und Volksſchriften. 


Nesen und Munde uhtspranck, up datt He ersticken scholde,. wente 
He sach woll, datt He von so fehle Wunden nicht sterfen konde, 
daerna richteten se de Ledderen up, do settede ehner de Ledderen 
an siene Hellebaerden, und woldede de uprichten helpen, wente, 
se hadden nenen Boedel, des gled de Ledderen van de Hellebar- 
den aff, und stack dem hilligen Marterer mitten dorch, und wur- 
pen ehme also up datt Holt, afers de Ledder sprang wedder uht 
dem Fuere toer Sieden aff, to leep Johan Holm toh und schloeg 
ehme mit den Fuesthaemer so lange up de Brust, datt; He sterf, 
und braeden ehme also up de Koelen, wente datt Holt, wolde. 
nicht brennen, also handelden se Broeder Heinrich ump der Wahr- 
heit willen *).“ 

Auch Luther jagt: „Hinrich von Süppben, Evangeliſcher Prediger gu - 
Bremen, ift nicht mit einem Feuer, oder einer Art des Todes, durch die 
Dithmarſiſchen Beftien getödtet worden. Was nun Smibt's Darflellung im 
Ganzen anlangt, jo verbient fie alles Lob. 


33. Lebensbilder. Eine Weihnahtsgabe für junge Mädchen von &. Ybb-- 
ner. Hamburg, Hermann Grüning, 1866. 


Die 4 Erzählungen werden namentlih von ber reiferen weiblichen 
Jugend gern gelejen werben. 


II. Bilderbücher. 


34. Rehmt’s zu Herzen! Ein Ziehbildberbuh mit Verwandlungen für ie 
liebe Sagen: „12 fein colorirte Bilder nah Original-Eompofitionen von 
—* . Häberlin. Verlag von J. F. Schreiber, Eßlingen. 1 Xhir. 

gr. 


Die Einrichtung dieſes Buches iſt originell. Die ſechs Bildertafeln 
find ſo eingerichtet, daß vermittelſt einer Ziehſcheibe raſch ein anderes Bild 


2) Lautet in ber Ueberfegung: Das Feuer aber wollte nicht brennen, jo oft 
fie es auch anziindeten. Nicht wenig übten fie ihren Muthwillen an Heinrich, fie 
ſchlugen ihn mit Hellebarden und Stıöden. Dies bauerte wohl 2 Stunden, während 
ber Zeit ſtand Heinrich bis auf's Hemde nadt vor dem Feuer mit gen Himmel 
erhobeuen Augen. Endlich nahm man eine große Leiter und band ihn feft Darauf. 
Site wollten ihn fo in's Feuer werfen. Setzt fing Heinrich an, von feinem Glauben 
zu ſprechen; ba ſchlug ihn einer mit einem Fauſihammer anf den Mund und ſprach 
zu ihm: „Erſt brenne, hernach magfi du lejen, was du willſt.“ Dann trat einer 
mit dem Fuß auf Heinrich's Bruſt und band feinen Hals fo ſehr an die Sproſ⸗ 
fen der Leiter, daß ihm das Blut aus Nafe und Mund fprang. Dies geihab, 
um ihn zu erfliden, denn man ſah wohl, bafj er von ben vielen Wunden nicht 
ferben konnte. Darnach richteten fie die Leiter auf und es fegte einer feine 

ellebarde an bie Leiter, um fie fo mit aufgurichten, in der Meinung, Heinrich 
ei ja nur leiht; aber bie Leiter gi von ber Hellebarbe ab, und dieje Bach 
den heiligen Märtyrer mitten durch. Setzt warfen fie ihn auf dae Holy; aber 
die Leiter Iprang wieder aus bem Feuer zur Seite ab. Da lief Johann Holm 
bin und ſchlug ihn mit dem Fauſthammer fo lange auf die Bruſt, daß er ftarb. 
Dann brieten fie ihn auf den Kohlen, aber das Holz wollte nicht brennen. So 
banbelten fie an Bruder Heinrih um ber Wahrheit willen. 














Sugend= und Volksſchriften. 869 


gezogen werden kann. Die Doppelbilver find Gegenftüde, d. h. dad eine 
ftellt das Gegentheil vom andern dar. Jedem Bilde find einige Reimverfe 
in kindlicher Sprache beigefügt. Dieſe bemeglidhen Bilder gewähren Beinen 
Kindern geoße Freude, nur fürchten wir, daß fie nicht haltbar genug find. 
Auch der Preis ift hoc. 


35. Bilder⸗Geſchichtchen für kleine Kinder. Mit 47 fein colorirten, 
 „bom Maler Bolt in Nörblingen componirten Bildern, nebſt kindlichen 
+ Reimen von Carl Thienemann. 2. Aufl. qu. 4. (12 colorirte Stein- 
"tafein.und- 1 Blatt Text.). Eßlingen, Schreiber. cart. 114 Sgr. 
Diefes Buch ift für das erfte Kindesalter beftimmt. Die hübſchen 
Bilder werden gewiß das Kind erfreuen. Die Reime find in kindlicher 
Sprache geſchrieben. J 


36. Aus der Kinderwelt. Ein Bilderbuch für junge Kinder von Ottilie 
WWildermuth. Mit 12 colorirten Bildern von Guſtav Süß und erh. 
Ro part Zweite, um das Doppelte verm. Auflage. qu. 4. (IV und 
75 ©.). Stuttgart, bei A. Krabbe. cart. 1 Thlr. 12 Sgr. 
Recht anziebend gejchriebene und im kindlichen Ton gehaltene Erzähs 
lungen, welche Kindern etwa im Alter von 8 Jahren viel Freude machen 
werden. Der Styl ift Inapp und dabei durdaus edel. Lefeftoffe dieſer 
Art werden nit verfehlen, die. jpradhliche Ausbildung der Kinder in vors 
sügliher Weile zu fördern. Die Abbildungen find recht gut. 


37. Des Kindes Heimath von Thekla Naveau. Mit 12 Bildern, gezeich⸗ 
net von Julius Hoffmann. Stuttgart,‘ Gebr. Sceitlin. cart. 14 Thlr. 

ol. 2 Thlr. 

Der Inhalt des. Buches fällt unter folgende Ueberſchriften: Nahrung, 
Kleidung, Wohnung, Hausthiere, Garten, Wald, Winter, Sonne, Wafler, 
Familie, gemeinfames Spiel, die Nat. Jedes Kapitel hat ein fauberes 
Zondrudbild. Es finden ih Sprüche, Verſe, Beiprehungen der Bilber, 
fleine Erzählungen, Lieder zc. unter jeder Nummer. Das Ganze ift mit 
Geihid zujammengeftellt, und wird der Mutter eine willlommene Hülfe und 
Vorlage, dem Rinde eine Freude fein. 


38. Zehn Thiergeſchichten mit Bildern für Peine Knaben und 

.... Mädchen. Gezeichnet und herausgegeben von Heinrich Zeutemann. qu. 
gr. 4. (21 ©. mit eingedruckten Holzichnitten.). 4. Auflage Leipzig, 8. 
Schlicke. 10 Sgr. color. u. cart. z Thlr. | 

: Bu. belannten Ihieranelvoten liefert bier der geniale Thiermaler 

Leutemann Suuftrationen. Der Name des Herausgebers läßt Bebeutendes 

erwarten. Wer das Hefthen in die Hand nimmt, wird feine Erwartungen 

nicht getäufcht ſehen und fi daran ergögen. 


II. Geſchichte. 


39. Der Auffland zu Katro. Hiftoriihe Erzählung aus dem Feldzuge Bo» 
naparte's in Aegypten im Jahre 1798. Kür die Jugend bearbeitet von 
Dr. ©. Kletke. 8. (164 S.). NeusRuppin, Dehniigle. 124 Sgr. 


PD. Jahresbericht. XVIIL 24 


370 Jugend- und Volksſchriften. 


40. Die 3 Könige von Jeruſalem. Hiſtsriſches Gemäſde aus ben Zeiten 
ber Kreuzzlige. Für die Jugend bearbeitet von Dr. &. Kletke. Reau- 
Auppin, Verlag von A. Oehmigke. 124 Ger. 

Beide Schriften gewähren einen Maren lieberblid über die behandel⸗ 
ten Zeiträume und geſchichtlichen Thatſachen. Nr. AD beſchraͤnkt fi auf 
die Durftellung der Greigniffe. In einem hiftoriihen Lehrbuche billigen wir 
das. Ein Werk aber, welches einen Abſchnitt aus der Geſchichte behan⸗ 
belt, thut wohl, den geſchichtlichen Vorgang aud in feinem culturhiftoris 
ſchen ie barzuftellen. Namentlich, wenn es ein epochemachendes Greig- 
niß iſt. 


41. Konradin, der legte Hohenſtanfe. Eine geſchichtliche Erzählung für 
die Jugend —8 on Guftav Oppermann. ” iso) Reu- 
Ruppin, Alfred Oehmigke. 12; Ser. 

Ein dankbarer Stoff. Mit dem jugendlichen und ritterlichen Kon⸗ 
radin gehen von vorn herein die Sympathien jedes deutſchen Knaben. 
Die Darſtellung iſt gut, einfach und edel. Das Buch kann daher empfoh⸗ 
len werden. 


42. Deutſche Lieber zur dentſchen Geſchichte. Mit kurzen Erläuterum- 
gen. gr. 16. (136 ©.). Stuttgart, I. F. Steinkopf. 74 Ser. 
Eine recht pafiende Auswahl. Die Erläuterungen find fahgemäß 
und mit Geſchick abgefaßt. Die prägnante Kürze derjelben hat der Deut: 
lichleit feinen Abbruch gethan. 


43. Die Eroberung von Konflantingpel. ine Geſchichte, dem Volke 
und ber Jugend erzählt von W. D. v. Horn. Mit 4 Abbildungen in 
Stahlſtich. 16. (105 ©.) Wiesbaden, Niedner. cart. 74 Sgr. 


44. Die Kaiferin Maria Tberefia. Ein LFebensbild, dem Volle unb ber 
Jugend dargeftellt von W. D. v. Horn. Mit 4 Abbildungen in Stahl⸗ 
Rid. 16. (126 5) bp. cart. 74 Sgr. 


45. Der alte Fritz, ber Held und Liebling des deutſchen Volles, Kür bie 
Jugend und das Volk dargeftellt von W. D. v. Horn. Mit 4 Abbildun- 
gen in Stablitih. 16. (184 ©) Ebend. cart. <4 Sr. 

Ueber Horn’s Schriften haben wir bereits oben ein günſtiges Urtheil 
abgegeben ; wir fünnen dafjelbe hier nur wiederholen. Die einfadye ſchmud⸗ 
loſe Darftellung, verbunden mit einer durchaus richtigen Vertbeilung von 
Licht und Schatten, endlich aber die wahre und richtige Charalteriſtik der 
Berjonen fihern dem Berfafler dankbare Leer. 


46. Die alte Geſchichte bis zu ben Berferkriegen den Kindern erzühl 

von Dr. Hermann Adelberg. Erlangen, Andreas Deichert, 1966. 

Es war das Beſtreben des Verfaſſers, die Geſchichte der alten Völ⸗ 
fer, deren Belanntichaft die Kinder in der heiligen Schrift ſchon gemacht 
baben, der Jugend jo zu erzählen, daß fie nit nur ein anſchauliches Bild 
von Pand und Leuten der alten Welt erhalte, fondern aud den Zuſam⸗ 
menbang der Gedichte der letzteren mit derjenigen des Bolkes Iſrael voll: 





Jugend- und Volksſchriften. 371 


ſtäͤndiger erfaſſe und die Uebereinſtimmung ihrer Geſchicke mit dem Worte 
Gottes tiefer erlenne. Dieſes Beſtreben hat nun weiter keinen Einfluß auf 
bie Erzählungen gehabt, als daß der Verſfaſſer von Zeit zu Zeit einige er⸗ 
bauliche Betrachtungen einſchaltet. Das Buch unterfcheidet fi fonft von 
den vielen Geſchichtsbüchern, welche Charalterbilver der Völker geben, nicht 
weſentlich. 


47. Thaten und Schickſale. Bilder und Skizzen aus ber deutſchen Ge⸗ 
chichte. Der Jugend gewidmet von J. Priem. Mit 6 fein colorirten 
(ithographirten) Bildern. 8. (VI u. 176 S.). Nürnberg, Rob. Koenecke, 
1866. cart. I Thlr. 

Das Buch enthält abmwechjelnd Völkergeſchichte und Biographifches. 

Es iſt im Ganzen interefjant gefchrieben und wird Knaben im Alter von 

10—12 Jahren eine willlommene Gabe fein. Der legte Abjchnitt „Forts 

jchritte des Menſchengeſchlechts“ hat wegen der großen Lüdenhaftigleit nur 

geringen Werth. Bom Titelblatt müſſen wir in Bezug auf die Bilder das. 

Mörtchen „fein“ wohl ftreiden. 


48. Sieben Jahre ſchwerer Zeit. Eine geſchichtliche Erzählung aus ben 
Tagen der Frembherrihaft für Jung und Alt von Dr. Chriſtian Möt. 
Caſſel, C. Lucdhardt. 10 Sgr. 

Die Drangſale und Noth der Heſſen in den Jahren 1806—13 bat 
der Verf. in getreuer und lebenswahrer Weife erzählt. Das Buch ift mit 
Märme gefchrieben und verdient alle Beachtung. Fern von allen Ueber 
treibungen läßt der Verf. Ihatfahen reden. Ein ſolches Bud ift wohl 
geeignet, das Herz der heranwachſenden Generation für die Thaten ber 
Bäter zu entflammen, und daher darf ed namentlich zur Anſchaffung für 
Jugend⸗ und Volksbibliotheken warm empfohlen werden. Die Ausftattung 
it ſehr mäßig. 


49. Der große König und fein Recrut. Lebensbilder aus ber Zeit bes 
fiebenjährigen Krieges. Unter theilweifer Benutzung eines biftoriihen Ro⸗ 
mans von A. H. Brandrupy. Kür Volk und Heer, insbefondere für 
bie vaterläubifche Jugend bearbeitet von Franz Otto. Dritte, durchgeſehene 
Auflage. In 2 Theilen. Mit 8 Ton» und Buntbrudbildern, fowie 120 
in den Text gedrudten Sluftrationen. Leipzig, Otto Spamer, 1866. 
13 Thir., in engl. Einb. 2 Thlr. 


Kernpunkt des Buches ift die Gefhichte Friedrich! des Großen. Der 
‚Recrut nimmt Theil an den verjchiedenen Feldzügen des großen Königs, 
geräth dabei in ruſſiſche Gefangenſchaft, und mird nad erlangter Freiheit 
ein bedeutender Kaufmann. Die verjihiedenen Kriegsfahrten geben Veran⸗ 
lafjung zu Schilderungen öfterreihifher und rufjisher Länder. Das Bud 
gewährt fleibigen Knaben gewiß eine angenehme Lectüre. Einige Barthien 
find etwas breit angelegt, Die Ausftattung iſt vortrefflich. 


50. Geſchichten aus ber Geſchichte. Belehrende Erzählungen von Friedrich 
Örner, Director und Profeſſor an der Handelsalademie zu Peſth. Crfter 
Theil. Mit 4 (tithogr.) Illuſtrationen. hoch 4. (VI u. 226 ©). Dres⸗ 

ben, Meinhold u. Söhne, 1865. cart. 1 Thlr. 6 Sgr. 


24” 


372 Jugend» und VBolksichriften. 


Die Schrift enthält in fieben Abteilungen : Griechiſche Heldenjagen. 
Altafiatiiche Königsgefhichten. Griechiſche Heldengeſchichten. Römiſche Kö⸗ 
nigs- und Adelsſagen. Römiſche Kaiſergeſchichten. Deutſche Götter⸗ und 
Helvenfagen und Heldengeſchichten. Gothiſche, vandaliſche, longobardiſche 
und nordiſche Heldengeſchichten. 

Das hier im Allgemeinen bezeichnete Material iſt ſchon unzählige 
Male für die Jugend bearbeitet worden, auch ungefähr in dem hier belieb⸗ 
ten Umfange; der Verf. glaubt jedoch einen neuen Geſichtspunkt für die 
Bearbeitung gefunden zu haben; er will durch die Geſchichte die Jugend 
zu dem „unerjcütterliben Glauben an eine böbere fittlihe Weltorpnung, 
welhe dem Recht und der Wahrheit ftetd den Eieg verleiht, fei ed aud nad) 
langen ſchweren Kämpfen“, führen, ein „lebenviges ſittliches Gefühl, felbft- 
bewußte Religiofität und mannbafte Geſinnung in ihr weden.“ Solde Zwede 
ſeßen jih aber wohl alle wohlmollenden Jugendſchriftſteller, wenn fie hiſtoriſche 
Darftellungen wäblen, ja der GHejchichtsunterricht an und für ſich ſetzte fie ſich. 
Mie der Verf feinen Zmwed zu erreihen ſucht, ift fhon aus den von ihm 
gewählten Ueberjchriiten einigermaßen zu erſehen. Statt die Namen feiner 
Helden dazu zu verwenden, wie es offenbar am natürlicjten ift, alfo zu 
ſchreiben: König Rampjinit, König Sefoftrie, Statthalier Pjametih u. |. w., 
jest er: „Reihtbum macht nicht glüdlid.” „Der Ruhm des Eroberers.“ 
„Unrecht But gedeihet nicht“ u. ſ. w. In demjelben Sinne verſchmäht 
er es au, die Erzählungen fofort mit Thatſachen zu beginnen, wie die 
Jugend jie gern vernimmt ; er fängt vielmehr mit moraliſchen Auseinander: 
jekungen an, etma von der Art, wie Campe’d Robinfon fie bat und von 
denen Jeder aus eigener Erfahrung weiß, daß die Jugend fie überjchlägt. 
Als Probe geben mir die Einleitung zu der Erzählung des reichen, geizigen 
Königs Rampiinit. 

„Wenn der Raufmannslehrling früh in's Geſchäft, wenn der Meifier 
und Gejelle mit Tagesanbruch wieder an die Arbeit gehen, und wenn der 
Schulfnabe feine Bücher und Hefte, nachdem er faum mit Bebagen den 
Morgentaffee getrunfen bat, zufammen fuchen und nah dem Schulhauſe 
wandern muß: da denten wohl Alle: Da droben der reiche Heinze hat es 
doch befier ; denn der kann ſchlafen, fo lange es ihm beliebt, kann fpazie- 
ren geben, wann und wohin er will, kennt feine Sorgen und fann ſich 
fein Leben auf jede Meife angenehm maden. Nicht obne Mißgunſt ſehen 
Lehrlinge, Meifter und Schulfnaben hinüber nad den niedergelafjenen Rous 
leaur, auf die ſchöne Landſchaften gezeichnet find, fo daß es fi binter 
ihnen ganz befonders angenehm ſchlafen muß. Wie gut hat es doch ein 
Reicher! feufzt der Lehrjunge, wenn er in fein trodenes Brod hineinbeißt ; 
hätteft vu doch nur einen Heinen Iheil won Heinze's Vermögen, denlt der 
Meifter, damit dich nicht immer die Sorgen plagen, woher du Kleidung 
für dich und deine Rinder nehmen folljl, und der Schulknabe denkt: Wenn 
du reich mwäreft, brauchteſt du nichts zu lernen und feine Aufgaben aus 
zuarbeiten, dann mwürdeft du Reifen unternehmen und ſchöne Geſchichtsbücher 
lefen, um dir die Zeit zu vertreiben.” 

„Die Welt beneidet den reihen Heinze, fie ahnt aber nit, melde 
Sorgen ihn peinigen, damit er um fein Geld nicht betrogen, damit es ihm 








Jugend- und Volksfchriften. 373 


nicht geftoblen ober er ſelbſt wohl gar bes Geldes wegen ermorbet werde, 
Und da er den ganzen Tag nichts zu thun bat, fo verfolgen ihn ftets die 
Sorgen um fein Geld, daß er kaum zur Ruhe kommt. Wie menig Reid): 
thum fähig iſt, den Menfchen glücklich zu machen, das lehrt uns die Ge 
ſchichte des aͤgyptiſchen Könige Nampfinit, der wor mehreren taufend Jah⸗ 
en lebte und allgemein für den reichften König der Welt galt.“ 

Das geht no über Campe und meit, weit über Gellert, ver für feis 
nen „Damokles“ mit ſechs Zeilen Gröffnungsmoral auszureihen glaubt 
und auch wirklich mehr als ausreiht. Wir haben dem Verf., ver Ges 
legenbeit hatte, eigene und fremde Finder zu beobadhten, mehr Renntniß 
der Kindesnatur, mehr pädagogifhen Tact zugetraut. A. 8, 


51. Charaktterbilder ans der alten Welt. Nah den Quellen entwor⸗ 
fen von Prof. Dr. Senneherger, Ad. Schaubach und Dr. Ernft Bern» 
Barbt. gr. 8. (V und 371 S.). Hildburghaufen, L. Nonne, 1864. cart. 
2} Thlr. 

Auch unter dem Titel: 

Griechiſche Geſchichte in Biographien. Nah den Duellen bear- 

beitet von Dr. U. Senneberger, Profefior am Gymnaſium in Meiningen. 

Diefer Band enthält die Biographien von Adilles und Odyſſeus, Ly⸗ 
turg, Ariftovemus und Ariftomenes, Solon, Miltiades, Themiftolles und 
Ariftives, Perikles, Alcibiades, Eofrates, Kenophon, Epaminondas und Pe: 
lopidas, Demofihenes, Alerander und Philopömen. 

Im Inhaltsverzeihniß find die Quellen, d. h. die alten griechiſchen 
Scriftfteller angegeben, aus denen der Ber. ſchöpfte. Er legt, und mit 
Nebt, einen Werth darauf, aus den Quellen geihöpft 'zu haben. „Alle 
Kritik der Neueren, die bier und da Züge an diefen Bildern verändert oder 
ganz ausgelöfcht bat, ift grundſätzlich ausgeſchloſſen geblieben. Natürlich 
geſchah dies nicht aus einer thörichten Abneigung gegen die moderne hiſto⸗ 
riſche Kritik oder einer Verlennung ihrer Verdienſte. Aber es fchien nicht 
nur erlaubt, ſondern auch nit ohne Zmedmäßigleit, jugendlichen Leſern 
auf unfern Eymnaſien zunädft einmal die hervorragenden Geftalten und 
Charaktere des griechiſchen Alterthums in dem Lichte vor die Augen zu 
führen, in welchem dieſelben von dem Alterthbume jelbft geieben murben. 
Diefe Darftellung mag dann die Grundlage bilden, auf melder ſich bie 
von der hiſtoriſchen Kritik der Neueren geläuterte Gejhichtsauffafiung des 
bellenifhen Altertbums gründet und aufbaut.‘ 

Für den fpeciellen Zwed, den der Verf. fich mit feiner Arbeit jebte, 
ift diefe Anficht gewiß berechtigt, ja allein richtig ; für weitere Leferkreife, 
die doch gewiß erwünfcht find, würde es fich dagegen gerade empfohlen ha⸗ 
ben, die Anfichten der neueren Kritik berüdfichtigt gefunden zu ſehen. Doc 
wollen wir hierauf nicht zu viel Gewicht legen. Die Arbeit ift jonft 
durhaus gut, und kann der reiferen Sjugend beflens empfohlen mer: 
den. 9% 


52. Geſchichte ber Griechen von Oskar Jaͤger, Director des K. Frieb- 
rich⸗Wilhelmsgymnaſiums und Realſchule J. C. zu Köln. Mit einer Ab⸗ 











374 Jugend⸗ und Bolfsichriften. 


Bildung bes Parthenon in Kupferſtich gr. 8. (AL u. 848 S.). Güte 

Iob, ©. Bertelsmann, 1866. 2 Thlr. 

Der Berf. hat den Inhalt in vier Bücher mit folgenden Leberjchriften 
gebrabt: 1. Von den Anfängen des Bolles bis auf die Perſerkriege. 
2. Bom Anfang der Perfertriege bis zum Anfange des peloponnefifchen 
Krieges. 3. Vom Anfange des peloponnefiihen Krieges bis zum Tode 
Philipps von Macedonien. 4. Die Beiten Aleranders des Großen. 

Der Berf. bat bereits ein ähnliches Werk über die Geſchichte der No⸗ 
mer berausgegeben, ging daher an diefe neue Arbeit mit Erfahrungen, die 
demfelben nur förderlid) jein tonnten. Daber ift e8 ihm denn auch in 
anertennenswertber Weife gelungen, ein klares und anziebendes Bild des 
griechiſchen Volkes und Lebens zu entwerfen, das nicht blos von der rei: 
feren Jugend, für die es zunächſt beftimmt ift, fondern aud von gereifteren 
Männern mit Befriedigung wird gelefen werden. Der Berf. bat mit der 
zufammenbangenden Darftellung das biographiſche Moment in zwedmäßiger 
Weiſe zu vereinigen gewußt und eben dadurch beiwiefen, daß er für ein 
größeres Publikum zu fchreiben verfteht. 


IV. Gedichte. 


53. Weibnachtsbilchlein für Schule undb Haus, enthaltend Adventelie⸗ 
ber, Weihnachtslieder, Weihnachtswünſche, Nenjabrewiniche von W. Krigin- 
er, Königl. Seminardirector in Droyßig. Bei, Verlag von F. 9. We⸗ 
el, 1866. 6 Sgr. cart. 74 Sgr. 

Neben guten Gedichten enthält das Buch auch einige, melde pafien: 
der weggeblieben wären. Hauptſache ift doch bei bverartigen Verſen, daß 
der Anhalt von Kindern verftanden wird, damit der Mund nit etwas 
jagt, wovon Herz und Kopf nichts weiß. Zur Begründung unferes Ur: 
theils laflen wir bier ein Weihnahtsgeviht aus obiger Sammlung folgen : 


Pflanz von deinem Meihnadhtsfrieden 
Bei uns einen Friedensbaum, 

Und laß wohnen uns bienieden 
Still in feines Schattens Raum. 
Lab die lieben Eltern wandeln 
Unter ihm wohl früh und fpat, 
Dort fie weinen, dort fie bandelu 
Mie es mit ſich führt dein Rath! 
Laß uns Kindlein fröhlich fpringen 
Unter biefem Friedensbaum 

Und dir jaucdzen und dir fingen 
Und dort träumen füßen Traum, 
Und wenn jchlägt die legte Stunde 
Für die Eltern, für das Kind, 

Laß uns ruhn in feiner Runde 
Und ihn rauſchen fanft und lind. 


Das ift wenigftens Fein kindliches Weihnachtslied. 


Augend= uud Volksſchriften. 375 


54. Gratulations buch, enthaltend Geburtstage-, Neujahre- und Weibnachts⸗ 
wünſche für Kinder im Alter bis zu 14 Jahren, gejammelt von Johanna 
@otta. 3. Auflage. 8. (IV u. 299 S.). Berlin, Otto Janke. 3 Thlr. 
Das Buch enthält Wünfce zu den kirchlichen, bürgerlihen und Fa: 

milienfefttagen für Kinder in dem oben angegebenen Alter. Es enthält 

neben guten auch vecht herzlich ſchwache Wünſche, die nichts anderes find, 
als Wortgeflingel ohne Sinn und Berftand. In neuefter Zeit hat man 
überhaupt angefangen, von den Neujahrsmwünjchen ıc. ganz abzuftehen. Viele 

Lehrer leiten die Schüler an, ihre eigenen Gedanken ohne Vers und Reim 

den Eltern barzubringen, und vernünftige Eltern finden daran mehr Ge 

fallen, ald wenn das Kind eine Reihe. von Berjen bervellamirt, welche mes 
der die eigenen Gedanken auedrüden, noch Anſpruch auf das Prädicat 

„paſſend“ machen können. Zur Beftätigung lepterer Behauptung ſetzen 

wir bier aus obiger Sammlung ein Gedicht ber, welches ein höchſtens 

14jähriges Kind feinen Eltern zur filbernen Hochzeit darbringt. 
Als einft der Liebe Zauberband 
Mit Myrtben Eure Loden kraͤnzte, 
Und füßer Freude Wunderlaut 
Euch mwonnevoll entgegenglänste, 
Da blühte Slüd um Glüd, da mar 
Elyfium die Welt voll Mängel. 
Und jeliger als Gottes Engel 
Erſchien das vielgeliebte Paar. 
Das that der Liebe Feuerkuß, 
Der beiligite der Göttertriebe ıc. 


V. Geographie und Neifen. 


55. Die Belt im Kleinen für bie Heine Welt von F. Gerfläder. 
1. Bd. Allgemeine Einleitung. Mit 2 (lithograpbirten) Karten in Bunt» 
drud. Zweite, verbefierte Auflage. br. 8. (VIII u. 111 ©.). Leipzig, 
Verlag von B. Schlide, 1866. cart. 20 Sgr. 

Die erfte Auflage diefer Schrift ift im XI. Bande angezeigt und im 
Ganzen empfohlen worden. Die vorliegende zweite Auflage g leider nicht 
ganz frei von Heinen Ungenauigleiten. Man vergleihe 3. B. was über, 

die Entftehung der Seen, über dad Rauchen des Waſſers, über die An: 

ziehung der Erde, das Nichtgefrieren des fließenden Waflers ıc. gefagt ift. 

Wir willen recht gut, wie ſchwer es ift, mande Dinge jo populär 

Darzuftellen, „daß jedes Kind fie entweder allein begreift, oder daß jede 

Mutter fie mit Hülfe des Buches erklären kann“; dennoch müfjen wir bie 

Forderung fefthalten, daß man Kindern nie etwas Halbwahres mittheile. 

Mas ein Kind nicht begreifen kann, joll man ihm nidt zu erllären 


fuchen. 


56. Charakterbilder aus der Länber- und Völkerkunde von Karl 
Müller. Skizzen zu Luſt und Lehre für bie reifere Jugend gebildeter 
Stände. Mit 8 Bildern im litbographiſchem Farbendruck von A. Haun. 
br. 8, (VIu. 331 S.). Breslau, E. Trewendt,_1865. 15 Thlr. 








376 Augend- und Volksſchriften. 


Der Verfaſſer gibt eine Charakteriftil verſchiedener Volksſtämme uno 
bat in feiner Auswahl neben manden in äbnliben Werten nie ſeh⸗ 
(enden Völkern auch folde behandelt, welche dem jugendlihen Lejer bis 
dahin unbelannt waren. Der Berf. beftrebt fi, jtets das Volk zu feiner 
Mohnitätte in die richtige Mechfelbeziebung zu bringen. Der Styl ents 
ſpricht billigen Anforderungen. Nah unferm Dafürhalten hätte der Berf. 
feine Darftelungen wobl etwas lebendiger geftalten können. Die Etüde 
Nr. 1 und 3 find etwas zu breit erzählt und leiden an Wiederholungen. 
Die Bezeihnung auf dem Titel „für die reifere Jugend gebildeter 
Stände erjheint uns überflüfüg, Die Bilder laſſen zu wünjhen übrig. 


VI Literaturbiftorifches. 


57. Die Frithjof Sage. Erzählt von Ferd. Schmidt. Mit farbigen Il⸗ 
Juftretionen von ©. Bartſch. 16. (XII u 1325) Bedin, 9. Kafluer. 
cart. 4 Thlr. 

Es ift ein glüdliher Gedanke, diefe altnordifche Heldenfage der Ju⸗ 
gend mundgereht zu mahen. „Wir erkennen erft dann, warum die beuts 
ſchen und nordiſchen Voͤlker fo vernichtend und durchſchlagend auf die ge 
ſchwächten Nationen des Südens wirken lonnten, wenn wir die tieferen 
Quellen ihrer wilden Kraft, die großartigen religiöfen Vorftellungen, als die 
eigentlichen Zriebfedern ihres Handelns nad ihrer ganzen Bedeutfamteit 
würdigen und in Anſchlag bringen, denn alle Fülle des Lebens ſtrömt aus 
dem Geifte und dem Glauben hervor. Erſt dann gebt ung die große Les 
bensaufgabe der germanischen Nation, als bildender Sauerteig in der Welt 
zu wirken, in ihrer ganzen Tragmeite auf, wenn mir in ihrer Mythologie 
geſehen haben, wie fie von Alters ber die größte Kraft des Gemüths mit 
der Tiefe des Gedankens vereinigten.” Wer diefe Worte des Altmeiſters 
ac. Grimm anerlennt, der muß wünjchen, daß die Schaͤtze unferer Bor: 
fahren an’s Tageslicht gebraht und lebendig unter und werben. Dazu 
reiht F. Schmidt in feiner Frithjofsfage bülfreihe Hand. Die Bearbeitung 
verdient alle Anerlennung. 


58. Somer’8 Werke, bearbeitet von Ferd. Schmidt. Mit 55 IMuftratio 
nen von ©. Bartſch. 1. Tbeil: Iliade. Der trojaniidhe Krieg. 2. Thell: 
Ddyfjiee. 8. (V u. 488 ©.). Berlin, Hugo Kaſtner. 27 Sgr. geb. 
1 Thir. 6 Sur. 

Diefe vortrefflihen Bearbeitungen find von der Kritik mit folder Au⸗ 
erfennung beurtbeilt, daß es kaum mehr nötbig ift, noch einmal auf die 
vielen Vorzüge derfelben aufmerkfam zu machen. Wir freuen ung, daß das 
Werl nun fon in dritter Auflage vorliegt, und wünſchen ihm auch ſer⸗ 
ner den verdienten Krfolg. 


VII Naturbiftorifches. 


59. Naturbilder Kür Yung und Alt von I. Forſteneichner. Mit Ori⸗ 
inalzeihnungen von H. Küfter. br. 8. (VI u. 506 S.). Schaffbaufen, 
- Eriebric Hurter, 1865. 14 Thlr. 


Jugend⸗ und Volksſchriften. 377. 


Rundſchau und Stimmen der Natur. Waldſchau, Wieſenſchau, feld: 
hau, Gartenbau. Mas der Vogel fingt, der Käfer zirpt und ſchwirrt, 
und die Blümchen einander zuflüftern, das hat der Berfafier verfudt, ab: 
zulaufhen und in die kindliche Sprade zu überfepen. Es ift ihm im 
Großen und Ganzen gelungen. Cr ift bei Tſchudi und Mafius in 
die Echule gegangen, und bat von dieſen Meiftern gelernt. Leider kommt 
er aber bin und wieder auf Abwege. Gr hört etwas, mas die Nas 
tur nit jagt: Die Natur if das Bild der volllommenften 
Zwedmäßigfeit. Diefe bis zum Ueberdruß oft wiederholte und ſchein⸗ 
bar bewiefene Theorie ‚wurde für den Verf. der Irrleiter. Seit Darvin 
fein berühmte Buch über die Entftehung der Art gejchrieben hat, müßten 
die Prediger der Nüplichleitötheorie eigentlih verftummen. Man mag. zu 
dem Darvin’shen Bude Stehen, mie man mill, eins iſt unumftöplih wahr: 
„Der Kampf um das Daſein“ ift die Urſache des Beſtehens und Unter 
gehend der organifhen und beziehungsmeife auch unorganiſchen Natur. 
Zaufende von Organismen find im Kampfe um das Dafein untergegangen. 
Denn die Eriftenz fo mander Zhiere mich zu Lobpreifungen des Schöpfers 
auffordert, jo muß die Erinnerung an die ausgeftorbenen Arten mid doch 
. zum Schweigen bringen, denn fie gingen unter, weil fie dem „Kampfe um 
das Daſein“ nicht gewachſen waren. Wir kennen die Natur wie ſie jetzt 
iſt; daß ‚fie nicht immer jo war, lehrt die Geologie und Paläontologie. 
Ob der gegenwärtige Zuftand für die eriftirenden Naturkörper der abjolut 
zwedmäßigfte ift, daS bemeilt daS Dafein der Körper. Tritt eine andere 
Schöpfungsperiode ein, fo werden Organismen untergehen und neue ent= 
ftehen, mit neuen Eigenſchaften und Eigenthümlicpleiten, nicht weil e3 fo 
zwedmäßig ift, fondern weil das Gegentheil zu den Unmöglidleiten gehört. 
Sehen wir ab von diefen allerdings recht oft ftörend auftretenden Zwed⸗ 
maͤßigkeits-Auseinanderſetzungen und etwas reichlich auftretenden Lobpreifuns 
gen und Gefühlsergiekungen des Berfaflers, io fann das Buch empfohlen 
werben. 


VIII. Scriften vermifchten Inhalte. 
60. Die Welt der Jugend. 


Unter diefem Titel kündigt die Redaction von Otto Spamer's Illu⸗ 
firirter Jugenpbibliothet ein Unternehmen an, weldes die größte Beachtung 
verdient. Don ber Ueberzeugung ausgehend, daß der Erzieher inmitten der 
anfteigenvden Fluth von Yugend: und Volksſchriften doch nur fehr ſchwer eine 
ternbafte Nahrung für feine Plegbefohlenen findet, daß die Jugendliteratur 
reich ift an Senfationsnovellen, Criminalgeſchichten ꝛc. und daß die Mode der 
Berbreitung folder ES chriiten Vorſchub leiftet, will die bez. Ned. durch Vereini- 
gung der vorzüglichſten Kräfte eine Reihe gediegener Jugendſchriften, von ber 
vormaligen Bedeutung der Campe'ſchen Jugendbibliothek ſchaffen. Die Schrifs 
ten find bejtimmt für Rinder von 12—16 Jahren. Die Stoffe, melde bes 
handelt werden, follen der Geſchichte, der Länder und Völkerkunde, der 
Menſchen⸗, Thier⸗ und Pflanzenwelt entnommen fein. Auch foll unter der 
Rubrik „Erholungsfiunden” Scherz und Spiel feine berechtigte Stelle fin 





378 Jugend⸗ und Volksſchriften. 


den. Die einzelnen Nummern ſollen im Allgemeinen nur in Form kür⸗ 
zerer Aufſätze auftreten; wenn aber ein intereſſanter Stoff Gelegenheit lie⸗ 
fert, das geiſtige Schaffen in Geſchichte, Geographie und Naturbeſchreibung 
zu einem abgerundeten Bilde zu geftalten, fo foll das in bejonveren Baͤn⸗ 
den geſchehen, die nah Ausftattung und Richtung fih der Hauptgruppe 
diefer neuen Sammlung von Jugendſchriften anſchließen. Die einzelnen 
Bändchen follen elegant cartonirt, etwa 80 — 100 Seiten ftarl, reich illw 
ſtritt 10 Egr. loften. Abonnementspreis für 6 Hefte beträgt & 74 Ger. 

Die renommirte Berlagshandlung fteht mit der Ehre ihrer Firma für 
die zwedvienlie Ausführung dieſes Programms ein, 

Uns liegen von diefer neuen Jugendbibliothet 6 Bändchen zur Be 
wetbeilung vor, diejelben haben folgende nähere Bezeichnung : 

. Heute und ehedem. 

. Draußen und daheim. 
. Oben und unten. 

. Sonſt und jeßt. 

. Auf und abwärts. 

. Fern und nah. 

Wir freuen und, im Allgemeinen fagen zu lönnen, daß die Ausfüh: 
rung nicht weſentlich hinter den obigen Verſprechungen zurüdgeblieben ift. 
Die 6 Bände enthalten fehr anziehende und zugleich belehrende Lectüre. 
Die geſchichtlichen und geographifhen Schilderungen find mit Wärme und 
anſchaulicher Weife vorgetragen, letzteres wird durch gute Holzichnitte und 
Zondrudbilder unterftügt. Die wenigen Erzählungen find interefiant, und 
it bei ihnen alles das glüdlid vermieden, mas die Ned. an andern Er⸗ 
zäblungen tadelt. Die naturgeſchichtlichen Abriffe find nad guten Quellen 
bearbeitet und frei von ftörenden Unrichtigleiten. Wie im Programm, fo 
tritt auch in der Ausführung die Mineralogie und was damit zujammens 
bängt zurüd. Gern haben wir die Heinen Artikel unter „Erholungsſtun⸗ 
den‘ gelefen. Wir empfehlen der Nedaction, dieje Rubrik mit Eorafalt zu 
pflegen. Das Bilderrätbjel in Nr. 5 wäre pafjender weggeblieben. Gine 
fo kurze Beſprechung der Lavater’fhen Charalterzeihnungen und Tempera 
mente bat für die Jugend keinen Werth, und ſchwerlich wird man bie bild 
lihe Darftellung, namentlich des Sanguinifers, zutreffend finden. Auch der 
Choleriter ift falſch dargeſtellt. Man ift länaft davon zurüdgelommen, ihn 
als einen Menſchen aufzufaffen, welcher bei jeder Veranlafjung mit einem 
Knüppel darein ſchlägt. Am Schlufie jedes Bändchens findet fi ein fur: 
zer Geſchichtskalender nach Monaten geordnet. Ginige Hefte haben als ans 
genehme Zugabe Lieder mit Kllavierbegleitung. 

Die oben angegebenen kurzen Titel der einzelnen Hefte entfprechen 
nicht immer dem Inhalte. 

Mir empfehlen die Welt der Jugend auf das Angelegentlichſte. 


1) 
DE RD 


61. Wohlthäter der Menſchheit. Vorbilder des Hodfiuns, der Thatkraft 
und chriſtlichen Dentungsart. Herausgegeben in Berbindung mit Th. Ur 
min, Schultrath Dr. 6. 5. Laud hard, Profeſſor 8.2.5. Mezger, Mo 


Jugend- und Volksſchriften. 379 


ritz Schlimpert, eis Ernft Stötzuer, Dr. Wilhelm Wäg- 
ner u. A. von Dr. . Greße, Oberlehrer an der Realihule zu Aſchers⸗ 
‚leben, und Franz Otto, Mitherausgeber ber illuftrirten Bibliothefen. Mit 

75 in den Zert gebrudten Abbildungen, einem Titelbilde, ſowie mehreren 

Tonbildern. gr. 8. (IX u. 229 &.). Leipzig, Berlag von Dito Spamer, 

1866. 1 Thlr., in engl. Einband 14 Thir. 

Das Buch enthält Biographien und Charalterzeiänungen von Lous 
Caſas, Friedr. v. Spee, Chr. Thomafius, Aug. Herm. Franke, Peſtalozzi, 
Salzmann, Gellert ꝛc. ıc. Diefelben find mit Fleiß und Berftänpniß ab» 
gefaßt. Die Darftellung ift einfah und faßlih und wird von wißbegierigen 
finuben gern gelefen werden. Das Buch verdient einen Plab in jeden 
Jugendbibliothek. Die Ausftattung ift jehr gut. 


62. Das Bud merkwürdiger Kinder. Lebensbilber aus ber Yugendzeit 
und den Entwidiungsjahren merkwürdiger Menfchen. In Verbindung mit 

Dr. C. b- Laudbard, M.Schlimpert, B. Shubmann, W. Wäg⸗ 

ner u. A. berausgegeben von Franz Otto. Zweite verbefierte Auflage. 

Mir 50 in den Tert aebrudten Abbildungen, einem Titelbiſde, fowie 3 

Zonbildern. gr. 8. (VIII u. 190 ©.). Leipzig, Verlag von D. Spamer, 

1866. 1 Thlr., cart. 1} Thlr. 

Aus diefer Auflage ift weggeblieben: Kapitän PB. Forfter’3 erfte Sees 
fahrt, dafür eingeſchaltet: Benj. Franklin. Ob die weggelafiene Nummer 
nicht ganz geeignet war, können wir nicht beurtheilen, da die erfte Auflage 
und nicht zur Hand if. Die eingefchaltete biographiihe Skizze von Beni. 
Franklin verdient einen Plap in diefem Buche. Die Biographien find 
lebensvoll und interefjant gejhrieben und werden für gereiftere Knaben eine 
angenehine Lecture fein. Zu bedauern ift, daß der Herausgeber die ſchon 
im XIV. Bande des Jahresberichts monirte Geſchichte des Fübeder Wuns 
derlindes abermals hat aboruden laſſen. 


63. Wenig gekannte Länder unb fehr bekannte Menſchen. Geſchrie⸗ 
ben zur Luſt und Lehre für tie reifere Augend und das Bolt von A. Frei⸗ 
herr von Geld. gr. 16. (III u. 351 ©.). Potsdam, 1864, Riegel’jche 
Bude und Winfllatienbandlung. % hir. 

Der Berf. gibt in diefem Buche Charalterbilder folgender Perfonen 
und Landſchaften: Friedrich Wilhelm III., das Fiſchland, der Minifter 
Freiherr von Stein, Anhalt Deffau unter dem Herzoge Leopold Friedrich 
Franz, der Feldmarſchall Hort, Dftfriesland, Lithauen, Wilbelm, regierender 
Graf zu Lippe- Schaumburg, und Friedrich riefen. Daß der Zitel des 
Buches den Inhalt genau bezeichnet, bezweifeln wir. Dftfriesland und 
Lithauen find ſchon wiederholt vom ethnographiſchen und topographiichen 
Standpuntte aus beichrieben worden. Das indeß nur nebenbei. Der Berf. 
weiß duch eine gejhidte Darftellung den Lejer zu fefieln und daher wird 
e3 ibm an letzteren auch nicht fehlen. 


64. Deutfhe Heimathebilder. Schilderungen aus bem heimiſchen Na⸗ 
tur- und Eufturleben von E. Uhlenhuth, Rector der Realmittelichule in 
— gr. 8. (V und 160 S.). Berlag von Hugo Kaſtner, 1865. 

bir. 


330 Jugend- und Bolfsichriften. 


Huhn, Schaf, Schwein, Holz, Torf, Kohlen, Flachs, das find Dinge, 
die Jeder kennt, und die fo oft befchrieben find, daß man meinen follte, es 
ließen ſich diefen Gegenftänden wohl kaum neue Seiten abgewinnen. Wenn 
obiges Buch letztere Meinung nun auch nicht gerade umftößt, fo bat der 
Berf. ed doch verftanden, feinen Gegenftänden die interefiante Seite abzu: 
gewinnen. Die Heinen Abhandlungen find mit Sachkunde geſchrieben. 


IX. Periodiſche Blaͤtter. 


65. IAugenpblätter für chriſtliche Unterhaltung und Belehrung. 
Jahrgang 1865. Unter Mitreirkung von mehreren Yugenbfreunden berane- 
egeben von 3. Braun. Mit 4 Stablſtichen und 6 fein colorirten Bildern. 

—* Originalzeichnungen von Anton Braith, Franz Kolb u. Schütz. Stutt⸗ 

gart, Gebr. Scheitlin. 1 Thlr. 18 Sgr. 

Bon dieſer Zeitſchrift erſcheinen jährlih 12 Hefte, die einen ſtattlichen 
Dand geben. Tüchtige Mitarbeiter forgen mit der Herausgeberin für gu: 
tes Material. Dafielbe ift den verſchiedenſten Willensgebieten entnommen. 
Zu bedauern ift, daß die Jugenvblätter nicht gang frei find von latholifis 
renden Momenten. Aus dieſem Grunde empfehlen wir fie nur für die 
katholiſche Jugend. 


66. Franz Hoffmann's neuer beutfher Jugendfreund für Unterbal- 
haltung und Veredlung ber Jugend. Jahrgang 1865. Mit vielen Abbil- 
dungen. gr. 8. (IV und 572 ©.) Gtuttgart, Verlag von Schmidt & 
Sprung. In engl. Band. 2 Thlr. 

Enthält belehrenden und unterhaltenden Stoff aus den verfchiedenften 
Gebieten. Gute Stahlftidhe, Steinprudbilvder und Holzſchnitte find zur Illu⸗ 
ftration zahlreih vorhanden. Die Meine Abhandlung: „das Leben im 
Sumpfe“ ift vom naturbifteriihen Standpunkte aus betrachtet nicht völlig 
correct. 


67. Iugenbbazar. Duelle belehrender Unterhaltung und nütlicher Beſchäf⸗ 
tigung. Herausgegeben von Dr. 9. Th. Zraut. Vierteljahrshefte 9 Gyr. 

4 Serte: 28 Sgr. Leipzig, U. Waldow. 1. Band 1865. 

Dem großen Mode-Bazar gleich, erjcheint dieſe Zeitung in Unterhal- 
tungsnummern und Ürbeitenummern. Erſtere enthalten Erzählungen, be 
ſchreibende und geſchichtliche Auffäße, naturwiſſenſchaftliche Auffäpe, Bio: 
grapbien, Gedihte, Mufilalifches zc., legtere Stidmufter, Häfelmufter, Ta 
piſſerie- und Perlenarbeiten, Ausftehmufter und Ausftechichneidearbeiten, 
Holzfägearbeiten, Schnittmufter ıc. 

Die Ausführung ift lobenswerth. 


68. Sonntagsfreude. 11. Jahrgang. Freiburg, Herderſche Buchhandlung. 
Ausgabe in 52 wöchentlichen Nummern und in 12 Monatsheften. Breit: 
jährlich 1 Thir. 6 Sgr. 

Vom Jahrgang 1865 lagen abermals nur 3 Monatshefte vor. Wir 

Ihließen uns in Bezug auf fie der Beurtheilung im 16. Bande des päd. 

SJabresberichtes an. 


Augend= und Volksſchriften. 381 


69. Deutſche Iugenpblätter. Mit Illuſtrationen. Fünfter Jahrgang. 
1865. Redigirt von Karl Petermann, Schuldirector in Dresden. gr. 4. 
(IV und 208 S.) Dresden, Eigentbum des jähfiihen Peftalozziverein®. 
Leipzig, 3. Klinkharbt. 1 Thlr. 10 Sgr. 
Der vorliegende Jahrgang verdient dad Lob, meldes mir ‚ben frühes 

ren ertbeilt haben. Es paart fi darin wieder das Nübliche mit dem Ans 

genehmen in erfreuliher Weile. Die Jlluftrationen ſtehen den Arbeiten 

nicht nad. N. 2. 


B. Bolfsfäriften, 


I Erzählungen. 


70. Bolfserzählungen von $. Schmidt. 4 Bändchen & 7} Ser. 2. 
Auflage. Berlin. Berlag von Mar Böitcher. u “ 
Der Berfaffer gab vor einigen Jahren eine Anzahl Voltserzählungen 
unter dem Titel „Kalender: Gejhichten‘ heraus. Diefe Sammlung erjcheint 
in den vorliegenden Bollserzählungen im zweiter und vermebrter Auflage. 
Es find einfache Darftellungen aus dem Volksleben. Verfaſſer vermeinet 
ſtrenge die Herbeiführung fünftliher unnatürliher Momente, deshalb ſpre⸗ 
hen die Meinen Gefhihten an und werden gewiß ein großes Lefepublicum 
finden. Das „pädagogiihe MWagftüdchen” aus Band A wäre wohl paſſen⸗ 
der weggeblieben, denn gar zu leiht könnte es Jemand nahahmen mollen, 
und das halten wir für bedenklich. . 


71. Baftian, oder denen, bie Bott lieben, muß Allee zum Beſten 
dienen. — Agnes und Sophia, oder bie Leiden und Gefahren 
ber gemiſchten Ehen. Zwei Erzählungen für chriſtl. Jugend und chriſtl. 

- Bott von Ottmar Lautenſchlager, Briefter der Erzdidecie Münden-Frei- 
fing.. Geſ. Erzähl. 10. Bändchen. Yugaburg, 1866. ‚ Berlag der Math. 
Riegerſchen Buchhandlung. 

712. Das Fer ber heiligen drei Könige Cine Erzählung für heim. 
Jugend und chriſtl. Volt von Ottmar Lautenſchlager. Gel. Erzähl. 22. 
Bdch. Mit 1 Stahlſtich. 2. Auflage. 8. (243 ©.) Augsburg 1863. 
Berl. der Math. Riegerihen Buchhandlung. 12 Sr. | 

73. Die Liebe und das Kreuz. Krzählungen für chriſtliche Jugend und 
chriſtliches Votk von Ottmar Lautenſchlager, Briefter der Erzd. München⸗ 
Sreifing. Mit 1 Stahlſtich. 3. Auflage Augsb. 1865. Berl. ber Math. 
Riegerihen Buchhandl. 12 Sgr. = 


Der Berf. fchreibt feine Bücher nicht für Hriftlide Jugend und 
Hriftlihes Volt, fondern für tatholifche Jugend und katholiſches 
Boll. Es wird ſchwerlich proteftantishe Ehriften geben, welde, mie Rec., 
alle drei Bände durdlefen; auch rathen wir es keinem. Alle drei Schrif⸗ 
ten find Zendenzichriften von untergeorbnetem Werth. Wir wollen es dem 
Verf. nicht abjpreden, daß er Talent zur Darftellung hat. Ihn aber mit dem 
Verf. der Dftereier in Parallele zu ftellen, wie das von Seiten der Ber: 
lagshandlung geſchieht, das erſcheint uns etwas ftarl. — Am kraſſeſten 
katholiſch Aft die Erzählung ‚‚Agnes und Sophia”. Der ganze Apparat 
der katholiihen Kirche muß helfen, die Gefahren der gemifchten Ehen zu 





882 Jugend⸗ und Volksſchriften. 


fhifdern : dabei vergißt Verf. fo ſehr Anſtand ımd Würde, dab er z. B. 
dem Luther ein „großes und grobes Maul“ vindicirt. Der Jahresbericht 
darf nicht zum Zummelplaß confeſſioneller Streitigleiten werden, ſonſt würden 

wir dem Herrn Prieſter wohl ſagen, warum wir gemiſchte ‚Chen für bes 
denklich balten. 


74. Der Schulmeifter von Hafelwang, ober bie — 


ber Wirthsſtube. Eine Dorfgeſchichte. Wien 1865, bei Leop. Sommer. 


Der Herausgeber‘ diefes Heftchens bietet feinen Lejern „bie auf Er 
fahrung ſich ftügenden individuellen Anfichten über Gemeindes und Gewerbe: 
Angelegenheiten oder darauf bezüglidhe fociale Einrihtungen, wie fidh die⸗ 
felben ihm feit einer Reihe von Jahren aufgebrängt haben”. Für bie 

rm der Darftellung entſchied fich der Verfaſſer, nachdem er Zſchokkes 
oldmacherdorf gelefen hatte. — Wir haben beim Leſen des Büchleins uns 
des Gedantend nicht erwehren Üönnen, daß fi) der Verfafier die Aufgabe 


‘des gemeinnüßigen Gemeindemitgliedes in jeder Beziehung weit aus zu leicht 


dacht bat. Wer Gelegenheit hatte, eine demoralifirte Gemeinde anzuje 


‘ben, weiß, daß Generationen dazu gehören, um Wandel zu ſchaffen. Auch 
erfcheints uns, als fei ein Schreinergefell ein ſchlechter Schulamtscandidat. 


Lehren ift bekanntlich eine große Kunft, welche dutch Mühe und Zleiß er 


lernt fein will. 


75. Franz Kerndödrfer. Cine Geſchichte aus bem lieben Handwerkerſtande 
und für ihn erzählt, von W. D. v. Born. 2. Auflage. Wiechbaden, 
Zulins Niednerſche Berlagehandlung. 1865. reis 10 Sgr. 

Eine Erzählung für das Bolt, mie fie fein fol. Der ſchlichte Bär: 
gerfinn findet in diefem Bude in glüdlichfter Weiſe feine Berberrlichung. 
Wir find überzeugt, daß Bücher diefer Art nicht mur überall gern gelejen, 
(ondern daß fie auch mandem Leſer zum Segen gereichen werben. 


76. Srifella. Eine Erzählung ans ber Geſchichte Echottlands von F. 8. 
Wild. 8. (160 ©.) Stuttgart, 3. F. Steintopf. 1865. Pr. 15 Sgr. 
Der Kampf um die Religion hat die höchſten Güter des Lebens Hein 

erfcheinen laflen gegenüber dem zu erringenden Preiſe. Das lehrt und 

niht nur die Zeit der erften Chriftengemeinen, ſondern aud vor allen 

Dingen die Zeit der Reformation. Befonders bartnädig waren belanntlid 

dieſe Kämpfe in Schottland. Der Berf. bietet ung einen GSinblid im dieſe 

trübe Zeit. Cr erzählt im engeren Sinne die Lebensgeſchichte einer heroiſchen 

Scottin und liefert uns fo ein Zeit: und Eittengemälde des 17. Jabe 

bunderts. Das Buch ift recht gut geſchrieben und kann beſtens empfohlen 

werden. 


77. Bollserzählungen. Das Leben Benjamin Franklins für Jung 
und Alt in allen Ständen. 3. Aufl, Hildburghauſen, Keſſelringſche Hof 
buchhandliung. 2? Sur. 

Das Leben berühmter Männer muß allen Menſchen ein Spiegel fein, 

‚tn das fie ſchauen, um bie eigenen Flecken und Fehler zu erlennen und 








Jugend- und Bolfsfchriften. 383 


der Vervollkommnung nachzuſtreben. Benj. Franklins Leben wird für alle 
Zeiten ein Mufter und Vorbild bleiben. Wir freuen uns, daß die recht 
gut erzählte Biographie für einen fo billigen Preis Jedem zugänglich ei 
macht wird. 


78. Borbilbder. Srantlim, Stephenſon, Piepenſtock. Zum Beſten 
der Märkiſchen Natorpſtiftung. Elberfeld, Bädekerſche Buch⸗ und Kunſthand⸗ 
lung. In Barth. zu 1 Ser. 

Gin ſehr empfehlenswertbes Unternehmen, welches die Unterftügung aller 
Menſchenfreunde verdient. Die Heinen Inapp gehaltenen Biographien find 
anregend gejchrieben und richten das Auge des Leſers auf Männer, deren 
Andenken ſiets bei uns im Segen bleiben muß. 


ID. Gedichte. 


179. Der Iebenjäßrige Krieg. Ein Gemälde mit Licht und Schatten von 
©. F. Ledderhofe. Herausgegeben von dem chriſtlichen Vereine im uch 
lichen Deutieland. 8. (VI und 181 ©.) Eisleben, 9. Klöppel (G. € 
Schulze in Leipzig) 1865. geb. 74 Sur. 

Der Berf. greift bis zur Ihronbefleigung Friedrichs des Großen zus 
rüd, charalteriſirt ſelbſt die Jugend deſſelben, gibt eine Weberficht der bei⸗ 
den erjien jchlefiihen Kriege und erzählt dann die Begebenheiten des fieben- 
jährigen Krieges jo ausführlich, als das Intereſſe der Lejer es erbeijcht, 
für die feine Arbeit berechnet if. Obwohl der Verf. mit großer Anerken⸗ 
nung von Friedrich fpricht, Jo billigt er doc deſſen religiöfe Anfchauungen 
nit. Aber er gehört nicht zu den religiöfen Fanatilern, ift vielmehr mild 
in feinem Urtbeil. Seine Darftellungsweije ift einfah und anjpredend; 
das Bud wird daher in den Freien, für die es beftimmt ift, gern geles 
fen werden. A. 8. 


II. Zeitfchriften. 


80. Slobus. Suußricte Zeitfgrift für Ränder- und Völkerkunde. Herausge⸗ 

geben von Karl UAndree. Achter und neunter Band. gr. 4. Dilddutg⸗ 

banfen, Verlag des Bibliogr. Inſtituts. 1365—66. & Band 3 Thlr. 

Diefe Zeitfehrift berüdfichtigt gleichmäßig alle Theile der Erde und ver: 
breitet fih über Land und Leute und alle wichtigen Erſcheinungen auf der 
Erde, ‚gibt auch Austunfteüber die neuelte einſchlägliche Yiteratur, über 
Horfhungsreifen u. dgl. Wer daher die Zeitjchrift regelmäßig und mit 
Aufmerkſamkeit lieft, bleibt in Betreff der Länder: und Bölferlunde immer 
auf dem Laufenden. Die Darftelung ift immer anziehend und wird fehr 
oft dur große, naturtreue und ſchön ausgeführte Holzichnittzeihnungen 
unterftüßt. Die Lehrer der Geographie dürfen ſich das Wert nicht entges 
ben laſſen. A. 2. 


1. Die Maje. Ein Volfeblatt für Alt und Yung im deutſchen Baterlande. 
Herausgegeben von W. D. v. Horn. Achter Jahrgang. Mit zwälf Ab⸗ 
bilduugen. gr. 8. (588 ©.) Wiesbaden, I. Niedner. 1866. 2 Thlo. 


:384 Jugend⸗ und Volksſchriften. 


Dieſe Zeitſchrift hört mit dieſem Jahrgange auf zu erſcheinen. Wir 
bedauern das, da fie immer eine Reihe von trefflichen Arbeiten für bie 
mittleren Volksſchichten brachte. Gewiß ift, daß die acht erfchienenen Bände 
ein Material enthalten, dad auc ferner verdient gelefen zu werden. AL. 


IV. ®ermifchtes. 


82. he. Kin allegorifhes Märchen. Aus ben Latei des jas 

AN Friedrich Se Um, Krichkſche Buch⸗ und — ri 

Pſyche in mwortgetreuer Ueberſetzung gehört zu den Werten, welde an 
Freunde pilanter Zectüre verfiegelt eingefhidt wird. Preſſel bat verſucht, 
biefe Götter «Liebesgefhichte mit möglichfter Vermeidung alles Obſcönen fei: 
nen Lefern genießbar zu machen. Wir zollen der meifterhaften Bearbeitung 
alle Anerlennung, bezweifeln aber doh, daß des Verf. Wunfh: „Möchte 
es gelungen fein, das einzige antite Märchen in einer Kunſtform wieder zu 
‚geben, welde demſelben über vie gelehrten Kreife hinaus Eingang und 
Heimathsrecht verſchafft“, Erfüllung findet. 


83. Mein Onkel Benjamin yon Elaude Zillier. Ins Deutide über- 
tragen und mit einem biographiihen Vorwort verjehen von Ludwig Pfau. 
Stuttgart, bei Emil Ebner. 1866. . 

Das Bud ift Beine Volksſchrift, es gehört firenge genommen gar nicht 
in den pädagogifhen Jahresbericht, wir wollen uns deshalb auch daranf 
beſchraͤnken, zu bemerfen, daß denkende Leſer insbefonvere die meifterhaft 
geſchriebene Biographie des Dichters zu beachten haben. Lehrer werben 

‘ein befonderes Intereſſe an der bumorififchen Darfiellung der Lehrer-Lauf: 

bahn des El. Zillier nehmen. 


84, Ueber den Umgang mit Menfchen von Adolph Freiherrn Knigge. 
14. Originalausgabe in 1 Bande. Aufs Neue turchgearbeitet und einge 
leitet von Karl Goedeke. 8. (XXIII und 396 &) Hannover, Hahn⸗ 
ſche Hofbuchhandlung 1865. 11 Thlr. 

Es giebt Bücher, deren Titel iſt fo bekannt, daß fie in Jedermanns 
Munde find, deren inhalt aber viel weniger bekannt ift. Zu diefen Büchern 
gehört Anigges Umgang mit Menfhen. Man ſollte denken, eine Belehrung 
über dergleihen Dinge müßte für jeden Menſchen ein jo tief gefüblte® Be 
dürfniß fein, daß es einer Empfehlung faum mehr bedürfte. Die Erfahrung 
lehrt das Gegentheil. Treilich liegt das Buch in 14. Auflage vor. Wenn man 
aber beventt, daß ed zum erſien Male im Jahre 1788 erſchien, und daf 
‚e8 feinen ebenbürtigen Goncurrenten bat, jo Ast der Erfolg nit. Das 
Buch ift vortrefflich gefhrieben. In den meiften Yällen möchte man dem 
Verfafier zurufen: „Du haft recht,” „das habe ich felbft erfahren.“ 

Bei diefer 14. Auflage find wieder, wie bei den vorhergehenden Aus: 
gaben, mannigfadhe Verbeſſerungen angebracht, jedod immer mit der gebübß: 
renden Pietät gegen den Verfaſſer. Das Gute, mas in Knigge's Werf war, 
ift forgfälig geſchont, es ift aber ftiliftifch wie fachlich vor dem Haude ver: 
altender Bergangenbeit bewahrt. Wir empfehlen das Bud allen, namentlich 
jungen Leuten beim Eintritt in das Berufsleben. Die geringe Summe, welche 
man für das Buch ausgab, wird fih ohne Zweifel vortrefflich verzinjen, 





X. 
Geſang. 
| Bearbeitet 


von 


E. Hentſchel. 


J. Geſangleben. 


A. Allgemeines. 


1. Weſen des Geſanges. Geſang iſt, wie Graben⸗Hoff— 
mann in feiner Schrift: „Die Pflege der Singſtimme“ x. an⸗ 
giebt, im. weiteften Sinne: „Muſik, welde durch die menſchliche Stimme 
ausgeführt wird”; im engern Sinne dagegen: „Die Kunft, durd die 
Stimme als Inftrument nah allen Regeln der Mufit und des guten Ges 
ſchmads in fompathiichen, das Ohr und die Empfindungen eines jeden ges 
bildeten Menſchen angenehm berührender Weife fih muſikaliſch zu äußern.” 

Dem miderfpriht nicht die von Scholz in den „Illuſtrirten 
Monatsheften” gegebene Definition der Muſil überhaupt: „Muſik of 
fenbart und im MWohlllange die Schönheit der menſchlichen Seele; fie giebt 
das seine Empfindungsleben des Menjchen, losgelöft vom Urſächlichen, Ges 
genftänvlichen, buch pas Medium ber Töne, in analoger Bewegung mit 
der Seele jelbft.‘ 

Denn ob auch im Sefange das Urſaͤchliche, Gegenftänplihe durch das 
Wort bezeichnet fei, fo drüden doch die binzutretenden Töne nicht dieſes 
Urſaͤchliche, Gegenſtaͤndliche ſelbſt, fondern immer nur die davon herrührende 
Empfindung aus. 

Mie wenig der Ausdrud der Empfindung an beftimmte mufilalifche 
Glemente — Tonart, Rhythmus, Melodie, Harmonie — gebunden jei, 
das giebt fih in den manderlei Compofitionen eines und deſſelben Zer⸗ 
tes fund. 

Es bleibe darum dem Nachdenken der Leſer überlafien, ob Scholz 
darin Recht bat, wenn er fagt: „Derjelbe Text Tann öfters und verſchie⸗ 
den componirt werben, denn Worte lafien verjchiedene Auffafjungen zu ; 

Pad. Jahrebberigt. ZVIIL 25 


386 Geſang. 


aber nur eine Compoſition wird ganz im Sinne des Dichters fein, genau 
feiner Empfindung entſprechen.“ ) — 

2. Bedeutung des Geſanges. Wahr und treffend fagt hieräber 
das Beiblatt zu den ‚Berliner Blättern”, 1865, 12: „Wie mannicfad 
au die Mittel zur Offenbarung des Geiftes feien: über alle hinaus ragt 
das Wort, das die eigentlih wahre Brüde von Geift zu Geiſt bildet. Die 
verllärte Wortſprache aber ift die gefungene, if die holde Muſica, Luthers 
Freundin und Vertraute. Ja, es ift faft, als begönne das Reich ‚ver 
Muſik, das ift der [höngeformten, melodiſchen un» harmoniſch⸗gefügten Töne 
da, wo für die gefteigerte, verfeinerte Serlenflimmung das fimple Wort 
nicht ausreicht, um alle Nüancen des durdhgeiftigtek Gemütbes 
In der jeelenvollen Mufit erjchlieft fi dem finnenden Menſchen das von allem 
Materielien entbundene Geifterreich ; fie hat etwas Engelhaftes, Himmliſches, 
Driginal-Göttlihes und wird die Pförtnerin zum Allerheiligſten. Gine 
Schule darum, wo nidt viel, nicht gern, nicht fchön gefungen wird, if 
herz⸗ und gemütblos ; fie ermangelt des Wlementes, welches das aflerwirk 
famfte ift, um zur ternbaften, fruchibringenvden NReligiofität und Gottjeligleit 
zu führen. Mufit weiß, wie nichts Anderes, jene unausfprechlich füße, 
befeligende Sehnſucht nad dem Ueberirbifhen zu erweden, die ein Haupt 
requifit ift zur Gottſeligkeit. Dirum thats Noth: Willſt recht frommen, 
gottinnigen, gottfeligen Himmelserben und Gottesreidh8:Bürger du erziehen, 
fo nimm die bolde Mufica dir zur Gebüffen. Seine befiere, feelenvollere, 
treuere Bafallin magft du finden im Himmel und auf Erden.“ 

3. Pflege des Gefanges. Auch im abgelaufenen Jahre ift im 
Allgemeinen zur Pflege des Gefanges Vieles getban worden, und zwar iM 
den verfchiedenften Lebenskreiſen. Wir denen hierbei an den fortgeſetzten treuen 
Fleiß der Lehrer, der in zablreihen amtlichen Berichten anerlannt if, an 
die Thätiglelt der Cantoren, wovon die Menge kirchlicher Aufführungen 
jeugte, an die nicht felten ganz energifhen, durch Einübung und öffent⸗ 
lihe Aufführung großer Tonwerte befundeten Anfttengungen ber Bereime 
für gemifchten Chor, an die Ruͤhrigkeit ver Liedertafeln und anderer Ge: 
nofenfhaften für Männergefang ; vesgleihen an die mit jedem Curſus er 
neuerte Arbeit ver Seminare zur Heranbildung braudbarer Gefanglehrer 
und Gantoren, an das abermalige Erſcheinen von Anmweifungen zum Ge 
fangunterridht, an die Bermehrung der Ehorals und Liederbüder, an bie 
Darbietung neuer Stoffe für den Hausgefang und an fo Mandes, was 
durch die pädagogifhen und mufilaliihen Journale für Gefangleben und 
Geſanglehre geſchehen ift. 

4. Die Erfolge dieſer Thaͤtigkeit find vielfach erkeunbar, fo — 9. 
in der Verbeſſerung des Schul: und Sirchengefanges ; in einem gewifien 
Maße von feinerer Gefittung bei vielen Mitgliedern der Männervereime ; 


) Beder’s „Rheinlieb“ iſt zu feiner Beit wohl hundert Mal camıpoxiıt 
worben ; man bat jedoch abren ; dab ber Lan ine de —— 
nen ale biejen! bezeichnet melde am —— — 
ſpreche. —5 — er es getban, fo fo wäre * inne a ie a maßgeben 
—* eier nt Sänger bes KRheinliedes 





Geſang. 387 


in der Zunahme von Antheil und Berftänpnib hinfichtlich Naſſiſcher Muſik⸗ 
werte, wenn auch nur in größeren Städten; in ver geſteigerten Empfäng: 
lichkeit des Volksſinnes für das Schöne in Worten und Tönen. Dazu 
kommt als Hauptſache der — freilich ſchwer zu bemeflende, aber unzweifel⸗ 
baft vorhandene — Einfluß des Geſanges auf das religiöfe Leben des Ein» 
zelnen und der Geſammtheit. — Nicht erreicht ift jene innige Verſchmel⸗ 
zung des Bejanges mit dem ganzen Dafein des Bolles in allen Kreifen, 
vie wir ald „Lebensgejang“ angefirebt haben. — 

5. Geſchichte des Geſanges. Die rege Thätigleit, welche der 
Geſchichte der Tonkunſt überhaupt zugewandt wurde, bat auch für Yie Ge: 
ſchichte des Oeſanges ihre Früchte getragen. Im Hinblid auf den Gefang 
im Allgemeinen ift bier uw. A. Reißmann's „Orundriß der Muſik— 
geſchichte“, wo mit Recht gejagt wird, daß ohne Kenntniß der Vergan⸗ 
genbeit ein volles Berftänpniß der Gegenwart nicht zu ermöglichen jei, an: 
zuführen. Speciell die geiftlihe Vocalmuſik angehend, verdient vor Allem 
9 M. Säletterer’3 „Weberfihtlihe Darftellung der Ge: 
ſchichte der kirchlichen Dichtung und geiftliden Muſik“ ge 
nannt zu werden, ein Buch, weldes mit Begeifterung für die Angelegen- 
beiten der heiligen Tonkunſt eintritt und volllommen geeignet ift, ein regeres 
Intereſſe für einen Gegenftand zu erweden, „ver jedem religidjen Gemüthe, 
welchem Belenntnifje dafjelbe fi) auch zuneigen möge, fo nahe liegt und 
eine alljeitige Beachtung fo jehr verbient.” 


Nah diefen allgemeinen Bemerkungen fallen wir nun das Geſang⸗ 
leben in einzelnen, gefonverten Kreiſen in's Auge. 


B. Der firhlide Kreis. 


1. Allgemeines. 


6. Verhältniß der Kunft zur Religion. Darüber dufert 
fih, und zwar vom katholiſchen Standpunkte aus, Dr. Franz Lorenz 
in der einleitenden Abhandlung zu feiner Schrift: „Haydn, Mozart 
und Beethovens Kirchenmuſik und ihre katholiſchen und 
proteftantifjhen Gegner.” Cr fagt: 

„Daß von den beiden bier concurrirenden Factoren (Religion und 
Kunſt) die Religion der höhere fei, gebt ſchon aus dem Umſtande hervor, 
daß die Religion für die Kunſt als ein unabmweisbares Bedürfniß, um fich, 
wie der Epheu um die Säule, aus der Niedrigleit emporzuminden — bie 
Kunft aber für die Religion nur als ein herrlicher, aber dennoch nit un- 
entbebrliher Schmud ericheint ; denn die orientalifch griechiſche Kirche, wie 
der Muhamedanismus, haben gar keine oder kaum nennenswerthe Kunft, 
die proteftantifche Kirche hinwieder blog auf dem Gebiete der religidjen 
Sontunft Herrliheg — auf jenem der religiöjen Malerei und Plaftit hin⸗ 

25* 


gegen nur Untergenrbmeies ober Bereinzeltös aufzuweilen, während wir az 
tue. Ivı wre Bolte, ſei's im alter oder neuer Zeit, wo wirklich eine 
—* m Großen und Ganzen und nach den Geſetßzen echa⸗ 

Aue Srcrıl..uaz werlaujend aufgetreten, fie ſieis auf’ —— — 
XR. d——er jchen und bie emimentelien Leiſtungen ihrer Cheragen 


za N. m zweien Boden entiprofien“ . 
„I ‚den > „Eder zwei geohen Hälften, in bie fih die Kun m 
FR ‚'’paleen, der antilen und ver chriſtlichen um) 
a - x te beite trennt” 
Isszeriiie, jEihbh Götter genannt, die Homer's 
x . „zer nt, menu nicht zuweilen Parteihader dazu 


Kiki 02 I. mean Searhühen eigentlich blutwenig. — 
Nur, ze erır Sıerioa ur, leben fie ſelige Tage in ihren, dem 
un. Ddn Rırsezwıoız serüh ſttenge veriperrten Streifen *). 
Tu stmux —E meer ne Irsites und ber Hoffnung bagren 
nu. nmue id 3 wem 23 ter gorküde Kuml. In tabellofer Schoͤn⸗ 
AL a ne Te zeiie Kemer Amer menjhliben Empfindung, bliden 
Aue Du nn yermehe per ihren Piedeftalen, wie einft von 
Sir Iommusı, zı uni eur Serrtüiche berab und es iſt diefer Zug 
LIamN u ,uoctz za Smermränhlidleit jo daralieriftifch gerade 
na. NR lLmun zer we zeiten Ecalptur von Phidias bis 
N. zıır Ist ame E Wer em, mie aus den Augen zu verlie 
weht MIITiz a er I jcihi bei dramatiſch bewegten Ex 
x Nix rer a Barthenen dargeltellten Gentauten 
A ir re Feuer er Seelentuhe am Halſe paden 
ENT INT Te Se era We Recht bat daher audı eine 
Rue wer seme an? ze Eνs Seit überjhäßten Apoll 
nu ı Roma suceg _ x mer Tüxeee Jeit der bereits fintenden 
zu I tut u.wmuue m 2 vicien Gebilden bereits pſychiſche 
— A x Mermagt“ 

„Sr zur: med Te Tchheieiee ” 

‚x Gum zeurinis Simmel und Erde aneinan: 
we 223 Lie ne Yierewerd zo ze \Sizmmerndb über den Menſchen⸗ 
ges ser me Leo. wich um Deiden und Roth, ja unter 





” „Ber IE me umeriber mid Yun Zee, bem ber riklihe Prie 


er, geime weißer Eısetsı, em Sociemeer ja bieten vermag und 

zz:'_ 2727 ze Tozeriuuu zen, Auı.er well, ber leſe bei ——ã— Dir 

Erzite en Fzurecıc d. mener Dome, Nee Exrimt er boch fein Leben geweiht, 

mu vriteimer Smriirherg me em Feat Dee verunglüdten Stallmeifer, 

— 27* — 25.2.8 ——— — 
X ml schen, 

ben Rerijchen zu idumen“ - 











Gefang. 389 


nimmt. Schon auf ſtheoretiſchem Wege laßt ſich aus biefer Augeinander: 
jegung erlennen, daß die chriſtliche Kunft, auch hier der getreue Spiegel 
der Kriftlihen Religion und daher auch gleich diefer im diametralen Gegen» 
faß zur beidnifhen, eben fo ein Recht, wie ein Bebinfniß haben müfle, 
diefen Charalterzug göttlicher Liebe und Erbarmens, menſchlichen und über: 
menſchlichen Duldens und Leidens als ein integrirendes, ja als eines der 
weſentlichſten Elemente in fih aufzunehmen und alle diefe jo mannichfachen 
Gefühle und Empfindungen auch durd alle Mittel der Kunſt, wie fie ihr 
auf ihren verſchiedenen Stufen der Entwidelung zu Gebote ftanden, zur 
Darftellung zu bringen. — In der That beftätigt auch ein nur flüchtiger 
Blick auf die zahllofen Werke der chriſtlichen Kunft, namentlich der Malerei, 
gleichviel welcher Entwidelungsperiode, gleichviel ob der italienischen, deut: 
ſchen oder ſpaniſchen Schule, daß die Maler mit Vorliebe, ja faft aus: 
fhließlih die Darftellung göttlih menſchlichen Liebens und Grbarmeng, 
Duldens und Leidens zum Vorwurf ihres Pinfels, foferne fie ihn der 
Keligion geweiht, genommen und daß bei dem anerfannt größten unter 
ihnen, bei Raphael, nebit idealer Formenſchönheit, gerade ber feelenvollfte 
Ausprud des tieflten Empfindens, den er feinen Geftalten verliehen, von 
jeber mit Recht als der größte Vorzug gegolten bat.‘ 

Den Gebrauch, welchen der Verf. von diefen Sägen in Bezug auf 
die kirchliche Tonkunſt macht, lernen wir weiter unten kennen. 

7. Bedeutung des religiöfen Gejanges. „Das menſchliche 
Wort, die menjhlihe Rede ift nicht der allein adäquate Ausdruck des ins 
nern Lebens, deshalb treibt dieſes Leben in den Gefang hinein.” Biel 
Schönes und Zreffendes hierüber findet ih in der Schrift: „Weber 
Choral und Liturgie”, herausgegeben „von einem Benedictinermönde 
des NKlofters St. Dlartin zu Beuvon im Donauthale”, 1865, ſowie in bes 
ren Beurtbeilung von einem Ungenannten in der „Evangelifhen Kirchen⸗ 
zeitung.“ 

8. Cine Mahnung aus alter Zeit. Sie tönt berüber zu 
nns in der Vortede des Halle'ſchen evangelifchsreformirten Minifteriums zu 
der 1745 beforgten Ausgabe von Lobwaſſer's Ueberſetzung der Palmen 
und wird immerhin bier gehört werden dürfen. „Dan danke Gott”, jo 
ſchreibt das Minifterium, „ver uns allerlei Gnadenmittel zum Heil unjerer 
Seelen darreiht, und uns dadurch aus unferer geiftlihen Scläfrigfeit und 
Trägheit zu einer brünftigen Andacht zu ermweden fucht, daß wir Ihm mit 
Luft unferer Herzen fingen und fpielen, und bier ſchon mit den Geligen 
im Himmel ein fröhlihes Halleluja anftimmen follen. Anſtatt ſchaͤndlicher 
Sauf:, Huren: und anderer zur Wolluft reizenden Lieber, laſſe man doch 
des großen Gottes Lob aus Herz und Mund erfchallen, und gebraude 
Gedanken, Sinnen, Mund und Stimme zum Lob deilen, der einen gemacht, 
Bernunft und alle Glieber gegeben hat. Man führe die jungen Kinder 
von Jugend auf an, daß aus ihrem Munde dem Herrn ein Lob bereitet 
werde, und daß nicht aus einem Munde gebe Loben und Fluchen. „ Man 
laſſe die Rechte des Heren fein Lied fein, wie David, im Haufe feiner Bil: 
grimſchaft, Pi. 119, 54. Man nehme Anlaß aus Liedern, fih mit ans 


390 Geſang. 


bern zu erbauen, ſich davon zu beſprechen, und ſich ſelbſten zur geiſllichen 
Freude, wie auch zum Lobe Gottes, zu erweden: 
Lobt Ihn mit den und Munde, 
Welchs er uns beides jchentt, 
Das ift ein ſel'ge Stunde, 
Darin man fein gebentt ! 

9. ECinheit und Wahrheit find die Forderungen, welde mit 
dem genannten Benedictiner auch jein Beurtheiler in der „Ev. Kirchen⸗ 
jeitung‘ mie an den gejammten Cultus, jo ganz bejonders an die 
tirchliche Zontunft fell. „Der Gefang, die Mufica, darf im Gottesdienfle 
nicht eine felbitftändige, aus der organischen Verbindung mit ven übrigen 
Iheilen des Cultus gelöfte Stellung einnehmen. Der Gejang muß eben 
Wabhrheit fein für die Gingenden wie für die Hörenten. Es muß das 
eigene Leben der Gemeinde, des Chors, des Geifllihen fi im Gefange of⸗ 
fenbaren, er muß aus diefem Leben nothwendig wie die Blume aus der 
Pflanze bervormachien. Gr darf daher weber feinem Inhalte noch feiner 
Form nach, weder in Bezug auf die Stelle, die er im Cultus einnimmt, 
noch in Bezug auf die ausübenden Perfonen etwas an fi tragen, was 
hiermit im Widerſpruch fiebt. Alles todte, alles unverfländlicde und unver 
Randene, alles dem innern Leben des Eultus fremde Weſen ift abzuthun, 
damit aus dem innerftien Quellpunkt des Glaubenslebens heraus ein Reues 
geboren werde.‘ 

10. Neues Jutereife für ältere Mufil Gin foldhes hei 
fh in zunehmendem Maße tundgegeben, und zwar durch neue Ausgaben 
älterer geiftliher Tonwerke, dur Aufführung folder Werte in Concerien 
und durd die Bemühungen um die gottesvienftlidhe Verwendung verjelben, 
„Die Strömung des Zeitgeifted”, fügt Franz Brendel in ver „Reuen 
Zeitſchrift x.“, 1866, 1, „iR zunächſt darauf gerichtet, mit der Ber 
gangenbeit abzurechnen, das überfcmmene große Material aufzuarbeiten, 
die Schäge frübererer Zeit mehr und mehr der Menge zugänglih zu 
machen.“ 

Yu demſelben Sinne, nur mit jpeciellem Dezug auf protefautijde 
Mufl, äußert ih Guſtav Mülheim Teſchner in der Borrede zu feiner 
neuen Ausgabe der „Kirchengefänge” Gans Leo Haßler's. „Unſtreitig 
bat vie Theilnahme und das Intereſſe für den älteren geifliden 
Kunſtgeſang, für den protefantifhen Tonſat insbefondere, je 
den legten Jahrzehnten bedeutend zugenommen. Die Rille, tief innerlide 
Macht dieſer bebren, jungfräulich keuſchen, reinen Kunſt einer veligiös be 
geitterten Bergungenheit bat ſelbſt gegenüber den Pofaunenftüßen ber neu: 
romantiſchen Schule des abjoluten Gfiectes von Reuem immermehr Anerken⸗ 
nung gefunden Dielen böhf erfreulihen Umfjchwung der Dinge verban: 
fen wir offenbar pmädhft und am meiflen dem großen umfangreichen Duck 
lenwerte über den evangelifhen Kirhengefang von Winter: 
feld. Gab daflelbe doch den Anfiob zu weiteren Forfdungen auf ben 
Gebiete des proteſtantiſchen Choralichages, unter denen vorzugsweiſe die 
wertboellen Arbeiten eines Filis, ert, v. Tucher, Laprig u. A. zu 
erwähnen find.” 








Gefang. 839 


‚Auf katholiſchem Gebiete treten uns zahlreiche Kundgebungen in gleihem 
Sinne entgegen. Bir kommen auf den Gegenftand zurüd. . Hier jei nur 
zweierlei angeführt. Bei der 17. Generalverfammlung in Trier flellte Prä- 
fect Haber! aus Paflau den Antrag: „Die harmoniſchen Compofitionen 
der mittelalterlihen Meifter follen verbreitet und gepflegt werben, und es 
find zu biefem Bwede das Werk der Musica divina von Dr. C. Broste, 
Towie die Sammlung von Lüd zu empfehlen. In dem Berichte darüber, 
„Säcilia“, 12, beißt es: „... Es handelte ſich um jene Meilterwerte, 
die uns unter Katholiten Proske allein im ihrer urjprüngliden, unent: 
weihten Geſtalt dargeboten, um die Werte eines Paleitrina, Drlando, 
bie in der Muſik das Naͤmliche leifteten, was bie großen Meifter der Ars 
chitectur, Bildhauerei und Malerei im Mittelalter auf ihrem Gebiete her⸗ 
vorbracdhten.” Der Antrag wurde wehrfeitig unterftügt und einflimmig an 
genommen. — Franz Witt in feinem ſehr anziehenden Aufſatze: „Gi: 
nige wenig gelannte Gomponiften des 16. Jahrhunderts“, 
„Cäcilia“, 12, ſagte: „Jeder Orden koönnte und ſollte über bie hervor⸗ 
ragenden mufitalifch ihätigen Mitglieder feines Ordens Notizen ſammeln. 
Freilich ſind ſolche Forſchungen ſehr mühſam; allein nur dadurch kommt in 
die Muſilgeſchichte Licht und Klarheit, und gar viele brauchten nur eine 
genauere Kenntniß jener herrlichen Runftepoche, um von Begeilterung für 
diefelbe erfüllt zu werden.” 

11. Würdigung des Neueren. Sie ift eine verſchiedene. Wäh 
rend Ginige fi) ganz in das Alte verfenlen und bas Neuere verwerjen, 
tragen Andere mehr oder weniger auch dem legteren Rechnung, und es 
iR bauptfählih die Brendel'ſche „Neue Zeitſchrift für Mufil”, 
welche es verneint, daß irgend eine Periode bie Kunft allein bejeilen babe, 
uud im Gegentheil eine fortwährende Entwidelung forbert und 
fördert. Diejelbe Stellung nimmt u. A. auh Gottſchalg, der Redacteur 
der „Urania‘ ein. 

Ich halte es für irrig, daß nur die Vorzeit im Stande geweien, geift 
lich zu componiren, die Gegenwart aber unfähig dazu ſei. Daß lebtere 
der Kirche mandes Unkirchliche, Aeußerliche, der Glaubenstiefe und Ins 
nerlicgleit Entbehrende dargeboten hat, ift allerdings nicht zu verlennen. 

Dir kommen weiter unten auf den Gegenfab zwiſchen dem Alten und 
dem Neuen zurüd, 

12. Sebafian Bad. Mbermals it Vieles geſchehen, um ber 
Syeptzeit die Merle des großen Meifters wieder näher zu bringen und mebr 
und mehr verftändlih zu machen. Dazu ift u. A. die Aufführung ber 
Matthäus: Baifion in Karlsruhe nebft dam über biejes Oratorium 
gehaltenen Bortrage von Carl Dreher, abgebrudt in der „Ev. Kits 
henzeitung”, Ne. 72, zu rechnen. Dort beißt ed: ... „Haydn, 
Mozart, Beethoven, jelbit Händel haben mehr oder weniger ihren 
Ausgangspunft von der im Allgemeinen befannten, italiſchen Schule 
genommen. . -. Bad dagegen, ber ächt deutſche Meiſter, fieht für bie 
Heiften ifolirt da; feine Werke find für das große Publikum anfänglich 
unverftänpli, eben weil zu ihm eine belannte VBerbindungsbrüde feblt, weil 
es fo ſchwer hält, die Glemente feiner Kunft aufzufinden, Nicht durch die 


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ng fi N eigenthäiig ve und fehr —8 er dieſelben in Gr 
ab f Ihm feine, er i te Melodie wieder 4 verwenden. Jede feine 
im 3 N ber Brößte mufit nt dieder ein and fe; Manieren fintrz 
Annerſten übe eugt Halifche Ereget des — und body ſtets derfelbe 
ſchwung al e ‚ bon deſſen Erhab enbeit * Hefe in Baprkeit e 

Werke Baleftrinz ie, Crbabenpeit und ber en iR. 
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Geſang. 393 


Hnen iſt die höchfte Einfachheit mit der flaunensmertheften Kunft der Ar 
"4 vereint und darüber ruht eine himmliſche Ruhe und Aarheit: Mitten 
n'den beengenpften Schranten der Polyphonie vermag er eine fo geniale 


Bu Freiheit der Stimmführung zu entwideln und zu behaupten, daß man ſich 
— Tmwilltirlich zur Anbetung und Bewunderung gezwungen fiebt; ein Haudqh 


y 


pnlichen Geiſtes zieht durch feine Tonſätze, ein Schimmer himmliſcher Bert 
Jarung liegt: auf ihnen. Wie beklagenswerth iſt es, daß dieſe Werke zu⸗ 


- — Zain Folge des Eindringens der Inſtrumentalmuſik in die Kirche, dann 
⸗aner Ueberhandnahme erftaunlicher Geſangsvirtuoſitaͤt und zuletzt gaͤnzlichen 


Mangels an aller Geſangskunſt, uns jo gut wie völlig verloren gegangen 
— Fmb,. d. h. nicht: verloren in ihrem Vorhandenfein, fondern verloren für’ bie 


— Rice und für die Gläubigen, da fie nicht mehr aufgeführt und gehört 'merden 
.-  —Einnen nen Die Kirche Hat ſich felbft ihres köſtlichen Schmudes be 
: — --ranbt, feit fie auf die Werle der alten Meifter, die ihr die jhönften Früchte 


ihres Genies dargebracht haben, verzichtet bat. Wir verlennen das Gute, 


2 = a8 und auf dem Gebiete kirchlicher Tonkunft die legten Jahrhunderte ges 
= bracht haben, nicht und vermögen und an ben klaſſiſchen Werken von Mo⸗ 
— - zart, Haydn, Beethoven, Cherubini und Anderen innig zu erfreuen, einen 


—⸗ 
—— 


Erſatz aber für die alten Meifter für dasjenige, defien man ſich leichtſinnig 
entäußert hat, können wir nun und nimmermehr darin erbliden.“ 8 chle t⸗ 
terer a. g. D., ©. 149. 


2. Der Chor. 


14. Seine Stellung. Auf das Unfihere und Fragliche derjelben, 
fowohl was die Beziehung zum Gottesdienfte, als was die äußere Eriftenz 


“ betrifft, weift u. U. Schletterer miederholentlih bin. Früher fei das 


anders gewefen. ... . „Wir glauben annehmen zu dürfen, dab von An⸗ 
fang an in ver Liturgie ver lutheriſchen Kirche der Chor eine beftimmte und 
geeignete Stelle gegenüber dem Gemeindegefang eingenommen bat, die man 
ihm fpäter entzog, ſeitdem die Predigt ein fo erbrüdendes Uebergewicht im 
Euitus gewann, ſeitdem man die Schule einer ihrer ſchoönſten Beſtimmun⸗ 
gen — den Chorgefang in den Kirchen auszuführen — entfremdete, und 
feitoem man im Laufe ver Zeit begonnen hat, die Mittel, welche unfere 
Borfahren für die Unterhaltung und Pflege des Kirchengefanges zuſammen⸗ 
bradyten, ‚für andere und wahrlich nicht geeignetere Zwede zu verwenden.‘ 
leider muß zugeftanden werden, daß an vielen Orten die kirchlichen Schüs 
Ierhöre eingegangen und alle Verſuche einer Wiederberftellung derjelben 
erfolglos gemefen find. Gar ſchlimm ift feitbem die Lage mander Canto⸗ 
zen, die fh zu gewiſſen Chorleiftungen verpflitet ſehen, ohne jedoch 
Die nöthigen Chormittel — Sänger und Geld! — zu amtlider Der 
fügung zu haben. Es Tieße ſich ein Buch über dieſe Notbftände ſchreiben. 


Richt aller Orten werden die Anftrengungen erlannt, die Opfer gewürbigt, 


venen ſich vielleicht der Cantor unterzieht, um den Ehorgefang möglich zu 


mahen.. — — 
- 15. Ideales. Dennoch bielbt an fih im Gültigkeit, mas bie 


„Sv. Rishenzeitung” a. 9. D, fagt: „Auch der Chor muß biefe 


894 Geſang 


Eagelſprache des Geſanges reden, in ihr beten lernen. Eine 
ſchwere Aufgabe für unfere Tage, die eben deshalb in Schulen und 
lehrer-Seminarien fleißig zu beachten fein moͤchte! Auch das möchten 
auf das Entſchiedenſte accentuiren, dab zu foldhem ——— 

Rattet werben ſollte, wer ihn als lebendiges Glied 

nollsieben bereit if. Deshalb if ein jeder Anfang zur Bildung 

chenchoͤren aus den Gliedern Der Gemeinde, aus Kelten Gliedern, die 
dem Herrn mit Freuden bienen wollen, mit großem Dank gegen Bott zu 
grüßen. Nur da if es möglid, daß auch der Chorgefang Wahrheit 
hab der Ghor betend fingt und fingen» betet, umd alles, nur 
gexub und Kuna begwedende Zejen gäylih von —— fen gehel- 


Mh 


$ 


8 Ber Choral. 
a. Der proteſtantiſche. 


16. Seine Form. Die Frage: Db chytbmild, ob aus: 
eglihen? hat aufgehört, zahlreiche und lebhafte Erörterungen 
—— Anzuführen iſt jedoch Folgendes: 

Schletterer ſteht auf Seiten ver Vertreter des rhythmiſchen Che⸗ 
rals. Er ſagt a. g. O.:... „Mit der Reformation wurde die Melodie 
nicht mehr allein vom Geiſilichen oder vom Chore geſungen, ſondern eiw 
fimmig von der ganzen Gemeinde. Man mußte daher bei ver Wahl ver 
Weiſen fein Augenmerk auf ſolche richten, die entwerer fchon allgemein be 
launt oder doch fo zugänglich und faßlich waren, daß fie leicht erlernt und 
behalten werben konnten. Am liebften nahm man weitverbreitete Volls⸗ 
melodien in die Kirche berüber, und fo wurde es möglich, dem menotemen 
gregoxianiſchen Choral almälig einen — ae ren 
Bollögefang entgegenzufegen. Der jugendlich frohe, jubilirende Geif, 
die Firhlichen Dichtungen der Reformationsperiode —* —*8 
auch die Melodien derſelben.“ Aber ſchon im 17. Jahrhundert begimut, 
wie des Ber, weiterhin berichtet, die „NRivellirung des Chorals in gleiche 

"— ‚Bas man durch diefe Nivellirung eingebüßt hatte, das 
ſuchte man durch geſchmadloſe Schnörkel und läderlide Zuthaten gu en 
feben.” Im 18. Jahrh. „wirb die Meform des Chorals, d. b. feine gelind- 
lie Demoralifirung, glüdlih durdgeführt.” ... „Der Choral verliert 
jede rhythmiſche Gigenthümlichleit. Selbſt die breitheilige Taftart wirb aus: 
gemerzt und bie ausſchließliche Herxihait des geraden vierikeiligen Taltes 
burchgejeßt. Es eutfiehen eine Menge neuer, unvollsthümlicher, kangweiliges 
Melodien. Alles, was noch in den vorhandenen Weifen an jene erdabene 
Kraft und den erjhütternden Irnft der alten Kirche erinnert, wird jongpältig 
venpnitt und ausgetilgt, fo daß zuiebt fogas jeder größere Intervallenſchritt 
durch Tleine Noten ausgefüllt und überbrüdt wird.“ ... . ‚ „In ber &he- 
ralbudliteratur des 19. Jahrhunderts findet fchließlih eine große Schei⸗ 
bung Batt, je nachdem ein Ghoralmert in Wie Beit vor ober nad don ni 
formbeitrebungen fällt. Die erflere Klafie bringt die — 


4 


Gefang. BAR 


Ralt, die fie im Laufe der Zeit angenommen haben — lahm, wermäfle, 
ſchwunglos — die andere Klaſſe fucht den jogenannten rhythmiſchen En 
ralgefang zu fördern und gibt die Singweiſen in ihrer Drigi 

Ueber die Zulunft des rhythmiſchen Chorals fagt ber Berfafler : 
„Roh hat die Frage, ob der rhythmiſche Choralgefang durchzuführen. it, 
eine allgemeine Erledigung nicht gefunden. Die Zahl feiner Gegner, befow 
ders unter den Geiltlihen, ift noch jehr groß. Dennoch haben viele pro⸗ 
teftantifche Gemeinden in Bayern, in denen ber rhythmiſche Geſang einge 
führt ifl, den fchlagenden Beweis geliefert, daß derſelbe durchführbar if 
und die Würde des Gottesbienftes durch ihn in feiner Weiſe beeintwächtigt 
erſcheint. So begen wir denn die frohe Zuverſicht, daß mit dem gereinig« 
ten SLieverterten allmälig aud die Driginalweifen unferer Kiche zurüd» 
gegeben und daß endlich dieſelben Worte und diefelben Melodien in allen 
proteftantifchen Kirchen Deutſchlands gebraucht werden.” 
- 47. Sortfegung Auguf Reimann fabt den Uebergang 
des rbythmiſchen Chorals in den ausgeglichenen nit als Verfall, jom 
dern als einen ſich mit Nothwendigkeit vollziebenden organiſchen Bros 
ceß auf. Ich theile das von: ibm Gefagte mit, und zwar unter Voraus⸗ 
Ihidung des Paragraphen, welcher im Allgemeinen von dem Urfprunge 
des proteftantiihen Chorald handelt. „Auf den Boden der chriſtlichen 
Lebensanſchauung verpflanzt, gewinnt das Vollslied eine neue Form, 
es wird zum geifllichen Bollsliede im Gboral. Daß ſchon früh vor 
der Reformation ein geiftliher Volksgeſang in deutlicher Sprache fi 
bildete, wurbe bereit erwähnt. Auch in der Kirche mag er Eingang 
gefunden haben, doch nur vereinzelt. Erſt in ber Kirche der boöhmiſch⸗ 
mäbrifhen Brüder erlangte er größere und allgemeinere Pflege und 
durch Luther wurde er vollftändig herrſchend in ber proteftantischen Kirche. 
Wenn auch feine Thätigleit in Bezug auf Erfindung ber Melodien in dem 
Umfange, wie bisher in der Regel angenommen wurbe, nicht erwieſen ift, 
fo ift doch feine gefammte übrige Wirkſamleit für die Förderung und Bey 
breitung des heutjchen Choralgefanges unbeftritten groß und erfolgreich. gewe⸗ 
fen. Die Melodie des alten kirchlichen Hymnus gebt ebenſo wie die Volls⸗ 
melodie in den proteftantiihen Gottesbienft über und wird bier Gemeinde⸗ 
lied. Aber dieſe Melovien werden ganz bedeutſam umgeftaltet. Namentlich 
werben die Schlüſſe entichievener der Strophe mit klingendem Schluß ent« 
{predenb herausgebildet. Das proteftantiiche Gemeindelied, der Choral, 
folgt ganz treu dem Princip des Reims wie das Bollslied, aber er ftellt 
es mufilalifh nicht mit dem mannichfachen rhythmiſchen Hülfsmitteln dar, 
fondern nur mit dem intenfiv unterjheidenden Accent einer rubigen Melo— 
dieentfaltung, gebrängt metrijcher Einheit und mit dem Harmoniereichthum 
des alten Hymnus. Die Hymnen fügten fi natürlich dieſer Umgeftaltung 
am willigften ; fie waren ja in dem für ben Gemeindegejang einzig mög⸗ 
lichen accentuirenden Rhythmus erfunden. Den Bollsliebweifen mußte nas 
türlich erft ihr weltliber Schmud, ber ſinnlich reizwolle Rhythmus abge 
fireift werden.” ... . 

„Bei Heinrich Schüß 1585—1672 wirkte der italienifche Einfluß bes 
flimmend auf bie Weiterentwidelung des nur accentuirend rhythmiſchen Cho⸗ 


2 


896 Geſang. 


vos durch jene Choralbearbeitungen, in denen er die langen Roten mif 
den kurzen vertaufchte, die nicht eigentlich rhythmiſch und obne Beobadıtung 
einer. beftimmten Taktart gejungen wurden. Schon in den unmittelbaren 
Nachfolgern, bei Johann Hermann Schein und Andreas Hammer: 
ſchmidt wird dann der Choral faft ganz nur accentuirend rhytbmifh. S h ein 
flellt "zwar den Rhythmus noch in Noten von verfhiedenem Werth dar, 
aber nicht in rhythmiſchem Werhjel, fondern nad dem PBrincip der Quan⸗ 
Mätsmeffung. Wie das Princip fi dann in der Poeſie allmälig ganz 
verlor und der Accent Versmaß und Strophe zu beberrfchen begann, ver: 
lor fi jenes Princip auch in der Mufil, und für ven Choral blieb ver 
nur accentuirend bargeftellte Rhythmus jetzt der einzig zwedmäßige, baber 
wird ihm allmälig jene Verſchiedenheit der Darflellung rhythmiſcher Make 
übgeftreift, die Zöne von gleicher Zeitdauer werden nur dur den Accent 
unterſchieden. So erfcheinen ſchon die für den Gemeindegeſang beftimmten 
Ghoralbearbeitungen von Hammerſchmidt; ebenfo von Carl Briegel, 
Chriftian Flor (+ 1692), der noch bin und wieder rhythmiſchen Wechſel 
it feinen Bearbeitungen anwendet, überläßt (nad der Vorrede zum zwei 
ten heil) dem Ausführennen, welchem der Wechſel nicht gefällt, lauter 
Ehoralnoten davon zu mahen. In den nachfolgenden zahlreihen Choral⸗ 
fammlungen findet felbft der Zripeltalt nur bei wenigen Melodien noch 
Gingang.“ 

18. Fortfegung. Gegenüber der von Einigen aufgeftellten Be 
hauptung, daß die Gemeinden niemals chythmifch gefungen hätten, könnte 
zum Beweiſe Mes Gegentheild auf Hanns Leo Haßler's „Kirchen: 
gefänge” xc., neu herausgegeben von ©. W. Teſchner (vergl oben 
Nr: 18) hingewiefen werden. Das Wert enthält 67 Choräle in rhyth⸗ 
miſcher Form und es wird ber Cantus firmus derfelben von Teſchner 
ausdruͤcklich als dem „Gemeindeliede‘ angehörig bezeihnet. Auch 
fagt Haßler in ver Vorrede felbft (1608): „Nachdem ich vor wenig 
Jaren | nur etliche Teutſche Geiftlihe Gefäng | auff den contrapunctum 
sirhplicem, mit vier fiimmen folder art vnnd maſſen gefeßet | daß dieſel⸗ 
bigen auch inn den Chriftlihen verfammlungen | von dem gemeinen 
Mann | neben dem Figural mitgefungen werben fönnen | darüber jelbften 
aud vermerkt vnd erfaren | daß foldes in den Kirchen zu Nürnberg | al« 
lermeift aber | vnd zwar anfängflich | inn ber Kirchen bey vnſern Frauen | 
fo woln in meiner | als anderer bergleihen composition, von der lieben 
gemeinen Burgerfchafft | mit fonderer anmutyung | Chriftlidem luft vnd 
eiffer geſchehen: Hab ich | zwar zu feinem andern end | dann zu Lob vnnd 
Chr deß Allmächtigen | mehrer ermunterung vnd erhebung Gottfeeliger 
Herben | ond erwelfung gröfjerer andaht zum Gebett vnnd Panffagung | 
auch die andern Gefäng vnd Pjalmen | fo vil man deren | nicht allein 
inn den NRürnbergifhen | fondern auch andern Chriftlihe Kirchen | durch 
das ganke Jar zu fingen geübt vnd gewohnt | auff gleihmäfjige Ma: 
nier | nicht zwar der jubtilen vnnd groſſen kunſt nach | fonder als für 
einfeltige Chriſtliche bergen componim | vnnd in Drud außlommen laffen 
wöllen.’ ’ 








Gefang. 803 


19. Fortſetzung. Ein Zeugniß für ben rhythmiſchen Choral legt 
auch die „Ev. Kirchenzeitung“ ab, wenn fie in Nr. 42 jagt: „Uns 
fern geiftlichen. Vollsgefang — den Ehoral — aus feiner Erſtorbenheit zu 
‚weden, die alten Lieder nad) Tert und Melodie in ihrer alten Kraft, Weite . 
beit und Schönheit wieder in Uebung zu bringen, die geiftlofe und geiſt⸗ 
tödtende Verſchleppung, die Zerreifung und Störung der Rhythmen durch 
Gleichmachung des Längenmaßes aller einzelnen Töne, durch Zwifchenfpiele 
der Orgel, durch Vermeidung jeder rafcheren Bewegung, zu befeitigen und 
diefe Lieder in einer das "Leben wedenden Geftalt da dem Cultus einzufü« 
gen, wo. das Bedürfniß zu fingen am fräftigften ſich regt, das find die 
Beftrebungen, die feit geraumer Zeit in der evangelischen Ehriftenheit 
Deutfhlands ſich kundgeben und die au bisher nicht ganz wirkungslos 
geblieben find.” 


Mas bie mir vorliegenden Choralwerle aus dem Berichtjahre betrifft, 
jo giebt G. W. Teſchner, wie ſchon erwähnt, die Choräle Leo Haßler’z 
dem Original gemäß in rhythmifcher Form; bei 2. Ertl und C. €. Par 
„Ehoräle ‚für Männerftiimmen‘‘) finden ſich beide Formen, die „alte“ und 
die „neue ; fonft überall kommen nur ausgeglichene Melodien vIx. 


20. Wefen und Werth des proteftantifhen Chorals. 
Eine wichtige Stimme ‚hierüber vernehmen wir aus Tatholifhem Munde in 
Zellner’s „Blättern für Theater, Mufit und bildende Kunfl“, 
1866, 42, wo es alſo beißt: ... . „Dagegen beruht vie proteflantifche 
Kichenmufit, deren Gntftehen vor bie Paleftrinaifche Reformepodhe, welche 
die ‚entaxtete Kirchenmuſik wieder in die Bahnen der Würde zurädführte, 
fallt, die alfo zu einer Zeit erfhaffen wurde, in welcher der katholiſche 
Kirchenſtyl gerade den Gulminationspunlt feiner Verwirrung in ‚der: Schule 
Der ‚Niederländer erreicht hatte, auf dem Haren Grlennen der Widrtigkelt 
eines gemeinfaßlichen, daher vollsthümlichen Geſtaltung der gottesdienſilichen 
Mufil, an der die Gemeinde unmittelbaren Antheil nehmen ſollte, an: ver 
fie fi direct erbauen. konnte, weil fie ihrer Faſſungskraft volllommen ent 
ſprach und überbies das tief eingreifende Mittel der lebendigen, dem Volle 
angebörenden Sprache zum Untergrunbe hatte. Der Choral, die Bafis der 
proteflantiichen Kirchenmuſik, belanntermaßen aus dem Bollsliede hernorge 
gangen, ober vielmehr das Vollslied felbft, ift eine Form, welche Einfach⸗ 
heit und Würde in glüdlichfter Weife vereinigt. Seine Faßlichkeit liegt 
in der Liepmäßigleit feines Weſens, der Knappheit, mithin Ueberſichtlichkeit 
feiner Structur, feine Kraft in der Gewalt des Einklanges, feine Würde in 
der Gemeſſenheit der Bewegung, in der Diatonik, fein Ernſt in ven ‚der 
katholiſchen Kirche entlehnten Zonarten. Haben nun auch im Laufe ber 
Beit und mit dem Hinzutreten des ſelbſtſtaͤndigen Orgelipiels und. ver In⸗ 
firumente kunftwollere Formen (Formen, die heute der Gegenftand ber höch⸗ 
ften Runftbemunderung find) begonnen, ven Choral zu umſpielen, fo blich 
das Weſen des Chorals felbft unberührt, und die reichere Ausihmüdung 
bat ihm feine Volksthuͤmlichkeit in nichts genommen oder beeinträchtigt.” 

' u) 


| 


808 Geſang. 


b. Der katholiſche Choral. 


21. Der gregorianifhe Choral „Gregor d. G. in ſeinc 
Abneigung gegen die Heiterkeit weltliher Bildung, feste der —e 
Friſche und Fülle des ambroſianiſchen Kirchengeſanges den trüben Ernſt bed 
Mönchageſanges, wie ex ihn ſelbſt liebgewonnen hatte, entgegen ; ftatt des 
melodiſchen Schwungs, der dem ambrofianiichen Gejange eigen war, führte 
er, von der Anfiht ausgehend, dab beim chrütlihen Cultus die bödfle 
Kunſt in der höchſten Cinfachheit angeftrebt werben müſſe, ein eintönig ja 
segelmäßigen Talten wiederlehrendes, mit einfachen Modulationen fi erhe 
bendes Recitativ ein und während die ambrofianifhe Geſangweiſe die Mit- 
theilnahme der Gemeinde beanſprucht hatte, zeigt uns der gregorinnilde 
den moͤnchiſch ſtrengen Abſchluß der Kirche nit nur gegen die Melt, jan 
dern auch gegen die Prieflerlichleit des chriſtlichen Volles im Tempel Es 
iſt jedoch nicht zu leugnen, daß Gregor in feinen Gejängen ven erniten 
Greif der Andacht, des Gebete? und der priefterlich gepaltenen Begeifterung 
tnübertrefflih auszubrüden und feitzubalten wußte” So Ehletterer 
.0.g D. Als Prieſter⸗ und Chorgefang ſteht alfo, feinem urfprünglicen 
Weſen nath, der gregorianifhe Choral dem in fpäterer Zeit auch in ber 
latholiſchen Stiche üblidy gewordenen Gemeindegeſange gegenüber. Die leg 
ten Jahrzehnte haben rühmliche Arbeiten, theils über die Lehre, theild Aber 
die Wiederbelebung des gregorianiſchen Geſanges entſtehen ſehen. 

22. Fortſetzung. Eine der wichtigſten iſt die ſchon unter Rz. 7 
genannte Gchrift eimes Benedictinermöndes übers „Choral und Liturgie 
Daß der Benedictiner den gregorianiihen Choral bauptfählic als Brie 
Rergejang auffabt, gebt u. U. ans folgendem Ausſpruche hervor: „Um 
Choral zu fingen, ift muflalifhes Gehör, einige techniſche Kenntniß 
sun Uebung, vornehmlich aber Yeömmigleit und gejunder Sinn erforbes 
lich; — um gut Choral zu fingen, muß das Genannte in erhöhten Grabe 
varhauden und überdies gepanrt fein mit dem Verſlaͤndniß ber lateinifchen 
Sprade und lirchlichen Litusgie; — um ewlih volllommen Choral zu 
fingen, bebarf es zu alledem perfönlicher Heiligkeit, denn ber Choral fans 
vom Heiligen und iſt jelbft ein hbeiliger Geſang, ſowie eine umbilk 
dende Macht, die zur Heiligkeit führt.” Die Schrift ift von latholiſcher, 
wie nicht minder von proteſtantiſcher Seite mit hoher Anerltennung -beup 
theilt worden, jedod, und zwar wiederum auf beiden Seiten, mit Aus 
nahme der von dem Derf. kundgegebenen Unterfhäbung der polys 
phlonen Kirchenmuſik (des mehritimmigen Chorgeſanges). Da biss 
eine Principienfsage betrifft, fo fei noch das Folgende baniber mit 


28. Yortfebung. Ber Benedictiner meint: Je veiner und inniger 
fh im Gefange Poeſie und Mufit verfchmelzen, je treuer, anſchaulicher und 
unmittelbag die Idee Geftalt -gewinnt, deſto edler bethätige ſich bie Kuuft. 
Sm der reinen einftimmigen Vocalmuſik, dem vecitativen Choral, „wo das 
Wort des Geiſtlichen, getaucht in den fühen Ton, in die Gngeliprade bes 
Geſanges übergeht”, finde das am vollftändigften und durchgreifendſten ſtatt. 


Geſang. 899 


Der polyphone Geſang gleicht ihm dem durch viele Rohren und Behälter 

en, wenn auch in farbig fankelnden Bechern eredenzten, jener aber 
dem unmittelbar am frifhen Born gefähöriten Waſſer. Dagegen bemerkt 
Die „Eoumgel, Stiechenzeitung‘ : „Das Eintauchen des Wortes in den. jüben 
Ton iſt ein weſentlicher und dem Geiſte des Menſchen notbwenviger Act 
gar vollen Offenbarung feine® Innern. Aber diefer Act führt weiter, weil 
dem Geifie des Menſchen mit vieſem Eintauchen nicht Genüge geſchieht und 
weil «3 ihm eben eben fo nothwendig ift, durch volles Ausſtrömen der 
Lime auch das noch auszuſchütten und zu offenbaren, was nur in biefen 
vollen Tönen ſich offenbaren lann. So entfteht der volle Geſang, fo ent 
ſteht Die wolle Munft mit allem Reichthum three Gaben, bie nit conven⸗ 
Koneller Natur und wilfkürlichen Urſptungs, fondern eben fo gewiß von 
Gott in die menſchliche Natur gefenkt find, als die Amfänge ber muftlar 
ijchen Reeitation. . Während das Wort bei der Recitation durcht 
aus dominitt, mehr geſprochen als geſungen und eben nur in den Strom 
der Muſiea getaucht, ven ihr gefärbt wird, ohne darin aufzugeben, 
gleichſam nur anklopfend an bie Thür, die zu dem Reich der Töne führt, 
oder m Ihr fliehen bleibend, breitet fi) bei dem vollen Geſange pas Reich 
der Töne um das Wort herum jelbftftändig aus, wie ein neues Kleid, mit 
vom das Wort überzogen wird. Sa es kann fo bebedit werden von ben 
Zönen, dab e3 in feinem alten äußern Gewande kaum noch wahrzunehmen 
MR, ohne daß dies ein „Berluft” wäre; denn das innere Wort wird in bies 
Sen Tönen offenbar, anders, neu, berrlicher als in dem äußeren Wort, 
md dieſe Offenbarung durch den Zon, wie er im Geſange zur Srfcheinung 
kommt, überfteigt die in dem Worte oder defien mufttalifcher Necitatten 
um fo "viel, als das Kleid der Töne herrlicher und feierlicher ift, denn bas 
des Worts.“ 

Das fi jeden Falls richtig, womit aber nicht gejagt fen folk, daß 
die Stimme des Benedictiners ganz zu überhören ſei, wenn er im Allge⸗ 
meinen forbert, daß dem Worte in wumfaflenderer Weife Rechnung getras 
gen werbe, als es nicht felten geichieht. — 

24. Der latholifhde Gemeindegeſang. Derfelbe befteht zum 
Theil in gewifien arienmäßigen Liedern (Marienliedern ꝛc.), die nad ihrer 
mufilalifchen Geftalt ſehr dem meltlihen Bolkslieve gleichen ; zum Theil im 
Gefängen ernfierer Form, Gemeindechorälen, kaum verſchieden von dem 
wwangeliicyen ausgeglidyenen Choral. Dies ift das „einfache deutſche Kir⸗ 
chenlied“, dem Dr. Franz Lorenz in feiner Scift: „Haydn, Mo» 
yart’s und Beethoven's Kirhenmufit ıc.” ben großen Vorzug 
heilegt, daß allein durch diefen Geſang die katholiſche Gemeinde eigent 
Ir und direct erbaut werde. — 


4. Kirchenmuſik im engern Sinne. 
a. Evangeliſches. 


25. Neform. Hier if bauptfählih darauf binzumeifen, daß von 
mehreren Seiten ber eine mwürbigere, nicht des kirchlichen Ernſies und bet 


am älterer geiftficher Muſil vorhanden, gemahnt wird. Schletterer fagt 
: Man möchte immer wieder und in immer bringenberer Zeile ben 


jurüdgelehrt, für die fie ihre gottbegeifterien Uxheber befiimmten.“ 


jernung 
genommen) der Jafrumentalmujil überhaupt. „Im die Kirche 
gehört nur reine Bocalmufil; fie wirft am befriedigenpflen, ermögs 


seihe Mibbräude, welche darch die Inſtrumente veranlaßt und unterküßt 
werden, — wir machen nur au) bem Unfug, der mit Solsgejängen in 


werwirft 
Shletterer die Santatenform, und zwar wegen der Solage: 
fänge (Arien, Duetten x. „bie umier ſich nicht jelten durch lange Rech 
tatine verbunden find“). „Selb die herrlichen, von einem gläubigen, ern⸗ 
Deu Geifte durchdrungenen Kirchencantaten Seb. Bach's ericheinen bei dem 
Borwirgen banftreiher Sologejänge weniger zum lirchlichen Gebrauch geeige 
wet. In der Kirche ſoll nicht Bas Individuum, ſondern die ganze Ge 
meinde, oder an ihrer Stelle der Chor, bir frommen Stunmung 


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Gefang. 401 


worden find, giebt Zeugniß davon, daß ein ernfter Geiſt unjere jungen 
Gomponiften zu durchdringen beginnt.‘ 


b. Katholiſches. 


29. Reform. Zahlreiche Stimmen baben fi im lebten und vor 
legten Jahrzehent ganz beſonders gegen den Berfall der katholiſchen 
Kirhenmufil erhoben, und es ift eine Nüdfehr zu der Einfachheit, dem Exrnfte 

. und ber Würde der alten Zeit entjchieden gefordert worden. Ob das Neuere 
ganz oder nur theilmeije zu verwerfen, ob die Inſtrumentalmuſik noch zu 
dulden, oder völlig zu verbannen jei, ob fih der Rüdgang im Bocale bis 
auf Baleftrina oder wohl gar bi8 auf Gregor erftreden ſolle, ob die 
Kiche und der Klerus allein zu befeblen, der Künftler nur zu geboren 
"babe, oder ob auch diefem eine Stimme zulomme: darüber find die Anſich⸗ 
ten allerdings in hohem Grade verſchieden. Cine vermittelnde Stellung 
nimmt im Allgemeinen die „Cäcilia” ein, während fi) dagegen in der 
Schrift A. ©. Stein’s (Pfarrer zu St. Urfula in Köln am Rhein): 
„Die katholiſche Kirchenmuſik“ eine unverföhnlihe Gegenjäplichleit 
gegen neuere Kunft und künftleriiche Freiheit fund giebt. Daß eine Res 
form ſich nah und nah vollziehen werde, wenn auch nit im Sinne 
firengfter Epelufivität, unterliegt feinem Bweifel; ihre Nothwendigkeit 
kann der nit in Frage ftellen, welcher den oft rein weltlichen Styl jener 
Mefien zc. kennt, welde namentlih in den Kirhen von Dörfern und Heinen 
Städten aufgeführt zu werben pflegen. 

30. Die „öfterreihifhe Kirhdenmufil.” Die vielfachen Bes 
denlen, welche gegen die Kirchlichleit auch der Mefjen ıc. von Joſ. Haydn, 
Mozart und Beethoven erhoben find, haben eine Vertheidigung dieſer 
Werte durh Dr. Franz Lorenz zu Wiener Neuftadt in der Schrift 
„Haydn, Mozart und Beethoven's Kirhenmufil und ihre 
tatbolifhen und proteftantifhen Gegner‘ hervorgerufen. Um 
die Cinwürfe gegen die „öfterreichifche Kirchenmuſik“, ald deren bedeutendfte 
Nepröfentanten eben Haydn, Mozart und Beethoven aufgeftellt wer 
den, zu widerlegen, faßt er fie in Folgendem zufammen: „Die oͤſterreichiſche 
Kirhenmufit ftammt aus der bereit3 gejunfenen neapolitanifchen Schule, die 
Mataboren derfelben, namentlih 3. Haydn und Mozart*), lebten, ſelbſt 


*, Wenn der Berf. gerabe in biefem Helumed ber gegnerifchen Argumente nur 
Haydn und Mozart, nit aber Beethoven nennt, fo liegt Dies wohl baran, 
Daß jene Argumente allermeift wider Haydn unb Diozart, viel weniger wiber 
Beethoven gerichtet find, befien Meſſen ja ohnebies eine gottesbienftliche Verwen⸗ 
bung nicht gefunden haben und nicht finden können. Kür unlirhlih an fich 
werben allerdings auch diefe Werke von Diehreren erklärt, 3. B. v. A. ©. Stein 
in der genannten Schrift und von Graf Laurencin in: „Zur Geſchichte 
der Kirgenmufil.” Erſterer jagt: „In ihren Meſſen haben Joſ. Haydn, 
Mozart und Beethoven nur ihre eigene Gemüthsſtimmung und ihre ſub⸗ 
Pectine Auffaffung ber Xertworte wiedergegeben, unb haben biejen Ausdruck 

Diejelben mufitaliigen Formen eingelleidet, beren fie fich im ihren übrigen 
Arbeiten bedienten, ohne auf den Eultus ber Kirche, auf bie Stimmung, welde 
Die Kirche bier in den Gemüthern hervorrufen will, überhaupt ohne auf bie 


Pad. Jahresbericht. XVIIL 26 


402 Gefang. 


frivol, in frivoler Zeit, waren bei Compofition ihrer Kirchenwerle vom Gin 
flufje vornehmer Mäcene und Weltmänner nit wmabhängig, braten zu 
gleich ihre eigene künftlerifhe Subjectivität mit auf diejes Gebiet, malten 
Situationen und Gmpfindungen in der Kirche, und fo entftanden jene 
Zonfhöpfungen, die, mwenngleih in anderer Beziehung Meifterwerle, doch 
allzu fehr individuellen Stempel tragen, viel zu mweltlid heiter, viel zu 
ſinnlich ſchön, viel zu prachtvoll rauſchend find, um noch als kirchliche zu 
gelten.‘ 

31. Fortſetzung. Die Entgegnungen ded Dr. Lorenz bilden 
den Hauptinhalt der vorl. Schrift, und man wird die leptere felbft leſen 
müſſen, um feine Anfichten vollfiändig Tennen zu lernen. Hier fei nur 
Died angedeutet: 1. Den Einwurf, daß die öfterr. Kirchenmufil ihren Ur: 
fprung aus ber bereits verborbenen neapolitanifhen genommen, fudt Dr. 
Lorenz durch den aus allen Kunftgebieten bergeleiteten Nachweis zu ent: 
träften, welch geringen Einfluß der Ursprung auf die weitere Entwidelung 
neu entftehender Kunſtepochen gehabt; „gleihwie e8 auch bei der Frage, ob 
‘eine neue Fadcel mehr oder weniger hell leuchten wird, vor allem auf fie 
und niht auf den herabgebrannten Stumpfen anlommt, an dem fie fi 
ehtzündet.” 2. Es könne kein Vorwurf für unfere Großmeifter fein, in 
ihren Kirchenwerken ihre Subjectivität ausgeprägt zu haben. „Ein Fehler, 
der von Phidias Yupiterflatue bis zu Beethovens D-Mefie herauf, ven 
Merten aller großen Genies anllebt, ift am Ende leiner mehr und aus 
der Abweſenheit deflelben fogar ein bedenklicher Schluß auf Abweſenheit 
genialer Begabung geftattet.” 3. Die chriftlide kirchliche Tonkunſt habe 
im Gegenfage zur heidniſchen das Recht und die Pflicht, beflimmte religidie 
Empfindungen auszubrüden, und Situationen und Zuftände wie die chriſt⸗ 
lihen Maler mit Farben, durch Töne auszumalen. Das ergebe ſich aus 
dem Wefen der hriftliden Religion. Bergl. oben Pr. 6. — 
4. Der Behauptung, dab Mozart und Haydn frivol in frivoler Zeit gelebt 
und gewirkt, ftellt Dr. Lorenz eine Reihe von Thatſachen zum Beweiſe der 
Gläubigkeit und der Frömmigfeit der beiden Meifter gegenüber, *) und be, 


Kirche viel Rüdficht zu nehmen. --- Sie flanden als Menſchen nicht auf derjeni⸗ 
en Höhe ber allgemeinen und riftliden Bildung, melde fie in den Stand 
ejetst hätte, dem geiftigen Strömungen ihres Zeitalter® zu wiberfiefen” u. f. m. 

— Bei G. Laurencim heift e8: ... „buch Haydu's unb Mozart's geif- 

reih-frivolen Kirhenfiyl warb bie Menge verwöhnt und verborben, durch 

Beethoven's phantaftiihrideaien hingegen geblendet.“ 

9 „Mit Entſchiedenheit, faft mit Entrüſtung weiſet Mozart in einem Briefe 

den Zweifel feines Baters, ob er denn auch regelmäßig zur Beichte gebe, zurid, 

and auch von Paris aus ſchreibt er an ihn, daß er, nachdem fein Concert 

lich abgelaufen, den Gott verfprochenen Rofentranz gebetet und dann im x 

zoyal ein Gefrornes zu fi) genommen habe. Der gewiegtefle, in ber irengfien 

Schule des Lebens gereifte Dann kann nicht gottergebenere, chriftlichere GSeftn- 

nungen begen, als de in dem unübertrefflichen Briefe ausgelprochen find, den ber 

kaum 22jährige Yüngling über den plöglichen erfchütternben Todesfall feiner Mut- 
ter in Paris an den alten Hausfreund Bullinger nad Salzburg ridtet..... 

In Leipzig fertigt er bie Nergeleien feiner dortigen Freuude — bie unpaſſen⸗ 

den katholiſchen Kirchenterte ſichtlich verſtimmt mit ben Worten ab: Ihe Prote⸗ 

Routen ahnet nicht, was unſereins bei biefen Dingen, deren Einbrüde man -fchon 














Gefang. 403 


bauptet ſeinerſeits, daß die ganze leichtfinnige Gewiſſenloſigkeit ber Gegner 
nebft einer gehörigen Dofis Effronterie dazu gehöre, um ſolchen Thatſachen 
gegenüber ſolche Verläumbungen zu magen. 5. „Woran liegt's aljo, wenn 
die öfterreichifche Kirchenmuſik nichts taugt? an der verfehlten Kunftrichtung ? 
am Styl?“ Go frägt der Berf. und fährt dann fort: „Und da liegt’s 
auh”, ruft Vater Thibaut („Ueber Reinheit der Tonkunſt.“ 
4. Aufl), „eure Kirchenmuſik, ihr Phaͤalen, ift ja viel zu aufgeräumt und 
heiter, um noch als foldhe gelten zu können. Pfui, Gott fo anzutrompe 
ten und anzupaufen; als ob er der luſtigen Geſellſchaft nichts zu fagen 
hätte!“ Dem flellt nun Dr. Lorenz Folgendes entgegen: Heiter ſei 
jede aͤchte, wahre Kunſt, auch bie religiöje, zu allen Zeiten gemwejen, wie 
ſich dies in der Gothik der altveutihen Bauwerke, in der Kunft jener alte 
deutihen und altitalieniihen Maler, die doch vor allen andern den Stem⸗ 
pel wahrer Froͤmmigkeit trägt, ja, bei aller Erbabenheit, auch in der Kunft 
Baleftrina’s zeige. „Was bat jener große Meifter, ein um 200 Jahre 
anticipieter Mozart, anders gethan, ald daß er, um Helmholtz's Worte 
zu gebrauben, an bie Stätte der gelehrt verwidelten Muſik der Nieder: 
länder den Wohllaut confonirender Accorde geſetßt, ſowie ihrerſeits in 
fpäterer Beitepoche die beiven Hahydn, Mozart und Beethoven den auf 
teaditionellem Yormalismus ruhenden Kirchenſtyl von Fur, Albredhtsberger zc. 
mit ihrem eigenen, von Gefühl, Geift und Schönheit durchdrungenen ver 
tauſchten. — Schön aber darf und foll jedes Kunſtwerk, aud das rel 
giöje, fein. Ein Runftwert, das alles, nur niht [hön, ift 
niht minder unvolllommen mie eines, das nur ſchön.“ 
6. Zur Widerlegung der Behauptung, daß die öfterreichifche Stirchenmufit ver 
würdenollen Einfachheit entbehre, zu lärmend, zu rauſchend, zu jehr Trompeten» 
und Paukenmuſik fei, weiſt Dr. Lorenz auf den gefammten katholifchen Eultus 
bin, der es wie fein anderer liebe, fih, namentlich bei Hochfeſten, ftatt an 
den kalten Verſtand, an Sinne und Herz der Gläubigen zu wenden. Gr 
beſchreibt in diefem Sinne: ein feierlihes Hochamt. — So fei denn Mar, 
fagt er zuletzt, daß die oͤſterreichiſche Kirchenmuſik in Bezug auf ihre an⸗ 
geblihen Gebrehen und Berbrechen wenigftens Mitfchuldige und die auss 


von Kindesbeinen eingelogen fühlt; ihr ahnet nicht, was man empfindet, wem 
man e8 nieberfchreibt: Benedictus qui venit oder Agnus dei miserere. 
„Haydn fiel täglich, während er an ber „Schöpfung“ arbeitete, auf bie 
Kniee, Gott um das glückliche Zuftandelommen bes großen Werkes bittend.‘... 
Alle feine Sompofitionen, auch) bie früheren, pflegte er Eingangs mit einem from⸗ 
men: „In nomine domini“ zu bezeichnen. ... Noch bewahrt Eifenflabt, als die 
rũhrendſte Reliquie, ven Betihämel, auf dem der große Dann täglich vor feinem 
Gott und Schöpfer in die Kniee geſunken; dieſen ſtets vor Augen zu haben, er- 
ahnt er aufs einbringlichfte die Chorknaben, darunter bem noch lebenden Uhl, 
als fie ihm ihre Aufwartung machten, beim Componiren von Kirchenwerlen nur 
an ihn zu benfen, nur ihm bie Ehre zu geben, ermahnt er Hummel ihren Singe 
meifter, Mozarts und Albrechtsbergers Schüler.” ... „Und dieſem Geiſt gegen. 
über fchredt man, fo wie bei Mozart, um das ſchwanlkende Lattenwerk ſelbſtfa⸗ 
Bricirter Hypotheſen zu flügen, jelbft vor Lüge und Berläumbung nicht zurüd, 
Igreist ben Blöbfinn nieder: „Haydn felbft babe gegen feine Kirchenwerke nur 
erachtung gefühlt”, magt bie Blasphemie: „Seit Haybn if bie Kirchen⸗ 
muſik gottlo® in bes Wortes ſcharfer Bedeutung!“ , 
26 


404 Geſang. 


gezeichnetſten darunter, an allen Eden und Guben ber Kunſtgebiete zähle, 
ja am Gude als Hauptmitſchuldigen die Hierarchie jelbit, die den Cultus 
mit jo vielem ceremoniöjen Pomp und finnlidyen Reizen umgeben, „unte 
welchen ohnehin“, wie einer im Unmuthe fi ausgedrüdt, „bie Sirchen: 
muſil noch als daseinzig Bernünftige, menſchlicher Weiſe Geniekbare erfcheint.‘*) 
32. FJortjegung. Uebergebend zu der Ftage „von ber mögliden 

und unmöglichen Reform der latholiſchen Kirchenmuſik“, unterſcheidet Dr. 
Lorenz drei biftoriidy gegebene Hauptformen der chriſtlich katholiſchen Tom: 
auf: den gregorianiihen, ven Balefirina: und den modernen 
Nirhenftipi **), ertennt jeder Fern ihre beienvere Berechtigung zu und will 
keine aus dem Cultus verbannt wien. Es foll bei dem „vernünftigen 
Gompromis‘ bleiben, auf das die Zeit, diefe große Notbhelferin und Ber 
mittlerin, die ganze Angelegenheit zurüdgeführt hat, feudem Gregor d. Gr. 
den amtrojumijden Grejang verbannte. Bon der alten liturgifhen Muñl 
(dem gregerianiiden Gejange, bat ſich gerade jo viel erhulten, als nothig, 
um den eigentlich tirdlichen Jumctionen jenen Charalter umerjchütterlicher 
Steligteit, des Daneraden im Wechſel ;u verleihen, den der Rathe: 
lcsmus als fein mweientlihes Merkmal und feinen Borzug betrachtet; vie 
übrige Kirchenmuſit aber but in den latbelijden Ländern bieffeit umb jez 
ſeits der Alpen allmitiih den mehr oder minderen Grab ber Gutwidelung 
errikt, deiien ne nach Beritiedenheit ren Zeit und Art fähig geweien. 
Dabei jollte man e3 bewenzen lajjen” Tie ausjühliden Grör 
kungen, melde dieſen Suse zur Stütze diemen, müfen an Urt und Cie 
nachgeleſen werten, benertt jei nur, daß auj bie großen Echwierigleiten 
der Ausfütrung bingewizien wüt, melbe enrüchen würben, wenn num der 
Baleſtrinaſtdl a caps.\a zjuliing wäre, jcıwi baf der Verj. einen Ausſpruch 
Riebl's anjubrt, Ber curitıeden zu Guaien ber firhlichen aflrumental 
—— wa zwar wegen icres Gininnjes auf des gejammie Mufilichen 
38 Jertjegung Uchrigens wül Dr. Lorenz bie Mängel uud 


= Teuer Yatie ud: des De. Yeremz ſeſlt miche, wirlmehr verweiß er 
ya Jirirı.r2 reihe a8 Urztexmarer's „Geh des Ehre 


| 


we mın 73 Ic den wımerzi:äez Irtzz 8 Tadel Runals eines Beſſern 

“ ‚An Nekeiam tier Aeer“, = 'ız Dr. ? ‘e au jemem ber 
Nett, iv ın Zixen ;e zurtirmerr, 22 Argmirizligiee ter germen, bee der 
dertemarnıten nri:zriem Geile ze) Soma yen auizutchrien, der 
weten Eizı eye Nette, Te ız Terre Aunarbenı Kur rm zu ER ge 

Da rim: aber er frz 84 2 voem Tıiefrina’s nicht am eimfacher 

et zer em Bin u ron au ihr Maren WBeblisut ter, 
aR Tardaus az? rem Prntiznz er, meülziichen Sprache meflen, 
wöheraT der greueiarrte Bar re Remise m Dem anf Rhpiberne 
wur Kearer darh tet Drerceeinz zte3 rer, mas tes Die ergöpt, ich als 
ent. „ter züt wem Ice Ber, is rt Erdüier ch autmeih, aber 
mare” ve wre zer Ir Fri reist Yorr „rem wer ellgemweinen Rirchlichkeit, 
mer et dea at un Sect „te. ° grientet, feuterm als eimer, bet 
ker& me ai Tier zer Mıincıeie tes wände Gepräge feiner 
Ju anr Seres Ertebere des Pmegez Gropee, Der SeihR auf Dem papflicen 


Gefang. 405 


Uebelftände, welche ſich in der Kirchenmuſik eingeſchlichen haben, ausgemerzt 
wiffen. Nur bierin, und nicht in einer Ausmerjung der Musica sacra 
felbft, könne eine vernünftige und nützliche Reform beftehen. Allerdings 
fei die Kirchenmuſik feit Haydn und Mozart in wenigen Decennien zu 
einem betrübenden und anftößigen Grade von Bermeltlihung und Frivolität 
berabgefunten, .... „jene große contrapunftifche Kunſt, die, ohne daß man's 
gewahr ward, ſelbſt den mehr melismatifh gehaltenen Theilen der Meſſen 
unjerer Großmeifter zu Grunde lag, machte nun. einem, nur den Uneinges 
weihten blendenden, lediglich auf Effect berechneten Raffinement der Com: 
poſition Plag; jene trefflichen, ächt kirchlihen Gradualien und Dffertorien, 
wie fie frühere Meifter gejhaffen, wurden nun burd jene modernen Einlag« 
flüde verbrängt, wo der Compofiteur der „‚geläufigen Gurgel” einer Gän: 
gerin Gelegenheit gegeben, mit den nicht minder „geläufigen Fingern“ eines 
Inftrumentalvirtuojen eine Art eleganten Zweikampfes zu beſtehen, oder 
irgend einem Männergefangvereine ein Stellvihein geboten, um fi und 
die andädtigen Zuhörer durch eine Art „geiftlider Alpenfängerei” zu er⸗ 
gögen. Dem ſoll gemehrt werden. „Verftände es unfere Hierardie, 
mit Klugheit und Entſchiedenheit bier einzugreifen, den Baum ſchonend, 
ihn nur von ben wilden Sprößlingen befreiend, fo ſtände unſere vaterf. 
Kichenmufit aufs neue verjüngt und gereinigt in all ihrer eigenthümlichen 
Schönheit wieder da, ebenbürtig dem Bellen, was in Jtalien und dem pros 
teſtantiſchen Deutjhland zur Verherrlichung der Religion in der Musica sa- 
ora geſchaffen worden. 

34. Fortſetzung. Bemerkt ſei noch, daß die Schrift des Dr. 
Lorenz in den „Signalen“ und der „Norddeutſchen Muſik— 
zeitung‘ zuftimmend beuriheilt worden ift”). An den Redacteur der 
legteren gelangte wegen Aufnahme der zuftimmenden Recenſion eine ano» 
nyme Zuſchrift, worin feine NHatholicität in Bweifel gezogen wurde. Gr 
bat diefen Zmeifel befeitigt und ſich dabei gegen die „Zeloten“ erklärt, 
welche die katholiſche Kirche au in Betreff der Muſik „hinter dag Mittels 
alter zurüdverfeßen möchten”. Auch die Nedaction von Bellner’s „Blät: 
tern für Theater, Muſik und bildende Kunft“ ftellt fi in der 
Hauptfadhe auf die Seite des Dr. Lorenz. Wiewohl fie „nicht allen fei: 
nen Argumenten unbedingt beipflihten möchte”, glaubt jie do, daß es den 
Gegnern nicht jo leicht fallen dürfte, diefe Argumente zu entlräjten. 

85. Der Herbed’fhe Styl. Eine „Wandlungsphafe des Meß⸗ 
ſtyls“, ift nah dem Urtheil der eben genannten Zeitſchrift angeftrebt in 
einer neuen Meſſe von Herbed, dem verbienfivollen Dirigenten des Mie- 
ner Männergefang:Bereind. Der Componiſt ift bemüht gewejen, „vie ans 
tife Ausprudsmeife mit den heutigen Ausdrudsmitteln zu amalgamiren, dag 
ebrfurchteinflößende Weſen des Paleftrinaftyld mit dem populären Zone 
der choralartigen Melodiebildung, den ftrengpolyphonen Kunftfaß mit der 


*) Die „Signale bezeugen ihm, baß er energiich Front mache gan „ben: 
Zelotiemus und Purismus, der von ber einen Seite nur den Styl Paleſtrina's 
nnd der alten Italiener überhaupt, von ber andern gar nur ben gregorianiichen 
Geſang gelten laſſen will,‘ 


406 Geſang. 


feingeaͤderten Charalteriſtik ſchildernder Elemente, die Objectivität der ge 
ſchloſſenen Vocalmaſſen mit der von ſubjectivſter Empfindung durchwehten orche⸗ 
ſtralen Behandlung, den Diatonismus des 16. mit der freieſten Chrome 
tit und Enharmonik des 19. Jahrhunderts — nicht blos durch Neben 
einanderftellung zu verbinden, fondern in einander aufgegangen zu machen, 
zu einem, das Gepräge organifdher Einheit tragenden Ganzen zu verſchmel⸗ 
zen. Das fei vielleicht nicht in Jebermanns Augen ſpecifiſch katholiſch; 
dafür aber fei die Meſſe durch und durch kirchlich, fie athme von ver 
erften bis zur legten Note religiöfen Geift, und darauf komme es an. 


36. Schluß. Cs fteht kaum zu erwarten, daß die Begenfäge, 
melde in den Anfichten und Beitrebungen der Katholiken hinſichts der Kin 
chenmuſik ftattfinden, ſich ſehr bald ausgleichen werden, denn dieſe Gegen 
fäse beruben im tiefften Grunde auf der verjchiedenen Art, wie das We: 
fen der Kirche jelbit von den Ginzelnen gefaßt wird und 
wie fie zu derjfelben ſich ftellen. Zweierlei läßt fi indeß vorher⸗ 
fagen: 1. Der gregorianifche und ber Paleftrinaftyl werben in ber großen 
Mehrheit der Kirchen nicht die berrfhenden werden, dazu iſt ber eine 
zu monoton und büfter, der andere zu ſchwer; 2. die leichtfertigen Kirchen 
mufilen, an melden bie Statholilen jo reich find, werden jedoch verſchwinden 
und — ernfteren, würdigeren Werten mit oder ohne Inftrumentalbegleitung 
nah und nah Pla machen. — 


C. Der Schulkreis. 
1. Die Bolksfchule. 


a Allgemeines. 


37. Aufgabe der Schule „Der Elementar: Gejangunterricht 
bat feine Aufgabe noch nicht erreiht, wenn er dem Schüler ein gewifles 
Maß techniicher Gefangfertigleit beibringt, Stimme und Gehör ausbildet; 
fondern das Enpdziel alles Geſanges in der Volksſchule befteht darin, 
daß die Schüler bei ihrem Abgang einen Schaß der ſchönſten und beften 
voltsthümlichen Lieder mit in's Leben binübernehmen, daß durch den Gefang 
das religiöfe und patriotifhe Gefühl der Rinder rege gemadt, der Sinn 
für das Schöne gewedt und überhaupt die Bildung und Bereblung des 
Gemüthes gefördert werde.” So Wilhelm Kothe in: „Kurzgefaß— 
ter Leitfaden für metbopifhe Behandlung des Gefangun: 
terrihts in der Volksſchule.“ Derjelbe feht binzu: „Die glüdliche 
Löfung diefer Aufgabe jebt voraus: daß die betreffenden Gejfänge mit gro: 
Ber Sorgfalt eingeübt und häufig wiederholt werden; daß die Lieder nad 
Tert und Melodie anſprechend und wirklich werth feien, über die Schule 
binaus behalten zu werben; daß ein beitimmter mohlgeorbneter und ge 
nau abgegrenzter Lieder: Curjus feitgebalten werde, nicht allein im einer 
Klafie, einer Schule, fondern in ganzen Bezirken. Leider macht fid 
— mas die Auswahl des Gefangftoffes betrifft — die perſönliche 





Gefang. 407 


Liebhaberei zum Nachtheil des Ganzen wohl felten in fo hohem Maße 
geltend, wie bier.” 

