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Full text of "Pädagogischer Jahresbericht"

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HARVARD UNIVERSITY 


LIBRARY OF THE 


GRADUATE SCHOOL 
OF EDUCATION 











Püdagogiſcher | 
Sahbresberidt 
von 1874. — 


W 
Im Verein 


mit 


Bartholomai, Godei, Gottſchalg, Kehr, Knauer, Lion, Lüben, 
Oberländer, Richter, Schlegel, Werner und Zimmermann 


bearbeitet und herausgegeben 


bon 


Dr. Stiedr, Dittes, 


Director bes Lehrerpädbagogium In Wien. 


Sichbenundzwanzigjter Jahrgang. 


ELeipzʒig. 
Friedrich Brandftetter, 
1876. 


| L | Ol HARVARD UNIVERSE N 
3 p 3 GRADUATE SCHOOL OF EDUCHHUR 
. LIBRARY 


a ML JAN 4 1883 
Hoch yand 


/ 


Inhalts- Verzeichniß. 


ie 


Seite 

J. Pädagogit. Bon Dr. Fr. Dittes.. 2 222.2. 1 

I. Religionsunterricht. Bon Aug. Werner . . . . . . 37 

‘ TIL Geographie. Bon Dr. H. Oberländer . . . 2.2... 83 
IV. Mathematitk. Bon Dr. $. Bartholomäl - - - 2... 109 
V. Naturkunde Bon M. Godei.......... 189 
VL titeraturtunde Bon Alb. Rihter.- - - 222.0. 222 
VU. Zeignen. Bon M. God ...... en 241 


VIH. Franzsſiſcher Spradunterriht: Bon Dr. O. Anauer 284 
IX. Englifher Sprachunterricht. Bon Dr. O. Knauer. . . 297 
X Beiblihe Handarbeiten Bon M. God. . . . » . 307 
ZI Geſchichte. Von Ab. Nichte - . > > oem 339 
XI. Leſen und Schreiben. Bon Dr. H. D. Zimmermann . . 379 
ZIU. Die neueften Erfheinungen anf bem Gebiete bes 
beutfhen Spradunterriäts. Bon Dr. H. D. Zimmermann 401 
XIV. Yugend- und Volksſchriften. Bon B. Lübn . . . . 430 


XV. Mufitalifhe Pädagogik. Bon A. W. Gottihnlg . - . 478 

VL Die äußeren Berhältniffe ver deutſchen Boltsihule. 
Bon 6. Keht. . . . 2 2 22. ........ 649 

XVII. Die Schweiz Bon J. J. Shi . . - . > 2 .. 673 


XVIIL Turnen. Bon Dr. JG. Lion . - » 2000. .. 365 





Verzeichniß dev Schriftfteller. 


Abt, 530. 
Adam, 182. 
Ahnert, 90. 
Alberich, 187. 
Allefer, 16. 
Ambros, 432. 
Amtbor, 104. 
Andrä, 347. 348, 
Andree, 455. 
Angerftein, 770. 
Appel, 510. 
Aprent, 23. 
Arendt, 217. 
Arnd, 371. 
Arndt, Aug., 63. 
—, Kob,, 493. 


Bad, A. W., 487.547. 


—, Dr. M., 208. 
—, Seb., 529. 547. 
Badhaus, 404 (2). 
Babe, 452. 
Balkitſch, 12. 
Balfiger, 783. 
Baron, 406. 
Bartelö, 407. 
Barth, 433. 

v. Barth, 9., 107. 
Bartſch, 234. 
Bauer, L., 240. 
— M., 184. 
Baumblatt, 220. 
Baumgarten, 292. 
Baur, 104. 105. 
Bautz, m 

Bed, C., 

—, %, . — (2). 
Beder, 531. 

v. Beethoven, 509. 
Beez, 501. 
Belgardt, 136. 
Berchtold, 64. 
Berghaus, 93. 
Berlet, 345. 





v. Berndt, 456. 
Bernftein, 377. 
Beule, 370, 
Beyer, 527. 
Biemayr, 150. 
Bienz, 767. 
Billeter, 515. 
Bödh, 82. 
Bobdenftebt, 463. 
Blaul, 444. 
Bleule, 462. 
Blumberg, 86. 
Boblinger, 542. 
Bohm, 410. 
Böhme, 384. 
Bold, 523. 526, 
Bonath, 361. 
Bone, 26. 
Bonn, 440. 
Böſe, 401. 
Boſſe, 134. 
Boßhardt, 21. 
Boettcher, 768. 
Bourguin, 141. 
Boyle, 298. 
Brahms, 523. 
Brandes, 224. 
Branbeig, 513. 
Braſch, 415. 
Bräſike, 147. 
Braumüller, 768. 


Braun, 438. 453. 457. 


Braune, 149. 


2). 

Bremiler, 187. 
Brilmayer, 170. 
Brodich, 488. 491. 
Bronn, 213. 
Buchenau, 136, 
Büchner, 526. 
Burgarz, 91. 
Burkhardt, 228. 
Büjcher, 382. 


Büttner, 391. 
Burtehube, 546. 


Canitz, 151. 782. 
Cannabich, 93. 
Caudella, 526. 
Cauer, 365., 
Cholerius, 421 (2). 
Claudius, 460 (2). 
Cohn, 27. 

Grüger, 81. 219. 
Cüppers, 63. 


Damm, 517. 

Dammer, 434. 

Danger, 79. 

Daniel, 92. 

Danneberg, 779. 

Decher, 539. 

Dewald, 96. 

Diebold, 501. 

Diedrich, 410. 

Diefterveg, 17. 

Dietlein, R., 383 (2). 
391. 400. 403 (2). 

—, W., 90. 212. 217. 
231. 233. 357. 383. 
391. 

Dietrih, 379. 

Die, 450 (3). 451 
(4). 452. 

v. Ditfurth, 240. 

Dittes, 9. 


Breitinger, 294. 295 Dittmar, G., 236. 394. 


—, 9., 345. 368. 
Dir, 367. 

Dorn, 145. 162. 767. 
Döring, 520. 524. 
Drath, 484. 

Dreefen, 280. 
Dreifuß, 419. 
Dunker, 370. 

Dürr, 409. 

Dufiel, 524. 


VI Verzeichniß der Schriftſteller. 


Eberhardt, 339. 
Eckardt, 21. 61. 


Elterich, 417. 
Emsmann, 434. 
Engel, 498. 
Engelbrecht, 90. 
Engelien, 393. 
Engelmann, 416. 426. 
Engelmeier, 492. 
Erdmann, 424. 
Erk, 509. 

Erler, 218. 
Ernſt, 147. 


Eſchmann, 519. 520. 


526. 
Gulenbaupt, 90. 147. 


Eule, 768 (2). 


Farbmann, 57. 
Fäſch, 419. 
Fechner, 385, 393. 
Tellner, 147. 282, 
Feuerſtein, 397. 
Fiedler, 359. 
Findel, 226. 
Fiſcher, 33. 
Fir, 137. 
Flade, 486. 521. 581. 
540. 
Fleiſchmann, 783. 
Flotho, 515. 
Flügel, 478. 
Hörfter, 526. 


Freudenberg, 489. 527. 


Frickhöffer, 142. 
Friedemann, 86. 
de Fried, 31. 
Fritſche, 173. 
Fritze, 132. 
480. 495. 
Frühtoirth, 147. 
Fürſte, 510. 
Fürſtedler, 238. 


Gallentamp, 185. Hartmann, F., 483. 





Gaspey, 305. Hafelmayer, 410. 
Gafler, 176. Häfer, 511. 
Gaßmann, 513. Häfters, 131. 379. 
Gauß, 183. Haug, 412. 
Gauſter, 27. Haupt, 56. 
Geiß, 146. Hauptmann, 541. 
Geißler, 82. Hauſchild, 526.527 (2). 
Georgens, 338. aufer, 530. 
Gerlach, ©. L., 487. Fl 772. 
—, L., 410. Hebig, 489. 
Gerftäder, 468 (2). Heffner, 233. 
Geſell, 13. Hetdemann, 491. 
Geyer, 59. Heinbl, 221. 
Giefe, 526. Heinemann, 412. 
Gilbert, 26. Heiniſch, 89. 
Gindely, 347. Heinrih 90, 415. 
Godei, 207. Heinze, 531. 540. 
Goldammer, 35. 283, Heifer, 516. 
Gottfchall, 238. Heißler, 209. Ä 
Götze, Fr. 91. 390. Heller, 528. | 
— Hch., 545. v. Hellwald, 107. | 
—, Dr. ®., 237. Helm, 427. 
Götzinger, 422. Helmes, 185. 
Grimm, 106. Henne-Am Rhyn, 239. 
Grothe, 220. Hennes, 524. 
Grube, 106. 444. Heppe, 43. 

454 (2). Herber, 171. 
Grüllid, 20. 339. Hermes, 416. 
Grüniger, 143. Herter, 274. 
Gukeiſen, 205. Herzog, 356. 
Gumbert, 530. Hefle, 8, 783. 
v. Gumpert, 459 (2). —, H. 213. 
Günther, 895. Heyne, 59. 
Gurde, 412. Hirk, 357. 
Guth, 16. 139. Hillmann, 509, 


Gutmann, 364.365 (2). Hoffer, 771. 
Hoffmann, Fr., 460. 


Hader, 11. —, J. 146 

Habeler, 140. —, %of., 377. 
Hagenbadh, 72. —, W. R., 434 (2). 
Hammer, 383 (2). Hoffmeifter, 377. 
Händel, 508. Hofmann, Friedr. 168 
Handrod, 523. 525. 2). 

Hanfen, 367. 392. —, Hch. 509. 
Haſenclever, 541. —, R, 67 (2). 
Harms, 134. Hoffmeber, 399 (2). 


Hartmann, Dr.B., 180. Holfert, 186. 


Verzeichniß der Schriftiteller. 


Holländer, 532. 

Honegger, 376. 

5008, 420. 421. 
Hoppenjad, 463. 
Som, 515. 


; . I} . 


Stafteam, 377. 
Jauß, 100. 383. 388. 
Singer, 771. 
Jeep, 391. 

Senny, 768. 769. 
Senjen, 515. 
Jepiens, 493. 507. 
Jeſionek, 291. 
Jeſſen, 388. 
Jochmann, 218, 
Sohn, 479. 
Jöhrens, 159. 


Sungbans, 406, 
S$ungmann, 530. 


Jütting, 385. 389 (2). 


Stable, 82. 
Kahnt, 524. 
Kamele, 132, 
Kannegießer, 454. 
Kapell, zu (2). 
Kapff, 2 


Kafelig, 191. 
Kaufmann, %., 769. 
770. 


—, J. R. 278. 


432. 


Kayſer, 174. 
Reber, 356. 

Kehr, 396. 
Kehrein, 231. 426. 
Keitel, 141. 

Kelle, 2. 

Kellner, E. 436.. 
—, %, 393. 394. 
Kempten, 544. 


Kiepert, 96. 99. 103. 
104. 


Kieſerizky, 180. 
Kiewiet, 279. 


Kinderlieb, 448,449 (2). 


Kindler, 211. 
Klauwell, 385 (2). 391. 
Klein, —* 505 

—, %, 146, 
Klefhpaul, 132. 
Klende, 32 (2). 
Kletke, 434. 
Kloß, 771. 779 (2). 
Kluge, 768. 782. 
Klüpfel, 222. 
Klusmann, 379. 
Kneiſel, 377. 
Knighton, 445. 
Koebrich, 35. 
Roh, Dr. E., 541. 
—, 3%. %., 416. 
Rogel, 526. 529. 
wähle, 518. 519. 520. 


„ 368, 
Köpp, 133 (2). 
Koppe, 183. 
Körner, Fr., 372. 
—, 6.3. 545. 
Kothe, A., 515. 516. 
528. 


—, B., 542. 

—, W., 531. 

Kozenn, 92 (2). 

Krebs, 219. 

Krell, 512. 

Kretichmar, 496. 497. 
501. 508. 545. 


Kreutz, 208. 
Kreuz, 515. 
Kriebitzſch, 396. 
Krieg, 390. 
Kröger, 141. 
Kroll, 522. 
Rrolop, 484. 496. 
Krug, A., 528. 
—, D., 523,525, 526. 
—, ©., 506. 
Krüger, 517. 
Kübler, 333. 
Kudud, 134. 
Kuhl, 426. 
Kuhn, U., 231. 
— R., 383. 
Kühn, 394. 
Kullak, 516. 
Kunkel, 543. 
Kuntze, C., 488. bos. 
510. 542. 
—, 8. 506. 
Kunze, 173. 
Kurths, 380. 
Kutzner, 218. 456. 


v. Lachemair, 34. 

Lachner, 503.508. 516. 

Lang, 31. 

Zange, F. A. 7. 

—, Dr. $., 103. 104. 

—, Dr. D., 229. 349. 
365. 

Langenberg, 150. 

Langer, 178. 

Langguth, 91. 

Langhoff, 220. 

Largiader, 19. 333. 

Lafjus, 506. 

Qauer, 348. 

Lauf, 58. 492. (2). 

Laycock⸗Steup, 305. 

Leander, 334. 

Lechler, 86. 

Ledy, 374. 

Legorju, 337. 

mann, Dr. J. A.O. 

‚237, 


vo 


Lehmann, %. ©., 514. 
Leiden, 334. 
Leidenfroſt, 188. 
Zeitert, 526. 
v. Leonharbi, 8. 
Leske, 433. 
Leßmann, 526. 
Lettau, 168 (2). 
Leunis, 215. 
Liebe, 489. 516. 524. 
Liebenam, 186. 
Liebenow, 104. 
Liefau, 84. 
v. Lindpaintner, 511. 
Zindwurm, 8. | 
Lion, 3. C., 766. 769 
(2). 783. 784. 
—, Rub., 767. 
gift, 488. 502. 503, 
505. 507. 513 (2). 
527 (3) 529 (2). 
gift, 458. 
Loebnitz, 135. 
Qubbod, 373. 
Lüben, 232. 279. 
Lüders, 18. 
Züning, 416. 
Luthardt, 234. . 
Lützel, 495. 496. 508. 
Lyra, 543, 


v. Maltzahn, 223. 

Marbach, 135 (2). 

Mars, 87. 

Marſchall, 515. 

Marı, 771. 

Matthias, 335. 

Mauer, 350. 

Maul, 777 (2). 

Meinardus, 543. 

Meinharbt, 771. 

Meiöner, 438. 

Mendelsfohn » Barthol- 
by, 511, 522, 530. 
546. 

Menzel, 131. 155. 

Merget, 335. 

Merkel, 521. 


Merz, 490. 
Methfeffel, 511. 
—, €., 489. 516. 
Mettenleiter, 496. 


Mettner, 494. 


Mebner, 767. 
Meufer, 212. 
Meyer, 767. 
Meyroſe, 21. 419. 
Michaelis, 383. 
Möbus, 92. 
Mocnit, 171. 
Möller, 213. 
Mönd, 767. 
Morgenftern, 35. 
More, 459. 
Moufion, 219. 
Müller, Dr. A., 289. 
—, Dr. €. 151. * 
—, ©., 276. 

—, 6. 2, 399. 
— Dr. H. 181. 
—, R., 502. 

—, 6,, 336. 337. 
—, W., 445. ° 
Münd, ©., 38. 
—, Tb., 450. 
Munde, 287. 
Munberlob, 141. 
Murr, 410. 

vb. Mutb, 235. 


Wade, 232. 
Nadel, 162. 
Nafel, 145. 
Natorp, 297. 
Neetz, 426. 
Neſſelmann, 63. 
Neßler, 489. 510. 
Netoliczka, 227. 239. 
Neubauer, 231. 
Nicolai, 499. 
Nievergefäß, 390. 
Niederley, 433. - 
Niepoth, 134. 


Verzeichniß der Schriftfteller. 


Noad, 61. 
Nohl, 24. 30. 
Noire, 26. 


Noſtiz, 84. 85. 


Nürnberg, A., 363. - 
0. 


' H., 


v. Obentraut, 23. 
Oberhoffer, 507. 509. 


Ohli, 446 (2). 

Ohorn, 227. 

Oppel, 455. 

Oftertag, 413 (2). 
Dito, Dr. E. 300. 302. 
—, Sy, 435. 452. 


Palm, 409. 

Palme, 488. 

Parley, 444. 

Pauder, 334 (2). 

Petermann, 61. 410. 
418. - 

Veterd, 215. 

Peterſen, 346. 

Peſchel, 106. 

Pfalz, 20. 365. 

Pfeil, 440. 

Pfenninger, 166. 

Pichler, 446 (2). 447 
(4). 448 (2). 449 (2). 

Piehl, 507. 

Pierſon, 360. 

Pilz, 83. 

Biutti, 514. 524. 546. 

Plaidy, 541. 

Plath, 768. 

Plieninger, 443. 

Plötz, 366. 

Poſtel, 545. 

Pott, 338. 

Preuß, 387. 


Nierit, 441 (4). 442 Profchlo, 439. 461. 


(5). 443 (2). 444. 


Niggeler, 769.771.775. 


Prutz, 371. 
Pütz, 359. 





Verzeichnig ber Schriftjteller. 


Purig, 770. 
PVürftinger, 480. 


Duell, 355. 


Rammelsberg, 219. 
Ramſauer, 438. 
Raſch, 783. 
Raſche, 369. 
Rave, 89. 
Rebbeling, 480. 
Rebling, 530. 
Redenmacher, 455. 
Reeb, 143. 
Reichardt, 
Reinecke, C., 529. 
—, 3. B, 495. 
Reinsdorf, 520. 525. 
Reißmann, 539. 
Rentſch, 526. 
Reufchle, 91. 
Reuter, 227. 232. 
Reyer, 767. 
Reyher, 28. 
Rheinberger, 504. 
Rhode, 368. 
Ricard, 285. 
Nichter, 382. 498, 
— €. F., 497. 
—, H. J. 513. 
Riedel, 214. 
Riemann, 525. 542. 
Rißmann, 423. 
Nitfert, 59. 

Nitter, 521. 526. 
Rohde, 504. 

Röhm, 131. 
Rollfuß, 521. 
Rorſchach, 170. 
Nöfe, 179. 
Nofegger, 442. 

v. Roſen. 523. 527. 
Roſentreter, 783. 
Nösler, 275. 

Rothe, 215. 

Rotter, 783. 


380. 388. 


Rucker, 147. 
Nüegg, 14. 417. 
Ruhſam, 141. 
Rysſel, 159. 


Sad 427. 
28. 


Salben 148. 160. 
Samond, 778. 
Sanders, 424. 
Saran, 527. 532. 


Schaab, 502. 528. 546 


(2). 547. 548 (4). 
Schacht, 93. 
Schade, 412. 


Schallenfelv, 336. 
Scan, 435. 
Scharf, 212. 
Scharlach, 138 (2). 
Scharling, 377. 


Scharwenka, 515. 525. 


Sceffer, 66. 
Scherer, 142. 155. 
Schendel, 185. 
Scherling, 218. 
Schettler, 778. 779. 
Sceuerlein, 90. 
Schindler, 406. 


Schlotterbed‘, 131. 135. 


Schmelzer, 347. 

Schmelzlopf, 140. 
Schmidt, A., 371. 
—, F. 371. 462. 


—, Dr, ©. 8, 75. 76. 


Schnad, 214. 
Schneider, 382. 
Scene, 377. 
Schönfeldt, 390. 
Schöne, 211. 
Schoop, 281. 
Schrader, L., 280. 
W., 18 


Schramm, €. G., 89. 


—, ®B., 30. 
Schraep, 381 (2). 
Schrattenholz, 541. 


Schäfer, Dr. A., 365. 
36 


Schubert, 505. 
Schubiger, 543. 
Schüler, 398. 
Schulle, 488. 
Schultz, 276. 
Schulte, %., 1 
—, 9, 84. 
Schulz, 384. 387. 
Schulze, 66. 
Schumann, Dr. H. 182. 
—, Dr. J.C. G. 9.14. 
— R., 502. 
Schupp, 468. 
Schuſter, 541. 
—, Dr. J. 54. 
Schutze, 14. 
Schwab, 23. 
Schwalbe, 77. 
Schweiher, 513. 
Seeger 163. 179. 
Seemann, 524. 
Seelemann, 78. 
Seibel, 511. 
Seifart, 436. 455. 
Semnader, 527 (2). 
Saft, 215. 
Senger, 57. 
Sentpiehl, 425. 
Sering, 504. 521. 
Ser, 97. 
Seubert, 214. 
Sevin, 341. 
v. Seyplit, 92.- 
Seyffartb, 13. 
Sidenberger, 150. 
Sieber, 516. + 
Giewers, 106. 
Simon, 217. 
Simrod, 234. 
Sfraup, 484. 
Smid, 142. 
Söder, 22. 
Solger, 355 (2). 
Sommer, 418. 
Sonnenburg, 225. 
Sperber, 80. 486. 
Spieß, 345. 
Epir, 47. 

# 





x 


Spik, 166. 180. 182. 


Spohn, 385. 
Sprodhoff, 209. 
Staar, 137. 
Stade, 348. 
Stahl, 420. 
Stahlmann, 149. 
Start, 522. 531. 
Sted, 150. 
Stein, A., 438. 
—, K. 49. 
ESteinbrenner, 147. 
Steinbrüd, 461. 
Steinert, 410. 
Steinmann, 515. 
Stern, 60. 223, 
zu Sternberg, 530. 
Stichart, 86. 
Stiehl, 526. 530. 
Stiebler, 440. 
Stöber, 443. 
Stoffregen, 490. 
Stolley, 488. 490. 
Stolte, 88. 
Stöphaftus, 394. 
Stögner, 458. 
Etrauß, 61. 
Stroeſe, 87. 
Stubba, 149. 
Stuhlmann, 277. 280. 
281. 
Süpfle, 284. 292. 
Sutermeifter, 238. 


Tappert, 514. 
Taubert, 512. 
Teller, 210. 
Terlinden, 176. 
Teuſcher, 382. 
Thilo, A., ig 
—, Chr. U, 
Titz, 770. 
Tottmann, 515. 


Traut, Dr. H.Tb., 303. 


409. 
—, &,, 437. 


Treu, 405. 


Trieſchmam, 138 (2). 


Troſchel, 335. 
Tichache, 420. 


Urfprud, 514. 


Barrelmann, 545. 
Vetter, Ehr., 204. 
—, J. 4. 387. 
Bincent, 542. 
Visbeck, 290. 
Bogel, 4. 23. 
—, 8. 528. 


—, M.,503.525. 528. 


Boigt, 768 (2). 
Volckmar, 523. 
Voß, 174. 


Waas, 36 


Wadernagel, 235. 237. 


Wagner, 102. 
—, Dr. H. 97. 
Wahl, 767. 
Walberer, 186. 
Wälder, 484. 
Walter, 145. 
Wander, 366. 


Verzeichniß der Schriftfteller. 


Weitbrecht, 445. 
Berne, A., 37. 
Werner, Tb. E., 361. 
Wernide, 349. 
Wettftein, 208. 
v. Widebe, 514. 
Widmann, 478. 
Wiedemann, 209. 
Biegand, 105. 
182 (2). 
Wienhold, 152. 
Wießner, 461. 
Wildermuth, 437. 438. 
Wilhelm, 514. 
Wilte, 21. 
Wille, 163. 397. 426. 
Windelmann, 96. 
Winterberger, $13. 
Wirth, 217. 395. 
Wittichen, 74. 
Wittflock, 11. 
Wohſahrt, Frz. 518. 
527. 


—, 54.,519. 5324. 640. 

—, %.$%. Th. 33. 58. 

‚518. 

Wohlien, 280. 

Wolff, 229. 230. 

Wollichläger, 350. 355. 
369. 


181. 


Wüllmer, 506. 


Wangemann, 56.59 (2). Wyß, 69. 228. 


Warmholtz, 380. 
Wafimannsporf, 
(3). 768. . 
Weber, Dr., 66. 
v. —, EM. 511. 
= ö. 389 2 
‚&., 515 (2) 
Wehe, 512. 
Meidemann, H., 86. 
— 8.4, 372. 
Weiland, 146. 
MWeismann, 776. 
Weiß, 453. 
Weißenbach, 337. 








767 Yonge, 452. 


Bähringer, 149. 
Banber, 547. 

Bed, 489. 
Bebtler, 777. 
Beitler, 503. 
Bellmeger, 364. 
Beide, 179. 
Biethen, 452. 
Zimmer, 540. 
Bimnermann, 369. 


Swidh, 137. 


Regifter der Sammelwerke, Beitfchriften und 
anonymen Bücher, 





Elf Sentimeter hobes Alphabet 
ıc. 386 

Album für Orgelſpieler, 546. 

Aufgaben zudem Leitfaden: Die 
Naturlehre zc., 216. 

Bazar:-Almanad, 338. 

Ein Beitrag zur Theorie bes 
Anfchauungsunterrichts, 20. 

Vierter Bericht bes Vereind bon 
Kinderfreunden in Wien, 35. 

Bericht über die 3. Berfammlung 
bes Turnlebrer-Bereins d. Mark 
Brandenburg, 783. 

Deutihe Blätter f. erz. Unter: 
richt, 26. 

Leipz. Blätter f. Pädagogik, 27. 

Pädagog. Blätter für Lehrerbil- 
bung, 26. 

Das neue Buch d. Erfindung., 464. 

53 Cadenzen zu Pianoforte- 
Eoncerten, 523. 

Hufe. Converſations-Lexi⸗ 
con, 465. 

Daheim f. d. Klavierſpielende 
Jugend, 512. 

Divertiffement über Motive 
aus dem Freiſchütz, 531. 

Die widtigften Ergebniffe der 
Volkszählung in Ungarn-Sieben» 
bürgen, 105. 

Kruftallographifche Figurennege 
aus Trinklers Kunftverlag, 
Graz, 205. 


Stereometrifhe Figurenne he %., 
282. . 


Slugblätter f. d. Märkiſchen 
Kreisverband, 766. 
Geographie u. Naturgefdh., 87. 
Aleine vaterländiſche Geſchi chie, 
360. 
oeti chkeits- u. Anſtandslehre; 


Silfs mittel f. Bibelkunde 2e., 62. 

$ugendfreund. Leſebuch für 
Mittelclafien, 392. 

Kulturgeſchichte in ihrer na⸗ 
türliden Entwidelung, 373. 

Lehrplan f. d. Turnunterricht 
an Wiener Voll3: und Bürger: 
ſchulen, 775. 

Lehrpläne f. Volks⸗ u. Bürger- 
ichulen, 19. 

Lehrwerkſtatt. Monatsblätter 
für Zeichenkunſt, 274. 

Lern= und Gedenkbuch für evan- 
geliiche Schulen, 63. 

Sächſiſches Leſebuch f. d. oberen 
Claſſen der Volksſchule, 389. 
Lieder u. Gefänge f. 1 Sing: 

ftimme, 514. 
Liederſchatz f. Schule u. Haus, 
495. 


Die Lootſen. Ein Cyclus von 
Solo: und Chorgefängen, 504. 

Mittheilungen über Jugend» 
ichriften, 430. 


AI Regifter d. Sammelwerke, Zeitfchriften u. anonyınen Bücher. 


Die Naturlehre in der Boll 
und Mittelichule, 216. 

Normal: Lehrplan für bie 
beutfhen Clementarfchulen in 
Elfaß-Lothringen, 20. 

Ein Opfer geiftl. Corruption, 41. 

Drganifationd- Statut ber 
Bildungsanftalten für Lehrer u. 
Lehrerinnen in Heſterreich, 20. 

Recueil de lettres & l’usage de 
jeunes filles, 294. 

Negeln und Wörterverzeichni für 
die deutſche Drtbograpbie, 426. 

Sammlung neuer lieber für die 
Mittelclaflen, 494. 

Sammlung gemeinverftänblicher 
wiflenichaftlicher Vorträge, 
471-477. 

Sänger? Biber u. Erholungs 
jtunden, 5 

Schulauf * u. Lehrerbildung 
in Baiern, 3 

Schulaus gaben deuſcher Glafs 
ſiker, 235. 

Fünftes Schulbuch f. d. Primar⸗ 
ſchule des Kantons Schwyz, 393. 


Die Schule im Freien, 216. 
Evangel. Schulgeſangbuch, 80. 
Deutſches Schulliederbuch für 
Stadt und Land, 489. 
Ausgewählte Stücke f. d. Violon⸗ 
cello m. Pfte, 547. 
Ueber den Stand des öffentlichen 
Schulweſens in Siebenbürgen, 2. 
Uebungen f. d. erften Schreib: 
und Lefeunterricht, 879. 
Uebungdaufgaben i. Rechnen, 


ebungsfäule in der deutſchen 
Sprade, 408. 

Volkslieder für Schule und 
Leben, 494. 

Die Öfterreihifhen Volksſchul⸗ 
geſetze 2c. f. d. Erzherzogthum 
Ober⸗Oeſterreich, 19. 

Wanderungen eines deutſchen 
Schulmeiſters, 32. 

Wortformenlehre d. deutſchen 
Sprache, 412. 

Deutſche Zeit- und Streit- 
fragen, 466—471. 

Zeittafel für Siebenbürgifch- 
fächfiiche Volksſchulen, 368. 


I. Pädagogik. 
Bon 
Dr, Friedrich Dittes. 





Zur DOrientirung. 


Mer in unferer Zeit mit allfeitiger Aufmerkſamkeit dem Ent⸗ 
wickelungsgange des Erziehungsweſens folgt, empfängt fehr verichieben- 
artige Eindrüde;, und wenn ihm die Bildung und Wolfahrt bes 
Menfchengefchlechtes Herzensſache ift, wird er eben fo viel Urſache zu 
ſchmerzlichen Beforgnifien, mie zu freudigen Hoffnungen finden. 
Ueberall Gährung und Kampf, ſchroffe Gegenſätze, tiefe Schatten und 
grelle Lichter, Fortſchritt und Rückſchritt im erbittertfien Handgemenge, 
nirgends Vollendung und Frieden — das ift bie Signatur ber Beit! — 
Engherzige Vorurtheile ftellen fi) Hartnädig den ebelften Idealen 
in den Weg. Das Alte will nicht fterben, das Neue ringt um’3 Da⸗ 
fein. Wie wird das enden? Werben wir zu allgemeiner Volksbil⸗ 
dung, Freiheit, Sittlichkeit und Wolfahrt gelangen? — Oder werben 
wir, nad) einem erjchöpfenden Gultur- und Befitfampfe, in Barbarei 
zurüdfint len? — Meines Erachtens wird die Löſung diefer Fragen zu 
einem guten Theile von dem Schidfale der Volksſchule, von ihrem 
Gedeihen oder Sinken abhängen. 

Als ein günftiges Zeichen ber Beit Tann man zunädft an= 

führen, daß die Schule, namentlih die Volksſchule, extenſiv im 
W acht en begriffen ift, daß fich ihr Gebiet mehr und mehr ertoeitert. 
Das Streben nad Berallgemeinerung ber Vollsbilbung ift in 
ganz Europa und in meiten Territorien anderer Erbtheile unverfenn- 
bar. Neberall, wohin die allgemeine Culturſtrömung bringt, werben 
neue Schulen ind Leben gerufen, mehrt fidh bie Zahl der Unterricht 
empfangenden Kinder; und beſonders ift es bie deutſche Päda⸗ 
gogik, welche nicht nur in den Culturländern erſten Ranges, ſondern 
auch bei ben in ber Civilifation bisher zurüdgebliebenen Völlern fort- 
während mehr Verbreitung findet und bei Errichtung von Bildungs— 
Bötten zur Richtſchnur genommen wird. Ueber die Fortſchritte bes 

Schulweſens in den Ländern bes beutfchen Reiches und in ber Schweiz 
geben befondere Abfchnitte des Pädagogiſchen dahreberihtet· Aus⸗ 

Päd. Jahresbericht. XXVI. 


2 Pädagogik. 


funft. Indem wir auf dieſelben vermeifen, mögen bier nur einige 

Andeutungen über andere Schulgebiete Pla finden. Die „Sahresbe- 

richte des k. k. Minifteriums für Cultur und Unterricht“ im cisleitha⸗ 

nifchen Defterreih, melde bis zum Schluß bes Jahres 1874 reichen, 
laſſen erkennen, daß feit Beginn der Schulreform (1869) von den 

Gemeinden, Bezirfen und Ländern fehr bebeutende Opfer gebradit 

werden, um das früher Verfäumte wenigſtens theilweife nachzubolen, 

und daß von Seiten des Stanted bejonderd auf die Bildung von 

Lehrern und Lehrerinnen große Summen verwendet werben. Wer fich 

in aller Kürze über den Entwidelungsgang bes öfterreichiichen 

Schulweſens in den Iekten 25 Jahren unterrichten will, dem empfehlen 

wir die Kleine Schrift: 

Das Unterrihtswefen in Deſterreich 1848-1873. Rede zur Feier 
des fünfundzwanzigſten Sahrestages der Thronbefleigung Sr. Maj. des 
Kaiſers Franz Joſef L, gebalten in der Aufa der Univerfität Prag von 
Johann Kelle. Prag, Balve 1874. 33 ©. 

Der Verfafler führt und hier die Fortfchritte des gefammten, be= 
ſonders des höheren Unterrichtsweſens in Defterreih klar und über- 
fichtlich vor. — Minder günftig geftalten fich die Dinge in ben Ländern 
der ungarifchen Krone, wo die Gelbverlegenheiten und die politijchen 
Buftände — und leiber fpielt im ungariſchen Schulweſen die Politik 
eine ungebührlich ftarfe Rolle — hemmend wirken, jo daß gar manche 
Schöne Idee nur auf dem Papier zur Ausführung kommt. Glüdlicher 
Weile bat Ungarn eine Anzahl tüchtiger Schulmänner, welche mit 
aller Anftrengung an ber Hebung ihrer Berufögenofien und an ber 
Verbeflerung ber Unterrichtöanftalten arbeiten. Möge ihr wackeres 
Ringen endlich zu erfreulichen Zielen gelangen! — Am beiten gebeiht 
bi8 jeht in Transleithanien das Schulweſen ber Militärgrenze und 
der Sachen in Siebenbürgen, jenes von beutichen Vorbildern geleitet, 
dieſes durch und durch, auch in der Sprache deutſch. Die fiebenbürger 
Sachſen haben von je ber auf ein gutes Schulweſen gehalten und 
haben unter Anderem auch das Problem gelöft, Lehrer und Geiftliche 
in Frieden und Eintracht zu gemeinfamer Culturarbeit zu vereinigen. 
Jedem deutſchen Schulmanne, der fi für dieſes wackere Völkchen in- 
terejfirt, empfehlen wir die Kleine Schrift: 

Ueber den Stand des öffentlichen Schulweſens der evangelifhen Landeskirche 
A. B. in Siebenbürgen. Vom Landesconfiftorium der genannten Kirche. 
Hermannftadt. Michaelis 1873. 38 ©. 

Bliden wir über Europa hinaus, fo fällt und namentlich Nord⸗ 
amerifa mit feinem regen und reichen, vielfach von beutichen Clemen- 
ten belebten Schulweſen glänzend ins Auge. “Der Report of the 
commissioner of education for the year 1873 (Washington 1874), 
befien Vorgänger wir im legten Jahresbericht angezeigt haben, gibt 
in einem Bande von 870 enggebrudten Seiten ausführliche Runde über 
die Schulzuftände der Vereinigten Staaten und zugleich Notizen über 
bad Bildungsweſen aller anderen Culturländer. Anzuführen find 
bier auch die: Circulairs of information of the bureau of education 





Pädagogik. 3 


(Washington 1874, brei Hefte) als fprechende Beweiſe des regen 
Schullebens in den amerilanifchen Freiftanten. Eine weitere Runde 
hierüber bringt und die Brofchüre: „Deffentliche Schulen won Cleve⸗ 
land, Obio. Asus aus dem 37. Jahresberichte des Erziehungsrathes 
füs das am 31. Auguft 1873 endende Schuljahr”. (Cleveland 1874). 
— Wir Lönnen in den Inhalt diefer Publicationen nicht näher ein- 
Behm glaubten fie aber als Belege für bie Thatiache, daß das Bffent- 
Lche Bildungsweſen, welches zu einem guten Theile eine Schöpfung 
der deutſchen Nation genannt werben Tann, ſich immer weiter aus- 
breitet und entfaltet, bier anführen zu follen. | 

Als eine Lichtfeite im Schulleben unferer Zeit ift ferner hervor⸗ 
zubeben das rege Streben der Lehrerſchaft nad tüchtiger 
Berufsbildung Zwar gibt ed auch faule Mitglieder in unferem 
Stande, und das ift wahrhaftig nicht zu verivundern. Uber im 
Ganzen bürften die befjeren, nach fteter Selbftverbollfommnung ringen: 
den Elemente noch immer das Webergemwicht haben. Ja, wer Gelegen: 
beit bat, zu beobachten, mie ſchwere Opfer fo mander Lehrer mit 
Freuden bringt, um ſich felbit auf eine höhere Bildungsftufe zu er- 
heben, wird fich oft einer tiefen Rührung nicht erwehren können. Und 
herrſchte nicht in den Lehrerfreifen ein lebhaftes Bilbungdftreben, mie 
könnten die zahlreichen Vereine und Berfammlungen beftehen, wo fänden 
die vielen päbagogifchen Zeitfchriften, Brofhüren und Bücher genügen: 
den Abſatz? — Nie ift Über pädagogische Angelegenheiten fo viel ver: 
handelt, gefchrieben und gebrudt worden, als in unjeren Tagen; und 
dennod fehlt es ſelten Jemandem, der etwas Beachtenswerthes vor⸗ 
zubringen weiß, an achtſamen Hörern und Leſern. Es läßt ſich auch 
nicht verkennen, daß pädagogiſche Einſicht und ſchulmänniſche Tüch⸗ 
tigkeit gegenwärtig in weiteren Streifen verbreitet find, als in irgend 
einer früheren Zeit. Und fo könnten wir wol ein fröhliches Gedeihen 
unserer Schule, namentlich unferer Volksſchule hoffen, wenn — bierzu 
nicht noch Vieles fehlte. 

Was allüberall Fehlt, ift das Geld. Die Volksſchule ift zu ſpüt 
gefommen. Sie gleiht dem Poeten, der erft dann erfchien, „nachdem 
die Theilung längſt geichehen”. Alles hat „feinen Seren“, d. 5. bie 
öffentlichen Mittel find fchon für die verjchiedenartigften Zwecke ber 
Art in Anfpruch genommen, daß für die Volksſchule nicht mehr viel 
übrig bleibt, und daß fie nicht felten mit ihren Forderungen mürriſch 
abgewiefen wird, wie eine läftige Bettlerin. In dieſer materiellen 
Noth Liegt denn auch unzweifelhaft der einzige Grund des überall 
fühlbaren und fo außerordentlich nachtheiligen Lehrermangels, 
welcher übrigens noch viel größer fein würde, wenn nicht feit Jahr⸗ 
zehnten fortwährend die Hoffnung auf befjere Zeiten immer neue Re: 
cruten berbeigelodt hätte. „Auf dem Gebiete der Schule ift jegt mol 
allgemein die Thasfache anerkannt, daß die Lehrer, fpeciefl bie der 
Vollsſchule, unter allen Staats: und Gemeindebeamten, was nament- 
U ihr Gehaltseinkommen betrifft, am ungünftigften geftellt find, und 
daß fie fi in ihrer gefammten Stellung in einem kläglichen Aus- 

1* 


4 Pädagogik. 


nahmszuſtande befinden, ber ihnen, wie der Schule und Jugend ſammt 
bem Gemeinwole je länger je mehr gleich nachtheilig wird.” So heißt 
e3 in einer Heinen Schrift unter dem Titel: „Ein Wort über ge- 
noſſenſchaftliche Selbfthilfe der Lehrer. CircularsBericht de beutichen 
Lehrervereins.“ Es ift wol richtig, daß ‚‚genoflenfchaftlide Selbfthilfe‘ 
die ſchreiendſte Notb einigermaßen zu lindern vermag. Aber fo lange 
bie Genoſſenſchaft im Ganzen arm bleibt, ift auch ihre gemeinfcha 
liche Selbfthilfe eine ſehr beſchränkte. Gründlich kann der Lehrerwelt 
nur „auf dem Wege der Geſetzgebung“, wie in dem angeführten 
Schriftchen geſagt wird, d. h. durch Bewilligung höherer Beſoldungen 
eholfen werden. Und hier liegt nun eben die Schwierigkeit. Einer⸗ 
—* find wirklich die Mittel rar, jo lange ber fürchterliche Militaris⸗ 
mus, unter dem heute Europa ſeufzt, fortbefteht.. Anderſeits fehlt es 
in ben maßgebenden Streifen an Kenntniß und Werthſchätzung ber 
Volksſchule. ch kenne Fein größeres Parlament in unferer Seit, dem 
ih fo viel Vernunft und guten Willen zutraute, als nöthig wäre, 
wenn der Vollsjchule gründlich geholfen werden ſollte. Schöne De- 
clamationen über öffentlihe Bildung Tann man freilich überall hören, 
namentlich von „liberalen Männern; aber fobald Koften in Ausficht 
ſtehen, barf man die Herren nicht beim Worte nehmen. Ich fürchte 
gar fehr, daß lediglich eine noch viel größer werdende Lehrernoth im 
Stande fein wird, ben fogenannten „Staat“ und bie herrfchenben 
Parteien über die ſchwerſte Wunde unferes focialen Organismus zu 
belehren und ihnen den guten Willen zu burchgreifender Abhilfe bei- 
zubringen. Über ob es dann nicht zu ſpät fein wird? Ob dann ber 
Riß zwiſchen Proletariern und Reichen, zwifchen dem „gebildeten Mit- 
telftande‘ und dem „Pöbel” noch heilbar fein wird? — Kein 
Menih vermag e8 zu jagen. Nur das ift unverfennbar, daß unjere 
Zeit eine Krifis in ihrem Schoße birgt. Entweder muß in Kürze 
ein bedeutender Fortfchritt, eine gründliche Beflerung unferer focialen 
Buftänbe erfolgen, oder unfere ganze Civiliſation gebt den fchwerften 
Gefahren entgegen. Es Tann ung nur geholfen werden, wenn Wir 
baldigft bie allgemeine, einheitlich organifirte, vom Kaftengeift, Pfaffen- 
thum und Büreauzopf befreite, rein pädagogiſch geftaltete Volksſchule 
zu Stande bringen, ficheritellen und für alle Kinder der Nation nutz⸗ 
bar maden, fo daß fie die Stätte wird, wo alle Kräfte im Dienfte 
bes Guten entwidelt, alle Volksſchichten verſohnt und durch lebendigen 
Gemeinfinn zur Einheit verſchmolzen werben. 

Sn der That Lingen dieſe Gedanken vielfach an in ber neueften 
päbagogifchen Literatur. Mehr und mehr richten fich die fchärfften 
Geiſter auf ben enticheidenden Punkt in unferem Gulturleben: auf bie 
bobe ſociale Bebeutung und die zweckmäßige Geftaltung der Volks- 
ſchule. Und mas auch geſprochen und gefchrieben werben möge, fei 
es, um bie wiſſenſchaftlichen Fundamente der Pädagogik ſchärfer zu 
beleuchten, oder um bie Gejchichte ber Erziehung und bes Unterrichtes 
genauer barzuftellen, ober um bie Lehrmethoden zu vervollkommnen, 
ober um über zweckmäßige Unterrichtöpläne, gute Lehrmittel, eine ratio» 








Pädagogik. 5 


nelle Disciplin, hygieniſch muſtergiltige Einrichtungen u. ſ. w. ins 
Klare zu kommen: ſchließlich können alle dieſe Unterſuchungen, wie 
ſie in der pädagogiſchen Literatur niedergelegt ſind, nur dann den 
beabſichtigten Erfolg haben, ihre ganze Fruchtbarkeit entfalten, wenn 
ſie in der Vollsſchule zum Heile der Geſammtheit verwerthet werden, 
verwerthet, um aus der Jugend ein neues Geſchlecht heranzubilden, 
beſſer und glücklicher als das alte. 





I. Grundwiſſenſchaften. 


1. Gott und der Menſch. I. Leib und Seele. Grundzüge einer Pfſych o⸗ 
logie des Menſchen. Bon Dr. Hermann Alrici. Zweite, neu bearbeis 
tete Auflage. Zwei Theile, 869 u, 454 ©. Leipzig, Weigel. 1874. 15 DE. 

Eine bedeutende Arbeit, in welcher auch ber gegenwärtige Stanb- 
punkt ber Naturwiſſenſchaft, namentlih der Phyfiologie, 
eingehend dargelegt und gewürdigt wirb, überall aber eine reiche und 
felbitftändige Beobachtung, fowie ein freies, durch Feinerlei Schul- 
ſyſtem gehemmtes Denlen zum Ausbrude gelangt. | 

Der erſte, überwiegend phyſiologiſche Theil erörtert nach einlei- 
tenden Bemerkungen über Materialismus und Spiritualimus vorerft 
die Begriffe Stoff, Kraft und Organismus, betrachtet fobann ben 
menfhlichen Leib in feiner Beziehung zu ben pſychiſchen Erfcheinungen, 
namentlih das Nervenſyſtem im Verhältniß zur Seele und widmet 
Ichlieglich den Sinnedorganen und ihren Functionen (bem Sinnesleben) 
eine jpecielle Daritellung, natürlih mit übermwiegender Betonung ber 
pſychologiſchen Moment. Im zweiten Theile werben folgende 
Themata behandelt: Das Betwußtfein als Ausgangs und Mittelpunft 
der Piychologie in jeinem Grund und Urfprung; die bewußte Seele 
in ihrem Verhalten zu ihrem Körper und zu anderen Körpern (Wachen, 
Schlafen, Träumen, Somnambulismus, Geiftesftörungen und Gemüths- 
krankheiten, Temperamente, Lebensalter, Geſchlechter, Race und Natio⸗ 
nalität); die bewußte Seele in ihren Beziehungen zu ſich ſelbſt (Ge⸗ 
fũhlsleben, Vorſtellungsleben und zwar: Erinnerungsvermögen, Ideen⸗ 
aſſociation, Einbildungskraft und Phantafie, Triebleben, Streben, Be⸗ 
gehren, Wollen); die bewußte Seele in ihren Beziehungen zu anderen 
beſeelten Weſen (ſociale Triebe und Gefühle, das Ethiſche, die Er- 
ziebung); die Seele in ihrem Verhältniß zu Gott. — 

Referent teilt nicht in allen Punkten bie Anſchauungsweiſe bes 
Berfaflers. Herr Profeſſor Ulrici denkt ſich bie Seele ald „eine, 
continuirliche, ungetheilte Subſtanz und doch als ein Fluidum“; er 
nimmt an, daß fie „nicht atomiſtiſch zuſammengeſetzt, ſondern nur Ein 
Atom, d. h. ein in fich einiges Kräftecentrum” und „in jebem Körper- 
theil gegenwärtig ift und in ihm burch die eingetretene Nerbenreizung 
felbft affieirt wird”. Dem ſtimme ich in fo fern zu, als auch ich die 
Einfachheit ber Seele entjchieben beftreite; allein anderfeit halte 
ich es für nothwendig, in ber Seele unbeſtimmbar viele biscrete Ele 
mente (Atome) anzunehmen, kann biefelbe alſo nicht als ein Fluidum 





6 Pädagogik. 


im Sinne Ulrici's auffafien. Wenn berfelbe ferner zugefteßt, daß 
die Naturwiffenfchaft im Rechte fei, wenn fie bie Unfterblikeit als 
„Holirte, von aller Leiblichleit getrennte Fortbauer mit ihrem Bewußt⸗ 
fein und Selbftbewußtjein — leugne” : fo bin ich der Meinung, daß 
bier die Naturmwiffenfchaft nicht im Rechte fei. — Auch über Ulriei’s 
Vermögenslehre bedarf es, meines Erachtens, einer näheren Vet- 
fländigung, und indbefondere erjcheint feine „vis plastica“ als eine 
ziemlich müfteriöfe Großmacht. Auch in den religiöfen Anſchauungen 
Ulrici’3 ift ein myftifcher Zug unverlennbar. — Zur Begründung 
meiner abweichenden Anſchauungen muß ich auf mein eigenes „Lebr- 
buch der Piychologie” verweilen, da hier ſchwierige Streitfragen nicht 
ausführlich erörtert werben können; aud follten nur einige Haupt⸗ 
punkte angedeutet werben, in melden nad der Meinung des Referen- 
ten das vorliegende Werk irrt. Im Ganzen ift daſſelbe, wie gefagt, 
eine höchſt gediegene Arbeit. Mit Net wird von Ulrici überall 
bas Selbftbewußtfein als die Hauptquelle aller pſychologiſchen 
Erkenntniß betrachtet; und in ber Analyſe defjelben zeigt er eine mahre 
Meifterihaft. _ Er dogmatifirt nicht, ſtützt ſich nit auf grundlofe 
Schulhypotheſen, jondern er philoſophirt im beften Sinne des Wortes, 
überall felbiiftändig denkend und zum felbitftänbigen Denken anregend. 
Auch feine Eritifchen Bemerkungen find meift treffend. Hiervon eine 
Probe: „Empfindung und Gefühl, Trieb und Strebung, Borftellung 
und Bewußtſein laſſen fi unmöglich auf einen und denjelben Uriprung, 
auf diefelbe Kraft und Urſache zurüdführen. So gewiß dieſe Grund- 
elemente des pſychiſchen Lebens bergeftalt bon einander verfchieden 
find, daß fie fih nicht unter Einen Begriff befaflen laffen, fo gewiß 
find wir durch das Geſetz der Gaufalität im Vereine mit dem Geſetz 
der Identität und des Widerſpruchs nicht nur berechtigt, fonbern ge 
nötbigt, verjchiedene Vermögen als Grund und Duell ihrer Entftehung 
vorauszufegen. E3 ift eine ungerecdtfertigte, nur Verwirrung ftiftende 
Willkür Herbart’s und feiner Schüler, weil ein Verſtoß gegen 
den Sprachgebrauch und die Wurzelbedeutung des MWortes, unter bem 
Namen der VBorftellung alle jene Grundelemente des pfuchifchen Lebens, 
auch die unbewußten Empfindungen, Gefühle, Triebe u. f. w. zuſam⸗ 
menzufafien. Es ift weiter eine bloße Fiction, meil eine durch ni 

begründete Annahme, daß die „BVorftellungen” nur fogenannte „Selbit- 
erhaltungen” der Seele feien, d. 5. Bewegungen ober Actionen (Re⸗ 
actionen), durch welche fie Einwirkungen, Störungen u. f. w., die fie 
im Zuſammenhange mit anderen Dingen (Realen) erfährt, abwehre und in 
ihrem Erfolge paralyſire. Durch folche Fictionen die Emfachheit der 


Seele retten zu wollen, ift ein eben fo baltlofes Unternehmen, als auf 


die blos vorausgefegte Einfachheit der Seele foldje Fictionen zu baſiren. 
Die Einheit ber Seele ift allerdings eine wolbegrünbete pfycholo⸗ 
logifche mie phuftologifche Forderung Aber die Embeit ift Teines- 
wegs identifch mit ver Einfachheit; noch Involvirt fie bie letztere. 
Die reine Einfachheit ift auch mit einer Mannigfaltigleit von bloßen 
„Selbſterhaltungen“ ſchlechthin unverträglid. Die Einheit bagegen 


Pädagogik, 7 


wirb durch eine Mehrheit von Kräften oder Vermögen keineswegs ges 
fährbet. Und daß die Seele nicht als Einheit mannigfadher Kräfte 
ober Thätigkeitsweiſen, ſondern als ſchlechthin einfach zu faſſen ſei, 
hat Herbart durch feine Erörterung des Begriffs des „Realen“ keines⸗ 
wegs erwieſen. Dieſe Erörterung und Begriffsbeſtimmung leidet viel⸗ 
mehr an jo augenfälligen Widerſprüchen, daß fie ſich in ſich ſelbſt auflbſt.“ 

Allen Denen, welche ein tieferes Intereſſe, genügende Zeit und 
ausreichende Vorbildung für philoſophiſche Studien haben, möge das 
angezeigte Werk beſtens empfohlen ſein. 

2. Geſchichte des Materialismus und Kriti feiner Bedeutung in ber 
Gegenwart. Bon Friedrich Albert Range. Zweite, verbefierte und vers 
mebrte Auflage. Erſtes Buch. Gefchichte des Materialismus bis auf Kant. 
434 ©. Leipzig und Sferlogn, Bädeker, 1873. Zweites Bud. Grfte 
Hälfte. Die neuere Philofophie. Die Raturwiffenfhaften. 309 S. Eben⸗ 
dafetbft 1874. Preis 8 Marf und 6 Mark. 

Ebenfalls ein höcft bedeutendes Werl. — Der Materialismus, 
feinen Grundgedanken nad Sahrtaufende alt, bereit wiederholt zu 
großem Einfluß gelangt, aber immer wieder zurüdgebrängt durch ein 
neu erwachendes geiftiges und fittlicheß Leben, hat bekanntlich in ber 
Neuzeit abermals fein Haupt erhoben, um nicht nur alle Wiſſenſchaf⸗ 
ten, ſondern auch alle ethifchen Beftrebungen und bie ganze fociale 
Ordnung nad feinen Anfchauungen zu reguliren. Er mwieberholt aller- 
dings nur, was er fchon vor Jahrtauſenden behauptet hat; und längft 
ſchon find feine Verdienfte und Lichtfeiten, aber auch feine Schwächen 
und Fehler nachgewieſen, wiederholt nachgewiefen worden. Aber eben 
deshalb ift zum Verftändniß der Gegenwart, behufs einer tieferen 
Erkenntniß unferer ganzen Culturepoche, die Gejchichte des Materialis- 
mu3 durchaus erforberlih, meil nur fie alle Begriffe deſſelben (Stoff, 
Kraft, Form, Subftanz, Leben u. ſ. w.) anſchaulich aufzuhellen und 
bie Urfachen feines Emporkommens tie feines Nieberganges anſchau⸗ 
lich darzulegen vermag. 

fo fern kommt das vorliegende Wert in der That einem 
ernſten Bebürfniffe aller dem Entwidelungsgange der Menfchheit und 
insbeſondere den Zeichen unferer Zeit mit Intereſſe folgenden Gebil- 


beten entgegen. Es ift mit umfafjender Sachkenntniß und in einem 


eben fo populären als mufterhaften Stile abgefaßt; jet aber freilich 
im 2efer immerhin, neben tüchtiger Ausdauer, eine erhebliche VBorbil- 
dung, nicht nur eine feite Gemöhnung an ftreng Logifches Denken, fon- 
dern auch eine Schöne Summe naturwiffenfchaftlicher Kenntniffe voraus. 
Selbſt in der Geſchichte werden mande Partieen als befannt 
angenommen unb daher meniger zum Gegenftande ber Darftellung 
und Erzählung, als vielmehr der Reflexion und Kritik gemacht. 
Indem wir mit biefen kurzen Bemerkungen für diesmal das 
Werk der Beachtung aller höher Gebilbeten dringend empfehlen, wer⸗ 
den wir auf daſſelbe nach Vollendung des Ganzen zurückkommen. 
3. Die neue Zeit. Freie Hefte tür vereinte Hoͤherbildung der Wiſſen⸗ 
fhaft und des Lebens, den Gebildeten aller Stände gewidmet. Im Geifte 
ded Bhilofophencongreffe® unter Mitwirfung von Gefinnungsgenofien heraus⸗ 








8 | Pädagogik, 


egeben von „Dr. Hermann Freiberen von Keonbarbi, ord. öffentl. 
Bio an der Brager Univerfitä. IX. Heft (Band III, Heft II). 
rag, Tempößy. 1874. 299 &. Preis 3 Marl. 


Die früheren Hefte bes angezeigten Werkes find im vorigen 
Bande des „Päd. Jahresber.“ beiprochen unb empfohlen worden, 
worauf wir bezüglich des Charakters und der Tendenz bed Werkes 
verweiſen. Das vorliegende Heft bringt Abhandlungen fiber bie Be- 
beutung ber neueren Nechtöphilofopbie, über dad Verhältniß von Necht 
und Sittlichleit, über Friedrich Fröbel, über die Bebeutung und Ver⸗ 
wertbung der Eulturgefchichte u. ſ. w., Fury über eine Reihe wichtiger 
und zeitgemäßer Themata, und man muß anerlennen, baß bie Ber- 
fafler dieſer Aufſätze interefiant und lehrreich zu ſchreiben verftehen. 

4. Praktiſche Philoſophie. Ein Nahmeis, daß die Philoſophie, anftatt 
ber Glaubenslehren, die Grundlage unferes focialen Lebens fein muß. 
Bon Arnold Lindwurm, Dr. phil,, fländigem Wanderlebrer der Geſell⸗ 
fhaft für Verbreitung von Volksbildung. Braunſchweig, Schwetſchle unb 
Sohn. 1874. 338 ©. Preis 5 Mark. 

Der Berfafler unterzieht die gefammte geiftige und ethifche Natur 
bes Menſchen, die Entiwidelung ber Erfenntniß und des Willen? nad 
ben verſchiedenſten Richtungen einer ausführlichen Betrachtung, um 
fihere Normen für die Lebenspraxis zu gewinnen. Wie fchon ber 
Titel anbeutet, will er bie freie Selbftbeftimmung nach vernünftiger 
Einfiht an die Stelle theologifher Marimen ſetzen. Seine eigenen 
Anſchauungen ſucht er durch zahlreiche Citate aus Goethe, Shafefpeare, 
Budle, Humboldt, Kant u. f. m. zu fügen. Auf die Geiftlichen ift 
er jehr ſchlecht zu ſprechen. Ex bezeichnet ihre Lehren al8 „bodenloſe 
Dummbeit”, „infame Unverſchämtheit“ u. |. w. Er ſpricht von dem 
„Heuſchreckenheer ber geiftlichen Langfinger, dieſer verruchteften Corte 
Tagediebe, melde außer ben Progenituren der Verbrecherfeller die 
Welt je gefehen hat” und findet bei den Geiftlichen „das beillofefte Be— 
trügerhandwerk, das noch je in ber Welt unter ver Maske ber Tugend 
ausgeübt worden iſt“. Natürlih will Herr Lindwurm auch nicht, 
daß das Geſchäft der Geiltlihen Tünftig vom Staate betrieben 
werde. „Wenn, tie e3 jebt Manche fürdten, ber von der Kirche 
abgerihtete Staat fi einfah an deren Stelle fest, Cultusminiſter 
und Reichskanzler dieſelbe Komöbie aufführen wollen, die Jahrhun⸗— 
derte lang ben ernften Fortſchritt aufgehalten haben, dann ift nichts 
gewonnen; dann fommt’3 nur auf einen Heinrich von Mühler an, um 
und aus dem Regen in die Traufe zu bringen.” 

Man muß die Wahrheitäliebe und Offenheit des Herrn Lind» 
wurm anerfennen. Aush. bat er in vielen Stüden unzweifelhaft 
Recht, und mande Partieen feined Buches find recht leſenswerth. 
Allein mic will es feinen, daß er mehr Beifall und Erfolg erzielen 
würde, wenn er fi) einer maßvolleren und ebleren Vortragsform 
bediente. Auch bin ich mit dem jebt lanbläufigen Materialismus, 
weldhen er vertritt, nicht einberftanben, und ich glaube, daß berfelbe, 
zur Vollsmoral erhoben, nicht beiler fein bürfte, als ber bisher ge= 








Pädagogik. 9 


begte geiftlihe Wahn. Zudem wäre zu kwünföen, daß Herr Lind⸗ 
wurm etwas beſcheidener von fich ſelbſt dächte. Im Vorworte, wo 
das Wörtchen „ich“ met ala vierzigmal vorkommt, ſpricht er bie 
Anfiht aus, baß feine „Entbedungen in ben Yahrbüchern der Wiſſen⸗ 
haft alö eine jener Staffeln anerlannt werben müflen, auf benen 
die menfchliche Erfenntniß höher ſteigt“. — Das dürfte denn doch 
auf einer ſehr bedeutenden Selbftüberjchätung beruhen. 


8. — der empirifhen Bifyhologie und Logik. Bon Dr. 

FAR Bel, großherz. bad. geheim. Hofrath. Elfte, durchgeſehene Auflage. 

tutigart, Mebler. 1874. 179 ©, 

Im Ganzen ein recht guter, klar und präcis gefaßter Leitfaden, 
für Gymnaſien beftimmt, daher aud häufig mit lateinifhen und 
griechiſchen Anführungen verjeben. Die abftracte, compendiöſe, faft 
bogmatijche Anlage bes Büchleins madt es zum Selbftunterricht 
minder geeignet; ed fegt einen die Lehrjäge veranfchaulichenden und 
belebenden Lehrer voraus. Hin und wieder begegnet man auch einer 
Unrichtigkeit: jo wird 3.8. auf S. 9 unter den chemiſchen Elementen 
neben Eiſen, —** u. ſ. w. auch der „Kalk“ angeführt. Die 
Stelle auf S. 18, welche von der Thätigkeit des Nervenſyſtems 
handelt, iſt unbegteiflich. Daß auf S. 23 „Hauptpapillen“ ftatt 
„Hauwapillen“ ſteht, ift wol nur ein Drudfebler. ebenfalls müflen 
rg Leitfäden tuegen ihrer Inappen Faſſung mit größter Sorg- 

falt hergeftellt werden, weil ihre Lejer in ber Regel nit im Stande 
find, Irriges felbft zu berichtigen. 


II. Geſchichte der Pädngogit und hiſtoriſche Pädagogit. 


6. Geſchichte der Graiehung und des Unterrichtes. Kür beutiche 
Volkoſchullehrer. Bon Dr. Friedrich Ditteß, Director des Tehrer: Bäda- 
gogiums in Wien. 4. Aufl. Leipzig, Klinthardt. 1875. 272 ©. 3 Marl. 
Da daB vorliegende Bud) bereits eine weite Verbreitung gefunden 
re erigeint eine fpecielle Charalteriſtik defielben nicht mehr erforderlich. 

bemerke daber nur, daß ich es aufs Neue mit aller Sorgfalt 
überarbeitet und verbefjert, an etlichen Stellen. aus ergänzt babe. Ich 
entjeube bie vierte Auflage in ber Hoffnung, daß dad Bud, nunmehr 
ſeinem Zivede volllommen entfprehen und ſich als ein eben fo zuver⸗ 
läffiger wie angenehmer Führer durch die Geſchichte der Erziehung 
uud des Unterrichtes bewähren werde. 


7. Behrbuß der Pädagogik von Dr. 3. Efr. Gottlob Schumann, 
Fönigl. Seminardirector in Alfeld. Erſter Theil. Einleitung in die Pä- 
dagogik und Grundlage für den Unterricht in der Geſchichte der Pä⸗ 
dagogil mit Mufterküden aus den pädagogiſchen Meiſterwerken der ver: 
(diedenen Beiten. Hannover, Karl Meyer. 1874. 331 S. 3 Marl. 


Nach einer kurzen Einleitung behandelt das Buch die Geſchichte 
ber Erziehung bei den Griechen, Römern und. Siraeliten, worauf bie 
chriſtliche Erziehung in der alten Kirche und im deutſchen Mittelalter 


10 Pädagogil. 


und fchließlih die Pädagogik fett der Reformation vorgeführt wird. 
Daß die drei letzten Jahrhunderte am ausführlichiten behandelt wer⸗ 
den, entipriht der allgemeinen Anſchauung und ift nur zu billigen. 
Daß aber die alten orientalifchen Volker, mit Ausnahme der Ifraeli⸗ 
ten, ganz übergangen find und die neuefte Zeit nicht eingehender be⸗ 
handelt ift, läßt ſich meines Erachtens nicht rechtfertigen. 

Die ganze Arbeit beruht ohne Zweifel auf fleißigem Stubium 
einer veichen Fachliteratur; erhebliche Berftöße gegen bie Biftorifche 
Treue dürften in dem Werke ſchwerlich nachweisbar fein. Einzelne Bars 
tieen find vorzüglich gelungen, 3. B. die Lebens- und Charakterbilder 
von Trogenborf, Sturm, Neander, Salzmann. Die Darftellung 
überhaupt ift fließend und come. Wenn auf ©. 202 bezüglich 
Rouſſeau's gefagt wird: „Als fein Vater in Folge eines Streites 
flieben mußte, wurde er einem Landprediger übergeben”, fo ift bies 
offenbar ein Lapfus, indem das „er“ grammatifch auf den Bater 
Rouſſeau's zu beziehen wäre, was aber finnividrig fein würde, Doch 
führen wir biejes Beifpiel nur an, um zu conftatiren, bag andere 
derartige Verfeben uns in biefem Buche nicht begegnet find. 

Bezüglich des Standpunftes, von welchem aus Her Schu» 
mann die Gelchichte der Pädagogik betrachtet, fagt er: „Er gebt da⸗ 
bei, wie er jelbft im Evangelium feines Lebens Licht und Kraft findet, 
von ben ewigen ebangeliichen Grundlagen aus, die allein das Men⸗ 
fchenleben harmonisch zu geftalten vermögen.’ Sein Bud trägt jene 
gemäßigt theologiihe Färbung an fih, welde in Preußen feit Falls 
Regiment officiel geworden if. Allerdings kommt man beim Lefen 
langer Partieen nicht aus dem firchlichen Dunftlreife heraus, und 
man findet gar Manches, mas in einer Kirchengeſchichte befler am 
Plage fein würde, als in einer Geſchichte der Erziehung und des 
Unterrichtes. Auch blickt hin und wieder dad Dogma von der „natür⸗ 
lichen Verderbniß der menſchlichen Natur“ durch. Doch, mie gejagt, 
Her Schumann gehört jedenfall zu der gemäßigten Fraction 
der tbeologifirenden Pädagogen. Er enthält ſich jeber gebäffigen 
Bemerkung über Männer, die von ben Orthodoxen hart verurtbeilt 
werden, 3. B. über Rouſſeau und Diefterweg, erfennt vielmehr vie 
Verdienſte derjelben bereitwillig an. 

Da das vorliegende Buch in erfter Linie für Volksſchullehrer be⸗ 
ftimmt ift, fo erfcheint e8 als unzweckmäßig, daß es Manches enthält, 
was ohne gelehrte Bildung, insbeſondere ohne Kenntniß des Lateini⸗ 
ichen, nicht verftänblich if. Ferner wird der Umitand, daß das Werk 
zugleich ale Lehrbuch und als Leſebuch angelegt ift, den Anfängern es 
ſehr ſchwer machen, das ihnen vorgeführte Erlenntnißgebiet zu beberr: 
chen und Har zu überbliden. Hierzu fommt no, daß Schumann 
"zugleich die Gefchichte der Methodik bieten will, wodurch dem Lernen» 
den noch mehr Schwierigleiten bereitet werden, ohne daß doch etwas 
Abgerundetes erzielt wird. Schließlih muß ich es entſchieden miß- 
billigen, daß ber größte Theil des Buches in fehr Heinen "Leitern ge⸗ 
druckt ift. 


Pädagogit. | 11 


8. Erztehungageſchichte Goethe’ 8 in pädagogifhen Studien von Lud⸗ 
wig Hader. Erfte Studie: Die primären YWactoren in der Entwidelung 
Goethes. Erlangen, Deidert. 1874. 67 ©. Preis 1,20 Mari. 


Erziehungsgeſchichten, nicht erdichtete, ſondern objectiv wahre, 
welche den Factoren nachipüren, durch welche bebeutenve Perſönlich⸗ 
Seiten zu ihter Ausgeftaltung gelangten, können ohne Zweifel förbernd 
auf die Theorie und Praris ber Pädagogik einwirken. Diefem Ge 
danfen ift die vorliegende Schrift entiprungen. Sie gibt zunächſft 
eine Charakteriftit der Vorfahren und ber Eltern Goethe’, um zu 
zeigen, in wie fern ber Genius des großen Dichters .ererbte Eigen- 
ſchaften in fh trage. — Vorläufig finden wir bie didaktiſchen Folge⸗ 
rungen, welche Herr Hader aus dem von ihm bearbeiteten Stoffe 
zieht, nicht bebeutend, theilweiſe auch hypothetiſch und geſucht. Doch 
müfjen wir unſer befinitiveß Urtheil über den Werth feiner Arbeit 
bertagen, bis uns biefelbe vollendet vorliegen wird. Die Fortſetzung 
iſt jedenfalls erwunſcht, da dem Werke eine gute bee zu Grunde liegt. 

9. Autodidaften-Xegilon. Xebensfkizzen berjenigen Berfonen aller Zeiten 
und Böller, welche auf außergemöhnlihem Bildungs⸗ und Entwickelungs⸗ 
gange fih zu einer hervorragenden Bedentung in Kunft und Wiſſenſchaft 
emporgearbeitet haben. Herausgegeben unter Mitwirtung von mehreren 

Sangelchrien von Dr. 4. Wittftod. Lieferung 1. Aaſen — Bage. 

eipzig, Menzel. 1875. XV und 48 ©. 1 Marl. 

Aus denfelben Gründen, aus welchen wir bie Tenbenz ber unter 
Nr. 8 angezeigten Schrift billigen mußten, ſehen wir uns veranlaßt, 
dem vorliegenden Unternehmen unjer beifälliges Intereſſe zuzuwenden. 
Es will „das wichtige Capitel der Selbitbildung, durch Beilpiele mit 
Biftorifcher Wahrheit aus den Quellen geſchöpft“, praktiſch erörtern und 
ein „Ehrendenkmal der menſchlichen Thätigleit fein“. Das Nähere 
fagt der Titel. Cingeleitet ift da8 Werk durch eine leſenswerthe Ab⸗ 
bandlung über den Begriff: „Autodidakt“. Die bisher gegebenen 
Biographieen find anſprechend und lehrreich. Bon weitläufigem, belle- 
triſtiſchem Ausmalen der einzelnen Lebensgefchichten halten fie fich fern, 
- was fchon dadurch geboten tft, daß das Werk in circa 30 Fieferungen 
feine Aufgabe löſen, alfo einen fehr reihen Stoff bewältigen will. 
Wir empfehlen daſſelbe allen Freunden menschlicher Bildung und ebler 
Strebjamfeit, beſonders der Lehrerwelt, und wünſchen ihm einen 
glücklichen Fortgang. 

10. Thomas Buthrte, der Vater der Lumpenſchulen. Gin Lebensblld aus 
der GBeichichte der Innern Miffion in Schottlanr. Don Dr. Robert 
König. Mit Portrait. Leipzig, Buchhandlung des Vereinshaufes. 1874. 
48 S. 50 Be. 

Ein höchſt amziehendes und lehrreiches Lebensbild des hochver⸗ 
bienten Grünber® ber im britifchen Reiche jo molthätig wirkenden 
Bidungsftätten für verwahrlofte Kinder. Der religidfe Geift, von 
welchem das Büchlein durchweht tft, wirkt keineswegs abftoßend, ift 
vielmehr ein ſchönes Zeugniß wahrhaft chriſtlicher Humaniiät, und 
gewiß wird kein edler Menſch das vortreffliche Büchlein ohne die leb⸗ 
hafteſte Befriedigung leſen. 


12 Pädagogik. 


11. Rouffeau’s Pädagogik. Wiſſenſchaftlich beleuchtet von Woitlaw 

Bakitſch. Leipzig, Schmaler und Pech. 1874. 50 & 1%, Marl. 

Die Manter, in welcher bier Rouſſeau beurtheilt wirb, möge 
durch einige charalteriſtiſche Säge aus der Schrift ſelbſt gezeigt wer⸗ 
den. „‚Diefe Daritellungsweife hält ſich alio nicht an beitimmte Be— 
griffe und ift eben beshalb nicht wiſſenſchaftlich, fie fann uns Feine 
wiffenfchaftlihe Webergeugung geben. Bon Rouſſeau's Pädagogik kann 
man alfo mit Recht fagen: fie ift Feine Wiſſenſchaft“ Gr 6). — 
„Rouſſeau Bat allerdings kein bebeutendes VBerbienft Binfichtlih ber 
päbagogifchen Teleologie fi erworben; aber man kann ihm doch nicht 
alle Bervienfte abiprechen” (S. 12). — „Roufleau vermiſcht die Re⸗ 
gierungsmaßregeln mit ben eigentlichen Erziehungdmaßregeln” (5.28). — 
„Wir dürfen alfo an Rouſſeau's Methode den wiſſenſchaftlichen Map- 
Rab nicht anlegen; — aber fofern feine Principien, fofern feine Päda⸗ 
gogik überhaupt einen Anſpruch auf willenichaftliche Gültigkeit macht 
und machen muß, wenn fie die Grundlage für praktiſche Verwerthung 
bilden fol, infofern muß fie ſich eine wiſſenſchaftliche Prüfung gefallen 
laſſen. Es Tann uns Niemand verbieten, Roufleau’3 päbagogifche 
Prineipien, die ja noch in der Gegenwart theilweiſe berrichen, beraus- 
zufuchen und zu kritiſiren. Vom wiſſenſchaftlichen Standpunfte 
müflen wir zunächft feine empiriftiiche Methode vermerfen, wenn wir 
fie auch vom praftiihen Standpunkte billigen mußten‘ (S. 46). — „Das 
Urtheil der wifjenschaftliden Pädagogik über diefelbe (über Rouſſeau's 
Pädagogik) fällt günftig aus: wir müffen von diefem Standpunfte aus 
ben Rouffeau’fchen Grundfägen im allgemeinen beiftimmen; denn feine 
phufiologischen, pſychologiſchen und ethifchen Anfidhten, die hauptfächlich auf 
Beobachtung und Erfahrung gegründet find, ftimmen im Großen und 
Ganzen mit den Principien der erasten Wiſſenſchaften überein’ (8.49). — 
Als Mapftab für fein Urtheil betrachtet Herr Bakitſch die Lehre Ger- 
bart's; was diefer entipricht, il ihm „wiſſenſchaftlich“, was nicht im Her» 
bart ſteht, unwifjenfchaftlich, etwa fo, wie dem rechtgläubigen Mubamme- 
daner ber Koran die einzige Quelle aller Wahrheit ift. Wer die angeführ- 
ten Ausfprüche des Herrn Bakitſch prüft und mit einander vergleicht, wird 
leicht fehen, daß fie, abgeſehen von ihrer Oberflächlichkeit und Schüler⸗ 
baftigfeit, einander direct widerſprechen, jo daß man fehlieklich nicht 
einmal weiß, ob benn Hear Bakitſch bei Rouſſeau Wiſſenſchaft 
findet oder nicht. Werth ift das Schriftchen nichts, wenn e8 auch 
vieleicht für den Verfafler die Bedeutung einer Stilübung gehabt bat. 
Bon dem erften Grundfage ber Hermeneutik, daß man literarijche 
Werte aus fich ſelbſt erklären fol, fiheint der Mann, trob feines 
ſteten Geredes von „Wiſſenſchaft“, nichts zu wiſſen. Er Bat eine 
Schablone, und was in biefelbe nicht paßt, taugt nichts. Ich weiß. 
nicht, wer biefer Herr Bakitſch iſt. Nach feinem Schriftchen .aber, 
nach der unreifen Nachbeterei, nach dem naſeweiſen Gericht über einen 
Geiſt, den er nicht zu begreifen vermag, nach ber. fuperflugen Herbor- 
februng feiner "Biffenfhaft“, nah dem nainen Behagen, mit welchem 
er fih in ber Zwangsjacke feiner „beftimmten Begriffe” berumbrebt, 








Pädagogik. 13 


furz: nach alle dem, was aus feinem Opus hervorſchaut, macht er den 
Eindrud eines jungen Mannes, dem das Lernen befier ziemen würde, 
als das Keitifiwen. 

12. Johann Friedrich Herbart's WVerdienfte um die Philoſophie. 


Bortrag, gehalten in Oldenburg am 25, November 1874 von Ehr. 9. 
zhile , Doereonfiftortatrath zu Hannover. Oldenburg, Schulze. 1875. 
32 S. 6 ©:r. . 


Wir empfehlen dieſes Schriftchen, deſſen Reinertrag für das in 
Oldenburg zu errichtende Herbartdenfmal beftimmt ift, allen Freunden 
des Gefeierten. In kurzen, aber treffenden Zügen hebt ein dankbarer 
Berehrer Herbart’3 die Verdienſte befielben um die Philoſophie hervor. 
Natürlich mußte der Redner ein Bublicum vorausfegen, dem Herbart's 
Lehren nicht fremb find; auch hatte er, ba es ſich ja um einen Act 
der Pietät Banbelte, fi auf Hervorhebung der Lichtfeiten in dem 
Syftem des Oldenburger Philofophen zu befchränten, Tritiihe Bemer⸗ 
kungen alfo bei Seite zu laffen. 

13. Brogramm der Realfule zu Mittweida. Fünftes Stüd, 1874. 

Deraußgegeben vom Dirertor Seen. 

Wir führen dieſe Schulfchrift deshalb Bier an, meil fie einen 
vorzügliden Auffag enthält über das Thema: „Die Pädagogik 
Herbart’3", Nachdem in Kürze bie pſychologiſchen und ethifchen 
Grundlagen ber Pädagogik Herbart’3 dargelegt find, wird lettere 
jelbft, zwar in gebrängter Kürze, aber in allem Wefentlichen erfchöpfend 
auseinandergejegt, und zwar rein referirend, mit mufterhafter Objec- 
tivität. Im Schluſſe gibt der Berfaffer (Oberlehrer Holtheuer) einige 
kritiſche Andeutungen über die Schattenfeiten bes Herbart'ſchen Syftems. 
Ich muß diefe Abhandlung nach Anhalt und Form als ein Meifter- 
ftüd bezeichnen, und Tann fie allen denen, welche ſich über den be= 
bandelten Gegenftand in Kürze eine verläßliche Belehrung verichaffen 
wollen, beitend empfehlen. 

14. gragezeine Chronik des Volksſchulweſens. Herausgegeben von 


. Seyffartb, Rertor der Stadtſchule zu Ludenwalde, 1873. Neunter 
Saßtgang. otha u, Hamburg, Händde u. Lehmkuhl. 1874. 177 ©, 
r. 


Die Zeitgeſchichte der Volksſchule bietet gegenwärtig einen reichen 
Stoff der Belehrung. Das vorliegende Werk will dieſen Stoff ſam⸗ 
meln und allgemein zugänglich machen. Darum haben wir es auch 
bereits früher im „Pädag. Jahresber.“ empfohlen. Der neue Jahr⸗ 
gang ift bon ben bewährten Händen des Herrn Seyffarth mit 
großem Fleiße rebigirt worden; ber frühere Herausgeber Ionnte bie 
- Arbeit nicht weiter beforgen. Selbftverftänblich ift wieder Deutſchland 
am ausführlichſten behandelt, aber auch bie übrigen Länder, Europa’s 
und jelbft die Eulturländer der anderen Erbtheile find nicht vergeflen. 
Wer fich bezüglich ber Syortichritte des Schulweſens im Laufenden ers 
Balten will, wird die vorliegende „Chronik“ ſehr nüslich finden. 








14 Pädagogik. 


III. Syjſtematiſche Pädngogil. 
. Evangelifge Schulkunde. Praktiſche Erziehungs⸗ und Unterri 

is —* fir —ã —E— Era Fe. B. 5* 
Seminardirector a0. Dritte, verbeſſerte und vermehrte Auflage. Leipzig, 
Teubner. 1874. 780 S. 9 Marl 60 Bf. 

Da die neue Auflage dieſes Werkes im Wefentlichen eine unver- 
änderte ift, fo verweiſen wir auf bie bereitd im 23. Bande gegebene 
Charakteriſtik. Der Herr Verfaſſer ift ein entſchiedener Gegner ber 
eonfeffionslofen Schule und bemerkt hierüber im Vorworte zur neuen 
Auflage feiner Schullunde: „Daß, fo lange es in Deutjchland eine 
katholiſche und eine evangeliſche Kirche gibt (ed gibt zwei evangelifche 
Kirchen, außerdem auch noch ifraelitifche Cultusgemeinden), es auch 
katholiſche und evangeliſche Volksſchulen geben wird.” Ach Halte nicht 
nur tbeoretifch, ſondern auch in meinen Erwartungen von ber Zukunft 
das Gegentbeil der Anjchauungen des Herrn Schütze für richtig. 
Warten wir ab, nach welcher Seite ſich der Sieg neigen werde. 

16. Die Pädagogit in überfichtlicher Darftellung. Ein Handbuch für Lehr⸗ 
amtöcandidaten, Bollöfhullehrer und Grzieher, Bon H. R. Rüegg, 
grofefler an der Univerfität und Director am deutfchen Lehrerfeminar des 

antond Bern. Vierte Auflage. Bern, Dalp. 1873. 473 ©. Preis 4 Mar. 

Auch hier haben wir es mit einer im Wefentlihen unveränderten 
neuen Auflage zu thun. Wir veriveifen daher auf das, mas wir im 
23. Bande des „Pädag. Jahresber.“ über dieſes Werk gejagt haben. 
17. Lehrbuh der Pädagogif von Dr. I. Ehr. Gottlob Echumann, 

Königl. Seminardirector in Alfeld. Zweiter Theil. Die ſyſtematiſche 

Pädagogik und die Schullunde Hannover, Karl Meyer. 1875. 

396 ©. 3 Rarl. 

Enthält eine Furze Leibe» und Seelenlehre bes Menfchen nebft 
den Grundjägen der Ethik ald Grundlegung zur Pädagogik, dann die 
allgemeine Unterrichtslehre (Didaktik), die befondere Unterrichtälehre 
(ipecielle Methodik), die Erziehungslehre, enblih die Schulkunde. Die 
Abjchnitte über die Grundwiſſenſchaften find zu Furz, zu apboriftifh, als 
daß fie dem Anfänger ein lebendiges Verſtändniß der Sache verjchaffen 
fönnten. An der Ethik gefällt mir perfönlih aud bie theologijche 
Färbung nit. In der Methodik wird die Anführung einer un= 
gebeueren Maſſe von Literatur den Anfänger eher verwirren, als richtig 
leiten. Denn tie viele der nambaft gemachten Bücher fol, Tann er 
Iefen? — Beffer wäre e3 wol geweſen, Statt diefer überreichen Bücher: 
titel eine gejchichtliche Entwidelung der Methode ber Schulfächer zu 
geben. Daß Herr Schumann Iateinifche, felbit griechiſche Zutbaten in 
fein Buch aufgenommen bat, dürfte für bie meiften Lefer unzweck⸗ 
mäßig fein. — Das Hauptübel in dem Werke Schumann’3 ſcheint 
mir darin zu beftehen, daß er ben ganzen päbagogifchen Curjus auf 
zwei Jahre befihräntt bat, wobei ihm freilich die Falk'ſchen „Beſtim⸗ 
mungen“ maßgebend waren. Hierburch werben die Schüler ficherlich 
überbürbet und an einem gründlidhen Studium verhindert. Der 
Heine Drud muß auch bier gerügt werden; die Lehrer brauchen gute 
. Augen, und man muß diefe alfo fchonen. Ä 





Pädagogik. 15 


18. Herbert Spencer's Erziehungslehre. Mit des Verfaſſers Bewilligung 
in beutfiher Ueberfegung herausgegeben von Fritz Schulte. Jena, Maufe. 
874. 24 . 


Bon allen uns diesmal vorliegenden Schriften eine ber beften, 
frei von allem Dogmatismus und Schulpebantismus, auf ein immenjes 
Willen geſtützt und doch überall frifches, freies Denken athmend, überall 
ernft, klar, ftreng logiſch und doch im fchönften Sinne des Wortes 
anfprechenb und populär. Das Bud, nicht eigentlich ein vollſtändiges 
Syſtem der Pädagogik, enthält vier Abhandlungen über folgende The 
mata: „Welches Willen hat den größten Werth? Die Erziehung des 
Berftandes. Die fittlihe Erziehung. Die leibliche Erziehung. — 
Sm Weſentlichen ift in der erſten Abhandlung ber Zwed, in ber 
zweiten die Methode der Geiftesbildung dargeſtellt. Der Inhalt 
der beiden letzten Capitel ergibt fid) aus den Titeln. 

Für den beiten, ja für einen unübertrefflich ſchönen Abjchnitt Halte 
ich den erften. Vollen Beifall verdient auch bad, was im vierten über 
Nahrung, Kleivung, Bewegung und gegen geiftige Ueberanftrengung 
gelagt wird. Im zeiten Abfchnitte fehlt eine durchgreifende Ein⸗ 
beit der Principien, und was Über die Maxime: „Vom Einfachen 
zum Zulammengejegten” gejagt wird, iſt nicht durchaus bejtimmt und 
befriedigend. Im Einzelnen dagegen kommt auch hier eine Fülle aus» 
gezeichneter Bemerlungen vor. Die im dritten Abjchnitte über das 
Taſchengeld ausgeiprochenen Anfichten halte ich für bedenklich, und 
auch ſonſt läßt fi) noch über dies und jenes mit Spencer ftreiten. 
Aber, wie gejagt, im Ganzen ift feine Schrift eine borzügliche Arbeit, 
eine ber beiten Früchte, welche in England auf dem Gebiete der Pä— 
dagogik feit Baco und Locke gereift find. Referent bat dieſes Bud 
mit um fo größerer Befriedigung gelefen, als er in bemfelben eine 
Beflätigung der von ihm felbft vertretenen Grundgebanten gefunden 
bat. Sagt und auch Spencer nicht? Neues, nichts was der deutſchen 
Pädagogik bisher fremd geblieben wäre, jo freut man ſich doch eines 
fo originalen und geiftpollen Ausdrudes der Normen aller Menfchen- 
bildung, freut man fich beſonders der wachſenden Uebereinftimmung 
ber beften Geifter aller Nationen in Betreff ber Bedingungen, Ziele 
und Mittel der Erziehung. Ich kann mir es nicht verfagen. bier noch 
einige Proben aus Spencer’3 Schrift mitzutheilen, um das Intereſſe 
-für diefelbe zu fleigern. 

„Die Menfchen puben bie Geifter ihrer Kinder, wie ihre Körper 
nach der herrichennen Diode. Gerade wie ſich der Orinoco-Indianer 
erft mit Farbe bejchmiert, bevor er feine Hütte verläßt, nicht mit Rüd- 
fit auf irgend melden unmittelbaren Nugen, ſondern weil er ſich 
ohne fie jhämen würde, To beiteht man aud darauf, einen Knaben 
in Latein und Griechiſch zu brillen, nicht wegen des inneren Werthes 
biefer Sprachen, fondern bamit der Knabe nicht durch feine Unkenntniß 
derjelben in Mißachtung komme, damit er eine ſtandesgemäße Er—⸗ 
ziehung habe, — dieſes Zeichen, welches eine gewiſſe gejellichaftliche 
‚Stellung anbeutet und ein daraus folgendes Anſehen einbringt. — 


16 Pädagogik. 


„Wie im ganzen Leben nie gefragt wird, was wir find, ſondern wofür 
wir gehalten werben, fo aud fragt man in ber Erziehung nicht nad) 
dem inneren Werthe eines Wiſſens fo fehr, als nad feiner äußeren 
Wirkung auf Andere. Und da dies unfer vorherrſchender Geſichtspunkt 
ift, fo beachten wir unmittelbaren Nuten kaum mehr, als der Wilde, 
ber feine Zähne feilt und feine Nägel bemalt.” — „Menichen, bie 
erröthen würden, wenn man fie babei ertappte, daß fie Euripfdes ftatt 
Euripides fagten, ober die nur den geringiten Verdacht einer Unkennt⸗ 
niß in Betreff der fabelhaften Arbeiten eines fabelbaften Halbgottes 
wie eine Beleidigung aufnehmen würden, fie zeigen nicht die geringfte 
Scham beim Geſtändniß, daß fie nicht willen, wo bie Euſtachiſchen 
Röhren, welches die Thätigkeiten des Rüdenmarles find, welches bie 
normale Zahl der Pulsfchläge ift, oder wie die Lungen atbmen. 
Mährend fie beforgt find, ob ihre Söhne in den abergläubifchen Vor 
ftellungen von vor 2000 Jahren beivanbert find, kümmern fie ſich 
nicht darum, daß fie etwas lernen follen über den Bau und bie 
Tchätigleiten ihrer eigenen Körper — ja, fie wünſchen eine bevartige 
Belehrung gar nit. Sp überwältigend ift der Einfluß einer einmal 
feftgefegten Einrichtung! So ſchrecklich überwiegt in unferer Er 
ziehung ber Pub das Nützliche!“ — „In allen feinen Wirkungen ift 
Lernen, was Dinge bedeuten, heilfamer und fruchtbringender als 
Lernen, was Worte bebeuten. Sei e3 für bie geiftige, fittliche ober 
religiöje Erziehung, das Studium der umgebenden Erfcheinungen iſt 
bem Stubium von Spradlehren und Wörterbüchern bei weitem über- 
egen.‘ 

19. Praktiſche Methodik mit Lehrgängen und Lehrproben. Die Praxis 
der Rürtinger Seminarfhule nach den Grundſätzen des württembergifchen 
Normallebrplans von Fr. Guth, Oberlehrer am Königl. Schullehrer⸗ 
Ieminat, zu Nürtingen. Zweite Auflage. Stuttgart, Aue 1874. 456 ©. 


Mir haben dieſes gute, für württembergiſche Schulverhältniffe be⸗ 
ftimmte Buch bereit3 in feiner erften Auflage befprocden (j. „Päd. 
Sahresber. Band 25), und ba die neue Auflage ohne wefentliche 
Veränderungen geblieben ift, Tönnen wir uns bier wol auf eine ein⸗ 
fache Anzeige befchränten. 

20. Die Volksſchule. Unter Mitwirtung von Kahmännern herausgegeben 
von J. Alleker, Seminardirector zu Brühl, In fieben Lieferungen, zus 
fammen 852 S. Sreiburg im Breisgau, Herder. 1873 u. 1874. 

„Das vorliegende Werk”, heißt e3 in ber Vorrede, „hat die Be- 
ſtimmung, diejenigen Kenntniffe, welche man in neuerer Zeit unter 
dem Namen ber Vollsfchullunde zufammenfaßt, in allgemein verſtänd⸗ 
licher Darftelung zu vermitteln. Durch Auswahl und Zufammen- 
ftelung der päbagogifchen Lehren und didaktischen Weifungen, welche 
in der Volksſchule und durch diefelbe zur Anwendung kommen, fol 
diefe Schrift zunächſt für die Vorbereitung auf das Elementarfchulamt 
im Seminar und für bie Fortbildung des Lehrers Hilfsmittel und 
Wegweiſer fein, zugleih aber Allen, die mit ber Schule in näherer 








Pädagogik. 17 


Beziehung ftehen, ben heutigen Standpunkt bes Vollsſchulunterrichtes 
zur Anſchauung bringen.“ 

Demgemäß behandelt das Werk zunächſt „bie Volksſchule in ihren 
äußeren Berhältnifjen und jocialen Beziehungen‘ (Gliederung der 
Volksſchule, Schulhaus, Beziehungen zu Familie, Kirche, Gemeinde 
und Staat); im zweiten Theile fommt „ber Schüler und die Ausbil- 
dung beflelben in ver Volksſchule“ zur Erörterung; in dieſem weitaus 
umfänglichiten Abfchnitte des ganzen Werkes kommt die Geſundheits⸗ 
Iehre, die Pſychologie und beſonders ausführlih die Methodik zur 
Darftelung; im dritten Theile ift „der chriftliche Lehrer‘ nach feinem 
Berufe, feiner Thätigfeit, Fortbildung, feiner Stellung und feinem 
Berhalten Gegenitand der Erörterung. Ein „Anhang endlich gibt 
„Zeit- und Lebensbilder aus der Geſchichte des beutfchen Schul- und 
Erziehungsweſens“. 

Beſtimmt iſt das Buch für katholiſche Volksſchullehrer, mie 
denn auch der katholiſche Standpunkt überall, wo es ſich um 
Principien handelt, entſchieden hervortritt, natürlich auch in der Me— 
thodik des Religionsunterrichtes. Anerkannt muß aber werden, daß 
das Buch über die altkirchliche Schablone in ſo fern weit hinausgeht, 
als es den Volksſchullehrern eine ſchöne Summe wiſſenſchaftlicher 
Grundbegriffe darbietet; die methodiſchen Abhandlungen ferner find 
meift jehr eingehend und dem heutigen Stande der Unterrichtöfunde 
entfprechend. Namentlich zeigen fih auch die Mitarbeiter des Herrn 
Alleler als tüchtige Schulmänner. Wenn ih alſo auch in vieleh 
Punkten nicht mit Herrn Allefer übereinftimme, fo muß ih doch in 
feinem Werle einen ſehr bedeutenden Fortjchritt der „Tatholifchen” 
Volsſchulkunde anerkennen. Das Weitere wird fchon die Zeit thun, 
wenn nur einmal bie junge Lehrergeneration in ben Strom der 
mobernen Geiſtesbewegung eingeführt ift. 

21. Diefterwegs Beqweiler zur Bildung für deutſche Lehrer. Fünfte 

Auflage in neuer, zeitgemäßer Bearbeitung berauegegeben von dem Cura⸗ 

tefterwegftiftung. Zweiter Band. Das Befondere. 7,, 

8., 9. u. 10. Lieferung des ganzen Wertes. ©. 161—480 des zweiten 

Bandes. Eſſen, Bädeler. 1874 u. 1875. Preis jeder Lieferung 1 Mark. 

Das MWiedererfheinen biefes Werkes ift bereit im vorigen Banbe 
des „Päd. Ssahresber.” angezeigt worden, wo wir und auch im All⸗ 
gemeinen über biefe neue Bearbeitung ausgeſprochen haben. Für 
diesmal beichränfen wir uns auf folgende thatjächliche Bemerkungen. 
Sn den neu erſchienenen vier Lieferungen ift zunächft der Artikel über 
den 2ejeunterriht von Bohm zu Ende geführt; dann folgt die Mes 
thodik des Unterricht3 in der Mutterfprade von Rudolph, des 
Rechenunterrichts von Böhme, des Schreibunterrichtd von Nauen, 
bed Beichenunterrichtd von Worms und des Singunterrichts bon 
Erk. Die Fachliteratur ift überall eingehend behandelt. Ueberhaupt 
legen die Bearbeiter der einzelnen Bartien genaue Sachkenntniß und 
großen Fleiß an den Tag. Hoffentlich wird das ganze Werl binnen 
Rurzem vollendet fein. 

Päd. Jahreabericht. XXVI. 2 


torium der D 


18 Pädagogik. 


22. Erziehungs» und Unterrihtslchre für Oymnafien und Real» 
fhulen. Von Dr. Wilhelm Schrader, Provinzialſchulrath. 4.—7. Lies 
ferung (Schluß), S. 257—552. Berlin. Hempel. 1873. & Lieferung 
15 Gr. Preis des ganzen Werkes 10'/s Mart. 

Bereit3 im borlekten Bande des „Päd. Jahresber.“ find bie brei 
erften Lieferungen diejed Werled angezeigt worden. : Die vorliegenden 
vier Lieferungen führen zunächſt die allgemeine Methodik zu Ende und 
behandeln dann das Lehrverfahren bezüglich der einzelnen Unterrichts⸗ 
fächer in den Gymnafien und Realſchulen (Religion, alte Sprachen, 
neuere Sprachen, Geographie und Geſchichte, Mathematit und Natur- 
wiſſenſchaften). 

Wie wir ſchon früher bemerkt haben, trägt das Werk einen ent⸗ 
ſchieden conſervativen Charakter an ſich. Es bezweckt Feine 
weſentlichen Reformen, betrachtet vielmehr. die bisherige Schulverfaſ⸗ 
fung im Allgemeinen als beilfam unb ftrebt nur darnach, innerhalb 
dieſer Verfaſſung dem Unterrichte und dem ganzen Schulleben eine 
möglichft volllommene Geftalt zu verleihen, alfo im Einzelnen alle ers 
reichbaren Verbefierungen des vorhandenen Organismus herbeizuführen. 
Selbſtverſtändlich wird alfo dem Lateinifchen feine dominirende Stellung 
gewahrt, der confejftionelle Neligionsunterricht vertheibigt u. ſ. w. 
Wenn dabei ald Zweck des letzteren „bie Umfchaffung bes ganzen 
Menſchen“ bezeichnet wird, fo dürfte diefer Ausdrud als ein bevenf- 
licher, ja als ein durchaus verfehlter zu betrachten fein. Denn felbit 
der Gläubigfte will doch nur eine „Wieberheritelung des göttlichen 
Ebenbildes im Menfchen”, nicht eine „Umfchaffung”, aljo eine Gor- 
rectur der göttlichen Schöpfung. — Doch, wir lafien Einzelheiten bei 
Seite und bemerken nur noch im Allgemeinen, daß das vorliegende 
Merk, von einem tüchtigen Schulmanne mit großer Sorgfalt aus- 
geführt, im Ganzen eine vortreffliche Einführung in bie bisherige 
Gymnaſialpädagogik iſt; daß es aljo einerfeitö als Rathgeber für Can» 
bidaten des höheren Schulamte® und für jüngere Lehrer in hohem 
Maße nützlich fein kann, anderſeits eine feite Baſis und zuverläffige 
Drientirung für Reformbeftrebungen zu bieten vermag. Denn wer bie 
Schule verbeflern, umgeftalten will, muß ſich zuvor von ihrem gegen- 
wärtigen Bejtande eine genaue Kenntniß verſchaffen. 


23. Praktiſcher Wegweſer für Volksſchullehrer bei ihrem Thun und 
Walten in und außer der Schule, enthaltend pädagogiſch⸗didaktiſche Ab- 
bandlungenz; im Geiſte und Sinne der neueften „Verfügung über Errichtung, 
Aufgabe und Ziel der preußifhen Volksſchule“ gefchriebene Lehrgänge für 
alle Unterrichtöftufen; Lefeproben und Eramenlectionen; einen Anbang mıt 
Aphorismen, Schul» und Gonferenzgebeten und Lectiond- und Stunden: 
plänen. Bon C. F. Lüders. Zweite, verbeflerte und fehr vermehrte Auf- 
lage. Quedlinburg und Leipzig, Ernſt. 1873. 975 ©. Preis 3 Marl. 


Nah Anführung dieſes langen Titeld glauben wir bon einer 
weiteren Inhaltsangabe abjehen zu follen. Das Buch hat überall bie 
unmittelbare Schulpraris und Lehrerwirkſamkeit im Auge, und e3 mag 
wol fein, daß junge und mangelhaft vorgebildete Lehrer aus demfelben 
Manches lernen können. Urſprünglich ftammt e8 aus ber Regulativ: 


Pädagogik, 19 


zeit, deren Spuren es auch noch an ſich trägt. — Vielleicht fchreibt 

fh auch die ungünftige Meinung des Herrn Lüders über bie 

Kindergärten aus ‚jener Aera ber. Ueber dieſe Inſtitute fagt 

nämlich der „Wegweiſer“ (S. 360): „Dieſe entziehen das Kind der 

für das Gebeihen feines Gemüthälebend fo unentbehrliden unmittel- 
baren Einwirkung der durch nichts zu erfehenden Mutterliebe unnöthig 
und find deshalb zu vermwerfen. Das ift ein ſehr ungerechtes 

Urtheil. Wenn ein Kind täglich vier Stunden in ben Kindergarten 

geht, fo kann in den übrigen zwanzig Stunden die Mutterliebe noch 

ausreichende Gelegenheit zur Bethätigung finden, und eine Fleine Er- 
bolung ift der Mutterliebe, wenn fie auch noch fo rein, einſichtsvoll 
und ſtark ift, doch auch zu gönnen. 

24. Bolkeſchulkunde. Leichtfaßlicher Wegweiſer für Volksſchullehrer, Lehr⸗ 
amtscandidaten u. f. w. von Ant. Ph. Largiader, Seminardirector tn 
Mariaberg bei Rorfhad. Dritte, tbeilmelfe umgearbeitete Ausgabe. Mit 
einer Schreibfchrifttafel und Holzfähnitten neuer Modelle für Schuftifche 
u. f. w. im Texte. Zürich, Schultheß. 1874. Erſte Lieferung. 80 ©. 
Die erfte Auflage dieſes Yuches haben wir im 22. Bande bes 

„Päd. Jahresber.“ angezeigt. Wir bemerkten dort unter Anderem, 

daß Herr Largiader der fogenannten Kirche zu viel Einfluß auf bie 

Schule geftatte.e In diefem Punkte haben ihn die neueren Ereignifie 

in der Schweiz vorfichtiger und ftrenger gemadit. Er Sagt: „Die 

idylliſchen Zeiten, da Kirche und Schule in ſchweſterlicher Eintracht an 
der Löſung der gemeinfchaftlichen Aufgabe arbeiten durften, find vor⸗ 
bei. Dis in das lehte Dörflein unferer Bergthäler hat der Ultra- 
montanigmus feine Fangarme ausgefiredt, um Hilfstruppen für den 

Kampf gegen den modernen Staat und feine humanen und freien 

Snftitutionen zu werben .. . Daß in diefem Kampfe auch der Lehrer 

Stellung nehmen muß, ift felbftverftändlih . ... Die Voltsfchule der 

Gegenwart ift mit nichten eine Tochter der Kirche, jondern fie ift eine 

Tochter bed modernen Staates, des modernen Volksbewußtſeins . . 

Demnad wird auch der geiftig felbftftändige, charalterfefte und ge 

finnungstüchtige Lehrer willen, auf welcher Seite der Kämpfenden er 

Stellung zu nehmen habe. — Ich führe dieſe maderen Worte mit 

Bergnügen bier an, wünſche aber, daß Herr Largiader ganz durch⸗ 

greifen und aus der Definition ber Volksſchule den Paſſus: ‚unter 

Mitwirkung der Kirche” ftreichen möge. Gibt man dem Teufel einen 

Finger, jo nimmt er die ganze Hand. — Im Uebrigen möge das 

Wert des tüchtigen Schulmannes auf's Neue beftend empfohlen fein. 


IV. Zur Organifation der Voltsfchule. 


25. Diedfterreihtifhen Bollsfhulgefepe. Reichsgeſetze und Miniſterial⸗ 
Erläffe nebſt einem alphabetiſchen Daterien-Regifter und den Landes: 
gelegen aa Erzherzogthum Ober⸗ODeſterreich. Wien, Bihler. 1874. 

I u. . 

26. Lehrpläne für Dolld- und Bürgerſchulen. Veröffentliht durch Verord⸗ 
nung des k. k. Unterrichts: Winifleriums vom 18. Mat 1874. Lehrpläne 
für ungetheilte einclaffige, getbeilte einclaffige, amelclaffige, dreiclaffige, 
vierclajfige, fünfelaffige, fechöctaffige, Rebenclaffge Volksſchnlen, achtelaffige 

9% 


20 Pädagogik. 


Si erfinden für Rnaben, achtelaffige Vürgerfchufen für Mädchen. Wien, 

er 

27. Drganifations:Statut der Bildungsanftalten für Lehrer und Lehrerinnen 
an öffentlichen Vollsſchulen in Defterreih. Eimgeführt durch Verordnung 
ben ri E nterrigtö - Dinifteriume vom 26. Mat 1874. Wien, Pichler. 
Die Drganifation der öfterreichifchen Volksſchule hat feit 1868, in 

welchem Jahre die öſterreichiſche Schulreform begann, unverfennbar 

große Fortſchritte gemacht; bie beutichen Lehrer und Schulbehörben 
können dieſe Thatſache unmöglich ignoriren. Die angezeigten brei 

Schriften bieten Jedermann, der ſich für bie Sache intereffirt, zur 

Drientirung erwünſchte Behelfe. 

28. Lehrplan für die Volkeſchule. Bon Dear Adalbeet Grüllich, 
hts. Aul-Infpestor. Erfte Lieferung. Löbau, Hohlfeld und Witte. 
Die neue Aera bes ſächſiſchen Volksſchulweſens, welche vor einem 

Sabre begonnen bat, wird natürlich auch einen befferen Ausbau ber 

Lehrverfafjung der Volksſchule zur Folge haben. Die vorliegende 

Schrift bietet hierzu einen guten Beitrag. Sie ift feine amtlid 

Arbeit, fein Normalplan, fondern eine freie Gabe, die der freien B.- 

urtheilung und Benutung anheimgeftellt wird. Als Meinungsäußerung 

eines bereits als tüchtig bewährten Schulmannes wird ihr unzweifelhaft 
molverdiente Beachtung zu Theil werben. 

29. Normal-Rehrplan für bie deutfchen Elementar-Schulen in Claß- Lothringen. 
Neuer Abdruck. Straßburg, Friedrich Bull. 1873. 

Ein officieller Unterrichtsplan für die —*6 des neuen 
Reichslandes, welcher zwar im Ganzen den in Preußen geltenden 
Normen entſpricht, immerhin aber wegen des Gebietes, für das er 
beſtimmt iſt, ein beſonderes Intereſſe in Anſpruch nimmt. 

30. Fa Ihe Beitfragen. Erftes Heft. Die Mittelfhule Bon Dr. 

Franz —— Leipzig, Brandſtetter. 1874. 44 ©, Preis 75 Pf. 

Belanntlih ift man jetzt in Deutichland mit der Drganifation 
einer höheren Volksſchule, „Mittelſchule“ genannt, beſchäftigt. Das 
Weſen, die Stellung, Aufgabe und Lehrverfafjurg dieſer Anftelt zu 
beftimmen , it Die Aufgabe vorliegender Schrift. won einem tüchtig 
gebildeten und erfahrenen Schulmanne verfaßt, bietet biefelbe eine 
intereffante und lehrreiche Lectüre. — Zurüdbalten Tann ich aber 
nicht die Mahnung, daß man ſich hüten möge, burch bie „Mitte'- 
ſchule“ einer weiteren Berfegung bed Volles in „Stände“ Borfchrb 
zu leiten. Man würde fonft dem Ganzen einen Schaden zufügen, 
welcher burch gefteigerte Bildung eines Theiles nicht aufgewogen wer⸗ 
ben bürfte. Möge man immerhin, two möglid den Curſus ber ges 
ſammten Bollöfhule auf neun ober zehn Jahre (Claſſen) fteigern: 
eine frühzeitige Scheidung der Kinder in „niebere und „höhere 
halte ich deshalb nicht für unerläßlich, wol aber für ſehr bedenllich. 


V. Beiträge zum Ausban. 


31. Ein Beitrag zur Theorie und Pragis des Anfhauungsunterridts. 
.. Bon einem Glementarlehrer. Leobfhüg, Rölle. 1874. 46 ©, 





Pädagogik. 21 


32. Uebungsbuch für den Anfhauungs- und erſten Sprach⸗Unterricht 
von Louis Meyroſe, Lehrer in Schleiz. Dritte Auflage. Schleiz, Lämmel. 
1874. 36 ©. "Preis 30 Bf. 

33. Anihauungs-, Dent- und Sprehübungen für die erfte Elemen- 
tarclaffe von H. 3. Boßhardt. Erſter, beichreibenver Theil. Zweite 
Auflage. Zürid, Meyer und Zeller. 1874. 128 ©. "Preis 1,60 Mar. 


34. Praktiſche Anmwelfung zu einem den Fachunterricht der Ober-lafien begrün⸗ 
denden Anfhauungsunterriht im Anfhluß an die Heimat und ihre 
nähfte Umgebung von Ernft Eckhardt, Director der höheren Pürgerfgule 
zu Glauchau. Leipzig, Klinkhardt. 1874. 115 ©. Preis 1,20 Mark. 


In meiner „Methodik der Volksſchule“ babe ich mich ausführlich 
über den Anjhauungsunierricht ausgeſprochen. Wenn bie dort nieder⸗ 
gelegten Anfichten, wie ich glaube, richtig find, fo entjpricht Feine ber 
angezeigten Schriften vollftändig den Forderungen der Pädagogik. 
Zwar ignoriren diefelben nicht völlig das formale Unterrichtsprincip; 
allein ſie ftellen doch einzelne Unterrichts ſt offe jo ſtark in den Vorder⸗ 
grund, daß die planmäßige, durchgreifende und alljeitige Gymnaſtik 
der jugendlichen Geifter, welche ich als den weſentlichſten Zweck des 
Anſchauungsunterrichts betrachte, nicht in befriedigender Weife erzielt 
werden Tann. Es drängt fich bier, wie auch jonft vielfah, die Ten⸗ 
den; unferer Zeit, das Kind möglihft frühzeitig recht viel lernen 
zu laſſen, noch immer über Gebühr herbor. 

Nr. 31, ala Arbeit eines „lementarlehrerd” immerhin aner- 
Iennenswertb, enthält in feinem theoretifhen Theil noch manche An— 
Hänge an veraltete piychologijche Meinungen, dagegen fein bejtimmtes 
Princip des Anjhauungsunterrichts, im praftifchen Theile aber eine 
Heihe von Lehrftüden, bie der inneren Einheit und Planmäßigfeit er- 
mangeln. — Auch in Nr. 32 find die Lehritoffe ohne höheren Plan, 
vielmehr einfeitig nah ſprachlichen SKategorieen zulammengeftellt. 
Veberbies ijt das „Uebungsbuch“ offenbar für die Hand der Kinder 
beitimmt, was ich als einen Mißgriff betrachte. — Nr. 33 ift bebeu- 
tender, mehr durchdacht, dem richtigen Wege ſich annähernd, mehrfach 
aber in jpecielle Sachgebiete übergreifend und etiva3 monoton. — 
Nr. 34, die gebiegenfte der angezeigten Schriften, vertritt die ganz 
richtige Anficht, daß der Anfchauungsunterricht, dem Yachunterrichte 
borarbeiten, ihm einen feiten Grund bereiten und den Weg bahnen 
ſolle. Sehr gut ift au der Sab: „Zu dem natürlichen Wege muß 
die Schule zurüdlehren; das Wortemachen muß hinaus, — bie Welt 
der Dinge muß herein, oder mit andern Worten, ber fogenannte An- 
fchauungsunterricht, über den oft Ignoranten hochmüthig abgeurtbeilt 

aben, muß — weil ja bie Sinne die Thore des Geifted find und 
bleiben — beilig gehalten und gepflegt werben.” Allein in der pral- 
tiſchen Ausführung greift auch Herr Edarbt zu früh in fpecielle Sach— 
gebiete über; er gibt zu viel des Stoffes, fein Anfchauungsunterricht 
wird Sachunterricht, während er denfelben nur vorbereiten follte. 
35. Wilke's Bildertafeln für den Anfhauungsunterriht. Rad 


pãdagogiſchen rorfejlägen von 8. Seinemann, dirigirendem und Seminar- 
Tehrer zu Wolfenbüttel. Neu gezeichnet von A. Toller. Lithographie und 


22 Pädagogik. 


Farbendrud von F. M. Gtraßberger in Leipzig. Erſte Lieferung. 

Braunfchmweig, Wreden. 1874. Preis 4 Marf. 

Auf den acht Tafeln ber vorliegenden Lieferung find folgende 
Gegenftände dargeftellt: Wirtſchaftshof, Kornſcheuer, Viebftall,, Dorf, 
Feld, Obfternte, Wald, Winter. — Diefe fchönen Bildertafeln be= 
reiten, wie ich aus Erfahrung weiß, den Kindern viel freude und 
bieten einen reihen Stoff zu belehrenden Geſprächen. Am beiten 
fönnen fie verwendet werden in der Kinderftube (Familie), in Kinders 
gärten und Kinderbewahranftalten, in den Elementarclafien kleiner 
Schulen, befonders Privatichulen. Für den Mafjenunterricht, wie er 
in unferen ſtark angefüllten Volksſchulen ertheilt werben muß, eignen 
fie fi) weniger, da, obwol fie nicht überfüllt find, doch ihr Mapftab 
im Ganzen und indbefondere das Einzelne zu Elein ift, al8 daß es bon 
oem größeren “Theile einer Glafle gleichzeitig genau geſehen werden 
önnte. 


36. Veranſchaulichung der Zeiteintheilung (zwei colorirte Tafeln). 
Ein Lehrmittel zum Anſchauungsunterrichte in Elementarſchulen, Volks⸗ 
fhulen, Taubftummen»Anftalten, Spioten-Anflalten, Schulen für Schwach⸗ 
befäbtgte, Kindergärten u. f. w. ven Heinrich Soder, Taubſtummenlehrer 
in Stade. Wien, Pichler. 1874. Preis in Mappe 1 Thlr. 3 Gr., auf 
Dedel aufgezogen 2 Ihlr. 


Mit Recht betont der Berfafjer des vorliegenden Lehrmittel, daß 
e3 eine wichtige und nicht ganz leichte Aufgabe des Anjchauungs- 
unterrichtes fei, den Kindern die Beitvorftellungen klar zu machen 
und feit einzuprägen. „Die vorliegenden Tafeln find nun dazu be=- 
ftimmt, die Eintheilung der Minute, der Stunde, des Tages (nebft 
Zu⸗ und Abnehmen beffelben), der Woche, des Monats, des Jahres 
und endlich auf letter Stufe auch die Zeitunterfchiede auf der Erbe 
zu veranſchaulichen.“ — Offenbar aber beruhen die Zeitvorſtellungen 
mejentlih auf inneren Anſchauungen, auf dem Empfinden, dem 
Gedächtniß und dem Erinnerungspermögen ber Seele; durch 
äußere Anichauungen können nur Symbole der Seit dargeboten 
werben, die Zeit ſelbſt aber erfaßt weder ein vollfinniges, nod) ein 
taubes ober geiſtesſchwaches Kind an Abbildungen. Wird bier zu viel 
mit Lehrmitteln gearbeitet, jo entiteht die Gefahr, daß das Symbol 
an die Stelle der Sache jelbft trete und fie verdecke. — Was eine 
Secunde, eine Minute fei, erfährt das Sind am beiten, wenn ich ihm 
ſolche Beittheile vorzähle durch hörbare oder fichtbare rhythmifche 
Schläge und es fo zu der Empfindung ber entſprechenden Dauer 
bringe; mas ein Tag ſei, faßt ed am beiten durch das bemußte Ab— 
warten, Durdleben, Beobachten eines Tages u. f. w. — Hiermit 
fol den angezeigten Tafeln nicht jeder Werth abgeiprochen werben, 
vielmehr wirb der lementarlehrer aus benfelben unterftügende 
Momente für feinen Unterricht entlehnen Fönnen. Nur ſoll man auf 
dem bier in Frage ftehenden Gebiete der Tindlichen Entwidelung gra= 
phifche Lehrmittel nicht überfhäten, und außerdem bürfte ber 
Lehrer durch eigenes Vorzeichnen an der Wandtafel mehr ausrichten, 








Pãdagogik. | 23 


als durch Vorzeigen eine fertigen Bildes, welches, wie gejagt, ben 

Kindern nur allzuleicht ald das eigentliche Erlenninißobjeci erfcheint, 

37. 95 pädagogifhe Thefen von Anguft Vogel, der Philoſophie Doctor 
und Rector der böheren Bürgerfchule in Potstam, Wittenberg, Herrofe. 
1875. 238 5 Gr. 

Der Titel Elingt ſehr reformatoriſch, der inhalt gibt zu mancherlei 
Bedenken Anlaß. Wir theilen bier zur Prüfung einige ber Thejen 
des Herrn Vogel mit: „Das Claffenfyftem ift nur ein Nothbehelf 
und muß dem Fachſyſtem weichen. Der abgejonderte Anſchauungs⸗ 
unterricht entnimmt jeinen Stoff den übrigen Disciplinen und bat 
daher feinen Anſpruch auf Selbftftänbigfeit. Das Leſebuch muß ein 
zufammenbängendes Ganze darftellen, defien Faden ein geichichtlicher 
ift. Der naturgejchichtlicde Unterricht muß mit der Zoologie begonnen 
werben. Das jogenannte Tactſchreiben ift ala ein nur mechaniſches 
Berjahren zu verwerfen.“ — Herr Vogel verfpricht feine Thefen in 
einem größeren Werle zu begründen, was ihm fchwerlich durchaus ge- 
lingen wird; fie machen theilweife den Eindrud der Unreife. 

38. Sedanten über Erztebung und lUnterridt. Don Johannes 

Aprent. Leipzig, Dito Wigand. 1874. 128 ©. Preis 1,80 Mart. 
Sechs Reihen von Aphorismen über folgende Themata: ‚Der 

Erzieher und feine Aufgabe. Die Enttwidelung des Menfchen in ber 

menſchlichen Geſellſchaft. Die Welt der Vorftellungen. Die Spielzeit 

des Kindes. ‘Der naturgemäße Unterricht. Der Sinn für das Gute. “_ 

Nah Inhalt und Form ein fehr anſprechendes Büchlein; es enthält 

eine Fülle wahrer und fchöner Gedanken in eleganter Darftellung, 

Nur ſelten kommt eine fübdentiche Fügung dor, mie „übergeht“ ftatt: 

geht über, „wenn wir willen würden‘ ftatt: wenn Wir wüßten — 

Kleinigkeiten, die dem Ganzen keinen Eintrag thun. 

39. Der Schulgarten. Ein Beitrag Kr Löfung der Aufgabe unferer öffente 
lichen Erziebung.e Bon Brof. Dr. Erasmus Schwab, Tirector des 
Biener Communal⸗Gymnafiums » Dritte, vermebrte und verbefferte Auf⸗ 
lage. Mit drei Plänen. Wien, Hölzel. 1874. 40 ©. Sgr 
Die erſte Auflage dieſes Schriftchens iſt im 22. Bande des 

„Päd. Jahresber.“ beſprochen. Es iſt erfreulich, daß es fo viel Bei⸗ 

fall gefunden hat, und wir können es nur auf's Neue beſtens em⸗ 

pfehlen. 

40. Die Schule im Dienſte der Landescultur. Kleine volkewirtſchaft⸗ 
he Skizzen von Adolpb Nitter von Obentraut, f. k. Bezirks haupt⸗ 
mann in Zetfhen. Mit zehn Tafeln Abbildungen. Wien, Bihler. 1875. 
106 ©. Text. 2 Marf. 

Die zwölf Aufjäge dieſes fchönen Büchleins behandeln folgende 
Shemata: „Landwirtichaft im Allgemeinen. Weber einige der Land⸗ 
wirtfchaft ſchädliche Gewohnheiten. Gejete zum Schute der Boden⸗ 
auftur. Ueber einige der Landwirtſchaft Ihädliche Thiere. Die befier 
derten Sänger. Obſtbaumzucht und Allen. Gartenbau. Bienen- 
und Seidenzucht. Commaſſation. Einige Worte zum Schuge des 
aa Etwas über Drtöverfchönerung. Landmwirtfchaftlihe Fach⸗ 

e.“ — 


24 Pädagogik. 


Veberall, wo es nöthig ift, find zur Beranjchaulichung der bor- 
getragenen Lehren gelungene Abbildungen beigegeben. In bes.Eins 
leitung jagt der Herr Verfaſſer; „Die dankbarfte Aufgabe der Schule 
ift die Pflege des Gemeinfinnes, diefer Perle unter den bürgerlichen 
Tugenden. Sol die Schule ihrer praktiſchen Richtung treu bleiben, 
dann Tann fie fih nicht auf das formale Lob des Gemeinfinnes be- 
fchränten, es Tann ihr nicht genügen, gefchichtliche Beifpiele von Ge— 
meinfinn dem Gedächtniß der Schüler einzuprägen, fie wird vielmehr 
die Aufgabe haben, darauf hinzuweiſen, wie fi mit Rüdficht auf bie 
Ver hälmiffe des Lebens und die Geftaltung der öffentlichen Zuſtände 
in unferem Baterlande der Gemeinfinn der Allgemeinheit nutzbar 
machen, tie er inäbefondere in Aderbau treibenden Gegenden zum 
Beften der Landwirtſchaft veriverthet werden fann ... Diefes Kleine 
Werkchen foll den Lehrer darauf hinmweifen, was bon der Schule aus 
für die Intereſſen der Landwirtſchaft gemwirkt werden Tann. Es fol 
ihm das Material bieten, um bei dem einen ober anderen Unterrichts- 
gegenftande fo recht ins praktiſche Leben hineinzugreifen.’ 

Ein ſelbſtſtändiger Sachunterricht über Landwirtichaft gehört frei- 
Lich nicht in die Voltsſchule. Dennoch kann der Lehrer, beſonders im 
naturfunblichen Unterrichte und außer der Schule durch gelegentliche 
Rathſchläge, gar Manches zur Förterung der Lanbwirtichaft beitragen. 
Das vorliegende Echriftchen bietet ihm hierzu ein werthvolles Material 
und Tann daher allen Landſchullehrern beftend empfohlen werben. 

41. Einige wichtige Fragen, das höbere Mädchenſchulweſen betreffend. 
Bon El. Nohl, Director der böberen Tüchterichule und Pebrerinnen« 
Bildungsanitalt in Neuwied. Neuwied, Heufer. 1874. 42 S. Preis 60 Pf. 
Die Hauptfrage, welche in biefem Schriftchen erörtert wird, be— 

trifft das Lehrerperſonal ber höheren Mäbchenfchulen. Der Herr 

Verfaſſer, welcher ſich als ein einfihtövoller und erfahrener Schulmann 

zeigt, und in deſſen Auseinanverfegungen überbied eine erfreuliche 

Dffenberzigfeit maltet, bemerkt unter Anderem: „Es find eine große 

Anzahl von Lehrern an GEymnaſien und Realanftalten eher alles 

andere, als Erzieher. Es fehlt ihnen an dem Grunderforderniß zu 

einem Erzieher, daß er nämlich fich felbft in die Zucht zu nehmen 
veriteht. Von finnlos gegebenen Strafarbeiten, von leidenfchaftlichen 

Obrfeigen und Prügeln, von einer wahren Manie mandjer Lehrer, 

ihren Schülern die barmlofeiten Freuden zu verberben, über kleine 

Verſehen derfelben, die faum der Rebe werth find, fi) maßlos zu er- 

eifern, davon fünnte die Chronik mander Schule Wunderdinge ers 

zäblen. Es ift ohne Frage manchem Lehrer die Erinnerung an bie 
eigene Schule abhanden gelommen, er hat völlig vergeflen, daß er 
mit Fehlern, über die er fich bei feinen Schülern fo ſchnell edhauffirt, 
felbft feiner Zeit behaftet geweſen, daß fie mit den Jahren ganz bon 
felbft verfchtwunden find, jedenfalls aber ihn nicht verhindert haben, 
e3 zum „Lehrer der Menſchheit“ zu bringen. Züchtigen, Einfperren, 

Anfchnauzgen, das find Hauptartilel des Erziehungskatechismus einer 

nicht geringen Anzahl unferer Schultyrannen. Das ſchöne Peſtalozzi'ſche 


Pädagogik. 25 


Wort, daß man die Jugend lieb haben müfle, um mit Segen an ihr 
zu arbeiten, ift in demſelben nicht zu finden. Statt die Perfönlichkeit 
des Schüler8 durch eine würdige, anftändige Behandlung über bie 
Sphäre der Yabheiten, Dummbheiten, Bübereien emporzuheben, werben 
durch eine Art Schreckensſyſtem die einen verfchüchtert, die andern zu 
nichtswürdigen, frechen Handlungen aufgereizt oder ein verſtocktes Weſen 
in ihnen erzeugt; wie es in ben Wald fchallt, jo ſchallt es wieder 
heraus. Bon einer ernften, fittlihen, mit gewiſſenhafter Treue und 
mit vorfichtiger Beachtung jeder Individualität zu vollführenden Arbeit 
an den einzelnen Schlilern, deren jeder einzelne ein wirklicher Zögling, 
ein wirklicher Pflegling fein Toll, haben dieſe Herren Erzieher feine 
Ahnung. Immer in demfelben unfreundlicdyen, herrifchen, ja oft bur- 
ſchikoſen Weſen werden die Etunden gegeben, immer derſelbe Miß— 
brauch der durch ihre Stellung ihnen gegebenen Webergemwalt über die 
zum Schweigen und Dulden verurtbeilte Jugend ... Jedenfalls 
werden aus dieſem Material die geeigneten Lehrfräfte für Mädchen 
nit gewonnen... Es gehört zu den Unbegreiflichfeiten unſeres 
höheren Schulweſens, baß die alademifch gebildeten Lehrer nirgendwo 
in der Kunſt des Lehrens unterrichtet werden . .. Denn von dem 
Werth des jogenannten Probejahrs im Ernſt zu reden, wirb ja Nie: 
mandem einfallen, der von diefer Einrichtung nur die geringfte praf- 
tiſche Kenntniß beißt... : Im Gegenfage hierzu bat doch eine 
Lehrerin, die eine orbentlihe Mädchenſchule mit Lehrerinnenfeminar 
durchgemacht bat, ihren pädagogifchen Lehrcurſus gehabt und unter ber 
Zeitung des Directord oder eines tüchtigen Stellvertreterö deſſelben ſich 
längere Zeit praktisch im Unterrichten geübt. Fügen mir noch hinzu, 
daß die Anftellung junger, unverheiratheter Lehrer an Mädchenſchulen 
befonders ben beranreifenden und berangereiften Schülerinnen gegen 
über im Allgemeinen nicht ohne Bedenfen ift, daß dagegen die An⸗ 
ftellung älterer Lehrer leicht die Gefahr in fih birgt, daß vdiefetben 
entweder als langjährige Knabenlehrer ſich in die theilweife fo ganz 
andere Art des Mädchenunterrichtes ſchwer oder gar nicht finden können, 
oder daß die väterliche Gemüthlichleit auf Koſten des Unterrichtes leicht 
zur Schläfrigfeit oder zur Lehrtändelei wird, fo ift wol genug gejagt 
toorden, um wenigſtens die nähere Unterjuchung zu rechtfertigen, ob es 
nicht geeignet erjcheint, den Unterriht an Mädchenſchulen vorzugs- 
weife in die Hand tüchtiger, gebildeter Lehrerinnen zu legen.“ 

Ich Stimme Herrn Nohl unbedenflih bei, wenn er für bie 
Lehrerinnen eintritt, vermiſſe aber bei ihm die Erörterung einer wid 
tigen und ſehr naheliegenven Frage, ber nämlih, ob nur Jungfrauen 
und Wittwen, oder auch Ehefrauen als öffentliche Lehrerinnen angeftellt 
werden follen. Belanntlidh wird dieſe Frage au in den Geſetz⸗ 
gebungen verjchieden beantwortet, indem 3. B. in Sachſen die Ber: 
beiratbung eimer Lehrerin ihren Dienftaustritt zur Folge bat, in 
Defterreich hingegen aud Ehefrauen Lehrerinnen fein können und 
wirklich find. Herrn Nohl's Votum über diefen Punkt würde gewiß 
Bielen interefjant fein. 








26 Padagogif. 


42. Vädagogiſches Skizzenbuch von Lubwig Roird. Leipzig, Belt u. 
Comp. 1874. 331 S. Preis 6 Mar. i 
Sn diefen Skizzen werben folgende Themata beſprochen: ‚Die 

Claffiler und die Schule. Die Behandlung der deutſchen Claſſiker in 

der Schule. Ueber Erklärer deutſcher Dichter. Beifpiele dichteriſcher 

interpretation. Das Spradhftudium, die Grundlage höherer Geiſtes⸗ 
bildung. Die Gefahr der Einfeitigleit in den Sprachſtudien. Tobtes 

Wiſſen. Kortichritte des Naturwiffens und ihr Einfluß auf das 

Geifteöleben. Schulmeifterkrantheiten. Die Kunft und der Meiſter. 

Die ideale Bildung. Zum Leben der beutihen Sprache.“ — Ein 

geiftreiches, von eblem Idealismus getragened und elegant gefchriebenes 

Bud, welches Gymnaſiallehrern eine anregende Lectüre gewährt und 

beſonders pebantifchen Philologen fehr zur Beherzigung zu empfehlen 

ift. Allerdings fpricht es bie und da rein individuelle Anſichten aus, 
bie feinen Anipruh auf abjolute Giltigleit haben; aber gerade bie 
feifche Unmittelbarleit, mit welcher diefe Skizzen entworfen find, ift ein 

Vorzug derſelben; namentlih weiß der Berfafler Schulmeifterfiguren 

und Schulmeiftermißgriffe trefflich zu fchilbern. 

43. Gedenkblätter für Schule und Leben. Reden von Heinrich Bone, Prof. 
u. Symnaflaldir. Freiburg im Br., Gerber. 1873. 165 &. Preis 2,25 IRE. 

44 Reden bei Echulfeierlichleiten , ebalten von Dr. R. D. Gilbert, Geb. 

Kirchen: u. Schulrathe u. f. w. Leipzig, Teubner. 1874. 152 5. Preis 2,80 ME. 
Die Reden der unter Nr. 43 angezeigten Sammlung find ſämmt⸗ 
lich in einem Gymnafium, die ber folgenden theils in verſchiedenen 

Gymnaſien, theild in Lehrerſeminaren und verwandten Bilbungsftätten 

gehalten worden. Natürlich treten in Neben neben allgemein giltigen 

Anfichten immer auch die perfönlichen Gedanlen und Tendenzen ber 

Nebner hervor, und gerade dies verleiht ihnen ein befonderes Intereſſe. 

Wenn alfo auch felbftverftändlich nicht Alles, was in den vorliegenden 

Sammlungen Ausdruck gefunden hat, auf Jedermanns Zuftimmung 

Anſpruch macht, jo geben doch biefe Neben überall Zeugniß von ber 

gereiften Einficht und reihen Erfahrung ihrer Autoren. 

45. Leipziger Blätter für Pädagogik. Herausgegeben vom Päbagogis 
fen DBereine zu Leipzig. Sieben Jabrgänge (Bände), 1867—1873. 
Leipzig. Brandfletter. Preis des Bandes 5 Marl. 

46. Pädagogifhe Blätter für Lehrerbildung und Tebrerbildungss 
anftalten. Unter Mitwirfung einer Anzahl Schulmänner herausgegeben 
von C. Kehr, Seminardirector in Halberitadt. Gotha, Ihienemann. 

47. Deutfhe Blätter für erziehenden Unterricht. Unter Mitwirkun 
von Dr. Bartholomät, Baumert u. f. w. beraufgegeben von Friedri 
Mann. 1874. Erſtes Quartalheft. 1 Mark. Langenfalza, Beyer. 1874. 
Mr. 45 enthält einen reihen Schag höchſt gebiegener Abhand⸗ 

lungen über Themata aus den verjchiedeniten Gebieten der pädagogi⸗ 

ſchen Wiſſenſchaft; die Tendenz derſelben ift eine entichieden freifinnige. 

Das Werk, welches nunmehr abgeichlofien ift, verdient in jeder päda⸗ 

gogifchen Bücherfammlung einen Platz; und wer entweder feine eigene 

ober eine Vereinsbibliothek mit den michtigften Erzeugniffen ber mo⸗ 
denen Schul: und Erziehungswifienichaft ausftatten will, verichaffe 


Pädagogik, 27 


fich die „Leipziger Blätter”, jo lange fie noch im Buchhandel zu haben 
find. — Bon den Kehr' ſchen Blättern (Nr. 46), die wir fchon wieber- 
bolt im ‚Päd. Jahresber.“ angezeigt haben, liegt uns bereits das erfte 
Heft des vierten Bandes vor (1875). Diejelben befaflen fih zwar 
vorzugsweiſe mit Lehrerbildung und Seminarweſen, bringen aber fort- 
während aud Artikel zur Förderung ber Methodil überhaupt. Mit 
Nüdficht auf die Gebiegenheit ber Bier niebergelegten Arbeiten können 
wir das Unternehmen nur auf3 Neue empfehlen. — Nr. 47 bringt 
„Pſychologiſche Briefe‘ von Vogt, mehrere Artikel über Amos Comes 
nius von Schurig, zwei ſchulwiſſenſchaftliche Auffäge von Sallwürk, 
Methodifches über den Religionsunterricht, Rechenunterridht, phyſikali⸗ 
fchen Unterriht, Sing: und Zeichenunterricht von verfchiedenen Ber- 
fafjern. Da diefe Zeitfchrift neu ift und erft in einem Hefte vorliegt, 
dürfte ein Urtheil über diefelbe noch verfrüht fein. 


VI. Gefundheitspflege. 


48. Die Befundhettspflege im Allgemeinen und binfichtlih der Schule 

im Befonderen. Weberfichtlih dargeſtellt für Lehrer nach feinen Borträgen 

im fRädtifchen ‚Bäbegogtum und In den . k. Lehrer⸗ und Lehrerinnen⸗ 

Bildungdanftalten in Wien von Dr. Morig Gaufter, ?. k. Sanitätörathe 

u. ſ. w. Mit einer Tafel Abbildungen. ien, Bihler, 1874. 301 ©. 

Preis 3 Mark 60 Pf. 

Das Buch erörtert in der Einleitung Weſen und Bebeutung ber 
Sefundheit fowie ihrer Pflege im Allgemeinen, gibt dann eine über: 
fichtliche Befchreibung des menfchlichen Körpers, worauf die generelle 
Gefundheitöpflege der Luft, bes Waſſers, des Bodens und Klima's, 
der Mohnung, der Nahrung, der Kleidung, Körperpflege und Be- 
wegung, der Beichäftigung, bes Gefchlechtölebens und des Schutzes 
gegen anftedlende Krankheiten abgehandelt wird. Im zweiten Haupt- 
theile if die Schul: Gejundheitspflege Gegenftand der Darftellung, 
wobei auch die fanitäre Ueberwachung und die hygieniſche Schulgeſetz⸗ 
gebung zur Beſprechung kommt. — Für bie Gebiegenheit bes In⸗ 
haltes bürgt die erprobte ärztliche Tüchtigkeit des Verfaſſers. 


49. Die Schulhäuſer und Schultiſche auf der Wiener Weltausftellung. 
Eine augenärztliche Kritit von Hermann Cohn, Dr. med. et phil., Docent 
der Augenhetlfunde an der Univerfität zu Breslau. Mit einer Tafel Ab⸗ 
bülbungen. Breolau, Morgenflern. 1873. 61 ©. Preis 1,20 Marl. 

Der befannte und verdiente Verfafler liefert uns bier eine Bes 
ſchreibung und Beurtheilung der zahlreichen Schulbäufer und Schul- 
tiſche, welche auf der Wiener Weltausftellung zu fehen waren, tobei 
er fih jedoch in Rüdfiht auf dad maflenhafte Material auf die für 
die Sehkraft der Kinder wichtigen Momente beichräntt bat. Bon 
allgemeinem Intereſſe dürfte es fein, daß Herr Dr. Cohn ver Chem» 
niger Schulbant den Preis zuerkennt, indem er bemerkt: „Für ben 

Schulgebrauch Habe ich Fein beſſeres und einfacheres Syſtem auf der 

Ausftelung gefunden, als das von Kunze (Bahſe).“ — Die Schrift 

iſt Lehrern, Anftitutsbefitern, Schulbehörden und denjenigen Bau⸗ 











28 Pädagogik. 


meiftern,, welche fi) mit Herftellung von Schulhäufern befafien, brin- 

gend zu empfehlen. 

50. Warnung eines Yugendfreundes vor dem gefährlichiten Jugendfeind, oder 
Belehrung über geheime Sünden, ibre Folgen, Hellung und Verhütung, 
durch Beifpiele aus dem Leben erläutert. Der Jugend und ihren Erziehern 
ans Herz gelegt von Dr. ©. ©. Kapff. Zwölfte Auflage. Gtuttgart, 
Steintopt. 1874. 9 ©. 4 Gr. 

Ein bereit3 längft belanntes, weſentlich vom religiöfen Stand⸗ 
punkte aus gefchriebenes Büchlein, ſtellenweiſe fehr grell auftragend 
und übertreibend. Doch kann ihm belehrende und warnende Kraft 
nicht abgeſprochen werben. Der beite Schuß, reip. Helfer für bie 
irrende Jugend wird freilich immer ein wachſamer Erzieher, ein treuer 
perfönliher Rathgeber fein, woneben allerdings ein Büchlein wie das 
vorliegende eine wirffame Unterftüßung zu bieten bermag. 

51. Wie Hilft man in plöglicher Lebensgefahr? Ein Ratbgeber für Jeder⸗ 
mann von Dr. Guſtav Meyher, prakt. Arzt und Docent an der Kaiferl. 
Univerfität zu Dorpat. Mit einer lithographirten Tafel. Zweite Auflage. 
Dorpat, Gläſer. 1873. 126 S. Preis 3,60 Mark. 

Nah einem allgemeinen anthropologiſchen Eingange werden bie 
Hilfleiftungen an Scheintodten (Ohnmächtigen, Erbroffelten, Verſchüt⸗ 
teten, Erfrorenen u. |. w.), ferner bei Unglüdsfällen und Verwun— 
bungen (Knochenbrüche u. |. w.) und bei Vergiftungen der verſchieden⸗ 
ften Art befchrieben. Das Werkchen ift für Nicht- Aerzte bejtimmt, 
daher allgemein verftändlih abgefaßt. Es beruht unzweifelhaft auf 
tüchtiger, ächt fachmänniſcher Sachkenntniß und Tann in den Händen 
veritändiger Laien viel Gutes ftiften. 


VOL Reformſchriften. 


Zwar enthalten auch mehrere der bereit3 angeführten Schriften 
verfchiedene Beſſerungsvorſchläge in Betreff unjeres Erziehungs⸗ und 
Unterrichtämwefend. Hier aber ſollen diejenigen literariichen Erzeugniſſe 
welche nicht nur gelegentlich und im Einzelnen, fondern ausdrüdli 
und im Großen auf Reformen in unferer öffentlichen Bildung aus. 
gehen, vorgeführt werden. Seit einigen Jahren bringt man, mie im 
Jahresbericht“ bereitö wiederholt hervorgehoben worden ift, von fo 
verſchiedenen Seiten und mit fo großem Nachdruck auf eine Neus 
geitaltung des deutſchen Schulweſens, daß wir vielleicht auf längere 
Zeit diefer Bewegung einen eigenen Abfchnitt in unferer Rebue wid⸗ 
men müſſen. 

52. Unfere Schulen im Dienfle gegen die Freiheit, Bon Eduard 

Sal. Braunfchweig, Bracke. 1874. 84 ©. Preis 1 Mark. 

In Träftigen Zügen ſchildert ver wackere Verfaſſer bie ſchweren 
Uebel, an denen unſere Schulen leiden, ſo daß dieſelben nicht im Stande 
ſind, ihre Aufgabe, ein freies, einheitliches und glückliches Volk heran⸗ 
zubilden, in befriedigender Weiſe zu löſen. Er ſchildert die bittere 
Armuth, welche es vielen Eltern unmöglich macht, ihren Kindern die 
Wolthat einer guten Schulbildung angedeihen zu laſſen, und welche 





Padagogik. 29 


überdied fo verhängnißvoll auf der Berufsfreudigfeit der Lehrer Laftet, 
ferner die Verkehrtheiten in den Unterrichtäplänen, bie verberbliche 
Herrſchaft des KHaftengeiftes im gefammten Schulweſen, die Weberfüls 
lung der meiften Vollsſchulen, bie verberblichen Maximen, nad welchen 
in der Regel die Schulinipectoren ausgewählt werben u. |. m. Es 
mag fein, daß Herr Sad bie und da etwas zu dunkle Farben auf- 
trägt, in einzelnen Punkten auch irriger Meinung ift. Aber im Ganzen 
ftinnme ich feinen Anſichten bei, und jedenfall verbient jeine höchſt 
anregende, ja aufrüttelnde Schrift allgemeine Beachtung. Zur näheren 
ec ihres Geistes und Stiles mögen einige Citate bier Platz 
nden: 

„Daß der ſprichwörtlich gewordene Hungerlohn, melden unfere 
Lebrer empfangen, bemoralifirend auf fie wirkt, babe ich ſchon ans 
gedeutet. Ich will mir fchlieplih nur noch den Hinweis geftatten, 
wie e3 gerade diefer Hungerlohn ift, welcher die Lehrer zu Dienern 
und Sklaven der Kirche und ber Regierung macht. Ahr eriter und 
letter Ehrgeiz ift ein freundliches Lächeln auf dem Geficht des Pfarrers, 
bes Schulrathg, des Präfidenten, deren Milde und Barmberzigfeit ihr 
Troft und ihre Hoffnung iſt.“ — „Die allgemeine Volksſchule verlange 
ih, damit in Wirklichkeit und Wahrheit auf den erften und wichtigften 
Srundjag der Demokratie die ganze Gejellichaft, die fociale Organija- 
tton geftellt werde: auf die Gleichheit alles deſſen, was Menſchen⸗ 
angeficht trägt. Es iſt ein barer Unfinn, die Gleichheit zu fordern, 
wenn wir die Stanbesfchulen beftehen laflen und die Kaltenbilbung 
dulden. Weber von gleichen Rechten noch von gleichen Pflichten Tann 
die Rede fein, wenn ber Werth eines Menſchen ald Bürgers von einem 
Zeugniſſe abhängig gemacht wird, dad man zivar in einer Schule: er- 
wirbt, aber nur, wenn man im Stande ifl, viele Jahre hindurch eine 
Schwere Abgabe an diefelbe zu entrichten. Kinder, deren Eltern nicht 
im Stande find, diefe ſchwere Abgabe zu entrichten, Tönnen, wenn fie 
auch fehr fleißig, ſehr gewifienhaft find, jenes Zeugniß nicht eriverben, 
fie find verdammt für die „unterfte Schicht‘, die arbeiten und darben, 
glauben und gehorhen muß — fie werden „gemeines Boll. — 
„Geben wir uns feiner Täufhung hin: von ben Parteien, welche 
gegenwärtig im Staat und in ben Gemeinden herrſchen, d. h. die 
Gejege machen und deren Befolgung erzwingen, iſt für die Volfsbil- 
dung nichts zu hoffen. Die allgemeine Volksſchule, die einzige Orga⸗ 
nifation, melde und genügen Tann, bürfen wir von diefer Partei 
nimmermebr erwarten. Monopole und Privilegien werben niemals 
aufgegeben, ſondern immer bartnädig vertheibigt; nicht eine herrſchende 
Partei liefert fie aus, fondern nur eine befiegte. Darum ift ed eine 
Thorheit, auf neue Unterrichtögejeße die Hoffnung zu richten, jo lange 
wir nicht den neuen Staat, den reinen Volksſtaat haben. Die allge 
meine Volksſchule gehört im demokratiſchen Staat zu jenen Einrichtungen, 
die fih einfach von felbft verfiehen, man verliert ihretwegen fein 
Wort; ebenjo felbftverftändlih ift im Militärftant die Stanbesfchule 
und die Kaftenerziehung; fie ift der Grund, in welchem das Schiff 


30 Pädagogik, 


ankert. Darum ift e8 auch weiter eine Thorbeit, von einem neuen 

Minifter oder einem neuen Fürften eine Umgeftaltung des Schulweſens 

zu erwarten. Seiner bat auch nur die Preßfreibeit ertragen; und fie 

ſollten die freie Schule nicht fürchten?” — 

55. Pädagogifhe Zeit- und Gtreitfragen. Bon Dr. phil. Paul 
Schramm. Preisgefrönt vom „Derein für Reform ber Säule“ in Berlin. 
Münden, Franz. 1874. 80 &. Preis 1 Mark. 

Ungefähr gleihen Geiſtes, wie die borber angezeigte Schrift. 
Die drei Hauptfragen, welche erörtert werben, lauten: „Weldes find 
die nothivendigen Vorbedingungen einer guten Erziehung in Familie, 
Schule und Staat? Weldes find die Mängel des heutigen Volls⸗ 
ſchulweſens und im Allgemeinen bie des höheren Schulweiend? Wie 
ift die normale Volksſchule zu organifiren und in organifcpen Zu⸗ 
ſammenhang mit den höheren Schulen zu bringen?“ In der 
Hauptſache ſtellt ſich unſer Urtheil zu dieſer Schrift ebenfo, wie zu 
F von Sack; möge alſo auch ſie recht viele und unbefangene Lehrer 

nden. 

54. Schulaufſicht und Lehrerbildung in Baiern. Beiträge zur Reform 
des Volksſchulweſens. Don einem Schulmanne. Würzburg, Etuber. 1874. 
46 ©. Preis 60 Pf. 

Die beiden im Titel bezeichneten Themata werben mit Sach— 
fenntniß, in freifinnigem Geifte und in gelungener Form behanbelt. 
Der Verfaſſer fommt zu dem Ergebniß: ‚Die Volksſchule ber Gegen⸗ 
wart wird ihre Ziele nur dann erreihen, wenn die Schulaufficht 
theoretiſch und praktiſch gebildeten Schulmännern übertragen wird, und 
wenn der Staat die Lehrerbildung in einer Weiſe reorganifirt und 
ſolche Vorkehrung trifft, welche den Lebrerfiand befähigt, aus fich 
heraus bie Kräfte für das höhere Volksſchulamt zu entwideln.” — 
Diefe Schrift bildet zu den beiden vorigen eine Ergänzung und ver⸗ 
dient gleich jenen alle Beachtung. 

55. Mängel und Mipftände im höheren Schulwefen. Bon EI. 
Kohl, Director der höheren Töchterfchule und aeberrinnenbilbungdanftait 
zu Neuied. Neuwied und Leipzig, Heufer. 1874. 60 ©. 6 Gr. 

Macht einen eben jo vortheilhaften Einbrud, Die die bereitö oben 
angezeigte Schrift beflelben Verfaſſers. „Unter ben Uebelftänden‘, ber 
oinnt bier Herr Nohl, „ja unter den Rrankheitsericheinungen des 
höheren Schulweſens finden wir gegenwärtig in erfter Linie ben 
Mangelan braudbaren, tühtigen Lehrern.” Diefer Sag 
wird fpeciell ausgeführt und hierauf gezeigt, an welchen Gebrechen 
in der Regel der Unterridt an höheren Schulen in ben verſchiedenen 
Fächern (Religion, Deutſch, fremde Sprachen, Geſchichte, Geogranhie, 
Naturwiflenfchaften, Rechnen und Mathematik) leidet. Als Heilmittel 
gegenüber den vorgeführten Mängeln madt der Verfaſſer folgenden 
Vorſchlag: „Es muß das alabemiihe Studium unferer Philologen 
fünftig fowol in ber wiſſenſchaftlichen Materie ald auch in ber Be⸗ 
arbeitung derſelben bie Schule mehr ind Auge fallen; es muß bie 
Univerfität den Zünftigen Schulmännern die Mittel barbieten, fich 














Pädagogik. 31 


theoretifh und praftifh auf ihren fpeciellen Lehr⸗ und Erzieherberuf 

genügend vorzubereiten.” — Herr Nohl meint: „Ich fehe voraus, 

Daß viele meiner Collegen vom Lehrfach mir die Veröffentlihung dieſes 

Büchleins übel nehmen und ed tadeln werben, daß ein Lehrer fo über 

Zehrer ſchreibt.“ — Wer aber gerecht ift, wird finden, daß Herr Nohl 

nicht um zu ſchmähen, fondern um zu befjern das Wort ergriffen bat; 

und dies macht ihm alle Ehre. Sn einer fo ernften Sade, wie die 

Säule if, muß alles Vertuſchen und Mebertünden dunkler Flecken 

verworfen werben. 

56. Ueber Reformbeftrebungen auf dem Gebiete der Realfchule Bon 
Adolph Lang, k. k. Landesfchulinfpector. Wien, Müller. 1874. 20 ©. 

Mit Acht pädagogiſchem Geifte mahnt hier ein durch Scharfblid 
und Erfahrung hervorragender Schulmann zum Maßhalten in ber 

Zahl und dem Umfange der Lehrfächer unferer höheren Schulen, da⸗ 

mit nicht im Uebereifer für die Unterrihtsobjecte bie Unterrichts- 

ſubjecte gejhäbigt, nicht durch einen allzu mannigfaltigen und 
maffenhaften Lehrftoff die Schüler an Leib und Geift zu Boden ge 
brüdt werden. Man wird fich nicht entjchlagen können, biefem in ber 

Broſchüre wol motivirten Mahnrufe endlich Gehör zu ſchenken. 

57. Das Mißverhältniß zwifhen geifliger und körperlicher Aus» 
Bildung und feine Folgen —— begründet. Eine Mahnung 
für Eltern und Erzieher von Dr. Guſtav Münch in Worms. Manns 
beim, Schneider. 1874. 36 S. Preis 1 Marl. 

Diefe Stimme eines Arztes dient zur näheren Begründung der 
foeben berührten Forderung ber Pädagogik. Die Hauptthemata, 
welche Herr Münch behandelt, lauten: „Geift und Körper und ihr 
wechſelſeitiges Verhältniß. Directe und indirecte Folgen überwiegender 
geiftiger Beichäftigung. Wege zur Harmonie geiftiger und körperlicher 
Ausbildung.“ 

58. Bur Reformfrage des bremifhen Mädchenſchulweſens von Auguſt 
de Fries, Schulvorſteher in Bremen. Bremen, Balett u. Comp. 1874. 

31 S. Preis 90 Pf. 

Die Hauptgedanken dieſes Vortrages liegen in folgenden Säten: 
„Der gegenwärtige Zuftand unferes Mädchenſchulweſens iſt im Großen 
und Ganzen unbaltbar; das niedere, weil es noch nicht vollftändig 
vom Knabenſchulweſen getrennt tft, und das höhere, weil es auf 
Speeulation beruht.” — „Ich erachte es für einen völlig veralteten, 
völlig unvernünftigen Zuftand unferer ſchuliſchen Verhältniffe, wenn 
man einen jo wichtigen Zweig des höheren Unterrichtsweſens thatſäch⸗ 
lich ganz in die Hände von Privatperfonen legt und ich behaupte, daß 
die verworrenen Verhältnifie unferes höheren Töchterſchulweſens haupt- 
fählich ihren Grund darin haben, daß es auf dem Princip der Rente- 
Bilttät baſirt; mit anderen Worten, daß es aus Privatinftituten be 
ſteht.“ — „Angefihts ber eben dharakterifirten unbaltbaren Zuftände 
unferes höheren Mädchenſchulweſens verlange ich fefte, vom Stante 
gerantirte Normen der inneren und äußeren Organifation, innerhalb 
welcher fich ſowol Vorſteher als Lehrer zu bewegen haben, und ferner 


32 Pädagogif. 


eine conftitutionelle Schulverfafjung, das heißt, für jedes Mitglied bes 
Lehrercollegiums das Recht eines votirenden Mitgliedes der regelmäßig 
abzubaltenden Schulconferenzen ; verlange ich endlich eine ſachverſtändige 
Controle und Bertretung der nterefien der Mäpchenfchulen.”” — In 
einigen Punkten, 3 3 in Betreff des Verhältniſſes zwiſchen Anaben- 
und Mädchenſchulen, in Betreff der Begabung und focialen Stellung 
des weiblichen Gefchlechtes, glaube ih mit dem Herm Berfafler nicht 
gänz’ich übereinjtimmen zu Tönnen. Aber feine Rede muß ich loben: 
fie iſt ein offener, ungeichmintter Ausdrud perjönlicher Erfahrung und 
Meberzeugung, in der Hauptſache auch zutreffend; und da die in dem 
Schriften geſchilderten Verhältniſſe nicht blos in Bremen befleben, 
fo wird dafjelbe hoffentlich auch in weiteren Streifen Beachtung finden. 
59. Wanderungen eines deutlichen Schulmeiftere. Pagegie⸗ und Poli⸗ 
tiſches aus den Jahten von 1847 bis 1862. Don K. D. M. B. Ber⸗ 
fin, Güller u. Comp. 1874. 175 S. 2 Mark 25 BE. 

Ein junger preußilcher Gymnafiallehrer hatte ſich in bemerklicher 
Weife an den Sreiheitäbewegungen der vierziger Jahre betheiligt, wo— 
durch er, bei eintretender Reaction, genöthigt war, fein Vaterland zu 
verlaffer. Er ging in die Schweiz, wo er länger ald zwölf Jahre 
in mannigfaltigen Stellungen ald Schulmann thätig war. Was er 
dort erlebt und beobachtet — es betrifft bie Schule, die Politif, bie 
Bolksthümlichkeiten, die nationalöfonomischen und focialen Verhältniffe, 
fowie bebeutende Perfönlichfeiten — ſchildert und der nun gereifte, 
aber noch jugenblich friihe Mann, in feinem eben fo lehrreichen als 
anziehenden Bude. Dafjelbe ift von fortichrittlichem Geiſte und 
innigen Sympathieen für bie freie Schweiz durchweht. Daß bie 
Schrift erft jet erichien, ift wol ein Symptom der Strenge des vor⸗ 
maligen preußiſchen Schulregiments. 


YIU. Privat⸗- und Sperial-PBädagogit. 

60. Die Mutter ald Erzieherin ihrer Töchter und Söhne zur phyſiſchen 
und fittlihen Sefundbett vom erflen Kindesalter biß zur Neife. Ein prak⸗ 
tiſches Buch für deutfhe Zrauen von Dr, med. Sermann Klende. 
Zweite, neu durchgearbeitete Auflage. Leipzig, Kummer. 1875. 685 ©. 
Preis 5 Marf 40 Pf. 

61. Diätetifhe Kosmetik oder Sefundbeitde und Schönheitspflege Der 
äußeren Erfcheinung des Menſchen. Cine Volksſchrift von Dr. med. 

ermann Klende. Zweite, neu durd earbeitete und vermehrte Auflage. 
eipzig, Kummer. 1875. 587 S. 6 


Diefe beiden ausführlichen Werke bes perbienten Berfaflers bieten 
namentlih Frauen und gereiften Jungfrauen eine reiche Fülle ber 
beilfamften Belehrung dar. Das erite behandelt die Erziehung, ſoſern 
fie Sache der Mutter ift, nach ihrem ganzen Umfange; das zweite 
führt den Gebanfen durch, „die rationelle Geſundheitslehre aud auf 
bie äußere Erfheinung des Menſchen anzuwenden und eine 
Schönheitöpflege zu lehren, welche begwedt: das natürlih Schöne, 
wozu die Anlagen im Organismus felbit Liegen, zur Entwidelung und 
Erfcheinung zu bringen und für die Lebensdauer zu conjerviren.” 





Pädagogit. | 33 


Es wäre überflüffig, über die Werke eines Mannes, der jeit langer 
Zeit in Sachen der Gejunbheitälehre und des Yrauenberufes mit Recht 
als Autorität anerfannt ift, noch viel zu jagen. Wer Gelegenbeit 
dazu bat, möge fie nur getroft in jenen Kreifen empfehlen, für bie 
fte beftimmt find. 

62. Suügieliateitaehre Ein Laiendrevier von Dr. Johann Friedr. 
Theodor Wohlfahrt, Fürfti. Säwarzb. Rinhenratß. Neue Ausgabe. 
Setpzig, Weigel. 1874. 387 ©. Preis 3 Mar 
Der Verfaffer hat fich bie Aufgabe — „eine wiſſenſchaftlich 

begründete Anweifung zu einem würdigen und glückſeligen Leben im 

böheren Sinne auf eine leichtverftänbliche Weiſe aufzuftellen”. “Die 

Themata, welche er behandelt, find folgende: „Das Anrecht des Men⸗ 

fchen auf Glüdfeligfeit, die Freuben, die des Menfchen allein würdig 

find und denjelben wahrhaft beglüden, Religion, Menfchenwürbe, 

Zugend, Selbitihau, Selbſtbeherrſchung, Gefundheit, Einjamkeit, 

Wiſſenſchaft und Kunſt, der gefellige Umgang, Freundfchaft, Luxus, 

Ehre, Langeweile, Häuslichleit, Liebhabereien, Ehe, Frobfinn, Ein- 

bildungskraft, Affecte, Leibenichaften, Launen und QTemperamente, 

Politik des Lebens, olympiſche Ruhe, Reifen, Schidfal, Alter, Tod. — 

Der erbauliche Charakter bes Buches ergibt fich von felbit aus dem 

Seite be3 Buches und ber Lebensſtellung des Verfaſſers; doch hulbigt 
es keineswegs einer extremen Richtung. Zahlreiche Citate aus ber 

Bibel, fowie aus Dichten und Weiſen aller Zeiten geben ihm eine 

angenehme Mannigfaltigleit. Der Satbau iſt an vielen Stellen 

außerordentlich verwidelt und meitläufig. — Immerhin kann bad Bud) 
in unferem fo vielfach aufgeregten Zeitalter zu einer wolthätigen 

Sammlung der Gemüther beitragen. 

63. Eornelia. Zeitfehrift für häusliche Erziehung. Unter Mitwirkung bes 
währter und ag Fide ogen und erfahrener Aerzte herausgegeben 
von Dr. Karl z. Band. Erſtes und zweites Heft. Leipzig 
u. Heidelberg, Par 1978. Preis pro Band 2,25 Mark. 

Diefe ſchöne Zeitfchrift Hat bereits feit einer langen Reihe von 
Jahren vortrefflih und gewiß erfolgreich für häusliche Erziehung ge— 
wirkt. Die eble, ibeale Richtung bes Blattes, die Umficht und geiftige 
Friſche feines Herausgebers, die Tüchtigfeit feiner für Menfchenbildung 
erwärmten Mitarbeiter, der Reichthum und bie praktiſche Fruchtbarkeit 
feines Inhaltes fihern ihm zur rühmlichen Vergangenheit auch eine 
erfreuliche Zukunft, wenn nur, was zu hoffen fteht, der Sinn für bie 
höchſten Intereſſen der Menſchheit in den deutſchen Familien auch ferner 
eine gedeihliche Stätte findet. Schulmänner eriwerben ſich ein Ver⸗ 
ei wenn fie der „Cornelin” ein immer weiteres Feld eröffnen 

en. 

64, Säule Haus und Kirche. Don Engelbert Fifcher, Regular⸗Chor⸗ 

ach Klofterneuburg, Pfarrer zu Neuftift am Walde. Achte, bedeutend 
er te Auflage. Wien, Mayer u. Comp. 1874. 108 S. Preis 50 Pig, 

Eine katholiſche Vollsſchrift, welche ſich auf alle Gegenftänbe 
erſtreckt, die im heutigen Gulturleben von allgemeinem Snterefe find: 

Päd. Jahresbericht. XXVIL. 


3 Padagegit. 


auf Schule und Unterricht. Kuche und Religien. Theater und Lectüre, 
Stände und Beruftarten. Staat und Familie, Bereine und Wol ⸗ 
tbätigleissanfalten wi wm. Der Standrurkt des Verfaſſers ift natür- 
lich ein Firglider, baiborder, Irmeswest abder eim ertremer, fanatiicher; 
don rohen Taler, Kucen art Üerhuemen iommt im dieſem Büch - 
kein nichts ver, memchr rt im ivwicihen allenthalben eine eble 
Geſinnung, menidenimu Ss Streden. uiid eine aus 8 
und Beobadrung erwortene gurzme Kerzınt des Kinder- und Bolls- 
lebend, nice minder Wertomdeig word Deräigeng der Eule fund. 
Wenn alle Tine der ) a des em Stce dicies Buͤchleins er- 
jullt waren, dann Ina nam wit itden ie F-eden leben, und fie 
wurden in der Thet ar Koma Uran nalen. Wenn 
ih num auch miht in alem Turier al, we Herr Fiſcher, fo 
wuß ich dech kan Buhl ish ; kumer zu Arlır und Aus- 
judrung ala an jeher gures Seltatbas esmem Les jedem ald 





































ſelden: „In deurden 
und zur Liee der deurden Zr 
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einfangen, Em azddiom ven en Sure, fer aim, der Blofe 
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Elende der Armen: seien Irsem Mise und 
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‚Ten Zugieich weile er jeigen Wurden. melde nicht in 
ut eintreten, Winde geben. mie fie ip ım Wege des Selhib 

3 ihrer Beüummung gemaß ausdiiden Innen. 


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Pädagogik. 55 


66. Hoflichkeite⸗ und Anſtands⸗Lehre für Feiertags⸗, Fortbildungs⸗, 
Gewerbd-, Präparanden⸗ und Lateinſchulen, fowie für Erwachſene zum 
Selbftunterrihte von einem praktiſchen Schulmanne Zweite Auflage. 
Kempten, Köfel. 1895. 91 ©. Preis 75 PR. 

Den Inhalt des Schriftchens deutet der Titel genügend an; es 
ift Don einem Schulmanne verfaßt, welcher in 38jähriger Bffentlicher 
Lehrthätigkeit reiche Erfahrungen gefammelt hat, und vom baierifchen 
Sultusminifterium zur Anſchaffung empfohlen. 

67. Der Kindergarten. Handbuch der Fröbel’ihen Erziehungsmethote, 

. Gpielgaben und Beichäftigungen. Nah Fröbel’s Schriften und den Schrif⸗ 
ten der Frau 3. v. Marenbolg- Bülow bearbeitet von Hermann Gold⸗ 
ammer. Mit Beiträgen von 3. von Marenbolg- Bülow. Erſter Theil. 
Dritte, umgearbeitete und vermehrte Auflage. Mit 60 Zafeln Abbildungen. 

Berlin, Lüderig. 18974. 263 ©. Text. 

Der vorliegende Band behandelt nach einer einleitenden und 
orientirenden Abhandlung von Frau B. von Marenhols-Bülow ſämmt⸗ 
liche Spielgaben Fröbel's für das vorfchulpflichtige Alter, alles ausführ- 
Ich, anſchaulich, in die Sache vollftändig einführend. Ein fehr guter 
Wegweiſer. 

68. Der Kindergarten und die Schule und: In welcher Weiſe iſt die 
organiſche Verbindung zwiſchen beiden herzuſtellen? Bon Lina Morgen⸗ 
ſtern. Mit Portrait Friedrich Fröbel's. Leipzig, Hirt und Sohn. 1874. 
46 &. Preis 16 Pf. 

Die in Sachen bes Kindergartens bereit bewährte Verfafjerin 
zeigt in vorliegender Brojchüre insbefondere, in mie vortheilhafter 
Meife ein guter Kindergarten der Schule vorarbeite, wie ferner bie 
Elementarfchule fih mande Momente der Kindergartenpäbagogit zu 
Nutze mahen könne, und was zu thun jei, um Volksſchule und 
Kindergarten einander noch näher zu bringen und dadurch beide zu 
fördern. Es bedarf kaum ber Bemerkung, daß das Schriftchen fehr 
leſenswerth ift, nur macht die Berfafjerin bie und ba eine Bemerkung, 
die wir nicht billigen können, 3. B.: „Ferner geftattet die Schuldigciplin 
nicht, daß ſeitens der Schüler Fragen an den Lehrenden gerichtet 
werden.” Das wäre eine jehr verkehrte Schulbisciplin. „Im Kinder⸗ 
garten ift das Kind bie Hauptfacdhe, in der Schule der Lehrgegen- 
fand.” Auch in der Schule ift das Kind die Hauptfache, nicht der 
Lehrgegenſtand. — Die Strafarbeiten werben bon ber Ber- 
faſſerin gänzlich verworfen: „Strafarbeiten geben Unluft und erzeugen 
Sklavenſinn.“ ch bin auch bier anderer Meinung. — Doch, wie ge⸗ 
fagt, das Büchlein ift im Ganzen recht gut, und befonbers wird auch 
das beigegebene Porträt Fröbel’8 Vielen erwünjcht fein. 

69. Des taubllummen Kindes Erſtes Schulbud. Bearbeitet von 
Fr. Koebrih, Taubfiummenlcehrer in Weipenfeld. Gotha, Thienemann. 
1874. 70 ©. Preis 80 Pf. 

Eine fehr gute Fibel für Taubitummen-Imftitute. 


70. Bierter Bericht des Vereins von Kinderfreunden in Wien über feine 
Ihätigfeit im Jahre 1873, erftattet vom leitenden Ausſchuſſe. Wien, Selbſt⸗ 
verlag des Vereins. 1874. 20 ©. 


3* 


36 Npagegit, 


Der Wiener Verein von Sinterfreunten bat ſich Bereits große 
Verdienſte, beſonders um tie Ergehung ton Yindlingen erivorben. 
Be un genbe Bert Wh Daher äfaiifen ’Berrinen dom ur 


71. Reifeberikt über Gri:tungk: um} Ururrsktässfihten für fuli ver» 
wabrlete Hinter im Kerr tizt, Beisıee frazfreid ar) ber Sqxeis, 
um deden n..2 Yııa-Artdc ertınc vor aranj Bent, Uferichrer. 
Sım, Sim. INS ME T xt re Zorn Uhbürungen. 
In ſehe hohen Grote lebrreich, beicaders für Erzieher verwahr⸗ 

leſter Kindet. abetr auch für jedea Tite:rsen kierhaust. Cine über 

einen je wechtizen Gexrkiut mit warmer Sıkteantmg geſchriebene 

Scqhrift derdicat etz Fradrumy 

‘2 Rete Ki ter Grin in u Damen ty am 
1% CR ISIA geiuı nen Umelre Theis, Berüchern dei Damen 
Toeums ia Tckin Biel: Eier 57. 

Ein Beurzı zum Garn der Srameriung, melde in umferer 
Su ziehe Inu m) vazımr Kr Uıyisexbeit Dead 
tanz icernden Krim 
I Geridrnittner det Irzid rer Ertrı ıi er Ediszer im 

fr Klinzsizde sr Set prenz Detes Kbler u 2 ©op- 

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Gin Kur an Tıurız ce of Fercil Immartige 
meinte once u er Sie ST, Fazit for om amisichiges 
Am 





DI. Religionsunterricht. 


Bon 
Auguft Werner, 


evang. Pfarrer in Brüheim bei Gotha. 





I. Die firchliche Lage. 


Nah altem Herlommen beginnen wir auch unfern biesjährigen 
Beriht mit einem Ueberblick über die kirchlichen Beitverbältnifie. 
Derjelbe kann natürlih nur ein flüdhtiger fein und bie Hauptumriſſe 
ber Tirhliden Bewegung in ein Skizzenbild zufammenfaflen. Mer 
eingehendere Nachweife und vollitändige Berichterftattung ſowohl über 
die Geſchichte der evangeliichen Kirchen, als auch über bie Vorgänge 
innerhalb der Tatholiichen Kirche, beſonders auch auf dem Gebiete 
des Altkatholicismus und bes Kampfes zwiſchen Staat und Bapftgewalt 
und Episcopat wünfcht, den veriveifen wir auf bie 

Allgemeine kirchliche Chronik für das Jahr 1874. Herausgegeben von Au 

Üerner. ann oiha 33 FH Sande und — 

1875. 240 ©. Preis 2 Mark. 

Im Vordergrunde ſteht zunächſt der Conflict zwiſchen ber römi⸗ 
ſchen Kirche und dem deutſchen Reiche. Denn weit entfernt davon, 
daß die beflagenswertben Berwidelungen eine Auflöfung gefunden 
hätten, haben fich diefelben vielmehr über die meiften Staaten Deutfch- 
lands, welche Tatholiiche Biichöfe und Seminarien befiten, verbreitet 
und eine noch fchiwierigere Geftalt angenommen. Ja felbft weit über 
des deutſchen Reiches Grenzen hinaus, in Deftreih, in Brafilien, in 
Mexico, in Chile hat fi der Staat gezwungen geleben, zur Wahrung 
feiner Rechte energifch einzufchreiten.. Und auch in England beginnt 
das politiiche und proteftantifche Bewußtſein fich mächtig zu regen. 
Hierſelbſt Hatten die Proteftanten, veranlaßt durch das muthvolle, 
ruhige und gerechte Einjchreiten der preußiichen Regierung, ermuntert 
und geſchreckt durch die Fortfchritte des Katholicismus in ben höchſten 
und niebrigfien Kreifen ber Benölferung, in dem großen Sanuarmeeting 

London, welchem eine Reihe anderer Sympathiemeetings im Laufe 

Jahres folgten, ihre Zuſtimmung zu der preußifchen Kirchenpolitik 


17) 
"fI 


Religion, 


za erkennen gegeben. Die gefaßten Reiclutionen wurden mit einem 
— Aibum durch Garl Ruñel an unſern Kaiſer übermittelt. 
Darauf anworteten nicht nur eine große Berliner Bürgerverfamm- 
lung und viele Berfummlunsen in andern deutſchen Städten dankend 
und ſympathiſch, ſondern der Kaiſer ſchrieb unter dem 13. Februar 
ſeinen perionliden Dank an den Carl Ruñfſel. In dieſem Hand— 
ſchreiben leſen wir de bemerlenswertben Borte: „Wir liest die Füh— 
rung meines Volkes in dem Kampfe ob, welchen ſchon frühere deutſche 
Kaiſer Jahrbunderte Findurd mit mörinm Glücke gegen eine Macht 
zu führen gebabt haben, deren Oerrcdaft sch in feinem Lande ber 
Welt mit dem rem und der Wchi’chrt der Vollee verträglich er⸗ 
wieſen but, und deren Sieg IR une Tagen Me Segnungen ber 
Reiermutien, de Gewrnensiteidett wa die Auteritat der Geſetze nicht 
bles ın Deutichland ın Froze telen würde. — Ib führe dieſen mir 
aufxdrunxnen Kumof m Auna wine Batalichen PVflichten und 
in firtem Vertrauen auf Gottes Kestnenaien Reftamd, aber aud in 
em Gcite der Ahtuna ber om G.audn Anderer mb der ebanaeli- 
Ian Dultiamden, ride mieime Noröıbrer dem Rechte und ber Ber- 
zwultung wwimr Staaten auizrin Km Art „ae neunten Ge 
Keiverlixe men Kor ms vr de Betarie Kache und bie 
freie Aelisomäitung ideen x & zamır giar ar: Re "en rur ver Uns 
ehlirister des Sun and mr Brise amin Sirs'suften, 
IN m Dielen nm Nino 8 Lex Nie un im Vrcupen 
Mir urn code Por Serra ir rent ie Ice für ermoentrüg 
LI mir ibder en Nüinmmiiiong wem za mem 25 var 
NUR und irene mad, ur Ne Karinduarı e wur, NE ne in 
derem mode de Somneciun Di oencliie Its wir fehlen 
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de Eisctzennatir, m ei AIT:ÄeE Zuer Kilroeigemin- 
um de kun Qlmıde rtortum NE Üertnmarioeeeg, 
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Iemaunttar zu —S— Suıvranze Sπ il 
der Rrubisar ur Sing „Ne zieren RT AIα 
ur Kodemisane* arhet. wenn me ame Arc mrices 
Urd ud vera Any mitm Kormamr Jmrmemon, u 
” Krärerung aus Im Arie Ascher er Behr Iren 
ÄSSTIN Srmomr Nr Sunrmäntee 
ud Kai Kia erde m Sur nd om mu Si Re 
Lerrarun m? ir Nr nem Detvundien Siem vum me Tor 
funmung a am man Sri ame dar vos en 


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43 


Religion. 39 


viertes, vom preußiſchen Abgeordnetenhauſe beichlofienes Gefe ergänzte 
die Maigefehe vom Jahre 1873 in Bezug auf „die Verwaltung er: 
lebigter Tatholifcher Bisthümer” und in Bezug auf die „Vorbildung 
und Anftelung der Geiftlidhen”. Während durch jenes Gejeh der 
Staat zur commifjarifchen Verwaltung bed Bisthumsvermögens unb 
zu geeigneten Maßregeln bei Wieberbejegung ber erlebigten Stellen er: 
mächtigt wurde, wurde durch das Iehtere bie Kirchgemeinde ala Trägerin 
der eigentlichen Kirchengewalt proclamirt und eventuell zur Wahl ihres 
Geiſtlichen ermäditigt und angewiefen. ‘Die Gemeinden zeigten aber 
nur in fehr wenigen Fällen Luft, von ihrem neuen Rechte Gebrauch 
zu machen; meiftentheils kam Teine Wahl zu Stande, in anderen Fällen 
twurbe gegen die Beeinträdtigung der bifchöflihen Amtsgewalt prote- 
fliert, und als der Propft Kubeczack in Zion nad) biefem Geſetze ein« 
geführt werben follte, richtete der Decan einen ſolchen Sirchenfcandal 
an, daß die Gerichte lange Zeit mit der Unterfuhung und Verurthei⸗ 
lung der bei der Kirchenrevolte Betheiligten zu thun hatten. Auch 
ion waren die Geiftlichen bemüht, durch Mißachtung ber gegen fie 
erlannten Strafen, durch Ausübung ihnen unterfagter Kirchenhand⸗ 
lungen, durch offene Auflehnung gegen obrigfeitliche Verfügung bie 
Strenge des Richterd gegen fich aufzurufen, jo Pfarrer Helfrih aus 
Dipperz bei Fulda, jo vor Allem Caplan Schneiders in Trier, der 
Anlaß zu einer grauenhaften Scene in der Kirche, ja zu einem förm⸗ 
lichen Kirchenfcandale gab. Im Münfterfchen und Trierfchen hatten die 
beftraften und ausgewieſenen Geiftlichen eine vollitändige Verſchwörung 
zur Uebertretung der Gefete organifiert. 

Bald gab es auch erledigte Bisthümer; von ben vier im Laufe 
des Jahres zur Verbüßung von hohen Gelbftrafen verhafteten Bifchöfen 
und Erzbiichöfen (Pofen, Cöln, Trier, Paderborn) wurden zwei twieber, 
nachdem ihre Strafen verbüßt waren, gegen Enbe bed Jahres auf 
freien Fuß gefegt — für den von Münfter hatten feine Verehrer bie 
Geldſtrafen aus ihrer Tafche bezahlt. — Ledochowsky von Pofen und 
Martin von Paderborn jedoch wurden, jener im Anfang, diefer am 
Schluß des Jahres durch den Gerichtähof für Tirchliche Angelegenhei⸗ 
ten abgefeßt; und auch in Fulda trat eine Sequeftration des Ver⸗ 
mögens ein, dba bie Bisthumsverwaltung — eine Neuwahl Tonnte 
dort nicht zu Stande kommen — fi) bei ber Revifion des Seminars 
wiberfpenftig zeigte. Die Eeminarien von Pofen, Münfter, Trier und 
Fulda wurden geſchloſſen. Auch die Bilchöfe von Hildesheim, Ermes 
land und Breslau geriethben in Gelbfirafen und verfielen in Execution. 
Es war nämlich eine auf der Berfammlung zu Fulda am 25. Juni 
bon Neuem beftätigte gemeinfame Uebereintunft der Biichöfe vorhan⸗ 
den, die Strafmittel des Staates zu erichöpfen, biefen zum Aeußer⸗ 
fen zu nöthigen und alfo einen Zuftand ber Verwirrung berbeizu- 
führen, der zum Biegen ober Brechen zwingen müffe. Deffentlich fprach 
man von nahender Revolution. Das Kullmann’iche Attentat, die 
grauenhaften Beichlüffe der Katholikenverſammlungen zu Mainz und 
Breölau, die gelegentliche Verbindung der Ultramontanen mit Social- 


40 Religion. 


bemofraten bei ber Reichſtagswahl, das Verhalten der Centrumsfraction 
im Reichstage — bad Alles nöthigte die Regierung zu energifchen 
Maßnahmen gegen die Fatholiichen Vereine und Beitungen, vor Allem 
aber zur Befreiung der Schule von dem Clerus. Selbſt der Reli= 
gionsunterriht flieht ja nun mehr unter Staatscontrole und bie 
Geiftlihen dürfen nur nad Anzeige beim Sculinfpector in ben be— 
treffenden Stunden hofpitiren, ohne irgend etwas in ben Unterricht 
hineinzureden. Es find überall, beſonders in Poſen, in Schlefien und 
am Rhein Maßnahmen getroffen, um bie Schule wenigſtens nicht zu 
einem QTummelplag der clericalen Anmaßungen und SIntriguen werben 
zu lafien. Inzwiſchen bat auch Heffen-Darmftabt ſich beeilt, durch fünf 
firchliche Gefege den Machinationen des Biſchofs von Mainz, der bie 
Feier des Sebantages verbot, entgegenzutreten und ben alten Sauer- 
teig audzufegen. Baden ift auf feiner Bahn des Nechtes und der 
Freiheit mit den nöthigen gejeglichen Schritten vorgegangen. Baiern 
nimmt mit dem ganzen Reiche bie Civilehe unb mad damit zuſammen⸗ 
hängt, auf und an. In Deſtreich werben, wenn auch mit Schonung, 
bie confeffionellen Geſetze, welche ben preußifchen einigermaßen ent⸗ 
iprechen, ausgeführt. In der Schweiz erfämpft ein freies Voll mit _ 
Energie einen Sieg nach dem andern über den Ulttamontanismus; 
man bat in Bern eine altkatholiſche Facultät errichtet und denkt an die 
Herſtellung eine? nationalen Bisthums. In England bat ter frühere 
liberale Miniſter Gladſtone laute Anklage gegen bie Staatsfeindlichkeit 
des Papfttbums erhoben und feiner feiner zahlreichen Gegner bat den 
Verdacht, daß der Ultramontantömus die Unterthanentreue gefährbe, 
hinwegzuwiſchen vermocht, während die Führer der Ulteamontanen mit 
Kom einen Angriffeplan auf die geiftlihe Eroberung der Inſel be= 
reden. „Während bes letzten Denjchenalters hatte in England der römiſch⸗ 
katholiſchen Kirche gegenüber eine krankhaft⸗weichliche, in Wahrheit 
bleichfüchtige PBolitif überhand genommen. Ein Theil ber englifchen 
Ariftofratie zeigte bebenklihe Neigungen zu der mittelalterlichen Ro⸗ 
mantif und Tieh ihr Ohr millig den einjchmeichelnden und zuverficht- 
lichen Lockungen ber Sefuiten. Die Ritualen ber engliichen Hochlirdhe 
näherten fi) auffällig dem katholiſchen Ceremonial. Die wiſſenſchaft⸗ 
liche Theologie huldigte berjelben Richtung. Dort bildete der Rituas 
lismus, bier der Bufeyismus den Vebergang zum Katholicismus, Die 
zahlreiche Manchefterfchule kümmerte fich überhaupt nicht mehr um 
religiöfe Dinge. Der Fortfchritt der Induſtrie, das Wachsthum der 
Gapitalien fchienen ihr unendlich michtigere Intereſſen. Der Libera- 
lismus glaubte mit der Anerkennung und dem Preife der Glaubens: 
und Belenntnißfreiheit alles Nöthige und Wünfchbare erreicht zu haben, 
merkte nicht, wie von ben Jeſuiten der Boden unterminirt wurde, auf 
bem ſich die Liberalen ficher fühlten. Unter ber Maske ber Freiheit 
wurden bon ben Glericalen bie Stride geflochten, um mit ihnen alle 
Freiheit zu erwürgen. 

Der deutſche Kampf mit der römiſchen Hierarchie hat enblich 
vielen engliſchen Staatsmännern und den gebildeten Maſſen die Augen 





Religion. 41 


geöffnet, und es ift ihnen Klar geworben, daß auch ber engliiche Staat 
und die englifche Freiheit nur dann gefichert find, wenn ber beutiche 
Staat und bie deutiche Freiheit wider römiſche Tücke und über die 
römischen Zauberfünfte fiegen. 

Es ift fehr charakteriftiih, daß der greife Graf Ruſſel, der 
1829 die Ratholifenemancipation erftritten hatte, heute an der Spitze 
ber engliſchen Kundgebung fteht, welche zu Ehren des deutſchen Kaiſers 
und des deutſchen Volkes in London gehalten find. Es ift nicht min« 
der charakteriſtiſch, daß der englifche Miniſter Glabftone, ber den Ritua⸗ 
lismus mit Vorliebe begünftigt hatte, beute einfieht, daß die päpftliche 
Unfehlbarleit den erneuerten Anſpruch auf Weltherrichaft bedeutet, 
mit welcher der moderne Staat und die moderne Cultur unverträg- 
Lich find.” (Brot. Flugblätter 1875, Nr. 1.) 

In Frankreich dagegen feierte der engherzigfte Katholicismus in 
Wundern, Wallfahrten und parlamentarifhen Verhandlungen feine 
Drgien. Italien entbehrt noch immer des Muthes zu Tühner Unter- 
ſtützung freier Regungen im Lande und duldet die ftärkiten Ausfälle 
des Papftes gegen fremde Fürſten und Völker. Die Freiheit Norb- 
amerifa’3 bietet ber mit Reichthum auögerlfteten und durch Ein- 
wanderung beutjcher Sefuiten verftärften römischen Kirche reiche Ge⸗ 
legenbeit zu gewaltigen Yortichritten, indeß in Südamerika felbit ganz 
katholiſche Länder Alles verfuchen, um fih aus ber töbtliden Um— 
armung durch Glerifei, Sefuitentbum und der übermächtigen Geifter 
ber Finfterniß zu erlöfen. Ä 

Soweit ift der Culturkampf ausgebreitet und bie offene Feind⸗ 
ſeligkeit zwiſchen dem, was bie römijche Kirche Chriftentbum nennt 
und was die gefammte gebildete Welt aus den Urkunden als wahre 
Religion Jeſu und Gottes erfennt, gediehen und die geiftlichen Unter⸗ 
richtsanftalten in Deutichland, wie in Stalien haben fich als Herber- 
gen des Ungehorfams, der Gefetesübertretung und der Berbunfelung 
ber Wahrheit ausgewieſen; die Geiftlichen haben ſich vielfach unfähig 
gemacht, die ihnen vom Staate zugewiefene Schulaufficht zu führen; 
der preußifche Cultusminifter bat nicht umhin gelonnt, faft durchaus 
die Schulinfpection den Geiftlihen abzunehmen, ber Benutung ber 
Schulen zu Tirdhenpolitiihen und agitatorischen Sweden hat ein ftarfer 
Damm vorgelegt werden müſſen. — Die Gerechtigkeit dieſer Maß— 
nahmen wird einigermaßen durch folgende Schrift illuftriert : 

1. Ein Opfer geiſtlicher Eorruption. Offene Reclamation wider einige 
vor 10 Jahren begangene Sünden der Priefterfchaft und ibrer Begünftiger 
zu Eöln. Ein actenmäßiger Beweis, wie jene Leute felbft in Preußen 
gehauft haben, fo lange fie die Gewalt dazu hatten, von 2. Züri, Ver⸗ 
lagemagazin. 1875. 58 ©. Preis 1 Mark. 


Das Bild, das hier ein arg mißhandelter Lehrer von ber Pfaffen- 
wirtbichaft in der Schule entwirft, ift zum Erfchreden. Indem er fchließ- 
lc unter Nennung von Namen die Bitte um Rebifion der Acten im 
Intereſſe der Moral und Gerechtigkeit an die preußifche Regierung 
richtet, prägt er feinen Mittbeilungen das traurige Siegel der Wahr- 





42 Religion. 


heit auf. Nach dem, was wir bier aus dem Anfange ber 60er Jahre von 
dem Mittelpumkte ber Intelligenz in ben Rheinlanben’erfahren, können 
wir uns burdaus nicht verwundern, daß das firengite Einfchreiten ber 
Regierung nöthig wird, um nur nothdürftig die alten Schäben unb 
Wunden zu reparieren. Bei ber in ben Gemüthern bes Tatholifchen 
Volkes herrſchenden Verwirrung und bei ber notorifchen Verblenbung 
auch des befieren Theiles unter dem Clerus wird es aber langer Sabre 
bebürfen, ehe die Regierung bei einem jüngeren Geſchlechte auf Ver⸗ 
ftändnig und Zuftimmung in ihrer Belämpfung des Vatican zu rechnen 
haben tirb. 

Indem die Ultramontanen neuerdings als Verfechter der Freiheit 
auftreten und ſich bemühen ben Staat als Bergemaltiger der Gewiſſen 
in ein möglichft fchlechtes Licht zu ftellen, haben fie auch die Unter- 
richtöfreibeit zu ihrer Parole gemacht. Im Intereſſe derjelben ftiften 
fie in England und Frankreich Tatholifche Univerfitäten für katholiſche 
Wiſſenſchaft, fordern fie in Deutichland, daß ihnen der Religionsunter- 
richt ale die Domäne ihres Clerus ausgeliefert werde; denn, fagen fie, 
jeder Vater muß das Recht haben, fein Kind in feiner Neligion zu 
unteriweifen. Diejer im Princip berechtigten Forderung ift der Cultus⸗ 
minifter Dr. Fall mit der Verorbnung entgegengelommen, daß, fobald 
nur genügender anderweitiger Unterricht nachgewiefen wird, die Kinder 
von dem Neligiondunterrichte, welchen Lehrer von anderer Tirdhlicher 
Richtung, als fie die Eltern wünſchen, ertbeilen, bispenfiert werden 
fünnen. 

Die Sache des Altkatholicismus hat im Laufe des Jahres 
1874 in Deutſchland und in der Schweiz einen großartigen Auf- 
ſchwung genommen. Auch in England und in Stalien wird es in 
diefer Richtung lebendig. Deutſchland aber bleibt dad Generalquartier 
biefer rüftig fortſchreitenden Bewegung, welche man als eine Deffnung 
am Herzen der Papftlicche bezeichnen Tann. Die Zahl der Gemeinden, 
welde fi namentlih in Süd- und Weftbeutihland, aber au in 
Schleſien gebilbet haben, iſt überrafchend groß; die Zahl ber Vriefter, 
welche fi dem Bifhof Reinkens zur Verfügung ftellen, in beftändigem 
Wachen. Die Errichtung altlatholifcher Gemeindeſchulen erfcheint meift 
als das erfte Bebürfniß, das befriedigt wird. Won großer Bebeutung 
war die altlatholifche Synode, vom 27.—29. Mai in Bonn abgehalten, 
welche große Reformen in ber Orbnung des Gottesbienftes und in der 
Gemeinbeverfaffung mit Mäßigung aber Entjchiebenheit in die Hand 
genommen bat. Im September (6.— 8.) folgte der Altkatholifen- 
congreß zu Freiburg unb die Delegiertenverfammlung, moran fidh bie 
Bonner Sonferengen mit anglikaniſchen, amerifanifchen und griechifch- 
Tatholifchen Theologen anſchloſſen, zum Zwede einer Wieberbereinigung 
der getrennten Eonfelfionen. Die legteren Verhandlungen waren ziem- 
lich Icholaftifcher Natur und ohne bedeutfämen Erfolg. Man hatte es 
nicht der Mühe werth gehalten, mit ben deutſch⸗evangeliſchen Landes⸗ 
kirchen anzufnüpfen, wie ſich denn überhaupt die alitkatholiſche Bes 
wegung dem Proteftantismus gegenüber ſpröde und kühl ablehnend 


Religion, 43 


verhält, vermuthlich um die Fühlung mit den Katholiken nicht zu ver- 
lieren. Die Führer derſelben find gute Politifer und Diplomaten, 
welche fih hüten, dem Drange des Herzens allzuſehr die Zügel zu 
laſſen. Man rechnete um die Mitte des Jahres an 200,000 Altkatho- 
Iifen, immerbin eine beachtenstverthe Anzahl, welchen Baden durch ein 
befonderes Altkatholikengeſetz, Preußen durch eine beträchtliche SDotation 
entgegenlam, Baiern wenigftens feine Schwierigfeiten bereitete. 

Wenden wir uns zur evangelifchen Sixche, jo zeigt fich diefelbe 
zunäcft in Preußen durch das Civilſtandsgeſetz mehrfach fehr beunruhigt, 
indem einzelne Geiftliche der orthodoxen Partei und Alles, was fich 
ber Kreuzzeitung anfchließt, gegen die Einführung des Yreimilligfeits- 
prinzipe3 in bie Kirche energiſch Front machten und dem Oberkirchen⸗ 
rathe, mie deu Confiftorien allerlei Schwierigkeiten bereiteten. Die 
übel berufene Gnabauer Conferenz gab auch hier das Signal zur 
Renitenz und in den Provinzen Sadfen, Pommern, Brandenburg, 
Schleswig -Holftein und Hannover fand der Ruf jener Renitenten 
Wiederhall. Der Stein des Unftoßes für diefe Webereifrigen war ber 
Erlap des Oberkirchenrathes vom 21. September, welcher auf dem 
Boden des Gejeges die Neuordnung der Trauung behandelte und nicht 
dulden wollte, daß bie civiliter Getrauten von ber Kirche als Nicht- 
getraute angejehen würden. Zum Glüd Batte der Oberkirchenrath die 
Energie, die offene Auflehnung gegen feine Verfügung mit träftigem 
Einſchreiten zu beantworten. Der Cultusminifter aber entließ den 
Superintenbenten Arndt in Wernigerode und andere Renitenten aus 
ihren Aemtern ala Schulinfpectoren, worauf hin von ben geiftlichen Ge- 
finnungsgenofjen ein allgemeiner Strife in das Auge gefaßt worden 
ft. Erfreulicher als diefe hierarchifchen Kundgebungen, denen in Kur⸗ 
befien die Vilmarianifche Oppofition gegen das Confiftorium zur Seite 
fteht, find die großartigen Fortſchritte, welche das Firchliche Verfafſungs⸗ 

in Preußen und andern Ländern gemacht bat. Wer fich über die 
Wichtigkeit umd Berechtigung deſſelben ſowie über die Vorgeſchichte ber 
Siymobaleinrichtungen orientieren will, dem empfehlen wir: 

2. Dr. 9. Heppe, Die presbyteriale Synodalverfafjung der evans 
geliſchen Kirche in Norddeutfchland nad ihrer biftoriihen Entwicklung und 
enangeltfchstirchlichen Bedeutung beleuchtet. 2. Auflage. Sferlohn, Bädeer. 
1874. 144 ©. Preis 1?) Mark. 

In dieſer Fleinen bortreffliden Schrift bietet der gelehrte Verfaſſer 
ein Bild von ber Verfafjungsgefchichte der evangelifchen Kirche und 
jelgt, welches bie rechten Grundſätze feien, bie jeder kirchlichen Reuge- 
faltung zu Grunde liegen müſſen. Die Heine und äußerit leſens⸗ 
werthe Schrift vermag dad Mißtrauen und bie Borurtheile zu befei- 
tigen, welche ber Synodalverfaſſung entgegenftehen, und gibt ein deut- 
lies Bild von den Beftrebungen und Leiftungen auf biefem Gebiete. 
Einfah, Mar und vom freien Standpunkte aus gefchrieben ift fie im 
bödften Grade geeignet, um die Erfenntnig der Pflicht zu erwecken, 
daß jeber evangelifche Chrift an der Zirchenpolitifchen Reform nad) 
Kräften mitzuarbeiten bat, wenn bie Kirche werben fol, wozu fie von 


44 Religion. 
Anfang an beitimmt ift, eine Gemeinde im Geiſte bes Herrn und ber 
iheit. 


Im öſtlichen Preußen iſt in dieſem Jahre das Verfaſſungswerk 
durch die Stufen ber Kirchenvorſtände und ſtreisſynoden bis zur Be⸗ 
rufung der Provinzialiynoden gediehen und nicht ohne Mühe find bie 
alten, ſeit einem Menſchenalter großgezogenen hierarchiſchen Gelüfte 
niedergehalten und der freien Richtung dad Recht der Eriftenz in ber 
Kirche und der Theilnahme an ihren Pflichten gewahrt worben. Dank 
ber Regierung ift aller confejfionell=dogmatiiche Streit bis jeßt ver⸗ 
bütet geblieben und mit Zähneknirſchen ſieht die orthodoxe Partei bie 
Leute des Proteftantenvereind in ben Slirchgemeinberäthen, in ben 
Kreisfynoden und nun gar zum Eintritt in die Provinzialſynode be- 
reit. In den rheiniſch⸗weſtfäliſchen Provinzialſynoden bat ſich dagegen, 
wie in der bannoverfchen Landesſynode, eine engherzige Auffafjung ber 
Zeit: und Kirchenfragen vernehmen laſſen und felbft die Schul- und 
Unterrihtöfrage ift in einem der Regierung nicht gerabe beifälligen 
Sinne behandelt worden. Im Königreih Sachſen fland u. A. die 
Schulbibel auf ber Tagedorbnung der Landesſynode und fanb beftige 
Gegner in Männern der ftrengen Richtung, welche durch fie die Au- 
torität der Bibel in der Kirche für gefährdet erachten. Aber auch be⸗ 
redte und fachkundige Vertreter der Weberzeugung, daß diefelbe noth- 
wendig fei, traten auf und begründeten bie Forderung ber Lehrerwelt 
mit fittlihen und religiöfen Motiven. 

In den thüringifchen Ländern, Weimar-Eifenah und Gotha-Co- 
burg, kam die Berfaffung ber Kirche zu einer eingehenden Behandlung 
und Ausführung, bier durch die Vorſynode, dort durch bie Landesſynode. 
Diefe lehtere forderte Ausdehnung des Confirmandenunterrichtes auf 
ein ganzes Jahr. Da fih aber in ben Gemeinden Widerſpruch erhob, 
fette Die Regierung den Synodalbeſchluß bis auf Weiteres aus. Auch 
in Heflen-Darmitadt kam die Gemeindeverfaflung zur Einführung, nicht 
obne heftigen Widerſpruch fanatifierter Lutheraner gegen die Union. 
Sn Bayern verloren die Proteftanten die Königin-Wutter, eine preußifche 
Prinzeffin, an die katholiſche Kirche, während zwiſchen proteftantifchen 
Lehrern und Geiftlihen in Mittelfranken ein bäßlicher und unmwürbiger 
Streit um die Schulaufficht ausbrach, dem bie Regierung mit erniter 
Mißbilligung nach beiden Seiten hin ein Ende machte. An großen 
firchlichen Verfammlungen war das Jahr arm. Die Guftan- Abolf- 
Bereind-Hauptverfammlung fand Ende Auguft in Etutigart, die bes 
Proteſtantenvereins Ende September in Wiesbaden Statt. Auf letzterer 
kam die fociale Frage und die Abnahme bes theologifchen Studiums 
zur Verhandlung, bei welcher legteren die materielle Noth der Geift- 
lichen, die dringend ber Abhilfe erheifcht, nähere Beleuchtung fand. 

Durchwandern wir die außerbeutichen evangeliſchen Kirchen, fo 
finden wir in ber reformierten Kirche Frankreichs und Hollands einen 
faſt unverföhnlicden Kampf zwiſchen der altgläubigen und ber freieren 
Richtung entbrannt, der namentlich in Frankreich eine um fo betrüben- 
dere Geltalt annimmt, als die Regierung bie Synobalmajorität ber 








Religion, Br; 


Drthoborie der Art ftüßt, daß bie liberalen Gemeinden, deren Zahl fehr 
groß ift, aus der Kirche hinausgedrängt werben follen. Die Verhandlungen 
zwifchen beiden Parteien find längft abgebrochen, und wenn man fich 
auch über die Glaubenstreue ber echten Hugenotten freuen muß, fo bat 
doch die Erſcheinung des Bruberzwiftes jehr viel Betrübendes und Bes 
Ihämendes. Beſſer fteht ed auch hierin in der Schweiz, wo die Frei— 
beit fi) als das befte Correctiv bewährt bat, indem die Gegner fich 
achten gelernt haben, und wo e3 fein Tann, gemeinfam zufammen 
arbeiten. Der Verein für freies Chriftenthum bildet in der Schweiz 
eine anſehnliche Macht und namentlich feine Beftrebungen auf bem 
Gebiete des veligiöfen Jugendunterrichtes verdienen die größte Beach⸗ 
tung. In England befteht die alte Spannung zwifchen den Ritualiften, 
welche ſich dem kaͤtholiſchen Cultus annähern und den proteftantifch 
gerichteten Kirchengliedern und Geiftlichen in verſchärftem Maße fort. 
Alerlei neue gefetliche Maßnahmen find darauf gerichtet, den fatholi- 
fierenden Tendenzen zu fteuern und zu wehren; der Erzbifchof von Can⸗ 
terbury an der Spite befämpft jenen verheerenden Abfall bon den 
evangeliichen Grundfähen. Mit Genugthuung bemerken wir bier das 
Erſtarken des proteftantiichen Geiftes, der nach langem Winterfchlafe 
wiederum in der Welt feine Auferftehung Halten zu tollen fcheint. 
Auf evangelifher Seite ift das Jahr 1874 ohne Zweifel dazu ange- 
than getvejen, um die Sleichgiltigen aufzurütteln, die Rückwärtsdrängen⸗ 
ben zu erjchredien und die Vertreter des Firchlichen Fortichrittö auf die 
praktiſchen Aufgaben der Kirche hinzumweifen. Wir in Deutichland zu- 
mal ftehen vor neuen ſchweren Aufgaben, die aus der Firchlichen Lage 
erwachſen. Das ganze Tirchliche Leben ſtrömt in neuen Bahnen und 
die Quellen der Tiefe verftärfen und reinigen die Gewäfler. Es ift 
nicht Alles befier, aber Vieles ift Harer und lichter geworben ; bie Biele 
treten heller hervor; die Wege öffnen fih. Aber auch die Arbeit hebt 
nun erſt an, und dieſe Arbeit wird zunächft immer noch fein: Kampf 
für die Nechte der Gemeinde und des Laienthums unb für das Evan- 
gelium Jeſu Chrifti. Und zu diefer Arbeit und zu bdiefem Kampfe find 
Alle verpflichtet, welche ihre Kirche und chriftlicde Meberzeugung lieb haben. 


II. Die religiöfe Lage. 


Unter diefer Meberfchrift wollen wir unjere Betrachtung von dem 
Aeußeren ber Kirche hinweg auf die religidfe Stimmung der Gegen- 
wart richten und vor Allem einen orientierenden Blick über bie wiſſen⸗ 
Ihaftliche Bewegung um den Religionsbegriff und über die allgemeine 
religißfe Stimmung zu gewinnen berfuchen. 

Nachdem feit vielen Jahren die theologifche Arbeit hauptfächlich 
und in erfter Linie auf den Unterſchied der fogenannten freien und 
ber beienntnißtreuen Auffaffung bes Chriftentbumd gerichtet geweſen 
und alles Imtereffe von der Frage in Anfpruc genommen geweſen 
iſt: welches das Verhältniß ber modernen Geiftesbilbung zur über: 
Heferten Form des Chriſtenthums fein folle — hat feit Kurzem bie 
religiöſe Frage eine ganz andere Geftalt angenommen. Der Gegenjaf 


46 Religion, 


ziwifchen der Orthodoxie und ber firengen Bibelgläubigleit auf ber 
einen, fowie ber freifinnigen Richtung auf der andern Seite ift zwar 
noch nicht verſchwunden und überwunden, allein bie zwijchen ihnen 
verhandelten Streitfragen find bis zu einem Punkte gediehen, wo bie 
wifienfchaftliche Debatte wenig neue Ausbeute geben zu können ſcheint 
und die Principien find in voller Klarheit einander gegenübergeftellt. 
Die Religionserforfchung beginnt ihre zeither lediglich literariſch-kritiſche, 
beſonders auf bie Bibel und die innere und äußere Kritil der H. Schrif- 
ten gerichtete Thätigleit mit einer tieferen und fruchtbareren Arbeit zu 
vertaufhen. Weil man gefehen, baß auf dem Wege ber biftorifchen 
Bibelfritit, auf welchem wir unermeßliche Schäte neuer und frucht⸗ 
barer Erlenntniffe gefunden haben, die Enticheibung in der religidien 
Frage nicht gewonnen werben Tann, barum hebt man an, fich ber 
Unterfuhung bes eigentlihen Weſens der Religion wieder zuzu⸗ 
wenden. Angeregt durch die Methode der exacten Forſchung, befonder® 
auf dem Gebiete ber Naturwiflenichaften, betritt die Theologie ben 
Meg der Induction, um burch pſychologiſche Beobachtung und durch 
Bergleichung der religiöfen Erfcheinungen unter einander, das Weſen 
der Religion in der Tiefe zu erforichen. Die bisher herrſchenden 
wiſſenſchaftlichen Anfhauungen und Erläuterungen von dem Weſen 
der Offenbarung, des Glaubens, der Gotteövorftellung u. ſ. w. genügen 
nicht mehr und ermweifen fich den Ergebniffen der andern Wiflenfchaften 
gegenüber als unzureichend. Selbſt Schleiermacher’3 tiefe und reiche 
Theorie von den Erfahrungen des Abhängigkeitsgefühls, die für ein 
halbes Jahrhundert maßgebend gemwejen, ift außer Stande, allen 
philojophifchen Angriffen Stand zu halten. Durd die biftorifch-kriti= 
ſche Arbeit feit den 30er Jahren ift eine Fülle von Material aufges 
jpeichert, welches ber eracten philofophifchen Durcharbeitung, ber unters 
ſuchenden und vergleihenden Beobachtung harrt, um neues Licht in 
die geheimnißvollen Tiefen der Verbindung zwiſchen der Dienfchenfeele 
und ihrem Gott fallen zu laſſen. Und fo taucht in der „vergleichenden 
Religionswiſſenſchaft“ eine ganz neue Art und Weile, bie religiöjen 
Probleme anzufafien, auf, Ein deutfher Sprachforſcher in England, 
der berühmte Mar Müller in Oxford, ift nach dem Vorgange feines 
großen Gönners des Ritter von Bunjen in dieſer Beziehung geradezu 
Bahn brechend geworben. Auch die Glaubenslehre und die Sittenlehre 
beginnen einen neuen Aufſchwung zu nehmen und aud für fie ift die 
realiftiihe Methode von ungeheurer Bedeutung. Ueberhaupt entfaltet 
die Theologie wieder ein reiches wiflenjchaftliches Leben. Nachdem fie 
lange genug bat hören müflen, daß fie überhaupt feine Wifjenfchaft 
fet und daß fie fih um ein Object, die Neligion, beivege, welches nur 
Täufhung des Menjchengeiftes fei, erhebt fie ſich mit neuer Kraft, 
um Beides zu erteilen, daß die Täufchung nur auf Seiten eines vor⸗ 
fchnellen Urtheils zu fuchen fei, daß die Religion zum Wejen des Men» 
fchen gehöre, fo gut wie die Sprache und das Denken, wie Kunft und 
Wiffenfchaft, und daß diefe innerite Natur der Menfchheit zu erforfchen, 
zwar eine unbefchreiblich ſchwere, aber im höchiten Sinne wiſſenſchaft⸗ 





Religion. 47 


liche Arbeit, ja daß bie Theologie durchaus nicht willens fei, ihren 

Rang unter den Wiffenfchaften aufzugeben. Wenn fo die Gar- 
binalfragen ber Religion neuerdings wieder in den Vordergrund treten, 
fo ift das zum guten Theil auch das Verdienſt ber modernen Natur- 
wiſſenſchaft. Indem bie een bes Darwinismus die ganze Natur» 
betrachtung weſentlich verändert haben, indem ber Nachhall des in ber 
Wiffenfchaft zwar erfterbenben, aber im Volksgemüthe nach unten ſich 
verbreitenben Materialismus, der in der Socialdemokratie feinen reinen 
Ausbrud findet, mit Sturmesbraufen ſich hören läßt, indem bie Ge- 
banten, wie fie David Strauß in mafjenhaft anfchwellenden Auflagen 
feines Werkes „vom alten und neuen Glauben und €. v. Hartmann 
in feiner Philoſophie des Unbewußten und einer fpäter noch zu be= 
ſprechenden Schrift vernehmen läßt, Raum gewinnen, entfteht bie Auf- 
gabe, den Einfeitigleiten, Verirrungen und Anmaßungen folder An⸗ 
ſchauungen wiſſenſchaftlich entgegenzutreten. 

Wir haben eine Schrift vor uns, welche von dieſem Beſtreben 
geleitet, ſowohl die Moralität als auch die Religion gegen jene moder⸗ 
nen Angriffe ſicher zu ſtellen und um wenigſtens das Nothwendigſte zu 
retten, anräth, daß wir einige der wichtigſten Poſitionen, welche die 
Religion inne hält, aufgeben: nämlich die Unſterblichkeit und vor Allem 
den Glauben an die Allmacht des Schöpfers und Erhalters der Welt. 
Das Buch führt den Titel: 


3. A. Spir, Moralität und Religion. Leipzig, Findel. 1874. 156 S. Preis 
2 M. 50 Pfs. 


Die gelehrte Unterſuchung über Grund und Weſen der Moral 
und Religion ſchließt ſich eng an frühere philoſophiſche Arbeiten des 
Verfafſers über „Denken und Wirklichkeit, Verſuch einer Erneuerung 
der kritiſchen Philofophie” an und ihr Schwerpunft liegt in ber Er- 
kenntniß, baß die Data der Erfahrung mit dem logifchen Sate ber 
Soentität nicht übereinjtimmen. Es ift Bier nicht der Ort, auf dieſe 
Grundlagen der Unterfuhung näher einzugehn; wir wollen nur kurz 
auf die Refultate derfelben binweifen. Als das Weſen der moralifchen 
Gefinnung wirb bezeichnet, daß fie auf rein innerem Antrieb beruht, 
die Unveränberlichleit und allgemeine Tendenz eined Principe bat und 
in ihren Wirkungen mwohlthätig if. Ihre Bedingung liegt im Ge- 
wifien, welches das allgemeingiltige Geſetz My befolgen nöthigt und 
im dem Glauben an eine höhere Natur im Mienfchen. Daher tritt der 
Berfafler dem Utilitarianigmus von St. Mill entgegen. Er kritifirt 
ben Rantianiemus mit großer Schärfe und zeigt zwei Seiten an ber 
Grundlage der Moralität in unferer Natur; die eine ift die Vollkom⸗ 
menbheit, bie als eine höhere Verfafjung unferes innern Lebens anzu- 
fireben ift, bie zweite ift das Bewußtjein der Einheit Aller in dieſer 
nichtempirifchen höheren Natur. Daher der doppelte Bived bes mora= 
lichen Streben: innere Vervollkommnung und Hingebung an bie all- 
gemeinen Intereſſen, welche der eigenen Natur angemeflen find. An⸗ 
hangsweiſe wird die Freiheit bes Willens in fehr anfprechender Weife 





48 Religion. 


erörtert, die Geſetzmäßigkeit ber Handlungen zugeftanden, aber bie daraus 
fälſchlich gefolgerte fataliftifche Weltanficht befämpft. 

Bezüglich der Religion unterscheidet der Verfaſſer zwei Arten, eine 
Religion der Furcht aus dem Gefühle der Abhängigleit und eine Re⸗ 
ligion der Liebe aus dem Gefühle der Verwandtſchaft mit einem voll» 
fommenen Wefen, je nachdem Gott als Macht und Wirkendes oder ala 
das Gute und Vollkommene gedacht wird. Wahre Religion — Reli⸗ 
giofität, d. i. das innere Gefühl der Verwandtſchaft mit Gott, ift immer 
die gleiche, nur die Auslegung des inneren Factums iſt verſchieden. 
Das Gefühl des Göttlichen ift bie natürliche Krönung aller idealen 
Beitrebungen; an Gott glauben heißt an bie höhere Natur bes Men» 
chen und der Dinge glauben. Das Lebenöprincip der Religion aber 
ift, daß Gott nicht als der zureichenbe Grund ber Wirklichfeit, nament- 
lich nicht ala Grund des Uebel und Gefchehens angejehen wird; bies 
das Grunddogma ber Religion. Mit andern Worten: der Berfafler 
will den Gottesbegriff nicht aus dem Gaufalgefege, jondern aus dem 
Gittengefege eruieren. Eingehend handelt er „von der Vergötterung 
des wirkenden Principe” ala von dem unmwahren Elemente ber Reli= 
gionen, wie es als Furcht in ber natürlichen Neligion berbortritt und 
im Spyfteme des Judenthums gipfelt. Erft im Chriftenthum, wo Gott 
Bater, Güte und Vollkommenheit ift, fommt die wahre Religion, deren 
Lehre zwar fortgebildet werben Tann, deren Grunbidee aber ewig ift, 
zum Borfchein. „Die Wurzel alles Unwahren in der chriftlichen Lehre, 
bemerkt der Berfafler, und der Grund aller Ausartungen berfelben 
ift der Slauben, daß Gott der Wirkende fei, überhaupt den zureichen- 
den Grund aller Dinge enthalte: Nur unter der Bedingung, daß man 
biefen Glauben verläßt ober bejeitigt, ift eine Einigung aller Menjchen 
in der Religion und vollkommener Friede zwiſchen Religion und Wiſſen⸗ 
ſchaft möglich. Gegen einen wirkenden Gott wird ſowohl bie poſitive 
Wiflenichaft, ala auch das innere Bewußtlein des Menfchen proteftieren.‘‘ 
Anhangsweiſe äußert fich der Verfafler über die individuelle Fortdauer 
nad) dem Tode, daß der Glaube an diejelbe nicht aus der Religion, 
Sondern aus dem phufiichen Selbfterhaltungstrieb hervorgehe, daß biefe 
Fortdauer zwar unwahrſcheinlich, aber nicht unmöglich fei, daß Derjenige, 
der daran glaubt, jedenfalls wohlthut, ſich nicht irre machen zu laſſen; 
denn die objective Erledigung diefer Frage fei unmöglich, nur die fub- 
jective Gewißheit von Bedeutung. — Die Grundgedanken bes Buches, 
namentlich in Betreff der Religion, find nicht gerabe neu und haben 
ihre wunden Stellen. Immerhin finb fie eigentbümlich genug, um in 
weiterem Kreiſe Intereſſe und Anregung zu erwecken. — Eine Förbes 
rung der religiöfen Frage können mir in biefem Buche nicht finden. 
Wir vermifien in demfelben vor Allem eine eingehende Analyſe bes 
religiöſſen Bewußtſeins, das fi nun und nimmermehr mit einem 
Gott, der bloßes Ideal bes Guten ift, befriebigt fühlen Kann. 

Epochemachend, mie das Strauß'ſche Buch, aufregend im höchſten 
Grabe und irreleitend für meite Kreife wirkte bie vielgelejene Schrift 
Hartmann’3: „Die Selbftzerfegung des Chriftenthbums und die Religion 





Religion. 49 


ber Zukunft“. Ohne daß der bochgerühmte Philofoph zu einiger Klar⸗ 
beit fommt, was denn Religion ſei, begnügt er fich, fie ald Gefühlsſache 
und als Feindin ber Wiſſenſchaft und voll MWiberftreben gegen bie 
erfennende Thätigleit bes menfchlichen Geiftes zu bezeichnen. Trotzdem 
ſieht er ihre Bafis in metaphyſiſchen Vorftellungen, die der Menſch 
nad feinem Bebürfniß in ſich trage. Und wiederum trotzdem leitet 
ee fie aus der Erfahrung von Schuld und Uebel in ver Welt ab, 
ohne welche es Feine Religion gebe. Aus diefen drei mwiberfprechenden 
Meinungen will Hartmann die Religion erklären; in Wahrheit aber 
verwirrt er nur fein eignes Urtheil, das denn auch darnach ausfällt. 
Nicht Harer ift er fich über das Wefen des Chriftentbums. Das Mit- 
telalter, die ftramm=Tatholifche Form der Religion Jeſu, die Ver- 
achtung des Diefleit, die mönchiſche Weltverachtung, das bloße Leben 
für das Jenſeit und die Hoffnung auf die Bernichtung der Welt — 
darin ſieht er das echte Chriftentbum... Darum betrachtet er bie 
Keformation als den Todtengräber der chriftlihen Religion, den Pro⸗ 
teftantismus als eine Verweltlichung berfelben und den liberalen Pro⸗ 
teftantismus als eine ganz undhriftliche irreligiöfe Erfcheinung. Chrift- 
lich waren nach Hartmann’3 Meinung die Zeiten, in welchen man fi 
in unmeigerlichem Gehorſam vor der Glaubendautorität beugte, am 
hriftlichften find ihm alſo die, melde bie Unfeblbarteit proclamiert 
haben; der echte Chrift muß, wenn Hartmann Recht hat, blos an Tod 
und Jenſeit denfen unb mit dem Diefleitigen, mit ber Bildung und 
Zreube der Welt in Feindſchaft leben; fo fei Jeſus Chriftus getvefen, 
jo das Urchriftentbum. Seit der Reformation fol das Chriftenthbum 
verweltlicht fein und der moderne Proteftantismus zur vollen Zerfegung 
befielben das Seine unermüblich beigetragen baben, indem er Bildung 
und Glauben, Religion und Wiflen verfühnte und das Senfeit in das 
Diefleit verlegte. Ueberhaupt erachtet diefer Philofoph das Chriften- 
thum für eine ziemlich unvollkommene religiöfe Erſcheinung und macht 
eine Zulunftöreligion zurecht, bie halb chriftlich, Halb indiſch-buddhiſtiſch, 
eben in jein verunglüdtes philofopbifches Syſtem des Unbemwußten 
paßt. — Es ift ein Unglüd, daß einflußreihe Männer mit ſolcher 
Zeichtfertigfeit von Dingen fchreiben, über bie fie niemals gründliche 
Studien gemacht haben. Es ift ein unverzeihliches Unrecht, daß fie 
ihr Talent und ihre Wirkſamkeit dazu mißbrauchen, um unreife Meinungen 
und Phantasmen in der Welt in Curs zu ſetzen. Uebrigens bat Hart- 
mann anders wie fein Vorgänger und theilmeifer Wiberpart Strauß 
eine tiefe Einfiht in die Nothwendigkeit und Unentbehrlichleit der 
Religion und er bütet fi) wohl, in die frivole und kecke Sprache derer 
einzuftimmen, melde nur das Evangelium „vom alten und neuen 
Glauben’ kennen. 

Beide Schriften, die von Strauß und Hartmann, gehören zur 
Charakteriſtik der religiöfen Lage. Jener hat feine Belenner in den 
weiten Kreifen, wo man in glüdlichem Befig und Genuß ber Güter 
bes Lebens ift, wo Theater und populäre Vorträge die höchſten Bil- 

Päd. Yahresberict. XVI. 4 


50 Religion. 


bungsmittel bes Geiltes find, two man nichts zu bebürfen meint als 
eine ftarle Regierung, welche bie Öffentliche Sicherheit und das Eigen⸗ 
tum vor den Gefahren ber Revolution ſchützt; die auf den Grund⸗ 
lagen bes Peifimismus auferbaute Hartmann'ſche Religionsanficht ift 
Dazu geeignet, bei denen Anklang zu finden, welde mit bem Elend 
bes Lebens und ber Sünde ber Welt ringend den Glauben an ben 
lebendigen Gott, den Vater voll Liebe und Bolllommenheit entbehren 
und an fih und ber Menfchheit verziweifelnd, ſich in unfruchtbaren 
Träumen verzehren. Beide Richtungen arbeiten und wirken in zwei 
entgegengefegten Schichten der menſchlichen Gefellichaft verhängnißvoll, 
beide find geeignet, die Welt unglüdlih zu machen; beibe künden fich 
als Vorboten, ja vielmehr al3 Anzeichen tiefer religiös⸗ſittlicher Dbn- 
macht an; beide Richtungen dienen, ohne es zu wiflen und zu mollen, 
ber Berfinterung bes chriftlichen Geiftes, auf welche das geiftliche Bapfttbum 
und ber ſocialdemokratiſche Religionshaß ihre Hoffnung fegen. Bei 
der Verbreitung der irreligiöfen Ideen durch alle Kreiſe ver Bevölke⸗ 
zung und in Folge der Inficierung der unmündigen Jugend mit den 
Negungen des fanatifchen Vorurtheild in Unglauben und Aberglauben 
bat der religiöfe Unterricht eine ſchwere aber verheißungsvolle Aufgabe, 
und zwar nicht blos in ber Volksſchule, fondern vor Allem auch in 
ben höheren Lehranftalten, wo bie geiftigen Führer und Beratber ber 
Nation gebildet werden. Dan wird aus dem biesjährigen Bericht er⸗ 
feben, daß gerade für den Religiondunterriht auf Gymnaſien u. f. tr. 
in den lebten Jahren Mancherlei gethban worden ift, um ben alten 
verberblichen Schlendrian zu durchbrechen und die flubierende Jugend 
mit religiöfen Snterefle zu erfüllen und zum Verſtändniß bes religiöfen 
Lebens anzuleiten. Nun, die höchſte Zeit ift e8 in ber That, daß auf 
diefem fo lange vernachläffigten Gebiete des höheren Unterrichts etwas 
Drbentliches geihebe. Dean muß Anklage erheben vor dem Geifte der 
Nation und vor dem Geifte Jeſu Chrifti über die Gleichgiltigkeit und 
Nacläffigkeit, mit welcher der fragliche Unterricht zeither meiftentheils 
behandelt und ertheilt worden ift. Die meilten Lehrer und Schüler 
ber höheren Bildungsanftalten find gewohnt, bie Religionsftunden als 
Ballaſt, als eine unvermeiblidhe Laft, ald ein nothivendiges Uebel zu 
betrachten. Der Philolog, der die Facultas für Religion mühfam er- 
zungen bat, nennt e3 eine unerträglide Zumuthung, daß er Dinge 
Iehren fol, die er felbft nicht glaubt und die er meilt auch nicht ver— 
ſteht. Im beften Fall ift fein Religionsunterricht religiöfe Philologie 
und neuteftamentliche Grammatik, viel öfter ein taglöhnermäßiges Vor- 
iprechen ber Sirchenlehre, deren Form und Inhalt er im Stillen be- 
lächelt. Unſer junger philologiiher Nahmwuds, wenn er nicht ſtarr 
rechtgläubig erfcheint, ift zumeiſt ſtraußiſ ch⸗atheiſtiſch und der Religions⸗ 
lehrer, zumal wenn er Theologe iſt, iſt ihm meiſt ein Gegenſtand des 
Mitleids, ſein Handwerk verächtlich, ſeine Stellung ohne Bedeutung. 
Der verheerende Einfluß dieſer Erzieher unſeres nationalen Geiftes- 
adels Liegt am Tage; durch Wort und Wandel wollen vielfach dieſe 
jüngeren Hierarchen der Schulwifienfchaften ihren Schülern beweiſen, 


Religion. 51 


dag ein claffifch gebilbeter Menſch über die Religion längft hinaus if. 
Kommt nun hinzu, daß dem Neligionsunterrichte ſelbſt Saft und Kraft, 
Leben und fyreibeit, Geift und Weihe fehlt, — wie will man ſich 
wunbern über bie allgemeine religiöfe Apatbie, ja über ben Neligions- 
haß in dem Kreifen ber ftubierten Leute, beſonders ber Juriſten, Aerzte, 
Philologen, denen von den Brutftätten der Langeweile ber, aus ihren 
Neligionsftunden, ein großer Wiberwille gegen alles ſpecifiſch Chrift- 
liche innewohnt? Der Religionslehrer ſoll nicht blos die religiöfe Wahr⸗ 
beit dem Berftande mittbeilen, fonbern das Gemüth in feinen inner- 
Ren Tiefen etgreifen, ben Sinn für das Heilige und die unfichtbaren 
Kräfte erwecken und pflegen. Er muß zu dieſem Zwecke bie Refultate 
der Religionsphilofophie wie der Gefchichte ber Kirche zu feiner Dispo- 
fition haben. Er muß ben philologiichen Formalismus, fo gut wie ben 
tbeologifchen Hinter fih laſſen und die Sprache reden, welche unferer 
gebilbeten Jugend, die bon ben fogenannten Refultaten der Wiflen- 
ſchaft berührt ift, zu Herzen gebt. Er muß bie Errungenſchaften ber 
wifjenichaftlichen Theologie zu handhaben wiſſen und bie Befreiung 
der Geister durch die ganze und volle Wahrheit vollbringen. Die 
alten dogmatifch=confeffionellen Handbücher mit ihrem lügnerifchen 
Derihweigen und einfahem Ignorieren ber abweichenden Anfichten, mit 
ihrer Verachtung der Zweifel und Einwendungen der mobernen Wiſſen⸗ 
fchaften find eine wahre Verfündigung an ber Jugend. Die religiöfe 
Lage fordert gebieterifch, gerade auf diefem Felde des Neligionsunter- 
richts an gründliche und große Neformen zu denten. Noch jchlimmer 
ftebt es in den meiſten Fällen um ben Religionsunterricht ber weib⸗ 
lihen Jugend, ſoweit fie über bie Volksfchule hinausftrebt. Wie groß 
au die Zahl der höheren Töchterſchulen und ber Mäbehenpenfionate 
für die gebilbeten Stände, ber Anftalten zur Erziehung ber Frauen 
und Mütter ift, welche bereinft durch ihre einflußreichere Stellung zur 
Pflege des religiöfen Geiſtes jo Großes beitragen follen, ebenfo groß 
iſt die Vernachläſſigung bes hierhergehörigen Religionsunterrichtes. — 
In zwei Jahren iſt uns keine einzige einſchlagende Schrift zu Geſichte 
gekommen. Das iſt ein trauriges Zeichen. Die religiöſe Erziehung 
der Mädchen iſt — wir ſagen wohl nicht zu viel — meiſtentheils eine 
bigott-pietiftifche oder fanatiſch⸗katholiſche. Folge deſſen ſchlagen bie 
felbftändigeren weibliden Naturen bald darnah um und erden Yrei- 
geifter, denen der fittlidh=religiöfe Halt im Leben verloren gebt und 
bie ein geiftig verlommenes Gejchlecht gebären und erziehen. Die Ans 
deren aber gehen in einem unklaren Taumel religiöfer Phantafterei 
dahin, fpielen mit ihren frommen Empfindungen wie mit ihren Schoß- 
hündchen, willen nicht zu unterfcheiben zwiſchen Wahrheit und Lüge 
in der Religion und werden in ber Hand bes Belotismus gefügige 
Werkzeuge des Aberglaubens oder an der Seite eines atheiftiichen 
Mannes bad Dpfer der Enttäufhung. Selten begegnet man einer 
jüngeren Grau, welche fich zur inneren Klarheit unb Freiheit durchzu⸗ 
arbeiten vermocht hat und nun allerdings wie ein Stern des Himmels 
in ihrem Kreiſe Isuchtet. Die Allermeiften haben Religion, als hätten 
4* 





52 Religion. 


fie feine; das Chriftentbum Liegt ihnen tie ein Stein in dem Ge- 
dächtniß oder in dem Gemüthe; fo gläubig fie auch ſcheinen und viel⸗ 
leicht gar in bes Wortes vertvegenfter Bebeutung find, fo arm und leer 
it ihr Leben von religidfer Kraft und Wärme Und obwohl das 
Alles zu Tage liegt, obwohl die Klagen der Urtbeilsfähigen über bie 
religiös = fittliche Verarmung unjerer gebildeten Frauen nicht aufhören 
und die traurigen Folgen davon aufzeigen, bennoch fucht man nicht 
nah den Urſachen und wenn man fie erkennt, bemüht man fi nıdt 
fie zu heben. Der Religionsunterricht, melcher für die Knaben und Jüng-⸗ 
linge längft ungenügend ift, wirb gerade ben in erjter Reihe berufenen 
Zrägerinnen und Pflegerinnen der Religiofität in ber althergebrachten 
Weiſe unbelümmert weiter ertheilt. Keim Verſuch zu einer Reform, 
nicht einmal eine nennenswerthe Literarifche Leiftung, welche ben For: 
derungen ber Zeit Rechnung trüge! 

Wir mußten dies erwähnen, nicht nur, weil es ums lange auf 
bem Herzen gelegen hat, ſondern meil es vor Allem dazu bient, bie 
religidfe Lage der Gegenwart zu veranfchaulichen und zu erflären. Alle 
die bedeutenden Anftrengungen, melde bie Vollsjchule in der in Rebe 
ftebenden Richtung macht, werben zum guten Theil illuforifch, indem 
die religiöje Erziehung der reiferen Jugend aus den tonangebenden 
Klafien unter dem Niveau zurückbleibt. 

Sn der That, die Lage ift eine ernſte. Allgemein feufzt man 
über die religiöfe und fittliche Verwilderung bes Volles, Wie viel 
oder wie wenig daran auch wahr fein mag, jebenfalls ift fie in ben 
unteren Claffen nicht größer ala in den oberen Ständen, ja viel- 
leicht ließe fih, wenn man ein menig Schminke und äußere Con⸗ 
denienz entfernt, erteilen, daß gerade das Umgelehrte der Fall ift. 
Kein Wunder auch. Abgefehn von der geiftlofen und gerabezu 
frivolen Romanliteratur, welche ber Tag erzeugt und ber Tag dere 
ſchlingt, firömen von allen Seiten neue Gedanken, halbrichtige und 
ganz faliche, neue Weltanſchauungen und Ideen, auf die Kinder unjerer 
Zeit ein und fie haben ihnen nichts entgegenzufegen, als vielfach ver- 
altete Vorftellungen der unflarfien und ungefichertften Art, Dogmen, 
die fie nicht verarbeiten können, Symbole, die ſich nicht in Fleiſch und 
Blut verwandelt haben, Begriffe, melde gleich verfchlagenen Münzen 
von der Zeit zurüdgetviefen werben. So kommt ed dazu, daß fie 
ſich zulegt in religiös-ſittlichem Bankerut verlieren oder gezwungen ſehen, 
ein Anleben bei den Banlier3 der neuen Weisheit um den Preis ihres 
innern Friedens und ihres guten Gewiſſens zu machen und bie Sclaven 
der Phrafe und der Gebankenlofigleit werben. Daß in biefer ernften 
und ſchwierigen Lage der Religionsunterricht eine ganz eminente Auf: 
gabe Hat und dem Religiondlehrer eine große und heilige Pflicht zu⸗ 
gewieſen ift, Braucht nicht erſt ausgelprochen zu werben. 

Bliden wir nun auf das und vorliegende literariſche Material 
aus dem abgelaufenen Jahre, fo ift eine quantitative Abnahme gegen 
früber allerdings zu conftatieren. Allein indem bes Mittelmäßigen 
weniger geworden ift, macht fich eine erfreuliche Zunahme ber Qualität, 


Religion. 53 


ber Gediegenheit und des inneren Werthes an ben neueren literarifchen 
Zeiftungen aus dem Gebiete des Religiongunterrichtes bemerkbar. 
Wir wenden uns unmittelbar zur Beiprechung berjelben. 


III. Bibliſche Geſchichte. 


A. Für Lehrer. 

4. Wohlfarth, Dr. J. Fr. Th., R.⸗NRath, Die Bibel für das liebe chriſtliche 
Volk aller Bekenntniſſe. Nah dem Plane bes ſel. H. Zſchokke. 3. Bd. Das 
Reue Teſtament. Berlin, Eugen Groſſer. 1874. 564 ©, Preis 21,75 Mark. 

Das Unternehmen iſt mit dieſem Bande abgeſchloſſen. Ob daſſelbe 
noch zeitgemäß iſt, wie es vor 30 Jahren gewiß zeitgemäß geweſen 
wäre, ſei dahingeſtellt; ebenſo, ob die großartige Reclame mit fürſtlicher 
Gunſt und Huld im Stande iſt, dem Buche den Weg in das Herz 
des Volkes zu bahnen. Wohlgemeint iſt es, aus treuem Herzen kommt 
es, von edler Frömmigkeit und erleuchtetem Eifer zeugt ed — das darf 
Niemand leugnen. Der Verfaſſer will durch ſein Werk die Verehrung 
Gottes im Geiſte und in der Wahrheit fördern und den Kampf gegen 
Rom und jedes falſche Prieſterthum unterſtützen, indem er den Inhalt 
der H. Schrift für denkende und forſchende Bibelleſer aufſchließt. Er 
bedient ſich dazu der Paraphraſe der einzelnen Capitel, ſachgemäßer 
Einleitungen und Ueberſichten für das Ganze und die einzelnen Theile 
und will durch Hinzufügung von Liederverſen und frommen Geſängen, 
ſowie kurzer Anwendungen und Ermunterungen die Bibelgedanken für 
die Erbauung fruchtbar machen. Wiefern er das in den beiden 
früheren, das Alte Teſtament umfaſſenden Theilen gethan und er⸗ 
reicht hat, entzieht ſich der Beurtheilung des Referenten, da demſelben 
blos der dritte neuteſtamentliche Theil vorgelegen hat. 

Dieſer beginnt mit einer Einleitung, welche in rationeller Weiſe 
den Begriff und das Weſen der Offenbarung erörtert und das Chri⸗ 
ſtenthum als „die ewige Vernunft“ betrachtend, die Dignität Jeſu 
gegen moderne Angriffe in Schutz nimmt. W.'s Anſchauung iſt im 
Grunde die altrationaliſtiſche; doch hat ſich dieſelbe mit der Bedeutung 
des Mythus und der Symbolik im Neuen Teſtament befreundet. Engel 
und Teufel ſind für ihn heilige und unheilige Mächte, die Wunder 
find die wunderbaren unerklärlichen Ereigniſſe, welche Bewunderung 
erregt haben und ſinnbildlich aufzufaſſen ſind; die Hauptſache an 
Chriſtus aber iſt ihm die Wahrheit ſeines Wortes und ſeiner Lehre 
vor Vernunft und Gewiſſen. Die kritiſchen Fragen z. B. über die 
Entſtehung der Evangelien läßt er bei Seite, um allein den Kern und 
geiſtigen Werth der chriſtlichen Lehre zu erörtern. Was Johannes bes 
trifft, To fchließt er fich der Tradition an, welche fowohl das vierte 
Evangelium, als die Briefe und bie Apocalypfe von dem Jünger Jeſu 
berrühren läßt. Auch bezüglich der dem Paulus zugefchriebenen Briefe 
macht es zwilchen echten und unechten feinen Unterſchied. Ueberhaupt 
bürfte ein großer Mangel biejes biblischen Volksbuches fein, daß bie 
äußere Gefchichte der verſchiedenen Schriften, die Ergebnifje der Wiffen- 


54 Religion. 


ſchaft über die Entftehung, Zuſammenſetzung und geſchichtliche Bedeu⸗ 
tung berfelben ganz bei Seite gelafien werben. Losgelöft von ber 
Geſchichte des Urchriſtenthums, von dem Boben ber Beit und bes 
Drtes ihres Urſprungs können die Schriften ber Bibel am mwenigften 
gewürdigt und berftanden werden. Das ift der Fehler des Rationa- 
lismus wie der Ortboborte, daß fie in der Bibel lediglich ein Lehrbuch, 
einen Codex der göttlichen Wahrheiten ſehen, ohne die menjchliche Ver⸗ 
mittelung defielben zu begreifen. Diejer Fehler würde vermieden jein, 
wenn W. nad dem Vorgang ber Proteftantenbibel jebes einzelne Buch 
mit einer ausführlichen Einleitung verjehen hätte. 

Zum Einzelnen übergehend bemerken wir, daß die capitelmeife 
Behandlung des Inhalts mit binzugefügter Moral und Lehre weniger 
zwedmäßig erfcheint, ala wenn abgejehen von ber oft finnentitellenden 
Gapiteleintheilung größere und Kleinere Einfchnitte, je nach nach dem 
Zuſammenhang des Sinnes gemacht worden wären. So geſchieht es 
oft, daß BZufammengehöriges zerriſſen wird. Die erbaulichen Bemer⸗ 
ungen find nicht immer am Plate, wie 3. B. wenn beim Geſchlechts⸗ 
regifter Jeſu über ben falfchen Stolz auf Stammbäume gehandelt wirb 
ober beim Teiche Bethesda von dem Babe der Wiebergeburt u. dgl. m. 
Die eingeftreuten Liederverſe find zum Theil recht gut gewählt; andere 
wieder ftoßen freilih durch den trodnen Ton und die öde Verſtändig⸗ 
keit, alfo durch ihr unbichteriiches Weſen, von fih ab. Es wird vor⸗ 
ausgejegt, daß zu jedem Gapitel erft der betreffende Abjchnitt aus ber 
Bibel gelefen wird; ohne die Bibel jelbft in der Hand zu haben, ift 
dad Buch nicht zu gebrauchen. Sein mejentlicher Zweck wird darin 
beftehen, daß es der Bibellefer zu feiner weiteren Erbauung nachfchlägt. 
Dem Schlußtoorte, welches in Kürze den Zufammenbang des Alten und 
Neuen Teftaments erörtert, folgen eine Reihe von alten unb neueren 
Liebern, melde den Werth der göttlichen Offenbarung preifen. Für 
die Stunden, in denen der Lehrer mit feinen Schülern die Bibel lieft, 
dürfte doch in dem Buche ein wohl zu verwendendes PVorbereitungd- 
material geboten fein, ſoweit es fih um bie moralifche Ausbeutung 
und Anwendung be3 Gelefenen handelt. Aber gerade der Lehrer wird 
Schmerzlich vermiffen, daß die eigentliche „Einleitung in die H. Schrif⸗ 
ten” fo gut wie ganz vernachläſſigt morben ift. 

5. Dr. 3. Schuſter's Handbuch zur bibliſchen Geſchichte des Alten und Neuen 
Ieftaments für den Unterriht in Kirche und Schule, fowie zur Selbft- 
belehrung. Mit vielen Holzfehnitten und Karten. 2. Auflage, bearbeitet 
von Dr. Solzammer, Profeffor am bifchöfl. Seminar zu Mainz. Mir 
Approbation des bifhdil. Drdinariates. Freiburg, Herder. 1871—1874. 9 Ries 
ferungen. 716 u. 642 ©. 


Dies große und umfangreiche Werk, katholiſchen Urfprungs -und 
für den katholiſchen Neligionsunterricht beftimmt, ift nunmehr beendet. 
Es fteht in feiner Art einzig dba und die Verlagsbuchhandlung Hat 
in Ausftattung, Papier, Drud und Bilderſchmuck Außerorbentlicheß ge⸗ 
‚leiftet. Die Karten find meift fehr gut, fo 3. B. die von Paläſtina, 
das heilige Land aus der Vogelſchau, bafjelbe aus ber Beit von 500 





Religion. 55 


vor Chr. bis 70 nach Chr., der Plan Jeruſalems und des heiligen 
Grabes, die Reifelarte des Apoftels Paulus und das Galiläifche Meer. 
Nicht jo ſchön und gelungen find bie zahlreihen dem Texte einver- 
leibten Holzichnitte, von denen und manche gar zu kühn angelegt und 
in ber Ausführung verwifcht vorlommen, obwohl auch fie brauchbar 
und Bielen erwünfcht fein werden. Ein zwei Bogen ſtarkes Wort- und 
Sachregiſter erleichtert den Gebraud) weſentlich. 

Der Sommentar zur biblifchen Gefchichte, — denn ein folder ift 
das vorliegende Wert — bietet nicht blos einen Auszug, ber alles 
fittlich Bedenkliche wegläßt und mit allem kirchlich Unwillkommenen 
aufräumt, um einen Erfat für den Gebrauch der Bibel felbit zu 
Ihaffen, fondern enthält aud) Terterflärungen, apologetifche umb dDogma= ' 
tiſche Erörterungen und Excurſe und praktiſche Andeutungen im reich⸗ 
ſten Maße. Dem Lehrer ſoll Gelegenheit geboten werben, „ſich auch 
ohne Fachſtudien und ohne eine förmliche Bibliothek von naturwiſſen⸗ 
ſchaftlichen, hiſtoriſchen, archäologiſchen 2. Werfen in den Beſitz 
der Reſultate der modernen Forſchungen zu ſetzen, über bie betreffen- 
den Fragen fi genügend zu orientieren und felbft nad Zeit und 
Gelegenheit fih gründlich zu unterrichten”. Es wird bemfelben über- 
laffen, je nad) dem Bebürfniß und nad der Faſſungskraft feiner Schüler 
aus dem Kommentar auszuwählen, was für die einzelnen Unterrichts 
ftufen nöthig if. Auch Lehrer an höheren Anftalten jollen dag Ma- 
terial finden, um den Kampf gegen den Materialigmus und gegen 
die Zweifel des Unglaubens mit Erfolg führen zu können. Jedem 
Leſer aber joll das Buch als ein Nachweis über den Gang ber gött- 
lichen Offenbarung und eine Widerlegung ber Einwürfe gegen dielelbe 
dienen. Dies der Plan und Zweck des Handbuches. In der neuen 
Auflage, welche diejen erweiterten Plan durchgeführt bat, ift bie Dar⸗ 
ftellung des Schöpfungswerkes in diefem Sinne umgearbeitet worden, 
um den Einwendungen ber Naturwifienfchaften zu begegnen. Auf 
44 Seiten wird eine apologetifche Erörterung der bibliſchen Schöpfungs⸗ 
geichichte geliefert. An Erklärungen in und unter dem Tert, an Vor⸗ 
bemerfungen unb Citaten aus den Kirchenvätern und den Goncilien- 
acten und an anderen literarifchen Nachweiſen ift fein Mangel. Dem 
Texte zu Grunde liegt natürli die Vulgata. — Man kann es nidt 
leugnen, die neue Auflage ift mit einem großen Aufwand von Gelehr- 
famleit, mit ftaunenswerther Belefenheit und vielfeitiger Sachkenntniß 
bearbeitet — aber ganz im Sinne der katholiſchen Kirche befangen, 
deren bogmatische Auffaflung immer mieberfehrt, auf deren Verherr⸗ 
lichung es mit jeder Seite abgefehen ift, fo daß zuletzt die römiſche 
Kirche mit ber Jungfrau Maria und dem Papfte Pio Nono als das 
Reſultat des ganzen göttlichen Heilsplaned und der gefammten Offen- 
barungagefchichte herauskommt. Diefe Art der Behandlung ber Bibel, 
wie fie und in dem vorliegenden Werke entgegentritt, entipricht genau 
der Stellung, welche die fatholifche Kirche zu der H. Schrift einnimmt. 
Man erkennt in ihr Gottes Wort, aber das Verſtändniß und bie Aus⸗ 
Iegung deſſelben wirb von ver Kirche normiert; „bie H. Schrift kann 


56 Religion. 


nicht irren, aber damit ber Gläubige nicht eine irrige Auffafjung an- 
nehme, muß er bie lirchliche Erklärung ſich aneignen”. Darin liegt 
die Erflärung für den eigenthümlichen Charakter dieſes Handbuchs: 
während es fcheinbar der biblifchen Geſchichte gewibmet ift, verwendet 
und verarbeitet es dieſe zu einem Glorienſcheine um das Pa ſtthum 
und ſeine Lehren. Das geſchieht aber mit ſo viel Geſchicklichkeit und 
in ſo feiner Weiſe, daß man keineswegs ſofort die Abſicht zu erkennen 
vermag. Die Apologetik, welche hier getrieben wird, iſt kühn und 
nicht zaghaft in der Wahl der Mittel. Der Glaube an Himmel, Hölle 
und Fegfeuer wird mit der unendlichen Größe der Welt, mit der Hypo⸗ 
theſe von dem feurigen Erdkerne u. ſ. w. vertheidigt; der Plan der 

Arche wird nach dem Maßſtab der „heiligen Elle“ gezeichnet; ber jüdiſche 

Tempelcultus, der jehr eingehend und anfchaulich gefchilbert wird, und 

das moſaiſche Geremonialgefeh wird zum Typus katholiſcher Kirchlichkeit 

gemacht; ber Sonnenftilftand Joſua's wird durch verichiedene An- 
nahmen gerechtfertigt, u. U. dadurch, daß ſich eine Nebenfonne gezeigt 
baben könnte u. |. w. Nicht unintereflant, wenn auch fehr gewagt ift 
das Hineinziehen der Pjalmen und prophbetifhen Schriften in ben 

Gang der ifraelitifchen Geſchichte. — Noch deutlicher tritt bie Tatholt- 

fierende Tendenz im Neuen Teitament hervor, wo die Worte Jefu ganz 

im Sinne mönchiſcher Askeſe und päpftlider Unfehlbarleit umgedeutet 

werden und auch der legte Schein gejchichtlicder Kritik verfchwindet; 

die Polemik Jeſu gegen den Pharifäismus, melde die römifche Kirche 
zugleih mit trifft, wird mit wahren Tafchenfpielerfünften befeitigt; 
die fieben Eacramente müfjen ſämmtlich aus den Evangelien bervor- 
geben; ſelbſt die Kelchentziehung findet ihre Begründung in der Bibel. 
Man fieht alfo, das Handbuch ift nur für bie römifch-vaticanifchen 
Chriften zu gebrauchen; für foldde ift e8 aber gerabezu eine großartige 
und höchſt werthvolle Leiftung. Bon unferem Standpunfte aus können 
wir es nur beflagen, daß ſelbſt die biblifche Geſchichte zum Tummel⸗ 
platz confeſſionaliſtiſcher und ſcholaſtiſcher Kämpfe gemacht wird, anftatt 
als der neutrale Friedensboden für die religiöſe Elementarbildung mit 
ehrfurchtsvoller Scheu von allen Confeſſionen reſpectiert zu werden. 

6. L. Wangemann, Director in Bautzen, Handreichung beim Unterrichte der 
Kleinen In der Gottes⸗Erkenniniß. Anweiſung zum Gebrauche der bibli⸗ 
ſchen Geſchichten zc. nebft einem Plane für den Religionsunterriht in mehr⸗ 
claffigen Schulen. 5. Auflage. Eisleben, Reichardt. 1874. 46 ©. 3 Mt. 

Die erite Auflage erfchien 1861, nach dreizehn Jahren die fünfte — 
bies ſpricht binlänglih für den Werth des Buches und bie Brauch⸗ 
barfeit ber in bemjelben niebergelegten Anfichten unb praftifchen An= 
weifungen. Dieje lette Auflage ift ein unveränberter Abbrud ber 
vierten und bedarf demnach Bier Teiner mwieberholten Beiprechung. 

7. W. Haupt, Zweiundfünfzig Lectionen in Fragen. Zum Gebrauch für 
Sonntagsſchullehrer. Mit einem Borwort von I. ©. Onden und Haupt. 
1.u. 2. Bändchen. Hamburg, Onden. 1873 u. 74. 104 u. 95 S. 30 Bf. 
Herborgegangen aus baptiftiichen Kreifen und nicht ohne feind⸗ 

felige Seitenblicke auf die Lanbestirchen, ihre Kindertaufe, Confirmation 


Religion. 57 


und Gemeindeordnung, indbejondere im Vorwort und in Abfchnitten, 
welche die Taufe und Belehrung behandeln (wie I, 21 bei Gelegenheit 
der Taufe eu), wollen diefe Hefte den Sonntagsſchullehrern die ragen 
in bie Hand geben, mit welchen die biblifchen Gefchichten zu behandeln 
und zu erläutern find. Weggelaſſen ift die Verkündigung ber Geburt 
Jeſu und die Empfängnik aus dem heiligen Geifte. Obwohl Katecheten 
ohne päbagogiihe Schulung aus diefen Fragen Manches Iernen 
Tönnen, fo fehlt doch alles tiefere Einbringen in die Schriftgebanten 
und bie ſynthetiſche Erfaffung der Hauptiveen. Was bier geboten 
wird, iſt ein rein atomiftifches Frage: und Antwortſpiel, an welchem 
fih fein wahrer Religionslehrer genügen laſſen darf. 


B. Für Sqchüler. 


3. Farbmann, weiland Bicar in Graz, biblifhe Geihichte alten und neuen 
Zeftamentd mit katechetiſchen Kragen, Ichrreihen Erklärungen und Reim⸗ 
ſprũchen nebft einer Befchreibung von Paläſtina. Ein Auszug für Kinder 
aus der vierbändigen bibliſchen Gefchichte des Ehriftoph von Schmid. Mit 
49 Holzſchnitten. 26. Auflage. Graz, Ferſtl'ſche Buchhandlung (X. Lentner). 
1874, 316 ©. Preis 1,50 Marl. 


Sind auch die Holzſchnitte im Terte ziemlich primitiver Natur, 
fo flöpt uns die 26. Auflage dieſes in katholiſchen Schulen vielge- 
brauchten Buches um jo mehr Intereſſe ein, als daſſelbe einen Stand⸗ 
punkt vertritt, auf welchem heute wenig römifche Priefter mehr ftehen 
dürften. Die Erzählungen find frei und in der modernen Umgangs: 
fprache gegeben, die denſelben angereihten Lehrfragen find nur zur 
Wiederholung und Klarftellung des Tertes beftimmt. Die moralifchen 
Betrachtungen leiden vielfah an Mattigfeit und Trodenheit in alt- 
fränkifcher Weife, doch vermeiden fie gern das Confeffionelle und heben 
das allgemein Menſchliche hervor. “Die poetifchen Lehrſprüche, bis- 
weilen proteftantifche Liederverfe, theilen ben Fehler einer gewiſſen 
Sentimmtalität mit der Gejhicht3erzählung. Zu viel Legendarifches 
tritt in dem geſchichtlich geographiſchen Anhang hervor, jo namentlich 
auf ©. 307 u. 308. Immerhin macht dad Buch einen wohlthuen⸗ 
ben Eindrud, wenn man fich zuvor mit neufatholifchen Probuctionen 
beſchäftigt hat. 

9. Th. Senger, Biblifhe Geſchichte für katholiſche Volkafchulen. Mit Appro⸗ 


Bation bed H. Erzbifhdfl. Ordinariates Bamberg. Rürnberg, Fr. Korn. 
1874. 120 ©. Preis 40 Bf. 


Auch diefes Buch macht eine günftige Ausnahme von ber Regel, 
indem es bie bibliſchen Thatſachen kurz und einfach, in der Sprache 
ber Gegenwart erzählt. Nur bie und da find erläuternve Bemerkungen 
und Erflärungen beigefügt als Fingerzeige für den Lehrer. Erft am 
Schluſſe, in der Geſchichte der Apoitel wird Petrus ausfchließlich ver: 
berrlicht, während Paulus’ Wirken kaum zur Sprache kommt. Die 
Berimmung bes Buches für römifch-Tatholiiche Schulen rechtfertigt dieſe 
und andere Geſchichtswidrigkeiten doch nicht ganz. Ein Theil des Rein⸗ 


8. 


58 Religion. 


ertrags bon dieſer übrigens empfehlenswertben Bearbeitung ber bibli⸗ 

chen Geichichten Fällt dem katholiſchen Erziehungsverein und dem Lehrer: 

ioaifenftift in Bayern anheim. 

10. Eruft Lauf, Lehrer in Wittenberg, 52 biblifche Gefchichten für die 
Kleinen. Die beiden erften Schuljahre umfaflend. Für Lehrer, Erzieher 
n. ſ. w., zugleih für die Hand ber Kinder beſtimmt. Unterſtufe. Berlin, 
Oppenheim. 1874. 87 ©. Preis 6 Pig. 

Nicht von dem gewöhnlichen Schlage der biblifchen Geſchichten ift 
dieſes Buch. Der Verfaſſer will Heinen Kindern nicht fofort die Bibel⸗ 
ſprache zumuthen, ſondern Bibelwort und Kinderſprache miſchen; wie 
ein guter Ueberſetzer will er den Inhalt der Schrift dem kindlichen 
Gemütbe nahe bringen und verſtändlich machen. In dieſem Sinne 
ſchickt er der erſten Geſchichte eine einleitende Anſprache über Gott und 
über das „große, dicke Buch“, die Bibel voraus, die unſeres Erachtens 
beſſer weggeblieben wäre, jedenfalls unnöthig iſt. Der Ton der Er⸗ 
zählung iſt meiſt gut getroffen; doch ſcheint uns an manchen Stellen 
die Kindlichkeit und Anſchaulichkeit auf Koſten der Schönheit und 
Gediegenheit des Ausdrucks erſtrebt zu fein. Höchſt bedenllich iſt es, 
daß auf S. 16 der liebe Gott ſelbſt als der Fremde, der mit Abraham 
ist und trinkt, bezeichnet wird; geradezu irreleitend aber, wenn ber 
„Prieſter“ Zacharias als „Prediger“, ein Levit als „Helfer“ beim 
Gottesdienſt erläutert wird, oder wenn das Geiſteswirken am Pfingſt⸗ 
feſt mit dem „Sturmwind“ beinahe identificiert und das Sprachen⸗ 
wunder ſo gedeutet wird, als hätten die Jünger in dem Augenblicke 
allerlei fremde Sprachen gelernt und geredet. In ſolchen Fällen loben 
wir uns doch die bibliſche Einfachheit, die uns viel kindlicher und ver⸗ 
ſtändlicher zu fein ſcheint als bie breitefte Umſchreibung. Die beige⸗ 
gebenen moralifchen Reflerionen halten wir gleichfall8 öfter für wenig 
glücklich. Sie folen zu einem biblifchen Sinnfpruh und Liedervers 
überleiten, verfehlen aber nicht felten den Kinberton oder enthalten 
gerabezn Anftößiges; fo 3. B. S. 76: „Jeſus hat die Sünden wegge⸗ 
tragen, daß fie nicht mehr da find’; ferner ©. 64: „auf Jeſu Hilfe 
fol der Menſch ſich verlaflen‘. Der Bibelfprüche und Lieberverfe find 
zuviel und bie aus den Geſchichten gezogenen Lehren häufig zu hoch. 
Auch paflen die Lieder keineswegs immer für das Kind und fünnen 
überhaupt nur felten muftergiltig genannt werben. Namentlich bie 
meiften Möller'ſchen Verſe gehören nicht in ein foldhes Bud. Sehr 
gefällig iſt dagegen die Art, wie die Gebote angebracht und manche 
biblifche Abfchnitte, 3. B. der Auszug aus Aegypten und die Wüften- 
wanberung, verlürzt find. Die Verkündigung der Geburt Jeſu ift aufs 
fallender Weife weggelaffen. — Der Verfafler wünſcht, daß die Collegen 
ihm ihre Wünfche und Winke zur Verbeſſerung mittbeilen. Unfer 
Wunſch wäre, bag wenn bie Buch den Kindern in die Hand gegeben 
werben fol, vor Allem das Kleingevrudte, alle Vorreden und zwei 
Drittel der Traftlofen Poefien binmweggetban würden. Beide Bmede 
laſſen ſich nicht vereinigen, ein methodiſches Handbuch für Erzieher 
und ein frifches, Lichtes Kinderbuch zugleich zu fchreiben. Entweder das 


Religion. 59 


Eine oder das Andere. — Hoffen wir, daß bie Mittelftufe, welche 
diefem exften Hefte bald nachfolgen wird, die gerügten Mängel vermeidet. 
11. Bunger, Lehrer in etnnaberg, Bibliſche Befchichten für Unterclaffen von 

ürger- und Bollsfäulen. Anhang zu des Verfaſſers Leſebach. 2. Auff. 

Hildburghauſen, Keffelring, 1875. 54 S. Breis 25 Big. 

Im engeren Anſchluß an die Bibel werden 37 Gefchichten aus 
dem Alten und 40 aus dem Neuen Teftament erzählt. Gut gewählte 
Sprüde ſchließen fih an jeve Erzählung an. Alle überflüffigen Her- 
zensergießungen find bei Seite gelafjen. Der Anhang enthält die zehn 
Gebote mit Yuther’3 Erklärung und das Baterunfer. 


12. 2. Wangemann, Director in Baugen, Biblifche Befchichten, geordnet und 
bearbeitet zu biographiihen Geſchichtsbildern. 3. Auflage. Eisleben, 
Reichardt. 1874. 199 S. Preis 80 Pig. 

Die Ausführung des Planes, welcher in dem oben unter Nr. 6 
angezeigten Buche befjelben Verfaſſers enthalten ift, für bie britte 
Unterrigtäftufe. Aus dem Leben der michtigften bibliſchen Perfonen 
und von den charakteriftiichen Vorgängen find Iebensvolle Bilder im 
Umriß entworfen, deren Betrachtung zum Bibelleſen überleitet ober 
vielmehr durch das Lejen angegeigter Abichnitte aus der Bibel gewonnen 
wird. Saderllärungen zum Verſtändniß, Ueberfichten über die zu lefen- 
den Bibelabjchnitte, Erörterungen der Hauptgedanken nebit Sprüden ꝛc. 
find beigegeben. Es handelt ſich alſo um eine orientierende Wieder- 
bolung und weitere Entwidelung ber auf früheren Stufen gewonnenen 
Kenntniß der bibliichen Geſchichte. Das Buch verdient den guten Ruf, 
ben es ſich innerhalb weniger Jahre erworben hat und füllt eine Lüde 
im Religionsunterricht auf das Befle aus. 

13. 2. Wangemann, Bezirksſchulinſpeetor in Meißen, Bibliſche Geſchichten 
für Die Elementarſchulen mit bildlichen Darftellungen. 9. Auflage. Eis⸗ 
leben, Reichardt. 1875. 88 ©. Preis 50 Pfg. 

Zwölf Geſchichten alten und ebenfobiel neuen Teftamentes für 
die erite Stufe unb Weitere vierundzwanzig für die zweite Stufe mit 
Lehre und Spruch verjehen bietet die8 Buch. Die Anleitung zu Fragen 
und etbifch= dogmatischen Anwendungen und Erörterungen würden mir 
lieber weggelaflen jehen. Der fette Drud einzelner Namen, Schlag» 
worte und Anfangsbuchſtaben ift eine Unzierde des Büchleins und vers 
leiht der Seite eine für das Auge bes Leſers verwirrende Unruhe. 
14. Fr. Ritſert und Georg Geyer zu Tarmftadt, Biblifche Geſchichten des 

Alten und Neuen Teftamentes mit Sprüden und LKiederverfen. 2. Aufl. 

Darmftadt und Leipzig, Zernin. 1874. 91 ©. Preis 80 Pfg. 

Im engen Anſchluſſe an das Bibelmort find hier 49 altteftament« 
liche und 35 neuteftamentliche Erzählungen gegeben. Die Rückkehr aus 
dem Exil bildet bort, das Pfingftfeft bier den Schluß. Der Lieber 
und Sprüche find zubiel. Weber die Stufenfolge im Gebrauche für die 


einzelnen Slaflen finden ſich feine Angaben. 


15. Franz Beyne, Paſtor, Biblifhe Geſchichte für Elementar- Säulen. Nebfl 
473 323. —28 Gebete, Luther's Katechismus und bie dazu ge⸗ 


60 Religion. 


börigen Bibelfprüde. 3. verbefierte Auflage. Magdeburg, Heinrihshofen. 
1874. 170 ©. Preis 40 Bf. 

Die bibliſchen Gefchichten werben für die Unter» und Mittel- 
ftufe mit. den Worten der Bibel erzählt; für die Dberclafle werben 
die zu leſenden Bibelftellen blos kurzer Hand angegeben. Während 
jene mit Mofes im alten Teftamente enden, gehen fie im neuen Tefta- 
mente bi3 zur Pfingftgeichichte. Alles Uebrige fällt der Oberclafie an⸗ 
beim. Der Vorzug des Buches ift die Beſchränkung des Stoffes für 
bie Kleinen auf ein Minimum. Auch in der Auswahl ber Sprüdye 
für ben Katechismus und ber Lieber und Gebete bat der Berfafler 
weile Maß gehalten. Und dieſe Rüdfiht auf die päbagogifche Pflicht 
der Concentration ſcheint überhaupt das Büchlein veranlagt zu haben. 
Denn ed wird in der Vorrede beflagt, baß die meiften berartigen 
Bücher nur zu einem flüchtigen Schauen und zu fletem Laufen Anlaß 
geben, während die Kleinen mit voller Yreube und Erhebung bes 
Herzens nur Feine Bilder und auch dieſe nur nach und nad) bereinzelt 
anihauen und in fih aufnehmen Tönnten. Eine folde Reaction 
gegen die Ueberladbung der Bücher und Stunden, welche für die bibli- 
ſche Geſchichte beftimmt find, kann nur gebilligt werden. Ob es nicht 
befler wäre, anftatt bie Oberclaffe an die Bibel felbft zu verweiſen, in 
dem Schulbuche Alles zufammenzuftellen, was zum Unterridhte nöthig 
it, darüber läßt ſich freilich ftreiten. 

16. Lichtſtrahlen, 52 Geſchichten aus ber Bibel für die 52 Sonntage bes Jahres 
für die lieben Kinder. Nach dem Englifhen von A. teen, Lehrerin in 
Bremen. Bevorwortet von Bauerfeind, Suverintendent. Barmen, Wie⸗ 
mann (Steinhaus). 182 S. Gebunden 1 Marl 50 Pfg. 

Für Kinder bis zum 12. Jahre beftimmt; aber nicht durchaus 
für fie geeignet. Im Ganzen ift zwar der kindliche Ton in ber Er— 
zählung getroffen, aber in den Einleitungen und Reflexionen zu ben 
biblifchen Gejchichten findet fich viel Ungehöriges und Bhantaftifches. 
Sogleih auf ber erften Seite beißt es: „Einft war Gott allein im 
Himmel, fpäter fchuf er die Engel; viele verfelben wurben Böſe unb 
heißen Teufel; darnach ſchuf er die Welt”. Das ift zum allerivenigften 
unbiblifh zu nennen. Die Schlange ift nad ©. 5 der Teufel, der 
in die Hölle geworfen worden war. Wie kam er nun aus der Hölle 
in bad Paradies um Eva zu verführen? möchte man da wohl fragen. 
An groben und verberblichen Antbropomorphismen fehlt e8 nicht. Auf 
©. 14 3. B. lejen wir: „Ob wohl ſchon jemand Gott felbft hat reden 
hören. Einft ſprach Gott zu vielen Leuten. Er vebete fehr laut“ u. ſ. m. 
Sollten die Kinder nicht eher dazu angeleitet werben, zu begreifen, 
daß Gottes Wort etwas Anderes ift als eined Menichen Rede? Die 
liebliche Geſchichte Joſephs fehlt ganz, dagegen find die aufregenden 
und erjchredenden Geſchichten von dem glühenven Dfen und von bex 
Lötwengrube gewählt worden. Die neuteftamentlihen Gefchichten nehmen 
den größten Raum ein. In ber Art, wie fie erzählt werben, liegt 
meift ein großer Bauber ber Kinblichfeit und Innigkeit. Mitunter 
kommen dann aber auch wieder Dinge vor, melde ſeltſam berühren. 





7 Religion. | 61 
So bei ber Auferftehung S. 152 bie Frage: „Wenn Diebe im Grabe 
geweſen mwären, hätten die wohl die Tücher liegen laſſen ober fo nett 
zufammengelegt?” Bei dem erften Pfingftfeit wird fogar die ganze 
Trinitätölehre veproduciert. Und im Schlußabjchnitt heißt es von 
Sobannes, er habe auf Erden den Herrn iebergefehen, an einem 
Sonntage, auf Patmos, als er hinter fi eine laute Stimme wie von 
eines Pojaune hörte. Das Streben nah Anfchaulichleit und ber 
Wunſch, die Phantafie der Kinder anzuregen in Verbindung mit einem 
ungeſunden pietiftifchen Zuge, bat auch bier viele Verftöße und Unge 
fchidtheiten im Gefolge. Immerhin kann man aus biefem Buche, wenn 
man die Fehler vermeibet, lernen, wie man für bie Kleinen die bibli« 
ſchen Geihichten in das Lebendige verwandeln und mit Geift und 
Wärme erfüllen foll. | 


IV. Spruchbücher, Katehismen, Leitfaden für die Vollsſchule. 


17. ©, Eckardt, Director zu Glauchau, Sprüche der heiligen Schrift und, 
geiftlihe Lieder nach dem bibliichen Geſchichts⸗ und Katehiämusslinter- 
richte fürs Auswendiglernen flufenweife geordnet nebft Luther's Meinem 
Kath lomus. 5. verb. Aufl. Leipzig, Klinkhardt. 1874. 90 ©. reis 


35 Bf. 

18. 8. G. Betermann, Director in Dresden, Bolfländiges Spruchbuch zu 
Luther's Heinem Katehismus mit Hinwelfungen auf biblifche Geſchichten, 
Abſchnitte und das Geſangbuch. Für Lehrer und Schüler. 38. Auflage. 
Dresden, A, Huhle. 1874. 104 ©. Preis 50 Pf. 

19. U. Noad, Recior in Glogau, Spruchbuch zu Luther’s Meinem Katechis⸗ 
mus nebft mehreren Anhängen. Mit Borwort von Generalfuperintendent- 
Erdmann. 9. erweit. Auflage. Glogau, Zimmermann. 1872. 37 ©. Preis 


15 Pf. 
20, Dr m Strauß, Sammlung von biblifhen Sprüchen zum Religions 

unterricht. 15. Aufl. Halle a / S., Schwabe 1874, 54 ©. Preis 30 Bf. 

Alle vier Schriften dienen demfelben Zweck mit ztemlich dem näm⸗ 
lichen Inhalte. Alle vier Haben mehrere Auflagen erlebt und bereits eine 
ziemlich weite Verbreitung gefunden. Das Eckardt'ſche Buch (Nr. 17) hebt 
die Sprüche, welche nothwendig zu memorieren find, beſonders hervor, 
nachdem eine Anzahl dogmatifcher Beweisftellen und gefchichtlicher Merk⸗ 
worte durch Meineren Druck befeitigt find. Die Orbnung ber Sprüche 
ift eine ſtreng Iogifche, fo daß das Buch dem Neligionsunterrichte felbft 
zu Grunde gelegt werben Tann. Der Lehrftoff fammt Angabe ber 
biblifden Gefchichten und Katechismusftüde tft auf bie verichiebenen 
Jahrescurſe und Wochen des Jahres mit Sorgfalt vertheilt; der Lehrer 
ift dadurch jeder Mühe ber Auswahl überhoben. Yür das erfte Schul- 
jahr fcheint es uns aber zuviel verlangt, wenn mit den der Sprache 
Iaum mächtigen Kindern einer Dorfihule etwa je eine, fpäter fogar 
zwei Geſchichten wirklich verarbeitet werben ſollen. Daſſelbe gilt von 
der, wenn auch noch fo mäßigen Auswahl der Sprüde. Soll Sprud) 
und Geſchichte wirklich flüffig und in das innere aufgenommen wer⸗ 
ben, jo gehört dazu von Anfang an viel Zeit und Gemächlichkeit. 
Auch in den folgenden Curſen bemerken wir eine unftatthafte Weber: 
laftung der Schüler, beſonders durch Lieber, deren in mancher Woche 








62 ‚Religion. 


vier zu lernen und zu repetieren find. — Im Uebrigen berbient dies 

Spruchbuch alle Anerkennung und Empfehlung. 

Dafielbe it von dem Petermann’schen (Nr. 18) zu fagen, bei 
welchem die Auswahl der Sprüche ebenfo glüdlich, als die Dispoſition 
des Katechismusinhalts Har und faßlich if. Dogmatiſch ift das Bud 
äußerft vorfichtig ; felbft die böfen Engel werben nicht beanſtandet (6.63). 
Gonderbar ericheint es, daß, nachdem „Jeſu göttliche Eigenfchaften, 
Werke und Verehrung“ erörtert find, noch für nötbig gehalten wird, 
zu lehren: er war auch ald Menſch ohne Sünde. ft ein Menſch 
göttlich in dem Sinne des Buchs, wie fann da überhaupt noch von 
Sünde die Rebe fein? — Der Borzug dieſes Buchs befteht in ber 
ausgiebigen Berüdfichtigung des fittlidhen Lebens und der Pflichtenlehre. 
Allerdings nur zerfireut bei den Geboten, ber Auslegung des britten 
Hauptftüdes und fonft, ohne Hare Zufammenorbnung, werden bie 
menschlichen Pflichten erörtert, aber doch jo eingehend und vielfeitig, 
daß man ſich nur darüber freuen kann. Auch der Arbeitſamkeit, Spar- 
ſamkeit, Orbnungsliebe, Vaterlandsliebe u. |. w. wird twieberholt und 
eingehend gedacht, ebenfo der Pflichten gegen Beritorbene und gegen 
bie Thiere. Es ift ein überaus reiches Material in dem Petermann': 
ſchen Buche aufgefpeichert. 

Das Bud von Noack (Nr. 19) bat feine Sprüche auf 180 be: 
ſchränkt. Diejelben find in einer Ueberficht claffenweife auf bie ein- 
zelnen Theile des lutheriſchen ſtatechismus vertbeilt. Im Anhang 
wird der religidfe Memorierftoff, aus Katechismus, Pfalmen, Kirchen: 
liedern, bibliſchen Gefhichten und Evangelien beftehend, claſſenweiſe 
bisponiert. Das Bibellefen in drei Claſſen und die täglichen Bibel- 
lectionen werden wochenweiſe in Benfa georbnet vorgeführt. Der m 
diefem Buche nur angebeutete, nicht auögeführte Lehrplan fcheint uns 
einer gründlichen Reviſion zu bebürfen. — Zuletzt erwähnen wir das 
Etrauß’iche nachgelafiene Wert (Nr. 20. Es nimmt feinen eigenen 
‚zivedmäßigen Gang, mit der Lehre von Gott beginnend und dann dem 
Apoftolicum folgend. Sehr ausführlich ift die Lehre von der Hetligung 
behandelt. Im zweiten Theile fchließt ſich die Sittenlehre an nad) 
den 10 Geboten. Anhangsweife ift eine Zeittafel beigegeben, bie na⸗ 
mentlich für die neuere Kirchengeſchichte recht ausführlich wird. Ein 
Abdrud der fiebenzehn erſten Artikel der Augsburger Confeifion im 
Auszuge Ichließt das Bud. Die Zahl der angeführten Sprüde ift fehr 
mäßig. Das Büchlein empfiehlt fi) durch feine Einfachheit, Anſpruchs⸗ 
Iofigteit und Klarheit als Leitfaben für Lehrer, welche e8 vorziehen, in 
freier und felbftändiger Weife ihren Unterricht zu ertbetlen. 

21. £ülfsmittel für Bibellunde, Geſchichte, Raturgeſchichte, Geographie, beutfche 
Sprade und Rechnen nebit BolfsliedersZergten und einem anbange, ent» 
baltend den lutheriſchen Katechismus und Gebete. 9. verbefierte Auflage. 
Berlin, 3. Schiefier. 1874. 48 ©. Preis 25 Pfg- 

Ein Repetitionsbuch für Kinder, welches das Dictieren und Ab- 
fchreiben überflüffig machen jol und barum von Allen Etwas bringt. 
Der erfte Abfchnitt enthält eine kurze Bibelkunde und eine Zeittafel 


Religion. 63 


für die Neligions- und Kirchengefchichte, fowie eine Aufzählung ber 

Zänder- und Stäbtenamen PBaläftinas, enblih ben Text von 32 hüb⸗ 

chen Bollgliebern und ben Katehismustert — das find bie Dinge, die 

für und an dieſem Heftchen in Betracht kommen. 

22. Lern» und Gedenkbuch für evangelifche Schulen. 5. vermehrte und verbefierte 
Auflage. Neuruppin, Petrenz. 1875. 55 &. Breis 40 Pf. 

Dem vorigen ähnlich bringt dies Büchlein zuerft den Iutherifchen 
Katechismustert, in welchem die unverſtändlichen Worte erflärt werben, 
ſodann eine Weberfiht über die bibliſchen Gefchichten und die Haupt- 
punkte der Kirchengeſchichte, worin Luther’ Leben in ſchlechten Verſen 
befchrieben wird; es folgen fobann bie Unterfcheidungslehren der römi⸗ 
ſchen und der evangelifchen Kirche in gebrängter Ueberficht und zulekt 
eine Beichreibung des Kirchenjahres mit Erklärung der lateiniſchen 
Sonntagänamen. 

23. Yug. Arndt, Hülfsbuh fir den Religionsunterricht In der Vollsſchule 
mit befonderer Berüdfihtigung der Beftimmungen für Preußen vom 20. Det. 
1872, Leipzig, Mengel. 1874. 24 ©. Preis 30 Pf. 

Eine kurze Einleitung in bie heilige Schrift bringt das Noth- 
bürftigfte über die Reihenfolge und den Anhalt der einzelnen Bücher 
bei. Vom Hohenlieb beißt es ba, es laſſe durch den irdiſchen Schleier 
der Tiebe und Treue die bimmlifche Liebe Gottes zu feiner Gemeinde 
durchſcheinen; vom Galaterbrief Iefen wir, er folle die Judenchriften 
abmahnen, die Heibendriiten auf bie jüdiſchen Geremonialgefete zu 
verpflichten. Ye weniger die Kinder von dieſen zum Theil geradezu 
unrichtigen, zum Theil unverftänblichen Skizzen haben werben, beito 
befier ift der zweite Theil zu brauchen, welcher eine kurze Geographie 
von Paläftina und von den angrenzenden Ländern bietet. 

24. W. 9. Cüppers, Lehr und Gebetbũchlein, enthaltend den erften Religions⸗ 
unterricht und die täglichen Gebete. 2. vermehrte Auflage. Bonn, Henry. 
Mit erzbifchöflihem Imprimatur für fatholifche Schulen. Das 

Büchlein beginnt mit einem kindlichen Unterriht von Gott, erzählt 

kurz und in kirchlichem Sinne die Gedichten von Jeſu, Maria und 

den Apofteln, unter denen Petrus bereitd als Oberhirt, d. i. als Papſt 
der Ehriftenheit, erfcheint. Nach einem Seitenblid auf die ungläubigen 

Getauften, welche der Verdammniß verfallen find, folgen die Gebote 

und Gebete der römilchen Kirche, Ave, Maria, Rofenkranz, bie aus- 

führliden Meßgebete und die Beichtandacht. Intereſſant find bie 

Fragen zur Gewiſſenserforſchung bei ber Obrenbeichte, zu benen auch 

die gehört: „Haft Du in ber Kirche geplaubert ober gelacht?“ An⸗ 

hangsweiſe find die Fragen beigegeben, mit denen ber Lehrer feinen 

Schülern ven Inhalt des Buches wieder abzufragen hat. 


V. Zum Eonfirmandenunterridt. 


25. M. Neffelmann, Lie. der Theologie, Prediger in Elbing, Luther's 
Katechismus für Schule und Kirche ausgelegt. 5. verbeflerte Auflage. 
Elbing, Nenmann-Hartmann. 1874. Preis 40 Pf. 


64 Religion. 


Dies Heine Buch lag nur in ungebundenem Zuflande und einzel: 
nen Bogen bor, jo daß es nicht eingehend zu prüfen war. Gopiel 
zu ſehen, ift ein ſtreng bogmatifcher Lehrbegriff, jo namentlich im 
Abendmahl, in der Erlöfungsichre, bei der Taufe zu Grunde gelegt. 
Es iſt deshalb wohl mehr Anweifung für die Lehrer, als zum Ge 
brauch der Schüler, was hier geboten wird. Für Letztere ift wenigſtens 
der Theologie etwas gar zu viel. Weberhaupt dürfte die Volksſchule 
nicht der geeignete Pla für die volle eingehende Verwendung biefes 
bom Standpunlte einer firengeren Gläubigfeit au3 ang Lehr⸗ 
buches ſein, ſondern im Confirmandenunterricht erſt wird ſich die Stelle 
finden, wo bie confeſſionellen Lehren in ſolcher Ausführlichkeit zu berüd- 
fihtigen find. 

26. D. Berchtold, Biarrer in Schöfflistorf (Züri), Wie fohte ein Leitfaden 
für den Gonfirmandenunterricht beſchaffen fein? Einige Betrachtungen über 
ein Patechetifches Ihema. Zürich, Schabelitz. 1874. 16 ©. 

Te . 

27. Derſelbe, Confirmandenbüchlein. Unterriht in der chriſtlichen Religion. 
Ebendaſelbſt. 32 S. Preis 40 Bf. 


Vom freien proteitantiiden Standpunkte wirb hier bie wichtige 
Frage des Confirmandenunterrichtes zuerft tbeoretifch erörtert, ſodann 
praftiich in einem neuen Leitfaten erledigt. Worin fieht der Verfafler 
das Ziel diefes Unterrichtes? Darin, daß die Kinder zur feiten Leber» 
zeugung bon den Wahrheiten des chriftlichen Glaubens und zum freu: 
digen Belennen geführt werden. Darum muß die Summe chriftlicher 
Erfenntniß auf einen möglihit einfachen Ausdrud gebracht und ben 
Anſchauungen und Erfahrungen des Kındergemüthed angepaßt werben. 
Epeculative und bogmatifche Abitractionen wären ein Unglüd, wo 
einfache, beftimmte, greifbare Begriffe von Röthen jind. — Die alt- 
bergebradhten Katechismen verwirft der Verfaſſer jchon wegen ihrer 
dogmatiichen Anjtösigfeiten und wegen der Form in Tragen und Ant- 
worten. Die neueren Neitfaben findet er nicht anſchaulich, jchlicht, 
faßlih und gemüthvoll genug, auch oft zu ſehr von abſtract philoſo⸗ 
phiſcher Schulipradde erfüllt. Warum, ruft er, nicht anknũpfen an bie 
reiche innere Welt der jungen Herzen? warum bemonfirieren, wo aus 
dem eigenen religiöien Yeben entiwidelt werden lann? Das Sehnen, 
Wünſchen, Feblen und Yeiden ber Kindesſeele ſelbſt, das fer das Princip, 
aus welchem man bie Wahrheiten des chriſtlichen Glaubens ableite! 
Gr erinnert an ein altes Yüclein, aus dem Jahre 1596, im welchem 
er das Ideal von wahrer Popularität und Kindlichkeit iindet. Was, 
fragt er, bat ter Bauernfnabe davon, wenn wir ibn von Wechſel⸗ 
wirtung in ber Religion, was bat der vertmuifte Lehrjunge davon, wenn 
wir ibm ven erbutenem Weltzwecke, was das Dienſtmädchen, wenn 
wir von einkitlidem Organismus des Weltganzen reden? Rein, aud) 
die Sprade und Redeform muß bem Gedanlenkreiſe der Kinder ange 
bören, oder Ver Unterricht if ein pãdagogiſches Umecht. Nur dann 
wird ter Leitfaden cin Erbauungsbüchlein, wenn er nicht blos frei- 
finnig, ſondern aud voll gemütklider Wärme if. 


Religion. 65 


Diefe beberzigenswerthen Tritifchen Bemerkungen nimmt nun der 
Berfafler zur Grundlage feiner eigenen Arbeit. Die Eintbeilung und 
der Gedankengang vermeidet ein fein gegliedertes Gefüge und ftellt 
nur wenige maffive und felbftverftändliche Grundbegriffe zur Orien- 
tierung auf. Abſehend von aller Definition des Religionsbegriffes 
knüpft Berchtold an die Freude an, die ein jeder im chriftlichen Heil 
genofien bat, alfo an die eigene Erfahrung, Stellt dem gegenüber ben 
Schatten ber Bergänglichkeit und Sünde und die Offenbarung, beren 
Duelle die Bibel if. Seine Lehre von Gott (I) zeichnet die Eigen- 
fchaften und Thätigkeiten Gottes vor Allem in ihrer Bedeutung für 
das religiöfe Leben mit Nutzanwendung für das eigne handeln. In 
der Lehre vom Menſchen (II) beipricht er faft nur die Sünde, bie er 
fo erllärt: fie ftamme daher, „daß wir bes Fleiſches Luft Folgen, ber 
Berfuhung nachgeben und unfern Willen lieber thun, als Gottes 
Willen“, ohne freilich vorher die Begriffe „Fleiſch“, „Verſuchung“, 
„Gott“ und „Wille näher erörtert zu haben. Diefer Abſchnitt ift 
überhaupt ber fchwächfte, es wäre nöthig geweſen auf das gottgejebte 
Weſen, Leben und Sein des Menfchen näher einzugehen unb das 
menschliche Ideal eingehenver zu behandeln, ehe die Sünde zur Sprache 
gebracht wurde. Es wäre gut, neben der iöraelitiihen Meiftasibee 
der allgemein menſchlichen Sehnſucht nad Erlöfung, ber Berfinfte- 
rung der Heidenwelt, der Verſuche fih aufzuraffen (Pythagoras, So— 
erates, Plato) zu gedenken, um die Bebeutung ber Erlöfung beito 
ſchlagender hervortreten zu laflen. Die Lehre von der Erlöfung (II) 
ſchildert zunächſt in Chriftus das vollendete Seal, den Dffenbarer 
Gottes, woran fi) der Abſchnitt über Aneignung und Bewährung bes 
Heiles anfchließt. Unbeutlich ift in 8 31 der Ausbrud: „Jeſus ift ber 
rechte Yührer zur Erkenntniß, zur Heiligung und Seligfeit, indem auch 
wir in ihr (fol wohl heißen: in ihm?) wiebergeboren werden‘ u. f. w. 
Bedenken haben wir gegen bie Motivierung des Heiligungsftrebens nad) 
ortbodorer Weile in 8 36. Der Dank für das Heil ift wenigſtens 
nicht der ſtärkſte Beflerungstrieb, fondern vielmehr die erleuditete Er- 
kenntniß, welche bie Folgen ber Sünde erfannt bat und ber jelbft- 
verftändliche Trieb zum Guten, der unmiberftehlihe Zug bes befehrten 
Herzend zum Seal. So ſcheint auh 8 37, der das „allein durch 
Gnade’ betont, mit der Vorausſetzung von 8 36 in Widerfpruch zu 
fteben. Endlich könnte und follte wohl in 8 34 ale Object de vollen 
rechtfertigenden Glaubens Gott allein genannt werden, während Jeſus 
nur als Führer bezeichnet if. Die Darftellung bes fittlihen Lebens 
in Chriſto, wie fie der Schlußabfchnitt bietet, iſt ganz bortrefflih, wenn 
auch nicht ganz vollfländig und noch zu viel mit abftracten Begriffen 
wie Bollendung, Vollkommenheit, Vergänglichleit u. A. durchzogen. — 
Jedem einzelnen Paragraphen find gutgewählte Bibelfprüche, mitunter 
auch hübſche Liederverſe beigefügt. Das in ber Theorie fo warm 
empfundene und gejchilberte Bedürfnig hat der Verfafler in praxi faft 
durchaus befriedigt. Am Inhalt vermifien wir nur, was dem Con⸗ 
firmandenunterriht nicht fehlen darf, eine Klare Herausftellung bes 

Päd. Jahresbericht. XVI. 3 


66 Religion. 


Reformationsbedürfniſſes und der Unterfchiede zwiſchen ben einzelnen 
Kirchen. Will man das chriſtlich Gemeinfame recht veriteben, fo muß 
ke zuvor daB, was die Chriften in ber Religion trennt, erkannt 
aben. 

28. G. Schulze, Paſtor, Briefe an die confirmierte Jugend. Elberfeld, Mofel. 
1873. 75 ©. Preis 1 ME. 

Obwohl ganz in pietiftifchem Tone gehalten, fprechen dieſe Briefe 
an die Jugend boch herzliche und beherzigenswerthe Worte der Mahnung 
und Orientierung aus, welche Allen zum Segen werben Türmen. 
Ein Bibeljpruch bildet den Ausgangd« und Dlittelpunft jeder dieſer 
kurzen Anſprachen, von denen elf die Kirche und ihre Gnadenmittel, 
breizehn den Weg bes Heild und bie Heiligung des Lebens bebanbeln. 
Morte wie die: „Halte Dich keuſch!“ — „Arbeitet mit ftilem Weſen!“ — 
find gewiß nicht ohne Frucht. Das Heftchen Tönnte als ein Geſchenk 
an Sonfismanden vertheilt werben. 

29. Dr. Weber, Pfarrer, Beichtfpiegel für Confirmanden und Gonfirmirte. 
Eine Anlettung zur Selbftprüfung nad den heiligen 10 Geboten. 3. Aufl. 
Nürnberg, Löhe. 1874. 63 S. Preis 20 Pfg. 

Diefe kurzen Anſprachen über die zehn Gebote, zur Vorbereitung 
auf die Beichte und zur Erinnerung an den Unterricht, find nicht ohne 
fatechetifchen Werth, aber bedenklich wegen pietiftifcher Mebertreibungen. 
Unwahre Empfindungen und Worte in der Religion unb im Gebet 
find Gift. Nur in Bergiftungsfällen wendet der Arzt ftarle Gegen- 
gifte an, bei gefunden Naturen nie. Wir hoffen in unfern Kindern 
bei ihrer erften Abenbmahlöfeier noch unverborbene Seelen zu finden, 
darum können mir und biefer ätenden Stoffe nicht bedienen, ohne 
Schaden anzurichten. 

30. K. Scheffer, DO. berprediger in Magdeburg. Gott und der Menſch. Evan⸗ 
gelifcher Confirmanden-Unterricht, geordnet nad Dr. Luther's Meinem Kate 
hismus für die Lehrer und die Hörer zur Vorbereitung wie zur Wieders 
holung. Leipzig, Fr. Brandfleiter. 1875. 50 ©. Preis 75 Pfg. 

„Auögetretene Geleife wirb man nirgends finden, fonbern das 
Streben, dem alten Schage evangelifchen Glaubens und Willens eigene 
Formen und Farben, felbftändige Gefichtspunfte, neue Beziehungen 
und einfache leicht behaltbare Gruppierungen abzugewinnen‘ — fo 
Schreibt der Verfaffer in ber Vorrede. Im Anſchluß an die Haupt: 
ftüde des Katechismus führt er die ebangelifche Lehre ftrenge unter 
dem Gefichtöpunfte des Confirmationsunterrichted vor. Nach der eigen: 
thümlichen Deutung, daß Confirmandenunterridt „Befeitigungsunter: 
richt” fei und daß durch denſelben dad Herz im Glauben für bas 
Leben befeftigt werden folle, entwidelt er bie Gebote Gottes, die Lehre 
vom Glauben , vom Gebet und von den Sacramenten. Jeder Para: 
graph beginnt mit einem kurzen Lehrſatz, deſſen weitere Ausführung 
durch Bibelſprüche und meiſt blos andeutende Erklärungen und Notizen 
aufgegeben wird. Vorzüglih ift die Behandlung der Gebote; aus ben 
drei erften entwickelt der Verfafler die Pflichten des religiöfen Lebens 
(der Gefinnung, des Belenntnifies und ber religiöfen That), aus ben 


Religion. 67 


übrigen die Gejete bes fittlichen Lebens in Familie, Gemeinde und 
Staat. Der Gottesbegriff des Verfaflers culminiert in den drei Be- 
griffen: Geift, Liebe und Licht. Gegenüber der ausgiebigen und faſt 
zumwelt ausgedehnten Behandlung ber Lehre von Chriftus ift die Lehre 
vom Menſchen zu kurz und obenhin abgethan; auch halten wir dafür, 
daß die dogmatifch-allegorifche Redeweiſe von dem dreifachen Amte 
Ehrifti, deren ſich der Verfafler bedient, für den Volksunterricht weniger 
geeignet ift. Die Lehre von den letzten Dingen nur al Anhang zum 
drikten Artikel zu behandeln, ift um fo weniger Anlaß, als die biblifche 
Theologie gerade Auferftehung und ewiges Leben als ein unmittel» 
bares Ergebniß und als nothiwendige Folge ber Heiligung erkennen 
lehrt. Das dritte Hauptftüd wird benußt, um die vorher leider vers 
abjäumten Begriffe des Böſen, ber VBerfuhung und der Schuld nadjs 
träglih zu erörtern. Der größte Fleiß aber wird auf die Behand- 
lung der Sacramente verwendet; ihnen ift fait ein Drittel des Buches 
gewidmet. Manches Theologiiche und Lediglich Befchreibende hätte 
hier ohne Schaden mwegbleiben können. Doch wird man fi) gern die 
Winke des Verfaſſers gefallen Iafien, welche bem Lehrer zur Richt: 
Schnur und dem Schüler zur Wiederholung dienen. Der Gedanken⸗ 
reichthum und die moderierte bogmatifche Haltung biefes zweckmäßigen 
Buches empfehlen daſſelbe für die meiteften Kreije. 


VI Sculbibel. 


91. Dr. Rud. Hofmann, ord. Prof. der Theof. u. Director des katechet. und 
pad. Seminars zu Leipzig, Schulbibel. Bibliſche Gefhichte und Lehre 
in urkundlichem Wort für bie höheren Abtheilungen der evang. Schule. 
. Heft. Bogen 1—12. Dresden, Meinholb u. Söhne. 

32. ae Vorwort für Lehrer und Erzieher zu diefem Werke. Eben⸗ 
aſelbſt. 


„Es giebt Forderungen der Zeit, welche, nachdem ſie zuerſt ſpo⸗ 
radiſch und ſchüchtern aufgetreten und wiederholt als unwillkommene 
Zeitſtimmen zurückgewieſen worden ſind, dadurch, daß ſie immer wieder 
und mit immer verſtärkter Intenſität laut werden, beweiſen, daß ihnen 
ein Wahrheitsmoment innewohnt.“ Mit dieſen Worten beginnt Prof. 
Hofmann ſein Vorwort zu dem großen, umfaſſenden und gediegnen 
Werke, deſſen Erſtlinge vor uns liegen und ſucht damit gewiſſermaßen 
feine Arbeit an demſelben vor den Gegnern der Schulbibel zu recht⸗ 
fertigen. Die „Schulbibel” erfcheint ihm als eine berechtigte nicht 
länger abzumeijende Forderung der Zeit, während er einen „Bibel— 
auszug“ perhorvescieren würde. Den Unterjchieb fieht er darin, daß 
ein Bibelauszug den Zweck und die Folge haben merbe, die unverfürzte 
Bibel zu verdrängen, während die Schulbibel lediglich dem Schulzwecke 
dienen und nad pädagogijchen Grunbfähen bearbeitet werden müſſe, 
um bie Sugend in die unverlürzte heilige Schrift einzuführen. Das 
Volk könne nicht zu einem rechten Gebrauch der Bibel gelangen, wenn 
e3 nicht dazu erzogen werde; ber berfrühte Gebrauch der vollitändigen 
Bibel ohne das Gegengewicht einer willensſtarken ethifchen Perjönlich- 

5 * 


68 Religion. 


feit führe aber fittliche Gefahren mit fih. Wenn das Schulkind mit 
dem zehnten Jahre die Bıbel in die Hand befomme, jo fehle die 
geiftige und fittliche Reife noch gänzlih; es fei alfo nöthig, eine Be- 
arbeitung der Bibel zu befigen, melde ben voraußgegangenen Unter- 
richt aus der Offenbarungsurfunde ergänge und beftätige und die Ein- 
bändigung der Gefammtbibel vorbereite; dieſe lettere babe erft um bie 
Sonfirmationgzeit ftattzufinden. Hofmann wünſcht, daß die Uebergabe 
der Bibel an das Kind eine feierliche Handlung fei, durch welche die 
Ehrfurcht vor derjelben gemehrt werde. Wir laflen dieſe Nebenvor: 
Schläge ebenfo wie Andeutungen bes Verfaſſers über das Yormalprineip 
der evangelifchen Kirche bier bei Seite, um uns von ihm Rechenſchaft 
über die Grundſätze, die ihn bei feiner Arbeit geleitet haben, ablegen 
zu lafien. Die Tendenz, die Bibel in möglichft unverjehrter urkund⸗ 
licher Form beizubehalten einerfeit3 und die Nüdficht auf die intellec- 
tuelle und fittliche Reife des Kindes bei Ausfcheibung gewifler Stücke 
anderfeitö find die leitenden Principien des Verfaſſers geweſen. Da⸗ 
her 1) unverkürzte Aufnahme des Neuen, aber Entfernung der Ge⸗ 
ſchlechtsregiſter, der Apolryphen und gewiſſer jüdiſcher Geſetze; 2) Bu: 
ſammenarbeitung verwandter Quellenſchriften, wie des zweiten und 
fünften Buches Moſe, der ſpäteren Geſchichtsbücher und ber vier Evan⸗ 
gelien; 3) Berichtigung anerlannter Fehler der Ueberſetzung Luthers 
nad den Grundjägen der Kirchentagscommilfion; 4) Entfernung ber 
äfthetifch und fittlih anftößigen Worte und Erzählungen , welche ben 
Schleier von den geſchlechtlichen Verhältniſſen binwegnehmen , jedoch 
ohne falſche Prüderie und ohne das Abſchreckende der Sünde zu ver- 
Schweigen; endlich 5) Hinzufügung ifagogifcher Erläuterungen, melde 
die chronologifchgefchichtlichen Verhältniſſe ver einzelnen Bücher dar- 
legen und Einfchaltung von pragmatifchen Ueberbliden, um die leiten- 
ben Geſichtspunkte ganzer Abichnitte anzugeben. 

Was die Anorbnung betrifft, jo mill Hofmann bie Lehre und 
Prophetenbücher des A. T. in den gefchichtlichen Zuſammenhang der 
Urkunden einordnen, ausgenommen den Pſalter. Die Capiteleinthei= 
Iung der Bibel läßt er verftändiger Weife weg, nur im Pfalter und 
in den Lehrbüchern des N. T. fie beibehalten, was wir in Bezug auf 
leßtere bevauern, da es dem Verſtändniß nicht förderlich iſt. In der 
Wahl der Ausbrüde ſoll bie Decenz und ber gefteigerte Sinn für das 
Wohlanftändige maßgebend fein. Wir glauben, daß in biefer Rüd- 
ſicht gar nicht genug geſchehen kann; ſelbſt Worte wie „Freſſen und 
Saufen”, welche Hofmann noch beibehält, dürfen und müſſen entfernt 
werden; au das Wort „Samen“ für Nachkommen möchten wir nicht 
feitgebalten fehen, einfach darum nicht, meil es ben Kindern unver- 
ftändli iſt. Ueberbliden wir das mhaltsverzeichnig, jo begegnen wir 
im 4. T. fünf Abfchnitten; der erfte umfaßt die Urs und Bunbes- 
geichichte big zum Tode Mofes, der zweite bie Zeit Joſua's und ber 
Hichter, der britte diejenige ber Könige, ber vierte die Zeit ber Tren- 
nung, ber fünfte die Geſchichte Iſsraels unter der Frembherrfchaft. 
Im RN. T. fol das Leben Jeſu unter den zwei Gapiteln: Stand ber 





Religion. 69 


Erniedrigung und ber Erhöhung ſpnoptiſch-harmoniſtiſch, d. h. durch 
Zufammenfaflung der vier Evangelien tiebergegeben werben. Gegen 
dies lehtere Verfahren haben wir ernfte Bedenken, weil es zu uns 
kritiſcher Gefchichtävermengung führen muß. Für die drei erften 
Evangelien möchten wir und das Berfahren wohl noch gefallen laſſen; 
aber das vierte Evangelium, biefe allegorifch-typifche Erbauungsfchrift, 
fordert mit Ausnahme ber Leidensgefchichte eine Sonderſtellung für fidh. 

Das erite Heft, das bereit3 vorliegt, beginnt mit einer kurzen 
und zwedmäßigen „Einführung‘ in die heilige Schrift; ebenfo knapp 
und treffend find bie einleitenden Worte vor den einzelnen Abjchnitten. 
Außerorbentlich glüdlich zufammengezogen find die Bücher Mofes, 
deren Inhalt auf 126 Seiten zufammengebrängt ift. Blos ein Aus- 
drud auf S. 13 mißfällt uns, die „Blöße“ Noahs, wofür wir lieber 
leſen mörhten die „Schande, wenn nicht bie ganze Verfluchung Ca⸗ 
naans wegzulaſſen fein ſollte. Alles in Allem iſt die Abficht und ber 
Anfang des Werkes mit Freuden zu begrüßen. Neferent bielt früher 
die „Schulbibel” für entbehrlich, weil ihm eine gute biblische Gefchichte 
für die Volksſchule genügend erſchien. Das Hofmann'ſche Unternehmen 
bat ihm eine andere Meinung beigebradht. Daſſelbe verbient die all- 
gemeinfte Theilnahme. Der Drud ift gut. Das Papier dürfte etwas 
weißer und ftärfer fein; in unferem Exemplar gab es wenigftens durch⸗ 
geichlagene Stellen. Nur ein billiger Preis bleibt zu wünſchen, daß 
die Schulbibel auch in ben Schulen eingeführt werben Tann | 


VD. Sittenlehre. 


33. Sr. Wyß, Schulinfpector, Tugend u. Pflichteniehre (Ethik.) Ein Hülfe- 
mittel für Die fittliche Erziehung der Jugend, indbefondere für nicht⸗konfeſ⸗ 
fionelle Volksſchulen. Bern, Dalp'ſche Buchhandlung. 1874. 3M.20 Pig. 


Sin Materialienbudy von bebeutendem Wertbe, das bie freubigfte 
Beachtung verdient. Der Verfaſſer entwidelt im Vorwort fein Pro 
gramm. „Drei Dinge müſſen im Intereſſe einer beffern moraliichen 
Erziehung aus dem Religiong-Unterrichte der Volksſchule hinaus: bie 
Specialgeſchichte des Judenthums, der Wunberglaube, das blos Con⸗ 
fejlionelle, die dogmatifche Menſchenſatzung. Nur zwei Männer des 
Judenthums haben ein Recht, fpeciel behandelt zu werden: Mofes 
und Jeſus. Alles Uebrige ift in gebrängter Kürze dem Gejchichts- 
unterricht zuzumeifen. Die Tugend muß nicht auf die Stirchenlehre, 
Himmel, Hölle und Teufel gejtübt merben, ſondern auf Vernunft und 
Gewiſſen, die uns lehren, baß der Menſch nur glüdlih ift, wenn er 
gut ift und daß eine fittlihe Weltorbnung nur dann beftehen kann, 
wenn Jeder den Zwecken des Ganzen dient. Man fieht, der Berfafier 
ift ein Feind der biblifchen Gejchichte und er macht fie für die Ab- 
nahme der Moralität in der chriftlihen Geſellſchaft gewiſſermaßen 
verantiwortli. Er gebt darin unferes Erachtens entfchieden zu weit; 
er bergißt bie erhabene Schönheit und den bildenden Werth berjelben 
im Einzelnen, vor Allem überfieht er, daß der Gotteöglaube, bie Ein⸗ 


70 Religion. 


fiht in die Erziehung der Menjchheit zum Reiche Gottes auf Teine 
beffere und angemeflenere Weife dem Kinde vermittelt werden fan, 
als durch die bibliſche Gefchichte. Anftatt eine nothwendige und grünb- 
liche Revifion biefes Unterrichtöfaches vorzunehmen und das Unpaffende, 
Schädliche und allzu Antbropomorphiftiiche auszufcheiden, begeht er das 
Unrecht, unbefehen das Ganze zu veriverfen. Ebenſo rabical ift das 
Vorgehen des Verfaflers gegen ben Wunberglauben, von dem er jagt, daß 
er eigentlich nicht mebr beftehe, aber doch die fittlihen Kräfte durch 
Indolenz und Stumpffinn feflele. „Zerftört den Wunderglauben,“ 
ruft er, „lo gebt ihr der Menſchheit das reine Evangelium zurück!“ 
So richtig der Verfafier das echte Chriftentbum und deſſen ſittliche 
Kräfte tariert, fo wenig fcheint er doch von der Symbolik der Religion, 
von ber Poefie der Kindheit und von dem Leben des Gemüthes zu 
halten. Anftatt zu zeigen, wie man „des Glaubens liebites Kind, das 
Wunder,” behandeln und in dem Erziehbungsplane verwerthen fol, ruft 
er: Hinweg damit! Macht nur Alles recht nüchtern und verftänbig ! 
Und indem er ben oberften päbagogiichen Grundfag: Suum cuique ! 
vergikt, will er unfere Kleinen zu recht aufgellärten Menſchen machen, 
die mit ber Geſchichte der Menſchheit, mit Himmel und Erbe fertig 
find, ehe fie recht lefen und fchreiben können. Berzeibung! Aber 
dieſes fanatifche Programm, welches das Kind mit dem Bade aus⸗— 
fchüttet, wirft uns in die Zeiten Campe's und Salzmann's zurüd. 

Doc das bei Seite. Es gehört gar nicht eigentlih zum Buche. 
Daß dafjelbe zeitgemäß und erwünjcht Tommt, daß daſſelbe einem 
brennenden Bebürfniß begegnet, daß es eine lang empfundene Lücke 
ausfüllt, daß es dazu helfen wird, daß neben dem Religions-Unter- 
richte die Sittenlehre in die Schulen eingeführt wird — das fprechen 
wir mit Freuden aus. Der Plan tft, gefchichtliche Beifpiele des Guten 
zu bieten, ausgewählt aus der Weltgejchichte und aus dem Familien— 
leben, dieſelben nach den Pflichten zu ordnen und mit Sprüchen ber 
Weisheit aus der Bibel, aus den Dichtern und Sängern aller Zeiten 
zu begleiten. Die Ethik Jeſu in der Bergpredigt in den Gleichniflen 
und die ſchönſten Stellen aus den Schriften des Paulus werben auf⸗ 
genommen: Weltgefhichte, Bibel und Glaffifer find alfo die Quellen 
des Buchs. Wenn der Berfafler, der fih nah dem Studium bon 
Rothe's Ethik, auf die er ſich bezieht, über das Verhältniß von Re⸗ 
Iigion und Moral allervings anders ausſprechen müßte, als er thut, 
einen großen Fehler unjerer Seminarien barin fiebt, daß fie die wifien- 
fchaftlihe Ethik verabläumen, fo hat er leider Recht. Nun, vielleicht 
wird fein Werk dazu beitragen, daß es aud in biefer Hinſicht befier 
wird. 

Der Inhalt des Buches iſt alfo geordnet: I. Pflichten ber Kinder 
und zwar 3) gegen ſich ſelbſt — Lernbegierde, Mäßiafeit, Liebe zur 
Drbnung und Wahrbeit — 2) gegen Eltern und Lehrer — Liebe, 
Dankbarkeit (NB. Geborfam feblt!!) — 3) gegen Geſchwiſter, Mits 
fhüler, Mitmenichen — Liebe und Übrerbietung gegen das Alter. — 
II. Pflichten der Erwachſenen, und zwar 1) gegen ſich ſelbſt und ihre 


Religion, 71 


Familie — Arbeitfamfeit, Sparſamkeit, Fürforge, Selbftbeberrichung 
und Selbſterkenntniß, Pflichttreue, Wahrhaftigkeit und Muth — 
2) gegen Gemeinde und Staat — Gemeinnützigkeit und Wohlthätig⸗ 
keit, Gerechtigkeit und Vaterlandsliebe — 3) gegen Menſchheit und 
Natur — Menfchenliebe, Mitleid, Streben nad) Wahrheit und füttlicher 
Beredelung. — III. Religiöfe Pflichten — Gotteserfenntniß und Gottes: 
verehrung. — Für jeden Untertheil gibt der Verfafler eine Reihe von 
Beifpielen, zieht daraus die Lehren und läßt Sprüche dazu folgen. 
Nur für den lebten Abſchnitt fehlen fonderbarer Weiſe die Beifpiele 
und man muß fih mit Bibelfprüdhen, Gebichten und Liedern, unter 
denen Sich ſolche von Klopftock, Rückert u. f. w. finden, begnügen. 
Zunächſt ein Wort über die Dispofition. Es ift nicht einzujehn, wes⸗ 
halb in einem Schulbuche der Art zwiſchen Pflichten der Kinder und 
Erwachſenen unterschieden wirb, zumal fehr viele der Pflichten gemeinfame 
find und das fittliche Verhalten auf den verſchiedenen Altersftufen aus 
denſelben Quellen fließt. Der Gegenſatz ift ein jo verſchwimmender, 
daß wirflih in der Reihe der Kinberpflichten eine ganze Menge fehlt, 
welche der Berfaffer erft den Erwachſenen zumeift. Ober ſoll das Kind 
nicht auch Selbſtbeherrſchung üben, arbeitfam und ſparſam, pflicht⸗ 
getreu und patriotiſch fein? Sind das Mitleid und vor Allem bie 
zeligiöfen Pflichten nicht auch für das Kind? So fcheinen in ber 
That unter L vergefien worden zu fein: Fleiß, Barmherzigkeit beſon⸗ 
ders gegen bie Thiere, und auch die Pflicht des Gehorſams ıft nur 
obenhin erwähnt. Dies würde vermieden werben, wenn der Verfafler 
ftatt des äußeren unhaltbaren, einen innern principiellen Eintheilungs» 
grund hätte wählen wollen. 

Ueber die Auswahl der Beifpiele haben mir Wenige zu bemerfen. 
Sie ift mit Umfiht und Glüd getroffen. Indeſſen kann e3 nicht 
fehlen, daß bei einer foldden Fülle von Stoff manches weniger Zweck⸗ 
mäßige mit unterläuft. Die Abfchnitte über Schiller und Kant 3. ©. 
bieten praftifh nur Weniged dar und haben mehr einen hiftorifchen 
Werth. Für eine zweite Bearbeitung verweilen wir den Verfaſſer auf 
ein altes Lieblingsbuch der eignen Kindheit, „Beifpiele des Guten” — 
ganz in feinem Sinne, aus dem Anfang des Jahrhunderts, reih an 
einfachen Gejchichten aus dem Keinen Leben. Denn die kleinen Vor⸗ 
bilder, wir meinen die aus befcheivenen Verhältnifien, wirken immer 
anziehender als die großen, denen zu folgen ſich der Durchſchnitts⸗ 
mensch zu ſchwach fühlt. € 

Was endlich den Ton betrifft, welchen der Berfafler in feinen 
„Lehren“ anfchlägt, fo dürfte derſelbe namentlich im II. Theile mit 
NRüdficht anf die Ertvachfenen, die als Lehrer gedacht werden, über das 
Kindliche zu weit hinausgehn. Auch im I. Theile ift die Kinderſprache 
und der Rindesfinn nicht immer getroffen. Das ift aber freilich gerade 
bei einem ſolchen Bude doppelt ſchwer, das vor Allem durch den 
Berftand auf den Willen wirken will. Den Kindern kommt dabei 
leicht die Langeweile an, und wenn fih Kinder erft langmweilen, dann 
ift es mit der Einwirkung auf fie vorbei. Das Intereffe wird leichter 


12 | Religion. 


durch Anregung der Phantaſie und des Befühles als durch verftänbige 
Neflerionen gewonnen. Darum muß man mit biefen leßteren ſehr 
ſparſam fein. Und aus diefem pfychologisch-äfthetiichen Grunde, glauben 
wir, wird fich ein weiſer Gebrauch der bibliihen Geſchichte und eine 
vernünftige Benugung auch der Wundergeſchichten im Elementarunter- 
richte ſtets rechtfertigen und behaupten. Die apodiktiſche Gewißheit 
der Vorrede, daß der Unterricht wie er heute zumeift ift, ſchlecht und 
verberblich ſei, tft zwar ſchwer zu widerlegen, aber auch eben fo ſchwer 
zu rechtfertigen. Geben wir den Kindern, was der Kinder ift. 
Wenn fie Männer werben, mögen fie abthun was kindiſch if. Nur 
feine Frühreife des Verftandes! Nur keine Einfeitigfeit in ber Aus: 
bildung des Geiftes! Nur nicht allzufrüh darum geforgt, daß fie ein⸗ 
mal den Conflict zwiſchen Glauben und Wiflen durchkämpfen müfjen | 
Doch genug. Richtig ift, die Schule und Erziehung hat feither das 
Pflichtgefühl und die moralifche Seite in der Jugendbildung zu ſehr 
verabjäumt, Wir kennen nichts Befjeres, dem Uebel zu begegnen, als 
den Weg, auf melden Wyß mit feinem im Ganzen fo vortrefflichen 
Bude führen will. Aber den Religiongunterricht ganz damit zu er⸗ 
jehen oder zu verdrängen, das müßten wir geradezu für eine päba= 
gogifhe Sünde erllären. 


VIII. Lehrbücher für höhere Lehranftalten. 

34. Hagenbach, T Profefior zu Bafel, Leitfaden zum chriſtlichen Religions: 
unterricht an höheren Gymnafien und Bildungsanflalten, Fünfte Auflage. 
Leipzig, Hirzel. 1874. 269 S. Preis 2 ME, 

Hagenbach's mohlbewährter und zu feiner Zeit bahnbrechenver 
Leitfaden ift in Folge ſeines Wachſens von Auflage zu Auflage nun= 
mehr zu einem gehaltvollen Bande geworben, ber vielleicht mehr ein 
Handbuch für Lehrer als ein Leitfaden für Schüler genannt zu werden 
verdient. Schon in feinen erften Auflagen ging er vielfach über den 
Horizont der SJünglinge hinaus, in deren Hänbe er gegeben wurde. 
Wie er jegt vorliegt, ift died noch viel mehr der Fall. Die Voll- 
ftänbigfeit, Tiefe und Grünblichleit des fpeculativ dogmatifchen Theiles 
erſchweren dem Schüler den Gebrauch fo ſehr, daß nur ein fehr ge- 
wandter Lehrer im Stande ift, die Fülle des Stoffes zu beleben und 
dem Verſtändniß zugänglih zu machen vermag. Es fol das Fein 
Fe fein, ſondern vielmehr ein Zeugniß für den innern Werth bes 
Buches. 

Hagenbach's Standpunkt ift befannt. Der Geift, der in dieſem 
Buche weht, ift nach heutigen Verhältniſſen eher ein Iiberaler ala 
conferbativer zu nennen. Wefentlich erweitert find die Ausführungen 
über die heilige Schrift, welche weit über 100 Seiten umfafjen und 
einer Einleitung in die Bibel gleich zu achten find. Wenn auch nicht 
ganz, fo ift doch die tiefere und fpeciellere Berüdlichtigung ber Reful- 
tate der Bibelfritif zu vermifien, von denen die gebildeten Klaſſen 
doch einige Kenntniß haben müfjen, wenn fie nicht blinde Werkzeuge 
vorgefafter Meinungen werben follen. Ueber den legenvenhaften 





Religion. | 73 


Charakter der Vorgefchichte Jeſu, über die Gründe für und gegen bie 
Echtheit des vierten Evangeliums, über die Zweifel an ber Urheber- 
Schaft des Paulus bei verichievenen der ihm zugejchriebenen Briefe 
barf nicht geichwiegen werden. Gerade auf diefer Stufe ift bad 
Syſtem des Todtſchweigenwollens das allergefährlichſte. — Einen 
großen Raum bat Hagenbach mit Recht der Kirchengeſchichte an⸗ 
gewieſen. Nach unſerer Meinung hat er aber darin der neueſten 
Zeit noch nicht genug gethan. Es wäre ſicherlich nur zum Heil, 
wenn unſere gebildete Jugend in dem letzten Jahrhundert unſerer 
kirchlichen Entwickelung beſſer heimiſch würde, als das gewöhnlich der 
Tall zu fein pflegt. In gleicher Weiſe muß in der Glaubenslehre ge⸗ 
rade den Einwendungen des modernen Zweifeld größere Aufmerfjam- 
feit gewibmet werden, als in dem übrigens fo fchönen Abfchnitt über 
„Glaubens- und Sittenlehre nah Schrift, Kirche und Bemwußtfein ber 
Gegenwart” geſchehen iſt — Ein häßlicher Drudfebler findet fi 
©. 141, wo das Pfingitfeit der „ſchrecklichſte“ wohl ftatt ber „ſchick— 
lichſte“ Ausgangspunkt der Kirchengeihhichte genannt wird. Nicht 
glücklich ſteht auf ©. 217 im Texte der „Goltmenſch“ ftatt befjer 
„Gottesmenſch“ oder Offenbarung Gottes. Endlich wäre im 8 76, 
welcher von dem Erlöfungswerfe handelt, doch etwas weniger Vorſicht 
und Aengſtlichkeit im Vortrage einer beftimmten Anfchauung zu 
wünſchen. Die Scheu vor Haren Worten, das Lapieren zwiſchen den 
verjchiedenen feit ausgeprägten Anfichten, das Zugeben im Vorderſatz 
und Einſchränken im Nachſatz, dieſe ganze dogmatifche Unficherheit und 
Zaghaftigkeit verträgt die Jugend nicht, der am Ende aud einmal 
ein kräftiger Irrthum nicht jo viel ſchadet, ala eine halbe Wahrheit. 
Der empfindlichſte Mangel dieſes Lehrbuch aber, ben uns aud die 
neue Auflage empfinden läßt, ift die Vernachläſſigung ber eigentlichen 
Ethik, deren pofitiven Werth für die Erziehung wir von Jahr zu Jahr 
mebr begreifen lernen. 


35. Earl Bed, GSeneralfuperintendent u. Prälat zu Schwäbiſch-Hall, Das 
Chriſtenthum nad Geſchichte u. Lehre. Zwei Theile. I. Theil. Die hrift« 
Jihe Geſchichte ala Lehrbuch für den evangelifchen Religionsunterridt an 
Gelehrten⸗ und höheren Gewerbeſchulen, zugleih ale Handbuch für Ger 
Hildete. Dritte Aufl. Stuttgart, Mepler. 1875. 291 ©. Preis 3 ME. 
Während der zweite Theil diefes Unterrichtsbuches, die chriftliche 

Lehre noch in zweiter Auflage verbreitet wird, ericheint ber erite ge⸗ 

ſchichtliche Theil bereits in dritter Auflage. Welentliche Veränderungen 

bringt diefelbe nicht; nur der kirchengeſchichtliche Stoff ift bis auf die 
neuefte Zeit fortgeführt morden. Dieſer, der Kirchengeichichte, gehört 
bie zweite Hälfte des Buches, während die erfte Hälfte der heiligen 

Schrift gewidmet if. Die Bezeichnung der Bibel (©. 4) als eine 

„Offenbarung Gottes an die Menichen” wird in der Anmerkung zwar 

gemildert und abgeſchwächt, ift aber immerhin unftatthaft; es müßte 

beißen, die Bibel ift „Urkunde der Offenbarung” u, |. w. Es Tommt 
dem DBerfafler mehr darauf an den Gefammtinhalt ber biblischen 

Schriften zu reprobucieren, als die Geſchichte der Bibel zu ſchreiben; 








14 Religion. 


namentlid für das Alte Teftament Liefert er faft eine altteftamentliche 

Aheologie im Gewande ber Geſchichte des Reiches Gottes. Auch für 

das Neue Teftament tritt die eigentliche Einleitung in die Bibel, von 

welcher der Schüler zu wenig erfährt, Hinter die biblifche Gefchichte 
zurück. So richtig ber Gedanke ift, daß die Geſchichte ber Offenbarung 
und das Werben bes Reiches Gottes im Vordergrund ftehen foll, fo 
menig tft doch zu billigen, daß bie eigentliche Bibelgefchichte, beſonders 
die neuteftamentliche Literaturgefchichte, faft ganz vernadläffigt wird. 

Beſonders werthvoll find bie der neueften Kirchengeſchichte gewidmeten 

Abichnitte, aus denen ein echt proteftantifcher und hriftlich verföhnlicher 

Geiſt Sprit. Der Secten, der Miffion, ber Verfafiungs= und Lehr: 

entwickelung ift ausführlich gedacht. In diefem Theile läßt das Bud 

an Vollſtändigkeit und Gebiegenheit nichts zu wünſchen übrig. 

36. ©, Wittien Die Hriftlide Lebre, ein Leitfaden für den höheren 
evangelifchen Neligtonsunterriht. Jena, Daule. 1874. 49 ©. 60 Pig. 
Der Verfaſſer, von der Ueberzeugung durchdrungen, baß ber 

foftematifche Keligionsunterricht nach Inhalt wie Methode einer Reform 

bebürftig fei, legt uns bier einen mohlgelungenen und höchſt anziehen- 
ben Verſuch vor, mie bie Ergebnifie bes mobernen Denkens und ber 
wiſſenſchaftlichen Forſchung im Unterrichte zu verwerthen jeien. Er 
bemerkt in jeiner Vorrede mit Recht, daß ſich bie chriſtliche Moral und 
das ethiſche Bewußtſein der Gegentvart nicht in den Rahmen ber zehn 
Gebote faffen lafje und daß durch die Benugung der jüdifchen Formeln 
nur das Verſtändniß für die Größe der ethiſchen Gedanken Jeſu er= 
ſchwert werde. Auch des Apoftolicum, in welchem bie widhtigiten 
evangelifchen Principien unerwähnt bleiben und die Polemik gegen die 
alten Ketzereien die erfte Stelle einnimmt, vermag nad Wittichen’3 
wohlberechtigter Anficht, die Yülle des Chriftusglaubend und der dee 
des Reiches Gottes nicht zu faflen, oder nur in unklaren Vorftellungen 
wiederzugeben. So fchlägt der Berfafler einen neuen Weg ein, wir 
möchten jagen den Weg ber Induction. Bon der religiöfen Erfahrung 
und den Thatfachen des Chriftentbums ausgehend, arbeitet er mit dem 
vollen Reichthum mifjenfchaftlicher Erkenntniß und weitherziger Liebe. 
Nachdem er in ber Einleitung den Religiondbegriff genetiſch er- 
örtert und die Gegenfäge von Chriftentbum und Judenthum, Evange— 
lismus und Katholicismus verwerthet bat, bandelt er in ſechs Ab- 
ſchnitten von Gott, Menſch, Jeſus Chriſtus, von der chriſtlichen Re— 
ligion, Kirche und zuletzt vom Reiche Gottes, jeden Haupttheil in drei 
Untertheile gliedernd. Dem Texte find entſprechende Erläuterungen 
und Ausführungen anmerkungsweiſe beigefügt. — Sehr trefflich er— 
ſcheinen uns die Abſchnitte über Gott, Gottes Offenbarung, Weſen 
und Eigenſchaften behandelt und über den Menſchen. ‚Die Erfennt- 
niß vom Dafein Gottes entjpringt aus der Erfahrung des Menſchen; 
diefe Erfahrung fteigert fih und mird namentlich durch beſonders be— 
gabte Männer vervollflommnet; Jeſus bat den Grund zur reinften 

Gottesertenntniß gelegt. Die Grfenntnip Gottes entipringt aljo aus 

göttlicher Offenbarung; aus ihr erlennen wir Gott zunädft als die 





Pr 





Religion, 75 


Urkraft, den‘ unbeichräntten Geift, Vorfehung, Bater. Die Vernunft 
iſt die höchfte Stufe unferer Erkenntniß und demnach führt fie uns 
zur Religion. Die Sünde ift Verlehung unferer Beitimmung unb 
bat ihren Sit in der niedern Natur des Menichen.” Dieſe Gedanken⸗ 
reihe charakterifiert die Richtung unſeres Büchleins. Sn der Anthro- 
pologie hätten wir gewünfdt, daß ein wenig Rüdficht auf die mate- 
rialiftifchen Theorien genommen und die Rothe’iche Theorie vom Wer⸗ 
den bes Geiftes als ewiger Potenz berüdfichtigt worden wäre. In 
ber Lehre von Chriftus betont der Berfafler ven Ausdruck „Menſchen⸗ 
fon” mit vollem Rechte und hebt hervor, wie das Leiden die fittliche 
Bollendung deſſelben zum Haupte der erlöften Menfchheit geweſen ift. 
Unter chriſtlicher Religion verfteht er, die durch die Kraft des Vor⸗ 


bilbes Jeſu in uns ermwedte Gemeinfchaft mit Gott, begründet durch 


ben Glauben, befördert durch die Heiligung und offenbart als Ge- 
rechtigkeit. Glaube ift ihm diejenige Thätigleit des Geiftes, durch 
welche wir die religiöfe Wahrheit erfennen, erfahren und auf unſere 
Gefinnung wirken laffen. ‘Die Gerechtigkeit, dad Product von Glaube 
und Heiligung, deren oberfter Grundſatz das Gebot der Liebe ift, zer- 
legt der Berfafjer in die verfchiebenen Tugenden, aus benen wir nur 
die Frömmigkeit, Heiterleit, Selbftachtung, Arbeitſamkeit, Furchtloſigkeit, 
Bflichttreue hervorheben. Diefer Abfchnitt, wie der folgende, über das 
Weſen der evangelifchen Kirche, ihre Thätigkeit in Cultus, Unterricht, 
Seelenpflege und Miffion und über die Verfafjung bieten eine weſent⸗ 
liche Bereicherung des herkömmlichen Unterrichtöftoffee. Endlich weitet 
ſich im letzten Theile „vom Reiche Gottes“ der Blick auf die Welt, 
in Familie, Gemeinde, Geſelligkeit, Staat, Kirche, Gewerbe, Kunſt und 
Wifſenſchaft und blickt nach dem Ziele der vollkommenen Gottesherr⸗ 
ſchaft, wo ſich das Reich Gottes auf Erden verwirklicht haben wird. 

Die Fülle neuer anregender Gedanken, die Schärfe und Klarheit 
der Gliederung, die Sorgfalt und Sauberkeit in der Beſtimmung der 
Begriffe, die Uebereinſtimmung mit dem Denken und Bedürfen der 
Gegenwart empfehlen dieſen kurzen Leitfaden ſo ſehr, daß wir nicht 
anſtehen, ihn unter die bedeutendſten Leiſtungen des Jahres auf 
unferem Gebiete zu ftellen. 


37. Dr. ©. 2. Schmidt, Lebrer am NRealgymnaflum in Eiſenach, Leitfaden 
zum chriftlichen Meligionsunterrichte in böberen Lehranſtalten. Enthaltend: 
&inleitung in die bibliſchen Schriften und Geſchichte der chrifllichen Kirche. 
Zweite, ſehr veränderte und verbefierte Auflage. Jena, Mauke. 1874. 
165 ©. Preis 1 Mt. 20 Piz. 

Um den Gebrauch dieſes Leitfadens zu erleichtern, hat der Ver- 
fafler in diefer zweiten Auflage tie Gefchichte Israels und die Geo- 
graphie Paläſtina's mweggelaffen und nur das Nothiwendigfte daraus an 
paflender Stelle eingefügt; eine teitere VBerbolllommnung des Buches 
befieht in der fortlaufenden Berückſichtigung der neueren Forſchungen; 
denn das ift das große Verdienft defjelben, daß die Nejultate ber 
Wiſſenſchaft frei und offen dargelegt werden, felbit die negativen Er- 
gebniffe der Kritil. Ein wahres Wort fagt die Vorrede: „Es darf 


76 Religion. 


den Schülern nichts geboten werden, was ihnen fpäter bei reiferem 
Urtbeil nothwendig als falfh erfcheinen muß, wenn ber Zmiefpalt 
zwiſchen Bildung und Kirchlichkeit ausgeglichen werben fol.’ Dielen 
Zwieſpalt verſchwinden zu laffen, dazu hat ber Berfafler das Seine 
beigetragen, indem er in rubiger objectiver Mittheilung, kurz und 
bündig bei den verſchiedenen Schriften alten und neuen Teitaments 
die verſchiedenen Auffafiungen barlegt. Für das Neue Teftament folgt 
er mit Entſchiedenheit der Tritifhen Schule, indem er das Lucas 
evangelium um das Jahr 100 fett, die Trabition über das Johannes 
evangelium in ihrer Unhaltbarkeit aufweift und ftets bie Gründe ans 
gibt, welche die abweichende Auffafiung rechtfertigen. — Der ziveite 
umfangreichere Theil beö Leitfadens ift einem Abriß der Kirchengefchichte 
gewidmet, der an Vollſtändigkeit und Weberfichtlichleit nichts zu 
wünſchen übrig läßt und je mehr er fich der neueren Zeit annäbert, 
defto mehr in gebührender Weife ausführlid wird. Zu ©. 165 wollen 
wir berichtigend bemerken, daß das Sectenwelen in ber ruſſiſchen Kirche 
dermaßen ausgebreitet ift, daß, abgefehen von den jährlich neu auf⸗ 
taudenden oft wahnfinnigften Bildungen der Raskol allein über gehn 
Millionen Seelen umfaßt. In Bezug auf die Anordnung bes Tirchen- 
geſchichtlichen Stoffes hat der Verfafler die ſyſtematiſche Gliederung 
gewählt, welche für große Lehrbüder wohl nöthig iſt. Für den Schul- 
gebrauch, meinen wir, empfiehlt fi mehr das Zufammenzieben und 
bie Gruppirung in einzelne hervorragende Perſönlichkeiten und zwar 
deshalb, weil dem Anfänger leicht die Geſammtanſchauung des Cha⸗ 
rakters einer Periode verloren gebt, wenn er die Eigenthümlichleiten 
berjelben erft aus verſchiedenen Fächern zuſammenſuchen muß. — Da 
fih dies Buch bereits erprobt und meitere Verbreitung gefunden hat, 
bedarf es nicht erft der wohlverbienten Empfehlung. 

38. Dr. G. 2. Schmidt, Real⸗Gymnaſiallehrer in Eiſenach, Evangeliſche 
Glaubens⸗ und Sittenlebre. Auf Grundlage der heiligen Schriff vom 
Standpunkte ded Gemeindebemußtfeind populär dargeſtellt. Darmfadt, 
Leipzig, Zernin. 1871. 99 ©. Preis 1 Mt. 25 Pi. 

Ein durh und durch geſundes und zwedmäßiges Büchlein vom 
vernünftigen Chriftenthbum und reinem Cvangelium, das die beiten 
Leiftungen ber modernen Theologie zur Grundlage hat. Ohne ängft= 
liche Scheu wird der Wahrheit die Ehre gegeben; jo gleich bei ber 
„Schöpfung“, wo es heißt, daß der bibliihe Schöpfungsberidht zwar 
einen hohen religiöfen, aber durchaus feinen gejchichtlihen Werth bat. 
Ganz vorzüglih, Har, reichhaltig und anregend ift ber ethiſche Theil, 
überfchrieben: „Die Lehre vom neuen Leben“, in welchem die menſch— 
lich irdifhen Pflichten und Verirrungen rüdjichtlih der Chre, Hab 
und Gut, der Sorge für den Körper u. f. w. ausführlich erörtert 
werben. Die Art, wie ber Berfafler die freiere dogmatiſche Anſchauung 
vertritt, ift mild, ſchonend, pädagogiſch weile und weit entfernt von 
jeder Rabbulifterei. Nur ein Beilpiel. Bet Gelegenheit der „under 
Jeſu“ anerfennt er, tab Jeſu Thaten verrichtet, welche feinen Zeit- 
genofien ald Wunder erfihienen find und gejtebt zu, daß biefelben nicht 


Religion. 77 


ſämmtlich aus einem und bemfelben Principe heraus erklärt werben 
fönnen. Seine Theorie vom Tode Jeſu muß auch dem bogmatifch 
firengeren Denken annebmbar fein; „in dem Tode Jeſu,“ fagt er, 
„offenbart fi uns die höchfte Sittlichkeit, die vollendete Sündloſigkeit 
und gottgleiche Heiligkeit. — Der Gedanke eines gottgleichen Men! en 
ift doch erft dur feinen Tod zum unverlierbaren Eigenthum ber 
Menfchheit geworben.” immer ift es darauf abgejehn, die pofitiv 
erbauenden Wahrheitämomente aus der biblifchen und altdogmatiſchen 
Lehre zu gewinnen und dem religiöfen Gehalte in den früheren An⸗ 
fhauungen gerecht zu erben. Wir glauben Lehren wie Schülern 
einen Dienft zu erteilen, wenn wir auf dieſe bereit3 vor vier Jahren 
erichtenene Arbeit aufmerkſam machen. 

39. Dr. M. Schwalb, Prediger in Bremen, Handbüchlein zum Religions- 

unterriht. Bremen, Tannen. 1874. 48 ©. Preis 80 Pie. 

Obwohl wahrſcheinlich zunächſt für den eigenen Gonfirmanden: 
unterricht beflimmt, muß das Büchlein doch wegen feiner Eigenthüm- 
lichkeit, ja wegen feiner Seltſamkeit feinen Pla an biefer Stelle ein: 
nehmen. Denn für den Elementarunterricht dürfte es Taum geeignet 
fein, da des Pofitiven darin recht wenig, der Hiftorie und Kritik aber 
ſehr viel if. Es beginnt mit Notizen zur Geſchichte des Chriſtenthums, 
in denen über die Juden zur Zeit Jeſu, ihre Lebendweile, Weltan: 
ſchauung, Religion, Gottesdienfte, heilige Schriften, ſodann über Jo— 
hannes den Täufer, Chriftug, die Apoftel, das Neue Teltament und 
den Katholicismus und Proteftantismus Diittheilungen geboten merben. 
Jeſu Leben und Wirfen wird auf vier Kleinen Seiten abgehandelt und 
er erjcheint ala ein von der Meſſiasidee erfüllter Zube, ber ein Bet- 
haus für alle Völker bauen wollte. Der zweite Theil gilt der Dar⸗ 
ftelung des chriftlichen Lebens in Frömmigkeit und Tugend als Re— 
ligions⸗ und Tugendlehre, durchaus originell und anfprechend, doch bei 
der ungewöhnlichen Kürze nicht erſchöpfend. Ein Schlugabfchnitt be= 
handelt die Ascetif, die Mittel zur Förderung in Frömmigkeit und 
Tugend in echt evangelifch-freier und meitherziger Weile. Buße, Ge= 
bet, Bibellefen, Nachfolge Chrifti, Abenomahlsfeier, Theilnahme am 
Gottesdienft und bes Lebens Ernft werden bier erwähnt. Leber Jeſus 
fagt der Verfafler: „Für uns ift er weder die zweite Perſon der Tri— 
nität, noch überhaupt ein übermenfchliches Wejen. Er tft ein wahrer, 
bloßer, wirklicher Menſch, der und alle durch feine veligiöfe Größe, 
feine Gottesfohnfchaft überragt.” Er ift mit einem Wort die Dar 
ftelung bes chriſtlichen Lebens. Seine Gemeinde ift das Organ 
feines Geiftes. — Wenn wir am Abendmahlstiſche Brot und Wein 
gleichſam aus feiner Hand empfangen, genießen mir Chriftus felbit, 
fofern fein Lebensbild unferen Geift und mir in Verehrung und Liebe 
Eins werden mit ihm. Schwalb fchließt ſich der Zwingli'ſchen Lehre 
vom Abendmahle an und vertritt in jeder Hinficht den freieften Stand⸗ 
punkt innerhalb der proteftantifchen Kirche. Schon um dieſer Rüdficht 
ift fein Büchlein von hohem Intereſſe, denn offener, wie e3 bier ges 
Ichieht, Tann man ſich nicht ausfprechen. Doc ift dieſe Offenheit ger 


78 Religion. 


paart mit Schonender Milde und eine gejunde Träftige Sittlichleit wird 

vor Allem eritrebt. „Der Sache des Himmelreichs können und follen 

wir vorzüglich dienen durch Arbeit und Wohlthätigkeitswerke“ — in 
diefen wenigen Worten liegen bie Keime für ein mahrbaft gottgefälliges 

Leben. Wir glauben wohl, daß ein Neligionslehrer, der in der Ges 

dantenwelt bes Berfaffers lebt, dies Büchlein zur Grundlage eines 

ausgezeichneten Unterricht? machen kann, um aber weitere Verbreitung 

u finden, fehlt demfelben doch die Ausführung in ben wichtigſten 

artien, bejonder3 im Leben und in ber Lehre Jeſu und bie Berück⸗ 

fihtigung der weitverbreiteten Tirchlichen Anſchauungen. Ohne breite 
und tiefe Grundlagen des biblifhen und chriftlichen Wiſſens wirb ber 
von Schwalb gebotene Lehrinhalt wenig auszurichten vermögen; als 

Abſchluß der veligiöfen Unterweifung kann er unferes Erachtens auf 

der „öhften und reifften Stufe der Erziehung mit Nutzen verwendet 

werden. 

40. Heinrich Seeſemann, Oberlehrer zu Ritau, Die vier Evangelien oder das 
Leben Jeſu. Für die obern Glafien der Oymnafien und für geblldete 
Lefer der heiligen Schrift. Mitau, E. Behre. 1874. Preis 2 ME. 40 Big. 
Vorliegendes Buch bilbet den eriten Theil eines Hilfsbuchs für 

das Neue Teftament, deſſen zweiter Theil die übrigen Schriften des 

Neuen Teftaments mit Einleitungen, Ueberfichten und Eingelerflärungen 

begleiten wird. Dieſer erfte Theil enthält eine ſynoptiſche Zuſammen⸗ 

ftellung ber vier Evangelien in chronologiicher Ordnung ber einzelnen 

Berichte, alfo den zufammengenrbeiteten Bibeltert, und bietet zu den 

ſchwierigeren Stellen Erläuterungen und Bemerkungen zum Aufſchluß 

bes Sinnes und zur Erllärung des geichichtlichen Zuſammenhanges. 

Schon der Plan des Buches verräth den mwillenfchaftlicden Standpunft 

bes Berfaflers; denn ein wirklich fritifcher Theologe würde nie dazu 

ſich entfchließen können, das vierte, ganz eigenartige Evangelium, dies 
freie Erzeugniß der fpeculativen Phantafie des zweiten Jahrhunderts, 
mit den älteren, ber wirklichen Gefchichte weit näber ftehenden Evan= 
gelien zu vermiſchen. Die Autoritäten, benen Seejemann folgt, find 

Wieſeler, Tifchendorf, Luthardt, Zahn u. f. w. Und fo bat er ſich 

denn bemüht, bie abiveichenden, ja entgegengelegten Berichte über das 

Leben Jeſu mit einander in Einklang zu fegen unb mit Uebergehung 

der Ergebnifle der Kritit aus den Brucdftüden ber Ueberlieferung ein 

zuſammenhängendes einheitliches Ganze herzuftellen. Das ift ihm nun 
auch nach feiner Weife twohlgelungen und unter bibelgläubigem Ge 
ſichtspunkte muß man das Buch als ein ſehr geſchicktes bezeichnen. 

Indeſſen da in der Geſchichte und vor Allem in ber Religionsgeſchichte 

nicht die Parteimeinung, fondern bie Wahrheit allein den Ausichlag 

zu geben bat, fo fünnen wir es nur beflagen, daß gerade die Schüler 
der höheren Lebranftalten mit einer Art das Leben Jeſu zu betrachten 
genährt werden fellen, die ihnen fpäter als erwieſenermaßen falſch 
erjcheinen wird und muß. 

Der Verfaſſer nimmt die Chronologie des vierten Evangeliums 
zum Rahmen feiner Taritelung und ftatuiert in Folge deſſen eine zwei⸗ 


Religion. 79 


unbeinhalbjährige öffentliche Wirkſamkeit bes Erlöſers. Er theilt dieſe 

letztere in brei Abfchnitte, von denen ber erite ber Vorbereitungszeit 

bis zur Berufung der Jünger, ber zweite der Öffentlichen Lehr- und 

Wunberthätigfeit, ber leßte der Leivend- und Herrlichleitsgefchichte ge⸗ 

widmet ift. Letzterer jchließt mit der Himmelfabrtägefchichte und ver⸗ 

theilt die Ereignifje und die Neben von der Zukunft und dem Gericht 
fogar auf beftimmte Tage. Der zweite Abſchnitt führt Jeſu in folcher 

Weiſe vor, daß feine Wirkſamkeit in Judäa beginnt, durch Samaria 

nad Galiläa binüberführt, um fodann wieder von Galiläa nad Ju⸗ 

dia und Beräa zurüdzufehren. Es Tann nicht anders als mit offen- 
barer Willlür geſchehen, daß ber DVerfafler die nach Zeit und Ort uns 
beftimmten und unbeitimmbaren Reden und Thaten Jeſu vertheilt 
und da einorbnet, wo es gefällt. Bon einer geichichtlichen Zuverläſſig⸗ 
feit Tann dabei um fo weniger die Rede fein, ald überhaupt eine 
längere Wirkfamleit Jeſu in Judäa nicht nachgewiefen werben Tann. 

Auch die ganze Vorgefchichte Jeſu wird auf Treu und Glauben nad 

den Legenden und Mythen der Trabition reprobuciert. Sin den Erz 

Härungen tritt die bogmatifch = orthodore Anſchauungsweiſe des DVer- 

faſſers ebenjo Klar hervor. ©. 17 lefen wir: „Der heilige Geift kommt 

berab und überfchattet Maria wie eine lichte Wolle — da ift. Schon 
das Geheimniß der heiligen Dreifaltigfeit angebeutet.” S. 18 beißt 
ed: Joſeph war ein gejeglicher Mann, aber auch gütig; anftatt Maria 
nad dem Gejege fteinigen zu laſſen, wollte er ihr einen Scheibebrief 
geben; ba rettete ber Herr die Ehre der Maria durch eine Engels- 
offenbarung an Joſeph. S. 252 fagt der BVerfafler von ber Finſter⸗ 
niß bei Jeſu Tod: Es war feine Sonnenfinfternif, fondern eine munder- 
bare Berfinfterung des irdifchen Lichtes; baffelbe verlor feinen Schein, 
während der Herr durch das Dunkel ging. So wenig der Berfafler 
den allegorifhen Sinn und die erbabene Symbolik folder Scenen 
verftehbt, eben fo ftarr buchitäblich behandelt er die übrigen Berichte. 

Er zweifelt nicht, dab alle Johanneiſchen Neben echt und in biejer 

Weiſe von Chriftus vor feinen Jüngern gehalten worben find. Wenn 

man fih für den Clementarunterridt allenfalls noch eine ſolche 

harmloſe traditionelle Behandlung der evangelifhen Gefchichte ges 
fallen laſſen Tönnte, fo müflen wir es doch als einen fchweren Mißgriff 
beflagen, wenn an höheren Schulen in ſolchem Maße die Unkritik und 

Urtheilslofigleit zur Herrſchaft kommt. 

41. D. Danger, Hauptlehrer an der Taubflummen-Anftalt zu Braunſchweig, 
Chriſtliche Religionolehre für evangelifhe Taubſtumme. Kürdie Hand 
der Schüler der Oberclaften und als Mitgabe für’d Leben. Braunfchweig, 
9. Bruhn. 1874. 64 ©. Preis 80 Pfg. 

„Erſtreben wir au,” ſagt ber Verfaſſer im Vorwort, „baß in 
den letzten Schuljahren unferem Unterrichte Schulbücher zu Grunde 
liegen, die nicht bejonbers für unfere Kinder gefchrieben find, fo bin 
ich doch zu der Ueberzeugung gelangt, daß wir beim Unterricht in ben 
Religionglehren biervom abjehn müflfen.“ Als Grund gibt der Ver⸗ 
faſſer an, daß in den gewöhnlichen Lehrbüchern die Sprache zu ſchwer 








80 Religion. 


und der Stoff einestheils zu umfaſſend, anderntheils, wie in ber Lehre 
vom Eide, Ehe, GSonfirmation, Gottesvienft u. ſ. w., zu kurz gefaßt 
fei. Daher diefer ganz dem Bebürfniß angepaßte Leitfaden, der nad 
dem Unterridte in der bibliſchen Geſchichte und tbeilweife noch 
neben demjelben im ſechſten und fiebenten Schuljahre gebraucht wird, 
zugleih aber als Dlitgabe für das Leben dienen fol. Die katechetiſche 
Form ift bei Eeite geftellt, um dem Lehrer bei ber Tatechetiihen Be⸗ 
handlung Freiheit zu laſſen und em gebantenlofes Auswendiglernen 
zu verhindern. 

Es find zwei Curfus, aus denen tiefe Religionslehre befteht, von 
denen ber ziveite dem Katechismusinhalt, der Erläuterung bon Confir- 
mation, Beichte und andern cultifchen Gebräuchen gewidmet ift, ber 
erfte die Lehre von dem Mengen, von Gott, vom Gebet des Herrn 
und eine Analyje von den zehn Geboten und dem apoftolifchen Sym- 
bolum enthält. Naturgemäß hat Vieles, was andere Kinder bon 
Jugend auf hören, in dieſem Lehrbuch dargeftellt werben müſſen. 
Für den Ausdrud mar es nöthig die einfachften Sprachformen aufzu= 
ſuchen. Manches Bedenkliche ift ung dabei doch aufgeftoßen, fo S. 31, 
was über die Che und bie ‘Trauung gefagt ift, auf ©. 33 die Ueber: 
fchrift: „Urſachen zum Stehlen;“ ferner die Wendung: „Wenn es 
die Obrigkeit befieblt, ift e3 erlaubt zu töbten;" weiterhin auf ©. 3: 
„Die Menſchen verftehen Gott nicht; fie find eben zu dumm“ u. Aehnl. 
Sehr gelungen ift die Berfnüpfung ter Lehrpunkte mit der biblifhen 
Gedichte und die ftete Wieberfehr von Erinnerungen aus dem An= 
ſchauungskreiſe derjelben. — Da an ein ſolches Buch nicht der ge= 
wöhnliche Mapftab der Kritik gelegt werben kann, fo wagen fir über 
baffelbe kein allgemeines Urtbeil zu fällen. 


IX. Erbauliches und Hymnologiſches. 


42. Evangeliſches Schulgeſangbuch. Zufammengeftelt zunädft für Das Gym⸗ 
naftum zu St. Marla Magdalena zu Bredlau. Bredlau, Morgenſtern. 
1874. 80 ©. Preis !/s a. 

Die Ausivahl der Lieber ift zweckmäßig. Auch Moberned von 
Gellert, Rrummader, Ch. Fr. Neander ift nicht vergeflen neben den 
alten claffiichen Lieben. Die Teftzeiten, bie Kirche und ihre Gnaden— 
mittel, Heiligung, Tod und Ewigkeit bilden das Eintheilungsfyftem. 
Die Singweiſe ift ftet3 vorgebrudt. Drud und Ausftattung ift vorzüglich. 


43. E. Sperber, Seminars Dir., Evangeltfcher Liederfhap. Eine chronologiſch 
eordneie Sammlung der vorzilglihften und gebräuchlichſten evangeliſchen 
Icchenlieder. Zum Gebrauch für Präparanden-Anftalten und Seminare, 

el. Theil: Lieder. Güterdloh, Berteldmann. 1874. 175 ©. 1M. 20 Pfg. 


Das Material zu einer Gefchichte der kirchlichen Dichtung findet 
fih hier beifammen. Für die Auswahl war ber gejchichtlich-didaftifche 
Zweck maßgebend, weswegen manches trefflihe Lieb einem minder be= 
beutenden Platz machen mußte. 137 Lieber entiprechen dem „Eifenacher 
Geſangbuche;“ überhaupt ift feines, das nicht ſchon in den Gemeinde— 





Religion. 81 


gebrauch aufgenommen, berückſichtigt worden. Der Tert der Lieber 
ift mäßig und vernünftig verändert. Sollte nicht aber für ben Unter- 
richtszweck ftet3 die Urform mit al ihren Härten und Unmöglichleiten 
vorzuziehen fein? Zu der Biftorifchen Anordnung ift Koch's Gefchichte 
des Kirchenlieds maßgebend geweſen. Das Buch beginnt mit dem 
beutfchen Agnus dei und endet mit einem Sturm’fchen Liede aus der 
Mitte unferes Jahrhunderts. Das Jahrhundert der Reformationzzeit 
if ſachgemäß am reichiten bedacht. Die zweite Hauptperiode umfaßt 
bie bogmatifchseonfeffionelle und pietiftiiche Periode bis zum Jahre 1756 
und ſchließt mit Zinzendorf'ſchen Liedern. Die Zeit der Aufllärung 
(1758—1817) bringt eine Reihe von Natur: und Moralliedern, 
hauptſächlich von Gellert. Hier hätte wohl noch ein Mehreres geleiftet 
werden können. Die letzte Zeit, als die der Erneuerung bezeichnet, 
enthält Lieder von Arndt, Knopp, Rüdert, Spitta, Harms, Strauß, 
Knak u. ſ. w. Ein alphabetifches Verzeichniß der Liederdichter fchliekt 
fih an. In einem zweiten Theil fol eine Gefchichte der Firchlichen 
Dichtung mit Rückſicht auf biefe Lieder nachfolgen. Wenn wir aud 
Einzelned, was uns lieb und gewohnt ift, vermiflen, wie Harbenbergs: 
„Was wär’ ich ohne Dich geweſen“ oder des Gothaiſchen Superin- 
tendenten Wilhelm Hey: „Wer find die Deinen” und „O Chriſten⸗ 
tum, Du fchönes Liebesband” — fo muß doch im großen Ganzen 
die Auswahl und Idee dieſes Buches als vortrefflich bezeichnet wer⸗ 
den. Daflelbe verdient weitere Verbreitung. Möge eine weitere Auf- 
lage dem Berfafjer Gelegenheit zur Bervollftändigung geben. 

44. Dr. ob. Crüger, Evangelien’s Büchlein. Auslegung der Sonntags: 
evangelien für Schule und Haus, fünfte Auflage. Berlin, Wohlgemuth. 
(Herbig). 1874. 224 ©. Preis 2 M. 20 Bi. 

Diefe Betrachtungen über die altevangelifchen Sonntagsperikopen 
kann man als kurze, jchriftgemäße Predigten bezeichnen, melde zwar 
zunädjit die Textgedanken auszulegen, verftändlich zu machen und zu 
erläutern bemüht find, fodann aber auch auf Anwendung der evangeli- 
Shen Lehre, alfo auf die eigentliche Erbauung ausgehn. Ein Haupt- 
gedanke bildet die Ueberſchrift und deutet an, in welcher Richtung Hin 
fi} die Betrachtung bewegen wird; die ſich dann meift in mehrere 
Theile zerlegt. Die Ausführung iſt einfach, ohne Weberladung und an⸗ 
regend ohne Rhetoril. Biel neue Gedanken finden wir nicht, aber 
die befannten in anfprechender Einfalt und mohlthuender Klarheit ent- 
widelt. Defterö begegnen mir Auszügen aus den Schriften beliebter 
Erbauungsichriftfteller wie Francke, H. Müller, Ahlfeld, W. Hoffmann, 
Goßner, Löhe u. U. Der Standpunkt des Berfafierd Tommt uns 
jelten ala ein ftrengficchliher zum Vorſchein. Das Feithalten der 
Bilder, flatt deren befjer der reale Ausdruck zu ftellen wäre, erjchwert 
wohl mitunter den Sinn und verbreitet ein myſtiſches Halbdunfel, 
doch entſchuldigt es fich durch das Bemühen, vor allem dem Text ges 
recht zu werben. Die ftrenge Ausbeutung der Bilder und Gleichnifie 
bat freilich, wie die Tirchliche Dogmatik meiß, ihre Schattenfeite; denn 
zu ſehr gepreßt geben fie einer einfeitigen, fchiefen und dem eigentlichen 

Bäb. Jahresbericht. XVI. 6 





82 Religion. 


Weſen des Evangeliums oft wiberfprechenden Sinn. Gerade die Reden 
Jeſu muß man immer cum grano salis nehmen, und das allzuraiche 
und allguconfequente Dogmatifieren berfelben führt in die re. Das 
bat man auch bei manchen diefer Betrachtungen, 3. B. Nr. 60 über 
dad Weltgericht, zu bemerlen. Obwohl das Buch mehr für die häus- 
lihe Andacht in kirchlich conſervativen reifen geeignet ift, fo Tann 
doch zur Perikopenerklärung in der Schule Manches aus bemfelben 
seen werben. 

. W. Kahle, Suverintendent, Sonntagsfeler. Kurze Betrachtungen über 

Die Evangelien und Gpifteln aller Sonn- und Feſttage des Kirchenjahres. 

Königsberg, Akademifhe Buchhandlung. 1874. 159 ©. 

Aehnlich dem Vorigen, nur weit kürzer und weniger eingeben. 
Der rein erbauliche Zweck tritt mehr in den Vorbergrund. Keine ber 
Betrachtungen umfaßt mehr als eine Dctavfeite. Hinzugefügt find ben 
Evangelien die Epifteln und etliche Yeitbetrachtungen. Zur Privat: 
erbauung ift dies Buch fehr geeignet. 

46. Er. Böckh, Dier Predigten über das Gleichniß vom vierfagen Aderfeld 
Luc. 8, 4—15. Augsburg, v. Genifh u. Stage. 1874. 51 
Nicht unintereffant für den Katecheten. Die —5 Einfach⸗ 

heit und Schärfe der Textauslegung gibt manchen guten Wink, wie 
man der Jugend und dem Volke den Geiſt der Schrift nahebringen 
und in Fleiſch und Blut verwandeln kann. Speciell der Reichthum 
und die Tiefe des in vier Predigten behandelten Gleichniſſes tritt hier 
in ein helles Licht. Menſchenkenntniß und Gefühlswärme ſpricht uns 
in dieſen Predigten ergreifend an. 

47. Moritz Geißler, Allerlei für Alle. Eine Schrift für's Bolk zur Unter: 
baltung, Belehrung, Ermahnung, Warnung u. |. w. Erſtes Heft. Ham⸗ 
burg, %. Rod. 1878. 16 ©. 

Verfchieene Heine Geſchichten und Gebichte in dem bekannten 
Tone gewiſſer Tractate. ine fonderbare Gelegenheit zum Reich⸗ 
werden erzählt darin ein amerifanifcher Quäker: Ich gebe mein Gelb 
zur Miſſion und wohlthätigen Zmeden, und — Gott gibt mir immer 
mebr. Noch fonderbarer ift die Vorftellung von einem Rationaliften ; 
ein launiges Lied vergleicht ihn mit einem Manne, der am hellen Tage 
mit der Laterne umbergeht, um fich die Welt zu beſehn — denn an 
die Sonne glaubt er nicht. 


III. Geographie, 


Bearbeitet 
von 


Dr. phil. Hermann Oberländer, 
Dices Director des Königl. Lehrer: Seminars zu Birne. 





Methodiſches. 


1. In einem in der Münchener geographiſchen Geſellſchaft ge— 
baltenen Bortrage, welcher in Kehr's „Pädagogiſchen Blättern für 
Lehrerbildung und Lebrerbildungsanftalten”, III. Band, VI. Heft 
S. 537 ff.. abgebrudt ift, verbreitet ſich der Gemwerbefchullehrer Ge ijt- 
bed aus Kaufbeuren über die Karte als Grundlage und 
a punft des geograpbifhen Studiums und Unter: 
richte. 

Diefelbe Teridenz liegt bein Schriftchen von G. Wenz zu Grunde: 
Die Reform des geograpbifhen Unterrichts in Schu- 
len, Seminarien und anderen Unterridtsanftalten. 
Mit vier Figurentafeln. München, Adermann. 1874. 2386. 8 Sgr. 
Da die geographifche Wiſſenſchaft die Erboberfläche nicht allein zu be- 
Ihreiben, fondern au darzuftellen babe, jo verlangt W., daß bie 
Geographie auf die Karte fich fügen müffe.. Ohne Kartenkennt— 
niß ift fein Berftändniß für die Erb= und Völkerkunde 
möglich. ber das Verftändnig der Karten bafırt auf der Kenntniß 
der mathematifchen Gefege, nach denen bie Erboberfläche oder ein Theil 
derfelben mit den darauf befindlichen Cultur- und Kunftgegenftänden 
im Grundriß fartograpbifch dargeftellt wird. Darum bedarf es eines 
methbodifhen Erlernen der Rartenzeichen, die Landkarten⸗ 
funde muß zum Unterrichtögegenftanve, die Geographie mit der Karto- 
graphie verbunden erben. Die Seminare müſſen mit ber Reform 
bes geographifchen Unterrichted vorangehen. Der Erdkunde ift eine 
Zerrainlehre vorauszuſchicken; der Lehrer ift mit den mwichtigften Gefegen 
der Projection befannt zu maden; er muß für Bermeflungen unb 
Darftellung des Gemefjenen Berftändnig gewinnen. Verfaſſer ſtellt 
einen methobifchen Lehrgang auf, in welchem er ben Lernitoff auf 

6* 


84 Geographie, 


fieben Altersftufen vertheilt und ausführlicher zeigt, wie er bie Ver⸗ 
bindung der Kartographie mit der Geographie durchgeführt wiflen will. 
Durch eine Menge Zufäge und Belege, aus den Werken geographiſcher 
Autoritäten entnommen, erhärtet Verfaſſer feine Behauptungen. 

2. Referent erlaubt fih, an biefer Stelle auf die 2. Auflage 
feiner Schrift hinzumeifen: Der geograpbifche Unterriht nach 
den Grundfäten der Ritterfhen Schule, biftorifh und 
metbodologifch beleuchtet. Grimma, Genfel. 1875. Ich habe 
bas Buch vollftändig umgearbeitet und bedeutend erweitert. Die ges 
fhichtlide Grundlage der Methodik des erbfundlichen Unterrichts ift 
umfaffender erörtert, insbeſondere die der Ritter'ſchen Schule ange- 
börige Literatur fpecieller verzeichnet worden. Die Grundzüge der ver⸗ 
gleichenden Erdkunde habe ich in der Weiſe überfichtlicher und durch— 
fichtiger zufammengeftellt, daß ich die einzelnen geographifchen Elemente 
in ihren Caufalbeziehungen zu allen übrigen, vorzugsweiſe zum menjch- 
lihen Leben auffaßte. Der zweite Theil des Buches beichäftigt fich 
mit der ausführlicheren Darlegung, beziehungsweiſe Eremplificirung dieſer 
Grundzüge. 


Die geographifche Literatur des Jahres 1874. 


I. Heimath8- und Vaterlandskunde. 


1. K. H. Liefau, Lehrer zu Neubaldensleben, Heimathskunde. Hilfsbuch 
für Schule und Haus. Die Stadt und den Kreis RNeuhaldensleben, ſowie 
in Veberfiht den Regierungsbezirk Magdeburg und die Provinz Sachen 
umfoffend. Mit Abbildungen, Plänen und Karten. Neubaldensleben, 
Eyraud. 1873. 68 ©. 

In allgemein verſtändlicher Form nah Art und Weile der neue- 
ren Heimathskunden abgefaßt, deren jeht eine große Menge eriftirt. 
Das Büchlein Tann natürlih nur von localer Bedeutung fein. Der 
Gang ift ftreng ſynthetiſch; hier und da haben etliche Fundamental⸗— 
begriffe aus der allgemeinen Erbfunde Erläuterung gefunden. 


2. H. Schule, Lehrer in Halle, Heimathskunde der Provinz 
achſen und Geographie von Deutfhland Kür Bolls- und 
Bürgerfhulen. 3. Aufl. Mit einer Karte der Provinz Sachen und einer 
iR vom Deutfhen Reiche. Halle, Waiſenhaus. 1874. 72 ©. Preis 
60 Pr. 


Anjprechend und recht überfichtlich gearbeitet, ſodaß das Buch wohl 
geeignet erjcheint, eine pafjende Grundlage für den vaterlandskund⸗ 
lichen Unterricht auf den unteren Stufen abzugeben. Auch die beiden 
Karten machen einen bortheilhaften Eindrud. 

3. ©. Noftiz, Der Kreis Siegen und feine Bewohner. Heimaths⸗ 
funde für Eule und Haus. Siegen, Heufer und Dielterweg. 74 ©. 
Preis 80 Pr. 

Das Büchkein ift in einem warmen patriotifchen Geifte geichrieben 
und eignet fi ſchon darum vortrefflich zu einem Leitfaden für den 








Geographie, | 85 


beimathfundlichen Unterricht in den Händen der Schüler. Noch mehr 
aber verdient das Buch beshalb Beachtung auch in weiteren Kreiſen, 
weil es durchweg dem Geifte der neueren Schule angepaßt ift. Die 
phyſiſchen Verhältniffe des Sieger Landes, namentlich fomeit fie bie 
Bodenplaftik betreffen, haben eine fehr eingehende jachgemäße Dar- 
ftelung erfahren, und in gefchicdter Weife veriteht es ber Verfafler, bie 
wechſelſeitigen urfathlihen Beziehungen ber einzelnen geographifchen 
Verhältniſſe, insbejondere zwifchen Land und Leuten berborzuheben. 

4 ©. Noftiz, Baterlandslunde für deutfhe Schulen. Mit einer 
phyfiſchen und einer polltifhen Karte von Deutfhlant, v. Sydow. Neuwied 
u. Leipzig, Heujer. 104 ©. 

In gleichem Geifte gearbeitet wie das vorhergehende Werkchen 
unter Anlehnung an die beften geographifchen Lehrbücher (3. B. Guthe). 
Das Bud enthält eine durchweg nad Ritter’fchen Principien abgefaßte 
Geographie von Deutjchland und deſſen Nachbarländern, foweit die 
Deutfche Zunge Klingt, und verbient warme Empfehlung. 

5. 9. Friedemann, Inftitutss Oberlehrer In Dresden, Das Königreich 
Sadfen. Zum Gebraude für den geograpbifhen linterriht in den 
Schulen für Yebrer und Schulen. Mit 15 lithograph. Anflchten. Dresden, 
Huble. 1874. 80 ©. Preis 1 Marl. 

Eine für Schulzwede bearbeitete Landeskunde von Sachfen, melde 
nit in erfter Linie die Merkwürdigkeiten der Städte zur Sprache 
bringt, fondern auch auf die phyſiſchen Verhältniffe des Landes ge- 
bührlih Rückſicht nimmt, ift für die ſächſiſchen Volksſchulen ein Längft 
gefühltes Bebürfnig geweſen. Denn die von Ylathe bearbeitete alte 
Engelharbt’jhe Vaterlandskunde ift zu umfangreih, auch nicht nad 
methodifchen Gefichtspunften angelegt und eignet ſich deshalb meniger 
dazu, den Schülern in die Hände gegeben zu werben. Das vorliegende 
Buch zählt nun allerdings auch noch eine Menge Notizen in aphoris- 
menartiger, zuſammenhangsloſer Weife von ben einzelnen Ortſchaften 
auf und erinnert infofern an die alte Schule. Dafür bietet e8 aber 
in jeinem phyſiſchen Theile eine recht eingehende, wohl gelungene 
Darftellung der Terrainverhältniffe des Sachfenlandes, welche nicht 
nur ben orographiihen Bau an fidh erörtert, ſondern denſelben 
auch in Beziehung feht zur Benölferung, zur Pflanzendede und zur 
Thierwelt der betreffenden Bobenformen. Hier tragen einzelne Ab: 
fchnitte das Gepräge lebensvoller Charalterbilder an fi, in denen ſich 
viel hiſtoriſche Anklänge und eine Menge Andeutungen über die Wechfel- 
beziehbungen ber geographifchen Elemente vorfinden. Wir erinnern an 
bie farbenreichen Schilderungen des Erzgebirge und ber ſächſiſchen 
Schweiz, in welcher Iehteren der allmälige Sertrümmerungsprozeß der 
Sandfteingebilde recht anfchaulih auch dem jugendlichen Leſer vorge: 
führt wird. Da durchweg der Naturfchönheiten gedacht ift, hätte im 
Weſenitzthale auch der Liebethaler Grund Erwähnung finden follen. 
Auffällig erjcheint es, daß bei der Eintheilung des Landes in Amts- 
bauptmannfcaften nicht auf die neue, 1874 bereitö in's Leben ge— 
tretene Behörden - Organifation Nüdficht genommen morben tft. In 


86 Geographie. 


ben topographiichen Gapiteln find die Ueberblide über die Localgeſchichte 
ber größeren Städte von befonderem Intereſſe, wie auch die vergleihen- 
ben NRüdblide auf die Städte eines jeden Freishauptmannicaftlichen 
Bezirles als recht zwedmäßig bezeichnet werben müſſen. Die leicht 
jliggirten Berg: und Stäbteanfichten gereihen dem Büchlein nicht wenig 
zum Schmude. 


Neue Ausgaben bereits früher in biefem Jahrbuche beurtbeilter 
Schriften: 

6. F. Jung, Das deutfbe Reid. Handbüchlein beim Unterrichte in der 
Stographie. 4. Aufl. Wiesbaden, Limbartb. 1874. 48 ©. 4 Gar. 
Bol. Päd. Jahresber. XXI, 264. Nach Ylußgebieten geordnet, 

aber die Orographie will nicht recht zur Geltung fommen. Das topo= 
graphifche Material erinnert an die alte Schule. Im Ganzen viel 
poetiſche Phraſe. 

7. F. D. Stichart, Paſtor zu Reinhardögrimma, Sächſiſche Baterlande> 
kunde. Geſchichte, Geographie, Staatsverfaſſung und Staatéverwaltung 
des Königreichs Sachſen. Für den Schulgebrauch bearbeitet. Mit einer 
Schulkarte von Sachſen von Krumbholg. 6. Aufl. Dresden, Diepe. 
1874. 32 ©. in Groß⸗Octav. 5 Ser. 

Bol. Päd. Jahresber. XXII, 119 ff. Im geographiichen Theile 
trodne Nomenclatur nad alter Weiſe. Die Karte höchſt ungenügend. 

8 G. Blumberg, Heimathakunde. Stofflih kegrenzt und methodiſch 
zearbeilet, Mit einem Plan und zwei Karten. Zorpat, Gläfer. 1869. 
738. 

Behandelt Dorpat und Umgegend und fchließt mit einem geogra- 
phifchen Ueberblid über die drei baltifchen Provinzen Livland, Eftland, 
Curland. Ausführlider beiprochen Päd. Jahresber. XXII, 124 ff. 


II. *eitfäden. 


9 8. Weidemann, Geograpbie für Schüler in drei Burfen. 

Hamburg, Meißner. 1874. 68 ©. 60 Pr. 

Einen vorhergehenden Unterricht vorausſetzend, will dad Büchlein 
ben Schülern einen Anhalt bei der Repetition geben, damit hie letzte⸗ 
ren nach ihrem Atlas nicht etma das Unmefentliche fich einprägen und 
das MWefentliche verfäumen. Verfaſſer hat fich deshalb mit einer apho⸗ 
siftiich-nomenclatorifchen Form begnügt, die freilich an einzelnen Stellen, 
namentlih in Betreff der Einwohnerzahlen, Biftorifchen Notizen und 
fonftigen Merkwürdigkeiten bei den Städten, ſtark an bie alte Schule 
erinnert. Nur in dem Abfchnitt, der das Material der oberftien Stufe 
bietet, fordern einzelne fporabifch hingeworfene Worte den Lehrer auf, 
feinen Unterricht iM zu geftalien, daß das Nachdenken der Echüler da⸗ 
durch angeregt wird. Vgl. S. 26 die Antworten auf die frage: Wo⸗ 
dur iſt Europa der wichtigſte Erbtheil? fowie ©. 33 die Hauptur⸗ 
fachen des Uebergewichts ber Briten über andere Völker. Yeblerhaft 
ift e8, daß bei jedem Erdraume die bydrographifchen Verhältniſſe vor 
ber Oberflächengeftaltung erörtert worden find, und daß Böhmen und 





Geographic. 87 


Mähren in gleicher Weife wie Bayern und Würtemberg ala „Hoch 
ebenen‘ bezeichnet werden. Jeder ber drei Curfe, von denen ber erfte 
den ſynthetiſchen Gang einichlägt, beginnt mit Notizen aus ber mathe: 
matiſchen Geographie, die fich natürlich im zweiten und dritten Curfus 
intenfiver geftalten. Hier treten auch Erläuterungen aus ber allge- 
meinen phyfiichen Erbfunde hinzu. 


10. ©. Mars, Lehrer, Allgemeine Geographie zum Gebra.c für die 
badijchen Bolksihulen. Nach dem Lehrplan vom 23. April 1869. 1. Heft. 
VI Eduljahr. Freiburg I. Br. Scheuble 1874. 26 ©. 

In allgemein faßlicher Form merben in den vier erften Abſchnitten 
die leichteren Partien aus der aftronomifchen Geographie vorgeführt. 
Der erſte Abfchnitt belehrt über den Horizont und das Drientiren, 
über die Beweife für die Kugelgeſtalt ber Erbe und über das Linien- 
net des Globus. Der zweite Abfchnitt bejchäftigt ſich mit ber Be— 
mwegung der Erde um die Sonne und zwar im Einzelnen mit dem 
fcheinbaren Laufe ber Sonne bei uns, in den Yequatorgegenden und 
an den Polen. Die Rotation der Erbe und die Beiteintheilung bilden 
ben inhalt der beiden folgenden Abfchnitte, während der lette etliche 
Fundamentals Begriffe aus der phyfiihen Geographie zur Sprache 
bringt. 

11. Geographie und Naturgeſchichte. Ein Memorirbüdlein für 
Glementarfhüler. Reumied u. Leipzig, Heuſer. ©. 1—15 Geographie. 
©. 16-19 Naturgeihichte. 10 Br. 

Keine Nomenclatur mit langen Probuctenverzeihnifien. Ein vers 
ftändiger Gebrauch der Landkarte macht derartige „Memorirbüchlein‘ 
fehr überflüffig. 
12. A. Stroeſe, Recor in Köthen, Hilfsbuch für den geographiſchen 


Unterricht in Bollsfchulen und den mittleren Elaffen der Mittelſchulen. 
Köthen, Scetiler. 1874. 126 ©. 1 Marl. 


Recht empfehlenswert. Der erblundliche Lehrftoff ift für bie 
beiden erften Stufen des geographifchen Unterrichts praftiich zurecht 
gelegt. Die erfte Stufe bietet eine Wiederholung der Heimathskunde, 
Die erften Elemente der Geographie von Deutichland und Europa und 
giebt fchließlich eine elementare Weberfiht über die ganze Erde Die 
zweite Stufe beginnt mit der aftronomilchen und phyſiſchen Geographie, 
geht dann zu Europa und indbefondere zu Deutſchland über und fchließt 
mit der Geographie der fremden Erbtheile. Die geichidte Auswahl 
und klare Anorbnung des Materialed bürgen dafür, daß Verfaſſer eben- 
fall etwas Brauchbares liefern würde, wenn er feine concentrijchen 
Gurfe vervollftändigte und einen Leitfaden auch für die oberen Stufen 
des erbfundlichen Unterrichtö bearbeitete. Beſonders beachtenswerth 
ericheint in dem vorliegenden Hilfsbuche die Zufammenftellung bes 
eigentlichen Kartenmateriales in einer folchen Ordnung, welche die Lage 
und das gegenfeitige Verhältniß der entfprechenden Gegenjtänbe deut- 
lih hervortreten läßt. Werfafler verfteht es, feiner geographiſchen 
Darftellung Heine Charakterbilder einzuverweben, welche in kurzen Zügen 


88 Geographie. 


Land und Leute recht anfchaulich ſchildern. Viele Fragen und Auf⸗ 

gaben wollen eine bildende Durcharbeitung des geographiichen Stoffes 

vermitteln; fie haben den Zweck, den Schüler tiefer in das Ber- 
ftändniß ber Karte einzuführen, fein Nachdenken zu weden und ihn 
überhaupt zur Selbitthätigfeit anzuleiten. 

13. C. Stolte, Lehrer zu Stargard i. M., Tebr- und Uebungsbuch für 
den Unterriht in der Geographie, verbunden mit natur- 
wiffenfhaftliden und geſchichtlichen Belehrungen, in vier 
eoncentriihen Curſen Hr mebrclaifige Schulen. Neubrandenburg, 


Brünslow. 1874. I. u. D. Curſus. 63 ©. 4 Sgr. II. Qurfus. 
139 S. 10 Ser. 


Die Idee der Stoff-Bertheilung auf vier concentrifche Kreiſe 
ift anerkennenswerth, aber die Art und Weife der Stoff-Auswahl 
überhaupt, wie fie vom Verfaſſer getroffen worden ift, wirb ſchwerlich 
viel Beifall finden. Das von ihm beobachtete Princip, allerlei natur« 
fundliche und weltgefchichtliche Notizen der Geographie einzuverweben, 
das eigentlich von der gegenwärtigen Methobif ala übertvunbener Stand⸗ 
punkt betrachtet werben follte, hat ihn zu mancherlei Abjurbitäten ver— 
führt. Unter der Aufrechterhaltung dieſes Principe ift das eigentlich 
Weſentliche des erbfunblichen Unterrichtd, die Darftelung ber Terrain- 
verhältniffe, bedeutend in den Hintergrund gejtellt worden. Im erften 
Curſus fommt bei den außerbeutfchen Erbräumen die Bodenplaſtik bei- 
nahe durchgängig gar nicht in Betradt; faft nur das naturgeichicht- 
liche Element findet ſich bier vertreten. Eine derartige Länderbetrach⸗ 
tung kann nimmermehr als geeignete Bafis einer fruchtbringenden erd⸗ 
kundlichen Unterweifung erfcheinen. Daß Pferde, Ejel, Maulthiere und 
Schafe auf dem Boden eined Landes umherwandeln, daß Citronen, 
Drangen und Korfbäume auf demfelben gedeihen, das alles find für 
die Geographie Momente von nur fecundärer Wichtigkeit; primo loco 
müſſen die Schüler auch ſchon auf der unterften Stufe ein klares, an= 
Ihauliches Bild von der Bobengeftaltung des betreffenden Erdraumes 
erhalten. Sinconfequent muß man ed übrigens bezeichnen, wenn Ver⸗ 
faſſer im erſten Curſus die Türfer als ein zum Theil fehr gebirgiges, tn 
der Nähe der Donau und ihrer Mündung flaches und niebriges Land 
fchildert, dagegen bei Spanien, Stalien, England, Scandinavien und den 
meiften andern Ländern nicht mit einem Worte ber orographifchen 
Berhältniffe derſelben gedenklt. Ebenſo principlos verfährt er mit fei- 
nen etbnographifchen Bemerkungen, die öfter gänzlich fehlen. Daß im 
eriten Curſus nicht einmal die Hauptftäbte von den außerbeutichen 
Ländern Erwähnung: finden, ift gleichfall3 zu tabeln. Im Webrigen 
aber hat fich Verfafler bei der Aufzählung der Städte einer meilen 
Beſchränkung befleißigt, wenn auch bei vielen derſelben der Notizen= 
ram ber alten Schule noch klar zu Tage tritt. Vom zweiten Curfus 
an wird das gejchichtlihe Element herangezogen, zunädft nur bei 
Deutihland, vom britten Curfus an auch bei den übrigen Rändern. 
Aber auch bier ftößt man wieder auf PBrinciplofigkeit, wenn man den 
Ueberblid über die griechifche Gefchichte mit der einzigen Notiz aus 








Geographie. 89 


ber italienifchen vergleicht, dag Rom durch Romulus gegründet worden 

jet. Unlogiſch erjcheint die Anordnung bes Stoffes im legten Abfchnitt 

des britten Gurfus, der bon der Erde im Allgemeinen handelt und ſich 
folgendermaßen glievert: Oberfläche und Geftalt ver Erbe, Himmels» 
gegenden, Größe und Beivegung ber Erbe, Zeitrechnung, Wenbefreife, 

Polarkreiſe und Zonen, Menfchenraffen, Sprace, Religion, Berfaffung, 

Länge und Breite (!), Mond, Sonne, Planeten u. |. w. 

14. €. ©. Schramm, Leitfaden zum Unterricht in der Erdbeſchrei⸗ 
bung. 10. Aufl. Colberg, Jancke. 1874. 111 S. 75 Pf. 

Das Buch gehört noch der alten Schule an. Der Abſchnitt über 
bie Gliederung ber Gebirge in Europa, ©. 14 ff., tft fo angelegt, daß 
daraus eine allgemeine fachgemäße Weberficht über bie orographiſchen 
Verhältniſſe Europa's ſchwerlich gewonnen werden kann. Ebenſowenig 
genügen die Verzeichniſſe der Producte und die der Städte, deren An⸗ 
ordnung nach phyſiſchen Geſichtspunkten durchgängig vermißt wird. 
Das Capitel über das Klima unſeres Erdtheils läßt ben fo bedeu⸗ 
tungsvollen Einfluß des Golfftroms gänzlid außer Acht. Hinfichtlich 
der Auswahl und Gruppirung des Stoffes fehlt es an einem con- 
fequent feftgehaltenen Princip. Wenn die Gebirge der pyrenätfchen 
Halbinfel erwähnt worden find, fo wundert man fih, bei Frankreich 
und ber Balkanhalbinſel fein Wort über die Bodengeftaltung, bei Italien 
nur etliche dürftige Notizen über diefelbe zu finden. Ebenſo befremdet 
e3, wenn Berfafler die Stäbte von Scandinavien, Rußland, Ungarn, 
Holland, Belgien u. f. w. nach den Provinzen diefer Länder aufzählt, 
Dagegen die Landſchaften von Spanien, Frankreich und der Türkei, 
deren Unterjcheidung neben der phyſikaliſchen befanntlich auch eine fo 
bedeutende hiftorifche Berechtigung hat, vollftändig unberüdfichtigt läßt. 

er Geographie der europäifchen Länder und der fremden Erbtheile 
find Veberfichten über bie gejchichtliche Entwidelung ber Bevölkerungen 
dieſer Localitäten beigegeben, in melche ſich aber leider manche Unrich- 
tigfeiten eingefchlichen haben. Das meitgothifche Königreich in Spanien 
beitand noch nicht im vierten (©. 18), fondern erft feit dem fünften 

Jahrhundert. 1556 regierte in England nody nicht die große Elijabeth 

(©. 22); damals faß noch ihre Schwefter Maria Tudor auf dem bri- 

tiſchen Throne. Wilhelm der Dranier beftieg den letzteren auch nicht 
nad Karl IL, wie aus der Darftellung auf S. 23 ſich vermuthen läßt; 
fondern Satob H. war der legte Stuart. 

15. ©. F. Heiniſch, Kleine Weltkunde für Schule und Haus. Ent⸗ 
baltend: Beographie, Naturlebre, Naturgeſchichte, Körper- 
und Seelenlehre. 6. Aufl. Bamberg, QAuchner. 1874. 178 ©. 8 Sur. 
Der geographiiche Theil des Buches (S. 1—93) gehört hinficht- 

li ver Auswahl und Behandlung des Materiales der alten Schule 

an. Die Gefchichte ift der Geographie einverleibt, tritt aber in weit 

befchräntterem Umfange als letztere auf. 

16. H. Rave, Leitfaden gu einem methodiſchen Unterriäte in der 


Beograpbie. In ſtu enmelfer Erweiterung. 1. Curſus. 2. Auflage. 
Hannover, Hahn. 1874. 36 E. 





90 Geographie. 


Das empfehlenswerthe Büchlein zeichnet ſich durch eine recht ver⸗ 
ftändige Stoffbejchränfung aus, mie fie fich für die unterfte Stufe ziemt. 
17. © W. Eulenhaupt, Lehrer in Würzburg, Sandbud für den Unter: 

richt in der deutſchen Sprade, in den Realien, nebſt einer Samm⸗ 
lung von Recenaufgaben. II. Abibellung: Realien. Zum Bebraude 
in den Volkefhulen. 7. Auflage. Zum Gebrauche minifteriell genehmigt. 
Bamberg, Buchner. 1874. 163 S. 21 fr. 


Der 42 Seiten umfafjende geographifche Theil genügt weniger. 
Das Terrain ift mangelhaft beichrieben, und in ber Topographie ift 
das Material bei weitem nicht fo gefchidt ausgewählt, wie in bem 
unter ber vorhergehenten Nummer angezeigten Leitfaden. Paläſtina 
wird ausführlicher behandelt, am eingehendſten Bayern. 

18. Offinger's und Engelbrecht's Kurzer Inbegriff des Nothwendigſten und 
Semeinnügigftien aus der Natur und dem Menfhenleben. Ein 
Hilfobuch zum Linterrichte Über Realien, Sprahe und Rechnen für bie 
Jugend in Stadt» und Landichulen auf Die Dauer ihrer Schulpflichtigfeit. 
Nah den allerhöchſten Verordnungen bearbeitet. 16. Auflage. Zum Ges 
brauche minijtertel genehmigt und emrfohlen. Bamberg, Buchner. 1873. 
383 u.8 6. 32 1r.f. ®. (10 Ser.) 


Hier widmet ber geograpbiiche Theil (40 S.) der Beichreibung 
der Bodenverhältniffe mehr Sorgfalt. Wie das vorige, jo bietet auch 
diefes Buch außer der Geographie das Wichtigfte aus der Gefchichte, 
Naturlehre, Naturgefchichte und Menfchentunde dar; außerdem treten 
hier noch deutfche Grammatik und Rechnen hinzu. 

19. W. Dietlein, Rector, Ergebniffe Des geographiſchen, geſchicht⸗ 
lihen und naturftundlihen Unterrihts in Bold: und Bürger 
fhulen. Ein Wiederholungsbuch für Schüler. Dritte, nah den minifte- 
rielen „Allgemeinen Beitimmungen vom 15. October 1872” umgearbeitete 
Auflage. Braunfchweig, Brubn, 1874. 8 Sgr. 

L Ergebniſſe des geugrarbifchen Unterricht. 50 ©. 4 Sgr. 

Das Hefthen will den Schülern Anbaltepunfte bei ihren Wieder⸗ 
bolungen bieten. Das aufgenommene Dlaterial, welches fi nur auf 
das Weſentlichſte beſchränkt, ift zu billigen. Die Anlage bes Buches 
ift eine vecht überfichtliche, und darum wirb baflelbe von Zöglingen 
der Volksſchule nicht ohne Nugen gebraucht werden fünnen. 

20. G. Abnert und H. Eceuerlein, Geographie über fämmtlide 
Erpdiheile für Voſtsſchulen und zum Selbitunterrigt. Schmölln, Bauer. 
1874. 105 &. 50 Br. 

Die Topographie erfcheint vor der phuyfilalifchen bevorzugt. Nach 
alter Weife werben von den Ortichaften eine Menge Sehens» und 
Merkwürdigkeiten aufgeführt. 

21. A. Heinrich, Gomnafialprofeſſor in Laibach, Erfter geographiſcher 
Unterricht. In Fragen und Antworten. Für die erſte Claſſe der Mittel⸗ 


ſchulen und für Die oberen der Volks-⸗ und Bürgerſchulen. Mit 67 in den 
Text gedrudten Figuren, Karten und Bildern. Wien, Pichler. 1874. 142 ©. 
14 Sgr. 


Das ſchön ausgeftattete, durch feinen Bilderſchmuck anziehende 
Buch bietet die allgemeine phyſiſche und aſtronomiſche Geographie in 


Geographie. 91 


ziemliher Ausführlichleit und von der befonderen Geographie eine 
reine, geſchickt zufammengeitellte Topik. Mit diefer leßteren darf fich 
aber der erblundliche Unterrit in der Oberclaſſe einer Volksſchule 
durchaus nicht begnügen, wenn er feine geiftbildende Kraft bethäti- 
gen joll. 

22. €. Bangantd, Bürgerſchullehrer zu Poßneck Merkbüchlein zum geo— 


graphiſchen Unterricht nach concentriſchen Kreiſen mit beſonderer Be⸗ 
Sn gugung der thüringiſchen Lande. Pößneck, Latendorf. 1875. 31 ©. 
30 Pf. 


Im Allgemeinen nad gefunden methobifhen Grunbfägen aus⸗ 
gewählt und angeorbnet, wenngleich der Lehrſtoff aus der mathemati= 
hen Geographie am Schlufie eines jeden ber brei concentrijchen 
Kreife einen befieren Pla gefunden hätte, ald am Anfange ber- 
jelben. Auch die längeren trodenen Productenverzeichniſſe wollen nicht 
viel jagen; allgemeine charakteriftiiche Bemerkungen über die Flora 
und Sauna der einzelnen Erdtheile verdienen unftreitig den Vorzug. 
Die Stoffvertheilung auf drei concentriſche Kreife ift nicht conſe⸗ 
quent durchgeführt worden, denn im zweiten Curſus fehlt die allge- 
meine phufifche Erdkunde, ſowie die fpecielle phyſiſche Geographie von 
Afrika und Auflralien und die politiiche Geographie von Deutfchland. 
Ebenſo bleibt fich der Verfafler nicht confequent in der Schreibweiſe 
der geograpbifchen termini technici und nomina propria. Wir finden 
©. 4 phyſikaliſche und S. 20 phiſikaliſche Geographie, S. 14 Anden 
und S. 21 Unten. Der Begriff der phyfilalifchen Geographie 
Iheint dem Verfaſſer nicht recht klar zu fein. Denn im erften Kreiſe 
werben bei der phyſikaliſchen Geographie der einzelnen Erbtheile die 
wichtigften Städte derſelben mit angeführt, die doch zur politifchen 
Geographie gehören. Im dritten Kreife rechnet Verfafier die Lehren 
bon der Erbbilbung, vom Meere und von den Winden zur mathema⸗ 
tiihen Geographie. Alle diefe Capitel gehören aber bekanntlich dem 
Gebiete der allgemeinen phyſiſchen Erdkunde an. 


Neuere Auflagen fchon früher beiprochener Bücher: 


23. Dr. 8. ©, Reuſchle, Sumnafialprofeffor in Stuttgart, Elementar- 

geogranbie oter Leitfaden für den eritenzufammenbängenden 

nterrigt in der Erdbefhreibung. 4. Aufl. Stuttgart, Schweis 
zerbart. 1874. 127 ©. 


Gut. Bol. Päd. Sahresber. XXIII, 123. 


2. 8. Götze, Geographie und Geſchichte. Kin Wiederholungebuch für 
die Schuͤler der Oberclaſſen der Vollsſchule. Nach den Allgem. Beſtimmungen 
A 15. Det. 1672. 2. Auflage. Quedlinburg, Bieweg. 1874. 76 ©. 
4 Sgr. 


Ein trodenes Gerippe. Vgl. Päd. Jahresber. XXVI, 257. 


25. B. Burgarz, Geographie für Elementarfhulen 10. Auflage 
Köln und Neuß, Schwann. 1874. 48 ©. 2 Sgr. 


Alte Schule. Bol. Päd. Jahresber. XXVI, 255. 


Kr 
KT 


Fear: 


aM Ir E Min, Eiuinichr m Iris, Giezrarbiider Leit⸗ 
rer fr Riı;zeiın, bernes I kirer rar und Mädien- 
amıler. 1 Bein.sıg Ar Bezetstz 3 Url Bertin. Gärtner. 
ii we 5 Zır 


Kedı euirkieniwertb. Tzl Ir. Jıhreißer. XIII, 121. 


IIL Grögere Echr- und Handbücher der Geographie. 


Zir begegꝝen im her fiesjibrinen seserer: dem Literatur feinem 
neuen Kerle tieer Art, iendern zur neueren Ausgaben bereitö 
verhendener Lehr⸗ und Handec er eier irẽteren Steſerungen folder 
Derte, die in ibren eriten Sieierimzen ſiden in Treten Jahrbuche aus⸗ 
fũbelich beiprechen und beurtiert werten Ant. Desha!b können wir 
uns tiesmal auf bare Anzeigen beichränten. 
2°. B. Rojenn, Yeitizden ter Seezrarbie Fr die Mirtelihulen der 

SterratLeunzırıter Menırkıe Umso tee wer Dil Sesel. 3. Auf 
lage I.1 25 Hetʒida:ttie Sim, Sei 14 395 ©. 1 Zblr. 


6 Zur. 
25. B. Hezemn. Greteihreikun: tür Eelleikulen 7. Wuflage. 
8:a Dr. 6. Z. Baut. Ti iv Hezkarza. Win, £öljel, 1974 


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8. Größere Autgıbe. 15. Arhlıze. IAlutrirt derch SY Kartenſtizzen und 

erlänierrde Abbi!:dungen. Bres:au. Sırı. 1874. 336 S. 1 Tolr. 5 Sgr. 

b. Kleınere Auszabe 15. Achaze. 41 Kartenitiszen und erläuiernde 

Abbi!dungen. KFreelas, Hirt. 1574. 17°, Sır. 

Sehr gute Bücher, nad ben Gruntfägen der neueren Scule 
abgefaßt. Bol. Pãd. Jabresber. XV, 232. XXIV, 167. 

30. Dr. 5. 9. Baniel, Kleiueree Santbut ter Geograpbie, 

2. Auflage. 1. vreietung. S. 1%. Leieczig. Reielaad. 

Ein anfpredyender Auszug aus Daniel's größerem vierbändigem 
Handbuche der Geographie. Ein eingebendes Urtheil Tann Referent 
nicht fällen, da ihm auch von ber erften Auflage des Werkes nur die 
erfte Lieferung vorgelegen bat. Bgl. Pad. Jahresber. XXV, 273. 
31. 4. Summel, Santbud der Ertlunte Gin Hausbuch des geogra- 


priiben Wiſſene. Lerzig, Gebhardt. 5.—10. Licferung. à 10 Ger. 
©. 337 - 800. 


Berjudt, fi) auf gleiche Höhe mit Daniel zu ſchwingen und ver- 
ſpricht, ein recht tüchtiges Handbuch zu werben. Die vorliegenden 
ſechs Lieferungen enthalten den Schluß ber Geographie des deutfchen 
Reihe, die Geographie von Defterreih:Ungarn, der Schweiz, Belgien, 
Holland, Dänemark, Scandinavien, den britiſchen Inſeln, Frankreich, 
der Firenäiigen Halbinfel und Stalien. Vgl. Pad. Jahresber. XXVI, 
264 ff. 


Geographie. 93 


322. F. J. G. Cannabich's Lehrbuch der Geographie nad den neueften 
Friedensbeſtimmungen. 18. Aufloge. Bon Dertel. 2. Band. 6. u. 7. 
Lieferung. S. 801—1120, à Lieferung 10 Sgr. Weimar, Voigt. 1874. 
In Cannabich's Lehrbuch iſt belanntlih die politifche Geo— 

graphie weit mehr als die phyſiſche betont. Sehr reichhaltiges Nach— 

ſchlagebuch. Die vorliegenden zwei Lieferungen verbreiten fich über 

Mittel- und Nordamerifa. Bol. Päd. Jahresber. XXVI, 257. 

33. Sb. Schacht's Lehrbuch der Geographie alter und neuer Zeit mit 
bejonderer Rüdfiht auf politifhe und Culturgeſchichte. 8. Auflage. Bon 
Dr. ®. Rohbmeder in Münden. Mit 4 Karten, 3 Figurentafeln und 
dem Portrait res Verfaſſers. Mainz, Kunze. 1874. 9.— 14. (Schluß:) 
Lieferung. ©. 649—1164. 


Ein fchönes geographifches Werk, das die phufiiche Geographie 
eingebend berüdfichtigt, daneben aber auch der politiihen Geographie 
zu ihrem Rechte verhilft und ganz befonders das hiftorifche Element, 
wenn auch nur äußerlich, vielfach herbeiziehbt. Vol. Päd. Yahresber. 
XXVI, 258. 


IV. Kartenwerte. 


1. Bandlarten. 


34. 9. Berghaus, Phufitalifhe Wandkarte der Erde in Merca: 
tor's Brojection zur Meberfiht von Höhen, Tiefen und Seeltrömungen 
mit zwei Nebenfarten und einer Höhenanfidt. 8 Sectionen u. 12 ©. Text. 
Sotha, Perihes. 1874. Geheftet 31/5 Thlr. Auf Leinen gezogen mit 
Mappe 4%, Thlr. 

Diefe vorzügliche Welttafel bringt eine Menge geographiſcher Ver- 
hältnifje troß des ſtark verjüngten Maßftabes, der bei einer Erblarte 
angewendet werden muß, zur Leutlichen, anſchaulichen Darftelung. Be⸗ 
Ianntlich wideln die Mercatorfarten die Seitenfläche eines Cylinders, auf 
welchem die jenen mit dem Aequator berührende Kugelfläche ausgebreitet 
gedacht if, in die Ebene ab. In Folge deilen wechjeln die Breiten vom 
Aequator nach den Polen in demfelben Verhältniß, als die Längenab— 
fände vergrößert werden, um fie den Aequatorgraden gleich zu machen, 
ſodaß die Meridiane parallele Linien bilden. Bei diefer nach beiden 
Rihtungen hin gleichmäßigen Vergrößerung wird die Form von Län- 
dern und Küſten trotz aller Ausſpannung allerdings nicht verzerrt und 
berichoben, aber ein Vergleich der Flächenräume ift nicht möglich, und 
da 900 der Breite unenplich groß werben müßte, fann die Karte nicht 
bi8 zu den Polen ausgedehnt werden. Die Mercatorkarten find bes- 
balb in der Regel nur bis zu 80% Breite ausgeführt. Die Berghaus'⸗ 
Ihe Erbtafel aber ift nach beiden Seiten hin, ten fehlenden Erbpolen 
und dem außer Betracht bleibenden Raumverhältniß, ergänzt und in- 
haltlich abgerundet worden, indem ſich auf ihr zwei Kreisplanigloben 
borfinden, einer in Polarprojection zur Weberficht ber die Pole um⸗ 
gebenden Länder und Inſeln, der andre in Meribianprojection, beide 
in Äquivalenten Entwurfsarten, als ſolchen, weldhe die Raumverhält- 
niſſe jo genau wiedergeben, ald davon nad) Maßgabe ber Verjüngung 


94 Geograpbic. 


die Hebe fein fann. Die Meritiane zablt Berghaus nicht von Yerro, 
fondern von Greenwich aus. „Nenn man body einmal von dem Ferro= 
Meridian abgeben muß, der bie Sjniel, nach welcher er genannt wird, 
gar nicht einmal berührt, was zu Mißverftändnifien führen kann und 
vielfach geführt hat, und nad welchem nicht einmal die Spanier mehr 
zäblen, fo fann die Wahl zwijchen dem Meridian der Barifer Stern- 
arte, nach welchem faft nur franzöftiche Karten getbheilt werden, und 
jenem des Greenwicher Obſervatoriums um fo weniger zweifelhaft fein, 
al3 diefer von den meilten feefabrenden Bölfern angewendet wird und 
die bei weiten meiften Längen: und Zeitbeflimmungen beutzutag fich 
auf diefen beziehen.“ 

Beſonders anerfennenswertb auf der vorliegenden Karte ift bie 
Darftelung der Bodenplaſtik Bisher wantte man gewöhnlid die 
Etrichs oder Schattirungsmanier an, um eine Ueberſicht von hoch und 
tief zu vermitteln. Aber die für getviffe Entfernung berechnete derbere 
Ausführung derſelben verundeutlichte in der Regel die Namen und 
fonftigen Zeichen auf der Karte, wogegen bei einer mäßigen Schatti⸗ 
rung die ſenkrechten Sliederungsverhältnifie nur wenig zur Geltung 
famen. Berghaus bat nun auf feinem Tableau durch Linien gleicher 
Höhe über See ein ganz neues Syſtem von Stufen entivorfen, bie, 
aus helleren Farben nach und nad zu dunkleren übergebend, Niede— 
rungen, Hügelländer, Mittelgebirge, Hochgebirge und höchſte Erhebungen 
auf den erften Blick erkennen lafien. Abitechende Farbennuancen maden 
auch geringere Höhenunterfchiede für mäßige Entfernung noch fichtbar ; 
die Hochgebirgäländer erfcheinen ſtark dunkel. Die Nieverungen werben 
nicht, wie auf der Mehrzahl unferer neueren Gebirgd- und phyfilalt- 
Then Wanbfarten, vom höher gelegenen Terrain durch eine abftechende 
gelbliche oder graue Farbe abgegrenzt , ſondern fie erſcheinen, ber ge= 
wählten Abftufung zufolge in belliter Färbung. Die grüne Farbe 
bezeichnet auf unferer Karte vielmehr wirkliche Tiefländer, d. b. foldhe 
Sentungen des Erdbodens, , die niedriger ala der Seefpiegel gelegen 
find. Wie in der Höhe bes Feſtlandes, fo macht die Weltkarte auch 
Unterfhiebe in ber Tiefe des Meeres. Die Flachſee ift mit einer 
helleren Farbe bedacht als bie Tieffee. Die Höhenanſicht am Fuße 
der Karte unterfcheivet mittels einer befondern Yarbenfcala die Pflan- 
zenregionen der Gebirge vom Saftgrün der Tropenwälder an bis zum 
Hellgrün der Weiden und Triften in ben Wlpenregionen. Die mwei- 
ten Flächen der hoben See aber ſucht unſere Weltkarte zu beleben 
durch eine Weberficht der Oberflächenbewegung der Gewäſſer in einer 
Ausführungsart, welche durch zweifarbige Unterfcheidung in einer auf 
größere Entfernung vom Auge noch wirkſamen derberen Manier bie 
Symmetrie in Vertheilung der Strömungen bervorhebt und baburch 
die Auffafiung des Geſetzmäßigen diefer Erjcheinungen befördert. Die 
dunklere Färbung in der Zeichnung ber Strömungen bezieht ſich auf 
bie größere Schnelligkeit und Stetigfeit der Wafjerbemegung, nad) 
welcher die großen Ströme von den Strömungen und dieſe von den 
fogenannten Triften, d. h. von den durch die berrichenden Winde ver- 





Geographie. 95 


urfachten oberflächlicheren Seebeivegungen von ftetigerer Dauer, unter- 
ſchieden zu erben pflegen. Die falten oder Polarfirömungen treten 
in feegrüner Farbe auf, die warmen oder tropifchen dagegen in dunkel⸗ 
blauen Strichen. 

Die verſchiedenen Farbenſtufen und andere Zeichen auf ber Berg: 
baus’schen Weltkarte ermöglichen es nun demjenigen, welcher ber Karte 
ein aufmerkſames Studium widmet, eine Menge geographifche Berhält- 
niffe von ihr abzuleien. Das auffteigende Höhenverhältniß zwiſchen 
den Hochebenen von Dekhan, Arabien, Armenien und Tibet, die Rang⸗ 
verhältnifje zwiſchen Ural, Altai, Tien⸗ſchan und Himalaya, ebenſo die 
tief einfchneidenden Gebirgaübergänge in den europäifchen Alpen, den 
norwegiſchen Fjelden und den chileniſchen Anden find fofort zu er= 
fennen. Deutlicher als durch jede Art von Gebirgäjchraffen treten in 
den Farbenflähen die Maflenerhebungen hervor. Auch ſchwächere Er- 
bebungen bleiben erkennbar, wie in DOfteuropa bei allen nad Süd und 
Oſt fließenden Gewäflern, von der Donau bis zur Wolga, der durch- 
gängige Unterjchied zwiſchen dem rechten, fteilen oder Bergufer und 
dem linfen, niederen oder Wiefenufer. Wir bemerfen ferner, daß dem 
Sordantbal, dem Caspiſee, Holland und etlichen Erbitreifen in Afrika 
eine niebrigere Yage ald dem Meeresipiegel zufommt. Die bellere 
Farbe der Flachfee'n lehrt uns, daß wir hier unterfeeifche Plateaux als 
Fortſetzung von Land-Riederungen vor und haben, welche benadybarte 
Inſeln mit dem Feſtlande unterfeeifch verbinden, und e3 taucht in und 
fofort die Vermuthung auf, daß dieſe Inſeln einftmals mit dem Con=- 
tinente verbunden geweſen find, oder daß gewifle Meerbufen früher 
eine weit größere Ausdehnung als gegenwärtig bejaßen. Auch in der 
Nähe von Steilfüften zeigt und die Karte ausgedehnte Bänke da, wo 
einer armen Strömung eine kalte begegnet. Aus den in die blaue 
Dieeresfläche eingebrudten großen Ziffern erhalten wir Auffchlüfle über 
die Tiefe des Dceans, fowie über die Vertheilung der Seejonden. Bon 
der Höhenanfiht am Fuße der Karte lafien mir uns belehren über 
das allmälige Nieberfteigen der Schneelinien und der Pflanzenregionen 
gegen die Pole der Erde hin und von den feegrünen und dunfelblauen 
Streifen im Weltmeere über die fogenannten „kalten Wände‘ im 
Golfitrom und im japaniſchen Strom, ſowie darüber, daß die Falten 
Wafler von den Polen gar oft lange einer Vermischung mit den lauen 
Wellen wärmerer Strömungen Widerſtand leiften. Jene grünen und 
blauen Streifen verrathen uns auch die Haupturfache der Elimatijchen 
Unterfchiede zwiſchen den Dit: und Weftküften der Feſtländer. Wir 
überzeugen ung, daß bie feegrünen Strömungen in ber füblihen He— 
mifphäre das kalte Polarwaſſer längs der Weſtküſten binabführen, 
während an den öftlihen Geſtaden dunkelblaue Zweige der tropijchen 
Strömung binauflaufen, und daß in der gemäßigten und falten Zone 
der Norbhalbfugel faft überall dag Gegentheil ftattfindet. Wir jehen 
auch von den großen Stromabern Sibiriend Strömungen hinauslaufen 
in den arltifchen Dcean und erhalten Andeutungen über die Grenzen 
des Polareifes, deren Verlauf an den Neufundlandbänlen uns zeigt, 


96 Geographie. 


wie oft gewaltige Eisberge quer durch warme Strömungen hindurch 

getrieben iverden. Wir leſen ferner auf unferer Karte, wo durch 

Maflerfälle oder Stromfchnellen die Sciffharfeit vieler Flüffe geftört 

und gehindert wird, mo es Regenflüfje oder verlafjene Strombetten 

giebt, mo die Sern ſüßes oder falziges Waffer enthalten, wo fie in 

Sümpfe übergehen u. dgl. m. Die Schriftart der Ortsnamen offen» 

bart uns die politifche Bedeutung der Wohnpläge, mährend die Ab- 

ftufung der Ortözeihen nad der Größe der Plätze dichter bewohnte 

Gegenden vor ben weniger bebölferten hervorzuheben ſucht. Durch 

eine berartige Kartenlectüre find die Farben und Zeichen auf vorlie= 

gender Welttafel auch im Unterricht zu deuten; dann wird das Berg- 
haus'ſche Tableau der erbfundlichen Untertveifung, namentlich in höhe⸗ 
ren Unterrichtsanftalten, die trefflichiten Dienfte leiſten. 

35.9. „aiepert® Phyſikaliſche Shul-Wandfarten: 

. 4. Afien. 9 Blätter. 1: 8,000,000. 1873. In Umfhlag 4 Thlr. 
uf Leinwand in Mappe 6 Thlr. 10 Ser. Auf Leinwand mit Stäben 
7 ar. 10 — 

Nr. 5. Afrika. 6 Blätter. Derſelbe Maßſtab. 1873. In Umſchlag 
2 Thlr. 20 Ser. au Leinwand in Mappe 4 Ihlr. 20 Sgr. Auf Lein⸗ 
wand mit Stäben 5 Thlr. 1U Sur. 

Nr. 6. Nord⸗Amerika. 5 "Blätter. Derfelde Mafftab. 1874. In 
Umfhlag 2 Thlr. 10 Sgr. Auf Leinwand in Mappe 4 Thlr. Auf Rein 
wand mit Stäben 4 Ihlr. 20 gr. 

Mr. 7. Süd»: Amerila 4A Blätter. Derſelbe Moßſtab. 1874. In 
Umſchlag 2 Ihr. Auf Leinwand in Mappe 3 Thlr. 10 Sgr. Auf Leins 
wand mit Stäben 4 Thlr. . 

Sämmtliche Karten bilden ein würdiges Seitenftüd‘ zu dem unter 
vorhergehender Nummer angezeigten Tableau. Wie dort die ganze 

Erde, jo find bier einzelne Erdtheile kartographiſch dargeftellt. Ueberall 

tritt die Bobenplaftit prägnant hervor, ſodaß die techniſch elegant aus= 

geführten Karten eine vorzüglicde Grundlage für den Unterridht in ber 

Terraintunde abgeben und bei aufmerkjamer Lectüre die Schüler auf 

der oberen Stufe des Unterrichts veranlafien, von der Bodenconfigu⸗ 

ration, fowie von den Strömen des Seftlandes und Dceans eine Menge 
ne auf klimatiſche, Productions⸗ und Bevölferungsverhältnifle 

ziehen. Die Riepert’ichen phyſikaliſchen Schulwandkarten haben 
durch die vorliegenden ihren Abſchluß erhalten. Sie bilden mit den 

im Päd. Jahresber. XXVI, 275 angezeigten Starten von den beiden 

Halbfugeln und von Europa ein ſchönes Ganzes. 

36. ©. A. St. Dewald und €, Windelmann, Die öftlihe und wef- 
lihe Halbfugel der Erde Mit vielen Abbildungen aus der mathe⸗ 
matifchen und pbhuflihen Geographie. Für den Schulgebraug. 2 Karten 
in 8 colorirten Sectionen. 5. Auflage Rob 1, Thlr. Mit Mappe 
12/3 Thlr. Auf Shirting aufgezogen 2%/, Thlr. Nördlingen, Bed. 
Deutlih und nicht überlaben. Nur wenige Städte, bei denen 

blos die Anfangsbuchſtaben ſtehen. Auch die wichtigſten Meeres- 

fteömungen find verzeichnet und bie politifchen Territorien durch roth 
punktirte Linien abgegrenzt. Aber die ſchwache Seite beiber Karten 
liegt in ber mangelhaften Darftellung ver Terrainberhältniffe , durch 








Geographie. 97 


Anmendung der Raupenmanier für die Gebirge war es nicht möglich, 

die Erhebungen der Bobenfläche über dad Meeresniveau auch nur 

annähernd zu bezeichnen. In Folge defien läßt fich ein Unterjchied 
der Hochebenen von den ZTiefebenen gar nicht auf den Karten wahr 
nehmen. Die Berfinnbilblihung der Bodenplaftil der pyrenäiſchen 

Halbinfel leidet geradezu an Sincorrectheiten. Daß ber leere Raum 

an den Rändern beider Karten zu Abbildungen aus der mathemati- 

chen und phufiichen Geographie benutt worden ift, verdient Anerken⸗ 
nung, menngleih nicht alle Figuren ihres Kleinen Maßſtabes wegen 

(3. B. das Planetenſyſtem) in größerer Entfernung deutlich mahrge- 

nommen werden können. 

37. S. Serz, Wandkarte von Bayern, Württemberg und Baden. 
Zum Gebrauche für Schulen, im Maßſtabe von 1: 400,000. Nürnberg, 
Serz u. Comp. 1874. 6 Blätter. Aufgezogen 2 Thlr. 

Eine anfprechende Schullarte, die ſich durch lebhaftes Colorit und 
gefälligen Zerrainton auszeichnet. Die Bodenverhältniffe des ſüdweſt⸗ 
lichen Deutfchlands find im Ganzen genügend zur Anfchauung gebradit 
worden, wenngleich auch bier, wie auf den beiden vorhergehenden 
Dewald'ſchen Karten, auf die Anwendung der Höhenjchichtenmanier 
Berzicht geleiftet worden ift, fobaß die Plateauflächen von Oberbayern 
und Oberſchwaben ihrer fartographifchen Darftelung nad ſich aller- 
dings durch nichts von der oberrheiniſchen Ziefebene unterfcheiden. 
Ein recht plaftifches Bild gewähren bie Alpenftöde mit ihren Thal- 
furden für die fließenden Gewäſſer im ſüdlichen Bayern, wie überhaupt 
alle Fluglinien ſcharf markirt bervortreten. Ohne an Ueberladung zu 
leiden, weit die Karte eine hinreichende Anzahl von Ortsnamen auf, 
welche durch befondere Zeichen ihrer Größe nach unterfchieden worden 
find. In fämmtliden drei Staaten find die Kreife durch farbige 
Linien bon einander abgegrenzt, in Württemberg und Bayern überdies 
noch dur römische Ziffern bezeichnet. Auch finden fi die Eifen» 
bahnen und Kanäle auf der Karte vor. 

38. Dr. 9. Wagner, Symnaflalprofefior in Gotha, Wandkarte det deut- 
hen Reihes und feiner Nachbargebiete. Mapitab 1: 800,000. 
12 colerirte Sectionen. Nebſt Begleitworten. 15 S. Gotba, Pertbes. 
1874. Geheftet 3%/, Thlr. Auf Leinen gezogen in Mappe 5°, Thlr. 
Diefe ſchön ausgeführte und recht empfehlenswertbe Wandkarte 

bildet ein würdiges Seitenftüd zu der befannten Kiepert'ſchen Wandkarte 

bes deutichen Reiches in feiner Neugeltaltung. Die lektere übertrifft 

allerdings die Wagner’iche hinſichtlich des Maßftabes (1 : 750,000); 

dafür ift aber auf ihr das deutſche Defterreih nur theilweife zur Dar⸗ 

Rellung gelangt, während Wagner fämmtliche Alpenländer — bie doch 

ein fo wichtiges Capitel in ber Geographie von Deutichland bilden, 

da jie vom Montblanc bis zum Wienerwald von Deutfchen bewohnt 

find — in fein Kartenbild aufgenommen hat. Als mittleren Meridian 

bat W. den 30. d. von Ferro gewählt. Auf diefe Weife Tonnte das 

von Deutfchen bewohnte Gebiet in ungeziwungener Weife ſymmetriſch 

vertheilt werden, und der Schwerpunkt des deutſchen Reiches ericheint 
Vad. Yahresberit. XVII. 1 


98 Geographie. 


auch in Folge defien gemäß der jehigen politiichen Entwidelung weiter 
nad Oſten verichoben, ſodaß die norböftliche Ede Deutſchlands, das 
alte Preußenland, mehr in den Geſichtskreis rüdt, dagegen im Weiten 
Paris von der Karte ausgeſchloſſen bleibt. 

Die Wagner’fche Karte will in erfter Linie politiſche Karte fein. 
Das politifche oder, wie man neuerdings lieber jagt, das biftorifche 
Element ift vorzugsmweife auf ihr betont. Doc begnügt ſich Verfaſſer 
nit damit, einfeitig nur bie Staate- und Propinzialgrenzen einzu= 
zeichnen. Ausgehend von dem Grundſatze, daß ein fruchtbringender 
erdkundlicher Unterricht das phyſiſche Element mit dem biftoriichen 
verbinden muß, bat er auch den natürlichen Berhältniffen die gebüb- 
rende Berüdfichtigung geſchenkt und das Terrainbilb Träftig hervor⸗ 
gehoben, ſodaß das vorliegende Tableau eine bis zu einem gewifien 
Grade gehende Bereinigung beider Kategorien von Starten, der phufi= 
kaliſchen und ber politiichen, aufzumweifen vermag. 

Berfafier Tann Beruhigung faflen, wenn er klagt, daß gar mande 
Verhältnifie, die er auf feiner Karte in outrirter Weife hervorgehoben 
zu haben glaubte, für das Auge der meiften Schüler, die nicht auf 
den vorderſten Bänken fihen, gänzlich verloren gehen. An biefem un« 
vermeiblichen Webelftande leibet bis zu diefer Stunde eine jebe, aud 
die befte Wandfarte. Jede Wandkarte muß, mie er felbit fagt, ben 
zwei jehr ſchwer zu vereinigenden Geſichtspunkten genügen, einige Elemente 
unverbältnigmäßig mehr als andere hervorzuheben, ſodaß fie noch aus 
der Ferne unterfcheibbar find, einige dagegen nur injfoweit, daß man 
in der Nähe die Charakterifirung zur Genüge ertennen Fann. 

Eine Fülle von Namen findet fi auf der Wagner’ihen Karte 
verzeichnet. Dennoch kann man nicht fagen, daß dadurch das Karten- 
bild geftört werde, fobald man bafjelbe von weitem anſchaut. Viel— 
mehr verſchwinden alle Detaild in der Ferne, weil alle Schrift auf 
der Karte nur für die Betrachtung derfelben in der Nähe beftimmt 
ift. Die Träftigeren Schriften erleichtern eine fchnellere Drientirung. 

Das Terrainbild übt allerdings in Folge der angewandten Me 
tbode der Radirung feine jo frappante Wirkung aus, mie fie wohl⸗ 
gelungene, in verfchiebenen Farbentönen bergeftellte phyſiſche Karten 
hervorzubringen vermögen, und Berfafjer will deshalb auch feine Karte 
nicht bei ber eriten geographiſchen Unterweilung gebraucht wiſſen. 
Aber immerbin fpringt die Bodenplaſtik von weiten in bie Augen. 
Verfaſſer Hat auch vornämlich die relativen Höhenverhältniffe zur An 
ſchauung gebracht und demnach bie einzelnen Gebirgsſyſteme zweckmäßig 
individualifirt. Nicht begnügte er ſich damit, das Terrainbilb in großen, 
groben Zügen binzumwerfen, fondern er hat fich einer feineren Ausfüh- 
sung für die Betrachtung in der Nähe befleißigt. In allen Gebirgö> 
gegenden ſehen mir die Paflagen, jobald fie von hervorragender Be⸗ 
deutung find, marlirt durch Einzeichnung der ihnen entlang angelegten 
Runftftraßen, fodaß der Schüler z. B. in den Alpen ſämmtliche Paß— 
linien ohne meiteren Commentar deutlich verfolgen kann. Wir erbliden 
darin mit dem Berfafler einen großen Vorzug feiner Karte. Denn 





‚Geographie. 99 


dba bie Wegſamkeit eines Gebirges den Verkehr der angrenzenden Volks⸗ 
flämme und fomtt ben Cultur-Austaufch bedingt, jo ift die Kenntniß 
der Gebirgspaffagen weit wichtiger als bie einer entfprechenden Anzahl 
bon Berggipfeln. Bon einer detaillierten Nomenclatur ber Gebirgs⸗ 
gruppen innerhalb der Alpen bat Berfafier beshalb abgefehen,, weil 
wir jeßt in einer Uebergangsperiode ftehen, in ber bie alten Namen 
über den Haufen geivorfen find, während neue ſich noch feine allge: 
meine Geltung verſchafft haben. 

Da Berfaffer der Anficht Hulbigt, daß einem Schüler ber oberen 
Glafien höherer Lehranſtalten die mwichtigeren Bahnen ebenjo gut wie 
die biftorifchen Verkehrsſtraßen befannt fein müfien, fo bat er in feiner 
Karte das gefammte Eiſenbahnnetz und bie wichtigeren Kanalſyſteme 
eingezeichnet. Bon den Ortichaften find eine bedeutende Anzahl auf: 
genommen worden, ohne daß dadurch der Charakter einer Ueberſichts⸗ 
larte beeinträhtigt worden wäre. - Sm Allgemeinen finden fich alle 
Etädte mit mehr ald 4000 Einwohnern vor; nur in ſtark übervöller⸗ 
ten Gegenden bat Berfafier derartige Ortfchaften nicht mit abfoluter 
Sonjequenz eingetragen, da einem verhältnigmäßig kleineren Orte in 
menfchenarmer Gegend eine weit größere Bedeutung zulommt, als einem 
gleichen in einer dicht beivohnten. Nicht liegt der Auswahl der Drte 
das ftatiftiiche Moment zu Grunde, nad weldhem alle Wohnpläte von 
gleicher Bevölkerungszahl ohne Ausnahme hätten Berüdfichtigung finden 
müſſen. Bielmehr find von ben Fleineren Ortichaften diejenigen aus⸗ 
gewählt, welchen irgend eine Bebeutung innewohnt. Dieſe lebtere 
liegt nicht burdgängig darin, daß eine Stabt der Si einer Admi⸗ 
niftrativ= und Juſtizbehörde, einer Sarnifon, einer höheren Schule 
u. ſ. w. ift; wohl aber werben kleine Drte von uniberjellerer Bedeu⸗ 
tung theils durch klimatiſche Verhältnifie, theild durch das Vorkommen 
bon Mineralwäflern u. dal, wodurch fie eine eigenthümliche Anziehungs⸗ 
kraft oft weithin ausüben (Sommerfrijchen, Bäder), theils dadurch, daß 
fie Kreuzungspunkte von Eifenbahnen find. Außerdem erheifcht der 
didaktiſche Zweck der Karte, daß auch folche Fleinere Orte, deren geo⸗ 
grapbifche Pofition zum Verſtändniß irgend einer Biftorifchen Be- 
gebenheit von Belang ift, auf ihr Berüdfichtigung fanden. So wird 
die Karte auch dem Gefchichtsunterricht gute Dienfte leilten. In Bes 
treff der Colorirung der Grenzen hat fich Berfaffer für das matte 
Eolorit derfelben entfchieden, mweil auch die grellften in dicken Streifen 
aufgetragenen Farben aus der Ferne doch gänzlich wirkungslos bleiben, 
falls fie nicht weit ausgedehnte Grenzlinien barftellen, und weil außer: 
dem berartige grelle Örenzcolorirungen die Karte außerordentlich ver⸗ 
unftalten und ber Gebirgszeichnung oft gefährlich werben. 

39. Kiepert, Neue Wandkarte von Päläfina in 8 Blaıt (1:200,000). 
4. Auflage. Berlin, Reimer. 1874. 8 Marl. 

Für höhere Lehranftalten ijt dieſe höchſt elegant und zweckent⸗ 
Iprechenb ausgeführte Wandlarte fehr zu empfehlen. Mit großer Klar- 
beit und Anfchaulicjleit treten die plaftifchen Verhältniſſe des paläfti- 
nenfifhen Bodens zu Tage. Die Karte zeigt und bie Geſchloſſenheit 

7 * 





100 Geographie. 


der maſſenhaften, nur durch bie Thäler des Jarmuk und Jabbok un- 
terbrochenen öftlichen Plateauflächen gegenüber den iſolirten Gebirgs- 
bilbungen des weſtjordanſchen Hochlandes. Sie belehrt ung, daß wir 
unter biejen leßteren bie maffigfte und höchſte Anſchwellung im Süden, 
namentlich in der Gegend von Hebron, zu fuchen haben, und daß bie- 
felbe nad dem todten Meere und Sorbantbale bin fchnell und fteil, 
dagegen zur mediterranen Küftenebene langſam und fanfter abfällt. 
Im Gegenſatz zu diefen orographifchen Gebilden bes füblichen Weit: 
jordanlandes bemerken wir auf ber Karte in Galiläa bis zu den Vor- 
höhen des Libanon mehr vereinzelte Gruppen, nicht body, aber mit 
fteilerem Anfteigen und fchärferen Formen in tiefliegender Umgebung. 
Zwiſchen diefen läßt das Kartenbild die von dem Meeresfaume bie 
zum Jordan fich fehlängelnde Ebene hindurchſchimmern, welche den 
Verkehr zwiſchen dem Welten und Oſten leicht ermöglidt, und vom 
Merombeden an bis an den Südrand der Karte entdedt das Auge 
deutlich die für Vegetation und Landwirthſchaft jo bedeutungsvolle tiefe 
Eindrüdung des Jordanthales felber. Eine gelbliche Färbung kenn⸗ 
zeichnet die Wüften, eine grüne den fruchtbaren Thon= oder Humus⸗ 
boden, während in dem weit größten, weiß gelafjenen heile des Areals, 
woſelbſt fteiniger Grund und Adertrume abwecfeln, ein ſehr erbeb- 
licher Theil des Anbaues auf den fruchttragenden Bäumen (Dliven, 
Feigen und Weinftöden) beruht. Da, mwo die Flußadern das ganze 
Jahr hindurch mit dem feuchten Element gejegnet find, da find fie mit 
blauer Farbe umſäumt. Dagegen treten uns einfache ſchwarze Linien 
dort entgegen, wo die Gießbäche nur zur Regenzeit anſchwellen. Wie 
die Kiepert’sche Karte auf diefe Weife zur phyſiſchen Geographie von 
Paläſtina ein treffliches Veranſchaulichungsmittel darbietet, fo widmet 
fie andererfeitd auch der Topographie des Landes die größte Sorgfalt. 
In kurzem fol eine Kiepert'ſche Volksſchul-Wandkarte von 
Paläſtina in 4 Blättern (1: 300,000) erſcheinen, welches Unter: 
nehmen der rührigen Verlagshandlung mit Freuden zu begrüßen: ift. 


2. Atlanten. 


40. G. Jauß, Profeffor, Hiſtoriſch-geographiſcher Schulatlas für 
Bymnaflen, Realihulen und verwandte Xebranitalten. II. Abtheilung: 
Das Mittelalter. Bien, Hölzel. 100 Blätter. 2 Marf. 


Des Atlas antiquus von bemfelben Verfafſer wurde bereit3 im 
26. Bande diejes Jahrbuchs S. 272 ff. anerlennend gedacht. Der 
borliegende Atlas zur mittelalterlihen Gefchichte bildet die Fortfeßung 
davon. Im Vergleich zu andern biftorifchen Atlanten bietet ev manches 
Neue. Wie aus dem Inhalte einzelner Blätter hervorgeht, ift er 
namentlich für öfterreichifche Schulen berechnet, auf die fchon bes Ver: 
fajlers Atlas der alten Welt Rückſicht nimmt durch feine (vorletzte) 
Karte von Defterreih-Ungarn zur Zeit der Nömerherrihaft. Der In- 
halt ber ſchön ausgeführten zehn Blätter ift folgender. " Das erfie 
Blatt führt uns in das Zeitalter der Völkerwanderung ein. Wir 








Geographie. 101 


feben die Züge und Reiche ber germanischen Völker, ſowie die poli⸗ 
tiſche Geftaltung unferes Erbtheild am Ende diefes Zeitraums. Vor⸗ 
zugsweiſe der Geſchichte des achten und neunten Jahrhunderts dient 
Das zweite Blatt. Ein Karton belehrt und über die Ausdehnung bes 
Frankenreichs um die Mitte des fechiten Jahrhunderts, während uns 
bie eine ber beiden Hauptlarten das Reich Karla des Großen, ſowie 
die aus dem Theilungsvertrage zu Verdun berborgegangenen Reiche 
Lothar's, Ludwig's des Deutfchen und Karl’3 des Kahlen in fcharfer 
Abgrenzung vorführt. Wir bemerken auf berjelben Starte die Aus 
breitung der Araber in Spanien nad Tariks Landung in Europa 
neben den Heinen chriftlicden Königreichen im Norden der pyhrenäiſchen 
Halbinjel, auf der andern Hauptkarte bes zweiten Blattes aber bie 
gewaltige Ausdehnung des Kalifenreiches im achten Jahrhundert. 
Auf dem dritten Blatte gewahren wir eine Darftellung von Mittel: 
europa zur Zeit der ſächſiſchen und fränfifchen Kaifer, im Karton bie 
Oſtmark vom zehnten bis in das zwölfte Jahrhundert, auf dem vierten 
Blatte Ungarn zur Zeit der Arpaben, fowie einen Plan von der Mon- 
golenfhlaht am Sajo 1241. Die geographifche Grundlage zur Ges 
fchichte des Zeitalter der Kreuzzüge bietet das fünfte Blatt dar, näm⸗ 
ih: Südeuropa und Kleinafien nebft Angabe ber Wege, melde in 
den einzelnen Kreuzzügen eingefchlagen worden find (farbige Linien 
wären bier befler am Plate gemeien als punftirte), das lateiniſche 
Kaiferthum, Pläne von Antiohien und Jeruſalem und außerdem nod 
das Mongolenreich im dreizehnten Jahrhundert. Deutfchland zur Zeit 
ber Hohbenftaufen, die Habsburgiichen Stammlande in der Schweiz um 
1350 und ein Plan von der Schlacht auf dem Marchfelde bilden den 
inhalt des jechften Blattes. Hierzu fommt noch eine Kleine interefjante 
Nebenkarte von Deutichland, auf welcher der Beſitzſtand des Habs- 
burg'ſchen, Wittelsbach'ſchen und Lützelburg'ſchen Haufe um bie Mitte 
bes vierzehnten Jahrhunderts durch bejondere Farben angedeutet ift. 
Auf dem fiebenten Blatte finden mir Nord» und Ofteuropa am An- 
fange des vierzehnten Jahrhunderts, auf dem achten Ungarn mit 
feinen Nebenländern von 1301 bis 1526 nebit den Plänen von den 
Schlachten bei Barna (1444) und Mohacz (1526) und bon der Bes 
lagerung Gonftantinopel3 (1453), auf dem neunten Blatte Frankreich 
bon 1360 bi 1610 und Stalien von 1300 bis 1500, daneben in 
Kartons Frankreich und Arelat beim Negierungsantritte von Philipp 
Auguft (1180) und Karinthien vom zehnten bis in das elfte Jahr- 
hundert, fowie bie Pläne von den Schladten bei Morgarten und 
Sempach. Das legte Blatt endlich enthält eine Weberficht über die 
wichtigſten geographifchen Entdedungen am Ausgange bed Mittelalters, 
das Gebiet von Mexiko insbefondere und das der Hanfaftäbte von 
1241 bis 1630. Auch bier hätte es fich empfohlen, ftatt ber punk⸗ 
tirten Linien, welche bie Entvedungsreifen bezeichnen, farbige anzu= 
wenden. Der Atlas verbient ebenfo, tie der der alten Welt, ins: 
befondere für öfterreichiiche Schulen, die wärmfte Empfehlung. 





102 Geographie. 


41. Wagners Landlartenmufter. Lehr und Lernmittel beim Unterriät 
in der Geographie, insbeſondre beim Lanblartenzeichnen. Kür Schule unt 
Haus. Nr. 1 u. 2: Rönigreiid Sadien. I. und IL Sins a 25 Big. 
(2 Blätter). Rr. 3 u. 4: Deutſches Reid. L und IL @urins & 30 Big. 
(2 Blätter). Pirna, Diler u. Sohn. 1875. 


Die auf Kartonpapier kartographiſch dargeftellten Erbräume find 
nach ihren horizontalen Umrifien ausgeſchnitten, jo daß die 
Landlartenmufter allerdings ein plaftifhes Bild von den letzteren, ſo⸗ 
wie überhaupt von ber wagerechten Geftaltung ber betreffenden Länder 
gewähren. Jedes Lanb ift mit zwei Starten bebadht, welche concen- 
trifche Kreiſe bilden. Wie in den belannten Stößner'ſchen Atlanten 
enthält die erſte nur wenig Material, das auf ber zweiten feine Er⸗ 
weiterung, reſp. Bervollftändigung findet. Das lartographiſche Ma⸗ 
terial beſteht in dem mathe matihen Grabnek, in einzelnen Bergen, in 
ben wichtigſten Fluß⸗ und Eijenbahnlinien und in durchlöcherten 
Stãdtepunkten. wozu auf der zweiten Karte von Deutſchland noch 
etliche Gebirgszüge lommen, angebeutet durch Schraffirungsſtriche. 
Der Schüler foll nun das Landlartenmufter jo vor fi} hin legen, daß 
die Städtenamen wagerechte Lage haben; mit der linfen Hand brüdt 
ex baflelbe auf ein unterliegendes Blatt Papier feit und umfährt es 
mit ſenkrecht gehaltenem Bleiftifte, um die Grenzen bes Landes zu 
erhalten. Hierauf bezeichnet er die Endpunfte der Längen= und 
Breitengrade auf den Grenzen und deutet durch bie Löcher die Lage 
der Städte an. Nach Hinwegnahme des Landlartenmufters vervoll⸗ 
fändigt er nun die Grade, und durch Hinzugeichnen der Flüſſe, Berge, 
Städte und Bahnen wird das Kartenbild getvonnen. läpt fi 
nicht leugnen, daß Verfaſſer durch feine Methode das Landkarten⸗ 
zeichnen bedeutend erleichtert und insbeſondere das Einprägen der hori⸗ 
zontalen Ölieberungsverhältnifie nicht unerheblich unterſtützt. Ob aber 
nad wiederholter Conftruirung der Erdräume mittels dieſer Karten- 
mufter der Schüler im Stande ift, die magerechten Umrifie der Länder 
frei aus dem Gedächtniß zu zeichnen, erſcheint doch ſehr zweifelhaft. 
Sm diefer Beziehung möchte ber Stößner'ichen conſtruktiven Methode, 
welche die fogenannten Normalen in Anwendung bringt (vgl. Päd. 
Jahresber. XXIII, 84 ff.), der Vorzug zu geben fein, und es würde 
fih empfehlen, die Grenzlinien der den erften Curſus repräfentirenden 
Karte mehr generalifirt und erſt die ber Karten ber fpäteren Gurfe 
mebr fpecialifirt auftxeten zu lafien. Zudem muß es auffallen, daß 
auf der erften Karte von Deutfchland, ſowie auf den beiden Karten 
von Sachſen alle Andeutungen für die Gebirgöglieberungen feblen. 
Die Firirung einzelner Berge vermag noch nicht ein beutliches Bild von 
dem orographifchen Länderbau zu geben, und doch muß es alö die 
unentbebrlide Grundlage aller erbfunblichen Unterweifung betradıtet 
werden, den Schüler vor allen Dingen einen — wenn auch bor ber 
Hand nur elementaren — Ueberblid über die Bobenplaftil ber 
einzelnen Erbräume gewinnen zu laſſen. Darum müſſen ſchon die im 
Elementarcurfug anzumendenden refp. zu conftruirenden Landkarten bie 





Geographie. 103 


geoßen, Länder und Völker, Gewäſſer, Klimate, Floren und Saunen 

ſcheidenden Gebirgsmauern berüdfichtigen, wenn fie auch biefelben nad 

Seydlitz'ſcher Manier nur durch ſtarke Linien oder, wie Wagner auf 

feiner zweiten Karte von Deutjchland, durch einfache Schraffirungsftriche 
euten. 


42. Dr. H. Lange, Drei Schulkarten vom Königreich Sachſen. 
Für den Gebrauch der Schüler beim Unterricht in der vaterländiſchen 
ee Zweite berichtigte und ergänzte Auflage. Leipzig, Brockhaus. 

reis gr. 


Diefe drei genau gearbeiteten und technifch elegant ausgeführten 
Rarten find fehr zu empfehlen; fie leiften bem Unterrichte in der fäch- 
fichen Vaterlandskunde die trefflichiten Dienfte. Die Blätter theilen 
ih in die Tartographifche Darftellung der geographifchen Verbältniffe 
bes Sachſenlandes in der Weile, daß das erfte eine Weberficht über 
ſaͤmmtliche geographiſchen Elemente vom Königreih Sachen giebt, alfo 
phyſiſche und politifche Karte zugleich ift, das zweite dagegen ſehr bra= 
ftiih die Flußgebiete Sachſens, jedes beſonders colorirt, und das britte 
die Bodenplaftit des Landes in acht verjchiedenen Höhenſchichten recht 
anſchaulich zur Darftellung bringt. Auf biefe Weife zwingen bie 
Rarten den Lehrer der Baterlandslunde, das phyſiſche Moment bei 
jeiner Unterweifung in den Vordergrund zu ftelen. Auf allen brei 
Blättern find die Verkehrswege, ſowohl Eifenbahnen als Landftraßen, 
genau verzeichnet. Daß fie auch nicht auf der hydrographiſchen und 
orographifchen Karte fehlen, ift ganz in der Ordnung; bier veranlaflen 
fie den Lehrer, auf ihre Abhängigkeit von der Terraingeftaltung bin 
zumeifen. Die hydrographiſche Karte läßt intereflante Vergleiche des 
Slächeninhalts der Ylußgebiete zu, fomweit fie das Königreich berühren. 
Beſonders aber fpricht die Höhenfchichtenfarte an, welche bie allmälige 
Abſtufung des Landes nad) Norden bin, fowie die zwifchen den benach⸗ 
barten höher gelegenen Landestheilen den Ylußthälern entlang von 
Mitternacht her eingeleilten ZTieflandsbuchten recht beutlich erkennen 
läßt. Diefes Blatt regt an zu einer Menge Schlüffen von ber ver- 
ticalen Gliederung des Landes auf die Direction und das Gefälle 
der Flüſſe, auf klimatiſche und BVegetationsverhältnifie einzelner Ge- 
er fowie auf Dichtigleit und Erwerböquellen der Bevölkerung 
u. m. 


43. H. Kiepert's Compendidſer Allgemeiner Atlas der Erde und 
des Himmels in 36 Karten. 15. Aufl. Nah Dr. Richter und 
A Graef neu bearbeitet. Weimar, Geographiſches Inſtitut. 5 Mark. 


Die von verfchiedenen Autoren herrührenden Karten find nicht 
alle von gleichem Werth, namentlih was bie Terraindarftellung be- 
trifft, welche auf ben Kliepert’fchen Karten befler ausgefallen ift, als 
auf den von Ohmann gezeichneten. Auf dem neunten Blatte (Deut: 
ſches Neich) find die Grenzcolorirungen zu grell und burch zu ſtarke 
Strihe aufgetragen worden. Für bivaltifche Bivede will ber Atlas 
im Großen und Ganzen weniger geeignet erjcheinen; nur die fünf 


104 Geographie. 


erften Blätter, welche, als phyſikaliſche Karten, eine vielfach belehrende 
Kartenleltüre geftatten, müſſen als recht brauchbare Hilfsmittel für 
den Unterricht in ber phyſiſchen Erbfunde bezeichnet werden. Bon 
diefen dient die Erdkarte in Mercator’jcher Projection zur Weberficht ber 
allgemeinen Naturverhältniffe des Feſtlands, des Oceans und der At⸗ 
mofphäre. Hier find die größten Anfchwellungsgürtel beider Continente, 
die Vulcangürtel an den Geftaden des ftillen Oceans, bie MWüftenzone 
der alten Welt, die Luft: und Meeresftrömungen, fowie bie Treibeis- 
grenzen verzeichnet. Die Naturverhältniffe von Amerika, Alien und 
Europa finden fi auf den folgenden drei Blättern dargeftellt, von 
denen bie Karten von Aſien und Europa auch bie Begetationägrenzen 
wichtiger Culturgewächſe aufmweifen. Das fünfte Blatt ift eine orogra- 
— -hydrographiſche Karte von Mitteleuropa, insbeſondere von Deutſch⸗ 
nd. 


44. Dr. €. F. Baur, Elementarfhulatlas für Volkoſchulen. Zehn 

Karten. Wien, Hölzel. Zweite Auflage. 1874. 8 Gar. 

Für die unterfte Lehrſtufe beftimmt. Die Karten find frei von 
jedweder Weberladung und deshalb fehr zu empfehlen. hr Inhalt 
ift folgender: 1. Planigloben. 2. Europa. 3. Afien. 4. Afrika und 
Auftralien. 5. Amerila. 6. Defterreih-Ungarn. 7. Deutichland und 
die Schweiz. 8. Wefteuropa (Pyrenäifche Halbinfel, Frankreich, Bel⸗ 
gien, Holland, England, ſüdliches Schottland und Irland). 9. Süb- 
ofteuropa (Stalien und Balkanhalbinſel). 10. Paläftina (Sinaihalb⸗ 
infel und Canaan zur Zeit be3 Auges ber Sfraeliten durch die MWüfte, 
Paläſtina nad der Eroberung durch das Volk Sirael und Plan von 
Serufalem). 


Bereitö früher beurtheilt find die neuen Ausgaben folgender 
Atlanten: 

45. Kiebenow’3 Atlas der neueren Bear e id n für Schule und 
Haus. 30 Karten. Berlin, Ricolai. 1873. 11, T 
Pol. Päd. Sahreöber. XXIII, 142. Im Samen gut, aber bie 

Sehirgsbarftellung befriedigt nicht auf allen Blättern. 

46. * Kiepert's Kleiner Schulatlas in 23 Karten. Berlin, Reimer. 

6. Auflage. 1874. Preis 10 Sgr. 

Bol. Päd. Jahresber. XXIV, 185. Sehr zu empfehlen. 

47. Dr. $. Lange's Reuer Boltsfhulatlas über alle Theile der Erde. 
32 Karten in Zarbendrud. Braunfhweig, Beltermann. 1874. 10 Ser. 
Bol. Päd. Jahresber. XII, 144. Ebenfalls gut. 

Außerdem liegt dem Referenten noch eine Auscabe biefes Atlas 
für die Schulen ber öfterreihiich-ungariihen Monarchie vor, in welcher 
fieben Blätter der Tartographiichen Darftellung des berjelben ange: 
börigen Ländercompleres gewidmet find. Die Karten machen ſämmtlich 
einen recht guten Einbrud. 


48. Dr. &, Amthor u. W. Ißleib, Volksatlas über alle Theile der 





Geographie. 105 


Erde für Schufe u. Haus. 24 Karten in Farbendruck. 20. Aufl. Gera, 

Ißleib u. Riepfchel. 1874. 60 Kr. Def. W. 

Bol. Päd. Jahresber. XXV, 274. XXVI 277, Nicht alle 
Blätter find von gleichem Werthe. 


V. Schriften über einzelne Gebiete der Geographie und 
Monographieen. gr 


49. Die wichtigſten Ergebniſſe der durch den dritten Geſetzartikel vom 
Jahre 1869 angeordneten und am Anfange des Jahres 1870 durchgeführten 
Bollözäblung in den Ländern der ungariſchen Krone nad 
dem Stande vom 31. December 1869, mit bejonderer Berüdfid- 
tigung Siebenbürgens Mit einem Anhange. Hermannſtadt, Mis 
chaelis. 1872. 24 ©. 


Eine Menge flatiftifche Tafeln, melde namentlich auch in ben 
geiftigen Bildungszuſtand ber Benölferung Ungarns und Gieben- 
bürgens intereflante Einblide gewähren. Die öfterreichiiche trans: 
leithaniſche Baterlandsfunde wird diefe Ergebniffe auch für den Unter⸗ 
richt mehrfach benuten können. 