N Stolley fagt in jeinem „Geſangfreunde“: „Der Geſang 
dient mehr als ſonſt ein Zweig des Schulunterrichts dem unmittelba⸗ 
ren Ausdruck des Gemuͤthslebens. Dieſer Umſtand, wie der andere, daß 
der Geſang das Kind in's Leben hinein und durch's Leben begleiten ſoll, 
verleihen dem Geſange eine nicht geringe Wichtigkeit. Dieſem doppelten 
Zwed entſprechend, muß der Geſangunterricht beftrebt fein, 1. einem mög» 
lichſt edlen Geſang zu erzengen und 2. das Kind zum ſelbſtſtändi— 
gen Singen zu befähigen.“ Was den erſten Punkt betrifft, ſo will der 
Verf. ja wohl ſo verſtanden ſein, daß nicht nur in edler Weiſe (was 
Tonbildung, Accentuation, Ausſprache, Vortrag ꝛc. betrifft) geſungen wer⸗ 
den ſoll, ſondern daß auch edle Stoffe zur Verwendung zu bringen 
find. Auf die Forderung des felbitftändigen Singens Tommen wire 
weiter unten zurüd. 


b. Eine Norm für den Sejangftoff. 


38. Zahl der Choräle und Volkslieder. In dem auf bie 
einfachſten Ziele und ſchwierigſten VBerhältniffe berechneten Lebrplane des 
Seminarbirectord Dr. Schneider in Bromberg, für die einllafiige Volks: 
Säule, Gentralbl, 1865, 12, wird die Zahl der Choräle, und eben fo 
die der Volkslieder für die Unterftufe auf 5, für die Mitteljtufe auf 15, 
für die Oberftufe auf 20 feftgeftellt. 


c, Die Choräle. 


39. Jetzige Sahlage. Sn den meilten Schulen wird eine aus: 
reichende Anzahl von Kirchenmelodien feft und ficher eingeübt, und zwar 
mit Beachtung der landſchaftlichen Lesarten. Die Auswahl und Uebung 
der Choräle, jchließt fih, wie auh Kothe a. g. Orte empfiehlt, allermeift 
dem Feſtikreiſe des Kirchenjahres an. Was die Choralterte betrifft, fo iſt 
Bieles gefhehen, um vie matten und faben Reimereien, melde ſich eine 
Zeit lang in den Gejangbüdern breit mahten*), aus den Schulen ber 


*, So 3. DB. ein Lieb, welches ben Freveln fleuern follte, Die bei Anlage ber 
ebauflenn \ u g an ben zu beiden Seiten gepflanzten Bäumen begangen Wire 
. Da hieß ee: 


8.4. 
Wenn matt ber Wanbrer Labung fuht, Und nicht bes Silent Durft allein, 


Entblößt von Trank und Speife, Des Kranken Pein nur ſtillet 
Winkt ihm vom Baum die golbne ruht, Der Bäume Frucht; ein füßer Wein 
Er ißt und fegt die Reife Der aus dem Apfel quillet, 

Geſtärkt und fröhlich weiter fort, Erfreut auch des Gefunden Herz 
Erreichet den beſtimmten Ort Und führt e8 dankbar himmelwärts 
Unb dankt Gott für die Bäume. Zu Gott, dem Freubengeber. 


ZuB. 4 bemerkte die „Ev. Kirchenzeitnug“: „Man denle fi im Hin⸗ 
ne biefes Wildes etliche Wegeaufſeher, die ben geftärkten Wanderer ein⸗ 
gen.” 


408 Geſang. 


auszubringen, fie der wohlverdienten Vergeſſenheit zu überweifen und bie 
Kernlieder der Kirche an ihre Stelle zu feben. 

Faft allgemein, und zwar ganz mit Recht, werben die Choräle ein- 
ſtimmig gefungen*), womit nicht ausgefchlofjen ift, daß dann und wann 
aud einmal ein breiftimmiger Choral, woran die Schüler eine befonbere 
Freude zu haben pflegen, eingeübt werbe. 


d. Die Bollslieder. 


40. Die Sadhlage. Mehr und mehr find folgende Säße zur 
Geltung gelangt: Die Auswahl der Lieder erfolgt im Allgemeinen in der 
Stufenfolge vom Leidhtern zum Schmerern. Wichtige Borlommniffe im 
Schulleben (Schul: und patriotiiche Feite), die Rüdficht auf die Jahreszei⸗ 
ten ac. rechtfertigen indek mancherlei Abmweihungen. — Nur das Beſte ift 
für die Sinder gut genug. — In den unten Klaſſen werden die Volle 
lieder einftimmig, in den folgenden Klaſſen zwei⸗, nad Umftänvden auch 
wohl vreiftimmig gefungen. — Ein Normalftoff von auserwählten, immer 
wiederkehrenden, unverlierbar einzuprägenden Liedern foll feftgehalten wer: 
den. — Neue Stoffe find jedoch nicht ausgeſchloſſen, fie bilden einen zwei⸗ 
ten, freien Lievercurfus, binlaufend neben dem Hauptcurfus der conftanten 
Sefänge.. — Zum Normalftoff fagt Stolley**:.. „Es ift ein fchönes 
Ding um das Auswendigfingen, wenn Wort und Ton friih und frei aus 
der Bruft bervorftrömen, jo ganz unfer Eigenthum und mit und vermad» 
fen. Streben wir an‘, daß unfere reifere Jugend 10 bis 20 vollsthüm 
lihe Lieder, wo möglih diejelben, in biejer Weile nah Melodie und 
Tert fi aneigne. Es wäre ein großer Gewinn!“ 


e. Anbahnung des Lebensgefanges. 


4. Verwerthung der Lieder. Wie eine folde in ſehr zwed: 
mäßiger Weife ftattfinden könne, davon geben u. A. die in den „Berliner 
Blättern” 1865, Beiblatt Nr. 10, beichriebenen Schulfefte einer höhern 
Töchterfehule außerhalb Berlins ein Beiſpiel. Es fanden dieſe Feſte im 
Anſchluß an erinnerungsreihe Zage ſtatt. So am 31. Mai, mit dem ſich 
das Andenten an Joahim Neander, Friedrich Wilhelm L, 
Sriedrih den Großen, Hardenberg und Tied (melde beide jedoch 
nur vorübergehend zur Srwähnung kamen), fowie ferner an Ferd. Schill 
und %of. Haydn verband. Dem fortlaufenden Vortrage des Directors 
fügten ſich Gedichte, weldhe von den Schülerinnen geſprochen und Gefänge, 
welche von ihnen ausgeführt wurden, finnvoll ein. Das Ganze endigte 
mit dem A. Verſe aus 3. Neanders herrliben Liede: „Lobe den Herren, 
den mächtigen Koͤnig der Ehre‘, während der 1. ſchon beim Beginn des 
Feſtes gefungen war. Man leje a. g. D. das Nähere. 


*, „Der Choral ifl Gemeinbegefang unb sie folcher in ber Regel nur ein- 
Rimmig auszuführen” W. Kothe a.g. DO 

) Jedoch fagt A. Stolley a. g. De „Dos voltethämliche Lieb eigmet 
ſich vorzugemweile zur einflimmigen Ausführung. Das Lied mag in ber 
mehrfiimmigen Ausführung an Siebticfeit und Mannigfaltigleit gewinnen, c# 
erreicht fo aber nicht das Gewicht, welches ihm in ber Einſtimmigkeit beiwehnt. 














Geſang. 409 


f. Das erſte Schuljahr. 


42. Adolph Klauwell. Derſelbe iſt Lehrer in Leipzig”) und 
genießt im In⸗ und Auslande einen nicht unbebeutenden Ruf wegen ber 
ganz vorzügliben Weife, wie er den von Dr. Vogel begründeten Glemen« 


- tarunterriht ausführt. Das Weſen dieſes Lehrverfahrens beſteht darin, 


daß Alles, was gelehrt und geübt wird, in engem Zujams 
menbange mit und zu einander ftebt. „Der fo wichtige Anſchau⸗ 
ungsunterricht ſteht in ganz genauer Verbindung "mit Beihnen, Schreiben, 
Lefen, Memoriren und Singen. Es werben nur die Gegenſtände veran⸗ 
ſchaulicht, befproden und gezeihnet, an deren Namen zugleidd Schreiben 
und Lefen geübt werden fol. Es wird nur gezeichnet, was genau betrach⸗ 
tet, nur gelefen, was geichrieben und wiederum gejchrieben, was verftanden 
und gelefen worden iſt. Ebenſo werden nur folhe Sprüdlein und Vers⸗ 
hen gelernt, ſolche Geſchichten erzählt, ſolche Liedchen gejungen, welche dem 
dem Anfchauungsunterrichte als Lehrobject dienenden Gegenftand behandeln, 
beleben oder illuftriren, aljo wieder in innigem, weſentlichem Zufammenhange 
mit den Sprad:, Schreib: nnd Lefeübungen ftehen.... Es findet alſo in 
allen geiftigen und leiblichen, mündliben und ſchriftlichen Uebungen eine Con: 
centration im beften Sinne des Wortes ſtatt.“ Demnah werben im 
erften Schuljahte gefungen: I. die Heinen zweizeiligen Verschen, welche in 
der Fibel (Lebensbilder, I. Leipzig, Klinkharbt, A Sgr.) unter den Bes 
f&hreibungen der abgebildeten Gegenftände fteben und bei der Unterredung 
duch Vor: und Nachſprechen eingeprägt worden find; als Melodien wer: 
den am liebften allbelannte Volksweiſen benugt. 2. Kleine, recht in’s Ge⸗ 
bör fallende Bolts» und Kinderlieder, und zwar wiederum im Anjchlufie 
an den Anſchauungsunterricht. So läßt man 5. B. nah dem Bilde 
Mond das Rinderlied: „Wer bat die ſchönſten Schäfchen“? nad der Bes 
trachtung des Bildes Vögel das Volkslied: „Ale Vögel find ſchon da’ 
fingen; zu dem Bilde Pfeil paßt das Lied: „Mit dem Pfeil dem Bo⸗ 
gen‘, ve Bilde Chriftbaum: „Am Weihnachtsbaum die Lichter bren« 
nen” u. |. w. 


48. Fortfegung Was die Zahl der Lieder betrifft, jo werden 
10 bis 15 für ausreihend gehalten. Dazu kommen einige lürgere und 
leiht zu lernende Choräle. 

„Alles muß beziehungsweiſe | hön (rein, im Zalte und mit richtiger 
Ausſprache) gefungen werden. Wann und wie oft ſchon gelernte Liedchen 
wieder zu fingen find, das richtet ſich nad Fähigkeit und Bedürfniß. „Fühlt 
man, daß die gepflogene Unterrevung einer Belebung oder die Rinder einer 
Grmunterung und Erfriſchung bedürfen, nun, fo flimmt man ein paflendes 
Lied an. Oder gefältt Ginem einmal, wenn ich fo fagen darf, der Geift 
in der Klaſſe nicht, oder ſcheint einmal das Band zwiſchen Lehrer und 
Schüler etwas gelodert, auch da kann durch friihen Gejang der trübe Geiſt 
veriheudt und das Band wieder fefter gelnüpft werden. 


®) Seine erfie päbagogi Ib mpfing er noch unt niſch im 
e emna —ã 208 je Bildung e yf 8 & unter Harnij 


2. Böhere Säulen. 


44. Mipfände Als folhe bezeichnet Schletterer mehrfach die 
bürftige Pflege, welche der Gefang erfährt, und die Ablöſung der Schulen 
vom mufllaliiden Ktirchendienſft. „Die Schulen baben fi nad und nad 
von aller Betheiligung am mufifalifchen Kirchendienſt losgefagt. Das Ins 
texefie, das man dafür der Jugend beizubringen verfäumt bat, fehlt nun 
auch den Erwachſenen. Ja, was noch ſchlimmer if, die proteitantiiche 
Geiftlichteit ſelbſt hat keine Theilnahme für den mufilaliihen Theil des Cul⸗ 
tus und vermag gar nicht zu ermeflen, was die Kirche durch das Verzich⸗ 
ten auf die herrlichſten Kunftwirkungen verloren bat. Die ganze gelehrte 
Erziehung — und die Geiftlichleit erhält ja auch nur eine folhe — bat 
alles abgetban, was nod eine Kunſtpflege ermoͤglichte, und es darf daher 
nicht wundern, wenn man ſchließlich eine Generation von Maͤnnern im 
Amte ſieht, denen jedes Kunſtintereſſe mangelt und die doch ein ſolches, 
als nothwendiges und bringendes Bebürfniß, fo fehr baben follten.” . 

Da nun aber der Gefang und die Muſik als Kunſt ein mefentlicher Theil 
des Gottesdienftes ift, der in unverantwortlider Weiſe vernadhläfligt er: 
ſcheint, da hierdurch ein wichtiger Theil ber öffentlichen Gottesverehrung 
Roth leidet, fo trage man doch Sorge, indem man in ben gelehrten Schu⸗ 
len dem Gefange wieder größere Aufmerlfamleit und Pflege zumendet, daß 
die lebende Generation unmuſikaliſcher Theologen allmählig durch eine an: 
dere erfegt und durch das Intereſſe, welches auf dieſe Weiſe mit der Zeit 
für kirchlichen Gemeindes und Kunftgefang wieder rege gemacht wirb, eine 
Hebung und Beſſerung beider möglich gemacht werben kann.” 

Nicht alle Gymnaſien verhalten ſich in der bier bezeichneten Weife zur 
Sefangpflege und dem kirchlichen Gejangsdienft, wie denn 3. B. nur Schul- 
pforte und Beiß als Ausnahmen angeführt fein mögen. Unter der preu: 
ßiſchen evangeliſchen Geiftlichleit finden ih einzelne Männer von böhf 
gediegener Muſikbildung. So aud in Sahfen, wo die „alten Thomaner” 
ihren längft zur Tradition gewordenen guten Ruf behaupten. Im All—⸗ 
gemeinen wäre den evangelifhen Theologen ohne Zweifel eine befiere 
muflaliihe Vorbildung zu wunſchen, die jedoch eine gründliche fein 
müßte, weil eine flach dilettantifhe dem Amte nichts nüßt, dagegen aber 
leicht Conflicte mit den Cantoren und Lehrern berbeiführt und darum in 
Wiefer Richtung fchlimmer ift als gar keine, 

45. Trihordium. Unter diefem Namen gab B. Widmann 
eine Sammlung dreiftimmiger Gejänge für Männerftimmen berans, 
nachdem und im vorigen Jahre E. Grell mit feinen bvreiftimmigen Mo⸗ 
tetten eine töftlihe Gabe dargereiht hatte. Yür die Berechtigung und 
Bwedmäßigfeit des breiftimmigen Männergefanges führt er folgende wid 
ige Gründe an, die wohl von Allen, welche die Sache angeht, recht 
ernſtlich zu erwägen wären. 

1) Der breiftimmige Satz wird von den älteften Theoretifern der Mufll 
bis auf die neueften berab als eine das Ohr volllommen befriedigende Har⸗ 
monie anerfannt. Die Trias harmonica wird aber aud 

2) in den verfhiedenften Bocal: und Snftrumentalformen prabtiſch 


Geſang. all 


bargeftellt von Olarean's Zeiten (defien „Dodecachordon “ erjchien in ber 
1. Aufl. 1547; es enthalt ſchon breiftimmige DVocalcompofitionen) an bis 
auf unfere Zeit. 

3) Der dreiftimmige Sag hat für Männerftimmen in einer Hinficht 
fogar einen nicht unmefentlihen Vorzug vor dem vierflimmigen Sage, ins 
dem jede einzelne der drei Singftimmen mehr Kaum zu ſelbſtſtaͤndiger Ent⸗ 
faltung bat, als bei vier Stimmen in dem ohnedies beſchraͤnkten Umfange 
des Männergefanges möglich ift. 

4) Der preiftimmige Chor ift aber auch leiter ausführbar als ver 
vierftimmige. Belanntlih find die Mittelftimmen ſchon an und für fi 
ſchwerer zu treffen, als bie außeren Stimmen ; allein bei dem vierftimmigen 
Maͤnnerchore ift dies noch um einen merklihen Grad ſchwerer, theils, weil 
bie in fo engem Umfange gejeßten Stimmen nicht immer eine leichtfaßliche 
Ausrundung haben können, theild, weil die Stimmen, ala nahe beiſammen 
liegend, weniger unterſcheidbar find. 

5) Es wird hier vorausgejegt, daß die Schüler an Bpmnafien und 
anderen höheren männlichen Lehranftalten in zwei abgejonverten Gefangab: 
theilungen unterrichtet werben, von denen die oberen Claſſen den Männer 
gefang pflegen. Da nun an bie geringe Zeit der Uebung von nur zwei 
wöcentlihen Stunden nicht allzugroße Sunftforderungen geftellt werden 
können, fo mag es zwedmäßiger fein, nur den breiftimmigen Männergefang 
zu cultivicen, was bejonders dann um jo gebotener erjheint, wenn nur 
über eine geringe Auswahl von den verjchiedenen Gattungen der Männer 
ſtimmen zu verfügen iſt. 

Herr Widmann hätte dazu noch 6) eine Hinweifung auf bie 
größere Schonung fügen können, welche die meift noch unreifen Tenöre und 
Baͤſſe der Schüler beim blos dreiftimmigen Mannerchore, gegenüber dem vier: 
flimmigen, erfahren. 


3. Die Blindenanftalten. 


46. Neigung der Blinden zur Mufil. Hierüber fpricht fich 
5. Roesner im „Brandenb. Schulblatte”, 1865, 9 und 10, bezeichnend 
und lehrreih aus. ‚Auf das eigenthbümlih geihärfte Ohr der Blinden if 
aud die Erſcheinung zurädzuführen, daß fie faft alle eine innerlihe Neigung 
zur Muſik erlennen laflen. Nicht daß fie, wie irrthümlich wohl ange 
nommen wirb, mit befonderer Anlage und Neigung zur Tonkunſt von Ratur 
ausgeſtattet wären! Das Wohlgefallen an Sang und Klang erwächſt aus 
dem Buftande der Blindheit, und aus der Neigung entwidelt fi die relas 
tive Befähigung. Fremdlinge in der räumlihen Welt, haben fie ein um 
fo größeres Recht auf die Welt der Gefühle und Empfindungen, welde 
die Mufil in ganz einziger Art ihnen erſchließt. Cs hat das Reid der 
Töne einen mächtigen Reiz für ihr dunkles Leben. Hier findet die Phan⸗ 
tafie die angemefjenfte Nahrung, die natürliche Sehnſucht der Seele nad, 
Freude und Genuß — die jhönfte Befriedigung. Mufit wird für den 
Blinden die Geifterfpradhe, der er laufcht, mit deren Bilden er bekannt 
und vertraut wird, die fein Herz ſpricht und die ihm geftattet, in ihren 








““ bezeichnet, wenn es dort heißt: „Der Männergefang, als folder, 
iR und bleibt höchſt bedeutend, ſchon darum, weil er an der Duelle fleht, 
ans welher immer und immer wieder zu jhöpfen aud vie erbabenften 
Gattungen der Mufil nit umhin können. Diefe Quelle if die Mufil des 
Bolles, vor Allem: das Vollslied! Es giebt zwar eine große muhlalifche 
Literatur, in welder auch die leifeften Spuren biefer Duelle nicht mehr zw 
finden find. Sie wird aber darum auch ſchwerlich je Gemeingut werben, 
fie wird bleiben, was fie if: ein Privileg einer auserlefenen mufillalifchen 
Geſellſchaft, auserlefen nicht in Bezug auf Tiefe, Reinheit, Klarheit, Adel 
der Empfindung, fondern in Bezug auf abfonderlihe Stimmmgen, meht 
oder weniger ercentriihe Anfchauungen, mebr oder weniger ungejunde Ge⸗ 
fahlemifhungen und vielleicht auch — feinere muſilaliſch⸗techniſche Vorbil⸗ 
dung. Indeſſen wird, auch wenn wir von Mozart und Beethoven 
abſehen, doch den Meiſtern die Unſterblichkeit vorzugsweiſe innewohnen, 
die aus jener Quelle geſchoͤpft haben. Denken wir flatt allen nur an 
Franz Schubert und Weber.“ 

„Bir wiflen wohl, daß auc der Männergefang zum Theil deshalb 
gejunten if, weil er fih von biefer Duelle entfernt bat, weil er 
fa unmürbigen Kunftflüden Dinge bat leiften wollen, vie ihm ferne 
bleiben müflen, weil er, auf der andern Geite das infahe mit 
dem Trivialen verwechſelnd, die Pfade der ärgfien Proſa mit einer 
mitunter entfeglihen Behaglichkeit gewandelt if. Wir wünjdten, daß bies 
von der fpecifiihmufitalifhen Eeite nicht gebulvet würde. Wir wollen für 
den Männergefang keine Regeln aufftellen, die mit ben geweibten Idealen 
unferer deutihen Mufit nicht im Ginllang fiehen. Aber wir verlangen, 
daß der Männergefang in feiner großen Bedeutung ridtig gewürdigt und 
im Auge behalten werde. Denn für fehr Viele iſt er die Halle, durch 
weldye fie in das Gebiet der Mufit überhaupt eingeführt werden, und nicht 
blos in das der Mufil, fondern auch in das der Poeſie, damit aljo ver 
Kunft überhaupt. Wir bitten dies zu beberzigen. Der ächte Muſiler im 
wahren Sinne des Wortes, der innerhalb eines Männergefangvereines im 
Anterefie der wahren Kunft wirkt, thut mehr für die wahre Ausbreitung 
Achter mufifaliiher Bildung, als mander, der hochmüthig auf folder 
hun herabblidt.“ 


Geſang. 418 


„Wenn ein Berein, wie der Wiener Männergefangverein, und fein 
feinfinniger,, muſikaliſch und poetiſch hochgebildeter Leiter, es fih zur Auf: 
gabe maden, al’ ihr Können den einfachſten, aber ebelften Blüthen ber 
Liederfunft mit voller, vielleicht mit vorwiegender Hingebung zur Dispoſition 
zu ftelen, fo ift das gerade ein Beiſpiel, dem wir nur Nachahmung 
wünſchten!“ 

48. Das Dresdner Sängerfeſt. Nicht von Allen iſt es ge⸗ 
prieſen worden, die Berichte lauteten im Gegentheil ſehr verſchieden. 
Neben dem Beifall klatſchender Hände haben auch ſcharfe Kritilen und 
ſchneidende Gloflen ſowohl “ber den mufilalifchen, wie über den politischen 
Erfolg des Feſties nicht gefehlt. Wenn der Deutſche Sängerausihuß in 
feiner Belanntmahung vom 26. Juli jagt: „Vorbei find die Tage eines 
ewig unvergeßlichen Feiled. Der deutſche Sängerbund bat feine erfte Bus 
fammentunft beendigt. Gin großes Unternehmen war es für Dresven, in 
feine Mauern den Chor deutſcher Männer einzuladen. Aber berrlih, über 
alle Worte herrlich, it das Unternehmen binausgeführt worden” — —, 
fo äußerte fih dagegen Dr. Franz Brendel in feiner Zeitſchrift, 1866, 
Nr. 1, „Zur Lage‘, folgendermaßen: „Aeußerlich Blendendes, Pomps 
bafted hat das vergangene Jahr allerdings mehrfach geſehen. So das 
Männergefangfeft in Dresden. Daß jedoch dafjelbe in der ihm verliehenen 
Geſtalt ein verfehltes war, darüber ift wohl kaum irgendwo nod ein Zweifel. 
In folder Weiſe hatte daſſelbe weder eine künſtleriſche, noch eine nationale 
Bedeutung. Die gefammte Prefie hat dies, jo weit mir Urtbeile darüber 
zu Geſicht gelommen find, faft mit Ginftimmigleit ausgeſprochen, und auch 
die Befucher kehrten deprimirt und vielfach entiäufcht von dem Feſte zurüd.“ 

49. Fortſetzung. Was fpeciell den muſikaliſchen Theil des 
Heftes anbelangt, mit dem wir es hier lediglich zu thun haben, fo prüfte 
der betreffende Artikel in Nr. 50 der „Sängerhalle” zunähft die 
Berehtigung folder Mafjenaufführungen, wie fie in Dresden ftattges 
funden. „Sind folde derartige Aufführungen muſilaliſch noch zu billigen ? 
Haben fie denn noch irgend einen mufilalifchen Werth, können die Lei» 
flungen nod derartige fein, daß die aufgeführten Compofitionen gu ihrem 
Rechte gelangen?” Die Antwort wurde im bejabenden Sinne unter Sins 
weis auf die in Drespen bei dem Anfangshoral und Menpdelsjohn’s 
Geftgefang an die Künftler gemachte Erfahrung ertheilt, „daß auch Auf» 
fübrungen von dazu geeigneten Gefängen durch größere 
Mafjen ſehr wohl einen gerade ihnen eigenthbümliden 
Eindrud auf die Seele des Hörer gu maden geeignet 
find.*) „Maflenaufführungen haben andere Vorzüge und andere Mängel, 


% Der Verfaffer fette hinzu: „Allerdings mag in Dresben bie Totafität 
der ganzen Situation mit dazu beigetragen haben. Die jchöne, Iuftige, poetifche 
Salle in herrlichſter Umgebung, die feſtliche Stimmung, das allen An⸗ 
weſenden gemeinfame Seftgefübll "Mag das immerhin beigetragen haben! 
Aber das ſchlummerte in ber Seele! Gelsſt wurde e8 erſt burch ben Ge⸗ 
fang, erft da fam es in Fluß! „Ja, dann ift aber bie Wirkung feine rein 
mufilaliſche,“ wird man einwerfen. Ich entgegne: „aber eine künſileriſche mar 
fie doch.“ IR es denn ſchlechthin nöthig, daß man Blind if, um über Muflf 
zu urtheilen? Der ganze Menih war länftierifh bewegt. Das If genug.” 


414 Gefang. 


als Aufführungen gewöhnlicher Bereinshöre. Was Ihren an Gorrectheit 
des Ausdrudes und Bortrages im Cinzelnen abgeht, erjegen fie auf der 
andern Seite durch die Fülle der Tonmaſſe und dur die Großartigkeit und 
Wuchtigleit des dadurd bedingten Eindrudes.” 

50. Fortſetßung. Bei der jharfen Lritit, der alsdann der Ber 
fafler die dem Feſte dargebrahten neuen Sompofitionen unterwarf, 
fagte ee: „Wollen wir den Männergefang mufitalif heben, jo muß unjer 
Urtheil venjelben Maßſtab anlegen, den die glorreihe Entwidelung ver 
Mufit in Deutfhland feit 8O Jahren uns in die Hand giebt, in bie 
Sand zwingt. Es muß mit einer gewiflen Strenge der Trivialität, vie 
im Gebiet des Liedes, und namentlich im Gebiet des vierftinnmigen Liedes 
für Männerfiinmen, eine unverdiente Zuflucht gefunden hat, ein Halt! zus 
gerufen werden. Die Kritik unferer Sänger if zu lar. Die Nachgiebigkeit 
der häufig nur zu ſehr von ihren Sängern abhängigen Dirigenten ift zu 
groß! Man bezeihne als flach, was flad ift, auch wenn auf den 
Zitel der Name eines „beliebten Componiften” ſteht. Man wende nicht 
ein, daß dann weniger Neues geliefert werden würde. Gott gebe, daß es 
fo ſeil Wir baben genug! Man fuhe nur! Unter dem WBufle von 
Ropitäten liegt noch mande Perle vergraben. Auf den übrigen Bebieten 
ver Muſik ift man thätig, das Wertboolle ji anzueignen, was in einer 
früheren Periode von einer Anzahl fruhtbarer Geifter der Welt geboten 
wurde, und was zu viel war, um von der damaligen Mitwelt aufgenom- 
men zu werden!” 

51. Hortfegung. Ueber die Leiftungen ver Sänger fpridt 
ſich unfer Artikel mit einer gewiſſen Zurüdhaltung aus; man kann jedoch 
abnehmen, daß ihn Vieles befriedigte, während er Anderes u bemängeln 
hatte, wozu namentlich die ſchlechte Direction einzelner Lieder und der nad» 
theilige Einfluß gehört, den die Unzahl wenig oder gar nicht ‚befähigter 
Sänger, der bloßen „Feſtſchmarotzer“, übte. 

H. St. bezeugt in feinem Berichte über die Dresdner „Subeltage”, 
„Sängerballe” Nr. 32 u. f., daß die Ausführung des muftlahfchen 
Abeiles des Feſtes ſeine Erwartungen bei Weitem übertroffen 
babe. 

Dagegen nennt Dr. Gerfter in Regensburg, ein begeifterter Freund, 
Vertreter und Förderer des deutſchen Geſangweſens, in feinen „epi⸗ 
Britifhen Variationen über das Drespner Sängerfeſt“, 
„Sängerballe‘ Nr. 50, den muftlaliihen Erfſolg deſſelben geradezu 
einen ſehr unbefriedigenden. Er jagt: „Rad; meiner Anfıht wirkte zu foldem 
Refultate Verſchiedenes zuſammen. Theilweiſe die verjpätete Ausfendung 
der Feitgefänge, theilmeife im Verbältniß zu den wirklich Singenden bie 
viel zu ſtarke InftrumentalsBegleitung,, tbeilweife fehlerhafte Direction ein⸗ 
zelner Geſaͤnge, hauptſächlich aber, daß wenigitens zwei Dritttbeile ber 
Sänger nicht als ſolche, jondern als Bergnügungs:PBaflagiere nad) Dresden 
famen, die fi auf Koften der Drespner vergnügte Tage machten, weshalb 
auch Jene nicht ganz Unrecht haben, welche jagen, daß das Dresvener FeR 
mehr eine großartige Bummelei, denn ein deutſches Gelangfeft geweſen, 
weil der großen Mehrheit der Sängerfefte der Geſang Nebenſache geblieben. 





Geſang. 415 


Deshalb aber den Drespnern und dem Keflausfhuß einen Vorwurf machen 
zu wollen, wäre febr ungerecht. Die Dresdener haben alles getban, um 
das Feſt glänzend herzurichten und auszuftatten. Sie haben die Gaftfteunds 
Theft im böchften und fchönften Grabe geübt und ſich des Feſtes wegen noch 
mit großem Schulden belaſtet. Wenn Dresten einen Vorwurf: treffen kann, 
fo iſt es der, daß es nicht zu wenig, fondern zu viel gethan hat, denn daß 
bis zum legten Zage Jeder noch als Saft angenommen wurde, der fi als 
Sänger meldete und feinen Thaler erlegte, bat der Vorfigende des Feſt⸗ 
ausſchuſſes in der Bunvesverfammlung felbft als Fehler ausgejprochen. 
Chenſo wenig ift aber dem Bundesausſchuſſe hierüber ein Vorwurf zu 
mahen; dieſer bat eben auch alles getban, mas er vermochte, um dab 
Dresvener Yet zu dem zu geftalten, was es fein ſollte. — Daß eben 
ſolche Maſfſen nicht zu beberrihen, daß bei der großen Mannigfaltigteit ver 
Gingelbünse, und noch gegenfeitiger Unbelanntichaft mit einander, ferner 
bei dem großen Mangel des Bejuches der Proben, überhaupt dem Willen 
der großen Mehrheit, fi im Gefange nicht anzuftrengen, und darin nichts 
leiften zu wollen, tbeilweife auch nicht zu fönnen — gerade der Mafien- 
effect verloren ging und ebenjo die Ginzelvorträge Abends im Tumult und 
Getöje, welches mit aller Anftrengung nicht zu bemwältigen war wegen der 
Größe der Halle, der Maſſe der Zechenden und Lärmenden, auf dem Podium 
und gebieltem Fußboden Herumpolternden — nidht zur Geltung und Ge 
bör gebracht werden konnten — war eine ſehr betrübende Erfahrung. 
Daß aber daran der Bundesausſchuß oder gar die Satzungen des Bundes 
Schuld tragen, ift eine mehr als lächerlihe Behauptung, und daß diejes 
anderd wäre, wenn die Bundesfaßungen geändert würden, ift nicht minder 
ein Zeichen der praltifchen Unerfahrenheit und perfönlihen Gehäfligteit: 
Die einzelnen Bünde ſchiden die Sänger und an diefen liegt es, dahin zu 
wirken, daß künftig wirkliche Sänger kommen?!‘ 

52. Fortfeßung. Feſt fleht wohl dies: 1) Die Anhäufung 
ſehr ‚geober Sängermaflen führt fehr große Schwierigleiten und Mißftände 
herbe 


* Je größer die zufammenftrömennen Maſſen, deſto weniger iſt 
darauf zu rechnen, daß der einzelne Sänger von innerem Intereſſe an dem 
Geſange durchdsungen, und nicht viel mehr durch Anderes angezogen und 
eingenommen ſei. 

3) Der mufilalifhe Erfolg folder Niefenaufführungen fteht in teinem 
Berhältniß zu den in Bewegung geſetzten Kräften und den ſchweren Opfern 
an Gelb. 

4) Das Boll im Ganzen und Großen gebt leer dabei aus. 


2. Das Bolt im Allgemeinen. 


. 53. Die Sadlage Das Bolt ift nicht jangesfrifcher und ſanges 
freudiger geworden in den lebten Jahrzehnten; es verflummt im Gegen« 
theil mehr und mehr. 

Mas den geiftlihen Gefang betrifft, fo heißt es in dem Xrtilel 
des ‚Brandenburger Schulblattes”: „Die Pfalmen und das enangelliche 


416 Geſang. 


Richenlied”, 1865, 11 und 12 u. A.: ...„Und wie fiebt es jeut mit 
der Gefangesfülle und Gefangfeligleit unferes Bolles? Man möchte jaf 
mit 1. Sam. 4, 22 antworten: Die Herrlihleit if dahin von Sfrad.... 
Unſerm Bolt ift die Gefangesluft abhanden gekommen; es ift fatt geworben! 
Erwerben und Genießen, das if die Lofung der Zeit. In den Kirchen em 
Bingen nod immer unfere bertlihen Lieber, aber viele aus dem Volle 
geben nit mehr oder doch nur äußerſt felten zur Kirche und in ben 
Häufern und auf den Gafien, in der Werkſtatt und auf dem Felde if der 
geiſtliche Geſang faft ganz verfiummt.”*) Der Berfafier wendet fih am 
Schluſſe mit den Worten an die Lehrer: „Meine lieben Freunde mb 
Mitarbeiter, unfere Aufgabe ift es nun, durch die Schule des Bolles Herz 
für feinen töftlichen Lieder: und Melovienfhas wieder zu gewinnen und bie 
ausgezeichnetfien Perlen vefielben dem jungen Bolt zum unverlierbaren, 
tbeuren, in Roth und Tod tröftlihen Befigthbum zu machen. D, welde 
Segen verheibende Arbeil! Grinnern wir und nur daran, was biefe Lie 
der gottergebenen Seelen geweſen und noch find.” 

In Betreff des weltlihen Bollsgefanges werben unfere Leſer 
aus eigener Srfahrung im Allgemeinen mehr vom Berftummen als von einem 
neuen Erwachen beflelben zu jagen willen. Gin ruffifher Paͤdagog fagte 
bei feiner Anwejenbeit in Weißenfels zu mir: Wie ift das? In Deutſch⸗ 
land finde ih in allen Schulen fchönen Geſang, jedoch das Volk fingt 
sicht; in Rußland haben wir feinen Schulgefang, aber das ganze 
Volt ift ein fingendes! — 

54. Die Schulen haben die Schweigfamleit des Volles nicht ver: 
ſchuldet und werben fie aud nicht ändern. Was fie zu thun baben, 
lann nicht fraglih fein. Je mehr der Geſang im Bolle verfchwindet, defle 
forglider bat ihn die Schule zu pflegen; je materieller und pres 
faifher das Leben wird, deſio mehr hat die Schule der Gemüthsbil⸗ 
dung ihre Fürſorge zuzuwenden, und das kann fie weientlih durch Poeſie 
und Gefang. Was mir da ſäen, wollen wir in Hoffnung jäen; 
Manches wird verweht, Einiges aber bleibt doch, leimt in der Stille, blüht 
im Verborgenen und trägt endlid — vielleicht erft in fpäter Zeit — feine 
Frucht; tönen unjere Lieder nicht auf den Straßen und in den Häufern, 
auf Bergen und Fluren wieder, jo tönen fie gewiß bei Vielen im Innern 
nah, und ſchon das ift ein Segen! — 


II. Gefanglehre. 
A. Allgemeines. 


1. Der Lehrer. 


85. Seine Dualification. Graben:Hoffmann in der ſchon 
genannten Schrift rügt vom Stanbpunlie der Stimmpflege und 


*) Der Berfaffer weift babei auf einen in ber „Evangel. Kirchenzeitung‘ 
erfhtenenen Synobaibericht bin, worin gefagt wirb: „Der häusliche Geſang 
nach allen Verichten verſchwunden, und der muß doch eigentli bie Uebung um 
Seftigleit für den Geſang in ber Kirche geben.” 





Geſang. 417 


Stimmbildung aus die mangelhafte Unterweiſung und Ausbildung, 
welche die künftigen Volksgeſanglehrer als Seminariſten empfangen. (S. 
Rr. 57.) Es bleibe dahingeſtellt, ob ver Vorwurf alle Seminare und alle 
in gleihem Maße trifft; jeden Falls ift es .eine Pflicht diefer Anftalten, 
vie Öefangunterrichtd - Angelegenheit recht ernft zu nehmen und fie ja nicht 
als ein Anhängfel zu behandeln, auf welches eben nicht gar viel anlomme, 
56. Zortfegung Graben-Hoffmann rügt ferner das lin 
weſen, welches auf dem Gebiete ber privaten und böheren Gefangbilvung 
durch Lehrer, welche der nöthigen Qualification überhaupt entbehren, 
getrieben wird, und ftellt die Forderungen auf, welde an den Gefanglehrer 
wie er fein foll, zu machen find. Um bier der legteren zuerft zu erwähnen, 
fo wird verlangt, ver Gefanglehrer foll vor Allem Lehrer fein, d. h. 
padagogiſche Kenntniſſe und Lehrfertigleit befigen. Gr foll ferner Künſtler 
fein, d. b. er muß das, was er leiftet und lehrt, nicht blos aus Inſtinkt und 
Raturgabe, ſondern mit dem vollen Bewußtſein lehren und leiften, daß es 
den Gefegen und Regeln entjpricht, welche die Nichtigkeit und Schönheit bes 
Geſanges bedingen. — Der Gefanglehrer muß Mufiler im vollen Sinne 
bes Wortes, d. h. als folder durch und durch theoretiſch und praftifch ges 
bilvet fein.*) Endlich muß er auch ein praftifch gebildeter Sänger 
fein, ein Sänger, der unter ber Leitung eines wirklichen Meifters im 
Gefange 1) die Erkenntniß von einem wahrhaft fchönen und edlen Zone 
empfangen hat, 2) diefen mit eigener Stimme bat bilden, 8) den Ton und 
die Technik zum Ausdruck der Empfindung in den Grenzen des Schönen 
bat vermerthen lemen.**) 

57. Fortſetzung. „Welcher Artffind aber die meiften, vie ſich 
mit Sefangunterricht befafien? 1) Sind es Lehrer, die ihre Geſangsweis⸗ 
beit nur aus Büchern gefogen haben; 2) ſolche, welche fi mit einem 
wirklichen, mandmal fogar berühmten Gefanglehrer öfter unterhalten oder 
einige Lectionen bei ihm genommen, jedoch nichts von ihm gelernt haben, 
fih dann aber feine Schüler nennen, 3) folhe, welche mit mufitalifcher 
Bildung richtiges Urtheil und den feinften Geſchmack verbinden, nie aber das 
Handwerk gelernt haben, welches jede Kunſt mit fih führt. ... Alle drei 
Arten find Leute, die eine Sache lehren wollen, welde fie felbft nicht ver 


" Nur zu oft,” fo fagt ber Berfafler, „hat bie Unfertigkeit und Ungeſchick⸗ 
lichleit des Lehrers in mufilalifcher Hinfiht bie Stimme des Schillers benach⸗ 
theiligt,. indem er meiftens in Tonarten fingen.ober fogar üben läßt, wie er fie 
gerabe auf Noten vor fih bat, ohne Rüdficht darauf, ob fich in ihnen die Stimme 

ihrer neturgemäßen Lage befindet ober nicht. Gin Lehrer muß wenigftens bie 
ebräuchligen Uebungs⸗ ober Gefangsftüde fofort in allen Zonarten fpielen 
Üunen, wenn er nit alle Augenblide in Gefahr kommen will, eine Stimme 
durch verrüdung aus ihrer natürlichen Lage zu übermüben ober möglichen Falle 
zu ruiniren.' 

*r), Der Verfafler giebt Übrigens zu, daß das von ihm entworfene Bilb des 
öchten Gelanglehrers Fon ein utopifches zu fein ſcheint und räumt gewiſſe Ver⸗ 
mittfungen zur Dedung einzelner Mängel ein; ... . „einzig unerreihbar“, 
feßt er jedoch hinzu, „wirb die Heranbilbung eines Sängers in bem 
gelte fein, daß ber Lehrer ſelbſt nit bie Zonbilbung unb bie 

erwerthbung des Tones auf Fünfllerifhe Weife mit feiner 
eigenen Stimme ge- und erlernt bat.“ 


Pab. Jahresbericht. XVII 27 


418 Geſang. 


Kehen, die ſich für etwas ausgeben, was fie in der That nicht ſind, bei 
denen man alſo nicht weiß, was größer ift, die Anmaßung und Gewifien- 
dofigleit ihrer Seits, oder die Beichränktheit und Verblendung derjenigen, 
weldye fi) ihnen anvertrauen.” 

Fortwaͤhrend alfo erheben ſich proteftivende Stimmen gegen bie Un— 
jäbigleit der Gefanglehrer und das Unheil, welches fie anrichten! Gollen 
diefe Stimmen nicht endlid einmal verftummen? Prüfe bo Jeder von 
uns fein Wiflen und Können, fein Thun und Laflen mit gewifienhaftefter 
der und was übel erfunden wird, das werde gebeflert um jeben 

reis) — 


2. Pflege und Erhaltung der Stimme. 


58. Daserfte Gefek beim Singen ift, wie Graben⸗;Hoffmangn 
0968. jagt: Halte ftets Maß, und zwar: 1) in Bezug auf die 
Kraft des Tones, 2) auf die Dauer im Singen und 3) auf 
den Umfang der Stimme. 

59. Anllagene Mebrfah baben ſich dergleihen abermals, wie 
unter Nr. 55 fchon angedeutet, gegen die Lehrer, Cantoren, Vereinsdiri⸗ 
genten x., gerade wegen Unkenntniß, Leihtfinn und Gemifienlofigleit in 
Behandlung der Stimmen erhoben; eben fo gegen bie Gänge 
jelbft, welche durch eigene Schuld ihre Stimme gefährden, ja wohl wirklich 
geritören. — 

Am entfhiedenften trat Graben-Hoffmann a. 9. D. auf: „Wem 
man bedenkt“, fo heißt e3 dort, „daß eine fhöne Stimme zu den. Ihönften 
und ebeliten Gejhenten des Himmels gehört, die und die tiefften und 
böchften Empfindungen der menſchlichen Seele, jowie die zarteften Regungen 
des Herzens, die keine Morte auszubrüden vermögen, mit ihrer umnade 
ahmlichen Baubergewalt zu dedhiffrien vermag, wenn man ferner 
daß eine hervorragend jchöne Stimme ein Capital ift, welches Vielen, — 
die den Verluſt berjelben zu beflagen und nun ihr Leben in Roth und 
Mühe binfriften, — äußerlid ſchon eine glänzende Lebensflellung hätte bes 
reiten können, fo haben Diejenigen, welche an der Zerftörung der Stimme 
ſchuld find, jene um alle die Freuden, welche ihnen in Ausſicht ftanden, be 
trogen, ihnen das Capital geraubt, und wenn die Zerftörung der Stimme 
außerdem Berluft der Geſundheit zur Folge gehabt hat, noc gegen das 
Gebot gejündigt, welches Luther fo ſchön mit den Morten erflärt: Wir 
follen Gott fürdten und lieben, daß wir unfern Nächften an feinem Leibe 
keinen Schaden noch Leid thun ꝛc.“ 

„Kein meltliher Richter zieht Euch, die Ihr dies Verbrechen begangen 
habt, deshalb zur Rechenſchaft; doch ſchaut nur bin auf diejenigen, die 
durch Euern Leichtfinn, Cigennuß oder Eure Selbfifuht um das Glüd ühres 
Lebens betrogen wurden, und Ihr fühlet, wie der Fluch brennt, den Guer 
innerer Richter, dad Gewiſſen, unvertilgbar in Eure Bruft geprägt.“ 

60. Bortjegung. Graben-Hoffmann fagt ferner: „Das Ber 
ſtoͤrungswerk der Stimmen beginnt zumeift fchon bei Kindern, unb zwar ix 
ber Schule. Faſt alle Kinder haben Singftimmen, darunter viele, befonders 


Geſang. 419 


Knaben, hervorragend ſchöne. Die wenigſten behalten dieſe jedoch Aber vie 
Kindheit hinaus, weil entweder an ihren Stimmen methodiſch gefrevelt wird, 
ober weil fie, was beſonders bei Mädchen häufig der Fall iſt, das Singen 
ganz unterlafien haben. Methodiſch freveln nenne ich, bie Finder ſchreien 
ftatt fingen zu lafien; in überfüllten Räumen, in heißer ftidiger Luft den 
Gefangunterriht zu erteilen und ohne Unterbrehung fingen zu laſſen, ftatt 
die Clafien jo zu theilen, daß die Stimmen noch Refonanz finden und ver 
Sugend zwifhen dem Singen die nöthige Ruhe gegönnt wird; fie in bem 
Umfonge, welcher nur bei einer prima donna assoluta vorauszufegen ift, 
mit überreistem Tone fingen zw lafien, ftatt den Umfang einer Kinderftimme, 
die beſonders bei Mädchen fehr gering ifty zu berüdfidhtigen. Man febe 
nur die Schulbücher der Kinder an und man wird ohne Zweifel über die 
Naivetät erftaunen, mit welcher ſtets von der Stimme vie hoben Töne ver- 
langt werden, ohne ihr einmal Ruhe in der Ziefe gu gönnen” .... 
Unter: den Mißbräuchen, melde einen unbebingt ſchädlichen Einfluß 
auf die Stimme ausüben, erwähnt der Verfafler vor Allem „die Verwen⸗ 
dung der Kinder zu den fogenannten Currende: und Straßengefängen, jowie 
bei Begräbnifien und was jetzt, Gott fei Dank, nur noch felten vortommen 
mag, zu dem bie Lehrer und Gantoren fo jehr herabſetzenden Bettelumgang 
zur Neujahrözeit, mo die Rinder ihre Stimmen und ihre Gefundheit zu Marlte 
tragen müfjen.”*) Als Blöpfinn oder grobe Unvernunft wird es ferner bezeich⸗ 
net, daß man Finder bis in die Zeit hinein fingen läßt, wo bei Knaben die 
Mutation und bei Mädchen die Menftruation eintritt, oder wohl gar fo 
lange, bis die Natur den Prozeß ganz vollzogen bat...... Knaben 
haben beim Gintritt der Mutation das Singen ftetd ganz einzuftellen, bis 
die Stimme ſich wieder als wohllautende Männerftimme (wenn auch nur 
in geringem Umfange) zeigt und Mädchen bis gu ihrer vollbradten Ent 
widelung zur Jungfrau.**) 
61. Fortjegung. Unter den höheren Lehranftalten für Jünglinge 
weit der Verfafier bauptjächlih auf vie Seminarien hin, „weil für die 


*) „Se ift wirflich zum Lachen, wenn man bie gefühlvolle Parteinahme ber 
Menſchen für Thiere fieht, wie fie in Wuth und Thränen darüber ausbrechen, 
wenn einem Pierde oder Hunde eine etwas zu fchwere Laſt aufgebllrbet wird, es 
aber gang natürlich finden, daß ein armes Ktind im binnen Mäntelchen bei 
Sturm und Regenwetter, ober in Kälte und Schneegeftöber zu ihrer Erbauung 
feine Glieder erlältet und erfriert und fein Lungchen überreizt, fo daß oft jeber 
Regentropfen als Nagel zu feinem Sarge und jede Schneeflode als Faden zu 
feinem Leichentuche auf daſſelbe niederfällt.“ — 

”., „Was thut man aber ftatt deſſen? Jünglinge werben in allen höheren 
Lehranftalten, Semiwarien, Gymnaſien 2c., beſonders, wenn fle den Kirchengeſang 
pe Belorgen haben, oder in den Unftalten, in welchen durdaus ‚Die Elode” von 

mberg, oder „Die Schöpfung” von Haydn aufgeführt werben müſſen, nach 
faum halbvollbradhter Mutation in den Baß gebrängt oder in den Tenor geſchraubt, 
mb bei Zungfranen können bie lieben Mütter es gar nicht erwarten, bis ihr 
Köchterchen mit, einer großmädhtigen Notenmappe burd die Stabt zieht unb in 
Geſellſchaft mit großen Arien alberne langweilige Menfchen zur Bewunderung 
binteißt, aber jeden wahrhaft gebildeten Menden und Mufillenner zur Bere 
zweiflung bringt.“ 

27* 


420 Geſang. 


Böglinge derſelben die Etimme mit zur Ausübung ihres Berufes nothwew 
big ift und fie gerade der zäheflen Körperconftitution und der forgfältigfien 
Pflege ihrer Gejundheit bedürfen, um nad dem Gintritte in ihr Amt nicht 
früb den gewaltigen Anftrengungen zu erliegen, Denen fie ausgefegt 
find” ...... „So viel mir belannt, werben in Seminarien nur gejunde, 
ärztlih als ſolche bezeichnete Jünglinge aufgenommen. Cine flaatlihe Un⸗ 
terfuhung würde aber ergeben, daß die meiften Lehrer an Hals: und Bruß- 
trankheiten fterben.... Weshalb fuht man daher nit Alles zu ver 
meiden, was ſchon frühzeitig den Keim zu dieſen Leiden auch nur bilden 
tann? Wozu läßt man in Seminarien vierflimmige Männerchöre fingen, 
wobei halbreife Stimmen in den höchſten Lagen des Tenors fih abmühen 
und in den Auswüchſen des Bafles ihren Kebllopf erprüden? — Warum 
wird in dieſen Inftituten nit die richtige Behandlung und Berwenbung 
der Stimme cultivirt, da aus ihnen dod Männer hervorgehen, die |päter, 
wenn auch nicht gerade Gejangmeifler werden, doch Unterricht im Gejange 
ertbeilen? Unter viefen Herren aber find die meilten nicht nur in Un: 
wiſſenheit über die Gefahr geblieben, welde das Singen während der 
Mutation für Stimme und Gefundheit mit ſich führt, fondern fie ſelbſt find 
in diejer Hinfiht gemißbraudt worden, und daher ftet3 bereit, daſſelbe 
Berbrehen wieder an den Stimmen Anderer zu begeben.” 

„Für Chöre von Knabenftimmen im Berein mit balbreifen ame 
ftimmen ſchreibe oder arrangire man bie betreffenden Gefangflüde fo, 
ber Zenor nicht dad eingeftrihene e überfleigt und ber Baß nicht unter * 
große g reiht, da Alles, was im Tonmaterial darüber hinausgeht. bei den 
Tenören unreife® Zeug, bei den Bäflen aber ein unnatürliher Auswuds 
üt, der nach vollendeter Reife der Stimme wieder verloren gebt.‘ 

62. Gefundpbeitsregeln Biel Wichtiges diefer Art giebt 
Rode a. g. O., geitübt auf Erfahrungen und Beobadhtungen mannid. 
fachſter Art. Er fagt u. A.: „Bor allen Dingen führe der Enger ein 
ordentliches, in jeder Beziehung regelmäßiges Leben! Alles was ber Ge 
ſundheit ſchadet, kann aud von keinem Nugen für die Stimme fein .... 
Der Magen ift das beite Wetterglas für die Stimme — befindet ſich der da 
unten nicht wohl, jo fteht audy über ihm — in Bruft und Hals — Sturm 
im Stalender! In Hinfiht auf Speifen und Getränle mag Dir darum 
Folgendes den Maaßſtab geben: Was Dein Magen nidht gut vertragen 
fann, das wird aud der Stimme nie wohlthun! Die Stimmorgane finb 
ja auch, fo zu fagen, der Rauchfang für den Magenbeerb und der böfe 
Ruß ſetzt ſich überall an. Es iſt eine bekannte Thatſache, daß die Ze 
meift einen guten Appetit haben; ein Beweis, daß fie einen guten Magen 
befigen, der aud Bedingung zu einer gefunden, dauerhaften Stimme if. 
Beides ergänzt fi, denn nad mehrftündigem Singen wird ed Dir gewiß 
ftetö vorzüglich fchmeden! Bon einigen Speijen behauptet man allerbings 
bie Schäplichleit für die Singorgane, als von Nüfien, Chocolave, Mehl: 
fpeifen, überaus fettem Yleifh und Gemüſe — allein, ift Dein Magen der 
Art, daß er Dir nicht durch allerlei Winke andeutet, die ihm angemuthete 
Arbeit fei ihm unangenehm, fo wirft Du auch an der Stimme keinen be 
fonders ftörenden Einfluß bemerten. Mäfigfeit ift freilih vie Hauptſache! 


® 
Gefang. 421: 


Wollteſt Du Speifen in Unmäßigfeit genießen, von denen man behauptet, 
fie wären ſehr empfehlenswertb für Deine Organe: Kandiszuder, Lakritz 
Rettigbonbons, Pfeffermuͤnzkuchlein, Meerrettig, gedörrte Zwetſchgen, rohe 
und halbweiche Cier, Punſch, Warmbier u. ſ. w. — Du würbeft bald bie 
gegentheiligen Folgen verfpüren ! 

Beim Theater macht man in diefer Beziehung gar fonverbare Erfah: 
rungen. In der Garderobe, welche ich als angeftelltes Mitglied zuerft be: 
trat, bemerkte ich, daß der erſte Zenorift, ein Mann, den ganz Deutfchland 
rühmend fennt, vor der Vorftellung ftet3 fo lange Cigarren rauchte, als 
es die Zeit nur geftattete. in Anderer ftedte fi fo lange Bonbons in 
den Mund, bis er die Bühne betreten mußte. Der erfte Baffift aß ‚jaure 
Gurten und ein zweiter Baſſiſt — Italiener von Geburt — genoß vor 
dem Singen fogar — Käfe! — Wie gefällt Dir diefe Zufammenftellung ?1 — 
Ein anderer gleihberühmter Tenorift trank wieder Kaffee während der gangen 
Vorftellung, den man doch als ſchädlich bezeichnet. — Viele trinken Bier 
— Mande Punſch — Diejer ißt Brotrinde — Jener einen Apfel — 
und was koͤnnte man nicht noch alles anführen! 

Aus Allem gebt auch bier wieder meine Lehre hervor: Beobachte Dich 
felbft, und was Dir nit gut befommt, das laß bleiben! Perjönlich halte 
id am unfhäplichften für Jedermann: ein Stüd harte Brotrinde, um, 
namentlih bei Trodenheit, die Schleimprüfen zu entleeren. Oft vermag 
diefes auch ſchon der Bloße Gedanke! Denke 3. B. recht lebhaft an eine 
faure Gurfe und ſogleich wird ſich Mundwaſſer einſtellen. Bleibt es ohne 
Erfolg, jo beiß Dir auf die Spihe der Zunge und die Trodenheit wird 
bald gehoben fein. Was haben Sänger nicht jchon über das Bier- und, 
MWeintrinten gefprohen! Mein befcheidener Rath ift: Prüfe, mad Dir von 
Beiden am zuträgliiten ift und das genieße mit Maß, mie ed die Rüde 
fiht auf Deine Geſundheit im Allgemeinen fordert. Bier möchte, feiner 
Beftandtheile wegen, dem Weine vorzuziehen fein. Bekanntlich ift ber 
Dampf des fiedenden Bieres ein ganz vortreffliches Mittel gegen Halsleiden 
und Marmbier ift ftet3 auch von guter Wirkung. Hüte Dich aber fehr vor 
dem Trinten des Biere oder anderer, bejonders kalter Getränfe in ven. 
Paufen des Singens! Ich halte dieſes öftere Vorkommniß bei Geſang⸗ 
vereinen für den hauptſächlichſten Ruin der Stimmen. Sobald die Urgane 
warm find, muß jedes kalte Getränt ftreng vermieden werden. Es iſt nicht 
allein für die Stimmen vom größten Nachtheil, indem es fie zerftören muß, 
fondern auch für die Lungen — demnad Iebensgefährlid. Laumarmen 
Punſch in ganz geringen Portionen, vielleicht theelöffelmeife genommen, 
balte ich nebit Warmbier noch für das Beſte. Eben jo gefährlich halte ich, 
e3, in freier Talter Luft zu fingen und noch obendrein beim Singen zu 
marſchiren, was ftet3 vermieden werben ſollte. Hieraus folgert auf natür« 
liche Weile, daß man fih vor dem fchnellen Wechſel von warmer und kalter 
Luft fireng zu bewahren bat. Wie oft geichieht das aber bei Feitgelagen, 
die noch dazu in einem mit Tabaksrauch überfülltem Locale abgehalten 
werden!” — 

Mas das Rauchen felbft betrifit, ſo bat es auf bie Organe, mäßig 
genofien, gewiß nicht fo großen Einfluß, als die did mit Dampfwolten 


® 
22 Gefang. 


verpeftete Luft. An dem auf folde Gelage folgenden Morgen wird men 
ſtets eine Härte und Spröbigleit in der Stimme bemerten. Kommt nun 
noch das üblihe Nebehalten, laute Rufen lund Schreien dazu, fo ift eime 
Serftörung auf die nädjftfolgenden Tage, aber auch eine allmälige Zerrüt 
tung jelbft der gejundeften Stimmmittel, die unausbleiblige Folge !'‘ 


B. Maffenunterridt. 


1. Die Tonzeichen. 


- 68. Noten oder Ziffern? Ich kenne keine hierauf bezügliden 
Kundgebungen von Bebeutung, welche im abgelaufenen Jahre ftattgefunden 
hätten. Die große Mebrzahl der Schulen und Vereine ift, wie ich's im: 
mer vorausgefagt habe, bei den Noten geblieben, auch in Zukunſt dürfte 
eine Aenderung bierin laum eintreten. In den mir belannt gewordenen 
methodifhen Anleitungen zum Geſangunterricht, ſowie in den zablreih vor: 
liegenden Lieder⸗ und Choralbeften ift nirgends ein Gebrauh von den Bif: 
fern gemadit. 

64. Buchſtaben- oder ZabInoten? Die Frage ſchwebt noch, 
obne daß fie jedoch in unferm Berichtjahre eine fortgejebte, eingehende Cr: 
örterung für weitere, über die Provinz Preußen hinausgehende Kreiſe ge 
funden bätte. Was die Schulen der genannten Provinz betrifft, fo haben 
fih viele Lehrer für die Zahlnoten entſchieden, nicht, wenige andere dagegen 
fie bebartlih abgelehnt. In der Provinz Sachſen verloren dieſe Tonzeichen 
im Jahre 1864 dur Reinthaler's Tod einen energifchen Vertreter, in 
den Schulen hatten fie aud bei Lebzeiten Reinthaler's wenig oder gar 
feinen Eingang gefunden. Als neues Muſikwerk in Zahlnoten liegt nun 
vor: „Alte Weiſen in neuerer Weiſe“ von dem verbienftvollen 
Seminarlehrer €. H. R. Waldbach zu Pr. Eylau, der jeden Falls, wie 
bier abermals zu erjfehen, nad allen Richtungen bin das nöthige Zeug be 
fißt, um die Bahlnoten, wenn fie ein Recht auf allgemeine Anwendung 
beim Volksgeſange haben, in diefes Recht mit einzufeben. 


2. Der Unterricht felbft. 
a. Allgemeines, 


65. Grundzüge. Es liegen an neuen Lehrwerken vor: 1. Hart» 
mann’s (Lehrer und Organift in Sferlohn) „Geſangunterricht für 
Schulen“; 2. X. Stolley’3 (Lehrer an der Buͤrgermaͤdchenſchule in 
Kiel) „Sefangfreund”; 3. MW. Kothe’s (Seminarlehrer in Lieben- 
tbal) „Rurzgefaßter Leitfaden für die methodiſche Bebands 
lung des Gefangunterridts in der Volksſchule“; 4 A. Ul: 
rich's „Stimmbildungsmethode”; 5. Shäublin’s (Lehrer an 
der Realſchule in Baſel) „SO Tabellen für den Gefangunterridt 
in Volksſchulen“ und in 7. Auflage H. M. Schletterer’s (Rapells 





Geſang. 423 


meiſter in Augsburg) „Praktiſche Chorgeſangſchule.“ Weſent⸗ 
lich Neues iſt überall nicht zu Tage getreten. Das Geleiſtete ſtimmt 
in den Hauptſachen mit dem bereits zur Norm Gewordenen überein und 
ift nur im Einzelnen verſchieden ausgeprägt. Man läßt aljo zuerit nad 
dem Gehör, fpäterbin nah Noten fingen. Auf beiden Stufen, ber Ge 
hoͤr⸗ wie der Notenfiufe, werden theils beſondere Uebungen zur 
Stimmbildbung, fowie für Rhythmik uns Melodik angeftellt, theils 
Lieder und Choräle gefungen. Das Ziel in Rhythmik und Melodik 
ift nicht jene Selbftftändigleit im Singen a vista, mie fie im Leſen 
a vista erreicht wird *); ein gewiſſer Grad von Eelbitftänbigteit läßt ſich 
inbeß immerhin erreichen und es foll derſelbe auch wirllich angeſtrebt wers 
den. Die betreffenden Uebungen find theils beſondere, theils ſchließen 
fie ih an die Lieder und Choräle an; legteres iſt die Hauptſache. 
Bei den befonderen Uebungen werden Rhythmik und Melopik zeitig 
in Verbindung gefeßt; Uebungen der Ausſprache treten bald hinzu, 
Was die Melodik gn ſich betrifit, jo werben die Intervalle auf den erfien 
Stufen meift nad ihrer abjoluten, weiterhin fat überall nad) ihrer rela⸗ 
tiven Größe aufgefaßt. Die Methode ift vorwaltend die ſynthetiſche. 
Eine Anzahl von Liedern und Chorälen wird nach der Folge der Tonarten, 
und hier im Einzelnen wieder nad) der Abftufung der rhythmiſchen und melo⸗ 
diichen Uebungen vorgeführt, was jedoch nicht ausſchließt, daß zugleich in 
einem freien Choral: und Liedercurſus auch andere Stoffe zur Verwen⸗ 
dung kommen, wie fie der Jahreszeit, den kirchlichen und patriotichen Fe⸗ 
ſten u. f. mw. entjprechen. 


b. Specielle3. 


66. Hartmann. „Durch praltiihe, einfach gehaltene Uebungen 

fol die Zonanfhauung und das Tonbewußtſein der Schüler fo 
geförvert werden, daß fie ohne weite Ummege, zur Mitwirkung in 
einem Sängerdhore befähigt werben. .. . Um durch das mufilaliiche Ges 
fühl die Theorie anjhaulicher zu maden, find häufig Modulationen, befons 
ders aus den Dur» in die Moll-Zonleitern angewandt; auch ſchien das 
Faplichfte aus der Harmonielehbre — zur Grleihterung in Zreffübungen —, 
‚jo wie aus der Metrik — zur fteten Orientirung für die Schüler — nit 
fehlen zu dürfen. — Wie der Sprachunterriht dur die Anlnüpfung an 
Mufterftüde der Boefie und Profa an Intereſſe und Erfolg gewinnt: fo 
ſchließen fi aud den Singübungen Lieder an, die wegen ihrer Gediegen⸗ 
beit und Schönheit beſonders zur Anwendung erlernter Regeln geeignet 
find. In feinem „erften Curjus‘ gibt der Berjafier das Allernothiwendigite 
über Notenwertb, Paujen, Taltarten und Intervalle, worauf er die Tom 
leitern von C-, G-, D- und A-dur mit ihren Hauptaccorden vorführt, im 


*, Mit Recht ſagt Kotbe: Die Schiller fo weit zu fördern, daß fle ein 
Stud felbnftändig vom Blatt fingen, iſt nicht Aufgabe der Volkeſchule; wohl 
aber kaun und foll die Note felbft ſchwächeren Schülern ſchätzbare Anhaltpunkte 
bieten zur raſcheren und leichteren Erfafjung der Melodie.“ 


424 Gefang. 


jeder Zonart einige Uebungen macht, und alsdann zu entipredhenden ein: 

und zweiflimmigen Liedern übergeht. Im „zweiten Gurfus” folgen die 
‚übrigen Dur», und eben fo die fämmtlihen MollsTonleitern, ebenfalls mi 
Anſchluß von paflenden Liedern, vie aber bier meiſtens drei» und vierfiiw 
mig auftreten. 

67. A. Stolley. Die Glieverung des Geſangunterrichts in a. Yas 
Gehörfingen, b. das einflimmige und c. das mehrftimmige 
Singen nah Roten bietet fih ihm als eine „natürlide und zwed⸗ 
mäßige” dar. 

1. Die Stufe des Gehörſingens. a. Uebungen in der Tom 
bildung ; b. georbnete accordiſche Uebungen (der DursDreillang in einigen 
Brechungsformen) ; gefonderte Zaltübungen ; d. Zaltübungen in Verbin⸗ 
dung mit dem Eingen) : e. allmäliger Aufbau der Zonleiter unter Verück⸗ 
fihtigung des Taltes und der Betonung; f. GEinprägung der Haupttöne 
neben den Stufenintervallen ; g. nebenbergebende Ginübung leichter Kin⸗ 
derlieder im Umfange einer Terz, Quart, Quint ıc.; h. allmäliges Be 
fanntmaden mit den Noten (Biertelnoten) im Umfange der Tonleiter, 
fowie mit dem Linienfoftem (alfo ſchon Heraustreten aus der bloßen Ge 
böripbäre) ; i. k. erftes Notenlefen und erftes Notenfingen, L verſchiedene 
Uebungen im Halten, Ans und Abjchwellen des Zones ıc.; m. nebenher 
gehende Hebung paſſender Choräle. 

2. Das einftimmige Singen nah Noten. a. b. Wiebder⸗ 
bolung der Accord: und Zonleiterübungen, jebt aber nad Noten; c. Er 
weiterung der Zonleiter nad oben und unten; d. Beiprehung des Noten: 
ſyſtems; e. f. g. h. verſchiedene Notengattungen, Pauſen, Taltarten ; i. k. 
Verſeßungszeichen, Bau der Zonleiter, ganze und halbe Zöne, Benennung 
der Zonflufen; 1. Bildung der transponirten Tonleiter; m. die Haupt: 
accorde; n. Kennzeichen der Tonart, leitereigene und fremde Töne, Aus: 
weihhung ; o. Sylbenton und feine Verwandlung im Zalte; p. nebenher: 
gehende Uebung von Liedern und Chorälen. 

8. Das zwei- und mehrſtimmige Singen nah Roten. 
a. Mehrftinnmige Borübungen ; b. dergleichen Lieder und Choräle; ce. bie 
Molltonleiter, Baralleltonarten, Mollaccorve ; d. Gefänge in Moll; e. Nie 
derfchreiben von Zönen und Tonreihen nad) dem Gehör. 

" 68. Wilhelm Kothe. In wohl ermogener Beſchränkung auf das 
Nothwendigſie ftellt derfelbe folgenden Stufengang der widhtigften Elemen: 
tarübungen auf: 4. Borbereitende Uebungen. Keine Ausiprade 
der Bocale. Uebungen im gleihmäßigen Zählen und Taktiren. Unterſchei⸗ 
bung und Beflimmung zweier gegebener Töne a. nah ihrer Dauer, 
b. nad ihrer Stärle, c. nad Höhe und Tiefe (gleichhoch, höher, tiefer). 
2. Zonbildung. Nachſingen einzelner Zöne auf die Sylbe la, auf tie 
verſchiedenen Selbftlaute, auf Selbitlaute in Verbindung mit Mitlauten, 
Mehrſylbige Wörter, kurze Eike und Eprüde. 3. Gehör:, Stimm; 
und Treffübungen. Der PDurbreillang. a. die 1., 8., 5. und 8, 
Stufe, b. die 1. A. 6. 8. Stufe. Gelbitftändiges Treffen genannter Gtw 
fen in verſchiedener Folge. Ausbildung und Bufammenftellung der Dur⸗ 


Gefang: 495 


tenleiter durch die beiden Tetrachorde co de f} g ah c. Verſchiedene 
Ausführung der Zonleiter in Bezug auf Bewegung, Athmung, Tonftärte; 
tegtlihe Unterlage. * Eintritt der Tonzeichen. Reine Zreffübungen, a. Ink 
erften, b. im zweiten Zetrahord. Einfache melodifhe und rhythmiſche 
Mebungen im Bereich der Tonleiter. Einfache Taktverhältnifie. Selbſiſtän⸗ 
Diges Treffen fämmtlicher Tonftufen vom Grundtone aus. 4. weis und 
dreiftimmige Uebungen. 5. Ginführung in die mit C-duf 
nähfitverwandpten Tonarten. 6. Einführung in das Roi 
gefhleht. 7. Kleine dromatifhe Tonfolgen. 

W. Rothe feht hinzu: „Die Elementarübungen find niemals Selb 
zwed, fondern nur Mittel zum Zwed. Sie dürfen nicht zu meit ausge 
dehnt werben, gleihmwohl find in jeder Singftunde ungefähr 10 Minuten 
“ darauf zu verwenden. (30 Minuten kommen auf die Einübung neuer, 20 
Minuten auf die Wiederholung ſchon durchgenommener Lieber).” 


69. Auguft Ulrich. Sein Stufengang ift folgender: 1. Die 
Zonbildung Ginzelne Zöne werben unter genauer Beobachtung 
ber Regeln für Haltung des Körpers, Mundftellung, Athmung, Ton: 
anſchlag zc. fo lange auf die Vocale a und e geübt, bis fie correct und 
fauber erj&einen. 2. Aufftellung und Uebung des Duraccordes. Die Töne 
1, 3, 5, 8 werben ohne Notengeftell durch über einander ftehende Punlte 
bezeihnet. 8. Die Durtonleiter. Treppenartiges Bild derſelben. 
„Der Schüler fingt die Zonleiter aufs und abwärts und trifft jeden be. 
zeichneten Ton auch außer der Reihe. 4 Verlängerung der Zons 
leiter nah oben und unten. 5. Die Zonzeiden. a. Bezeich⸗ 
nung der Töne nad Höhe und Tiefe. Hier treten mit einem Male fänmts 
liche Noten ein und es werben alle Durtonleitern bis Fis- und Ges-dur 
aufgeſtellt. b. Bezeihnung der Töne nad ihrer Dauer. Ueberficht der 
Noten⸗ und Paufengattungen. c. Die erften Uebungen im Singen nad 
Noten. Accord und Tonleiter von C werben in 4 Talt gejungen, bann 
folgen noch 4 Sägen in G, D, B und D zur Uebung im }, 4, 4 
und $ alt. 6. Webungen im Angeben, Binden, Tragen 
und Schwellen bes Tons. 1. Zn C-dur, und zwar im Bereich 


von c—g, werden die belannten Secundens, Zerzens, Quarten⸗ ıc. Gänge 
gefungen, und zwar 1. raſch, 2. gebunden, 3. getragen, 4. ans und abs. 
gefhwellt. Hieran Schließen ſich 2. mehrere Geläufigleitsübungen und 8. 
folgen Uebungen, um a. Brufte und Mitteltöne, b. Mittel und Kopftöne 
zu verbinden. Unter 2. u. 3. überjchreitet der Verf. wenigſtens in den 
legten Uebungen ofienbar das Gebiet bes Schulunterrichts, wie denn 4.B. 


— — — — 
= zZ mn nn — — 


b a as g ges f langſam gefungen werben follen, um aufwärts bis as 
die Mittelftimme in die Kopfſtimme, abwärts bei ges bie Kopfflimme in bie 
Mittelftimme übergeben zu laflen. Bas Ganze ift für die Volksſchule nur’ 
von geringem Werth, weil auf der einen Geite zu viel, auf der andern zu 
wenig gegeben wird und dem Gegebenen tbeilmeife (namentlih mas die 
Rhythmil betrifft) die elementarifche Gliederung und Stufenfolge fehlt. 


436 Geſang. 


70. Schäublin dagegen bewährt ſich in feinem Tabellenwerke als 
einen Runftyäbagogen im vollen Sinne des Worte. Ausgehend vom eins 
geftrihenen g und a, ber naturgemäßen mittleren Zonlage, 
wird der Tonraum ganz allmälig erweitert, ohne der Stimme jemald Ges 
walt anzuthun, und alles, was für Stimmbildung in ber Bollsichule 
nothwendig, was an theoretiſcher Kenntniß esforberlih, was für Meledil 
und Rhythmik aufzufaflen und zu üben ift, wird in beiterwogener, eben 
ſowohl fubjectio wie objectiv bemefiener Folge und Berlnüpfung nad un 
nach eingeführt und behandelt, wie es fich eben für den Elementarunter- 
richt gehört. Die Dispofitien if im Weſentlichen diefelbe, wie in bes Ber: 
faſſers Gejanglehre für Schule und Haus, beſprochen im XIII. und XIV, 
Bande des Päpag. Jahresberichts. ine neue Auflage dieſer Geſangſchule, 
die dritte, ſoll demnächſt erſcheinen und wird biefelbe, wie auf dem Titel 
bes Tabellenwerles bemerkt ift, als Anleitung zum Gebraude bes lehteren 
dienen. 

71. 5. M. Sähletterer arbeitet in feiner erfien Abtheilung, aus⸗ 
gebend von den Mitteltönen, die Tonelemente in enger Begrenzung in C-dur 
duch, geht dann in der zweiten Abtheilung zu ben andern Zonarten über, 
erweitert die Rhythmik, führt auch einigermaßen in die dem Chorſchüler 
faßlihen und nüglihen Grundlehren der Harmonik ein und prägt auf jeber 
Stufe das Gewonnene in kleinen Liederfäßen und Liedern praltil aus. 
Dei dem allen aber ftrebt er vom Anfang bis zum Ende mit der Con: 
fequenz des erfahrenen Meiflert auch rihtige Tonergeugung, pro: 
greffive Bildung der Stimme, allmälige Gewinnung des 
fhönen Gefangtones und Verwerthung veflelben im ausprudswollen 
Bortrage hin. Die weife Begränzung des Lehr: und Lernfloffes mag we 
fentlih dazu beigetragen haben, daß dieſe Chorſchule Thon die fiebente 
Auflage erlebte. 


O. Einzelunterridt. 


72. 2. Rode Derjelbe bat fi in der mehrgenannten Schrift die 
Aufgabe geitellt, „‚venjenigen, welche weder Zeit, Gelegenheit, noch Geldmit 
tel befipen, um bei einem bewährten Lehrer Unterricht zu nehmen, eine 
Anleitung zum Selbftunterrichte zu bieten, foweit berfelbe eben mög: 
lich if.‘ Er faßte dabei vorgüglid die männlichen Sänger in's Auge, ımd 
zwar jene vielen Mitglieder unferer zahlreichen Männergefangvereine, bie 
als einerfeits wiel befchäftigt und nicht eben reich, andrerſeits der Muſil 
gänglih unkundig, einer einfachen, klarverſtändlichen Anleitung 
zum Selbfiunterricht bebürfen.” Bu feiner Arbeit bewog ihn nicht aus 
das rege Jutereſſe an der Kunſt, fondern — wie ex offen gefteben will — 
ein gewiſſes Mitleiven. „Mich überlam oft eine Art Grauen, wenn id 
bei Dilettantenaufjührungen gewahrte, wie jo manche hübſche Stimme durch 
unnatürlide Behandlung nicht zu voller Geltung kam, durch unrichtigen 
Umfag und Anſchlag verbuntelt, in ihrem ſchönen Alange beeinträchtigt und 
verunftaltet wurde, ober der unbejorgte Sänger ji jogar an der Geſund⸗ 





Geſang. a7 


beit und dadurch am Leben ſchadete! Aus letzterem Grunde ſchon ſollte 
Jeder, der einem Geſangspereine angehört, ſich wenigfiend bie allernothwen⸗ 
bigften Kenntniffe in Betreff feiner Stimme zu verfhaffen fuchen, mas ex 
ja in einigen Stunben erreihen kann.” Selbſtverſtaͤndlich ift übrigens die 
Schrift geeignet, nicht blos unmifiende Sänger, fondern auch unwiſſende 
Lehrer des Gefanges zu unterrichten. „Unverzeihlich bleibt es“, fo fagt ‚bes 
Derf., „wenn die Leiter der Vereine ſelbſt nicht den entjernteften Begriff von 
der. Behandlung der Singwerkzeuge haben und das Lörperlihe Wohl ihrer 
Anvertrauten leihtfinnig auf das Spiel feßen. Wie viele Klavierjpieler 
und fonftige Inſtrumentaliſten gibt es, welde ihre Böglinge im Belange 
unterrichten, ohne auch nur eine Ahnung von den Grundregeln des Gefam 
ge zu haben! Was würde aber die Welt von einem Sänger jagen, bes 

tolinunterriht ertheilen wollte, und nicht einmal wüßte, mie man dem 

Bogen führt? — Unter diefen Ufurpatoren des Gefangunterrichtes findet 
fi vielleiht aud einer, dem mein Schriften willlommen if, da es — 
jo wage ich zu behaupten — das Nothwendigite und in feinen eingeftreus 
ten Uebungen das umfaſſendſte Uebungsmaterial bildet.“ Für Heranbil⸗ 
dung von Geſangkuͤnſtlern im ſtrengeren Sinne des Wortes hat der Verf. 
nicht geſchrieben. „Ich habe von einem ädten dramatiſchen Saͤnger zu 
hohe Begriffe, als daß ih nicht der Meinung fein ſollte, ein ſolcher beduͤrfe 
nothwendig ber ftrengften und gewiflenbafteften Leitung eines durch und durch 
gebildeten Lehrers).“ 

73. Fortſetzung. In 19 Briefen behandelt Rode Folgendes; 
Haltung und Kleidung — Athmen — Gintheilung der Stimmen. Ums 

fang, Regifter, Wechſel — Anſatz — Anſchlag — PBocalifation: a, o, ö, 
e — Bocalifatim: i, ü u —. Weitere Bemerkungen. Offener und 
gebedter Anjag — Doppellaute und Confonanten — Zeit und Dauer des 
ESingend, Eolmifation. Grundlage der Geläufigleit — Uebung von 3—8 
Zonen — Meitere Uebungen — Bortamento — Staccato — Falſet — 
Crescendo und Decrescendo — Triller, Läufer — Vorfchläge, Nachichläge, 
Mordent u. |. mw. — Gejundheitslehren und Schluß. — Rode ift Sän- 
ger von Beruf, befikt eine gute pädagogifhe Bildung nebft einem Schatze 
von Erfahrungen und hat fih als Gefanglehrer vielfach bewährt. In wei⸗ 
ſer Beſchränkung lehrt er nur das Nothwendigſte, dies aber in eben 
ſo faßlicher als gründlicher Weiſe, ſo daß die Schrift gewiß von erheblichem 
Nutzen fein wird. 

Hören wir einige Stellen aus dem Abſchnitte: „Anfhlag”...., 
„Bei einem Gefunden foll kein Vocal mit den Ausgängen der Aafenhöhle 
etwas gemein haben, und wenn ed dennoch jo ift, jo haft Du einen Na⸗ 
fenklang, den Du Dir abgemöhnen mußt. Du kannſt den Fehler leicht, 
finden, leiter wenigſtens als die Abgewöhnung Dir fallen wird, twiewohl. 
auch dieſe keine großen Schwierigkeiten darbietet. Wo Nichte heraus ſoll, 
brauchſt Du nur den Ausgang zu verſchließen! Darum ſinge einen Ton 
auf die verſchiedenen Vocale und halte Dir dabei die Naſe zu. Haben ſi 
einen anderen Klang, als wenn Du die Naſe offen läßt, jo mußt Du lange 
mit zurüdgehaltener Nafe fingen, bis fein Unterſchied mehr bemerkbar ift. 
Solches verfuhe auch bei allen Confonanten, nur nicht bei m und.n,, 


428 Geſang. 


denn wenn es Dir bei Ihnen ebenfalls gelänge, Lönnteft Du mehr als 
jeder Andere. Somit würde der widrige „Naſenklang“ over „Nas 
fenton“ befeitigt 1" 

74. Sortfebung „Wir wollen nun von anderen, nidt min 
der garftigen Klängen reden. — Du weißt, daß Du eine Zunge im 
Munde haft, welde Du nad verſchiedenen Richtungen bin bewegen kannſt. 
Gerne: Siehſt Du Dir dur einen Epiegel in ven Mund, jo be 
merkſt Du im Hintergrunde der Munphöhle, ich möchte jagen, einen fleis 
ſchigen Borhang mit einem Meinen hängenden Zäpfchen in der Mitte 
oben. — Alle diefe Dinge können das Ausſtrömen des Tones fehr ver» 
hindern und ihn veranlaflen, entweder faft ganz darin zu verballen oder an 
Orten anzufhlagen, welche ihm einen unangenehmen Klang beimifchen. 
Crhebft Du zum Erempel hinten die Zunge (Zungenwurzel) und verftopfft 
fo den Ausgang, wie es der Hornbläfer mit feiner Fauſt thut, fo fchlägt 
der Ton in der Kehle an und Du erhältft den „Kehlton.“ „Drüdfi Du 
mit beiden Händen bie Seiten Deines Haljes, mo die Mandeln liegen, gegen 
einander, fo verengft Du den Schlund, der Ton kann nicht frei heraus und 
prallt am bintern Gaumen an. Dadurch entfteht ein Zon, der mit Zug 
und Neht den Namen „Saumenton“ führt. Wie Du es nun anzu: 
fangen baft, um weder Kehl⸗ noch Gaumenton zu fingen, das liegt wohl 
auf der Nahen Hand! Darum laß die Luftröhre mit dem Kehlkopfe in ru 
biger, natürlicher Lage, gib dem Tone die Richtung nad der Mundoͤffnung, 
und damit Du es kannſt, lege die Zunge auf natürlihe Weife platt in 
den Mund, daß fie die untern Vorberzähne mit ihrer Spike berührt, drüde 
den  fleifchigen Vorhang und die Seiten des Halfes nicht zufammen und 
öffne dabei den Mund fo weit, um zwifchen die Zähne ungefähr die Breite 
bes Daumens legen zu können. Haft Du alles ſchoͤn gerichtet, fo gib einen 
Zon an. Diefer wird, wenn Du alle Stellungen reiht machſt, fi in ein 
Mares, deutliches a verwandeln, und fomit hätten wir den erften Bocal 
gebildet, welcher der jchönfte und hellſte, weil natürlichſte von allen iſt.“ 

75. Yerdinand Sieber. In feinem „Abe der Gefangs: 
funft“, welches in zweiter Auflage erfchienen ift, hat Sieber dem Zerte 
ber erften Auflage (1853) aus den Grfabrungen einer meiteren zwölfjäh: 
rigen Thätigteit als Gefanglehrer, eine Anzahl ſchätzbarer Vermehrungen 
und Verbefferungen beigefügt, um nichts vermifien zu lafien, was in den 
Bereich des eigentliben Kunftgefanges gehört, nichts was die Bil⸗ 
dung und Behandlung der Stimme angebt. Das Ganze ehthält 
nun folgende Artilel: Athmung, Betonung, Conſonanten, Diphthonge, Ci⸗ 
genthümlichleit der Stimmen, Folgerichtigkeit der Studien, Geſchmack, Hal« 
tung des Koͤrpers, Imtonation, Keblfertigleit, Lungen und Luftröhre, Mund: 
ftellung, Nafentlang, Ohr, Portamento, Regifter, Scalenftudium, Ton 
— Umfang der Stimmen, Vocaliſation, Wechſel der Stimmen, 

ichen. 

Nachſtehendes aus dem Artikel „Intonation.“ „Worin beſteht 
denn bie Kunſt einer reinen und ſchoͤnen Intonation? Der jedesmalige 
zon muß unmittelbar, zwar leife, aber ganz beftimmt und 
vollfommen rein erklingen, ohne erft irgend eine Art von hör: 





Geſang. 420 . 


barer Borbereitung mit zu bringen... .. Sinige Sänger. ſchiden jebem 
Zone einen oder mehrere Töne voraus und gelangen fo erſt über eine 
Brüde auf den eigentlihen Ton. Dieje vorausgejhidten Töne find, obs 
gleich oft nur ſehr jchnell und im Fluge angegeben, doc für ein gehildetes 
Ohr deutlich zu vernehmen und von ſehr ſchlechter Wirkung. Am bäyfig 
ften nimmt man folde Bor: und Bwifchentöne beim Portamento wahr, wg 
der ſchlechte Sänger, wenn daſſelbe bei Noten ftattfindet, die weit von ein⸗ 
ander entfernt liegen, die ganze dazwijchen liegende Zonreihe zu Gehör 
bringt, — ein unleidlicher Fehler, den die Italiener strascinare, d. h, 
Durhichleppen, nennen. — Andere lafien vor jedem Worte ein h, n oder 
r vernehmen und meinen, weil fie felbit es nicht beadyten oder vernehmen, 
es müfle auch dem Ohre der Zuhörer entgehen. . . Noch Andere beglei, 
ten jedes Athmen und jeden Ginfag mit einem gewillen Stöhnen .gbex 
Schluchzen und glauben, diefe Art der Intonation gebe dem Ausprudg 
großen Reiz. Wieder Andere endlich bringen anfangs, d. h. beim Sntos 
niren, gar keinen ertennbaren Ton, vielmehr nur einen Laut zum 
Vorſchein, ein vernehmbares Brummen oder Summen, das erft im 
erescendo und forte zu einem wirklichen, oft fogar recht fchönen Zone 
fih umgeftaltet; allein ver Ton mag fo jhön lauten wie er will — 
er iſt nichts werth, wenn er johleht angefangen, d. h. undeutlich in⸗ 
tonirt wurde.” oo. 

76. Maria Heinrih Schmidt füllte das 6. Heft von feiner 
periodiſchen Schrift: „Sejang und Oper“ größtentheild mit einer, Bes 
urtheilung der 2. Auflage von Friedrich Schmitt's „Großer Geſange⸗ 
ſchule für Deutfhland” aus Diefes Wert war von dem Goncert- 
meilter Horft Nägeli in einer befondern Broſchüre *) ganz außerordent⸗ 
lich gepriefen und gr. Schmitt als „einzig zuverläffiger Tonbildner in 
Deutihland‘ bezeichnet worden. M. H. Schmidt greift dieſe „eraltirten 
Zobeserhebungen” von Buch und Autor als eine unmwürdige Reclame ap 
und unterwirft nun bie „Große Geſangſchule“ felbft einer eingehenden Kri⸗ 
tik, die Vieles in dem Werke anerkennt, Manches in Frage ftellt, Anderes 
verwirft, entſchieden aber den Anſpruch (die „jelbitgefällige Illufion“) des 
Berfafierd zurüdweilt, ein ganz neues Fundament in ber Ges 
ſangskunſt gefhaffen zu haben. Cs würde zu weit führen biefer 
jeden Falls ſehr belehrenden Keitit **) durch alle 24 Kapitel ver in Rebe 


°) „Ueber ben Berfall bes bramatifhen Geſanges in Deutfch⸗ 
fand und Friedrich Schmitt.“ 

“r) Mitunter ift fie von ziemlicher Schärfe, 3. B. in Betreff ber Lehre 
Sr. Shmitt’s: „Man lernt mit Empfindung zu fingen, wenn man fi früh⸗ 
zeitig daran gemähmt bat, bie Accente in ber Muſik gehörig hervorzuheben, for 
wie auch bie Anfangebuchflaben der Worte und Sylben ſtark zu betonen. Wenn 
man fich ferner daran gewöhnt, einen finnigen, ernften Blick feft auf einen Punkt 

richten unb mit feelenvollen Gebanlen beichäftigt zu jein ſcheint x.” Hier 
at ber Kritiker: „Rein, einzig zuverläffiger Tonbildner in Deutfchlanb, durch 
ſolche jämmerliche Äuferlidhe * lernt kein Menſch mit Smpfinbung fingen, 
meber mit wahrer, noch mit ſcheinbarer! Wer ben Gegenftanb feines Vortrages 
nicht mit feinem tiefften Gemith erfaßt und durchdringt, wer nicht bie geiflige, 





480 Gefang. 


ſehenden Geſangſchule gu folgen; doch möge folgende Stelle daraus bier 
Blap finden *)... „Die menſchliche Stimme, dies ebelfte Inftrument, 
bat eine höhere Aufgabe, als durch feiltämzerifche Gambaben in athem⸗ 
ſtockende Verwunderung zu verjeßen, mit ihm find uns bie Mittel gegeben, 
unfere innere Gefühlswelt in ideeller, Eumftverllärter Weife zu offenbaren, 
and des Herzens Wonne und Weh in einer Sprache mitzutheilen, bie den 
Hörer tief und ficher trifft, um auch fein Herz mit ben verlünbeten Gefüͤh⸗ 
len zu füllen. Dieſe Wirkung ift die hoͤchſte, welche der Geſangskunſt über 
baupt möglich ; aber nur dann erreichbar, wenn Wort und Ton ſich zu 
innigſter Verihmelzung hierzu vereinen. Jemehr nım die eigentliche Bras 
vour fich diefer Verſchmelzung entzieht, indem fie die Worte gleihfam nur 
als Aetterſtangen benußt, um ihre equilibriſtiſchen Kimſte daran zu zeigen, 
je mehr opfert fie von ihrem Empfindungs⸗Element. Freilich hat die Bro⸗ 
vour ihre unantaftbar Tünftleriihe Berechtigung; durch ihre Sauberkeit, 
Sleganz, Anmuth, Sicherheit und Kühnheit vermag fie ben Hörer vom 
Ainnligen Woblgefallen an bis zum Rauſche des Entzüdens hinaufzuwir⸗ 
bein, doch es wird ihr nimmer jene ftille Nührung, jenes tiefe Ergriffenfein 
gelingen, von dem ver Hörer auch nod einen veredelnden Gewinn zieht, 
indem die Dffenbarungen einer künſtleriſch erglühten Seele auch die jeinige 
erleuchten und mande ſchöne Regung darin gum Leben bringen, die nur 
vom Genius der Kunft erwedbar find.” 

„Der getragene Geſang wirkt intern, der Bravourgefang ertern, Wear 
den erfien ausführt, muß ihn mit feinen edelften Seelenkraͤften, mit dem 
ganzen Reichthum feiner inneren Welt füllen und mit unbebingter He: 
gebung gleichſam darin aufgeben, aud vom euer der Begeifterung ergrij⸗ 
fen fein. Der legtere bedarf ſolcher tiefen Gefühlserregung nicht, fein 
Hauptreiz beftebt in der leichten mechanifchen Thätigleit der Kehlmuslein, 
die unfehlbar dem Willen des Singenden folgt; und wie der dazu verwend 
bure Ton nicht jene Sntenfivität gebrauden kann, wie der große declamas 
torifche Belang, fondern im Allgemeinen fih in den Grenzen füßflingenver 
Lieblichteit hält, fo find aud die dazu erforderlichen aͤſthetiſchen Eigenſchaf⸗ 
ten, als Anmuth und Grayie, folche, weldhe von der Natur verliehen wer- 
den und am hinreißendften wirken, wenn ſich ihr Zauber ohne Bewußtfein 
des Vortragenden offenbart. Doc ohne den Unterſchied, welcher zwiſchen 
den beiden bervortretenditen Geſangsſtylarten befteht, weiter zu verfolgen, 
baben wir nur das Eine feftzubalten, daß die Geſangsbravour in der nas 


Befähigung bat, bas alfo in fein Gefühl Aufgenommene und ihm Zueigenge- 
worbene kuͤnſtleriſch zu geftalten und als ein Geifl- und Seelenvolles zu ör 
zu bringen, der wird weber mit feinem finnigen, ernften, auf einen Kante ge 
richteten Blick und feiner ſcheinbaren Beſchäftignug mit feelenvollen Gebanten, 
noch mit feiner außerordentlich gut eingellbten äußeren Empfindung feine Affec⸗ 
tation anb Unnatur zu verleugnen im Stande fein |“ 

*) Vorher ift bemerkt, daß Fr. Schmitt in ben von ihm aufgeftellten 260 
Gefänfigteits-Erercitien der menſchlichen Stimme allzuviel zumuthe. „Bei ber 
heiligen Eäcilie: wer biefe 260 Exercitien mit Geläufigfert fingen Tarm, ber 
wird vor keiner Schwierigteit mehr zurädiäreden, und hätte fie, wie einft bem 
Meifter Tartini, ber Teutel dietirt.“ 


Getang. 481 


türliden Beihaffenheit und dem Charakter der menſchlichen Stimme, ſowie 
in ihrer angemefienen Verwendbarkeit, eine bejhränlende Grenze findet.‘ 
777. Schluß. In dem genannten Hefte gibt M. H. Schmidt auch 
einen Artikel über Carlotta Patti („enorme Bravour bei wenig Herz 
und Gemüth‘') und findet dabei Veranlafjung, auf die Mängel unjerer Ges 
fangscorpphäen hinzuweiſen und die beutjche Toleranz zu verurteilen, welche 
ſich längft gewöhnt bat, auf einen wirffichen Kunſtgeſang zu verzichten... . 
„Anjer Ohr verlangt keine edel gebildete Stimme mehr, weil es den Be 
griff dafür eingebüßt bat, wenn nur einzelne Töne, fo unfchön fie auch 
fingen mögen, unſer Trommelfell in Bewegung bringen; wir erfragen es 
mit Lammesgebuld, wern wir vergeblich zu erforſchen fuchen, in mwelder 
Sprache der Sänger uns feine Gefänge vorträgt; wir find fo gefällig, bie 
beulende Sentimentalität für Achte Empfindung zu nehmen, und erlaſſen es 
dem Sänger, von feinem Verftande und feinem Gefühl Gebrauch zu maden: 
kurz, wir find in unfern Anforderungen an bie deutſche Sängerſchaft fo 
genügiam geworben, daß fie fich bereitö der Nothwendigleit entbunden ev 
achtet, dem Bellen nachzuſtreben.“ 

Das wäre alſo Verfall! Möge die höhere Gejanglebre ihrerfeits ' 
Mittel und Wege finden für die Erhebung zum Beſſern. 


II. Kiteratur. 


A, Lehr- und Uebungswerke mit oder ohne 
Liederſtoff. 


1. Die Pflege der Singſtimme und bie Gründe von ber Ferſtörnug 
unb bem früßzeitigen Berluſt derſelben. Ein Wort filr Alle, welche fingen, 
Singen Iehren und überhaupt für Gefang ſich interelfiven, von ⸗ 
Hoffmann. Dresden, Bruno Wienede, 1865. 1— 


2. Geſangunterricht für Schulen von F Hartmann. Erſter Curſus, 
enthaltend Singübungen und ein- und zweifimmige Choräle und Lieder 
für Sopran und Alt. Zweiter Curſus, enthaltend Singübungen und mei⸗ 

entheils drei⸗ und vierſtimmige Choräle und Lieder für Sopran und At. 
ſerlohn, F. Bädecker, 1866. 1. Emrfus geb. 4 Sgr. — 2. Curſus 
geh. 10 Sgr. — 1. und 2, Curſus. aufammengebunben 15 Ggr. 


8 Der Gejaugfreunb. Eine Sammlung ber fhönften ein-, zwei» und 
breiflimmigen Lieber für Schule, Haus und Leben. Im brei un. Im 
Auftrage des Kieler Lehrervereins bearbeitet und herausgegeben von A. 
trag Lehrer an ber Mädchenbürgerſchule in Kiel. Erſies Heft: Methor 

“ bilder Fhrer für ben Geſangunterricht in der Vollseſchule nebſt vorberei- 
tenben Tonübungen, einftimmigen Kinberliebern für das GBehdrfingen and 
—— ni eh a bie pr bes — Ka vermeh ots 

uflage. rt. Ameites 0 einftimmige 6 zw mige Lie⸗ 

der nebſt vorbereitenben Tonlibungen unb 7 Canons. 3 Gyr. Drittes 

Heft: 34 zweiſtimmige und 21 breiftimmige Lieber nebſt vorberettenben Ton⸗ 
erg ba 


Übungen. 3 Sgr. Kiel, Schwers'ſche Buchhandlung, 1865. 


' 


458 | Geſang. 


4, Kurzgefaßter Leitfaden für die methodiſche Bebenblung bes 

Sefangunterrihts in ber Volkeſchule. Zufammengeftellt von Wil⸗ 

eim Kothe, Seminar-Mufikiehrer. Zweite vermehrte Auflage 4 Gar. 
raundberg, E. Peter, 1865. 


5. Stimmbildungs-Metbode, enthaltend bie hauptſächlichſten Uebungen 
jur Ansbilbung des mufllaliihen Gehörs und ber Gingflimme, mit befon- 
derer Berückfichtigung bes Gefangunterrits in ber Schule, von | 

. Neid. * r. (Mit Wandtafeln 8 Silbergroſchen). Berlin, 1865, 
mann u. er. 


ttiſcheC ſchule von Schletterer, Kapellmei in Auge» 
burn. ee ERICH ar Ehrifian — De, 


Der Seibfiunterriht im Gefange. Eine Abhandlung in XIX Brie 
fen nebft Beilpielen. Allen Gefangvereinen Deutſchlande gewidmet von 2. 
Rd Großbergogl. Badiſchem Sofopernfänger. Heibelberg, Kr. Baſſer⸗ 
mann, . 


8. Kurze Anleitung zum grünbliden Stubium bes Gefanges 
(Abc der Sefangstunf). Bon Ferdinand Sieber, Brofeffor der Duff, 
Berfaffer des „Vollſtändigen Lehrbuches der Geſangkunſt.“ Zweite, ver 
mehrte unb verbefierte Auflage. Leipzig, Heinrich Matthes, 1865. 15 Sgr. 


9. Befang nnd Oper. Kritifchebibactiihe Abhanblımıgen in zwangloſen Hef- 
ten. Herausgegeben von Maria Heinrich Schmidt. ECehfes Heft. 
Magbeburg, Heinrichehofen, 1865. 


10. Aufeitung zur vollfänbigen Ausbilbung im Gefange Nebk 
Lehre, das Organ zu fräftigen, bauernb zu verfchönern, Fehler beflelben 
en unb ben hochſten oh kang der Stimme zu erzielen. Bon Anatır 

inoja, Profefior ber Muftf. Bierte Auflage. Hildburghauſen, Kefjelrinz. 


11. Zwei⸗ und breikimmige Siugäbungen mit lateinifhem Texte wmnb 
beigefligter. deutſcher Ueberſetzung für Sopran und Alt (oder Tenor und 
Baß). Zum Gebrauche bei dem Unterrichte angehender Kirpenfänger. Her⸗ 
ausgegeben von U. Tuma. Heft IL. 20 Ngr. Wien, 5. Weſſely. 


6 


“ 


7 


- 
. 


Nr. 1. Eine Kleine Schrift von nur 89 Geiten, bie aber einen Reich⸗ 
tbum wichtiger Belehrungen enthält, weshalb zu wünſchen ift, daß fie.im 
den Händen aller Lehrer und Leiter des Geſanges, jowie nicht minder der 
(erwachfenen) Sänger felbit fein möge. Das Büchlein erichten im Juni 
1865, kurz vor dem Drespner Sängerfefte; es wollte in den Tagen bes 
allgemeinen Gefühlsraufhes eine Anregung zu einem Momente des Sam⸗ 
meins fein, in müßigen Augenbliden eine nüglie Unterhaltung gewähren. 
„Welche Gelegenheit”, fo fagte der Berf. im Vorworte, „Lönnte auch paſſender 
fein zur DVeröffentlihung eines erniten Wortes über die Pflege der Stimme, 
als die, welche taufend und abertaufend Menſchen an einem Punkte im 
Deutichland zufammenführt, die alle ein tiefes Interefie und warme Lisbe 
füs den Geſang bekunden.“ In 6 Capiteln, denen eine Cinleitung vorans 
geht und ein Abſchluß folgt, wird Nachftebendes gegeben und befproden : 
1. Allgemeine Grundfäße; 2. Die Schule und der Leber: 
gang in’sLeben; 3. Geſanglehre und Gefanglehrer; 4. Das 
Leben (die Praxis); 5. Phyfiologie und Pflege der Stimme; 
6. Der Männergefang. Im lestgenannten Cap. wird gefagt, daß 
unter den Hunderttaufenden, melde ſich gegenwärtig in Deutſchland bei 
dem Männergefang betbeiligen, die Mehrzahl yon ihnen ihre Stimmen 


Geſang. 433 


zu Grunde richten würden, wenn ihre Uebungen und Vorführungen nicht 
fo vereinzelt wären, daß die Natur Zeit gewönne, ſich von felbft immer 
wieder won der Unbill zu erholen, welche verjelben häufig zugefügt worden 

MM „Der im Männerhor Sündigende gleiht einem Menſchen, der fi 
vielleicht alle acht Tage einmal ein Räufchchen zu Schulden kommen läßt, 
ja vielleiht hin und wieder auch einmal, wie man fo zu fagen pflegt, der 
Natur einen Stoß gibt, wobei er alt und grau werden kann; dabei kann 
er, der Sänger, es jedoch eben jo leicht einmal verjehen und jeine Stimme 
dermaßen jhädigen, daß fie fich nie wieder erholt. In diefer Gefahr be 
finden fih 1. befonders die äußeren Stimmen und vor Allem die Tenöre, 
2. alle Stimmen, a. bei zu langer Dauer der Uebungen, b. wenn ber 
Dirigent ‚in Bezug auf Kraft den Chor nicht höchſt forgfältig überwacht, 
weil dann ein Heil den andern jo lange treibt, bis fi die Stimmen über: 
nommen haben.“ — Sn der Ueberzeugung, daß der Männergejang als 
Bergnügungs: und Inſpirationsſache mit dem großen Sängerbunpfefte feis 
nem Bulminationspunlt erreicht habe, fordert der Verf. mit Necht, daß man 
num auch darauf Bedacht nehmen müfle, „ſich als Sänger zu verebeln und 
ſich mit den eritrebten Leiftungen in ven Dienft der Kunft zu ftellen. — 
Uster nochmaliger Hinmweifung auf die Michtigleit des Ganzen theile ich 
den Wunſch des DBerfajiers, daß feine Rathſchläge „fih als Samentorn zur 
Frucht des Guten in die Herzen aller Derer ſenlen mögen, welde ſich für 
Befang intereſſiren.“ 

Nr. 2. Diefe Gefangfchule will in einem Merle das Gefammtma: 
tertal für den Geſangunterricht darbieten, damit die koftfpielige Anſchaffung 
verfchiedener Sammlungen, ſowie das zeitraubende Pictiren vermieden wers 
den. Sie vereinigt demnah Theorie und Praris, Singübungen 
und Rieder in ſich. Bon dem Lebrverfahren des Verfaſſers ift im Alle- 
gemeinen ſchon die Rede gemwejen und es kann baflelbe der Hauptſache nad) 
als berechtigt anerlannt werden. Im Einzelnen wäre freilich dies und 
jenes zu bemängeln, 3. B. die Art, wie auf Seite 1 alle jehs Notengats 
tungen auf einmal vorgeführt werden, ohne jede Andeutung, wie die Vers 
anſchaulichung zu bewirken; ober auf 3 der Sag: „Die Dur: (harte) 
Tonleiter. Große Terz; auf 2 ganze Töne folgt ein halber, auf 3 ganze folgt ein 
halber Ton.” Was ift eine große Terz? Davon erfährt der Schüler nichts. Soll 
die Definition dem Lehrer überlaflen bleiben? Warum dann nicht aud die Des 
Sinition der Dur-Zonleiter? Auf Seite 5 tritt plöglich die G-dur-Zonleiter 
auf, blos eingeführt durch die Ueberſchrift „O-dur: die halben Töne: h— co 
und fis—g” und erläutert dur die „Anmerkung“ (?): „Das Beichen 4 
hängt jeder Note die Syibe is an; fis ift einen halben Zon höher als £. 
Bo bleibt da das Methodiſche? wo der Grundfag: Bon der Sache 
zum Beihen? — Bertannt ſoll durchaus nicht werden, daß hier ein Schüs 
L.erbud vorliegt, das weiter nichts fein will, als 1. Liederheft, 2. Merk 
sad Uebungsbüchlein für den Glementarcurfus ; aber wie kommt daſ⸗ 
felbe. unter diefen limftänden zu dem Titel „Geſangunterricht“? — 
Hr. Hartmann mird einſehen, daß er entweder dieſen Titel ändern oder 
vers Werkchen eine methodische Anleitung für den Lehrer beifügen muß. — 
Mas zun bie Bejänge betrifft, fo enthält der 1. Curfus 8 zweiſtimmige 

wär. Jahresberxicht. XVLL 28 


434 Geſang. 


Choraͤle, 30 ein: und zweiſtimmige Lieder; der 2. Curſus 26 drei⸗ umb 
vierfiimmige Choräle, 60 vergleihen Lieder und Leine Motetten. Viele 
Schulmaͤnner find belanntlih gegen pierftiimmige Kinbergefänge, und 
zwar mit Recht. Die Zahl folder Gejänge ift glüdliher Weife in dem 
vorliegenden Bude nur eine Meine und verringert alſo nicht weſentlich 
feine Brauchbarleit,. Die Ausmahl des gefammten Choral» und Yigural- 
ſtoffs unterliegt im Uebrigen keinem Zabel; im Gegentheil ift anzuertennen, 
daß der Herausgeber nur Muftergültiges zu geben bemüht war. Wenn er 
freilich jagt: „Was aber wohl hauptfählicd dieſes Werktchen von ähnlichen 
unterjcheiven dürfte, ift die Auswahl der Choräle und Lieder, die fo ge 
troffen ift, daß ſowohl für Shulanpadten, wie für fonflige ern ſte 
und beitere Gelegenheiten vielfeitiger Stoff dargeboten wird“, jo foll zwar 
dieſe Reichhaltigkeit nicht in Frage geftellt, zugleich aber doch ausgeſprochen 
werden, daß jie ein Vorzug ift, der auch mander andern Sammlung zu: 
gejprodhen werden muß. 

Nr. 3. Heit 1. gibt aljo als Lehrerbuch die methodiſche Anlei- 
tung zum Unterriht und die nad dem Gehör einzuübenden Lieder; Heft 2 
und 3, enthalten ald Schülerbüder pie vorbereitenden „Zonübungen” 
(chythmiſch, melodiſch, harmonisch) nebit dem nah Noten zu verarbeitenben 
Lieverftoffe (keine Choräle). Gine ganz gute Anorbnung. Der „metho⸗ 
diſche Führer”, wie der Verf. die Anleitung im 4. Hefte nennt, enthält 
des Trefflihen nit wenig und verrätb den Pädagogen von GEinſicht 
und Erfahrung, der zugleich eine grünblide Mufilbildung befißt. Aber fons 
berbar I Lehrftoff und Methode find in 22 Paragraphen jo bunt Burke 
bergemworfen, daß mwenigitens ber angehende Lehrer fi wohl Idhwen 
li feinen Lehrgang und die methodiſche Behandlung des Ginzelnen darnaqh 
wird zurechtlegen und abnehmen können, jelbit nicht mittelfi ber niel u 
aphoriſtiſchen Yingerzeige in $. 211 So z. B. wirb in $. 3 eine gem 
genügende Anleitung zu „accordiihen und Zonleiterübungen‘’ gegeben, in 
8. 4 und 5 aber folgt dann eine rein objective, ſyſtematiſche Dar 
ftellung der ganzen Rhythmil, ohne jegliche Andeutung unterrichtlicher 
Berarbeitung. $. 6 aber bringt nun „Die Zreffübungen”, alſo wieder ein 
Stüd Methode I! Aehnliches pafiirt auch weiterhin. Offenbar bat der Berk. 
in der Abficht, „der eigenen Zurechtlegung des Lebrftoffes von Seiten des 
Lehrers nicht vorzugreifen”‘, einen. ziemlich unfieren „methodischen Führer“ 
geliefert, Unftatt ganze Abjchnitte der Allgemeinen Mufiliehre und dazpri⸗ 
chen vereinzelte unterrichtlihe Anmweifungen zu geben, mußte er den Lebe 
. gang von Stufe zu Stufe genau vorzeihnen und auf jeder Stufe ſagen: 
Hier wird das und das gelehrt, und zwar jo und jo. Da mußte Seber, 
woran er war, wußte, was er zu thun und zu lafien hatte! — Wöge 
Herr Stolley in diefem Einne ungefäumt die nöthige Umarbeitung ſei⸗ 
ned „Führers vornehmen, ohne eine Beeinträchtigung der Selbftitän 
digfeit der Lehrer zu fürchten. Yür völlig fachkundige, urtbeilsjähige, eo 
fahrene und geübte Lehrer fchreibt überhaupt Niemand einen Führer. — 
Gegen die Auswahl der Lieber und Gefänge ift nichts zu erinnern. 

Nr. 4. Eine ſehr maßvolle, die realen Bedingungen und Verhaͤltniſſe 
ver Volksſchule überall im Auge bebaltende, päbagogifh und muflalid 











Gefang. 43B 


wohlberechtigte Anleitung, ganz entſprechend den Grundſaͤtzen, melde ſich 
nach und nad) für einen methodischen Gefangunterricht, der das Endziel hat, 
das Bolt in den Schäßen feiner beften Lieder heimisch zu machen, geltend 
gemacht haben. „Drei Hauptfeinde find ed”, diefe Stelle wollen wir 
dem Büchlein entlebnen, „mit denen falt jede Schule zu lämpfen bat: die 
fehlerhafte Ausſprache, das Unreinfingen (Detoniren) und das 
Schreien. Die ſprachliche Seite des Gefangunterrihts kann von ben 
Sprachſtunden eine große Unterftügung erfahren. Das Unreinfingen wird 
nad) und nad gehoben durch Bildung des Gehör: und Tonſinnes. Das 
Schreien ift größtentheils Folge der Nohbeit, der ſchlechten Disciplin und 
des regellofen Athmens. Je mehr Athem verwandt wird, befto größerer 
Sorgfalt bedarf es, alles Verlepende im Zone zu vermeiden. Vorherrſchen⸗ 
des Pianofingen fördert die Reinheit und verhindert das Schreien.” 

Nr. 5. Ein ganz mohlgemeintes Hefthen, das aber die rechte me 
thodiſche Geftaltung des Unterrichtes zu jehr vermiflen läßt, um den Schw 
len empfohlen werden zu können. Auch in rein ſachlicher Hinficht ſtehen 
erhebliche Bedenten entgegen. Eine richtige Stimmbildungsmethode müßte 
doch mit der Erzeugung und Cultur der mittleren Töne beginnen ; davon 
ift aber bier keine Spur zu finden. 

Nr. 6. Hier ift Methode, ſowohl nad Seiten ber Tonanfhauung 
und Zonerfenntniß als der Tonbildung bin, während zugleich das 
rein künftleriihe Clement (in Poefie und Mufil) die angemefienite Vertretung 
findet. Für die Volksſchule liegt freilich das vorgeftedte Biel ſchon etwas 

zu hoch; dagegen iſt dieſe Chorgeſangſchule für Bürgerfchulen, cReolſchulen, 
—** sc. in vorzüglihem Maße geeignet. 

Nr. 7. Das Eigenthümlihe diefer Schrift (74 ©.) beruht darauf, vof 
fie nicht den Höheren Kunſtgeſang, jondern blos denjenigen Grad der Ausbil⸗ 
dung auftrebt, defien auch der Dilettant bedarf, um überhaupt fagen zu dürfen, 
er lönne fingen, und daß fie dies mit ungewöhnlicher Sorgfalt thut, alles Eins 
zelne ſehr genau und zugleich in der faßlichſien, populaͤrſten Weiſe beſprechend. 
So z. B. im 15. Briefe die Cultur des „Falſets (der Kopfitimme) . ... „Wie 
foll man aber nun die Ropfftinnme, die in der Hauptſache — wie überhaupt die 
Stimme — ein Geſchenk des Himmels bleibt, vet üben? Ich will Dir 
ein Geſchichtchen erzählen! Als ich in Dresden meine tbeatraliihe Lauf 
bahn begann, lebte nod der berühmte Geſangslehrer Mieljh. Meine 
Wißbegierde und die Yreunplichleit des alten Mannes zogen mic oft in 
feine faft ländliche Wohnung außerhalb der eigentlichen Stadt. Eines Tas 
ges frug er mih: „Nun, mein Sohn, wie fteht’3 mit Deinem Zaljet 9 
übR Du es fleißig ?“ „Ach“, antwortete ih, „das ift fehr ſchwach und 
will durdaus nicht gebordyen,“ — „Dann will ih Dir einen Rath geben‘, 
fagte der Alte, „finge, wenn Du es übt, in Deine hohle Hand hinein,’ — 
Ich wußte damals nicht, was er damit meinte. Später beſuchte ich ihn 
wieder und er that, nad) manchen anberen, wieder biefelbe Frage und ich 
gab dieſelbe Antwort. „Ich will Dir einen Rath geben, mein Junge”; 
fagte der Meiſter wieder, „Itelle Di vor das Fenſter und thue, indem 
Du dafjelbe mit Deinem Falſet anfingft, als ob Du es anhauchen woll⸗ 
teft I" — Jest hätte ich ihn wohl verſtehen können, allein feine Meinung 

28* 


436, Gefang. 


war mir noch nicht Mar, und erft durch Selbſtbeobachtung babe id heraus: 
gefunden, was der berühmte Lehrer damit fagen wollte. Der Tonſtrahl, 
das war feine Meinung, follte mit feinem Anſchlage recht nad vorn, in 
die Lippen hineinfallen und ein leifer Hauch follte dem Falfettone voran: 
gehen. Hieraus ift unleugbar zu fchließen, daß die Faljettöne im Grunde 
gerade in der Weiſe erlernt und geübt werden müflen, wie jene der Bruſt. 
Wie wäre es auch fonft möglih, das zu erreihen, was ald der größte 
Triumph der Gefangstunft betrachtet wird, einen Ton im Yaljet anzufchlas 
gen, denfelben beim Anfchwellen in das Bruftregifter hinüber zu tragen 
und ihn dann wieder beim Abmehmen und Berklingenlafien in das Yalfet 
zu führen, ohne daß ein Bruch bemertlih? Nur hat der Lernende 
beim Falfetüben noch mehr auf den tiefgeftellten Kehlkopf, den 
weitgeöffneten Rachen, ven Anschlag in die Lippen und den 
mitgehenden Hauch zu adten. Gin Anſchlag in die Lippen ift zwar 
infofern eigentlich unmöglich, als ja die Zähne theilmeife davorftehen, aber 
der Schüͤler trage ſich in feiner Einbildungskraft ftet3 mit dem Gedanken: 
Du follft in die Lippen fingen. Gr vente fi aud bier wieder den Ton: 
ſtrahl weder in die Höhe, noch geradeaus gehend, ſondern auf den Boden. 
Auf diefe Weife wird er das Nechte treffen und die Lippen bilden in ber 
That ein Anfagrohr, melde dem Zone Fülle und Weichheit verleibt.”.... 
Wie die Schrift allen Gefangvereinen Deutſchlands gewidmet iſt, fo ſei 
diefelbe diefen Vereinen hiermit empfohlen, und außerdem zugleich allen 
Lehrern und Lernern des Gefanges auch außerhalb der Vereine. 

Nr. 8. Ein ABC, in dem die Hauptftüde der ganzen Geſangkunk 
enthalten find und zwar nad ber Lehre eines Meifters, welcher „vieler 
görtliden Kunſt fein ganzes Leben und Wirken freudig geweiht bat.” 

Nr. 9. Der Inhalt diefes fechften, faft ganz dur eine Recenfion 
ver Geſangſchule Fr. Schmitt's ausgefüllten Heftes ift zwar, wie ſchon 
angegeben, allermeift fritifher und polemijher Natur, aber gerade da⸗ 
durch geſchieht es, daß gewiſſe Gegenftände ver Phyſiologie und der Ges 
fangbildungstunft fehr genau erörtert werden. So z. B. die Regiſter⸗ 
frage, in der bekanntlich nocd ganz entgegengefegte Anfichten ftattfinden. 
‚„Mäbrend ſelbſt jene Gefanglehrer, welche vie Eriftenz mehrer Regifter im 
einer Stimme in Abrede ftellen, doch mindeltend ein Bruft: und Falſetre⸗ 
giſter zugeben, behauptet Fr. Schmitt, jede Stimme babe nur eins, und 
zwar ein Bruftregifter. Die Widerlegung der Schmitt’fhen Theorie muß 
in dem Hefte felbft nachgelefen werden. Yür die Praris bemerkt übrigens 
unfer Verf. fchließlih: ‚Beobachtet der Lehrer nur die Vorſicht, alle Töne 
ſchwach einjegen zu lafien, dann kann er au ficher fein, daß biefelben 
Rh von felbft regeln und gerade fo genommen werden, wie fie genom: 
men werben müſſen. Verhütet er ferner das ftarle Hervortreten einzelner 
ne, und wacht darüber, daß diefe fo lange gemäßigt werden, bis ſich 
auch die ſchwächeren und ſchwachen der Zonleiter den andern glei erfräfr 
tigt haben; kurz, richtet er fein ganzes Augenmerk auf die Herftellung einer 
im Toncharalter ausgeglihenen Scala, dann ift die Annahme von fo und 
fo. viel Zonreihen auch gänzlich irrelevant. Laͤßt der Lehrer aber „nur bie 
Pater. walten“, d. h. geftattet er dem Schüler die Töne fo zu fingen, wie 





Geſang 437 


fie ihm am bequemſten find, dann freilich wird es ſehr fraglich bleiben, ob 
er jemals eine gleihmäßig..tlingende Stimme damit erzielt.‘ 

Nr. 10. Ein Werkchen von 100 Seiten in Duodez, das, mie bei 
der Anzeige früherer Auflagen ſchon gefagt wurde, eine Reihe von jhäß- 
baren Belehrungen in folgender Anoronung enthält: Erfter Curfus. 
Nötbige Vorlenntniffe. Die Stimme und deren Pflege. Anwendung ber 
Stimme. Ausbildung der Stimme. Der Vortrag. Zweiter Curſus. 
Bon der Stimme. Uebung der Stimme. Der Vortrag. Wahl der Singe 
flüde. Verbeſſerung und Miederberftellung ver kranken Stimme. Im I. 
Eurfus wird das Nothwendigite vorgetragen und zum Verftäntniß des IL 
Curſus vorbereitet, welcher alsdann das giebt, was in jenem ausgelafien 
wurde, „um nicht den Leſer mit einem Male zu ſehr zu überhäufen.‘ 
Der Berj. hat das Büchlein auf Grund eines Manujcripts der Catalani 
ausgearbeitet („an deſſen Wechtheit zu zmeifeln mie nicht den mindellen 
Grund haben‘), zugleih aber wichtige Lehren aus den Werten der berühm: 
teften Geſangmeiſter älterer und neuerer Zeit binzugetban. Um noch eins 
mal der Stimmregifter zu gedenken, fo nimmt Minoja deren für den bo: 
ben Sopran drei — Bruft:, Mittel: und Kopfſtimme an, für jede der übri- 
gen Stimmen dagegen nur zwei — Bruft: und Kopfitimme. „Pie Kopfs 
ftimme des Bafles ift fo ſchwer mit der Bruſtſtimme zu nerbinden, daß es 
nur in ganz feltenen Fällen geſchieht. In der Regel wird es gar nicht 
gehbt, um die Baßſtimme nicht zu verberben.... Der Tenor dagegen muß 
Brufts und Kopfftimme verbinden lernen. Gewöhnlich ift der höchſte Ton 
der erfteren das g, aljo werde die Uebung mit f oder g angefangen; dieſe 
Uebung befteht darin, mit demfelben Tone aus der Bruft» in bie Kopf 
ſtimme und aus dieſer wieder in jene zurüd zu geben. Das Mittel zu 
diefem Uebergange ift, die Bruftftimme zu mäßigen und bie Kopfftimme 
anzutreiben, da jie von Natur ſchwächer ift als die Bruftftimme. Die nicht 
fo weit reihenden Bruftftimmen müſſen bei e anfangen.” — Das Singen 
der Scala ‘wird für das Schwerfte und Nothwendigſte, aber auch Beloh⸗ 
nendfte erllärt. „Es führt kein anderer Weg zur Meifterfhaft. Wer es 
dahin gebradht hat, die Scala in den verfchiedenen Tonlagen, mit voll 
fommen reiner Intonation und in jedem Tempo zu fingen, ver fann ale 
dann aud, was das Techniſche betrifft, Alles fingen. Alle tücdhtigen Ges 
fanglehrer empfehlen und fordern daher die täglihe Uebung derſelben vor 
allem Andern, und felbft die völlig ausgebildeten Sänger und Sängerin 
nen, die ed ernit meinen mit ihrer Kunft, laſſen nie einen Tag vergehen 
ohne dieſe Ucbung, durch deren Unterlafjung ſtets Rüdſchritte entſtehen.“ 

Nr. 11.. Vortreffliche Uebungen für den getragenen, wie auch fär 
den figurirten Chorgeſang, theils von Tuma ſelbſt (dem Vermuthen nach), 
theils von Lotti, Martini, Orlando di Laſſo und Cordans. 
Sie beſtehen in ausgeführten, ziemlich umfänglichen zwei: und dreiſtimmigen 
Compoſitionen für den Knaben- oder Frauenchor mit lateiniſchen Kirchen⸗ 
texten (Laudate pueri - O salutaris hostia — Agnus dei —. Ave 
verum Christi corpus — Tantum ergo u. ſ. w.). Es können bieje Ge⸗ 
fänge jeder katholijhen Choranftalt angelegentlih empfohlen werden, nidt 
blos als’ Mebungen, fondern auch nm ihres edlen Inhaltes willen an fi, 





488 Gefang. 


B. Geſänge. 


1. Für Kinderſtimmen. 
(Auch die ein- und zweiftiimmigen Schulchoralbücher find bier eingereibt, 


obſchon felbftverftännlih der einftimmige und zmweiltimmige Choral von 
Stimmen jeder Art gefungen werben Tann.) 


1. 


7 


il. 


Selangunterridt für Schnien, von Philipp Tietz, Geſangleher am 
Königl. Gymnaſtum Andreanum und ber höhern Töchterſchule in — 
Bierter Theil. Liederſammlung. Zweite, vermehrte Auflage. Hildesheim, 
Gerſtenberg. 1865. 

Bollſtändiges Liederbuch zum Preußiſchen Kinderfreund von A. E. 
Preuß und J. A. Better, zufammengefiellt und herausgegeben von 
Rudolph Palme, Organift und Diufitiehrer. Op. 6. Magdeburg, 1865. 
Heinrichhefen. Preis: 7% Sgr. 

Seſangbuch für kathoſiſche Schulen. Cine Sammlung von 120 
ein» und mebrflimmigen Schul» und Bollsliedern. Hexausgegeben von 
Wilbelm Kotbe, Seminars Mufiliehrer. Dit hoher Genehbmiguug des 
hochwürdigſten Herrn Fürſtbiſchofs zu Breslau. Ausgabe für Edhüler. 
Ei * rt. Braunsberg, 1865. Fin Selbfiverlage und in Commiſfion 
ei E. Beter. 

Liedertranz für Wolle-, Bürger, Reale und Lateinſchulen. Bon Georg 
Luz. Stuttgart, Augufl Schaber. 1866. 


. Liederbuch für Schul- und Volksgeſang in Worten und Weifen. WIE 


Grundlage des Gefangunterrichts in Bürger⸗ unb Landſchulen und mit 
Beridfidtigung des iIpäteren Alters eingerichtet unb heraußgegeben vor 
Wilhelm Meyer. Zweites Heft. 73 Yieder und 10 Ganond. Brite, 
verbefierte Auflage. Hannover, Hahn. 1865. 

Sechs zwei- und dreiftimmige Schullieder. Wort und WBeife von 
Meinhard Reigel, Hauptiehrer an ber erweiterten Mäbchenfchule in Mann» 
beim. Lahr, F. H. Geiger. 

Sammlung ber jhönften und beſten Jugend», Volla⸗ unb VBaterlanbe- 
lieber für Volks- und Bürgerſchulen. Ausgewählt und bearbeitet von Theo⸗ 
dor Odenwald, Sefanglehrer an ber Sejammtftabtichule zu Gera. Erſter 
Theil: 135 zweiftimmige Orfänge. Zweiter Theil: 78 breiftimmige Gejänge. 
Gera, Hermann Kanitz. 1865. 

Sang und Klang für Mädchenſchulen von Auguft Heidemann. In 
brei Heften. Drittes Heft, enthaltend 54 meift mehrflimmige Lieder. Dritte 
Auflage, herausgegeben von Carl Kolberg, Königliher Domfänger und 
Geſanglehrer an der Konigl. Realſchule und der Königl. Auguſtaſchule zu 
Berlin. Berlin, 1865. Rudolph @ärtuer. Preis: broſchirt 5 Sgr.; 100 
Exemplare 12 Thlr. 


. Lieder für Iung und Alt, herausgegeben von J. J.. Schänblin, 


Lehrer am Nealgymnaflum zu Baſel. Sechſte (Stereotype)Auflage. Ausgabe 
für Deutflande Bajel und Leipjig, 1865. Bahnmaier En 


. Liederkranz. Auswahl heiterer und ernſter Gefänge für Schule, Haus 


und Leben. Herausgegeben von Ludwig Erk und Wilhelm Greef. 
Zweites Heft 92 breiftimmige Lieder enthaltend. Zehnte, vermehrte und 
verbefierte Auflage (Reue Stereotyp-Ausgabe). Eſſen, Bäbeder. 1866. 
Sechs Sefänge für breiffimmigen Chor, mit befonderer Berückichtigung 
bes Gebrauchs in Schulen, von Ferdinand Janfen. Op. 6. ör L 
Bartitur und Stimmen Preis 224 Sgr. Heft IL Partitur und 

men Preis 25 Sgr. Bremen, Praeger und Meier. 


Gefang. 439 


12. Reue Auswahl brei» unb vierfiitimiger Meber für bie obern Klafſen ber 
verſchiedenen Lehranftalten (Gymnafien, Keal-, Bürger⸗, Töchter- und Volks⸗ 
ſchulen). Wrrangirt und heransgegeben von Präceptor Eh. 2. Schuler, 
Selanglehrer an der Königl. Realſchule in Stuttgart. Stuttgart, Nitsichke. 


13. Eanons Zum Schulgebraudge und als Anhang zu jeder Chorgeſangſchule, 
gefammelt von H. M. Schletterer, Kapellmeifter in Augsburg. Nörblin- 
gen, €. 9. Bed. 1866. 

14. Auserlefene Lieder ber katholiſchen Kirche für alle Zeiten bes 
Kirchenjahres. Nebſt einem Anbange von Marienliebern für die Maiandacht. 
Zum Gebraude für höhere Zöchterichulen und geiftlihe Genoflenichaften, 
dreiftimmig bearbeitet von B. Kothe, Könige. Muſildirector in Oppeln. 
Breslau, & E. €. Leufart (Conftantin Sander). 

15. Deutſche Liederkrone in golbnen Tonihmud Tiebliher Melodien für 
alle Zeit- und Sebensverbältniffe 70 Balmbäume am Lebensftrome ber- 
heiligen Schrift. Religiöfe Gefänge im Cantus firmus, zum Gebraud 
in höheren Schulen, Seminarien und im Vereinsleben. Heransgegeben von 
A. D. Volkening, Lehrer und Organiſt. I. Bud. Ausgabe A. Hild-⸗ 
burghaufen, Kefielring’fhe Hofbuhhanblung. 1865. 

16. Auswahl geiftliher Lieder für Schule und Katechiſation. Zum Be- 
flen ber Prediger⸗ und ber Lehrer⸗Wittwenkaſſe in ber Kreis-Synobe Moers. 
Preis geheftet 2 Sgr. Moers, 1865. 3. W. Spaarmann. 

17. Schulgeſangbuch aus dem St. Petersburger Geſangbuche für Evange⸗ 
liche Gemeinden in Rußland, zufammengeftellt durch H. von Stahl, Paftor 
und Religionslehrer ber beutihen Hauptihule zu St. Betri in St. Peters⸗ 
burg. St. Petersburg. 1865. Ouſtav Haefiel. 

18. Choralmehodien bet Berliner Gefangbuches für Kirche, Schule und 
Haus. Herausgegeben von C. Kuntze. Aſchersleben, H. €. Hud. 1865. 

19. 141 Ehoräle unter Berückſichtigung des Merkel'ſchen Taſchen⸗Choralbuchs, 
zweiſtimmig bearbeitet von Karl Heinrih Stephan, Kantor und Mufile 
Director an der Haupt- unb Pfarrkirche zu St. Maria unb Martha in Ka⸗ 
mens. Kamenz, Krauſche. 1865. " 


Ne. 1 —13 enthalten vorwaltend Figuralgefänge, menig oder gar 
feine Ehoräle; in Nr. 14 und 15 find beide Formen ziemlih gleihmäßig 
vertreten; Nr. 16 und 19 find reine Choralbüder. Nr. 15 — 17 liefern 
ausſchließlich Einftimmiges, Nr. L—3 und 18 Ein: und Mebrftimmiges, 
Ar. A und 5 u. 19 Zweiltimmiges, Nr. 6 mei: und Dreiftimmiges, Nr. 
9, 10, 31 und 14 Dreiftimmiges, Nr. 12 und 13 Drei: und Vierſtim⸗ 
m . 
Was die Auswahl und Bearbeitung der Lieder und fonjtigen Figu⸗ 
ralgefänge betrifit, fo läßt fih nah Allem, was in den legten Sahrzehnten 
Maßgebendes feftgeftellt und Vorbildliches geleiftet worden ift, etwas weſent⸗ 
lich, tm Ganzen und Allgemeinen Verfehltes kaum noch auffinden, aud 
dürfte e8 unmöglich fein, jebt noch bei jedem einzelnen Liede feftzuftellen, 
wem das geiftige Eigenthumsrecht urfprünglich zufteht oder nicht. Zweifel⸗ 
(08 ift nur, daß bei Unterjuhungen der Art die meiften Fäden auf Lud⸗ 
wig Ert zurüdlaufen, der fi über Mangel an Beahtung von Seitet’ 
des Stammes Nim durchaus nicht zu beflagen bat. 

Nr. 1. 44 Iſt. 43 2. und 10 3ſt. Lieder. Gute Auswahl im’ 
Ganzen. Beachtung der Volksweiſe. Wenig empfiehlt fih indeß Nr. 23, 
wo der „luftige Knabe” ſich jelber aljo anfingt:. 





440 Geſang. 


Ich bin fröhlich, wohlgemuth, Folgt mir, Yrüber, madts wur fo 


Laufe, hüpfe, Ipringe, Und feid guter Dinge; 
Bin ein junges raſches Blut, Eeid wie id vergrügt umb froß, 
Immer guter Dinge. Seht nur, wie ich ſpringe! 

u. |. w. 


Wo if ein Junge, der das von felber fingen lüunie? 


Ar. 2. 120 Lieder und 18 Ganons. Ter Herausgeber bat ſich bie 
Aufgabe gefiellt, „alle für den Gejang geeigneten Stũde des Break umb 
Betterjchen Kinverfreundes in einer Ausgabe zu vereinen“; es foll darch 
diefes Liederbuch ermöglicht werden, das Leſebuch auch als Grundlage beim 
Gefangunterriht zu verwenden, und find dabei die drei obern Etufen ber 
Boltsihule in's Auge gefaßt. Die Uriginalmelodien der Texte find möglich 
berüdjichtigt worden; zu andern Zerten bat Hr. Balme yafiende Meile: 
dien entiehnt, endlich find folhe Lieder, für die fih feine Melodien ver 
wenden ließen, von ibm felbft und zwar in muſilaliſch beredtigter Weiſe 
componirt worden. Tas Ganze ift mit Fleiß gearbeitet. Unter den Lie 
bern fehlen freilidh mehrere, welche der Jugend lieb find, ;. B. Morgen 
roth — Treue Liebe bis zum Grabe — Golone Abendjonne — Lobt 
froh den Herm — Mit dem Pfeil dem Bogen u. a. 

Nr. 3. Während für einen feftfiehenden Cyclus Kircylicher Gefänge durch 
das Didcefangefangbudy geforgt if, foll bier eine für die ganze Schulzeit 
und alle Berhältnifie des Schullebens berechnete, zur Anbahnung eines 
allgemeinen Lebensgefanges geeignete Auswahl weltlider um 
geiftliher Bollslieder dargeboten werden. Für die „untere Stute 
— ausichlieblihes Eingen nah dem Geböre — find 37 ein= und ziweis 
flimmige, für die obere und mittlere Stufe — Eingen nah dem Geböte 
mit Hülfe der Noten — 68 zweiftimmige Lieder beftimmt (. vorherrſchend zu 
üben ift der ein= und zweiftimmige Gefang’); im Anbange folgen nod 15 
dreiflimmige Lieder und Heine Chöre. Das Ganze ift von entſchiedenem 
Werth für katholiſche Schulen. 

Nr. 4. 71 Nummern. „Der praltiihe Pehrer bleibt auch im Ge 
fangunterrihte auf dem Boden des Lebens, der Möglichfeit, Cinfachheit und 
Angemeſſenheit. Weniges, aber dies gründlich gut, fertig, fiher, ift ſelbſ 
beim Singen und beim EGingftoff für die Echule ein Hauptſpruch.“ Wenn 
ber Herausgeber ſich dies als Grundſatz vorgegeichnet bat; wenn ex- fordert, 
daß die Melodien lieblih und angenehm obrfällig erllingen, mehr natürlich 
und behaltbar als jchwer und künſtlich verwidelt fein follen; wenn er Terte 
von „entſchiedener Solidität” verlangt und „fade Reimereien, über welchen 
Noten und Zonverbindungen ohne allen Geſchmad fteben‘‘, desgleihen aud 
„Unmahrbeiten im Gedanken des Liedes’ ſchlechterdings nicht leiden will: fe 
iſt er dem allen in feinem Liederkranze wirklih nachgelommen und bat 
in den 6 Mbtbeilungen: I. Tageszeiten, IL Jahreszeiten 
und Naturleben, IIL Baterlands», TZurn- und Wanderlies» 
ber, IV. Volkslieder, V. Der Gefang VI Kirhlides und 
Örabgefänge einen ausreichenden und berechtigten Liederfloff ri: den 
zweiftimmigen Schulgefang geliefert, 











Geſang. 441 


Nr. 5. Ein in Worten und Weifen ächt vollsmäßiges, 73 zweiſtim⸗ 
mige Lieder und 10 Canons enthaltendes Singbuch, das auf allen Seiten 
Beugniß ablegt von dem Fleiße des Herausgebers bei Auswahl und Bear: 
beitung des Stofies, ſowie von dem feinen Sinne, mit dem er das an 
Ab Berechtigte und -zuglei dem Schul⸗ und Lebenögejange wahrhoit 
Dienlihe zu erfennen und zu geflalten wußte. 

Nr. 6. Wenn unter Rr. 4 die Sterne jo angefungen werben: 


Liebe holde Sterne, Euer bold Geflimmer 

Mit fo fanftem Schein, Giebt mir heilgen Muth, 
Zu euch in die Kerne Und ich lieb euch immer, 
Ladet ihr mid ein, Seid ihr doch fo gut. 
Sendet mir von oben Ohne Streit und Wirren 
Himmelsgruß und Luft, Mandelt ihr dort leis, 

Und es fühlt erhoben Nehmt mid) nah dem Jrren 
Sich des Kindes Bruft. Auf in euern Kreis. 


fo dürften unfere Leer doch wohl zu viel des Unklaren, Verwaſchenen 
und Verſchwommenen darin finden, als daß fie idiefem Liede eine Les 
bensfäbigleit beilegen könnten. Nicht befier fieht es anderwärts aus, z. B. 
in Nr. 5: „Un mein Vaterland”, wo es beißt: 

Wo mir der Kindheit Blumen fprießen, ' 

Möcht' ich des Lebens Lauf beichließen. 

Drum (?) lehn' ih mid mit Herz (?) und Hand 

An dich, mein liebes Vaterland. 

Die Mufit iR wenig befier als die Zerte, namentlih was die dilet. 
tantiſchen Unbeholfenheiten des dreiſtimmigen Satzes betrifft. Das Gange 
waͤre wohl beſſer ungedrudt geblieben. 

Nr. 7. Theil I. enthält 135 zweiſtimmige, Theil IL. 78 dreiſtim⸗ 
mige Lieder und Gefänge. Es ift fein Grund vorhanden, die Auswahl, 
refp. die Bearbeitung. (3.3 von Mendelsſohn's „Der Frühling kommt 
mit Braufen‘‘) zu bemängeln oder bie Angemefienheit und Brauchbarkeit 
des Ganzen fuͤr eine mehrklaſſige Stadtſchule in Frage zu ſtellen. 

Nr. 8. Das Dreiſtimmige waltet vor. Die Geſammtzahl der Lieber 
beträgt 54; davon find 20 „mit gütiger Erlaubniß des Hrn. Mufilvirector 
2. Erk nad befien  barmonifcher Bearbeitung bier aufgenommen.” Unter 
dem Uebrigen finden fih ein paar neue Nummern von Deften, anſpre⸗ 
hend in der Melodie und glatt im Gabe; aud einige von einem gewiſſen 
Lehmann niht ©. Lehmann, Seminarl. in Eliterwerda), 5.2. Nr. 
19, wo alle 7, jchreibe fieben, Abfäge auf der Harmonie der Tonica ges 
macht werden!) — Hoffentlih ift Hr. Lehmann nidt zu alt, um noch 
einige Nachſtudien in der Compofition zu mahen. — Im Allgemeinen if 
das vorl. Hejt nicht zu verachten. 

Ne, 9. Kin ſchätzenswerthes, auch außerhalb der Schweiz verbreileteg 
Singbud mit dem v. Cihendorff’fhen Motto: J 

‚Biele Boten ‚gehn und gingen 
Zwiſchen Erd, und Himmelsluſt, Far 





442 Gang. 


\ Solchen Gruß kan keiner bringen, 
Als ein Lied aus friſcher Vrufi. 

120 auserlefene Lieder find unter folgenden Ueberſchriften gegeben: 
L. Zageszeitn, II. Jahreszeiten, III. Chriftliche Felle, IV. Lob Gottes, 
V. Natur, VI. 2eben, VII Baterland und Heimath, VIII. Turnen und 
Wandern, IX. Romanen. 

Ne. 10. Diefe altbewährte Sammlung mit dem Motto: 

Schlichte Wort und gut Gemüth 

Sit das rechte deutſche Lied 
erſcheint in erneuerter Stereotyp: Ausgabe, nad) Auswahl, Bearbeitung und 
Anordnung der Lieder „vielfach verbefiert und fahgemäß umgeftaltet.” — 
„Den gebobenen Anforderungen unferer Zeit entfprehend, mußten die im 
Wort und Ton weniger werthvollen Lieder durch werthuollere, durch, Blu⸗ 
tben ächt deutſcher Nationalität“ erfegt werben. Wie alle Er k'ſchen Emm 
kungen, fo zeichnet fi auch die vorliegende dadurch aus, daß fie nicht der 
Sentimentalität und nicht dem äußern Effect, fondern einzig und allein ber 
wahren, tief innigen Gmpfindung huldigt und ihr in Wort und Ton dem 
edelften Ausdeud verleiht. 

- "N. 11. Zür gehobene Schulen eignen fidh diefe Geſänge, die einer 
gewifien Friſche nicht entbebren, intereffante Bäge in der Erfindung enchal⸗ 
ten ohne gefucht zu fein und für die einzelnes Stimmen überall jangbar 
geichrieben find, ohne Zweifel gang gut, zumal da der Gomponift die Terte 
mit aller Sorgfalt gewählt hat. Auch Frauenchoͤre werben guten Gebraud 
von ihnen machen können. 

Nr, 12, Cine für Oberklaſſen mwohlgeeignete Zufammenftellung älterer 
und neuerer Lieder von Abt, Rind, Fr. Schneider, 2. Böhner, 
Fink, Mendelsfohn Bartholdy, Harder, Huber, Fred, 
Zöllner, Silder, Neulomm, Händel, Lahner, Knecht, 
Kreuger, Würfel und Schuler ſelbſt. (Letzterer bat zwei Lieder ge: 
liefert, die innig empfunden und nit ohne Gewandtheit conftruirt find, 
babei aber doch etwas Dilettantijches verratben, Nr. 33 dur die Detaven 
in den äußeren Stimmen, Nr. 34 dur den zweimaligen gleihen Schluß 
auf der Dominante) Die Angabe des Titeld, nad welcher der Heraus 
geber alle Lieder arrangirt hätte, ift nicht correct, denn es ſtehen auch 
mehrere Originale unter den gelieferten 24 Nummern. 

Nr. 13. „Reine andern Gejangübungen bieten, wie die Canon, Abn: 
liche Gelegenheit, das Gehör, den Taktſinn und die Sicherheit der Schüler 
zu fördern und zu befeftigen, Nicht die Luſt an kunſwollen Tomfägchen, 
oder das Beſtreben, durch anmuthige Spielereien die Lernenden anzuregen, 
haben die vorliegende Eammlung hervorgerufen, fondern Iediglid das Ber 
langen, einen hoͤchſt fhähbaren Uebungsitoff für folhe Schalen zu gemwin- 
nen, in denen der Gefang mit Ernſt und Eifer gepflegt wird.... „Die 
vorl. Sammlung 59 Canons aller Art, leichte und ſchwere, einfache und 
eomplicirte, ernſthafte und fcherzbafte.” Dies aus bem Vorworte. Die 
Sammlung iſt beſtens zu empfehlen. 