5). Dr. C. F. Baur, Elemente der Rartographbie. Ein geographifces 

Lehrmittel für Bürger u. Mittelfhulen. Dit vier lithographirten Tafeln. 

16 ©. Text. Atlad: format. Wien, Hölzel. 1874. 

Eine den geographiſchen Unterricht vorbereitende Xerrainlehre, 
welche die Fundamentalbegriffe der Bopengeftaltung unfrer Erbe mit 
wiſſenſchaftlicher Genauigkeit definirt und auf den beigegebenen vier 
Tafeln in böcft gelungener Weife Tartographiich verfinnbilblicht. 
Jedem Lehrer der Geographie ift dieſes vorzüglich gearbeitete Werkchen 
ſehr zu empfehlen, namentlih dem, der bie conftructive Methobe in 
feinem Unterrichte handhabt. Verfaſſer unterfcheidet orographiſche, 
hydrographiſche und topographiſche Grundbegriffe. Die orographiſchen 
vermitteln die Kenntniß der feſten Erdformen, die hydrographiſchen die 
der Formen des Waſſers, wie es auf der Erde vorkommt, die topo⸗ 
graphiſchen endlich die Kenntniß der Terraingegenſtände, d. h. ſolcher 
Gegenſtände, die mit dem natürlichen Grund und Boden, ſei es auf 
künſtliche oder natürliche Weiſe, verbunden ſind. Zu dieſen Terrain⸗ 
gegenſtänden rechnet Verfaſſer die Bewachſung des Terrains, Straßen 
und Communicationen, Brücken, Gebäude, Ortſchaften u. dgl. 


51. Dr. A. Wiegand, Grundriß der mathematiſchen Geographie. 
Für höbere Lehranſtalten. Mit eingedruckten Holzſchnitten. Achte Auflage. 
Halle, Schmidt. 1874. 88 S. 

Dieſer wiſſenſchaftlich abgefaßte Leitfaden bietet den Schülern der 
oberen Claſſen höherer Lehranſtalten eine recht tüchtige Grundlage 
für den Unterricht in der aſtronomiſchen Geographie dar. Das ge⸗ 
diegene Werkchen bildet den erſten Theil der von Wiegand, Cornelius 
und Schmöger herausgegebenen „mathematiſchen und phyſikaliſchen Geo⸗ 
graphie nebſt Chronologie.“ 





106 | Geographie. 


52. Ph. Joſ. Grimm, Lehrer am Kaiſerl. Lyceum in Straßburg, Mathe» 
matifhe Geographie für die unteren Glafien höherer Schulen. 
Freiburg 1. Br., Herder. 1874. 48 8. 40 Pig. 

Recht verſtändlich abgefaßt und praltifch für den Unterricht zurecht 
gelegt. Das für die unteren Claſſen höherer Lehranftalten beftimmte 
Büchlein ift eine Art Vorftufe zu dem unter der vorhergehenden Num⸗ 
mer angezeigten. 

53. J. 9. Steverd, Allgemeine Geographie in populärer und unter- 


haltender Darftelung nach den beiten Quellen bearbeitet. Mit einer Mond» 
farte. Zofingen u. Leirzig, Schauenberg-Dtt. 1875. 320 S. 1 Thlr. 


Berfafler bat fein Buch für das Volf im Großen und Ganzen 
beftimmt; er bat deshalb gemeinverftändlich gefchrieben und alles ge= 
lehrte Beiwerk über Bord geworfen. Der Schulunterricht wird 
Mandes von der Darftelung profitiren können. Dem Titel des 
Buches gemäß bleibt die fpecielle politiiche Geographie auögefchloflen. 
Es ift demnach, wie die Seitenzahl des Buches beweiſt, die aftrono- 
mifche, namentlich aber die allgemeine phyfifche Erdkunde in ziemlicher 
Ausführlichleit behandelt worden. Der allgemeine Theil der poli» 
tiihen Geographie tritt nur anhangsweiſe auf, was nicht nöthig ge= 
iuelen er da er ein wejentliches Glied der „allgemeinen Erd⸗ 
unde ift. 


54. Dr. D. Ule, Die Erde und die Erfheinungen ihrer Oberfläde 
in ihrer Beziehung zur Gefhihte derfelben und zum Leben 
ibrer Bewohner. Eine phyſiſche Erdbeſchreibung nah KL. Reclus. 
Mit 30 Bunidrudlarten, fonftigen Beilagen u. ca. 300 Text⸗Illuſtrationen. 
Leipzig, Frohberg. 1873 und 1874. 5.—14. Lieferung. &. 129—448. 
Preis à 7'/, Ser. 


Ganz vorzügliches, fehr zu empfehlendes Werk, durchweg auf 
Ritter'ſchen Grundfäten fußend, den Caujalzufammenhang im Natur⸗ 
leben, fowie den zwiſchen Natur: und Menfchenleben recht gründlich 
erörternd. Die vorliegenden Lieferungen beichäftigen Ti mit dem 
Kreislauf der Gemwäfler, fowie mit den Feuergewalten ber Erbe. 
Die Ausftattung ift vortrefflih. Bol. Päd. Jahresber. XXVI, 285. 


55. A. W. Grube, Alyenwanderungen. Fahrten auf hohe und höchſte 
Alpenfvrigen. Leipzig, Kummer. 1875. 1. Lieferung. 80 8. 10 Ser. 


Schon beſprochen und ſehr günftig beurtheilt Päd. Jahresber. 
XXVL 294. 


56. O. Peſchel, Volkerkunde. Leipzig, Dunder und Humblot. 1874. 
5708. 3%), Thlr. 


Ale in den lebten Jahrzehnten von berühmten Forichern und 
Reifenden zu Tage geförderten Errungenjchaften auf dem Gebiete ber 
Völkerkunde find von dem Berfafler forgfältig gefammelt und gefichtet, 
geprüft und abgewmogen und dermaßen in ein Ganzes verarbeitet wor⸗ 
den, daß troß ber vielen Notigen aus einer Unzahl von Quellenfchriften 
das Wert durchweg einen einheitlichen Charakter an fich trägt und in 








Geographie. 107 


allen Bartieen den gelehrten Forjchergeift des Verfaſſers in origineller 
Weife ofienbart. Das Werk bietet dem Lehrer der Geographie viel 
Neues, mit dem er manche feiner bisherigen Anfchauungen berichtigen 
und eriveitern Tann. Wir werben gewiß nicht irren, wenn wir bes 
baupten, daß unfre geographiichen Lehrbücher in ihren ethnographifthen 
Sapiteln auf eine lange Reihe von Jahren Hinaus die Peſchel'ſche 
Arbeit veihlid ausbeuten und als Norm anjehen werben in ähn= 
licher Weife, wie Jahrzehnte hindurch für den phyſiſchen Theil ber 
Erbfunde die zweite Abtheilung des Roon'ſchen Werkes maßgebend ge 
weſen tft. 
57. 8. 9. Barth, David Livingſtone, der Afrilareifende Oft 
afrita vom Limpopo bid zum Somalilande. Erforſchungsreiſen 
im Often Afrika's. Dit befonderer Rüdficht auf Leben, Reiſen und Tod 
von David Livingſtone. Auf Grund des neueſten Stantpunftes der ofl- 
afrifanifhen Vöolkerkunde bearbeitet. An Stelle der vierten Auflage von 
„Livingſtone, der Miffionäar.” Mit 200 Tegtabbildungen, 5 Ton 
bildern und 1 Karte. Leipzig, Spamer. 1875. 518 ©. 2%, Thlr. 


58. Br. v. Hellwald, Eentralafien. Landfhaften und Völter in Kaſchgar, 
urkeftan, Kaſchmir und Tibet. Dit beionderer Rüdfiht auf Rußlands 
Beltrebungen und feinen Culturberuf. Mit 70 Textabbildungen, in den 
Text gedrudten Karten, einem Tonbilde und einer Ueberſichtskarte. Leipzig, 

Spamer. 1875. 446 ©. 2°, Zhlr. 

Beide Werke find vortrefflich ausgeftattet und gewähren eine fehr 
anziehende unb belehrende Lectüre. Der Berfafler des erfteren führt 
und Oſtafrika vom Limpopoſtrome bis zum Somalilande in der Weife 
bor, daß er die einzelnen von ber Natur abgegrenzten geographifchen 
Abſchnitte dieſes Erdraumes ftücweife von Süden nach Norden zu be- 
trachtet, jeben derſelben erſt topifch befchreibt, namentlich nach feiner 
070» und hydrographiſchen Geftaltung, und bierauf die auf die betref- 
fende Landſchaft bezüglichen Schilderungen und Erlebnifie berühmter 
Afrilareifenden, namentlich Livingſtone's, überfichtlich zur Sprache bringt. 
Auf diefe Weife wird das ber Zeit nach zuweilen weit Auseinanber- 
liegende um eine beftimmte Dertlichleit gruppirt, und das topiſch Zur 
fammengebörige wird zu einem bald mehr, bald weniger betaillirten 
Landichaftsbilde zufammengefaßt, je nachdem der Schleier, der bisher 
über den Regionen Oſtafrika's ausgebreitet war, von den kühnen For⸗ 
ſchern zerrifien worden if. Der Lejer würde weit ſchwieriger ein Ge 
fammtbild von der landſchaftlichen Phyfiognomie ber befchriebenen 
gocalitäten erhalten, wenn anjtatt des topifchegeographiichen das 
biftorifchechronologifche Princip für die Anorbnung des Stoffes feit- 
gehalten worben wäre. Bon befonderem Werthe find die zahlreichen 
ulturbilder, welche nach Livingftone’3 und anderen Neifeberichten von 
einigen oftafrifaniichen Völkerſchaften entworfen werben. Man muß 
aber bedauern, daß bem Werke feine Speciallarten beigefügt find. 
Die Heine Weberfichtöfarte am Schlufle des Buchs ermöglicht nur eine 
Drientirung im Allgemeinen, fodaß ber Gebrauch eines großen Special- 
atlas (3. B. v. Stieler) unbedingt nothwendig ift, wenn man bie ört⸗ 
lihen Detailfchilverungen auf der Karte genau verfolgen will. 








108 Geographie. 
Ein lebensvolles, auf die umfaflendften Uuellenftubien geftügtes 


Gemälde von den Ländern ber Kirgifen und Turlomannen, von ben 
Regionen des Altai und Thianfchan, von den Gebieten der Diungarei 
und Turkeſtans entwirft Fr. v. Hellwald in feinem gehaltvollen 
Werke über Gentralafien, welches dem Lefer eine vortreffliche 
Ueberfchau unferes gegenwärtigen geographiichen und ethnographiſchen 
Geſammtwiſſens über dieſe politifh immer mehr an Bedeutung ges 
winnenden afiatifchen Lanbfchaften gewährt. 


Pirna, im April 1875. 
Dr. Oberländer. 





IV. Mathematik. 


Von 
Dr. Bartholomät in Berlin. 





I. Methode. 


1. Es ift eine Heine Reihe von Leiftungen aus ber Herbart’jchen 
Schule über mathematifchen Unterricht zu verzeichnen. Wir können 
fie ihres Umfangs halber nicht exrcerpiren, ſondern nur barauf verweilen, 
werben aber bie eine, joweit fie das Rechnen betrifft, in extenso mit» 
theilen. Jene Leiftungen find: 

1) Ballauff, Wie läßt fich eine Annäherung an das noch uner- 
reichte SSdeal der genetifchen Methode bei dem geometriſchen Unter⸗ 
richte erreichen ? ) 

2) Bartholomäi, Ueber bie genetifche Methobe bei dem geome⸗ 
triſchen Unterrichte. 2) 

\ Lindner, Das ABE der Anjchauung. ® 

4 Bartholomäi, Die piychologifhen Grundlagen der Natur- 
wiſſenſchaft.“ 

5) Ballauff, Einiges zur Prüfung von Herbart's mathematiſchem 
Lehrgange in den Reliquien. 5) 

6) Barthbolomäi, Zahlen oder Größenlehre? 9 

7) Ballauff, Bemerkungen dazu. 7) 

8) Ziller, Das Leipziger Seminarbud). ®) 

9) Ballauff, Die Grundbegriffe ber allgemeinen Größenlehre. 9) 

10) Ba äh, Der Rechenunterricht im pädagogiſchen Seminar 
in Jena 


9 Jehrouc det Tereind für wiſſenſchaftliche Paͤdagogik. IL Bd. Leipzig 
870 m 


2) A. a. O. 179 ff. 
A a. O. II. ®. ©. 67 
9A. a. O. IL Bd. ©. 259 ff 
5%. a. O. IV. Bd. ©. 44 ff 
%.0D. VB. ©. 12 ff 
A. a. O. S. 249 ff. 
s) A. a. O. Br. VL ©. 99 ff. 
4. a. O. Br. VII, ©. 1 ff. 
10) Allgem. Seueltung, 1874, Nr. 40—42 


110 Mathematik. 


11) Kruf che, Beiträge zur Methodik des Rechenunterrichts.) 
12) Bartholomät, Die Geometrie der Volksſchule.?) 


1. Arithmetil. 


2. Aus dem Leipziger Seminarbudhe legen wir zur Prüfung den 
in der Seminarſchule zu Leipzig eingefchlagenen Gang und überhaupt 
bie ganze Methode vor: 

1) 10 von jeder niebrigen Zahl aus durch Addiren von 1 im Zählen 
erreihen laſſen, ſei es am concreten Gegenjtänben, jei es in 
abstracto, 3. B. 

1-12 2 He HI u 
nt das continuiruche Zählen 1, 2, 3 u. ſ. w. bie Abkur⸗ 


ung iſt. 

2) ebenſo durch Addiren eines andern, aber immer deſſelben Einers 

erreichen laſſen z. B 

1+2=3,4+2=5Sufm 
wovon das Weberfpringen von einer Zahl zur andern in gleichen 
Diftanzen: 1, 3, 5 u. ſ. w. wieder bie Abkürzung if. 

3) Umgefehrt wie bei 1 unb 2 bon 10 aus jede niedrigere Zahl 
erreichen lafien dur Subtraction von 1, dann bon einem an⸗ 
dern, aber immer demfelben Einer, woran fich wieder das conti- 
nahe Nüdwärtszählen und das Rückwärtszählen in Sprüngen 

ießt. 

4) 10 durch Addition von je 2, je 3 und mehr kleineren Zahlen 
entſtehen laſſen. 

5) Umgekehrt, von 10 aus durch einmaliges, mehrmaliges Abziehen 
zu jeder kleineren Zahl gelangen laſſen. 

6) 10 durch jede mögliche einmalige, vielleicht auch mehrmalige Mul- 
tiplication erreichen laflen. - 

7) 10 durch einmalige und vielleicht auch fortgefeßte Divifion in 
Factoren zerlegen laffen, jo baß jede mögliche niedrigere poſitive 
ganze Zahl als Quotient einer Divifion von 10 erjcheint. 

8) ae buch Verbindung aus den früheren Operationen entftehen 
affen. 

9) Alles von 1 bis 8 Angegebene an Strihen, Punkten, Knöpfen, 
Täfelchen, Klögchen, Kugeln u. ſ. w. einzuüben, und theils an 
ben Fingern darftellen lafien, theils auch fchriftlih auf ber 
Tafel in richtiger Stellung von Anſatz und Rejultat, ohne Be⸗ 
laftung mit algebraifchen Zeichen, wie fie Diefterweg und Böhme 
anwenden; wohl aber find anfangs figurirte Zahlen zu gebrauchen 
nad Böhme und Goltzſch, auch mit farbiger Unterſcheidung ber 
zu addirenden und zu fubtrabirenden Zahlen, vielleicht fogar bes 
Multiplicatord und Divifors. 


1) Deutſche Blätter für erziehenden Unterricht. Langenſalza. 1874. ©. 8 ff. 
N .©. 169 ff. 











Mathematik, 111 


10) In berfelben Weife, wie 10, fchon vorher jede Kleinere pofitive 
ganze Zahl zu behandeln — nad den Fortichritten in den Gon- 
centrationd» und Heimathäftoffen. Die erften folder Zahlen find 
3 und 5 zu ben Sternthalern. 

11) Die kleinſten Zahlen, die fih an gleichartigen Gegenſtänden dar⸗ 
ftellen, find auch ohne Durchzählen ald Ganze aufzufafien. 

12) Die Grundzahlen für jede Zahl, für mehrere auf einander folgende 
Zahlen müſſen befannt fein. 

13) Null muß durch Subtraction in jeder Weife entftanden fein. 

14) Die Kinder müflen geübt fein, den Striden, Punkten, Knöpfen, 
Täfelchen, Klötzchen, Kugeln u. f. w. die feit der Peſtalozzi'ſchen 
Einbeitentabelle zur Bezeichnung der Zahlen veriwendet werden, 
ohne Zwang beliebige Gegenftände zu fubftituiren. 

15) Sie müfjen endlich die entiprechenden Uebungen von ben Cardi— 
nalzahlen auf die Ordnungszahlen und Zahladverbien übertragen 
fönnen. ') 

3. Sachgebiet des Rechnens: bis 100 von ben reinen Zehnern 
an und mit Hülfe bes Fleinen Einmaleind. Raum: Bremen. 

1. Methodiſche Einheit. Zählen nad Meilen, Stunden, 
in Fortichritten nah den reinen Zehnern. Zehn durchzählen nad 
1, 1—3, fachwiſſenſchaftlicher Fortfchritt im Rechnen. „Das find 
10 Meilen (Stunden); das find wieder 10 Meilen (Stunden), zu: 
fammen 20 Meilen (Stunden). Es ift aber auch mit der Ordnungs⸗ 
zahl und dem Zahladverb zu rechnen, 3. B. das find 2mal 10 Meilen. 
Und fo fortfchreitend bi8 zu 100 Meilen (Stunden). Aber vielleicht 
in Abjäten aufwärts und rückwärts. 

Sobald dieſes Durchlaufen der reinen Zehner ficher gebt, ift es 
mit gleichzeitigem Abzählen an den Fingern zu verbinden. Das Ab- 
zählen an den Fingern ift dann für fich allein zu üben, aber immer 
in der mehrfachen Bezeichnungsweiſe für die Zahl, und endlich find bie 
zeinen Zehner, 20, 30.... fehriftlich zu firiren — auf Wand⸗ und 
Schiefertafel. Sie find fo zu fchreiben im Verhältniß zu zwei, brei.... 
wie jeher im Verhältniß zu eins. -— Mündliches Durchlaufen ber Reihe 
mit Ueberſpringen von einer Reihe, zwei, brei.... Reihen in ftetigem 
Fortichritt vorwärts und rüdmwärts, bald in der einen, bald in ber 
andern Bezeichnungsweiſe für die Zahl, aber auch an den Fingern und 
ſchriftlich — Eintragen der reinen Zehner ins Heft, die aber auch in 
anderen Formen für die Zahl gefagt werden müflen. — Mündliche 
Beftimmung und jchriftliche Firirung mehrerer beliebigen Reiben von 
je 10 Meilen (Stunden) der Einheitätabelle oder ihres Surrogats, zu 
denen andere ſolche Reihen binzugezählt, oder non denen fie hinweg» 
genommen werden. Umgelehrt, ein mündlich oder fchriftlich beitimmtes 
Duantum innerhalb der Zehnerreihen an irgend welchen Hülfgmitteln 
für das Rechnen nachmweifen. 


1) Jahrbuch des Bereins für wiflenfchaftlihe Pädagogil. VI. Band. 
©. 121—123. 





Mathematik. 


Sand rediet bes Rechnens: Zeit, zunächſt Jahre. Zweite 

onen wide Biel: „Rechnen mit dem Alter‘. 

as war Robinfon, als fein Vater mit ihm über feine Zu⸗ 
wer peech? 18 Sabre — Wie alt, als er fortging? 19 Sabre. 
ac 1b beides geſchehen? Bor mehreren 100 Jahren. — Hundert 
wyiv adzahlen laflen, wie vorhin die Meilen — mit ſchriftlicher Be⸗ 
nung. — Wie alt ſeid ihr aber jetzt? Abzählen des Alters ber 
“udn an ber Einheitätabelle oder einem Surrogate derſelben und an 
den Fugern nebft fchriftliher Firirung. — Abzählen und fchriftliche 
Fixirung auch des Alters von Robinfon. 

Die fchriftliche Darftellung von den reinen Zehnern aus zu lehren 
mit dem Nachweis, daß die Einer des gemifchten Zehners ebenjo fort- 
Ichreiten wie die Einer, daß Ziffern, die als Zeichen gleich find, wegen 
ihrer Stellung verſchiedene Werthe haben. — Die mehreren Jahres⸗ 
alteröfummen auf ber Tafel von Anfang an ftreng ſymmetriſch jo 
Ichreiben zu laflen, daß Einer unter Einer, Zehner unter Zehner fteht. — 
Die zunächſt bloß äfthetifche Anforderung unterftübt fernerhin aud das 
Nechnen, foweit es von biefer Darftellung abhängig ift. — Beliebige 
Additionen zum Alter der Kinder, aljo zuerft 1, dann 2, 3 u. |. w. 
eventuell in Abfäten, aljo mit Wiederholung von früheren Rubepunften 
an zur Beichleunigung des Fortſchreitens, dann nicht ftetig, aber auch 
auf ber Tafel, ſobald mündlich ficher, zur Einübung ber fchriftlichen 
Darftelung — fell. ed werden nur die im Kopfe ausgerechneten Re⸗ 
fultate vegelvecht hingefchrieben, nicht etiva auf der Tafel ausgerechnet, 
und mit fortwährender Unterfheidung von Zehnern und Einern bei 
der fchriftlihen Fixirung. Tortzufegen 1) bis zur Auffindung und 
erreichten Einübung des fpeculativen Gedankens: bei Summand zu 
7 die 3, bei Summanden zu 8 die 2 überfteigen, ift Zerlegung bes 
Summanden bequemer; 2) bis zu foldhen Beifpielen, mo ber zweite 
Summanb größer ald der erfte, und wo wiederum durch Speculation 
gefunden wird: es ift bequemer, am zweiten Summanden anzufangen — 
eventuell dieſe Ablürzungsregeln finden lafjen unter Hintveis darauf: 
ih rechne jo raſcher aus — ich addire nicht auf einmal ben ganzen 
Summanden binzu, gebe nicht von dem Kleineren Summanden aus. — 
Ebenjo Subtraction von beftimmten Puncten aus, und zulett auch 
bom Alter Robinfon’d aus. Endlich Verbindung des Zuzählens und 
Abzählend. — Eintragen der mit Einern verbundenen Zehner biö 19 
in ſymmetriſch⸗ſenkrechter Darftelung. Auch Eintragen von drei Alters- 
Jahresſummen, die zwei legten von der Art, daß Berlegung des einen 
Summanden und Umftellung der beiden Summanden zweckmäßig ift, 
und bon zwei Alterödifferengen — die zweite mit »erlegung bes 
Subtrahenden. — Daneben dann mündliche Wiederholung der Regel 
vom Fortichreiten der Einer in den gemilchten Behnern unb münd- 
liche Beftimmungen von Zehnern und Einern, und auch mündliche 
Erklärung der beiden Regeln über Berlegung bes einen Gliebes bei 
der Addition und Subtraction und über Umftellung der beiden Sum» 
manden, und immer nur, wie auch weiterhin, bloß jchriftliche Fixirung 





Mathematik. 113 


ber im Kopfe gefundenen Nefultate, alfo nicht Ausrechnen auf ber 


el. 

Mündlide und exact fehriftlihe abftracte Beifpiele mit Anwen⸗ 
dung der im Syſtem geivonnenen Begriffe und Regeln. Da das 
Spitem abfolvirt, jo fönnen die Beifpiele auch von den Schülern ſelbſt 
gegeben und die Zahlen von Zehnern und Einern aus beftimmt wer- 
den. — Goncrete Altersdifferenzen, namentlih auch von Robinfon und 
den Kindern der Claſſe werden beftimmt. 

3. Methodiſche Einbeit. Ziel. „Wir wollen Robinfon’s 
erſten Seefturm und feine Seekrankheit berechnen.” Da können wir 
nicht mehr mit Jahren rechnen — es muß mit Tagen und Stunden 
gerechnet werden. Zuvörderſt muß man in ber früheren Berechnungss 
weile mit Jahren und in tem Beitraume bis 19 ganz ficher fen. Zur 
Probe werden daraus abftracte und concrete Beilpiele der Addition 
und Zubtraction durchlaufen. Es werden dann eben ſolche Beifpiele 
dietirt und das Refultat wird immer ohne vorherige münbliche Angabe 
darunter gefchrieben, zuletzt auch ſolche Beiſpiele, in denen bei einzelnen 
Einern dafjelbe geichieht, was in der jenfrechten Einerreihe ber näch⸗ 
ften Aufgabe bei einem gewiſchten Zehner, aljo 


weniger ‚ weniger Pe eniger . , weniger BZ 
7 7. 7 1 
und 1, und RE und gr und 12° 


Mit dieſer Art von Aufgaben wird jo lange fortgefahren, bis 
der fpeculative Gedanke entfteht und geläufig wird: Auch bei den 
Zehnern ift ganz wie bei Einern zu rechnen, nöthigenfalld mit Hin- 
weiſung des Lehrers darauf: ich brauche gar nicht erft mit den Zehnern 
zu rechnen, um den Einer des gemifchten Zehners zu finden, ſondern 
ſchreibe den erſtern blos im Reſultate hinzu. 

Nunmehr läßt fich auch der Seefturm und die Seekrankheit bes 
rechnen, Beides zunächſt nad) der Geſchichte anzugeben: Beginn bes 
Sturmes eriten Tag früh, Aufbören des Sturmes zweiten Tag früh. 
Klarer Himmel Abends am zweiten Tage. — Seekrankheit während 
des Sturmes entftanden. Sie dauerte noch, als der Sturm aufhörte, 
und endete erft am dritten Tage früh. — Wir nehmen jetzt an, was 
früb gefchehen, fei um 6 Uhr früh, mas Abends gefchehen, ſei um 
6 Uhr Abends geichehben. Dann hat der Sturm einen ganzen Tag 
und eben fo lange die Seekrankheit ohne Sturm gebauert. Vom Auf: 
bören des Sturmes aber bis zur vollen Klarheit des Himmels mar 
ein halber Tag. Wenn man nun noch nicht weiß, mie viel an einem 
ganzen, halben Tage Stunden verfloffen find, was hat man zu thun? 
Abzählen nach der Uhr nach dem Fortrüden des Zeigerd. Da muß man 
aber mweiter zählen Zönnen als bis 19. Wir können in reinen Zehnern 
Ihon bis 100 rechnen, auch mit ber Drbnungszahl und bem Bahlabver- 
bium, und es wird errathen, daß bei jedem Zehner bie Einer fo fortfchrei- 
ten, tie die Einer von 1—9. — Wir zählen jet von 19 an bis 30 und 
üben es ein. Wir zählen dann auch den halben, ben ganzen Tag nad) 

Bid. Jahresbericht. XXVIT. 8 


114 Mathematif, 


ber Uhr, einem Darftellungsmittel für die Zahlen, an ben Fingern von 
6 zu 6 Stunden ab und bilden die Reihe 1 mal 6 biö 4 mal 6, 
eventuell nad Wiederholung bes Fortichreitend von 3 zu 3, 4 zu 4. 
Eben ſolche münblihe und Dictiraufgaben abftracter und concreter 
Art; bei den Dictirübungen zugleich zur Einübung nicht blos ber in 
voriger Einheit gewonnenen Begriffe und Regeln in dem erweiterten 
Bahlenraume und dem neuen Beitfachgebiete, fondern insbeſondere auch 
zur Einübung der neuen Regel, daß beim fchriftliden Abbiren und 
Subtrahiren die Zahlen im Ausrechnen durchgängig ald Einer zu be— 
trachten find, aber mit der Beichränktung, daß fein Uebergang aus ber 
einen fenfrechten Reihe in die andere ftattfindet, fo mie mit der andern 
für den Stundenzeiger, daß er nicht mehr als höchſtens 6 Stunden 
— 1 Tag auf einmal vorwärtd ober rückwärts zu bewegen ift. — 
Megen biefer einzubaltenden Grenzen die Beifpiele nicht von den Kin⸗ 
dern geben lafien, aber fie auch in der Form ber Zerlegung, nach 
Zehnern und Einern, dictiren. Die Zahlen werben enblich nicht blos 
von Zehnern und Einern aus, und nad) der 10-Reihe, fondern aud) 
in der 6-Reihe gegeben. Und es werben au Zahlen zum Lefen und 
Beitimmen an die Tafel gefchrieben, namentlih 21 und 12. 

Eintragung der erweiterten Zahlenreihe, Eintragung der Yactoren 
der 6-Reibe, Eintragung der neuen Sphären des Zeitgebieted, Tage 
und Stunden, Eintragung eines Doppelbeifpiels für das Abdiren und 
eines zweiten für das Subtrahiren, aus welchem fich ergiebt, daß im 
Ausrechnen aud bei einem Zehner jede Zahl als Einer zu behandeln 
ift, aber ohne Uebergang. — 12 Stunden, dann auch 21 Stunden 
auf Tage zurüd führen laſſen, Beides darftellen laflen durch Fortrüden 
des Stundenzeiger3 oder an einem Verfinnlichungsmittel für die Zahl 
in beftimmten Diftanzen von höchſtens 6 Stunden, jede Zahl auch von 
24 mündlich und der Form megen fchriftlich abziehen lafien und zu 
12 fomwohl beliebige Einer bis 7, als beliebige Zehner von 10 bis 17 
mündlich und der Form wegen fehriftlih addiren laſſen — bie Zahlen 
wiederum in ben befannten mehrfachen Formen zu bezeichnen. 

4. Methodiſche Einheit. Ziel. „Wir wollen heute mit 
den abgelaufenen ober demnächſt ablaufenden Schulwochen, mit den in 
Zolle vermandelten Fußen bes in den Schiffsraum bei Robinfon ein- 
gebrungenen Waflers, und mit ber Zeit bis zum Untergange von 
Robinſon's Schiff rechnen.” — Die Thatfachen feftitellen: Die Zahl 
der Schulmochen, die auf Tage zurüdgeführt werben. Das Sinfen 
des Schiffes begann damit, dag A Fuß Wafler in ben Scifferaum 
einbrangen. 3 Fuß find 30 Zoll, noch ein Fuß 40 Zoll. 

Der erfte Sturm dauerte... . 14 Tage = % Tage, 
bi3 zur Ankunft auf dem Halte 


plab no .. 2... 22020. 44 Tage = % Tage, 

zufammen: 6 Tage = 12 Tage, 

Verbleiben auf dem Halteplate 7 Tage — 4 Tage, 

bis zum Untergange des Schiffs 1 Tag — 3 Tage, 
zufammen: 14 Tage — 28 Tage = 2 Wochen. 





Mathematik, 115 


Die Zolle der 4 Fuß werben nach ber Zehnerreihe abgezählt, 
boffentlih ohne daß auf die erften Hülfsmittel für das Zählen und 
die Zahlenreihe zurüdgegangen werden muß; höchſtens an den Fingern 
die Zehnerreihe noch einmal zu durdlaufen. Dagegen die 14 Tage 
— 2 Wochen — 2 Tage zunädft an der Einheitätabelle ober ihrem 
Surrogat und den Fingern darftelen, dann von 7 zu 7 im Zählen 
aufwärts und abwärts fortichreiten laffen mit Benugung ber Finger, 
und danach aud die Multiplicationsreiben 1. 7 bi3 4.7 ausbilden 
und einprägen neben 1.6 bi 5. 6. 

Um den beim Addiren und Subtrahiren ftattfindenden Webergang 
aus einer ſenkrechten Reihe in die andere anzubahnen, lafjen wir zu einer 
Zahl zunächſt mündlich diefelbe Zahl abbiren und von der Summe aud 
wieder abziehen, in einer andern Reihe von Beilpielen aber auch eine 
anbere Zahl, und mir firiren bie im Kopfe auögerechneten Refultate 
fchriftlih. Umgekehrt Iaflen wir von einer Zahl zunächſt mündlich 
diefelbe Zahl abziehen und abdiren fie dann auch wieder zur Differenz; 
in einer anderen Reihe von Beifpielen abdiren wir aber auch eine 
andere Zahl, und wir firiren wiederum die im Kopfe gefundenen Res 
fultate fchriftlih, ohne fchriftliche Tafelrechnung. Wir gehen aber beim 
Dictiren des Anfages nur von Zahlen aus, die innerhalb des neuen 
Raum- und Sachzeitgebietes liegen, alfo danad benannt find. — Den 
Anſatz betrachten wir immer im Verhältniß zum Refultat und weiſen 
nad, daß ein Uebergang zu einer andern Decimalreihe ftattfindet. Um 
denjelben recht ſtark bervortreten zu lafjen, der doppelte Anja und 
in berjelben Reihenfolge das Fortichreiten bon einer Summe zu einer 
Differenz und umgelehrt. 

Aber jebt wollen wir Beifpiele mit einem ſolchen Webergang 
Schriftlich ausrechnen, und und der früheren Regel erinnern, baß dabei 
die Zahlen immer ala Einer zu betradhten find. Um die Rechnung 
diefer Regel anzufchließen, vechnen wir z. B.: 

1) 18 (= 2 Wochen und 4 Tage oder 2.10 Zoll weniger 2) und 2. 
2) 17 (auf gleiche Weife fachlich beftimmt 2c.) und 4. 
3) 10 weniger 8, 4) 20 weniger 2, 5) 21 weniger 3 u. ſ. w. 

Die Reſultate werden leicht erkannt, fie fommen aber nicht zu 
Stande, wenn nicht die Regel, daß die Zahlen im Ausrechnen als 
Einer zu behandeln find, einen Zuſatz erhält: 

a) Iſt bei der Addition das Reſultat einer ſenkrechten Reihe nicht 
blos ein Einer, fondern ein reiner ober gemifchter Zehner, jo läßt ſich 
dieſer nicht unter die ſenkrechte Reihe ſchreiben. Wir jchreiben nur 
ben Einer darunter, „behalten den Zehner im Sinne‘‘, und rechnen 
ihn zur nächften Reihe. 

EP) Sit bei ver Subtraction der Subtrahend einer fenfrechten 
Reihe größer ald der dazu gehörige Minuend, fo läßt fich nach ber be= 
Tannten Regel nicht abziehen; wir nehmen zum Minuend einen Zehner 
ber nächſten Reihe Hinzu, „borgen ben Zehner“, dann läßt fich 
abziehen. 

8* 


116 Mathematif, 


y) Das bezeichnen wir durch einen . neben ber Zahl, bei ber 
geborgt worden ift. Es ift ber oberfte der nächſten Subtractiongreibe, 
und der Congruenz wegen fangen wir auch bie Addition der zweiten Reihe 
immer bon oben an, indem wir bie im Sinne behaltene Zahl als erften 
Summanden betrachten. 

Additiond- und Subtractionsbeilpiele von derfelben Urt, aber 
nur ſchriftlich auszurechnende, und aus den früheren Arten des Raum: 
und Beitfachgebietes, oder in abjtracten Zahlen. Der Anja auch vom 
Schüler zu geben, und die Zahlen in jeder der früheren Formen aus- 
zudrücken. — Gintragen der Erweiterung des Raum- und Zeitſach⸗ 
gebietes nebſt mündlicher Repetition der übrigen Arten. — Mündlich: 
Was iſt „im Sinne behalten“ und „borgen“? — Bon jedem ber 
beiden neuen Begriffe ein Mufterbeifpiel eintragen. — Endlich bie 
Multiplicationsreiben 1.7 bis 4.7 eintragen neben münblicher 
Anfügung der übrigen Reihen, 

Zahlen wie 3.7 bald mündlih, bald jchriftlich durch Factoren 
einer andern Multiplicationgreihe mit Addition oder Subtraction dar⸗ 
ftellen lofien. An einem Additions-, Subtractionsbeifpiele jchon vor 
dem Ausrechnen die dabei vorfommenden Regeln nachweifen laſſen. Wie 
viel und welche Sachgebiete der Zeit, bes Raumes kennen wir jet?) 

4. Sachgebiet des Rechnens über 100, Multiplication und Divi- 
fion mit Einern, und nachdem Sicherheit darin erreicht mit reinen 
Zehnern, Hunderten, tie zwanzig, dreißig oder zweihundert, breihun- 
dert u. }. w, deren Multiplicationsreihen auch für ſich einzuüben find. — 
Raum, Kanaan; Zeit 2000 Jahr v. Chr. 

Zählen von reinen Hunderten an, zunächſt bis 1000 in lang= 
famem, ftetigem Auf- und Abfteigen, zugleich fchriftlih; dann ebenjo 
wie bei den Zehnern mit Anfügen von 1, 2 u. ſ. w., und mit Unter: 
fheiden von Einern, Zehnern und Hunderten, und endlich mit Weber- 
ipringen um 1,2 u. f. w. von beliebigen Buncten aus vorwärts und rüd- 
wärts. Dann Addition und Subtraction in dem größeren Zahlenraume.?) 

5. Multiplicationen und Divifionen auch mit Zahlen, die aus 
Zehnern und Einern gemiſcht find, und meiterhin mit Hülfe der An⸗ 
fänge vom großen Einmaleins als fachwiffenfchaftliches Ziel. — 9) 

6. Schhriftlihe Brudrehnung. Das erfte Gebiet, viel 
leicht in mehrere Einheiten zerfallend, Maßbeitimmungen mit dem fchon 
befannten Dietermaße. — Cintheilung befjelben vorläufig ohne ben 
fremden Namen, da die Bezeichnung nach den zehn gleichen Theilen 
erft erjegt, nachdem fie als läftig empfunden; dann bie mündliche Be— 
zeichnung Zehntel nach Analogie von Biertel, Achtel u. |. m. — 

Ob fih das Meter nicht durch Zuſammenfaſſung von mehreren 
Zehnteln auf andere Weife in gleiche Theile theilen läßt? In Halbe, 
Fünftelmeter. — Nunmehr charakteriftiihe Gegenftände, z. 8. in ber 
Schulſtube gemefien, möglichſt bald, aber auch gejchäßt und nachge⸗ 


1) Jahrb. des Vereins für wiſſenſchaftl. Pädagogik. VIJ. Bd. S. 124-133. 
) A. aD. S. 145—146. 
Ma. O. ©. 148. 





Mathematik. 117 


meflen, und für bie Brüche, die fich einftellen, wird bie übliche 
Bezeichnung eingeführt und durch Hebung an den dem Gedächtniß ein- 
geprägten Maßbeftimmungen feft gemacht — die fehriftliche wie bie 
münbdlide. Den Eleineren Brücden wird ftet ber Vorzug gegeben. 
Die Begriffe Bruch, gemilchte Zahl, Zähler, Nenner werden erörtert 
— an ben Beifpielen in bunter Reihe folgende Arten von Brüchen 
gefunden: Zehntel, Fünftel = 2, —* = 25, vielleicht auch Zwan⸗ 
zigftel, und im Metermag — 45 = 3 = 3 = 35. Die gefundenen 
Mapbeftimmungen in Brücden, tie in gemifchten Zahlen werben in 
rafcher, aber ftetiger Folge a) theild von jedem Schüler zufammenge- 
fchrieben, theild durch Zeichnen ausgedrüdt, Beides mit Zurüdgehen auf 
bie in der Syntheſe ausgebildeten Begriffe, bis fie ganz feft find. Even⸗ 
tuell für bequemere oder fruchtbarere Ausführung der folgenden Ope⸗ 
zationen auch fingirte Maßbeftimmungen. b) Mehrere folcher Größen 
werden addirt, fubtrahirt. Bei gleichnamigen Brüchen handelt es ſich 
blos um Abbition und Gubtraction der Zähler. Wenn aber ber 
Schüler auch ungleichnamige Brüche wie unbewußt zufammenfaßt, und 
ein richtiges Reſultat findet, jo ift doch ausbrüdlich die Verwunderung 
darüber rege zu machen, wie das möglich fei, und dabei das über- 
fprungene Mittelglied bes Gleichnamigmachens einzufchalten — und 
biefe Betrachtung ift einzuüben. co) Mehrere folge Größen werben 
beliebig oder gemäß irgend einer Phantafieeintleidung oder 3. B. bei 
der Zufammenfafjung mehrerer gleihen Seiten von einem Duabrate, 
Rechtecke, 2mal, 3mal ff. genommen; fie werden auch, foweit es ohne 
Reit angeht, in 2, 3 u. f. w. gleiche Theile getheilt — mobei fich zeigt, 
Daß es ſich nur um eine Multiplication oder Diviſion des Zählers 
Handelt, und biefe Betrachtung ift wieder einzuüben. Aufgaben aus b 
fowohl als aus c auch in der Form von Yeichendictaten. Bei b fo> 
wohl ala bei c müflen häufig Brüche mit größerem Nenner in folche 
mit Heinerem Nenner, aber gleihem Werthe und umgelehrt verwandelt 
werden, und bas Gefe ift zu finden: fo vielmal der Nenner Feiner, 
fo vielmal der Zähler größer, eben fo vielmal der Werth des Bruches 
größer oder Feiner und umgekehrt, wenn der Nenner größer, ber 
Zähler Heiner u. |. w. Eben fo müfjen häufig gemifchte Zahlen in 
Brüche und biefe im jene verwandelt werden. Endlich müſſen Brüche 
entftehen, die e3 nur fcheinbar, d.i. der Form nach find, in Wirklichleit 
aber entiveber gemifchte oder fogar ganze Zahlen, worauf fie auch zu= 
rüdgeführt werben. 

Begriff des Bruches, von Zähler und Nenner, bon gemifchten 
Zahlen, von unechten Brüchen. Das Geſetz von ber Verwandlung ber 
gemiſchten Zahlen in unechte Brüche und der letzteren in ganze ober 
gemifchte Zahlen. Das Geſetz von den gleichwerthigen Brücen 
mit verfchiebenen Nennen. Wie abbirt, fubtrahirt man Brüche? 
gleichnamige, ungleichnamige? Wie multiplicirt , dividirt man Brüche 
durch ganze Zahlen? — Abftracte Uebungen.) 


1) Jahrb. des Vereins für wiffenfhaftl. Pädagogik. VI. Bd. S. 157—160. 


118 Mathematif. 


7. Rechnen und Mathematik find fet3 von den Sachgebieten 
aus burdyzuarbeiten, denen fie genauere Peitimmungen in Bezug auf 
die formale Seite ver Natur beifügen. Dadurch gewinnen bie Sach⸗ 
gebiete an Beftimmtbeit und Deutlichkeit, und die Disciplinen felbft 
an Intereſſe. Im Rechnen ift daher von der fogenannten benannten 
Zahl zur unbenannten überzugehen, und die Geometrie hat z. B. von 
den dort vorfommenten Formen die Geſichtspuncte herzunehmen, nad) 
denen die Betrachtung fortjchreiten muß, indem z. B. die frage auf- 
geworfen wird, wie etwas ber Art zu Stande kommt. Alſo gerade 
fo wie bei Naturfunde und Geograpbie, und auch bier nicht Ratt deſſen 
eine abftract logiſche Gedankenreihe, die blos katechetiſch zu den Reſul⸗ 
taten hinführt. Damit hängt zuſammen, daß die Geometrie ſich gern 
an bie praftiihen Beitäftigungen, aud an das Feldmeſſen und an 
anderweitige® Ausmeſſen von Figuren und an das Zeichnen anſchließt 
und felbft das ABC ber Anſchauung in Verbindung mit Falt⸗ und 
Schneideübungen,, fo wie mit dem Zeichnen gebracht wird. Der erite 
Gongruenzfag 3. B. ift entiveder mit Hülfe des Zeichnend ober durch 
Feldmeſſen akzuleiten. Wenn aber auch die Concentrationsftoffe zu 
den Sachgebieten hinführen, fo ift body immer von den analogen Ver⸗ 
hältniffen des SIndividualitätälreifee und dem darin enthaltenen 
Bebürfnifie auszugehen. Ter Zögling darf alfo nicht mit Ueber— 
ipringung derfelben in ganz entlegene und völlig fremdartig ſcheinende 
Sphären verienft iverden. !) . 

8. In den Elementarclaijen ift namentlich für ausgiebige Ver⸗ 
anihaulihungsmittel der Zahlbegriffe zu forgen. So lange bte 
Efementarfchrift dauert, find die Zahlbegriffe und Rechnungsreſultate 
theils durch Legen in figurirten Zahlen, theil® an den Fingern und 
ſchriftlich durch Striche, Puncte darzuftellen. Selbft darüber hinaus 
müflen fie an der Peſtalozzi'ſchen Einheitstabelle ugd ähnlichen Hülfs- 
mitteln eingeübt werden, und ber Gebraud der Finger, wobei bom 
Taumen, und zwar bon dem der Iinfen Hand an, und mit Ein= 
Ihlagung der an der Hand nicht in Betracht fommenden Finger ge= 
zählt wird, darf für das Nechnen überhaupt nicht wieder aufgegeben 
erben, ja er muß auch außerhalb der Rechenftunde in Uebung 
leiben. 

An den Fingern ift au dad Einmaleins zu üben und wenn 
einer auffagt, haben die übrigen Schüler an den Fingern mitzuzäblen, 
wie au fonft. — Bor dem Tafelrechnen häufig mechaniſches Abfragen 
der ſchon eingeübten Reihen des Einmaleins, die darin eintreten, in 
und außer ber Reihe, bei der Multiplication an den Factoren, bei 
der Divifion vom Producte aus. *) 

Beim Rechnen ift auf rechte Abwechſelung zwiſchen mündlichem 
und jchriftlicdem Rechnen beſonders zu achten. Nie darf, was münd⸗ 


1) Jahrbuch des Vereins für wiffenichaftlihe Pädagoge. VL Band. 
©. —— 


A. a.0D. ©. 203. 








Mathematik, 119 


Lich gerechnet werden kann, fchriftlich vollführt werben, außer 
um eine Belehrung in Betreff der Darftellung daran zu Tnüpfen, und 
die Operationen des münblichen Rechnens dürfen ſich mit denen bes 
Ichriftlichen nicht vermifchen. 83. B. im mündlichen Abdiren darf man 
nit vom Einer ausgehen, wenn Zehner dabei find; man geht bier 
überhaupt immer von den größeren Zahlen aus, und geht befanntlich 
oft felbft über die gegebenen Bahlen hinaus, indem man das zu viel 
Genommene nachträglich wieder abziehbt. Im Kopfe ift aber immer 
auf die Heinften Zahlen Binzuarbeiten. Im mündlichen Rechnen ift 
die Aufgabe ftet vom Schüler zu tieberholen, außer bei vafcher, 
durch feine Pauſe unterbrochener Folge ber Löſungen im jtetigen Yort- 
ichritt, und concrete Aufgaben erfordern auch ftet3 im Reſultat bie 
Bezeichnung des concreten Gegenſtandes. Das Dictiren der Aufgabe 
wie im Deutjchen, die Zahlen dabei von links anzufchreiben. Addition, 
Subtrahiren, Multipliciren, Dividiren, wie borbereitende Bruchrechnung 
von Anfang an möglihft in Verbindung. Auch Regeldetriaufgaben 
fchon vor Anwendung ber künſtlichen Form, die für fie auszubilden 
iſt. Selbft bei den kleinſten Aufgaben bes Addirens iſt aber das Ne= 
fultat von rechts anzujchreiben. Die Wandtafel nit für compli- 
. eirte Aufgaben. Sie iſt blos für die Mufterbeifpiele und für bie 
Sorrectur der zum Behufe gemeinfamer Betrachtung zu firirenden Fehler 
zu benutzen. So weit auch nur Clafjenrechnen. Die Beijpiele und 
Beweiſe, befonder3 auch bei den Brüchen, wiederum in möglichſt kleinen 
Zahlen. Auch bei der Correctur an der Wandtafel darf nur das, 
worauf es anlommt, angejchrieben werben. Außerbem nur foldhe Data 
für Rechnungen, die fich nicht ficher dictiren laflen, 3. B. Grundlinie 
und Höhe von den Dreieden, in die ein unregelmäßiges Vieleck zer- 
legt wird. Aber auch hier muß die Rechnung ſammt etwaiger Probe 
ein jeder für ſich ausführen und der Lehrer hat nur die Refultate der 
einzelnen Hauptflächen zu controliven. Das Neue muß ſtets an ber 
Wandtafel gelehrt werben, wenn fchriftliche Bezeichnung nothwendig 
if. Epifoden find beim Rechnen ſchon wegen des correcten Schrei« 
bens nothwendig.) 

10. Das Zählen über 10 hinaus iſt auf einmal bis 100 
zu lehren unter Hinweis zuerſt darauf, daß die Zehner, dann darauf, 
daß die Zahlen von einem Zehner zum andern eben ſo fort ſchreiten, 
wie die Einer. Aehnlich über 100 hinaus. Das iſt des Umriſſes 
wegen nothwendig. 

Abgekürzte Verfahrungsweiſen ſollen ſtets erſt dann 
auftreten, wenn die weitläufigere, jedoch einfachere Art vollkommen 
geläufig iſt, und ſie gehören alſo nicht in den Anfangsunterricht. 

Stetigkeit des Fortſchritts z. B. beim Addiren und Sub⸗ 
trahiren zuerſt ohne Uebergang aus einer Reihe in die andere, dann 
mit Uebergang; bei 0 borgen, nachdem bei 1, 2, 3 u. ſ. w. geborgt 


3) Jahrbuch des Bereins für wiflenfchaftlide Pädagogi. VI. Band. 
©. 203 — 204. 











120 Mathematik. 


worden iſt; beim Bruchrechnen erſt ein Bruch zu dem einen, dann 
auch in dem andern Theil der Diviſion, zuletzt in beiden. Stetigleit 
beſonders auch bei Fehlern. 

Der Diviſor darf anfangs nicht vor dem Dividendus ſtehen. 
Mit dem Einer, der beim Addiren im Sinne behalten wird, muß die 
nächſte Reihe beginnen. Das Zahladverb, anfangs nur bei inhalts⸗ 
vollen Thätigleiten, alfo nicht bei Subftantiven und Zahlworten, jo 
lange nit aus der Mannigfaltigleit von jenen die Abftraction von 
felbft fich ergeben hat. 

Bei fchriftlichemn Addiren und Subtrahiren, wie bei Multipliciren 
mit Einern aber nur als Einer und Zehner — außer bei Ueberleitung 
und Probe, und immer 10 geborgt. Das hier Zurüdbleibende ıft na= 
türlih nach feiner Stellung zu beitimmen. Die [hriftlide Ad- 
bition muß von Anfang an mehr als zwei Reihen enthalten. Zur 
Vieberleitung auf die Addition dient das fchriftliche Fixiren der Einer 
bis zu 10 in fenfrechter Reihe. Das Ausrüden des Einers bis 
10 ift dann vorbildlich für das Ausrüden von jedem andern Zehner, 
Hunberter u. f. w., der fi beim Bufammenzählen ergiebt, und das 
Summiren einer Einerreibe ift immer zunächſt auf ein folches ſenkrechtes 
Schreiben, erft dann auch auf bie Unterfcheibung ber Zahl nach noch 
Einern und Behnern, refp. Hunderten u. f. w. zurüd zu führen. Zeitig 
ift bei dem Addiren dad Miederbolen der Refultate auf ben 
Zwiſchenſtufen zu unterlaffen. !) 

11. Keine algebraifhhen Zeichen bei den bier Species, viel⸗ 
mehr von Anfang an dieſelbe Stellung, wie fpäterhin, und danach 
Unterſcheidung. 

Das Addiren und Subtrahiren ungleichnamiger Brüche 
muß anfangs als eine Unmöglichkeit erſcheinen, über die man erſt 
durch den ſpeculativen, bei kleinen Brüchen nach vielfacher Umwand⸗ 
lung derſelben ganz von ſelbſt hervortretenden Gedanken hinweg ge- 
hoben wird: man muß ſie gleichnamig machen. 

Für die Sachgebiete des Rechnens ſind neben den rein formalen 
Regeln auch die entſprechenden ſachlichen auszubilden, z. B. bei den 
Arbeiterrechnungen die Verhältniſſe von Arbeiterzahl, Zeit, Lohn u. ſ. w. 
Die grundlegende Aufgabe muß immer eine ganz concrete ſein, 
und analoge Aufgaben werden auch ganz zweckmäßig im Verhältniß 
dazu beſtimmt, z. B. durch Addition, Subtraction bei den dort vor⸗ 
kommenden Maßverhältniſſen. In der Sphäre der grundlegenden 
Aufgabe muß ſich aber die ganze methodiſche Einheit halten, außer 
daß bei Affociation und Methode Aufgaben aus der Sphäre früherer 
Einheiten daneben geitellt werben können. Nicht etwa fortwährendes 
Mifchen der Aufgaben aus allen möglichen Gedankenkreiſen. Eben fo 
muß: e8 bei der erſten Einübung ber Multiplications- und 
Divifionsreiben das Einmaleins fein. Jede methodiſche Einheit 


1) Jabrbuch des Bereins für wiffenfhaftlihe PBädagogil. VI. Band. 
©. 204 — 206. | 





Mathematik, 121 


muß bon einer einzigen Hauptreihe beherrſcht werden, außer daß Aſſo⸗ 
ciation und Methode zu Aufgaben aus früher durchgenrbeiteten Reiben 
wurüdgreifen können. 

Für Aſſociations- und methobifche Aufgaben auch Webungen 
mit ben Rechenſtäben von Goltzſch ober mit entſprechenden 
—* die den Schülern gedruckt — oder an der Wandtafel 
teben. ?) 

12. Die Mufterbeifpiele des Rechnens find in einem befonderen 
Hefte anzufammeln, jo daß nah und nach eine Art Rechengrammatik 
ohne Worte entfteht. Mit Hülfe bes Metermaßes find zunädft bie 
Mapverhältniffe ber Quadrat-, Eubil- und Hohlmaße 
aufzufinden; damit werden dann befannte Gegenftände gemeſſen, deren 
Mabverhältniffe verdienen im Gedächtniß behalten zu werben, und 
zur Bergleichung bei Abſchätzungen anderer dienen können. Bei Fiachen 
und Körpermaßen dürfen anfangs, bis das Geſetz für die Berechnung 
gefunden iſt, Feine Reſte bleiben. Bevor aber von Flächen- und 
Cubifinhalt die Rebe ift, handelt es fih nur um Bededung einer 
Fläche mit Bapierquadraten, um Ausfüllung eines Kaſtens 
mit Würfeln. Daraus wird dann das Geſez abgeleitet, daß die Zahl 
der Duabrate, ber Würfel biefelbe ift, mie fich ergiebt, wenn man bort 
ihre Menge in ber Länge mit ber in ber Breite, bier auch noch mit 
ber in ber Höhe multiplieirt, und Flächen- und Körperinhalt find 
er die abftract Iogifchen Ausdrücke für ſolche Bedeckung reſp. Aus- 

ung. 

Für eine geometrifche ober arithmetifche Aufgabe dürfen nicht nach 
einander fofort mehrere Methoden der Löfung durchgearbeitet 
werben. Bietet eine Methode im Verhältniß zu einer ſchon befannten 
Bortheile dar, jo muß eine neue Aufgabe geitellt und zuerft auf ber 
Stufe der Analyfe nach der befannten Methode behandelt werden; 
dann zeigt man aud die Vortheile der zweiten Methode und be: 
nußt fie. *) 

13. Herr Kreisſchulrath Scherer giebt folgende Verteilung des 
Rechenlehrſtoffes auf die fünf erſten Schuljahre: ®) 


Erfies Schuljahr. 


Gang. Gegenftand. Beitaufiwanb, 

1. Kenntniß der Grundzahlen 1, 2, 3,4 . 2... 4 Wochen, 

2. Kenntniß ber Grundzahlen 5, 6, 7, 8, 9, 10.. 21 
Wiederholung . . ... 5 2 

2. Erweiterung des Zahlenkreiſes bis 20 . 2 = 

3. Zu⸗ und Abzählen der Grunbzahlen innerhalb 20.12 = 

— — 44 Wochen. 

& ade Sabrbud des Vereins für wifienfchaftlihe Pädagogit. VI. Band. 

e * O. S. 207. 


rer, Andentungen zur Ertbellung des Nechenunterriäts in der 
Boitaihule " Fauberbifhofähem. 1873. 





1?2 Mathematik. 


Zweites Schuljahr. 


—X Gegenſtaub. Beitanfwanb 
1. Erweiterung des Zablenkreijes bis 100 . . 6 Wochen, 
2. Zu⸗ und Abzählen der Grundzahlen innerhalb 100 20 - 

Wiederholung . 6 = 
3. Erweiterung bed gahlenkreiſes bis 200 und du und 
Abzählen der Zahlen 1—100° . 12 ⸗ 
44 Wochen. 
Drittes Schuljabr. 
1. Erweiterung bes Zahlenlreiſes b bis 1000....2 Wochen, 
2. Zus und Abzählen . . ...10 =: 
3. VBervielfaden . . > 2 2 en nee. 10 = 
Wiederholung.4 =: 
4. Milen ned 
Wiederholung . » > 2 2 2 2⸗ 
5. Thelen . 2 2 2 re... tl >= 
44 Wochen. 
Bierted und fünftes Schuljahr. Schulj. 5.64. 
1. Erweiterung des Zahlenbereiches bis 10,000.. 2 W., 2W., 
2. Zuzählen glei: und unbenannter Zahlen. 3: 32 
Zuzählen benannter Zahlen . m. | >= 
Abzieben gleich⸗ und unbenannter Zahlen .. 38⸗ 32 
Abziehen ungleich benannter Zahlen — : 1» 
3. Vervielfachen gleih» und unbenannter Zahlen 
mit den Grundgahlen . . 3=: 3 > 
Bervielfachen ungleich benannter Zahlen mit den 
Grundzablen . . — +. |] = 
Entvielfachen gleich = und unbenannter Bablen 
durch die Grundzahlen.. . 3=: 3 > 
Entvielfachen ungleid benannter Bablen durch 
die Grundzahlen . . — : 1 = 
4. Vervielfachen gleich- und unbenannter Zehlen 
mit zuſammengeſetzten Zahlen . 3: 3 = 
Vervielfachen ungleich benannter Zahlen mit zu— 
ſammengeſetzten Zahlen — x: |» 
Entvielfadhen gleih= und unbenannter Zahlen 
mit zuſammengeſetzten Zahlen. 3: 3 = 
Entvielfachen verſchieden benannter Bablen "mit 
zulammengefegten Bahlen . — : 1 
5. Bervielfacdhen gleih- und unbenannter Zahlen 
mit beliebigen Jabln . . 4= 4 « 
Vervielfachen ungleich benannter ‚Sahlen mit bes 
liebigen Zahlen . . — : 1 >= 


Latus: 241 W. 31 W. 





Mathematit. | 123 


Gang. Gegenftanb. j a any 
Transport: 24 W. 31 W. 
Entvielfachen gleih= und unbenannter Zahlen 
durch beliebige Bablen. . . 2 2.2 4= 4 >» 
Entvielfachen ungleich benannter Zahlen durch 


beliebige Sablen. - 2 2 2 2 2. = 1. 
6. Erweitern des Zahlenkreiſes bis 1,000,000 und 
Dperationen » » 2 2 2 2 2 16 2 — ⸗ 
Rechnen mit den Münzen, Maßen und Ges 
wihten. . > 2 2 I 2 2 ne me: 8. 
44 W. 44 W. 


14. Der Rechenunterricht hat der Entwickelung des kindlichen 
Geiſtes gemäß drei Stufen zu unterſcheiden: a. die Anſchauungs-, 
b. die Vorftelung3= und c. die Urtheiläftufe. — Auf der erften und 
zweiten Stufe handelt es ſich hauptſächlich darum, das Zahlenſyſtem 
und die vier Rechnungsarten zum Haven Verftändniß und zur ficheren 
Handhabung zu bringen; ber dritten Stufe fällt die Aufgabe zu, bie 
Rechnungen des bürgerlichen Verkehrs durch die vier Rechnungsarten 
zu löfen; es ift bier jeweils zu entjcheiden, welche Nechnungsarten 
angewandt werden müflen. — Auf der erften Stufe wird hauptjäd- 
(ich mit den Beranfchaulidfungsmitteln der Zahlen und mit gleichbe- 
nannten Zahlen aus dem findlichen Gefichtöfreife nad freier Art ge 
rechnet; auf der zweiten Stufe mit gleich verfchieden- und unbenann- 
ten, ganzen und gebrochenen Zahlen aus der Boritellung , erftens mit 
und ohne Ziffern nach freier und dann mit Ziffern nach beftimmter 
Art; auf der dritten Stufe mit benannten und unbenannten, ganzen 
und gebrochenen Zahlen in unbegrenztem Bahlenraume nad freier 
und beitimmter Art in Verbindung — Die angewandten Aufgaben 
jolen in der Regel auf der erften Stufe dem Kinderleben, auf der 
jweiten und britten bem bürgerlichen Verkehre entnommen fein, und 
auf der eriten Stufe eine, auf der zweiten eine ober zwei und 
auf der dritten Stufe zwei oder mehrere Rechnungsoperationen 
zu ihrer Löſung erfordern. !) 

15. Die Richtigkeit des Rechnungsreſultates muß, ſofern fie nicht 
unmittelbar erfichtlih ift, durch Schäten verfchiebener Löfungen ober 
Proben außer Zweifel geſetzt werben. 2) 

16. Die Wichtigkeit der unmittelbaren Anfchauung wird von allen 
Lehrern anerkannt durch folgende over ähnliche Säte: „Was in den 
Get fol, muß durch die Sinne gehen; der Unterricht muß durch 
genaues und bieljeitiges Anichauenlaflen zu klaren Vorftellungen und 
ſichern Urteilen, und hierdurch zum Anſchauen⸗, Borftellen: und Ur⸗ 
tbeilen- Wollen führen, foll er einen fittlihen Werth haben.” — 
Aber trogdem giebt es noch Lehrer, die die unmittelbare Anfchauung 
vernadhläffigen, weil fie in dem Irrthume befangen find, fie kämen 


ı) Scherer, Andeutungen zur Ertbeilung des Rechenunterrichts in der 
Milan. Kauberbiiofs eim, 1873. ©. 12. 
.a. 0 ©. 2. 





124 Mathematik. 


ſchneller zum Ziele, wenn fie den Schülern fertige Reſultate mit⸗ 
theilten und biefelben durch das Gedächtniß fFeithalten ließen. — 
Wieder andere Lehrer benützen zwar die unmittelbare Anſchauung, 
aber nur um die Richtigkeit von fertig Gegebenem zu beweiſen. — 
Ber beiden Verfahren werben die Schüler mit Unterrichtsſtoff vollge⸗ 
ftopft, gehen Arbeitöluft und Selbitvertrauen verloren; die Schüler 
wagen fehließlich feinen Schritt mehr allein; fie find nur noch willen 
loſe Werkzeuge; der jchivere Beruf des Lehrerd wird durd den geringen 
Erfolg noch drüdender gemacht; denn nur da, wo Liebe und Luft zur 
Arbeit gewedt wird, tft rechter Erfolg; Luft und Liebe zum Unterrichte 
fönnen aber weder durch Belohnungen, noch durch Strafen, fondern 
nur durch eingehende Verarbeitung bed Unterrichtöftoffes herborgerufen 
werden. — Welch anderes Bild tritt den Lehrern entgegen, die bem 
Thätigkeitstriebe, der im Kinde Liegt, die rechte Nahrung bieten! Arbeitsluft 
und Selbftvertrauen der Schüler wachſen; freudig fchauen, denken, wollen 
und handeln die Schüler, die Schüler fünnen immer mehr ihres Yührers 
entbebren ; der Erfolg der Arbeit giebt Luft, Kraft und Ausdauer zu 
neuer Arbeit, die Erfenntniß von Wahrheiten erzeugt dad Bedürfniß 
nad Wahrheit und die Befähigung, die Wahrheit von der Lüge zu 
unterfcheiden ; bie Schüler gelangen zu ihrer Menſchenwürde; die Lehrer 
beglückt das Bemwußtfein, mitgewirkt zu haben, baß Gottebenbilb- 
fichleit in ihren Schülern immer mehr und mehr zur Entwidelung 
fommt. !) 

17. Einen weſentlichen Unterfchieb des Rechnens mit ober 
ohne Ziffern und Dperationszeichen giebt e8 nicht mehr, nachdem man 
die Anfäte für das fchriftliche Hechnen vertworfen hat. — Mit Ziffern 
und Operationszeichen kann jede Aufgabe auf jebe möglihe Weife 
gelöft werden, ohne Ziffern nur in fo meit, al3 das Gedächtniß aus- 
reiht. — Das Rechnen mit Ziffern ift unbejchräntt; das Rechnen 
ohne Ziffern ift durch Die Grenzen bed Gedächtniſſes begrenzt. — Bet 
Aufgaben, bei denen die Rechengeichäfte leicht auszuführen find, wird 
man bie Zöfung ohne Ziffern oder mit Biffern vorangehen lafien. — 
Auch bei der Löſung mit Ziffern wird man lettere nur fo weit zur 
Hülfe nehmen al nothwendig ift. — Ueberhaupt überlafje man dem Schüler 
die Art der Löſung der Aufgaben und verlange von ihm nur ein 
richtiges Refultat und eine ſprachlich und arithmetifch fchöne und über: 
fihtlihe Darftellung. ?) 

18. Die in den meiften Rechenaufgabenfammlungen bei den bier 
Rechnungsarten unter den Meberfchriften: ‚„Zufammenzählen”, „Ab: 
ziehen”, „Vervielfachen“, „Entvielfachen‘ oder „‚Theilen” aufgeführten 
Aufgaben find feine angewandten Aufgaben, indem ja bie Ueber- 
ſchriften ſchon bie Frage, melde Rechnungsart anzumenden tft, beant- 
worten; fie find nur in Worte gekleidete Operationsſätze. Die 


.. 9) Scherer, Andeutungen zur Ertbeilung des Rechenunterrichte in der 
Boltianie „. auberiihofäbelm, 1873. ©. 115. 








Mathematik. 125 


Schüler beweifen dies auch, indem fie diefe Aufgaben meiftens lefen, 
obne die Worte zu berüdfichtigen. 1) 

19. Die neue, jelbftftändige und darum bil dendſte Arbeit 
ver Schüler bei den angewandten Aufgaben befteht in der Be⸗ 
Rimmung der Nebengefchäfte, die zur Zöfung der Auf: 
gabe in Ausführung gebradt werden müfjen. 

Um vom Einfachiten zum BZufammengefeßten fortzufchreiten, find 
erſtens die Aufgaben nach der Zahl der in Frage ftehenden Rech⸗ 
nungsarten zu ordnen. — Um der Denkkraft der Schüler hinreichende 
Anregung zu geben, müflen zweitens die Aufgaben zu ihrer Löſung 
die Rechnungsarten in den berfchiebenen Berbindungen erfordern. — 
Um bie Bermittelung des Berftändnifies zu erleichtern, find Drittens 
die Aufgaben größten Theild dem bürgerlichen Verkehre zu entnehmen 
und nach ben verſchiedenen Lebensverhältniffen zufammen zu ftellen. — 
Nebenbei werben die dem bürgerlichen Verlehre entnommenen Aufgaben 
bad Interefje für die Schule und die Wertbichägung der Schule auch 
bei Denen wecken und fleigern, die für die formale Bildung Tein Ber- 
ſtändniß haben. — Dur Rechenaufgaben find auch die mwichtigften 
vollswirthſchaftlichen Fragen zu beantworten. — 

Die meiften zur Beit im Gebrauch befindlichen Aufgabenjamm- 
Iungen haben die Aufgaben nach den Rechnungs und Daritellungs- 
arten, die bei der Lölung in Anwendung fommen, geordnet und haben 
dadurch die meiften Aufgaben in einfache Operationsbeifpiele verwandelt. 
Iſt eine Aufgabe gelöit, fo ift für eine Reihe von Aufgaben wenig 
zu denken übrig. — Zugleich werben hierbei die Aufgaben, die durch) 
Bervielfachen und Theilen gelöft werben können (die Zweiſatzrechnungen) 
und eine beftimmte Darftellungs- und Auflöfungsart fo ausſchließlich 
berüdfichtigt, daß nicht die Selbftftänbigfeit gefördert unb die Ge- 
danfenlofigfeit unterbrüdt, ſondern umgelehrt, die Selbftitändigfeit 
unterdrüdt und die Gedankenloſigkeit gefördert wird. — Giebt man 
jo mißhandelten Schülern bie leichtefte Aufgabe, die zu ihrer Löfung 
Zuſammenzählen und Bervielfachen, Zufammenzählen und Theilen u. |. w. 
erfordert, fo laſſen fie die befähigteren Schüler meiftentbeild ungeldit, 
weil fie den Anſatz, ber, wie ihnen eingeimpft wurde, das Erfte it, 
nit zu maden willen, und bie weniger befähigten Schüler machen 
n der unfinnigften Weiſe einen Anſatz und rechnen dann in berjelben 

eile. 2) 

20. WMufterlöfungen in Aufgabenfammlungen wirken fchäblich, 
weil fie die freie Selbftthätigfeit abſchneiden. — Kein Fehler iſt in 
den Schulen verbreiteter, als der der Unterbrüdung der Selbftthätig- 
fett und ber Selbftftänbigfeit. Kaum ftodt ein Schüler, jo wird ihm 
eingeflüftert ober vom Lehrer nachgeholfen; fchlägt der Schüler ein 
Verfahren ein, das von dem abweicht, das der Lehrer einfchlagen 


) Scherer, Andeutungen zur Ertheilung des Nechenunterrichts für bie 
Bolksſchule. Tauberbifhofsheim, 1873. ©. 104. 
Ua. D. 6. 104. 105. 











126 Mathematik. 


würbe, jo wird ber Schüler unterbrochen und wirr gemacht. Manche 
Lehrer thun, als ob das ſelbſtſtändige Denfen für den Schüler 
eine verbotene Frucht wäre. Go lange es in bdiefer Richtung 
nicht befier wird, blüht der Weizen für die Volksbetrüger! — Freilich, 
wo man die unmittelbare Anſchauung vernadläffigt, wo man mit 
Haft vorwärts eilt, wo man das Errungene nicht feitbält, ba können 
Gelbitthätigleit und Gelbfiftändigleit nicht gebeiben, da muß ber 
Lehrer handeln, denken und fprechen, wo er die Schüler nur beran- 
Lafien follte, fi) mit dem Unterrichtsftoffe anſchauend, denkend, ſprechend 
und ſchreibend zu beichäftigen. !) 

21. ‚Bisher mwurben Preife nah Thlr. Ser. Pf. angegeben, 
und bei Preisberechnungen bediente man ſich mit Bortheil der Thaler- 
Brühe. Das fällt nun fort. Man wirb fünftig den Betrag einer 
Nehnung 3. B. wohl nur in Dark und Pfennigen ausbrüden, be 
ſonders fchriftlih. Dennoch ift der Ausdrud „Sebhner” aufgenommen, 
der unjerem früheren „Silbergroſchen“ entſpricht. Es muß fich zeigen, 
ob ed nicht üblich wird, fich defielben als Preisbegeichnung zu bedienen, 
natürli bis zu einer gewiffen Grenze. Nennt man doch das fran= 
zöſiſche Zwei-Sousſtück (10 Gentimes) vielfach noch einen Lehner. 
Sjedenfalls ift e8 bequem, befonvers bei Preisberechnungen, fi mit- 
unter des Zehners alö Vermittelung zu bevienen.‘' 2) 

22. „Schon unter Nr. 21 wurbe ber für Preisberechnungen fo 
bequemen Thalerbrüche gedacht. Nach Thalern wird fortan nit mehr 
gerechnet. Damit verlieren auch jene Brühe an Bedeutung. Die 
Zahl 30 refp. 24 tritt zurüd und madt der Zahl 100 Pla. Dar: 
aus folgt die Nothwendigkeit, fie nach allen Richtungen hin, tie die 
verfchiedenen Rechenoperationen es mit fi) bringen, mit allem Fleiß zu 
behandeln, und noch mehr als früher dafür zu forgen, daß den Schülern 
das Berftändni des Dekadiſchen Syſtems und die Ge— 
wanbtheit in der Anwendung beffelben nicht mangelt. 
Und was früher mit Hülfe der Thalerbrüce fo fchnell berechnet wurde, 
muß jest, foweit bie Beziehungen von Geld und Waare dazu auf- 
fordern, mit Benugung der Markbrüche geſchehen. Die Schüler müfjfen 
angeleitet werben, dieſe Beziehungen aufzuſuchen und ſich des gegebenen 
Vortheils zu bedienen. Die Markbrüche ſelbſt müfjen natürlid ben 
Schülern eben fo geläufig werben, als es früher die Thalerbrüdhe waren. 
Und wenn man fie auch Zünftig meilt als Decimalbrüche fchreiben 
und denken wird, fo giebt e8 doch auch Beträge von Pfennigen, bie 
fih bequem alö gemeine Brüche auffaflen laſſen.“ ®) 

23. „Das becimale Verhältniß nun au ber Münzen er- 
möglicht eine bebeutende VBereinfahung in ber Form bes Rechnens, 


%) Scherer, Andeutungen zur Ertbeilung des Rechenunterrichts für bie 
Volksſchule. Tauberbifhofspeim, 1873. S. 114. 115. 

2) Steinert, Aufgaben für das Kopfrechnen von 3. Menzel. 3. Aufl. 
Berlin, 1874. ©.7. 

®) Steinert, a. a. O. S. V. V. 





Mathematik. 127 


ſofern weitaus die meiſten im gewöhnlichen Verkehr vorkommenden 
Rechenfälle durch die vier Specis mit Decimalen gelöſt werden können. 

Das elementare Rechnen erhält aber dadurch eine Einförmigfeit, 
welche leicht zum Mechanismus, zugleich aber auch zu einer bedroh⸗ 
Iihen Unficherheit in Findung ber Refultate führt. Dies wird nur 
durch eine gründliche rationelle Behandlung der Decimalbrühe und 
durch eine gehörige Berüdfichtigung ber gemeinen Brüche verbütet. 
Mit Recht läßt der Normallehrplan für würtembergifhe Schulen das 
Rechnen mit gemeinen Brüchen demjenigen mit Decimalbrüchen vor: 
angehen. Um nicht dem Mechanismus durch zu frühe Einführung 
der Decimalbrüche Vorſchub zu leiften, ift es auch nothwendig, das 
Rechnen in ungleich benannten Zahlen ohne Brucdhform in ben 
gewöhnlich vorkommenden Fällen vorangeben zu lafien und aus ihm 
bad Bruchrechnen abzuleiten.‘ }) 

24. Here Profeſſor Helmes am Eymnaſium in Celle giebt in 
ber Vorrede zur 2. Abth. des erften Theils feiner Elementarmather 
matik einige Bemerfungen, die der Erwähnung werth find: - 

a. Bon vielen Veränderungen des Lehrbuches find bei weitem 
die meiften aus ber fchärferen Durchführung des Grundſatzes ent- 
fprungen, ein einmal vorgeftedte8 Ziel unverwandten Blides zu vers 
folgen und erft, wenn es erreicht ift, bei einem Rüdblid auf den 
durchlaufenen Weg, ober auch bei nochmaliger Wiederaufnahme des⸗ 
jelben, durch Umſchau nah allen Seiten, in Zu= und Folgefägen, 
Anwendungen 20. den ganzen Reichthum eines ausgedehnten Gebietes 
zu erichließen. 

b. Abgefehen davon, daß es immer nur Schuld einer fehler- 
baften Anwendung der Methode fein würbe, wenn fie an Strenge 
der Beweisführung etwas zu wünſchen übrig ließe, jo ift es eben nur 
der indirecte Beweis, der die enge Verbindung eines Satzes und 
jener Umfebrung fo beftimmt bervortreten läßt, mie es die Natur 
dieſes Zuſammenhanges erfordert, und bie es Unrecht wäre, durch 
direkte Beweiſe zu verwiſchen. Weit entfernt alſo, indirecte Beweiſe 
an fich minder werth zu ſchätzen, möchte ich fie vielmehr bevorzugen, 
wo e3 gilt, die enge Verbindung zwifchen Satz und Umkehrung des⸗ 
jelben zu erhalten. 

c. Endlich erflärt er, daß er die Progreffionen und ihre An- 
wendung im Unterricht mit Vorliebe behandle: einmal, weil fie den 
Schüler durch ihren Stoff fo leicht und natürlich über die früher ge- 
pflegte Unmittelbarleit des Criennen? hinaus zum „Denken mit 
Gleichungen” führe; dann, weil fie ben vorzüglichiten Uebungsſtoff für 
die Auflöfung zweier Gleichungen mit zwei Unbelannten liefern, unb 
zwar mit wechjelnden Unbelannten, wie den Schulen von feinem x 
und y fo glüdlich entwöhnt. Drittens, weil fie jo einfach wie mohl- 
thuend zur Erlenntniß einer abſchließenden Vollſtändigkeit eines Auf- 


3) Keitel, Dolftändiger Rechenunterricht für Volks⸗ und mittlere Schulen. 
Stuttgart. 3. Aufl. I. S. IU 


128 Mathematik. 


gabengebietes führen; und endlich, weil ſie in den beſonderen Fällen 
quadratiſcher Schlußgleichungen der arithmetiſchen Progreſſion das 
vollfte Verſtändniß des Negativen, der doppelten Werthe überhaupt, 
in den Schlußgleichungen der geometriſchen Progreſſion aber daſſelbe 
Dertänbnib des Unendlidhen an den befannteften Stoffen jo naturgemäß 
bermitteln. 


2. Geometrie. 


25. Belanntlid war man bis in die neuelte Zeit vergeblich 
bemüht, die Grundlehren der ebenen Geometrie mit der wünſchens⸗ 
werthen Schärfe und Stlarheit zu begründen. Seit Euklid's Zeiten 
wurde 3. B. bie Lehre von ben Parallelen auf Sätzen ald Aromen 
aufgebaut, deren Richtigkeit felbft in Zweifel gezogen werden Tönnten, 
weil es nicht gelingen wollte, diefelben evident nachzuweiſen. Sobald 
aber der Theorie der Parallelen die nöthige Schärfe abgeht, find auch 
alle die fi) unmittelbar daran ſchließenden Sätze dem Vorwurfe 
der Unficherheit und Klarheit unterworfen. — Zu dieſen Säben ge⸗ 
hört zunächft der für die ganze Geometrie wichtige Sah: „Die Summe 
der drei Winkel eines jeden Dreiecks beträgt 2 R.“ Da aber alle 
Bemühungen, diefen Sag unabhängig von den Parallelen zu beweifen, 
fruchtlos find, fo fehlt auch ihm bie mathematische Beſtimmtheit, jo 
lange ſolche den Parallelen abgeht. Daß diefe mangelhafte Begrün- 
dung der geometrifchen Grundprincipien nicht in der Unfenntniß rich⸗ 
tiger Definitionen und der betreffenden Beweiſe zu ſuchen, jonbern 
vielmehr dur die Natur der Sache geboten ift, hat in neuerer Zeit 
Bolyai nachgemwiefen. Diefer Mathematiker hat nämlich gezeigt, daß 
jelbit bei Annahme einer dem Euklidei'ſchen Ariom geradezu wiber- 
Iprechenden Vorausſetzung, man dod zu einer Geometrie (abfolute 
Geometrie) gelangt, welche vollkommen widerſpruchsfrei ift und die in 
gewöhnlicher Weife vorgetragene Geometrie, die fogenannte Eufliberiche 
Geometrie, ala einen fpeciellen Fall in fich ſchließt. Dieſes in Ver— 
bindung mit den Unterfuhungen Lobatſchewsky's und Riemann's 
führt zu dem Schlufie, daß die Grundlehren einer für die Praris ver— 
wertbbaren Geometrie offenbar aus der Erfahrung entnommen werden 
müſſen, die Geometrie fomit als eine Erfahrungswiſſenſchaft anzu: 
fehen fei. % 

26. In allen Schulen, in denen ber Unterricht in der Raum⸗ 
lehre eine berechtigte Stelle im Lehrplan findet, zeigt es ſich fofort, 
wie erwünſcht es it, den Schülern ein Bücheldden in die Hand zu 
geben, das fih nad Form und Inhalt dem von dem Lehrer gebraud;s 
ten Leitfaden anfchließt und das zugleich den mohlgeorbneten Stoff 
zu den unerläßlichen praftifchen Nebungen in hinreihendem Maße enthält. 

27. Es ift bdringendes Bebürfnig, daß der Bürger die Größe 
der Längen, Flächen und Körper ermitteln könne, mehr aber noch, 


1) Spig, im Borworte zu den erflen Sägen im Dreiede und den Paral⸗ 
felen. Leipzig u. Heidelberg, 1875. 





Mathematik. 129 


daß der Handwerker neben einer ausreichenden gewerblichen Ge— 
ſchicllichleit und gründlichen Kenntniß von feinem Arbeitömateriale und 
von deſſen Werthe, ſich auch die Ferligkeit aneigne, richtig zu meſſen, 
zu confiruiren und zu rechnen. Dieſe Qualification fordert das 
Leben, und die „Allgemeinen Beſtimmungen vom 15. Day 1872” 
maden ihre Erreihung dem Schulunterrichte zur Pflicht. ! 

28. Der Here Regierungd: und Schulrath — in Danzig 
giebt für die Behandlung der Geometrie in der Vollsſchule in einem 
Abbrud aus der zweiten Auflage folgende Geſichtspuncte über die Be— 
grenzung des geometrifhen Unterrihtsgebiet3 unb 
Unterrihtsverfahrens. 

a. Die Geometrie in der Vollsſchule hat die Raumesgrößen, d. 5. 
nicht blos die Linien, Winkel und Flächen, fondern auch ihrer großen 
praftifchen Wichtigkeit wegen die Körper zur Anſchauung zu bringen. 
Und zwar ift die blos finnlice, unmittelbare Anfchauung zur bewußten, 
geiftigen zu erheben, indem die Theile jeber Größe, ihr Verhältniß zu 
einander und zum Ganzen, ihre Merkmale und Eigenſchaften aus ber 
Anſchauung entwidelt und kennen gelernt werben. 

Diefe Beſchäftigung mit den geometrifhen Größen darf jedoch 
weder ein blos theoretifches Intereſſe verfolgen, noch ſich lediglich die 
formale. Geiftesbildung.. der Schüler zum Zwede fegen: fie muß viel 
mehr neben diefer, der Aufgabe ber Volksſchule gemäß, zugleich ein 
praktiiches, im Leben zu verwerthendes Ziel im Wuge behalten. 
Das Ziel Tann aber fein anderes fein als die Ausmefjung und bie 
Inhaltsberehnung der Raumesgrößen, d. h. die Auffindung eines ad⸗ 
äquaten Zahlenausdrud3 für diefelben. 

Da nun hierbei ein blos mechaniſches Verfahren nad) einer un= 
verftandenen Regel nicht genügen Tann, vielmehr die Schüler ber 
Gründe des Verfahrens ſich betvußt werben follen, fo wird das Material 
für den geometrifchen Unterricht in ber Volksſchule folgendermaßen 
auszuwählen und zu begrenzen fein: 

Es find bei der Beidhäftigung mit den Raumesgrößen vorzugs- 
meife diejenigen Verhaltnifſe und Eigenſchaften in Betrachtung zu 
ziehen, welche ein bewußtes, auf Gründen beruhendes Verfahren bei 
der Ausmeflung und Inhalts-Berechnung ber geometriichen Größen 
vermitteln. Alle geometrijgen Lehren bagegen, welche nur der Voll⸗ 
Ränbdigkeit der Betrachtung ober dem Aufbau bes Syſiems dienen, find 
vom Bereich ber Volksſchule auszuſchließen. 

b D Interricht in der Volksſchule gründet fi 


nicht — ‘ 5, er hat fi aud während feines ganzen 
Verlaufs ı y anzulehnen und feine Ergebniffe zu ber= 
felben in Q i 

Es ij iſchauung der zu behandelnden Größen zu 


beginnen. em Vorkommen in. der Wirklichkeit aufzu— 


N Baffer, Das Raumreinen fir die Volts⸗ und Fortbildungsſchule. 
Borbemerfungen, Frankfurt a. M. 1874. 
Ban. Fahresberiät. XAVIL 9 


130 Mathematik. 


fudden, dann in faubern deutlichen Zeichnungen fowie in Darftellungen 
aus Holz, Pappe, u. ſ. f. den Schülern vorzuführen. Um Klarheit 
und Sicherheit zu vermitteln, werben biefelben nach allen ihren Theilen 
gemeflen unb deren Verhältniß zu einander und zum Ganzen aufge= 
judt. Es empfiehlt fi, die Zeichnungen nicht als fertige den Schülern 
borzugeigen, fondern fie vor ihren Augen entflehen zu laſſen. So⸗ 
dann werben die Schüler zur Nachzeichnung veranlaft und üben babei 
ben Gebrauch bes Zirkeld und Lineals, des Maßftabes und Trans 
porteurd. Die Körper werben von ihnen aus weichem Holz u. ſ. f. 
ober vermittelft Papp-Netzen nachgebilbet. 

Demnächſt ift diefe, bis jet nur noch finnlich vermittelte An⸗ 
fhauung zu einer bewußten, geiftigen zu erheben. Der Begriff der 
Größen, ihre Theile, deren Berbältniffe, ihre Merkmale und Eigen⸗ 
ſchaften werden nun durch einfache Schlüffe aus der Anfchauung ent 
twidelt und mit klarem, Inappem Ausdruck in Worte gefaßt, wozu ber 
Lehrer die Schüler durch geeignete Fragen zu veranlafien bat. Es 
tritt alfo zur Anfchauung die mathematische Beweisführung binzu 
Doch wird die Vollsfchule die fchwierigeren und mehr zufammenge- 
ſetzten Schlußfetten, wie fie der wiſſenſchaftliche Vortrag der Geometrie 
nicht entbehren kann, zu vermeiden haben und fich mit den einfachſten, 
aus der Betrachtung der Figur mit Leichtigkeit hervortretenden Beweifen 
begnügen müflen. Wo biefe nicht Binreichen, um die Eigenfchaft einer 
geometrifchen Größe zu begreifen, mie 3. B. bei dem pythagoräiſchen 
Zehrfate (8. 19, 1) oder bei ber Berechnung der Sugeloberfläche 
(8. 35, 1), tritt an Stelle beweifender Schlüffe lepiglich die Anfchauung. 

Wenn die Schüler fo unter Anleitung bes Lehrers in analytifcher 
Weife eine geometrifhe Wahrheit gefunden haben, bann erde in 
rüdgängiger Bewegung ber durchwanderte Weg nochmals zurüdgelegt, 
indem man ben Lehrſatz an die Spite ftellt und den Beweis deſſelben 
Iynthetiich im Zufammenhange führen läßt. 

Endlih folgt die Anwendung ber erfannten Lehren. Hierher 
gehört zunächſt die Löſung geometrifcher Aufgaben. Die Volksſchule 
bat nur ſolche Aufgaben zu wählen, bie entweder eine unmittelbare 
Anwendung bed Lehrfages bilden ober ſich durch bie einfachiten Folge⸗ 
rungen aus benjelben ergeben. Alle fchwierigeren Gonftructionen, 
deren Auffindung eine befondere Spürkraft erforbert, liegen außer- 
halb ihres Bereichs, fo anregend und den Scharffinn herausfordernd 
ihre Löſung auch fein mag. — Eine weitere Anwendung der erlannten 
Lehren bilden Vermeflungen im freien Felde, die der Lehrer bei ge- 
legentlihen Excurſionen mit Hülfe der Schüler vornimmt, und Plan: 
jeihnungen. — Sodann find die geometrifchen Lehren in ausgedehn⸗ 
tefter Weile mit dem praktiſchen Rechnen zu verbinden. Endlich find 
bie ſich darbietenden Beziehungen zur Naturkunde, zur Erdbeſchreibung 
zu ben bürgerlichen Gewerben u. ſ. f. forfältig hervorzuheben. ?) 


| 1) Ohlert, Praftifcher Lehrgang der Geometrie für Mittelſchulen. Königs 
berg, 1974, 


— ee En ee GE te = 


Mathematik. 131 


II. fiteratur. 


a. Arithmetilk. 
1. Aufgaben zum Kopfrednen. 


1. Menzel, J., Regierungds und Sculrath, Aufgaben für dad Kopfrechnen. 
3. Au Kadı dem neuen Münzgefeg bearbeitet zer 8. Steinert, Berlin, 
Molpb GStubenraud, 1874. S. 22. © 


Diele ſehr praktiſch angelegte Kufgabenfamnlung für das Kopf- 
echnen bat durch die neue Bearbeitung nicht verloren. Wir verweifen 
deshalb auf unfere früheren Empfehlungen (Päd. Jahresber. XV, 
98. XXIII, 13). Außerdem vergleiche man „Methode.“ 


2. Schlotterbeck, B., Aufgaben für das Kopfrehnen. Zum Schulgebraug) 
I. ve 5 ür "Rittelflaffen. 2. Auflage. Schwerin 1. M. 1874. 
1,20 


Die Aufgaben umfafjen das Gebiet der ganzen Bahlen und ber 
Brüde in relativ einfachen Berhältnifien und pafjenden Anwendungen 
des Gelernten, und find mit Fleiß und Umſicht zufammengeftellt. 
Bergl. Päd. Zahresberiht XX, 30. 


3. Staar, 3. 8, weiland Lehrer an dem Unterrihtsinftitut für Töchter aus 
den höheren Ständen in Nürnberg, Uebungeſtoff zum mündlichen Rechnen 
mit unbenannten und gieläbenannten Zahlen im Gebiete von 100 bis 
1008: 3. rſiage. ürnberg, J. A. Stein's Buchhandlung. 1874. 
b4 S. 30 P 


Weder im Guten noch Böfen ausgezeichnet, ſondern eine Arbeit, 
bie im Ganzen bem allgemeinen Strome folgt. 


2. Aufgaben zum fhriftliden Rechnen. 


4. Haeſters, allbert und Philipp Röhm, Rechenbuch für die deutfche Volks: 
ſchule. Eſſen, ©. D. Bädeker. 

I. Heft. 3 UnterBlafien. en 13. Aufl. 27 ©. 0,15 Mar. 
II. Heft. %Yür Unterflajien. 2. wer 12. Aufl. 28-53 ©. 0,15 M. 
DI Het. Kür Mittelllafien. 1. Heft. 12. Aufl. 71 ©. 0.30 Mart‘ 
IV. Heft. Für Mittelllaſſen. 2. Heft. 12. Aufl. (72—111) S. 9,20 M. 
V. Het. Für Oberllafen. 1. Heft. 10. Aufl. 92 ©. 0,40 M. 

VI. Heft. Für Oberllaflen. 2. Heft. 10 Aufl. (93—172) S. 0,40 M. 

VO. Methodiſches Handbuch zu dem Unterklaſſen⸗Rechenbuch für den Lehrer. 
4. Aufl. 95 ©. 0,80 Mar 

VIH. Antworten zum 3. und 4. Seh (für Mittelklaſſen). 4. Aufl. 45 ©. 


0,50 Mark. 
IX. Antworten zum 5. und 6. Heft (für Oberflafien). 5. Aufl. 40 Z 
0,50 Marf. 


Wir haben diefe Arbeit mehrmald angezeigt (Päd. Jahresber. XV, 
96. XVIH, 100. XXII, 35). Einen Fortfchritt vermögen wir nicht 
zu entbeden. Doc möge das „Vorwort für die, welche es angeht, 
mitgetheilt werden: „Bon dem vorliegenden Rechenbuche beftanden 
— unter Berüdfichtigung der verichiedenen Münz, Maps und Ge: 
wichtsſyſteme Nord» und Süddeutſchlands — bisher zwei verſchiedene 
Ausgaben: a. Ausgabe für Norbbeutfchland von 2. „wachen, 


132 Mathematik, 


b. Ausgabe für Sübbeutfchland von A. Haefters und Ph. Röhm. — 

Seit der Herftellung eines einheitlihen Münz, Maß⸗ und Ge- 

wichtsſyſtems für das ganze Deutſche Reich ift ein zureichenber 

Grund für das Fortbeſtehen diefer getrennten Ausgaben nicht mehr 

vorhanden. Das 2c. Rechenbuch ift daher — unter gefälliger Mit- 

wirlung der praktiſchen Schulmänner 5. W. Meyer und Chr. 

Scholten zu Budberg — in ber angebeuteten Richtung umge 

arbeitet und erfcheint von nun an in einer einzigen Ausgabe, für 

die „beutfche Volksſchule.“ Die urjprünglicden 3 Hefte find in 

6 getheilt worden, — „um bie Anjchaffung zu erleichtern“. 

5. Kameke, 9. F. Der Schnellrehner. Lehrbuch des geiammten Rechnens ein- 
fhließlih des Rechnens mit den neuen deutfchen Reichsmünzen umb den 
metriihen Maßen und Gewichten nah der neuen Schnellrechenmethode. 
Zum Gelbftunterriht. Neueſte Aufl. Gütersloh, C. Bertelömann, 1874. 
320 S. 3 Marl. 

Bon bdiefer „neueſten“ Auflage des Schnellrechners ift die Be: 
fiimmung ‚für Schulen” weggefallen und zwar mit Net. Wenigftens 
für Schulen, in denen das Denken methodiſch gelernt werben foll, 
gebt das Buch viel zu jchnell und läßt nicht einmal die Auflöfung 
durh den Schüler jelbft finden. Die Rechenfertigkeit, welche ber 
Verfaſſer vorausfegt, brauchen verhältnigmäßig nur wenige Menſchen, 
und da die Hauptſache nicht ſowohl die Einficht, als vielmehr viele 
Uebung iſt, fo gebt für wichtigere Dinge bie Zeit verloren. Wer 
aber ſchnell rechnen muß, der mag ſich getroft an Herrn Kameke 
wenden. Wer mathematifch geſchult ift, findet die Ablürgungen von 
felbft und noch viele andere, die das Buch nicht lehrt. Für den Zweck 
deſſelben ift die Aufnahme der Progreifionen, Gleihungen und Loga⸗ 
rithmen recht wohl geeignet. 

6. Kleinpaul, Dr. Ernft, Rector in Barmen, Aufgaben zum praftifchen 
Rechnen für Real⸗ Handeld-, Gewerbe» und Bürgerfchulen. 8. Aufl. 
Leipzig, 1874. Rangewiefche’8 Verlagshandlung. 200 S. 1,80 M. 
Mir haben diefes Buch ſowie die dazu gehörige Anweiſung öfters 

im Jahresberichte (XXV, 142. XXID, 20. XVII, 106. XV, 100, 
womit X, 276 zu vergleichen) mit Anerfennung hervorgehoben. Aud 
ber gegenwärtigen Auflage fann das den früheren gefpenbete Lob nicht 
verfagt werben. In den „Antworten für die Aufgaben zum prakti⸗ 
ſchen Rechnen“ fpricht fich der Verfafler über vier Buncte aus. Mit 
den brei letzten bin ich einverflanden, aber nicht ganz mit dem erften. 
Zwar Tann und fol das Rechenbuch den fachlichstheoretiichen Unter: 
richt des Lehrer nicht erfegen, jondern ihn fügen und zu befeftigen 
ſuchen; aber die Fragen nad den klar gemachten Begriffen, nad) ben 
entiwidelten Regeln, nad den erllärten technifchen Ausbrüden find 
doc wohl nicht fo nöthig, ald der Verfafier meint, wenn man nur 
ben Rechenunterricht an die Erfahrung des Schülerd anfchliegt und 
bie Repetition nicht vernachläſſigt. 

7. Fritze, 2, Lehrer am Königl. Schullehrer-Seminar zu Droffen, C. Sells 
heim Lehrer an der böhern Bürgerſchule und C. Niendorf, Lehrer an der 


Mathematik. 133 


böhern Töchterſchule zu Reuftadts@berswalde, Sammlung von Aufgaben 
für den Rechenunterricht. Brandenburg a. H, Adolph Müller. 1874. 
1. Sahlenraum von 1—10 und von 1—-100. 16 ©. 0,15 M. 

I. Die vier Species mit unbenannten Zahlen. Zahlenraum von 1—1P00. 
Unbegrengter Zahlenraum, Leichte Brüche. 44.(4.) Zaufend. 24©. 0,20M. 

DI. Dte vier Speries mit benannten Zahlen. Regeldetri. Zeitre nung. 
Borübungen zur Bruchrehnung. 31. (1.) Zaufend. 24 ©. 0,25 M. 

IV. Die vier Species mit gemeinen und Decimalbrühen. Regeldetri. 
25. (1.) Taufend. 24 &. 0,25 M. 

V. Aufammengefepte Regeldetri, Zins⸗, Procent-, Rabatte, Geſellſchafis⸗, 
Miſchungs-, Termin⸗ Tauſch⸗ und Wechfelrehnung. 35 S. 0,30 M. 

Antwortbüchlein zu Heft III. 36. ©. 0,50 M. . 

Diefe für gewöhnliche Schulverhältnifle zufammengeftellten Auf- 
gaben haben wir bereits (Päd. Jahresber. XIX, 81. XXIII, 15) an» 
gezeigt und ihrer Beitimmung gemäß mit ein paar Worten charalte- 
rifirt. In den uns jegt vorliegenden Heften mollen wir die Bruch 
zechnung anfehen. Sie beginnt im II. Hefte mit „leichten Brücken”. 
Hier kommt eigentliche Bruchrechnung gar nicht vor, aber diejelbe wird 
praftifch vorbereitet. Die Vorübungen im III. Hefte Inüpfen genau 
an das Gelernte an und fchließen, abgejeben von ber Verwandlung 
ganzer und gemifchter Zahlen in Brühe und umgekehrt, mit eigent- 
Iichen Bruchrechnungen nur mit Aufgaben bon den Formen 


a, ba_b 2m . 
ta mn yin 
Das iſt Alles recht gut. Ebenſo innig Tnüpft hieran das 10. Heft 
feine Aufgaben; aber bie brei Abſätze 32—34 ſcheinen mir völlig 
undurchſichtig. Im Uebrigen fei die Sammlung beftend empfohlen. 


8. Köpp, G., Lehrer am Großherzoglichen Schullehrer-Seminar zu Bensheim, 
Autgabenfammlung zum ſchriftlichen Rechnen nach der neuen Münz⸗, Maß—⸗ 
und Gewichtsordnung. Bensheim, Ehrhard u. Comp. 

1. Die vier Brundreänungsarten im Zahlenraum von 1 bi8 100. 17. Aufl. 
1874. 24 ©. 

II. Die vier Grundrechnungsarten in unbenannten und gleichbenannten 
größeren und ganzen Zahlen. 21. Aufl. 1874. 24 ©. 

III. Uederfiht der Münzen, Maße und Gewichte. Das Mefolviren und 
Reduciren. Die vier Rehnungöarten in ungleiäbenannten ganzen 
Zahlen, die Anwendung derfelben im gewöhnlichen Gefchäftsrechnen. 

ie roͤmiſchen Zahlzeichen. 20. Aufl. 1874. 48 ©. 

IV. Die vier Grundrehnungsarten in unbenannten, gleich)“ und ungleich: 
benannten Decimalbrühen und gemeinen Brüchen. 14. Aufl. 1873. 


48 ©. 

V. I. Die gewöhnlichen Gefhäftsrehnungen, insbefondere Ein- und Bers 
Saufös, Arbeiter, Erwerbö-, Grtrage- und Gewichtöberehnungen, Ders 
wandlungds und Zaufhrechnungen in Dreis, Künf- und Dielfapauf- 

aben. II. Die gewöhnliden Handelörechnungen, indbefondere Procents, 
Sins oder Intereſſen⸗ Termin⸗, Nabatt-, Zaras, Gewinns und Ber: 
Iuf-, Geſellſchafts- oder Theilungs-, Durchſchnitts⸗ und Miſchungs⸗ 
rechnungen. 2. Aufl. 1871. 49 ©. 

9. Köpp, ©., Auflöfungen ac. IIL.—V. Heft. 1871. 1872. 


Wir berufen und auf unfere frühere Anzeige (Päd. Jahrber. XXIV, 
27—29), in der beziehungsweiſe bie 2., 2., 4., 3., 2. Auflage kurz 
charakteriſirt wurde. 


134 Mathematik. 


10. Boſſe's Rechenbuch für bie Volloſchule. Neu herausgegeben von Eduard 
Rangenber . Gütersloh, C. Bertelömann. 

L Rechenfibel, umfafiend die Zahlen von 1—100. 32 &. 20 Bf. 

U. Die vier Species in ganzen Zahlen. 32 ©. 20 Pf. 

III. Die vier Species in benannten ganzen Zahlen. 40 &. 20 Pf. 

IV. Brudrehnung und Regelbetri. 72 ©. 30 Bf. 

Der Herr Verfafier hat fehr erhebliche Veränderungen und zwar 
durch dieſe Verbefferungen vorgenommen. Sm I. Hefte find bie 
Zahlenbilver und Hiffern von 1 bis 10, fowie der Zahlenraum 
von 10, 20 ꝛc. bis 100 anjchaulic vorgeführt und, wo nöthig, 
Klammern in Anwendung gebradht worden. Einzelne Zufäge follen 
das Verftändnig ber Rechenoperationen erleichtern und die Sicherheit 
berfelben fördern. Das Einmaleins am Schluſſe ift ganz ziwedmäßig 
nur angedeutet. 

Sm II. Hefte ift die Zahl der Aufgaben bedeutend vermindert, das 
Numeriren, worin aller Stufengang fehlte, gänzlich verändert, neben 
dem großen unb Heinen Einmaleins die „grandiofen” geographiſchen 
und ftatiftiichen Aufgaben weggelafien, dagegen einige Bemerkungen 
zu den Operationen und Bortheilen beim Multipliciren und Divibiren 
angedeutet worden. 

Das III. Heft bat die Duabrat» und Cubilmeter als zu ſchwierig 
befeitigt, die Aufgaben bebeutenh verändert und ihre Zahl vermindert, 
zumal viele derfelben für die Schüler zu ſchwer waren. 

Sm IV. Hefte find die Decimalbrücdhe mit ben gemeinen Brüchen 
in die innigfte Verbindung gebracht, deshalb viele gemeine Brüde in 
Decimalbrüche verwandelt, große Brüche mit Kleinen vertaufcht, Brud- 
pfennige, Bruchpfunde u. |. m. vermieden, eingelleibete Aufgaben weg⸗ 
gelafien, die Flächen und Körperberechnung ber folgenden Stufe 
überwiefen, „weil jegliche Vorbereitung zum Verſtändniß berfelben 
bier fehlte”. Daher kann die Arbeit in der That eine verbefferte 
genannt werben. 

11. Riepoth's praktifches Rechenbuch oder Aufgaben zum Ichriftlichen Rechnen 
für Schulen von Eduard Würth, Reallehrer in Bingen, nad dem 
metrifhen Maß⸗ und Gewictss, fowie dem neuen Münz⸗Syſteme umge 
arbeitet. 9. Aufl. Bießen, Emil Roth. 1874. 

Lehrgang III. Die vier Grundrehnungen in unbenannten, gleich⸗ 

und ungleihbenannten Zahlen. 73 ©. 

Lebrgang IV. Die vier Örundrehnungsarten in gemeinen und Decimal» 

bruden. 76 ©. 

Lehrgang V, 1. Megeldetri und verwandte Rechnungkarten. 74 ©. 

Man vergleiche die frühere Anzeige (Päd. Jahresbericht XXIIL, 29. 
EN, 150), aus der erhellt, daß fich die Praktiker der Arbeit fleißig 

ienen. 

12. gern, Ehriftian, Profeffor an der Realfhule in Oldenburg, und Dr. 

Ibert Kudud, ord. Lehrer am Berliniſchen Gymnaflum zum grauen 

Klofter in Berlin, Rechenbuch für Bymnafien, Realfchulen, Gewerbeſchulen. 
ea (anlen, Seminare zc. 3. Aufl. Oldenburg, Gerhard Stal: 

ig. . 

Zu unferer Anzeige (Päd. Jahresbericht XXIII, 25) fügen wir aus 
der Vorrede Folgendes hinzu. Das Buch enthält nur Aufgaben. Jede Art 











Mathematik. 135 


der in den Rechenbüchern gewöhnlich ganz nach Hinten oder auch in 

den zweiten Theil geftellten Aufgaben über Zins-, Geſellſchafts⸗, 

Blächen- und Körperredinung ze. hat ihre Elemente. Diefe find von 

vornherein mit in Anwendung gezogen, damit ber Schüler, jo mit 

Aufgaben dieſer Art vertraut gemacht, nicht zuletzt vor etwas ſchwie⸗ 

rigeren derartigen Aufgaben ftuig werde. Dabei find die angewandten 

Aufgaben jo gefaßt worden, wie fie im Leben aufzutreten pflegen: 

der Schüler joll dadurch von vornherein daran gewöhnt werden, aus 

ben bHinzugefügten Rebenumftänden bie eigentlich zu rechnende Auf⸗ 
gabe Herauszufinden. — Dies ift, beiläufig gefagt, vor mehr als fünfzig 

Jahren gelehrt worden. — Das Buch fol Borftufe für die Arith- 

metif fein, aljo Klammern und Potenz! Als ich im Jahre 1840 zu 

unterrichten anfing, fand id) bie erfteren ſchon vor und mit der Potenz 
machte ich 1844 im gewöhnlichen Nechenunterricht den Anfang und 
habe jeitbem nach Unger's Vorgange, wo fich Gelegenheit fand, 
gegen den willkürlichen Abſchluß mit dem Product geredet. Die drei 

Stufen der Währungszablen, in Potenzen von 10, Halbpotenzen und 

ven englifchen find jehr zweckmäßig, liegen aber auch ganz nabe. 

Die Brucdhmethode ift 1842 von Grube eingeführt und ich Iernte fie 

fchon früher am Eifenadder Gymnafium kennen. Doch ſoll mit biejen 

Bemerkungen der päbagogifche Werth der in der That ſehr werthvollen 

Sammlungen in feiner Weiſe angetaſtet werben. 

13. Marbad, J. &., Arithmetifches Exempel⸗Buch für Vollsfhulen. Ein 
Sülfsmittel ir den Unterriht im ſchriftlichen Rechnen. GSchleufingen, 
Conrad Glaßer. 

J. Die vier Species in aleichbenannten Zahlen. 24. Aufl. 1873. 48 S. 

II. Die vier Species in ungleichbenannten Zahlen. 24. Aufl. 1874. 56 ©. 

II. Die Bruchrechnung. 23. Aufl. 1874. 63 & 
IV. Regeldetri, Zins- und Procents, —2 Bermiſchungerechnnug, 
Flaͤchen⸗ und Korperberebnung. 12. Aufl. 1874. 

14. Marbach, Refultate zu den Aufgaben. IL—IV. Heft. —& 

Im Päd. Jahresberichte vom Jahre 1872 ©. 19 wurden von I 
und II beziehungsmweife die 16. und 18. Auflage angezeigt. Man 
hen aljo, daß die Aufgaben fleißig benugt werden. 

. Göätotterbed, B. Aufgaben für das praftifche Rechnen. Heft VIII, 6. 

Aufl. Schwerin i. M., A. Hildebrand’s Verlag 1874. 48 ©. 50 A 

"Dicke Heft, welches das geiverbliche Rechnen enthält, bietet 1) 
Aufgaben zur Repetition und Ergänzung: a) aus ben vier Specied 
in ganzen und gebrodgenen Zahlen, b) Preisberechnungen, c) Arbeits- 
zit und Arbeitskraft, d) -Procentbeftimmungen, e) Theilung- und 
ae. für Aufgaben aus der angewandten Mathematik; 
2) Herftellungs-Salculationen und Koftenüberichläge;, 3) Rechnungs⸗ 
und Buchführung. Die Aufgaben des erften Theils wiederholen und 
ergänzen nicht nur, fonbern bereiten auch auf bie beiden legten Theile 
in mehrfacher Welle vr. 

16. goednl ‚®.. a Oymna al ver am Königl. Andreanum zu Hildes⸗ 

ehenbud für Gymn eal- und höhere Bürgerfäänlen. Hildes⸗ 

—* Gerſtenberg'ſche —— 1874. 


136 Mathematik. 


J. Die vier Grundrechnungen mit unbenannten und benannten Zahlen, 

ehntheiligen und gemeinen Brüchen. 8. Aufl. 176 ©. 1M. 
I. Die zuſammengeſeßzten Rechnungsarten. 6. Aufl. 188 S. 1M. 
Wir haben dieſe Sammlung ſeit dem Jahre 1858 begleitet und 
ihren Inhalt als gut und zweckmäßig bezeichnet (Päd. Yahresber. XIII, 
75—77. XVIII, 101. XXI, 35). Die neuen Maß-Beitimmungen 
machten fpäter einige Abänderungen nothwendig (Päd. Jahresber. XXIV, 
S. 41). Da bie Einführung der Reichsgoldwährung nahe beborfteht, fo 
bat der Verfaſſer die alten Münzen durchweg beieitigt. Die beiden 
erften Abfchnitte bes eriten Theils wurden davon meniger getroffen, 
als die folgenden, in denen ganze Partieen nicht nur umgerechnet, 
fondern auch ganz umgearbeitet werden mußten. Im zweiten Theile 
ift ein Abſchnitt eingefchoben, welcher von den Eigenfchaften der Zahlen, 
Quadrat» und Cubifwurzeln handelt. Die Facturen des IX. und bie 
Calculationen und Contocorrenten des XV. Abjchnittes find größeren 
kaufmänniſchen Geſchäften entlehnt worden. Der neu eingefügte -Ab- 
ſchnitt bebanvelt die arithmetifche Reihe, Probucte und Uuotienten in 
ber Nähe von Potengen von 10, Multiplication und Divifion mit 11, 
25, 125, Theilbarfeit der Zahlen, geſchloſſene und periodifche Decimal- 
brüche, Quadrate und Quadratwurzeln, Guben und Cubikwurzeln. 
Aber eine Vorbereitung für den darauf folgenden arithmetifhen Unter 
richt ift hier nicht zu erſehen. 
17. Budenau, Prof. Dr. Irz., Vorſteher der Mealfchule zu Bremen, Auf⸗ 
gaben zum bürgerlihen Rechnen. Halle, Hermann Befenius. 1874. 
I. 1. Heft. Zahlenraum von 1—1000. 6. Aufl. 106 &. — 2. Heft. 
Zahlenraum von 1—100,000. 5. Aufl. 55 & 1,60 M. 

II. 1. Heft. Ganze und Decimalen im unbeſchränkten Zablenraume. 4. 
Aufl. 88 ©. — 2. Heft. Gemeine Brüde, Regeldetri, Procentrech⸗ 
nung und Verwandtes. 4. Aufl. 90 ©. 1,60 M. 

Da das Material in jeder Beziehung forgfam ausgewählt und 
geordnet ift, fo genügt die Hinweifung auf unſere frühere Anzeige 
(Päd. Jahresber. XXIII, 25). 

18. Zofeph, Hirſch. Neues Rechenbuch für das Deutfche Reich nach der neuen 
deutfchen Reihswährung und dem neuen Metermaße und Gewichte für 
den Handels⸗ und Gewerbeftand, fowie für jeden Gefhäftsmann, der, ohne 
die Handlung erlernt zu haben, im reiferen Alter das kaufmännifche Rechnen 
nebft der Decimalbruchrechnung ohne Lehrer, durch fich ſelbſt erlernen will. 
Auch zur Benubung für Lehrer beim Rechenunterrichte einer Bolls⸗ und 
Gewerbefhule. 2. Aufl. Magdeburg, Heinrichshofen'ſche Buchhandlung. 
1874. 262 © 3M. 

Der Zweck des Buches ift auf dem Titel im Allgemeinen genau 
bezeichnet. Es ift der Hauptſache nad zum Selbititubium beftimmt 
und mag auch dem Lehrer zum Nachſchlagen gute Dienite leiften. Die 
Operationen find ſehr ausführlihd und Har und. deutlich beichrieben, fo 
daß fie von Jedermann begriffen werben können. Außerdem vergleiche 
man die Bemerkungen im Päd. Jahresber. XIX, 95. XXIV,. 42. 46. 
19. Belgardt, Dr., Borfieher einer Knaben und einer Töchterſchule auf der 

Friedrichſtadt zu Berlin, und W. Schäfer, ordentlichen Lrhrer an der König» 

ſtädtiſchen Realſchule zu Berlin, Rechenaufgaben zum Schulgebraud. Drittes 

Heft. 7. Aufl. Berlin 1874, Theodor Thiele. 64 &. 650 Pf. 


Mathematik, 137 


Diefes dritte Heft enthält die Brüde. Wir find aber nicht fehr 
davon erbaut. Obgleich wir viele Male und an verfchiebenen Orten 
bie Ianbläufige Behandlung aus piychologifchen Gründen zurückgewieſen 
haben, jo haben die Anhänger derſelben es boch nicht ber Mühe werth 
erachtet, auch nur ein Wort der Entgegnung vorzubringen. Ich werde 
baber von jett an die fo oft gerügte Behandlung ber Brüche ohne 
Weiteres für mißlungen erflären. Und das foll Hiermit mit ber vor⸗ 
Itegenden Auflage gejchehen. 

20. Zwidy, M., Lehrer der Mathematik an der Cantonsſchule in Bern, Auf- 
gabenfommfung für den Rechnungsunterricht an ſchweizeriſchen Mittelfchulen. 

. Aufl. L Heft. Züri, Meyer u. Seller. 187%. 40 © Dazu Auf- 

löfungen 2. & 50 u. 40 Pf. 

Diefes I. Heit enthält Aufgaben über die gemeinen und Decimal- 
brüde. Die Entwidelung ift ganz rationell, indem alle voreiligen 
Feagen, die dem Finde faft in unenblicher piychologifchen Ferne liegen, 
erft ihre Antwort finden, wenn es Zeit wird. 

21. &taar, J. L., weiland Lehrer an dem Unterrihtsinftitut für Töchter aus 
den höhern Ständen in Nürnberg, Webungsfloff zum fchriftlihen Nechnen 

mit unbenannten und gleichbenannten Zahlen. 3. Aufl. Nürnberg, 3. 

Stein's Buchhandlung. 1874. 43 ©. 30 Pf. 


Auch dieſes Heftchen tft gerade zu als Mittelgut zu bezeichnen. 
Die Summe 60 m. Zeug + 25 m. Tu + 29 m. Leinwand + 
38 m. Atlas dürfte vor der Logik kaum beftehen. ' 


22. Fir, W., Seminardirertor. Rechenbuch für Volksſchulen. Naſſe'ſche Ver⸗ 
lagebn dbandung 
- Die AUebungen im erſten und zweiten Zehner. (L Abtheilung ber 
Nechenfibel.) 3. Aufl. Soeſt, 1872. 36 S. pr. 
II. Die Uebungen im vollen Babfenkreife 1—100. (II. Abteilung der 
Fechenfibel.) 3. Aufl. Soeft 1872. 56 ©. 2 Ser. 
II. A. enthaltend die leichteren Uebungen mit größeren unbenannten oder 
einfortigen ganzen Zahlen. Münfter 1874. 48 ©. 20 Pig. 
III. B. enthaltend die ſchwereren Uebungen mit größeren unbenannten oder 
einfortigen ganzen Zahlen. Münfter 1874. 40 S. 20 Pfg. 
IV. enthaltend Die Mebungen mit mehrfortigen ganzen Zahlen. Münſter 
1874. 56 &. 30 Pig. 
V. enthaltend die Grundrehnungsarten mit gemeinen und Decimalbrüchen, 
die Regeldetrt und bie einfageren Fälle der Nechnungen des bürgerlichen 
Lebende. Münfter 1874. 96 ©. 0,48 Mrk. 


Die ganze Malerei auf den erftien 12 Seiten ift vergeblich, denn 
Alles, was bier gelernt wird, läßt fich befler an ben wirklichen Dingen 
auffafien. Die fogenannten Bahlenbilder find zwar nicht fo unver- 
ftänbig, wie bei ben meiften übrigen Methodifern, aber dennoch ver 
werflih. Die Aufgaben von S. 13 an halten ſich in reinen Zahlen 
und find gut, zum Schluffe folgen noch 36 einfache Antvendungen, an 
denen ebenfalls Nichts auszufeten iſt. Das IL Heft bietet bis S. 30 
nur Aufgaben in reinen Zahlen, gut ift beſonders die letzte Nr. 55. 
Dann folgen Antvendungen und Aufgaben in reinen Zahlen abwechſelnd. 
Hervorzuheben ift, daß ſchon die Auffafiung des Räumlichen betont 
wird. Die Malereien auf den eriten Seiten im III. A. find ebenfalls 


138 Mathematik. 


unnüg. Das Heft enthält aud zu viel Regeln und andere Belebrungen, 

bie nichts helfen können, weil fie ſchon vorher aus der Einfiht in bie 

Berhältniffe gefhöpft fein müflen. Die Aufgaben in reinen Zahlen 

find vorherrſchend. Ebenfo in IIL B. Hier lommen mancherlei Ab⸗ 

fürzungen, aber leider auch in Form von Regeln vor. Recht gut find 
bie Uebungen S. 36—37. Das IV. Heft weicht nicht weientlih von 
ben Aufgaben anderer Sammlungen ab, benugt aber, was ganz in ber 

Ordnung ift, die Decimalbrucredinung. Das Bruchrechnen im V. 

Hefte fängt beim falihden Ende an. Die angewandten Aufgaben 

fchließen fich aber den befieren an. 

23. Scharlach, I. T. F., Schuldirector in Halle, Ritter des Rotben Adler« 
ortens 4. Al.. Aufgaben zu Uebungen im ſchriftlichen Rechnen für Bürger- 
und Volksſchulen. Halle, Schröbel u. Simon. 

L Das Sufammengählen, and aögieben undenannter und gleidhbenannter 
Zahlen. 6. Aufl. 1873. 56 ©. 3 Sgr 

H. Das WRuttipficiten und Dividiren unbenannter und gleihbenannter 
Zahlen. 5 Aufl. 1874. 46 ©. 3 Sgr 

Il. Die vier Species in ungfeieöbenannten "Zahlen. 5. Aufl. 1876. 54 S. 


IV. —* — Gemeine und Derimalbrüce. 5. Aufl. 1874. 48 ©. 


V. eei Geſellſchafts⸗ Zins⸗ Rabatt⸗, Disconto⸗, Wechſel⸗ 
Termin⸗, Mi fbungs-Rednung, vermifchte und algebraifche Aufgaben. 
4. Aufl. 1874. 79 ©. 4 Ser. 
24. Auflöfungen der Aufgaben zu Uebungen im fchriftlichen Rechnen für Bürgers 
und Boltefhulen von Demfelben. Ebendaſ. 1870 u. 1874. 5 Hefte. 

Mir vermweifen auf unfere früheren empfehlenden Anzeigen (Päb. 
Jahresbericht XI, 202. XII, 136. XII, 81. XIX, 81. XXI, 29), 
25. Zriefhmann, Ed., ordentl. Lehrer an der höheren Bürgerihule zu Hof⸗ 

eismar, Aufgaben für das praftifche Rechnen zum Gebrauch in Volls⸗ 

ulen und den unteren Klaſſen höherer schrank ten bearbeitet, 
Vorſtufe. Zahlenkreis von 1 bis 100. 2. Aufl. Hofgeismar, 2. 
Kefeberg. 1873, 24 ©. 1! Sgr. 
I. Die vier Species mit unbenannten und einfach benannten ganzen 
Zahlen. 3. Aufl. Ebend. 1873. 32 ©. gr. 
U. Refolution. Reduction. Die vier Species mit mehrfach benannten 
Zablen. Zeitrehnung. Leipzig, A. Mentzel, 1874. 28 ©. 20 Bf. 


(2 Ser.) 
OL IV. Die gemeinen und Derimalbrühe. Gbendaf. 1874. 52 ©. à 20 Bi. 
2 T. 
V. Beil Me Be Eanatie und Geſellſchaftsrechnung. Ebend. 1874. 
©. r.). 
VI. aren vor. 8 


VII. Raumberechnungen. Hofgeiemar, L. Aeſeberg. 1871. 40 ©. 5 Sgr. 
26. Reſultate und Andeutungen zur Auflöfung der Aufgaben für das praktiſche 

Rechnen von Ed. Trieſchmann ır. 

Die Aufgaben zeichnen fi dadurch aus, daß fie auch folde für 
das mündliche Rechnen barbieten. Sonft gleichen fie im Allgemeihen 
mehr oder weniger den von andern Rechenlehrern berrührenden Pro⸗ 
bucten und werden baber wit demſelben Erfolge gebraucht werben 
lönnen, wie bie lehteren. 

27. Foͤlfing, Dr., weiland Profeſſor am Königl. franzöflfhen Bymnaflum zu 





Mathematik. 139 


Berlin, Rechenbuch für Gymnaflen, Reale und Bürgerfchulen. 11. Aufl. 
Berlin, %h. Chr. Fr. Enslin. 1874. gerſqh r 


S. 80 Pf. 
H. Ib Pr welcher die Berhältnißgleihungen (Regeldetri) behandelt. 125 ©. 


Wir haben die 9. Auflage im Päd. Jahresberichte (XXIII, 23) 
angezeigt, und wünſchen auch ber vorliegenden 11., welche nach den neueften 
Veränderungen im Maß-, Gewichts: und Münzwefen bearbeitet ift, 
Anerkennung und Verbreitung. 

28. Guth, Fr., Oberlehrer am k. Schuflehrerfeminar zu Nürtingen. Das ver 
bundene Kopf: und Zifferrechuen. Stuttgart, Karl Aue. 

I. Zheil. Die vier Grundrechnungsarſen mit ganzen, vorzugsweiſe ein» 
fah benannten Zahlen. 14. Auf. 1874. 74 © 40 Br 
IN, Theil. Der Bruchſatz in feiner Anwendung auf die Nechenfälle des 

Lebens. 19. Aufl. 1875. 153 ©. 80 Pf. 

Gutb, Fr. 2c., Auflöfungen zu dem verbundenen Kopf⸗ und Zifferrechnen. 
L Theil. 14. Aufl. 1874. II. heil. 14. Aufl. 1874. LI Thetl. 
19. Aufl. 1875. Ebendaſ. 1,70 M. 

jedem mir auf unfere früheren Anzeigen ber Rechenarbeiten bes 
Berfafjers verweilen (Päd. Jahresber. X, 97. XVI, 58. 65. XVII, 110. 
XXI, 18), laffen wir ben Berfafler ſelbſt fprechen: „Die bevor- 
ftebende Einführung der Reihswährung machte eine Umarbeitung 
meiner NRechenbücher, von welchen bisher in jevem Jahre mehrere Auf- 
‚Iagen abgejegt wurben, nothivendig. Wegen bebeutender Erweiterung 
bes Stoffes und um den Schülern die Anjchaffung des Werkchens zu 
erleichtern, wird das biöherige „grundlegende Rechnen” in zwei 
Theilen getrennt audgegeben. Der 1. Theil umfaßt das Rechnen mit 
ganzen, einfah benannten Zahlen für die 3—4 eriten Schul- 
jahre, der 2. Theil daS Rechnen mit mehrfortigen ganzen 
Zahlen fowie mit gemeinen und Decimalbrüden für das 4. 
und 5. Schuljahr; der 3. Theil enthält das „angewandteRehnen“ 
(den Brudi a4) für Oberflaffen und Fortbildungsſchulen. Bei vor⸗ 
ftehender Umarbeitung wurde das in Ausficht ftehende „Programm 
für das Rechnen mit den neuen Maßen und Münzen”, dad eine vom 
8. württemb. Cultminifterium niebergefegte Commiſſion bearbeitete, und 
das mir in freundlicher Weife zur Einficht mitgetheilt wurde, in ben 
allgemeinen Lehrgang eingeflochten. Auch habe ich alle für die Volks⸗ 
ſchule paſſenden Partieen der vortrefflihen, unſern NRechenunterricht 
weſentlich fördernden v. Fiſcher'ſchen Schrift („Methodiſche Grammatik 
des Schulrechnens“) benützt und theilweiſe durch einleitende Uebungen 
zu vermitteln geſucht. Der urſprungliche mit dem württemb. Normal⸗ 
lehrplan übereinſtimmende Lehrgang iſt indeſſen ſo viel als möglich 
beibehalten worden. Kopf⸗ und Zifferrechnen ſind wie in den früheren 
Auflagen auf allen Stufen in der Weiſe verbunden, daß die Kopf⸗ 
rechnungsaufgaben immer vorangehen und das Fifferrechnen vorbe⸗ 
reiten. Das Werkchen will zwar zunächſt eine Aufgabenſammlung für 
die Hand der Schüler ſein; durch eingeſtreute methodiſche Erklä⸗ 
rungen und Winle für die Auflöſung der Aufgaben iſt es aber zu⸗ 


140 Mathematik. 


gleih ein vollftänbiger Lehrgang im Nechenunterricht, dem der Lehrer 
bis ind Detail folgen fann. Er braudt nur bei den SKopfrechnungen, 
die in ber Regel mit „ze. bezeithnet find, weitere ähnliche Aufgaben 
zu Stellen; für das fchriftliche Nechnen reicht das vorliegende Material, 
namentlich bei ausgebehnter Verwerthung ber zahlreichen Uebungstafeln, 
für die meiften Schulen aus, — 

Im Allgemeinen wollte ich mit diefer Rechenaufgabenfammlung 
bie burhichnittlichen Bebürfnifle der Volksſchule befriebigen. Das 
gebotene Material wird in der biefigen breiflaffigen Seminarjäule 
durchgenommen. Ein= und zweillaffige Schulen müfjen daher eine An- 
zahl Aufgaben, namentlich die mit einem Sternen (*) verfehenen, 
fallen laſſen; günftig geftellte Schulen (Mittelfchulen 2c.) können mohl 
Ergänzungen hinzufügen.” | 
29. Hadeler, ©. W., Hauptiehrer in Freiburg a. d. S., Rechenbuch für 

Elementarfhuten. Stade, Kr. Schaumburg. 1874. I. Gurfus, 5. Aufl. 

188 ©. U. Eurfus, 2. Aufl. 180 ©. Ir Curſus, 140 S. Antworten 

befte 15, 30, 24 ©. 

Das Webungsmaterial des 1. Curſus ift in 8 Abſchnitie zerlegt. 
Der erfte umfaßt den Zahlenraum von 1 bis 200 und berüdfichtigt 
bejonders den Uebergang aus bem erften ind zweite Hundert, und am 
Schluſſe die Brühe: Halbe, Viertel, Drittel; ber zweite geht bis 
1000 und zieht bie übrigen Brüche mit Heinen Nennern binzu; ber 
britte bringt die Operationen mit ganzen ein unb mehrjortigen 
innerhalb des Bahlenraumes von 1 bis 1,000,000 zum Abichluß; 
ber vierte lehrt das Rechnen mit Decimalbrüden und die Aniven- 
dungen; der fünfte enthält Regelbetriaufgaben; der fechfte giebt 
Procent:, Waaren⸗ und Geſellſchaftsrechnungen; der fiebente aller: 
lei vermifchte Aufgaben und der achte Aufgaben zur Raumlehre. 
Sonft gleicht dieſer erfte Curjus vielen anderen Aufgabenfammlungen. 
Der zweite Curſus fchließt eigentlih das Penſum der Volksſchule ab, 
läßt daſſelbe wie im erjten Curfus aber in größerer Vollſtändigkeit 
rechnen. Dabei ift Mancherlei umgeftaltet worden, die Decimalbrüde 
haben ſich ausgebreitet, die gemeinen Brüche müfjen fi) mandje Bes 
ſchränkung gefallen laſſen. Die Regelbetriaufgaben werben durch den 
Bruchſatz gelöft. Der britte Curſus geht über die gewöhnliche Volks⸗ 
ſchule hinaus, indem er Verhältniſſe, Gleihungen, Taufmännifce 
Rechnungen, Ausziehen ber Quadrat- und Cubikwurzel und Aufgaben 
zur Naturlehre enthält. Am Ganzen find bie Aufgaben denen in 
anderen Sammlungen ziemlich ähnlich). 

30. Schmelzkopf, J. und A. Ulrich, Rechenaufgaben. Bremen, M. Heinſius. 

I. Seft. 3. Aufl. 1874. 46 ©. 

u. ef 3. Aufl. 1874. 54 ©. 

IH. Heft. 83. Aufl. 1874. 66 ©. 
IV. Heft. 3. Aufl. ohne Jahrzahl. 
V. Heft. 2. Aufl. 1874. 32 ©. 
VI, Het. 2. Aufl. 1875. 59 ©. 

Das I. Heft enthält die vier Operationen in unbenannten Zahlen, 

jedoch mit Antvendungen, das II. die Operationen mit mehrfach be: 


4 S. 





Mathematik. 141 


nannten Zahlen, ebenfalld mit Anwendungen, das III. die Brüche, das 

IV. Regelbetri in Brüchen und die Decimalbrüdhe, das V. die zu⸗ 

inmmengefette Negeldetri, die Zinsrechnung, Discont: und Rabatt: 

chnung, das VI. die übrigen Aufgaben des bürgerlichen Rechnens. 

Die Aufgaben find im Durchſchnitt weder beffer noch ſchlechter als in 

andern guten Rechenbüchern. 

3. Munderloß, H. F. Rector der Stadttnabenfchule, und C. H. Kröger, 
Rector der Stadtmädchenfähufe in Oldenburg, Rechenbuch. Erſter Theil. 
11. Aufl. Oldenburg, Schulze'fhe Buchhandlung 1874. 186 ©. 1,20 M. 
Beigelegt ift ein „Anhang zum Erſten Theil des Rechenbuchs“ 

über zufammengejegte Regeldetri, Zins, Rabatt, Discontorechnung, 

Gewinn und Berluftrehnung, Waarenrechnung, Geſellſchafts⸗ und 

Theilungsrechnung, Flächen⸗ und Körperrechnung, wirthichaftliches 

Rechnen und Aufgaben zur Wiederholung. Wir können dieſe neue 

Auflage nur empfehlen (vgl. Päd. Sahresber. XIII, 77. XIV, 107. 

XXI, 14. XXV, 150). 

2. Bourguin, E. A., Aufgaben für den Unterricht im Rechnen in Elementars 
und Kreisſchulen. 6. Aufl. Dorpat, W. Gläſer's Verlag. 1874. 135 ©. 
Da wir (Päd. Jahresber. XXV, 148. 149) die fünfte Auflage 

rühmenb erwähnt haben, fo mag die Hinweifung auf die angebeutete 

Anzeige genügen. 

33. Ruhſam, Julius, Oberlehrer an der Realfchule zu Annaberg, Aufgaben 
für das praftifhe Rechnen in ben vier untern Rlafen der Realſchulen und 
In den obern Klafien von Elementarfhulen. In drei concentrifch ſich er⸗ 
weiternden Gurfen. 2. Aufl. Hildburgbauſen, Keſſelring'ſche Hofbuchhand⸗ 
lung. 1874. Erſter Eurfus 77 ©. 6 Ser. — Zweiter Curſus 88 ©. 
7 Sgr. — Auflöfungen zum I. Eurfus 34 S. 4 Sgr. 

Diefe zweite Auflage ift vollftändig umgenrbeitet und verbient in 
Folge defien die Empfehlung, die wir der erften mit auf den Weg 
gaben (Päd. Sjahresber, XIX, 78. XX, 44. XXI, 42. XXIV, 35. 36), 
m höherem Grabe. 

34. Keitel, G., Oberlehrer in Dehringen, vollſtändiger Rechenunterricht für 
Volks⸗ und mittlere Schulen nah den neuen Maßen und Dünen und 
dem Gang bed Normallehrplanes gemäß. 3. Aufl. Stuttgart u. Dehringen, 
Auguf Schaber. 1875. I. Eurfus 100 &. U. Eurfus 131 ©. & 90 Pf. 
Da bie leitenden Grundfäge diejelben geblieben find (vergl. Päd. 

Jahresber. XXII, 34. XXIII, 35), und nur das Material in beiden 

Surfen vermehrt und nad Maßgabe des mwürtembergiihen Normal: 

lehrplans der Lehrftoff für die einzelnen Klaſſen genau abgegrenzt und 

im Text durch die Meberjchriften I. Abth. (erſtes Schuljabr), II. Abth. 

A. Di Schuljahr), II. Abth. B. (drittes Schuljahr 2c.) angebeutet 

it, fo mag die Arbeit auf Grund unjerer früheren Anzeige twieberholt 

empfohlen werben. 

35. Uebungsaufgaben im Rechnen, herausgegeben von Zehrern in Chur. Chur, 
Benedict Braun. 


I. Schuljahr. Rechnen im Zahlenraum bis 190. SHeraudgegeben von 
2. Zof, F. Koh und J. Benz. 2. Aufl. 1874. 24 ©. 


142 Mathematik. 


IL Schuljahr. Rechnen im Bahlenraum bis 100. Im Einverfändniß 
mit der offeieden EA von wur, beraußgegeben von ©. 
Wieland und 2 Auf. 1873. 

III. Sau ahr —* bis 1000 ‚Serautge eben von 

Reonb. Soft und Ludwig Ehrift. 2. Aufl. 1873. 

IV. Schuljahr. Rechnen im unbe Bablenraum. —** 
von Leonh. Joſt u. Ludwig Chriſt. 2. Aufl. 1873. 24 ©. 

V. Schuljahr. Rechnen mit gemeinen Brüden. Herausgegeben von 
— in Chur. 2. Aufl. 1873. 24 ©. 

v1. © uljahr. Rechnen mit Decimalbrücen. Derausgegeben von Lehrern 

uſterſchule und Stadtfhule in Chur. 1871. 24. ©. 
VII. Sek. Rechnen an Kortbildungsfchulen und obern Voltaſchule⸗Klaſſen. 
N en von ech | in Chur. 1875. 32 S. Dazu Schluͤfſel 
I und VII 


Die "Aufgaben ſchließen fi in jeber Hinficht ben befieren in 
‚ würbiger Weiſe an und forgen in ihrer Art jowohl für bie rein 
numeriſche Einübung ber Operation, als aud für eine geläufige An⸗ 
wenbung in der Praxis. Sie erweitern auch das Rechnen durch Häus 
fung der Operationen berjelben Art, was 3. B. für die Probucte von 
Wichtigkeit iſt. 

36. Frickhöffer, K. Eonrector, Uebungsbuh zum mündlihen und ſchriftlichen 
Rechnen. oſiãndig neu bearbeitet von J. Welcker, Oberlehrer der 
Putelſczut⸗ auf dem Markt zu Wiesbaden. Erſtes Heft. Zweite Abthei⸗ 
fung. 2. Aufl. Wiesbaden, Chr. Limbarth. 1873. 76 S. 40 Pf. 

Diefes Heft enthält vielerlei nützliches Uebungsmaterial. Man 
Tann viele Kategorieen herausgreifen, welche dieſes beweiſen. So jollen 
> B. bie Zahlen, melde nicht in der Dreierreihe Liegen, angegebeu 
und 3. B. durch 

8—=2.3-+ 2 

bezeichnet werden. Dann wird an gewiflen Puncten ausgezählt und 

gefragt, auf welche Zahl der Dreierreihe man zunächſt Tomme, ſowohl 

aufwärts ald abwärts. Ferner wird gefragt, wiſchent weichen Sahlen 
der Dreierreibe eine gegebene Zahl liegt u |. w. Ebenſo fehlt es 
niht an einfadhen Speculationen, in benen bie — ſich üben 
können. Jede Stufe beginnt ſo zu ſagen von vorn, ſchließt wenigſtens 
an das Vorhergehende an und überläßt die Ausbildung bes Dekadiſchen 
runs ber legten oder wenigſtens einer ber letzten Stufen. 

. Smid, Urend, Rehenftoit für die Oberflaffe der Boltsfchule Leer, W. 

3. Leenderp. 1875. 50 Pf. 

Indem wir unjer Lob der Aufgaben wiederholen, müflen wir es 
einigermaßen noch verſtärken, da ber Verfafler feine Mühe geſcheut 
bat, feine Arbeit zu vervolllommnen. 

38. Scherer, Georg, Großh. Badifher Schulratb in Tauberbiſchofsſheim, 
Rehenaufgaben für Volksſchulen. Tauberbifchofsheim, 3. Lang'ſche Euchanb- 
fung. 1873. Ausgabe für Schufen mit 1 und 2 Lehrern I. III. Heft. 36 
und 31 ©. — Ausgabe für Schulen mit 3 und mehr Lehrern L, IE und 
ID. Het. 32, 33—55, 57—83 ©, 

Die Aufgaben find fammt und fonders angewandte und wechſeln 
nach der Berechnungsweiſe ſtetig mit einander ab. Raum eine Auf: 


Mathematik, 143 


gabe kann nad der Weife der vorhergehenden berechnet werden. Sonſt 

find diefelben tie bie meiften andern, fie bleiben nicht längere Beit 

bei einem Gegenftande, der die Schüler in ber Schule befchäftigt, ftehen, 
fondern fpringen ganz willfürlich vom Einen auf das Andere. So handelt 

(III. Heft) die Aufgabe S. 65 von einem Schweine, einem Frucht⸗ 

händler, einem jemand, der Kleefamen lauft, einer Hausfrau, einer Haus⸗ 

haltung, einem jemand, der Tuch braucht, einem Bette, von eines Jemands 

Cigarren. Das ift aber einmal die loddrige Art unjerer Rechenbücher. 

39. Grüniger, M., Oberreallehrer, Uebungsbuh zu Otto v. Fiſchers 
„Grammatik des Schulrechnens“. Für die Sand des Schülers bearbeitet. 
Erſtes Heft: Die vier Grundrehnungsarten vorzugsweife mit unbenannien 
Bahlen. Stuttgart, 3. F. Steinkopf. 1874. 120 u. 14 ©. 

Die 14 Geiten find als Anhang bezeichnet und entfalten ſoge⸗ 
nannte 27 Tafeln von puren in Buchſtaben und Ziffern ausgebrüdten 
Zahlen. Diefe dienen nun zu allen möglichen verftändigen und uns 
vernünftigen Aufgaben, und es ift gar feine Möglichkeit vorhanden, 
das ganze Penfum im Bereiche der Zahlen durchzuarbeiten. Wir 
unterlafjen ed, näher darauf einzugehen. Denn wenn im Jahre 1874 
noch Sechſer, Groſchen, Kreuzer, Baten vorlommen, wenn bie erfte 
Bahl in einer ſolchen Tafel als „Stück“, die zweite ald Pfennige, die 
Heinere ala Pfund, die größere ald Mark u. f. im. gelefen werben 
follen, jo hört eben aller Verftand auf und ber nadte abftracte Blöb- 
finn tritt zu Tage. Wir halten ein ſolches Lehrmittel für eine päda⸗ 
gogiſche Sünde. Womit das Kind in ber Schule beichäftigt iſt, 
damit fol es auch vechnenb befchäftigt werden, das ift der allerwich⸗ 
tigfte Grund» ober vielmehr Lehrſatz der wiſſenſchaftlichen Pädagogik. 
Die Uebungen find dabei nicht ausgeſchloſſen. Trogbem glauben wir, 
daß die Arbeit Erfolge hat. Es wird fo von Oben her becretirt, 
es ift Alles fo hübſch mechaniſch, das Kind jchreitet in der Zahlenreibe 
vorwärtd® und rüdmwärts, ohne fi im Geringften um bie wirklichen 
Verhältniſſe zu befümmern. 

40. Reeb, Wilhelm, Lehrer an der Lehr, und Erziebungsanſtalt zu Friedrichs⸗ 
dorf, Rechenbuch für höhere Lehranſtalten. Mit befonderer Berüdfichtigung 
des faufmännifchen Rechnens, nach der Reichswährung und dem metriſchen 
Maß⸗ und Gewichtäfyften bearbeitet. 6 Hefte. 2. Aufl. Gießen, Emil 
Roth. 1874. 221 ©. 


Wir geben zur Sharakteriftit den Inhalt an: 1. Zinsrechnung, 
2. Aufgaben über das metrifhe Maß und Gewicht, 3. Zinsrechnung, 
4. vermiſchte Aufgaben, 5. Müngrebuction, 6. Kettenregel, 7. Gewinn: 
und Berluftrehnung, 8. vermifchte Aufgaben; Aufgaben zur Umred- 
nung der noch curfirendben beutichen Silbermünzen in die Reichswäh⸗ 
rung und ber biöherigen Maße in die neuen Maße, 9. Spefenrechnung, 
10. Waarenrechnung, 11. Binsrechnung, 12. Terminrechnung, 13. ver⸗ 
mifchte Aufgaben, 14. Disconto= und Rabattrechnung, 15. Aufgaben 
über geometrifche Verbältnifie und Proportionen, 16. Geſellſchaftsrech⸗ 
nung, 17. vermilchte Aufgaben, 18. Miſchungs- und Münzrechnung, 
19. Zinſeszinsrechnung, 20. Wechſelrechnung, 21. vermifchte Aufgaben, 





144 Mathematik. 


22. Wechſelrechnung, 23. Staatöpapier- und Actienrechnung, 24. Waaren⸗ 
rechnung, 25. Contocorrente, 26. vermifchte Aufgaben. 

Man wird aus diefer Aufftellung leicht erfennen, daß bie Rech⸗ 
nungen, welche ſchwerere und leichtere Theile haben, "methobif ch nad 
der Schwierigfeit georbnet find; ebenfo find die Erklärungen der Be- 
griffe danfenswertb. Aber man prüfe doch endlich einmal, was höhere 
Lehranftalten verlangen und nicht verlangen, weil fie es nicht brauchen. 
Nicht nur, was der Verfafler bietet, fondern auch gar Vieles, was 
fonft den höheren Lebranftalten, namentlich den Realſchulen und den 
Gymnafien zugemuthet wird, führt viel zu weit von ber allgemeinen 
Bildung ab und in die kaufmänniſche hinein. Die Erklärung ift leicht 
zu finden. Die Kaufleute haben Gelb, fie und bie ihnen verwandten 
Geſellſchaftskreiſe ſtellen das Hauptcontingent namentlich für die Real- 
ſchulen, aber auch für die Gymnaſien, das unfittliche Berechtigung 
weſen thut noch das Möglichfte, um beiberlei Anftalten mit Elementen 
zu bevölfern, denen an höherer allgemeiner Bildung nicht? gelegen ift, 
die gar den Curſus nicht durchmachen wollen, aber doch für das „Ge⸗ 
ſchäft“ zugeftugt werben follen. Da wird nun alles Mögliche in die 
Unter: und Mittelllafien verlegt, obgleich das, was Herr Reeb voraus⸗ 
fett, volllommen genügen würde. Und wenn Stenntniß der Brüche 
und der Regelbetriaufgaben borausgefegt werben, was foll man ba 
den Schüler noch mit Aufgaben wie „3,225 Meter find wie viel 
Decimeter ? beheligen Muß er da nicht nat an den Schuhen ab- 


gelaufen haben, da > von 10 — 2 = 62 ift? Muß er bie lange 
Calculation ©. 81 hurönebmen, ohne vielleicht von ber Sache ſelbſt 
das Mindefte zu verftehen ? Zernt er bie geometrifhen Verhältnifje und 
Proportionen nicht am leichteften und ficherften in ber Geometrie, 
und welche nennenswertbe Hülfe bringen fie ihm in der fogenannten 
Geſellſchaftsrechnung? Oder wird der auf ber Nealichule ober dem 
Gymnaſium Gefchulte die Aufgabe: „Bon einer Waarengattung Toftet 
das Kg. 22 Mk.; von einer andern 12 ME. Man will aus beiden 
Sorten eine Mitteljorte & 18 ME. per Kg. heritellen, wie bat man 
zu mifchen ?“ in folgender Weile: 





18 1 3 

2 -ı4=1KE.| —-ı=7K.=7 > 3 Tell. 
| 1 2 

12 4— 6 — 1K. Hi KR —  — 2 Lheile 


löſen? Wird er nicht vielmehr ſchließen: 
22x+ 12 (1 — x) = 18 
22 x H 12 — 12 x = 18 
10 <=,1-}, I: - 2 
Wird er nicht endlich bei Zinfeszinfen und vielen anbern Rech—⸗ 


Mathematik. 145 


nungen die Logarithmen anwenden und ſeine durchſichtigen allgemeinen 

Formeln, die er jederzeit wieder ableiten Tann, gebrauchen ? Kurz, man 

fcheide endlich aus ben höheren Anftalten den überflüfligen faufmänni- 

fhen Wuſt aus, wenn man erziehen und rationell unterrichten will. 

Wer rechnen kann und die Berhältniffe kennt, um bie es fich handelt, 

fann auch berechnen. Wer bejondere Hebung dafür braucht, findet in 

der Praxis mehr als zu viel Gelegenheit. Einen, der das Gymnafium 
durchgemacht hat, ekelt das Meifte geradezu an und er benugt bie 

Hülfsmittel, welche ihn fehneller, Leichter und ficherer zum Ziele führen. 

An den Aufgaben ſelbſt haben wir nad) bem allerdings falfchen 
Ziele derjelben nichts auszuſetzen mit Ausnahme ber fchon zu leichten 
ragen, wozu auch ſolche mie: „was verſteht man unter einem Qua⸗ 
dratmeter?“ zu zählen find. 

41. Dorn, 3, Seminar: Hauptlehrer, und P. Nakel, Seminarlehrer, Aufgaben 
zum febriftlichen Mechnen. Neuntes Heft. Die Decimalbruchrechnung, das 
Autzichen der Quadrat- und Eubifwurzeln, fowie Flächen und Körperbe- 
tehnung. DOber-Glogau, Heinrih Handel. 1874. 34 ©. 2 Ser. 

Es ift gewiffermaßen eine Verfündigung an den Augen der Kinder, 
wenn man die gemeinen Brühe und die Decimalbrüde in Kleinen 
Ziffern abbruden läßt. Das ift eigentlich das Einzige, was ich im 
Allgemeinen an diefer Aufgabenfammlung auszufegen abe; denn abs 
geſehen von den rein theoretifchen Webungen bietet fie ſehr hübſche 
und aud; nicht wenige Anwendungen. 

42. Walter, ©, Rechenbuch für Trittelfchulen. Im Berein mit Eoflegen der 
Knabenfchule in Bremerhaven bearbeitet. Bremerhaven, 2. v. Vangerow. 
1874. 4 Hefte. 46, 57, 51, 54 ©. 3,00 M. 

Weshalb dieſes Rechenbuch, weldes erft zur Hälfte vorliegt, 
„Rechenbuch für Mittelſchulen“ genannt wird, ift nicht recht abzufehen ; 
denn das ganze Material, welches in ben 4 Heften dargeboten wird, 
Batte ich in meiner einclaffigen Dorffchule ſchon im 10. Jahre abjolvirt. 
Das fchriftliche Nechnen tritt etwas ſpät ein, nämlich nachdem ber 
Schüler bon mit den Zahlen von 1 bis 100 befannt if. Das it 
eigentlih auch in ber Drbnung und läßt fih in einer Schule mit 
8 Glafien gut durchführen. Die Eurje beginnen nun immer wieder 
bon vorn und ſchließen eine Erweiterung an, was didaktiſch ganz 
richtig if. Anfangs dominiren die Aufgaben in reinen Zahlen, was 
ebenfalls, da ber mündliche Unterricht ſich jedenfall viel mit An- 
wendungen beſchäftigt hat, und da Fertigkeit erzielt werden muß, echt 
pädagogiſch if. Der Fortſchritt wird alfo auf doppelte Weile zu 
einem ftetigen, indem einmal erft allmählig zu größeren Zahlen über- 
gegangen wirb, und bann die Anwendungen fich innerhalb des Zahlen- 
gebietes halten. Die Uebungen im Rechnen mit Decimalftellen be⸗ 
ginnen erft im zweiten Abfchnitt des dritten Heftes. Die Decimal- 
brüche gehen überhaupt voraus und das Rechnen mit gleichnamigen 
Brüchen beginnt erft am Ende des vierten Heftes. Daher ift an 
biefem Gange, da ex auch in den einzelnen Stufen ftetig fortichreitet, 
nichts auszufegen, fondern vielmehr viel daran zu loben. Aber bie 

Bäb. Zahresberit. XXXII. ‘10 


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[4 


Mathematik. 147 


der becimalen Brucdeinbeiten an bie Untertheilung ber Wertbeinbeit 

(Marl) und ber Längeneinheit (Meter) anfnüpft, aber dem nächſten 

Bedürfniß entſprechend nur bis zu den Taufendteln geführt wird“. 

Der Decimalbruch if ferner ein Multiplicator ober Divifor. Das 

wichtigfte Heft ift das 4., welches in ganz angemefjener Weife die 

Lehre von den negativen Zahlen, den Botenzen, Wurzeln und Logariths 

men, ber Gleichungen und Proportionen und der Reihen entwidelt 

und bie Lehren mit wohlgewähltem Uebungsſtoffe verfieht. 

46. Gteinbrenner, U., Lehrer der Mathematik am Gumnaflum zu Heidelberg, 
Der arithmerifche Unterricht in den unteren und mittleren Klaſſen der 
Bürger, Reals und Handelsſchulen, Bymnaflen und Knabeninſtituten (?). 
ine Sammlung foflematiich georbneter Aufgaben für das mündliche und 
ſchriftliche Rechnen. II. Curſus. Grbauen der höheren Zahlordnungen; 
die vier Rehnungsarten mit unbenannten und gleichbenannten größeren 
Zahlen. Mannheim u. Straßburg, 3. Bensheimer. 1874. 63 © 1 M. 


Sehen wir von dem „Erbauen‘ ber höheren Zahlenorbnungen ab, 
fo giebt diefer 2. Curſus Aufgaben über bie vier eriten Rechnungs⸗ 
Arten mit vorhergehenden Erklärungen und nachfolgenden ragen, 
Bemerkungen und Lehrſätzen. Jede Rechnungsart ift mit Aufgaben | 
für das mündliche und fchriftliche Rechnen und jede diefer Abtheilungen 
mit Aufgaben in reinen Zahlen und Anwendungen bedadt. Jede 
Diefer Arten von Aufgaben zeigt nicht nur eine ziemliche Mannigfaltig- 
keit, fondern auch verfchiedene Auflöfungen. Die Kopfredhenaufgaben 
find natürlich entiprechend leichter, als die für das fchriftliche Rechnen. 
Die Arbeit wird ſich neben anderen ihr ähnlichen ficher Bahn brechen. 
471. Bräſicke, Eduard, Dr., Der deutfche Rechenmeiſter oder die Kuuft, in 

30 Stunden alle arithmetifchen Aufgaben ſchnell und ficher Idfen zu Iernen. 
13. Aufl. Berlin, Zulius Imme's Verlag 1874. 4 M. 

Wir haben den Titel abgekürzt, da und nur 48 Seiten vor⸗ 
Itegen und ba wir auf unfere empfehlende Anzeige (Päd. Jahresber. 
XXI, 39) verweijen Tönnen. 

48. Eulenhaupt, Earl W., Lehrer in Würzburg, Handbuch für den Uns 
terricht 2. III. Abtheilung. Aufgaben für Kopfs und Bifferrechnen. 

1. Heft. Die Grundrechnungen mit reinen, mit einfach und mehrfach be- 

nannten Zablen enthaltend. Bamberg, Buchner'ſche Buchhandlung. 1874. 
4885. 4 Sır. 

Mie weit das Rechnen fchon vorausgenommen ift, läßt ſich nicht 
genau angeben, wahrjcheinlich werben aber die Operationen im Zahlen⸗ 
raume von 1 bis 100 als befannt vorausgeſetzt. Nun folgen 1. Vor 
Übungen in reinen und einfach benannten Zahlen nad den Dpera= 
tionen georbnet, erft in reinen Zahlen, dann in Größen. Hierauf be= 
ginnt das Lifferrechnen, welches aber wiederum feine Abjchnitte für 
das münblidhe Rechnen hat und nad den Operationen und innerhalb 
derjelben nad reinen Zahlen, einnamigen und mebrnamigen Größen 
geordnet if. Die Aufgaben find im Ganzen recht gut gewählt. 

49. Ernſt, G., U. Fellner, U. Frühwirth und J. Muder, Rechnungs⸗ 
aufgaben für Schüler der Volks⸗ und VBürgerfhulen. Mit Durchführun 
des neuen (metriihen) Maße und Gewichtes verfaßt. 4 Hefte. Wier 


10* 


148 Mathematik. 


A. Pichler's Wittwe u. Sohn. 1873—1874. 4 Hefte 49, 40,63, 89 S. 

15 Kr. — 3 Sgr., 12 Kr. — 2,4 Sgr., 20 Kr. — 4 Sgr., 30 Kr. — 

6 Sgr. 

Es ift nicht leicht, diefe Arbeit zu charakterifiren, denn fie enthält 
nicht weniger ald 166 coorbinirte Übjchnitte, in denen oft die Auf- 
gaben beim erften Anblid jo zu jagen wie Kraut und Rüben durch ein 
ander zu Laufen ſcheinen. Gleihtwohl glauben wir, daß fie gute 
Dienfte thun wird. Sie tritt im 2. Schuljahre ein, nachdem, wie das 
Material andeutet, im 1. Schuljahre die Zahlen von 1—20 durchge 
arbeitet worden find. Es wird nun innerhalb des Zahlenraumes 
1—30 abbirt und fubtrahirt, das Einmaleinz aus 3 gleichen Sum⸗ 
manden, alfo die Dreifachen abgeleitet und die Probucte wieder durch 
3 bividirt, aber auch die Vierfachen bis Zehnfachen bis 30 gebildet 
und rüdwärts die Duotienten bergeftelt, worauf allerhand zufammen- 
gefegte Aufgaben nebft Anwendungen folgen. Aehnlich wird hierauf 
bis 40 fortgefchritten, wobei auch Vielfache wie 2.19 nicht ausge— 
fchloffen find. Dazu kommen Addition, Subtraction, Multiplication 
und Divifion ber Producte. Ferner wird mit aliquoten Theilen der 
Mährungszahlen, 3. ®. 2 Schod, 4 Tag, 4 Monat u. f. w., ge= 
rechnet und das Heft mit 100 abgejchlofien. 

Hieran knüpft nun das zweite an, indem es die Summen fvie 
28 + 72, 64 + 16 u. ſ. w. bilden und die Zahlen von 100, 90, 
80 u. f. w. fubtrabiren läßt. Die Aufgaben werden zufammengejebter, 
die aliquoten Theile der Zahlen führen auch zu Brüchen und umge» 
fehrt erden niedere Einheiten in aliquoten Theilen der höheren be= 
ftimmt. Die decimale Schreibweife wird eingeführt, zunächſt in Zehn=- 
teln, dann in Hunderteln, 3.8. 9 fir. = 0,09 fl., 70 fl. 69 Kr. — 
fl. 70.69. Bon jet ab gehen nun S. 9 die Aufgaben über 100 hin— 
aus, moran ſich fofort Zehntel und Hunbdertel ebenfalls in becimaler 
Darftellung Schließen. Außer den Operationen finden fich Refolutionen 
und Rebuctionen und überhaupt Anwendungen aller Art, wie Regel- 
betri, Flächenberechnung u. ſ. w. So ſchließt fih allmälig immer 
ein Sach⸗ und ein Zahlengebiet meiter an burd die Lehre bon 
den Brüchen bis zu den Berhältniffen Hin. Da die Mannigfaltigfeit 
der Uebungen entichieven gegen ben Mechanismus ſchützt und bie Con= 
tinuttät des Arithmetifchen gewahrt wird, fo kann die Arbeit als eine 
gelungene betrachtet werden. 


50. Salberg’8 Rechenbüdlein für das erſte und zweite Lehrjahr der Volle 
ſchulen. en von 1 bis 30. Münden, R. Oldenburg. 1874. 
605 30 Pf. 


Die erfte Reihe von Aufgaben ift 
1, 2, 2—1, 2—0, 1.2, 2.1, 2:1, 1:2 
und daran ſchließt fich die Theilung des Decimeters und des Kreiſes 


in Halbe mit dem Sate 1 = 2. In diefer Weile geht es nun weiter, 


Dperationen der Neihe nah mit ben Zahlen, und Ableitung ber 





Mathematik, 149 


Brüche bis zu Bebnteln, wie 3. B. am Schlufle des eriten Haupttbeils 
die Gleihungen 
2 _53_wpı 2 2_2 3 _6 4_8 

75 5 05 105705 10 
ihre Stelle finden. Hierauf treten die Operationen getrennt auf, be= 
fchränten ſich aber auf den Zahlenkreis bis 10. Daran fchließen ich 
Anwendungen wie 3. B. „3 Lefebücher koſteten 9 Zebhnpfennigftüde; 
was werden 2 Bücher koſten?“ Auf ©. 13 wird nun ber Zahlenkreis 
von 1 bis 10 überfchritten und ziemlich wie im erften Haupttheile 
verfahren, wobei mit Maßen, Gewichten, Münzen gerechnet wird. 
Hierauf gebt ed ©. 30 wieder an’d Operiven, um S. 39 in ben 
britten Zehner einzutzetien. Dur das ganze Gebiet zieht fich die 
Brucrechnung, allerlei Anwendungen und den Schluß bilden vermiſchte 
Aufgaben. 

51. Staplmann, 05., Handelslehrer an ber ? Kreiogewerbſchule und an 
der 2. Induſtt efchule in Augsburg, Auf Igaben für den Unterricht in der 
faufmännifchen Buchführung. Augeburg, Matth. Rieger'ſche Buchhandlung. 
1874. 43 ©. 90 Pi. 

Nach einigen Seiten „Vorübungen” werden „Geſchäftsgänge“ zu 
buchen aufgegeben .über 1.. ein Waarengeſchäft en gros, 2. ein neu 
eröffneted Geſchäft, 3. Uebernahme eines folden, 4. desgl., 5. Ges 
Schäft mit Hinzutritt eines Theilhabens, 6. fäufliche Uebernahme eined 
Schnittwaarengeſchäfts, 7. Schnitttvaaren-Gejhäft, 8. Bankgeſchäft, 
9. Aufnahme eines Theilhabers, 10. Geſchäftsgang einer Papierfabrif, 
11. Geſchäftsgang einer Blattgoldfabrik, 12. einen monatlichen Ger 
Schäftsgang einer Baumwollenſpinnerei. 

52. Braune, Albert, Dirertor der Sandelöfchnle zu Plauen im Boigtlande, 
Bolftändige kaufmänniſche Arithmetik für Handels, Real⸗ und Gewerbes 
ſchulen fowie zum Selbftunterrichte für angehende Beichäftelcute. 4. Aufl. 
Leipzig, Ferdinand Hirt u. Sohn. 1874. 34968 4 M 
Übgefehen davon, daß in dem Buche eine Menge Materien ab: 

gehandelt werden, die Yeber, der fich in der gegebenen Welt beivegt, 

Iennen muß, find die Begriffe fehr Har und anſchaulich entwidelt und 

mit pafiendem Uebungsſtoff verjehben. Die eingehendere Beiprechung 

muß den Fachzeitungen vorbehalten bleiben. 

53. Zähringer, A Leitfaden für den Unterridt in ter Rechnungs⸗ und Buch⸗ 
führung an Gmeigerifgen gZoueſchulen. 2. Aufl. Zuürich, Meyer und 
Zeller. 1875, 

Das Bud bat —— zwedmãßige Veränderungen erfahren. 

Es iſt zu wünſchen, daß Daſſelbe auch in das Haus des Gewerbs⸗ 
mannes, des Sanbwirthe und des Gemeindebeamten eindringe und 
hier —* und gründlich benutzt werde (Vergl. Päd. Jahresber. XIII, 


54. — A., Oberlehrer a. D., Sammlung algebraiſcher Aufgaben nebſt 
nbenuns zur Auflöfung Serfeißen durch — 7. Aufl. Alten⸗ 
burg, 9. A. Pierer 1874. 1848 2M. 


150 | Mathematik. 


Diefe Arbeit fommt uns zum erfien Male zu Geſichte. Aus der 
—— zur erſten und zweiten Auflage müffen wir aber den Satz: 
Es if diefer Theil des Rechnens eine wahre praktiſche Logik, 
durch welche eine gefunde und Fräftige Bildung des Berftandes mehr, 
als durch jeden andern Unterrichtszweig, gefördert wird”, ernftlich zu⸗ 
rüdtweifen, und ebenfoden Begriff: „Auflöfung durch Berftandesichlüffe“, da 
ed weiter leine Sclüffe als Verftandesichlüffe giebt, indem der Ber- 
fand fih nah der Qualität des Gedachten richtet. Doc davon 
abgefehen ift das Bud) ein ganz vortreffliddes. Einmal wegen feiner 
Stufenfolge, und dann wegen ferner ganz neuartigen Aufgaben. Diefe 
Neuartigleit bezieht ſich 1) auf das Gegebene ſelbſt 3. B. in der Aufgabe: 
„Ran legte zu einer Zahl erft ihren 5. und 6. ‘Theil dazu, zog barauf 
a mal ihren 3. Theil wieder ab, nahm den Reft 13 mal und theilte 
bie fo berausgebradhte Größe in 2 gleiche Theile, wodurch man bie 
Hälfte des Unterſchiedes zwifchen 4 << 44 und 14 X 24 erhielt. 
Welche Zahl war es?“ 2) umfaßt fie die Aufgaben von S. 32—59. 
Die Auflöfungen find natürlich, wie von dem Berfafler zu erwarten, 
klar und präcis. 
55. Langenberg, E., Rechenbuch für höhere Töchter⸗Schulen. Gin ans 


Aufenmäßig eordnetes Kopf- und Tafel⸗Rechenbuch. 4. Aufl. 
W. Langewieſche's Berlagehandlung. 1874. 1176. 1,50 M 


Bir haben zur Empfehlung biefer guten päbagogiichen Leiftung 
zu unferem früheren Berichte (Päd. Jahresber. XXII, 26) nur wenig 
binzuzufügen,, dieſes aber Iobend hervorzuheben. Die nun boliftändig 
nah dem neun Münz-, Maß- und Getsichtöfäteme ausgeführte Auf- 
lage forderte nicht wenige Veränderungen und im Allgemeinen neue 
Wege im Sinterefie des Anfchluffes an das Syuftem. So viel wir nach 
unferer Theorie einzufeben vermögen, find die Aenberungen in ber 
That ihrem Zwecke ganz entſprechend. Die „Refultate‘ geben zugleich 
die „Auflöfung der ſchwierigen Aufgaben”. Es ift alfo zu erwarten, 
dag das Buch auch in Zukunft der „Gunft ber Lehrer und Lehrerinnen 
an höheren Töchterfchulen ſich erfreuen werde. 


3. Elementare aritbmetijhe Lehrbücher. 


56. Stel, £., und Dr. Biemayr, Lehrbuch der Arithmetik für Lateinfchulen. 
3. Auflage. Kempten, Sol. Köfel‘ fhe Buchhandlung. 1873. 115 ©. 1,20 M. 
Indem wir und auf unfere früheren Bemerkungen (Päb. Jahres⸗ 

bericht XXVI 56) beziehen, fügen wir nur noch hinzu, daß die Ver⸗ 

fafler ſich entſchloſſen haben, dem Lehrbuche eine Aufgabenfammlung 
folgen zu laſſen. Diefelbe fol auch unabhängig von dem Lebhrbuche 
brauchbar fein. 

51. @idenberger, Adolf, k. Studienlehrer am Ludwigs⸗Gymnafium in Münden, 
Leitfaden der Aritbmetit nebft Mebungsbeifpielen. Münden, Theodor Aders 
mann. 1875. 162 ©. 1,60 M. 

Es giebt in Sübbeutichland, bejonderd in Bayern, eine ganz 
eigenthümliche arithmetifche Literatur, nämlich Lehrbücher für die unteren 





Mathematik. 151 


Gaſſen der Lateins und Gewerbeſchulen. Dieſe wollen ſowohl das 
bürgerliche Rechnen lehren, als auch eine Propädeutik der Mathematik 
geben. In einer Beziehung arbeiten fie daher dem fpäteren mathe⸗ 
matischen Unterrichte viel beſſer und eonfequenter bor, als unjere norb- 
deutichen Rechenbücher; denn fie ſetzen ſich in Einklang mit der üblichen 
mathematifchen Terminologie, entwideln eine Reihe von Lehrſätzen und 
beweifen, in ber Regel, wen aud an inbivibuellen Beifpielen ganz richtig, 
was bewieſen werden fol. Manche, wie 3. B. Brofefjor Fr. Hofmann 
in Bayreuth, bringen in ihren Aufgaben auch die Buchſtaben ala all» 
gemeine Bezeichnung an. Dies unterläßt nun Herr Sidenberger, aber 
er führt die algebraifhe Summe, die Potenzbezeichnung und Anderes 
ein, behandelt das zahlentheoretifche Material, incl ber Kettenbrüche 
genau und pünctlih. Daher ſteht ber frühere Unterricht in Süddeutſch⸗ 
land in viel näherer Beziehung zu dem fpäteren, rein wifienfchaftlichen, 
ala in Norbdeutfchland. Hier nun hat freilich Unger in Erfurt Beides 
zu berbinden geſucht, bie rein wiſſenſchaftliche Terminologie und die 
allgemeine Bezeichnung, und diejenigen von feinen Schülern, bie ich 
tennen gelernt babe, leifteten ohne Ausnahme ganz Borzügliches. Andere 

n daran angelnüpft, aber die allgemeine Bezeichnung erjchien immer 
als etwas Fremdartiges, während fie in Unger's Buche nicht nur unge 
zwungen, fondern auch mit einer gewiflen Nothwendigkeit ſich aufbrängt. 
Daher leiftet die Unger’fche Methode vollftändig, mas fie leiften fol, 
fie bereitet wirklich alfeitig zur Arithmetik vor, während den fübbeut- 
fchen Bearbeitungen die allgemeine Bezeichnung meiſtens fehlt. Herr 
Gidenberger giebt biefelbe auch nit. Dadurch fehlt feinem Buche, 
fo befonnen e3 auch fonft angelegt ift, ein wichtiges Moment. Das- 
felbe rubt in der Form der Zahlen. Die Producte 2.3, 2.5, 3.7, 
3.11 u.f. w. haben die Form ab, die Probucte 2.2, 3.3 u. ſ. w. 
die Form a? u. f. w. Erft wenn ſich Beides verbindet, erhält man 
ein wirkliche Propäbeutif der Arithmeti. Denn dann hat fidh ber 
Schüler an die allgemeine Form gewöhnt, und ift auch im Beweiſen 
der Sätze geübt. Abgejehen von der Einführung und Einübung ber 
allgemeinen Bezeihnung wird bie vorliegende Arbeit ihrer Aufgabe 
volllommen genügen, nur find die reinen Bahlenaufgaben zum Theil 
ſehr zufammengefett. Wenigftend würden unfere norbbeutichen Knaben 
an ben Rechenübungen S. 103—105 bald die Geduld verlieren. 


58. Canitz, Friedr. Wilhelm, Lehrer am Gymnafium zu Bautzen, Katechis⸗ 
N niederen Arithmetik. Baupen, Eduard Rühl. 1874. 35 ©, 
g 
Dieſes zweite Heftchen ſchließt ſich dem erſten Hefte des Katedhis- 
mus der niederen Arithmetik in allen ſeinen guten Eigenſchaften (Päd. 
Jahresber. XXVI, 137) würdig an und behandelt die Decimalbrüche 
in Verbindung mit den gemeinen. 
59. Müller, Dr. Ed., Realfchuldirector zu Reuftrelig, Rechnungsablürgungen, 
Dem rechnenten Bublicum, insbefondere den Rechenlehrern an niederen und 


höheren Schulen und an Seminarien zur Berüdfihtigung empfohten. Neu⸗ 
Rrelig, Barnewitz'ſche Hofbuchhandlung. 1873, 40. 15 S. 40 Bi. 











152 Mathematik. 


Iſt Alles belannt und ſetzt unter Umſtänden ſoviel Uebung voraus, 
daß man die Speckſeite nach der Bratwurſt werfen würde. 

60. Wienhold, E. F. Seminar⸗Oberlehrer zu Waldenburg in Sachfen, Lehrbuch 
der elementaren Mathematik für Seminariften und Lehrer bearbeitet. Erſter 
waeil. Aritpmeti Leipzig, Hahn'ſche Verlagsbuchhandlung. 1874. 360 ©. 

9 ark. / 

„Es ift ficherlich ein didaktiſcher Mißgriff, den Unterricht mit aus» 
gebehnten, abftracten Einleitungen zu beginnen und den Ausbau ge 
wifler Stoffe nicht einer ſpäteren Ergänzung vorzubebalten.” Das ift 
ein Theil bes bidaltifchen Glaubenäbelenntnifles des Verfaſſers. Warum 
aber verlegt er daſſelbe? Da ift die Rede von Mathematik, von Duan- 
titäten und Quantis, von Mefien und Baht, alö der Beftimmung des 
Berhältnifjes, in welchem irgend eine Größe zu der Einheit ſteht, ober 
der Ausdrud für einen beftimmten Grab der Bielbeit oder Menge. 
Eine Erbſe ift eine Größe und die Zufammenfaflung von einer belie- 
bigen Anzahl von Duadratmetern iſt ebenfalls eine Größe. Beide 
baben ihre eigne Form, die Exbfe ift ftetig, die 6 Quadratmeter find 
discret, alſo ift nach dem Berfafler 6 Duadratmeter eine Zablengröße 
(Zahl), die Erbje eine Raumgröße. Iſt nun aber ber Inbegriff von 
6 Erbjen nicht zugleich Raum: und Zahlengröße, und ber Begriff 1 Dua- 
dratmeter ebenfalld Beides zugleih? Wenn die Zahlen ein ‚ Verhältniß“ 
find, jo find fie Feine Größen, fondern ein beitimmtes Wieviel, und 
wenn die Zahlen mit Zahlengrößen ibentificirt werben, fo wer: 
den beide Begriffe verborben. Die Zahl bat eine Größe, aber fie ift 
feine, fondern bient eben nur als Berbältniß zur Beitinmung einer 
folden. Die Zahlenlehre „achtet auf das Wieviel”, das in ihr felbft 
liegt, aber nicht auf ein beliebiges Wieviel, das nicht in ihren Gefichts- 
kreis fällt. Die Zahl entfteht durch das Zählen, die Dinge, die gezählt 
werden, orbnen ſich nach den Orbinalzahlen, und ift der Zählende bei 
dem nten ber Dinge, die als gleichartig zufammengefaßt werden, ange: 
fommen, fo faßt er n Dinge zufammen und denkt diefe Bufammen: 
faflung, was Größe urfprünglic und eigentlich if, ad n.E. Man 
fann nun n.E eine Zahlengröße nennen, aber davon ift n als ab⸗ 
fracte Zahl ala das Wieviel weſentlich zu unterfheiden. Größe und 
Zahl bleiben alfo bier in einer trüben Miſchung befangen. 

Und was wird nun der Seminarift von der mathemntifhen Me: 
thode ($ 2) begreifen? Synthejis zwar ift das Wefen der mathema- 
tischen Methode, aber wo fommen die „Erklärungen“ ber? Zunächſt aus 
ber Erfahrung. Die Erfahrungsgegenftände haben ihre Elemente, biefe 
müflen zunächſt analytiich feftgeftellt werden. So findet man ben 
Bablenbegriff nur analytiſch und durch weitere Betrachtung bie Ele: 
mente derfelben in ber fombolifhen Form 

a—=1i+i+-1+... +1, 

wobei 1 immer noch nicht erklärt if. Die aufgezählten „Grundſätze“ 

find ferner feine Grundſätze, ſondern Sätze, bie ih fireng bemeifen 

lafjen. Denn ift z. B. a=c,b=c, fo haben wir drei ibentifche 

Quanta, alſo ift eins vom andern verjchieden, mithin au a— b. 











Mathematik. 153 


Man warte Daher doch mit dieſen fogenannten Grundjähen, bi man 
fie braucht und, beachte dabei, wie fie. fi zu allgemein Ipgifchen er- 
weitern. Vorausgenommen bleiben fie, meil fie fein Intereſſe finden, 
auf ber Oberfläche. 

Das Zählen ift das einzige Poftulat der Arithmetit, aber ber 
Zählact ift im Dunkel gelafien. Was foll daher die Eintheilung ber 
Zahlen in 8 3 nügen? Benannte Zahlen, wie z. B. 7 Marl, 8 Ser, 
find Größen, aber keine Zahlen. Das. Zahlenſyſtem in feiner Allge- 
meinbeit fommt ebenfalld viel zu früh. In 8 5 fommt nun auf ein» 
mal eine Anbeutung des Zahlenbegriff: „Die Zahl ift gebacht oder 
abſtract“. Sieben Erben find gewiß nicht abjtract, aber wohl fieben 
und „Sieben Erbjen” ift doch mohl eine „benannte Zahl”? 
Deber die Urformen der Ziffern ift Cantor zu vergleichen. Statt 
Gerbert war (8 6) Fibonazzi zu nennen. In $ 7 ift die Aufgabe 
5 Pf. I NH. X 4 eine angewandte Aufgabe, denn die Zahl 4 wird 
auf die Größe 5 Pfd. 3 Nith., die außerdem gewiß dem Leben an= . 
gehört, angewandt. Wenn 5x-+ 2=52 eine. algebraifche Aufgabe 
iſt, fo tft x-+2==5 oder x = 5 — 2 auch eme folde. 

In 8 8 rät fih nun, daß ber Begriff des Zählens nicht er- 
Iäutert wurde. Die Einfügung der Auflöfung 


a+b=[(@+m)—m]+=(@+m+b)—m 


fommt, da die Subtraction noch nicht erklärt ift, zu früh. In ber 
Subtraction zeigt fi) nun fofort, daß der Zahlenbegriff durch bie 
Größe verdorben ift, denn es läßt ſich Feine Zahl in abstracto ver⸗ 
mindern. 8 Thlr. kann man vermindern; aber richt die Zahl 8, 
welche ein fefter und ftarrer Begriff if. Doch wir wollen in diefer 
Richtung nicht weiter polemifiren. 

„Buchſtabenrechnung und Algebra find früh anzubahnen”, ift ein 
zweiter dibaltifcher Lehrja des Verfafierd. Und die Anbahnung ge: 
Ichieht auch im Bereiche der Operationen mit ganzen Bablen und 
Brüchen in ganz geeigneter Weiſe; aber ed entfteht eine Lücke, die fich 
in ben 88 28, 29, 30 nicht finden follte, nämlich durch Einführung 
der Potenz und auch durch allgemeine Bezeichnung der Sätze, die 5. 2. 
auch geſchickter hätten bewieſen werben können, 3. B. | 

5 theilt 150, 5 theilt 35 


5 tbeilt 150 + 35 — 185. 
Der Beweis wäre gewiß deutlicher, wenn gejagt würde 


150 — 30.5, 
35 7.5, 
185 = 37.5, 
unb allgemein: Iſt a unb b. tbeilbar durch c, fo ift a — b dur 
c theilbar, denn a — mo, 
b=ne, 


e+b=(m+n)e. 


Mathematik, 


ı wir noch einige Einzelheiten hervorheben. Die Zahl 
ähnliche ift feine eigentliche Summe, benn 
10+0.104+0.1=4.100+0+0=4.10, 
That ein Product. Das giebt fowohl für die Multi- 
Divifion eine bequeme und viel durchfichtigere Auflöfung, 
plication mit der Summe. ft es fein Wiberfpruch, auf 
nmaleins bi8 10,000,000,000 unb auf ©. 31 bi 100 
In ver Zeitrechnung ſcheint für Seminariften und 
biftorifch gegeben, mas durch einfache Beobachtung und 
efunden erben kann und muß. $ 30 follte ftricter auf 
ende zurüdgeführt werden. Der Name Zweigbruch taugt 
ift nicht als Definition der 3. Theil von 2 em 
enn follen wir 2 Ganze theilen, fo laſſen fie ſich entwei 
nit. Im letzteren Falle erhalten wir 
2 2.1 1 2 


3 s 237737 

Falle muß man ebenfo verfahren, oder 1+1 —=2 ald 
n. Es if ein Lehrſatz. Die Bruchrechnung ift über 
ationell entwidelt und enthält abfolut gar nichts Sr 
ird benn durch die Vervielfältigung ber Namen bie 

» werben als Beftanbtheile einer Aufgabe aus ber Ge 
ing aufgezählt: 1) das Hauptgange, die Theilungsfumme 
nme, die zu theilende Größe; 2) bie Haupttheile, bie 
Eingelfummen, die Theile, in welde das Hauptganze 
3) bie Normaltheile oder Beftimmungssahlen, die Ver⸗ 
nachdem das Hauptganze zerlegt wird (Norm, Regel, 
uß); 4) das Normalganze ober Beſtimmungsganze, bie 
Rormaltheile, wozu noch eine Ingredienzrechnung kommt. 
chen Verhältnifie hätten nady dem Vorausgegangenen 
ver enttwidelt werden Lönnen, 3. ®. erſt in ber Form 

[ 3 


b 5 
ing ber algebraifchen Zahlen durchſichtig genug ift, will 
entſcheiden; ich bezweifle es aber. Ohne Rechnen mit 
Differenzen bleibt immer etwas Unklares zurüd; doch 
bie Reihe S. 264. Die vielen Proben, bie fonft fehr 
verden, find ebenfalls methobifch fehr werihvoll. Warum 
nicht Baſis eines logarithmiſchen Syſtems fein? Iſt 3.8. 
= -., fo iſt los 1=0, lg 10 — — 1 u. ſ. w. 
ptabſchnitte des Buches endlich find Einleitung; die bier 
fortigen Zahlen ; die vier Specied in mehrfortigen Zahlen, 
Regelbetri; Einiges aus der Theorie ber Zahlen, Bruch⸗ 
:imalbrüce; die Regelvetri und verfchiedene bürgerliche 


Mathematik. 155 


Rechnungsarten nad Bruchſatz; die Verhältniffe und Proportionen; 
Regeldetri und bie bürgerlihen Rechnungsarten nad) Proportion; die 
entgegengefetten Größen; Buchſtabenrechnung; Algebra; Potenzen, 
Wurzeln und Logarithmen; Progreifionen,; Einiged aus ber Combina⸗ 
tiondlebre. Die meiften biefer Theile find, wie jchon ber Umfang bes 
Buches andeutet, mit Ausführlichfeit ausgearbeitet. 


4. Methodiſche Anleitungen zum Rechnen. 


61. Menzel, J., Regierungs- und Sckultath, Lehrgang für den Elementars 
unterricht im Rechnen. 3. Aufl. Nah dem neuen Münzgeſetz bearbeitet 
von K. Sıeinert. Berlin, Adolf Stubenraud. 1874. 233 S. Preis 
2,56 Mark. 

Man vergleiche unfere früheren Anzeigen (Päd. Jahresber. XIV, 
95. XIX, 96). 

62. Scherer, Georg, Großh. Bad. Kreisſchulrath, Andeutungen zur Erthei⸗ 
lung des Rechenunierrichts in der Volksſchule. Tauberbiſchofsheim, 3. Lang'⸗ 
ſche Buchhandlung. 1873. 161 S. Preis 2 M. 

Wir haben unter Methode mehrere Sätze aus dem Buche bes 
Berfafierd mitgetheilt. Indem wir uns nun anfdiden, in die Beurs 
theilung einzugehen, machen fi die Gedanken in Nr. 10 vor allen 
übrigen geltend. Es wirb bort geredet von Luft und Liebe, von An⸗ 
fchauen=, Borftellen- und Urtheilen-Wollen u. |. w. Dies Alles gehört 
unter den Begriff des Interefles. Dieſes ift aber befanntlich ein mehr⸗ 
faches, indem man das empirifche und fpeculative, das ſympathetiſche 
und fociale, das äfthetifche und religiöfe je nach den Gegenftänben, 
auf welche es gerichtet ift, ohne Mühe unterfcheiden fann. Der Ver- 
fafler ftelt nun Einen Knaben heraus, zeigt Eine Hand, Einen Finger, 
Ein Stäbchen, Einen Kreuzer, zeichnet Einen Strih, Einen Tupfen 
auf der Wandtafel und fragt: „Was iſt das?“ Die Schüler werben 
prompt antworten, weil das empirifche Intereſſe vorhanden if. Auch 
die Hauptübungen werben prächtig gehen, jeder wirb thun, mas ber 
Lehrer verlangt, die linke Hand emporfireden, in die Hände patichen 
u. |. w. Ebenſo werden bie Zwiſchen⸗ Uebungen ohne Anftoß verlaufen, 
wenn er jagt: fprechet, wie ich zeichne und zeichnet, wie ich fpreche. 
Dabei ift diefe Sprech» und Schreibübung fehr empfehlenswerth, weil 
fie das Getrennte räumli auseinander hält, die Hände beichäftigt 
und das Schreiben vorbereitet. Er zeichnet nämlich die Figur 1 und 
läßt zählen: 1 Tupfen, 1 Strich, 1 Tupfen, 


— — 

— — — — 
1 Strich, 1 Tupfen, 1 Strich! und läßt dann dieſe Figur nach Com⸗ 
mando wieder zeichnen. Hier reicht das empiriſche Intereſſe volllommen 
aus und es wird auch nicht erlahmen bis zu einer gewiſſen Zahlen⸗ 
grenze hin etwa bis 20. Ja der Unterricht wird ſofort durch das ſpecu⸗ 
lative Intereſſe unterſtützt. Denn wenn die Kinder etwa 1 + 3 = 4, 


156 Mathematik, 


2 + 2=4, 8--1le=4 uf. mw. gelemt baben, fo regt ſich ber 
Trieb, aud die anderen Verbindungen und Refultate Iennen zu lernen. 
Die angegebene Beichnung,, die dann erweitert wird, erweckt außerdem 
einiges äſthetiſche Äpnterefie, denn jeder Schüler wird bie Darftellung 
fo ſchön, d. 5. fo exact als möglich zu machen ſuchen, viele auch aus 
Sympathie für den Lehrer und andere, um nicht hinter ben übrigen 
zurüdzubleiben, alfo aus focialem Intereſſe. Auch werben die Zahlen 
anſchaulich nad pfychologiſchen Gründen richtig dargeſtellt, nur follte 
3.8. 6 nit in 5 und 1 zerlegt, fondern als ein Ganzes angefchaut 
werben. Aber wie lange wird das empirische Intereſſe mit den Strichen 
und Tupfen vorhalten? Man muß alfo den Unterriht an Gegenftänbe 
anknüpfen, die für die Schüler empirifches und ſpeculatives Intereſſe 
haben und dieſes den bloßen Zahlenbegriffen mitzutheilen im Stande 
find. Es fcheint und demnach nur das fpeculative Intereſſe als 
Treibendes übrig zu bleiben und dieſes wird gemwifjermaßen gemalt- 
fam zurüdgebrängt. Denn nachdem bereit? Aufgaben wie „765 ift 
um wie viel Heiner als 8247" aufgelöft worden find, beginnt folgende 
Uebung (S. 32): 3T.+ 3 T.— 6 T,6T.+3T.—=9T,, uf.m. 
bis 27T. + 3 T.== 30 T. und damit die Enttordelung des Products. 
Das Theilen beginnt dann (6. 37) mit der Theilung eines Apfels 
unter drei Schüler, aber nicht zu gleichen Theilen, obgleich jeder 
4 Upfel erhalten fol. . 

Wir gehen in diefer Richtung nicht weiter. Der Verfaſſer legt, 
und zwar mit Recht, hohes Gewicht auf die „freie“ Auflöfung der 
Aufgaben und läßt Jeden feine Debuction, bie ganz logiſch verläuft, 
zu Ende führen. Er führt dann die verfchiedenen Arten jchriftlich aus 
und findet fo für das Hifferrechnen die fürzefte Form. Ebenfo wird 
auf die Zufammenfetung der Zahlen in jeder Form genau Rüdficht 
genommen unb barauf verſchiedene Löſungsweiſen begründet u. f. m., 
To daß mir fehr viel Werthuolles aus dem Buche Iernen fünnen. Doch 
Tieft fih das Bud nicht gut, wegen der vielen, bis in's Kleinfte geben: 
den Ausführungen. So wird z. B. die Aufgabe: „Ein Wirth erhielt 
eine Kifte mit Käs, bie 167 Pfd. wog. Die leere Kifte wog 15 Pfd. 
Wie viel bat er an dem Käs gewonnen, wenn ihm 1 Pfb. 91 Fr. 
foftete und er das Viertelpfund für 4 fr. verlaufte?' in folgender Weiſ⸗ 
aufgelöſt: 


a. Gewicht der Kiſte und bes Käſes = 167 Pfd., 
⸗ s» Stifte (allein) = 1) —⸗ 
Gewicht des Käfes — 152 Pfb. 
b. Einnahme — 152 
16 fr. 
912 
152 


2432 Tr. 


Mathematik. 157 


ce. Ausgabe — 152 


144 
d. Gewinn = 2432 fr. 
1444 s 
98,8 
= 16 fl. 28 kr., 
wobei noch der falfche Anſatz '°% und bie Ausführung zu rügen if. 


Der Anjag muß vielmehr 152. 16 und die Ausführung 152. 16 fein, bie 
912 


2432 

fowohl aus mathematischen als piychologifchen Gründen ber richtigere ift. 
Die beigegebenen Tafeln enthalten Aufgaben, welche zu löſen 

find und allerhand Bezeichnungen erhalten können. Das eigentliche 

Kopfrechnen wird dadurch entfchieden beeinträchtigt. 

63. Köfer, ai Lehrer der Mathematit am Pro- und Realgumnaflum zu Baden, 
Das Kopfrechnen in den beutfhen Schulen. Metbodiſch⸗ praftifches Sans 
buch für Lehrer. Weinheim, Zr. Adermann. 1874. 228 S. 2,50 Mark. 

Der Berfafler beginnt mit den fogenannten Bahlenbilvern, welche 
die pſychologiſche Zahlvorſtellung erft gänzlich verderben und ſpäter 
das Decimalfyftem zwingen, den Karren wieder aus dem Sumpfe 
heraus zu ziehen. Die Schäblichfeit wird auf ©. 15 geradezu hand⸗ 
greiflich dargeſtellt. Denn bier fteht die Aufgabe: 

e .. 
.e...0 

Zehn Weniger eins ift wie viel? — ſchon ſprachlich nit gut. — 

Wer nun in der Zahlenreihe, vie freilich Herr Löfer nicht zu Tennen 

fcheint, von 10 um 1 zurüdgebt, kann doch nur die legte Eins in 

Abzug bringen, muß aljo das Bild 

e..eo. ® * oo 


. “ 
KL aber nicht 


® 
erhalten. Geht man nun noch um 1 aurüd, jo müßte aus ben beiben 
Formen beziehungsweiſe .. 


ee 00 
o ‚ 
eo 
entfteben, aber bie Reihe wird ſogleich verdorben und das Bild er⸗ 
ſcheint als Acht e.o.eo 


Wenn man ein foldes Bilh "entftehen. läßt, fo muß es rückwärts 
in ber umgelehrten Folge wieder aufgelöft werden, und bie Entftehung 
muß auch mindeitend nad) einem Princip Anttfinden. Aber von beiden 
Forberungen ift nichts zu fpüren. Erſt S. 21 kommt der Verfaſſer 
in das richtige Fahrwaſſer. 











158 Mathematik. 


Ferner iſt vom Kopfrech nen bie Rebe. Aber auf einmal 
werden die Ziffern gelehrt. Sie werben eingeübt und bie Zahl drei 
z. B. „Dreier” genannt. 

Wie follen ferner Kinder fchnell rechnen, was der Lehrer langſam 
vorfagt ? Es wird ferner nicht verbunden und zufammen gedacht, was 
zufammen gehört. Denn wenn z. B. 2.3=6 ift, fo ift auf 
6 = 2.3 und bamit ohne Weiteres gegeben, daß die Hälfte von 
6 3, und 3 2mal in 6 enthalten if. Das Manöver auf ©. 44 mag 
dann zur Beflätigung und zu meiterer Speculation Anlaß geben. 

Die Beranfhaulidung ©. 51 mit 1000 Stäbchen hingegen if 
gut, obgleich fie bei richtiger Anleitung nicht nöthig if. Aber wenn 
der Lehrer den Kindern erft (S. 72) KRupfermüngen und bie verſchiedenen 
Summenbildungen zeigen foll, fo kommt er viel zu fpät; denn bamit 
ettva wäre anzufangen getvefen. Dagegen ift die gefonderte Hebung in 
den verjchiedenen Maßen und Gewichten ald methodiſch anzuerkennen. 

Nun kommt aber das Rechnen mit Decimalen. Der Berfafler 
lehrt: „Das Rechnen mit Decimalen ift nichts anberes ald ein Rechnen 
mit dekadiſchen Zahlen. wie es in jeder Elementarjchule bisher gelehrt 
worden iſt“. Uber dad Rechnen mit gemeinen Brüden ift wohl ein 
tetraboifches oder eneadifches oder fonjt ein anderes? Unter das 
Decimaligftem fallen die „Decimalen” was ein unbeftimmter Ausdrud 
ft und die gemeinen Brüche. Außerdem heißen bie höheren ober 
niederen Einheiten ebenſowohl dekadiſche als becimale, ba befanntlid 
zwiſchen beiden Ausbrüden fein Unterſchied tft. Weiter wird gelehtt: 
„Der fogenannte Decimalbrudy ift in ber That nichts anderes als eine 
Erweiterung ber ganzen Bahl von den Einern abwärts’; aber ber 
fogenannte Decimalbruch ift auch ein veritabler Brud. Denn fo wie 
z. B. 3 = (1:6).5 if, fo ift „5 — (1:10).6. Die urjprüng- 
lihe Eind muß in beiden Fällen in gleiche Theile zerlegt gedacht 
werden, bot 1:6 = 4, ber 1: 10 = „u, fowie auf 


a—1 a. 100 , . 
s. 1a. 1m: 0 —= 0 it. Die Erſchleichung kommt 


auch gleih nah, denn es Heißt weiter: „Wie man nämlich bei 
unferem Zahlenſyſtem von den Einern aus höhere Orbnungen erbaut, 
werben bier von den Einern abwärts die Decimalen vorgeführt, an 
ben Maßen, Münzen und Gewichten veranichaulidht und auf Grund 
biefer finnlihen Anſchauung zum Verſtändniß gebradt.” Aber mie 
baut man dann niebere Drbnungen auf? Gewiß nur baburd, daß 
man erlennt, daß 1:10 = , u: 10 = hr uf. w. iR, 
fowie man erfennt, daß 1:3 = 4, 4:3 =tu fm iſt. Die 
Decimalen find eine befondere Art von Brüden, mie die Halben, 
Drittel, Viertel, Fünftel u. f. wm. Wie Halbe und Drittel zunächſt 
ganz unvergleichbar find, wohl aber Halbe, Viertel, Achtel 2c. Drittel, 
Neuntel, Siebenunbzwanzigftel u. ſ. w., fo ift es auch mit Zehnteln, 
Hunberteln, Taufendteln u. ſ. w. Der Bruh—, unterfcheibet ſich 


4 





Mathematik. 159 


nicht im Mindeſten von dem a denn e8 müflen beide auf biefelbe 
Weiſe gebacht werben: 
USE Er Er Eu EEE ee 4 
a a a 
a:10° — (a: 10): 10: 0-7: 10) . 10= 775: 10 = 1ſ̃r⸗ 


Gewiß „ift die Fortſetzung der Dekadik unterhalb der Einer als 
alleinige Grundlage hinreichend‘, und ebenfo gewiß, „daß ber Schüler 
nicht zu wiſſen braudt, daß es fich bier um Brüche handelt’; aber 
In I, Tohbd u 1. w. find doch Brüche. Es wird mit ihnen ge- 
rechnet, wie man aud mit *. aa 75 u. |. w. rechnen könnte. 

Die folgenden vier zu berüdfichtigenden Buncte find theild mit 
methodiſchen Forderungen, theils mit der Borausjegung unvereinbar. 
Denn das Bedürfniß, die niedere Einheit des Meters aufzufafien, macht 
fich viel früher geltend, ebenfo die Ummandlung; wie man aber,, zum An⸗ 
ihreiben der niederen Ordnungen mit Ziffern” im „Kopfrechnen” und 
zum Lejen des Angejchriebenen fommt, ift und bleibt ein Wiberfpruch. 
Außerdem wird auch wie mit gewöhnlichen Brüchen gerechnet, nur mit- 
unter ziemlich jchiwerfällig, wie 3. B. ©. 125. Die Aufgabe 0,3. 0,4 
Löft fih einfadh in folgender Weife: 

03.04 = Spy: AI: 4= Ir > 012. 

Der Abjchnitt über die einfadhen und zufammengelehten Zahlen 
iſt im Allgemeinen gut behandelt. Aber e3 hätte 1) mit Aufgabe 2 
angefangen werden follen und 2) ift der Zuſatz zu Nr. 5 zu ilolirt, 
wäre auch mit den ungeraven Zahlen zu verbinden geweſen, denn beibe 
Sätze gelten auch für zwei nicht durch 2 theilbare Zahlen, indem 
@m+1)+2m+1)]:2=2m+2n +2) 2=m+rıH+l, 
2?m-+ )— (2 na +1]:2=ı(ı2m-—2n):2=m-—ı 


Die „formellen Duotienten” im fiebenten Abfchnitt halten mir 
für ein Hirngeſpinnſt. Denn 3 : 7 ift ein formeller Quotient, aber 
bie materielle, begrifflihe Auflöfung oder das Reſultat ift 3. Der 
Gang der Entwidelung ift, mie wir fchon oft angebeutet haben, ein ' 
verfehlte. Das angewandte „‚Kopfrechnen‘’ beginnt mit ben Pro: 
portionen. Das ift gewiß nicht das Rechte. Abgeſehen von den Er⸗ 
innerungen, die wir gemacht haben, beivegt ſich der Verfaſſer ganz in- 
dem Geleile der fonft üblichen Darftellungen. 

64. Ayffel, W. u.2. 9. Joͤhrens, Lehrer in Hannover, Handbuch zu Krande's 
arithmetifhen Exempelbuch für Schulen. Kür Lehrer und zum Selbitunter- 
zit. (DL. Heft.) Hannover, Hahn'ſche Hofbuhhandiung 312 S. 3 M. 

Wir haben ſchon ein und das andere Handbuch zu Krancke's 
Exempelbuch in ber Hand gehabt. Da der Lehrer aber die Sachen 
Iennen muß, fo wiflen wir nicht, mas ibm das Handbuch helfen foll. 
Sind ohnedies die Kinder richtig geführt und klar und beutlich zur 


160 Mathematik. 


Praxis angeleitet, jo verftehen fie die Aufgaben felbit zu löfen. Das 

Bud) mag recht gut gemeint fein, aber mir mögen bie Verfaſſer, ed durch⸗ 

zulefen, da ich wenigftend acht volle Tage dazu brauchen würbe, nachiehen. 

65. Salberg, Auguft, Oberlehrer in Münden, die Sachrechen⸗Metbode oder 
methodifhe Behandlung des Zahlenraumes von 1 bie 30 nad den Grund⸗ 
fäpen der Realmethode für Lehrer und gebildete Eltern, mit Zugrunde- 
fegung bes. neuen Münz⸗, Maß⸗ und Gewichtöfnfteme. München, Rudolph 
Didenbourg. 1874. 319 S. 

Das ift ein ſehr dickes Buch Über noch nicht den dritten Theil 
des Heinen Einmaleins; aber es ift wohl durchdacht und mit allem 
Fleiße ausgeführt. Der Verf. wird alfo wohl zugeftehen, baß ber 
Lehrerftand nicht durchweg oder durchaus an einem Vorurtheil leibet, 
wenigſtens nicht an dem, was er in folgenden Worten andeutet: „Er⸗ 
iheint ein neues Werk, verfaßt von einem bochgeftellten Herrn, be= 
ſonders aber von einem geborenen Pädagogen” — was beiläufig ein 
Nonfens iſt — „der die Schule nur von der Bogelperfpective aus 
kennt, jo betrachten wir e8, ald von einer Autorität ausgehend, als 
richtig und maßgebend. E83 muß gut fein, wenn es ung auch nicht 
entfpricht, wenn auch das Dargelegte fich nicht praftiih ausführen 
läßt, jo ſchön es ſich in der Theorie ausnehmen mag.” Wobei wir 
aber bemerfen wollen, daß das theoretiich Richtige auch praftifch richtig 
fein muß, vorausgeſetzt, daß die Theorie eben eine richtige ifl. 

Der Berfafjer giebt nun im I. Theile die Theorie. Dagegen tft 
natürlich nichts einzuwenden, fondern dieſes Unternehmen verdient im 
Allgemeinen nur Rob und Anerkennung. Aber wovon redet er? Erſtens 
vom Leſen. Das mag zur Bergleihung mit den Rechnen paffiren. 
Den Methoden des Lefens analog unterfcheidet er drei Perioden, bie 
des Bifferrechneng, des Zahlenrechnens, und bie bed Sachrechnens. 

Aber nun gebt er in $ 2 zur Beantwortung der Frage über: „mie 
im Kinde die Begriffe im Allgemeinen und die Zahlenbegriffe insbe⸗ 
fondere erwachen“ und was findet fih Bier? — Bon der Pfuchologte 
Herbarts und feiner Anhänger ift feine Rebe. Daß viele von diejen, 
die das Sachrechnen in den Vordergrund ftellen, ja daß einer der be» 
deutendften Bädagogen, Ziller in Leipzig, fih nur an die Gegenflände 
. hält, melde durch die menſchlichen und natürlichen Dinge bed Unter 
richts dargeboten erden, und daß felbit Männer wie Goltzſch ven 
Sachunterricht zur Hauptjache machen, wirb nicht geſagt. Er kennt alſo 
Herbart’3 Pädagogik nicht oder er verichweigt fie, und will nun auf 
die Ur vermögen, als da find Reizempfänglichkeit, Kräftig- 
Teit und Lebendigfeit im Aufnehmen äußerer Reize und in ber Re⸗ 
production, feine Theorie gründen. Er fieht nun ben Widerſpruch gax 
nicht, der im Vermögen und Urvermögen liegt, Es können nun Säte, 
die ganz richtig find, wie z. B. reines Denken ift Unfinn, das Zablen- 
beiwußtfein erwacht zunächſt an Spielfachen des Kindes, aber nicht ſowohl, 
weil fie Spielfadhen, fondern meil fie fein Beſitzthum find, ale ob über- 
haupt ein Bewußtſein ertvachen könnte außer an dem, was ber Menſch 
als feine Borftellungen befist. Die Näbdergefchichte S. 15 wird von 


Mathematik. 161 


Herbart viel klarer dargelegt. Auch ift es falfch, daß eine Wahrneh- 
mung nicht als Begriff aufgefaßt werben könnte. Wird davon ab- 
ſtrahirt, unter welchen Berhältniffen die Wahrnehmung gefchab, fo ift 
das Reſiduum ein echter Begriff, denn es ift ihr nur dad Quale ges 
dacht. — Daß nun die analytifche Methode die alleinige Methode des 
richtigen Denkens fei (S. 17), ift der crafjefte Irrthum, der fich denken 
läßt, denn die ganze Mathematik ift ihrem Weſen nach ſynthetiſch und 
die Analyſe wird weder einen Logarithmus, noch ein Differential oder 
integral berborbringen. Wo das Apriori nicht fortichreitet, wächſt 
auch die Erkenntniß nicht, obwohl das, worauf dad Apriori ſich gründet, 
mit der Erfahrung zufammenhängen muß. 

Wo von den „Grundprincipien der Sachrechenmethobe‘ (S. 19) die 
Rede ift, wird geſagt: „1) das Rechnen darf nicht an fünftlichen Hülfs- 
mitteln, fonbern muß vornehmlich an folden Dingen gelernt werben, 
die im praftifchen Leben zu berechnen find; 2) das Rind. muß das fi 
jelbft lehren; 3) wir verlangen unbedingte Allſeitigkeit, d. h. 
Vorführung aller Rechenſätze auf jeder Zahlenſtufe.“ Aber womit 
meint der Verfaſſer? Mit dem Quartglas oder Schoppen, mit einem 
Quart aus Pappe in Cubikform, mit einer „Halben“ oder einem 
„Seidlein“, dem „Meter, Decimeter“ u. ſ. w. Nun, wenn dieſe Dinge 
nicht Knktis find, fo giebt es feine. 

Doch wir wollen nicht weiter gehen, fondern nur bemerlen, baß 
die Reihenform gar nicht berüdfichtigt if. Faſſen wir mehre Dinge 
auf unb zuſammen, fo ift eins das erfte, ein anderes das zweite u. f. m. 
Daran lernt das Kind zählen, wenn es audy die Zahlennamen nicht 
fennt, e3 fiebt daß 3 Dinge mehr als 2 Dinge find. Auch ift es 
nad der Erfahrung nicht richtig, daß die Kinder das, was fie nicht 
zählen, viel nennen. Einer meiner Neffen, der 2 und 4 Dinge ober 
nod mehr genau auffaßte unb brei Jahre alt war, antwortete mir auf . 
Frage, wie viel 2 und 3 Aepfel wären: „micht viel”. Ich für meine 
Berjon habe mit dem Zifferrechnen begonnen und in meinem 12. Jahre 
fonnte ich jede Aufgabe löfen, die mir vorfam. E3 muß alſo noch auf 
etwas Anderes ankommen, als auf Flajchen, Meter und Kilogramme; 
nämlich auf eine geordnete d. h. räumliche Auffaffung ber Dinge. 
Dieſe ift das allerwichtigite. 

Aber man Tann in der That vielerlei_von dem Berfafjer lernen. 
Was er bietet, wollen wir an dem einfachſten Beifpiele, an der Zahl 
Zwei zeigen: 

A. Rechnen in der Anfchauung: I. Mefien mit bem Sohmape 
2 nat): 1) Vergleichen: 22. — 12. = 10,28 — 

een zwiſchen 2 D. und 20. if fein tee 

und 1D. ift 1D. Unterfchieb; 3) Abziehen: 1D. von 

5 Yin Heißt 1Q., 2 Q. von 28. bleibt nichts übrig; 4) Bufammen- 

zählen: 1. und 10. find zufammen 2 D., 2D. und nichts find zu= 

—** 2 Q.; 5) Enthaltenſein: 1 DO. Sand in 2 D. ift 2mal ent- 

balten, 2 O. in 2 D. ift 1mal enthalten, 2 Q. m 1 D. tft mal 

enthalten; 6) Vervielfachen: 2mal 1 D. find zufammen 2 Q., imal 
Päd. Jahresbericht. XXVI. 11 


162 Mathematik. 


2 Q. find 2 Q.; 7) Theilen und 8) Vereinigen: „Ein Kind kommt 
heraus. Was ift in diefem Gefäße? Das könnte aud etwas zum 
Naſchen fein, 3. B. geftoßener Zuder. Wenn ich dir nun biefe 2 Quart 
voll. Zuder gäbe, twürbeft du einem anderen auch etwas davon mit- 
theilen, würbeft du fie mit Jemandem theilm? Es kommt noch ein 
Kind. Euch beiden gebe ih 2 Duart und ihr follt fie tbeilen. Ehe 
g aber das thut, will ich euch eine Gefchichte erzählen. „Der kluge 

arl und der dumme Michel gingen einft mit einander durch einen 
Garten und fanden eine Nuß. Karl fagte: biefe Ruß wollen wir 
theilen; willft du das Heußere oder das Innere? Michel befann fi 
nicht lange und fagte: das Aeußere. Er erhielt die bittere Schale, 
Karl den guten Kern. Sie gingen weiter und fanben eine Aprifofe. Karl 
fragte wieder: was willſt du jet? Michel dachte: vorhin nahm ich 
das YHeußere und befam eine ungenießbare Schale. est will ich Flüger 
fein und das Innere nehmen. So belam er den harten Stein und 
Karl das füge Fleifch der Aprikoſe. Noch obendrein wurde der Michel 
recht ausgelacht. War dad aber auch recht getheilt? Wie hätten fie 
tbeilen follen? Ein Theil muß fo groß fein als der andere. Wenn 
2 Kinder etwas theilen, fo beißt jeber Theil die Hälfte oder ein Halb.‘ 
Das Lebtere ift nicht wahr, die Gefchichte piychologifch und phyſiſch un⸗ 
möglid. Die Hälfte von 2 D. ift 1 D, die Hälfte von 1 DL ift $ 
D. Nun kommt die ganze Gefchichte noch mit dem Längenmaße, bem 
Ein» und Zmweipfennigftüd, mit 2 Delagrammen, in beiden letzten Fällen 
noch mit der Schlußrechnung, das Paar, 2 Nüfle, Bruchrechnung 2 halbe 
Aepfel, Rechnen mit 2 Fingern; B. Ubftraction: I. das eigentliche Ab- 
ftractionsgefhäft, wonn 1 + 1 = 2,0 +2=2u[|.m. ent 
widelt wird; IL Münbliches Schnellrecinen ; C. Denkrechnen. Hier wirb 
eine Halbe Bier geholt, die Mutter bringt 2 Stangen Bonbons mit nad) 
. Haufe, es werben 2 Der. Schnupftabal gelauft, mit 1 Baar Pferben, 
2 halben Nüflen, 2 Zehen, 2 Augen u. |. w. gerechnet. 

Die lebendige Anfchauung, bie bier und fo au in bem Folgenden 
geboten wird, fo daß jedes Verhältniß ganz exact aufgeſtellt werben 
kann, berbient gewiß ber Beachtung, wenn auch ber Sachunterricht 
babet nichts Neues ift, fondern, wie erwähnt, ſchon feit zwei Jahrzehnten, 
ja feit 50 Jahren gefordert wurde und noch dazu der Zahlvorftellung 
befier Rechnung trug. 


66. Dorn, J., Seminar-Hauptlchrer, u. P. Madel, Seminarichrer, Anleitung 
zum linterrihte im Nechnen. Bünfter Theil. Die Derimalbrudrehnung, 
Die entgegengefehten Zahlen, Potenzen, Wurzeln, Bleihungen, Logarithmen 
und Reihen. Oberglogau, Heinrich Handel. 1874. 161 ©. 15 Sgr. 


Den eriten Theil des Buches haben wir bereitö früher als einen 
brauchbaren und nütlichen bezeichnet (Päb. Jahresber. XXIII, 36). 
Set ift, um ben „Allgemeinen Beitimmungen bes preußifchen Unterrichtö= 
minifteriumd vom 15. Dectober 1872” zu entipredhen, die Lehre von 
den entgegengefegten Bablen u. f. w. hinzugekommen. Auch diefe ift 
faft ohne Ausnahme recht klar und lichtvoll dargeftellt und mit paſſen⸗ 


Mathematik. 163 


den Beifpielen erläutert, daß fich Jeder, leidlich vorbereitet, wohl zurecht 
finden und Alles ohne übermäßige Anftrengung verſtehen wird. 
67. Wille, Guſtav, Lebrer In Asien, Sahlenbiiber-Dechenfibet, das Rechnen in 


den Zahlenräumen 1 bis 10, 20, 1 bis 100, 1 bis 120 umfaflend. 
Bir die Hand der Kinder heraudgegeben. Deligfch, Reinhold Pabſt. 1874. 
60 ©. 


Diefe Arbeit ift im Sinne ber „Zahlenbilber” als eine ganz vor» 
treffliche zu nennen. Aber da wir zu wiederholten Malen dad Miß⸗ 
liche jener Bilder aufgezeigt haben, indem fie die Zahlvorftellung ge» 
adezu in Grund und Boden verderben, können wir dieſelbe nicht 
unbedingt empfehlen. 


5. Wiffenfhaftlide Lehrbüder der Arithmetik. 


68. Seeger, H., Director der Realihule zu Güſtrow, Die Elemente ber 
Arktpmetit, für den Schulunterricht bearbeitet. Zwei Anhänge: 1. Hiftos 
riiche Notizen. 2. Deutſa⸗franzöfiſches Vocabularium. Schwerin IR. A Hils 
debrand’8 Verlag. 1874. 148 ©. u. 45 ©. Preis 3 Mark. 

Das Buch bietet I. Regeln und Theorieen in folgenden Abſchnitten: 

1. Die JZundamentalrechnungsoperationen und ihre Zeichen ; 2. Einleitung 

in bie Buchftabenrechnung; 3. die nothwenbigften Transformations⸗ 

formeln, 4. Nul und die negative Zahl; 5. das Operiren mit alges 
braiſchen Summen; 6. Fundamentaljäge über die Theilbarfeit ber 

Zahlen: a. Theorie des größten gemeinſchaftlichen Diviſors, b. von 

ben Primzahlen, c. von den zufammengejegten Zahlen, d. die Elemente 

der Lehre von der arithmetichen Congruenz; 7. die geometrifche Pro⸗ 
portion: a. Theorie der geometrifchen Proportion, b. verhältnißmäßige 

Theilung einer Zahl, c. einfache und mehrfache Regelbetri; 8. Decimal- 

brüche und Decimalzahlen: a. Decimalbrühe, Decimalzahlen, b. der 

Decimalbruch und fein äquivalenter, gewöhnlicher Bruch, c. das abge» 

fürzte Multipliciren und Dividiren, d. verſchiedene Zahlenſyſteme; 

9. Berehnung der Quadrat: und Cubikwurzel: a. Berechnung ber 

Duadrativurzel, b. Beredinung der Cubikwurzel; 10. Potenzen mit 

gebrochenen Exponenten. Imaginäre Zahlen: a. Potenzen mit ges 

brochenen Exponenten, b. imaginärd Bahlen, 11. Gleichungen vom 
erften Grade mit einer Unbelannten; 12. Gleichungen vom erften Grade 
mit mehreren Unbelannten, II. Aufgaben und zwar zum erften Gapitel : 

a. Anbeutung der Operationen, b. Ausführung angebeuteter Dpera- 

tionen ; Aufgaben zum zweiten Sapitel: a. Andeutung ber Operationen, 

b. Gruppirung und Berallgemeinerung ber elementaren Rechenauf⸗ 

gaben: a. nad) den Dperationen georbnete Aufgaben (Abbition, Sub- 

traction, Multiplication, Divifion, Regeldetri), 6. nach dem Inhalte 
georbnete Aufgaben (Zunbamentalaufgaben für das Rechnen mit mehr- 
namigen Größen. Nefolviren, Rebuciren, Zinsrechnung, Rabatt: und 

Discontorechnung, andere Procentrechnungen, Miſchungsrechnung, Be 

Wegungsaufgaben); Aufgaben zum dritten Capitel: a. Anwendung ber 

arithmetifchen Gelege beim Rechnen: a. Umorbnung der Operationen, 

11* 





164 Mathematik. 


ß. Verwandlung ber einen Zahl in eine Summe ober Differenz zweier 
Zahlen, y. Verwandlung ber einen Zahl in ein Product oder einen 
Duotienten, Hebung gebrochener Ausbrüde, d. Multipliciren mit Hülfe 
ber Somplemente, &. Benugung der Refultate einer boraufgegangenen 
Rechnung; b. Aufgaben zu den dreielementigen Transformationsformeln : 
a. Zufammenziehung gleichnamiger Glieder (einfache Zufammenziehung, 
Umordnung der Operationen und Zufammenziehbung, Auflöfung ein- 
facher Parenthefen und Bufammenziehung), 6. Anwendung der Funda⸗ 
mentalformeln für das Rechnen mit Potenzen, y. Anwendung ber 
Sundamentalformeln für das Rechnen mit Wurzeln (Befreien vom 
Wurzelzeihen, Rebuction auf niedrigere Wurzeln, Reduction auf bie 
möglich kleinſten oder möglich einfachften Rabicanden, Rebuction auf 
Duabrat= oder Cubifwurzeln, Bringen des rationalen Factors unter 
das Wurzelzeichen), d. Multiplication und Divifion einer Summe ober 
einer Differenz, &. Abfonberung eines gemeinfchaftlichen Factor (Ab- 
fonderung bei rationalen und irrationalen Ausbrüden); o. Aufgaben 
zu ben vierelementigen Transformationsformeln: a. Anwendung für 
das Nechnen mit gebrochenen Ausdrüden (Zujammenziehung in einen 
einzigen Bruch, Wultiplication und Divifion ber Brüde), A. Multi 
plication zweigliederiger Yactoren (Dultiplication, Verwandlung der 
algebraifchen Summen in Probucte), Y. Anwendung der Formel für 
das Duabdrat einer Summe oder einer Differenz (Uuabriren, Nabiciren, 
Ergänzen zum Quadrat), d. Product von Summe und Differenz ziveier 
Zahlen (Multipliciren, Verwandlung in Producte, Rationalmachung 
der Nenner); d. Aufgaben zur Wiederholung; Aufgaben zum vierten 
Gapitel: a. Deutung negativer Rechnungsrefultate ; b. Anwendung der 
Fundamentalregeln für das Rechnen mit negativen Zahlen (Reduction, 
Befeitigung der Bruchform, Beleitigung der negativen Erponenten) ; 
0. Berechnung algebraifcher Ausbrüde für beftimmte Werthe der Buch⸗ 
ftaben; Aufgaben zum fünften Gapitel: a. ſyſtematiſches Ordnen ge= 
gebener algebraifchen Summen; b. Auflöfung einfacher Klammern und 
Bufammenziehung; ce. mehrfache Klammern; d. mit Zahlen oder ein- 
glieberigen Buchftabenfactoren behaftete Klammerausbrüde; e. gebrochene 
Ausdrücke mit Zahlen- oder einglievrigen Buchſtabennummern; f. Mul⸗ 
tiplication algebraifher Summen; g. aufzulöjende Producte; h. ge= 
brochene Ausbrüde mit mehrglieberigen Nennern; i. Divifionsaufgaben ; 
k. Auffuhung des höchſten gemeinfamen Diviſors; Aufgaben zum 
ſechſten Capitel: Aufgaben zum fiebenten Gapitel: a. Umformung ge: 
gebener Verhältniffe (Heben, in den kleinſten, den fleineren und nächſt 
größeren Zahlenausbrüden); b. Proportionen mit einer Unbelannten 
(Berechnen bes unbefannten Gliedes, der mittleren geometrischen Pro⸗ 
portionale, Umformung der Proportion, daß die Unbelannte nur in 
einem Öliede vorkommt, Flächen: und Körperrechnung); o. Berbältniß- 
berecinungen: a. arithmetifche Aufgaben, 8. zur Flächen: und Slörper- 
bereiinung, 7. andere mehrfache Verhältniſſe; d. verbältnigmäßige 
Theilung einer Zahl: a. arithmetifche Aufgaben, 4. Theilungsrechnung 
im engeren Sinne, y. Gejellichaftsrechnung, d. Miſchungsrechnung, 


Mathematik. Ä 165 


8. ftöchiometrifche Aufgaben; Aufgaben zum achten Gapitel: &. ber De⸗ 
eimalbrud und fein äquivalenter gewöhnlicher Bruch; b. das abge= 
fürgte Multipliciren und Divibiren; c. dyadiſche und dodekadiſche Zahlen ; 
Aufgaben zum neunten Gapitel: a. Duabratwurgeln, b. Eubiliwurzeln; 
Aufgaben zum zehnten Gapitel: a. Anwendung ber Yundamentalformeln 
für das Rechnen mit gebrochenen Potenzen 


(vi ()a=a, =, SI Een 23 Va); 


b. Anwendung ber Fundamentalformeln für das Rechnen mit imagi- 
nären Zahlen; Aufgaben zum 11. Gapitel: a. Auflöfung gegebener 
Zahlen- und Buchftabengleichungen: a. Zahlengleichungen ohne Paren⸗ 
thefen, P. einfache Parentheſen, y. mehrfache Parentheſen, d. mit 
Zahlenfactoren bebaftete Parentheſen, s. Gleichungen von ſcheinbar 
böbheren Graben, 5. Gleichungen mit irrationalen Gliedern, 7. Bud 
ſtabengleichungen; b. Aufgaben zu algebraifcher Behandlung: a. arith- 
metische Aufgaben, 4. Bewegungsaufgaben, y. Zins⸗ und Rabattrech⸗ 
nung. d. Theilungs⸗ und Geſellſchaftsrechnung, s. Miſchungsrechnung, 
T Aufgaben über das ſpecifiſche Gewicht, 7. verſchiedene Aufgaben; 
Aufgaben zum zwölften Capitel: a. Auflöfung gegebener Bahlen- und 
Bucdjftabengleihungen: a. genrbnete Gleihungen, 6. nicht georbnete 
Gleichungen, y. durch Einführung neuer Unbelannten aufzulöfende 
Gleichungen, d. Verbindung einer Gleichung vom erften Grabe mit 
einer vebucirbaren Gleihung vom zweiten Grabe, &. Buchſtaben⸗ 
oleihungen, &. Gleichungen mit mehr als zwei Unbelannten; b. Auf- 
gaben zu algebraifcher Behandlung: a. arithmetische Aufgaben, 6. Be⸗ 
wegungsaufgaben, y. Zinsrechnung, d. Rabattrechnung, e. Theilungs- 
und Gefellihaftsrechnung, F. Miſchungsrechnung, 7. zur Lehre vom 
Galvanismus, 9. ſtöchiometriſche Aufgaben. 