Ne. 14. „Zür die höheren katholiſchen Toͤchterſchulen, wo Gefang: 
unterricht Tunftmäßig betrieben wieb, fehlt es bis jebt an einer Sammlung 


Geſang. 448 


mehrſtimmiger Kirchenlieder, die als Uebungsſtoff und zugleih ala Mitte‘ 
zur Gefhmadsbildung dienen könnte. Auch bei dem Gottesdienfte in Frauen? 
Udflern kam man zumellen wegen paſſenden Materials in Berlegenheit, weil 
nicht immer und überall die Gefangträfte vorhanden find, um größere Come 
pofitionen für Frauenchor — in der Literatur überhaupt nur fpärlid vers 
treten — auszuführen. Diefem zmweifahen Bebürfnifie möchte die gegen» 
wärtige Sammlung gemügen, und zwar durch Dreierlei: a. gebaltvolle 
Melodien und Terte, b. Berüdfihtigung der kirchlichen Bebürfnifie während 
bes ganzen Kirchenjahres, c. Beſchräänkung auf das Nothwendigfte, um der 
Preis nicht unnöthig zu erhöhen.” Diefen Notizen aus dem Vorworte ſei 
noch beigefügt, daß die Zahl der Gefänge einfhließlih der im Anhange 
ſtehenden 13 Marienliever 65 beträgt und daß die Sammlung, bervorges 
gangen aus der Hand eines bewährten Künftlers, volllommen geeignet if}; 
Bem oben angegebenen Doppelziwede zu genügen. Selbſtverſtaͤndlich können 
Die Geſaͤnge mit dem Harmonium begleitet werden, wo dann, wie ber 
Herausgeber andeutet, der Alt durch die hinzufügte tiefere Octave verftärkt 
werben mag. 

Nr. 15. 70 Choräle in rhythmiſcher Gorm und fonftige geiftliche 
Liner (wie 3. B. Harre, meine Seele, — Schoͤnſier Herr Jeſu — Lat 
mich gehn — Lebt den Herrn, er iſt die Liebe!) „Die Liederkrone hat 
nad ihrem Inhalt Bedacht genommen für alle Zeit: und Lebensverhältnifie 
und damit der gebildeten Jugend in höheren Schulen und dem Bereingles 
ben etwas Werthvolles und Bleibendes darreihen wollen. Sie ſoll ihnen 
ein Elim in der Wüfte des Lebens fein, mo fie ſich unter den Palmen» 
bäumen an den Waflerbrunnen erquiden und ftärten können. Text uud 
Melodie ftehen gleichberechtigt in der innigften Verbindung mit einander u. |. w.“ 
Die vorliegende Ausgabe A. giebt blos den cantus firmus; Ausg. B fol 
alle Lieder in dreiſtimmige Harmonie, Ausg. „im vierfliimmigen Tongewande 
für Gefang, Klavier sder Harmonium” bringen. Bei der Auswahl der 
Lieder find flache, verwäfierte Terte ausgeſchloſſen worden. Was die Mes 
Iodien betrifft, fo iſt nur bei Nr. 18 die Umfeßung der Melodie: „Here 
Gott, did loben alle wir” in den 2, » Takt zu bemängeln, die eine völlige 
Berlehrung der profodifhen Accente berbeiführt. — 

Nr. 16. 58 der vorzüglichften evangelifchen Kirchenlieder (von denen 
10 für die Unterklaſſe, fernere 14 für die Mittelllafle, weitere 14 für bie 
Oberklaſſe beftimmt find, mozu im Gonfirmationsunterrichte die lebten 20 
kommen), vollftändig abgebrudt, mit Melovien in auögeglichener Form. 

Nr. 17. „In den köftlihen Schatz unferer Kirchenlieder die evange⸗ 
liſche Jugend einführen zu wollen, bedarf keiner Rechtfertigung. Herz und 
Geiſt iſt durchaus empfaͤnglicher für die in dieſen Liedern webende Glaus 
bensſtaͤrke und Liebesfülle, als irgend ein ſpaͤteres Alter. Bu den Liedern 
gehdren die Melodien, anf welche beim Religionsunterrichte mit zu achten 
tft; die Jugend muß fie kennen lernen, denn auf ihr beruht die Zulunft 
der Gemeinde.” Die Zahl der Lieder beträgt 71, und zwar find fie nad 
ihren Dichtern biftorifch geordnet, von Martin Luther, + 1546, bis auf 
Albert Anapp, + 18683. Gelernt follen fie in 6 Jahren werben, jedoch nicht 
isn ber biftorifchen,, ſondern in eines andern, nah ben Faſſungsdermöͤ⸗ 


444 Geſang. 
gen der Schüler bemeſſenen Folge. Die Melodien ſtehen in ansgegliche 


ner Form. 

Nr. 18. 158 Melodien in Viertelnoten, theils ein-, theils zweiftimmig, 
obne Zert. Dabei ein Anhang von 7 breiflimmigen Chorälen. Der zwei⸗ 
und breiltimmige Saß verräth die Hand bes geübten Meifters. 

Nr. 19. Ein ganz brauchbares Melodienheft in Biertelnoten, mit 
untergelegter zweiter Stimme, obne Text. Die Melodien fiehen in Leipzig 
Drespner Lesart. Die Schwierigkeiten des zweiliimmigen Satzes hat be 
Herausgeber nit ohne Glüd überwunden. 


Nahbemerlung: Einige zur Beſprechung eingeſendeten, neue 
Auflagen” älterer Liederfammlungen find unerwähnt geblieben, weil nichts 
daran neu iſt, ald der Titel, 

Bon meinem Liederbain ift Heft L in 20Ofter, Heft II. in ISter 
Gtereotyp » Auflage erſchienen. Desgleihen wurde die Kinderharfe in 
Ster Auflage ausgegeben. 


2. Für Männerflimmen. 


I. Religidfe Sefänge für Männerfimmen von Bernbard Kein. 
unähf für Seminarien und bie oberen Klaſſen der Oymuaſten und Reh 
Aulen, wie auch für Gingvereine neu herausgegeben von Rudwig Erk 
und Ernft Ebeling. Sechftes und fiebente® Heft. Berlin 1865. rast 
wein (M. Bahn). Netto 4 Sgr. 


2. Salvum fac Regem für vierfiimmigen Männerchor, componirt var 
Sr. Held. 5 Sgr. Berlin, Hugo Kaftner. 


3 Morgengelang für vier Männerffiimmen, Chor unb Soli, com 
ponirt von Idſeph Schnabel. Zweite Auflage. Partitur und Stimmen 
10 Sgr. Stimmen apart 5 Sgr. Bresları, von F. E. ©. Leuckart. 


4: Choräle für Männerffimmen (in alter und neuer Mefobieform). Für 
bödere Schulen und Singvereine. In zwei Heften er anegegeben von Lud⸗ 
wig Erf und Karl Ed. Ber. I Heft. 5 Sgr. Efien, Bädeler, 1868. 


5. Bierſtimmiges Männergefang- Eboralbud. Hundert geiffide 
. Lieber, theils vollſtändig, theils in einem Auszuge von brei bie ſecht 
Strophen, mit neunzig in ber evangeliichen Kirche gebräudlichen Melebien 
für den Männerchor vierflimmig gefett und zum Gebrauch für Seminarien, 
Gymnaften, Rehrerconferenzen und Männergelangvereine herausgegeben vor 
3. D. Eickhoff, Seminariehrer. Moere, 1866. 3. W. Spaarmam. 


6. Zwei und fünfzig der gebräudfihften Chotäle mir Text nach 
dem Berliner Sefangbude, leicht ausführbar für wierfiimmigen Männerder, 
geſetzt von Hermann Käfter, Königl. Mufitvireetor und Organifi an der 
Hefe und Domlirde. Berlin, 1866. Friedrich Schulze. 


9. Dentſcher Liederſchatz. Zunächſt fir Seminarin nnd die Köhern 

Alaſſen der Gymnaſien und Realſchulen. Neu bearbeitet unb herausgegeben 

von Ludwig Erf. Biertes Heft. 26 Geſänge für vierfiimmigen Mäunr 

| 0x „enthaltend. 5 Sor. Berlin, 1865. Th. Chr, Fr. Snslin (Adolph 
nelin). 

8. Amphion. Saummlung ausgewählter mehrſtimmiger Lieder und Gefängt 
für Männerchor. Veranſtaltet und ben Seminarien, oberen Gymuaſial⸗ 
tlaffen, Liedertaſeln x. gewibinet von Bernbard Brähmig. Heft 1 und 2. 
> 6 Sgr. Eitiehen, Kuhnt'ſche Buchhandlung ı(@.. Gräfenban). 


Gang. 445 


9. Botltsflänge. Lieber für mehrſtimmigen Männerhor. In Eimzelffimmen 
besausgegeben von Ludwig Erf. Baß II. Dritte Auflage. Nebſt einer 
für den Dirigenten geeigneten Partitur. Zweites Heft, 43 Gelänge ent 
haltend. Preis ber Partitur 10 Sgr. Preis der Einzelftiimme 4 Sur. Bei 
Abnahıne von 20 Exempl. 3 Sgr. Leipzig, 1866. Drud und Verlag, von 

- Zulins Klinkhardt. 

10. Dreißig deutſche Volkslieder, für vier Männerfiimmen gefett-von 

Eilcher. Auswahl aus den 12 Sammlungen der Sülcher'ſchen Volle⸗ 
lieber für vier Männerflimmen. Erſte Lieferung. Zweite Auflage. Tübingen, 

1865. Laupp. 

11. Lie derhefte für einfachen und vollsmäßigen Männergefang; 
berausgegeben von Carl Eder. Erſtes Heft. Zürich, Baſel und Gt. 
Gallen, bei Gebrüder Hug, Leipzig, bei Fr. Hofmeifter. 

12. Sechs vierfiimmige Männerchöre, componirt und bem Männerge- 
fangverein „Wohlen“ freundlihft gewidmet von Adolph Zah. Scaff⸗ 
haufen, Brobtmann’fhe Buchhandlung. 1865. 

13. Zwei Männerhdre: I. Meeresabend von M. Graf Strachwitz. 
u. Fifcheriied von Ernft Scherenberg, comp. von G. Mebling, 
p- 23. Magdeburg, Heinrichahofen. I. Partitur 5 Sgr., Stimmen 5 Ggr.; 

. Partitur 4 Sgr,, Stimmen 5 Sgr. 

14. Sangesbruder! Grüß dih Gott! Xert und Muſik von Albin 
Thierbach, Cantor und Lievermeifter des Saal» Sängerbundee. Magde⸗ 
burg, Heinrichshofen. Complet 9 Sgr., Part. 4 Sgr., St. 5 Sgr. | 

15. Album für vierffiimmigen Männergefang. Nr. 43, Gartz: Seid 
einig. 8 Sgr. Nr. 44, Ehwatal: Laudate Musicam, 9 Sgr. Magde⸗ 
burg, Heinrichthofen. 

16. Neues und Altes für mehrfiimmigen Männergefang, zunädhf 
für Seminarien und Oberklaſſen der Gymnaſien und Realſchulen sc. her⸗ 

‚ ausgegeben von Karl Wild. Steinhaufen, Seminar-Mufitiehrer. Künftes 
Heft. 74 Sgr. Neuwied und Leipig. I. H. Heufer. 

171. Deutihe Söngerhalle. Auswahl von DOriginal-Compofitionen für vier⸗ 
Rimmigen Männergelang, gejammelt und herausgegeben von Franz Abt. 
Dritter Band in 8 Lieferungen, Bierte Slelerunn, 20 Sgr. Partitur 
apart 8 Sgr., Singfliimmen apart 12 Sgr. F. E. C. Leufart (Conſtantin 
Sander). 

EN 16 find religiöfen, Nr. 7 und 8 gemiſchten, Nr. 9—17 aus: 

ſchließlich weltlichen Inhalte. Die lebte Gruppe ift fo georbnet, daß unter 

9— 12 vie einfadheren, vollsmäßigen Lieder fteben, während Nr. 13 in den 

Kunftgefang übergeht, der dann von Nummer zu Nummer mehr vortritt 

und in Nr. 17 feine feinften Gebilde darbietet. | 

. Nr. 1. Die die vorliegenden Hefte zeigen, ſchreitet dieſe hochwichtige, 
äußerft wohlfeile Herausgabe der Partituren von B. Klein’s unüber 
troffenen religiöfen Männergefängen erfreulih vor. Es ſei hiermit von 

Neuem auf diefelbe bingewiefen. In Heft 6 find enthalten: XVIIT. Pfalm 

CXI. XIX. Agnus Dei; in Heft 7: XX. Sei mir gnäbig, Gott! 

(nad Pſalm 57 und 56). XXI. Wer unter dem Schirm des Hödften 

wandelt (Pfalm 91). 0 

Ne. 2. Eine leiht ausführbare und zugleih wirkungsvolle Gompofition, 

in der fih Gemüthsinnigkeit und kirchlicher Ernſt nereinigen. Empjehlends 

werth befonders für Seminaze und Gymnaſien. 





AR Geſang. 


.Nr. 3. Wenn ſeit den Tagen B. Klein’s, Schnabel's wa 
Berner’s der einfachere Styl der Männerchöre im Allgemeinen einem 
mehr fünftlihen gewichen ift, fo wird die vorliegende, fehr Mare und durch⸗ 
fihtige Compofition, in der ſchoͤne Effecte mit einem geringen Aufwande vor 
Miffeln erreicht werben, für Sculanftalten, Heine Landchoͤre ıc um fo be 
achtenswertber fein. 


Rr. 4. Diefe Ehoralfäge find hauptſaͤchlich für Seminaren und Lehrer: 
Gefangvereine ausgearbeitet. Das Beitreben der Herausgeber war „im All: 
gemeinen darauf gerichtet, den Choralſatz möglihft einfach und natürlich zu 
halten und alles Künſtliche darin gänzlich zu vermeiden.” Auch fuchten fie „auf 
eine möglichft bequeme Stimmlage, wornach bejonders die Brufttöne zur genü⸗ 
genden Geltung kommen konnten, binzuarbeiten.” Wie ernft unfer Altmeiſter 
Grit folde Dinge zu nehmen pflegt, ift belannt, und wenn er auf die wichtige 
Mitwirtung von E. Ed. Par binweilt, fo ift ſchon hieraus abgunehmen, 
dab den Arbeiten des Lebteren die künftleriiche Berechtigung nicht mangels. 
ehem Choral find mehrere (bald 2—4, in anderen Fällen ſelbſt 6—8) 
Äeztverfe beigegeben. Daß beide Ehoralformen, die ( „jogenannte” ) chyth- 
miſche und die ausgeglichene, vertreten find, kann nur erwünfcht fein. 

Nr. 5 if zunächſt aus dem Bedürfniß hervorgegangen, „ven Böglingen 
des Königl. Seminars in Mörs ein Buh in die Hand zu geben, aus 
welchem viejelben zu jeder Beit irgend ein werthvolles Lied der evangelifchen 
Kirche vierftimmig fingen können; dann aber auch aus der Erwägung, daß 
ein ſolches Männergefang » Choralbuh wohl dazu geeignet fein dürfte, ein 
gleihes Bebürfniß für Männergefangvereine überhaupt, beſonders aber für 
Maͤnnerchoͤre der Lehrerconferenzen, Gymnaſien und Realjchulen zu befrie 
‚digen. Die Terte ſowohl wie die Melodien (ausgeglidhene Form) find, 
mit nur 3 Ausnahmen, dem „Cvangel. Geſangbuche für Rheinland: Wet: 
phalen‘ entnommen. Hiernach empfiehlt fih das Wert, die fleikige, im 
Aonfoge manche eigenthümliche Züge nacweifende, Arbeit eines verdienſt⸗ 
vollen rheinifhen Seminarlehrers, allermeift für die dortigen Provinzen. 

Nr. 6. Jeder Melodie find mehrere Zertverfe untergelegt. „Der 
Verfaſſer war bemüht, mit der Kirchlichleit des Satzes eine möglichfi leichte 
Ausführbarleif zu verbinden.... Wo die durchgeführte Vierſtiminigkeit 
die. Klarheit des Satzes beeinträchtigt hätte, iſt der dreis und zweiſtimmige 
Satz vorgezogen worden. Die Stimmen ſelbſt bewegen fi in möglichſt engen 

tenzen; der erſte Tenor überfteigt 5. B. nicht das eingeftrichene g in der 
Höhe, der zweite Baß nicht das große g in der Tiefe” Die Nüglichkeit 
anch dieſes Choralbeftes unterliegt um fo weniger einem Zweifel, da Alles 
fer ſangbar gejebt iſt. 
"Ne 7. Mit diefem vierten Hefte des „Liederfhaßes” vermehrt ſich 
die Zahl der Gefänge von 95 auf 121. Auswahl und Bearbeitung baben 
In des Herausgebers bewährter Weiſe ftattgefunden. Bu den werthvollſten 
Stuͤcken viefes Heftes dürften gehören: Spohr's „Selig find die ZT odten“, 
ein Abendgefang von Zöllner („Herr, der du mir das Leben‘), ein Beati 
mortui von Mendelsfohn:Bartholdy, Palm 121 von demfelben 
(aus dem „Clias“), Händel’s „Würbig fit das Lamm“, ein Balvum 





Geſang⸗ 411 


fan rogem, nach einer ältesen Melodie bearbeitet. von Ebeling, Spohr's 
„Auf und laßt die Fahnen fliegen ! 10 


Nr. 8. „Den auf dem Titel benannten Kreifen zur Kräftigung und 
Erhaltung der Sangesluft eine namhafte Fülle frifchen, anregenden Stoffes 
zuzuführen, war ver Hauptzwed bei Veranftaltung diefer Sammlung. Daß 
bierzu auch eine Anzahl alter,. lieber Stammgäfte mitgeladen wurde, bürfte 
gernih wicht unwilllommen fein, ebenfo wie der Umftanb, daß Weltliches und 
Geiftlidhes, daß neben dem Ernfte auch das heitere und humeriſtiſche Genre 
angemefiene Berüdfichtigung gefunden.’ — Heft 1 enthält 26, Heft 2 28 
Nummern. Der ‚alten Stammgälle” find im Verhaͤltniß doch nur menig, 
was tein Vorwurf fein foll, da eine Sammlung, die vorwaltennd Neues 
bringt, doch: auch ihre Berechtigung hat. Un Gomponiften fine in ben 
neuen, oder doch bisher weniger beiannten, theils auch erſt für Maͤnner⸗ 
Bimmmen arrangirten Geſaͤngen vertreten: Bed in Verden, Braͤhmig in 
Detmold, Streben. in Straljund, ©. Flügel in Stettin, 5. Flügel 
ebennafelbft, Concone in Paris (mur eine Melodie ift von ihm), 
Kreujchmer in Dresden (Breiscomponift vom Sängerbumbesfeft), Müller 
in Wolfenbüttel, Ons low, Greve in Prag, 2. Köhler in Königsberg, 
är Shöbel, Büchner in Meiningen, Fiſcher in Harzburg, Abt in 
Braunfhweig, Drath in Bunzlau, Speidel in Stuttgart, Shaab in 
Leipzig, Schneider in Schweinfurt, Schönem olf in Hilvburghaufen, 
Appel in Defiau, Albrecht in Zittau, Schmidt in Reichenberg, 
Möhring in Neuruppin, Zieg in Hildesheim , Geſemann in Wolfen: 
büttel, Beder in Würzburg, Stein in Wittenberg, Kindſcher in 
Götben und Mendelsfohn-Bartholdy — eine ftattlihe Schaar von 
Rapellmeiftern, Mufilvirectoren, Cantoren, Organiften und fonftigen Meiftern 
der Töne! Unter ihren Gaben it in der That des friſchen, anregenden 
Eingftoffes nicht wenig, und fo verdient Herr Brähmig, ber fie zu ges 
winnen wußte und nun ber Sängerwelt des ganzen deutichen Baterlandes 
in fhöner Bereinigung barbietet, dafür Gruß und Dank. Eine durch 
Originalität und geiftigen Inhalt hervorragende Compofition iſt C. Zlügel’s 
Salvum fac regem, gejungen von den Weißenfelfer Seminariften vor ihrem 
Könige den 21. September 1865 am Siegesdenkmal bet Roßbach. 


Nr. 9. L. Erk's „Volksklänge“, die bekanntlich in einer Parts 
turausgabe erfdhienen, werden nun auch auf mannichfaches Begehren in 
Einzelſtimmen, nebft einer für den Dirigenten geeigneten Partitur, von 
Neuem dargeboten. Das 1. Heft enthielt gleich dem vorliegenden Zweiten 
43 Lieder und: Gefänge; von dem „Liederſchatze“ unterſcheidet ſich 
die Sammlung dadurch, daß fie nicht, wie jener es thut, hie Auswahl 
der Lieder den Beichränfungen unterwirft, welde der Schullreis forbert; 
Die neue Ausgabe empfiehlt fi wie durch den reihen und gediegenen Fr 
halt und dia genauen Angaben der Vortragszeihen, jo auch buch die 
ſchoͤne äußere Ausftattung, die bei dem niedrig geftellten Preife um fo 
bantenswertber il. Das 3. Heft wird noch in dieſem Sabre erſcheinen. 

A. 10. Aus Fr. Silcher's allbeliebten Bollslievern werben bier 
2 mal 15 der fchönften in einer hübſchen Gtimmenausgabe bargeboten, 


118 Geſang. 


Die Partitur zu dieſen beiden Heſten wird ums amf ſeſſe Beflellung abge 
geben und koſtet 30 Kr. = 9 Sgr. 


Ar. 11. „Mit viefen Liederheften, gewibmet dem Nllgemeinen deut: 
ſchen Eängerbunde, foll den Gängern ein leidt zu beſchaffender und leicht 


werden.” Das vorliegende 1. Heft enthält 52 Nummern, 17 barımiez 
aus dem Bollsınunde, die übrigen 35 von der Gompefttion des Heraus 
gebers. Letere follten in fo großer Zahl und, anderen Gomponifien gegem 
über, jo ganz ausſchließlich nicht gegeben fen. Herr Eder iR ein ge 
wanbter Conponiſt und bejigt ohne Zweiſel ein glüdliches, in dieſen Liedern 
vielfach bewährtes Zalent für Grfindung vollsmäßiger, leichtfabliher um» 
doch nicht orvinärer Weifen und Aythmen; er täufdt fi aber, wenn ex 
meint, irgend ein Berein, oder gar der Allgemeine beutihe Eängerbund 
werde geneigt fein, oder ſich aud nur zumuiben lafien, außer den Original 
voltsliedern nur jeime Lieder zu fingen. Cine folde Prätenfion gemacht 
zu baben, wird er zwar beftreiten, allein fie fällt ihm zur Laſt, ſobald vie 
Grwägung eintritt, daß die meiſten Bereine fih auf eine Lieverfammlung 
angewiejen fehen, weil fie außer Stande, oder auch nicht gewillet find, 
mehrere dergleichen anzuſchaffen. — 

Nr. 12. Es ermangeln diefe Lieder nicht einer gewiſſen Friſche; allein 
der Somponift ift fein gründlich durchgebildeter Mufiter, fonft würde er nick 
in Nr. 1 drei Schlüſſe auf der Tonica gemadht haben (von denen namens 
lid) der zweite das Recht und die Bedeutung des dritten vollſtändig ufur 
pirt), ſowie er aud nit in Nr. 2, Seite 4, Talt 2, die umvermittelte, 
ſehr häßliche Accordfolge vom 3. zum 4. Viertel gejchrieben hätte. 


Rr. 13 - 15. Liedertafelgefänge von jener noblen Art, wie fie bie 
Heintihshofenihde Muſilhandlung zu veröffentliden gewohnt ik Reb⸗ 
ling’s „Meeresabend“, ftarl befegt und gut gejungen, muß von durch⸗ 
greifender, faft dramatiſcher Wirkung fein; empfindungsvoll gebichtet umd 
glũdlich componirt iſt auch das „Fiſcherlied.“ Thier bach und Gars 
fingen kraͤſtigen Gang von deutſcher Einheit in Lied und Leben, währenh 
Ehmwatal die Mufica ſelbſt in friſchen und feoben Klängen preiſt 


„Schon Luther hat beſungen Er faß in heitrer Nunde, 


Die edle Muſica, Froh wie ein Braͤutigam, 
Ihr iſt von ihm erklungen Da ſcholl von ſeinem Munde 
Manch' kraftig Gloria! Laudate muaioam!““ 


Nr. 16. 11 arrangirte Geſänge nach Originalen von Franz Schu: 
bert, Beethoven, Mendelsſohn-Bartholdy, Fesca und 
Händel nebſt der ſchon urſprünglich für den Maͤnnerchor gefegten 
„Bilden Jagd“ von C. M. v. Weber. Nachdem Her Steinhaufen 
ſeine Gewandtheit in ſolchen Arrangements bereits in den vorangehenden vier 
Heften bewährt bat, iſt es ihm auch bier gelungen, ven Maͤnnerchoͤren auf 
dieſem Wege werthvolle Gaben, zu welchen u.. 9. ein Saß aus dem 113. 
Bialm von Fesca und das Halleluja aus dem, Meſſigs“ gehören, zw 





Geſang. 445 


wiühren. Als ein Fehlgriff dürfte jevoh die Aufnahme von F. Schu: 
bert’s „Am Meere”, Dichtung von H. Heine, zu eradten fein, da diefe 
Dihtung nimmer etwas Anderes fein Tann, als der Ausdruck fubjeltivften 
Empfindens, und namentlich die Worte: 

„Seit jener Stunde verzehrt fih mein Leib, 
ia Die Seele ftirbt vor Sehnen, 

Mich bat das unglüdjel’ge Weib 

Ä Bergiftet mit ihren Thraͤnen“ — 
vom Chore gejungen, alle Wahrheit verlieren. — 

Nr. 17. Die „Deutfhe Sängerhalle” bewährt fih unter Franz 
Abt's Redaction auch in diefem Hefte als Organ des feineren, kunſtmaͤßi⸗ 
gen Männergefanges und wird als ſolches jenen Vereinen, die fich zu 
höheren Zeiftungen bereits erhoben, von Neuem empfohlen. 


‘ 


3, Kür gemifchten Chor. 


1. Musica sacra. Sammlung ber beflen Meifterwerfe bes 16. unb 17. 

:  Yahrhunderts, für 4 bis 8 Stimmen, berausgegeben von Franz Lommer. 
XI, Bond: Selectio modorum ab Orlando di Lasso compositorum, 
continens modos quatuor, quinque, sex, septem et octo voeibus con- 
cinendos. Tom. ur 5 Thlr. Berlin, Trautwein (M. Bahn). 

2. Kirhengefänge: Pjalmen und geiftliche Lieber, auf bie gemeinen Me⸗ 
lodien mit vier Stimmen fimpliciter geſetzt von Hans Leo Haßler ır. 
von Nürnberg, ADCVIII. Neu herausgegeben von Guſtav Wilhelm 
Zeichner. Berlin, 1865. 

3. Harfenllänge. Eine Sammlung geiftfiher Lieber für gemiſchten Chor, 
berauagegeben von 3. 3. Schaublin, Lehrer am Realgymnaſium in Bafel, 
und Alb. Barth, Diacon zu St. Theodor in Bafel. Erfter Theil. Zweite 
Auflage. Bajel, Bahnmaier (E. Detloff), 1865. 10 Sgr. 

4. Auswahl von Gejängen für den gemilten Chor der Eymnaſien, 
Reale und höheren Bürgerichulen. Nebft einem Anhange von Turnliedern 
für den allgemeinen Gejang. Herausgegeben von Peter Stein, Geſang⸗ 
lehrer am Königlichen Gymnaſium in Düfjelborf. Erftes Heft. 74 Ser. 
Düffelborf, 1865. Wild. de Haen. 

5. Shul- und Turnliederbud. Serausgegeben von Dr. Rudolph 
Brom und Dr. Wilhelm Hirſch, am Symnafium zu Thorn. Dritte 
vermehrte Auflage. (Zweiter Abbrud.) Thorn, 1866. Ernft Lambeck. 


Nr. 1. Der vorliegende 11. Band dieſes großen und wichtigen 
Werles, das von der preußifchen Regierung in höchſt dankenswerther Weife 
geſtützt und gefördert wird, enthält 21 Compofitionen des Dlagnificats, 
fämmtlid von Orlanda Laſſo, und zwar zu 4, 5, 7 und 8 Stimmen, 
Mer fih in den Neihthum und die Herrlichkeit alter Kirchenmuſik verjenten 
ill, der tubire biefe wunderbaren Tonſätze. 

Ne 2. Wie das vorige, fo..ift auch dieſes Werk: in feiner neuen, 
correcten Ausgabe ein Beweis, daß ed unferer gegenwärtigen Zeit Ernft 
iſt mit der Pietät gegen die hohe Kunſtblüthe einer reihen Vergangenheit. 
„Daſſelbe ift auf dem Gebiete des einfahen Tonfages für proteftans 
tiſche Tonweiſen nicht allein eine der höchſten und edeljten Leiftungen, ſon⸗ 
dern bie beite und bedeutenpfte Schöpfung überhaupt, herrührend von einem 

Pad. Jahresbericht. XVIIL 29 


450 Geſang. 


Künſtler erſten Ranges, der mit vollen Rechte als der beutide 
Paleftrina bezeichnet werden kann, dem aber leider die Proteftanten eine 
Gtellung einzuräumen verfäumten, wie fie katholiſcherſeits einem Jacob 
Gallus gebührt hätte.” Die Zahl der Ehoräle beträgt 67. Sie fichen in 
rhythmiſcher Form und haben, wie wir es bereits durch bie Choralbüder 
von Zahn u. N. gewohnt find, nicht eine taktiſche, fondern die im 
Driginal vorgefundene ftropbifche Eintheilung. Was ben Tonfap be 
teifft, fo rühmt Teſchner mit Recht die Künftler» und Meiſterſchaft 
Haßler's, „worin er Alle überragt, zunächſt an Tiefe der Auj: 
faffung und an vollendetem Ebenmaße, fodann an nerviger, 
energijcher Harmonieführung, die gleichwohl den ſcharf ausgeprägten Charakter 
tppen des alten Zonfpflems nie zu nahe tritt, ſchließlich an Glafticität und 
melodiſchem Schwunge der Stimmenführung, die den cantus firmus meht 
trägt und hebt, als durd eine Gegenmelodie von zu flarter Hebung über 
ftrablt und verbuntelt.‘ 

Nr. 3. Die erfte Auflage diefer Sammlung wurbe im XIIL Bande 
des Päd. Yahresberichtes angezeigt, auf den deshalb zurüdverwiefen wird. 
Hier ſei nur bemerkt, daß die fehr beachtenswertbe Sammlung für ale 
kicchlichen und fonftigen Beranlafjungen eine Geſammtzahl von 80 vier 
ftimmigen Ehorliedern darbietet, herrührend von 37 Componiſten älterer und 
neuer Beit. 

Nr. 4. 53 geiftlihe und meltlihe Lieder und Chöre, theild in 
Driginalform, tbeild vom Herausgeber für den gemifhten Chor nad 
Männergefängen und Gonftigem arrangirt (wobei Kuhlau, bt 
Kreuger, Gersbach, Greger, Zöllner, Andre, Shärtlid, 
Schnabel, 3. Klein, Breidenftein u. A. genannt werben). Ein 
Anhang liefert noch eine Reihe von einftimmigen Turnlievern „für den ale 
gemeinen Gefang. Das Ganze iſt zwedgemäß. Der Herausgeber doas 
mentirt ſich ald Muſiker ſowohl in den Arrangements, wie in dem ſelbſi⸗ 
componirten „Feſtgeſange zum Geburtstage des Königs” (Nr. 25). 

Nr. 5. Der erfte Abprud der 3. Auflage diefes brauchbaren, 115 
Nummern, allermeift mit volksthümlichen Melodien, enthaltenden Liederbuches 
— 1]. Königs: und PVaterlandslieder, II. Turn und Wanderlieder, IIL Ge 
fänge bei befonveren Beranlafjungen (bier aud Ehoräle), IV. Gefellige und 
vermifchte Lieder — wurde im XIV. Bande des Päd. Jahresberichtes aw 
gezeigt. Daſſelbe it für Symnafien beſtimmt. 


4. Für mebrerlei Ehorformen. 


1. Alte Wetfen in neuer Weife. Kür allfeitigen Gebraud im chriftlihen 
Familien, Schulen umb Vereinen, eingerichtet von E. H. R. Waldbaqh, 
Muſiklehrer am Königl. Seminar & Pr. Eylan. 3 Abtheilungen in 2 
Selten, Heft I. Abtheilung I. und LI. 60 Lieber. Königsberg. Sckk und 

nzer. 


2: Liederbuch für Turner and für Schule und Haus. Zum zwe-, 
breic und vierflimmigen Gebrauche eingerichtet, herausgegeben won. (9. D 
ring, Königlih Preußiſchem Mufil- Director. Zweite Au 
Neumann -Hartmann’ihe Buchhandlung (Eduard Schloemp). 1865. 


Gefang. 451 


Nr. 1. „Eine Anzahl von bewährten geifilihen und weltlichen Lies 
bern, die fih in unfern neueren Lehr: und Singbüchern zerftreut porfinden, 
wird bier, ftufenmeife geordnet, für möglichſt alljeitige Verwerthung in 
Mmappfter Form oriftlihen Häufern, Schulen und Vereinen geboten. Bet: 
nabe alle Lieder find dreiftimmig fo gejeßt, daß fie fih in der für jede 
Stimme bequemjten Lage ein», zwei- und dreiſtimmig (aud mit Auseinan⸗ 
berlegung, Vertauſchung und Verdoppelung der Stimmen —-zum Theil 
jogar vierflimmig) fingen und begleiten lafien. Weil aber für ſolchen Satz 
eine Zonart nicht zureiht, fo iſt, abgefehen von allen übrigen Bortheilen, 
ihon aus diejem Grunde die Schreibung im Einsſchlüſſel (Zahlnoten) bier 
allein zutreffend und zuläffig, daher auch zur Anwendung gelommen.” Wie 
nun die Ausführung der Lieder von mehr oder weniger Kinder-, Männer: 
oder ‚gemijchten Stimmen zu bewirken fund wie zugleich bie Begleitung 
einzurichten ſei, das bat ver Herausgeber in der vorgebrudten, mit jehr 
großem Fleiße gearbeiteten Anmweifung deutlih und unter fteter Anführung 
von Beifpielen auseinandergeſetzt. Und fo liegt denn, überrafchend genug, 
ein Univerfallieverbuh vor, das unter allen Umftänden, wie viel und wie 
vielerlei Stimmen auch vorhanden fein mögen, mit Vortheil zu gebrauden 
ift, und zwar ohne oder mit Begleitung, welche lebtere wieder ſowohl von 
dem Alaviere, als auch von Streich- oder Blafeinftrumenten übernommen 
werden fann! Gin ſolches Werk war allerdings nur mittelft der Zahlnoten 
berzuftellen.. Die Zahl der Lieder, von denen 3O im Preußifchen Kinder: 
freunde oder in den Volksliedern für die Provinz Preußen enthalten find, 
beträgt 60. Die Auswahl ift vortrefflih, die muſikaliſche Bearbeitung 
tadellos. Den Kennern und Freunden der bier angewandten Notenschrift 
wird das Werk eine milllommene Gabe jein. 


Nr. 2. „Den eigentlihen Bollsmelodien iſt in dem einfachen zweis 
fimmigen Sabe ihr Necht gefcheben. Die bei mehreren nod befindliche 
3. Stimme kann, da fie nur Füllftimme ift, fobald es an Zeit zur Eins 
übeng oder an Sängern fehlt, ganz mweggelafien werden. Dagegen verlang⸗ 
ten und erhielten alle diejenigen Dielodien das vierftimmige Gewand, melde 
entweder zu Geſängen feierlihen Inhalts verwendet, oder in ihrer Anlage 
auf den vierftimmigen Saß berechnet worden find. - Wenn nun noch bemerkt 
wird, daß bei den nur zweiſtimmig gefeßten Liedern etwa Theil nehmen 
mollende Zenoriften und Baſſiſten unisono mit dem Sopran oder Alt 
fingen können, fo dürfte in Betreff des Muſilaliſchen genug gejagt, und zus 
glei der vollsthümliche Standpunkt, auf welchen fih die Lieder in techa 
nifcher Beziehung Stellen, bezeichnet fein. Was die Lieder an fi betrifit, 
fo jollen fie an ver Berleitung der Turner, „ih in ihrem Kraftgefühle für 
eine abfonberliche Art von Gefhöpfen zu halten, denen alle übrigen Vet⸗ 
haltnifje unbedeutend und alle Nichtturner bedauernswerth erjcheinen”, 
nicht beitragen. Und hierin Tann der Herausgeber der Buftimmung aller 
einfichtsnollen Pädagogen gewiß fein. Die Zahl der Lieder beträgt 152 
und zerfallen felbige in die befannten Abtheilungen: Zurnliever, Wander 


lieder, Helvenlieder u. |. mw. 


k.0. 


29* 


452 Geſang. 


6 


12. 


18. 


5. Lieder und Geſaͤnge mit Pianofortebegleitung. 


. Johann Sebaftian Bad. Arien und Duette aus verihiebenen Cantaten 


und Mefien, dem Magniflcat und ber Matthäus -Balfion mit Begleitung 
bes Pianoforte, bearbeitet von Robert Franz. Neue Ausgabe in einzelnen 
Nummern. Breslau, F. E. C. Leudardt ( Eonftantin Sander). 


Hetilon. Eine Sammlung mehrflimmiger Lieber und Gefänge mit Be 


gleitung bes Pianoforte. Nr. 1—27. Magdeburg. Heinrihehofen. 
. Nepertorium für mebrfliimmigen Solo-Gefang mit Pianoforte 


Begleitung. Nr. 1—17. Magdeburg, Heinrichehofen. 


. Compofitionen von Georg E. Neumann. Op. 2. Heft I. ber Heinen 


Duette. 15 Sgr. Op. 3. Heft LI. der großen Duette. 1 Thlr. 24 Ext. 
Riga, Gebrüder Betrid. 


. Bolybymnia. Zwei⸗ und breifiimmige Chorgefänge mit Pianofortebe 


gleitung. Zum Gebraude für Schul» unb Frauenchöre, meiſt aus ben 
znufitalifcen Claſſikern ausgewählt unb theilweife arrangirt von Benedict 
Widmann. Leipzig, Carl Dierfeburger. 12 Sgr. 


. Rheinlebeu. Bier und zwanzig Lieder von gofwann von Fallers⸗ 


leben. Dit Singweifen herausgegeben von H. M. Gchletterer, Capell⸗ 
meifter in Augsburg. Neuwied und Leipzig, 1865. 9. H. Heufer. 


. Drei und vierzig Kinderlieder von Hoffmann von Fallersleben. 


Nah Original» und Bollsweifen mit Clavierbegleitung herausgegeben von 
Sans Michel Schletterer, Capellmeifter in Augsburg. 15 Sgr. Cafııl, 
Auguft Freyſchmidt. 


Die Geburt Jeſu. Weihnachtslieder mit verbindender Erzählung ned 
Worten ber beitigen Schrift von Wilhelm ride, Gpmnaflallebrer ia 
Samm; in Muſik gejettt und zum Gebraud bei der Weihnachtsfeier in 
Kindergärten, Bewahranftalten, Kleinlinderſchulen und im häuslichen Kreife 
bearbeitet von Conftantin Schöbe, Vorficher eines Kindergartens und 
einer Glementarihule in Bremen. Klavier- Auszug 10 gr. 

14 Sgr. Bremen, Aug. Sr. Cranz. 


. Duidborn-Lieder von Klauß Groth, für eine Geſangſtimme mit 


Pianoforte - Begleitung gefet und ben freunden bed Duidborn gemibme 
von Wilhelm Meyer. Hannover, Riewe und Thiele. 124 Sgr. 


. Herzblättchens muſikaliſcher Hausſchatz. Kleine Unterhaltung 


ſtücke nach beliebten Melodien, Prälubien, und Choralmelodien zc. für Piane⸗ 
forte und Geſang, bearbeitet von F. X. Chwatal. Op. 187. Bändchen II. 
(Lieferung 7—12). 12 Sgr. Magdeburg, Heinrihehofen. 6 Lieferungen 
nach beliebiger Wahl. 


Sehe Geſänge für eine Singftimme mit Begleitung bes Piano 
forte von Mobert Franz. Neue revidirte Ausgabe. Breslau, F. €. 9. 
Leuckart (Conſtantin Sander). 25 Sgr. 


Sechs Geſänge für eine Singſtimme mit Begleitung bes Piand⸗ 
forte, componirt von Mobert Franz. Op. 36. 25 Sgr. Breslaz, 
5. E. ©. Leudart. 


Sechs Lieder für eine Singfiimme mit Begleitung bes Bianoferte, 
commponict von Heinrich Gottwald. Op. 10. 224 Op. Breslau, 
eudart. 


14. Zwei religiöfe Gefänge von Albert Knapp und von Karl Gerod, 


für Sopran oder Tenor mit Piansforte und Violoncell, componirt von 





Gefang. 453 


Ehr. Wölfel. Op. 1. Nr. 1. 1f.3 kr. Nr. 2. 1.3 kr. Gktutt 
gart, Zumfleeg. 

15. Sechs Lieder für eine Singftimme mit Begleitung bes Pianoforte, 
von Arno Kleffel. Op. 4. 1 Thlr. Riga, Petrid. 


16. Sehe Lieder für Mezzo-Sopran ober Bariton mit Pianoforte- 
Begleitung, componirt von Georg F. E. Neumann. Op. 1. 1 Thlr. 
24 Sgr. Riga, bei Gebr. Petrid. 


17. Sieberblütpen von J. Befchnitt, Dirigent der Stettiner Liebertafel, 
r. 4. 


18. Zwei Lieder für eine Singſtimme mit Begleitung bes Bianoforte, 
componirt von Wilhelm Gröjhel, Opernfänger. Op. 2. 10 Ger. 
Gtettin, Prüy und Maul. 


Unter Nr. 1—7 fliehen Werte, die entweder nur Mehrſtimmiges oder 
doch Mehrftimmiges neben Sinftimmigem enthalten. Alles Uebrige ift ein 
ftimmig. 

Nr. 1. Diefe Shöne Ausgabe Seb. Bach' ſcher Sologefänge enthält. 
1) an Arien: 8 Nummern für Sopran, 7 für Alt, 5 für Tenor, 8 für 
Baß, à 5—10 Sgr.; 2) an Duetten: 7 Nummern, & 5—10 Sgr. Der 
Klavierauszug von Robert Franz ift vortrefflich. 

Mr. 2 und 3. Erftere Sammlung enthält liebartige, meift neuere 
Driginalcompofitionen für 2—4 einzelne Stimmen, fo z. B. unter Nr. 26 
ein Zerzett: „An die Hoffnung‘, für Eopran, Tenor und Baß von 
8. 5. Himmel, unter Nr. 27 ein Duett: „Bertrau’ dem Herrn‘, für 
Sopran und Alt von Georg Müller. Nr. 3 dagegen liefert Duetten, 
Terjetten und Quartetten aus Opern und Oratorien, fo 3. B. unter Nr. 2 
das Terzett aus der „Schöpfung“: „gu bir, o Herr”, unter 17 ein 
Quartett aus „Mojes in Egypten” von Roffini. Beide Werke werben 
gut rebigirt und find gewiß Dielen willlommen. 

Nr. A enthält -in op. 2 3 Duette und eben fo viele in Op. 8, 
fämmtlich für Sopran und Baryton. Die erfteren find Lieder mit mehreren 
Strophen, die andern dagegen durchcomponirte Gejänge. Sie verratben 
fämmtlih auf Seiten des Componiften eine gemwandte Feder und eine gute 
Begabung für ausprudsvolle Melodie. 

Nr. 5. Der jehr thätige Herausgeber bemährt auch in diefem Werke das 
Talent einfihtsvolleer Auswahl resp. Bearbeitung gehaltreiher Gefänge 
bauptfählich für Schule und Haus. Die „Polyhymnia“ enthält 12 zwei⸗ 
fimmige und 8 breiftiimmige Nummern von Beethoven, Chr. Schulz, 
Harder, €. M. v. Weber, Nägeli, Gollmid, Metbfeffel, 
G. 9. Fiſcher, 3. Gersbah, Händel, Pergolefe, André, 
Fr. Schubert, Mozart, Mehul, J. PB. Shmidt und J. Haydn. 
Die werthvolle Sammlung wird um fo leichter den Cingang in Schulen 
und Familien finden, da fie mit höchſt anftändiger Ausftattung eine unges 
wöhnlihe Billigleit des Preifes vereinigt. 

Nr. 6. Frifhe Wein⸗, Tanz- und Geſellſchaftslieder für Erwachſene, 
mit Melodien tbheild aus dem Vollsmunde, theild von 9. v. Fallers⸗ 
leben jelbft, von Schletterer und Andern. Mehrere dieſer Lieder find 
für 3 oder 4 Männerftimmen eingerichtet, 


454 Geſang. 


Nr. 7. Ein treffliches Haus- und Familienbuch! Die Kinderlieder 
unſeres Dichters find allgemein befannt und gejhäbt; hier werben 43 ber 
felben in ſchönſter Ausftattung zu einem fabelhaft niedrigen Preiſe ber 
fingenden und fpielenden Jugend dargeboten. Was die Melodien betrifft, 
fo find die meiften derſelben Vollsweiſen, die übrigen rühren ber von bem 
Dichter felbft, ſowie von Schletterer, der den eigenthümliden Ton 
diefer Lieder gut getroffen bat, von Slüd, Gersbach, E. M. Arndt 
u. A. Die Nlavierbegleitung ift überall im Charakter des Liebes gehalten, 
dabei aber ſehr leicht auszuführen. 

Nr. 3. Ein gutes Hülfsmittel für den angegebenen Zwed. Die ein 
gelegten Gejänge nebft Alavierbegleitung find ohne alle Schwierigkeit ans 
zuführen. 

Ne. 9. „Die clafiifh-fhönen und Hangreichen Lieber des Quidbern 
haben mehrfach feit ihrem Erſcheinen mufilaliihe Bearbeitungen erfahren, 
ohne daß es einer derjelben auch nur annähernd gelungen wäre, im dba 
licher Weife die Gunft der Sänger zu gewinnen, wie die Dichtungen jelht 
in immer neuen Verjüngungen die Leſer zu fefleln wiflen. Und body eignen 
fie fih gerade in ihrer eigenthümlihen Mundart für den Gefang fo jeb, 
daß man fie bei finnigem Lefen gleichſam muſikaliſch erklingen bört. Eine 
Uebertragung für Gefang, einfad, tief, wie die Lieder felbit, und aus ihrer 
Natur und Art berausgefhöpft, müßte fie zu lieblihen, lebensvollen Her 
jen3bildern geftalten. Ein neuer Verſuch einer jolden Uebertragung wird 
baber gerechtfertigt und den vielen fangestundigen Freunden des Luid- 
born willlommen fein.” Die bier am Ende ausgefprochene Erwartung 
bürfte nicht unerfüllt bleiben: vie Lieder find vollsmäßig, einfah, wahr 
und innig componirt und enthalten au in der Begleitung mandyen eigen 
tbümlichen, treffenden Zug. 

Nr. 10. Eine Zufammenftellung von 48 Kleinen Rlavierflüden und 
Cvollsmäßigen) Kinderliedchen in einer Art Tafchenformat mit elegantem 
Etui. Zt mit Gefhid gemacht und kann ald Geburts: oder Weihnachts⸗ 
geſchenk für „Herzblättchen‘ (dem ich aber eine andere Bezeihnung wünſchte) 
dienen. 

Nr. 11—18. Hier liegen nun noch Gefänge für eine Singſtimme 
mit Begleitung vor, die irgend eine befonvere Beziehung zu Schule, Boll 
oder Haus nicht haben, fondern eben nut in rein künſtleriſchem Sinne zum 
Ausdrud individuellen Gemüthslebens dienen. Voran ftehen billig die 
Meifterliever unjeres Robert Franz, bei denen nur bemerkt fei, daß 
die 6 Nummern aus Op. 9 einzeln zu haben find, und zwar Nr. 3, 4 
und 5 & 5 Sgr., die übrigen à 74 Sgr. Ihnen ſchließen ſich die Lieber 
des (ſchleſiſchen?? Componilten Gottwald würdig an. Die übrigen find 
fo geordnet, wie es ihnen in Bezug auf Originalität der Erfindung und 
Innigkeit des Gefühlsauspruds zulommen dürfte, — wobei ich gern erwähne, 
daß Verfehltes nicht darunter ift, wohl aber durchweg fich ein ernſites 
fünftleriihes Streben bemertlih macht. | 














Gefang. 455 


Anhang. 
A, Theorie und Gefhichte der Muſik. 


. Ratebismus ber Muſit. Bon J. ©. Lobe. Achte Auflage. Leipzig, 


3.3. Weber, 1865. 


. Borftufe zur Harmonie-Lehre für Seminar-Afpiranten von Fried» 


rich Wilhelm Sering, Königl. Muftl-Director und Lehrer der Mufit am 
Seminar zu Barby. Magdeburg, 1865, Heinrichshofen. 


. Mobulationstbeorie mit Beifpielen zunähft für angehende Or⸗ 


ganiften von Morig Brofig, König. Mufikpirector und Kapellmeifter an 
ve Kathebrale zu Breslau. Breslau, F. E. C. Leudart (Eonftantin San 
er), . 


Die Blehinftrumente ver Mufil. Ihre Geſchichte, Natur, Hand⸗ 
Jebung und Verwendung in ber Inftrumental-, Gefange-, Militär» und 
Zanzmufit, erläutert von F. 2. Schubert. Leipzig, &. Merſeburger, 


. Amei populäre Borlefungen über mufilalifhe Akuſtik von 


r. Ernſt Mad. Gräz, Leuſchner und Lubensky, 1865. 


. Anleitung zur Erhaltung und Stimmung ber Orgel. — Für 


Organiften unb Landſchullehrer, welche ihre Orgel felbft in Stimmung und 

gutem Zuſtande erhalten wollen, bearbeitet von J. G. Zöpfer, Profeſſor 

der Muſik am Großherzogl. Seminar und Organiften an ber Stabtlirdr 

vn Weimar. Zweite durchgeſehene und verbeiferte Auflage. Mit einee 
fel Abbildungen. Jena, Friedrich Maufe, 1865. 


. Die Kunft des Klapvierfiimmend Anweiſung, woburd fi jeber 


ANufitverfänbige fein Klavier felbft rein flimmen und etwaige Störungen 
in der Mechanik befeitigen kann. Nebft beiehrenden Regeln bei Ankauf, 
Transport, Aufftellung und Haltung beffelben. Eine neue, leicht begreife 
lie Stimm-Methode, auf 40jährige Erfahrung begründet, von einem prak⸗ 


tiſchen Klavierfliimmer und Lehrer, zum Nut und Frommen aller Muſiltrei⸗ 


12. 


13 


benben herausgegeben. Leipzig, Carl Minde. 5 Ser. 


Ob Sängerballe, ob Sängergrund? Offenes Senbichreiben an bie 
Sänger und Gejangsfreunde beim Erften Deutſchen Sängerfeſt zu Dres⸗ 
ben, wie an alle Sänger, wie Sangesliebhaber des Vaterlandes, von Earl 
Billert in Berlin. Berlin, 1865, Hermann Menbel. 


. Örunbriß der Muſikgeſchichte von Auguft Reißmann. Münden 


Fr. Brudınann, 1865. 


Ueberſichtliche Darftellung der Geſchichte der kirchlichen Did 
tung und geifligen Mufit von H. M. Schletterer, Kapellmeifter 
im Augsburg. Nörblingen, €. 9. Bed., 


. Haydn, Mozart und Beethoven's Kirdenmufit und ihre Tatho » 


üſchen und protefantiihen Gegner. Bon Dr. Franz Xorenz. Breslau, 
FJ. E. €. Lendart, 1866. 


Beethoven und feine Werte. Eine biographiſch⸗bibliographiſche Skizze 
von Dtto Müuͤhlbrecht. Leipzig, C. Merfeburger, 1866. 

Beethoven's Klavier-Sonaten. Für die Freunde der Tonkunſt er⸗ 
läntert von Ernſt von Elterlein (Berfaffer der Broſchüre: „Beethovens 


456 Belang. 


Eympbonien nad ibrem idealen Gehalte 2c.). Dritte, umgearbeite umb 
vermehrte Auflage. Leipzig, Heinrich Matthes, 1866. 20 Rar. 

14. Die "Zanberfldte Fert-Erläuterungen für alle Berehrer PRoyarit. 
Nebſt dem vollſtändigen Tert der Zauberflöte. Leipzig, Theedor Piäser, 
1566. 


15. Der mohlerfahrene Mufiliehrer. Zbeeretifd-praftiice Unfeitung 
jur Ginübung eines Tonftüdes nah metboriihen Grundiägen von Auguf 
Müller. Laugenjalge, 1665, 5. ©. 2. Grefter. 


Nr. 1. gibt in Frage und Antwort eine Reihe kurzer und präciſer 
Belehrungen, bauptjählih die Allgemeine Mufillehre, die Harmonie umd 
die Kunſtformen betrefjend, für Zolde‘, die einen gründlichen, umjaflenben 
Unterriht nit haben können. Biel kommt beim Studium folder Bert 
hen nidt heraus; die Nachfrage nad) dem vorliegenden mu jedoch ſtark 
fein, da ſchon 8 Auflagen nöthig geworben find. 

Fr. 2. liefert in beiter Ferm gerade dus, was für die Unterwerfung 
und Uebung der Fräparanden in der Sarmonielehre erfordert wird. 

Nr. 3. Cine treiilihe Anweifung zur Modulation, neben der Thesrie 
eine Reihe von 136 vier, fünf: und ſechstaktigen, zum Theil ſehr ſchönen 
Orgeljügen als Beiipiele zum Anſchauen, Analyfiren, Ginüben, Transpe: 
niren und Rachilden entbaltend. 

Ar. 4. Tie Unkarbeit über die Piekinftrumente if befanntlich jeibR 
unter Muſikverſtändigen greß. Ser zur Klarheit vordringen möhte, dem 
tann durch das vorliegende ſeht velljiäntige, faßlihe und praltiihe Bud 
belles Licht gegeben werten. 

Kr. 5. Die ertte tiefer beiden, durch Inbalt und Form fehr amzie: 
benten Vorleſungen bitrift die Helmbolg’jde Theorie der Corti' ſchen 
Gebörfafern, vie andern vie Urſachen der Harmonie der Töne. 

Kr. 6. Bei ver allbekannten Geben Bedeutung Prof. Töpfer’s für 
das Urgelbaumweien if e3 genug, auf tie neue Auflıge diefer Edhrift hin⸗ 
juieijen, die in eben jo grünzlicder als jabliber Darſtellung Alles enthält, 
was Dem Urganiiten in der angegebenen Rittung möthig ıR und was zu 
deobadten feine Tritt erbrikt. 

Fr. 7. Tie Stimm:Merkore des Verieñers if nicht eigentlich nem, 
aber einizt und prattiſd. Der Saurtwer:h des Büchleins liegt in den 
fehr umtatenten Belebrungen, tie der alte Stimmer über tus Bianoforte, 
feinen Bau, die Medanik, die Suiten ss. Iswie über alles das ertbeilt, was 
in irgend erdeniiter Veiſe dazu zeböten kann, jih eia gutes Inſtrument 
zu veriba”en und deñelde in guien Jutande zu erhalten. Was das 
Stimmen beiti”t, io ninmt er wir Nett an, daß Solchen, die entfernt 
von ir Stadt wohnen urd ale Runteteunde [ih am an ihr Klavier hab 
ten lönnen, wesen befien Jtredüisen Tiätönen uber davon verſcheucht, oft 
wit Sxurzen vergedens auf einen —— — warten, das vorliegende 
Bücdlein wiitoumen jein werde. Pinreiradt auj den Gefammtinhalt der 
Schriiꝛ jagt a: „So mäkte ih der Wuwelt gern nüglid fein, indem id 
verkehende lan z;Sörige Eriabrungen niederidrieb, meber in ben Stunden 
nach meine Feitit mid Adends merkmul ein Inızer Schlaf unten 
krah war Ritte, va weilte id, che ih den langen beginne, meine Me 








Geſang. 457 


ihode, deren Ruben ich vielfach erprobt, noch veroͤffentlichen.“ Ich glaube 
dem waderen Veteranen bie Verſicherung geben zu können, daß feine durch 
und durh praftifche Arbeit Vielen zum Nutzen gereihen wird. — 

Nr. 8. Der für die Sache des beutichen Männergejanges hochbegei⸗ 
fterte Verf. hält für die beſte Localität zur wirkſamen Beranftaltung coloſ⸗ 
faler Gejangaufführungen einen tefjelartigen Thalgrund, in deſſen 
Mitte auf einem Kegel fih die Tonquelle (die Sängermafje) befindet. Die 
Begründung biefer Anfiht ift interefjant, die Ausführung der Sache freilich 
mit großen Schwierigleiten verbunden | 


Nr. 9. und 10, zwei verbienfllihe, auf felbfiftändigen Studien ihrer 
Verf. beruhende Werke, geben in anziehender, gewählter Darfiellung gerade 
fo viel, das eine aus der Mufitgefchichte überhaupt, das andere aus ber 
Geſchichte des Kirchenliedes, als dem Lehrer, der zugleich mit dem mufila« 
liſchen Kirchendienſte betraut ift, zu willen eriprießlich fein möchte. Möge 
der Ernſt und die Wärme, womit H. M. Echletterer feinen hochwich⸗ 
tigen Gegenftand behandelt, jeden feiner Lefer durchdringen ! 

Nr. 11, eine mit Sachkenntniß und großer Gewandtheit verfaßte Vers 
theidigungsſchrift bauptfählic des Haydn'ſchen und Mozart'ſchen Kirchen⸗ 
ſiyls, iſt dem weſentlichen Inhalte nach bereits näher bezeichnet. 

Nr. 12. „Beethoven zog ſich bekanntlich von allem intimen perfoͤn⸗ 
lichen Verkehr zurüd, fo daß nur wenige Auserwählte einen tiefen Blid 
in fein Inneres zu thun vermochten, und auch diefen Freunden gegenüber 
war er meiltens zurüdhaltenn. Daher find von feinen Beitgenofien uns 
nur wenige glaubwürdige Mittheilungen überliefert, die wohl zum Theil 
noch von unrichtiger, individueller Auffaffung nit frei fein mögen. Das 
gegen hat uns Beethoven felbft das reichte Material in feinen Werken bins 
terlafien. Seine Compofitionen find feine befte Biographie, der befte Schlüfs 
jel zu dem ihm eigenen Leben, denn er kannte ein foldhes ja nur in ber 
Mufil; für äußere, fociale Verhältnifie war er nicht geſchaffen, unfähig, 
fih mit Gefhid darin zu bewegen. In feinen Werken aber bat er ih 
jelbft mit Meifterhand gezeichnet; da erzählt er uns offen und freimüthig 
feine Schidfale, fein Freud und Leid ; in ihnen erfennen wir bie hats 
ſachen und Gedanken, ziehen mit Beethoven hinaus in die Welt, jubeln mit 
ihm über die Schönheiten der Natur, mifhen uns in das Kriegegetümmel, 
durchfurchen die Wogen des Meeres, und beobadten das Leben der Mens 
fhen um uns her. Wir fehen ihn im Frühling des Lebens überjprubeln 
von Föftfihem Humor, dann zu der ernften Thätigleit des Mannes, der 
feinen Beruf fühlt, übergehen, bis wir ihn in ſchwerer Stunde von Gors 
gen gebrüdt wiederfinden und Zeuge davon find, wie er kämpft und nah 
Freiheit des Körpers und Geiftes ringt, bis ihm der Frieden wird und er 
zu Gott eingeht, deſſen Verberrlihung er feine beiten Kräfte gewidmet. 
Das alles fpiegelt ih ſcharf und treu in feinen Compofitionen, den Men: 
ſchen gegenüber hat er geſchwiegen. Wer fih deshalb eng mit Beethoven’s 
Leben befreunden will, der lefe nicht nur die Echriften über ihn, ſondern 





458 Geſang. 


höre von feiner Ruſik, fo viel er lann, dadurch wird erſt ein richtiges 
Verſtaͤndniß vefielben möglid. Eo bildet auch bei der verliegenben Efze 
der erfle Theil, die Biographie, (geftüst auf die größeren Werte ven Lenj, 
Marz, Robl, Schindler, Wegeler, Nies und Anderen) wur einen 
Gemmentar zum zweiten Theile, dem Gataloge, der dem Lefer den Leite 
den zu weiteren eigenen Studien bietet.” Go ver Berf. der beichrenden 
und anziehenden Schrift im Borwort. Und damit wird es übereinfim: 
mend fein, wenn wir uns in 

Nr. 13. recht genau in Beethoven’s Klavierfonaten einführen la 
fen, nachdem der Berf. des fehr ſchätzbaren Buches daſſelbe zum Theil völ 
lig umgearbeitet und vielfady vermehrt bat. 

Ar. 14. gibt Erläuterungen über die Bedeutung und den Sinn ber 
Bauberflöte, „zugleih aber auh” — und deshalb vorzüglihd wird das 
Schriftchen bier angeführt — über Geift und Herz Mozart’s ſelbſ 
Der Verf. möchte etwas dazu beitragen, „daß die Verehrer Mozart's in 
ihm nit nur den großen Meiſter der Töne, ſondern auch den großen 
Mann und edlen Menſchen verehrten.“ 

Nr. 15. enthält Erfahrungen und Rathichläge eines Nlanierlehrers für 
feine zablreihen Collegen und Golleginnen, die nur beachtet zu werben 
brauden, um recht viel dazu beizutragen, daß die oft fo faure und erfelg 
Iofe Arbeit der Unterweifung im Pianofortefpiel eine leichtere und zugleid 
fruchtbringendere werde. 


B. Orgelmufil, 


Praktiſche Orgelſchule von Aug. Brandt. Zweiter Eurius. 1 Ti. 
3 Sgr. Leipzig, C. Merfeburger. 


24 Infiructive Trioe für bie Orgel in fortſchreitender Orbrrumg dem 
Leichteren zum Schwereren mit genauer Verzeichnuug bes Fingerſatzes ſowie 
ber Pebalapplicatur, componirt von G. Ad. Thomas. Op. 10. Leipzig. 
DBreitlopf m. Härte. 1 Thlr. 74 Nor. 


3. 20 leichte Präludien zum Gebraud beim Öffentlichen Gottetdienſte 
son E. Schwarzloſe, König. Seminarlehrer zu Oranienburg, Opus 2 
10 Sgr. netto. Potsdam, Riegel (A. Stein). 


4. Ehr. H. Rind Prälndien. Zweite Auflage. Woblſeile Ausgabe ber 
ſchönſten „Boripiele zu ben gebräuchlichſten Chorälen ver evangelilden 
Kirche.“ Ausgewählt und nen herausgegeben von Wilhelm Breef. 3 
Drgelvorfpiele. Fünftes (Schluß-) Heft. 124 Sgr. Eſſen, Bäbeler. 


Sechs Ehoräle mit Bor- und Seeiicenielen zum lirchlichen Gebrarche, 
für die Orgel componirt von G. Ad. Thomas. Op. 9. Leipzig, Buir 
kopf u. Härtel. 15 Nor. 


6. Leit ausführbare Bor- und Nachſpiele für die Orgel compe 
nirt von Hermann Küſter, Mufilbirector und Dom-Organift in Berlin. 
Zweites Heft, enthaltend 14 Bor- nnd 6 Nadfpiele 74 ar. Nen⸗Rup⸗ 
pin, Dehmigte und Riemſchneider (R. Betrenz). 


7. Sehe Fugen für die Orgel, componirt von C. Albert Ludrißg 
Op. 8. 20 SEgr. Erfurt und Leipzig, ©. W. Körner, ' 


41 


2 


® 


5 


‘ 





Geſang. 450 


8. Prälndium und Fuge (B-dur) für bie Orgel, componirt 9 
3 Ludwig Krebs. 10 Sgr. Erfurt und Leipzig, ®.®. Krner; r 


9. Neue Orgelcompofitionen von Dr. Franz Lifst. 1. Avo Marla 
von Arcadelt. 2. Ora pro nobis, Fitanei. 3. Pio IX., Hymnus. A. Evo- 
eation a la Chapelle Sixtine. Miserere von Allegri und Ave verum cor- 
ps von Mozart. 5. Variationen über den Basso continuo des erſten 

atzes ber Cantate: „Weinen, Klagen, Angft und Noth find bes Chriften 
Thränenbrot” unb das Crucifixus der H-moll-Mefie von Seb. Bady, 


Nr. 1. Hiermit if Brandt's Orgelſchule abgejhloflen ‚und es darf 
au dieſem zweiten Zheile des Werkes das Zeugniß gegeben werden, baß 
er bei wohl erwogener progreffiver Anorbnung des Stoffes die Forderun⸗ 
gen an ben Schüler auf das nicht allzu ſchwer Erreichbare bejchräntt ‚und 
doch allem für das Studium Wefentlihen Rechnung trägt, fo daß er vor 
ausſichtlich gleih dem erften fih unter den Orgelſchuͤlern wie unter ihren 
Lehrern zahlreihe Freunde gewinnen dürfte, wozu die ſchöne äußere Auss 
flattung, der fehr deutlihe Stich und der hoͤchſt billige Preis das Ihre beis 
fragen werben. . 

Nr. 2, ift ein wichtiges Hülfsmittel für die befondere Ausbildung im 
triomäßigen Spiel, ausgeflattet mit dem doppelten Vorzuge trefflicher Tech⸗ 
nit (für welche Hr. Thomas bereitö durch feine Pedalſtudien fehr Bebeus 
tendes geleiftet bat) und geiftwollen mufilaliihen Inhalts. Verdient ein 
boppeltes Notabene ! 

Nr. 3. Erfindung und Arbeit geben dieſen Präludien Anfpru auf 
Beachtung und Anerkennung. Ohne befondere Schwierigkeiten zu enthals 
ten, find fie doch Jo „leicht” Teineswegs, daß fie nit dem Seminariften 
der mittleren Stufe einen für feine Kräfte pafienden Webungsftoff dar: 
böten, 

Fr. 4. Wenn Wilhelm Greef im Vorworte fagt,. daß mit der 
neuen Ausgabe dieſer Vorfpiele (185 Nummern in 5 Heften & 124 Sgr.) 
„dem ausgezeichneten SKirchenmufiler und unvergeßlihen, am 7. Auguft 
1846 beimgegangenen Orgelmeifter Chr. Heint Rind ein Denkmal wie 
der neu aufgerichtet fei, gemiß zur Freude und zum Gegen Vieler“, To 
Schließe ich mich diefem Ausſpruche gern an, 

Nr. 5. Die Vorfpiele find mit Künftlerhand aus Choralmotiven (ber 
erften Zeile der Melodie entnommen) herausgearbeitet, dabei aber fo eins 
fach gehalten, daß fie vom Blatte gefpielt werden können ; der Choraljag 
ift eigenthHümlich und weift eine Reihe von Schönheiten in Harmonie und 
Stimmenführung nad). 

Nr. 6. Die leichte Ausführbarfeit, der lirchliche Styl und die foliden, 
einfachen, aber anziehenden Formen dieſer Compoſitionen, unter denen ſich 
mehrere bochfeftlihe, ausgeführte Stüde befinden, madt neben dem äußerft 
niedrig geftellten Preiſe auch dieſes zweite Heft der Küfter’jchen Bor: und 
Nachſpiele (das erfte wurde im vorigen Bande angezeigt) einer befondern 
Beachtung werth. 

Nr. 7. Ber Componift ift Cantor zu Niedergebra in Thüringen. 
Seine fehr tüchtigen Fugen, entiprofien (wie mir belannt) dem gründlich⸗ 
ften, mit begeifierter Hingebung Jahre lang fortgefegten Stubium Bach's, 





460 Sefang. 


Tiefern ein ſchoͤnes Zeugniß, daß ’e3 unter den Gantoren und Drganiflen 
Thüringens immer noh Männer gibt, die den alten kirchenmuſikaliſchen 
Ruhm ihres Landes zu wahren wiſſen. 


Nr. 8. Geförberte und ftrebende Organiften werben dieſe Compoſition 
bes berühmten alten Krebs, beftehend in einem ganz eigenthümlichen, in 
Bach'ſcher Weife componirten Adagio und einer mächtigen Zuge mit Bor 
theil in den Kreis ihrer Studien ziehen. 


Nr. 9. Auch die Gegner Liſzt's werden zugefieben müflen, dab in 
diefen Eompofitionen die gewählten Motive in origineller, geiſwoller WBeife 
verarbeitet find und daß der geniale Meiſter bier der Orgel Rlangefiette 
son wunderbarer Wirkung und hinreißender Schönheit abgewonnen bat. 


C. Klaviermuſik. 


1. Elementarfähnle bes Klavieripielers. Line Sammlang von Finger 
Abungen und melobifhen Hebungsflüden mit Erläuterungen nr bie Te» 
nit des Spiels, methodifch bearbeitet von Friedrich Zweigle. Zweite, 
umgearbeitete Auflage. 2 fl. 24 fr. = 1 Thlr. 12 Sgr. netto. Gtattgart, 
G. A. Zumſteeg. 


2. 22 Special-Uebungsfüde mit Fingerſatz und ohne Octavenſpaunum⸗ 
gen. Zur Ausbildung beider Hände und in fortfcpreitenber Orbmung für 
a8 Pianoforte componirt von Theodor Deften. Op. 291. Dlagbeburg 
Heinrihshofen. compfl. 20 Sgr. Heft I. und Heft U. & 12} Ser. 


3 Rlavier-Etuden für ben täglichen Gebrauch, componixt von Jean 
%ogt. Op. 66. . Leipzig, Bartholf Senff. 15 Sgr. 


4. Ein Kinderfef. Acht vierhändige Klavierfüde von Arno Aleffel. 
Op. 5. 13 Thlr. Riga, Gebr. Petrid, Leipzig, Fr. Hofmeilter. 


5. Dix Sonates par R. Viole Pr. 1 u 2% 25 Sgr. Leipiig, 8. 
5. Kabnt. 


6. Adelaide von Matthiſſon. Muſik von 8. van Beethoven. Für Pie 
noforte allein eingerichtet von F. X. Chwatal. Zu 2 Händen mit Te, 
12, Sgr., zu 4 Händen, 15 Sgr. Magdeburg, Heinrichshofen. 


1. 3 hab’ im Traum geweinet, Lied von H Heine, componirt ven 
M. ‚Rdnig: Zrangfcription filr das Pianoforte von B. Sulge. Op. 3 
10 Sgr. 3. F. U. Küfter in Weimar. 


8. Syumpbonten von Joſeph Haydn, für bas Bianoforte zu vier Hiw- 
den bearbeitet von ©. Klage und ©. Burchard. Nr. 1-50. Magde⸗ 
burg, Heinrichehofen. 


9. Archis berühmter Compofitionen für zwei Pianoforte zu acht Hin 
den von Earl Burdard. Rr. 1. Mozart: Don Iuan. 14 Tblr. Nr. ?. 
Beethoven: Andante aus einem Octett. 3 Thlr. Pr. 3. Beethoven: 
‚Allegretto aus der A-dur-Symphonie. 1 Thlr. Nr. 4. BVeigl: Ommertart 
zur Schweizerfamilie. $ Thlr. Magdeburg, Heinrichshofen. 


19. Mareia eroica, componirt fiir großes Orchefer von Wilhelm Berg 
ner. Op. 2, arrangirt für Pianoforie zu 4 Händen. 20 Sgr. Nige, 
Gebr. Petrich 








Gefang. 461, 


11. Symphbonien von ıI. Haybn für Bianoforte zu 4 Händen, Violine 
Ki ðhlonceno⸗ von Earl Burchard. Nr. 2. G-dur. Magbeburg, Hein⸗ 
&hoTen. 


Nr. 1. Eine wohlangelegte, wirkliche Elementarfchule, welde durch 

Berlegung des Lehrftoffs in kleine Portionen ein ficheres Fortichreiten des 
Schülers ermögliht, und melde die jo hochwichtige Technik des Inſtru⸗ 
ments als Hauptjache behandelt, dabei aber. ven Lernenden auf allen Stu⸗ 
fen durch eingefügte anmutbige Hanpftüde erfriſcht. Gleich der Unfäng 
weit: darauf ‚bin: I. Die erjten Stunden am Klavier. U. Die. erften Fin⸗ 
gerübungen im Umfang von 5 Tönen. III. Die erften melodiſchen Tou⸗— 
füde. IV, Weitere Fingerübungen im Umfang von 5 Tönen. V. Bei 
tere melodifhe Stüde in größerem Tonumfang und zur Cinübung verſchie⸗ 
dener Spielweifen. u. |. w. Ueberall find ausführliche, ſehr genaue Erläus 
terungen für den Lehrer gegeben. Der Preis von 1% Thlr. für 71 6. 
ist umd Noten in gr. Fol. ift ein ſehr billiger. 
+ Ne 2% Hier gibt es aljo 5. B. Uebungen unter folgenden Weber’ 
ſchriften 1. Stoßen und Binden, 2. Zonleitern mit einer Hand, 3. Mbldr' 
jen beider Hände, 4. ‚Oeläufigfeit, 5. Anjchlag aus dem SHandgelent, 
6. Fingerwedfel, 7. Ausdehnen und Zuſammenziehen der Hand u. f. w. 
Hr. Deften bat das. alles in feiner gewandten, glatten und ſauhern Weife, 
mit dem Techniſchen das Elegante verbindend, ausgeführt, jo daß bie 
Uebungen allermeift zugleich melodidje Eharalterjäße find. 

Nr. 8. UWebungen aus der Feder eines bewährten Meifterö, die vor 
Allem auf Grreihung des gefangvollen, getragenen und gebun: 
benen Spiels binzielen, dabei jevod auch dem Rechnung tragen, was 
der Schüler der Mittelftufe fonft noch „täglich zu ererciren hat (Staccato, 
Dctavengänge ꝛc.). Jede Uebung bildet ein anziebendes Tonftüd im Um: 
fange von 4 oder 2 Eeiten in gr. Fol. Der Yingerfaß iſt genau bes 
zeichnet. 

Nr. 4. Ganz hübſche Schilderungen aus dem Slinderleben in Bildern 
und Zonftüden, welche beiderjeitd aud von Erwachſenen mit Intereſſe ans 
geihaut und geipielt werden dürften (die NKlavierflüde ſetzen ſchon einige 
Geübtbeit voraus). Für mich hat es freilich immer etwas Widerſtrebendes, 
wenn die Kinder fi felbft mit ihrem Sein und Leben in fünftlerifcher 
Darftellung betradten oder in folder fogar wiedergeben jollen, wie aljo 
3. B. bier unter den Ueberſchriften: Gemüthlihes Beifammenfein — 
Schuͤtzenmarſch der Knaben — Kinderreigen — Der Puppe Wiegenlied — 
Der Meine Reitersmann — Auf der Gonbel — Sindermaslerade (121) — 
Eelige Erinnerung. 

Nr. 5. Diefe originellen, in einem durchaus eigenthümlichen und 
felbftftändigen Style componirten Tonwerke erfordern zwar nicht eine ehr 
body gefteigerte Zechnil, wohl aber gebildete Spieler und Hörer, die den 
geiftigen Gehalt einer Zonfhöpfung, möge fie fi mehr in hergebrachten 
oder in neuen und freien Formen bewegen, zu erlennen wiflen ober fidh 
wenigftens darum bemühen, 


462 Geſang. 


Nr. 6. in leicht ſpielbares Arrangement der Adelaide in ange 
gebener Form, nicht eine Transfcription. Cine folde ift dagegen 

Nr. 7, und zwar eine eben fo jchwere als brillante, concertmäßig in 
Liſztſcher Weile, 

Nr. 8. Diefe trefflihe Ausgabe der ewig frifhen und beitern Sin 
fonien Haydn's verdient, immer von Neuem unfern Leſern in Grinne 
zung gebracht zu werden. Nr. 1, 2, 8, 5, 6, 9, 28 find ſchwer; Ar. 
4, 7, 8, 10—27, 29, 80, 35, 36, 38, 41, 42, 44, 47, 49, 50 we 
niger fhwer; Nr. 31 —Sh, 37, 89, 40, 43, Ab, 46, 48 lad 


ar. 

Pr. 9. Ghenfalls ein fehr dankenswerthes Unternehmen, dem ber 
befte Fortgang zu wünjchen. 

Nr. 10. Im noblen Styl componirt, kräftig und nicht ohne Gigem 
tbümlichleit. Dabei dankbar zu fpielen. 

Nr. 11. Berdient die volle Beachtung aller Seminare, Lehrerver⸗ 
eine, Präparanden-Anftalten zc., ſowie aller Muſilkraͤnzchen und Familien, 
wo bie Belegung thunlich iſt. 


D. Violin- und Violoncellomuſik. 


Der junge Concertif. Leichte Variationen für bie Violine mit Begler 
tung des PBianoforte. Zum Gebraud beim Unterricht, als auch befonbers 
für ſolche Spieler, welche keine höhere Lage nehmen können, componirt von 
Ludwig Meyer. Op. 8. a. Ausgabe Mr Biofine, b. Ausgabe für Bir 
Ioncello, & 16 Ser. 


Wohl geeignet zur Förderung und Erfriſchung junger Biolins und 
Bioloncellofpieler, bie fih im Yamilienkreife damit mögen hören laſſen. 





XI. 
Geograpbie. 


Bom 


Regierungs⸗ und Schultath W. Prange in Cöslin. 


Vorbemerkung. 


Sm dem XVII. Jahrgange des Paädag. Jahresberichts iſt begonnen 
worden, eine zufammenfaflende und orientirende Recapitulation deſſen dar⸗ 
zubieten, was über die Gedankenbewegungen, die praltiihen Weiſen, den 
Unteriht moͤglichſt fruchtbar zu geftalten, und über die allmählige Weiter 
entwidelung der urfprünglihen Ideen auf dem Gebiete des geograpbir 
fen Unterrihts in den erften acht Jahrgängen enthalten if. Als vie 
Hoffnung am Schluſſe jener Darbietungen ausgefprohen wurde, demnaͤchſt 
eine ähnliche Zufammenfaflung des verwandten „gnbalts der übrigen Jahrgänge 
des Bad. Jahresber. nachfolgen laſſen zu wollen, wenn bie Berhältnifie nad) 
Gottes Willen es zuliehen, waren bie inzwijchen eingetretenen, das ganze Ars 
beitsleben des Schreibers diefer Darbietungen völlig umgeftaltenden Berhäftnifie 
nod gar wicht einmal zu ahnen. Aber feit fie fih anlündigten ımd in 
Tusrz bemeflenen Friften dann vollzogen, trat auch die gefteigerte Schwierig. 
Beit ein, der in Hoffnung gegebenen Zuſage in bisher gewohnter Weiſe 
rechtzeitig genügen zu können. Insbeſondere mußte die geftörte Berührung 
mit den Bezugsquellen der neu erjcheinenden geographifden Bücher, Karten, 
Beitfäriften, neben den andermweit entftehenden Hemmungen zur Bermebrung 
dieſer Schwierigkeiten beitragen. Wenn e3 nun dennoch verfucht wird, ben 
Durch die Zuſage erregten Erwartungen wenigftens theilweife gerecht zu 
werden, fo mag das ein Wagniß fein, welches vielleicht beſſer unterbliebez 
aber es ifi doch andrerfeits ein Abſchluß jener begonnenen Rüdblide und 
Bufammenfafiungen zu wünfchen, felbft wenn verfelbe, mie diesmal nicht 
anders moͤglich, nur gedrängt hingeftellt werben kann. 


Das Jahr 1855. 


4. Am Ende des Jahres 1854 war durch die drei Preußifchen 
Hegulative ein gewiſſer Abſchluß der frühern Zeit der praktiſchen Weiſen 
wer Thätigleit in der Vollsſchule gebracht, ein neuer Plan, ein neuer 





464 Geographie. 


Grundgedanke und Geift, ein neues praltiihes Biel für diefe Thaͤtigleit 
hingeftellt worden. Das gab Veranlafjung, im IX. Pädag. Jahresberiqhte 
zunäct eine vergleihende Zufammenftellung der frühern und gegenmärtigen 
allgemeinern Soeen-Strömungen auf dem Gebiete des geographiſchen Unter 
richts voranzufhiden, dann aber das Augenmerk auf den geographiicen 
Anfangsunterriht, auf die Beziehungen des Schul⸗Leſebuchs 
zum geographifhen Unterricht in der Volksſchule, auf die Stellung dei 
mathematifchrgeographifchen Unterrichts in nichtgelehrten Säulen, 
auf den Kartengebrauch, auf die geographiihen Illuſtrationen 
und auf das kulturgeographifche und weltkundliche Glemeni m 
gewöhnlichen Unterricht zu richten. 
2. Die Geftaltung des geographiihen Anfangsunterrichts wird 
außer dur die Natur des geographiſchen Lehrſtoffs weſentlich mit durch 
das Biel bevingt, welches unter gegebenen Schulverhältnifien und Bildungs 
bebürfnifien angeftrebt und von der Tendenz bei der Art, mie dieſen 
Verhältnifien und Bedürfniſſen Genüge geleiftlet werden fol. Wo ein wij: 
ſenſchaftlicher geographifher Unterricht erforderlich wird, ift der Anjang® 
unterricht danach zu bemeflen; wo jene Erforderniſſe wegfallen, ein über 
wiegend reales oder gar nur ganz populäres, elementares Bebürfnib 
obmwaltet, und überdies noch allerlei Beſchränkungen in Zeit, Lehrmitteln, 
Lehrkräften ihren hemmenden Einfluß ausüben, da werden aud die grund 
legenden Geftaltungen dieſes Anfangsunterrichts danach modificirt. Theis 
wird Werth auf Gewinnung einer gewiſſen Summe von abftracten Be: 
griffen gelegt, in der Meinung, daß damit dad Verſtaͤndniß eines ſyſte⸗ 
matiſchen Unterrichts begründet werde; theils fehidt man eine concreiet 
Betrachtung eines ſinnlich uberſchaubaren, nahgerüdten Landgebietes (Um 
gegend, Heimath) mit minderer oder größerer Detaillirung voran, entwedet 
um ebenfalls zu Begriffen oder zu Anjhauungen zu gelangen, oder um 
nur Auge, Sinn und Phantafie für fpätere Betrachtungen unter VBeihükie 
der Karten zu gewöhnen, zu ordnen, zu fchärfen. Theils wird von Anfang 
an auf Karten: Conftruction und Rartenbetrahtung hingearbei⸗ 
tet, theils durch gelegentlihe Wanderungen, Unterhaltungen, Erinnerungen 
eine Art Erſatz für alle derartige planmäßige ‚Vorbereitungen zu gewinnen 
verjudt. Welche Wege auch gewählt werden mögen, praltiihe Lehrer ner 
gen überwiegend der Erfenntniß zu, daß ein Anfangsunterricht, welcher bob 
auf mündlich bereite Definitionen abziele, und etwa die Betrachtung 
der nädften Umgebungen zu dieſem Behuf anitelle, der empfehlenswer 
tbefte fei. Sie bezeichnen deshalb eine gut bemefiene Heimathskunde 
als den beiten geographijhen Anfangsunterricht aus ſpecifiſch fachlichen, wir 
aus pädagogifhen Gründen. Nicht nur die Volksſchule, welche über ie 
fen Unterricht nicht fehr weit hinauszulommen pflegt, da jie nur noch Bas 
terlandslunde anzulnüpfen bat, ſondern auch gehobenere Schulen haben 
daran eine gute Vorftufe oder erfte Stufe des geographiſchen Unterrichts. 
Es ift von nit wenigen Lehrern Anleitung zur zwedmäßigen praftijden 
Ausführung einer [hulmäßigen Heimathetunde zu geben verfudt mer: 
den, die unbeftritten befte bleibt von dem Oberlehrer Finger in Frank 
het a. M. veröffentlichte „Unmeifung zum Untersiht in. der Heimaths⸗ 








Geographie. 465 


lunde.“*) Im Allgemeinen ergibt ſich aus ben ſachentſprechenden Vor⸗ 
ſchlägen, welche darin und in andern Schriften niedergelegt ſind, Folgendes: 

a) Die Heimathskunde hat zunädlt den Zwech, Kinder zu dem Erkennen 
geograpbifher Berhältnifie durd deren concrete Anſchauung anzuleis 
ten und fie in der nächften Umgebung zu orientiren. Sie follen fe 
ben lernen, gewöhnt werden, das Gejehene zu richtigen Vorftellungen 
und zuletzt zu einfachen Begriffen zu erheben, um mit dieſer Hülfe 
den fernern geographifchen Unterricht zu veriteben. 

b) Zum Behuf der Drientirung ift es erforderlih, daß vor den Augen 

der Kinder und unter ihrer Beihülfe bie einfache Zeichnung des Orts⸗ 

plans entftehe und dann von den Kindern nachgebilvet, beiprochen, 
eingeprägt werde. 

0) Vom Berftänpniß des Ortsplans ift zum Verftänpniß der Landlarten 
almählig überzuleiten, dabei aber alles noch auszuſcheiden, was über 
die Deutung der auf Landlarten zur Anwendung lommenden Bezies 
bungen geographifcher Verhaͤltniſſe binausliegt. 

d) Zu große Detaillirung bei der Beiprehung heimathskundlicher Vers 
bältnifje, mögen dieſelben geographifcher ober naturkundlicher oder 
geſchichtlicher Natur fein, widerſpricht dem Bwed der fhulmäßigen 
Heimathskunde. Das irrthümliche Beftreben, die Sad) e zu erjchöpfen, 
führt in diefem Falle zur Erjhöpfung der Berfonen, nämlid der 
Freudigleit und Friſche der Kinder. Beſonders find alle ftatiftis 
hen Details in engiten Schranten zu halten. 

e) Die Grenze des heimathlihen Raumes, über welden die Beſprechun⸗ 
gen ſich verbreiten, darf nicht von vorn berein zu weit hinausgerüdt 
werden. Erft gilt e3, das zu erfennen, was innerhalb des kindlichen 
Geſichtskreiſes liegt; danach wird die Umgebung in's Auge gefaßt 
zur Erweiterung der ſachlichen, nicht der blog begriffsmäßigen 
Grundlagen der elementaren Geographie. 

f) Es ift unguträglid , in lauter concentriſchen Kreifen von der Kennt⸗ 
niß des Heimathsorts bis zur Behandlung der entlegenften Erb: und 
Simmelsräume fortzufchreiten.. Vielmehr wird es als gerechtfertigt 
zu erachten fein, dag nah Abſchluß der Heimathskunde entweder zur 
Vaterland skunde (in Voltsjchulen) oder zu elementaren Betrachs 
tungen des Erdglobus in mathematischer und phyſikaliſcher Bezies 
bung übergegangen wird, um daran die Laͤnderkunde anzuſchließen. 
(Bürgers und Realſchulen.) 

g) So viel es irgend die Schulverhältnifie geitatten, find bie Kinder 
auch beim geographiſchen Anfangsunterrichte ſelbſtthätig zu machen. 
Bloßes Vordociren iſt zwedwidrig. Sei's durch Anfertigung kleiner 
Zeichenſtizzen auf der Schiefertafel oder Papier, ſei's durch Eintra⸗ 
gungen einfachfter räumlicher Verhaͤltniſſe in ein fertiges Kartennetz, 
ſei's dur Anfertigung Heiner Darftellungen des Durchgenommenen, 
oder durch fchriftlihe Beantwortung von MWiderholungsiragen, — 


*) IR 8 een in nener Auflage erſchienen (Berlin, Weidmannſche Buche 


Bär. Jahresbericht. XVI. 80 


466 Geographie. 


ſei's in der Lehrſtunde ſelbſt durch Aufzeigen u. |. w., kurz irgend 
wie find die Finder in’s thätige Intereſſe zu ziehen. 

8. Seitdem das Volks⸗Schulleſebuch aus feiner ſrühern peri: 
pheriſchen Stellung in eine Art centraler Stellung für die Boll« 
ſchule gerüdt und damit die Aufgabe verfnüpft ift, den gefammten well 
kundlichen Unterrichtsftoff der Volksſchule an das Schulleſebuch anzufchliehen, 
tritt dem Glementarlebrer die Frage brennend nahe, wie dieſer Anſchluß 
und eine bildende Verwerthung des Leſebuch⸗Inhalts zu bewirken ſei. Leber 
die Beantwortung diefer Frage gehen nicht bloß die theoretiſchen Anficten, 
fondern noch vielmehr die praftifchen Verſuche bis jegt noch weit ausein⸗ 
ander. Abgeſehen von den ältern Echullefebüchern (Rinderfreunden x.), 
welche mwefentlih andern Zweden als die neuern zu dienen beftimmt er 
feinen, ift fhon in der Anordnung, Wahl, Bearbeitungsform ber Lefeabs 
ſchnitte der legtern eine große Differenz wahrzunehmen. Auch die ganje 
innere Delonomie dieſer Bücher zeigt merllihe Verſchiedenheiten. Darin 
jedoch pflegen fie übereinzuftimmen, daß fie das Hauptgewidht auf water: 
landskundliche Berhältnijie legen, und alles darüber hinaus Greifenbe 
nur kurz berühren; daß fie ferner den Stofj entweder in kurzzufammenge 
drängte Weberfidhten faflen, oder ihn in Heinen gerundeten Bildern 
einzelner Parthien, Localitäten u. |. w. darbieten, und 'endlih daß fie ihn 
bei aller lehrhaften Volksfaßlichkeit doch zugleih in irgend welcher Art 
illuftriren, um ihn anziehend zu maden. Sie liefern aljo bald in 
größerm, bald in geringerm Grade nur Brudftüde, melde zmar be 
Unterricht erläutern, ergänzen fol, welche aber, weil fie nicht immer in 
Verbindung zu erhalten waren, nicht wohl als budftäblich feftzuhaltender 
Leitfaden angejeben werden können. Gin Theil biefer Abſchnitte gibt über 
wiegend nur elementare Unterlagen, ein anderer Theil derfelben dagegen 
einzelne Materialien zum Ausbau. Bei legtern ift dad provinzielle 
Intereſſe leitend. Es wird darum das Lejebuch theild der ſachlichen und 
formellen Ergänzung bedürfen, tbeils kann es zu dem Unterricht Grgän: 
zung und Illuſtration gewähren, 

Empfohlen ift die nachfolgende, kurz angebeutete Mobalität der Ber 
* des Leſebuchs für die Zwecke des geographiſchen Vollsſchulun⸗ 
terrichts. 

Nachdem die nächſten heimathlichen Umgebungen unter Betonung der 
geographiſchen Verhältniſſe anſchaulich durchgenommen, das Landkarten⸗ 
Verſtaͤndniß angebahnt und die unentbehrlichſten geographiſchen Grundbegriffe 
vermittelt, dann aber alsbald die weitern Belehrungen auf die ganze hei⸗ 
mathliche Provinz gerichtet worden find, um mit Hülfe der Karte die 
beveutfamften topifhen und phyſilaliſchen Gigenthümlichleiten derfelben auf 
zufaſſen, tritt das Leſebuch mit in den Dienft diefes Unterrichts. Beſonders 
wird e8 der naturbefhreibende Inhalt fein, der mit feinen Heinen 
Epecials Beihreibungen paſſend in den geograpbifchen Unterricht eingelegt 
wird. Möglienfalls ift auch Sitte, Berlehr und Betriebfamleit der ber 
mathlichen Provinz in einzelnen Abfchnitten beachtet; dann laflen ſich die 
ebenfalls verwerten. Iſt demnächit mit Hülfe der Karte die Landesein 
theilung, eine mäßige Auswahl von Städten und fonft berwortretenben 


Geographie, 467 


Drifhäften eingeprägt, fo kann es gelingen, buch Bufammenfafjung ver 
natürlihen Bopdengeftaltung und Bodenbeſchaffenheit, der Elimatifchen Ber 
bältnifie, der Natur: und Kunfterzeugnifie in einzelnen, beftimmt abzus 
grenzenden Gebieten Heine charalteriſtiſche Landſchaftsbilder zu fchaffen. 
Und gerade bierbei ift das Lefebuch meift eine trefflihe Hülfe, weil es vers 
artige fertige Ginzelbefhreibungen und Schilderungen zu enthalten pflegt. 
Natürlich muß der Lehrer zuvor ſich dieſen Stoff planmäßig vertheilen, 
und dabei auch die Schwierigkeit‘ der ſprachlichen Darftellung in Anfchlag 
bringen. SGelbfiverftänplic wird ein innerer, fadhliher und räumlicher Zur 
fammenbang ver fo zu benußenden Stoffe mit im Auge behalten werden 
müſſen. In Rüdfiht auf außerdeutfhe und gar außereuropäiſche 
Zändergebiete pflegen die Lejebücher eine taktvolle Verkürzung der Darftelluns 
gen anzuwenden, — ein Fingerzeig zugleih für bie vollsfhulmäßige Bes 
handlung dieſer Gebiete. Der Unterriht braudt dann eine fammelnde, 
firirende Bafis, die er am leichteften in den Planiglobien geminnt. 
Erſt daran das nächltliegende Topiſche und mathematiih Geographiſche, 
foweit es Volksſchülern gebührt, einzuprägen, liegt im Intereſſe des Vers 
Händnifjes der daran zu fnüpfenden Einzeljhilderungen einer charakteriſtiſchen 
Auswahl von hervorragenden Groräumen, Gebirgen, Flußgebieten, Städten 
u. |. w. Faßliche Bonengemälde und Reiſebeſchreibungen beleben dann den 
etwas dürren Stelettbau jener Grundlegenden topijhen und mathematiſch 
geograpbifhen Anſchauungen. Stellt das Leſebuch Belehrungen über das 
Meltgebäude an's Ende, fo mag fie der Volksſchulunterricht auch an’s 
Ende bringen; richtiger wären fie anderswo einzuordnen. 

Auf Die angedeutete Weile wird allervings nicht viel, aber e8 wird 
etwas und zwar in gewillem Sinne etwas relativ Ganzes erreiht. Das 
mit kann fi in den meiften Fällen die Volksſchule genügen laſſen, in vie 
len Fällen abjolvirt fie thatſächlich dies nicht einmal, in ben wenigſten 
wird fie merklich darüber hinausgeführt. 

4. In nidhtgelehrten Schulen begehrt man nur das Weſentlichſte, 
Unentbebrlihfte aus der mathbematifhen Geographie? Diefe 
Forderung ift jehr dehnbarer Natur. Dr. Diefterweg begreift darunter das, 
was zur rihtigen Auffafjung der täglihen und jährlichen Erjheinuns 
gen, welche das unbewaffnete Auge wahrnimmt, nothwendig ift, und mas 
zugleih die Erkenntniß der allgemeinften und wichtigſten Erſchei⸗ 
nungen auf der ganzen Erde und am Himmel bevingt. Was hiervon uns 
mittelbar gejehen oder irgendwie dem vernünftig Dentenden leicht ans 
ſchaulich gemaht werben kann, fo daß es eingesehen, verſtanden 
und begriffen werben kann, gehört in bie Volksſchule; alles Webrige ' 
nit. Hiernach würden alfo die leichteft faßbaren, vem bloßen Aug 
bes Kindes fih aufnöthigenden Erſcheinungen, welche durch tägliche Wie 
derkehr einen tiefeingreifenden Ginfluß auf die allgemeinften Naturs und 
. Zebensverhältnifje ausüben, an die Spitze der bezüglihen Belehrungen zu 
ftellen fein. Was darüber hinausliegt, wäre zu einer Art zweiter Stufe 
zufammenzufafien, wie es einige ſehr befannte Leitfäden auch gethan haben, 
Mit den Kapitels Ueberfchriften: Horizont; Geftalt, Größe, Bewegung ber 
Grde u. f. w. ift im Grunde genommen nur die Beziehung der Belehrun⸗ 

30”. 


4168 Geographie. 


gen, aber weber deren Art noch Maß angegeben. Diefelben Ueberfäriften 
findet man in den wiſſenſchaftlichen, biejelben in populären Lehrbücher; 
ihre Begriff ift ebenfalls fehr dehnbarer Natur. 

Melde Lehrftüde im Einzelnen der Volksſchule zuzuweiſen ſein 
werben, das ift im Päd. Jahresb. IX, ©. 218 — 217 beſonders aufge 
führt, fo daß der Kürze halber darauf verwiefen wird. Erſt gilt es das 
äußerlihde Was und dann das Wie des Erſcheinens zur Ar 
ſchauung und zum Bemwußtfein zu bringen; der Schein vertritt vorläufig 
bie Wirklichkeit; Erklärungen fallen noh weg. Ob im Schul— 
lejebucd hiervon etwas enthalten ift oder nicht, das entſcheidet für die 
Nothwendigkeit diefer Belehrungen in der Volksſchule felbftredend gar 


‚nichts, der Berneinungsfall entſchuldigt deshalb eine etwaige Berfäumnig 


des Lehrers nicht. Nur das jei noch erwähnt, daß eine Crörterung bed 
Darum und Wodurch dieſer Erfceinungen nicht in bie Voltsjule 
gehört, und im Fall Lejebücher hierüber Aufſchluß zu geben die Miene 


"annehmen, wird die genauere Prüfung bald erkennen lafien, daß dieſe Auf 


ſchluſſe gemeinhin die ſchwächſten Parthien des ganzen Buchs find. Worte 
tönnen die nöthige Anfhauung unbedingt nicht erfeßen und überflüjig 
madıen. 

5. Mas den pädagogiihen Gebrauch der Karte im Unterriht am 
betrifit, jo fteht feit, daß die Karte weder zum bloß hergebrachten Anhäny 
jel dieſes Unterrichts zu völlig gleichgültiger Benupung, noch daß fie zum 
förmligen Bilderdienft, fondern zu einer verftändig auszubeutenben 
Hülfleiftung zur Erwerbung innerer Anfhauungen von Grölolalen und 
deren natürlihen Berhältnifjen beftimmt if. Bute Karten find beut zu 
Tage mit Refpect einflößender Sachkenntniß, Genauigteit, Berechnung md 
Planmiäßigteit bergeftellt, wovon Unkundige gar feine Ahnung haben; fe 
beruhen auf fehr in's Einzelſte eingehenden Studien und Combinationen 
von Refultaten der Mefiungen und Forfhungen und enthalten in oft ſeht 
unjheinbarem Gewande auf einem Blatt mehr wirklich Beachtenswerthes als 
ganze Atlanten bloßer mechaniſcher Kartenfabrilanten. Gute Karten find 
ein Schatz; der foll gut benugt werden. Wie denn, wozu denn? Sie 
müſſen gelejen werben; dies Rartenlefen muß förmlich gelehrt und ge 
lernt werden, um nur erft zu erfahren, was ber Kartograph eigentlid 
Alles dur die mancherlei Zeihen bat ausprägen und zum Lernen, Com: 
Diniren, NRefultate ziehen dem denkenden Belhauer in naturgetreulte 
Vereinigung vorlegen wollen. Seine Zeihenfprahe muß vom Finde in 
die Wort ſprache übertragen werben. Dadurch wird allmählig das innere 
Bild der Karte vor die Seele defjelben gebracht, und hieran liegt Allee. 
So lange dies innere Bild von ver Karte fehlt, mangelt auch die Nö 
lichteit beftimmtefter Fixirung darauf zu beziehender Belehrungen ; es ift der 
geiftige Erſatz für das nicht im Wirklichkeit Ueberfchaute. Die Karte if 
Unterrichts: Hülfgmittel, der unentbehrlihe Unterbau für den darauf foıt 
und fort zu beziehenden mündlichen Unterricht, der mit dieſer Hülfe die 
innere Anſchauung von den wirklichen Berbältnifien betrachteter Sroräume 
erzielen jol. Sie liefert nicht alles ſchon fertig, fie regt nur die geiſtige 
Arbeit an, welche dies Biel eritreben fol. An ihnen will gefehen, phan 





Geographie. 469 


taftemäßig geftaltet, das Bild geiftig in die MWirklichleit überfept, gedacht 
und combinirt fein, ſoll aud) eingeprägt und zu Folgerungen angeleitet wer« 
den. Sie ift Handhabe und Brüde des geographifchen Unterrichts. Das 
Rartenlefen verlangt Plan, megen des anſcheinend regellofen Durcheinan⸗ 
der der Beihen auf den Blättern; der Unterricht verlangt SMarbeit, 
Sichtung, Orbnung bei diefem Plan. Glüdlicherweife kommen die wirklichen 
Naturverhältnifie dieſem Bebürfniß entgegen, indem fie die großen Maflen, 
die Hauptformen derjelben und ihre Gliederung, die Art der Vertheilung, 
der Zagenverhälinifie u. ſ. w. deutlich ſcheiden und erkennen lafien. Sol 
hen Haupigeſichtspunkten bat das Kartenlefen erft einzeln nachzugehen; 
danach bat e3 diejelben in ihrer Wechſelwirkung auffaflen zu lehren. 
In diefen Worten ift die Direction der Arbeit zu ſehen, deren weiter ein: 
dringende Fortſetzung durch allerlei Bergleihungen immer fruchtbarer, bele⸗ 
bender, reihhaltiger wird. Eine planmäßige, relativ erfchöpfende Karten 
ausbeute erjeßt ganze geographiſche Leitfänen und Lehrbücher. Es mwürbe 
ein Irrthum fein, anzunehmen, daß der Lehrer ausſchließlich worbocirend, 
vorlejend, vworerllärend an der Karte ftehen folle; nein, den Kindern ſoll 
der größere Theil der Arbeit zufallen. Erſt müflen fie Art und Gang der 
Kartenbenugung an Beifpielen gelernt haben; dann aber follen fie ſuchen, 
leſen, deuten, zufammenfaflen, und dabei vom Lehrer nur geleitet, ergänzt 
werben. (Ueber diefen Gang cf. den Päd. Yahresb. IX, ©. 221 ff.) 

Wenn gleih nicht ohne viel Berechtigung dem Gebrauch ber Reliefs 
tarten das Wort geredet wird, jo ift doch einerjeits die Vollsſchule nicht 
in der Lage, von diefen Empfehlungen ſonderlichen Nugen zu baben; fie 
hat feine derartigen Karten. Uebrigens den mifienfchaftlihen Werth guter 
Reliefs unangefochten gelafien, ift ihre Benutzung im praltiſchen Unterricht 
ganzer Klafjen von nur bevingtem Werth. Zum Beichauen aus ber 
Bogelperfpective find fie doch eigentlih gar nicht einmal beftimmt, 
ferner find fie mit ſehr feltenen Ausnahmen nad zweierlei Mapftab ge 
fertigt, von denen der für vertilale Erhebungen ftets höher ift als der 
für Horizontale Erfiredungen. Die Proportionen der Maße widerſpre⸗ 
hen deshalb in fi der Wirklichkeit, wenn fie mehfelsweife auf ein- 
ander bezogen werden. Somit liefern die Nelieflarten ein Doppelbild, 
welches bie Betrachtung wieder zu theilen fuchen muß. Yür die Erkennung 
ver Bodenplaftit find fie eine ungleich werthvollere Hülfe ald alle Plan⸗ 
karten fie dem Schüler gewähren lönnen, fie bebürfen aber immer noch ber - 
Anleitung zum genauen Herauserlennen deſſen, was fie enthalten, und was 
fie lehren wollen. 

Ein oft ftörender Umftand liegt bei den verfchiedenen zum Schulge⸗ 
brauch dargebotenen Karten in dem Mangel an Einheitlichkeit des 
Materials, weldes fie enthalten. Während man meinen follte, für die 
gleichen Bildungsbebürfnifie der Schulen ließe fih doch in Rüdſicht auf 
Art und Fülle viefes Materials vom päbdagogifhen Standpunkte aus 
eine Norm feftfiellen, welche zugleih der Einheitlichkeit des Unterrichts fürs 
derlich werben könnte, zeigt doch die Erfahrung im Gegentheil vie größte 
Mannigfaltigteit, jo daß alſo von einem übereinflimmenden Maß des 
Grforberlihen für die verſchiedenen Arten der Schule und der Bil: 


470 Geographie. 


dungaftufen der Schüler noch keine Neve if. Was wirb Alles für Volks⸗ 
ſchulen angepriejen, ganz ohne alle Berechnung von Zeit und Kraft, von 
Bepürfniß und erforderlihen Geldmitteln ! 

6. Die Tagsforderung, den Unterricht mehr zu vertiefen und m 
verlebendigen, hat das Augenmerk auf dazu dienlihe Wege und Mib 
tel gelentt. Beſchraͤnkung, Aflociation, Beherrihung des Etofis vermitteln 
bie Vertiefung. Die frifchere Belebung wird durch beflere Lehrmethode und 
liebjameres Singeben in die Eadye, vornehmlich aber in neuerer Zeit durch 
Slluftration erfirebt. Unzweifelhaft befundet es gefunden paͤdagogiſchen 
Takt, wenn mande fterile Parthien des Unterrihtsfloffs durch Hinzunahme 
geeigneter, erläuternder, anziehender Mittbeilungen den lindern etwas ges 
nießbarer gemacht werben. Viele tühtige Männer haben dieſe Aushülke 
längft in ihrer Praris benußt, und feit nah und nad Sammlungen folder 
erläuternden Mittbeilungen erfcbienen find, in glüdliher Mahl der Etofie 
und in anfprechender, finniger Darftellung, bat fi der Gedanke, den Un 
terriht intereffant zu machen, verallgemeinert. Weil es gilt, imere 
Anfhauungen voll Leben, Yarbenfriibe und möglichfter Raturwahrheit zu 
vermitteln, fo greift der Lehrer, fojern er fi felbft dazu nod nicht genng 
gerüftet ertennt, nad folden Hülfen, Sie können viel Frucht jchaffen, fie 
baben aud ihre Gefahr. Darauf kommt es im Unterriht nicht an, va} 
ein fteter geiftiger Nigel geübt werde, um den Appetit auf Neues wach zu 
erhalten. Vielmehr follen beftimmte Penfa gut gelehrt und feſt eingeprägt 
werden, und das kann dur den verjudlihen Neiz fhmudreiher Darfiel 
lungen leicht in den Hintergrund gedrängt werden. Bor nichts ift mehr 
ju warnen, als vor einer Art belletriftifcher Geographie mit bunten, 
oberflählihen, gebaltlofen Ausfbmüdungen, unter weldhen das wirllid 
geographiſche Intereſſe leer ausgeht. Wir brauden knappe, ftrenge Kof, 
melde der Jugend die Mühe des Lernens fühlbar macht und im Bewußb 
fein erhält, und das Amüfement überhaupt ausfchließt. Freuen foll fid die 
Jugend auch im Unterricht, aber nicht des Amüfements, fondern der Gewin: 
nung fefter Rejultate der Lernarbeit. Grquidende und verflärente 
Mittbeilungen follen nicht ganz verpönt fein, aber der Unterricht darf nid 
bloß Gewürz und Schmud darbieten. Nur ſparſam follen gut gewählte, 
gut d. h. klar, faßlich. erfriſchend gefchriebene Bilder an geeigneter Stelle 
vorgeführt und ohne fie zu zerpflüden, zum Vollgenuß überlafien werben. 
Das wirkt wie es foll; zu viel derartige Illuſtrationen find eben zu vid. 
Die Stimmen vieler einfihtsvollee Schulmänner haben derartige Ueber: 
ſchwenglichkeiten verurtbeilt, weil fie auf Abmege führen und den Ernſt der 
Sache verlümmern. Diefelben Stimmen reden aber. weilem Maßhalten unter 
Berüdlihtigung der gegebenen Bildungshöhe in dieſen Stüden einhellig 
das Mort. 

7. Für die Höheren geographifhen Lehrftufen wird das Bepürfnik 
und die Förderung als beredytigt anzuerfennen fein, daß ber Unterricht ſic 
gur Kultur geographie geftalten müfle. Für Volks⸗ und niedere Bär: 
gerſchulen ließen ſich Außerftens nur vereinzelte Brucftüde und grund 
legende Lehrabſchnitte zugefteben, welche kulturgeographiſcher Art wären 
Die Sache geht dieſen Schulen, wie ſie in den überwiegend meiften Urt 








Geographie. 471 


find, weit über ihre Kräfte — früher war in der weltkundlichen Zu: 
fammenfafjung der realen LUnterrichtsftoffe eine Art YAequivalent für vie 
nicht zu verfolgende Kulturgeographie verblieben. Es hat fidh aber ber 
Gedanle einer vollsfhulmägig georoneten Weltluhde mehr und mehr 
verflühtigt. Nur bie und da wird das Bebürfniß, der Zerftreuung und 
Ueberfchwänglichleit im Unterricht zu wehren, dadurch zu befriedigen geitrebt, 
dab man die Baterlandpstunde als die trefflihe Gelegenheit benußt, 
die manderlei weltkundlichen Elemente innerlih zufammen zu fließen, und 
mit den geographiſchen Berhältnifien das gefammte vaterländiihe Naturs 
leben in richtige Berbindung zu bringen. Jenſeits der Grenzen der Bas 
terlandskunde gehen dann die Wege der einzelnen Unterrichtsgebiete wieder 
auseinander, um Gelegenbeit zu grünblicherer Uinterweifung über biejelben 
geben zu können. Die Volksſchule ift jedoch felbiiverftändlih nicht in 
der Lage, die einzelnen Wege verfolgen zu können; fie bat fi auf bie 
Grundlagen zu beichränten, welche nahe genug liegen, um behandelt werben 
zu können, und inbaltreih genug find, um die vorhandene Kraft und Zeit 
vollauf in Anſpruch zu nehmen. 


ı 


Das Jahr 1856. 


1. Ein vollgültiges Zeugniß für das fort und fort überaus rege 
wiſſenſchaftliche Interefie an der Geogrophie gewähren die in ausge 
debnteftem Maße mit ganz erftaunlidem Aufwand von Kraft, Beit, Geld 
fortgefebten geographifhen Forſchungen und Studien über alle einjchlagen- 
den Verhältnifie und Grideinungen. Gin nit minder kräftiges Beugniß 
it aus dem Bemühen zu erkennen, die Refultate dieſer Anftrengungen in 
möglihft weiten Streife den Gebil deten zugänglich zu mahen. In ans 
ſprechenden, Iehrreihen Darftellungen, welche nicht kahl bin referiren, ſon⸗ 
dern aud dem denkenden Kopf Anlaß zu weiterem Eingehen und Sinnen 
geben, und ohne den Granit der Sache abzujhwäcden, doc durch die geiſt⸗ 
volle und anlodende Form deren Neiz zu verflärlen fuchen, breiten viele 
gute Schriften den neuen, interefianten Stoff vor jedermann aus. Sie 
befriedigen das Bildungsbedürfniß des Einen, und weden die Neigung des 
Andern, von dem Neuen Notiz zu nehmen. Dadurch ift das Intereſſe ges 
fteigert und verallgemeinert; es if bis in Schichten des Volks eingedrun= 
gen, in denen vormals Niemand daran dachte, fi mit fernen Laͤndern und 
Leuten jo eingehend zu befaſſen. Nun aber ſoll aub die Schule ſchon 
von früh auf ein ähnliches Intereſſe anregen, und durch georbneten geo⸗ 
graphiſchen Unterricht einen entſprechenden Schap bes Willens und eine 
genügende Befähigung erzielen, um nachmals vie erforberlihe Orientis 
rung in geographiſchen Dingen, welche das Berufsleben forbern möchte, zu 
erleihtern. Sehr nahe liegt es, daB aus fittlihen und praktiſchen 
Gründen von den Berftändigen nicht ſowohl ein Schweifen in’s Weite und 
Breite, Sondern ein liebjames, gründlidhes Gindringen in die vaterlän: 
diſchen Verbältnifie gemünfcht werden mußte So bat fih auch allmäh: 
Lig die allgemeine Ueberzeugung gebilvet, daß jelbft dem geringften Mann 
im Boll fein Vaterland befannt werden müſſe. Für die neuere Zeit 


412 Geographie. 


iR es Karakterifiidy, daß diefe Uecberzeugumg fo tief gewurzelt iR, ubwehl 

bisher die Schule vorzugsweile fehr allgemein wiſſenſchaſtliche Jutereſſen 
mehr als das nächſte Lebensbedürfniß beadhtet hatte. War doch bisher 
dem PVaterlande felten mehr wie jedem andern Lande Beachtung zugewenbet, 
ja eher weniger. Es mußte fo zu fagen für das Boll ganz neu entvedt 
werden, um es ihm doppelt lieb zu machen; es mußte auf feine Beſchrri⸗ 
bung mehr Fleiß und Sorgfalt verwendet werden; Leitfäden und Lehrbö⸗ 
cher gaben den Abſchnitten, welche vaterländiihe Räume und Berhältnifie 
berührten, ausgedehntere Berbältniffe; andere Schriften forgten für vie Bes 
frievigung des angeregten Bildungstriebs der reifenden und ber gereiften 
Jugend — nicht immer in völlig unbebentliher Weiſe —, und um bis 
zungen in's Blaue hinein zu verhüten war der Blid fe auf das Bebärk 
niß des praktiſchen Lebens gerichtet zu halten, um entiprechenbe Aufers 
derungen an den gesographiſchen Unterricht in den Volls⸗ und Bürgeridyu- 
len daraus berzuleiten. 

Diefe Momente waren Anlaß, im X. Jahrg. des Päd. Jahresb. ber 
neuften Rathſchläge zur Förderung des geographifchen Unterrichts und 
feiner Metbode zu gedenlen, auf die für die reifere Jugend und 
das Volk berehnete geographifche Literahır, auf die Feftftellung des prall: 
tifhen Berürfnifies bei dem geographiſchen Schulunterricht zu achten, und 
auf das beftehbende Verhaͤltniß des geographifhen Shulunterrichtes 
zur Diffenfhaft, wie zu den Anforderungen der neuen Pädagogil 
und Didaktik und des praktiſchen Lebens binzumeifen. 

2. Schwerlich lommt es noch vor, daß ein Lehrer die Nothwen: 
digkeit des geographifchen Unterrihts in der Bollsfhule befämpft; ob 
auch feiner mehr vorlommen mag, der ihn deſſenungeachtet in jeiner Schule 
dennoch aus irgend welchem binfälligen Grunde nicht ertheilt? Ziel, Weg, 
Hülfsmittel, — Alles ift befannt , felbfttändige Praris ift vollauf berech⸗ 
tigt und gewährt, — und dennoh! Wie oft verirrt ſich der Unterricht in 
bloßes Worts und Gedächtnißwerk, und verabfäumt das Nothwendigſie: 
die Anfhauung, die Mare, feitbegrenzte Orientirung in ber nächſten 
Nähe und in den am meiften dharalteriftiichden Gebieten, auf welde ſich 
der Vollsſchulunterricht beichränten muß. Diefe Anihauung kann in ben 
überwiegend meilten Fällen feine unmittelbare, concrete fein, für Bolls: 
f&hüler vollends nicht. Es wird darum von F. Wagner im Median: 
burgifhen Echulblatt empfohlen, Abbildungen durch Banoramen: 
Bläfer in ver Schule befehen zu laſſen, um einen Erſatz zu gewinnen. 
Beitraubend und ftörend wird ein derartiges Bilderbeſehen ohne Zweiſel 
werden, aber ohne Nuben ift es nit: ja es kann vielen Kindern weit 
erfprießlicher fein als das Anhören der mündlich gegebenen ober ber vor: 
gelejenen Eharalterbilder. Alleinige Hülfe gewährt es allerdings auch nicht. 
Selbſt bei Erwachſenen ift das Rejultat alles Lefens, Hörens, Bilderbe 
fhbauens, aller Eharaktergemälvde u. |. w. nicht felten recht Tpärlich und 
ungewiß, wie viel mehr bei Kindern! — 

3. Un der Unſicherheit ber Nefultate des geographiichen Unterrichts 
ift nicht felten die Blanlofigkeit deſſelben Schuld. Der wirklich durch 
zunehmende Stoff if} vorher nicht gehörig bemefien und beicränft, Hinten 








Geographie. 473 


ber nicht weiter erwogen; ber Willkür ift Spielraum gelafien. Cs ift nicht 
ganz unwahrfcheinlid, daß eine Verkennung der Abjicht bei der vorſchrifts⸗ 
mäßigen Benußung des Vollsfhullefebuhs zum geographiihen Un: 
terricht dieſe Planlofigleit mit herbeigeführt hat; und doch kann der Werth 
eines feften, guten Plans und die firicte Beachtung deſſelben nicht in Ab» 
rede geftellt werben. In einem ſolchen Plane können weder bloße ftelets 
artige Notizen und Tabellen, nod jene unbemefjenen und ungeprüften Merk: 
würbigleiten aus allen Wiſſens⸗ und Lebensbereihen eine berechtigte Stelle 
finden: weder bloßes tobtes Knochenwerk, noch ungeſalzener Miſchmaſch 
ohne feften, foliven Gehalt. Und die Schullarten find ähnlicherweife dem 
Plane anzupafien: ihr Werth liegt weder in großer Fülle noch in großer 
Kargheit des dargeftellten Materials, fondern in der glüdlihen Gombination 
eines haralteriftiihen Gefammtbildes, in der Anfchaulichleit, Deutlichkeit 
und Weberfihtlichkeit, womit gar oft fachliche Gediegenheit jehr wohl zu ver: 
einen if. Über in allen Stüden iſt's do der Lehrer felbft, auf den 
ed anlommt. Der rechte Mann ſchafft auh mit unvolllonnmenen Plänen 
und Mitteln noch etwas Befriedigendee. Daß er e3 nirgends auf ein 
Spyitem in feinem Volksſchulunterrichte anzulegen habe, bedarf feiner wies 
derholten Erwähnung, es verſteht fih von jelbit. 

Zus, früher Seminarlehrer, empfahl auf feinen 5 Stufen des gen: 
graphiſchen Unterrichts (engeres Vaterland, Deutjchland, Europa, die übri- 
gen Grotheile, die Erde im Berhältnig zur Welt), im Anſchluß an das 
Leſebuch nur eine mäßige Anzahl georbneter Haupt parthien durchzu⸗ 
nehmen, und alle minutiöfen Ausführungen und unergiebigen Notizen weg⸗ 
zulafien. (Selbft Angaben der Grenzen, Größen, Bemwohnerzahlen u. dgl. 
bei Kleinftaaten will er geftrihen wiſſen.) inzelne größere Bilder, welche 
beim engern Vaterland fi über die beveutfamften Bezirke, bei Deutſch⸗ 
(and über größere dharakteriftiihe Streden, bei den Erdtheilen über 
noch umfafiendere Bereiche ausdehnen follen, verbunden mit Cinzelgemälvden 
aus dem Pölferleben, find die Säulen, welche alles übrige Material tragen 
jollen. In mie weit dazu das Leſebuch benugt werden kann, hängt von 
defien wohl beredhnetem Inhalt ab. Es wird aber beiten Falls recht um: 
fichtiger Vorbereitung auf folhe Bilder bepürfen, wenn fie ihres Zweds 
nicht verfeblen jollen. Zu der ſachlichen Erwägung muß aud die ent: 
ſprechende Zeitbemefiung binzutreten, damit der Lehrer haushälteriſch zu 
Merle geben und zu einem erwünſchten Abihluß gelangen kann. Der 
legtern Forderung bat der jegige Schulratb Bod zu entſprechen geſucht 
(„Schulblatt der ewangel. Seminare Schleſiens“ 1856, 1. Heft), indem er 
zugleih Werth darauf legt, daß der Unterrihtsplan im Leſebuch jelbft fchon 
porgezeichnet werde. 

Bon befonderm Werth für einen wirklih pädagogiſch wohl begründe: 
ten und Mar durchdachten Plan für den geographifhen Unterridt find bie 
Ausführungen, melde Dr. Stößner in Annaberg in feinen „Glemen: 
ten der Geographie in Karten und Zert gegeben hat. Seine 
3 Heinen, einander concentrifh umfaſſenden Atlanten, worin Tert und Far: 
tenbild genau gleihen Schritt halten, find jo angelegt, daß die Karten 
buch rothen und ſchwarzen Drud das Neuhinzulommende von dem 


274 Geographie. 


Frühern fofort für's Auge kenntlich unterfheiden Laffen, während im Tert 
das Neue in ftärferem Drud bervortritt. Im Interefie des Sch nl bevürk 
niffes find die Karten fehr einfach gehalten, fo daß fie auch wohl nadıge 
geihnet werben könnten, und der Terxt ift fehr Inapp umb präcis auf das 
Mefentlihfte aus allen drei Gebieten der Geographie beihräntt. Dennoh 
können Volks ſchulen dies Material nicht bewältigen. Ihre Lehrer jedoch 
koͤnnen viel daran lernen. 

4. Mit ven veränderten Anforderungen der neueren Seit bat bie 


° felhfftändige Behandlung jedes einzelnen realen Unterrichtsgebiet? auch m 


der Boltsihule nicht zufammenftimmen können; es war jene aufzugeben, 
um im Real-Unterrichte beftimmten Tendenzen zur Förderung der ſprach⸗ 
lihen, welttundliden, vaterländifchen und kirchlichen Ent 
widelung der Volksjugend Plab zu maden. So viel es die Natur der 
Sache mit fih bringt, fol Alles, was in der Schule gelehrt und gebt 
wird, den Snterefien diefer Entwidelung in den bezeichneten Richtungen 
dienftbar gemadt werben. Auch im geographiſchen Unterricht gibt es reich 
ih Veranlaſſung und Gelegenheit, zunähft ſprachliche Bildung fördern 
zu helfen. Warum follte in unebler, unlogifher Sprachweiſe gefragt, warum 
follte ungenau, lodderig, unbeholfen geantwortet werben dürfen? Es ifl 
feine Spur von Grund zu der Annahme vorhanden, daß die Geographie 
allerlei Nadläffigleiten in der Darftellung, Beſchreibung, Begriffebeftim: 
mung geftatte; im Gegentheil, fie duldet dergleichen nicht, fondern verlangt 
Sorgfalt, Genauigteit, Ganzheit, Klarheit. Und gerabe hierin kann den Kin: 
dern das Schulleſebuch zu Hülfe fommen, indem es ſolche Leitungen enthält. 
Der geograpbifhe Zwed wird nicht nur nicht beeinträchtigt, wenn der Un: 
terriht ſprachlich correct und gut fih abmwidelt, er wirb vielmehr um fo 
fiherer erreicht. 


Aehnlich verhält es fih mit der Förderung weltlundlidher und 
vaterlänpifher Interefien. Jene können jeit längft als jelbftwerftänd- 
ih angejehen werden; dieſe find es in den neueren Zeiten in hervor: 
zagender Art, mworein die gefammte Voltsbildung einmündet. Jeder foll das 
Vaterland gründlich kennen, um es, dann recht vollbemußt lieben zu lernen, 
ber gemeine Mann im Volt nicht minder als ber gebilvete, jedoch ein jeg⸗ 
liher nad den Verhältnifien feiner übrigen geifligen Cntwidelung. Kos 
mopolitijche Liebhabereien, welche Alles nivelliren, haben in der Volksschule 
teinerlei berechtigten Boden; das Baterland gehört in’s Centrum der 
Bollsihulbildung. Seine äußern, räumlihen und feine innern Lebens 
verhältniffe, ſoweit fie Kindern zugänglich zu maden find, follen friſch und 
lebendig beſchrieben und gefchildert werden, mehr als alles nicht Bater 
laͤndiſche; und auch bei Beiprehung bes letztern kann ſich der vaterländijde 
Geſichtspunkt Geltung verfhaffen. Zwar ift befremdlicher Weiſe unfere geo 
graphiſche Literatur nicht ſonderlich reih an Schriften, welde dem Raten 
lande jo recht zu Ehren helfen ; doch herrſcht auch kein hemmenvder Mangel. 
Der Pädagog. Jahresbericht weit geeignete Bücher nad. 


5. Am menigiten feinen kirchliche Intereſſen durch ben geogro⸗ 
phiſchen Unterricht gefördert werben zu können. Wirb aber erwogen, daß 








Geographie. 475 


die Jugend in chriftliher Geſinnung erzogen, in chriſtlichem Geifte unter 
richtet werden foll, jo kann aud die Geographie der Mithülfe dabei nicht 
verweigert werden. Eine Gelegenheit ift ihr u. A. durch Beachtung der evans 
geliihen Miffionen in außereuropäifchen Ländern gegeben. Da es uns» 
zuträgli ift, dieſe Länder in ihren geographifhen Beziehungen fo fpeciell 
beim Volbsſchulunterrichte zu behandeln, als fie es an ſich wohl vers 
bienten, jo ift, wenn fie überhaupt in einer der Volksſchule nahe liegenden 
Rüdfiht beachtet werden follen, doch durch die Hinweifung auf das evan⸗ 
geliſche Miſſionsweſen am ebeften eine dem religiöfen Stindesleben entfpres 
ende Eeite zu erfaflen. Cs muß als empfehlenswertb erachtet werben, 
vor allen andern das Augenmerk der evangelifhen Volksſchüler auf die Los 
cale in fremden Erdtheilen binzulenten, die im Mijfionsleben Bedeutung 
haben ; denn unmöglich kann die Volksſchule dem Miffionsleben fremd blei: 
ben wollen und follen. Daß Mißgriffe und Verirrungen hierbei vorlom: 
men mögen, ſei's aus übergroßem, unklarem Eifer, ſei's aus Unfenntniß, iſt 
zugugeben ; der Mifbraud hebt befanntlih den richtigen Gebrauch nicht 
auf. Ueberſchwänglichkeiten, Verzettelung des Unterrichts⸗Intereſſes, bewußt: 
gemachte Ungeheuerlichleiten bei Nachweiſen des Heidenelends u. dergl. find 
eben nicht der gefunde Zufland des Unterrichts. 

6. Unzweifelhaft befteht für die reifere Jugend und das Volk ein 
Bebürfniß, von den Ergebniffen der geographifchen Arbeiten unjerer Meifter 
ihrentheils entfprehenden Nußen zu ziehen. Man intereffirt fi für das 
Zheater der Welt: und Tagsbegebenheiten in allen Volksſchichten überaus 
lebhaft, und mill über daſſelbe unterrichtet fein, — bisweilen wenigſtens 
unterritet zu fein ſcheinen. Daher das Lefen geeigneter einfchlagender 
Bücher, Zeitſchriften u. dgl. weit und breit. Menn gründlide Sad» 
tenntniß, edle Darftellung, chriſtlich-vaterländiſche Hals 
tung und Auffaſſung dergleihen Schriften beimohnen, dann ift ſolche 
Lectüre nur zu empfehlen. Gelehrten Anftrihs, picanter, geiftreich fprubelns 
der Sprache, namentlih aber gefunder Ueberſchwaͤnglichkeiten und Forcirt⸗ 
beiten im Chriftentbum und im Patriotigmus bedarf es nicht nur nicht, 
fondern dieſe Eigenſchaften ftellen den Werth alsbald in Frage. In der 
Regel find ſolche Schriften compilatorifcye Arbeiten, entlehnt, etwas umge: 
Raltet und dem vorausgefegten Bedürfniß angepaßt. Das ift an fi kein 
Fehler; es gibt recht treffliche, auf diefe Weife entitandene Bücher für den 
beregten Bmed. Neben venfelben jedoch auch eine faft noch größere Zahl 
theils mattberziger, blaſſer, theils mit vilettirendem Nippen und Naſchen an 
allerlei Effect machenden Schilverungen ſchöngeiſtig gejchriebener Bücher, zu: 
fammengetragener Neuigleiten, wodurch lediglich der Geldſpeculation, nicht 
aber dem paͤdagogiſchen Intereſſe gebient werden fol und kann. Ja mande 
derfelben arbeiten dem platteften Materialiemus in die Hände, und ridten 
durh Förderung naturaliftiicher Weltanihauung in der Jugend und im 
Bolt großen Schaden an, indem fie im Grunde genommen zu troftlofer 
Geiftesöde führen, obwohl fie mit oft nicht geringem buntfarbigften, pridelnd- 
fen Wortgepränge viel Geift zu fprudeln fcheinen. Unter dem Zitel „geos 
graphiſcher Bilder” ift manch entbebrliches, manch gefährlihes Buch ange: 
priefen ; man muß deshalb das prüfende Auge dafür offen behalten, Der 





476 Geographie. 


Jugend gönne man gute gengraphifche Erholungs⸗Lectüre, aber geographiſche 
Bilder, worin man folhe Erholung zu fuchen pflegt, müflen dennoch and 
tücdhtigen Kern haben und zum Nachbenten anreizen. 


Für den Schul gebrauch find ſolche Bilder noch mit erhöhter Sorg⸗ 
falt zu prüfen, ob fie nah Stoff, Form, Geift und Tendenz den Schul: 
zweden entſprechen; denn nicht alle Lehrer können ſich aus gediegenen Wer: 
ten erft den probehaltigen Stoff zufammentragen und für den Schulgebrauch 
erneut zurichten. Ohnehin ginge damit meiftens der originale Duft ver: 
foren, worin gerade eines der erfriſchendſten Momente folder Bilder zu 
finden ift. 


7. Die Volksſchule bat auch beim geographifhen Unterricht das 
praktiſche Leben und feine Bebürfniffie im Auge zu behalten. An 
fih ift diefer Unterricht wiffenfhaftliher Natur. Während höhere 
Schulen ſich in der Lage befinden, dieje Natur direct für ihre Bildungs: 
jwede auszubeuten, muß die Bürger: und Volksſchule davon abjehen. 
Die Volksſchule ſoll fih vorerft auf die Baterlandstunde bejchränten, 
dieſe braucht das Volt im Leben zunächſt und am meiften. Die unent: 
behrlichſten Kenntnifie, erworben durd Erläuterung der Schulleſebuch⸗ 
Abſchnitte und durch zwedmäßigen Kartengebrauch, find die mohlmeislid 
bemefiene Aufgabe ver Boltsfhule Damit iſt viel, ja in nit went 
gen Fällen ſchon weit mehr geforbert, ala thatſächlich bei treuem Lehrer: 
fleiß und anerkanntem Gefhid geleiftet wird. Thöricht wäre es, mehr for- 
dern und namentlih erwarten, der Vollsſchüler werde nahmals von jeltft 
dur das Leben das Baterland ſchon kennen lernen, die Echule müſſe ihn 
in’s Weite führen, um jeinen Blid zu entjefieln. Die Erfahrung lehrt das 
Segentbeil. — Bürgerfhulen können und follen mehr leiften, fie haben 
dazu mehr Kräfte, mehr Zeit, mehr Mittel, auch meift mehr vorbereitet: 
Rinder. 


Soll der geographifhe Schulunterriht dem Bebürfniß des prals 
tifhen Lebens entiprehen, fo darf er kein bloße Gedaͤchtnißwerk je, 
fondern muß die geiftigen Kräfte dergeftalt üben, dab ein beftimm: 
ter Fond von Kenntniſſen erworben werde, welche im fpätern pral 
tiſchen Leben fihere Verwerthung finden. Bloße formale geiftige Kraft 
übung genügt nicht allein, auch das, woran fie vorgenommen wird, muß 
an fih und für das Leben bebeutfam fein. Weber der Begeifterung für 
reine Geographie — mie man es nannte — war von neuern Methor 
dikern allerdings die Tendenz für bie Lebenspraris verabjäumt. Insbeſon— 
dere war ber jogenannten politijhen Geographie faft alle Beachtung 
eine Zeitlang verjagt. Damit war über das Hiel hinausgeſchoſſen. Staa 
ten, Städte, Häfen, Handelöwege u. dgl. gehören doch auch mit zur Geo 
graphie ; gerade der Bürgersmann hat darin ein ganz naheliegendes In 
terefie für feinen ganzen Arbeits: und Handelsverkehr. Das zu erwerbende 
geographiſche Wifien muß deshalb der Wirklichkeit angepakt und für 
den realen Gebrauch bemefien werden; nichts Todtes, Unfrudtbares, 
fondern friſches, farbiges Leben, dem man es abmerft, daß man es gebraw 
hen Tann, und dazu tüchtige, gäbe Ginübung und Bejeftigung defien, was 











Geographie. 471 


als umverlierbared Gigentbum in’s praltiihe Leben mitgenommen wer: 
den foll. 

Es bedarf faum der Grinnerung, dab die vorhin erwähnte Beachtung 
bejonderer Tendenzen ganz eigens mit dem praktiſchen Lebensbedürfniß zus 
Sammentrifit ; lebteres ift der Anlaß, welcher jene herbeigeführt bat. 

8. Was endlih das gegenwärtige Verhältniß des geograpbifchen 
Schulunterrihts zur Wiſſenſchaft, zur Pädagogil und zum bür— 
gerlihen Leben anbetrifit, jo liefert zwar die Wiſſenſchaft immer noch 
das Material, die Pädagogik regelt die Wege der bildenden Verwendung 
defjelben und das bürgerliche Leben zeigt die praftiihen Biele; aber in ben 
niedern Schulkreiſen haben fi Utilitäts-Beftrebungen vorgebrängt, wie nie 
früher. Unverlennbar ift von der Schularbeit bis zur Löjung der idealen 
Aufgabe der allumfafienden geographiſchen Wiſſenſchaft ein gar großer Abs 
ftand. Keine Eule füllt die Kluft zwiſchen beiden aus, felbft die Ge 
lebrtenfchule niht. Nur das Streben kann es alfo fein, deſſen Berech⸗ 
tigung in Frage kommt. In der Volksſchule iſt ſelbſtredend alles wiſ⸗ 
ſenſchaftliche Streben volllommen unberedtigt ; in der Bürgerſchule 
bat man fih vor irriger Leitung diejes Strebens in Acht zu nehmen, 
Ein idealer Hochflug iſt ein eitler Zraum in diefen Schulen. Man wird 
einen hübſchen Schatz von geographifhen Kenntnifjen vermitteln können ; 
aber die Löjung diefer Aufgabe ift an die Bedingung gelnüpft, daß nicht 
in's Maßloje hinein eine überſchwängliche Fülle topifchen, phyſiſchen, polis 
tifcheftatiftiichen Materials aufgehäuft und dem Gedächtniß eingetrieben werde, 
Es muß ja mandes von diefem Material durchaus eingeprägt werden, aber 
vor Allem kemmt es doch auf Erſchließung des Verſtändniſſes, auf 
Ginblide in den Zufammenhang an. Der wiſſenſchaftlich gute geographijche 
Unterricht wählt fein Material nad dem Kriterium der Geeignetheit zu 
gründliher und ſachentſprechender Belehrung über die wirklichen Erbverhält: 
nijle im Ganzen und Einzelnen. Gr ſcheidet kurzweiligen Ballaft aus, 
orbnet den Stoff nad Stufen und beftimmten in der Sache gegebenen Ka⸗ 
tegorien, gebt ihn erft gejondert, dann comparativ dur ‚und faßt endlich 
das Ganze in wiſſenſchaftlichem Geifte zufammen. Der nicht wiſſenſchaft⸗ 
liche hält weder dieſe Ordnung, noch dieſe Behandlungsweiſe feit; feine 
vergleihende Betrachtung pflegt ſich höchſtens auf räumliche Lagens, 
Großen⸗, Gliederungs⸗, Bewaͤſſerungs⸗ u. |. w. Verhaͤltniſſe zweier gegen⸗ 
übergeftellten Erdlocale einzulaſſen, während der wiſſenſchaftliche Unterricht 
auf jeder einzelnen Erpftelle die gegebenen Naturbedingungen mit dem 
fattiſchen Beitand der daraus entwidelten Natur: und Menfchenverhältnifie 
vergleihend zujammenhält. Niedere Schulen können und follen das nicht; 
fie haben genug mit der Betrachtung der vaterländifhen geographifchen 
Verhaͤltniſſe und der ſchlichteſten Art ihrer Vergleihung zu thun. Schon 
dabei behalten fie glüdliherweie keine Zeit zu dem Lernen der vielen dem 
fchnellen Vergejien anheimfallenden Merkwürbigleiten, die viele Bücher zu 
fernen vorjhreiben möchten. — Gegen die erften Jahrzehnte gehalten, 
welche der regen Begeifterung für Umgeftaltung des Unterrichtöwejens im 
Peſialozzi'ſchen Sinne die reihfte Nahrung gaben, ift die paͤdagogiſche 
Bedeutſamkeit des geographiſchen Unterrihts nachmals ſehr merklich zurüds 


478 Geographie. 


getreten. Aber fie ift nicht nur nicht völlig erlofhen, fonvern hat jegt 
zwar in bejhräntterm Umfang aber um fo fiherer au für die einfachſten 
Volksſchulen ihr befeftigtes Necht gewonnen. Auch diefer ift in der Ba: 
terlandslunmde ein in der That reiches und dankbares Gebiet überwie 
fen, worauf fie felbft noch durch das Lejebud planmäßig heimiſch gemacht 
werden foll. 

Auf diefem Felde und etwa noch auf dem Gebiete der Geographie 
des heiligen Landes fann fie fih nun pflegfamer Ausbeutung des 
Stofjs zum Frommen der jchlihten Volksſchüler bingeben, Nachdenken 
und Urtbeil weden, das Gemüth befruchten und fo die bemußtoolle Liebe 
zum Baterlande nähren und ftärten, welche nachmals das Bolt ſchmüden 
fol. Daß der Unterriht nit in formalen Webungen des Geiftes ver 
laufen, fondern allen Ständen und Schichten auch materielle Kenntnifie 
zuführen müfle, wie das Bedürfniß des bürgerlihen Lebens es erfordert, 
ift bereit oben angedeutet. Es mwird daburd dem materiellen, ed wird jebod 
auch dem fittliben Leben dadurch gedient. Was zur Erzeugung des Be: 
wußtſeins von der Gemeinjamleit der urfprünglichiten Lebenselemente unjers 
Volks mithilft, ift überall von Bedeutung. Wo ferner locale Umftände 
greifbar nahen Einfluß auf Verhältnifie des focialen Lebens ausüben, melde 
in weiterm Umfange wichtig werben, da liegt ed ganz im Intereſſe dieſes 
Lebens, dergleihen Orte und ihre befonvern geographiſchen Umftände aud 
zu lehren und zu lernen. Ueberall richtet ſich die Jetztzeit auf Beachtung 
gegebener Berhältnifie und dadurch herporgerufener wirklicher Berürf 
nifle des praltifchen Lebens. Wer Blid für Wirklichkeiten bat, extennt 
auch die Nothwendigleit der Berüdfichtigung derjelben im Volklsſchul⸗ 
unterricht. 


Das Zabı 1857, 


1. Obwohl die Zeit als abgefchlofien anzufehen ift, in welcher mit 
befonderm Eifer nad guten, probehaltigen Methoden für die einzelnen 
Unterrichtözweige geſucht wurde, jo hat fie doc ihre unverächtliche Frucht 
getragen, die um fo weniger zu unterfchäßen ift, als fie die jebige Ent⸗ 
widelung der Unterritsthätigleit bervorgebradht hat. Es hat Mühe und 
Arbeit geloftet, auch für den geographiſchen Unterricht bildende Methoden 
aufzufinden und fie Jahre lang praltifh zu erproben; man wird fi vor 
ber Geringahtung der Methode hüten müflen, fonft könnte der überwundene 
Mechanismus des Verfahrens wiederkehren. 

Der Jahrgang 1857 des Pädag. Yahresberihts erinnert an einige 
methodiſche Vorjhläge, gedenlt dann der Beugnifle für den Sammel 
fleiß in der geographifdhen Literatur, ferner der nöthigen Kritik des 
Unterrichtö: Materials, ferner des Widerftreit3 der Doppelinterefien Wiffen: 
fhaftlihleit und Gemüthlichkeit im Unterricht unter Hinweis auf 
Jlluftration befjelben, und endlich weift er auf die verhältnikmäßig ge 
singe Pflege der phyſiſchen und mathematiſchen Geographie. 








Geographie. 479 


Als Anhang find noch die Kartennetze und ihre Verwendung zum Kar⸗ 
tenzeichnen in der Schule berührt. 

2. Als die Fee der Concentration bes Unterrichts vor einigen 
Jahren auftaudte und mannichfady ventilirt wurde, namentlih von C. Vol⸗ 
ter im „ſüddeutſchen Schulboten”, war dieſelbe auch im „Schulblatt der 
evangeliihen Seminare Schlefiens” zur Beiprehung gebracht. Der das 
malige Director Jungllaaß in Steinau, jeßt Schulrath in Bromberg, hatte 
fie zuerſt jo aufgefaßt, daß der Religionsunterricht mit dem geographiichen, 
geſchichtlichen und naturkundliden Unterrite zu Einem Ganzen verarbeis 
tet werben ſollten. Es war zu erwarten, daß dieſe Auffafjung feinen Bo⸗ 
den in der Praxis gewinnen würde, und fie ift deshalb auch bald aufges 
geben worden. Dafür wurde auf Einheit des Grundtons im gefammten 
Unterrichte bingewiefen. Nüdfihtlih der Geographie wurde auf Voll: 
ftändigleit überall verzichtet, fogar in Beziehung auf die Vaterlandg: 
kunde. Nur Lebensbilder, melde im Unterriht zu allmäliger 
Entfaltung kommen follten, („erft Gebirge allein, dann Flüffe allein, dann 
beide verbunden, dann weiter die Landestheile und Städte erſt für fich, dem» 
nächſt mit den Flüſſen und dann mit Zlüffen und Gebirgen verbunden“), 
blieben ald Aufgabe befteben, und die Forderungen auch dafür traten fehr 
vereinfadht auf. 

8. Solchen LXebensbilvern, d. h. abgerundeten, naturgetreuen Lands 
ſchaftsbildern, redete ſchon früher auch das Walvded’ihe „Schulblatt”“ das 
Wort, und ging mit der Yorderung alljeitiger Vollendung berfels 
ben in allen möglichen Beziehungen und tiefer geiftiger Crfafjung 
flugs weit über das Volksſchulziel hinaus, Aehnlich geſchah es mit 
der Forderung vorzugsweiſer Beachtung der topiihen und phufiichen 
Verhaͤltniſſe und mit der Yorderung recht concreter culturgeographifcher 
Eharalterbilder (mit Weglafjung eingelegter gejhichtliher Skizzen), deren 
lebendige Schilderung die Einbildungstraft vornehmlich bejhäftigen müſſe. 
Sehr richtig wurde innige und finnige Naturbetrahtung empfohlen, 
vom verfrühten Kartengebrauch abgeratben, ſcharfe Markirung, fowie 
gehörige Cinirbung der Zagspenfa für nöthig erachtet. Statt des uns 
zwedmäßig gefundenen bloßen Bortrags follte eine friſche, zur Selbſt⸗ 
thätigleit antreibende Unterhaltung als Unterrichtsform angewendet 
werben. 