Man fieht aus diefer ausführliden Inhaltsangabe, bie fich aber 
noch weiter gliedert, daß die „Elemente der Arithmetik“ der gemwöhn- 
lien Auffafjung gegenüber ſehr beſchränkt worden find, indem ber 
Berfafler 3. B. die Gleichungen bes zweiten Grades und bie Logarithe 
men ausgeichieden hat. Sodann ift nicht recht erfichtlich, wie und wo 
das Buch gebraudt werben fol. Vergebens ſucht man nach Feſtſtel⸗ 
lung ber Begriffe Zahl, Summe, Differenz u. f. w. vergebens nach der 
Begründung ber „Zrandformationsformeln” im britten Capite. Null 
wird definirt als a—a; aber wenn s=a+b it, fo ift urſprünglich 
weder a=o, noch b==o, aljo die Differenz; s — a 0, und ebenfo 
s—b7 o, aljo muß doch Null eine nähere Beitimmung erhalten, denn 
bie Definition a— ao ift der reine Formalismus. ‘Ferner find 
die „Regeln” auf S. 12 nicht abgeleitet und ebenfo find die folgenden 
Capitel äußerft kurz behandelt und bie Beweiſe weggelaſſen. Demnad) 
Scheint es, daß bie Arithmetit zum großen Theile vorausgefegt wirb 
und auf einer fpäteren Stufe Ergänzungen und Erweiterungen erhal 
ten folle, zumal die Aufgaben entſchieden auf eine ſolche Stellung bes 
Buches binweifen. 


166 Mathematik. 
Wir laſſen diefen Fragepunct hier fallen und maßen uns keine 


69. Spitz, Dr. Carl, Profefior am Polytechnikum in Garlörube, Lehrbuch der 
allgem. Aritbwmetit zum Gebrauche an höheren Lehranftalten und beim Selbſt⸗ 
Audium. Erſter Theil. 3. Aufl. Leipzig u. Heidelberg, C. F. Binter’fche Ber- 
fagöhandlung. 1874. 501 ©. Mit einem Anbang, welcher die Refultate 
und Andeutungen zur Aufföfung der in dem Lehrbude befindlichen Auf 
gaben enthält. 3. Auflage. Ebendaſelbſt. 1874. 93 ©. Preis 7 Marl. 


Wir veriveifen auf unfere frühere Anzeige (Päd. Jahresber. XXI, 
57—60) und bemerten, daß die Uebungdaufgaben vermehrt worden 
find, der Tert verbefiert und mit einigen Bufägen berieben worden iſt. 
70. Bfenninger, U., Lehrer der Mathematik am zürcheriſchen Seminar in 

Küsnacht, Lehrbuch der Arithmetik und Algebra für böbere Bolkaſchulen, 

Seminarien, fowie zum Sebftunterriht. I. heil. Arithmerik (Gemeines 

Rechnen). Zürich, Friedrich Schultheß. 1874. 144 ©. 2,40 Darf. 


Die Darftellung diefes Lebrbuches bat manches Verbienftliche. 
Einmal nämlich iſt es Har, daß fchnelles, gewandtes Rechnen voraus: 
fest, daß man mit den Summen, Differenzen, Brobucten, Quotienten 
u. |. w. gewandt umfpringen könne, denn alle unjere befabijchen 
Zahlen ericheinen mit Ausnahme der neun erften und einiger anderer 
fpecifiicher Probucte ald Summen, die in andere Formen umgegofjen 
werben können, je nad) den Beziehungen, welche die Operationen und 
die übrigen Zahlen erfordern. In diefem Sinne find nun die Gapitel 
von der ganzen Zahl (I.), von der Erweiterung der Bruchlehre (IIL), 
über die Decimalbrüche (IV.), über einige Abkürzungen (V.) und zum 
großen Theil die übrigen recht kurz, Mar, verſtändlich und verftändig 
ausgeführt worden. Aber im zweiten Capitel von ber Bruchrechnung 
ift der 8 2 eine unnötbige Duälerei und mwirb doch erſt recht verſtänd⸗ 
fh, wenn das Folgende durchgenommen ift. Denn weiß man, daß 


_— 1, jo weiß man aud, daß — < „> ift, und ift 


nun der Bruch — gegeben, fo ergiebt ſich fofort 





a x r np+tr 
tr T'<n und p+ — = ——, 
Bud my 2, „_._ı m_ı2 

n„  P7’T np’ np n 
m, p m „ —_—_®!_ 2:p_ m 
„ 7 ’ı n:p’ n:p n’ 


Mathematik. 167 


und damit bat man, fo zu fagen, Alles, wodurch alles Uebrige begriffen 
werben Tann. 

Bum Zweiten bleibe ich tro der Auseinanderſetzung des Verfafiers 
bei der Anfiht, daß die Proportiondlehre — als Theil der Zahlen: 
lehre — didaktiſch und mathematifch nichts werth ift. Iſt 


a:b=c:d ober — — —_ 


b a’ 
fo ift das eine Gleichung, aus welder a = = u. f. w. abgeleitet 


werden Tann. Das ift die arithmetifche Bedeutung. Schlimmer fteht 
es um bie didaktiſche. Da heißt es 2 ift ein Verbältnig und 2 ift 
ber Erponent, * iſt ein Verhältniß und der Exponent; nun find 
die Exponenten gleich, denn — H, alſo iſt 2 == 7, eine richtige 
geometrifche Proportion. Das heißt doch nur mit Symbolen fpielen, 
bon welchem Spiele fich nicht der mindefte Zweck erfennen läßt. Die 
Broportionen gehören zur Größenlehre und involviren die Anwendung 
der Arithmetil. ch habe ſehr oft darauf hingewiejen, daß man nur 
bon der Anwendung ber die Proportionslehre ausbilden müfje, und 
dazu auch die allgemeine Bezeichnung verwenden könne. Und fiehe ba, 
ber Berfafier behandelt die Proportionglehre in der That ald Größen 
lehre und wendet auch bie allgemeine Bezeichnung an. Und in beiberlei 
Hinfiht thut er nad meiner Ueberzeugung das Rechte. Doch find 
einige Erneuerungen hinzuzufügen. Meſſen wir die Größe A durch B 
aus, jo erhalten wir: 


el, 1-25, B=—.A; 


B 
meflen wir dagegen bie Größe C durch D, fo erhalten wir: 
_Pp p q 
— — —, — — D D — —. C. 
D 4 p 


q 
Daher find zunächſt * = — uns — = Ewirkliche Proportio- 


0 


nen. Iſt aber ferner — = FL fo iſt 


A:B=(:D, 
woraus ald Grundproportion fogleich bie folgenden fich ergeben: 
B:A=D:fG, 
A:C=B:D, 
C:A=D:B, 
B:D=A:GC, 
D:B=(C:A 





168 Mathematik. 








A 0 A C B 
Iſt ferner ——, pP tag — +r= „+ r, oder da = 1, 
.B.. A . . . 
allor. = = iſt, alſo wenn — 1, iſt 
AtB _ C+-D u. ſ. w. 


B D 


Dieſe Ableitung iſt entſchieden einfacher und läßt ſich auch ſo 


anordnen, daß man alle möglichen Verbindungen ſicher bekommt. 
Ferner iſt auf ©. 105 folgender Ausdruck unverſtändlich: „Sinb 
A und B proportional” — denn zwei Größen find an ſich nicht pro⸗ 
portional, fondern zwei anderen berjelben oder verjchiedener Art. 
71. Hofmann, Friedr. Sammlung der wichtigſten Säge aus der Arithmetik 
und Algebra. Zum Gebraud an höheren Lebranflalten. Bayreuth, Grau⸗ 
[de Buchhandlung. 1872. 
Enthält 213 Sätze, von benen ber legte bie mathematifche Wahr- 
Scheinlichfeit w — ausdrüdt. Wir lieben derartige Arbeiten 


nicht befonders. 





a 
a-+b 


6. Aufgabenfammlung zur wiffenfhaftliden 
Arithmetil, 


72. Hofmann, Friedr., Brofeflor der Mathematik am E. Gymnafium zu 
Bayreuth, Sammlung von Aufgaben aus der Arithmetik unb Algebra. 
Bär Gymnaflen und Gewerbefhulen. Bayreuth, Grau'ſche Buchhand⸗ 
ung. 187 

Eriter Theil. Arttbmetifche Aufgaben. 6 Aufl. 224 ©. 2 Marl, 

Zweiter Theil. Algebraiiche Aufgaben (Erſte Abtheilung). 6 Aufl. 
324 ©. 3 Marl. 

Dritter Theil. Algebraifhe Aufgaben (Zweite Abtbeilung). 3. Aufl 
256 S. 2,40 Mark. 


Wir haben dieſe reichhaltige und mannigfaltige Sammlung zu 
verfchiedenen Malen in einzelnen Theilen kurz angezeigt und aus ver- 
ſchiedenen Gründen empfohlen. Das letzte Mal im Päd. Jahresbe⸗ 
richt XXV, 176. Daher wünfchen wir dem ganzen Werle glüdliche 
Reife, freundliche Aufnahme und fleißigen Gebraud). 


b. Geometrie. 


1. Volksſchulgeometrie. 


73. Kettau, H., Die Raumlehre, verbunden mit Zeichnen und Rechnen, bear- 
beitet für ein» und zweiclaffige Elementarſchulen. Leipzig, Ed. Beter's 
Derlag. 1874. 99 ©. 1 Marl. 

74. Lettau, H., Krage- und Aufgabenheft zur Raumlehre, verbunden mit 

einen und Mechnen, bearbeitet für eins und geeichifige Elementar- 
Aulen. Leipzig, Ed. Peter's Verlag. 1874. 38 S. Preis 2 Or. 


Sowohl die „Raumlehre”, ald das „Frage und Aufgabenbeft” 
bieten einen vecht ſchönen Uebungäftoff dar; aber wir fürchten, daß 
febr viel durch das Syftem verborben wird. Eilt es etwa damit, ben 


Mathematik. 169 


Kindern beim Beginn des Unterrichts zu jagen: „Geometrie ift bie 
Lehre von den räumlichen Größen‘? Lehre, Größen, räumlich ift das 
Alles ſchon Har? Und mas weiter gelehrt wird, muß das Kind fchon 
aus dem borhergegangenen fünf- bis fechsjährigen Unterrichte zum 
großen Theil gelernt haben. Und weiß nun der Schüler, was eine 
Linie ift, wenn er die Worte hört: „Die Verbindung zweier Puncte“ 
ober die „fortichreitende Bewegung eines Punctes”? Wo lommt ber 
Bunct ber? Wie und moburd werben Puncte verbunden? Sit die 
fortfchreitende Bewegung eines PBunctes wirklich eine Linie? Cr bes 
jchreibt eine foldhe, aber bie Bewegung ift Fein Punct. Dieſes Capitel 
fängt in ben erften Schulftunden an, und zwar mit der Schulftube, 
da ſieht das Kind Streden und Richtungen, bie aber erft von ben 
Dingen, die fie barbieten, losgelöſt oder für ſich aufgefaßt werben 
müfjen. Umgekehrt ift alfo ber Gang des erften Paragraphen ber 
richtige, und babei find die Definitionen möglichſt fern zu halten und 
auf die Anfchauung zu verweilen, denn die erften Begriffe find bei 
weitem die fehwerften. Sodann lafje man doch die krummen Linien, 
bis fie fih an den Gegenftänden, die man betrachtet und unterſucht, 
von felbft aufbrängen. Soll der Schüler im fechften Schuljahre noch 
mit magerecht, fentrecht, ſchräg bebelligt werden? Muß er das nicht 
ſchon längft wifien, und noch dazu die Beziehung auf den Erbjchwer- 
punct überwunden haben? Die Figuren 7 und 8 erwecken außerdem 
noch eine falſche Vorftellung. Linien muß das Kind im erften Schuljahre, 
ja in den erften Wochen feines Schulbeſuchs meſſen und fo den Maßſtab 
ausbilden. Wenn die Aufgabe, ©. 11, Nr. 24, wörtlich im freien an 
einem beftimmten Objecte gelöft wird, jo ift fie fehr fchön, ebenſo ©. 25, 
wenn das Niveau in communicirenden Röhren vorher eingefehen wor⸗ 
den ift. Der verjüngte Mapftab kommt viel zu früh. Mit der Fig. c, 
©. 15, mag etwa das Zeichnen beginnen. Wir wollen nicht weiter 
das Einzelne beiprechen, jondern nur auf den allgemeinen Sat hin- 
weifen, daß die Cultur der räumlichen Vorftellungen jo früh als mög- 
lich, d. h. gleich mit dem erften Schuljahre beginnen muß. — Eine 
zweite Forderung tft, daß Alles, was gezeichnet werben lann, auch ges 
zeichnet werde. Die Figuren 1—6, 10—12, 17—22, 26 —30 
Tönnen ſchon im erften- Schuljabre nad der Natur gezeichnet werben, 
wenn man nur vorher richtig fehen und auffafjen läßt. Die Formen 
19—27 wirb man ja auch wohl im Sachunterricht finden und analy: 
firen und barftellen Iafien können, wenn aud etwas fpäter. — Die 
Definitionen über die Winkel und mas damit zufammenbängt, auf 
S. 27, find meiftens Irrthümer ober Einfeitigleiten. Cine ſolche iſt 
es 3. B., wenn ber Scheitelpunct ala derjenige Punct bezeichnet wird, 
in welchem ſich die Schenkel treffen, und frummlinige Winkel find ein= 
fach undenkbar, und kommen auch in ber weiteren Betrachtung nicht mehr 
dor. Wir brauchen nicht weiter zu geben, denn worauf ſich unjer Tadel 
beziebt, ift hinlänglich beftimmt, er bezieht fi} darauf, daß die Cultur ber 
räumlichen Begriffe und ihrer Darftellung durch die Zeichnung nicht früh 
genug anhebt. Sonft bieten beide Schriftchen ſehr werthvolles Material. 


170 Mathematik. 


75. Brilmaher, C. J. Grundlehren der Geometrie, nebſt Flächen⸗ und Körper» 
berehnung mit zahlreichen Uebungsaufgaben. Mainz, Kranz Kirchheim. 
1874. 123 & 1 Mark. 

Das Bud ift für die unteren Claſſen höherer Lebranftalten, alfo 
für etwa zehnjährige Knaben beftimmt. Diefen wird nun folgenbes 
Syftem vorgeführt: „von den Raumgrößen im Allgemeinen, bon ber 
geraden Linie, von den Winkeln, von ben ebenen Figuren im Allge 
meinen, bon dem Kreife, von dem Dreied, von dem Biere, von dem 
Bieled, der Flächeninhalt gerabliniger Figuren, Flächeninhalt bes 
Kreifes und der Ellipfe, von ber Ebene und der geraden Linie, bon 
den ebenflädigen Körpern, von den krummflächigen Körpern, Berech⸗ 
nung der Oberfläche der Körper, ber Cubikinhalt ebenflädhiger Körper, 
der Eubilinhalt krummflächiger Körper," alfo ganz nad) dem Schema 
der meiften Lehrbücher der Geometrie. Das Allgemeine tritt mehrmals in 
den Vordergrund, als ob ed ein Allgemeines ohne das Beſondere gäbe. 
Die Drebungen nad links und rechts, die Auffafiung der Streden und 
Richtungen, der Flächen und Eden u. |. w. muß ſchon viele Male an 
den Dingen der Natur und den Werken ber Menfchen vorgenommen 
worden fein, ehe ber Knabe Sintereffe für das Allgemeine gewinnt. 
Und mas meiß ein neun= oder zebnjähriger Knabe vom Weltraum, 
der ſich jeder Anfchauung entzieht, eben weil er Teine Grenzen Bat. 
Der Weltraum, mie überhaupt der Raum ift nichts Reales, Wirk- 
liches, fondern nur etwas Gebachted und zum Theil das Nefultat 
umfichtiger und planvoller Ausbildung. Der Tiih nimmt einen Raum 
ein, d. 5. er ericheint in räumlicher Yorm und biefe räumliche Be- 
ftimmtbeit ift fein Raum und bedarf des Weltraumes durchaus nicht. 
Und was haben bie Borftellungen „lothrecht, wagerecht und fchräg“ 
mit dem Weltraume zu thbun? Da ift der Weltraum vergeflen und 
man bezieht die Richtung auf den irdiſchen Planeten, und nach breis 
bis vierjähriger borausgegangener Arbeit ift dieſe Beziehung immer 
noch nicht als eine zufällige abgeftreift? Das heißt in der That am 
falſchen Ende anfangen. Nehmt die Gegenftände des Unterrichts, be= 
trachtet fie geometrifch, laßt fie zeichnen und die Elemente orbnen u. |. w.! 
Dann werbet ihr die geometrische Anfchauung bilden; unter bem Reben 
über das Allgemeine gehen die Schwächeren und ſelbſt Mittellöpfe zu 
Grunde. Das Meſſen der Streden und Winkel muß im erften Schul 
jahre, und bie Ausmeſſung ebener Figuren ſchon längft gelernt fein, 
ehe der Knabe in die Serta eintritt. Somit ift nach unferer Unficht 
die Anlage des Buches verfehlt, daſſelbe aljo nicht zu empfehlen, zu⸗ 
mal auch fonft nichts Lehrhaftes in demfelben vorkommt. 

76. Rorſchach, J., Lehrer der Mathematik an der Stadtrealfhule in St. Ballen, 
Raumberehnungen. Geometrifhe Rehnungdaufgaben für Mittelſchulen. 
St, Ballen, Huber u. Comp. (%. Fehr). 4. 

I. Längen» und Flächenberechnungen. 54 &. Nebſt Auflöfungen dazu, 
11 ©. Preis 60 Pf. 

DL. Körperberehnungen. 41 ©. Nebſt Auflöfungen dazu, 14 S. 60 Bf. 

Das I. Heft bringt Aufgaben über dad Quadrat, Parallelogramm, 
das Dreied, das Trapez, das Trapezoid, das unzegelmäßige Vieled, das 


Mathematik 171 


regelmäßige Vieleck, den Kreis, den Kreisring, ben Kreisausfchnitt und 
die Sllipfe; das I. über den Würfel, das Parallelopiped, das Prisma, 
den Sylinder, den abgefchrägten Cylinder, die Eylinderröhre, die Pyra⸗ 
mide, den Pyramibenftumpf, den Kegel, den Kegelflumpf, die Kugel, 
bie Hohlkugel, den Kugelabfchnitt, die regelmäßigen Körper, über Yäfler 
und Schlußaufgaben. Diefelben beziehen fih auf Umfang und Inhalt. 
An der Spibe ftehen bie Formeln mit ihren ſämmtlichen Auflöfungen 
3. B. bei dem Würfel: 
8 
O=6a! V—as, a= , a=,/V, 
und zu ben ftereometrifchen Figuren ift ber Grunbrißaufriß unb bie 
Oberfläche (Net) graphiſch dargeftellt. Die Aufgaben find recht mannig- 
faltig, meift praktifcher Natur, aber auch vielfach von rein fpeculativem 
Intereſſe und monöthig, durch Figuren erläutert. Wir ſtehen demnach 
nit an, bie Sammlung als eine ganz vortreffliche zu bezeichnen. 
17. Motnif, Dr. Franz Ritter von, Anfangögründe der Geometrie in Ver⸗ 
bindung mit dem Zeichnen. Für Unterreal- und Bürgerfchulen. 15. Aufl. 
Prag, F. Tempsiy. 1873. 227 ©. 1,50 Darf. u 
Es genügt für dieſes vielgebraudte Bud, auf unfere früheren 
Anzeigen (Päd. Jahresb. XX, 70. XXI, 65) mit der Bemerkung zu 
verweilen, daß bie vorliegende Auflage nach dem metriichen Maße um⸗ 
gearbeitet iſt. 
18. Gerber, Ph. H. erfter Lehrer in Montabaur, Die Raumlehre in der Vollks⸗ 
und ländlichen Fortbildungsſchule. Ein Lehr- und Mebungsbuh für Die 
nd der Schüler und mit Berüdfihtigung des neuen Maß und Dlünzs 
uflemd bearbeitet. Wiesbaden, Ehr. Limbarth. 1874. 60 S. 60 Pf. 
Wenn ber Schüler nad den minifteriellen Beltimmungen bon 
1872 zur Geometrie kommt, fo weiß er längft, was ein Körper ift, 
und braucht auch die Worte „Länge, Breite, Höhe, Tiefe, Dide” u. ſ. w. 
richtig. Es käme alfo jetzt darauf an, aus diefen Vorftellungen ben 
Begriff der Ausdehnung oder Dimenfion abzuleiten; aber nichts von 
dem geſchieht in 8 1, ſondern es werben die individuellen Auffaflungen 
Reben gelafien und nit bis zu dem Satze burchgerungen, daß 
ein Körper drei Dimenfionen bat, die in geometrifcher Hinfiht gar 
nicht verfchieden find. Das Gerebe über die Fläche in 8 2 ift eben» 
falls nicht viel wertb.” Denn fie „kommt nur an Körpern vor”, und 
es wird nicht der kleinſte Verſuch gemacht, fie als Abftraction zu denken. 
Die beiden Fragen, „worin die Fläche dem Körper ähnlich fei” und 
„worin fie fih von ihm unterjcheide”, follen auf jeben Fall auf bie 
Dimenfionen geben, aber nicht auf das Allgemeine, nämlich darauf, 
daß beide räumlich find. In 8 3 Tommt nun auch glüdlich ber Ge: 
danfe zur Anerkennung, ba die Linie ein Gedankending ift, was ber 
Flaͤche vollftändig verweigert wurde. Nun kommen in 8 4 die Buncte. 
Damit haben wir bie gewöhnliche Einleitung der geometrifchen Lehr⸗ 
bücher vor uns, eine Einleitung, die der Knabe oder das Mädchen 
nicht brauchen Tann und aud nicht verfteht, oder vielleicht verfteht 
und den dran und brum hängenden Salm nicht begreift. Zum Schlufie 





172 Mathematik. 


geht's nun auch in 8 5 im Sturmicritte vom Puncte zur Linie, von 
der Linie zur Fläche, von der Fläche zum Körper, wobei bie Ebene 
eingefchmuggelt if. 

Nach diefer Einleitung müßte man eriwarten, daß in ſynthetiſcher 
Weile vorgegangen, alfo mit der Setung eined Punctes begonnen 
würde; aber nichts bon dem geichieht, fondern e8 wird gefragt: 
„Die entfteht eine Linie?“ und hinzugeſetzt, daß es gerade und krumme 
Linien gebe. Nun kommen wieder die Puncte, zwiſchen benen bie 
Linien find, und von der regelmäßig krummen Linie wird allen Ernſtes 
behauptet, daß fie in fich felbft zurückkehre. Iſt etwa bie Parabel 
(y = Y*pz) nicht ebenfo regelmäßig wie der Kreis, defien Mittelpuncts« 
gleidung y = yYr? — x! if? 

Nach diefen ganz allgemeinen Betrachtungen folgt nun auf ein- 
mal die lothrechte Linie, die durch das Senkblei hergeftellt wird, bie 
wagerechte und die fchräge, welche nicht für Die Geometrie, fondern nur 
für die Phyſik und das Zeichnen Bedeutung haben. Die ganze An 
lage ging auf Synthefe von Puncten aus. Diefe hätte auch in ber 
That die Schüler zu allerlei Initiativen aufgefordert; aber da biefe 
Syntheſe vernadjläffigt wurde, gebt fo zu jagen alles Tunterbunt durch 
einander, und bie Willlür bes Buches berrjcht, nicht bie treibende 
Kraft der Grundlagen. 

Sn ber Lehre von den Winkeln kommt es nun zum Borfchein, 
worin ‚gefehlt worden ift, nämlich darin, daß in der Geraden nicht 
zwei Begriffe: Richtung und Strede, unterfchieben wurden. 8 11 
ſchießt nun fo zu fagen ganz ex abrupto die Lehre in die Welt: „Stellt 
man auf den Endpunct einer wagerechten Linie eine fenkvechte, jo ent⸗ 
ſteht ein rechter Winkel. Die Bogen — muß natürlich beißen Kreis— 
bogen, der aus dem Scheitelpuncte befchrieben iſt — tft genau ein 
Viertelöfreis.” Ja gewiß, wenn man erft eingefehen bat, baß ber 
rechte Winkel eine Biertelsprehung if. In 8 12 wird erft die Ent» 
ſtehung des Kreiſes gezeigt. 

In 815 folgen nun Definitionen, aber ohne Weiteres ber pytha⸗ 
goräifche Lehrſatz, ohne daß irgend eine Erklärung des Quadrats vor⸗ 
ausgegangen wäre. Auch die Ellipfe kommt ©. 27 vor, ohne daß 
irgend melde Nöthigung dazu vorläge. 

Bis bieher ftehen wir in vollftändiger Oppofition mit dem Ver— 
faffer und zwar aus verfchiebenen Gründen, von denen und ber wid 
tigfte der ift, daß bie frei fteigenden Vorftelungen des Schülers gewalt⸗ 
fam zurüdigevrängt und ſolche aus der Tiefe feiner Seele hervorgeholt 
werden, die überall Hemmungen erbulden müflen. Dagegen haben 
wir an 88 16—20 nichts auszufegen. Ebenfo möchten wir an der 
Lehre von den Körpern nicht viel mäleln, obgleich die apriorifche Ein 
Theilung, die Definition des vierfeitigen Prisma's, die Veranfhaulidung 
des Sates, daß die Pyramide ber britte Theil eines Prisma's von der- 
felben Grunbfläde und Höhe ift, an einem aus einer Kartoffel ges 
ichnittenen Prisma u. a. m. immerhin fehr bedenklich ift. 


Mathematik. 173 


79. Fritſche, Dr. Earl, PVicedirector der Realihule zu Crimmitſchau, Aufe 
gaden und Fragen auß der geometrifhen Kormenlehre für Reals und höhere 
uürgerſchulen. Metbodifch geordnet und mit einer kurzen Andeutung des Lehr⸗ 
gangd verfehen. 2. Aufl. Leipzig, Julius Klinkhardt. 1874. 61 ©. 80 Pf. 
Der Berfafler läßt das reguläre Hexaëder, das gerabe breifeitige 
Prisma, das fchiefe rhombiſche Prisma, das reguläre Tetraäber, die 
gerade fünfjeitige Pyramide, bie fchiefe fechsfeitige Pyramide mit regulärer 
Grundfläche, die gerade abgeftumpfte fünffeitige Pyramide mit regulärer 
Grundfläche, die fchiefe abgeftumpfte fechsfeitige Pyramide mit regu= 
lörer Grundfläde, ben fünfjeitigen Obelisken, das reguläre Oktaëder, 
Tofaeder und Dodekasder, den geraden Cylinber, den geraden Kegel, 
den geraben abgeftumpften Segel und bie Kugel mit den an biejen 
Körpern zur Erſcheinung kommenden Elementargebilden betrachten und 
untertoirft fie im zweiten Abjchnitt der Mefiung. Bor jedem Körper 
it der Lehrgang kurz angebeutet und fchließlich das Material wohl⸗ 
georbnet zufammengeftellt. Die Fragen und Aufgaben find nun auf 
Definitionen, Bejchreibungen, Vergleichungen, kleine Dispofitionen, 
Eintheilungen und Weberlichten, “ Conftructionen u. dergl. gerichtet 
und erden gewiß zur Webung und Befeltigung bes Gelernten 
wefentlich beitragen. Das Schriftchen ift fehr verftändig angelegt und 
jehr zweckmäßig ausgeführt. 
80. Kunze, Otto, Schuldirector, Der geometrifche Unterricht In der Oberclaſſe 
der Bolksfchule. Brandenburg, Adolph Müller, 1874. 1,50 Marf. 
Der Berfafler verfährt fynthetifch, beginnt daher mit dem Puncte 
a, und läßt diejen bis zu einem andern Puncte b die allgemeine 
Linie beichreiben. Das ift entichieden falfh. Denn wenn der Punct 
a nah b wandern foll, fo bat er nicht die mindeſte Urfache, eine an— 
dere als die gerade Linie ab zu befchreiben. Wenn man bei diefem 
Gedanken ftehen bleibt, fo hat allerdings diefer Weg als Richtung 
lein Ende, fonbern nur zivei Enden zwiſchen den beiden PBuncten a 
und b, die, wenn das wirkliche volle Raumbild aufgefaßt werben 
fol, auch durch die Bewegung des Punctes b nach a aufgefaßt werben 
muß. Das Auge thut ed unwillkürlich, weil die Reihe ab in ber 
That nur eine fließende, eine Beitreihe, und feine ftehende Reihe ift. 
Und woher kommt der Punct? — War nun die gerade Linie als 
Richtung und Strede gefunden, jo war feftzuftellen, baß beide 
durch zwei Puncte gegeben find, und baß beide nur ben reinen Fort⸗ 
Ihritt enthalten. Es konnte nun ©. 8 angelnüpft werden. Die 
Kanten, d. h. die Streden, der Schulftube konnten aufgefucht, gegen⸗ 
überliegende Eckpuncte ſowohl in ben einzelnen Flächen, als im Raume 
verbunden werben; man hätte dann den Begriff ber ſenkrechten, fchiefen 
und parallelen Geraden fowohl zu anderen Geraden und Ebenen 
ohne Weiteres gefunden, denn mit dem phufifaliichen Begriffe bes 
Senkrechten muß das Kind im 6. Schuljahr längft im Reinen fein. 
Es wäre fo eine ganze Menge von Winkeln zur Darftellung gelommen, - 
die theils rechte, theils fchiefe find. Oder man konnte auf ©. 16 
fortfahren und zu den Puncten a und b noch einen britten o feßen. 





174 Mathematik. 


Doch wir können den möglichen, viel näher liegenden Gebanten nicht 

weiter nachgehen. Der Berfafier begeht ben fehler, daß er auf ein 

beftimmtes geometrifhes Syſtem binarbeitet. Da giebt's immer Com: 
mando’3 und katechetiſche Fragen, welche dem Kinbe die Antivort vor⸗ 
ber in den Mund legen. Abgeſehen, daß eine ſolche Fragefabrif die 

Erlenntniß der Gebilde durchaus nicht verbürgt, wenn auch bie Worte 

— eben weil fie meiften® vorher eingefchoben wurden — eine folde 

andeuten möchten, fo genügt bie eine Auffaflung der Sache durchaus 

nicht, fondern man muß berjelben Wahrheit von den verfchiebenften 

Seiten zu Hülfe kommen. Davon ift nun nicht viel zu merlen. Das 

Befte dürften bie mehr ald 200 Aufgaben fein, wenn gleich viele 

berfelben auch nur Nechenübungen find und durchaus nicht das volle 

Verſtändniß vorauszufegen brauchen. (Vergl. übrigens Deutſche Blätter 

für erziehenden Unterricht, 1874. ©. 296.) 

81. Voß, Heinrich, Lehrer zu Lüne und Schulinfpector, Raumlehre für die 
Oberſtufe der Volkoſchulen, wie au für Präparanden-Anflalten. Lüneburg, 
Engel's Buchhandlung. 1874. 68 S. 85 Bf. 

Die vorliegende. Arbeit ift zwar angeblich „auf die Principien 
ber Anfchauung, der Entmwidelung und der praktiſchen Anwendbarkeit 
gegründet und nad Maßgabe ber minifteriellen „Allgemeinen Beftim- 
mungen” vom 15. Detober 1872 bearbeitet”, aber die Anſchauung 
reicht faft nie weiter ald zur Gewinnung ber Definition, bie Entivide- 
lung artet häufig in die unfinnigfte Katechetik aus und bie praktiſche 
Anmwenbbarkeit läuft auf Nebungen im Rechnen hinaus. Nicht zuempfehlen. 
82. Kayſer, Karl, Leltfaden der Raum- und Formenlehre für Volksſchulen. 

Mit Berüdfihtigung einer engen Derbinbung von Anſchauung, Berehnung 

und Darftellung verfaßt. Hannover, Karl Meyer. 1875. 112& 1 M. 

Auh Herr Kayſer redet von den unverlierbaren Principien der 
Anſchauung, des entwidelnden Fortſchritts und der praftifchen Anmenb- 
barkeit. Aber er erinnert fich der Feſtſetzung ber „Allgemeinen Be= 
flimmungen”, baß „alle Kinder gleichzeitig und gleichmäßig zu beichäf- 
tigen und bei fteter Uebung des Auges und ber Hand dahin zu führen 
find, daß fie unter Anwendung von Lineal, Maß und Zirkel vorge- 
zeichnete Figuren nach gegebenem verjüngten ober erweiterten Maßftabe 
nachzeichnen und geometrifche Anfichten von einfach geftalteten Gegen— 
fänden nad gegebenem Maßſtabe darzuftellen vermögen, 3. B. von 
Bimmergeräthen, Gartenflähen, Wohnhäufern, Kirchen und andern 
Körpern, melde gerade Kanten und große Flächen darbieten.“ Diefe 
Erinnerung verbindet er weiter mit der Beitimmung: „Der Unterricht 
in der Raumlehre iſt fowohl mit demjenigen im Rechnen, wie mit 
dem SBeichenunterrichte in Verbindung gu fegen. Während bie Schüler 
in dem leßteren die Formen ber Linien, Flächen und Körper richtig 
anzufchauen und barzuftellen geübt werben, lernen fie im erfteren mit 
deren Mafzahlen ficher und vollftändig operiren, bie Länge ber Linien, 
die Ausdehnung der Flächen und ben Inhalt der Körper berechnen.‘ 
Und wie verfteht er nun dieſe „amtliche Pflicht"? Einfach als Zu— 
fammenwerfen des Verwandten und zum Theil aus gemeinfamer 


Mathematik. 175 


Wurzel Entfprießended. Es wird ein geometrifcher Abjchnitt mohl oder 
übel abgehaspelt, und daran fchließen ſich 1) Fragen zur Wiederholung, 
2) Aufgaben zum Rechnen, 3) Aufgaben zum Zeichnen. Das fol 
mm „Soncentration” fein. Nach den ‚Allgemeinen Beftimmungen‘ 
beginnt das Zeichnen auf der Mittelftufe, die Geometrie auf der Ober- 
ftufe, dad Rechnen auf der Unterftufe, und es tft dabei „amtliche Vor⸗ 
Schrift”, Daß durch die Aufgaben die Schüler mit dem geltenden Syitem 
ber Maße, Münzen und Gewichte befannt gemacht werden. Wie, 
frage ih, Tann man verbinden, mas in $ 2 verbunden wird? Doch 
wir müflen vorher $ 1 anfeben, der in der That ein Unicum von 
deutfcher Pädagogik if. Herr Kayſer commanbirt nämlich: „Be: 
trachte die Wandtafel!“ und fügt hinzu: ‚Ste befteht aus einem be= 
ſtimmten Stoffe, bat eine beftimmte Farbe, Schwere, Größe, Geſtalt, 
einen beftimmten Urfprung und Zmed. Bon allen dieſen Eigenſchaf⸗ 
ten derfelben zieht bie Raumlehre bloß die Größe und Geftalt in 
Betracht. Die Wandtafel ift ferner ein Körper und bat daher drei 
Dimenfionen, fie bat ſechs Flächen und jebe derfelben zwei Dimen- 
fionen, die Fläche bat Kantenlinien, woraus unter ber Hand 
Linien erden, zur Grenze, und bie Linie eine Ausdehnung; die 
Linien find in den Eckpunkten begrenzt, woraus fofort Puncte 
werden, und dieje haben feine Dimenfton. Hier ift zu fragen, ob 
diefe Betrachtung jetzt erſt auftritt oder fchon früher dageweſen ift. 
Wenn fie erft jetzt auftritt, fo wird fie von den Kindern nicht ver- 
fanden, und fam fie fchon früher zum Vorfchein, was in ben erjten 
Schulwochen ftattfinden mußte, fo gehört fie nicht in das Lehrbuch. 
Die Geometrie der Vollsſchule handle von den Dingen, aber jie erzähle 
nicht, wovon zu handeln jei, weil diefes in den Wind gerebet fein würde. 

Fängt man mit den Linien an, fo läßt man fih allerhand 
Linien zeigen. Sind darunter Trumme, fo mag man bie Unter: 
ſcheidung derjelben in gerade und krumme gelten laffen; aber wozu 
ft in S 1 auf den Punct zurüdgegangen ? est fommt das Meſſen 
ber Geraden, und was erfahren wir? „1 m. = 10 dm. = 100 cm. 
= 1000 mm. 2c., was doch das Kind längft an den Schuhen ab- 
gelaufen haben muß, dann u. A. die Einfügung eines Stabes in eine 
abgeftedte Linie, was ebenfalls längft gelernt fein muß. In den 
Nechenaufgaben fommen dann Aufgaben vor wie: „Wie viel cm. find 
3 m. — Ein Schulzimmer ift 10 m. lang, 8 m. breit. Welchen - 
Umfang bat es?“ Das find Aufgaben für einen Schüler des zweiten 
Semefterd im erften Schuljahre. Unter den Aufgaben zum Zeichnen 
führen wir der Kürze wegen nur die erfte an, twelche heißt: „Zeichne 
mit Lineal und Maß acht feine Gerade unter einander 1 cm. bis 
8 cm. !” Das foll der Schüler doch nicht erft jeht lernen ? Denn was hat 
er benn auf der Mittelftufe während brei ganzer Jahre zeichnen follen? 
Oder bat er bort nicht auch Maß und Verhältnig anwenden müflen ? 

Nun kommen die lothrechten, magerechten und fchrägen Zinien 
mit Experimenten mit bem Senkblei unb ber verfchievenen Neigung 
eines mit Waſſer gefüllten Gefäßes. Das erft im fiebenten Schul: 


176 Mathematik. 


jahre? Wir wollen nicht weiter geben, fondern richten unfere Auf- 

merkſamkeit auf die Zeichnungen. | 

Diefe find meift ornamental. Aber in das Lehrbuch ver Geo⸗ 
metrie gehören fie troß ihrer geometrifchen Beftimmtheit nicht, fondern 
in bie Zeichenftunde, wo fie auf die geometriſchen Grundgebilde zurüd- 
geführt werden müflen. Auch kann ber geometrische Unterricht mancher⸗ 
lei Andeutungen geben, wie man durch Verbindung zunädft von ge= 
raden Linien, dann bon allerhand SKtreiäbogen 2. Schönheitäfiguren 
daritellen Tann. 

Das Weſen bes Buches ift hiermit genügend dyaralterifirt. Es 
ift Tein Lehrbuch der Geometrie weder im Geifte der Pädagogik, noch 
der „Allgemeinen Beſtimmungen“; aber gleichwohl enthält es in 
feinen ornamentalen und andern Darftellungen einen ungemein 
reichen Uebungsftoff, den wir allen Lehrern bringend empfehlen können. 
Derfelbe wird zwar in den enigften Bollsjchulen bewältigt werben; 
aber es ift immer wünſchenswerth, mehr Material zu befigen, als man 
braudt, und SJefthalten muß man, daß diefe ornamentalen Gebilde 
durch geometrifche Begriffe aufgefapt werden müſſen und nicht etwa 
eine tbeoretifhe Anwendung der Geometrie barftellen. Auch bas 
Moment ift wohl zu beadhten, was ber Verfaſſer mit Recht betont, 
nämlich, daß der Schüler ſchließlich zu freien äfthetiichen Schöpfungen 
felbftftändig fortfchreite. Das wird bei dem Einen längere Zeit be 
dürfen, als bei dem Andern; aber deshalb find die relativ vielen 
Zeichnungen wirklich eine Schule der Aefthetil. Nur follten fie Beichen- 
vorlagen und feine Geometrie fein wollen. 

83. Oblert, Arnold, Regierungs⸗ und Schulrath in Danzig. Brattifcher 
Lehrgang der Geometrie für Mittelfhulen. 5. Aufl. Königsberg, 93. 9. 
Bon. 1874. 58 ©. 7 Ser. 

Man vergleiche unfere frühere Anzeige (Päd. Jahresber. XX, 65. 
XXVI, 1865), 

84. Terlinden, J., Könige. Seminarlehrer in Neuwied, Vorſchule zur Geometrie 
für Lehrer, Seminaritten und Aspiranten. 2. Aufl. Neuwied u. Leipzig. 
3. 9. Seufer’fche Buchhandlung. 1873. 24 ©. 40 Pf. 

Wir haben uns bereits früher (Päd. Jahresber. XX, 73. 74) über 
diefe Eleine und unbedeutende Arbeit ausgeſprochen. Das, was bier 
en wird, muß der Lehrer, der Seminarift und felbit der Aspirant 
wiſſen. 

85. Gaſſer, A., Oberlehrer an der Domſchule zu Frankfurt am Main, Das 
Raumrechnen für die Volls⸗ und Fortbildungsſchule. VI. Heft des Schul⸗ 
techenbuches. Frankfurt am Main, Jaeger'ſche Buch⸗, Papiers und Lands 
fartenhandlung. 1874. 71 ©. 60 Pf. 

Das Büchelchen zerfällt in zwei Stufen. Beide unterſcheiden ſich 
wejentlih dadurch von einander, daß die zweite bie Ausziehung ber 
Duabrat- und Cubikwurzel voraußfegt, während bie erſte auf die jo- 
genannten vier Grundrechnungsarten beichräntt bleibt. Durch dieſe 
Gliederung wird das Nothwendige zwar auf die erfte Stufe verlegt; aber 
man müßte doch wohl auch auf diefer den Schüler in den Stanb 


Mathematil. 177 


feßen fich felbft helfen zu fünnen. So kann wohl die Aufgabe vor⸗ 
kommen, ein Quadrat von beftimmter Fläche 
9 —=—al)m,9=(yı)ım 
berzuftellen.. Hier muß ber Schüler die Grenzen fuchen, alfo bilben 
9—=1im 9=10m 9 = 100 m, 
9 — 1 Im | 9 —= 100 Im | 9? — 10000 Om, - 
1m <9m< 100 m 


uf. w. 

Die Aufgaben find übrigens recht wohl gebildet und ausgewählt. 
So angemefien fie auch dem Bildungszuftande der Schüler find, ſo 
fordert doch jede zu einer mehr oder weniger anders gearteten Ueber⸗ 
legung heraus; auch ift Die Arbeit völlig felbftftändig und kann ohne 
bie übrigen Aufgaben bes Verfaſſers ohne allen Anftog gebraucht 
werden. Die Hauptfache ift, daß der Lernende in den verichiebenften 
Lagen zu den geometrijchen Objecten und ihren Beziehungen zu ben 
Lebensformen gefeht wird und ſich die Sachen richtig zurecht legen muß. 
8. Hoffmann, Joſeph, Seminarlebrer in Boppard, die Raumlehre in der 

Elementarſchule. öln und Reuß, L. Schwann'ſche Verlagshandlung, 

1874. 88 S. IM. 

Eine Arbeit nach den neuen Regulativen, die bekanntlich nicht 
viel werth find. Den Anfang macht das „Rechnen mit Decimal⸗ 
brüchen“. Das leſe ich gar nicht, weil es nichts mit der Geometrie 
zu thun bat, jondern in die Arithmetif gehört. Der zweite Abfchnitt 
handelt von dem „Punkte, den Linien und den Winkeln“. Wir ers 
fahren da ganz bejondere Sachen von Schmieren, Schönfchreiben, 
Gärtnern, ala ob das Kind das nicht ſchon längſt an den Schuhen 
abgelaufen hätte. Wir erhalten ferner den Namen „gebogene” Linie 
ftatt der „krummen“, und wir wundern und nur darüber, tie bie 
Linie gebogen werben möge. Dann fommen die lanbläufigen wage— 
sechten, ſenkrechten und fchiefen geraden Linien, als ob ein Rind bag 
nicht ſchon im erften Schuljahre nicht nur gelernt, fondern auch ver⸗ 
allgemeinert hätte. Das Theilen der geraden Linien fängt jo fimpel 
und elementar an, daß man denken follte, das Kind babe in den 
5 erſten Schuljahren noch gar feine Divifion vorgenommen. Statt 
Sceitelpunft wird der Name Winkelpunkt eingeführt. Ein jehr geift- 
reiches Stüd find die Nebenwintel: ‚Die beiden an ber Tafel ge- 
zeichneten Winfel haben den Winkelpunkt und einen Schenfel gemein- 
ſchaftlich. Es fcheint, die befonderen Schenkel bilden eine gerabe Linie. 
Dies findet fih beim Anlegen des Lineals beftätigt." Wo follen bei 
folder Behandlung deutliche Begriffe entitehen? Bei den Scheitel- 
winkeln wird das Kind noch viel tiefer geftellt. 

Der britte Abfchnitt handelt von ven Flächen. Darin nicht bie 
Spur von Speculation oder Nachdenken. Die Winkeljumme ebenfalls 
blos empirifch beitimmt. In dieſem Abfchnitt kommt die Ausziehung 
* a attourgel dor, die mit der Geometrie wieberum nichts zu 
thun bat. 


Päd. Jahresbericht. XXVIL 12 








178 Mathematik. 


Daraus theilen wir blos die Auflöfung der Aufgabe mit 
n < Yn?-xr<nHtl, 
welche dann folgendermaßen ausfiebt 


— x 
Yatz=at gr 


Die weitere Ausführung des Dreieds bes Rhombus und Rhom- 
boids wird ohne alles wirkliche Denken fertig gemacht. Ebenfo bie 
Congruenz, die Kreislehre und die Ellipfe. Ein Minimum von Denken 
wird jedoch in ber Körperlehre geforvert, jedoch verſchwindet bafjelbe 
bei dem Pyramidenftumpf gänzlid. In Summa: Das Büdlein ift 
in jeber Beziehung ein Rückſchritt. 

87. Ranger, A., Lehrer, Raumlehre. Neiße, im Selbſtverlag bed Herausgebers. 
1874. — Ausgabe für die einflaffige Volkoſchule 26 ©. mit geometrifchen 
Kiguren. — Ausgabe für die mehrklaſſige Bolkafchule 43 ©. mit Kiguren- 
De a 30 u. 50 Bf. 

Iſt zu armfelig, ald daß eine Charakteriſtik fich der Mühe ver- 
lohnte. Doch : wollen wir die Geſichtspunkte bem Lejer nicht vorent⸗ 


balten. 

1. Das Heften für bie einklaffige, ſowie für die mehrklaſſige 
Volksſchule enthält den Unterrichtsftoff in elementarer Behandlung 
nah 8 29 Alinea 1 und 2 ber Allg. Beitimmungen vom 15. Dftober 
1872. 2. Die Heftchen find gleichlam als Notigen aud dem Unter- 
richte bes Lehrers In betrachten, welche der Schüler zur Einprägung 
und Wiederholung benüsen fol. 3. Der Unterrichtsſtoff ift in Turzen, 
bündigen Sätzen in logifcher Folge gegeben. Neben vollitändigen Er⸗ 
Härumgen find auch nur weſentliche Andeutungen gebraucht; babei ıft 
die Verſchiedenheit bes Ausbruds nicht unberüdfichtigt geblieben. 
4. Der Stoff ift in der Art gegeben, daß der Lehrer durch entwickelnde 
ragen ſowohl die Denkthätigfeit der Schüler, als ihre Sprachfertig- 
Teit zu fördern Gelegenheit bat. Auf ein bloßes Auswendiglernen 
find die Heftchen nicht angelegt. Die Sprache foll bem Stoffe ent- 
Iprechen, denn ein umfichtiger Lehrer würbe 4. B. kein Gefchichtäheft- 
chen feinen Schülern empfehlen, deſſen Stoff fi nicht gut erzählen 
ließe. 5. Die Heftchen find fo entivorfen, daß mit dem Unterrichte 
in der Naumlehre die Kenntniß der Mafe, das Mefien, Beichnen unb 
Rechnen organisch verbunden werben kann. 6. Die Raumlehre ſowohl, 
als die bazu gehörenden geometrifchen Figuren erfcheinen in getrennten 
Heftchen, einmal um bie Anſchaffung zu erleichtern, dann aber auch, 
weil die Schüler die Figuren felbft zeichnen follen, mährend bas Dif- 
tiren eines Reitfabens höhern Orts nicht gebilligt wird. 7. Die Heft⸗ 
hen „Geometr.“ Figuren enthalten neben den Abbilbungen ber Körper 
auch die Neßzeichnungen, welche vergrößert, zur Herftellung ber mathe- 
mathifchen Körper benügt werben Tünnen. 8. Das größere Heft der 
Raumlehre enthält denfelben Stoff, wie das Heine und behandelt 
außer ber Gleichheit und Gongruenz der Figuren, vorzüglich die geo- 
metriſche Sonftruftion der Figuren und das bazu gehörende Figuren- 


Mathematik, 179 


beft viel Stoff zur Uebung bes ſymmetriſchen Zeichnens. 9. Die Heft- 
hen geben die Art ber Berechnung; die Aufgaben dagegen find nur 
angedeutet, weil jeder Lehrer biejelben nach Bebürfnig und Zeit felbR 
geben ober aus Rechenheften entlehnen Tann. 


2. Lehrbücher für den höheren Unterridt. 


88. Geeger, S., Director der Realſchule zu Guſtrow, die Elemente der Geo⸗ 
metrie, für den Schulunterricht bearbeitet. 2. Aufl. Schwerin 1873. 
A. Hildebrand’s Verlag. 196 S. 2,75 M. 

Diele ausgezeichnete Arbeit (vergl. Paͤd. Jahresb. XIV, 121) 
liefert den augenfcheinlihen Beweis, daß das Gute und Befte nicht 
immer das Begehrte und Geſuchte if. Während Leitungen, die nicht 
einmal zum Mittelgut zu zählen find, in 13 Jahren wohl 13 Auf: 
lagen erleben, erjcheint die des Herrn Directors Seeger erft in ber 
jweiten. Zu ändern unb zu verbeflern war faft gar nichts. Nur 
die „Aufgabenfammlung” bildet in der neuen Auflage einen abgefon« 
berten Theil bes Werkes. Nahprüdlichit zu empfehlen! 

89. Möfe, F., Mathematicus in Wismar, Richtung und Länge der geraden 
Linie oder Lehre von den Winkeln und der Congruenz der Figuren. 
Bismar, Hinftorfffche Hofbuhhandiung 1874. 23 ©. 75 Bf. 

Das Schriftihen zerfällt in zwei Abjchnitte. Den erften, welcher 
von der Lage oder Richtung gerader Linien in der Ebene handelt, 
übergeben wir, da er fih an die üblichen Lehren anjchließt. Der 
zweite Wbjchnitt „von ber Länge ber geraden Linien” führt auf das 
Dreied und erzeugt den fpeculativen Gedanken, daß durch zwei Seiten 
a, b eines Dreieds bie dritte c zwar nicht beftimmt, aber doch im 
Grenzen eingeichloffen jei, indem 

a+b>o,a—b <e 

it, jo daß alfo zur vollitändigen Beftimmung noch ein Winkel wirk⸗ 

ſam fein müfle. Der Fundamentalſatz hierfür S. 11 ift nun zwar 

nit betwiefen, aber da er fehr leicht abgeleitet werben kann, fo ift 
der Fortſchritt gegeben und die Congruenzjäße ergeben fich von ſelbſt. 

Diefe werden nun auf die verjchiedenen Arten von Dreieden, PVier- 

eden und Bieleden angewandt und fo die ſonſt wohl befannten Säge 

gefunden. Jedem Abfchnitte find Uebungsaufgaben beigegeben. 

90. Zetzſche, Prof. Dr. Karl Eduard, Leitfaden für den Unterricht in der 
ebenen und räumlichen Geometrie. 2. Aufl. Chemnig 1874, Earl Brumer- 
fe Buchhandlung. 147 S. 4M. 


Dieſer Leitfaden iſt ein vollſtändiges Lehrbuch, aber ohne Be- 
weife der Lehrjäte und ohne Aufldfungen der Aufgaben, ohne Figuren 
und mit wenigen Ausnahmen ohne Buchſtabenbezeichnung. Für bie 
Beweiſe und Eonftructionen wird auf bie begründenden Säge verwieſen, 
für die Buchftabenbezeichnung ift Pla gelaflen und außerdem giebt 
ein breiter Rand Gelegenheit, bie Beweiſe, Conftructionen u. f. f. aus⸗ 
zuführen. Ein Beifpiel mag die Darftellung erläutern. „Sieht man 
bie bier gemeinschaftlihen Tangenten zweier Kreile und , welche 

12* 


180 Mathematik. 


außereinanber liegen, jo find 1) bie zwilchen den Berührungspuntten 
gelegenen Abfchnitte und der äußeren Tangenten und 2) bie 
zwiſchen den äußeren QTangenten gelegenen Stüde und ber 
inneren Tangenten einander gleich, ebenfo find 3) jene Abfchnitte 
biefen Stüden gleih. Ferner find 4) die zwifchen den Berührungs- 


punkten gelegenen Abichnitte und ber innern Tangenten unter 
ſich und aud 5) den zwiſchen ben innern Tangenten gleich gelegenen 
Abſchnitten und ben äußern Tangenten gleih (XXI). Es 


läßt fih, wenn der Schüler die Säge ausführt, conftruirt, beiveifl, 

eine nicht unerbebliche Yörberung befielben erwarten. 

91. Kieferizdy, Carl, Oberlehrer an der St. Annenſchule zu St. Peteräburg. 
Lehrbuch ver elementaren Geometrie für den Schulunterricht bearbeitet. 
Erfter Band Planimetrie. St. Petereburg, Häfjel’8 Buchhandlung (Aug. 
Deubner). 1873. 92 S. 3,50 M. 

Das Bud enthält das übliche Material und noch Einiges, 3. 3. 
Abänderungen des Beweiſe S. 39, 53, Verallgemeineruug ber Süße 
©. 42, 43; Säge, die in andern Büchern überhaupt fehlen, ©. 43, 
63, befondere Ausdrucksweiſen S. 45, 46, 47, 55, 73 und gliedert 
fih in folgende Theile: 1) die Grundlehren, 2) vom Kreife, 3) bon 
den geometrifchen Proportionen, ber Gleichheit und Proportionalität der 
Vieleden, 4) von den Berhältnifien beim Sreife, der Berechnung ber 
regelmäßigen Vielecke und der Zahl r, 5) von den Transverſalen, ber 
harmonischen Theilung und den Aehnlichkeitspunkten. 

Auch der 2. Band, die Stereometrie enthaltend, giebt mandjes 
Beachtenswerthe, fo ©. 8, 9, 11, 12, 15, 21, 22. Prismatoid und 
Obelisk find genügend berüdfichtigt. 

92. Spitz, Dr. Earl, Profeſſor am Polytechnikum in Garlörube. Die erften 
Säge vom Dreiede und die Parallelen. Nach Bolyai's GBrundfäpen bes 
arbeitet. Eine Beigabe zu des Verfaſſers Lehrbuch der ebenen Geometrie. 
Leipzig und Heidelberg, C. &. Binter'ſche Verlagsbuchhandlung. 1875. 7 IR. 
Eine Wiſſenſchaft mag heißen, wie fie will, fo braucht fie bie Er- 

fahrung, gewiſſe Begriffe, welche unzweifelhaft gegeben finb und gu 

Principien dienen können. Wenn nun bie abfolute Geometrie bie 

Euklidiſche als befondern Fall in ſich fchließt, jo muß es auch möglich 

fein, die Euflibifde zur abfoluten zu erweitern, und das jcheint Der 

naturgemäße bibaltiiche Gang. Es kommt eben um das Euflidifche 
zweifelhafte Arion zu fügen auf bie Begriffe an, von denen man aus- 
gebt. Ariome an ſich giebt es eigentlich gar nicht, fondern es find 

Säte, welche aus Begriffen herborgehen, weshalb fie auch alle ableit= 

bar und beweisbar find. Steht der Begriff der Ebene, der der ganzen 

Drehung in ber Ebene feft, fo folgt aus beiben, daß die Winfelfumme des 

Dreieds 2 R beträgt, a prior. Wir finden daher für den üblichen 

Schulunterricht feine Veranlafjung, mit der abjoluten Geometrie ben 

Anfang zu machen. 

93. Hartmann, Dr. B., Genetifcher Leitfaden für den Unterricht in der Plani⸗ 
metrie, in Form methodiſch geordneter Kragen und Aufgaben bearbeitet und 


für Schulen beflimmt. 4. Heft. Aehnlichkeitelehre. Flächenausmeſſung. 
Kreislehre (2. Theil). Bautzen, Eduard Rübl. 1874. ©. 199—200. 1 I 


Mathematik. 181 


Die Entwidelung ift ganz tabellps, alle Fälle werben genau 
discutirt und bie Aufgaben find auögezeichnet. Einen erheblichen Er- 
folg darf man fich von der Beftimmtheit der Maße veriprechen, in bem 
ber Sal genöthigt wird, bier länger bei den gegebenen Elementen 
zu bertveilen. 

94. Müller, Dr. Hubert, Oberlehrer am Kaiferlihen Lyreum zu Meg, Leite 
faden der ebenen Geometrie, mit Benugung neuerer Anfhauungsweilen für 
die Schule. Erſter Theil. Die gerablinigen a lauren und der reis. 
Leipzig, ®. ©. Teubner, 1874. 132 ©. 

Die neueren Anfönuungsiweifen find ber neueren Geometrie, der 
Geometrie der Lage entlehnt. Sehen wir zunädft von ber Anwendung 
des Prineips der Dualität ab, fo haben wir ein fo recht vollſtändiges, 
überfichtliches,, Tlar bargeftelltes Material, welches alle nothivendigen 
Säge der Geometrie ber Lage in ſich faßt, Auch für Uebungsſtoff ift 

eſorgt. Dieſer erfte Theil zerfällt in fünf Curſe: I. Bon ben ebenen 
uren im Allgemeinen, H. von ber Congruenz und ihrer Anwendung 
auf die Unterfuhung ebener Figuren nebft einem Anhang, welcher das 

Princip der Dualität, die Beziehungen zwiſchen Vielecken und Curven, 

und die Congruenz der Figuren behandelt, TIL von den Flächen ge- 

rabliniger Figuren, IV. von ber Proportionalität der Linien, morin 
die harmonischen Punkte und bie Transverfalen des Dreiecks barge- 
ftellt werben, V. bon der Aehnlichleit und der Anwendung derſelben 
auf die Unterfuhung ebener Figuren, welcher Curfus die Lehre von 
ben Sreislinien und Sreiöpolaren und die Berührungsprobleme ent- 
bält. Sehen wir aber nun darauf, was durch das Dualitätsprincip 
gewonnen worben ift, fo ift doch wohl in mancher Hinficht didaktiſcher 

Mißbrauch damit getrieben worden. So gleih im eriten Paragraphen. 

Hier wird a) ber geometsifche Körper, b) bie Fläche, c) bie Linie, 

d) der Punkt beftimmt. Das ift eine Abftractionsreihe, die gewiß nicht 

jerifien werden barf; jondern man geht nun wieder vom Punkte durch 

etermination zur Erzeugung des Körper zurüd. Dadurch entftehen 
die Begriffe in umgelehrter Orbnung: «) Hunt, 8) Linie, y) Fläche, 
Körper. Nun ift gewiß richtig, daß 


a) Körper, a) Punkt, 
s Fläche, P) Linie, 
0) Linie, N) Flaͤche, 


d) Punkt, 6) Körper, 
Gegenſätze find und es wird, wenn Abfzactin und Determination 
überftanden find, vielleicht nütlich fein, die Gegenfäte auch neben 
einander zu flellen. Dagegen empfiehlt ſich die dualiſtiſche Gegenüber⸗ 
ſtellung nicht nur überall da, wo ſie ſich von ſelbſt darbietet, ſondern 
auch bei Umkehrungen. Sonſt ſind die Beweiſe trotz ihrer Kürze 
gleichwohl durchſichtig genug, ſo daß der Anfänger, wenn er Alles 
Bu verftanden und burchgearbeitet hat, kaum bie Citate nachzuſehen 


Fiegan, Dr. Auguft, Erfter Eurfus der Planimetrie. Kür Gymnafien, 
Real» und Bürgerfhulen und zum Gebraude für Dauslehter bearbeitet. 
10. Aufl. Halle, 9. W. Schmidt. 1874. 86 ©. 


182 Mathematik. 


96. Wiegend, Dr. Uug., Lehrbuch der chemen Zrigeusmeirie nebR vielen 
Uchungsaufgaken. Kir bie —* Klafjen böberer ruhen, fewie für 
F in Seibäuntersiht bearbeitet 6. Auf. Kalk, 9. W. Schmidt. 1874 


9. Bin and, Dr. Auguſt, Lebrbuch der Stereometrie und frbärlihen Trigeno- 
werte neh jabireihen lchungsanfgaben. ür bie oberen Alaffen höberer 
Schranftalten itet. 7. Huf. Halle, 9.8. Schmidt. 1873. 130 ©. 1,50M. 

Nr. 95 Haben wir ſchon mehrmals rühmenb erwähnt (Päd. 

Jahresb. IH, 115. XVII, 122. XXIII, 48). Die beiden folgenden 

nehmen im vollen Mafe an dem Lobe Teil, das dem 1. Gurfus gejpenbet 

wurde. Doch wiberfteht eö und, ein viel gebraudtes Bud noch weite 

Täufig zu beſprechen. Darum nur ein Baar charalteriſtiſche methobifde 

Eigenthümlifeiten! Die Ableitung der goniometriſchen Zunktion 

beginnt mit denjenigen ber fpigen Winkel und werben bann auf ale 

möglien Winkel erweitert, die negativen Winkel kommen babei zur 

Vervendung Das techtiwinfelige Dreied bildet die Grundlage, ſpaͤter 

folgen Anwendungen auf ben Kreis und bie Entwidelung ber gonio- 

metrifchen Reihen. — Die Stereometrie geht einen üblichen Gang, 
ſtellt aber Pridmatoid, Obelisk, Prisma und Cylinder und dem ent: 
ſprechend bie pyramibalen Körper zufammen. Sehr werthvoll find bie 
fewonesriigen Aufgaben. 
. Adam, W., Königl Seminarlebrer in Rew-Ruppin, Reyetitorium der 
Slanimetrie, enthaltend Formealehre, Lebrjäge und Aufgaben mit confe 
quenter Bezeihnung und Külfsmitteln zu den Beweifen und Löfungen. 
Zum Gebrauch an Seminarien, Mittel, Reale und Sewerbeſchulen. Für 
die gi tes Gchülerb bearbeitet. Wittenberg, 9. Herrofe. 1864. 64 ©. 


dau Lernſtoff und Uebungeſtoff ber Planimetrie. Weiter 
ip fich zur Sharakteikit nichts hinzufügen. 

Lehrbud der Planimetrie für Gnmnaflen und 

" Realfeulen. Dr von A. Ganger, Dr. phil. und Mathematikus am 

Gymnafium in Stendal, befergie Ausgabe. Berlin, Beidmannfhe Bud- 

Handlung. 1874. 165 ©. 2 M. 

Herr Dr. Ganger bietet im weſentlichen benfelben Unterrichts: 
ſtoff dar, wie die erfte Auflage, die Noten, welche bad Uebungsmaterial 
betreffen, hat er vermehrt und den ald Wufter dienenden ausführlich 
behandelten Conftructionsaufgaben ganz befondere Aufmerkjamfeit be: 
fonbers hinfichtlich der Präcfion im Ausbrude gewwibmet. Die Be 
weife find ausführlich gegeben umd einige Formberänberungen zum 
Befleren vorgenommen. Veſonders —8 find die Anhänge. 

100. @pig, Dr. Earl, PBrofefior am Pelotehnifum in Garlerube, Lehrbuch 
ber ebenen Zrigenemetrie mebR einer Saumlung von 630 Beifpielen und 

We 2—Ejgben zum Gebrande an —** Sdlanfauten und beim Gelbfls 


- Aufl. Leipzig u. Heidelberg; C. F. Winter ſche Berlagähand- 
. 137 6. Im. Zn tr sen 


bang, Au em Bebrt Fehrbuge ber ebenen Trigonometrie ac. 4. Aufl. 
entfpricht engl. Pad. Jahresb. XII, 90) aller bi- 
An Anforderungen, bie man an ein Lehr⸗ 





Mathematik. 183 


101. Koppe, Karl, Profeffor, die Stereometrie für den Schul» und Selbfl- 
Unterridt. 9. Aufl. Eſſen, &. D. Bädeker. 1874. 132 S. 1,60 MM. 
Indem wir und auf unfere früheren empfehlenden Anzeigen 

(Päd. Jahresb. VOL, 174. XX, 70) beziehen, fügen wir nur 
Binzu, wodurch die neue Auflage noch empfehlenäwerther geworben ift. 
Die Simpſon'ſche Regel und ber Sat vom Obelisken find tiefer ein- 
gehend erörtert als früher gefchehen iſt. Ebenfo find die fich kreuzenden 
Linien ausführlicher behandelt und auch erklärt worden, weshalb fie 
jelbft oft windichiefe genannt werben. Bon ben ftereometrifchsalges 
braiichen Aufgaben find einige durch wichtigere erjett worden und 
benjelben Aufgaben zur Uebung hinzugefügt. Durch diefe Abände- 
rungen bat bie Arbeit, die ohnehin fchon alles Lob verdiente, erheb⸗ 
ih getwonnen. 


e. Mathematit. 


1. Lehrbücher. 


102. Oblert, Dr. B., Director der Realſchule zu St. Petri in Danzig, Lehr⸗ 
buch der Mathematik für Realſchulen und Gymnaſten ſowie zum Selbſt⸗ 
unterricht. 1. Abtheilung, 1. Bd. Lehrbuch der Planimetrie. 2. Aufl. 
Elbing. 1874. Neumann⸗Hartmann's Verlag, 197 S. 3 M. 


Da keine weſentlichen Veränderungen nöthig waren, fo verweiſen 
wir auf unſere frühere Empfehlung dieſer „fleißigen und tüchtigen“ 
Arbeit (vergl. Päd. Jahresb. XVI, 76). 


103. Gauß, A. 9. ©. Th, Oberlehrer am Gymnaſium zu Bunzlau, bie 
Häuptfäpe der Elementarmathematil. Zum Gebrauch an höheren Xehr- 
anftalten. Bunzlau, G. Kreufchmer. 1873. 

Erfer Theil: Arithmetik und PBlanimetrie. 145 S. 250 M. 
Zweiter Theil: Stereomerrie und Trigonometrie. 67 ©. 1,25 M. 


Schon lange ift es mir vorgekommen, als ob vielen Gymnaſial⸗ 
lehrern nicht nur die Logik, fondern auch die Pſychologie und bie 
darauf gegründete Didaktik abhanden gelommen fei. Und es ift, mie 
ih ſchon oft gezeigt habe, in der That der Fall. Daher will ich mich 
bei der vorliegenden Arbeit etwas näher darüber ausfprehen. In 
88 1, 2 tritt der Begriff der Zahl auf, aber in dem ganzen Bude ift 
nicht erflärt, was eine Zahl fei, und aus dem Gerebe, womit bie Zahl 
noch mit der Größe zufammenhängt, ift ebenfall® Hug zu werben un⸗ 
möglid. In 8 2 erfcheint dann 0 und —p; was fich aber der arme 
Schulfuchs unter O zu denken habe, und tie er von hier aus —p 
begreifen könne, das iſt in einen undurchfichtigen Formalismus einge- 
built. Was wird der Anfänger ferner zu dem Beweiſe des Lehrſatzes 
11 auf ©. 11 fagen, zumal der Bruch S. 9 gar nicht genligenb 
erflärt iR? Wir wollen uns in ber Logik nicht weiter verfteigen, 
wollen auch die darin eingefchlofienen päbagogiichen Fehler nicht weiter 
urgiren, fondern nur das unpfuchologifche Thun noch in einigen Punkten 
hervorheben. S. 16 und 17 finden fich die Lehrfäge: Iſt 


184 Mathematil. 


> 1 font (£) mo, 


221— (*) v0. 


Abgeſehen davon, daß dieſe ganz außerhalb ber Anfchauung und 
ber a ber Anfänger liegen, mwirb ein viel zu Fünftlicher Beweis 
gebraucht. 


Wenn > 1,fonta>b,apa= (1 + m), alfo ifl 
a (a4 m\ oo __ ” __ 
= (57) urn to 


E<bb=(+n alo 


(an) ht 


Ferner kommt S. 19 das Symbol VY—1 = i vor, und bie Er- 
Härung der compleren Zahl p + qi. Darüber wird nun fein Wort 
verloren; aber die Auflöfung der quabratiihen Gleichungen nicht nur 
gontometrifch gegeben, ſondern auf Säße wie 
cs sygtienyg’=canpg-+tismny 

entwidelt. Was denkt ſich der Anfänger babei, wenn er feine An- 
ſchauung davon bat, aljo nicht von der Gauß'ſchen Theorie ausgeht, 
die fich ohnehin noch päbagogifcher zurecht madjen läßt? Das find nur 
die hervorragendſten Fälle einer unpäbagogifchen Behandlung, ber 
minder wichtigen finden ſich auch jeder Seite. 

An der BPlanimetrie ift nun wenig auszuſetzen, obgleich weber 
bie „Geneſis“ noch die „Syntheſis“ folgende Begriffsreihe erfordert: 
Congruenz, Gerade, Ebene, parallele Gerade, Kreis, Winkel, Bolygon. 
Das ift die reine Verwirrung. Die folgenden Abfchnitte handeln bon 
ben Winleln, vom Dreied, Biered, Kreife, von ben Flächenräumen ge 
rabliniger Figuren, von ber Proportivnalität ber Streden, von der 
Hebnlichkeit der Polygone, vom regelmäßigen Polygon und dem Kreiſe 
und den Grundaufgaben. Abgeſehen von der fonderbaren Logik ift 
mandherlei zu rühmen, nit nur die ausführlichen Beweife, ſondern 
viele verallgemeinte Auffaflungen und anderes Eigenthümliche, mit 
fammt der fogenannten neueren Geometrie. 

Die Stereometrie wird in folgenden fünf Abfchnitten abgehandelt: 
1) gerabe Linien und Ebenen im Raum, 2) das Polyeder, der Kegel, 
der Eylinder, die Kugel, 3) Sphärit, 4) Cubatur und Complanation, 
5) ähnliche Körper. Wer bier nad einem Eintbeilungsgrunde ſucht, 
wird ſchwerlich einen finden, aber im Einzelnen ift nicht? auszufegen, 
jondern fogar mehrere Eigenthümlichkeiten, die man als Berbefierungen 
anſehen kann, hervorzuheben. Die Trigonometrie fängt zwar viel zu 
allgemein und abftract an, aber fonft ift fie gut ausgeführt. 


und ähnlich, wenn 





Mathematik. 185 


104. Gallenkamp, Wilhelm, Director der Friedrichs⸗Werder'ſchen Gewerbes 
fAule in Berlin, bie Elemente der Matbematif. Gin Leitfaden für den 
mathematifchen Unterricht an höheren Lehranftalten. Iſerlohn, 3. Baedeker. 

I. Theil. Arithmetik und Algebra. 1. Abtheilung, Planimetrie. 4. Aufl. 
1874. 142 ©. 20 Ser. 

I. Theil. Die Arithmetik und Algebra. 2. Abtheilung, die Stereometrie 
und die Trigonometrie. 3. Aufl. 1872. 188 ©. 24 Ser. 


Wir verweilen auf unfere früheren Anzeigen dieſes guten Lehr⸗ 
2) der Matbematil (Päd. Jahresb. XIV, 126. XV, 120. XVIII, 
123). 

105. Helmes, J., Profeflor am Gumnaflum zu Eelle ıc. Die Elementar- 
matbematit nad den Bedürfniffen des Unterrichts fireng wiſſenſchaftlich 
dargeſtellt. Erſter Theil. Die Arithmetik und Algebra. II. Abth. Die 
Entwidelung des Potenzbegriffes, die Gleichungen, deren Auflöfung auf 
ihnen berubt, die Reiben, die Gombinationdlehre. 2. Aufl. Hannover, 
Hahn'ſche Hofbuchhandlung. 1874. 288 S. 2 Mr. 80 Bf. 

Die beflernde Hand murbe überall von großer Umficht geleitet, 
fo daß wir in ber That eine verbefierte und den Schulzwecken noch 
angemefienere Auflage vor uns haben (vergl. Päd. Jahresb. XV, 
114— 119). 

106. Schendel, Leopold, Elemente der analytifchen Geometrie der Ebene in 


trilinearen Goordinaten. Kür Mathematiker und Studirende. Jena, 
Hermann Eoftenoble. 1874. 184 © EM. 


Mir zweifeln nicht, daß biefe fleißige und mühebolle, meift weit - 
über die Grenzen der Anfchauung hinausführende Arbeit von ben 
Mathematilern ftudirt werden muß; aber für das Publicum des päda⸗ 
gogiſchen Jahresberichts kommt fie aus verfchiedenen Gründen viel zu 
früb, zumal die Bezeichnung nicht ganz leicht zu merken ift, die Formeln 
viel zu lang, wenn auch einfach gebaut find, und der inhalt weit 
über allen Schulunterricht hinausgeht. Doch foll wenigstens der In⸗ 
balt kurz angegeben werben. Der I. Theil behanbelt 1) den Punlt 
und die Gerade, bad Princip der Dualität, 2) den Schwerpunkt und 
den Kreis der mittleren quabratifchen Entfernungen materieller Punkte, 
das Dreied, die Reciprocität und Collineation, die Coordinatentrans⸗ 
formation, 3) das Doppelverhältnig, merkwürdige Punkte und Gerade; 
ber IL. Theil 1) claffificirt die Eigenfchaften der Kegelichnitte und bes 
bandelt die imaginären Kreispunfte, 2) die elliptifchen und byperbo- 
liſchen Brennpunlte, das Brincip der GContinuität, 3) metrifche Eigen 
Ihaften der Kegelichnitte, A) bie Geometrie der Stegeljchnitte und bie 
einfachen Formen ber SKegelfchnittägleichungen, das Doppelverhältniß, 
die Ableitung und Berallgemeinerung von Säben durch die Principien 
der Polaritäteciprocität, Dualität und Continuität. Wie meit ber Ver⸗ 
faffer gelangt, mag noch durch einige Worte feiner Schlußbemerfung an⸗ 
gedeutet werben. „Wir find am Ende unjerer Unterfuchungen. Werfen 
wir noch einen Blick zurüd auf diefelben, fo fällt uns vor Allem in bie 
Augen die durch die ganze Schrift ſich manifeftirende Dunlität. Da 
treten und bie Begriffe pofitiv und negativ, reell und imaginär, bar: 
monifch und unharmoniſch, polar und unpolar entgegen. Da jeben 


186 Mathematik. 


wir als zufammengehörig und einander entfprecddend, die Elementarge⸗ 
bilde Punkt und Gerade, und unter ben Kegelichnitten die Ellipſe und 
Hyperbel und insbeſondere den elliptiſchen und bupesbolifchen Kreis u. 
ſ. w.“ Wie fehr ferner Jemand bereit3 in der Abftraction geübt fein 
muß, fiebt man 3.38. auch daraus, daß fchon S. 9 Gerade und ebenfo 
Punkte in unendlicher Ferne liegen, Gerade auf fick ſelbſt ſenkrecht 
ftehen u. ſ. w. Aber trotz alledem rathen wir Jedem, der Zeit und 
Kraft bat, fich die uns bier vorgelegte Betrachtungsweiſe anzueignen. 


2. Aufgaben. 


107. Solfert, H. F. Lehrer für Mathematik und Naturwillenfchaften in 
Dreöden, Geometriiche Aufgaben. Ein Uebungebuch zum Gebraude in 
Mealfhulen, böberen Bürgerfhulen, Seminaren, Gewerbfchulen zc. 
l. Planimetrie. 2. Aufl. Dresden, U. Huble, 1874. 50 ©. 90 Pf. 
Trotz der verminderten Seitenzahl iſt die Auflage dennoch eine 

vermehrte und zugleich verbeflerte. Darum fei fie von Neuem empfohlen 

(vergl. Päd. Sahresber. XXII, 64). 


d. Decanif. 


108. WBalberer, Dr. Joh. Chr., Profeſſor am koͤnigſ. Gymnafium in 
Münnerfladt, Anfangegı ande der Mechanik feiter Körper mit vielem 
Mebungsaufgaben zum Schulgebraude an Gymnaſien und tedhnifchen Lehre 
anflalten. 2. Aufl. Rinden‘ Theodor Ackermann. 1874. 166 &. 2M 
Das Buch zerfällt in drei „Theile”. Statik — im Inhaltverzeich- 

nifie fteht Statiftif —, Dynamit und Aufgaben. Es fann nicht unfere 

Abjicht jein, genau auf das Einzelne einzugehen. Die Statik zerfällt 

in Theorie und Anwendung unter bem Titel „Gleichgewicht bon 

Maſchinen“. Es werben bier’ behandelt der Hebel, die Wage (Schnell- 

wage, Zeigerivage, gemeine Wage, Brüdenmage), das Wellrad, die 

Haöpel, die Rolle, der Flaſchenzug, der Potenzflafchenzug, die Winde, 

der Bauaufzug, die fchiefe Ebene, die Schraube und ber Heil. In ber 

Dynamil wird die gerablinige Bewegung mit conftanter Geſchwindig⸗ 

feit, die geradlinig bejchleunigte Beivegung, die Fallbewegung über eine 

ſchiefe Ebene, die Wurfbeivegung (lothrechter, horizontaler, beliebiger 

Wurf), die Kreisbewegung, die elliptiihe Bewegung, die Kepler'ſchen 

Geſetze, die Bewegung am Wellrabe, die Pendelbewegung als ſpecifiſche 

Anwendung ausgeführt, welche im 4. Capitel „Hinbernifje der Be— 

wegung” durch Betrachtung der Reibung des Stoffes weiter ausge⸗ 

bildet wird. Der 3. Theil oder die Aufgaben beginnen ©. 121 und 
find nach den fich darbietenden Kategorien eingetheilt. Die Darftellung 
nimmt natürlich nur die Elementarmathematik in Anſpruch, und ver dieſer 
mädtig ift, wird wohl an feinem Sage Anftoß nehmen. Ich habe 
wenigitend das Bud in wenigen Stunden ohne Anftoß burchgelefen. 
Die Aufgaben dienen ſowohl zur Befeftigung und Anwendung des 
Gelernten, regen aber auch zu weiteren Schlußfolgen an. 


e. Tafeln. 


109. Liebenam, Adolf, Markfceider und Lehrer an der Bergſchule an Cis⸗ 
leben, Zafel der vielfachen Sinus und Eofinus, fowie der einfahen Tangen⸗ 


Mathematik, 187 


ten und Gotangenten. Kür Geometer. Markſcheider und Techniker über- 
haupt, fowte zum Gebrauch für Bergſchulen ꝛc. Üiöleben, Reicherdt'ſche 
Yuchhandlung. 1873. 26 ©. 


Die Tafeln dienen zur Berechnung ber Seigerteufe und zur Be⸗ 
rechnung des Neigungswinkels aus Seigerteufe und Sohle, und find 
infofern ganz praktiſch. 


110. Bremiker, Dr. C., Profefior und Sectionschef im König. Srobätifchen 
Inftitut in Berlin. 3. Stereotypausgabe. Berlin, Nicolatihe Buchhands 
fung. 1873. 4 Mil. 20 Pf. 


Die vorliegenden Tafeln zeichnen fih durch angenehmen Drud 
aus und geben im Gegenjat zu klleineren Ausgaben die Proportional- 
theile vollftändig berechnet. Ste enthalten die Logarithmen ber Zahlen 
und der trigonometrifchen Functionen, die Gauß'ſchen Logarithmen, 
Mate und Gewichte, bie Breiten- und Längengrabe in geographifchen 
Meilen und Kilometern, ſowie den Flächeninhalt zwiſchen je den Breiten: 
Izeifen 0°— 19, 19°—2° u. f. w. in gengraphifchen Meilen u. |. w. 


111. Albrich, Carl, Leiter der Realfchule und Director der Gewerbeſchule in 
Hermannftabt, Logarithmiſch⸗trigonometriſche Rechentafeln zur mechaniſchen 
Ausführung aller Arten togarlıhmifcher und trigonometrifher Rechnungen, 

. Tafel der Zaplen. 

I. Tafel der Sinuffe von 5° 44° 30“ — 90° und der GCofinuffe von 
84° 15° 30" — 0°, 
III. Tafel der Zangenten von 45° — 84° 17’ 20 und der Gotangenten 
von 45° — 5° 42° 40". 

IV. Anleitung zum Gebrauche der Logarithmifchstrigonometrifhen Rechen⸗ 
tafeln ur megantigen Ausführung ac. Hermannftadt, Franz Michaelis, 
1873. 1 . 


nn | 


Bon bdiefen Tafeln in ber Kürze eine Beichreibung zu geben, tft 
geradezu unmöglih. Denn wollte man von S. 4—8 aus ber An⸗ 
leitung abjchreiben, jo würbe doch den Meiften der Verfuch mißlingen, 
ohne Handhabung der Tafeln und bes Lineald, kurz des ganzen 
Apparates, eine klare und deutliche Vorftellung zu bilden. Sodann 
ſehen wir in ben Tafeln nicht die mindefte Erleichterung, indem man 
mit Logarithmentafeln viel ſchneller und pünktlicher rechnet ala durch 
die mechaniſche Auflöjung. 

Bei diefer Gelegenheit will ich meinen Irrthum bereitwillig zu⸗ 
gefteben. Denn was ber Berfafier einwendet, ift ganz richtig. Er 
fagt nämlich in Bezug auf meine Necenfion oder vielmehr Anzeige im 
XXIV. Bande des Päd. Jahresberichtes: „Nachdem in ven Lehrbüdhern 
der Elementargeometrie die Gleihung der Ellipſe immer in der Form 
as y? + 5? x? —= a? b? erfcheint, jo liegt in der That ber 
Scluf nabe, eine Sleihung m y? + n x? = p, Worin die Be 
Dingung mn = p einft erfüllt ift, nicht für die Gleichung einer Ellipfe 
zu halten. Gleichwohl wird in dem Falle, wo die beiden Halbaren a 
und b einen gemeinfchaftlichen Factor haben, die Gleichung nach Ab» 
werfung bes gemeinfchaftlichen Factors in einer ſolchen Form erſcheinen 
wrühlen, baß die Bebingung mn — p nicht erfüllt ift. 


188 Mathematik 


Sind nämlih die Halbaren ber Ellipfe am und bm, fo tft bie 
Gleichung der Ellipfe 
a? m? y?2 + b2 m? x? — a? b? mt 
und nad Abwerfung bed gemeinfchaftlichen Factors m ? 


a? y2 + b? x? = a? h? m?“ 


f. Hiſtoriſches. 


112. Leidenfroft, Dr. Nepers Logarithmenſyſtem und deſſen Beziehung zu 

andern Syſtemen. Programm der Kealſchule I. Ordnung in Welmar 1874. 

Der VBerfafler geht genau auf bie Gefchichte ber Logarithmen ein 
unb berichtigt die mandherlei größeren ober Lleinern Irrthümer, bie in 
ben Büchern fich finden, fo daß man nicht nur eine klare und beut- 
liche Vorftellung von ben Beitrebungen, das Rechnen zu erleichtern, 
fondern au von dem Neper'ſchen Gedankengange und feiner Ausfübs 
rung und dem Verhältniß zu andern Logarithmenſyſtemen erhält. Auch 
einige Betrachtungen find dankenswerth. 





V. Naturkunde, 


Bearbeitet 


von 


Martin Godel, 
Dirertor an der Mädchenübungsſchule des Lehrer- Pädegogiums in Wien. 





I. Methodik. 


A. Raturgefchichte. 


Die neue Schulgejetgebung rief überall neue Lehr: und Hilfs- 
bücher zu Tage, mit welchen auch methodiſche Kundgebungen verfchies 
dener Art auftraten. Man follte kaum meinen, baß es noch möglich 
ift, für die Naturgefchichte neue päbagogiiche Principien aufzuftellen, 
da die ganze Methodik der Naturgeichichte in einen beftimmten Rahmen 
durch den Grofmeifter „Lüben” gebradt ift; man follte meinen, daß 
Lübens Anfihten nur ben SZeitverhältnifien entſprechend angepaßt 
werden. Für viele Berfafler exiftirt bis heute noch kein Lüben; feine 
Predigten hörten nicht alle Lehrer. Einige gehen in ihrer Selbitüber- 
fchägung jo weit, baß fie fich höher dünken, als Lüben, und fchreiten 
fofort zur Aufftellung neuer, erprobter (oft durch vieljährige Erfah- 
zung), allein felig machender Prineipien. Am meiften werben aber 
jene Herren verderblich gegen Ausbau ber volkserziehlichen Methodik 
wirfen, welde an Lehrer - Seminaren. den Samen der Verbummung 
unter die angehende Lehrer- Generation flreuen. Unferer Anſicht nad 
fol der Seminar -Lehrer vollkommen objectiv, unbeeinflußt, auf neu- 
tralem Boden ftehend, feinen Lehrerbildungspflichten nachlommen ; nicht 
aber zu Gunſten biefer ober jener Gonfeffion, diefer oder jener politi= 
ſchen Anſicht die jungen Lehrer bilben. 

1. Bir reihen hieran bie Anfichten ber beiden Seminar-Lehrer „Dr. 
M. Bach aus Boppard und F. Kreutz aus Brühl”. m ihrem 
„theoretiſch⸗ praktiſchen Handbuch der Nealien für Präparanden, 
Seminariften und Lehrer" ift der Unterricht in ber Naturgefchichte 


zuerſt theoretifch befprochen. 


190 Naturkunde, 


Ueber „Zwei und Wichtigkeit der Naturgefchichte” bringen 
die Berfafler nachſtehende Punkte? 

„Li. Die Natur if das erfte Bud der Dffenbarungen Gottes an 
ben Menfchen. “ 

„2. Die Natur ift eine Schule des Fleißes, ber Ausdauer, ber 
Drbnung und vieler anderer Tugenden.” 

. Die Natur ift eine Duelle der reinften Freude.“ 

‚A. Die Natur ift eine Heilanflalt für viele menſchliche Gebrechen.“ 

.D. Die Natur ift eine fichere Zufluchtsftätte für alle diejenigen, 
bie nad einem ftürmifchen Leben, nach innern und äußern Verirrungen 
und Verwirrungen Rube juchen.” 

„6. Die Natur ift die überreiche Vorrathskammer für alle leib⸗ 
lichen Bedürfniſſe des Menſchen. 

„T. Ein fernerer Nuten der Naturgeſchichte liegt noch in dem 
bildenben Einfluß, den fie auf den ganzen Menſchen ausübt.‘ 

. Auf Bildung für das Schöne, in gewiſſem Grade, hat auch 
das ärmfte Kind der Dorfſchule ein Recht.” 

Diefe Säge werben begründet durch Ausiprüche des „Hiob, 
bl. Paulus, des Heilandes, David, Hl. Auguftin, Gellert, 
Hölty u. bel. m.” 

Als „bie vorzüglichiten Lehrmittel für ben Unterriht in 
der Naturgeſchichte“ bezeichnen die Herren Berfafler:: 

„A. Spaziergänge, Hausgarten, Baumſchule, Zuchtkaſten.“ 

„B. Sammlungen von Thieren (Infettentvohnungen) , Pflanzen 
(Blätter und Samen) und Steinen.‘ 

„O. Abbildungen.” 

„D. Schriften zur Weiterbildung der Lehrer. 

Mit diefem find mir einverſtanden; aud muß beigefügt 
werben, daß zur Begründung hierfür feine Kirchenväter citixt 
wurden. 

Hierauf folgen „metbobifche Grundfäte für den Unterricht 
in der Raturgefchichte; und zwar: 

nd an He: auf bie Auswahl und Anorbnung des 
toffes.“ 

a alle fremblänbtiichen Raturprobufte aus beinem Unter- 
richte 7 lange entfernt, bis die Kinder an den Raturlörpern ihrer 
deimat die nöthige Grundlage gewonnen haben !“ 

2. Wähle für den Anfang folge Naturlörper, welche bas Kind 
am leichteften auffaßt !‘‘ 

3 Wähle nach praltiſchen Rüdfihten. “ 

4. Hüte di vor dem Zubiel.” 

„5. Wähle die Naturlörper fo aus, baß ber Schüler in jebem 
Kurfus ein abgeichlofienes Ganze und in jedem folgenden eine Er= 
Weitere des Vorhergehenden erhält.‘ 

Kür A Inſekten find mehr zu berüdfichtigen, als bies bisher ge⸗ 
en 
„B. In Bezug auf das Berfahren beim Unterricht.“ 


Naturkunde. 191 


„T. Der naturgefchichtliche Unterricht fei Anſchauungsunterricht.“ 

„8. Beginne mit der genauen Betrachtung einzelner Naturkörper.“ 

„9. Die Schüler müſſen die Naturlörper nicht blos fehen, fon- 
dern auch beichreiben.” 

„10. Richte Die Beobachtung der Kinder immer auf das Werben, 
d. 5. auf die allmähliche Entwidelung der Natur.“ 

„il. Der Unterricht muß die Selbfithätigleit des Schülers in 
Anſpruch nehmen.“ 

„12. Laſſe die Naturprodukte auch vom äfthetifchen und religiöfen 
Stanbpuntte auffafien.” 

„AB. Erneuere die gehabten Anfchauungen.‘ 

„14. Richte die Aufmerkfamfeit der Kinder auf bie Naturgefege 
und die weiſe Einrichtung in der Natur.‘ 


4. ſolche, melde ein bejonderes Naturgeſetz klarlegen ober 
das Walten einer böhern Macht in ber Natur erkennen 
lafien, denn „Naturgefege find Gottesgedanfen, 
— fie finden heißt Gott finden.“ 

Der Lehrplan, den die beiben Herren Verfaſſer aufftellen, 
zerfällt in drei Hauptabtheilungen. Wir unterlaffen eö den⸗ 
felben bier anzuführen, 1. weil derfelbe ein Machwerk ohne 
alle pädagogiſche Einficht darftellt, 2. weil berfelbe undurch⸗ 
führbar und 3. meil berjelbe nicht genug klar entwidelt ift. 

Die beiden Berfafier Halten es aber ſchließlich für ange- 
meflen, über die Behandlung bes Reiches ber unorganifchen 
Körper in der Volksſchule einige bejondere Bemerkungen 
machen zu müſſen; als: 

„1. Die zu befprechenden Stoffe find beim Unterrichte zur An⸗ 
ſchauung zu bringen.“ 

ro. Die zu, berüdfichtigenden BVeränberungen, bie ein Stoff im 
Waſſer oder Feuer oder an der Luft erfährt, find, wenn fie längere 
Zeit in Anſpruch nehmen, vor der Unterrichtäftunde herbeizuführen 
und bie veränderten Subftanzgen neben den urfprünglichen vorzuzeigen.“ 

„3. Bon den Kennzeichen des unorganifchen Körpers find nur 
die bei der Beiprechung zu berüdfichtigen, die das Kind leicht erfennen 
und auffafien kann.” 

‚4. Hauptſächlich hat man das Augenmerk auf die befonbere Art 
der Getvinnung eines unorganifchen Körpers, die Verwerthung be3- 
felben, beflen allgemeine Bedeutung und Wichtigfeit und feinen etwaigen 
Kreislauf in der Natur zu richten.” | 

„D- Die auöführlichere Beiprehung der unbelebten Körper fällt 
vorzugsweiſe der Oberftufe zu. Auf ber Mittelſtufe Tann der Schüler 
eine gewifle Anzahl Mineralien jo weit kennen lernen, um fie unter- 


192 Naturkunde. 
Scheiben zu können, — alfo nach einigen ivenigen augenfälligen Merk⸗ 
malen.” 


Sp viel au3 dem theoretiſchen Theile; der praltifche Theil 
wird ſpäter feine Erörterung finden. 

Würden obige Theorien in der Reaktions⸗Epoche veröffent- 
licht worden fein, fie hätten fich gewiß eines ziemlichen Bei⸗ 
falls erfreut; aber heute, wo dem Yortfchritt und der Auf- 
Märung allfett3 gehuldigt wird, können derartige Lehren nicht 
mehr verfangen. 

2. Intereſſanter erfcheinen die Anfichten be Herrn Eduard 
Teller, Lehrer in Naumburg an der Saale. Nach den Bor- 
Schlägen dieſes Heren foll der naturgeichichtliche Unterricht in 
„Leicht überfichtlichen Naturbildern“ ertheilt werben. Auf diefe 
Meife würben die 3 Neiche der Natur nicht nach einander, 
fondern in jedem Naturbilde immer mit einander an den Be 
obachter berantreten. — In Bezug auf die Dauer des natur 
geichichtlichen Unterrichtes fchlägt der Verfaſſer einen vier- 
eventuell fünfjährigen Unterricht, der fi auf bie Mittel- 
und Oberftufe der Schulen erftredt, vor; er bat aber auch 
nichts dagegen, wenn ber Unterricht fchon ein Jahr früher 
beginnt. Diefe bier ausgebrüdten methobilchen “been ver— 
dienen Beachtung, wenn auch nicht in vollem Maße beim 
naturbiftorifchen Unterrichte. 

3. Der Verfafler des vorliegenden Berichtes erweiterte Lubens 
Unterrichtsgrundſätze, die fi) nur auf 4 Curfe bezogen, auf 
6 Jahreskurſe. In dem erfdhienenen 1. Hefte für das 
3. Schuljahr jtellt der Verfaſſer folgende pädagogiſche Prin= 
eipien zur Ertheilung des naturgeſchichtlichen Unterrichtes auf: 

„Der Unterriht in diefem Curfe (3. Schuljahr) erftredkt 
fih auf Betrachten und Befchreiben einzelner Arten aus ber 
Zoologie, Botanik und Mineralogie. 

Nur ſolche Naturlörper werben betrachtet, welche 

a. ſich in der nächſten Umgebung des Kindes befinden; 

b. leicht zur Anſchauung gebracht und von den Kindern mit Leich- 
tigkeit aufgefaßt werben können. 

Es bleiben alfo für diefe Stufe ausgeſchloſſen: 

a. Alle ausländischen Naturlörper fo wie jene ber Heimat, bie nur 
Jöitver ober nicht in natura zur Anfchauung gebracht werben 
Önnen; 

b. aus dem Thierreiche die Spinnen, Krebje, Schneden, Würmer, 
Strahltbiere, Duallen, Bolypen und Infuſorien; 

c. aus dem Pflanzenreiche die fämmtlichen Kryptogamen Linné«'s, 
die Sräfer und Nabelbölger; 

d. aus dem Mineralreiche die gemengten Mineralien. 

Der Unterricht berüdfichtigt nur bie augenfälligen M 
male der Naturlörper und bezweckt bie Clafjenbegriffe. Ganz 
unbeachtet bleibt jedes fpecielle Eingehen auf den innern 


Naturkunde. 198 


Bau der Thiere und Pflanzen, die chemiſche Zujammenfegung 
der Mineralien jo wie die fehwerer faßlichen, einfachen und 
alle combinirten Kryſtallformen.“ 

Der im Werle angeführte Unterrichtöftoff ift auf 2 wöchent⸗ 
lie Stunden beredmet. 

4. Herr Henri Schnad, Brivatlehrer in Hamburg, fagt über 
bie Vertheilung des botanischen Unterrichtöftoffes Folgendes: 

„Die Eintheilung bes Stoffes in drei Abfchnitte ging 
aus der Anfiht hervor, daß in ben Unterllaflen vorzugs⸗ 
weile Die Organographie, in ben Mittelllafjen die Anatomie 
und in den Oberflafien die Phyſiologie, ſowie die Gejchichte 
ber Botanif in kurzem Umriſſe zur Behandlung gelange. 
Selbftverftändlich find bie für den Unterricht etwa nöthigen 
Pflanzen in jeder Stunde zur Anſchauung bereit zu halten; 
ganz bejonders nothwendig ift dieſes auf der Unter» und 
Mittelftufe, damit das Gedächtniß nicht ohne den realen 
Boden der Anfchauung belaftet werbe. 

* Unterricht wird nur nach dem natürlichen Syſteme 
ertheilt.“ 

Die Eintheilung des Unterrichtsſtoffes ſehen wir nur als 

eine Privatäußerung des Herrn Privatlehrers an und gehen 
deshalb nicht näher darauf ein. 

5. Herr J. Riedel, Lehrer an der höheren Bürgerſchule zu 
Heidelberg, ſpricht im Vorworte ſeiner Pflanzenkunde einige 
methodiſche Gedanken aus, denen wir unſern Beifall nicht 
verſagen können. Er fagt: 

„Der Unterricht in der Pflanzenkunde muß, wenn er die 
rechten Früchte bringen ſoll, mehr wie jeder andere, auf 
Anſchauung beruhen, ſchon deswegen, als ſich die Pflanzen 
ganz beſonders zu dieſer Behandlung eignen. Gleich natur⸗ 
gemäß iſt es, daß der Schüler das Angeſchaute und Erkannte 
zu Papier bringe und fixire, damit es ihm immer mehr zu 
bleibendem Eigenthum werde. Veranlaßt man ihn ferner, 
der Beſchreibung die Pflanze ſelbſt, oder einzelne ihrer Theile 
in getrocknetem Zuſtande an die Seite zu kleben, ſo wird 
der Zweck dieſes Unterrichts um ſo ſicherer und vollkommener 
erreicht werden.‘ 

Mit diefen Anfichten des Herrn Riebel find wir vollfommen 
einverftanden. 

6. Herr Dr. Karl F. Peters, Profeffor an der k. k. Univerfität 
Graz, Spricht im Vorworte feiner Mineralogie einige in= 
iercHante Sätze aus, welche e8 verdienen hier verzeichnet zu 
werben: 

„Meines Erachtens darf der Anfchauungsunterriht über 
Mineralien nicht jo aufgefaßt werben, wie ber aus ber 300» 
Iogie und Botanit. Es handelt fi in jenem nicht ſowohl 
um die Betrachtung einer Vielheit von Naturkörpern, als 

PA. Jahresbericht. XXVIT. 18 


194 Naturkunde. 


vielmehr um die erfte Anleitung zum Beobadjten von ans 
organiichen Mafien, namentlich von Kryſtallen, gleichviel ob 
dieſelben in der Erde gefunden werben oder nicht. 

Ich bin der Anſicht, daß die dem Anfchauungsunterricht 
aus der Mineralogie gewidmeten Stunden bazu berivenbet 
werben follen, nicht nur die erften Borftellungen von Mineral 
(im weiteren Sinne), fondern aud) Borbegriffe aus ber 
Chemie und Phyfif zu erzeugen, bis zu einem gewiſſen Grabe 
fogav aus der Geologie, indem bie Anſchauungsobjekte 
den Schülern nach Möglichkeit in ber Entftehung vorgeführt 
werden.’ 


B. Bopfit 


Im 26. Bande des Päd. Yahresberichtes haben wir verſprochen, 
eine biftorifche Zufammenftelung der Phyſikmethode aus ben Bänden 
bes Päd. Sahresberichtes zu bringen. Indem wir uns dieſes Ber- 
fprechend hiermit enblebigen, wollen wir nur voraugfchiden, daß bie 
Citate nach ber Reihenfolge der Bände des „Päd. Jahresb.“ geordnet 
werden follen, woraus der Fortfchritt in der Entwidelung bes phyſi⸗ 
kaliſchen Unterrichtes befjer wahrzunehmen if. — Yangen wir alfo 
mit dem 1. Bande vom jahre 1846 an. Gleich die erften Sätze 
lafjien uns das damalige methodiſche Gebahren bdeutli genug über- 
Ihauen. Lüben fchreibt: „Wenn irgend etwas noch im Argen liegt, 
jo ift eö die Methode des Unterrichtes in ber Naturlehre, fo meit bie 
felbe aus ben einfchlägigen Schriften zu erfennen if. Dan beginnt 
den Unterricht mit einer Erflärung von Naturlehre, untericheibet 
diefelbe von ber Naturgefhicdhte, redet von Erperimenten, 
Hypotheſen, hypothetiſchen Erflärungen, theilt die Eigen- 
Ihaften der Körper ein in allgemeine und bejfondere, trägt 
darauf ein Geſetz nach dem andern vor und erläutert es durch Bei⸗ 
ar — — — „Das Tann unmöglih das Rechte, das Natürliche 
ein.“ — — — — 

„Mir ſcheint es, als ſei es in keinem Unterrichtsgegenſtande 
leichter, das Rechte zu treffen, als gerade in der Naturlehre. Wer 
auch nur einige Kenntniß in dieſer Wiſſenſchaft hat, der muß wiſſen, 
daß es ſich in derſelben um ein Dreifaches handelt: 

1. Kenntniß der Erſcheinungen, 

2. Nachdenken über den geſetzmäßigen Verlauf der Erſcheinungen und 

3. Aufſpüren der verborgenen Urſachen und Kräfte, welche den 

Geſetzen und Erſcheinungen zu Grunde liegen.“ — — — 

„Das Verdienſt, auf dieſe natürliche, ſo höchſt einfache Methode 
aufmerkſam gemacht zu haben, gebührt unſerem verehrten Dieſterweg. 
Er hat es bereits 1835, in der erſten Auflage des „Wegweiſers zur 
Bildung für deutſche Lehrer“ gethan. Und doch haben wir noch keine 
nach methodiſchen Grundſätzen bearbeitete Anweiſung zur Naturlehre, 
wenigſtens nicht für Volksſchulen und mittlere Bürgerſchulen“ — — 








Naturkunde. | 195 


„Eine andere Frage von Belang in Betreff der Metbobe ift noch 
bie, ob man dies oben aufgeftellte Dreifache auf allen Unterrichtöftufen 
verbinden, oder mit Hauffi zu ebenfo vielen Surfen erheben fol.“ 

„Rah meinem Dafürhalten ift nur das Erſte natürlid. Kein 
denkendes Kind begnügt fi mit ber Kenntniß der Erfcheinung; es 
wil vielmehr auch die Frage beantwortet haben: „Wie geht das zu?“ 
Und begnügte ſich ein träges Kind mit der Kenntniß, fo müßte man 
es aufrütteln und zum Nachdenten zwingen. Denn wirb ber Unter- 
sicht in der Phyſik nicht zugleich zur Geiſtesgymnaſtik, dann taugt 
er nicht viel. In den Volks- und mittleren Bürgerfchulen pflegt der 
ganze Unterricht in der Regel nur aus einem Curfus für die Ober- 
Kaffe zu beſtehen, und unter ſolchen Verhältniſſen ift an eine Trennung 
jenes Dreifachen gar nicht zu denken.“ 

Man fieht, daß damals ber Unterricht in ber Phyſik noch im 
Argen lag. 

Im 3. Bande fchreibt Lüben: 

„In der Naturlehre tappen wir noch immer mehr oder weniger 
im Finftern umber, nicht nur, was die Methode und den Lehrgang 
betrifft, ſondern auch hinſichtlich des Stoffes, der zu verarbeiten ift. 
Die meiften Schriftfteller ziehen, dem Herlommen und ber Vollfländig- 
Teit zu Liebe, Dinge binein, die ftreng genommen andern Gebieten 
angehören. Ich rechne dazu: 1. Alles, was man mit dem fehr treffen: 
den Ausdrud: „Gelehrtenkram“ bezeichnet, 2. die phyſikaliſche Betrach⸗ 
tung des Erblörpers, 3. die mathematifche Geographie, 4. eine aus⸗ 
führlihe naturbiftorifche Befchreibung des menſchlichen Auges, Obres, 
der Stimmorgane u. dgl., 5. das fpecielle Eingehen in die Chemie, 
namentlih das Befchreiben einzelner Stoffe, deögleichen 6. das zu ſtarke 
Heramgiehen des Technologiſchen.“ — — — 

„Prange fagt bei Beurtheilung bes erften Curfus von Heine's 
Leitfaden: Für die gewöhnlichen Schulkreife muß nun aber einmal 
davon (nämlich von der Mathematik) fo gut wie ganz abftrahirt wer- 
den; da ift die Kenntniß der Erſcheinungen und ber Extrakt der zu⸗ 
nädjftliegenden Reflexionen und Anwendungen das Marimum, welches 
Zeit und Kraft zulaſſen.“ — — — 

„Der abſtrakte wiſſenſchaftliche Gang im phyſikaliſchen Anfangs⸗ 
unterricht, in welchen die meiſten Lehrer feſtgerannt waren (zum großen 
Theile noch ſind), war der große Irrthum, mit dem man ſich trug 
und der durch geringe Erfolge ſich rächte.“ — — — „Ich theile bie 
Anſicht Prange’3, daß es da, wo ber Unterricht in ber Naturlehre 
nicht ausjchließlich in der Oberklaſſe, ſondern wenigſtens in ben zwei 
obern Klafjen ertheilt wird, unpaſſend tft, mit den allgemeinen Eigen- 
fchaften der Körper zu beginnen, ſchon aus dem Grunde, weil bie 
Phyſik es fireng genommen gar nicht mit den Eigenfchaften der Körper, 
fondern mit den Urſachen und Gefegen, welche ben in der unorgani= 
Shen Natur vorgehenden Erfcheinungen zu Grunde Liegen, zu thun 

at.“ — — — 
Im 5. Bande wird der Vorſchlag Sandmeier's, den Unterricht 
13* 


196 Naturkunde. 


in der Phyſik im 12. Lebensjahre eintreten zu laſſen, gut geheißen. 
In Bezug auf Auswahl und Anordnung des phyſikaliſchen Lehrftoffes 
werben Crüger’3 Anfichten bahnbrechend und ben Volksſchullehrern zur 
forgfältigften Beachtung empfohlen. Diefe find: 

„1. Entfernung alles mathematischen Beiwerks. 

2. Beieitigung aller Künfteleien und fpielenden Anwendungen. 
(Chinefiihe Treppenläufer, Cartefianifche Taucher, magnetifche 
Bauberei u. f. w.) 

3. Befeitigung fämmtlicher verwidelten Verfuche und complicixten 
Apparate.‘ 

Dagegen wird gefordert: 

„ti. Hervorhebung der Witterungserfcheinungen. 

2. Berüdfichtigung ber im Leben häufig vorlommenden Werkzeuge 
und der in bie Augen fallenden Anwendungen, foweit diefelben 
nicht in die Technologie gehören. (Pumpe, Feuerſpritze, Wage, 
Brillen, Bligableiter.) 

3. Zurüdgehen auf einfache Verſuche und allgemein befannte Er— 
ſcheinungen.“ 

Hierauf folgt eine Aufzählung bes Unterrichtsſtoffes nach Crüger's 

Anordnung für die Volksſchule. 

Weiter ſchlägt Crüger für höherſtehende Schulen drei Lehrftufen 
bor. „Dem erften Curfus, den er als Anfchauungscurfus bezeichnet, 
follen eine Reihe von einfachen Verſuchen zu Grunde liegen, die fi 
ohne großen Aufwand mit den gewöhnlichſten Werkzeugen anftellen 
lafien. Der zweite Curfus fol den Schüler durch Experimentiren mit 
den gebräuchlichen phyſikaliſchen Apparaten mit dem reichen Material 
der Phyſik nach den verjchiedenften Seiten bin befannt machen, ohne 
fih jedoch tief in das einzulafien, was vorzugsweiſe wifjenfchaftlichen 
Theorien bient. Den britten Curſus bezeichnet der Verfafler ald ben 
vorwiegend mathematiſchen Curſus ber Phyſik, weil in ihm alle Lehren 
mathematifch begründet werben follen, welche eine berartige Behand⸗ 
Iung zulaſſen.“ 

Ueber das Verfahren beim Unterrichte fagt Lüben: 

„Es ift erfreulich, zu ſehen, daß die richtige Behandlung ber 
Phyſik, die darin befteht, überall von beftimmten Erſcheinungen 
oder Verſuchen auszugehen, ähnliche vom Schüler auffuchen und aus 
allen zufammen das zu Grunde liegende Geſetz auffinden laffen, immer 
mehr Boden gewinnt und den ftrebfamen Lehrern wohl bereit3 aller- 
wärts befannt iſt.“ 

Crüger Ferdinand, damals erſter Lehrer der höhern Töchterſchule 
zu Brandenburg a. H., iſt alſo als der Reformator auf dem Gebiete 
des phyſikaliſchen Unterrichtes anzuſehen. 

Sm 6. Bande findet man außer ben von Herrn Dr. Preſtel 
vorgejchlagenen zwei Lehrgängen feine neuen Gebanfen über ben 
Unterricht in ber Phyſik verzeichnet. Die beiben Lehrgänge find: ein 
propäbeutifcher und ein tiefer in die Sache einführenber, die Geſetze, 
Urfachen und Kräfte erforfchender. 


Naturkunde. 197 


Reichlicher tft die Ausbeute im 7. Bande, wo bie vom Rector 
Dr. Crüger über bie Methodik der Naturlehre aufgeftellten Theſen 
Erörterungen finden; biefe Theſen find: 

„1. Es liegt in der Natur des phyſikaliſchen Unterrichts, daß ber- 
felbe erft nah dem naturgelchichtlichen mit Erfolg behandelt 
werben kann. 

2. NReligiöfe Betrachtungen gehören nicht. fowohl in die Phyfil- 
—* als vielmehr Betrachtungen ber Natur in die Religions⸗ 

unde. 

3. Die Methode des phyfilalifchen Unterricht muß bie experimen- 
tirende fein, damit berjelbe einen inhalt babe, und fich der 
Katechefe bedienen, bamit feine Form zum Verſtändniß führe. 

4. Bei ber Gliederung der Naturlehre für die aufeinander folgen» 
ben Lehrſtufen ift es weder pädagogiſch, noch möglid, Er⸗ 
ſcheinungen, Geſetze und Kräfte von einander zu trennen, ſon⸗ 
dern darauf kommt es an, von einfachen Erſcheinungen und 
Geſetzen zu complicirteren und von dem bloßen Nennen der 
Naturkräfte zur Ableitung der Geſetze und Erſcheinungen aus 
denſelben aufzuſteigen. 

Erſter Curſus. Einfache Verſuche, angeſtellt mit ein⸗ 
fachen, leicht zu überblickenden Inſtrumenten. Jedes Experi⸗ 
ment gilt als Repräſentant einer Menge von Analogien oder 
ähnlichen Erſcheinungen; dieſe werden nach Anſtellung des 
Verſuches durchgenommen, und das ihnen Gemeinſame in ein- 
facher Form als Geſetz ausgeſprochen. Die Naturkraft, deren 
Aeußerungen die behandelten Erſcheinungen ſind, iſt auf der 
Unterſtufe nur zu nennen, ohne daß weiter auf ihre Betrach⸗ 
tung eingegangen würde. 

Der zweite Curſus iſt als der Curſus der complicirteren 
Apparate und Geſetze zu bezeichnen, und in geſchichtlicher Weiſe 
mag das Bekannteſte über die Hypotheſen mitgetheilt werden. 

Der dritte Curſus wird ſich durch ſeine mathematiſche 
Behandlung unterſcheiden und das Ziel verfolgen, aus dem 
Weſen der Naturkräfte ihre Geſetze und Erſcheinungen abzu— 
leiten. Zugleich hat er ſolche Erſcheinungen nachzuholen, welche 
vorzugsweiſe den wiſſenſchaftlichen Theorien dienen, wie die 
Verſuche über die Interferenz und Beugung des Lichtes und 
der Wärme. 

5. Die Volksſchule hat aus dem Geſammigebiet der Naturlehre 
die MWitterungs= Erfcheinungen und bie im Leben des Volles 
vorkommenden Apparate zu beiprechen.‘ 

Nun folgen die von Herrn Laiftner über die Behandlung ber 

Naturlehre aufgeftellten Grundſätze; fie beißen: 

„1. Die Naturlehre muß mit der Beobachtung ber realen Lebens- 
ericheinungen und deren Beiprechung beginnen. 

2. Sie muß vor aller Enttwidelung von Naturgefegen bie einzelnen 
Erſcheinungen erllären. 


198 Naturkunde. 


3. Sie muß aus biefen Erflärungen das Geſetz abftrabiren. 

4. Sie muß das Geſetz beleben theils durch feine Anwendung auf 
verwandte Fälle des äußeren Lebens, theild durch Auffuhung 
von Analogien und Differenzen zwiſchen äußeren und inneren 
Lebenserſcheinungen. 

5. Sie muß mit verwandten oder zutretenden eifienägebieten, 
die zum Theil: ala ihre Hilfsmwifjenfchaften anzufehen find, 
Verbindung treten.” 

Ferner wirb noch gefagt, daß die Anfänge bed Unterrichtes in ber 
Naturlehre mit dem Anjchauungsunterrichte zufammenfallen, und baß 
bom dritten ober bierten Schuljahre an neben dem bezeichneten An⸗ 
ſchauungsunterrichte ein gejonderter Zweig eines eigentfich naturlehr= 
lichen Anfchauungsunterrichtes hinläuft. 

Der 10. Band bringt die vom Bürgerſchullehrer Hering aus 
Reichenbach bei ber achten allgemeinen ſächſiſchen Lehrerverſammlung 
in Plauen aufgeftellten Säte für die Ertbeilung eines frudhtbringen= 
ben phyſilaliſchen Unterrichtes. Dieſe Säge lauten: 

„a. Soviel nur immer möglich, führe man dem Schüler beim Uns 
terrichte bie zu erflärenden Erfcheinungen und Vorgänge vor die 
Augen, ober man Inüpfe den Unterricht an Verſuche und Beobach⸗ 
tungen an, bie ber Schüler vor Augen hat. Denn bat der Schüler 
auch das, was ihm beim Unterrichte abfichtlih vorgeführt wird, im 
Reben fon oft wahrgenommen, fo war es doch in den meiften Fällen 
nur ein Sehen befjelben, nicht ein Beobachten, und da in ber Natur 
ein Vorgang nie allein bor ſich geht, fo ift ber noch Ungeübte nicht 
im Stande, zu gleicher Beit bas Ganze zu überbliden und das Ein= 
zelne beftimmt aufzufafen, während bei dem angeftellten Verſuche 
oder Experimente es möglich ift, die Aufmerkſamkeit auf eine beftimmte 
Erſcheinung zu lenken. 

b. Man veranlaſſe den Schüler, durch aufmerkſames Beobachten 
der ihn umgebenden Erſcheinungen außer der Schule neue Belege und 
Beiſpiele für das ihm bereits Mitgetheilte aufzufinden, wodurch das 
Beobachtungsvermögen geſchärft und der praktiſche Sinn gefördert 
wird. Man berückſichtige daher 

c. zunächſt das, was für den Schüler von praktiſchem Werthe 
und von Bebeutung iſt damit es z. B. nicht vorkomme, daß er von 
Luftſpiegelung zu ſchwatzen wiſſe, ohne daß er weiß, welche Bewandtniß 
es mit der Dämmerung und ber Morgen⸗ und Abendröthe bat, ober 
daß er die Namen und Eigenjchaften aller bei und nicht vorklommen⸗ 
ben Giftwwinde an ben Fingern herzählen Tönne, aber nicht weiß, was 
er zu thun und zu laſſen hat, um in feiner Wohnung eine gejunde 
und reine Luft berbeizufchaffen und zu erhalten, und 

d. quäle man den Schüler nicht Stunden lang mit bloßen, 
trockenen Begriffserllärungen, womit man die Freude und das In— 
terefie an der Natur nur zerjtören würde, fondern man gebe fie nicht 
hinter einander auf einmal, mie ed gewöhnlich mit den Eigenſchaften 
der Körper geichieht, fonbern nad und nad, tie unb wenn fie Be⸗ 


Naturkunde, 199 


bürfnig werden. Man gebe ben Begriff von Iuftfürmigen Körpern, 
wenn von der Luft, den Begriff von tropfbarflüffigen Körpern, wenn 
vom Wafler gehandelt werden fol u. f. w. 

e. Man fuche die zu verſchiedenen Zeiten fich darbietende Gelegen- 
beit, über Gegenftände ber Naturlebre zu fprechen, zur feſteren Ein» 
prägung des Dageweſenen zu benugen. So kann das Nöthigfte über 
den Regenbogen den Kindern bald ohne Schwierigkeit beigebracht mer: 
den, wenn eben einer am Himmel fteht, und das Weſen des Nebel 
wird ihnen nicht fchwer begreiflich zu machen fein, wenn fte beim Nebel 
mit ziemlich feuchter ade in die Schule fommen und von diefer aus 
des Nachbars Haus nicht zu erfennen im Stanbe find, bis endlich 
gegen Schluß der Schule die höher fleigende Sonne jo meit bie Dünite 
ausbehnt, daß fie auch von einer höhern, leichtern Luftſchicht wieder 
als Wollen getragen werden können. Ganz beſonders möchte diejes 
gelegentliche Mittheilen und Belehren über Gegenftände aus ber Natur: 
Iehre auch den Schulen zu empfehlen fein, in denen wegen Mangel 
an Zeit diefem Gegenftande nur ganz kurze Zeit zugemefjen werben 
Ionn. Dazu bat es mich bebünfen wollen, ald wenn gerade ſolche 
gelegentliche Mittheilungen fefter im Gedächtniß hafteten, als das im 
fortlaufenden Curſus Gegebene.” 

Sm 13. Bande wird conftatirt, daß man ſich bemüht, die 
Methode der Induktion immer mehr und mehr zu befolgen und in 
Schriften zu kultiviren. Als Exempel ıft Profefior Emsmann's Ber: 
fahren angeführt: „Drei Momente find es, welche beachtet und immer 
in gleicher Yolge behandelt werden müflen, nämlich: 

1. Was ift gegeben ? 

2. Was wird angenommen? 

3. Was ift zu erllären ? 

Um uns kurz faſſen zu können, theilen wir ein Beifpiel feines 
Verfahrens mit. Es handelt fih um das Gefeh: „ver Weg eines 
fallenden Körpers liegt in der Falllinie deffelben.” Um dieſes aufzu= 
finden, heißt es nun: 

Gegeben ift ein Körper. 

Angenommen ift, daß ber Körper fällt. 

Zu erklären ift, warum der Weg bes Körpers in der Falllinie liegt. 

Erllärung Da jeder im Schwerpunkte unterftühte Körper in 
jeber Lage ftehen bleibt, jo kann man fi in biefem Punkte bie 
Schwerkraft der Atome des Körperd vereint denken; folglich wird man 
als Weg des Körpers den Weg des Schwerpunttes anſehen Tünnen. 
Da nun die Schwerkraft die Körper in vertifaler Richtung nach dem 
Mittelpunfte der Erbe hin zur Bewegung antreibt, die Falllinie aber 
vertilal durch den Schwerpunft geht, fo liegt ber Weg eines fallen: 
den Körpers in der Yalllinie deſſelben.“ 

Sehr beachtenswerth ift auch, mad von Dr. Johann Müller über 
das Berhältniß der Mathematit zum Experiment angeführt wird: 

„Die Bedeutung der Mathematil für die Naturlehre ift eine rein 
formelle. Beobachtung und Erperiment find die Quellen, aus welchen 


2300 Naturkunde. 


wir das Material zur Naturlehre ſchöpfen; die Mathematik aber iſt 

ein bortreffliches und unentbehrliches Werkgeug, ohne mweldhes man bie 

Maſſe des rohen Materiald weder genügend praktiſch verwerthen, 

—ã derſelben ein wiſſenſchaftliches Gebäude aufzuführen im 
ande i 

Durch Mathematik aber können wir die mangelnde Kenntniß ber 
Thatfachen eben fo Wenig erſegen, wie die Axt des Zimmermannes 
Holz zu produciren im Stande iſt.“ 

Der 18. Band bringt bie in ber Haupt-Verſammlung bes 
allgemeinen gothaiſchen Landes-Lehrervereins über den phyfilaliiden 

Unterricht in ber Vollsſchule aufgeſtellten Theſen: 

„a. Beim Unterrichte in ber Phyſik iſt in der Volksſchule alljähr⸗ 
lich das erſte Halbjahr zur Durchbeſprechung der mechaniſchen Erſchei⸗ 
nung der Körper zu verwenden. Die übrigen Kapitel der Phyſik fallen 
demnach auf die Winterhalbjahre und die allgemeinen Eigenſchaften 
der Körper ſind nur da zu erwähnen, wo ſich Gelegenheit darbietet. 

b. Jeder Abſchnitt beginnt mit dem Experimente, aus dem bie 
Naturgeſetze abgeleitet werden, und am Schluſſe eines jeden Ab= 
ſchnittes muß nachträglich das Syſtem vom Schüler felbit, unter An⸗ 
leitung des Lehrers, aufgeftellt werben. 

o. Ohne Experiment tft der Unterricht in ber Phyſik in ber Volks⸗ 
ſchule ohne Nuten, und die Verfammlung beauftragt daher das Prä- 
fibium, bei Herzogl. Staatöminifterio den Antrag zu ftellen, baflelbe 
wolle verfügen, daß jeder Ortsvorſtand alljährlich eine gewifje Summe, 
jedoch minbeftene. 15 Thaler zur Anſchaffung don phyſikaliſchen Appa- 
raten für feine Ortsſchule zu verwilligen bat. 

Lüben fagt hierzu : 

„Wir bedauern, daß für bie erfte Theſe die Begründung fehlt, 
ba wir nicht einzufehen vermögen, warum die mechaniſchen Eigenſchaf⸗ 
ten der Körper den Curſus eröffnen follen. Wir halten bafür bie 
Lehre vom Magnetismus und von der Wärme für viel geeigneter.” 

Der 21. Band bringt Dr. Rudolf Arendt's Anfchauungsunter- 
ab in der Naturlehre zur Sprache. Wir lefen darüber unter anderem 

olgendes: 

„Es iſt zunächſt der propädeutiſche Unterricht in der Phyſik und 
Chemie, auf den ber Verfaſſer die Aufmerkſamkeit ſeiner Leſer lenkt. 
Die Stärke dieſes Unterrichtes liegt ihm vorzugsweiſe in der Beobad- 
tung von Vorgängen, obwohl er dad Deferiptive deſſelben auch nicht 
gering anſchlägt. Der Frage nach der Urſache, dem Warum? gebt ex 
dabei zwar nicht ganz aus dem Wege, fchiebt biefelbe aber body einer 
fpäteren Zeit zu, fich babei auf die normale Entwidelung aller unferer 
Naturlenntniß berufend, nach welcher die Erklärung oft viel fpäter er⸗ 
folgte, al8 die Wahrnehmung.” — — — 

„— — — Zur Durchführung des Planes für feine Naturlehre 
verlangt der Berfafler in ber achtllaſſigen Volksſchule vom dritten 
Schuljahre an wöchentlich zwei, im achten Schuljahre drei Stunden. 
Um dieſe Zeit zu gewinnen, ſoll die Naturgeſchichte nur im vierten bis 


‚Raturkunde, 201 


fiebenten Schuljahre eine Stelle finden, unb ihr in den drei erſten 
diefer Schuljahre wöchentlich zwei Stunden gewidmet werben, in bem 
legten (febenten) nur eine. — Das beißt, dad Weſen und bie Bebeu- 
tung der Naturgeichichte für die Jugendbildung verkennen. — — 
Da der Unterricht in ber Naturlehre, wie der Verfaſſer richtig be⸗ 
merkt, ganz bejonders geeignet it, Uebung im deutſchen Aus— 
druck zu gewähren, jo glaubt er, daß auch der Sprachunterricht im 
Sinterefie der Naturlehre etwas beſchränkt werben könne, vielleicht felbft 
der Rechenunterricht, da dieſer auch in einzelnen Abfchnitten der Na⸗ 
turlebre eine Stüße finde. Hierüber dürften aber die Anfichten auch 
weit auseinander gehen. Mit Recht wird man erwibern, daß Sprad- 
bildung (das Wort in feinem ganzen Umfange genommen) in erfter 
Linie erzielt werden müſſe, ba fie alle Lebensverhältniſſe beherrſche.“ 

Der 22. Band bringt einige beachtenswerthe Ausſprüche: 

„Für bie Bollsichule will Prof. Szallay den phyſikaliſchen Unter- 
richt in Verbindung mit der Himmelskunde in bie oberfte Klaſſe ver- 
legt wiflen, worin wir ihm beiftimmen.” 

‚Die Smuptaufgabe bes phyſikaliſchen Unterrichts in ber Volks— 
ſchule ift, den Beobachtungsſinn und die Wißbegierde zu weden. Da⸗ 
ber bat fih der ganze Unterricht in ber Naturlehre an ſolche Exfchei- 
nungen, Verſuche und Beobachtungen zu Inüpfen, bie der Lehrer in ber 
Schule jelbft hervorrufen, oder melde bie Kinder in Gottes freier 
ratur mit ihren eigenen Augen erbliden, d. 5. finnlih wahrnehmen 

nen. 

„Die Frage: Was fol in der Volksſchule aus der Phyſik durch⸗ 
genommen werden? beantwortet derfelbe Berfafler mit den Worten: 
Alle Erfheinungen des tägliden Lebens Wir würden 
lieber fagen: Alle charakteriſtiſchen phyſikaliſchen Erſchei— 
nungen, mit befonderer Berückſichtigung der im ge— 
wöhnlidhen Leben oft vorfommenden.” 

Lehrer C. Bänig in Königsberg beantwortet bie Frage: „Welchen 
Charalter fol der letzte phyſikaliſche Curſus in Bürger-, Mittel- und 
böberen Töchterjchulen tragen? folgendermaßen: „Crüger bat in feinen 
Grundzügen der Phyſik für die zweite Stufe vorgefchlagen, dem Un= 
terricht ein gejchichtliches Gepräge zu geben. Bänit weiſt nach, daß 
dies nur in beichränftem Grabe und überall, felbft in ber Realſchule, 
nicht ohne unverantiwortlichen Beitverluft möglich fei. In Ueberein- 
fimmung mit dem Ziele deö gejammten naturwifjenjchaftlicden Unters 
richts verlangt berjelbe, daß den Schülern im letzten phyſikaliſchen 
Curſus ein Berftändniß für die Einheit in ber Natur, 
d. 5. auf Phyſik angewandt, ein Berftändniß für die Einheit 
ber Naturlräfte anzubahnen.“ 

„Dieſer Forderung fügt der Verfaſſer Hinzu: die ganze neuere 
Phyſik drängt darauf hin, die fcheinbar fehr verfchiedenen Erſcheinungen 
des Magnetismus, der Electricität, Wärme, des Lichts, Schalls und 
Chemiſsmus durch Schwingungen bed Aethers zu erklären. Hierauf 


202 Naturkunde, 


find in neuerer Zeit eine Menge von Thatſachen aufgefunden worben, 
welche den inneren Zufammenbang biefer Erfeheinungen ganz aufer 
allen Zweifel een. Diefen Zuſammenhang auch äußerlih nachzu⸗ 
weiſen und ihn feiner Natur nach zu erforfchen, darin befteht die Auf: 
gabe des lebten phyſikaliſchen Curſus. Wenn fchon der fortlaufende 
Unterricht hierauf Rüdfiht zu nehmen bat, fo werben kurze exrperi- 
mentelle Rüdblide am Schluffe des ganzen Eurfus ben inneren Zu⸗ 
jammenbang ber verſchiedenen Exrfcheinungen noch mehr in den Bor- 
dergrund zu führen haben.” 

Im 23. Bande bat Bänik ben erheblichiten Beitrag für bie 
zweckmäßigſte Geftaltung bes phyſikaliſchen Unterrichts geliefert. Die 
Hauptgrunbfäte bierfür find: 

„a. Lehre nur das, was zur Anfchauung gebracht werben Tann.“ 

„b. Schreite vom Einfachen zum Zufammengefegten fort und er- 
weitere durch jede folgende Stufe die phyſikaliſche Erkenntniß.“ — Die 
in unferer Arbeit durchgeführte Abſtufung fchließt fi) genau an ben 
Gang des naturgefchichtlichen Unterrichts nach Lüben's bekannten unb 
anerlannten Grunbfäten. Hiernach gelangten wir für ben erften 
Curſus zur Beobachtung der Naturerfcheinung, für ben ziveiten zur 
Beobachtung gleichartiger Naturerfcheinungen und dadurch zur Auf- 
findung des denfelben zu Grunde liegenden Naturgeſetzes und endlich 
für den dritten Curſus zur Beobachtung ber Naturerfcheinungen, welche 
durch beftimmte Naturgefege organisch zufammengehören. Die Beob- 
achtung der Naturerſcheinung für fich entfpricht der Betrachtung ber 
einzelnen Arten in der Naturgefchichte, die Beobachtung verwandter 
Naturerfcheinungen und die Auffindung bes venfelben zu Grunde liegen- 
ben Geſetzes ſteht ber Betrachtung der Gattung in den befchreibenben 
Naturwiflenfchaften und die Beobachtung der Naturerfcheinungen, welche 
durch beftimmte Naturgejege organisch zufammengehören, der Syſtematik 
des Thier- und Pflangenreiches gegenüber.” 

„In Bezug auf den dritten Curſus bemerkt der Verfafler, daß er 
es nicht für angemefjen erachte, demſelben ein gefchichtliches Gepräge 
zu geben, ba dies doch nicht confequent burdhguführen fei; die haupt» 
jächlichfte Aufgabe befjelben fei vielmehr: In den Schülern‘ ein 
Berftändnig für die Einheit der Natur, d. h. auf Phyfik 
angewandt, ein Berftändniß für die Einheit der Natur— 
fräfte anzubahnen.” 

Aus den neu erjchienenen Schriften läßt fih nicht viel Neues 
über den phyfitalifchen Unterricht finden. Intereſſant ift, was Herr 
Wettſtein aus Küsnacht über das Ziel des naturfunblichen Unterrichtes 
jagt: „Webrigens hat es nicht die Meinung, daß nach einem breijäß- 
rigen Curſe die Schüler den Inhalt des Leitfadens ſich vollftändig zu 
eigen gemacht haben follen und über jedes Detail müflen Auskunft 
geben können. Wol aber follten fie in den Geift des Ganzen einge» 
drungen fein, an ber Sache Intereſſe geivonnen und ſich an die natur 
wiſſenſchaftliche Methode, durch Induktion zur Erfenntniß der Wahrheit 
zu gelangen, gewöhnt haben; fie follten im Stande fein, einem höher 


Naturkunde. 203 


gehenden Unterricht an Induſtrie- und Gewerbeſchulen, Gymmaſien 
Seminarien, landwirthſchaftlichen Schulen zu folgen und allenfalls auch 
durch Selbftftubium fich weiter fortzubilden, jedenfalls aber gute Bücher 
mit Genuß, weil mit Berftändniß zu Iefen.” Schließlich feien die pä⸗ 
dagogifhen Brineipien für den Unterricht in der Naturlehre aus des 
Beri'hterftatters herausgegebenen „Leitfaden der Naturkunde“ angeführt: 
„Der achtllaffigen Volls- und VBürgerfchule gemäß werben in biefem 
Merle vier eigentliche Unterrichtscurfe unterfchieben, welche auf bie vier 
legten Schuljahre entfallen. Da aber bie Naturkunde fchon von der 
dritten Claſſe (drittes Schuljahr) an ihren Anfang nimmt, jo geht 
ben eigentlichen Jahrescurſen eine Vorſtufe voran, welde ſich auf die 
britte und vierte Claſſe (dritte und viertes Schuljahr) der Volfs- und 
Bürgerjchule vertheilt.“ 

„Diele Borftufe zerfällt demnach in zwei Curfe und ift gleichſam 
eine Fortſetzung des allgemeinen Anfchauungsunterrichted der erften 
zwei Schuljahre und hat den Zweck, den eigentlichen Unterricht in Phyſik 
und Chemie vorzubereiten.” 

„Alles Erperimentiren mit Tünftlichen phyſikaliſchen Apparaten, 
überhaupt alle complicirten Berfuche, find im Vorcurſe ausgefchlofjen.‘ 

„Borzufähren find die gewöhnlichiten alltäglichen Erjcheinungen ; 
biefelben find genau zu beobachten und zu erflären. An den vorge: 
führten Verſuchen ift jo viel Terminologie zu lehren, als überhaupt 
zu lehren möglich iſt.“ 

Der Lehrplan für die Naturlehre des dritten Schuljahres ift fol- 
gender: „Gewicht; Abwägen gleich großer Mengen verjchiedener Körper, 
Schwimmen, Schweben und Unterfinfen im Wafler; ſchwerer, leichter 
und gleichichwer find relativ. Fliegen; Vögel, Luftballon. Mifchung, 
a. feſter, b. flüffiger Körper; Scheidung ber feften Körper. Löfung; 
leicht löslich, ſchwer löslich; gefättigte Löfung. Abdampfung; lochen, 
Dampf, Verdunſtung; Dunſt, einfache Beobachtung der Kryſtallbildung. 
Beobachtung von Wärme⸗Erſcheinungen; warm, kalt, lau, heiß. Be⸗ 
obachtung des Einfluſſes der Wärme auf das Waſſer. Anwendung 
ber gewonnenen Begriffe auf Nebel-, Wolken⸗, Regen- und Schnee⸗ 
bildung. Wärmeſtrahlung, Wärmemittheilung, Wärmeleitung, gute 
und ſchlechte Wärmeleiter. Beobachtung am Hufeiſenmagnet und an 
geriebenen Glas⸗ und Harzſtangen. Beobachtung des Sonnenſcheines 
bei heiterem und wolkichtem Himmel; Tag und Nacht.“ 


C. Chemie. 


Die Literatur über Chemie bietet, ſoweit unſere Orientirung reicht, 
nit viel Neues. Diele können fi der alten, unbaltbaren Theorie 
nicht entfchlagen und bieten fo der neuen Theorie einen Widerftand, 
der fi) aber nicht mehr lange mwirb halten Lönnen. 

Auch die ausgezeichneten Vorfchläge von Bänik, in Bezug auf 
ben chemifchen Unterricht, brauchen jehr viel Zeit zum Eindringen in 
bie Schulzimmer. 


204 Naturkunde. 


Wir behalten uns vor, im nächſten Banbe über die Methodik bes 
chemifchen Unterrichtes ausführlicher zu fprechen und Umfchau zu halten 
auf dem Gebiete, das ber Pädagogiſche Jahresbericht feit dreißig 
Jahren bearbeitet. 





II. £ehrmittel. 


1. Berzeichniß empfehlenswerther und weit verbreiteter Lehrmittel für alle 
Unterrihtefäher, au6gegeben von der Allgemeinen Lehrmittel- 
anfkalt Ehr. Vetter, vormals Ludw. Heftermann, Hamburg, Große 
Bleichen. Nr. 32 (67 S.). 8°. Hamburg. 1874. 

In der Vorbemerkung leſen wir die Exllärung, daß Herr Better 
bemüht var, „eine möglichft vollftändige, metbobifch georbnete Zuſammen⸗ 
ftellung ber anerkannt Bbrauchbarften Lehrmittel zu geben.” Weiter 
beißt ed: „Somit bietet meine Lehrmittel» Anftalt ben Herren Schul- 
een und Lehrern eine ausreichende Bezugäquelle für jeden 

eda “ 

Dem Inhalte nad hält die Lebrmittel-Anftalt Lehrmittel für 
nachfolgende Unterrichtözweige am Lager: 1. Anſchauungs- und Sprech⸗ 
unterriht, 2. Lefen, 3. Schreiben, 4. Arithmetik und Geometrie, 
5. Beichnen, 6. Erdkunde, 7. Himmelskunde, 8. Gefchichte und Bibellunde, 
9. Befang, 10. Naturkunde, 11. Landwirthſchaft, 12. Technologie, 
13. Fröbel’fche Kinderfpiele und Beichäftigungsmittel, 14. Phyſik, 
-15. Chemie. 

Die angegebenen Preije find durchweg annehmbar; auch werben 
einzelnen Collectionen gebrudte Erläuterungen beigegeben. €3 liegen 
und folgende vor: 

1. Erläuterung zu 2. Heftermann’3 Veranſchaulichung bes Flachſes 
und deſſen Verwendung. 

2. Erläuterung zu L. Heſtermann's Veranſchaulichung der Baum- 
twollenpflange und ihrer Verivendung. 

3. Erläuterung zu L. Heftermann’3 Beranfchaulihung ber Wolle 
und ihrer Verwendung. 

4. Die Biene und ihr Leben von Dr. H. Bolau. 

5. Erläuterung zu 8. Heftermann’3 Veranfchaulidung der Seide und 
ihrer Sertwenbung: 

6. Erläuterung zu 2. Heſtermann's Veranſchaulichung "des Leders, 
befien Herftellung und Verwendung. 

7. Erläuterung zu 2. Heſtermann's Veranſchaulichung des Papiers, 
deſſen Bereitung und Verwendung. 

8. Erläuterung zu L. Geftermann’s Veranſchaulichung des Glaſes, 
deſſen Gewinnung und Verwendung. 

9. Erläuterung zu L. Heſtermann's Veranſchaulichung der Leucht- 
und Heizmittel, ihrer Gewinnung und Verwendung. 

10. 2. Heftermann’3 Veranſchaulichung ber Mittel für Färberei und 
Zeugdrud. 


Naturkunde. 205 


Indem wir jämmtliche Schulvorftände auf dieſe wohlorganifirte 
Lehrmittel-Anftalt aufmerkſam machen, zeigen wir zugleich an, baß der 
!echrmittel-Catalog „auf Wunſch zu Dienſien“ fteht. 

2. De euer Naturaliens und Münzen⸗Comptoir. Wien, Stadt, Kruger 
apet ©. 


Der vorliegende Catalog trägt folgenden Profpelt an der Spibe: 
„Dein Naturalien= und Münzen:Comptoir iſt beſtrebt, zubörberft bie- 
jenigen Lehrmittel, welche zum Vortrage für Naturgeichichte an Volle, 
Mittel- und Hochſchulen nothwendig find, in fchönen, tadellofen Exem⸗ 
plaren einzeln wie in ganzen Sammlungen abzugeben und nimmt auch 
Beftellungen auf alle im Cataloge nicht enthaltenen Lehrmittel zur 
beiten Ausführung bereitwilligft an. 

Dem Cataloge nad zu urtheilen, bietet obiges Comptoir eine reiche 
Auswahl von zoologiſchen und mineralogifchen Individuen; die Pflan- 
zenſammlungen bejchränfen ſich auf Herbarien nach verfchievenen Ge— 
fihtspunften angelegt. 

Die Münzenfammlungen, melde für das Gefchichtäftubium nach 
Püs zufammengeftellt find, bieten ein nicht zu unterſchätzendes Lehr- 
eilt, jo wie Briefmarken, deren Spezialverzeichnifie gratis verſendet 
werden. 

Nachdem die beigegebenen Preife angemefjen zu nennen find, fo 
nehmen mir feinen Anftand, obiges Lehrmittel- Comptoir den Schul: 
vorſtänden zu empfehlen. 

3. Kryfallograpbifhe Kiguren-Nege aus Trinkler's Kunſtverlag 
en Bir) Schönaugaſſe Nr. 23. 1. Band mit einem Verzeichniſſe. Preis 
Diele kryſtallographiſchen Figuren- Nee in 120 Exemplaren find 

auf fteifem, waſchfähigem Kartonpapiere, mit Bezeichnung der Hefte 
derart faßlich conftruirt, daß fie von jebem Schüler leicht als Hause 
aufgabe gefertigt werden können. Obwohl diefelben nah P. Sig. 

Fellöcker's Mineralogie, daher nah Mobs’ Syſtem angelegt find, jo 

tönnen diejelben doc ihrer Vorzüglichleit wegen für jedes Lehrbuch 
unb für jedes Syſtem verwendet werben. 

Diejes praftifche Lehrmittel fei beftens empfohlen. 





II, Schriften. 


A. Allgemeine Naturkunde. 


4 Aufgabe und Organifation des naturwiflenfhaftlichen Unterrichtes 
an höheren Lehranftalten von Dr. Aug: Gukeiſen, Lehrer für Naturs 
wiffenfhaften an der flädtifchen höheren Töchterſchule in Köln. (VI und 
43 En, 8°. Köln und Leipzig. Eduard Heinrih Maver. 1874. Preis 
1 Hari. 


Der Berfaffer, welcher im Vorworte eine breizehnjährige praktiſche 
Thätigkeit an verſchiedenen Anftalten nachweiſt, fühlt fi bemüſſigt, 


206 Naturkunde. 


die „herkömmliche Organiſation und Methode des naturwifſenſchaftlichen 
Unterrichtes“ einer gründlichen Reform zu unterziehen, ‚wenn ber Un⸗ 
terricht diejenigen Vortheile (wiſſenſchaftliche Geiftesbildung als auch 
etwaige praftiiche Fertigkeiten) für das praftifche Leben mitgeben folle, 
die man billigerweife von einer Schulbisciplin erwarten Tann.” Höchſt 
intereflant ift folgender Paſſus aus der Vorrede: „Bon ber Idee des 
praktiſchen Lebensbedürfniſſes ausgehend, kam ich zu folgenden Reſultaten: 
1. Der Schwerpunkt des naturwiſſenſchaftlichen Unterrichtes ift auf die 
oberften Klaſſen zu verlegen. 2. Die fogenannte „Naturgeſchichte“ hat nur 
propäbeutifchen Werth und ift möglichft raſch zu erledigen, während 
Phyſik und Chemie — letztere in bevorzugtem Grade — in den Bor= 
bergrund treten und das nöthige Grundmaterial zu Technologie, Phy—⸗ 
fiologie und Anatomie liefern. Und weiter beißt es: „Kenntniß von 
Weſen und Zujammenfetung ber Dinge gibt nur die Chemie, fie bildet 
daher auch logisch das Fundament bes naturwiflenfchaftlichen Wiſſens.“ 

Wir wollen nun, der Driginalität wegen, die Bertheilung bes 
Lehrftoffes wörtlich folgen laflen: „Faſſen wir nun das gegenjeitige 
Berhältnig ins Auge, jo ergibt ſich uns in Kürze folgende Drganifa= 
tion, wobei mir den jeßt beftehenden neunjährigen Lehreurjus zu Grunde 
legen. Der naturtifjenfchaftliche Unterricht beginnt erft mit dem elften 
Lebensjahre, alfo auf der Quarta. Duarta und Unter Tertia geben 
in zwei wöchentlichen Stunden das Syſtematiſche aus Zoologie (im 
Winter) und Botanif (im Sommer) — ausgefchlofien bleiben vorläufig 
bie niederften Klaſſen im Thier- wie im Pflanzenreihe. In Ober: 
Tertin beginnt der phufifalifche Unterricht mit zwei Stunden, der zus 
nächſt die leichteren Kapitel behandelt, d. 5. ſolche, die ſich lediglich 
auf Experimente flüben, ober auch an ben Erfcheinungen bes tagtäg⸗ 
lichen Lebens binreichende Anknüpfungspunkte finden. Die nun folgen 
ben vier Oberklaſſen baben den Naturwiſſenſchaften wöchentlich vier 
Unterrichtöftunden zu gewähren. Die Unter-Secunda fest Phyſik mit 
zwei Stunden fort und beginnt Chemie mit ebenfall® zwei Stunden. 
Ober-Secunda hat eine Stunde Phyſik und drei Stunden Chemie. 
In Unter-Prima wird die Chemie mit zwei Stunden fortgejeht. Zwei 
weitere Stunden fallen im Winter auf Anatomie des Menfchen und 
Kenntniß der niebderften Thierflaflen, im Sommer auf Anatomie und 
Phyſiologie der Pflanzen, fowie ebenfalld Kenntniß der niederen pflanze 
lichen Gebilde. — In Ober- Brima folgt fodann die Vollendung des 
Ganzen. Eine Stunde genügt, eine vergleichende Weberficht über bie 
Entwidelung der Sinnesorgane, des Nerven-, Gefäß- und Verdau⸗ 
ungsſyſtems im Thierreiche zu geben, im Anſchluſſe daran das Widh- 
tiofte aus der Phnfiologie des Menſchen. Eine fernere Stunde fei 
ber Kenntniß bes Welt- und Erbbaues gewidmet. Zwei Stunden 
enbli verbleiben der Chemie, refp. ihrer Anwendung auf die dem 
Menſchen am nächiten ftehenden Produkte und Verhältniffe, 3. B. Nah⸗ 
rungsmittellehre, Abhängigkeit der Gejundheit von Kleidung, Luft, 
Wohnung u. ſ. wm. —“ 

Daß die Mineralogie und Geognoſie bei dieſer Reform unbe⸗ 


Naturkunde, 207 


rüdfichtigt bleiben follen, begründet der Verfaſſer durch Nachftehenbes : 
„Alles Mögliche kann und fol der naturwifjenfchaftlicde Unterricht 
nicht Iehren, wir meifen aljo diejenigen Disciplinen zurüd, melde dem 
bon uns bezeichneten Unterrichtszwecke am fernften ſtehen. Das ift aber 
mit der Mineralogie als Wiffenfchaft entichieben Der Gall, und oben- 
brein gehört ihr Studium zu ben trodenften und fchwierigften im 
ganzen Gebiete der Naturtifienichaften. Die Chemie bat, wie fchon 
oben bemerkt, Gelegenheit genug, das Wiffensmwerthe (natürlich vom 
Geſichtspunkte der allgemeinen naturwiſſenſchaftlichen Bildung betrachtet) 
aus dem Gefteinreiche zu vermitteln.“ 

Daß wir uns folden Reformbeftrebungen nicht anfchließen können, 
erflären wir vorweg. Wir hoffen, daß fih aud Feine Schulbehörben 
finden werben, welche diefe Vorfchläge annehmen können. Nachdem 
aber die Brojhüre manche gute Gedanken aufieift, fo erflären wir fie 
als leſenswerth. | 


5. Leitfaden zu einem methodiſchen Unterrichte in der Naturkunde Kür 
Bolks⸗ und Bürgerfhulen mit vielen Fragen und Aufgaben zu mündlicher 
und fhriftliger Köfung, von Martin Godei, Director an der Mädchen- 
Uebungsichule des Wiener Lehrer⸗Paͤdagoglums. In ſechs Gurfen. Erſter 
Gurfus. 3. Eaujohr. Mit zablreihen Abbildungen. (IV u. 112 ©.) 
(8 Tafeln.) 8°. Bien, Ignaz Altman, I. Kärtnerftraße 45. 1875. Preis 
1 Marl 40 Pf. = 70 Fr. 9. W. 

Indem mir zur Stunde feine Kritif vorliegt, To zeige ich dieſes 
men Wert vorläufig einfah an. Zur befieren Drientirung will ih 
aber jenen Theil der Vorrede hier wörtlich folgen laflen , der fih auf 
das Weſen bes Werkes bezieht. 

„Dieſes Werk ift in erfter Linie für die Hand des Lehrers be- 
rechnet; doch wird es gewiß auch dem Schüler eine willkommene 
Lektüre abgeben, in welcher er allen Unterrichtöftoff, der in die Schule 
aufgenommen murde, findet. Die häufigen Vebungen, Aufgaben und 
Fragen werben die Selbfithätigfeit des Schülers in ben meiſten Fällen 
fördern, gewiß aber nicht fchädigen. 

Dem Lehrer fol es nicht allein den mit feinen Schülern zu ver- 
arbeitenden Lehrſtoff einfach bieten, es fol ihm benjelben vielmehr in 
der Reihenfolge vorführen, wie er ihn abzuhandeln bat; es Toll ihm bie 
Methode des naturfundlicden Unterrichtes klar und deutlich machen; 
e3 fol ihm ferner jene Zeichnungen in ihrer Einfachheit bieten, mie 
er fie zur Sluftration feines Unterrichtes bedarf; es fol ihm Stoff 
zu Aufgaben und Uebungen andeuten und foll eine Zuſammenfaſſung 
des vorgeführten Unterrichtsftoffes enthalten. 

Was den Stoff felbft betrifft, jo ift er ein Marimum, das unter 
günftigen Verhältniſſen bei zwei wöchentlichen Unterrichtäftunden ohne 
Mühe aufgearbeitet werben Tann, über das jedoch in feinem alle 
binausgegangen werden ſoll, weil jonft ber Unterricht ſelbſt darunter 
leiden Iönnte. Häufig werden aber ungünftige Verhältnifie den Lehrer 
hindern, das vorgeftedte Biel zu erreichen. Für folde Fälle gibt das 
Bud zu Ende Andeutungen über Weglafjung bes entbehrlicheren Un- 


208 Naturkunde. 


terrichtöftoffes, ohne daß dem Bufammenhange des ganzen Lehrber- 
fabrens Abbruch gefchiebt. 

Sn methodiſcher Hinficht fußt der Verfaſſer auf den Unfichten 
ber anerlannteften Pädagogen der neueften Zeit, ald: „Dittes, Luben, 
Grüger, Arendt, Bänig, Verthelt“ ꝛc. 

Indem ich das Werk der Deffentlichleit übergebe, glaube ich an⸗ 
nehmen zu können, Fein überflüffiged Buch geichrieben zu haben. 

6. Theoretijch-praftifhes Handbuch der Nealien für Präparanden, Se- 
minariften und Lehrer. I. Band: Bolfländiger Wegweiſer für den natur. 
gefhichtlihen Unterricht in der Bollöfhule von Dr. M. Bad, Seminar- 
lehrer in Boppard, und F Kreutz, Seminarlebrer in Brühl. I. Abtbeie 
lung: das Minerats und Pflanzenreih. (X und 326 S.) 8%. Münſter, 
Rafterfche Verlagsbuchhaudlung. (U. Ziegler.) 1875. Preis 2,20 M. 

Sn der Vorrede geben die Verfaſſer über diefe Schrift Folgendes 
an: „Die Berfaffer haben es fih daher zur Aufgabe gemacht, den 
Bollsfchullehrern in vorliegendem Werke einen geeigneten und für bie 
Volksſchule ausreichenden Stoff und zugleih die nöthigen Winke in 
Detreff der methobiihen Behandlung dbefjelben darzubieten. Jeder 
Lehrer, der guten Willen hat, wird bald im Stande fein, einen ge- 
bdiegenen Unterricht in der Naturgeichichte ertheilen zu Tönnen, — auch 
wenn ex früher feine Gelegenheit fand, die nötbige Unterweifung zu 
erhalten —, infofern er fih an die Anmeifungen biefes Buches hält.” 

„Die Abhandlungen bieten ftet3 das für bie Oberftufe der Volls⸗ 
faule ausreichende Material, und manchmal mehr dar. Nur bei einigen 
wird die verſchiedene Verwerthung des Material auf der Unter- und 
Mittelftufe gezeigt.” 

So viel über den Zweck diefer Schrift. — 

Wie ſchon aus dem Titel zu erfeben ift, jo wurde in biefem 
1. Bande, 1. Abtheilung, nur das Mineral» und Pflanzenreich einer Be- 
arbeitung unterzogen. In ber Subjeriptions- Einlabung lefen wir, 
daß die 2. Abtheilung das Thierreih, der 2. Band bie Phyfik und 
Chemie, der 3. Band Geographie und Geſchichte behandeln werben. 
In der vorliegenden erſten Abtheilung ift durchweg nur der Artbegriff 
entiwidelt worden, und nur zum Schlufje werben bie Pflanzen ganz ein= 
fach in ein natürliches Syitem, ohne alle Begründung, zufammengeftellt. 

Wenn die angelündigten Theile des ganzen Werkes in bemjelben 
Geifte gearbeitet werben, wie der vorliegende und die Seminariften in 
Boppard und Brühl nad diefem Werke gebildet werden, dann baben 
die Klöfter noch eine große Zukunft. Bon unferm Stanbpunfte aus 
können wir die Buch den Präparanden, Seminariften und Lehrern 
nicht empfehlen; eine ſolche Schrift muß auf neutralem und nicht 
confeffionellem Boden ftehen. 

7. Leitfaden für ben Unterricht in der Naturkunde an Sefundarfähulen 
von H. Wettftein. Zweite Auflage. Mit 607 Holzſchnitten. Obliga- 
torifches Lehrmittel der Sekundarfchulen des Kantons Zürich. (VI und 

47 ©.) 8°. Zürich, Verlag der Erziehbungsbdirection. 1874. Zu bezichen 

durch die Kantonsfhulverwaltung. Preis 1 Thlr. 2 Ngr. 


Diefer Leitfaden, der die Botanik, Zoologie, Phyfit, Chemie und 


Naturkunde. 209 


eine faſt zu knapp gehaltene Mineralogie enthält, wurde in ſeiner erſten 
Auflage im 20. Bande des Päd. Jahresber. angekündigt und als ein 
recht gutes Werk bezeichnet. Nachdem dieſe zweite Auflage eine zeitge— 
mäße Umarbeitung (Chemie) erfahren bat, jo halten wir das dort abges 
gebene günftige Urtheil aufrecht und empfehlen ba3 Buch beftens. 

8 Hilfsbuch für den naturtundliden Unterricht in Boll» und 
Mittelſchulen. Einzelbilder aus dem Pflanzen-, Thier⸗ und Minerals 
Reiche mit vielen Kragen und Holzſchnitten. 

a. Erfte Abtbeilung: Pflangenbefhreibungen und das Wichtigſte 
aus der Terminologie, nebt einer Ueberfiht der Pflanzen nach dem 
Linné'ſchen Syitem und den wichtigften Pflanzenfamilien. weite ver- 
mehrte und werbefierte Auflage Bon A. Sprodboff, Seminarlehrer 
in zerlin. Berlin, Fr. Thiele, Brunnenftraße 1248. 1874. Preis 

0 r. 

b. Zweite Abtbeifung: 100 Thierbeſchreibungen und das Wichtigſte 
vom Baue des menfchlihen Körpers mit vielen Fragen und Holzes 
fänitten. Zweite, vermehrte und verbefjerte Auflage. Bon U. Sprod- 
ve Seingunehrer. Berlin, Zr. Thiele, Brunnenſtraße 124a. 1874. 

teis 7 r. 

c. Dritte Ahtbeilung: Befhreibung einzelner Mineralien mit 
vielen Kragen und Holgfehnitten von A. Sprodhoff. Fr. Thiele. 
1873. Breis 3 Sur. 

Im 25. Bande wurde die erfte Auflage des Werkes beiprochen 
und wurden auch einzelne Kleinigkeiten gerügt; doch blieben dieſe troß 
ber verbefierten, neuen Auflage. Da es ſich der Verfaſſer angelegen 
fein ließ, in methodiſcher Beziehung etwas Gutes zu leisten, fo nehmen 
wir Teinen Anftand, oben angezeigte Schrift zum Gebraude für 
och der „Unterftufe des naturgefchichtlihen Unterrichts‘ zu em⸗ 
pfehlen. 

9. Das Nöthigfte aus der Naturgefhihte und Naturlehre in 
Fragen und Antworten für die Schuljugend. Bon Martin Heißler, 
weil. Schullehrer zu Peterölicchen bei Tro berg. Achte Auflage, durchge⸗ 
feben und vermehrt von einem Schulmann. Regensburg, Alfred Coppen⸗ 
rath. 1874. Preis 4 kr. 

Ueber die fiebente Auflage dieſes Büchleins wurde im 22. Bande 
des Päd. Yahresber. in Bezug auf Form und Inhalt der Stab ge- 
brochen. Da die achte Auflage diefelbe Duantität von Unfinn enthält, 
wie die frühere, fo bleiben mwir bei dem Urtheile des 22. Bandes ftehen. 


B. Naturgefſchichte. 


a. Alle drei Reihe umfaſſend. 


10. Bräparatisnen für dengAnfhauungs-Unterriht. Bon Franz 
Wiedemann, Oberlehrer an der vierten Bürgerfchule in Dresden. Zweiter 
Iheil: 200 Präparationen für den naturkundlichen Anſchauungé⸗Unterricht. 
(XH und 440 ©.) 8%. Dreöden, Drud und Berlag von C. E. Meinhold 
& Söhne 1874. Preis 1°), Thaler. 

Der Herr Verfafler ift zur Einficht gelommen, daß man fih auf 
einen naturgefchichtlihen Anjchauungsunterricht in anderer Weiſe zu 
präpariven habe, ald auf den, in welchem aus ber nächſten, befannten 
Umgebung entnommene Gegenftände (Kunftprobufte) dem Kinde vor= 

Pad. Jahresbericht. XXVn. 14 


210 Naturkunde. 


geführt werden. Auf biefe Erfahrung hin, faßte nun ber Verfaſſer 

den Entichluß, Vräparationen für den naturgeſchichtlichen Anjchauungs: 

unterricht zu fehreiben. Die Ausarbeitung der Präparationen geſchah 
in einer Weife, „welche allen Unterrichtöftoff, ber ſich um bie einzelnen 

Naturlörper gruppirt, möglihft erihöpfend umfaßt”. Nach des Ber- 

faſſers Ueberzeugung bietet biefe Art und Weile folgende Vortheile: 

1) „Bei der fachlichen Weberfichtlickeit, in welcher ich ben be⸗ 
treffenden Stoff vorführe, fowie bei der in die Augen fpringenden 
topographifchen Markirung befielben muß es ein Leichtes fein, das für 
die Elementarllaffen Wefentlihe und Erfprießlide auszuwählen. Es 
müßte ein Lehrer fein, der nur an der „Schablone klebt und 
von derſelben lebt, der nicht im Stande wäre, nad) einmaligem Durch⸗ 
leſen irgend eines folchen Artikels fich ein Bild von dem zu fchaffen, 
was er feinen Kleinen geben fann ober will.“ 

2) „Indem ich von jebem einzelnen Naturlörper ein vollftänbiges 
Bild gebe, ift jedem Lehrer, der das Buch zur Hand hat, die Möglich- 
keit geboten, den gerade den Bebürfniffen feiner Schüler entiprechenden 
Stoff mit leichter Mühe herauszugreifen.“ ꝛc. 

Was nun die Anlage anbelangt, jo treten die drei Reiche ge— 
trennt nad einander auf. Jedem Reiche, ja jeder Klaſſe gebt eine 
allgemeine Einleitung vor und der Stoff erfcheint dann fdhematifch 
zufammengeftellt. Abgejehen davon, baß bie allgemeinen Begriffe Ab- 
ftraftionen find und als folde an den Schluß jeber Klafle oder jedes 
Reiches gehören, erjcheint das ganze Werk etwas zu troden. 

Eine lururiöfe Raumverſchwendung hat das Wert um beinabe 
ein Drittheil unnüb vergrößert und natürlich auch vertbeuert. 

Die einzelnen Beichreibungen find fachgemäß gehalten. 

11. Begweifer durch die drei Reihe der Natur für Lehrende und 
Lernende. Hande und Hülfsbuch beim Unterricht in der Raturgefchichte 
an Geminarien und Präparandenanftalten, an Mittel-, Bürgere und 
Bolksihulen, fowie an Kortbildungsanftalten und zum Selbflunterrichte. 
Bearbeitet von Eduard Teller, Lehrer in Naumburg an der Saale. Mit 
350 in den Text gedrudten Abbildungen und einem Zitelbilde. (XX und 
492 S.) 8°, Leipzig, Otto Spamer. 1875. Preis 5,50 Mark. — 

Die Einrichtung diefes Werkes ift derart, daß das Wiſſenswerthe 
aus der Naturgefdichte mit Zufammenftellung ber Naturlörper und 
der Naturerfcheinungen zu Naturbildern vereinigt wurde. 

Nachdem die methodifche Seite diefer Schrift bereit3 oben berührt 
wurde, wollen wir auf den Inhalt etivas mehr eingehen. ‘Das ganze 
Bud zerfällt in 8 Abtheilungen. 

Die erfte Abtheilung enthält „Naturbilder. A. „Aus ber 
Heimat von Nah und Fern nah Drt und Zeit.“ „Gemäßigte Zone.’ 
„J. Der Garten im Frühling, II. an Wegen und Heden, IIL die Wieſe 
vor dem Heuen, IV. der Wald im Sommer, V. das Feld vor der 
Getreideernte, VI. das Waſſer (Süßmwafjer,, VII. ein Sommerausflug 
durch die heimatlichen Fluren nach dem Eteinbruche, VIII. der Sumpf 
und der Bruch oder Moor im Sommer, IX. die Heide zur Sommer: 
zeit, X. das Gebirge, XI. im Bergwerk, XII. ber berbitliche Garten, 





Naturkunde. 211 


XI. Iegter Ausflug. Im Haus und Hof.“ B. „Aus ber Fremde.“ 
„Beige Zone.” „I. Der Urmwalb, II. die Prärie, III. die Pflanzung, 
IV. die Wüſte, V. ein Blid ins Meer.“ „Salte Zone”. VI. „ver 
Talte Norden.“ 

Die Gefammtbejchreibungen find fehr gut, die Einzelbefchreibungen 
etwas zu allgemein gehalten. Biele Arten find nur genannt, die Bilder 
oft nur theilweife ausgenütt. 

„Zweite Abtheilung. Die Organe und Kennzeichen der Natur: 
törper.” „Organographie und Terminologie.‘ 

Diefe Abtbeilung ift vecht gut. 

„Dritte Abtheilung. Das Berhältnig ber Naturlörper zum 
Menſchen.“ ‚Nuten und Schaden ber Naturkörper.“ 

Die Anführungen find fachgemäß. 

„Vierte Abtheilung. Syſtemkunde ober Spftematil. Natürliche 


Spyfteme. | 

„Sünfte Abtheilung. Lebenserfcheinungen ber organifchen Natur- 
törper.” Die Phyfiologie der Thiere und Pflanzen ift auszugartig, 
aber den Anforderungen ganz angemeflen. 

„Sechſte Abtheilung. Geographiſche Verbreitung ber Thiere und 

en.“ 


Diefe Abtheilung ift ſehr gut. 

„Stebente Abtbeilung. Der Haushalt der Natur.‘ 

„Achte Abtheilung. Menſchenkunde ober Anthropologie.‘ 

Dieje beiden letzten Abtheilungen find geradezu vorzüglich gehalten. 
Obwohl wir mit den methodifchen Auffafiungen des Herren Verfafiers 
nicht vollkommen übereinftimmen, fo müfjen wir doch dieſes Werk als 
eines mit vielem Fleiße und Verſtändniſſe genrbeitetes bezeichnen und 
für die angegebenen Schulen beſtens empfehlen. 

12. Kleine Shul-Raturgefhichte von K. U. Schönke. Siebente Auf- 
lage, vermehrt durd eine Pflanzenüberficht nach Linne. (IV und 211 ©.) 
8%. Berlin, 3. Remak. 1874. Preis: roh 10 Sgr. — gebunden 12 Sgr. 

Zu dieſer Naturgeſchichte iſt erichienen: Atlas von 77 Abbildungen auf 

25 Tafeln, naturgetreu illum. 15 Sgr. 

Ein ganz gemwöhnliches, ſyſtematiſch gehaltene Buch ift für bie 
Hand der Kinder beitimmt. Jedem Reiche geht dad Allgemeine mit 
der Syſtematik voran und dann folgt der beichreibende Theil. Die 
etwas confeffionelle Färbung ließe eher auf eine Verwendung des 
Büchleins in Klofterfihulen ſchließen, als auf dem selbe ber freien 
Pädagogik. 

13. Leitfaden für den Unterricht in der Naturgeſchichte. Bon A. Kindler, 
Lehrer der Digpeelhue au Raumburg a. ©. (VIO und 199 ©.) 8°. 
Raumburg a. S., H. Sieling. 1873. Preis 121/, Ser. 

Diejes Büchlein iſt nach folgenden Gefichtspunften angelegt: 

„Kl. OD. Erweiterung und Zuſammenfaſſung des auf ben beiden 
Unterftufen behanbelten Materials zum Syſtem der drei Naturreiche. 
Zufammenftellung der Thiere und Pflanzen nach verſchiedenen Geſichts⸗ 
puntten. Bonenbilder. Menſchenkunde. — Kl. L Wieberbolende 

14 * 





212 Naturkunde. 


Veberficht über die drei Naturreihe. Geographiſche Verbreitung ber 
Thier⸗ und Pflanzenwelt. Wiederholung und Erweiterung der Men- 
ſchenkunde; Elemente einer Gefunbheit3- und Nabrungsmittellehre. 
Haushalt der Natur, das Wichtigſte aus der Technologie.” 

Dies gibt zugleich den Inhalt des Büchleins an. 

Das Hauptmotiv der Herausgabe dieſes Büchleins ift folgendes: 
„Ein Schulbud, das fämmtliche genannte Seiten des Naturgeichichts- 
unterrichts berüdfichtigt, war bisher nicht zu finden. Der Mangel eines 
geeigneten Lern» und Wieberholungsbudes für die Hand ver Schüler 
machte ſich aber immer fühlbarer; daher entjchloß ſich Unterzeichneter, 
dem ſeit einer langen Reihe von Jahren der Raturgefchichtäunterricht 
obliegt, zur Herausgabe vorliegenden Leitfabens zum Gebraudhe für bie 
Oberſtufe gehobener Volksſchulen und ber Mittelichulen.“ 

Als Fehler muß bezeichnet werben, daß ber Pflanzentundbe Fein 
natürliches Syſtem zu Grunde gelegt if. Im Ganzen ift das Werf 
mit redlichem Willen gejchrieben und wird, ohne ba e3 zu ben vor= 
züglichen Werfen gerechnet werden könnte, als ein brauchbares empfohlen. 
14. Ergebniffe des naturgeſchichtlichen Unterrichts in Vollds und 

Bürgerfägulen. Ein Wiederholungsbuch für Schüler. Herausgegeben von 
W. Dietlein, Rektor. Dritte, nad den minifteriellen „Allgemeinen Be» 
fiimmungen vom 15. Oltober 1872 umgearbeitete Auflage. (59 ©.) 8°. 
Braunfchweig, Harald Bruhn. 1874. Preis 4 Grofchen. 

(Borliegendes iſt eine Separat⸗Ausgabe aus: Dietlein, Ergebniffe des 

geographifchen, geſchichtlichen und naturkundlichen Unterrichts 2. Dritte 


verbefjerte Auflage. Preis 8 Groſchen. Auch bie andern 3 Theile find 
einzeln à 4 Groichen zu haben.) 


Nachdem der Verfafler nit Einen der im 23. Bande bes Päd. 
Jahresber. ausgeftellten Fehler verbeflert bat, fo müflen wir und mit 
unferem Urtbeile an das im 23. Bande enthaltene abſchlägige 
Urtheil anlehnen. 


b. Anthropologie. 


15. a. Bau, Xeben und Pitch des menſchlichen Körpers. Zum Gebrauche 
in Säulen und zum Selbftunterricht bearbeitet von Theodor Scharf, 
Lehrer der Naturwiſſenſchaften am Kaiſerlichen Lehrerfeminar in Mep. 
Dritte, vermehrte und verbefierte Auflage. Mit Atlas. (VI und 104 ©.) 
8%, Met, deutſche Buchhandlung (Georg Lang). 1874. 

b. Anatomifher Atlas zu Bau, Leben und Pflege des menſchlichen 
Körpers. Bon „peobor Scharf, Lehrer der Raturwiffenichaften am 
Kaiſerlichen Lehrerfeminar in Meb. Dritte, vermehrte und verbeflerte 
Auflage. Meß, deutfche Außhanblung (Georg Lang). 1874. Preis für 
Textheft und Atlas zufammen 5 Marl. 


Diefes Wert gehört zu den ſchätzenswertheſten Schulbücdern. Bes 
fonders ift der Atlas ausgezeichnet inſtruktiv eingerichtet. 
Es wird beitens empfohlen. 


16. Kurzgefaßte Anthropologie für einfache und erweiterte Voltsfhufen, 
Bortbiibungeflafien und Präparandenanftalten, von Adolf Meufer, Saupt- 
ehrer an der erweiterten Vollsfchule zu Mannheim. Mit fünf in den Text 
eingedrudten Holzſchnitten. (V und 60 ©.) 8%. Mannheim und Strap: 
burg, 3. Bensheimer. 1874. Breis 50 Pf. 


Naturkunde. 213 


Ein mittelmäßiges Buch mit zu wenig Illuſtrationen. Die vor⸗ 
handenen bringen zur Anfhauung: „das Skelet, die Baucheingeiveide, 
den Blutumlauf, das Ohr und das Auge.” Die Nothwendigkeit und 
den Mangel der Zeichnungen begründet der Verfafler folgendermaßen: 
„oda die Anſchauung Grunbbedingung alles Unterrichtes ift, fo fand 
ich es für zweckmäßig, Zeichnungen in den Text einzufügen, die zum 
richtigen Verfländnifje des Lehrftoffes mejentlich beitragen ; wenn weitere 
Auflagen nöthig werden, fo wird die Zahl berfelben noch vermehrt, 
In jest aud verjchievenen, mitunter zwingenden Gründen unthun⸗ 
ich ar.‘ | 

Uns erjcheint ein Hinweis auf eine qualitativ beſſere ziveite Auf- 
lage bei der Ausgabe der eriten nicht pafjend. 


c. Zoologie. 

17. Naturgeſchichtsbilder. Ein Hilfsbuch für Real⸗ Elementar und Volks⸗ 
ſchullehrer, Seminariflen und Naturfreunde Bearbeitet nad den Bes 
Rimmungen des Herrn Kultusminifterd Dr. Kalt vom 15. Oftober 1872 
von Dr. 2. Möller und 9. Seffe I. Theil: die Vertreter des Thier⸗ 
ut (IV u. 148 8.) 8% Leipzig, 3. ©. Teubner. Preis 1 Mark 
Der Grund der Herausgabe dieſes Werkes ift im erften Satze 

der Vorrede niebergelegt: „Obgleich ber Büchermarft für befchreibenve 

Naturgeſchichte überſchwemmt ift, jo entſpricht doch Fein Buch den 

jegigen Berhältnifien und Anſprüchen, welche an bie Lehrer ber Ele- 

mentar= und Volksſchulen geftellt werben.‘ 

Diefe Begründung müflen wir zurückweiſen, wenn wir auch nicht 
umbin fönnen, ven beiden Verfaſſern für die Anlage und Durchfüh— 
zung be3 Werkes Lob zu zollen. Ob jedoch das Bud den Real-, 
Elementar: und Volksſchullehrern, Seminariften und Naturfreunden 
zugleich enifprechen wird, laſſen wir einftweilen dahin geftellt fein. 

Ssebenfalls iſt dies Büchlein aber eine gute Arbeit. 

18. Dr. $. ©. Bronn’8 Klaffen und Ordnungen des Thier⸗Reichs, 
wiſſenſchaftlich dargeftelt in Wort und Bild. Mit auf Stein gezeichneten 
Abbildungen. Lex.⸗80. V. Band. Fortgefept von Dr. U. Gerftäder, 
Docent an der Univerfität zu Berlin. 17. bis 20. Lieferung. Tafel XXIV. 
bis XXXL VI. Band. II Abtheilung. Fortgefept von Dr. ©. K. 
Hoffmann, Eonfervator des Reichsmuſeums zu Leiden. 1. bis 7. Lieferung. 
Zafel I. bis XVII. VI. Band. V. Abtheilung. Yortgefept von Dr. 
©. ©, Giebel, Profefior an ber Univerfität in Sale. 1. bis 3. Lieferung. 
Tafel I. bie XI. Leipzig und Heidelberg, C. F. Winter. 1874. à Liefe⸗ 
rung ?/, Thaler. 


Der 5. Band bringt die Arthropoda, Glieberfüßler, der 6. Banb 
2. Abth. die Amphibien, der 6. Band 5. Abth. die Mammalia, Säuge- 
thiere, zur Beſprechung. 

Das Wert gehört zu den vorzüglichiten unter ber zoologiſchen 
Literatur; und zwar ſowohl in Bezug auf Tert ald auch Abbildung. 

Nachdem die noch fehlenden Bände zugleich in Angriff genommen 
wurden, fo können wir mit Zuverſicht die Hoffnung ausſprechen, daß 
das Werk bald vollendet fein wird. 


214 Naturkunde. 


Ausbild d Bibl l 
wir See ——— re für Bibliothelen empfehlen 


d. Botanik. 


19. 8, Der erſte Unterricht in der Bilangenktunde, auf Anfhauung ges 
runde. Bon J. Riedel, Lehrer am der höheren Bürgerichule zu Heidel« 
erg. (Mit eigens für diefen Unterricht entworfenen Heften, in welchen 

die Pflanzen von den Schülern nad einem gegebenen Schema beſchrieben 
und getrocknet neben die Befchreibung eingetieht werben.) (36 ©.) 8°. 
ee erg, Georg Weiß. 1874. Preis 75 Bi. 

b. Pflanzen et. (33.6) 4°. eidelbere Georg Weiß. Preis 25 Pi. 


Das Heine Büchlein, in welchem 45 Pflanzen methodiſch und ob⸗ 
jektiv richtig beſchrieben find, eignet ſich recht gut als Leitfaden für 
ben erften Unterricht in ber Botanik. 

Ueber die Verwendung ber Pflanzenhefte fpricht fi ber Ber- 
fafler folgendermaßen aus: „In Bezug auf das Unterrichtsverfahren 
erlaube ih mir noch Folgendes zu bemerken. Die zu beichreibende 
Pflanze, von welcher jeder Schüler ein Exemplar ober bie wichtigſten 
Organe berfelben in der Hand bat, wirb unter Anleitung des Lehrers 
nah allen ihren Theilen angeichaut und durchgeſprochen; dann hat 
er das Angeichaute und Erlannte nach dem gegebenen Schema in das 
Heft einzutragen und zwar fo, baß es abwechſelnd ein Schüler diktirt, 
während es die andern nieberjchreiben. Die auf diefe Weife behandelte 
und befchriebene Pflanze wirb dann getrodnet und vermittelft ſchmaler 
Bapierftreifen mit Gummi links von ber Befchreibung auf die leere 
Seite gellebt, und auf die 2 darüber gezogenen Linien feht man ben 
Namen berjelben und die Klafje und Orbnung, in bie fie gehört.’ 
Mit diefer Anſchauung find wir ganz einverftanden. 

20. geitiaben der Allgemeinen Botani? für höhere Bürgerfhulen von 


nrich Schnack, Privatlehrer in Hamburg. (62 ©.) 8%. Hamburg, 
tt Meißner 1874. Breis 50 Pf. 


Diefes Buch ift für „Schüler und Lehrer” höherer Bürgerfchulen 
beftimmt. Zu den in der Einleitung über diefes Buch gemachten Bemer- 
tungen fügen wir noch als Ergänzung bei, ba ber angeführte Lehr⸗ 
ftoff in allen drei Theilen ziemlich troden zufammengetragen iſt. 

Mit den Anfchauungen des Herrn. Privatlehrers Schnad find 
wir nicht einverſtanden. Wir find ber Meinung, baß dem Herrn 
Berfafler das päbagogifche Beug fehlt, ein methodiſches Buch für 
— Schulen zu ſchreiben. 


.Grundriß der Botanik. Zum Schulgebrauche bearbeitet von Dr. 
Mo Seubert, Großherzoglich⸗badiſchem —2* und Profeſſor an der 
Polytechn iſchen Schule zu Karlsruhe. Dritte, vermehrte Auflage. Mit vielen 
in den Text eingedrudten Holzfhnitten. (IV u. 164 ©.) 8°. Leipzig und 
Heitelberg, C. %. Winter. 1874. Preis 1,20 Maul. 


Diejes Werk, welches im 20. Bande des Pädagogiſchen Jahres- 
berichtes zum erſten Male angezeigt wurde, gehört zu den ſyſtematiſch 
angelegten, objektiv recht gut durchgeführten Lehrbüchern, die fich wohl 


Naturkunde - | 215 


weniger für ben Schulgebraudh, recht gut aber für die häusliche 
Wiederholung eiguen. 


22. Synopſis ber drei Naturreide Gin Handbuch für höhere Lehr⸗ 
anftalten und für Alle, welche fi wiſſenſchaftlich mit Raturgefchichte be- 
fhäftigen und fi zugleih auf die zwedmäßigfte Weife das Selbſtbeſtimmen 
der Raturlörper erlzitern wollen. Mit vorzüglicher Berüdfichtigung aller _ 
nützlichen und ſchädlichen Naturkörper Deutfhlande, fo wie der widtigften 
vorweltiihen Thiere und Pflanzen bearbeitet von Sjobanned Leunis, 
Doktor der Phylofophie, Profeffor der Naturgeſchichte am Joſephinum In 
Hildesheim und mehrer naturhiſtoriſchen Gefellfchaften wirklichem, corres 
fpondirendem und Ehrenmitgliede. Zweite, gänzlich umgearbeitete, mit 
vielen hundert Holzfähnitten und mit der.etymologifhen Erklärung ſämmt⸗ 
licher Namen vermehrte Auflage. Zweiter Theil, Botanil. Nah 
dem Rode des Verfaſſers bezüglich der Kryptogamen neu bearbeitet von 

. Frank, Doktor der Phyloſophie, Privatdocenten der Botanik an 

der Iniverfität Leipzig und Cuſtos des Univerfitätsherbariums daſelbſt. 

weite Hälfte. Siebentes Heft. Bogen 74—81. Hannover, Hahn'ſche 
ofbuchhandlung. 1874. Breis 1 Mark 80 BE. 


Diefes werthvolle Wert wurde in biejer neuen Auflage bereits 

im 25. Bd, des Päd. Sahresber. angezeigt und beſprochen. Wir 

zeigen biermit die Fortjegung der Lieferungsausgabe, welche durch den 

Tod bes Verfaflerd einige Störung erlitt, an und ftellen an die Ver- 

lagshandlung die Bitte, die noch fehlenden Lieferungen dieſes für ein 

—— Studium unentbehrlichen Werkes recht bald folgen zu 
en. 


e. Mineralogie. 


23. Kryſtallnetze zur Verfertigung der beim mineralogiſchen Anfchauungs- 
unterriht vorkommenden widtigften Kryftallgeftalten, entworfen von Lüd. 
Mothe, Realihuldirektor in Teſchen. 3 Tafeln. 2. Auflage. Wien, 
Pichler's BWittwe u. Sohn. 1874. Preis 6 Ror. 


Diefe Kryſtallnetze, 48 an der Zahl, reichen für die Unterllaffen 
der Mittelſchulen und Oberklaflen der Bürgerfchulen vollkommen aus. 
Sie find recht fauber, nett und in angemefjener Größe entworfen; 
auch der Preis ift ziemlich niebrig geſtellt. 

Wir können diefes Lehrmittel beſtens empfehlen. 


24. Leitfaden zum erfien Anfhauungsunterriht aus der allge 
gemeinen Anorganograpbie (Mineralogie). Kür Mittelfchulen und den 
Privatunterriht verfaßt von Dr. Earl F. Peters, Profefior an der 
f. E. Unfverfität Graz. Mit 58 Holzfchnitten und 3 lithogr. Tafeln. (VI 
u. 89 ©.) 8°. Graz, Zeufchner u. Zubendfy. 1874. Preis 1,80 Mark. 


Diefes Werk wird für Gymnafien und Realfchulen recht gute 
Dienfte leiften. Da es ganz nad den in der Einleitung citirten Prin= 
eipien angelegt und ausgeführt ift, empfehlen mie daſſelbe für die 
oben bezeichneten. Lehranſtalten beftens. 

25. Analytifhe Tabellen zur Beflimmung der Klaffen, Ordnungen, 
Gruppen, Sippen und Arten der Mineralien und Gebirgsarten. Bearbeitet 
von Profeſſor Dr. Senft. (Zugleich Grgänzungsheft zu Leunis Schule 
Raturgefähichte und Leitfaden der Deineralogte) (102 ©.) 8°, Hannover. 
Hahn'ſche Hofbuchhandlung. 1874. Preis 1,60 Mark. 


216 Naturkunde, 


Wer fih eingehend mit dem Stubium der Mineralogie beſchaͤf⸗ 
tiget, dem empfehlen wir dieſes wohlgearbeitete Ergänzungsheft zu 
Leunis Schul-Raturgefchichte auf das Beſte. 


c. Phyjit. 


26. Schule im Freien zugleiih Sammlung von Aufgaben zu fchriftlichen 
Auffägen und mündlichen freien Borträgen. (70 ©.) 8°. Langenfalza, 
5. ©. 8%. Greßler. 1873. Preis 7',, Sur. 


Der Berfafler ift unbelannt. 

Der Inhalt iſt folgender: „L Das Luftmeerr. 1. Die Atmo- 
fpbäre, 2. Dämmerung, 3. Regen, 4. Wind, 5. das Gemitter, 6. bad 
Echo, 7. Singvögel. IL Am Himmel. 8. Der Mond, 9. Fortfegung, 
10. Sonnen und Mondfinfternifie, 11. der Abendſtern, 12. bie 

onne.” 

Der Berfafier fragt, warum man die Schüler meift nur Rad: 
bildungen der Naturgegenftände und nicht die Natur felbft anfchauen 
läßt! Bei Diskuſſion diefer Frage kommt derjelbe zu folgendem Ur: 
theile: ‚Aber fo oft, als es möglich ift, follte man doch eine Lehr: 
ftunde im Freien halten.” So fehr wir aud Excurfionen in’s 
Freie empfehlen, fo müflen wir biefer Anficht doch entgegen treten, 
da ſie fih Taum irgendwo realifiren laſſen wird. 

Um den Stand des Verfafierd in Bezug auf wiſſenſchaftliche 
Bildung zu Tennzeichnen, führen wir eine Stelle aus bem Büchlein 
Seite 68 an. Die Sonnenfleden und Sonnenfadeln werben folgen: 
dermaßen erflärt: ‚Der auf der. Sonne [hwimmende Lichiftoff 
ſcheint ſich alfo zu verfchteben, an einzelnen Stellen den Sonnenlörper 
zu entblößen, an andern fich über ihm zu häufen. Die Sonnenfadeln 
erſcheinen oft als bellglängenve Bergrüden oder Höhenzüge, find aber 
ebenjo veränderlich, als die Flecken.“ 

Unfer Urtbeil geht dahin, daß bie Büchlein päbagogifh und 
wiſſenſchaftlich mißlungen ift. 

27. Aufgabenbüchlein zu dem Leitfaden: Die Naturlehre in der Volls⸗ 


und Mittelfcehule. Bearbeitet von praktiſchen Schulmännern in Düffeldorf. 
(23 ©.) 8% Köln u. Neuß, L. Schwan. 1874. 


Dies Büchlein enthält blos Fragen zur Beantwortung und Auf: 
gaben zur fchriftlichen Löfung. Dort, mo „bie Naturlehre in ber Vollks⸗ 
und Mittelfchule” eingeführt ift, wird dies Aufgabenbüchlein recht gute 
Dienfte leiſten; wir können es empfehlen. 


23. Die Naturlehre in der Volks⸗ und Mittelihule. Gin Leitfaden für 
ben Lehrer zur Grleihterung der Borbereitung auf den Unterricht. Bes 
arbeitet von praftifhen Schulmännern in Düſſeldorf. (Hierzu gehört ein 
Aufgabenbüchlein für die Hand der Schüler.) (91 ©.) 8°. Rain und 
Neup, 2. Schwan. 1874. Preis 1 Marl. 


Das Büchlein enthält ben für gehobene Volksſchulen nothwendi⸗ 
gen Unterrichtöftoff aus der Naturlehre in ſyſtematiſcher Reihenfolge. 
Da das Büchlein für die Hand des Lehrers beftimmt ift und auch 





Naturkunde. 217 


die Wahl bes Stoffes eine ganz entſprechende iſt, fo empfehlen wir 

das Büchlein für die angegebenen Zwecke. 

29. Ergebniffe des Unterrichts in der Naturlebre in Volks⸗ und 
Bürgerfchulen.- Gin Wiederholungdbuh für Schüler. Herauögegeben von 
W. BDietlein, Rektor. Dritte, nach den mintfteriellen ‚Allgemeinen Be⸗ 
ftimmungen vom 15. Oktober 1872° umgearbeitete Auflage (26 ©.) 8°. 
Braunſchweig, Harald Bruhn. 1874. Hreie 4 Groſchen. 


„Vorliegendes ift eine Separat-Ausgabe aus: Dietlein, Ergebnifie 
des geographifchen, gefchichtlichen und naturkundlichen Unterrichts ꝛc. 
Dritte, verb. Auflage. Preis 8 Groſchen. Auch die andern 3 Theile 
find einzeln à 4 Groſchen zu Haben.” Obwohl dies Büchlein nad 
den minifteriellen Beftimmungen vom 15. Dltober 1872 „umgear⸗ 
beitet“ jein fol, find doch die im 23. Bd. bes Päd. Jahresberichtes 
gerügten Fehler geblieben. Darum verweilen wir auch auf bas im 
23. Bd. nicht empfehlende Urteil. 

30. Materialien für den Anfhauungd-Uniterridht in der Naturlehre. 
Bon Dr. Rudolf Arendt. Zweite, burdgeisbene Auflage. (V u. 243 ©.) 
8°. Leipzig, Leopold Voß. 1874. Preis 2 Marl. 

Diefe Schrift wurde im 21. Bande des Päd. Yahresber. in erfter 
Auflage angezeigt und eingehend beſprochen. Sie wurde als werthvoll 
qualifieirt und einer weiten Verbreitung für würdig befunden. Indem 
wir und obigem Urtbeile vollkommen anſchließen, zollen wir bem 
Merle unjere volle Anerkennung und find überzeugt, daß dies Büdh- 
lein zur Beflergeftaltung des phyfifaliihen und chemifchen Unterrichtes 
weſentlich beitragen wird. 

31. Wiederholungs- und Hilfsbuch für den Unterricht in ber k. 
Für die Sand bet Shller beandeltet von G. Wirth. Dritte Hr 
und verbefferte Auflage. Mit 45 im den Text gedrudten Holzſchnitten. 
(34 ©.) 8° Berlin, 3. A. Wohlgemuth (Max Herbig). 1874. Preis 
Ta Ser. 

Obwohl der Inhalt nur eine gebrängte Zufammenftellung des für 
gehobene Volks⸗ und mittlere Bürgerſchulen nothwendigen Unterrichts- 
ftoffes bildet, fo findet ſich boch noch manches Gntbehrliche und für 
die bezeichneten Schulen zu weit Gehende, als „die Wellenlänge und 
Zahl der Schwingungen in einer Sekunde für bie fieben Farben.” Unierer 
Anficht nad) können Volksſchulſchüler unmöglich für ſolche Dinge Auf- 
faſſungskraft beſitzen; es wird nur unnöthiger Ballaft. 

Bei gutem Schulunterrichte mag dies Büchlein in der Hand der 
Schüler ſchon einigen Nuten gewähren. 

32. Phyfik für Elementar- und Mittelfchulen. Die Ergebniffe des Unterrichts 
ur Wiederholung und Einübung für Schüler ſyſtematiſch geordnet von 

. M. Simon. Mit 111 in den Text eingebrudten Holzſchnitten. 

(VIII u. 64 ©.) 8°. Berlin, Karl 3. Klemann. 1874. Preis 8 Ser, 

Der Verfaſſer empfiehlt die häusliche Nepetition des in ber 
Schule vorgenommenen Unterrichtsftoffes, wozu dem Schüler ein Buch 
nothwendig üt, in welchem er „in wenigen kurzen Sätzen“ das findet, 
was er braudt. Nach diefen Principien ift das Buch eingerichtet. 





918 Naturkunde, 


Ferner wurde ber Unterrichtäftoff durch größeren Drud in mehrere 
Abtheilungen geichieben, welche jebe für fich concentriihe Kreife für 
eben fo viele Curje bilden. Endlich Bat ber Verfaſſer für einzelne 
SS. Aufgaben, 55 an ber Zahl, zufammengeftelt, deren Wuflöfungen 
den Schluß bed Werkchens bilden. 

Die Holzſchnitte find recht deutlich ; die Ausftattung iſt eine nette. 

Für die Oberklaſſen der Volksſchulen mag das Büchlein empfohlen 
fein; für Mittelſchulen ift es unzureichend, 


83, 3. &. Kutznerss Naturlehre. Zum Gebraud für Lehrer und zum 

elbſtunterrichte. Herausgegeben von C. Schröder, Lehrer in Magdeburg. 

Erfter Theil. Mit gahfreihen Holzfchntiten. (150 S.) 58°. Leipzig, Sigis- 
mund u, Volfening. 1875. Preis 1,60 Matt. 


Diefer erite Theil enthält neben einer gewöhnlichen Einleitung 
nur bie Lehre von den „Erfcheinungen der Anziehung‘, und zwar 
„die Erſcheinungen der Anziehung im allgemeinen und insbeſondere 
bei feiten Körpern‘, bann die „bei flüffigen‘ und emblich bie „bet 
Iuftförmigen Körpern.“ 

indem wir bier blos bemerken, baß diefe Schrift in recht popu= 
lärer Form abgefaßt ift, behalten wir und das endgiltige Urtheil vor, 
bi8 und das ganze Werk vorliegen wird. 


34. Lehrbuch der Raturlehre für Volksſchullehrer um Gebrauh an 
Seminarien und zum Selbftunterridt von Dr. W. Er er, Profeſſor und 
Oberlehrer am Königl. Pädagogium bei Züllichau. Vierte, verbeſſerte und 
vermehrte Auflage. Mit 203 Holzſchnitten. (XII u, 284 S.) 80. Berlin, 
Ben. Dümmier 8 Berlagsbandlung, Harrwig u. Goßmann. 1874. Breis 
2 Mark. 


Die britte Auflage wurde im 19. Bde. des Päb. Jahresber. an 
ezeigt und empfohlen. Nachdem bie vorliegende vierte Wuflage einige 
ermebrungen, 10 Seiten Tert und 3 Holjzſchnitte, erfahren bat, bie 

Darftellung überall eine recht anfchauliche ift, fo empfehlen wir auch 
hiermit das Bud), 


35. Grundriß der Experimental⸗Phyſit. Zum Gebrauch beim Unterricht auf 
höheren Lehranftalten und zum Selbflfludium von E. Jochmann. Mit 
293 Holzſchnitten. Dritte, verbeflerte Auflage. (XII u. 323 ©.) 8°. 
Berlin, Springerfhe Buchhandlung. Max Winkelmann. 1874. 


Diefer Grundriß wird Schülern, welcde bereit3 mathematiſche 
(trigonometrifche) Kenntniſſe befigen, einen fehr guten, obwohl gebrängten 
Einblid in die Naturlehre gewähren. Die Auswahl des Stoffes, welche 
nad praktiſchen Rüdfichten erfolgte, ift eine jehr gute zu nennen. Die 
Dazfielung ift präcis; die Abbildungen lafien mandes zu wünfden 
übrig. 

Dieſes Buch empfehlen wir für höhere Lehranftalten beftens. 

36. Grundriß der Experimentalphyſik für höhere Unterrichtsunftalten 
bearbeitet von Chr. Scherling, PBrofeffer am Gatharinum zu Kübel. Mit 


198 Holzſchnitten. Dritte, verbefferte Auflage. (IV u. 307 ©.) 8°. 
Leipzig, H. Haeftel. 1874. Preis 4 Matt. 








Naturkunde. 219 


Die zweite Auflage dieſes Werkes wurde im 23. Bande bes Päd. 
Jahresberichtes angezeigt und beſonders für Realſchulen empfohlen. 
Indem wir einfach conſtatiren, daß auch dieſe dritte Auflage dieſes 
Werkes dem heutigen Standpunkte der Wiſſenſchaft angepaßt iſt, ſchließen 
wir uns dem obigen günſtigen Urtheile volllommen an. 

37. Lehrbuch der Phyſik und Mechanik für Reale und höhere Bürger⸗ 
ſchulen, Gewerbeſchulen und Seminarten von Dr. Georg Krebs, Ober⸗ 
lehrer an der höheren Bürgerſchule zu Wiesbaden. Zweite, verbeſſerte Auf⸗ 
Sage. Mit 318 Selgfänitten und zwei lithographirten Tafeln. (XII und 
273 ©.) 8°. Wiesbaden, C. W. Kreidel. 1873. Preis 3,60 Mark. 

Im 22. Banbe hes Päd. Yahresberichtes, wo das Buch zum 
erftien Male angezeigt wurbe, find folgende Vortheile deſſelben berbor- 
gehoben worben: „1. Eine Andeutung besjenigen Unterrichtöftoffes durch 

Tleineren Drud, der in weniger günftig geftellten Anftalten wegbleiben 

fann; 2. ein Fortichritt vom Leichteren zum Schwereren in der An- 

orbnung des Unterrichtäftoffes und 3. eine gemeinschaftliche Darftellung.“ 

Diejen guten Eigenichaften fügen wir noch unfer Lob über die beut- 

lichen Holzfchnitte bei und empfehlen dieſes Lehrbuch ven bezeichneten 

Zebranftalten. 

38. Schuleder Phyſik, eine Anleitung zur Anftellung einfacher Verſuche und 
populäre Entwidelung der wichtigften Naturgefebe für Schule und Haus, von 
Dr. Johannes Crüger. Neunte, verbeil. Aufl. Mit 486 Abbildungen. 
(IV u. 617 ©.) Leipzig, ©. W. Körmer. 1875. 8°. Preis 7 Mar. 

Diefes allgemein befannte und beliebte Buch liegt bereit3 in ber 
neunten Auflage vor und, welche den Fortichritten auf dem Gebiete 
der Phyſik vollftändig Rechnung trägt. Wir können nur den Schluß- 
fat der Recenfion aus dem 25. Bande des Päd. Jahresberichtes, mo 
die achte Auflage beiprochen wurde, mwieberbolen: „Das Buch Tann 
daher auch in der neuen Auflage namentlih den Lehrern an Volks⸗ 
und Bürgerichulen, ſowie den Seminaren beften3 empfohlen werben.‘ 

39. Die Phyſik auf Grundlage der Erfahrung von Dr. Alb. Mouſſon, 
Profeſſor an der ae Ken polytehnifhen Schule. Dritter Band. 
Zweite Lieferung. (Schluß des Werkes.) Die Lehre vom Galvanismus. 
Mit 291 eingedrudten Figuren. Zweite umgearbeitete und vermehrte Aufs 
Iagr. (IV u. von Seite 261 bis 615.) 8°. Zürich, Friedrich Schultheß. 


Auch diefe zweite (Schluß-) Lieferung bes dritten Bandes ift eract 
wifienfchaftlih und ganz ven neueften Forſchungen gemäß gearbeitet. 
Ueber da3 ganze uns vorliegende Wert wollen wir unjer Urtbeil aus 
dem 26. Bande des Päd. Yahresberichtes wiederholen: „Vollſtändigkeit 
und correcte wiflenichaftliche Darftelung ftempeln das Buch zu einem 
vorzügliden Werte auf dem Gebiete der Phyſik. Wer den gegen- 
wärtigen Stand diefer Wiſſenſchaft kennen will, greife nach dieſem 
Buche!” — Es fei von ung beftend empfohlen. 


D. Chemie. 


40. Grundriß der Ehemie, gemäß ten neueren Anſichten. Don Dr. €. 
8. Rammeldberg, Dr. und Prof. an der Univerfität und Gewerbeakademie zu 


220 Naturkunde. 


Berlin. Bierte, verbefferte Auflage. (VI und 415 ©.) 8°. Berlin, €. G. 

Lüderig (Carl Habel). 1874. 

Die dritte Auflage dieſes Werkes wurde im 25. Bande bes Päd. 
Sahresberichted angezeigt: und empfohlen. Dieſe borliegente vierte 
Auflage, welche den Anforderungen der Gegenwart durchweg entipricht, 
fönnen wir für Schüler höherer Schulanitalten als gutes Hilfamittel zu 
Wiederholungen empfehlen. 

41. Chemie für Mittelfgulen. Zugleich ein „eitfaben und Rathgeber für 
Kehrer der Chemie an Mittelfhulen, höheren Knaben» und Töchterfchulen, 
auch Handwerker⸗Fortbildungsſchulen, Aderbaufchulen ı. Bon F. Lang⸗ 
hoff, Zireltor der Provinzial⸗Gewerbeſchule zu Potsdam. Mit In den 
Text gedrucdten Holzſchnitten. Zweite Auflage. (VII u. 304 ©.) 8°. 
Berlin, Denide (Lin? u. Reinke). 1874. Breis 4 Marl. 

Wir müflen conftatiren, daß ber Verfafler bei Auswahl des Unter- 
zichtöftoffes mit richtigem Takte das Nothwendige getroffen und in eine 
recht faßliche Form gebracht hat. Eine weitere gute Seite diefes Werkes 
tft Die, daß fo viel wie möglich die den Kindern am wenigſten ver— 
ftändigen Formeln auf ein Minimum rebuzirt vorlommen. Doch einen 
Mebelftand können wir nicht umgehen; d. i. ber alte wiſſenſchaftliche 
Standpunft, auf welchem der Verfafler abſichtlich beharrt. 

Dod da eben nicht zu viel Gewicht auf bie Theorie ber Wiflen: 
ſchaft gelegt wurde, fo wird das Buch dennoch als Wiederholungsbuch 
Nuten bringen. Es fei empfohlen. 


E. Technologie. 


42. Mechaniſche Tehnologie für den Unterridt an polytechniſchen und 
Mealfchulen, fowie zum Selbſtſtudium für Fabrikanten und Jnuduſtrielle 
bearbeitet von Dr. Grothe, Profeffor an der polytechniſchen Schule in 
Deif. (VI u. 506 ©.) gr. 8°. Gorindem, 9%. Noorduyn u. Sohn. 
1874. In Eommiffion bei F. A. Brodhaus in Leipzig. Preis 10,50 Mark. 
Dieſes vorliegende Buch ift eines der allerbeiten, wiſſenſchaftlich 

gehaltenen Werke auf dem Gebiete der Technologie. Es wird hiermit 

nicht nur allein für die angegebenen Anjtalten, fondern aud für Lehrer 
zur Orientirung und Ausbildung wärmftend empfohlen. 


F. Handelskunde. 


43. Handelskunde für Handelds, Gewerbs⸗ und Fortbildungsſchulen, ſowie 
für Induſtrieſchulen. Von L. Banmblatt, königl. Lehrer der Handels⸗ 
wiſſenſchaften an der Kreisgewerbeſchule und der Induſtrieſchule zu Kaiſers⸗ 
lautern, Verfaſſer der „Wechſellehre für Schule und Volk“, eines „voll⸗ 
ſtaͤndigen Rechenbuchs“, und der „deutſchen Reichsmünze“. Zweite Auflage. 
(48 ©.) 80. Mannheim, J. Schneider. 1874. Preis 1 Mark. 


Dieſes Büchlein Tann feiner Kürze, populären Darftelung und 
Klarheit für die angegebenen Zwecke empfohlen werben. 


6. Aitronomie. 


44. Kalender für Xehrer und Schulfreunde auf das gemeine Jahr 1875. 
Unter Mitwirkung bewährter Schulmänner und Mitglieder des Bayeriſchen 





Naturkunde. 221 


Volkoſchullehrer⸗Vereins herausgegeben von Dr. 3. B. Heindl. Zwan⸗ 
Klafer Jahrgang. Mit einer Abbildung und kurzen Beſchreibung des 

athöfelere in München. (Die Jahrgänge 1 bis 10 find im Berlage 
von E. U. Kleifhmann, der 11. Jahrgang aber im Verlage von Louis 
Finſterlin in Münden erihienen.) Sulzbach, 3. E. v. Seibel. (XVI 
u. 48 ©.) gr. 4°. Preis gebeftet 24 fr. 


In Bezug auf Inhalt enthält der Kalender: „Eine Genealogie 
be3 Töniglichen Haufes Bayern; Kalendernotigen; Auffäge über Zeit, 
Größe unferes Planetenfyftems, über Sonne und Erde, über Erziehung, 
Literatur; einen bayrifhen Geſchichtskalender; die Weltereignifie des 
Sahres 1873; geographiiche Mittheilungen; Volkszählung im deutichen 
Reihe; aus dem Unterrichts: und Erziehungsleben ; Lebensregeln.“ 

Mir wünſchen biefem Kalender eine recht große Verbreitung in 
den bayriichen Landen. 





VI Literaturkunde. 


Bon 


Albert Richter. 
Director der erfien Bürgerſchule für Mädchen in Leipzig. 





1. Bibliographie. 


1. Literarifher Wegweiſer für gebildete Laien. Die Zahre 1870 bis 
1874. Von Dr. Karl Klüpfel, Univerfitätsbibliothefar in Tübingen. 
(Erſter Nachtrag zur vierten Auflage des Schwab und Klüpfel'ſchen Weg- 
weifere.) (VII u. 132 S. gr. 5) Leipzig, Julius Klinkhardt. 1874. 
Preis 2,40 Marl. 

Das Bud, zu dem bier ein Nachtrag vorliegt, ift Längft, auch 
im Jahresberichte (XXIII, 256) als ein gutes anerlannt. Der Nach⸗ 
trag jchließt fi dem Hauptwerle würdig an und namentlich find die 
den angeführten Titeln beigegebenen Bemerkungen über die empfohle- 
nen Werke in ihrer meift ben Kern ber Sache treffenden Kürze anzu: 
erkennen. Einzelnes wird natürlich ftet3 zu mwünjchen übrig bleiben. 
Menn 3.8. der Berfafler auf ©. 31 in der Anmerkung zu John Lub⸗ 
bocks Werke: „Die vorgejchichtliche Zeit‘ mittheilt, daß das Buch viel 
Aufſehen gemacht und was man ihm nachgerühmt babe, dann aber 
fortfährt: „Referent gefteht, daß er Fein Vertrauen zur Fruchtbarkeit 
derartiger Unterfuchungen fallen kann,“ fo fcheint uns, daß ber von 
der Anmerkung eingenommene Raum viel befjer verwendet wäre, wenn 
auf demfelben kurz die in dem Buche abgehanbelten Materien ſſtizzirt 
wären. Des Referenten Geftänbniß ift jedenfalls ehrlih, aber einem 
ſolchen Buche gegenüber gar nicht in's Gewicht fallend. Es fehlt da, 
um die Fruchtbarkeit derartiger Unterſuchungen anertennen zu Tönnen, 
wohl nur an den nöthigen Vorbebingungen. Sehr eingehend ift auf 
zehn Seiten referirt über: „David Friedrich Strauß, der alte und ber 
neue Glaube” und über bie betreffenden Gegenfchriften. Gewiß mit 
Net. Wir hätten aber eine gleiche Vollftändigfett und Ausführlichkeit 
auch in Betreff der Schriften über bie Darwin’iche Lehre gemünfcht, bie 
in dem vorliegenden Wegiveifer ziemlich kurz wegkommen. Bon fleine- 
ven Verſehen mollen mir nur anmerfen, daß ©. 95 merfwürbiger 
Weiſe der zwölfte Band ber „Deutfchen Elaffiter bes Mittelalters” und 


Literaturkunde. 223 


bie von Bartſch herausgegebene Fortſetzung derſelben (Rother, Reineke 
Vos und Roland enthaltend) fehlt, fo wie zu S. 96, daß das von 
Uhland nachgelafiene Bruchſtück der Schwäbiſchen Sagenkunde nicht 
im fünften, fondern im achten Bande der nachgelafienen Schriften 
Uhland’3 gebrudt ift. 

2. Deutfher Bücherſchatz des fechzehnten, fiebzehnten und achtzehnten 
bis —— Fir Ah —E Geſammelt En if 
bibliographiſchen Selänterungen herausgegeben von Wendelin v. Mal- 
pahn. Erſte und zweite Abtbeilung. — Druck und Verlag von Frie⸗ 
drich Mauke. 1873 u. 74. (384 ©. gr. 8.) Preis 8 Mark. 

Ein höchſt werthvoller Beitrag zur Gefchichte der deutſchen Litera- 
tur. Den Inhalt befjelben bildet ein Verzeichniß der befannten koſt⸗ 
baren und an ben feltenften Schägen reichen Bibliothek des Freiherrn 
dv. Malgahn in Weimar, deſſen einzelnen Nummern meift fchägbare 
bibliographifche Erläuterungen und Bemerkungen beigegeben find. Die 
befannten Werke von Hagen, Goedeke und Weller werben durch das 
vorliegende in trefflicher Weile vervollſtändigt. 


2. Allgemeine Literaturgeichichte. 


3. Katechtsmus der allgemeinen LRiteraturgefhiäte Bon Dr. 
Abel Seen. Leipzig, J. Weber. 1874. ae ©. kl. 8°) 
Preis 2,40 Marl. 

Ein vortrefflicher, bei aller Knappheit der Darftellumg doch ange- 
nebm leöbarer und keineswegs in Anführung von Namen und. Titeln 
aufgehender Srundriß der allgemeinen Literaturgeichichte, welcher die 
Einzelliteraturen der Culturbölfer nicht blos nad einander berüdfichs 
tigt, ſondern fie im engften Zuſammenhange betrachtet und ihre ge 
meinfame Entwidlung unter der Einwirfung großer hiſtoriſcher Ver⸗ 
bältnifje darſtellt. In diefer Art der Gruppirung bes Stoffes hat 
das Werkchen einen entichiebenen Borzug von ber fonft fo trefflichen 
und ausführlidderen allgemeinen Literaturgefchichte von Joh. Scherr. 
ALS Beifpiel berfelben feien bier die Weberfchriften ber legten fünf 
Zeiträume mitgetheilt: Anfänge der Neuzeit in Dichtung und Litera» 
tur, die Reformationsepoche, die Epoche des Alademismus, der fran- 
zöſiſchen Claſſicität und ber Aufklärung, der Befreiungslampf der Na- 
tionalliteraturen, die Romantif und die neuefte Zeit. Daß ber Ber: 
fafler die Literatur des Altertbumd und des Mittelalter in weit 
gedrängterer Darftellung bietet, als die der Neuzeit, vechtfertigt er in 
der Vorrede mit den vorauszuſetzenden Wünſchen bes Publikums. 
Man Tönnte jedoch auch fagen, daß gerade der Umftand, daß das große 
Publikum fich feltener eingehend mit der Literatur des Alterthums und 
des Mittelalters beichäftigt, e3 wünſchenswerth erjcheinen lafle, in 
einem Grundriß der allgemeinen Literaturgefchithte eine etwas ein- 
gehendere Betrachtung diefer Literaturen zu finden. 

Einen Wunſch noch möchten wir dem Berfafler für eine neue 
Auflage ausfprechen. Deutichen Leſern muß es beſonders wünſchens⸗ 


224 Riteraturfunde. 


werth fein, über den Einfluß fremder Literaturen auf die deutſche 
möglihft gründlich unterrichtet zu werben. In biefer Beziehung könnte 
das vorliegende Buch leicht etwas mehr thun. So follte 3. 3. in 
$. 117 ber nieberlänbifche Dichter Daniel Heinfius und fein bedeu⸗ 
tender Einfluß auf Opitz nicht unerwähnt geblieben fein. Unter ben 
italienischen Dichtern des fiebgehnten Jahrhunderts (S. 201) hätte neben 
Marini der feiner Zeit hochgefeierte Venetianer Lorebano genannt wer⸗ 
den follen, der in Deutfchland mehrfach überjegt wurde und mit fei- 
nem Schwulft und Ungeihmad in Hoffmannswaldau und Lohenſtein 
beivundernde Nachahmer fand. E3 dürfte mancher jebt in bem Buche 
genannte Dichter unertwähnt bleiben, ivenn e3 an Raum gebräche, Wer⸗ 
fen gerecht zu werden, die ber Ausdrud der Geiftesftrömungen ganzer 
Zeitalter waren und ihren Einfluß in den verjchiedenften Literaturen 
äußerten. Wir erinnern bier an Werke, wie: Amadis, Everyman, 
Robinſon u. 2. 


4. Die Hauptfirömungen der Literatur des neunzehnten Jahr: 
bunderts. Borlefungen, gehalten an der Kopenbagener Univerfität von 

&. Brandes. Weberfegt und eingeleitet von Adolf Strodtmann. Ginzig 

autorifirte deutiche Ausgabe. Band 1—3. Berlin, Franz Dunder. 1872 

u. 73. (XXIX u. 290, VI u. 406, 364 ©.) Preis 13,50 Mark. 

Zunächſt beftimmt, den Dänen zu beweifen, tie fie mit ihrer 
Literatur noch in der Epoche jener Reaction ftehen, welche ben im 
achtzehnten Jahrhunderte geborenen freien Gedanken zurüdbrängen 
wollte, bilden diefe Vorlefungen eine Gejchichte der beutichen, franzd- 
fiichen und englifchen Literatur, die mit vollem Rechte in das Deutfche 
überſetzt worden ift und bier gewiſſermaßen als eine Fortſetzung ber 
Hettner’fchen Literaturgefchichte gelten Tann, zumal fie ganz in Hettner’3 
Weiſe die Methode der vergleichenden Literaturforichung einjchlägt. 
Können dieſe Vorlefungen in Deutſchland auch nicht einen Sturm ber=- 
borrufen, wie in Dänemark, wo fie die geſammte gebilbete Welt in 
bie höchfte Erregung gebracht haben, weil fie in allen Kapiteln bittere 
Wahrheiten für die Dänen enthalten, fo find fle doch auch hier ganz 
dazu angethan, ber Literaturforfchung einen neuen Impuls zu geben 
durch ihre Fülle neuer Gefichtöpunkte, durch ihren Reichthum an Ge- 
banten, durch bie geiftreiche Art ihrer Darftellung. Das Staunen über 
bie Fülle bes Willens, über welches der Verfaſſer gebietet, kann nur 
überboten werben bon dem über bie abjolute Herrihaft, mit ber er 
über daſſelbe verfügt. 