Auch die Löw'ſche „Paͤdagogiſche Monatsſchrift“ trat für den Gebrauch 
geographiiher Charakterbilder in die Schranken, um dadurch zu einer 
unerläßliben Beihränlung und zur natürlichseinheitlichen, organiihen Ders 
Enüpfung bes geographifhen Lehrftoffs zu gelangen. Unter Berwerfung ber 
in den meift nicht „lesbaren“ Leitfäden und Lehrbüchern aufgefpeicherten 
„ungebeuern Stofihaufen‘, der Vereinzelung an ſich zujammengehöriger 
Glieder, der Ueberbürbung mit Definitionen und aller „Miſchmaſch“ Geos 
graphie, in welder alles Erdenkliche „verkoppelt“ werbe, wird ſtrenge Abs 
wägung, Eingrenzung und natürlicher organiſcher Zuſammenhang des lehr⸗ 
baren Stofjs, und ſinnige Vergleihung des wirklich geographiſch Ins 
terefie Erwedenden angerathen. Das Zuviel verwirrt. Statt aller Zw 








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Geographie. 481 


Die Gegenreve gegen Lüdde richtete ſich vorzugsweife auf die in ber 
Braris ded elementaren mathematifch »geographifchen Unterrichts bes 
währte Weiſe, durch forgfältige Entwidelung der ſcheinbaren Berhält: 
nifie die wirklichen zum richtigen Berftänpniß zu bringen. Es gilt erſt 
die Grfheinungen kennen zu I ‚ nicht aber fofort das fertige Sys 
ſtem zu octroyiren. Die richtige Einſicht in die Wahrbeit der Verhältnifie 
wird durch Ableitung der lebtern aus den Grölärungen nur aufgehalten ; 
ber Weg des Selbftfindens ift der ficher überzeugende und erfolgreiche, das 
Veberliefern fertiger Refultate führt zu tobter Gelehrſamkeit. 

Bernau genommen trifft eine ſolche Gegenteve den Dr. Lüdde nicht, 
weil er gar nicht von der erfien, elementaren Ginführung in bie 
Geographie handelt, fondern dieſe in einen Borbereitungscurs verweift, wel⸗ 
cher der ſyſtematiſchen Behandlung vorhergehen ſolle. Yür die eles 
mentare Einführung in bie mathematifche Geographie ift der Weg durch 
die Erfheinungen zur Wirklichleit der naturentfprechenpfte. 

5. €. Wetzel betont für die Ertheilung des mathematiſch⸗ geographis 
fhen Unterrichts mit befonderem Nahprud, daß nicht mit Modellen und 
Zeichnungen, fondern mit der wirklichen Anfhauung begonnen wer 
den müſſe. Was fih der unmittelbaren Anſchauung entzieht, kann 
nur durch Anſchluß an Belanntes auf dem Wege der Induction vor die 
Seele des Kindes geführt werben. Erft nad Entwidelung der Sade foll 
dann deren Grläuterung durh Zeihnungen u. f. w. folgen. Für Ans 
fänger ift die dur Beginn mit der Wirklicleit ihnen zugemutbete Abftracs 
tion aber jedenfalls zu ſchwer, deshalb kann diefe niht an ben Anfang 
geftellt werben. Zuerſt ift die Erkennung des Scheins das Nothwendige. 

6. 2. Rudolph tritt befonders für die größere unterrichtliche Pflege 
ver phyſiſchen Geographie auf. So lange die mathematische Geographie 
im Zuſammenhange nur den obern Klaſſen überwiefen werben müfle, bie 
politiide aber erft dann den Schülern beveutjam werden könne, wenn ber 
Geſchichtsunterricht das Verſtändniß dafür genugfam vorbereitet habe; fo 
lange folle die phyſi ſche Geographie in den Vordergrund treten, um ben 
organiſchen Zuſammenhang aller natürliden Groverhältniffe zu erjchließen. 
Nudolph findet mit Recht an den bloßen Oberflähenformen, Wafler: 
foftemen u. ſ. w. fein Oenüge, noch weniger an bloßen Namen Anfüb- 
rungen von Producten; er dringt auf lebendige Bilder von den Erd⸗ 
räumen, und redet inſonders ber fleißigen Beachtung der Pflanzengeor 
grapbie das Wort, wobei er alles philoſophiſche Phantafiren und alles 
Aeſthetiſiren entſchieden abwehrt, — mit vollftiem Recht. 

- 7. Die eminenten Fortfchritte, weldye die ununterbrochen weiter drins 
genden Forſchungen und die wiſſenſchaftliche Durcharbeitung ihrer Reſultate 
machen, bringen es mit fi, daß auch der ernftefte, jelbftftändigfte Autor und 
Zebrer fih auf das Sammeln deſſen, was andere vor und neben ihm ers 
kannt und errungen haben, einlafien muß. Man bedarf ber concreten Baſis, 
um weiter zu bauen, und diefe kann nur aus dem reihen Material gewon⸗ 
nen werben, das ringsum zujanmengetragen wird. Un und für fi iſt 
der Sammelfleiß durchaus unveraͤchtlich; aber wenn er, flatt mit einer. 
fruchtbaren, objectiven PBlanmäßigleit gepaart zu fein, von rein ſub⸗ 

Bar. Jahreabeticht. XVUL 31 








482 Geographie, 


jectivem Dilettantismns geleitet wird, daun if bie päbagogiiäe 
Gefahr der Abirrung in bloße Befriedigung des wechſelnden Amüſements 
ſehr nahe gerüdt, Leider hat die neuere geographiiche Literatur eine wahre 
Fluth von ſehr unfoliven Productiomen zu Tage gefördert, welche nur auf 
Nippen und Naſchen, oder auf Weberreizung der jugendlichen Phantafie, 
auf Mebertreibungen und Schieſheiten berauslaufen, und nicht nur Teime 
Empfehlung jondern Abwehr verdienen. Der mit den Forſchungen Schritt 
baltende Sammelfleiß, wie er in den „Mittheilungen aus ber Perthes ſchen 
geographiſchen Anſtalt“ von Jahr zu Jahr reicher und umfaflenber ent 
egentritt, oder wie man ihm in den beften unferer größeren geographiſchen 

ehr: und Handbücher begegnet, ift alles Anerkennung werth. Auch ber 
Flejß ift nicht unberechtigt, welcher fih auf Ueberarbeitung und Gruppirung 
des ftteng wilignf&aftlihen Stofis für bie gebilveten Kreife verlegt, die nicht 
Mube haben, ver Wiſſenſchaft in ihren mühſamen Bahnen zu folgen, aber 
doch an deren Refultaten Interefie nehmen. Dagegen jenes Zurehhtmachen 
geographiſcher Lectüre und Belehrungen, das durch ein vorgeblihes Bil⸗ 
dungsbebürfuiß der jugend fich legitimiren möchte, im Grunde aber zur 
auf .Speculation beruht und nach der Befriedigung eines ſolchen Bebürf 
niljes, oder nach der Gefährbung der Jugenbbilpung gar nicht fragt, iR 
mehr als beventlih. Es verftedt ſich binter allerlei Aushaͤngeſchilder für 
die Schuljugend, die reifere Jugend, die Gebilveten aller Etände, Schule 
und Haus u, dgl, und nannte diefe Productionen „Bilder“, weil die Leh⸗ 
ter, um bem Unterrichte die alten Feſſeln des todten mechaniſchen Namens 
und Zahlenweſens abzuftreifen, Leben und concrete Anjhauung an bes 
ren Stelle bringen wollten. Bilder werben nun einmal verlangt, und es 
gibt deren, von guter Hand bearbeitet und mit päbagogiihem Tact zu 
fammengeftellt, recht werthvolle. Uber vieles, was fi unter dieſem Ra- 
men anpreift, iR bedenkliche Marktwaare, weil ihm der tüchtige ſachliche Ges 
balt abgeht, und weil diefer Mangel unter allerlei blendender Hülle von 
Wortſchmud und fertiger Illuſtration, wie bei vielen Jugendſchriſten, ver 
dedt wird. Ueberdies ift die pädagogiſche Rüdfiht bei folder Zabril- 
arbeif gerade die am wenigften beachtete, während fie dem Lehrer am hoöch⸗ 
ften ſtehen muß. Der Lehrer braucht nur wenige, aber gute, ſachlich treue, 
in der Darftellung Mare, friſche und. doch wohl verftändliche Bilder für den 
Unterriht ; denn neben denſelben hat er Vieles zum unverlierbaren Gigen 
thum der Kinder zu maden, und das koſtet Mühe und viel Zeit, 

8. Lehrmethode, Lehrform, Unterrichtsmaterial, Sinn und Geiſt, worin 
unterrichtet werben fol, — das find alles oft beantwortete und dennoch 
fort und fort ofjene Fragen, über welche noch allerlei in's Reine zu briz 
gen wäre. Die Kritik hat dabei noch weiten Spielraum. Wer 3. 8. 
nachforſchen will über das Maß des verwendbaren, elementaren Unterrichts 
floffes, der wird weder aus den vorhandenen Leitfäden, nod aus bem 
Munde der Lehrer ganz kategoriſche Antworten über die in's Ginzelne 
dringenden Fragen erhalten, Weberall no flüffige Grenze, um nad Um 
fänden fo oder anders zu wählen, in ber Regel bes Stofis meit mehr, 
als factiſch durchgenommen werben kdann und foll, und darum flatt bilden 
der Methode noch vielfah mechaniſches Gedächtnißwerl. Ob es nicht eiw 

















Geografie. 483 


mal zu gehöriger, allgemein anzuerkennender Fetfebung in biefen Stüden 
kommen wird ? Weit gefehlt, daß bloß der mechanifirenden Laune zu Liebe 
ſolche kritiſche Wahl getroffen werden dürfe, die Willie ift doch in der That 
ſeither groß genug, und vie Laune des Ginzelnen auch, um nicht nach Timitirens 
den Feitfeßungen fich umfehen zu müflen. Wo ift die Grenze bei der Orts: 
funde; ift fie Selbftzwed, ift fie nur Mittel; welche Seiten der Betrachtung 
find obligatoriſch, welche ungerechtfertigt; wohin mit den geographifchen 
Grundbegriffen u. j. w.? Das find nur ein paar dahin gehörige Fragen, der 
ven Loͤſung noch lange nicht zur Uniformität führen, aber doch mehr Klarheit 
in die Elemente bringen kann, als fie bei vielen praftifchen Lehrern gefun⸗ 
ben wird. — Aehnlich ift es bei den folgenden Benfen für die weiteren 
Unterrichtöftufen, wie der flühtigfte Blid in die verſchiedenen Leitfäden und 
Lehrbücher zeigt. Stoffwahl aus den geographifchen Gebieten, Maß deſſel⸗ 
ben aus patriotifcher oder kosmopolitiſcher Ruckſicht, Stellung naturkund⸗ 
licher und gefchichtlicher Lehrftüde, welche entweder einzuflechten oder abzus 
halten find, Proportion diefer Partien untereinander und mit Rüdficht auf 
Stuſenfolge und Zeit: das find bier mehrfach fraglide Momente. Mag 
immerhin vie Praris der Mannigfaltigleit hold fein, eine gewiſſe Baſis, 
worauf fie ſich entfaltet und eine gewifie Umgrenzung, innerhalb deren fie 
fh in allen äbmlihen Berhältnifien gleihmäßig zu bewegen bat, ift doch 
allegeit viel werth. Doch daran fehlt noch viel, 

9. Aehnliche Sichtungen und Feitftellungen bleiben für das Material, 
welches auf den Landkarten ausgebreitet wird, ein wahres pädagogifches 
Bedurfniß, ganz abgefeben von den ungemeinen Verſchiedenheiten, welche 
unter den Kartenwerken fonft noch beftehen, mit Rückſicht auf Anlage, tech 
niſche Ausführung, Art und Sorgfalt der Darfiellung bei Generalifiruns 
gen ober bei Hervorhebung der Bodenplaftil, auf Namenbeifügung u. vgl. 
Herner ift gründlich aufzuräumen unter den Büchern, welche angeblich der 
„bildenden Lectüre“ oder ber Verlebendigung des Unterricht3 dur Chas 
rakterſchilderungen dienen wollen, aber ſichtlich oft ganz andere Hintergedan⸗ 
ten haben. Es if mandes elementare Lehrbuch in feinem mathematijch 
und phufilalifh:geographiichen Theile gründlich zu revidiren; denn es if 
ſchier zu verwunbern, daß in deren nicht wenigen noch Unrichtigleiten, Un» 
genanigleiten, Nebenfächlichleiten bei Hintanfeßung von Hanptfahen gefunden 
werben, welde längft aus unfern guten geographifhen Werten zu berich⸗ 
tigen gewejen wären. Wirb außerdem noch em Blid in die Praris beim 
geographiſchen Unterricht in den Schulen gemorfen, fo ift noch bejonderer 
Arlaß zur Kritik in ber Art und dem Geift gegeben, womit der Unterricht 
ertheilt wird. Dhne ungerecht zu fen, wird gefordert werben müflen, 
daß der geographifche Unterricht geordnet, gründlich, genau und mit erns 
flem Sinn ertheilt wird, einem Sinn, welcher fih nit nur aller ſchie⸗ 
lenden und verunglimpfenden Bemerlungen über religiöfe Anfchauungen 
und Beſtrebungen der mancherlei religiöfen Parteien forgfältig enthalt, 
fonden im Gegentheil in patriotifher und kirchlicher Hinfiht mit 
Wärme das beſondere Bebürfnib der Jugend zu pflegen und zu befriebi« 
gen beflifien iſt. Bon jenem lauten und müften Gewirr, worin allerlei 
regellod durcheinander geworfen und nur nothbürftig auf eine geographiſche 

81 * 





tern abſchwaͤchen, und je band Berfoßtrng — 
ſchaͤdigen zu wollen. Richts deſto weniger iR die Forderung einer ange 
meflenen Bflege der Gemüthsbilpdung der Jugend nit nur zuläfſig 
fie ift geboten und vellauf berechtigt. Wiſſenſchaft und Gemiihsleben ſchlie 
ken einander fo wenig ans, daß fie vielmehr ganz wohl Hand in Hand mit 
einander gehen uub einander fürdern fünuen. Es if gar nicht nöthig, daß 
die eine das andere beeinträdtigen und damit zum Nachtheil des einen 


Lehrerconferengen, Prüfungen u. |. w. Die Schule jell lehren und einũben. 
Das ift oft ſaure Arbeit, welche Lehrer wie Schüler anſtrengt und ermübet 
Es if durchaus in der Orbnung, nad folder abjpannender Arbeit, ja zur 
furzen Unterbrechung verfelben, Momente zur Erfrifhung und gemüthlichen 
Erquidung eintreten zu lafien. Im geographiſchen Unterricht gibt es Lehr 
ftude, welche tüdhtige Anſtrengung erfordern, bevor fie fücheres Gigenthum 
der Slinder werben ; Gedaͤchtniß und Verſtand wollen wader im Aniprud 
genommen jein, bevor ein befrievigended Ergebniß erreicht if. Bei folden 
Benjen Ruhepunkte zum Athemfjhöpfen durch a Mütheilungen, 
Schilderungen, Bilder eintreten zu laſſen, ift eben fo ſchulmeiſterlich richtig 
ale es der Sache fürderlih if. Freilich bis zum förmlihen „Baden 
im Pfuhl der Lebensbilder“, wie Kirchmann in Eutin in we 
nig aͤſthetiſcher Hyperbel ſich auszudrüden beliebt bat, kann es nicht fom= 
men follen. MUebrigens hat es damit zur Zeit feine guten Wege. Pag 
aud viel Wortwerk, Lebensunwahrbeit, zurechtgemachtes PBhantafiegemäle 
in den fogenannten Lebensbildern mit unterlaufen, es flebt ja nichts ent⸗ 
gegen, derartige Bilder bei Seite zu lafien, und dafür ſachentſprechende, 
natur» und lebenswahre, ganz ſchlichte Darftelungen zu wählen. 
terbilder find nun einmal das viel begehrte und viel verwendete Mittel, 
um den linterricht zu beleben und ihn gemüthlich anfprechend zu machen, 
da bei den Kindern die dürre Wifienfhaftlichleit und ftrenge Geiftesarbeit 
nicht verfängt. Finder wollen concrete Ginzelheiten, woran fie lernen und 
zugleich fih erfreuen. Man enthalte fie ihnen nicht vor, benube fie übei- 
gend aud nicht, um die Tugend dadurch nad ſtirchmann's Rath zur WU: 
gemeinpeit und philoſophiſchen Weltanfhauung‘ zu erheben. Bon derars 
tigen nebelbaften Beilen hält eine nüchterne und gefunde Vollksſchul⸗Praxis 
mit Necht berzlih wenig. Es müflen ja auch nicht lauter „Bilder feim, 
welche zum Behufe der gemüthlihen Grfrifchung mit in den Unterricht 
verflohten werden. Sobald der ſtramme Unterricht auch einmal in vers 
gleichende Betrachtungen, in Nachweiſe des Zuſammenhangs zwiſchen Volks⸗ 
und Naturleben, in geſchichtliche Mittheilungen über intereſſante Loralitäten 


— 


Geographie. 485 


übergeht, erfriſcht das ebenfalls. Allerdings if’s nicht leicht, foldye Par 
thien zu foldher gemüthlichen Grauidung gut zu wählen und zu geftalten, 
da die Gefahr der Abirrung aus dem Hundertſten in's Taufendfte nahe 
liegt ; aber ein tactooller Lehrer, der die Sache und die Kräfte der Kinder 
kennt, kommt damit ſchon zurecht. Nimmt er außerdem die: wohlverftan: 
bene Mandlarte, ober allerlei gute Abbildungen zu Hülfe, und hutet fich 
vor den zulegt obſchmedenden Veberihmänglichleiten oder verbrandten Tri⸗ 
vialitäten, dann lann er in ber That die Kinder ebenfogut gemüthlich er 
wärmen und erauiden, al3 er fie intellectuell fürbert. 

11. Jlluftration if jeit einigen Jahren das Schlagwort gewor 
ben, welches wie ein Talisman gegen alle Uebel ver Weberanftrengung wie 
der Langeweile helfen fol. Es wurde der geographiſche Unterricht dur 
mancherlei damit verflochtene Partien aus andern Uinterrichtögebieten, befon- 
ders naturkundlichen, ethnographiſchen, geſchichtlichen illuſtrirt; er wurde 
auch illuſtrirt durch Randbilder bei den Karten, durch Bilderatlanten, durch 
Bilder und Karten im Text bes zu Grunde liegenden Lehr: oder Hand: 
buche u. dgl. Bald ſchieden fi zwei Stofffreife, denen einer den firieten 
Lernftoff umfaßte, indeß der andere erläuternde Beigaben enthielt, 
mit welchen jener durchſetzt, reſp. eingerahmt werben ſollte. Es hat nicht 
gefehlt, daß bei manchen leicht gefangen zu nehmenden jungen Gntbufinften 
ſich das Urtheil über das correcte Verhaͤltniß beider Stofftreiſe zu einan- 
der fih verdunkelte, und fie die Sache nun irrthumlicherweiſe dergeflait um⸗ 
kehrten, daß der Lernftoff jörmlich überwuchert wurbe von den illuſtriren⸗ 
ven Beigaben. Das ift ja freilich verkehrt und es iſt vollauf gerecht⸗ 
fertigt, daß gegen foldhe Heberwucherungen um jo lebhafter gelämpft wurde, 
als theils praktiihe Schulmänner, theild Geographen ihnen das Wort re: 
deten. (Bon den leßtern u. A. Reuſchle!). Bor Allem ift weifes Maß uns 
wohlüberlegte Cin ſchraͤnkung bei dem Zebtauch der Zluftrationen nöthig, 
ſowohl auf dem Gebiet der vaterländiſchen Geographie, als auf dem der 
gefammten Zänderlunpde, ja auf legterem vorzagsweiſe. Nur das Noth⸗ 
wendigfte, Yruchibarfte, Vildendſte bat Berechtigung, nicht aber das bios 
Groösliche, Pitante; darum gilt es ſolche Dinge hervorheben, welche in das 
Herz des Volkes bineingreifen, feinen Glauben, feine Bildung, fein in 
beiden wurzelndes privates und öffentlidhes Leben, in Sitte und Verkehr 
ih auöprägendes Denten und Empfinden. Ueberſchwang, Bombalt, leere 
Reflerion, triviale Wie wären ein viel zu ſchlechter, unwürbiger Erfah für 
jene fpontanen Beziehungen ; jene find freilich billiger als dieſe. Keinen: 
jalls ift dem ruhigen, geordneten Schulunterricht irgend welcher Lurus in 
Wort und Bild gefund ; er lenkt ab von ver nötbigen Sammlung und 
Vertiefung, und führt fo recht mitten binein in bie allem ernflen, Schweiß 
toftenden Lernen feinpliche biafirte Oberflächlichleit, vie nidyt genugfam vor 
unferer gegenwärtigen fern zu halten iſt. Weg mit allem hohlen Schein 
von Bildung und Arbeit, lieber orventliche tüchtige Arbeit des Geiftes, 
auftrengenvde Selbftihätigkeit : fie führt weiter als Alles beledenve- Biel 
wifjeret, fie allein ift der beutihen Tugend würdig. 

Ob in den Kriftlihen Vollsſchulen die Einflechtung von gügen aus 
dem Miffionsleben in folhen Gegenden fatthaft fein könne, in welchen 


— 
ir 
N 
7 
el 


verbreiteten Prazi 
burdheinander folder Rittheilungen, welche auher ber prideinben Wirkung 
für ven Augenbid nidyts Fruchtbares binterlafien, wird jeber nur leid 
verſtaͤndige und wehlgefiunte chriftlihe Bürger uab Laubemane dech wei 
leber feinen Kindern Thatjachen ans dem Miſſtondleben unjerer Side 
vorgeführt zu feben winichen, woran die fernen Länder der Erbe überhaupt 
der chriſtlichen Heimath erſt immerlich nahe gerüdt werben. Muß denn Alles 
er dann für wichtig gelten, wenn es nad dem dadurch zu exiamgenten 
Gelde oder nach dem abentenernben Amüfement unftäter Zourifien gemeilen, 
Rh als ausgiebig erweiſt? Um berartiger Rittbeilungen willen brancht 
die Schul geographie immer noch keine ausfchliefliche Miffio ns: Geographie 


zu werben, 

12. Die auffallende Spärlidhkit, womit im einer beträdgelichen An 
zahl vom Zeitfäben, Grunkrifien, lleberfihten, Zebrbüdern u. f. w. be 
Geographie die mathbematifhe und phyſiſche Geographie bebadt zu 
werben pflegte, bat vaft mit Rethwenbigteit eine ungerechifertigte Berjän 


In 


der eifrige zurüdichreden. Leitere beichränlen fih auf eine Art 
hergebrachten Materials und geben nicht darüber hinaus, um fidy und bie 
Kinder mit gu verwirren; fie aber damit gewöhnlich die lanı: 
läufigen irrigen oder halbwahren Yuffafiungen bei, welde anbermeit längft 
baben. Au ſehr trefflihen Schriften if jebt 
burdaus kein Mangel mehr (Dieflerweg, KC. Wepel), und an Yufmunte 


sungen, imäbejondere bie phyſiſche Geographie mit mehr eingebender 
zu beadten, bat es namentlich feit N, v. Humbolbt und C. Ritter 
gefeblt. Gerade die phyſiſche an ift eine Fundgrube von 
nifien für den duschgreifenden Ginfluß der Natur der Erde au 
phyſiſche und geiftige Entwidelung ber — und es haben ſich die 
geiftoolifien Männer um die Entwidelung dieſer deugnifie bemüht, mm bie 
thatſaͤchlichen Grfdeinungen der Eulturgeographie, vie oft fo wunderſan 
veridelten enthmographifchen Beziehungen und ben bifloriidden Gang ber 
folgewichtigfien Ereignifle aus denſelben mit zu erläutern und wit gu ver 
ſtehen. Das Object ner phyſiſchen Geographie iR noch heute Das alıe Fine 
wie vormals, aber was für einen erftaunlihen Umfang bat es dur die 
fosjhende usb denlende Betrachtung nach allen Seiten bin gewannen! 
Schon haben Die werthvolleren Lehrbücher begonnen, den ſeitherigen Schade 


* 


* 
7 


Geographie. 287 


bes Verklitmung zu filgen (D. Volter, v. Berghaus, v. Küben)/vober in 
ven kleinen Leitfänen iſt's meiſt beim Alten geblieben. Hatie doch das bit: 
beibige Lehrbuch der Geographie von Cannabich nur feine ſeſſen 16 Seiten 
Ginbeitung, worin ſummariſch Alles, was nicht Die polltifche Geographie,‘ 
abgethan warb! 0 
13. Endlich die Kartennetze. Bon vielen adyibaren Seiten wird 
das Kartenzeichnen mit großer Lebhaftigkeit begehrt. Ginyelne:: jehen 
barin ven Kern alles gengraphifchen Unterrichts, andere ein mechanifches 
Bebilel, anvere geben in ber Würbigung bes Kartenzeichnens eine gol⸗ 
bene Mittelſtraße, indem fie dafielbe mit befonnenem Urtheil beichräntt wifien: 
wollen. Namentlih war Director v. Klöden in dieſen Gtüden überaus’ 
nüchtern und fcharfiebend. Die verſchiedenen Modalitäten, unter welchen 
das Kartenzeichnen in Bürger-, Real, lateiniſchen, Militär: und verwandten 
Schulen betrieben worden ift, haben im Lauf der Zeit mannichfaltge Wechſel 
erfahren. Bon ber Gonftructionss Methode Agren’s an, bei weicher nad 
fe bezeichneten, zahlreichen Poſitivnen das Kartenbild im fertigen, richtigen 
Blaniglobien : Reg nad und nach im Länbers Contour und in wer inneren 
Ausführung durch Gintragung der Ylüfle, Gebirge u. |. w. gewonnen wer⸗ 
den follte, durch die vereinfachenden Welfen Kapp's, wonach das Retz nur 
and Quadraten beſtehen, aber vom Schüler felb entworfen werden fellte, 
durch v. Mlöden’s nur auf einzelne Abſciſſen imd Ordinaten bafitte Ein: 
rahmung, buch von Ganftein’s auf einfache geometriihe Figuren vedu⸗ 
eite Grundgeſtalten der orientirenden Umſchließung, durch Bits mit etlichen 
Hälfsconftructionen unterflüßten gerablinigen Bierede, durch Lohſe's gerad 
linige BidzadsGeneralifirung der vielſach gebuchteten Grenz umd Birnen 
Gontowre hindurch, bis zu Oppermann’s vein mechaniſchem Uebetziehen bes 
matt und fein angebeuteten richtigen Contourbildes iſt 08 ein weiter Weg 
gewejen, ver mit allerlei praktiſchen Abänderungen bwechiwanbert il, 
Schließlich blieben zwei Weiſen die vorherrſchenden. Nartenemtwürfe mit 
freier Fauſt auf der Wanbtafel und auf dem Papierblatt der Schüler 
in Risgenbaften, ven wahren Verhaͤltuiſſen nur wnrwolllummen . ich annöheret: 
den Umriſſen, und forgfältiger in das fertige geographiſcheNes 
eingetragene Karten. Seitvem kam die Induſtrie auf SHerftellung von 
Netzen für Wand: und Hanplarten, und fie befehränkte ſich nicht 
auf einzelne, wejentlihe Karten, fondern umfaßte flugs ganze Atlan- 
ten. Man muß. billig fingen, in: welchem MWerhäliniis has Bedürfniß 
des Schulunterrihts zu dieſer Induſtrie ſiehe? Es kann nicht wohl ein 
Bedarfniß behauptet werden, ganze Atlanten in Schulen zelchnen zu 
Lafjen , da offenbar außer dem Nartenzeiäinen, wie ſchon v. Klöben richtig 
fab, noch ganz audere, bebeutfamere Arbeit im geographiſchen Schulunter: 
richt vorliegt, eine Arbeit, welche nicht zur Rebenfache herabgedrudt wer 
ven dürfe Das Kartenzeichnen Imın in ber Schule nicht Gelb: 
zwed, es kann nur Mittel zum Zwei fein Die Bollsihute nu 
in ihren einfachen Berhältnifien in dem meiften Faͤllen gänzlich darauj ver⸗ 
zichten, in ben Bürger». unb Gtabtfchnien wird auch jede zu viel Zeil 
forbeunbe Gonftructiongarbeit mit Kartennegen verntieden "werben 
müflen. So bleiben alfe aux ‘vie festigen Kaztenmehe ala guter Aus 


u tee dee much militärische Vorbildung erſtrebenden Schulen ein 
sauusnee, jelkiitanmmger KartenzeichenzCurfus eingerichlet werben, 


unse ulm "Hai Das dem des Unterrichts; und ebenfe 
nur m Dame dan dar detaunl lir te ſten Ausführung nehmen, 
wa SE mus a u merliic ermgusbemiren t beiehränten mitien, 


L ©. SE Küpper. Gemmußnilemer: ir-"ınen ver Geagrapbie im 
; inger , 1365. 26 ©. 3 Ser 











Geographie. 489 


Beranftellung bezeichnender Buchftaben (M su Mer, L == Lane, 

I == Snjel, Str = Straße, F = Fluß ıc.) werben bie zu lernenven 

tepiichen Momente marlist. In der vierten Abtbeilung find 10 Auf 

gaben zur Recapitulirung des Gelernten geftellt. Bu beliebigem Gebraud 
find zwei Tabellen angehängt, deren eine die Arealgröße und Ginwohnergahl 
des europäiihen Staaten (am Maßſtab der Größe der Rheinproninz ger 
meſſen), und deren andere die ähnlichen Angaben in Beziehung auf die 

Brovinzen des Preußiſchen Staats enthält. Man fieht, dab die paar 

Blätter nur einen Fingerzeig geben wollen, das topifche Lernmaterial an 

ber Karte nady der auch font längft gangbaren Art der Benutzung räums 

licher Bufammengehbörigleit und Aneinanbergrenzung einzuprägen. 

2. Dr. C. F. A. von Burger: Allgemeiner Umrif der Erbbe- 
hreibung für die unterfie Klaffe ber Iateinifhen Schule, fowie für 
einen gründlichen Anfangsunterricht Überhaupt. 24. Aufl, Erlangen. Bläfing 
(Deidpert),.1865. 40 &. 33 Sgr. 


Am Weſentlichen enthalten die wenigen Blätter ein topijches Stelett, 
äbnli dem von Großmann und Gribel, unter Hinzufügung einiger gen: 
graphiſcher Begrifiserlärungen. Es wird mit Auftralien begonnen und bis 
zu Guropa bin, aljo von der einfadhen Ferne zur complicirten Nähe fort: 
gegangen. Grenzen, nfelgruppen, Gebirge, Flüſſe, Ueberlichten der. Laͤn⸗ 
der und Gtädte, Alles im Grunde nur nomenclatoriihe Unführungen in 
einer der geographifchen Lage entfprechenden Anorbnung: das ift der Inhalt, 
ber unter ſietem Gebrauch der Karten, und unter belebenden Ergänzungen 
durh den Lehrer erſt Fleiſch und Blut erhalten muß. Im Anhang 
finden fih noch einige Angaben über die Größe und Cinwohnerzahl ber 
Grdtheile, über die Menfchenitämme, die Religionen, die Beichäftigungsmeiien 
der Böller und die Berfafjungen. Die unterfte Sllaffe höherer Schulen foll 
bamit die erforderlichen topiichen Srundlagen des geographiſchen Linterrichts 
gewinnen, welcher fih in wiſſenſchaftlicher Anordnung darauf aufbaue 
lafien foll, 


3. A. Hoͤrſchelmann: Ueberfiht ber gefammten Geographie für 
den erfien Unterriht in Gymnaſien und Bürgerfchulen. 8. Aufl. von 
Th. Dielitz, Prof. und Director. Leipzig. Schulte, 1866. 90 ©. 6 Sgr. 


In vielen Zaufenden von Gremplaren in den Schulen verbreitet, bat 
diefer Heine Leitfaden fi) durch feine angemefiene Beichränlung auf vie 
rund legenden Momente für den wiſſenſchaftlichen Anfangs» Unterricht in 
der Geographie bereitd hinlänglich bewährt, um jeinem ferneren Gebrauch 
zu gleihem Behuf ein günfliges Prognofliton ftellen zu dürfen. Er enthält 
die populären Grundanfchauungen aus der mathematiſchen und phyſiſchen 
Geographie in den einfachften Lineamenten, gibt die erforderlihen elemen: 
taren Definitionen an geeigneter Stelle, jchließt dann die Grundzüge ber 
topijhen Geographie daran an, wobei nicht blos die Namen der Flüſſe und 
Gebirge, ſondern noch nähere Angaben, bei jenen über Urſprung, Richtung 
und Mündung, bei diefen über die Gipfelhöhen zufammengeftellt werben, 
uud faht im dritten Abſchnitt von ©. 43 an die wichtigſten und nächſt⸗ 





4. ©. Renmenn, Lehrer: Kleine Erbbeigreibnug mit (beiembenr) 
Berädfitiaung. Des Brenßiiden Staates. Ne völlig umgrarberet 
Un Leipꝛig. Schultze. 1865. 142 ©. 5 Eyı. 


Bwar denft fid der Berfafier die Bertheilung des geographiſchen Tehr- 
Rofis in gehobenen Bolls: und in Mittelfhulen auf fünf Jahre 
fo vertheilt, vaß auf fünf correfpombirenden Lehrfinfen der Heimathesrt, die 
Provinz, die fünf Grötheile im Allgemeinen, Guropa (ohne Deutjchland m 
Beſondern), Deutihland wit ganz Preußen und Defterreich, bie fremben 
Grötheile, der gefammte Umfang allmählich zur Behandlung kommt; aber 
das Buch feines Vaters bat er nad einer baven abweichenden Folge ge 
orbnet. Nanmlich 1) allgemeine Erdkunde, 2) Deutſchland (fyeieh Bea 
nad den einzelnen Provinzen, S. 35—70); dann in ber zweiten Raumes: 
hälfte des Büchleins 3) Guropa, 4) die aufereuropäifchen Grbtheile. Der 
meifte Raum ift des Länder: und Gtäbtebeicrreibung zugewieſen. Es mu 
eine große Anzahl von Städten und barin eine Menge Mertwürbigleiten 

angeführt, weit mehr als in Mittelihulen, geſchweige in Boltsichuien, fix 
weiche das Buch mitbeimmt ift, gelernt werben können ımb follen. Ran 
fann nicht alle Städte auf der Erde bis zu 50,000 Ginmohuern berab, 
and) nit alle deutſchen Städte bis zu 10,000 Ginwohnern herab in bes 
Bollsſchule lernen lafien wollen. Es liegt aud gar fein Bedückniß ver, 
ſaͤmmtliche reife der einzelnen Preußiichen Regierungsbesirte von den Bolls: 
Iälern lernen zu laſſen; es genügt, wenn fie die Kreiſe ihrer beimathlichen 
Provinz kennen lernen. Die Rüdfihten, welche der Berf. ſonſt im Auge 
behält, find bie hergebrachten, das aufgeftellte Material das allbelannte. 
Sie und da mangelt es an Präcifion des Ausdruds. (6. 17: Schreelinie 
it von der Erde 15,000° entfernt! ©. 23: Alpiniſches Syſten: 
6. 22: Glatzer Gebirgs⸗Syſtem! ©. 7: Sommer: und Winter: 
Wendekreis; u. a. m.) Bwedmäßiger wäre der Gtofi auf 3 Gurfe zu ver 
theilen geweſen. 


Berner, Eantor uub Lehrer: Kurzgefaßter Leitfaben für ben 
pen Unterridt in ber Geographie. Zweite Aufl. Schwerin. 
ildebrandt, tr 48 S. 24 Sgr. 


Der ganz kurze Auszug aus dem alibelannten Material, der bier mit 
topographiſchen Andeutungen zur Staͤdtebeſchreibemg und einigen Augaben 
aus ber mathematiſchen und phyfilaliichen Erdbeſchreibung verjehen if, feige 


Geographie. 4601 


ganz der Altern Art ver Betrachtung. Einer überſichtlichen Darſtellung ven 
Guropa iſt eine etwas fpeciellere von Deutſchland und feinen Staaten — 
Medienburg an der Spige — beigegeben. Im Mebrigen find in den wa⸗ 
nigen Blättern jelbftverftänplih nur nothoürftige Angaben zu ſuchen; fie 
gehören in die Kategorie ſolcher billigen Lehrmittel, die durch ihren niedrigen 
Preis für aller Schüler Hände berechnet find. 


6. 9. Peter, Lehrer: Geographie für die Volksſchule. Mit beion- 
berer Berüdfihtigung Thüringens überhaupt und des SHerzogthums 
Meiningen insbefondere. 2te Aufl. Hilbburghaufen. Gadow u. Sohn, 
1865. 93 &. 34 Gar. 

In Stoffwahl und Stoffanorbnung, fowie in der ſachlichen Bearbei: 
tung folgt das Büchlein der Cannabich'ſchen Methode. Lage, Größe, Ein: 
wohnerzahl, Bodengeftalt, Gemäffer, Klima, Produkte, Bildung, Beihäftigung 
der Bewohner, Verkehr, Eintheilung, Ortfchaften mit hiſtoriſchen und an: 
dern Merkwürdigkeiten bilden das Fachwerk; kurze Beſchreibungen, nomen: 
Hatorifhe Angaben, befonvers bei den Produkten und „berühmten Männern‘ 
(cf. ©. 24, 43, 44, 48 ıc.) aus allen Nationen, füllen dafjelbe in ber: 
gebrachter Meife aus. Gegen die ſachliche Nichtigkeit der Angaben wird 
wenig einzuwenden fein; aber man kann die Bebürfnißfrage, ob Bolls: 
ſchüler nothwendig all das hier Aufgeftellte lernen müſſen, nicht bejahen 
wollen. An den Namenregiftern von frembländifhen Produkten, welde fie 
nie zu Geſicht belommen, an den Namenteihen berühmter Perfonen, von 
denen fie weiter nichts zu erfahren belommen lönnen, von der Lifte berühm:- 
ter Bauwerke, deren Eriftenz ihnen nur verfichert werben könnte, haben dod) 
Volksſchuͤler rein gar nichts für ihre reelle Bildung. Der Verfafjer führt 
Bananen, Bataten, Yalappe, Etinkthier, Fregattvogel u. |. w. an, er nennt 
Calderon de la Barca, Murillo, nennt die Namen italienifher Maler, 
Baukünftler, Dichter, Naturforſcher, franzöfifher Staatsmänner, Gelehrten, 
Dichter u. f. w., der Philoſophen Spinoza, Baco, der Schwärmer Sweden: 
borg u. A. Billig fragt man nüdtern cui bono? wenn ſich's um ele 
mentare Unterweifung von Volksſchuͤlern handelt. 


71.2) 9. P. Söonkſen, Lehrer: Beograpbie ber Herzogthämer 

Sähleswig-Holffein. Mit beſonderer Berüdfihtigung ber inneren 
Berbältnifie. Yür Die Hand der Schüler. Kiel. Schulbuchhaublung, 1865. 
41 ©. 33 Ser. 
b) M. W. Fack, Lehrer an ber Gelehrtenſchule in Kiel: ee 
von Schleswig-Holftein. Eine gedrängt allgemein peo raphiſch ge- 
baltene Beichreibung biefe® Landes fllr Haus und Schule, tnsbefonbere für 
sale geobener Säulen. Kiel. Alabemiihe Buchhandlung, 1865. 
46. 3 Sgr. 


ec) I. Lindemann, Lehrer: Geographie ber Hergogthlmer 

Schleswig. Holfein für Schule und Haus. Kiel. Schwere, 1865. 

63 ©. 33 Ser. 

In dem erjten dieſer drei Schrifthen (a) werben von $. 1—10 mit 
anguerlennender mwillenjchaftliher Genauigleit kurz und knapp die topifchen 
Berhältnifie und die ftaatlihen Einrihtungen zufammengeftellt, und ver 
gleihende Bevöllerungs:Zabellen an die Andeutungen zur Ortskunde anges 








Fa dem zweiten (b) werben emie Rüdblide auf nie geicdhidtlidhen 
in ben Herzeg:bümern jeit 1460 voran sgeihidt. dam felgt 
eine näher einzebende Beidreibung der Boden: umb 
wöherungs-Berbiitmiiie , ferner jpecieller Nodweis der Mimariihen Berbält: 
der Produlte, des Handels, der Bertebrswege, der Beikäftigungen der 
Bewohner, der Bertbeilung von Kirden und Schulen im Lande, und bern 
reiben fh die Ertidaften mit ihren Mertwürtigteiten. Xabellariiche lecker: 
ſichten und veraleidende Zujammenkellungen orientiren über Die Lage ber 
größeren Ortſchaften — wie zum Erſaß für tie manaelnde Karte —, über 


In dem dritten (c\ wird ein Ueberblid der ganzen Landesgeſchichte 
vorangefhidt, dann werden von &. 2—11 die meilten der bei b. anac: 
führten Berhältnijie durdigenommen. Etatt der bier ganj bei Eeite ge 


So hat jedes der drei Büchlein feine Eigenthümlichleiten; a. iR wifienfchaftlicher 
als b. und c., leptere find fchulgeredhter als erſteres. Für jo heichränfie 
Gebiete if die Aufnahme fo vielen Details in die Leitfäden, woraus ihre 
Geographie in der Schule gelernt werben fol, zuläffig und ausführbar. 


8. 1, ®- Fr. Eannabi's Sönlgsographie 19te Aufl. Zum aweiten 
al neu bearbeitet von Dr. 5. M. Oertel, Prof. in Meißen. Weimar. 
Voigt, 1865. 274 S. 15 Egr. 


Grundlage und charalteriftiiche Tendenz biefes feit mehreren Iahrzeim- 
ten verbreiteten Buchs find beibehalten; aber im Einzelnen wie in ganzen 
Partien find weſentliche fachliche Verbefierungen angebradt. Wenn die aui 
möglichfte Bollftändigteit zielende Beachtung der zahreidhen Landes » Gimtbei: 
lungen, welde wenigftens in ber Schule niemals alle gelesut werben 
konnen und follen, aufgegeben, wenn ferner namentlich, in Rückſicht auf 
die außereuropäifchen Länder, auf ihre Bodenbefcdhaffenbeit. Natur, Broduction 
und Eultur, auf die Städtebefhreibung u. f. w. noch viel größere Be 
ſchraͤnkung durdgeführt würde, dann möchte es wohl geſchehen, daß dies 
Du ebenfo nupbar würde als mandyes andere. Freilich bliebe dann 
Caunabich nicht mehr Cannabich. Lehrer werden übrigens jet Manches 
aus dem Bude lernen können, da die Neubearbeitung mit Sachkenntmiß 
und Geſchidc bewirkt if, 


Geographie. 493 


9. Leitfaden ber Bere ankie für Töchterſchulen. 7. Aufl. Leimig, 
Biolet, 1865. 164 ©. 10 © 


Diefer Leitfaden behält die frühere Einrichtung bis auf diejenigen 
Beränderungen bei, melde bie Zeit im Befißitande hervorgerufen bat. 
Darum trifft das Urtheil, welhes im Päd. Jahresbericht XIL, ©. 338, 
bereit3 über frühere, und zulegt im XIV. Päd. Jahresbericht, S. 300, 
über die ſech ſte Auflage gegeben ift, auch jebt noch zu. In Stoff nicht 
überfüllt, in der Anordnung überfihtlih und fchulgemäß, mit Cinfügung 
biftorifher Hauptmomente bei den Staaten, ift es immerhin ein brauchbares 
Hülfgmittel für die Hand der Kinder, obſchon darin die Beſchreibung der 
wefteuropäifchen Länder vor der der übrigen europäifchen Länder durch bie 
etwas ausführlihere Beſchreibung von Deutfchland getrennt if. Man ers 
fennt wohl, daß der Verf. die Lage der Länder zum leitenden Grundge 
danken der Anoronung gewählt hat. 


. I. Meirner, Ober- Realiäullehrer: Schulgeographie. 1. Zell: 
Specielle Beihreibung Defterreihe und Deutihlunds, ee 
mit einer geſchichtlichen Darftellung ber öſterreichiſchen Sronländer 

bie 2, Rlafte ber Realihule. Wien. Mayer, 1865. 133 ©. ex 
2. Theil: Die enropäiſchen Staaten außer Oefterreih und Deuclen 

Alten, Afrika, Amerila und Auftralien. Für bie 3. Klaſſe ber Realichue. 
Daf. 1866. 160 ©. 15 Sgr. 3. Theil fol bie Länder der Erde über 
ſichtlich noch einmal behandeln, dabei aber die flaatlichen Verhältniſſe etwas 
mehr zurüdtreten laſſen und die gefchihtlichen Augaben in Wegfall bringen. 


Im Vorwort wird erwähnt, daß dies Lehrbuch für die zweite Lehr 
fiufe auf die Karte bafirt fei, und in deren fleißiger und angemeflener Be 
nugung feine ftete Ergänzung finden folle, um dem Schüler zum freien 
Entwerfen von Rartenjlizzen, „dem richtigen Ziel des geographiſchen Un» 
terrichts“ — wie Berf. meint, zu verhelfen. Für dieſe Stufe beftimmt 
Berf. eine ganz kurze Meberfiht der Bodengeftalt und Bemäfjerung, des 
Klima’s, der Produkte und Bevölferung der Staaten Europa’s (S. 1-13), 
einen Ueberblid über die geographifchen Verhältniſſe des ganzen Kaiſerthums 
Defterreich, eine ſpecielle Bejchreibung der Jämmtlichen einzelnen Kronländer 
deflelben, nad Gebirgen georpnet, und eine kurze Behandlung Deutjchlands. 
Es entſpricht der wifjenfchaftlihen Tendenz der Aufgabe, daß die oro: und 
hydrographiſchen Verhaͤltniſſe näher detaillirt werden. Berf. behandelt fie 
fo, daß 3. B. bei ganz Defterreich erft ein Weberblid gegeben, und dann 
bei den einzelnen Kronländern das darauf Bezüglihe wiederholt und er» 
gänzt wird. Er hält überall die gleiche Dispofition fefl: Grenze, oro⸗ und 
hydrographiſche Verhältnifie, Städte und Orte, Klima, Naturprodulte, Bes 
wohner, und fliht nicht nur einen geſchichtlichen Gefammtüberblid über die 
Gntftehuung der öſterreichiſchen Monarchie ($. 13), fondern bei den einzelnen 
Kronländern aud eine georbnete Reihe darauf fpeciell bezüglicher geſchicht⸗ 
licher Angaben ein ($. 25, 27, 30, 33, 36, A5, 48). Mancherlei 
Wiederholungen find dabei unvermeidlih. In der Angabe der Städte und’ 
ihrer Mertwürbigkeiten ift ein aͤußerſt Inappes Maß gehalten; dagegen find 
die Verkehrsſtraßen und Bildungsanftalten mehr hervorgehoben, bie und da 
auch die Landesſitten angebeutet. Als Schulbuch ſcheint die Schrift zwed. 


494 Geographie. 


enfiprechend zu fen. ©. 54 wird bie Höhenangabe des Drtles (20,006° 
Ratt wie ©. "a Rebt 12,500) mm corrigiren fein. 


11. Ir. E. Keller, Seminulchrer: Der Brengiige Staat. Gin Deu 
bud der Baterlanbstunte. IL DBb., 4. unb 5. Haltband. ©. 257 bie 804 
uud 4 ©. Sachregiſter. Minden. Bolfening, 1864, 1866. & 25 Sgt. 


Bei der Anzeige der drei erfien Halbbände (Bär. Jabresber. XIV, 
Be 308, XV. 296, XVIL 269) if mit vollfier Anerkennung ber rübe- 

übe ch, die große Eorgfalt und Grünblidleit bereits hervorgehoben, 
der Berf. den reihen Stoff gejammelt, gefichtet um» verarbeitet bat. 
Gine gleiche Anertennung iſt aud in Rüdficht auf die beiven legten Halb: 
bände auszuſprechen, womit ein inhaltreihes Werk zu einem gerundeten 
Abſchluß gebracht worden ift, weldyes den verſchiedenſten Ständen als vor: 
trefflihes Handbuch zur Drientirung über das materielle und geiflige Leben 
des Preußiſchen Staats dienen kann. Ein nicht unbeträdtlidher Theil des 


“> 


I, 


daran angefchlofien werden, beifen zur näheren Grörterung des Werths bei 
felben. Zugleich find an geeigneter Stelle neue Tabellen zur Bergleihung 
des Sonft und Seht zufammengeftellt, nah dem alten Bengerbergifchen 
Sape: „Zahlen beweiſen.“ Bon befonderem Werth für gebildete Laien, 
welche nicht in der Lage find, all die Stadien des geſchichtlichen Werdens 
und der Entwidelung der einzelnen Inſtitutionen des Staats aus ven 
Queliſchriſten ja verfolgen, müflen bie hiſtoriſchen Darſiellungen dieſer Ent⸗ 
widelung in gebrängtem Zuſammenhange fein. Eie liefern fummeriide 
Ginblide in die wejentlihften Momente des innern Berwaltungslebens im 
Preußiſchen Staate. So 3. B. U. Br. ©. 302-416 eine hurze Ge 
ſchichte der Entwidelung der evangeliihen Landeslirche, von S. A16—504 
dasan angefchlofien, eine ähnliche Nachweiſung der Entwidelung des 
Preußiſchen Unterrihtsweiens, umd ferner bis ©. 688 der Rechtspflege, des 
Finanz⸗ und Steuerweſens, des Heer: und Kriegs: Marinewefens. Durch 
Einflehtung der Kernftellen darauf bezügliher Grlafie, Ordres, Geſetze iR 
zugleich die Gewinnung der ſachentſprechenden Geſichtspunkte zur Beurthei⸗ 
lung des geihichtlihen Entwidelungsganges ermöglicht. Gerade für dieſen 
Behuf hat der Berf. mit fihtliher Vorliebe gearbeitet. Denn wenn audı 
die vorangeftellten Leberfichten der Behörden und ihrer gefammten Reflort 
verhältnifie, und wenn aud ferner die von S. 689 bis zum Schluß be 
arbeiteten, die phyſiſche und techniſche Cultur des Staats betreflen: 
den Momente unter Beigabe von vielen Tabellen ebenfalls umfichtig beachtet 
find (3. B. Bergbau, Salinen, Hütten, Metalle, Bronzen, Salze, Steine, 
Landbau, Grundbeſitz, Viehzucht, Gewerbe und Induſtrie, Handel, Sollverei, 
Baarenbewegung, Berlehrömittel, Wege u. |. w. bis zu ber 
Berwaltung), fo ift doch jenen geiftigen Entwidelungs: Grfheinungen 2* 
fpecieller nachgegangen. 

Die neueſten geſchichtlichen Erlebniſſe der Sommermonate des Jahres 
1866 werben in Folge ber glänzenden Siege der Preußiſchen Waffen über 
bie Defterreihiihen und Suddeutſchen vorausfichtlic weſentliche Reugefal: 


Geographie. 498 


tungen durch den erweiterten Befisfland herbeiführen, und dadurch merben 
notbwendig viele Angaben des Keller'ſchen Buches unzutreffend werben, 
Aber für die feitherigen Provinzen behalten fie dennod ihren Werth, und 
darum Tann das Buch als ein recht nutzbares Hülfsmittel zur Belehrung 
über den bisherigen Preußiihen Staat für Jedermann auch jetzt noch leb⸗ 
baft empfohlen werden. 


12. Dr. $. A. Bantel, Prof. und Inſp. adj.: Handbuch ber Geo- 

grapbit. 2. Aufl. 1., 2. Lieferung S. 1—256. Leipzig. Fues, 1865. 

Lief. 12 Sgr. 

Bon diefem ebenjo inhaltreihen, als trefflih bearbeiteten ‚größeren 
geographiihen Werke ift im Pad. Yahresberiht XII, ©. 349 fi., XUL, 
803 fi., XIV., 316 fj. jo ausführlich die Rede gewejen, daß darauf eins 
fah zurüdgewiejen werden kann. Die wohl verdiente, jehr günftige Aufs 
nahme, welche das Werk über Erwarten ſchnell gefunden hat, macht feine 
neue Auflage ſchon nah 2 Jahren erforberlih. Wenn nun aud der Plan, 
der Geift und die Tendenz der Durchführung leinerlei wejentlihe Verände⸗ 
rungen erfahren werben, jo kann es ja nicht fehlen, daß der gründliche 
Fleiß des Berfafers fih nicht blos mit Berichtigungen unvermeiblicher 
rungen genügen, fondern daß er durch Benutzung der Refultate ver uns 
ausgefeßt fortgehenden Forſchungen alled Neue hinzufügen wird, um dem 
Merle den berechtigten Anſpruch auf Vollſtändigkeit und Gründlichkeit zu 
bewahren. Insbeſondere werden ja die neueſten, burchgreifenden Berändes 
rungen, welche durch den ruhmreihen Aufſchwung Preußens in Zolge feiner 
neueften großartigen Siege berbeigeführt find, jedenfalls wie eine neue Karte 
von Preußen und Deutihland, jo auch eine neue Bearbeitung der Geo: 
graphie beider Gebiete erfordern. Die eigenthümliche Frische und Lebendig- 
feit, die patriotiihe Hingabe in kernigem, deutſchen Sinn, welder alle 
weientlihen Momente zu einem großartigen Gejammtbilde zufammen zu 
faflen und zugleich eine große Menge fehr interefjanter und lehrreicher ein⸗ 
zelner Landſchaftsbilder integrirend damit zu verbinden weiß, fihert dem 
Werte feinen bleibenden Werth in allen gebildeten Kreijen, und ganz vore 
zugsweiſe in der Lehrerwelt. Man braucht dafjelbe faum noch empfehlen 
zu wollen. In den erften beiden Lieferungen ift das erfte Buch (matbes 
matbijhe und phyſiſche Geographie) ganz, vom zweiten Buche (außer 
europäifche Exrbtheile) der Anfang der Geographie von Afien (Allgemeines. 
Klein⸗Afien. Armenifhes Hochland. Euphrats und Zigris-Land und ein 
Theil der Geographie von Syrien und Baläftina) enthalten. Bis jebt be 
tragen die Erweiterungen ſchon einen Bogen, 


13. Dr. G. A. v. Klöden, Prof. und Oberlehrer: Handbuch der Erd- 
kunde. 21. Aufl. 2. Theil PBolitifhe Geographie Wu. d. T.: 
Haudbudh derländer- und Staatenkunde von Europa. Berlin. 
Weidmann, 1865. 1.—3. Lief. (Bogen 1—54). à Lief. 1 Thlr. (Der 
erfie Theil der 2. Aufl. lag nicht vor.) 

Die großen Vorzüge diefes ausgezeichneten, vor allen geographifchen 

Handbũchern hervorragenden Werles find glei bei dem allmäbligen Gr» 

ſcheinen feiner erſten Auflage im Päd. Jahresbericht mit rüchhaltloſer Ans. 


496 Geographie. 


erfennung begrüßt. Daſſelbe ift der Lehrerwelt mit um fo vollerer- Ueber 
zeugung auf das Angelegentlihfte empfohlen worden, als darin thatſaäͤchlich 
Alles beifammen angetroffen wird, was als Nefultat der geographiſchen 
Forſchungen alter, neuer und neuefter Zeit und als Frucht geiftvoller und 
umfichtiger Behandlung des geographifhen Naterials zur Begründung und 
Förderung tüchtiger geographiſcher Kenniniffe und Bildung anzufehen iR 
(of. Päd. Zahresberiht XI, S. 309 ff. XI., ©. 351 fi., XI, 
€. 303 ff., XIV., ©. 318 ff., XV., ©. 291 ff.). Es ift eine veide 
Bundgrube für jeden gebildeten Freund der Geographie, zumal für ben 
Lehrer derſelben an höheren Lebranftalten; denn es find darin die mannig: 
faltigften natürliden, politiihen, ftatiftiichen, geſchichtlichen und kulturgeos 
graphiſchen Berhältniffe niht etwa nur fo im Großen und Ganzen einer 
ernft wiſſenſchaftlichen Darftellung und Vergleihung unterzogen, fonbern der 
Verf. hat auch bis in Meinfte Details hinein mit großem Sammelfleiß, 
kritiſchem Takt und gebildetem Gefhmad eine Menge belebender Lanpiafts- 
bilder, fowie Volls⸗ und Gitten-Eliszirungen bineingearbeitet, daß das Ge: 
fammtbild nicht blos ſehr vervollftändigt, fondern auch illuftrirt erſcheint 
Welche Seiten geographifcher Betrachtung (natürliche Bodenplaftit, Bewaͤſſe⸗ 
rung, Mlimatifche, Productiond:, Handels:, Verlehre:, Verwaltungs:, Volls⸗ 
bildungs⸗ u. f. w. Berbältniffe) man bei den einzelnen Staaten verfolgen 
möchte, überall findet man gründliche, vieljeitige Belehrung zur Würdigung 
der natürlichen und ftaatlihen Bedeutung derfelben, fo dab man beim 
Nachſchlagen nirgends im Stich gelafien wird. Aus diefem Grunde bat 
denn auch das Werk felbit über die deutfchen Grenzen hinaus fchnelle Ber 
breitung gefunden. Der Berf. bat im 2. Theil jet nicht nur die Zahlen 
angaben, namentlih in den vielen Zabellen, den jebigen Berhältnifien 
entfprehend beridhtigt, fondern aud die Produltionsangaben ermeitert, 
mande Länder, 3. B. Italien, ganz umgearbeitet, und einen fiteratur: 
Nachweis vorangefhidt. Ohne Zweifel wird dadurd der ferneren Berbtei: 
tung des Wertes aufs Beſte gedient, fo daß es von Neuem mit aller 
Ungelegentlichleit empfohlen werden kann. Die Lieferungen 1—3 enthalten 
die pprenäifche Halbinfel, die Alpen: Halbinfel, die Schweiz, Frankreich, 
Belgien, die Niederlande, Großbritannien und Irland, die flandinavijce 
Halbinfel, die dänifhen Ynfeln und Dänemarl. Um Beifpiele intereijanter 
tulturgeographifcher PBarthien anzubeuten, möge auf ©. 60, 199, 242, 
263, 337, 359, 473, 614, 797 fj. verwiefen werden. Sehr fpeciell find 
u. 9. die topographifgen Beſchreibungen der größten Städte ausgeführt 
(London, Paris, Rom, Neapel). Mit ebenfo viel Sorgfalt find die Ber 
kehrswege (cf. Alpen), die Handelöbewegung (cf. England), die Boden 
benußung (cf. Spanien und Italien) beachtet, — überall eine Fülle von 
Belehrungen. 


14. Dr. J. R. Boymann, Gymnaſfial⸗Oberlehrer: Grundlehren der 

ee ab den Ge sarapbie für Gymnafien, 
ealſchulen und andere höhe . i 

Berfafler’s.) Köln u. —B Per Fe Labs. er * Zoplit beleben 

Zu dem Behrffe, die fundamentalen mathemathifch-geographifchen Ber 

hältnifje der Erde und einige allgemein wichtige aſtronomiſche Berhältnifk 








Geographie. 497 


in wiſſenſchaftlich begründeter und doch gut verſtaͤndlicher Weiſe kennen zu 
lehren, dazu wird ſich das kleine Schriftchen ganz brauchbar erweiſen können, 
da ganz zwedmäßig conſtruirte Figuren die Erläuterungen unterſtützen. Von 
$. 1—7 wird die Himmelskugel und deren Gintheilung, die Firfterne, das 
Sonnenſyſtem, die Lage, die Beitimmung der Entfernung eines Geſtirns 
u. a. m. behandelt; 8. 8—12 enthalten die mathematifch » geographijchen 
Grundlehren, $. 13 Giniges über die Zeitrechnung im Kalender, $. 14 u. 
15 etwas über den Mond und die Verfinfterungen, 8. 16— 20 Mittheilungen 
über die Planeten, Kometen, Sternihnuppen, Zodialallicht, Copernilanijches 
Sonnenſyſtem u. |. w. Die Darftellung ift eract, durch mathematijche Bes 
vehnungen und Nachweiſungen unterftüßt (cf. Berechnung der Entfernung 
und Größe eines Geſtirns) und für Gymnaſiaſten jedenfall® unſchwer ve» 
fländlih. Sie umfaßt zwar nur das Nächſiliegende und ftellt es als fer 
tige Nefultat bin, aber der fachkundige Lehrer wird daran leicht durch 
methodische Entwidelung noch manches Andere anzulnüpfen vermögen, 


15. Dr. E. Glafer: Charatterbilder franzöſiſchen Landes unb 
Leb en. Seftgabe fiir Jung und Alt. Gießen, 1865. Wider. 158 ©, 
20 Ser. 


In dem Sinne, daß die abitracte Scheidung bes geographifchen Lehrftofis 
in topiſche, phyſikaliſche und politiihe Geographie nicht allzulange beibehalten, 
ſondern für die reifere Jugend die lebendige Einheit der Culturgeographie 
angeftrebt werden müfle, und geftüßt auf Grube's Ausſpruch, „ein vierzehn» 
jähriger Schüler müfje nicht nur die Namen 3. B. ruffifcher oder franzöfifcher 
Flüfle und Provinzen genau aufzuzählen willen, fondern eine klare Ans 
ſchauung in Bezug auf ſittlich religiöfes, geiftiges und techniſch⸗induſtrielles 
Leben des betreffenden Landes und feiner Leute aus der Schule mitbringen“, 
liefert Derf. bier bunte Bilder aus Yranlreih und aus dem Leben ber 
Franzoſen in möglidjjt abgerundeter Form. Er erweitert damit gemifler 
maßen das, was Grube in feinen „geographifchen Eharalterbildern‘ aus 
dem gleichen Bereich aufgenommen bat, und hat um jo lieber vie faft 
novelliftijche Form beibehalten, weil er dadurch am beften die lebendige 
Friſche der Darfiellung der benugten Autoren zu bewahren münjchte, 
Sranzöfifches Privatleben und feine Eigenthümlichleiten, öffentlihe Bauten 
und Pläße und ihre wiflenjchaftliche und künftlerifche Bedeutung, National 
haralter, Sitten und Anlagen der Franzoſen, franzöfiiher Cultus und 
Erziehung, Verdienſte der Franzoſen um die Naturwiſſenſchaften, Sprache 
und Geſchichtſchreibung der Franzofen und Frankreichs bisherige Politik 
gegen und feine indujtrielle Bedeutung für Deutſchland: das find die 
Hauptmomente, welde in 23 Cinzelbildern behandelt werden (3. B. Paris 
bei Nacht und die Boulevards, Baftillenplag, Louvre, Tuillerien, Verſailles 
und Montmorency, Quartier Marcel, Pantheon, Notre Dame, Neujahrstag, 
Klöfter, Penfionserziehung, Jardin des plantes, Aquarium im Boulogner 
Gebölz, Hedensarten, Induſtrie u. |. w.). 

Abgeſehen davon, daß Grube mit feinem vorhin erwähnten Ausfprud 
ein gut Stüd über das Biel unjerer gegenwärtigen Bürgers und Neal» 

ſchulen, von Volksſchulen gar nicht zu reden, hinausgreift, indem thatſaͤchlich 
Var. Jahresbericht. XVII. 32 


498 Geographie. 


eine Bekanntſchaft mit Land und Leuten in der gemeinten Art bei vier: 
zehnjährigen und noch Altern Schülern nicht erreicht wird, if es jedenfalls 
ſehr fraglih, ob Glaſer mit feiner Schrift die unferer Jugend zutraͤgliche 
Speiſe und den ihr angemeſſenen Ton getroffen hat. Gleich ver zweit 
Abſchnitt (Familienheerd) fireift fo bedenklich an geiftige Koketterie mit 
Phraſen, welche achtzehnjäbrigen Franzöfinnen in der Regel nicht zu Gebote 
ftehen dürften, und er läßt fo viel romanhafte Sympathie vurhbliden, daß 
deutfche Maͤdchen und Knaben wohl verlegen werden müflen. Dazu kommt, 
daß einzelne Scenen in einer einzelnen Yamilie unmöglich ein zutreffendes 
Spiegelbild des franzöfiichen Familienlebens geben können. Was Ton und 
Diction anbetrifft, fo ift die Entlehnung des Stoffs aus Schriften, welche 
durch eine gemwiffe geiftreiche Brillanz der Worte, durch herumhüpfende Ne 
miniscenzen aus wiſſenſchaftlichem und künftlerifchem Gebiet des Alterthumd 
wie der Neuzeit, durch comparative Zufammenftellungen von Urtheilen über 
großartige Schöpfuhrgen des menfchlihen Geiftes feſſeln wollen, jo iM ein 
gewiljes Haſchen nad eleganten Gffecten der Darftellung, eine Art fraw 
göfifcher Unftetigkeit bei der Betrachtung, eine vielfach durchblidende Neigung, 
politiiche Reflerionen anzubringen: dies Alles ift von zweifelhaft päbagogt 
ſchem Werth für unfere deutfhe Jugend. Daß jugendliche Lefer das Bud 
nicht flugs verftehen können, weil ihnen die zahlreichen Beziehungen au 
allerlei Erſcheinungen des Geiſtes⸗ und Kunſilebens unmöglich bereits be 
kannt find, ift der geringere Schaden; befonnene Pädagogen balten von 
ihnen gern alles fern, was zu lederhaftem Gelüft verführen könnte. Die 
gilt u. 9. von den Abfchnitten 5—11; in ähnlicher Weife gilt die nicht 
ausreichende Leichtverftänvlichleit für das 12., 19 — 21. Kapitel, währen 
Abſchnitt 14, 15 noch lange kein treues Bild der franzöfifhen Kloͤſter und 
der Penſionats⸗Erziehung abgeben, und bie Abſchnitte 16 38 mehr nalur 
wiſſenſchaftliche Vorkenniniſſe erfordern, als unfere Jugend erworben haben 
kann. Alſo „für Jung‘ paßt diefe „Feftgabe” wenig; ob „für Alt“ — 
das ift Gefhmadsjahe und bier nicht zu erörtern. Grube würde bes 
Büchlein ſchwerlich für eine adäquate Fortſetzung feiner „Charalterbilde” 
anzujeben geneigt jein. 


16. Dr. DO. Hübner, Director des flatififchen Central⸗-Archivs: Statifiſche 
Tafel für alle Länder der Erbe. 14. Aufl. ber dentſchen Aucgebe 
1865/66. Kranffurt a. M. Bofelli. Ein Blatt in Rieſenfolio. 5 Spt. 


Ueber die 13. Aufl. diefer Tabelle, melde zwar vornehmlich für Kauf 
leute beachtenswerth, aber in mehreren Beziehungen Behufs rafcherer Ir 
gleihung ftatiftifcher Verhältniſſe auh für Lehrer nützlich ift, murbe M 
Päd. Zahresberiht XVII., ©. 278, berichtet. Im Wefentlichen if die 
Einrihtung unverändert geblieben, nur die Bahlenangaben find der neufks 
Zeit entjprehend abgeändert. Künftig werden vorausfichtlidy bedeutendeit 
Veränderungen für Deutfhland erforderlih werben. 


17. 3. Straube: Methobifher Handatlas zum "Kartenzeiäntl 
für Schulen. Berlin. Straube (Blumenftraße Nr. 82). In Commiffien 
bei Plahn⸗Sauvage. 1865. 














Gesgraphie. 499 


Ueber viefen Atlas ift im Pad. Jahresbericht XVL, S. 248 fi. und 
XVIL, S. 290, ausführlicher berichtet und feine eventuelle Verwendbar⸗ 
keit im praltiihen Schulunterricht in höheren Schulen erörtert. Hier fei 
nur angemerlt, daß noch eine anfprechende Repetitionslarte für 
Deutſchland binzugelommen ift, welde in gleiher Ausführung (Meere 
blau fchraffirt, Fluͤſſe blau, Gebirge braun in Tuſchmanier) ein nußbares 
Wiederholungs:Hülfsmittel darbietet. Sie ift ohne alle Namen und Gtäptes 
zeichen, enthält aber in feiner Punltirung die bisherigen, nunmehr aller 
dings theilweife antiquirten Ländergrenzgen. — Bon demjelben Lithographen 
entworfen unb gezeichnet ift auch neh eine Gifenbahnlarte von 
Mittel:Europa erfhienen, welche auf. einem Niejenblatt ſaͤmmtliche 
mitteleuropäifchen Bahnlinien und zwar mit Angabe fämmtlicher Gifen - 
bahnſtationen enthält. Da die officiellen Materialien der Gifenbahn« 
Directionen dabei benußt find, jo darf eine correcte Bollitändigfeit erwartet 
werden. Trotz des großen Formats der Starte fehlt ed doch nicht, daß auf 
den Linien im mittleren heile des ganzen Gebiets, namentlich im Bereich 
des Nheins, der Weſer und Elbe und ihren Verbindunäsftreden, und ebenjo 
im PosGebiet, die Stations⸗ Namen ungemein gedrängt ſtehen und ben 
raſchen Gebraudy der Karte erjchweren. Die Billigleit des Blattes in 
kithographifcher Ausführung muß dieſe Mibftände etwas vergeflen laſſen. 


Shlußbemerlung. 

Gegen die Fülle der Beſprechungen literariiher Erſcheinungen auf 
geographiihem Gebiete ftehbt das Wenige, was dies Mal dargeboten werben 
kann, ſehr mertlih zurüd. Daraus einen Schluß auf die Spärlichleit der 
neuen Griheinungen im Jahr 1865 machen zu wollen, hieße das Nichtige 
verfehlen und die beengenden Umſtaͤnde vergeſſen, unter welchen es dies 
Mal unmöglid war, diefen Grideinungen mit der früheren ſammelnden 
Gorgfalt zu Werke zu geben, ja nur überhaupt ihrer anfightig zu werben. 
Es fieht in Gottes Hand, ob es nod einmal verftattet fein wird, die feit 
einer durch zwanzig Jahre hin fortgefebten und — wie gern eingeftanben 
wird, — mit Aufopferung und Hingabe verfolgten Arbeit aufnehmen und 
auch nur zu dem Abſchluß bringen zu können, welder in der recapitulivens 
den Ueberſchau der Ergebnifie früberer Darfiellungen gefunden werden dürfte. 


Anhang. 
Bearbeitet von Auguſt Lüben. 


1. Die Wunder des Himmels ober gemeinfaßliche Darftellung bes Welt- 
ſyſtemes. Bon 3. v. Littrow. Fünfte Aufl. Nah ben neueften 
Ertieritten ‚der Wi enichaft Bearbeitet von Marl dv. Lit ittrow, Director 
der Sternwarte und Profefior der Aftronomie an ber k. E Univerfität Wien. 
Mit 10 kith. Tafeln und 147 Holzfhnitten. gr. 8. (XVII u, 1033 ©.) 
Stuttgart. ©. Weife, 1866. 34 Thir. 

32* 


600 Gesgraphie. 


2. Atlas bes gefirnten Simmels. Heransgegeben von v. Littren 

Dritte Aufl 1.—4. Lieferung. Ebendaſelbſi. 

Es wird genügen, die Lefer auf das Vorhaudenſein dieſes Werks 
aufmertfam zu machen, defien Titel wenigftens keinem Lehrer unbelannt H. 
Wir münfhen ihnen aber mehr, als eine Titel-Bekanntſchaft. Die „Zur 
der des Himmels“ find in der That fo auferorbentliher Art, daß ie 
@ebildete davon Act nehmen muß, und etwas davon muß auch in ber 
legten Dorffchule gelehrt werden. Die Fortfchritte, melde im ven lebten 
Decennien auf dem Gebiete der Aftronomie gemacht worden, find außer: 
ordentlih und nur vom Manne von Fach zu überfehen; wer ſich, mie dr 
große Mehrzahl der Lehrer, nur nebenbei mit Aſtronomie befehäftigt, bleibi 
ohne Kennmiß derſelben und lehrt möglicherweife in der Schule nad einen 
‚älteren Buche Dinge, deren Nichtigkeit durch die neueren Forſchungen be 
reits erfannt iſt. Dagegen fihert das Studium biefer Schrift. Der jebige 
Herausgeber ift ein fehr tüchtiger Aſtronom, wie ſchon feine amtlide 
Stellung erwarten läßt. Es konnte ihm daher keine aſtronomiſche Get: 
dedung von Belang entgehen. Bu dem hieraus fich ergebenden Borzugt 
des Buches kommt noch ein zweiter, fehr wichtiger: daß es nämlich durd» 
weg populär gejchrieben ift und alle fhwierige aſtronomiſche Berechnungen 
ausſchließt; es kann daher auch von denen verftanden werden, welchen das 
höhere Rechnen unbelannt iſt. DBeigegebene und eingebrudte Abbildungen 
tragen ohnehin zur Veranſchaulichung bei. 

Der „Atlas des geflirnten Himmels” ift zwar ein felbftftänbiges 
Merk, darf jedoch als ein Supplement zu der vorflehenden Schrift angeſehen 
werden. Gr wird in 6 Lieferungen (& 5 Sgr.) vollendet fein. Bu des 
fauber ausgeführten Zafeln gehört ein ausreichender Tert. 


3. Aftronomifhe Jugend⸗Abende von S. Seiffart. 8. (VIn. 1606) 

Berlin. €. Heymann’s Verlag (A. E. Wagner), 1865. 1 The. 

Dies Werkchen enthält in zehn Abfchnitten die Glemente ver Afır- 
nomie in einer für die Jugend faßlihen Darftellung. Alle Abfchnitte ent: 
balten ziemliche zahlreiche, gut ausgeführte Abbildungen. Neben den Dar: 
ftellungen einzelner Sternbilver findet fi nod eine Sternlarte. Wir halten 
das Buch für 14—16jährige Schüler ganz geeignet. 


4 Die Wunder ber Gternenwelt. Illuſtrirte Aftronomie für Leim 
Bon U. Buillemin. Mit farbigen Kupfern umb vielen Holzſchnittes. 
gr. 8. (501 ©.) Berlin. R. Shlingmann, 1865. 2 Thlr. 

5. Der Dcean und feine Geheimniffe und Wunder. Bon Arte 
Mangin. Mit farbigen Kupfern und vielen Holzfchnitten. gr. 8. (309 ©) 
Ebendaſelbſt, 1866. 14 Thir. 

6. Die Erde und das Meer. Illuſtrirte phyſiſche Geographie. it fer 
bigen Kupfern und vielen Selsfenitien. gr. 8. (IV n 410 5) de 
daſelbſt, 1866. 2 Thlr. “ " 


. Das Reid der Luft. Bon Arthur Mangin. gr. 8. (IV x. #326) 
Ebendaſelbſt, 1866. 1% Thlr. 


‚- Die vorfiehenden vier Schriften führen den gemeinfamen Titel „Weltall“ 
Sie find „für die veifere Jugend und für Alle, melde das große Bud du 


4 








Geographie. 501 


Natur ſich erfchließen wollen”, beitimmt. Ihren inhalt geben die Titel im 
Allgemeinen an. Wir fügen zu ihrer Empfehlung in den Streifen ber 
Bollsfhullehrer hinzu, daß jede diefer Schriften ihren Gegenftand faſt er- 
Ihönft, daß ohne Ausnahme die neueften Beobadhtungen aufgenommen, die 
beften Schriften benußt worden find, und daß die Darftellung im beiten 
Sinne des Wortes populär, doch anziebend if. Die Abbildungen, auch die 
naturbiflorifchen, die fih namentlih in Nr. 5 und 7 zahlreich finden, find 
gut, wie überhaupt die ganze Ausftattung ſich empfiehlt. 


B. Meyer's Hand⸗Atlas der neuefen Erbbeihreibung. 40.—42. 
Lieferung. gr. Folio. Hilbburghaufen, Berlag des bibliographifchen In⸗ 
Rituts. 3 Thlr. 

Diefe drei Lieferungen enthalten auf 6 Blätten: das Kaijerreich 
Merilo, Südamerika, füpliher Theil, Württemberg, Baden und Nheinpfalz, 
Polynefien, Borderindien und SHinterindien. Die Karten find fänmtlid 
1865 von E. ©. NRävenftein in London entworfen, dürfen daher ala fehr 
zuverläffig angefeben werden. Räume, welche das Hauptbild leer ließ, 
find forgfältig benugt worden durch Detaildarftellungen. Die Ausführung 
im Stich ift fauber und für das Auge wohlthuend. Der Atlas kann ſich 
daber ven beiten feiner Art zur Seite ftellen. 


9. Karte von Paläfina von ©. W. M. van der Velde. Deutiche 
Ausgabe nach der zweiten Auflage ber „Map of the holy land.‘ Maf- 
fab: 1: 315000. Acht Blätter in Farbendruck. Gotha. Juſtus Pertbes, 
1866. 24 Thlr. Aufge. in Mappe 35 Thlr. 

Die Karte von Paläftina nimmt unter den beften feiner Art die erfte 
Stelle ein. Ihre Angaben find fo richtig, wie eine Karte, für deren Dar: 
ftellung die vorzüglichiten Geographen thätig geweſen find, fie nur bringen 
kann. Die Ausführung ift ungemein fauber und durch den Farbendrud, 
der das Tiefland grün, das Hochland mattbraun barftellt, für das Auge 
ſehr wohlthuend. Schulen, die noch nicht im Beſitz einer guten Karte von 
Baläfiina find, machen wir daher befonders auf die hier genannte auf: 
merkſam. 


XL. 
Geſchichte. 
Bearbeitet von 
A. Petſch, 


Lehrer in Berlin. 


Vorbemerkungen 


über Geſchichte und Gefchichtsunterricht. 


Nah dem Inhalte der meiften pädagogifhen Zeitichriften, fowie nah 
den Programmen paͤdagogiſcher VBerfammlungen — foweit dem Schreiber 
dieſes foldhe zur Kenntniß gelommen find — zu urtheilen, ftanden Geſchichte 
und Geſchichtsunterricht nicht gerade im Mittelpuntte des Denkens der deut: 
ſchen Lehrerwelt. Die Zahl der Aufſätze, die fih mit dem genannten Ge 
genftande befhäftigen, ift in allen dem Referenten befannt gewordenen pä: 
dagogiſchen Blättern verhältnißmäßig gering, und in den Programmen ber 
meiften größeren Berfammlungen kommen Themata dieſes Inhalts über 
haupt gar nit nor. Und doch, wie bedeutend ifl gegenwärtig in ber 
deutſchen Literatur überhaupt das der Geſchichte zugewandte Intereſſe, wie 
mächtig gehen in unferen Tagen die Wogen der Geſchichte felbfi ! 

Allerdings ift auf diefem Gebiet zu einer lebhajteren Discuffion inner 
balb der pädagogifhen Welt nicht fo viel Stoff und Beranlaflung 
vorhanden, ald auf einigen anderen Gebieten des Schulunterrichts. Tie 
Meinungen geben bier nicht fomweit auseinander, wie in Betreff z. B. dei 
Religions » und des Spracunterrihte. Ueber gewiſſe Principienfragen f 
man zu einer annähernd allgemeinen Webereinjtimmung gelangt. Darm 
ift es ganz natürlih, daß die Arbeit der Pädagogen in der Schule und 
in der Literatur ſich mehr auf die Ausführung der vorhandenen Ideen, al 
auf die Revifion und Bereicherung des vorhandenen Ideenſchatzes gerich⸗ 
tet bat. 

Wenn man die Yeußerungen der pädagogiihen Schriftfieller während 
des verflofienen Jahres überblidt, jo ſcheint fih im Allgemeinen eine ge 
wife Ausgleihung der Anfichten, eine Abſchwaͤchung der Ertreme zu vol: 
ziehen. Die weit aus einander fahrenden Anfichten früherer Jahrjehente 











Gefchichte. 503: 


tommen allmälig in altbewährte Geleife wieder zurüd. Die „biographiſche“ 
Methode wird nicht in aller Strenge mehr durchgeführt. Wurden vor eini⸗ 
gen Jahren Stimmen laut, welche die Gulturgejhichte in den Vorbergrund 
flellen und den Untersiht mit Schilderungen über Sitten und Lebensweiſe der 
Bölfer beginnen wollten, fo legt man jebt wieder das Hauptgewidht auf bie 
Handlung, und aufdie Erzählung derjelben. Die Begeijterung für die 
bloße Zerritorial: und Localchronik und für die daraus erwachſende „engere 
Baterlandsliebe verſtummt allmälig gegenüber dem Verlangen nah wirk— 
liher Geſchichte. Die Vereinigung der Gefhichte mit der Geographie, 
und das Herauslejen derfelben aus dem Leſebuche findet feine jo warmen 
Bertheidiger mehr, wie ehedem. Auch mo man gegen bieje Grfindungen 
der neueren pädagogiſchen Aera nicht offen und direct auftreten mag, ſucht 
man doch mit guter Art und mit Bewahrung des Scheins dem als un: 
zwedmäßig Crlannten auszuweihen. Während jo der über jeine Ufer ges 
getretene Strom der Meinungen mehr und mehr in fein natürliche Bett 
wieder zurüdtritt, find allervingd auch vereinzelte Aeußerungen ganz radis 
caler Natur vorgelommen, die aber, weil fie von dem gewöhnlidhen Ideen⸗ 
gange zu weit ab liegen, für die Beurtbeilung des Ganzen nit maßgebend 
fein können, auch ihrer Kremdartigteit wegen nicht von großem Einfluß, — 
wenigftend nicht von unmittelbarem — auf bie literariiche Production und 
die Schulpraxis fein werden. 

Zu diefen Aeußerungen muß wohl ein Artilel der „Berliner Blätter‘ 
gezählt werden, der gegen nichts Geringeres als gegen die Welt gejchichte 
überhaupt als Lehrgegenſtand der Volksſchule gerichtet iſt. 


1) Ein Mitglied des Evangeliſchen Schulvereind hatte ſich beklagt, 
ed werde in der Volksſchule zu wenig Zeit auf die NRefor: 
mationsgefhihte verwandt. Sin Folge deſſen find von dem genann- 
ten Verein einige Fragen aufgeftellt worden, Nämlich: 


1. Bo ift in der einklaffigen Elementarfhule die Re: 
formationsgefhihte am beften einzuſchalten? 

2. Iſt e8 wünfchenswerth, in einer mehrklaſſigen (kann’s fein, 
auch in einer einllaffigen) Elementarfhule aud andere 
wihtige Stüde aus der Geſchichte der criſtlichen 
Kirche den Kindern mitzutbeilen, und wo wäre eine jolde 
Mittheilung anzubringen ? 

3. Erſetzt das bloße Leſen folder Stüde aus der Geſchichte der dhrift: 
lihen Kirche die mündliche lebendige Mittheilung verjelben durch 
ben Lehrer ? 


Ueber dieſe Fragen läßt nun Hr. Büttner in Nr. 46 der „Berliner 
Blätter (Jahrgang 1865) fich folgendermaßen aus: „Für das Chri: 
ftenvolt bat das Erzählen der Weltgeſchichte nur injomeit 
Sinn und Segen, als fie Geſchichte der Gottesoffenbarung 
ift, die Geſchichte des in der alten Zeit vorbereiteten — — Gottesreiches. 
Das Menſchliche in ner Weltgejhichte, Holz, Heu, Stoppeln, gehört nicht 
in die Bollsihule; fie hat nicht den Beruf, in alle menſchliche Schwaͤchen 


504 Geſchichte. 


und Gebrechen, Sünden und Verbrechen einzuführen und dann gu fuchen, 
ob fi in der Spreu ein gutes Weigenlorn auffinden und zum Geelenheil 
verwertben laſſe, fondern Gold, Silber und Edelgeſtein, das fi im euer 
bewährende Menſchenwerk in der Weltgeſchichte foll die Volksſchule lehren, 
fofern e3, gottgegeben und geweiht, zum Ausbau feines Reiches förderlich 
und dienftbar gemefen. Dann wird das Boll auf dieſer feiner einzigen 
universitas litterarum — in der Schule — Gott ald den ewig walten: 
den, ewig ſchaffenden und regierenden fennen und verebren lernen, daß es 
ihn überall und allezeit fürdte und liebe.” 

„Gemeinhin tbun wir jo, als wäre bie Gottesoffenbarung im erften 
Pfingſtfeſte auf Erden abgeſchloſſen, als ließe Gott jeitvem die Völler und 
Fürften in abfoluter Laune und Willlür falten und walten, und würde 
nur dereinft einmal wieder erwachen, um zum ſcharfen, unerbittlihen Zorn⸗ 
gericht dreinzufahren.” — „Die gefammte Weltgeſchichte if 
Gottes Dffenbarerin, ift das unerbittlide Gottesgericht.“ 

Bon diefer Gottesoffenbarung in der Weltgefchidhte vor, in und nad 
Chrifto muß auch das Volkskind ein Mares, geiftverftändliches, herzergreifen: 
des Gefammtbild in fein oft fo ödes, triftes, geift« und herzloſes Arbeits« 
leben mitbelommen. Es ſoll überall und allegeit ſpüren: „Sn ibm leben, 
weben und find mir!" — „Ohne Kenntniß der Weltgeſchichte 
bleibt ung auch die Bibel troß aller nod fo feinen Grpli: 
eationen, troß alles Dogmatifirens und Memorirens ein 
mit fieben Siegeln verfhlofjenes Bud.” 

„Die Volksſchule treibt Baterlandsgefhihte: Diefe aber if 
nur ein irgendwo berausgewachfener Aft der Allgemeingefhichte: Sie will 
Reformationsgeſchichte treiben: dieſe aber ift nur ein in ven 
Lebensbaum eingefügtes Edelreis, an und für ſich völlig boden⸗ und 
finnlos, total unverſtändlich und in feiner abgerifienen Sfolirtheit fogar 
ſchädlich. Das Marliren der Reformationsgejhhichte, als der Geſchichte des 
Widerſpruchs und Kampfes wider die römifchelatholifhe Kirche, ſchafft — 
ganz abgejeben von ihrer Unverftändlichleit — miderdriftlihen Haß und 
Verachtung der anderen Neligionsgemeinihaft, indem fie und zum Phari⸗ 
fäismus, der Cigengeredhtigkeit und Selbftüberhebung in geiftlihen Dingen 
treibt. Das Forciren der VBaterlandsgefchichte, zumal wenn, wie gemöhn 
lich, die brudermörderiſchen Schlachtgeſchichten mit ganz befonderer Borliebe 
flammend erzählt und die blutvampfenden Kriegsfürſten auf Koften der pal⸗ 
menumſtedten Friedensfürſten über Gebühr erhoben und glorificirt werben, 
— erzeugt hrififeindlihen Nationalhaß, reproducirt das engherzig jũdiſche 
Pripcip der Nationalität, treibt zu Gigengerechtigleit und Selbftüberbebung 
in weltlihen Dingen” u. |. m. 

Daraus ergibt fih für den Geſchichtsunterricht in der Boltesfchule 
Folgendes : 

1. „Die Reformationsgefhiähte für fih allein gehört 
night in die Volksſchule. Ohne Kenntniß der vorangegangenen Reichs⸗ 
geſchichte ift fie boden» und ſinnlos. Sucht fie aber ein Lehrer dur 
Aufzählung einer Menge von Irrthuͤmern und Sünden ver roͤmiſchkathe⸗ 














Gefchichte. 505 


fifhen Kirche zu motiviren, fo erfcheint dieſe durch die-fummirte Häufung 
aller nur moͤglichen Verirrungen und Schlechtigkeiten, deren Entftehung 
ganz unerliärt und unbegreiflich bleibt, ald wahres Bild der Finſter⸗ 
niß” u. |. w. 

2. „Die Bollsfhulefollvernünftigerweije alle Haupts- 
momente der Reichsgeſchichte Gottes darbieten.” Der Her 
Verf. deutet nun kurz diefe Hauptmomente an. Wir mollen nur Giniges 
daraus hervorheben. „Zuerſt muß die Kirche um ihren irdifhen Beſtand 
ringen, dies dauert bis zur Belehrung Gonftantin’s ; fodann muß dieſelbe, 
nachdem fie fih von Eeiten der weltlihen Macht Duldung errungen hat, 
fi dieſe felbft unterwerfen, muß ſich jelbft als Weltmacht conftituiren. 
Dies geichieht allmaͤlig, bis zur Vollendung durch Gregor VII., ven 
„Herrn der Herren. Sin den Kreuzzügen und in der welterobernden Mifs 
fion feiert die als Weltmacht conftituirte Kirche ihren höchſten Triumph. 
„Die Erjheinung des römischen Katholicismus ift darum nicht gottwibrig, 
fondern gottgeoronet und geweiht. „Die Kirche arbeitet nunmehr an ihrem 
inneren Ausbau. Menſchliche Irrungen ſchleichen fih ein” u. ſ. w. In 
dieſer Weiſe ſollen dem Schüler die wichtigſten Greigniffe vorgeführt werden, 
und angeſchaut werden bauptfählih in ihrem Verhaͤltniß zur chriftlichen 
Kirche. 

3. Die Volksſchule kann diefe Aufgabe erfüllen, fie 
muß es fönnen, weil fie es foll*), Das roh empiriihe, gedans 
tens und zuſammenhangloſe Aneinanderreihen von Thatfahen muß aus dem 
Geſchichtsunterricht verbannt fein. Es muB überall Sinn und Berftand, 
innerer göttli nothmwendiger Zufammenbang, ja eine ‚folhe lebendige Eins 
beit fein, daß die gefammte Weltentwidelung im geſammten Menſchenge⸗ 
ſchlecht als der lebenvige Leib Gottes erfannt wird.” „Frei⸗lebendiger 
Vortrag, der allein Leben erzeugt, ift durchaus nothwendig.“ „Das bloße 
Lefen im eingeführten Leſebuch hilft nit nur Nichts, fondern ſchadet ge: 
radezu. „Dazu kommt, die eingeführten Leſebücher bringen meift blutjam⸗ 
merwenig (!) von der Reichsgeſchichte Gottes. Man hat's eben nicht für 
nöthig gehalten.” Der Herr Berf. erwähnt ein Leſebuch, meldes auf 17 
Seiten die Reformationsgeſchichte erzählt, „ohne daR für die Reformation 
irgend ein anderes veligiöfes Motiv angegeben würde, als: „Luther ſah 
von Wittenberg mit Zorm auf den Ablaßunfug.” „Er glaubte, weil er 
Doctor der heiligen Schrift fei, jo müfje er gegen ſolch ſuündliches Treiben 
ei ern.‘ 

„Du mein Gott! Mit diefem Motiv foll fi das Volkskind die Ne 
formation erllären. Eo lernt kein Menſch diefe urgewaltige Weltbewegung 
verftehen ! Das Kind lernt nur aus den Duisquilien der Menſchengeſchichte 
Gott ignoriren, die Menfchen bafien und verachten. lernt fih mit Abſcheu 
von einer gottlojen Welt abwenden, deren Geſchichte vornehmlich aus Raubs 
und Mordgeihichten befteht.‘' 





®) Grinnert tein wenig an bie belannte Nebensart zur Kenmeichnung bes 
ruſſifchen Müflene, 


506 Geſchichte. 


4. Der Here Verfafler will, daß die Geſchichte als Einheit und 
im Bufammenbang begriffen und erfaßt, daß alles Aphoriftiiche, Zeritüdelte, 
Bufammenhangslos » Zufällige im Geſchichtsunterricht unterworfen Werbe.” 
Darum will er keine gelegentlihe Antnüpfung an das Kirchenlied. „Das 
zufällige Anknüpfen von Allem an Alles verwirrt den Geiſt.“ „Es if 
eine Sünde gegen das Volkskind, als ob's von Haufe aus bümmer waͤre, 
als das Kind der höheren Stände, ja ald ob es ſchwachköpfig unb blöd: 
finnig wäre, — wenn man ihm nicht ebenfogut die Kraft des planvoll-zu- 
fammenbängenben, ſyſtematiſchen Denkens zutraut, wenn man es wie einen 
Albino (2?) oder Halbafien behandelt.“ 

Man fiebt, der Herr Berf. gebt in feinem Artikel den gewöhnlichen 
Anfihten über den Geihichtsunterricht, ſowie der deutſchen Grammatit hery 
baft zu Leibe (die ſtelienweiſen Ausfälle gegen die Logik find zwar nicht 
minder energiſch, aber ein wenig verftedter). 

Wenn nad den eigenen Worten des Verfaflerd, die Bibel nicht obme 
Weltgefhichte, die Reformation nicht ohne die voraufgegangene Geſchichte, 
die vaterländifche nicht ohne die allgemeine Geſchichte, wenn überhaupt das 
Ginzelne nicht außerhalb feines natürlihen Zufammenbanges zu verftehen 
ifl, — wie will man da aus der Summe alles Geſchehenen die Geſchichte 
des Reiches Gottes ausfondern aus dem, was blos menſchlich (Holz, Gtuoh 
und Stoppeln u. |. w.) ift? Wer möchte bier die Ausleje machen ? Die 
Geſchichte umfaßt Alles, was die Entwidelung der Menjhheit angeht, und 
was ber Verfafier die „Neichögefchichte Gottes‘ nennt, ift Tein unweſent⸗ 
liches Clement derſelben. Und wuͤrde dieſes Clement vernachlaͤſſigt in bez 
Geſchichtserzaͤhlung, fo könnten wir eine ſolche nicht für eine rechte Ge⸗ 
ſchichtserzaͤhlung anerkennen. 

Neben den auf dieſen Punkt bezuͤglichen, ſehr zweifelhaften Sätzen ent⸗ 
bält der Artikel viele gewiß recht freffende Bemerlungen über manches 
Ginzelne. Daß er die vaterlaͤndiſche Geſchichte auch wie jede andere Geſchichte 
als etwas Menſchliches — zumeilen etwas jehr Menſchliches — anfiedt, 
und nicht, wie ein anderer Autor, als eine Duelle, aus ver ein „futliches 
Heil” entwidelt werben könnte, daß er die häufig ſehr ungenügende Dar: 
ftellung der religiöjen Berbältnifje, namentlid ber Reformationsgeſchichte, 
tadelt, daß er den lebendigen Vortrag des Lehrers verlangt, und die Me: 
nung verwirft, als könnte das Kind der Volksſchule nur ganz wereinzelte 
Broden aus der Geichichte verjtehen, — dies alles find Dinge, denen man 
ſehr wohl zuftimmen kann. Vollkommen richtig ift ed ferner, daß jedes 
Herausreißen eines Stüdes der Weltgefhichte aus dem Zuſammenhang (fe 
ed Reformations⸗ oder vaterländifhe Gejhichte) nur eine unvolllommene, 
einfeitige Einfiht gewährt. Nur wird man fih in einfaden Elementar 
ſchulen vielfad mit dem Unvolllommenen begnügen müflen, weil ein Pie 
reres nicht erreichbar iſt. 


. 2) Während in dem fo eben citirten Aufſatz eine Scheidung des well: 
hiſtoriſchen Materials in Göttliches und Menſchliches, gefordert, und dos 














Geſchichte. 507 


letztere aus der Volksſchule verwieſen wird, beantragt ein anderer Artikel 
eine ähnliche, ebenſo willtürlihe und unmöglihe Scheidung, nur nad einem 
anderen Gintheilungsgrunbe. 

In einem Artitel des Schulblattes der Provinz Sachſen (1866 Rt. 1), . 
betitelt: „Unterrit in der vaterländifchen Gejhichte nad Umfang und 
Methode für die obere Klaſſe einer höheren Bürgerfchule” heißt ed u. 
„die Liebe zum Vaterlande fol den Herzen erft eingepflanzt werben ; fie bat 
noch keine beftimmte Geftalt gewonnen. Welchen Stoß würden Liebe und 
Pietät erhalten, wollte man geiftig unreife Kinder zu Mitwiflern menn 
auch längft vergebener und verbüßter fchwerer DVergehungen der Eltern 
maden! Wie verkehrt und gefährlih märe alſo ein Unterriht, der das 
Kleinlihe und Niedrige vor oder neben das Hervorragende und Erhebende 
ftellte I Oper follte etwa das Ausmalen der Sünde in ihrer Häßlichleit 
einen heilſamen Schreden und Abſcheu vor gleihem Thun ven Sinverherzen 
einflößen ? Hat ſich nicht die Abfchredungstheorie im Lauf der Jahrhunderte, 
weil gerade das Gegentheil des beabjichtigten Erfolges berbeiführend, als ver« 
derblich erwiefen? Iſt es nicht ein anerlannter Erziehungsgrundſatz, den Kin⸗ 
dern nur gute Mufter vorzubalten ? das Gute muß die Atmofphäre fein, in 
'der die Kinder athbmen. Denn das Gute ftedt auch an. Darum vermwerjen 
wir als unbeilftiftend die Mittheilung des Unfittliben und Gemeinen, vor 
zuglich für die Jugend!“ Gewiß find diefe und derartige — ehemals häu« 
figer, als jebt vorlommende — Mahnungen redht gut gemeint, vielleicht jo» 
gar veranlaßt durch eine Ausfchreitung nach der entgegengefeßten Seite bin, 
nämlid durd ein haͤmiſches, geflifientliches Hervortehren aller Schattenjeiten, 
aber im Grunde genommen ift das Eine jo vermwerflich wie dad Andere, 
obſchon jenes, als der Ausfluß einer wohlwollenden Gefinnung, eber zu ent« 
ſchuldigen ift, als dieſes. Gedichte ift nun einmal Gefhichte, was geſchehen 
ift, das ift geſchehen, und die Motive, aus denen die Handlungen geflofien, 
find zum größten Theil gemeine, egoiftiiche, und nur ausnahmsweiſe gute ober 
gar großmüthige. Der Geſchichtslehrer muß erzählen, was geſchehen, wie und 
warum es geſchehen ift, nach beitem Willen. Soll er eine Auswahl treffen, 
weil er nicht Zeit hat, Alles zu jagen, fo mag er das minder Wichtige vom 
Weſentlichen und Wictigften ausjcheiden, aber nicht das Böſe vom Guten. 
In jedem Charakter mischen fi eigenthbümlih Licht und Schatten, und bie 
Art und das Verhältniß, wie fie gemiſcht find, macht eben die Eigenthüm⸗ 
lichteit des Charakters aus, Wer viefes Verhältniß verändert, der fälſcht 
die Wahrheit, ob durch Bufaß oder durh Weglafiung eines weſentlichen 
Momentes, — das ift beinahe gleichgültig. Sollte es wirklich fittlide Ge 
fahren für den Schüler mit fih führen, ihm Welt und Menſchen zu zeigen, 
wie fie eben find, jo jtreihe man lieber die Gefchichte vom Lehrplan, aber 
ein Carricaturbild in usum Delphini made man nit daraus. 

Es bat mit der vorhin ausgeſprochenen Befürchtung auch gar keine Noth. 
Nicht das Böje, welches in jedem unverborbenen Gemüth Abſcheu erregt, 
seizt zur Nahahmung ; Niemand liebt das Böfe an ſich, fondern hoͤchſtens 
das Object, weldhes er durch eine böfe Handlung zu erreichen gebenlt. 

Der beite Dienft, den der Gefchichtsunterricht dem Schüler leiften 
kann, ift der, daß er ihm eine Vorſchule zu der im Leben nothwendigen 





508 Geſchichte 


Welt: und Menſchenkenntniß wird. Die Schule würde dem Knaben einen 
ſchlimmen Dienft erweifen, wollte fie ihn durch eine Geſchichte voll lauter 
Edelmuth zu der Meinung veranlafien, als wäre die Welt, in die er nad 
einigen Jahren treten fol, ein Wohnplatz für Heilige, Edle und Gerechte. 
Die Enttäufhung, die binnen kurzer Zeit nicht ausbleiben könnte, würde, 
wie dis zu gefcheben pflegt, ihn aus einem Ertrem in’3 andere treiben 
und ihn mit einer Grbitterung erfüllen, die ihn das noch vorhandene 
Gute verkennen ließe. 

3) Mehrfach finden wir in den vor uns liegenden padagogiſchen Zeit⸗ 
ſchriften die Forderung wiederholt, daß als vaterländiihe Geſchichte bie 
deutſche Geſchichte gelehrt werben folle, nit die Specialgeihichte der 
engeren Heimath. In einem, weiter unten genauer citirten Artilel aus 
dem „Centralblatt für die Preußifche Unterrichtsverwaltung” wird es geta- 
delt, daß der Verf. eines hiftoriihen Lehrbuchs für preußiſche Seminariften 
die deutſche Gefhichte mit dem meftpbälifchen Frieden abbrede, und von 
da an nur preußifhe Geſchichte erzähle. Im „Sculblatt der Provinz 
Sachſen“ (Nr. 21, 1866) heißt es: „Unter vaterländifher Geſchichte if 
nicht allein brandenburgifh:preußifche, fondern deutſche Geſchichte zu verftes 
ben.” Bon einem meiterhin näher befprohenen Buche „Geſchichte des 
Landes Anhalt” von Heine befürdtet ein Recenfent des Sähfiihen Schul 
blattes die Beeinträhtigung der deutſchen Geſchichte u. ſ. w. Soviel 
dem Schreiber Dieſes befannt ift, wird in vielen deutſchen Volksſchulen 
allgemeine veutfche Gefchichte gelehrt ; in den größeren deutſchen Staaten 
dagegen hat man, aus leicht erflärlihen Gründen, meift die Geſchichte der 
engeren Heimath bevorzugt. Wollte Gott, daß die Entmwidelung, an deren 
Schwelle wir zu fliehen fcheinen, binnen Jahresfriſt dahin gediehe, die Erfül- 
lung dieſes Munfces als etwas Selbſtverſtändliches berbeizuführen. 

Die deutſche Gefchichte für Volksſchulen gut zu bearbeiten, ift gewiß 
nicht leicht, und man muß den Echulen Gfüd mwünfchen, die den geſchicht⸗ 
lihen Unterriht mit der dem Knaben meit näher liegenden alten Ge 
Schichte beginnen können. In der deutihen Gefcichte, mit Ausnahme ver 
neueften, fehlt ed, verglihen mit der griechiſch⸗roͤmiſchen und mit der einiger 
anderer europäijcher Länder, ſehr an beftimmt ausgeprägten leitenden 
Perſönlichkeiten, an charakteriſtiſchen, mit dramatiſcher Lebendigkeit fi abs 
widelnden Begebenheiten. Cs ift fo viel Nebulofes, Verſchwimmendes in 
der mittleren deutſchen Geſchichte (abgefehen davon, daß überhaupt alles 
fpecifiih Mittelalterlihe dem Verſtändniß der Gegenwart ungemein fern 
fteht). Zwar gibt es ausgeprägte Charaktere, bedeutende Handlungen ge: 
nug, aber bald bei diefem Stamm, bald bei jenem; man bat es dabei ſel⸗ 
ten mit dem Ganzen zu thun. Es gibt Lehrbücher der deutſchen Geſchichte, 
die auf 20 bis 30 Dctavjeiten von den Hohenftaufen und dem Interregnum 
erzählen und dabei im Ganzen kaum einige Seiten lang von Deutſchland 
fprehen. Konrad III.? Kreuzzug! Frievrih Barbarofia ? Italieniſche Feld 
züge ! Kreuzzug! Heinrich VI? Stalienifhe Angelegenheiten! Neapel! Fried 
rih IL? Lebt faft nur in und für Stalien; Streit mit den Päpften, den 
Iombardifhen Etädten und — Kreuzzug. Endlich die letzten Hohenſias⸗ 
fen ? — Kämpfe in Italien. Was in Deutſchland vorgeht, wird nur bei 





Geſchichte. 509 


läufig erwähnt. Bon ver Beit des Interregnums pflegt nicht allguniel ges 
fogt zu werben. Die Wahl der ausländifchen Kaiſer fowie dann vie „lais 
Ieiofe, die fchredliche Zeit” werden mit einigen üblichen Redewendungen bes 
lagt. 

„Deutſchland“, jo ungefähr läßt ein politiſches Blatt ſich dieſer Tage 
vernehmen, „ilt von jeher ein eigentbümliches Land gewejen. Es fehlte ihm 
auch in der Zeit feiner Blüthe Manches, mas jonit ald conditio sine 
qua non eines politiihen Organismus betrachtet wird: es hatte feine 
Grenzen, die man beftimmt hätte angeben können, feine politiihe Verfaſ⸗ 
fung, wenigitens feine, die jemald unangezweifelt in voller Wirkſamleit 
gewejen wäre; ed hatte nicht einmal einen officiellen Namen, bei dem ein 
vernünftiger Menſch fih Etwas hätte denlen können (denn das heilige rös 
miſche Reich deutfcher Nation enthält eine Unmahrbeit und einen Wider 
ſpruch des einen Attributs gegen das andere). 

Die Geſchichte einzelner Stämme, vor allem die brandenburgiſch⸗preu⸗ 
ßiſche, hat freilid — außer dem geringeren Umfang — den Zuſammen⸗ 
bang, den ftetigen Yortichritt der Entwidelung, das ſcharf Abgegrenzte des 
Materials und vor allen Dingen das häufige Hervortreten charalteriftiicher 
leitender Perfönlichleiten voraus (während umgekehrt von mandem deut: 
ſchen Zerritorium, bald in dieſe bald in jene politifche Gemeinjchaft und 
Bewegung mit bineingerifien, eine zuſammenhaͤngende Geſchichte kaum zu 
ſchreiben ift). 

Zroß aller dieſer Schwierigkeiten, die bei der beihränlten Stunden» 
zahl für den Seichichtsunterriht in der Volksſchule doppelt fcharf hervor: 
treten, muß die Aufgabe gelöft werden. Vielleicht ift es für eine glüdliche 
Löfung derfelben rathſam, den mittleren Theil der deutfchen Gejchichte etwas 
minder ausführlih zu behandeln, um für die neuere Zeit deito mehr Raum 
zu gewinnen, uud dadurch den unmittelbaren Grund zu legen zum Ber: 
ftänbniß der Gegenwart. 

4) Eine ftehende Forderung, die in faft allen Yeußerungen über 
den Geihichtsunterricht wiederlehrt, ift die, daß der Vortrag des Lehrers 
von der Wärme eines an den Begebenheiten theilnehmenden Gemüths durchs 
drungen fein müfle, daß namentlid der Unterricht in der vaterländilchen Ges 
ſchichte des warmen patriotifchen Gefühle nicht entbehren lönne. Es fällt dem 
Mef. nicht im mindeften ein, die Wahrheit dieſer Anficht zu beftreiten; indeſſen 
kann die einfeitige und nachdrüdliche Betonung dieſer Forderung auch bie 
nachtheiligften Folgen haben. In Sachen des Gefühls läßt fih durchaus 
nichts vorfchreiben und erzwingen, Was nicht ungewollt, ja, was nidt 
wnbewußt zu Tage tritt, ift umgeht. Jede mit Abficht vorgebrachte Aeuße⸗ 
sung des Gefühls offenbart eben nur nod die Abſicht, aber nicht mehr das 
Gefühl, und bewirkt zumeift einen Einvrud, demjenigen gerade entgegen: 
geſetzt, den fie bervorbringen ſollte. Ganz echt und wirkſam iſt eigent⸗ 
lich nur diejenige Aeußerung des Gefühls, die dem Fühlenden ſelbſt erſt, 
wenn fie gethan iſt, zum Bewußtſein lommt. Es würde daher ein Fehler 
fein, wenn ein Lehrer — ei’ es auch in der beiten Abſicht — mit dem 
Vorſatz an feinen Vortrag ginge, in denfelben eine gewiſſe Wärme binein- 
zulegen und Bewunderung, Indignation a. |. w. an beftimmten Stellen 


510 Geſchichte. 


anszudrũden. Alles Forcirte macht dabei einen hoͤchſt peinlichen Eindru, 
auch auf jüngere Schüler, die für das Wahre und Falſche im Gefühlsaus: 
drud einen feinen Inſtinct zu baben pflegen. Der Lehrer nehme jih 
einfach vor, vie Geſchichte zuerzäblen, fie ſo wahr, jo klar, 
fo anfhaulidh zu erzählen, wie nur möglid. Wenn er wirtlid 
ein Herz bat für Menſchenwohl und Menſchenweh, wenn ihm wirklich fein 
Baterland lieb und werth ift, jo kann es ja nicht fehlen, daß die Worte 
bier und da mit mwärmeren, nacdprüdlicheren Accenten und von wahrer 
Begeifterung angebaut, aus feinem Munde hervorgehen. Wo aber jenes 
innere Feuer nicht brennt, und der wärmere Accent nur dur einen wohl 
überlegten ftärleren Drud der Spradorgane bernorgebradt werben foll, da 
iſt eine nüchterne, verfländige, wenn auch etwas kühle Darftellung einem 
gemachten Bathos vorzuziehen ; denn ein foldyes iſt immer: 


„unerquicklich, wie der Nebelmind, 
„der berbitli durch die dürren Blätter fäufelt !“ 


Nun aber wolle man bejonders bevenlen, daß ein freies Ausftrömen 
des Gefühls erft da ftattfinden kann, wo ber Geiſt fich frei und unbeeng: 
fühlt, nnd von dem Mechaniſchen feines Thuns nicht mehr vollftänbig 
Mm Anſpruch genommen wird. Bon einem Schüler, der bei einem öffent: 
lihen Reveactus noch durch die Rüdfiht auf Correctheit und leidlichen 
Fluß der Rede in Anjprud genommen wird, von einem angehenden Mu⸗ 
fiter, der durch feine Compofition erſt einige Sicherheit in praltiſcher An: 
wendung der Harmonielehre erlangen will, — von vielen wird Niemand 
ein ſtarkes Hervortreten irgend welcher Smpfindung erwarten. Der Ge 
ſchichtslehrer, der von Herzen und zu Herzen reden will, muß zuvor lange 
und tüchtig mit dem Sopfe gearbeitet haben, muß jeines Gegenftanvdes fe: 
weit Meifter fein, um nad dem Bedürfniß des Augenblids damit fchalten 
zu lönnen, muß ven ſprachlichen Ausprud fo in feiner Gewalt haben, daß 
er für jede Nüance der Empfindung und des Gedankens mühelos die rechte 
Bezeichnung trifft. Das trifft bei Anfängern im Unterrichten nicht immer 
zu, oft auch bei ſolchen nicht, die längft feine Anfänger mehr find. Gs 
gibt keinen trübjeligeren Anblid, als Jemand zu hören, der nur mübjen 
den Faden feiner Rede feithält, mühjam und fiodend fpridt, und ver fi 
dabei anftrengt, warm und einbringlid zu reden. Gerabe aber ver Ur 
fänger, ver am mindefien zu einer wirklich eindringlicen, das Herz berüb 
senden Daritellungsweije befähigt it, gerade der wird dur die For 
derung einer das Herz erwärmenden Darftellungsweife am eheften ver: 
anlaßt, ein übertriebenenes Pathos anzunehmen. Darum kann ein 
ſtetes Dringen auf diefe gemütbanregende Qualität der 
Geihihtserzäblung nur dazu dienen, viel Unerqguidlides 
an’s Kagesliht zu fördern, während die wahre Empfin: 
dung einer folden Aufmunterung niht bedarf, vielmehr, wo 
fie nur wirklich vorhanden it, durch kein Mittel zurüdgedrängt werden 
fann, und fi) fogar gegen ben Willen des Sprechenden kundgibt. Uebri⸗ 
gens hat die Haltung der großen Mehrzahl des veutichen Volles in allen 
politiihen ragen bis auf diefe Stunde bewielen, daß eö viel flärler ber 





Geſchichte. 511 


wegt wird durch Sympathien und Antipathien, durch Haß, Neid, Liebe und 
Mitleiv, als dur vernünftige Erwägungen, daß ihm öfter das Gerz mit 
dem Kopfe durchgeht, als daß der Hopf das Herz beberrihte... Klare Sins 
ſichten find in den Reden ver Vollsführer feltener als pathetiſche Declamas 
tionen. Wenn man nad) den im öffentlichen Leben fich kundgebenden nas 
tionalen Eigenjhaften einen Schluß auf die Schulen wagen darf, fo möchte 
es in diefen beim geſchichtlichen Unterricht weit weniger an gemütblicher 
Grregung, als an Klarheit der Begriffe, an Yolgerichtigleit des Dentens 
und an Solivität des erworbenen Wiſſens fehlen. Darum vor allen Din» 
gen Klarheit, ungeſchminkte biftoriihe Wahrheit, feine gemüthliche, rührende, 
„berzerwärmende‘ Begriffsconfufion! Es gibt nichts Leberflüfligeres im Schul 
leben, als gemütblihe Grregung ohne Gewinnung feiter, bejlimmter Gin 
fihten. Es ift wie Sonnengluth über unfruchtbarem Sandboden; fie treibt 
fein Leben daraus hervor, ohne Nutzen verfliegt fie wieder. 

5) Die Anwendung biftorijher Gedichte beim Geihichtsunterricht Scheint 
immer mehr in Gebraud zu kommen. Raum möchte fi unter den in den 
legten Jahren erjchienenen Sammlungen biftorifher Charakterbilder ein Wert 
finden, das nicht auch Gedichte enthielt. Selbit in Lehrbüchern findet man 
deren fehr häufig. Dabei mehren fi) die eigends für den Gebrauch beim 
Geſchichtsunterricht beftimmten Gebichtiammlungen. Die hohe Bedeutung 
der Poeſie für den Gefchichtsunterriht ift von namhaften Pädagogen oft 
genug betont worden, und wird gegenwärtig in ber paͤdagogiſchen Welt 
allgemein anerlannt. 

Dagegen ſcheint man in Bezug auf die Auswahl ber Gedichte noch 
nicht zu feititehenden Principien gelangt zu fein, wenigitend kommen in ben 
meiften Büchern, die jolhe Gedichte enthalten, noch auffallende Berftöße 
gegen Grundjäge vor, die, wie man meinen jollte, als jelbitwerftändlic und 
auf der Hand liegend gar keiner befonveren Grörterung bevürften. 

Mas bei jolhen Zufammenitellungen biftorifcher Gedichte am meiften 
und — am widerwärtigiten auffällt, ift ver Mangel einer ſtren⸗ 
gen Kritil über den poetifhen Werth der aufgenommenen Stüde, 
Nur wenige Herausgeber maden eine ehrenvolle Ausnahme, bei den mei 
fien ſcheint es, als hätten fie bei den betreffenden Gebichten irgend melchen 
poetifchen Werth gar nicht für nothwendig erachtet, vielmehr unbedenl⸗ 
lich jede Reimerei, die auf eine hiſtoriſche Thatſache Bezug hat, aufgenoms 
men. Mindeftens ein Viertheil aller Gedichte in den neuerjchienenen Lehr⸗ 
büchern find das Papier nicht werth, auf dem fie gefchrieben ftehen, und 
einzelne find darunter, die in bedenklicher Weife an die Verslein auf den 
betannten Bilderbogen erinnern. Es ift dies eine betrübende Erſcheinung. 
Wir haben eine klaſſiſche Literatur, und wohl alle die Männer, vie jegt 
Bücher fchreiben, haben einft Gedichte von Göthe und Schiller und etlichen 
anderen Klaſſikern gelejen und gelernt; vie meiften von ihnen haben aud) 
einen Theil von der Haffiichen Literatur anderer Völler lennen gelernt. Es 
muß ihnen dod eine Ahnung aufgegangen fein von dem Weſen dichteri⸗ 
fcher Schönheit. Wie ift ed moͤglich, daß fie jo oft die elendeiten Reime⸗ 
reien copiren, um fie der Jugend als Mufter für den Geihmad und als 
Quelle biftorifher Grfenntniß in die Hand zu geben? Abgeſehen vun Dem 


512 Geſchichte. 


totbmifchen Stümpereien ganz unbekannter Papierverderber, begegnen wir 
allzu häufig den minder gelungenen Produltionen befjerer Dichter, die ſich 
mit Recht eines gewiſſen Anſehens auf dem deutſchen Parnafius ‚erfreuen, 
aber doch nicht gerade zu den eriten Größen gehören, und Manche s invits 
Minorva geſchrieben haben, das man ihnen verzeihen, aber nicht der Ju: 
gend als Mufter und Vorbild in die Hand geben follte. Der Sammler 
hiſtoriſcher Gedichte fann natürlih nicht, wie ber Herausgeber eines Leie 
buches, einer poetischen Anthologie, ausſchließlich nad ven Perlen und Edel⸗ 
fteinen im Schage eines Dichters ſuchen; er will wo möglid alle wichti⸗ 
gen Begebenheiten und Berjonen der Geſchichte durch ein Gedicht iliuftriren; 
ex fieht mehr auf den Inhalt, und fühlt wegen des poetiſchen Werthes 
eines ſolchen Gedichtes feine Sewifienszweifel beruhigt, wenn unter demjel- 
ben ein adtbarer Name ſteht. So dienen denn die Ramen eines Seidl, 
Bogl, Baur, ©. Hefeliel, ſelbſt Novalis u. A. als Yabrilftempel zur Ac⸗ 
crebitirung von mancherlei poetiihem Ausfhuß*). 

Sodann find unter den ausgewählten Gedichten viele von großem 
äftbetiihem Werthe, die aber, obwohl von geſchichtlichen Creigniſſen und 
Berfonen handelnd, doch keine biftorifchen Gedichte find. Der Dichter 
bat volllommene Freiheit, nicht nur das Thatſächliche eines gefdyichtlichen 
Borganges feinen Zweden gemäß umzugeftalten, fondern auch einen, von 
dem urjprünglihen ganz abweichenden geiftigen Inhalt bineinzulegen. Gr 
darf den gejhichtlihen Borgang ale ein Schema benupen, feine eigenen 
Gedanten hineinzufchreiben, darf die Perfon zum Träger feiner eigenen 
een und Empfindungen umgeftalten. Gerade die größten Dichter haben 
von bdiejer Freiheit den ausgedehnteſten Gebrauch gemacht, und haben hifte 
riſche Thatſachen meiltens nicht in der Abfiht bebanbelt, ein hiſtoriſches 
Bild zu liefern, fondern ihre Ideen dadurch auszujprehen. Gerade bie 
ſchwaͤcheren Dichter greifen gern nach bedeutenpen hiftorifhen Scenen, weil 
fie meinen, dur bloße Darlegung eines an ſich bedeutenden Etoffes auch 
ein bedeutendes Gedicht zu liefern. Solche Dichter vertrauen inftinttmäfie 
nicht auf das, was fie in den Gegenftand bineinlegen wollen, fondern au 
das, was ſchon urjprünglid darin liegt, daher denn bie vielen entfjeglid 
matten Gedichte, die mit vielem Pomp und Wortgepränge ein welterſchüͤt⸗ 
terndes Ereigniß, oft auch nur einen auf theatraliichen Gfielt berechneten 
Aufzug erzählen, aber doch nur davon fagen, was der proſaiſche Darſteller 
auch hätte jagen können. 


*, Man meint zuweilen wohl, auch mittelmäßige Gedichte, wenn fir 
unr in correcter Form einen bedeutenden Borgaug erzählten, könnten ſehr wohl 
im Geſchichtsunterricht benutzt werben, weil die poetiihe Form ji dem 
GSedächtniß leiht einpräge und auh dem Stoffe, wenigſtens durch 
Reim und Rythmus, noch einen beſonderen Reiz binzufüge. Wau bdedenle aber, 
daß bie anſpruchsvollere, poetiſche Form nothwenbigerweile einen Gehalt ver 
laugt, ber in projaiicher Form fih nicht wohl barfiellen ließe, demn wenn in 
Berjen nur gefagt wird, was in Brofa eben fo gu! gelagt werben Eönnte, fe 
bat man babei den widerwärtigen Gindrud einer Über das Ziel hinausgehenten, 
aljio zwediofen Anftrengung, der immer etwas Yächerliches ambaftet. 
Manche Aneldote, gut und einfach in Proſa erzählt, würde unfer Jutereſſe cr 
weden, während fie in gereimter Proſa geradezu auausitchlic wird. 


Geſchichte. 51% 


Mil nun der Sammler diefe Art biftorifcher Gedichte vermeiden, greift 
ee nach dem wirklich Bedeutenden, fo findet er häufig die hiftoriihe Treue 
I&hleht gewahrt. Auf diefen Punkt ſcheint man nit genug zu adten; 
man hält für hiſtoriſch, was in der Ueberſchriſt auf einen hiſtoriſchen Ges 
genftand binbeutet, und fogar für recht hiſtoriſch treu, was feine groben 
Verſtöhe gegen den Außerlihen Berlauf der Begebenheiten aufpeilt. 

Nun aber kommt es auf einen Verſtoß der lepteren Art wenig an. 
Wenn Schiller den Ottolar von Böhmen bei der Kaiſerkroönung Rudolfs 
anweſend fein, wenn Shaleipeare Böhmen an’s Meer gränzen läßt, fo 
fann eine kurze Bemerkung dies berichtigen. Weit wichtiger ift ed, daß 
der Charakter des Beitalterd und der Hauptperjon in dem Gedichte gewahrt 
fei. In dieſer Beziehung läßt fih z. B. Schillers Wallenftein, Shaleſpeares 
Caͤſar, Göthed Egmont nicht für den Geſchichtsunterricht verwerthen, weil 
bier die Hauptperfonen mit den wirklihen biftorijhen Perfonen wenig oder 
gar feine Aehnlichkeit befinen. CS gibt Gedichte, wie 5. DB. vie auf die 
Rolandsfage bezüglihen v. Uhland, ferner auch „König Karls Meerfahrt‘, 
die als Edelfteine deutfher Dichtung in keinem Leſebuche fehlen jollten, die 
der Schüler auswendig lernen und zum Theil aud fingen fol, — aber in 
die Geſchichtsſtunde gehören fie nicht. Hier ftehen wir ganz auf 
dem Boden realer Thatfahen. Mähren, Sagen, Mythologie u. dgl nebft 
Gedichten, die Derartiges darftellen, haben nur eine Berechtigung, wenn fie 
dazu dienen jollen, die Anſchauungs⸗ und Gmpfindungsweife einer vergan⸗ 
genen Periode — der Periode ihrer Entſtehung nämlid — ertennen zu 
laſſen. Bei modernen Dichtungen trifft dies in der Negel nicht zu. 

Ferner find von manden Sammlern hiſtoriſcher Charalterbilder und von 
Berfaflern biftorischer Lehrbücher bin und wieder auch Gedichte aufgenommen 
worden, die faſt in jedem Leſebuche, unbedingt aber in jedem Schullieder⸗ 
buche zu finden find, und in allen Schulen Deutſchlands gefungen werden. 
Solche Gedichte wie z. B.: „Prinz Eugen der edle Ritter”, „Preiſend mit 
viel ſchönen Reden” u. X. braudten wohl nur erwähnt, nicht in extenso 
abgedrudt zu werben, da man Schulbücher nit ohne Noth auch nur um 
die Heinfte Kleinigkeit vergrößern und vertheuern muß. 

Daß die ausgewählten Gerichte auch dem Standpunlte und der Yafz 
ſungskraft der Schüler, für die fie beftimmt find, angemejjen fein müſſen, 
verſteht fih von jelbjt, und wir finden in dieſer Beziehung in den vorlies 
genden Echriften feine erheblihen Verftöße. Die Forderung, beim Unter 
richt die Entwidlungsftufe des Schülers genau zu beachten und bemjelben 
nichts Unverftändliches zu bieten, ift in der neueren Pädagogik mit jo vies 
lem Nachdruck geltend gemadht worden, daß auch auf dieſem Gebiete Nies 
mand fie außer Acht gelafien hat. 

Es müflen demnah manderlei Eigenihaften ſich bei einem Gedicht 
vereinigt finden, wenn es für den Geſchichtsunterricht tauglich fein foll, 
Bu den vorhin angedeuteten Punkten kommt übrigens nody einer, der bie 
Auswahl außerordentlid erſchwert. Der Dichter joll zwar — nad eines 
Dichter Worten — „auf einer höheren Warte ſtehen, als auf der inne 
der Partei’, jedoch gerade der Dichter kann ſich bei dem Kämpfen und Rins 

gen feiner Mitmenjhen einer lebhaften Parteinahme nicht entſchlagen. Ver 
pab. Jahreiberiät. XVIIL 83 


514 Geſchichte 


ſonnenheit und abwaägender Verſtand können über Parteileidenſchaften fiegen, 
Phantaſie und Empfindung, bie dem Dichter eigenthümlich find, drängen 
vielmehr zu ſolchen bin. Der Philoſoph und der Hiftoriter können ſich 
über Parteigegenjäpe erheben, der Dichter, falle er Dichter bleiben will, 
fann es nicht. Aus diefem Grunde ift ein großer Theil deutſcher Gedichte, 
die fonft allen Anforderungen entfpreden, nur für einen Theil deutſcher 
Schulen geeignet. Man kann von einem Defterreicher füglich nicht verlan 
gen, daß er bei den Gedichten zum Ruhme Friedrichs d. Gr. baflelbe em- 
pfinde, was ein Preuße dabei zu empfinden pflegt. Allee, was die Re 
formation betrifft, ift nur für eine Hälfte Deutſchlands benupbar. Gereimie 
Heiligenlegenden werden, wenn fie nicht einen befonderen poetiſchen Werth 
haben, dem Proteftanten immer ein wenig kalt und nüchtern vorlommen. 
Es liegt daher in der Natur der Sache, daß die Anzahl wirklich empfeh⸗ 
lenswertber Gedichte äußerfi gering ift, und daß es nur bei der ausge: 
dDebnteften Kenntniß der deutſchen Literatur möglid fein wird, ein 
eini germaßen reichliches Material zufammenzuftelen. Velefenheit in Ge 
dihtjammlungen und „Feſikalendern“ reicht dazu nicht aus. Dieſe Epär 
lichteit des geeigneten Materials ift übrigens kein Unglüd, denn vie Bor 
führung eines Gedichtes foll immer eine Seltenheit bleiben, nur an den 
Höhenpunften der Geſchichte eintreten, und eine gewiſſe. Feltesftimmung 
in dem Schüler hervorrufen. Andernfalls würde die Kunſt entwürvigt, und 
bie Arbeit des Lehrens und Lernens zu häufig unterbroden. Darum 
kann man getroft alles Mittelmäßige über Bord werfen, man wird, ment 
audh wenig, doch immer nod genug des Guten zurüdbehalten. Seinen 
ſchlechteren Dienit könnte man dem Stnaben leiften, als wenn man ihn mit dem 
Lefen oder gar mit dem Auswendiglernen ſchlechter biftorischer Gedichte mal 
traitiren und ihm jo Poefie und Geſchichte verleiden mollte. 

6) Unter den Abfchnitten kulturbiftorifchen Inhalts finden ſich aud in 
der Regel einzelne Abfchnitte über die Literatur der Hauptoöller. In man 
hen Lehrbuchern find einfad die Namen der. hervorragendſten Schriftftelle 
genannt, höchſtens mit den Yahreszahlen ihres Lebensanfangs und ⸗Endes. 
In anderen findet man die Angabe ihrer wichtigiten Werte, und in no 
anderen auch biographifhe Notizen über die Schriftiteller, Inhaltsangabe 
einzelner Werke, Urtheile über den äſthetiſchen, moralijden oder wiſſenſchaft 
lien Werth derſelben — kurz eine Literaturgejhichte in nuce. Mef. glaubt, 
baß bier eine planloje Behandlung des Gegenftandes zu großen Mißgriffen 
führen kann. In den meilten Schulen, für melde derartige Lehrbücher 
mit Literaturgefhidhte in verjüngtem Maßſtabe beftimmt find, wird diee 
Lehrgegenftand in befonderen Stunden betrieben, und die Schüler haben 
wohl gar einen Leitfaden für die Literaturgefhichte in Händen. Was fol 
bann eine Miniaturausgabe dieſes Gegenftandes in den für ſolche Schuler 
beftimmten Lebrbüdhern? Höcflene wäre es zwedmäßig, die Namen bern 
tender Schriftfteller am geeigneter Stelle zu nennen, bedeutende Werke mit 
den gleichzeitigen geſchichtlichen Ereigniſſen anzuführen, damit der Schuler 
das im literarifchen Unterricht erworbene Willen an rechter Etelle in ſein 
hiſtoriſches Wiſſen einordne, und fo das Bild von der Gultur einer gemi} 
fen Zeitepoche vervollftändige. In folden Schulen dagegen, imo entiweht 


Geſchichte. 15. 


gar feine oder doch eine ſehr geringe Bekanntſchaft mit der Literatur vors 
auögejegt werben darf, möge man von den wichtigften Werten, foweit es 
thunlich ift, den Inhalt andeuten, aber nicht allzu Inapp, damit der Schü⸗ 
ler wenigftens wirkliche Vorftellungen erhalte. Wo dies nicht angeht, ift 
die Hindeutung auf berühmte Dichter und Schriftfteller volllommen zwedlos. 

Urtheile über den aͤſthetiſchen Werth literarifcher Werke und dergleichen 
Dinge gehören nicht in den Geſchichtsunterricht. Wie unzureichend ift meiftens 
das Maß geiftiger Reife und angeborner Empfänglichkeit, meldhes die Jugend 
böberer Schulen gerade diefem Gegenftande entgegenbringt. Nureine eingehende 
Beihbäftigung mit der Literatur ſelbſt kann Einfihten und Verſtändniß 
Schaffen. Dergleihen muß mit allem Ernſt, aller Vorſicht, mit Gejhid und 
pädagogifcheın Talte betrieben, und kann niemals jo nebenher abgemadt 
werden. Dieſes Zufpiben des Urtheild über einen Dichter oder ein Dichs 
terwert in einen einzigen prägnanten Ausprud ift an und für fih ſchon 
eine bedentllihe, dem natürlihen Gefühl höcdft widerwärtige Sade. Die 
Sülle des Lebens und die Mannigfaltigleit der Erſcheinungen in einem 
Werte des Genius lafien ſich felten genügend in eine kurze Formel faflen, 
und wenn auch — was hat der Schüler davon, wenn ihm dergleichen 
geboten werden? Es ilt, als lernte er eine Weinkarte ausmendig, ohne das 
@etränt jelber koften zu dürfen. Als Beiwerk in den Geſchichtsunterricht 
gehört dergleihen wenigſtens nicht. 

Allerdings Lönnen literariihde Erſcheinungen von immenfem Einfluß 
auf den Gang der Geſchichte fein, und dann geziemt es fi, im Gefchichtds 
unterricht dieſer Erſcheinung als eines gejchichtlihen Faltors Grwähs 
nung zu thun. Dann muß aber der mweltbewegende Inhalt auch fo dar⸗ 
gelegt werben, daß der Schüler eine wirkliche, nicht bloß eine jcheinbare 
Einſicht in die Hauptſache erhält. Nicht auf den äfthetifchen oder wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Werth eines Wertes fommt es dabei an, fondern auf die Mir 
fung, die es auf die Beitgenofjen und auf die Nachwelt ausgeübt hat. Im 
diefer Hinfiht hat Schloſſer ein Mufter aufgeftellt, welches bisher leider 
wenig Nachahmung gefunden bat, wohl aber, namentlid in Bezug auf die 
neuefte Geſchichte, Nachahmung verdient. ES ift geradezu erftaunlih, im 
was für Rleinigleiten und Nebendinge ſich zumeilen die „Culturgeſchichte“ 
verliert, während das Geiltige, die treibende, weltbewegende Idee, das eigent⸗ 
liche Agens, ganz übergangen wird, 

7) Daß die Volksſchule ftatt einer lüdenlo® zufammenhängenden mehr 
eine monograpbijce, das Wichtigſte ausführlich behandelnde Darftellung 
anftreben muſſe, mird wohl allgemein anerlannt. Allein die dafür ange 
führten Gründe find oft ſeltſamer Art, und es kann nicht fehlen, daß 
Schlechte Gründe für eine gute Sache ſchließlich auch dieſe felbft verderben. 
Da follen die Schüler zwar die einzelnen Stüde, aber dieſe Stüde im 
Bufammenhang noch nicht veritehen können, da follen fie vom Ginzelnen 
auj’s Aligemeine geführt werden, und diejes aus jenem abftrahiren lernen, 
da ſollen fie fchließlih durch die Biographie etwas „Anſchauliches“, „Pla⸗ 
ſtiſches“ zu jeben und zu hören befommen, wahrſcheinlich, weil eine Perfon 
in natura allerdings etwas Anſchauliches und Plaſtiſches ift, momit freilicy 
noch nicht gejagt iſt, daß dieſe Cigenthümlichleit aud dem zuläme, was 

83* 





&L6, Geſchichte. 


von einer Perſon erzählt wird. Der wahre Grund für die monographiſche 
Behandlungsweiſe liegt wohl darin, daß das eigentlihe Objelt der Ge 
ſchichte der Menſch als denkendes und handelndes aljo als geiftiges Weſen 
if. Diefes Objelt muß darum im Verlauf des Unterrichtes dem Schüler 
in anfchaulicher Weiſe vorgeführt werden. 

So lange die Geſchichte ſich mit allgemeinen Ueberſichten befaßt, fo 
lange bat fie nicht mit dem dent: :ven und wollenden Individuum zu tbun, 
fondern nur mit größeren Gruy-m, mit einer Mafle, in der das Indivi⸗ 
Kaum und mit ihm die wejentlichften Eigenſchaften des Menſchen verihmin 
den. Gin „Abriß“ der Gefhichte gleicht aljo einer botanifhen Unterwei 
fung, die etwa auf dem Gipfel eined Berges mit weiter Umſchau ertheilt 
würde, bei welcher der Schüler nur große Pflanzengruppen, Tannenwälder, 
Kornfelder, Grasflähen u. f. w., aber niemals eine einzelne Pflanze in 
nächlter Nähe zu ſehen beläme. Allerdings werden ja ſolche Belehrunzen 
über Standort, Wahsthbum und Anbau der Pflanzen im Großen aud im 
botanifhen Unterricht vorfommen müflen, aber es würde derfelbe doch feht 
unfruchtbar bleiben, wenn nicht vorzugsweife das einzelne Individuum be 
trachtet und bis in feine Heinften Theile zerglievert würde. Das Weſent⸗ 
liche an der Pflanze wird niemals bei der ſummariſchen Betrachtung einer 
Gruppe, fondern nur durch Unterfuhung des Individuums Mar. Go wird 
die Geſchichte erft da zur wirklichen Geſchichte, wo fie den Menſchen als 
Individuum auftreten läßt, ich meine nicht gerade als einzelnes Indi⸗ 
piduum, denn mas Ginen bewegt, kann zu gleicher Beit Biele bewegen, 
aber do fo, daß die vem Menfhen als Individuum zulom: 
menden Eigenfhaften zur Erfheinung fommen. (Ein Be 
fpiel mag dies erläutern. Wenn ich fage: „An Stelle der Deutſchen fir 
den mir einige Jahrhunderte nah Chrifto in den Ländern öfli von 
der Elbe Slaven, die von Often ber aus Afien gelommen waren“, jo mag 
dieſe Thatfache noch fo richtig und unzweifelhaft fein, ich ſehe aber bier 
nichts von den Motiven, weldhe die Einwanderer bierbertrieben, nichts von 
den Mitteln, dur die fie das Land in Beſitz nahmen, ich fehe mit einem 
Wort feine Menfchen denken, empfinden und handeln. Wirb dagegen ger 
jagt: „Die Hinrihtung der gefangenen Sachſen zu Verben follte das Sad» 
ſenvolk erjchreden, diente aber nur dazu, daflelbe zu erbittern und zu einem 
neuen heftigeren Aufftande anzureizen“, fo tritt bier jchon ein inbivibueller 
Vorgang, ver fich freilich in taufenden von Individuen gleihmäßig wieder 
bolte, veutlih hervor. Nocd mehr ift dies der Fall, wo das einzelne Ja 
bividuum, zumal ein bedeutendes in bebeutender Stellung, zum Oegenſtande 
der Betradhtung wird.) 

Ein Glementarfhüler kann von der Botani! — um auf biefes Ber 
fpiel noch einmal zurudzulommen, — nicht fo viel erfahren wie der Zöf 
ling einer Realfhule. Über ein Fehler würde es fein, wenn man diefelbe 
Zahl von Pflanzen, welche dieſer beim Unterricht zu fehen betommt, and 
jenem vorzeigen wollte, aber, da zur Vorzeigung jeder einzelnen bie Zei 
mangeln würde —: in Bündeln und Gruppen. Niemand wirb thörih 
genug jein, dies zu thun, aber beim Geſchichtsunterricht verfährt man froß 
aller längft geprebigten befleren Einſicht ſehr häufig fo, und viele Lehrbü 








Geſchichte. 517: 


her, die den Stoff ausgejprodhener Maßen in fchulgeredhter Zubereitung: 
darbieten wollen, geben eine gleihförmige, Alles in allgemeinen Zügen ane. 
deutende, blaſſe Ueberſicht. Mag die Unterrichtäzeit noch jo beſchränkt, mös 
gen die Berbältniffe einer Schule noch fo einfah fein, irgendwo 
muß der gefhihtlihe Unterriht, wenn ein folder uber 
baupt einen Sinn und einigen Nutzen haben ſoll — ſich fo 
umftändlih auf den Grund und Zufammenbang der Beges-. 
benhbeiten einlaffen, daß der Schüler einen GCinblid in: 
alles Weſentliche gewinnt, und gleihfam das Nädermert 
der Geſchichte aus nähfter Nähe arbeiten fiebt. Nur die, 
Zahl folder eingehend dargeftellten Perioden follte den Unterfchied zwiſchen 
einem lurzgefaßten und einem eingebenderen Gejchichtäunterricht ausmachen, 
weit weniger aber die Umjtänplichleit und Genauigteit der einzelnen 
Darftellung, ſowie ja auch, je nad der Ausdehnung des naturkundlichen 
Unterrichtes, weit mehr die Zahl der betrachteten Individuen, als die ©, 
nauigfeit der einzelnen Betrachtungen variiren muß. 

(In diefer Beziehung möchte der Unterriht in der Weltgeſchichte yon 
dem Unterricht in der bibliihen Gedichte noch Manches profitiren können. 
Hier gibt man keine bloßen Ueberjihten, jondern wählt eine geringere Ans 
zahl von Geſchichten aus und erzählt dieſe in aller Umftändlichleit, wie fie 
in der Bibel felbft erzählt find, ja man ſetzt, mo die mangelhafte Auffafr 
ſungskraft jüngerer Schüler es erfordert, jogar noch hinzu.) 

In diefer Weiſe und aus diefen Gründen müflen wir auf eine vors 
wiegend menographiihe Behandlung der Geſchichte dringen, nicht aber 
darum, „weil bie Rinder den Zuſammenhang doch nicht fallen” oder „weil 
die einzelne Perſon etwas Anjchaulides ift’’, loder gar „damit aus der 
concreten Ginzelnheit das Allgemeine abftrahirt werde‘, und wie vergleichen 
Redensarten mehr find, von denen zwar ein gewiſſer Bruchtheil richtig ift, 
die aber doch zu irrigen Auffaflungen Veranlaſſung geben. 

8) Es ermedt fein günftiges Borurtbeil für ein Werk, wenn auf feis 
nem, Titel die Bezeichnung „für Schule und Haus” oder „ein Lern» und 
Leſebuch“ u. dgl. zu finden iſt. Es gibt zwar fehr tüchtige Werke, welche 
diefe Bezeichnung tragen, dann aber paßt dieſelbe meiſtens gar nicht; viel: 
mehr find ſolche Werke entweder für die Schule oder für das Haus gear 
beitet, es find entweder Bücher zum Leſen oder zum Lernen. Auf allen 
Gebieten, fogar in der Willenfchaft, firebt man nad Arbeitstheilung und 
nad der größtmögliden Bolllommenheit in einer Specialität.. Man fertigt 
beut zu Zage Werkzeuge in verſchiedenen Formen an, für die man früher 
nur eine fannte, um für jeden einzelnen Zwed die paſſendſie wählen zu 
können. Warum wollen wir in der padagogiſchen Literatur dieſem Buge 
ver Zeit nicht folgen? In früherer Zeit, wo bie Herftellung eines Buches 
kofifpieliger mar, mochte ein Lehrer der Geſchichte zufrieden fein, wenn er 
reſp. der Schüler überhaupt ein Buch mit gefchichtlihem Inhalt hatte, und 
mochte dafielbe auch für verſchiedene Zwede benugen. Sm Seitalter ver 
Dampf und Schnellprefie, wo der literariiche Markt fich alljährlich mit einer 
Fluth neuer Schriften füllt, von denen Niemand fagen Tann, warum fie im 
die Welt gejebt mworben find, — da wäre es gewiß jehr ungwedmäßig; 














518 Geſchichte. 


ein Buch nicht auf einen ganz beſtimmten Zwed zuzuſpitzen, und Alles 
wahrzunehmen, was diefem Zwed in irgend einer Weiſe dienen kann. 

Mer aljo die Feder zu einer belebrenden Schrift anfept, der muß fih 
bewußt fein, ob er für die Privatleftüre oder für die Schule ſchreibt. Wir 
brauden die Unterfchiede nicht anzudeuten, fie liegen auf der Hand. Ber 
aber für die Schule fchreiben will, muß fih ganz beitimmt vornehmen, 
entweder für den Lehrer oder für den Echüler zu fchreiben. Es exiſtiren 
wirtiih Schulbücher, bei denen man das nicht erfennt! Daß ein Buch, aus 
dem Schüler fih auf die Lebrftunde präpariren folen, — jo daß fie frei 
vortragen, und der Lehrer nur ergänzend, auftlärend, berichtigend hinzufügt, 
— daß ein foldhes wieder anders abgefaßt fein müfle, als ein Ruch, wel: 
bes nad) dem freien Vortrage des Lehrers dem Echüler zur Repetition 
dienen fol, das liegt ebenfall8 auf der Hand, und die meiften der befieren 
Schulbücher find auf fo fpecielle Zwede zugejhnitten. Nun aber bevente 
man, mie vag und nebelhaft das Ziel eines Echriftftellers fein muß, der 
gleih für Alles, für Schule und Haus fhreiben will. Die Zayl derartiger 
Schriften ſcheint allerdings im Abnehmen begriffen. Bei den meiften, welde 
die erwähnte Bezeihnung tragen, tritt die ſchulmäßige Auflaflung und Be 
handlung deutlid genug hervor. 

9) Im „Centralblatt für die gefammte Unterrihtsverwaltung des 
Preußiſchen Staates“ ift S. 585 fi. des Jahrganges 1865 ein Gutachten 
abgeprudt, welches ein Seminardirector über ein für Seminarien beflimmtes 
Lehrbub der Geſchichte abgegeben bat. Darin verbreitet fi der Verf. auch 
über die Grundſaͤtze, nah welden feiner Meinung nad der Gefchichtsunter: 
richt in Eeminarien ertheilt werden muß. Cs beift: „Die Anforderungen, 
welche gegenwärtig an eine für die Belehrung der reiferen Jugend beitimmte 
Darftellung der vaterländifhen Geſchichte gemacht werden, find folgende: 

1. Klare Hervorhebung der den Entmwidlungsgang diefer Geſchichte offen: 
barenden Thatſachen. 

2. Kennzeibnung des Charakter der hervorragenden Perfonen, melde 
in diefen Gntwidlungsgang leitend und fördernd eingreifen. 

3. Andeutung der Kulturzuftände und ihrer allmäligen Gntwidlung. 

4. Cine aus driftlidem und patriotiihdem Sinn bervorgegangene An: 

ſchauung der Geſchichte 
5. CEinfache, anſchauliche, aber zugleich edle, chriſtlich und patriotiſch er 
wärmende Sprade, von der Sünglinge angezogen werben. 