Der Berfafler jchilbert die Literatur des neungehnten Jahrhunderts 
als eine Reaction gegen die bes achtzehnten, ift aber weit davon ent= 
fernt, Reaction für gleichbedeutend mit Rüdjchritt zu nehmen; eine 
wahre, ergänzende, corrigirende Reaction ift ihm vielmehr Fortichritt. 
Ueber ben Inhalt feiner Vorlefungen fagt er in ber Einleitungspor- 
lefung felbft: „Die ſechs verjchiedenen Literaturgruppen, welche ich vor⸗ 
zuführen gebente, entſprechen völlig den ſechs Acten eined großen 
Dramas. In der erften Gruppe, der franzöfiichen, von Rouffeau in» 
ipirirten Cmigrantenliteratur, beginnt die Reaction, aber bier find Die 





Literaturkunde. 225 


reactionären Strömungen noch überall mit den revolutionären gemiſcht. 
In der zweiten Gruppe, ber Tatholifirenden romantischen Schule Deutich- 
lands ift die Reaction im Steigen, fie geht weiter, fie hält fich ferner 
von den Freiheits- und Fortſchrittsbeſtrebungen des Zeitalterd. Die 
dritte Gruppe, welche Schriftftellee wie Joſeph de Maiftre, mie La- 
mennais in jeiner orthoboren Periode, wie Lamartine und Victor Hugo 
zu der Seit, wo fie während der Reftauration noch bie beiten Stützen 
der Legitimiften und Klerilalen waren, umfaßt, bezeichnet die heftige, 
die triumpbirende Reaction. Byron und fein Anhang bilden bie vierte 
Gruppe. Diefer eine Mann bewirkt den Umfchlag in bem großen 
Drama. Der griechifche Freiheitskrieg bricht aus, ein frifcher Hauch 
weht über Europa Bin, Byron fällt in heldenmüthiger Aufopferung 
für die griechiiche Sache und fein Tod macht einen ungeheuren Ein- 
drud auf alle Schriftiteller des Feitlanded. Kurz vor der Julirevo— 
Iution wechſeln daher alle großen Geifter Frankreichs ihre Richtung, fie 
bilden die fünfte Gruppe, die romantiſche Schule Frankreichs, und bie 
neue Tiberale Bewegung wird durch Namen wie Lamennais, Hugo, La⸗ 
martine, Muſſet, George Sand ꝛc. charalteriſirt. Und da jeht bie 
Bewegung von Frankreich nad Deutichland hinübergeht, fiegen auch 
dort die liberalen Ideen, indem bie fechfte und legte Gruppe von Schrift- 
ftellern, welche ich ſchildern will, von den Ideen bes Freiheitskrieges 
und der Julirevolution infpirirt wird und, mie die franzöfifchen 
Dichter, in Byrond großem Schatten den Führer ber Freiheitsbewegung 
erblidt. Die wichtigften biefer jungen Schriftfteller find, wie Heine, 
Börne und fpäter Auerbach von jüdiſcher Abftammung.‘‘ 

Nur die drei erften Gruppen: Cmigrantenliteratur, Romantiſche 
Säule in Deutihland, Reaction in Frankreich liegen in den bi® jet 
erfhienenen Bänden vor. Sie maden aber nad) der Fortſetzung be= 
gierig. Lehrerbibliotheken ift das Wert als ein höchſt anregenves zu 


empfehlen. 


3. Deutſche LTiteraturgeichichte. 


5. Die Herven der deutſchen Literatur. In lebensgeſchichtlicher Form. 
Zum Gebrauche auf Gymnaſien, Reals und höheren Zöchterfchulen, ſowie 
um Privatfiudium. Bon Ferdinand Sonnenburg, Recor der Bürger 
hule in Bad Deynbaufen. Band 1—3. Braunfchweig, Bieweg u. Sohn. 
1872 —74. (326, 583 u. 728 S.) Preis 21 Mark. (Erfcheint in neuer 
Ausgabe in 14 Heften à 1,50 Marf.) 

Ein vortreffliches, auf umfaflenden Studien beruhendes Wert, 
welches durchaus geeignet ift, eine gründliche Einführung in die deutfche 
Literaturgefchichte zu vermitteln. Auf Tulturgefchichtlicher Grunblage 
treten die behandelten Perfönlichkeiten lebendig und anſchaulich hervor 
und ber Ausführlichkeit, wie fie ſich ſchon Aus dem Vergleiche der 
Seitenzahlen ergiebt (— der zweite Band enthält fünf, ber dritte zwei 
Biographieen —), entſpricht die Gründlichkeit und Gewiſſenhaftigkeit 
in ber Benugung ber beften und zuverläffigiten Quellen. Geit langer 
Zeit ift und nicht ein Buch vorgekommen, das fo uneingefchränttes Lob 

Bid. Jahresbericht. XXVII. 15 


226 Literaturkunde. 


verdiente, wie dieſes, bei deſſen Lectüre es zum Genuß wird, zu beob⸗ 
achten, wie ſicher der Verfaſſer Stoff und Form beherrſcht, wie er ſich 
nicht an vorhandene literaturgeſchichtliche Arbeiten anklammert, ſon⸗ 
dern die Ergebniſſe eigenen Forſchens frei geſtaltet und dabei man⸗ 
cherlei bietet, was man ſonſt in Literaturgeſchichten gewöhnlich nicht 
findet. 

Der Inhalt der einzelnen Bände iſt folgender: Erſter Band: 
1. Das deutſche Volksepos. 2. Wolfram von Eſchenbach. 3. Gott⸗ 
fried von Straßburg. 4. Walther von der Vogelweide. 5. Reineke 

uchs. 6. Martin Luther. 7. Hans Sachs. 8. Johannes Fiſchart. 
9. Das Volkslied. 10. Friedrih von Logau. 11. Paul Gerhard. 
Zweiter Band: 1. Klopſtock. 2. Wieland. 3. Leifing. 4. Herber. 
5. Kant. Dritter Band: 1. Goethe. 2. Schiller. Außerdem finden 
fih noch ein paar fehr gründliche Kapitel anhangsweiſe beigefügt; im 
eriten Bande: Ueber das Nitterweien im zehnten bis vierzehnten Jahr⸗ 
hundert, und Weber deutſche Bücherbandichriften; im dritten Bande: 
Weberficht über die Gefchichte der deutſchen Schaufpielfunft. Im erften 
Bande finden fih auch gut gewählte Proben aus den beſprochenen 
Dichtungen, und dem dritten Bande verleiht bie fleißige Benußung 
der Briefwechjel einen bejondern Reiz. 

Zwei Berjeben im erften Bande mögen bier berichtigt fein. Zu 
Seite 173: Die hier angeführte Ueberfegung enthält nicht die ganze 
Bibel, fondern nur die vier Evangelien, ift auch nit von Matthias 
von Beheim, fondern für biefen verfaßt, wie bie Schlußworte verfelben 
deutlich befagen (vgl. R. Bechitein, Des Matthias von Beheim Evan- 
gelienbuch. Leipzig, 1867. ©. XD. 

Zu Seite 227: Hier wird erwähnt, Hans Sachs habe das Nibe⸗ 
Iungenlied gelannt. Das geſchieht wahrſcheinlich in Folge feines Schau⸗ 
ipield vom gehörnten Siegfried. Die Duelle befielben ift aber nicht 
das Nibelungenlied, fondern neben dem damals jehr befannten Helden» 
buche eine in ihren Angaben von den jet befannten Berfionen ber Sieg⸗ 
friedsfage abweichende, noch nicht wieder aufgefundene Berfion. 

6. Geſchichte der deutfhen Literatur. Ein Handbuh für Schule und 
Haus. Von J. G. Findel. (Zweite Auflage von: „Die Hafflfhe Beriode 


der deutſchen Nationalliteratur im 18. Jahrhundert.“) Leipzig, I. G. Yindel. 
1873. (320 ©. 8°.) Preis 4 Mark. 


Die erfte im Sabre 1857 unter anderem Titel erfchienene und 
von der Kritil anerfannte Auflage dieſes Buches hatte vorzugsweiſe 
den Zweck, fchon erwachſene Leſer in bie zweite claffiiche Periode un— 
jerer Nationalliteratur einzuführen. Die neue Auflage ift mit Rüd- 
fiht auf den Schulgebraud bearbeitet, die Profaifer find mehr als 
früher berüdfichtigt, unter dem Texte wird auf Quellen und auf Hilfs- 
mittel für meitere Studien verwieſen und durch Hinzufügung der Ge— 
Schichte der älteren und der neueften Literatur in ber furzen Faſſung 
eines Grundriſſes ift für die Vollftänbigfeit des Buches Sorge getragen. 
Wenn dadurch eine Ungleichmäßigleit in der Behandlung der einzel- 
nen Perioden herbeigeführt ward (— die neu hinzugelommenen Ab— 








Literaturkunde. 227 


ſchnitte nehmen ungefähr 90 Seiten des Buches ein —), ſo muß doch 
anerkannt werden, daß gerade der auch für den Schulunterricht wich⸗ 
tigſten Periode die ausführlichfte Darſtellung zu Theil geworden iſt und 
das anerkennende Urtheil der Kritik über den ſchon früher veröffent⸗ 
lichten Haupttheil des Buches kann auch auf die mehr grundrißartigen 
Zxue der älteſten und der neueſten Literaturperiode ausgedehnt 


7. — enthaltend Abriß der Poetik und Geſchichte der deut⸗ 
ſchen Poefie. Für höhere een, Zöchterfchulen und zum Gelbft- 
unterrichte Seat eitet von Dr. Wilhelm Reuter. Sechſte, verbefierte Auf⸗ 
Inge. Grelburg im Breiögau, Beier Berlagsbandlung. 1874. (VIII 

5 S. 8%) Preis 1,40 Mark 

"rüber Auflagen dieſes Buches werben im Jahresberichte (XXI, 
©. 187 und XXI, ©. 217) ala Schulbuch für höhere Tatholifche 
Schulen empfohlen. "Wir tönnen ung diefem Urtheile, wenigſtens jo 
weit als das Buch Literaturgefchichte enthält, nicht anfchliefen. Ein 
Bud, im welchem geihimpft wird, taugt abfolut nicht als Schulbud. 
©. 173 wird ber Ausſpruch Barthel3 angeführt, man könne bie unter 
der Bezeichnung „das junge Deutſchland“ zufammengefaßten Dichter 
befier „bie beutfchen Zungen” nennen. Nah ©. 177 iſt Gottfried 
Kinkel durch „ven demokratischen Schwindel um Lebenäglüd, Stellung 
und Vaterland gebracht" worden. Nachdem Kinkel, Prus, Hoffmann 
von Fallersleben, Freiligrath 2c. abgefertigt find, wird ihnen ber Wiener 
Humorift Sebaftian Brunner gegenübergeftellt, der nach dem Urtbeile 
bes Berfaflerd „in feinem Mebeljungenliede die ganze Erbärmlichkeit 
und Nieberträchtigleit der Revolutionsdichter, die ſich Sänger des Völker⸗ 
frühlingd nannten, mit dem beißendften Humor ſchilderte“, nach dem 
Urteile anderer Leute dagegen in feinem Buche ebenfo wie auf dem 
Titel deſſelben — ſchimpfte. 

8. Geſchichte der deutſchen Literatur für mittlere Lehranſtalten, be⸗ 
ſonders für Töchterſchulen. Bon Dr. Eugen Netoliezta, Mitglied des 
2. k. Landesſchulrathes für Steiermark. ien, Berlag von A. Pichler’s 
Witwe u. Sohn. 1873. (66 ©. Mi. 8°.) Preis 30 Kreuzer. 

Ein Leitfaden nach hergebrachter Manier, nicht befler und nicht 
Tchlechter als es viele andere giebt. Warum er fich befonbers für 
Töchterjchulen eignet, können wir nicht fagen. Bon Proben find aufs 
genommen: Zwei Stanzen aus Goethes Epilog zur Glode, vier Zeilen 
von Uhland und die Grabſchrift, die ſich Saphir dichtete. Die letztere, 
die nad einer gewiſſen Sorte von Stammbuchverſen ſchmeckt, finden 
wir in ihren Gedanten und Bildern — fehr abgefihmadt, in ihrer 
Form — entjeglich holprig. 

9. Grundzüge der deutſchen Literaturgefhichte Gin Leitfaden 
für die Oberflafien der höheren Töchterfchulen, Sriktelfäufen und verwandter 
Anftalten. Bearbeitet von Dr. Anton Ohorn, Lehrer der Selecta an ber 
höhern Töchterſchule zu Chemnitz. (Mit einem biographiſchen Anhang.) 
Bielefeld, Verlag von 3. Bacmeilter. (90 ©. gr. go Preis 80 Pf. 

Der Stoff ift gefchidt ausgewählt und gruppirt. Statt ber vielen 
Tritifirenden Urtheile hätten wir freilich lieber mehr Tatſachen ange⸗ 


228 Literaturkunde. 


tührt ſehen mögen. So konnten z. B. S. 29 bie biographiſchen No⸗ 
fizen über Opitz in wenigen Worten einen hiſtoriſchen Hintergrund 
erhalten, ven bem ſich ber Gharalier des Dichters von ſelbſt ein. 
Statt befien finden wir das harte unb unbegründete Urtheil: 
Charalter nad) war Opitz durchaus Egoift, riechen und enidfaih 
einerfeitö, jelbfigefällig und eitel anbererfeits.” Der biographifche An- 
bang enthält auf zwölf Seiten die Biograpbieen von Klopftod, Wie 
land, Leſſing, Herder, Goethe und Schiller. Seite 30 findet ſich der 
merfwürdiger Weiſe in nicht wenigen Literaturgejchichten ſpukende, alſo 
wohl nicht auf einem Drudfehler beruhende: Horibiliffribifar von 
Gryphius. ©. 39 ift aus Klopſtocks: Gelehrten: Republit eine Ge 
lehrtenwelt geworben. 


10. Die deutſche Poefie der neueren Zeit. Mit einleitenden Literatur 
bildern aus früheren Perioden. Ein Leitfaden für die Kiteraturfunde an 
Seminaren und andern böberen Lebhranftalten, wie auch zum — — 
richt. Bon Friedrich Wyß, Schulinſpector in Burgdorf. Zweite Aufl 
gern, Berlag der J. Dalp'ſchen Buchhandlung (8. Schmid). 1874 Ku 

1 ©. 8°) Preis 1,60 Marl. 

"Diefe treffliche Buch hat infofern Verwandtfchaft mit dem unter 
Nr. 6 genannten, ald die ausführlichſte Darftelung ber zweiten klaſſi⸗ 
jchen Periode unferer Literatur gewidmet ift, doch ift auch bie Litera⸗ 
tur des neungehnten Jahrhunderts in demſelben reichlidher bedacht, als 
in Nr. 6. Die Literaturbilder aus ber ältern beutichen Poeſie ent 
halten: Volksepos des Mittelalters, Kunſtepos des Mittelalters, Minne⸗ 
geſang, Satyriſche Poefie des fünfzehnten und fechzehnten Jahrhun⸗ 
berts, Vollslied des fünfzehnten und fechzehnten Jahrhunderts, Drama 
bes fünfzehnten und fedhzehnten Jahrhunderts, Kirchenlied des fechzehn- 
ten und fiebzehnten Jahrhunderts, Opitz und bie Poefie bes fiebzehnten 
Jahrhunderts im Allgemeinen. Im Haupttbeile bes Buches haben bie 
Dramen von Leſſing, Goethe und Schiller beſonders ausführliche Be 
ſprechungen gefunden, bie fi) gewöhnlich in die Abſchnitte: Vorge⸗ 
ihichte, Handlung und Compofition, Grundbgebanfe der Dichtung und 
Charaltere des Stüdes gliedern. Beſondere Anerfennung derbient ber 
pädagogiihe Tact, mit dem dad Buch entworfen iſt. Bei Fiſchart 
(©. 21 ff.) haben. wir ungern die Erwähnung bes glüdhaften Schiffs 
dermißt, die gerade unferem Verfaffer nahe liegen mußte. Moſcheroſch 
it (S. 39) unter bie Dichter der erſten fchlefiichen Schule geratben. 
Der Titel der S. 44 angeführten Abhandlung von Bodmer lautet 
genau: Vom Wunberbaren in der Poefie. 

11. Zeitfaben für den Unterricht in der Literaturgefhiähte für 
Schulen. Don Brof. Ernft Burkhardt. Leipzig, Julius Klinddardt. 
1874. (77 ©. kl. 9°) Preis 80 Pf. 

Ein Auszug aus des Verfaſſers größerem Werke, das in zwei 
Bänden Poefie und Proſa gejondert behandelt. Derfelbe ſoll den 
Schülern das Nachſchreiben erfparen und ihnen für bie Repetition einen 
Anhalt gewähren. Ban fieht nicht recht ein, für welche Art von 
Schulen das Buch beitimmt fein fol. Für die Zwecke höherer Schulen 


Riteraturfunde. 229 


iR es im vielen Städen zu bürftig, während auch für biefe manches 

Beberflüffige darin enthalten fein möchte. Man ift in der That ver- 

wundert, in einem fo bürftigen Leitfaden Schriften angeführt zu finden, 

wie (8. 59): v. Dalberg, Grundſätze der Aeſthetik; Gruber, Wörter- 
buch zum Behuf der Vefthetil; Eolger, Erwin u. ſ. w, ober Angaben 
wie (8. 61) über die Spaltung ber Hegel’ihen Schule in eine orthos 
doxe und heterodoxe. Ziemlich oft begegnen wir Wendungen, wie 

(8. 59): „Von anderen werthvollen Schriftftellern begnügen wir uns, 

die Namen kurz anzuführen,” oder ($. 72): „Die neuefte Lyrik iſt jo 

reich, dab von vielen Dichten es genügt, die Namen nur zu nennen‘ 
und Aehnlichem. Was ift denn nım erreicht, wenn ber Schüler 

F. v. Schmidt: Phifelded, 3. I. Fries, W. Hertz, F. Wehl, D. Band, 

N. M. Alfing u. ſ. w. nennen Tann? 

12. Literaturgefhichtlihe Lebensbilder und Charakteriſtiken. 
Biograpbifches Revertorium der Geſchichte der deutfchen Literatur, heraus⸗ 
gegeben von Dr. Otto Zange, Profeffor in Berlin. — ſehr vermehrte 
* berbeflerte Auflage. Berlin, Rudolf Gärtner. II und 378 ©. 8°.) 

rei . 


Die erfte Auflage wird im Jahresberichte (XXII, ©. 218) als 
„ein zum Nachſchlagen und zu kurzer, aber oft ausreichender Belehrung 
recht brauchbares Buch bezeichnet.‘ Die vorliegende zweite ift um 
etwa drei Bogen vermehrt. Der Verfaſſer beitimmt in der Vorrede 
das Buch zum Schulbuche, als welches es zur Ergänzung und Er⸗ 
weiterung de3 in ben literaturgejchichtlichen Leitfäden gegebenen Mate⸗ 
rials dienen fol. Wir können eine nad dem Alphabet georbnete Reihe 
furzer Biographien nicht ald Schulbuch anerkennen. 

13. Leitfaden zur Gefhichte der deutfhen Dichtung. Na unter 
richtlichen Grundfägen In drei Curſen bearbeitet von Emil Wolff. Leipzig, 
Derlag von Sigismund und Volkening. 

I. Eurfus: Die KHauptoertreter der deutſchen Poefie von Haller bis 

Juſtinus Kerner. (68 ©. 8°.) Preis: 80 Bf. 

D. ss Bon den älteften Seiten bis Brodes; von Rüdert bis auf bie 
neuefte Zeit. (79 ©. 8°.) Preise: 80 Pf. 

IL. s Meberfiht der Geſchichte der deutſchen Dichtung und Biblio» 
graphie. (71 ©. 8°.) Preis: 80 Pr. 

Der erfte und zweite Curſus wandeln, von der Eintheilung bes 
Stoffes in die beiben Eurfe abgejehen, in betretenen Bahnen. Der 
dritte Curſus ift ganz werthlos. Auf kurze Bemerkungen über ben 
allgemeinen Charakter ber einzelnen Perioden folgen bei jeder Periode 
eine lange Reihe Titel und auf diefe die fogenannte Bibliographie, 
too fehr oft der Titel noch einmal fteht und höchftens der Drudort 
des Buches beigefügt ift, eine ganz unnüße Raumverſchwendung. 
Auffallend ift au, daß ber Verfaſſer meift fehr alte, unbraudbar 
geivordene Ausgaben empfiehlt und neuere, gute Ausgaben ignorirt; 
ed muß ein fehr altes Handbuch zu Rathe gezogen worden fein. 
Bon den Dichtungen aus dem oſtgothiſchen Sagenfreife werden 3. B. 
Ausgaben von Laßberg, Ettmüller, Hagen und Primiffer angeführt, 
während die fchon feit 1867 erſchienenen vortrefflihen Ausgaben 


230 Literaturkunde. 


von Müllenhoff, Martin, Jänicke und Zupitza ungenannt bleiben. Von 

Hartmanns Iwein wird die uralte, ganz werthloſe Ausgabe von 

Michelaer (Wien, 1787) angeführt, die vorzügliche Ausgabe von Bech 

(Leipzig, 1869) nicht. Seite 13 findet fih unter Nr. 24 folgende Zeile: 
Leben ber Heiligen Elifabetb. 1300. Dichter unbelannt. 

In der Seite 14 ff. beginnenden Bibliographie ift natürlich auch 
eine Zeile für dieſes Gedicht unter Nr. 24 reſervirt. Da aber das 
vom Verfaſſer benugte Handbuch jedenfalls einige Zeit vor 1868 ges 
drudt ift, fo kann bie refervirte Zeile nur burch zwoͤlf Gedankenſtriche 
gefüllt werben und bie Rieger'ſche Ausgabe dieſes Gedichts bleibt un» 
genannt. Daflelbe Verfahren wirb noch ziemlich oft eingefchlagen. Die 
vielen einzelnen Irrthümer bes Buches 8 berichtigen, geſtattet hier 
der Raum nicht. Es würde kaum eine Seite deſſelben ohne Berichti- 
gung bleiben können. Webrigens fpuft auch hier (S. 34) ber Horri⸗ 
biliferibifar. 

14. Die Literaturfunde In der Mittelfhule Gin Lernbuch für die 

Hand der Schüler von Emil Wolff. Gütersloh, E. Barteldmann. 1874. 

(40 S. 8°.) Preis: 30 Bf. 

Inhalt: 21 Seiten Poetik, 19 Seiten Literaturgefchichte von 
Haller ab. Auf jo engem Raume Hätte ber Verfafler mit unnüten 
Morten noch fparfamer fein folen. Wir rechnen dahin z.B. die öfter 
twiederfehrenden und Doch nichtöfagenden Superlative in ven Urtheilen 
über die Dichter. („Goethe bat das Höchfte in ber Lyrik geleiftet.” 
„Die Gebrüder Grimm find von größter Bedeutung ald Sammler ber 
befannten jhönen Kinder» und Hausmärden.“ „Uhland ift einer ber 
vorzüglichiten Balladen⸗ und Liederbichter.”) Wenn von Chriftian von 
Stolberg nichts zu fagen ift, jo ift auch der Sat überflüffig: „Sein 
(Leopolds) älterer Bruder hieß Chriſtian“ (S. 30). 

Auch in der Poetik können wir nit alles gut heißen. Plan 
urtbeile ſelbſt. Seite 17 beißt es: „Das Märchen ift eine Novelle, 
deren Ereigniffe und Geftalten einer Wunderwelt angehören, welche 
ber Phantafie des deutfchen Volles ihre Entftehung verdankt.“ Novelle ? 
und wo bleiben dann die unleugbar orientalifchen Elemente auch ber 
deutichen Märchen? Nicht ſehr logiſch fcheint e8 uns herzugeben in 
folgenden Auseinanberfegungen: 

(S. 17): „gu einem Drama gehören äußerlich 

a) die Form des Geſprächs, 
b) die Eintheilung in Alte und Auftritte, 
c) die handelnden Perfonen, 
d) die Bühne.‘ 
(S, 18): „Innerliche Beftanbtheile des Dramas find 
a) die Idee, 
b) die dramatifche Handlung, 
co) die Gliederung, 
d) die Charalktere.“ 


15. Wiederbolungsbuh für den Unterriht in der Literatur> 
Funde an mehrllaffigen Volls⸗ und Bürgerfihulen. Rad den „Allge⸗ 


Literaturkunde. 231 


meinen Beſtimmungen ıc. vom 15. Octbr. 1872“ bearbeitet von W. Diet⸗ 

lein, Rector. Wittenberg, Berlag von R. Herrofe. 1874. (24 ©. 8°.) 

Preis: 35 Bf. 

Das Bücelden will ber Forberung der „Allgemeinen Be- 
fimmungen” genügen, daß den Kindern in mehrllaffigen Bürger- 
Schulen „eine hinreichend deutliche Borftellung von den wichtigſten 
Dichtungsarten, ſowie das Unentbehrliche über Versmaß und allge- 
meine metrifche Geſetze und über die bebeutenbften beutichen Dichter 
in entiprechender Weile gegeben werde.“ Dazu jcheint uns daſſelbe 
ganz geeignet, ſowohl in Bezug auf Auswahl, als auf Darftellung 
des Stoffes. Bon älteren Dichtern und Dichtungen find berüdfichtigt: 
Ribelungen, Gudrun, Hand Sachs und Paul Gerhard. 

Schriftchen ſpeziell katholiſchen Inhalts find folgende beiden: 

16. Das deutſche katholiſche Kirchenlied in feiner Entwidelung von den 
eriten Anfängen bis zur Gegenwart. Zunächſt für höhere Lehranftalten. Won 
Joſeph Kehrein, Direktor des katholiſchen Seminars zu Montabaur. Neu⸗ 
burg a. D., Drud und Berlag des katholiſchen Erziehungsvereins (2. 
Auer). 1874. (78 ©. gr. 8°.) Preis: 1,20 M. 

Das Schriftchen ift wifienfchaftlich gehalten und entipricht feinem. 
Zwecke. Der eigentlichen Gefchichte des Fatbolifchen Kirchenliedes, bie 
dur die einzelnen Jahrhunderte hindurch verfolgt wird und von 
ziemlih vollftändigen, für Schulzwecke zu vollftändigen Bibliographieen 
für die einzelnen Jahrhunderte begleitet ift, gehen die Kapitel: Grie- 
chiſche und Inteinifche Kirchenfprache, der öffentliche Cultus, die Kirchen 
fpradhe in Deutfhland voraus. Dankenswerthe Zugaben find bie 
Mittheilungen aus Vorreden der Geſangbücher (S. 53—62), welche 
intereflantes Material zur Geſchichte bes SKirchengefanges überhaupt 
enthalten und die auf S. 63 bis 78 mitgetheilten zwölf ber älteiten 
Lieder mit erllärenden Anmerkungen. Ä 
17. Die katholiſche Dichtung in der deutſchen Literatur feit der 

Reformation Bis zur Gegenwart. Literaturgeſchichtliche Studie von 3. 

Neubauer. Mit charalterifirenden Broben der bervorragenderen Schrifts 

fteller. Prag, 3. ©. Ealve’fche EB. k. Hofe und Univerfitätt-Buchhandlung. 

1874. (178 ©. 16) Preis 1,20 M. 

Man begegnet in biefem gut gefchriebenen Büchelchen manchem 
Belannten aus der deutſchen Literaturgefchichte, aber auch manchem, 
den man dort faum genannt findet und fo wird das Bild bes litera- 
rifhen Schaffens in Deutfchland verbollftändigt. Weber manche Dichter, 
3. D. über Wefienberg u. a. erführe man fogar gern noch mehr. Der 
Geift, der das Buch durchweht, ift mweber ein polemifcher, noch ein 
engberzig beichränfter. 

Noch ift eine Feine, Iiteraturgefchichtlic wie päbagogifch gleich- 
interefjante Schrift zu beſprechen: 

18. Die ideale und äfbetifhe Bedeutung der mittelhochdeutſchen 
Poefie. Bon P. Albert Kuhn. (Programmabhandlung im „Jahres⸗ 
bericht über die Lehr: und Erzichungsanftalt des Benedictinerſtifts Maria⸗ 
Einfledeln.) Ginfledeln, New York und Cincinnati. Drud und Verlag von 


Serie Karl und Nicolaus Benziger. 1874. (32 ©. gr. 4) Preis: 


* 





232 Literaturkunde. 


Ueber die Bedeutung der mittelalterlichen Poeſie für die Schule 
iſt ſeit langer Zeit nicht etwas ſo Vortreffliches geſchrieben worden, 
wie dieſe Abhandlung, die wir der Aufmerlſamkeit der Leſer aufs 
wärmfte empfehlen. Der erſte Abſchnitt: „Das Volk und feine Sänger“ 
ftellt die mittelalterliche Dichtung zunächft in jene kulturgeſchichtliche 
Beleuchtung, ohne welche die Beurtbeilung von Dichtungen ftets eine 
ſchiefe und ungerechte bleiben wird; der zweite: „Die Stoffe und das 
dichteriiche Schaffen“ erörtert den tbeellen Gebalt ber vollsthürnlichen 
und ber höfiſchen Epik, fowie der mittelalterlicden Lyrik. Was über 
bie letztere gejagt wird, ift fo vortrefflich, mie alles in der Schrift, 
nur leider etwa kurz. Im britten Abfchnitte endlich: ‚Die Claſſiker“ 
wird der äfthetifche Gehalt ber Dichiungen erörtert, indem Compofition 
und ſprachliche Darftellung näher unterfuht und an den von ben 
griechischen und römiſchen Claſſikern entlehnten Mapftab angelegt werben. 
Wenn der Verfaſſer dabei zu dem Schluffe gelangt, daß die ideelle Be⸗ 
deutung der mittelalterlicden Poefie als das bildungsreichite Element 
für Schule und Leben zu bezeichnen fei, To wollen wir nicht mwiber- 
fprechen, aber eins wollen wir hierbei nicht ungeſagt bleiben lafien. 
Eine Unterfhägung ber äſthetiſchen Bedeutung ber mittelalterlicdhen 
Poeſie liegt jehr nahe, fo lange man ſich noch nicht gewöhnt hat, im 
diefelbe ſich mit gleicher Liebe und Ausdauer zu vertiefen, wie in 
Homer oder Horaz. Was ung die Commentatoren diefer Dichter ſchon 
fertig entgegenbringen, das müſſen wir beim Nibelungenlieve und 
bei der Gudrun, bei Wolfram und bei Walther uns nicht felten erft 
mühſam erftubiren. Wer ſich aber die Mühe nicht verbrießen läßt, 
der findet fi am Ende meift reich belohnt durch die Entdeckung hoher 
Schönheiten an Stellen, an denen er anfangs nur Negellofigfeit und 
rohe Willfür zu finden meinte. 


4. Schulausgaben und Erläuterungsicriften. 


19. Literaturſtunden in der höheren Töchterſchule. Kine Auswahl 
von Proben mit vollfländigem Kommentar, biographiſchen und literarbiftos 
rifhen Skizzen. Mit Aüdlätnahme auf Dr. Kellner’s „Leſe⸗ und Bildungs⸗ 
buch“, ſowie auf des Derfaffers „Literaturkunde“ bearbeitet von Dr. Wil⸗ 
beim Reuter. Freiburg im Brelägau, Herder'ſche Verlagshandlung. 1873. 
(XV und 655 ©. 8%.) Breis: 4,80 M. 


An drei Abtheilungen werben circa 230 Gedichte aus der Zeit 
von Opitz bis auf die neuefte Zeit mitgetheilt und erläutert. Die Aus 
wahl derſelben, obwohl von katholiſchen Geſichtspunkten beeinflußt, tft 
eine ber Jugend angemefiene In den biographiſchen und literature 
biftorifchen Skizzen hat ſich ber Verfaffer ta, mo Meinungsverſchieden⸗ 
beiten ind Spiel famen, eines anftändigeren Tones befleibigt, als er 
in dem unter Nr. 7 genannten Buche zuweilen herrſcht. 


20. Einführung in die deutfhe Literatur, vermittelt durch Erläute- 
sung don Mufterflüden aus den Werken der vorzüglichiten Schriftiteller. 
Für den Schul» und Selbitunterricht. Don Auguſt Lüben, weil. Seminars 
director in Bremen, und Earl Made, weil. Lehrer in Merfeburg. Sechſte, 


Literaturkunde. 233 


verbeſſerte Auflage. Zugleich als Commentar zu dem Leſebuche für Bürger⸗ 
ſchulen von denſelben Herausgebern. Leipzig, Friedrich Brandftetter. 1874. 
Erſter Band: XVI und 604 ©. Preis: 450 M. 

weiter⸗VI und 783 3. Preis: 6,75 M. 

ritter ⸗ X und 556 ©. Preis: 3,75 M. 

Das Wert ift zu befannt und, wie die immer wieder nöthig 
werdenden neuen Auflagen bemweijen, zu allgemein gewürdigt, als daß 
bier noch etwas zu feinem Lobe zu jagen nöthig wäre. Nur das jet 
bemerkt, daß bie Verlagshandlung auch nach dem Ableben ber beiden 
Verfaſſer es ſich bat angelegen fein lafien, das Werk auf der Höhe 
der Zeit zu erhalten; namentlich weift der dritte Band mancherlei 
Berbefierungen und Nachträge auf. 

21.. Die Boefie in der Volksſchule. Bierzig vaterländifhe Dichtungen 
ausgewählt und erläutert von W. Dietlein, fector in Dortmund. Erſter 
Band. Zweite, verbeflerte Auflage. Wittenberg, Derlag von R. Herrofe. 
1874. (240 ©. 8°.) Breis: 2,40 M. 

Wir haben ben zweiten Band biejes Werkes beiprochen und em⸗ 
pfohlen im Jahresbericht XXVI, ©. 373. Hier liegt der erfte Band 
in zweiter, verbefjerter Auflage vor und wir können auch ihn, der in 
feiner Anlage jenem zweiten ganz gleich ift und vorzugsweiſe die Er- 
läuterungen zu Gedichten Goethes, Schillerd und Uhlands enthält, 
empfehlen. 

22. Erklärungen deutfher Leſeſtücke für Bollsfhulen. Bon J. A. 
effner, Yrofeflor am Xehrerieminar zu Ettlingen. Tauberbiſchofsheim, 
sud und Berlag der J. Lang’fhen Buchhandlung. (VILI, 181 ©.) 

Preis: 1,80 M. 
Der erſte Theil des Buches enthält theoretiſche Erörterungen unter 
folgenden Kapitelüberſchriften. 
A. Vorerzählen und Vorleſen. 
B. Einführung in das Verſtändniß. 
C. Angabe des Inhalts. 
D. Uebung im Lefen. 
E. Auswendiglernen und Nieberfchreiben, bzw. Vortrag. 
F. Bergleihung inhaltlich verwandter Lefeftüde. 


Im zweiten, praftifchen Theile, werben gegen hundert Gedichte 
und Profaftüde erflärt, die im badischen Leſebuche fi finden. „Junge, 
noch unerfahrene Lehrer werden mandyen praftifchen Wink darin finden, 
aber nad) unferer Meinung wird in dem Buche zu viel erklärt. Hier 
eine Probe. In der Erklärung zu der Leſſing'ſchen Tabel vom Bogen 
(S. 97) heißt ed u. a.: 

„Trefflich“, vortrefflich, ausgezeichnet, vorzüglich. 

Ebenholz“, ein ſehr hartes, durch und Durch Schwarzes Holz. Das 

beite Ebenholz kommt aus Dftindien. 

„Werth hielt‘, lieb hatte, ſchätzte; mit bem er fehr zufrieden war. 

„Blump“, nicht fein, nicht zierlich, fondern unförmig, ſchwerfällig. 

Der Bogen hatte zu große Holgmafle. 

„Zierde“, Schönheit, Schmud, 


234 Literaturkunde. 


„Dem iſt abzuhelfen,“ der Plumpheit kann abgeholfen werden, 
ſie kann beſeitigt werden. 

„Fiel ihm ein“, kam ihm plötzlich in den Sinn. 

„Schnitzen“, ſchneiden. 

„Jagd“, Haſen, Füchſe, Rehe und anderes Wild, von Jägern und 
Hunden verfolgt. 

Dder zu Uhlands Einkehr (Seite 137) u. a.: 

„jüngft, vor kurzer Zeit, letzthin. 

„ih war zu Saft”, ich war eingefehrt. 

„von der Wurzel bis zum Gipfel”, vom unterften Theil bis zum 
oberften, alfo der ganze Apfelbaum u. f. w. 

Wer folder Erklärungen zu bebürfen meint, ber greife nach bem 


uche. 
23. Leſſings Proſa für Schule und Haus ausgewählt von Auguſt Lut⸗ 
hardt. Rördlingen, Derlag der C. 9. Belfden Buchhandlung. 1873. 
(XII und 375 ©.) Preis: 3,50 M 


Leffing ift nächlt Luther der Schöpfer ber deutſchen Profa unb 
faum möchte es einen Schriftfteller ber neuern Zeit geben, deſſen 
Werte ala Schule für geregeltes Denlen und kritiſche Forſchung 
befiere Dienfte leiften könnten, al3 bie Leſſings. Yon foldyen Gedanken 
auögebend, flellte der Verfafler das vorliegende Buch zufammen, welches 
ein bolljtändiges Charakterbild Leſſings bietet und ganz geeignet if, 
zum meiteren Stubium jeiner Schriften anzuregen. Bejonberd anges 
nehm war uns zu ſehen, daß auch Leifings Briefe bei biefer Auswahl 
reichlich bedacht worden find. 

24. Das Nibelungenlied. Schulausgabe mit einem Wörterbuche von 
Karl Bartſch. Leipzig, F. A. Brodhaus. 1874. (IV und 299 ©.) 

Neben ber von Franz Pfeiffer begründeten Sammlung: „Deutfche 
Claſſiker des Mittelalters follen in der Folge eigens für den Schul- 
gebrauch beftimmte Ausgaben der mittelhochveutichen Dichtungen ber- 
geftellt werben. Mit dem Nibelungenliebe ift bier der Anfang gemadit. 
Der Tert ift berfelbe, wie in der Ausgabe ber deutſchen Claſſiker, 
alſo nad ber Handſchrift B hergeftelt. Am Rande der Seiten ift 
die Lachmannſche und die Holtzmannſche Zählung beigefü Außer 
einem Wörterbuche enthält die Ausgabe nichts, mas dem Verſtändniß 
unmittelbar zu Hilfe käme. Grammatikaliſche und fachliche Erläute⸗ 
rungen bleiben ganz dem Lehrer überlaflen. 

25. Das Nidelungenlied. Schulausgabe mit Einleitung und Wörterbuch. 
Don Karl Simrod, Stuttgart, Derlag der 3. ©. Cotta’jhen Buchhand⸗ 
fung. 1874. (XII und 310 ©.) Preis: 2 Mark. 

Der vorigen Ausgabe fehr ähnlich, nur auf ber Handſchrift A 
berubend und fih alfo an Lachmann anſchließend, deſſen Text durch 
Bezeichnung kenntlich gemacht if, da auch die Mebrftrophen von B 
und C aufgenommen find. Die Einleitung hält an der Lachmannſchen 
Liedertheorie feit und will fogar die Schüler in den Stand fegen, bie 
20 Lieder zu prüfen. Außerbem enthält fie eine kritiſche Herftellung 
der Kürenberger-Lieder. Der mittelhochdeutſche Tert ift in dieſer Aus- 
gabe mit deutſchen Lettern gebrudt. 








Literaturkunde. 235 


26. Schul⸗Ausgaben deutſcher Claſſiker mit Anmerkungen. Stutt⸗ 
gart, Verlag der J. G. Cotta'ſchen und ©. J. Goͤſchen ſchen Buchhandlung. 
Von ihnen liegen vor: 
Herders Ausgewählte Dichtungen. Schulausſsgabe mit Anmer- 
Lungen bon Brof. Dr. J. W. Schaefer in Bremen. und 127 ©.). 
ei: 


lopſtocks Oden in Auswahl. Schulausgabe mit erflärenden An- 

merkungen von A. 2. Bad. (IV und 91 ©.) Preis: 80 Pf. 

Beide Bändchen entfprechen ben Erwartungen, die man an bie 
Fortſetzung biefer Schulausgaben zu knüpfen fi) gewöhnt hat. Das 
legtere enthält 35 Oden in guter Auswahl, beſonders erfreulich aber 
ift die Zufammenftellung aus den Gedichten Herbers, die unverbienter 
Weiſe meift in Vergeſſenheit geratben find. Sie enthält in fünf Ab- 
theilungen: Lyrifch = didactifche Gedichte, Gedichte in antiker Form, 
Legenden, Paramythien und die bramatifchen Scenen: ber entfeflelte 
Prometheus. Namentlich die letteren verdienen volle Beachtung. Die 
Romanzen vom Eid follen in einem befondern Bändchen nacfolgen. 


5. Anthologieen. 

27. Deutſches Lefebuch von Wilhelm Wackernagel. Erſter Theil: Alte 
deutfches Leſebuch. Fünfte Auflage Baſel, Schweighauſer'ſche Berlags- 
buchhandlung. 1873. (VIII ©. und 1528 Sp. gr. 8.) Preis: 12 M. 
Der König aller beutfchen Lejebücher. Ein Buch, das im Noth- 

fall eine ganze Bibliothek zu erjegen vermag. Die neue Auflage ift 

in ihren erften Bogen noch von dem jeitbem verewigten Verfaſſer be= 
forgt worden. Er bat auf biefen Bogen das Buch um eine gothiſche 
und altniederdeutſche Abtheilung vermehrt, melche auf 192 Spalten Broben 
aus Wulfilas Bibelüberfegung, Bruchftüde der fogenannten Steireing, 
das Weflobrunner Gebet, Stüde aus dem Heliand, eine altniederbeutjche 

Beichtformel und ein für all diefe Stüde ausreichendes Gloflar ent- 

hält. Der weitere Drud des Buches ift von Max Rieger bejorgt, der 

an ber Stelle des fchon früher im Leſebuche aufgenommenen Weſſo⸗ 

Brunner Gebets drei von Karajan und Pfeiffer entdeckte Segenjprüche 

(Hirtenfegen und DBienenjegen) aufnahm. Das zu dem altbeutichen 

Leſebuche gehörige Wörterbuch ift noch in der früheren Auflage zu haben. 
Während Wadernageld Lejebuh einen Schatz von Belegen zur 

deutfchen Sprady-, Cultur⸗ und Literaturgefchichte enthält, ber, wie 

Ichon gefagt, eine ganze altdeutſche Bibliothek erjegen kann, teil er 

mit feinftem Verftändniß ausgewählt ift von einem Manne, ber das 

ganze Gebiet, aus welchem zu mählen war, beberrichte, ftellen ſich 
andere Lejebücher nur die Aufgabe, der Schule dienen zu wollen. So 
das folgende: 

28. Mittelbohdeutfhes Leſebuch. Bon Dr. Richard von Muth, Prof. 
an der nieder-öftr. Randesoberrealfhule zu Krems a. d. Donau. ien, 
Alfred Hölder (Bed’iche Univerfitäts-WBuchhandlung). 1873. (IV, 156 ©. 8°.) 
Dreis 2,40 M. 

Eine Einleitung ovrientist über bie genetiſche Entwidlung ber 
deutſchen Sprache und enthält das dem Schüler Wifienswerthe aus 


236 Literaturkunde. 


der Lautlehre einſchließlich der Lautverſchiebung. Darauf folgt ein 
Kapitel über mittelhochdeutſche Flexions⸗ und Verslehre (Conjugation, 
Declination, Quantität und Betonung, Reim und Vers, Strophe). 
Dem eigentlichen Lefefloffe geben in feinen einzelnen Abſchnitten lite— 
raturgeſchichtliche Betrachtungen voran. Den Leſeſtoff bilden Stüde 
aus Nibelungen, Rofengarten, Gudrun, Parcival, Zriftan, von dem armen 
Heinrich, Dfto mit dem Barte, Walther von ber Pogelweide und 
Schmwabenipiegel. Ein Gloffar fehlt, feine Stelle vertritt ein Wort- 
zegifter, das auf die dem Texte folgenden erflärenden Anmerkungen 
verweiſt und weitere Belegftellen zu den bort erflärten Wörtern hinzu⸗ 
fügt. Dadurch wird der Schüler zu einer gewiflen Sorgfalt der Prä- 
paration veranlaft und auf den Werth der Anwendung von Parallel» 
ftellen geleitet. Uns fcheint das Buch namentlich eine treffliche Er⸗ 
gänzung bed Lehr- und Leſebuchs von Alois Egger zu fein, dad nad 
ähnlichen Grunbjägen gearbeitet ift und Mittelhochbeutiches ausfchließt. 
29. Die Elaffiter der dDeutfhen Rationalliteratur, vorgeführt In 

Proben und Inhaltsangaben ihrer Werke, fomie in kurzen Biograpbien. 

Ein Handbuch für Kreunde der beutfchen Literatur von Gottlob Dittmar, 

Dberlehrer an der böhern Bürgerfchule zu Neuwied. Neuwied und Leipzig, 

Derlag der 3. H. Haufer’fhen Buchhandlung. 1874. (XII u. 226, X u, 

375 ©) Preis 4 Mark. 

Sehr reichhaltig und billig,‘ Das Buch fucht feinen Vorzug in 
der Beichränfung auf das Claffiiche im möglichſt engen Sinne bes 
Wortes. Die erfte Abtheilung enthält Nibelungen, Gubrun, Armer 
Heinrih, Iwein, Parcival, Titurel, Walther von ber Vogelweide 
(23 Nummern), Reinele Fuchs, Hans Sachs (6 Nummern), Volks⸗ 
lieber (41), Luther (12), Opitz (6), Gottſched. Die zweite Abtheilung : 
Klopftod (Meifias und 16 Oben), Wieland (Oberon), Leifing (30 Num⸗ 
mern), Herder (49), Goethe (72), Schiller (7), Claudius, Jean Paul, 
Wild. und Wler. Humboldt, Hölderlin, 4. W. von Schlegel, Friebr. 
von Schlegel, Tieck, Rüdert (20), Uhland (28), Schillers Gedichte 
und Dramen find bei ber Auswahl gar nicht berüdfichtigt, weil fie 
„in äußerſt billigen Einzelausgaben zu haben find und nidt wohl 
anders alö ganz gelefen werden fönnen.” Wo aus größeren Dichtungen 
nur einzelne Abjchnitte aufgenommen find, findet ſich von den nicht 
mitgetheilten Abfchnitten der Inhalt in kurzen Worten ausgezogen, fo 
beim Nibelungenlied, bei Gubrun, Iwein, Parcival, Meſſias, Oberon, 
Eid. Zu loben tft au, daß bei der Auswahl von Profaftüden 
namentlich auf ſolche Iiteraturgefchichtlichen Inhalts Rüdficht genommen 
ift, 3. B. von Herder: Ueber Luther, tiber Klopftod und Milton, über 
Leifing; von Goethe: Weber die beutfche Literatur vor Goethes Auf- 
treten, über Klopftod, über Laokoon; von Schiller: Weber Egmont, 
über Haller, Kleift und Klopftod; von Uhland: Ueber Walther von 
der Vogelweide. Die gejchichtlihen Mittbeilungen über Dichter und 
Dichtungen find kurz und treffend. 

30. Handbuch der deutfhen Literatur. Eine Sammlung ausgewählter 

@tüde deutfcher Dichter und Profaifer, von der älfteften Zelt bis auf tie 

Gegenwart, nebft Iiteraturgefehichtlihen und biographiſchen Notizen. Kür 





Riteraturfunde. 237 


höhere Unteerichtäanftalten unb Freunde ber deutſchen Literatur berausge» 
geben von Dr. Joh. Aug. D. 2. Lehmann, SymnaflalDirertor. Zweite, 
unveränderte Auflage. Zwei Theile in einem Bande. Leipzig, T. D. 
Belgel. 1874. ( u. 577, XO u. 512 ©.) Preis 4,50 Dart, 

Ebenfalls ein jehr reichhaltiges und billiges Bud. Seine Reich« 
baltigfeit ift aber von der bes vorgenannten Buches von Dittmar ver- 
ſchieden. Während dieſes nur wenige Dichter, diefe aber möglichft 
ausführlich berüdfichtigt, kommt es dem Verfaſſer bes vorliegenden 
Buches darauf an, von möglich vielen Dichten und Profailern. Broben 
zu bieten. So finden wir denn im erften Theile gegen 130 Dichter 
mit Proben vertreten, während im zweiten Theile Proben von mehr 
als 80 Profaifern mitgetheilt werden. Daß bei ſolcher Neichhaltigfeit 
bie Proben oft nur Kein fein können, leuchtet ein, doch muß aner- 
fannt werden, daß es dem Verfafier gelungen ift, ſtets möglichſt 
Narafteriftifche Proben auszuwählen. immerhin bat die raumfparende 
Druckereinrichtung geitattet, 3. B. von Klopftod und Leffing je 16, 
bon Goethe 28, Herder 30, Rückert 13, Uhland 15 Nummern im 
erften Theile (ohne die Profaftüde im -zweiten) aufzunehmen. Sehr 
dankenswerth ift namentlich auch die eingehende Berüdfichtigung ber 
altdeutfchen Proſa. E3 begegnen da: Wulfila, Iſidor, Kero, Tatian 
Notker Labeo, Willtram, Sachſenſpiegel, Schwabenfpiegel, David von 
Augsburg, Berthold von Regensburg, Tauler, Twinger von Sönig3- 
hofen, Ordensbuch des beutjchen Ordens, Geiler von Kaiſersberg, 
Albrecht Dürer, Aventinus. Die Iiteraturgefchichtlichen Weberfichten 
und die biograpbifchen Mittheilungen über die Dichter find knapp und 
Har, für die alt« und mittelhochbeutfche Zeit aber find mandje neuere 
Forſchungen unbenugt geblieben. 

31. Schladhtfanfaren und Heroldsrufe Deutfhlands neue Zeit in 
geharniſchten Liedern für die deutfche Jugend. Eine pädagogiihe Samm- 
lung der beften patriotiſchen Gedichte zur Feier der nationalen Fefltage, 
zufanımengeftellt von Dr. Woldemar Götze, Oberlehrer an der Realichule J 
zu Leipzig. Leipzig, Verlag von: Heinrih Matthes. 1874 (XIV und 
145 ©.) Preis 1,50 M. 

Ein Buch, deſſen bejtes Lob damit auögefprochen ift, wenn wir 
feinen Titel für ganz zutreffend erflären. Eine wirklich pädagogiſche 
Sammlung berzuftellen, war eine gar nicht jo leichte Aufgabe. Sei 
das Buch zur Benutzung an nationalen Gebenktagen beſtens em⸗ 


pfohlen. 
6. Boetif. 


32. Boetil, Rhetorik und Stiliſtik. Alademifhe Borlefungen von 
Wilhelm Wadernagel. Herausgegeben von Ludwig Sieber. Halle, 
Berlag der Buchhandlung des Waiſenhauſes. 1873. (XI u. 452 ©. 
gr. 8°.) Preis 9 Mark. 

Ein herrliches Wert aus Wadernagels Nachlaß. Wenn ein Ge⸗ 
lehrter wie Wadernagel, der ſelbſt vortrefflicger Stilift, glängender 
Redner und formgewandter Dichter war, über Poetik, Rhetorik und 
Stiliſtik fh ausſpricht, fo Tann man nicht überraſcht fein, wenn 
eine Meilterleiftung zum Borfchein kommt. Das Buch ift geiftvoll 


« 


238 Literaturkunde. 


und anregend von den ſubtilſten philoſophiſchen und äſthetiſchen Er⸗ 

örterungen an bis zu den erheiternden Stilproben aus den Tages⸗ 

blättern und der Beifall, den dieſe Vorleſungen bei Wackernagels afa- 
bemifchen Hörern fanden, wird auch bem hier vorliegenden Abbrude 
nicht fehlen. 

33. Boetif. Die Dichtkunſt und ihre Technik. Bom Standpunlie 
der Neuzeit. Bon Rudolf Gottſchall. Dritte, verbefierte und vermehrte 
Auflage. Zwei Bände. Breslau, Derlag von Eduard Trewendt. 1873. 
(XVL 312 n. IV, 276 ©. 8°.) Brei I M. 

Iſt ebenfowenig wie das vorher angezeigte Werk ein Schulbud, 
aber gut und nüglich zu fleißigem Studium für den Lehrer. Der 
Verfaſſer will barauf hinwirken, daß unfere Literatur fih nach immer 
klarer erfannten Principien aus dem modernen Geifte heraus fortent- 
widele und alles Alabemifche, Dilettantifche, Lebensunfähige immer 
mehr von ſich abſtoße. Durch dieſen modernen Geift, burch die ge= 
wiſſermaßen polemifirende und Propaganda machen wollende Haltung 
erhält das Buch einen befondern Reiz und dem Berftändniß der neueren 
Dichtung müflen Unterfuchungen, wie bie bier geführten, ganz weſent⸗ 
lich zu ftatten fommen. Zu ben Beifpielen haben auch Dichterwerfe 
ber neueften Zeit ihr Contingent geftellt und manche Dichtung älterer 
und neuerer Zeit wird bier einer Unterfuhung in Bezug auf ihren 
- formellen Werth unterworfen, aus welcher der Lehrer manches für 
feinen Unterricht lernen Tann. 

34. Leitfaden der Boetil für den Schul⸗ und Selbfiunterriht. Bon 
Dtto Sutermeifter. Zweite, verbeflerte und vermehrte Auflage. Zürich, 
Drud und Verlag von Friedrich Schultheß. 1874. (104 ©. 8%) Preis 
1,20 Marl. 

Ein gutes Schulbuch. Die Erflärungen find präcis gefaßt, die 
Beiſpiele vortrefflih gewählt. Dft find fogar bie Erflärungen felbft 
durch Dichterworte unterftüßt und erläutert. So finden fih z. 2. 
in dem Abjchnitt „didaktiſche Poeſie“ Goethes Wort: „Alle Poeſie ſoll 
belehrend fein, aber unmerklich,“ und Geibels Sprud: 

„Sittlich ſei ber Poet, fein Sittenprebiger; lehren 

Sol er, allein nur fo, wie die Gefchichte belehrt; 

Hat er ein ewig Geſetz in geſchloſſenem Bilb euch entfaltet, 
Sei ihm die trodne Moral drunter zu fehreiben erjpart.“ 

Ein Anhang enthält: Motive und Materialien zu metrifchen 
Uebungen und poetifchen Verjuchen, fowie: Themen zu Unterfuchungen 
und Abhandlungen über Wefen und Formen der Poefie. Hier möchten 
auch für manden Lehrer Nüfje zu Inaden fein, beren Früchte ihn 
ſpäter jüß belohnen könnten. 


7. Mythologie. 


35. Die Sötterwelt der Alten. Kurze Darftellung der Mutbologie der 
alten Griechen, Römer und Deutfchen, nebft einer Schilderung der Sitten und 
Gebräude des Altertbums. Bon 2, Fürftebler. Dritte, gänzlich umges 
arbeitete Auflage. Mit 10 Tafeln. Wien, Peſt und Leipzig, N. Hartlebens 
Berlag. 1874. (XIV u. 176 ©.) Preis 2,70 Mark. 





Riteraturfunde, 239 


Steht nit auf der Höhe ber mythologiſchen Forſchung. 
Griechiſche und römiſche Verhältniſſe werden bunt unter einander ge- 
worfen. Bei der Daritelung norbifcher Kultusformen find Germanen, 
Slaven, Kelten, Finnländer ac. ftetö gleichzeitig berüdfichtigt, jo daß 
man aus dem Ganzen nicht recht Flug wird. MWeberhaupt ift dieſer 
norbiihe Theil der allerfchwächfte. Seite 172 heißt e8 z. B.: „Ein 
Gefpenft bejonderer Art war Frau Hola mit ihrem fchredlichen Ge⸗ 
folge, da8 zur Gage von ber wilden Jagd den Grunditoff lieferte, 
u. |. wm. Das follte doch nicht mehr möglich fein, nachdem Jacob 
Grimm gelebt bat. Die Abbildungen find ganz werthlos. Wir 
möchten den Tennen, welcher feben kann, daß auf Tafel VIII der von 
Thefeus erichlagene Gentaur einen Kopf bat. Die dort befindliche 
undeutlide Maſſe könnte man eber für alles andere, als für einen 
Kopf halten. 


36. Kurzgefaßte Mytbologieder®ricehenund Römer. Für Bürger- 
und Xöchterfchulen. Bearbeitet von Prof. Dr. Eugen Netoliczta, Mitgl. 
des T. k. Landesſchulraths für Steiermark. Mit 35 Holzfchniiten. Wien, 
Berlag von A. Pichlers Witwe u. Sohn. 1874. (95 ©. 8°.) Preis 1 M. 

Enthält reichen Stoff in guter Anordnung. Die ſprachliche Dar: 
Rellung haben wir in all den zahlreichen Leitfäden bes Verfaſſers 
nicht immer muftergiltig befunden. Auch in dem vorliegenden bleibt 
in biejer Beziehung manches zu wünſchen. Seite 80 beißt e8 3. 8. 
von Orpheus: „Der göttliche Sänger, der Alles mit Wonne und Ent⸗ 
züden erfüllte, dem jede Menſchenbruſt entgegenjauchzte und ob feiner 
Mufit ihren Kummer vergaß, follte felbft mit zerrifjenem Herzen und 
mit Trauer erfüllt, fein Dafein verleben.“ Solder Sätze ließen ſich 
viele anführen. Die Holzichnitte find meift gut, nur Yig. 35 bätte 
wegbleiben follen. Das Bildchen ift Doch zu naiv. . Die Gewinnung 
bes goldenen Vließes wird daburch gerabezu lächerlich. 

37. Die beutfhe Volksſage. Beitrag zur vernleihenden Mythologie mit 
eingefchalteten taufend Driginalfagen. Bon Dr. Senne: Am Rhyn. 
Leipzig, Berlag von Job. Wilh. Krüger. 1874. ( w5 .) 
Brei 7,50 M. 

Der Berfafler, der eigentlich zur Hälfte nur Herausgeber ift, 
mweil die Grundlage bes Buches, die Sagenfammlung, von feinem 
Bater berrührt, geht aus auf die Ergrünbung der Beziehungen zwiſchen 
Natur und Religion und die Auffindung von Spuren ber Naturver- 
ehrung und ber Perfonification von Naturbingen in allen Glaubens⸗ 
und Kultusformen. Die Hauptunterfuhung ift freilich immer auf bie 
deutfche Sage und Mythologie gerichtet, doch werden Sagen aller 
Bölker, aud der alten, der Aegypter, Inder, Perjer, Griechen, Römer ıc., 
zur Vergleihung herangezogen und die neueften Schriften zur ber- 
gleichenden Mythologie, mie das epochemachende Werk des Italieners 
Angelo de Gubernat3 find berüdfichtig. Unter ben auf dem Titel 
genannten Driginalfagen find nicht foldhe zu verſtehen, die von dem 
Berfafier zum erften Male veröffentlicht würden, obgleich ſich auch 
folche in dem Buche finden; es haben vielmehr zu den taufend Nummern 


240 cuerauraade 
axteı eia: zen entlegeneren Luchen and die belenmen Sagenfammlungen 


bei?: vert. 

Der Iakit —— m drei Secher: L Thierſage (Spime, 
Krote, — . Drache, Bẽzel, Jazdcbiere Haustbiere, wilde Jagd 
u ĩ. w.. IL Sazen ker Tamonenwelt Nun, 

Keen, Edidialemidue, TIL Götter: und Heldenfage Die 
Ineiie Flide ber Bertafer Im feinen Unterimchimgen eit eröffnet, Tamm 
ihen tie eine Zuiammenttellung beiverien, tie ih Seite 504 bei ber 
Unteriugung des mr:hicden Gehaltes ber Dear en. ———— er= 


gleichenden 
ſcheñen iſt, io enthält 
Solche finden wir ——ã—n,a in den Unterſuchungen über Götter 
und Helteniage, bie manche neue —æe eröffnen. Außerdem 
wird das Buch fortan als Tuelle gelten müfen für mande bieher 
den Forſchern unbelannte Zagengeftaltung. Auch einige bisher 
ungebrudte Märdien finden fich in demielben. Heutiger Bollsbr 
und beutige Volksſitte aber erhalten in dem Buche oft eine wunder⸗ 
bar poetiihe Berllärung und namentlich teshalb möchten wir das 
Studium des Buches Volklsſchullehrern empfehlen. 
8. 
35. Da isia ungetrudte Balladen de® 16., 17.u. 15. Sabrs 
underts. Aus fliegenden Blättern, handſchriftlichen Quellen und mäuts 
licher —— geſammelt und berausgegeben von Franz Wilbelm 
son Ditfurth. Stuttgart, ©. 33 Göoſchenſche Berlagsbantinng- 
1874. (ZU 2. 196 ©.) Preis 2,50 Rart 
Der um die Literatur des ˖ Vollsliedes berbiente Berfafier bietet bier 
einen herrlichen Schat, von dem bis jest Niemand eine Ahnung hatte. 
men echte Berlen der Poeſie, zumeiſt aus einer Zeit, in der man nad) der 
landlãufigen Borftelung folde Perlen zu finden nicht boffen konnte. 
Folgen noch mehr derartige Veröffentlihungen — und es fteht zu hoffen, 
denn warum follte Sranfen, wo biefe Sammlung entftanden, allein. 
Ausbeute liefen? — fo wird ſich das Urtheil ber Literaturgeſchichten 
*— die Lyrik des 17. und 18. Jahrhunderts weſentlich ändern 
en. 
39. Fliegender Sommer. Rene Gedichte von Ludwig Bauer. Augs- 
* Swidſche Verlagsbuchhandlung. 1874. (125 ©. 16.) Preis 


Diejes reigende Büchelchen ift wohl nur unter die Recenfions- 
eremplare des Päd. Jahresberichte gelommen, weil der Dichter befielben 
ein Päbagog (unferes Wiſſens Schulrath in Augsburg) if. So ſei 
es denn bier regifirirt als eine der lieblichſten Erfcheinumgen ber neueren 
Lyrik, als das Werk eines Dichterd von Gottes Gnaden. Möchten 
alle Pädagogen — wenn auch nicht fo dichten, doch fo empfinden 
können, wie Ludwig Bauer. 


Mi: = 


VII. Zeichnen. 


Bearbeitet 
von 


Martin Godei. 





J. Methodik, 


In Bezug auf die Fortentwickelung der Zeichenmethode wollen wir 
für diesmal eine kleine Rundſchau halten und zwar im Jahresberichte 
ſelbſt, was er uns ſeit dreißig Jahren vorgeführt hat. 

Im erſten Bande wurde das Zeichnen nicht berückſichtigt; erſt 
mit dem zweiten Bande fangen die Berichte hierüber an. 

Die Erfolge des Zeichenunterrichtes waren damals nach Lüben 
und vielen Anderen recht ungünſtig; den Grund hiervon gibt Lüben 
in Folgendem an: 

„1. Die meiſten Lehrer vernachläſſigen die Bildung des Auges. 

2. Die Lehrer geſtatten beim freien Handzeichnen den Gebrauch 
von allerlei Mepinftrumenten, wie Zirkel, Papierftreifen u. dgl. 

3. Die Lehrer halten nicht auf volle Richtigfeit beim Zeichnen. 

4. Die Lehrer halten nicht ftreng genug auf Sauberkeit in ber 
Darftellung. 

5. Die Lehrer halten jelten eine erprobte Stufenfolge inne. 

6. Für bie Elementarübungen wirft die Verbindung ber Formen⸗ 
lehre mit dem Zeichnen nachtheilig. 

7. Das fogenannte Erfinden verzierter Figuren tritt meift zu früh 
auf und wird bier und da in zu weiter Ausdehnung getrieben. 

8. Sn den mittleren Bürgerjchulen wird nicht Zeit genug auf 
das Naturzeichnen verwandt. 

9. In mittleren Bürgerfchulen follte man ſich bei Darftellung 
fchattirter Zeichnungen ausfchlieplih ber ſchwarzen Tufche oder ber 
Sepia bedienen, nicht aber der ſchwarzen Kreide. 

10. Sn manden Schulen mwirb zu viel Zeit auf das Anfertigen 
großer, ſchattirter Zeichnungen verwandt. 

11. In den höheren Bürgerjchulen wird meift zu große Rüdficht 
auf ben zu ergreifenden Beruf genommen. 

Bid. Jahresbericht. XXVIL. 16 


242 Zeichnen. 


12. Auf dem Lande, ſowie aud in kleinen und mittleren Stäbten 
haben die Kinder zu wenig Gelegenheit, wirklich fchöne Gegenftänbe 
und Zeichnungen zu fehen.” 

Hierauf führt Lüben feinen eigenen Lehrgang, ben er fett einer 
Reihe von Jahren in einer mittleren Bürgerichule ausführt, an. Des 
Intereſſes wegen geben wir ihn tieber: 

„Erſte Stufe. Darftellen gerader Linien, Winkel und ber ge- 
rablinigen geometrifchen Grundformen, nämlich des Dreiecks, Rechteds, 
Duabrats, Sechs⸗ und Achtecks, verbunden mit Webungen im Theilen 
von Linien und Rinteln, ſowie im Nachzeichnen einfach berzierter 
Figuren, denen eine der obigen Formen zu Grunde liegt. 

Zweite Stufe. Uebung im Zeichnen gerabliniger Aufriſſe, 
und „rer theils nach Vorlegeblättern, theils nach wirklichen Gegen- 

än 


Dritte Stufe Darftelung einfacher Bogenlinien und ber 
Irummlinigen geometrifchen Grundformen, nämlich bes Kreifes, Ei- 
rundes und Langrundes, verbunden mit dem Nachzeichnen einfach ver= 
zierter Grundformen, Arabesken, NRofetten u. dgl. 

Vierte Stufe. Uebung im Zeichnen von Aufriffen mit ge= 
raden und frummen Linien, theild nach Borlegeblättern, theils nad) 
Kunftgegenftänden. Auch gepreßte, auf Papier geleimte Pflangenblätter 
werden auf biefer Stufe nachgezeichnet. 

Sünfte Stufe. Uebung im Seichnen mit der Yeber. 

Sehfte Stufe. Uebung im Darftellen geometrifcher Con⸗ 
ftruftionen mittelft Lineal und Zirkel. 

Siebente Stufe. Das Naturzeichnen. 

Achte Stufe Uebung im Schattiren mit fchwarger Tuſche 
und Sepia.“ 

Recht intereffant find die Kernfprüche des Zeichenlehrerd Hippius 
aus Beteröburg : 

„t- Bedenke den Anfang des Unterrichts! 

2. Fordere auf zu beionnenem Zeichnen! 

3. Lehre unterhaltend! x 

4. Bor allen Dingen — Stille! 

5. Dringe auf Sauberkeit! 

6. Und feine Sprünge! 

7. Wähle wohl dein Material! 

8. Die zeichnende Jugend ftubire bie Mufterblätter und — bie 

atur! 

9. Sorge für gute Mujterblätter! 

10. Beachte eines eben Kraft und Hang! 

11. Analyfire jedes Mufterblatt! 

12. Laß eine mißlungene, aber mit Fleiß und Anftrengung ge» 
machte Zeichnung nicht wieberholen | 

13. Benuße beim Unterrichte den Reiz ber Neuheit! 

14. Mit der Farbe eile nicht! 
15. Erweife Dich als einen Reblichen! 


Beinen. 243 


16. Bringe allgemeine (Haupt») Forderungen zur Anſchauung! 
17. Deute beftändig bin auf die Natur! 
18. Gib in den Sommerferien Aufgaben nah ber Natur zu 
zeichnen! 

19. Richte dich ein in deiner Claſſe! 

20. Gib Aufichluß über die Lichtgeſetze! 

21. Erfläre die Farben! 

22. Befeſtige die Regeln ber Perfpective! 

23. Nur keine Gelehrjamteit! 

24. Biebe Teine zu enge Grenze für die Wahl der Gegenflänbe! 

25. Erhebe deine Schüler der oberen Clafſen zu verfländigen Kunſt⸗ 
anfichten! 

26. Laſſe nicht ab von deinen Zeichnern! 

27. Berbreite vom Zeichenunterrichte die rechte Anficht! 

28. Die Hanbfertigkeit berrfche nicht vor! 

29. Berliere nie das Ziel aus den Augen! 

30. nah beinen Weg und laſſe dich buch Künftler nicht irre 
machen 

31. ee folge einer fremden, Tpäter womöglich beiner eigenen 

ethode!“ 

Der dritte Band bringt die Beſchreibung der von den Gebrüdern 
Ferdinand und Alexander Dupuis in Paris aufgeſtellten und von ihnen 
befolgten Methode. Ueber dieſe epochemachende Methode wollen wir 
etwas eingehender berichten. 

„Der aufgeſtellte Lehrgang beſteht aus zwei Hauptkurſen, einem 
elementaren und einem weiter führenden; erſterer rührt von dem älte⸗ 
ren der beiden Brüder, Ferdinand Dupuis, letzterer von Alexander 
Dupuis her. Der erſte Kurſus hat das geometriſche und perſpectiviſche 
Linearzeichnen zum Zweck, der zweite das Zeichnen nad Gypsmodellen 
und nach der Natur. Das Kopiren von Vorlegeblättern iſt auöge- 


en. 

Erfter Kurſus. Der Apparat hierzu befteht aus einer Samm- 
lung von geometrifchen und flereometriichen Modellen aus Eifendraht, 
Holz, Sturzbleh u. ſ. w., die des Unterrichts halber in großem Maß— 
ftabe angefertigt und weiß angeftrihen find. Die Sammlung zerfällt 
in fünf Abtheilungen: 

a. Modelle der einfachſten geometrifchen Figuren, als: ber ges 
an 2 Irummen, gebrochenen, parallelen Linien, ber verſchiedenen 


b. Modelle gerabliniger geometrifcher Figuren, als: bes gleich 
feitigen Dreiecks, des gleichichenkligen, des ungleichjeitigen Dreiecks, ber 
verſchiedenen Bierede, ber regelmäßigen und unregelmäßigen Bielede. 

c. Modelle zufammengefehter Figuren, aus a und b combinirt, 
bie fich nad) Belieben zufammenfegen und auseinander legen laflen. 

d. Modelle der geometrifchen feiten Körper (ftereometrifcher Figu⸗ 
ren), als: des Parallelepipevons, des Cylinders, des Prismas, ber Pyra⸗ 
wide u. |. w. 

16* 


244 Zeichnen, 


e. Modelle von Möbeln, Gewölben, Pfeilern, Säulen, Dina 
menten u. |. w., melde fi zum Abzeichnen in geometrifcher Sowohl 
als in perfpectivifcher Anficht gleich gut eignen. 

Zum Aufftellen und Vorzeigen diefer Modelle dient ein Ständer, 
auf welchem eine Zange emporftebt, die auf einer nach allen Seiten 
drehbaren Kugel ruht und fi) höher und niedriger ftellen läßt. In 
ie Zange werben bie Modelle eingeichraubt und vom Lehrer ge⸗ 

icht 


Zur ſinnlichen Darſtellung der optiſchen Linien bedient Dupuis 

gefärbter Bindfäden, welche er, je nach Bedürfniß, entweder an 

odellen oder anderwaͤrts befeſtigt, und mittels deren er bie Licht- 
ftrahlen, den Horizont u. |. w. verfinnlicht. 

Zur Berfinnlihung enblih ber von der Wiſſenſchaft durchſichtig 
gedachten Tafel, auf tweldyer die von bem Gegenftand nad dem Auge 
gehenden Lichtftrahlen das perfpectivifche Bild erfcheinen laſſen, dient 
97 Dupuis ein mit einem durchſichtigen Gewebe überſpannter 

men.‘ 

Ueber die Lehrmethode diene Folgendes: 

„Bert Ferdinand Dupuis beginnt damit, feinen Schülern bie ein= 
fachften Modelle, alfo die gerade Linie in wagrechter Lage, einen Kreis, 
ein gleichfeitiges rechtwinkliges Viereck, in geometrifcher Anficht auf den 
Ständer aufgeftellt, fo vorzugeigen, daß fie bie gerade Linie in ihrer 
ganzen Länge, ben Kreis als volllommen zirkelrund, das Viered mit 
gleichen Seiten und rechten Winkeln vor fidh fehen. Er läßt fie biefe 
Figuren mit weißer Kreide auf große, mit ſchwarz ladirter Leinwand 
überfpannte Rahmen, deren jeder Schüler einen auf dem Schoße bat, 
von freier Hand in geometrijcher Anficht zeichnen, um ihnen dadurch 
ihr Bild nad geometrifcher Projektion einzuprägen. Hierauf dreht 
Herr Dupuis die Modelle auf dem Ständer allmählig herum und zeigt 
den Schülern, wie fich ihr Bild baburd verändert, daß fie eine fchiefe 
Stellung erhalten. Er zeigt ihnen alfo 3. B., daß eine gerade Linie, 
obgleich in ihrer wagrechten Richtung bleibend, boch, perſpectiviſch ger 
jehen, dem Auge nicht mehr horizontal erfcheint, baß fie fich mehr 
und mehr verfürzt und am Ende beinahe zu einem Punkte verſchwin⸗ 
bet, wenn fie mehr und mehr in ‚bie Richtung ber Augenachſe gebracht 
wird. Eben fo zeigt er, daß ein Kreis durch ähnliche Drehung zu 
einer Ellipfe, ein gleichjeitiges, ſpitz⸗ und ſtumpfwinkeliges Viereck zu 
einem ungleichfeitigen, ſpitz⸗ und ſtumpfwinleligen fich geftaltet u. |. w. 
Er läßt die Schüler die Modelle in diefer veränderten perſpectiviſchen 
Anficht zeichnen, um ihnen die Veränderungen einzuprägen, welche ihr 
Anblick durch den Uebergang von ber geometriſchen in die perſpectivi⸗ 
fche Stellung gewonnen hat, und wenn er mit biefer argumentatio 
ad hominem borausgejchritten ift, fo geht er alsdann zu der Erläute- 
zung dieſer Thatjachen, d. 5. zu den Lehren ber Optik, über. Er er- 
läutert den Schülern den Horizont, die Lichtſtrahlen, welche von dem 
Gegenftande in's Auge fallen, die optifchen und mathematiſchen Linien, 
Winkel u. |. m. mitteld der oben gebachten Bindfäden und des Gaze— 





Zeichnen. 245 


rahmens, und macht ihnen babusch, fo zu jagen, bandgreiflich, die Na- 
turgeſetze klar, welche die Berfchiebenheiten ber geometrifchen unb per- 
fpectivifchen Anfichten berborbringen und bie Unterfchiede in ben Regeln 
des darauf gegründeten Zeichnens begründen. Bei jever Demonftration, 
foweit fie fi) dazu eignet, läßt Herr Ferdinand Dupuis feine Schüler 
dad Vorgezeigte von freier Hand mit Kreide auf ihrer oben gebachten 
ſchwarzen Leinwandtafel auf dem Schooß zeichnen, fieht die Fehler nad, 
welche ſie dabei etwa machen, benutzt biefe zu neuen Erläuterungen, lobt 
die Verftändigen und zeigt in feinem ganzen VBortrage eine ſolche Klar- 
beit, folchen praftifchen Sinn und ein folch freundliches Wohlwollen gegen 
jeine Schüler, daß die jungen Leute — fämmtlich Lehrjungen und Ar- 
beiter, welche oft kaum Iefen und fchreiben fünnen — feinem Unter- 
richte mit ber geipannteflen Aufmerkſamkeit folgen und in bemfelben 
die ſtaunenswertheſten Yortichritte machen.“ 

Der zweite Kurſus beftebt in Folgendem: „Herr Alexander 
Dupuis unterfcheibet fünf Stufen: 1. Das Zeichnen menschlicher 
Köpfe, zuerſt nah Gypsmodellen, dann nach lebenden Muſtern. 
2. Das Zeichnen ganzer menſchlicher Figuren nad) Gypsmodellen. 
3. Das Zeichnen von Zierrathen nad Gypsmodellen. 4. Das Blu⸗ 
menzeichnen zuerſt nach künſtlichen, dann nad natürlichen Blumen. 
5. Das Landichaftözeichnen. 

Die beiden letzten Stufen werben als bejonbere Unterrichtszweige 
betrachtet, die ſich gewiſſermaßen als Fachſtudien von dem allgemeinen 
Stufengange abfondern; das Blumenzeichnen vorzüglich für meibliche 
Schülerinnen, deren in Paris taujende jährlich für die Gewerbe des 
Blumenmachens, des Putzmachens, Stidens ꝛc. das Zeichnen lernen. 
Beim Aufftelen der Modelle für diefe Stufen gebt Herr Dupuis von 
bem Grundfate aus, daß man nicht mit Einzelheiten (3. B. Naſen, 
Ohren, Augen x.), fondern mit dem Allgemeinen (Ganzen) anfangen 
müffe. Er läßt zuerſt die Form des Kopfes und Bruftbildes in ihren 
allgemeinften Umrifien und dann erft allmählig biefelbe mehr mit ihren 
Einzelnheiten zeichnen. Hiernach beſtehen die ſechzehn Gypsmodelle 
für die erſte Stufe aus vier Abtheilungen, jede zu vier Büſten. Jeder 
Abtheilung gehört ein Kopf an, der aufrecht auf dem Körper ftebt; 
ein zweiter Kopf, ber nach born gebeugt ift; ein dritter, der ſich nad) 
Binten zurüdbeugt; ein vierter endlich, der zur Seite geneigt ift, um bie 
naäler im Beichnen von Köpfen in allen möglichen Stellungen zu 


Sin der eriten Abtheilung find die vier Kopfmobelle eines Mannes 
nur in ihren allgemeinften Umriſſen gebilbet, jo daß an benfelben Haar, 
Den, Augen, Naſe, Mund noch nicht ausgebrüdt find, geſchweige bie 

usleln. 

Die vier Büften der zweiten Abtheilung ftimmen im Welentlichen 
mit denen der erften überein, nur daß fie die vier Haupteintheilungen 
des Kopfes enthalten, nämlih das Hinterhaupt bis zum Anfange de 
Haarwuchſes, die Stirn bis zur Augenlinie, bie Naje im Vorſprung 
und ben untern Theil des Angefichts mit Andeutung des Mundes. 





246 Zeichnen, 


Diele vier Eintheilungen find durch vier Flächen ohne irgend eine aus⸗ 
geführte Einzelheit bezeichnet. Die Hauptformen erfcheinen ſonach nur 
aus dem Rohen gearbeitet und angedeutet. Der Schüler Tann felbft 
auf feine erften Zeichnungen bie in ber ziveiten Reihe angebeuteten 
Eintheilungen eintragen, und er fieht fi fo, ohne Erklärung des 
Lehrers, zum Verfländniß der Eintheilung des Kopfes hingeführt. 

Sn der dritten Abtbeilung find es wieder biefelben vier Kopf⸗ 
mobelle, jebody mit ausgebilbeteren Augen, Nafen, Mund und Ohren. 
Alles iſt noch maſſenhaft ohne Ausführung der Details. 

In der vierten Abtheilung endlich find es vier ganz verſchiedene 
Kopfmobelle, nämlid: 

a. Ein Männerkopf, welcher das, was die zwölf Modelle der brei 
erften Abtheilungen vom Noheften bis zum Halbausgebildeten dar= 
ftellen, nun bis zum Ausbrude der Muskeln und Haarbüſchel ausge- 
arbeitet vorftellt, doch noch nicht mit ben feineren Details. 

b. Ein Jünglingskopf, welcher ſchon feiner, und 

c. u. d. zwei Weiberföpfe, welche alle feineren Details darftellen, 
und von melden der Schüler fofort zum Zeichnen nad) der Antile unb 
nad) dem lebenden Modell übergeht. 

Die Benutung biefer ſechzehn Mobelle zum Zeichenunterricht findet 
in folgender Weife ftatt. Das Mobell wird auf einem Fußgeſtell auf- 
geftelt. Die Schüler fiten auf einer halbkreisförmigen Bank, welche 
breimal jo weit von bem Modelle entfernt fteht, als die Höhe der 
Büfte beträgt. Jeder Schüler bat daher, da alle im Halblreife um 
das Modell herumfisen, eine andere perjpectiviiche Anficht bes legten. 
Um nun ben einzelnen Schüler in der Auffaffung bes Modells von 
verfchiedenen Seiten zu üben, bebarf es blos, ihn ben Platz auf der 
jelben Bank wechſeln zu laſſen. 

Als Beichenapparat hat jeder Schüler anfangs einen Rahmen, 
welcher mit einer ſchwarz gefirnißten Leinwand überfpannt ift, und eine 
Reißfeder von angemefjener Größe mit weicher, weißer Kreide. Später 
neben die Schüler zum Zeichnen auf Papier über, wobei fie Umrifje mit 
Reißkohle und die Schatten mit dem Wiſcher machen. 

Bom Zeichnen der Köpfe geht e3 zum Zeichnen ganzer menſch⸗ 
liher Figuren. Die hierzu erforberlihe Sammlung befteht aus fünf 
Modellen, jebes in verichiebener Bewegung. Es find dies Fleine Sta= 
tuen, von 1 Meter Höhe, leicht zu verjeten und fo componirt, daß der 
Schüler fie mit Erfolg in jeber Anficht zeichnen kann. Die erfte Figur 
ſtellt einen Hirten vor; fie ift maflenhaft gehalten und bietet nur bie 
allgemeinften Umriffe dar, ohne irgend ein Detail. Tiefe Büſte ent⸗ 
fpricht der erften Abtheilung der Sammlung von Kopfmovellen. Die 
zweite Figur ftellt einen Landmann bar, geftügt auf feine Pflugſchar; 
fie ift fhon etwas mehr ausgearbeitet. Die dritte Figur ift ein Bogen= 
ſchütze, welcher fo eben einen Pfeil abgeichofien hat; fie enthält noch 
mehr Details, als die beiden vorhergehenden. Die vierte Figur ift ein 
Soldat, welcher fi) zum Kampfe bereitet; und bie fünfte enblich ftellt 
einen jungen verwundeten Griechen vor. In biefen beiden Figuren 


Zeichnen. 247 


find alle feineren Detaild ausgeprägt, "weshalb auch von ihnen ber 
Mebergang zum Studium der Antile und zum Zeichnen menfchlicher 
Körper nad der Natur gemacht werden kann. Außerdem gehören zu 
diefer Stufe noch achtzehn Modelle, welche äußere Gliedmaßen, tie 
Arme, Beine und Füße in mehr als natürlicher Größe barftellen. 

Bom Zeichnen ganzer menſchlicher Körper wird übergegangen zu 
Bierrathen ober DOrnamenten. Zur Rechtfertigung dieſes Ganges jagt 
Herr Alerander Dupuis Folgendes: Bon allen Zweigen des Zeichen⸗ 
unterrichtes ift ber von Bierrathen ber reichfte, und gerabe feine Man 
nigfaltigfeit macht, daß es frheint, als könne dieje Abtheilung den For⸗ 
derungen ber verfchiedenften Gewerbe genügen und in fich vereinigen; 
auch geht die Vorliebe fait aller Schüler auf dieſes Fach. Alle wollen 
Damit anfangen. Seber, er fei num Formfchneider, Architelt, Zeichner 
für Tapetenfabrilen oder für Kattuns 2. Drudereien, Schriftgießer 
u. |. w., betrachtet das SBierratbengeichnen von feinem Geſichtspunkte 
aus und fucht den Vorftudien für daſſelbe zu entgehen, deren Noth⸗ 
wendigkeit ihm weniger einleucdhtet. Aber es muß ihm begreiflich wer⸗ 
den, daß man das Bierrathenzeichnen wahrhaft und mit Nutzen nur 
mit Hilfe einer genauen Kenntniß des Rinearzeichnens, der Berjpective 
und felbft des Zeichnens menfchlicher Köpfe und Figuren lernen kann; 
denn das Sierrathenzeichnen umfaßt dies Alles. Eine gejchidte Aus⸗ 
führung der Bierrathen erfordert in der That, daß man in der An- 
ordnung von Combinationen, welche in mathematifchen Verhältniffen 
zu einander ſtehen und den Gefeben ber Perfpective unterliegen, alle 
Spiele von Umrifien und Formen, fo mannigfaltig und verjchiedenartig 
fie auch fein mögen, zu vereinigen wiſſe: Blumen und Arabesten, 
menſchliche und Thierfiguren, taufend Launen der Einbilbungstraft, 
taufend Witipiele des Geiftes und eine Auswahl von Allem, was in 
dem Reiche der Weſen zu denken ift — Ballenträgerinnen oder Syres 
nen, Waffenbünbel, Verjchlingungen von Vögeln und Blumen u. |. w. 

Wenn man aljfo die Reihe von Unterrichtsfächern verjtümmelt, fo 
ergeben fi) die Nachtheile in Menge und bei jedem Schritte. Und 
doch läßt man aus der Zahl der unermeßlichen Unterrichtszweige das 
Zeichnen von Köpfen und ganzen menfchlidhen Figuren meg, als eigne 
fich daſſelbe mehr für die Talente des Müffigganges und das bloße 
Amüfement. Allein eine vernünftige Ueberlegung muß biefem Vor⸗ 
urtbeile bei den Gewerbsarbeitern und Beichenlehrern ein ftrenges unb 
gerechtes Urtheil fprechen, um fo mehr, als einerfeit3 dadurch der Lehrer 
die Ingifche Ordnung in feinem Unterrichte ficder ftellt, andererſeits ber 
Gewerbsarbeiter ficherer und fchneller zu feinem Ziele gelangt, welches 
darin beftebt, fi durch die Gründlichkeit feiner Vorſtudien zur Ueber» 
windung bon Hinberniffen zu befähigen, melde ihm fpäter exnitlich 
im Wege ftehen würden, wenn er ohne feften Plan unb mit unbe= 
ſonnener Uebereilung anfangen wollte. 

Das Zeichnen in größerem Umfange aufgefaßt, ift heutzutage für 
ein Gewerbe, deren jedes ſich im Uebrigen abjondert, der wahre Ver⸗ 
einigungspunft, das gemeinfame Feld ihres Wetteiferd und ihrer Fort⸗ 


248 Zeichnen. 


Schritte, und man weiß in ben untern Streifen viel zu wenig, was biele 
taufenberlei Gewerbe, wären fie mit einander in Berührung gejekt, 
fih wechſelweis an Elementen, Hilfsmitteln und Einfichten leiften 
fönnten. Wie die Menfchen überhaupt unter dem Einflufie eines ges 
meinfamen Anſtoßes fich geiftig beleben und beveichern, und umgekehrt 
in ber Vereinzelung geiftig berarmen, fo muß jeder gemeinfame Unter- 
richt zum erſten Ergebniß haben, die Kräfte ber Einzelnen zu ver⸗ 
—äã ſie auf einen höhern Standpunkt zum allgemeinen Beſten 
zu erheben. 

| Es handelt ſich weniger darum, ein fpecielleg Talent für diejen 
ober jenen Beruf, als barum, einen Zeichner zu bilden, welcher nad 
feinem Belieben unter den verjchievenen Bewerben zu wählen, von 
einem zum andern überzugeben und. nach feiner Netgung alle feine 
Fähigkeiten in der Richtung, in die ihn feine Vorliebe treibt, und je 
nad dem Einfluß unvorgejebener Umftände zu entwideln vermöge. 
Man muß davon audgehen, daß die Clementarkenntnifie auf Alles 
ihre Anwendung finden.‘ 

Ueber bie Modelle biefer Stufe heißt e3 dann meiter: „Wir 
haben nad dem Grundfage bes Yortichreitend vom Einfachen zum Zus 
fammengefetten, vom leichten zum Schweren eine Reihe von Zierrathen 
(im Modelle) gebilvet, welche der Schüler mit Hilfe feiner Vorftudien 
ſehr ſchnell durchlaufen und ohne Anſtand verbollitändigen wird, welche 
er auch leicht nach ben Basrelief3 unferer öffentlichen Denkmale mwirb 
vermehren können, namentlih wenn er bie Kirchen und die Bilder aus 
ben Zeiten des Mittelalterd und ber Renaiffance hierzu benutzt.“ 

Folgendes find die Namen bdiefer Reihe von Zierratben: „Einfache 
Miander-Windung, zufammengejehte Mäander-Windung, fünfediger 
und fiebenediger Stern, Adhted, Sechseck, einfache und zuſammenge⸗ 
jegte Palmette, verichlungener doppelter Schnörfel, Hergblätterverzierung, 
Perlen und Pirouetten, Kugel, Spirale oder Linie ohne Ende, Ver⸗ 
Tchlingungen, fogenannte Posten (Verzierungen von verichiedener Form), 
Hohlkehle, Palmette mit Stengel, Balmette und Stengel, Kleeblait, 
Palmette en 6oessat, Ei-Verzierungen.“ Die Mobelle für das Land⸗ 
Ichaftsgeichnen find nach den Grundfägen, wie die andern, angefertigt. 
Gie beftehen aus vier Abtheilungen, jede aus drei Modellen. 

Die erfte Abtheilung enthält: „einen vieredigen Papillon, ein 
Haus mit ausgeführten Details, ein Bauernhaus; bie zweite: „einen 
Schloßthurm, ein Yabrilgebäube, einen Kiosk (türfifches Lufthaus im 
Garten) ;”’ die dritte: „eine Brüde, eine Dorflirde (im gothiſchen Styl), 
einen vieredigen Thurm mit Nebenthürmchen;“ Die vierte: „eine Winb- 
mühle (in holländiſchem Styl), eine Sennhütte, ein Schtoß mit Glocken⸗ 
tburm und zwei Thürmen.“ 

Alle diefe Modelle haben im Durchſchnitt und je nach ihrer Form 
50 bis 70 Gentimeter Höhe oder Breite. 

Hieran reihet fich endlich eine Sammlung von künſtlichen Blumen 
ber einfathiten Formen, vorzugsweiſe zum Unterricht für das weibliche 
Geſchlecht beftimmt. 


Zeichnen. 249 


Haben die Schüler ihre Bilbung als Beichner erlangt, fo vollendet 
ihre Gewerbsbefähigung der Unterricht im Thonmodelliren. 

Sp viel über Dupuis’ Zeichenmethobe. — Im felben Bande find 
Hern Appel's, Zeichenlehrer in Kaffel, Anfichten über den Unter» 
richt im Freihandzeichnen niebergelegt. Wir bringen fie deshalb, weil 
fie viele fchroffe Gegenfähe der Dupuis’fchen Methode enthalten. 

Herr Appel jagt: rn 

„Das Zeichnen nach der Natur, obgleich mit ein Hauptziel aller 
Vorbereitungsübungen, eignet fi nad meinen Erfahrungen durchaus 
nicht zum unmittelbaren Anfange im Zeihnen. Der Schüler muß 
erft mit dem richtigen Geifte des Auffaflens und Nachbildens von 
Gegenftänden auf einer Ebene (gezeichnete Gegenftänbe) gehörig ver— 
traut fein, ehe man ihn an bie weit ſchwierigeren Uebungen, nach vers 
fürzten Formen zeichnen zu lafien, führen Tann. Das erfolgreiche 
Zeichnen nad der Natur, auch der einfachften Gegenftände, fest ſchon 
eine ziemlich umfaflende Vorbildung voraus, und der richtige Zeitpunkt, 
wenn man damit zu beginnen hat, ift von der Eigenthümlichfeit ver 
Schüler abhängig und muß bem richtigen Ermeflen des Lehrers über- 
Iafien bleiben.‘ 

Diefe Anficht teilt auch Lüben; dann heißt es meiter: 

„Für Schulen eignet fich nach vielfah damit gemachten Proben 
und Verſuchen und nad meiner daraus berborgegangenen Erfahrung 
das Zeichnen nach Naturgegenftänden weder zum Elementar-Unterricht, 
noch überhaupt zum Unterrichtögegenftand, weil hierin felbft bei größter 
Sorgfalt und Sachkenntniß bes Lehrers die Erfolge nur fehr einfeitig 
bleiben können und überhaupt nur bei einzelnen fehr fähigen Schülern 
mögli find. — — Darum tft es befler, man läßt das Naturzeichnen 
ala Schulunterricht ganz weg.” | 

Hierauf eriwiebert Lüben: 

„Das Naturzeichnen ift zu wichtig für die Bildung und das Ge- 
werbsleben, ald daß man fo ohne Weiteres darauf verzichten bürfte. 
Ich Hoffe, daß die Zeit nicht mehr fern ift, wo es in feiner Volks⸗ 
ſchule fehlt.” 

Herr Appel jagt noch: 

„Um in dem richtigen Erkennen von Berhältnifien ohne Unter⸗ 
laß zu üben, und den Schüler zu nöthigen, es fich ganz zur Gewohn⸗ 
beit zu machen, barauf fein Hauptaugenmert zu richten, darf Feine 
Borlage in derjelben Größe nachgezeichnet werben. Es muß mit größer 
und Heiner abgewechfelt werben; dadurch allein wird es möglich, ein 
immerwährendes ununterbrochenes Vergleichen (die Seele. des richtigen 
Sehen3. und Zeichnens) der einzelnen Theile einer Zeichnung unter 
einander zur Hauptaufgabe zu machen.‘ 

Lüben nennt dies Webertreibung. 

Meiter Herr Appel: 

„Als ganz allgemein wahr babe ih in der Erfahrung gefunden, 
daß das Auge ober bie geiftige Kraft zum Sehen und Urtheilen viel 
Schneller und leichter zu bilden ift, ald man fich bie technijche Fertig⸗ 


250 Zeichnen. 


leit aneignen Tann, das richtig Erlannte und Beuriheilte eben fo jünell 
und richtig barzuftellen (das praftiiche Zeichnen⸗Können). Das Auge 
macht ſtets viel raſchere Fortſchritte, als die Hand, und biefer Unter⸗ 
ſchied iſt um ſo größer, je mehr ſchon der Verſtand des zu unter⸗ 
richtenden Schülers entwidelt ift.“ 

Züben fagt: „Hier iſt Herr Appel vollftändig im Irrthum“ 

Zimmermann empfiehlt das Gedächtnißzeichnen und Er- 
finden, er fagt: „Schon gezeichnete Formen werben ohne Vorlagen 
zeichnend wiederholt: Gebächtnikzeichnen. — Aus einzelnen gegebenen 
Theilen wirb das Fehlende gefunden und zugefügt: Ergänzen. — 
Geübte Darflellungen werden in anderer Größe, Lage und Zufammen- 
ftellung, fowie mit Beränderungen einzelner Theile gezeichnet: Ver⸗ 
wandeln und Berzieren. — Bei hinreichenber Grundlage werden neue 
Gebilde geſchaffen: Erfinden“ Diefe Anfiht wird von Lüben ber 
Beachtung empfohlen. 

Der fünfte Band enthält eine intereflante Stufenfolge des Zeichen» 
unterrichtes von Herm K. Bräuer aus Breslau: 

„Den Anfang machen planimetrifche Formen. Als Element diefer 
Formen betrachtet er das Senkrechte und ald Grundfiguren das gleich⸗ 
ſchenklige Dreied und Quadrat. 

Hat der Schüler fi in dieſen Dingen zurechtgefunden, fo ift die 
zweiſeitig⸗ſymmetriſche Figur, die ſchon in jenem Dreied enthalten iſt, 
in mannigfaltigen Beichnungen zu üben. 

Diefe ziweifeitig= fummetrifchen Gegenftände find planimetrifche 
Figuren aus geraben Zinien und zwar erftens abgefchlofien freiftebenbe, 
zweitens hängende und britten® aufflehende Figuren. Die beiden erften 
find verzierungsartige Formen. ‘Die legten meift bauartige. 

Darauf folgen Rennformen, die meift aus krummen Linien be= 
ftehen, 3. B. Birn-, Hera, Nieren-Formen u. f. w. 

Nun folgen bie Zeichnungen von Schild und Gefäß-Formen und 
Linienzierratben. Darauf folgen Natur⸗Formen, als Blüthen⸗, Frucht⸗, 
Pilz-, Flügel: und Blatt: Formen. 

Nunmehr folgen einfarbige Malereien zur Uebung im Anlegen 
und Herborheben und zur Borübung im Schattiren. Die Dinge felbft 
find Schriftzeichen und mannigfaltige Berzierungen. Alle dieſe Zeichnungen 
find ren planimetrifh und enthalten einen reichhaltigen Stoff, 
um der Phantafie mannigfaltig fchöne Formen einzuprägen und bie 
charakteriftiiche Zeichnung berfelben zu üben. 

Auf das Zeichnen der zweiſeitig⸗ſymmetriſchen Figuren folgt das 
Beichnen ſeitlicher Figuren, die Aufzeichnung unſymmetriſcher Geftalten, 
nämlich: Thierlöpfe und ganze Thiere im Profil, ebenfo menjchliche 
Geſichter, Köpfe und ganze Figuren im Profil. Da bier nur bie 
fimple Aufzeihnung ber äußeren Geftalt des Profils, alfo ber aller- 
eigentlichfte Umriß, Hauptfadhe ift, fo können dieſe Beichnungen noch 
ſehr wohl ins Planimelriſche gerechnet werden. 

Nach den planimetriſchen läßt der Verfaſſer nun die körperlichen 


Zeichnen. 251 


Formen auftreten. Als Elementarlörper dienen der Würfel, die vier- 
kantige Säule, ein müblenfteinartiges Holzmodell und ein maſſiver Reif. 

Zur Veranſchaulichung werben auch Drahtwürfel empfohlen. 
Neben diefen Körpern follen verwandte Gegenftände gezeichnet werben, 
neben den ebenflächigen Modellen 3. B. Büchergruppen, Stufen, fteinerne 
Tiſche und Bänke, kleine Denkmäler, Brunnenlaften, Bruchſteine, 
Schränke, Pulte, Staffeleien, neben dem mühliteinartigen Modell runde 
Säulen, Becher, Mörfer, Tonnen, gewundene Wachsſtöcke, neben ber 
Kugel die Form bed Eies, des Apfels, der Birnen, vom Kürbis, vom 
Pilz, von Schirmen, von Pilgermufcheln und andern. 

Hierauf läßt der Herr Verfaſſer zufammengejehtere und um⸗ 
fangsreichere Gegenftänbe folgen, wie: Gefäße, Näpfe, Abrauchichalen, 
Schmelzgefäße, Glocken, Sanbuhren, Buchbinderhämmer, Maurerhämmer 
und Kellen, einhafige Schiffsanker, Zimmerbeile, Aaronsblumen, Markt⸗ 
törbe, Widderhörner, Kähne, Heine Mafchinen, Fahrzeuge, Winbmühlen, 
Häufer, Kirchen, Brüden, Theile eines Dorfes oder einer Stadt. 

Hieran fließt fi das Zeichnen von Thierlörperformen nad 
Gypsmodellen, wobei befonders das Schattiren tüchtig geübt werben foll. 

Darauf folgt das Landichaftszeichnen, nad) der Natur (Bäume, 
Sträuder, Felſen, Gründe, Wollen und dgl.) und nach Vorzeichnungen, 
bas Zeichnen nah Gypsbüſten und Statuen, das Beichnen von Ge⸗ 
genftänden der Malerei (Blumen, Thierlöpfe und ganze Thiere, Bilb- 
nifje und Anderes, um den Ausbrud des Yarbigen in der Zeichnung 
nah Zeichnungen zu üben) und endlich Hiftorifches, d. b. Zeichnungen 
von Thierftüden, Landichaften und gefchichtlichen Darftelungen aus 
ber Welt- und bibliſchen Gefchichte.” 

Lüben nennt dieſe Stufenfolge empfehlensiverth. 

Im fiebenten Banbe wird der Wunſch ausgeſprochen, daß das 
Beinen ein Unterrichtögegenftand aller Volksſchulen werde. Hierfür 
werden folgende Gründe geltend gemacht: 

1. „Es liegt in der Natur bes Menfchen begründet, die Gegen- 

fände um fidh ber, fo wie bie Gebilbe feiner Phantafie zeichnend 

darzuftellen. 

. Das Zeichnen bildet den Schönheitsſinn, für deſſen Kultur bie 

Volksſchule an und für ſich nur wenig thut. 

. Daß Beichnen belebt und fördert andere Unterrichtögegenftände, 
namentlich die Naturwiffenichaften und die Geographie. 

. Die Fertigkeit im Zeichnen bewirkt, daß ber Arbeiter aufhört, 
bloße Maſchine zu fein. 

. Sertigleit im Zeichnen befähigt den Handwerker, geſchmackvollere 

Arbeiten zu liefern.‘ 

Noch wird die Wichtigkeit und der Werth bes „Idealzeichnens“ 
beſprochen. Herr S. aus Lübeck fagt hierüber: ‚Das Idealzeichnen 
umfaßt zweierlei Uebungen: 1. foldye, die Stoff liefern, das Gedächt⸗ 
niß mit Formen bereichern, Vorbilder aufjtellen zur Abzeichnung oder 
bloßen Betrachtung, und 2. folche, welche in einem felbitthätigen Bauen 
und Schaffen neuer Gebilde beftehen. Hierfür nun werben folgende 


0 80 





uno —— a 


252 Zeichnen. 


drei Uebungsarten empfohlen, die zweckmäßig find: 1. Ergänzungen, 
2. Berwanblungen, 3. Erfindungen. Die legte Uebung umfaßt: 
A. Negelmäßige Figuren durch Zufammenftelung und Verbindung 
mathematifcher Figuren. B. Freie fommetrifche Gebilde aus erbichteten 
Formen. CO. Das Erfinden realer Gegenſtände.“ 

Der achte Band enthält ein Urtheil über die Dupuis'ſche Methode, 
welches wir bier anführen wollen. Herr Fürſtenberg auß Trier hat 
fih die Ueberzeugung serie, „daß das Weſentliche der Dupuis'ſchen 
Methode geeigneter ſei, als jede andere bisher bekannt gewordene 
Unterrichtsweiſe, die Pin auf kürzeſtem Wege zum genauen Auffafien 
und Wiedergeben be3 Geſehenen und beſonders zu einer zweckmäßigen 
Anwendung des Zeichnens zu führen.“ 

Der neunte Band enthalt Grundſätze für ben Zeichenunterricht von 
Herrn Bigmann aus Coburg; dieſe Grundjäge find: 

1. „geichne von Anfang an nad Körpern! (Wenn man den Unters 
richt nicht vor dem 12. Jahre beginnt.) 

2. Uebe im Auffaflen ber Lage einzelner Punkte zu einander auf 
bem Flächenbild, von einfachen, von felbft fich bietenden Punkten» 
gruppen ausgehend. 

3. Uebe fo bald als möglich die Hand fo meit, daß ſie mit dem 
Auge zugleich weiter erſtarken kann. 

4. Im Gegenſatze zu der unlängſt bekannt getvorbenen Methode 
einer Yranzöfin, die da forbert, von Anfang an ein Bild be= 
trachten, nad der Betrachtung entfernen, dann zeichnen und bie 
Zeichnung barauf mit dem Driginal vergleichen und barnach 
eorrigiren läßt, fagt Herr Zigmann: Mebr zur Prüfung als 
zur Uebung müfjen die Schüler zuweilen jeihnen, indem der 
vorher nur kurz angefchaute Körper verbedt i 
Im zehnten Bande Hagt Lüben: „Die Wictigfei bes Zeichnens 

wird noch nicht fo allgemein erfannt, als mit Nüdficht auf bie „ie 
nöthige Entwidelung bes Schönbeitöfinnes und bie Bebürmifje des 

GSewerbftandes wünſchenswerth if. Es gibt noch immer eine fehr 
große Anzahl von Schulen, namentlih Elementarſchulen, in denen 
gar Fein Zeichenunterricht oder nur ein ſehr mangelhafter ertheilt wird.” 

Nun folgt eine Beiprehung mehrerer Lehrgänge, von melden 
wir nur ben bon Herrn Preusfer für den Zeichenunterricht in 
Seminarien aufgeftellten wiedergeben. 

„Erſter Abſchnitt. Proſeminar. Elementarzeichenübungen. 
Dauer 1—2 Jahr. 

a. Zinearübungen, verbunden mit BZufammenftellung eigener Er— 
findungen. 

b. Uebungen im Zeichnen von Gerätbichaften verjchiebener Art, 
nach Vorzeichnungen an der Wanbtafel, 

o. Zeichnen von Landſchaftstheilen und Details aus der Architeltur. 

d. Vorzeigen und Erllären guter Zeichnungen zur Bildung des Ges 
fhmads. Es werben dazu Köpfe, Landſchaften und die Schnorz’= 
fchen biblifchen Bilder empfohlen. 


Zeichnen. 253 


Bweiter Abſchnitt. Kopiren. A. Abtheilung ber Seminariften. 
Dauer 1 Jahr. Privatübungen: Inventiren (eigene Erfindungen). 
Beichnen der Vorberanfihten von Modellen (Würfel u. dgl.) ale Ans 
fang bed Naturzeichnens. 

Dritter Abſchnitt. Naturzeichnen. 3. und 2. Abtbeilung 
der Seminariften. Dauer 2 Jahr. 

- 1. Stufe. Freie Gebilde, ſämmtlich in ber Frontanſicht. 

2. Stufe. Perſpektive. 

3. Stufe. Uebung im Beichnen verſchiedener aufgeftellter Dinge. 

Vierter Abſchnitt. Praktiſche Uebungen in ber Seminars 
faule; außerdem aber noch Theilnahme am gewöhnlichen Beichenunter- 
richt. 1. Abtbeilung der Seminariften. Dauer 1 Jahr.“ 

Ueber das Unterrichtsverfahren äußern fich mehrere Beichenlehrer 
einftimmig dahin, daß ber Zeichenunterricht gemeinfames Zeichnen ber 
ganzen Klaſſe je. Eben fo bringen dieſe Lehrer auf „gemein= - 
fames Analyſiren der Zeichnungen,” bevor biefelben von den Schülern 
dargeftellt werben. 

Höchſt interefiant ift die Heußerung bes Herrn Pöſche über das 
„ſelbſtſtändige Erfinden“ beim Zeichnen; er jagt: „Fürs Erfte ift es 
grundfalſch, wenn man eben nur Kopiren läßt. Es muß vielmehr 
bie freie Selbftthätigfeit, das freie Schaffen aus gegebenen Elementen, 
bie Hauptſache fein. Aber nit: Schaffen nah Willfür. Subjeltive 
Willtür führt immer wieder zur geſetzloſen Phantajterei, zum Roccoco, 
zum Ghinejenthum, zum Arabesfentram, zur Unnatur und Schnörfelei. 
Die Alten ließen Fußböden und Wände mit ver Wiederholung ber 
berühmteften GCompofitionen durch Mofailarbeiter und Stubenmaler 
ſchmücken. Darin liegt es, daß die griechifche Kunft fich länger als 
ein halbes Jahrtauſend in Blüthe erhielt, weil ftet3 die eriten, großen 
Mufter gegenwärtig blieben. Der vortwiegende Individualismus, die 
unumſchränkte Willfür Iodt die Künftler, wie Schullinder, auf die 
verſchiedenſten Bahnen, in denen fie ſich enblich verlaufen. Die 
höchſten Kunſtwerke werben immer nur an ber Hand der Tradition 
erreicht und find darum auch das gemeinfame Produkt mehrerer Jahr⸗ 
hunderte. — Hätte die Pädagogik den Beichenunterricht von dieſem 
Standpunfte aufgefaßt, fo würden wir eine hiftorische Methode haben, 
eine Methode, bie nicht jeden Augenblid durch ben leifeften Luftzug 
einer neu anrüdenben über ben Haufen geblafen wird. Jeder Lehrer 
macht fi) den Zeichenunterricht nad) bem eigenen Kopfe zurecht. Don 
einem Style, von einem nationalen Gepräge, bon einer objektiven 
Runftanihauung ift gar Feine Rede. — — Das freie, felbftitändige 
Schaffen innerhalb ver Kunftgrängen, bie freie, felbftftändige Compo- 
fition Bat ihre ganze und volle Berechtigung. Jenes ift Ausgang, 
biefes Fortgang, jenes bie Dperationsbafis, dieſes das Ziel ber Arbeit 
und bes Kampfes, der Preis des Siegerd. Ohne das produktive, er= 
findende und neu jchaffende Element ftehen wir auf dem Kunſtſtand 
des chineſiſchen Schneiders, ber einem englifchen Offiziere einen Rod 
nad) dem Muſter des alten, der aber einen Flicken hatte, verfertigen follte: 








254 Zeichnen. 


ber chinefifche Helb hatte bucftäblid den Befehl ausgerichtet: benn 
der Fliden bes alten befand ſich auch gerade fo wieder auf dem neuen. 
Ohne dad erfinderifche Element im Bollsfchulunterrichte gebt ber Fort⸗ 
Schritt verloren; das gebantenlofe Haften am Alten, Pebanterie u. ſ. f. 
tritt an feine Stelle.“ 

Hecht treffend äußert ſich Herr Pöſche auch über bie Zeichenvor⸗ 
lagen; er fagt: „Die gewöhnlichen Elementar-Zeichenvorlagen fönnen in 
ihrer jetigen Geftalt keineswegs künſtleriſchen Anforderungen ge= 
nügen. — Die plumpften Gefäße, Arabesken, Nafen, Köpfe find bie 
Borlegeblätter im Beichenunterrichte der deutſchen Jugend. Dieſer 
Stand der Methodik des Zeithnend und der pädagogiſchen Prarid iſt 
ſchier zum Verzweifeln, und noch lange wirb biefes willfübrliche, geſetz⸗ 
und Tunftlofe Treiben fortgehen, wenn nicht ein wahrer Künftler mit 
pädagogischen Schi und Blick ſich ver Vollsfchule annimmt, und den 
leeren, ſchalen, müffigen Künfteleien ein Ende madt. — Künftlerifche 
Muftervorlagen müflen gejchaffen werben zum Beſprechen, Anfchauen, 
Copiren und freien Wiebergeben.” 

Im 11. Bande fagt Herr Broberfen: „Durch den Beichenunterricht 
konn des Schülers Hand Sicherheit in der Führung bes Griffels, fein 
Auge Uebung im richtigen Auffaflen ber Formen erlangen und kann 
fein Sinn für fchöne Formen gewedt und gebilbet, fein Geſchmack 
verebelt werben.” 

err Schurig jagt: „Der Beichenunterricht ſoll im Dienfte des 
ſachlichen Unterrichtes ſtehen, indem er Verſtändniß, Auffaffung und 
Feithaltung des für die Volksſchule berechtigten und würdigen Inhalts 
aus dem Neiche der Formen und Geftalten vermitteln Hilft; er ſoll 
verftändige Freude an ben, auch dem fchlichten Manne aus bem Volke 
zugänglichen Nature und Kunftformen, Sinn für Ordnung, Reinlich⸗ 
keit und Ebenmaß zu weden fuhen; zunächſt diejenige Tertigfeit ber 
Hand unbedingt erzielen, die für den Stand bes einfachen Landmannes 
und Handwerlers nothwendig iſt und dann erſt — unter günftigen 
Vollksſchulverhältniſſen — die, melde als wünſchenswerth bezeichnet 
werben muß; burch dieſes alles aber zugleich etwaiger jpäterer Be= 
ſchäftigung im Gebiete bed Fach⸗ und Kunftzeichnens eine unberiwerf- 
liche Grundlage geben.” 

Intereſſant ift auch folgendes Zitat aus einer pädagogiſchen 
Monatsichrift: „Wie der Beichenunterricht vor Peftalogi, To wird ex 
jet noch, mit wenigen Ausnahmen, in den meiften Schulen ertheilt, 
und Wenige denken daran, benfelben, troß bes ſehr zweifelhaften Er⸗ 
folges anders zu geftalten und babei einen anderen Gang als den 
bisherigen einzufchlagen. Was ift das Zeichnen in unferen Vollsſchulen, 
böbern und niebern, anders, als ein rein mechaniſches Gopiren! Da 
werben Vorlagen, ein fogenanntes Zeichnungswerk mit einem Stufen- 
gang, vom Leichtern zum Schiverern, von ber geraden zur Schlangen= 
linie — Metbhobe genug, denkt man — angeichafft, ber Lehrer theilt 
diefelben aus, läßt die Schüler die darauf borlommenben Figuren, 
als Kannen, Leuchter, Kommoben, Schubkarren und Waſchgeſchirre, 


Zeichnen. 255 


Fruchtlörbe und Flaſchen, Menichen: und Thierlöpfe, Gartenthüren 
und Blumen, Siegelprefien und Balfambüchschen in jo buntem Durch» 
einanber copiren, daß ber Schüler ein wahres Inventarium bon 
einem Trödelmarkt in fein Beichenbeft erhält.” Here Broderſen be= 
zeichnet als die hauptſächlichſten Fehler bes Zeichenunterrichtes in ber 
Vollsſchule folgende: 

„1. Es werden die Elemente des Zeichnens, bie geraden und 
einfachen krummen Linien nicht genug geübt. 

2. Der Zeichenunterricht wird im Ganzen nicht ſyſtematiſch (rich⸗ 
tiger: methodiſch) genug ertheilt. 

3. Die Volksſchule hat ſich in dem Zeichenftoff vergriffen. 

4. Mit dem Schattiren bat die Vollsſchule viel koſtbare Zeit ver⸗ 
—— — da daſſelbe in der Regel mehr Zeit koſtet, als die Contour⸗ 
zeichnung. 

5. Der Beichenunterricht wirb nicht vationell genug betrieben. 

6. Sn den Unter und Mittelllaflen verfäumt man, bie Formen 
lehre mit dem Beichenunterrichte in eine zwedmäßige Verbindung zu 
jegen; es kommt daher den Schülern beim Zeichnen nicht immer zum 
Bewußtſein, zu melder Art der Figuren das Ganze der Zeichnung 
em und welche Figuren die einzelnen Theile der Zeichnung bar= 

ellen. Ä 
7. Die Zeichenlehrer vernachläffigen das Zeichnen nach einem ver- 
änderten Maßftabe, und doch ift leicht einzuſehen, daß das Zeichnen 
nach vergrößertem ober verkleinertem Mapftabe das Auge ganz vor: 
zũglich übt.” 

Ueber den Zeichenunterricht bei Mädchen jagt Lüben: 

„Die eigenthümliche Natur des Mädchen? und ihre ſpätere Lebens- 
Stellung fordern in Betreff des Zeichenunterrichts eine beſondere Rück⸗ 
fichtnahme. Es wird fih das weniger auf ber unteren und mittleren 
Stufe, die ed mit Einübung ber allerwärts wieberlehrenden Grund- 
formen zu thun haben, als vielmehr auf der oberen geltenb machen. 
Die Art der weiblichen Handarbeiten, melde in den lebten Schul⸗ 
jahren erlernt werben, ruft auch das Bedürfniß nach eigenthüümlicher 
Beichenfertigfeit hervor, und dieſem Bebürfnig muß Rechnung getragen 
werben. Statt alfo in den Oberklaſſen von Mäbchenfchulen Land⸗ 
fchaften und menſchliche Figuren zeichnen zu Iaflen, wie es häufig ber 
Fall ift, biete man bie mannigfachen Muſter dar, nad) denen Gegen 
Ränbe des häuslichen Bebarfs gearbeitet werben, leite zur richtigen 
Auffaflung und Behandlung und enblih zum eignen Erfinden ber- 
felben an.” 

Herr Reiniger jagt: 

„Der materielle Zweck des Zeichenunterricha bei Mädchen möchte 
biernad fein: Tertigleit im Entwerfen von en für die 
Zwecke weiblicher Handarbeiten und Geſchick, biefe Zeichnungen über: 
zutragen auf verichiedene Stoffe. Ein methodiſcher Unterricht wird 
es ſich dann auch zur Aufgabe machen, in verſchiedenen Stufen An- 
leitung zu geben, wie 3. B. Blattformen nad) gegebenen Beitimmungen 


256 Zeichnen. 


in Figuren zu orbnen, Blumenformen anzubringen find x. — Gibt 
es dann eine Serenmite, eine Weite, einen Schuh zu fliden oder 
nen 8 ‚iR eine Zeichnung auf Leder zu einem Porte⸗ 

zu einer —— zu machen, oder iſt eine ſolche zu einem 
—* Nähſteine, Sophakiſſen ꝛc. nothwendig, find in Taſchen⸗ 
tũcher Namen mit Verzierungen zu ſticken zc., fo dürfte in Zulunft 
die betreffende Tochter nicht mehr im Berlegenheit fein, und bereits 
vorgezeichnete Stidereien twlirben getviß pünktlich, richtig und mit Ber- 
ftänbniß ber Sache gearbeitet. — Wird in diefer Richtung das Zeichnen 
bei Mäbchen behandelt. fo wirb man finden, daß bie Liebe zu biefem 
Fade bei den Schülerinnen eine um fo größere ift, je früher fie fi) 
von der Nüslichleit und Anwendbarkeit der gewonnenen Yertigleit in 
ber That Überzeugen; bie Selbftthätigleit wirb angeregt, bie Phantafie 
fühlt fich zu probuftiber Thätigleit angeſpornt.“ — — 

eine Beichnung für den befonberen Zweck einer Danbarkeit 
entworfen , jo wäre das weitere Geichäft der Webertragung berjelben 
auf Leintvand, Pique, Seide, Sammt, Tuch ober jonft einen andern 
Stoff. Es forbert biefes Vebertragen befondere Uebung; will man 
baber nicht auf halbem Wege ftehen bleiben, fo muß bie Uebung 
dieſes Geſchäfts einen Theil 8 Zeichenunterrichts bilden.“ 

Herr Broderſen beantwortet die Frage, was das Leben bon 
ben aus der Volksſchule entlafienen Töchtern in Bezug auf den ge= 
nofjenen Beichenunterricht verlange, folgendermaßen: „Es wollen bie 
hürgerfihen Verhältniffe, daß das Mädchen, außer einem im Allge 
meinen geübten Auge und einem gewedten und gebilbeten Sinn für 
fhöne Formen, zugleih ein gefchidtes Auge für bie Formen mitbringe, 
welche bei Handarbeiten häufig wiederlehren. Dieſe Forderung ift 
durchaus billig und darf bie Schule fie nie zurüdweilen oder über- 
hören. Geſchickt in der Auffaflung folder Formen Tann dad Auge 
der Schülerin bei denfelben ihre ganze Aufmerkſamkeit auf die Kunſt⸗ 
fertigleit des Nähen und Stidens richten und muß barum bie Form 
des Ganzen und feiner Theile weniger beachten, bie ſich auch ſelten 
bem Auge während der Arbeit fo ſcharf und klar präfentirt als in 
ber Zeichnung auf ber Ebene des Papierd. Der Beichenlehrer für Die 
Oberklaſſen der Mädchenſchulen muß meiner Anſicht nad ſich einen 
Beichenftoff aus den verſchiedenartigen weiblichen Handarbeiten zu⸗ 
ſammenſuchen. Die große Modezeitung des Bazar, wie ebenfalld bie 
Gerſon'ſche Zeitung, bietet Hierzu ein ſchätzenswerthes Material. Ich 
befenne, daß es mir an ausreichender Kenntniß weiblicher Handarbeiten 
gebriht, um ſolchen Beichenftoff nach feiner Schwierigkeit in Stufen 
gertegen zu können, meine aber, daß ber Lehrer, um praftifch zu werden, 
3. B. Sthub: und Bantoffelblätter, die Theile eines Hemdes, eines 
Ghemifets, eines Leibchens, verfhiebene Formen bon Rlappfeagen, 
verſ hiebene Stickmuſter, verſchiedene Alphabete in Frakturſchrift mit 
Verzierungen u. |. f. zeichnen laſſen müſſe. Gewiß iſt es auch zived- 
mäßig, wenn ber Lehrer in ber Zeichenſtunde feine Säülerinnen” dazu 
anbält, unter feiner Leitung neue Stidmufter, Buchſtaben- und 





. Zeichnen. 257 


Ramenverzierungen u. |. w. zu entiwerfen.” Auch Lehrgänge: enthält 
bes 11. Band, welche wir in’ Kürze wiebergeben wollen. 


8. Lehrgang von H. Schurig: 
„In der Unterklafſe ift das Zeichnen integrirender Theil bes ver- 


einigten Sach⸗ und Spracdhunterrichtes. — 
1. Stufe. Mechaniſche VBorübungen zum Zweck der Handbeivegung 


und Tingerbevegung. — 


A. Elementarzeihhnen: Bis zum regelmäßigen Viered. — — 


w 


5 
B. 


C. 


Debungsftoffe: Erörterungen über Körper, Flaäche, Linie, 
Punkt; Punktſetzen und Linienziehen in beftimmten Richtungen ; 
Theilen der Linien; Ziehen von Linien in beftimmter Länge; 
Winkelziehen und Winkeltheilen; Winkelfiguren — nicht aus⸗ 
geſchloſſen; regelmäßige Vierecke, Dreiecke. 


. Angewandtes Zeichnen. Mebungsftoff: Leichte gerad⸗ 


linige Aufriſſe, dergleihen mit leichten krummen Linien unter 
dem Schub ber geraden, und zwar Baufachen, einfache Geräthe 
und Berzierungsformen, fämmtlich ſymmetriſch. — 


. Stufe. A.Elementarzeihnen: Bis zum Kreife, Belehrungen 


aus der Formenlehre. Webungsftoff: regelmäßiges Sechseck 
und Achted, einfache gekrümmte Bogenlinie, Bogenwinkel, bogen- 
linige Eden, Ellipſe, Oval, Kreis, mehrfach gekrümmte Linie. 
Angewandtes Zeichnen: 1. Aufrifie von Geräthen und Baus 
ſachen mit geraden und krummen Linien. 2. Meift Trummlinige 
Nennformen. — 3 Naturbilber. 


. Stufe A. Elementarzeihnen;, Schnedenwindung. ‚und 


Spirale. 


. Angewandtes Zeichnen: 1. Meift krummlinige Verzierungen, 


die häufig Anwendung im praltifhen Leben finden, beionders 
für Mäaädchen, behufs weiblicher Arbeiten. — 2. Naturbilder: 
Umriſſe von Blumen- und Tbhierformen. 3. Etwas fchiwierige 
Aufriffe von Geräthen, Gefäßen und Baufachen. 


Stufe A.Geometrifhe Gonftructionen. Belehrungen und 


Wiederholungen aus ber Formenlehre. Webungsitoff: Bilden, 


Abtragen, Aehnlichzeichnen, Vergrößern, Berlleinern und heilen 


ber wichtigſten geometrifchen Linien, Winkel und Grunbfiguren 
mittels Zirkel, Lineal und Winkelmeſſer nach einfachen Verfah— 
rungsweiſen. 

Angewandtes Zeichnen. Anwendung ber erlangten Fertig⸗ 
leit im Reißen durch ſauberes Nach⸗ und Abzeichnen von 1. Auf⸗ 
riſſen, 2. Grundriſſen, 3. Blumen und Thieren, 4. krummlinige 
Verzierungen und einfache verzierte Buchſtaben für Mädchen be⸗ 
hufs weiblicher Arbeiten, 5. geographiſche Fauſtzeichnungen. 
Stufe. A. Anbahnung perſpectiviſcher Auffafſung. Uebungs⸗ 
ſtoff: Gegenſtände der Schulſtube. 
Beobachtung der an den betrachteten Gegenſtänden ſich darbieten⸗ 
den augenfälligften Erſcheinungen des Flächenſchattens. 

Webung in peripectivifcher Darftellung. 


Bad. Jahresbericht. XXVI. 17 


258 Zeichnen. 


: Nachzeichnen: 1. Umriſſe von Bauſachen, Geräten 2c., meiſt 
nur mit Contourſchatten, Reiben. 2. Naturbilder mit Anbentung 
bes Flächenſchattens. 3. Skizzen bauartiger Gegenſtände mit 
Unbeutung des Flaͤchenſchattens und ſehr leichter — 
Staffage. 4. Schwierigere Verzierungsformen für M 

b. Abzeichnen: 1. Bauſachen, 2. Geräthe und Gefäße ohne 
Zlächenfchatten. Freies Handzeichnen in DerBinbung mit Reißen. 

D. Fortſetzung im Zeichnen von Grundriß und Aufrik. — 

B. Geographiſche Fauſtzeichnungen: 

Für Mädchen nur A. B. C. = 2 und qui 
b. Lehrgang von Herrn Broderſ 
uk Stufe, Uebung im Beiden Fenkteciter wagerechter und fchräger 
inien 

2. Stufe. Kurze Formenlehre, verbunden mit uaadigeicinen ber 

geometrifihen Srundformen, mit Ausnahme des Kreiſes und 


D 
. Stufe. Nacbilden von verfchiebenen Gegenftänden, bie in ber 
Zeichnung die verichtedenartigften gerablinigen Figuren barftellen, 
als: Thüren, Fenſter, Leitern, Gitter, Grabkreuze u. ſ. w. 
4. Stufe. Zeichnen krummer Linien, mit Einfluß bes Sreifes 
und ber Ellipfe. 
Stufe. Zeichnen don ſymmetriſchen Ornamenten. 
. Stufe. Zeidmen von Ornamenten mit vielfach zuſammengeſetzten 
Windungen. 

7. Stufe. Zeichnen von Ornamenten nad) Basreliefs. 

Für bie Oberklaſſe der Knabenſchulen außerdem noch das 
Weſentlichſte aus der Perfpectiv- und Scattenlehre, und mit 
Rückſicht auf die Praxis daneben noch Reifen und Mobelliren.” 
Als Moterial zum Schattiven auf biefer Stufe empfiehlt der Ber- 

fafler Sepia und Tuſche. 
c. Lehrgang von Herren Lauckhard. 

Herr 2. bezeichnet 3 Stufen nad Dupuid’ Grundfägen: „1. Das 
Linienzeichnen, 2. das Zeichnen nah Drabhtmobellen unb einfachen 
Körpern, 3. das Zeichnen nad Gypsmobellen und nad ber Natur.” 

Gegen die Verbindung des erften ZBeichenunterrichte mit dem 
eriten Sgreib leſe Iuterrichte nach Vogel's Methode äußert fit) Herr 
C. Bräuer, wie folgt: 

„Cs bat fich feit einigen Jahren wieder ein neued Beftreben 
unter dem Namen Beichenunterriht in ber Schule Fundgegeben, wie 
aus bes Kindes erſtem Schulbuche bon Vogel in Leipzig, der Bilder⸗ 
Fibel für den vereinigten Sprach⸗, Beiden, Schreib» und Leſe⸗Unter⸗ 
riht von Böhme in Berlin und aus bem erften Leſebuche für ben 
bereinigten Leſe⸗, Schreib⸗, Sprache, Sach⸗ und Zeichenunterricht zu 
erſehen iſt. In dieſen Büchern iſt eine Anzahl olirftiger Zeichnungen 
zum Theil eingedruckt, zum Theil angeheftet. Nach dem erſten Buche 
ſoll der Gegenſtand, deſſen Name buchſtabirt (?) und geſchrieben wird, 


u 


nn 





Zeichnen. ‚289 


son bem Lehrer groß an bie Tafel vorgezeichnet und vom Finde nad 
gezeichnet werben, nad ben letzteren ein ober mehrere Begenfkänbe, 
die in einem Sefeftüde vorkommen. Hat ein Lehrer bie Gabe, irgend 
einen Gegenftand, fei eö ein Geräth, eine Frucht ober eis Thier, 
iſtiſch wahr, zur Freude ber Kinder an bie Tafel zu zeichnen, 
jo mag er es gelegentlich pi Aber durch ſolche Bilder, wie wie fie 
diefen Büchern ſehen, wird fein Kind eine Hare Verkiellung von 
ber Sache belommen, denn alle jene Gegenftänbe ſtehen ſchon Haxer 
in bes Kindes Phantafie. Das, nnd fie ſelbſt zeichnen, liefert ‚ben 
Beweis. Der Titel Beigenunterricht ift überhaupt au jenen Büchern 
überflüffig, da doch von einem Unterricht im er nicht cine Spur 
aus dieſen Bildern hervorleuchtet. Das rechte nen foun zur 
allein durch ben Zeichenunterricht gelehrt werben; biefer Unterricht hat 
es mit vielen Vebungen zu thun, durch welche ber Schüler im Auf- 
faflen und Erfaſſen die Fbigfeit erlangt. Wie könnte ſich auch ein 
folder Unterricht an Buchſtabiren (?) und Lefeübung anbequemen, bad 
tft ja rein unmöglich. Wir bebauern daher nur vielmehr unfre armen 
Kinder, bie ſich ſolche Bilder einprägen müflen, weil fie täglich ges 
stoungen find, fi dieſelben in ihrem Sefehude dor Augen zu halten.” 
Herr Schurig dagegen ſpricht: „Es (das Zeichnen in ber Ele⸗ 
— bient A: zuweilen zu ſtiller Beihäftigung, wenn mehrere 
Abtbei Lehrer in Anfpruch nehmen, und if eine angenehme 
häusliche —2 — der Kleinen. Es ſoll nur als ein Malen auf 
der Schiefertafel angeſehen werden, wodurch Luft zum Zeichnen er⸗ 
weckt wird. Deſſenungeachtet gewährt es realen —*8* Es übt 
das Auge in Auffaſſung ber Totalgeſtalt und des Größenverhältniſſes 
ber Theile im Allgemeinen, vermittelt alſo die Einprägung ber Formen 
und madk auch die Hand ohne firenge Schulübung freier. Dabei 
gibt es —— J— gelegentlicher Beibringung von Anſchauungen 
aus der Formenl 
Der 14. FE conſtatirt, daß die Wichtigkeit und Nothwendigleit 
des Zeichenunterrichtes für die Volkoſchule immer mehr erlannt wird; 
denn „in Württemberg, mo das Zeichnen zwar durch bie Gefegebung 
noch nicht obligatorife wohl aber längft fameltativ ift, wurbe 1860 
ſchon in 223 Vollsſchulen elementarer Zeichenunterricht ertheilt.“ 

Auf Veranlafjung der königl. Commiſſſon für die gewerblichen 
Fortbildungsanſtalten war im Juni 1860 eine größere Anzahl ven 
Beichenlehrern des Lanbes nach Stuttgart berufen worden, welche ver⸗ 
Icjiebene ragen über den Zeichen und Mobellirunterricht zu beratben 


8: 

’ Sollen als frühefte Vorbilder geometrifche Gebilbe ober freie 
Formen gegeben werden? Nach längerer Debatte einigte man fi) da⸗ 
bin, daß mit ben geometriſchen Gebilden zu beginnen fei, diejelben 
aber nur in mäßiger Ausbehnung gebraucht werben follten.“ 

Darauf: „Ob beim Nachbilden geometrifcher Figuren Silfemittel 
(Zinenl, Birlel u. |. w.) gefaltet werben follen, ober nicht?” Nein! — 

Hierauf: „Sollen bie emfachen geometriichen Sue, Körper, 


260 ‚Zeichnen, 


Denamente u. |. w. an ber Wanbtafel vorgegeidinet, ober nach Vor⸗ 
Ingen — gezeichnet werden?“ Man entſchied ſich für das 


ber weiteren Fortführung bes Unterrichtes im Frei⸗ 
geben wurbe bemerft, daß zu Fri, mit dem Gopiren fchattirter 
orlagen begonnen unb zu lange dabei verweilt werde. Das wichtige 
Umrißgeichnen werde auf dieſe Weiſe in bebauerlicher Weile vernach⸗ 
läffigt. Das Linienzeichnen foll nad ber Anſicht ber Verſammlung 
ſpater beginnen, als das Freihandzeichnen. 

Kehr theilt einen rpere fer eine tünftteiige Bürger 

Ku m mit. Das Weſentliche beflelben „In den beiden untern 
Klaſſen tritt der Zeichenunterricht nicht Does auf, fondern fällt 
mit bem Schreiben zufammen. Die drei obern Knabenklafſen haben 
wöchentlich zwei Stunden. In ber dritten Klaſſe werden die einfachen 
gemeniigen Figuren und Bufammenftellungen aus benfelben gezeichnet. 
Der Lehrer zeichnet —* an die Wandtafel, erflärt fie und be- 
fpricht fie forgfältig mit den Schülern und läßt fie dann nachzeichnen. 
Die Schüler bebienen fih nur ber Schiefertafel. In ber zweiten 
Klaſſe werden Isummlinige Figuren anfangs auf die Schiefertafel ge⸗ 
zeichnet, Ipäber mit Dleiftift auf Papier. Für die erfte Kaffe iſt das 


Am 15. Bande erflärt ſich Herr W. Albrecht gegen die Gopir- 
methode und forbert „Zeichnen von Formen an Gegenfländen unb 
peripectiviiches Zeichnen, ba durch Beides das Auge mehr gebilbet 
werde, als durch bloße Gopiren; auch erweiſe fich folcher Unterricht 
wirkfamer für Bildung des Schönheitsfinnes, für das praktiſche Leben 
und zur Unterftügung anderer Unterrichtögegenflände, wie bed Schrei- 
bens, der Geometrie und des geometrifchen Rechnens, der Geographie, 
ber Raturgeichichte und ber Naturlehre.“ Er forbert baber auch, daß 
„ber Zeichenunterricht zu den obligatoriſchen Lehrfächern der Voueſchui⸗ 
gezählt werde.“ — „Der Zeichenunterricht ſoll ſich fo viel als möglich 
als Klafiens ober doch Abtheilungsunterricht geftalten alle 
Uebungen forbert ber Berfafler Correctheit und —* aber ohne 
ebinfirumente und Gummi.” 

biefe allgemeinen Bemerkungen reihet ber Berfafler einen 
Sehegang für ben Zeichenunterricht in Volksſchulen; berfelbe zerfällt 
in einen Elementar:Surfus und in einen für bad perfbectibifche Zeichnen. 
Der Elementar⸗Curſus ſchließt ſich enge an die Raumlehre an, geht 
vom Punkt zu geraden Linien, Winkeln, Dreiecken, Vier⸗ und Viel⸗ 
eden, Kreifen, Cllipfen, Dalen, Spiralen und Schlangenlinien über 
und forbert gejämadvolle Bufammenftellungen aus geometrifchen Figuren 
als eigene Erfindungen der Schüler. Linien, Winkel und Figuren 
follen dur Mobelle veranſchaulicht und an wirklichen Gegenftänden 
aufgefucht werben. 

Für dns Naturzeichnen, auf das der Verf. mit Recht großen 
Werth Iegt, gibt er der Dupuis ſchen Methode vor der P. Schmib« 
ichen ben Borzug. Die Schule fol fh auf die einfachiten Regeln 





Zeichnen. 261. 
der Perfpective beichränlen und fie von den Schülern felbft. auffuchen 


Der 16. Band bringt folgenbe Yon Herrn Ettig aus Grimma 
über bie Wichtigkeit des Beichenunterrichtes aufgeftellten und motibir- 
ten Säge: „dem Beienunterricht muß eine große Wichtigkeit zug 
ſchrieben werben, a. weil berfelbe ein vorzüglicdes Mittel ift, bie Kähte 
des Kindes zu wecken, zu bilben, zur Gelbftihätigfeit u bringen, b. weil 
er Kindern Freude jet, welche fie veredelt und bor vielen Thor⸗ 
heiten bewahrt, c. weil er mehreen anderen Unterrichtöfächern jehr 
gute Dienfte leiften kann, d. weil er ausgezeichnet für das praktiſche 
Berufsleben vorbilben Tann.“ 

Sm 17. Bande finden wir eine Dispofition ber Abhandlung 
bed Herrn 3. Heinzerling aus Darmftabt „über ben wahren Werth bes 
Zeichnens, eine ſachgemäße Einrichtung des Beichenunterricht? und bie 
exforberlichen Eigenfihaften des Beichenlehrer3.” 
> Ueber den Wertb bed Zeichnens und bes Zeichenunterrichteß 

T wir: 

I. Pädagogifcher Werth des Zeichnens und feines Unterrichtes, 

ALS die wichtigften hierdurch zu entwickelnden geiſtigen Ver⸗ 
mögen find zu hetrachten 

1. Die Wahrnehmungs⸗ und Erienntnigkräfte, zu welchen 

a. der Sinn für das Auffaflen und Unterfcheiden von den Gegen- 

ftänden überhaupt, 

b. der Sinn für das Auffafien und Unterfcheiven von ben Formen 

ber Gegenftände insbeſondere, 

e. der Sinn für die Vorftellung räumlicher Beziehungen, insbe⸗ 

fonbere der Größe und wechſelſeitigen Entfernung ber Gegen- 


ſtaͤnde, 
d. der Sinn für die Auffoffung, Unterſcheidung und gefhmadvolle 
Bufammenftellung von Tönen und Farben 
zu zäblen find, 
2. Der Sinn für Nahbilbung bes Wahrgenommenen und Er- 


Tannten. 
3. Die Einbildungelraft und bie Phantafie. 
4. Die höheren Denkträfte, welche ſich in 
a. dad Vermögen, verichiedene Gegenftände unter einander zu 
vergleichen und deren Aebnlichleiten und Verſchiedenheiten auf- 
zufinden, 
b. das Vermögen aus ben aufgefunbenen Aehnlichleiten und Ver⸗ 
fchiebenheiten der Gegenftände richtige Schlüſſe zu ziehen, 
fen lafien. 
5. Der Schönheit3- und Kunſtſinn. 
Als die durch das Zeichnen und feinen Unterricht zu ent« 
widelnden mechaniſchen Fertigleiten find zu betrachten: 
6. das Augenmaß oder die mit den Wahrnehmungs- und Erfennt- 
nipfräften im Zuſammenhange ftehende Fähigkeit des Auges 
zum Meflen überhaupt. 


262 


7, 


Zeichnen. “ 


Die Leichtigkeit und Sicherheit ber Hanb ober bie mit dem 
Sinn für Nachbildung und dem Kunftfinn im Zufammenbang 


flehende Fähigkeit der Hand, Gefehenes ober Gebachtes leicht 


len. 
Io. grade Be ba 5 Zeichnens und ſeines Unterrichts. 


1. 
2. 


er ne 
bezeichnen, je nachdem das Zeichnen ber inbuftriellen Technik 
oder der Kunft und ihren Zweigen dienſtbar gemacht wird. 


III. Oattungen des Zeichnens und ihr verſchiedener päbagegild-prat- 
tiſcher Werth. 


Die beiden oben genannten Daupteiigtungen bed Beichnens 


bebingen feine verſchiedenen Battungen, n 
a. ein Zeichnen mit Anwendung von Maßſtab und Lineal oder 


bad gebundene Beicinen (g6omätrie descriptive), 
. ein Beichnen ohne Anmerkung ber Werkzeuge oder das freie 
> Beinen (Freihandzeichnen), 


c. ein Zeichnen mit theilweiſer Anwendung dieſer Werkzeuge ober 


eine Verbindung des gebundenen und freien Zeichnens. 
ng bie Einrichtung des Zeichenumterrichtes gibt ber Ver⸗ 


fafler 
I — 2 Ueberblick, indem er den Zeichenunterricht bei 
Rouſſeau und Baſedow, Peſtalozzi und ſeinen Schulern, Peter 
Schmid und ben Gebrüdern Dupuis betrachtet und kritifirt. 
OL. Gang bes Beichenunterri 


Der Gang bes eideunterricts fol ein ſtufenweiſer fein, 


d. h. mit dem Einfachen beginnen, zum Schtvierigen übergehen 
und mit bem Bertvidelten ſchließen. Mit Bezug hierauf find zu 
unterfcheiben : 

1. Der Vorbereitungd-Beichenunterricht ober ber Unterricht in ber 


Auffaffung der Gegenftände und deren Berglieberung in ihre 
Formelemente: einfache Körperfläcden, Linien, Punlte mit ein⸗ 


geftreuten geographiſchen chungen , für das durchſchnittliche 
Alter von 6 bis 8 Jahre 


. der niedere Elementonegeidiemunterricht oder ber Unterricht in 


der Auffaffung und Darftelung der Gegenftände aus ihren 
Formelementen: den Punkten, Linien, Flächen, Körpern für 
das durchſchnittliche Alter von 9—12 Jahren; 


. ber höhere ElementarsBeicdenunterricht ober der Unterricht in 


der Licht und Schattenlehre, Licht- und Kinearperſpective und 
Fr für das burchfchnittliche Kerr von 13—15 
abren; 


. ber allgemeine angewandte Beichenunterricht ober ber Unterricht 


ben Zeichnen bon Pflanzenformen, Ornamenten, Land» 


r d t ‚ für das d 
(ef, dien un menfen higuren fur er 





&r 


Zeichnen. 268 


5. ber Fach⸗ Zeichenunterricht ober ber Unterricht im Zeichnen 
—— 0 ober äfthetifcdh»Fünftlerifcher Gegenſtäͤnde aus 
en Fächern der Technik und Kımft, für das durchſchnittliche 

35 von 19-20 und mehr Jahren. 

IIL Beſpricht der Verf den Einfluß der einzelnen Gattungen bes 
Zeichnens und der babei beobachteten Lehrweiſe auf bie Entfals 
tung der geiftigen Vermögen. 

Tv. Päbog iſche Hilfsmittel zur Belebung und Hebung bes Zeichen⸗ 


Als ſiche Mittel find zu betrachten: 
1. Zeigen eine lohnenden nicht zu entfeenten Biels, insbeſondere 
bei den jüngften Schülern * niedern Elementar⸗Zeichen⸗ 
—e— 

2. Die Belebung des Weitteifers durch Beichenezercitien und Loca⸗ 
tion bei. den Schülern des Elementar-Zeichenunterricht. 

3. Der Hinweis auf die Wirklichkeit duch Wort und That: An⸗ 
wendung bon Tafelzeihnung, Wanbtafeln, Modellen, Verſuchen 
(Experimenten) und Naturflubien. 

4. Die Entwidelung von fucceffive nachzuzeichnenden Aufgaben 
buch Tafelgeiänung, ohne borhergängige Angabe des End» 
ergebnifles. 

5. Die Aweihielung in bes grapbiichen Behandlung von Aufs 


6. Prämien und Preisaufgaben. 

7. Deffentliche Local: und allgemeine Ausftellungen. 

V. Werben die Lehrmittel, Werkzeuge und Locale des Beichenunter- 
richts beiprochen. Schließlich unterziebt der Berf. die Perſon bes 
Beichenlehrers einer Beiprechung, wobei er über die Eigenſchaften 
Bildungsſtufen, Vorbildung und Prüfung deſſelben ſeine Anſich⸗ 
ten mittheilt.“ 

Herr Zeichenlehrer Flinzer in Chemni fordert bei den jährlich 
vorkommenden Schulprüfungen auch ein Eramen im Zeichnen und 
macht barauf folgenden Vorſchlag: 

„Es wird eine beſtimmte Zahl ſchwarzer Schultafeln in einem 
ſonſt leeren Schulzimmer aufgeſtellt; eine entſprechende Anzahl Schüler 
wird ausgewahlt; die Schüler erhalten ihre Aufgabe und müflen bie 
felbe in einer beftimmten Zeit gelöft haben. Die betreffenden Aufgaben 
würden ungefähr folgende fein können: 

a. Unterfte Klafie. Copie eines leichten Ornaments nad Beſtim⸗ 
mung be3 Zeichenlehrerd. Das Copiren geichieht nach den ges 
möhnlichen Vorlegeblättern. Die Zeichnung bes Schülers muß 
ben correct und fo groß fein, baß fie bie ganze Wanbtafel 


b. Mittlere Klaſſe. Beichnung eines complicisten Gegenſtandes, 

3. B. Kopf ober Körper des Menfchen, Thiere, größere Orna⸗ 

Inente u. dgl. Die Ausführung geſchieht gleichfalls mit Kreide 
auf die ſchwarze Tafel, jo groß, als dieſe es zuläßt. 


264 Zeichnen, 


c. Obere Klaſſe. Zeichnung nach der Natur. Ebenfalls auf der 
Wanbtafel im Contour zu entwerfen. Die Auswahl der ges 
eigneten Vorlagen trifft ber Zeichenlebrer, bie der Schüler 
fann eine rein zufällige fein, 4 B. nach bem Alphabet geichehen. 
Da bie Ausführung ber betreffenden Zeichnungen eine gewifſe 
Zeit in Anſpruch nimmt (je nach den Anforderungen 1—2 Stun= 
den), jo würde es zweckmäßig fein, das Beicheneramen einer 
Klafie während der Prüfung einer anderen vorzunehmen, unb 
zwar unter Aufficht irgend eines beliebigen Lehrers, welcher bie 
Ordnung aufrecht erhält. Nach beendigter Zeit erfcheint bie 
Prüfungscommiffion, um die Zeichnungen in Augenjchein zu 
nehmen. Der Zeichenlehrer barf während ber Arbeit ber 
Schüler nicht zugegen fein. 

Auf ſolche Weiſe wird ber Lehrer ein ihm geftedites Biel erhalten, 
das bis jegt gar nicht oder nur fehr unklar geſetzt iſt. Der Schüler 
würde ſich noch mehr anftsengen müflen, und folgeredt würde ber 
Nuten des Beichenunterrichts ein noch viel größerer fein.” 

Der 18. Band bringt einen von Herrn Dr. Schneider, Seminars 
bireftor in Bromberg entworfenen Lehrplan für's Zeichnen. Der Zeichen 
unterricht fol in allen Abtbeilungen ertheilt und in ber obern bis zur 
perfpectivifchen Beiprehung von Körpern auögebehnt werden. Um 
feiner Aufgabe ganz zu entiprechen, ſoll der Unterriht auf allen 
Stufen mit geeigneten Sprehübungen in Verbindung gebracht werben. 
„Die Aufgabe dieſer Beſprechung ift, das Kind zu einer fiheren und 
Haren Erkenntniß und Unterfcheidung der Formen und Maße ber 
Dinge, unter benen es lebt, zu erziehen.“ 

„Es wirb demnad ein Beichenunterricht, welcher bie Kinder ein» 
feitig und gedankenlos mit Abmalung von allerlei Vorlegeblättern be= 
Ihäftigt, und beffen Refultat darin befteht, daß wenige Finder eine 
ziemliche Fertigfeit in der Darjtelung von Zeichnungen erlangen, die 
ind Auge fallen, während die allermeiften gar nichts lernen, von ber 
Vollsſchule ausgejchloffen.” 

Der Lehrgang wird darauf in folgender Weife ſtizzirt. 

„Auf ber Unterftufe fügt ſich ber Zeichenunterricht in benjenigen, 
welcher dem Schreiben, Sprechen und Lefen gewidmet ift, ein, und Bat 
nur den Zweck, ber Heinen Sand eine gewiſſe Sertigleit in ber Dar⸗ 
ftellung von Linien zu geben und das junge Auge zu einer Vorftel- 
lung von dem Bilde zu bringen. Dazu reicht aus, daß das Kind die 
beim Schreiblefeunterricht beiprocdhenen, an der Wandtafel in einfachen 
Linien vorgezeichneten Gegenftände, jo gut es Tann, auf ber Schiefer- 
tafel nachzeichne. 

Die Mitteljtufe zeichnet in befonberd dazu angejegten Zeiten 
einfache geometriſche Figuren abwechſelnd aus freier Hand und mit 
Lineal und Maß. Es kommen der Reibe nad) das Quadrat, das 
vegelmäßige Achteck, das regelmäßige Sechseck und ber Kreis zur Bes 
banblung. Durch Theilung von Seiten, durch Ziehen von Silfelinien, 


Zeichnen. 265 
burd Wegloſchen einzelner Theile der Figur entfliehen Schönheitsformen 


Lebensformen. 

Ziel dieſer Stufe iſt die Bildung einer ſicheren Hand und die 
Unterweiſung im Gebrauch der einfachſten Inſtrumente, wie Lineal, 
Maß und Zirkel. 

Bei den Beiprechungen ber vorlommenben Operationen wird das 
Kind die gerade Linie, gleiche, ungleiche, gleichlaufende und unglei 
laufende Linien; ebenſo vechte, ſpitze und ftumpfe Winkel; ‘Dreiede, 
Bierede, regelmäßige Figuren, den Kreis und beilen Hilfelinien und 
Winkel Iennen und unterjcheiben lernen. Dabei wird ſich ihm eine 
Mare Vorſtellung von ber Gleichheit der Linien und Winkel, von ber 
Gleichheit und Congruenz der Figuren einbilden. 

In ber eben beichriebenen Ausdehnung und in ber bezeichneten 
Anfchaulichleit gehört die Raumlehre in die Volksſchule; was barüber 
hinausgeht, wie Definition, Beweisführung, Lehrſatz, Formel u. dol. 
iR ausgeſchloſſen. 

Auf der Dberflufe bat das Kind zuerst vorgezeichnete Figuren 
nad gegebenem verjüngten ober erweiterten Maßftabe nachzuzeichnen, 
darauf" Hat es geometrifche Anfichten von einfach geitalteten Gegen⸗ 
fänden nach gegebenem Maßſtabe barzuftellen. Solche Gegenftänbe 
find Zimmergeräthe, Gartenflächen, Wohnbäufer, Kirchen, Gebäube 
überhaupt; kurz Körper, welche gerade Kanten und große Flächen bar- 
bieten. In ben Zeichnungen werben Contourenſchatten eingeführt. 

Das gemeinfame und allen Kindern erreichbare Ziel ift ein noch 
ſicherer Gebrauch der Geräthe, eine gewandte, leichte Hand und ein 
Scharfe Auge für die Merkmale ber Form und deren Berhältnifie. 
Dabei wird das Kind eine klare Borftellung von ber Aehnlichleit der 
Figuren gewinnen. Während auf biefer Stufe an ſich fchon bem 
Lehrer eine große Dannigfaltigkeit der Bewegung und Auswahl ges 
lafien wird, ijt fähigen Rindern das weitejte Feld aufgetban. Sie wer: 
ben im Zeichnen von Plänen und Grunbriflen geübt, zur Anlegung 
bon Karten angeleitet; weiter haben fie jchwierigere geometrische Formen, 
zufammengejegte Anfichten barzuftellen, endlich die Gegenftände fort- 
fchreitend nach der Beichreibung aus dem Gedächtniß nad) eigener Er⸗ 
findung zu zeichnen. 

Geförderte Lehrer thun mit befonbers begabten Schülern ben 
legten Schritt, indem fie diefelben zur perjpectivifchen Betrachtung und 
Darftellung einfacher geometrifcher Körper anleiten und zu berjenigen 
anderer Törperlicher Gegenftände führen. 

Die Ausbehnungen werben dem Kinbe gegeben, von ihm gemeflen, 
nach dem Augenmaße geichägt. Sie werden erft genau feftgehalten, 
ſodann nad verjüngtem ober eriweitertem Maßſtabe genommen. Eben 
fo wirb auch hier von ber Eopie zur Darftellung bes Bejchriebenen, 
zu ber des Belannten fortgeichritten. In den Zeichnungen werben 
Schattirungen von Flächen angebracht. Die Beiprehung macht die 
Rinder mit den einfachen Körpern, wie Würfel, Säule, Kegel und 
Kugel und mit deren Maßverhältnifien bekannt.“ 


266 Zeichnen, 


Ser H. Trofchel aus Berlin empfiehlt Wanbdtafeln für ben 
Stufen-Unterrit im, Beichnen, welder Anficht die Herren Lüben, 
Senngi Hube und Stuhlmann entgegentreten. 

Der 23. Band enthält einen Bericht ber in Bremen ernaunten 
Commiſſion zur Nebibirung fämmtlicder bortiger Schulen in Bezug 
auf den Zeichenunterricht. Die Commiſſion fand gute und unbefrie- 
bigende Refultate. Die Anträge des Sommiffionsberichtes find folgende: 

„1. Der Zeichenunterricht if} überall nur von Lehrern zu erteilen, 
welche nach ihren Beugnifien ober anderen genügenben Aus⸗ 
weifungen wirklich dazu befähigt find. — 

2. De —— in allen unſeren Schulen muß weſentlich Frei⸗ 

— ein. — 

3. Als ufgabe des Zeichenunterrichtes iſt in allen unſeren Schulen 

anzuſe 

Bildung bes Schönheitsfinnes 

—— des Auges für richtiges Auffafſen von Formen und 
genftän 

Fertigkeit der Hand im leichten, Ahern und anfpreiienben 

Darftellen des Geſehenen oder Geda 

. Die Ziele, welche bee Beichenunterricht zu erfireben Bat, dürfen 

für alle Schulen als bedeutende und nur mit Anſtrengung zu 
erreichende bezeichnet werden, als Biele, für deren glückliches 
Erringen eine gewiſſe Geiftedreife, eine Fülle von Anſchauungen, 
wie das Leben fie im einer größeren Stabt barbietet, voraus 
geſetzt wird. Daher empfiehlt es fich, den eigentlichen Beichen- 
unterricht nicht zu früh auftreten zu laſſen. Der rechte Zeit⸗ 
punkt dafür dürfte im Allgemeinen das vierte Schuljahr fein. 
. Den hohen Bielen entſprechend, muß dem Beichenunterricht 
auch bie nöthige Zeit geivibmet werden. Im Allgemeinen 
werden bafür zwei Stunden wöoͤchentlich ausreichen. — 

6. Wie in anderen Unterrichtögegenftänden, fo ift felbfiverftänd- 
lich auch im Zeichnen ein erfreuliches Fortfchreiten der Schüler 
tuefenttig durch eine gute Stufenfolge in den Uebungen be⸗ 
ingt. — 

7. Das Zeichnen von Linien, Winkeln und regelmäßigen geome- 
trifhen Figuren darf überall als das angemefienfte Material 
für den erften Leichenunterricht angelehen werden. — 

8. Hinfichts des Verfahrens beim Unterricht ift feftzubalten, daß 

a. der Unterricht auf ber unterften unb mittleren Stufe mög- 
Tichft ein gemeinfamer für die ganze Klaſſe ober doch für größere 
Abtheilungen fei, daß alfo alle Kinder gleichzeitig dieſelbe Auf⸗ 
gabe Töfen, und 

b. jede den Kräften ber Kinder entiprechende Uebung correct und 
Ihön ausgeführt werde.” 

Sn biefem Bande wird zum erfien Male ber „Rigmogeapfifeien“ 

Huther aus Kaiſers⸗ 


oe u.» 


m 


ai 


Methode für den Anfangs-Unterriht von H. 8. 
lautern ein empfehlendes Wort geredet. 





Zeichnen. 267 


Der 24. Band enthält Vorjchläge zu einer Reform des Beichen- 

unterrihtes bon Dr. 9. Herger, Rud. Jonas und Theob. Werber, 

Das Wefentlichfte diefer Borfäläge befteht in Folgendem: 

„Als — Zwed des Zeichenunterrichtes wird bie allgemeine 
Bildung des Kindes, welche die Tüchtiglert in der künftigen Lebens» 
ſtellung bebingt, bingeftellt. Diefe Aufgabe wird nad den Berfaffern 
gelött: 

a. Durch ftreng —— nicht ſprungweiſes Fortſchreiten vom 
Leichteren zum Scitoereren, alfo Befolgen eines veif durchdachten 
Lehrplanes dik); 

b. durch Ausbildung — * Auffafſungsvermögens, alſo richtige 
Leitung der Beobachtung, Ableitung richtiger Urtheile aus dem 
Beobaditeten (logifches Verftändniß) ; 

o. burh Entwidelung ber Fähigkeit, die aus ber Beobachtung 
gewonnenen Borftellungen genau und ſicher durch Sprache, 
Schrift und Beichnung bviebernugehen (Reprobuctiong-Bermögen) ; 

durch fiete Beachtung des Punktes, daß der Zwedk des allge: 
meinen Unterrichts — abgeſehen von ben babei fi ergebenden 
pofitiven Kenntniffen und Fertigleiten — bie Ausnugung ber 
allgemeinen formal bildenden Kraft jedes Lehrobjektes iſt.“ 
pereiäne fpeciele Zwecke des elementaren Beichenunterrichteß tverben 
net: 

„1. Erweckung und Ausbildung des Schönheitsſinnes im Allge⸗ 
meinen, alſo Beiäftigung mit ben Grundgeſetzen fchöner 
Formen, dem Symmetrijchen, Harmoniſchen ihrer Geftalt. 

2. Ausbildung bes Verftändniffes fchöner Formen im Beſonderen 
und ihrer dem Zwecke entiprechenden Geftaltung. 

. Enttwidelung ber techniſchen Fertigkeit, methobifche Uebung bes 
Auges und ber Hand behufß genauer und gejegmäßiger Dar⸗ 
Relung ber Aufgabe in fhöner Yorm 

Diefe drei Hauptziele müſſen als vollkommen gleichberechtigt 
angeſehen werden und laſſen fich nur zum Nachtheile bes Unter⸗ 
richtes von einander trennen. Es iſt deshalb ſtets darauf zu 
Frl daß jebe Aufgabe möglichft gleichzeitig alle drei Zwecke 


Die Berfafler betonen unter allen Umftänben einen Mafjenunter: 
richt und verlangen als Lehrmittel nur „gezeichnete ober gedruckte 
Wanbiajeln und plaſtiſche Modelle” von hinreichender Größe. 

Diele Anfichten ergänzt Luben dahin, daß neben ben genannten 

—— auch noch eine Anzahl guter Vorlegeblätter zum Copiren 

demſelben Maßſtabe gebraucht werde. Schließlich meint Lüben, 

„neh es fich ſehr empfiehlt, das Zeichnen gelegentlih in den Dienft 

ber Roturgefchichte zu nehmen, auf einer gewifien Stufe 3. B. bübfche 
und eigentbümlich eeftaltete Pflangenblätter zeichnen zu laffen.“ 

Der Lehrgang ber genannten Berfaffer ift im Auszuge folgender: 
nt. an fe. a. Die gerade Linie und deren Ausbildung mit freier 

nb. 


Du 


. 


268 


oO Ta N ©"' 


u - 


Zeichnen, 


. Anwendung ber geraden Linie. 

. Stufe. a. Geſchwungene Linie. 

. Anivenbung ber geſchwungenen Linie. 

. Verbindung bon geraden und gefchivungenen Linien zu ſymmetri⸗ 


fhen Formen und etwas zufammengel Mufteen und Figuren. 


. Stufe. Einfache, aber gut ftilifirte Flachornamente. 


Stufe. a. Weitere Entwidelung des Flachornament⸗Zeichnens. 


. Beinen ber Borbers, Seiten» und Ober⸗Anſicht einfacher 


Körper, des Grundriffes, Aufriffes und Durchſchnitties einfacher 
ak anlagen, ganzer, Gebäude, fowie ihrer Theile — aus 
ier Hand. 


. Stufe. a. Forigeſetzte und eriveiterte Uebung im Ornament⸗ 


zeichnen. 


. Darftellung einfacher Körper und Rörpercompleze ‚ tie fie wirk⸗ 
A 


ich gefehen werben, d. h. perſpectiviſch, 


bandzeichnen wu bu grer⸗ 


. Stufe * Fortgeſetztes Zeichnen von Ornamenten. 
.Plaſtiſche Ornamente in ihren einfachſten Motiven. 
. Anfänge des Linearzeichnens, Zeichnen von geometriſchen Figuren, 


Mapftäben ꝛc. und Ausführung der einfachften Webungen ber 
vierten Unterrichtsftufe mit mechaniſchen Hilfsmitteln.‘ 
Nachdem wir bisher eine hiſtoriſche Weberficht der Entwidelung 


bes Beichenunterrichtes feit 30 Jahren gegeben haben, reihen wir hier= 
an den vom öfter. Minifter für Cultus und Unterricht borpegelihnelen 


„zebrplan für das Zeichnen und bie geometrifche Formen 


ehre an 


Volksſchulen.“ (Verodnung dv. 9. Aug. 1873.) 


„Unterrichtsziel. Befähigung bes Schülers zu rich⸗ 
tiger Auffaflung geometrijcher Formen, Webung des Augen- 
maßes und bes Darftellungsvermögens, angewandt auf ein= 
fache Gegenjtänbe, wie fie das Leben bietet. 

Unterftufe (I. u. DO, Cl.). Auf dieſer Stufe bilden 
bie dem Zeichnen und Schreiben gemeinfamen Vorübungen 
zur Erreichung eines gewifien Grades von Handfertigleit 
den Unterrichtöftoff. Diefen Uebungen folgen Nachbildungen 
leichter, dem Sachunterrichte entnommener Gegenitänbe. 

Mittelftufe (II. u. IV. EL). Uebungen im Zeichnen 
verfchiedener Formen, denen bie gerabe Linie, ber Winkel, 
das Dreied und das Viereck zu Grunde liegen. 

Anwendung diefer Formen auf Gebilde einfachiter Art. Beginn 


bes Dictatzeichneng, 


Dberftufe (V. u. VI. Cl.). Entwidelung ber Begriffe 
Körper, Fläche, Linie, Punlt. 
gi Die Linie: Arten und Lage derſelben, das Meſſen der 
inien. | 
Der Winkel; Auffaflung ber verfhiebenen Winkel nad 
Entftehung und gegenfeitiger Beziehung. Das heilen ber 
Winkel, der Winkelmeſſer. 





Zeichnen, 269 


Die ebene Figur: Zu ben auf ber Mittelfiufe behandelten 

Flächengebilden treten hier verſchiedene Arten der regelmäßi- 

gen Polygone. Zerlegung diefer Figuren in Dreiede. Der 
Kreis, die Ellipfe. 

Körper: Prisma, Pyramide, Cylinder, Kegel. Das in 

der Formenlehre Gebotene ift bem Freibandzeichnen zu Grunde 


zu legen. 

Dietat- und Gebächtnißgeichnen. 

Zeichnen leichter Ornamente und Vorderanfichten technifcher 
Objekte nad) dem Maßſtabe. 

Auf der Dberftufe ift dem Bebürfniffe ber Mädchenſchulen 
mit Rüdfiht auf die weiblichen Handarbeiten Rechnung zu 
tragen.” 

Au biefem Lehrplane wurde unterm 6. Mat 1874 eine „In⸗ 
ſtruetion für den Unterricht im Freihandzeichnen an Vollksſchulen“ er- 
laflen, aus welcher wir das MWefentlichite folgen laſſen. 

„l. Aller Zeichenunterricht an Vollsſchulen ift Maffenunterricht, d. 5. 
alle Schüler einer Glafie find gleichzeitig mit einer und ber 
felben Aufgabe zu befchäftigen. 

2. Die zu jeiiänenben Formen müflen demnach vom Lehrer an⸗ 
gefichts Slaffe und unter entiprechenden Erläuterungen 
correct und möglichft groß auf die Schultafel und zwar berart 
gezeichnet werden, daß die Schüler bei ihren Arbeiten ber bes 
Lehrer zu folgen vermögen. 

3. Der Unterrihtsgang muß ein mäßig fortichreitender fein, bamit 
ein allmäliges Vorwärtsichreiten der Schüler ermöglicht werde. 

4. Alles Zeichnen an den Bollsfchulen ift Freihandzeichnen und 
diefes fchließt felhfiuerfländlich den Gebrauch des Lineals, bes 
Zirkels zc. aus. — 

Sind die Schüler einer Claſſe fo weit geübt, daß fle einfache geo⸗ 
metrifche Figuren und Verbindungen berfelben in ihre ftigmographifchen 
Oefee anſtandslos nachzeichnen Tönnen, fo ift dieſer Mebergang zu be 

igen: 


a, Indem ber Lehrer nur einen Theil einer einfachen ſymmetriſchen 
Figur an der Schultafel vorzeichnet und darnach die anderen 
Theile von den Schülern ergänzen läßt, 

b. durch Vergrößern oder Verkleinern in einem beſtimmten Vers 
bältnifie, wobei ber Lehrer die Größe ber Zeichnung, in welcher 
diefelbe nach dem Vorbilde von den Schülern ausgeführt wer⸗ 
den fol, genau angibt, 

e. durch das Nachbilden einer Vorzeichnung in einer anderen ges 
gebenen Richtung, Ä 

d. durch das Zeichnen einfacher Formen und Formberbindungen 
nach mündlichen Angaben, 

e. durch das Uebertragen einer freien Zeichnung in das fligmo- 
graphiſche Net, Ä 


270 Zeichnen. 


£. durch das Gopiven einer gebundenen Zeichnung mit felhft- 

fländiger Ungabe bes Punkte, und enblid 

g. durch daB gänzliche Berlaflen beö Netzes. 

rauf Uebungen find unter allen Umfänden auf ber Mittel- 

ftufe zu beenden. — — 

5. Gegen Ende ber zweiten Hälfte der Mittelſtufe Tann das 
Dictatzeichnen durch fehr leichte Beiſpiele aus ber Formen⸗ 
lehre vorbereitet werben. Dieſes geichieht durch eine den Um⸗ 
Bänden entiprechend Iangfam gegebene mündliche Unteriveifung, 
nad) welder die Schüler zu zeichnen haben. — 

‚ Auf der Oberſtufe tritt zum Dictatgeihnen noch das Zeichnen 
aus dem Gebächtniß, bei welchem folgender Vorgang beobachtet 
werben muß: 

Eine vom Lehrer auf bie Schultafel gezeichnete —— 

Form wird in allen ihren Theilen gründlich beſprochen, wobei 

die dialogiſche Lehrform In © anderen vorzuziehen und insbe⸗ 
fondere das Charalteriſtiſche der Figur hervorzuheben tft; ſo⸗ 
dann mwirb bie Zeichnung des Lehrers dem Anblide bes Schü: 
lers durch Bebeden 2c. entzogen und berjelbe erhält nun bie 
Aufgabe, die Figur aus dem Gedächtniß zu reproduciren. — 

7. Der Lehrer corrigire fo wenig als möglich eh. fonbern ver- 
anlafje die Schüler burch mündliche Bemerlungen zur Aus: 
befierung. Glafiencorseetur verdient ben Vorzug bor Einzel: 
eorrectur. — — 

8. Auf der Mittelltufe beginnt ber Unterricht theilweife mit Be⸗ 
nugung vom Lehrer felbit entinorfener Netze Einfache geo⸗ 
metsifche Figuren bilden bie Grundlage bes freien Zeichnens. 

9. * ber Oberſtufe iſt das Copiren nad Tafelzeichnungen fort⸗ 
uſetzen. — — 

Di Beichnen ber Mädchen ift auf biefer Stufe mit befonberer 

Nadfihtnafme auf weibliche Handarbeiten zu pflegen 

An zwei⸗ und breislaifigen Vollsſchulen Soll wenigſtens das 
für bie Mittelſtufe vorgeſchriebene Ziel erreicht werben, und 
es find aud bie vegemäßigen Polygone und ber Kreis im - 
Zeichenunterrichte an biefen Schulen zu berüdfichtigen.” 

„Materialien. Für bie Vorzeichnungen des Lehrers ift eine 
Schultafel aus Holz mit einem mattſchwarzen Delfarbenanftrich verfehen 
und gefchlemmte weiße Kreide erforderlich. 

Auf der einen Seite der Tafel ift mit rother Delfarbe das ftig: 
mographiſch punktirte Net anzubringen. Die andere Seite ber Tafel 
Fi ſchwarz zu belafien, ohne Angabe irgend melder Hilfspunkte ober 

inien. — 

Als Zeichenmaterial für die Schüler empfehlen ſich für bie erſten 
Uebungen die befannten Schiefer» ober elaftifchen Tafeln und Griffel, 
für die folgenden Uebungen ftigmograpifch punltirte Papierhefte, zuerſt 
eng, dann meitpunktist, und ſchließlich gebeftete Beichenthelen ober 
fogenannte Blocks, ober auch einzelne Blätter von reinem weißen Papier. 


& 








Zeichnen. 271 


* Ei En = " —— beioerraat ericheinen, 


en 3 an den Lehrplan FR Bo —5* wurde ei 
unter demfelben Datum ber „” — für das Seeihanbgeidiuen an 


—S der gerad⸗ und Trummlinigen Figuren. Darſtel⸗ 
lung räumlicher Gebilde nach Drahtmodellen. 

Zweite Unterrichtsſtufe. (VIL EI, 4 Stunden, VID. * 
4 Stunden.) Darſtellung räumlicher Gebilde nad Holzmodellen, als 
Fortſetzung bed peripectiviichen Zeichnens. 

Vebungen im Drnamentenzeihnen zuaft nad Entwürfen bes 
Lehrers auf der Schultafel, ſodann nad Vorlegeblättern ımb Mor 


Gebäctnig-Zeichenübungen, bei welchen aber vorher alle Größen⸗ 
verhältnifie ber Zeichnung erörtert werben follen Ur Madchen⸗ 
Bürgerichulen iſt im Allgemeinen ber eben bezeichnete Lehrgang einzw 
halten; in bes oberſten Glaffe ift eine richtige Auswahl ber zu zeicnen= 
den Dbjecte mit Rüdficht auf die weiblichen Arbeiten zu treffen.“ 

Inſtruktion für den Untersiht im Sreibandzeihnen 
an Bürgerjdulen. 

„1. Die Aufgabe bed Zeichenunterrichtes iſt: 

a. Bildung des Formenſinnes 

b. Befähigung des Auges für das richtige Auffaſſen der Formen; 

c. Fertigkeit der Hand im leichten und ſichern Darſtellen des Ge⸗ 
jebenen oder Borgeftellien. 

2. Diefe Ziele follen auf jeder Stufe, bei \ jeder einzelnen Uebung 
im Auge behalten und ernftlich angeftwbt werden. — 

3. Der geigenunter en muß auf ber erſten Stufe Glafien- 
unterricht fein, d. b. alle Schüler einer Claſſe müflen zu gleicher: Zeit 
baflelbe zeichnen. — 


278 Zeichnen, 


4. Zuweilen find auf ber zweiten Unterrihtöftufe aud) Uebungen 
im Dietatzeichnen und im Zeichnen aus dem Gebächtniffe in ber Weiſe 
vorzunehmen, wie dies in den Punkten 5 unb 6 ber Inſtruktion 
ben Unterricht im Freihandzeichnen an Volksſchulen bargeftellt if. 

5. Die Correcturen ber fehlerhaften Schülerzeichnungen find 
nie in ben Arbeiten der Schüler vorzunehmen und vielmehr die Schüler 
felbft durch mündliche Bemerkungen zur Vornahme der Ausbefjerung 
zu beranlaffen. (Elaffencorrectur.) — 

6. Das Freihandzeichnen ſchließt ſelbſtverſtändlich den Gebrauch 
des Lineals, Zirkels und der Reißfeder aus, und es hat ſomit das 
Birtelgeichnen in ber fechften Caſſe zu entfallen. — 

7. Der Anleitung zur Auffaſſung der ebenen und räumlichen 
Gebilde ſollen Anſchauungsbehelfe Br * ſtehen; 3. B. eignet ſich 
für die Erklärung über die En perſpectiviſcher Bilder ein 
Glasfenſter oder beſſer ein Mode it —* Bildflädde und 
marlirten Sehftrablen.” 


Hierbei find folgende , Dbjefte zur Anjchauung zu bringen: 

a. „Der Puntt, 

db. die Syfteme ber parallelen Geraden in verfchtebenen Sagen gegen 
die Bilbebene, und zwar bie Horigontalen, melde: 1. normal, 

2. parallel, 3. unter einem Winkel von 45°, 4. unter einem 

anderen größeren ober Heineren Winkel zur Bildebene gerichtet find, 

bie Sentrechten, 

bie ſchiefen Geraben, welche entweder parallel zur Bilbebene, ober 

vorwärts ober rückwaäͤrts gegen bie Bildebene gemeigt find, 

co. das Quadrat, 
ã. der Kreis und 
e. der Würfel” — 

„Hierauf wirb mit dem Zeichnen nach Draht⸗ und Holgmobellen 
in nachftehender NReibenfolge begonnen. 

Von Drahtmodellen: bie gerade mit Marlen in gleicher Ent- 
fernung verfehene Linie, der Winkel mit einem betveglichen Schenlel, 
das gleichjeitige Dreied, "dns Duabrat, ferner von regelmäßigen Poly- 
sonen: das Yünfed, Sechsech Achteck; endlich der Kreis. 

Von Holzmodellen: der Wuͤrfei, das Prisma, die Pyramide, 
ber Cylinder, ber Segel, die Kugel. (Licht unb Schatten. 

An Mäpdchen-Bürgerfchulen ift ftatt bes Zeichnen nad) te technifchen 
Objecten das Leichnen nach dem Flachornamente mit Rüdficht auf 
weiblidde Handarbeiten zu betreiben. — 

Naturgeireue Nachbildungen, d. i. Zeichnungen von Blumen, 
Landſchaften, Thieren 2c. find bei ben — weder an Knaben⸗, 
noch an Mädchenſchulen zu verwenden.“ 

Materialien, Säullvcalität. Schultafel und Kreide wie 
oben; die Tafel jeboch ohne Stigmen. „Fur Erklärungen über bie 
Darfellungsart bei der Schattengebung ift jedoch eine ne lichtfarbige 
Tafel und weiche Holzkohle (Reißlohle) zu gebrauchen.” 





Zeichnen. 278 


„um Aufftellen ber Mobelle find zwei Stative unb ein Pofta- 
ment oder ein Meiner Tiſch, deſſen Platte höher ober niedriger ges 
ſchoben und geftellt werben kann, nothivendig.” — — 

„als Beichenmaterial follen ben Schülern in ber Regel weißes, 
E „geleimtes Beichenpapier, Bleiftifte, Feder und Tuſch, Pinfel und 

rbe dienen.” 

„Zum Zeichnen nach Mobellen können auch graues Naturpapier, 
weiße und ſchwarze Kreibe verwendet werden.“ — — 

„Das Schulzgimmer, in welchem gezeichnet wird, ſoll geräumig 
fein und binreichenbes Licht nur von einer, und zwar bon ber linken 
Seite der Beichnenden erhalten. In bemfelben follen alle Lehrmittel 
und Requifiten, welche für den Unterricht nothwendig find, aufbewahrt 
werben können.” — — | 

„Die vielen Rüdfichten, welche beim Seichenunterricht zu beobachten 
find, machen es jehr wünſchenswerth, daß ein eigener Zeichenſaal vor⸗ 

den fei, der mit Pobium, kurzen Seichentifchen und Stühlen, mit 
Kaften zur Aufbewahrung der Lehrmittel x. verfehen ift und zu 
Jeinem anderen Unterrichtözivedde verwendet wird. Ein ſolcher Zeichen- 
faal muß vor Allem gut beleuchtet fein und follen deshalb bie Yenfter 
weder jo weit von einander abſtehen, daß zu breite Pfeiler bie Sitz⸗ 
pläge der Schüler buntel machen, noch auch jo tief gegen den Fußboden 
binabreichen, daß die Beichnenben Licht von unten erhalten.” 
ine Wiener Schulzeitung, „die Volksjchule”, bringt in Nr. 28 
bom Sabre 1874 eimen Artifel, welcher „vie neueften Inſtruktionen 
für den Zeichenunterricht an Volksſchulen“ beſpricht. 

Der Verfaſſer A. 8, fagt unter andern: „Weber ben Zeichen: 
unterricht erſcheinen feit kurzer Zeit Inſtruktionen über Inſtruktionen, 
Berorbnungen über Verordnungen, bie der guten Sache mehr jchaben 
als nü Es müßte ein fchlechtes Beichenbuch fein, wenn es nicht 
eine beſſere Inſtruktion bräcdte, als unfere in Rebe ftehende neue (?) 
unfür den Beichenunterricht an Volksſchulen.““ 

„Dentende und redlich ftrebende Schulmänne 
brauden Feine Inftrultion, Fein Reglement wie unter 
Budt ftebende Soldaten. — — — 

„Weiter heißt es in unferer Verordnung: „„Zeichentheken, in 
benen bie Vorzeichnungen beigebrudt erjcheinen, ſind bei dem Unter: 
richte nicht zu gebrauchen.” — Die Geichichte des Entftehung dieſes 
Lehrmittels ift alt. LBeichendefte mit vorgebrudten Figuren beftehen 
mindeftens gehn Jahre, haben fich bereit3 erprobt und ſich überall bes 
beften und ficherften (1) Erfolges erfreut.” 20. — 

„Welche Vortheile das Zeichnen nach ſolchen Heften bat, brauchen 
wir dem erfahrenen Lehrer nicht vorzuführen. Der „ Defterr. Schul- 
bote”“ Bat aus Anlaß einer Kritit über Knapel's Beichenhefte erft 
unlängft dieſe Vortheile in 15 Punkten namhaft gemadt; das aber 
möüffen wir behaupten, daß fie für Landſchulen, wo ein Lehrer mit 
mehreren Schülerabtheilungen arbeiten muß, für einen fortſchrittlichen 
Unterricht gerabezu unentbehrlich find, umfomehe, ba es noch viele alte 

Bäb. Jahrekberit. IXVII. 18 


Ort Zeichnen. 


Lehrer gibt, he in gm ichnet_ haben und bafer weniger 
Uebung im Vorzei el beſihen.“ 

Diefer Ickte Grund mag —E ge fein, um Beichenthelen mit 
Borzeichnungen empfehlen zu ünnen 


I. Literatur. 
a. Freihandzeichnen. 


Es Tiegt und bie erſte Nummer des erfien Jahrgangs —* 

1874) vor; gleichſam eine Probenummer. Der Inhalt ift: 1. 
Biele 2. Stilfragen. 3. Die Textile Smbuftrien. er ei 
Benevento Gellini. 5. Broncensbeitn. 6. Dex kunſtgewerbliche 
—X in den Handwerkerſchulen. 7. Die weibliche Erwerbsarbeit 
im Kunſtgewerbe. 8. Kleine Mittheilungen. 9. Bücherbeſprechung. 
10. Erklärung des Tafeln. 
Unter anderem fegen fi) bie Herausgeber Folgendes als Biel: 
ir werden alfo nicht blos vom Sindergarten und ber Volle» 
ſchule aufwärts ſachgemäß durchgebildete und bewährte Lehrgänge 
für den Formen⸗ und Farbenunterricht, das Freihandzeichnen und die 
geometriſche Formenlehre mit Einſchluß des mathematiſchen Zeichnens 
„ bringen, ſondern auch für die verſchiedenen Faͤcher bed Kunſtgewerbes 
brauchbares Material liefern, die Fortſchritie, die auf dieſem Gebiete 
gemacht werden, überfichtlich zufammenftellen, und, mo es nothiwentig, 
biefelben auch harakterifiren, und endlich, dem Runftunterricht an ben 
höheren Schulen unfere volle Aufmerkfamteit fchenlen, indem wir 
auch bier für eine zeitgemäße Reform thätig fein tollen. Gleichzeitig 
erben wir nad) wie vor Beilagen bringen, melde ebenſowohl bei dem 
Unterrichte in ben Säule, wie bon den Induſtriellen mit Nutzen 
verwendet werden können.“ 

„Die Haupttendenz unſeres Blattes ſoll der neue Titel: bie „Behr- 
werfftatt” in ihrem ganzen Umfange anbeuten.” — — 

Die übrigen Artikel find vecht fachverftändig gefchrieben, die 2 bei- 
gegebenen Beichentafeln recht fünftleriich ausgeführt; fo daß wir keinen 
Anftanb nehmen, diefen Monatsblättern eine weite Verbreitung in 
Säulfreifen zu wünſchen und felbe beiten zu empfehlen. 

2. 3: eitfhrift des Dereines deutfcher Jeichenlehrer. (Eigentum des Verelnes 

erantwortlicher Redakteur: Prof. 9. Hertzer. Dieſe Zeitfhrift a 

ſcheint vom 1. Jänner 1875 ab monatlid zweimal, einen Bogen ftarl, in 





Beiden. 876 


Uufäle en ährlich acht Mark, Fa vier Marl. Zu Beziehen 
durch alle Buchhandlungen und Boftanft alte njeigen werben die Petit» 
eile oder deren Raum mit 0,30 DM. berechnet. Literartiche Beilagen as 
bereinloumen. Alle für Die Mehakkkon etimmien Zuſendungen, Briefe, 
a Mecenfiondezemplare u. f. w. find franfirt zu richten an Prof, 
Haker- 478. Oranienſtraße, Berlin, S. Verlag von Robert 
—* erlin. 1874. 


Es liegt uns die 2. Probummer vom 1. Dejembe: 1874 ver, 
deren Inhalt folgender iſt: „Was. wir wollen. Bon Hexm. Banke 
Die GentrabRaumprojeltien. Bon Prof. Dr. H. Herger. Vermiſchtes: 
Zur Sadlage. Lebrplan des ſechswöchentlichen Curfus für Seminar 
lehrer behufs Ausbildung gu Beichenlehrern. Literatur. Neu er- 
ſchienene Werke. Stellenvermittlung. Anzeige, Vereins⸗Angelegen⸗ 

Der eigentliche Zweck dieſer Zeitſchrift iſt im Schlußabſchnitte 
bes. erſten Artilels „Was wir wollen” angedeutet. Die diesbezügliche 
Stelle lautet: „Die "dies (die Ertbeilung bed Beichenuntertichtes) aber 
tm Einzelnen gefchieht und welches erfahrungs mäßig N die Wege find, 
auf welchen man das borgefiedie Ziel am ſicherſten erreicht, das muß, 
das ſoll in dieſer Zeitſchrift erbrtert werden. — Möchte nur ber 
Meinungsaustaufh darüber ein recht reger werden und möchten recht 
Viele bereit fein, als dienenbe ‚Ölieber ſich zu einem thatkcäftigen 
Ganzen zuſammenzuſchließen! — 

Die übrigen Artikel. find akt nett gehalten. 

Die Zeitfchrift ift nach der Brobenummer eine rein theoretiſche, 
da alle Anſchauung (Zeichnungen) gänzlich fehlt. Aus dieſem Grunde 
erſcheint und auch die früher genannte Zeitſchrift bie beſſere. 


‚3. Der patentiste Beientifch, confiruirt und erläutert von Yuguft 
Rösler. Ein Beitrag gur Neform des Zeichen⸗Unterrichtes. Wien, 1874 
Berlag des BVerfaflers Bez. Waſſergaſſe 4. 1 M. 


In der Broſchüre leſen wir; „Nachdem bie bisher geübten Me— 
thoden des Beichenuntersichtes in leiner Weife den gerechten ober auch 
nur beſcheidenen Anforderungen entſprechen konnten, fo ift es erklär⸗ 
lich, daß eine ‚Reform dieſes Unterrichtes unverzüglich nothwendig ge 
funden wurbe.” — — 

„Das Zeichnen auf rationeller Grundlage baſirt, fixebt vor Allem 
das Auge zu bilden, das heißt Augenmaß, Sinn für Verhältniffe zu 
entwideln, ben Schönbeitsfinn zu teden und ben Gejchmad zu ver- 
ebeln, und wird bie duch ben Anjchauungsunterricht, durch De 
nad Tafelvorzeichnungen, durch Mebungen nad) plaftiichen, jomit He 
geometrifchen reſp. ftereometriichen Körperformen und weiter nach Gyps⸗ 
wmobellen am ſchnellſten und vichtigften erreicht. Diefe Geſichtspunkte 
waren auch die leitenden bei Aufftellung bes neuen Lehrplanes für ben 
Zeichenunterricht. 

Zu einem zweckdienlichen Unterrichte jedoch find zwecentſprechende 
Lehrmittel — und ben Bedürfniſſen des Unterrichted und bes Schülers 
gleich angepaßte Geräihe — nothwendig.“ — 


18* 


276 Zeichnen, 


Der Verfaffer bringt „vorläufig bie Mobelle eines Zeichentiſches 
und eines Stativs. 
(genden leitenden Gefichtspunkte beim Entwurfe dieſer Modelle waren 
e 
„Vollkommene Schonung der Geſundheit des Lernenden, mög⸗ 
Be Förderung des Unterrichtes und praltifche, thunlichit einfache 


Hierauf wird bes Zeichentiſch das Stackerl und das Stativ be⸗ 
ſprochen. Aus den beigegebenen heichnungen laͤßt ſich ſchließen, daß 
die Bose in ihres Wirklichkeit recht brauchbar fein Lönnen. 

iv empfehlen demnach allen Schulvorſtänden bie beiprochene 
Brofälre zur befieven Drientirung bei Einrichtung von Beichenfälen. 
4 Das Freihandzeichnen auf der Elementarfiufe. Bon &. Müller 

Dberlehrer am Könll. Säullebrer-Semimar u Gbling en. Mit drei Figurens 

en. 23 ©.) 8°, Eßlingen. Gelöitverlag d es Berfaflerd. 1874. 


Dieſes Werken hat bie Aufgabe, bie Zöglinge bes Eftlinger’fchen 
Seminars und bie jährlich zu einem mehrmonatlichen Zeichenkurs hieher 
einberufenen Lehrer in bie Methodik des Elementarzeichenunterricht 


Die brei beigegebenen lithographirten Tafeln find ſehr nett aus⸗ 
geführt; auch die Zufammenftellung der Beichnungen verbient Lob. 

Für ben audgefprocddenen Zweck an ber Hand des Berfaflers 
wird das Werkchen gute Früchte bringen. 

5, Der Zeichenunterricht in der Volksſchule, ein metbodifcher Leitfaden 
für den Lehrer, bearbeitet nad den „Allgemeinen Beſtimmungen Er. Er- 
cellenz tes Minifters der geh hen, Unterrichtss und Medicinal-Angelegen- 
beiten vom 15. Oftober 1872” von 2. Schul zit Fi enfehrer in Reumier. 
(16 ©.) 8%, Neuwied u. Leipzig, 1874. ufer. Preis 4 Ser. 


Der Berfafler citirt bie "gemeinen minifteriellen Beftimmungen 
für den Zeichenunterricht“, erflärt dann einzelnes aus den Beflimmungen 
und geht ſchließlich vn bie Feſtſtellung ber einzelnen Uebungen für 
das Freihandzeichnen” ü 

Der Lehrgang bee in Folgendem: 
ie Die gerade Linie. — 

2. Die Theilung ber Linien. — 

5. Die Winkel als vote ppice, ſtumpfe. 
4, Die Theilung ber letzteren 
5, Winkel in ihrem Verhältnif zu einander als Neben, Gegen=, 
Scheitel⸗ Wechſelwinkel. 
6. Das Dreieck mit ſeinen verſchiedenen Arten. 
7. Das Quadrat mit feinen Ed- und Riktelinim; das Rechteck 
8. Die Raute, das Sechseck, das Fünfed, das Achteck. 

Hiermit if bie erfte Stufe erledigt; bie Solgenbe beidäftigt Tich 
mit Anwendung bes Erlernten.” 

Hierauf folgt: 
it. Der Kreis mit feinen Linien. — 





Zeichnen. 277. 


2. Die Ellipſe. — 
3. Die Bielede. — 
4. Einfade Roſetten. — 
5. Einfade ſchematiſirte Blattformen. — 
6. Ratürliche vegelmäßige en — 
7. Kinfache architeltoniſche Glie 
8. Verzierung dieſer Glieder. — 
9. Einige ornamentale Motive als Bluthen⸗ und Palmettenformen. 
Auf Seite 13 hat der Verfaſſer eine Lehrprobe nach ſeiner ange⸗ 
wendeten Methode gegeben, welche ſich nicht über die Mittelmäßigkeit 
erhebt. Die aus dem angegebenen Lehrverfahren ſich ergebenden Vor⸗ 
theile wird jeder Lehrer mit Leichtigkeit auch nad einer andern 
Methode erringen. 
6, Der Zeichenunterricht in der Volks⸗ und —— Q Gin methodiſch 
geordneter gang dargeſtellt von tublman 
8. Erfer & beit: — ber Metbode 61 ©.) 8°. Sams 


burg. ri H. Neſtler u. Melle 187 
b. weiter Theil: qesandens Beinen ebener Gebilde, 
, —F 20 ih Ibographirten afeln. (32 ©.) 8°. Hamburg, F. H. Nefler 
elle 1878. 


Diefen ganze Bert welches aus 5 Theilen beftehen mwirb, bie 
erfien 2 liegen box, wird „den ganzen nach und nach in danburg 
entſtandenen und jetzt bafelbft faft überall gepflegten Gang bes Beichen- 
unterrichts einheitlich und im Zufammenhange darlegen und begründen.” 

Das ganze Wert wird folgende Theile umfaſſen: 

mi. Begründung ber Methobe. 
2. Das gebundene Zeichnen ebener Gebilde. Mit Andeutungen 
über das Zeichnen im Slindergarten. 
3. Das freie Zeichnen ebener und flacher Gebilde. 
4. Das freie Zeichnen nach körperlichen Gegenftänden. 
5. Das Beichnen von Muftern für die Kreuzſtichſtickerei, ben Litzen⸗ 
bejag und bie Weißſtickerei.“ 

Um nicht gar zu breit zu werden, wollen wir nur den „Plan 
für den Zeichenunterricht in einer Säule mit neunjährigem Kurs” 
nach der fogenannten „Hamburger Methove” aus dem 1. Theile bes 
Werles wiedergeben. 

„1. SYulj. Stoff: Reihen ſenkrechter Striche. (4 J.) Bande⸗ unb 
Flächenmuſter au ſenkrechten, wagrechten und fihrägen 
Stridden. (4 3.) 3 ober 2 wöchentliche Stunden. 

2. Schulj. Stoff: Vielede, Sterne 2«. @ J.) Sormengebilbe nad 
Fröbel. (+ J.) Wöchentliche Stunden 3 ober 2 

3. Schulj. as ff: —E Sterne, kreislinige Rofetten ꝛc. 

Wöchentliche Stunden 2. 
4. Schulj. SH f: Gerablinige Sterne zc., welche ins quabzatijche 
Liniennetz paflen. (1%) Wöchentliche Stunden 2 

5. Schulj. Stoff; Auf der Reeibeinteilung beruhende gerablinige 
Sterne x. (4%) Ebene Gebilbe mit geraden und kreis⸗ 
fürmigen Linien. € J.) Wöchentliche Stunden 2. 


278 Zeichnen. 


6. Schulj. Stoff: Krummlinige ornamentale Le Bläßenfigusen (4 3%) 


liefirte Formen. (4 3.) Wöchentliche Stunden 2 
7. Säulj. arg f: oenflädiige Körper in He Stefkungen 


bene und walzenfl —— in frontalen 
* 4 3.) Woͤchentliche Stunden Knaben 2, 
Mädchen 2 ober 1. 


8, “sau Stoff: Eben: und mwalzenflädige Körper in Weberei 
Pellungen. (3 %.) Körper mit doppelt gekrͤmmten Flächen, 
Orttite. (4 J) Wochentliche Stunden Sinaben 2, Mädchen 


1. 
9. X 1. St Ein Smobelle ntalen Stell 
qutj. (1 eff —*5*— 3 Stun Anaben 2. Mäbken 7 


ober 1. 
F Beiönen und Erfinben von Muftern in ber Mädchen: 
ule 
71.6 li Stoff: Mufter für den Kreuzſtich. Wöchentliche Stunden 2. 
8 Shulj. Stoff: Mufter für ben Zigenftich. Wöchentliche Stunden 2. 
9. Squlj. Stoff: Mufter für Weipftiderei. Wöchentliche Stunden 2.” 

Hierzu ſei noch zu bemerken, daß ber Unterricht in ben bier erfien 
Schuljahren ein Klaſſen⸗, im fünften Schuljahre ein Abtheilungs- und 
in den vier Iehten Jahren ein Eingel-Unterrit if. 

Dir Lönnen dieſem „methodiſch georbneten Lehrgange” unfern 
Beifall nicht verſagen. 

Der zweite Theil „daB gebundene Zeichnen ebener Gebilde” „ent- 
hält denjenigen Abſchnitt bed Lehrganges im Zeichnen, der in eitons 
anderer Anordnung bereitd in ber Schrift Zeichenunterricht und 
Formenlehre in der Elementarklaife dargelegt worden, fammt 
der Erweiterung, welche ſich im Laufe ber Zeit als nuützlich und nöthig 
berausgeftellt bat.” 

Mit dem enbgiltigen Urtheile werben wir arten, bis uns das 
ganze Werk bekannt geworben ift; fo biel aber fönnen wir beute im 
Voraus jagen, daß bad Urtheil nur ein günftiges werben lann, 
weshalb wir bie angezeigten Theile jebem Lehrer beſtens empfehlen. 


7. Stufengang im elementaren Freihandzeichnen für beutfe 
Säulen. Als Leitfaden für die Hand des Lehrers bearbeitet von ob. 
Rep. Kaufmann, Elementar- und Zeichenlehrer am kgl. Kreislehrerinnen- 
Seminar in Münden. (8 S. Text u. 100 Zeisentafeln). 8% Münden, 
N. Oldenbourg. Preis 42 Er. oder 1 Marf 

Diefer Stufengang iſt auf in 5 Brichenbeften eomylet, für die Sand der 
Schüler, erihienen. (Ohne Text.) Jedes Heft koſtet 7 


Der Hauptzived dieſes Leitfadens ift ber, „bem Lehrer der Volto 
ſchule für den Seigenunterviät einen Leitfaben zu bieten.” Der Gang 
des Verfaflers ift folgend — dritten Schuljahre beginnt der 
eigentliche Zeichen⸗ —* Seheftoff: bie Behandlung der geraden 
Linie. Im vierten Sculjahre: Wiederholung bes im britten Jahre 
auf bie Tafel Gezeichneten und Fortſetzung ber Behandlung ber de 
zaben Linien; bie gebogene Linie dagegen nur in fo weit, als fie An⸗ 


Sahne, 279. 


wendung findet auf bie einfache ati Das fünfte Schuljahr: 
behandelt bie gebogene Binie Abſchluß eine mehr. — 
geführte römiſche Schrift. rg 8* — Schuljahr führt in nie 
Ornamentik ein, und zivar gen mit einzelnen Theilen von Orn 
menten, behandelt deren enbun 5 und Entgegenſte lung A ‚wobei bie 
Schüler ſchon mehr ſelbſtſtändig zu verfahren haben. lich das 
fiebente Schuljahr ſetzt ben Unterricht im ——ú— Pin wozu 
noch das Beichnen einer mehr ausgeführten Schrift kommt.“ 

Diefer angegebene Lehrgang ift in den fünf vorliegenben Heften 
niebergelegt; er bietet aber keine Garantie, baß ein * dieſem Lehr⸗ 
gange eingerichteter Unterricht ben gegenwärtigen Anforderungen an 
einen ſebwiawien Volksſchulbeſuch entſprechen würde, ba die Eins 
ſeitigleit des ganzen Werkes zu grell hervorleuchtet. 

Das Gute an dem Lehrgange iſt der Fortſchritt vom Leichten 
zum Schwereren und manche hübſche und recht gelungene Zeichenform. 
Zur Auswahl von Zeichnungen beim Unterridhte mag der Leitfaben 
manden guten Dienft erweiſen. 

8 Anleitung zum erften — für Knaben⸗ und Mädchen⸗ 
been auf Auguk Lüben, Seminardirektor in Bremen, Dritte, vers 

Heft L * Vorlegeblätter mit geradlinigen Figuren zum Nachzeichnen. 
Sch IL 25 Dorlegeblätter mit gerablinigen Siguren zum Nachzeichnen. 
Heft M. 30 Borlegeblätter mi tumnlinigen Figuren zum Rachzeichnen. 
Het IV. 25 Borlegeblätter mit krummlini en. Figuren zum Nachzeichnen. 

Halle, Hermann Gefenius. Preis & Heft 6 

Dieje Vorlegeblätter enthalten einen vollſtändigen Lehrgang für 
ba3 Elementarzeichnen, wornach ſich ein höherer Curſus leicht anſchließen 
läßt. Die Ausführung läßt an Sauberkeit nichts zu wünſchen übrig. 
Für Schulen, in denen das Beichnen nad Bonlegoblättern begonnen 
wird, jei biefe Anleitung beften3 empfohlen. 

9. Borfhule zum greibanbaelänen von I. G. Kiewiet, Elaffen- 
lehrer. Fünfies Heft. (Rrumme Linien.) (120.) 4°. Leipzig, € . F. 
Gteinader. (Theodor Hahn.) 1874. Breis 75 Pf. - 

Die erſten 4 Hefte, melde ſich nur mit ber geraden Linie bes 
—* liegen nicht vor; in dieſem 5. Hefte wird bie krumme Linie 


Die Einrichtung dieſes Zeichenheftes a folgende: Auf der linten 
Seite des Blattes ift die Beichnung, daneben no Raum für das 
Öftere Copiren berjelben, bamit aber die Zeichnung beſſer gelinge, find 
bie End» und Eckpunkte buch Punkte firirt. Auf ber rechten ©eite 
des nächften Blattes, wo die Punkte ganz wegbleiben, wirb bie Zeich⸗ 

nung fo oft geübt, als e8 ber Raum geftattet. Dieſe Einrichtung iſt 
aus a8 dem vom Berfaffer aufgeftellten Grundfage entiprungen: „Wieder⸗ 
pokeng ‚muß als bie Mutter refp. die Seele jeves Stubiums betrachtet 


wed naht wis mit biefer Methode nicht einverflanden find, ſo 
Hlauben wir doch, daß eifrige Vehres gute Ürlichte erzielen können, 
wenn fie beſprochene Zeichenhefte beim Unterrichte verwenden. 





280 Zeichnen. 


10. Bel en⸗Fibel zum Gebraud für ben erften Unterricht Im wen und 
MER on @ Gearg Deal ie — Hu Pe Lud- 

ber (de Berlagehandiung 37 > eis 50 Pf. 
——* Vorworte entnehmen wir: „Die Zeichenfibel führt dem 
— — die gradlinigen Grundformen zur Anſchauung vor 
am —S — — von dem —A 

reuz beginn is zu zuſammengeſetzteren Geb 

ierungen des Pu aties der Linie und ber Fläche. Am Schluß 
ift außerdem noch eine Tafel berfchiedener Tormenzufammenftellungen 

zur Anſchauung und weiteren Belehrung binzugefügt. 

„gür dieſe erfte Stufe bes ei denn dazu müfjen 
wir aud bie Formenlehre als das ABC berielben rechnen, war es 
nothwendig, dem ungeübten Kinde bie Ausführung durch Richtpunkte 
zu erleichtern. Dadurch wird — ugleie Di die richtige Abſchätzung ber 
Gröpenverältnifie gefördert und das Wahrnehmungdbermögen ges 


Wir find ber Meinung, baß ber Herr Verfaſſer für biefe 
angeführte Folgerung ben Beweis nicht wird erbringen Lönnen. 
lei Hilfsmittel, wie ſie bei vorliegendem Werke in Anwendung — 
erklaͤren wir als ein überflüſſiges Gängelband. 


11. 40 Wandtafeln für den erſten Unterricht im freien en Ein Lehr⸗ 
mittel für Volksſchulen. Bon Dr. A. Stuhlmann, Lehrer der allgemeinen 
Gewerbefchule, der Schule für Bauhandwerker und der Gewerbeſchule für 
Mädchen in Hamburg: Bierte Auflage. Hamburg, F. H. Neſtler u. Melle. 
1874. Preis 1 Thlr. 24 Ser. 

12. 25 Bandtafeln für Die zweite Interrihtöftufe im freien Beichnen. ine 
Sammlung ornamentaler Flächenfiguren zum Gebraude an Volksſchulen 
von Seint. Wohlien, Lehrer der gemein en ee faule in Hamburg. 
weite, veränderte Auflage. Hamburg, F. H. Neftler u. Melle. 1874. 
Preis 1 Thlr. 24 Ser. 


Die dritte Auflage I „40 Wanbtafeln von Dr. Stuhlmann“ 
baben wir im 26. Bd. des Päd. Jahresber. angezeigt und auch em⸗ 
pfohlen. Da bie vierte Auflage ein unveränberter Abbrud ber britten 
iſt, jo gilt obiges Urtheil auch für diefe neue Auflage. 

Die „25 Wandtafeln von Wohlien“ fcheinen uns für Schulzwecke 
wegen des zu Beinen Formates und ber zu bünnen Linien weniger 
verwenbbar zu fein. Diefes Urtheil haben wir ſchon im 26. Bd. über 
die 1. Aufl. ausgeſprochen. 

13. Borfhule zum Unterricht im Freihandzeichnen für ben Maflen« 
unterricht in öffentlichen Schulen entworfen und erläutert von 2. Schrader, 


Lehrer an der Königlichen Gewerbe- Schule in Hildesheim, 12 Tafeln. 
Hannover, Helwing’ (de Lofbuchhandlung (Th. Mierzinsty). Preis 6 M. 


Um Zweck unb Einrihtung biefer „Vorſchule“ anzugeben, citiven 
wir den beigebrudten Proſpektu 

„Dur biefe Vorlagen (Banbiafein) fol den Schülem außer 
den allgemeinen Webungen tim freien Sandgeichnen eine Gelegen- 
beit geboten werben, bie Hauptregeln ber Perſpeltive kennen zu 








Zeichnen. 381 


lernen. Bu biefem Zwede iſt es empfehlenäiverih, daß ber Behrer 
bie Anlage, wie ſolche auf jebem einzelnen Blatte oben in der Ede 
angegeben, mit den bazu nöthigen mänblichen Erklärungen an vr 
Scultafel barftellt 

Bei Nr. 1 find bie Gonftructiondlinien in der Vorlage felbft ans 


leichteren D bei d Das 
ſchwindun — enommen nad Ginien mu 
Ha re tigen Linien bleiben auf biefer Vorſtufe —— 

Mit dem bier auögebrüdten Principe find ‚wir volllommen ein⸗ 
BerRanben; wir empfehlen dieſes Wert als Lehrmittel für Schüler 


14. „ NT —ã— Bandtafeln filr den Borbereitungdunterricht 
zeidinen in den Vollsfäulen von WM. Schoop, Zeichenlehrer 
en n der —— Kantonsſchule und an der gewerblichen Boribildunges 
ſchule in Frauenfeld. Frauenfeld, 3. Huber. 1874. Preis 2 Ihlr. 
Ueber ben Bwed biefed Werkes leſen wir im beigegebenen Vor⸗ 
worte Folgendes: „Das Lehrmittel, das wir hiermit der Primarfchule 
bieten, ſoll wefentlich Dazu beitragen, bie Einführung bes Stigmograpbie 
ober des Punkigeichnend, deſſen Beberiung als Vorſtufe für das eigent- 
liche Freihandzeichnen ſowohl von ben Päbagogen als auch von ben 
fpesiell auf dem Gebiete des Zeichnens wirkenden Fachlehrern faft all- 
gemein anertannt wird, auch unter ungünfligen Verhältniſſen zu er» 
leichten. Es i nämlich nicht zu verkennen, einerfeits, baß Lehrer in 
ungetbeilten Schulen mit 6 und mehr Jahresklaſſen laum immer die 
—* Zeit finden dürften, um dem Schüler an der Schultafel vor⸗ 
uzeichnen; anderſeits, daß manche im Zeichnen nicht vorgebildete 
Deiner nicht zur Weberiwindung der Scheu lommen, bem Schüler bie 
Zeichnung ſelbſt vorzumachen, onen das Vorzeichnen von Seite bes 
Lehrers durch die Einrichtung der Miomngraphülgen Tafel für den 
pet} ebenjoivoßl —* if, als für ben Schüler das Nach⸗ 
nen.” 


Nachdem ber Stufengang ein nad methodiſchen Grundſaͤtzen 
richtig gewählter iſt, ſo empfehlen wir dieſes Werk allen jenen Schulen, 
an welchen ſich die oben angegebenen Umſtände vorfinden. 


b. Geometriſches Zeichnen. 


15. — nen zum Gebrauche an Gewerbeſchulen, Saul für Baus 
ndwerfer und polytechnifchen Vorbildungsanftalten. Don Dr. A Stuhl⸗ 
mann, Lehrer der allgemeinen Bewerbefähule, der „osufe für Bauhands 
werfer und der Gewerbefchnie für Mädchen in Hamburg. 
a. —* emeiner Theil, Mit dreizehn Ihographirten Tafeln. Zweite, uns 
rbeitete und vermehrte Auflage, Preis 15 Sgr. — Bartiepreis: 25 gem 
„ are 10 Zhlr. Hamburg, F. H. Reſtler u. ei. 187%. 
Anzungsbeft für auba ndwerter. Mit 12 Tithograpbirten 
un Breis wie oben. Hamburg, F. H. Neftler u. Melle. 1870. 
e. — änzungsbeft für Klempner ic. Rit 12 Itthographirten Tafeln. 
reis wie oben. damburg, F. H. Neftler u. Diele 1872, 


383 Zeichnen. 
Dieſes Werk, das ſchon zu wieberholten Malen im Pad. 
8* befprochen und — als ſehr brauchbar und Big 


bezeichnet wurde, wirb auch diesmal den im Titel angeführten Säulen 
mit aller Wärme empfohlen. 


c. Sormenarbeiten. 


16. Stertometrifge Kiguren-Rege aus Trinklers Runftverlag in 
SGraz. — Nr. 28. Zu haben complen ein Band oder 138 
.. &remplare pr. 8 

Diefe reichhaltigen Figurennetze enthalten: a. 6 ſchiefe 
Prismen, 24 theils arrche, Bei, ſchiefe Prismen ten und ſchiefen 
Schnitten. db. 6 gerabe, 8 ſchiefe Pyramiden, 36 theils gerade, theils 
ſchiefe Pyramiden mit : ten berichiebenften Schnitten. c. 5 verfcjiebene 
Gplinder, 11 verſchiedene Gylinder mit Schnitten. d. — Beach 
20 Kegel mit unterſchiedlichen Scmitten. e. 1 Rugel, 1 Kugelab⸗ und 
1 Rugelausfchnitt. f. 5 regelmäßige Slörper. 

N Bezug auf die  Deelung ber Netze haben wir zu bemerfen, 
daß beren Nettigkeit unb Genauigkeit nichts zu wünſchen übrig läßt. 

Dieſer ——* 353 wegen, ſehen wir uns auch veranlaßt, 
angezeigtes Lehrmittel beſtens zu enpfehlen 
17. * ie ormenarbeiten. Derausgegeben von Alois Fellner, Bürger- 

nie n 
L Heft. Das Stäbchenlegen in Verbindung mit der elementaren 
—— dem Zeichnen und Rechnen. (16 S. u. 49 Tafeln.) 8°. 
b. Heft. Das Flechten in Verbindung mit ber elementaren dotmen⸗ 
lehre, tem eichnen und Rechnen. (7 ©. u. 13 Tafeln.) 8°. 1874. 
Bien, U Pichler's Witwe u. Sohn. Preid & Set 12 Gr. 

Der Berfafier anertennt das Princip der „Arbeit in ber Volls⸗ 
feiude als —— Moment und ſchlägt vor, „fi boräufig bloß 
für die Einführung der Formenarbeiten ausſprechen“ zu follen. „Auf 
Grund ber, durch die Durchführung berjelben ertworbenen Erfahrungen 
muß dann bie geſammte Lehrerſchaft die Errichtung von Schulwerk⸗ 
Hätten anſtreben. Um Mibverftänbniffe bintanzubalten, muß bier ge= 
jagt fein, daß die einftigen Schulwerfftätten bie Sormenarbeiten bloß 
ergänzen, nicht aber ausichließen werben.” „Geftügt auf bie geiſtvollen 
Vorträge über die Gormenarbeiten, bie ber Berfafler bei Herrn Pro= 
fefiov Pönninger am Wiener Lehrerpäbagogium hörte und bie ihm 
dieſes ſchöne Gebiet erjchlofien, Geht uf fein eingehendes Studium 
der Kindergarten⸗Literatur (Friebr. Sröbel, Wild. Mibbendorf, Aug. 
Köhler, Gnlbammer, Fiſcher, Karl Fröbel 2«.) umd der Werte über bie 
Sormenarbeiten (Aug. Köhler, Deinharbt und Gläfel, Fr. Seibel umb 
Gr. Schmidt) und ae ‚süß: auf bie Erfahrungen, bie ber 
Berfaffer feit drei Jahren ber Durchführung ber Formenarbeiten 
an ber Bürgerfchule, an * er wirkt, gewonnen hat, glaubt er fich 
bie Fähigkeit zutrauen zu dürfen, eine Auswahl unter ben Kinder⸗ 
gartenbejhäftigungen treffen und bie Vertheilung berfelben als For⸗ 
menarbeiten in bie einzelnen Klaſſen bes Dolls: und Bürgerfchule 
vornehmen zu Tönnen.” 





Zeichnen. 288 


„Und jo Schlägt er vor: 

1. Stäbchenlegen für das 1. Schuljahr, 

2. Flechten für das 2. Schuljahr, 

3. Halten für das 3. und 4. Schuljahr, 

4, Erbfenarbeiten für das 5. und 6. Schuljahr.” 

„sn den Oberllaflen der Bürgerfchule oder der Sflaffigen Volls- 
ſchule für Knaben find 5. die Thonarbeiten als Vorſtufe des Models 
lirens und 6. dieſes ſelbſt durchzuführen — ' [nn 

„m Mädchenfihulen follen das Falten und die Crbfenurbeiten 
im geringeren Maße vorgeführt werben, ald an Knabenſchulen; bafür 
aber Ausfchneiden, Ausftechen und Ausnähen mit Bezugnahme auf bie 
weiblichen Arbeiten eingeführt werben.” 

Das Alles müſſen wir als fubjeltive Anfichten begeiöhnen, bie ihre 
Entſtehung größtentheils dem Schreibtiſche g verbanten haben, nicht 
aber den angegebenen Studien und Erfahrungen. 

Indem wir beide Heftchen als verwendbare Leitfäden für die 
Hand der Kindergärtnerinnen bezeichnen wollen, machen wir den Ver⸗ 
faffer auf einige nicht verwendbare Flechtmuſter im 2. Theile aufmerf- 
fam, da ſich die Streifen des Flechtblattes beim Ausarbeiten biefer 
Mufter übereinander ſchieben, weil burd die einzuziehenben Streifen 
fein Halt für einzelne Streifen des Flechtblattes gegeben wird. Wir 
nennen blos die Rummern der Mufter: 2, 3, 7, 8, 10, 11, 12, 15, 
17, 22, 23 und mehrere andere. | 
18. Der Kindergarten. Handbuch der Pröbel’ichen Erziehungemethode, 

Spielgaben und Defchäftigungen. Nach Fröbel’s Schriften und den Schrifs 

ten der Frau B. dv. Marenboip-Büfomw bearbeitet von Hermann Golb- 

ammer. Mit Beiträgen von B. von Marenbolg-Bülsw. Zweiter 
Theil. Dritte, umgearbeitete und vermebrte Auflage. Mit 60 Tafeln Abe 

Dungen. (VI u. 187 ©.) 8%. 1874. Belin, 6. ©. Lüderitz ſche Ber» 

lagebandl. Karl Habel. 

Herr Goldammer gehört zu jenen Pädagogen, welche bie Fröbel⸗ 
fe Erziehungomethode vom voltserziehlichen Standpunkte auffaflen 
und beuctbeilen; fich aber keineswegs hinreißen Iafien und alles, mas 
Fröbel ſprach und fchrieb, für unfehlbar halten. Nur diefer Stand- 
punkt des Verfaſſers konnte dem letteren jenen rühmlichen Namen in 
bez Kindergarten⸗Literatur verſchaffen, den er fich bereit errungen. 

Auch diefe newe Auflage bes oben bezeichneten Werkes zeugt von 
bem reblichen Streben bes Verfaſſers, die Kindergarten-Erziehungsmethobe 
in eine der Zeit entjpreijende Bahn zu bringen und immer mehr 
zu vervollkommnen. Werk ſei beſtens empfoblen! — 





VII. Franzoͤſiſcher Sprach⸗Unterricht. 


Bearbeitet 


von 


Dr. Otto Kunuer, 
Oberlehrer am Nicslaigumnafium in Beipzig. 


Die bei der Rebaction eingegangenen Schriften zerfallen in 
Orammatiten, Leſebücher und Uebungsbücher. 


J. Grammatilen. 


L. Suͤpfle. Theoretiſch⸗prak Schu matik der öflfhen Spra 
Dr —* lee tifße Eiulgrammalit en end —— 
Auflage. Heidelberg, Julius Groos Verlag. 1874. X u. 385 ©. 

Wir Ionnten keinen Augenblick ſchwanken, ob wir dieſes Bud an 
bie Spitze unferes Berichte ſiellen follten, dieſe Stelle vermag ihm 
feines ber weiterhin zu beiprechenben feitiß 3 zu maden. Enttäufcht 
würbe man fich freilich jehen, wenn man, ch die Titelbemerkung 
„Fr Gymnaſien“ veranlaßt, an dad Buch mit ber Grtvartung beran= 
träte, barin bie Formenlehre und Syntax hiſtoriſch, d. h. nur mit 
Bezugnahme auf bie lateiniſche Mutterfprache behambelt zu finden. 
Wenn wir bagegen bereit eb: auf derartige Behandlung zu verzich⸗ 
te, a a uns in Süpfles Grammatik ein hoͤchſt brauchbares 
u iges Buch 

- Die auf dem Titel angebeutete Bereinigung von Theorie und 
Praxis zeigt fich einerfeits in ber methobifchen Vertheilung des Stoffes 
ohne allzu firenge Scheidung von Formenlehre und Syntar, anderer 
fettö in ber Beifügung geeigneter, mit ber nBthigen Präparation ver 
fehener Uebungsſtücke zum Ueberſetzen ins Franzöfiihe mit Anſchluß 
an jeden abgehanbelten Abſchnitt. Dad Ganze zerfällt in zwei Theile 
bon denen ber erfte im Weſentlichen bie Hauptpunkte ber Formenlehre, 
ber zweite Ergänzungen berjelben umb bie Hauptpunkte ber Syntaz 
enthält; aud bie Ausfpracheregeln bed eriten Theiles find im zweiten 
verbollftändigt. gür bie wiederholt vorkommenden Bocabeln find zwet 
alphabetiiche Glofinre beigegeben, und ein genauer Index bilbet ben 
Löblichen Beſchluß. 








Franzbſiſcher Sprach⸗Unterricht. 285 


Die Regeln felbft find faft durchweg Mar und überſichtlich gefaßt, 
und an Reichhaltigfeit zumal tft gewiß Alles geleiftet, er — 
irgend erwarten kann; auch an franzofiſchen Muſterſaͤtzen für ſämmtliche 
grammatiſche Erſcheinungen fehlt es nicht. Zum Beleg verweiſen wir 
beſonders auf die Abſchnitte von de und A (S. 193 ff.), bon ber 
Stellung be3 Abjectivs (S. 215 ff.), von den Regationspartileln 
(5. 323 ff.) und auf die Regeln über den Unterſchied wichtiger ſyno⸗ 
nymer Abverbien (5. 321). — Bei ben Uebungsfägen iſt uns aufe 
a —* viele ſich ſchon bei Plötz finden und zwar theilweiſe 

em, — 

Unſere Ausſtellungen betreffen im Ganzen nur Kleinigkeiten, bie 
bei einer neuen Auflage leicht geändert werben Fönnen. 

Die S. 10 erwähnte Ausſprache von bourg und bie S. 171 
erwähnte von fonet find nicht unbeſtritten. — Die Regeln über bie 
Pluraliſation der Gompofita (&. 28) nehmen ſich etwas zu apobictifch 
aus; die. Aber bie Stellung ber pron. pers. conj. (S. 55 u. 84) 
nimmt in ihrer Yaflung auf bie allerdings ſchon erwähnte Inverſton 
des pron. sujet Feine Rädfiht, iſt alſo nad einer Seite bin un, 
volfländig. — ©. 66 vermiſſen wir die Erwähnung ber Eigenthüm⸗ 
lichkeit von Beitwörtern wie feuilleter. — Die Bemerkungen ©. 88, 
die pron. pers, absol. flünden nach Gonjunctionen, und ©. 89, fe 
* mit einem Pronomen, find mangelhaft gefaßt. — S. 111 

nb die Beiſpiele mit Veränderung von tout als. Adverb vor Sub⸗ 
ſtantiben incorrect. Ebenfo finb nicht mehr correct ober wenigſtens 
ungebräucdlich die Formen asseient und asseie etc. ©. 144. — Auf 
©. 198 bedarf der 6. Sa in I einer zeitgemäßen Umänderung des 
Inhalts. — Bei den Benusregeln, bie mit einiger Breite in bejon- 
berer Rüdficht auf die Enbungen abgehandelt find, aber erſt etwas 
Spät vorkommen (S. 204 ff.), ift der Mangel jeglicher Bergleichung 
mit dem Lateinifchen entfchieden ftörend ; man betrachte 5. B. bie Lifte 
der Wörter mit angeblich bopyeltem Geſchlechte. — Erftaunt find wir 
über die abfolut unlogiſche Form der Regel S. 237 2) zu dem Beifp. 
sa fortune et celle de sa sosur und über ben unpafienden Ausbrud 
„zweites Olied bes Satzes“ ©. 240 Regel 2, bie Wieberbolung bon 
oo betreffend. Der Verfaſſer hat diefe beiden verlehrten Wendungen 
mit Plöt Schulgrammatik gemein. Ein fo veralteter Ausdruck wie 
olavecin (©. 255) follte nicht vorkommen. — Der Subj. nad) Super- 
Intiven fcheint uns, nach der Paraphraſe bei Ueberfegung ber Mufter- 
ſaͤtze zu urtheilen, in feiner Bedeutung nicht ganz richtig aufgefaßt zu 
fein (S. 284). — Enblid wäre e3 nad unferem Ermeflen dringend 
geboten, bei der Umfchreibungdformel (©. 383) die Doppelnatur bon 
d ont ..que darzulegen, ſchon um ber Veränberung bes Part. pass. 
willen. — 

Die äußere Ausftattung bes Buches verdient Lob, auch Druck⸗ 
Tebler find felten. 

Dr. Anfelme Ricard, Brofeffor an der Handelsatademie, Dirertor des Semi- 
naire francais und Lertor an der T ?, niverfität au Prag. 








238 Feenzoſtkher Sproch / nteeriqt. 


Ku € Conb⸗arſatlons⸗Grammatiẽ der Frauzbfiſchen Sprache. Dritte 
verbe erte und mit einem franzöflfh»dewtfcen und deutſch⸗ franjdfifchen 
Wörter. — vermehrte Auflage. Prag, Verlag von F. Terupätg, 
1874. (Brei 3 M.) 208 ©. 


Wer den Zweck des — — D * naht, daß bes 
Schüler zu einiger Gewandtheit im mündlichen breffixt 8 
der mag vielleicht in elle Buche feine ——* fran⸗ 
gftiche und deutſche Nebungsſatze und Frame ichs Ganveriationdftüce 
Frage und Antwort) mit vorangehenden Vocabeln, denen immer Heine 
Brucftüde grammatiſcher Regeln en find, bilden fammt 
ben beiben Gfeflaxen —— Bändchen. —— — 
liegt durchaus in den V ln, —S — und Dialogen; 
und Rachſprechen in der Klaſſe, Abſchnift des franzöſtiſchen und in 
fekung ber. beutichen Uebungsbeiſpiele — das ift das Recept, has der 
Verfaſſer jelbft für die Benupung gibt. Die grammatiſchen Regeln, 
bei denen ber Stoff in ber grauſawſten Bet e each HGB. 
ſogar bie Deckination des Subklantivs, S. 31, 36), find völlig 
Nebenſache, fo daß ſich ein Schüler aus Diem Bade, eine. auch nur 
elementare wirklich gramnatüche Hufkeffung der. franzöfifchen Sprade 
koum wird «neigwen Tünnen. — Doch auch bon der sein praktiſchen 
Seite betrachtet, if das Bud som erheblichen Mängeln nit frei: " 
wir können nicht alle —** seifei ich verlangen, aber in einem 
ganz für bie Praxis zugefchnittenen Bude bürfen doch fo alberne 
Sähe, wie in biefer Converſations⸗Grammatik bes Defteren auftretem, 
nicht vorlommen. Mani verglaie: „Der Bruber ruft den Eſel und 
das Pferd“ (S. 3). „Mein Bruder fürchtet das Waſſer, bad Zeuer 
und die Gefahr” (S. 7). „Die Geduld it mandımal unangenehm,” 
Der Mond iſt oft ein glänzendes Geſtira.“ ‚Der König hat eimen 

Mantel von Gold ımb von Silber” (alle brei S ir 

„Bir laden unfere Gewehre gegen die Angriffe der Räuber, um 
Inden ımjer Gedächtniß gegen ben Angriff der unwiffenheir © 52) 

„Ne choisissiez-vous pas toujours les meilleurs amis? — un 

ohcisissait les bons: moi, je choisissais les meilleurs“ (©. 64). — 
Durch Gallicismen wenigſtens entftellt find bie Säge: „Ex ift von 
allen Seiten ſchuldig und wird lange fchulbig fein“ (S. 138) und 
„Ludwig XI. Hatte verboten, jeden, wer es auch jein mag, feinem 
loffe wäbern au rien (S. 192). Eine gang unlogifche 
Frageform findet ſich S. 182. „Moliere meprisait-il les m& 
decins, quoiquil se soit moque d’enx dans plusieurs de ses 
— — Außerdem wollen wir ‚nicht unterlaflen zu erwähnen, 
daß bie einzelnen Uebungsjäge nur jelten in irgenb einem inhaltlichen Zu⸗ 
ſammenhang mit einander ſtehen, und baß bie „conversations“ ſogar jeben 
inneren Zufammenhang ber verfchiedenen, aufeinander folgenden Yrages 
und Antwortereiben bermiflen laſſen. — Bon einzelnen Kleinen Irr⸗ 
tbümern feien nur angeführt: Die Form complötement (S. 55) Fakt 
complötement; ferner cet apr&es-midi (S. 66) flatt cotte; und plut 
(& Dieu) (S. 177) ftatt plüt. Das ungebräuchliche asseient. tritt 





Franzoͤfiſcher Sprach⸗ Unterricht. 987 


Ratt asseyont au hier auf (6. 237); Die Regeln ſelbſt aher find 
in ihrer unlogifchen und gebantenlojen Yormulirung das allerbedenk⸗ 
lichſte vom ganzen Buche. Auch die beſcheidenſten Anſprüche an 
Klarheit und —— ber Fafſung bleiben oft unbefriedigt. Da 
beißt es vom Genitiv S. 38 u. 39; „ber Singular-Genitis iſt für 
maseulin du... Vor men, tan, son u. |. w.; vor ce, cette, cag; 
bor tout, all; vor celui, celle, diefer, ſteht immer bloß de, nicht du, 
de la, des. "&benfo bog Dien, Gott, vor Eigennamen und Stäbte 
namen” und ©. 41: ‚De, de la, des bedeuten ben Beſitz; de bebeutet 
den Stoff, ben Uriprung. S. 48 lieſt man: „der Dativ bebeutet bie 
Richtung nach, bie Beſtimmung zu, bie Bubereitung, und bient au 
dazu, zuſammengeſetzte Wörter ausudrücken, gerade wie de.” ©. 51: 
„Die auf ger behalten bad e bor a und 0"; ©. 57: „en, befien, 
bexen, babon, wird gefegt vor einer Zahl, wo das Hauptwart 
fehlt;“ eben ba: „Nach einer Zahl kommt fein Artikel: II a trois 
florins, ex bat brei Gulben” und „mille in Jahreszahlen heißt ‚uil.“ 
— Bas fol man fi unter „bejahenben” und. „verneinenden” Ad⸗ 
jeetiven benfen (©. 67)? — ©. 72 findet ſich; „bie perſönlichen Fürs 
worter ftehen vor ben Verben (ausgenommen bie ahaolus, die entweder 
allem oder mit Präpofitionen ober im beinhbenben Smperatid 
porlommen).” Letztere Behauptung wird S. 104 ohne jegliche Ei 
fopräntung wieberholt. — Dex tollſte Wirrwarr herrſcht in der Angabe 
der Verba, welche do regieren (©. 95—96), wobei unterſchiedsloß 
die heterogenſten Dinge neben einander geſtellt ‚werben (convrir de, 
parler de, changer de, traiter de, ötre aim6 de etc.) — Höhft naip 
it bie Bemerlung S. 112: „Que (ald) wird verwandelt in dp 
na einem Comparativ vor einer Maß⸗ ober Zahlbeſtimmung. 

Auch in ber Formenlehre werben ähnliche Bemerkungen geleiftet 3. B 

S. 121: „Das Conditionnel wird burch die Anhängung bon s an das 

Zutur gebildet." — Was foll man wohl aus ber Regel ©. 130 ab- 

nehmen: „Die Antwort auf eine Frage geichiebt burch le es, le, la, 

les, en, * ? Ein Glüd, dba man wenigſtens aus dem Beiſpielen ſieht, 
mas gemeint if. — gIn den weiteren Partien des Buches iſt der 
grammatiſche Anſtand etwas beſſer gewahrt; aber im Ganzen muß 
unſer Urtheil dahin gehen, daß das Buch zu wirklich grammatiſchem 

Unterricht ganz ungeeignet iſt, daß aber für Lernende, die bereits eine 

grammatiſche Grundlage gelegt haben, fich eine Converſationsſchule in 

viel intereflanterer und würdigerer Weiſ⸗ herſtellen läßt, und ohne 
daß man alle Augenblide dem Geſchmack ober dem Gefühl für gramma= 
tiſche Präcifion ind Geficht ſchlägt. 

Dr. Earl Munde. Erſter Unterriht im Franzofiſch⸗Sprechen. Eine prat⸗ 
tiſche Anleitung zur ichnellen Erlernung dieſer Sprache für Lehr⸗Anſtal⸗ 
ten, Zouriften, Ditlitärs, Handiungsbeflifiene, und alle Solche, welche na 
Betirfaie fühlen, ſchnel franzöfifh ſprechen zu lernen Meb ei 

Sälüffel zur "Erleichterung des „6 abfitublume. eiyalg, FA 
Budbandlung. 1874. X, 217 u. 


Der Tendenz nach iſt diefes * dem zuvor beſprochenen ver⸗ 


288 Frangdſiſcher Sprach- Unterricht 


wandit, es will gleich bon vorn herein zu Sprechũbungen 

und wenn wir auch für die bekannte —2* des — er 
beſonders ſchwaͤrmen, fo erkennen wir doch den Rufen, den fie in man- 
en Fällen haben mag, gern an und beftreiten nicht, daß ber „Exfte 
Unterricht im Franzoſiſch⸗Sprechen“ ein recht brauchbares —— 
für jene Methode abgeben wird. Weber das Rieard'ſche Buch iſt er 
jebenfalls zu fielen. 

In feiner erften Abtheilung enthält ex lediglich fortſchreitende 
frangdfiihe und deutſche Frage: und Antwortsſaͤtze, denen ſowohl bie 
nöthigen Bocabeln wie die vorlommenden grammatiſchen Formen ein 
fah zum Auswendiglernen vorgebeudt find. Erſt in der zweiten Ab⸗ 

eilung (bon ©. 88 an) wird grammatiſche Theorie, allerdings im 

emlich betätigen Form und nur Hauptpunlte berührend, mit ein» 
gereibt, aber auch wieder fo 2 ‚maß fie — gleich Uebungsſtücke zum 
Veberfehen ind Franzöfifche Bilde. Die oonversations am luß 
ſollen einerſeits übliche Redensarten bes alltäglichen Verkehrs lehren, 
andererſeits gewiſſe Regeln der Formenlehre repetitionsweiſe veranſchau⸗ 
lichen. Den Uebungsſtücken dürfen wir das Lob zollen, Ihe fie meift 
recht gut und praktiſch find: die befonbere Berüdfichtigung bes geo⸗ 
graphiichen Elements finden wir fehr am Plate, Infofenn babardı 
die Stüde Zufammenbang und Intereſſe geivinnen. 

Manche Einzelheiten find aber doch zu rügen, 3. B. der Yu 
brud timbre de poste (6. 85) ift ungebräuchlich, Pie Briefmarke 
‚beißt timbre-poste; ebenſo char für Eifenbahnivagen und coup6 für 
bie einzelne Abtheilung befielben (©. 41. 42): man fagt vagon und 
compartiment; es heißt nit vite (©. 66 u. ©. 36 des Schlüffels), 
ſondern vite; nicht Hävre (S. 96), fonbern Havre; nicht complette 
{S. 183), fondern complöte. Auf 6. 128 ftebt Fürfchlich neben —* 
ject'’ phrase, proposition in Klammern. Die Worte „des Satzes“ 
find —* ausgefallen (vergl. Schlüfe). Manche Wörter, bie 
nad) dem allgemeinen Gebrauche groß geſchrieben werben, finden ſich 
Hein gedruckt, fo leſen wir ©. 113 päques, penteoöte, &. 155 le 
parisien, ©. 205 les polonais. — Der belannte Babeort im Engabin 
heißt franz. nicht Saint-Morits (S. 195), fondern natürlich Saint- 
Maurice. Das Partic. pass. don monvoir wird nicht mu (S. 166), 
fondern mü geſchrieben. 

Der beigegebene Schlüffel, der eben fo gut in bie Hände bes 
Schülers gelangen fol, enthält nit nur bie franzöſiſche Ueberfegung 
aller beutichen Uebungsaufgaben , fondern nicht minder auch Bemer⸗ 
Tungen über bie Ausſprache und ergänzende grammatiſche Regeln, ift 
aber in biefen beiden Punkten wenig glüdlih. Beim Anblick der 
Ausfprachebezeichnung, in ber das fächftiche Element öfters bebenflich 
raten, überläuft Einen wieberholt Schauer: „man vergleiche nur 

1 „bon, bong, aber nicht wie bongk; beurre, borr“; S. 4 „quel- 
ue chose, häufig wie tondobe ” „rien, rriäng; merci, mähr-Bi” ; 
x 36 ‚soleil, fiosläst;" ©. „grammaire, gram-mähr“ (das ‚8 
nicht fo Bart mie er Aber au SFalfches kommt vor: 3. B. 





Franzöſiſcher Sprach-Unterricht. 289 


wird fälſchlich für et catera Verfiummen des audlautenden t gelehrt; 
©. 17 ebenso für fils die Ausſprache fi, während das s ganz gewöhn⸗ 
ich tönt und darin keineswegs ein Zeichen von Mangel an höherer 
Bildung zu ſehen iſt; S. 19 follte nicht je crois qu’oui gelehrt werben, 
fondern que oui: Die Elifion ift zwar familiär gebräuchlich, gilt aber 
für ſchlecht. — Grammatiſche Regeln angemefien zu formuliren fcheint 
ferner auch nicht gerade Herrn Mundes Sache zu fein: wenigſtens 
fpricht dafür nicht feine Bemerkung ©. A: „Rien beißt Nichts, Tann 
aber ebenfogut Etwas beißen; daher wirb es im erfteren Falle mit 
ne conftruirt: je n’ai rien. Faſt ebenjo verhält es fich mit pas, 
point. — Ganz unpaflend finden mir bie gelegentlih gemachten 
witzelnden Bemerkungen: jo S. 62 zu ber Ueberjegung bon Nulle part 
dans le monde on nimprime ni on ne lit autant die Worte: 
„(Wenn nur die Qualität der Quantität entſpräche)“, S. 80 zu nous 
nous sommes divertis..... „Ein einziger Mann giebt da den Auzfchlag; 
im genre nämlich!“, ©. 82: „Daher comptoir richtiger als comtoir; 
man rechnet darin, man „graft‘ nicht.” Dergleichen barf ja als er= 
heiternde3 Element gern beim mündlichen Unterricht mit unterlaufen, 
je nah Stimmung und Laune des Lehrers und Weſen der Schüler, 
aber gedrudt nimmt es ſich ſchlecht aus. | 
Dr. 4. Müller, erfter ordentlicher Lehrer an der flädtifchen höheren Bürger- 
ſchule zu Oberlahnſtein. Formenlehre der franzöflihen Sprache in drei 
Stufen, ein nah einem neuen Plane entrorfener Leitfaden. Erfte Stufe: 
Das Neunwort und die Partikeln. Zweite Auflage. Als Manufeript gebrudt. 
Görlitz. In Commiſſion bei 8. Tzſchaſchel. 1874. XIIu. 10968 1M 


Der Plan dieſes Leitfadend mag neu fein, doch haben wir ung 
mit demfelben nicht beſonders befreunden fünnen, wenn auch mande- 
Punkte geſchickt behandelt find. Die erfte bier vorliegende Stufe (auf 
2 Unterrichtsjahre berechnet) umfaßt nur Nennivort und Partikeln 
nebft den beiden Hülfsverben; die zweite Stufe (auf das 3. Jahr) 
erft das regelmäßige, und bie britte Stufe (auf dad 4. Jahr) das un— 
regelmäßige Zeitwort. Die Syntar fol in ähnlicher Behandlung nadj- 
folgen, und auch ein Uebungsbuch zum Ueberfegen (die Stufen felbjt 
enthalten feine Uebungsſtücke) wird in Ausficht geitellt. — In dem 
erften Kapitel fieht es ziemlich bunt aus, und wir möchten bezweifeln, 
daß der Schüler zu Harer Einfiht in das Weſen der franzöfifchen. 
Sprache kommt, wenn er bon avoir zu einer Lifte gebräuchlicher 
PBarticipien, dann zu Grundregeln über die Stellung des Subject 
und Object, dann zu Bejahungs- und Verneinungswörtern, zu Pron. 
pers. conj., dann wieder zu avoir geführt wird. Die folgenden Kapitel 
zeigen eine fachgemäßere Anordnung. | 

Allgemeine Bemerkungen über Buchſtaben, Schriftzeichen, Rede— 
theile und grammatifche Begriffe des Zeitworts find vorausgegangen. 
Außer der Liſte von gebräuchlichen Bartic. Verf. findet fich (in dem 
Kapitel vom Hauptort) mitten darin auch ein Fleines Bocabularium, 
Das Subft. nah Materien geordnet enthält und nicht weniger als 

Bäd. Jahresbericht. IXXVI. 19 


290 Franzöſiſcher Sprach⸗Unterricht. 


©. 22—40 umfaßt, desgleichen S. 56—63 eine Lifte gebräuchlicher 
Adjectiva, in Hinfidht auf die Femininbildung georbnet. Das foll der 
Schüler Alles lernen, bevor er eine Ahnung bon ber regelmäßigen 
Sonjugation beiommen bat! Das verheißene Uebungsbud wird ebenfo 
auch den Schüler zwei Jahre lang ohne Anwendung ber einfachen 
Beiten regelmäßiger Verben bejchäftigen müſſen. 

Die bei Beſprechung der Formen von avoir (S. 2) aufgeftellten 
„Grundſätze“ laufen auf fehr äußerlihe Anhaltspunkte für das 
Gedächtnig hinaus, die Perjonalendungen Iafien fi aber auch für 
das Gebädtnig viel befler und naturgemäßer barftellen. Wie ber 
Verf. bei feiner Eintheilung die Dinge auf den Kopf ftellt, gebt 3.2. 
aus der Bemerlung ©. 1 hervor: ‚Der Pres. indic. von avoir hat 
bie regelmäßigen Yuturenbungen.” Bon ben Futurformen ift natür- 
lich noch nichts da geweſen; und dann, ift es nicht für Schüler eben 
fo einleuchtend, wenn fie bei Erlernung bes Futures gleich das richtige 
Verhältniß erfahren und gelehrt belommen, das Futur ift aus dem 
Infinitiv durch Suffigirung bed Präfens. von avoir gebildet ? — Von 
den manderlei Einzelheiten, an denen wir Anftoß nehmen müflen, 
heben wir nur einige hervor. — Dad Yemininum au persan 
beißt nicht persanne (5. 53), fondern persane. — Beim Theilungs- 
artilel (S. 72) find ganz verfehrter Weile alle Fälle, wo die bloße 
Präpofition zu ſtehen hat, zufammengeworfen und ift der Gefichtspunft 
einer Declination der Theilungsform ganz außer Acht gelaſſen. — 
©. 75 ift die übertviegende Anwendung von aussi und autant auch 
im negativen Vergleichungsſatze völlig verſchwiegen. — 

Die Bemerkung (S. 93), daß ce auch vor dem Bindeworte que, 
dag, gebraucht wird, verftehen wir gar nicht. — Nicht ganz zutreffend 
ift auch das über die Form bed Prädicats nach si, wenn, Geſagte 
(S. 106): Der Subj. Plusqueparf. ift befanntlich ſehr üblih. Ganz 
verkehrt ift die Anmerfung 1 dazu: „Nur wenn das bebingende si 
im Nachſatze durch que vertreten ift, folgt auf dies que ber Sub- 
jonctif, aber nur vor den Hilfägeitwörtern.” Wie Iann man einen 
eoorbinirten Nebenſatz „Nachſatz“ nennen?! und bie Einſchränkung ift 
wieder unrichtig. — Auch an Drudfehlern ift fein Mangel, beſonders 
ift die Bezeichnung des h muette und aspirde mit “ und” nicht burdh= 
geführt. — Manche Vollftändigfeit im Einzelnen erfennen wir dagegen 
dankbar an, man vergleiche die Semininbildung der Adjectiva, das 
Zahlwort, die Bemerlung S. V über das Genus ber Buchſtaben 


Einen epochemachenden Fortſchritt für die Praris des franzöſiſchen 
Unterriht3 wird Herm Müllers Buch kaum bezeichnen; doch mag es 
ja wohl möglich fein, mit bemfelben unter Benutzung entiprechenver 
Uebungsbücher auch einen Erfolg beim Unterrichte zu erzielen. 


J. R. Visbeck, Paftor zu Ofterholz; jept Superintendent in Zeven. Hülfe- 
und Handbuch zur rafchen und leichten Erlernung der franzöfifhen Aus: 
fpradde und Kormenlehre. Hannover, Earl Meyer. 1875. VIu 88 S. 
(geb. in Leinwandrüden 1 Mar). 





Franzölifcher Sprach⸗Unterricht. 291 


Das Büchlein ft ein ih an Plötz Schulgrammatif ziemlich eng 
anlehnender, Inapper und überfichtlicher tabellarifcher Auszug der Aus⸗ 
Sprache und Formenlehre, ber feinem Zweck — zu Repetitionen zu 
dienen und als Hilfsmittel bei Anfertigung fchriftlicher Arbeiten — 
gewiß volllommen entſpricht. Beſonders viel Raum nimmt natürlich 
das Berbum in Anfprud, bei dem fich Tabellen für die verſchiedenſten 
Erſcheinungsformen finden und felbft die vier Gonjugationen unter 
zwei verfchiedenen Gelichtäpunften verzeichnet find. — Einzelne frappante 
Drudfehler (die allerdings im einer tabellarifchen Ueberſicht befonders 
fatal berühren) find: ©. 45 èterai flatt eterai und je chrochete ;je chroch- 
terai ftatt erochöte; je crocheterai; ©. 46 le pain beni ftatt le 
bein benit; S. 66 achter ftatt acheter und exprös ftatt expr&s und 
dergl. — \ 

Außerdem haben wir auch noch einige andere Peine Monita zu 
ftellen: wir vermiflen unter den Adjectivendungen, für welche bie 
Vemininbilbung angegeben wird, bie Endung — il (©. 61). Das 
S. 70 gelehrte Weberziehben des t vor onze ift nicht allgemein als 
richtig anerlannt; die Einführung von Vocativ und Ablativ (S. 53) 
erfcheint uns recht überflüffig und bie gereimten Genusregeln (S. 54) 
find wenig geſchmackvoll; der Ausbrud le deux de Mars (ſoll heißen 
mars) ©. 70 follte nicht ohne beſondere Bemerkung über die Selten- 
beit von de in diefem alle auftreten. — Anderes — wie die Regeln 
über die Pluralifation (S. 58), das DVerzeichnig von Rebendarten mit 
abverbialer Anwendung bes Adjectivs im Maskulinum (S. 66), die 
Lifte von Adverbien, deren Adjectivum verloren ift (S. 65) — ift zu 
rü . 

Hieronim Jeſtonek. Kranzöfifhe Formenlehre in Tabellen. Zweite Auflage. 

Augsburg, Matth. Rieger. 1874. 35 S. 

Dem Visbeck'ſchen Büchlein ganz ähnlich in ber Tendenz Nur 
finden mir auf den legten Seiten auch eine gebrängte Heberficht einiger 
Hauptpunfte aus der Satzlehre und andere funtactiiche Bemerkungen 
find den einzelnen Nebetheilen beigefügt (3. B. ©. 19 dem Artilkel), 
während bei Rnappheit und Weberfichtlichkeit die Formenlehre weniger 
erichöpfend, Manches vielleicht auch weniger praftiich abgehandelt ift 
ala dort. Entfchieden tadeln möchten wir bie rein. alphabetifhe An⸗ 
ordnung der unregelmäßigen Verba, jelbft ohne Rückſicht auf die In⸗ 
finitivendung, wodurch die Ueberſicht über Verwandtes ganz verloren 
gebt. Daß die Berba auf — evoir einfach mit unter ben unregel- 
mäßigen fignriren, tft ja dagegen zu billigen. Erfreulich ift auch bie 
befondere Tabelle ber Defectiva (S. 17) und die genaue Bufammen- 
ſtellung der verfchievenen möglichen Fälle von Verwandlung unb Un- 
manbelbarfeit des Part. passe (S. 18). Der unnötbhige Ablativ tritt 
aber au bier auf (S. 19). Dann ift bei der Yemininbildung ber 
Apjectiva (S. 22) zu viel als unregelmäßig behandelt und bei ben 
Bergleihungsfägen der Gleichheit neben aussi... que autant.. que 
(S. 24) ganz vergefien. Die Bemerkung über die masfuline Plural- 
bildung mancher Abjectiva auf — al (S. 20) ift nicht ganz zutreffend: 

19* 


292 Franzöſiſcher Sprad-Unterridht. 


bon ſolchen wie amical, nasal, colossal 3. ®. find die Plurale auf — aux 
durchaus nicht verpönt und die auf — als keineswegs allein gebräuchlich. 
Ein vollftändiger Irrthum ift die Behauptung ©. 9, daß nur rögner 
im Yutur und Gonditionel fein & behalte: es gilt bies ja von allen 
Verben mit 6 im Stamm. ©. 14 ift flatt mu mäü zu lefen; bas 
S. 15 angeführte Partic. pi von paitre eriftirt nicht: Littroͤ führt 
allerting® pu an, aber nur als usit6 en fauconnerie,. 


U. Lefebüder. . 


Dr. 8. &üpfle. Franzoſiſche Chreſtomathie für die oberen Klafien von Gymna⸗ 
fin und anderen höheren Lebranftalten. Syſtematiſch geordnet und mit 
erläuternden Anmerkungen verfehen. Dritte Auflage. Heidelberg, Julius 
Groos, Berlag. 1873. XII u. 624 S. 5M. 

Der Verfaſſer bat Fein Handbuch der franzöſiſchen Literatur mit 
literargefchichtlichen Einleitungen zu den Autoren, von denen Proben 
mitgetheilt erben, geben wollen, ber äußerft umfangreiche Band ift 
lediglich auf die Lectüre felbft berechnet. In den beiden Theilen 
(I. Profa und II. Poefie), in die er zerfällt, find zahlreihe und um⸗ 
fänglide Stüde namhafter Schriftfteler ohne befondere Rüdficht auf 
deren Beitfolge in der Weife abgebrudt, baß fte ſyſtematiſch nach den 
verſchiedenen Stilarten und poetiſchen Gattungen georbnet find. Druck 
und Ausftattung find fehr gut. Der Inhalt ift rei, und auch viele 
nicht gerade Iandläufige Sachen find geboten. 

Ber der Auswahl ift beſonders auf Vermeidung alles irgenbivie 
Unftößigen Bebacht genommen worden. In dem poetifchen Theile finden 
fih nicht weniger ale vier ganze Dramen (Cid, Athalie, Misanthrope und 
Etienne’s les deux Gendres). — Die erläuternden Anmerkungen, 
welche der Herausgeber, theilweife in franzöſiſcher Sprache, beigegeben 
bat, gelten, in ſprachlicher Hinficht, mit Recht beſonders veralteten 
oder feltenen Ausbrüden, die Sacherläuterungen treten dagegen etivas 
zurüd, und der Herausgeber hätte bamit unſeres Erachtens vielleicht 
etwas freigebiger fein fünnen. Er bat fih abfichtlich befchränkt: jehr 
viele Seiten, auf benen es an erflärungsbebürftigen Namen nicht 
fehlt, entbehren jeglicher Anmerlung — das Nöthigſte jedoch ift immer: 
hin gefchehen. 

Dr. J. Baumgarten. Handbuch der Branzöflfhen Lectüre für Die oberen 
Klafien Höberer Löchterfhulen und PBenfionate. Zweite, umgearbeitete 
Auflage. Coblenz, Rud. Fried. Hergt. 1873. XIV u. 327 ©. 

Auch diefes Buh mil ausdrücklich ein wirkliches Lefebuch ohne 
literargefchichtliche Nebenziwede fein, es unterfcheidet fi von bem bor- 
befprochenen burch feine Beitimmung für höhere Mäbchenfchulen und 
durch geringeren Umfang. Die audgewählten Stüde franzöfifcher 
Profaiften (von Gedichten ift nur ein ganz Heiner Anhang gegeben; 
find nad den Stilarten georbnet und verdienen das Lob, daß fie 
zugleich gediegen und intereffant find, ſowie daß auch vieles nicht 
gerade am Wege Liegende darunter ift. Ebenfo find fie angemeflen 
ſchwer. — Beachtenswerth ift das Vorwort bes Herausgebers, welches 








Tranzdfischer Sprache Unterricht. 293 


fich in Betrachtungen über die Methodik der franzöſiſchen Leetüre er⸗ 
gebt, einen Gegenſtand, den Dr. Baumgarten bereits in Schmids 
Encyklopädie der Pädagogik abgehandelt hat. Dem Ernfte, mit wel⸗ 
dem er die Sache betrachtet, ift alle Anerfennung zu zollen, und feine 
Bemerkungen gegen cuxforifche Lertüre ſchwererer Stüde, gegen literar- 
geſchichtliche Vielwiſſerei in höheren Töchterfchulen und über bie ſprach⸗ 
liche Ausnutzung der Lectüre enthalten Bieles, dem man unbebingt 
zuftimmen muß. Im Ganzen aber ſcheint und Dr. Baumgarten in 
allen dieſen Punkten doch etwas zu weit zu gehn. Hinfichtlih ber 
ſprachlichen Ausnützung ber Lectüre verlangt er S. V befonders Unter: 
weifung in der Synonymik und ftelt S. IX den Gefichtöpunft auf: 
„Für die franzöfiiche Lectüre an allen deutſchen Schulen wird das 
Hauptziel nicht ethifche oder äfthetifche Bildung, ſondern vorzugsweiſe 
Kenntnißnahme der Sprache felbft (Onomatik, Synonymik, Syntar, 
Stilifik) fein müſſen.“ Wir vermifien bier, obſchon wir gern der ans 
gebeuteten Richtung ihr Necht Infien wollen, den entjchiebenen Hinweis 
darauf, daß das oberite Ziel jeder interpretation Doch das volle Ver⸗ 
ſtändniß bes Autors fein muß, aljo die Verfenfung in den Inhalt 
der Lectüre und die Ermittlung des Gedankenganges. Je ſchwerer 
aber der Stoff, defto mehr fällt dieſes Moment ins Gewicht, und befto 
weniger wird man Zeit finden, auch alle grammatifchen Gefichtöpunfte 
fortwährend mit gleihem Nachdruck zu betonen, aljo Dinge zu berück⸗ 
fihtigen, durch welche man mehr oder weniger von dem Autor jelbit 
abgelentt wird. Wir meinen, es Tann den Anfchein gewinnen, als 
ob Herr Baumgarten einer einfeitig grammatifchen Interpretation — 
dem ficherften Mittel, um den Schülern die franzöfifche Lectüre zu 
verleiden — das Wort reden wolle, während er doch gewiß dem 
oben ausgeiprochenen Hauptgefichtöpunft feine Zuftimmung nicht ver⸗ 
fagen wird. Allzuhart finden wir das über die franzöfiiche Poefie 
S. VO—VIH gefällte Urtbeil. Wir gehören auch nicht zu den einfeitigen 
Bewunderern der franzöfiichen Hajffifchen oder modernen Dichter und find 
gleichfalld der Anficht, daß die Poeſie nicht die ftarfe Seite ber neu⸗ 
franzöſiſchen Literatur ift, aber die Behauptung, daß „die neuere fran- 
zöfifche Poeſie in ihrer Geſammtheit überhaupt Teine ethifch bildende 
Lectüre für unfere Töchter fein kann“, finden wir doch nicht ganz 
gerecht, und eben fo wenig die Verurtheilung Corneilles und Racines, 
die Herr Baumgarten von allen deutihen Schulen abjolut verbannen 
will bis auf die Athalie. — Der Herausgeber bat fein Leſebuch auch 
mit deutſchen Anmerkungen ausgeftattet: häufig giebt er darin aller: 
dings nur Bocabeln, die man eben fo gut im Wörterbuch fuchen 
fönnte, doch liefert er des Defteren auch ſchätzenswerthe Beiträge zur 
Saderllärung (3. B. ©. 315). Etymologifche Kenntniß fcheint feine 
ftarle Seite allerding® nicht zu fein: repit von re und pitié abzu= 
leiten (S. 127) ftatt von respectus tft ein ſtarkes Stüd, das man 
auch unferen höheren Töchtern nicht bieten darf. Die ©. 258 von 
fesse-mathieu gegebene Erklärung ift wenigftens nicht ganz unbebent- 
lich und fiher. Bon der grammatifchen Genauigkeit des Herausgebers 





294 Franzöfifcier Sprach- Unterricht. 


iſt ferner die Anmerkung zu S.17: ‚Nach aussi (daher auch), à peine, peut- 

ötre, u. a. kann man dem Zeitwort noch das entfprechende perfönliche Pro⸗ 

nomen nachfolgen laſſen“, ein fchlechter Beweis. Verwerflich if ©. 1 

die Schreibung pelerin ftatt pelerin. Unter den Ausbrüden, bie laut 

©. 204 Anmertung als fehlerhaft ober ungebräudlich zu vermeiden 
find (nach Beſcherelle), befinden ſich manche, bei benen wir dies für 
das heutige Franzöſiſch entſchieden beftreiten: croisee, farceur, blaguer 
find zu alltäglich, al3 daß man an ihnen Anftoß zu nehmen braudıte, 
vollends fläner und fläneur (der accent darf nicht fehlen): letzteres 

Wort lieft man glei S. 210. Zu der Regel Über den Gebrauch 

der Negation bei oser (©. 228 Anm. 2) ftimmt nicht das Beiſpiel 

©. 275 mais je n’ose. „Präſenz“ &. 284 Anmerkung ift hoffent⸗ 
lich nur Druckfehler. 

Recueil de lettres & l’'usage des jeunes filles. Sammlung Franzoſiſcher 
Briefe zum Gebraud beim linterricht junger Mädchen von 12—15 Jahren. 
Seraudgegeben von einer Lehrerin. Hannover, Helwing'ſche Hofbudhhands 
fung. 1874. XII u. 1426, 

Mir können uns ber vorgebrudten, von Dr. Mertend ausge⸗ 
ſprochenen Empfehlung des Büchleind unbedingt anſchließen. Briefe 
in gutem Driginalfrangöfifch und boch dem Gefichtöfreid junger Mäb- 
chen durchaus angemefjen, babei alle möglichen Vorgänge und Ber- 
bältnifje des alltäglichen Lebens berührend und fomit reich an ben 
verfchiedenften Wendungen und Uusbrüden, bürfen wir als ein vor⸗ 
treffliches Hülfsmittel für den franzöſiſchen Unterricht in Töchterichulen 
anerlennen. Das Buch ift für ben Lehrer zur Benubung beftimmt, 
ber hiernach Briefthemata aufgeben und durch vorhergehende ober 
ae Borlefung des Mufterbriefes feine Schülerinnen ans 
eiten ſoll. 


IL Vebungsbüder. 


SH. Breitinger, Profeflor an ter thurgauiihen Kantoneſchule. Franzöſiſche 
Briefe. Zum Rücküberſetzen aus den Deutfchen in das Kranzöflfcke bes 
arbeitet. Zürich, Friedrich Schultheß. 1874. 112 ©. 1,20 M. 

Die Sammlung enthält theils Driginalbriefe mannicfaltigen 
Inhalts, unter denen namentlich die des Marſchalls Saint-Arnaud, 
Berangerd und der George Sand großes Intereſſe gewähren, theils 
fingirte, fämmtlich aus dem franzöfischen Texte in gutes Deutich über⸗ 
tragen und mit ben zum Ueberſetzen nöthigen franzöfifhen Bocabeln 
Seite für Seite verfehen. In einem Anhang find franzöfifche Brief⸗ 
ſchlüſſe zufammengeftelt. Die Briefe werben nicht nur zum mündlichen 
Meberjegen in ber Klaſſe trefflih zu verwenden fein, fonbern unbebenf= 
lich auch zu fchriftlichen Weberjegungen zu Haus, da die franzöfiiden 
Texte ber meiften Briefe den Schülern gewiß nur ſchwer zugänglich 
find. — Nur einige Kleinigkeiten haben mir zu rügen: Der Ausprud 
©. 41: „man bat mir ben Willen nicht” if unverfländlihd und 
mindeftend nicht gemeinfchriftdeutfh, wir würden das franzöfifche: 
Yon n’est port6 pour moi d’aucune bonne volonte vielleicht durch: 








Tranzöfiicher Sprach- Unterricht. 295 


„man iſt mir nicht günſtig geſinnt“ oder ‚man will mir nicht wohl’ 
überjeht haben. — Das Wort „‚Rebactor” (3. 8.5.62) iſt ungebräuchlich, 
man fagt allgemein „Redacteur“; „Schnuppen” ©. 71 (dad auch in 
einem der folgenden Hefichen vorkommt) ift Teine gute Form; un⸗ 
beutfch find die Wendungen: S. 84 „Sorge tragen zu” (flatt für) 
und „meine Uniform geht mir gut” (ftatt ſitzt, paßt, ſteht). S. 83 
liegt eine Unklarheit vor: es wird von einer Mahlzeit um 4 Uhr ber 
Ausdrud „zu Abend eſſen“ und von einer noch darauffolgenden um 
8 Uhr „zu Nacht eflen” gebraucht; wenn erfteres, wie angegeben, mit 
souper überjettt werben fol (und das diner um 12 Uhr ift ſchon ab⸗ 
gemadt), dann fehlt e3 ung an einem Wort für die letzte Mahlzeit. 
H. Breitinger. Die Charalterprobe, Schaufpiel von Emile Augier und Jules 

Sandesu. — Ein Polizeifal, Lußfpiel von Edmond About. Zum Rüde 

überfegen aus dem Deutſchen in das Kranzöfifche bearbeitet. Zürih, Fr. 

Schultheß. 1874. 109 S. 120 M. 

Die Uebungen, denen auch vorliegendes Büchlein mit franzöfiichen 
Bocabeln unter dem Texte dienen fol, halten wir für außerordentlich 
wichtig und nützlich; nur wirb es fich bei diefen Stüden mehr em= 
pfebhlen, fie bloß mündlich vetroverticen zu lafien, da für bie jchriftliche 
Ueberfegung bie franzöfiichen Originale zu leicht Seitens der Schüler 
zu beichaffen find. 

In der Veberjegung bat Herr Breitinger an vielen Stellen einen 
beutfchen Ausbrud, der ganz und gar nicht mehr nad) der franzöfi- 
chen Phrafe ſchmeckt, fo gefchidt zu wählen verftanden, daß e3 und 
doppelt auffällt, wenn wir bei einer ganzen Reihe anderer Stellen 
auf abjolut unbeutfche Wendungen ftoßen. So leſen wir ©. 4: „Er 
dauerte feit ziemlich Ianger Zeit“ (von einer Perfon); „du machſt ba 
einen. Verluſt“; S. 11: „ed Ihnen zu beſtellen“ (ftatt bei Ihnen“); 
S. 17: „Verlangt die fragliche Angelegenheit ein Geheimniß..?“; 
©. 43: „brodirend“; S. 80: „man iſt beſſer, als hier“, S. 83: „bes 
ſobenannte“ (le nommé, ſtatt „ein gewiſſer“); ©. 85 und öfter: „Ma= 
giftrat” (ftatt „richterlicher Beamter”), S. 90: „Die gnädige Frau ift 
bedient.” Wir müflen gegen die Anwendung berartiger Gallicismen 
entjchieden proteftiren, jelbft wenn der eine oder andere in das Schweizer⸗ 
deutſch eingedrungen fein jollte, welches am allerwenigften in biejer 
Hinfiht maßgebend fein darf. 

Einen echt allemanniſchen Ausbrud wie S. 31 - „Kunbfame” 
(elientöle) wollen wir und eher gefallen laſſen, obſchon er fo gut wie 
„Hinterlage“ (depöt) S. 33 im Converfationgftil befler vermieden 
würde. Statt „Gantbeamter“ ift „Auctionator“ wohl gebräuchlicher 
(S. 84). Benn zu S. 109 Anmerkung 12 ber frangöfifche Tert 
serrer bietet, dann ift bie Ueberjegung „Alfred die Hand reichend” 
falſch und es muß „vrüdend‘ beißen. 

8. Beeitinger. Das Dorf, von DOctave Feuillet. — Scenen aus den Luft- 
pielen Bictorien Sardou's. — Das gute Hera, von Berquin. Zum Rüds 


berfegen aus dem Deutſchen in das Kranzofifche bearbeitet. Fürich, Fr. 
Säulihei. 1974. 96 ©. 1M. Franzofiſch Zůrich, 5 





296 Stanzdfiiher Sprach⸗Unterricht. 


Der Herausgeber bat auch hierin gefchidt gewählt. Die zu dem 
vorbefprochenen Hefte gemachten allgemeinen Bemerkungen gelten aud 
von biefem. Hier bat Herr Breitinger bei den unvollftändig über- 
fegten Stüden den Zuſammenhang anzubeuten nicht verabfäumt und 
auch in den Anmerkungen bier und da ein erläuterndes Wort paflen- 
der Weile angebradt. — Mit einigen Ausftellungen wollen wir nicht 
zurüdbalten: es beißt beutfch „Rum,” nicht „Rhum“ wie ©. 11; ber 
Ausruf S. 26. „Dame!“ ift nicht deutſch, fondern franzöſiſch (dame!); 
„befrägt zerftreut einen Kalender“ ©. 31 ift gleichfalls ein Gallicis⸗ 
mus. S. 47 fähen wir ftatt der Wendung: „Mit dem fpringt man 
nicht fehr weit“ lieber das üblichere: „Damit Tann man feine großen 
Sprünge machen.” Der Ueberjeter haftet doch an anderen Stellen 
nicht fo ängftlih am franzöſiſchen Terte: man vergl. z. B. ©. 15: 
„Zum Teufel ift der Spiritus, das Phlegma ift geblieben,” durch 
welches Schilleriche Citat bie franzöfifchen Worte: „je me suis dteint, 
je me suis racorni“ (niit raccorni) Fühn wiebergegeben werben. Eine 
falſche Wortform ift ©. 70 „anneriren,” es beißt „annectiren.” 
„Meiſter“ ftatt „Dienſtherr“, „Herr“ S. 93. 96 und öfter ift wieder 
ein Gallicismus (maitre); das ſchwache Partic. „entgleitet“ S. 88 
feine gute Form; „Lehrerkonvent“ S. 75 meniger gebräuchlich als 
„zehrerconferenz” oder „Lehrerſynode.“ Die ©. 40 zu chaurin ge- 
gebene Erklärung ift ungutreffend: die bonapartiftiiche Gefinnung ift 
in dem Begriff, wie er fich weiter entwidelt bat, durchaus nicht mehr 
das Wefentliche. — 





IX. Engliſcher Sprach - Unterricht. 


Bearbeitet 


bon 


Dr. Otto Knauer, 
Oberlehrer am Nikolaigymnaſium in Leipzig. 


\) 


Wir Haben die und zur Beiprechung vorliegenden Schriften in 
Grammatiken, Uebungsbücher und Geſprächsbücher einzutheilen. 





I. Grammatiken. 


Die drei zu beſprechenden Bücher ſind alle für die Elementarſtufe 
beſtimmt und zugleich mit als Uebungsbücher eingerichtet. 

D. Ratorp, Oberlehrer in Mülheim a. d. R. Xehr- und Nebungebug für den 
Unterricht in der englifchen Sprache auf der Tertia der Real⸗ und Bürger: 
fhule. Jena, Mauke's Berlag. 1874. VIII u. 181 © 1,50 M. 

Wie der Titel bejagt, hat Herr Natorp ein Hülfsmiitel für bie 
erfien zwei Jahre englifchen Unterrichts an preußiſchen Realſchulen 
liefern wollen; er bat zu dieſem Zwecke eine foftematifche Grammatit 
vorausgeſchickt, die in gebrängter Darftellung, aber überfidhtlih und 
alles Wefentliche umfaſſend, die Formenlehre, einige Hauptpunfte ber 

Syntar, die Wortftelung und einiges Synonymifche enthält und an 

der wir aud eine von richtigen wiſſenſchaftlicher Gefichtöpunften aus⸗ 

gehende Behandlung zu rühmen nicht umhin Tönnen (beim Verbum 
wird 3. D. ſtarke und Schwache Conjugation unterfchieben). An diefe 

Grammatif reiht ſich ein in vier Abfchnitte (davon drei für das erfte, 

einer für das zweite Jahr) getbeiltes Uebungsbuch, deſſen erfter Ab- 

fchnitt der Ausfprache gewidmet ift, Während die übrigen Leſeſtücke 
und Webungsbeifpiele untermifcht enthalten und zunächit auf methodiſche, 
dann auf ſyſtematiſche Einübung der Grammatik, endlich auf Repetition 
derjelben berechnet find, mit ftetem Hinweis auf die betreffenden 

Paragraphen des ſyſtematiſchen Ganzen und Fingerzeigen für praltifche 

Mebungen im Gonjugiren und bergl. 

Im zweiten Abſchnitt find die Vocabeln den einzelnen Lefeftüden 
angehängt, für den dritten und bierten finden fie ſich in zwei alphabe- 
tischen Gloffaren am Ende. — Wir finden an biefem Uebungsbuche 





298 Englifher Sprach-Unterricht. 


einmal die Behandlung ber Ausſprache nicht ganz tadellos: der ihr 
gewibmete Abfchnitt ift in vielen Punkten etwas bürftig, recht ein- 
gehend ift eigentlih nur th abgehandelt, bafür vermiflen wir u. A. 
jegliche Erwähnung ber Quetfhung von co, s, sc in unbetonten Silben 
vor Doppelvocalen und der eigenthümlichen Ausipradhe bes t vor 
unbetontem u, ferner die Ausſprache bes gh wie f, gewiß ganz noth⸗ 
wendige Dinge. Auch empfinden wir es als einen Mangel, daß die 
Bocaheln im Text wie im Glofiar ſtets ohne Ausſprachebezeichnung 
ſtehen, die dfters beigefügte Angabe des Tonfilbe genügt doch wicht 
immer. — Der zweite Abjchnitt enthält Heine Lejeftäde (Anechoten u. 
berg.) nebſt daraus abgeleiteten deutfchen Hebungsbeifpielen ; im britten 
ift in derſelben Weife die Gefchichte von Robert Bruce aus den Tales 
of a Grandfather verwertbet und im vierten eine Geichichte bes 
beutfch = frangöfiichen Kriegs von 1870/71 nad den Berichten der 
Daily News. 

Der gebotene Stoff ift alſo intereffant und mannidfaltig und 
zeigt angemefienen Fortjchritt vom Leichteren zum Schtwereren. Dabei 
haben wir e3 mit gutem Engliſch, wenn auch ausſchließlich hiſtoriſchem 
Stil, zu thun. Auch das Englifch, in weldem wir uns bie deutichen 
Uebungsſätze zu denlen haben, ift gut, deſto fchlechter aber dafür die 
beutiche Form, in meldder mande auftreten, und fo bequem auch da⸗ 
durch die Ueberfegung in's Engliſche gemacht wird, fo verbient doch 
biefer Punkt ernftlich gerügt zu werden. Sätze wie: "Aber Bruce follte nicht 
ben heiligen Charakter einer Kirche vergefien haben (©. 69); Es 
war damals, dab fowohl Schottland als Irland Theile desfelben 
Reichs mit England wurden’ (©. 88); “Diejenigen, welche fonft etwas 
nöthig haben, mögen es gleich beforgen, daß wir nicht während ber 
Stunde geftört werden mögen (©. 91); "Um die Mitte December 
war die Taube [dahin] gelommen, in Paris als ein beiliger Vogel 
betrachtet zu werden’ (S. 129i, follten in einem deutſchen Schulbuche 
nicht gedruckt ftehen, die Gefahr, daß ver beutiche Stil der Schüler 
darunter leidet, liegt nur zu nabe. 


George Boyle, Docent an der Berliner Afademie für moderne Philologle, 
und früher Profeſſor der neueren Sprachen an der Royal Belfast Acade- 
micai Institution. Glementarfurins ter Englifhen Sprache und Anleirung 

um (ngliih» Spreden. Berlin. 1874. Berlag von %. Henſchel. 

vu. 228 ©. 2,40 M. 

Sn den von Deutichen gefchriebenen englischen Elementargramma» 
tifen genügen dem Berfafler (Vorwort ©. IV ff.) die Belege für die 
Regeln nicht, weil fie vielfach veraltete oder unenglifche Wörter und 
Wendungen enthielten — ein Borwurf, ben er zwar mit zablveichen 
Beifpielen aus ungenannten Quellen: ftüßt, der aber doch gewiß nicht 
allen engliihen Slementarbüdern zu machen ift. Sein Beitreben in 
dem vorliegenden Buche geht daher beſonders dahin, wirklich das gute 
moderne English ber feinen Umgangsſprache zu lehren, und wir ftehen 
nit an, in diefem Punkte feinem Elementarkurſus volles Lob zu 
fpenden. Beraltetes oder Poetifches tft forgfam geſondert, aber in recht 





Englischer Sprad-Unterridt. 299 


danlenswerther Weiſe vielfach durch Belege in den Anmerfungen bes 
glaubigt; auch werden die Mufterjäge bald fo intereflant und geſchmack⸗ 
voll, als es fich verlangen läßt. Eine befondere Tabelle ift verwandten 
oder ähnlichen Ausdrücken ber engliichen und der franzöfiihen Sprache 
gewibmet, in beren Gebrauch beide weſentlich auseinandergehen; und 
em überaus reichhaltiges engliſch⸗ deutſches Vocabularium (nach Materien 
georbnet) ſammt einer Auswahl Anglictsmen und gebräuchlicher Sprich⸗ 
wörter angehangen; ja ſelbſt an einer alphabetiichen Liſte wichtiger 
Eigennamen mit Ausfprachebezeichnung fehlt eö nicht. Weniger Löb- 
lich, obſchon vielleicht entſchuldbar ift dad Vorkommen vericdiebener 
Anglicismen und undeutihen Ausbrüde im beutihen Terte: fo z.B. 
©. 17 „der unerfahrene Student” (Statt „Schüler ); ©. 33 der Ge⸗ 
brauch des Worie⸗ „Jungfer“ zur Ueberſetzung von girl; auch „Kehl⸗ 
ſucht“ (für „Eroup‘‘) S. 60, „Imbecillität“ S. 164, „Duinin” ftatt 
„Chinin“ ©. 175, „Slavierbod” ©. 178; „Frachtwagen“ ftatt „Güter- 
wagen” (auf ber Eilenbahn) S. 181 find ungewöhnliche Wörter. 
MWäre dies aber nur das Einzige, was wir zu tabeln finden! 

Doch unſres Erachtens giebt der Verfaffer fchon bei der Aus- 
Sprache an Ausnahmebeiipielen allzuviel, während er das th ganz 
ungenügend behandelt und in der Lehre von der Betonung auf bie 
verſchiedenen Tonftufen nicht genügende Rüdficht nimmt, ja der Quet⸗ 
fhung von s und sc in unbetonten Silben überhaupt gar nicht ge⸗ 
denkt. Auch erweiſt es ſich an mandgen Stellen als mißlich, daß die Aus⸗ 
ſprache nicht durchweg vollftändig bezeichnet ift. Ganz verunglüdt, obſchon 
gewifiermaßen anerkennenswerth, ift der Verſuch (S. 18 ff.), die engliſchen 
Sonfonanten mit den deutfchen in verwandten Wörtern zu vergleichen: 
ohne Eingehen auf das Gejeh der Lautverjchiebung (wozu ein Elementar- 
furjus gewiß nicht der Platz ift) läßt ſich das nicht genügend darlegen, 
man fommt dann leicht zu jo fchiefen Ausbrüden, wie fie Herr Boyle 
braucht: „das ſſ oder ß in der Mitte und 3 oder B am Ende der 
meiften beutichen Wörter werben im Englifchen durch t oder th er= 
ſetzt“; „das z am Anfang oder am Ende eines Wortes oder einer 
Silbe wird im Englifhen zum t; ‚nad dem p verfchwindet f 
in engliſchen Wörtern” u. dergl. Wenn auch der PVerfafler damit 
bloß einen orthographiſchen Fingerzeig zu geben beabfichtigt, fo können 
doch durch feine Bemerkungen falfche Anſchauungen wachgerufen werben, 
die dann ſchwer mieder zu befeitigen find. Desgleichen leidet ber 
Berfuch einer Wortbildungslehre (S. 21ff.) an einer nicht überall 
zutreffenden Ausdrudsmeife. Befremdlicher noch ift e3, wenn bei ganz 
einfachen grammatiſchen Erſcheinungen der Verfaſſer nicht zu einer 
Haren und präciien Faſſung der Regel hat gelangen lünnen: ©. 55 
ift zu viel behauptet, wo es heißt, baß die meiften Fiſchnamen im 
Bluzal unverändert bleiben (ſ. Mahner 12 252); 8 1 in Lection 24 
(S. 91) ift unklar gefaßt, wo es fih um ben Gebrauch des unbe» 
ſimmten Artikels im distribuiven Sinne handelt, und was ſoll man 
vollends zu der Bemerkung ſagen: „Im Engliſchen, ſo wie in den 
meiſten anderen Sprachen, werden folgende Adjectiva unregel⸗ 


300 Englischer Sprad-Unterricht. 


mäßig gefteigert: good etc.” (S. 104)? Die Brebiloquenz muß doch 
auch ihre Schranken haben. Sa, bei Erwähnung ber Gonftruction des 
Accus. co. Infin. beißt es fehr laconiſch S. 116: „Na Verben wie 
make 2. ... finden wir fehr häufig in ber engliihen Sprache (theil⸗ 
weife auch im Deutichen) den Accuſativ vor dem Infinitiv.“ 
Das fol dem Schüler biefe Conftruction erläutern! — Daß ber Ber- 
faſſer den Unterſchied von ftarfer und ſchwacher Conjugation nicht 
Iennt, bat er leider mit den Berfaflern vieler andern englifchen Elementar= 
grammatiden gemein, doch macht er aud nicht einmal den Verſuch, 
nad äußerer Uehnlichkeit in der Bilbung die Zeitwörter in gewifle 
Gruppen zu theilen, fondern giebt fie nur alphabetifh unter ben 
üblichen drei großen Rubrifen. Die Erflärung der Conjunctivformen, 
als feien fie bloß ſcheinbar vorhanden und berubten auf einfacher 
Eliipfe der Conbitionalformen, ift ſehr gewagt und gerabezu uns 
hiſtoriſch! — Wo es ſich dagegen um bloße tabellarifhe Verzeichnung 
von Beilpielen banbelt, wie bei der Zufammenftellung ber mobilen 
Subitantiva (S. 139 ff.), der pluralia tantum (S. 141) oder ber 
Fremdwörter mit ausländifcher Pluralbildung (S. 143) — dba freut 
man ſich über die Vollftändigfeit der Angaben. So ift aud ber ſyn⸗ 
taktiſche Unterſchied zwischen Imperfect und Perfect genau firirt (S. 
63—64). — Die angefügten zwei Sloffare von zufammen 4 Seiten 
folen nur eine Ergänzung zu den in ben Lectionen erlernten Bocabeln 
bilden und find erft nach dem Drud hinzugelommen. 

Kurz: bei aller Anerlennung der praltifchen Seite bes Buches müfſen 
wir doch ausſprechen, daß bie theoretifche, trot verſchiedener wohlge⸗ 
meinten Anläufe, viel zu wünſchen übrig läßt, und daß Herr Boyle 
durhaus noch Fein vollendetes Wufter einer engliihen Elementar— 
grammatif geliefert hat. 


Dr. Emil Otto, Lector der neueren Spraden an der Univerfität Heidelberg. 
Kleine Engliſche Sprachlehre für Anfänger, befonders für untere Klafjen 
von höheren Bürger- und Töchterfhulen. Nah dem Plane der „Kleinen 
Kranzöflihen Sprachlehre“ und der „Converſations⸗Grammatik“ bearbeitet, 
Zweite, verbeflerte Auflage. Heidelberg, Zulius Groos, Verlag. 1874. 
X u. 170 S. 160 M. 


Die abgehandelten Hauptpunlte der Formenlehre find in Lectionen 
eingetheilt, und einer jeden find englifche und deutſche Uebungsſätze 
mit vorangeichidten Vocabeln beigegeben; eine Ausfprachelehre eröffnet 
das Ganze; ben Befchluß bilden, nach einigen vermifchten Aufgaben 
zum MWeberfegen ind Engliſche, einer alphabetifchen Tabelle der un= 
regelmäßigen Zeitwörter und einem Berzeihniß gebräuchlicher Ab- 
fürzungen und Contractionen, ein Tleines, nad) Materien geordnetes 
Bocabularium, eine Sammlung alltäglicher Phrafen und einige von 
Vocabeln begleitete leichte Leſeſtücke im Anhang. 

Der gelammte praftiiche Theil fcheint uns mit Gefhid und zwec⸗ 
mäßig zufammengeftellt zu fein. Dagegen befriedigt und auch bier der 
theoretifche Theil nur wenig. 

AUbgefeben von der Anwendung deutſcher Transfcription zur Aus 





Englischer Sprach-Unterricht. 301 


Iprachebezeichnung, die wir nicht befonders Lieben, fcheint ung bie Aus- 
fprachetbeorie bes Verfaſſers einigermaßen ungenügend: weder das 
über s ©. 5, noch das über th S. 7 Gefagte ift ausreichend, befremb- 
lih aber ebenda bie Bezeichnung von w al vu, uv fommt bem 
Laute doch fiherlih näher. Mangel an Weberficht verräth fi, wenn 
©. 6 bei gh Fälle wie though, through unberüdfichtigt geblieben find, 
während fie S. 11 unter den flummen Buchſtaben bejonbere Er- 
wähnung finden, oder wenn die Ausſprache von sch zweimal (S. 6 
unter ch und ©. 7) befprocdhen wird. Nicht ungeſchickt find bingegen 
bie Regeln über die Betonung S. 12—13 gegeben. — Unangenehm 
bat ung die durchgeführte Anwendung deutfcher termini berührt: ein 
Ausdrud wie „Weſſenfall“ S. 21 ift abſcheulich, und was foll man 
fih unter „Beitimmungswörtern” denken, worunter der Berfafler die 
adjectiviſchen Demonjtrativa, Sfnterrogativa und Bofleffiva und — bie 
Zahlwörter rechnet? (5. 48). Nur die Ausbrüde „neutral ober in» 
tranfitiv hat Herr Dtto nicht zu umgehen gewußt. — Ferner hat 
fih aus der franzöfifhen Grammatit gang unbefugter Weife ber 
Theilungsſinn eingeichlichen (S. 26): die den frangöfifchen Theilungs- 
artifel erſetzenden nadten Subftantivformen bedürfen in ber englischen 
Grammatik fo wenig wie in der deutfchen eine befondere Behandlung, 
mag auch im Englifhen some hinzutreten. 

Einer Reminiscenz aus der franzöfiichen Grammatik ift wohl auch 
die Hegel ©. 47 zu verbanten: „Nach if (wenn) fteht im Engliſchen 
nicht das Conditional, fonbern das Imperfect oder Pluperfect”; 
warum fonft nit einfach: „nach if folgt bald Indicativ, bald Con⸗ 
junctiv“? — Außerdem nehmen mir bejonder® Anftoß an mangel- 
bafter Formulirung verfchiebener Regeln und an der höchſt ver» 
worrenen Bertheilung bes Stoffe. 

Was fol man aus der Regel S. 32 maden: „Im Englifchen 
giebt e3 nur zwei wirkliche Geichlechter, nämlich männlich und weiblich, 
jedoch nur für lebende Weſen. Den Ieblofen Weſen wird fein Ge 
Schlecht zugefchrieben, doch kann man fie — zum Unterfchieb von den 
lebenden Weſen — ſächlich nennen.““ Die erite Hälfte könnte zu 
bem Ölauben verleiten, e8 gäbe anderwärts brei oder vier „wirkliche“ 
Geſchlechter; auch ſcheint Herr Dito ganz vergeffen zu haben, was 
neutrum eigentlich bebeutet. — ©. 66 beißt ed: „Die gebräud» 
Lihften Namen der Welttheile unb Länder find: Europe, Asia, 
Germany 2c. Dem gegenüber fühlt man ſich zu der ergebeniten An- 
frage verfucht, wie denn die weniger gebräuchlichen Namen ber- 
felben Länder lauten? — ©. 83 hat der Verfaffer von dem PBerfonal- 
pronomen geſprochen und fährt in $ 3 fort: „Einige diefer Fürwörter 
nehmen, wenn im Deutichen „ſelbſt“ dabei fteht, das Wörtchen self, 
pi. selves zu fi; die übrigen ergänzen ſich durch die possessive 
adjectives my, thy etc.” Welche übrigen? Das iſt doch die Un- 
Harbeit in höchſter Potenz! — Nach ©. 113 regieren die Präpofitionen 
feinen bejonderen Caſus; es heißt aber gleich weiter: „wenn fie jedoch 
vor perfönlide, fragende und bezügliche Fürwörter zu ſtehen Tommen, 


802 Engtifher Sprach-Unterricht. 


fo müflen biefe im Accuſativ ſtehen.“ Eben aus lehteren Fällen wird 
man erkennen, daß fie den Accuſativ regieren. — ©. 21 iſt beim 
sächfiicden Genitiv die Woranftellung nicht betont, bied wird erſt 
©. 31 gelegentlich bei ber Declination der Eigennamen nachgeholt. — 
Die Umftänblichleit, mit welcher bie Declination jeder einzelnen Art 
von Subftantiven beſonders abgehandelt wird, iſt lächerlich: S. 21 ff. 
bie der Appellativa, S. 30 bie ber Berfonennamen, ©. 65 ber Länder⸗ 
namen, ©. 67 ber Flußnamen! Wir bädhten, ‘die englifche Declination 
wäre einfach genug, um Alles zufammen in einem Abfchnitt mit wenig 
Worten abzumachen. Die Hinzufügung oder Weglafiung bed Artilels 
ift dann ein zweiter kurz zu erörteenver Punkt. Eben fo breit, doch 
mit etwas mehr Recht, ift beim Verbum die Conjugation jeder einzelnen 
Ericheinungsform beſonders beiprochen (tranfttive, intranfitive, mebiale, 
veflerive, unperjönlicde Verba). Was tft ferner von einer Anordnung 
zu balten, wonach ©. 69 bereits Yuturum und Gonbitionale praftifch 
gebildet werden und ©. 79 erft I shall und I will zur Erlernung 
fommen? Was nübt ed und, wenn zwar ©. 68 ber Begriff „Stark 
und ſchwach“ auftaucht, aber jofort wieder verſchwindet, u. S. 120 bie 
geſammten fogenannten unregelmäßigen Beitwörter in einen Topf ges 
morfen werben, ſchwache und ftarte? Die Klafjeneintheilung berjelben 
ift noch überdies ziemlich verfehlt. Was fol beat unter den Zeit⸗ 
mörtern mit ganz gleihen Stammformen (S. 121)? Wie können 
weep und get, sit in biefelbe Klafje fommen (S. 125), zumal ba get 
fpäter in einer anderen Klaffe unter wirklich ftarfen Verben (S. 131) 
auftritt? Wie kann man fo gedankenlos fein zu fohreiben (S. 133): 
„Zehnte Klaſſe. Solche Zeitwörter, welche im Imperfect den Stamm: 
laut in ew und im Particip in o verwandeln und n annehmen; 
3.8. to know... Iknow... Iknew. . known? Wir willen 
recht gut, daß eine zugleich wohlbegründete und praktiſche Klaffenein- 
theilung ber fogenannten unregelmäßigen Berba feine ganz leichte 
Sache ift, aber mit etwas weniger Ungefchid als in biefem Buche läßt 
fie ſich doch erzielen. 

In summa: Weitjchweifigfeit, mangelhafte Anordnung, Unllar⸗ 
heit in manchen Regeln und manches Aeußerliche gereichen dem Buche 
nicht zu befonberer Empfehlung und find Mängel, bie durch Borzüge 
des praftifchen Theiles nicht aufgewogen werben können. 


II. Hebungsbüder. 


Dr. Emil Dtto. Materialien zum Ueberſetzen in's Englifhe für vorgerüdtere 
Schüler. Ein Supplement zu re engliften Grammatik. Heidelberg. 
Julius Groos, Verlag. 1874. u. 171 S. 1,60 M. 


Mit Vergnügen bezeichnen wir dieſes Buch als ein recht brauch⸗ 
bares Unterrichtsmittel und als eine im Ganzen wohldurchdachte und 
ſorgſame Leiſtung. Eine Heine Anzahl von Druckfehlern laſſen fich 
leicht berichtigen. Wir finden eine große Anzahl zuſammenhängender 
Stücke von fortſchreitender, aber über ein mittleres Maß nicht hinaus⸗ 








Englifcher Sprac-Unterricht. 303 


gehender Schwierigleit, bei denen allerdings ber erzählende Stil bei 
weitem überwiegt: nur einer der ſechs Abfchnitte enthält Befchreibungen, 
die übrigen Anechoten, Fabeln, „Charakterzüge“, Tleine Geſchichten, 
Parabeln, Märchen und Erzählungen. Der Inhalt ift dem Kindes⸗ 
alter angemeffen. Jedem Stüd ift die nötbige Präparation an 
Bocabeln in Inapper Form beigegeben, außerdem aber ein ziemlich 
ausreichendes deutſch⸗engliſches Gloſſar angehaugen. Eine große Zahl 
ber Stüde ſoll zugleich als Converfationäftoff dienen, zu welchem 
alt eine Reihe deutich formulixter Fragen ſich dann jedesmal an- 
i 

Ein Bedenken möchten wir nur geltend machen: die abgedruckten 
Geſchichten, für welche der Herausgeber ſich ausdrücklich das Ueber⸗ 
ſetzungsrecht vorbehält, ſind zum Theil ſehr bekannt, und zwar manche 
uns auch in engliſcher Sprache bekannt, ja ſogar in viel benutzten 
engliſchen Leſebüchern und dergl. für deutſche Schüler gedruckt zu 
finden. Wir wollen 3. B. auf die Anecdoten Nr. 46, 48, 52 ver⸗ 
weiten. Diejer Umftand Tann unbequem werben und macht den er⸗ 
mwähnten Rechtsvorbehalt theilweife illuſoriſch. — Die Gefchichte ‚Der 
Wiedertäufer” (S. 108) beginnt mit den Worten: „In dem lebten 
Kriege Deutfchlands” und wird alfo auf den Srieg von 1870/71 be 
zogen werben; fol fie, wie wahrſcheinlich, auf eine andere Zeit ſich 
beziehen, dann wäre eine Tleine Abänderung des Textes nöthig geweſen. 
Dr. 5. Th. Traut. Erſtes Englifches Leſe⸗ und Ueberſetzungsbuch. Mit 

Bocabeln zu jedem Städt und einem Wörterbuch nebft Derelönung der 

Ausiprache. Leipzig. Verlag von Guſtav Körner. 1874. VIII u. 195 ©. 

(Brei8 2 Mar). 

Vorkiegendes Buch, welches ſich an bie „Grundzüge ber Onglifchen 
Grammatik“ von demſelben Verfaſſer anſchließen will, enthält nächft 
einem Schlüfiel zur Ausfprachebezeichnung englifche und deutſche Stüde 
zum Weberfegen in buntem Wechfel, dazu auch alles Weitere, was ber 
Titel verbeißt. Die Stüde find theils Fabeln und Anechoten, theils 
Erzählungen, theils naturtiffenfchaftlihen und geographiſchen In⸗ 
halts. — Man ſollte meinen, die Herſtellung eines derartigen Hülfs⸗ 
buchs ſei keine beſonders ſchwierige Aufgabe: gilt es doch bloß, eine 
pafſende Auswahl von Stücken zu treffen und die nöthigen Vocabeln 
mit Fleiß und Genauigkeit zuſammenzuſtellen; Eignes kann man kaum 
dabei geben, man müßte denn die deutſchen Stücke ſelbſt erſt aus 
bem Englifchen überjegen und alfo wenigſtens feine Ueberſetzungskunſt 
dabei an den Tag legen. Herr Traut hat erſteres anfcheinend aller- 
dings gethan, lehtere aber bei dieſer Gelegenheit an verjchiedenen 
Stellen in einem menig vortheilhaften Lichte gezeigt. Man Iefe und 
flaune: S. 99 werden die Worte des englifchen Tertes: These wounds 
put you into a fine rage, partly from the insidious manner in 
which they have been inflicted überfegt mit: „Diefe Wunden 
fegen dich natürlih in Wuth, zum Theil wegen ber Hinterliftigen 
Weile, wie fie bir bie Wunde beigebradt haben.“ Bon 
ben Mosguitos ift nur im Singular die Rede getvefen. In bemfelben 


304 


Englifher Sprad-Unterridit. 


Stüd if at his leisure (mit Muße, gemächlich) dur „in feiner 


Mußezeit‘‘ überjekt. 


Die Worte Macaulays in der History of England (I. 366 ff. 
der Tauchnitz⸗ Ausgabe) und die Ueberſetzung des Herren Traut dazu 
(6. 129 ff.) bieten Anlaß zu folgenden intereflanten Gegenüber- 


Rellungen: 

It was by the highways that 
botb travellers and goods 
generaliy passed from place 
to place. 

Every parish was bound to re- 
pair the highways which pas- 
sed through it. 

These strong and patient beasts, 
the breed of which is now 
extinct, were attended by a 
class of men who seem to 
have borne much resemblance 
to the Spanish muleteers. 


A coach and six is in our 
time never seen, except as 
part of some pageant. 


„Es geſchah (ar) durch bie 
Landftraßen, welde Reifende 
und Güter gewöbnlid von Drt 
zu Ort bradten.“ 

„Jedes Kirchſpiel war verpflid- 
tet, die Landſtraßen auszubeflern, 
welde begangen wurden.” 

„Diefe ftarlen und gebulbigen 
Thiere, deren Geſchlecht jebt aus⸗ 
gegangen iſt, mwurben von einer 
Klaſſe von Menſchen geführt, 
welche Aehnlichkeit mit ben 
fpanifhden Maultbieren ge= 
habt zu haben fcheinen.‘ 

„Sehsjpännig bat man 
in unferer Beit niemals ge— 
jehben, ausgenommen bei einem 


Prachtaufzuge.“ 

Dem entſprechend ſteht unter den Vocabeln: „begehen, to 
through”; „Maulthier, muletoer“. Sollte man ſolchen Unfinn fü für 
möglich halten? Daß ber Verfaffer außer Stande fei, biefe englifhen 
Stellen richtig zu verftehen, läßt fi doch kaum annehmen, er hat 
offenbar nur eilfertig und gedankenlos ins Blaue hinein überfegt, wie 
er in berjelben Weile auch die Vocabeln zufammengeftellt hat. Die 
Beifpiele hierfür find nicht minder haarſträubend. So finden wir zu 
ben Textesworten in Nr. 22 of his purchasing die Bocabelangabe the 
purchase der Einlauf; 3u you are flushed with vietory in Nr. 57 
Aush, voll, blühend; bei Nr. 29 nod, Athem; bei Nr. 30 to be 
bound epprentice, als Lehrling angenommen erden, unb zu I 
took part of a small house ebenda to take part, miethen: zu 
any other process of felting in Nr. 49 of felting, zu Filz maden; 
zu It is not easy to bring the imagination to correspond to the 
greatness of the scene in Nr. 60 to correspond the imagination, 
die Einbildung erheben; zu I reached the shore, but almost 
terrified out of my reason in Nr. 62 I terrified out of my reason, 
ih war vor Schreden ohne Befinnung; zu the city to which... we 
were bound ebenda we were bound, in bie wir wollten; zu the 
sound seemed at last quashed in a bed of water in Wr. 65 to 
quash, aufhören, vergehen. — Aud das angehängte Gloſſar ift nicht 
viel beſſer gearbeitet: außer zahlreichen Drudfehlern ftoßen wir bort 





Englifher Sprach Unterricht. 305 


auf ein Wort perfide, treulos, falſch — welches gar nicht exiſtirt; 
wir lefen: „National, national” und unmittelbar barunter nochmals: 
„national, national;“ Prachtaufzug, part of some pageant (dgl. oben bie 
Stelle) ; bei „Steinbod” fehlt das im Text borfommenbe ibex. — Die Aus- 
ſprache vollende iſt nicht nur mit einer ziemlich unglücklichen deutſchen 
Transſcription, ſondern öfters ‚ganz faliy gegeben: fo fol catastrophe 
„Lätä’ftrof”, cucumber „‚Eulöm’ber”, maintain „mendehn“, rope „rubp” 
geſprochen werden. 

Und ein ſolches leihtfertiges Product genirt fi der Verfafſer 
nicht, den deutſchen Schulen zur Benugung anzubieten! Mit einem 
folgen Lehrmittel auögeftattet, fol der Schüler ſeinerſeits zu ben 
Zugenben ber Sorgfalt, Genauigkeit und Gewifienhaftigfeit angehalten 
werden 


IH. Geſprachsbücher. 


Gaspey’s English Conversations, social, commercial, historical, literary 
etc. Gin Hilfobuch zur Vebung in der engliſchen Umgen öfpradıe mit bes 
fonderer Berückfichti Iqung der engliichen Literatur. Kür Schulen und den 
Privat⸗Unterricht. Neu bearbeitet von Dr. Emil Otto. Dritte, gerbefierte 
Auflage. Heidelberg, Julius Groos, Verlag. 1874. VID u. 


Wir begrüßen hierin ein ſehr praltiſches und höchft enyfßlent 
werthes Buch, dad wir in allen feinen Zheilen beinahe mit Genuß 
gelefen haben. Die Geſpräche zerfallen -in vier Theile: 1. Social and 
Commercial; 2. Historical Subjects; 3. on English Literature; 
4. Every-Day -Life. Ein Anhang enthält Proben aus berühmten 
dramatischen Werten. Die Terte find ohne Ueberfegung und ohne 
Ausfprachebezeihnung gegeben, da das Bud für borgefchrittene 
Schüler beftimmt ift; dagegen geht jedem Abjchnitt eine ausreichende 
Präparation voran. Der Stoff der Gejpräde ift durchweg intereflant 
und das Engliſch vortrefflid. Den Geſchmack bed Verfaſſers und bes 
Bearbeiter3 haben wir u. A. in den netten, mitten aus dem Leben 
gegriffenen und reizenb berfnüpften Geſprächen ber vierten Abtheilung 
bewundert. Sn dem Geſpräch über Shakeſpeare hätten einige bio- 
graphifche Angaben vermieden werden follen, die mehr dem Mythus 
ala der wirklichen Gejchichte angehören. Eine Anzahl Drudfehler, die 
und aufgeftoßen find, und ein paar Ungenauigkeiten in ben Prä⸗ 
parationen fallen den Vorzügen des Buches gegenüber nur wenig ins 
Gewicht. Der Ausdrud „Hefe⸗Napf“ für slop-basin (S. 126) ift doch 
ſchwerlich irgendwo im Gebrauch. Man vergl. Lucas und Hoppe s: v. — 
John Layeock’s New Dialogues, English and German. For the Use of 

both Nations. In two Parts. Siebente Auflage, neu bearbeitet, accentuirt 

und mit einer le eordnneten Sammlung grammatiſcher Uebungen 
verfeben von 6. Steup, ehemaligem —*— Fi alten und ber 
neueren ne > Dr höheren Bür rufe in Eupen. Hamburg, 

Verlag von Refller & Melle. 1874. .269 ©. 

Bon ben beiden Theilen des Buches ten wir dem urſprüng⸗ 
lichen von Laycock den Vorzug geben. Bei den von Herrn Steup voraus⸗ 

Bid. Jahreabericht. XXVIT. 20 





306 Engliiher Sprach-Unterricht. 


geſchidten grammatiſchen Uebungen (engliſchen Sägen mit gegenüber: 
fiehenber Ueberſetzung) iſt das jedem Abichnitt angehangene grammatiſche 
Récumé weniger ſeiner Knappheit wegen zu tadeln, als weil es eine 
nicht immer richtige Auffaſſung ber engliſchen Sprachformen verräth: 
wir meinen hinſichtlich der ſogenannten unregelmäßigen Verben, bei 
denen ber Berfafler unter Anderem mit ben Worte „Umlaut“, beſſen 
Sinn in der Grammatik germaniſcher Sprachen ja völlig feſifichi, 
ſchnöden Mißbrauch treibt (S. 39, 42, 46). Andre Regeln, an denen 
wir entſchieden Anſtoß nehmen müffen, betreffen ben Gebrauch bes 
unbeftimmten Artileld im bistributiven Sinne und der Präpofition 
of nad Abftractis (©. 57, 2); ©. 63, 2). c). Daß im Uebrigen 
bie Lehre von den Präpofitionen Bloß. durch angemeflene Beiſpiele 
vertreten iſt ohne grammatiſche Ueberſicht, iſt dem Plane des Buches 
ganz angemeſſen. 

Eine weitere Zuthat des Herrn Steup iſt die Ausſprachelehre S. 
1—10: obſchon wir das Gebot, knapp zu fein, anerkennen, müſſen 
wir ſie doch als ganz unzureichend bezeichnen: das ©. 7 über s Gejagte 
ift ungenügend, die Quetichungen von c, s, t in unbetonten Silben 
find ganz übergangen. Ebenfo ftammt von Herm St. die Ausſprache⸗ 
Bezeichnung ber; bei dieſer vermiflen wir Angabe bes Silbentones: 
two bloß der Vocal der Tonfilbe mit einen Zeichen berieben ift, genügt 
bies natürlich, aber wo bie Ausſprache mehrerer Bocale in mebrfilbigen 
Wörtern angegeben if, macht fich die beſondere Hervorhebung der 
Haupttonfilbe durdaus nöthig. Man vergl. ©. 78 exercises, avenge; 
©. 99 except u. f. w. Ganz fall iſt S. 181 die Bezeichnung von 
guard als gyard. — 

In den die verfchiedeniten praltifchen Verhältniſſe berührenden 
Dialogen ift das Engliſche vortrefflih, dagegen finden mir einige 
beutiche Ausdrücke, die wenig gebräudlich find, 3 2. „Bolterfammer‘ 
ftatt „Rumpellammer" ©. 206; „Tonnenband” ftatt „Reifen“ ©. 215; 
„Marbel“ ftatt „Knicker“ oder „Stößer“ ebenda; „Dchfenbraten” 
S. 245. Außerdem macht der Inhalt der Dialoge hier und da den 
Eindruck des Beralteten: beim Briefichreiben ift nur von Kiel, nicht 
von Stahlfedern die Rebe, Teine Rede von Briefmarken; in Nr. 25 
und 26 macht fich die Ertrapoft ungebührlidy breit, während die Eifen= 
Bahn in Nr. 35 viel kürzer wegkommt; in Nr. 12 dient die Poft- 
kutſche als Beförderungsmittel; in Nr. 17 beſtellt ein Herr einen 
blauen Rock mit vergoldeten Knöpfen; ja in Nr. 26 wird der 
„Schwager“ auf einmal „Er“ genannt. Solche Stellen, die ſich auf 
die Anſchauungen und Gewohnheiten längſt vergangener Zeiten gründen, 
hätten doch leicht eine Moderniſirung erfahren können. 





X. Weibliche Sandarbeiten. 


Bearbeitet 
von 


Martin Godet, 
Director an der Mädchenübungsfchule des Lehrer-Pädagogiumd in Wien. 





A. Methodik. 


Die weiblichen Handarbeiten find in Defterreih nach dem neuen 
Schulgeſetze ein obligater Lehrgegenftand der Volks- und Bürgerfchule 
geworden; und zwar feit dem Jahre 1870. Daß die Methobe, d. i. 
die Unterrichtsweiſe, in biefem Fache heute noch nicht endgiltig feitge- 
ſtellt ift, braucht nicht erft bewiejen zu werden. Wir haben ja an 
diefem Fache ein noch junges, deshalb unentwideltes Glied im Cyklus 
unjerer Volksſchul⸗Disziplinen; weshalb wir es für unfere Aufgabe an= 
jeben, diefem wichtigen Lehrgegenitande eine Methodik gründen zu 
belfen. — Wir wollen einen Blid auf diefen Lehrgegenſtand vor ber 
neuen Schulgejeggebung werfen, dann den gegenwärtigen Stanb be- 
trachten und jchließlih aus der und belannt geivordenen Literatur 
dieſes Faches die weſentlichſten Vorfchläge zur fortfchrittlichen Entwide- 
Iung der Unterrichtämethode zufammenftellen und beleuchten; zum Schlufle 
wollen wir die und vorliegenven literarifchen Erfcheinungen einer Be- 
jprechung unterziehen. — 

Der Unterridht in den weiblichen Handarbeiten eriftirte faktiſch 
ſchon vor der neuen Schulgefeßgebung; allerdings nicht in einer dem 
Begriffe der allgemeinen Volkserziehung entfprechenden Form. Ja es 
wurde dieſes Fach Schon damals vom ganzen Volke als ein zur allge= 
meinen Bildung des meiblichen Gefchlechtes nothwendiger Unterrichtö= 
gegenſtand anerkannt und auch als folder, je nach den Iocalen Ver⸗ 
hältnifien, gepflegt. Es gab Tein Dorf, in welchen nicht die Arztend- 
frau, die Frau Schullehrerin, ja im Notbfalle ſelbſt die Pfarr⸗Wirth⸗ 

20* 


308 Weibliche Handarbeiten. 


fchafterin ober eine andere vornehme Perfon eine fogenannte „Strid= 
Schule‘ auf eigene Fauſt eröffnet hatte. Diele Befucher zählte num eine 
foldde „Winkelſchule“ nicht; wir wiſſen ung genau zu erinnern, daß in 
einem Dorfe, welches über 120 fchulfähige Mädchen hatte, 6—12 Mädchen 
bie Argtenstochter an freien Nadhmittagen oder Stunden befuchten, um bie 
Kunft des Stridens zu erlernen. Für die Unterweifung zahlten bie Eltern 
nach Uebereinlommen mehr oder weniger, aber meilt in Naturalien. 
Ein ober zwei Jahre genügten vollftändig, um einen Pulswärmer und 
ein Paar Strümpfe machen zu können; worauf biefer Unterridt ein= 
geitellt wurde. Wollte ſich ein Mädchen einen ganz beionders hoben 
Grad von Bildung aneignen, fo blieb e8 noch ein halbes ober viel⸗ 
leicht ein ganzes Jahr, um auch das Zunftreiche Häleln zu erlernen, 
welches mit der Anfertigung eines Dedenbandes und eines Kinber= 
bäubchens ſchloß. Mehr wurde in der Regel in biefer Schule nicht 
gelehrt. Der weitaus größte Theil der Dorfmäbchen lernte von dieſen 
zwei Künften nichts; und doch war dies das einzige, wa8 den Namen 
„Schule“ führte. — Verließen die Mädchen die Volksſchule, was da— 
mals mit dem vollendeten zwölften Lebensjahre geſchah, ſo mußten 
dieſelben eine Art Lehre durchmachen; ſie beſuchten nämlich durch einen 
oder zwei Winter hindurch die Weißnäherin, wo ſie die Anfertigung 
einiger Wäſchſtücke, namentlich von Hemden, erlernten. Das Zeichnen 
ber Wäſche mit den entſprechenden Familienzeichen (GBuchſtaben) wurde 
in der Regel hier miterlernt. Die Weißnäherei erlernten gewöhnlich 
die meiſten Mädchen; nur die allerärmſten konnten ſich dieſe Bildung 
nicht aneignen, weil ihnen hierzu die Mittel fehlten. — 

Als eine faſt luxuriöſe Bildung wurde es von ben Bauersleuten 
angeſehen, wenn ein Mädchen auch noch das Kleidermachen bei einer 
Kleidermacherin erlernte; das war die Hochſchule der damaligen 
Bildung. 

Wie aus dieſer einfachen Betrachtung leicht zu erſehen iſt, ſo 
lernten von dieſen ſogenannten „feinen“ Arbeiten die Hälfte der 
Mädchen nichts. Nur einen Zweig der Handarbeiten erlernte jedes 
Mädchen ohne Ausnahme von der natürlichſten Lehrmeiſterin, von der 
Mutter; das war das — Flicken. — Nicht ſelten fand man auf 
den unanſehnlichſten Bauerndörfern Mädchen, welche das Flicken mit 
ſolcher Virtuoſität ausübten, als es unſeren heutigen Kunſtflickern und 
Kunſtſtoppern geläufig iſt. 

Etwas anders geſtaltete ſich der Unterricht in den Handarbeiten 
in ſlaviſchen Dörfern. Da war von Stricken und Häleln feine Rebe; 
dafür trat eine Art von Leinmwanbitiderei mit buntem Zwirn ein, was 
die Nationaltracht erheifchte. Nähen und Fliden wurde ſehr betont. — 

In Märkten und Städten gab es eigene Arbeitäfchulen,, die ent- 
weder in Verbindung mit ber Volksſchule gebracht wurden, wenn Die 
Frau Überlehrerin die Inhaberin biefer Schule war, oder die ganz 
unabhängig von der Schule beitanden. Immer aber waren es Privat- 
Unftalten, die fich durch verſchiedene Mittel und Mittelcden (ala bes 





Weibliche Handarbeiten. 309 


fondere Begünftigung beim Frobnleihnamszuge, franzöſiſche Converfa= 
tion ꝛc. 2c. 20.) die Schüler gegenfeitig wegzufiſchen trachteten, um mög⸗ 
licht viel Einnahme zu erzielen. 

In diefen Arbeitsfchulen waren Luxusarbeiten beinahe die Haupt- 
fache; die Buntftiderei fand oben an. E3 war aber auch ganz natürlich; 
denn durch einen geſtickten Zahnftocher, durch gejtidte Hausſchuhe oder 
Hojenträger 2c., bei welchen Sachen die Lehrerin gewöhnlich die meifte 
Arbeit machte, konnte man am leichteften der Mutter ober bem 
Vater zum Namens- oder Geburtöfefte eine Freude machen und fich 
fo den Zögling für den weiteren Beſuch ber Anftalt fihern. Auch 
Striden und Häkeln lernte man; aber Weißnähen felten und Fliden 
und Stopfen gewöhnlich nicht. 

Was die Methode anbelangt, fo gab es fo viel wie gar feine, 
wenigſtens feine fchulgerechte. Wie die Mädchen, eine nad dem an- 
dern, in foldhe Arbeitsſchulen eintraten, fo wurde auch jedem einzeln 
entiveber bon Seite ber Lehrerin ober einer älteren Schülerin das 
Nöthige vorgemacht, welches dann von ber neuen Schülerin zu üben 
war. Der einzige Grundſatz, der eine Anwendung fand, war ber: 
„Mebung madt den Meifter.” An einen georbneten Lehrgang, 
an eine Disziplin u. dgl. dachte man gar nicht; ja man fonnte nicht 
einmal an foldhe Dinge denken. Denn die Mutter fchidte ihr Kleines 
Mädchen diefen Monat zum erften Male in die Arbeitöfchule mit dem 
ganz beftimmten Bemerken, daß nächſten Monat des Vaters Geburts⸗ 
feft ꝛc. ſei, wazu das neue Mädchen, nach Anficht der Mutter, ein Baar 
Hofenträger oder dgl. ftiden Tönnte. Wurde ein folder Wunſch, auf 
was immer für eine Art erfüllt, jo blieb das Mädchen in der Arbeits- 
ſchule; wenn nicht, fo mußte e3 entweder eine andere befuchen ober 
ganz ohne Unterweifung bleiben. Unter ſolchen Umftänden fonnte von 
einem Lehrgange gar Feine Rede fein. Aber au bie Disziplin war 
ſehr locker; die Vorfteherinnen folcher Arbeitsſchulen getrauten ſich nicht 
die Uingezogenheiten ber Schülerinnen entſprechend zu rügen oder gar 
zu ftrafen, da ein Ausbleiben ber betreffenden Schüler unausmeichlich 
zu boffen war. Das Letztere mußte aber von Seite ber Schulvor⸗ 
ftehung fo viel als möglich verhindert werben, da ſich die Einnahmen 
fofort verringerten und bie weitere Eriftenz einer ſolchen Arbeitsfchule 
fogar in Frage ftellten. | 

Der Unterricht in Handarbeiten lag aljo vor bem Jahre 1870 
fehr im Argen! — 

Bon diefem Jahre an mußte das Fach „weibliche Handarbeiten‘ 
unter die obligaten Fächer der Volksſchule aufgenommen werden; es 
follte der Unterricht nad einem methodischen Lehrgange ertheilt und 
eine ſchulgerechte Disziplin gehandhabt werden. Diefen Anforbes 
rungen ftellten ſich faſt unüberwindliche Hinderniffe entgegen. Es 
fehlte, bejonders auf dem Lande, an entiprechenden Lehrkräften, biejes 
Debel iſt bis heute noch nicht vollftändig behoben. In den Städten, 
wo fih an Lehrkräften kein Mangel zeigte, fehlte den meiften Lehre: 
rinnen die nöthige Schulpragis. Diefer legte Umftand machte ih am 


310 . Reiblihe Handarbeiten. 


meiften fühlbar, als man in Wien daran ging, einen den Schul⸗ und 
Ortöverhältniffen entfprecdenden Lehrgang aufzuftellen. 

Zu diefem Zivede wurde ein Comité, beftebenb aus mehreren 
Damen, Arbeitslebrerinnen, einem Ortsſchulrathe und einigen Schul- 
vorftänden zufammengefegt. Unter den legteren befand ſich auch ber 
Berichterflatter. Es wurden mehrere Situngen gehalten, die Debatten 
aber erregten nur bie Gemüther und ein Lehrgang konnte nicht auf 
geftellt werben, ba es ſich befonders um die Trage handelte, ob Maſſen⸗ 
oder Einzelunterricht gepflegt werden ſolle; dem letzteren neigten fich 
faft alle Arbeitslehrerinnen zu. 

Um die Verhandlungen endlich abzufürzen, erhielt ich die ehrende 
Aufgabe, einen Lehrgang für Handarbeiten zu verfaflen und benfelben 
der Behörde zur Genehmigung vorzulegen. 

Tas aus dieſer Aufgabe entiprungene Referat war folgendes: 

„Laut Geſetz vom 14. Mai 1869, R.G.⸗Bl. Nr. 62 gehören 
die weiblichen Handarbeiten unter die obligaten Fächer der Volks⸗ 
und Bürgerſchule.“ 

„Die Schul= und Unterrichtäorbnung vom 20. Auguft 1870 
fagt im 8. 78: Der Unterridt in den Handarbeiten bat ſich zu 
erftreden auf: Striden und Häfeln in feinen verichiedenen Ans 
wendungen; Nähen, vorzugsweiſe Weißnähen; Yliden ſowohl 
von Etrümpfen als aller Art von Zeugen; Zeichnen der Wäſche; 
Zufchneiden aller in der Schule vorlommenden Näharbeiten.‘ 

„Das für die bürgerliche Haushaltung Unentbehrlide bat vor« 
zugsweiſe Verüdfichtigung zu finden; Kunftarbeiten fönnen nur 
dann eintreten, wenn ſich bie Schülerinnen die nöthige Fertigkeit 
in den gewöhnlichen Arbeiten angeeignet haben.“ 

„Wünſche der Eltern in Betreff der Arbeit dürfen nur infos 
ferne berüdfichtiget werben, als fie nicht gegen Orbnung und 
Regel der Schule ſtreiten.“ — 

„Nachdem die Verordnung vom 20. Auguſt 1870 den zu ver⸗ 
arbeitenden Stoff in allgemeinen Umriffen firirt,; nachdem diefelbe 
Verordnung Wünſche der Eltern nur infoferne zur Berüdfichtigung 
geftattet, als felbe nicht gegen Orbnung und Regel der Schule 
verftoßen: fo folgt daraus, daß jchon in diefer Verorbnung ber 
Mafjenunterricht begründet. erſcheint, ſonſt könnte diefelbe nicht 
von Ordnung und Regel ſprechen; da eben beim Einzelunterrichte 
in der Schule an feine Regel gedacht werden Tann, weil diefer 
fich ftet3 nur an die Wünſche der Eltern anzufchliefen hat.“ 

„Soll ferner dieſer Unterricht, wie jeber andere ber Volls⸗ und 
Bürgerfchule gemeinfame Ziele erſtreben, ſo kann dies nur durch 
den Maſſenunterricht geſchehen.“ 

„Für die Methode dieſes Unterrichtes gelten demnach bie- 
ſelben Geſetze und Verordnungen, wie für die anderen Gegen⸗ 
ſtände der Volks- und Bürgerſchule.“ 


b 


Weibliche Handarbeiten. all 


„Der nachitehende Lehrplan fest alfo nur Maſſenunterricht 


voraus, und zwar in der Weife, wie er bei ben anderen Disziplinen 
der Säule, als: Zeichnen, Schreiben, Rechnen 2c. gehandhabt 
wird.” 


„Diefer Lehrplan ift für ſechsklaſſige Volks- und achtklaſſige 


Bürgerfchulen eingerichtet. Der Unterricht beginnt in ber zweiten 
Klaſſe (zweites Schuljahr).” 


„Folgende Detail-Arbeiten find im Lehrplane aufgenommen: 


Häkeln, Striden, Nähen, Flicken, Merken und Zuſchneiden; ferner: 
Netzen, Schlingen, Weiß- und Buntſticken.“ 


„Dieſe Arbeiten zerfallen in ungefähr folgende Stufen: 


a. Häkeln. 1. Anſchlagen ber Luftmaſchen. 2. Feſte Maſchen; 


© 


in bie halbe Mafche ftechen. 3. Feſte Mafchen, in die ganze 
Maſche ſtechen. 4A. Stäbchen. 5. Durchbrochene SHäfelet. 
6. Muſterhäkeln. 7. Einfache Gegenſtände. 8. Tuneſiſche 
Häkelei. 9. Anwendung des Häkelns auf Kinderwäſche und 
Häkeln mit hölzerner Nabel und Berliner Wolle. 


‚ Striden. 1. Anfhlagen. 2. Glattitriden mit zwei Nadeln. 


3. Berlehrtftriden mit zwei Nadeln. 4. Glatt und verkehrt 
mit zwei Nadeln. 5. Auf- und Abnehmen. 6. Ein Paar 
Fußſocken. 7. Ein Paar Strümpfe mit Randmufter. 8. Das 
Anftriden. 9. Das Einftriden ber Ferſe. 10. Muſterſtricken 
an einem Mufterbande. 11. Das Striden von Kinderwäſche. 
12. Das Stricken mit hölzernen Nadeln. 


. Borfhule des Nähen? 1. Borftid. 2. Rückſtich. 


3. Steppftih. 4. Kreuzſtich. 5. Schlingftich. 


‚ Merten 1. Kreuzſtich im Zickzack. 2. Tas Dundrat. 


3. Das Nechted. 4A. Rhombus. 5. Rhomboid. 6. Die frumme 
Linie in verſchiedenen Formen. 7. Buchſtaben, zufammengejett 
aus den erlernten Formen. 8. Tapifferiearbeit. 


. Schlingen. 1. Einfader Rand. 2. Rand mit runden 


Baden. 


. Nähen. 1. Die verichiedenen Nähte auf einem Nähtuche 


aus Leinwand: Enbeln, Borftich, Rüditich, Steppftih, Säum- 
ftih, Uebernabt, Hohlftih, Ausnähen des Knopfloches u. f. w. 
2. Meflen, Zeichnen und Zufchneiden der Schnittformen und 
Berechnung des Flächenmaßes. 3. Anfertigung bon Fleinen 
Wäſchſtücken. 4. Ein Damen: und ein Herrenhemd. 5. Stopfen 
ber Wäfche und Strümpfe. 6. Flicken. 


g. Netzen. 1. Glattnetzen. 2. Durchſtopftes Neb. 3. Anfer- 


tigung bon Gegenftänden. 


. Stiden. I. Buntftiderei. 1. Der einfache und Doppel- 


kreuzſtich. 2. Ein kleiner Gegenftand mit einfachem Kreuzſtich. 
3. Ein größerer Gegenftand mit Doppelkreuzftih. TI. Weiß 
fiden. 1. Die verfchiedenen Schattenzeihen. 2. Durch— 


812 


mar 1 


10 


[3 . N m 


u a 


Weibliche Handarbeiten. 


brochene (englifhe) Stiderei. 3. Franzöfifche Hochftiderei, 
* Vraiſtabenfiderei. II. Die Platt: und geſchorene 
tiderei. 


Lehrplan. 


IL. Klaſſe der Volks- und Bürgerſchule. 
eln. 


Häk 
. Anfchlagen von Luftmaſchen, eine beftimmte Anzahl, z. B. 10, 


20 bis 100; dann in ber Länge eines Meters. 


. Seite Machen; in bie balbe Mache ftechen. 
. Sefte Mafchen; in bie ganze Mafche Stechen. 
. Stäbchen. 

.Durchbrochene Häkelei. 


Anmerkung. Zwei, drei, vier und fünf an einem Bande von 
1 Meter Länge, zuerſt einfach, dann zwei- und mehrfach. 
Zeit hierzu: ungefähr drei Monate bei fünf wöchentlichen 
Unterrichtsſtunden. 


. Mufterhäfeln an einem Muſterbande. Zeit drei Monate. 
. Einfache Gegenftände: Dedenband, Schutztuch, Yenfterpolfter, 


Einſatz ze. Zeit: die noch Übrige. 


II. Klaſſe der Volks- und Bürgerſchule. 
A. Striden. 
a. Mit zwei Nadeln. 


. Anfchlagen der Maiden. 
. Glattftriden; ein Band mit gehn Mafchen Anſchlag. 1 Meter 


lang. 


. Verkehrtſtricken; ein Band mie oben. 
. Blatt und verlehrt; ein Band mie oben. 
. Auf» und Abnehmen an einem Dreied und BViered, a. am Rande, 


b. in der Mitte (glatt und verkehrt). Zeit brei Monate. 
b. Mit fünf Nadeln. 


. Ein Paar Fußſocken; daran das Schließen ber Ferſe unb bes 


Füßlings. 


. Ein Paar Strümpfe mit einfachem Randmuſter. 
. Anftriden alter Strümpfe. 
. Das Einftriden ber e in alte Strümpfe. 


Zeit zu 6 und 7 fünf Monate, zu 8 und 9 die übrige Beit. 


B. Borfchule des Nähens. 
Vorſtich. 


Anmerkung. Dieſe Sticharten werden mit einer Sticknadel 
und gefärbter Berliner Wolle zuerſt auf weit quarrirtem, 





Weibliche Hanbarbeiten. 313 


dann auf enger quarrirtem Cannevas geübt. Die Mufter 
hierzu find aus „Fröbel's Papierflechten‘ zu entnehmen 
und können zugleich als Lampenteller, Schubtücher, Schemel- 
teppiche 2c. verwendet tverben. 

Zeit: Die Vorjchule des Nähens geht durch eine Stunde in ber 


Woche neben dem Striden; und zwar jebe Stichart ungefähr zwei 
Monate lang. Ä 


“I DD St da 9 9 ei 


IV. Rlaffe der Volks- und Bürgerfdule. 
A. Merten. 


. Kreugftih im Zickzack. 

. Dad Duadrat. 

. Das Rechted. 

. Rhombus. 

. Rhomboid, 

. Die Irumme Linie in verfchiedenen Formen. 

. Buchſtaben, aus den erlernten Formen zufammengejett. 


Zeit: fünf Monate. 
B. Schlingen. Einfaher Rand und Rand mit runden Baden, 


auf einem Schlingband (Leinwandftreifen): Zeit zwei Monate. 


C. Nähen. Ein Nähtuch aus Leinwand mit den verfihiebenen 


Sticharten: Endeln, Vorſtich, Rückſtich, Säumſtich, Uebernaht, Hohlſtich, 
Tamborirftich, Ausnähen des Knopfloches ꝛc. Zeit: die noch übrige. 


nm wm 


u N m 


1. 
2. 


V. Klaffe der Volks- und Bürgerfähule. 
A. Räben. 


. Mefien, Zeichnen und Zufchneiben ber verjchiebenen Schnittformen 


für alle Arten Wäfche auf Centimeter-Papier. Die verſchiedenen 
Papierſchnitte werden mit Haftitihen zum ganzen Gegenftande 
verbunden. Hiebei Flächenberechnungen bes Stoffes mit Bezug 
auf den zu berfertigenden Gegenstand. Ellen» und Metermaß, 


. Anfertigung von kleineren Wäfchitüden, Kinderhemdchen zc. 
. Stopfen auf einem Stopftude. 

. Stopfen alter Strümpfe. 

. Sledeinfegen auf einem eigenen Nähtuche. 


Seit: acht Monate. 
B. Netzen. 


. Ölatinegen. 
. Durchſtopftes Net. 
. Anfertigung verſchiedener Gegenſtände, Häubchen, Tücheln ꝛc. 


Zeit: die noch übrige. 


VI Alaſſe der Volksſchule. 
A. Rähen. 
Ein Damenhemd. 
Ein Herrenhemd. 
Zeit: ſechs Monate. 





314 


Wa 9 UI I—> 


SIT 


MWeiblihe Handarbeiten. 
B. Weißſticken. 


. Die verjchiedenen Schattenzeichen. 
. Durchbrochene (englifche) Stiderei. 
. Sranzöfiiche Hochftiderei. 

. Buchftabenftiderei. 


Beit: die noch übrige. 
VL Klafje ber Bürgerſchule. 
Stiden. a. Buntftiderei. 


. Der einfache und Doppelfreugftich mit gefärbter Wolle, angewendet 


auf verihiedene Bierformen nad Fröbel's Syſtem. 


. Einen Heinen Gegenftand mit einfachem Kreuzſtich (Hojenträger, 


Strumpfband 2e.). 


. Einen größeren Gegenftand mit Doppelkreuzſtich (Hanbtuchhälter zc.) 


Zeit: fünf Monate. 
b. Weipftiden. 


.„ Die verjchiedenen Schattenzeichen. 
. Durchbrochene (englifche) Stiderei. 
. Sranzöfifche Hochiticerei. 

. Buchſtabenſtickerei. 


Beit: die noch übrige. 
VII. Klaſſe der Bürgerfhule. 
A. Häleln. 


. Tunefische Häfelei. 
. Anwendung bes Häfelns auf Kinderwäſche; aud mit hölzerner 


Nadel und gefärbter Wolle. Häubchen, Jäckchen ıc. 
Zeit: drei Monate. 
B. Striden. 


. Mufterftriden an einem Muſterbande mit glatten, verkehrten 


Mafthen und Lüden. 


. Striden von Kinderwäſche; Häubchen, Jäckchen ıc. 
. Striden von Kleibungsftüden mit hölzernen Nadeln und gefärbter 


Wolle. Zeit: fünf Monate. 
C. Merten. Tapifieriearbeit. Zeit: die noch übrige. 


VIII, Klaffe der Bürgerſchule. 
A. Näben: 


. Ein Damenhemd. 
. Ein Herrenhemd. Zeit: fünf Monate. 


B. Stiden. 


. Die Plattftiderer. 
. Die gefchorene Stiderei. Zeit: fünf Monate. 


Anmertung. In der VIII. Klaffe werden bie Mädchen mit 
der Handhabung der Näh- (Greifer:) und Stridmajchine 
vertraut gemadit. 

NB. Sn der VII. und VIII. Klafle mit franzöftfher Converfation. 





Weibliche Handarbeiten. 315 


Dieſer Lehrplan wurde für die vom Schreiber dieſer Zeilen ge⸗ 
leitete Schule von der Schulbehörde genehmigt; auch wurde auf Grund 
dieſes Lehrganges ein ähnlicher ausgearbeitet und den Wiener Mäbchen- 
Schulen vorgejchrieben, bei welchem aber nicht der Mafjen-, ſondern ein 
Gruppenunterricht (Abtheilungsunterricht) zu Grunde gelegt wurde. Im 
Sabre 1873 wurde ich don Seite des n. d. Landesausſchuſſes mit der 
ebrenden Aufgabe betraut, den Unterriht in ben weiblichen Hand» 
arbeiten in Deutfchland und in der Schweiz zu flubiren und den Schul- 
behörben auf Grund ber gemachten Beobachtungen und Erfahrungen 
—2 Vorſchläge zur Hebung des Handarbeits-Unterrichtes zu 
machen. 

Ich machte vorzügliche, gute, aber auch unbefriedigende Er⸗ 
fahrungen. Ich will daher nicht die Erfahrungen, wohl aber bie ge= 
machten Vorfchläge bier wiedergeben: 

„Durch meine Reife bin ich zu der Weberzeugung gelommen, 
daß Defterreich im Punkte der Handarbeiten dem Auslande nicht 
nachſteht; obwohl manches, was beiteht, anders zu wünfchen wäre. 
je erlaube mir meine Anfichten bierliber gedrängt folgen zu 
aſſen.“ 

„Für den Unterricht in weiblichen Handarbeiten ſolle ein be= 
tailirter Lehrplan für Volks- und Bürgerfchulen, für Stadt und 
Landſchulen ausgearbeitet werben. Derjelbe foll nach einem me» 
thobifchen Lehrgange geordnet und in concentrijchen Kreifen ab- 
* ſein; da ein ſyſtematiſcher Gang viele Nachtheile nach ſich 
ieht.“ 

„Für die Bildung der Induſtrial⸗-Lehrerinnen ſoll entſprechend 
geſorgt werden. Hierüber hätte ich folgende Anſichten: Lehrerinnen 
für Stadtſchulen hätten einen einjährigen Bildungskurs, mie ber- 
jelbe bei St. Anna in Wien gegenwärtig befteht, zu abfolviren. 
Es jollte aber den Candidatinnen auch Gelegenheit geboten wer⸗ 
den, an ber dortigen Uebungsfchule ſich in den praftifchen Unter- 
richt einleben zu können; fie follten verhalten werben, bafelbft 
Unterrihtöftunden,, d. i. Brobeleftionen, in Handarbeiten zu ers 
theilen, die in einer methodiſchen Gonferenzftunde befprochen wer⸗ 
den, damit jelbe den Mafjenunterricht, zu dem es doch ſchließlich 
fommen muß, da berjelbe im Begriffe der Vollsſchule liegt, hand⸗ 
haben lönnten. Diefer Vorgang wird leider bis jetzt unterlaſſen. 

„Die Candidatinnen wären mit einem Zeugniſſe der Reife zu 
entlafien. Nachdem biejelben minbeftens ein Jahr probiforiich 
im Dienfte verbracht hätten, follte es ihnen geitattet fein‘, ſich 
um das Lehrerinnenzeugniß zu bewerben, indem diefelben vor 
einer Prüfungs⸗Commiſſion eine Prüfung abzulegen hätten. Dann 
follten aber diefelben ben Anfpruch auf befinitive Anftellung haben, 
was ihnen bis jet nicht eingeräumt wird. — Yür Lehrerinnen 
auf dem Lande denke ich mir die Sache andere. Die Lehrerinnen 
follten dort, fo wie in Dresden, für diefes Fach gewonnen wer⸗ 
den, indem fie blos eine Probe zu beitehen haben, worauf fie in 


316 Weibliche Handarbeiten. 


bie probiforifche Verwendung treten Tönnten. Nach minbeftens 
wei im proviforifchen Dienfte verbrachten Jahren follte es ihnen, 
o wie ben Lehrerinnen ber Stabt nad einem Sabre, geftattet 
werben, ſich um bie Lehrbefähigung beiverben zu lönnen, um dann 
ebenfalls befinitiv, aber nur auf dem Lande, angeftellt werben 
zu können.“ 

„Für Herftellung entiprechender Lehrmittel ift zu forgen, bamit 
bie Demonftration von Seite ber Lehrerin für alle Schülerinnen 
zu gleicher Zeit, d. i. im Mafjenunterrichte, erfolgen Tönne.‘ 

„Auch die Aufficht, wie fie gegenwärtig in Nieber-Defterreich 
beiteht, ift der Entwidelung dieſer Disziplin eher hinderlich als 
fürdernd. Das Inſtitut der Auffichtspamen muß abgefchafft wer- 
ben; an deſſen Stelle denke ich mir einen Inſpektor (Inſpektorin), 
immer nur aus ber Mitte ber Lehrerivelt gewählt, für jeden 
Schulbezirk beftellt (für Wien dürfte ein Inſpektor genügen), ber 
methodiſch und fachlich gebildet ift, der Öftere Conferenzen einzu= 
—— hätte, überhaupt auf einheitlichen Vorgang zu ſehen 

ätte.“ — 
Das Wiener Schulblatt „die Volksſchule“ brachte in den Nummern 
17, 18 und 19 vom Jahre 1874 einen Aufſatz von einer Lehrerin 
unter dem Titel: „Der Handarbeitsunterricht in ber Volls⸗ und 
Bürgerjchule.” 
Einige der interefjanteren Stellen wollen wir wörtlich wiebergeben : 


‚Als die Schulbehörden den Arbeitsunterricht unter bie Lebr- 
gegenftände der Volls- und Bürgerfchulen einreihten, madten fie den 
erften Schritt, um diefen Zweig weiblichen Wiflend aus feiner un= 
würdigen Stellung emporzuheben; es follte vielmehr diefer Unterricht 
allgemein werben, kein Kind follte davon ausgeſchloſſen fein. Allein 
damit ift der Sache nicht Genüge gefcheben, denn in demſelben Schul= 
gejeße heißt es: 1) daß ber Unterricht in ben weiblichen Handarbeiten 
erſt mit dem dritten Schuljahre obligat fei, und 2) daß diejenigen 
Eltern, welche anderweitig für denfelben Sorge tragen, ihre Kinder 
dem Handarbeitöunterrichte in ber Schule entziehen bürfen. Dies find 
arge Schäden, auf die hier eingegangen werben fol.” 

„Niemand Sacverftändiger wird leugnen, baß zur Erlangung 
manueller Fertigkeit und zur Gewöhnung an Fleiß frühzeitige Uebung 
nötbig if. Diele Eltern, denen e3 in biefer Beziehung nicht an Ein= 
ſicht fehlt, Laflen daher ihre Mäbchen entweder während der erften 
beiden Schuljahre privatim in Handarbeiten unterrichten, ober fie er= 
wirken die Begünftigung, fie auch als Schülerinnen ber eriten und 
zweiten Klafje am Hanbarbeitäunterrichte theilnehmen zu lafien. In 
beiden Fällen erhält man in ber Anfangsflafie der Induſtrieſchule 
Kinder mit den verichiedenften Fähigkeiten und von ben mannigs 
fachſten Graben formaler Bildung. Keinesfalls Tann unter folden 
Verhältniſſen von einem gemeinfamen Vorgehen und gleihmäßiger Be= 
handlung des Gegenftandes und der Schülerinnen bie Rebe fein.” 








Weibliche Handarbeiten. 317 


„Die Schulorbnung fordert wohl den Maffenunterricht, allein bie 
Eltern wünſchen und beftimmen, daß biefe ober jene Arbeit von ihrem 
Kinde angefertigt werde. Was geſchieht? ‘Die Lehrerin fommt ihren 
Wuünſchen — gern ober ungern — nad; heute macht eine, morgen 
machen vielleicht drei und in den nächiten Wochen zehn ober noch mehr 
Schülerinnen Arbeiten, die fowohl unter einander grundverſchieden, 
ald auch von ber vorgefchriebenen Arbeit ber Klaſſe höchſt abweichend 
find. — Ich frage nochmals: Kann da von Klaſſenunterricht noch ferner 
die Rede jein? Und die Lehrerin? — fie ift genöthigt, den Wünfchen der 
Eltern Rechnung zu tragen, ta fie fonft darauf gefaßt fein muß, ihre 
Klaſſe zufammenfchmelgen zu fehen; denn die Eltern haben ja bas 
Net, für den Arbeitsunterricht anderweitig zu forgen. In dieſem 
Sale würde dies ihr zur Lat gelegt werben, obgleich es offenbar ift, 
dag die Induſtrielehrerin unmöglich biejelbe Verantwortlichleit haben 
fann, wie der Klafjenlehrer, ver nur dem borgejchriebenen Lehrplan und 
feiner pädagogiſchen Einſicht folgt.‘ 

Diefen Aeußerungen gegenüber haben wir bloß zu bemerken, baß 
fich die Arbeitslehrerin ſtets des Gefehesausfpruches bewußt fein fol, 
nämlih Wünſche der Eltern nur infoferne zu berüdfichfigen als fie 
nit gegen Drbnung und Regel der Schule ſtreiten. Befolgt eine 
Lehrerin diefen Ausſpruch, fo glauben wir, daß es unmöglich in einer 
Klafle zu der oben befchriebenen Beillofen Wirthichaft Tommen Tann. 

Zur Befeitigung der oben angeführten Uebelftände fchlägt die Ver⸗ 
faflerin vor, ‚daß folgende Beitimmungen in die Schulordnung auf- 
genommen würden :” 

„1. Der Unterricht in den weiblichen Arbeiten beginnt gleich mit 
dem antuitte ber Mäbchen in die Schule, alfo mit dem Ichulpflichti= 
gen Alter.“ 

(Diefe Anficht können wir aus mehreren Gründen nicht theilen.) 

„2. Dieſer Unterricht ift eben fo obligat wie ber in allen anderen 
Fächern, und es ift Niemandem geftattet, fein Kind demſelben zu. 
entziehen.” 

„3. Die Arbeiten ber Kinder werden bon ber Lehrerin ftrenge 
nad dem Lehrplan georbnet und zwar ausnahmlos; die Eltern müſſen 
fih der Schulorbnung fügen.” 

Die Berfafierin begründet dann biefe drei Punkte und empfiehlt 
Schließlich die „Schallenfelb’fche “Methode”; d. 5. den Maflenunterricht. 
Einen Lehrplan aufzuftellen, findet die Verfaſſerin überflüfftg, da der 
felbe bereitö in der Handhabung der eben genannten Methobe liege. 

Nun, ohne Aufftellung eines Lehrplanes, glauben wir, wird es 
faum rationell gehen! — 

Der öſterreichiſche Unterrichtsminifter bat unterm 18. Mai 1874 
ben Lehrplan für „achtklaſſige Bürgerfchulen” verorbnet. Jener Theil, 
welcher von den weiblichen Handarbeiten handelt, lautet: 

„Ziel: diefer Unterricht fol die Mädchen in den Stand feten, 
bie im gewöhnlichen häuslichen Leben vorkommenden weiblichen Hand⸗ 
arbeiten zu beforgen.” 


318 Weibliche Handarbeiten. 


3. Rlaffe. Häkeln und Striden. 

4. Klaſſe. Fortfegung des Häfelns und Stridens. 

5. Klaſſe. Das An- und Einftriden. Das Stopfen ber 
Strümpfe. Neben. Schlingen. 

6. Klaſſe. Merten. Nähen. Das Stopfen des Netzes. Ein- 
feten und Stopfen fihabhafter Wäſche. 

7. Klaffe. Zeichnen der Schnitte. LZufchneiven von Wäſch⸗ 
ftüden. Fortgeſetzte Uebung im Nähen und Ausbeflern der Wäſche. 

8. Klaſſe. Yortfetung im BZufchneiden von Wäſchſtücken und 
im Nähen mit gefteigerten Unforderungen. Das Ausbeflern der Wäſche. 
Weipftiden (Namenftiden).“ 

„Den Unterricht in den weiblichen Handarbeiten begleiten flet3 
Belehrungen über die zu veriwendenden Stoffe nad Art, Güte unb 
Bezugsquellen.‘ 

Detail ift in diefem Lehrplane nicht zu finden; beshalb wird faum 
ein allgemein einheitlicher Unterricht nad dieſem Plane ftattfiuden 
fönnen. Um aber dem Unterrichte in weiblichen Handarbeiten fo gut 
wie möglich auf bie Beine zu helfen, babe ich ein Manuffript: „Leit: 
faden zu einem methodiſchen Unterridte in den weib— 
lihen Handarbeiten für Bolls» und Bürgerfhulen. In 
ſechs Curſen (1. Curſus). Mit Klluftrationen,‘ der öfter 
reichiſchen Landesfchulbehörbe zur Approbation vorgelegt. 

Der Zweck, melden zu erreichen ich durch die Herausgabe bieler 
Schrift beitrebt bin, ift folgender: „1. Klarheit und Einigkeit in ber 
Auffaffung dieſes Unterrichtszweiges zu fördern; 2. der Lehrerin ein 
Büchlein in bie Hand zu geben, nad welchem biefelbe den Unterricht in 
ben weiblichen Handarbeiten in einem bem Geifte ber Volkserziehung 
entiprecdenden Syſtem ertheilen könne; 3. die hierzu nöthigen Lehr: 
mittel zu bieten.’ 

„Die Abbildungen, welche im kleinen Formate auch für die Hand 
ber Schüler auögegeben werden, bilden die Lehrmittel für bas erite 
Unterrichtsjahr.” 

„Die im großen Maßftabe ausgeführten Abbildungen find ale 
Wanbtafeln zu gebrauchen, deren Größe für gewöhnliche Lehrzimmer 
berechnet iſt.“ 

Diefe Schrift, welche vorläufig, wie fchon im Titel angebeutet ill, 
nur im erjten Theile, für das britte Schuljahr, der Behörde vorliegt, 
zerfällt in brei Theile: a. ben theoretifchen, b. den praftifchen Theil 
und c. in die Anfchauung. 

Im theoretiichen Theile habe ich alles für eine Arbeitslchrerin 
Nothwendige und Wiſſenswerthe kurz zufammengetragen. Won bem 
Sprude: „Arbeit ift ber goldene Boden des Volkswohl— 
ſtandes“ ausgehend, wurde beiwielen, daß das Princip ber „Arbeit“ 
mit zum Begriffe der Vollserziehung gehöre, mithin gleich den anderen 
Fächern der Volksſchule zu lehren fei. 

Ich will nun einige ber wichtigften Stellenfaus dem 1. Theile 
folgen laſſen. 





Weibliche Handarbeiten. 319 


„Wie aus ber Verorbnung vom 20. Aug. 1870 zu entnehmen 
tft, werden bie Handarbeiten in gewöhnliche und Kunftarbeiten 
unterfhieden. Aber nur gewöhnliche Arbeiten find vorzüglich zu pflegen ; 
Runftarbeiten Tönnen nur dann eintreten, wenn fi bie Schülerinnen 
die nöthige Fertigkeit in den gewöhnlichen Arbeiten angeeignet haben.“ 

„Es wird alfo den Kunftarbeiten nicht ganz bie Thüre verſchloſſen; 
wann und in wie meit biefelben einzutreten haben, mag bie nach⸗ 
folgende Erörterung beleuchten! —“ 

„Der Begriff „Kunſt“ mird nach zwei Richtungen gebraucht. 
Dem realen Sinne nad nennt man jebe durch Uebung erworbene 
beiondere Fertigkeit und Geſchicklichkeit eine Kunft. In diefem Sinne 
fann von einer Koch⸗, Schreib-, Rede-, Stepp-, Hälkel⸗, Strid-, Näh⸗ 
lunft u. |. mw. die Rebe fein. Im äftbetifchen Sinne veriteht man 
unter Kunft die „Schönen oder freien Künfte” ; als „die Poeſie, Muſik, 
Bildhauerei, Malerei, Baukunſt“ x. Es wird bemnad Aufgabe fein, 
bie Handarbeiten nach biefen beiden Richtungen zu fcheiden.” 

„Nach der erften Richtung dürften die im Lehrplane angeführten 
Handarbeiten zu Kunftarbeiten dann werden, wenn fi) die Schülerinnen 
darin ungefähr jenen Grab der Fertigkeit und Geſchicklichkeit an- 
zueignen hätten, ben bie in ben fpeziellen Gewerben arbeitenden 
Mädchen haben müfjen, wenn fie ſich ihre Exiſtenz hiermit zu ſichern 
haben. Daß Bierzu jehr viel Uebung, daher auch fehr viel Zeit, nöthig 
it, Teuchtet don felbft ein. Die Volks⸗ und Bürgerfchule Tann ſich 
demnach zur Erlernung von Nunftarbeiten auf mechaniſchem Felde 
nit hergeben, meil ihr erftend ein nur beicheibenes Maß von Zeit 
zur Verfügung fteht, und zweitens, weil diefe Kunftarbeiten nicht in 
das Gebiet der allgemeinen Volksbildung gehören.” 

„In dieſer Richtung wird fich die Volks- und Bürgerichule wohl 
begnügen müflen, wenn fie bei ihren Schülerinnen eine mäßige Fertig. 
tet und Geſchicklichkeit erzielt; fo daß die Schülerinnen im Stande 
find, ein Wäſchſtück nad obigem Lehrplane ohne frembe Beihilfe in 
einfachfter Form anfertigen zu Fönnen.“ 

„Diefes wird wohl auch unter dem Ausdrude — die nöthige 
Jertigleit — im 8 78 der Verorbn. dv. 20. Aug. 1870 zu ver- 
fteben fein.” „Kunftarbeiten können nur im äſthetiſchen Sinne ge= 
meint fein.‘ 

„Daß die Aeſthetik im erziehenden Unterrichte wurzelt, gleichbiel 
wo und von wen ber Unterricht ertheilt wird, ift eine unbeftreitbare 
Thatfache. Die Volle: und Bürgerfchule muß im äfthetiichen Sinne 
wirten, es gehört mit zu ihrer Aufgabe; aljo muß aud bei Hand⸗ 
arbeiten auf Neinlichkeit, Nettigkeit, überhaupt auf Schönheit, vom 
Anfange an gejehen werden. So meit es ſich aber nur um die Er⸗ 
lernung biefer ober jener Disciplin handelt, gilt bie Aefthetil hierbei 
nur als Form. — Handelt es ſich zum Beifpiel um bie Heritellung 
eines gehäfelten Kinderlätzchens, fo iſt bie Hauptjache hierbei, daß das 
Mädchen die Bildung der Mafchen verfitehe, daß es biefelben -in e⸗ 
hörige Anordnung bringe, daß bie Größe des Kinderbkaͤtzchenscine 





320 Weibliche Handarbeiten. 


richtige fei. — Die gleiche Bildung ſämmtlicher Mafchen, die Symmetrie, 
überhaupt das gefällige Aeußere, tft hierbei Form. — Haben aber 
einmal die Mädchen in einer Disciplin die nöthige Yertigkeit 
und es bleibt noch Zeit zur Verfügung, dann erlaubt die angezogene 
a ung auch KRunftarbeiten, bei benen die Aeſthetik Sache fein 
mu 44 

„Es ſoll nun gezeigt werden, wie ſich die Handarbeiten in dieſer 
Beziehung an die ſogenannten „ſchönen Künſte“ anlehnen.“ 

„a. Nach der Arbeit.“ 

„So lange man bei Herſtellung von Wäſchſtücken dieſen nur eine 
gewöhnliche, einfache Form und Oberfläche zu geben ſich bemüht, be⸗ 
findet man ſich auf dem Gebiete ber „gewöhnlichen Handarbeiten“. 
Bemüht man fich aber, einem Wäjchftüde durch Anwendung von ier-, 
Schönheits⸗ ober Lebensformen ein befonders gefälliges Anſehen, einen 
erhöhten Glanz, überhaupt einen Prunf zu verleihen, fo ſucht man 
Kunftarbeiten berzuftelen. Zum Beifpiel ein auf gewöhnliche Art an» 
gefertigter Strumpf mit einfadem Rande ift eine „gewöhnliche Hand⸗ 
arbeit.” Dagegen wird ein Strumpf mit breitem und verjchiebene 
Bierformen barftellendem Rande und mit auf geſchickte Art eingeftridtem 
Namenszeihen zu den „Kunftarbeiten‘ gehören. Aehnlich laſſen fich 
Beifpiele aus allen Zweigen ber Handarbeiten aufftelen. Daß fidh 
aber hierbei die Gränge zwiſchen beiden Theilen nicht fcharf aufftellen 
läßt, ift leicht einzufehen.‘‘ 

„b. Nach dem Gebraude.” 

„Den Gebrauche nach laſſen ſich die Handarbeiten eintheilen in 
Nut, Schutz⸗ und Pubarbeiten (Aufputz).“ 

„szene Arbeiten, bie zu ben nothwendigen, ftet3 in Verwendung 
fommenden gehören, bedingen zu ihrer Herftellung eine „gewöhnliche 
Arbeit”; diefe nennt man auch „Nutarbeiten.” Die Putz- ober 
Mode- und Lurusarbeiten können manchmal durch gewöhnliche 
Arbeit gemacht werben; boch erfordert ihre Herftellung bereitö viel 
Erfahrung in Bezug auf Eleganz und Kunft, da fie einem häufigen 
Wechſel, nad) Größe, Form, Farbe zc., unterliegen; fie gehören zu⸗ 
meift zu den „Kunſtarbeiten.“ Zwiſchen dieſen beiden Gategorien 
fteben die Shutarbeiten, welche, wenn fie auch nicht immer einer 
fih verändernden Mode unterliegen, bald als Kunſtarbeiten, bald als 
gewöhnliche Arbeiten zu betrachten find, je nachdem fie mehr ben 
ober ben Nuten zum Zwecke haben. Die Gränze läßt fih aud bier 
nicht Icharf ziehen.“ 

„In den praftifchen Theilen der verfchiedenen Eurfe biefer Schrift 
werben bie Runftarbeiten neben den gewöhnlichen jo meit beridfidhtigt, 
als fich diejelben für Mäbchenbürgerfchulen und achtflaffige Volksſchulen 
als nützlich ermweifen. Es werden demnach hauptſächlich die Nuk- 
und Schutzarbeiten einer Berückſichtigung gewürdigt.“ 

Eine andere Stelle lautet: 

„Aus dem Begriffe des Volksſchulunterrichtes ſo wie aus allen 
bisherigen Betrachtungen geht hervor, daß der Handarbeitsunterricht 


Meibliche Handarbeiten. 321 


nicht Einzelunterricht fein Tann; er kann auch nicht Gruppenunterricht, 
er muß reiner Klaſſen⸗ oder Mafjenunterricht jein, wie berjelbe für 
ale übrigen Fächer der Volks⸗ und Bürgerfchule bereits beſteht. Die 
Beurtbeilung (Rlaffifilation) deſſelben muß alſo mit allen übrigen 
Klafjen mit in Betracht gezogen werden, wenn es fih am Echlufle deö 
Schuljahres darum hanbelt, ob die Schülerinnen in eine höhere Klafie 
auffteigen jollen oder nicht. Hierbei geſchieht es nicht felten, daß ein 
Schüler mit einer minder guten Note im Schreiben, Zeichnen u. bergl. 
dennod in bie nächſt höhere Klafie zum Auffteigen für reif erklärt 
wird. Diefer Umftand wird vorausfichtlid auch bei dem Fache ber 
Handarbeiten eintreten, wenigftend ift bie Möglichkeit hierfür nicht 
ausgeſchloſſen. In einem foldhen Sale Tann die Schülerin nit ver⸗ 
balten werden, den Unterricht in den Handarbeiten ber vorhergehenden 
Klafie zu repetiren, während fie für alle übrigen Fächer in die nächſt 
höhere Klaſſe aufiteigt.“ 

Ueber die Lehrformen fagte ich Folgendes: „die Schülerinnen 
haben fi bei Erlernung ber Handarbeiten zweierlei anzueignen: 
1) die richtigen Begriffe von den verjchiebenen Detailarbeiten und ber 
ganzen Arbeitsftüde und 2) die nöthige Fertigkeit in Bezug auf Hand⸗ 
babung der verſchiedenen Werkzeuge und Herftellung der Arbeitsftüde. 
Mit diefen beiden Aneignungen erſt können die Schülerinnen zur 
Produktion (Combination) geführt werden. So weit es fi aljo im 
Handarbeiten blo8 um die pſychiſchen Gebilde „Begriff, Reprobultion, 
Produktion‘ ꝛc. handelt, findet obiges Citat (26. Bd. d. Päd. Jahresb. 
Seite 192 und 193) volllommene Anwendung. Handelt e8 ſich aber 
auch um die Exrlernung ber Handhabung der Werkzeuge und um 
Hanpfertigkeit, dann wird, beſonders für den Anfangsunterricht, die 
dogmatifche Lehrform zur Anwendung kommen. Es ift ganz ſchön 
gefagt, die Fragend=entwidelnde Lehrmethode fer die beite, 
allerdings; aber woran ſoll denn beim Anfangsunterrichte fragend 
entwidelt werden? Etwa an einem fertigen Strumpfe, den man in 
Die Länge und in bie Breite zieht? (A. Schallenfeld.) Nein! — An 
enifprechenden Zehrmitteln läßt fich vieles entmwideln, aber die einzelnen 
Handbewegungen und Griffe lafien fih nur vorzeigen. Es werden 
demnach die dogmatifche und die heuriftifche Lehrform neben einander 
Anwendung finden, fo wie die mechanischen Yertigleiten mit der Bes 
griffebildung Schritt zu halten haben. — 

„Der Lehrton ift eine perjönliche Eigenihaft der Lehrerin. Es 
ift Pflicht der Lehrerin, ſich nach und nad) den richtigen Lehrton an- 
zueignen. In Bezug auf Stärle der Stimme und Fluß der Rebe 
ziehe fie die Iocalen Verhältniſſe mit in Betracht und ſuche fih einer 
den Schülerinnen geläufigen Dentungs- und Sprechweiſe verftändlich 
zu maden. *2angjame, reine und deutliche Ausſprache ertenne bie 
Zebrerin beim Unterrichte als Geſetz.“ 

„Der Unterricht felbft aber muß vor allen andern Eigenſchaften 
die der Wahrheit an fich tragen; db. b. ed muß nicht allein ber 
Unterricht des Lehrers an und für fi) wahr fein, ed muß aud ber 

Bad. Jahreabericht. XXVIL 21 


\ 


322 Weibliche Handarbeiten. 


Schüler von der Wahrheit deſſelben durchdrungen und überzeugt fein. 
Died Tann aber durch den Autoritätöglauben nicht erreicht werden; 
vielmehr müſſen die Beweiſe und Belege hierfür dem Schüler in 
natura vor Augen geführt werden, d. 5. die Anfhauung muß 
die Wahrheit des Unterrichtsftoffes begründen. Alſo 
Anſchauung muß gepflegt und geübt werben, aber nicht allein zur Bes 
gründung eines wahrheitsgetreuen Unterrichtes, fondern auch zur befjeren, 
fchnelleren und Hareren Begriffebildung, Handelt es fih um Be— 
ſprechung fertiger Gegenftände, fo werden eben fertige Gegenflände 
der Anfchauung unterzogen. Für alle andern Fälle muß man Sorge 
tragen, daß entiprechende Lehrmittel vorhanden find.” . 

„Die Beihaffung von anmwenbbaren Lehrmitteln für Handarbeiten 
gehört mit zum Zwecke diefer Schrift. Für den erfien Curſus werben 
in biefer Schrift blos Abbildungen als Lehrmittel verwendet. Für 
fpätere Curſe werden aber auch je nad) Maßgabe andere Lehrmittel 
angegeben und bejchrieben werben.” 

„Weber die innere Schulorbnung gelte der Lehrerin Nachſtehendes: 

1. Die Lehrerin bat den Lebrftoff von Woche zu Woche in Das 
Wochenbuch einzutragen. 

2. Sie bat fi die Klaffification über die Schülerinnen gewiffen- 
baft zu fammeln, wozu ihr die öfteren Probearbeiten ausreihend Ge— 
legenheit bieten, und fie monatlih in den Klafienfatalog einzutragen. 

3. Wünſche und Beſchwerden hat fie immer bem Leiter, je nad) 
Umftänden auch der Aufſichtsdame mitzutheilen, damit biefelben in ber 
Localconferenz einer Berathung unterzogen werben können. 

4. Sie hat die Schülerinnen anzuhalten, bie zum Arbeiten be— 
ftimmten Plätze vor dem Unterrihte von Staub u. dergl. zu reinigen, 
bie zugetwiefenen Pläge einzunehmen und bie Arbeiten vorzubereiten. 

5. Auch bat fie die Schülerinnen daran zu gewöhnen, daß bte- 
felben den Abort ftet3 vor Beginn des Unterrichtes befuchen, um fo 
viel wie möglih Störungen des Unterrichtes hintanzuhalten. 

6. Sie forge dafür, daß während des Unterrichtes Ruhe, Orbnung, 
Aufmerkſamkeit und Fleiß berriche. Dies wird die Lehrerin am beiten 
dadurch erzielen, baß fie alle Schülerinnen zur regen Theilnahme am 
Unterrichte zu bewegen ſucht. 

7. Die Lehrerin fei gegen alle Schülerinnen in gleihem Maße 
liebenstwürbig, zeige gegen einzelne feine befondere Sympathie ober 
Antipathie; fie vermeide überhaupt alles, mas das Tindlide Gemüth 
verlegt oder demfelben ben Schulbefuch zur Laft und Qual macht. 

8. Im Belohnen und Strafen fei fie beſonders vorfichtig; fie 
halte fich ftet3 den $ 24 db. Verorbn. v. 20. Aug. 1870 vor Augen. 

9. Die Lehrerin halte darauf, daß die Schülerinnen ın ganzen 
Sägen und mit einer deutlich vernehmbaren Stimme antworten. 

10. Sie fehe fireng darauf, daß die in der Schule eingeführte 
Hausordnung, betreffend den Schulſchluß, 2c. eingehalten werde. 

„In Bezug auf die Unterrichtsertheilung felbft möge die Lehrerin 
nachfolgende Winke berüdfichtigen: 











Weibliche Handarbeiten, 323 


1. Die Lehrerin fuche ſtets die ganze Klaſſe im Auge zu behalten. 
Ihr Pla wird alfo immer vor den Schülerinnen, nicht zwilchen ober 
gar hinter denfelben fein. Sie hat durch ihren Blick die ganze Klaffe 
zu beherrſchen. 

2. Bleibe fie ftetö bei der Sache und ſchweife nicht ab; befümmere 
fih aber am allervenigften um Yamilienangelegenheiten ober fonftige 
häusliche Berbältniffe. 

3. Während ber Uebungen gebe fie von Bank zu Bank und 
befiere die Arbeiten der einzelnen Schülerinnen aus und fuche legtere 
mit den übrigen gleichaubringen. 

4. In Bezug auf Anftand ze. fuche bie Lehrerin ſtets mit beſtem 
Beiſpiele den Schülerinnen voranzugehen.“ 

„Im Elementarunterrichte iſt es begründet, daß in jedem Fade 
Borübungen ftatt finden. Es mag ein Beispiel dies näher beleuchten. — 
Beim Zeihenunterrichte müſſen zuerſt gerade, ſenkrechte, wagrechte und 
fchiefe Linien erlernt werben, aus deren Combination einfache Gebilde 
erhalten werden. Hierauf folgen viele Webungen mit krummen Linien. 
Der Schüler muß fih auch nod nad) und nad) viele geometrijche 
Begriffe aneignen, ehe er an die Abzeichnung irgend eined Gegen- 
ftandes fehreiten Tann. — Daffelbe muß aud bei den Handarbeiten 
geichehen, wenn man einen rationellen Unterricht wirklich ertheilen 
will; man Tann 3. B. nicht gleich mit ber Anfertigung eined Hembes 
beginnen, ehe man die einzelnen Stieharten, den Schnitt und bie 
Bufammenfegung der Hembtheile fennen gelernt hat. Diefer Vorgang 
wäre minbeftens nicht methodiſch. Eben fo ungeſchickt wäre e3, mollte 
man das Striden mit der Anfertigung eines Strumpfes lehren, ober das 
Häfeln mit der Herftellung von Einſätzen und dergl. erlernen laſſen.“ 

„Pädagogiſch richtig angelegte Vorübungen führen die Kinder 
wohl langjam, aber deſto ficherer in die Sache jelbit ein. Der praftifche 
Theil diefer Schrift ift auch demgemäß angelegt und durchgeführt.‘ 

„Die allgemeinften Vorübungen für die Arbeit jelbit find im 
Kindergarten in den Fröbel’fchen Spielarbeiten gegeben. Nur follte 
die Volksſchule dieſe Arbeitsübungen im erften und je nah Umftänden 
auch noch im zweiten Schuljahre an Mädchenſchulen fortjegen, da ſich 
hieran die Handarbeiten fo natürlich anſchließen.“ 

„Die Borübungen des erjten Curfus beftehben im erſten Semefter 
in der Erlernung der verjchiebenen Häfelmajchen und Stäbchen und in 
der Bildung verfchiedener Tüden. Haben die Mäbchen die eine ober 
die andere Art erlernt, fo follen fie diefelbe auch praltiſch anwenden 
lernen. Es folgt demnach auf jede Vorübung, oder auf mehrere 
Aulammenbängenbe Vorübungen, die Anfertigung eines entiprechenden 

äfchftüdes. Daffelbe gilt vom Striden im zweiten Semefter.‘ 

„Die Lehrerin jet zugleich hiermit aufmerkjam gemacht, daß fie 
beim Anfangsunterricht einer jeben Vorübung ein äußerft langfames 
Tempo im Vorwärtsſchreiten beobadte, damit fi alle Schülerinnen 
an eine gleich fchnelle und folide Arbeit vom Anfang an gewöhnen. 
Der Tat, diefe äußere Form, wirft nicht nur auf den Fortgang der 

21” 


324 Weibliche Handarbeiten. 


Arbeit, er wirkt au päbagogiih, er ift ein formaler Rahmen, ber 
die Schülerinnen ſtets an ihre Pflichten mahnt, ber auf fie einen 
moraliſchen Eindrud macht und deshalb auch in disziplinariſcher Be— 
iehung ſeine Wirkſamkeit äußert. Die Lehrerin nehme nur in den 
—— Umgang vom Takt, ſonſt aber in dieſem Schuljahre nie.“ 

Sn Bezug auf den Lehrgang bes praktiſchen Theiles ſei erwähnt, 
daß ich für jebe einzelne Unterrichtöftunde den Lehrftoff flizzirt habe. 
Um fi) body einigermaßen den Lehrgang verfinnlichen Ki fönnen, will 
ich vie als Lehrmittel beigegebenen Illuſtrationen ber Reihe nad 
angeben. 

Figur 1 flellt bie Häfelnabel vor. 

Figur 2 giebt die Theorie einer Schlinge. 

Figur 3 verfinnlicht die Haltung bes Wollfadens beim Häfeln. 

Figur 4 zeigt den erften Stich mit ber Häfelnabel und bie 
Bildung ber erſten Anfchlagmafche. 

n Figur 5 wird bie Bildung ber Luftmaſchen, in Figur 6 bie 
ber feten Maſchen mit Stih in die halbe Maſche, in Figur 7 mit 
Stich in die ganze Mafche, in Figur 8 werben einfache, in Yigur 9 
—2 in Figur 10 dreifache Stäbchen, in Fig. 11 Lücken ver— 

nnlich 

Figur 12 zeigt die Haltung der Strickwolle und die Bildung der 
erſten Anfchlagmajche. 

Figur 13 bringt den Anſchlag, Figur 14 das Rechts-, Fig. 15 
das Verkehrtſtricken, Figur 16 das Abnehmen, Figur 17 das Auf- 
nehmen unb Figur 18 bie Bildung ber Ferſe zur Anfchauung. — 

Hieran wollen wir nod einiges aus der uns vorliegenden Literatur 
anreihen! — 

Herr Largiader, Seminarbireltor in Chur, verlangt ald Aufgabe 
ber Arbeitöfchule Folgendes: 

„Ausbildung der nöthigen Fertigkeit und Einfiht im Striden, 
im Nähen und Zuſchneiden und im Stiden und zwar in bem Maße, 
daß bie Schülerinnen eine gewiſſe Selbftftänbigleit zur Herborbringung 
der im Hausweſen vorkommenden Arbeiten darin erlangen, und bie 
Fähigkeit zur mweitern Yortbildung aus fich ſelbſt befigen.“ 

„Denn wir das Yliden oder Ausbeffern der Strümpfe, Wäfche 

ſ. w. bei biefer allgemeinen Angabe der in der Volksſchule zu 
Iehrenben Handarbeiten auch nicht ausdrücklich meinten, fo halten 
wir bafielbe dennoch für fehr wichtig und foll es auf nad unjerer 
Anfiht einen wichtigen Theil des Unterrichts bilden“. 

Wenn wir auch mit biefen Angaben und einberftanden erflären, 
jo müflen wir doch erklären, daß wir das Häfeln, welches hier nicht 
genannt ift, nicht gern im Lebrgange vermifien. 

Der Hauptunterrichts-Grundſatz des Berfaflers ift: VVormachen, 
Beſchreiben und Nachmachenlaſſen.“ 

Dieſer Grundſatz kann ſich unſern Beifall feiner zu großen All⸗ 
gemeinbeit wegen nicht erringen 

Die Berüdfitigung von möütterlichen Wünſchen in Bezug auf 





Weibliche Handarbeiten. 325 


Handarbeiten nennt Frl. SI. Trofchel einen Uebelſtand; und bas mit 
Recht. Sie ſchlägt hierfür Folgendes vor: 

„Dem Webelftande könnte dadurch ſehr wohl abgeholfen werben, 
wenn auch in biefem Gegenftande eine regelmäßige Aufeinanberfolge, 
vom Einzelnen zum Ganzen, vom Leichten zum Schweren eingeführt 
würde. Wenn eine ganze Klafie diejelbe Arbeit erlernte, fo würde 
unenblich viel dabei gewonnen werben. Die Lehrerin bat der ganzen 
Kaſſe die zu erlernende Arbeit mit Worten fo deutlich barzuftellen, daß 
bie Schülerinnen biefelbe verſtehen, ohne daß fie ihnen einzeln gezeigt 
wird. Dadurch erlangt die Lehrerin nicht nur eine allgemeine Auf- 
merkjamleit, ſondern es entſteht unter den Schülerinnen ein lebhafter 
Wetteifer. Die Lehrerin bat ihren Platz fo zu wählen, baß fie alle 
Schülerinnen fehen und von allen gefehen werden kann. Sie bat fi 
felbit mit dem erforderlichen Material des eben zu erlernenden Gegen⸗ 
fandes zu verfehen, um da, wo Worte nicht ausreichen, durch beut- 
liches Vormachen zu Hilfe zu kommen, ohne einem Kinde die Arbeit 
abnehmen zu müflen. Ferner muß die Lehrerin ftehend fprechen, weil 
fie fo die Aufmerkſamkeit der Kinder mehr erregt.” 

Wir wünfchen, daß diefe Vorjchläge allgemeine Beachtung fänden. 

Die Berfaflerin ftellt folgenden Lehrplan für eine fiebenflaffige 
Schule auf: 

„7. Kl. Einem glatten Strumpf firiden. 

6. SL. Das GStriden vervolllommnen, Belanntmachung der 
Regeln, nach denen ein Strumpf geftridt wirb und etwas Mufter ſtricken. 

5. RI. Die einzelnen Nähte. 

4. Kl. Hemden zuichneiden und nähen. 

3. AL Striden wieberholen, Häleln, Wäfchezeichnen und Tas 
pifferieftiden. 

2. Kl. Wäſche ftiden und glatte Stopfe. 

1. Kl. Mufterftopfen und Weißſticken.“ 

Daß wir mit dieſem Lebrplane nicht volllommen einverfianden 
find, ergiebt fi) Thon aus dem Vorhergehenden; indem manches, 3. B. 
„Hemden zufchneiben” für Yjährige Mädchen fiher zu früh if, da 
biefe die zu biefer Arbeit nöthigen Begriffe aus der Formenlehre noch 
nicht befigen; jo weit muß aber die Einigkeit im Volksſchul⸗Unterrichte 
gewahrt bleiben, daß abhängige Disciplinen den Hauptfächern nicht 
borgreifen. 

Ueber das „Lebrverfabren in den Elementarfächern ber weiblichen 
Handarbeit” fagt Fr. Suf. Müller im Allgemeinen: 

„Die Methode des Unterrichts muß für mehrere Schülerinnen 
in gleicher Weife feftgehalten werden, wie wenn nur eine einzelne zu 
unterridten if. Was man mit einer Einzelnen vorzunehmen bat, 
das Tann von mehreren zugleich in Angriff genommen werben. Haupt⸗ 
fache bleibt, daß in beiden Fällen der Unterricht bei jedem einzelnen 
Fache nicht nur auf einige bezügliche Arbeiten beſchränkt bleibe, ſon⸗ 
dern den Einblid in den gefammten Umfang der be> 
treffenden Arbeitsgruppe verſchaffe.“ 


326 Weibliche Handarbeiten. 


„Sind alfo mehrere Schülerinnen zufammen zu unterrichten, fo 
Tann jene Bebingung nur dann erfüllt werben, wenn ber Klaſſen— 
unterricht eingeführt wird. Denn nur dadurch, daß mit allen 
Schulerinnen einer Klaſſe ber betreffende Lehrgegenſtand behandelt 
wird, läßt ſich diejenige Zeit gewinnen, welche zur Ertheilung eines 
umfafjenden Unterrichtes erforberlih if. Selbſtverſtändlich fallen bei 
der Feſthaltung eines fyuftematifch-metbobifchen Unterrichtes die An= 
fprüche auf momentane Hilfeleiftungen für das Haus weg; nicht der 
fofortige Nuten, fondern das Ziel muß im Auge behalten werben.‘ 

Hiermit find wir vollkommen einverftanden. 

Die „wiſſenſchaftlich geprüfte Erzieherin unb Lehrerin” Amalie 
Matthias ftellt folgende Regeln für bie Arbeit (Lehrplan) auf: 

„Die erfte Arbeit einer jeden Schülerin, mag fie nun mit 9 
oder 13 Jahren Aufnahme in die Schule gefunden haben, mag fie 
behaupten, fchon ftriden zu können oder nicht, ift der Strickſtrumpf; 
und zwar fo lange, bis die Striderin beiwiefen, daß fie das Abnehmen 
an der Wabe, am Keil Hinter dem Haden, fo wie an der Fußſpitze 
wirklich verfteht, daß fie Mafchen auflegen fann und ben Haden ohne 
Beihilfe jelbitftändig zu ftriden vermag.” — 

„Zweite Arbeit ift der Handichuh, zunächſt der Fauſthandſchuh, 
und zwar ganz rechts geftridt (mit Ausnahme des Randes), damit 
ber Keil (die Maus ſdas Zunehmen]) am Daumen leicht verftänblid) 
gelehrt werden kann.” — 

„Dritte Arbeit ift einfache Näherei; 3. B. Tücherjäumen, auch 
allenfalls Nähen von Schürzen und Bettzeug mit Webenaht und glatten 
Kappnähten.“ 

„Vierte Arbeit: Hemden, am beften Srauen- oder Kinderhemden.“ 

„Als fünfte Arbeit geftatte ich gewöhnlich ſchon zwiſchen bem 
Hembenähen, — etwa wenn eine Näherin zwei Hemben mit Fleiß 
und Gefchlelichfeit vollendet hat, — das Wäſchezeichnen mit Kreuzſtich. 
Hierauf folgen meitere Uebungen im Hemdennähen. — Aud jede 
andere Arbeit, ſoweit fie nicht zu ben Luxus⸗ oder Schneiberarbeiten 
nah dem Maaß gehört, wird jetzt den Kindern erlaubt mitzubringen.” 

„Zur lekten Arbeit gehört bad Ausbeflern; zunächft das Haden- 
einſtigen, Stopfen und Flicken.“ 

Da iſt nun ein Lehrplan für | das nit obligate Fach Hand» 
arbeiten, der in ben gegenwärtigen Volksſchulen feine Verwendung 
finden Tann; er iſt für ben Einzel⸗Un terricht berechnet, wie fol⸗ 
gende Beichreibung einer Lehrſtunde ber Berfafjerin bezeugt: 

„Sind alle Schülerinnen mit Arbeit verjehen, jo kommen fie ber 
Reihenfolge nach zu mir, und zwar jo, daß ſtets 4—6 an meinem 
Tiſche ftehen, welche alle auf die in meinen Händen befinbliche Arbeit 
zu achten haben, auch wenn es nicht bie ihrige iſt. Die Räherinnen 
werden mit einem Veberblid der Arbeit abgefertigt, falls biefe in ber 
borigen Stunde auf längere Beit eingerichtet wurde, die Striderinnen 
aber zeigen, außer ber Arbeit, auch ihren Stridgettel vor, einen brei 
Finger breiten und einen Bogen langen Streifen Papier, worauf ich 








Weibliche Handarbeiten. 327 


ihnen die für ben Tag zu ftridendbe Tourenzahl mit Bleiftift auffchreibe, 
und zugleich nachſehe, ob in ber vorigen Stunde die Aufgabe erreicht, 
ob mehr oder weniger erreicht ift; desgleichen ob bereits, falls es 
Mittwoch, ein rothes, falls es Sonnabend, ein grünes Zeichen eingelegt 
it. Außerbem prüfe ih die Striderei in Bezug auf halbe Mafchen 
oder andere Prubel, über welche die Aufjeherin verantwortlich ift, und 
gebe die Unweifung zum Abnehmen, Hadenftriden u. |. w. So geht 
es fort, bis die lebte Schülerin bei mir geweſen ift, d. h. Mittwochs; 
denn Sonnabends ift die Reihenfolge umgelehrt, ich fange mit ber 
legten Schülerin an und höre mit der erften auf.“ 

„Sind alle Kinder der Reihe nach bei mir geweien, jo können 
nur diejenigen, welde Etwas zu zeigen, zu fragen, ober anzufangen 
haben, auch außer der Reihe kommen. Es find dies in ber Mehrzahl 
Näherinnen, twelche das zeitraubende Einrichten ihrer Arbeiten wünſchen: 
body follen dabei nie mehr ala höchſtens ſechs Schülerinnen an meinem 
Tiſche fein; eine Vorfchrift, an bie ich oft erinnern muß, dba ber Eifer 
gern ein Dugend herbeiführte.” 

Diefer Unterrichtsart haben wir nur beizufügen, daß bie „wiſſen⸗ 
Schaftlih geprüfte Erzieherin und Lehrerin” A. Matthias in Bezug auf 
pädagogifche Bildung den Beitanforderungen nachſteht. 

Herr U. Merget, Direktor der Königl. Auguftafchule zu Berlin, 
bringt einige pädagogifhe Winke zur allgemeinen Kenntniß. Wir 
wollen dieſe entiprechend würdigen. Er jagt: 

„Um den Fleiß ber Lesteren (Schülerinnen) zu fördern, bat fie 
S Lehrerin) mandje dem Unterrichtögegenftande eigenthümliche Mittel. 

ie Anregung des Wetteiferd wird jchon in den untern Klaſſen be= 
beutend fördern. Die Kinder ſuchen einander in der Quantität ber 
Leiftungen zu übertreffen, daheim und felbit in der Klaſſe arbeiten fie 
nah der Uhr. Natürlich darf die Qualität darunter nicht leiden. 
Die Arbeiten der Klafje, felbit der Schule, können von Zeit zu Seit 
zur Beurtheilung und Vergleichung ausgeftellt werben; bei einer Schul» 
prüfung werden fie vorliegen. Die Güte der Strid- und Näbarbeiten 
muß dabei mehr gelten, ala ber Glanz bunter oder fonft Fünftlicher 
Arbeiten. — — 

„So werde ben Kleinen erzählt, wenn bie Lehrerin dazu Zeit 
finden lann, meift zur Belohnung für vorbergegangenen Fleiß. In 
den Schulllafien, wo die Lejefertigfeit vorhanden tft, kann nad ber 
Reihe vorgelefen werden. — Wenn auf der oberften Stufe das Ver⸗ 
ſtändniß des Franzöfifchen ausreichend vorhanden ift, jo wird es ſehr 
willkommen fein, wenn mit Auswahl franzöfiiche Bücher geleſen werben, 
unb die Lehrerin fi) mit den Schülerinnen in franzöfifher Sprache 
unterhalten Tann. Natürlich darf über Unterhaltung und Lektüre die 
Hauptſache, nämlich die Handarbeit, nicht zurüdigefett werben, damit 
ber Zweck, die Mädchen für das Haus mit den fo wichtigen Fertig⸗ 
keiten ber Hand, bes Auges, bed Sinne zu verjehen, erreicht werde. 

Es ift kaum glaublich, daß ber Direktor einer der erften beutichen 
Mädchenſchulen, ſolche unpäbagogifche Vorſchläge machen Tann. 


— 


328 Weibliche Handarbeiten. 


Die Lehrerin Julie Legorju bringt den an ber ſtädtiſchen Töchter: 
Möule zu Caſſel eingeführten Lehrplan für weibliche Handarbeiten. Er 


„Ki. IX. Das Erlernen des Stridens: das Aufſetzen, bie rechte 
Maſche, die linke Maſche, abwechſelnd rechte und linke Maſchen; das 
Stricken des Beinlings. 

Kl. VIII. Fortſezung bes Strickens — das Einrichten und 
Striden ber Ferfe und des Käppchens, Auflefen und Striden ber 
Kettmafchen, das Abnehmen über der Ferfe, das Zufpigen des 
Strumpfes. 

KL. VII Weitere Uebung im Striden. Das Häleln. Die 
verſchiedenen Machen, als Luftmajche, dichte Maſche und Stäbchen 
werben gelernt, dann zu einfachen Muftern an Vorhangshaltern und 
Schonern zufammengefest. . 

KT. VL Die Tapifferiearbeit wird an einer kleinen Stickerei, 
da8 Zeichnen an einem Zeichentuch und bie feinere Hälelei an einem 
Schoner gelehrt. 

KL V. Nähen Das Säumen zunähft an grobem Leinen, 
dann an Taſchen⸗, Hals⸗ und Handtüchern, Servietten, Schürgen ⁊ 
Zeichnen der Wäſche. — Anfertigen eines Paares Strümpfe und 
Zeichnen derfelben. 

KL IV. Weitere Einübung des Nähen. Alle Arten Nähte 
werben an einem Probetuch geübt. Nähen von Betttüdern, Dedz, 
Kiffenüberzügen u. dgl. Straminarbeit und feinere Häfelei. Anferti- 
gung eines Paares feiner baummollener Strümpfe. 

KL. IT. Das Nähen von Hemden. Anfertigung eines Paares 
feiner Strümpfe. 

KL. II. Weipftiderei. An einem aufgezeidhneten Stidtud) 
wird geübt: der Feſtonſtich, Stielftich, das Neſtloch, engliide und fran⸗ 
zöſiſche Stiderei, einfache Buchftaben. Spigenftiche. 

KL. IB. Das einfache Stopfen, Muſter⸗, Mafchen- und Tüll⸗ 
flopfen wird an einem Stopftucdhe, das Ausbefiern aller Arten Stoffe 
an einem Flidtuche gelernt. Einftriden von Ferfen und Stüden. 
Nähen auf der Kettenftichmafcine. 

KL. TA. I Das Nähen auf ber großen Maſchine. IL Das 
Nähen eines Herrenhemdes. III. Schneiden und Anfertigen von 
Bett, Tiſch⸗ und Leibwäſche in verkleinertem Maaßſtabe. IV. Er⸗ 
lernen bes Filetſtrickens. - 

Diefer Lehrgang ift einer zehnklaſſigen, höhern Bürgerfhule für 
Mädchen angepaßt; und zwar gewiß zum großen Bortheile ber Schule 
und der Schülerinnen. 

Ueber die an obiger Schule angewandte Methode fchreibt uns bie 
Berfaflerin: ' 

„Das Prineip, daß aller Schulunterricht Klaſſenunterricht fein 
fol, d. 5. daß fo unterrichtet werde, daß ſich alle Kinder gleichzeitig 
mit demſelben Lehrobjekt beichäftigen und bie Thätigkeit des Lehrers 
f 77% allen zu Gute kommt, tft in unferer Anftalt auch auf den 





Weibliche Handarbeiten. 329 


Hanbarbeitäunterricht angetvandt. Es wird baber in methobifch ges 
orbnetem, fiufenweifem Uebergang vom Leichten zum Schweren, vom 
Einzelnen zum Ganzen von allen Schülerinnen der Klaffe 
an ganz gleihem Material diefelbe Arbeit gelehrt.” 
Hierzu bemerkt die Verfafferin noch Folgendes: 

„Zu Anfang bed neuen Schuljahres wird ben Kindern mit bem 
Stundenplan biltirt, was fie zur Handarbeitäftunde brauchen. — Alles 
bazu Gehörige ift in einem mit dem Namen der Schlilerin verfebenen 
Beutel mitzubringen. — Die Arbeiten bleiben in ber Schule (es be⸗ 
findet fih dafür in jeder Klaffe ein verfchließbarer Schrank); fie wer⸗ 
ben von den Orbnungsfihülerinnen vor Beginn ber Stunden ausge⸗ 
tbeilt und am Schluß berjelben eingefammelt.“ 

Dieſe Einrichtungen verdienen Nachahmung. In diefer Beziehung 
er bie in Rebe ftehende Schule zu Caſſel ganz auf der Höhe ber 

it. — 

Eine werthvolle Arbeit, von welcher unten noch einmal bie Rebe 
fein wird, lieferte uns die Ober-Arbeitslehrerin bes Bezirks Bremgarten, 
Kanton Aargau, „Elifabetb Weißenbach” in der von ihr herausgegebenen 
Arbeitsſchulkunde. Ueber die Methode im Allgemeinen leſen 


wir: 
„Dei jedem Unterrichte find richtige Lehr⸗Grundſätze, zweckmäßige 
Lehrform und angemeſſener Lehrton anzuwenden.“ 
„A. Lehr⸗Grundſütze find: 
.Unterrichte naturgemäß ! 
. Unterrichte elementariih und ſtufenmäßig! 
. Unterrichte anfchaulich ! 
Unterrichte gründlich! 
. Unterrichte anziehend! 
. Unterrichte anregend | 
. Führe die Böglinge zum Kennen und zum Können, zum 
Berftändnifie, wie zur Fertigkeit!“ 
„B. Die Lehrform. 

1. Die Arten der Lebrform, welche für bie Volls⸗, wie für bie 
Arbeitsſchule paſſen, find: 

a. Die vortragende oder mittheilende Lehrform. 
b. Die fragende oder entwickelnde Lehrform. 

2. Den Werth und die Anwendung dieſer beiden Lehrformen 
anlangend, ſo erfordert die fragende etwas mehr Zeit, aber 
fie regt den Schüler auch zu eigener Thätigkeit im Denken 
an und läßt den Lehrer zugleich erkennen, ob das Kind den 
Gegenſtand erfaßt, verſtanden habe. 

3. Bezüglich der Ausführung ber Lehrformen müſſen bei jeder 
die Lehr⸗Grundſätze befolgt werben. 

& Der Vortrag fei namentlich recht anſchaulich, gut georbnet 
=. und ed merde auf Einmal nicht zu viel vorgetragen, fonbern 


dazwiſchen abgefragt. 


IN Ga WI IND m 





838 Weibliche Handarbeiten. 


Als „Behr: und Beranfchauliddungsmittel” Tchlägt die Berfaflerin 
Folgendes vor: 

„l1. Ein Baar große, etwa 45 cm. lange und 6—9 mm. bide 

barthölgerne Stridnabeln. 

2. Der Nährahmen. Er befteht aus einem etiva 60 cm. langen 
und 45 cm. boben böl Rahmen, welcher der Länge und 
Breite nad mittels Löchern oder Nägeln in ber Rahme mit 
Rundſchnüren ober Bindfaden befpannt wird. Mit einer großen, 
6—9 cm. langen Nadel aus Fiſchbein, Horn ober Kautſchud 
und grobem, rotbem Teppich⸗Wollgarn. 

3. Das Strick-Netz. Ein bölgerner Rahmen, ähnlich dem Näh—⸗ 
rahmen mit grobem, weißem Teppich Wollgarne und recht grobe 
etiva 9 mm. bide hölzerne Nadeln. 

4. Das Mafhenfih-Nek. Hierzu bient ein Xheil bes Näh: 

rahmens. 

. Ein Näh—⸗Muſtertuch. 

. Ein Flid-Muftertud. 

. Eine große Häkel-Nadel von Bein. 

. Eine Sammlung ausgeführter Strid« und Hälkel⸗Muſter. 

. Eine Stofffiammlung. 

. Einige ABC-Mufter zum Zeichnen ber Wäfche. 

. Banbtabellen, enthaltend in großen Zeichnungen bie wichtigften 
Gegenftände ber Arbeiten.‘ N 

Ueber das Lehrverfahren giebt die Verfaflerin einige allge 
meine Bemerkungen, betont ausfchließlich ven Ge fammts= oder Maſſen⸗ 
unterricht und geht dann bie einzelnen Arbeiten in Bezug auf ben 
Unterricht durch. 

Im Großen und Ganzen müflen wir uns biefen methodiſchen 
Auseinanderfegungen anfchliegen, wenn wir auch bamit nicht einber: 
fanden find, daß Waarenkunde und Haushaltungskunde als 
felbftftändige Unterrichtsfächer auftreten. Wir find ber Anficht, daß 
biefe 2 Fächer den andern Disciplinen einzuberleiben find; fo wird 
auch ein entfprechender Theil das Fach der Handarbeiten treffen, wel⸗ 
der aber nicht abgejondert zu Iehren iſt. 

Mir müfjen freudig befennen, daß dieſes jüngfte Fach ber Volls⸗ 
ſchule „die Handarbeit‘ in fo wenig Jahren jo große Fortfchritte 
auf dem allgemeinen Felde der Schulpraxis gemacht bat. Möge 
ih die Methodik diefes Faches nur recht rafch entwideln, bamit bie 
Handarbeit an allen deutichen Volksſchulen den übrigen Fächern 
ebenbürtig daftebt; denn nur dann haben wir Hoffnung, daß wir 
durchweg Mütter und Hausfrauen bekommen werben, welche ben nad 
—5 Spruch ver künftigen Generation von Geburt aus ein⸗ 
impfen: 

„Arbeit ift ber goldene Boden des Vollswohlftandes.“ 


am DD 0 x 


1 
1 


Weibliche Handarbeiten. 933 


B. fiteratar. 


Die Literatur des Faches „Handarbeiten“ ift im Verbältnig zu 
ben andern Fächern ber Volle» und Bürgerfchule bürftig zu nennen. 
Sie ift aber reich genug, um fich ſowohl im Gebiete der mechanischen 
Arbeit, als auch auf dem Felde des Unterrichtes genügend orientiren 
zu lönnen. Um das zu ermögliden, wollen wir und alle Mühe 
geben, die bezügliche Literatur, foweit und biefelbe durch unfer eigenes 
Forſchen befannt wird, den verehrten Leſern des Päd. Yahresberichtes 
borzuführen, damit fich auf biefem Wege nach und nach eine hiſtoriſche 
Veberficht über dieſes Fach entwidele und bie päbagogifche Bebeutung 
befielben in geböriger Weife gewürdigt werde. 

Nachſtehende Werke find uns bis jett befannt geivorben: 

1. Weber den Unterridt in weiblichen Handarbeiten. Bon A. BE. 
Largiaddr, Seminardireltor in Chur. (V u. 55 ©.) U. 8°. Zürich, 
Friedrich Schultheß. 1867. Preis 8 Sgr. 

Der Zweck diefer Schrift ift der, „daß man, insbeſondere im 
Kanton Graubünden, dem weiblichen Handarbeitsunterricht in höherem 
Make die wohlverdiente Aufmerkjamleit und Pflege zu Theil werben 
ließe. Der Inhalt bes Werkchens bezieht ſich auf bie gegentwärtige 
Beichaffenheit des Arbeitsunterrichtes, auf die Hebung und den Zweck 
beflelben, auf das Verfahren beim Unterrichte 2. Zum Sclufle gibt 
‚der Berfafler einige Wine über die Arbeiten felbft und über die Aug- 
führung berjelben. 

In Anbetracht befien, daß dies Werk fchon im Sabre 1867 ge= 
fhrieben wurde, muß man dem Berfafler alle Achtung zollen, daß 
er fchon damals, als diefer Unterricht noch im Argen lag, ganz 
richtige pädagogiſche Principien an den Tag legte. Manches ift aller- 
dings Heute bereitö veraltet. 

Immerhin Tann das Büchlein den Schulvorftänden und Lehrer: 
innen zur Richtichnur dienen; es fei von uns empfohlen. 

2. Zeitfaden für Die verfhiedenen weiblien Arbeiten von M, 
©. Kübler. Mit 211 Solzfhnitten. (IV u. 208 ©.) 1. 8%. Stutt⸗ 
gart, 3. B. Meter. 1868. Preis 12 Sgr. 

Der Zweck dieſes Büchleins ift, „einen den Bebürfnifien und 
Wünſchen der Frauenwelt entſprechenden Leitfaden auszuarbeiten, ber 
nebft einer gründlichen Anleitung zu den meiſten meiblichen Hand— 
arbeiten zugleich die dabei gebräuchlichen und oft fo verſchiedenen techni⸗ 
Shen Benennungen geben würde. — Ich habe mich bemüht, diefen 
Gedanken in der vorliegenden Kleinen Schrift möglichft befriedigend 
auszuführen und eine fo Hare Darftellung der verjchiedenen Arbeiten 
und Handgriffe zu geben, daß junge Mädchen, melde ſachkundiger 
Lehrerinnen entbehren, fih mit Hilfe diefes Leitfabens leicht felbft 
unterrichten und ſchon geübtere Frauen um fo größeren Nugen aus 
den verſchiedenen in Damenzeitungen gebotenen Muftern ziehen 

nen.” 


834 Weibliche Handarbeiten. 


Borgeführt werben „das Weißnähen und Zufchneiden, das Flicken, 
Stopfen, Ausbeffern der Wäfcge, Weihftiden, farbige Stiderei, Striden, 
Filetftriden, das Stiden des Filets, Häkeln, Knüpfen und Flechten.“ 

Das Büchlein mag feiner Zeit ganz weſentliche Dienfte geleiftet 
haben; heute aber, wo der Handarbeitsunterricht für alle Mädchen 
ertheilt wird, ift das Selbſtſtudium überflüffig geworben. Für Haus: 
frauen aber, zur befleren Drientirung, giebt e8 heute techniſch beſſer 
ausgeführte Mittel 

3. Neueſte und vollſtändigſte Stickſchule, ober gemeinfaßliche Anleitung 
um Ürlernen des Stickens. Herausgegeben von Wilbelmine Leiden. 

weite eleferung Pit 100 Muftern auf 12 Tafeln (3. u. d. Bg. S. 33 —64 


und r% bis XXVLUI) 9. 8%. Ulm, Sr. Ebner. 1351. Preis 
1,60 M. 


Es liegt uns nur diefe zweite Lieferung vor, wir fünnen daher 
über das ganze Werk Tein eigenes Urtheil abgeben; body wollen wir 
uns bemühen, dad ganze Wert in Befit zu befommen und dann feiner- 
zeit über ben biftorifhen Werth befielben uns ausſprechen. Die auf 
den 12 Tafeln vorliegenden Stid-WMufter verdienen unſern Beifall. 


4. Neueſtes Unterrichtsbuch im Striden, Nähen und Stoppen, vraftifä 
und fuftematifch eingetbeilt. Ein nüplihes Handbuch für IndultrieSculen, 
Haushaltungen und für jedes Mädchen. Bon Juliane Pander, geborene 
Bieber. Mit 31 Abbildungen. Amweltes Heft. (5.—10. B. S. 80—160.) 
HM. 8°. Regensburg, Georg Joſef Manz. 1842. 

5. Vollſtändiges Unterrihtd:Buh im Striden, Nähen, Stopren, 
iletſtricken, Häkeln, Stillen, Straminarbeiten, Börfenmahen, Schnüres 
echten, Klöppeln u. f. w.; nebit einem Anbange, enthaltend: Die bäuss 

liche Farbenlehre. Ein Ichrreiches und gemeinnügiges Handbuch in 10—12 
Lieferungen mit vielen Abbildungen für lernende Mädchen und erwachlene 
rauenzimmer, fowie auch zum Gebraude für ImduftriesSchulen. Bon 
uliane Paucker. 5. eiefezung, (96 ©.) kl. 8%. Regensburg, 1846. 
In Commiſſton bei Bincenz Fink in Linz. 


Diefe beiden letzten Werke fcheinen einen Biftorifchen Werth zu 
befiten, deshalb wollen wir uns jelbe ganz zu verichaffen ſuchen und 
nächſtens hierüber fachgemäß berichten. 


6. Anweifung zur &unft-Strideret. Eine Sammlung von den leichte» 
fien bis zu den fchwierigften Arbeiten, obne Anderer Beihülfe allein aus« 
führen zu können. Nach eigener Erfahrung und Erfindung zufammenges 
ftellt von Charlotte Reander, (Emma Hennings.) 1.—10. Heft. Sieb⸗ 
zehnte Auflage, ganz neu bearbeitet und mit neuen Muftern und Arbeiten 
außgeftattet. (circa 5 Bogen pro Heft.) EI. 8°. Leipzig, Herm. Bölfert. 
1874. Preis or. Heft 5 Ser. 


Siebzehn Auflagen find genug ſprechendes Zeugniß für die Braudh- 
barkeit dieſes Werkes, das das Feld des Strickens volllommen aus: 
beutet. Es mag als willlommene Gabe jenen Arbeitslehrerinnen 
empfohlen fein, welche neben den gewöhnlichen Arbeiten auch in Zurus- 
und Sunftarbeiten zu unterrichten haben. 

7. Anweif ung . die nothwendigften weiblichen Handarbeiten ſchulgerecht an- 
n 


ufertigen. worfen von den Sandarbeitsiehrerinnen der Königl. Auguſta⸗ 
elle zu Berlin. Herausgegeben und mit Einleitung verfehen von 





Weibliche Handarbeiten. 835 


A. Merget, Direltor der Schule. Dritte, verbefierte Auflage. (ZX x. 43 ©.) 
8°. Berlin, 1874. Plahe (Henri Sauvage). Preis 6 Sgr. 

Zur fchnelleren Drientirung geben wir den Anfang bes Vorwortes 
zu diefem Werfen: „Seit ih das Amt habe, eine Töchterfchule zu 
leiten, find die weiblichen Handarbeiten ftet3 mein vorzügliches Augen 
merk geweſen, fchon darum, weil uns Mädchenlehrern zu oft vorge 
worfen wird, wir machten unfere Schülerinnen zu gelehrt und ent- 
frembeten fie ihrem eigentlichen fünftigen Berufe. Da müflen die weib⸗ 
lichen Handarbeiten ein Gegengift fein, und auch die vornehmen Mädchen 
lernen, daß fie dem Haufe mit der Arbeit dienen follen, wie fie in ber 
beil. Schrift, Sprüche Salomonis Cap. 31 und Apoftelgefchichte Cap. 9, 
gepriefen wird, und auch unfere beiten Dichter fie gelobt haben.“ 

Wir meinen der Leſer fei orientirt! — Der Anhalt bezieht fi 
auf das Striden des Strumpfes, die Anfertigung, da3 Zeichnen, das 
Ausbeflern und das Stopfen ber Wäfche, die MWeißftiderei und auf 
das Namenftiden. 

Uns wundert, daß dies Büchlein eine britte Auflage erlebte, da 
befien Werth ein ſehr geringer ift, indem jede Anjchauung und Ver- 
finnlidung im Werke vermieden ift. 

Dem Herrn Direltor geben wir aber den Rath: er laſſe dies 
Werkchen ohne feine Beeinfluffung von den ihm unterftehenden Arbeits- 
lehrerinnen fihreiben, und wir werben gewiß etwas Gute und allge 
mein Nügliches erhalten. 

8. Leitfaden für den Unterricht in den weiblichen Handarbeiten in Schulen. 
Zum Gebrauch für Lehrerinnen, fowie zum Selbftunterricht, bearbeitet von 
Clara Zrofdel. Zweite Ausgabe. Ri 107 Abbildungen, in Kupfer 

id. (VIII, 144. ©. u. IX 3afeln.) Berlin, Nicolai (A. Effert und 8. 

Lindtner). 1867. Preis 1 Thaler. 


Der Zweck dieſes Büchleins ift, eine Anleitung zu geben, wie ber 
Unterridt in weiblichen Handarbeiten tbeoretifch zu ertheilen fei. 

Der Inhalt des Werkchens ift in dem oben mitgetheilten Lehr⸗ 
plane bereit3 enthalten; auch über die methodifche Anficht der Vers 
fafjerin haben wir uns ausgeſprochen. 

Es bleibt und nur noch zu erwähnen, daß das ganze Werk mit 
vieler Umfiht und alljeitigem Verſtändniß gearbeitet if. _ Es wird 
auch ven Lehrerinnen viele Bortbeile gewähren. Nur fei und ge 
ftattet, die beigegebenen Abbildungen, in Bezug auf „Striden, Nähen 
und Häkeln“ al3 zu Targ zu bezeichnen, indem alle weiteren Detail- 
abbilbungen mangeln. 

Ssenen Lehrerinnen, welche unter ähnlichen Verhältniſſen, wie fie 
der Lehrplan darlegt, zu arbeiten haben, fei dies Büchlein empfohlen. 
9. Die Nadelarbeit für den Haudbedarf. Praktiſche Anleitung zur 

Anfertigung der im Haushalte unentbehrlichen Handarbeiten. Mit befonderer 

Berüdfihtigung des SHandarbeitsunterrichtes in Stadt und Landſchulen. 

Bearbeitet von Amalie Matthias, wiſſenſchaftlich geprüfte Erzieherin und 

Lebrerin an der Öffentlihen Handarbeitsfhule im Kalfgebirge Rüdersdorf. 

Pit Abbildungen in Holzihnitt. Zweite Ausgabe. (X und 138 ©.) 8°. 

Berlin, Fr. Nicolai (A. Effert und 2. Lindtner). 1873. Preis 1,50 M. 





336 Weibliche Handarbeiten. 


Eine „doppelte Nugbarleit für Eule und Haus ift der eigent- 
liche Zweck vorliegenden Werkchens und ber angelegentlidhe Wunſch der 
Verfaſſerin.“ 

Die Einleitung handelt von der „Würdigung des Handarbeits⸗ 
unterrichtes“; die praktiſche Anleitung (ber zweite Theil) beſpricht das 
Striden, Nähen, Fliden und Stopfen. Im einem Nachtrage werben 
noch manche Xeußerlichleiten einer Würdigung unterzogen, als: „Das 
Knirſchen der Nadeln, ſchweißige Hände‘ ac. 

Unverheiratbheten Lehrer: und Prebigertöchtern giebt die Verfaflerin 
einen Vorzug vor verheiratheten Frauen, weil erftere nicht burch ben 
Beruf der Hausfrau und Mutter beaniprucht find. — Hierüber ließe 
fih wohl fireiten! — Ueber bie Methode des Büchleind haben mir 
Thon geiprochen ; der Inhalt ift richtig und zwedentiprechend. Die 
leider viel zu wenigen Abbildungen find recht anſchaulich. 

Leſenswerth ift das Büchlein immer; fchon deömegen, weil man 
daburch die verſchiedenen Extreme in Bezug auf die Metbobe bes 
Han darbeitsunterrichtes Tennen lernen Tann. 


10. Der Handarbeitd-Unterricht in Schulen, Wertb, Inhalt, Lehrgang 
und Methodik defleiben. Bon Roſalie Schallenfeld, weiland Leiterin 
des Seminars für Handarbeitslehrerinnen in Berlin, und Agnes Schallen- 
feld, weiland Borfleherin der erften höheren Töchterſchule der St. Jacobi⸗ 
Parodie in Berlin. Mit einem Vorwort von Karl Bormann, Provinzials 
Säulrath in Berlin. Bierte, vermehrte und verbeflerte Auflage revidirt von 
Ulbertine Hall, Infpicdentin der Handarbeitsfhulen in Breslau. (VIE 
u. 62 S.) 8°. Frankfurt a. M., Morig Dieflerweg. 1875. Preis 10 Ser. 

Nachdem diefe vierte „vermehrte und verbefferte” Auflage 

ein örtlicher Abdruck der britten ift, jo verteilen wir auf das im 

26. Bande des Päd. Jahresber. abgegebene gute Urtheil. 


11. Das fleißige Hausmütterchen. Mitgabe für das praktiſche Leben 
für erwachſene Töchter. Bon Sufanna Muller, Mit über 100 in den 
Text gedrudten Abbildungen. Siebente, umgearbeitete und vermehrte Auf⸗ 
lage. (532 &.) 89%. Heriſau, &. 3. Meifel. 1875. Preis br. Fr. 6. 

Der Zweck biefes Büchlein foll der fein, „für die Frauen und 
Töchter derjenigen Bürger, welche der höheren Volksſchulbildung fern 
bleiben, einen Leitfaden zu haben, ber ihnen bie Richtung zeigt, welche 
Vorkenntniſſe nöthig fein, um nah und nad jelbft vielmehr ein- 
ſchlägige Erfahrungen machen zu lönnen und unabhängig von jpeziellen 
Anmweilungen zu werben.” 

Der Inhalt gliedert fi in drei Hauptabichnitte. Im erften Ab- 
Schnitte ift e8 die Küche, in welcher die Leferin des Büchleins heimiſch 
werben fol, im zweiten Abſchnitte ift e8 die Arbeitsftube und im 
dritten Abfchnitte ift e3 die Kranlenftube. Wir wollen nur über ben 
zweiten Abfchnitt berichten, der die Anfertigung geftridter und ges 
ſchnittener Kleidungsſtücke behandelt. 

Dieſer Theil iſt ganz nach praktiſchen Geſichtspunkten angelegt 
und durchgeführt; natürlich meiſt vom localen Standpunkte aus. 
halb meinen wir auch, daß dieſes Buch vornehmlich den Schweizer⸗ 


Weibliche Handarbeiten. 837: 


Frauen unb den dortigen Mädchen⸗ Foribildungaſchulen gute Dienfte 

leiten wirb. | 

12. Elementarsiinterridt in ben weiblihen Handarbeiten. Syſtematiſch⸗ 
methodifch geordneter Leitfaden für Schule und Haus. Mit 250 in den 
Text gedrudten Abbildungen. Don Suſanna Müller, Verfaſſerin des fleißl⸗ 
gen Hausmütterdhens”. (VIEL u. 126 ©.) gr. 8°. Heriſau, C. 3. Meifel. 
(W. Hauaknecht.) 1872. Preis 3 M. 

Dies Buch iſt für Mütter, Vorfteherinnen von Arbeitsfchulen und 
Lehrerinnen gejchrieben. Lehteren ſoll es Anhaltepunfte für das Lehr: 
verfahren bieten und fie den Umfang ber zu lehrenden Handarbeiten 
bis ind Detail kennen Ichren. Wir können mit voller Weberzeugung 
behaupten, daß jene Lehrerin, welche das Buch forgfam Tieft, den eben 
erwähnten Nuten bavon haben wird. Die Abbildungen find burd= 
weg vorzüglich. 

Wir empfehlen dies Buch beftens. 

13. Der Handarbeits-Unterridht als Klaffen-Unterriht. Ein gründlicher 
Leitfaden zur Ertheilung des Handarbeitö« Uinterrichtes in Schulen. Bon 
Julie Kegorin, neprähte Lehrerin an der ftäbtifchen Höheren Töchterſchule 
zu Gaflel. (VIE, 176 ©. u. IX Tafeln.) gr. 8°, Caſſel, Theodor Kay. 
1875. Preis 1 Thlr. 10 Sgr. = 4 Marl. 

Der Zived diejes Buches tft im Titel angegeben; bie methobifche 
Seite wurde in ber Einleiting beiprochen. In Bezug auf den Ge- 
fammtinhalt bleibt uns nur noch zu erwähnen, daß das im Lehrplane 
niebergelegte Penſum einer eingehenden, den Schulverhältniffen ent- 
ſprechenden Art und Weife, Befprechung gemwürbigt murbe, wie es eben 
eine Arbeitzlehrerin: für ihren Beruf braucht. Die Abbildungen find 
wohl inſtruktiv, doch nicht den Beitanforderungen entſprechend gehalten. 

Diefes vorzugliche Buch follte. fi in den Händen ſämmtlicher 
Arbeitslehrerinnen befinden. 

ı 

14, Arbeitsfhuktunde, ſyſtematiſch georbneter Leitfaden für einen methodi⸗ 
fhen Schulunterricht in den weibl. Handarbeiten, von Blifabeth Weißen 
Bad, Ober: Arbeitölebrerin bes Bezirks Bremgarten, Kanton Aargau. 
Erſter Theil: Schuls, Unterrichts und Erziehungskunde für Arbeitsſchulen. 
Mit in den Text gedrudten Abbildungen. (V u. 96 8.) gr. 8°. Zürich, 
Friedrich —* 1875. Preis 14 Sgr. 

„Dei Abfaſſung dieſer Schrift ging die Verfaſſerin von dem Be— 
ſtreben aus, für die angehenden oder ſchon im Amte thätigen Lehre⸗ 
rinnen Alles, was zu ihrem Amte und deſſen Führung gehört, 
kurz zuſammen zu ſtellen, angemeſſen zu ordnen und faßlich vorzu⸗ 
tragen. 

9 Das ganze Werk zerfällt in eine Einleitung und brei Abfchnitte. 
Die Einleitung handelt vom Zweck und der Aufgabe der meib- 
lichen Arbeitsſchule, befpricht dann bie Fächer und Drganifation 
derfelben. Zn 

Der erfte Abfchnitt trägt die Ueberſchrift „Schulfunde” und 
zerfällt in drei Kapitel. Das erfte Kapitel handelt „von ber Perſon 
der Lehrerin”, das zweite vom „Schullofal und feiner Ausſtattung“, 

Bäd. Jahresbericht. XXVIL 22 


338 Weibliche Handarbeiten. 


das britte bon ber „Schulführung‘. — Der zweite Abſchnitt, Unter⸗ 

richtskunde“ betitelt, Hat nur zwei Kapitel, von denen das erfte „von der 

Lehrweiſe (Methode) im Allgemeinen”, das zweite „von ber Lehrweiſe 

(Methode) beim Arbeitäunterrichte im Befonderen” ſpricht. — Der 

britte Abſchnitt bat wieber drei Kapitel. Das erfte beipricht „vie Er⸗ 

ziehbung im Allgemeinen‘, das zweite „bie leibliche Erziehung im Be⸗ 
fondern” und das britte „die geiftige Erziehung im Beſondern“. 

Die Berfafferin giebt nicht allein an, wie etwas nad) ben be= 
ſtehenden Berhältnifien zu lehren fei, ſondern macht auch Borfchläge, 
wie manche ungünftige oder unvollkommene Verbältnifie und Einrich⸗ 
tungen zu berbefieen wären. Das Buch gehört unftreitig zu ben beften, 
bie wir in biefer Beziehung befiken. | 

Es ſei wärmftend empfohlen. | 
15. Bazar⸗Almanach für Mode und Handarbeit, Belehrung und Anter⸗ 

haltung. I. Jahrgang. Mit 110 Illuftrationen. (96 ©.) gr. 8°. Berlin, 

1873. Derlag der BazarsActien-@efelfhaft. Preis 15 Ser. 

Per mit der Mode Gang halten will ober nach neuen Muſtern 
Bebürfniffe hat, der greife zum Bazar⸗Almanach. 

16. Neue Zierſchriften für Weiß⸗ und Kunfl-Stiderei in 54 Tafeln mit 
über 100 Alpbabeten der verfchiedenen Schriftarten in einfachen, fowie 
verfälungenen Buchftaben (Iegtere ebenfalls in completen Alphabeten), vielen 
Edverzierungen, Dignetten, Kronen u. dal. m. Entworfen und herausge⸗ 
geben von Abolph Bott in Hamburg. (4 ©. Text.) gr. 4%. C. Gaß« 
mann in Hamburg. 1869. Preis 2 Ihlr. 

Der Inhalt ift vollftändig im Titel enthalten. Der vorzüglichen 
Ausführung und großen Mannigfaltigleit wegen follte die Werk an 
jeder Arbeitsſchule ald Lehrmittel Verwendung finden. 

17. The Ladies’ book of Needle Work, including Embroidery, Brai- 
ding, Knitting, Crotchet ete., a Series of Bixty-four entirely new 
Desings Printed in Colours, with Instructions, by D. Georgens and 
J. M. v. Gayette Georgens. (84 ©. n. 64 Tafeln.) gr. 4°. London, 
2. Hadette u. Co., Berlin, Otto Löwenflein, Paris, 9. u. W. Galignani 
u. Co. in Paris. Preis 4 Thlr. 

Diefes vorzügliche Wert ift in Schulbibliotbefen und als Lehr- 
mittel verwendbar. 





XL Geſchichte. 
Bon 


Albert Nichter, 
Director der erſten Bürgerfhule für Nädchen in Leipzig. 





I. Methodifces. 


Don ben biesmal zur Beſprechung vorliegenden Schriften zur 
Methodik des Geſchichtsunterrichts, beichäftigen ſich zwei ſpeziell mit 
dem Geſchichtsunterricht an Seminaren. Es ſind dies: 

1. Beitrag zur Methodik des Geſchichtſsunterrichts an höheren 
Lehranſtalten, insbeſondere an den Seminarien. Rebſt ſpeziellem Lehrplan 
in der Geſchichte und Religion. Bon Oskar Adalbert Grüllich 
Seminardirector. (Anhang: Bericht über das Kgl. Seminar zu —8 
Far der Emil Diiva’fihen Buchhandlung. (80 ©. 8°. 

2. PA Methode und Technik des Geſchichts⸗Unterrichts auf den 

eminarien. Bon 8, F Eberhardt, Schulrath. GSeparat⸗Abdruck 
aus dem Programme des Seminars in Eiſenach. Oſtern 1874.) Eiſenach, 

Derlag von 3. Barmeifter. (15 ©.) gr. 8°. Breis 25 Pf. 

Grüllich's (leider an Drudfehleen fehr reihe) Schrift ift im 
Meientlichen ein Wieberabbrud einer im Anſchluß an eine Beurtbeis 
Iung ber neuen Lehrorbnung für die fächfiichen Seminare in Kehr's 
Padagogiſchen Blättern für Lehrerbildung (Jahrg. 1874, Heft 2 u. 3) 
veröffentlichten Arbeit, der bier noch ein fpezieller Lehrplan für Welt 
und Kirchengefchichte, fowie für biblifche Geſchichte, Katechismus und 
Bibelerflärung und eine kurze Geſchichte bes erſt Dftern 1873 gegründe= 
ten Seminars zu Löbau beigefügt find. 

In der eigentlichen Abhandlung erllärt fich der Verfaſſer mit ber 
eben angeführten Lehrorbnung einverftanden, welche dem wiſſenſchaft⸗ 
lichen, tiefer einführenden Curſus der vier lebten Seminarjahre einen 
zweijährigen propäbeutifchen Curſus vorangehen läßt, ber den Geſchichts⸗ 
Ben in mehr biographiicher Weife behandelt. Sobann erörtert ber 

afler die Grunbfäge für bie Auswahl des Stoffes in beiden Curſen, 
wobei er über bie vorzugsweiſe Berüdfichtigung ber deutſchen Geſchichte 
und über bie Rückſichtnahme auf bie einzelne Stammesgeichichte Tpricht, 
ber Fortführung der Geſchichte biß zur Gegenwart das Wort redet 

22° 





840 Geſchichte. 


und namentlich die Hervorhebung der kulturgeſchichtlichen Momente be⸗ 
tont. Ueber die Nothwendigkeit der Berückſichtigung ſocialer Fragen 
und ber Volkswirthſchaftslehre ſagt er u. A.! „Bedenkt man, daß bie 
Schüler der oberen Seminarllafien twöchentlich 35 — 39 Stunden Un- 
terricht haben, fo wird man eine weitere Hinzufügung von Stunden 
für befondere Betreibung ber Vollewirthichaftslehre für unmöglich halten 
müffen. Die focialen Fragen, bie Grundfäge ber Volkswirthſchafts⸗ 
Iehre können blos im anbesen Unterrighte, befonbers beim Geſchichts⸗ 
unterrichte, alfo natürlich nicht fo ausführlich, wie dies wohl die Wich⸗ 
tigfeit des Gegenſtandes an ſich verlangte, behandelt werben.” 

Alsdann bietet der Verfafler ein anjchauliches Beifpiel der Art, 
wie er fih den Stoff auf den propäbeutiichen und ben mehr wifien- 
Ichaftlichen Curſus vertheilt denkt, an der griechiſchen Gedichte, tie 
fie in ber ſechſten und vierten Seminarflaffe zu behandeln fein würbe, 
Die vier Jahrespenſen des oberen Curſus begrenzt ber Verfaſſer: 
IV. Klaſſe: Altertbum bis zur Völferwandberung. III. Klafie: Miütel- 
alter. II. Klafie: bis zur Zeit Ludwig XIV. I Klaſſe: bis zur 
Gegenwart. 

In dem nächſten Abichnitte, welcher bie Form bes Geſchichts⸗ 
unterrichts behandelt, werden beſonders beherzigenswerthe Winke für 
die Repetitionen gegeben, und am Schluſſe ftellt ber Berfafler ein 

Verzeichniß derjenigen Lehrmittel für den Gefchichtsunterricht zufammen, 
welche eine Seminarbibliothel unbedingt enthalten möchte. Man muß 
zugeben, baß die bier getzoffene Auswahl der Karten und Bücher eine 
gang vortreffliche ift. Mit einer folden Auswahl alle Wünfche zu 
befriedigen, möchte wohl unmögli fein. Gleichwohl will Referent 
ein paar folder Wünfche hier nicht unausgefprochen laſſen. An Stelle 
der Niebuhr’ichen Heroengeichichten, die wohl im Hinblid auf ihren 
berühmten Berfafjer meift überſchätzt worden find, möchten lieber 
Schwab's „Sagen des Haffiichen Aterthumser ſtehen. Ferner fällt 
auf, daß die bilblichen Darftellungen ſehr gering bebadıt find (nur 
Reinharb’s Album des Haffifchen Altertbums und bie deutiche Geſchichte 
in Bildern [Dresden, Meinhold]). — Als unbebingt wünſchenswerth 
möchten wenigſtens die Fulturgefchichtlichen Bilder in dem Bilder-Atlad 
zum Brockhaus'ſchen Gonverfationsleriton bezeichnet werben. Enblid 
find von urfprünglihen Quellen nur Ueberfegungen griechiſcher und 
ie Autoren angeführt. Wir follten meinen, daß auch die von 
Perg, Grimm, Ritter u. a. beraußgegebenen „Geſchichtsſchreiber ber 
deutichen Vorzeit‘ Aufnahme vwerbient hätten. 

Wie dieje in dem mitgetheilten Kleinen Kataloge fehlen, fo tft 
au in ber Abhandlung felbft auf die Bebeutung der Uuellenfchrift» 
fteller für den Geichichtäunterriht in Seminaren zu wenig Rüdficht 
genommen worden. Nach diefer Seite hin wird die Grüllich ſche Schrift 
durch bie Eberhardt'ſche trefflich ergänzt, in welcher gefordert wird, daß 
der Gefchichtöunterricht in Zukunft weniger allgemeine Bemerkungen 
und mehr Detail bieten möge. Die von Eberharbt angeführten Dei 
ſpiele find überzeugend und ebenfo wird man dem Verfafler Recht geben, 








Geſchichte. "341 


wenn er bon einem ind Detail eimbringenden Stubinm einzelner Par: 
thien günftigen Einfluß auf die beſcheidene Schätzung ber eigenen 
Leitung und auf das Streben nach Fortbildung erwartet, wenn er 
fagt: „Nur bie Bildung wird das Prüäbicat eines zweckmäßigen in 
Anſpruch nehmen bürfen, welche in Erlenntniß der nor vorhandenen 
Unboltommenpei und Lüden einen Impuls gu weiterem Streben 


Auch Eherharbt nimmt ſechs Jahre für den Gefchichtäunterricht 
in Anſpruch, ſcheidet diefe aber im Gegenſatz zu Grüllich in drei Jahre 
für ben propäbeutiichen und brei Sabre für ben mehr wiſſenſchaft⸗ 
lichen Curſus, fo daß jebesmal Altertum, Mittelalter und Neuzeit ein 
Sabre ausfüllen. 

Durch zweckmäßige Benugung bes Quellen glaubt Eberharbt zu- 
gleich der Anforderung Genüge zu leiften, daß ber Gefchichtsunterricht 
des Seminars vorbildlich fei, d. h. daß er ben Schüler zugleich anleite 
unb gewöhne, das concrete gefchichtlihe Material, auf weldem bie 
allgemeinen Anmerkungen in den Leitfäben unb Lehrbüchern beruben, 
mit derjenigen fprachlidhen Gewandtheit und ber Ausdrucksweiſe dar⸗ 
zuftellen, welche das populäre und kindliche Verſtändniß forbert und 
zwar nicht blos in einer angelernten und mechaniſchen Weiſe, jondern 
fo, daß ebenfo Verſtändniß, wie Gefinnung und Ueberzeugung damit 
verbunden jei. 

Beide hier genannte Schriften enthalten fo viel gute Bemerkungen 
über_den Geſchichtsunterricht im Allgemeinen, baß ihre Lectüre nicht 
‚nur Seminarlehrern, ſondern auch allen Bollsfchullehrern empfohlen 
werben barf. 

Die in neuerer Zeit viel erörterte Frage, welche Stellung der Sage 
im Gefchichtäunterrichte einzuräumen fei, erörtert die folgende Schrift: 

3. Die Verwerthung des deutfhen Sagenfloffes im Geſchichts— 
unterricht der Bolksfhule in päbdagogiſcher Verſuch. Bon Lic. 
ermann Sevin. Docent der Theologie an der Univerfität Heidelberg. 
übingen, Verlag der H. Laupp'ſchen Buchhandlung. 1875. (65 ©). 8°. 
Brei ı M. 

Der Berfafier fpricht ſich zunächſt im Anſchluß an die Beftim- 
mungen über den Gefchichtunterricht in Volksſchulen, wie fie in ben 
bezüglichen Gefeten und Verordnungen Preußens, Bayerns und Babend 
vorliegen, über feine Anforbezungen an biefen Unterricht aus und faßt 
feine Anfichten in folgendem Satze zufammen: „Ein allgemeiner ge: 
Schichtlicher Rahmen, durch wenige ganz beſonders wichtige und bebält« 
fiche Zahlen fixirt, die alte Geſchichte thunlichſft mit dem Religions 
unterrichte verbunden, das Hauptgewicht auf bie Entwidlung der beut- 
ſchen Nation gelegt, im legten Curs neue Geſchichte, im erſten Volker⸗ 
wanderung und Mittelalter, vorzüglich in Biographien behandelt und 
gelegentlich poetiiche Darſtellungen eingeflochten, ohne Gebrauch eines 
Lehrbuch, vom Lehrer mündlich vorerzählt, dann und wann eine fchrift: 
liche Mebung über das Vorgetragene angeftellt — das bürfte fo giem- 
lich als Durchſchnittsleiſtung für unjere Volksſchulen genügen, aber 


342 Geſchichte. 
auch ohne beſondere Schwierigkeiten durch einen gewifienbaften Lehrer 


zu erreichen fein.“ 

Daran Inüpft ber Verfaſſer bie Fenge: „Wozu denn ba noch 
Sagenſtoff?“ und er findet die Antwort in der Beantivortung ber 
Frage nad dem Zwede des Geſchichtsunterrichts. „Die Jugend joll 
durch den Geſchichtsunterricht zunächſt in den Stand ge werben, 
bie Heimath nit nur nad ber geographiſchen Beſchaffenheit Tennen 
zu lernen, fonbern auch zu erfahren, daß bied Land eine reiche Ver⸗ 
gangenheit hinter fi hat,.... das Kind foll lernen, wie allmählich 
der bermalige politische Buftand Deutſchlands berbeigeführt ward.“ 

Als zweite Aufgabe des Geſchichtsunterrichts bezeichnet der Ber- 
fafier, daß er der Jugend bie Thaten der Väter vorbilblich vorhalte 
und fo neben dem Religiondunterrichte lebenskräftige Keime ber Herzens 
bildung pflanze und pflege. 

Aber, fährt der Berfafler fort, es fehlt an eigentlich muftergiltigen 
beutfchen Charakteren in der Gefchichte, in denen bie Jugend fich ſpie⸗ 
geln Tann. „Nun finden wir bei fait allen Culturvölkern das Be⸗ 
fireben, die einzelnen berborragenden Eigenjchaften der Nation auf 
einen oder mehrere, gleihfam Nationalbelden zu übertragen, in benen 
dann die Nation ihrem befieren Theile nach fich repräfentirt findet. 
Wie aber das nicht gelehrte, wohl aber poetiſch angehauchte Volk gleich- 
fam in feiner Jugendzeit ſolche Charaktere ſchafft, To find biefelben 
auch gerabe für die Jugendzeit des Einzelnen die anſprechendſten, find 
wie wohl feine jonft geeignet, ber Jugend als Spiegel vorgehalten 
und von berielben mit ganzer Seele erfaßt zu twerden.... So werben 
denn auch wir für die Aufgabe, der Jugend Nationaldaraktere vorzu⸗ 
orten, auf bie borgejchichtliche Zeit zurüdgreifen müflen, auf die — 

age.’ 

Die mythiſche Sage ſchließt der Verfafier aus bem Kreiſe ber 
Boltsichulunterrichtägegenftände aus, Sagen, die fi an einzelne Ber- 
fonen der Gefchichte fpäterer Zeit angefekt haben (3. B. von ber Weiber: 
treue zu Weinsberg, vom tapfern Schweppermann zc.), follen als 
poetiiche Zugaben zum Gefdhichtsunterrichte an entiprechender Stelle 
ihre Erledigung finden. Bon um fo größerem Belang aber jei bie 
eigentliche Heldenſage. 

An dieſe ftellt der Verfaſſer bie Forderungen: 1) baf der deutſche 
Geiſt noch möglichft rein und unvermiſcht mit fremden Elementen 
fih darin abipiegele, 2) baß biefelbe in ber mehr ober weniger voll⸗ 
flänbigen Darftellung eines alten Dichter uns vorliege. Diefen Forbes 
rungen entipredien nad des Verfaſſers weiteren Ausführungen nur 
Nibelungen und Gudrun, denen ala Borläufer der Waltbarius, als 
fröhlicher Abſchluß der Rofengarten fich augefellen können. 

Nachdem der Berfafler jo die Gründe bargeftellt, aus welchen 
überhaupt Sagenftoff im Geſchichtsunterrichte der Volksſchule verwerthet 
werben fol und nachdem er aus diejen Principien bie einzelnen Sagen 
foffe abgeleitet hat, welche zu behandeln find, geht er an bie Erörte⸗ 
sung ber Frage, in welcher Weiſe biefer Stoff etwa zu lehren wäre. 





Geſchichte. 348 


Zunächſt fol der Lehrer auf alle kritiſchen Erörterungen über 
Entftehung und muthmaßliche Urfprünglichleit unferer Nationalgarden 
verzichten, ebenfo auf alle Erörterungen über einzelne Widerſprüche 
oder Unmahrfcheinlichleiten in den Gedichten felbfi. Dagegen fol hin⸗ 
geiwiefen werden auf bie hiſtoriſche Grundlage ber großen nationalen 
Sagen unb fo oft es nur angeht, foll ber Lehrer den Inhalt an 
einen beftimmten localen Schauplatz anknüpfen. Die Sage ſelbſt 
fol ber Lehrer vorerzäblen, die Finder erzählen nah, einzelne 
Barthien können ſchriftlich wiedergegeben werden. Für münfchens- 
werth erachtet ber Verfafler, daß ber Lehrer einzelne wenige, befonbers 
charakteriſtiſche und möglichſt leicht verftändliche Strophen des Urtexrtes 
feinem Gedächtniſſe einpräge und in feine Inhaltsangabe verflechte. 
„Die Heine Mühe lohnt ihn reichlich; er wird wahrnehmen, wie bie 
Kleinen diefen fo eigenthümlichen und doch fo unendlich anziehenden 
gemüthlichen Klängen mit gefpanntefter Aufmerkfamteit laufchen, tie 
biefe Töne das Ohr umfchweben gleih Harmonien, bie herüberklingen 
aus einer füßen, längft entihwundenen Heimath. . . . Vor Veber- 
treibung ift freilich auch bier zu warnen; mehr als etwa ein Balbes 
Dutzend folder Strophen follte im Allgemeinen nicht vorgefprochen werden ; 
fo viele genügen aber, um ber Jugend wenigftens annähernd einen 
Begriff von dem Urtert zu geben.’ Die mitzutheilenden Strophen 
follen auch folche fein, bie irgend eine Idee ausfprechen und bie burch 
eben dieſen Inhalt geeignet find, bleibendes geifliges Eigenthum ber 
Nation zu werben. 

Anhangsweiſe theilt der Verfafler als Proben ber Art, wie er 
fih die entſprechenden Sagen erzählt denkt, die Inhaltsangaben bes 
Nibelungen-, Gudrun⸗ und Waltharilieves unter Einflechtung einzelner 
Strophen im Urtert mit. 

So einverftanden Referent auch mit ben vorher entiwidelten Grund» 
fäten im Ganzen fein Tann, fo wenig kann er doch diefe Proben als 
Mufter anerkennen. Ihre VBeurtheilung wird zugleih Veranlaſſung 
Bieten, manches zu jenen Grunbfäten noch hinzuzufügen und nachzu= 
weifen, wie die nationale Sage in der Volksſchule noch ganz anders ver- 
wertbet werben kann, als in ber von dem DVerfafler ausgeführten Weife. 

Zunädft find die von dem Berfafler gebotenen Proben Teine 
Erzählungen, fie entbehren ganz bes epifchen Tones und ©epräges; 
fie find eben nichts als Inhaltsangaben mit durchgängiger Feſthaltung 
bes erzählenden Präſens. Sodann fehlt ihnen alles Detail, welches 
geeignet wäre, ein anfchauliches Bild der in den Sagen ſich geltend 
machenben Rulturzuftände zu gewähren. Gerade barauf aber möchten wir 
bei der Behandlung der Sagen in ber Schule ein Hauptgewicht legen, 
obne deshalb gegen den ethiſchen Gehalt der Sagen ungerecht zu werben. 

Freilich wird dann diefen Sagen auch etwas mehr Zeit bewilligt 
werden müflen, als der Verfafler zu betvilligen geneigt iſt. Er 
Sprit von wenigen Stunden, die auf den nationalen Sagenftoff zu 
verivenben feien, will die Sagen nur „gleichlam als Belohnung für 
befondere Aufmerffamleit im Gefchichtäunterrichte, fo etwa alle Viertel- 


344 Geſchichte. 


jahre einmal vorgeführt" wiſſen und nemnt es gänzlich verfehlt, wenn 
ber Lehrer feinen Gefchichtsunterricht mit der Behandlung der nationalen 
Sagen ohne weiteres beginnen wollte. 

Referent möchte vielmehr gerade einen Sagenfurfus ala Borftufe 
bes Geſchichtsunterrichts betrachtet willen Die Sagen follen nicht 
nur Unterhaltung gewähren und Lohn für fleißige Arbeit jein, Fe 
follen felbft tüchtig buschgearheitet werben. In epifcher Breite erzählt, 
find gerade die Sagen vorzugsweiſe geeignet, eine Menge kultur⸗ 
biftorifchen Details den Kindern zu vermitteln. Die auf eine foldhe 
eingehendere Behandlung der Sagen verwandte Zeit würbe keineswegs 
als verloren zu betrachten fein, wenn neben bem ethiſchen Gehalte 
bee Sage aud der Tulturhiftorifche ausgebeutet worben if. Daß bie 
Sagen allein nicht ausreichen, wenn es fih um Antnüpfungspunlte 
für kulturhiſtoriſches Material handelt — deſſen Vermittlung bis jegt 
meift eine viel zu trodene, nicht zu lebendigen, anfchaulichen Bildern 
ſich geftaltende iſt — leuchtet von felbi ein. Wie aber zu dem be= 
regten Zwede ausgewählte Stüde älterer Quellenſchriften ſich vor⸗ 
zugsweiſe eignen, das bat Referent bereits an anberem Drte ausgeführt. 

Um nur einiges als Beifpiel zu nennen für das, was wir unter 
folchen kulturgeſchichtlichen Belehrungen betrachten, ſei hier erinnert an 
die mittelalterlichen Kampfipiele (Turnier, Steinwerfen, Springen :c.), 
an das Loben der Frauen (im Frauengemach, Näben und Stiden, 
Mandteppiche, Sattelveden, Turnierpreiſe sc.), an die Sänger unter 
den Nittern und bie fahrenden Sänger (Voller, Horand, Werbel, 
Swemmel), an die frühere Art des Reiſens (Frauen Ai Pferd, Seereiſen, 
Geleitsweſen) an die Namengebung für Roſſe, Waffenſtücke u. del, 
an Jagdgebräuche (Bären, Auer ꝛc. noch in den Wäldern, Falken :c.), 
an alte Rechtsgebräuche (Lehnsweien, Hüllen und Füllen, Bahrrecht, 
geitabte Eide, Eideshelfer) u. f. w. 

Beſprechungen biefer Art würden fih am beiten in ber Weiſe 
an die ausführlich erzählten Sagen anſchließen, daß man die Schüler 
nur auf das, worauf es gerade ankommt, aufmerfjam machte und nun 
die einzelnen Belege aus den Sagen felbft auffuchen und auffinden Iteße. 

Auch mit der vom Verfafler getroffenen Auswahl können wir uns 
nicht ganz einverflanden erllären. Auf den Roſengarten legt ex zwar 
ſelbſt wenig Gewicht, aber auch dem Waltharilieve möchten wir nicht 
fo große Bedeutung beilegen, daß wir es neben Nibelungen und 
Gudrun noch ausführlich behandelt fehen möchten. Wir würben, wern 
neben den beiden leftgenannten Sagen noch Zeit übrig bleibt, lieber 
die Rolandſage berüdfichtigt ſehen, die auf die mittelalterliche Auf⸗ 
fallung bes Chriftenthums, vorzugsweiſe auch der Kreuzzüge das 
hellſte Licht wirft. 

Referent bat neuerdings für Schulzwede eine Bearbeitung ber 
Nibelungen, Gudrun» und Rolandfage geliefert, bie er Biermit ber 
Lehrerwelt zur Prüfung empfiehlt. Hauptſächlich bat er fich dabei von 
bem Gedanken leiten laflen, lieber wenig Sagen, biefe aber ausführe 
lih und mit befonderer Nüdfiht auf das für die Kulturgeſchichte zu 








Geſchichte. B846 


verwerthende Detail zu bieten. Ste find enthalten in: Götter und 
Helden. Griechiſche und deutſche Sagen. Als Vorſtufe des Ge- 
ſchichtsunterrichts, bearbeitet von Albert Richter. Drittes Bändchen. 
Leipzig, Brandftetter. 1875. (188 ©. gr. 8%. Preis: 1,40 Mark.) 
Dad erite Bändchen enthält ebenfalls für Schulzwede bearbeitet bie 
griechifchen Sagen: Prometheus, Deufalion und Pyrrha, Herkules, 
Theleus, Jaſon und Medea, ber trojanische Krieg, Dreſtes und Iphigenia, 
Dbyffeus. (Preis: 1,20 Marl.) Wenn wir auch zugeben, daß biefes 
erfte Bändchen nur in vielllaffigen Vollsſchulen wird gebraucht werben 
lönnen, jo möchten wir doc wünſchen, daß ber inhalt des zweiten 
Bandchens wenigftend zum Theil allen deutſchen Volksſchulen zu Gute 
fäme. Daſſelbe enthält die Sagen von den altdeutſchen Göttern 
(Thor, Odin, Balder und Nanna, Weltihöpfung und Weltuntergang 
x.) und ber Berfaffer hofft mit bemfelben eine thatjädhliche Wider⸗ 
legung eines Satzes gegeben zu haben, welcher fi ©. 22 der hier 
angezeigten Schrift befindet und nichts Geringeres behauptet, ala daß 
fi „aus dem beutichen Mythus kaum für bie gelehrte Welt, Teinesfallg 
aber für die Jugend brauchbares Material” gewinnen lafie. 

Nah allem diefen muß das Endurtheil über das vorliegende 
Werkchen dahin zufammengefaßt werben, daß ber Berfafler zwar mit 
wohltbuender Wärme, immerhin aber nicht umfaflend genug für die 
Verwerthung bed deutſchen Sagenftoffes in der Volksſchule eingetreten 
it und daß er namentlich allzuſehr unterlafien bat, den Sagenftoff 
dem Geſchichtsunterrichte bienftbar zu machen. 


II. £ehrbüder, Leitfäden n. dgl. 


1. Allgemeine Geſchichte. 


1. Die Weltgeſchichte in einem leicht überfchaulichen, in fich zufammen- 
hängenden Umriſſe. Für den Schnl- und Selbftunterriht von Dr Heinrich 
Dittmar. Elfte Auflage. Durchgeſehen und bis auf die neuefte Zeit 
fortgeführt von Dr. Karl nicht, Direror des Gymnafiums zu Dels. 
Seideiberg, Carl Winters Univerfitätsbuhhandlung. 1874. 

Griter Theil: Sefchichte der Welt vor Ehriftus. (VI und 226 ©.) 
Eee Iheil: Geſchichte der Welt nah Chriſtus. (VI und 430 ©.) 
reis beider Theile zufammen: 4,20 Marl. 


Diefes vortveffliche Buch, das im Jahresberichte ſchon oft, zuletzt 
Bd. XXIII, S. 514 Angezeigt worden ift, bedarf Feiner Empfehlung 
mehr. Wir wollen bier nur noch der fehr überfichtlichen genealogifchen 
Tafeln und der ſynchroniſtiſchen Tabellen erwähnen, bie beiden Theilen 
beigegeben find und deren in ben früheren Beſprechungen nicht ge= 
dacht if. Die neue Auflage ift vermehrt um die Gefchichte des deutſch⸗ 
franzöfifchen Krieges und ber Wiederaufrichtung des beutfchen Kaifer- 
thums, jowie um eine kurze, aber gut orientirende Darftellung der 
zzeueften Vorgänge in Frankreich, Italien, Spanien und Rußland. 
2. Weltgeſchichte n Biographien, herausgegeben von Dr. Moritz 
Syieh und Bruno Berlet, Oberlehrer an der Realſchule zu Annaberg. 


346 Gefchichte. 


Zweiter Kurfus, Für den Unterricht in mittleren Klaſſen berechnet. Fünfte, 
verbefferte und bis auf die Gegenwart fortgeführte Auflage. Hildburg⸗ 
haufen, Thüringer Schulbuchhandlung. 1874. (ZI und 336 ©.) 
Breit: 2,50 Dark. 

Au in diefem Buche Tiegt ein längſt als vortrefflih anerfanntes 
und im Jahresberichte oft empfohlenes Wert vor. Das berebtefte 
Lob defjelben bat neuerdings Profeffor Dittes in feiner „Methodik ver 
Volksſchule“ verkündet. Ueber die einzige Aenderung, welche bie neue 
Auflage erfahren bat, giebt Schon der Titel in den Worten „bis auf 
die Gegenwart fortgeführt” Auskunft. 

3. Lehrbuch der Weltgeſchichte für uin. Ben H. en. 
Behnie flag. Durd —8 Gescher, ai —E ee 
vermehrt und bis auf die neuefte Zeit fortgeführt von Dr. F. W. Klatt, 
Vorſteher einer Lehranftalt für Knaben in Hamburg. Leipzig, San Frau—⸗ 
eidco und New⸗York. Berlag von 3. Schuberih und Go. (278 ©.) 
Preis: 1,20 M. 