6. Eine genügende, das richtige Verftänpnig ermöglihende Ausfübrlid- 
feit, welche jomohl die einzelnen Begebenheiten und Berfonen in ib: 
ter Stellung und Bedeutung gehörig erfaflen hilft, und den innern, 
urfählihen Zuſammenhang ihrer Entwidlung nachweiſt, als die Ge 
winnung eines felbftitändigen gefbichtlihen Urtheils erleichtert.” 

„Schlachten und Friedensfchlüffe find unter den gefchichtlichen Far: 
toren in den meilten Fällen von folgenjchmerer Bedeutung, fo daß ihre Ge 
ſchichte, nicht ihre bloße Aufzählung, leineswegs unerbeblid genannt zu 
werden verdient. Ohnehin bat die männlihe Jugend ein natürliches In⸗ 
terefje an Kriegen und Siegen. Ueberdies ſteht die Kulturentwidlung da 
mit in nächfter Beziehung.” 


Geſchichte. X 


„Was die durch kulturgeſchichtliche Abſchnitte am Schluß der Perioden 
zu fördernde Gewinnung des geſchichtlichen Urtheils anbetrifft, ſo wird da⸗ 
bei zu bemerlen fein, daß das Urtheil über ganze Perioden eine ſchwierige 
Sache für Zünglinge if. Sie ericheinen dazu nicht gereift genug, zumal 
fie thatfächli noch viel Mühe haben, einzelne Begebenheiten und hiſtoriſche 
Charaktere ohne Vagheit ſachentſprechend zu beurtheilen.“ 

„Mit der getroffenen Etofjmahl hängt es zufammen, daß der Perf. 
die deutſche Gefchichte mit dem meitphälifhen Frieden abbriht, um von 
diefer Zeit ab beinahe ausſchließlich die Geſchichte der preußiihen Regenten 
vom großen Kurfürften an darzuftellen. Aus der deutſchen Geſchichte und 
aus der in biefelbe eingreifenden fremdländifhen Geſchichte wird nur fo 
viel herangezogen, als mit der preußifchen in unmittelbarfte Berührung tritt; 
legtere wird als das Centrum der neuen Geſchichte angefehben. Cine ſolche 
Wahl und Anſchauung hängt mit fubjectiver Beurtbeilung der neueren Ger 
ſchichte zuſammen; fie ift jedenfalls in hohem Grade ftrittig, und es wird 
ihr vorausfühtlid die begründete Anfehtung nicht fehlen. Wie völlig be= 
rechtigt für preußifche Sünglinge die ftärlere Betonung der preußiihen Ges 
ſchichte, zumal der Zeit vom großen Kurfürften an, fein mag, fo läßt es 
doch die gerehte Würdigung der deutihen Geſchichte nicht zu, ihr nach dem 
breißigjährigen Kriege eine der preußiſchen untergeorbnete Rolle anzumeifen, 
und fie in legterer aufgeben zu laſſen. Dadurch mürbe das faktiſche Vers 
hältniß faft ganz umgekehrt; und eine ſolche Umkehrung könnte dem Vor⸗ 
wurf parteilicher Cinfeitigleit der Geſchichtsbetrachtung ſchwer entgeben. Die 
Bedeutung der gefhichtlihen Entwidlung des gefammten deutichen Volles 
wird dabei gar leicht verfümmert, wichtige Momente aus der Geſchichte der 
nichtpreußifchen deutfhen Zander kommen nicht zu gebührender Geltung, die 
Wechſelbeziehungen verjchieben fih gar fehr zu Ungunften der lekteren, das 
fadhentiprechende Urtbeil erfährt mancherlei trübende Färbung. Wo erkläre 
termaßen preußifche Geſchichte behandelt werden foll, da iſt's in der Ord⸗ 
nung, die deutſche mit ihr zu verbinden; wo es gilt, deutiche Geſchichte 
zu lehren, foll die preußifche eingefügt werden, und zwar für die preußis 
fhen Sünglinge ald ein befonderd wichtiges und darum hervorragendes 
Element.” 

In Bezug auf die beim Geſchichtsunterricht heranzuziehende vaterläns 
difche Poefie warnt der Verf. vor einem Uebermaß. „Da die Gedichte ges 
lefen over frei geſprochen werben follen, fo gebietet ohnehin das pädagogis 
She Intereſſe eine weiſe Beichräntung, um nicht durch Ueberfättigung ab⸗ 
zuftumpfen, und den Sinn von der Gefchichte felbft mehr ab⸗ als zu ihre 
binzulenten.“ 

Sehr Karakterifiifch ift es, daß der Verfaſſer darauf dringt, den Ser 
minariften „Iprahlid mehr zuzumutben, fe aud in die inneren Seiten des 
geihichtlihen Lebens einzuleiten, und ihnen ben geiftigen Boden zu fenns 
zeichnen, worauf dafjelbe erwächſt.“ „Vermögen folde Sünglinge wirklich 
nur eine ganz einfahe Spradhe in kurzen Eäpen zu veritehen, und haben 
fie noch mit Erfaflung der Außerlichften Seiten der Begebenheiten zu ringen, 
dann würde eine Ginführung in die Kenntniß der Bauſtyle, Malers und 
Dichterſchulen und Aehnliches noch verfrüht fein.” Gewiß! Man redet in 


620 Geſchichte. 


Büchern, vie für Seminariſten beſtimmt find, —— reader 
10 bis 12 Jahren allenfalls ganz angemeflene S Selten an 
viele verfelben mit einem) mangelhajt entwidelten, —— nicht ab 
ſpprechenden Eprachverſtaͤndniß in das Seminar eintteten, jo wird Bed) rim 
ſolche Unvolltommenbheit zu bejeitigen fein, wenn man die vochanbene umb 
nur Shlummernde Kraft herzhaft berausjorbert. 

In Bezug auf das Berhältnik der preußijchen zur deutichen Gejchichte 
Bat der unbetannte Hr. Berf. gewiß nit Unredht, wenn er darauf Weingt, 
dab sub titulo „deutſch“ nicht ausſchließlich preukiide Geſchichte gelehrt 
were. Bir wünfchen gewiß, daß der Seminarifi aub z. DB. von ben 
Zuürfenfriegen, von dem fpanijchen Grbiolgetrieg, von Maria Therefiad Re: 
gierung und Joſephs IL Reformen, von den Sämpfen Deſterreichs mit 
Zrantreih, von den ſüddeutſchen Mittelftaaten u. ſ. w., daß er darüber ges 
nügend belehrt werde. Wir verfiehen aber nicht recht, was es heißen fol, 
„vie preußiiche Geſchichte folle der veutichen eingefügt werden.” Eine eigent 
ld) deutſche Geſchichte, d. b. eine Geſchichte, in weldyer das deutſche Boll, 
oder deilen Oberhaupt in feiner Qualität ald deut ſches Oberhaupt eime 
Rolle ſpielt, — eine ſolche gibt es felbft vor dem dreikigjäbrigen Kriege 
nur noch bin und wieder. Nach demfelben geben die einzelnen Theile 
Deutſchlands meiſtentheils ihre eigenen Wege; das Band der Reichseinheit 
loft fi, und die einzelnen Territorien werden, wenn auch mod nidt de 
jure, doch de facto fouverain. Wer demnach die deutſche Geſchichte feit 
dem weitphäliiben Frieden erzählen will, wird ſich ſchon bequemen wüfer, 
die einzelnen Haupttbeile Deutſchlands befonders zu betrachten. Gine Bo 
litit z. B, der man als der höheren Cinheit die öſterreichiſche, ſächſiſche, 
preußifhe u. ſ. w. einfügen und unteroronen lönnte, erifiirt doch im All 
gemeinen nidht. Es iſt dies eine von den vorhin ſchon angedeuteten Schwie⸗ 
rigleiten, die mit einer fhulmäßigen Behandlung der deutſchen Geſchichte 
verlnüpft find. 

Dabei wird ed, wenn anders die Geſchichtsſchreibnng dem thatfäd- 
lihen Berbältniß entſprechen fol, fih ganz von jelber nahen, daß bie 
Geſchichte des jugendlich aufitrebenden nordiſchen Staates den breiteften Raum 
einnehmen und theilmeis jehr in den Vordergrund treten wird. Denn bier 
ift zeitweis nicht nur das Meifte, fondern aud das Heilfamfle für Deutſch⸗ 
land gejheben. (So 3. 3. zur Zeit des großen Kurfürften, der den Ge 
lüften Ludwigs XIV. am kräjtigften enigegentrat, Pommern den Schweden 
und Oftpreußen den Polen entriß, während das Oberhaupt des deutichen 
Meiches die MWicderauslieferung deutihen Bodens an die Schweden bemirfte) 
Daß in den Seminarien die Gejhichte Deutſchlands einigermaßen vollfiändig 
behandelt werde, mie der Verf. des erwähnten Gutachtens es verlangt, if 
wohl immer nod ein ſehr beſcheidener Wunſch. Es wäre lebhaft zu wi 
ſchen, daß in allen deutſchen Seminarien aud das Widtigfte aus der als» 
ten Geſchichte, wenigſtens der beiven Hauptvöller des Altertbums, gelehrt 
würde. Gine gewifje Kenntniß der griechifchen und römischen Gefchichte if 
für das Verſtändniß der Gegenwart, vor allen Dingen für das Verſtändniß 
der deutſchen Nationalliteratur ganz unbedingt nothwendig. Wer diefe nit 
befigt, bleibt von einem fruchtbaren Verlehr mit unferer klaſſiſchen Literetut 














Geſchichte. 621 


und damit von jeder höheren Geiftesbilbung ſchlechthin ausgefchlofien. Keine 
noch jo genaue Kenntniß der Babenberger, der Wittelsbacher, der Asca⸗ 
nier u. |. mw. fann eine, wenn auch nur beichräntte Kenntniß des Alter 
thums erjegen, Auf den Burgen der biderben eifengepanzerten Ritter find 
bie. Ideen, die das Stammlapital im geiftigen Befig der gegenwärtigen 
Menfchheit ausmachen, nicht gewachſen. Sollen anders die Volksſchullehrer 
dem gebildeten Theil der Nation angehören, jo ift ihnen dazu eine gemifje 
Bekanntſchaft mit der alten Geſchichte nothwendig. 

10) Wir finden unter den neu erfchienenen Leſebüchern wieder meh; 
rere, die nicht einzelne Bilder aus der Gejhichte, fondern ein mirllihes 
Compendium, einen lüdenlofen — freilih ziemlih furzen — Abriß der 
Gedichte bieten. Am weiteſten möchte nad diejer Richtung hin das Leſe⸗ 
buch von Fir geben, namentlich der legte, „die weite Melt‘ betitelte Theil. 

Eine ſolche Darfiellung ift weder für den Lejeunterricht noch für den 
Geſchichtsunterricht recht zu gebrauden. Wenn in der Volksſchule überhaupt 
pon Geſchichte (oder auch nur von Baterlandstunde im Allgemeinen) die 
Rede jein ſoll, jo kann das Leſebuch unmöglid Alles enthalten, was in 
diefem Unterricht vorgebradht ‚werden muß, und bei rechter Benußung ber 
Zeit auch vorgebradht werden kann. Darum kann die mündliche Darfiellung 
ausführliher und umftändlicher fein, als die im Lefebub. Dadurch wird 
das Intereſſe erwedt, die Einſicht vertieft und ſchließlich durch jenes größere 
Intereſſe an der Sache fhon mehr für das Behalten gethban, als durch 
ein halbes Dußend Nepetitionen. Natürlid wird vorausgeſetzt, daß der 
Bortrag des Lehrers von der Art fei, daß er mit dem Ausprud den Nas 
gel ziemlich ſicher auf den Kopf trifft, fonft ift die breitere Darftellung nur 
defto unllarer und wirkungsloſer. 

Beim Leſen im Leſebuch wird natürlich mit einem minder reihen Stoff 
die Zeit volllommen ausgefüllt. Denn ein folder Unterriht bat immer 
zwei Dinge in’s Auge zu fafien, die Sache und die Sprade. Dieje leptere 
muß, wo fie nit unmittelbar verftanden wird, erft erläutert werden, und 
die hiſtoriſchen Belehrungen werden durchkreuzt von fpradliden Bemerkuns 
gen. Erzaͤhlt der Lehrer, fo ilt es feine Sade, den Ausprud immer fo 
zu wählen, daß derjelbe unmittelbar verjtändlih ift. Er fucht wenigſtens 
jeven Ausprud, der noch erſt einer Grläuterung bedürfte, vollftändig zu 
vermeiden, umſchreibt oder fügt erläuternde Zujäge ein, die den Gang ber 
Erzählung möglichſt wenig unterbrehen. Das kann ein Abſchnitt in einem 
Lejebuche nicht leilten. Man bevenfe, mie verfchieden felbit in den auf 
gleiher Stufe jtehenden Schulen doch die Auffajiungstraft und der Ideen⸗ 
seihthbum der Schüler iſt; mie verjchieden jind die Anjchauungen eines 
Landkindes von denen eines Stadtlindes, wie ganz andere Borftellungen ers 
wirbt die Tugend in einem einfamen Walddorfe, wie ganz andere in einem 
an der Seelüfte belegenen. Was bier ſelbſtverſtändlich ift, bedarf dort der 
eingehenpften Grläuterung. Dazu kommt nun der große Einfluß des örts 
lihen Dialelts. Don deſſen Mort: und Eonftructionsformen, von deſſen 
ſpruchwoͤrtlichen Redensarten hängt das leichtere oder ſchwerere Verftändniß 
einer hochdeutſchen Periode oft mejentlih ab. Ein Xtilel im Leſebuch 
mag abgefaßt fein, wie er will, er wird in der Mehrzahl der Schulen 





5223 Geſchichte. 


nicht ohne ſprachliche, und überhaupt die Darflellung betreffende Erläuterungen 
verfiänvlidh fein. Des Lehrers Sache aber ifi ed, zu willen, was feine 
Edyüler verftehen, und was fie nicht verfieben, und danach feinen Bertrag 
einzuribten. Und nur ein folder Vortrag kann der Sache felbft ihr velied 
Recht wiederfahren lafien. Eine mit grammatifhen, etymologiihen x. Ep 
plication enabwechſelnde Geſchichtsbetrachtung wird nie recht intenfiv wirten, fo 
wenig wie die Pectüre einedaus ländifchen Dichters, fo lange man Grammatıl 
und 2erilon alle Augenblide zu Rathe zieben muß, einen rechten Ginblid 
in die Schönheit der Dihtung gemährt. 

Nur folge hiſtoriſche Darftellungen, die, von Meifterhband entworfen, 
tiefer in die dunklen und verborgenen Gänge der Geſchichte oder in die 
Falten des menjhlihen Herzens bineinleuchten, als eine gemöhnlide Ex 
zählung dies vermag, folche, die ſich vermöge ihrer meifterhaften Form bem 
Gedächtniß unmiderfteblih einprägen und bei jeder Wiederholung den Leier 
mit ftet3 frischem Intereſſe erfüllen, nur ſolche Darftellungen, die des Er: 
läuternd und wiederbolten Leſens werth find, follten im Lejebud Bias 
baben, nicht aber Auseinanderfegungen, bie faft jeder Lehrer mündlidy ebenfo 
gut, wo nicht befier, geben fann. 


Ueber die Art und Weiſe, wie der Geſchichtsunterricht in der Volls⸗ 
ſchule an das Leſebuch anzuschließen ſei, gibt Herr Kalder im Schuiblati 
der Provinz Brandenburg (S. 285, Jahrg. 1865) eine Anweiſung, aus 
welcher hervorgeht, daß man über die urjprünglide, etwas gar zu natun 
wüdlige Idee, die Geſchichte einfadh aus dem Lejebuhe berauslefen zu 
laſſen, mehr und mebr hinauskommt, und das Leſebuch in der Geſchichte⸗ 
flunde ein wenig in den Hintergrund hinein zu complimenticen bemübt if 

Nachdem über den die Vorſtuſe bildenden Unterridht in der Heimathes⸗ 
funde gehandelt worden, heißt es weiter: 

„an der Oberklaſſe geftaltet fi die Gefhichtöftunde in folgender 
Weiſe. Der Lehrer hält einen freien Bortrag auf Grund des bezügliden 
Lefetüds im Schulbuche, mobei er bejonders fein Augenmerk auf bie 
Sprache der Unterlage gerichtet hat, zu deren Verſtändniß der Schüler ge 
führt werben fol. Das Leſeſtück hat fich der Lehrer durd eine forgfältige 
Vorbereitung fo zu eigen gemadt, daß er den Inhalt — ohne alle Ber 
bülfe des Buches darzuftellen im Stande if. Der weniger Geübte unter 
fügt fih anfangs durch einige Stihmörter, melde er fih auf einem 
Bettelhen vermerlt bat. Die Theilnahme der Schüler fihern mir und 
nit allein durch die ſympathiſche Macht, momit das eigene Intereſſe aa 
der Sache die Kinder jederzeit zu fefleln im Stande ift, fondern auch durd 
das geeignete Hineinzieben der Hörer in die Entwidelung der Darflellung 
mittelft der Frage. Der Schüler fließt aus einem mitgetheilten Greignib 
auf die Wirkung deſſelben, aus ber GCharattereigenfchaft der Perfonen auf 
ihre Folgen u. ſ. w. Bei einem organifhen SHauptabfchnitt der Sache 
macht der Bortrag Halt. Der Lehrer läßt fih mit einem zufammenjafler 
den Wort den Inhalt feiner Mitiheilung aufs Kürzefte angeben, und ſchreibt 
die gefundene Bezeihnung mit vorgejegter Nummer unter die ſummariſche 
rt an die Wandtaſel. Ginige Fragen befefligen die Sache und 


Geschichte. 5923 


erläutern etwaige Unklarheiten, und nun folgt eine zufammenhängenbe 
Miederholung durch den Schüler.“ 

„Iſt in dieſer Weile die mündliche Durcarbeitung des Stoffes ger 
ſchehen, jo wird endlich das big jet wor dem Schüler gefchlofien lienende 
Leſebuch aufgeſchlagen, und das betreffende Stüd mit forgfältiger Betonung 
am Faden ber Dispofition gelefen.‘ 

„Schließlich ſei noch erwähnt, daß mir in der Geſchichtsſtunde nicht 
andere Ideale haben und nicht mit anderem Maße mefien, ald in dem 
Chriftentbumsunterriht, und daß mir in der Geſchichte die Hauptjache darin 
finden, daß unfere Kinder den Finger Gottes in derſelben erkennen lernen. 
Es foll das nicht ſowohl durd breite Neten, oder eine gemachte Salbung, 
als vielmehr durch die Snergie der ganzen Darftellung und durch trefiende 
Schlaglichter aus dem göttlihen Wort geſchehen.“ 

Man denke über die bier emp’ohlene Methode ein wenig nah! Der 
Lehrer präparirt fi fo, daß er den Abfchnitt aus dem Leſebuch frei (ohne 
Benugung des Buches) erzählen kann. Da er die Diepofition des Erzählten 
an die Tafel fchreiben foll, auch nach diefer Dispofition foll leſen lafien, 
fo muß er fih natürlih striete dem Leſebuch anſchließen, und kann nicht 
mehr und nicht weniger erzählen, als „was im Bude fteht.” Aber nod 
melır, er foll fogar in Bezug auf die Ausdrudsmeife fih dem Bude 
anschließen. Glüdlib, daß Lehrer und Schüler doch menigitend noch auf 
einem Gebiet ihre Selbfithätigleit und ihren Echarffinn geltend machen 
fönnen, nämlih bei der Bezeihnung der einzelnen Abjchnitte behufs 
der zu entmwerfenden Dispofition. Sollte au bier no der „ Subjectiviss 
mus‘ zu ftark bervortreten, fo findet ſich wohl nod ein College, der, um 
einem „längft gefühlten Bedürfniß abzubelfen‘“, ein Büchlein mit den bes 
treffenden charalteriftiichen Bezeihnungen herausgiebt. Dann mürde in den 
Schulen, die ein und dafielbe Lefebuh benußen, beim Gejhichtsunterricht 
etwa dieſelbe Munnigfaltigkeit herrſchen, wie auf Srercirplägen, mo Truppen 
nad ein und demſelben Reglement erercirt werden. Daß eine ſolche regles 
mentsmäßige Uniformität mitunter fehr dienlih fein kann, um Geſchichte 
zu maden, das ift nicht zu bezweifeln, ob aber auch, um Geſchichte zu 
lebren, das ift mehr ala zweifelhaft; befonders menn 'man bedenkt, daß 
die Form, in der die Lejebücher den geſchichtlichen inhalt präfentiren, oft 
eine recht gebredhlihe und unwirkſame iſt. 

(Viele der fogenannten realiftiihen Leſebücher bringen ihren biftorifchen 
„Stoff“ in der allerordinärften, fchleppenditen Darftellung, in gewöhnlichem 
Alltags: Bücher: Deutih, welches fi einigermaßen lieft, aber geſprochen 
ſich nicht fonderih ſchön anhört. Nun denke man die Lehrer einer 
ganzen Provinz fih Stunde für Stunde präparirend auf folde Lectionen, 
und diejelben dann möglihft getreu recapitulirend! in Theil der Xefes 
bücher gibt aud den Stoff in einer etwas alterthümelnden Manier, die an 
Luthers und feiner Zeitgenoffen Manier erinnern fol. Natürlid — mie 
überall, wo das Große von Kleinen nachgeahmt wird, — hat man der Sprache 
ver Lutherſchen Bibelüberfegung nit die Kraft, die Angemefjenbeit, den 
Schwung und die gewaltige rythmiſche Bewegung abgelaufcht, fondern das 
Relativum „ſo“ (ftatt „ver, die, das,” oder „welder ꝛc.“), ferner die häufige 





524 Geſchichte. 


Voranſetung des attributiven Genitivs vor das betrefſende Hauptwort, die 
unentwidelte, gleihförmige Nebeneinanderftellung mehrerer durch „Und“ 
verbundener Hauptfäße und dann namentlih die im neueren Hochdeutſch 
wegfallende Enpfilbe der dritten Berfon Singularis bei den Verben, fo da 
von der Luther'ſchen Diction nichts weiter nachgeahmt wird, als das Ans 
tiquirte, leineswegs aber diejenigen Cigenthümlichleiten, um beren willen 
die Luther'ſche Bibelüberfegung durch alle Zeiten hindurch der Quell der 
Berjüngung für unfere Mutterſprache bleiben wird.) 

12) Schließlich mag bier nody erwähnt fein, was die „Allg. Deutſche 
Lehrerzeitung bei Gelegenheit der Lehrmittelausftellung auf der XV. Als 
gemeinen Deutſhen Lebrerverfammlung über die daſelbſt ausgeftellten Hülle 
mittel für den Geſchichtsunterricht bemerkt. Cs heißt in Nr. 39 v. Is.: 
„Unzertrennlih mit der Geographie verbunden ift-die Geſchichte. Go reich⸗ 
baltig die Hüljsmittel für jene find, fo arm find fie für diefe; denn es find 
nur zwei Arten Anjhauungsmittel denkbar: biftorifche Atlanten und Bilber; 
diefe als Portraits oder als hiſtoriſche Darfielungen. Daß die Atlanten 
ein vorzüglihes Mittel find, darüber ift nicht zu ftreiten; man lieſt ge 
willermaßen die Geſchichte ab. Das veränderte Kartenbild vermittelt in der 
Crinnerung die Urfahen und den Gang der Greignifle. Die vortrefflichen 
Arbeiten in diefem Fache von Voigt, Rohde, Bretichneider, fomwie das 
prächtige Wert Spruner’s find befannt. Trotzdem wird die Verwerthung 
diefes Unterrichtsmittels eine beſchränkte fein, weil in vielen Berhättnifien 
die Anſchaffung eines biftoriihen neben dem geographiihen Atlas kaum 
verlangt werden kann. Aus diefem Grunde find für die Praxis die 
biftorifch : geographifhen Wandkarten wichtiger. Wir haben bereit der Ch 
mann'ſchen gedacht; ihr Preis ift nicht zu theuer, und leiner guten Bürger 
ſchule, von Realſchulen gar nicht zu reden, follten dieſe oder auch andere 
ähnliche Karten fehlen. Wenn aber lein Geld dazu da iſt? Auch biefe 
Gventualität, die, jehr häufig vorlommen ſoll, wenn es der Schule gilt, iR 
zu berüdfidtigen. Es kann geholfen werden. In jeder erften Klaffe findet 
ih ein Knabe, oft auch mehrere, der befonderes Talent zum Nartenzeichnen 
bat und auch wohl im Stande ift, ein Kartenbild vergrößert darzufiellen. 
Diefe Knaben müfjen eintreten, fo ed den Vätern der Stadt an Gelb ge 
bricht für biftoriihe Wandlarten. Sie copiren nad und nad, je nah dem 
Bedürfniffe, in großem Maßftabe die Karten aus dem Atlas des Lehrers; 
natürlich ift die Arbeit eine freiwillige. Nah ein Paar Jahren find fo 
viel Wandlarten da, als zum Gefchichtsunterriht nothwendig find. Beſon⸗ 
"ders Semimaren dürfte diefe Art der Grwerbung zu empfehlen fein; vie 
jungen Leute lernen dabei doppelt. Von Bildern gewahrten wir: „Bas 
deutſche Knabenbuch,“ 100 Geitalten in Wort und Bild. Es find gute 
Bilder von Methufalem und Salomo bis zu Römer und Blücher; aud als 
Umſchlaͤge find fie zu benugen und als ſolche befonders zu empfehlen. Auf 
der eriten Stufe des Geſchichtsunterrichts, mo er biographiſch ift, müßten 
dieſe Oeſtalten ebenfo, wie der belanute „Raiferbilverbogen‘, eine gute 
Unterftügung fein. „Weber's Gallerie berühmter Perfönlichleiten ‘ bietet 
gute Portraits; es wäre in ähnlicher Weife zu benugen wie das vorige. 
Bon hiſtoriſchen bilplihen Darftellungen war wenig da, Prachtwerke, was 


Geſchichte. 625 


rüßen fie der Schule? Sie wandern in den Salon der Reihen dieſer 
Erde, und dienen dazu, Wartenden einige Minuten die Beit zu vertreiben. 
In diefer Beziehung fehlt es an einem größeren Werke, das, ähnlich der 
Schnorr'ſchen Bilverbibel, die wichtigſten Momente in künftleriiher Con» 
ception zur Darftellung brädte. Die Bilder müßten groß, dürften aber 
nicht zu theuer fein, denn daran fcheitert jo oft die Einführung eines guten 
Lehrmittels. Als Hülfsmittel zum Studium der Gejhichte bietet Martens 
in. Lübed als Manufeript 10 chronologifhe und ethnographifhe Tafeln; 
Dr. Meier hat eine Ueberſichtskarte der Weltgefhihte auf einem Blatte 
entworfen; es ift colorirt und wird dadurch wohl überfihtlihb. In ftiller 
Gtunde Tann der ftubirende Lehrer, diejer Bufammenftellung folgend, feine 
Kentniſſe prüfen, manden © Lüden fih bewußt und in manden Stüden ſich 
klarer werden.“ 


Kkiteratur. 
I. Lehrbücher, Leitfäden, Charafterbilder u. f. w. 


A. Allgemeine Gefchichte. 


1. v. Aldensleben, Allgemeine Weltgefhichte für das Volk. Mit 
taujend Sluftrationen. Nah den beiten Duellen bearbeitet. Wien, Berlag 

von U. Wenediet. In Lieferungen von 20 Seiten Duartiormat (auf 70 

bis 80 berechnet) & 5 Sgr., reip. 25 Nr. 

Unter ven für ein größeres Publikum berechneten Darftellungen der 
Weltgeſchichte ift die vorliegende wohl ein Unicum. Schoh der Profpectus 
ift augenſcheinlich in dem Bemwußtjein abgefaßt, daß hier nichts Gewoͤhnliches 
dargeboten werde. „‚Der Freiheit eine Gaſſe! Diefe Worte, mit denen ſich 
ein ſchlichter Mann des Boltes heldenmüthig dem Tod in die Arme ftürzte, 
um fein Baterland von dem ode der Tyrannei zu befreien, ſei unfer 
Mottol” „Und wie leicht ift es, den Spruh Scillerd (die Weltgefhichte 
ift das MWeltgeriht) zur Wahrheit zu bringen! Es genügt, zu der Exs 
reichung dieſes hoben, edlen Zieles mit voller Unparteilichkeit die Thatſachen 
felbft jprechen zu laſſen, fie darftellen, ohne den Wortſchmuck der Berberr: 
lihung, wie ohne die Verblendung des Vorurtheils!“ (Natürlih| ver 
geiftreiche Herr Verfaſſer weiß ohne Zweifel einen leichten, einfachen Rath, 
ein Millionär zu werden. Man laujt Altien oder Staatspapiere, wenn fie 
weit unter Pari ftehen, und verlauft fie wieder, menn fie geftiegen find, 
und fest das fo lange fort, bis man eine Million profitirt bat! Proba- 
tum est!) 

Schließlich wendet der Herr Verf. fih an den gefunden Sinn des 
Volles, „welches bei einer folhen ſchlichten, einfachen und allgemein ver: 
ſtandlichen Erzaͤhlung der Thatſachen das richtige Urtheil won felbit wird 


626 Geſchichte. 


zu fällen wiſſen, und jo die Geſchwornen des Weltgerichts bil« 
den, welches in der Weltgejhichte liegt.‘ Angemeſſener wäre 
es wohl, ein Bublitum, das ver Belehrung durch ein populäres Wert noch 
bedürftig ift, lieber als Zuſchauer auf bie Zribüne und nicht gleih als 
Nichter auf die Bank der Gejhwornen zu laden. Biber das liegt fo in 
der Beit, und ſchmeichelt dem Publikum. 

Sonſt hat man die Weltgefhidhte allgemein als ein Ding angefeben, 
das von Menſchen gemadt wird, In dem vorliegenden Wert erfährt 
nun der von Vater Herodot eingeführte Uſus eine zeitgemäße Erweiterung, 
indem die MWeltgejchichte bier anhebt mit der Organifation des Urſchlammes. 
Als die eriten Akteure der Weltgeſchichte werden bier die antediluvianijhen 
Ungeheuer aufgeführt. Nah ven Worten der Ginleitung wäre es eine 
UAnmaßung von Eeiten des Menihen, wenn er feine Geſchichte mit bem 
Auftreten feines Geſchlechts beginnen und fomit für nichts Anderes ein 
Intereſſe zeigen wollte, als für das, was auf ihn felber Bezug bat. 
Nun, Beſcheidenheit ift in unferen Tagen eine fo feltene Tugend gemorden, 
daß wir fie „rühmen müfjen, wo wir fie finden!” 


Die Yuuftrationen zu dem vorliegenden Wert (Driginalzeicdhnungen, 
feine Clihe's!) find meift recht anfprehend — blos als Zeichnungen bes 
trachtet, und ſogar theilweiſe recht inſtruktiv. Namentli gilt dies von ben 
Abbildungen von Waffen, Geräthihaften, Schmucſachen u. dergl. aus der 
Stein: und Bronzeperiode, und von den ardhiteltonifhen Abbildungen. Im 
Debrigen zeigen dieſe Jlluftrationen eine jeltfame Hinneigung zu Mord 
und Würgejcenen, jo daß man nad flüchtigem Durchblid derjelben faſt meinen 
tönnte, ein Wert zur Belehrung für Anatomen vor fih zu haben. Eltern⸗ 
mörber, denen mit Halen das Fleiſch vom Leibe geriſſen wird, abgehauene 
Glieder — Alles in fchredlihem Realismus dargeftellt. 


Der Zert felber mweiht von dem üblihen Ton der Darftelung nicht 
unbedeutend ab, und nähert ſich häufig dem legeren tändelnd - migeinden 
Seuilletonftyl. Die Begebenheiten ver Weltgefchichte werden bier vorgeführt, 
wie die Stadtneuigleiten in einer Wochenchronik, die über Kriegslärm, 
Theater, Ball, Kammerreden und Damenmoden mit gefhmwäßiger Leichtigkeit 
binweggautelt, ohne irgend Etwas allzu ernft zu nehmen. Gin oberflaͤchliches, 
zuweilen etwas: fades Geplauder über meltgejhichtlihe Dinge! So etwa 
tönnte man den Inhalt bezeichnen. Daß natürlid von den Eigenſchaften, 
die auf Talent zur Darjtellung, tüchtigen Kenntnijien u. vergl. beruhen, 
bier nicht die Rede fein kann, verjteht fih von jelbit. Aber gelegentlide 
Hindeutungen auf Pjaffen, Aberglauben, Heucelei und Volksverdummung, 
wo in der Geſchichte nur vun einem religiöjen Gegenftande die Rede if; 
ferner eine vecht breite, behäbige Darftellung der Verhältnijfe, die man m 
voltsthümlichen Schriften unferer Zeit — je nachdem fie mehr für das er 
wachſene oder mehr für ein jugendlihes Publitum beftimmt find — ent 
weder nur andeutet, oder gar mit einem Schleier bevedt; dann ein Tauſend 
theils wunderlicher, theils fürchterlicher Bilder, dies Alles, verbunden mit 
einem bocdtönenden Proſpectus, muß ja wohl fchließlih „zieben. Tit 
balten es für die Pflicht der Leſer dieſes Jahresberichtes, ſolchen Werfen, we 











Geſchichte. 627 


fie dem unlundigen Publitum in die Hände geftedt werben follten, nad 
Kräften entgegen zu wirken. 


2. Andrea, Grunbriß der Weltgeſchichte für höhere Bürger- 
fhulen und mittlere Gynmmafialllaffen. Mit 8 colorirten Karten. 
Bierte verbeflerte und vermehrte Auflage. Kreuznach. R. Voigtländer, 1866. 
203 ©. gr. 8. 25 gr. 

Die „Allgemeine deutſche Lehrerzeitung‘ jagt über dieſes Buch: „Ein 
gediegener-Leitfaden, deſſen fchnell aufeinander folgende Auflagen die verdiente 
günftige Aufnahme deſſelben bezeugen. Die beigegebenen hübjchen Karten be: 
banveln 1) das füdmeftlihe Afien, 2) Paläftina und die angrenzenden 
Länder, 8) Griechenland, A) Alt:Stalien, 5) das römifhe Reich, 6) ger: 
maniihe Neihe um 500 n. Chr., 7) Karls des Großen Reich und 
8) Europa zur Zeit Napoleons. Die neue Auflage unterfcheidet fih von den 
vorhergehenden hauptfählih dadurch, daß die Biographien mehrerer hervor: 
zagender Männer, wie Melanchthons, Wallenfteind, des großen AKurfürften, 
des Prinzen Eugen, Steins und Scharnhorſts hinzugefügt und die Begeben- 
beiten der letzten drei Jahre wenigſtens angedeutet find. Die „Allgemeine 
Schulzeitung“ äußert ſich ebenfall® ſehr günftig über diefen Xeitjaden. 
Diefelbe bellagt, „daß die meilten unjerer Schulbücher zu Bieles enthalten.’ 
„Sie geben jehr Vieles, was gerade erit die Aufgabe des Lehrers im 
mündlichen Bortrage ift, und was doch aus Büchern niemals erlernt wird.‘ 
In diefer Beziehung wird der in Rede ftehende Leitfaden als ſehr brauds 
bar empfohlen, weil er nur das enthält, was unumgänglich nothwendig 
ift, und vom Schüler wirklich gelernt werben ann. 


3. Afimann, Dr. W., Handbuch der allgemeinen Geihichte Für 
höhere Lehranftalten und zur Selbfibelehrung für Gebiidete. 2. Theil. 
Geſchichte des Mittelalters, 1117 ©. gr. 8. Braunſchweig, 1865. Vie⸗ 
weg u. Sohn. 1: Th. . 


Lag nicht vor. Der erfte Theil dieſes Werkes ift im XV, Bande 
des Jahresberichtes, das Ganze ‚überdies in mehreren pädagogiſchen Zeit: 
ſchriften empfohlen worden. 


4 Bredow, Lehrbuch der Weltgeſchichte, oder umftänblihe Erzählung 
der mertwürbdigftien Begebenheiten aus der allgenieinen Weltgefchichte. Ber 
fonder® für Bürger» und Landſchulen, fowie auch für Töchterſchulen und 
zum Selbflunterriht. Füufzehnte vermehrte und verbeſſerte, bie auf bie 
neuefte Zeit fortgeführte Auflage. 478 ©. gr. 8. Altona, 1866. Ham⸗ 
merid. 1 Thlr. 


5. Gaffian, Dr. Brof., Lehrer an ber höheren Bürgerfchule zu Frankfurt a. M., 
Handbuch ber allgemeinen Weltgejhichte auf geographiſcher 
Grundlage und mit Bri dühtigung, ber Culturgeſchichte, file Bürger, Real⸗ 
und Gewerbeihulen. Nebft einem Anhang chronologiſcher Tabellen. Zweite, 
vermehrte und verbefierte Auflage. Frankfurt a. M. Jaeger'ſche Buche 
handlung, 1866. 416 ©, gr. 8. 


Diefes ziemlih umfangreihe Lehrbuch ſucht eine möglihft tief in das 
Weſen der Dinge einpringende Darftellung aller bei der gejchichtlihen Ents 
widelung wirtjam gemwejenen Factoren zu geben. „Es wird‘, wie es im 


528 Gedichte, 


Vorwort zu erften Auflage heißt, beim geſchichtlichen Unterricht die Kennt 
niß des Geſchehenen, des Charakters der verſchiedenen Perioden und ber 
bandelnden Perfonen, der Entwidlung und Bildung der Bölter, der wid» 
tigen Entdedungen und Grfindungen über eine bevorzugte oder gar au 
ſchließliche Aufzählung von Schlahten und Friedensſchlüſſen, von Kaiſer⸗ 
bäufern und Regententajeln u. f. mw. die Oberhand behalten müfjen.” 
Diefem Grundfag gemäß nimmt denn auch das kulturbiftoriihe Material 
einen fehr bedeutenden Raum ein. Jedem Hauptabjchnitt der Geſchichte if 
eine kurze geographiſche Skizze des Schauplaßes der Begebenheiten voran: 
geſtellt Die orientaliihen Verhaͤltniſſe der alten Zeit find nur Inapp, bie 
der Griehen und Römer defto ausführlier bebanvelt. 

Das Buch ift durch zweierlei Drud zur Benupung für zwei verfhie 
dene Stufen eingerihtet. Für die erfte, die propädeutifche, ift die Erzaͤh⸗ 
lung der wichtigften Begebenheiten beflimmt, das Kulturhiſtoriſche dagegen 
für vie höhere Stufe. 

Das Buch ift darauf berechnet, nad vorangegangener miünbficher 
Darftellung von Seiten des Lehrers dem Schüler zur Wiederholung und 
Ginprägung des Gehörten zu dienen. Die Erzählung bewegt ſich barım 
in kurzen, Inappen, aber ſcharf beftimmten Zügen, die mehr andeuten als 
befchreiben und ausmalen. Dieſe Darftellungsmeife läßt natürlich eime 
Hervorhebung des Antheils, den das Gemüth des Darftellenden an den 
Begebenheiten nimmt, fowie eine moraliſche Abmägung der Motive ver 
Handelnden nicht leicht zu, febt diefes vielmehr von der voraufgegangenen 
mündlichen Erzählung voraus. Die kulturhiſtoriſchen Abfchnitte find reich⸗ 
baltig, und man ftößt überall auf den- fihern Grund tüdtiger, umfaffender 
Detailtenntniß. Unter den ſchönen Künften iſt die Baulunft am ausführ 
lichften behandelt. Noch anſchaulicher würden die diefem Gegenftande ge: 
wibmeten Capitel werden, wenn die Verſchiedenheiten der einzelnen Bauftyle 
nicht blos aufgeführt, charakterijirt und einander gegenüber geftellt würden, 
fondern wenn zunädft das Grundprincip der Conftruction (die theilweiſe 
Bedingtheit defielben durch den baulihen Zwed und das YBaumaterial) und 
fodann die aus demfelben mit Nothwendigkeit bervorgehenden conftructiven 
und decorativen Formen behandelt wären, damit der Schüler einen Bauftyl 
nicht als eine willtürlihe Zujammenftellung mehrerer Kunſtſormen, fondern 
als eine organische, aus dem Princip und ben gegebenen Berhältnifjen ber 
vorgewachſene Einheit erfaflen lernte. 

Im Einzelnen könnte wohl noch Manches theild berichtigt, theils 
genauer und zutreffender ausgebrüdt werden. So ift der Ausprud, „di 
Eophiften in Athen, leichtfertige und verderbliche Leute’, in feiner Unein: 
gefchränttheit unpajiend, weil er die Ausartung als das Weſen und di 
Regel erſcheinen läßt. Ungenau ift es ferner, zu behaupten, Plato hätte 
uns „anziehende Berichte über die Lehre des Solrates hinterlaſſen,“ ta 
Plato's Dialoge zwar ſehr anziehbende Berichte, aber doch wohl von 
feiner eigenen Lehre, nicht von der des Sokrates, find. Daß Ariſtoteles 
„Die Lehren des Plato und des Sokrates zu einer Wiſſenſchaft ausgebildet‘, 
bezeichnet denn doch das Verhaͤltniß jenes Philofophen zu dieſen beiden 
ſehr ungenau und mißverftändlih (eine treffende Bezeichnung berartigit 





Geſchichte. 529 


Berbältnifie in zwei oder drei Zeilen möchte übrigens feine Schwierigleiten 
baben), von feinen Werten foll „nur ein Meiner Theil erhalten fein”, ein 
Ausdrud, der dem Schüler wohl ſchwerlich die redhte Idee von dem Um⸗ 
fange einer Geſammtausgabe des jegt noch Vorhandenen geben wird. „Arouet 
von Voltaire und J. J. Rouſſeau ftrebten eine gänzliche Umgeftaltung der 
religiöfen und politiihen Verhältniſſe an“, ift ebenfalls ungenau, da Voltaire 
an eine radikale Umgeflaltung der politiihen Verhaͤltniſſe kaum gedacht hat; 
ihm fcheint wielmehr im Allgemeinen der aufgellärte und mohlmollende 
Despotismus volllommen zu genügen. Uebrigens gehört Rouſſeau nicht 
zu denen, welche vorzugsmeije mit ‚den Waffen des Wied und Spottes‘ 
fämpfen, vielmehr haben alle feine Hauptichriften ein jehr ernithaftes Anſehen, 
und fein politiſches Hauptwerk ift fo ſyſtematiſch abgefaßt, wie nur möglich. 
Auch ermedt es eine faljche Vorftellung von Montesquieu’3 „Geiſt der Ges 
fege‘‘, wenn al3 die Quintefienz deſſelben die Empfehlung der Republit als 
der zu eritrebenden Staatsform angegeben iſt. Dies ift die mehr oder 
minder deutlich hervortretende Tendenz der Roufjeau’shen Schriften, während 
der „Geiſt der Gefeße” die ftärkiten Sympathien für eine geſetzlich geordnete 
Monardie an den Tag legt. Nicht blos die Royaliſten befämpften ben 
Convent wegen der neuen Conftitution, fondern aud die Ultras von ber 
andern Eeite, und eben diefer Umftand machte ihre Beliegung leiht. Sehr 
verfehlt jcheint die Gegenüberftellung von Göthe und Schiller, die fi ein« 
ander ‚wunderbar ergänzen‘ follen, was freilih zum größten Theil wahr 
ft. Wenn aber nun dieje leivigen, nadten, kahlen — und, weil zu viel 
fagenden, darum nichts fagenden — Antithefen wiederholt werden von 
Idealismus und Realismus, — Objectivität und Subjectivität, — Volks⸗ 
poefie und Runftpoefie, — wenn dies fo nadt und kahl einander gegenüber» 
geftellt wird, fo gibt das einen falſchen Sinn. In folde Antitheſen kann 
man, wenn man fie zu dem beftimmten Zwed eigends definirt und dadurch 
ihren Sinn einſchraͤnkt, allerdings etwas Richtiges hineinlegen. Der Schüler, 
der die Werke Beider nicht genügend kennt, fann es nicht. Dergleichen 
Redensarten von Schiller, dem Spealiften, und Göthe, dem Nealiften, find, 
— wie bäufig die ganze Literaturgeſchicht — ein bequemes Ruhekiſſen 
für folche, die von den eigentlihen Werlen des Genius weder Etwas fühlen, 
noch verſtehen, noch überhaupt wiflen, aber doch darüber mitreden müflen, 
und fi dafür an Neußerlichleiten und an fertige Redensarten halten, mit 
denen man, wie mit geprägten Münzen in der Zajche, bequemlich klappern 
kann. 

Trotz alledem bekundet die Abfaſſung namentlich der Abſchnitte über 
Kunſt und Literatur mit ihren kurzen, oft trefflichen Charalteriftifen der 
Merle und ihrer Schöpfer eine bedeutende Kenntniß auf bdiefem Gebiet 
(Schreiber diejes ſchließt von dem, was einigermaßen innerhalb feines Ges 
fichtsfreifes liegt, auf das Uebrige) und ein gar nicht gewoͤhnliches Talent 
der Darftellung. Ob in Deutjhland viele Schulen eriftiren, in denen es 
gerathen fein mödte, all dieſes Material wirklich vorzuführen, mag dahin» 
geftellt bleiben. Der Derf. warnt felbit in der Vorrede vor einem Zuviel. 
Uebrigend werben örtlihe'Berhältnifje bier von großem Einfluß fein. Man 
tann in Münden, Dresden, Berlin u. |. w., wo die Schüler täglih an 

Yan. Japresberigt. XVII. 34 








530 Geschichte. 


‚Bauwerlen ver verfhiedenften Kunftform vorübergehen, ſchon weiter af 
dieſen Gegenftand eingehen, als in einer Heinen Provinzialftadt. 

Das vorliegende Wert möchte feiner ganzen Haltung und Faſſung 
nah nur für die oberften Klaſſen höherer Lehranftalten geeignet fein, und 
felbft die dem propädeutifchen Unterricht gewidmeten Abjchnitte nähern ſich 
meiftend dem der höheren Unterrihtsftufe entfpredhenden Ton. Sedenjals 
bat man e3 bier mit einem durchdachten, gediegenen und tüchtigen Schul: 
buche zu thun. 


6. Dr. Eiſelen, Lehr- und Leſebuch für den erften geſchichtlichen 

Unterridt. Berlin. Wieganbt und Griehen, 1865. 208 S. 8. gu. 

124 Ser. 

Lag dem Ref. nit vor. Die „Allgemeine deutjhe Lehrerzeitung“ 
jagt von dem Bude: „Fuür die unterfte Klaſſe höherer Lehranftalten be— 
ſtimmt, foll diefes Bud ein Vorläufer von Stade’3 Erzählungen aus der 
"griehifhen und römiſchen Geſchichte fein. Darum ift die griehiläe 
Eage nur in einem kurzen Abjchnitt vertreten, dagegen enthält ed aus: 
führlide Grzählungen aus der alten aſſyriſchen, babyloniſchen, mediſch 
perſiſchen, lydiſchen, phoͤniziſchen und ägyptiſchen, nicht minder aus ber al: 
ten deutſchen Geſchichte, erzählt ferner von Karl d. Gr., den Kreuzzügen 
im ‚Allgemeinen, von Luther, Friebr. d. Großen, den Befreiungstriegen, und 
gibt in einem Anhange ein Verzeihniß der Hohenzoller'ſchen Fürſten. Die 
‚getroffene Auswahl ift eine jehr zmwedmäßige und dürfte auch für die Oberllaflen 
"niederer Schulen ausreihen; außerdem weiß der Verf. fehr gut zu enäh 
‚len. Das Bud iſt empfehlenswerth.“ 


71. Fiſcher, Eonrector, Ferd. ndw., Leitfaden für ben Unterrigt in 
»bder Geſchichte für Boltsfhulen in 3 Euren. 2. und 3. Eure. 
Zangenjalza, Greßler. 134 Sgr. 


8. Paul Frank, Geſchichte des Mittelalters (Weltgefchichte, 2. Bin’ 
hen). Für Schule und Haus faßlich bargeftellt. Leipzig, 1865, Berlas 
von Merjeburger. Gebe}, 264 S. 12 Sgr. 

Bon der ganzen, auf drei Bändchen berechneten Weltgeſchichte des 
Hrn. Berfafjers liegt dem Referenten nur das zweite Bändchen vor. G 
behandelt im Zufammenhang nur die deutſche Geſchichte und fügt bie wid 
tigften Begebenbeiten in den übrigen Ländern, ſowie die üblichen culter 
hiſtoriſchen Skizzen an geeigneter Stelle ein. Was dieſe MWeltgefchichte ver 
vielen anderen auszeichnet, ift ihre große Billigleit (die wohl nur ducch 
den fehr engen Drud möglich geworben ift). Der Darftellung ift eine ge 
wille Gewandtheit nicht abzujpreden, und im Allgemeinen ift ein der pr 
"pulären Beftimmung des Werkes angemefjener Ton richtig getroffen worden. 
Leider ſcheint daſſelbe auf einer nicht allzutiefgehenden Bekanntſchaft mi 
den Quellen ver deutſchen Geſchichte zu beruhen; man findet überdies vide 
Ungenauigfeiten im Einzelnen, Spuren einer gewiſſen Flüchtigleit in der 
Bearbeitung. S. 82 3. B. „Auf dem Zürftentage zu Oppenheim ward fein 








Beihlöhte, 531 


ri (TV.) trog der rübrenpften Bitten feiner Konigswürde fo lange vers 
luſtig erlärt, bis er ſich vom Banne befreit haben würde.” (Stellt ven 
Sachverhalt ungenau dar, außerdem war der Fürfientag nicht zu Oppen 
beim, fondern in Tribur). Won dem „berühmten Reichsgeſetz“, der golde⸗ 
nen Bulle, beißt es S. 197 nur, daß fie „die Rangverhaͤlmiſſe der Fürften 
beſtimmte, und den Kurfürften von Mainz, Trier, Cön, Böhmen, Pfalz, 
Sadfen und Brandenburg den erften Rang nah dem Kaiſer vers 
lieh.” Man bevenfe, was für Boritellungen fi der Leſer über einzelne 
Ipätere Vorgänge im bveutfhen Reihe machen muß, wenn er über eine 
Fundamentaleinrihtung, wie den in der goldenen Bulle feftgefeßten Modus 
der Kaifermahl, fo ganz in Unwiſſenheit belaffen wird. Bon Parcival heißt 
es ©. 174: „da er alles Wunderbar, mas bier (nämlich auf der Grals 
burg) geſchieht; an ſich worübergehen läßt, ohne zu fragen, muß er durch 
ſchwere Prüfungen fih die Neinheit der Seele erjtreben, welche ihm ven 
Beſiß der Gralburg verfchaffen fol.” Es ift ſchwer zu entfcheiden, was 
Leſer, die das betreffende Gedicht nicht Tennen, ſich bei diefem Satze wohl 
vorftellen mögen. Dann läßt der Hr. Verf. Friedrich J. von Brandenburg 
feinen Wohnſitz in Berlin nehmen, während doch Johann Cicero der erfte 
Hohenzoller war, der feinen Wohnfig dauernd in der Mark Brandenburg 
nahm. Daß Deutfhland, wie es S. 89 heißt, im Sabre 1077 ein Wahls 
reich geworben fein foll, ift gleichfalls unrichtig. Die Lifte folher Irrthümer 
und Ylüchfigfeiten könnte leicht noch vermehrt werben. ' 

Daß in einer populären Geſchichte auch dem Sagenhaften fowie ber 
Anekdote ein angemefjener Raum gegönnt werden müfje, wird Niemand bes 
fireiten wollen. Nur muß die Sage immer aud als folde hervorgehoben 
und von der beglaubigten Geſchichte deutlich gejchieden fein, was in dem 
vorliegenden Werk nicht überall gejhehen if. Hin und wieder find Ge 
dichte hiftoriichen Inhalts der Erzählung eingefügt. Einige davon find ganz 
gut gewählt ; mehrere aber audy ohne allen poetiſchen und hiſtoriſchen Werth. 
Bon einem Brincip bei der Auswahl verfelben, nad welchem etwa bag 
Belanntefte unferer Literatur durdhgemuftert und das Paſſendſte ausgewählt 
wäre, ift nicht3 zu verjpüren. Vielmehr jcheint aufgenommen zu fein, was 
dem Hrn. Verf, gerade als einigermaßen geeignet zur Hand oder im Ge 
daͤchtniß war. 


Somit mag das Werk feiner anjprechenden Darftelung und nament⸗ 
lich feiner Billigleit wegen Soldhen empfohlen werben, denen die Beſchaf⸗ 
fung eines umfangreiheren und theurern Werkes nicht möglih if. Hat 
es auch manche Mängel, jo wird ſich doch immerhin ein gemifier Grad ge 
ſchichtlicher Kenniniß daraus gewinnen laſſen. Nur für die Schule möchte 
Ref. ed unter keinen Umftänden empfehlen. Hier müllen wir Arbeiten auf 
foliverem und zunerläffigerem Grunde haben, und glüdlichermeife haben 
wir deren auch in binreichender Anzahl. 


9 Geſchichte Quftan Adolphs nah Andreas Fryxell. Neue (Titel 
. Ausgabe 1865. Verlag von Senf's Buchhandlung in Leipzig. 320 ©. 
871 Shle. (Mit dem Portrait ©. Abolph’s nah N. v. Dyt). u 


34* 








RB? Geſchichte 


Eine in jeder Beziehung vortreffliche Biographie. Cine klare, an 
ſchaulich⸗ Erzaͤhlung, die faſt nur den Gegenſtand ſelber reden zu laſn 
ſcheint, bei aller Ruhe und Objectivität doch ſpannend, die militäriihen 
und oft fehr verwidelten diplomatiſchen Verhaͤltniſſe leiht und überfihtlid 
‚darlegend ! Dabei jo unparteiiih und vorurtheilsfrei, daß aud bie leijeften 
‚Bedenken, die man beutjcperfeitS gegen dad Auftreten Guflav Adolph's in 
unſerem VBaterlande erheben kann, gewiſſenhaft abgewogen und verfländig 
gewürbigt werden. Uns Deutide wird beſonders interejfiren, was der 
ſchwediſche BVerfafier über den GEndzwed Guſtav Adolph's bei feinem deut: 
ſchen Kriegszuge ſchreibt. Es beißt: 

„Ouſtav Adolph's Plan, roömiſcher Kaiſer zu werden, oder wenigftens 
‚einen Theil des noͤrdlichen Deutſchlands unter die ſchwediſche Krone zu 
bringen, bildet den zweiten und noch wichtigeren Oegenſtand bifteriicer 
dorſchungen. Zum erſten Male findet man, daß nach der Schlacht von 
Leipzig die Rede davon iſt, wo ber Kurfürft von Sachſen in ber exfien 
Freude fih erbot, für einen folden Plan mitzuwirten. Durch Guflav 
Adolph's außerordentliche Erfolge ward wenigſtens der letzte Theil dieſes 
Planes von einem Traumbild zus Möglichkeit, Wahrſcheinlichkeit, Wirllich⸗ 
keit. Daß Guſtav Adolph ſchon damals ſolche Abſichten hegte, vermuthet 
man auf Grund des Zuges nach Weſten. Man bemerlte, daß, wenn der 
König nur die Abſicht gehabt hätte, ven Kaiſer zu einem billigen Frieden 
zu zwingen, er bloß nötbig gehabt hätte, geraden Weges auf das wehrloſe 
Wien loszumarfdiren ; die Schwenkung nach dem Rheinftrome bin bezmedte 
"dagegen offenbar, die umliegenden Länder zu erobern, und für ſich die dow 
tigen Fürften und Böller zu gewinnen. Bald zeigten ſich noch bedenklicere 
Zeichen. Guſtav Adolph ließ ganz Franken den Eid der Treue für fih 
und die ſchwediſche Krone ablegen. Sein fhonendes Verfahren gegen die 
Ratholiten ward aus demfelben Gefihtspuntte beurtheilt. Guftan Adolph 
nahm alle Yeußerungen, die man in folder Richtung gegen ihn that, ſcher⸗ 
zend bin; dennoch befand fi in dem Friedensvorſchlag, den er bald darauf 
dem Kaifer fchidte, die Bedingung, daß Guftav Adolph zum römiſchen Kai: 
ſer erhoben werden folle, d. h. zum Nachfolger Ferdinand's.“ 

„Man bat es getadelt, daß Guſtav Adolph einen Theil Deutſchlands 
für fi behalten wollte, und hat demnad Groberungsluft und Eigennub 
als die Haupttriebfeder feiner ganzen Unternehmung bingeftellt. Die Sad 
fann aber auch von einer ganz andern Seite betrachtet werben. @uflav 
Adolph verwandte Schwedens Einkunfte blos für Deutfchlunds Wohl, ul 
war daher ſowohl berechtigt, als verpflichtet, feinem eigenen Volle Vottheile 
zu verſchaffen, die dieſen Opfern entſprachen, namentlih da fein Plar 
auch bauptfählid für das Beſte Deutfchlands berechnet war. Ganz richtig 
war nämlih Guſtav Adolph's oft wiederholte Bemerkung, daß jeder Friede 
nichts nutzen würde, bis man eine Macht errichtet haben würde, die far 
genug fei, Deiterreih das Gegengewicht zu halten. Wo nicht, fo würden 
die Heinen deutſchen Staaten bald wieder in Wirren und Berfall gerathen, 
eine wehrlofe Beute für einen neuen öfterreichifchen Croberer, oder vielleich 
für einen fremden Eindringling. Wie rihtig Guſtav Adolph’ 


Gefchichte, 588° 


Scharjblid, die Lage der Dinge beurtheilte, bat die fol⸗ 
gende Geſchichte Deutſchlands nur zu gut gezeigt.“ 

„Daß der König die Errichtung einer oſtſeeiſchen Großmacht beqbſich⸗ 
tigte,, ift wohl ohne Zweifel, jchwieriger jedoch zu enticheiden, ob er biete 
lich Abſichten auf die Kaiſerkrone hatte u. f. w.“ 


Die deutfhe Bearbeitung ift mit Geſchick und Sorgfalt redigirt wor: 
ben : und ber Ausbrud zeigt nirgends den Zwang einer Meberfegung. Wir, 
empfehlen das Werl jedem Gefchichtslehrer als eine angenehme und belebs 
rende Lectüre, namentlich aber jeder Bibliothel für veifere Schüler. 


10. Gfroͤrer, Zur Geſchichte deutſcher Volkerechte im Mittelale 
ter. Nach bem Tode des Verfaflere herausgegeben von Dr. Weiß. Zwei⸗ 
ter Band. Schaffhaufen, Hurter'ſche Buchhandlung, 1866. 

Das genannte Berl ift der Nedaction des Yahresberichtes zur- Bes 
ſprechung in demfelben eingefandt worden, und es mag darum hier mit aufe 
geführt werden, obſchon es nicht zu der Klaſſe von Schriften gebött, mit: 
denen es diefer Beriht zu thun bat. Wer fih mit quellenmäßigen Bears: 
beitungen der Geſchichte von rein willenfchaftliher Zendenz belannt machen! 
muß, der wird ſich fchon der gemöhnliden wijfenihaftlihen Hülfau 
mittel bedienen müflen, um mit der betreffenden Literatur au courant gu 
bfeiben. ..n 

Der vorliegende zweite Band des Werkes entwirft ein Bild von dem 
Gulturzuftande des mittleren Europa in den Jahren 600 bis 800 n. Ehr. 
Die Haupttendenz des Ganzen ift dahin gerichtet, die unermeßlichen Seg; 
nungen nachzuweiſen, die das Chriftenthbum durch die damalige Stiche über 
die damalige Menſchheit gebradht bat. „Die Kirche war die Xrägerin ber 
Cultur, des geifligen, fittlihen und focialen Fortſchritts.“ Dies tritt aus 
jedem Gapitel des Buches greifbar hervor. Wir jehen auf allen einzelnen 
Lebensgebieten, wie die Kirche Liht und Humanität in bie theilweis ers 
ſchredende Barbarei des damaligen Europa bringt. - 

Das Wert enthält eine überaus reihe Ausbeute eine ausgedehnten 
Duellenftudiums, wovon auch wohl Vieles zum erften Male an’s Licht 
tritt ; oder doch zu einem umfafjenden Gejammtbilde der Eultur jener Set: 
ten nutzbar gemaht worden it. Auf die culturhiftorishen Darftellungen 
des fränliſchen Beitalters wird das Merk jedenfalls von maßgebendem Gin: 


fluß fein. 


11. Grube, A. W. Charakterbilder aus ber Geſchichte und Sage, 
für einen propäbentifchen Geſchichtsunterricht. 3 Thle. 10. Aufl. mit 3 
Stahlſtichen. gr. 8. Leipzig, Brandfletter. 3 Thlr. 

Zu diefem in der pädagogifhen Welt überall befannten, in dieſem 

Jahresbericht mehrfach befprohenen Merk ift im verflofienen Jahre als ein 

Hülfsbuch beim Unterricht erjchienen : 





5B4: Geſchichte. 


Grube, U. W. Dieberhofungabud zu ben Eharafterbifbern ans ber Geiciähte- 
und Sage. 70 ©. gr. 8. Leipzig, bei Branbfletter, 1865. 74 Ger. 
Ueber den Zwed und die Tinrihtung dieſes Buches äußert fi ber 

Bert. im Vorwort: 

„Mit einem bloßen Auszug zum Auswendiglernen konnte und wollte 
ich mich nicht begnügen, da erft dann das Auswendiglernen von Namen 
und ‚Zahlen von Nupen ift, wenn der Schüler mit eigener Thätigleit in 
feiner Wiederholung zuvor inwendig gelernt, felber für diefes Inwendigler⸗ 
nen gearbeitet bat.“ „Der Lehrer muß den Schülern Anleitung geben, daß 
fie felber Das Wiederholen lernen. Dies geihiehbt am beflen durch Repe⸗ 
titiongfragen, welche der Repetent zu Haufe neben feinem Geſchichtsbuche 
vor Augen bat, um nad deren Anleitung den Stoff wieder durchzuarbei⸗ 
ten. Mit dem bloßen Wiederdurchleſen des Lehr: und Handbuches iſt be 
Yanntlih wenig gewonnen.” „Ich habe die Fragen fo geftellt, daß fie 
den Schüler nöthigen, den ganzen Abjchnitt durchzuleſen und — auch durch⸗ 
gubenten.” „Stage ih: „Welcher Strom fließt durch Eghpten?“ fo iR 
die Antwort leiht und kurz. ber fie wird inbaltsreicyer und bildender, 
weil fie das Urtheil berausfordert, wenn ih frage: Welche Bebeutung 
bat der Nil für Egypten?“ „Indem die. Fragen über das bloße „Was“ 
und „Wo“ hinausgehend auf das „Wie, „Woher „Warum x. den 
Haupiton legen, aljo den Schüler nöthigen, fi hen Stoff nach den Kate 
gorien der Kaufalität, Movalität, des Zweds u. f. mw. zurechtzulegen, ge 
winnt berfelbe Eintbeilungen und Ueberfihten, die ihm das Behalten we 
ſentlich erleichtern.“ 


13. Profeſſor Dr. W. Herbſt, Director des Gymnafiums und ber Realſchale 
in Bielefeld, Hiſtoriſches Hülfsbuch für Die oberen Klafſen vor 
Gymnaſien und Realſchnlen. I. Alte Geſchichte. (Auegabe für Eym⸗ 
naſien). Mainz, Verlag von C. ©. Kunze, 1865. gr. 8. 183 S. 12 Sgr. 

Inm vorjährigen Bericht ift der dritte, die neuere Geſchichte behandelnde 

Theil dieſes Werkes beiprohen und in feiner von den meiften Leitfäden 

abweichenden Gigenthümlicpleit charakterifist worden. Nunmehr liegt ber 

erfte, auf hie alte Geſchichte bezügliche Theil diejes Werles vor, und zwar 
in zwei verjchievenen Nedactionen, die eine für Gymnafien, die andere für 

Realſchulen. Nur das erfie Dritttheil ift von Hrn. Dr. Herbft felbft ver 

faßt worden, den zweiten Theil der griechiſchen Geſchichte (von den Berfer 

triegen an) hat Hr. Dr. Jäger, die römiſche Geſchichte Hr. Dr. Ederß be 
arbeitet. Der urjprünglibe Plan ift von allen drei Bearbeitern im Ne 
jentlihen inne gehalten worben, nur daß Hr. Dr. Ederk keinen Abriß der 
römifchen Literaturgejchichte hinzugefügt bat, weil dieſe fich, feiner Anfıht 
nah, an die Lectüre der lateinischen Klaſſiker anfchließen muß. Ueber die 
orientalijchen Mölker ift nur das Nothürftigfte angegeben, über bie Perſe 
nur bei Gelegenheit ihrer Berührung mit den Griechen geſprochen. Die 

Mythologie der Griechen iſt fehr vollftändig gegeben. In ber für Gymn⸗⸗ 

fien beftimmten Ausgabe find für die wichtigſten Dinge und Begriffe bie 

Ueſſiſchen Bezeichnungen, hin und wieder auch bezeichnende Ausſprüche alter 

Autoren in der Originalſprache beigefügt, . 

Eine Hinweifung auf bie biftorifhen Quellen, wie ſolche in Lehr 














Geſchichte 68 


büchern für Gymnaſien ſonſt wohl beigefügt wird, findet ſich in dem vor⸗ 
liegenden Leitfaden nicht. Dafür will der Verf. ein beſonderes ‚‚Uuellen?” 
buch“ erfcheinen laſſen. Die „Allgemeine Schulzeitung‘ empfiehlt das Buch 
mit folgenden Worten: 

„Das Buch zeichnet fih auch in diefem Theile hauptſächlich durch 
zwei große Vorzüge aus. Es tft theild nach eigenem Quellenftubium, theils 
aus den beften wiſſenſchaftlichen Forfhungen gründlich herausgearbeitet, und 
zum andern ift der umgelünftelt mwiedergegebene Stoff plans und licht⸗vo 
geordnet und gruppirt, wodurch deſſen Auffafiung und Aneignung wefent-. 
lich erleichtert wird.‘ " 

Referent kann diefem Urtheile nur zuftimmen. 


14. Kappes, Erzählungen ans ber Geſchichte für ven erflen Unterricht 
auf Mittel- und höheren Bürgerſchulen zufammengeftellt. Zweite Aufl. 1866, - 
Freiburg i. Br., Fr. Wagner’iche Buchhandlung. gr. 8. 272 ©, 24 Sgr.. 
Die erfte Auflage dieſes Buches ift im XIII. Bande diefes Jahres⸗ 

berihtes S. 308 als ein brauchbares Schulbuch empfohlen worven. ‚„Dbir 

wohl der Lehrftoff in der Qualität ih nicht wejentlih von dem, was Vüch⸗ 
lein ähnlicher Beltimmung zu enthalten pflegen, unterjcheidet, fo fit die 
ſchlichte Art der Darftellung, die gerundete Abgrenzung der Einzelbilver- 
und bie Friſche derfelben wohl geeignet, daß fie Kindern als willkommenes 

Hülfsmittel in die Hand gegeben werden.” Nur mwurbe die allzuknapper 

Behandlung der neueren politischen Geſchichte gerügt. Dieſem Mangel tft: 

in der zweiten Auflage einigermaßen abgeholfen durch Hinzufügung mehrerer: 

nener Paragraphen. (Karl V. Der Schmallalvifshe Bund. Das Toncil 
zu Irient. — Der Augsburger Religionefrieve. — Der breibigjährige 

Krüeg. Tilly. Wallenſtein. Guſtav Adolph. — Die übrigen neu hinzus 

gejügten Baragraphen betreffen die Geſchichte vom Ausbrud der franzöfifchem 

Rewvolution bis zum Wiener Congreß). Somit bat das Buch eine gewifie 

Vollftändigleit erreicht, und kam aud in jolden Schulen, die mit dem’ 

biographiihen Glementarcurjus den Unterricht in der Geſchichte überhaupt 

abſchließen, als Lehrbuch benußt werden. Uebrigens find die beiden Theile 

des Werkes, die in ber erſten Auflage getrennt erichienen, nunmehr im‘ 

einen Band vereinigt. Er 


15. Dr. Kiefel, Director bes Gymnaflums zu Düffeldof. Die, Weltge- 
ſchichte für Höhere Schulen und zum Selbftunterricht. Erfler 
Band. Die vorhriftliche Zeit. Zweite verbeflerie Auflage. Freiburg i. 
Br., Herber’s Berlagsbuhhandlung, 1866. 633 ©. gr. 8. 

Nah den Worten der Vorrede will der Verf. in diefem Werk bie Ges 
ſchichte fo erzählen, daß daraus das Walten Gottes erkannt werde. . Ex 
will für reifere Schüler und Lefer eine tiefer in das pragmatiiche Element 
einführende Darftellung liefern. 

Der Verf. hat nun jein Merk fo eingerichtet, daß die Reflexion, 
welche die Greignifie beleuchten fol, nicht durchweg mit in die Erzählung 
felbft verwebt iſt, ſondern zumeift eine jelbftitändige Stellung einnimmt. 
Die Erzählung ift alſo zumeift rein fadhgemäß, — natürlih nur in großen 
Zügen das Weientlichfte der Creignifie und ihren innern Zuſammenhang 





536 Geſchichte. 


anbeutend. Aber ſebr zahlreiche Paragraphen allgemeinen Inhalts geben 
dem Verf. Gelegenbeit, die Geſchichte mit feinen Ideen zu beleuchten. 

Dem Ref. will es nun fcheinen, als ob jene mebr erzählenden und 
beichreibenden Abjchnitte der bei weitem vorzüglichfie Theil des Buches waͤ⸗ 
ven. Sie beruben augenſcheinlich auf gediegenen Studien, find ruhig und 
würdig gebalten, au wird die Darflellung für foldye, die mit der Geſchichte 
ſchon einigermaßen belannt find, — und für folde if ja auch das Wert 
zunachſt nur bereihnet — den gemügenden Grad von Klarheit befigen. — 
Diefe Abfdnitte find wirflid geeignet, gründlihe Belehrung daraus zu 
ſchoͤpfen 

Dagegen lañen die Abſchnitte allgemeineren, betrachtenden und abmi: ' 
genden Indalts Manches zu wünſchen übrig. Die Betrachtung dringt nicht 
überall in die Tieſe (3. B. die Abſchnitte „China“ und „Indien“ enthal 
ten durchaus niht mebr, als viele andere Lehrbücher weit geringeren Um: 
fang?, und bie Turkellung der indischen Neligionsverhältniffe geht durchaus 
wicht auf das Weſen der Sache genügend ein). Der dem Referenten zu⸗ 
gemeftene Raum werkuttet nicht. auf einzelne Anfihten des Berf. näher 
einzugeben : jont wödhte ib bei vielen derjelben das Schiefe und Unzurei⸗ 
ende leitt nıtrerkm lim (1. B. die Inder ſchrieben keine Geſchichte, 
weil fie feine Geſidte datten! Cäſar konnte feine wahrhaft ſtaatsmänniſche 
Aubgabe eriü.ien, weil er ab aut bie demoltatiſche Partei ftügte, und dieſe 
niemals etwıs ſchañen, immer ner opponiten und negiren fann, u. berol. 
mehr). 

Bor allen Dingen aber ſeblt es den Abſchnitten, die fich zu eine 
eimas allxemeineren Petrxttuny erheben, bäufig fo jehr an der noͤthigen 
Beimmtbrit, Aarbeit und Zurkittirleit des Ausdruds — auch jelbft da, 
wo die Betratiuny nicht eden ZUl;u jehr im bie Tiefe gebt, — daß es dem 

ichwer wirt, Ab burdzwwiniee, und felbfi.ganz gemöhnliche Gedan⸗ 
oft den Schein einer gewifen „rembartigleit annehmen, 

Zum Eelttturium may tas Werk fi benugen laſſen. Die Shale 
Isun fh auf ein mũbſeliges Seramsjchälen geiftreiher, aber oft ſehr ge 
wegter Echlubichyerungen and einer nicht gemügend durchſichtigen Hülle nicht 


16. Dr. Köpert, Glementercuriun ber Weltgeſchichte für Gynm— 
fien, Real» une böbere Pürgerichulen. Gısieben, 1566, Drud und Berlag 
von Reihertt. 5. 1348. 7| Eyr. 

Tiefer Leitſjaden if auf eine zujammenbängende Geſchichtserzählung be 
rechnet. Der darin enthaltene barze Abriß derjelben if in gebrängter, aber 
Harer und überfidhtliher Weite geihrieben Die Sprache ift durchaus cm 
rect und dem Zwed angemefen. In Bezug cuf Auswahl und Anorbnung 
des Etoffes hält der Hr. Verj. fih an das in Büchern ähnlichen Umſange 
Ueblide. Aus ver alten Seit if im Weſentlichen nur die Geſchichte ke 
Griechen und Römer, aus der mittleren und neueren Zeit im Wefentlicen 
die Gefbichte der Deutiden erzäblt. Die Grjäblung fließt mit dem zwei⸗ 
ten Rarifer Frieden. Einige kurze Hindeutungen auf einzelne charalteriſtiſche 





Geſchichte. 537 


Züge und Anekdoten, wie fie in manden Leitfäden im Terte ver Erzäb: 
lung in Parentbefe angeführt zu werden pflegen, find bier unter den 
Text geftellt ; es fcheint dies zwedmäßiger zu fein, da dem im Lejen noch 
ungeübten Schüler jede Etörung in der Auffafiung des Zufammenhanges 
eripart wird, Einzelne Uingenauigleiten find vorhanden, aber nicht von 
Belang. Der Leitfaden ift jedenfalls ein recht brauchbares Schulbuch. 


17. Dr. Köpert, Geſchichtscurſus für die mittleren Klaffen der Oymuafien 
und Realſchulen. Dritte vermebrte und verbefferte Auflage. Eisleben, 1865, 
Drud und Berlag von Reichardt. 177 ©. 8. 12 Bgr. 

Iſt nah einem ähnlihen Plane wie das vorhin genannte Werl bes 
arbeitet, nur mit dem Unterſchied, daß es mehr Thatſachen anführt, dafür 
aber das Ginzelne in einer knapperen Faſſung ausbrüdt, fo daß die Ueber⸗ 
ſicht fich mehr der tabellariſchen Form nähert. Außerdem if am Ende bes 
eriten Hauptabjchnittes eine geographifche Ueberficht gegeben; und am Schluß 
des Ganzen finden ſich zwei Regententafeln (nämlich die der europätichen 
Regenten jeit dem Wiener Congreß und die der Brandenburgiſch⸗preußiſchen 
Herrſcher). Auch in diefem Leitfaden find, wie im vorigen, die einzelnen 
charalteriſtiſchen Züge dur Bemerlungen unter dem Terte angedeutet. 


18. Dr. ©. Lange, Profeffor in Berlin, Leitfaden zur allgemeinen 
Geſchichte, für höhere Bildungsanflalten. Erſte Unterrichtöftufe (der bio» 
graphiſche Unterricht). Achte verbeflerte Auflage. Berlin, 1865, Berlag 
von Rud. Gärtner. 875.8. 75 Sgr. 

Die hiſtoriſchen Leitfäden des Hrn. Verfafiers find in dieſem Jahres⸗ 
bericht mehrſach befprodhen worden. Dem pädagogischen Takte, der fih in 
der Auswahl und Anoronung des Stofjes im Aligemeinen, ſowie auch in 
ber Auswahl für jede einzelne Unterridtsftufe kundgibt, haben viele paͤda⸗ 
gogiſche Zeitichriften Gerechtigkeit wiederfahren laſſen. Zahlreiche Auflagen 
beweijen die praltiihe Brauchbarkeit diefer Schulbücher, und der Schreiber 
Diefes erlennt gewiß die mannigfahen Vorzüge derſelben gern und willig 
an. Um fo mehr muß es ihn Wunder nehmen, daß in dem vorliegenden 
Leitfaden ſich Einzelnes bis in die achte Auflage mit forterben konnte, was 
fih doch auf den erfien Blid als der Verbefierung dringend bepürftig dar⸗ 
ftellen muß. Ref. bält es nicht für überflüffig, auf einige Flüchtigkeiten 
aufmerljam zu mahen, damit diejelben womöglich aus den jpäteren Aufla- 
gen ded Buches verfhminden mögen. Den erften Abfchnitt hält Nef. für 
gänzlih mißlungen. Man vente fihb Schüler von etwa 10 oder 11 Jah⸗ 
ren, die zum erſten Mal in der Geſchichte unterrichtet werben, die nun das 
figen in geipannter Erwartung der Dinge, die da kommen follen. Nun 
dente man fi den Unterricht folgendermaßen beginnend : „Merkwürdige 
Begebenheiten aus den älteften Zeiten wifien wir wenige, Zwar werben 
-und wunderbare Geſchichten von großen Männern und rauen erzählt, wir 
Iefen von Kriegen, vie einzelne Voͤlker mit einander führten. Diefe Er⸗ 
zählungen find aber wenig glaubhaft, und gleiben ven fhönen Märchen, 
melde wir in unjerer früheften Jugend gebört haben. Doch gibt ed aug 








538 Geſchichte. 

ben älteften Zeiten merlwuͤrdige Baudenlmaͤler, aus denen wir ungefähr 
Schließen künnen, wie da6 Leben und Treiben der Menfchen befchaffen ge 
weſen if. Verſetzen wir uns in das beutige Borberindien, fo finden wir 
bier uralte, in Felſen gehauene Tempel. In der Nähe von Bombay fie 
gen zwei Leine Injeln, Salfette und Elephante. Auf der erfteren if 
ein großer Tempel, defien Dede auf hoben Säulen ruht. Die andere hat 
mebrere Tempel, die aus vielen Gemächern beiteben. Alles iſt mit Trep⸗ 
pen, Säulen und Bildwerlen verziert. Noch merkwürdiger find aber bie 
berühmten Zempelgrotten von Ellore, mitten in Borberinvien. Hier fieht 
man Säulen, Brüden, Kapellen, in welchen die indische Götterlehre darge: 
ftellt ift, unter der Erde. Am bemunderungsmwürdigften find auf der ent: 
gegengejebten Küfte Vorderindiens die in Felſen gebauenen Pagoden oder 
Zempel von Mahamalipura. Vieles von diefen Dentmälern ift ſchon zer: 
ftört ; aber die Ruinen ſtehen no und geben uns ein Zeugniß von dem 
Fleiß und der Aunftfertigleit der alten Inder.” Was bat denn nun der 
Schüler wohl aus alledem geleınt? Daß es auf Ealfette einen Tempel 
gibt Mit hohen Säulen, auf Clephante einen desgleichen mit mehreren Ge 
mädhern. „Tout comme chez nous !“ wird der Schüler denten und fi an 
iegend ein Gebäude aus feiner Heimath erinnern, welches aud hohe Säus 
len, refp. mehrere Gemäder bat. Was der Schüler fi nun wohl bventen 
mag bei den „Säulen, Brüden, Kapellen, in melden die indiſche Götter: 
lehre dargeſtellt iſt. Wie? Indiſche Götterlehbre ? Gr weiß nod lem 
Dort davon! Eine Götterlehre dargeftellt? Wie denn? Daß eine 
Lehre in Worten dargeftellt werden kann, davon bat er möglichermeiie 
durch den bereit empfangenen Unterriht ſchon eine Borftellung ; aber in 
Säulen, Brüden und Kapellen? Was follen übrigens Brüden unter der 
Erde? Das wird feine Neugierde aufs höchſte fpannen. Gr wird begierig 
fein, zu erfahren, was denn das Alles zu beveuten habe, und fiebe da, die 
Grzählung — fpringt mit einem Male über nad Egyptn. Denn von 
Indien weiß ber Schüler nun genug! „Aber der Lehrer könnte ja das 
Alles noch weiter ausführen, um etwas deutlichere und beftimmtere Vorftel: 
hingen beim Schüler zu erzeugen !’ Ausführliher kann er allervings be 
ſchreiben, aber beitimmte Borftellungen wird er von den bier bebanvelten 
Gegenftänden kaum erzeugen, wenn er feine Befchreibungen nicht durch 
gute und deutliche Abbildungen unterftügen kann. Gin Bauwerk beichreiben, 
auch wenn man die deutlichiten Borftellungen davon hat (und wie viele Leb: 
rer haben ſolche in Bezug auf die indifchen Baumerle), und anbererfeild 
Ah nah einer bloßen Beihreibung ein richtiges Bild machen, ift gar nicht 
leicht, amd faft unmöglih, wenn man in feiner Anſchauung fein Analogen 
zu dem Befchriebenen findet. Genug, dieſe ganze Materie paßt nicht recht 
für den Anfang bes geſchichtlichen Unterrihte. Was der zweite Abſchnitt 
hiber Aegypten fagt, ift nicht mweientlih anders. „Nach allen diefen Bent: 
mälern‘, beißt es ſchließlich, „ju deren Grridtung unglaublidde Mühe und 
Beit erforderlih war, können wir auf die Bildung und das Leben ber 
Aegypter ſchließen.“ a, wenn der Schüler nur eine Ahnung davon hätte, 
wie das moͤglich iſt! „Es wird uns fo mandes von ihren mädytigen ſtö⸗ 
nigen erzählt, die große Eroberungen gemacht haben. Aber biefe Geſchich⸗ 


Geſchichte. 539. 


ten find mit Yabeln und Märden ebenfo durchwebt, wie die Erzählungen 
über Indien.” Sa, menn der Schüler nur erſt Etmas davon gehört hätte ! 
Aber zweimal erhält verjelbe bloß eine Kritik über Dinge, die er gar 
nieht lennt, Mit den indischen Erzählungen ift es nicht recht richtig, mit 
den ägyptiſchen auch nicht. Wenn er nun auch die Sache jelber nicht 
meiß, fo weiß er doch, was er davon zu_halten hat! 

Im dritten Paragraphen beginnt die Gefhichte des Cyrus. Das if 
nun ein für die Darftellung minder fpröder Stoff, ald das Vorhergehende. 
Und dennoch — wie unbeholfen beginnt dieſe Erzählung ! „Wenn wir ung 
etwa 550 Jahre v. Chr Geb. in den weftlihen Theil Aſiensnach Perſien verſetzen 
(ia, wer das heut nod könnte, fih 550 Jahre v. Chr. Geb. irgendwo hinzu⸗ 
verfeßen !), jo finden wir bier um diefe Zeit einen König Namens Cyrus. 
Seine Jugend ift noch mit mandenyabeln und wunderſamen Geſchich⸗ 
ten ausgefhmüdt. Über die großen Thaten, die er vollbradt 
bat, find wahr!” Gemiß! die Thaten, die Jemand vollbracht hat, find 
wahr! Wenn dod alle Säße in der Geſchichte fo gewiß wären, wie die— 
fer! „Es wird nämlich erzählt, daß in dem mediſchen Reiche ein König 
Aſtyages geberrfht habe.“ Wie? nämlih?? Iſt denn dies eine Beftär 
tigung für die Wahrheit der großen Thaten, die Cyrus vollbradt hat? 
Nach dem ©. 7 u. 8 Hector's Fall, das Schidſal feines Leihnams und dei: 
ſen Beltattung ausführlich erzählt find, heißt es ©. 8 weiter: „Der große 
Hector Scheint eine Ahnung von dem bevorftehenden Untergange Itoja’s 
gehabt zu haben. Denn (!) ald er einft die Stadt verlaffen und auf 
Ras Schlachtfeld geben wollte, begegnete ihm feine Gattin Andromache 
mit ihrem Heinen Kinde.“ Warum ift nur Hector’3 Abfchied von feinem Meibe 
erſt nach feinem Tode, warum nicht bei feinen Lebzeiten erzählt? S. 49 
beißt es von Luthers Gattin: „Sie hieß Katharina von Bora. Dadurch, 
daß Luther fih mit ihr verheirathete, nachdem er die Moͤnchskutte abgelegt 
hatte, gab er allen Geijtlihen ein Beifpiel zur Nachahmung.“ Der gram⸗ 
matiſchen Conſtruction nah liegt das Hauptgewicht auf dem Ablegen ber 
Mönchs kutte, als hätten fich früher vie Geiftlihen in derſelben verheirathet. 
©. 51 beißt es von Martinig und Slavata „man warf fie nad altböh⸗ 
miſcher Sitte 80 Fuß tief in ben Schloßgraben hinab!“ Gine feltfame 
Sitte, Menſchen 80 Fuß tief in Schloßgräben binabzumerfen! 6. 72 
beißt es: Es kam zu blutigen Kämpfen bei Groß-Görſchen, Baußen u. f. w., 
vor allem aber zur bfiutigen Schlacht bei Leipzig.” Als wäre es zu 
ben erftgenannten Kämpfen nicht ganz jo fehr gelommen, mie zur Schlacht 
bei Leipzig! Dergleichen elegantiora liefen fih noch in Menge berausfins 
den. Es find dies zwar nur unbedeutende Cinzelnheiten, die dem Werthe 
des Ganzen feinen wejentlihen Abbruch thun, und die Nef. gar nicht rü: 
gen wollte, wenn das vorliegende Buch eben kein Schulbub für die 
Hand der Schüler märe. Möchte eine fpätere Auflage von vergleichen 
Unebenheiten gejäubert fein ! 


19.. Maurer, Geſchichtebilder, Darftellung ber wichtigften Bege- 
benheiten und berühmteften Perſonen aus ber alten Geſchichte, 
dem Mittelalter, ber neuen und neueften Zeit. Nach den beften Quellen 





20. Marggref, Yeitfıren beim erken Unterridt in ber Selige⸗ 
ſchichte fir Samzıten wur höhere Pärzeriäuten 6. vob U 101 ©. 
6. Berlin, Lebmisle'd Budbentiung 1; Eye. 


21. Müller, Opmnsfal-Erctrier. Ggeitfaben für ben Unterridt im ber 
Beihidte mit beisurerer Berüdistizung ver zrurren teutichen Geſchichte 
tür Gpmnafien, Yatein- mar Reulihnien, für agree uub zum 
Edikhantertiht. Frit einem Bermer von Brei. Dr. Hirzel 4 mies 
änterte Aal. Seiüb:cum, Ziearlin, 1566. 285 2. gi. Fi — 2* 

22. Nobert Niedergefäh. Tirecier einer Lehr · uud Tryebangaauſtalt für 
ben. Zeiten und Renſchen. Bilder aus veraaugener ZJeit im Fer 
ten, Eprũchen unb Gertikten zur Belebung tes Eiumer für”Geisite ab 
zur Einiübrang im tie Teutiche Piteramır. Für Schale zub Oras. Bun, 
1966, Drnd und Beriaz von A. Pichter's Biume zub Gem. gr 5 
310 ©. 1 Tbir. 6 Sg. 


„Bon nambaften Pädagogen und Echrüftftellerm‘‘, beikt e& im Berwett, 
„wie Grube, Rılm, Krietigib u. A. iR bereits der Gegenfand von tem 
angedeuteten Gefihtepuntte (nämlid der Rotbwenvigleit einer biegrapbifden 
und monographiiken Behandlung der Geſchichte beim erften Unterricht) auf 
gefaßt worden; fie haben jedoch mehr oder weniger eine gefördertere ala die 
elementare Etufe geiftiger Bildung bei ihren Lejern vorausgejebt. Der 
Berf. des vorliegenden Werkchens hat die rein elementare Stufe im Aug 
gehabt und zu dieſem Bebufe in dem jedesmaligen kurzen Geſchichtsbilde der 
realen, in der Eentenz oder dem Ausſpruche einer berühmten Berfünlid 
keit der et hiſchen und in der geſchichtlichen Poeſie ver äbetif hen Exite 
des Gegenftandes gerecht werten wollen.” 

Denn hiſioriſche Chbaralterbilder einen Einn haben und beim Unter 
richte berechtigt fein follen, fo müflen fie mehr bieten, als die gemöhnlice 
Geſchichtserzaͤhlung zu geben pflegt; fie müſſen einen fern: und Anotenpunlt 
der Gefchichte, fei es durch die Umftändlichleit der Erzählung, ſei es durd 
eine befondere Meifterfchaft der Darftellung, lebendiger vor das Auge des 
Lefers treten lafien, als ein gewöhnliche Lehrbuch es thun kann. 

Diefe Aufgabe ift in der vorliegenden Sammlung nur unvolllonmen 
gelöft worden. Die Aufſätze find theils gewöhnliden Lehrbüchern entnom: 
men, theils in fehr gemwöhnlihem Compendienftyl für diefe Sammlung eigens 
gearbeitet. Nur ein Theil derjelben befteht aus paflend gewählten Brud 
ftüden aus den Werken guter Schrijtfieller. Nah den Auffägen folgen ge 
wöhnlid unter der etwas fonderbaren Aufſchrift „Blüten“ einige berühmte 
Dicta biftoriiher Perjönlichkeiten. Leider find viele von dieſen Ausſprüchen 
jo ohne alle Berbinpung mit ihrem thatfählihen Hintergrunde bingeftell, 
daß fie weit eher felbft ver Beleuchtung bedürfen, als daß fie auf die &: 
zäblung irgend welches Licht werfen könnten. 

Jedem Geſchichtsbilde find ein oder mehrere Gedichte, vie auf das 
Erzaͤhlte Bezug haben, beigefügt, von denen aber etwa nur die Hälfte ben 
Unforderungen entipriht, die man an em in ſolche Sammlung aufzune: 
mendes Gedicht ftellen muß. Nicht jedes an und für fih gute, auf einen 
biftorifhen Gegenftand Bezug nehmende Gedicht ift zur Benutzung in der 














Geſchichte. 341 


Geſchichtsſtunde geeignet. Ein großer Theil der hier aufgenommenen Ge⸗ 
dichte iſt übrigens elende Reimerei. 

Nach welchem Princip die vorliegenden Aufſaͤtze ausgewählt und zu⸗ 
ſammengeſtellt find, iſt dem Ref. nicht recht Mar geworden. Aus der neue⸗ 
ten Geſchichte ift 3. B. Folgendes behandelt: „Entvedung Amerikas durch 
Columbus, — Raijer Marimilian I., der legte Ritter — Raifer Karl V. 
— Gine Raiferlrönung (Diihmar). — Die Vertheidigung von Szigeth durch 
Bring (Münd). — Der 3Ojährige Krieg. — Die Belagerung Wiens durch 
die Türken 1683 (Schubert), — Prinz Eugen, der edle Ritter. — Aus 
dem Leben der Herzogin Dorothea Sibylla v. Liegnig und Brieg. — Der 
merkwürdige Zod des Malers Francesco Franzia (Wakenroder). — Die 
Bildner Viſcher, Kraft und Lindenaft (Hagen).” 


23. Dr. Nißelnadel, das Biflfenswürbigfie aus der Welt- und 
Bulturgefhidte in Biographien undb Erzählungen dom 
Standpunkte hrifffider Weltbetrachtung. Ein Lehr- und Lefe- 
buch für das dentihe Voll in Schule und Haus, fowie für Volls- und 
Schuibibliothelen. Zwei Bände. Zmeite verbeflerte und ftarf vermehrte 
Auflage. Saalfeld 1865. Verlag von C. Rieſe. Preis 2 Thlr. 

Die zweite Auflage diejes Werkes ift nunmehr volftändig erfchiegen. 

Wir verweilen auf die Beſprechung derjelben im vorjäbhrigen Bericht, ©. 642. 

Damals lagen dem Ref. die legten Abfchnitte bes in 12 Lieferungen ers 

fhienenen Wertes noch nicht vor, indeß macht das unterdeß Neuhinzugekom⸗ 

mene eine Modification der vor einem Jahre über dad Werk ausgeipraches 
nen Anſichten nicht notbmendig. 


24. U. Renneberg, Hauptlehrer, Blicke in die Weltgefhichte Ein 
hiſtoriſches Lern- und Leſebuch für die oberen Klafjen mittlerer Bürgerſchu⸗ 
len, bie unteren Klaffen der Oymnafien und Realſchulen, für Lehrer⸗ 
Bräparanden -Klaffen u. f. w. Leipzig 1865. Berlag von Merfeburger. 
tu. 8. 348 ©. Preis 18 Sgr. 


Die Borrede verſpricht ziemlih viel. Das Buch enthält, wie es heißt 
„Biographien, in ſich abgerundete Cinzelvarftellungen, fo viel als möglich 
in einer Faſſung, daß die Handlung zu [hauen und die Perjo: 
nen in ihrer Rede zu hören find.” „Jedes Bild erfcheint in kla⸗ 
rer Öliederung der Hauptvorgänge unter bezeichnenden Ueberjchriften‘‘ u. |. w. 
Bon jener eigenthbümlihen Faſſung wird man im Terte ſelbſt nicht viel 
fpüren. Derfelbe bringt den hiftorishen Stoff im Ganzen und Großen in 
der Auswahl, Anoronung und Ginlleivung, wie es bei erzählenden Lehr: 
büdhern ähnlihen Umfanges auch fonft üblih war, ehe nämlich die „bio: 
graphifhe Methode” und die „abgerundeten Bilder’ erfunden waren (mas 
übrigens Schreiber Diejes eber für ein Lob als für einen Tadel möchte gel» 
ten lafien). Der Unterichied befteht nur darin, daß man bier die Dar: 
ftellung ber Handlungen und des Perfönlihen als die Hauptſache, als bie 
eigentlihe Biographie betrachten, dagegen die in „Inappiter Form“ beiges 
fügten Belehrungen über geographiiche, ethnographiſche, religiöſe zc. Verhält- 
nifje nur als Ginleitungen zu jenen Biographien anfeben ſoll. Früher 
wurde das Material im Weſentlichen auch fo angeordnet, in Bezug auf das 





genommen, indem nämlih die eigentlihe Gräblung jener Begebenheiten 


. unter der Ueberitrütt Frieder. Wilh. TIL erſcheint (cljo bie game Slate 
0) 


Kıcpbe auf das Conto dieſes Königs geſchrieben wird), worauf dann 
zwei Piograpbien — von Blüder und 3b. Körner — felgen. Durch tie 
Anordnung ift die ausfübrlite Erzählung ver Schlachten von der Raphet, 
von Ligny und von Waterloo, tie in ter erfien Erzäbling wur gan fe 
erwähnt jind, binter ten zweiten Pariſer Frieden und den Wiener Gong 
‚ mb binter diejem Allen, und nachden Europa 
jweimal zur Rube gelangt if, flommt dann der Nufrnf ven 
ih. Körner: „Sriih auf mein Boll, die Zlammenzeihen 
rauden!” Wo bleibt da die Zpunnung, das Intereſſe, das 


von einem Trama, keijeren Berftänpnifies wegen, die einzelnen Rollen 
nad) einander vorleien wollte? Zu ſolchen Runderlichleiten verleitet eine 
aus der Mangelbaftigleit der Bezeichnung entiprungene jalide Auflaliuns. 
Gin Glüd, daß die meiften Verjaſſer von ähnlichen Lebrbũchern Talt geun; 
befigen, vie in Vorreden theoretiich aufgeftellten Grundiäge hernach in prazi 
nicht durdzufübren, ober es doch bei unbedentenden Anläufen Ba be 
wenden zu lajien. 

Tie Kapitel find in kleinere Abſchnitte getbeilt und jeder berfelben mi 
einer ven Inhalt anzeutenden Ueberihrift, die Kapitel ſelbſt wit einem 
Motto verfeben. Jenes mag dazu dimen, dem Edrüler Vie Ueberfidt 
und namentlidy das Wiederaujfinden des Cinzelnen bei der Wiederholung 
zu erleihten. (Als Beijpiel möge bier angeführt werden: $. 19. „Prim 
Gugen, der edle Ritter”, „des Prinzen Jugend‘, „Eugen, der treue Die⸗ 
ner”, „Eugen, der große Mann’, „Eugen, der große Feldherr“, „Prim 
Eugen vor Belgarad” ſdas belannte Gedicht], und „der ſpaniſche Exrbfolgekrieg “) 
Die Charalteriſirung jedes Hauptabihnittes durch ein davorgefeßtes Motiv 
ft gewiß eine bedenllihe Eade. Allerdings kann an mandyen Stellen 
ein Bers, ein Sprüchwort, ein Bibelfprudy ſehr geeignet fein, eine Eitnr 
tion oder eine Perfünlichleit treffend zu zeichnen. Aber dann möge man 
doch ein foldhes Wort mit in die Erzählung verwebn. Wird dafielbe au 
eine bevorzugte Etelle, vor das Kapitel, hingeſtellt, fo gibt es leicht, be 
fonderd wenn e3 nicht ganz glüdlid) gewählt if, dem Gedanlengang ein 
einjeitige, wohl gar eine jchiefe Richtung und jtört die Unbefangenbeit Det 
Auffafiung. Nicht jede Perfon, nicht jeven Vorgang fann man mit einem 
Diltum genügend bezeichnen. So 3. B. geihieht dem Kaifer Joſeph IL 
denn doch Unrecht, wenn als Urtbeil über fein Streben und Wirken das 
Motto bingeftellt wird: „Es irrt der Menſch, fo lang ex firebt!“ Der 
Irtthum war dod nicht das Wejentlihe in den Idealen, die dem edlen 
Kaiſer vorſchwebten. Um den Schüler zum Berftänpniß „beilenifhen Be: 
fens” anzuleiten, iR das Motto: „Da fie fih für weile hielten, find fe 





Geſchichte. 1543 


zu Narren gemorben”, gewiß eine ſehr unpaſſende Vorbereitung. Man⸗ 
ches Motto iſt nichtsſagend, wie z. B. 

„Wie aus verborgner Tiefe Schacht 

Des Lebens Keime drangen, 

Alſo iſt Romas Stern aus Nacht 

Der Zeiten aufgegangen.“ 
Damit ſoll nicht geleugnet werden, daß der größere Theil der Mottos wirt 
[ih gut gewählt if. Bon den zahlreihen, dem Zerte eingefügten Gedichten 
it etma nur die Hälfte probehaltig, Ein Theil derjelben befteht aus elen- 
den Reimereien. Die vierhundert Pforzheimer haben gewiß ein beſſeres 
Loos verdient, als in Verfen wie die von Bauer verewigt zu werden, ebenfo 
ber tapfre Commandant von Graudenz Wie ift eg möglih, den „Choral 
von Leuthen“ in fo matten Verſen erflingen zu laſſen, wenn doch eine fo 
gewaltige Darftellung, wie die von Scherenberg, vorhanden iſt! Das Bud 
würde gewinnen, wenn man bie Hälfte der Gedichte einfach ftreichen wollte. 
83 ift Schade, daß der Hr. Verfafier die Mühe und Arbeit, die ihm das 
Auffuhen der Motto’3 und ber zahlreichen Ueberſchriften unfehlbar verurſacht 
hat, nicht lieber auf den Tert ſelber verwandt hat, um noch einzelne ſach⸗ 
liche Ungenauigfeiten und einige ſprachliche Härten zu verbefiern; fein Buch 
würde ein recht empfehlenswerthes geworden fein, denn im Allgemeinen iſt 
der rechte Ton für eine anſchauliche und lebendige Darſtellung ganz gut 
getroffen. Auch ſo, wie es nun eben iſt, kann es immerhin als ein 
brauchbares Unterrichtsmittel bezeichnet werden. 
25. A. Renneberg, Leitfaden für den Geſchichtsunterricht in der 

Form von Geſchichtstabellen. Leipzig 1865. Verlag von C. Merſeburger. 

90 Seiten. Preis 6 Sgr. 

Diefer Leitfaden ſchließt fih eng an des Verfafierd ,„‚Blide in die 
Meltgeihichte.” Nach diefem legteren Buche foll der Lehrer die Gefchichte 
vortragen, nad jenem foll dann der Schüler das Gehörte repetiren. „Die 
kurzen Säge”, heißt es im Vorwort, „meift ganz ohne Zufammenhang, fo: 
wie die einzelnen Worte, oft in Verbindung mit Interpunltionszeichen (7), 
follen zunädft des Schülers Erinnerung an das Gehörte unterftügen, als⸗ 
dann ihn anteizen, den Gedankengang und Zuſammenhang aufzufuchen,” 
Die einzelnen Abſchnitte und Paragraphen tragen biejelben Motto's und 
Ueberſchriften, wie die entjpredhenden Stüde des ausführlicheren Lehrbuches. 
Folgende Stelle möge als Beifpiel für die Art der Darftellung gelten. 
63 heißt Seite 17: ‚1. Pyrrhus jhlägt die Römer bei Heraclea. Die 
Römer Herren von Mittelitalien, nun Blide nah Unteritalien, fo 

Krieg mit Tarent. Beranlafiung: die Tarentiner beihimpfen einen 
römischen Geſandten, da römifches Heer. Die Zarentiner rufen Pyrrhus 
von Epirus, den größten Feldherrn feiner Zeit; tüchtiges Heer, 26,000 
Mann mit Elephanten. Siegsgewiß, meil er glaubt, die Römer kennen 
feine Kriegskunſt; doch deren Schlahtorbnung und Tapferkeit bei Heraclea, 
fhwerer Sieg (vie Clephanten;) „mit ſolchen Kriegern wollte ich die Welt 
erobern!’ Cineas, Gejandter nah Rom: Rom ein Tempel; der Senat eine 
Verſammlung von FKönigen. Allerdings wird der Schüler dadurch an 
alle einzelnen Züge der angehörten Erzählung wieder erinnert, ob er aber den 


(644 Geſchichte. 


Bufammenbang- diefer Einzelnheiten in der Darſtellung des Leitfadens wie 
der erfennt, ift ſehr zweifelhaft. Was der Schüler von einem gehörten 
Bortrage am leichteften und ficherften behält, das find eben einzelne Züge, 
bejonders die recht draftiihen, ungemöhnlihen, anekvotenhajten, mogegen et 
den Faden des Zuſammenhanges fehr bald wieder ve-liert. Diefer gerade 
muß durch ftete Wiederholung am meijten befeftigt werben, weßhalb eine 
jufammenbängend jtilifirte Weberficht immer befier ift, als ſolche zufammen: 
bangslojen Notizen, die zwar den Schüler, wie es im Vorwort beißt, am 
regen, „ben Sedanlengang aufzuſuchen“, aber ihn ſchwerlich in Stand 
jeßen, denjelben auch zu finden. (Es würde gar nicht ſchwer fein, auf 
demjelben Raume dafjelbe Material in leidlich zuſammenhängender Weife bar: 
zuftellen.) Wer die „Blide in die Weltgefhichte” als Lehrbuch zu benuben 
fih bewogen fühlt, wird daneben diejen Leitfaden den Schülern als ein 
zwedmäßiges Unterrihtsmittel in die Hand geben können. 


26. C. F. Niede, der Bollemund in Dentfhland. Ein Wegweiſer im 
deutſchen Vaterlande fürs Volt und feine Lehrer. Rorbbaufen 1865. 1. 
Büdhting. 306 ©. 8. 


Nef. geſteht, daB die Vorrede zu diefem Bud in ihm kein fonberlid 
günstiges Vorurtheil für den Berfafler ermedt hat. Diefe heftigen Ausfälle 
egen die „Büchermacher“ und „Bopfwidler”, die in Bezug auf deutſche 
Itertbumslunde bisher im tiefften Irrthum ftanden, und die von dem 
Verf. mit größter Beratung geftraft werden, ſcheinen nicht von einem 
Manne zu ftammen, der, fein Leben lang mit der Wiſſenſchaft beſchaͤftigt, 
fehr wohl weiß, daß die erften Schritte auf ein neues Gebiet häufig fehl 
geben; der daher dem Irrthum als einer befannten und nothwendigen Gr: 
Iheinung mit derjenigen Gemüthsruhe entgegentritt, die man felbitverftänd: 
lihen Dingen gegenüber zu bewahren pflegt. Uebrigens geben doc mande 
Streihe des erzürnten Berfaflerd gegen die „Zopimidelei ins Blaue, weil 
mande der hart belämpfjten Meinungen älteren Datums find und von ben 
Alterthumsforſchern nicht mehr vertreten werden. Für ein Bolt von Bar: 
baren etwa nad Art der Nothhäute im Felfengebirge hielt man die alten 
Deutſchen in neuerer Zeit nicht mehr. Ebenſowenig werden die zahlreichen 
Götzen, die man aus Mangel bejjerer Worterllärungen bier und da ben 
Drtsnamen zu Grunde legte, wohl nicht mehr ernftlih aufrecht erhalten. 
Jedoch findet fih in dem Buche auch mandes Appercu, welches dem Lerl, 
(vefp. feiner Partei unter den Archäologen) eigenthümlich ift, und welches die 
Reſultate der deutſchen Archäologie theils mopificirt, theils widerlegt. Bü 
theilen bier die Grundzüge feiner Anſchauungen mit. 

Im grauen Altertbum war der größte Theil von Europa (namentl 
der Süden, Weften und die Mitte) von Kelten bewohnt, vie mehrer 
Sahrhunderte v. Chr. bereits ein Kulturvolt waren, Aderbau trieben 
und auh Städte bauten. Deutihland wurde in den legten Jahrhunder⸗ 
ten v. Chr. von germanifhen Stämmen überjhmemmt, melde vie Kelten 
unterwarfen und allmälig germanifirten. Dieje fo wie alle fpäteren Ban 
derungen von Bollsftämmen — namentlih auch diejenigen während ber 
fogenannten Böllerwanderung — hat man fi nicht jo vorzuftellen, als 


Geſchichte. 546 


ab ganze Volksſtaͤmme ihre Wohnſitze verlafien. hätten, fo daß anbere bafür 
in die leer gelafjenen Gebiete hätten einrüden können — jondern ftets 
blieb das Gros der Bevöllerung in der Heimath, und nur das befiglofe 
Proletariat, der jüngere Nachwuchs, der bei der bejchränlten Bertbeilung 
non Grund und Boden leer ausgegangen war, wanderte aus, um ſich mit 
dem Schwerte in der Hand ein Befisthbum zu erlämpfen. In einer Zeit, 
wo Aderbau und Viehzucht faft die einzigen Exrwerbömittel find, muß nas 
türlic eine ftetige Vermehrung der Benölterung eine Menge befiplojen 
Prpletariats bervorbringen, dem nicht anders zu beljen ift, als durch Aus⸗ 
manderung. Drangen nun folhe auf Raub ausgehende Schaaren in eim 
fremdes Gebiet, fo werden fie wahrjcheinlih den Stamm der Bevöllerung 
nicht ausgerottet, fondern nur unterworfen haben, wobei dann die Native 
nalität der Sieger allmälig aud auf die Befiegten überging. — Nachdem 
nun aljo die Mitte Curopas germanijirt war, brangen von Oſten ber ſla⸗ 
viſche Etämme bis über die Elbe vor, wunterwarfen die Germanen, und 
ſlaviſirten den Nordoften des gegenwärtigen Deutſchland, bis vom Jahre 
926 ab das deutſche Element wieder nad Often vordrang und die Slaven 
wieder germanifirte, — ein meltgeidichtliher Proceß, in welchem wir ung 
gegenwärtig noch befinden. Somit wäre alſo bei allem Sins und Herflus 
tben von Nationalitäten der Stamm der Bevöllerung befteben geblieben und 
hätte nur mit dem Gindringen einer fremden Volkerſchaft eine Beimiſchung 
feemden Blutes erfahren. Die Aneignung des fremden Idioms wurde den 
Befiegten erleichtert erſtens durch die nahe Verwandtiſchaft der betrefienden, 
demſelben Stamm enifprofienen Sprachen, und ſodann durch die geringe 
Entwidlung derfelben. Bei. dem geringen Anſchauungskreiſe der damaligen 
Generationen enthielt die Sprache nur wenig Wörter und Sprachformen, 
deren Aneignung leicht war. (Was wir vom Buftande der deutſchen Sprache 
im 9. und 10. Jahrhundert willen, ftimmt freilich nicht vecht zu diefer 
Aunahme.) Demnah wäre alfo der Wechfel verjhiedener Nationen auf, 
unferem heimathlichen Boden nicht vor ſich gegangen wie in Amerila bie 
Vertreibung und Ausrottung der Rothen durch die Weißen, fondern wie 
in den Ödftlihen Theilen Deutſchlands die Ausbreitung deutſcher Sprache 
and Sitte unter den flaviihen Stämmen. 


Während nun die Sprahen wechſelten, erhielten ſich doch die Gigen- 
namen, bejonders die Ortdnamen, wie wir dies bei der Germanifirung flas 
vifher Gegenten noch heut beobachten können, — nur wurden diefelben 
vielfach umgemobelt, in eine dem neuen Idiom adäquate Geſtalt. Ueberall 
— und nob heut zu Zage ſehen wir ſolche Beifpiele vor Augen — bat 
das Bolt die Neigung, fremde Wörter, die ihm unverjtändlid find, fo 
umzumandeln, daß fie einen gewiflen Einn erhalten. (Ic erinnere an die 
bekannten Ummwandlungen: Bagage in Package, Fourage in Zutter- 
age, Ambition in Anbietion — mit dem Begriff des Unbietens, des 
Feilbietens einer Waare.) 


Der Hr. Verf. findet den Beweis für feine Behauptungen darin, daß 
niele ſcheinbar deutſche Cigennamen im Deutjchen feinen vernünftigen Sinn 
haben, auch aus dem Slaviſchen fih nicht erklaͤren laſſen, wohl abe 


Pad. Jahresbexicht. XVII. 38 





346 Geſchichte. 


aus dem Keltiſchen fo herzuleiten ſind, daß ihre Bedeutung dem Bde 
ver bezeichneten Sache entſpricht. 
Den Haupttheil des Buches bildet nun die Ableitung mebrerer Hun⸗ 
derte deuticher Eigennamen (und auch vieler anderer Eubflantive) aus ld: 
tiſchen Wurzeln, wie biefelben in der heutigen Sprache der ren, Bretomen, 
‚Gälen ıc. zu finden find. Ref. gefteht nun, über diefen Theil der Arbeit 
-tein ſachgemäßes Urtheil abgeben zu können; den eigentlichen Werth dieſer 
Urbeit für die Wiflenfchaft mögen Andere prüfen. Man fiidet faft in jedem 
Kapitel viefer Schrift einzelne Beifpiele von Namendeutungen, die durd 
ihre innere Wahrſcheinlichkeit und die trefiende Bezeichnung der Sade wir: 
lich überrajchen. Yreili begegnet man auch manchen Ablettungen und 
Gombinationen, bei denen die Rühnbeit des Hrn. Berf. im Combiniren 
offenbar weit größer war, als feine Beionnenbeit. Und überbies fin 
ben ſich ja wohl in je zwei, in ihren Lautverbältnifien nicht allzufehr von 
einander abmeihenden Spraden eine große Menge von Wörtern, di 
eine entjernte Aechnlichleit des Klanges haben, und dabei Dinge bezeichnen, 
bie auch eine gewiſſe Beziehung zu einander haben. Wenn alfo die Frei⸗ 
beit gegeben ift, ein Wort etwas ftart umzugeftalten und an den Dingen 
verfchiebene Seiten und Eigenſchaften in’s Auge zu faflen, fo iſt es wur 
sin Spiel des Witzes, des Scharffinns und der Gombinationsgabe, eine 
Menge Gigennamen aus jeder beliebigen Eprade, aus dem Griechiſchen 
u B., abzuleiten. Die eiymologifchen Ableitungen nad der bloßen Aehnlich 
beit des Klanges zweier Wörter haben in der Sprachwifjenfchait fo 
gründlih Fiasko gemacht, daß jeder derartige Verſuch ſehr vorjichtig anf 
‚genommen werben muß. Wo man die allmälige Umwandlung eines Bor 
tes nicht weit hinauf verfolgen kann, da wird jede Hypotheſe über feinen 
Urſprung äußerft problematisch bleiben. Bin Gejeg aber, wie das berihmie 
von, Jal. Grimm aufgelelte Lautverfhiebungsgejeg, welchet ein 
ziemlich zuverläfiiges Kriterium für etymslogijche Ableitungen bildet, fan 
nur ba Unwendung finden, wo eine Sprade im Bunde auf einander 
folgender Generationen continuirlich weiter gebildet wird, nicht aber, Wo 
unverfänpliche. Namen von fremden Zungen umgebilvet werben. 
Abgeſehen von dieſer in der Sache ſelbſt begründeten Unſicherheit zuf 
man geiteben, daß ſowohl die hiſtoriſchen wie die etymologiſchen Combinoa⸗ 
tionen des Hrn. Verf. häufig eine frappante MWahrjcheinlichleit für ih ba 
ben, und daß fie, mag ihre hiftorifhe Wahrheit groß oder llein fein, im 
merhin als Erzeugnifje eines ſcharfſinnigen Kopfes betrachtet werden müflen. 
Namentli die Idee von der allgemeinen Verbreitung des keltiſchen Elements 
vor dem germanifhen bat, von geihichtlihem Standpunkte aus betrachtet, 
Manches für fih. Daß der Südweſten Deutfhlands vor dem Gindringen 
der Germanen von Kelten bewohnt gemejen fei, ift auch 3. B. von Jal 
Grimm zugeftanden morden. Caäſar ſpricht von einer Zeit, wo die Gallier 
mächtiger gewwejen feiern, und Invaſionen nad Germanien gemadt hätten 
In Böhmen finden wir ein keltiſches Volt vor der Groberung biejes Yan 
deq durch Marbod. Tacitus berichtet, daß bie Sprade der Eſthen der 
sritanifchen aͤhnlich ſei, was man vielfach für eine bloß oberfläͤchliche Achn⸗ 
Aichleit des Klanges gehalten hat, die den römiſchen Gejchichtöfchreiber ja 


Geſchichte 547 


Viefer Bemerkung veranläßt babe, — Andeutungen genug, die eime firen 
gere wiſſenſchaftliche Präfung diefes Gegenſtandes wohl redtfertigen würden. 

63 iſt nit unmöglid, daß ſich ein großer Theil, ja das meilte defien, 
was der Verf. bier von etymologiſchen ‚Ableitungen vorbringt; als unhalt⸗ 
bar, und daß trogdem feine Apercus im Weſentlichen ſich als richtig her⸗ 
ausfellten. 


RK. Schubert, Srunbriß der Weltgeihichte. Für Schule und Haus 
 Teigufapli bargeheit. Dien, Berlag von Pranbel und Ewald. 1866. 


4 Sgr. 


Diefer Grundriß foll ein Lehr: und Hülfsbuch fein für den erften zus 
fammenhaͤngenden Geſchichtsunterricht in Öfterreihifhen Schulen, na- 
mentlich in „hoͤheren Klafien von Töchterſchulen und aͤhnlichen Bildungs: 
anftalten.” ‚Die Auswahl auf diefem Gebiet”, heißt es im Vorwort, „ift 
eine fo geringe, daß nicht wenige Schulen gendthigt find, nah Büchern zu 
greifen, melde, von Nicht: Defterreihern verfaßt, nicht immer in jener Weife 
und mit jener Rädfiht unferes Vaterlandes erwähnen, wie ber treue öſter⸗ 
reichiſche Lehrer aus Patriotismus dies wünſchen muß.” Das Buch ents 
halt eine zufammenhängende Ueberſicht über die politiihe Geſchichte, der, 
in berfümmlider Weife, am Ende jedes Hauptabſchnittes einzelne Kapitel 
kulturhiſtoriſchen Inhalts angehängt find. Der Verf. wollte ſich dabei einer 
Darftellung bedienen, „die zmwijken der behäbigen Breite des gefchichtlichen 
Charafterbildes und der oft allzu prägnanten Kürze des Leitfadens die rechte 
Mitte hält. Lepteres ift freilich ein fehr dehnbarer Begriff, da es Leit—⸗ 
fäden von mindeftens doppeltem Umfang gibt, die ein durchaus nicht größer 
zes Material behandeln. In dem vorliegenden Grundriß iſt z. B. von 
den Begebenheiten, welde die Lostrernnung der Schweiz von Deutfchland 
zur Folge hatten, nur gejagt, daß Defterreih feine Mat habe „abrunden“ 
wollen, dabei aber auf MWiderftand von Seiten der Walpftädte geftoßen ſei. 
Ferner werden die Kriege Defterreihs und Preußens gegen Napoleon etwas 
fummarifch abgemacht, indem es heißt: „Der Donner ber Geſchütze wieder 
ballte von der Oſtſee bis in die Schluchten der Pyrenäen.” Nur einige der 
wichtigften Schladhten „sollen angeführt werden‘, fo 3. B. die von Aufterlig, 
von Jena, Aſpern und Wagram (wobei jedem Namen noch das Datum 
nebft einer charalteriftiichen Bemerkung hinzugefügt iſt). Man wird geſte⸗ 
ben, daß eine ſolche Darfiellung fich von der „allzu prägnanten Kürze” 
der Leitfäden nur dadurch unterjcheibet, daß bie bier angewandte Kürze 
keine allzu prägnante ift, 

Eingeftandenermaßen will der Hr. Berf. ein Buch liefen, das dem 
öfterreihifhen Patrioten minder berbe ſchmeden foll, als dies bei den außer: 
balb Deſterreichs gejchriebenen Lehrbüchern der Geſchichte meift der Fall zu 
fein ſcheint. Man kann ein ſolches Beftreben, wenn es ſich nit mit der 
hiftoriſchen Wahrheit in Widerſpruch feht, gewiß nicht tadeln. Mag jedoch das 
Intereſſe des Geſchichtslehrers noch fo ſehr auf dieſer oder jener Seite enga⸗ 
girt, mag feine Sympathie für die eine der Parteien nody fo ftark fein, 
mean darf von ihm verlangen, daß er wenigfiens bie offentundigen That: 
fachen felbft richtig erzählte. Wir erwarten von einem Katholiken von vorm 

35” 





548 Geſqhicht. 


herein eine anders gefärbte Darftellung der Reformationsgeſchichte als ven 
‚einem Proteftanten. Die folgenden Stellen enthalten aber Ungenauigleiten, 
‚welde ben Leſer über die thatſächlichen Verhaͤltniſſe im Unllaren lafien. 
Es heißt S. 184: „Vom Papfte aufgefordert, den Irrthümern zu entjagen, 
gelobte Luther dies anfänglid, änderte aber plöglid feinen Sinn und trat, 
— da er von feinem Kurfürften ſich gejchügt ſah, immer breifter mit feinen 
Irrlehren hervor.” (Das muß den Schein erweden, als hätte Luther id 
einfhüdtern lafien, und ale hätte erft der vom Kurfürften zugefagte Schub 
ihm Muth zu weiterem Wiverftande gegeben, Dann ©. 185: „Durh 
Luthers Beginnen wurde aber nicht nur der lirchliche, fondern aud ber 
weltliche Friede heftig erjchüttert. Dieß geſchah vorerſt durch den Aufftand 
der Nitterfchaft, die einen legten Verſuch wagte, um die ritterlicye Freiheit 
gegenüber der fürftlihden Macht wieder emporzubringen, dann aber burd 
die fogenannten Bauerntriege, welde großes Unheil über einen Theil Deutid: 
lands brachten.” Die Bauernfriege werden in ber Regel auf das Conto 
der Reformation gejept, das ift Ufus geworben und — geblieben. Und 
doch zeigten fi die erften Gährungen zur Zeit, als Luther laum geboren 
mar, und bieje Bewegungen waren feit jener Zeit niemals ganz eritiöt 
worden. Nun aber aud gar die Bewegungen innerhalb der Ritterſchaft 
der Reformation zur Laft zu legen, ift ein wenig originel.*) Dieſe un 
ein paar ähnliche Ungenauigfeiten abgerechnet, bewahrt die Daritellung eine 
mwürdige, objective Haltung. Der „Grundriß” ift jedenfalls ein ganz braud: 
bares Schulbud. 


28. Ludwig Schmued, Leitfaden zum geſchichtlichen Unterrichte m 
ben untern Klaſſen der Realſchule. 1. Th. für die 2. Ktaffe, 2. Th. für 
die 3. Klaſſe. Wien 1864 und 1866. W. Braumüller, Hofbuchhänbler. 
gr. 8. 1.2.1556. 2 Th. 1746. 


Der Plan dieſes fireng nad) dem ethnographiſchen Princip gearbeiteten 
Leitfadens meidht wefentlih von dem ab, was in jebiger Zeit wohl in ven 
meiften deutſchen Echulen beim erften Gefchichtsunterriht üblidy iſt. Das 
Buch foll eine kurze Ueberficht über die Geſchichte derjenigen Völler geben, 
mit deren Ländern es der geographifche Unterricht in den unteren Aiafien 
der Realſchulen zu thun bat. Der erfte Theil enthält nad einer gamj 
turgen Ginleitung über die geichichtlihe Stellung Griechenlands und Roms 
einen Abriß, erft der öfterreidhifchen, dann der deutſchen Geſchichte, „‚eritere”, 
wie e8 im Vorwort heißt, „eingehender, als dies fonft der Fall fein wirt.“ 
(Eie umfaht 109 Octapfeiten). Der zweite Theil behandelt Frankreich, 
England, Italien und die pyrenäifche Halbinfel. Nef. weiß nicht, inmwiewet 


*) Chacun & son goft! Wenn Latholifche Schriftfieller Gefallen daran 
finden, das Wort „Reformation“ immer zwifchen Anführungeftrihen zu gebrau- 
hen (wie aud im vorliegenden Bude geicheben if), jo kann man fügli peu 
proteftantiiher Seite nichts dagegen haben. Sie werben bamit eine Bezeichunng 
nicht befeitigen, die nun einmal hiſtoriſch geworden if. Hoffentlich wird kein 
Proteſtant fi bie Mühe geben, von einer „Latholiihen” Kirche zu fprecdhen, ob 
ſchon ber Ausdruck katholiſch ſeinem eigentlihen Wortfinne nach dem Pre 
teftanten ebenjo wmgerechtfertigt erjcheinen muß, wie bem Katholilen bas Bert 
„Reformation,“ 











Geſchichte. | 549: 


vie Auswahl und Anordnung des biftorifhen Matertals in dem vorlegen 
den Leitfaden durch den Organifationsplan der öfterreihifchen Realſchulen, 
oder durch die pädagogifchen Anſichten des Herrn Berfafiers bedingt morben 
il. Daß diefe Vorführung der einzelnen Völler nach einander mande In⸗ 
convenienzen zur Folge haben muß, liegt auf ver Hand. Da in Yolge 
biefer Methode die meiften wichtigen Begebenheiten, bei denen nämlich; meh: 
rere Hauptvölfer Europas zufammengemirkt haben, mehrmals berührt mers 
den müfjen, jo werden fie natürlih, da Raum und Unterrichtszeit nicht 
nad Belieben zu Gebote ftehen, jedesmal nur kurz berührt, mehr erwähnt, 
als erzählt. Das Ganze bleibt eine farblofe allgemeine Ueberficht, die doch am 
alterwenigften für die Anfänger in der Geſchichte geeignet ift, ein Uebel, 
weldes an einzelnen Stellen durch Anwendung allgemeiner Ausdrüde ftatt 
Anführung concreter Berhältniffe no weiter ausgedehnt wird, als das 
angewandte Spftem es an und für fich erfordert. So heißt es 3. B.: 

‚Richt friedlihe Zeiten waren Albrecht beſchieden. innere Unruhen, 
jomie Rämpfe mit feinen Nachbarn forderten feine ganze Thatlraft heraus. 
In erfterer Beziehung hatte er der Reihe nah Aufftände in Wien, des 
ftegerfchen und öfterreichifchen Adels niederzufhlagen;; in legterer befchäftigten 
ihn bäufige Kämpfe mit den Erzbifhöfen von *alzburg, dem ungariſchen 
Grafen von Güſſing, und König Andreas III. von Ungarn, zuletzt auch 
mit Böhmen, mobei nicht geläugnet werden kann, daß fein Streben, die 
Macht feines Haufes zu ermeitern, einige Male die Beranlafjung dazu war, 
wenn es auch andererjeit3 wahr ilt, daß feine Feinde durch Angriffe ihn 
mehrmals jelbft zum Kampfe zwangen.‘ 

„Das Hauptftreben Albrecht3 ging dahin, Friede und Sicherheit im 
Innern zu erhalten, den willkürlichen Zöllen zu fteuern, welche vie rheini- 
ſchen Fürften erhoben, zugleich aber auch feine Hausmacht zu ftärlen. Seit⸗ 
dem bie Fürften ihre Macht auf Koſten ver königlihen in ihren Ländern 
gehoben hatten, waren die Könige immermehr darauf anggwiejen, in einer 
bedeutenden Hausmacht ihre Stüge zu ſuchen. Gleichwie Adolf Died ges 
than, richtete auch Albrecht darauf feine Blide. Indeß mißlangen feine 
Abfihten auf Holland und Meißen, und aud fein Plan, fein Gefchledht 
auf den Böhmishen Thron zu bringen, fdyeiterte an dem Widerſtande der 
Böhmen” Was für blafje Allgemeinheiten, und noch dazu für Anfänger 
in der Gefchichte! 

Ungenauigfeiten im Ginzelnen find nit ganz ausgeblieben. 

Der Ausprud ‚Napoleon fiel den Engländern in die Hände” erwedt 
wenigftend in dem Untundigen nit die richtige Vorftellung von der betref: 
fenden Begebenbeit. 

Richt Friedrich Wilhelm der Große, fondern befien Sohn nahm den 
Titel „König in Preußen‘ an; wenn der Verf. Erfteres au nicht zu fa 
gen beabjihtigt hat, fo muß doch jeder es aus feinen Morten herauglefen. 

Friedrich der Große war feinesmegs, mie ed S. 150 heißt „ganz 
das Gegentbeil feines ftrengen Baters. Die Bibelüberjegung 
wurde auf der Wartburg nicht vollendet, fondern begonnen, u. dgl. mu 
Das Streben nad objectiver Wahrheit ift unverkennbar, nur an einzelnen 
Stellen. bricht eine fpecifiich öſterreichiſche Auffaſſung duch. Häufiger noch 


550 Geſchichte 


begegnet man einzelnen Spuren des ſpecifiſch öfterreichifchen Deutſch 3. B. 
in dem Borwort: „mit fteter Zugrundelegung der Karte”, ebendaſelbſt: 
„daß die alte Geſchichte nit einbezogen wurde”, S. 96 „Blüdyer, 
diejer oft fo fiegreihe Feldherr!“ ©. 98 die „Sintanbaliung der Einfuhr“ 
©. 92: „Männer, welde ſich um die lange vernadjläfjigte Mutterſprache 
annahmen“, u. f. w. 

Diefe Cinzelnheiten abgerechnet, iſt die Ausdrudsweiſe nit ohne Bes 
wandtheit. Bei allem Fleik und aller Sorgfalt aber, mit ber dieſer Leit⸗ 
faden ausgearbeitet worden ift, find doch die, aus der ganzen Anlage ent 
fpringenden Nachtbeile fo bedeutend, dab wir die Benukung befielben nur 
für folhe Schulen empfehlen dürfen, die etiwa durch ihren ganzen Organi⸗ 
fationsplan zur Innehaltung des ftreng ethnographiſchen Lehrganges gend: 
tbigt fein follten. 


29. Handbuch für den biographiſchen Geſchichtsunterricht, von Dr. 

KR. Schwartz, Oberſchuirath und Gymuafial- Director in Wienbaben. 

II. Theil. ittfere und neuere Gedichte. 5. verb. Auflage. Leipzig, ©. 

Fleifcher. 1865. XIV u. 241 &. 8. 1 Thlr. 

Ueber viejes Buch fchreibt die „Allgem. Schußeitung”: „Gleich ben 
Geſchichtsbüchern von Joſeph Bed, zeichnet fihb das vorliegende vor, 
vielen, von Ratholiten verfaßten dadurch vortbeilhaft aus, dab es nicht 
confejlionell einfeitig, entftellend und verlegend if. Zudem empfiehlt es ſich 
bei reichem Sachgehalt durch einfahe, fahliche, anfpredhende Darftellung. 
Das Leben hervorragender Männer wird durh eine Skizze mit der Gejammt- 
geichichte fo verbunden, daß ein fortlaufendes Geſchichtsbild entfteht, in 
weldhem einzelne Figuren mit bejonderer Vorliebe ausgeführt find. Dem 
Leben Winfried's z. B. find faft 10 Seiten gewidmet und wird bemielben 
aus den Poefien Ferrand's die Mundergefchichte angereiht, wie ein bürrer 
Steden, den der Apoftel in den Boden geftedt, fih in einen Blüthenbaum 
verwandelt, weldher Glaub’ und Hoffnung duftete in manches verzweijelnde 
Herz, womit felbjtverftändlid nur die Wunvdergläubigleit der Vorzeit be 
zeichnet wird, Für die poetiihen Beigaben hätten wir eine ftrengere Aus— 
wahl aus dem Claſſiſchen gewünſcht. In den geſchichtlichen Angaben findet 
ih noch manches, mas von neuerer Forfhung verworfen wird.” (Ginzelne 
Ungenauigfeiten, die fchließli noch monirt werden, ſcheinen nicht fo be 
deutend zu jein, daß fie den Merth des Ganzen weſentlich beeinträdhtigten.) 


30. Dr. Ludwig &tade. Erzählungen aus ber alten Geſchichte in 
biographiſcher Form. 1. Theil. Griechiſche Geſchichte. Sechſte vermehrte 
und verbeſſerte Auflage, 15 Sgr. und 
Erzählungen aus der mittleren und neueren Geſchichte in bi 
grapbiicher Form. 2. Theil. Neue Geſchichte. Bierte vermehrte und ver⸗ 
befierte Auflage. 1865. Oldenburg, Berlag von Gerhard Stalling. 15 Egr. 


Dieje Erzaͤhlungen haben in früheren Jahrgängen diefes Berichts be: 
reits viel Anerkennung gefunden. Im VII. Bande wird von dem frühe: 
ten Bearbeiter diefes Faches die „‚Ichöne, anziehende, von poetiichem Gau 
durchwobene Darftellung‘’ viefer Geſchichtsbilder hervorgehoben, vie, nament: 
ih fo weit fie der alten Gedichte angehören, frifh ans ben Unellen 








Gefshichte, 861. 


geſchhpft ericheinen. Sie werben noch beſonders als zur Privatlectüre ges 

eignet empfohlen. Daß das vorliegende Werk zu den werthvollſten Schul⸗ 

büchern feiner Art gehöre, ift in der pädagogifchen Welt ziemlich allgemein 
anerlannt worden. Der erfte Theil hat in der neuen Auflage durch die 

Hinzufügung der Odippusſage eine Bereiherung erfahren. Gewiſſe Beden⸗ 

Ien, die den Verf. urfprünglid von der Behandlung diefer Sage abhielten,. 

fheinen duch die Nüdjiht auf die Wichtigleit derſelben und durch das 

Beifpiel anderer Autoren überwunden zu fein. In dem die neue Geſchichte 

behandelnden Theile find namentlihd bei der Geſchichte des breißigjährigen 

Krieges und des Abfalld der Niederlande einige ‚berfömmlihe Irrthümer 

berichtigt worden. Der Herr Verf. hat e3 vorgezogen, die Reſultate neuerer 

Forſchungen in Noten unter dem Texte anzubeuten, anftatt den urfprüng«- 

lichen Text jenen Forſchungen gemäß umzugeflalten. Mag man diejes 

Berfahren für zwedmäßig halten oder nit, — jedenfalld wird dadurch 

erreicht, daß der Leſer neben der wiflenjchaftlih neu begründeten auch bie 

traditionelle Anfıht tennen lernt, die doch nun einmal in das Bemußtfein 

Bieler, ſowie in viele Werke unjerer ſchönen Literatur übergegangen ift, und 

die darum zur Erientirung diefem Gebiete nicht gut entbehrt werden kann. 
In emeuter Auflage find ferner folgende, in dieſem Jahresbericht 

mehrfach beiprodhene und empfohlene Werke erſchienen: 

31. Weber, Lehrbuch der Weltgeſchichte mit Rüdficht auf Cultur, Lite 
ratur und Religionswefen, und ein Abriß der deutichen Literatur⸗Geſchichte 
als Anhang. 2 Bde. Elfte veränberte und biß auf bie Gegenwart fort- 
geführte Auflage. Mit einem Namen- und Sachregiſter. gr. 8. (XLIV 
u. 1924 ©.) Leipzig, Engelmann. 

32. —, Allgemeine Weltgeſchichte mit befonderer Berüdfichtigung bes 
Geiſtes⸗ und Culturlebens ber Völler und mit Benugung der neueren ger 
ſchichtlichen Forſchungen für bie gebildeten Stände bearbeitet. 6. Bd. Ge⸗ 
ae bes Mittelalters. 2 Theile. 1. Hälfte. gr. 8. (416 ©.) Cbend. 

Ad. 

33. Welter, Gymn.Prof. Th. B., Lehrbuch der Weltgeſchichte für 
GEymmafien und höhere Bürgerſchulen. 1. Theil. Die alte Geſchichte. 23fe 
vermehrte und verbefierte Auflage. gr. 8. (XV n. 392 ©.) Münſter, 
Coppenrath. 15 Ger. 

34. Dr. Wernide, Lehrbuch der Weltgeſchichte für höhere Töchter 
ſchuſen. Gifte vermehrte und verbefierte Auflage. Berlin, 1865.. Ver⸗ 
lag ber Naud’ihen Buchhandlung. gr. 8. 258 ©. 24 Sgr. 


Diefes Lehrbuch ift im V. und VII. Bande des Jahresberichtes bes 
fprochen worden. Die Anorpnung im Ganzen ift, laut der Vorreve zur 
elften Auflage — diejelbe geblieben, nur .Cinzelnes in der mittleren 
und neueren Geſchichte ift neu bearbeitet worden. Drud und 
Papier find auch bei diefer Auflage vortrefflich. 


B. Baterländifche Gefchichte. 


35. Rudolph Dietfh, Abriß ber Brandenburgiſch⸗preußiſchen 
Geſchichte. Mit 3 Karten. Beigabe zu des Verſaſſers Grundriß ber 
allgemeinen Geſchichte. Dritte durchgeſehene und verbefierte Auflage. Leip⸗ 
zig, Drud und Verlag von Teubner. 1865. 126 ©. 8. 12 ©gr. 





ven Ibariıten zwismmengeträngt werden, wobei es freilih wit! 
ohne mebriade ivratlide Härten und Unchenbeiten abzr: 
jangen it, teren te.tiatize Amimerung in einer tciacnben Yrkr 
wit leiter Nade vc.\;ıen werden fünnte. Daß ber Hert Ber. des 
peñtro o: vt:iden Staudrautt mit Gutidiedenbeit jur Geltung Kiez. 3 
über {don bervorgebeten werten Natürlich uk vie Arfıftung u 
einzinen Buntten von 2er icuf gewöhnlichen mertlid, abweiden Ee bet 
es 5,2. €. 10? ven dem berüdtigten Böllnerihen Religionsertit: „et 
men and gegen die Perionen feiner Beranlafier (Wöllner, v. Rüdelriuserder 
zu erinnern bat, was man auch über das dem Chrifientium mict ext: 
ſprechende Leben am Hej un» gegen vie Aumenbung der weitliiien Gemalt 
in firchlichen Saten jagen mag, wie vollländig man and) bei Bielen 

Zrömmelei zugeben mus, es war democh im göttlibden Acht nad 
in den Zufänden der Zeit aufs vollſtändigſte begränke 
Wenn ſich gegen die weblmeinende Abficht der Regierung allentbalben, et 
nicht ohne Läſterung, geipent ward, (sic!!) — num Gett bat mit feiner 
Zuchtruthe darüber gerichtet.” Der im Jahre 1817 durch Friedrich Si: 


Raum gab umd viel Streit umb Hader im ibrem Gejolge hatte.“ „Dont: 
bar erfannte”, heikt es ferner in Bezug aui Die beiemnın ——— 
folgungen, „das Bell auch die Zurkdführung der in Umfurzplämen ver: 
irten Jugend (Zurädfübrung Der berirrten Zugen»tt Gi 
wie zart ausgebrüdt! Tas könnte wohl einen Ebevalier Riccamt zu einer 
befjeren Meinung über die deutihe Sprache beflimmen). „Zurd bie Be 
tufung des allgemeinen Landtages,” heißt es €. 119, „war ber Grund 
zur confitutionellen Berfafjung gelegt.” (Gerade im Gegentheil! Turd 
die Einberufung der Provinzialftände, fowie jpäter durch den allgemeinen 
Landtag follte eben die vielfeitig verlangte conftitutionelle Berfafiung ver: 
mieden, es follte gewijiermaßen ein Surrogat dafür geboten werben. Kaum 
bat Friedrich Wilhelm IV. fih an einem anderen Urte ſchärſer und be 
fiummter gegen eine conftitutionelle Berfafjiung ausgefproden, als im ver 
Gröffnungsreve zum allgemeinen Landtag.) 

Wie ſchon angedeutet, werden über die citirten Stellen die Meinungen 
ſehr von einander abweiden. Dagegen wird Niemand die jonfigen trefi- 
lihen Eigenſchaften des vorliegenden Leitiadens verlennen, der unter ben 
für höhere Lehranftalten beſtimmten unbeftritten eine der erſten Etellen ein 
nimmt. 





Geſchichte. 558 


36. Die dentſche Geſchichte, ein Wiederholungsbuch für Mittelklaſſen. Bon 

W. Dietlein. Quedlinburg, Ftanle. 1864. 8 Sgr. 

Lag dem Ref. nicht vor. Der Verfaſſer ſagt in dem von ihm heraus⸗ 
gegebenen ‚ Schulblatt für die Provinz Sachſen“ in einer Selbitanzeige: 

„sn diefem Büchlein babe ih den Verſuch gemacht, au dem ganzen 
Bereiche der deutſchen Gefchichte fo viel in kurzen, knappen Sätzen bervor: 
zubeben, als mir für die Mittelllafien von Bürgerknaben» und Mädchen: 
ſchulen nöthig erſchien.“ 

„Um nicht nur eine zuſammenhangloſe, für den Schüler unintereſſant 
Zuſammenſiellung von Zahlen und Namen zu geben, babe ih ſtets, wenn 
au hie und da nur dur einzelne Worte, die natürlihe Folge der Thats 
fachen angedeutet.” 

„Damit auch denjenigen Lehrern, die nah einer von diefem Buche 
abweichenden Anorbnung verfahren, daſſelbe handrecht werde, fo ift der 
ganze Stoff in kurze Abfchnitte getheilt, von denen einzelne je nad Be: 
dürfniß weggelafien, oder hie und da in veränderter Aufeinanderfolge benupt 
werden können. Daß ih die preußifhe Gefchichte im Allgemeinen etwas 
bevorzugt habe, wird hoffentlih Niemandem auffallen.” 


37. Eduard Förſter, Königl. Seminarlehrer zu Münſterberg. Deutſche 
Gedichte für den Geſchichtsunterricht. Mit Beziehung auf bes 
Verf. „Hülfsbuch zum Unterricht in ber beutfhen und brandenburgiich- 
preußifhen Geſchichte“ gefammelt und mit literarifhen und biftorijchen 
Rotizen verjehen. Erfurt u. Leipzig, G. W. Köruer’s Verlags - Buchhand- 
Iımg. 1865. gr. 8 112 ©. 12 Sgr. 


Das Bud enthält 120 Gedichte biftoriihen Inhalts, die etwa zur 
Hälfte der deutfchen Gefhichte im Allgemeinen, zur Hälfte fpeciell der 
preußifchen Gejhichte angehören. Es fpringt auf den erften Blid hervor, 
wie jehr der Verfafler bemüht gewejen ift, nur wirklich probehaltige 
Moefie in feine Sammlung aufzunehmen, und lieber [parfamer in der Aufs 
nahme zu fein, als die Weizentörner unter der Spreu verfchwinden zu lafien. 
Wir treffen denn auch in dem Dichterverzeichniß faft nur auf die geachtetften 
Namen des deutfhen Parnaſſus. In der Sammlung ift neben der Iyrifhen 
und epifhen Poefie auch die dramatifche vertreten, indem aus „Götz von 
Berlihingen”, „Wullenjtein‘ und „Ernit von Schwaben” Brudftüde mit- 
getheilt werden, die geeignet find, belle Echlaglichter auf die dargeftellten 
Geſchichtsepochen zu werfen. Die literariichen und biftorishen Anmerkungen 
find meift kurz und recht fahgemäß. Somit fönnten wir die vorliegende 
Sammlung den Collegen zur Benußung empfehlen. Nur im Einzelnen 
möchten wir einige Ausftellungen machen. Das erſte Gedicht, die Klop⸗ 
ftod’ihe Ode „Hermann und Thusnelda”, gehört in ihrer hyperpathetiſchen 
Darftellung wohl ſchwerlich im die Volksſchule. 

„Ha, dort fümmt er, mit Schweiß, mit Römerblut, 
Mit dem Staube der Schlacht bededt! So fhön war 
Hermann niemals! So hat's ihm 

Mie von dem Auge geflammt! 

Hermann! Hermann! So bat di 

Niemals Thusnelda geliebt! 