Mir Tönnen das Buch, obgleich es in zehnter und verbefierter 
Auflage vorliegt, leider nicht loben. Zunächſt macht fi eine fehr 
bebeutende Ungleichartigleit in ber Behandlung ber einzelnen Stoffe 
bemerfbar. Wir wollen nicht mit dem Berfafler darüber rechten, daß 
der letzte Zeitraum (1848—1871) ein Drittel des ganzen Buches ein» 
nimmt, obgleich wir das in einer Weltgefchichte noch weniger gerecht⸗ 
fertigt finden, als in einer beutfchen Geſchichte. Wenn aber 
Koften diejer Ausführlichleit andere, und zwar bie wichtigften Parthien 
der Gejchichte zu kurz kommen, fo verdient es entſchiedenen Tadel. 
Die Tebruarrevolution in Paris wird in größter Ausführlichleit er- 
zählt. Da erfahren die Schüler z. B. auf S. 191, daß ein ftarker 
Haufen Volls gegen Guizot's Hötel beranzog, daß vor dem Hötel das 
14. Regiment zum Schube poftirt war, daß ber Commandant befielben 
Sebaftianti hieß 2c. Seite 193 wird gewiſſenhaft angegeben, daß unter 
den Mitgliedern der probiforifchen Regierung Armand Marraft Haupt⸗ 
rebacteur des National” und Ferdinand Flocon Hauptrebacteur der 
„Reform“ mar, baß die Proclamation der proviſoriſchen Regierung 
zwiſchen vier und fünf Uhr an bie Mauern angefchlagen wurde. Mit 
ſolcher Ausführlichkeit contraftirt auffallend die Kürze in andern Para 
orapben. In 8 63 find abgehandelt die Ereigniffe von 1529—1555 
(Reichſtage zu Speier und Augsburg, Gründung bed Jeſuitenordens, 
Luther Tod, fchmallalbifcher Krieg, Karla V. Kriege mit Franz L, 
Vertreibung Heinrichs von Braunfchweig, Coneil zu Trident, ſchmalkal⸗ 
bifher Krieg, Krieg mit Heinrich IL, Paflauer Vertrag, Augsburger 
Neligionsfriebe). Der auf dieſen inbaltreichen Paragraphen verwendete 
Raum beträgt 11/, Seite, während der Pariſer Februarrevolution 
32/, Seiten gewidmet werden. Auf die fünf fächftichen Kaifer kommen 
2! Seiten; Otto I. muß ſich mit 8 Beilen begnügen. Dem General 
Cavaignac ift (S. 194) mehr Raum gemwibmet. 

Die Anordnung des Stoffes ift nicht immer eine glüdliche. 
Luthers Tod wird 3. B. eher erzählt, als die Proteftation in Speier 
und bie Uebergabe der Augsburgiſchen Confeffion. Paragraph 55 iſt 


Geſchichte. 347 


Aberſchrieben: „Die Jungfrau von Orleans“. Dieſe wird aber nur 
in einer Anmerkung genannt, in dem Paragraphen ſelbſt ſteht kein 
Wort von ihr. Auch offenbare Fehler finden fich. Seite 129 iſt 
bie Rede von dem 1525 am Bodenſee ausbrechenden Bauernfriege. 
Seite 143 heißt es: „Chriſtian IV. von Dänemark, welcher fich ber 
Proteftanten in Deutichland angenommen hatte, wurde von Tilly bei 
Hannover und von Wallenftein bei Lutter am Barenberge geſchlagen.“ 
Die Aufhebung des Edictd von Nantes wird Seite 148 in das Jahr 
1684 gejeht. Aus dem Annoliebe ift Seite 125 wohl durch einen 
Drudfehler ein Lobgefang auf die heilige Anna geworben. 

4. Lehrbuch der allgemeinen BGeſchichte für die unteren Klaſſen der 
Mittelfegulen Bon Anton Bindely. Mit vielen Abbildungen. Vierte, 
verbefiexte Auflage. Prag, Berlag von F. Tempsly. 1873. 

Griter Band: das Altertbum. (170 ©.) Preis: 1,30 M. 

Zweiter Band: Das Mittelalter (150 ©.) Preis: 1,30 M. 

Belannte und empfehlenswertbe Lehrbücher, die im Zahresberichte 
Schon mehrfach angezeigt find, zuletzt Bb. XXII, Seite 833. Das 
Verfahren des Berfafiers, den Unterrichtäftoff durch im Lehrbuche bei- 
gedruckte Tulturgefchichtliche Abbildungen anſchaulicher zu geftalten 
und zu beleben, verdiente mehr Nachahmung, ale e3 bis jest ge= 
funden Bat. 

5. Leitfaden für den Gefhihtsunterridt in Mittelfehulen. Auf 
Grund der ‚Allgemeinen Beflimmungen vom 15. October 1872“ bearbeitet 
von 9. Schne er. Bielefeld und Leipzig, Verlag von Belhagen und 
Klafing. 1874. Win und 351 ©.) Preis: geb. 1,60 Mark. 

Bon anderen Leitfäden unterjcheibet fich biefer vortheilhaft durch 
bie fließende Art feiner Darftellung, die ihn faſt zu einem Leſebuche 
macht und durch feine außerordentliche Wohlfeilheit. Bei einer neuen 
Auflage, die jedenfalls nöthig werden wird, dürfte auf die Kulturges 
Ihichte der Neuzeit etwas mehr Rüdficht genommen werben, die jebt 
bürftiger bedacht erjcheint, als die des Mittelalters, über welche ein 
fehr veichhaltiger und gut geichriebener Paragraph: „deutſches Leben im 
Mittelalter” orientirt und ſelbſt als die des Alterthums. Dann wird 
auch die Verwechslung verſchwinden, melde Seite 203 bezüglich ber 
Verfaſſer und der Abfaffungszeit des „Chriſt“ und des „Heliand“ mit 
untergelaufen ift. 

6. Grundriß der Weltgeſchichte. Kür Höhere Bürgerfchulen und mitt, 
lere Gymnaflaiflafien. Mit elf colorirten Karten. Bon I. ©. Andra. 
Rennte, verbeflerte und vermehrte Auflage. Kreuznach, Drud und Verlag 
von R. Voigtländer. 1873. (XIL 392 ©.) Preis: 3 Matt. 

Auch in dieſem Buche, das jonft vortrefflich ift, vermiſſen wir bie 
Kulturgeichichte der Neuzeit, während die Kriege bon 1864, 1866 und 
1870—71, worauf ſchon ber frühere Referent (Jahresbericht XXIV, 
802) aufmerkſam machte, mit einer wahrhaft Lururiöfen Ausführlichkeit 
behandelt find. Die beigegebenen Karten könnten bezüglich ihrer Ein- 
—2 — Ueberſichtlichkeit manchem hiſtoriſchen Schulatlas als 

r dienen. 

Von demſelben Verfaſſer liegt vor: 


‚848 Geſchichte. 


7. Erzählungen aus der Weltgeſchichte. En Lehr⸗ und Leſebuch für 
den erſten Unterricht in der —2 Bon HE. Audrä. Vierte, ver⸗ 
befſerte und vermehrte Auflage. Kreuznach, Druck und Berlag von R. 
Voigtländer. 1874. Preis: 2 Rark. 

Bei Beiprechung ber britten Auflage (Jahresber. XXIV, ©. 804) 

wirb das Buch „eined ber vorzüglichſten feiner Art“ genannt. Wir 
haben uns bier biefem Urtbeil nur anzufcließen. Die in der neuen 
Auflage vorgenommenen Aenderungen befteben nad dem Borwort nur 
‚in wenigen Verbeflerungen, wie fie eine erneuerte Nevifion bes Textes 
ier und da als zweckmäßig ergab“. Gleichzeitig ift eine beſondere 
Ausgabe für confejlionell- gemifchte Schulen erichienen, in welcher ber 
zeligionggefchichtliche Stoff unabhängig von einer beftimmten confeffto= 
er Anichauung behandelt wird. Diefe Ausgabe Ing dem Referenten 
nicht vor. 

8. Erzählungen aus der neuefien Befhihte (1815—1871.) Bon 
Dr. Ludwig Stade, Oberlehrer am Königl. Gymnafium zu Rinteln. 
Zweite, vermehrte Auflage. Didenburg, Drud und Berlag von Gerhard 
Stalin. 1874. (VII u, 484 &.) Preis: 3,50 M. 
Geſchichtserzaͤhlungen von Stade zu Iefen, ift und bleibt immer 

ein Genuß und fo ift es denn nicht zu verivundern, daß dieſes neuefte 
Bändchen berjelben jo bald eine zweite Auflage erlebt bat, die nun 
um eine ſechs Bogen ftarte Gejchichte des Krieges von 1870 und 71 
vermehrt if. Gewiß bat ber Verfaffer Recht, wenn er im Vorwort 
fagt, daß gerade der geſchichtliche Stoff dieſes Bändchens jedem Dariteller 
erhebliche Schwierigkeiten entgegenftellt, aber eben jo gewiß waren 
Wenige jo wie Stade befähigt, diejelben zu übertoinden. Aus Berfehen 
find beim britten Zeitraum, ſowohl im Inhaltsverzeichniß als auch 
im Texte, die Ueberjchriften der vorigen Auflage (Von der Februar: 
revolution bis zur Gründung des Norbdeutichen Bundes 1848—1866) 
fteben geblieben. Durh den Schlußabfchnitt, welder die außer- 
europäiihen Staaten behandelt (Aufftand in Indien 1857—1859, 
Bürgerkrieg in Nordamerika 1861 — 1865, Kaifertbum in Mexico 
1864—1867, Haiti, Republifen in Mittel- und Südamerila, Aegypten, 
Abeffinien 1868, Auftralien), ift das Buch zu einem vollftändigen 
Abriffe der Gefchichte der neueften Zeit geworben. 


9 Die Weltgeſchichte. Für die unteren und mittleren Klaſſen der Gym⸗ 
naflen, für Reale, Bürger- und Fortbildungsſchulen nach unterrichtlichen 
ab feben bearbeitet von Friedri Lauer. Gichen, Verlag von Emil 

oth. 1874, 

Grfte Abtheilung: Die alte Geſchichte. Dritte, mit einigen Zufüßpen 
vermehrte Auflage. (VIII u. 104 S.) Breis: 70 Bf. 

Dritte Abtbeilung: Die neue Geſchichte. Dritte, bis zum Sabre 
1873 fortgefährte Auflage. (102 &) Preis 50 Pf. 


Das Buch verdient das Lob, welches ihm früher im Jahresbe⸗ 
richte (XII, 268) gefpendet worden ift, wenn wir auch bem nicht zu- 
flimmen können, was der Berfafier im Vorwort zur britten Auflage 
fagt: „Der Lehrer, welcher ſich dieſes Leitfadens bedient, wird, ohne 
daß er fih auf den Unterricht befonderd vorzubereiten ober allzuſehr 








Geſchichte. 349 


anzuſteengen kraudıt, in Burger. Zeit gute Reſultate erzielen.“ Schade 
um das hübſche Bud, dem eine fo maxkiſchreieriſche Reklame leicht 
Ichaben könnte. Im dritten Bändchen find bie vier erften Bogen. wohl 
nur aufgewärmte frühere Auflage und. erft vom fünften Bogen an 
beginnt der Neubrud. Dadurch find die Ergänzungen der. neuen Auf⸗ 
lage (Die Kriege von 1864, 1866, 1870—71) unter die Hauptübers 
ſchrift: „E. Berühmte Berfonen aus der awßerbeutfchen neueren Ges 
ſchichte“ und binter den Ahfchnitt: „Gegenwärtiger Stand der Staaten 
Europas” gerathen. 1 
10. Leitfaden zur allgemeinen Geſchichte. Kür höhere Bildungs⸗ 
anſtalten herausgegeben von Dr. Otto Lange, Profeſſor in Berlin. Erſte 

Unterrichtsſtufe. (Der biograpbiſche Unterricht.) Elfte Auflage. Berlin, 

Verlag von Rudolf Gärtner. 1874. (90 ©.) Preis: 75 Pf. 

Das Bub fcheint fi, wie die hielen Auflagen beweiſen, vieler. 
Freunde zu erfreuen. Wir gehören nicht zu ihnen. Ganz abgefehen 
davon, dag der Ausdruck: biographifcher Unterricht auch bier nicht zu⸗ 
treffend iſt, können wir uns feinem ſonderlichen Erfolg babon ver⸗ 
fprechen, wenn als erfte Stufe ber mittelalterlicden Gefchichte folgende 
der Zeit nach bunt durcheinander gemwürfelte Abfchnitte ihre Erledigung 
finden: Deutſchland: Hermann, Karl der Große, Rudolf von 
Habsburg (— der hier immer Kaifer genannt wird —); Italien: 
Gregor VO; Frankreich: Jungfrau von Drleand; England: 
Alfeed der Große; Arabien: Muhamed. Ebenſo nad) den Ländern 
angeorbnet find die Abjchnitte aus der neueren Gefhichte: Deutſch⸗ 
Iand: Luther, breißigjähriger Krieg, Friedrich ber Große, der erſte 
beutiche Kaiſer. Frankreich: Bartholomäusnacht, die Revolution 
und Napoleon I. -Spanien und Portugal: Chriſtoph Kolumbus. 
Italien: Papſt Sixtus V. England und Schottland: Elias 
beih und Maria Stuart. Skandinavien: Guſtav Waſa. Ruß⸗ 
land: Beter der Große. Der BVerfafjer fcheint bei diefer Auflage das 
Mißliche der von ihm getroffenen Anordnung jelbft gefühlt zu haben, 
obne freilih Abhilfe zu ſchaffen. Er jagt in ber Vorrede: „Da ich 
im Wefentlichen die Einrichtung des Buches nicht verändern wollte, 
brachte ich den Zuſatz (dev erfte deutfche Kaifer) unter die Rubrik 
„Deutichland.” Es wird gut fein, beim Unterrichte vor der Behand 
Iung deflelben den Abfchnitt: „die Revolution und Napoleon I’ mit 
den Schülern zu beiprechen.” 


11. Zeitfaden für die biographiſche Borfiufe des Geſchichts— 
unterriht®. Bon Dr. €. Wernide, Oberlehrer an der Königl. Elifabeth- 
fule in Berlin. Dritte Auflage. Durchgefeben und Torige est von Dr. 
8. Wagner, Lehrer am Königl. Friedrich Wilhelm⸗Gymnaſfium zu Berlin. 
Berlin, Karl Dunder’s Verlag. 1874. (114 ©.) Preis: 1 Mark. 


Das Buch, in zweiter Aufläge beiprodden und empfohlen im 
Sabreöberit (XXIH, ©. 519), bat rüdfichtlich ber Auswahl des 
Stoffes die größte Aehnlichkeit mit Nr. 10, ja, es dedt ſich jogar mit 
bemjelden ziemlih genau. Die Anordnung iſt aber bier eme dem 
Laufe der Zeiten folgende. Daß die Geſchichte Guſtav Waſas als 


350 Gefchichte. 


eines Vorfahren Guſtav Adolfs in die Gryählung bes breikigjährigen 
Krieges eingeflochten ift, ließe fich bei einer neuen Auflage wohl abe 
ändern. Bermehrt ift die neue Auflage um ben drei Seiten langen $ 135 
Der beutfchsfranzöftiche Krieg und bie Wieberberftellung bed beutfchen 
aiſerreiches). 
12. Leitfaden für den geſchichtlichen Unterricht in Präpatanden⸗ 
en, Mittels und Volkeoſchulen. Deraußgegeben für die Hand der 


Hier von U. Mauer. Berlin, Wilhelm Logiers Buchhandinng. 1874. 
(104 ©. gr. 8°.) Preis: 1 Marl. 


Für den bezeichneten Zweck vecht geichidt angelegt; nur wäre zu 
twünfchen, daß ber Ausdrud zuweilen beitimmter, manchmal auch correcter 
wäre. S. 27 muß e3 zu irriger Auffaffung verleiten, wenn es beißt: 
„Jetzt richteten ſich Juſtinians Blicke auf Stalin. Im raſchen Sieges- 
laufe kam er bis Nom, das ihm freiwillig feine Thore öffnete.” Auf 
berfelben Seite: „Als kühner, thatendurftiger Süngling war ihm 
(Klodwig) die Herrſchaft in Gallien hinderlich.“ Karl der Große bat 
nicht felbft Lieder gebichtet, wie S. 30 behauptet wird. Dan kann 
auch nicht fagen, wie S. 28 fteht: „Mit Klodwigs Tobe brach, was 
er gebaut, wieder zuſammen;“ ebenfo nicht, daß Maximilian L Böhmen 
und Ungarn mit dem Haufe Deftreih vereinigt habe, wie ©. 47 
ftebt. Als Anhang find beigegeben: eine fünf Seiten umfaſſende Ge⸗ 
ſchichtstabelle, ein Verzeichniß der berühmteften Feldherren und Staats⸗ 
männer Preußens und ein Verzeichniß berühmter Männer der Kunft 
und Wiſſenſchaft. 

13. Kleine Weltgeſchichte für Die obern Klaſſen ber Zöchterfchulen und 
zum Gebrauche in Haus und Kamille von C. ©. Soutgia er. Eiſe⸗ 
nad, Verlag von J. Bacmeifter. XII u. 358 ©. gr. 8°.) Preis 3 M. 

Dieſes Buch will, wie aus dem Vorworte erfichtlih wird, aus- 
getretene Bahnen verlaflen und ganz neue wandeln; es wirb baber 
nöthig fein, auf das Vorwort etwas ausführlicher einzugehen. Es 
beißt in demfelben u. a.: „Vor allen Dingen ift e3 fehr auffallend 
zu bemerien, wie — im Gegenſatze zu der Unmaſſe von Lehrbüchern 
und Leitfäden für Knabenfchulen — außerordentlich Wenige ſich den⸗ 
jelben Beftrebungen für das andere Geſchlecht zuwenden. Welche 
geringe Auswahl von Weltgefchichten für das weibliche Gejchlecht! 
Und noch auffallender und unerllärliher ift der Umftand, daß — 
während man in ben verfchievenen Arten von Lehrbüchern und Leits 
faden ber Weltgefchichte für Knaben nicht nur nad) den verichiebenen 
Bildungsanftalten überhaupt unterfcheibet (als Bürgerfchulen, Real⸗ 
oymnafien, Päbagogien, Symnafien), fondern auch fogar mieber bie 
Lehrbücher nach den verichiebenen Klaſſen auf biefen Lehranftalten 
mobdificirt, jo daB die Unterfcheibung bald ganz in das Minutiöfe, 
Beinliche und Unfaßbare geräth — man bei dem Lehrmaterial von 
Meltgeichichten für das weibliche Geſchlecht kaum nur bie allern 
wenbigften, fchon bem oberflädhlichften Anblid ſich barbietenden Unter- 
richtsſtufen einhält. Welch ein großer Abſtand ift 3. B., welch eine 
große Kluft gähnt zwiſchen ber „Kleinen Weltgefchichte für Töchter 





Geſchichte. 851 


ſchulen“ von Nöffelt und befien größerem bierbänbigen Werte, wel- 
ches fogar ebenfalls noch ein Unterrichtsbuch fein fol. Es müffen bei 

Lehrbücern der Geſchichte für das weibliche Geſchlecht body aller 
wenigſtens brei Stufen unterfhieben werben. Die Stufe, welche in 
biefem vorliegenden Werke, fowie in Nöffelts „Kleiner Weltgeſchichte 
für Toöchterſchulen“ eingehalten ift, ift ſchon gewiß nicht bie niederſte: 
unter berfelben befindet ſich wenigſtens noch eine, möglicherweiſe aber 
auch zwei. Weber berfelben aber find ebenfalls noch zwei: eine für höhere 
Töcheerfejulen oder Lehranftalten für Höher» Gebilbete des weiblichen 
Geſchlechts und dann noch ein ausführliches Selbft-Unterrichtöbuch für Er⸗ 
wachſene (und für Lehrer und Lehrerinnen ſelbſt). Vorliegende Kleinere 
Meltgejchichte für Töchterfchulen ftände alfo ungefähr in der Mitte, 
von allen diefen zu beachtenden Stufen. 

Was nun ben Ton und bie Art des Lehrens jelbft anbelangt, 
fo richtet fi dieſes in erfter Linie natürlich eben nad) biefen Stufen, 
Aber im Allgemeinen kann ſich der Verfaſſer dieſes Buches nicht genug 
wundern, wie wenig in allen ihm bis jetzt zu Geſicht gekommenen 
Geihictsiverken für das weibliche Sefäledt der rechte Ton, bie rechte 
Art der Darftellung beobachtet worden if. Während bei Snaben- 
MWeltgefchichten dev Zweck vorherrichend ein feientififcher (lehrhafter) ift 
und der lanbläufige Anekdotenſchatz aus dem fogenannten Haffifchen 
Alterthume die ordinäre und obligate Würze bildet — muß bei dem 
Vortrage ber Weltgefhichte vor Mädchen dad Unterhaltende als 
Künftlerifches, Maleriiches, Seelifches, Poetifches, Neligiöfes die noth= 
wendige Begleitung und Würze des Lehrhaften bilden, wenn ber ganze 
Gegenftand nicht Tangmeilig und fteril fein ober gar noch eine ver⸗ 
kehrte Richtung auf die Seele und den Geift oder Charakter nehmen 
jol. Das Unterhaltenbe und Maleriſche liegt aber nicht in Anekdoten 
ober heidniſchen Mufterbildern, ſondern im Geographiſch⸗Landſchaftlich⸗ 
Bildneriſchen, im Phantafievollen, Künſtleriſchen, im Maleriſchen der Anſich⸗ 
ten, im Plaſtiſchen der Gruppen, in der Schilderung ſchöner Gegenden, 
Stäbte, Monumente, Bauten, dann in dem Laufe der Begebenheiten felbit, 
welcher ber Gefhichte ber Einzel-Seele entipricht, in dem Schidfale 
ber Menſchen und Völker, wie es von Gott — dem Schöpfer aller 
Dinge und Weſen — gelenkt wird, in ber Erziehung ber Menjchheit 
felbft zu dem vollen Inhalte bes religiöfen Gefühle, in den pſychiſchen 
Auftänden der Nationen, wie fich biefelben in deren religiöfen und 
dichteriſchen Stimmungen, ihren Mythologien, Kirchen und Literaturen 

zeigen, aber nicht in einer abgegriffenen Schublade von Späßen und 
Biten , die fchließlich doch trotz ihrer angeblichen Anſchaulichkeit fich 
in dad Abftracte verlaufen und welche faft ſchmutzig geworden tft 
* den allzubäufigen Gebrauch von Seiten ber Handlanger ber Welt⸗ 
6 

Wenn man ein Bud, wie Nöffelts „Nleine Weltgefhichte für 
Zöcterjcäulen‘ betrachtet, eine trodene, ziemlich bürre Darftellung, fo 
daß man meint, die Weltgefchichte — die doch das Werk ber Vor⸗ 
febung und ber "Altoiffenbeit und Allweisheit it — babe gar nichts 


352 Geſchichte. 


mit Gott und der Seele zu ſchaffen, ſondern höchſtens mit dem Ge⸗ 
daächtniſſe und noch ettua der leidigen Politik, fo iſt es dem unbefan⸗ 
genen Betrachter wenigſtens ganz unbegreiflich, wie das Buch nur in 
fo vielen Schulen gebraucht und jo viele (20) Auflagen habe erleben können. 
Doc ift manches Unbegreiflicde oft fo ſehr naheliegend hegreiflich und 
offenbar, daß man am Ende gar nicht mehr barüber zu erftaunen 
braucht. Der Verfaffer diefes Buches gebenfi aber in eimer eigenen 
Broſchüre fich bes toeiteren über biefen Gegenfland, „wie man vor 
Mädchen oder dem weiblichen Geſchlechte Geſchichte lehren Toll“ zu 
verbreiten und will dann befonders dieſes an Nöſſelts ebenerwähnten 
Heineren Werke nachweilen: d. 5. wie man es nicht tbun, was man 
eben vermeiden fol. Deswegen will er bier abbrechen und fein Bud 
dem Wohlwollen Unbefangener beftend empfohlen haben, mit ber Bitte 
dieſes jedenfalls nur als erfien Schritt zum Verſuche der Löfung ber 
ganzen Aufgabe zu betrachten; aber wohl als einen enticheidenben Schritt, 
der wirklich dem gebofften und gewünfchten Ziele mejentlich näher führen 
fol, als verjährte Werke... . . Der Verfaſſer diefes Buches hat übri= 
gend — da die „Amme des Menſchen“ die tagtägliche Gewohnheit iſt 
und bleibt — ſein Buch in Eintheilung und zum Defteren in 
graphenzahl dem Gewöhnlichen, d. h. der Nöſſeltſchen „Kleinen Welt⸗ 
geſchichte für Töchterſchulen“ möglichſt angepaßt, damit ber Abſtand 
doch den Lehrenden und Lernenden nicht ſo plötzlich fühlbar werden 
möchte. Daher die Uebereinſtimmung trotz der weſentlichen Ver⸗ 
ſchieden heit.“ 

Dieſe Vorrede erregt nicht geringe Erwartungen; wir müſſen 
leider ſogleich ſagen, daß die unſeren getäuſcht worden ſind. 

Auffallend iſt zunächſt die außerordentlich große Ungleichheit in 
ber Behandlung der einzelnen Zeiträume. Während dem Alterthum 
228 Seiten gewibmet find, fommen auf das Mittelalter nur 51 und 
auf die Neuzeit nur 78 Seiten. Bon jenen 228 Seiten find ben 
orientaliſchen Völlern 116, den Griechen und Römern 112 Seiten 
gewidmet. Es fcheint, als ob dem DVerfafler, nachdem er 116 Seiten 
über Egupter, Phönizier, Babylonier, Israeliten, Meder, Berfer, Inder 
und Ghinefen gejchrieben hatte, klar geworden wäre, daß er auf bem 
beften Wege war, nicht eine „Kleine Weltgefchichte”, ſondern ein mehre 
bändiges Wert zu jchreiben. 

Zuzugeben ift, daß der Verfaſſer gerade für diefen erſten Theil 
gute Stubien gemadjt bat und neuere Forichungen verwerthet. Es if 
nur die Frage, ob alle jene Amenemha, Thutmofis, Amenopfi3 und wie 
bie egyptiſchen Könige alle heißen in eine „Kleine Weltgefchichte für 
Töchterjchulen gehören, ob es rathſam iſt, in einer foldden zu berich⸗ 
ten, daß mit Schiehoangeti bie britte chinefiihe Kaiſerdynaſtie erlofch 
und nad feinem Tode das Herrfcherhaus Han zur Regierung gelangte, 
daß die Dynaftie Ming 1644 n. Chr. geftürzt wurde u. ſ. w. 

Schabe, daß der erfte Abichnitt bed bier vorliegenden Buches 
nit etliche taufend Jahre früher erſchienen ift, er hätte dann gewiß mit 
Nutzen in alteguptiichen ober altdhinefiichen Schulen verwendet werden 








Geſchichte. 353 


fönnen. In diefem Abichnitte findet ſich auch Künſtleriſches, Male: 
riſches, Seeliſches, Poetifches, Religiöfes 2c.”, was nach dem Vorworte 
des Verfaſſers „beim Bortrage der Weltgefchichte vor Mädchen die 
nothwendige Begleitung des Lehrbaften bilden” muß. Da wirb auss 
führlich geiprochen über die Mythologie und Literatur ber orientalifchen 
Bölfer, da werden Proben aus der Literatur mitgetheilt, fo aus alt- 
egyptiſchen Gebeten und aus ben Schriften ber ifraelitifchen Propheten. 
Biel Raum nehmen audy die malerischen Schilderungen der alten Bau⸗ 
werte ein. Wer nun freilih meinen follte, in einer Heinen Weltge- 
fchichte für deutiche Töchterjchulen müßte bem entfprechenb bon beut= 
cher Mythologie, Literatur und Kunft erft recht ausführlich die Rede 
fein, ber würde fi) von dem vorliegenden Buche ſtark enttäufcht finden. 
Bon ber deutſchen Literatur aller Perioden ift auf veichlich 11/, Seite 
die Rede. Da beißt es u.a. (©. 341): „Wer kennt nicht den Namen 
des Nibelungenliebes, des waderen Walther von der Vogelweide und 
überhaupt, wer bat nicht Sprechen hören vom Minnegefang des beut=- 
jchen Mittelalters, von der Wartburg bei Eiſenach, wo einft bie deut . 
ſchen Minnefänger zufammenfamen und zu Wette fangen. Belannt 
find auch die deutfchen Volksbücher, jene ehrwürbigen alten, lieblichen, 
immer anfprechenden und doch fo anſpruchsloſen Erzählungen von ber 
heiligen Genofeva, ber ſchönen Magelone, DMelufine u. |. w. Wem 
ift nicht der Name des Nürnberger Schuhmachers und Meifterfängers 
Hand Sachs geläufig.” So wären wir denn glüdlih auf wenigen 
Zeilen von den Anfängen ber beutjchen Titeratur bis zum ſechszehneten 
Jahrhundert. Das ift ja deutschen Töchtern alles jo „belannt” und 
„geläufig”, wenn auch nur dem Namen nad, daß davon weiter nicht 
die Rede zu fein braudt. Sa, die Anfänge der beutichen Literatur 
find deutſchen Töchtern, wenigftend dem Namen nad, jedenfalls fo be= 
fannt, daß fie hier gar nicht berüdfichtigt zu werden braudyen, während 
für die egyptiſche Literatur das Verhältni ein ganz anderes if. So 
ifts auch bezüglich der neueren Zeit Der Abfchnitt Über die beutiche 
Literatur fchließt: „Andere, neuere Namen wollen wir übergehen, da 
fie bier — als in einer Weltgefchichte, in der bie Literatur nur furz 
berührt werden fol — zu weit führen würden; denn fonft dürfte aud) 
die Frau von Paalzow und Friedericke Bremer nicht zu übergehen fein.‘ 
Nun, fie find nicht übergangen, fie find glüdlih genannt und bie 
neuefte deutſche Literatur ift alfo durch Frau von Paalzow vertreten, benn 
— im Vertrauen gefagt — Frau Friederide Bremer ift eine Schwebin 
und auf ben Titelblättern der in Leibbibliothefen fehr häufigen Ro- 
mane dieſer Dichterin hätte der Herr Berfafier die Bemerkung: ‚Aus 
dem Schwediſchen überfett‘‘ nicht überfehen folln. Die neueren 
Romanfcriftfteler Frankreichs find befler weggekommen, als die deut- 
fchen. Da werben neben Frau Dubevant auch Dumas, Sue und — 
Paul de Kod genannt. Ob wohl bie deutſchen Töchter auf bie in 
Spelunfen beſonders beliebten Romane des Leteren aufmerkſam ge= 
macht werden follen ? Die beften neueren Dichter Frankreichs find aber 
ebenjowenig genannt, wie die deutichen. 
Bäb. Jahresbericht. XXVIL 23 


354 Geſchichte. 


Wie hier an dem Beiſpiele der Literatur nachgewieſen iſt, ſo iſt 
auch in Bezug auf das Politiſche ein allmähliges Dürrerwerden des 
Buches zu bemerken. Während den altegyptiſchen Königsgeſchlechtern 
18 Seiten gewidmet ſind, kommen auf die deutſchen Hohenſtaufen nur 
21/, Seite, auf ben ſiebenjährigen Krieg 17/, Seite, auf den nord» 
amerilanifchen Freiheitslampf */, Seiten. Den Jahren 1813—1815 
kommen 1!/, Seite zu Gute. Das find Partien bes Buches, von 
denen man graufam enttäufcht wird, wenn man in Folge ber Vorrebe 
etwas ganz Befonberes erwartet hat. Das Buch unterfcheibet ſich in feiner 
legten Hälfte in nichts bon den Leitfäden, gegen bie ber Verfaſſer in der 
Vorrede Front macht, nur daß es zumeift bürrer ift, als viele dieſer geſchmäh⸗ 
ten. Eine befondere Rückſicht auf das weibliche Geſchlecht haben mir 
auch nicht entdeden können. Cornelia, bie Mutter ber Graccdien, 
wird nur genannt, bezüglich der Königin Louife geſchieht auch dies nicht 
einmal. Ausführlicheres erfahren dagegen bie deutſchen Töchter in 
diefem Buche über die Königin Zenobia. ‚Sie hatte eine etwas bunfle, 
bräunliche Gefichtöfarbe, ihre fchmarzen Augen bligten von ungemeinem 
gleichſam göttlichen Feuer, gemilvdert durch bie reizenbfte Anmut. Ihre 
Zähne waren fo weiß, daß man fie hätte für Perlen halten können, 
fie hatte eine helle, Träftige Stimme. An ihrem Hofe herrfchte Fönig- 
lihe Pracht, meiften® nach perfilchem Geremoniell; nad diefem nahm 
fie auch bie Ehrenbezeigungen ihrer Untertbanen entgegen; ihre Hof- 
tafel war dagegen nach der Sitte der römischen Kaiſer eingerichtet 2c. 2c.” 
Die Toilette der Königin Zenobia und die an ihrem Hofe eingeführte 
Etikette gehören wahrfcheinlich zu dem „Maleriſchen ꝛc.“, das der Ver⸗ 
faffer im Vorwort verfpricht, jedenfall find fie ihm wichtiger und ihre 
Kenntniß für beutfche Töchter nüglicher erfchienen, als ber Charakter 
einer Cornelia oder einer Königin Louiſe. 

Großen Fleiß hat der Verfaſſer auf die Verdeutſchung ber Fremd⸗ 
wörter verwendet, wenn er dabei auch nicht immer ganz glüdlich ge= 
weien ift, 3 3. (S. 205): Sulla war Ariftofrat (vornehm), Marius 
Demofrat (ein gemeiner Menſch). S.207 findet ſich dagegen: „Mehrere 
Sabre noch trieben die Demokraten (die freifinnigen Vollemänner) ihr 
Unweſen in Rom.” Cr überjegt auch die befannteften Fremdwörter: 
(S. 176) Poeſie = Dichtkunſt, (S. 327) Dbergeneral — Oberfeldherr. Ex 
begnügt ſich auch nicht damit, ein Wort da zu überfegen, wo es zum 
erſtenmale auftritt und fpäter die Belanntichaft damit vorauszufeken. 
Die Veberjegung : Philoſoph — Weltweifer findet fih u.a. S. 174, 179, 
180, 225, 322. Nepublif wird in ber römifchen Gefcichte immer 
wieder überjegt und Seite 298, mo von ben Nieberlanden die Rebe 
ift, ſteht gewiſſenhaft: Republif — Freiftaat. Ariſtokrat wird Seite 205 
zweimal überjegt, Daneben auch auf Seite 204, 207,211 n.f.w. Sn ber 
chineſiſchen Geſchichte wird Dynaftie überfegt Seite 113, geile 1 ©. 
o. und Zeile 4 v. u.; Seite 115, Zeile 3 und Zeile 4. Des Guten kann 
nicht zu viel gefcheben. 

Außer biefer „Kleinen Weltgefchichte” hat der Verfafler auch noch 
einen „Leitfaden“ verfaßt. Er führt folgenden Titel: 








Geſchichte. 855 


14. Leitfaden beim erfien Unterriät in der Geſchichte. Für Töch⸗ 
terfäulen. Bon ©. &. Wollſchläger. Eifenah, Berlag von I. Bacı 
meilter. (148 ©. 8°.) Preis: 1,20 Mark. 

Derfelbe unterfcheidet fih, obgleich die Vorrede auf die Vorrede 
zur „Kleinen Weltgeſchichte“ verweiſt, in nichts von den üblichen Leitz 
fäden. Wer aljo nach dem Ruhme ftrebt, einen Gefchichtäleitfaden für 
Töchterfchulen nad neuen Gefichtöpunften bearbeitet zu haben, kann 
den Lorbeer noch gewinnen. Das Bücheldden möge aber Gelegenheit 
bieten, noch einen Blid auf des Verfaſſers ftiliftifche Gewandtheit zu 
werfen. Hier einige Proben berfelben: 

©. 75; „Sm Jahre 1346 erhielt Lubwig durch den Papft einen 
Gegenkönig an Carl IV. von Luxemburg, der aber erft auflommen 
Tonnte, als Lubwig ſtarb. Aber nun erhielt Carl IV. einen 
Gegenlönig an dem Grafen Günther von Schwarzburg, ber aber 
bald ftarb. ©. 78: „Unter den Völkern, welche die Mongolen bes 
herrſcht, war auch das ruſſiſche. Das ruffiihe Reich wurde von Nor» 
mannen (oder Warägern aus dem Stamme Ruf) gegründet, und zwar 
von drei Brüdern, welche von ihnen felbft zur Schlichtung ihrer Streitig« 
Teiten berbeigerufen worden waren.” S. 78: „Bei feinem Tode 
theilte er fein Reich unter feine Söhne; jo gingen Theilungen fort 
und Rußland zerfiel in eine Menge Yürftenthümer. ©. 105: „Sein 
Nachfolger in feiner Würde war fein ſchwacher Sohn Richard.” ©. 128: 
„Rapoleon I. 30g in Paris ein. Ludwig XVII. flüchtete nach Gent; 
— und das Raiferreih ward wieder bergeftellt, aber die Mächte im 
Congreß zu Wien fprachen die Acht über ihn aus.” ©. 136: „Fried 
rich Wilhelm IV., König von Preußen, einer ber ebelften und felten- 
ften Fürſten.“ S. 137: „Nach Mexiko hatten Frankreich, England 
und Spanien eine Expedition gemacht.” Diefe Proben werben ges 
nügen. Wir wollen dad Buch nicht abfchreiben. 

15. Bilder aus der Beltgeſchichte. Für den erſten gefchichtlichen Unter⸗ 
richt in der Volksſchule. Herausgegeben von Dr. Victor Duell. Zweite 
te ‚aeriie, Berlag von Julius Klinkhardt. 1874. (174 ©. 8°.) 
Die erfte Auflage ift beſprochen und empfohlen Jahresbericht 

Band XIX, ©. 267. Die dort anerlannte gewandte und lebendige 

Art der Darftellung haben wir auch dieſer Auflage nachzurühmen. 

Bermehrungen hat biejelbe erfahren durch einige Seiten in ber grie- 

Kitchen Sagengefchichte und durch den geſchickt geichriebenen Abfchnitt: 

„Deutichland ſeit den Freiheitskriegen“, in welchem namentlich die 

Sabre 1848, 1866 und 1870/71 zu eingehenberer Darftellung ge 

langt find. 

16. Allgemeine Geſchichte in aungemählten Erzählungen für die 
allgemeine Volksſchule. Zugleich ein Leſebuch der Geſchichte für Jung und 
Alt. Bon Heinrich Solger, Lehrer in Nürnberg. Wuͤrzburg, A. Stubers 
Verlagsbandlung. 1874. 

fer Theil: Alte Geſchichte. (90 S. Mi. 8%.) Brets: 80 Pf. 
Zweiter Theil: Das Mittelalter. (102 ©. fl. 8%) Breis: 60 Pf. 


f 
Der erfte Theil enthält folgende 25 Abſchnitte: Urgeſchichtliches, 
Aegypter, Cyrus, Phönizier, Griechen, Zug nad Troja, Lykurg und 
23” 


856 Geſchichte. 


die Spartaner, Solon und die Athener, Perſerkriege, Perikles, Alci⸗ 
biades, Sokrates, Pelopidas und Epaminondas, Alexander von Mace⸗ 
donien, die alten Römer, Pyrrhus und Fabricius, Hannibal, die Grac⸗ 
hen, Marius und Sulla, Cäſar, Octavianus, Verfchiebene Saifer des 
römischen Reiches, Conſtantin, Völferwanderung, Untergang des weſt⸗ 
sömifchen Reiches. In ähnlicher Weife zerfällt das zweite Bändchen 
in 25 Abjchnitte, nur tritt bier in Abfchnitten, wie: Ritteritand und 
Bürgeritand mährend bes Mittelalters, auch das kulturhiſtoriſche Ele⸗ 
ment mehr in fein Recht. Einer der 25 Abfchnitte enthält die In⸗ 
baltsangabe des Nibelungenlieves. Als befonderer Vorzug ift den 
beiden Bändchen die geſchickte Art der Darftellung nadyzurühmen, durch 
die fie in der That zu Leſebüchern werben, wozu fie dem Titel nach 
auch beitimmt find. 

17. Leitfaden beim Geſchichtsunterrichte. Erſter Eurfus. Für Vürger⸗ 
ſchulen und für die unteren unb mittleren Klaffen höberer Schulanſtalten. 
Bon Dr. U. Keber, Oberlebrer an der Realichule zu Alchersieben. Dritte 
Auflage. Aſchersleben und Leipzig, Verlag von 2. Schnods Buhhandlung. 
1874. (IV und 108 ©. 1. 8°.) Preis: 75 Pf. Parihiepreis: 70 Pf. 

Die zweite Auflage diejes Leitfaden, der ſich durch feine knappe 
Ausdrucksweiſe einer Tabelle nähert, ift bereit? (Jahresbericht XIX, 
©. 256) ald „einer der empfehlenswertbeften‘ Leitfäden anerlannt wor⸗ 
den. Die neue Auflage ift bis zur Gegenwart fortgeführt, im Uebrigen 
mit der vorigen gleichlautend. 

18. Erzählungen aus der Weltgeſchichte. Aür die Jugend dargeftellt 

von * Herzog. Erſter Theil: das Alterihum. Zweite, vermehrte und 

verbeſſerte Auflage. Aarau, Druck und Verlag von J. J. Chriſten. 1874. 
(IV und 252 ©. El. 80.) Preis: 1,80 Mark. 

Dieſes vortrefflihe Büchelchen ift bereit eingehend beiprocden: 
Jahresber. XXII, ©. 839 f. Die zweite Auflage ift um einige neue Etüde 
vermehrt. Für die Privatlectüre der Jugend iſt das Buch gewiß beiler 
geeignet, als eine große Anzahl fogenannter Jugendſchriften, nament⸗ 
lich aber fei e8 Schülerbibliothefen bringen empfohlen. 

Als ein ebenfalls der Privatlectüre und namentlich den Schüler- 
bibliothefen zu empfehlendes Werkchen fei hier gleich noch genannt: 

19. Ausgewählte Lebensbefhreibungen berühmter Perſonen. Der 


deutfhen Jugend gewidmet von Heinrich Solger. Erſter Band. Bürzs 
burh, A, Stuberd Buchbandlung. 1874. (74 S. N. 8°.) Preis: brod. 
1 M. 


Diefes durch angenehme, der jugendlichen Faſſungskraft angepaßte 
Darftellungsart ſich auszeichnende Büchelhen enthält folgende fünf 
Biographien: Columbus, Washington, Franklin, Joſeph IL. und Peſta⸗ 
lozzi. Daß auf fo geringem Raume nicht von erjchöpfenden Dar⸗ 
ftellungen die Rebe fein Tann, verfteht fich von ſelbſt; immerhin aber 
treten bie, bier gefchilverten Männer in lebendigen Bildern, die fidh 
mofaifertig aus anſchaulich geſchilderten Einzelvorgängen zuſammen⸗ 
jegen, vor bie Seele ver jugendlichen Leſer. Am wenigſten möchte in 
diefer Beziehung bie fürzeite der Lebensbefchreibungen, die Joſephs IL., 





Geſchichte. 357 


genügen, befien Bebeutung aus biefen wenigen Seiten keineswegs Mar 

genug berborleudtet. Die beigegebenen Holzſchnittportraits find gut 

und werben von ber Jugend dankbar entgegengenommen werben; leider 
find bei denen Franklins und Peſtalozzis die Unterfchriften verwechſelt. 

20. Ergebniffe Des geſchichtlichen Unterrichts in Bolls« und Bürger- 
hulen. Gin Wiederholungsbuch für Schüfer. Herausgegeben von 
Dietlein, Rektor. Dritte, nad den minifteriellen „Allgemeinen Beſtim⸗ 
mungen vom 15. Detober 1872” umgearbeitete Auflage. Braunſchweig, 
Berlag von Harald Bruhn. 1874. (40 ©. 8%.) Preis: 40 Bf. 

Ein ſehr geſchickt ausgenrbeiteter Leitfaden, der fi auch buch 
feine Billigfeit empfiehlt. Bet einer neuen Auflage könnte der Ber: 
fafjer ftiliftifh noch hie und da etwas feilen, z. B. ©. 15: „Der Bund 
(Hanſa) befaß ein großes Lanbheer und eine bedeutende Flotte, wo⸗ 
durch er fogar mit den mädhtigften Fürften ſich nicht ſcheuete, Krieg 
zu führen.” 

21. Kurze Lebensbilder aus der Geſchichte, befonderd aus der vater 
ländiichen. Für die Hand der Kinder in eins und mehrflafügen Volks⸗ 
fhulen von A. Birk, Lehrer. Mit Bezug auf die allgemeinen Be 
fimmungen vom 15. October 1872. Zweite, verbeflerte und vermehrte 
Auflage. Köln und Neuß, 2. Schwann’fhe DVerlagehandiung. 1874. 
(40 ©. 8%.) Preis: 25 Bf. ' 

Das ift eine verbefierte Auflage; wir möchten bie unverbeflerte 
Iennen lernen. Wie viel aus ber allgemeinen Gefchichte in das Büchel: 
chen aufgenommen ift, läßt ſich leicht ermeflen, wenn man weiß, daß 
die borchriftliche Zeit durch brei „Turze” Lebensbilder vertreten ift, welche 
Faft zwei Seiten füllen: die Phönizier, Sokrates, Alexander der Große. 
In ähnliher Ausführlichleit geht es fort bis zum 22. Lebensbilde: 
Die erſte franzöfiihe Revolution (S. 14). Darauf folgen noch 26 
Abſchnitte, die vorzugsmeije preußifche Gefchichte behandeln. Unter 
einigen ber Abfchnitte ftehen drei ober vier fogenannte Wiederholungs⸗ 
fragen nebft einem „u. |. w.“. Unter andern findet fih, wahrſchein⸗ 
lich ald Mahnruf an den Lehrer, dad Wort: „Wieberbolungsfragen”, 
bei den übrigen begnügt ſich ber Verfaſſer mit dem Texte bes Abs 
ſchnittes. Daß der Verfafler in die Vorrede auch folgenden Sat, aus ben 
„Allgemeinen Beftimmungen” aufgenommen bat: „Soteit fie bem Ber» 
ſtändniß der Kinder zugänglich find, werben die Fulturbiftorifchen Mo» 
mente in die Darftellung mit aufgenommen”, Hingt faft wie Selbft- 
ironie. In dem Büchelchen ift von Eulturhiftorifhen Momenten feine 
Rede. Uebrigens ift dafjelbe ausſchließlich für Fatholiiche Schulen bes 
ſtimmt, wie aus .Abfchnitten, wie: Quther, Dreißigjäbriger Krieg u. a. 
berporgeht; hier noch ein paar Proben von des Verfafjerd Darftellungs- 
art und Stil. ©. 21: „Die armen Leute hatten ihn (Friebrich den 
Großen) gern, teil er bei Unterdrüdungen der Reichen ihnen Recht 
ſchaffte.“ S. 22: „In Syrien, wohin Napoleon jebt zog, war er gar 
nicht glücklich. Türken und Engländer, ſowie Pet, Hunger und Klima 
rieben faft fein ganzes Heer auf. Napoleon befann ſich hier nicht 
lange, fondern machte fich fill auß dem Staube und auf einmal war 
er in Paris, ehe man ſich's verjah.” Vom Grafen Moltfe heißt es 


358 Geſchichte. 


S. 33: „Obſchon dieſer gelehrte Mann von Fürſt und Boll fo hoch 
in Ehren gehalten wird, ſo iſt derſelbe doch nicht im Mindeſten ſtolz, 
ſondern im Gegentheil ſehr beſcheiden. Moltke verſteht es wirklich, in 
fieben Sprachen zu ſprechen und zu ſchweigen. Darum Ehre dem großen 
Manne!“ Auf derfelben Seite heißt e8 von Napoleon IIL: „In dem 
befannten Krimkriege befiegte er die Ruſſen.“ Ja, ja, er wird wohl 
ben Schülern, für die das Buch beftimmt ift, befannt fein. Wozu ba 
weiter bas Gerebe. Im Vorworte bemerkt der Verfaſſer u. a. noch: 
„Fremdartige und ſchwerverſtändliche Ausdrücke, bie nicht gut zu ums 
geben waren, bebürfen jelbftverfländli der Erklärung.” Solche nicht 
gut zu umgebende Ausbrüde ſtecken wahrſcheinlich auch in dem Sate 
©. 19; „E3 war aber auch Fein Yürft, deſſen Soldaten fo exact exer⸗ 
Drug fonnten unb bie fo proper waren, als bie bed Königs von 
reußen.“ 





Speciell ber alten Geſchichte dienen folgende Schulbücher: 


22. Griechiſche Geſchichte mit befonderer Rückſicht auf Arhäologie und 
Literatur. Ein Hand» und Lehrbuch von Dr. Joſeph Bed, Srokbergog- 
ih Badiſchem Geheimen Hofrat. Bierte Ausgabe in neuer ‚Bearbeitung. 
Hannover, Hahnſche Hofbuchhandlung. 1874. (235 ©. 8%.) Preis: 2,25 MI. 

33. Römifhe Geſchichte mit befonderer Rückficht auf Archäologie umd 
Literatur. Ein Hand» und Lehrbudh von Dr. Joſeph Wed, Großherzog. 
lich Badiſchem Geheimen Hofrath. Dierte Ausgabe in neuer Bean 
Hannover, Hahnſche Hofbuchhandlung. 1874. (283 ©. 8°.) Preis: 2,40 M 


Beide Bände zufammen bilden ben zweiten Kurſus von bed Ver⸗ 
faflers „Lehrbuch der allgemeinen Gejchichte für Schule und Haus”, 
deflen Vorzüge im Jahresberichte bereits fo oft hervorgehoben worben 
find, daß hier ein näheres Eingehen auf viefelben nicht mehr nöthig 
erſcheint. Wenige Lehrbücher möchten den bier vorliegenden an wiſſen⸗ 
Schaftliher Gründlichleit und an Präcifion des Ausbruds gleidhlommen 
und die Titelbemerlungen, „mit bejonderer Rüdficht auf Archäologie 
und Literatur”, erhalten durch bie Bücher volle Berechtigung. In bei= 
den Büchern geht ber eigentlichen Geſchichte eine geographiſche Ueber⸗ 
ficht des Schauplates und eine Belehrung über die Quellen und Hilfde 
mittel der betreffenden Geichichte voraus. Die Literaturgefchichte ift im 
beiden Büchern im Zuſammenhange behandelt und an das Ende vers 
wiejen. Weiteres Tulturgeichichtlihes Material ift in die Geſchichts⸗ 
barftellung verwebt. 


24. Geſchichte der Griechen. Bon Oskar Jäger, Dirertor des K. Friede 
ri Wilhelm: ymnafiums zu Köln. Mit einer Abbildung des Parthenon 
in Kupferflih. weite, verbeflerte Auflage. Gütersloh, Drud und Berlag 
von C. Bertelsmann. 1873. (XI und 564 ©. 8%.) Preis: 6 M. 


Wenn bie unter Nr. 22 angezeigte Griechifche Gefchichte ein bor- 
treffliches Lehrbuch ift, fo ift die vorliegende zugleich ein bortrefflicyes 
Leſebuch. Die Darftelungsweie bed Verfaſſers Tann gerabezu als 
eine mufterhafte bezeichnet werden und Abſchnitte wie S. 226 ff: „Die 


Gefchichte, 359 


Stadt Athen im Zeitalter bes Perilles” gehören zu dem Anmuthendſten, 

wa3 man leſen kann. Der Verfafier ſcheidet im Gegenfag zu Bed 

die literaturgeſchichtlichen Momente nicht aus ber übrigen Darftellung 
aus, fondern berüdfichtigt fie je bet Darftellung der betreffenden Periode. 

Während aber Ber feine Griechiſche Geſchichte bis zur Berftörung 

Korinths fortführt, ſchließt Jäger mit Alexanders Tode, Lehrerbiblio- 

theten höherer Schulen follte dieſes Werft unbedingt nicht fehlen. Wenn 

es irgend möglich ift, ohne jelbftändiges Eindringen in die griechiſchen 

Duellenfchriftfteler ein anſchauliches Bild bes altgriechifchen Lebens 

su gewinnen, fo ift es mit Hilfe dieſes Buches möglich. 

25. Geſchichte der Römer, ihrer Herrihaft und Kultur von der Erbau⸗ 
ung Roms bis zum Intergange des weſtrömiſchen Reiches, zur Belehrung 
und Unterhaltung dargeftelt von Dr. Franz Fiedler, Koͤnigl. Profeflor 
am Gymnaflum zu Weſel. Mit 85 bildlichen Darftellungen und zwei Karten 
des weitlihen und Öftlichen Romerreichs. Zweite, berichtigte und vermehrte 
er epuis, Baumgärtners Buchhandlung. (XI und 448 ©. 8°.) 


Dad Buch verbankt feine Entftehung zunächſt einem Gebanlen 
ber Verlagshandlung, welche die engliihen Holzichnitte, mit denen das 
Buch auögeftattet ift, angelauft hatte und einen Tert zu benfelben 
beftellte. Man ift gewöhnt, bei derartigen Unternehmungen an den Text, 
ber der Buchhandlung eigentlich Nebenſache tft, geringere Anforberungen 
zu ftellen. Hier ift das jedoch nicht nöthig. Im Gegentheil, der Text 
übertrifft an Werth die 1833 angefertigten Holzfchnitte ebenfo meit, 
wie diefe von Holzſchnitten der Neuzeit übertroffen werden. So ift 
denn Fiedlers römiſche Geſchichte feit Ianger Zeit bei der Jugend bes 
liebt in Folge ihrer allgemein faßlichen und einfachen Sprache und 
ihrer anziehenden Schilderungen aus dem Gebiete ber Kultur und 
Sittengefhidhte. An vielen Stellen hört man fofort die römifchen 
Duellen reben, biefer Heiz des Buches ift aber nicht erfauft durch 
Tritillofes Abjchreiben der Quellen, die neue Auflage bemweift vielmehr, 
daß der Berfafjer auch der Jugend die neueften Fortſchritte hiftorifcher 
Forſchung zugänglich machen mil. Wenn die vorgenannten Werke 
von Bed und Jäger ſich an fchon ältere Schüler wenden, fo ift das 
bier vorliegende geeignet, auch jüngeren Schülern ſchon in die Hände 
gegeben zu werben. 

26. Hiſtoriſche Darflellungen und Charakteriſtiken für Schule und 
Haus gefammelt und bearbeitet von Profefior Wilhelm Pütz. Yweite, 
umgearbeitete Auflage. Erſter Band: die Geſchichte des Alterthums. Köln 
Beriag der M. Du Mont» Schauberg’fhen Buchhandlung. 1873. (XU 
und 684 ©.) Preis: 7 M. 

Die vorliegende Sammlung von hiſtoriſchen Gemälden bat nach 
der Borrede zunächſt die Beſtimmung eined Comntentars zu dem vom 
Herausgeber verfaßten „Grunbriß der Geographie und Gefchichte‘‘, an 
welden fie fih durch Plan und Anorbnung enge anfdhließt. Um 
dieſem Zwecke zu entipredhen, befteht das Werk keineswegs aus einer 
Reihe einzelner, abgerifiener Aufſätze ohne innern Zuſammenhang, 
Sondern enthält eine organisch gegliederte Darftellung aller Haupt- 


860 Geſchichte. 


begebenheiten ber allgemeinen Weltgeſchichte, mit beſonderer Rücſicht 
auf die Religions: und Staatsverfaſſung, zum Theil auch auf Kunft, 
Wiſſenſchaft und Handel (die bald in befonderen Abjchnitten, bald ges 
legentlich an paſſenden Stellen behandelt find) und in Verbindung mit 
Charakterzeichnungen ber berborragendflen Perſönlichkeiten. Um einen 
folden Zuſammenhang berzuftellen, hat der Herausgeber nicht nur be: 
treffende Abfchnitte aus ben beiten Hiftorilern ausgewählt, fondern 
biefelben zum Theil auch überarbeitet. Der Inhalt des vorliegenden 
erften Bandes, der 186 Einzelbilder umfaßt, gliedert ſich unter folgende 
Hauptüberſchriften: Siraeliten, Phöniier, Babylonier und Afiyrier, 
Inder, Baltrer und Meder, Perfer, Aegypter, Karthager, riechen, 
Macebonifche Reiche, Römer. Die Auswahl der einzelnen Abfchnitte 
ift eine vortreffliche, Telbit ba, wo ältere Werke, wie Zinkeiſens Hands 
buch der Geſchichte Griechenlands u. a. benugt find und jo müßten 
wir an dem fchönen Buche, das wir befonders Schülerbibliothefen aufs 
Inden empfehlen, nichts auszufeen, als etiva ben etwas kleinen 


2. Deutſche Geſchichte und jperielle Landes - Geichichte. 


27. Eduard Dullers Geſchichte des deutſchen Bolkes. Bearbeitet 
und fortgefegt von Dr. William Bierfon, Profeflor an der Dorotheen 
ſtädtiſchen Realfchule zu Berlin. Fünfte, unveränderte Auflage. Wohlfeile 
Ausgabe mit 24 Solyfänitten, Zwei Bände. Berlin, Verlag von Gebrüder 
Paetel. 1874. (966 u. 426 ©. gr. 8°.) Preis: 6 M. 


Die jetzt fchneller fich folgenden Auflagen dieſes au im Jahres⸗ 
berichte bereit3 anerfannten Werles (XIX, ©. 243 u. XXIV, ©. 818) 
beweifen, daß bie Neubearbeitung des jebigen Herausgebers Anklang 
beim Publitum gefunden bat. Aud bie Verleger haben das Ihrige 
zur Verbolllommnung des Buches beigetragen, namentlich durch tie 
von bewährten Meiftern (Ludwig Richter, Kirchhof u. a.) ent: 
toorfenen Illuſtrationen. Möge dieſe in der That billige Volksaus⸗ 
gabe der weiteren Berbreitung des Werkes förderlich ſein. 

28. Kleine vaterländifhe Geſchichte. In drei concentrifhen Sreilen. 
Ein Lernbuch für preußiſche Volksſchulen. Mit einer geichitlichen Ueber⸗ 
fihtsfarte von Deutſchland. Fünfte, verbefierte Auflage Halle, Eduard 
Anton. 1874. (53 ©. gr. 8°.) Preis: 30 Pf. 

Wir haben bereit3 bei Gelegenheit ber früheren Auflagen dieſes 
Büchlein im Jahresberichte (XXV, 261 u. XXVI, 542) ala ein 
ſehr praktiſch angelegtes und brauchbares Schulbuch empfohlen, das 
beſonders aud feines billigen Preifes wegen fi zu größerer Ber: 
breitung eignet. Einige bei Gelegenheit jener Beiprechungen geäußerte 
Wünfhe haben in der neuen Auflage Berüdfichtigung gefunden und 
wir glauben, daß das Buch durch diefe Kleinen Nenderungen an Werth 
noch gewonnen habe. Außerdem bat der Verleger ohne Preiserhöhung 
noch eine zwei Seiten füllende gejchichtliche Ueberfichtäfarte von Deutſch⸗ 
Iand beigegeben, der auf ihrer Rüdfeite Erläuterungen aufgedrudt find 
und die den Werth des Büchelchens in ber That weientlih erhöht. 





Geſchichte. 361 


20. Deutſche Geſchichte für Schulen und zum Selbſtunterrichte. Bon ©. 
A. Bonath. Zweite, berichtigte, zum Theil ungearbeitete und bis auf die 
neuefte Zeit fortgeführte Ausgabe, beforgt von Dr. D. Henke. Stendal, 
Drud und Berlag von Franzen und Große. 1874. (268 ©. 8°.) Preid:2 M. 

Die erfte Auflage iſt Sahresbericht X VIE, Seite 624 angezeigt. 
Der Darftellung wird dajelbft wohlthuende Friſche und Unmittelbarfeit 
nachgerühmt und das Buch felbft wirb als ein für einfache Schulver- 
bältnifje ganz brauchbarer Leitfaden bezeichnet. Die neue Auflage 
bietet eine Reihe von Paragraphen in weſentlicher Umarbeitung, 
während einiges in jener Beſprechung Gewünſchte nicht berüdfichtigt 
worden if. Wenn der Bearbeiter der neuen Auflage ber Meinung 
it, daß fein Buch für die Mittelichule das fein fünne, was Dapib 
Müllers deutſche Geſchichte für die höheren Schulen ift, fo können wir 
ibm bierin beiftimmen; nur wünſchten wir, baß in dem vorliegenden 
Bude auch das Kulturgefchichtliche in ähnlicher Weiſe vertreten wäre, 
wie bei David Müller. 

30. Die vaterländifhe Geſchichte für Stadt- und Landichulen. Webers 
ſichtlich dargeſtellt und leicht faßlich erzählt von Theodor Ewald Werner. 
Langenſalza, Schulbuchhandlung von %. ©. 2. Großler. 1874. (140 ©. 
N. 8%) Preis: 1,20 M. 
Der Verfafler fagt im Vorwort: „Zeit meines Lehramtes ift es 

mir nie gelungen, das Biel bes vaterländifchen Geſchichtsunterrichts in 

meiner Schule nach dem in ben Leſebüchern fi darbietenden Stoffe 
zu erreichen, weil biefer tro& mündlicher Darftellung nicht übermältigt 
werden Tonnte, zumal bie einzelnen Geſchichten viel zu umfaflend und 
in zu ſchwer fapliden Säten dargeftellt find, was nur Unluft und 

Unmutb, ja fogar Widertoille gegen diefen herrlichen Unterricht in den 

Kinderherzen erzeugte. (Arme Kinder! und armer Lehrer!!!) E3 warb 

in mir das Sehnen rege, ein Hilfmittel zu befigen, wodurch bie 

Kinder mit Luft und Liebe zu dem Gejchichtäunterrichte gehen, auf 

bag in ihnen durch fichere Auffaflung der Hauptgebanfen ber Geſchichts⸗ 

ftoff im Leſebuche mittelft münblicher Darftellung treu wiedergegeben 
und zum bleibenden Eigentbum gemacht werde.“ 

Um bied zu erreichen, bat ber Berfafier den Gefchichtäftoff in 
möglichſt Leine Abfchnitte getbeilt, Die die gedächtnißmäßige Ein- 
prägung bed Gefchichtsftoffes erleichtern follen. Der Gedanke ift 
keineswegs neu, ſondern bereit ausgeführt u. a. in Sortenbeitel, 
Ueberfiht der preußifchen Geſchichte (vgl. Jahresber. XXIII, ©. 533) 
und in Schwebler, Kleine preußiiche Geſchichte in Verbindung mit ber 
deutſchen (vgl. Jahresbericht XXI, S. 520). In ben beiben ge⸗ 
nannten Büchern find auch mie bei dem Verfaſſer des vor 
Itegenden Buches den einzelnen Meinen Abſchnitten Ueberſchriften 
gegeben. Im vorliegenden Buche führt das zu mancher Weitfchweifige 
keit. Man vergleiche ala Beilpiel: (S. 64) 


„Das Lager bei Bunzelwip. 
A. (Friedrich in großer Gefahr —) Im Jahre 1761 ges 
rieth der König Friedrich noch einmal in große Gefahr. 130,000 


362 Geſchichte. 


—— und Deſterreicher ſtanden vereint ben 50,000 Preußen 
gegenüber. 

B. (im Lager —) Zu fchwad, eine Salat zu tagen, berichangte 
Friedrich fein Lager bei Bunzelwis unfern Schweibnit. 

C. (vertraut Ziethen feinen Kummer.) Als er in eine 
unrubigen Nacht an einem glücklichen Ausgange des Krieges 
weifelte, vertraute er dem alten Ziethen feinen Kummer. 

D. Sietben tröftet.) Dieſer richtete ihn wieder auf mit den 
Worten: „Unfer alter Bundeögenofje dort oben lebt noch und 
wird und nicht verlafſen.“ 

E. (Gott hilft) Und — er hatte Recht. Nach fünfwöchentlicher 
Belagerung zogen die Feinde ab.“ 

Kürzer heißt es bei Schwebler: 
(Rings um.) 135,000 Feinde rings um bad Lager. 
(2 arin.) 50,000 Preußen mit ihrem befümmerten Könige darin. 
Darüber) Aber darüber: „ver alte Bundesgenoſſe, der fie 
ec „rnten ließ,” wie Ziethen fagte. Nach fünf Wochen zogen bie 
einde a 

Zuweilen läuft auch bei biefen Weberichriften manches Geſuchte 
und Geſchmackloſe mit unter, wenn auch nicht ſo arg, wie bei Schwedler, 
—* z. B. für den Ueberfall bei Hochkirch folgende ſchöne Dispoſition 
entwi 

a. en) Sad" (nämlich der, welchen bie Defterreicher zufchnüren 

wo 

b. „Das Kog (nämlich das, welches Friedrich der Große in den 

Sad mad); 
während Werners Weberfchriften lauten: 

A. Wer in gefährlicher Lage 

B. allzu Ted iſt, 

C. wird beftraft. 

Beſonderen Fleiß jcheint ber Verfaſſer auf bie Leichtverſtändlich⸗ 
keit ſeiner Darſtellungsweiſe verwandt zu haben und in der That 
nicht ohne Erfolg. Die Darſtellung iſt dadurch aber auch etwas 
nüchtern geworben. Wenn der Verfaſſer übrigens dem von ihm, be⸗ 
nutzten Lejebuche nachſagt, daß die darin enthaltenen geichichtliden 
Aufſätze troß mündlicher Darftellung nicht überwältigt werben Lonnien, 
fo ſcheint und dieſes Leſebuch unbelannt zu fein. Wir find ber 
Meinung, daß ind Leſebuch auch ſolche Auffäge gehören, an denen ſich 
bewahrbeitet: „Am Bergefteigen lernt man Berge fteigen.” Und num 
gar Widerwillen gegen den Gejcichtäunterricht wegen ber ſchwer faß- 
lichen Säte bes Leſebuchs? Das wäre ſchlimm! Wir wären begterig, 
zu erfahren, ob ſich das gebeflert hat, jeit der Verfaſſer fein hier vor⸗ 
liegenbes Büchelchen im Geſchichtsunterrichte benußt ober ob er jet 
einfach die jchwer faßlichen Sätze ignorirt. 


31. Silfssus für bie brandenburgifh - preußifhe Geſchi 
Bon Dr. Gottfried Eder, Oberlehrer am Friedrich⸗ Wiihelms⸗Gymna * 
zu Köln. Mit einer Karte. Im Anſchluß an das Hülfsbuch für die 


Geſchichte. 363 


deutſche Geſchichte von demſelben Verfaſſer. Mainz, C. ©. Kunze's Rach⸗ 
—* 1874. ie S. 8°.) Preis: 1,20 Mark. s — d 


Mit dieſem Buche ſchließt ſich der Kreis der von der genannten 
Firma veröffentlichten Hilfsbücher für den geſammten hiſtoriſchen Unter⸗ 
richt, über die im Jahresbericht wiederholt berichtet worden ift. (XIX, 
253. XX, 288. XXIII, 524 und XXV, 561.) Das Lob, welches 
an ben angeführten Orten dem Hilfsbuche für den Unterricht in ber 
beutichen Geſchichte von Dr. G. Edert geſpendet worden ift, barf auch 
das vorliegende Buch für fih in Anipruh nehmen. Auswahl, Ans 
ordnung und Darftellung bes Stoffes find vortrefflih. Auch die bei⸗ 
gegebene Karte verdient alles Lob. Beltimmt ift das Buch für 
Tertin und ber Verfaſſer macht den Vorſchlag, in dem zweijährigen 
Geſchichtskurſus ber Tertia im erften Jahre deutſche Geſchichte bis zum 
weſtphaͤliſchen Frieden zu treiben, dann bie brandenburgifch-preußifche 
Gefchichte bis zu ihren Anfängen zurüdzuverfolgen und endlich wieder 
bie deutſche Geſchichte aufzugreifen, um fie mit beftänbiger Nüdficht 
auf die preußifche Gefchichte zu behandeln. 

32. Bilder aus der vaterlänbifhen Geſchichte für die Elementarſchule. 

Bon F. Klein, Seminarlehrer. Mit AIluftrationen. Auszug aus dei . 
Verfaſſers: „Wilder aus der vaterländifhen Geſchichte für die Jugend.“ 
Köin und Neuß, Derlag der, 2. Schwann'fhen Verlagshandlung. 1874 
(124 ©. kl. 8°.) Preis: 3,75 M. 


Enthält 31 Bilder, deren erfte Hälfte folgende Leberfchriften Bat: 
Das alte Deutichland und feine Bewohner, Hermann, Völkerwande⸗ 
rung, Chlobwig, Bonifacius, Karl der Große, Heinrich I, Otto ber 
Große, der erfte Kreuzzug, Friedrich Barbarofia, Rudolf von Habsburg, 
Marimilian, Luther und die Kirchentrennung, der 30jährige Krieg, 
zwei wichtige Erfindungen, Entdedung Amerikas. Vom 17. Bilde an 
(Albrecht der Bär) wird die brandenburgifche Gejchichte nachgeholt und 
endlich gebt bie beutiche Geichichte in ber preußifchen auf. Die Er- 
zählungsweiſe des Verfaſſers ift anſprechend, die Holzfchnitte (Hermann 
dentmal, Gutenberg, etliche deutſche Kaiſer, brandenburgifche Kurfürften 
umd preußiiche Könige) find ohne bejondern Wert. Das Bud ift 
für katholiſche Leſer beftimmt, der Abfchnitt über Luther und bie 
Kirihentrennung umfaßt nur anderthalbe Seite. 


33. Leitfaden der brandenburgifä -preußifhen und deutfhen 

Geſchichte. Bon U, Nürnberg. Ueberarbeitet und bis auf die neuefte 

Pr ortgeführt von 2. Nürnberg. Dritte Auflage. Berlin, Verlag von 
ilhelm Schule. 1874, (108 ©. N. 8%.) BPreis- 75 Pf. 


Eine ſehr gefchidte Verflechtung der branbenburgifch = preußifchen 
und deutſchen Geſchichte. Immerhin wäre ung auch für preußifche 
Sculen eine deutſche Geſchichte mit befonderer Rückſicht auf die 
branbenburgifch = preußilche lieber, als eine branbenburgifch = preußiiche 
mit Hineinziehung der deuifchen. Will man aber bei ber legtgenannten 
Art des Geſchichtsvortrages bleiben, fo empfiehlt fi) ber vorliegende 
Zeitfaden aufs vortheilbaftefte. 


364 Geſchichte. 


34. Lehrbuch der deutfhen Geſchichte in Berinbung wit der 
Geſchichte Bayerns. NebR einer kurzen Weberficht des Geſchichte der 
alten Welt. Für den Unterricht in Mittelfehulen bearbeitet von Karl U. 
Butmann, Königl. Seniinarpräfert in Witdorf. Erlangen, Berlag von U 
Deihert. 1874. (338 ©. gr. 8%.) Preis: 2 Bulden. 


Ein vortrefflihes Buch nad Auswahl, Anordnung und Dar 
fiellung bed Stoffes. Die erfien 17 Paragraphen behandeln in Kür 
die alte Geſchichte als Einleitung und Grundlage für den Anfangs⸗ 
unterricht in der Geidichte.e Sie nehmen nur 18 Seiten ein md 
fönnen, wo fie entbehrlich find, leicht übergangen werden. In ben 
drei Hauptabfchnitten ber deutſchen Geſchichte iſt ſodann anhangemeiie 
jebeömal die Darftellung ber betreffenden Periode ber bayerfchen Ger 
ſchichte beigegeben und der Verfafler fchlägt in ber Vorrebe vor, bie 
Abjchnitte aus der bayerſchen Geſchichte an bie Bepetition ber be 
treffenden Abſchnitte aus ber deutfchen Geſchichte anzufnüpfen, um bar 
durch die bayerfche Gefchichte in innigen Zuſammenhang mit der beutichen 
zu fehen. Die Geſchichte der Pfalz, als einer der älteften, größeren Er⸗ 
werbungen des Haufes Witteldbach ift bei den Hauptabſchnitien ver Ges 
fchichte bed bayerſchen Herzogthums und Kurfürſtenthums fofort eingefügt ; 
die ber übrigen, im neunzehnten Jahrhundert zu Bayern gekommenen 
Territorien ift dagegen in einem bejonberen Anhange (S. 280 — 297) 
behandelt. Weitere Anhänge enthalten eine fehr ausführliche und beim 
Unterrite gewiß mit großem Nuben zu verwendende ſynchroniſtiſche 
Veberficht der bdeutichen und bayerſchen Geſchichte (S. 298 —332), 
Regententafeln und die Ausſprache frember Namen. Als ein befonderer 
Vorzug des Buches ift die eingehende Berüdfichtigung ber Kulturge⸗ 
Ihichte zu rühmen und auch ber Verleger des Werkes verbient Lob für 
bie vortreffliche Ausftattung in Papier und Drud. 

35. Ehronologifhe Ueberſicht der Schweizergeſchichte für höhere 
Bildungsanftalten. Bon J. K. Bellweger, geweſenem Seminar⸗Director. 
Dritte, vermebrte und bis auf die neueſte Zeit fortgeführte Auflage. Zürich. 


Derlag von Meyer und Zeller. (U. Reimmann.) 1874. (72 ©. kl. 5°.) 
Dreis: 1 Marf. 


Außerorbentlich inhaltreich; aber meift in unvollftändigen sagen 
und abgerifjenen Worten. Ein tüchtiger Lehrer mag damit gute 
folge erzielen können; uns will es jedoch fcheinen, als ob in einem 
fo kurzen Abriffe allgemeine Redensarten mehr als bier gejchehen ver: 
mieden werden follten. So werden z. B. in dem Abfchnitte: Urſachen 
der franzöfiihen Revolution (S. 51) zahlreiche Thatfachen angeführt, 
ber Anfang deflelben aber erjcheint uns überflüſſig. Es heißt da: 
„Innerlich faule Zuflände. Unter ber äußeren Hülle keimt neues 
Leben; neue been kommen auf; der Gewitterfturm reinigt bie poli- 
tiſche Atmoſphäre und bringt die Blüthen zur Zeitigung.” 


III. Tabellen. 


86. Geſchichtſtabellen zum Gebrauch auf Gymnaflen und Mealfchulen, 
mit einer Ueberficht über die brandenburgifchspreußifhhe Geſchichte und mit 








Geſchichte. 365 


Geſchlechtslafeln und anderen Anhängen. Bon Dr. Ebduard Cauer, 
Director des Gymnafiums zu Danzig. Reungehnte Auflage. Breslau, 
Berlag von Eduard Trewendt. 1874. (80 ©. gr. 80.) Preis: 60 Pf. 


Neunzehn Auflagen, die in lekter Zeit in weniger als Jahres⸗ 
frift einander gefolgt find, oft im Jahresberichte warm empfohlen, 
jehr billiger Preis bei ſchöner Ausftattung — das fagt genug. Die 
vorliegende Auflage ift vermehrt durch Gefchlechtötafeln der Häufer 
Wettin und Wittelsbach. 

37. Zabellen und Karten zur Weltgeſchichte, herausgegeben von Dr. 
Otto Lange, Prof. in Berlin. Tabelle II. Zur ethnographifchen Bors 
ſtufe. Mit 7 Karten, entworfen von Berfafler, revidirt von H. Kiepert. 
Schfte, durch eine Karte vermehrte Auflage. Berlin, Verlag von Rubolf 
Gärtner. 1873. Breis: 1 Marf. 

Dft im Sahresberichte empfohlen, zulegt Band XXIV, ©. 822. 
Die neue Auflage ift durch Anführung der neueften gejchichtlichen Er- 
eigniffe und durch eine Karte zur Gefchichte der Jahre 1864— 1872 
vermehrt. 

38. Befhichtstabellen zum Auswenbigiernen. Bon Dr. Arnold 
Schäfer, Prof. a. d. Univ. Bonn. BDreizehnte, verbefferte und bis auf 
Die Gegenwart fortgefegte Auflage Mit Geſchlechtstafeln. Leipzig, 
Arnoldiſche Buchhandlung. 1873. (66 ©.) Preis: 50 Pf. 

Zum letzten Male eingehend beiprodhen und empfohlen: Jahres⸗ 
bericht XXIII, 549, vorher XVII, ©. 647. Ihre Beliebtheit ver- 
danken diefe Tabellen ebenjowohl ihrer Zuverläffigfeit, als ihrer ge= 
ſchickten Anordnung. Sie zerfallen in drei Kurſe, deren erfter, für 
die Anfangöftufe beftimmt, im zeiten vollftändig wiederholt wird, 
während der dritte die Kulturgefchichte umfaßt. 

39. Syndroniftifhe Ueberſicht der wichtigften Greigniffe aus der deut- 
fen und bayerlihen Geſchichte. Ein Hilfsmittel für die Repetition. 
Ben Karl A. Gutmann, königl. Seminarpräfeet in Altdorf, Erlangen, 
Berlag von N. Deichert. 1874, (41 S. gr. 8°.) Preis: 18 Kr. 

Separntabdrud aus dem unter Nr. 34 angezeigten Lehrbuche, 
dem aud die Regententafeln, eine Stammtafel des Hauſes Witteld- 
bach und ein Regiſter frember Namen mit Ausſprachebezeichnung bei- 
gegeben find. 

40. Die widtigften Ereigniffe der Beltgefhichte. Zum Audwendig- 
fernen. Auch als Grundlage für den Unterricht in böberen Schulen. 
Bon Karl A. Gutmann, Tönigl. Seminarpräfee. Erlangen, Berlag von 
A. Deichert. 1872 (X u. 112 ©. 12.) Preis: 80 Pf. 

Vorzugsweiſe bejtimmt für die Oberklaſſen höherer Bürgerfchulen, 
höhere Töchterfchulen, landwirthſchaftliche und gewerblicde Fortbildungs⸗ 
Schulen. Die Auswahl fchließt fih an das unter Nr. 34 angezeigte 
Lehrbuch an und es verbient daher dieſes Büchelchen, namentlih auch 
in Bezug auf Berüdfihtigung der Kulturgefchichte, daſſelbe Lob, wie 
das Lehrbuh. Die Anordnung ift geſchickt, die Darftellung hält die 

Mitte zwiſchen Tabelle und Leitfaden. 

41. Zabellarifher Srundriß der Weltgefchichte für linter- und 
Mittelklaſſen Höberer Bildungdanftalten. Bon Dr. Franz Pfalz. Zweite 
verbefierte Auflage. 


366 Geſchichte. 


1. Heft. Alte Geſchichte. Mit zwei Kart 18: 50 Bf. 
2. 2 Sch a — I * rn (56 & Breis: 


Relpyig, lag von Julius Klinkhardt. 1873. 


Dieſes Werkchen, welches in ſeiner Darſtellung ebenfalls die 
Mitte zwiſchen Leitfaden und Tabelle hält, iſt im Jahresbericht bereits 
warm empfohlen (XXIV, 802). Eine weſentliche Verbeſſerung hat 
die neue Auflage der beiden erſten Heftchen dadurch erfahren, daß 
jedem derſelben zwei ſauber ausgeführte (nicht colorirte) Karten bei⸗ 
gegeben ſind: Griechenland und Kleinaſien, römiſches Reich, Europa 
zur Zeit der Völkerwanderung und bes fränfifchen Reiches, Europa zur 
Seit der Hohenftaufen und ber Kreuzzüge. 

42. Hauptdaten der Weltgefhicte Alam enneReit von Dr. Carl 
Plotz, ehem. Prof. am Kranzdf. Gymnaſium. Dierte, vermehrte Auflage. 
Berlin, Derlag von F. A. Herbig. 1874. (76 S. 16.) Preis: 60 Bf. 
Die Tabelle ift fo gut tie viele andere; ber Drud berfelben 

aber könnte befler fein — ein Wunſch, ben a namentlich aud bie 

Benuger ber franzöfifchen Lehrbücher von Dr. Plötz mit uns tbeilen. 


43. — für den Unterricht in der allgemeinen und vaterländi en Ge⸗ 
chichte in gehobenen Volks⸗, Mittels und Bürgerſchulen. Ri einen Ei 
ange, —28 die —2 Kirchengeſchichte Von K. 
Wander. Fünfte, bis auf die neueſte Zeit fontgeführte Auflage. la 
Adolf Appun. 1874. (32 ©. 8%) Breis: 30 Bf. 

Im Vergleich zu ben biöher genannten Tabellen ift ber Berfaffer 
ſparſam mit Zahlen und Daten, entſprechend dem Bebürfniffe ber auf 
bem Zitel genannten Schulen. Lob verdient die bejondere Betonung 
der Kulturgefchichte ober mie ber Verfaſſer ed nennt: Bildungsgeſchichte. 
Es will uns aber fcheinen, ald ob der Verfafler über die Bebürfnifie 
der auf dem Titel genannten Schulen binauöginge, wenn er ©. 10 
die Schulen ber Araber zu Bagdad, Baflora, Kairo, Alexandria, Fez, 
Marokko, Sevilla, Granada, die ver Juden zu Tiberias und Babylon 
aufzählt, wenn er ©. 12 bie Philoſophen Baco von Berulam, Carte⸗ 
fius, Spinoza nennt, wenn er ebenda Michel Angelo als Stifter der 
eriten, Bernini als Stifter der zweiten Bildhauerſchule anführt, wenn 
er — ſonderbarerweiſe unter ber Ueberſchriſt: Geſchichtswiſſenſchaft!! 
— Aoyfius und Antonius Lilius nennt. Ueberhaupt find wir kein 
Freund der bandwurmartigen Namentataloge, wie fie der Berfafler im 
den Abſchnitten: Bildungsgeſchichte, die ben einzelnen Perioden ange⸗ 
hängt find, giebt. In dem Abſchnitte „Bildungsgeſchichte ſeit 1648” 
gebt es in biefer Beziehung doch gar ein Bischen zu bunt zu. Der⸗ 
jelbe beginnt jo: „Ausbreitung des Chriftentbums, Miſſions⸗ und 
Bibelgefelichaften, Abichaffung des Sklavenhandels und ber Leibeigen- 
haft, Schutzpockenimpfung, tDechfelfeitiger Unterridt, Mäßigleitövereine, 
Kleinkinder- oder Warteſchulen, Bürgergefellfchaften, Volksbibliotheken, 
Armenkolonien, Peſtalozziſtiftung, Anfang politifcher Bollsbildung in 
Bolleverfammlungen (Volks⸗, conftitutionellen, Vaterland u. a. 
Bereinen)“ 2. Das ift Bilbungsgefchichte feit 16481 Von ber Bil- 





Gefchichte, 367 


bung bes fiebzehnten Jahrhunderts merkt man freilich dabei nichts. 

Sn demjelben Ahfchnitte werben für Schüler ber Volls- und Bildungs⸗ 

ſchulen folgende Philofophen aufgezählt, aber eben auch nur aufge- 

zählt: Locke, Hume, Leibnit, Wolf, Thomafius, Kant, Yichte, Krug, 

Schelling, Hegel, Montesquieu, Rouſſeau, Voltaire. Was foll das für 

einen Nuten baben? und wo bleibt bei folder Aufzählung die ges 

ſchichtliche Entwidelung? In gleicher Weife werben nicht weniger als 

56 Dichter aufgezählt, desgl. 20 Muſiker, unter ihnen die Walzer: 

eomponiften Strauß und Lanner, die Sängerinnen Sonntag und Lind. 

Selbſt die Veſtris und Fanny Elsler werben unter ber Ueberſchrift: 

Darftellende Tanzkunſt den Schülern der Volle: und Bürgerjchulen 

nicht vorenthalten. 

Auch an der eigentlichen Gefchichtötabelle hätten wir mancdherlei 
auszujegen. Unter 843 ſteht: „Großer Sittenverfall, Näubereien, 
Bauftrecht, deutſche Burgen”. Das ift denn boch etwas zu zeitig. 
Unter 1000 ftebt:  „Chriftenthbum in Grönland.” Die Erfindung ber 
Schlagubren fteht zugleich bei den Jahren 800 unb 1256. Johann 
der Beite von Sachſen als Haupt des Schmallaldiſchen Bundes ift 
wohl Drudfebler. 

44. Tabellen zum Geſchichtsunterricht für die Mittelllaffen höherer 
Mädchenſchulen. Bearbeitet von Franz Dir, Oberlebrer an der böhern Mäd⸗ 
henfhule zu Leipzig. Leipzig, Friedrich Brandſtetter. 1874. (16 ©. 
gr. 8°.) Preis: cart. 40 Pf. 

Diefe Tabellen, die zunächſt für bie höhere Mäbchenfchule zu 
Leipzig beftimmt find, meichen in ihrer Anorbnung mefentli von den 
gebräuchlichen ab, da fie fi ganz an ben Lehrplan der genannten 
Schule anichließen. Im diefem aber ift der Stoff des Geſchichtsunter⸗ 
richts in folgender Weiſe vertheilt: 

7. Klaſſe: Griechifche und römische Sagen und Geſchichten. Wöchent- 

lid 1 Stunde. 

„: Deutihde Sagen und Geſchichten des Mittelalters. 

2 ſtündig. 

„  : Neue Gejchichte. 2 fündig. 

: Deutihe Gefchichte. 2 ftündig. 

„: Alte Gejchichte. 2 ftündig. 

„: Mittlere Geſchichte. 2 fündig. 

1. „ Neue Geſchichte. 2 ftündig. 

Die vorliegenden Tabellen bieten nun ven Stoff für bie 7. bis 
4. Klaſſe und enthalten nur, was durchaus gebächtnifmäßig angeeignet 
werben muß, der Stoff ift beſchränkt, damit der Unterricht wenig, aber 
Sicheres erſtrebe. In vier Jahren find wenig über 100 Zahlen zu 
lernen. Ihrer Beitimmung für Mädchenſchulen tragen die Tabellen 
namentlich infofern Rechnung, als fie geſchichtlich denkwürdige Frauen 
beſonders berüdfichtigen. Eine dankenswerthe Beigabe bilden bie An⸗ 
Führungen von poetiſchen Bearbeitungen gejchichtlicher Stoffe. 

45. Zabelle für den erfien Unterricht in der Weltgeſchichte. Bon 
Karl Hanſen, Direstor ber Realſchule J. Drbn. zu Harburg. weite 


Dann pP 
n 





368 Geſchichte. 


verbefierte und bis auf die Gegenwart ergänzte Auflage. Harburg, Berla 
von Guſtav Elkan. 1874. ($6) reis: 25 — ug, 9 


In Folge ihrer Beſchränking für ben erſten Unterricht ganz ge⸗ 
eignet. Streng chronologiſch geordnet; wir hätten wenigſtens auf 
Seite 2 die griechiſche und römiſche Gefchichte gern auseinander 
gehalten gefehen. 

46. Zeittafel für Siebenbürgiſch⸗ſächfiſche Vollsſchulen A. B. (einſchließlich 
der Hauptoollsichulen.) Herausgegeben vom Leſchkircher Voltseſchullehrer⸗ 
Zweigverein. Hermannfladt, Berlag von Franz Michaelis. 1873. (8 ©.) 
Preis: 20 Bf. 

Ebenfalls durch ihre Einfachheit fi) auszeichnend, zerfällt biefe 
Seittafel in: A. Allgemeine Weltgeichichte (4 Seiten und geglievert 
unter: a. Sfraeliten, b. Griechen, oc. Römer, d. die Deutſchen). B. Sie 
benbürgifche Geſchichte (1!/, Seite). C. Kirchengefchichte (2 Seiten, 
mit fpecieller Berückfichtigung von Oeſtreich⸗ Ungarn). 


IV. Karten. 


47. Hiſtoriſcher Atlas. Nah Angabe von Heinrih Dittmar. Revidirt, 
neu bearbeitet und ergänzt von D. Völter, Profeſſor in EBlingen. Siebente 
Auflage, Heldelberg, Karl Winters Iniverfitäts-Buchhandlung. (19 Karten 
mit vielen Nebenkarten.) Preis: geb. 6 Matt. 


Die ſechſte Auflage ift im Jahresbericht (XXI, 532) für Schüler 
in den Oberllaflen höherer Schulen und für Gefchichtölehrer als ein 
vortreffliches Hilfsmittel empfohlen. Wir Lönnen uns bezfiglidh ber 
vorliegenden Auflage diefem Urtheile nur anfchliegen, wenn wir auch 
wünfchen, daß einzelne Karten in der Ausführung noch etwas ſchärfer 
ausgefallen fein möchten. 

48. Hiftorifher Schul⸗Atlas zur alten, mittleren und neueren Geſchichte 


von ©. F. Rhode. 89 Karten auf 30 Blättern nebſt erläuterndem Tegt. 
Reunte Auflage. Glogau, Druck und Verlag von Carl Flemming. 


Diefer vortrefflihe Atlas zeichnet fih durch die große Klarheit 
und Einfachheit feiner Karten aus, die dadurch möglich wurbe, dag 
möglichft viele Karten eines Landes für verfchiebene Zeiten gegeben 
wurden. Beifpielöweife finden wir die Hesperifche Halbinfel nur allein 
für die Gefchichte des Mittelalter3 viermal dargeftellt (711—1028, 1157, 
1252, 1492). Dem allmählichen Wachsthume des öftreichifchen Staates 
find fünf Karten und Kärtchen gewidmet. Die 3 Theilungen Polens find 
durch 3 verſchiedene Kärtchen veranfchaulidht. Eine fehr dankenswerthe 
Beigabe find auch die Erläuterungen ber Karten, welche 30 dreifpaltige 
Seiten umfaflen. 

49. Hiſtoriſch-zeographiſcher Shulatlas. 36 Karten in Farbendruck. 


Kntworfen von Th. König, bearbeitet und herausgegeben von Wilhelm Iß⸗ 
feib. Sera, Drud und Verlag von Ißleib u. Rietſchel. 1874. 


Hier wird in ber That für einen außerordentlich billigen Preis 
viel geboten. Die Karten find mit verflänbnißboller Berückſichtigung 








Geſchichte. 369 


der Bedürfniſſe des Geſchichtsunterrichts entworfen, von jeder Ueber⸗ 

ladung frei gehalten, in der techniſchen Ausführung meiſt wohl ge⸗ 

rathen, ſo daß ſie dem Schüler eine ſchnelle und ſichere Orientirung 
auf dem hiſtoriſchen Schauplatze ermöglichen. Wir glauben, daß dieſer 

Atlas namentlich um ſeiner Billigkeit willen denſelben Beifall finden 

wird, wie die übrigen von derſelben Verlagshandlung herausgegebenen 

Atlanten. 

50. Hiſtoriſcher Atlas. Zum Gebrauch beim Geſchichtsunterricht in höheren 
Bolfsichulen. Bearbeitet von Emil’ Raſche und Reinhold Zimmermann. 
Annaberg, Derlag von Rudolph u. Dieterict. 1874. Breis: 1,35 M. 

Inhalt: 1. Das Perfifhe Reich und das Reich Wleranders. 

2. Griechenland ums Jahr 500 v. Chr. 3. Das römische Reich bis 
zu feiner größten Ausdehnung unter Trajan. 4. Karte zur biblifchen 
Geſchichte. 5. Europa nad der Völlermanderung. 6. Das Reich 
Karla des Großen. Die Theilung bes Reiches zu Verbun. 7. Europa 
zur Zeit Karl V. 8. Karte zur Geſchichte des 30jährigen Krieges. 
9. Europa beim Beginn ber franzöfifchen Revolution. 10. Karte zur 
Geſchichte des Napoleonifhen Kaiſerthums. 11. Der deutſche Bund 
1815. Ermwerbung von Schleswig und Elfaß-Lothringen. 12. Preu- 
Ben? Entwidelung bis zur Gegenwart. — Die Karten find bei ziem- 
licher Größe von der größten Einfachheit und die Herausgeber berufen 
ih auf Humboldts Worte: „Nur leer fcheinende Karten prüfen fich 
dem Gebädtnifle ein.” Die Vermeidung jeder Gebirgsangabe Tönnen 
wir nicht billigen. Im Uebrigen verdienen dieſe einfachen und billi⸗ 
gen Karten der Volksſchule empfohlen zu werden. 


V. Schriften für den Lehrer und für ein größeres Publikum, 


1. Allgemeine Geſchichte. 


51. Ueberſicht der Weltgeſchichte in ethnographiſcher Anordnung nad 
den Perioden His auf die Gegenwart. Ein allgemeines hiſtoriſch⸗chrono⸗ 
Iogifhes Hilfsbuch mit genauer Benupung der neueften Forſchungen (bes 
fonders die ältere Geſchichte betreffend) ais Vorſchau und Rüdblid, zum 
Nachſchlagen bei Hiftorifcher Lectüre von C. S. Wollſchläger. Eifenad,, 
Verlag von I. Bacmeiſter. (XX u. 754 ©. ar. 8°.) Preis: 8 Mark. 


Der lange Titel bezeichnet ziemlich genau, worin ber Werth dieſes 
Buches beſteht. Es ift, namentlich für die Gejchichte des Mittelalters 
und der Neuzeit, fein Buch zum Leſen oder Studiren, es tft in ber 
That hauptſächlich Hilfs- und Nachſchlagebuch. Seine Reichhaltigkeit 
wird beftätigt durch ein 38 breifpaltige Seiten umfafjendes Regiſter. 
Auch darin hat der Titel recht, dab die Vermwerthung neuerer For⸗ 
fchungen namentlich ber alten Geidichte zu Gute gelommen tft. In 
dieſen Barthien des Buches, vorzugsweife in den Kapiteln, welche bie 
altorientalifhe Geſchichte behandeln, finden ficher viele Leſer Gelegen- 
heit, alte Anſchauungen und Meinungen zu berichtigen. ‚Da bat ber 
Berfafier auch am meiften einer lesbaren Form ſich befleißigt, während 
Später meift nur ein Gerippe aus abgeriffenen, unbolljtändigen 

Päd. Jahresbericht. XIVI. 24 


870 Geſchichte. 


Sätzen gegeben wird. Uebrigens iſt der Stil auch da, wo der Ver⸗ 
faſſer in vollſtändigen Sätzen ſchreibt, ziemlich unbeholfen und wir 
Hnnten ſchon aus der langen, aber etwas unklaren Vorrede Sätze 
eitiren, wie die unter Nr. 14 mitgetheilten von demſelben Verfaſſer. 
Wer eine Zufammenftellung ſämmtlicher Päpfte, eine gute Ueberficht 
über fämmtliche Chalifen fucht, mer fich unterrichten will über bie 
fämmtlichen Dynaftien der Seldichuden oder über die Fürftenfamilien, 
welche im Mittelalter die pyrenäiſche Halbinfel beberrichten, der findet 
in biefem Buche dazu gute und bequeme Gelegenheit. 


53. Gefhihte des Altertbums Bon Mag Dunker. Erſter Barr. 
Vierte, verbeflerte Auflage. Leipzig, Derlag von Dunkler und Humblot. 
1874. (XIII u. 425 ©. gr. 8°.) Freie: 6 Marf. 


Dunfers Gefchichte des Altertbums ift ein Meiſterwerk ber deut- 
ſchen Gefhichtichreibung, das ſich außer durch abjolute Beherrſchung 
aller neueren Forſchungen beſonders auch durch lebendige und ge= 
fhmadvolle Darftelung auszeichnet. Wer ein Werk wie dieſes noch 
nicht gelefen bat, ber glaubt gar nicht, wie viel Veraltetes und Falfches 
ſich noch in den meiften gebräuchlichen Lehrbüchern der Geſchichte fort- 
fchleppt, wie viel Neues die Entzifferung der ägyptifchen, babylonifchen, 
afiyrifchen, fyrifchen und perſiſchen Monumente gelehrt bat. Der vor: 
Itegende erfte Band behandelt die Aegypter und Semiten und entrollt ein 
farbenveiches Bild, nicht nur von den Thaten, fondern auch von ber 
Religion, den Sitten und Kunſtwerken der Aegypter, Chalbäer, Araber, 
Rannaniter und Hebräer. In Lehrerbibliothefen follte dieſes herrliche 
Werk nicht fehlen, damit endlich einmal alte Irrthümer durch echte 
Wiffenfchaft ausgerottet würden. 

53. Die römiſchen Kaljer aus dem Haufe des Auguftus und dem 
Flaviſchen Geſchlecht. Von M. Beuld Deutih bearbeitet von Dr. 
Eduard Döhler, Subrector am Gymnafinm zu Brandenburg. 

Zweites Bändchen: Ziberius und das Erbe des Auguſtus. Kalle, 
Berlag der Buchhandlung des Waiſenhauſes. 1874. (150 S. gr. >°.) 
Preis: 1,50 Mark. 

Mir haben bereit3 bei Beiprehung bes erften Bändchen biefes 
Geſchichtswerkes eines früheren franzöſiſchen Unterrichtsminifters (Jahres⸗ 
beriht XX VI, 546) uns ausführlih über den Geift, der daſſelbe 
durchweht und ber mehr politifcher als Hiftorifcher Natur ift, audge- 
ſprochen. Auch das vorliegende Bändchen beftätigt in allen Theilen 
das dort gefällte Urtheil. Es liegt eben auch in dieſem Bändchen eine 
geiftvolle, anregende Lectüre vor, bie wiederum begierig macht nad 
der Fortfegung. Die einzelnen Kapitel des Schriftchens find betitelt: 
1. Tod des Auguftus, 2. Sugendzeit des Tiberius, 3. Verbannung 
nah Rhodus, A. die Adoption, 5. Livias Regierung, 6. Sejanus, 
7. die Inſel Capreä. In feiner Beurtheilung bes Tiberius nähert fich 
. Beule der Stahrſchen Auffafiung, menigftend macht er für des Tiberin® 
Sünden in erfter Linie bie Erbichaft verantwortlich, die Tiberius arı= 
trat, das Erbe des Auguftus, über deſſen Bedeutung fchon jene oben 
angeführte erfte Beſprechung Aufichluß giebt. 


Geſchichte. 3il 


54. Karl Friedrich Beckers Weltgefhihte. Achte, neu bearbeitete, bis 
auf die Gegenwart fortgeführte Ausgabe. Herausgegeben von Abolf 
Schmidt, ordenti. Brof. der Geſchichte an der Univer N Sen. Mit der 
Fortfegung von Eduard Arnd. Bierte, vermehrte Auflage. Heft I. 
Leipzig, Berlag von Dunkler u. Humblot. 1874. (S. 1—504) Erſcheint 
in 83 Lieferungen & 50 Pf. 

Wenn die Augsburger Allgemeine Zeitung jagt, daß die Beckerſche 
Weltgeſchichte ein Nationalwerk fei, welchem die Engländer und Fran 
zojen, ungeachtet der großen Stellung, bie fie in ber Welt einnehmen, 
und ber einzelnen Meiſterwerke, die ihre hiſtoriſche Literatur befigt, im 
Ganzen nichts Aehnliches an die Seite fegen können, fo bat fie voll- 
fommen Recht. Diejes Werk ift eben ein ganz eigenartiged, und hat 
feine Eigenart auch bewahrt, nachdem es in den neueren Auflagen 
durch hervorragende Männer der Wiffenichaft (Hertzberg bearbeitete die 
alte Geſchichte, Najemann das Mittelalter, W. U. Schmidt die neuere 
Zeit, währen Die Fortſetzung bis auf die neuefte Zeit von dem jeßigen 
Herausgeber Ed. Arnd herrührt) mit den Ergebniffen der neueften For⸗ 
Shungen in Einklang gebradt worden if. Unb in biefer ihrer 
Eigenart bleibt fie die für einen größeren Leſerkreis, namentlich für 
die reifere Jugend empfehlenäwerthefte Weltgefchichte. Es bedarf das 
für feines Beweijes für denjenigen, ber einmal beobachtet hat, mit 
welcher Begeilterung Leſer dieſes Buches demjelben treu bleiben. Die 
vorliegenden vier Hefte behandeln die Geſchichte der orientalischen 
Völker und bie ber Griechen bis zum Beginn der Perferkriege. 

55. Weltgefhichte von Ferdinand Schmidt. Mit Sluftrationen von 
Prof. Georg Bleibtreu. Erſte Lieferung. Berlin, Berlag von Albert 
Goldſchmidt. (986 S. ar. 8°.) Erſcheint in 24 Lieferungen a 75 Bf. 
Diefes Werk ift bereits in erfter Auflage angezeigt (Jahresbericht 

XXI, 852). Wir behalten uns ein näheres Eingehen auf bafjelbe 

bis nach Erfcheinen weiterer Lieferungen vor. 

56. Kaiſer Kriedrid I. Don Dr. Hand Prutz, Docent der Geſchichte 
an der Untverfität zu Berlin. Drei Bände. Danzig, Derlag von A. W. 
Rafımann. 1871 —74. (XIV, 452. XI, 384, ‚40 ©.) Yreie: 
15 Marl. 

Der Sohn des befannten Dichters bietet bier eine auf das mit 
großem Fleiße gefammelte, zum Theil bisher ungebrudte Duellenmate- 
rial, fowie auf die biäherigen Vorarbeiten geſtützte Bearbeitung bes 
Lebens des großen Staufers, welche in lebendiger und anziehender 
Darftellung vie bewegenden und treibenden Kräfte aufbedt, bie in 
jener Beit großer Kämpfe fowohl auf dem Gebiete der Reiche», als 
auf dem ber Kirchenpolitik fich geltend machten. “Dergleichen gründ⸗ 
liche Unterfuhungen laflen nicht nur lehrreiche Blide in die Werk⸗ 
Rätten ber neueren Geſchichtſchreibung, fondern auch in das geijtige 
Leben und Schaffen der Vorzeit thun; der Lefer nimmt Theil an der 
Sichtung und Abwägung der Quellen nach ihrem verſchiedenen Werthe, 
an den Gombinationen, die ſich an diefelben Inüpfen. Wo dies ber 
Fall ift bei der Darſtellung emer fo beveutungsvollen Zeit, einer fo 

hochwichtigen Perſönlichkeit, wie hier, da darf die liebevolle Verſenkung 
24% 


372 Geſchichte. 


in ſolches Studium dem Geſchichtslehrer doppelt empfohlen werden. 

Als Beigaben finden ſich in jedem Bande eingehende Exkurſe über 

einzelne wichtige Quellen, Ereigniſſe ꝛc., ſowie Abdrücke urkundlicher 

Materialien die zum Theil neu aufgefunden ſind. Von den Exkurſen 

heben wir als beſonders intereſſant und lehrreich hervor: das Ende 

Arnolds von Brescia, das Verzeichniß der Regalien, die Zuſammen⸗ 

kunft Friedrichs J. mit Heinrich dem Löwen vor der Schlacht bei 

Legnano und die ausführlichen Unterſuchungen über den Conſtanzer Frieden. 

Eine eingehende Würdigung der neuen Ergebniſſe, welche die in 

dieſem Werke gepflogenen Unterſuchungen geliefert haben, liegt außer⸗ 

halb des Rahmens des Pädagogiſchen Jahresberichts. 

57. Die Weltgeſchichte in Ueberſichten und Schilderungen der 
wichtigſten Begebenheiten vom Wiener Congreß bis zur Wiederherſtellung 
des Deutſchen Kaiſerreichs. Ein Handbuch für Lebrer, erwachſene Schüler 
und Freunde geſchichtlicher Bildung. Von Prof. Friedrich Körner. (Die 
meitgeibiäte in Xebenabildern und Charakterſchilderungen der Bölter. 

and.) Jena, Hermann Eoftenoble. 1874. (VIII u. 266 S. 8°.) 

Preis: 2.70 M. 

Das Buch zeichnet fi aus durch geſchickte Auswahl und Dar: 
ftelung des Stoffes und verdient in der That denjenigen, für die es 
dem Titel nach beftimmt ift, empfohlen zu werden. Beſonders mohl- 
thuend berührt auch in den Kapiteln, welche die deutfche Gefchichte be: 
handeln, der echt patriotiiche Sinn bes Verfaſſers; nur in der Dar: 
ftellung de3 Kriege von 1870—71 hätten wir einige Ausbrüde, mie 
fie gegen die Franzoſen, ihren Kaifer und ihre Feldherren gebraudt 
werden, (— „wie ein Bankrotteur fing Napoleon an zu ſchwindeln“ 
u. ä.) gern vermißt, wie gern wir auch die Friſche anerfennen, mit 
ber gerade dieje Parthie des Buches gejchrieben ift. 

59, Weberfiht der neuelten Beltereigniffe vom Frieden zu Wien 
— bis zur ——— des Deutſchen Kaiſerthums. Von Dr. K. 

eidemann, H. S. Meiningiſchem Oberſchulrathe. (Zugleich vand It 
zu Nipelnadgl: er Wiſſenswürdigſte aus ber Welt: und Kulturgeſchichte. 


Saalfeld, Berlag von Gonftantin Niefe. 1874. (347 ©. 8°.) Breie: 
2,25 Mark. 


Das Buch ift in zmeien feiner Theile, die bereits früher er- 
ſchienen find („Vom Frieden zu Wien bis zur Errichtung deö nord⸗ 
deutfchen Bundes‘ und „der beutich-franzöfifche Krieg 1870— 71"), 
ſchon beſprochen und als „kurze, überfichtlihe und objectiv gehaltene 
Darftellung der neueften Ereignifie‘‘ (Jahresber. XXI, 517) ſowie ald 
„are, lebensvolle Darftellung eines reichen, mit wiflenichaftlicher Ein: 
fiht gefichteten Materials‘ (Yahresber. XXIV, 332) anerlannt worden. 
Durch Hinzufügung des mittleren Theiles, welcher über die Ereignifle 
von der Errichtung des norddeutſchen Bundes bis zum Ausbrud bed 
deutich-franzöfifchen Krieges berichtet, ift das Werk nun vollitändig ge- 
worden und wir fönnen ung auch bezüglich diejes Theiles nur den an⸗ 
geführten Urtheilen anfchliegen. Das auf dem Titel genannte, in 
vielen Kreiſen beliebte Wert von Nigelnadel hat durch das vorliegende 
Buch eine willlommene Ergänzung erhalten. 


Geſchichte. 373 


2. Kulturgeſchichte. 


59. Kulturgeſchichte in ihrer natürlichen Entwicklung bis zur 
Begenwart. Bon Friedrich von Helwald. Augsburg, Lampart u, Eomp. 
1874—75. (839 ©. 8°.) Preis: 13,20 Mark. | 
Eind der anregendften Bücher, das wir in neuerer Zeit gelefen 

haben. Der gelehrte Herausgeber des Auslandes macht in demjelben 

ben Verſuch, die Kulturentwidelung der Menfchheit im Lichte jener 
realiſtiſchen Weltanſchauung zu ſchildern, die wir heute als das logiſche 

Ergebnig unſeres Naturwiſſens betrachten dürfen. Daß er fih bei 

dem Umfange bdiefer Aufgabe und bei dem im BVerhältniß zu diefem 

Umfange immerhin engen Raume feines Buches damit begnügen mußte, 

die leitenden Gefichtöpuntte, unter benen die Kulturgeſchichte zu be= 

tradhten ift, feitzuftellen und zu deren näherer Begründung das Kultur- 
leben der hervorragendſten Kulturvölker des Altertbums wie der Neu⸗ 
zeit bis auf unfere Tage heranzuziehen, ift leicht einzufehen. Ebenfo 
jelbftverftändlich ift, daß man dem Berfafjer, der jo felbftändige Bahnen 
einjchlägt, nicht gern fogleich in allen Confequenzen, die er zieht, bei- 
ftimmen mag. Anerkennen muß aber ficher jeder Leſer den fittlichen 

Ernit, mit dem ber Berfaffer feine Aufgabe erfaßt und die gründliche 

Gelehrſamkeit, die er zur Löſung derſelben binzubringt. Uns will es 

fcheinen, ald ob das von dem Verfafler vorzugsweife gepflegte Wifjens- 

gebiet das ber Urgeſchichte! und des Alterthums wäre, wenn mir aud 
zugeben, daß er bei Behandlung bes Mittelalters und ber Neuzeit 

Verſtöße fih nicht zu Schulden fommen läßt. Einzelne, nad) unferm 

Dafürhalten vorzugsweiſe gelungene Kapitel (namentlich aus der älte- 

ften Beit) berauszubeben , geftattet leider der Raum nicht und fo ſchlie⸗ 

Ben mir benn unfere Anzeige mit dem Wunfche, daß fein Lehrer ber 

Anregung und Belehrung entbehren möge, die die (allerdings nicht 

ganz leichte, aber reich lohnende) Lectüre dieſes Buches gewähren Tann. 

60. Die vorgeſchichtliche Zeit, erläutert durch die Weberreite des Alters 
ıbums und die Sitten und Gebräuche der jepigen Wilden. Don Sir Kohn 
Lubbock. Autorifirte Ausgabe für Deutſchland. Nach der dritten Auflage 
aus dem ÜEnglifhen von U. Paſſow. Mit einleitendem Vorwort von 
Rudolf Virchow. 

L Band. Mit 108 Süuftrationen in Holzfchnitt, 1 Grundriß und 2 fithos 
oraphirten Tafeln. (XXVIIL u. 303 ©. 
II. Band. Mit 48 Illuſtrationen in Holzſchnitt und 2 lithograpbirten 
Zafeln. (XI u. 313 S.) 
Jena, Hermann Coitenoble. 1874. Preis: 16 Mark. 


Ein Werk, das großes Aufſehen gemadt hat. Ein tüdhtiger 
Foricher in prähiſtoriſchen Dingen, bietet in demfelben eine Zuſammen⸗ 
faflung befien, was bis jetzt als ficheres Ergebniß vorgejchichtlicher 
Forſchungen betrachtet werben barf, und wenn er dabei zumeilen jehr 
vorſichtig verfährt und feine oder Anderer Meinungen nicht wie un» 
umſtößliche Wahrheiten vorträgt, fo verbient er dafür befonberes Lob 
jenen Forfchern gegenüber, die fo gern die Gebilde ihrer Phantafie als 
zeife Früchte ihres wiflenfchaftlihen Scarffinns betrachten. Die präs 
hiſtoriſchen Studien find noch viel zu jung, als bag in ihnen überall 


874 Gefchichte. 


ſchon von ficheren Ergebniflen bie Rebe fein könnte, aber doch alt 
genug, um Vieles aufgebedt zu haben, von deſſen einſtigem Daſein 
man lange Zeit keine Ahnung gehabt hatte, um beanfpruchen zu Tünnen, 
daß diejenigen, welche dem Kulturgange ber Menfchheit nachipüren, von 
ihnen Notiz nehmen. 

Ein bejonderer Vorzug des Buches ift begründet in des Verfaffers 
grünblicher Kenntniß von dem Leben der jetigen Wilden. Denn um 
basjenige zu verſtehen, was die präbiftortfche Forſchung zu Tage fördert, 
um bie Geräthe und Babrifate, die Wohnungen und Befefligungen, 
die Schädel und das fonftige Gebein, welches nad Jahrtauſende 
langer Berborgenheit an bas Licht tritt, zu beuten, um baraus bie 
Menſchen ber Urzeit in ihrem körperlichen und geiftigen Verhalten, 
ihren Sitten und Gebräuden, ihrem Wiſſen und ihren Vorurtheilen 
wieder zu erfchließen, dazu reicht weder der prähiftorifche Stoff, nod 
ber bloße Scharffinn des prähiftorifchen Forſchers aus. Die Mittel 
dazu liefert in vielen Fällen exft die Beobachtung des lebenden Men 
ichen, wie fie für die Vergangenheit bei ben Hiftorifern, für die Gegen- 
wart bei den Ethnographen aufgefucht werden muß. Denn was an 
einzelnen Orten noch gegenwärtig Gebraud ift, dad Bat an anderen 
fett Menfchengedenten aufgehört, e3 zu fein, und von noch anderen 
erfahren wir erft aus ber Durchforfchung der Erbrinde felbft, daß einft- 
mals aud dort Menſchen mit foldhen Gewohnheiten gelebt haben. 

Um nur eine kleine Ueberfidht von dem Inhalte des Buches zu 
geben, theilen wir die Ueberichriften einiger Kapitel mit: „Ueber den 
Gebraud der Broncewaffen in alten Zeiten, das Broncezeitalter, ber 
Gebrauch der Steine in alten Seiten, Megalithiſche Monumente und 
Grabhügel, Pfahlbauten, die dänischen Kjökkenmöddings oder Mufdel- 
haufen, Norbamerifanifche Archäologie, Säugethiere der Quartärzeit. 
Söplenmeniden, der Flußdrift⸗-Kies, Alter des Menichengefchlechts, 
jegige Wilde.‘ 

Weſentlich gefördert wirb der Erfolg des Studiums dieſes Buches 
durch die zahlreichen Illuſtrationen, die, ſoweit das möglich, den Be 
fuch der Mufeen erfegen müflen, fowie durch jehr ausführliche, 35 Set: 
ten umfaflende Regifter. 

61. William Edward Hartpole Leckys Geſchichte des Urſprungs und 
Einflufies der Auffiärung in Europa. Deutſch von Dr. H. Jo: 
lowicz. Zweite redhtmäßige, forgrältig durchgeſehene und verbeflerte Auflage. 
Zwei Bände. Leipzig und Heidelberg, C. F. Winterfche Berlagshandlung. 
1873. (XXVIL, 317. VII, 323 ©.) Preis: 9 Mark. 

Ebenfalld ein Werk eines Engläntere, das ziemlihes Aufſehen 
gemacht bat, und zwar dies nicht unverdienter Weile; benn bad 
Buch ift reich an neuen Anſchauungen, die von einer umfaſſenden 
Gelehrfamleit getragen und mit begeifterter Beredtſamkeit vorgetragen 
werben. Ueber den Zweck des Buches jagt der Berfafler felbft: „Im 
vorliegenden Werte babe ich mir die Aufgabe geftellt, die Geſchichte 
der Aufflärung zu jchreiben, worunter ich nicht irgend eine Klaſſe bon 
beftimmten Behauptungen ober Wiberlegungen, fonbern vielmehr einen 





Geſchichte. 375 


gewiſſen Gedankengang oder eine — verſtehe, die während 
der letzten drei Jahrhunderte ein entſchiedenes Uebergewicht in Europa 
erlangt hat. Die Natur dieſer Richtung wird in den folgenden 
Blättern im Einzelnen nachgewieſen werden, wo wir ihren Einfluß 
auf die mannichfachen Formen ber ſittlichen und intellectuellen Ent: 
widelung unterfuden. Für jest wird es genügen zu fagen, daß fie 
bei allen Gelegenheiten den Menſchen anleitet, bie dogmatiſche Theo- 
logie den Ausſprüchen ber Vernunft und des Gewiſſens unterzuordnnen 
und, als nothwendige Folge, ihren Einfluß auf das Leben ſtark zu 
beihränfen. Sie beitimmt die Menfchen, in der Geſchichte alle Arten 
von Erfcheinungen eher natürlihen als wunderbaren Urjachen heizu- 
mefjen, in ber Theologie die aufeinanderfolgenden Syſteme als Aus- 
brüde der Bebürfnifie und Wünſche zu betrachten und in der Sitten» 
none das als Pflicht anzuerfennen, was das Gewiſſen ala folde 
offenbart.’ 

Dem entſprechend theilt der Verfaſſer fein Werk in folgende Ab- 
Schnitte: Meber den abnehmenden Sinn für da3 Wunderbare (Magie 
und Hererei, Wunder der Kirche). Aeſthetiſche, wiflenfchaftlihe und 
fittlide Entwidelung ber Aufklärung. Ueber die Verfolgung, ihre 
Arladen und ihre Geſchichte. Weber die Verweltlihung der Politik. 
Die Geſchichte der Induſtrie und die Aufllärung. 

Des Berfafjerd Art der Behandlung feines Stoffes wird leicht 
Har werben, wenn wir ben Inhalt einiger Abjchnitte ſtizziren. Der 
Abjchnitt über den abnehmenten Sinn für die Wunder ber Kirche 
Hat folgenden Gedankengang: „Die Kirchenväter und mittelalterlichen 
Scrijtfteller erzählen die Wunder ald gewöhnliche und unziveifelhafte 
Greignifie. Raſche Zunahme des Skepticismus hierüber ſeit der Ne- 
formation. Die fleptifche Geiftesrichtung wirft mächtiger auf bie 
eitigen, al3 auf die gelchichtlihen Wundererzählungen. Die eriten 
Proteftanten meinen, die Wunder hätten mit den Slirchenvätern auf- 
gebört. Lodes und Newtons Meinung. Die Tendenzen des achtzehn- 
ten Jahrhunderts gegen das Wunderbare. Entftehung, bes Tractarianis- 
mus. Sein Berhältniß zu dem katholiſchen Wunderglauben. Ent: 
wicklung des continentalen Proteftantismus zum Nationalismus. Ras 
tipnaliftifche Tendenzen in den römiſch⸗-katholiſchen Ländern.“ 

Oder aus dem Abſchnitt „Geſchichte der Verfolgung”; Menſchen, 
Die das Heil nur in der Kirche finden, find immer Verfolger. Ber: 
nichtung der japanijchen Chriften, der Albigenfer, der Spanischen Brote: 
ftanten, Bartholomäusnadt, Strafgefehe der Eliſabeth. Einfluß des 
Levitifchen Gejeßes auf die Verfolgung. Anfichten bes Kirchenväter. 
Unbedingte Toleranz .ded Lactantius. Gonftantin verfolgt Juden, 

iven, Ketzer. Theodoſius. Zerftörung der Tempel in den ländlichen 
iftricten. Libanius. Cyprian. Die Theologie der Verfolgung von 
Auguftinus foftematifit. St. Martin und Ambrofius. Die erften 
Mönche. Berfall des Heidenthums. Die Zerſetzung der mittelalter- 
lichen Geſellſchaft erweckt neue Kategorien, die durch Verfolgung unter- 
prüdt werben. Innocenz DIL Proteſtanten verfolgen ebenſo unnach⸗ 





876 Geſchichte. 


ſichtig wie die Katholiken. Beiſpiele aus Deutſchland, England, Ir⸗ 

land, Schottland, Schweden, Frankreich, Holland, Amerika. Verfolgung 

geübt und befürwortet von Luther, Calvin, Beza, Juriau, Knor, 
nen, m, Melanchthon u. a. Socinus und Zwingli tolerant 

u. ſ. w. u. ſ. w. 

Endlich aus dem Abſchnitte „Geſchichte ber Induſtrie und Auf 
klärung“: Das induſtrielle Syſtem des Alterthums beruht auf Scla⸗ 
verei. Wirkung dieſer Inſtitution auf den Nationalcharakter. Verfall 
der Induſtrie in Rom. Vergleich der alten und neueren Sclaverei. 
Das Chriftentbum unterzieht ſich der Abichaffung der Sclaverei. 
Seneca zu Öunften ber Sclaverei. Einfall der Barbaren den Sclaven 
günftig. Ueberſicht der Maßregeln zu Abichaffung der Sclaverei und 
zur Grleichterung des Buftandes der noch jetzt zur Sclaverei Ber: 
dammten. Angelfähfiihe Maßregeln. Kirchenväter und Benebictiner 
machen die Arbeitxzur Ehrenſache. Lange Dauer der Leibeigenihaft. 
Mit der Emancipation der Stäbte beginnt die neuere Gefchichte ber 
Induftrie Wirkungen der Kreuzzüge auf die Induſtrie. Berührungs- 
punkte der kirchlichen und induftriellen Unternehmungen. Der erite 
Grund des Bufammenftoßes, der Wucher. Stellung ber Geldleiher in 
Griechenland, Rom, Gallien. Die mittelalterliche Kirche verbammt alle 
Zinſen. Geldleihen anfangs Monopol der Juden. Die Entitehung 
der induftriellen Republilen in Stalien macht es bei den Chriften 
populär 2c. 2c. 

Diefe Inhaltsſkizzen können ebenfowohl eine Idee bon dem Reid- 
thbume bes bier vorliegenden Werkes geben, wie fie Zeugniß ablegen 
von dem Mangel, unter dem nah unferem Tafürhalten das Bud 
leidet. Die Anordnung des reihen Stoffes ift nämlich eine ziemlich 
bunte, ja wir möchten fagen, zumeilen launenhafte und dadurch geht dem 
Buche viel von feinem hiftorifchen Charakter verloren. Es fehlt ber 
Nachweis der Stetigkeit der Entwidlung, wenn erit von Scholaftikern, 
dann bon Kirchenvätern, dann von Reformatoren und endlich wohl 
wieder don Kirchenpätern die Rebe ift, und es kann dann das Bud) 
an folden Stellen nur als Meaterialienfammlung betrachtet werben, 
die des mit echt hiſtoriſchem Sinne begabten Berarbeiters noch hartt. 
Für einen foldhen aber können wir Lecky nicht halten, wie geiftboll 
und anregend fein Werk auch ift und wie fehr wir auch oft die Schärfe, 
Feinheit und Kühnheit feiner Sombinationen bewundern. 

62. Grundſtein einer allgemeinen Kulturgeſchichte der neueften 
Zelt. Don J. J. Honegger. Künfter Band. Dialeftit des Kultur: 
aangs und feine Endrefultate. Leipzig, Berlagsbuhbandlung von J. J. 
Weber. 1874. (VIII, 421 ©. gr. 8°.) Preis; 7,50 M. 

Wir haben das Werk, defien Schlußband hier vorliegt, bereit! 
im Sahresberiht (XXV, ©. 584) ausführlih angezeigt. Der vor» 
liegende Band zieht die Summe ber in den vorigen Bänden nieber- 
gelegten Unterfuchungen. Sein Inhalt gliedert fi in die Abfchnitte: 
Staatliche Bervegung, Soriale Frage, Wiſſenſchaft und Technik, Kunft, 
Literatur. Auch in diefem Bande bewährt ſich ber Verfaſſer als feiner 





Geſchichte. 377 


Beobachter und geſchickter Anordner der Thatfachen, als ſcharfer, tief⸗ 
eindringender Denker, als geiftreicher und gewandter Darfteller. Ein 
ausführliches, 23 breifpaltige Seiten umfaflendes Regifter über alle 
fünf Bände ift beigegeben und erleichtert die Benutzung des Werkes 
in vorzüglichem Grabe. 


VI Vermiſchtes. 


68. Leitfaden der hiſtoriſchen Geographie. Bon Dr. B. Kneifel, 
Gymnaflallebrer in Raumburg a. &. L Zur alten Geſchichte. Berlin, 
Weidmannſche Buchhandlung. 1874. (128 ©.) Preis: 1,60 M. 

Das Buch, eigentlih für den Curfus der Gymnaſialſecunda be- 
rechnet und fo eingerichtet, daß daſſelbe auch ohne Lehrer für ben 
Schüler durhaus brauchbar ift, damit der Lehrer bei dem fo Häufig 
eintretenden Mangel an Zeit fi auf bloße Repetition beſchränken kann, 
iſt überhaupt ein vortreffliches Hilfsmittel für das Studium der Ge- 
Ihichte und mag Lehrern hiermit warm empfohlen fen. Zwei meitere 
Bändchen jollen die biftorifche Geographie des Mittelalter und ber 
Neuzeit bringen. 

64. Bis nach Dimüp. Hiſtoriſche Erinnerungen. Fortſetzung von „1849“. 
Bon A. Bernftein. Berlin, Verlag von Franz Bunker. 1874. (103 ©. 
ft. 8°.) Breis: 80 Pf. 

Der als Politiler und als Volksſchriftſteller befannte Verfafler 
bietet bier aus feinen Erinnerungen biftorifche Skizzen in jener trefflichen 
vollsthümlichen Darftellungsmweife, die alle feine Werke auszeichnet. 
65. Kaifer und Reid. Lebenshilder und Dichtungen aus der Geſchichte 

der Jahre 1864 bis 1871. Gefanmelt von Heinrich Jaſtram, Königl. 

Seminarbauptlehrer in Hannover. Wittenberg, Berlag von Herroſé. 1874. 

(48 ©. 8%.) Preis: 75 Pf. 

Mir vermögen die Eriftenzberechtigung diefes Büchelchens nicht 
recht einzufehen. Einzelnes, wie die befleren Gebichte, gehört ing Leſe— 
buch; anderes, namentlich die anectodenhaften Züge, ift gar zu leichte 
Waare. 

66. Das NationalsSiegesdentmal der deutfhen Kaiferftadt in 
Bhotographie, nebft einer volksthümlichen Darſtellung des Entwicklungs⸗ 
anges der dem Berliner neuen Stegeödentmale zu Grunde liegenden deut⸗ 
Ehen Einheitsidee. Ein Gedenkbuch für das deutſche Bolt von Dr. Her⸗ 
mann Soffmeifter. Als Anhang: Sämmtliche anıtlihe Depefchen bed 
Krieges 1870— 71. Berlin, Derlag von C. Lichtwerl Preis: 75 Pf. 
Ein kleines, nettes, mit einer hübfchen Photographie des Berliner 

Siegesdenkmales geziertes Büchelchen,, das feinem Zwede volllommen 

entfpricht und deſſen Inhalt durch den Titel hinreichend gelenn- 

zeichnet if. 

67. Griechiſche, römische, deutſche Sagen für den Unterridht in den 
untern Klaſſen. Bon Dr. Guftav Schoene. Zweite Auflage. Iſerlohn, 
Drud und Verlag von 3. Bübeler. 1868. (44 ©.) Preis: 15 Bf. 

68. Die Seſchichten des Herodot. Für die Jugend zufammengeftellt von 
ER. Schaeling. Iſerlohn, Drud und Verlag von I, Bädeker. 1871. 
(198 ©.) Preis: 1,50 M. 


378 | Geſchichte. 


Dieſe beiden älteren Schriften find uns nachträglich, vielleicht in 
Folge unferer vorjährigen Bewertungen über die Sage im Geſchichts⸗ 
unterrichte, zur Beſprechung zugeſandt worden. 

Nr. 67 enthält: Prometheus, Deulalion, Argonautenzug, Thejeus, 
Herkules, Cocrops, Pelops, Kacmus, Danaus, Perfeus, trojanifcher 
Krieg, Odyſſeus; Aeneas, die römischen Könige; Siegfried, Nibelungen, 
Gudrun, Walther von Aquitanien, Dietrich von Bern, König Rother, 
Karl der Große, Roland, Barbarofia. Das alles auf 44 Seiten. 
Bon jener epiſchen Breite, die wir oben unter den methobifchen Be⸗ 
merlungen forderten, konn baher nicht die Rede fein. Das Büchelchen 
it wohl geeignet, dem Schüler nach ber ausführlichen Erzählung von 
Seiten bed Lehrers Anhaltspunkte für bie Repetition zu gewähren; 
wir möchten aber ausführlichere Erzählungen in ber Hand des Schülers 
feben, damit er fich lefend in die Sagen verfente. 

Nr. 68 ift eine geſchickte Bearbeitung der Erzählungen Herodots 
für die Jugend und mag namentlih Schülerbibliothelen hiermit warm 
empfohlen jein. 








XII. Lefen und Schreiben 


von 


Dr. 9. O. Zimmermann, 
Schuldirector In Veipzig. 





1. Fibeln und Lefebücher für's erfte Schuljahr. 


Auf dem Gebiete des erften Leſe- und Schreibunterrichtes iſt im 
verflofienen Sabre wenig Neues erfchienen, in weiteren Auflagen finb 
bie fchon vorhandenen Lehrmittel auf den Marlt getreten und was 
dazu noch fonft hinzugelommen it, Schlägt entweder einen ſchon be= 
tretenen Weg ein oder weicht nur wenig von dem fchon befannten ab. 
Immer fpärlicher erjcheinen die nad der alten ſynthetiſchen Lautier- 
methode abgefaßten Yibeln; aber die Schreiblefe- und die Normal- 
mörtermetbode, wie man mohl auch bie Methode des ‚vereinigten An⸗ 
ſchauungs⸗ Sprach⸗-⸗ Schreib: LejesUnterrichtes‘ nennen Tann, da fie 
von einzelnen Wörtern als ben Lnterrichtöcentren ausgeht, ftreiten 
ſich noch um den Vorrang, ohne daß doch die eine über die anbere 
irgend ein Uebergewicht geivonnen hätte. 

In vegem Wetteifer arbeiten aller Drten bie Elementarlehrer, 
und wenn fie auch noch lange nicht einig find im Wege, ben fie ein- 
fchlagen und in der Methode, die fie ausüben, tft ihnen doch das Fiel, 
nach welchem fie fjtreben, ein gemeinfames den Schülern die Kunft 
des Sihreibend und Leſens auf die einfadhite und naturgemäßelte Art 
zu lehren und durch Berbindung mit dem Anfchauungsunterrichte dieſen 
beiden Dizciplinen einen feſten Mittelpunkt zu geben, jo daß die Ber: 
fplitterung des Elementarunterrichted dadurch bermieden wird. 

Die eingefandten Fibeln oder Elementarlefebücker find folgende: 
1. Fidel oder der SchreibsLefes Unterricht für Die Unterklaſſen der 

olfefhule. Bon Albert Häſters, erſtem Lehrer an der Knabenſchule 

in Werten a. ?. Ruhr. 500. (&tereotyp-) Auflage. Preis: roh 22/, Bgr. 

Eſſen, Drud und Berlag von ©. D. Bädecker. 1874. 64 ©. 

2. Fibel. Lefebud für Unterklajien. Bon Dieri und H. Klus⸗ 

mann, Dldenburg, Drud und Berlag von Gerhard Stalling. 1874. 

VI un 114 ©. 

3. Uebungen für den erſten Schreib- und Lefeunterricht in der 

dentfhen Sprache. Zürich, Drud von 3. Schabelik. 1874. IV u, 

92 ©. Breit: 1 Mar. 


ð 


— — 


380 Leſen und Schreiben. 


4 Erſtes Leſebuch. Ausgabe B. von F. Mermpolz, Rector iz ter 
Reuftatı, und WB. Kurths, Recter an der zweiten Volfs⸗Töchterichnle zu 
Magdeburg. Vierunddreißigſte Auilage. Eelbüverlag. In Gemmiren 
der Creuß ſchen Buk- und Mufifalienbantiung (R. Krepfchmann) in 
Magdeburg. 1873. 104 S. Preis: 50 Br. 


5. Deutfdes Leſebuch L Ten Robert Reiderdt. Für das mie 

Schuljahr. Dreeten, Drud un? erlag von C. &. Weinhold m. Eöbnr. 

40 ©. Preis: 40 Pi. 

Häfters Fibel, die 1853 zum erftenmale erſchienen und ſeit dieſer 
Zeit in 1%), Mil. Eremplaren verbreitet ift, bat ſich der weiteſten 
Verbreitung zu erfreuen gebabt. Der Beriafier gilt mit Recht für 
einen der tüchtigften Methodifer auf dem Elementargebiete und die 
Winke, welde er ald Borwort für den Lehrer ber eriten Auflage bei: 
druden ließ, haben noch heute ihre volle Berechtigung. Bei der großen 
Verbreitung bes Buches kann von einer genaueren Inhaltsangabe 
befielben abgeſehen werben. 

Die Fibel von den Gebrübern Klusmann ift neu, auch fie huldigt 
der Schreiblefemethote, doch wird fehr bald das Leſen in den Border: 
grund geftelt und tritt (von S. 5) aus dem organischen Zuſammen⸗ 
hange mit dem Schreiben. In der 13. Uebung (©. 8) find bem ge 
drudten Worte Buch die geichriebenen feine und deine, in be 
24. Uebung ten gedrudten Eli, Eule, Eiche die gefchriebenen 
bade, ſäge, lies beigegeben. Das ift offenbar ein Mangel des 
Buches und fennzeichnet den Standpunft der Berfafjer als einen folden, 
in welchem das Lejen für den Elementarunterriht noch die Hauptlade 
ft und das Schreiben nur nebenher läuft. Die reinen Schreibleje: 
methodiler maden ganz richtig den Fortichritt im Lefen vom Schreiben 
abhängig. Bon Seite 57 beginnt der 2. Theil des Buches, welcher 
eine große Anzahl profaifher und poetifcher, ber frühen Stufe be 
Kindesalters entiprechende Lefeftüde enthält. Daß die lateiniſche Schrift 
erft ziemlich am Schluſſe des Buches auftritt, ift nur zu billigen. Es 
tönnte unfern Elementarfhülern felbft gar nichts ſchaden, wenn fir 
ganz aus dem Bereich des erften Schuljahres verwiefen würde. Dem 
Bude find noch vier Zeichentafeln beigegeben, die eine überaus große 
Zahl von Abbildungen enthalten. Bon den einfachften fenfrechten und 
wagerechten Linien fchreiten die Zeichnungen fort bi zur Darftellung 
bon Häufern, Geräthen, felbit Blumen und Schmetterlingen. Sie find 
meift recht hübſch einfah, aber viel zu Klein, als daß fie fich zum 
Nachbilden von Seiten der Schüler gut eigneten. 

Die Uebungen unter Nr. 3 find für folde Schüler beftimmt, 
deren Mutteriprache das Franzöſiſche ift, Die aber doch ſchon in den 
erften Schuljahren das Deutfche erlernen follen. Der Berfafler, ber 
in Genf Lehrer ift, beginnt auch mit der Schreibfchrift, geht nad 
einigen Vorübungen zum Verbum über und ftellt dann die Drud. und 
Screibichrift unter einander. Da das Buch auch zugleich die Stelle 
einer Elementargrammatif der deutſchen Sprache vertritt, ift der eigent⸗ 
liche Leſeſtock ſehr befchränft. Für deutſche Elementarjchulen ift das Bud 
nicht geichrieben. 





Lefen und Schreiben. 381 


Das „erſte Leſebuch von Warmholz und Kurth“ hält an der 
Screiblefemethobe feft, fängt mit den Heinen Schriftzeichen an, ohne 
doch erft diefe vollſtändig abzufchließen. Mit gutem Bebacht wird nadh 
Einführung der Drudichrift das gewonnene Material in kleinen Sätschen 
verwerthet. Die Aufeinanderfolge ber Laute zeigt von methodiſchem 
Verſtändniß, der Lefeftoff ift reichhaltig und mannidfaltig, die Schreib- 
ſchrift meift einfach und gefällig in ihren Formen. 

Dad Neicharbtfhe deutſche Lefebuh I enthält fait nur 
Schreibſchrift, exit auf den lehten zehn Seiten bes Buches werben 
zuerft die beiden Alphabete einander gegenüber geftellt und einiger 
Leſeſtoff, der aus Sprichwörtern: und Heinen Gedichten befteht, bei- 
gefügt. Wir zweifeln ſehr, ob derjelbe zum Erlernen ber Drudicdrift 
genügt. ' 

i. Xefes und Lebrbud. Erfter Theil. (Fidel) Nah methodiſchen Grund⸗ 
fügen für Stadı- und Landſchulen bearbeitet von A. Schraep. Wismar, 


Roſtock und Ludwiasluſt. Verlag der Hinftorfffhen Hofbuhhandlung. 1874. 
104 ©. Breis: 60 Pf. 


1. Schreiblefe- Fidel nah methodiichen Drunnfäpen der Schreibleie- 
metbobe bearbeitet von J. Schraep. Wismar, Rokod und Ludwigsiuft. 
Berlag der Hinftorff’fchen Hofbuchhandlung. 1874. 104 ©, Preis:60 Bf. 


Die einzelnen Laute werden aus Normalbildern herausgefunden 
und das kleine Alphabet der Schreib- und Drudichrift daran einge: 
übt. Sobald eine Anzahl von Lauten gewonnen ift, treten die Yautir- 
übungen, die oft recht finnlofe Zufammenftelungen bieten, auf, jo daß 
da? Bud) als das Product einer Mifchung aller gangbaren Elementar: 
methoden, der Normalwörter-, der Schreibleje- und der Lautirmethode 
ericheint. Im zweiten Abfchnitt ſoll durch den Stoff die Lefefertigfeit 
geübt werden, auch fol er zugleich ald Grundlage für den meiteren 
Anihauungs-, Sprech und Sprachunterricht dienen. Die meiften Leſe⸗ 
ftüde find vom Verfaſſer felbft, er hätte aber mwohler gethan, babei 
fich die Arbeiten anderer auögezeichneter Elementarlehrer zum Vorbilde 
zu nchmen. Es mag bier nicht auf den Anhalt derfelben meiter ein= 
gegangen werben, wenn auch nicht unbemerkt bleiben darf, daß allein 
im erften Lefeftüde: „In der Schule” fieben nicht ganz leichte Gebete 
eingefügt find, und mit der Mahnung geihhloffen wird: Gehordet 
euren Lehrern und folget ihnen, denn fie wachen 2c. In welcher Weife 
fi aber der Verfafler vielleicht die Benugung bes Lefeftoffes für den 
Anſchauungsunterricht denkt, erhellt aus dem Abſchnitt von der Fibel. 
Nachdem diefelbe beſchrieben ift, wird das Kind in Klein gebrudter 
Schrift aufgefordert: Erzähle, „mas du von dem menschlichen Auge‘ 
und bon der „Deje am Kleide“ weißt. Wie die Fibel, das Auge und 
die Defe zufammengehören, ift ung wenigſtens unerflärlih. Daß unter 
den Formen der Schreibichrift, befonders in Bezug aufs große Alphabet, 
viele derjelben auf ganz entſchiedenen MWiderftand ftoßen erben, mag 
nur noch beiläufig erwähnt mwerben. Der Hauptvorzug des Buches 
behebt in dem guten und feften ‘Papier und dem deutlichen, jcharfen 

rude. 





382 Lejen und Schreiben. 


Das zweite obengenannte Buch unterfcheibet füh vom erfien nur 
in feinen ehem Theile dadurch, daß dieſes mit dev Schreibfehrift allein 
beginnt und diefe auch zunaͤchſt zu Ende führt, ehe es mit ber Drud- 
järift beginnt. Beim Uebergang zu der lehteren treten beibe U 
zu gleicher Beit auf. Bon der 7. Uebung bes erften Abſchnittes bis zum 
Schlufſſe ind beide Bücher volllommen übereinfiimmend. Die früheren 
Abweichungen find nur im Jntereſſe derjenigen Lehrer gemacht, welche 
mit ber Schreibirift anfangen und erft fpäter zum Gebrudten über: 
gehen. Die kleinen Zeichnungen, welche zur Illuſtrirung ber Schreib⸗ 
ſchrift dienen, find wenig glücklich ausgeführt, beſſer find bie, welche 
zur Gewinnung der Druckbuchſtaben dienen. 

8. Deutſche Flbel und erfted Leſebuch von Karl F. Theodor Schneider. 
Mit Originalzeichnungen von Adalbert Mü er. Zwölfte Auflage. 
Neuwied und velbaig ‚3 9. Heufer'fhe Buchhandlung. 1874. VII u. 
120 ©. Preis: 60 Pf. 

Da das Bud in ben legten Auflagen Teine wejentlide Ber» 
änderung erlitten, verweifen wir auf die Beiprechung befielben im 
22. Bde. S. 201. Die Ausftellungen, welche damals Lüben made, 
daß auf den erften 70 Seiten nur Wörter und Bortverbindungen 
Lit Säge) dargeboten werden, bat noch jetzt feine Berechtigung. 

as einzige Gute des Buches find feine jchönen Bilder. 

9. Fibel und erſtes Lefebuch nach der Schreiblefemethede von Radeſtock und 
Richter. Vierzehnte, mit Stereotypen gedrudte Auflage. Leipzig, Berlag 
von Bernbard Tauchnitz. 1874. 120 S. Preis: 30 Pf. 

Da das Buch feit der zwölften Stereotypauflage in verbefierter 
Geftalt erichienen ift, fo find ſeit diefer Zeit wohl feine Umänderungen 
wieder erfolgt, und das abiprechende Urtbeil, welches im 22. Bde. des 
Sahresberichtes S. 199 gefällt worden ift, behält feine volle Giltigfert. 
Der erfte Theil Big S. 33 enthält Schreib- und Drudicdrift, nn 
es aber trotz ber heterogenften Wortzufammenftellungen, die nur 
buch äußere Merkmale bedingt find, nicht zum einfachften Sätzchen 
bringen; der zweite Theil enthält Sägen und Leine Beichreibungen, 
bringt die lateinifchen Schriftzeichen und zu beren Einübung fogar 
ſchon Fremdwörter, bietet dann endlich noch eine Anzahl veralteter 
Moralgefhichten mit werthloſen Reimen dar. Ebenſo unzwedmäßig 
erfcheinen als Zugabe die Stoffe zu häuslichen Arbeiten mit ihren 
abftrufen Wortformen, wie Kälberbratenbrühe, Queckenwurzelextract zc. 
Die zum Schlufje des Buches ſich befindlichen 33 Bilder, die gut find, 
hätten als Mittel zur Einprägung ber Laute einen beſſern Pla im 
Buche ald den lehten verdient. 

10. Das auf Erfahrungen begründete Elementarbuh zur Erleidhterung 
des Xefenlernend. Bon G. Teuſcher. Dreigehnke verbefierte Auflage. 


—D Arnold'ſche Buchhandlung. 1873 Partiepreis für Schul 
u roh 21/, Thlr. Die dazu gehörigen 25 Wandtafeln often /, Ihr.) 


11. Fibel ober erſtes Xefebuh für Elementarfhulm. Bon P. 3. Büſcher. 
Seminarlehrer in Kempen. Erſte Abtheilung. Hundertbreiundfünfzigfte 
Auflage. Köln und Neuß, Verlag der 2. Schwann’fchen Verlagsbuchhand- 
fung. 1874. 40 ©. Preis: 20 Pr. 








Lefen und Schreiben. 383 


12. Sandfibel für den Schreibleſeunterricht und die Rechtſchreibung, 
auch jun Gebraudy nad der gewöhnlichen Lautirs und Buhflalbir- 
Methode von E. F. Sammer. Preis: 3%, Sgr., dauerhaft gebunden 
9%, Sgr. Drelundvierzigfte, berihtigte, mit den fünf Hauptflüden des 
Surberifäen Katehismus verfehene Auflage. Königsberg, Verlag von 3. 
9. Bon. 1874. 80 ©. 

13. Leſebuch für die drei erſten Shuljabre nah den Grundſätzen der 
Schreiblefemethode. Bearbeitet von E. F. Hammer und R. Kuhn. Wit 
einem Vorworte von A. Radtke, Seminarlehrer. Zweiundvierzigfte Aufs 
lage von Hammer Handfibel. Der neu umgearbeiteten Ausgabe dritte 
Auflage. Preis: 3 Sgr. Dauerhaft gebunden 4%, Sgr. Königäberg, 
Derlag von 9%. 9. Bon. 1874. 96 ©. 


Es mag genügen, die eben genannten Fibeln und erfte Lefebücher 
bloß anzuzeigen, empfohlen werben können fie nicht, vielmehr it es 
im Intereſſe der beſſeren Schriften zu wünſchen, daß ſie bald der Ver⸗ 
geſſenheit anheim fallen. 

14. Deutſche Fibel. Gemeinſame Unterlagen für den vereinigten 
Anſchauungs⸗Sprach⸗ Schreib- Leſeunterricht. Mit vielen 
Abbildungen zur Förderung der Anſchauung und Lernfreudigkeit. Heraus⸗ 

egeben unter Mitwirkung namhafter Schulmänner und erfabrener Elementar⸗ 

ehrer von Rudolf Dietlein, erſtem Lehrer zu WBartenburg a. E. und 
Woldemar Dietlein, Hector der evang. Geſammtſchule in Dortmund, 

Heft 1. Vierte Auflage. Wittenberg, Berlag von R. Herrofe. 1574. 

64 ©. Preis: 30 Pf. 

15. Deutfhe Wand⸗Fibel für den vereinigten Anſchauungs⸗ Sprach⸗ 
Schreib⸗ Lefeunterriht nach der reinen Schreib sRejes Kehrmethode, ent⸗ 
baltend X Tafeln mit deutfcher Schreibfährift und VII Tafeln mit deutfcher 
Druckſchrift. Entworfen, geichrieben und beraudgegeben von Rudolf Diet- 
lein. Mit Kederzeihnungen von F. W. Heine. Wiitenberg, Verlag 
von R. Herrofe. 1874. 


Die dritte Auflage ift im vorigen Bande S. 301 beſprochen 
worden, ed genügt daher bier. der Hinweis auf das früher Gefagte. 

Die Wandfibel kann ala Ergänzung der deutſchen Fibel angejehen 
werden, fe bietet nah Anlage und Inhalt dafjelbe, was in jener zu 
finden ift. Die Schrift ift deutlich genug, um auch in ziemlicher Ent⸗ 
fernung mit Sicherheit erfannt zu werben. In Schulen, die ſich der 
Schülerfibel bedienen, wird auch die Wandfibel mit Nuten verwendet 
werden Tönnen. 
6. Fidel. Vorzüglich nah der analytifh-funthetifchen Leſemethode unter 

Mitwirkung von M. Schwarz beraußgegebent. von Georg Jauß. Mit 


vielen Originalblidern. Preis: geb. 30 Nr. Prag, Friedrich Tempoly. 
Peſt, Ludwig Aigner. 1874. 96 ©. 


17. Bibel nach der analytiſch⸗ſynthetiſchen Schreib⸗Leſe⸗Methode. Siebente 
uflage der neuen Handfibel von Johann Michaelis. Im Auftrage 

bes hochlöblichen evang. Lanbesconflfloriums A. 8. in Siebenbürgen 
umgearbeitet. —— Verlag von Franz Michaetis. 1874. 96 ©. 
Beide Fibeln find nach der gemischten Schreiblefemethode gearbeitet, 

Die erfte giebt zunädft einen Eurfus in ber deutfhen Schreib: und 
Drudicrift, ehe fie zu den Normalwörtern und Bildern übergeht, 
während bie ziveite den umgelehrten Weg einichlägt, erjt die Normal- 
wörter und Bilder giebt, und dann nod einmal den Schreiblefecurs 


384 Leſen und Schreiben. 


don born beginnt. Im zweiten Abſchnitte beider Bücher find Leſeſtüde 

enthalten, die zugleich als Grundlage des Anſchauungsunterrichtes 

dienen follen. 

18. Hand- Fidel von Otto Schulz. Ausgabe C, Nach der analytiih: 
fonthetifhen Methode bearbeitet von H. Bohm, Schulvorfeher in Berlin. 
Preis: geb. 4 Sgr., geb. 5 Ser. Berlin, %. Oepmigles Derlag (R. 
Appelius), Kommanvantenfir. 55. 1875. XVI u. 132 ©. 

In einem längeren Vorworte: „Zur Cinführung in bie neue 
Bearbeitung der Handfibel von D. Schulz nad ber analytilä-ihn- 
thetifchen oder Normalwörter-Methobe” hat ber Herausgeber bie Gr 
ſichtspunkte angedeutet, nach melden ber Gebrauch des Buches ſich 
richten müſſe; Ausführlicheres über bes Verfaſſers Anfichten findet man 
in deſſen Bearbeitung „des Unterrichts im Leſen“ im 2. Bande bon 
Dieſterwegs Wegweiſer 5. Aufl. S. 107 ff. Daher kann vom Ein: 
gehen in bie Methode an biefer Stelle abgejehen werden. Das Bud 
fängt mit dem Normalwort Ei an, ſchließt daran die leicht hörbaren und 
leicht darftellbaren Zautverbindungen in Eis, Leim, Beil an, geht 
dann über zu Baum, Hut, Schaf x. und fommt mit dem bier 
zehnten Normalwort in Beſen zu zweifilbigen Zautverbindungen. Die 
Schreibſchrift — die Normalwörter werden mit Heinen Anfangsbud: 
ftaben geichrieben — gebt der Drudfchrift voraus, dieſe tritt erft nad 
ber Behandlung fämmtliher zwanzig Normalwörter ein. Der ke 
ftoff gebt, fobald nur die Lautzeichen vollftändig gewonnen find, zu 
Säten über, denen fi von ©. 35 an ftufenweife ausgewählte Leſe⸗ 
ſtüce anfchließen. Die Handfibel, die in Bezug auf ihren reichen 
Inhalt überaus billig ift, gehört zu den beften ihrer Art. 

19. Erſte Stufe des Schreiblefens bearbeitet von A. Böhme, ordent⸗ 
lihem Lehrer am Königlichen LehrerinnensSeminar und an der Wuguilc- 
Schule zu Berlin. Berlin, Preis: geb. 30 Pf. Verlag von Rudolph 
Bärtner. 1874. 

Der Verfaſſer, welcher bekanntlich einer ber erjten war, ber in 
feiner jegt in 48. Auflage erfchienenen „Fibel für den vereinigten Sprad 
Zeichens Schreib- und Lefeunterricht nad) Vogels Methode” bie Normal: 
wörtermethode in Berlin einführte, will in ber eriten Stufe bes Schreib: 
lefe-Unterrichts denjenigen Lehrern, welche den Schreiblefeunterricht lieber 
getrennt von den andern Disciplinen treiben, ein Hilfsmittel bar 
bieten und die Vorzüge, die in beiden Methoden liegen, vereinigen. 
Er lehrt deshalb an 32 Normalwörtern zuerft die Schreibjchrift, führt 
aber gleich anfangs im Gegenfat zu feiner Fibel die großen Buch 
ftaben mit vor und kommt erft nach vollftändiger Gewinnung de 
Schreibſchrift zur Drudichrift. Wie alle Schriften des Verfaſſers kenn⸗ 
zeichnet fich auch dieſe als eine in Bezug auf Stoff und methodiſche 
Anorbnung durchaus empfehlenswerthe. In einem berfelben beige 
gebenen Heftchen „Erläuterungen zur erften Stufe des Schreiblefens” 
(Verlag von Rudolph Gärtner in Berlin) bat fih der Berfafle 
eingehender über die Behandlung bes Stoffes „ber Erften Stufe” aus 
gefprochen ; daſſelbe wird den Lehrern auf Verlangen gern gratis zugeſtellt. 





Leſen und Schreiben. 385 


20. Fibel oder Lehr- und —28 für das erſte Schuljahr non Dr. W. 
Jütting. Bierte, verbeferte Auflage. Ausgabe für Lehrer mit einem 
abet fän Borwort. Leipzig, 1875. Berlag von Sigismund und 
Volkening. Buchhandlung für väbagzg. Literatur. (Die Schulausgabe 
koſtet gebanden 55 Pf.) 86€. 
21 Deutihe Schreibskef ie nad der analytifch- Iathetifihen Lefer 
‚ methode. Fibel und Erſtes Leſebuch. Ausgabe B. in einem Theile. Ber 
“ arbeitet von Heinrich Fechner, ord. Lebrer am SKönigl. Seminar für 
Stadtſchulen in Berlin. s vreie 60 Pf. Berlin, Verlag von Wiegandt und 
Grieben. 1874. 162 S 
Beibe Fibeln fangen wie bie Boöhme'ſche und Schulze'ſche mit den 
fangen Vokalen (Ei, Eis, Leine und Ei, Eis, Seil) an, machen ben 
erften Gang nur mit Heiner beutfcher Schreibichrift, an welde dann 
auch bie großen Buchftaben ſich anfchließen, ehe mit Drudichrift be⸗ 
gonnen wird. Sin der Jütting'ſchen Fibel find bierauf recht paſſende 
Leſeſtücke mit einfachen Lautverbindungen gegeben, dann folgen bie 
zufammnengeſetzten Aus=, In⸗ und Anlaute, enblih zujammenhängenbe 
Leſeſtũcke. In ber Fechner ſchen Fibel iſt ebenfalls ein ganz gut zu 
perwerthender Leſeſtoff geboten. Für die Quellenbezeichnung und Her⸗ 
lung reiner, und unverſtümmelter Texte wird bie Lehrerſchaft dem 
Verfafles recht dankbar jein. Als Mangel an beiden Büchern möchten 
wir ad Heinen, für unſre Elementarfchüler oft unverflänblichen Bilder 
arje en. —. 
a2. Dedtfähe. Fibel von A. Spohn, Seminarlebrer. Zweite, verbeſſerte 
-. Auflage, Leipzig, Ed. Peter’ Derlag. 1874. 75 ©. Preis: 30 Bf. 
"Das nette, mit 53 recht hübſchen Bildern außgeftattete Büchlein 
beijinht aud mit der Heinen Schreibſchrift, läßt aber auf S. 11—14 
die Meinen Drudbuchitaben jchon auftreten ımb geht von ©. 15 bis 
24 zur großen Schreib» und Drudichrift über. Dabei treten bie 
Normälmwdrter und Bilder auf. Der zweite Theil behandelt in einer 
guten Auswahl profaifcher und poetifcher Lefeftüde die Schule, d 
Menſchen, Haus und Hof u. |. f., zulegt folgen noch einige — 
Lieder. - AS Wünſche für ſpätere Auflagen machen wir geltend, die 
erſten Schreib: und Leſeübungen genetijcher zu orbnen, damit bie Stoß- 
laute nicht dor den Dauerlauten auftreten, die Inteinifche Schrift weiter 
zürfczuftellen und die Verfaſſer ber poetiſchen und profaiichen Lefer 
flüde zu nennen, wie es allgemein üblich iſt. Da ber Reinertrag zum 
Beſten armer Lehrer-Wittimen und Waiſen, foiwie für emeritirte Lehrer 
Beftimmt- iſt, mag dem an und für fich guten Buche eine recht weite 
Berbreitung gegönnt werben. 
28. Dos ertte Schulbuch von Adolf Klauwell, Elementaricehrer an ter 
vierten Bürgerfchule. zu Leipig. Zehnte Auflage Prämiirt auf der Welt- 


Berka, u Wien 1873. Reipzig, Selbfiverlag bes Verfaſſers. In 
. Roi gr Roßberg'ſchen Buchhandlung in Leipzig. 1875. 48 ©. 
l eiß 


2% an amtin Schulbuch von Adolf Klaumwell x. Neunte Auflage. 
„Leipzig, Im Selbitverlage des Derfafferd. 1875. 104 ©. Preis: 70 Pf. 


. Der, treneite Anhänger dert Vogel'ſchen Normaltvörtermethobe, der 
Diefelbe om Sorgfamften meiter gepflegt und ausgebaut „ei ift ohne 
Bib. Jahresbericht. XXVI. 


- mn 


&ien und Schreiben. 


- Fre der beiten genannten Schulbücher. In 3 
— — 2 * da dollftändigen Schreib⸗ ſoglech die del⸗ 
Fr Bei Aufitellung derſelben iR cin in; 
en er treten zunächft Wörter auf, in denn 
— ws em grihärtter Volal, auch nicht zwei Genie 
erArmmen, dann Wörter mit gedehntem, mi 

Ze, m denen pwei verſchiedene Gonienanm 
* am Enke, dann am Anfang und Ente wi 
Zme me vauten, melde den Kindern wohl der 
rxEStarebar nad belannt find. Ferne 











2 za ze Dome der Unriht im Schreiben kit 
z — — arẽ die Entfiehung ber Buck 
— ⸗ 


x — — vr dem erften ſieht das ini: 
— er Im ei Dee abi ne 











za unmrerim: Tr Menſch, de 
= za nd Risen, ie 








Lefen und Schreiben. 887 


‘ 


TIL Lejebüder. 


Faft no mannidfaltiger ala die Fibeln find die Lejebücher, 
welche in ben verſchiedenen deutſchen Schulanftalten gebraucht werben. 
Mögen aber auch die Zwecke der Schulen, für die fie abgefaßt worden 
find, im Einzelnen noch ſoweit aus einander gehen, fo ift doch ber eine 
Grundgedanke, der ſich durch die Leſebücher bindurchzieht, immer mehr 
zur Geltung gelommen, daß biefelben nicht etwa allein dem mechani= 
ſchen Lefen dienen follen, fondern daß fie zur Belebung des Gefühls, 
zur Klärung der Gebanlen, zur Erweckung eines ibealen Sinnes bei⸗ 
zutragen haben. Deshalb follen fie ja auch dem Schüler in ber 
pollendetften Form nad Bebürfnig feines Alters und feiner Faſſungs⸗ 
gabe nur Erzeugnifje unfrer klaſſiſchen Schriftfteller vorführen, dadurch 
zugleich Kenntniß unfrer Literatur vermitteln und für weiteres Ein- 
geben in biejelbe begeiftern. Je nachdem die Schulen eltere ober 
engere Biele fich ftedden, werden auch die Tefebücher mehr oder weniger 

gegliedert fein. Wir beginnen zunädft mit denen, welche für ein- ober 
“ wenigflaffige Schulen abgefaßt find, um fodann die mehrfach geglie- 
derten anzufchließen. 


8%. Leſebücher für ein= oder nur wenigllaffige Schulen. 


36. Berlinifhes Lefebuh für Schulen von Dtto Schulz. Vierund⸗ 
awanzigfte Auflage. Ladenpreis: uneingebunden 1 Marl. Berlin, Ricolais 
(he Berlags-Buhbandlung. (Strider.) 1874. 346 ©. 

Der längſt verftorbene Berfafier, Schulrath Schulz, verfaßte dies 
uch zu einer Zeit, in welcher der flarre Orthodoxismus auch in den 
schulen eindrang und verfuchte durch dieſes Lejebuch diefe Einflüfie 

paralyſiren. In einer gut getroffenen Auswahl von Leſeſtücken, wie 
dem einfachen Kindesgemüth entiprechen, führt er zunächſt Gebete 
b Gedichte religiöfen Inhaltes vor, knüpft daran poetiſche Fabeln 
d Erzählungen, ferner dergleihen in Proſa an, geht dann zu Er- 
lungen und Befchreibungen, zu Gedichten, die fi auf Natur, Ges 
tb und Vaterland beziehen über und fließt mit kürzeren Betradh- 
gen, bie bie gleichen Gegenftände behandeln. Das ziemlich ein 
nfchenalter in den Händen der Schüler ſich findende Buch hat, wie 
neuen jchnel auf einander folgenden Auflagen beweifen, feine 
3 Sreunde noch immer behalten, wenn ed auch nicht geleugnet 
en kann, baß es jebt von befjeren überholt ift. 


Neuer beutfher Kinderfreund. Kin Leſebuch für Volksſchulen, zus 
"ammengeftellt auf Grundlage der 198. Auflage des preußiſchen Kinderfreun« 
es von U. E. Preuß und J. A. Vetter durch Hartung, Rector, und 
Strübing, Semtnarlehrer. Erſte Abıheilung 4 Sgr., 152 S.; zweite Abs 
heilung 8 Sgr. 248 S. Königöberg, Verlag von I. 9. Bon. 1873. 


Diefer den befannteften Schulleſebüchern an bie Seite zu ftellende 

freund Hat in feiner Neubenrbeitung einen reichen Zuwachs von 

unblichen , geographifchen und gejchichtlihen Abſchnitten erhalten, 

n Werth des Buches nur erhöhen. Die im erften Theile noch 
25 * 


388 Leſen und Schreiben. 


beibebaltenen Uebungsbeifpiele zur Satzlehre halten wir im Leſebuche 

für überflüffig. 

28. Deutfhes Leſebuch für einfahe Volkoſchulen. Herausgegeben 
von Robert Reichardt, Kirchſchullehrer. Zweiter Theil. Kür das 2. bis 
4. (5.) Schuljahr. Prrib: 6 Gr. Partiepreis: 25 Exemplare 3 Thlr. 10 Br. 
Einband & 2 ®r. IX u. 132 © Dritter Theil. Für das 5. (6) 
bis 8. Schuljahr. Preis: 9 Gr. Partiepreis: 25 Exemplare 6 Thlr. 20 Er. 
Einband 2°/, ®r. VII u. 219 ©. Dresden, Drud und Verlag von 
C. ©. Meinhold u. Sohn, Könial. Hofbuchdruckerei. 1874. 

Im zweiten Theile (der erfte ift unter ben Fibeln befproden) 
find die Lejeftüde nach dem Anichauungsunterrichte geordnet, und vom 
Frühlinge und deſſen Erfcheinungen ausgehend ift nach Beiprehung 
der übrigen Jahreszeiten der Menfch in den Mittelpunkt geftellt. Die 
Leſeſtücke find zwedmäßig ausgewählt, im dritten Theile twiegen ge 
ſchichtliche, geograpbifche und naturfunblicke Bilder vor, doc iſt auf 
in den Liedern, Sagen und Erzählungen reiche Ausbeute für die Pflege 
der Gemüthsbildung geboten, fo daß fi das Buch zur Einführung 
in Landſchulen wohl eignet, fobald man ſich mit der Beſchränkung ed 
Lefeftoffes, wie er geboten ift, einverftanden erklärt. Wir meinen 
allerdings, daß ben reiferen Scülen der Volksſchulen nod eine 
größere Auswahl, namentlih von Dichtungen unfrer Klaſſiker, ge 
boten werden muß. 

29. Leſebuch für Landfhulen. Bon U. Epr. Jeſſen. Erfter Zbeil 
Unterftufe.) Preis: gebeftet 28 fr.— kart. 34 fr. 111. ZweiterZbell. 
Mittelftufe.) Preis: gebefter 52 r. — kart. 60 tr. 196 ©. Bir. 
erlag von U. Pichler’ Witwe u. Sohn. Buchhandlung für pädagogilk: 

Literatur und Lehrmittel⸗Anſtalt. V. Margaretbenplap 2. 1874. 

Der erfte Theil zerfällt in 3 Abfchnitte: Himmel und Erde, Hau 
und Hof, Feld, Wald und Gebirg. Der zmeite Theil in 6: Aus dem 
Menfchenleben, Sagen und Märchen, zur Melt: und Heimatöhunte, 
zur Gejchichte, zur Naturgefchichte und Naturlehre, für Kopf und Her 
Einzelne Stüde find mit recht hübfchen Illuſtrationen verjehen. Te 
einfache verftändlidhe Ton der Befchreibungen, die guie Auswahl ber 
Stüde und ihre zweckmäßige Anorbnung laflen überall den Heraus: 
geber als bewährten Pädagogen erfennen. Daß in der Gefchichte bie 
Bfterreichifche bortvaltet, wird niemand befremden, mehr bürfte noch 
das Burüdtreten der poetiſchen Stüde Wunder nehmen. 

30, Deutſches Leſebuch für Volke- und Bürgerfhulen in Ungarn. 
Unter Mitwirkung nambafter Schulmänner beraudgegeben von Gedtg 
Jauß. Grfter Theil. Mit zablreihen Original» YQuftrationen. Preis: 
ungeb. 33 Nr. Prag, Verlag von F. Tempsty. 120 S. 1874 
Mir begrüßen das Büchlein, das für das zweite und brittt 

Schuljahr beftimmt ift, als ein brauchbares Mittel, deutſche Sprad: 

und deutſche Art in Ungarn zu pflegen und zu erbalten, recht freudig 

und wünſchen ihm in feinem Seimatslande die weiteſte Verbreitung. 

Die Auswahl ift eine durchgängig gute, die Anordnung der Lee 

ftüde in die vier Hauptabfchnitte: Schule und Familie, die heimiſche 

Natur urd die Beſchäftigung der Menfchen in den vier Jahreszeiten, 

das Vaterland, die weite Welt, ift zweckmäßig, auch bie Illuſtrationen 








Leſen und Schreiben. 389 


find jo fauber und ſchön ausgeführt, daß fie den Werth bes trefflichen 

Büchlein noch um Vieles vermehren. Wir fünnen daher dafjelbe als 

ein vecht wohl gelungenes bezeichnen. 

31. Sächſiſches Leſebuch für die oberen Klaſſen der Vollsſchule. Heraus» 
gegeben zum Beften des Sächſiſchen Peſtalozzi⸗Vereins. Bierte, 
verbefierte und vermehrte Auflage. Preis: roh 1 Mark 2U Pf. Partiepreis: 
10 Gremplare ro 10 Mark. Leipzig, Berlag von Yullus Klinkhardt. 
1874. VI u. 354 ©. 

Das Buch, das fein Entftehen einem fehr löblichen Zwecke ver⸗ 
dankt, hat verfucht, den in den ſächſ. Schulen weitverbreiteten ‚‚Lebens«- 
bildern” Concurrenz zu machen, jcheint aber darin wenig Glüd 
gehabt zu haben. Davon trägt allerbingd die Anlage einen großen 
Theil der Schuld, denn wenn auch im erften Theil ein bunter Inhalt 
geboten wird, fo hätte doch in der Auswahl forgfältiger verfahren 
werden follen. Ein einziges Tleines Lied von Reinid, Hofmann von 
Fallersleben oder Güll wiegt eine ganze Reihe von meift langweiligen 
Geſprächen auf. Das Geſpräch: Die Berlenbrüde ift eine gar zu arge 
Bermwäflerung des ſchönen Schiller'ſchen Räthfele. Der poetifche Theil 
des Buches, das doch für Oberklaflen beftimmt ift, ift fo farg zuge⸗ 
mefien, daß die Schüler nicht im entfernteften einen Begriff von der 
Fülle und Schönheit deutſcher Dichtung aus dem Buche erhalten, 
nicht einmal die befannteften Dichter wie Schiller, Goethe, Leffing, 
Nüdert u. A. find vertreten, die wenigen Gedichte, die fonft noch Auf- 
nahme gefunden haben, find jo unbebeutend, baß fie au hätten noch 
mwegbleiben können. Im zweiten Theile find Schilderungen aus 
Sachſen's Geographie und Gejchichte, im dritten Erzählungen aus 
der Stirhengefchichte, aus der Geographie, Geſchichte und Naturkunde 
gegeben, woraus erhellt, daß durch das Buch eine Unterftühung des 
Realunterrichtes bezweckt wird. Den Anforderungen, welche jet an ein 
Lejebuch, das felbit den niederften Volksſchulen frommt, geftellt werden, 
entipricht das vorliegende nicht. 


b. Leſebücher für mebrflaffige Schulen. 


32. Ter Wohnort. Lehr» und Leſebuch zur Pflege nationaler Bildung. 
Kür das 2. und 3. Schuljahr. Bon Dr. W. Zütting und Hugo Weber. 
Vu. 262 & Preis: 1 Mark, geb. 1,30 M. Leipzig. 1874. 

Die Heimat. III Lehre und Leſebuch zur Pflegenationaler 
Bilbung. Bon Dr. W. Jätting und Hugo Weber. VI u. 212 ©. 
Breis: 10h 0,80 M., geb. 1,10 M. Leipzig, Berlag von Siegiämund u. 
Volkening. Buchhandlung für pädagogifhe Literatur. 1875. 

Den Grundfähen gemäß, wie fie Weber in feiner Preisjchrift: 

Die Pflege nationaler Bildung dur den Unterricht in der Mutter: 

iprache (vergl. Jahresbericht Bo. XXV, ©. 455) niedergelegt bat, find 

vorliegende Zefebücher ausgearbeitet. Sie follen die Schüler nicht nur 
in den verftändnißvollen Beſitz ber Mutterſprache, fondern aud in 
unfer Haffifhes Schrifttum einführen, überhaupt humane Bildung 
nach ihrer formalen und realen Seite fürbern. An bie beiden er- 
Schienenen Theile werben ſich fpäter noch zwei, Das Vaterland und 


390 Lefen und Schreiben, 


ein Literaturbuch unter bem Titel „Deutfche Dichter und Denker“ an- 
Schließen. Den beiden vorliegenden ift ein ausführlicher Plan beige 
geben, ber auch zugleih als Grundlage des Anfchauungsunterrictes 
benutzt werden fann. Bir können die Jütting-Weber'ſchen Bücher 
mit Recht den beiten Schullefebücdhern gleichftellen, die Anorbnung beö 
Stoffes, dem ein forgfältig ausgearbeiteter Plan zu Grunde liegt, ift 
zweckmäßig und gut, bie Auswahl läßt ebenfalls nichts zu wünſchen 
übrig, das Beſte unfrer reichhaltigen Jugendliteratur iſt dabei zu 
Rathe gezogen worden. Die den Lejeftüden beigegebenen Illuſtrationen 
fommen der Anjchauung zu Hülfe. 

33. Deutſches Leſebuch für ein-, zweis, drei⸗- und vierklaffige 
Volksſchulen. Herausgegeben von Robert Niedergefäß, Director der 
Staatsanftalt für Lehrerinnen in Wien. 1. Tbeil für das 2. Schuljahr 
der eine, zweis, dreis und vierflaffigen Volksſchule. 74 ©. Preis: geb. 
18 Er., geb. 24 fr. 2. Theil, einflaffige Volfefchule: 3. und 4. Schuljahr, 
zweis bis vierklaffige Volksſchule: 3. Schuljahr. 102 ©. Preis: geb. 26 fr., 
geb. 32 kr. 3. Shell, einflaffige Volksſchule: 5. und 6. Schuljahr, zwei- 
laffige Bolföfchule: 4., 5. und 6. Schuljahr, dreis und vierklaffige Bolt 
fhule: 4. Schuljahr. 149 S. Preis: geb. 36 kr., geb. 43 tr. 4. Theil 
für das 5. Schuljahr der vierklaffigen Volksſchule. 114 S. Preis: geh. 
28 kr., geb. 34 fr. 5. Theil, dreiflaffige Volksſchule: 5. und 6. Schuljahr, 
vierflaffne Doltsihule: 6. Schuljabr. 121 S. Preis: geb. 28 kr., geb. 
34 fr. 6. Theil für das 7. und 8. Schuljahr der ein⸗ bis vierllaffigen 
Boltsfhule. 169 S. Preis: geh. 44 kr., geb. 52 fr. Wien, Vetlag 
von A. Pichler's Witwe u. Sohn. Buchhandlung für pädagogifche Literatur 
und Lehrmittel-Anftalt. V. Margaretbenplag 2. 1874. 


Die einzelnen Theile verhalten ſich zu einander wie concentrild 
ſich erweiternde Kreife, ein jeder von ihnen zerfällt in vier Abfchnitte: 
Lehrhaftes und Gemüthbildendes, Naturfundliches, zur Heimats- und 
Vaterlandskunde (fich ermweiternd zur Erb-, Länder und Völkerkunde) 
und aus der Gedichte. Auswahl und Anorbnung läßt überall den 
umfichtigen, vieljeitig gebildeten und praktiſchen Schulmann erfennen, 
der es veritanden hat, neben ber Bildung des Berftandes bie Pflege 
bes Gemüthes reichlich zu berüdfichtigen.. In ben Text find ienige, 
aber gute Illuſtrationen eingebrudt. Dem Werke wird ſtets ein ber: 
Dorragenber Pla unter der Reihe deutſcher Leſebücher bewahrt 

eiben. 
84. Deutfhes Leſebuch für Volle. und Bürgerfhulen. Heraud- 
gegen on a ein“ Nector, U, Schönfeldt, — sr. "Site, 
ebrer. 1. Band. 195 S. Preis: 7 Ser. 2. Band. Erſte Abtheilung. 
187 ©. Preis: 7 Sgr. Zweite Abtheilung. 262 ©. Preis: 71/ Sur. 
Beide Abtheilungen zufammengebunden nur 12%, Ger. Dueblinburg, 
Berlag von Chr. Fr. Vieweg's Buchhandlung. 1874. 

Der erſte Band orbnet feinen Stoff nad den Kategorien: Leben 
in Haus und Schule, in Dorf und Stadt, in Garten, Feld und Wald, 
in Luft und Wafler und zur Erweckung patriotifchen und chriftlicen 
Lebens, die erfte Abtheilung des zweiten Bandes nach ven vier Jahres⸗ 
zeiten, Die zweite nach den Geſichtspunkten: Menfchenleben, Geographie, 
Naturbetrachtung, Naturgefchichte, Phyſik und Geſchichte. Dieſem legten 
Theile iſt auch ein Verzeichniß ber bedeutendſten im Leſebuche ver⸗ 





Lejen und Schreiben. 391 


tretenen Schriftfteller beigegeben. Nach Anlage und Inhalt ift das 

Buch gut und kann empfohlen werben. 

35. Deutſches Leſebuch. Ausgabe A. Mit Rückſicht auf die allgemeinen 
Beftimnrungen vom 15. Oltober 1872. Unter MRitwirtung des Brovinzials 
Schultathes F. Wetzel bearbeitet und herausgegeben von A. Büttner, 
Seminarlebrer. Mit zablreihen Abbildungen. I. Theil: Für die mitt» 
leren Stufen mebrtlafftger Schulen. Preis: 7), Sgr. 304 ©. 
Berlin, Berlag von Adolph Stubenraud. 1874. 


In der eriten Abtheilung dieſes Theiles find Mufterftüde deutjcher 
Profa und Poeſie, in der zweiten Stoffe zur Belebung, beziehentlich 
Vorbereitung bes Unterrichts in den Nealien gegeben und biefelben 
wieder in gejchichtliche, geographiſche und naturfundliche Darftellungen 
zerlegt worden. Der Stoff ift reichlich bemeffen, das Buch wird ſich 
bei feiner Billigkeit und feiner Reichhaltigleit beſonders in preußiichen 
Schulen raſche Verbreitung verichaffen. 


36. Deutſches Leſebuch für Volks- und Bürgerſchulen. Herandge- 
eben von Dr. Wilhelm Jeep, Lehrer an der 4. Bürgerföule in Leipzig. 
rffier Theil des Jeep» Klaumel’fhen Lefebuckes. II u 248 ©. 
weiter Theil. Herausgegeben von Dr. Wilhelm Jeep und Adolph 
laumwell, Lehrer an der 4. Bürgerfihule in Leipzig. 211 ©. Leipzig, 

Verlag von Er. Bartig. 187%. 


Diefe Lefebücher, melde fih an die Klaumell’ihen oben erwähn⸗ 
ten Elementarbücher anfchließen, legen den Hauptwerth auf die natur⸗ 
geſchichtlichen, geographiihen und gefchichtlichen Bejchreibungen und 
Bilder, während die fonft häufig vorkommende Erzählung mehr in den 
Hintergrund gebrängt ift, doch ift das poetiſche Element auch nicht ver⸗ 
nadläffigt. Die Bücher werden zur Belebung, Ergänzung und Mies 
berholung de3 realen Lehrftoffes gute Dienfte leiften, eben jo auch 
durch feinen poetifchen Theil Nahrung für Herz und Gemüth bieten. 
Wir halten das Buch für geeignet zur Einführung in vierklaffigen 
Vollks- und Bürgerjchulen. 

37. Deutfches Leſebuch für mehrklaſſige Bürger- und Bolles 

ſchulen. Mit Originalbeiträgen von Eduard Keller, Seminarlehrer a. D., 

Dr, Karl Möbtus, Profeſſor an der Univerfität zu Kiel, E. Polack, Rector 

der Mitteffchule zu Nordhauſen, Dr. Karl Ruß, Naturforfcher zu Berlin, 

und Dr. Otto Ule, Raturforfger zu Halle a. S., berausgegeben von 

Mudolf Dietlein, Rector zu Schafflädt, und Woldemar Dietlein, Rector 

zu Dortmund. Mit vielen Abbildungen zur Förderung ber Anfchauun; 

und Lernfreudigkeit. I Unterftufe Zugleich im —28* an jede Fibel. 

Leſebuch für die Mittelſtufe der einz, zwei» und dreiflaffigen Volksſchulen. 

2. Aufl. Preis: 7%, Spr. VIH u. 152 S. II. Mittelftufe. 2. Auflage. 

Breis: 11 Sgr. 288 ©. III. Oberitufe 2. Aufl. Preis: 14 Sgr. 

VOI und 400 S. Wittenberg, Berlag von R. Herroſé. 


Nach den Beftimmungen vom 15. Dftober 1872 hat das fleißige 
pädagogifche Brüberpaar ein recht brauchbares Leſebuch geliefert, das 
ebenio ſehr durch feinen reichen Inhalt die allgemeine ſprachliche, als 
auch die reale Bildung des Schülers befördern wird. Das Bud) ver- 
dient daher volle Empfehlung. Die Abbildungen find mit Recht vor- 
zugsweiſe auf der Unterftufe vertreten, im lebten Theile dagegen find 


392 Lefen und Schreiben. 


fie feltner. Hätten wir noch einen Wunſch in Bezug auf ben Stoff, 

fo wäre es der, daß wir im oberen Theile auch einige unfrer jchönen 

altdeutichen Heldenfagen gern aufgenommen gefehen hätten. Da deut 
ſches Wefen, deutſche Sitte und deuticher Sang fonft reichliche Berüd- 
fihtigung gefunden haben, bürfte vielleicht auch jenem Theile deuticher 

Poefie in fpäteren Auflagen ein Plätschen vergönnt werben. 

38. Deutfhes Lefebuh von Karl Hanſen, Director der Realfäule 
L Ordnung in Harburg. Eriter Thell. Sechſte Auflage. VIu. 160 €. 
Preis: geb. 7 Sgr. Zweiter Theil. Sechſte Auflage. VI u. 208 5. 
Sarburg, Berlag von Guſtav Elkan. 1874. 

Der erfte Theil des in Theilen erfchienenen Lejebudyes ift für das 
7. und 8. Lebensjahr beftimmt und giebt n bunter Reihe aus unſeren 
Jugendſchriftſtellern Geſchichten, Fabeln, Märchen, Gedichte ımd Ge 
bete, welche im Anſchauungskreiſe der Kinder Liegen, weshalb er auf 
das Sinderbudy genannt wird, während der zweite Theil, als Ge 
ſchichtenbuch für das 9. und 10. Lebensjahr beftimmt, Geſchichten, 
poetifche Erzählungen, Märchen und Yabeln darbietet. An denfelben 
ſchließen fid) der Reihe nah das Natur-, Baterlands- und Literatur 
buch an. Die reiche Gliederung des Buches wird es vielllaffigen 
Bürgerichulen als willlommenes Unterridhtämittel erſcheinen laſſen, 
wozu noch die gute Auswahl des Stoffes beiträgt. Yeider läßt fih 
eine gute, nach beftimmten Gefichtöpunften gefchebene Anordnung und 
Gruppirung des Materiales in den vorliegenden Theilen nidt er 
Iennen, die auf den beiden unteren Stufen um fo notbivendiger ge: 
wefen wäre, je mehr bier bie Schüler vor der Zerftreuung und Zer 
fplitterung ihrer Gedanken nicht genug verwahrt werden können, 

39. Jugendfreund, Leſebuch für Mittelllafien. Herausgegeben don 

. F. Munderloh, ©. H. Kröger, F. Poppe und M. Buding, 

Rectoren und Lehrern In Oldenburg. Zweite, vermehrte Auflage. 270 ©. 

Oldenburg, Drud und Berlag von Gerhard Stafling. 1874. Preis: 50 Pi. 

Dieſe Lefeftüde der beiden Stufen, in die das Buch zerfällt, find 
nad) den Jahreszeiten georbnet. Zum Schluſſe find noch Sprüde zu 
den biblischen Gefchichten alten und neuen Teftamentes, das erjte Haupt: 
ftüd und eine große Anzahl Spradhübungen zum münblichen und 
ſchriftlichen Gebrauche beigefügt. Etwas Bejonderes läßt ſich am Bude 
kaum hervorheben. 

40. Leſebuch für deutfhe Bürgers und Bollöfhulen. Herautge 
geben von F. W. Hunger, Bürgerfchullehrer in Annaberg. I. Theil. 
Unterftufe. Drine, zu einem zweijährigen Kurfus erweiterte Auflage. X 
u. 158 ©. Als Anbang find 100 beigegeben: Bibliſche Gefhichten für 
Unterflafien von Bürger und Volksſchulen von demfelben Verfafjer. Zweite, 
bedeutend erweiterte Auflage. Hildburghauſen, Kefjelring’fhe Hofbuchhand⸗ 
lung. 1875. Preis: 6 Sgr., in Partien: 5 Sgr. 

Das Buch kann in Bezug auf die zweckmäßige Anordnung und 
gute Auswahl des Stoffes den befleren feiner Art gleichgeftelt werden. 
Die Lefeftüde find in folgende Gruppen: Schule und Haus, Stadt 
und Dorf, der Garten, Feld, Wiefe und Wafler, ver Wald, der Himmel 
und die Tageözeiten, die Jahreszeiten, der menſchliche Körper und 





Leſen und Schreiben. 398 


Gott und der Menſch gebracht. Es erhellt daraus, daß e8 ben An» 
— und heimatskundlichen Unterricht nicht unweſentlich unter⸗ 
it 


41. Fünftes Schulbuch für die Primarfhule des Kantone Schwyz. 

Auf Anordnung des Erziebungsunterrichtes Kantonal-Schulbücherverlag. Preis: 

1 Franken. Zweite, vielfach umgearbeitete Auflage. Einfiedeln, New: Hort 

und Gincinnati, Drud und Verlag von Gebr. Karl und Nilolaus Benziger. 

352 ©. 1874. 

Das vorliegende Buch unterfcheibet ſich bon den bisherigen ba= 
durch, daB es außer dem Lefeftoffe auch zugleich den grammatiichen 
und ftiliftiichen Stoff für Oberflaffen barbietet. Es beginnt daher im 
eriten Abfchnitte mit der Spracdlehre und gebt dann zu den Auffah» 
übungen über. Daran fchließt fih nun erft das eigentliche Lefebuch 
an, das feiner ftreng katholiſchen Richtung gemäß zunächſt Bilder aus 
der Gejchichte der chriftlichen Kirche, dann Bilder aus ber Heimat» 
funde, aus der Naturfunde und endlich Gedichte giebt. Wir glauben 
faum, daß das Buch, dem übrigens recht gute Holzſchnitte beigegeben 
find, große Verbreitung außerhalb feines heimatlihen Kantons er= 
fahren wird. 


c. Leſebücher für höhere Lehranftalten. 


42. Deutſches Leſebuch. Aus den Quellen zufammengeftellt von A. 
Ongelien, Hauptlehrer, und? H. Fechner, Seminarlebrer in Berlin. 
III. Theil. XI u. 248&. Preio: 14 Sgr. IV. Theil. VIIIu 328 ©. 
Preis: 18 Ser. V. Theil. VIII u. 392 ©. Preis: 22 Ser, Berlin, 
Berlag von Wilhelm Schulge, Scharrenftraße 11. 1874. 

Nah Anlage und Anhalt ift das Buch vorzugsweiſe für den Ge⸗ 
braudy in den deutſchen Mittelſchulen, Realihulen I. O. Progymna⸗ 
fien und bamit verwandten Anftalten beftimmt. Daß bie Verfafler 
mit vollem Verſtändniſſe der fich geftellten Aufgabe, mit Fleiß, Gründ⸗ 
lichkeit und Sachkenntniß an ihre Aufgabe berangetreten find, davon 
giebt jede Seite Beugniß. Der Form und dem Inhalte nach ift nur 
Muftergültiges geboten, mit Sorgfalt ift überall auf die Literatur. 
quellen zurüdgegangen und durch genaue Angabe derjelben wirb aud) 
der Lehrer angeregt und ihm ein Mittel zur Ertveiterung der eignen 
Literaturkenntniß geboten. Die Leinen biographiſchen Nachweiſe der 
benutten Schriftfteller find dazu eine hochwillkommene Gabe. Alle 
Berbältnijie und alle Wiſſensgebiete find gleichmäßig berüdfichtigt. 
Daß aber vorzugsweiſe das fittliche und nationale Clement in Betracht 
gezogen, ericheint vollkommen gerechtfertigt. Wir können daher wohl 
das Leſebuch als ein in jeder Beziehung vortrefflicdes empfehlen und 
in den gehobenen Bürger: und Mittelfchulen deſſen weiteſte Verbreitung 
erwarten. Wäre uns ein Wunſch vergönnt, fo tft e8 der, in fpäteren 
Auflagen, vorzüglih im 5. Theile, eine größere Drudichrift zu ver 
menden. 

43. Leſebuch für Mittels und Oberklaſſen gehobener a en lünien als 
Borftufe feines Ddeutfchen Lehr⸗ und Bildungsbuches für böhere Töchter⸗ 
ſchulen und weibliche Erziehungsanftalten, herausgegeben von Dr. 2. Kellner, 


394 Lefen und Schreiben. 


Geh. Regierungs⸗ und kathol. Schul-Ratb in Trier. Sechſte, zevidirte 

Auflage. Freiburg im Breidgau, Herder'ſche Verlagsbuchhandlung. 1874. 

XI u. 490 ©. Preis: 2 M. 

Die feinfinnige Art und Weiſe, die ber Verfaſſer bei der Be: 
handlung des beutfchen Sprachunterricht von jeher gezeigt, das reiche 
Gemüth und der päbagogifche Takt, den wir ſtets beim Herausgeber 
gefunden Haben, bekundet ſich auch in vorliegenbem Buche, fo daß es 
unbeftritten den beften feiner Art zuzurechnen if. In ſechs Abthei- 
lungen bietet e3 einen reihen Schatz von Erzählungen, PBarabeln, 
Yabeln und Märchen, pflegt dann in befonderem Abfchnitte veligiöfes 
Leben und Lebensmweisheit (daß hierbei auf katholiſche Verhältniſſe 
Rüdfiht genommen morben ift, wird niemand beftemben), geht dann 
auf Schilderungen und Bilder aus der Naturgefchichte und auf Bilder 
aus der Geographie und Geſchichte über. Die beiden lebten Abſchnitte 
umjchließen den poetifchen Theil, zunächſt find treffliche lyriſche und 
dibaktifhe und dann auch erzählende Gedichte gebsten. Dem Buche 
wird immer aufmerkſame Betrachtung geſchenkt werben. 

44. Deutſches Leſe- und Bildungsbud für böbere katholiſche Schulen, 
insbefondere für höhere Töchterſchulen und weibliche GErziebungsanflalten. 
Herauögegeben von Dr. 2. Kellner, Geh. Regierungss und Schul-Rath 
in Trier. Siebente Auflage, gr. 8°. (XII u. 616 ©.) Freiburg im Brels« 
gan. Herder’fche Verlagsbuchhandlung. 1874. Preis: 4 M. 

Das günftige Urteil, welches über das vorhergehende Leſebuch 
gefällt worden ift, gilt auch diefem, bei welchen nur infofern eine 
andre Anlage gefunden wird, als ed mit dem poetiichen Theil, der in 
lyriſche, epiſche und didaktiſche und dramatische Dichtungen zerfällt, 
beginnt, an welchen fich ber profaifche Theil, gegliedert in Erzählungen, 
Sagen und Märchen, Geſchichte, Menfchenleben und Legenden, Literatur, 
Kunft, Reden, Abhandlungen und Naturleben, anjchließt. Das Ichärfene 
Hervortreten der Tatholifchen Anſchauungen, die leiſe Hinneigung zur 
myſtiſchen Schwärmerei, die ſich in einzelnen Stüden ausfpricht, wird 
das fonft fo ausgezeichnete Buch in feiner Verbreitung etwas be= 
ſchraͤnken. 

45. Deutſches Leſebuch für höhere Toͤchterſchulen. Unter Mitwirkung von 
— Marie Stoͤphaſius in Spandau und andern Lehrern und 

ehrerinnen herausgegeben von Dr. G. Kühn, Director der höheren 

Töchterſchule (Karolinum) in Altenburg. Dritter Band. Berlin, Verlag 

von Hentfchel. 1873. (X und 435 ©.) 

Der Inhalt des Buches ift nach ben einzelnen Gattungen der 
Poefie und Profa angeordnet und jede berfelben durch entſprechende 
Beilpiele vertreten. Als Beifpiel der dramatiſchen Poeſie ift die 
Antigone nach der Donner’fchen Ueberſetzung gewählt, im zweiten Theile 
ift die lehrhafte Proſa — Previgten und Neben — meggelaflen und 
bafür mehr SKunftgefchichtliches eingefhoben. Wir zweifeln feinen 
Augenblid, daß das Buch ſich Eingang in nicht wenigen Mäbchen- 
Schulen verichaffen wird. 

46. Deutſches Leſebuch für die weiblihde Jugend in Schule und 
Haus von Gottlob Dittmar. . Erfter Theil. (Untere Stufe.) IX u. 








Lefen und Schreiben, 395 


407 S. Br.: 26 Sgr. Zweiter Theil. (Mittlere Stufe.) VIII vw. 447 ©. 
ng Neuwied und Leipzig, Derlag der 3. 9. Heuſer'ſchen Buchs 
Die reichhaltige mit glüdlihem Verſtändniß für die weibliche 
Jugend angeordnete Sammlung, ift im erften {heile nach den ein= 
fachen Geſichtspunkten: Jahres⸗ und Tageözeiten, Heimat und Fremde, 
Arbeit und Erholung, Natur: und Menfchenleben, im zweiten nad 
der Form in die erzählenve, betracdhtende und rebnerifche, in Iyrifche 
und epifche Poefie getheilt. Mit Vorliebe tritt überall das patriotifche 
Element in den Vordergrund, zu billigen ift das Weglaffen dramatiſcher 
Brudftüde, da unſre Haffiihen Dramen felbft den weniger bemittelten 
Schülern unfrer Oberflaffen in billigen Ausgaben vollftänbig zu Ge: 
bote ftehen und es beſſer ift, ein Drama ganz zu leſen als zehn andre 
bruchſtückweiſe. 
47. Deutſches Leſebuch für höhere Töchterſchulen von G. Wirth, 
Lehrer an der höheren Töchterſchule zu Guben. 
Erſter Theil. Unterſtufe: Erſter Curſus. VID u. 134 ©. Preis: 


8 Ser. 
Smeiter Theil. Unterfufe: Zweiter Eurfus. VILO u. 170 ©. Preis: 
10 r. 

Dritter Seit Mittelftufe: Erfter Curfus, VIO u. 287 ©. Preis: 
1 gr. . 
Bierter Theil. Mittelftufe: Zweiter Eurfus. VI u. 319 S Preis: 

18 r 


Fünter Weu. Oberſtufe: Erſter Curſus. VIIIu. 496 ©. Preis: 28 Sgr. 
Schker Fr „ Oberftufe: Zweiter Eurfus. VIII u. 556 S. “Preis: 


In reicher Gliederung liegt bier ein Leſebuch vor, das der Fülle 
feines trefflichen Inhaltes gemäß zwar zu den umfänglichiten, doch 
auch zu den brauchbarften LXefebüchern für höhere Töchterjchulen ge= 
hört. Die beiden erften Theile, die für die untere Stufe, alfo für das 
meite und dritte Schuljahr beftimmt find, find nach dem Plane eines 

ch ermeiternden Anfchauungsunterrichtes georbnet, der dritte und vierte 
Theil umfafien die Mittelftufe etwa bis zum 5. ober 6. Schuljahre 
und berüdfichtigen beſonders das fittliche und nationale Moment, der 
fünfte Theil fchließt fich derfelben Anorbnung an, während ber jechite 
Theil die Einführung in die nationale Literatur bezweckt und dadurch 
zum literaturgefchichtlichen Leſebuche wird, das nicht bloß gut ausge: 
wählte Proben aus den einzelnen Dichtern von der älteſten big zur 
neueften Seit, fondern auch recht brauchbare Charakteriſtiken und 
Biographien verfelben giebt. Es fteht zu erwarten, daß das Bud 
recht weite Verbreitung finden und dadurch einen guten Beitrag zur 
Kenntniß und Pflege der deutfchen nationalen Riteratur unfern Töchtern 
liefern wird. 
48. Deutfhes Lefebuh für Schullehbrer- Seminarien von Dr. 
Friedr. Joach. Günther, erftem Lehrer am evang. Schullchrer-Seminar 
a ubburg ©. ©. XIII und 720 ©. Breslau, DBerlag von Max 
älzer's Buchhandlung. 1874. Preis: 5 M. 

Daß aud die Seminarien den Anſpruch für ſich erheben dürfen, 

wie Renlihulen, Gymnafien 20. eigens für ihre Zwecke abgefaßte Leſe⸗ 





396 Leſen und Schreiben. 


bücher zu haben, ift nicht in Abrebe zu ftellen, wenn auch dann ver- 

langt werden muß, daß auf die pädagogiſchen Klaffifer etwas Rüdficht 

genommen erde. Das ift im vorliegenden Buche wenig oder gar 
nicht geſchehen; aber doch bietet e8 eine fo reichhaltige Auswahl aller 

EStilgattungen und Dichtungsarten dar, daß es recht füglich beim 

deutfchen Unterrichte in den höheren Bildungsanftalten der verfchiedenften 

Art gebraucht werben fann. So reichhaltig aber aud) der Stoff ift, — 

e3 find 316 profaifhe und 210 poetifche Stüde außer einer im Ans 

bang beigefügten großen Anzahl von Sprühmwörtern und ſprüchwört⸗ 
lichen Redensarten geboten — To jchließt das Buch doch Alles, was 
nicht zur neuhochdeutſchen Sprachperiode gehört, aus. Dieſer Umftand 
beeinträchtigt den Gebrauch als Iiteraturhiftorifches Lejebuch, gerade das 
Lefebuh für höhere Unterridtsanftalten muß ein Bild von ber fort- 
laufenden Entwidelung der deutſchen Entwidlung der deutſchen Lite 
ratur geben, dann aber möchten auch die Mufterjtüde noch jo gemählt 
werden, daß bas fittlihe und nationale Element immer im Vorder⸗ 
grunde fteht. Wenn auch burdaus nicht in Abrede geftellt werben 
fol, daß daſſelbe im vorliegenden Buche Beachtung gefunden bat, fo 
führt doch die vielfache Gliederung zu einer ſolchen Buntheit Des 

Stoffes, daß kaum der eine ober andere Hauptgedanfe recht zur vollen 

Klarheit Tommt. 

49. Leſebuch für deutſche Lehrerbildungsanſtalten, herausgegeben 
von ©. Kehr, Director des Königl. Schullchrerfeminard zu Halberſtadt, 
und Th. Kriebitzſch, Director der höheren Töchterſchule zu Halberitabt. 
Erfter Band. Kür Seminarvorbereitungsanftalten und Fortbildungss 
fhulen. gr. 8%. XVI u. 511 ©. Zweiter Band. Kür die linter- 
ftufe dreikflaſſiger Lehrerſeminare. VIII u. 416 S. Dritter Band. 
Für die Mirtelftufe der Lehrerſeminare. VIII u. 432 S. Gotha, Berlag 
von ©. %. Thlenemann. 1874. Preis: à Br. 2 Mark 49 Pf. 

Sn ben drei vorliegenden, recht anfehnliden Bänden haben die 
ala bewährte Kenner der deutſchen Literatur und der für die Bebürf- 
nifje der Lehrerbildung weithin befannten Herausgeber ein Leſebuch 
dargeboten, welches dur die Diannigfaltigleit des Stoffes die Biel» 
feitigfeit des Stils und feiner Arten als ein recht Fräftiger Zug aus 
dem reichen Born unferer neueren deutſchen Literatur erjcheint. Die 
Eintheilung des Lejebuches in vier Bänbe, von benen zwar ber lebte 
noch nicht vorliegt, läßt eine ftufenmäßige Vertheilung zu. Im erften 
Bande, ber für die Präparandenanftalten und die Yortbildungsfchulen 
beitimmt ift, ift feine befondere Anorbnung in Bezug auf bie Lefejtüde 
getroffen, fondern fie fteben bunt durcheinander, aber doch finden wir 
bei einer Durchſicht des Inhaltsverzeichniſſes, daß ein beitimmter Plan 
ins Auge gefaßt worden ift. Betrachten wir bier die fachliche An- 
ordnung, jo find fie gruppirt in's Haus und Daheim, bas meiftens 
Gedichte enthält, und in's Vaterland und die Fremde, bad in bie 
reich audgeftatteten Gruppen des Geographifchen, Geſchichtlichen und 
Naturkundlichen zerfällt. Das nad den einzelnen Stilformen ange- 
ordnete Inhaltsverzeichniß rubricirt und die Stüde nad den ver- 
ſchiedenen profaifhen und poetifchen Darftellungdarten. Als Anhang 


Leſen und Schreiben, 397 


find noch einige Beftimmungen über die Formen und Arten ber Poefie, 
fowie das Weſentlichſte aus der Satzlehre angefügt. Der zweite und 
britte Band, die für die Unter- und Mittelftufe vreiflaffiger Seminare 
beftimmt find, zerfallen in einen proſaiſchen und einen poetifchen Theil. 
Mir finden feine ber einzelnen Dichtungsarten, ſowie ber Arten bes 
Profaftiles vernachläffigt, müfjen vielmehr noch anerfennen, daß auch 
bie päbagogifche Literatur möglichft benugt ift. Leſeſtücke, wie fie in 
Thomas Platter’3 Selbftbiographie, in dem Schulweſen im Mittelalter, 
in Peſtalozzi's Perjönlichkeit, in der römiſchen Jugenderziehung u. a. 
im zweiten Bande, in den Schulreden bes dritten Banbes geboten 
find, dienen dafür als Beleg. Dazu enthält jeder Band im Anhang 
außer der Ergänzung ber ſchon im erftien Bande begonnenen Erläute- 
rungen über Metrik und Poeſie noch einen großen Schat von päda⸗ 
gogifchen Sprüchen, die dem denkenden Seminariften eine reiche Fülle von 
Gedanken bieten und recht wohl zur meiteren ftiliftifhen Bearbeitung 
benugt werben fönnen. 


II. Schreiben. 


50. Methodiſch geordneter Schreibgang der deutfhen Burrentfärift in 
142 Uebungen und DVorfäriften. Herausgegeben von F. E. Feuerftein, 
Kantor, Gejang-, Schreib» und Zeicheniehrer an der Etadt- und Fürſten⸗ 
thbumsfhule zu Sagan. Zmeite Auflage. Berlin, Berlag von Mudolph 
Gärtner. 1875. 28 lithogr. Seiten. reis: 60 Pf. 

Die Buchſtaben werben in fchönen und richtigen Formen vorge: 
führt. Wir haben nur an der Arbeit auszuftellen, daß die Eintheilung 
in Grund-, Hod-, Tief- und Langbuchftaben dem Grunbfate: „vom 
Leichten zum Schweren‘ nicht entipricht, denn ein r, a, v, w find doch 
viel ſchwerer zu fchreiben als ein t, I, j, b u. |. w. Wer aber fonft 
weiß, wie ber Schreibunterricht zu betreiben ift, wird mit Hülfe bes 
in diefem Schreibgange gebotenen Materiald eine Schrift erzielen, 
welche nit nur den „Anforderungen des Lebens‘, fondern auch denen 
der Kunft entfpridt. Das Büchlein ſei daher beiteng empfohlen. Wir 
bedauern, das Leſebuch der Kalligraphie defjelben Verfaflers nicht zu 
Gefiht befommen zu haben. | 
51. Künf Bandtafeln mit dem Meinen und großen beutfhen Schreib » Alphabet 

und den deutſchen Ziffern in genetifcher Folge auf Linienneg: als beutfches 
NormalsA phaber für den Schulgebraud entworfen und herausgegeben 
von Guſtav Wille, Lehrer in Axien bei Preitin. Wittenberg, Verlag von 
R. Herrofe. 1874. Preis mit Begleitwort: 21/, Mar. 

Der Titel jagt deutlich, was ber Verfaſſer mit Herausgabe dieſer 
Schreibtafeln bezwedt.. Wem das noch nicht genügt, der wird das 
Nähere im „Begleitivort” finden. Das Beitreben des Verfaflers ift 
geweſen, die fogenannte Nationalfchrift von Henze zu vereinfachen und 
ftelenmweife zu verbeflern und „solchen Lehrern, welche nicht die kalli⸗ 
graphifche Eigenschaft befiten, ihrer Schrift ſtets denſelben einheitlichen 
Charakter in Bezug auf Verhältnifje der Buchitaben nah Gtärfe 
u. j. w. zu bewahren und biefelbe dem Schüler gegenüber al$ muſter⸗ 


398 Leſen und Schreiben. 


giltiged Vorbild confequent darzuftellen, eine Norm zu bieten, nad 
melcher fie fi) in der Kunit des Vorfchreibens an der Wanbtafel ver- 
vollkommnen Tönnen”. Die Bereinfahungen find, ba fie fih auf 
Meglafjung unnötbiger Bögen an einigen großen Buchſtaben befchränten, 
als gerechtfertigte volllommen zu billigen, ob bie Vertreter ber Herb: 
fprung’ichen Methode und andre Schreibmeifter mit den Verbeſſe 
rungen aufrieben find, mag unerörtert bleiben. Hertzſprung hat als 
Maßſtab der Beurtheilung einer Buchftabenform bie antike Form I 
Grunde gelegt, und bon diefem Stanbpunft wird man die von Ville 
getabelten Buchftaben Henze's, der fih ja im Allgemeinen an jenen 
angeichloffen hat, gerechtfertigt finden. 
3 X von Wille ift entſchieden ein kalligraphiſcher Rückſchritt. 
Unter den Verbefferungen hätten wir gern bie allgemein übliche ver: 
einfachte H⸗Form gefehen. 
52. Kalligraphiihe Mufter zu Gefhäfts-Auffäpen nebſt angehängter Auf 
abenfammlung für Volks⸗ Mittel» und Kortbildungsfhufen von & 
chüler, Lehrer in Beet. Zum Bellen der Duisburger Lehrerwittwenlaſſe. 


Zweite Auflage, Rubrort, Eommiffionse Verlag von Andrei u. Comp. 
428 ©. Preis: 40 Bf. 


Der Berfafler fuht durch Herausgabe feiner kalligraphiſchen 
Mufter zwei Zwecken zu genügen, erſtens will er durch die 26 Mufter- 
aufjäge, die er bietet, und durch bie an biefelben angehängten 68 
Aufgaben, in melden Stoff zu weiteren ähnlichen Arbeiten geboten 
wird, den Gefchäftsftil ver Schüler pflegen, dann will er auch in ben 
erfteren Vorbilder für die Schrift der Schüler geben. Wir mollen 
uns bier nicht über diefe Goncentrirung, die unter Umftänben ſehr 
zweckmäßig fein kann, weiter verbreiten, fondern haben es nur mit 
der Kalligraphie des VBerfafierd zu thun. In feinem Nachworte be: 
bauptet er, die „alte, hergebrachte“ Weiſe des Schreibunterrichtes jet 
auf eine „Schönmalerei‘ der Buchftaben binansgelaufen, und betont 
bem gegenüber bie Forderung bes Lebens, „baß der Schüler geläufig 
und in diefer Geläufigkeit deutlich und einigermaßen gefällig 
nett, ordentlich fchreiben lerne. Die oben genannte Behauptung 
müflen wir, infofern fie auf den gefammten Schreibunterricht bezogen 
wird, als ungerechtfertigt zurückweiſen. Theils von älteren, theils von 
neueren Schreiblehrern ift die Malerei entfchieden zurückgewieſen und 
immer mehr auf die Herftellung reiner und richtiger Formen bei guter 
Handführung gebrungen worden. Denn felbft wenn die Forderungen 
des Lebens jo bunt raus durch einander liefen, wie gemeint wird, fo 
wäre doch dabei die Frage nicht unbeadhtet zu laſſen, ob der Unter 
richt außer biefen nicht auch den Forderungen der Wiflenfchaft und 
Kunft gerecht zu werden babe. Oberflächlich betrachtet, macht bie 
Schrift wohl einen angenehmen Eindrud, auch Alles, was durch bie 
Heinen Buchftaben dargeftellt wird, ift correct und ſchön; aber anders 
verhält es ſich mit den großen Buchſtaben, ba ftoßen wir auf fo viel 
Unregelmäßigteiten, ja man möchte fagen Gefchmadlofigkeiten, daß 
wir die Schrift uns wohl gefallen lafien, wenn fie von einem gewöhn- 





Lefen und Schreiben. 899 


lichen profeffionellen Schreiber geliefert wird; aber nicht von einem 

Schreiblehrer, welcher fie Andern ala Mufter vorftellt. 

53. Vorſchriften von Fri nffmeyer. Zum en der Volksſchullehrer⸗ 
Frl und un vo 3 Rd 55 Bf. Fa 
und verbefjerte Auflage. Harburg, Berlag von Guſtav Ellan. & 24 ©. 
Quer⸗Detav. 

Beide Hefte enthalten das deutſche und lateiniſche Alphabet in 
leichteren Verbindungen, einzeilige Sätze, größere Vorſchriften, einige 
geſchäftliche Aufſätze und am Schlufſe auf zwei Seiten das römiſche 
und gothiſche Alphabet (Lapidar⸗ und Fracturſchrift); auf dem 
Umſchlage aber in 16 Punkten methodiſche Fingerzeige und Aus⸗ 
einanderjegungen „zur Beachtung“. Dieſe letzteren enthalten neben manchem 
Richtigen und längſt Bekanntem auch einige falſche Behauptungen, 
deren Befolgung der Schrift des Verfafierd nicht zum Vortheil ge⸗ 
reichen Tann. Die in Punkt 1 und 2 gegebenen Vorſchriften werben 
nicht für alle Hände zutreffend fein, Regeln über Führung und Uebung 
des Armes vermißt man gänzlich. Wenn nah Punkt 9 gewifie 
Berbältnifie dem „einzelnen Gejchmade” überlafien werben und in 
Punkt 14 nur gefordert wird, „daß fie deutlich, leicht ſchreib— 
bar und Falligrapbifch ſchön“ feien, fo wird man fih nit 
wundern, in den. Vorichriften Formen zu finden, die von der Grund⸗ 
form bebeutend abweichen. Wir verweiſen in biefer Beziehung be= 
fonderd auf d, r, v, w, X und W. Außerdem baben die unteren 
Schleifbogen, die noch dazu ſehr verfümmert auftreten, den Drud nicht, 
wie es naturgemäß und richtig erfcheint, in der Mitte, fondern ganz 
unten. Der erfte Theil des Lateinischen erfcheint anfangs in ſchwer⸗ 
fälligen und fteifen Formen, jpäter werben dieſelben befler. 

54. Mufterfchreibbefte von F. Soffmeyer, in drei Ausgaben, in Ddeutfcher, 
lateinifher und gemiſchter Schrift zu je 6 Heften & 15 Pf. Berlag von 
Guſtav Elkan, Harburg a. d. Elbe. 

Die Hefte find ähnlich wie bie Henze’fhen angelegt, ein jedes 
berfelben enthält 24 Seiten, diefelben find durch ſenkrechte Linien ein- 
getheilt, die erften Zeilen enthalten auch die vorgeichriebenen Buch⸗ 
ftabenformen punftirt, anftatt der ſenkrechten Linien wären gewiß 
vielen Lehrern Richtungslinien willfommener geweſen. Das Papier 
ift aut, der Umfchlag dauerhaft, auch fonft die übrige Ausftattung zu 
empfehlen, fo daß jie, menn man ſich mit ben borgejchriebenen Bude 
ftabenformen befreunden Tann, mit Erfolg zu benugen find. 

55. Rundfchrift (Ronde) von®. Louis Müller, Kalligraph und Lehrer an 
der israel. Realihule und an der Handelsfähule zu Frankfurt a. Main. Acht 
Blätter. Zweite Auflage. Stuttgart, Verlag von Julius Maier. Preis: 1 M. 
Die bei den Franzofen und Engländern als Kopfichrift ger 

brauchte Schriftart gewinnt auch bei uns immer mehr Freunde und 

beginnt die Ganzleifchrift zu verdrängen. Der auf bem Gebiete der 

Kalligraphie wohlbekannte Verfafler führt fie uns in vorliegendem 

Hefte auf 8 Blättern Far und fchön vor. Die Brauchbarkeit feiner 

Arbeit würde erhöht werben, wenn ber Herr Verfafler eine Anleitung 


400 Lefen und Schreiben. 


über Darftellung dieſer Schriftart, die fih namentlich auf die Ver 
fhaffenheit der Federn und auf bie Handſtellung zu beziehen hätte, 
beifügen wollte. Wir haben mehrfach beobachten können, wie Leute 
mit falſchem Material und in falſcher Weife ſich in ber Aneignung 
dieſer brauchbaren Schrift vergeblid abmühten und ſchließlich von 
ihrem Vorhaben abftanden. 

56. Schließlich mag an diefer Stelle auch noch der unter Nr. 14 (der Kibeln) 
enannten deütſchen Wandfübel von Rudolf Dieklein, die zehn 
afeln deutſcher Schreibſchrift enthält, Erwähnung geichehen. 

: Die Schrift ift eine in ber Hauptfadde richtige, einfache und 

[hreibflüdtige. Was wir an einzelnen Formen auszufehen hätten, 

kann ben fonftigen Werth biefer Mrbeit nicht weſentlich beeinträchtigen. 

Bir find ein Freund biefer Elementarmethobe, wie fie ber Verfaſſer 

betrieben wiſſen will, und wünſchen ihr bie weitefte Verbreitung. 











XI. Die neueſten Erfcheinungen 
auf Dem Gebiete des deutſchen 
Sprachunterrichts, 


Bon Dr. 9. O. Zimmermann, 
Schuldirector in Beipzig. 





Die eingegangenen Schriften mögen in folgende Gruppen ein- 
getbeilt werben: 
I. In Schriften für ben gefammten Sprachunterricht ; 
I. in grammatiſche Schriften, insbeſondere für höhere Schul- 
anftalten und für die Hand bes Lehrers; 
III. in Stil- und Auffaglehren; 
IV. in Schriften über Orthographie; 
V. in vermifchte Schriften. 


I Schriften für den geſammten Spradjunterricht. 


1. Spradanfhauungsunterridt. Gin Verſuch, die Methodik des 
Spradhunterrihts neu zu geflalten. Bon Dr. G. Böſe, erflem Lehrer am 
Königlihen Lehrerfeminar zu Soefl. Oldenburg, Berlag von Bültmann 
u. Gerviets. 1874. gr. 8%. XX u. 360 6. 4 Marl. 

Der Verfaſſer verſucht durch feine Arbeit umgeftaltend auf ben 
ſprachlichen Unterricht in unjern Schulen einzuwirken. Ausgehend von 
der Beobachtung, daß weder ber jetige Anfchauungsunterricht die rechte 
Sprachbildung, noch der Sprachunterricht, wie er jeßt meiftentheils 
. gehandhabt wird, die rechte Denkfertigkeit fürbere, glaubt er im 
Spradhanfhauungsunterrichte bie befte Grundlage des geiſt⸗ 
bildenden Unterrichts zu finden. Was er unter bemfelben verfteht, 
erhellt aud ©. VIII des Vorwortes, worin er die Forderung aufftellt, 
daß die Sprache, d. 5. die hörbare Darftellung der Nenlitäten bes 
dem Kindesgeifte innemohnenden Lebens, ebenjomohl zum Stoffe 
eines wirklichen Anſchauungsunterrichtes zu machen fei, als bie bisher 

Bid. Jahresbericht. XXVIL 26 


402 Die neueſten Erſcheinungen 


den Stoff des ſogenannten Anſchauungsunterrichtes hergebenden Neali⸗ 
täten des das Kind umgebenden Lebens. Danach ſei der An— 
ſchauungsunterricht, ſtatt, daß er wie bisher die Sprachentwicklung 
gewiſſermaßen nebenbei fördere, Har zu ſpalten in Real⸗ und in 
Sprach-Anſchauungsunterricht, und der lebtere müſſe in erfter Linie 
nicht die Grammatik, fondern den Logos der Sprache zur Anjchauung 
bringen, und foldergeitalt Sprache entivideln. 

Menn wir den Verfaſſer recht verjtanden haben, fo ift es ihm 
in diefem Sprahanihauungsunterriht darum zu thun, die Kinder recht 
orbentlich zum Denken anzuleiten; es iſt und aber unerfinblid, daß 
deshalb eine Theilung des Anſchauungsunterrichts, wie er jegt gewiß 
von vielen tüchtigen Lehrern zum Nuten der Schule redht gut ertheilt 
wird, eintreten fol. Die Eprade als ſolche bietet unjern Schülern 
feine Anjchauungsobjecte, diejelben müflen anderswoher, fei es aus 
ber äußeren Umgebung, fei e3 aus dem inneren Gemüthäleben entnommen 
werden; benn mollte man fih nur mit bloßen Begriffen befchäftigen, 
fo würde ber Unterricht fi bald zum reinen Formalismus geitalten 
und um fein Haar befjer fein ald der, welcher in ber Gejtalt ver 
einen Denkübungen für die Volksſchule längſt gerichtet if. Wir 
Innen und daher nicht mit dem Berfafler einverftanden erklären, 
wenn er ©. XII fagt: „Die materielle Anfchauung, wie fie fofort 
Sprade hervorruft, wird auch jofort zur formalen Anſchauung (d. h. 
doch wohl zur Vorſtellung), und wie die wahre Anfchauung ein Willens 
act des göttlichen, fchaffenden Menichengeiftes ift, fo muß das Product 
diefes Schaffens, die im Worte finnlih wahrnehmbar gemachte Vor⸗ 
ftellung, felbft wieder ein materieller Gegenftand der Unfchauung wer⸗ 
ben, um bie Sprache, bie kein zufälliger Appendix des Geiftes, ſondern 
die nothwendige Schöpfung befjelben tft, in unferer Jugend zu bem 
zu entwideln, was fie dem gebildeten Menfchen tft, zu einem tüchtigen 
Werkzeug des Geiſtes.“ Es wäre daher tveit gefehlt, „den erften 
Anſchauungsunterricht von den ihn beberrichenden reatiftifchen Tenden⸗ 
zen befreien und in einen eigentlichen Sprachanſchauungsunterricht, 
db. 5. in einen Unterricht, ber nicht das reale Erkennen fich zum Zweck 
ſetzt, zurüdigeftaltet zu wiſſen“. Für unfere Kinder ift Anfchauen und 
immer wieder Anſchauen das Erfte und Nothivendigfte, jonft würde 
e3 leicht fein, daß wir Schwäter heranziehen, die wohl Worte machen 
können, denen aber doch die richtigen Begriffe zulett fehlen. 