564 Geſchichte. 


Selbſt nicht, da du zuerſ im Cichenſchatten 
Mit dem bräuplichen Arm mid wilder faßteſt! 
Fliehend blieb ih, und ſah bir 

Schon die Unfterblileit an.‘ 

Bei aller kritiſchen Gewiſſenhaftigkeit des Berfafiers iR denn doch 
Manches mit untergelaufen, was zwar gut gemeint, aber ſchlecht geratben 
ft So ift z. B. George Hefetiel ganz unverhältnigmäßig farf vertreten, 
theilmeis mit ſehr ſchwachen Gedichten. Wenn wir diefem Dichter auch 
mandes fchöne, den derben, naiven und humoriſtiſchen Volkston glüdlid 
nachahmende Gedicht verdanken, fo ift dod nicht zu leugnen, daß das 
Talent diefes Dichters in keinem Verhaͤltniß fteht zu der Maſſe der pro 
ducirten Dichtungen, und daß man vielen derjelben das Gemachte und 
Horcirte anmerkt. „Wie der große Kurfürft den Schweden zeigt, was eine 
Harte iſt“,“) ift doc etivas zu trivial, und der barin vertretene Humor ifl 
ſchwerlich nach Jedermanns Geihmad. Durchaus trivial und obne den 
leifeften Anflug von Geift und Poefie ift auch das letzte in der Sammlung 
enthaltene Gedicht des genannten Dichters, „die Hohenzollern‘; es ift eben 
nur eine gereimte Geſchichtstabelle und fteht an poetifhem Wertb au] 
gleiher Stufe mit anderen NReimereien, die, wie 3. B. die verfificirten 
Genusregeln, nur zur Unterftügung des Gedächtniſſes bervorgebradt Find. 
Das vorlepte Bericht, „An des Königs Geburtstage” (Vater, kröne bu mit 
Segen u. f. mw.) mag recht jhäßenewerth fein, wo man bei der Geburts 
tagsfeier des Königs ein auf die Feier bezügliches Lied nach einer belannten 
Choralmelodie will fingen laflen. Was vemjelben einen Pla unter den 
biftorifhen und für den Geſchichts unterricht beftimmten Gedichten 
verichafft bat, ift nicht recht einzufehen. Die Lesart im legten Verſe des 
„Heil dir im Siegertranz‘ mag immerhin die Original-Lesart”*) fein, an 
und für fi Hingt diefelbe höchſt ungefhidt. Im Vollsmunde bat fich eine 
andere eingebürgert,***) und es wäre jedenfalls beſſer, in der Schule biele 
leßtere beizubehalten. Wenn der Herausgeber die Anmerlung zum Preußen 
liede benugt, um Hoffmann v. Fallersleben Eins zu verjeßen, jo ift dies 
an biefer Stelle gewiß ſehr unpafiend. Die deutſche Volksſchule verdankt 
diefem Dichter unendlih viel, Nur durch feine zaflreihen, in kindlichem 
Geifte gebichteten Lieder ift es möglid geworden, die ſchoͤnſten Blüthen 
des deutſchen Vollsgefanges in den Schulunterrig: bineinzuziehen. Nur 
von diejer Seite tennen ihn die Schüler der Vollsſchule, feine „Unpolitiihen 


*) Da mit Baufen und Trompeten Keiebrid Wilhelm Rörte endlich 
Haufen in dem Land die Schweben, iefes Leben gar zu ſchändlich 


Weil ber Kurfürft nicht daheim, Eilte mit ber Reiterei 
Bei dem Heere an dem Rhein, Ueber Maabeburg berbei, 
Gegen bie Franzoſen. Gnad' Euch Gott, ihr Schweben. 


”*) „Jede geweibte Kunſt 
Neife durch deine Gunſt. 
Bürgerverdienfi ermärm’ 
An beiner Bruſt.“ 
“.) „Fuhl in bes Thrones Glanz 
Die hohe Wonne ganz ac.” 


Geſchichte. bhb 


Lieder“ find ben jungen Staataburgern wohl noch unbelannt, und mer ihn 
wegen biejer Lieder ded „Undanks und der Königsfeinpfchaft  zeihen will, 
möge dazu wenigftens eine pafiendere Gelegenheit wählen, In einer für 
die Schule beftimmten Schrift lag wohl keine Veranlaſſung vor, in diejer 
rüdfichtölofen Weife dem Dichter das fchwärzefte der Lafter, ven „Undank“, 
vorzuwerfen. 


38. H. von Frankenberg, Geſchichte des Preußiſchen Vaterlandes. 
Bis auf. unſere Tage fortgeführt von Becker. Dritte verbeſſerte Auflage. 
Berlin, Schweiggerihe Hofbuchhandlung. 164 ©. Sedez. 10 Sgr. 
Jedenfalls eins der anfpruchglofeften Büchlein unter allen, die je über 

einen Theil der großen Tragödie „Weltgeſchichte“ gefchrieben find. Es er: 

zählt die Gefchichte der Mark Brandenburg bis zum Regierungsantritt des 
großen Rurfürften nur ganz kurz, andeutungsweife, von ba ab ein wenig 
umftändlider, am umftändlihften die militärifchen und friegeriihen Ver⸗ 
bältnijje, und zwar in einer recht treuberzigen Manier, wie fie ebevem, 
namentlid in Eleinbürgerlichen Kreiſen, wohl häufiger zu finden war, als 
in unferer ernſt und politifch geftimmten Zeit. Wie weit die Harmlojigleit 
in der Auffaflung des Herausgebers geht, davon ein Beilpiel: „Auch 
Protefianten‘‘, heißt es, nachdem von den Deutſch-Katholiken die Rede ge: 
geweſen, auf Seite 152 meiter, „‚traten aus ihrer Kirche aus, nannten 
ſich Lichtfreunde und bildeten freie Gemeinden. Gigentlih maren viele 
neuen Religionen feine Religionen mehr, denn die Leute glaubten nicht mehr 
an Gott und Chriftus, jondern fagten: die Welt it von felbit ent: 
ftanden und regiert fich ſelbſt! Diefe gottlojen Gemeinden murben 
von der liberalen Partei benußt, die Zwietracht und Unzufriedenheit jäete. 

So nahte das verhbängnißvolle Jahr 1848. 

„In Preußen hatte Friedrich Wilhelm von Anfang feiner Regierung 
an immer danach geftrebt, dem Volke nah und nah mehr ‚Freiheiten zu 
gewähren, und jo verjuchte er es, und bemilligte durch ein Patent vom 
18. März die Wünfhe des Volles. Allgemein war der Jubel und das 
Volk drängte fi nah dem Schloſſe in aufrichtiger Freude. Der Revo: 
Iutionspartei aber war es leicht, bei diefen großen verfammelten Volks⸗ 
majjen Streit und Schlägerei bervorzurufen, jo dab das Militär einfchreiten 
mußte, allein das aufgeregte Volk ließ ſich nicht auseinander treiben, und 
ein furchtbarer Straßenkampf entfpann fih*) u. f. w.“ „Friedrich Wil 
beim IV., der ftets für ein einiges Deutfhland geglüht, wollte ſich an bie 
Spibe des Gefammtvaterlandes jiellen, aber die Revolutionspartei wollte 


— — 


*, Kür eine ſpätere Auflage möchten wir folgende Verſion vorſchlagen: 
„Ftiedrich Wilhelm IV. Überrajchte eines fhönen Morgens die Hauptftabt, bie 
ar nichts bergleihen abnte, mit einer Konftitution. Der Jubel über dieſes in 
reußen nech ganz unbelannte Geſchenk war ungeheuer. Das jubelnde Boll 
drängte fih auf die Straßen, ja fogar auf bie Dächer. Unglücdlicherweiſe fielen 
daber einige Tosgerifiene Dad;ziegel herunter, verwundeten und töbteten einige 
vorübermarfdirende Soldaten, und biefen gingen aus Unvorfichtigleit in der ba» 
bei entflandenen Verwirrung einige Gewehre 108, wodurch wieder einige Perſonen 
auf ven Dächern und an ben Fenitern getöbtet wurben” u. |. mw. 


566 Geſchichte. 


nichts davon wiſſen.“ Doch genug! —— 

wie eine Geßner'ſche Idylle, lauter edelmüthige, unſchuldige, harmisfe 
—2 im Paradieſe, welches bier Preußen heißt, natürlih auch mit 
einer entipredbenden , alles Böfe veranlafienden Schlange, ver böfen 
liberalen Bartei. Wir empfehlen das Büchlein allen denen, bie ihre 
naive Herzenseinjalt durch Betrachtung des blutigen Grnfles der Weltge⸗ 
ſchichte nicht gefährden wollen. 


39. Ludwig Sabn, Friedrich der Große, greite Auflage. Berlin, 1865. 

Verlag von ®. Her. 452 5. 8. 1 Tb 

Das vorliegende Bud ift eine billige Boltsantgabe des uriprünglid 
in reiberer Ausftattung erſchienenen Wertes über Friedrich den Großen. 
„Cine neue Geſchichte Friedrichs des Großen”, beißt es in der Vorrede 
zur eriten Ausgabe, ‚bedarf für Viele wohl einer Rechtfertigung über bie 
Gründe ihres Entſtebens. Das Leben des großen Königs ift dem preußi⸗ 
fhen und dem deutihen Zolte fo oft und fo ausfübrlih erzählt werten, 
daß ein neuer Verſuch diefer Art zunädft überflüffig erfcheinen mag, zumal 
eine populäre Darftellung, bei welcher es auf eigene neue Forſchung nicht 
abgefehen war. Gegen dieſes vorläufige Bedenken will id mich nicht 
darauf berufen, daß das flets erneute Intereſſe an dem Heldenfürften und 
bie nimmer erfchöpfte anregende Macht und Bedeutung feiner Geſchichte 
jhon an und für ſich die wiederholte Erzählung derjeiben rechtfertigen. Ich 
meine vielmehr, daß nah den mancderlei treffliben Darftellungen von 
Friedrichs Leben und Wirken, melde in volfsthümlibem Ton bereits vor: 
handen find, dennoch eine Geſchichte bejondere, eigene Geſichtspunlte für 
fih muß geltend maden.” Und folde macht denn ber Berf. für fid 
geltend, indem er fagt: „Es ift in die vulgäre Auffaflung einzelner Theile 
der Entwidelung und Thätigkeit des gefeierten FZürften fo mandyerlei Stereo: 
types und doch Schiefes gelommen, es ift ferner durch die überwiegende 
Bedeutung, welche einestheild den anelootenhaften Zügen in des Königs 
Leben, anderntheils feinen fchöngeiftigen, literariſchen Neigungen eingeräumt 
wurde, das wahrhafte Bild des großen Regenten jo vielfah umbüllt wor: 
den, daß ed ber Mühe zu lohnen ſchien, dafjelbe in feiner Reinheit, Schͤrfe 
und rechten Größe gerade den Augen des Volkes vorzuführen.” In leßterer 
Beziehung erwähnt der Verf. befonders der Jugendgeſchichte Friedrichs, da 
gewöhnlih „der Kronprinz bios als Märtyrer der rohen Tyrannei eine 
ungebildeten Vaters, feine eigenen fchweren Berirrungen aber in dem uns 
ſchuldigſten Lichte dargeftellt werben.” „Und doch entipricht e3 nicht blos der 
biftorifhen Wahrheit, ſondern zugleich der Achtung vor der großen Perſoͤnlichleit 
des Königs weit mehr, den Entwidlungsgang befielben von dem leichten und 
eitlen Sinn der Jugend dur die ſchwere Zeit der Prüfung hindurch zur ge 
wiflenhaften Pflihtübung ernft und unbefangen zu ſchildern, und die zugleich 
bei aller Schrofiheit höchſt bedeutſame Wirkſamkeit des Vaters in's rechte Picht 
zu ftellen.” Run, in legterer Beziehung ift aud wohl in populären, fowie 
in den für die Schule beftimmten Darfiellungen bereit3 eine Wandlung 
eingetreten, nachdem Ranlke und felbft Schlofler in der Geſchichte des acht⸗ 
zehnten Jahrhunderts die wulgäre Idee von Friedrich Wilpelm IL als von 


Geſchichte. 557 


einem bloßen Nelrutenerercirmeifter bejeitigt haben. In dem vorliegenden 
Merk tritt das Verhältniß zwiſchen Vater und Sohn deutlicher und jchärfer 
hervor, als in den gewöhnlichen populären Darftellungen. Der Dresdner 
Aufenthalt und feine verberblihen Folgen, ſowie die Verhältnifie am 
Dresoner Hofe felbit werden zwar mit derjenigen Zurüdhaltung berührt, 
die in voltsthümlichen Darftellungen über verartige Verhältniſſe am Orte 
ift, aber doch deutlih genug, um die Tiefe des Verderbens ahnen zu laflen. 
Der Berf. verfhmäht, wie ſchon angedeutet worden, die Reprodnktion 
mancher landläuftgen Aneloote (obwohl es an Anelvoten, ſoweit ſolche zum 
Eharakterifirung nothwendig find, nicht fehlt), und dringt dafür überall auf 
den Kern und das Weſen der Sache. Namentlich die Schilderung von 
der Art und Weife, wie Friedrich die innern Angelegenheiten des Staates 
verwaltete, feine Regierungsgrundſätze ſowohl, wie die Form feiner Ge⸗ 
ſchäftsführung, jene Stellung und fein Verhalten gegen die ihn umgeben- 
denn höheren Staatöbeamten, — das Alles nimmt einen breiteren Raum 
ein, als in den meiften ähnlichen Darftelungen. Das häusliche Leben des 
Königs ift mit vorzügliher Anfchaulichkeit gefchildert. Vortrefflich ift auch 
die jchwierige Aufgabe gelöft, kriegeriſche Begebenheiten in gemeinverftänds 
liher Weiſe darzufiellen, dabei eine genügende Einficht in den Gang und 
den Zufammenhang der Greignifle zu geben, ohne jedoch den Laien durch 
ſtrategiſche und taltifche Specialitäten abzufhreden, — was gerade beim 
jfiebenjährigen Kriege Feine Kleinigkeit if. Die Bejchäftigung des Königs 
mit Literatur und Kunft, fein Berhältniß zu feinen ſchöngeiſtigen Freunden 
ift mwenigitens fo eingehend beiprodhen, als die populäre Beitimmung der 
ganzen Schrift es geftattete. 

Friedrich's des Großen Charalterbild ift nicht immer mit Unbefangen- 
beit vargeftellt worden. Die Erſcheinung dieſes Mannes war jo be 
Deutend, daß verjchievene Parteien in unjerem politiihen Leben beftrebt 
waren, aus bemfelben einen ber Ihrigen zu machen, und fi mit feiner 
Autorität zu deden. Gin conjervatived Blatt ermahnte kurz nah dem Er⸗ 
fcheinen dieſes Buches feine liberalen Landsleute, fich hier das Bild des 
großen Königs genau anzufeben, um zu erlennen, welch eine weite Kluft 
zwifchen diefem und ihnen jelbit beſtehe. Ganz richtig, nur kann man mit 
ganz vemfelben Net die umgelehrte Anwendung machen. Gerade meil 
der Verf. dieſes Buches die Regierungsgrundjäße Friedrich's, fowie feine 
Negentenpraris fahgemäß, unbefangen und eingehend darlegt, wird es auch 
dem einfadlten Leſer Mar, wie zwijhen Damals und Sekt eine Kluft be 
feftigt ift, die nun und nimmermehr wieder nad rüdwärts hin überfchritten 
werden kann. Neben den großen und erhabenen Zügen, die der „mohle 
wollende und aufgellärte Despotismus” in diefem feinem edelften Vertreter 
aufmweift, können wir uns bei einigen anderen Zügen eines geheimen Grauens 
nicht erwehren, und jo jehr wir uns des damals gelegten Grundes ſtaat⸗ 
licher Größe freuen, fo haben wir doch Grund, Gott zu danken, daß wir in 
einer foldhen Zeit nicht haben leben müfjen. Möge man dieſe „Photographie 
obme Retouche“ fleißig betradhten und dabei einjehben lernen, daß die 
Gegenwart nit nad einem politiihen Paradigma von damals durchdecli⸗ 
pirt und conjugirt werben kann, | 








D58 Geſchichte. 


40. Gerhard Beine, Oberlehrer am Herzogl. Landesſeminar zu Athen. Ge⸗ 
ſchichte des Landes Anhalt und feiner Fürſten. Ein Stäück 
deuticher Geihichte, dem anhaltiſchen Volke erzähle. Köthen, 1866. Verlag 
von Eduard Heine. 232 ©. 8. Geb. 124 Sgr., geb. 15 Gar. 

Den meiften Lehrern an deutſchen Voltsfchulen ift gegemmärtig beim 
Gefhichtsunterriht die Aufgabe geftellt, die Chronik eines Stammes oder 
eines Iheiles von Deutichland in Verbindung mit der deutihen Geſchichte 
porzutragen. Dieje Aufgabe ift bier in Bezug auf das Herzogthum An: 
halt in ganz anerlennenswerther Weife gelöft worden, troß ber Schwierig: 
leiten, die gerade bei einem deutſchen Kleinftaate, der nicht unmittelbar in 
den Bang der großen Weltbegebenbeiten eingreift, bervortreten müflen. Nicht 
bios jeder Bewohner von Anhalt, jondern jeder gebildete Deutſche überhaupt 
taun das vorliegende Buch mit Intereile lefen, weil ed auf wichtige Cpochen der 
allgemeinen deutſchen Geſchichte erhellende Streiflichter wirft, und in Bezug 
auf wichtige Weltbegebenheiten mande Epecialitäten beibringt, die fonft in 
populären Darftelungen ver allgemeinen Geſchichte keinen Raum finden. 
Namentlich aus der Neformationsgefchichte, dem breißigjährigen Kriege, den 
ſchleſiſchen Kriegen, der Napoleonifhen Herrihaft in Deutſchland und dem 
. Wefteiungslampje werben viele einzelne daralteriftiihe Büge mitgetheilt, 
welche ganz geeignet find, das Wild, das man von biefen Begebenheiten 
gewonnen hat, im Ginzelnen intenfiver und lebhafter zu coloriren. 

In der ganzen Darftellung herrſcht eine ruhige, objective Haltung ; 
der Ausdruck ift einfach), anjprehend und in gutem Sinne populär. 


4. A. W. Muller, Ardidiaconus an der Stabtlircde zu Meiningen. Deutic- 
lands Wiedergeburt. Gine den Hauptzligen nad vollfiänrige Geſchichte 
ber deutichen Befreiungsfriege. Mit den fie feiernden Freiheits⸗ und Bater- 
Iandereden Dräfede’s. Cine Feftgabe zur goldnen Yubeifeier des Sieges 
tages der Schlacht bei Waterloo. Magdeburg, 1865. Heinrichthofen ſche 
Buchhandlung. gr. 8. 280 ©. 11, Thlr. 

Eine Feſigabe, zum Andenken an eine nationale That, mit „Freiheits⸗ 
md Baterlandsreden ” verdient wohl, wenn fie auch nicht fperiell für wie 
Schule oder für Pädagogen beftimmt iſt, doch von dieſen gerade eine befondere 
Beachtung, weil die Erinnerung an die Ehrentage der Nation gerade bei 
der Jugend lebendig muß erhalten werden. Mag darum die oben näher 
bezeichnete Schrift au hier Erwähnung finden. 

Die Aufgabe, die der Herr Berf. ſich geftellt bat, ift etwas heterogener 
Ratur. Er will eine im Weſentlichen vollſtändige Geſchichte der Befreiungs: 
kriege geben, und zugleih das Bild eines Kanzelredners vor uns erſcheinen 
laſſen, der aus den Begebenheiten jener Zeit Beranlafiung fhöpft zu 
religiöfer Erhebung. Es gibt Bücher, die Reden enthalten, und zur Ein: 
führung in das Verſtändniß verfjelhen eine hiſtoriſche Darftellung Der zu 
Grunde liegenden Thatſachen, und wiederum Bücher, in denen ein bifteri: 
ſcher Inhalt bin und mwisder durch eine Rede beleuchtet wird. Welches 
von beiden bier beabfidhtigt jet, ift nicht recht erfidhtlid. Bielmehr fcheint 
Jedes von Beiden eine felbfifländige Bedeutung einnehmen zu follen. Was 
nun die hiſtoriſche Darftellung felbft betrifft, jo gibt diefelbe über die Be 
gebenbeiten bis zum October 1813 einen kurzen, aber Haren Uederblick, ver 


Geſchichte. 569 


mir einzelnen braftiihen Zügen, Anelvoten u. vergl. reichlich ausgeftattet - 


und im Ganzen recht anziehend if. Die Schlaht bei Leipzig, der Feldzug 
in Frankreich, der Wiener Congreß, der Feldzug von 1815 und namentlich) 
die Schlaht von Bellealliance nebft den unmittelbar darauf folgenden Er 
eignifien find ausführlicher behandelt. Namentlich zeigt die eingehende 
Darftellung der leßteren Schlacht, über die fo viel Ungenaues und Unwahres 
— theilmeis mit Abfiht, — in Umlauf gefeßt worden ift, daß der Herr 
Verfafler die von der Kritik revidirten Alten jener Begebenbeit gewiſſen⸗ 
haft benußt bat. Auch bier zeigen die vielen einzelnen der Erzählung ein 
gefügten Charalterzüge eine nicht unbedeutende Belefenheit des Herrn Ber: 
faflers in den betreffenden Schriften, ſowie eine kritiſche Benutzung derjelben 
und die Fähigkeit, daS gewonnene Material in draſtiſcher, mwirkjamer Weiſe 
ju verwenden. Ob man indefien die Reden des Bremiſchen Pfarrers und 
Biſchoſs Dräjede mit demfelben Intereſſe lefen wird, ift zu bezweifeln. 
Mögen diefelben als Kanzelreden, deren nächfter Zwed die religiöfe Erbau- 
ung ift, noch jo vortrefflid fein, mögen fie in der hochgehenden Bewegung 
ded Augenblidd, gefprodhen mit. der innigften Begeifterung, eine noch fo 
mädtige Wirkung geübt haben, — das Alles reiht nicht hin, um einer 
Gelegenheitsrede eine dauernde Bedeutung zu ſichern. Nicht die Michtigkeit 
bes behandelten Gegenftandes jihert einer Rede diefe dauernde Bedeutung, 
fondern einzig und allein die geiftige Probuctivität, die im einzelnen Faltum 
das Allgemeine, das bleibende Geſetz ſchauen läßt, und zwar in einer 
Form, die dem unfaßbaren geiftigen Gebalt die feſteſte, greifbarfte Gehalt 
verleiht. Won einer folhen, über dag momentane Bedürfniß hinausgehen⸗ 
den Qualität vermag Ref. in.den mitgetheilten Reden wenig zu verjpüren, 
— ein Geftändniß, das vielleicht verlegend fein mag für Jemand, der einft 
den Worten des Nedners felber gelaufht bat, und dem aljo mit der Ev 
innerung an jene Worte auch die ganze, volle Erregung des Augenblids 
wiedet vor die Seele tritt. Bielleiht mögen die mitgetheilten Bruchftüde 
als Mufter homiletifher Behandlung wichtiger nationaler Creigniſſe bie 
Aufmertfamteit des Geiftlihen verdienen — über dieſen Punkt fühlt Ref. 
ſich nicht berufen, zu urtbeilen. 


Dem Bude find an Stelle einer Vorrede zwei biographiſche Skizzen 
beigegeben, nämlih vom Herzogl. Meining’ihen Schloßhauptmann v. Maus 
derode und vom Koͤnigl. Preuß. Superintendenten a. D. Holzapfel, von denen 
der GErftere als Officier den ſpaniſchen Feldzug 1810, den ruſſiſchen 1812 
und fodann die Befreiungskriege durchgemacht bat, während der Lebtere als 
Dragoner am Feldzug von 1815 AUntheil genommen hat. Diefe beiden 
Skizzen enthalten manches Mertwürdige aus den großen Greignifien jener 
Zeit. Ein größeres Intereſſe werden Diejenigen daran nehmen, die ben 
genannten Männern perfönli nahe geftanden haben. Auch fonft läßt der 
Herr Verfaſſer im Verlauf der Erzählung wohl perjönlide und private 
Verhältnifie hier und da mit hineinjpielen; doch iſt im Ganzen das feige 
halfen, was von allgemeinem und öffentlihem Intereſſe ift. 


42. Dr. 8. Pierſon, Oberlehrer an der Dorotheenſtäbtiſchen Realſchutx in 
VOerlin. Leitfaben der preußiſchen Geſchichte. Rebfl chrowlogiſchen 


560 Geſchichte. 


und ſtatiſtiſchen Tabellen: Preußiſche Regententafel, Wachtthum bes branben- 

burgiſch⸗preußiſchen Staates. Zeittafel der preußiſchen Geſchichte. Preußiſcher 

Geſchichtokalender. Genealogiſche Ueberſicht bes Hauſes Hohenzollern. Laben- 

preis © Ser. Berlin, 1865. Verlag von W. 3. Peiſer. Friedrichtſtr. 142. 
. ‘ . 


„Die preußiſche Geſchichte“, heißt e8 im Vorwort, „an bildender Straft 
jo reih wie faum irgend eine andere, fo überaus fähig, zumal jenes fitt- 
liche Heil zu wirken, das einer jeden vaterländifhen Geſchichte entquillt, 
muß auf preußiſchen Schulen nit nur im Mittelpuntt des hiſtoriſchen 
Unterrichts fteben, fondern aud in dem Penfum veflelben bei weitem ven 
größten Raum einnehmen. Eie darf bier nicht als Anhang der deutſchen 
Geſchichte, noch auch als Beigeordnete der griechiſch-römiſchen, fie foll ſelbſt⸗ 
ſtaͤndig und als Hauptſache betrieben werden. Dieſe Forderung iſt ſeit dem 
Eintritt des Verfaſſungsweſens dringender als je; weil mit den politiſchen 
Rechten eines Volles deſſen Verpflichtung wächſt, fi von der Geſchichte 
feines Staates eine genaue Kenntniß anzueignen, weil dieſe die beſte Quelle 
eines ftarlen, freudigen Nationalgefühls und einer begeifterten Baterlands: 
Tiebe ift, und meil ohne folde Tugend feiner Bürger am wenigſten ein 
. Berfafjungsftaat gedeihen kann.“ Gewiß verdienen dieſe Iehteren Worte 
der Vorrede die lebhaftefte Zuflimmung. Der Patriotismus oes Herrn 
Berfafierd hat fih an andern Orten (in pädagogiſchen Zeitjchriften) in einer 
etwas überfhmänglichen, phrafenreihen Weife fund gegeben. Auch die bier 
Eingangs citirten Worte der Vorrede find nit ganz frei von diefer Eigen: 
thümlichleit, Dieſer Umftand könnte mandyen Leſer im Voraus gegen die vor: 
llegende Schrift einnehmen, dod wird man in dem Werke jelbft eine weit 
ftrenger bemefjene Ausprudsmeife und eine weit bejonnenere Auffaffung der 
une finden, als in den Borreden und Seitungsartiteln des Herm Ber: 
fajlers. 


Gerade dieſes Buch läßt, verglichen mit früheren Erzeugniſſen äbr- 
licher Tendenz, deutlich erlennen, wie erfriihend und kräftigend die zwei 
Jahrzehende üffentlihen Lebens gewirkt haben. Bon jener harmloſen, 
demüthig:loyalen Sentimentalität, die Alles rofenrotb malte, ift bier feine 
Spur mehr zu finden. Der Verf. gebt, troß alles preußiſchen Selbitgefühls 
und trotz theilmeifer Ueberſchwänglichleit, doch ſchon mit der ungeſchminkten 
hiſtoriſchen Wahrheit frei heraus. Es herrſcht in dem Werk nicht mehr 
jene ſchwüle, dumpfe Treibhausatmoſphäre einer künſtlich durchwärmten, ſo— 
genannten „patriotiſchen Geſinnung.“ In einem freien, öffentlichen Staats⸗ 
weſen muß Alles die freie Luft vertragen können. Durch die vorliegende 
Darſtellung weht flellenweife ſchon ein recht friſcher Wind. Das Merk legt 
deutlich Zeugniß ab von gründlichen gejhichtlihen Studien; es herrſcht darin 
bie klare, mit thatfählihem Material gleihjam gefättigte, immer auf den Kern 
der Dinge abzielende Ausdrudsweiſe vor, tie fie nur Berfafiern eigen zu 
fein pflegt, die ein Buch fehrieben, weil fie Etwas mußten, nicht aber denen, 
bie erft Etwas ftudirten, um ein Buch zu fchreiben. Namentlich find die 
reihlih der Erzählung beigefügten Abſchnitte kulturbiftoriihen Inhalts fehr 
au loben, weil viefelben wirklich charakteriſtiſche Züge in recht anſchaulicher 
Daritellung zus Sprade bringen. Wenn die Vorrede behauptet, Bad vor 


Geſchihte | gar 


enbe. Mer! enthalte mehr Etafi, ‚als: bie vorhandenen, Bücher ahnlicher 

endenz „Ip, kann. ſich Referent, ipar nicht für die ympebingie, Giltigleit 
diefes Sahes verbürgen, muß aber. ‚bei tätigen, daß von den ihm hefganten 
Werken ähnlicher Tendenz keines DaB, opzliegeahe in der ‚angebeuteten Hin⸗ 
ſicht übertrifft. Als Anhang iſt dem Buche eine, wie dem Referenten 
ſcheint, recht wegdmaͤßige Zabelle beigegeben. Dieſe enthalt in drei Columnen 
neben einander ‚geftellt die wichtighen gleichzejtigen Begebenheiten der ſpeciell 
preußiſchen, ber deutihen und der aligemweinen Geſchichte. Daran flieht 
fih ein „Bechichtslglenner”, d. h. eine Tabelle der nach, ven Monatsdatum 
geochmeten biftpriigpen Greignifie and. ſchliehlich eine e gorealogiſche uaternat 
über das Haus Hohenjollern. 


J. Schwebler. tere in Körik bei fteuftabt ad. D.: Rleine reußiſche 

u Any ‚Kür die Hand der Kinder in ein⸗ und 'mebrflaffi igen Elemen⸗ 

tarſchulen. “ein Hillfedůchlein zur" Erleichterung imd Hördetung des mittelft 

Leſebuche und mänblicher Darſtellung teiheiten vaterländifdyen Geſchichte⸗ 

unterrichtes. Ausgabe B. (mit Karte) 25 Sgr. Ausgabe A. (ohne Karte) 

. 2 Sor., mit weißem Sihreibpapier. bus [gaflen & 1 Sgr. mehr;, Karte ber 
Beiseidaupiäe in, Brandenburg, Schlefien, Sachſen und 83 öhmen dei 
78 Im Selbſiverlage bes Birfaflers, fofeie in Commiſſio bet TA 

Stubenrand,. Berlin, 1866. 

Der Berf. gefteht, „daß die Erfolge des nur mittelft Leſebuchs und 
mündlicher Darſtellung ertheilten Geſchichtsunterrichtes nicht derart befriedig⸗ 
ten, wie man es pünſchen muß. Die von ‘den Kindern geſorderte Kennt⸗ 
niß der Geſchichte — blieb troß aller Muhe und Arbeit im Allgemeinen 
doch recht mangelhaft.” „Zu diefer eigenen Wahrnehmung gefellte ſich das 
Belenntniß ‚eifriger, ‚pflipttreuer Collegen, leider dieſelbe Crfahrung gemacht 
zu haben.’ Der Verf. verfucht nun, dieſes Webel auf einem allerding 
„nicht mehr üngemöhnlichen Wege” zu befeitigen, nämlich durch Abfafjung 
eines neuen Leitfadene. Und er ift damit nicht unglüdlidy geweſen; denn 
„eine mehrjährige. Praxis“ hat ihm „aufs Evidenteſte beiwiefen“,; dag 
Freude am Unterricht, Friſche in der Auffaſſung, Genuß ohne Weberans 
firengung, Schlagfertigleit im Antworten und das ermutbigende Bewußtfein, 
einen wirklichen Schaß zu beſitzen“, — daß dies Alles der Erfolg geweſen 
ift, der fih an die Benugung diefes Büchleins gelnüpft hat. — Man darf 
an ein ſolches Bud, ſchon mit gewiſſen. Spmartyngen. herantreten, ih 
größeren als bei gewöhnlichen Leitfäden. 

‚' ine gewiſſe Originalität iſt denn auch dem Büdlein nicht abge 
Spsechen, . Der geſchichtliche Stoff ift in gang kleine Abschnitte getheilt und 
diefe find mit Titeln verjehen, die in ihrer mitunter recht draftiihen Aus 
drudsweiſe gewiß ‚vie Hufmerkjamleit der, Schüler erregen werden. Go hat 
die Erzaͤhlung pon der Schlacht bei Roßbach die drei Abſchnitte: „Furcht⸗ 
los vor, ber Schlacht“, „Kühn in der Schlacht“, „Froh nah der Schlacht”; 
bei der Liegniger Schlacht heikt es: „der Sad“ und „das Loc”, und von 
dem. Lager zu Bunzelwig: „Darin, „Ringsum“, „Darüber. “ 

. Um eine beitimmtere: Idee von der Austeudäweife des Herrn Bere 
fe. zu geben, laſſen wir hier noch zmei Abſchnitie folgen. . 

‚sro YA dem Winpmäplenhügel .ıbei, Probſtheida fchreitet Napoleon ums 
Pad. Jahteiterift. XVII, 36 








567 Sqchichte 


ber, ſchweigend un büher. Erſchöpft wirft er ſich am Wadhifener asf 
einen bölzernen Schemel; eine Biertel,-Etunde überläht er ih dem Schlaſe. 
Ehrmum fichen vie Generäle um ibn ber. 

— Nah Leipzig reitet er dann, nimmt dort fein Hadhiquartier 
uud orbuet den Rüding an. 

— Ningsum acht brennende Dörfer gleich Todtenſadeln 

— Auf dem kalten Erdboden ruben 46,000 todte und ven 
wundete Berbündete neben 38,000 Yranzofen. 

— Auf den Angefihtern der topten Helden ruht beiliger Arie 
vor, auf denen der — armen gräßli Berflünmelten unbeſchreiblicher 
Shmerz — Märtyrerjhmer. 

— Auf dem Angefiht der weniger (!) verwunbeien Sieger 
wohnt unermehlihe Freude. 

— Um Himmel glänzen die Eterne — (und wie Sterne glänzen 
in unſerm Herzen die Namen und das Gedächtniß derer, bie für bie Frei⸗ 
Beit gefallen), 

— Ben Himmel endlich dringt bei dem vollen Rang der Felbmufil 
Aug überfiiömenden Herzen das laute, endloſe Lob des barmberzigen 
Gottes. 

Durch dieſes Büchlein ſoll naͤmlich der ans Leſebuch geknipfte Inter 
richt in der Weiſe unterflügt werden, dab der Schüler durch die kucjen 
Boragraphen eine bequeme Ueberfiht über das allzu reichhaltige, ſeine 
Zaffungstraft überfleigende Material des Leſebuches gewinnt, auch einen 
dequemen Anhalt für die häusliche Nepetition erhält. 

“ Das vorfiehende längere Citat aus dieſem verhältuikmähig unbeber 
tenden Mahmwert mag hier ſtehen als ein Beleg dafür, was für wunder 
liche Blüthen jene „Alles an's Leſebuch anlehnende *" neue Hera dei 
Pädagogik treib 


6. F. Kortenbeitel, Lehrer an der vierklafſigen Säule in Sroß⸗ ESchone⸗ 

Bed. Karze Ueberfict ber preußiſchen Gelgidte ya \ Echtt- 
verlage des Berfafiers. C. Müller's Buchbruderei in Reufobt Gm. 1866. 
8 2726. 1} Egr. 


Das Büchlein liefert eine kurze Meberfiht über die Brandenburgid 
yreußiicdhe Geſchichte, und verweift in Bezug auf die widhtigeren und barım 
genauer zu behandelnden Perioden verjelben auf die betreffenden Stelles 
des Weret’ihen Leſebuchs. Es fell diefer Heine Leitfaden alfo den dr 
ſammenhang vermitteln zwiſchen den in jenem Leſebuch geboienen hiſtoriſches 
Fragmenten. 

Das vorliegende Buchlein hat die größte Aehnlichleit mit dem vorhin 
befprochenen Leitfaden von Schwedler, fowohl in Bezug auf feine Zenber; 
wie auf feine Sinrichtung, doch unterfcheidet es ſich von jenem vwortbeilbaft 
durch das Fehlen gewifier Auswüchſe, wie fie in ber obigen Beipredung 
beroorgehoben wurden. Es herrſcht bier eine etwas fadhgemäßere Dar: 
Rellung, obwohl flellenweife auch Ginzelnes mit bineingenommen iR, wes 
eigentlich in eine Meberficht nicht gehört, vielmehr nur dazu dient, die ari⸗ 
führlihere Beihichtöbarftellung zu coleriven. Go find z. B. vie Barkareia 





Gefchichte: 663 


der Soldaten während des SOjährigen Krieges bis auf vie gräufigfien ana> 
tomiichen .Spyecialitäten bin. genau erzählt. Doch bericht im Banzen eine 
angemefiene, ſachliche Erzaͤhlungsweiſe. Manche ‚Cinzeinbeiten, die zum 
mindeften zweifelhaft find, find hier ohne. Bebenten ala beglaubigte Geſchich⸗ 
ten erzählt, doc möchte dies, in Anbetracht des Umfanges und Bwedes 
des Büchleins, nicht gerade allzufehr zu tadeln fein. Das Büchlein tritt in 
anſpruchsloſer MWeife für einen ganz eng begrenzten, aber darum auch ganz 
beftimmten Bwed auf, und wir glauben, daß es für diefen Bwed mit Nutzen 
gebraucht werben Tan. 


In ermeuerter Wuflage ift auch wiederum erſchienen das altbelannte 
Lehrbuch von u 


4. Vormbaum, Gem.-Dir., die braudenburgifä-preußifhe Ge⸗ 
zHichte für Lehrer an Gtadt- und Landſchnlen, für die Jugend 
aller Religionsnerwandten und auch für Baterlanbefreunde bearbeitet. Reunte, 
mit Berüdfichtigung ber preußilchen Regulative umgearbeitete und vermehrte 
Auflage. 312 5 gr. 8. Leipzig, Hoffmann. Preis 25 Ger. 

45. WBörle, bie dentſche Geſchichte für Volleihulen bearbeitet. Mit bem 

Bildniß Karls des Großen. Stuttgart, Lubreht und Comp. 1864. 

80 Seiten. Duodez. 5 Ger. 

Das Büchlein ftellt fi die Aufgabe, auf einem Raum von 5 Drud« 
bogen die heutfche Gejchichte im Zufammenbang zu erzählen und zwar in 
einer Sprade, die allenfalls aud dem Schüler der einfachſten Dorfichule 
ohne Weiteres verftänplich if. Gewiß ein dankenswerthes Unternehmen! 
Die ſchwierige Aufgabe, eine zujammenhängende Geſchichte für die Volks⸗ 
fhule auf fo engem Raume zu erzählen, war bisher noch nicht geloͤſt. Auch 
jeut noch iſt mit Löfung verfelben der Dank der deutſchen Lehrerwelt zu 
verbienen; denn in bem vorliegenden Büchlein if fie kaum ihrer Löfung 
näher gebracht worden. Einerſeits fcheinen dazu die hiſtoriſchen Kenntniſſe 
des Hrn. Verf. bei weitem nicht folive genug fundirt zu fein, anbererfeits 
ermangelt der ſprachliche Ausdrud deſſelben fo jehr der nötbigen Schulung 
und Durhbildung, daß nicht einmal die nothpärftigfte ſprachliche Correct⸗ 
beit erreicht worden if. So heißt es 3. B. Seite 1: „So gut es eine 
Schande tft, wenn man einen Anaben, ein Mädchen fragte: was ift dein 
Großvater geweien, wo hat er gewohnt, bat er feiner Familie Ehre gemacht 
oder nicht, war er rei oder arm, ein geadhteter oder veracteter Mann? 
eben jo gut follte billigerweife jedes deutſche Kind auch das Nöthigfte wifien 
von ber Geſchichte des Volles, dem es angehört.‘ (Uebrigens ift der Ge 
dante felbft eben fo ungereimt, wie der ſprachliche Ausdruchk). 6. 2. 
„Wenn man eine Geſchichte fchreibt von einem Bolle, jo macht man ba 
und dort einen Haltepunlt in der Erzählung, das nennt man Berioben 
over Zeitabſchnitte.“ ©. 17, „Der (Heinrih VI) flug dem edlen Vater 
nicht nach“ und ©. 73 vom electrorsmagnetifchen Telegrapben: „Aber nicht 
genug! Aud die Eifenbabn iſt noch eine Schnede gegen ven Flug bes 
Adlers; und diefer Adler, ja der Blip felbit, iſt der Telezraph!“ 

36* 








681 Geſchicht. 


Es iſt ſchade, va die oben angedenteten Raͤugel lein ſo lideres 
Product haben zu Stande lommen laflen; denn ber ſriſche, bebendigt ira 
des Ganzen, ſowie ber patriotiſche Geiſt, in dem das Werl gefchrieben iR, 
find wohl der Auetlennung werth. ' 


I 


46, Bigeldberger, Reafieniehrer,, Baieriſche Geſchichte für Mittelſchelen 
vorzugsmeite für Gewerbeſchulen. Mit einer color. Karte von Baiecn 
(Folio) 111 ©. 8. Amberg bei Bohl. 9 Gyr. 


Hat dem Ref. nicht vorgelegen. 


II. Tabellen und Karten. 


4. Th. Dielig, Prof. und Director an der Wuigſtäbtiſchen Nealichnle ya 
Berlin, Geographiſch⸗ſynchrouiſtiſche Leberfiht ber Weltge⸗ 
.. Seite Fünfte verbefierte Auflage Berlin. Berlag von A. Dunder. 

:. 1866. 39 ©: Duart. 30 Ger. 

Enthält eine ſynchroniſtiſche Zufammenftellung der widhtigfien geſchicht⸗ 
chen Creignifie, und für jeden Hauptabfchnitt ver Geſchichte eine geogra⸗ 
phiſche Meberfiht über die Ausdehnung und Bujammenjegung der in dieſet 
Periode ‚am meiften bervortretenden Staaten. 


w.:Chrifian Hutzelmann, Lehrer an ber König. Gewerbeſchule im Fürtk. 
Zabelle der baierifhen unb deutschen Geſchichte, mit Berkd- 
ſichtigung der allgemeinen und der Culturgeſchichte. Für ben Schulgebrauch 
bearbeitet. Nüruberg, Ludwig Schmidts Verlag. 1866. gr. 8. 74 ©. 10 Syr. 


Dieſes Buch iſt jo eingerichket,. daß nad Art ſynchroniſtiſcher Tabellen 
die gleichzeitigen Begebenbeiten der römiſchen und germaniſchen, jobann der 
deutſchen und der bairiſchen Geſchichte in zwei reip. drei Columnen nebes 
einandergeltellt find, während bie übrigen Hauptvölter Guropas mit ihren 
wihtigiten hiſtoriſchen Thaten nach einander aufgeführt merken. Das kul 
turhiſtoriſche Materigl- wird in beſonderen Abſchnitten behandelt, und nict 
nach ethnographiſchen, ſoudern nach ſachlichen Rüdlichten angeorunet. Dec 
it Dieje Pigpolition nidyt überall, ftreng innegehalten, indem die weltgefchidk 
liben Begebenheiten der neueiten Zeit ohne Unterjhied mit unter Die Rubril 
„Deutſchland“ und auch Eulturhiftorifhe Notigen, — namentlich liserariid: 
hiſtorijſche, — mit unter die politiihen Begebenheiten geftellt find. Ueber⸗ 
jichtlich wird dadurch die ‚vorliegende Tabelle eben nicht. Es kann fein, 
bad jie im Anſchluß an einen ganz beilimmten Lehrplan entworfen und 
biejem möglichft genau und zwedmäßig angepaßt ill. Die Behandlung des 
kulturgeſchichtlichen Materials ift keine ganz gleihmäßige, Wir finden unter 
mancer Rubrik bloße Namen genannt, unter einer anderen wieder Warte 
anzejührt, zumeilen find and) aͤſthetiſche Urtheile oder biographiſche Notizen 
binzugefügt. Die Auswahl der Namen, die ald Vertreter einer Kunſt oder 
Wiſſenſchaft zulammengeftellt find, erfcheint.oft ziemlich willkührlich. Soz®. 
©. 69. „Philojophie”: „Baco 9. Verulam, Gartefius, Malebrandye, Spr 





Geſchichte. 565 


itdja}, Leibnitßz, Kant, Fichte, Hegel; Schelling.“ Wo bleibt Herbark) 
Her doch weit nachhaltiger und tiefer — wenn auch geräufchlofer — auf 
gewiſſe Gebiete des Denkens eingewirkt bat, als fein Wntipode:: Ficht« 
Mo bleiben ferner Lode, Berliey, Hume, welche gerade diejenige Gedanken⸗ 
bewegung anregten, an die Kant unmittelbar anknüpfte, die daher in ber 
Entwidlungsgefbicte der Philoſophie vielleicht wichtiger 1% Als mander 
der vorbin genannten Philofophen. Unter „PBhilologie‘ werden aufgeführt: 
„‚Geßner,. Ernelti, Heyne, Fr. A, Wolff, Hermann, W. v. Humbotpt, Thierſch, 
die beiden’ Grimm und Lachmann.‘ Hier find alſo nur deutſche genannt, 
und aud dieſe nicht vollftändig, Noch wunderlicher ift die Auswahl für 
die Geſchichte. „J. Schleiden, Grotius,: Raleigh , Maciavelli, Schlözer, 
IJ. v. Müller, Riebuhr, Heeren, Schlofier, Rottech, Ranke, Macaulay.‘ 
S. 70 wird „Götz von Berlichingen“, „das WVorbild eines: Woldspramas,” 
ver. „Fnuſt⸗“ vagoegen ‚Has: Vorbild eines: Kunfidramas““ genannt. Der 
Ane Ansorndı ifn bier jo jchief wie der andere. . Hütte :3. 9. der „Fauſte 
wicht anderweitige, alle® Andere überragende geniald Bigmfhaften, — um 
Keinen fpeciell fünftlerifhen Vollendung willen wirds man ihm tet: 
nen fehr hohen Play anweiſen können. Ein Mufter zines dramatiſchen 
Run ſtiwerkes iſt er jedenfalls nicht, em 
Aus den -angeführten Gründen muß der Ref. ‚die —R om 
vorliegenden Tabelle für: den -Schulgebraud tank ‚bezweifeln, 


4. Dr. Röbter, Seprer am Gymngſtum in Münfte e, Ueberficht ber Bran- 
Denburatifh-preußifhen Geſchichte. ext au der hiſtoxiſben Karie 
des Preußiſchen Staates von Kiepert. Berlin, Stitke und ' van’ Muyden! 
1866. 16 © 8 5 ögr. 

Iſt im Mefentlichen eine gedrängte Ueberſicht der wichtigſten Greignifie 
der brandenburgiſch⸗preußiſchen Geſchichte, mit bejonderer Hervorhebung der: 
jenigen, welche Gebietdveränderungen des Etaates zur Folge batten, nebit 
genauer Angabe der erworbenen rejp. abgetretenen Landestheile. Lehrer 
der Preuß. Geſchichte, vielleiht auch Schüler, melde diejelbe etwas eins 
gehend betreiben follen, werden neben der Kiepertihen Karte vie vorlie- 
gende Ueberfiht Behufs leichterer und ficherer Orientirung mit Nutzen ge 
brauden Tönnen. (Die Karte felbft, zu der das vorliegende Schrijtchen 
den Text bildet, ift auf S. 648 des vorjährigen Berichtes bejproden worden.) 


50. Dr. Guſtav Schuſter. Tabellen zur Weltgelchichte in mehreren 
durch den Drud geihiedenen Curſen. Siebente Auflage. Hamburg, O. 
Meißner. 1865. 91 S. Mi. 8. Preis 5 Syr. 

Sft in früheren Jahrgängen dieſes Berichtes (XT. S. 419) als brauch⸗ 

bar empfohlen worden. „Die Gefchichte der allerneueften Zeit‘, heißt es im 

Vorwort zur vorliegenden fiebenten Auflage, „iſt diesmal im Gegenſaß zu 

dem Bmed eines Schulbudyes und dem fonft in diefem Büchlein befolgten 

Spitem in einer etwas zu ausführlihen Weiſe behandelg worden “ (Es 

bezieht ſich dies auf die Greignilie von 1848 bis 1865). „Ss iſt Dies 

nur aus NRüdjibt auf das Intereſſe gejcheben, welches nicht bloß Gimach: 
fene, fondern auch ſchon Echüler reiferen Alterd an den Greignifien eben 
verflofiener Jahre zu nehmen pflegen.” Ref. glaubt, daß in der That fol 





566 Geſchichte. 


chen Schülern eine überſichtliche, ganz ſachgemaße Darlegung dieſer Art um 
fo mehr willkommen fein wird, als im Unterricht aus Mangel an Zeit bie 
neueften Greigniffe bäufig gerade am Inappfien behandelt, mei wohl gar 
aus gewiſſen Rückſſichten ganz vom Unterricht ausgeſchlofſen werben. 


51. Illuſtrirte Geſchichteblätter für Stabt und Land. Unter Mitteir- 
fung von Dr. Lonie Büchner, Dr. Ludwig Edarbt, Br Freiboſd, Dr. & 
Gihr, W. Hieronymi, Julius ante Eonife Dtte, U. dd Dr. B. 
Wägner, Karl Wiuterfein, Dr. ®. Zimmermenn ». U, rebigizt von 
Ra air Maunbeim, 3. Schneider. 1865. gr. 8. 1-4 Het 


„Bon diefen Blättern”, heißt es in der „Allg. beutfchen Lehrergeit.”, 
„welche die Geſchichte in einer ſreiſinnigen Auffofiung zu einem Gemein: 
gute Aller machen und daburh in allen Schichten der Bevöllerung vie 
rechte Begeifterung für das Vaterland erzeugen wollen, erſcheinen feit Juli 
v. %. in monatlihen Heften je 2 Bogen. 6 Hefte bilden einen Dart, 
bem ein Juhalts verzeichniß beigegeben wird. Der 1. Band, der bereits in 
wöchentlichen Lieferungen erſchienen ift, koſtet 10 Sgr. Den Inhalt bilden 
sufammenbängende Gefhichtserzäblungen in vollstbümlicher Darftelung 
woran fi Biographien, ktulturgeichichtlihe Abhandlungen, Zeitbilver u. |. w. 
anfchließen follen. Die vorliegenden Hefle beginnen mit der Geſchichte von 
Griechenland, fhildern die Kreuzzüge, Die Cutſtehnng und aufblübende Macht 
der Städte im Mittelalter, Merito, den Fürften Blücher bei Ligny und 
enthalten außerdem noch manches Intereſſante, fo daß ihre Stoffe and 
mannigfache Abwechſelung darbieten.“ 


XII 
Die äußern Angelegenheiten der Wortsfiule 


und ihrer Lehrer. . 
Bearbeitet von 
Auguſt Lͤben. m 


1. Die deutfche Bolköfchule der Gegenwart. 


Gedrängte Ueberſicht. 


Der Herr Rector Fröhlich aus Raſtenberg im Großherzogthun 
Weimar hat 1865 auf der Allgemeinen deutſchen Lehrerverſammlung in 
Leipzig über „die Volksſchule der Zukunft“ geſprochen und in biejem 
Jahre (1866) feinem Vortrage eine bejondere Schrift unter dieſem Titel 
folgen laflen, die in der Urbeit über „Allgemeine Pädagogik” gewürdigt 
morden ift. Der Anklang, den das Thema bei den verfammelten Lehrern 
fand, gab deutlicher als alles Andere zu erfennen, daß die gegenmär: 
tige deutfhe Vollsſchule Vielen nicht genüge und daher der mejentliden 
Umgeftaltung, reſp. Verbejlerung bebürfe. Es wurbe bei diefer Gelegenheit 
mancher beberzigenswerthbe Wunſch laut; zu einer vollen, Haren und übers 
fihtliben Darlegung diefer Wünſche kam es jedoch nidt, was feinen 
Grund theild in Mangel an Zeit, theils aud darin hatte, daß bie Mehr; 
zabl der Lehrer in diefer michtigen Angelegenheit felbft noch nicht ganj 
Har ſieht, womit wir nicht gerade einen Vorwurf ausfprechen wollen, ‚da 
der wahre Inhalt fo großer Fragen ſich erft nad) jahrelangen Arbeiten aller 
Betheiligten und nad reihen Erfahrungen herausftellt. Ohnehin muß diefe 
Angelegenheit als eine flüfjige betrachtet werden, die ſich mit ber fortjchreis 
tenden Kultur ändert und oft jhon nad einigen Decennien eine ganz anz 
dere Geftalt annimmt. 

Mer ein Bild von der Zukunftsſchule in fih entiteben laſſen 
wil, das nicht in der Luft ſchwebt und eben darum ſchwer zu verwirklichen 
ift, der muß die BVollsfchule der Gegenwart möglidft genau kennen. 
Diefe Kenntniß fih zu verihaffen, fcheint Mancher für .leicht zu halten, 
Wir haben gefunden, daß dazu außerorventlihe Anftrengungen erforberJich 
find. Denn abgefeben davon, daß man Kenntniß nehmen muß, ‚non ‚dem 


—⁊r 


568 Die äußern Angelegenheiten ber Volksfchule ꝛc. 


ungemein reihen Material, welches die Literatur in zahlreichen Zeitſchriften 
und felbftändigen Echriften bietet, gehört dazu auch der Beſuch vieler 
Schulen in Städten und auf dem Lande, und — richtiger Blid für das 
Alles, unparteiiihe, vorurtheilsfreie Würdigung des BWahrgenommenen. 
Wenn wir daher in Nacftehendem über die deutfhe Volksſchule der Ge 
genwart ſprechen, refp. referiren, fa geipbieht es in der Ueberzeugung, dab 
wir nur Unvolllommenes zu bieten verhiögen, um fo mehr, da wir uns 
bier der größten Kürze befleibigen müflen. Unſer Zwed ift erreicht, menu 
wir Dieſem und ‚Jenem behüflid> geipaukeg' find, "fr zein ·Bild won. dem 
degenwärtigen BZuflande der’ Boltsfchule zu verſchaffen. Vielleicht weiß man 
es uns auch Dank, wenn wie hier und ba die vorhandenen Schäden andeuten. 


1. Der Begriff Volkeſchule 


Der Begriff Volksſchule if ſchwierig zu definiren. Der Staat for 
dert für die Schuͤler der Volfsfgüle das Minimum des erziehenden 
Unterrihts,. das, was als die Grundlage der allgemeinen 
Menſchenbildung anzufehen if. Diefes Minimum bat fidy mit der 
zunehmenden Kultur gefteigert, und ift darum heut ein höberes, ale vor 
einem Jahrhundert, oder ul zur Zeit der Eniftehung der Vollsichule. Cs 
fällt Manchem ſchwer, dies anzuerlennen, am ſcwerſten denen, bie ber ver 
kehrten Anfiht find, ein unmifjendes Volt laſſe fich leichter regieren, glaube 
unbedingter und fehter, als ein gebllvetes. ‘ Tie Vertreter biefet Anſicht 
fangen an vereinzelt dazuſtehen; das Volk felbft hat fie iſolirt, indem es 
bie eng gezogene Grenze durchbrach und umfaſſenvere Kenntniſſe 
überhaupt, namentlid aber in der Mirtterſprache und ‘in den Rea— 
lien, und größere Fertigkeit in der bikdlichen Darftelfting, in‘ dem für viele 
Lebensverhältnifje uneritbehrlichen Zeichnen verlangte. Biefe Forderungen 
find überall’ mehr oder weniger durch den Bildungsgrab eines Ortes’ be 
fimmt worden; fie find daher in ‘Städten größer als auf dem Lande. 
Darin liegt aber eben auch die Schwierigkeit, den Begriff Vokksſchule zu 
befiniren, das Bildungsmaß für diefelbe feflzuftellen. 

In Brengen ift das” Biel’der einftafjigen Volksſchule, alfo derjent 
gen Schule, in der nur das Minimum des erztehenden Unterrichts gefortert 
werden kann, durch das bekannte Regulativ' beſtimmt; in neuefter Seit 
bit das Minifterium aber genauer angegebei, wie’ weit es den Begriff 
Volksſchule faßt. In einem Erlaß vom 27, Febr. 1865 heißt "ed: „Tie 
Grenzſcheide zwiſchen den höheren Schulen Hund der Elementurſchulen bilde 
bie Berechtigung zu gültigen Abgangspräfungen, md alle 
Säulen, denen dieſe Berechtigurig ‘fehlt, gehören zut Kategorie der Clemen: 
tarfchulen, felbft dann, wenn in ihnen, eine über das Biel der Elementer 
ſchule hinausgehende ſprachliche oder Realbildung argeftrebt wird, ober bie 
Qualifitatton ihres Vorftehers Durch’ akademiſche Studien‘ bedingt iſt“ 
Schulen der lefteren Art witd 'man alſo höchſtens „böhere Bolts: 
ſchulen“ nennen fönnen; in Städten ift vielfad‘ dafür’ der Name „Bär: 
gerfchule“ gebraͤuchlich geworden, und häufig unterſcheidet man dann noch 
orfe und gi eite Bürgetfchufe. MT een dd u. 


at) 





-Die änkern Angelegenheiten ber Volksſchule ꝛe. 569 


r 27 


2. Die Behrerbilbungeanftalten. 


8. Die Aufnahme Junger Leute in die Seminare erjolgt meiſtens 
nach vollendetem achtzehnten Lebensjahre, Hier und: da ſchon ein bis zwei 
‚Jahr früher. Da die Mehrzahl der Volksſchullehrer aus den niedern Stän⸗ 
den hervorgeht, fo haben die, melde fih ihm widmen, in ber Regel nur 
eine Voltoſchule beſucht. Ihr bis zum Austritt aus der Schule erlangtes 
Wifſen tft daher nur ein beſchraͤnktes. In vielen Fällen bat noch nidt 
‘einmal ermittelt werden koͤnnen, ob folde Knaben wirklich die erforderlichen 
Anlagen haben. Ihre Präparandenbildung erhalten fie dann in den 
meiſten Fällen bei einzelnen Lehrern, feltener in wirklichen Praͤparanden⸗ 
anſtalten, Bedenkt man, daß bie einzelnen Lehrer ihre beſte Kraft ihren Schulen 
zu widmen haben, fo kann man ſich leicht vorſtellen, was: ber Mehrzahl ver 
fo befhulten Präparanden in Abendftunden geboten werden wird. Gerade die 
"Sabre, in denen junge Leute eine anregenden, zum Nachdenken aufltachelnden 
Unterrichts bedärfen, geben Vielen verloren; fie find den größten Theil der 
Tageszeit anf fich felbft angefviefen, und das Meifte von dem, mas fie fi 
aneignen, nehmen ste gedächtnißmähig auf. Auch der beſte Seminarunter⸗ 
richt ft: nicht im Stande, aus: Präparanden mit ſolcher Bildung tüchtige 
und vor afen Dingen denkende Lehrer zu machen; fie bleiben nicht 
nur unllar und auffallend Iüdenbaft in ihrem Willen, fondern vermögen 
bafielbe auch nicht genügend zu ordnen, zu organifiren, worauf voch für 
einen Lehrer außerordentlich viel ankommt. 

Zöglinge, weldhe den Seminaren aus höber ftehenden Baurgerſchulen, 
Nealſchulen oder Gymnaſien zugeführt werden, find in den meiſten Fällen 
recht mittelmaͤßige Köpfe; denn begabte Schüler dieſer Anſtalten widmen 
fich gewöhnlich andern Berufdarten. 

Die Präparandenbildung muß im’ Allgemeinen noch als mongelhoſt 
bezeichnet werden. Ob deſondere, etwa zweiklaſſige, nicht zu umfangreiche 
Anftelten init recht tüchtigen Lehrern die beſite Abhülfe gewähren würden, 
laßt ſich nicht mit Eicherheit behaupten, ift mir aber ſehr wahrſcheinlich. 

"b. "Deutfhland hat ce. 140 Seminare, von denen 62, darunter - 
10 für Lehrerinnen, auf Preußen kommen, mährend Defterreih im Ganzen 
mr 10 (18 ‘in ‚ver ganzen Monardie) aufzumeifen bat, alfo nicht einmal 
fo viel wie da3 Heine Sahfen und Hannover, die jeder 11 befiken. 
Bayern bat 10, wie Defterreih, Mürttemberg 3, eben fo viel Bapen. 
Diefe Thatfahen find bezeichnend und erflären manche Erfcheinungen, auf 
die wir weiter unten suraätommen. 

Die meiften Seminare find Internate und Baben einen zwei—⸗ 
ober dreijährigen Hurſus. Man iſt im Allgemeinen zu der Erkennt 
niß gelommen, daß ein smeijähriger Kurſus aud bei befierer Organifation 
der Präparandenbilbung nit ausreicht, und richtet darum dreijährige ein. 
Die meilten Seminare befinden fi& in kleineren Städten und find 
namentlih in Preußen arundfäßlih in folde verlegt morden, weil man 
ſolche Derter: in erziehlicher Beziehung ımd auch mit Nüdfiht auf die der: 
einftigen Berhältniffe der Seminariften als Lehrer für geeigneter erachtet. 
GSs laͤßtiſich etwas für dieſe Anficht fagen, während andererſeits aber and 


570 Die äußern Angelegenheiten ber Vollsſchule ze. 


nicht verlannt werden kann, baß eine große Stabt auch viel Gelegenheit 
für allgemeine Bildung darbietet und den Geſichtskreis junger Leute, die aus 
beſchraͤnkten Berbältnifien flammen, erfreulich erweitert. 

Die Unterrihtsgegenftände der meiften Seminare find: Pd: 
dagogik, Religion, deutfhe Sprache, Rehnen, Geometrie, 
Beographie, Geſchichte, Naturgefhichte, Phyſik, Sqrei— 
ben, Zeichnen, Muſik und Turnen. 

In der Paͤdagogik wird vielfach nicht Gewicht genug auf die Piydo:» 
logie gelegt, ungeachtet doch leicht zu erlennen it, daß Lehrer, die den 
kindlichen Geift ausreihend kennen, mit mehr Grfolg an der Ausbildung 
befielben arbeiten werben, als folche, bei denen das nit der Fall if. Die 
Specielle Unterrihtsfiunde pflegt von den Fachehrern ertheilt zu 
werden, die allgemeine Pädagogik vom Director. Angemeſſener 
dürfte es fein, wenn Beides in einer Hand vereinigt bliebe. Wahrſchein 
lich if diefe Trennung nur eingeführt worden, weil bie meiften Directoren 
die einzelnen Unterrichtsfaͤcher nicht genug beberriden, in den anzuwenden: 
den Methoden daher auch nicht heimifch genug find. Aus demſelben Grunde 
fieben fie auch den fo überaus wichtigen Unterrihtsübungen be 
Seminariften ziemlich fern. Zur bewußten Anwendung der Grundſaͤte 
des erziebenden Unterrichts und ber Disciplin gelangt aber der Seminar 
nur, wenn er feine Uebungen im Beifein des Lehrers der Pädagogik an 
ftellt und auf der Stelle von demfelben durch Winke, Vormachen u. |. m. 
corrigirt und eine nähere Beſprechung ber gemachten Fehler in vie Stunden 
für Pädagogik verlegt wird. Wo Lepteres vorlommt, pflegt die Beurtbeir 
lung vielfah den zubörenden Geminariften übertragen zu werben. Das 
artet aber recht oft in eine grundfäglice und darum febr bedenkliche Arit- 
telei aus, Beſſer ift es, der Lehrer der Pädagogik fordert den betreffenden 
Seminariften auf, fi am Maßftabe der erkannten Grundfäge für den Um 
terricht felbft zu richten und fügt dann zum Schluß in ermunterndem Wohb 
wollen hinzu, was jener überfehen bat. Bei folder Einrichtung erreiht 
man in verhältnißmäßig kurzer Zeit das Biel, das die Seminare ſich 
in Betreff der Unterrihtsübungen überhaupt -zu fteden haben: die Semi⸗ 
nariften nämlidy dahin zu bringen, daß fie wiflen, ob fie in ben einzelnen 
nn rogegenfländen ver Volksſchule bei ihrem Unterriht richtig ver: 
fabren. 

Auf den Religiondunterridht wird in den meiften Seminaren 
eine verhältnißmäßig große Stundenzahl verwandt, felten unter ſechs Stun 
den mwöchentlih. Selbftverftänplid müflen die Seminarifien genaue Kennt 
niß von der Religion erlangen, um einft einen fruchtbringenden Unterricht 
darin ertheilen zu lönnen. Uber wenn man die entbehrlichiten Theile, na 
mentlih das U. T. nur berührte, ftatt mit Vorliebe bei ihnen zu verwei⸗ 
len, und darauf verzichtete, daß die Seminarifien ſich die bibliſchen Geſchich 
ten u. U. buchſtäblich aneigneten, fo ließen fih wohl wöchentlich einige 
Stunden erfparen, 

Die deutfhe Sprache erftredt fi in allen Seminaren auf Le: 
fen, Grammatik und Stiliftil, in wenigen aber auf Literatur: 
kunde, was als ein weientliher Mangel bezeichnet werben muß. Zei 


Die Angern Angelegenheiten ber Volksſchule c 571 


unfere gute, zum Zheil Llaffifche deutſche Literatur enthält, ift mehr 
ala irgend etwas Anderes geeignet, die allgemeine Bildung der 
Volksſchullehrer zu fürbern, fie mit der echten Denk: und Empfindung 
weile des beutichen Volles und feines dermaligen Bildungsftandes belannt 
zu maden und ſprachlich zu kultiviren; eine Bernadhläfligung derfelben im 
Seminar muß daher als eine empfindlihe, durch Nichts zu rechtfertigende 
Beeinträchtigung der Seminariften angejehen werden. 

Im Rehnen und in dee Geometrie bejchränlt man ſich in ben 
meiften Seminaren mehr als billig auf die Forderungen der ‘gewöhnlichen 
Bollsihule.. Schulvorfteher an höheren ftäptifhen Volksſchulen kommen 
daher nicht felten mit jo vorgebilveten Lehrern in Berlegenbeit, wenn fie 
ihnen den betreffenden Unterricht in den Oberklaſſen übertragen wollen. 

Auf den NRealunterriht wird in den meilten Seminaren nicht 
Gewicht genug gelegt, ungeachtet derjelbe jo viel bildende Glemente enthält 
und von der ganzen Richtung unferer Zeit fo ernſilich gefordert wird. In 
der Geographie dominirt in bedenlliher Weile das topiſche Glement, 
während das phufilaliihe auf ein Minimum beihränlt wird. In ver Ge: 
ſchichte wird oft nur daß engere Vaterland ins Auge gefaßt, um den Pars 
ticulars Batriotismus zu erhöhen, während viele herrliche Momente für Cha⸗ 
ralterbildung unberüdjichtigt bleiben und die Kenntniß von der geſeßtz⸗ 
lihen Gntwidelung des Menſchengeſchlechts dem Seminariften verborgen 
bleibt. Für die Naturlunde wird nicht felten Kenntniß der betrcfjenden 
Stüde eines eng begrenzten Leſebuches als Ziel bezeihnet, und jelbit in 
ſolchen Sällen, wo man etwas weiter gebt, doch nicht darnach geitrebt, den 
Seminariften ausreihenne Kenntniß vom Bau und Leben der Gefchöpfe, 
von der in der bunten Mannigfaltigleit ſich kundgebenden Ginbeit zu ver: 
haften. In der Phyſik befhräntt man ſich meiftens auf Grllärung 
der gewöhnlichften Naturerjheinungen, während die Chemie fo gut wie 
unberüdfichtigt bleibt. In Preußen hat man fie fo weit zugelafien, als die 
Landwirthſchaft fie fordert, während die in Städten getriebenen Gewerbe 
doch nicht weniger Berüdfichtigung erheiſchen, wie jchon die in böberen 
Bollsfhulen (Bürgerjhulen) auftretende Technologie beweiſt. 6s ift mer: 
würdig, wie man die Forderungen der Zeit in der Lehrerbildung jo ganz 
und gar unberüdfihtigt laſſen kann, und nicht einmal dafür forgt, daß die 
Boltsfchullehrer fie kennen und verfteben lernen. 

Bon den größeren Landmwirtben und landwirthſchaftlichen Bereinen 
wird feit Jahren für die Seminare Unterriht in ver Landwirthſchafts⸗ 
tunde, mit Ginjhluß des Gartenbaues und der Obftlultur, ge 
fordert, damit die Lehrer befähigt werden, diefelbe in ben Gemeinden zu 
fördern, theild durch Belehrung ihrer Schüler, theild durch Borträge in 
Aderbauvereinen. Die Regierungen begünftigen diefe Forderungen, da fie 
begreifen, daß mit der Hebung des Wohlftandes audy die Steuertraft der 
Staatsangehörigen waͤchſt. Was für diefe Zwece erforderlich ift, läßt ſich 
im naturwiſſenſchaftlichen Unterricht, wenn er rechter Art ift, volllommen 
esreihen; bejondere Stunden aber dafür anzuſeten, halten wir nicht bloß 
für überfläffig, fondern fogar für ſchädlich, da Anderes dadurch beeinträd- 
Kigt wird Wo die Seminare Internate find, empfiehlt ſich etwas praltiſcher 


= 


672 Die äußern Angelegenheiten der Volksfchule x. 


Gartenbau aus Behmpdheitsrädfihten und um den Einn für flille Raten 
beobadytung zu wecken und zu pflegen; auch kann damit, mo die Gelegen⸗ 
heit günftig ift, etwas Bienen: und Eeidenzudt verbunden werben, mei 
aus diefen Beihäftigungen dem künftigen Pehrer ein erbebliher Nebengewinn 
ermadfen kann. ber davon muß überall in den Seminaren abgeſehen 
werden, Zandwirtbe bilden zu mollen. 

Als eine Berirrung müflen wir es bejeihnen, wenn in einzelner 
Seminaren and Anleitung gegeben wird zum Korbflebten, Schnißen von 
Kellen, Quirlen, Holspantefieln u. a. Dingen. 

Am Schreiben gefhiebt im Ganzen mobl überall das Grforberlice, 
im Zeibnen müßte dagegen vielfach mebr geleiftet werden, bauptfädhlic, 
um nad diefer Richtung bin den Geihmad mehr zu bilden. 

Die Muſik wird in den- meiften Seminaren mit großer Vorliebe ge 
pflegt, und erftredt ih auf die Theorie der Tonfunfl, auf Gefang, 
Biolin» und Orgelfpiel. Lebteres hat mit der Schule natürlich nichts 
gu tbun, wird aber, wie überhaupt der grofe Umfang der muſikaliſchen 
Bildung, von der Kirche gefervert, die obne einen fo gebildeten Diener nicht 
fertig werben fann , und ibn menigftens auf tem Lande in andern Streifen 
nicht findet. Es darf aber nicht überfeben werden, daß Alles, was in 
diejer und in lanmmwirtbichaftliber Beziebung im Seminar gefordert worden, 
den Seminariften an ihrer Lehrerbildung und künftig ſelbſiverſtändlich den 
Säulen verforen gebt. 

Das Lehrercollegium der Seminare wird in den allermeifien 
Fällen aus einem Theologen al® Director und aus feminariftiid 
gebildeten Zahblebrern, das Wort niht in ganz frengem Sinne 
genommen, zujammengefekt. In Ländern, wo man regierungsfeitfig im ben 
Schulen die Ortbodorie pflegt, if ſtrengſte Necdtgläubigteit, Förderung des 
Miſſionsweſens und anderer fremmen ®ereine die befte Empfehlung zum 
Seminardirector. Wir baten bei Yefernng dieſer Stellen begreifliher Weiſe 
gegen eine beologiſche Bildung an und für ſich nichts einzumenden, halten aber 
dafür, dak fie nicht in erfter Linie zu fordern if; erite und oberfte, daber 
ader auch unerläklite Forderung itt vielmehr die, dab der Seminardirecter 
ein vieljeitig gebilveter, cbaralternoller Mann, ein hervorragender Pädagog, 
ein gefcbidter, Durch längere und manninsaltige Praxis erfabrungsreih ge 
werdener Lebrer und ein küchtiger Menicentenner if. Wo fich derſelbe 
dieje Bildung ermerben bat, ch auf\einer Univerfifät, oder auf einem Se 
minar und dur füchtiged Exibfiftudium, darauf kommt e3 nicht an; es 
iR eben genug, dab er fie bat. Bei ſolchem Manne darf mar ficher fein, 
daß er die Aufaabe des Seminars, tüchtige Lehrer zu bilden, keinen 
YAugaentlid ans dem Nuge verlieren und ſich nicht durch Berfolgung von 
theeloaiſchen Liebbatereien daron abbringen lallen wird. m Intereſſe der 
Reiteichule in es Tchr zu dedeuern, tab dieſe Anfıcht bis jekt wenig Be 
rüdiichtigung geunten bat. 

Der Beift, welder in ten Seminaren berribend if, wird zwar durd 
Mancherlei. ſebt weientlib aber durb das Lebrercollcgtum , insbeſondere 
wieder dur ten Tirecter ersenst Der ſchlimmſte Geil, der ſich in fek 
Der Anſtalt Bilden faun, iR der der Jrömmelei und Heuchelei, da er Lei 














Die, süßen Angelegenheiten ber: Boflsihule:g 578 


Sbarakter vexdirbt. Mir verlangen, daß in den Seminaren das Strehen 
nad reiner Eittlileit und höchſter Vervolllommnung im Beruf alle Zög 
linge hejeelt, um» daß das Lehrercollegium ihnen darin mit gutem Bei⸗ 
ſpiel vorangeht. 

Die Behandlung der Zöglinge muß eine humane fein; bie 
Seminarlebrer müflen in ihnen die künftigen Lehrer erbliden und adten, 
Schimpfen und Ecdelten und was damit fonft zufammenhängt, darf babher 
bei Seminarlebrern nicht. in. Uebung fein. Unvererfeits, ‚müflen aber auch 
die Zöglinge ſich fo feine Sitten aneignen, daß fie ihre Lehrer nit Duck 
ungebübrlices Verhalten, durch vorlautes Mbiprehen u. dgl. regen. Man 
hört auf beiden, Seiten non Ueberjhreitungen, von denen einige recht Starke 
im vorigen Bande des Jahresberichtes verzeichnet worden ind, 


3. Der Bildungsftand der Lehrer. 


Die deutſchen Seminare haben troß ihrer Mängel einen ſehr re 
ſpectabeln Lehrerſtand gebildet. Die lebten funfzig Jahre müflen als 
ein Zeitraum bezeichnet werden, in dem in diefer Beziehung. Tüchtiges 
geleiltet worden ift, ganz ficher mweit mehr, als in allen Zeiten vor 
ber. Das durchſchnittliche Bildungsmaß der jeßigen Lehrer veicht für pie 
gewöhnlihen Verhaͤltniſſe der Vollsſchulen volllommen aus, bleibt aber 
doch in einzelnen Gegenjtänden hinter den Forderungen zurüd, welde 
böbere ftädtifche Volksſchulen mahen. An empfinvlichften treten die ſich 
bier zeigenden Lüden in der Sprache, Arithmetit, Geometrie und in ben 
Nealien, namentlib in der Naturgeichichte, Chemie und Gejchichte zu Tage, 
Die didaktiſchen Kenntniſſe find befriedigend, wenn aud nicht immer jo 
tief begründet, als es bei umfallenderen phychologiſchen Studien der Fall 
fein.würbe. In religiöjer Beziehung nimmt die große Mehrzahl ver Leh⸗ 
ver einen freieren Stanbpunlt ein, ſelbſt diejenigen, melde einen jehr or⸗ 
thobnren Religionsunterricht erhielten. Was einzelne Seminare hierin 
verderben, macht die reiche Literatur und Die ganze Zeitrichtung wieder 
gut. Irreligiöſe Voltefchullehrer gehören jedoch zu den fehr großen Aug 
nahmen. In der ‚Handhabung der Disciplin laſſen fih ebenfalls Fort⸗ 
Ichritte wahrnehmen; fie ift im Ganzen gerechter und in Bezug auf. die 
Strafen milwer, menjhliher geworden. Doc, laſſen jüngere, nicht genüs 
gend anthropologiſch gebildete Lehrer in diejer Beziehung noch Manches 
zu wünjden übrig, Die ſeelſorgeriſche Thätigkeit möchte überall nody et 
was zu fteigern fein. Viele Lehrer an öffentlihen Schulen glauben genug 
zu tbun, wenn fie ihre Sculftunden gemwillenhajt ertheilen; in allen übris 
gen Beziehungen ftehen fie ihren Schülern fern oder gehen ihnen doch 
nicht mit der Liebe nach, deren die Kinder zu ihrer fittliden Gntwidelung 
fo ſehr bebürfen. Die Lehrer an Privarfhulen übertreffen hierin recht pft 
die an öffentlichen Anſtalten. Höchſt erjreulih iſt aber das friſche Streben 
nad Weiterbildung im Berufe, überhaupt noch größerer millenichaftlicher 
Bervolllommnung, das fi bei einer nit geringen Anzahl von Xebrern, 
jüngern wie älteren, kundgiebt. Die Einen fallen dabei den ganzen Bes 
zuf ins Auge, Andere ſuchen jih in einzelnen Fächern zu vervolllomms 
zen, am vorherrſchendſten in den Nealien, in des Literaturgejhichte und in 


6 


574 Die Aukern Angelegenheiten ber Volleſchule x. 


ven Meueren Sprachen, wenn die Berhältnifie in größeren Städten Dazu 
Anlaß geben. 

Sin ſchoͤnes Zeugniß für den tüchtigen Bilvungsfland der Vollaſchul⸗ 
lehrer ift jedenfall vie 1865 erlafiene Verordnung der fähfhen Regie 
rung, nach welcher Seminarzöglingen unter gewiſſen Bedingungen der Be 
ſuch der Univerfität und in Folge deſſen das Cinrüden in höhere Schul⸗ 
ämter geflattet worden ift. 

Man will die Beobachtung gemadht haben, dab die Bildung ber 
norddeutfhen und proteftantifchen Lebrer eine größere ſei, als bie der ſüd⸗ 
deutihen und katholiſchen. Wo die Seminare fo fparfam fi finden, 
wie in Deſterreich, liebe ſich das wohl annehmen; doch haben wir ſelbſ 
uns bierüber noch kein vollftändiges Urtheil gebilbet. 


4. Die collective Thaͤtigkeit der Lehrer. 


Die Lehrer haben erlannt, daß Ginigung ſtark macht, und erfireben 
diefelbe auf geiftigem und materiellem Gebiete mit anerlennenswertber Be 
barrlichleit. Wie fo oft im Leben, trennt aber aud fie hierbei — die 
Neligion, die chriſtliche Religion, indem fih das Heine Häuflein der nad 
ihrer Anſicht NRechtgläubigen überall abjondert, nur unter fi conferixen, 
nur feine Wittwen und Waifen unterflügen wil. Das läßt fi run 
leider nicht ändern; die Freiheit fordert, fie ihre eigenen Wege fo lange 
geben zu laſſen, als es ihnen beliebt. 

a. Auf geiftigem Gebiete äußert fi die collective Thätigleit ber 
Lehrer in Conferenzen und größeren Verſammlungen. Gine hoͤchſt wichtige 
Rolle Spielen darin die SpecialsConferenzen, wie fie ih in Heine 
ren und größeren Städten und innerhalb benadhbarter Dörfer finden. Die 
Gonferenzen diefer Art find theils amtliche, theils freie. Wo reger Gifer 
herrſcht, gedeiben letztere am beften, meil die Lehrer darin rüdbaltlos fid 
äußern dürfen und aud die Schwächeren darunter fi zu reden getrauen. 
Den amtlichen Eonferenzen ift die Dauer gefichert; aber es feblt vielfach 
in ihnen das rechte Leben; man arbeitet und betbeiligt fi bei ber De 
batte, weil man muß, nicht weil man will. Sole Eonferenzen nehmen 
nicht felten den Charalter der völligen Beichulung der Lehrer durch ben 
Borfigenden, der ganz gewöhnlid ein Geiſtlicher if, an. Katedhismnk 
und Bibelabfhnitte werben in tbeologiicher Breite beſprochen, Katechiſe⸗ 
tionen gehalten und gefchriebene oder bereits gebrudte Arbeiten vorgelefen. 
Mitunter läßt fih der Herr Superintendent aud aus Veranlafiung der 
Zeitläufe verleiten, Aufflärungen über Bolitit, wie über das Strafbare det 
Polenaufftandes, des amerilanifchen Bürgerfrieges u. f. w. zu geben, dar 
mit die Lehrer doc wiflen, mie fie auf die zeitunglefenden Bauern einzw 
wirten haben, wenn fie mit ihnen in der Schenfe oder anderwärts je 
fammen lommen. Hier und da wirb aud der Beitausfüllung halber vie 
gelungen. 

Außer den Specials-Eonferenzen gibt e8 auch hier und da Provin⸗ 
ztal-Conferenzen, wie in der Provinz Preußen, in Gchlefien, in 
Brandenburg, in Holftein, Oldenburg, Hannover, Braunfhweig, aud mehr’ 
fach in Suddeutſchland. Sie find aus dem Gefühl der Standesgemeinfhafl 


Die ãußern Angelegenheiten ber Volkoſchule ꝛc. 575 


entfprungen und werben nicht ohne perfönlihe Opfer jährlich wenigftens 
einmal abgehalten, theild um das Gtandesbewußtjein zu beleben, theils um 
auf einmal weitere Kreiſe anzuregen und berufstüchtiger zu machen, theils 
um mancherlei offene Schäden im Schulgebiete dur imponirendes Auf 
treten zu befeitigen oder deren DBejeitigung durch Belitionen wenigſtens an⸗ 
zuftreben, theils um befler für Wittwen und Waifen und für einen forgen- 
freien Lebensabend zu jorgen, oder ſich gegen Feuersgefahr zu fihern. In 
den lleineren Staaten werden diefe Conferenzen im Ganzen gern gejehen, 
und die von ihnen ausgehenden Wuͤnſche und Borfchläge werden vielfach 
berüdfichtigt (Oldenburg, Sachſen); in größeren Staaten, fo namentlidy in 
Preußen, bereitet mar ihnen hier und da Schwierigkeiten, indem man 
regierungsfeitig vom Beſuch berfelben abmahnt, wie in den Provinzen 
Preußen und Schlefien, wo die Leitung der Berjammlungen in den Häns 
den freifinniger Lehrer liegt. Bei fleikiger Theilnahme und tüdhtiger Leitung 
lönnen folche Berfammlungen viel Gutes ftiften; man muß daher ihre 


Verbreitung wünfchen.” In Sachſen haben ſich dieſelben bereit? bewährt. 


Neben den zahlreichen Special:, Provinzials und Landes » Conferenzen 
befteht nun no die Allgemeine deutſche Lehbrerverfammlung, 
gegründet im Jahre 1848 und bis heute mit einigen in der Ungunſt 
politiſcher Verhaͤltniſſe liegenden Unterbrechungen fortgeführt. Sie ift kein 
Berein, bat feine Statuten, ernennt jedoch alljährlih einen Ausſchuß, der 
die Einleitungen zur naͤchſten Berfammlung zu maden bat, fonft aber mit 
keinerlei Machtbefugniß betraut iſt. Ihr alleiniger Zweck ift, die Standes» 
gemeinſchaft rege zu halten, den Berufgeifer zu beleben und die Berufs: 
tüctigleit eines jeden theilnehmenven Lehrers zu erhöhen. Wer ihr andere 
Zwede unterlegt, 3. B. behauptet, fie ftrebe die Trennung der Schule von: 
der Kirche an, der fennt fie entweder nicht, oder will fie verleumden, weil 
fie feinen perfönlihen Beitrebungen entgegen wirkt. Die Gegenftände, 
weiche zum Vortrag und zur Discufiion lommen, beziehen ſich lediglich auf 
vie Schule Niemals find geflifientlih Themata zur Verhandlung ges 
beat worden, deren Tendenz auf Spaltung, auf Trennung von Kirche 
und Schule binausliefen, vielmehr bat der Ausfhuß das flet3 fo meit ad» 
zuwenden geſucht, als das in feiner Macht ſtand. Wenn aber Gegenflände 
dieſer Art berührt wurden, dann ift es aliegeit mit der Offenheit gefcheben, 
vie einem freien Manne ziemt; und immer ift daS Pro und Contra gleiche 
mäßig zum Worte gelommen. Gelang ed dabei der in Orthodorie bes 
fangenen Partei niht, den Sieg zu erlangen, jo lag das daran, daß fie 
in ungenügender Bahl vertreten war und durch ungejchidtes Auftreten, wie 
3. B. in Mannheim, ihre Sache verdarb und alle Sympathien einbüßte. 
Die Berfammlung bat fih bis jetzt ganz entjchieden den Charalter der 
Freifinnigleit bewahrt, aber nad biefer Richtung bin nie die Grenze über« 
Schritten.” jede Verſammlung hatte eine nicht geringe Anzahl der tüdhtigften 
Schulmänner und Pädagogen Deutſchlands aufzumeijen, die theils mit Vor⸗ 
trägen bervortraten, theils fich lebhaft an der Debatte betheiligten. Daß 
diefe Männer beftimmend auf die Verfammlung einwirken, ift ohne Zweifel, 
daß diefelbe aber überhaupt „von einer Keinen Zahl begabter Männer bes 
herrſcht werde‘, wie am 26. Eept. d. J. auf der Reallehrerverſammlung 





576 Die äußern Angelegenheiten ber Volfsſchuhe ac; 


in Frankfurt a. M. von einem fehr trefflichen: Pädagogen gejagt muche,*) 
muß in Abrede geftellt werden; denn auf jeder Verſammlung baben fih 
neben denen, die der Mebner im Auge hatte, ſehr tüchtige Perſönlichleiten 
geltend gemadt. Nur das Gine geben wir gern zu, dab die Züchtigen 
überall den Mittelſchlag mit fi fortreißen; aber das liegt in der Natur 
ber Sache, und ift gewiß nicht zu bedauern, wenn bie „begabten Männer“ 
ih auf rechtem Wege befinden. In lleineren Vereinen iſt es oft ein Gin: 
ziger, der eine nachhaltige Wirkung ausübt, die Uebrigen, beherrſcht. 
Soll das geändert werben, jo muß „die Heine Zahl begabter Wänner” — 
vermehrt werden. Mein Wunſch war das ſchon lange. Mögen bie 
Freunde der Allgemeinen deutſchen Lehrerverſammlung darnach ftreben, daß 
es mehr und mehr erfüllt werde! 

Eine Heine Anzahl vechtgläubiger Lehrer hat den Verſuch gemadıt, 
eine Lehrerverfjammlung zu Stande zu bringen, die der Allgemeinen beuts 
Shen Lehrerverſammlung die Spige bieten, fie mwomöglih vernichten follte; 
der Verfuh kann als miblungen angejehen werden,* weshalb wir barauf 
nerzihten, ihn näher zu charatteriliren. 

Gine collective Thätigleit haben feit einigen Jahren aud die Sul: 
Directoren Sachſens entwidelt, indem jie jährlih einmal zufammens 
famen und die Organijation ihrer Schulen beriethen, 

Der preußiſche Unterrihtsminifter ruft von Zeit zu Zeit die 
Directoren gleihartiger Schulen zujammen und legt ihnen wid: 
tige ragen über die Organifation diefer Unftalten und den darin zu er 
theilenden Unterriht vor. So waren 5. DB. im vorigen Sabre alle 
Seminardirectoren der Monardie nad Berlin berufen worden, um 
ihr Urtheil über den gejammten Seminarunterricht abzugeben. Solche Be 
rathungen können recht erjprießlih werden. 

b. Saft in noch größerem Umfange, ald auf dem geiltigen Gebiete, 
bat fih die gemeinjame Thätigkeit der Volksſchullehrer auf dem materiellen 
entwidelt, und zwar in Nichtungen, in denen fie fowohl von den Gemein 
den, als aud von den Staaten nur wenig Beihülje erhielten und aud 
künftig werden zu erwarten haben. Es ijt die Sorge für die Lehrer: 
Wittwen und «Waifen und die im Schuldienit untauglich gemorbenen 
Lehrert, melde vie Lehrer provinzen: oder länderweis zufammengejühtt 
bat. Peſtalozzi-Vereine, zu denen Dieftermeg in den Peſtalozzi⸗ 
Beiern des Jahres 1846 den Anftoß gab, finden ſich jest in allen deutſchen 
Staaten. Sie jammeln Gelder, um dadurd die Thränen der Witten und 
Waiſen zu trodnen. Da bierzu die Mittel der Lehrer nicht ausreichen, fo 
wenden fie ſich bittend an mitleidvige Herzen, geben Concerte, veranſtallen 
Lotterien, errichten Schulbücherverlage u. dergl. So pflegt man fonft nur 
für Verunglüdte, für Abgebrannte, Ueberſchwemmte, verwundete Krieger und 
deren Hinterbliebene zu ſammeln. Es berührt und ſchmerzlich, daß die 
Lehrer bleibend nad ſolchen Mitteln greifen müſſen. Xeiver läßt fi das 
jegt aber nicht ändern, und man muß fich freuen, daß die Lehrer in dieſer 
Richtung eine Thätigleit entwideln, eine Zhätigleit, die fie nicht entehrt, 


) Bergl. Dörpfeld, Evang. Schulblatt, 1865, S. 375. 








Die Äußeren Angelegenheiten ber Volksſchule a. 577 


menn unfröhliche Geber dabei auch etwas über die Lippen murmeln, was 
wie „Bettelei”. klingt. Nicht minder verbreitet find die Sterbekaſſen, 
durch die man der Familie drüdende Berlegenbeiten beim Eintritt des Todes 
erſparen will. Vielfach find die, Lehrer au zu Brandverſicherungs-⸗ 
Bereinen- zufammengetreten, ungeachtet es Afiecuranzgejellichaften genug 
gebt. Man kommt aber auf biefe Weiſe wohl etwas billiger gu ange 
meftener Euntſchaͤdigung. 


5. Die Nebenbeſchäftigungen ber, Lehrer. 


So esmübenb. und anfisengend die Arbeit eines treuen und gewiſſen⸗ 
baften. Lehrers auch ift, jo nimmt fie doch nicht alle Aräfte, auch nicht 
alle Tageszeit in Anſpruch; ein ‚guter Reſt von Kraft und Zeit bleibt 
immet noch zur freien. Verwendung. Der Theil der Lehrer, welcher nicht 
mit Nobhrungsforgen zu kaͤmpfen hat. und zugleid mit Liebe zu geiſtiger 
Thaͤtigkeit erfüht ift, verwendet beide auf Stupien der verſchiedenſten 
Urt oher.. treibt, menigftend die liebgeworbene Muſik in weiterem Umfange. 
Mancher fühlt fih auch gebrungen, fchriftitellesnn thätig zu fein. 
Melden Theil daran mitunter die Eitelteit hat, von der die Lehrer natür- 
lih eben jo wenig frei find, wie andere Menfchentinder, können wir bier 
ununterſucht laſſen. Das Schrififiellern hat immer pas Gute, im hohem 
Grade zus Klärung der Gedanken beizutragen, felbft wenn dabei nur 
„Ihäpbares Material‘ für die Aramerläden oder gar nur für den Papier 
farb einer Schulgeitungs-Rebaction herausfäme. Aber e3 kann aud feinen 
Augenblid verlannt werden, daß wir diefen Nebenbefchäftigungen der Lehrer 
ſchon manche treffliche Arbeit, manches gute Buch für Lehrer und Schüler 
verbanten. Bleibt der fchriftfielleende Lehrer in ver Sphäre feines Bes 
rufes und yerfällt er nicht in den fehr beventlihen Fehler, um des Geldes 
willen zu ſchreiben, jo gehört diefe Thätigleit nicht blos zu ben ebrenpften, 
ſondexn auch zu denjenigen, burd die der ganze Stand auf eine böbere 
Stufe fommt, durch die das Gedeihen der Schule merklich gefördert wird. 

Die weniger gut botirten Lehrer verwenden den Reſt ihrer Kraft und 
Zeit. auf das Ertheilen von Privatunterricht, falls fih dazu Gelegen⸗ 
beit bieset. Bleibt diefe Thätigleit in den natürlihen Grenzen, führt fie 
alfe nicht zur völligen Erſchöpfung oder zur Vernachlaͤſſigung der Arbeiten, 
neren Ausführung außerhalb der Schulftunden. der Beruf forbert, wie Bor 
bereitung auf den Unterricht, Corrigiren von Schülerarbeiten, Unfertigen non 
Sehrsaüteln, Präparaten u. |. w., jo ift im Grunde nichts gegen diefelbe 
einzuwenden. Ernſilich abratben muß man aber von der Art des Privats 
unterrichts, den mandye Lehrer als fogenannte „Nuchftunden” in den ihnen 
zugewieſenen Klaſſen ertheilen. Cs kommt bei folder Einrihtung nur gar 
zus leicht dahin, Daß die Eltern meinen, wenn ihre finder bald in bie 
nädjtfolgende Klaſſe verfebt werden follen, fo müfien fie fih den Lehrer 
dadurch geneigt zu machen ſuchen, daß fie ihre Kinder in die Privatfiunden 
deſſelben ſchicken. Cine folde Anſchauung ſchadet eben jo ſehr ben Lehrern. 
wie ver Schule. Jedes LVehrercollegium hat vie Pflicht, dafür zu forgen, 
daß fie ih nit in der Schulgemeinve bilden. Grforberlihen Falls müßte 
ſelhft, die. Behärhe gegen ſolchen Mißbrauch einfchreiten. 

Pab. Jahresbericht. XVII. 37 


578 Die äußern Angelegenheiten ber Volkoſchule ꝛc 


Die Landlehrer haben feltener zu lohnendem Privatunterricht Gelegen 
beit und find oft am meiften gendtbigt, noch Gtwas durch Rebenbeidät: 
figungen zu erwerben. Sie treiben dafür Gartenbau und Landwirth 
haft, wenn Ader bei ihren Stellen ift, befafien ſich auch wohl noch mi 
Bienen: und Seidenzudt. Es läßt ſich gegen ſolche Befchäftigungen 
Nichts einwenden; fie find für die vorausgeſetzten Berhältnifie ale natur 
liche, zugleidh als ſolche zu bezeichnen, welche eine wohlthätige Abmedtelung 
in die geiftige Ihätigleit bringen. Aber fie werben nadıtbeilig für ben 
Lehrer und feine Schule, wenn fie zu meit ausgebehnf werden. Lehre, 
welche während des Sommerbalbjahres fon vor Beginn ihrer Schule wii 
bis drei Etunden anftrengende Gartenarbeiten verrichten, oder in da 
Mittagsftunden und nah dem Schluß der Schule fogleih auf's Zeh 
laufen, um dort eine ermüdende Thätigleit zu entwideln, haben das rechte 
Maß in diefer Art von Nebenbeichäftigungen überjchritten ; fie gehören de 
Schule nur noch halb an. Wo die Noth zu folder Thätigkeit treibt, de 
muß die Gemeinde die Stellen verbeflern, wo der Geiz davon die Urjade 
iR, da muß die Behörde dagegen einſchreiten. 


6. Die Befoldungen ber Lehrer. 


Seit ein paar Decennien iR die Nedensart von einem „auslbmmlihe 
Sehalt” der Volksſchulleher gebräudlich geworben, leider aber bis heute im 
den meilten Iheilen Deutſchlands Nedensart geblieben. Zwar if wicht ps 
vertennen, daß man überall die Unzulänglichteit der Lebrereinnahmen er 
tonnt und aud wirklich überall die Gehalte erböbt bat; aber man bil 
dabei doch fo fonderhare Begriffe von den Berürfnifien eines Lehrers, vos 
den Forderungen feines Magens und feines Kopfes, dab man weit, er 
Rebe ſich drilant, fei eine beneidenswertbe Perſon im Orte, wenn ec es 
nad einer Reibe von Hungerjabren endlich bis zu 300 Thalern gebradt 
Ye. Man ſebe nur die Gebaltsilalen an, welde von ven fäptiiäe 
Bedoͤrden auiyeitellt und im jeder Schulzeitung wiedergegeben werben, ci 
die 300 nit den Mirtelpuntt, oft genug ben Gipfelpunft darin bilke. 
Wie ein Hausvater mit Frau und vier, fünf lindern diefe Summe übe 
das ganze Jahr und über alle Jamilenglieder vertheilen foll, daß fein Io 
und fin Glied zu dar kcanmt, das ift eine noch nicht gelöfle Auſgebe 
Sn wabres Alüd iR es nod, daß felb ein Mann nicht die ganze Evum 
am erfien Zanuat jedes ZJabres prämmerando ausgeyahlt befommt; e 
wärte adt Taae lang nicht aus Dem Korizerbrechen berauslommen und ir 
den weten Faäͤlen troß alles Kerpiſjerbredens doch mur bis zum erim 
Nah tum rasen und ft Tann genöthigt feben, wit ben Seinen # 
dungera eder zu Ketten, eder amd Deides zugleich. Denn die Gemeine 
vertinte au Die Staaten: * mu den Fiulmiden i 
wir dee der detgenen Fehler”. e min m wüniden, daß ibaen — 
une Stimme junck: „Am * ge ir unterließet, die Lehrerze 
nie zu mt „auitiumihen” * men“ © 
hiaan'urte verzcden wort? So leide gewiß wicht 


Die Außern Ungelegenbeiten ber Volkoſchule ec, 6579 


durch guten Schulunterricht zu Theil werden, ſonſt würden fie bereit jein, 
diefelben befier zu lohnen. 

. Um möglihft zu fparen, errichten bie Gemeinden für mehrklaſſige 
Schulen eine Reihe von Stellen, die wit Hülfslehrern bejebt werden. 
Diefe beziehen das Minimum der Gehaltsjlalen, 100, 120, 150, 200, 
in großen Städten feit furzer Zeit auch wohl 250 Thlr. jährlih, und find 
auf Kündigung angeſtellt. Wo die Hülfslebreritellen die der ordentlichen 
überragen — und das ift meiftentheils ver Fall —, da leidet pie Schule 
darunter, Denn jo ein hungernder Hülfslehrer meldet ſich zu jeder Stelle, 
die zehn Thaler mehr einbringt, und wechſelt in einem Jahre nicht felten 
zwei Mal Gin fo häufig, ja felbit nur jährlich eintretender Wechſel ift 
ober der Ruin jeder Schule und wirkt aud auf die Lehrer nachtheilig ein, 
Bevähten doch die Gemeinden und die Regierungen, daß die Kinder es 
find, die den hieraus erwachſenden Schaden zu tragen haben. 

In neuerer Zeit bat man aus Gründen der Sparjamleit auch ver 
ſucht, Lehrerinnen in größerer Zabl anzuftellen.. Wir haben gegen die 
Unftellung berjelben Nichts zu erinnern, da die Erfahrung gelehrt hat, daß 
fie oft eben fo viel, jelbft mitunter mehr leiten als Lehrer, beſonders in 
Mäpchenihulen und Glementarllafien. Über wenn das der Fall ift, dann 
muß man fie auch den Lehrern im Gehalte gleichitellen, und nicht meinen, 
daß jo ein armes Mäpchen froh fein könne, jo ein leidliches Unterkommen 
gejunden zu haben. 

Mo die Lehrer Kirchendiener find, aljo zwei Aemter befleiden, 
da rechnet man ihnen recht oft die hieraus erwachſende Cinnahme ganz 
oder doch zur Hälfte bei ihrer Ginnahme als Lehrer an. In neuefter Zeit 
bat man angefangen, das Ungerechte dieſes Verfahrens zu erfennen. Aber 
fo viel mir belannt, ftehen Württemberg und Bremen jest noch als vie 
einzigen deutfchen Staaten da, in benen man von diejer Anrechnung Abs 
ſtand genommen hat. 

Wie die Bejoldungen, jo find au bie Benfionen ber Volksſchullehrer 
bemefien. Das Schulblatt der Provinz Preußen berichtet in feinem Jahrgange 
non 1865 von einem verhbungerten penjionixten Lehrer. So großes 
Uufleben dieje Mittheilungen exregten und jo unungenehm fie in manden 
Areilen berübrten, fo kann man ſich dod in der That nicht über jolde 
Grideinungen wundern. Denn wo man einen alten, arbeitöunfähigen 
Lehrer mit dreißig Thalern penfionirt, da müſſen ſolche Fälle eintreten. 

Ebenjo fiebt es mit den Wittmwenpenfionen aus, und es ift ein 
Glüd, daß die Lehrer endlich felbit für die Wittwen und Wailen eingetreten 
ſind. In Kurheſſen belam eine Lehrerwittwe nod vor zwei Jahren nicht 
mebr als fünf Ihaler Penſion jährlid. Als das belannt wurde, da haben 
jelbft nichtbeifiiche Lebrer zur Linderung der Noth beigefteuert. 


7. Beſchaffenheit der Volksſchulen. 


In. neuerer Beit ift ven Shulbäufern eine größere Aufmerkſamkeit 
zugewandt worden; alte mit niedrigen Zimmern und Heinen Fenſtern find 
aufgegeben und durch neue mit ausgezeichneter Dentilation erjegt worden, 
Die nicht jelten ſchon durch ihr fchönes Aeußere die Aufmerkſamkeit auf fi 

87” 


580 Die äußern Ungelegenheiten ber Volleſchule ꝛc. 


ztehen. Die Subfellien werben feit einigen Jahren mit Rüdkiht auf 
die Körperlichleit der Kinder fo vortheilhaft conftruixt, daß Sciefwerden, 
Kurziihtigteit und ſchnelle Ermüdung kaum nod in den Schuliverbäftnifien 
Nahrung finden. Aerzte und Lehrer haben ſich verbunden, um in dieſer 
Beziehung das Beſte zu ſchaffen. Es bleibt nur noch zu wünfden übrig, 
daß jeder einzelne Lehrer mit peinlicher Gewiſſenhaftigkeit auf gutes Sitzen 
der Kinder fiebt und für Neinlichleit und gute Luft der Zimmer forgt. 

In ganz Deutihland herrſcht Schulzwang, d. b. das Erwerben 
ber jedem Menfhen unumgänglich nöthigen Kenntniſſe wird durch Geſetze 
gefowwert. Das Wort klingt ein wenig hart und iſt unlängft von einem 
Herrn Lukas als „ein Etüd moderner Iyrannei” bezeichnet morben. 
Jeder MWohlwollende freut ſich aber dieſes Zwanges wegen der herrlichen 
Früchte, die er bis jegt erzeugte. Man eriennt auch unſchwer, daß es 
dem Herrn Lukas weit weniger um Bejeitigung defielben zu thun ift, als 
barım, die Schule fiher in die Hand der Kirdhe zu bringen, wenn es ber: 
jelben etwa gelingen follte, fi unvermerlt von ihr zu befreien. Die 
Schrift hat weiter oben (S. 307 u. f.) ihre Würdigung gefunden, ift aud 
ſonſt ſchon abgefertigt worden, fo von Luz in feiner „Beleuchtung” 
(Münden, Yinfterlin, 1866). 

Die Schulzeit dauert in proteftantifhen Ländern vom vollendeten 
6. bis vollendeten 14., in latholiſchen durdfchnittlid nur bis zum voll 
endeten 12. Lebensjahre. Daß eine Berfürzung der Schulgit um zwei 
Jahre, und zwar in der Zeit, in weicher die Slinder am meilten zu lemen 
pflegen, weil fie anfangen, den Werth der Kenntniſſe und ertigleiten zu 
erlennen, höchſt nachtheilig auf die Bildung des Volles einwirlen muß, if 
teicht zu begreifen. Es unterliegt auch keinem Zweifel mehr, daß vie Volls 
ſchichten, welde ihre Bildung allein der Volkaſchule verdanten, im Allge⸗ 
meinen im nördlichen Deutſchland höher gebildet find, als im ſüdlichen, 
namentlih in Üelterreihd. In den Zagen des usnglüdfeligen Krieges 
zwiſchen Preußen und Defterreih ijt es auch wiederholt ausgefproden wor: 
ven, daß jenes nicht blos durch feine Zündnadelgewehre, ſondern in erfer 
Linie durch die Intelligenz ſeiner Soldaten Siege erfodhten babe, wie kein 
Jahrhundert fie kennt. Nector Frohlich möhte die Schulzeit durch 
Fortbildungsjhulen um 4 bis 6 Jahre verlängern; wir halten eime 
folhe Berlängerung nit für durchaus gefordert, wenn die acht Schuljahre, 
die bereit gefjeglich feftftehen, ordentlich beuugt ‚werben. Es iſt ein Jr 
tum, wenn man von den Kenntniffen, welche die. Schule barbietet, alles 
Heil erwartet. Das Leben mit feinen zahlreichen Verhältnifin und Yor 
berungen unterrichtet in ber Beit vom 14. bis 20, Jahre in der Regel viel 
beſſer und nachhaltiger als die Schule. 

Der Schulbefud ift in den letzten zehn Jahren wohl überall ein 
bejlerer geworden, läßt aber hier und da, namentlid auf dem Lande und 
während der Sommermonate noch Manches zu wünſchen übrig. Lehrer 
und Ortspolizei müfjen in dieſer Angelegenheit Hand in Hand geben und 
geoße Ihätigleit entwideln, wenn es befier werben fol. Daß fafl in allen 
größeren Staaten einzelne Kinver theild noch ganz, theild mehrere Jahre 
lang der Schule entzogen werben, ift leider nis in Abrede zu flellen. 








Die nern Angelegenheiten ber Volkosſchule 2. 581 


Am Jahre 1864 beſuchten von ben ſchulpflichtigen Kindern in Württem⸗ 
berg nicht ganz + Procent gar keine Schule, in Preußen 6 Peocent, in 
Defierreih 24 Procent, in Frankreich aber 41 Procent. 

Hier und da erleidet der Schulbeſuch noch durch den Sonfirmans 
denunterricht der Prediger Unterbredhungen und Störungen, die vers 
mieden werden könnten, wenn man ihn nad Beendigung des Vormittags: 
unterrichts eintreten ließe, wie das z. B. in Berlin angeordnet ift. 

Der Unterricht erjtredt fih überall in ven Volksſchulen mindefteng 
auf Religion, Lefen, Schreiben, Rechnen, deutfhe Sprade, 
Befang, Geographie und etwas Naturkunde. In den höheren 
Bolksſchulen der Städte kommt dazu noch Geſchichte und Zeichnen. 
Für einige Länder, namentlih für Preußen, ift feit einigen Jahren auch 
das Turnen zum Unterrichtsgegenſtand erhoben worden. 

Für die Mehrzahl der Volksſchulen liegen beſtimmte Lehrpläne zu 
Grunde, die das Ziel der einzelnen Klaſſen wie der ganzen Schule feft: 
ftellen; bier und da wird aber au ohne Plan gearbeitet, jelbft in mehr⸗ 
Haffigen Schulen. Das ift fehr zu bedauern, erklärt aber vie Unklarbeit 
in den Antworten auf eine Frage nach den Leitungen der Schulen, wie 
fie Dr. Dürre unlängft einem kleineren norddeutſchen Lehrerverein vorge 
‚legt bat. 

Die Lehrmittel für die Schulen haben fih in erfreuliher Weife 
vermehrt und aud Eingang gefunden. Indeſſen ift die Zabl der Schulen, 
denen gute Landkarten, Naturalienfammlungen und phyſikaliſche Apparate 
fehlen, doch nicht eben gering. Zum Theil tragen die Lehrer hiervon die 
Schuß, zum Theil aber die Ortsſchulvorſtaͤnde, die Ausgaben für folche 
Dinge für rügenswerthe Gelpverfhmwendungen halten. Die Einführung von 
Schullefebüchern ift allgemein geworben; doch fehlt es nicht an ein: 
zelnen Landſchulen, die au auf dies Lehrmittel versihten, da fie mit 
Bibel, Gefangbud und Katehismus glauben auskommen zu können. Das 
ift tbörihte Verblendung. Es ift wahr, dab Eltern, die ihre Kinder in 
Vollsſchulen ſchiden, der Beſchaffung von Schulbühern in der Negel fehr 
abgeneigt find und immer vorgeben, dad Geld dafür nicht zu haben, Die 
Lehrer dürfen aber diefer Anſicht nicht Vorſchub leiften, ſondern müllen oft 
Selegenheit nehmen, zu zeigen, wie fehr gute Schulbüder ven Unterricht 
fördern. 

Im Großen und Ganzen kann man ben geiftigen Standpunft 
der Voltsihulen als einen recht erfreulichen bezeihnen, namentlid in pro⸗ 
teftantifhen Ländern. Die Kinder werden im Denten geübt, lejen mit 
Ausdruck, Schreiben leferlib, oft fogar Schön, können ihre Gedanken gar 
leidlich mündlich und jchriftlih ausprüden, berechnen mit ziemlicher Leichtig: 
kit, was der gemühnliche Lebensverlehr fordert, und haben häufig aud 
genügende Kenntniß von der Erde, von ihren Produkten und den auf ihr 
vortommenden Erſcheinungen. Die meifte Unklarheit fcheint in der religiöfen 
Erkenntniß zu berrichen, was jeinen Grund mwejentlih in der Stellung bat, 
die insbefondere proteftantiihe Lehrer zur Bibel einzunehmen glauben 
müflen; fie wagen es nicht, die Rinder zu einem confequenten Denlen über 
bie Religion anzuleiten und laſſen fie fort und fort auf dem altieitamemt- 


582 Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule x. 


lihen Standpunkte verharren. In vielen Volksſchulen tritt auch der Real 
unterricht noch fehr zurüd und umfaßt nicht felten nur die Kenntnifte, 
welche fi die Kinder lefend aus dem Leſebuche angeeignet haben. 

Trop des im Ganzen befriebigenden Standes der Schulen gibt es, 
wie in den leßteren jahren bei den Rekrutenprüfungen ermittelt worden 
ift, immer noch einen Theil der Bevoölkerung, der ohne Schulbildung auf 
wähft, wenigftens fi in dem Nefrutenalter als unbefhult erweift. In 
Preußen ift das in der Provinz Sachſen jetzt noch nicht 4 Procent, in der 
Provinz Brandenburg etwas meniger, in Meftphalen etwas mehr als 1 
Brocent, in Poſen und Preußen, wo die Sprade große Schwierigfeiten 
bietet, über 16 Procent. In Bayern batten 1865 unter den Rekruten 
eine mangelhafte Schulbildung in Mittelfranfen 4 Procent, in der Uber 
pfalz 15 Procent, in Niederbayern 19 Procent. In Medienburg Tieferte 
die jüngfte Rekrutenprüfung merklich ungünftigere Refultate; denn von je 
100 Netruten batten in den Städten 70, im Domanium 90 und u 
der Nitterfhaft 94 gar feine oder eine mangelhafte Schulbildung. In ber 
Ritterſchaft konnten 39 Procent Rekruten weder fefen, noch ſchreiben, noch 
rechnen. Das erinnert an Staaten ohne Schulzwang, wie Frankreich, in 
dem 800,000 Kinder gar feinen Unterricht genießen und $ der Rekruten 
dürftig und kaum befriedigend lefen, an Belgien, wo 31 Procent der Pe 
völferung weder lefen, noch ſchreiben, an Stalien, von defien 22 Millionen 
Bewohnern gegen 17 Millionen weder lefen, noch fchreiben können. 


8 Die Säulaufidt, 


Die oberſte Schulauffiht wird überall von den Staatsregierungen 
ausgeübt, was auch ganz in der Orbnung if, da fie ja das Vollkswobhl 
nah jeder Richtung bin fördern follen. In jedem größeren Staate gibt 
es befondere Unterridtsminifter, die das Echulruder in der Hand baben 
und in allen Provinzen durch Regierungsfchulräthe controliren und an 
ordnen laflen. Die Lolalfhulinfpection wird in den meiflen deut 
Shen Staaten durd den oder die Drtsgeiltlihen ausgeübt. Die Geiſtlichen 
beanfpruchen die Schulauffiht noch als ein Recht der Kirche, indem fie die 
Volksſchule ala ein Inſtitut anſehen, das feine Criftenz der Kirche verdankt. 
Mie viel daran wahr oder nit wahr’ ift, kann bier unerörtert bleiben. ins 
aber fteht feit, daß nämlid die gegenwärtige Volksſchule nicht das Wert 
der Kirche iſt, fondern ein Werk der Forderungen der jebigen Zeit, die durd 
einen tüchtigen Pebrerftand unterftügt und realifirt worden find. Mir flelln 
den günftigen Einfluß, den einzelne Geiftlihe auf das Gedeiben der Boll 
ſchule ausgeübt haben, nicht in Abrede, ertennen denfelben vielmehr gern ımd 
dankbar an; aber viele derfelben haben gegenwärtig weder die nötigen 
Kenntnifle zur Schulauflicht, noch den guten Willen zur wirklichen Hebung 
ber Schulen. Es fehlt nit an zahlreichen Beifpielen, die beweiſen, daß die 
Geiftlihen nur Sinn für den Religionsunterriht, refp. die bibfifche Ger 
ſchichte haben und nicht Stunden genug dafür anfeßen tönnen, und dah 
fie dem Realunterricht, insbefondere dem naturmifienfchaftlichen , ſeindlich 
entaeaentreten, ihn wirklid überall beeinträchtigen und verbrängen, wo fi 

Sadet thun können. Solche Männer taugen nun und nimmermeht 


Die Aufern Angelegenheiten. ber Volkoͤſchuſle ꝛc. 883 


zu Sculauffehern für bie gegentwärtige Zeit. Mit Freuden muß daher 
Jeder Einrichtungen begrüßen, mie fie in den letzten Jahren im Herzogthum 
Gotha und im Großherzogtum Baden für die Schule getroffen worden 
ſind; der Segen derſelben wird nicht ausbleiben. 

Die Ortsſchulvorſtände, die ſich in einzelnen Ländern finden, 
haben es in der Regel nur mit den äußeren Angelegenheiten der Schule 
zu thun. Sie lönnen viel zum Gedeihen der Schule beitragen, wenn fie 
ihre Aufgabe ernftlich nehmen und den guten Rath der Lehrer berüdfichtigen. 
Barum follten diefe auch in keinem Ortsfchulvorftande fehlen. 


9. Die Schulgefeßgebung. 


Die Schulgeſetzgebung ift etwas, mas nirgends recht im 
Deutichland gedeiben will. In Heineren Staaten bat man bier und da 
einen leivlihen Anfang damit gemadt, in größeren, ſelbſt in Preußen, 
befien Schulweſen fonft eine hervorragende Stelle in Deutfchland einnimmt, 
fehlt ein durchgreifendes Schulgefeg noch ganz. Es bat gewiß feine 
großen Schwierigleiten, für einen großen, aus ſehr verfchievenen Elementen 
zufammengejegten Staat ein brauchbares Schulgeſetz herzuftellen; aber es ge: 
winnt doch zumeilen aucd den Anſchein, als wäre ven Regierungen ein 
foldes unbequem, indem es das Negieren mit freier Hand mehr als er: 
wünicht beihräntt.e Wenn man aber eine zeitgemäße Geſetzgebung für alle 
anderen Staateinftitute und Staatsverhältnifie für nöthig erachtet, fo follte 
man fie doch der Schule, der das Zoll feine Bildung verdankt, nidt 
länger vorenthalten. Cine Reihe von unangenehmen Erſcheinungen, unter 
denen die willlürlihe Behandlung der Lehrer Durch die infpicirenvden Geiſt⸗ 
lihen bereits eine traurige Berühmtheit erlangt hat, würden durd ein guids 
Schulgeſetz bejeitigt werden. 


10. Die pädagogifche Literatur. 


Die pädagogiſche Literatur hat in ben lebten zwei, bei 
Decennien einen Auffhmwung genommen, wie nie zuvor. Bas Zeitjchriften- 
weſen blüht; die Schulbücher treten jo maſſenhaft auf, daß man in Gefahr 
fommt, von ihnen erbrüdt zu werden, bejonder® von Leſe⸗ und Rechen: 
büdhern, zu deren Abfafjung fib ‚nahezu Jeder befähigt glaubt. Ber 
vierzig, funfzig Jahren wurden Zeitidriften und Schulbücher borzugsweife 
von Geiftlihen, die irgend eine Stellung zur Schule hatten, herausgegeben; 
jest find es vie Volksſchullehrer felbft, die Beides in der Hand haben. 
Wenn irgendwo, jo bat ſich bier der Volksſchullehrerſiand von der Geiſtlich⸗ 
feit emancipirt; und das gereicht ihm zur Ehre. 

Sn den Beitfchriften berricht im Allgemeinen ein frifcher, freier Geift, 
wie er den Bollsfchullehrem im Ganzen eigen ift; nur wenige berjelben 
flimmen einen frömmelnvden Ton an oder Juden ihre Hauptaufgabe in ver 
Pflege der Orthodoxie. Die kleineren Blätter, die in erfter Linie pro⸗ 
vinziellen Bebürfnifien und unter diefen ganz beſonders den materiellen 
genügen wollen, leiden nicht jelten an Stofjmangel, bringen daber oft recht 
dürres Zeug, gemöhnlih nur lobende Recenſionen, da ihren Necenfenten 
meiſtens die Sachlenntniſſe abgeben, werden auch wohl zumeilen ber 


584 Die äußern Angelegenheiten ber Vollsfchule ır. 


‚Zummelplag für perfönliche Bänlereien, wie befanntlic; Keinem ſchlechter on: 
ſtehen, als den Lehren. Es wäre fein Ungläd, wenn das eine ober 
andere biejer Blätter nom Schauplatz abträte unb dem Belleren ben Ein: 
tritt geflattete. Lehrer, welche fich auf bie Lectüre diefer Beitfchriften be 
ſchraͤnken, fteben in Gefahr, einfeitig, provinziellebefhräuft zu werden, einem 
fhlimmen Gorpsgeift zu verfallen. Cin Blatt von allgemeiner Tendenz. 
wie 5. B. die Allgemeine deutiche Lehrerzeitung, follse jeder Lehrer neben 
‚feinem Brovingialblatte leſen. 

Diefterweg wünfchte den Lehrern neben den ernften Echulzeitungen 
noch einen „pädagogifhen Kladderadatſch“, ver ladend die 
Wahrheit fage. Herr Hermann Görwig hat einen folden ſeit 1861 
in Stadtſulza unter dem Titel „Erbolungsftunden der lachenden Philoſophie 
für gemüthliche Vollsſchullehrer und alle Freunde des Standes ‘‘ erjcheinen 
laſſen. Obwohl Diefterweg dieſen Kladderadatſch bei feinem Erſcheinen 
enpfoblen bat, jo müflen wir body bezweifeln, daß derfelbe in feinem Sinne 
redigirt worden if. Es iſt gewiß eine umgemein ſchwierige Aufgabe, ein 
ſolches Blatt zu fchreiben. Man merkt den Wigen gar zw leicht das Ge 
machte an. 

Unter den Shulbühern finden fi jet ganz vortreffliche für ale 
Fächer, ſowohl für Lehrer als für Ehüler. Doc fteben wir bier bavon 
ab, einzelne zu nennen; der Zahresberiht führt fie ohnehin in allen feinen 
Bänden auf. Zu bevauem ift nur, daß die Lehrer immer noch gendtbigt 
find, vorzugsweife nad den Büchern zu greifen, die für einige Groſchen zu 
haben find. Solche Bücher mögen für Dies und Jenes gut jein, zum 
fördernden Studium taugen fie in der Regel wenig, treten bemfelben oft 
bindernd in den Weg. 

Welch einen Reichthum von Lehrmitteln zur Beranfjdar: 
lichung des Unterrihts, namentlih des gefammten Realumterridts, 
wir befigen, das bat die Ausftellung derſelben auf der Allgemeinen 
deutſchen Lebrerverfammiung zu Leipzig im Sabre 1865 gezeigt. Ber 
dem Büchermarlte etwas fern ftebt, der muß erftaunt fein über den Neid: 
thum, der dort entfaltet worden war. Und dod war bas nur ein lleinet 
Theil von den wirklid vorhandenen Lehrmitteln Möchte doc nur vedi 
bald jede Volklsſchule das Beſte davon haben und zum Ruben der Jugend 
verwenden ! 


+ Diefterweg + 


Zu dem Aufihwunge, den das deutſche Schulweſen in ven lepten 
vierzig Jahren genommen, haben zwar Viele beigetragen: Behörden, Lehrer, 
Gemeinden, Niemand aber in fo reihem Mafe, wie der nun dahingeſchiedene 
Dieſterweg. Das erfennen nicht blos feine Freunde und Verehrter as, 
fondern, wie wir hoffen dürfen, auch feine Gegner. Seit 1820, we a 
Director des Eeminars in Mörs wurde, hat er fi ausſchließlich, un 
gwar mit der ganzen ihm innewohnenden Saft, dem Boltsiculneden 





Die kußern Angelegenheiten ber Volkoſchule x. 585 


yewidenet. Seine Einwirkung auf feine Böglinge war von Anfang an eine 
außesorbentlihe. Sein lebhafte, immer und immer zum Denten, zum 
Forſchen anreizender Unterricht, feine raftlofe Berufsthätigleit, fein bei jeder 
"Gelegenheit fi kundgebendes Wohlwollen erwedte die Seminariften und 
feſſelte fie für immer an ihn; nur von einem Judas unter ihnen weiß ſeine 
: Biographie zu reden, defien Namen wir nicht nennen mögen, ba bie jüngere 
Lehrerwelt ihn ohnehin ſchwerlich kennt. Schmittbenner fagt von Dieſter⸗ 
weg’ s Wirken am Rhein fehr bezeihnend: „Preußen bat am Rhein, im 
. &oblenz, Cöln und Wefel, drei furchtbare Feltungen gebaut und ausgebaut 
zum Schutz und Trutz gegen die Nachbarn und zur Sicherung bed Reiches. 
Über es hat eine andere aufgetbürmt, die ift noch ftärfer und nod- feiter, 
das ift die Eultur des Volles. An diefer nun bat der Dr. Dieſterweg 
bauen belfen und beim Geniewejen tüchtige Dienfte getban, wie er bemm 
ein tücdhtiger Meiſter ift in Licht und Feuerwerk.“ 

Dieftermeg’s pädagogiſche Thätigleit nah Außen bin, für Das ge 
fornmte Deutihland und weit über feine Grenzen hinaus, beginnt mit ber 
1827 erfolgten Gründung der Zeitfchrift: „Rheinische Blätter für Erziehung 
und Unterricht.” Die Wirkung derjelben war glei von Anfang an eine 
außerordentliche. Der Grund hiervon war nicht in den gelehrten Abhand⸗ 
lungen über Erziehung und Unterriht zu ſuchen, obwohl diefe auch zu 
keiner Zeit darin fehlten, ſondern in ber frifhen, anregenden Sprade, in 
der insbejondere alle von Diefterweg jelbft herrührenden Aufſätze geſchrieben 
‘waren, dann aber aud darin, daß er es verftand, die Gegenftände "zur 
Sprache zu bringen, welde die Intereſſen des Lehrerfiandes am lebhafteften 
berührten. Ich babe die Rheiniſchen Blätter von Anfang an bis bemt 
gelejen und kann verfihern, aus feinem Werte fo viel Päbagogit gelernt 
zu baben, dur keins fo zum MWeiterftreben, zum Streben nad hödyfter 
Vollendung, zur Berufötrene, zu gemeinfamer pädagogischer Thätigleit an: 
geregt worden zu fein, als durch fie. Lange Jahre hindurch habe ih 
jedes neu erjchienene Heft ſtets in einem Zuge durchgeleſen, felbft wenn ich 
fie erſt am fpäten Abend erhielt. So ift es aber natürlich nit blog mir, 
fo iſt es Zaufenden von deutſchen Lehrern gegangen; Alle waren jeine 
leenbegierigen, feine vantbaren Schüler. 

Neben den Rheinifhen Blättern erſchienen feine zahlreihen päpagogi: 
Shen Schriften, von denen feine Lehrbücher, wie fein Leſebuch, feine Leſe⸗ 
lehre, feine Spradlebre, fein Rechenbuch, feine populäre Himmelskunde u. a. 
‚gwar höchſt vortheilhaft auf die Umgeſtaliung des Unterrichts, auf bie 
Berbefierung der Methode gewirkt haben, im Grunde aber doch von jeinen 
Belegenheitsfchriften, wie von feiner „Paͤdagogiſchen Reife‘, feinem „Sollen 
und Wollen“, feinen Schriften gegen die preußiichen Negulative, feinem 
„Jahrbuch“ u. a. übertroffen wurden. In der Beurteilung pädagogiſcher 
Schäden war Diefterweg umübertreffih. Was er in zahlreihen Aufſätzen 
namentlich in den legten 10 — 15 Jahren über den bergebrachten Religions: 
unterricht gejchrieben, hat vielen Lehrern die Augen geöffnet und es ihnen 
unmöglid) gemacht, fernerhin einen auf Verdummung berechneten Religions: 
unterricht zu ertbeilen. Wander ift dadurch in Conflicte gelommen und 
bat darunter leiden müflen; aber das ließ fich nicht vermeiden und durſte 


586 Die äußern Angelegenheiten ber Volksfchule ıc. 


nicht vermieben werden. Dieflerweg felbit hat die Conflicte nicht gefchent, 
wenn ſich's um bie Bertheidigung einer guten Eade, oder um bie Be 
feitigung von Uebelftänden handelte. Seine religiöfe Anfıht und ſei 
Belämpfung ver Beauffihtigung der Schulen durch bie Beiftli haben 
ihm in den Reiben ber Lepteren ein ganzes Heer von Gegnern und mande 
Schmaͤhſchrift gegen ihn hervorgerufen. Aber wer kennt noch die Ramen 
ihrer Berfafler, wer bat fie überhaupt behalten wollen? Gie find längft 
vergefien, während Diefterweg’s Name ehrenvoll fortleben wird, und zit 
blos im Gebächtniß der Lehrer, fondern Aller, die dem Fortichritt buldigen. 
Roh lange hinaus wird er ihnen das Bild eines echt dentſchen Chatab 
ters fein. 

Im Jahre 1832 wurde Dieflerweg dur das Minifterium Altenfein, 
dem Preußen feine Erhebung verdankt, nad Berlin zum Director bes 
Seminars berufen. Bet feinem Einzuge in das Seminar brad die Achſe 
des Wagens, der ihm und den Eeinen diente. Das war ein fchlecter 
Anfang. Aber trog alledem entfaltete er doch bald eine berrlihe Wixtfam: 
keit. Der Ruf des Seminars verbreitete fi) weitbin. Gine Einwirkung 
auf die Berliner Lehrer und das Berliner Schulweſen gelang ihm aber 
erft ganz nah und nah. Die Ginflußreiberen dieſer Herren ſcheinen fh 
wenigfiens anfangs dem Fremden etwas fpröbe entgegengeitellt zu baben. 
Aber es gelang doch, einen Fehrerverein zu gründen, in dem Dieflerweg die 
Seele war. Mehr als vorher tritt von diefer Beit an Dieftermeg’s Streben 
bevor, den ſchon halb und halb in Vergefienheit gekommenen Beftalogi 
wieder in Grinnerung und zu Ehren zu bringen. Für ihn und Roufleau 
bat er mande Lanze in den Nheinifhen Blättern gebrochen. Die Aus: 
dauer, die Confequenz, mit der er für den Begründer des naturgemäßen und 
darum geiftentfefielnden Unterriht3 gefämpft, hat bewirkt, daß Peſialszji 
jest in aller Munde lebt, daß fein edles Streben, fein Berbienft allgemein 
belannt ift und anerfannt wird. Ganz befonders nachhaltig dafür wirkte 
bie im Jahre 1846 von ihm ‚hervorgerufene Peftalozzi-fgeier. GB entſtand 
eine foͤrmliche Peftalozzis Begeifterung. Diefterweg benugte dieſelbe zur 
Gründung von Peftalozzi: Anftalten, von Peftalozzi: Vereinen, die ſich die 
Berforgung von Lehrerwaifen und Lebrermittwen als Ziel ftedten. Die 
jelben find jet bereits über ganz Deutfchland verbreitet und vermehren fih 
mit jedem Jahre. Wer ihrer Bildung gefolgt ift, der weiß, daß Diefterwey 
zu ihrer Entitebung den Anlaß gegeben hat und daß es aljo eigentlih 
Diefterweg: Vereine find. Auch der Vorurtbeilsvolifte muß daraus ertennen, 
daß er ſich nicht blos das Belämpfen des Untauglihen, des Schäplicden 
zur Aufgabe gefegt, fondern daß er auch mit allen Aräften nah de 
Gründung von Liebeswerten ftrebte. Wenn irgend Etwas, jo ift das ber 
befle Beweis für Dieſterweg's echte Religiofität, die Zeloten, Fanatiker ihm 
jo oft haben ftreitig maden wollen, weil er den Muth batte, zu empfehlen, 
ben von ihnen mit Sorgfalt confervirten dogmatiſchen Plunder über Bor 
zu werfen, um bie Voltsfchule flott und fegelfähig zu machen. Das wid 
unvergefien bleiben, 

In diefer Zeit war in Preußen an die Stelle des Minifterimmö 
Altenftein das Minifterium Gichhorn getreten, dem bie friige Strömung, 


Die äußern Angelegenheiten ber Bolkefchule x. 187 


die Dieſterweg hervorgerufen, äußerſt unbeqiem war, weil fi} darin von 
feinem Standpunkte aus fchleht regieren .ließ. Dieſterweg follte zum 
Schweigen gebracht werden; aber dem muthigen, für Recht und Fortſchritt 
erglühten Manne ging e3 wie feiner Zeit Petrus und Johannes, auch er 
ſprach: „ih Tann es ja nicht lafien, zu reden von dem, was ich als 
richtig erfannt habe, und dahin zu wirken, daß e3 in den Köpfen hell und 
in den Herzen marm werde, und diefer Stimme, bie ich als Gottesftimme 
ertenne, muß ih mehr gehorchen, als der des Herrn Miniſters.“ Das 
führte 1847 zu feiner Entlafjung aus dem Amte, 1850 zur Penſio⸗ 
nirung. Damit war die Achſe des Schulwagens gebroden, den Diefler- 
weg felbft führte. Es mar fehmerzlih für ihn, ſchmerzlich für alle feine 
Verehrer, änderte aber in feinen Anſichten Nichts. Nach wie vor fuhr er 
fort, Front zu machen gegen alle Berlehrtheiten auf- dem Gebiete ver 
Schule, und hinzuweiſen auf das, was er als recht erlannt hatte. Grfteres 
bat der Schöpfer der preußifchen Regulative reihlih erfahren; für Lebteres 
fönnen wir auf Froͤbel binweifen, für befien Ideen er begeiflert wor⸗ 
den War. ' 


Sn den Testen Jahren fuchte Diefterweg feine pädagogiſchen Ideen 
auch im preußiihen Abgeordnetenhauſe zur Geltung zu bringen, zum Ber 
dauern aller Freunde des KFortjchrittes nicht mit fichtlihem Crfolg, mas 
aber offenbar nit an ihm, fondern an den Berhältnifien lag. Indeß 
werben feine Worte aud dort nicht vergeblid geſprochen worden fein; wie 
alle Wahrheiten, werden aud fie Samen für die Zulunft fein. 


Im vergangenen Jahre haben Berliner Lehrer den 75. Geburtstag 
Diefterweg’3 würdig gefeiert und dadurch zu erkennen gegeben, wie hoch 
fie ihn ehren. Seine Marmorbüfte ift an dieſem Tage in dem von ihm 
gegründeten Peſtalozziſtift in Pankow bei Berlin aufgeftellt worden. “Man 
fann nicht gerade jagen, daß fie nur dahin gehört; aber leider find wir 
noch nicht fo weit, fordern zu können, daß ihr ein Ghrenplag neben ben 
Statuen der Männer angemwiejen wird, „vie fi um das Vaterland ver: 
dient” gemacht haben, neben Scharnhorft, Gneiſenau, Blüher. Das kommt 
fpäter. Bor der Hand mögen ſich die Lehrer darauf beſchränken, die nad) 
jener Marmorbüfte angefertigte Gypsbüfte in ihren Arbeitszimmern aufzus 
ftellen, um fi bei ihrem Anblid für ein Etreben zu begeiltern, das 
‚ Dieftermeg 6 würdig ift, das ihn ehrt. Das wird ber bejte Dank fein, 
den fie ihrem Meifter bringen können. 


Mas die Volksſchule und ihre Lehrer an Diefterweg verloren haben, 
brauchen wir bier nicht noch befonder® beroorzuheben. Jedermann weiß, 
daß er zu den Bollenveifien auf dem Gebiete der Erziehung und bes 
Unterrichts gebörte, daß er der treuefte Freund der Lehrer, ihr und ber 
Schule Wortführer war, für ihre Bildung und Eelbftändigteit fämpfte und 
“fie zur Selbfthülfe für ihre Wittwen und Waiſen vermodht bat. Wir treten 
wohl einem zu nahe, wenn wir fagen, daß wir jeßt Niemand haben, ber 
uns ihn aud nur einigermaßen erfehen könnte. Uber geloben wollen wir 
ihm, in feinem Geifte fortzuarbeiten, nad allen Richtungen bin auszuführen, 
was er begonnen bat. Dazu möge uns Gott beifen! 


588 Die äußern Angelegenheiten ber Velksichule x. 


Diefterweg. wurbe am 29. October 1790 in Giegen geboren. Ja 
Herborn in Naſſau und in Zübingen ftudirte er Theologie, widmete ſich 
aber bald der Pädagogit. Bis 1812 war er Hauslehrer in Mannheim, 
dann zweiter Lehrer an der Ecole secondaire in Worms, 1818 bis 1818 
Lehrer an der Mufterfhule zu Frankfurt a. M. 1818 zweiter Rector ber 
lateiniſchen Stadtſchule in Elberfeld, 1820 bis 1832 Director des Semi 
nars in Mörs, von da an bis 1847 Director des Seminars für Stabi: 
schulen in Berlin. Er ftarb am 7. Juli 1866 an ber Cholera, bie we 
nige Tage vorher jeine Gattin bingerafit hatte. 


2. Die einzelnen deutichen Staaten. 
I. Preußen. 


1. Lebrerbedarf. 

1. Mährend in andern Berufsarten jo großer Ueberfluß an Bewer: 
bern ift, daß die Regierung warnen muß, fih denfelben zu widmen, lann 
der Bedarf an Lehrern immer noch nicht gebedt werden. Im Regierungs⸗ 
bezirt Köslin haben c. 100 Lebrerftellen mit Präparanden bejeßt werben 
müjlen. Im Etraljunder Regierungsbezirk fehlt ed fogar bier und da an 
Präparanden, fo daß ganze Gemeinden ohne Lehrer find. Wenn aud 
nicht ausschließlich, jo ift diefer Mangel an Lehrern doch hbauptjählid aus 
dem geringen Gehalt zu erllären, das die Lehrer immer noch vielfad be: 
ziehen. Nah Baftor Quiſtorp's Mittheilungen gibt es in Hinterpommern 
nod eine Menge Lebrer, deren Eintommen nicht 100 Thlr. beträgt. Dr 
Emeriten beflommen nad vielleiht 40 Dienftljahren 20 bi 40 Waler, 
die Wittwen und Waifen 15 Thle., „während die Wittwe eines ziemlid 
im Nichtsthun lebenden Bahnmärters bald zu 7%, des vollen Gehaltes ib 
res Mannes fteigt. In andern NRegierungsbezirlen herrſcht kein Lehrer: 
mangel, 


2. Lebrerbildungsanftalten. 


2. Die Zahl ver Bräparanden, melde fih zur Aufnahme in 
die Seminare melden, ift in einzelnen Landestheilen eine merklich geringen, 
als ſonſt. Da aber jährlih eine bejtimmte Zahl in jedes Seminar ein 
treten ſoll, jo ereignet es fich bier und da, daß junge Leute aufgenommen 
werden, denen e3 an der nöthigen VBorbildung und Begabung fehlt. Ja 
der Abſicht der Behörden liegt das natürlih nicht; fie bedauern vielmeht 
diejen Umſtand ſehr. 

3. Die Präparandenbildung erfolgt, wie bekannt, meiſtens 
bush einzelne Lehrer, weniger durch bejondere Anftalten. In den legien 
Jahren bat diefelbe erfreuliche Fortichritte gemadht. Die Regierungen ge 
ben ſich die dankenswerthe Mühe, den Bräparandenlehrern mitzutheilen, worauf 
fie nad ven bei ven Prüfungen gemachten Erfahrungen bei ihrem Unterridt 
das Augenmerk bejonders zu richten haben, Das Centralblau von Stiehl 

















u Bau — — cr ru va 


Die Kußern Angelegenheiten der WVolboſchule ꝛ. 589 


enthält in dem Jahrgange von 186% drei hierauf bezügliche Verordnun⸗ 
gen, naͤmlich von den Regierungen zu Königsberg, Breslau und Trier. 

Die Verordnung der Regierung zu Königsberg (Heft IL.) ift durchaus 
tm Sinne der guten modernen Pädagogik gehalten, und vervient daher die 
ſorgfaͤltige Beachtung der Präparandenlehrr. Nach verfelben jollen . vie 
Präparanden burhjchnittlih jeden Wochentag wenigitend drei Unterrichts⸗ 
Hunden erhalten, die fayriftlichen Arbeiten und Vorbereitungen nad einem 
beftimmten Plane ausführen und nicht gu viel Beit auf das Hofpitiven 
und Helfen in der Schule verwenden. Die Kreis⸗Schul:⸗Inſpectoren ſollen 
die Präparanden von Beit zu Seit gründlich prüfen. Der Unterrichteftoff 
foll denkend verarbeitet werden. Seine Gefchichte, kein Lied, fein Stud 
aus dem Lefebuche foll aufgegeben werben, welches nicht zuvor zum anges 
meſſenen Berftändniß gebracht worden if. „Auch ſchriftlich find die Er⸗ 
gebnifje des Unterrichts darzulegen, fo Daß kein Tag ohne derartige Aus⸗ 
arbeitungen bleibt. Es muß eine vorzüglihe Sorge jedes Präparandens 
lehters fein, den fchriftliden Ausdruct der Zöglinge durch fortgehende 
Uebung in dee Verarbeitung des Unterrichtsſtoffes zu fördern.“ Ganz be 
ſonders wird hervorgehoben, auf gutes Leſen und Erzaͤhlen zu halten. In 
Geographie und Geſchichte fcheint das Lefebuh maßgebend fein zu follem. 
Für die Naturgefchichte wird die „richtige Beobachtung“ ala die Hauptjache 
bezeichnet. Nach den ebenfalls beachtenswerthen Mittheilungen der Bres⸗ 
lauer Regierung (Heft 4) lafien die Präparanden in der Naturkunde nody 
viel zu mwünfhen übrig. Nach derſelben find auch die muſilaliſchen Leiſtun⸗ 
gen der Aſpiranten noch nicht befriedigend, eben ſo die im Zeichnen und 
Schreüben. Nach den Beobachtungen, welche im Regierungsbezirk Trier 
gemacht worden find (Heft 11), zeichnen ſich beſonders die Praͤparanden 
portBeifhaft im Wiſſen und Können aus, welde bereits an Winterſchulen 
und Beinen Nebenfchulen gearbeitet haben. Die Regierung wunſcht jedoch 
darum nicht, daß man die Präparanden in zu jagendlichem Alter in ber 
Säule verwende, worin wir ihr auc im Intereſſe der Schulen beipflichten. 

Ale drei Regierungen fordern die Präparandenlehrer dringlich auf, 
sur ſolche junge Leute aufzunehmen und zu behalten, ‚Die einen fichtlichen 
innern Trieb zum Lebrfahe haben, fleißig und zuverläjiig find und jeden⸗ 
falls. volllommen ausreihende Befähigung befigen.‘‘ 

Ob die in Preußen jept bellebte Art der Präparandenbildung vie befte 
ift, Iafjen wir wahingeftellt fein. Die Aufgabe ift eine fchwierige und wird 
vieleicht noch in keinem deutihen Staate ganz befriedigend gelöft. 

: 4. Wir find bisher der Meinung geweim, daß‘ in Preußen nur 
Boltsjchullehrer angeftellt werden, die einen vollitändigen, wenn auch nım 
zwetjäbrigen Seminarkurfus durchgemacht haben. Gin Artilel „Leber das 
Zortarbeiten und Präpariren des Volksſchullehrers“, der fih im 6. Jahr⸗ 
gange (1865) der „Berliner Blätter’ findet, bat biefe Anfiht als eine 
irrige erfennen lafien. Wir lafien das Aufſchluß gebende Stüd hier folgen. 
Seite 119 beißt es: „Wir begegnen brittend Lehrern, — und fie finden 
ſich häufiger noch als die beiden ſchon vorher ſtizzirten Klaſſen — melden 
vie bittere Armuth und der drudende Mangel alle Berufdfrendigleit rauben, 
deren Kopf und Herz fo ausſchließlich von ber Sorge um bes Leibes Nah: 


590 Die äußern Angdegenbeiten ber Vollaſchule x. 


rung und Nothdurft, um das Auskommen beberefcht werben, dab fie an 
Vortarbeiten und Präpariren faum noch denken; Gifer und Kraft zur Ar 
beit ſcheint bei ihnen gänzlich verloren zu fein. Mit Seufjen treiben fie 
ihr Tagewert oder vertommen in der Miföre, der der Kleinhäusler fid fo 
oft überläßt, wenn er des Lebens Noth und Prangfale vergeſſen will 
Das find doppelt bellagenswertbe Leute, wenn feitens der nädften Berge 
festen, der PBaftoren, nichts Erwedendes, nichts Aufmunterndes ihnen gebo: 
ten wird, wenn leine Spur von Hirtentreue bei denen ſich findet, an welche 
fie zuförderft gewiefen find, wenn ihnen da nur der ftudirte Piarrberr, der 
tabelnde Nevifor entgegentritt, fein Förderer und Helfer in der Arbeit. — 
In diefer Lage befinden fi bejonders viele von denen, welche erft in den 
zeiferen Mannesjahren, zuweilen fogar als ergraute Familienvaͤter Schul 
meifter werben wollten und ale fogenannte Schulamtsbewerber ſich bei einem 
Bräparandenlebrer in möglichit kurzer Zeit für das Cramen abrichten lieben, 
entweder weil ihr Handwerl, ihr Geſchaͤft nicht mehr recht ging, oder weil 
Hochmuth und Ghrgeiz fie trieben, und ihnen die Stellung eines in jeinen 
Gintünften fiher geitellten Schulbeamten gar zu lodend erjdien ober von 
andern fo vorgeipiegelt wurde, abgejeben von ſonſtigen, nichts weniger 
als löblihen Gründen. Und leider ſcheint man an manchen Orten ver 
zugsweife gerade auf foldhe Leute bei Belegung der Stellen Rüchſicht zu 
nehmen und ihnen beim Umjatteln erheblich Vorſchub gu leilten. Zu dem 
Umkreis weniger Meilen könnten wir mehr ald 30 Ortſchaften nennen, 
wo teine ſeminariſtiſch vorgebildeten Lehrer angeftellt find, jondern 7 fai- 
bere Schneider, 4 Kaufleute rejp. Commis, 4 Tiſchler, 3 Schufter umd 
die übrigen aus dem Stande der Gärtner, Bucbinvder, Schiffszimmerleute, 
Schmiede, Matrofen, Soldaten, Bojamentirer u. f. w. Und in einer nam 
baften Provinzialftadt eriftirt noch jeßt die nur von einem Lehrer befbrate 
Bräparanden-Anftalt, deren Zöglinge jene gewejenen Handwerker, Kaufleute, 
Golporteure u. ſ. w. zum größten heile einft waren. Zur Zeit ihre 
Blüthe zählte fie Uber dreißig Schüler, von denen in dem einen Jahrgange 
etwa funfzehn und in dem andern fogar nur neun fih zur Aufnahme in 
das Seminar vorbereiten ließen, die übrigen, aljo die große Mehrzahl, 
meldete ſich fogleich zum Bewerber: Cramen. Gegenwärtig find unter den 
Präparanden diefer Anftalt vier .in dem Alter von 28 bis 33 Jahren.” 
„Sit es befremdlih, daß bei diefen fo nothrürftig fürs Schulamt 
vorbereiteten Leuten, für welche der Lehrerberuf oft nichts. weiter ift als ein 
böberes Handwerk, Luft und Liebe, Eifer und Unfttengung verjchwinden, 
wenn fe ſich ſelbſt überlajlen find und ihre Erwartungen und Hoffnungen 
in Bezug auf äußerliches Wohlergehen jämmerlicy getäujcht werben? Mur 
vend und unzufrieden treten fie in die Klaſſe und verfehen als untreue Miet 
linge einen Dienft, ben fie in ven feltenfien Fällen aus innerem Drange 
eeitrebten. Ich möchte mir erlauben, aus der Nachprüfung eines ſolchen 
Bewerbers, der bereitd mehrere Jahre im öffentlihen Amte geftanden, ein 
Brucftüd mitzutheilen. Die Kritik bleibt dem freundlichen Leſer überlafjen.” 
„Seminars Lehrer: Zreiben Sie in Ihrer Schule Baterlanpstunde? 
Graminand: Nein, Heimatbötunde. 
S.⸗LE.: Was fagen Sie darin Ihren Kindern? 














Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule x. 391 


@.:.Run, ich erzähle ihnen von den Himmelsgegenden. 

S.⸗L.: Wie machen Sie das den Kindern Mar? 

G: Ru, ic fage zu dem Knaben, ſiehe, rechts von bir ift Often, 

S.⸗L.: Wenn fih nun aber der Junge herumdreht? 

E.: (Belinnt fi) eine Weile.) Ich fage ihnen, wo die Sonne auf 
gebt, Kinder, da ift Often. 

S.⸗L.: Wie können Sie ftatt Dften jagen? 

E.: (Mit feiter Stimme.) Welten. . 

S.⸗L.: Wo ift Norden? 

E.: Wo feine Sonne jceint. 

Das Factum bat fih erft in diefem Jahre (1865) zugetragen.” 

Sole Zuflände find wahrhaft bedauernswürdig. Ich bin fehr froh, 
daß ich nicht preußischer Unterrichtsminifter bin; denn fo Etwas würde 
meine Ruhe, mein Wohlbefinden ſehr merklich beeinträchtigen, wenn ich es 
nicht in kürzeſter Friſt ändern könnte. 

5. Die Abgangs: und Wiederbolungsprüfungen der 
Vollsſchullehrer werden jest vielfah in der Weile ausgeführt, daß jeber 
Eraminand in den einzelnen Bädern einen Zettel mit einer Frage erhält, 
über die er ſich in volllommen abgerundeter Rede auszujprehen hat, for 
bald die Reihe an ihn kommt. Die Cenſur hängt von dem Ausfall der 
Antwort ab. Wehe alfo dem Armen, der nichts zu jagen weiß! Es mös 
gen beftimmte Erfahrungen zu diefem Verfahren geführt haben. Nach den 
Erfahrungen, die ich felbjt bei zahlreichen Lehrerprüfungen gemadt babe, 
muß ich daſſelbe verwerfen. Nein Craminand kann Alles willen und be 
antworten, wonach ein Sraminator fragt. Unterbält Lebterer ſich aber in 
woblmollender Weile mit ihm, fo wird er nad Verlauf einiger Beit erken⸗ 
nen, wie es mit deſſen Willen ausfiebt. Darnach mag er ihn dann cen⸗ 
firen. Bet diefem Verfahren darf man aber freilich nit 20 bis 30 Exa⸗ 
minanden vor fih haben, fondern höchſtens A bis 5. NKürzt man die Zeit 
dann nicht gar fo fehr ab, fo kann man von Jedem ſich ein Urtbeil bil 
den und Jedem gerecht werden. 

Die 20fte Nummer des „Schulblattes für die Prov. Preußen” (1865) 
enthält einen ausführlihen Bericht über eine Wiederholungsprüfung, welche 
unter dem Vorſitz des Schulrathes Bock in Königsberg abgebalten worden 
iſt. Die, fehriftli geftellten Fragen find darin mitgetheilt. Wir können 
diefelben hier nicht wiedergeben, theilen jedoch die nachſtehende kleine Probe 
daraus mit. Seite 167 heißt es: „Den Schluß des mündliden Examens 
bildeten Fragen nad wirklichen Volksſchriften und nah Biographien ber 
BVoltsfchriftfteller.. Es murde u. a. gefragt nah Horn (meldem?), He. 
bei, den Brüdern Grimm, Jerem. Gotthelf, ihrem Leben und ihren 
Werten. Bon Lepterem wußte Niemand etwas. Auf die an einen gerich- 
tete Frage, ob er Hebel kenne, antwortete der junge Vollsſchullehrer (er 
if doch jedenfalls mindeflens drei Jahre im Seminar geweſen? —) ehr 
vergnügt, er kenne einarmige und zweiarmige Hebel. Als man ihm 
Hart machte, daß es fi bier nicht um den Hebel der Phyſik, fondern um 
den Schriftfteller Hebel handle, legte er fofort Zeugniß ab von ber 
"empfangenen literariiden Bildung; er wußte anzugeben, daß bviefer Hebel 


592 Die üufern Angelegenheiten der Bolkeſchale se. 


zwei Etüde geſchrieben, das Gedicht „der Wegweiſer“ unb nen Yufias 
„ner Maulwurf”, — die jih neben andern im Slinderfreun von Preuk 
und Better befinden. Bon den Brüdern Grimm wußte der Gefzagte mit- 
jutbeilen, daß fie in Berlin gelebt und „Risvergefchichten” geidhrieben 
hätten.“ 


Hiernady zu urtheilen, wird es dem Herm Schulrach Bod gicht Tchwer 
en m grobes Berdient um das Cänimejen ber Provinz "Breuben zu 


Nach dem „Edulblatte” von Sad bringen die katholiſchen Ele 
mentarlebrer in der Mehrzahl eine geringere Bildung aus ben Seminaren 
in das Schulfach mit, als die proteftantiihen. (1865, 6. 239.) 

6. Seminariften, die aus einem Seminar verwiefen werben find, 
ohne fie jedod für immer vom Schuldienft auszuſchließen, dürſen fich pri⸗ 
vatim auf Die Lehrerprüfung vorbereiten und dann ihre Zuleflung gu der 
jelben bei ver betrefienven Regierung beantragen. Die Zulafiung wir 
jevod von der Genehmigung des Untersichtsminifiers abhängig gemadı. 
(Stiehl, Gentralbl. 1865, Heft 12.) 

7. Bu Erin im Regierungsbejirt Bromberg if ein latholiſches 
Scullehrer:Seminar für 80 Zöglinge gegründet und am 15. Dctbr. 1865 
mit dem erften Cötus von 26 Zöglingen eröffnet worden. 


3. Lehrer. 
Allgemeine Berbältniffe, 


8 Am 1. Dctbr. 1864 wurde in Pr. Friebland ein neues Semi⸗ 
nar eröffnet. Herr Schulrath Bock bielt vie Ginführungsrebe. Darauf hielt 
der neue Director Schu Is, früher Paftor, eine Antritterede. Auf Grund 
der Tertesworte „Lafiet die Kindlein zu mir kommen zc.” ſchilderte er das 
Amt der Seminarlehrer, den BZwed des Seminars, vie Ihätigleit der 
Böglinge und das Amt ver Glementarlehrer. „Die Hinderniffe treuer 
Lehrer im Amte find nad den Ausführungen dieſes Herm Seminar: 
directors: 1) die Demofraten im aufgellärten Geile, 2) die freifiunigen 
Eltern, die von Religion nidts willen wollen, 3) die Dummen, die jeihf 
nichts wiflen und um ibre Elternpflichten ſich nicht kümmern.” (Schulbl. 
f. die Prov. Preußen, 1865, ©. 15.) 

Das klingt fait fanatiſch. Eiferer diefer Art follte man nit an bie 
Spitze fo wichtiger Anftalten ftellen. Für die Antrittsrede eines Seminar: 
birectord gibt e8 kaum ein paflenberes Thema, als die Frage: „Welches 
ft Die Aufgabe des Seminars 2“ 

9. Erfeeuliher als die vorhergehenden Bemerkungen iſt eine Kurze 
Charalteriftil der Lehrer der Prov. Preußen, melde der Her 
ausgeber des eben citirten „Schulblattes“ gibt. Seite 19 beißt es dafelkk: 
„Seit etwa vier bis fünf Jahren ift unter den Lehrern in Preußen eine 
Bewegung hervorgetreten, die fi würdig allen andern Bewegungen der 
Reuzeit auf ſocialem Gebiete anſchließt, und deren Bedeutung zu unten 
ſchaͤtzen Leichtfinn wäre. Troß aller Hindernifle, die ihnen entgegenflehen, 
limpfen die Lehrer doch muthig und mit größter Ruhe uns Beſonnenheit 











Die Aufern Angelegenheiten ber Volkeſchule x 593 ° 


für den Fortſchritt der Volksſchule, und ohne Furcht erörtern fie Fragen 
über Erziehung und Unterriht, über die Zuftände und Verhaͤltniſſe der 
Schulen, über ihre eigene perfönlihe Lage und Stellung, wiewohl ihnen 
die Berechtigung zu alledem heftig beftritten wird. Sie haben fo gut wie 
andere Kategorien der Gefellichaft das Prinzip der Selbfthilfe kapirt, 
und da fie und die Ihrigen noch immer bie bitterfte Noth, ja das nadtefte 
Elend in fiherer Ausfiht haben und Niemand, durchaus Niemand ernftlich 
daran denkt, unleugbare Pflichten gegen fie zu erfüllen; jo fuchen fie fih 
felber zu helfen, fo weit es ihre allerdings beſchränkten Mittel erlauben. 
Für die Wittwen und Waifen forgen fie mit beifpiellofer Energie durch 
immer wiederholte Anträge auf Reformirung der Departements:Unterftügungs» 
Kofien, durch Gründung privater Witten : Unterftüßungs » Kafien und der 
Beftalozzi= Bereine; um ihrer eigenen Noth im Alter zu begegnen, geben 
fie eben damit um, Benfions: Hafen zu gründen; ihr Vermögen endlich 
fuhen fie durch eigene Vereine gegen Yeuersgefahr fiber zu ftellen. Sind 
das nicht bedeutende Symptome eines vorwärts ftrebenden Geiftes unter 
ihnen, einer Selbftändigleit im Denken und Handeln, die nicht ohne Fol: 
gen auch auf die weiteren Kreife der Geſellſchaft bleiben können 2” 

Dies Schöne Bild erinnert uns an Nathans (Leſſings) Wort: „Zraun, 
ein ſchöner Titel!” Mögen fih die preußijchen Lehrer überall und immer 
fo ermeijen! 

10. In manchen Provinzen befteht die Anordnung, daß bei Bes 
feßung vacanter Schul: oder combinirter Schul: und Küfterftellen die für 
fie ermählten oder beitimmten Perfonen angemwiejen werden, eine fogenannte 
Sſchul⸗ und im entfprehenden Falle auch eine KRüfterprobe an Drt 
und Stelle abzuleiften. Dieje Einrihtung bat den alleinigen Zweck, 
den bezüglihen Gemeinden Gelegenheit zu geben, nad der Berufung des 
Lehrers oder des Lehrers und Küfters mit ihm und feiner Tüchtigfeit für 
fein Amt durch feine perjönliche Vorftellung nähere Belanntfchaft zu machen, 
und, falls begründete Aufforderung ſich dazu ergeben follte, gegen feine 
Anſtellung mit dem, was gegen feinen Wanvel ober feine Lehre zu fprechen 
fcheint, Einſpruch zu erheben. Dieſer Zwed ift in einzelnen Fällen ver 
kannt worden. Hier und da find nämlich dieſe Proben als abzunehmende 
Prüfungen, deren Grgebniß über die Fähigkeit zur Anftellung Entſcheidung 
bringen jolle, angejehen und behandelt worden, Dieſer Anſchauung tritt 
bie Behörde entgegen und bringt in Grinnerung, daß nur fie zur Erthei⸗ 
lung 5) Prüfungszeugnifien berechtigt fei. (Stiehl, Gentralbl. 1865, 
S 425. 

41. Die Lehrer der Provinz Preußen befaßen in ihrem „Volks⸗ 
ſchulfreund“ bis Ende 1864 ein unabhängiges Schulblatt, das lange 
beftanden bat und zuleßt von dem Prediger Voigdt und den Lehren 
El ditt und Better redigirt wurde. Der neue Schulrath Bod und ber 
Seminardirector Dembomsty haben den Perleger des Blattes gegen 
den Schluß des Jahres aufgefordert, ihnen die Redaction defielben zu über: 
tragen, wibrigenfalls fie ein neues gründen und alle 14 Tage erjheinen 
lafjen würden. Neben einem folhen Regierungsblatte, das ohnehin 
noch vem Lehrer » Gmeritenfonds eine Einnahme gewähren folle, konnte der 

Pan. Jahreiteriht. XVIIL 88 


» 594 Die äufern Angelegenheiten ber Volleſchule ze. 


alte „Bolksihulfreund‘ natürlich nicht beftehen; in Folge einer Aufiorde 
zung des Verlegers legten daher die oben genannten Herren die Rebartion 
nieder. (Sad, Schulbl. 1865, ©. 50.) Den Vollsſchulfteund haben wir 
fonft durch Tauſch erhalten; von dem neuen Blatte ift uns leine Rumme 
jugegangen, daher wir ohne Urtheil über daflelbe find. Nr. 50 des End’ 
Ihen Schulblattes bringt jedoch eine Kritik defjelben, vie nicht jehr exbau- 
lid klingt. Wie wir aus Nr. 16 des Schulblattes erſehen, halten ur 
ſehr wenig Lehrer den Vollsſchulfreund, haben das freilih aud nicht nö⸗ 
tbig, da die Prediger ihn auf Koften der Kirdfpiel: Schultafien anſchafſen 

Denn der Herr Schulrath Bod mehr Thaten diefer Art ausführt, fo 
würfte es ihm laum gelingen, fich die Liebe der dortigen Vollsſchullehrer zu 
erwerben. 

12. Der Communallehrer » Berein in Berlin bat ein Verzeihuiß 
ſaͤmmtlicher Lehrer und Lehrerinnen an dortigen Gemeindejchulen zuſammen⸗ 
geftellt und drucken laſſen, das ein intereflantes ftatiftiihes Material dar 
bietet. Die Lehrer find nad ihrer Anciennität geordnet, und von jebem 
Einzelnen ift das Datum feiner Anftellung, die Schule und Klafſe, in wel 
her er unterrichtet, die wöchentlichen Unterrichtsfiunden, Gehalt, Lebens⸗ 
alter und Dauer der Zhätigleit vor definitiver Anftelung, Wohnung x- 
genau angegeben. Nach dieſem Berzeihnik find an den 31 Gemeindeihu 
len 31 SHauptlehrer, 247 Nlafienlebrer und 16 Xebrerinnen (für willen 
ſchaftlichen Unterricht) angeftellt; 5 Klaſſen werben interimifiih und 10 
als vacante durch Vertretung verwaltet. Die Lehrerinnen beziehen 300, 
die meiften Lehrer 400, 450 und 500 Thle. Gehalt. Tas TRarimum 
des Gehalts für Klaſſenlehrer, 750 Thlr., erhalten 13, den nädffolgenden 
Sas, 700 Thlr., ebenfalls 13 Lehrer; die Hauptlehrer haben 750 — WO 
Thlr. Gehalt. 

13. Lebrern in Mleineren Städten ift der Verlauf von Schreibmate 
rialien an ihre Schüler geftattet. 

Gehalte. 

14. Im 1. Hefte des Centralblattes ift eine Ueberficht der Gehalts: 
verbeflerungen enthalten, welde in den 12 Jahren von 1852 bie 1868 
erfolgt find. Diejelben find theils aus Gemeindemitteln, theils aus Staats⸗ 
mitteln geleiftet worden. Ihre Höhe ergiebt ſich aus folgender Ueberficht. 
Aus Gemeinde aus Staats⸗, Stifts⸗ 


Provinz. mitteln, n. a. Fonde. Summe. 
Breußen ... . . 82,139 Thlr. 10,791 Thlr. 92,930 Th. 
Vojen ......51,437 ⸗ 7,090 ⸗ 58,527 s 
Schleſien..... 93,238 ⸗ 5,138 ⸗ 98376 ⸗ 
Bommern .... 51,568 = 4,235 ⸗ 55,803 ⸗ 
Brandenburg . . 99,846 = 12,053 =: 111,899 : 
Sadien .... . 71,656 ⸗ 4744 =» 76,400 ⸗ 
Meftfalen ..... 70,886 ⸗ 4957 ⸗ 75,343 : 
Rheinprovinz. 193,411 + 19,400 ⸗ 212,811 — 
Hobenzollem . 1,343 ⸗ 181 = 1,524 ⸗ 

715,024 Thlr. 68,589 Thlr. 783,613 Ablz. 


Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule 2. 595 


. 35. Die Beſoldungen der Direetoren und Lehrer an Schule 
lehrer: Seminarien find unterm 1. Febr. 1864 folgendermaßen feſtge⸗ 
ſtellt worden. 

1) Die Normal⸗Beſoldungen der Directoren und Lehrer betragen; 

A. für die Directoren ; 

an den Seminaren zu Berlin und Königsberg 1200 Zhkr. 
an den übrigen Seminaren Bd . . - - x... 1000 ⸗ 
an den a a von 600 bi3. . 700 ⸗ 


B. für die orbentliden Lehrer: 
an bem Seminar zu Berlin 800, 700, 650, 600, 500, 


erP 


8 
400 Thlr. 
- 5. an den Seminarien mit 5 Lehrern 650, 550, 500, 450, 400 
Ihlr. 


o. an den Seminarien mit A Lehrern 650, 300, A450, 400 Zhlr. 
d. an den Seminarien mit 3 Lehrern 650, 500, 450 Thlr. 
e. an den Seminarien mit 2 Lehrern 600, 500 Thlr. 
f. an den Lehrerinnen -Seminarien mit 3 Lehrerinnen 400, 350, 
' 800 Zhlr. 
g. an den Lehrerinnen » Seminarien mit 2 Lehrerinnen 800, 200 
Thlr. 
C. für Muſterlehrer und Lehrer an den Uebungsſchulen 350 Thfr. 
D. für Hülfslehrer und Hülfslehrerinnen: 
a. an dem Seminar zu Berlin 225 Thlr. 
b. an den übrigen Seminarien . 200 = 
2) Neben der Normal: Befoldung, mithin ohne Anrechnung auf bies 
felbe, wird den Directoren, Lehrern und Lehrerinnen freie Wohnung, oder 
wo dieſe nicht vorhanden, eine baare Entfhädigung gewährt. Der Werth 
der Natural: Wohnungen wird überall: zu 10 0 des Gehalts oder der Res 
muneration berechnet, die baare Entjhädigung aber gleihfalld mit 10% 
des Gehalt reſp. der Nemuneration bewilligt. 
Bei der Feſtſtellung der Penfionsbeiträge wird der Werth der freien 
Wohnung reip. die Wohnungs : Entihädigung mit zur Berehnung gezogen. 


Peſtalozzi Vereine. 


186. Die Peſtalozzi⸗Vereine gedeihen, wie die uns vorliegenden Jah⸗ 
resberichte beweiſen, recht gut. Als eine nicht zu entſchuldigende Abnor⸗ 
mität müffen wir es aber bezeichnen, daß der ſchon oben (11) genannte 
"@eminardirector Dembomsti zu Königsberg es zu Anfange biejes 
»Jahres (18065) unternommen bat, den jegensreih wirkenden Peſtalozzi⸗ 
Berein für die Provinz Preußen zu untergraben, zu zerjtören, und zwar 
cus Dem alleinigen Grunde, weil ihm die politifche Geſinnung der Etifter 
deſſelben nicht behagt. Am 24. Yan. des genannten Jahres hat er die 
Gnperintenventen zur Verbreitung folgender Grllärung aufgefordert: „Der 
heſtehende Peitalozzi: Verein unjerer Provinz ſieht das Schulblatt für Die 
Moltaſchullehrer des Provinz Preußen als das zur Beſprechung der Ber 
eins⸗Intereſſen beitimmte Organ an, und hat die ftatutenmäßig fefigefeßte 

88* 


595 . Die äußern Ungelegenheiten ber Volkeſchule x. 


Hauptverfammlung der Mitglieder mit der fogenannten Provinzial: Lehrer 
Verfammlung vereinigt. Die Unterzeichneten fehen ſich dadurch von aller 
Einwirkung auf die Vereinsthätigkeit ausgefchlofien, da das genannte Blatt 
und die Provinzial-Lehrer-Berfammlung Tendenzen verfolgen, an denen fe 
ſich nah ihren Anſchauungen nicht betheiligen können. Indem fie deshalb 
biemit öffentlich erllaͤren, daß fie aus dem befiehenden Verein ausfheiten, 
zeigen fie zugleich ihren Gefinnungsgenofien an, daß fie zur Bildung eines 
neuen Peftalozzis Bereins zufammengetreien find, der unter Feſihaltung des 

Zwedes und der wejentlihen Beſtimmungen des alten Statuts der guten 
Sade ohne alle Nebenrüdfichten dienen und den Vollsſchulfreund als das 
Vereinsorgan anfehen wird.‘ 

. Ein foldes Unternehmen richtet fich ſelbſt. An den Lehrern ber Pro: 
ving Preußen ift ed nun, zu zeigen, daß fie das Lob verdienen, weldes 
‚ihnen das Schulblatt in der oben (9) mitgetheilten Charakteriftit ertheilt. 
In Nr. 8 fagt der Herausgeber des Scuiblattes: „Die Schreiben des 
Seminarbirectors Dembowsli erregen überall das größte Aufſehen. Alge 
‚mein fpriht mau ſich mit großem Unmillen und ſehr indignirt über die 
jelben aus. Aus der ganzen Provinz liegen Schreiben vor und zwar meill 
in fo, ſtarken Ausprüden, daß fie ſich nicht gut veröfientliben laſſen, me 
mit aber nicht gejagt fein foll, daß fie nicht recht fcharf dem Nagel auf 
den Kopf trefien. Bon Abfall haben wir bis jebt nur aus wenigen Rird- 
jpielen und einer Stadt etwas vernommen; dagegen wird fehr häufig ver 
fibert: „In unferm Kirchſpiel oder in unjerer Stadt ift fein Abtrünniger, 
Wir halten feft am alten Beftalozzi: Verein. Daß aber Herr Dembomsli 
‚und feine Partei eine große Thätigleit entwideln werden, um nicht zu er 
liegen, ift begreiflid. Die erfte von ibm abgehaltene Seneralverfammlung 
zählte fhon — 50 Theilnehmer,, darunter aber nur circa 15 Lehrer. © 
wird aber bald befier kommen; Seminardirector Zacharias in Karlene 
it mit Jämmtlihen Böglingen feiner Anftalt beigetreten. Handlungen 
diefer Art verdienen, ernften Tadel. Gin Seminarift, der aus der Taſche 
feiner Eltern lebt und Unterftügung vom Staate erhält, darf Vereinen, de 
Gelobeiträge fordern, nicht beitreten. 


4. Schulgemeinden. 


. 17. Bon der Generalverfammlung der katholiſchen Vereine 
Deutihlands find folgende zwei Anträge angenommen worden: 1) Die 
Verſammlung erblidt in dem Schulzwange einen unbeilvollen Eingifi 
in die Rechte der Familie; 2) fie fordert die katholifchen Vereine in der 
Ländern, wo Schulzwang befteht, auf, die geſetzliche Befeitigung deſſelbes 
anzuftreben. 

Ueber dies vermerflihe Streben ift ſchon oben bei Beſprechung be 
einjhläglihen Schrift von Lulas (|. S. 307 u. f.) die Rebe geweſen. 
| 418. In dem Gentralblatt von Stiehl (1865, 6. 617 u. f.) fie 
Abbildungen von Subfellien für Kinder von 5—7, 8—10 we 
11—14 Jahren enthalten, die Beachtung verdienen, wo es ſich um Ne 
anſchaffung von Baͤnken und Pulten für Glementarfchulen handelt, 





Die äußern Angelegenheiten ber Volfsihule x. 597, 


Aunch die paͤdagogiſche Section der ſchleſiſchen Gefellihaft für vater 
ländifche Eultur bat über dieſen Gegenſtand wichtige Ermittlungen angeftellt 
und durch den Drud veröffentlicht. 


5. Schulauffidt. 


19. „Um in die von ben geiftliben Lobal⸗Schulinſpectoren 
auszuübende Schulaufſicht einen feiteren Halt, eine größere Blanmäßig: 
feit, einen organiſcheren Yufammenhang und eine intenfivere Wirkjamteit 
za bringen“, bat die Regierung zu Merjeburg angeordnet, daß jährlich 
über jede Schule ein umfafiender Schulberiht an den Ephorus erflattet. 
werden fol. Die dabei zu nehmenden Gefichtäpunlte find fpeciell feftgeftellt: 
und auch die Lehrer davon in Kenntniß gejebt worden. Die ganze Ber: 
ordnung Tann als eine bebeutende, vortheilhaft auf die Schulen wirkende 
bezeichnet werden; wir theilen daher das Hauptjächlichfte Daraus mit. (Stiehl, 
Gentralblatt 1865, 3. Heft.) 


Borfragen. 


Wie viel wöchentliche Unterrichtsſtunden erhält jede Abtbeilung und 
zu welder Tageszeit ? 

Iſt ein vollfländiger linterrihtsplan mit genauer Abgrenzung der 
Lehrziele für die einzelnen Abtheilungen feftgeflellt und vom Superintenben« 
ten genehmigt ? 

Wird das Schultagebuch überfihtlih und genau geführt? 

Macht der Lokal⸗Schulinſpector bei jedem Schulbeſuch feinen Vermerk 
darin? Wie oft hat er hiernach im lebten Schuljahre die Schule beiucht?. 


Den Unterriht Betreffendes. 
Einrichtung der Morgenandacht, mit weldher der Unterricht eröffnet wird. 


I. Reltgionsunterricht. 


A. Die Unterklaffe. 


Wie iſt der Unterrichtsftoff in Bezug auf bibliihe Geſchichte, Katechis⸗ 
mus, Spruh, Lied und Gebet feftgeftellt und vertheilt? — Wie viel’ 
bibliſche Geſchichten aus dem Alten und Neuen Teftament insbejondere 
werden zur Aneignung gebradht und nad welchem Geihihtebuhe? — 
Melde Stüde aus dem Natehismus werden eingeübt? — Sind die 
Wochenſprüche feft beftimmt, und nah melden Gefichtspuntten? — Sind 
die Lernſtoffe feft eingeprägt? Wird das Gelernte deutlich und finngemäß 
aufgefagt, — einzeln und im Chor? Zeigt ſich ein dem Standpunkte der‘ 
Kinder entfprechendes Berftänpniß? — Wie verfleht es der Lehrer, ſich gu 
den Kleinen berabzulafien, fie innerlih anzufafien und zu fürdern ? 


B. Die GOberklaffe (mit der Mittelllajle). 
1. Bibliihe Geſchichte. 
Wie iR der gefammte Stoff der biblifhen Geſchichte in balbjährige’ 
Gurfen unter Bezugnahme auf die Ordnung des Kirchenjahres vertheilt? — 





00 Die äußern Angelegenheiten ber Vollksſchule ıc. 


der Finder nah Deutlihleit und Schönheit auf ber Schiefertafel, im 
Schreibebuche? Wie fteht’3 um die Torrectur des Geſchriebenen in ven 
Schreibebühern duch den Lehrer? Wie find die Schreibebüher äußerlich 
gehalten? Sind die Umfchläge frei von Anftößigem in Wort und Bild? 
Merden die Bücher im Schulſchranke aufbewahrt oder mit nah Haufe ge 
geben? Wird auch nah gebrudten Vorlagen und nah Diktat gefchrieben? 
Wird, und mit welchem Grfolge, Taltſchreiben geübt? 

3. Sprade. Wird der Epradunterriht an's Leſebuch und zwar an 
ausgewählte Stüde gelnüpft? Wird bei Einführung in das fogenannie 
logiſche Verftänpnig unnübes Hins und Herreden vermieden? Wird bei 
Ginführung in das grammatifche Berftänpniß ein beftimmier Gang ver 
folgt? Wie ſteht's bei den Kindern um Kenntniß der Mörterllafien (Wort⸗ 
lIebre)? Wie um die Einfiht in den Bau der verjdhiebenen Saßformen 
(Saplehre)\? Wie weit find die Kinder geübt, beftimmte Sapformen münd: 
lich und fchriftlih nadzubilden? Wie weit find fie im Stande, Gelefenes 
mündlih und fhriftlid zu reproduciren? Wie weit find fie in münbdliches 
und fchriftliher Darftellung eigener Gedanken geübt? Welcher Art find die 
Auffäge? Hat der Lehrer eine beitimmte Stufenfolge für die Aufgaben? 
Wie ſieht's um’ die Rechtſchreibung und Beichenfegung? Gorrigirt ber 
Lehrer die Aufſätze ſorgfältig und läßt er Fehlerhaftes umarbeiten? Wie 
find die Auffagbüdher äußerlih gehalten? Welche Hülfsmitiel braucht der 
Lehrer beim Spradhunterricht 3 


MM. Rechnen. 


A. Die Unterhlaffe. 


Biel derfelben. Wird eine Nechenmafchine benupt, ober Rechenftäbe, 
ober welche fonftigen Veranſchaulichungsmittel? Wie weit zeigt ſich bei dem 
Kindern Intereſſe, Sicherheit, Gewanptheit ? 


B. die Oberklaffe (mit der Mittelllafie). 


1. Tafelrehnen. An welches Lehrbuch fließt fih der Lehrer an? 
Melhes Aufgabenbuch ift in den Händen der Kinder? Ziel der Schule und 
Verbältniß der geförderteren Kinder zu demjelben. Wie viel Abtheilungen 
find vorhanden, und ftehen die einzelnen Abtheilungen auf entſprechenden 
Etufen? Wie fteht’3 um die Fertigfeit und Sicherheit im Löfen der Auf 
gaben, um die Einfiht in das Verfahren, um felbftändige und zuſammen⸗ 
bängende mündlide Darftellung der Löjung? Sind die Sciefertafeln mi 
Schwaͤmmchen oder Laͤppchen zum Neinigen verjehen ? 

2. Kopfrechnen. Steht das FKopfrechnen mit dem Tafelrechnen in 
Beziehung? Werden die Aufgaben aus dem Bereiche bed Verkehrs ge 
nommen, in dem die Kinder jebt fchon fliehen, oder in den fie vorausſicht⸗ 
Ld einmal treten? Wie meit find die Rinder im Kopfrechnen gefördert in 
Bezug auf den Grab der Schwierigleit der geftellten Aufgaben, in jchnelle 
und ficherer Auffafjung der gegebenen Zahlverhältnifie, in Fertigfeit, Sicher 
heit und ber dem Kopfrechnen eigenthümlichen Gewandtheit der Löjung? 














Die Außern Angelegenheiten ber Volkoſchule u ADE 


IV. Weltkunde. 


. Wird der Unterrictsftoff nur aus dem Lehrbuche genommen, oder 
findet er feine planmäßige Erweiterung? Wird ein beflimmter Gang inne 
gehalten, und welcher? Etwa im Sommerhalbjahr Naturkunde ( Raturges 
Ihichte und Raturlehre), im Winterhalbjahr Vaterlandskunde ( Geographie 
und Gefhichte)? Welche Unterrichtsmittel, namentlich Landlarten und Abs 
bildungen, find vorhanden? Wie fteht’s mit den Kenntniſſen der Kinder 
nah Umfang und Sicherheit ? 


V. Gefang. 


Wird blos nad dem Gehör gefungen, oder nah Noten, oder nad 
Ziffern? Welche Ehorals und Liederbeite find in den Händen der Kinder? 
Wie viel Choralmelodien werden eingeübt? Wie fteht’3 bei den Kindern 
mit der Sicherheit — auch im Cinzelfingen? Eind die liturgifhen Chöre 
fiher geübt? Wie viel Vollsliever werden eingeübt? Urtheil über bie 
Auswahl. Wie übt der Lehrer zu fefter und reiner Tonbildung? Wie 
ſteht's um diefelbe und um verftändliche Ausſprache des Tertes bei ben 
Kindern? Womit leitet der Lehrer den Gefang ein? Wird auch mehr 
fimmig gefungen ? 


VI. Zeichnen in Verbindung mit Formen= reſp. Raumlehre. 


Wird diefer Unterrihtsgegenftand betrieben? Wie und mit welchem 
Kefultat ? 


6. Schriften über Echulgefeßgebung. 


Gefetze und Verordnungen über Befolbung, Dienfttwohnungen, 
Diöten, Umzugskoſten, Urlaubebewiligung, Unterflügungen, Benfion, Be⸗ 
rechnung der Dienftzeit, Beitritt zur Wittwenfafle ꝛc. der Lehrer au den 

reußiſchen Gymnaſien, PBrogumnafien, Real, höberen Bürger- und Töchter⸗ 
len, Provinzial⸗Gewerbeſchulen, Schullebrer-Seminarien nebſt ſtatiſtiſchen 
Mittheilungen über die Höhe ihrer Gehälter. Nach amtlichen Quellen zu⸗ 
fammengeflelt von Dr. Eduard Mushacke, Oberlehrer an der Konig⸗ 
ſtädtiſchen Nealihule zu Berlin. 8. (32 ©.) Berlin, ®. Schulze 
(Wohlgemuth’s Buchh.), 1865. 74 Egr. 

Der ausführlidhe Titel gibt den Inhalt diefer kleinen aber recht brauch⸗ 

baren Schrift genau an. 


7. Lehrer : Kalender. 
Lehrers Kalender für 1866. Liegnitz, H. Krumbhaar. 12% Ser. 


Die Einrichtung diefes Kalenders ift zwedmäßig. Er enthält außer 
einem aftronomifchen Kalender zugleih einen Schreiblalenvder, Yormulare- 
zu Schüler: Berzeihnifen und Stundenplänen, ſtatiſtiſche Nachrichten, das 
Inhaltsverzeichniß des Stiehl’ihen Gentralblattes und die Titel literarifcher 
Neuigkeiten. Die beiden legten Stüde find jedenfalls ſehr überflüffig; denn 
wer Kenntniß der Regierungs-Verordnungen erlangen will, muß bas Central 
blatt ſelbſt halten, und Büchertitel offeriren unfere betriebfamen Buchhand⸗ 


lungen gern gratis. 


ME Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule zc. 


0. Medlenburg. 


1. Bei der jüngften Nekrutirung hatten von je 100 eingeſtellten 
Rekruten in den Städten 70, im Domanium 90 und in der Ritterſchaft 
94 gar keine oder eine mangelhafte Schulbildung. In der Ritterſchaft 
konnten 39 Procent Rekruten weder lefen, noch jchreiben, noch rechnen. 

Solche Zahlen verurtheilen die betreffenden Schulen in jhärfiter Weiſe 

2. Nah dem Medienburgiihen Edulblatt (1865, Nr. 46) mirb 
aber bier und dort in den Heinen Städten bes Landes das Berlangen 
nach höherer Bildung laut; man forbert höhere Bürgerihulen. Das MR 
ein gutes Zeichen. 

3. Wir werden uns fohwerli irren, wenn wir das Berhältniß der 
Schule zur Kirche als eine der Urſachen des unbefriebigenden Zuflanbes 
ver medienburgifchen Volkeſchulen bezeihnen. Orthodoxe Geiflliche werben 
nur felten zugeben, daß die Volksſchulen eine zeitgemäße Gintichtung 
erhalten; fie bejorgen insbefondere von den Naturmiflenichaften Gefahr für 
den Ölauben. Ob die medienburgifchen Lehrer und Gemeinden bereits zu 
deſer Anficht aelommen find, willen wir nicht, möchten ed aber glauben. 
Um:$o teperiihe Gedanken gleih im Keime zu erftiden, bringt das Medien 
burgifhe Edhulblatt in Nr. 16—21 „Gedanken über Ridtigftellung ver 
Volksſchule zur Kirhe‘’, aus denen wir nur einen als Probe ausheben. 
In Nr. 20 beißt es: „Daß die Snfpection über bie Volksſchule ben 
Geiftlichen nothwendig zufallen muß, und nicht etwa ber „ Schulgemeinde“ 
oder dem Magiftrat — wie man feit dem Abfall der großen Mafje vom 
Chriſtenthum zu fchreien angefangen und bis auf den heutigen Tag nidt 
aufgehört hat — liegt nach unjern geſchichtlich- dogmatiſchen Borausjeßungen 
außer allem Zweifel. Denn bat das gottgefeßte Amt der Gnabenmittel 
überall ein infpicirendes , controlirendes, ja auch eraminirendes Hecht und 
Pflicht an die ihm anvertraute Gemeinde, und ift anvererjeits der Lehren 
fland Nichts ale Hülfe und Statihalterfhaft diefes Amtes an der unmün 
digen Zaufgemeinde, fo ift damit ohne Weiteres die Inſpections⸗ und 
Graminationspflibt der Geiftlihen in der Vollsichule gegeben. Denn das 
Amt bat die Pflibt, fih fort und fort über die Richtigkeit materiell und 
formell richtiger Erziehung der Rinder zu vergewiflern. Sodann aber wird 
dem Lehrerſtande dadurd das Bewußtſein feiner ftellvertretenden und des⸗ 
balb unter Oberaufjiht des gottgejegten Paſtorates geführten Erziehungs 
ftelung wad erhalten und das Bewußtfein ihrer Nlirchengebörigleit, welches 
heutzutage den Kindern noch faft mehr als den Erwachſenen fehlt, feft und 
wmvertilgbar eingepflanzt.” 

Zrefflihe Logik! Aber die Zeit ift nit mehr fo fern, wo diefelbe in 
ihrer ganzen Blöße wird aufgebedt werden, wo man über die Häuptet 
Diefer „‚gotigefeßten PBaftoren‘‘ hinmwegjchreiten wird. 

4. Ein erheblides Hinverniß für das Gedeihen der Bolls:, namenb 
lih der Landſchulen ift die fogenannte Sommerjchule, d. b die Cin⸗ 
richtung, wonach ber größere Theil aller zehnjährigen Kinder während des 
Sommers, d. b. während 30 Wachen, von allem Unterricht dispenſirt wid. 
Das iſt troftlos und ganz geeignet, den tüchtigften Lehrer zu emimuihigen: 








wa 0 


' Die äußern Angelegenheiten ber Volfefchule ꝛc. 608 


Nr. 39 und AN des Medienburgifhen Schufblattes (1865) enthält einen 
lefenswerthen Artikel von einem mir perfönlich unbelannten Namensvetter, 
C. Lüben in Elvena, Mangel an Dienfiboten wird als Urſache dieſer 
Ginrihtung bezeichnet. | 


5. Seit fünf Jahren befigen die Lehrer einen Lebensverſiche— 
rungsverein mit einem Kapital von 13,000 Thlrn. und einem Reſerve⸗ 
fonds von 9000 Thlrn. Die Verfiherungen erfolgen nad eigener Wahl von 
50 bis 200 Thlrn. Die zu zablenden Prämien betragen (ohne Genuß ber 
Dividende) 20 Edhill. -- 1 Thlr. 14 Schill. 


6. Bom NAmisverwalterer Bald ift bei Hinftorff in Wismar ein 
ſtatiſtiſches Werl erfchienen, das den Titel führt: 

Das Schnlweſen in Medlenburg- Schwerin, ale erfte Abthei⸗ 

fung des zweiten Bandes der bomanialen Berhältniſſe. Geh. ! The - 


Wir kennen das Werk noch nicht aus eigener Anſchauung. 


II. Schleswig-Holſtein. 


I. Bon Holftein aus wird berichtet, daß die Zahl der Lehrer nit 
mehr zur Befriedigung des Bedürfniſſes ausreiht; zu einer Stelle mit 
600 Marl, freier Wohnung und Feuerung hatte ſich fein einziger Bewerber 
gefunden. 

2. Zn Tondern ift ein fogenanntes Autodidakten⸗Eramen, 

eingerichtet worden, offenbar, um den Gintritt in das Schulfach zu er. 
leihtern. Wie viel man von den Autodivalten fordert, willen wie nicht, 
fordert man aber weniger, als von einem tüdtigen Eeminariften beim. 
Abgang vom Eeminar, fo vergeht man fih gegen die Schulen 
‚ 8. Die Lehrer haben große und natürlich mwohlbegründete Furcht 
vor der Einführung der preußiſchen Regulative; fie halten ihre Schulen 
für befier, als die nad den preußiſchen Negulativen eingerichteten. Hier: 
über fieht mir fein Urtheil zu. Doc möchte ich den Lehrern empfehlen; 
fih nicht vor der Zeit Sorge zu machen. Die zwölf Jahre, währen 
welcher die Regulative zu Recht beleben, haben ihnen mande Epige ab» 
gebrohen. Zahlreiche officiele Ecdyulberichte, namentlih aud Berichte über- 
die Seminare, beweilen, dab man in preußiigen Ecyulanftalten auch un. 
behindert nad den beiten Methoden unterrichten fann. Wo die Regulative. 
einen unangenehmen Drud ausüben, da liegt es in ber Negel in der Bes 
fangenheit der naͤchſten Vorgefebten. 

4 In Altona iſt eine Organifation des ganzen dortigen Volke⸗ 
ſchulweſens in Angriff genommen worden. Der enticheidendfte Schritt da⸗ 
für ift in der Anftellung eines Schulrathes in der Perfon bes fehr 
geadhteten bisherigen Inſtitutsvorſtehers Chr. Andreſen gejhehen. Wir 
gratuliren der Stadt Altona dazu umd freuen uns, daß ihre Behörben zu‘ 
der Sinfidht gelommen find, daß eine folde Perfon ımentbehrli für die 
Entwidelung des Schulweſens iſt; denn fie gerade ift das organiftzende, 
beiehenbe un» befsuchtenbe Clement darin. \ 


604 Die äußern Angelegenheiten der Bolksfäule x. 


IV. Hannover. 


1. Der Fonds zur Bewilligung von Zulagen an verbienie, 
im böberen Dienftalter ftehende und verbältnifmäßig ungenügend beſoldete 
Schullehrer ift von 195,000 auf 25,000 Thlr. erböht worden. Die Unter 
ftügung erfolgt nad folgenden Grundfägen: 1) Selbftändige, d. i. auf 
eigene Haushaltsführung berechnete Schulftellen, müflen, wenn die Schüler 
zahl nit unter 25 bleibt, eine Einnahme von mindeftens 120 Xhlm. 
haben. 2) Eind fie mit einem Kirchendienſte verbunden und zählt die 
Schule mindeftene 30 Kinder, oder beträgt die Schülerzahl erheblich über 
30, fo muß die Ginnahme der Regel nah auf 140 bis 150 Thlr fi 
belaufen. 3) Echulvienfte, welche bei minveflens 60 Rindern mit einem 
Kirchendienſie verbunden find, oder erbebli mehr als 60 Kinder haben, 
erfordern mebr als 150 Thlr. bis zu 200 Thlr. Ginnahme, 4) Säul 
bienfte mit mehr ale 90 Kindern und einem Slirhendienfte 200 bis 250 
Thlr. 5) Stellen für (ftudirte) Rectoren beftimmt, follen der Regel nad 
850 bis 400 Thlr. eintragen, und Stellen in Städten und Fleden über 
baupt erfordern, fofern die Verbältnifie mwefentlih von denen bes platten 
Landes fi) unterjcheiden, ein Einlommen, weldes die unter 1 bis 4 aw 
genommenen Saͤtze merklich überfteigen. (Allgemeine deutjche Lebrerzeitung, 
1865, ©. 47.) 

2. Auf der im April 1865 ftattgefundenen Lehrerverfammlung in 
Göttingen haben die Lehrer felbft ihre Wünfhe in Bezug auf das Dienft 
eintommen ausgeiproden. Sie gehen mit ihren Forderungen für Land 
lehrer nit über 400 Thlr., für Stadtlehrer nit über 600 Thlr. hinaus, 
baten ſich aljo in ſehr bejheidenen Grenzen. (Das Nähere in ber 
Sannoverfhen Schulzeitung, 1865, Nr. 11.) 

8. Die Angelegenbeit des geftifteten Peſtalozzivereins hat guten 
Hortgang. Unter den Einnahmen befinden fi Geſchenke von der Königin 
mb von Dieftermweg. 

4. Eine „weſentliche Erhöhung der Wittwen⸗ Penſionen“ für die 
Sabre 1868 — AB ift von der Direction der Volksfchullehrer » Wittmentafle, 
ſowie aud vom Cultusminifterium abgelehnt worden, da man dadurch das 
Beſtehen der Kaſſe gefährvet glaubte, eine Anficht, die mande Lehrer nicht 
tbeilen. 

5. Die Lehrer der Landproftei Lüneburg haben am 1. Jan. 1865 
eine Lehrer-Wittmen: und Waifenklaffe errichte. Der jährliche 
Beitrag beträgt mindeftene 1 Thlr. Die Eigenthümlichkeit der Anftalt be 
fteht darin, daß fie nicht für alle Familien gleih hohe Unterflügungen ge 
währt, fondern dieſelben allen einzelnen berechtigten Yamilienglievern in 
gleicher Höhe zufließen läßt. Sie zahlt alfo da am meiften, wo bie größte 
Anzahl jüngerer Kinder und aljo im Allgemeinen die größte Bedürftigkeit 
fi findet. Gine Gteigerung der Fonds erwartet man von außerorbentlichen 
Ginnahmen, namentlich aud von literariihen Unternehmungen. 

6. Man beabfidhtigt die Gründung einer Sterbe und Begräbwislafle 
für Lehrer, deren Frauen und Witten. 

7. Sehr günftig bat fih ein Lehrer-Brandbverjiherungsr 


‚ Die äußern Angelegenheiten ber Volkoſchule ꝛc. 608 


Berein geftalte. Nah dem lebten Rechenſchaftsberichte zählt berjelbe 
1207 Mitglieder, die ein Kapital von 1,096,855 Thin. verfihert haben. 
In der Kaſſe befinden fih 1655 Thlr., was zu ber Hoffnung berechtigt, 
daß die Interefienten feinen Beitrag werben zu zahlen haben. 

8. Die ftädtifhen Collegien in’ Hannover haben für den Bau 
‚iner zweifahen höheren Töchterſchule 53,000 Thlr., zu denen 
moch etwa 5000 Thlr. fommen werben für Heizung mit feuchter Luft und 
Mt Bentilation, für den Bau einer zweifachen Mittelfhule 
46,000 Thlr., wozu wohl gleihfalls nodh 5000 Thlr. für Heizeinrichtung 
und Lüftung binzulommen werden, bewilligt. Die ftäptifchen Collegien in 
Hildesheim haben den Bau einer neuen Central-Knabenſchule 
beſchloſſen. (Allgemeine deutſche Lehrerzeitung, 1865, ©. 279.) 

9. Unterm 13. Mai 1865 bat das Confiftorium angeorbnet, für 
alle mehrklaſſigen Shulen Lehrpläne feitzuftellen, in denen nicht 
‚nur die Lehrziele für. die einzelnen Unterrichtögegenftände für jede Klaſſe, 
ſondern auch der Lehrgang bezeichnet iſt. Das iſt jedenfalls eine ſehr 
verdienſtliche Verordnung, da es nur zu oft vorkommt, daß in derartigen 
Schulen jeder Lehrer jo ſehr feinen eigenen Gang geht, daß an ein Zu: 
ſammenwirken gar nicht zu denken iſt. 

10. Ein Conſiſtorial⸗Erlaß vom 31. Juli 1865 Bat die Beauf⸗ 
fihtigung der Volksſchule zum Gegenftand. Derfelbe lobt eingangs 
die verdienftliche Thätigleit der Geiltlichen als Schulinjpectoren, findet aber, 
daß bin und wieder die Schulen nicht fo regelmäßig beſucht werben, als 
es das Intereſſe derfelben erbeifht. In Folge diefer Wahrnehmung wird 
das Ausjchreiben, welches die Einführung von Monatsbüchern betrifft, in 
Erinnerung gebradht, und die Geiltlihen werden aufgefordert, ihre Bejuche 
in dem betreffenden Buche zu notiren. Schließlich wird das Vertrauen 
ausgesprochen, daß dieſe Infpectionen in einer Weife vorgenommen werden, 
durch welche die Lehrer in den Geiftlihen nicht nur ihre Vorgejegten, fon: 
dern aud die Gehülfen ihrer Freude erlennen mögen. (Vollſtaͤndig abge 
drudt in der Hannoverfhen Schulzeitung, 1865, Nr. 22.) 

11. Hannover befißt 11 Seminare, und zwar 2 evangeliſche 
Lehrerinnen: Seminare zu Hannover und Dsnabrüd, 6 evangelifche Lehrer: 
Seminare zu Alfeld, Aurich, Hannover, Lüneburg, Neuenhaus und Stade, 
2 desgl. katholiſche zu Hildesheim und Osnabrüd, eine juͤdiſche Lehrer 
Bildungsanftalt zu Hannover. Die Kurfe find theils einjährig, theils 
gweis, theils dreijaͤhrig; an einigen Seminaren beftehen auch drei⸗ und eins 
jährige Kurſe neben einander. Die Zahl fämmtliher Seminarlehrer beträgt 
59, ver Böglinge circa 450. Der Zubrang zu den Seminaren ift ſehr erheb⸗ 
KH, da faft immer nur die Hälfte der Bewerber in viefelben aufgenommen 
werden können. Ber Grund dazu wird in den geringen Anforderungen 
.bei ver Aufnahme in das Seminar und in der damit verbundenen Beſrei⸗ 
ung vom Militärdienft gefuht. Die jogenannten Bezirksſeminare, d..b. 
Seminare mit einjährigem Kurfus, follen künftig einen zweijährigen Kurfus 
erhalten. Im Seminar zu Aurich ift das Zurnen jegt obligatorifcher 
Unterrichtögegenfland, ob aud in den übrigen Landetſeminarien, iſt uns 
wicht. belannt. BR 


ut 





O5 Die änkern Angelegenheiten ber Volksſchule zc. 


12. Un pädagogifhen Zeitſchriften erfheinen in Haunswer: 
Hannoverſche Schnlzeitung. Im Auftrage des Brovinzial-Lebrer: 
bercims ‚Dülbesfeim herausgegeben von H. F. W. Bartholomdus. OHilbet⸗ 
im, Lax. 
Gin friſches, gut redigirtes Blatt. 
Hannoverſchee Schulblatt zur ——— zwiſchen Schule und 
ung. 


Haus Über ragen des Unterrichts und ber Erzie ausgegeben ven 
8. Gallin, Director der Mittelfhule in Hannover. 3. Jahrg. 
n. 


Neue Blätter für bie VBollsfhule ber Herzogthüner Bremen unb 
Berden und bes Landes Hadeln. a unter Wedaction von 


. vd Garlen, 8. 9%. deler, ©. . 
— —88 H. U. Hadeler, ©. Hähn. 5. Jahrgang. Stade, 


V. Oldenburg. 


1. Das Dienſteinkommen der Lehrer iſt noch Immer unzu⸗ 
reihend. Gine darauf gerichtete Petition der Lehrer an den Landtag if 
von diefem der Regierung zur Berüdfihtigung empfohlen worden. Ob 
darauf fhon Etwas erfolgt tft? 

2. Um dem Peftalozziverein die nöthigen Mittel zu verſchaffen, 
haben die Lehrer die Gründung eines Selbftverlags zur Herausgabe ver 
fhiedener Schriften, als Katechismus, Liederbuch zc. beſchloſſen. Das Be 
triebscapital ſoll durch Actien & 1 Thle. aufgebracht werden. 

3. Die Lehrer-VBereine baben überall guten Fortgang, und 
geben Beugniß von dem cifrigen Streben der Lehrer nad Tortbildung. 

4. Das Centralcomit6 des Lehrervereins bat das Oberſchulcollegium 
erfucht, die Aufnahme und Entlafjung im Ceminar von Michaelis in den 
Mai zu verlegen, wo die Echulen ihre Aufnahme haben. Gbenfo haben fle 
den Wunſch ausgejprodhen, daß der gefehlihe Unterricht der Schule nit 
möge durch den Konfirmandenunterricht verkürzt oder geftört werten. 

5. Das zu Oftern 1866 ausgegebene 23. Programm der Vorſchule 
und böberen Bürgerfhule zu Oldenburg enthält von dem Rector dieſer 
Anftalten, K. Straderjan, eine beachtenswerthe Abhandlung über „das 
Plattdeutſche als Hülfsmittel für den Unterridt.“ 


VI Braunſchweig. 


1. Obwohl die dlonomifhen Verhaͤltniſſe der Lehrer erft in den leg 
‚teren Jahren etwas verbeflert worden find, fo lafien fie doch immer nod 
viel zu wünjchen übrig. Wie es fcheint, follen die Wünfche der Lehrer in 
nächfter Beit befriedigt werben. In den fechöllafiigen Gemeindefchulen der 
‚Stadt Braunfchweig beträgt das Gehalt für die Unterllafle jeit vem 1. Januar 
8865 300 Thlr. und fteigt für jede folgende um 50 Thlr., fo daß die 
oberfte mit 550 Thlrn. abſchließt. 

2. Die mittleren Bürgerfhulen haben Injpectoren zu Borfebem, 
die unteren fogenannte dirigirende Lehrer. Grfiexe finb Zpeologen, 
Dugtere werden aus der Zahl ber Lehrer gemählt und erhalten fir ihre 
Mühewaltung 100 Thlr. und freie Wohnung. Nah unjerem Dafücheiten 








Die ‚äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 604 


würden bie mittleren Buͤrgerſchulen durchſchnittlich beſſer beratben fein, 
wenn :fie ihre Vorſteher (Inſpectoren) aus der Zabl der tüchtigſten Balls: 
ſchullehrer erhielten, da biefe durchgängig in allen Schulſachen tüchtiger ſind, 
als die Theolgen, die ja eben ihre befte Zeit pflichtfchuldigft und auch aus 
innerem "Antriebe der Theologie widmen müflen. Die Schule wird ihnen 
nie etwas anderes als eine Webergangsftation fein. 

3. Schon vor einigen Jahren find Verhandlungen eingeleitet worden, 
welhe die Befreiung der Lehrer von den niederen kirchlichen 
Dientten zum Zwed haben; der Erfolg verjelben ift aber noch wenig 
ſichtbar, da weder die Gemeinden dazu große Quft bezeigen, nody die Lehrer 
exnfilich Darauf driugen, wenn fie Berlufte dabei haben follen. Die. große 
Mehrzahl der Lehrer wünfcht aber nicht nur die Befreiung von niebeuen 
kirchlichen Geſchaͤften, fondern mwünfht bie bisherige Stellung dex 
Prediger zu ven Schulen gelöft zu ſehen, mas wiederholt in den 
größeren GSonferenzen zum Ausdrud gekommen if. Wie anderwärts ..in 
Deutihland, ſo wollen auch die Lehrer im Herzogthum Braunjchmweig nicht 
ohne Auſſicht fein; fie verlangen nur, von jachverftändigen Männern con 
teolirt zu werden, von Männern, welche bereit und befähigt find. .eine 
zeitgemäße Ginrichtung der Schulen zu fördern, Männer, melde neben 
dem NReligionsunterriht auch die weltlihen Dinge zu ihrem Recht kommen 
lafien. Wenn die Lehrer ofien bervortreten und in ihrem Streben nidt 
laß: werden, jo märe es wohl möglih, daß fie Aehnliches erreichten, wie 
im Herzogthum Gotha. 

4. Das Herzogthum Braunſchweig bat drei gehrerbildungsan: 
falten, von denen jevoh nur die in Wolfenbüttel Landesſeminar 
iR; denn die zu Braunfhweig will nur Lehrer für diefe Stadt aus⸗ 
büden, und die zu Blantenburg bildet Gymnaſiaſten blos nebenbei und 
privatim zu Lehrern. Das Wolfenbüttler Seminar umfaßt eine zweillaffige 
Realihule und eine PBräparandenanjtalt, melde die Stelle des Seminars 
anderer Staaten vertritt oder doch vertreten fol. Die Aufnahme in die 
Realſchule erfordert die Reife der Oberllafje einer Stadt» oder gehobenen 
Landſchule. Der Unterricht, bejonders für Schulamtsafpiranten berechnet, 
erſtredt fech auf ſtatechismuslehre, Bibellunde deutihe Sprache und. Literas 
tur, Rechnen, Geographie, Geſchichte, Naturkunde, Geometrie, franzöfisde 
Sprache, Singen, Schreiben, Zeihnen und Turnen. Der Klaſſenkurſus at 
im Durchſchnitt ein zweijährige. Aus der erſten Klaſſe erfolgt alljährlich 
eine Verſetzung in die Präparandenanftalt, für welche die erforderliche Reife 
im Stlawierjpiel ein bejonderes Eramen darthun muß, und. welde ein. Aller 
von mindeftens 17 Jahren vorausjeßt. Der Kurſus in dieſer Anftalt ‚if 
ein breijähriger, und dem entſprechend jind die Zöglinge in drei Abthö⸗ 
lungen geſchieden, von denen die britte nur an dem Unterricht Theil nimmt 
und den Lehrübungen beimohnt, obne aber fjelber folhe vorzunehmen, kie 
gweite und erſte hingegen Lebrvorträge und katechetiſche Probeleltiouen 
balten. Der Unterricht erftredt fi auf die bereitd- auf ber Realſchube 
vertretenen Disciplinen, mit Ausſchluß der franzöjiihen Sprache, und auf 
Pädagogik, Drgelipiel, Violinſpiel, Generalbaß, Katechiſiren und Gartenban, 
mud zwar ſollen die meilten Alnterrichtögegenftäude fo vertheilt werden, daß 


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die &ußern Angelegenheiten ber Volksſchule c. 609 


Ständen angehören. Das forgfältig überwahte, in der gebil» 
lie geiftig angeregte und bis zu dem möglichen Grade entwidelte 
auf derjelben Bank figen mit einem Finde, das nicht bloß im 
‚oft im Schmuß aufgewadjen, jondern nicht felten auch geiltig 
nmen ift, weil feine Eltern fich entweder nur fehr wenig, oder 
„ver weniger verkehrter Weile um daſſelbe befümmerten. Und 
ejhehen, damit jedes Kind Gelegenheit habe, einen möglichit bos 
von Schulbildung zu erlangen. Die Abit ift aljo jedenfalls 
vortreffliche, eine durhaus humane. Die Oberjchulbehörbe will 
Irmenjhulen, Volksſchulen, mittlere und höhere Bürgerfchulen, 
allerdings nur die beiden erſieren; fie fondert aljo gewiſſermaßen 
jugend nad den DBermögensverbältnijien ihrer Eltern. Hiergegen 
das demokratiſche Gefühl des Herrn Dr. Nee und Genofien ein 
f, weil es fich verlegt fühlt, was wir volllommen begreifen. Im 
348 wurde bereit3 diejelbe dee in Lehrerkreiſen und anderwärts 
Seitdem ift fie aber von der Tagesordnung verihwunden. Man 
ſehr allgemein, daß die Idee zwar jehr anjprechend, aber nicht aus⸗ 
jei. Eltern mit nad der einen oder andern Richtung hin verwahrs 
ındern wird ed allerdings gleichgültig jein, in welcher Geſellſchaft 
‚ver bejhult werden, nicht aber ſolchen, die in ihren Slindern bie 
.ı Güter erbliden, die ihnen zur gemwijjenhaften Förderung anvers 
rden find, und bie für jie gethban haben, mas Menſchen thun kön⸗ 
‚nen ift es vielmehr heilige Gewiſſensſache, ihre Kinder vor übler Gefells 
“bewahren, und man würde ihnen unverantwortlihe Gewalt anthun, 
„an fie in die Nothwendigkeit verjegte, darauf eine Reihe von Jah⸗ 
:zichten zu müflen. Dazu kommt, daß jeder erfahrene und vorur⸗ 
sie Lehrer weiß, daß Kinder, die geiſtig angeregt und ſprachlich ents 
find, ſchon im eriten Schuljahre faſt doppelt jo große Fortfchritte 
- Schule maden, als ſolche, bei denen dies nicht der Fall if. Das 
‚he ih auf Seiten des Entwurfs der Oberjchulbehörde, wenn ich auch 
ven muß, daß mir „Armenſchulen“ principiell zumider find. Diefen 
n vermeide man und unterjcheide nur Boltöfchulen mit höherem und 
ı, rem Gchulgelde, die man, wie ih es in Merjeburg gethan, als erfte 
zweite Bürgerſchule bezeichnen kann. 
Den Borjhlägen Dr. Rée's iſt Theodor Hoffmann in ber 
' *rift „Die allgemeine Volksſchule.“ (Hamburg, Nolte. 1866) entgegen 
»sten, und Griterer bat darauf in ber Brochüre „Die allgemeine Volks⸗ 
fe, oder Standesſchulen?“ (Hamburg, Hoffmann u. Campe. 1866) ge 
worte. Hoffmann vertritt den Entwurf der Oberjchulbehörde, da er 
-ın fehr fleißig und mit vielem Geſchid mitgearbeitet hat. Der Naum 
stattet uns nicht, näher auf beide Schriften einzugeben; aber wir haben 
ide mit großem Intereſſe gelejen und empfehlen fie Allen, die Antheil 
.pmten an der Gntwidelung des deutichen Bollsjchulmeiens. 


x, Lübeck. 


In Lübed ift man rajcher zu einem ziemlich befriedigenden Reſultat 
„ut dem Volksſchulweſen gelommen, als in Hamburg. Mir liegt der, 
Päd. Jahresbericht. ZVIIL 39 





CO Die uber Argeleeabeiten ber Betteidale x. 


Gutwurf ;u cmem Gele far va R-llsiismeien u cm az gebinm 
Berikt ver, bene ausxz:ı na cı ir zum’ Cie Dceiberirtr 
Cs eier Cxtwari ikca zum Geis eioten werten, beste ah we ni 
estabern, ideiat ter Ber ı:.. zu 'az, wenistems las ı3, Bud 5 „bee 
Ebsucclense” eziei ji Ties wur xt.re zu: 2 opener 
des Senats, den weiten ans ver Icrz farcı, 6 auf ven Beriung an 
Düryı: Br:'2:725 vom Senat je enr:: enden kürzer ten Zamuzızu, 4 
von vem Füryı: Autikrre aut tets \atre zu erzeunnecben Rızunen, 
nämlih zwei Geritisten des xubediiten Äteitzıtes muB je xebrerz zu 
Lübediigen Etuis, zum 2 vom Senate, nıt jemer Anke BE ke 
Bwede des ber: Schuicellerisms vorzuzöwerk geeimeten, etemiı-t zu x 
ſechs Jabre zu ernennenden Ruzuvden. Dies be: Steloegem ext 
Bas arjammie Zchulmweien, übt and die Inipection ans eder ermrmmz Be 
Echulinĩpectoten. 

Fu den ẽfentlichen Pelleibulen ſell gelebtt werben: Reizien, Leica. 
Schreiben, deutſche Sprache, Nechnen, :’comeirie, Erttande, Aısuehende, 
Geſchichte, Zeibn en, Geſang und Iumen ‚ir Mitten treten tree Buch 
die Berihiedenbeit des Geſ Slechts bedingten Merrvuticnen Bes limterruke) 
ein, und binzw fommt für diejelben eine regelmähıze linterweijumg im weib 
lichen Handarbeiten. 

Die Zahl der öffentliben Vollsſchulen iR für jekt auf vier Simahen: 
und drei Mäpchenichulen feitgeiegt worden. Die meiten dieſer Cdusien 
find mindeftens vreillafig. Der Staat gewährt geeignete Cdyulbäujer mit 
freier Wohnung für den Hauptlehrer, überläßt tieiem aber das Schulzein 
und die näcfte Sorge für die übrigen Lehrer. In treilluifigen Bellsiche: 
len muß neben dem Hauptlehrer weniaftens nod einer der Hülfſslehrer eine 
vollfländige Eeminarbildung erbalten haben. Reben dem Schuigeide erhal 
ten die Hauptlehrer aus öffentliyen Mitteln eine jährlübe, von 5 m 5 
Jahren um 50 Mark fteigende Beihülje, welche für den Hanptlehrer am 
den Knabenſchulen mit 1000 Marl beginnt und bis 1200 Mark fteigt, für 
den Hauptiehrer an den Maͤdchenſchulen dagegen mit 600 Mark begimmt 
und bis 800 Mark fteigt. 

Die Inſpection der öffentlihen Bollsfhulen in der Stabt und im den 
Borflädten wird von der Znjpections:Commifjion mwahrgennmmen. 
Diefelbe befteht, unter der Leitung des Vorfigenden des Ober: Schulcolie 
giums, fowie unter Beiordnung zweier von Ichterem aus feiner Mitte zu 
committisenden Mitglieder, aus zehn vom Ober-Schulcollegium anf je tes 
Jahre zu erwählenden nfpectoren, welde jedoch nicht fungirende Lehrer 
fein dürfen. Bon diefen zehn Inſpectoren find fünf in der Art zu mäblen, 
daß für jede diefer fünf Stellen je einer der fünf evangeliſch-lutheriſchen 
Kirchengemeinde « Vorftände der Stadt zwei feiner Mitglieder dem Über 
Schulcollegium in Vorſchlag bringt; die übrigen fünf find von diefer Be 
börde ohne ſolchen Vorſchlag frei aus den Bewohnern der Stadt oder der 
Vorſtaͤdte zu waͤhlen. 

Dadurch iſt die Inſpection der Volksſchulen durch die Geiſtlichen ale 
ſolche beſeitigt, was bereits einige Unzufriedenheit bei der orthodoxen Bar 
tel erregt bat. j 


Die äußern Angelegenheiten der Volkoſchule ce. 611 


Für die Landfchulen bleibt das Geſetz vom 6. Juni 1863 im Be 
ſentlichen in Kraft. 

Brivatihulen dürfen von Jedem errichtet werben, ber feine fittliche, 
wiſſenſchaftliche und techniſche Befähigung zur Leitung verfelben vor dem 
Dber-Schuicollegium nachgewieſen hat. 

Man bat die Abfiht gehabt, einen Schulrath anzuftellen, bat aber 
vorläufig, und wie es ſcheint, aus Furt vor einem Mißgriff, davon Abs 
fland genommen. 

Das Seminar ift in feiner bisherigen mangelhaften Cinrichtung 
belafjen worden. 

Ein Mitglied des (interimiftifchen ?) Ober-Schulcollegiums, der Haupts 
lehrer W. Deede, jcheint bei der Yeitltellung des Schulgejeges in meh: 
rexen wichtigen Punkten in der Minorität geblieben zu fein, was ihn be 
ftimmt bat, feine Anſichten in einer Heinen Brodüre, betitelt „Zur Schub 
frage‘ (Lübed, Aſchenfeldt, 1865), darzulegen. Er fordert darin ein 
Bierfahes: 1) die Anftellung eines Schulrathes, deſſen Hauptaufgabe bie 
padagogiſche Inſpection der Volksſchulen fein foll; 2) die Herfiellung eines 
vollftändigen Seminars; 3) die Herftellung von vier, hoͤchſtens ſechs größe: 
ren Volksſchulen an Stelle der jebt eriftirenden 9 Stadt: und 3 Vorſtadt⸗ 
Schulen; 4) Uebernahme der Gelvverhältnifie der Volksſchulen dur den 
Staat, „d. b. Befreiung des PVollsihulunterriht3 aus den Händen ber 
Speculation.“ 

Wir halten Deede's Anſichten für wohlbegründet und find ber Mei⸗ 
nung, daß man fie als Biel im Auge behalten muß. Man würde ihnen 
auch wahrſcheinlich glei zugeftimmt haben, wenn man ſich nicht gar zu 
fehr von dem Grundjag hätte leiten lafien, ven beftehenden Berhältnifien 
möglihft Rechnung zu tragen. 


XI. Sachſen. 


1. Obwohl erft vor zwei Jahren ein neue Seminar für 80 Semi- 
nariften in Borna errichtet worden ift, jo können die Seminare body ben 
Bedarf an Lehrern nicht deden; es finden ſich daher eine Anzahl Schul: 
gemeinden im Lande, die ihre vacanten Schulſtellen vergeblich ausbieten. 

2. Cine in diefem Jahre erlafjene Verordnung der Regierung, nad) 
welcher au tühtigen feminariftifh gebildeten Lehrern der 
Beſuch der Univerfität Leipzig geftattet ift, bat in weiten 
Kreifen freubige Zuftimmung gefunden. Sie lautet wie folgt: 

„Während die Anforderungen an die Leiftungen der Volksſchule von 
Jahr zu Jahr wahjen und in deſſen Folge namentlih an die Directoren 
und Oberlehrer an Bürgerfhulen Anfprüche auf umfafiendere Berufsbildung 
gemacht werden, als die Schullehrerjeminare gewähren können und ihrer 
eigenthümlihen Beftimmung gemäß gewähren follen, hat vie Zahl an alas 
demifch gebildeten Männern, die fi bisher, wenn aud in der Regel in 
der Hoffnung auf jpätere Anftellung in geiftlihen Aemtern, zu derartigen 
Stellen meldeten, ſich weſentlich gemindert. 

Um nun den hierdurch. mehr und mehr fühlbar gewordenen Bedürf 

39 * 





612 Die äußern Angelegenheiten ber Vollsſchule ꝛc. 


niffen möglichft abzuhelfen und zugleih demjenigen Theile des Lehrerfiandes, 
welcher, auf den Seminarien vorgebildet, feine Ihätigleit der Volkafchule 
dauernd und ausſchließlich zuwendet, die Füglichleit zu gewähren, ſich bie 
für ihre oben bezeichneten Stellen erforderlihe allgemeine und höhere Bib 
dung anzueignen, bat das unterzeichnete Minijterium befchlofien, verſuchs⸗ 
weile zu geftatten, daß einzelne, beſonders tüchtige Lehrer die Univerfität 
Leipzig befuhen, und verorbnet daher in Uebereinflimmung mit den 18 
Evangelicis beauftragten Staatsminiftern ‘Folgendes: 

8. 1. Lehrern, welche zu ihrer höheren Ausbildung für den Lehrer 
beruf die Univerfität Leipzig befuhen wollen, ohne fi dazu durch das 
vorſchriftsmäßige Gymnaſial: Maturitätszeugnig legitimiren zu lönnen, joll 
dies auf zwei hinter einander folgende Jahre geftattet fein. $. 2. Ziefel 
ben müſſen bereits vie gejeßlich vorgefchriebenen Prüfungen beitanden und 
jedenfalls in der MWahlfähigleitsprüfung die I. Cenfur „Vorzüglich“ ober 
mindeftens den erften Grad der LI. Cenfur „Gut mit Auszeihnung‘ erlangt 
haben, dazu bereits im öffentlihen Schuldienſte thätig gemejen und darüber, 
fo wie über ihr gefammtes Verhalten ein günftiges Zeugniß beizubringen 
im Stande jein. Das betr. Zeugniß ift von dem Lolalſchulinſpector auszu: 
ftellen, von dem Diſtriktsſchulinſpector und der Kreisdirection zu beftätigen 
8.3. Mit Ablauf des zweijährigen Zeitraums ihrer alademifhen Studien 
baben ji ſolche Lehrer einer Prüfung zu unterwerfen und ſich deshalb 
rechtzeitig bei der in Leipzig beftehenden Prüfungscommiſſion für das höhere 
Schulamt Sect. II. zu melden, bei welcher zu diejem Zwede die erforder 
lihen Einrichtungen werben getroffen werden. $. 4. Diefe Prüfung win 
in eine fchriftlihe und mündliche zerfallen und fih im Weſentlichen auf bie 
im Regulativ, die für Candidaten des höheren Schulamt3 zu haltenden 
Prüfungen betrefiend, aufgeführten Segenftände erfireden. Nähere Beſtim⸗ 
mungen bleiben zur Zeit vorbehalten. $. 5. Lehrer, welche diefe Prüfung 
beitanden haben, erlangen dadurch die Befähigung zur Anftellung an ven: 
jenigen Anftalten, welche in dem $. A diefer Verordnung gedachten Regulatide 
8. 2 sub b. bezeichnet find. $. 6. Dagegen ift der Uebergang zu einem 
Falultätsſtudium für Lehrer, welche ohne vorher beitandene Gymnafal 
Maturitätsprüfung die Univerfität befuchen, durchaus unzuläffig.‘ 

3. Sachſen zählt jet 12 Seminare, 1 katholiſches zu Bauen mit 
8 Seminariften und 19 Präparanden, und 11 evangelifche, zu 
Annaberg mit 4 Kl., 77 Seminar., 63 Projeminar., 8 Lebrem, 

10 


Baupen s 4 :s 74 41 ⸗ ⸗ 
Callenberg s 3 : 64 ⸗ ? ⸗ 10 ⸗ 
(Lehrerinnenſem.) 

Dresden «4 s 78 ⸗ ? ⸗ 6 =: 
(Friedrichsſtadt) 

Dresden 4 = 4 ⸗ 43 ⸗ 5 : 
(Bietfänerihes) 

Orimma 4: 72 ⸗ 44 ⸗ 5 : 
Grimma s 3 s 30 ⸗ 7 ⸗ 5 2 
(Nebenjeminar) 

Noſſen »s 4 s 80—90 ; 7. ⸗ 6 ⸗ 

















Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchüule x. 613 


Plauen mit 4 Kl., 100 Seminar, 50 Brofeminar., 6 Lehrern, 
Wobnbug +» A s 50 ⸗ 20 ⸗ 6 5 
Borna, erft Michaelis 1863 gegründet. 

4. Der Gemeinderath in Wien hat au in diefem Jahre drei Lehrer 
zur Allgemeinen deutichen Lehrerverfammlung (nach Leipzig) abgeorbnet. Ties 
jelben hatten zugleich den Auftrag erhalten, Kenntniß vom fähfifhen € huls 
wejen zu nehmen und nad ihrer Rüdkunft darüber zu berichten. Lebteren 
Bericht hatte Herr Frühmwirth übernommen. In demfelben kommt folgenve 
Stelle über die fähliihen Lehrer vor: 

„zer ſächſiſche Lehrer fuht den wirklichen Bedürfniſſen des 
praktiſchen Lebens gerecht zu werben, und zwar in der Art, mie es 
gerade für Sachſen nothwendig if. Er ift alſo nit nur Pädagog im 
Allgemeinen, fondern er weiß auch den fpeciellen Intereſſen feines Vater⸗ 
landes, ja fogar einzelnen Ortsverhältnifien in der Schule Rechnung zu 
tragen. Der ſaͤchſiſche Lehrer jchließt fi nicht gleihfam von der Außens 
welt ab, fondern er fteht mit feinen Anſchauungen und Beftrebungen mits 
ten in dem regen Bolfsleben und wird von den Mogen bdefjelben getragen. 
Und das ift ein Vorzug!) — Die Echule wird überall nur dann die em 
wünjchten Früchte tragen, wenn fie fih auf den praftiihen Standpunkt ftellt, 
und der praktiſche Unterriht muß auch fpecielle, örtlihe Verhältniſſe in 
das Bereich feiner Erwägungen ziehen. Dabei aber verliert man in Sach⸗ 
fen gleihwohl das große gemeiniame Vaterland und die allgemeine Schulerziehung 
nicht aus dem Auge. Der Sachſe denkt und fühlt ſich durchaus zuerft als 
Deutſcher, und erft in zweiter Linie als Sachſe. Er hängt zwar mit 
Leib und Eeele an feinem engeren Vaterlande; aber er würde feinen 
Augenblid anſtehen, die theueriten Intereſſen vefielben dem Wohle von 
Großdeutſchland zum Opfer zu bringen. Die nationale Charalterbildung 
leidet aljo keineswegs darunter, wenn die Schulbildung mit den Bebürfs 
nifien des bürgerlihen Lebens Hand in Hand gebt; aber auch die ſitt⸗ 
[ide Entwidelung des Menſchen erfährt dadurch Heinen Abbruch. Der 
Sadıje ift bis in die unterften Schichten des Volfes hinab in der Regel 
gottesfürchtig, arbeitfam und mäßig; er iſt ein treuer Bürger und treffs 
liher Hausvater. Die praltiihe Richtung der Schule ſchadet alfo der alls 
gemeinen Bollserziehung nicht, nügt der Schule felbft ungemein, denn biefe 
wird dadburh populär. 

5. Die wieberholt in früheren Sahrgängen von und befprochenen 
Vereine und Anftalten zur Yörderung des materiellen Wohls der Lehrer 
haben aud in diefem Jahre ihren guten Yortgang gehabt. 


X. Sachſen-Weimar-Eiſenach. 


1. Nad einer Mittheilung des Cultusminifteriums vom 31. Dec. 1864 
find im ganzen Sande 653 Lehrer in 453 Schulgemeinden angeftellt. 
Unter den Schulen find 18 katholiſche und 4 jüdiſche. Die Zahl der 
Schullinder ift feit 1850 von 41,183 auf 44,203 geftiegen. 1850 Tas 
men auf einen Lehrer 70, 1863 nur 68 Finder, Die Brivatihulen find 
in der Zahl ihrer Echüler zurüdgegangen. 





614 Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule ꝛe. 


2. Der Präfivent des Landtags bat den Antrag geftelli, die Regie 
rung zu erfuchen, ein organifhes Vollksſchulgeſetz vorzulegen, das eine Gr 
mweiterung der Xehrerbildung, Schulbeauffihtigung durch Fachmänner in 
angemeflener Beſoldung einführt. Diejer Antrag wurde nad langer Bera 
thung angenommen und wird hoffentlich einen guten Verlauf nehmen. 

3 Am 10. und 11. October 1865 bielt der deutſche Fröbel⸗ 
verein in Eifenad feine erfte Generalverfammlung. Der bei Bühlan 
in Weimar erjhienene Jahresbericht theilt über die Verbreitung ber fin 
dergärten interefiante Notizen mit. Nicht bloß in Deutichland, ſondern 
auch in Frankreich, in den Niederlanden, in Italien, in England und Ruf: 
land, jelbft in Norbamerila findet Froͤbels Sache immer mehr Freunde. 
Die bei der Berjammlung angeftellten Prüfungen befriebigten allgemein. 
Am nächften Jahre wird die 2. Generalverfammlung in Cöothen jein. 
Wolfram, Chronik des Vollsſchulweſens.) 


X. Sachſen-Coburg-Gotha. 


1. Dem gothaifhen Peſtalozziverein gehören ſaͤmmtliche Leh⸗ 
ver als Mitglieder an. Obwohl feine Mittel noch beſchränkt find, fo bat 
er fih doch vielfah als wohlthätig erwiefen. Der in Siebleben verflorbene 
Lehrer Umbreit bat dem Berein 325 Thlr. und feinen literarijchen Rad: 
laß vermadt. Das Kapitalvermögen ift dadurch auf 1070 Thlr. angewachſen. 

2. Herr Schulrath Dittes ın Gotha hat einen Jahresberidht 
über das Lehrerfeminar daſelbſt herausgegeben, ber außer dem Bor: 
wort eine Nede, die Stellung und Aufgabe des Seminars betreffend, ent: 
hält, dann die gefeßlichen Beftimmungen über die Ausbildung der Boll 
fchullebrer, die Chronik der Anftalt, eine Weberficht des im Schuljahr 1844 
extheilten Unterriht3, die Haus: und Schulorbnung, ein Berzeichnik der 
Lehrer und Seminariften. Das ift jedenfall ein nützliches Unternehmen, 
flieht aber doch nicht vereinzelt da, wie der Herr Verf. meint, da z. 3. 
die nafjauifhen, württembergiſchen und bavenfhen, außerdem aud die 
Schmeizerifchen Seminare Programme mit Abbanplungen und Seminarnad« 
richten erfcheinen laſſen. Die Rede, gehalten beim Einzug des Seminars 
in ein dafür eingerichtete Kloftergebäude, und die Lieberjicht des erteilten 
Unterrichts find natürlich die interefianteften Theile des Programms, eignen 
fih jevoh nicht zu einem Auszuge. Zur vollen Durdführung des Lehr 
plans find natürlich noch einige Jahre erforberli ; in der oberften Klaſſe 
mußte daher mandes zufammengebrängt und repetitoriich, verbunden mit 
Erweiterungen, behandelt werben. 

Die Seminariften haben die Vergünftigung, ihrer Militärpflidt 
ald einjährige Freimillige zu genügen und werben nad jed$: 
wödhiger Uebung bei dem Negimente auf Großurlaub entlafjen. Die 
Gauipirung wird auf Verlangen den Seminariften vom Negimentscommando 
gegen eine geringe Vergütung geliefert. 


XIV. Sahfen-Altenburg. 


Ueber das Schulweſen diefes Landes fand fih Nichts in den päbage 
giſchen Beitichriften. 





Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule 2. 617 


eröffnet, daß dieſelben durch die neue Gehaltsregulirung fo geftellt worden 
find, um des durch Crtheilung von Privatunterricht zu erzielenden Neben« 
verdienftes entrathen zu können, daß die meitere Ertheilung von folhem 
Unterricht als mit ihren Pflichten gegen die Schule, der fie ihre gefammten 
Kräfte zu widmen haben, unvereinbar, im Allgemeinen unzuläffig erfcbeint 
und daß die Geltattung zur Ertheilung von Privatunterriht nur ausnahms⸗ 
weile auf beſonders zu begründendes Nachſuchen, in welchem zugleich vie 
Anzahl der Schüler, die Zeit und der Gegenftand des zu ertheilenden Un⸗ 
terrihts anzugeben ift, nie aber für foldhe Stunden, welche vor der Been⸗ 
digung der Schulzeit fallen, von bier aus ertheilt werben wird.“ 

Wenn durch dieſe Verordnung nicht einem argen Mißbrauch, dem 
man wohl bier und da begegnet, entgegengetreten werben foll, jo finden 
wir jie etwas hart; denn ſchwerlich find die Fuldaer Lehrer völlig jorgen» 
frei geltellt. 

5. Für die Lehrer-MWittwen ift endlich fo viel Geld Bemilligt worden, 
daß jede derjelben jährlid — 25 Thlr. erhält. 

6. Ganz befriedigend find die Rejultate der vor 7 Jahren gebildeten 
Brandverjicherungsgefellichaft. 

7. Die Einführung des In duſtrie- und Turnunterrichts flößt 
in manchen Gemeinden auf unüberwindlihe Echwierigkeiten, 


AIX. Großherzogthum Hefjen. 

1. Die 18364 angeordnete Aufbejjerung der Schuiftellen fol, wo 
tbunlich, menigftens theilmeife in Naturalien befteben , die allenthalben „in 
billigen Anſatz“ gebracht werden follen. Davon nehmen mande Gemeinden 
Umgang und verfuhen fogar, die Naturalien nad den billigen Anſätzen, 
ſtatt nad ihrem wirklichen Werthe, zu firiren. Auf diefe Weije bleibt die 
Berbeilerung auf dem Papiere, 

2. In Darmftadt ift den Lehrern die Befreiung vom Schulgeld 
für ihre eigenen finder, auch wenn fie dieſelben felbft unterrichten, entzos 
gen worden. 

3. Eine Derfügung der Oberſtudiendirection, nach welcher Lehrer, bie 
an öffentlihen Schulen angeftellt find, an Privatihulen Unterriht nit 
ertbeilen dürfen, ift nach vierwoͤchentlichem Beſtehen wieder aufgehoben worden. 

4 In Mainz find die Gehalte der lementarlehrer auf 600, 
700, 800, 900 und 1000 fl. firirt worden. Bon 5 zu 5 Jahren ers 
bält jeder Lehrer jo lange 100 fi. Zulage, bis fein Gehalt die Summe 
von 1100 fl. erreicht, eine Einrichtung, die Beifall verdient. 

Tas katholiſche Volksſchulweſen der Etadt Mainz fcheint ſich unter 
dem Inſpector Herrn Mebger jebt gut zu entwideln, wie wir mit Vergnüs 
gen aus feinem Sahresbericht erſehen. 

5. Ein wohlunterrichteter heſſiſcher Lehrer will gefunden buben, daß, 
wenn man die von dem Budget für die verſchiedenen Echularten beftimms 
ten Summen auf die den betreffenden Schulen angehörigen Schüler ver: 
teile, jeder Gymnafialfhüler dem Staate 81 fl., jeder Realſchüler 67 fl, 
jeder Echüler der Volksſchule aber nur 48 Kreuzer koſte. Das wäre alless 
dings ein arges Mißverhältniß. 


« 


506 Die änkern Angelegenheiten der Volksſchule ze. 


12. An pädagogifhen Zeitſchriften erfheinen in Hannorer: 
Hannoverſche Schuflzettung. Im Auftrage bes Provinial⸗Lehrer⸗ 
re ‚Gilbesheim herausgegeben non HY. C. W. Bartholomdus. DHildels 
eim, Lax. 
Gin frisches, gut redigirtes Blati. 
Hannoverſches Schnlblatt zur Berländigung zwiſchen Schule ımb 
Haus über Kragen des Unterrichts und ber Erziehung. Herausgegeben ven 


S sell, Director ber Mittelfehule in Hannover, 3. Jahrg. Haunorer, 
ahn. 


Neue Blätter für bie Volkoſchule ber Herzogthümer Bremen und 
Verden und des Landes Habeln. Herausgegeben unter Redaction von 
FR > Barten, 9. 4. Hadeler, ©. Hapn. 5. Jahrgang. Stade, 

14 565. 


V. Oldenburg. 


1. Das Dienfteintommen der Lehrer ift noch immer unm 
teihend. Cine darauf gerichtete Petition ber Lehrer an den Landtag if 
von diefem der Regierung zur Berüdfihtigung empfohlen worden. Ob 
darauf fhon Etwas erfolgt tft? 

2. Um dem Peftalozziverein die nöthigen Mittel zu verfchaffen, 
baben die Lehrer die Gründung eines Selbfiverlags zur Herausgabe ver 
ſchiedener Schriften, als Katechismus, Liederbuch zc. beſchloſſen. Das Be 
triebscapital foll durch Actien & 1 Thle. aufgebradht werden. 

3. Die Lehrer-Bereine haben überall guten Fortgang, und 
geben Beugniß von dem eifrigen Streben der Lehrer nah Yortbildung. 

4. Das GCentralcomitd des Lehrervereing hat das Oberſchulcollegium 
erfucht, die Aufnahme und Entlaffung im Eeminar von Michaelis in den 
Mai zu verlegen, mo die Schulen ihre Aufnahme haben. Cbenſo haben fie 
den Wunſch ausgeſprochen, daß der gefehlihe Unterricht der Schule niht 
möge durch den Konfirmandenunterricht verkürzt oder geftört werben. 

5. Das zu Oftern 1866 ausgegebene 23. Programm der Vorſchule 
und böberen Bürgerfhnle zu Oldenburg enthält von dem Nector dieſer 
Anfialten, K. Straderjan, eine beachtensmwerthbe Abhandlung über „das 
Plattdeutſche als Hülfsmittel für den Unterricht.“ 


VI Braunſchweig. 


1. Obwohl die ölonomishen Berhältnifie der Lehrer erft in den le 
teren Jahren etwas verbefiert worden find, fo lafien fie doch immer uch 
viel zu wünjcden übrig, Wie es ſcheint, follen die Wünfche der Lehrer in 
nächfter Zeit befriedigt werden. In den ſechsklaſſigen Gemeindefchulen der 


‚Stadt Braunfchweig beträgt das Gehalt für die Unterklaſſe jeit dem 1. Januat 


2865 300 Thlr. und fteigt für jede folgende um 50 Zblr., fo daß bie 
öberfte mit 550 Zhlen. abjchließt. 

2. Die mittleren Bürgerfhulen haben Infpectoren gu Borfiehern, 
Die unteren fogenannte dirigirende Lehrer. Gritere find Theologes. 
Leztere werben aus der Zahl ber Lehrer gewählt und erhalten für ihre 
Müpewaltung 100 Thlr. und freie Wohnung. Nah unferem Daficiaiem 











Die ‚äußern Angelegenheiten der Volkeſchule ꝛc. GUT 


würden die mittleren Bürgerfchulen durchſchnittlich beſſer beratben fein, 
wenn :fie ihre Vorfteher (Infpectoren) aus der Zahl der tüchtigſten Balls: 
ſchullehrer erhielten, da dieſe durchgängig in allen Schuljachen tüchtiger find, 
als die Theolgen, die ja eben ihre befte Zeit pflichtfchulvigft und auch aus 
innere ‚Antriebe der Theologie widmen müflen. Die Schule wird ihnen 
nie etwas anderes als eine Uebergangzftation fein. 

3. Schon vor einigen Jahren find Verhandlungen eingeleitet worden, 
welde die Befreiung der Lehrer von den niederen kirchlichen 
Dienften zum Zwed haben; der Grfolg derjelben ift aber noch wenig 
ſichtbar, da weder die Gemeinden dazu große Luft bezeigen, noch die Lehrer 
ernftlih Darauf driugen, wenn fie Verluſte dabei haben follen. Die: große 
Mehrzahl der Lehrer wünfcht aber nicht nur die Befreiung von niehenen 
kirchlichen Geihäften, fondern wünfht vie bisherige Stellung der 
Prediger zu ven Schulen gelöft zu ſehen, was wiederholt in den 
größeren Conferenzen zum Ausprud -gelommen if. Wie anderwärts m 
Deutihland, ſo wollen auch die Lehrer im Herzogthum Braunſchweig nicht 
ohne Aufſicht fein; fie nerlangen nur, von fahverftändigen Männern con⸗ 
teolirt zu werden, von Männern, welche bereit und befähigt find, eine 
zeitgemäße Einrichtung der Schulen zu fördern, Männer, welde neben 
dem Religionsunterriht auch die weltlichen Dinge zu ihrem Recht kommen 
laſſen. Wenn die Lehrer ofien bervortreten und in ihrem Streben nicht 
‚laß werden, jo wäre e8 wohl möglih, daß fie Aehnliches erreichten, wie 
im Herzogthbum Gotha. 

4. Das Herzogthum Braunfchweig bat drei gehrerbildungsan: 
Falten, von denen jedoch nur die in Wolfenbüttel Landesfeminer 
ft; denn die zu Braunfhmweig will nur Lehrer für diefe Stadt aus 
büden, und die zu Blanlenburg bildet Gymnafiaften bios nebenbei umd 
privatim zu Lehren. Das Wolfenbüttler Seminar umfaßt eine zweillaffige 
Realſchule und eine Präparandenanitalt, welde die Stelle ded Seminare 
anderer Staaten vertritt oder doch vertreten fol. Die Aufnahme in die 
Realſchule erfordert die Weife der Oberklaſſe einer Stadt⸗ oder gehobenen 
Landſchule. Der Unterricht, bejonders für Schulamtsajpiranten berechnet, 
erſtredt firh auf Katechismuslehre, Bibelkunde deutſche Sprache und Litera⸗ 
tur, Rechnen, Geographie, Geſchichte, Naturkunde, Geometrie, franzoͤſiſche 
Sprache, Singen, Schreiben, Zeihnen und Turnen. Der Klaſſenkurſus iſt 
im Durchſchnitt ein zweijähriger. Aus der erften Klaſſe erfolgt alljährlich 
eine Verſetzung in die Präparandenanitalt, für welche die erforberliche Reife 
im Stlawierfpiel ein befonderes Cramen darthun muß, und melde ein. Alter 
von mindeftens 17 Jahren vorausjegt. Der Kurſus in dieſer Anftalt ‚tft 
ein breijähriger, und dem entſprechend find die Böglinge in brei Wbshei- 
lungen geſchieden, von denen die dritte nur an dem Unterricht heil nimmst 
und den Lehrübungen beiwohnt, obne aber felber ſolche vorzunehmen, kie 
gmweite und erite hingegen Lebrvorträge und latechetiſche Probelektionen 
halten. Der Unterricht erftredt ſich auf die bereitd- auf ber Realſchube 
vertretenen Disciplinen, mit Ausſchluß der franzoͤſiſchen Sprache, und auf 
Pädagogik, Orgeljpiel, Violinfpiel, Generalbaß, Katechiſiren und Gartenban, 
nad zwar follen die meiften Alnterrichtögegenftände fo vertbeilt werden, daß 





608 Die äußern Angelegenheiten ber Volloſchule 1. 


das Wiflen und die praftiihe Lehrfähigteit der Zöglinge zugleich dadurqh 
gewinnen. Um legtere auszubilden, müflen bie Präparanden außerdem 
noch in einer beflimmten, ihnen zugewieſenen Klaſſe regelmäßig bospitiren, 
und werden Böglinge der zwei Abtheilungen auch interimiftiih als Aus 
Hifslebrer verwandt. (Allgem, deutſche Lehrerzeitung, 1865, ©. 340.) 


VIL Anhalt. 


Das Bernburger Gonfiftorium ift aufgehoben und mit dem von 
Deifau vereinigt worden. Das Schulmefen der legteren Stabt ſieht einer 
Reorganifation entgegen. Bon dem Gymnafium und der höheren Töchter 
faule wird eine Mittelihule abgezweigt, die zeither beftandene Handels 
ſchule aber in eine Nealfchule umgewandelt werden, bie den Anforderungen 
ver Zeit entfpriht. In nächfter Zeit wird der Bau einer Mittelfchule für 
Knaben in Angriff genommen werben. 

Das diesjährige Programm der Hauptfhule zu Côthen enthält eine 
interefiante Abhandlung vom Conrector und Prof. Boffe: „Vorarbeiten 
zu einer kritiſchen Ausgabe von Klopftods Open.” 


VOI. Bremen. 


: Der Bremifhe Staat verwandte im Sabre 1865 im Ganzen 
119,312 Thlr. Gold auf fein Schulweſen. 

Die Gehalte der Landſchullehrer find abermals erhöht worden. Die 
ordentlichen Lehrer erhalten nämlid flatt 240 bis 400 Thlr. jept 350 biß 
450 Thle. Bon der Einnahme des Küfterdienftes wurde bisher die Hälfte 
gam Lehrer⸗Gehalt gerechnet; jetzt bleibt die ganze Ginnahme hierbei unbe: 
rüdfihtigt, was die Gefammteinnahme um 100, 150 bis 200 Ah. 
fleigert, die Stellen aljo als gut botirte erſcheinen läßt. 


Di Hamburg. 


In Hamburg gebt Alles feinen alten Gang und fteht alſo noch genen 
fo, wie wir es im vorigen Bande kurz bezeichnet haben. Der „ Gntwwf 
eined Gefepes, betreffend das Unterrichtsweſen“, von der interimifischen 
Oberſchulbehoͤrde, ift noch nicht in der Bürgerfhaft zur Berathung gelow 
men, ift aber dafür defto mehr in ver Prefie befprochen worden. Schon 
1864 batte Dr. U. Rée, Vorſteher einer ifraelitiihen Schule in Ham 
burg, einen ,‚Öegenentwurf“ erjcheinen lafien ( Hamburg, Hoffmann und 
Gampe), in dem er eine allgemeine Volksſchule mit dem Lebrziele 
Ver mittleren und böberen Bürgerjchule fordert. Diejelbe foll in em 
Brimärfchule, welche die vier unteren, und in eine Secundaͤr⸗ ober höhere 
Volksſchule, die drei oberen Klaſſen entbaltend, zerfallen. Bon fonfligen 
Höheren Schulen, wie Gymnaſium und Realſchule, fieht der Gegenentwur, 
wie auch ber Entwurf der Oberſchulbehoͤrde, ganz ab. Alle, welde ihre 
Bildung überhaupt in der Volksſchule ſuchen, follen fie in biefer „allge 
weinen Volksſchule“ finden, mögen fie dem rohen Proletariat, ober de 











Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule 2. 609 


gebildeteren Ständen angehören. Das forgfältig übermacte, in ver gebil 
beten Yamilie geiftig angeregte und bis zu dem möglichen Grade entwidelte 
Kind foll auf derjelben Bank ſitzen mit einem Rinde, das nicht bloß in 
Dürftigfeit, oft im Schmug aufgewachſen, ſondern nicht jelten auch geiltig 
ſehr verfommen ift, weil feine Eltern fich entweder nur ſehr wenig, oder 
in mehr oder weniger verfehrter Weile um dajjelbe befümmerten. Und 
das foll geſchehen, damit jedes Kind Gelegenheit babe, einen möglichſt bos 
ben Grad von Schulbildung zu erlangen. Die Abfiht ift aljo jedenfalls 
eine ganz vortrefjliche, eine durchaus humane. Die Oberjhulbehörde will 
dagegen Armenjhulen, Boltsijhulen, mittlere und höhere Bürgerfchulen, 
vorläufig allerdings nur die beiden erjteren; fie jondert aljo gewiſſermaßen 
die Schuljugend nad den Vermögensverbältnijjen ihrer Eltern. Hiergegen 
lehnt ſich das demokratiſche Gefühl des Herrn Dr. Ree und Genoſſen ein 
wenig auf, weil es fich verlegt fühlt, was wir volllommen begreifen. Im 
Sabre 1848 wurde bereits diejelbe Idee in Xebrerlreifen und anderwärts 
berathen. Seitvem ift fie aber von der Tagesordnung verihwunden. Man 
erlannte jehr allgemein, daß die Idee zwar ſehr anjprehend, aber nicht aus⸗ 
führbar fei. Eltern mit nach der einen oder andern Richtung hin verwahrs 
loften Kindern wird es allerdings gleichgültig fein, in welcher Geſellſchaft 
ihre Rinder beſchult werden, nicht aber folhen, die in ihren Kindern bie 
theuerjten Güter erbliden, die ihnen zur gemifjenhaften Yörderung anvers 
traut worden find, und die für fie gethan haben, was Menſchen thun kön⸗ 
nen ; ihnen iſt es vielmehr heilige Gewiſſensſache, ihre Kinder vor übler Gefells 
Ichaft zu bewahren, und man würde ihnen unverantmwortlidde Gewalt anthun, 
wenn man fie in die Nothwendigkeit verjegte, darauf eine Reihe von Jah⸗ 
ren verzichten zu müflen. Dazu kommt, daß jeder erfahrene und vorur⸗ 
theilöfteie Lehrer weiß, daß Finder, die geiftig angeregt und ſprachlich ents 
widelt find, ſchon im eriten Schuljahre fait doppelt jo große Fortjchritte 
in der Schule maden, als ſolche, bei denen dies nicht der Fall iſt. Das 
ber ſtehe ich auf Seiten des Entwurfs der Oberſchulbehoͤrde, wenn ich auch 
betennen muß, daß mir „Armenjchulen‘ principiell zuwider find. Diefen 
Namen vermeide man und unterfcheide nur Volksſchulen mit höherem und 
niederem Schulgelve, die man, wie ih es in Merjeburg getban, als erfte 
und zweite Bürgerjchule bezeichnen kann. “ 

Den Borihlägen Dr. Rée's ift Theodor Hoffmann in ber 
Schrift „Die allgemeine Volksſchule.“ (Hamburg, Nolte. 1866) entgegen 
getreten, und Griterer hat darauf in der Brodhüre „Die allgemeine Volks⸗ 
Schule, oder Standesſchulen?“ (Hamburg, Hoffmann u. Campe. 1866) ges 
antwortet. Hoffmann vertritt den Gntwurf der Oberfchulbehörde, da er 
daran ſehr fleißig und mit vielem Geſchick mitgearbeitet hat. Der Raum 
geftattet uns nicht, mäher auf beide Schriften einzugehen; aber wir haben 
beide mit großem Intereſſe gelefen und empfehlen fie Allen, die Antheil 
nehmen an ber Entwidelung des deutihen Vollsſchulweſens. 


X, Lübeck. 


In Lübed ift man raſcher zu einem ziemlich befrievigenden Rejultat 
mit dem Volksſchulweſen gelommen, als in Hamburg. Mir liegt der, 
Wär. Jahresbeticht. XVIIL 39 


610 Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule ꝛc. 


Entwurf zu einem Gefeß für das Volksſchulweſen und ein bazu geböriger 
Bericht vor, beide ausgegangen von ber interimiftiihen Ober-Schulbehörbe. 
Db diefer Entwurf ſchon zum Gefeb erhoben worden, konnte ih jegt nicht 
erfahren, ſcheint aber der Fall zu fein, wenigftend las ic, daß das „Über 
Schulcollegium“ eingejegt fe. Dies wird gebildet aus: 2 Mitgliedern 
des Senats, von melden eins den Borfig führt; 6 auf den Vorichlag des 
Bürger: Ausfchufies vom Senat zu erwählenden bürgerlihen Deputirten; 4 
von dem Bürger: Ausfhufje auf fehs Jahre zu ernennenden Mitglievern, 
nämlich zwei Geiftlihen des Lübedifchen Freiftaated und zwei Lehrern an 
Lübediihen Schulen; und 2 vom Senate, nad jeiner Anſicht für vie 
Bwede des Ober: Schulcollegiums vorzugsweife geeigneten, ebenfalls auf je 
ſechs Jahre zu ernennenden Mitgliedern. Dies Ober: Schulcollegium leitet 
das gefammte Schulweſen, übt auch die Inſpection aus oder ernennt die 
Schulinſpectoren. 

In den oͤffentlichen Volksſchulen fol gelehrt werden: Religion, Leſen, 
Schreiben, deutſche Sprache, Rechnen, Geometrie, Erdkunde, Naturkunde, 
Geſchichte, Zeichn en, Geſang und Turnen. Für Maͤdchen treten bie durch 
die Verſchiedenheit des Geſchlechts bedingten Modificationen des Unterrichts 
ein, und hinzu kommt für dieſelben eine regelmäßige Unterweiſung in weib⸗ 
lichen Handarbeiten. 

Die Zahl der öffentlihen Volksſchulen ift für jetzt auf vier Knaben: 
und drei Mädchenihulen feftgefegt worden. Die meilten dieſer Echulen 
find mindeftens dreiklaſſig. Der Staat gewährt geeignete Schulhäufer mit 
freier Wohnung für den Huauptlehrer, überläßt diejem aber das Schulgeld 
und bie nächte Sorge für die übrigen Lehrer. In dreillajligen Vollsſchu⸗ 
len muß neben dem Hauptlehrer wenigftend noch einer ber Hülfglehrer eine 
vollftändige Seminarbildung erhalten haben. Neben dem Schulgelde erhal 
ten die Hauptlehrer aus öffentlihen Mitteln eine jährlibe, von 5 zu 3 
Jahren um 50 Mark fteigende Beihülfe, melde für den Hauptlehrer an 
ben Knabenſchulen mit 1000 Mark beginnt und bis 1200 Mark fteigt, für 
den Hauptlehrer an den Maͤdchenſchulen dagegen mit 600 Mark beginnt 
und bie 800 Mark fteigt. 

Die Inſpection der öffentlichen Volksſchulen in der Stadt und in den 
Vorſtädten wird von der Inſpections-Commiſſion wahrgenommen. 
Dieſelbe beſteht, unter der Leitung des Vorſitzenden des Ober-Schulcolle⸗ 
giums, ſowie unter Beiordnung zweier von letterem aus feiner Mitte zu 
committirenden Mitglieder, aus zehn vom Ober-Schulcollegium auf je je? 
Jahre zu erwählenden Inſpectoren, melde jedoch nicht fungivende Yehrer 
fein dürfen. Don diefen zehn Inſpectoren find fünf in der Art zu wählen, 
daß für jede diefer fünf Stellen je einer ver fünf ewangelifch = Intherijhen 
Kirchengemeinde s Borftände der Stadt zwei feiner Mitglieder dem Über: 
Schulcollegium in Vorſchlag bringt; die übrigen fünf find von dieſer Be 
börde ohne ſolchen Vorſchlag frei aus den Bewohnern der Stadt oder der 
Borftädte zu wählen, 

Dadurch ift die Infpection der Volksſchulen durch die Geiftliden als 
ſolche bejeitigt, was bereits einige Unzufriedenheit bei der orthodoren Bar 
tei erregt hat. . 








Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ce. 611 


. Für die Landſchulen bleibt das Geſetz vom 6. Juni 1863 im We 
fentlihen in Kraft. 

Privatſchulen dürfen von Jedem errichtet werben, der feine fittliche, 
wiſſenſchaftliche und techniſche Befähigung zur Leitung derſelben vor dem 
Dber-Scuicollegium nachgewieſen hat. 

Man bat die Abfiht gehabt, einen Shulrath anzuftellen, hat aber 
vorläufig, und wie es jcheint, aus Furcht vor einem Mikgriff, davon Abs 
fland genommen. 

Das Seminar tft in feiner bisherigen mangelhaften Einrichtung 
belafien worden. 

.Ein Mitglied des (interimiftifchen ?) Ober-Schulcollegiums, der Haupt 
lehrer W. Deede, ſcheint bei der Feitltellung des Schulgefeges in meh: 
zeren wichtigen Punkten in der Minorität geblieben zu fein, was ihn bes 
ftimmt bat, feine Anfichten in einer Heinen Brochüre, betitelt „Zur Schub 
frage (Lübed, Aſchenfeldt, 1865), darzulegen. Er fordert darin ein 
Bierfahes: 1) die Anftellung eines Schulrathes, deſſen Hauptaufgabe die 
pädagogifche Infpection der Volksſchulen fein fol; 2) die Herftellung eines 
vollftändigen Seminars; 3) die Herftellung von vier, hoͤchſtens ſechs größe: 
ren Volksſchulen an Stelle der jebt erillirenden 9 Stadt: und 3 Vorſtadt⸗ 
fchulen; 4) Uebernahme der Gelpverhältnifie der Voltsfhulen dur den 
Staat, „d. b. Befreiung des Volksſchulunterrichts aus den Händen der 
Epeculation.” 

Wir halten Deede’s Anfichten für mwohlbegründet und find ber Mei: 
nung, daß man fie als Ziel im Auge behalten muß. Man mürde ihnen 
auch wahrſcheinlich gleich zugeltimmt haben, wenn man fid nicht gar zu 
ſehr von dem Grundjap hätte leiten laſſen, den beftehenden Verhaͤltniſſen 
möglihft Rechnung zu tragen. 


XI. Sachſen. 


1. Obwohl erft vor zwei Jahren ein neues Seminar für 80 Semi- 
nariften in Borna errichtet worden iſt, fo können die Seminare doch den 
Bedarf an Lehrern nicht deden; es finden fi daher eine Anzahl Schul: 
gemeinden im Lande, die ihre vacanten Schulftellen vergeblich ausbieten. 

2. Eine in diefem Jahre erlafjene Verordnung der Regierung, nad 
weiber auch tüchtigen feminariftifd gebildeten Lehrern der 
Beſuch der Univerfität Leipzig geftattet ift, bat in weiten 
Kreifen freubige Zuftimmung gefunden. Gie lautet wie folgt: 

„Während die Anforderungen an die Leiftungen der Vollsfhule von 
Jahr zu Jahr wachſen und in deſſen Folge namentlih an die Directoren 
und Oberlehrer an Bürgerfhulen Anſprüche auf umfafjendere Berufsbildung 
gemacht werden, als die Schullebrerfeminare gewähren Lönnen und ihrer 
eigenthümlichen Beftimmung gemäß gewähren follen, bat die Zahl an ala= 
demiſch gebildeten Männern, die fich bisher, wenn auch in der Regel in 
der Hoffnung auf jpätere Anftellung in geiftliden Aemtern, zu derartigen 
Stellen meldeten, fih mejentlih gemindert. 

Um nun den hierdurch. mehr und mehr fühlbar gewordenen Bedürh 

39 


622 Die äußern Angelegenheiten der Bollöichale x. 


Kenntnis über das bayerſche Schulweſen zu verkeeiten, madhielgente 
Meberfiht über Die Retrutenpräfungen ber legten fünf Jahre wi. 





Conferibirte mit mangelhafter Edulbikung 





Regierungs: 

Bezirk, — | I Der⸗ 
. 1860 | 1861 | 1862 , 1863 | 1564... | 

| | | 
Oberbayem .. ... 15,0 10,0 9,10,2% 9,2% 78% 104°, 
Niederbayern . . .:29,0 = 30,0 : ‚23,6 = 19,7 = 15,5 = 236 : 
Bla -....... 14,0 =: 13,5 =: 12,7 = 8,2 =: 9,4 = 11,6 : 

Dherrieh u. Regens- | | | | ' | 
burg. ...2.... 15,0 = 14,0 ='17,2 = 15,9 = 12,7 = 15,0 : 
Oberfranten >. > 11,0: 80 -'87 ::70 : 51 :'180 : 
Mittelfranten ... . | 90 :' 65 | 76 :! 48 :' MA :' 65 : 

Unterfranten u. Aſchaf⸗ | | | 
fenburg 2 22... |9o :!so:!73 :!08 .Is2 .172: 
Schwaben n. Neuburg ! 7,0 «| 5,0 :1 7,4 =:| 7,4 «| 44 =! 62 - 


Nah dieſem fünfjährigen Durchſchnitt ergiebt ſich, daß von fämmt 
lien eingereiheten Conſcribitten 11,0 %, eine mangelbajte Schulbildung 
erhalten hatten. 

2. Die Meferzeitung fagt in einem Artilel aus Münden: „Tie 
gegenwärtige Landwirthſchaftskriſis in Bayern ift in Folge des mangel: 
baften Schulunterrichts, der die Berfiandesträfte der bäuerlichen 
Bevölterung nicht fo entwidelte, um fie zu rationellerem Betriebe zu be 
fähigen, fie ift die Folge ſchlechter focialer Geſetze.“ 

3. Die erniten Beftrebungen des Lehrerfiandes um Erlaß eines 
Schulgeſetzes, über die wir ſchon im vorigen Bande beridyteten, baben ber 
wirkt, daß die Angelegenheit au in der Abgeordnetenkammer zur Sprache 
gelommen if. Auf eine Sinterpellation des Stadtpfarrers Dr. Schmid 
entgegnete der Minifter v. Koh: „Die E. Staatsregierung ift mit dem 
Herrn Interpellanten zunädit darin einverfianden, daß der Bollsunter: 
siht und feine gegenwärtigen Einrihtungen den beredtig: 
ten Anforderungen der Zeit nicht vollftändig eutfpreden 
und nad verfchiedenen Richtungen einer Berbefierung bedürfen.” 

Der Abgeorpnete Umbſcheiden fagte bei Berathung der pfälziichen 
Bittihrift: „Die Frage der Echulreform ftellt ſich als eine Frage von der 
höchſten Bedeutung dar, die ihre Löfung finden muß, da es unzweifelbaft 
richtig ift, Daß die Entwidelung der Schule nicht gleichen Schritt gehalten 
bat mit der Entwidelung des Lebens. Iſt die Frage von dieſer Bebeutung, 
dann täufhen ſich jene, welche glauben, daß bier in Folge eines Parteige⸗ 
triebes abermals eine Frage in den Vordergrund gebrängt worden fei, oder 
dab Phantaſien oder Ideologen dieſes Prodult in die Welt gejegt haben, 
und dab jchließlih die Frage, wenn man nur glüdlid bei ihr vorbei 
Shlüpfen könne, aud wieder in den Hintergrund fidh flellen könne.“ 








Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule c. 623 


Diefe Stimmen aus Bayern felbft laflen veutlih genug ertennen, 
„daß Etwas faul if” und daß bald Abhülfe fommen muß. Die Lehrer 
baben durch Petitionen ihre Echulvigleit gethan, mögen nun die Kammern 
und die Regierung das Werk bald angreifen und glüdli vollenden. 

4, Die Bewegung der Lehrer fommt den Geiftlihen wohl am unbes 
quemften, da fie theils die bisherige Herrfchaft über die Schule nicht auf: 
geben wollen, tbeild auch die Kirche in Gefahr glauben. Co wird der 
Allgemeinen Schulzeitung unterm 20. Juni aus der Pfalz gejchrieben: 
„Bon den Geiltlihen beider Confeflionen wird gegen die Petition, welche 
die Lehrer an die Kammer der Abgeordneten gejendet haben, fehr lebhaft 
agitirt; insbefondere ift das Streben der Lehrer nah einer größeren 
Selbftändigleit der Gegenftand einer entſchiedenen Berurtheilung Seitens 
gewiſſer proteftantijcher und katholifcher Geiftlihen. Im jenfeitigen Bayern fol 
namentlih der Biſchof von Pajjau bereit$ in einem geharniſchten Schreiben 
gegen daS Vorgehen der Lehrer aufgetreten fein. Auch das bijchöfliche 
Orbinariat in Speyer läßt die Lehrer auffordern, fchrijtlih zu erklären, 
welche gegründete Beſchwerden gegen die Geiftlichleit fie veranlaßt haben, 
ſich von der Gerichtsbarkeit derſelben loszuſagen und jo indirect eine 
Emancipation der Kirche von der Schule anzujtreben.‘‘ 

Der Erzbifhof von München-Freiſing fagt unterm 2. Febr. 
in feinem SHirtenbriefe an den gejammten Clerus der Erzbiöcefe: „Machet 
Euch befannt mit den beten und fruchtbarften Methoden und Hülfsmittelu 
des Clementarunterrihtd, auf daß Ihr nit nur dem Namen nad, fon: 
dern in der That dad ganze Getriebe der Volksſchule leiten und regeln 
fönnt. DBeherziget dann, welde große Wichtigleit dem Amte ver Polls: 
jhullehrer inne wohnt. D, wenn es Euch gelänge, Cure Lehrer Euch zu 
guten Freunden, zu trenen Mitarbeitern zu machen. Kommt ihnen darum 
mit aller nur möglichen Liebe und treuherzigen Zutraulichleit entgegen, 
traget die etwaigen Mängel und Schwächen berjelben, fo lange es das 
Interefie der Schule nur immer geftattet, mit Schonung und Geduld, jeid 
bejonders den jüngeren Lehrern väterlihe Freunde, die fie rechtzeitig vor 
den großen Gefahren, die jie bedrohen, warnen und bewahren, lafjet ihnen 
das tieffte Intereſſe für die Schule und den ehrwürdigen Stand der Schuls 
lehrer entgegenleudhten, und übet Euer Auflihtsredht über fie ſtets nur mit 
priefterliber Würde und priefterliher Mäßigkeit.“ 

Das it recht gut gemeint; aber man merkt die Abjicht doch gar 
zu ſehr. 

Die bayeriihen Erzbiſchöfe und Biſchöfe haben eine Adreſſe an 
den König gerichtet, in der die auf die Sculfrage fi beziehenvde Stelle 
folgendermaßen lautet: „Die Bürgjchaft für die Kirche und des Staates 
Wohlfahrt und Gedeihen liegt vorzugsweile in ver entjprechenden Herans 
bildung des nachwachſenden Geſchlechtes: darin, daß die höhere mie die 
nievere Schule in innigem Berbande wahre kirchliche Sefinnung in den 
jugendlichen Seelen wede und pflege. Ye mehr in unjern Tagen das Ele 
ment des pofitiven Glaubens auf dem Gebiete des Unterrichts und der Er: 
ziehung in den Hintergrund gedrängt werden will, je ofjentunpiger nicht 
blos vernachlaͤſſigt, fondern geradezu angelämpft wird, defto gewiſſer 


624 Die äußern Angelegenheiten ber Volksschule ꝛc. 


wird dadurch der Kriftlide Staat feiner Gelbflauflöfung 
entgegengedrängt. Die Forderung an die Schule wird in dieſer 
Beziehung eine um fo größere und intenfivere, als leider das Familienleben 
unferer Zage mehr und mehr dasjenige zu fein aufhört, was es einft ges 
weſen, und mehr und mebr von der Wahrung und Pflege kirchlichen Glau⸗ 
bens und Lebens abzufallen droht. 

Bon diefem Gelihtspuntte aus haben wir bei unferer Berfammlung 
dahier (in Bamberg) namentlih aud die gegenwärtig mit größtem Rad; 
drud angeregte Schulreformfrage unferer ſorgſamen Prüfung unterzogen und 
dies bezüglih unſere Anfihten und Anträge der hohen Staatsregierung 
Gurer Königl. Majeftät zur geneigteften Würdigung zu unterbreiten ung er: 
laubt. Wir find des feiten Vertrauens, daß Gure Königl. Majeftät wie 
in diefer wichtigen Angelegenheit der Volksſchule, jo auch in allem den: 
jenigen, was den Gerehtfamen und der Aufgabe der Kirche gemäß ift, bie 
landesväterlihe gerechte Gewähr und weiſe Fürſorge dem allerehrfurchts- 
vollften Episcopate Bayerns, welcher keine andere Devife bat, ald concordia 
inter imperium et sacerdotium, allerhuldvollſt werden angedeihen laſſen.“ 

Wem fällt hier nicht fofort der Hauptpaftor Melchior Göze aus 
Hamburg ein, der Lefling in Berlin und Wolfenbüttel ale einen flaate: 
gefährlichen Mann denuncirte und es wirklich dahin bradte, daß dieſer 
nichts mehr in Bezug auf Religion durfte druden lajien. Auf ihn beziehen 
fih befanntlih des Batriarhen Worte im Nathan: 

Auch mach' ih ihm gar leicht begreiflich, wie 
Gefährlich felber für den Staat es iſt, 

Nichts glauben! Alle bürgerlihen Bande 

Eind aufgelöjet, find zerrifien, wenn 

Der Menſch nichts glauben darf. — Hinweg! binweg 
Mit folhem Frevel! 

5. Wir machen bier noch auf eine mit Wohlwollen gefchriebene 
Brodüre in Angelegenheit der Schulreform aufmerljam; ihr Titel Iautet: 
Zur Schulreform. Mit befonderer Berüdfibtigung ber Denkſchrift 
des bayeriichen Volksſchullehrervereins. Von Adolf Ztahlin, proteſtan⸗ 
tiſchem Stadtpfarrer in Nördlingen. gr. 8. (IV u. 83 ©.) Nördlingen, 

C. 9. Bed. 1865. 

6. Nr. 2 des bayerifchen Negierungsblattes enthält eine Berorbnung 
über die Shulpfliht an Sonn» und Feiertagen, die wir ibrer 
Bwedmäßigkeit wegen hier im Auszuge mittheilen. 

8. 1. Die Sonn: und Feiertagsfchulpflidtigleit beginnt für Knaben 
und Mädchen nad ihrer Entlaflung aus der Werktagsjchule und findet ihren 
Abſchluß durch erfolgreihe Erſtehung ver öffentlihen Schulprüfung in bem: 
jenigen Jahre, in weldem der Schulpflichtige das 16. Lebensjahr zurüd: 
legt. 8. 2. Während dieſes Beitraums ber Schulpflihtigleit ift Die Sonn⸗ 
und Feiertagsſchule von den Schulpflichtigen beiderlei Geſchlechts anhaltend 
zu beſuchen. Eine Befreiung von diefem Sculbefuhe findet nur bei den 
jenigen Schulpflihtigen ftatt, welche eine höhere Lehranftalt beſuchen, oder 
welche mit Genehmigung der Localinſpection einen die öffentlihen Sonn und 
Feiertagsſchule erfegenden Privatunterricht erhalten. $.3. Die Anforderungen, 


Die Außern Angelegenheiten ber Volksſchule ꝛe. 625 


weiße "bei der Schulprüfung an die aus der Sonn und Feiertagsfchule 
zu- Entlafienden geftellt werben follen, haben fi neben entjprechendem 
Neligionsunterticht mindeſtens auf diejenigen Elementarlenntniſſe zu er 
ſtreden, welche an den von ihnen beſuchten Schulen nach den geltenden 
Unterrichtsplaͤnen gelehrt werden. $. 4. Diejenigen Schüler und Schüle⸗ 
rinnen, welche die Schulprüfung nicht mit Erfolg .beitanden haben, bönnen 
ausnahmsweiſe buch Berfügung des Diſtrictsſchulinſpectors 2c. gu weiterm 
Beiuhe der Sonn⸗ und Feiertagsſchule, der jedoch den Beitraum eines 
Jahres nicht überfchteiten darf, angehalten. werden. $. 5. Die förmliche 
Entlofiung erfolgt. durch Aushändigung des Entlaſſungszeugniſſes an bie 
Austretenden. Un diejelben ift die Ermahnung zu einem orbentlihen und 
gefitteten Lebenäwandel zu richten. 8. 6—9 enthalten Nebenbeftiimmungen. 
$. 10. Nur diejenigen SJünglinge und Mädchen, melden das vorſchrifts⸗ 
mäßige Beugniß über ihre Entlafjung zugeftellt ift, können als der Sonn: 
und Feiertagsjchulpflichtigleit und allen gejeßlichen Solgen berjelben enthohen 
betrachtet werben, 

7. Bayern hat gegenwärtig 10 Gehrer-Seminare, 7 tatholiſche 
und 3 proteſtantiſche (Altvorf, Kaiſerslautern, Schwabach), deren Etat 
112,148 fl. beträgt. An jedem Seminar wirkt 1 Inſpector mit 900 big 
3500 fi. jährliher Befoldung nebft Wohnung, Holz ꝛc., menigftens 1 
Präfect mit 700—1200 fi. Beſoldung nebft Wohnung, wenigftens 1 Se 
minarlehrer mit 600—1000 fl. und mehrere techniſche Lehrer, deren Ges 
halt 400-600 fi. beträgt. Die außerdem noch verwendeten Hilfslebrer 
werden nah Maßgabe ihrer wöchentlichen Stundenzahl honorirt. Die 
Seminare haben: 

Altdorf.... 2 Klaſſen, 74 Söglinge, s Lehret; 
8 


Bamberg... 2 ⸗ 7 

Eichſtaͤdt. 2 : 50 s s ⸗ 
Sing... 2 = 56 s 10 ⸗ 
Kaiſerslautern 2_ s 50 ⸗ 8 ⸗ 
Lauingen... 2 = 65 ⸗ 7 — 
Schwabach .. 2 8 78 8 9 8 4 
Speyer..... 2 s 48 s 7 ⸗ 
Straubing.. 2_ » 63 ⸗ 7 ⸗ 
Mürzburg 2 75 ⸗ 11 > 


Die Ausfict auf beſſere Befolbung und unabhängigere Stellung hat 

gute Wirkung gehabt. Der Zudrang zu den Seminaren ift nämlich 
bedeutend gewachſen. In Schwabach hatten ſich beim lebten Aufnahmes 
eramen 65 gemeldet. 51 beitanden bie Prüfung und AO wurden aufges 
nommen. In Altvorf waren 57 Graminanden da, 16 Lehrers, 12 Bauers⸗ 
und 29 Handwerkersſoͤhne. AO wurden aufgenommen. In Eichſtaͤdt flieg 
die Bahl der zu PBrüfenden auf 76, die aus Oberpfalz; und Mittelfranken 


8. In Münden if vor drei Jahren durch den Fabrifanten 
Niemerfchmied und deſſen Procuriften Reifchle eine Handelsſchule für 
Mäpchen gegründet worden, in der täglih in 6—7 Stunden Unterricht 
in deutſcher und franzöfiiher Sprache, im Schönfhreiben, im Laufmännifchen 

Päd. Jahteßberiät. XVII 40 


626 Die äußern Angelegenheiten ber Bolksſchule sc 


Nennen, in einfacher und beppelter Buchhaltung, in Wechſellehr, Kate 
corrent und Gorrefponveng ertheilt wird. Der Curſus ifl zweijährige Die 
Anſtalt findet allgemeine Unerlennung; mehrere Schülerinnen haben bereits 
als Berläuferinnen und Buchhalterinnen «in voribeilbaftes Unterlommen 
gefunden. 

9. In Mittelfvanten find die Gebühren für Abhaltung 
von Shulinfpectionen durch die Diſtricts:Schulinſpectoten folgender 
maßen feitgeftellt worden: Für Vornahme einer Schulprüfung, wenn folde 
den größten Theil des Tages in Anſpruch nimmt, 5 fl.; fir Inſpection 
zweier ſelbſtaͤndiger Schulen mit je einem Lehrer an einem Tage 8 fl; 
für Prüfungen, weldhe nur einen halben Zag in Auſprach nehmen, 4 1. 
Der Inſpector bat in dem Protokoll den. Heitaufwand zu conflatiren. 

10. Das fiebente Schuljahr iſt immer nod vielen Ländlichen 
Gemeinden, befonders in Niederbayern, ein Dorn im Auge. Immer wie 
der lommen Neclamationen, in denen ftetS als Haupftgegengrund ber zu 
finden ift: daß diefe Maßnahme der Verwendung der Kinder zur Land: 
wirtbihaft Eintrag thue. Das Minifterium dagegen hanphabt das Geſet 
mit aller Strenge. 

11. Das Intereffe für pie Schule ift im Volle ſehr rege, 
wofür am beiten der Umftand ſpricht, daß wiederholt neue Stiftungen für 
diefelbe ins Leben treten. So bat im verflofienen Jahre (1864) die Ober 
pfalz allein 19,000 fl. Stiftungs:Stapitale erhalten. 

12. In Hof haben die Lehrer eine Bibliothek für Eltern 
und Erzieher ins Leben gerufen, die fleißig beriugt wird. Die Büchet 
follen vorzugsweiſe pädagogifhen Inhalts fein; doch werden auch Werte 
aus andern Zweigen der Wiſſenſchaft angeſchafft. Die Verwaltung der 
Bibliothek ift Sache der Lehrer, denen auch die Auswahl der zu kaufenben 
Bücher zufteht. Die Bibliothek felbft iſt Cigenthum der Stadt. 

13. Schließlich mahen wir noch auf zwei liserarifhe Unternehmungen 
bayerifher Lehrer aufmerkſam. 

a. Jahrbuch bes vayerifäen Bollsfhullchrervereine für 1866. 

Bierter Jahrgang. m :Yuftrage de& Hauptausichuffes und zum Bellen 

bes bayerifchen Lehrerwaifenftifts herausgegeben von G. Mm 

—— Ansbah, C. Junge. Subſcriptionepreis 30 kr., Lader 

r 


Das Jahrbuch bat einen reihen und gutem Inhalt. Der größert 
Theil vefielben ift vom SHerausgeber bearbeitet. Cr zerfällt in folgend 
Abſchnitte: J. Die Vollsichulfrage vor dem bayeriſchen Landtage 1825, 
IL, Beitgefhichtlihes. ( Enthält Schulnachrichten über die meiften deutjſchen 
Länder.) III. Pädagogifhe Abhandlungen, Biographien w. f. m. 
IV. Statiſtiſhes. V. Die vom bayeriihen Volksſchullehrerſlande begrün- 
deten Hilfsanftalten in fämmtlihen 8 Streifen. VI. Blätter und Bluthen. 

Wir wünjhen dem Unternehmen ferner guten Grfolg. 


b. Der pfälziſche Schulbote. Volkskalender auf das Jahr 1866. Her 
ausgegeben unter Mitwirkung anderer Lehrer von Ph. Schneider Shut 


lehrer in Mußbach. Mußbach, Selbſt⸗Berlag bes Herausgebers. 


Die Suchern Angelegenheiten der Bolksichule u GR 


.Sehalt: Gewöhnlicher Kalender. Statiftifhe Tafel allen ‚Länber. usw 
Staatsoberhäupter. Belehrung über den Kaleunder. Ein Vorſchlag zun 
Berbefierung des Kalenders. Zeitgefchichtliches für Lehrer und Schule. 
Kunde aus der alten Zeit. Pfälziſche Gelebritäten. Lebensabriile von Schal⸗ 
möännern, (Darunter auch Dieftermeg mit Portrait.) Raturwiſſenſchaf 
— and Zeqnijches Pſychologiſches. Anelvoten. Lieber und Geniäie. 


— halten Anlage und Ausführung: des Unternehmens für recht ‚gen 
lungen und wünfchen vemfelben guten Crfolg, vor Allem au, daß: das 
Volk fi Dabei betheiligen möge, deſſen jährliche Lectüre in- her Reg ı nur 
im Kalender zu befteben pflegt. | 


‘ 
.. 


XXVIL Oeſterreich. | | ' 


1. Daß das öſterreichiſche Vollsſchulweſen noch ſehr tief Rebe. ie 
landestundig, und mer das noch bezweifelt, der mache eine Reife. durch 
Deſterreich und lerne den Bildungsftand des Volles tennen. Wenn ‚ingente 
etwas, fo hat hierüber der jüngfte Krieg mit Preußen Licht verbreitet. Mix 
legen Briefe von ſehr verfchiedenen öfterreichifchen Schulmännern vor‘, bie 
alle darin übereinflimmen,. daß felbft das Bolt endlich den Krebsſchadeũ 
erkennt und beflere Schulen für feine Kinder fordert. Den Staat trifft ver 
ſchwere Borwurf, den Vollsihulen nicht die gehörige Aufmerkfamteit ge⸗ 
widmet, ihnen nicht ausreichende ‚Mittel und durchgebildete Lehrer gegeben 
zu baben. Bel Berathung des Militärbudgets, das in Friedenszeiten 
jährlih über 100 Millionen Gulden fordert, hielt der ehrenwertbe Dr. 
Giskra eine dreiftündige Rede, in welcher er unter Anderem die Roften, 
welde durch die Unterhaltung der Geftüte erfordert werben, mit benen 
verglih, welche durch die Schul» und Studienanftalten verurfadt werden, 
wobei ſich ergab, daß der Aufwand für die legteren nur um 219,000 fi. 
böhen fleigt, ale das, „was den Hengften und Stuten gewidmet wirb. 

Ne. 27 der Allgem. deutjchen Lehrerzeitung von 1865 enthält einen 
längeren Aufjag über die Voltsfhulen Defterreihs, auf den wir verweifen. 
72 Gin trauriges Bild von der aus Armut entfpringenden Noth 
der öfterreichiihen Lehrer enthält die von Vogeler herausgegebene „Dolls: 
ſchule“, den Nr. 18 der Allgem, deutſchen Lehrerzeitung (1865) unvertürzt 
wiedergibt. In Wien mußte in diefem Jahre (1865) den Lehrern eine 
Theurungszulage bewilligt werben. 

3, Nachdem die Shulbrüder die Prüfungen für Realfhulen mit 
autem Grfolge beflanden haben, find bie Lehrer der Unterrealihule am 
Ü 8. Waifenhaufe mit Ende des laufenden Schuljahres in Disponibilität 
geſetzt worden. Das wird treiflih zum Concordat pafien! 

4 In dem „Berein Vollsſchule“ in Wien machte der Vorfigenve die 

Mittheilung, daß ihm hoben Orts auf feine Anfrage über die Stellung 

der Lehrer die Auskunft ertbeilt wurde: „daß die Lehrer den drei 

Factoren, Staat, Kirche und Gemeinde unterfiehen, dab fie weder Staats⸗ 

noch Fommunalbeamte ſind, daß. fie. abes den Schuß und, die Rechte, ung 
40* 


x : came ta Grmertdei me ie, a ee ie 
apkzmeiu:e sie rn Excruer sei weis In), um ab au üm 
und Rohe gukeic, ze Curiesong tes Zess-pumsmer een zu BODERger 


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byseriams werten !ı..ce, vce == rer Kıoesz 
mes wi 23 werben Grinsen mnke chem bendamren. 

7. Te imersserber ser Tore gu Ber Dertiaejt Ber Be: 
meinten z m Sure ko 63 iar meins Fake mm 
Insfez, ve um Urüeteng nei I: samigeieges bare 

8 Da Exserucem Fıeass m ven wer Begierazg 
Zabe.ien — ei zur ecne Rome bes mm —— nr 


Be Ers’tır-mn tue Rz geiziet werwen, geuche Dir Eule wikr. 
DaB em der wecken ber_nen Fımbes des Fripeazies, 
23. Fu Ban; zu Teriiezirun; ilien ze Veherr mb bes 
a — 
meh 10 J20 $ ters Gchaiszs haben 
10. Ccirra bar zer 15 Semunsıe, zus gnaı 1 — 
Uberöberreik. em birwiizes zu Fin 122 Höglmgen m 2 Yale 
genen, 13 Ich ie: m Zı L mt 45, Sa) mut 52. Gabkuz 
mit 20, SCV wi 40, Sr wi 17, Somuh mi 2%, Burveis mit 
110, FB er 75, Sir w< 156 jümmtlicd ia 2 
Jızz m I img Uberinmademinare zu Slegesiat 
ums Pızz mit 36 enotz 
11. Te Seiezeccaʒ Istz erterm 29. Ye 1866 ans Micr 
ſelgende Richüzzrz: „ie Fızz Gewänderıd, defien Berhanthumgen 


trat, ve ——— zur ich verfläntiger BFeiit, Ratt deſſen ein „Päda⸗ 
segium“., » i Lebrerieminar, berzuiellen, ba ver allen tüdtige 


- gebildet werden mine Geßtera Lam: ver Gatwurf des. Deganifafien 








Die Fußern Angelegenheiten ber Volksſchule 2. 629 


zur Verhandlung und gab wieder zu einer fehr dharalterifiiihen Debatte 
Anlaß. Em Schuldirector, beiläufig bemerkt, ein getaufter Jude, bezeichnete 
e3 als „felbjtverftändlih , daß dieſes Inſtitut einen katholiſchen Charakter 
baben müfje, folglih aud nur katholiſche Directoren ‚und Lehrer an dem⸗ 
felben wirlen könnten. Aber er blieb mit diefer Anficht nicht nur allein, 
fondern beſchwor einen wahren Sturm gegen ſich herauf; an den allerdings 
plaufibelften Gegengrund,, daß ja Proteftanten, Griechen und Juden ebens 
falls zu den Koſten beifteuern, reibten fih alle erdenklichen Motive und 
beitigen Ausfälle, die wenigſtens das eine Klar bewiefen, daß für clericale 
Beftrebungen in den hieſigen Bürgerkreifen gar ein Boden if. Und eben 
beswegen verdient das Factum Erwaͤhnung. Man befhloß, gar keine 
confefftonelle Beftimmungen aufzunehmen. 

Aus dem Statut Ddiefes Pädagogiums, das mir der directen Mit⸗ 
theilung des Magiftrats der Reſidenz verdanken, theilen wir Nachftehens 
des mit. 
81 Das „Pädagogium” ift eine vom Gemeinderath für die Volls« 
f&pullehrer der Commune Wien errichtete Fortbildungsanftalt. Seine 
Aufgabe ift, jenen Lehrern, welche die ihnen bier gebotene Gelegenheit er» 
greifen wollen, eine erhöhte und vermehrte Berufsbildung, wie folde bie 
Entmwidelung des ſtädtiſchen Volksſchulweſens erfordert, zu vermitteln. 
F. 2. Die Fortbildung, melde das „Pädagogium“ ertbeilt, fol eine 
boppelte, eine tbeoretifche und praltifche, fein, und fid in dreifacher 
Richtung: fahmiffenfhaftliher, pädagogifher und künſtle⸗ 
rifcher, erftreden. 8. 3. Zum Behuf der praktiſchen Ausbildung ift mit 
dem „Pädagogium” eine fogenannte Uebungsſchule, die eine in jeder 
Hinſicht mufterhafte, ftäptiihe Volle»: oder Bürgerſchule fein foll, jobald als 
mögli zu verbinden. $. 4. Als „ordentlihe Zöglinge‘ werben 
jene angejehben, melde an dem gejammten linterriht, einſchließlich des 
Unterrichts in der Uebungsfchule, theilnehmen. Die Zahl berfelben wird, 
da die Theilnahbme an der Uebungsſchule nur eine beſchränkte fein kann, 
alljährlih von der Aufſichtscommiſſion beftlimmt. $. 5. Alle anderen 
Böglinge erſcheinen ald „Curshörer“, umd zwar a) ald ordentliche, 
die mit Ausnahme des Unterrihtd in der Uebungsſchule dem ganzen 
übrigen, theoretifchen und prattiſchen Unterricht beimohnen ; b) ale außer» 
ordentliche, die mit dem Director, unter Nachweis der von ihnen ſchon 
erlangten Bildung, über die befondere Art ihrer Bildung übereintommen. — 
Der Unterricht ift für die an den Schulen der Commune wirlenden Lehrer 
ganz frei; ja der Gemeinderath mill unter Umftänden den Beſuch ſelbſt 
durch Unterftüßungen erleihtern. — $. 32. Der Lehrceurfus des „Paͤda⸗ 
gogiums‘ umfaßt drei Klaſſen oder Jahrgänge, in denen zunädjit folgende 
Gegenſtaͤnde gelehrt werden: Deutſche Sprache und Literatur, Mathematil 
Mechnen und Geometrie), Raturgefhichte (Boologie, Botanil, Mineralogie), 
Phyſik und: Chemie, Welt: und Heimathskunde, Geſchichte, Theologie, Ges 
Fichte der Pädagogit, Methodik, Zeichnen und Formenarbeiten, endlich, 
wenn es die Zeit geftattet, lateinifhe Sprache, Gefang und Turnen. In 
Bezug auf die Religion ift jeder Zögling verpflichtet, ſich alljaͤhrlich mit 
einen Zeugniß über den Genuß eines feinem Glaubensbekenntniß und dem 





680 Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule x. 


Del der Anſtalt entfprechenben Unterrichts auszumeifen. 6, 38. Den 
Bebrplan, melder den Inhalt und Umfang, fowie die Grunbfäße des 
Unterrichts für jeden einzelnen Gegenftand beftiimmt, jeßt der Director mit 
dem Lebrlörper und der Auffictscommilfion, vorbehältlih der Genehmigung 
bed Gemeinberatbs, feſt. Dabei gelten folgende allgemeine Grundſaͤße: 
4) Der Unterriht im „Paͤdagogium“ ift theils Wiederholungss, theils Cr 
gaͤnzungsunterricht, der gugleich den gegebenen Stoff nah neuen Geſichts⸗ 
punkten verfnüpft. 2) Zur Aneignung wirb nicht Alles und Jedes, noch 
Vieles und Verſchiedenes, ſondern nur dad Wichtigſte und Glementare, 
dieſes aber vollſtaͤndig gebracht. 3) Der Zwed der Wiflensaneignung muß 
mit bem der Uinterrihisbefäbigung Hand in Hand geben, jo daß bie Form 
jedes Vortrags im „Pädagogium” zugleih die Form abipiegelt, in welcher 
der Gegenfland in den Schulen zu lehren fein wird. A) Sämmtlide 
Gegenftände müflen einheitlich, d. h. in methodifcher Uebereinftimmung und 
innerem Zuſammenhange gelehrt werden. 5) Alles gedächtnißmäßige Auf 
mwehmen des Borgetragenen einerſeits, fowie alles Dogmatifigen und 
Obtroyiren von Anfichten andererfeits foll fireng vermieden , vielmehr ver 
ganze Unterriht dahin geben, zur Selbitthätigleit anzuregen, das freie 
KGelbfturtheil zu ermöglihen und eine eigene Fortbildung anzubabnen. 
F. 36. Während ver legten vier Wochen des Schuljahres wird in allen 
Klaſſen und Gegenfländen eine allgemeine Wiederholung vorgenommen, 
Diefelbe ift jo einzurichten, daß fie einen klaren Ginblid in die gefammte 
Sahresleiftung des „ Pädagogiums” ermögliht. Die Mitglieder der Auf 
ſichtscommiſſion find verpflichtet, der Wiederholung in allen Gegenſtänden, 
nach einem unter ihnen feitgefeßten Modus, beizumohnen, 

Mir wünſchen dieſem neuen Snftitute für Lehrerbildung den befien 
Fortgang. Die päbagogifhen Grunpfäge, melde in demſelben zur An 
wendung Tommen fellen, find durchaus gut. 

12. Der „Wiener Lebrerverein‘ hatte Pfingſten 1865 den 
Lehrer Zacob Spitzer, Redacteur der Defterreihifchen Schulzeitung, ale 
ihren Vertreter nah Leipzig zur allgemeinen deutſchen Lehrer: 
verfammlung gefandt. Dem Berlangen des Vereins entſprechend, 
flattete Spiger nach feiner Rüdlehr Beriht ab. Aus demjelben geht ber 
vor, dab die Verſammlung einen ſehr ungünjtigen Ginbrud auf ihn ge 
wacht dat. Bier Gründe werden dafür angeführt: 1) Spiper erhielt von 
dem ‚Prafidenten der Verfammlung nicht das Wort, um fih gleih am 
erften Tage und vor Beginn ber Verhandlungen als — Deputirter 
bes Wiener Lehrervereind präjentiren zu Iönnen. Das muß 
ſehr fchmerzbaft für den Kleinen Mann gewefen fein! Wie würde feine 
Bruſt fih gehoben haben, wenn er body oben auf dem Katheder oder gar 
eben dem Präfidenten geitanden und hätte jagen koͤnnen: „Sch bin ber 
pürbige Deputirte des Wiener Lehrervereind, der Eud feinen Gruß burd 
meinen haltungsvollen Mund entbieten läßt!” 2) Der Ort, mo die Ber 
ſammlung abgehalten wurde, madte einen ungünftigen Eindruck auf ihe. 
Das Gomite. hatte es nämlih für angemeflen befunden, die Reflanrationen 
in der Nähe des DVerfammlungslocals nambaft zu machen, wo man in ber 
Pauſe frübftüden lönne, und zugleich empfohlen, die übrigen im eigenen 





Die Außern Angelegenheiten ber Volksſchule ꝛc. 681 


Intereſſe zu meiden. Daraus nimmt nun Spitzer Veranlaſſung, die ganze 
Umgebung der „Neuliche‘ in einer Richtung bin zu verbächtigen, an bie 
fein Menſch gedacht hat. Sein ſittliches Gefühl hat fih dagegen gefträubt, 
Aaoͤglich ‘in fold’ verfänglies Atmosphäre wandeln zu muͤſſen.“ O über 
die engliiche Seele, die jo etwas fogleich entvedte, während taufend Andere 
davon gar feine Ahnung gehabt und die Atmoſphaͤre dort mindeſtens fo 
tein, wie in der Kaiſerſtadt Wien jelbft gefunden haben. 8) Aeuferft uns 
angenehm aber wurde Epiger von dem berührt, was ich bei Gelegenheit 
der Debatte über Fröhlich's Thema für die Trennung der Schule von ver 
Kirche, d. h. der Befreiung der Schule von der Aufficht der Geiftlien, als 
[older gejagt habe. Der hierauf bezüglihe Theil feines Referates ift aber 

iver fo wenig wahrheitsgetreu, daß ich entweder an feiner Faſſungskraft, 
der an feiner Mahrbeitsliebe zmeifeln muß. So legt er, um nur Eins 
anzufähren, meine Worte, daß man zur Ertheilung des Religionsunterrichts 
in ver Vollsſchule der Theologen nicht bedütſe, dahin aus, daß ih „die 
Ausrottung fämmtliher Theologen’ wolle. Als ihm darauf Director 
Raifer in Wien fagt, daß er die Verfammlung dur feinen Bericht ver 
unglimpfe, da gebt er meiter und bezeichnet ven feligen Schmidt und 
mich als Demokraten, die in ber von mir präfidirten Berfammlung 
in Zabarz (1863) beſchloſſen hätten, „vie David Strauß’ihen Ideen 
als Grundlage des Religionsunterrihts in die Vollksſchulen einzuführen.” 
Meine Auslafjungen in der Leipziger VBerfammlung feien daber hierauf bes 
rechnete geweien. Cine große Anzahl von bejonnenen Mitgliedern foll fi 
nah meinen paar Worten über die Trennung der Schule von der Flicche 
„Sofort veifefertig” gemacht haben. Davon bat der größte Theil der Ber 
ſammlung mit mir Nichts bemerkt. Wohl erinnere ich mich aber, daß bald 
darauf eine Pauſe eintrat, während welcher Alle die Kirche verließen, um 
— zu frübftüden. Möglicher Weiſe it Spiber, der in feinem Referate 
behauptet, „er fei im katholifhen Glauben geboren’, in diefem Momente 
fo erregt geweien, daß er den harmlojen Gang zu den Frühſtückslocalen 
für die Mbreife der gereizten, beleidigten Verſammlung angefehen hat. 
4) Endlich hat Spitzer in Leipzig auch „das Geſellige und Freundicafts 
lihe vermißt”, das ihm in Gera und Mannheim fo gefallen. ch weiß 
nit, in melden Kreijen fih Spiker außer ber Berfammlungsgeit bes 
wegt bat; ich für meine Perſon habe in Leipzig auch in dieſer Beziehung 
Nichts vermißt. Obnehin hatte das Comité fo reichlich für geiftige Senüfle 
aller Art geforgt, daß den Zheilnehmerh kaum ein Stündden zu einem ge: 
möüthligen Schwap bei einem Seibel Bier, voran doch mohl Spiger nur 
dentt, übrig blieb. 

& viel zur Steuer der Wahrheit. Die Wiener Lehrer bitte ich 
aber in ihtem eigenen Intereſſe, nie wieder einen Mann wie Spitzer zur 
Verſammlung zu ſchiden; denn er kann oder will nicht wahrheitsgetren 
berichten. 
"48. Bu Brandes in Böhmen ift am 5.,Sept. 1865 dem Asmos 
Komenius ein Denkmal gefeßt worden. Es hat feinen Platz auf einem 
Bügel auperdatb der Stadt erhalten. 


633 Die Außern Ungelegenbeiten ber Volloͤſchule ıc. 


XXVII. Die Sqhweiz. 
Mitgetheilt von J. J. Schlegel in St. Gallen. 


I) Der ſchweizeriſche Lehrerverein zu Solothurn am 
2. Detober 1865. Wir folgen in unferer Mittheilung hierüber den 
Referaten der Sonntagspoft und der Neuen Berner Echulzeitung. 


„Brüder, reicht bie Hanb zum Bunbe.” 


Dies war der Grundton, der in Geſang und Rebe das Zeit einleitete, 
welches zu einem der ſchoͤnſten und gehaltvollſten ſich geftalten follte, vie 
je unter ſchweizeriſchen Lehrern gefeiert worden, und defien Wirkung bei 
allen Theilnehmern eine nachhaltige fein wird. Das oft verpönte „Worte 
find Thaten“ gewann hier Geftalt und Leben, infojern die Verhandlungen 
in ihren Rejultaten den concreten Boden der Erfahrung, unterftügt von 
den Forſchungen der pädagogiihen Wiſſenſchaft, in allen Gebieten feſr 
bielten, 

Der erfte Tag war für die Verhandlungen ver einzelnen Sectiouen 
beitimmt, deren Borflände Fragen und Thejen aufftellten, wie fie aus den 
Beratbungen des Gentralcomite'3 hervorgegangen waren. In feiner GE» 
öffnımgsrede gab Herr Seminarbirector Fiala Außerft interefiante Details 
über die Entwidelung des Schulmejens von Solothurn. Der kleine Canton 
darf fi rühmen, auf diefem wichtigen Gebiete verhältuikmäßig Großes ge 
feiftet zu baben. Humanität, Toleranz, Wiflenfhaft waren eben die Sterne, 
welchen Solothurn in alter und neuer Zeit gefolgt, und biefer Canton er 
frent fih nun der Segnungen folder Führerſchaft. (Eine vergleichende Zu: 
fammenftellung der Schulgefhichte fämmtliher Schweizercantone wäre, bei⸗ 
läufig gelagt, ein verbienftvolles Wert, das zur Gtlenntnik von Bielem 
führen müßte.) Die Section für die Primarſchule war fehr zahlreich 
beſucht, indem keine andere gleichzeitig Berathung pflog. So ward «8 
möglich gemadt, daß Lehrer jämmtliher Grade an derſelben Theil nehmen 
konnten. Diefe Anorbnung ift ein gutes Zeichen für das Berftändniß der 
See, daß die Primarſchule als Fundament jegliher Schulftufe gekannt jein 
müfle, um die gefammten Bildungsbeftrebungen würbigen zu können. Die 
Frage erwähnter Eection war folgende: „In welchem Berhältnifje foll der 
Unterricht in der Mutterſprache zum Unterricht in den Nealien fteben, damit 
bie Zwede beider Richtungen von ber Bollsfchule erreicht werben?‘ Der 
Breäfident der Section, Herr Fiala ” ftellte neue Thefen auf, die folgende 
Schluſſe ergaben: Auf der Elementarfchulftufe müflen Sprach⸗ und Neal 
unterricht, foweit bier von einem ſolchen die Rebe fein lan, dergeftalt wer» 
einigt fein, daß erfterer als Bildungsmittel und Bildungszwed zugleich 
vorherrſchend erfcheint und letzterer demjelben als Material dient (Anſchau 
ungsunterricht); auf der Mittelftufe erkläre man dieſe Verbindung als zu 
gleihen Theilen beredtigt, und auf der dritten und oberften erhalte ber 
Unterricht eine felbftändige Stellung, immerhin mit fleter Berüdfichtigung 
der ſprachlichen Bildeng. Daraus leiten fi Schlußfolgerungen und An 
träge zur Einrichtung geeigneter Lefebüher ab. — Auf das wertboolle 
Referat folgte eine belebte Discuffion. Herr Seminardirector R üegg ſtellte 





Die ãußern Angelegenheiten ber Bolfsfigule sc. 638 


feine Saͤtze in folgenber Weile auf: Der Realunterriht auf der unterflen 
Schulſtufe dient vorzugsmeife formalen Zweden und hat in Anſchauungs⸗, 
Denk⸗ und Sprahübungen aufzugeben; auf der zmeiten Etufe fteigert fi 
dio intellectuelle Kraft des Kindes jo weit, daß es fih mehr als früher 
den Objeeten als foldhen zuwendet; jedoch ift fein Denten noch fein abs 
firactes, ſondern ein concretes, ein Denken in Borftellungen, baber ift feine 
fireng objective Gliederung des Lehrftofies rathſam, keine Geſchichte, ſondern 
Geſchichten, keine Naturkunde, fondern abgerunvete Bilder aus dem Naturs 
leben. Der Hauptzwed des Realunterriht3 der dritten Stufe dagegen ifl 
das realiftiiche Willen. Um aber den Dualismus des Sprachlichen und 
des NRealiftifchen in einem und demſelben Buche zu vermeiden, verlangt ver 
Rebner neben dem eigentlihen Leſe buche ein Realbuch, damit beiden 
Bweden in einer Weife gedient fei, bie beide fördere. Sehr beberzigens» 
wertb war nach dem Referat der Berner Schulzeitung auch das Votum bed 
Herrn Seminarbirectors Fries, welcher empfahl, ja nicht blos nach und 
aus dem Buche zu unterrichten, fondern vorwaltend eine freiere birecte 
Borführung der linterrichtögegenftände eintreten zu lafien. Uns fcheint, 
Herr Fries babe hier auf einen Fehler hingeveutet, zu welchem vie Ber: 
fuhung um fo ftärler wird, je vollftändiger die Lehrmittel find. Man will 
Raun bie Lehrmittel arbeiten laſſen und es fi jelbft bequem maden. 

+ Die Eection für Secundars und Bezirksſchulen hatte zu ers 
Artern: „Uuf welche Weiſe können für Secundar= und Bezirtsihulen nicht 
nur wiſſenſchaftlich, ſondern auch paͤdagogiſch bejähigte Pehrer herangebilbet 
werden?” Herr Rector Schlatter zeigte in lichtvoller Weile, wie bie 
Frage am beften durch Erweiterung und Neugeftaltung der 6. Abtbeilung 
des Polptechnilums zu erzielen fei. Ein Redner wollte Bildung der Ge: 
cundarlehrer in einer Anftalt der franzöfifhen Schweiz; ein anderer hielt 
ben cantonalen Standpunkt feft und verlangte, daß jämmtliche Candidaten 
erſt durch das Seminar gehen und ihre Bildung an der Cantonsſchule ver. 
vollftändigen follen. Die Berfammlung entſchied ſich für den erften Antrag 
„. Sn der Section für Handwerkerſchulen lautete die Frage: „Was 
haben die Handwerkerſchulen für die Bildung der fchweizeriihen Handwerler 
bis jebt geleiftet? Welches ift nach den bisherigen Erfahrungen die beite 
Organijation, bie folhen Schulen zu geben ift?” Die Hauptthefen waren 
folgende: Der Unterriht der Handwerker beſchlägt mindeftend die Drei 
Hawptfäher: Sprache, Rechnen und Zeichnen. Hauptziwed: Beihnungsjdulen 
mit befonderem Lehrplan. 

‚ + Die Section für landwirthſchaftliche Schulen fragte ih: „Iſt 
für die Ausbildung der SJünglinge, welche fih den landwirthſchaftlichen 
Studien widmen, das Project der Errichtung einer landwirthſchaftlichen Abs 
tgeilung am Polytechnikum vorzuziehen dem Projelte, eine der bereits bes 
ftehenden landwirthſchaftlichen Echulen zu erweitern? Welche Vorzüge und 
Nachtheile bietet das eine und das andere Project?” Die Theſen bejahten 
die erfie Frage, und es fiel der Antrag, beim Bundesrath um Errichtung 
einer landwirthſchaftlichen Abtheilung am Polytehnilum einzulommen. 

Der Section für Armenfhulen lag bie Frage vor: „Könnten 
umfee ſchweizeriſchen Netiungsanftalten nicht gehoben werben und 'mürbe ig 


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Die Section für Inınlehrer (Kräßdent: Herr Zurninfperter Riga 
ler m Bern) berieth: „Wie foll der Zurmunterrit in ben Ceminarien 


Hinñchtlich des erften Punties wurde eine Gingabe an bie cantemnalın Gr 
fiehungsbebörden zu Hebung des Turnunterrichts au deu Eeminarien be 
jchloſſen. Für das Mäpchentumen fprad mit großem Gifer umb gleicher 
Ernſicht befonders ein Bafeler. 

Die Eection für die Lehrer der frauzöſiſchen Schweiz Relik 
die Frage: „Erfüllen die Penfionate der franzöfiiden Schweiz für Auchen 
und Mädchen der deutihen Cantone im Allgemeinen ihren JZwed? Würde 
derfelbe nicht befier erreicht durch die Aufnahme ber Zöglinge in einen 
Bamilientreis (3. B. durch Tauſch) mit Benußung der öffentliden Unten» 
sihtsanftalten?” Es ließ ſich vorausfehben, daß bei Behantlung vieler 
&ußerft vifficilen Frage die Geiſter auf einander plagen würden. So ge 
ſchah es auch, und zwar bei genau gleider Bertretung von Wellden und 
Deutſchen in einer Weiſe, die beiden Theilen zur Ehre gereiht. Die Haupb 
wegebnifie der Discuffion find folgende: Die Penfionate der franzöfiidhen 
Schweiz entfpreben wohl etwa dem fpeciellen Zwed, der Griernung der 
franzöfiihen Sprache, felten aber dem Zwecke der Grziehung, wie ſich die 
Deutfhe Schweiz denfelben vorjeßt. Da aber auch die Familienkreiſe jelten 
vhigem Doppelzwede entſprechen, fo wird der Beſuch einer Penſton vem 
einer Gemeindeihule (mit Familienkreis) vorzuziehen fein. ebenfalls aber 
Mt wunſchbat, daß die Penfionate nicht zu bevölkert feien, daß ſchweizeriſcher 
Samiltengeift darin berrihe und daß nicht ausſchließlich weibliche Lebe: 
teafte an ten Töchterinſtituten wirlen, dba zur Gntwidlung aud des weil 
lien Charakters männlidhe Autorität vonnöthen it. Es verbient erwähnt 
gu werben, daß auch weljche Spnftitutövorfteber über die Mängel und Ge 
brechen der Penfionate friſch von der Leber weg ſprachen. 

Das Programm rief die Lehrer folgenden Tags zur Generalver⸗ 
jammlung. Die Zahl der Theilnehmer flieg über 500. Hauptgegen⸗ 
Rand der Verhandlungen war: „Die vergleihende Ueberſicht der verſchie 
denen ſchweizeriſchen Befeßgebungen über den Gintritt in die Schule, über 
ben Unstritt aus derfelben und über die Dauer der Schulzeit.” Referent 
war Herr Landammann Bigier. Ueber das Alter der Schulzeit entipann 
ſich eine fehr lebhafte, interefjante Discuffion. Herr Schulinſpector Antenen 
yon Dem ſprach fi mit großer Entichiedenheit für den früben Schul 





Die äußern Angelegenheiten ber. Bolfsfchule se 636 


eintritd aus. Alle andern Redner  erflärten fi) Dagegen. Bei, einer Abs 
fiimmung würde ſich ohne Ymeifel die große Mehrheit der Verſammlung 
für einen ſpätern Schuleintritt ausgefproden haben. — Für Reduction 
der Schulzeit Tieß ſich auch nicht eine Stimme vernehmen; gegentheils 
fprah fih in der Verfammlung der Wunſch nah Ausdehnung bez 
Schulzeit nah oben aus. Grwähnenswertb ſcheint uns der Ausiprud des 

Fries: „Lieber zwei Jahre unten opfern, wenn oben ein Jahr ge« 
monnen werden kann.” Herr Dr. Frei. von Züri referirte über die 
Schulbankfrage. Es waren drei Arten Schulbänfe ausgeftellt, darunter 
auch die Schulbank des Herrn Dr. Guillaume von Neuenburg mit Rüd« 
lehne, jede Bank nur zweiſitzig, Pult und Bank getrennt. Nachdem der 
Nedner die Bors und Nadtheile der verſchiedenen Conſtructionsſyſteme aus: 
einander geſetzt hatte, bezeichnete er die Schulbank mit aufrechtſtehender 
verticaler Lehne als bie zwedentſprechendſte Form. 

Nach erhaltener Anzeige, dab Herr Schere feine Demiffion als Redac⸗ 
teur der ſchweizeriſchen Lehrerzeitung eingegeben, wird befchloflen, 
das Blatt als wöchentlich erfcheinendes Organ des ſchweizeriſchen Lehrer 
vereins forterfcheinen zu lafien. Cine Minderheit des Centralausſchuſſes 
batte bie Ummandlung des Blattes in eine ſchweizeriſche paͤdagogiſche 
BVierteljahrfchrift oder Jahrbuch beantragt. 

Zum künftigen Feſtorte für 1867 wurde einftimmig St. Gallen 
gewählt. Präfivent des neuen PVorftandes ift Herr Landammann Garer, 
Faſſen wir Ichlieplih die Glanzpunkte des Feſtes zufammen, jo find es 
wohl folgende: Die jehr befriedigende Theilnahme der Lehrer, die aus 
bauernde Arbeitäluft bei den Verhandlungen beider Tage, die meift ſehr 
gründlih und fahli gehaltenen Voten, ſowie auch die Xhätigleit des 
Gentralausshufies und des Feftcomite’3; die überaus gaftlihe Aufnahme des 
Feſtortes; das Leib und Seele erhebende Leben bei den Banletten, ber 
Befuh der Verena: Einfievelei und die Driflamme am „Wengiftein‘ und 
endlich die Außerft reichhaltige und jchön georpnete Ausftellung der 
Shulgegenftände und Lehrmittel verſchiedenſter Art (Bücher, 

Bilderwerke, phyſikaliſche Apparate, Kartenwerle, vor Allem der prachtoolle 

Duſour'ſche Atlas der Schweiz ıc.). Vom rein geifligen Gewinn läßt ſich 
kaum eine fpecificirte Rechnung aufftellen, und doch ift derjelbe jo intenfiv, 
als nur wünfchbar. 
. 2% Die Berfammluhg der Armenerzieber (oſtſchweize⸗ 
riſche Section) in Wattwyl befprach folgende Fragen: „Weldes 
find die Vortheile und Nactheile einer vorherrſchend induftriellen Beihäf 
tigung in Rettungsanftalten und Waiſenhäuſern?“ „Geſchieht in Armener⸗ 
ziehungsanftalten im Allgemeinen, mas moͤglich und wünſchenswerth iſt für 
die geiftige Ausbildung ihrer Zöglinge, und entſprechen ibre viesfallfigen 
Leitungen ben Anforderungen ber fortgefchrittenen Volksſchule? Sollte 
man nicht überall, wo fi) Gelegenheit bietet, den fähigeren Zöglingen dem 
Beſuch der höheren Volksſchulen ermöglichen ?“ 

Die diesjährige Conferenz fand in Kreuzlingen ftatl. Leber 40 
Mitglieder hatten ſich aus verfchiedenen Cantonen eingefunden, namentlich 
beteiligte fih an derſelben eine große Anzahl früherer Zöglinge non 


836 Die kufern Angelegenheiten ber Volksſchule ꝛc. 


Kreuzlingen, Schüler und Verehrer von Vater Wehrli. Bon der Bevöl⸗ 
ferung des Feſtortes murde ber Verein mit aller Aufmerkſamkeit und Yu: 
vorkommenheit aufgenommen, und der Sonntag Abend geflaltete ſich zu 
- einem freundlihen Vollsfefte. Kräftige Lieder wechſelten mit trefflichen Toa⸗ 
fen. Den Schluß bildete ein Feuerwerl. Der Verein madte den drei 
Anftalten: Armenfhule Bernrain, landwirthſchaftlche Schule und Seminar, 
einen Befuh. In Bernrain erftattete Herr Anftaltsvorfteber B. einen 
interefianten Bericht über die Gefhihte und den Zuftand feiner Anftalt. 
— In der Hauptverfammlung, die Hr. Wellauer leitete, kam folgendes 
Thema zur Behandlung: „Was können und follen Armenerziehungsanftalten 
für die Zöglinge in Bezug auf ihre Berufswahl und Berufsbildung thum, 
um einen möglihft aünftigen Erfolg zu erzielen ?" Der Referent nahm an, 
daß aus diefen Anftalten namentlich Dienftboten, Handwerker und Yanb- 
wirthe hervorgehen werden; doch mill er den begabten Zöglingen auch den 
Weg zu den fogenannten böhern Berufsarten öffnen. Die Frage wurde 
lebhaft discutirt, und es wurde manch’ wahres und gutes Wort gejprocen, 
indbefondere wurde auch mande pfycologifhe wichtige Mittheilung aus 
der unmittelbaren Qebenserfahrung gemadt. Bemerkenswerth war, daß 
bauptfächlih Geiflihe der Beſorgniß Ausdruck gaben, daß für die Berufe: 
bildung armer finder zu viel getban werden möchte, während die Lehrer 
{m Allgemeinen für die unveräußerlihen Menſchenrechte aud der Aermflen 
in die Schanze traten. 

Eine weitere Frage, über bie fih die Discuflion befonvers einläßlich 

verbreitete, betraf die Berufswahl und »bildung der Mädchen. Die Be 
ſprechung bot eine Fülle von Anregungen. Die meiften Redner ftellten 
nicht bloß abftracte Theorien auf, fondern ließen die Erfahrungen des pral; 
tiihen Lebens fpreben. — 
Beim gemeinfamen Mahl waren die Differenzen verſchwunden. Es 
wurde viel gefungen und toaftirt. Noch beſuchte der Verein in Konſtanz 
die Weffenbergfche Armenanftalt und die Büfte des eben Menſchen⸗ 
freundes Weſſenberg. — Die beiden Tage bildeten eine ſchöne Epiſode im 
Leben der Armenerzieher, die ſonſt Jahr aus Jahr ein an ihren Poſten 
gefeſſelt ſind. 

3. Die cantonalen Lehrerconferenzen. Die vorligenden 
Berichte über die Cantonalconferenz leiften den Beweis, daß die meiſten 
Lehrervereine tüchfig an ihrer Fortbildung arbeiten und das Schulweſen in 
gemeinſamer Thätigkeit zu fördern ſuchen. Werfen wir einen Blick in das 
Gonferenzleben verſchiedener Gantone, indem mir die Wahl der zur Dies 
cufiion gebrachten pädagog. Fragen notiren. Diejelben greifen meift tief ins 
Schulleben und geben in Umrifjien ein Bild der gegenwärtigen Bejtrebuns 
gen im Gebiete des Unterrichts und Erziehungsmejens. 

a. Thurgau. An der Cantonalconferenz 1965 betbeilgten fi 247 
(von 26?) Primar« und Secundarlehrer. Diefe Theilnahme allein ſchon 
zeugt von der Strebſamkeit der thurg. Lehrerſchaft. Hr. Schoch referirte 
über das Thema: „Das Turnen in der Volksſchule.“ Als eifriger Förs: 
derer des Turnend empfahl er dringlihft die Aufnahme der Leibesübungen 
unter bie Fächer der Volksſchule Cr wurde von mehreren Rednern Träftig 











Die qußern Angelegenheiten ber Vollsſchule ꝛe. 637 


underfiltt.,. Andere ſprachen für facultative Einführung. Nebfamen am, 
etlennt den Nuben des Turnens im Allgemeinen; doch meint er, man, 
ſchlage denſelben allzuboh an. Das Voll ſei nad zu wenig von bey, 
wohtthätigen Folgen deſſelben für die Primarſchule überzeugt; darum lönnte, 
er die fofortige obligator. Einführung des Zurnens in die thurg. Volks. 
faulen nicht empfehlen. Die Verfammlung adoptirte dieſe Anſicht und 
wünſcht vorerſt freiwillige Zurncurje, jowie zwedmäßige Pflege des Turn: 
unterriht3 am Seminar. - j 
Das Haupttractandum der breijährigen Verſammlung bezog ſich auf die 
„Nevifion der Lehrplane und der Lehrmittel (v. Scherr).“ Man erſchrak 
jenoch vor ‚dem Untrage zur Vornahme einer Renifion, mahnte zur Vorficht 
und warnte vor Projecten, die das Borhandene gefährden fünnten. Um 
den Vollsgeſang zu pflegen und zu förbern, wurde fodann die Abhaltung 
eines. „Wrjangdirectorencurjus" nah dem Vorgang von Züri und Bern, 
augeregi- et ’ 
Rach alter Sitte. wurde, jhließlih in kurzen Nekrologen der im Laufe 
des I. Jahres verftorbenen Lehrer gedacht. . 2. 
bi. Sreiburg. Pasquier, Director der Normalihule (Seminar), 
Bellte an die Cantomalconferenz die Frage: „Leiftet die Schule, mas man, 
wor ihr erwarten darf? Welches find die Mittel, um den Primarunterricht, 
auf einen höhern Standpunkt zu fördern?‘ Nah einläjjiger Tiscuffion eis 
nigte ſich Die Verſammlung zu, folgenden Anträgen an den Erziehungsratp ; 
4) e3 ſei der Austritt aus der Primarſchule aufs 15te Altersjahr feftzn-. 
jegen, 2) es fei der Beſuch der Fortbildungsſchule für die Jünglinge bie, 
zum 19. Sabre obligatoriſch, 3) es mögen die Bezirksconferenzen für Leh⸗ 
zer und Lehrerinnen obligatoriih erklärt werben. Hr. Erziehungsdirector 
Charles ſprach fi in feiner Antwort auf die Zufchrlit des Vereins gegen 
deu lebten Bunlt aus, Nach feiner Anfiht verurjachen die großen Vers 
fanmlusgen zu große Roften. Die Vorleſung von weitläufigen Gutachten 
vehme ber freien Discuffion die Zeit. Es ſei befier, die Conferenzen finden. 
jo gu jagen en famille jtatt, unter jevem Inſpector (Pfarzer) feine Uns 
tergebenen (Lehrer), Man befinde fi dabei mohler, Die Lehrerinnen werdg 
er nicht zum Bejuche der Lonferenzen verpflichten. Ihre Aufgabe fei es 
wicht, an Öffentlihen Discujionen Theil zu nehmen, fondern das Beiſpiel 
der Burüdgezogenbeit, ftiller Arbeit und häusliche Tugenden zu geben. - 
c. Schaffhauſen. Un der freiwilligen Cantonalconferenz 1865 
(das Geſuch um Einführung einer gefeßlichen Cantonalconferenz wurbe von 
ver Behörde abgelehnt) waren von 88 Lehrern 71 anmefend. Nach ber 
Berichterftattung über die Zhätigleit in ben Bezirksconferenzen, welche u. A. 
über „die Zorsbildungsichulen” , „vie Heimathlunde und den Werth ver 
Relrutenprüfungen” verhandelten, folgte das Referat über „die Einführung 
einer einbeitliden Orthographie.“ Der Verein ſprach feine Zufiimmung 
aus zu dem vom fchweizeriichen Lehrerverein zur Erzielung einer einheit⸗ 
lichen . Rechtschreibung herausgegebenen Schriftchen. 
d. Luzern. Die Iuzerner Gantonalconjerenz (250 Theilnehmer) 
begayı ‚üblichermeifer mit Predigt und Hochamt. Hierauf wurde über Geiſi, 
Stimmung uun. Leilung, ber. Kreisconferenzen Bericht erftattet. , In Solge 


038° Die-iußerm Angelegenheiten ber Volksſchule x. 


eines 'interefianten Vortrags über „die weientlichften Bunkte einer Weutiien 
des (Erziehungsgejepes” ertheilte die Conferenz ihrem Borflande den Auf 
trag, bei allfälliger Revifion mit allem Nachdruck dahin zu wirken, daß 
folgende Punkte, als für den Fortfchritt im Erziehungsweſen von befon- 
derer Bedeutung, berüdfichtigt werden: 

a) erweiterte Bildungszeit für die Lehrer, 

b) Ausdehnung der Schulzeit, 

0) beflere Organifation der Auffihtsbehörben, 

d) Einführung von Leibesübmgen in die Volksſchule, 

e) freies Vereinsrecht für die Lehrer, 

feftere Organifation der Repetirſchule und Verbindung derſelben 
mit den Yreifhulen und Jugendbibliothelen. 

Die Kreisconferenzen find vom Erziehungsrathe angetviefen, die Bear 
Beiting einer Heimathkunde an die Hand zu nehmen (a. geſchichtlichen und 
geographiſchen Theil, in Verbindung damit die Anfertigung einer Schulwand⸗ 
farte jeder Gemeinde, b. Benupung und Betwertbung ver Heimathkunde 
beim Unterrichte). 

Oraubündten. Emmtonalconferenz in Trons. Die Qumtefienz ver 
Gröffnungsrede lag darin, daß die Schule dann am beflen gedeihen werde, 
wenn Familie, Kirche und Staat derfelben ihre vereinte freie Mitwirkung 
zu Theil werden lafie. Es folgte nun ein Referat „über die Ertheilung 
des romanischen Unterrichts in der Volksſchule.“ Gin Pater bie den An 
laß für günftig, feine ſchulfeindlichen Ideen an Mann zu bringen Wü 
Eifer behauptete er, die Volksſchule der Gegenwart bewege fi in verlehr 
ten und verderblichen Bahnen, und es ſei hohe Zeit, ernitlih an die NRüds 
kehr zu bejiern Grugdfägen zu denken. Hierauf folgte ein Referat über 
„Berüdfihtigung der landwirthſchaftlichen Belehrungen beim Volksſchulunm 
terrichte.“ Met. hält dafür, von directen landwirthſchaftlichen Belchrum 
gen müfle in der Volksſchule abgejehben werden. Den Schluß bilder vie 
Vorlefung eines Entwurfs einer Heimathfunde einer Berggemeinde kräftig aus 

Uri. Der Beiud der Cantonalconfereng ift nun obligaterifch. Unter 
der Leitung des Hrn. Pfr. Furrer beſprach die Verſammlung folgendes 
Thema: „Wie kann in der Schule ein fleikigerer Schulbeſuch bezwedt 
werden?" ‚Der Rechnungsunterricht.“ Als Ziel deſſelben erlannte mm 
allgemein die Anwendung der A Species aufs praltifche Leben. Der Um 
ein petitiontrt um Erftellung eines zwedmäßigen Lebrmittels. 

Der Verein befuchte ſodann in oorpore die Schuien in Allorf. Ob 
gleich in der Mäpchenihnle 175 Kinder unter 3 Lehrerinnen fo zu fagen 
in einem Bimmer arbeiten, berrfchte dennoch die ſchönſte Ruhe und Ihe 
tigfeit. Auch über die Knabenſchule ſprach die Eonferenz ein günftiges Lob. 

Glarus Der Bräfident eröffnete die Verhandlungen mit einer Ar 
beit „über Profa und Poeſie des Schullebend.” Hierauf Beipredung 
des Thema: „Werth und Bedeutung einer Heimathlunde” Ref. wänfht 
vorerft Abfafjung einer Mufterheimathtunde, dann erſt obligatoriſche Auſer 
gung nach baſellandſchaftlichem Borgange. 

Appenzeil ARh. (Lantonalconferenz 1866). Der Borftand pet 
in -fmem Gröffnungswort wor ber „Beichäffigung. des Lehrers auperhel 





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Die ußern Angelegenheiten ber. Bolbaſchule se. 600 


ver Säule”. Das Haupitractandum betraf die Frage: „LZäge. es nicht x 
Inlereſſe unfrer. Schule, diefe künftig durch einen einzigen, awerlannt: tüchr 
tigen! Schulmann infpiciren zu laſſen?“ Man hört nämlih auch. in Appen⸗ 
gell : nie. Klage. über die DViellöpfigleit des Inſpectarais und über. den ber 
Häudigen Wechſel der Inſpectoren; darum die. Wahl dieſes Thema’s., ‚m 
der Discuffion.: ließen fit hauptfählic die Gegner ber einbeitlihen In⸗ 
fpection vernehmen. In ber Abftimmung unterlag dann aucd das Pernjest 
eined Cantonal⸗ Ynfpeetorats mit 7 gegen 64 Stimmen. Noch ſprach ſich 
die. Conferenz gegen die Publication von einläßlichen, gedrudten ujpestor. 
ratsberichten über den Zuftand jedes einzelnen Schule. aus. Gin ſolcher 
Bericht erfchien vor. einigen Jahren, und nun fürdteten die Lehrer eine 
Wiederholung. -—- Zweite Frage: „Sit der Zeichnungsunterricht unter wal⸗ 
tenden; Zerhältniffen in unſexe Brimarjchulen einzuführen oder nit“ 
Die Gonfereng entihied ſich gegen die Aufnahme und begründete Kies 
Durch die beihräntte Zeit der Halbtagsſchulen. Das „muſilaliſche Zabellene: 
west von Schäublin” wies man zum Bwede einläßliher Prüfung und 
Begutachtung an die Bezirlöconferenzen. — Eine Collecte für die Familie 
eines »erunglüdten Collegen warf 700 Fr. ab. - Ehre einem Lebrervereia 
der ſalche Collegialitaͤt und ſolchen Opferſinn an den Tag legt. 

Solothurn. An. der Santonalconferenz 1866 fanden ſich co, 109 
Lehrer aus allen Bezirlen zuſammen. Der Verein wurde vom Männerchor 
des Verſammlungsortes freundlichft empfangen. Aus der Berichterſtattung 
über, die Bonferenzthätigleit der einzelnen Bezirlsvereine erfuhr man, ba 
Beh ‚überall reges Streben. fund gibt. Als erſtes Thema kam zus Beſpres 
dung: „Inwiefern ſoll und darf die Geometrie ald Anfhauungsunterricht 
mit dem Beihuen und Rechnen verbunden werben ?‘ Nach Anſicht des 
Neſerxenten ſoll dieſer geometriſche Anſchauungsunterricht im 5ten Schuljahr 
mit ver Darſiellung und Meſſung von Linien und Winkeln beginnen und 
auf ver oberften Schulftufe mit der Projection, Meſſung und Berechnung 
von Würfel, Prisma, Cylinder, Kegel und Kugel (mit fteter Löfung von 
Aufgaben aus dem praltiihen Leben) abſchließen. Der zweite Gegens 
ſtand betraf vie „Rotbftiftung. — Der Verein widmete fie der Unter: 
ſtadang non Lehrern, melde plöslihes Unglüd betrefien, und ſetzte bası 
mit nem verdienten Oberlebrer Roth ein würdiges Denkmal. 

‚Au bier wurde zum Schluß ver Übhaltung eines Gefangbirertoreng 
cusjes angeregt. 1 
Bexxn. In der berniſchen Schulſynode (aus Abgeordneten der 
verſchiedenen Schulbezirke beſtehend) herrſchte reges und geiſtig ſriſche⸗ 
Lehen. Bon den Verhandlungzsgegenſtänden erwähnen wir zwei, die auch 
für weitere Streife Intereſſe haben: 1) Die Frage über den Schyleinfritt, 
und 2) die Lebrerinnenfrage. Die Discuſſion über die erſte Frage wurde 
veranlaßt dur eine Vorlage des Erziehungsdirectors, weldye lautet; „Das 
Kiad wird fchulpflihtig mit dem zurüdgelegten 7ten Altersjahr auf bie 
Dane von 9 Jahren.” Wie in Eolothum, jo auch in Bern, waren 
deredte Sprecher für und gegen die jpätere Schulpflichtigleit, Gegen 
ven, jpätern Schuleintzitt wurben die fogenannten praktiſchen Nüdfichten 
ind: ebd geführt... Die Wertheibiger des. „gür“ fteflten fih: auf den prine 


640. Die äußern Angelegenheiten ber Volkoſchule cc. 


oipiellen Standpunkt der Wiſſenſchaft. In vielem Kampfe zwiſchen Theorie 
und Praxis ſiegte endlich die leztere mit 37 gegen 33 Stimmen. — Der 
Hauptrefevent der „Lehrerinnenfrage“ (beir. die Beihhränfung der Zahl wer 
Lehrerinnen) fahte feinen Antrag in die Worte: „Der öffentliche Unterricht 
iſt vorzugsweiſe Sahe des Mannes.” Gr verlangte bie Bildung bes 
Lehrerinnen dur ein Staats⸗Seminar und wollte die Anftellung von Leh⸗ 
verinnen nur an dreitheiligen Unterſchulen und an Maͤdchenſchulen zulafien. 
Herr Zrdlich behauptete, das Weib fei für den Glementarunterricht ebenfo 
geeignet, als der Mann. Die Minorität fahte ihre Anfiht in die Worte: 
„Der öffentlihe Unterricht ift Sache des Mannes.” Dieſe Anſicht batte in 
Hrn. Etüegg einen warmen Vertheidiger. Cr hält dafür, das Weib ſei 
zu einem fireng methodifchen Unterrichte nicht befähigt. Nächitens wird ſich 
die Synode mit Grftellung einer Schulftatifiit des Kantons Bern und Ab⸗ 
fafiung einer Heimathkunde beihäftigen. Laut dem amtlichen Gonfereng 
berichte gliedert ſich die bernifche Lehrerſchaft, aus 1400 Mitgliedern be 
ſtehend, in 31 Kreisfynoden mit jährliden 2— 11 Eigungen. Sie behan⸗ 
delten über 300 Themate (praktiſche Kehrübungen, freie Beiprehungen, 
Berichte über Schulbeſuche und Auffähe),. Die Zhätigleit verdiente alle 
Anerlennung; die Conferenzen brachten mannigfache Anregungen. Die Lehe 
zer 'beweifen, daß fie ihre Aufgabe mit vollem Bewußtſein erfafien. 

- 6t. Gallen. Die diesjährige Cantonalconferenz (beftehend ans 
Repräjentanten jämmtliher Bezirte des Cantons) ftimmte über die „Schul 
lefebuchirage‘ ab. Da der Entſcheid der Grziehungsbehörde zulommt, fo 
verſchieben wir das Referat hierüber, bis die Frage ihren Abſchluß gefunden. 
Bürid. Die güriher Sculiynode, der ſämmtliche Lehrer der 
Volksſchulen und aller hoͤhern Lehranftalten angehören, berieth über das 
Thema: „Die zeitgemäße Lehrerbildung.” Wir widmen diefem Gegenſtande 
einen bejondern Abjchnitt, und ftellen einige der ſehr divergirenden Anſich⸗ 
ten über diefe wichtige Frage zufammen. Wie es uns ſchien, handelte es 
ſich fowohl in Zürih, als in St. Gallen weniger um die Gade und wm 
Grundfäge, ald vielmehr um Perfonenfragen. 

Der Lehrerverein der romanifhen Schweiz hielt im Auguſt bie 
fes Jahrs in Freiburg feine zweite Berfammlung. Die Zahl der Theil 
nehmer belief fih auf 450. Alle franzöfiihen Cantone waren repräfentietz 
fpaͤrlich dagegen die deutfhe Schweiz. Prof. Daguet empfahl in feinem 
Gröffnungswort insbejondere eine engere Verbindung mit der deutlichen 
Schweiz. Die Haupttractanden bezogen fih anf bie Lehrmittelfrage und 
den Anjhauungsunterriht. — Am Abend zog man zum Dentmal Gi⸗ 
tards, wo ein Redner in begeifterten Worten die reiche Liebe des ehr⸗ 
wärbigen PBaterd zur Rinderwelt den Lehrern als Vorbild pries. Sowohl 
in Bezug auf den Ernft der Arbeit, als die gehobene Stimmung der Ber 
fammlung war das Seit ein fehr gelungenes. (Lehrerzeitung.) 

4: In Schulbehörden und Conferenzen bildete im Berichtsjahre „wie 
zeitgemäße Lehrerbildung‘ den Gegenftand erniter Berathungen. 
Es walten bierüber die verſchiedenſten Anfichten. Es dürfte nit ohne 
SInterefie fein, einige der ausgelprocdhenen Ideen bier zufammenzuftellen. 
Während die einen bie gegenwärtige Cinrichtung ber Lehrerfeminare jelbR 








Die äußern Angelegenheiten ver Volkoſchule c. GEL 


ſelbſt mit vier Jahrescurſen für ungenügend oder zwediwidrig erachten und 
mit Dr. Wittſtock eine ‚Lehrerbild ungsanftalt in Verbindung mit der 
Hochſchule verlangen, empfehlen andere die Rüdtehr zu weit einfacheren 
Berhältnifien und Bildungsgang, da ihnen das Ziel des Unterrichts an 
Seminarien viel zu hoch gefledt erjcheint. 


a) Die zürherifhe Schulſynode widmete diefem Thema ihre 
befondere Aufmerffamteit. Hr. Schäppi äußerte in feiner Gröffnungsrebe 
u. U. folgende Gedanken: Die große Idee der Bollsbildung erhält ihre 
große Triebfraft dur einen tüchtig ausgebildeten, charaktervollen Lehrer 
ftand. Das Schulgefeh von 1859 hat in dieſer Hinfiht einen Fortſchritt 
angebahnt. Der Seminarcurs ift auf vier Jahre ausgedehnt und ber 
Unterricht ertenfiv und intenfiv gefteigert worden. Die Lehramtscandidaten 
wurden einer firengern Prüfung unterworfen. Dennoch ift die Bildung der 
Lehrer noch unzureihend. Die Lehrerbildung bat ihre rechte Form noch 
nicht gefunden. Für die Lehrer ift die Convicterziehung nicht zuträg- 
lich. Das Jahr 1839 hat Züri) den Convict gebracht. Weder fein Urfprung, 
noch feine bisherige Geſchichte geben ihm ein Anreht auf Lebensdauer. 
Die Gonvictbildung tödtet das igenartige und Eigenthümlide. Die reiche 
Mannigfaltigleit des Lebens wird über eine Schablone gejchlagen. Das 
Individuelle wird einer allgemeinen Lebensoronung zum Opfer gebracht. 
Der Convict befhräntt dem Jünglinge den Kreis feiner freien Entſchließung, 
feinen gefellfepaftlihen Umgang und fomit den wahren Lebensgenuß. Da: 
mit wird die Entwidlung des Charakters gehemmt. Schwache müſſen 
farblos werden; Starte werden zur Heuchelei getrieben, bis fie in der gols 
denen Luft der Freiheit ihr eigenes Weſen wieder finden. Die Lehrer ſoll⸗ 
ten während ihrer Bildungszeit vom öffentlihen Leben nicht durch eine 
chineſiſche Mauer abgefperrt fein. Darum fort mit diefer Claufur! Aber 
auch unjere geiftige Ausbildung entjpriht weder den Beduͤrf⸗ 
nifien der Gegenwart, noch denen der Zulunft. Aus dem Schulmeifter der 
Vergangenheit muß der Bollslehrer der Zukunft hervorgehen. Der Lehrer 
bat nicht nur Kinder, ſondern auch Jünglinge zu unterrihten. Die Ent: 
dedungen der Wifjenihaft müflen durch die Lehrer Gemeingut des Volles 
werden. Darum muß er eine wifjenfchaftlihe Bildung empfangen und 
zwar an derjelben Stammanftalt, wie Geiltlihe und Aerzte. Bur bloß 
allgemeinen Ausbildung der Lehrer bedarf es feiner Specialjhule mehr. Erſt 
nachdem er die allgemeine Bildungsanftalt durchlaufen bat, tritt er in bie 
Fachſchule, ind Seminar. Diejes follte mit der Univerfität und dem Po: 
Igtehnicum in Verbindung gefeßt werden. Für eine einheitlihere Ausbil- 
dung fpriht ganz entſchieden das Bedürfniß der Secundarlehrer. Das 
Befte biefür bietet Zürich in feiner Hochſchule und dem Polytehnicum. 
An das vermehrte Willen knüpft fih beim rechten Mann auh vermehrte 
Begeifterung. Sol die Schule ihre hohe Miffion erfüllen, foll der 
Zebhrerftand feiner Aufgabe gewachſen bleiben, jo muß feine Bildung eine 
andere werben. 


„Der Spnodalproponent ©. führte dieje allgemeinen Umriffe weiter aus 
und tefümirte in folgenden Thejen: 
Pad. Jahreabericht. AVIIL 41 


642 Die äußern Angelegenbeiten der Volksſchule zc. 


8) Die Seminarbildung, bieje Berquidung allgemein wiffenjchaftlicher 

und ſpecifiſch beruflicher Bildung bat ſich überlebt. 

b) Die mit dem Seminar verbundene Conpvicteiurihtung verträgt ſich 
nit mit den Erjſorderniſſen einer auf Erzielung von Selbitändtg: 
keit des Charakters gerichteten Erziehung. 

0) Der allgemeine wiſſenſchaftliche Unterricht als Unterlage für ben 
Lehrerberuf ift nicht ein aus dem allgemeinen wiflenfchaftlichen 
Bildungsbeftrebungen losgetrennter und bedarf daher auch feiner 
aparten Anftalt; vielmehr rejultirt derjelbe naturgemäß aus den: 
felben wifjenfchaftliden Gentral: Anftalten in der Hauptitapt, aus 
welchen die übrigen geiftigen Berufsarten für ihre befondern Berufs: 
ſchulen fi rekrutiren. 

d) Bei der Lehrerbildung iſt dem beruflichen Bedürfniß im engern 
Sinne mehr Zeit und Kraft als bisher zuzuwenden, und es find 
die diesfälligen theoretiihen und praltiſchen Aufgaben der Leitung 
bewährter Schulmänner zu unterftellen. 

e) Gine zmedmäßige Combination der Cantonsſchule und des Poly: 
tehnicums mit einer bejondern Pralticantenfhule hat das Semi: 
nar zu erjeßen. 

Sähließlih wird bemerlt, daß die Lehrer an den PBrimar: und Secun⸗ 
darſchulen keinen mwejentlih verjchiedenen Bildungsgang durchzumachen ba: 
ben; die legtern hätten nur ein bis zwei weitere Semelter nöthig. 

Der Reflectent, Herr St., erklärte fih einverftanvden mit den Vorſchlaͤ⸗ 
gen, bezüglid des Umfangs und des Zield einer erweiterten und vertiejten 
Lehrerbildung. Die klöſterliche, mittelalterlihe Ginrihtung des Convicts 
jet ein Unglüd für's Seminar. Herr Hug meint, wenn dem Lehrer eine 
feparate Bildung zu Theil werde, verfalle er leiht dem Zopfthum. 

Diefe Arbeiten riefen eine lebhafte Discufjion bervor, an der ſich na: 
mentlid die Herren Dr. Suter, Erziehungsdirector, Fries, Seminarbdirector, 
und Eberhard, Secundarlehrer, betheiligten, um ihre Gegenanfichten zu 
äußern. Gie fagten u. A.: Die entwidelten Ideen führen nit zu ben 
gezogenen Schlüffen. Die erftern Boten haben fih mehr auf dem Gebiete 
der Ideale bemegt. Man hüte fih, das Kind mit dem Bade auszufhüt: 
ten. Das Seminar ift kein mittelalterlihes, fondern ein ganz modernes 
Inſtitut, eine Special- und Berufsfhule, mie ſolche anderwärts auch vor: 
banden find. Es wäre meit über das Ziel binausgejhofien, wenn man 
den Bildungsgang des Lehrers in gleiher Weiſe einrichten wollte, wie bei 
andern mwifjenfhaftlihen Berufsarten. Der proponirte Bildungsgang würde 
für den Einzelnen, wie für den Staat zu große ölonomifhe Opfer fordern 
und gleihmwohl fehwerlih die gemünjchten Rejultate hervorbringen. Akade⸗ 
miſch gebildete Lehrer würden nicht die nöthige Befriedigung finden, wenn 
fie an untern Klaſſen arbeiten müßten. — In St. Gallen und Sraubünd» 
ten betritt man den umgelehrten Weg, als der ift, den man uns vorjchlägt, 
Dort fieht man es als zwedmäßiger an, das Seminar von der Canton: 
ſchule zu trennen und dafielbe aus den Städten auf's Land zu verlegen. 
Es ift kaum gerathen, die Seminariften in großſlädtiſche Verhöltniſſe mit 
ihren nachtheiligen Einflüffen zu verjeßen. Für einen beſſern Bildangsgeumg 





Die Außer Angelegenheiten ber Volksſchule 2 648 


der. Secundazlehrer nach abfolvirtem Seminar wird gefoigt werden. Auch 
der Convict ift eine Frucht der modernſten Entwidlung. Man kann Ad 
auch einen Convict denken, welcher den Berluft eines fanriliären Lebens 
nicht allzufebe fühlen läßt. ebenfalls darf der ökonomiſche Vortheil eines 
EConvict für wenig Bemittelte nicht gering angejhlagen werben. Der Ein- 
tritt in den Convict am zürichischen Seminar ift nicht gefordert; dennoch 
findet derfelbe bei den Eltern Anklang. Gin Reoner fand einen Wider 
ſpruch zwiſchen dem. Sjammer über geiftige Verlümmerung der Lehrer und 
dem. übergroßen Lobe, das die erſten Nebner jelbft vem zürichiſchen Schul 
zuftänden fpendeten. Gegenüber dem Antrage, dieſe Frage behufs weiterer 
Berathung und Antragftellung in nächſter Synode an eine Commiflion zu 
weifen, wird mit 153 gegen 129 Stimmen bejdlofjen, viefelbe für einmal 
fallen zu laſſen. (Bird. Synodalberidt.) 

b) Im Canton Luzern handelte es fih um Merlegung des Ser 
minard. Der Gr. Rath feste zur Begutachtung diefer Frage eine Commiſ⸗ 
fion nieber. Der Bericht derfelben erörtert mit Klarheit und Sadhlenntniß 
die ganze Seminarfrage nad ihren verjchiedenen Seiten in Betreff der in⸗ 
nern Organifation der Anſtalt. Namentlih wurden zwei Cardinalpunkte 
genau geprüft: 

4) die Wünjhbarkeit der Verbindung einer Aderbaufchule . mit dem 

Seminar und 

2) bie ſchon fo oft ventilirte. Sonvictöfrage. 

In Bezug auf den erften Punkt erflärt fi die Mehrheit der Som: 
million mit folgenden Anſichten einveritanden. Dem Seminar muß eine 
durchaus felbfländige Stellung eingeräumt werden, jo daß an der Anftalt 
die theoretiihe und praltiſche Lehrerbildung die Hauptſache und bie Vewir⸗ 
thang eines Butes Nebenſache ift; jevod jo, daß Bauernfühne, welche nicht 
Lehrer werden wollen, die beiden erſten Curfe. der Anftalt beſuchen können, 
theild um ihre theoretiiche Bildung zu erweitern, theils um zur Anſchauung 
der mufterhaften Bewirthung eines größern Gutes zu gelangen. — Die 
Lehrer geben fait ohne Ausnahme aus Bauernföhnen hervor und ihre 
Schulen werden größtentheild von Bauernlindern befuht. Was liegt nun 
näher, ald bie Forderung, der Lehrer ſoll auch Bauer fein? Bor feinem 
Eintritt ind Seminar wird er ſich landwirthſchaftlich bethätigt haben; kann 
er nun diefe Beihäftigung, unterftügt vom Studium der Naturwiſſenſchaf⸗ 
ten, im Seminar fortjeßen, fo wird er am Schluſſe feiner Seminarzeit 
nicht nur ein gebilveter Lehrer, fondern auch ein gebildeter Bauer fein; er 
wird feiner Gemeinde auch als Landwirth ein ehrenwerthes Beispiel liefern 
tönnen. Debhalb würden wir das Seminar mit einem Areal von 20 
Jucharten Landes ausftatten, welches von den Zöglingen zu bebauen wäre. 
Die Hauptarbeiten würden die Zöglinge des 1. und 2. Curfes überneh: 
men; während fi) die Zöglinge des 3. und eventuell des A. Curfes mehr 
in der Mufterfchule bethätigen würden. Bei dieſer Drganijation könnten 
auch ſolche junge Leute die beiden erſten Curſe beſuchen, welche nit Leh⸗ 
rer werben mollen. Dieje beiden Eurje würden im Berein mit dem land» 
wirthſchaftlichen Betrieb eine Aderjhule vertreten können. Diefe Anftalt 
müßte auf dem Zube eines Cmmvictö eingerichtet werden. Der Lehrer des 

| 41” 


644 Die äußern Angelegenheiten ber Vollsſchule zc. 


Landwirihſchaft wäre zugleih Eonvicthalter. Bezügli des zweiten Punkis 
jagt der Bericht: 

Das Convictſyſtem ermöglicht eine befiere Aufficht, fördert den Zwed 
der Erziehung und gewöhnt den Bögling an eine einfadhe, firenge und re 
gelmäßige Lebensweife. Der BZögling erhält eine lebendige und praktiſche 
Anfhauung einer fparfamen und wohlgeorbneten Hauswirtbichaft und ge: 
nießt bei mäßigeren Koften eine befiere Verpflegung. Nur der Eonvict ge: 
währt die Möglichkeit, die Studien der Böglinge eigentlid paͤdagogiſch zu 
leiten und zu beauffichtigen. Das Convictſyſtem verbindet aud bie BZög- 
linge unter ſich viel enger für ihren ganzen Lebensberuf unb dadurch ge: 
winnt das Erziehungsweien eines ganzen Landes an Organismus, Eolidi- 
tät und Energie. Wenn man dem Convict vorwirft, es bindere Die felbf- 
ftändige Entwidlung des Individuums, fo bedenle man wohl, daß aud) 
beim Koſthausſyſitem viefe Entwidlung nur dem Fädigen zu gut komme, 
und daß bie viel angerühmte Belanntihaft mit dem Leben leicht den Zög 
ling in den Kreis von Bepürfnifien bineinführt, die er fpäter nit be 
friedigen kann. Herr Alt: Seminardirector Keller bat das richtige Urtheil 
getroffen, wenn er fchrieb, er babe die Meinung der Gegner des Eonwicts 
auch getheilt, fei aber je länger je mehr durch Grfahrungen davon zurüd- 
gelommen. Immerwahrende Klagen über jchlechte Koft, Unzufriedenheit über 
Heizung und Licht, Nachläffigleit in der Gefunpheitspflege, häufiger Wechſel 
der Koſthäuſer, rohe Zänkereien, Schuß: und Trutzbümdniſſe zwijchen den 
Koſtleuten und Zöglingen, gegen die Disciplin der Anftalt, dies und nament: 
lich auch der Mangel jeder freundlihen Beziehung zwiſchen Kofllenten und 
Böglingen nad dem Austritt der lebtern aus der Anftalt babe ihn voll⸗ 
tommen überzeugt, daß die Wohlthätigleit des daherigen Familieneinflufſes 
auf die Bildung nicht hoch anzufchlagen ſei. Die meilten Koftleute feien 
eben nur Koſtgeber und jedenfalls Alles eher, als Erzieher der Seminariften. 
Wenn man ferner darauf hinweife, daß Lehrern, die aus Convicten kom» 
men, praktisches Geſchid abgebe, fo fei gewiß, daß dieſe Befangenheit oft 
ganz andere Urſachen babe. Für Beibehaltung des Convictſyſtems fällt end⸗ 
lich auch ſehr in die Wagſchale, daß es in Deutihland und in der Schweiz 
überall eingeführt if. Diefe allgemeine Einbürgerung beweift wohl am be 
ften vefien Zwedmäßigteit. Die Minderheit der Commiffion fpricht ſich für 
Aufhebung des Convictes aus und motivirt ihre Anfiht alfo: Yürxr das 
Syſtem von Kofthäufern wird geltend gemadt: daß es der freien Gntwid- 
lung der Böglinge zuträglicher fei, daß es die Selbftändigfeit fürdere und 
namentli jenen KRaftengeift, jenes linkifhe Benehmen, welches der Convicd 
ſchaffe, nicht zulafle; dadurch, daß die Zöglinge im Koſthaus leben, bleiben 
ſi e in fteter Verbindung mit dem Bolfe und deſſen Eitten. Gerabe das 
ab ſonderliche Weſen der Convictsfhüler made fie auffallend, erzeuge vie 
Kritit und made den Lehrer nicht felten lächerlich. Der Convict made 
alles homogen, bilde und erziehe über einen Leif. Das Vollksſchulweſen 
dürfe fih nie außer das Volk ftellen. Die Auffiht habe nur dann Werth, 
wenn fie den Bögling anleite, die Freiheit zu genießen, ver Convict ver 
ümmere den Charalter. Schwäcdere ‚Charaktere unterwerfen fi) aus 
Schwachheit; ftärkere ziehen aus Heuchelei die Farbe des Haufes an. Wenz 





Die äußern Angelegenheiten ber Volkoſchule x. 645 


man unter den Lehrern einen eigenen Corpsgeift wolle, Alles über einen 
Leit gejchlagen, nad einem Schema modellirt, dann foll man das Comwict 
beibehalten; denn jedes Convict neige fih mit feinen Formen entweder 
zur Rajerne oder dem Klofter. Für Sejuiten und Ruſſen fei dieſes das 
pafiendfte Erziehungsſyſtem, allein keineswegs für junge Republikaner, bie 
wieder berufen ſeien, ein republilaniihes Bolt zu bilden. England fei ein 
Bolt der unabhängigften Charaktere, freibeitsftolz und hochgebildet in allen 
Zweigen menſchlicher Fortſchritte; es babe aber keine Seminarconvicte im 
Sinne der in der Schweiz beſtehenden. Wenn man ſchließlich zu Gunſten 
des Convietſyſtems auf deflen Einführung in Deutichland und in der Schweiz 
binweife, fo jei es auffallend, daß man nicht allerorts für die Real= und 
Gymnaſialllaſſen auch Convicte einführe.. Die Urſache dieſer Erjcheinung 
liege wohl einzig darin, daß die Convicte bie Zöglinge im eigentlichen Sinne des 
Wortes abrichten, aber nicht zur männlihen Benutzung der Freiheit erziehen. 
Die Minderheit fpricht fi deßhalb für Aufhebung des Convictes aus. 
(Siehe das Project Segafiers beim Abſchnitte Luzern.) (Berner Schulzeitung.) 

c) Der Redactor der ſchweiz. Lebrerzeitung äußert in Wr. 
32 und 33 (1865) feine Anfichten über die Seminarfrage und das Com 
vict und kommt zu folgendem Schlußurtheil: Ye nah den Verhältniſſen 
kann ein Convict beilfam und zmwedvienlich, oder aber verderblich und zwed⸗ 
widrig fein, Wenn Alles fo wäre, wie man es nad billigen Anforberun- 
gen wünſchen darf, fo würde ich ganz entfhieden für Familie ftimmen, 
denn fie ift Naturordnung; Convict aber ift nur ein focialee Nothbe⸗ 
helf, der jene Orbnung nie und nimmer volllommen erfepen mag. Alſo 
nicht eine Doctrin ift hier abfolut maßgebend, fondern Berhältnifie. wir» 
ten beftimmend auf die Entſcheidung. | 

d) Anſchließend an diefe Mittheilungen erinnern wir noch an bie 
einfache Einrichtung des Tanpmwirtbihaftliden Seminars in Al: 
teneyfim Canton Freiburg (Ecole normale et d’agriculture zu 
Hauterive). Wir entnehmen dem Programm einige Grundzüge diefer An- 
ftalt. Genannte Normalſchule hat mweentli den Zwed, eine Pflanzftätte 
für junge Landfhullehrer zu werden. Die Anftalt nimmt jedoch auch noch 
junge Zeute auf, die einen mweitern Unterricht zur Ergänzung der Primar⸗ 
bildung erhalten follen. Theoretiihe und praftifhe Unterweifung in der 
Landwirthſchaft erhalten ohne Unterſchied alle Böglinge, und diefelben wer⸗ 
den auch zu den Arbeiten auf dem Landgute beigezogen, ohne daß bie: 
durch die Schulftunden gänzlich unterbrodhen würden. jeder Bögling bat 
fein Stüd Gartenland während des Sommers zu beforgen. In der Nähe 
der Gärten ift eine Baumſchule angelegt, in der die Schüler Anleitung 
zum Pfropfen und Dculicen erhalten. Die Böglinge, welche fih zum Pris 
marſchuldienſte beftimmen, find angehalten, unter Auffiht des Lehrers im 
Vorbereitungscurfe Unterricht zu ertheilen, um fo in die Lehrpraris einge 
führt zu werben. Während der Wieverholungscurfe, die in Hauterive abs 
gehalten werben und gewöhnlich 6 Wochen dauern, find bie obern Klafien 
der Böglinge mit den eingetretenen Schullehrern vereinigt. Es entfteht fo 
unter den zwei Kategorien der Böglinge ein heilſamer Wettelfer. — Die 
Abgeſchiedenheit Hauterine'3 bewahrt die jungen Leute vor Berftreuungen 


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Darken. "Aus dem Peridt aber ie Art: 

e, Roch er’:here Tarkiimire treßfen zu Ted u Famızz 
Zeiiin. Hier eibren vie Lebter ıbre Fr.cma nd m mem Ciminges 
Eeminaz, jendern in Firerssuren, die ven it ja Ze aubgebusen mer 
den un gewihnlih nur einie Renate urn — Tue temem mm 
als Fieverhelunascurie für crrrelie Letret Axztummehmense Fazııy 
mäflen das 16. Altersjıbe zuru? aelegt md wit gutem Grislz ame baden 
Bollaſchule durdoemahr beten. Ten lepien PYiusaius u Beluiens 
(1864) unteritügte der Staat mit jr. 350. 

f) Sie jhmeizerijde Lehrerzeitung deriheriint m Br. 25 
md 46 (1865) „die zwei weit von emumber ubichenben anal 
alfe auf der einen Eeite das Beſtreben. ven Bellsihulichterkms ua 
wißienihaftlihe Bilrung (pädagogiide, ‚jacaltätöitunien) fe zu bebem. zu5 
er in die wihenidaitlih gebildeten Berufsftinde (der Freier, Ace, 
Advocaten ıc.) eingereibt werden könne, und amberjeits tie Abe, zu 
Bildung der Lehrer auf Diejenigen Senniniiie und Fertigleiten zu beiktiz 
len, melde ein gefteigerter Vrimarunterriht gewähren mug, um je den 
Lehrern ihre fociale Etellung neben ben Bauern und Kanbiwerferz amzmmei- 
fen. Sie ſchließt, einftweilen werde wohl dem Bollsihulleiterkimae bie: 
ſichtlich der Bildung eine den Leiftungen gehobener Semimarien entjpzecbenze 
Mittelſtellung swühen den zwei Zielpunlten, die man eiwa als Gy 
treme bezeichnen möchte, angewiejen werben, obgleid in einigen Caniouen 
der Schweiz Voll und Behörben für die Idee, die Lehrer in den Kreis ter 
wiſſenſchaftlichen Bernfsitände einzureihben und in diefer Richtung ihre Bil: 
dung gu fördern, nicht fo ganz unempjänglich fein möchte. 

5) Shmeizerifhe Univerfitäten und Aludemien Ze 
Beitfhrift für fchweizeriihe Statiftit bringt über den Perſonalbeſtand ber 
ſchweizeriſchen Hochſchulen (1865) folgende Zufammenftelung: 

Die Univerfität Zürich zählte 61 Profefioren und 230 Eixbenien 
(die theologifche Faculaͤt 39, die juriftiihe 38, die mediciniſche 107, Die 
pbilofophifhe AB Studenten). 

Die Univerfität Bafel zählte 49 Prof. und 102 Studenten (die 
theolog. Facultaͤt 50, die jurift. F. 8, die mebic. F. 21, vie philoj. 23 
Studenten). 

Die Univerfität in Bern zählte 57 Prof. und 180 Studenten (bie 
thealog. FJacultaͤt 21, die juriſt. 48, bie mebic. 83, die philof. 28 Studenten), 











Die äußern Angelegenheiten ber Boklöfchule x. 647 


Die Alademie in Laufanne zählte 20 Prof. und 204 Gtubenten 
(die theolog. Sacultät 14, bie jurift. 37, die philoſ. 156 Stubenten). ° 

Die Akademie in Genf zählte 22 Prof. und 215 Studenten (die 
tbeolog. Facultät 60, die jurift. 15, die philoſ. 140 Studirende). 

Alle Hochſchulen zufammen zählten 209 Profefioren und 9B1 Stu 
denten und zwar die tbeolog. F. 30 Prof. und 181 St., die juriſt. F. 
29 Prof. und 146 St., die mebic, $. 46 Prof. und 211 St, die philof. 
&. 104 Prof. und 3983 Studirende. 

Im Jahre 1865 zählte das eidgenöffifhe PBolytehnicum 
in Züri 63 Profefioren, Hülfslebrer und Privatdocenten und gegen 600 
Gtubirenbe. 

Außerdem beftebt in Luzern eine Anftalt mit einer theolog. Yacultät 
mit 5 Prof. und 15 Studenten; ebenfo in Neuenburg mit 4 Profeſſoren 
und 12 Studenten. 

6) Eine Anficht über die Centralifationsbeftrebungen 
im ſchweizeriſchen Schulwefen. Ueber diefen Gegenftand enthält 
eine Broſchüre „zur Bunbesrevifion‘ vom Bundesratb Dubs, geweſener 
Grjiehungsdirector des Cantons Züri, folgende bemerlenswerthe Stelle: 
Vollitändige Gentralifation des Schulmejens, alſo namentlich aud ber 
Volksſchule, liegt zwar nur in den Wünſchen Weniger; denn die Schwie⸗ 
rigleiten wären allzugroß. Dagegen ſprach man wenigftens von Errichtung 
eidgenöffiicher Lehrerfeminarien. 

Indeß bat diefer Vorihlag felbft in den Kreiſen der Schulmärmer 
feinen rechten Anklang gefunden; denn bie Lehrerfeminarien fteben in 
jo innigem Zuſammenhange mit der Vollsſchule felbft, daß man nicht gut 
einen Schritt dazwifchen machen Tann. So lange man nicht überall in 
der Schweiz gleiche Unterrichtäzeit, gleihe Schulorganifation, gleiche Lehr 
mittel und gleiche Lehrerbeſoldung hat, muß man ſich bezüglid der Lehrer: 
bildung natürlid auf dieſe Verſchiedenheiten vorſehen. Zudem hängt das 
Maß der vom Staate zu gewährenden Schul» und Lehrerbildung auch nicht 
wenig von den Bebürfnifien des Landes ab; dieje find nicht die gleichen 
unter ftädtiihen und ländlichen, inbuftriellen und agricolen Berhältnifien. 
Dazu kommt aber noch eine ſehr große Schwierigleit hervorgehend aus der 
Verſchiedenheit der Confeflionen. Der Bund würde durch Eentralifation 
auf dem Gebiete des Schulmejend einen Zuftand beftändiger confeflioneller 
Meibungen fchaffen, der fiher zum großen Schaden des Landes ausſchlagen 
müßte. So lange überhaupt der Bund fi noch nicht einmal ſtark genug 
fühlt, um von feinen Rechten zur Gründung einer eidgenöffishen Hochichule 
Gebrauh zu machen, wird fchwerlich im Ernſt von weitergehenden Centrali⸗ 
fationen auf dieſem Gebiete die Rede fein können. In unfern Augen wäre 
e3 überhaupt neben dem kirchlichen das lebte Gebiet, auf das wir die Bun, 
deseinmiihung weiter ausdehnen würden. 

7) Ein öffentlihes Urtbeil über die Schule. Her Kopp 
ſpricht fih in feiner Brofhüre über die Reorganifation der GStrafanftalt 
auch über den Einfluß der Vollsihule auf den fittliben Zuſtand des Vol 
tes folgendenmaßen aus: Noh muß ich ein Urtheil beleudhten, das aus _ 
dem Rolle ſelbſt Lömmt und der Bollsihule einen Theil der Schulb beis 


648 Die äubern Angelegenbeiten ber Bolleiäule x. 


mehren will, warum die Berbredyen ſich io vermehrt haben „Deme”, Tıazt 
man, „warum nimmi diefe Mehrung gerade wit dem Anfang ver Berünbe 
zung des Bollsihulmelens ihren Anfang, wenn wicht die Urfache diefen 
Schulweſen liegen muß?” Tas mahnt mid an jenen fon von Hebel au 
geführten Trugſchluß: „Wenn die Fröſche anfangen zu qualen, fo kommt 
das Paub aus ven Aäumen, alſo qualen tie Fröſche Das Laub berami. 
Aber der Echein trügt. Unter den Sträflingen finden wir ums 10%, de 
einen ordentlichen Brief fhreiben ; 50 8 künmen entwerer gar nicht, oder nz 
hoͤchſt unleſerlich fchreiben; vie große Mehrzabl der Zträflinge Nebt unter 
dem Niveau der höchften BWittelmäßigteit der Schulbilvung, tie Heinen 
Zahl ift geihult; folglih Tann aud die Schule nicht veranwortlich gemadt 
werben, weil fie die weitaus meiften nie oder höchſt felten in ihrem Un⸗ 
terrichte hatte. Wir können überhaupt bisher nody nicht von einem Ein⸗ 
fluß der Vollsſchule auf den fittliben Zuſtand fpredhen, weder lobend, ned 
tadelnd; denn fie war bisher noch fein vollenveter Urganisums im Boll 
leben. Sie bat keine Macht auf dafielbe; Alles paralyfirt ihr Wirlen: 
das Elternhaus und die Geſellſchaft. Die Schule bat fih ins Schlepptan 
der Vollsſitten nehmen laften, weil der Kampf ihr noch zu ſchwer wat. 
Wenn wir einmal eine conjequente Schule mit einem ſeſten Principe haben, 
wenn diefe Schule eine Macht geworden, vor der fih Schlendrian me 
Egoismus beugen, wenn die Schule das ganze Land und Boll durchgbct, 
wie ein Sauerteig: dann wollen wir davon fpreden, ob die Schule die 
Gelängnifle füllen oder leeren helfe; bis jebt aber mar die Schule jelhk 
eime Gefangene.” 

8) Fernere Stimmen der Preſſe über die Säule Te 
Sonntagspoft brachte in Nr. 43 — 46 und 51 (1865) mehrere gediegene, 
vom ärztlichen Standpunkte aus geſchriebene Aufſäte über die gegenwärtige 
Schulerziehung. Die Mittheilung folgender Zeilen mag gemügen, ben 
Sinn und Geiſt verfelben anzudeuten: „Es ift eine oft gehörte Klage, das 
die gegenwärtige Erziehung nicht ohne Schaden an unfrer Jugend vorbei 
gehe, fondern daß die Ueberforderung der Kinder in wiilenfchaftlicher Be 
ziehung auf der andern Seite Nacıtheile mit fich führe, welche den Werth 
des ganzen Syſtems in Frage fegen können. Der erfte und lautefle Bor: 
wurf gebt dahin, daß die Schule dur einjeitige und übertriebene An 
frengung des Geifles dem Körper eine Zeit lafle, fih gehörig zu entmt 
@eln, vielmehr durch die auf der Schulbank gewöhnliche ſchlechte Haltung 
einen entſchiedenen nachtheiligen Einfluß auf die Gefunpheit übe; mährend 
der zmeite fagt, daß die Kinder neben mandyem Guten auch viel Unnübe 
nnd. eberflüffiges lernen müſſen, daß ihr Verſtand durch übertriebene 
Anforderungen mehr verbilvet als entwidelt werde, und daß es ſchließlich 
keine Teihte Sache ſei, aus einem guten Schullinde einen braudbaren 
praktiſchen Menfchen zu machen. Mandem treuen Schulmann mag bier ein 
Grauen anlommen über die Kurzſichtigkeit und Undankbarkeit der Belt, 
und er kann die Wahrheit des Sefagten nicht begreifen; aber das ift eben 
das Unglüd, daß die meiften Lehrer ven Kreis ihrer Beobachtungen auf 
ben Rahmen der Schule beſchraͤnken und mit dem lebten Cramen bie ganıe 
Sache abgemacht anfehen. Suchten fie gelegentlich bei einem Nekrutenegamen 

® 





Die äußern Angelegenheiten ber Vollsſchule x. 649 


zu erfahren, was von der früheren Spracdlehre, den Realien oder ben 
Rechnungskünſteleien noch übrig fei, fie würden erjchreden über bie 
unnübe Pladerei, die fie Jahr für Jahr fi und den Kindern bereiten, 
und würden begreifen, daß die Mehrzahl der Eltern obigen Worten Beis 
fall zollt. Die Urſache des ſchlimmen Rejultates liegt aber nicht allein 
darin, daß man ben Kindern zu viel bietet, fondern auch darin, daß man 
es in einer zu boben Form thut, für welche der kindliche Geiſt noch 
nicht reif if. Die fubtilen Schlüffe, welche man den Kindern machen lehrt, 
fommen nicht aus dem Kopfe, fondern fie find dieſem meilt eingetrichtert 
oder angellebt; deßhalb fallen fie auch fo bald ab. „ Gilt dies hauptſaͤchlich 
für die Vollsſchule, jo treffen die andern Vorwürfe, das Zuvielbieten und 
Auiniren der Gefunpheit, eben jo jehr die höheren Abibeilyngen, und insbe 
fondere die Mädchenſchulen und Grziehungsanftalten. Man. feheint bier 
völlig vergefien zu haben, daß ver Menſch aus Körper und Geift beftebt 
und daß der eine wie der andere feine Pflege forbert, wenn das Ganze 
orbentlich gedeihen joll. 

Man nimmt für die Bildung des Geiftes zu viel Zeit weg, fo daß 
dem Körper gar keine Zeit mehr übrig bleibt und vie Natur des Findes 
gewaltjam ımterbrüdt wird. Gegenwärtig joll die obligate Einführung des 
Turnunterrichts das Uebel bannen; aber wie können zwei Zurnftunden ben 
30 bis 87 Unterrihtäftunden die Waage halten? Nicht umfonft jammert 
man darüber, daß ein guter Theil unfrer Jugend verlümmere, daß Bleich⸗ 
ſucht und ſchwache Newen, Skropheln und Hektik immer mehr Terrain ges 
minnen. — 

Als weitere Urſachen dieſer krankhaften Erſcheinungen bezeichnet ver 
Berfafler den frühen Eintritt in die „Geiſterſchule“, den frühen Beginn 
des ſyſtematiſchen Schulunterrihts, wie er noch in mehreren Cantonen ge 
fordert wird; fodann die unzwedmäßig eingerichteten Schulbänte, vie keine 
gefunde Stellung und Haltung ermöglichen; die vielen Unterrichtsſtunden 
und die Maſſe häusliher Aufgaben. 

9) Vergleihende Zufammenftellung der Ausgaben des 
fhmweizerifhen Bundes und der Gantone für das Gr» 
ziehungsweſen (1864). 


660 Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule zc. 





Gantone. rung. 
Fres. 

Bajelladt ...... .! 40,600 320,458 
Bf ....... 82,600) 297,340 
Shafthaufen. .. .| 85,500| 120,235 
Birih..... . .! 266,000} 768,865 
Solstbum.... . 69,200) 148,969 
Ben ....... 467,000| 955,917 
Bafelland ... ... 51,500| 103,431 
Nauendurg..... 87,300} 162,952 
eidg ..... 105,500| 188,021 
YUorgau ...... 194,200) 342,088 
Bugem....... 130,500) 210,048 
Waadt ...... 213,600| 308,910 
Thurgau... ... 90,000| 105,958 
Graubündten 00,700| 90,929 
cin... .... 116,300| 116,415 
Obwalden... . . 13,400 9,334 
U... 2 22002. 19,600 13,569 
&t. Gallen!) .. . .| 180,400) 104,623 
Bali ...... 90,700} 86,196 
Olarus ..... .| 33,800| 12,904 
Appenzell U. Rh. 48,400) 18,518 
ri......... 14,700 4,748 
Appenzell J. Rh. 172,000 2,936 
Schwyz ..... 45,0000 10,472 
Total: 4,453,976 
Bund ....... 2,510,000|484,971?) 

Ausgaben des Bundes und ber 
Gantone zufammen . . . . 14,938,947 


weien. 


a5 5 & mi ma RI RI RI RI 09 90 I 


> mie 


88 
58 
39 
89 
15 
04 
87 
78 
76 
61 
45 
18 


— 


70 
70 
58 
40 
39 
88 
32 
24 
23 


77 
19 


96 


Davon aus Fonds 
Frcs. 865,757 


per Ropf | per Ropf 
r 


Bevoͤlle⸗ Ausgaben. Erziehungs⸗ Geſammt⸗ 
ausgaben. 


Fres. Rpp. Fres. Rpp. 





Berbältnig der Schul 
ausgaben zu ben Ge 
ammtausgaben in $ 


td. 
34 | 318,844 
9,83: 


34 | 13,65: 


1) Rah ber St. Galliſchen Staaterechnung 1865 beträgt ber Beitrag bei 
Staates für's Schulmelen Fres. 151,273, alfo 15,2 I ber ſämmtlichen Staat" 


außgaben. 


2) Im ben Bunbesausgaben für's Unterrichtsweſen in Fres. 484,971 finb 
auch die Ausgaben für's eidgenöſſiſche Polytehnicum (Fres. 482,059) inbegriffen. 


(Der „Zeitihrift für ſchweizeriſche Statiftil‘‘ entnommen.) 








652 


Die äußern Ungelegenheiten ber Vollsſchule x. 
































% 

CE 1 A Vermögen: Ausgaben, 
8.2 . Geminden _ [U _ Einnahmen. | 

u = des — de Uebriges Capital 

ES 2 Zinstragen n. | 

25 > Cantons. "Gapitalien. Liegenſchafte 571.001 
„as um | 2,831,268 Fres. 575,392 Steuer: 190 ‚000), —* 3,17 Fres. 
* 2388 Fres. 4,986 5,57 4518. ex Kopf 3,19 Frcs. (1,06) per Kopf 
55.20 St. Gallen... per Kopf 43,39 res. " ‚018,766 
5” 5» 5,075,466 Ircs. 1,054,735 (Steuer: 352,360) —* 8,83 Srch, 
g02,5 | rs. 3,808 — r Kopf 8,97 Fres. (1,32) per Kopf 9, 
SE Die nei . Free. pe 
5% 5,8 Hürih . m per Kopf 4 40,86 42 
gäsEs 82,551 gres. 549,970 (Steuer: 173,150) &rce. 3 Frcs 
233855 Fred. 8,901,18 4 Fres. 8 Ye Ropf 2,83 Bes, (0,89) per Kopf Buaı * 
a 0 ra. 08,084 
28:5 833 jec8. 331,491] Tech. 208., 980 3res 79,107 (Steuer: 19,580) 19. ’ 
3 ö 3®8 Frcs 331,491 FIrcs. 205 obe Zu. of 7 ag 38) Iper Kopf 1,27 Ztes. 
Pr o . — — 0 ’ ' 
* * 2 Fr Baſellandſchaft per Kopf 10,46 Fres. per m Frcs. 41,482 
_ ! | . 16,90 . ’ 
—5535 — dreh. 387,004 Fres 123,526 Fres 42,590 Ye 86) per Kopf 2,12 Fee. 
BEE 5 ” per Kopf Boos ech. per Avpf Zur Bers. (0, 
ESEL BUB.....: opf 25,65 Steh, 
s=$ SER | — 8,639 (Steuer: 6,030) Fres. 8,530 
en@gs$ res. 41,034 Fres. 72,500 —A 0,72 Fred. (0,50) Iper Kopf 0,71 grcs. 
«RE 3 — J Appenzell A. Rh. per Kopf 9. 46 Ted. jper ’ . 
—A 

25 
"253 


652 Die äußern Angelegenheiten ber Bollöfchule x 


11) Geſetzliche Beftimmungen, betreffend die Bein: 
lung und Beauffidtigung der bei der Arbeit in Fabriken 
angeftellten Schulkinder. 

Canton Glarus. Alltagsſchulpflichtige Kinder bürfen im keiner Fa⸗ 
beit zur Arbeit verwendet werden. Repetirſchulpflichtige Kinder bürfen an 
den wöchentlichen Repetirfchultagen weder vor, nody während den Linien 
richtsſtunden in der Fabrik beſchaͤftigt werben. 

Canton St. Gallen. Allen Zabrillindern, die noch pflichtig find, 
bie Ergaͤnzungsſchule zu bejuchen, haben die Fabrilinhaber die biezu erfor- 
derlihe Gelegenheit und Beit, fei es in genehmigten Fabrilfchulen, oder in 
ber gewöhnlihen Schule, anzumeilen. Kinder unter 15 Jahren dürfen 
täglich zu nit mehr als 12 Stunden Arbeit, die Stunden des Schul⸗ 
unterrichtes inbegriffen, angehalten werden. Cbenfo dürfen fie unter leinen 
Umftänden zu Ueberftunden oder zu nädtliher Arbeit verwendet werben. 

Canton Aargau. Bor zurüdgelegtem 13. Altersjahr darf Riemand 
zu einer regelmäßigen Beihäftigung in Fabrilen aufgenommen werben. 
Auswärtsmohnende, melde in aargauiſchen, und Cantonseinwohner, welche 
in fremden Anftalten der bezeichneten Art Beihäftigung ſuchen, unterliegen 
derfelben geſetzlichen Einſchraͤnkung. In den Fällen, wo bie Yabrilarbeit 
eine ſchaͤdliche Einwirkung auf vie körperlide Entwidelung und die Befund 
beit von Kindern befürdten läßt, wird für die Zuläjfigleit der Einflellung 
von Kindern in Yabrilen ein höheres Alter bis auf das 16. Jahr feige 
fest. finder, welche das 16. Altersiahr noch nicht zurüdgelegt haben, 
dürfen in Fabriken nit über 12 Stunden täglih befdäftigt werben. In 
biefer Arbeitszeit ift der Beſuch des Schul: und Eonfirmandenunterrichts 
inbegriffen. Die Verwendung der Kinder zu nächtlicher Arbeit iR unterfagt. 

Canton Thurgau. Kinder, welche in Yabrilen beihäftigt werben, 
find zum Beſuche der öffentlihen Schulen verpflitet und ganz wie andere 
Schüler zu halten, es wäre denn, daß für biefelben eine befondere Fabrik 
fhule eingerichtet würde, in welchem Falle fie jedoch erft nad vollendetem 
11. Jahre in die Fabrikſchule eintreten dürfen, Die Gigenthürmer von 
Fabrik⸗ oder Spinnmafchinen follen den Religions: und Schnulunterricht 
(vom 5. bis 15. Jahre) in keiner Weife hindern, Es follen die Unmün 
digen täglich nicht mehr als ſechs Stunden und niemals ganze oder halbe 
Nächte hindurch oder an Sonntagen zur Arbeit angehalten werden. 

Canton Zürich. Ausnahmsweiſe dürfen Alltagsjhüler, welche das 
10. Altersjahr zurüdgelegt haben, an den Grgänzungsihultagen die Er 
gänzungsjhüler in den Fabriten erjeßen. Der Regierungsrath ift jedoch 
befugt, für die Buläffigleit der Aufnahme von Kindern in Fabrifen ein 
böberes Alter, bis auf 16 Jahre, feftzuftellen, fofern die Arbeit die Lörper 
lihe Gntwidelung der Rinder gefährdet. Die tägliche Arbeitäzeit darf für 
Kinder, welche noch nicht confirmirt find, beziehungsweife das 16. Alters 
jahr noch nicht zurüdgelegt haben, höchftens 13, für Alltagsfchüler nie meht 
ald 5 Stunden betragen. Während der Nachtzeit, fowie an Sonn» umd 
Feſttagen dürfen ſolche Kinder unter leinen Umftänben verwendet werben. 
Jeder Fabrikbeſitzer ift verpflichtet, vie in feiner Fabrik angeftellten Schüler 
regelmäßig an dem kirchlichen und öffentlichen Schulunterrichte Theil nehmen 


— — — DR .. — ⸗ - -- 


Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule ꝛc. 658 


zu lafien. Arbeitern, welche nach ihrem Austritte ans ver Vollksſchule noch 
eine Fortbildungsihule benugen wollen, muß zu folhem Bmwede wöchentlich 
die nöthige Zeit freigegeben werden. 

Anmerlung Nur die vorftehenden 5 Gantone, welche indeß gerade 
diejenigen find, in denen der fabrilmäßige Betrieb, namentlih der Baum: 
molleninbuftrie, am meiften Boden gewonnen hat, haben Specialgefeße, bes 
treffend die Arbeit in den Fabriken. Dagegen enthalten auch die Schulge- 
ſetze anderer Gantone die Vorfchrift, daß feine Kinder vor Ablauf der 
gejeglihen Dauer der Schulpfliht in den Yabrilen verwendet werden 
dürfen; fo die Gefeßgebung von Graubündten, wo die Schulpflichtigleit 
bis zum 14. Altersjahr, von Schwyz, Bafelftadt und Bafellanp: 
haft, wo fie bis zum zurüdgelegten 12. Jahre dauert. (Beitfchrift für 
ſchweizeriſche Statiſtik.) 

12) Sorge für Bildung von Secundarlehrern. Nach dem 
revidirten Reglement fol die jehste Abtheilung des eidgenöſſi— 
Then Bolytehnicums aljo eingeridhtet werben, daß diejelbe fortan eine 
eigentlihe Schule für Lehramtscandidaten der mathematifhen und nafurs 
wiſſenſchaftlichen Lebrgegenftände an den mittleren Lehranftalten mit ſemi⸗ 
nariftiihen Uebungen jein foll, während an einer weiteren fiebenten Abthei⸗ 
lung, zur Förderung der allgemeinen Bildung der Zöglinge, die Mathematif 
und die Naturwifienfhaften vom rein wiſſenſchaftlichen Standpunkte aus 
als Freifächer gelehrt werden. 

An der Univerfität Bafel befteht nun ein mathematiſch⸗ 
wiffenfhaftlihes Seminar, das aud folden Studirenden dienen 
jol, welche fih für das Lehrfah an Mittelfchulen vorbereiten. Solde 
dürften in einem zweijährigen Curje ſicher fehr für ihren Zwed geförbert 
werden. 

Abweichend von der Anfiht des St. Galliſchen Erziehungs» 
raths, der den künftigen Reallebrern einen gewiflen Bildungsgang 
durh Gymnaſium und Induſtrieſchule während voller ſechs Jahre vors 
jchreiben wollte, ftellte der Regierungsrath dieſe gänzlih frei. 

Der Regierungsratb des Cantons Aargau ftellte beim 
Großen NRathe den Antrag, bei der Organifation der Cantonsſchule für 
Bildung von Bezirkölehrern Sorge zu tragen. Diejenigen Schüler nämlich, 
die das Gymnaſium oder die Gewerbeſchule durdlaufen, hätten dann nod 
einen einjährigen Curs in der Art eines Seminarcurfes durchzumachen, um 
nicht fowohl die Kenntniſſe zu vermehren, als das Gelernte zu wiederholen, 
foftematifch zu befeftigen und methodiſch zu behandeln. 

13) Aus der Anzahl der in jüngfter Zeit verftorbenen Schul⸗ 
männer von jchweizerifcher Bedeutung nennen wir hier folgende: 

a) Joſeph von Arr, Abbe, geb. 1805, + Febr. 1866. Gr war 
langjähriger Director der Stadtſchulen Solothurns. Sein ganzes 
Leben bat er dem Schuldienſt gewidmet. „Er war ein Mann ber 
That, dem das Arbeiten über alles Disputiren ging.” Als man 
den wadern Schulveteranen zu Grabe trug, begleitete die Leiche ein 
Bug, wie Solothurn noch wenige gejeben. 





658 Die iußern Angelegenheiten ber Volbsſchule ze. 


b) Charles Monnard, geb. 1790 in Bern. Gr wirkte als Pro⸗ 
feflor an verſchiedenen Schulanftalten und bejorgte mit Bnilliemier 
bie Fortſetzung der Schweizergejhichte von 3. Müller. 

co) Baul Bital Trorler von Luzern. Starb in Aarau und wirfte 
feit 1820 an den Schulen in Luzern, Bafel und Bern. „Troxler 
war ein erleuchteter Geift, ein tiefer Denker, ein geiftreiher unb 
fruchtbarer Schriftfteller, ein hochbegeiſterter Freund bes Baterlandes, 
ein bemwäbrter Hüter feiner Freiheit, ein kühner Vertheidiger ver 
Menſchen⸗ und Bollsvechte, ein vielgeprüfter Dulder gegenüber unver 
dienter Verfolgung, ein mohlwollender Freund und ein anregender 
Lehrer der Jugend; kurz, Troxler war ein großer Mann und bat fid 
um bie Erziehung und das Schulmejen hohe Verdienſte erworben. 

d) 3. Heinrih Breitenbad. + April 1866. Er war ein tüd: 
tiger Mufiler und wirkte mit Begeifterung für Bildung des Volks⸗ 
und Schulgeſangs. Schon feit mehr denn 30 Jahren übte er feine 
Kunſt in der Schweiz, zulegt ald Seminarmufillehrer in Mettingen. 

e) Klemens Ruetſchi. Unter Gefang und Weihrede fand am 11. 
Juli 1866 in Mettingen die Einweihung des Denkmals ftatt, das 
die aargauifche Lehrerſchaft dem treuen und verdienten Lehrer geſetzt. 


Die einzelnen Gantone. 


Züri. 1) Profefior 3. äußerte bei Cröffnung der Synode für 
weitere gebeihlihe Entwidlung des Züriher Schulweſens folgende drei 
Rünfhe. Der Brimarfhule wünjht er eine einheitliche, wirklich ſach⸗ 
verftändige Infpection, dur welche die Thätigfeit der Bezirksſchulpflege 
überflüffig gemacht werden koͤnne. Die Beit dieſer Zwiſchenbehörden fei 
vorüber. Manche Bezirköfhulräthe befümmern fi wenig um die Vorgänge 
im pädagogifhen Leben umd ſeien nicht competent, die Schulen zu tariren 
und die Lehrmittel zu begutachten. Cr empfiehlt, die Schulen des Cantons 
etwa 2 bis 3 pädagogisch gebildeten und erfahrenen Inſpectoren, welde 
von den Lehrern als Meifter im Fache anerkannt feien, zu unterflellen. — 
Den Mittelfhulen, namentlih den Secundarſchulen, welde ihm als 
Hochſchulen für den Kern unſrer republikaniſchen Bürger gelten, wünſcht er 
eine der Aufgabe entfprechenne Lehrerbildung. Die Anhörung von 
Borlefungen am Polgtechnicum und ein kurzer Aufenthalt in Welſchland 
gewähren feine planmäßige Vorbereitung. Der Hochſchule endlich wuͤnſcht 
er, daß fie das angeftrebte Biel, eine eidgenöſſiſche Anſtalt zu 
werben, bald erreihen möge. Bei den bannzumal vorzunehmendben Re 
formen könnte auch der Secunbarlehrerbildung Rechnung getragen werben. 

2) Zum erfteen Mal konnte der Unterriht in ber oberften Se; 
minarktlaffe bis zum Schlufle des Schuljahres der Curs vollſtändig 
durchgeführt und die geſetzlich worgejchriebene allgemeine Wiederholung des 
gefammten Unterriht® aller vier Curje verſucht werden. Das Ergebniß 
Rellte die Zweckmaͤßigleit diefes neuen Elements in der Organijation der 
Anſtalt deutlich beraus. Wird an der allgemeinen Nepetition im Halbjahr 
feiner der Zöglinge mehr verlünzt, je werben dieſe ohne Zweifel praltiſch 











Die äußern‘ Angelegenheiten ber Volkoſchule ce. 058 


befähigter, jelbftändiger und ficherer in der Schule auftreten. Die:erfreu: 
lichen Zeugniſſe, welche die auf Schulen verwendeten Böglinge zurädgebradt 
haben, pürfen immerhin als Vorboten ſchoͤnerer und nadhaltigerer Erfolge 
betrachtet werden. (Aus dem Beriht der Erziehungsdirection.) 

3) In mehreren Schulcapiteln wurde bie Frage, weldes die pädas 
gogiſchen Gründe gegen den Beftand kleiner Schulen jeien, 
lebhaft discutirt. Ueber einige Nachtheile der Kleinheit der Schulen war 
man zwar einverflanden, jo gab man zu, daß es für den Lehrer nicht gut 
fei, wenn er der mwohlthätigen Einflüfje eines größern Bemeindelebens ent: 
behre. Die Schule einer abgelegenen Ortſchaft gewähre ihm nicht die 
nötbige Anregung. Wohl fei da möglid, die Schüler individuell zu bes 
handeln; doch führe dies auch leicht. zum entgegengejebten Rejultat, daß 
nämlich der Lehrer die Schüler mit jeiner eigenen Individualität überfchütte, 
Die Heinen Schulen erſchweren eine ordentliche Klaſſeneintheilung. Dagegen 
war man allgemein der Anficht, daß der Staat in biejer ganzen Angelegen- 
beit nicht ſowohl von pädagogifchen, als vielmehr blos ölonomiihen Grün⸗ 
den ſich beftimmen laſſe. So war denn das Gejammtrefultat diejer Die: 
cuffion kein anderes, als daß ſich die Lehrer aufs Neue dafür ausſprachen, 
daß aud die kleinſten Schulen fortbeftehen jolen. Mit diefer zu weit ge 
triebenen Vereinigungswuth find nun auch einzelne Schulgemeinden, wie 
wir aus einer uns mitgetheilten wohlbegründeten Petition um Aufhebung 
einer Schulverſchmelzung erjehen, durchaus nicht einverflanden. 

4) In mehreren Gapiteln tbeilten ji die Lehrer ihre Erfahrungen 
über den neueingeführten Turnunterrihtmit. Als günftige 
Erfahrungen wurden angeführt: Das Borurtheil der Bevölterung gegen das 
Zurmen fange an zu verfhwinden; die Schüler zeigen Vorliebe für das 
dad. Yür die Lehrer habe es eine wohlthätige Rüdwirkung aufs körper 
liche Wohljein; für den Schüler bringe es Gelenligleit und Beweglichkeit, 
ebenjo Beredlung feiner Spiele; es ſchaͤrfe die Sinne, foͤrdere die Aufmerk 
ſamkeit, unterflüße die Disciplin und bilde das Taltgefühl. Es fei aner: 
tennenswerth, was der Staat durch DOrganifation von Inftructionscurfen gup 
Vörberung gethan. Ausſcheidung des Stoffs und Vertheilung auf die ver: 
ſchiedenen Jahrescurſe, fowie Herftellung guter Zurngeräthe fei nun Ads 
gabe der Zukunft. Als ungünftige Erfahrungen wurden dagegen von 
anderer Seite angeführt: Man erhalte doch im Allgemeinen den Eindruck, 
baß es nicht recht vorwärts gehe mit der Sache. Die Bevölkerung betrachte 
das. Zurnen im Allgemeinen doch als dummes Zeug und verftehe ſich nicht 
willig zu den nöthigen Ausgaben. Den Gemeindebehörden jei die Sache 
gleihgültig.. Die Bifitation ignorire das Fach bei der Prüfung. Die 
Gritelung zwedmäßiger Localitäten erfordere zu viele Opfer. Biele Lehrer, 
felbft jüngere, zeigen Abneigung gegen das Turnen. Auch die Schüler 
wären lieber ganz frei. Der Turnunterricht fei anftrengenk und nehme and 
den Geift jehr in Anſpruch. 

5) Gejangbirectorencnrs in Zürich. Weber die Beranlafung 
zur Abhaltung deſſelben gibt uns der ausgezeichnete Bericht des ſachkundigen 
Directors 3. Heine, der über Geſangunterricht und Leitung von Gefange 
hören manche treiflie Winke enthält, folgenden Aufſchluß. Die Commiſſion 


allgemeinen Ehorgejang, als dem vorzügliditen Bollsbilvungsmittel i 

giöfer, politifcher und jocialer Beziehung, eine tiefer eingreijenbe — 
zu verſchaffen, und fie glaubt, mit ver bereits verwirkllichten Idee 
Gefangdirectorencurfen eine nene, zu den ſchönſten Fidel 
berechtigende Periode des ſchweizeriſchen Gefanglebens begennen uud as: 
gebahnt zu haben. Die Wieverholung und Fortſetung ähnlicher Geſang 


Gelvmitte. — Der Eurs dauerte 14 Tage. Der Chor beſtand aus 50 
Lehrern aus den verjchiedenen Bezirten des Cantons. Director Baumgart- 
ner wurde für allgemeine Mufils und Sarmonielehre, Herr Director Heine 
für Geſang⸗ und Directionsunterricht berufen. lngefähr 50 Stunden 
wurden dem theoretiihen und praltiichen Geſangunterricht (Chor und Sole 
gelang ) gewidmet. 

Auch in Mündhenbudhjee (Canton Bern) wurde vom 18. bis 
24. Sept. unter der Leitung des Herrn Weber ein ſolcher Geſangdirectoren⸗ 
cuss abgehalten. Sämmtlide 86 Curstbheilnehmer wurden in Quartette 
eingetbeilt, welche jeden Zag ein unter Leitung eines bejondern Directors 
einftudirte Lied vorzutsagen hatten. Tagesordnung: Morgens 7 Uhr 
Zbeorieftunde; dann Quartettvorträge und Kritil derjelben durch ein Kampf: 
gericht; hierauf Klavier⸗ und Orgelipiel von Herrn Weber, Sohn; 11 Uhr 
Chorgefang; 1—2 Uhr Einftudiren der Duartette; 2 Uhr Quartettvortraͤge 
und GChorgefang; Abends 8 Uhr freie Beiprehung über die Bereinsorgans 
ſation. Am Schluſſe fand in der Kirche eine öffentlihe Gejangaufführmg 
ftatt. Nach einem Referat in der Berner Schulzeitung war diefe Sänger 
woche, troß der angeltrengteften Arbeit, eine wahre Feſtwoche des Genies 
und ber Gemüthlichleit, der geiftigen Auffriihung in muſikaliſcher Hiaſicht. 
die ohne Zweifel auf das Geſangweſen nicht ohne wohlthätige Ginwickung 
fein wird. 








Die äukern Angelegenheiten der Volksſchule ac. 657 


Sn Thurgau und Solothurn wurde ebenfalls bie Abhaltung ſolcher 
Gurfe angeregt. 

6. Alle Anerlennung verdient Winterthur für feine großartigen 
Leiſtungen im Schulweſen. Seinen Sinn für Bildung bat ed aufs Neue 
durch Erhöhung ver Primarlehrerbejoldung von Fres. 1800 auf Fred. 2500, 
ſowie durch die Erftellung eines neuen Schulgebäubes, deſſen Koſten auf Fres. 
416,000 fteigen, beurkundet. Diefe Stadt bietet, wie wenig ambere 
Schweizerflädte in gleihem Maße, alle Beringungen zu einem blühenden 
Schulweſen: prädhtige und zwednäßig eingerichtete Schulhäufer, tüchtige und 
gut bejolvete Lehrer und eine trefflihe Schulorganifation. Ehre ſolchem 
Streben! 

7. Einem erbitterten Seminarlampfe zwiſchen Director unb 
einigen Seminarlehrern hat der Erziehungsrath durch feine Schlußnahme, 
in der er u. N. dem Director die Anerfennung für fein amtliches Wirken 
ausſpricht, ein Ziel geſetzt. 

7) Statifijde Angabe aus dem legten Amtsbericht. 

A, Volksſchule. Im Schuljahre 1864/65 fungirten 518 Primar 
lehrer (Taration der Schulen: 174 jehr gut, 360 gut, 42 mittelmäßig, 2 uns 
befriedigend), wovon 451 definitiv, 67 nur proviforisch angeftellt waren, 
Alltagsfchüler 26,606, Ergänzungsfchüler 9929, Sing: und Unterweifungss 
jhüler 11,374. Seminarübungsjchule: 1 Lehrer und 125 Schüler. — 
56 Secundarſchulen (39 ſehr gut, 35 gut, 2 mittelmäßig); 76 Secundar 
lehrer, 2665 Schüler. — Weibliche Arbeitsjhulen: 357 Lehwerinnen, 
7661 Schülerinnen. Zotalzahl der Lehrer 952, der Schüler 58,260. 
Außerdem beftehen im Canton 20 Privatinftitute und 40 Handwerler 
ſchulen. 

B. Höheres Unterrichts weſen. Zöglinge des Lehrerſeminars: 
103; Böglinge der Thierarzneiſchule: 33; Schüler ver Gymnafien: 188; 
Schüler der Induſtrieſchulen: 229; Stupirende an der Hochſchule: 257. 
Die Primarſchulfonds betragen Fres. 5,510,358. (Im Jahr 1855 bes 
trugen fie Fres. 3,996,574.) Die Secundarſchulfonds betragen Fros. 
487,456. (Im Jahr 1855 betrugen fie Fres. 346,643.) 

St. Gallen. 1) Die Eröffnung der Cantonsſchule fand 
am 30. Mai 1865 ſtatt. Ihr ging am 29. Mai in Anweſenheit von 
Abordnungen des Regierungsraths, der Erziehungsbehörde ıc., fomwie ber 
Lehrerſchaft und fämmtliher Schüler vie feierliche Uebergabe ver Anftalt 
durch den Landammann, als Repräjentant des Staates, an die Erziehungs» 
bebörde, als deren fünftige Leiterin, voran. Als freundliche Erinnerung 
aa den für die Geſchichte der St. Galliihen Cantonsſchule denkwürdigen 
ag wurde mit fämmtlihen Gantonsjhülern dem Seminar auf Mariaberg 
ein Beſuch abgeftattet und daſelbſt Schüler und Chrengäfte in frugaler 
Weiſe bewirthet. Der Abend vereinigte fodann die Repräjentanten der 
Behörde und die Lehrerſchaft zu einem gemeinjamen Bankette. (Amtsbericht.) 

2) Im December 1865 wurde vie Lebrerfhaft duch eine neue 
Shulorpnung für Primar: und Realſchulen erfreut. Den 
erſten Anftoß zur Nevijion gab ein Geſuch der Lehrerverſammlung zur Ab: 
änderung mehrerer Partien der Vollziehungsorbnung von 1862, in welcher 

Pär. Jahreßberiht. XVII. 42 


658 Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule zc. 


namentlich die unjelbftänbige Stellung der Conferenzen tiefe Mikftimmung 
erzeugt hatte. Durch das neue Geſetz bat nun die Behörde anf anerlen- 
menswertbe Weile den Wuͤnſchen der Lehrer Rechnung getragen. 

Die Lehrerconferenzen gliedern fi nun in 1) Specialconſeren⸗ 
zen, 2) Bezirksconferenzen, 3) Cantonalconferenzen. Die Lehrer eines Be 
zirks vereinigen ſich in mehrere gefonderte Epecialconferenzen, deren Zwed 
in wiſſenſchaftlicher und pädagogischer Fortbildung beſteht. Die Eperial: 
conferenzen verjanımeln ſich jaͤhrlich 0 — 10 Mal, conftituizen ſich jelbit und 
erflatten Bericht über ihre Thätigleit an die Bezirlsconferenz. Die Bejirks⸗ 
eonferenzen finden jährlid 2 Mai ftatt. Zum Beſuche find fämmtlide Pri⸗ 
mar und Reallehrer des Bezirks verpflichtet. Jeder Lehrer erhält ein 
Zaggeld. Die Conferenz bat das Recht, ihren Borfland zu wählen unb 
fih Die Statuten felbft zu geben. Eie beipriht an der Hand eines Gut⸗ 
achtens pädagogiſche ragen und wählt die Abgeorbneten an die Canto⸗ 
nalconferenzen. Die Cantonalconferenz conftituirt fi felbt und ſtellt für 
ihre Thätigleit ein Reglement auf. Ordentlicher Weiſe findet alle 2 Jahre 
eine ſolche ſtatt. Stimmberedtigt find nur die Delegirten der Bezirlscon- 
ferenzen; dagegen haben jämmtliche angeftellten Primar⸗ und Reallehrer 
freien Zutritt mit berathender Stimme. Der Erziehungsrath läßt ſich Durch 
eine Abordnung vertreten Der Cantonalconferenz liegt die Berathung umb 
Begutachtung über alle widhtigen, das Schulmefen befhlagenden ragen ob. 
Die Abgeordneten erhalten aus der Staatscafle ein Zaggeld. — Nach vem 
Amtsberiht gewinnt nun das Conferenzwefen wieder an Regjamleit m 
Lebensfriihe. — Nur die Gantonalconferenzen machten bisher keinen gim 
ftigen, wobltbuenden Eindruck. Daran ift freilich die Organifation wicht 
Schuld. 

. Bezgzuüuͤglich des Wunſches auf Standesvertretung der Lehrer in den 
Schulbehörden antwortet die Schulordnung ablehnend. Die diesjallfigen 
Beitimmungen beißen: Primarlehrer können nicht Mitglieder des Schuira- 
thes jein. Dagegen jollen die Schulräthe die Lehrer zu feinen Sitzungen 
zur Berathung beizieben, jo oft Fragen des Unterrichts und des innern 
Organismus der Schule zur Behandlung kommen. — Die Primarlehrer 
find berechtigt, jährlih vier halbe Zage zu Schulbefuchen zu verwenden. 
Art. 1 hält uns die Mufterlarte unfrer verjchievdenen Schularten ver. 
Sie heißen: 

e Jahrſchule, 

Dreivierteljahrſchule (im Winter taͤglich mit 6, im Sommer täg: 
lich mit 3 Unterrichtsſtunden). 

Theilweiſe Jahrſchule (für mehrere Claſſen eine Jahrſchule, für 
die übrigen Halbjahrſchule). 

4) Halbtagjahrſchule (die eine Abtheilung erhält nur Bormittags, dir 

andre nur Nahmittags Unterricht). 

5) Getheilte Jahrſchule (die Oberſchule genießt den Unterricht 

Minter, die Unterjchule im Sommer). 

6). Halbjahrſchule. 

Der Eintritt in die Schule erfolgt mit dem zurüdgelegten Alters 
jaßeo, der Mebertritt aus der Alltagsichule in die Grgänzungsihule (mit 


N 


3 


— 





Die äußern Angelegenheiten ber. Bolkeſchule £! 660 


zwei — vier Halbtagen) mit dem 13. Jahre und die Entlafiung. aus betr 
jelben mit dem erfüllten 15. Altersjahe. Die Lehrſchweſter⸗An gien 
legenbeit, die einen heftigen Kampf in der Tagespreſſe hervorrief, 
findet ihren Abſchluß in folgenden Beitimmungen: Getrennte Mäpchen- 
Ichulen können von Lehrerinnen verjehen werben. Angeſtellte Lehrerinwen 
müflen im Befiße eines Wahlfähigleitszeugnifies fein. Ordensperſonen duw 
fen nur dann als Lehrerinnen angeftellt werden, wenn dieſelben einem 
janctgalliichen ıFrauenklofter angehören. (Damit find alfo. vie Lehrſchwe⸗ 
fern vom Schuldienfte ausgeſchloſſen.) 

8) Auf bedeutenden Widerftand auf conjervatiwer Seite ftieß . ber 
Art. 119, welcher unter gewiſſen Beringungen bie Zutheilung ar 
eine Shule der andern Eonfeffion zuläßt und der fobann auch, 
den Zugetheilten die gleichen Rechte (Stimm: und Wahlfähigteit) und Pflich⸗ 
ten einräumt, gleihwie den übrigen Schulgenofien. Die confervativen Bit: 
ter Hagten über Verproteftantifirung der Schule, und das kathol. Schulblatt 
behauptete, die fogen. Miſchſchulen, over die Schulen mit paritätifchem 
Charakter, beeinträchtigen die Erziehung und Bildung, gefährden das In⸗ 
terefie des Staates und flören den confejfionellen Frieven. In einer Bro: 
jhüre: „Die Schulftage vom kirdlich - politiichen Standpunkto aus betrach⸗ 
tet mit bejonderer Rüdfiht auf die ſanctgalliſchen Schulverhaͤltniſſe“ äupext 
Hr. Pfr. Ruggli u. A. folgende Gedanken: Die Erziehung muß religiös 
fein. Die Kirche war Mutter und Stifterin der Schule; fie it darum 
zur Mitwirlung an der Leitung der Schule verpflichtet; nur dadurch. wird 
der confejlionelle Charakter gefichert. In katholiſche Schulen gehören ta« 
tholiihe Lehrer, Behörden und katholiihe Schulbücher. Dem Biſchof. ge 
bübrt in Schulangelegenheiten dag Recht der Mitberathbung. — Die ſanct⸗ 
galliiche Verfaſſung jagt: „Aufliht und Leitung des öffentlichen Erziehungs: 
weſens ift Sade des Staates” — genau das, was die Kirche verdammt. 
Die Berfaftung fagt: „Die oberfte Leitung des Erziehungswefens fteht beim 
Regierungsrathe. Diefer Art. läuft dem päpftlihen Ausſpruch entgegen. 
Die Verfaflung fagt: „Er genehmigt Lehrmittel, Lehrpläne und Verordnun⸗ 
gen.“ Dies Recht gehört kraft göttliher Vollmacht der Kirche. Der inpifferente 
Staat trägt der Confeſſion keine Rechnung und treibt die Kirche zum Schule 
hinaus. Ohne die kirchliche Oberbehörde zu befragen, wurde ein Lehrplan 
abgefaßt, wurden Lehrmittel obligatoriih eingeführt. 10 Lehrer, zur Hälfte 
seformirt, jollen unter Vorſitz eines reformirten Erziehungspräfibenten ein 
Leſebuch verfajlen, ohne daß die Kirche eine Silbe dazu zu fagen bat. 
Das ift eine fchreiende Ungeredhtigleit. Herr des Erziehungsweſens ift jebt 
der confejfionslofe Staat, Hirt der Schulen der unkatholiſche, unkirchliche 
Srziehungsrath. In gleihem Sinn und Geift wird das Seminar geleitet. 
Das Staatsfhulmefen führt allgemein zu einem Leben ohne Bott. Das 
Volksſchulweſen geräth ins Heidenthbum. Was nun thun? Wir müflen die 
durch Verrath und Zreulofigleit entriffenen Rechte wieder erobern. Wir 
forbern die Unterrichtsfreiheit. Die katholifhe Erziehung ift erft dann ge- 
fihert, wenn die Kirche den ihr gebührenden Einfluß auf die Bildung der 
Lehrer, der Abfaffung und Einführung von Schulbüdern umd der Feſtſetzung 
des Lehrplans ꝛc. geltend macht. Alſo zum Kampfe! Wir müflen vie 

42* 





689 Die Aukern Angelegenheiten ber Volksſchule ze. 


Preſſe benutzen und bie Gerwifien ver Tatholifchen Eltern erweden. Beveimt 
mit dem Bifſchof berlangen wir die Rechte zurid, die uns Willkur und 
Despoten entrifien.” 

4) Der Canton St. Gallen zählt 399 ‚Sauten (170 Halb» 
jahr⸗, 32 Dreivierteljahr: und 120 Jahrſchulen, 29 getbeilte Jahrjchuien, 
27: Halbtagsjahrfchulen und 21 theilmeife —— Dieſe wurden von 
25,364 Schülern befucht. Die Arbeitsſchulen zählen 7539 Schülerinnen. 
Das Capitalvermögen fämmtl. Primarſchulgemeinden beträgt Frs. 4,195,6500. 
— Die Anzahl der Realſchulen beträgt 31 (davon find 5 Knaben, 4 
Madchen⸗, 22 gemiſchte Schulen für Anaben und Mädchen) Die Zahl 
der Reallehrer beläuft fih auf 65, diejenigen der Schüler auf 1152. Die 
Zahl der PBrimarlehrer wird auf 373 angegeben. Sodann befigt der Gam 
tom mehrere PBrivatihulen, vier Rettungsanftalten und eine Taubſtummen⸗ 
aufalt. — Die Eramenberichte über die Leiltungen ber Realichule lauten 
durchweg güufig, Die Nealihulen find im Stande, die ihrer Gtelkmng 
zulognende päbagogifhe und fzientifiihe Aufgabe befriedigend zu Löjen. 

(Amtsbericht.) 

Gantensfhule: 17 Profefioren, 8 Hülfslehrer und 197 Schüler (73 
Syunafim, 124 Induſtrieſchulen). Seminar: 7 Geminarlehrer umb 1 
Muſterlehrer und 59 Böglinge. 

Luzern. Hr. Segefler legte im Auftrage des Regierungsrathes einen 
Bericht vor, mie nad feinen Anfichten in allen Gebieten der Adınmikım 
tion eine Berminderung der Ausgaben zu ermöglichen ſei. Die Rare 
Keduction der Ausgaben will ee nun im Grjiehungswejfe 

Hier allein follen nad feinem Vorſchlag 60,000 Ircs. erfpart 

"werben. Zugleich legt er einen Plan: „Gedanken über eine Reviſion bes 
Schalgeſetzes“ fiber die Veränderungen im Volksſchulweſen vor. Diefer 
Vorſchlag eines Sparfpflems ift zu einem Stein des Anftoßed geworben. 
Er entwidelt dabei folgende Gedanlen: Die Schule ift ausſchließlich Sade 
der Gemeinde. Der Gemeinderatb wählt, befoldet und beauffichtigt bie 
Lehrer. Der Staat gibt einen Beitrag an die Schulloften und zwar Fred. 3 — 
vr. Am. Cin Minimum der Beſoldung wird gejeglich nicht aufgefteikt. 
De Schulzwang ift abzufchaflen; nur hat der Bürger die gejepläcken 
‚ Beitzäge zu. leiten und durch Prüfungen fih auszumeilen, daß feine Sin 
der das gelernt, was der Lehrplan fordert. Das Lehrzie I fol nach 
feiner Anfiht nicht über Lejen, Schreiben und Rechnen binausgeben. 
Geſang, Zeichnen, Turnen 2c. fallen weg, Der Religionsgunterridt 
hit ausſchließlich den Piarrern zu. Die Unterrihtszeit gebt vom 8. 
Aliexsjahre bis zu dem Zeitpunftt, in welchem das Lehrziel erreicht if. 
Das Lebrerfeminar wird aufgehoben. Der Lehrplan der Bezirke 
fehulen wird reducitt. Knaben, die fi dem Lehrerberuf widmen wollen, 
beſuchen norerft eine Allajlige Bezirksſchule, dann erhalten fie vom einem 
„wandernden Pädagogen’, ber abmwecjelnn ein halbes Jahr um des 
andere an einer Wittelfchule erfcheint, Anleitung über Paͤdagogik und Ne 
thai, Rach einem halbjährigen Curje wird der Lehramtscandidat paten- 
tixt. Die Lehrerconferenzen fallen meg. Am Gymnafium wird das Glaf- 
ſanſyſtem eingeführt. (Neues Tagblatt.) — Wir wollen ſehen, ob dieſe 





Die äußert Angelegenheiten ber Volkeſchule x. 661 


haushälterifhen Gebanten bei Bolt und Behörden Unflang finden. Dir 
Sinfender des N. Zagblattartilel3 bemerkt, der Vorſchlag Ss. fei aller 
Beachtung werth. Betreffend das Lehrziel habe er volllommen Recht. Es 
jei wahrhaft ſündhaft, was die Schulmeifter mit den Kindern treiben, nur 
das Rechte nit. Ein Jahr Lehrerfeminar ſei nothwendig, jedoh in Be⸗ 
zug auf Lehrplan und Grundſätze vom gegenwärtigen ganz und völlig ver 
jchieden. Auf diefes folge ein Jahr praltiſchen Unterrichts in Muſterſchu⸗ 
fen. Unfere balbeivilifirte Welt mit ihrer encyelopaͤdiſchen Schulmeifters 
weisheit wolle freilich viel mehr. 

Bern. 1) Auf den Vorſchlag des Gemeinderaths bat die ſtabtiſche 
Ginmohnergemeinde im Dechr. 1865 einſtimmig die Beſoldung der 
Primarlehrer um Fred. 300 erhöht. Bern, als Bundesftabt, ftand ik 
diefer Beziehung gegenüber andern jchweiz. Städten noch weit zurüd. Die 
Aufbefierung der Gehalte war eine dringende Nothwenvigleit. Der Lehrer 
ber I. (oberften) Claſſe bezog bisher ſammt der Staatszulage und We: 
nungsentihäbigung Frc3.1620, jetzt aljo Fres. 1920; ver Lehrer ber IL Claſſe 
früher Ircs. 1320, jetzt Fres. 1620; der Lehrer der III, Claſſe Fres. 1170, 
jetzt alfo Fres. 1470. Der „Schulfreund“ anerfennt biefe Opfer , tadelt 
aber dieſe Ungleichheit, indem ber Unterricht in den untern Claſſen ebenſo 
viel Fleiß, Anftrengung und Ausdauer erforbere, als derjenige in dei 
obern Claſſen. 

2) In Bezug auf Einführung des Turnens in die Primat— 
fhule if ein entichiedener Schritt gejhehen.. Wenn aud zur Stunde noch 
das Turnen kein obligat. Schulfach ift, jo laſſen dagegen die Behörven 
nichts unverſucht, diefem michtigen Lehrgegenftande auf dem Wege der Frei⸗ 
willigleit, durch Aufmunterung und zwedmaͤßige Anleitung moͤglichſt alls 
gemeinen Gingang zu verſchaffen. Cs ift zu hoffen, daß dieſe Bemühen 
gen bei Schulräthen und Lehrern die nöthige Beachtung und Unterftügung 
finden werden. Zu dem Ende hatte die Erziehungsdirection die Abhals 
tung von I0—12 Turncurfen in den verſchiedenen Gegenden des 
Gantons (mit Ausfiht auf ftaatlihe Unterftügung) angeordnet und eine 
„Anleitung des TZurnunterridhts in ben berniſchen Volksſchulen“ 
austbeilen Lafien. 

.3) Herr Lafche, Lehrer an der Cantonsſchule in Bern, empfahl it 
einem Votum „die Reduction der Brimarjhulzeit”, in ven a 
bemerit: „Wir find zu der Ueberzeugung gelommen, daß es für die in den 
Gewerbitand übergehenven Knaben befjer wäre, den obligatoriihen Primar⸗ 
anterriht mit dem vollendeten 1Aten Jahre zu fchließen und dann einen 
guteingerichteten Yortbildungsunterricht folgen zu lafien. Es gibt außer 
Bern nur wenige Länder, in melden der Primarfhulzwang bis in das 
Alter von 16 Jahren ausgedehnt if. Der fpäte Eintritt in bie berufliche 
Thaͤtigkeit bringt große Nachtheile.“ — Neuervings erllärt fih nun die N. 
Berner Schulzeitung mit aller Entſchiedenheit gegen eine derartige Abaͤnde⸗ 
rung der gegenwärtigen Schulgefeßgebung. 

4) Un der im Aug. 1865 in Bern abgehaltenen und von Pruf. 
Defor aus Neuenburg präfivirten Berfammlung des internationalen 
Gongrefjes wurde u. U. auch folgenne Frage viscutirt: „Soll der Uns 


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6) Ser gegenwärize Beſt and ner berniiden Eh ullekre: 
cafje ı telzenzer: Zaıbl ver Tiuzlieder: 830; Chat ——— 
354,164: Fenonstunme: Ircs. 15,760; Benteniberuktiyie: 268 ; Erik 
ame Penñen: ca. 70. 

Zhburgau. 1) Nas einem Berkkt der tharz Secumdartebrer 


eine 

fon techt fein: aber für >, der Eihäler ih eine mbentlihe, comserhe peak 
tijche Redinungetunft viel widtiger; und vor Allem beivaiiam ii em 
richtiger deuticher Aufiag, im einer einfachen, flaren, richtigen Eyradbe.“ 

27 Her Reg.:Rath Enl;berger trat in ber gemeinnübigen Gejellichıit 
für die Iulaffung von Lehrerinnen, für vie unten Glaßen ker 
thutg. Schulen in die Schranlen. Die ſociale Stellung berieben fei eine 
andre geworden. Zur die erziehlice Aufgabe fei das Weib jo gut gemad- 
fen, al6 der Mann. Die Ihätigfeit einer Lehrerin mit Rindern, welche 


Auch die Thurgauer Zeitung verwendet ſich wit Eiſer für die Aiufteung 








Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule c. 668 


von Lehrerinnen an. den thurg. Primarfchulen. Die geſetzliche Ausfchließung 
der weiblichen Lebrfräfte von der Erziehung und. Beſchulung jelbft ver 
weiblihen Jugend jei nicht'gerechtfertigt. „Frauen von Geilt und Charak⸗ 


ter erwerben ſich leicht die nöthigen Kenntniſſe. Warum follte das berufs 


lih gebildete Weib nicht für den Schuldienft geſchaffen jein? Mangelt 
etwa die unerläßlihe Gnergie und Zähigleit? Wer daran zweifelt, gehe 
ans Krankenbett. Und wenn fi damit eine gewiſſe Milde paart, follte 
bies für's erziehende und lehrende Element nachtbeilig fein? Man hört 
nur von günftigen Ergebniſſen. Die Lehrer bewegen fich felten mit gleicher 
Geiftesfriihe in der Sphäre des Clementarunterrihts. Die Lehrerin: 
nen begnügen fi mit der Hälfte der Bejoldung und fchonen 
die Deconomie der Gemeinden und die Steuerkraft der Bürger. In Bern 
und Aargau find an untern Primar- und Mädchenclafien häufig Leb: 
rerinnen angeftellt. Nöthig ift dann freilich ein geregeltes Inſtitut zur be: 
ruflichen Ausbildung von Lehrerinnen, fo wie gefeßlihe Beitimmungen für 
ihre corporative Stellung und die damit zufammenbängende Fortbildung.“ 

Freiburg. 1) Die Girardfeier. Die Feier zu Ehren des 
bundertjährigen Geburtstages des verehrten Pädagogen, Pater Girard, 
die -am 17. Dechr. 1865 ftattfand, begann mit einem Gottespienft für 
ſämmtliche Jugend der Stabtprimarfhulen. Abends bildete fih ein im⸗ 
pojanter Fadelzug von 12— 1500 Perſonen, beftehend aus Mitgliedern 
der Behörden, aus Schülern und Verehrern Girard's. Dieſer bewegte ſich mit 
Mufit zum Denkmal Girard’s, das berrlih befränzt und beleuchtet war. 
In ergreifenden Morten ſchilderte hierauf Herr Prof. Daguet das Leben 
Girard’s, der troß allen Berfolgungen fo unermübli für die Bildung des 
Volles arbeitete. Muſik, Gefang und Feuerwerk bildeten den Schluß der 


Ihönen Feier. Kine eingetroffene Depejche von ehemaligen Schülern des 


Gefeierten, nunmehr erfte Staatsmänner St. Gallend, wurde vom anwe⸗ 
enden Publicum mit Begeifterung begrüßt, Tauſende mögen fidh bei dies 
fem Feſte unter freiem Sternenhimmel gelobt haben, ver großen Ausfaat 
Girard's ein fruhtbares Erdreich zu bereiten. Nach diejer allgemeinen Feier 
im Freien folgte ein Bankett, welchem viele Schüler und Berehrer bes 
Verewigten beimohnten und zwar von beiden politiihen Parteien. — Der 
Name Pater Girard’3 wird zu allen Zeiten im Schweizervolle im gejegne- 
ten Andenken fliehen. (Aus dem N. Tagbl.) 

Der 100jährige GeburtstagGirard's wurbe auch im Canton T ef Jin gefeiert. 
Prof. Ghiringhelli verfaßte im Auftrag des Vereins für Volfserziehung 
eine kurze Biographie diefes verdienftvollen Mannes, und bejchenkte damit 
die fämmtlihen Schulen des Cantons Teſſin. Der Verf. entwirft darin 
ein fehr lebendiges und anſprechendes Bild feiner Perjönlichkeit, feiner na⸗ 
turgemäßen Methode, feines vortrefflihen Charakters, feiner Menjchenliebe 
und Dulofamleit, die feiner ganzen Wirkjamtleit die rechte Weihe gaben, 

2) Die Behörden Yreiburgs haben fih an der Berathung, betrefiend 
Einführung gemeinfamer Shulbüder (für Waadt, Freiburg, Genf, 
Walls, Neuenburg und Berner Jura) für die romaniihe Schweiz nicht 
betbeiligen wollen. Bas Unternehmen ſcheint auf große Hinderniſſe zu 
ſtoßen. 


664 Die Außern Ungelegenbeiten ber Volksſchule ıc. 


8) Die Hlerifei agitirt für Ueberlieferung der Normalſchale 
und der landwirtbidaftliben Schule in Hautrive an die Trappiſten. 
Um dem Project Gingang zu verfchaffen, wird von der Verbindung eines 
Cantonsſpitals mit der Trappiſten⸗Vollsſchule geiprohen. (Tagblatt.) 

Schaffbaufen. Bufammenflellung der neulich verbeiierten Lehrer: 
befslvungsverhältnifie der Stadt Schaffhauſen. 

a) Kloflerſchule (Elementarſchule). A Lehrer. Befoldung Fred. 1900, 
1700, 1600, 1500. Berpflibtung zu 28 Stunden wöcentliden 
Unterrichts. 

b) Steigſchule ( Elementarfhule mit getrennter Winter: und Sommer: 
ſchule). 8 Lehrer. Beſoldung: Ares. 1700, 1600, 1500. 

e) Stäptifhe Maͤdchenſchule. 8 Lehrer. Beſoldung des Vorflebers: 
Fres. 700 (für 8 wöchentlihe Unterrichtäftunden). Uebrige Lehrer: 
Fres. 2400 (für 35 Et.), Feed. 2150 (für 32 St.), Fred. 1800 
(für 28 6t.), Fres. 1700 (für 26 St.), Fres. 1650 (für 24 St.), 
Fres. 1550 (für 20 St.), Fres. 1500 (für 20 St.). 

a) Städtifhe Anabenfhule. 7 Lehrer. Beſoldung: res. 2100, 1850, 
1800, 1700, 1650, 1550, 1500. Mit 24—29 wöchentlichen 
Unterrichtftunden. Lehrer der franzöfiihen Sprache: Fres. 600 
(8 ©t.). Beichenlehrer: Fres. 450 (6 St.). Turnlehrer: Free. 
750 (8 St.). 

e) Realfhulen. Dem Director: Fred. 2600 für 18 Stunden Unterrift. 
Dem Religionslebhrer: Fres. 1400 für 14 Stunden. 7 NReallebrer: 
& Fres. 2400 für 30 Stunden. Dem Zeichenlehrer: Fred. 1900 
für 24 Stunden. 

Zudem erhält jeder definitiv angeftellte Lehrer vom Staat jährlich 
eine Bulage: 

Nah 4 Dienftjahren Fred. 40. 
⸗ 8 ⸗ ⸗ 80. 
21416 ⸗ 200. 

Appenzell A. Rh. 1) Mit nächſtem Frühling geht alſo das can⸗ 
tonale Lehrerſeminar in Gais, das ſeit 1852 unter der Direction 
von Herrn Zellweger beftanden bat, in Folge der Auffündigung des Directors 
zu Ende. Laut einer Correfpondenz der „Sonntagspoſt“ zählte das Ce 
minar während der 16 Jahre feines Beftandes 112 Zöglinge. Die 
Standescommiffton von Appenzell A. Rh. ſchloß nun mit dem thurgauiſchen 
Erziehungsrath einen Vertrag ab, demzufolge eine Gefammtzahl von etwa 
15 appenzeller Stipendiaten im breicurfigen Lehrerfeminar Thurgau Auf 
nahme finden. Der Jahresbeitrag ift auf Fres. 600 feftgeftellt. 

2) Die Kirhhöre der Dorfgemeinde Heiden beſchloß, die Befoldung 
bed Oberlehrers von Fres. 900 auf Fres. 1200 zu erhöhen und die jähe 
lihe Wiederwahl dieſes Lehrers abzufhafien. Auch Trogen bejoldet nun 
den Oberlehrer mit Fres. 1200. 

3) In den Kranz der gemeinnügigen Werke, welde als ehrende 
Denkmäler des opferwilligen Gemeinfinnes dieſes Ländchen ehren, hat audı 
die Gemeinde Trogen buch ben Bau der Cantonsſchule, den fie 





v 
Die äußern Angelegenheiten ber Volboſchule x. 850 


amf. ihre Koſten erflellte und nun dem Lande fchentiweife abtritt, eine 
ſchͤne Blume geflochten. 

Appenzell J. Rh. Einem Schulbericht in den „appenzelliſchen Jahr⸗ 
büchern“ entnehmen wir folgende Angaben. Innerthoben zählt 17 Schulen. 
Die Gefammtzahl der Schüler betrug im Berichtsjahr 1215. Die einzel 
nen Schulen waren aber ſehr ungleich bevölkert. Die kleinſte Schule zaͤhlte 
nur 23, die größte 128 Schüler. Bier Schulen baben eine Schulzeit von 
8, alle übrigen eine folde von 10 Monaten. Das Gejeb bindet den Aus: 
tritt aus der Schule and zurüdgelegte 12. Altersjahr. Der Schulbeſuch 
iſt noch mangelhaft. Was die Befolvung betrifft, jo haben alle Lehrer freie 
Wohnung. Das Baareintommen erreidht an 2 Schulen (Appenzell) das 
Marimum von Fre. 800 und 940. Dann folgen Gehalte von Fred. 
600, 500, 418, 300 bis 400, 247 und Minimum Fred. 210. Die 
Zahl der Lehrer betrug 14, die der Lehrerinnen 5. Der Schulbericht ent: 
hält dann eine Beurtbeilung der Leiftungen jeder einzelnen Schule. Zum 
Schluß befürwortet Referent 

a) die Einführung obligatorifher Repetirfchulen, die bis ing 19. Lebensjahr 
befucht werden jollten ; 

b) die Errihtung einer MädchenArbeitsfihule in Appenzell, indent dies 
— der einzige Hauptort in der Schweiz ohne eine Arbeitsſchule 
fein dürfte 

c) die Grhöhung der Lehrerbeſoldungen; 

d) die Beranftaltung jährliher Repetitionscurfe für die Lehrer. " 
Möge es den Schulfreunden Innerrhodens mehr und mehr gelingen, 

das Schulmefen zeitgemäß zu fördern und zu heben! 

Uri. Um die Primarjhulen zu heben, haben vie Behörben bes 
ſchloſſen: 

a) Es ſollen obligatoriſche Repetitionscurſe für die Lehrer unter tüchtiger 
Zeitung fattfinden. 

b) Die Sonntagsfhulen, für aus der Schule Entlafjene, den Gemeinden 
zur Ginführung zu empfehlen. 

ce) Der Grziehungsrath wird eingeladen, einen Unterrichtäplan für die 
Primarjchulen anzuordnen. 

d) Neu anzuftellende Lehrer follen fortan einer Prüfung fih unterziehen 
müflen. 

e) Staat und Gemeinden zur vermehrten Unterftügung der Primarfchulen 
einzuladen. 

Schwyz. Das auf der Stiftung von Herrn Yüp felig beruhende 
Lehrerfeminar in Seewen hat feine erften 10 Jahre zurüdgelegt, und erhält 
von der Auffihtsbehörde das Zeugniß, daß es auf der Höhe der Zeit 
fiebe.- Es find bis jeßt 97 Lehramtscandidaten daraus hervorgegangen. 

Aargau. 1) Hier murbe eine befondere Eommilfion aufgellellt, vie 
den Auftrag bat, zu beratben, wie bei den vier Seminarjahren die 
Lehrerbildungsanftalt einzurichten fei. Nah dem Schulgeſetz ſoll 
das Seminar auf die Grundlage eines Convicts mit Zimmerſyſtem einge» 
sichtek und mit einem enifprechenden landwirthſchaftlichen Geweche verſechen 


666 Die äußern Angelegenheiten ber Vollsſchule ꝛc 


werben. — Einzelne Stimmen reden von einer Berlegung des Seminars 
von Wettingen nah Muri und Verſchmelzung mit der landwirthſchaftlichen 
Säule. 

2) Die Einführung des neuen Schulgefeßes fick in einigen 
Gegenden des Cantons auf hartnädigen Widerftand, In einer Verſamm⸗ 
fung in Seengen wurde ein Betofturm gegen daſſelbe heraufbeihworen. 
Man erllärte fi) gegen den Artilel über das Abſenzweſen, den Cantonal: 
injpector, die Alterözulagen nad 10 Dienftiahren und die unrepublilani: 
ichen (?) Rubegebalte oder Penfionen. Die Berjammlung war ftürmijh 
und man beſchloß, durch Sammlung von Unterſchriften die Abänderung 
oder Bejeitigung diefer Artikel zu erlangen. Das Schulgejeg wurde troß 
biefem Wellenſchlag in Kraft geſetzt; nur der Cantonalinfpector wird einft: 
weilen noch blos auf dem Papier ftehen. 

Die Sammlung von den nöthigen 5000 Unterfhriften fam nur muhſam 
zu Stande. In folgender Großrathsſitzung wurde die Petition vorgelegt; 
defien ungeadhtet wurden bei ber Bubget-Berathung die Anſätze für Alters 
zulagen (Fre. 15000) und Ruhegehalte (Fred. 4000) genehmigt. — & 
bat nun der Große Rath das Net, von fih aus die Abänderungen zu 
treffen, oder den Gegenftand dem Volle vorzulegen. — Die Großraths⸗ 
commiflion, welche über dieſe Begehren Bericht erftatten follte, bat ver 
felben der Regierung eingereiht. Derjelbe lautet für die Schule und be 
Lehrer glei ungünftig. Nach diefem Vorſchlag follte nun das Bolt übe 
jeden einzelnen Punkt abftimmen, Das wird eine unerquidlice Comoͤdie 
werben! 

3) In Yargau find nah dem Borgang von Waadt die Lehrer: 
ſtellen an fämmtlihen Gemeindeſchulen des Cantons ald vacant aus: 
geſchrie ben worden. 68 ift zu wünſchen, daß dieſer Alt bier meniger 
Härte und Rüdfichtslofigleit veranlaflen möchte, als dies dort der Fall war. 

Waadt. 1} In einer Conferenz der Lehrer von Laufanne wurde 
in Betreff des Religionsunterrichts folgender zeitgemäße Beſchluß 
gefaßt: a) Den Neligionsunterriht auf die Erzählung der biftorifchen Zhat- 
ſachen der heiligen Geſchichten zu beſchränken; b) in den Primarſchulen 
einen kurzen Abriß der heiligen Geſchichte, ſowie eine Sammlung ausge 
wäblter bibliiher Sprüde, Kirchenlieder oder religiöje Poefie einzuführen; 
ce) in Folge deſſen dagegen den Katechismus abzuſchaffen, da derſelbe weder 
a Det s noh dem religiöfen Bebürfnifie der Schuljugend entfpridt. 
(A. J. 

2) Allgemein wird in Waadt, laut einer Correſpondenz im „Educa⸗ 
teuer” eine Santonalconferenz, beftehend aus Delegirten der Bezirks 
conferenzen, gewuͤnſcht, welder dann in allen wichtigen Sculfragen das 
Begutachtungsrecht eingeräumt würde. Wenn bie Lehrer ifolirt vafteben, 
ohne gemeinfhaftlihen Verband, fo kann die Gefammtheit die Fortfchritte 
ber Ginzelnen nicht benugen und die Schulinspectoren erhalten ein Leber: 
gericht, welches ſehr leicht der freien Snitiative des einzelnen Lehrers nad: 
theilig werben kann. Die Gantonalconferenz bildet den natürlichen Schluß⸗ 
fein des Conferenzlebens, Wird fi die neue Inſtitution entwideln und 
ausbilden, fo kann fie dem cantonalen Schulweien große Dienfte leiſten. — 





Die Außern Angelegenheiten der Volkéſchule ꝛc. 66% 


Die Staatsbehörden wollten von dieſer Neuerung nichts wiſſen; denn ſie 
befürchteten, die Cantonalconferenz werde direct zur Schulſynode führen. 
(N. Educateur.) 


' 3) Eine Correfpondenz der „Sonntagspoft‘ bemerkt über die 
Waadtländiſchen Shulzuftände: Das Shulgefes tft jebt in 
Kraft, doch macht es ſich nicht ohne Mühe geltend. Schon bei den Ge 
meindebebörben ift daſſelbe auf manden Widerſtand geftoßen. Die Bauer: 
fame tft in Geldfragen bebig und meint, die auf öffentlihen Unterridt 
verwendeten Summen ſeien verloren. Die Regierung fämpft wohl gegen 
ſolche knauſerige Beſtrebungen, kommt aber doch nicht dazu, das Geſetz 
auszufihren. 

4) Da auf den Zeitpunkt, da das Schulgeſetz in Kraft getreten, 
ſämmtliche Lehrer einer Neuwahl ſich unterwerfen mußten, ſo 
entlud ſich leider der Unwille über die vermehrten Geldopfer (jeder paten⸗ 
tirte Lehrer bezieht von der Gemeinde Fres. 800 baar, vom Staat Fres. 
200 Alterszulagen nah 20 Dienſtjahren; — 50 Fres. Zulage von 5 zu 
5 Dienftjahren — ferner 3 Fres. Schulgeld per Echüler und überdies 
freie Wohnung und Garten) auf die Lehrer. Es follen bei 100 Lehrer und 
Lehrerinnen nicht wieder gewählt worben fein. 


5) Eine Stimme in der Berner Schulzeitung läßt fi über das 
waabtländifhe Seminar alfo vernehmen: Um das Schulgefeß zu vervoll⸗ 
ftändigen, muß man die Nor malſchule, aus mwelder unfere Brimarlehrer 
fommen, reorganifiren. Gegenwärtig ift unfre Normalfchule in zwei 
Sectionen getheilt, a) in die Normaljhule für Knaben und b) in bie 
Normalfhule für Mädchen. Die erjte bat drei, die zweite nur zwei Klaſſen. 
Die Einrihtung gleicht derjenigen der Secundarfhule. Man fpriht davon, 
fie in ein Seminar zu verwandeln und dies auf’s Land zu verlegen, fern 
von der Berführung der Stadt. Die Gründe fcheinen auf den erften An- 
blid gerechtfertigt. Angewieſen, mit ven Lanbleuten zu leben, würden bie 
"Zöglinge fi frühzeitig an die Landarbeiten gewöhnen; fie würden bas 
Landvolk kennen lernen, würden ihre Studien mit Eifer verfolgen. Ferner 
würden die Leute Koft und Wohnung auf Staatsloften erhalten ıc. Wir 
find nicht einverftanden mit diejer jogenannten Verbeſſerung und zwar aus 
folgenden Gründen: Die Mehrzahl der Zöglinge kommen vom Lande und 
find ſchon zu fehr Bauern. In Laufanne haben fie Gelegenheit, ihre 
Ideen zu erweitern. Sie kommen in Berührung mit Gebildeten, werben 
mit geläuterten Principien in ihre Dörfer zurüdlehren und mohlthätigen 
Einfluß ausüben können. Vom Umgang mit ver Stabtbevöllerung bes 
fürdten wir keine Gefahren. Die Bortbeile einer freien Erziehungsmeife 
jcheinen mir wenigſtens die Nachtheile weit zu überwiegen; denn das bil 
dende Element des öffentlihen Lebens ift immer befier als Möflerliche Er⸗ 
jiebung. Die Lehrer follen feine Kaſte bilden. — Da aber unjere 
waabtlänbijche Normalihule nur auf der Secundarſchulſtufe ſteht, zu 
wenig theoretifche Curfe und praftifhe Uebungen gibt und nicht rechten 
profesjionellen Charalter maͤgt, ſo erfordern dieſe Nachtheile eine 
Reorganiſation der Anſtal. 


609 Die äufern Angelegenheiten der Volkoſchule ıc. 


6) Vivis bat die Gehalte feiner Lehrer auf rs. 1500 ww 
biejenigen der Lehrerinnen auf Fred. 1000 erbäht. 

Solothurn. Nah einer Eorrefpondenz in der Berner Schulgeitumg 
Ne. 9 venlt man auch in Solothurn daran, einige Mopdificationen 
am Geminar eintreten zu lafien und zwar aus folgenden Gründen: 

a) Vorerſt gebrihts dem Seminar an den nötbigen Räumlichkeiten. 

b) Für's zweite erſcheint die Bermehrung der Lehrfächer wünjd: 
bar: Unterriht in der Weltgeihichte, befiere Ausbildung in ber 
Muftt, obligatorifcher Zurnunterriht. Die Einführung der franzöfiihen 
Sprache ift eine gebieterijche Forderung. 

o) Daraus refultirt drittens bie Nothwendigkeit ber Vermehrung ber 
Lehrkräfte. 


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ten Taschen - Ausgabe im Anschluss an des Herrn Verfassers bekannte 

Reisehandbücher für die Schweiz und andere Alpenländer. 
Ueber den Werth des Buches jetzt noch etwas zu sagen, erscheint üher- 

flüssig, zwei nach einander erschienene Auflagen und eine englische nnd 

französische Uebersetzung neben den vorzüglichsten Urtheilen der deutschen 
und englischen Presse sprechen dies besser aus! 

Zugleich mache ich darauf aufmerksam, dass der Herr Verfasser in seinen 
neuesten pro 66 erscheinenden Auflagen der Reisehandbücher häufig auf 
seine „Alpen in Natur- und Lebensbildern‘‘ verweist und dass dies Buch daher 
gewissermassen einen erläuternden Supplementband zu denselben und in 
trüben Tagen eine passende und willkommene Reiselectüre bildet. 

Die beiden grösseren Ausgaben eignen sich ihres Formates und ihrer 
eleganteren Ausstattung wegen mehr zu Geschenken und zum passenden 
Stadium vor oder nach einer Alpenreise. 


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nerbeiferte und vermehrte Auflage. broch. 18 Sgr. 


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9. Auflage, durchaus neu bearbeitet 
von Dr. Theodor Flathe, 


Gymnaflaßebrer zu Blauen im %oigtlunde, 
- gr. 8. geb. Preis (excl. Karte) 15 Ngr. 
Ein Bollebuch im beftm Siune des Wortes, welches ebenſowohl als Haus- 
freund in den Samilien, wie als Lehrmittel in den Schulen häufigen Eingang 
zu finden verdient. 


— — — — — — · — — 


Beim bevorstehenden Beginn eines neuen Semes geneigter Beach- 
tung bestens empfohlen: 
Oliver Goldsmith, The Vicar ef Wakefield. A correct School- 


Edition with: a Vocabulary. 1866. geh. 7}, Sgr. 

Dr. W. Pierson (Oberlehrer an der Dorotheenstädtischen Realschule 
in Berlin) Geschichtstabellen zum Auswendiglernen für 
höhere Lehranstalten. 1863. gr. 8. geh. 5 Sgr. 

Die Einführung von Goldsmith’s Vicar als Lesebuch für den 
Unterricht in der englischen Sprache noch in diesem Jahre glaubt die 
Verlagshandiung aus rein literarischem Interesse schon deshalb empfehlen 
zu dürfen, weil es gerade jetzt ein volles Jahrhundert ist, 
seitdem das unsterbliche Werk Goldsmith’s erschien. 

Ueber die Brauchbarkeit der Pierson’schen Gesehichtstabel- 
len haben sich viele Stimmen lobend ausgesprochen; dieselben sind 
in vielen Schulen bereits eingefü 

Den Herren Lehrern stehen gern Freiexemplare zur gefälligen Prü- 


Berlin. Fr. Kortkampf. 











und ftelt auf Berlangen gern ein Frei-Eremplar gu Gebot: 


baltend eine Sammlung von Sprüchen und Liedern mil ben zehn 
Geboten des Herrn. 7 Auflage. Geb. à 5 Sgr. orb. 

— —, Biblifde Geſchichten für die Mittelllaffen der evang. Bollsfchulen. 
Nebit sinem Anhange, enthaltend eine Sammlung von Worgen- und 
Ubendgebeten und Liedern. 9. Aufl. Geb. à 7!/s Sgr. orb. 

— —, Bibliihe Geichichten für die Oberklaſſen der evang. Vollsſchulen. 
Nebit einem Anhange, enthaltend eine Sammlung von Gebeten und 
feftftebenden Theilen des tithurgiſhen Gottesdienſtes. 4. Aufl. 10 Ser. 
ord. und der Einband apart 2 Sgr. 

Peters, Ludwig, (Lehrer der Friedrich. Wilhelmftäbtifhen Realſchule iu 
Berlin). Deutihe Fibel. Mit 16 Wildern zu Sprech⸗ und An— 
auf Kenn 3. Aufl, Octav, 144 ©. geb. 6 Yi 

Buchſtäben auf Holziäfelhen gezogen zu einer Jelemafdine: 
Große Alphabet von 37 —88 en 1 Thlr. 7 Sgr. — Kleines 
Alphabet von 49 Buchſtaben 1 Thlr. 19 Ser. 

(Ein fauberes Bappkäfthen dazu 5 g) 


Berlin. Mathieuſtraße 1. vin Praußnitz 


—— 


3 2044 030 121 198