Das Bud) felbft, in dem eine reiche Fülle von Selbftgebachten 
niedergelegt ift, zerfällt in zivei Theile, in Theorie und Kritik und in 
Praktik. In der Einleitung wird der Begriff des Sprachanſchauungẽ⸗ 
unterrichts feftgeftellt, ferner dargelegt, daß der Geift die Sinneswahr⸗ 
nehmung und deren Yequivalement, die Sprache, fchafft, daß fomit 
Sprachanſchauung die Grundlage aller Anſchauung vom Geifte if, 
endlich nachgewieſen, daß die Mutterfpradhe im befonderen eine ber 
wichtigſten Grundlagen aller echten nationalen Bildung und deshalb 
ein Hauptwerkzeug barmonifcher Entwidlung if. Die Frage, mie ber 
Unterricht in der Mutterfprache ald das wichtigſte Yörderungsmittel 





auf dem Gebiete des beutjchen Sprachunterrichte. 403 


nationaler Bildung in ber Vollksſprache einzurichten fei, wird in brei 
Abſchnitteir erörtert, die Die Grundlage für den Unterricht in der Mutter» 
ſprache g die Geſtaltung des Sprachunterrichts in der Volksſchule 

- bie, Keſonderen, der Sprachentwicklung direct dienftbaren Unterricht3= 
mittel der Volksschule ind Auge fafjen. Gewiſſermaßen als Anhang find im 
zweiten TBeile' Bumiberf ausgeführte Gefpräche beigegeben. Sie follen 
als Beifpielg dienen „wie fi ber Verfaffer den von ihm geforberten 
Unterricht denkt. Was _diefen legten Theil betrifft, fo erjcheinen bie 
Geſpräche al” eine: Wmärbeitung der Krauſe'ſchen Denkübungen, bie 
feiner Zeit Hoch gefeiert waren, und werden mandem Lehrer nicht un= 
willkommen erſcheinen. Im erften Theil des Buches wird nicht felten durch 
die ſich hänfenden phifofophifchen Ausdrüde der Stil unklar und deshalb 
weniger leicht verſtändlich. Mögen ſchon die beiden vorhin gegebenen 
Gitate- KIE Beitpiele dafür dienen, fo fei nur noch auf „den Logos ber 
Sprade, welcher allein anſchaulicher Behandlung fähig iſt“, hingewieſen. 
Mit einem ’ derartigen unbeftimmten Ausdrude ift der Deutlichkeit 
wahrlich‘ ten’ Vorſchub geleifte. Es ſcheint auch, als ob ber Ver- 
fafjer e3 überhaupt mit der Behandlung der eigenen Sprache zu leicht 
nimmt, benn Ausdrücke und Säge wie: S. 150 20. bei, den Schüs 
lern entiprecyender Wahl des Stoffes wird es möglich werden — 
oder: Auf ber höheren Stufe habe ich verjchieben verfahren — oder: 
durch Auffchreiben von aus dem Buche Ausmwenbiggelernten — ober: 
fein Clement des Wortbilbes verfäumendes Sehen — ober: Klagen 
eninervt, friſchet Muth verbürgt Erfolge u. a. zeugen nicht von Sorg- 
falt im ber ſtiliſtifchen Darftellung. 

Doch 'bet alledem enthält das Buch fo vieles Anregende, daß es 
zum Studium hen denfenden Lehrern empfohlen werden Tann, bie 
wohl alfes darin prüfen, aber nur das Beſte behalten. 

2. Der Spreach ſchüler, ein Hilfes und Uebungsbuch beim Unterrichte im 
der Mutterfprache. Ausgabe A. I. für die Unter» und Mittelitufe der 
Volkeſchulen von Rudolph Dietlein, erſtem Lehrer zu Wartenburg a. d. 
Elbe: Dritte’ Auflage.- Wittenberg, Verlag von R Herroſéẽ. 1874. 
86.:©.  Wreid: 4, m J 

Ausgabe As IL für die Oberſtufe der Bolfdihulen von Mudolf Diet⸗ 

Iein, erſſem Lehrer zu Wartenburg a. d. Elbe. Mit einem Borworte von 

C. Kehr, Scıhindt-Infpector In Gotha (jegt Seminardirector in Halbers 

— — Awelte Auflage. - Preis: 312 Sgr. Partiepreis: 9 Exempl. 1 Thlr. 

nberg,. Berlag von R. Herrofe. 1872. VII u84 ©. 


Schon mehtfach if in dieſen Blättern bie gegebene Gelegenheit 
benugt worden, ber Schriften Dietlein’3 in Betreff des deutſchen 
Spradunterrihts lobend zu gedenken. Daher genügt es, an biefer 
Stelle einfach nochmals darauf hinzuweiſen, daß aud der vorliegende 
Sprachſchuler in feinen beiden Ausgaben wegen feiner gründlichen und 
methodifchen Darſtellung der Volksſchule gute Dienfte leiften wird und 
peshalb den ‚Lehrern zur Berückſichtigung beſtens empfoblen werben 
ann. ’ 


3a Leitfaden dr Sprachlehre für Mittelfhulen und die Oberfiufe der 
Volkoſchuſen. Mit zahlreichen Mebungen, befonders zur Ginprägung 
26” 





404 Diie neueſten Erſcheinungen 


der Orthographie und Rection, ſowie einer Vorſtufe für Die mittleren Klaſſen. 
Unter Muͤwirkung von lüneburger und odnabrüder Lehrern beramsgegeben 
von J. C. M. Backhaus. S hulinfpector zu Onabrück. Zweite, 
ſehr erweiterte und verbeſſerte Auflage. (Zum Beſten der Rehrers Öbatfens 
fafien.) Preis: geheftet 72/3 Gr. Harburg, Berlag von Guſtav Ellen. 
873. VI u. 210 


1 . 210 ©. 

b. Borfufe der Deutfhen Sprachlehre für das achte bis zehnte Schul⸗ 
jabr kufg C. M. EA une —E Die 
uflage. Harburg, Verlag von Guſtav Eifan. 1874. 30 ©. 

Die vorliegende Sprachlehre fchließt als vierter Band von bes 
Verfaſſers Leitfaden für Mittelfhulen und gehobene Vollöfchulen ab. 
Aus dem in erfter Auflage als deutſche Sprachlehre auftretenden 
Heinen Büchlein ift jetzt ein forgfältig umgenrbeiteter und vielfach 
erweiterter Leitfaben entitanden, der überall ein tieferes Eingehen auf 
die grammatifchen Bildungen fund giebt. Der Berfafier gebt pon der 
Beobadytung aus, daß im Gebiet der nieberbeutichen Mundart bie 
Schüler unter meit größeren Schwierigkeiten in den fprachlichen Formen 
bes Hochbeutichen Sicherheit erlangen und häufig noch lange zwiſchen Nieder⸗ 
und Hochdeutichem unficher hin= und herſchwanken. Trotzdem wird doch an 
die Schulen die Aufgabe geftellt, in der bochbeutichen Schriftiprade 
fih mündlich und fohriftlich richtig ausbrüden zu lernen. Daher bat 
fih gerade in jenen Gegenden ber Spracdunterriht die Aufgabe zu 
ftellen, einerfeit® ben inneren Gehalt des reihen Wortſchatzes aufzu⸗ 
ſchließen und anbdererfeitö zu derjenigen Beherrichung ber Wort und 
Sagformen zu führen, die man als Frucht einer guten Sprachbilbung 
anfiebt. Aus diefem Grunde betont der Verfafler in feinem Leitfaden 
befonders die Wortbilbung und Wortbiegung, kurz die Formenlehre 
der Sprache, ohne doch bie übrigen Theile des Grammatik auszu- 
ſchließen. Das Bud) zerfällt in eine Vorftufe, bie auch ald beſonderer 
Abdruck felbftändig erichienen ift, und in eine Hauptſtufe. Die erfte 
umfaßt die hauptſächlichſten Wortarten, das Haupt: und Gefchlechts- 
wort, das Eigenichafts-, das Thätigleitd: und das perfönliche Fürwort, 
behandelt dann den Sabgegenftand und die Satzausſage, die Biegung, 
das Satzziel und aus ber \interpunftionslehre das Kolon und Komma. 
Iſt der Stoff für das dritte bis fünfte Schuljahe (denn die Angabe 
auf dem Titel, „fürs achte bis zehnte” beruht fiher auf einem’ Ver: 
ſehen) berechnet, jo erfcheint ung doch für dieſe Stufen Mandes als 
zu weit abliegend, wie z. B. ©. 10 die Unterjcheidung: zwiſchen Sannen- 
und Gedantendingen, die Bildung der Hauptmörter aus, Eigenſchafts⸗ 
und Seitwörtern. Der zweite Theil, die Hauptftufe wird in, Die Laut-, 
die Wortbiegungs- und Mortbildungslehre und. in die Satzlehre ges 
ſchieden. Eine große Anzahl von Uebungsbeiſpielen und Aufgaben, 
deren Auswahl und Ergänzung dem Lehrer übetlafjen Bleibt, find den 
einzelnen Regeln und ſprachlichen Betrachtungen beigageben. . „., 

4. Handbuch für den Unterricht in. der Deuticger Sprache, ier 
Nehtfchreiben, in den Stilübungen, — in dm Realien uchit 
einer Sammlung von Rechenaufgaben. LAbtbeilung. (Deutſche 
Spyrade, Rechtſchreiben und Stiläbemgind syum Gebruuxcd an 
den Volkeſchulen Gearbeitet von Earl Wi Eylenfnupt; Bere ih Würz- 





auf bem Gebiete bes deutſchen Sprachunterrichts. 405 


burg. Stebente verbefierte und vermehrte Auflage. (Zum Gebrauche von 
hödfter Stelle genehmigt.) Bamberg, Verlag der Buchner'ſchen Buchhand⸗ 
fung. 1874. 211 ©. 8%. Breis: 80 Bf. 

Das Buch tritt als erſter Theil einer Reihe von Compendien 
für die einzelnen Unterrichtözweige der Volksſchule auf, jcheint zwar 
zufolge ber zahlreichen Aufgaben, die es enthält, für den Gebrauch 
der Schüler beftimmt zu fein, fann aber unfere® Eradien nur in ber 
Hand des Lehrerd mit einigem Erfolg benugt werben. Es zerfällt in 
die Lehre von ben einzelnen Rebetheilen, vom Satze, von der Recht⸗ 
fhreibung und von den Denk- und Stilübungen. Im erften Ab- 
Schnitt, der Sprachlehre überjchrieben ift, werben zunächſt eine Reihe 
von Definitionen von Sprade, Mutterfpradhe, Spradlehre, Wort, 
Silbe und anderen Begriffen gegeben. Manche von benfelben find 
allerdings wenig zutreffend, 3.3. Hauptfilbe ift „diejenige Silbe eines 
Mortes, bei weldder man fich etwas denten und vorftellen Tann, Neben 
filbe diejenige Silbe in einem Worte, bei der man fich nichtö denken Tann.” 
Die Wörter find ihrer Entftehung nad) in Stamm=, abgeleitete und zu⸗ 
jammengefette Wörter eingetheilt dabei ift eine Bermengung ber Stammes 
mit den Wurzelmörtern eingetreten, denn was ber Verfaſſer Stammmörter 
nennt, find nur Wurzelmwörter, und was man unter Stammivörtern verſteht, 
ift unter den Begriff ber abgeleiteten gebracht, während diefer felbft feiner 
weiteren Erwähnung gefchieht. Ohne Grund find für die Begriffe der 
Ein und Mehrzahl die Namen Ein- und Mehrheit eingeführt, wie 
auch anftatt Biegung bed Hauptivortes ſtets das Wort Beugung zu 
lefen iſt. Weberhaupt iſt das Kapitel von der Declination äußerft 
dürftig behandelt, da wohl der beiden Declinationen, der ftarlen und 
ſchwachen gedacht, aber auf deren unterfcheivende Merkmale nicht bin- 
gewieſen if. Ausführlicher ala vie Wortlehre (der Wortbildungslehre 
ift nur ganz oberflächlich gedacht) ift die Lehre vom Sate behanbelt. 
Der Abfchnitt von der Nechtichreibung ift reich mit Beifpielen, beſon⸗ 
ders ſolchen, welche fih auf ähnlich lautende Wörter in Sätzen be» 
ziehen, verjehen. Dies wird mandem Lehrer eine willfommene Gabe 
fein, wogegen die kurze Berbeutichung der gemwöhnlichiten Fremdwörter 
überflüffig if ‚Die Denk⸗ und Stilübungen, die faft ausschließlich die 
nung im Auge haben, jchließen mit Formularen für Geſchäfts⸗ 
aufjäge. 

5. Die Deutfhe Sprachlehre ale Örundlage zur Stiliſtik, zugleich 
ein Aufgabenibap zu Sprach» und Auffag-Uebungen für Gym⸗ 
naflen, Real, gen höhere Bürgerfchulen, Seminarien und zum Private 
fludiun von A. Treu, Seminarlebrer. Zweite, vermehrte und verbefjerte 
Auflage. Tübingen, Verlag der H. Laupp'ſchen Buchhandlung XII und 
212 ©.. 1874 Preid: 2,50 M. 

Dem Titel’ nach will das Buch faft allen Gattungen unferer höheren 
Schulanftalten genügen. Es geht von der Grammatik aus, zieht bei 
den Abſchnitten ber einzelnen Wortarten zwar fchon ftiliftiiche Aufgaben 
berbei, widmet aber am Ende noch einen befonderen Abjchnitt dem 
ſchriftlichen Auffage. Es ift nicht zu verfennen, daß eine reichliche 
Fülle ſprachlichen Stoffes in dem Buche niebergelegt worden ift, daß 


406 Die neueſten Erſcheinungen . 


an der Hand dieſer Anleitung der Schüler bis ins Einzelne mit dem 
Bau unſerer Sprache bekannt wird, daß in den beigefügten Mufters 
fägen vor allen Dingen Rückſicht auf geift: und gemüthbildenden Etoff 
genommen wird; aber doch haben wir in Betreff diefer legteren das 
Bedenken, daß viele von diefen Zäten, aus dem Bufammenhange 
herausgerifien, dem Schüler unverftändlich bleiben müſſen. Als Beleg 
bafür mögen die auf ©. 21 gegebenen Beifpiele dienen, es würde 
nicht ſchwer werden, noch eine Reihe anderer herbeiziehen zu können. 
Hatte ferner der BVerfaffer die höheren Schulanftalten im Auge, fo 
muß dann eine große Anzahl der beigegebenen Aufgaben als un— 
genügend zurückgewieſen werden; denn auch für bie unteriten Klaflen 
jener Schulen Tönnen ſolche Aufgaben wie: „Schreibe aus dem oder 
jenem Xefeftüde alle Hauptiwörter ab, ſuche 20 männlide, beögleichen 
20 meiblidhe Hauptmwörter u. |. w.“ nicht genügen. 

Dagegen wäre es wünſchenswerther gemeien, bie Declinationen 
und Conjugationen eingehender zu behandeln, denn abgejcehen, daß es 
geradezu falſch ift, wenn gelagt wird, daß alle meiblichen Hauptmwörter 
nach der ſchwachen Declination gehen, jo fehlt auch eine binreichende 
Erflärung beider ‘Declinationsformen unb deren Erläuterung durch 
Beiſpiele. Ebenſo verhält es fich mit den Conjugationen, bei denen 
noch anftatt der befannten Ausdrücke ber ftarfen und ſchwachen Form 
die Beitwörter unterfchieden werben in folche, melde die äußere und 
folche, melche die innere Biegung annehmen. Bon dem Kapitel ber 
Etnmologie, die für alle höheren Anftalten, welche tiefer in das Weſen 
der deutfchen Sprache eindringen follen als die gewöhnliche Volks— 
fchule, von außerordentlihem Werthe ift, iſt fo gut mie nichts bor- 
handen. Auch diefer Theil der Sprachlehre, der den Wortreichthum 
erſchließt, iſt für die Stiliftif unentbehrlich. 

6. Deutſche Sprachſchule in Webungsbeilpielen. Dribograpbie, 
Srammatit und Stil tn konzentrifken Kreiſen. Für die Volksſchule 
bearbeitet von M. Baron, Th. Junghanns und 9. Schindler in 
Dresden. 1.—3. Heft. Dritte, verbeiterte Auflage. 4. und 5. Veft. 


Zweite verbefjerte Auflage. Preis jedes Heftchens 20 Bf. 25 Exemplare 
4 Mark 50 Pf. Leipzig, Verlag ven Julius Klmfbardt. 1874. 


Bei Bearbeitung dieſes Leitfadens haben fich die Verfaffer von 
folgenden Grunbfägen leiten lafjen: Auch in ber gemöhnlichen Volksſchule 
muß ber deutſche Sprachunterricht ein ficheres Fundament, alfo einen gram= 
matifchen Untergrund haben, weil nur auf dieſem Wege ein richtiges 
Verſtändniß der Mutterſprache und die nöthige SicherBeit und Korreft- 
heit bei Anwendung ber Spradhformen zu erzielen ik, Die Sprach⸗ 
gefete müſſen fich entwideln aus einem Sprachgangen.. Nur im 
Sprachganzen erhalten die einzelnen Sprachtheile Leben, nur dann 
treten die Eigenthümlichleiten unferer deutſchen Sprache klax zu. Tage. 
Die drei Theile des fprachlichen Unterrits, Grammatik, Orthographie 
und Stil müflen als ein organifches Ganze auch äußerlich mit einander 
in engfter Verbindung ftehen. Jeder größere Abfchnitt der Uebungs⸗ 
befte enthält daher außer ben grammatifchen bie geeignete Anzahl bon 





auf dem Gebiete des deutſchen Spracdhunterrihte. 407 


orthographiichen und ftiliftiichen Uebungen. Zielpunkt des fpradhlichen 
Unterrichts in ber Volfsfchule bleibt der Stil. Die Stilaufgaben find 
daher jo georonet, daß diefelben als Ergebniß der vorbergegangenen 
übrigen fprachlichen Behandlungen auftreten. Die ſprachlichen Uebun— 
gen müſſen, analog der Behandlung anderer Unterrichtöfächer, Ton: 
zentrifche Kreife bilden. infolge dieſer Einrichtung werben die Ue— 
bungshefte allen Schulfategorien im Volksſchulweſen dienen Tönnen, 
da bei geringeren Anſprüchen mit einem früheren Kreife (beifpielämeife 
mit dem fünften, denn auf diefen find in neuerer Zeit noch zwei oder 
mehrere Kreife gefolgt) abgejchloffen werden kann, ohne daß ein weſent⸗ 
licher Theil des Sprachunterrichts unberüdfichtigt bleibt. 

Wir erflären ung vollſtändig mit diefen aufgeitellten Grundſätzen 
einverftanden und halten die Heftchen, die bei ftreng fortichreitender 
Methode eine reihe Fülle von Sprachaufgaben in ſich bergen, für ein 
ſehr gutes Mittel, den Sprachunterricht in unferen Volksſchulen zu 
unterftügen. Das erjte Heftchen, welches fürs zweite Schuljahr be- 
ftimmt iſt und demgemäß jchon die nöthige Schreibfertigfeit voraus⸗ 
jegt, behandelt in Wörtergruppen die verjchiedenen An- und Auslaute, 
die Schärfung, Dehnung und Verdoppelung, das Geſchlecht der Wörter, 
das Hauptwort im befondern und die Silbenabtheilung; das zweite 
Heft beipricht den einfahen Sat, legt aber ſchon vorzügliches Gewicht 
auf die Wortbildungslehre, nachdem die drei wichtigften Wortllafien 
erörtert ivorben find, das dritte, vierte und fünfte Heft behandeln den 
erweiterten einfachen Sat in allen feinen Beziehungen, an ben ſich 
ber zujammengezogene Sat und das Satzgefüge anfdließen. Sowie 
überall orthographiſche Uebungen an die grammatifchen Uebungen an= 
gefnüpft find, jo find aud die Stilübungen allmählich fortgejchritten 
und gipfeln fih in den Beichreibungen, Nachbildungen und Geſchäfts- 
auflägen, find aljo allmählich zu der Stufe emporgeitiegen, die in der 
Volksſchule erreicht werben fann und muß. Man darf wohl behaup- 
ten, daß die Sprachſchule nad) ihrer Anlage fowie auch nad) der Aus: 
führung im Einzelnen da3 Werk von pädagogiſch denfenden Lehrern 
it, welche durch die Veröffentlichung der Hefte vielen Collegen einen 
danfenswerthen Dienst eriwiefen haben. Die überaus fehnelle Verbrei- 
tung derjelben ift das beſte Beugniß, daß die Gabe eine hochwill⸗ 
fommene ift. 


7. Lern⸗ und Uebungsbuch für den Unterriht in der Grammatik und 
Orthographie der —8 Sprache. Für vielklaſfige Buͤrgerſchulen in fünf 
fonzentriihen Kreifen nah Maßgabe „der Allgemeinen Beſtimmungen für 
Preußen vom 15. Dfteber 1872” von Friedrich Bartels, Dr. phil. 
Director ſämmtlicher ſtädtiſcher Bürgerfehulen in Gera. I. Heft. (Für das 
zweite und dritte Schuljahr.) 51 S. II. Heft. (Für das vierte Schuls 
jahr) 52 ©. LI. Heft. (Für das fünfte Schuljahr) 52 ©. IV. Heit. 
(Für das fehlte Schuljahr) 48 S. V. Heft. (Kür das flebente und achte 
qriahr 64 S. Gera, Druck und Verlag von Ißleib u. Riezzſchel. 
1874. 


Der Berfafier geht im erften Hefte vom einfach nadten Satze 
aus, beipriht dann bie einzelnen Wortarten mit der Declination 





408 Die neuejten Erfcheinungen 


und Sonjugation, ſowie die Nebenfahtheile des einfachen Satzes, im 
zweiten Hefte werben bie Beifügungen und Ergänzungen noch einmal 
beſonders behandelt. Daran jchließt fih eine Wiederholung des Pen- 
ſums des vorigen Schuljahres mit genauem Eingehen auf bie ftarfe und 
ſchwache Declination und auf die MWortbilbung der Hauptwörter. Dies 
felben fprachlichen Betrachtungen werden auch an die Eigenfchafts- und 
Sürmwörter angelnüpft, zugleich kommt noch die Conjugation der Hilfs- 
zeitwörter: fein, haben unb erden, zur Sprade. Auch das dritte 
Heft beichäftigt ſich noch mit dem einfachen Sate, während das vierte 
Heft zum zufammengezogenen und zujfammengejegten Sate fortfchreitet 
und die fehiwierigeren Gapitel der Flectirung der Begriffewörter, bie 
Declination ber Eigennamen und die ftarle und ſchwache Conjugation 
behandelt. Das fünfte Heft enthält eine Wiederholung und Ergän- 
zung der Sat: und Wortlehre, ſowie die weſentlichſten Beitimmungen 
aus der Metrit und Poetif. Als Anhang ift noch ein Wörterverzeich- 
niß gegeben. Manches in diefen Heften in Bezug auf Anlage unb 
Ausführung erinnert an die vor etwa acht bis zehn Jahren erfchie= 
nenen Sprachhefte von Dr. Panitz, doch verdienen die leßteren infofern 
den Vorzug vor jenen, daß der Stoff fchärfer von einander gejchieben, 
der Fortjchritt in denfelben ein mehr ftetiger und methodiſcher ift. 
Mir halten es für verfrüht, auf der Stufe deö zweiten und dritten 
Schuljahres fhon von allen möglichen Nebenglievern des einfachen 
Satzes, von der Ergänzung und von den berjchiedenen Umſtänden, 
felbit von präbicativen und attributiven Eigenſchaftswörtern zu ſprechen. 
Da auf den nächſten Stufen diefe Begriffe noch hinreihend zur Ere 
örterung Tommen, fo Tonnten fie füglih auf den erjten entbehrt wer— 
den. Ein genaueres Eingehen auf die Conjugation in ihrer Einthei- 
lung in ftarfe, Schwache und gemiſchte tritt meiſt auf der vierten Stufe, 
alfo im fechften Schuljahre auf, und felbit das, was in biefer Beziehung 
Heft IV ©. 35—37 geboten ift, kann nicht genügen, um bie Bebeu- 
tung ber ftarfen Verben für die Wortbildung ind rechte Licht zu 
fegen. Der Bildung von Stämmen aus den Wurgelwörtern, die in 
orthographiſcher Beziehung jo wichtig tft, ift Taum gedacht, obgleich bie 
Wortbildung in den Heften hinreichende Beachtung gefunden hat. Ein 
Borzug des Buches find die an pafjenden Stellen eingeftreuten gramma⸗ 
tifchen Uebungen und ber ftete Hinweis auf das ſchon früher Behandelte, 
obgleich hierin auch oft zu weit gegangen zu fein fcheint. Die lebten 
Abſchnitte des fünften Heftes, die Lehre von den Dichtungsarten und 
das MWörterberzeichniß find von wenig oder gar feinem Werthe; das 
legtere nübt nichts, wenn nicht jedem Worte eine Erklärung beigegeben 
tft, und die Bemerkungen, bie ſich auf die Poetik beziehen, finden am 
beften in ber Literaturgefchichte, welche dadurch doch nicht erſetzt werben 
Iann, ihre Erledigung. 


8. Nebungefihute in der deutſchen Sprade. Ürfte Stufe. Herausgegeben 

ebrerverein zu Hannover. Fünfte Auflage. 24 ©. Preis: 
20 Pi. Zweite Stufe DBierte Fr 48 8. Hannover, Hahn'ſche 
Buchhandlung. 1874. Preis: 30 Pf. 


auf dem Gebiete des beutjchen Sprachunterrichte. 409 


Die beiden vorliegenden Stufen ber Uebungsſchule in der beut- 
fchen Sprache bieten außerordentlich wenig und find daher nur für bie 
unteren Klaflen der Volksſchule zu brauchen. Im eriten Hefte wird 
zwar vom Satze ausgegangen, aber doch nur bie Laut: und Wort- 
lehre genauer behandelt, im zweiten Hefte bleiben auch die Haupt⸗ 
und Eigenfhaftswörter im Mittelpuntte der fprachlichen Behandlung 
ftehen, und die Betradytung der Beitwörter ift noch ausgejchloffen. 
Die Lehre vom Satze ift nebenbei behandelt, hoffentlich werden bie 
weiteren Stufen das Fehlende nachholen. 

9. Kleine deutfhe Sprachlehre nebſt Uebungsaufgaben und einem 
Anhange: Sagausdrudslehre und Auffaglehre Kür Schulen. 
Bon Dr. Heintih Theodor Traut, o. d. Lehrer in Leipzig. Zweite, 
verbefferte Auflage. Leipzig, Verlag von C. Merfeburger. 1874. VIII u. 
119 ©. Breis: 60 Pf. 

Nachdem der Berfafjer im erften Abjchnitte die Lautlehre und 
Rechtſchreibung kurz behandelt hat, wird die MWort- und Formenlehre, 
die Satz- und die Sapzeichenlehre angefchlofjen. Das hier Gebotene 
it einfah und richtig in methobifcher Reihenfolge bargeftellt. Hier 
und da verleitet die Kürze bed Ausbrudes zur Unbdeutlichfeit, denn 
wenn ed 3.2. ©. 25 heißt: Die ſtarken Zeitwörter verändern ihren 
urfprüngligen Bocal, fo läßt fich dabei nicht viel denken, wenn nicht 
die Fälle, wo dieſe Veränderung eintritt, näher bezeichnet werben. Im 
Anhang findet man als eine dankenswerthe Zugabe eine furze An- 
weiſung zum ausdrucksvollen Leſen und eine Auffaglehre. In beiden Ab- 
ſchnitten enthalten, zwar nichts Neues ift, da ber Lefer vielfach Gelegenheit 
haben wird, beim Unterrichte im Deutichen derartige Bemerkungen einzu= 
ftreuen, doch find fie für diejenigen, die fich auch außerhalb ihrer Schulzeit 
noch über derartige Sachen unterrichten wollen, nicht ohne Nuten, 

10. Sprachbuch für die Deutfche Volksſchule. Zur Einübung und 
Begründung der Sprache, Rechtſchreibe- und Aufiatlehre mit befonderer 
Nüdfiht auf die häuslichen Schularbeiten bearbeitet von C. Palm, Lehrer. 
Berlin, Berlagsbuchhandlung für Schul- und Erziehungsweſen. (Paul 
Muskalla.) Kodfir. Nr. 19. 56 S. Preis: 25 Pf. 1874. 

Der Inhalt des Büchleins führt und Rechtfchreibeübungen, bie 
Wortarten, die Wortbiegung, die Wortbildung, die Satlehre, noch 
einmal die Nechtichreibung, Mebungen im Anfertigen von Auffäben und 
Briefen, von Geſchäftsaufſätzen und Gefchäftsbriefen und endlich noch 
Uebungen im Gebrauche von mir und mid), dir und dich u. f. w. vor, 

Mehr kann mohl auf fo beichränktem Raume faum geboten wer- 
den. Ob freilih mit derartigen fragmentarifchen Arbeiten für die 
Spradbildung der Volksſchule Wefentliches erreicht wird, läßt ſich be— 
zweifeln, da wir doch aud dem ärmften Schüler vom Reichthum 
unfrer Sprache, von ber Fülle ihrer Formen mehr bieten müflen als 
in derartigen kurzen Abriffen, wie der vorliegende ift, gefchiebt. 

11. Des Kindes Spradheft, oder praktiſche deutſche Sprachlehre. 
Bon Wil. Friedrih Dürr, Lehrer und Geometer zu Finthen bei 
Mainz. Pünfte, vermehrie Auflage. Worms, Berlag von Th. Geuß. 
fi. 8°. 56 ©. 1874. 


410 Die neueſten Erjcheinungen 


12. Kleine deutfhe Sprach-und Rechtſchreibelehre. Bon. Ger- 
lab. Vierte Auflage. Deſſau, Schnellprejjendrud und Berlag von 9. 
Neubürger. 1874. 40 S. Preis: 35 Pf. 

18. Grundlinien für den Unterridt in der deutfhen Sprade 
von Dr. Petermann, Rector der böhern Würgerfchule zu Croſſen. Dritte 
Auflage. Erofien, Verlag von Felix Appun. 25 S. Pieis: 25 Pf. 1874. 

14. Der Sprabichüler in der Landſchule. Ein Hilfstüdlein beim 
Unterrichte in der deutſchen Sprachlehre, im Rechtſchreiben und fhriftlicden 
Auflage in Beiſpielen, Yebren und Webungsaufgaben. Bon Vinzenz 
Murr, Profeffor an der f. k. Bildungsanſtalt für LXebrerinnen zu Innde 
brud. weite iuflage. Innsbruck, Berlag der Wagner'ſchen Univerfitätss 
Buchhandlung. 1874. 79 S. Preis: 60 Bf. 


Sämmtliche vier Schriften enthalten eine knappe Zulammenftellung 
deſſen, was man gewöhnlich aus dein Gebiete der deutſchen Eprad)= 
lehre für Volksſchulen ala hinreichend erflärt hat. Daß in diefer Be— 
ziehung die Unfichten auseinander gehen, ift leicht denkbar; in dem 
einen oder andern diefer Heitchen glaubte man noch Einiges aus ber 
Nechtichreibe: und Etillehre beigeben zu müflen. Da derartige Schrife 
ten für die Hand der Schüler beftimmt find, ift ihnen immer ein ge» 
wiſſer Abſatz ficher, und es ift daher nicht zu verwundern, wenn ſie 
bald in vielen Auflagen verbreitet find. 

15. Kleine deutfhe Spradlebre von H. Bohm und WB. Steinert. 
Sieben und zwanzigſte Auflage. Preie: 27, Sgr. Berlin, Verlag von 
Theodor Kampffmeyer. Friedrichſtr. 52/53. H. 8%. 45 ©. 1875. 

Das Erfcheinen des Büchleins in der fünfundzwanzigiten Auflage ift 
ein ficheres Zeichen für die weite Verbreitung und bie Braudhbarteit 
befjelben. Die lebten 12 Auflagen erfcheinen nur unveränderte Ab⸗ 
drüde zu fein. Das Buch würde fih jedenfalls noch mehr Freunde 
eriverben, wenn Drud und Papier beifer wären. 


16. Sprachliche nebungen für die Hand des Lehrers in der 

Mittel: und Oberklaſſe der Elementarfchule von G. Diedrich, Lebrer 

in Münfteretfel. Schweinfurt, Ernft Stör's pädagogifcher Verlag. 1874. 

418. Preis: 45 Pf. 

Es ift nicht recht erfichtlih, meldem Zweck ein Buch wie bas 
vorliegende dient. Iſt es für den Gebrauch des Lehrers beitimmt, jo 
würde dieſer wegen der Dürftigfeit des Dargebotenen dadurch fich nicht 
befriedigt erflären, ift es für die Schüler bejtimmt, fo können auch 
diefe wegen der ganzen Anlage des Buches Teinen Nuten daraus 
ziehen. Die Arbeit charakterifirt ſich ald eine oberflädhliche, denn was 
fol man zu Säten fagen, wie: „Ein Sag ift e8, wenn man bon 
einem Gegenjtande etwas fagt, dad man verftehen kann, das einen 
Sinn gibt, nicht wenn man einen Gegenftand ober eine Thätigfeit 
oder eine Eigenjchaft bloß nennt“ ober: „Was außer Subject und 
Prädicat ſich mandmal im Satze noch findet, it eine Beftimmung‘‘? 
Es unterwinde fich nicht jeder, Schriftfteller zu fein! 

17. Uebungen in der deutſchen Sprade oder Wortlehre In Verbin, 
dung mit den Grundzügen der Saplehre für bie unteren Kurſe der Mittel» 
fhuten bearbeitet von J. Ev. Haſelmayer, k. Realienlehrer an der Kreis⸗ 


auf dem Gebtete des deutſchen Sprachunterricht. 411 


gewerbfehufe zu Würzburg. „änburg, — J. Staudinger'ſchen 

Buchhandlung. 1875. 226 S. Preis: 

Dem Titel nach zu —*8* ‚ hält ber Berafe die beutfche 
Sprache mit Wortlehre für identiſch, bie er dann in Verbindung mit 
ben Grundzügen der Satlehre in Verbindung bringen will. Wie man 
ıhon aus dem Zitel nicht recht erfennt, mas der Verfafler will, jo 
auch nicht aus dem Inhalte des Buches” ſelbſt. Er ift allerdings ein 
Feind der längft verlafienen Methobe, das Richtige durchs Faljche 
zu lehren,. führt aber bafür die nicht viel befjere ein, die Uebungsbei⸗ 
fpiele durch angedeutete Wörter oder Saptheile zu ergänzen. ‘Der 
Unterrichtsftoff ift fo vertheilt, daß im erſten Abjchnitte der einfache 
Sat, im zweiten die Etymologie oder Wortbildungslehre, im britten 
die Zautlehre und Rechtſchreibung, im vierten die eigentliche Wortlehre 
und im fünften die Lehre vom mehrfachen Sage behandelt wird. So 
einfah auch ein großer Theil der Uebungen tft, jo wird dod an 
manden Stellen aud, beſonders im Abfchnitt der Wortbildungslehre 
von den Schülern eine jehr eingehende Sprachkenntniß, die man kaum 
erwarten darf, vorausgefett. Auf S. 27 ift die Aufgabe geitellt: 
„In wiefern ift e der Umlaut von a in: „Die Brezel, der Egel, der 
Efeu, das Gehege, der Eſſig?“ So werben ungefähr noch 80 bis 
100 Mörter aufgezählt und als Beifpiel, wie die Aufgabe gelöft mer- 
den fol, ift gegeben: Die Bregel von bracello, d. h. Aermchen, be: 
bende von bi und hant — bei der Hand. Wem foll man von den 
Schülern der Unterklaſſen unfrer Mittelichulen zumutben, zu millen, 
daß Efeu vielleicht aus apium (Eppich) und hewe — Heu, Eiftg aus 
acetum abgeleitet ift, Ferge mit varn, Ylechfe mit vlahs (Flache), 
Scherge mit scarjo — Scharführer zulammenhängt? Ebenſo verlangt 
8 83 auf ©. 42: eine Wort: und Saderllärung von Worten tie 
Aberacht, Afterfönig, Bräutigam, Eidam, Hage(l)ſtolz, Himbeere, Holun⸗ 
der, Nachtigall, Raufbold, Duadfalber und vielen andern ähnlichen. 
Derartige Aufgaben werden felbft vielen Lehrern noch Kopfzerbrechen 
machen. Ohne auf die Formen bes Alt: und Mittelhochdeutſchen zurück⸗ 
zugreifen, gibt uns ſchon der jetzige Beſtand des deutſchen Wortvorraths 
eine ſo reiche Ausbeute für unſere etymologiſchen Zwecke, daß wir mit 
der Klärung und Sichtung des Vorhandenen genug zu thun haben. 
Kommt der Lehrer bei Erklärung eines Wortes auf ſeine frühere Form 
und Bedeutung, ſo wird er dies gewiß beachten. Wir wiſſen recht 
wohl, daß in unfrer deutſchen Sprache und in der Geſchichte der ein- 
zelnen Wörter ein gutes Stüd deutiche Kulturgefchichte liegt, und daß 
ber phantafievollen Jugend durch Erſchließung ber zahlreichen ſprach⸗ 
lichen Bilder ein hoher Genuß geboten wird, aber dem Lehrer allein 
fol es überlafjen bleiben, diefe Erklärungen an paflender Stelle, etiva 
bei der Beiprechung eines Sprichwortes oder Leſeſtückes zu geben, denn 
er allein wird die Sprade und Gefchichte des Volkes hinreichend be: 
berrichen können. 

An Bezug auf die Orthographie weicht das Buch ganz mejentlich 
don der allgemein üblichen ab, wenn ſich aber auch die Abweichungen 


412 Die neueſten Erſcheinungen 


zumeiſt hiſtoriſch begründen laſſen, z. B. töten, Bickelhaube (— daneben 
hat der Verfaſſer aber doch Tod und picken), ſo wird doch kaum an⸗ 
zunehmen ſein, daß dieſe Schreibung ſpäter einmal die maßgebende 
ſein wird. Bis jetzt wird dadurch die Verwirrung nur noch größer. 

18. Uebungsbuch zur deutſchen Grammatik. Nach Jahrescurſen geordnet. Don 

Gottfried Gurcke. Elite Auflage. Hamburg, Otto Meißner. 1874. 

88 ©. Preis: 60 Bf. 

Das Buch ift Schon in früheren Jahrgängen des Jahresberichtes 
beiprochen und empfohlen worden. Seit dem Jahre 1872 hat e3 
jech8 neue Auflagen oder Abdrücke erlebt, das ift ein ficherer Beweis 
feiner Brauchbarkeit und feiner großen Verbreitung. 

19. Uebungsſtoffe für Den deutfhen Sprahunterridt in Boll 
ihulen. Bon 2, Heinemann, dirigirendem Lehrer ter zweiten Bürgers 


ſchule zu Wolfenbüttel. Braunfchweig, Verlag von Harald Bruhn. 1874. 

80 S. Preis: 50 Br. 

20. Srammatifche Uebungen für deutfche Volkäfhulen. 1., 2. u. 3. Schüler 
beit. Dom Seminardirector J. Haug in Schlettftadt. Areiburg im 
Breisgau, Herder'ihe Verlagsbuchhandlung. 1874. 14, 26 u.33 ©. N. 8°. 
Preis: 10, 20 u. 20 Bf. ’ 

Im erften Schriftchen geben auf 16 Seiten ortbographiice 
Vebungen voraus, daran fchliegen fi Uebungen aus der Wort: und 
Saglehre, und als Anhang folgen einige Gefchäftsauffäte. Die Me 
thode, nach welcher die in den Sätzen fehlenden Wörter oder die in den 
Wörtern fehlenden Lautzeihen dur die Hand des Schülers ergänzt 
werden, iſt zum Uebermaß angewendet, fie läßt fih nur bei ortho⸗ 
graphifchen Uebungen rechtfertigen, bei grammatifchen führt fie leicht 
zur Gedankenloſigkeit. Sonft ift in Bezug auf Anorbnung und Fort 
fpritt der grammatifchen zu ftiliftiichen Uebungen das günftige Urtheil, 
weldyes über die frühere Auflage im 23. Bde. gefällt ift, nur zu 
wieterholen. 

Das zweite Schriftchen hat denfelben Zweck als das ebengenannte 
und jchlägt auch ziemlich denjelben Gang ein. Da es für ſüddeutſche 
Schulen in erjter Linie bejtimmt ift, fo find die Uebungen in der 
Rechtſchreibung und im Gebrauch der richtigen Wortformen bevorzugt, 
Dagegen Uebungen aus der Saplehre nur in geringem Maße vorhanden. 
21. Wortformenlehre der deutfchen Sprache für die oberen Klafjen der Vollks⸗ 

Schule. (Mit einer kurzen Saplebre.) Zuſammengeſtellt von einem praltiſchen 


Schulmann. Siebente, verbejjerte Auflage. Brünn, Drud und Verlag von 
Buſchak und Irrgang. 1873. IV u. 176 S. Preis: 1 Mark. 


22. Tie Saplehre nad unterrichtlihen Brundfägen für Volles und Bürger- 

Kaum (mit vielen Aufgaben), bearbeitet von B. Schade, Lehrer an den 

äbtifhen Schulen in Halle a. S. Halle, Berlag von Schroedel und 

Simon. 1875. 40 ©. Preis: 30 Br. 

Beide Schriften ergänzen fih. In der erften, ber Wortformen⸗ 
Iehre, ift auch eine kurze Satzlehre beigegeben, die für die Volks⸗ 
ichule genügen würde. Das Buch verdient den ungetheilten Beifall 
der Lehrerichaft, der Stoff ift klar und überfichtlich dargelegt, alles 
Unweſentliche iſt fern gehalten, ſelbſt die technijchen Ausbrüde find 





4 


auf dem Gebiete des beutfchen Sprachunterrichte. 413 


möglichft befchräntt, auch fehlt nichts MWefentliches, fo daß die Arbeit 
mit Nutzen in der Schule angeordnet werden Tann. Es iſt gewiß 
nur ala Drudfehler anzufehen, daß ©. 26 anftatt Maler durchgängig 
Mahler zu finden ift, außerbem hätten die Wörter hauptwörtlich 
und beimörtlich mit andern vertaufcht oder umſchrieben erben 
können. — Die Satlehre von Schade gehört ebenfalls zu den beſſern 
Arbeiten dieſer Art, fie zeichnet fi aus durch ihre Einfachheit bei 
aller Vollſtändigkeit, ihre Weberfichtlichkeit, ihre Kürze und Beſtimmt⸗ 
heit im Ausdruck. Die zur Einübung der einzelnen aus Mufterfäben 
geivonnenen Regeln beigegebenen Aufgaben find gut ausgewählt. 


2. Grammatiide Schriften für höhere Schulanftalten und 
r die Hand des Lehrers. 


23. Deutſche Schulgrammatit von Dr. Fr. Oftertag. Pfarrer. Stutt- 
gart, Gommiffionsverlag von Wildt's Buchhandlung. (Blöm und Evers). 
1874. XVlIu. 212 ©. Preis: 2,60 M. ' 

Bortformenlehre Der deutfhen Sprache für die Hand des Schülers von 

Dr. Fr. Oftertag, Bfarrer. Auszug aus des Verfaſſers deuticher Schul⸗ 

grammatil. Stutigart, Commiffionsverlag von Wildt's Buchhandlung, 

(Blom und Evers). 1874. 48 &. Preis: 50 Pf. 

Der Verfaſſer, dem auch wie Denzel (vergl. beffen Unterrichts⸗ 
lehre III. Bd. ©. 82) „der beutfche Sprachunterricht ein Nehrgegenftand 
ift, welcher an Wichtigkeit nur dem Religionsunterrichte, ald Ent 
widlungsmittel der geiftigen Anlagen überhaupt nicht einmal diefem 
weicht”, verlangt zur Begründung einer tüchtigen Sprachbildung einen 
tüdtigen formal und material bildenden Unterricht in der Grammatik. 
Da faft überall in Deutichland das Dialektiiche im Volksverlehr vor⸗ 
herrſcht, muß das Neuhochdeutſche, die Schriftſprache ſchulmäßig gelernt 
werden, und dies kann nur geſchehen durch Hören, Leſen, Schreiben und 
Sprechen. Das richtige Schreiben und Sprechen erfordert grammatiſche 
Kenntnifje, und dieſe werden vom zweiten Schuljahre an auf dreifachem 
Wege gewonnen: 1) auf dem Wege ber Theorie (der theoretifchen, 
rationellen, docirenden, boctrinären, dynamischen Untermeifung); 
2) auf dem Wege der Mechanicität, des Eindrillens; 3) auf bem 
Wege der Prarid oder Anwendung im Sprechen und Schreiben bes 
dynamiſch und mechaniſch Exlernten. Keiner diefer Wege führt allein 
zum Siele, denn fomwie die rationalzdbocirende Methode nur die fähigeren 
Schüler fördert, fo führt die mechanifche Methode, allein gehandhabt, 
zum handwerksmäßigen Betrieb der Sprade, daher muß eine Ber- 
einigung ber brei genannten Wege eintreten. Für Die medanifch- 
dynamiſche Methode, : wie fte fich ber: Verfaſſer denkt, und bei welcher 
ein gründliches, fehriftliches und mündliches Decliniren und Gonjugiren 
einen Angelpunft des ganzen grammatilchen Unterrichts bildet, hat er fein 
entfprechendes Lehrbuch vorgefunden; besgleichen Teins, in welchem bie 
Mortformeniehre als: die Grundlage des ganzen Sprachunterrichts, 
namentlih aber die Flexion des Subſtantivs und: bes Verbs als ber 
zwei fchwierigfien Sprachtheile, ſchulgerecht verarbeitet unb ihr Organis⸗ 


414 Die neueften Erfcheinungen 


mus nicht Inapp und abgekürzt, fondern ausführlich und durdfichtig 
genug bargelegt wäre, um fchon bei dem äußeren Anblid Iehrhaft zu 
fein. Daber bat er fih zur Abfafiung der vorliegenden Grammatik 
entſchloſſen. Gemäß ben Anſichten bes Verfaſſers fteht Die Wortlehre, 
(die Wortbildungs: und Wortbiegungslehre), im Mittelpunlte der Bes 
handlung, der eine kurze Laut: und Silbenlehre vorangebt und ein 
funtaftifher Anhang folgt. Es ift in dem Gegebenen ein reiher Schaf 
ſprachlichen Willens niedergelegt, der die Sorgfalt und den Ernft, mit 
welchem ber Berfafler feine Sprachſtudien betrieben bat, kund giebt. 
Vielleicht Hat die Vorliebe für das Süftematifiren ihn doch bier und 
da zu weit getrieben. Das zeigt fi beionders bei der Declination 
des Subftantivs, welche ber organischen Entwidlung ber Sprache zu⸗ 
wider in eine fünffache eingetheilt ift, und wollte man die Gafus- 
endungen allein berüdfichtigen, fo würde noch eine mehrfache fich er- 
geben. Ebenſo ericheinen ung die Spaltungen in den Gonjugationd« 
formen zu weit zu geben, wenigftens bürfte die zweite Conjugations⸗ 
weile des Paſſivs mit jein außer der mit werden ungeredhtfertigt 
als eine hefondere aufgenommen morben fein. Bei dem häufigen 
Gebrauch der grammatifhen Terminologie kommen merkwürdige Caſus⸗ 
bildungen vor, die in der deutſchen Sprache nicht mehr gerechtfertigt 
find; kein Menſch wird dad Wort Evangelium im Deutſchen nad 
feinen Inteinifchen Pluralendungen dellinixen, mie ja auch die Iateinifchen 
Singularendungen nur ſehr vereingelt noch bei Kanzelvorträgen gehört 
werden. Daneben nehmen fi die ungeheuerlichen Bildungen wie bie 
Tempujle und Genufle merfwürbig aus. Ueber einige etymologifche Ab⸗ 
leittungen möchten wir noch mit dem Verfafler rechten; jo fönnen wir das 
alte deutfche Wort diutisc, thiuda Volk zum Volk gehörig nicht mit dem 
griechifchen Idiotes zufammenftellen ; ebenfo hängt Elend nicht mit Allend, 
al End, fondern mit alli lande zuſammen, fo daß ein Elender nicht ein 
folder it, der an all End gelommen iſt, fondern ber in alli lande, in 
die Fremde getrieben wird, weil ja die Fremde, das Exil, als ber 
Inbegriff alle Unglüds bei unfern Vorfahren galt. Auch die Zus 
jammengebörigfeit von Gefpenft und Span läßt fich ſchwer nachweiſen, 
vielmehr iſt Geſpenſt unferm fpannen, in alter Zeit „loden“ verwandt, 
wonach fih das Geſpenſt als etwas Lodendes erflären läßt. Luther 
bat bie Bebeutung bed Spannen für loden noch gelaunt, da er in 
der Erklärung zum 10. Gebote das Wort abfpannen für abloden 
gebraudt. Trot aller diefer Bemerkungen halten wir doch die Arbeit, 
obgleih uns für die fprachlicde Bildung unfrer Schüler ber borge- 
Schlagene grammatifche Weg nicht allein hinreichend erfcheint, für eine 
fehr anregende, und können fie dem Stubium ber Lehrer beitens 
empfeblen. 

Die Wortformenlehre, melde als Auszug aus des Berfaflers 
deutſcher Schulgrammatit befonbers gebradt ift, iſt für die Hand des 
Schülers beitimmt und erfcheint uns für biefen recht brauchbar. 


24. Die deutſche Grammatik und ihre Schwierigkeiten. Gin E — 
für alle biäher erſchienenen deutſchen Grammatiken von Martin Wilhelm 








auf dem Gebiete des deutfchen Sprachunterrichts. 415 
Sraſch Stuttgart, Verlag von Julius Mater: 1874. VII u. 196 ©. 
gr. 8°, 


Das Buch fett ſchon eine tüchtige Kenntni der Grammatif 
boraus, es will dort eintreten, too die Aufgabe der Schule aufhört, 
es will auch dem Gebilveten ein NRathgeber und Wegweiſer in allen 
Schwierigkeiten unfrer Mutteriprache fein, um ihm das Weſen derſelben 
zu erfchließen und eine richtige logiſche Auffaflung anzubahnen, damit 
er in fchwierigen Fällen nach den ihm gebotenen Duellennachweifen 
ſich nach dem Geifte echter. Klafficität ausdrücken könne, und bei etwa 
entftebenden Zweifeln die Belege finde, wo der gefuchte Ausbrud ober 
die betreffende Wendung zu finden ift. Das reiche Material, welches 
im Buche niedergelegt iſt, it nach den einzelnen Wortarten gruppirt, 
vorzüglich ausführlih ift die Mortbildung, die Declination und 
Conjugation, behandelt. Was die lettere betrifft, fo können wir nicht 
einfehen, warum die ftarlen und ſchwachen Verben ſtark⸗ und ſchwach⸗ 
förmige oder gar ftarfablautende genannt werden, die erfte Bezeichnung 
ift als die feſtſtehende und allgemeine wohl immer mehr einzuführen. 
Unter dem Berzeichniß der ftarlen Verben, das übrigens wohl nicht 
auf Vollftändigfeit Anspruch macht, find Verben, welche der gemijchten 
Gonjugation, wie brennen, bringen, denken, Tennen, können u. f. w. 
angehören, aufgenommen. Das Buch bat aber nicht die Aufgabe einer 
ausführlihen Grammatik zu erfüllen, jondern will nur in zweifelhaften 
Fällen durch die vielen beigebrachten Beilpiele aus den Claſſikern Aus- 
funft und Rath ertheilen. Diefen Zweck erfüllt e8 auch und ift des⸗ 
halb nicht bloß den Lehrern, fondern aud reiferen Schülern, ſowie 
allen Gebildeten, denen die Pflege ihres Stil am Herzen liegt, zu 
empfehlen. 

25. Grammatit der deutfchen Sprache für Mittelihulen und verwandte Ans» 
falten befonderd in mehrſprachigen Ländern von Anton Heinrich, Pro- 
feffor am kaiſerl. königl. Obergymnafium in Laibach. Zweite, vermehrte 
unb verbefierte Auflage. "Saibac, Trud und Berlag von Ignaz von Klein- 
mayr und Ferd. Bamberg. 1874. VIII u. 176 ©. Preis: 1 Mark 80 Pf. 
Daß die erfte Auflage ber vorliegenden Grammatik binnen Jahres» 

frift vergriffen ift, iſt das fiherfte Zeichen von der Beliebtheit, melde 

ſich das Buch in biefer kurzen Zeit in den öſterreichiſchen Mittelichulen 
erworben bat. Wir Fünnen, da die Veränderungen in diefer neuen 

Auflage nicht ſehr ernftlich find, auf die Beſprechung im XXV. Bde. 

biefer Blätter ©. 467 f. binweifen, wobei wir noch hervorheben, daß 

ber Werth des Buches durch die getroffenen Verbeſſerungen geivonnen 
bat. Bei forgfältiger Benugung wird bafielbe ein gut Theil zur 

Pflege der deutſchen Sprache in ben mehripracdhigen Provinzen Defter« 

reich8 beitragen können. 

26. Schulgrammatit der neuhochdeutſchen Sprache für deutſche Mittelſchulen. 
Don Lüning, Profefior an der Kantonsfhule in Zürich. Sechſte, mit 
befonderer Rück q̊t auf die Secundarſchule um earbeitete Auflage. (Bon 
dem Erziehungsrathe des Kantons Zürich als obligatorifches Bette der 


ürther Secundarfhulen erflärt.) Zürich, Verlag von Meyer und Zeller. 
4 Meimann.) 1874. VII u. 109 S. Preis: 1 Marl 20 Bf. 3 


416 Die neuejten Erjcheinungen 


Das Buch erfreut ſich in den Schweizer Schulen, befonbers in 
benen bes Stanton Züri einer großen Verbreitung und mit Hecht, 
benn es gehört zu ben forgfältig gearbeiteten Schulgrammatifen. Es 
beginnt mit ber Betrachtung des einfachen Satzes, behandelt ausführ⸗ 
lich die einzelnen Theile deflelben und fchreitet dann zu den zuſammen⸗ 
geſetzten Sägen fort, von denen die Sakverbindungen, Satzgefüge, zu⸗ 
fammengegogen, verfürgten und mehrfach zufammengefegten Säbe (Peri⸗ 
oben) der Reihe nach beiprochen erben. 

Der zweite Theil enthält die Abwandlung ober Biegung ber 
Wörter (Flexion), der dritte die Wortbildung (Etymologie), Unjre 
beutichen GOrammatiken haben gewöhnlich die umgelehrte Eintbeilung 
und ftellen daher die Saplehre Hinter die Wort: und Wortbildungs⸗ 
lehre, da zum bollftändigeren Verftänpniß ber letzteren ſchon ein reiferes 
Urtheil der Schüler verlangt wird. Eigenthümlich erjcheint uns bie 
Benennung des Attribut ald AYufchreibung und bie Schreibung ber 
zweiten Perfon des Plurals im Präfens von fein mit t, aljo: ihr ſeit 
geweſen. Daß die Beifpiele vorzugsweile aus Schillers Tell entnommen 
Ind, gereicht dem Bude nur zum Vortheil und ber Erpertencommiffion 

Süricher Erziehungsrathes, auf deren Vorſchlag es geicheben ift, 
zur ganz bejonderen Ehre. 


27. Grammatik der deutfhen Eprade. Bon Lorenz Engelmann, Trofeffer 
am tönigl. Ludwigsgymnaſium in Münden. Zweite, verbeflerte Au Iape- 
Bamberg, Verlag der Buchner'fhen Buchhandlung. 1872. Preit: 1 M. 


Schon beſprochen im 23. (S. 300) und 25. Bde. (S. 465) des 
Sabresberichts. 

28. Deutfche Alementargrammatil für böbere Lehranſtalten, Gymnafien, Lyceen 
und Realſchulen. Bon Th. Friedrich Koch. Fünfte, verbeſſerte Aurlage. 
Nah dem Tode des Verfaſſers beforgt von Dr. Eugen Wilbelm. Sena, 
Mauke's Berlag (Hermann Duff). 1873. VIII u. 69 S. 80 Pf. 

Da diefe Elementargrammatil fi in der neuen Auflage nicht 
weſentlich von ber vorhergehenden unterjcheibet, fo kann auf die empfeh⸗ 
lende Kritik des Buches im 21. Bde. (S. 565) des Jahresberichts 
Dingewiefen werben. Unferm Urtheile nach tft die Satzlehre im Ver⸗ 
bältniß zur Wort: und Wortbildungslehre zu dürftig behandelt worden, 


29. Elementarlehre der deutfchen Sprade. (Kür Mittelfchufen) Metbodiſch 
dargeftelt von Dr. Ferdinand Hermes. Zweite, verbefierte Auflage. 
Se Verlag von 93. Guttentag. (D. Collin) 1874. 106 ©. Breit: 
75 Pr. 


Auch diejes Buch bat fchon in feiner früheren Auflage im 23. Bde. 
S. 302 f. ausführliche Beiprehung und warme Empfehlung gefunden. 
Die letztere muß an diefer Stelle wiederholt werden, ba bie Aus» 
ftattung und der Drud fo vorzüglich geworden find, daß das Schrift 
hen in dieſer Beziehung vielen Schulbühern ala Mufter aufgeftellt 
zu werden verbient. Das Buch feheibet fih in die Unterftufen, die 
den Laut, den Buchſtaben und das Wort nach feinen verfchiebenen 
Arten und nad beren Biegung umfafjen, in die Mittelfiufen, die es 





auf dem Gebiete bes deutſchen Sprachunterricht, 417 


mit der Wortbildung und dem einfadhen Satze und in die Oberftufen, 
bie es mit dem zufammengejehten Sage zu thun haben. Ein vierter 
Abſchnitt behandelt noch die Rechtichreibung und den Schreibgebraud, 
ein orthographifches Berzeichnig der michtigeren Wörter fchließt die 
Elementarfprachlebre ab. ' 


30. Lehrſtoffe für den deutfchen Sprachunterriht in Seminarien und andern 
höheren Lebranftalten. Bearbeitet und geordnet von J. G. Elterich, 
Seminardiretor in Oſchatz. Zweite, vermehrte und verbefierte Auflage. 
Leipzig, Verlag von Julius Klinkhardt. 1874. XI u. 144 ©. Preid: 1,60 M. 
Die erite Auflage des betreffenden Buches ift Schon ausführlicher 

im 24. Bd. bes Sahreöberichtes S. 377 befprochen und empfohlen 

worden. In der vorliegenden Auflage blieb die Anlage diejelbe, nur 

wurde das Buch durch einen Abriß der Synonymik bereidert. Damit 
ift gewiß eine ſehr ſchätzenswerthe Zugabe dargeboten, wenn fie auch 
nicht in der Anlage des Werkes Iag. Wielleicht hätte ſich der Werth 
besjelben noch erhöht, wenn anitatt jener, wie ſchon in der Beiprechung 
der erften Auflage bemerkt wurde, ein Abriß der Gejchichte der deutfchen 

Sprache gegeben worden wäre, ba ja auch nad den neuen Ceminar= 

ordnungen die Seminariften — tie überhaupt die Zöglinge höherer 

Bildimgsanftalten — nicht ohne alle Kenntniß der früheren Sprad- 

formen, des Alt: und Mittelhochdeutjch bleiben dürfen. Bei den ge= 

fteigerten Anforderungen genügt auch der Abriß der Gefchichte 
der beutjchen Literatur nicht mehr. Die auögezeichneten Hilfsmittel, 
welche gerade in diefer Beziehung den Schülern geboten werden können, 
machen im Sprachbudje einen Abriß wie den erwähnten überflüffig. 

Trotz all diefer fi) auf die Anlage des Werkes beziehenden Ausstellungen 

ift das Buch in Bezug auf feine Vollſtändigkeit, Beftimmtheit und 

Sorgfalt in der Darftellung vor vielen andern ähnlichen auögezeichnet. 


IH. Stil- und Aufiatzlehre. 


31. Die Stilübungen in der Volkeſchule. ine Wegleitung für die Hand bes 
Lehrers von H. RM. Nüegg, Profeſſor und Seminardireltor. Zweite, ver» 
mehrte Auflage. Bern, Derlag der 3. Dalp’ichen Buch» und Kunfthandlung 
(8. Schmid). 1873. 80 S. Preis: Ro Br. 


Als ſich die Schulſynode des Kantons Bern in ihrer orbentlichen 
Sigung vom Jahre 1870 mit der Frage beſchäftigte: „Wie follen die 
Stilübungen auf ben drei Stufen der Volksſchule behandelt werben, 
damit fie den rechten Erfolg haben?” wurde dem PVerfaffer bes vor- 
liegenden Schriftcheng das Referat übergeben und von ihm dann meiter 
ausgeführt. Er hat damit nicht nur den Schweizer Lehrern, fondern 
auch den ferner ftehenden einen jehr guten Dienft eriviefen. Hat der 
gefammte Spracdunterriht in unfern Bolksfchulen die beiden Zwecke 
im Auge, das Sprachverftänbniß, d. h. die Fähigkeit, die in der Sprache 
ausgedrüdten Gedanken anderer richtig zu verftchen und die Sprad- 
fertigleit, die es mit dem richtigen Ausbrud der eignen Gedanken zu 
thun bat, jo fällt dieſer zweite Theil vor allem der Stillehre zu, und des⸗ 

Päd. Jahresbericht. XXVIT. 27 


418 Die neueften Erjcheinungen 


halb ftellt der Verfafler als ftiliftiiche Aufgabe der Volksſchule bie 
Forderung, daß durch die Stilübungen die Schüler berielben in den 
Stand geſetzt werben, fich über einen Gegenftand bes Volksbewußtſeins 
(ver aljo in ben Bereich der Anfchauungen und Borftellungen ber 
Schüler fällt) Har, unzweibeutig und correct, ebenfowohl münblih als 
fchriftlich auszubrüden. Um dieſes Ziel zu erreichen, iſt den einzelnen 
Stufen der Schule eine beftimmte Aufgabe zugetviefen, und zugleich find 
die Mittel und Wege genau beftimmt, durch welche biefelbe zu erreichen 
if. Zuvor mag bemerkt werden, daß in ben Schulen bes Kantons 
Bern ein neunjähriger Schulunterricht gefeglich ift, der ſich in brei 
Stufen mit je drei Jahreskurſen gliedert. 

Das Ziel der Unterftufe ift in der orthographiſchen Rid-» 
tigfeit zu fuchen, welches durch Abs, Nach und Aufichreiben Tleiner 
Sätze über die Gegenftände, die im Anjchauungsunterrichte beſprochen 
find, erreicht wird. Auf der Mittelftufe ift das Lefeftüd der Ausgangs- 
und Mittelpunkt fämmtlicher Sprachübungen. Die Hauptaufgabe der 
Mittelſchule liegt in der grammatifchen Richtigkeit, ohne dag 
doch die Orthographie aus dem Auge gelaflen wird. Zu den früheren 
Mitteln des Ab, Nach: und Auffchreibens, die um der grammatischen 
und orthographifchen Sicherheit noch betrieben werben, fommt noch neu 
inzu die Nach-⸗, Um⸗ und Neubildung. Die Neubildung muß unfres 

rachtens auf der Mittelftufe noch zurüdtreten, diefe gehört der Ober- 
ftufe an, bie ftiliftifche Richtigkeit ala mwefentliche Aufgabe hat. Sie 
wird erreicht durch Umbildungen und Nachbildungen (Beichreibungen, 
Schilderungen, Briefe und Geſchäftsaufſätze), endlich auch durch Neu⸗ 
bildungen, in denen fi nun endlich die gefammte Geiſtesbildung bes 
Schülers gipfelt. Wir halten ben dargelegten Plan für einen zived- 
mäßigen, fowie wir auch mit ben vorgefchlagenen Mitteln zur Er 
reichung des Zieles einverjtanden find. Sonft find noch ſchätzenswerthe 
Winke, welche die Correctur der fchriftlichen Arbeiten betreffen, beige- 
geben, fo daß das Buch als fehr brauchbarer Wegweiſer im Stilunter- 
richt empfohlen werben Tann. 


32. Aufgabenbub für den jchriftlihen Sedanlenausdrud der 
Kinder deutfher Boltsfhulen Bon 8. ©. Petermann, Director 
ber evangelifhen Freifhule zu Dresden. Erited Heft. UAUntere und 
mittlere Stufe. Siebenundgwangigie Auflage. Ladenpreis: geb. 35 Pf. 
25 Exempl. 8 Marl. VIu 76 ©. 

Zweites Heft für Oberflaffen. Vierzehnte, umgearbeitete Auflage. 
Zadenpreis: geb. 80 Pi. — 25 Exempl. 17 Marl. Dresden, Verlag von 
Alwin Huhle (Bari Adler’3 Buchhandlung). VIII u. 228 ©. 


Das Vetermann’sche Aufgabenbuh bat fich ſchon feit Jahren in 
den veutichen Volksſchulen mit Recht Eingang zu verichaffen gewußt 
und ift auch im Stande gemwefen, feine einflußreiche Stellung ſich zu 
erhalten. E3 verdient auch wie jelten ein anbres bie weite Verbreitung 
wegen feiner praftifchen Anlage und feines reichen, vieljeitigen Inhalte. 
33. W. Sommers praftifhe Auffagfhufe für Elementarfhüler 

1. Heft. Siebente Auflage. 40 ©. 2, Heft. Sechſte Auflage 48 ©. 





auf dem Gebiete des deutſchen Spracdhunterrichte. 419 


3. Heft. Vierte Auflage. 63 S. Paderborn, Drud und Derlag von 
Ferdinand Schöningh. 1874. 1. u. 2. Heft & 20 Pf., 3. Heft 30 Br. 


Aehnlich dem vorhin genannten Aufgabenbud von Petermann ent» 
ftammt die Aufgabenjchule von Sommer dem praftiihen Bebürfnifie 
der Schule. Deshalb erfreut fich diefelbe einer fich immer fteigernden 
Anerfennung und erfcheint faft aljäbrlih in neuen Auflagen. Eine 
eingehende Beiprechung der Hefte hat im 24. Bde. des Yahresberichtes 
ftattgefunden; barauf mag bier, da in der Unlage Feine bebeutenbe 
Veränderung vor ſich gegangen ift, hingewieſen werben. 


34. Stilübungen für die Mittelklaſſen der Volksſchule, methobifd 
geordnet von Louis Meyrofe, Bürgerſchullehrer in Schleiz. Erfles Heft: 

er einfahe Sag. 32 S. Zweites Heft: Der zufammengezogene Satz. 

32 S. Dritte Heft: Der zufammengefepte Sag. 40 ©. Viertes Heft: 
Bermifchte Beifpiele aus ben verfchiedenen Saparten nebft Uebungsſtoff zur 
Rahbildung und zu Diltaten, fowie Stoffe zu Aufgaben ohne Andeutung 

der Korm. 41 ©. Verlag von Ißleib und Riepfchel in Wera, à Heft 25 Pi. 


Der Berfafier bat die Stilübungen eng an bie Satzlehre ange- 
ſchloſſen und zwar fo, daß er mit den Beichreibungen, in welchen nur 
der einfahe Satz vorherrfcht, beginnt, an diefe die Reproduction 
Heiner Erzählungen anliegt, dann immer weiter zu ben zuſammen⸗ 
gezogenen und vielfach erweiterten einfachen Sägen übergeht, wobei 
theils die Naturgefchichte, theild die Gefchichte Stoff zu ftiliftiichen Auf: 
gaben bietet, und endlich die verſchiedenen Arten der zufammengejegten 
Sätze an Aufgaben aus der Naturlehre eingeübt wifjen will, woran 
fih mannigfache Geſchäftsaufſätze anichließen. Im vierten Hefte findet 
eine Wiederholung des Vorhergehenden ftatt, jo wie auch Stoffe zur 
Nachbildung und zur Neubildung ohne Andeutung der Form gegeben 
find. Somohl die gebotenen Uebungsitoffe, als auch die Behandlungs- 
weiſe berjelben fennzeichnen den Berfafler ala einen guten Methobifer, 
deſſen Arbeit mit Nuten in der Volksſchule verwendet werben wird, 
fo daß ihr meitere Verbreitung zu wünſchen ift. 


35. Ausgeführte Stilarbeiten zum dritten Hefte des deutſchen Uebungsbuches 
von Friedrich Fach, Lehrer in Bafel. Zum Gebraude für Lebrer. IV 
u. 1241 S. St. Gallen, Verlag von Huber und Comp. 1873. Preis: 
1 Mark 40 Pf. 


Schon im vorigen Bande des Jahresberichtes S. 411 beiprochen 
und empfohlen. 


36. Sammlung gleihe und ähbnfihlautender Wörter in Mufterfäßen 
Zür den hufgebraud dargeſtellt von M. Dreifuß, Lebrer in Winn- 
weiler. Neuſtadt a. d. Haardt, Berlag von N. H. Gottſchick⸗-Witter's 
Buchhandlung. 1874. IV u. 139 S. Preis: 80 pf. 


Der Verfaſſer hat ſich unſers Erachtens mit der Herausgabe 
dieſer Sammlung einer unnöthigen Arbeit unterzogen, da derartige Zu- 
fammenftellungen,, wie fie bier gemadt find, recht leicht von jedem 
Lehrer in Dictaten vorgenommen erden, ohne doc die Ausdehnung 
zu gewinnen, die ihnen im vorliegenden Buche gegeben find. Dazu 

27* 


420 Die neuejten Erſcheinungen 


fommt, daß manche Somonyme mehr als getwagt erjcheinen, man denke 
an grüßt und Chrift, gaffen und Kaffern u. dergl. mehr. 


97. a rapie en für Bolkaſchulen. Für die Oberftufe. Herausgegeben von 
G. Tſchache. Breslau, I. U. Kern’s Verlag. (Mar Müller.) 1874 
VI u 9 S. Preis: 1 M. 80 Pf. 

Das Schriftchen ſchließt fi eng an die im vorigen Bande bes 
Jahresberichtes ©. 413 beſprochenen Auffatübungen für bie Unter: 
und Mittelftufe an, bietet ebenfo wie dieſe Fabeln, Sagen, Erzäb- 
lungen und ‘Barabeln, an welde ſich noch Beichreibungen, Schilde⸗ 
rungen und Auseinanderſetzungen (worunter kleinere Abhandlungen und 
die Erklärung ſprichwörtlicher Redensarten gemeint find) anfchließen. 
Dem Lehrer bietet das Buch manches ſchätzbare Material dar, das ſich 
gut im ftiliftifchen Unterrichte vertvertben läßt, nur erjcheint und der 
Preis des Buches etwas theuer. 

38. Deutſches Stilbuh. Behandlung Dautfherkejettüde als Material 
zu Stilübungen für Mittelfhulen und höhern Lehranſtalten 
von Heinrich Stahl. I. Theil. Erzählendee. Wiesbaden, Verlag von Ehr. 
Limbarth. 1874. gr. 8% . VIII u. 176 ©. Preis: 2 Mar. 

Der Berfaffer, der leider nicht mehr die Vollendung dieſes Stil- 
buchs erlebt hat, hinterläßt der beutfchen Lehrerfchaft daſſelbe als Ver- 
mächtniß feines langjährigen Fleißes und feiner feinfinnigen Sprach⸗ 
betrachtung. An Lejeftüden, die ben beften deutſchen Schriftftellern 
und Dichtern entnommen find, fchließt er eine Fülle fachlider und 
ſprachlicher Erläuterungen an und weiß vorzüglich bei lehtern das 
orthographifche und etymologifche Element jo geſchickt zu veriveben, daß 
den Schülern der Reichthum der beutichen Sprache erjchlofien wird, 
An dieje Erläuterungen find ftiliftifche Uebungen, tie fie die Repro- 
buction in ber verfchiedeniten Geſtaltung ald Nachbildung, Umbildung, 
Erweiterung oder Verfürzung zuläßt, angelnüpft. Se nad ben ver- 
jhiedenartigen Bebürfniffen der Schulen und Klaſſen findet ein jeder 
Lehrer ſtufenweiſe geordnete Aufgaben nach den gegebenen Andeutungen, 
und ber reichhaltige, lebensvolle Anhalt der Aufgaben wird das 
Intereſſe der Schüler ſtets wach halten. Der Stoff gruppirt id 
unter die Rubriken der Yabeln, Erzählungen, Sagen und Märchen, 
die ſowohl in profaifcher als poetifcher Behandlung vertreten find. 
Die Auswahl ift eine vorzügliche, ihr fteht ebenbürtig die Behandlung 
zur Seite; und bie Lehrer, befonders die an Töchterfchulen, erben 
das Buch als ſehr ſchätzbaren Wegweiſer bei der Behandlung deutjcher 
Diebtungen mit Dank entgegennehmen. - 

39. Handbuch des ſtiliſtiſchen Unterrichtes für landwirthſchaftliche 
Kortbildungsfchulen, fowie zum Gebrauche für praftifche Landwirthe. ine 
Sammlung von Aufjägen und Aufgaben mit Dispofitionen aus dem Ge⸗ 
biete landwirthſchaftlich nüßlicher und ſchädlicher Thiere, der Pflanzen und 
Bodenkunde, des Briefwechſels und der Gefhältsaufläge des Landwirthe, 
nebft einer Anleitung zur Abfaffung telegraphiiher Depeichen und methos 
difhen und grammatitalifhen Andeutungen von F. I. 5008, Lehrer an 
der Sandwirtbfhaftlichen Winterfhule in Ravendburg. Seuttgart, Berlag 

von Eugen Uimer. 1875. XVI u. 287 ©. Preis: 3 Mark 30 Pf. 











auf dem Gebiete des deutſchen Sprachunterrichte. 421 


40. Materialien für den Sach⸗, Sprach. und Auffagunterricht in landwirth⸗ 
fhaftlihen Fortbildungsſchulen. Für die Sand der Schüler gefertigter 
Separatabdrud aus dem Handbuche des ftiliftifhen Unterrihte von F. J. 
5008, Lehrer an der Iandwirtbfchaftlihen Winterſchule in Ravendburg. 
Berlag von Eugen mer. 1875. 96 S. cartonnirt 70 Pf. 


Spezialſchulen werden auch immer fpezieller Unterrichtsmittel be- 
dürfen, ein ſolches wird bier für die landwirthſchaftlichen Fortbildungs- 
ſchulen geboten. Was es enthält, befagt der ausführlide Titel, 
manches darin iſt jo ausführlich, daß es wohl die Ziele der erwähnten 
Anftalten, die auf dem Lande fich gewiß nicht fo hoch verfteigen dürfen, 
reiten wird, daneben ift aber vieles Gute und Brauchbare vor⸗ 

anden. 


In den als Separatabdrud aus dem größeren Handbuche er: 
ſchienenen Materialien ift alles, was fih auf die Geichäftsauffäge, 
Briefe u. dergl. bezieht, weggelaſſen, und es find nur Aufſätze (zum 
Theil allerdings auch in Briefform) aus dem Gebiet ber Thier-, Boden⸗ 
und Pflanzentunde enthalten. Da diefe Ausgabe für die Hand bes 
Schülers beftimmt ift, vermiſſen wir Proben des Geſchäftsſtils darın 
nur ungern. 


41. Praktiſche Anleitung zur Abfaſſung deutſcher Aufſätze in Briefen an einen 
jungen Bund. Bon Dr. 8. Cholevius, Profelfor am Kneiphöf'ſchen 
Gymnafium zu Königsberg i. Pr. Dritte Auflage. Leipzig, Drud und 
Verlag von B. ©. Teubner. 1874. VI u. 190 S. Preis: 2 Mark 40 Bf. 

42. Dispofitionen und Materialien zu deutichen Aufiägen über Themata 
für die beiden eriten Klaffen hböberer Lebranftalten. Don Dr. 
2. Cholevius, Profeſſor am Kneipböffhen Stadtgymnafium zu Könige- 
berg i. Pr. Erites Bändchen. Siebente, verbeflerte Auflage. 1874. 8°. 

II u. 326 ©. Preis: 3 Marl 60 Pf. 
Aweltes Bändchen. Fünfte, verbefierte Auflage. 1872. 8%. XVI und 
2 ©. Preis: 4 Mark 20 Pf. Leipzig, Drud und Verlag von B. ©. 
eubner. 


Sn raſchem Fluge Baben ſich bie obenerwähnten Arbeiten des 
rühmlichſt bekannten Verfaſſers eine ber einflußreihiten Stellungen 
in ber päbagogifchen Literatur erobert; find fie es ja, bie auf unfern 
Gymnaſien und ben verivanbten höheren Unterrichtsanftalten die Weg» 
zeiger und bie Aufgabenmagazine geworden find. Wohl bat jelten 
ein Lehrer mit richtigerem Talte in der praftifchen Anleitung zur Ab» 
fafſung beutfcher Stilarbeiten die mejentlichften Punkte, auf melde e3 
dabei anlommt, zufammengefaßt und feine Borjchläge in fo intereflanter 
und verjtänblicher Weile bargelegt, als dies vom Berfafler gethan 
worden ift. In zweiundzwanzig Briefen werden zunächſt allgemeine 
Rathichläge zur Vorbereitung auf die Abfaffung der beutfchen Auffähe 
ertheilt und daran die Anleitung zu einer richtigen und tiefesen Auf: 
faſſung des Themas, zur Herbeifhaffung und Zubereitung des Ge⸗ 
dankenſtoffes, die Negeln über die Anorbnungen des Stoffes und bie 
ſtiliſtiſchen Erforberniffe der Darftelung angelnüpft. Kein junger, 
ftrebfamer Mann, — denn der Jugend ift das Buch gewidmet, — wird das 
Buch ohne Segen aus der Hand legen; felbit jedem Lehrer der deutſchen 


422 Die neueften Erfcheinungen 


Sprache wird es eine Duelle unfhägbarer Winke bei Behandlung des 
ftiliftiichen Unterrichtes fein, deshalb mwünfchten wir, daß es von feinem 
berjelben ungelejen bliebe. 


Ebenſo vorzüglich twie die Anleitung find auch die Diepofitionen 
und Materialen, von denen das erſte Bändchen 125, das zweite 100 
Themata enthält. Die Hauptgedanfen der Dispofitionen find theils 
ſtizziert, theils weiter ausgeführt, jo daß der Schüler durch den ihm 
vorgeführten Gebanfenreihthum zu meiterer Forſchung und Ausführung 
veranlaßt wird. Das Gebdanfenfeld, auf welches die Jünglinge durch 
die Themen geführt werben, ift ein jehr mannigfaltiges, immer aber 
ein intereffantes und ein nicht über den Geſichtskreis hinausreichendes. 
Die Dispofitionen enthalten ein bildfames und bilvenbes Diaterial, 
aus welchem die gejchidte Hand des Lehrers recht wohl das machen 
Tann, was die Jugend fürbert. 


IV. Schriften über Orthographie. 


Neger denn zuvor zeigt fich bie Thätigkeit unferer Sprachgelehr- 
ten und Spradjlehrer auf dem Gebiete der Orthographie, „bes wunden 
Flecks der deutſchen Sprachlehre“. Der Zerrifienheit und Berfahren- 
beit, die gerade hier noch herricht, wünſcht man ein Ende zu machen, 
und deshalb ift eö wohl allerortS mit Freuden begrüßt morben, als 
man hörte, wie felbft die Reichsſchulkommiſſion Stellung in ber Ortho— 
grapbiefrage zu nehmen beabfichtigt und den befannten und befonders 
auf dem orthographifchen ©ebiete einflußreihen Profeffor Rudolf v. 
Raumer mit den Vorarbeiten behufs Einführung einer einheitlichen 
Schreibung betraut hat. Wohl darf man kaum erwarten, daß mit 
einem Schlage die Löſung der brennenden Frage eintreten werde, aber 
doch geichieht jegt mehr denn früher, um die ſchwebende Sache zum 
Ende zu führen. Sind einmal die Grundjäge als die allgemein gil- 
tigen von Seiten der Gelehrten und der Lehrer feftgefeht und werben 
fie von der Schule aus meiter ind Volk verpflanzt, dann werben aud 
die übrigen Kreife nachfolgen. Ehe aber das Schlußwort in biefer 
Angelegenheit geiprochen wird, mag wohl noch einige Zeit vergeben, 
mag vielleicht auch noch mancher Vorfchlag gemacht werben, und die 
befannte Schreibluft der Lehrerſchaft wirt dem Vublikum noch verſchie⸗ 
bene Erörterungen, bie fi auf die orthographiſche Reform beziehen, 
darbieten. Wohl mag's gefchehen; mir nehmen jede Gabe mit Dank 
an, wenn fie vorzüglich, wie es diesmal mit den nachfolgenden Schrif- 
ten ift, berborgegangen find aus dem ernten Beftreben, einen wirk⸗ 
lichen Beitrag zur Löfung ber Trage zu gewähren. 

Wir haben in biefer Beziehung zu nennen: 


43. Die Durchführung der Drtbograpbiereform. Aus Aufirag der 
Orthographiſchen Konmiffion des Schweizeriſchen Lehrervereina ausgearbeitet 
von GErnſt Götzinger. Frauenfeld, Verlag von Jacques Huber. 1874. 
gr. 8%. 29 S. Preis: 80 Pf. 








auf dem Gebiete des deutfchen Sprachunterrihte. 423 


44. Borfhläge zur Neugeftaltung unferer Rebtfhreibung. Im 
Auftrage des Pädagogiihen Vereins zu Görlig bearbeitet von N. Miſſ⸗ 
mann, Lehrer. (Aus der Pävagogiiäen Sammelmappe. Borträge 
und Abbandlungen für Erziehung und Unterriht. In zwanglofen Heften 
herausgegeben. Erfte Reihe, erftes Heft.) Leipzig, Berlag von Siegiemund 
u. Volkening. Buchhandlung für pädagog. Literatur. IV u.96 ©. 1875. 
Preis: 1 Mark. 

Der Schweizeriſche Lehrerverein hatte in feiner Hauptverjammlung, 
die im Auguft 1872 in Yarau ftattfand, bie Anregung zu einer ortho- 
graphiichen Reform gegeben und einen engeren Ausſchuß beauftragt, 
auf Grund der in der Schmweizerifchen Lehrerzeitung befolgten verein- 
fachten Drthographie ein Gutachten auszuarbeiten, das für alle die- 
jenigen, welche fich für den Stand der Frage interejfiren, dieſelbe be- 
leuchtet und audeinanderfegt, was bisher gefchehen ift und wohinaus 
der in Gang gebrachte Strom geleitet werden follte. Zur Erledigung 
dieje Auftrages dient vorliegerides Schrifthen. Es giebt im erften 
Theile eine gejchichtliche Meberficht der Neformbemwegungen, charafterifiert 
die beiden Strömungen der einjeitig phonetifchen Schreibweife, die bie 
Herftellung einer Uebereinftimmung der Schreibung mit der Ausſprache 
fordert, und ber einfeitig hiſtoriſchen, welche die Berechtigung ber 
heutigen Ausſprache auf die Schreibung nicht anerfennt und alles von 
der Schrift entfernt Balten will, mas fi) in die organiſche Fort⸗ 
entwidelung ber neuhochdeutichen Sprache eingebrängt bat. ALS 
dritte Strömung könnte man noch die vorzüglid durch Naumer in 
Anregung gebrachten Vermittlungsverfuche bezeichnen. Die Grundzüge 
der Reform, welche vom Verfafſer auf Grund der oben erwähnten 
Aarauer Berfammlung angenommen und erörtert worden, find: die 
Vertaufhung der deutſchen Frakturfchrift mit der lateinischen Schrift, 
die Abichaffung der Subftantivmajusteln, die Abſchaffung der Deh⸗ 
nungen, die Wegihaffung des v aus deutichen Wörtern und die 
Screibung der Fremdwörter. Im dritten Abjchnitte werben noch die 
Mittel und Wege angezeigt, wodurch fich die Reform herbeiführen 
laflen Tann. | 

Noch meitere Reformen fchlägt ber Görlitzer Lehrerverein, in deſſen 
Auftrage das zweite der genannten Schriftchen abgefaßt worden ift, vor. 
Es wird ©. 41 verlangt, daß die Länge und Kürze ber Vokale regel- 
mäßig bezeichnet werden und bie Dehnungszeichen Jämmtlich wegfallen, 
daß ä und Au in ben Wörtern, in welchen die Entjtehung aus a und 
au nicht deutlich erfennbar find, e und eu zu fchreiben it, ai überall 
durch ei, v und ph durch f erjegt wird, daß die Schreibung der S-Laute 
fo geregelt wird, baß der weiche S-Laut im An= und Inlaute durch 
f, im Auslaute durch 8, der barte S-Laut nah langen Vofalen durch 
B, nach kurzen durch ſſ bezeichnet, daß th durch t, dt nach langem 
Bolale durch t, nach kurzem durch tt erſetzt wird, daß nur bie Eigen- 
namen und die Satanfänge mit großen Anfangsbuchſtaben gefchrieben 
werden, und daß die Schreibung der eingebürgerten Fremdwörter fi 
nah der Ausſprache richtet. Dazu kommen nod als Berbefjerungs- 
vorfchläge die Regelung der Silbenabtheilung, die der Ausſprache ge⸗ 


424 . Die neueften Erſcheinungen 


mäß zu erfolgen hätte, daher Kal-ten, Kat-ze; doch follen Wörter mit 
ng, b, ſch, x nad Sprachſilben abgetheilt werden, alfo fing«en, wach⸗ 
en, bafdy:en, Nir:en. Die Lautverbindung chs und bas Zeichen qu 
follen dur x ober 13 und Ein gejeht werden. Daß bie lateinifchen 
Schhriftzeihen an Stelle ber deutfchen zu treten haben, ift nachträglich 
noch zu erwähnen. 


Die Verfafier der beiden Schriftchen erivarten nur bei der Zu⸗ 
grundelegung des phonetifchen Principg eine zweckentſprechende Ortho⸗ 
graphie⸗Reform, und von biefem Standpunkte aus erfcheinen ihre Vor: 
ſchläge gerechtfertigt. 

Confervativer verhält fih Sanders in: 


45. Vorſchläge zur Fenftellung einer einheitligen Rechtſchreibung 
für Alldeutfhland. An das deutfche Bolf, Deutſchlands Vertreter und 
Säulmänner. Bon Dr. Daniel Sanders. Erſtes Heft. 1873. ZU 
u. 145 ©. Zweites Heft. 1874. VIII u. 242 S. Berlin, erlag von 
3. Quttentag (D. Colin). Preis: 3 M. 


Sanders will feine Reform, ſondern er will nur Einbeit in 
bie Drthograpbie einführen. Sein Beitreben gebt dahin, das Beſtehende 
feſt zu regeln, demnach ftelt er zwei Grundſätze auf, in benen er 
durchaus nichts Neues auöfprechen will, fondern nur dem allgemeinen 
Volksbewußtſein nach beitem Wiſſen den getreueften Ausdrud zu geben 
beitrebt if. Der erfte Grundſatz ft: Im Ganzen und Großen 
ſteht der Schreibgebraud für ganz Deutihland bereits 
feit. Demnach fann nicht die Rede fein, an das fchon Feſtſtehende 
irgendivie bie rüttelnde Hand legen und das in gejchichtlicher Entwick⸗ 
Iung Gewordene nad irgend einem Syſtem anders machen zu wollen; 
vielmehr müfjen die neuen Feſtſtellungen ſich nur auf die nicht zahl» 
reichen Punkte beichränten, in denen noch Schwanken berricht, und 
bier werden bie fpäteren Beltimmungen ſich eng an das ſchon Be- 
ſtehende anzufchließen haben. Als zweiter Grundjag gilt: Die Regeln 
und Feſtſtellungen über deutſche Nechtichreibung müflen fo einfach, 
faßlich und beftimmt fein, daß fie in der Volksſchule mit voller Sicher- 
beit au erlernen find, fo daß niemand, der bie Volksſchule gehörig 
durchgemacht, über die berechtigte Schreibiweife eines deutſchen Wortes 
im Schwanfen fein darf. Sn dem Buche geht der Verfaſſer auf bie 
Darftellung der noch ftreitigen Punkte über und fügt die nad) reiflicher 
Erwägung entiworfenen Borfchläge bei Gegenüber dem Drängen nad 
Neuerungen und Vereinfachungen werben bie Borfchläge Saunders bei einem 
großen Theile der Lehrerſchaft wenig Anklang finden. Iſt das Streben 
nach Reformen gerechtfertigt, fo muß über die jegige Schreibweile hin- 
audgegangen werden; dann find mande Borfchläge Sanderd als 
veraltete zu ftreichen, mährend das Buch aber zur einheitliden 
Herftellung ber Shon vorhandenen Drtbographie ausgezeichnete 
Dienfte leiften mwirb. 


46. Zur ortbographifhen Frage von Heinrich Erdmann. Hamburg, 
Otto Meißner. 1874. 79 S. mit 2 Tabellen. Preie: 1 M. 20 Pf. 





auf dem Gebiete des beutjchen Sprachunterrichts. 425 


Im Hinblid auf die bereinftige orthographiſche Reichsreform ver- 
fucht der Verfaſſer in feiner Schrift, ber angebahnten Reform durch 
die Schule mitteld einer Unterrichtöreform den Weg zu bahnen, durch 
welche dem orthographiichen Unterrichte eine mehr willenfchaftliche Be» 
handlung gegeben und fo auf die Erziehung eines orthographifch ge- 
bildeten Publikums bingewirtt wird. Zugleich tritt er der in ber 
heutigen orthographiſchen Literatur herrſchenden, durch die Errungen⸗ 
ſchaften der Lautphyſiologie unterſtützten, einſeitig phonetiſchen Richtung, 
die in ihrer Unduldſamkeit einen berechtigten Factor, die Etymologie, 
über Bord werfen möchte, entgegen, betont als unumgänglich 
nothwendig bei Regelung der deutſchen Schreibung eine verſtändige 
Berückſichtigung des etymologiſchen Princips und zeigt die Hand⸗ 
habung des phonetiſch⸗etymologiſchen Grundſatzes an ben haupt⸗ 
ſächlich ſtreitigen Punkten, bie praftifche Durchführung der Methode 
aber am ſtreitigſten derſelben, den S-Lauten. Im Anhange werden 
noch eine Probe der „Zukunftsorthographie“ und drei Tabellen: Ein⸗ 
theilung der deutſchen Conſonanten, Mittel-, Neuhochdeutſche Vokal: 
verichiebung und confonantifche Vokalverſchiebung der indogermanifchen 
Sprache gegeben. Un ber allgemein faßlichen, nit allzu trodnen 
Daritelung wird nicht nur die Lehrerſchaft, fondern auch das größere 
Publikum Sintereffe finden, und wir können die Schrift als einen 
ſchätzenswerthen Beitrag zur Orthographiereform empfehlen. 


47. Die ſchwankende Schreibmweife in der deutfhen Ortbographie und 
die Interpunftion nebſt einem Wörterverzeichniß für Lehrer und Die 
Schüler der oberen Klaſſen höberer Schulen von K. Senkpiehl, Rector 
der Bürger-Rnabenjhule und Bürger⸗Töchterſchule in Neuftadt-Eherswalde. 
Sangenfalge, Schulbuchhandlung von F. W. L. Gteßler. 1874. VIII u. 
94 ©. 


In ähnlicher Weife wie Sanders berüdfichtigt der Verfaffer bor- 
ftehenden Schriftchend nur die ſchwankende Schreibmweife und fucht Ein- 
beit und Feftigfeit in diefelbe zu bringen. Er behandelt zunächſt bie 
Schreibung der Wörter mit großen Anfangsbuchſtaben, dann geht er 
auf die Dehnung der Volale, die Umlaute und Diphthonge, die Kon» 
fonanten, die Auslafiung von Vokalen und den Apoftroph, die Silben: 
abtheilung und Trennung der zufammengefegten Wörter, die Ortho⸗ 
graphie der Fremdwörter und die Interpunktion über. Als Anhang 
ift ein Berzeichniß der in der Schreibweife ſchwankenden Wörter ges 
geben. Für den Schulgebrauch ift die Schrift nach dem jegigen Stand 
der Orthographie recht wohl zu brauchen. 

48. Der orthographiſche Unterricht in der Volksſchule oder: Wie If 
in der Bolksichule der Unterricht in der Orthographie anzulegen und zu 
betreiben, damit die Schüler in der Oberklaſſe zur Sicherheit in derfelben 

fangen? Bon Guſtav Wille, Lehrer in Axien bei Prettin. Wittenberg, 

erlag von R. Herroje. 1874. 23 ©. Preis: 50 Pf. 

Der Berfafler behandelt zuerft die Baſis, auf welcher ber ortho- 
graphiſche Unterricht zu errichten ift und erfennt als ſolche Mund und 
Ohr, Schrift und Auge und orthographiiche Regeln. Als das Be- 


426 Die neueſten Erjcheinungen 


trieböreglement (?), nach welchem verjelbe zu betreiben ift, erkennt er 
an, daß ſchon in der Unterflaffe ein tüchtiger Grund in ber Ortho⸗ 
graphie gelegt mwerbe, daß der Unterricht in ber Orthographie einfach 
und faßlich fei, daß er geiſtbildend ertheilt werde, daß mit der Einficht 
bielfache Uebung und Wieberbolung verbunden, daß bie Orthographie 
möglichſt vollſtändig gelehrt werde, daß fie mit dem übrigen ſprach⸗ 
lichen Unterrichte Hand in Hand zu gehen habe, daß der Unterricht 
in naturgemäßer Stufenfolge vom Leichtern und Einfachern zum 
Schwereren und Zuſammengeſetzteren fortichreite, und zwar in concen- 
triſchen Kreifen nad) beftimmtem Lebrgange. 


49. Deutfhe Rechtſchreiblehre. Ein Hilfs⸗ und Uebungsbuch für den 
ortbographifchen Unterriht auf drei Alafienftufen von Ernft Kuhl, Lehr 
an der I. Bürgerfchule in Gotba. Erſte Stufe. 1872. gr. 8°. XIV u. 
79 ©. Preis: 60 Pf. Zweite und dritte Stufe. 1874. XIV, 67 und 
57 S. Preis: 1 M. 


Die erfte Stufe diefer fleißigen und mit Geſchick ausgeführten 
Arbeit ift ſchon im 25. Bode. des Yahresberichtes S. 482 beiprochen 
worben, die beiden folgenden Stufen enthalten die Erweiterung und 
Ergänzung dazu. Sie werden da, wo das erite Heft Anwendung 
findet, eben auch mit Nuten gebraucht werden. Die vom Berfaffer 
zu Grund gelegte Orthographie richtet fih im mejentlichen nad) ben 
Sanders'ſchen Borfchlägen. 


50. Regeln und Wörterverzeichniß für die deutiche Oribograpbie, zum 
Schulgebraud herausgegeben von dem Berein der Berliner Gymnafial⸗ und 
Realſchullehrer. Sechſte Auflage. Leipzig, Drud und Berlag von B. G. 
Teubner. 1874. 32 ©. Breis: 35 Pr. 


Bereits mehrfah in biefen Blättern angezeigt und empfohlen 
(vergl. 24. Bd. ©. 401 ff.). 


51. Deutfde Orthographie und alphabetifches Wörterverzeich— 
niß für richtige Schreibung und Beugung. Don Lorenz Engelmann, 
Profeſſor am ?. Ludwigegymnaflum in München. Zweite, verbefjerte und 
mit den gebräudglichfien Fremdwörtern vermehrte Auflage. Bamberg, Verla 
der Buchner'ſchen Buchhandlung. 1872. gr. 8°. IV u. 87 S. Preis: 80 Pa 


Beiprochen und empfohlen im 25. Bde. S. 483 ff. 


52. Wörterverzeichntß zur Elnübung der deutſchen Rechtſchrei⸗ 
bung zunächſt für Elementars und Realſchulen. Bon Joſeph 
Kehrein, Director des k. Preuß. kathol. Schullehrerfeminare zu Diontabaur, 
Ritter ꝛc. Dritte, verbefferte und vermebrte Auflage. Leipzig, Verlag von 
Dtto Wigand. 1874. IV u. 64 ©. Preis: 60 Pr. 

53. Deutfhes Wörterbud nebit Regeln für die Nechtichreibung zum Ge⸗ 
braude in Schule und Haus. Herausgegeben von einer Kommiffion 
des pädagogifchen Vereins zu Schwerin. Zweite, verbefjerte Auflage. Her- 
ausgegeben von Wilhem Men: Barhim i/M., Verlag von H. Wehde⸗ 
mann’d Buchhandlung. 1874. VIu92®&. 


Beide Wörterverzeichniffe find reichhaltig und forgfältig ausge⸗ 
arbeitet. Die Verfaſſer huldigen ber hiſtoriſchen Schreibung, meiden 
daher forgfältig alle Neuerungen und fchiden bem alphabetiichen Ber- 








auf dem Gebiete des deutjchen Spracdhunterrichte, 427 


zeichniß in kurzer Faſſung alle diejenigen orthographifchen und gram= 
matifchen Regeln voraus, melde für die Nechtfchreibung unentbehrlich 
erjcheinen. Der Schule und dem Haufe werden die Schriftchen jeder» 
zeit treue Berather in orthographiichen Fragen fein können. 


54. Die deutſche Orthographie in Regeln und Beilpielen. Ein Uebungs⸗ 
und Wörterbuch für Deutichlands Elementarſchulen und böbere Unterridhtd- 
anftalten, fowie für den Selbitunterricht bearbeitet von J. M. 3. Sadıfe, 
Gewerbeſchullehrer in Goblenz. Leipzig, Ed. Peter's Verlag. 1874. 718, 

55. Bereinfahte Rebtihreibung. in Wörterverzeichnin als Taſchen⸗ 
büchlein zufanımengeftellt von Julius Nehry, Nector. Aſchersleben, in 
ergiſfion der vucb'ſchen Buchhandlung. 1874. kl. 80. 47 S. Preis: 
25 Pr. 


Die erfte der ebengenannten Schriften will auch die Stelle 
eines Lebr- und Uebungsbuches vertreten, fie giebt die in der Ortho— 
graphie üblichen Regeln und erläutert biefelben ‚dann burch eine hin- 
reichende Anzahl von Beilpielen, auch will fie in zweifelhaften Fällen 
Rath ertheilen, die Bedeutung, den Gebraud und die Schreibmweife der 
Fremdwörter, ſowie endlich auch die Anwendung der Interpunktions⸗ 
zeichen lehren. 

Sn Bezug auf die vier angeführten Grundſätze ber beutfchen 
Rechtichreibung läßt fich geltend maden, daß menn der erfte: 
„Sete genau für jeden Laut eines Wortes der Reihe nach ben ent- 
iprechenden Buchftaben!” befolgt wird, die andern als überflüffig zu 
betrachten find, da in dem gemachten Vorfchlag das ganze Geheimniß 
der Orthographie Liegt. 

Das zweite Schriftchen ift weder deutſches Wörterbuh, noch 
Fremdwörterbuch, will aber die Stelle von beiden vertreten. 

Da felbit ven unbefannteren Fremdwörtern, wie Yaurpas, Fraife, 
Gallimathias, Harpye, Hippofrene 2c., jegliche Erklärung fehlt, wird 
der Gebraud des Buches als Fremdwörterbuch gänzlich beeinträchtigt, 
bet der Schreibung ber deutichen Wörter find die befannteren Verein⸗ 
fachungen (z. 3. Wirt, Turm 2c.) berüdfichtigt. 


V. Vermiſchte Schriften. 


56. Jakob Grimm und ſeine Verdienſte um die deutſche Sprache 
von Guſtav Martin Helm, Großherzoglichem Seminarlehrer zu Bens⸗ 
heim. Bensbeim, Verlag der Lehrmittelanſtalt Ehrhardt u. Comp. 1874. 
gr. 8%. 46 ©. Preis: 60 Bf. 


Die vorliegende Abhandlung, die der Separatabdrud einer Beigabe 

dam Programm bes Großherzoglichen Schullehrerfeminars zu Bensheim, 
ftern 1874, ift, bat den med, die Bolköfchullehrer mit dem Leben 
und Wirken eines Mannes näher befannt zu maden, der um ben 
Gegenftand, auf welden in der Vollsfchule ganz befonderes Gewicht zu 
legen ift, um bie deutſche Sprache, fich die größten Verdienfte erworben 
bat. Wollte zwar jemand über Jakob Grimm und feine Bedeutung 
für die Wiffenfchaft eingehend handeln, fo ließe ſich jehr viel darüber 


428 Die neuelten Erjcheinungen 


fchreiben; aber jo dankenswerth auch ein ſolches Unternehmen wäre, 
jo würbe es doch kaum dem Volfsfchullehrer frommen, da gar manches 
demfelben allzufern abfeit3 liegen würde. Doch darf kein Lehrer mit 
Grimm und beflen Beftrebungen unbelannt bleiben, und dieſe Bekannt⸗ 
fchaft zu vermitteln, ift die Abficht bes Verfaſſers. Die Schrift bietet 
zunächſt eine Beine Biographie Grimms, daran knüpft fi eine Dar- 
legung von deſſen Verdienſten um bie beutfche Sprache, wie er fie ſich 
erworben bat auf dem Gebiete der Poetit, der Grammatif und ber 
Lerilographie. Dabei werden die einzelnen bahnbrechenden Werte, 
feine Sagen, feine Rechtsalterthümer, feine Mythologie, befonders aber 
feine Grammatik, feine Gefchichte der deutſchen Sprache und das 
Wörterbuch ausführlicher charakterifiert und hervorgehoben, wie er durch 
alle feine Schriften eingeführt in das ganze Denken und Fühlen 
be3 deutſchen Volkes und uns dadurch unfere Voreltern würdigen und 
ſchätzen gelehrt bat. Ä 

Mir begrüßen das Schriftchen als eine recht ſchätzenswerthe Gabe, 
Die vorzüglich der jüngeren Lehrerſchaft die Belanntichaft mit einem 
ber ebeliten und tüchtigften Deutfchen vermitteln wird und hoffen, daß 
diefelbe dadurch angeregt werde, felbit die Hauptwerke diejes „Hiſtorikers 
bes Seelenlebens des deutſchen Volkes“ zur Hand zu nehmen. 


57. Schulgrammatit und Sprahwiffenigaft. Studien überdie 
Neugettaltung des grammatifhen Unterridhtd nach den Ergeb⸗ 
niffen und der Methode der vergleihenden Sprachwiſſenſchaft. Bon Dr. 
Julius Jolly, Docenten an der Untverfität zu Würzburg. München, 
Iheodor Adermann. 1874. VI u. 92 ©. Breis: 1 M. 60 Bf. 

Die Schrift zerfällt in 3 Abfchnitte. Der erite behandelt die 
beutiche Schulgrammatif, giebt nad) einer allgemeinen Einleitung über 
das Verhältniß des fchulmäßigen zu dem wiflenfchaftlichen Betriebe ver 
Grammatif einen Weberblid über bie Gefchichte des beutfchegrammati- 
kaliſchen Unterrichtes, wobei bejonders die Becker'ſchen Beitrebungen 
eine feharfe Abfertigung erfahren, und fnüpft daran folgende Reform: 
vorjchläge: Der Unterricht in deutſcher Grammatik muß auf den Latein- 
Schulen aufgegeben, bie beftehenven Lehrbücher für neuhochdeutiche 
Grammatik müflen für die unteren Stufen des Unterrichts abgeſchafft 
werden. Nur die Untermweifung in Orthographie und Interpunktion 
ift beizubehalten. Alles, was man dem Schüler von Declination und 
Eonjugation, je nad den lofalen Bebürfniffen, zur Steuer der Pro- 
vinzialismen beizubringen für nöthig findet, wird in die für lateiniſche 
und griechilche Grammatik beftimmten Stunden verlegt. Die deutichen 
Unterrichtäftunden werben ihrer natürliden Beftimmung, ber Lectüre, 
zurüdgegeben, an welche die herkömmlichen Sagübungen leicht ange- 
Ichlofien werben fünnen. Dagegen muß auf den Gymnafien bie deutſche 
Grammatif ausführlich und ganz nad den Ergebniffen der Wiſſenſchaft 
vorgetragen werden, alfo natürlich mit Zurückgehen auf bie älteren 
Spracftufen, worauf ohnedies die mittelbochbeutfche Lectüre fortwährend 
hinweiſt. Es muß bemgemäß ein3 ber einfchlägigen Lehrbücher für 
mittel- und neubochbeutiche Formenlehre eingeführt werben. Im zwei⸗ 











auf dem Gebiete des deutſchen Sprachunterrichts. 429 


ten Abfchnitte weift der Verfaffer an der griehifhen Schulgrammatit 
von Eurtius nach, wie es wohl möglich ift, die Ergebnifle der ver⸗ 
gleichenden Sprachwiſſenſchaft auf den Gymnaſialunterricht zu über- 
tragen unb legt endlich im britten Abfchnitte die Nothwendigkeit dar, 
auf dem von Gurtius eingefchlagenen Wege weiter zu geben. Dur 
bie Schrift will der Verfaſſer der ſprachwiſſenſchaftlichen Methode, wie 
fie durch die Sprachvergleichung angeregt worden ift, die ihr gebührende 
Stellung im Gymnaftalunterricht erringen belfen. 


XIV. Jugend⸗ und Volksſchriften. 


Bearbeitet 


von 


B. Lüben. 





1. Ingendſchriften. 


Einleitendes zur Kritik derſelben. 


. Mitteilungen über Jugendſchriften an Eltern, Lehrer und 
Bibliothekvorſtände, herausgegeben von ber Qugendfchriften-Kommiffion 
des Schweizerifchen Lehrervereins. 3. Heft. 8%. 55, 71 und 74 ©, 
Aarau, H. R. Sauerländer. 187014. a 80 Pf. 

Die Tendenz dieſer Mittheilungen iſt Kritik neu erſcheihender 
Jugendſchriften, ausgeübt nach pädagogiſchen Grundſätzen von den ein⸗ 
zelnen Commiſſionsmitgliedern, von welchen einige ſelbſt mit gutem 
Erfolge als Jugendſchriftſteller thätig geweſen ſind. 

Dieſe Commiſſion beſteht gegenwärtig aus folgenden Schul⸗ 
männern: 

O. Sutermeiſter F Direktor des Lehrerinnenſeminars in Aarau, 

Präſident. (O. 8 

Fr. Dula, Seminardirektor i in Wettingen, Thepruſident (Fr. D.) 

Boßard, Setundarlehrer in Langenthal. (A. B 

Boßhard, Neallehrer im Seefeld bei Zürich. (B) 

Calmberg, Seminarlehrer in Küsnacht bei Züri. (A. C.) 

Fries, Seminardirektor in Küsnacht bei Zürich. .) 

Heimgartner, Erziehungsrath in Fislisbach bei Baden. (L. H.) 

Herzog, Rektor in Aarau. (H. H.) 

Schlegel, Reallehrer in St. Gallen. (Schl.) 

Ztasi Progymnafiallehrer in Burgdorf. (St.) 

Wyß, Lehrer in Solothurn. (B. W.) 

Zuberbühler, Inftitutsborfteher in Yaarburg. (A. 2.) 

ſpDändliker, Gymnaſialrektor in Winterthur. (D.)] 

Die von biefer Commiſſion aufgeftellten Grundſätze für die Aus- 
wahl von Jugendſchriften find im 1. Heftchen (©. 7. 1870) im Ans 

Schluß an einige Thejen über Unlegung von Schulbibliotheken mitge- 


[7 














Jugend⸗- und Volksſchriften. 431 


theilt und mögen zweckmäßig Hier wiederholt werden, nachdem bie 
urſprüngliche Beſtimmung der Recenſionen eine weitere geivorben, nicht 
mehr ausfchlieplich den ſchweizeriſchen Schulvorftänden bei Anlegung 
und Sompletirung von Schulbibliothefen, fondern den Erziehern über: 
haupt beim Anfauf von Jugendſchriften als Wegweiſer dienen fol. 
Sie lauten wie folgt: 

a) Die Yugenblectüre fol fih dem Schulunterricht anfchlieen, 
ine fie den Anſchauungskreis erweitert und den Sprachſchatz be- 
reichert. 

b) Empfehlung verdienen nur ſolche Schriften, melde das ernite 
felbftändige Leſen fördern, welche wiſſenſchaftliche Kenntnifle bieten, 
durch ihren gediegenen inhalt die Erziehung unterftügen und auf Geift 
und Gemüth einen erhebenden Einfluß auszuüben vermögen. 

ce) Den Kindern darf nur Kernhaftes, aus bem Leben Gegriffenes 
in faßlicher und anregender Darfiellung in einfachem und correctem 
Stil geboten werben. 

d) Den Vorzug erhalten monographiſch und anfchaulidh gehaltene 
Bilder und folche Jugendſchriften, die in irgend einer Hinficht auch 
Erwachfenen Intereſſe gewähren. 

e) Anſpruch auf Beachtung haben ferner Bücher, die einen 
Blick in das Leben und den Entwidelungsgang des ſchweizeriſchen 
Volkes gejtatten und geeignet find, in unſerer vaterlänbifchen Jugend 
patriotifchen Sinn zu meden. 

f) Jugendſchriften mit ausgeprägt confejfionellem Charakter find 
als ſolche zu bezeichnen. 

g) Ausgeſchloſſen bleiben Schriften in Novellenform mit fadem, 
ſüßlichem Inhalt, moralifirende Erzählungen. Ebenjo follen Bücher, 


-bie in ſyſtematiſchem Schulton, in trodenem Compenbdienftil abgefaßt 


find, Isemgehalten werben. 

Die nach diefen Grundfähen beurtbeilten Bücher können alſo à 
priori als empfohlene betrachtet werden. Weber die darin be 
bandelten Stoffe geben die Inappgefaßten Mittbeilungen ausreichende 
Ausfunft, während auch eine zweckmäßige Gruppirung und ein nad) 
den Autoren alphabetifch geordnetes Negifter eine fchnelle Weberficht 
ermöglichen. Nach einer Erklärung im Vorwort des zweiten Heftchens 
haben die Herausgeber ihre Thätigkeit auch auf „Anzeigen mittel- 
mäßiger und verierflicher Jugendſchriften“ erweitert, und publiciren 
diefelben von Zeit zu Zeit durch bie fchweizerifche Lehrerzeitung. Diefelbe 
Rückſicht aber, welche die Commiſſion bewogen hat, das vorliegende Ver⸗ 
zeichniß als felbftändige Drudfchrift erfcheinen zu laſſen, ſollte doch 
auch zu der Gonjequenz führen, daß am gleichen Orte mit ben guten 
auch die fchlechten Probufte Tenntlich gemacht werben; geſchähe letzteres 
auch nur durch die Angabe des Titels. ebenfalls würde bem Publi⸗ 
fum damit ein weiterer Dienft geleiftet. 

Unter möglichſter Berüdfichtigung ber herkömmlichen Anorbnung 
bes Jahresberichtes find in ber nun folgenden Leberficht über bie 
Erfcheinungen aus dem Verlagsjahr 1874 Jugend und Volksſchriften 


432 Sugend- und Bolksichriften. 


unter zwei Hauptabfchnitte gebracht und innerhalb der erften Abtbei- 
lung wie in den nad ber Berwandtichaft des Stoffes gebildeten 
Gruppen die Schriften für die jüngern Altersitufen borangeftellt 
worden. 


A. Spielbüher und Jugendbeſchäftigungen. 

2. Spielbud. 400 Spiele und Belufligungen für Schule und Haus. Ge⸗ 

(ommet und berauägegeben von Joſeph — 2 2 (144 ©.) Wien, 
u. Pichler's Witw. und Sohn. 1874. Geh. 12 © 

Die Sammlung enthält: 

1) Koje und Spiellieder, — die anfprechendften aus den befannten 
Tröbel’ichen 

2) Abzählreime. 

2 Zaufipiele. 

Hüpf-, Ring und Springfpiele. 

5) Sud- und Ratbejpiele. 

6) Roll-, Werf: und Schlagipiele. 

7) Pfänderfpiele. 

8) Allerlei Beluftigungen. 

9) Räthſel und Scherzfragen. 

Die Spielanweifungen find kurz und deutlich, die Auswahl den 
pädagogiſchen Grundſätzen entfprechend, melde der Verfafier im Vor⸗ 
wort niedergelegt Bat. Das Büchlein Tann empfohlen werden. 

3. Deutfhlands fpielende Jugend. Cine Sammlung von mehr als 
430 Kinder lbieten, auszuführen im Freien und im Zimmer. SHeraudgegeben 
von F. Jakob. Zweite, vermehrte, ſehr verbeflete Auflage. 
gr. 8°. (436 8* —8 Eduard Kummer. 1875. 4,50 M 

Ebenfalls eine reiche und hübſche Sammlung, bie alle Alters⸗ 
ſtufen berückſichtigt und ſogar in das Geſellſchaftsſpiel Erwachſener 
binüberftreift. — Die erfte Abtheilung: „Spiele im Freien“ 
zeigt 336 Nummern unter 25 verfchiebenen Rubriken, als: 

1. Ballipiele 46. 

2. Kugelipiele 15. 

3.—5. Würfel, Kegel- und Scheibenfpiele 13. 

6. 7. Biels und Schießſpiele 21. 

8. Ratbipiele 13. 

9. Berftedipiele 4. 

10. Nadahmipiele 21. 

11. Rundſpiele 22. 

12. 13. 14. Vexir⸗, Blind» und Plumpfadipiele 30. 

15. 16. Sprech, Muſik- und Gefangipiele 20. 

17. Lauf⸗ und Kriechſpiele 32. 

18. Haſch⸗ und Fangſpiel 33. 

19. Hüpf-, Spring-, Schwing: und Wippfpiele 14. 

20. 21. Kletter- und Bewegungsſpiele mit Apparaten 7. 

22. 23. Kampf: und Lagerfpiele 32. 

24. 25. Nacht- und Winterfpiele 12. 





Jugend» und Volksſchriften. 433 


Unter den Zimmerfpielen finb alle diejenigen rubrieirt, bie 
eine freiere Bewegung ausichließen und zum Theil auch kleine Vor⸗ 
bereitungen, Material oder Beleuchtung erforderlich machen. Während 
bie erjte Abtbeilung mehr die männliche Jugend berüdfichtigt, ſetzen 
die Anmeifungen für die Bimmerfpiele in vielen Fällen die Be— 
tbeiligung fämmtlicher Familienglieder voraus. Weberhaupt ift bei 
jeder Nummer bemerkt, für welches Alter und Geſchlecht das Spiel 
pafiend gehalten wird. Sehr Tomplicirte und eigentliche Turnſpiele 
find ganz ın Wegfall gelommen; dagegen ift ben volksthümlichen ein 
beſonders großer Raum gemwibmet worden. Hat ber Verfaſſer in an= 
erlennenswerther Weife auch darauf Bedacht genommen, durch befondere 
Bemerkungen Ausjchreitungen und Mißverftändniffe zu verhüten, fo 
würde es ſich bei einer ſpäteren Auflage dennoch mehr empfehlen, 
Spiele wie 3. B. Nr. 121 — 123 megzulaflen; dem Tnabenhaften 
Muthwillen ift in den feltenften Fällen durch bloße Ermahnung eine 
Schranke zu ſetzen und der beabfichtigte Zweck wirb meiftens verfehlt. 

Im Uebrigen Tann das Buch ben befleren feines Genres beige- 
zählt werben. 


4 Sllufrirtes Spielbuh für Mädchen. 1500 unterhaltende und 
anregende Belufligungen, Spiele und Beihäftigungen für Körper und Geiſt 
im Xreien, fowie im Zimmer. Nebft einem Anbang: 500 allerlei Kurz⸗ 
weil und furzmweiliges Allerlei für Zung und Alt. Zur gefelligen Unter: 
haltung an langen Winterabenden. Bon Marie Leske. Yünfte, durch⸗ 
gefebene und vermehrte Auflage. Mit über 500 Zext-Abbildungen, 4 Bunt⸗ 
drudbildern, 1 Schnittmufterbogen in Bapye und 1 Titelbilde. 8°. (408 ©.) 
Leipzig, Otto Spamer. 1875. Preis: eleg. cart. 1'/, Thlr. 


Die in Furzen Zmifchenräumen auf einander folgenden Auflagen 
haben mieberholte Veranlaffung gegeben, das Bud der Aufmerkſam⸗ 
Teit von Eltern und Erziebern zu empfehlen. Der diedmaligen An» 
zeige möge noch ein Wort über das erfte Kapitel, „Weiblihe Hand» 
arbeiten” betreffend, Hinzugefügt werben. Mit demſelben fcheint bie 
Aufgabe überfchritten zu fein, die fich die Verfaſſerin ftellen Eonnte; 
indefjen die kurzen Anmeifungen für einige Nadelarbeiten abgerechnet, 
zielen doch alle einjchlagenden Abjchnitte nur darauf ab, die Kinder 
zu einem angenehmen Zeitvertreib hinzuleiten, wie 3. B. die Anleitungen 
ur Anfertigung verfchiedenartiger Tünftliher Blumen, Moo8- und 
Binfenarbeiten und das ganze inhaltreiche Kapitel über Buppengarbe- 
robe. Recht mwilllommen für Viele ift ficher auch der Abjchnitt über 
bie Pflege des Hausgärtcheng und der Zimmerpflanzen. — 

Möge e3 darum auch diesmal die verdiente Beachtung finden. 


5. Des deutſchen Knaben Handwerkébuch. Praktiſche Anleitung zur 
Selbſtbeſchäftigung und Anfertigung von Gegenfländen auf ben Gebieten 
der Bapparbeiten, des Formens in Gyps, der Schnigerel, der Tifchleret, 
Zimmermanndarbeiten, der Drechslerei, Laubfägeret, zur Darflelung von 
Thierbebältern, Fabrzeugen, naturwiffenfchaftliben Apparaten ı. Fuͤr ge⸗ 
ſchickte Anaben bearbeitet von Barth und Niederley. Mit vielen Illuſtra⸗ 
tionen. Zweite, verbefierte und bereidherte Auflage. 8%. (VI u. 312 ©.) 
Bielefeld und Leipzig, Velhagen und Klafing. 1874. Preid: ord. cart. 4 Mark. 


Bad. Jahresbericht. XVI. 28 


434 Jugend⸗ und Volksſchriften. 


Das Buch iſt im vorigen Bde. des Päd. Jahresberichtes S. 325 
ausführlich beſprochen und empfohlen worden. Auffallende Verände⸗ 
zungen bat es nicht erfahren, wir beziehen uns darum auf unfre erfte 

nzeige. — 
6. Des deutfhen Knaben Experimentirbud. Praktiſche Anleitung 
zum unterbaltenden und beichrenden (Exrverimentiren auf den Gebieten ber 
bufit und Chemie. Bon Dr. $. Emdmann und Dr. DO. Dammer. 
Mit vielen Iluftrationen. 8. (426 ©.) Ebendafelbſt 1874. Preis: ord. 
cart. 4 Marl. 

Auch bei biefer Nummer verweilen wir auf bie Anzeige in Band 

XXVI bes Jahresberichte (S. 326). 


B. Räthſelbücher. 


7. Ber kann ratben. Neuefter Räthſelſchatz für Jung und At. Ger 
fammelt von Wilh. Rud. Hoffmann. tt fein colorirtem Titelbild 
und zahlreihen Holzſchnitten. Gtuttgart und Leipzig, Otto Riſch. 8". 
166 ©. Breis: Ya Thlr. 

8. Großer deutfher Räthſelſchatz. Enthaltend 1600 Räthfel, Eharaden, 
Zogogripbe, Paltindrome, Homonyme, ſcherzhafte Räthſelfragen, Yigurene 
rärbfel, Rebuſſe, Kunſtſtückchen, arithmetiſche Rätbfel und Bäthfelmärhen. 

ür die Jugend und gefetlige Kreife geſammelt und bearbeitet von Wil⸗ 

Bel Rud. Hoffmann, Mit zahlreihen Holzſchnitten. Ebendafelbft. 8°. 

389 ©. Preis: 1%, Thlr. 

Beide Nummern bon bemjelben Berfafler find recht gehaltvolle 
und ſchön ausgeftattete Gaben für die Jugend und alle Freunde einer 
beitern Unterhaltung. Der Inhalt der kleineren Sammlung ift voll= 
ftändig in die größere aufgenommen und legtere ift durch folche Bei⸗ 
träge erweitert, bie eine bereits geübte Geiftesfraft vorausſetzen. — 
Für die Bebürfniffe des Jugendalters bietet das erftere ſchon aus— 
reichenden Unterhbaltungsftoff. Hervorzuheben ift noch die Sorgfamleit, 
mit welcher jede Zweideutigkeit ferngehalten und die Beachtung, die 
den poetifhen Erzeugniſſen diefer Art aus unfrer Literatur gejchentt 
worden tft. — 


C. Märchen, Sagen und Fabeln. 


9 Märhen am Kamin. Bon Hermann Kletke. Mit 7 Buntbildern 

12. (316 ©.) Berlin, Plahn'ſche Buchhandlung. 1874. Preis: eleg. geb. 1 Thlr. 

Ein Theil der bier erzählten Märchen gehört unter vie Zahl ber 
bunten Phantafiegebilde, die mit Hülfe eines Tomplicirten Zauber⸗ 
apparates das Intereſſe der Kinder erregen und fefieln. Stofflich 
handelt es ſich dabei ſtets um die Heirathen ſchöner ober bäßlicher 
Pringeffinnen mit vertwünfchten Prinzen ober unmöglichen Ungeheuern. 
Sie find nur bedingungsweiſe ala Jugendlectüre zu geftatten. Manches 
Andere in diefer Sammlung entipricht dagegen den Anforderungen, 
die der einſichtsvolle Erzieher an Compofitionen biefer Gattung ftellen 
muß. Am beften gelungen find die Nummern: 1. Das fremde Kind, 
Nr. 9 Eliter und Papagei und Nr. 11 der blinde Geiger. In ihnen 


| Jugend⸗ und Volksſchriften. 435 


liegt eine finnige Naturanfchauung. Aeußerlih ift das Buch hübſch 
ausgeftattet. 
10. Der Jugend Lieblings» Märdenfhak. erausgegeben von 

Sean Die. Fa milienbuch Her ine Fi Ed Seiten en, Sagen 
und Schwänfe aus aller Herren Länder. Dritte, vermehrte und verbefierte 

Auflage. Mit 110 Zest-Abbildungen, 8 Tonbildern und 1 bunten Titel» 

bilde. Nah gan von 2. Bechftein, R. Kretſchmer, B. Mörling, 

2. Sckell, A. Toller, F. Waibler u. A. 8°. (XIV u. 548 ©.) ‚Leipzig, 

Dtto Spamer. 1875. Preis: eleg. cart. 6 Mark. 

Die Anzeige vom Erjcheinen der zweiten Auflage (im XXV Bande 
S. 628 des Pädag. Jahresberichts) befpricht die Geſichtspunkte, nach 
denen biefe Sammlung angelegt worden ift und für welche Leferfreife 
fie geeignet erjcheint. — Die dritte Auflage läßt die beſſernde Hand 
mehrfach ertennen. Stoffe, die für die Jugend meniger geeignet 
fchienen, find durch neue erjegt oder zweckmäßig umgearbeitet worden. — 
Das Genre berjelben zu Iennzeichnen, möge eine Anzahl der Nummern 
unter Angabe ber Autoren bier angeführt werben: 

Nr. 9. Das Niefenfräulen von Niedeck, Volksſage aus dem Elſaß 
von Franz Dtto. 
= 10. Die drei Schweftern mit gläfernen Herzen. Neues Märchen 
von R. Leander. 
= 11. Die Geſchichte von Khalif Storch. Drientalifches Märchen 
von W. Hauff. 
= 12. Die alte Weibermühle in Thüringen von R. Yeander. 
= 13. Der alte unge und der Fürftenfohn. Eſtniſches Volks⸗ 
märden bon Dr. Kreutzwald. 
- 14. Die Gefchichte von den fieben Raben und der treuen 
Schwefter. Deutjches Vollamärdhen von E. Diethoff. 
= 15. Wichtelmännchen. Iriſches Märchen von R. Müldner. 
» 16. Junker Adelftan und die Bohnenrante. Englifches Märchen. 
Neu bearbeitet von Franz Otto. 
= 17. Klas Avenftafen oder Grad dör. Eine alte Gefchichte aus 
Niederſachſen. Nah Ernft Morit Arndt. 
» 18. Die Geſchichte von ber ſchönen Melufine Volksſage aus 
der Provence. Erzählt von E. Diethoff, u. ſ. w. 

Die neu binzugefommenen Nummern behandeln fittliche Motive, 
wie Dankbarkeit, Genügfamleit, Treue, Dienftfertigfeit u. dergl. 
fann diefe dritte Auflage alfo mit gutem Rechte eine vermehrte und 
verbefierte genannt und für den Weihnachtstifch unfrer Jugend wieberholt 
empfohlen werden. 


11. Deutfhe Sagen. Der deutſchen Jugend erzäblt von Pauline Schanz. 
Mit Sluftrationen von Karl Ehrenberg. Dresden, D. C. Meinhold und 
Söhne. 8%. 180 S. Preis: cart. 1 Thlr. 

Die Verfaflerin hat mit großem Fleiße die anfprechenditen Sagen- 

kofe aus verſchiedenen Gegenden Deutſchlands frei erzählt. Das 

ertbuollfte darunter wird freilich auch das Bekannteſte fein und 

mehrfach erjcheint es ganz unerfindlih, worin der Sagencharalter 
28* 


436 Sugend- und Bollsichriften. 


eigentlich zu ſuchen ober wodurch fi das Anbenfen ber bargefeliten 
—— ũberhaupt erhalten haben mag. Da die —— — jedoch 
auf Wiſſenſchaftlichkeit kleinen Anſpruch erhebt, fo darf eine zu 
Kritil an berfelben auch nicht geübt werden. Als —— — 
für Kinder von 12— 15 Jahren iſt fie recht brauchbar. — Die 
Suftrationen find in ben Tert gebrudie Holzſchnitte 
12. Reinede Zuchs. Kür die Jugend new bearbeitet von Kerl Seifart. 
Mit 8 fein colorirten Bildern nad Zeichnungen von Konrad Weigand. 
8%. (147 ©.) Gtuttgart und Leipzig, Dito Riſch. Preis: cart. 1 Thaler. 
Diefer neuen Bearbeitung liegt die Dichtung von Soltau zu 
Grunde. In geſchickter Weife find darin alle Stellen ausgeſchieden, 
die unferer Jugend anftößig werden Tönnten. — Die Ipradhlihe Dar- 
Rellung läßt nichts von der Lebendigleit und kaum etwas von dem 
poctiichen Reiz des Driginald vermifien; paſſend fchmiegt fie ſich über- 
al dem Inhalte an. Die Bilder jeboch laſſen nah Zeichnung unb 
Farbengebung Vieles zu wünſchen übrig und dem Buch würde fein 
Abbruch geichehen, wenn biefer zweifelhafte Schmud bei einer jpäteren 
Auflage fortbliebe. 


D. Kürzere Erzählungen. 

13. Die erfien ſechs Geburtstage eines lieben Kinbes. Bon Emilie 
Kellner. 8°. (180 ©.) Batibor, V. Bidura u. Co. 1874. Preis: 
cart. 1 Tblr. 

Die Berfaflerin erzählt die Entwidelungsgefchichte eines Tleinen 
Mädchens für Kinder bis zum zehnten Lebensjahre in folgender Form: 
Dad Kind erſcheint auf der Welt in Begleitung einer Dienerſchaar, 
bie feinen Verkehr mit der Außenwelt vermitteln. Es find dies feine 
Sinnesorgane, Hände und Füße. Gleichzeitig werden bie Tünftigen 
Erziehungsfactoren: Liebe, Heiterkeit, Geduld, Schmerz, Pfliht und 
kindlicher Glaube als künftige Lehrer und Erzieher eingeführt und bes 
fchrieben. Sie löſen fih in ihren Functionen gegenfeitig ab. 

Die erfte Öruppe dieſer ‘Berfonificationen ift dem kindlichen Faſſungs⸗ 
vermögen durchaus angemeflen und findet eine vecht pafiende Ver⸗ 
wendung in der Darftelung. Daſſelbe läßt fich jedoch nicht von den 
allegorifhen Perfonen ber zweiten Gruppe behaupten. „Profeſſor 
Schmerz" und „Doktor Pflicht” mit ihren Attributen Tönnen feinen 
Bi I; in der Ideenwelt fo junger Kinder beanfpruchen, für welche bie 
DVerfaflerin das Kauderwälſch der Kinderſprache für das ihnen ver⸗ 
ſtaͤndliche Idiom hält und befien fie fi) auf ben erften 20 Seiten 
mwieberholt bedient. Streng genommen ift Exziehern weder im münb- 
lihen noch im fchriftlihden Verkehr eine derartige Herablaffung zu den 
Kindern geftattet. 

Die Heinen Begebenheiten und verſchiedenen Entwidelungsphafen 
innerhalb der erſten ſechs Kinderjahre find, abgejehen von jenen un» 
pibagogiihen Reizmitteln, recht anmutbig bargeftellt und werben von 

einen ABCE⸗Schützen um fo lieber gelefen werben, als der Gang ber 


Jugend⸗ und Volksſchriften. 497 


Erzählung durch hübſche, Iuftige oder finnige, jeben alt kindliche Liedchen, 
Keime und Märden unterbrochen wird. — Nicht beſonders zweck⸗ 
mäßig ift ber verhältnigmäßig ftarle Umfang bes Buches. Kinder 
lieben bie Abmechfelung und ein zu lange gebrauchtes Buch verliert in 
dem Grade an Intereſſe als feine äußere Erjcheinung an Sauberkeit 
einbüßt. 

14. Aus der Kinderwelt. Ein Bub für jüngere Kinder von Ottilie 
Wildermutb, mit Bildern von Oskar Dleiih, Or. 4. (68 ©.) Stutts 
gart, Adolph Krabbe. 1874. Preis: cart. 1 Thlr. 12 Sgr. 

Die Erzählungen find im kindlichen Tone gehalten, theils ernften, 
theils heiten Inhaltes; auch einige Thiermärhen haben ihren 
Platz in dem Buche gefunden, das die Meifterhand von D. Pletſch 
mit ſechs Kindergruppen geihmüdt Hat, die nach Auffaflung und 
Zeichnung ebenfo natürlich und graziös, als bie Darftellungen ber 
Berfafferin anmuthig find. — In ihrer Geſammtwirkung haben fie 
auf den ungetbeilten Beifall der Kleinen im Alter von 6—8 Jahren 
zu rechnen. 

15. Lleshen’8 Feine und große Welt. Unterbaltende Büchlein für Heine 
Mädchen. I. Aus dem Elternhaus. Bon Sophie Zrauf. Mit 130 in 
den Text gedrudten Abbildungen, 1 Ton⸗ und Mn Titelbild. 8%, (206 S.) 
Leipzig, Otto Spamer. 1875. Preis: 2 M. 50 Pf. 

Die Berfaflerin will mit biejen UnterSaftungen über Gegenftänbe 
aus der nächften Umgebung des Kindes „die lebendige Theilnahme an 
denfelben erregen und feſſeln“. Je nad) deren Natur knüpft fie an bie 
Betrachtung der Objecte entweder kurze Andeutungen über Urfprung 
und Gebraud, oder anjprechende Erzählungen und finnige Märchen. 

In manden Fällen dürfte es jedoch dem Kinde ſchwer werben, 
eine wirkliche Anfchauung zu gewinnen; denn „ächte Perlen aus dem 
Schmudtäftchen der Mutter, Korallen, Baumwolle in Kapfeln, eine 
Stridmafhine, Waben aus dem Bienenftod find nicht leicht in dem 
Bereihe feiner Hand, wie es für den Zweck dieſes Buches doch 
wünſchenswerth if. — Die aſtronomiſchen Belehrungen über Ent- 
ſtehung von Tag und Nacht und der Jahreszeiten gehen weit über 
die Faſſungskraft der Kleinen hinaus, nicht weniger die über Her- 
ftellung ter Lichtbilber,; das Fragment über das lettere Thema hätte 
daher befler ganz megbleiben können. — Ueberraſchend aber ift es, 
daß das Kapitel „die drei Naturreiche im Zimmer‘ auf fieben Octav⸗ 
feiten erledigt wird, die zum Theil auch noch durch umfangreiche Holz⸗ 
Ichnitte eingenommen werden. Abgefehen davon, daß in vielen vorher⸗ 
gehenden Abfchnitten ſchon Naturprodukte beiproden worden find, fo 
iſt die Wahl für die einzelnen Repräfentanten auch eine fehr unglück⸗ 
liche, befonders für das Pflanzen- und Thierreihd. Im erfteren Falle 
ift e8 „der Brot: und Kartoffelfhimmel”, fowie mikro— 
V Algen,” im zweiten „bie Käſemilbe“. — Der geſammelte 

Stoff wird hiernach noch einer forgfältigen Durchſicht unterworfen 
werden müfjen, ehe ber lehrhafte Theil als der Abficht ber Verfaſſerin 
entiprechend bezeichnet werben Tann. — 


438 Jugend⸗ und Volksſchriften. 


16. Großvaters Erzählungen. Ein Buch für kleine Knaben und Mädchen. 
Von Iſabella Braun. Zweite, umgearbeitete und vermehrte Auflage. 
Mit vier fein colorirten Bildern nad Driginalzeichnungen von Ferd. 
Nothbart. 8%. (160 S.) Stuttgart und Leipzig, Otto Riſch. 1874. 
Preis: geb. 2 Marf. 

Diefe gemüthoollen Erzählungen Tnüpfen fih an Vorkommniſſe 

im Familienkreiſe und haben meift die Erkenntniß einer ſittlichen 

Wahrheit over eines, auch Kindern verftändlichen, Erfahrungsfates 

zum Zweck. — Sie find für das Alter von 7—9 Jahren beftimmt 

und werben von Mädchen und Knaben gern gelejen werben. 


17. sefälgten für Kinder von 10—12 Jahren von A. Stein. (Mary 
Wulff.) Mit 9 colorirten Bildern. 12. 219 &. Berlin, Bintelmann und 

Söhn:. 1874. Breis: 22%s Gar. 

Die fünf Erzählungen gehören dem Genre ber moralijden 
an. Der Gehalt ift nicht bedeutend; aber bie Verfafjerin meint es 
gut und berzlih und ſcheint in dem Umgang mit Kindern vertraut 
zu fein, die ihre Gabe gewiß auch gern entgegennehmen werben. 


18. Rinder vgl chichten von Dtto Ramſauer, Pfarrer in au en, Kanton 
Appenzell. Bweite Auflage mit 6 Bildern von Sophie 2 nder. 12, 
(205 ©.) Stuttgart, 93. 14 Steintopf. 1875. Preis: cart. 18 Sar. 
Ebenfalls eine Reihe moralifcher Erzählungen, die wir jebod in 
Anfehung der darin behandelten Motive, fowie ber fprachlich Schönen 
Darftellung zu den befieren zählen. Erfreulich ift, daß der Preis des 
Büchleins bei dem gediegenen Anhalt ein recht beſcheidener genannt 
werden Tann, der auch weniger bemittelten Eltern geitatten wird, es 
als willkommene Gabe auf den Weihnachtätifch ihrer Kinder zu [egen. — 
Mäbdchen und Knaben von 7—10 Jahren werden die Erzählungen 
mit Nuten und Freude lefen. Die gut gezeichneten Buntbilder ver⸗ 
anfchaulichen einzelne Scenen in guter Auffafjung. 


19. Allerlei fürs Kindervolt. Sechs Geſchichten für große und Beine 
Kinder von M. Meidner. 12. (64 ©.) Berlin, Haupwerein für chriſt⸗ 
lite Erbauungsicriften. 1874. Brei: cart, 6 Ser. 

Unter den ſechs Nummern find vier moralische Erzählungen und 
zwei Märchen. Erftere find durchweg gehaltvoll und höchſt anſprechend 
nad Inhalt und Form. Bon den Märchen zeichnet ſich namentlich 
das erftere „das Märchen vom Schneeball” durch Sinnigfeit und 
farbenreiche Bilder aus; die Schilderung der Mutter Erde ift ein 
Gedicht, dem nur ber Rhyihmuẽ fehlt. — Das Büchlein iſt für alte 
und junge Kinder eine erquickliche Lectüre und kann daher beſtens 
empfohlen werden. — 


20. Dttitte N ie Jugendſchriften. Mit je vier Bildern. 12. (120— 
6.) ige a ungabe. Stuttgart, Adolph Krabbe. 1874, 
Breit: cart. a7 Ta S 


Unter dieſem Befammite liegt ung eine Reihe banblicher 
Bändchen vor, beren jebes zwei bis brei Erzählungen enthält, die für 
die mittlere Altersftufe von 8—12 Jahren gefchrieben find. 





Jugend⸗ und Volksſchriften. 439 


1. Bochn. Ein einſam Kind. — Die Waſſer im Jahre 1824, 

ober: „Sun Euch nicht, Gott läßt fich nicht ſpotten. 
Bdchn. Drei Schullemeraden. — Der Spiegel ber Zwerglein. 

5 Bohn. Eine ſeltſame Schule. — Bärbeli’8 Weihnachten. 

4. Bochn. Eine Königin. — Der Slinder Gebet. 

5. Bochn. Spätes Glück. — Die drei Schweſtern vom Walbe. 

6. Bochn. Die Ferien auf Schloß Bärenburg. — Der Sand» 
bub oder: Wer hat's am beiten. 

7. Bochn. Cherubino und Sepbirine. — Kann fein, ’3 it auch 


8. Bohn. Brüberhen und Schweſterchen. — Der Einfiebler 


9. Bohn. Der Peterli von Emmentbal. — Zwei Märchen für 
die Kleinften. 

10. Bochn. Krieg und Frieden. — Emma's Pilgerfahrt. 

11. Bochn. Das braune Lehnchen. — Dez Königs Pathenkind. 

12. Bochn. Nach Regen Sonnenjdein. — Frau Luna. — Das 
Bäumlein im Walde. 

13. Bohn. Die Nachbarskinder. — Rorbula’3 erfte Reife. — 
Balihaſar. Aepfelbäume. 

4. Bochn. Die wunderbare Höhle. — Das Steinkreuz. — 

Unfee alte Marie. 

In diefen Erzählungen werben Lebensgänge und Erlebnifie mit- 
getheilt, die ſich, bis auf geringe Ausnahmen, überall auf dem Ges 
biet des Wahrjcheinlichen halten und fittliche Motive behandeln. Ebenſo 
ift das Beftreben der Berfaflerin zu erfennen, aufrichtige Frömmigkeit 
in bie Kinderfeelen zu pflanzen, überhaupt das Gemüth zu berzlicher 
Freundlichkeit, danktbarer Genügfamleit und milligem Gehorfam anzu⸗ 
leiten, obne dabei in ein tendenziöfes Moralifiren zu verfallen. Bes 
lehrungen und Ermahnungen treten überall am rechten Ort und zur 
rechten Zeit ein und machen nirgends den Eindruck des Abſichtlichen. — 
Der Bilderſchmuck iſt nicht ſehr fein, aber fordert auch die Kritik 
nicht beſonders heraus. — Druck und ſonſtige Ausſtattung macht die 
Sammlung zu Feſtgeſchenken beſtens geeignet. — 

21. Iſidor Proſchko'g ausgewählte Erzählungen und Gedichte für die Sugenb. 
Mit vier bunten Sluftrationen. 8. (273 ©.) Stuttgart und Leipzig, 
Riſch. 1874. Preis: 1'/, Thlr. 

Die erfte Geſchichte erzählt, wie durch kindliche Pietät eines 
feiriihen Schützen jeine Unſchuld an einem ihm zur Laſt gelegten 
Verbrechen erwielen mwird; bie zweite — Ein Strobhbalm — die 
wunderbare Lebengrettung des Prinzen Eugen von Savoyen, und 
befien ſpätere Bebeutung für den öſterreichiſchen Staat; bie britte — 
Der Todtenbrief — wieder Entbedung eines im Geheimen verübten 
Verbrechens; die vierte — Der kleine Engel des Kaiſers Napoleon — 
wie durch das Wort eines Kindes ein Mordanfchlag verhindert wird; 
die fünfte — Der General vom Rennweg — das Wirken bes Waifen⸗ 
vaters Ignaz Parhammer unter der Regierung Marie Thereſia's; die 








440 Jugend⸗ und Volksſchriften. 


ſechſte — Maria in ber Grüne — eine Epiſode aus dem Leben bes 

Königs Ludwig von Holland, die ihrem Inhalte nach für die Jugend 

nicht geeignet ift. — Die Gedichte find ebenfalls Erzählungen, in ſehr 

mittelmäßigen Verſen abgefaßt. — Im Allgemeinen haben die Dar- 
ftelungen eine katholiſirende Tendenz, eignen fi darum nur für die 

Jugend diefer Confeſſion. — 

22. Der Jugend Luf und Leid. Gefanmelte Erzählungen und Gedichte 
für die Jugend von Franz Bonn. 12. (264 ©.) Mit vier fein color 
ae aan. Stuttgart u. Leipzig, Otto Riſch. 1874. Preis: geb. 
Die Luſt der Jugend fpiegelt fih ab in den „Erlebniflen von 

fieben Knaben,“ die Hinter die Schule gingen, um auf Abenteuer aus⸗ 

zuzieben, und in ben jahrelangen Kämpfen eines Heinftäbtifchen Polizei⸗ 
diener3 gegen die muthwillige Schuljugend des Ortes. In den Dar- 
ftellungen liegt viel Humor. — Das Leid findet feine Darftellung 
in zwei Erzählungen, welche bie Geſchicke zweier Knaben verfolgen. 

Der eine geräth, nachdem er das Elternhaus verlafien, in die Hände 

eines Falſchmünzers, welcher feine Geſchicklichkeit für verbrecheriſche 

Zwecke ausnützt; der andere kommt zu liebloſen Verwandten, wo er 

die Launen der Herrſchaft und die Rancüne der Dienſtleute zu erdulden 

bat. — — Die Erzählungen find gut geſchrieben und können für 

Knaben von 12—15 Jahren beſtens empfohlen werben, da aud alle 

bern mitgetheilten Knabenſtreiche in den Grenzen des Schidlichen 

iben. 


23. Bute Kinder — brave Menſchen. Schule der Weisheit und Tugend 
in Beifplelen aus dem wirklichen Leben. Erzählungen aus der Geſchichte 
der alten und neuen Zeit. Herausgegeben von Heinrich Pfeil. 2. Aufs 
lage. Mit 52 Zext-Abbildungen, 5 Zonbildern und 1 Buntbilde. 8° 
(192 ©.) Leipzig, Dtto Spamer. 1875. Preis: geb. 1 Tblr. 

Die erfte Auflage ift im Band XXV (©. 622) angezeigt wor⸗ 
den. Seitdem ift noch eine Reihe Erzählungen dazu gekommen, in 
welcher fittlicde Thaten aus der neuern Zeit zur Darftellung gelangen, 
die in der erften Auflage ganz unberüdfichtigt geblieben war. Somit 
bietet der Inhalt des Buches, was ber Titel verfpricht, und kann ber 
Jugend vieljeitige Anregung zum Guten geben. — Möge ed zur An⸗ 
Ihaffung für Jugenbbibliothefen hiermit empfohlen fein. 

24. Guſtav NRierig’ ausgewählte Erzählungen. I. 1Bdch. Guſtav Nierig, 
ein alter Freund der Kinderwelt von H. Gtiehler. — Das Kifhermäds 
Ken von Helgoland. 16. (156 ©.) it dem Porträt von Guſtav Nierig 
und 3 SAuftrationen von O. Weigand. Stuttgart u. Leipzig, Otto Riſch. 
Preis: cart. & ı/, Ihlr. 

Die im erſten Theile biefes Bändchens enthaltene Biographie des 
verdienſtvollen ugendfchriftftellers fchilvert in kurzen, feiten Zügen 
feinen Bildungsgang und die Heuptitationen feiner Lebensreife; macht 
ben Lejer mit den Umftänden befannt, bie ihm bie Feder zur Her⸗ 
fellung feiner Jugendſchriften in die Hand gegeben haben und läßt 
die Quellen erfennen, aus denen er feine Stoffe zu fchöpfen pflegt; 








Augend- und Volksſchriften. 441 


denn befanntlich ift feine Luſt, für die Jugend zu fchreiben, noch nicht 

erlofhen und feine Geftaltungsfraft nicht vermindert. Das beigegebene 

Porträt verbollftändigt den guten und wohlthuenden Eindruck, den biefe 

Lebenzffigzge auf den Leſer macht. — — Den andern Theil des Buches 

nimmt eine der Erzählungen ein, mit denen der Verfaſſer feinen Ruf 

als AJugendfchriftitellee begründete und darf ala hinreichend bekannt 
hier übergangen werben. 

235. II. Boch. Der fteinerne Muſikant. — Das Opfer einer Mutter. 
— Gewaltfame auetielbung von 10,000 Hamburgern durch die Franzoſen 
am Weihnachtsfeſt 1813. Ebendaſelbſt. Preis: 7'/s Sgr. 

Die erſte Erzählung knüpft ſich an ein plaftiſches Kunſtwerk, das 
zur Zeit Auguſt des III. von einem deutſchen Bildhauer nach ſeinem 
eignen Sohne modellirt worden iſt. Die Statue hat Einfluß auf die 
Familienglieder dreier Generationen. — Das Opfer einer Mutter 
beſteht im gegebenen Falle in der Hingabe derſelben an eine wider⸗ 
wärtige Befhäftigung, um ihren Kindern eine freundliche und ange» 
nehme Jugend zu fichern, was jedenfall einen höheren Grab von 
Heroismus bemweift, als eine fchnell ausgeführte Heldenthat. — Die 
Erzählung von ber Austreibung der Hamburger ift mit Details aus» 
geſchmückt, die namentlich für Kinder von großem Intereſſe fein müfjen. 
26, II. Bob. Der fille Heinrich. .4. Auflage. Ebendaſelbſt. Preis: 

1a Ser. 

Der Sohn eined armen Schneiderd wird in Folge mangelhafter 
Ernährung krank. Am Zuftande größter Erfchöpfung erregt er die 
Aufmerkſamkeit zweier Cavaliere, die die Möglichkeit feiner Wiederher- 
ftellung zum Gegenftanb einer hohen Wette machen. Die eigenthüm— 
liche Situation, in melde das Kind dadurch geräth, bringt bei rüd- 
fehrender Gefundheit aber auch boshafte Verfolgungen über daſſelbe, 
die damit enden, daß es geraubt und ind Wafler geftürzt wird. — 
Die Darftellung tft außerordentlich fpannend, für Kinder empfindjamen 
Gemüthes faft zu aufregend. 

27. IV, Bd. Kriegserlcebniffe eines Bänfejungen. — EinThürmer 
und eine Schnüpftabakdoſe. Ebendafelbft. 

Die erfte Erzählung führt den Lefer auf das Schlachtfeld von 
Königgrätz; Abficht des Verfaſſers ift, die Gräuel des Krieges und bie 
Leiden der Verwundeten zu fchildern. — An der zweiten Darftellung 
zeigt der Verfaſſer, welche michtigen Dienfte ein braver Mann auf 
jedem Plate feinen Mitmenfchen leiften Tann. — Recht anfprechend 
erzählt! 

28. V. Bob. Der Pilger und der Lindwurm. 

Eine allegorifche Erzählung! — Der Verfafler giebt in berfelben 
ein Bild von dem Aberglauben des Mittelalters, der wie ein viel 
köpfiges Ungeheuer in Judenverfolgungen und Hexenprozeſſen das 
Leben der Zeitgenofien bebrohte und erft durch die Waffen der mieber- 
auflebenden Wiflenichaft bekämpft und befiegt werden konnte. — Sehr 
aniprechend erzählt. 


442 $ugend- und Volksſchriften. 


29. VL Bd4. Der Kanartenvogel. Bine Ziehmutter. Das Kaninchen 
30. VIL Beh. 8 bedarf wenig, um giüdlih zu fein. Die Kamel. 

Beide Bändchen enthalten anipredyende Bilder aus bem Boll 
leben, an denen fi der Erfahrungsſatz beftätigt findet, daß noble 
Gefinnung und wahre Tugend auch in niedriger Hütte wohnt und 
dort viel höher anzufchlagen ift, als in glüdlichern Lebenöverhältnifien. 
31. VIIL BT. Talbot und Levingtbon. — Schet die Bögel unter 

dem Himmel an. 

Zalbot ift der Name eines vom Glüd verwöhnten englifchen 
Lords. Um feiner befieren Natur Genüge zu leiften, beichließt er, in 
fremden Landen unerlannt das ihm zu Theil gewordene Glüd auch 
u berdienen. Er tritt unter dem angenommenen Ramen Lebingthon 
ın Öfterreichiiche Kriegsdienſte und avancirt während des fiebenjährigen 
Krieges vom Gemeinen bis zu den höchſten militärischen Würden. — 
Die Erzählung ift recht fpannend geihrieben, und wird bejonbers 
Knaben viel Vergnügen madıen. — 

Die zweite Erzählung ift eine Epifode aus dem Leben eined braven 
Landſchullehrers, der aber in feiner Lehrmethede den Anfprüchen des 
Herrn Sculrath nicht mehr genügt. Das Ende ift befriedigend. Die 
Zectüre eignet ſich jeboch weniger für die Jugend, ala für Erwachſene. 
32. IX Boch. Deutſche Treue 

Eine Epifode aus den legten Jahren des vorigen Jahrhunderts, 
das fo ftart an den Fürftentbronen rüttelte. — Die Bürger einer 
Heinen Reſidenzſtadt vertheidigen und erhalten durch Klugheit und 
Lift der geflüchteten Fürjtenfamilie die zurüdgelaffenen Güter. — 
Ebenfalls ſehr fpannend geichrieben. — 

33. X. BU. Stall, Storhnef und Badtrog. — Die vier Jah⸗ 
reszeiten zu Pferde. 

In der erften Erzählung ſchildert der Verfafler die Habgier und 
den MUebermuth der Franzoſen während der traurigen Zeit von 
1806—12. 

In der zweiten begleitet er ſächſiſche Hilfstruppen auf ihrem 
Feldzuge nad Rußland und fchildert die Leiden bes Heered an ben 
Erlebnifien der vier Neiter: „Winter, Lenz, Sommer und Herbft.” 

Wir wünfchen den zehn Bändchen eine freundliche Aufnahme unter 
der Jugend beiberlei Geſchlechts. 

34. Aus dem Walde. Wusgewäblte Geſchichten für die reifere Jugend. Don 
:: K. MRofegger. Mit Süuftrationen. 8%, (276 &.) Ber, Guſtav 
edenaftl. 1873. Preis: geb. A Mark. 

In dem Vorwort nennt der Verfaſſer ben Wald „unfer Aller 
Kindheit Daheim” und deutet in fohmülftigen Redensarten barauf bin, 
daß den entarteten Weltlindern heilende und nährende Koft nur von 
benen zugeführt werden könne, die noch in dieſer Heimath wurzeln. 
Er felbft nennt fi ein Kind des Waldes, und fo könnte ber Leſer 
bilfigerweife auch außerordentliche Leiftungen von ihm erwarten. — 
Stofflih gehören feine Erzählungen dem Genre ber „Dorfgefchichten” 








Jugend⸗ und Volksfchriften 443 


an; der Schauplaf iſt in einigen Fällen ber Wald, jeboch nur in 
ber erften „der Holginecht” ein weſentliches Moment für den Gang 
ber Erzählung. — Unter den vorgeführten Geftalten findet fih kaum 
eine, die der Jugend unbedingt ald Vorbild dienen könnte; bie Ereig⸗ 
niſſe find durchaus dem Alltagsleben entnommen und bie Sompoft- 
tionen, matt, ohne eigentliche Bointe, entſprechen fomit in Feiner Weife 
dem dithyrambiſchen Vorworte. Ebenſowenig wird ſich der Verfaffer 
mit Erzählungen mie die vom „Räuberhauptmann“, dem „Stangl- 
puger” und „Nach Amerika”, die Sympathien der Jugend gewinnen, 
wenn aud der Inhalt des Buches jonft ganz harmlos zu nennen ift. 

An der äußeren Ausftattung hat e8 die Verlagshandlung nicht fehlen 

laſſen. Drud und Papier find fchön, der Bilderſchmuck anſprechend. 

35. Der Schneider von Gaſtein und Kleinere Erzählungen von Karl 
Gtöber. 12. 136 S. Stuttgart, I. F. Steinfopf. 1874. Preis: cart. 
Ta Ser. 

Der brave Schneider bient zwei Neifenden ala Führer in ben 
Alpen. Er beweiſt ſich dabei als ein zuverläffiger Diener, guter Ge- 
fellichafter und edler Menſch. Die kürzeren Darftellungen find eben- 
falls moraliihen Inhaltes und empfehlenswertb für Jung und Alt. 
36. Wie Gott mid führt, fo will ih gehn, und Großmutter und 

Cnkel. Erzählungen von Guſtav Nieritz. Mit 1 Titellupfer. 12 

115 S. Stuttgart und Leipzig, Otto Rifh. 1874. Preis: cart. 7"/a Ser. 

Die erſte Erzählung enthält die Lebensgefchichte eines Gaftwirthes, 
ber als Kind früh verwaift, durch Anſtelligkeit, Treue, Genügſamkeit, 
innere Zufriedenheit und äußerlich Anerfennung findet. In fpäteren 
Jahren ericheint er als ber Wohlthäter. feiner Gejchwifter und anderer 
Bebürftiger. 

An der zweiten Erzählung zeigt ber Verfaſſer die nachtheiligen 
Folgen entgegengejegter Erziehungsprineipien. — Zur Lehre für Er- 
wachſene! 

37. Die Geſchwiſter von Marienthal. Von Guſtav Plieninger. Mit 
leltupfer. 4. Auflage. 12. 80 S. Ebendajſelbſt. 1874. Preis: 

8 

Erzählt von zwei Negerkindern aus dem Innern Amerikas, die 
unter dem wechſelvollen Schickſal verkäuflicher Sklaven ben Lehren 
des Chriſtenthums gemäß handeln. Lehrreiche Erzählung für Kinder 
von 10—14 Jahren. 

388. Des Reichthums Roth. Erzählung von Guſtav Mierid. Mit 1 
Titeltupfer. 12. 90 ©. Chdendafelbfl. 1874. Preis: cart. 74a Ser. 
Zu der Frangofenzeit verbirgt ein wohlhabender Kaufmann fein 

Baarvermögen an verfchiedenen Drten, ſlirbt darüber, ohne feiner 

Familie das Geheimniß entdeckt zu haben. Die lestere verarmt in 

Folge der Kriegsereigniſſe und muß fpäter fogar die Hilfe deö Armen 

inftitut8 in Anfpruch nehmen. In ber größten Noth wird ber ver⸗ 

borgene Schag von Perjonen entdeckt, die früber Wohlthaten der 

Familie genofien haben; Gelbgier verleitet jene, ben Fund zu ber» 





444 Sugend- und Vollsichriften. 


heimlichen. Mit dem Befit bes Geldes zieht Unruhe und Unfriede 
bei ihnen ein, ber endlich ihre unrebliche Handlungsweife ana Licht 
ingt. — 
Anſprechend und gut erzählt für Alt und Jung. — 


39. Die ee Erzählung von Demfelben. Mit 1 Titeltupfer. 
2. ) Ebendaſelbſt. 1874. Preis: cart. 7Y/, Ser. 


Handelt fih ebenfalls um eine beveutende Gelbfumme, die ein 
Advokat feinem Freunde und Clienten unterfchlagen und damit die 
Tamilie des Beraubten in Noth und Dürftigfeit geftürzt bat. Die 
„Dergeltung” für feine ſchlechte That empfängt er durch feinen uns 
gerathenen Sohn. Beide, Vater und Sohn fommen in den Straßen- 
fämpfen 1849 um. 


40. Der ſibiriſche Zobeljäger. Bon Peter Parley. Nah dem ⸗ 
liſchen. 3. Auflage. Mit 1 Titelkupfer. 12. (09 ©.) —&E 
1874. Preis: cart. 71, Sgr. 


Die Erzählung begleitet einen jungen Polen auf feinen Streif- 
zügen durch einen Theil Sibiriend, auf denen er mit verfchiebenen 
Völferfchaften in Berührung kommt und interefiante Abenteuer erlebt. 
Die Jagd auf die geihäßten Belzthiere tritt zurück gegen den erzäh- 
Ienden Theil der Darftelung. Weberflüffig in berjelben ift die Dar 
legung der Motive für die Handlungsweiſe des Gouverneurd von 
Tobolsk, wenigftend ungeeignet für eine Jugendſchrift. 


41. Blaubendtreue oder die Wallonen in der Pfalz. Erzählung 
mi ger. Blaul. 12. (185 ©.) J. F. Steinfopf. 1874. Breis: cart. 
2 . 


—8 einen hiſtoriſchen Stoff aus der Zeit der Hugenotten- 
verfolgungen in Frankreich. — Als auch aus Antwerpen bie Prote: 
ftanten vertrieben werden, wandert eine ganze Gemeinde unter ber 
Führung ihres frommen Geiftlihen aus. Schwere Prüfungen folgen, 
— (63 gebt der Sohn des Geiftlicden in der Petershöhle bei Lüttich 
verloren und muß bet der eiligen Flucht von den Eltern aufgegeben 
werden. Das Geſchick führt den Knaben miederholt in die Lage, 
feinem proteftantifhen Glauben Opfer zu bringen; auch an den 
Kämpfen während der Bartholomäusnaht nimmt er Theil und fällt 
in der Nähe Colignys. — Die vertriebenen Wallonen finden in der 
Pfalz ein friedliches Aſyl, bis ein Regierungswechſel neue Trüblal 
über fte verhängt, die von Seiten ber ftrenglutberiichen Fürftin aus- 
geht und fie nochmals zur Auswanderung zwingt. — — 

Die Einkleivung fällt zumeilen etwas in die Breite, die Erzäh⸗ 
lung ift fonft aber für Alt und Jung zu empfehlen. In den Perſön⸗ 
lichleiten bes Pfarrerd und jeiner übrigen Tamilienglieder find nad 
ahmungswerthe Vorbilder für ein chriftliches Leben aufgeitellt. 

42. napoleon® Ariegeaug nad nad Moskau im Jahre 1812. Ein Geſchichts⸗ 
ruͤbe. 


bild von A 116 S. Ebendaſelbſt, 1874. Preis: 
cart. 7%/a Gear. 








Sugend- und Volksſchriften. 445 


Als Hintergrund malt der BVerfafler den Triumphzug des Kaiſers 
Napoleon durch Deutichland vor Beginn des Feldzuges und führt 
dann in marligen Zügen ben Untergang der franzöfifchen Armee vor 
das geiftige Auge des Lejerd. — Man Tann fagen, daß jeder Sat 
der Darftellung bedeutungsvoll für das Enfemble ift und den fittlichen 
Gedanken zum Ausdruck bringen hilft, daß ein Volt nur diejenige 
Freiheit verbient, die es felbit zu erobern und zu behaupten im Stande 
if. Ein derartig gejchriebene® Bud ift eine wirkliche Bereicherung 
der Yugendichriftenliteratur! — Auf Seite 7 bat fih indeſſen ein 
Drudfehler eingefchlihen, wonad die Bildungszeit Napoleons unter 
die Regierungszeit Ludwigs XIV. verlegt wird. 


43. Dr. David Livingflone der Mifftionär und Reifende Don ©. 
Weitbrecht. 12. (146 ©.) Ebendaſelbſt. 1874. Preis: cart. 7% Ser. 


Der Titel giebt Schon Ausfunft, unter welchen Gefichtspunften der 
mübenolle und fegensreiche Lebensgang des berühmten Mannes bar 
geftelt worden if. Das mohlgelungene Xebensbild zeigt ung zuerft 
den in bürftigen Berhältnifien aufmachienden Knaben, dem feine 
Arbeit zu ſchwer, Teine Anftrengung und Entbebrung zu groß find, 
wenn fie ihn fchrittweife feinem früherlannten Lebensberuf entgegen- 
führen. Diefelbe Ausdauer und Charalterftärfe bei größter Herzens⸗ 
milde bahnten ihm fpäter Die vorher nie betretenen Wege durch das 
Innere Afrika's und die friedlichen Eroberungen, welche die Welt ihm 
zu banken bat, find Denkmäler eines lebendigen Chriftentbums unter 
den Heiden. Die Darftellung kann allen Altersftufen zur Erbauung 
und Nachahmung empfohlen werben, wenn auch damit nicht gefagt 
werben joll, daß eine Miffionsreife nah Afrika dazu gehört. 

44. Aus dem Xeben eines indifhen Königs. Bon einem Augenzeugen‘ 


Aus dem ÜEnglifhen. Bon A. W. Knighton. Mit 1 Titeltupfer. 12° 
(106 ©.) Stuttgart u. Leipzig, Dito Riſch. 1874. Preis: cart. 7%/ Sgr 


Der Erzähler der bier mitgetheilten Begebenheiten hat eine Zeit: 
lang am Hofe eines Vafallenfürften der britifchen Krone gelebt und 
fchildert die damaligen Zuftände unter der Willfürberrfchaft eines eitlen 
und graufamen Deöpoten mit großer Lebendigkeit. Beſonders iſt es 
das Schaufpiel blutiger Thierlämpfe und die lächerlide Poſſe des Hof- 
ceremoniels, die dem Leſer in größerer Ausführlichleit vorgeführt wird. 
— Die Fremdartigkeit des hier verwendeten Stoffes wird das Intereſſe 
der Jugend andauernd feſſeln. — 


45, Dergroße Krieg und das deutfhe Reid. Bon Wilhelm Müller. 
Eu d Titelkupfer. 12. 163 S. Ebendaſelbſt. 1874. Preis: cart. 
2 gr. 


Nachträglich noch eine populäre Kriegsgeſchichte, der zweckmäßige 
Anordnung des Materials, Klarheit der Zeichnung und Korrektheit 
der ſprachlichen Darſtellung nachgerühmt werden kann. Sie gewährt 
ein abgerundetes Bild der hervorragendſten Leiſtungen des deutſchen 
Heeres und eignet ſich ebenſogut zur Lectüre für die heranwachſende 





446 Jugend⸗ und Volksſchriften. 


Jugend, als für den einfachen Bürger und Landmann. Das Buch 
empfiehlt fich deshalb zur Anſchaffung für Volksbibliotheken. — 
46. Das Büchlein vom deutſchen Kronprinzen. Bon Emil Oli. 
ern einem Zitelfupfer. 12. (116 ©.) Ebendaſelbſt. 1874. Preis: cart. 
gr. - 
Das mit großer Begeifterung gezeichnete Bild des populären 
Fürften und SKriegshelden zeigt denfelben als liebevollen und gehor⸗ 
famen Sohn, glücklichen Gatten und Bater, als anipruchslofen und 
pflichtreuen Soldaten und ritterlichen Kriegäführer. Der Verfaſſer wird 
den richtigen Ton für feine Darftellung getroffen haben, die auf den 
zuftimmenden Beifall ſowohl der deutſchen Jugend, als auch Erwachſener 
aus dem Volk zu rechnen bat. 
47. Das Büdlein vom Prinzen Karl. Bon Demjelben. Mit einem 
Zitelfupfer. 12. 102 S. CEbendaſelbſt. 1874. Preis: 71, Sgr. 
Ein Seitenftüd von voriger Nummer, nur etwas Fühler gehalten. 
Der Inhalt ift augenfcheinlich zur Lectüre für Knaben und Soldaten 
peftimmt, für melden Zweck e8 auch beſtens empfohlen werben 
ann. — 


48. Das —A Eine Erzählung für die Jugend unb das Boll 
von Louiſe Pichler. Mit einem Zitellupfer. 2. Aufl. 12. 130 ©. 
Stuttgart und Leipzig, Dtto Riſch. Preis: 7!/a Ser. 

Das Motiv für dieſe Erzählung bat die Verfaflerin in ben er⸗ 
folgreichen Kulturbeftrebungen Karla des Großen gefunden, welche im 
Einzelnen und Befonderen zu veranfchauliden, bie Bewohner des 
„Hünenfhloffes als die bebdeutfamften Figuren ber Darftellung 
dienen. Sie find die Objecte der landesväterlichen Zucht des Kaifers 
und an ihnen übt er feine Taiferlide Macht mit ebenfo viel Energie 
als Milde. — Einer ber befiegten edlen Sachſen bat ſich mit feinen 
Söhnen in dem verfallenen Gemäuer einer Hünenburg niebergelaflen, 
von wo aus er in unverjöhnlidem Haß gegen Alles, was an den 
Chriftengott erinnert, einen Vernichtungsfampf führt. Wegen diefer 
Gewalttaten vor den Kaiſer zum Gaugericht gefordert, giebt er halb 
aus Berechnung, halb gezwungen feine Söhne in ben Dienft bes 
Kaiferd und kehrt allein mit erhöhten Tro in feine Wälder zurüd. — 
An Jenen wirft innerhalb zehn Sahren bie verebelnde Kraft des Chriften= 
thums die mohltbätigfte Veränderung; die Liebe treibt fie zurüd zum 
einfamen, grollenden Vater, der endlich, der fanften Gewalt ebenfall$ 
nachgebend, ein frommer und aufrichtiger Chriftenbefenner wird. 

Welchen Antheil Sage und Erfindungsgabe ber Berfaflerin an der 
Erzählung haben, kommt hierbei wenig in Betradt. Die Erzählung 
bietet ein gutes Bild der damaligen Culturzuftände, ift gut angelegt 
und entwidelt, und fomit als eine recht empfehlenswerthe Lectüre für 
Sung und Alt zu bezeichnen. 

49. Die Kartbaufe ine Erzählung für die Jugend und das Voll. Bon 


Derfelben. Fo Aufl. Ebendaſelbſt. Mit einem Titelkupfer. 12. 126 ©. 
Preis: Ta S 














Iugend- und Volksſchriften. | 447 


Die Kartbaufe Güterftein mwirb der Sage nah als bie 
Stätte bezeichnet, an ber ſich die glückliche Sinnesänderung Herzog 
Eberhard von Württemberg vollzog. Das für das Land bebeutungs- 
volle Ereigniß in eine hübfche Erzählung einzukleiden, ift ber Ver⸗ 
fafjerin beftens gelungen. Sin berfelben wird auch der eigenthümliche 
Lebens⸗ und Entwidelungsgang eine® Mannes mitgetheilt, der fich 
um die Perfon des Fürſten, ſowie um das Wohl bes Landes Württem⸗ 
berg große Verbienfte erworben bat. — Inhaltsreich und dabei fehr 
anziehend erzählt. — 

50. Die Anfiedler im Shwargwalde Cine Erzählung für die Jugend 
und das Boll, Bon Derfelben. 2. Aufl. it 1 Titelkupfer. Eben⸗ 
daſelbſt. 12. 118 S. Preis: cart. 7'/s Gar. 

Steirifhe Bergleute, um ihres Glaubens willen aus ihrem Vater⸗ 
lande vertrieben, finden in Württemberg eine neue Heimath und in 
ben Bergwerken des Schwarzwaldes auch Broderwerb. — Das Haupt- 
motiv für die Erzählung bietet jedoch die in jener Zeit berrichende 
Manie, den Stein der Weifen erfinden und mit demjelben ein Mittel 
zur Herftelung des Goldes aus unedlen Metallen zu erhalten. — 
Auch Herzog Friedrid) I. von Württemberg wird wiederholt das Opfer 
auf diefe Manie fpeculirender Übenteurer. Einer derfelben entführt 
den hoffnungsvollen Pflegefohn eines Bergmanns aus dem Schwarz= 
walde, was für die Familie verbängnißvolle Folgen hat. — Die Ver⸗ 
fafjerin entwidelt dann an der weiteren Darftellung den fittlichen Ge- 
danken, daß der Stein der Weifen nur ein abftrafter Begriff fei, der 
eine durch gebiegenes Willen verebelte und potenzirte Arbeitöfraft be= 
deute. Die Erzählung ift lehrreich und intereflant für Yung und Alt. 


51. Hermann und Tiberius ine Erzählung für die Jugend und das 
Boll. Bon Derfelben. Mit 1 Titelkupfer. Ebendaſelbſt. 12. 112 ©. 
Preis: 72 Ser. 

Sn der Darftellung ift die ſittenverderbende Ueppigkeit der 
Römer und die edle Einfachheit der Deutfchen damaliger Zeit geichilbert; 
geſchichtlichs Moment ift der Tod Hermanns durch die Hand bes 
Chattenfürften Audogaſt. Die Verfafjerin bat mit befanntes Geſchick⸗ 
lichkeit erzählt. 

52. Ein Grenadierdes großen Fritz. Eine Erzählung für die Tugend 
und das Boll. Bon Derfelben. Mit 1 Titelkupfer. Ebendaſelbſt. 12. 
147 S. Preis: 7’/, Sgr. 

Der Grenadier Salzmann iſt eine typiſche Figur, in der die Be⸗ 
geiſterung der preußiſchen Armee für ihren Kriegsherrn veranſchaulicht 
werden ſoll. Das ereignißreiche Jahr 1757 zeigt die Geſinnung der 
Soldaten unter dem Einfluſſe großer Erfolge und ſtarker Verluſte. 
Die für den Zmed der Darftellung verwendeten Aneldoten find treff- 
lih benugt und gewähren eine anziehende Lectüre. — 

53. au Zeit der Königin Louiſe. Erzählung für die Jugend und bas 


olk. Bon Derfelben. Mit 1 Titeibilde. Ebendaſelbſt. 12. 120 ©. 
Breis: 71, Ser. 





448 Sugend- und Volfsichriften. 


Gewiſſermaßen ein Gegenftüd zu ber vorigen Erzählung, Toll 
das bier gezeichnete Zeitbild die militärische Disciplin der preußifchen 
Armee zum bebeutungslojen Kamaſchendienſt berabgefunfen darftellen. 
Ueberhaupt ift e8 die Abficht der Verfaflerin, das Zuſammenwirken der 
vorhandenen inneren Bedingungen für den bevorftehenden Fall Preußens 
zufammenzuftellen. — In der Einleitung ift die Darftellung breit und 
unintereffant; aber fie wird warm und anfprechend, wo bie edle Geftalt 
der Königin in den Vordergrund tritt. 


54. Aufdem deutfhen Meer. Gine Erzählung für bie Jugend und das 
Boll. Bon Derfelben. Mit 1 Titelkupfer. Ebendaſelbſt. 12. 107 ©. 
Preis: 7'/, Sr. 


Eine bis ins Einzelnfte geführte Sittenfchilderung aus der Zeit 
des Germanifus. — Die Darftelung verräth fchon eine bedenkliche 
Erſchöpfung und ift entſchieden das ſchwächſte Probuct unter den bier 
angezeigten Schriften der Darftellerin. 


55. Der Rekrut. Eine Erzählung für die Jugend und das Boll. Bon Der, 
felben. Mit 1 Zitelfupfer. Ebendaſelbſt. 12. 111 S. Breis: 7’), Ser. 


Die Gefchichte fpielt in der Zeit ber Willfürberrichaft Herzog 
Karl Eugen? von Württemberg. — Ein junger gebildeter Mann wird unter 
die Eoldaten ausgehoben, entzieht ſich der rüdfichtälofen Behandlung 
durch die Flucht, wird wieder ergriffen und zum Tode verurtbeilt. — 
Eine Treibjagb wird Veranlaffung zu feiner Begnadigung Später 
nochmals unter die Soldaten eingereibt, zeigt er fich als ein treuer 
und getilfenhafter Untertban. — 

Die geſchilderten Zuftände machen einen unerquidlichen Eindruck; 
aber fie können dem Leſer auch Beranlaflung geben, die gegenwärtigen 
Berhältniffe mit den damaligen zu vergleichen, wovon immerhin ein 
fittlider Gewinn für ihn zu erwarten iſt. — 


56. Sido und die Geſchwiſter im Buchen walde. Erzählung für die 
reifere Jugend von Auguſte Kinderlieb. Mit 1 Zitelbiide. 12. 96 ©. 
Berlin, Hauptverein für chriftlihe Erbauungsfchriften. 1874. Breis: cart. 

gr. 


Am Kaben einer anfpruchslofen YFamiliengefchichte entwickelt die 
Berfaflerin die edelften Motive: Hingebungsvolle Liebe gegen Eltern 
und Geſchwiſter, Pflichttreue und Anfpruchslofigkeit. — Den Mittel- 
punft der Erzählung bildet ein Hund, defien Name „Fido“ bebeutungs- 
vol für die Entwidelung der Darftellung if. Er erinnert den Sohn 
an ein gegebenes Beriprechen; in Folge deſſen gelangt der Hund ın 
den Befit eines kranken Kindes, und wird zu drei verſchiedenen Malen 
u geuer ſeines früheren Herrn aus leiblicher und moraliſcher 

efahr. — 

Die Darſtellung ſpricht warm zu Herz und Gemüth, iſt ſprachlich 
ſchön und korrekt und kann den verſchiedenſten Altersſtufen beſtens zur 
Lectüre empfohlen werden. — Bei dem außerordentlich niedrigen 
Preiſe wird es hoffentlich eine recht weite Verbreitung finden. — 











Jugend- und Volksſchriften. 449 


57. Die Großmutter. Erzählung für die reifere Jugend. Bon Derſelben. 
12. 67 ©. Gbendafelbfi 1874. Preis: cart. 5 Sur. 

Ebenfalls eine Erzählung von tiefem ſittlichem Gehalt in an⸗ 
muthiger Yorm. — Die Großmutter erzählt ihren Enkeltöchtern ben 
eigenen Lebensgang. Als vaterlofe Waife von einer Tante aufgenommen, 
fühlt fie fi von dem etwas derben Weſen berjelben verlegt und vers 
läßt das Haus, um zur Mutter zurüdzulehren. Am erften Abend ihrer 
Flucht wird fie von einem Landgeiftlichen auf einer Wieſe gefunden 
und in fein Haus geführt. — Ein einbringliches Wort beffelben bringt 
fie zur Erfenntniß und Rückkehr zur Pflicht. Bald geitaltet fi ein 
herzliches Einvernehmen zwifchen Tante und Nichte, welche letztere mit 
immer wachſender Dankbarkeit an ihren Woblthätern hängt. Des 
Pfarrers Kind rettet fie mit eigner Lebensgefahr, tritt fpäter ſelbſt als 
zweite Gattin an feine Seite. — 

Ein jehr empfehlenswerthes Büchlein für Mädchen von 14—18 
Jahren. 

58. Naemi und Salli Rubens, oder Glaubenswege. Erzählung für die 
reifere Zugend. Bon Derſelben. 12. (90 S.) Ebendaſelbſt. 1874. 
Preis: cart. 6 Sgr. 

Auch an diefer Erzählung bewährt fih das fchöne Talent ber 
Berfafferin. — Der etwas ſpröde Stoff, die Belehrung mehrerer Glieder 
einer jübifhen Familie zum chriftlihen Glauben, ift ſehr taktvoll be- 
handelt und legt für die tolerante Gefinnung der Erzählerin ein günftiges 
Beugniß ab. — Die einzelnen Scenen find lebenswahr und interefjant, 
die Entwidelung ungeſucht natürlich und die Wirkung der Erzählung 
eine recht mwohlthuende. — Bei einer fo auögefprochenen Begabung 
fönnen wir nur wünſchen, dab uns recht oft Gelegenheit werde, eine 
Babe diefer Jugendfreundin zur Anzeige zu bringen. — 

Die Leetüre der vorftehenden eignet fich für Sinaben und Mäbchen 
von 14—17 Jahren. — * 

59. Die Nachbarn. Aufder Brücke zu Bafel. Zwei Erzählungen für 
die Jugend und das Boll. Bon Louiſe Pichler. Mit 1 Titelkupfer. 
12. (102 S.) Stuttgart und Leipzig, Otto Riſch. Preis: cart. 7'/, Ser. 

Die erſte Erzählung fpielt in ver Zeit der Fehden der Ritter 
gegen die Württembergifhen Stäbte. — Die freundliche Theilnahme 
einer wohlhabenden Familie an dem Ergehen ber armen Nachbarn 
gewinnt ber erfteren die treue und aufopfernde Anhänglichkeit der heran⸗ 
wachſenden Kinder, die bei einem feindlichen Ueberfalle beide ihr Leben 
verlieren, indem fie Hilfe leiften. 

Auf der Brüde zu Bafel empfängt ber Beauftragte bes 
Minifterd Louvois das berabrebete Zeichen der Straßburger Rathsherrn, 
das ihren Verrath an der Stadt befiegelt. — Eine Darftellung ohne 
innern Gehalt,-die höchſtens einen Maßſtab für die Verdienſte giebt, welche 
am Hofe Ludwig XIV. Auszeichnung und Belohnung zu erwarten hatten. 


60. Am Johannisfette. ine Erzählung für die Sugend und das Bolt. 
Bon Derfelben. Mit 1 Titellupfer. 12. 144 S. Übendafelbft. Preis: 
cart. 7Ya Sgr. 

Vad. Jahresbericht. XVI. 29 


450 Jugend- und Bolksichriften. 


Den Stoff bat die Verfaflerin mahrfcheinlih gewählt, weil er 
einige Vergleichungspunfte für die großen Ereigniffe der legten Jahre bietet. 

Lothar von Frankreich überfällt den arglofen. zur feier des Johannis⸗ 
feftes in Aachen weilenden deutfchen Kaifer Dito IL., um ihn zum Ber- 
Acht auf Lothringen zu nöthigen. Rechtzeitig gewarnt entlommt Dito 
der brohenden Gefahr, fenbet dem abziehenden Feinde eine Kriegserklärung 
nad, die ihn bald auf Frankreichs Boden führt. Lothar zieht fi 
mit feinen Streitkräften ftet3 zurüd; Paris wird belagert, aber nicht 
genommen, fondern nur eine Heine Komödie auf dem Montmartre auf⸗ 
geführt, welche bie deutichen Krieger über die Erfolglofigleit der Be- 
lagerung entfchäbigen fol. Auf dem Rückwege wird das beutiche Heer 
überfallen. In allen diefen Scenen zeigt Lothar erbärmliche Feigheit, 
die ihm natürlich Verachtung bon Freund und Feind zuzieht. — An 
und für fich bietet bie Epifode wenig fruchtbaren Stoff für eine Er- 
zählung; von dem im Eingange angegebenen Geſichtspunkte aus aufs 
gefaßt läßt fich der Darftellung manche intereffante Seite abgewinnen 
und wirb gewiß gern gelefen werben. 

61. Bor dem großen Kriege. Bon Theodor Münd. 8%. 37 ©. 

Nördlingen, C. H. Beckſche Buchhandl. 1874. Preis: cart. 6 Ser. 

Die bier mitgetheilten Begebenheiten Tennzeichnen die Gährung ber 
Gemüther in den verſchiedenen Gefelljchaftäfreifen unmittelbar vor Aus⸗ 
bruch des dreißigjährigen Krieges. — Eine hübſch geichriebene Dar- 
ftellung für die veifere Jugend und Lejer aus dem Boll. — 

62. Kaiferin Adelheid, Gemahlin Otto des Großen. Eine Erzählung 
für die Jugend und das Doll. Bon Katharina Diez. Mit 1 Titels 
bitd. 2. Auflage. 12. (103 ©.) Stuttgart und Leipzig, Otto Riſch. 
1874. Preis: cart. 71), Sgr. 

Das AYugendleben, die Gefangenihaft, Befreiung und die fernern 
Saiejale ber vielgeprüften Fürſtin find bier in anfprechenber Weile 
erzählt. — 

63. Die Zeiten find niht mebr, wo Bertha ſpann. (ine Erzählung 
für die Jugend und das Volk. Don Derfelben. Mit 1 Titelbilde. 2. Aufl. 
12. (131 ©.) Ebendaſelbſt 1874. Preis: cart. 7%, Ser. — 

Auch diefer Erzählung liegt eine Begebenbeit aus dem Leben ber 
Raiferin Adelheid unter, die Beranlafiung gewefen, daß ein ebles 
Schwabengeſchlecht an den Ufern der Etſch mit großem Länberbefik 
belehnt wurde. — Hauptmotiv ber Darftellung ift: das Weſen ber 
ächten deutſchen Frau zu kennzeichnen und das Ideal einer ſolchen in 
der Perfon der fagenhaften Mutter Karla des Großen zu verkörpern. 
Die Verfaſſerin will ber meiblichen Jugend einen Spiegel vorhalten, 
mittelft befjen die immer feltner werdenden häuslichen Tugenden in 
ihrer Zauberkraft erlannt werben follen. — Diefe gute Abficht mög⸗ 
Licht zu fördern, empfehlen wir das gut gefchriebene Buch zum Ankauf 
für Vollsbibliothelen und meibliche Fortbilbungefchulen. — 


64. Das Lied an die Freude. Aus dem Leben eines deutfchen Dichters. 
Eine Erzählung flir die Jugend und dae Volk. Mit 1 Titelbild. 2. Aufl. 
12. 886. Von Derfelben. Ebendaſelbſt 1874. Preis: cart. 7%/s Sgr. 











Jugend⸗ und Volksſchriften. 451 


Nach der Sage hat Schiller einſt einen Studenten vom Selbſt⸗ 
mord zurückgehalten, eine Zeitlang ſeine Wohnung und geringen Mittel 
mit ihm getheilt und beim Hochzeitsmahl ſeines Freundes Körner eine 
Sammlung für den Bedrängten veranſtaltet, deren reichlicher Ertrag 
ihn zu der jubelnden Freude ſtimmte, der in dem herrlichen Liede an 
die Freude Ausdruck gegeben iſt. — Iſt dieſer Zuſammenhang auch 
nicht verbürgt, jo liegt die Wahrſcheinlichkeit doch in dem Charakter 
unſers Dichters begründet und es iſt eine hübſche Idee der Verfaſſerin, 
das Motiv zu dieſer Jubelhymne in dem beſeligenden Bewußtſein über 
eine wohlgelungene edle That, nicht in der angeheiterten Stimmung 
des gefeierten Hochzeitsgaſtes entſtehen zu laſſen. — Die Erzählung 
lieſt ſich ſehr angenehm. 

65. Wengi, der Bürgermeiſter von Solothurn. Eine Erzählung für 
die Jugend und das Boll. Bon Derfelben. Mit 1 Titelbild. 2. Auflage. 
12. 100 ©. bendafelbft 1874. Preis: cart. 7'/, Ser. 

An dem Verhalten des Tatbolifchen Bürgermeifterd Wengi und 
feineg dem veformirten Belenntniß zugethbanen Freundes Ulrich zeigt 
die Berfaflerin, „daB das Wefen des Chriſtenthums unab- 
hängig iſt von der äußern Belenntnißform und fih am 
beften in der werkthätigen fiebe gegen Freund und Feind 
offenbart.” — Der Grundgedanke dieſer Darftellung ift in dem 
Bibelwort ausgefproden: „An ihren Früchten follt ihr fie erfennen.” — 
Recht beberzigenöwerth für Jung und Alt! — 

66. Jung Stilling. Ein Lebensbild für bie Jugend und das Voll. Bon 
Derfelben. Mit 1 Titellupfer. 12. (106 S.) Ebendaſelbſt 1874. Preis: 
cart. 7%), Ser. 

Schließt ſich der Selbftbiographbie Heinrich Stillings gleihfam als 
Ergänzung und Commentar an, in welchem bie originellen Büge bes 
Genannten Träftiger berbortreten. — 

67. Joachim Neander. Gin Dichterbild aus dem 17. Jahrhundert für die 
erwachfene deutihe Jugend. Bon Derfelben. Mit 1 Titelbild. 12 
132 ©. Ebendaſelbſt 1874. Preis: cart. 71/3 Ser. 

Nur eine Epifode aus dem Leben Neanbers ift in der Darftellung 
eingehend behandelt; nämlich die Zeit, in welcher er mit Erfolg gegen 
die in ihm gährenden Leidenfchaften kämpft. — Als Dichter wird er 
darin nicht ausreichend gelennzeichnet, wenn auch die Entftehung bes 
Kirchenliedes „Lobe den Herren” fchließlich noch mitgetheilt wird. — 
Recht anſprechend und farbenreih ift die Schilderung des Gemitters 
im Walde! — Das Bud) Tann ber Jugend zur Lectüre überlaflen werden ! 
68. TheodorMintrop. Ein Lebensbild für die Jugend und das Doll. Bon 

Derfelben. Mit Titelbiid. 12. 116 ©. Ebendaſelbſt 1874. Preis: 
cart. 7%, Ser. 

Der eigentbümliche Lebensgang des genialen Malers ift nad) von 
ihm felbft herrührenden Angaben erzählt und Tann der Jugend mancherlei 
Anregung zum Streben im Guten barbieten. Eiferne Beharrlichteit 
nn Verfolgung eines vorgejegten Zieles ift ver Grundzug biefes Charalter⸗ 

ildes. — 
29* 


452 Jugend» und Volksſchriften. 


69. Zwei Dialoniffinnen obne Ordenskleid. Nah dem Leben ge» 
jeichnet für die Jugend und das Voll. Bon Derfelben. Mit 1 Titel» 

id. 12. (98 ©.) Ebendaſelbſt 1874. Preis: cart. 7%/, Ser. 

Die Darftellung hat das Wirken zweier Frauen zum Gegenftanbe, 
welche lange Jahre hindurch ihren Lebensberuf im bingebenden Dienfte 
der Armen- und Krankenpflege gefunden haben. Eine berfelben vor= 
mmaetoeife als Armenpflegerin, die andere als Lehrerin ber weiblichen 

orfjugend. — Beide erjcheinen als würdige Gegenftänbe einer all= 
gemeineren Theilnahme, melde durch die Lectüre diefer Lebenzffigen 
fiher eriwedt wird. — 


E. Längere Erzählungen. 


70. Der Fleine Herzog oder Rihard ohne Furcht. Wine Erzählung 
nah dem Englifchen von Miß Yonge. 2. Auflage Mit Zeihnungen 
von Prof. Benus. 12. (194 ©.) Stuttgart, I. F. Steinkopf. 1874. 
Preis: cart. 18 Ser. 

Der jugendliche Helb dieſer hiſtoriſchen Erzählung ift jener Fürſt 
ber Normandie, der fchon im Alter von 8 Jahren die Hulbigung feiner 
Bafallen entgegennahbm und in diefem zarten Alter großen Ernft und 
Eifer für die Erfüllung feiner landesherrlichen Pflichten gezeigt hat. — 
Die trefflihe Darftellung der VBerfaflerin durch gute Bilder recht paſſend 
geichmüdt, wird Kindern, befonderd Knaben von 10—12 Jahren, großes 
Bergnügen bereiten. — Der Preis des Büchleins ift ein bejcheidener. 
11. Ly — u — Pa — 90, der Sohn der Wölfen. Naturs und Sittenfhilderungen, 

Kriegs» und Friedensbilder aus dem Reiche der Mitte. Urſprünglich heraus⸗ 

egeben von Johannes Ziethen. New bearbeitet von Eduard Hinge. 
Zwelte vermehrte und verbefierte Auflage Mit 100 Text-Abbilbungen, 
4 Zonbildern undfi Buntbilde. 8%, (316 S.) Leipzig, Dito Spamer. 1875. 

Die nach obigen Gefichtspuntten componirte Erzählung giebt ein 
anfchauliches Bild von dem Natur⸗ und Bölferleben in China. Die 
eingedrudten Holzſchnitte find zweckmäßig gewählt, der Tert klar und 
anregenb gefchrieben. Das Buch wird von Knaben von 12—15 Jahren 
gern gelejen werben. 

72. Der Skalpjäger. Mobinfond Erlebniſſe, Abenteuer und Fahrten in 
Mexiko. NRaturs und Gittenfhilderungen aus dem mittelamerilanifchen 
Jagd⸗, Krieger, Reife und Waldieben. Herausgegeben von Th. Bade 
und Franz Otto. Bierte, verbeflerte Auflage. Mit mehr ald 100 Tezt⸗ 
Abbildungen, vier Tonbildern und 1 Buntbilde. 8%. (240 ©.) Leipzig, 
Dtto Spamer. 1875. cart. 

Mit entiprechender Scenenveränberung verfolgt ber Inhalt bes 
Buches den gleichen Zweck wie das vorher angezeigte. Vorzugsweiſe 
kommen viele Jagd» und SKriegsfcenen zur Darftelung. — Ueber bie 
Geſchichte des betreffenden Landes find bie Mittheilungen bis auf die 
neueren Creignifie ausgebehnt. — Chenfall3 eine Lertüre für heran 
wachſende Knaben. — 








Sugend- und Volksſchriften. 458 


F. SIugendfchriften vorwiegend beichrenden Inhalts. 


713. Kinder-EonverfationssLerifon. Cine Gabe für die wiß⸗ und 
ernbegterige Jugend. Bon Wilhelm Weiß. I. Heft. Fünfte umgearbeitete 
und vermehrte Auflage. 8°. (80 ©.) «Dillingen a. d. D., Friedrich 
Manz. 1874. Preis: geh. 18 Krz. — 50 Pig. 

Nah dem Proſpect wird das ganze Wert aus ca. 60 Bogen be⸗ 
fteben und etwa 700 Artifel umfaflen, bie ‚in befchreibender, erzählen⸗ 
der, fchildernder, anrebenber Brief: und Geſprächsform Belehrung und 
Aufklärung geben follen“. 

Das vorliegende Heft zeigt nun eine alphabetifch geordnete Reihe 
ſehr millfürlih ausgewählter Begriffstwörter, die in irgend einer ber 
vorhin bezeichneten Darftelungsformen näher umfchrieben, aber nicht 
in allen Fällen erklärt find. — Die erften Seiten bieten folgende 
Beifpiele in ununterbrocdhener Reihenfolge: Aal, Aas, Abend, 
Abenteuer, Adelsberger Höhle, Aegypter, Uetna, Affe, Afrifa, Almofen, 
Alpe, Alpenleben, Alpenpäfle, Alpenroje, Alphorn, Ambos, Umeife, 
Ameifenarten, Ameifenlöwe, Amerila (ein Artifel, der 15 Seiten um: 
faßt), Amfel u. f. w. — Um den Begriff „Anekdote“ anfchaulich zu 
machen, erzählt der Berfafler „50 Leine Schnurren, die nur zum 
Theil wirkliche Anekdoten find. Daß auch bie in „anrebender” Form 
gegebenen Erklärungen dem Zwecke wenig entiprechen, bafür foll folgen- 
beö Beifpiel dienen. . 

„April. Schönen Dank, Herr April, für die Schönen warmen 
Tage jagen muntere Kinder und freuen fi, daß ber Himmel, der 
liebe, immer blauer, immer heller, immer freundlicher wird. Ha! denken 
fie, welch ſchönen Tage werden fommen, wenn ber April fchon jo an» 
genehm ift, und wenn er auch manchen warmen Regen über Euch aus⸗ 
gieht, fo werdet ihr ihm doch gewiß nicht böfe und verzeiht ihm gern 
diefen Spaß." — 

Als „Converſations⸗-Lexilon“ Tann das Wert alfo wohl nicht be= 
teachtet und empfohlen werben; als alphabetifch georbnete Sammlung 
von Leſeſtücken wird es manches enthalten, das leſenswerth für bie 
Sugend, beſonders derjenigen auf dem Lande ift. — Wenn dafür Bes 
dürfniſſe vorhanden, mögen die Heftchen angelchafft werben. 

74. Im grünen Bald. Bilder aus der Natur von Ifabella Braun. 
Mit Originafzeihnungen von Friedrich Rothbart. Kweite, gänzlih ums 
earbeitete und vermehrte Auflage. 5.4. 2148. Stuttgart und Leipzig, 

to Nifh. 1874. Breis: geb. 1*/, Thlr. 

In diefen Darftellungen follen die Kinder mit dem Leben im 
Walde befannt gemacht und die Beichäftigungen, bie ſich an das—⸗ 
felbe anjchließen, beiprochen werben, 3. B. die Dbliegenbeiten be 
Forfimannes, die Arbeiten des Kohlenbrenners, die mancdherlei kleinen 
Erwerbszweige, die der Wald dem Bebürftigen zu betreiben geftattet. — 
Die beigegebenen Bilder find hübfch gezeichnete Baumgruppen, aber 
das Colorit läßt viel zu wünſchen übrig. Die beiden Kohlenmeiler 
baben das Ausfehen von Eskimohütten und werben bie Begriffe ber 


454 Jugend» und Volksſchriften. 


Kinder viel eher veriwirren als Hären. — Für Sinber, die den Wald 
befuchen Tönnen, enthält das Buch manche nützliche Anregung. Vor⸗ 
zugsweiſe iſt es für jüngere Mädchen von 8—10 Jahren paflend. 
75; Blide ins menſchliche Culturleben von A. W. Grube, I Bid. 
Mit 1 Zitellunfer. 12. 77 S. Gbendafelb 1874. Preis: cart. 7'/, Ser. 
I. Bdch. 74 ©. 
Beide Bändchen enthalten treffliche Beiträge zur Böllerlunde. Sie 
behandeln folgende Themata: 
1. Hüttenbau der Naturböller in der heißen unb ber Talten Zone. 
2. Die Pfahlbauten in den ſchweizer Seen. 
3. Bon den Mahlzeiten und Gaftmählern der Völker. 
4. Ein Blid auf die Spiele der Völker. 
5. Bon der Kleidung und dem Schmud ber Menfcden. 
Die Art und Weife der Behandlung ift für bie Jugend vom 
14. Sabre an und für das Intereſſe der Gebilveten unter dem Volle 
berechnet, bietet gleichzeitig Belehrung und Unterhaltung in anfprechenb- 
fter Form. 
16. Raturbilder von’. W. Grube. L—IIL Bid. 12. 100—(120 ©.) 
Stuttgart, I. F. Eteinkopf. 1874. Preis: cart. à 7, Ser. 
Es iſt dies eine Auswahl aus einem umfangreiheren Werke de 
beliebten Schriftftellers, der „Biographien aus der Natur— 
Funde." — Inhalt des 


I. Boch. Gefchichte eines Waſſertropfens. Der Bernftein. Die 
Koralle. Die Fichte. Die Palme. Die Gazelle. Der Ya. 

I. Bdoch. Das Geld. Das Eifen. Die Steinlohle. Der . 
Diamant. Die Perlen. Die Cocenille. Die Seidenraupe. 

III. Boch. Das Leben des Lichts. Das Silber. Das Kupfer 
und Zinn. Das Roggenklorn. Der Weinftod. Die Honigbiene. 


Die Gegenftände find alle intereflant vielfach poetiſch behandelt, 
die Lectüre befördert einerfeit3 genauere Kenntniß der einzelnen Natur« 
objecte und regt andrerfeit3 zu finniger Naturbetrachtung an. Yür 
Alt und Yung zu empfehlen. 


77. Friſch, froh, fromm, frei. Unterbaftendes und Belehrendes. Für 
die Jugend gaefammelt von E. Kannegießer. 12. (95 &.) Rathenow, 

U. Haafe. 1874, Brei: cart. */, Thlr. 

Eine hübſche Auswahl kürzerer Auffäbe aus verſchiedenen Wiſſens⸗ 
gebieten, welche der männlichen Jugend zweckmäßigen Stoff zum Nach⸗ 
denken geben ſollen. — Nach der Erklärung des Verfaſſers ſind fie 
einer von ihm redigirten Monatsſchrift „die Fortbildungsſchule“ ent⸗ 
lehnt und richten ſich mit ihrem ganzen Inhalt auch an Jünglinge, 
welche, der Schule entwachſen, ins praktiſche Leben eingetreten ſind 
und die Verantwortlichkleit für ihre Handlungen ſelbſt übernommen 
haben. Diefem Kreife foll denn das Büchlein auch zur verdienten Be⸗ 
achtung empfohlen fein. — 








Sugend: und Volksſchriften. 455 


6, Reiſebeſchreibungen. 


178. Des emglifgen Kapitäns Kook berühmte Reifen um die Belt. 
Kür bie liebe Jugend wieder ans Licht geftellt von Wilhelm Redenbacher. 
Mit feche Dripinal-Rabirungen. 5. Aufl. 80. (308 &.) Stuttgart und 
Leipzig, Otto Riſch. 1874. Preis: geb. 2 M. 70 Bf. 

Der Berfafler macht in den eriten Kapiteln mit ber Einrichtung 
eined Seejchiffes, feiner Bemannung, der Perfon des Weltumfeglers 
und defien Reifegefellichaft befannt und nimmt auch fernerhin darauf 
Bedacht, technische Ausdrüde und frembflingende Wörter feinen jungen 
Lejern zu erflären. Für den Gang feiner Darftelung hat er die tage: 
buchartigen Berichte über dieſe Weltfahrten zu Grunde gelegt; für 
Alles aber, was den Leſern einen Gewinn an wiflenfchaftlicher Erfennt- 
niß bringen fol, find die Erfahrungen der fpäteren Reifenden eben 
falls benügt worden. Trotzdem erfcheint das Buch doch nicht recht 
für den Gebrauch der Jugend geeignet; es bürfte wenig Kinder geben, 
die fich durch eine Reifebeichreibung, die mehr ala 300 Seiten einnimmt 
und fie dreimal um die Welt führt, bis ans Ende gefefjelt fühlen. 
79. Robinfon der Jüngere Nah Joachim Heinrih Campe. Kür bie 

Jugend neu bearbeitet von Karl Seifart. Mit 8 fein colorirten Bildern 

nach Zeichnungen von Konrad Weigand. 8°, (203 ©.) Ebendaſelbſt 1874. 

Diefe neuere Bearbeitung Tann mit Nüdficht auf zweckmäßige Be⸗ 
ſchränkung des Stoffes und ben angenehmen Fluß der fpradhlichen 
Darftelung zu den gelungeren gezählt werben. Die Erlebniſſe des 
jungen Abenteurer find diefelben wie im Driginal, nur binfichtlich 
ber verwendeten Staffage in den einzelnen Scenen ift der Bearbeiter 
nad eignem Ermeflen verfahren. — Weniger befriedigend find bie 
Buntbilder. Dieje entfprechen unfern Begriffen von „fein colorirten‘ 
Darjtelungen weder nah Zeichnung no in Farbengebung. Der 
Robinjon im Gemitterfturm erfcheint ala ein Yünfziger und der ing 
Vaterhaus zurüdiehrende als ein Süngling von 23—26 Jahren. — 
Die Darftellung paßt als Lectüre für Knaben von 10—12 Jahren. 
80. Die deutfhen Nordpolfahrer und der Kampf um den Nordpol, 

1868— 1872. Populär gefchildert von Dr. Richard Andree. Zweite vermehrte 

und bereicherte Auflage. Mit 12 Zonbildern und drei Karten. 8°. (204 ©. 

Bielefeld und Leipzig, Velhagen und Klafing. 1874. Preis: cart. 2 Marl 55 Pr. 

Bereit? angezeigt im vorigen Bande des Päbagog. Yahresberichts 
(S. 332). Eine Tertveränderung ift nicht vorgenommen worden. — 
Wir beziehen uns auf das früher Gejagte. — 

81. Kranz Pyrard's erſte und letzte Reife. Cine Erzählung von Dr. 
Karl Dppel. 8. 123 S. Wiesbaden, Julius Niedener. 1874. Preis: 
geh. 10 Sgr. 

Der Reifende ift ein junger Franzoſe, der auf feiner Seefahrt 
nad Oftindien wunderbare Schickſale erlebt, Seefturm, Schiffbruch, 
Meuterei, Windftillen geben dem Erzähler reiche Gelegenheit, das Leben 
zur See zu ſchildern; auch die Exlebniffe im fremden Lande find der⸗ 
art, daß jelbft ein recht romantischer Sinn bon ber Darftellung be= 
friedigt wird. Nach zehn Yahren Tehrt Franz glüdlich ind Vaterhaus 


456 Sugend- und Volksſchriften. 
— — Wer dergleichen Erzählungen liebt, dem empfehlen wir das 


82. Ein Weltfahrer oder Erlebniffe in vier Erdtheilen. Jugend, 
Schickſale, Reifen und Entdeckungen von Elifba Kent Kane dem Nord» 
polfabrer. Unter Zenupung der beften amerifaniihen Quellen herausgegeben 
von %. &. Kubner. Zweite, vermehrte Auflage. Mit einem Buntbilde, 
fünf Tonbildern und 100 Zegtabbildungen. 8°. (295 ©.) Leigig, Ouo 
Spamer. 1875. geb. 

Unter ben Reifen ber neuern Zeit, welche zu wiflenichaftlichen 
ober humanen Zwecken unternommen worden find, haben in Rüdficht 
auf den Reichthum der durch fie erzielten Refultate die Fahrten bes 
Dr. Eliſha Kane eine berborsagende Stelle zu beanfpruden. Haft 
vierzehn Jahre bat er die Welt nach allen Richtungen durchkreuzt und 
durch Naturanlage und Bildungsgang zu feiner Beobachtung beſtens 
befähigt, bat Kane feine Mußezeit bei dem jeweiligen Verweilen am 
Lande tet? vortrefflich auszubeuten gewußt. — Sein Beruf als Arzt 
bat ihn audy vielfach in jehr nahe Beziehungen zu ben Eingeborenen 
gebracht, fo daß feine Aufzeichnungen über feine Erlebniſſe ein außer- 
ordentlich ergiebiges Material darbieten, und fehr wertbuolle Beiträge 
zur Länder- und Böllerfundg liefern. — Recht gern hätte ber Ver⸗ 
fafler unſers Buches ſich damit begnügen können, dem Leer am Faden 
jener Reifeberichte die Menge interefianter Erfahrungen, Erlebniffe und 
Abenteuer borzuführen. Sie hätten einen ftattlichen und inhaltöreichen 
Band geliefert, während das Burüdgreifen auf die Gefchichte einzelner 
Staaten als eine läftige Erweiterung fühlbar wird, wie 3. B. auf 
©. 30 und ff. in dem Abſchnitt über Brafilien und weiterhin bie flüchtig 
aneinander gereihten Notizen über Griechenland auf S. 189 und f. 
— — In Betreff der äußeren Ausftattung bat es die Berlags- 
handlung nirgends fehlen lafien. Die zahlreihen und überaus fchönen 
Abbildungen ergänzen überall zweckmäßig die ſprachliche Darftellung 
und gewähren von den zu erläuternden Begriffen eine klare und beut- 
liche Vorftelung. Als Weihnachtsgabe oder zu Prämien für Anaben 
von 12—15 Jahren ift das Buch beftens zu empfehlen. 

83. Deutſches Klottenbuch oder daß neue illuſtrirte Seemannsbuch. Fahrten 
und Abenteuer zur See in Krieg und Frieden. Mittbeilungen über das 
Biffenswürdigfle aus der Schifffahrtöfunde, fowie aus dem Seeleben. Ur⸗ 
fprünglid bearbeitet von R. v. Berndt, in dritter Auflage verbeflert von 
Heinrich Smidt. Bierte, gänzlih umgearbeitete Auflage, Mit mehr als 
150 Textabbildungen, fowie 4 Zonbildern und 1 bunten Xitelbilde. 8°. 
342 ©. Leipzig, Otto Spamer. 1875. Breis: geb. 2 Thlr. 

Der Titel ift fo ausführlih, daß und nur übrig bleibt, den In⸗ 
halt der einzelnen Kapitel anzuführen: 

1. Einleitung und Lebensgeſchichte eine jungen Seemannes. 

. Das Schiff, fein Bau, feine Einrichtung und Ausrüftung. 

. Yahrten und neue Erfahrungen. — Schlacht bei Abulir. 

. Deutfches Seewefen in Freud und Leid. 

. Seeleben und Seeſchlachten. 

. Verſchiedene Entdeckungsreiſen. 


ana DD 








Jugend⸗ und Volksſchriften. 457 


7. Kreuz: und Küftenfahrten in ber beißen Bone. 

8. Geſchichte der Schiffbaukunſt. 

9. Die franzöſiſche Marine der Vergangenheit und Gegenwart. 

10. Die kurfürſtlich brandenburgifche Flotte. 
11. Erfcheinungen bes Meeres. 

12. Die Oftfee und das ſchwarze Meer. 

13. Die Öfterreichifhe Kriegsmarine und die Expedition der Novara. 
14. Preußens Flotte und Kriegshäfen, die oftafiatifche Expedition. 
15. Die In ie zur See während des franzöfilchen Krieges bon 

1870/71. . 

Der Text Tief fih fehr angenehm, ift Har und anſchaulich und 
wird dortrefflih unterftüßt durch die reichen und fchönen Illuſtrationen. 
Unter diefen heben wir als befonders interefjant hervor die Abbildungen 
ber bedeutendften Seehäfen, die Illuſtrationen über die Schiffbaufunft, 
einige Schiffbruchsſcenen. — Nach Inhalt und Ausftattung eignet ſich 
das Buch befonders zu Teitgefchenfen und Prämien an Sinaben von 
12—16 Jahren. 

H. Periodiſche Jugendſchriften. 

84. Se Brom zur Unterhaltung und Belehrung. Herausgegeben von 
fabella Braun, Mit Beiträgen von M. C. Arundel. Dr. Kriedr. Bed, 
Michael Beer. Franz Binder. Franz Bonn. Katharina Die. Karl 
Ebeberg. Augufte v. Gaßler. Anna Gnevlow. Friedrich Bull. Eliſabeth 
Heinze. Fanny von Hofnaaß. Dr. H. Solland. Franz Keller. Rudolph 
von Knebel⸗Döberitz. Dr. Kranz v. Kobel. Ch. Rey. Kranz Pocci. Dr. 
Afldor Proſchko. Döfar v. Redwitz. Joſeph Rbeinberger. Dr. ®. 9. 
Mebl. Elfe Ries. Dr. Guſtav Tobler. Karl Zaftrow. Mit ſechs fein 
‘colorirten Lithographien und ſechszehn Holzfchnitten nah Originalzeichnungen 
von E. Adam. M. Eöfter. E. Froͤhlich. E. Ille. A. Köbler. 3. Lohſe. 

D. Roſtoeky. 8. Voltz. E. Bagner. J. Batiner. Jahrgang 1874. 

(20. Zahrg.) j. 8°. (6568 ©.) Münden, Braun und Schneider. 1874. Preis: 
eleg. geb. 1 Thlr. 18 Gr. 


Auch der diesjährige Band bietet eine reihe Abwechſelung von 
unterbaltenden und belehrenden Lefeftüden, unter denen die Erzählung 
borwaltenb vertreten iſt. Für Mädchen eignen fich von berjelben vor⸗ 
iugemeile: „Srinnerungen aus meiner Kindheit” von Kath. Diez. „Das 

äbchen für Alles“ von Iſabella Braun. „Dörthe“ von Elife 
Nies; und Stenie Dliver von M. €. Arundel. An Biographien 
enthält ber Band zwei: „Der König von Rom” und „Anna Luife 
Kartichin”. Ferner: ein Feſtſpiel zur Begrüßung von einer Babdereije 
„Die Heimkehr von der Alm‘, welches aufzuführen den Kindern großes 
Vergnügen bereiten wird. — Die naturgefchichtlichen Abfchnitte find 
mehr humoriftifcher Natur, wie auch die dazu gehörigen Bilder. Eine 
Anzahl finniger Räthſel verdienen ebenfalls noch befondere Erwähnung. 
Wir mwünfchen dem Bande darum wieder eine freundliche Aufnahme 
bei ben Kindern. — 
85. Jahrbuch der Welt der Jugend. Schilderungen auß Dergangenbeit 
und Gegenwart, aus Selmath und Fremde, Mit Beiträgen von Ed. Hinpe. 


Buftav Höcker. R. Klee. Dr. Frd. Körner. Richard Oberländer. N. 
Paſſow. Heinrih Pfeil. Hugo Weber. Dr. R. Zimmermann. Heraus⸗ 


458 Jugend⸗ und Bolksichriften. 


gegeben v. H. E. Stöpner. Mit 80 Zertabbildungen und 1 Tonbilde. 

8%. (278 ©.) Leipzig, Dito Spamer. 1875. Preis: geb. 4 Mark. 

Das Buch Bat feit feinem lebten Erfcheinen feinen Titel, nicht 
aber feine Tendenz geändert. — Da es nicht mehr in einzelnen Heften 
ausgegeben werben fol, fo hat e8 mit der Form auch die Bezeichnung 
als Jahrbuch angenommen. Ueber die darin verfolgte Tendenz ift 
früber berichtet worden (fiebe Päd. Jahresberich XXV ©. 642). — 
Am Anfang der Sammlung fteht diesmal eine freie Bearbeitung von 
Boz' Silveftergloden, die dem Original wenig nadgiebt. — An ge 
ſchichtlichen Beiträgen ift die Ausbeute nicht rei; am intereffanteften 
das Lebensbild Napoleon III. und die Epifode aus dem Leben bes 
großen Kurfürften. Dagegen recht anfprechend die Bilder aus dem 
Natur: und Städteleben, die Biographie von W. Kaulbach, bie Bei- 
träge vom Herausgeber über verjchiedene Mittbeilungsweifen und ber 
Auffat über die feurigen Lufterfcheinungen. — 

Zweckmäßig ift für eine periobifch erfcheinende Jugendſchrift auch 
die Chronif, welche bier, den Zeitraum vom 1. Januar 1873 bis 
Suli 1874 umfaffend, auf 6 Seiten eine Reihe bemerkenswerther 
Ereigniffe zufammenftellt, die alle Anſpruch auf das Intereſſe ber 
Sugend haben. — 


II. Schriften für Erwachſene. 


A. Erzählungen. 
86. Drei Tage and dem Leben eines Kreugträgers. Bon Ottokar 
an 8%. 101 S. Wiesbaden, Julius Niedener. 1874. Preis: geh. 
L 

Der Berfafler erzählt bier für das Voll aus dem Leben eines 
bibelfeften, aber charakterſchwachen Bergmannes. In dem kurzen Zeit⸗ 
raume bon drei Tagen erfährt er bie Untreue feines ſchönen Weibes, 
bie Falfchheit und Bosheit feines Freundes, das Haus brennt ihm ab 
und außerdem leibet er an Zörperliden Schmerzen. — Sein uner- 
ſchütterliches Gottvertrauen belohnt ſich eben fo raſch, führt ihm fein 
Meib wieder zu, erringt ihm die Achtung feiner Kameraden und Vor⸗ 
gefetten und bald gewinnt er auch ein neues fchönes Heim. — Somit 
erfcheint er wie ein Hiob in verjüngter Auflage! — 

Mar es die Abficht des Verfaflers, dem Lefer in fcharfen Kon⸗ 
traften das Ende des Lafterhaften und den Lohn bes Frommen vor- 
zuführen, fo ift dies beitens gelungen; einem berfeinerten Geſchmack 
würben die grell aufgetragenen Farben wahrſcheinlich nicht zufagen. — 
87. OR und Welt, Daheim iſt das Beh’. Nah Mitteilungen eines 

Kreundes von Friedrich Lift. 8°. (70 S.) Wiesbaden, Julius Riedener. 

1874. Preis: geb. 10 Ser. 

Diefer Band der „Deutſchen Volksbibliothek“ enthält 
die Gejchichte eines deutfchen Auswandrers, der durch unglüdliche 
Liebe aus der Heimath vertrieben, in Baltimore nad) einer traurigen 
Prüfungszeit zum Wohlſtande gelangt. Auf Nachrichten aus ber 











i wer — — —— 


Jugend⸗ und Volksſchriften. | 459 


Heimath, daß feine frühere Geliebte Wittive geworden, eilt er heim 

und kommt grade zu ihrer Beerdigung im Dorfe an. Er forgt für 

ihre Kinder und kehrt für lange Jahre nach Amerika zurüd, bis ihn 
die Liebe zum Vaterlande endlich zur völligen Rückkehr beftimmt. 

Die Erzählung ift lebenswahr und enthält ſich aller Fünftlichen 
Hilfamittel für effeltvolle Ausfhmüdung, eignet ſich deshalb vortreff⸗ 
lich zur Volksſchrift, als melche fie die im Titel ausgefprochene Wahr⸗ 
beit verbreiten helfen möge. — 

88. Mutter Treuen und ihre Töchter. Grzäbfung aus der Gegenwart. 
Bon Thekla von Gumpert, 12. (74 ©.) Berlin, Hauptverein für 
hriftliche Erbauungsfäriften. 1874. Preis: cart. 6 Sar. 

Mutter Treuen erzieht ihre Töchter durch Beifpiel und Lehre für 
den Dienft und eine bejcheidene Häuslichkeit. Die Abficht der Ver⸗ 
faflerin gebt dahin, Müttern aus dem Volk damit richtige Begriffe 
über ihre Erziehungsaufgabe beizubringen und zu zeigen, daß, wenn 
ein Mädchen im fremden Dienft fich brauchbar ermwiefen bat, fie umfo 
befier dem eignen Haushalt worzuftehen vermag. 

89. Mutter Treuen und ihre Söhne. Erzählung aus der Gegenwart 
von Derfelben. 12. (73 ©.) Ebendaſelbſt. 1874. Preis: cart. 6 Ser. 
Ein Seitenftüd der vorhergehenden Nummer nah Inhalt und 

Darftellungsform; doch jol an biefer Erzählung nur der Einfluß der 

Mutter auf die Charakterbildung der Söhne veranfchaulicht werben. — 

Beide Büchlein find empfehlenswerthe Volksſchriften. 

90. Die alte Linde. ine Erzählung für das Volk von Rubolpb Mors, 
12. (140 S.) Übendafelbfl. 1874. Breis: cart. 9 Ser 
Nah der Erzählung ift an das Abfterben einer taufenbjäßtigen 

Linde im Dorf Kaltengrunde eine Veränderung ber focialen Berhält- 

nifie bes Ortes gefnüpft. Von Anfang an ftehen ſich zwei feindliche 

Parteien gegenüber. Der Nepräfentant der einen wird unter der Be» 

zeichnung „des liberalen Volksvertreters“ eingeführt. Er ift der bürger- 

liche Gutsherr des Ortes; feiner perſönlichen Erfcheinung nach gleicht 
er dem Reichskanzler Bismarck. Im gelelligen Umgange zeigt er 
fih freifinnig, leutfelig, vebegewandt und loyal vor den Augen ber 

It; auf feinem Gute aber ift er der vüdjichtslofe Tyrann feiner 

Leute, der conferbative engherzige Junker, der ſelbſt bereitwilligft die 

Schmeicheleien eines ſchurkiſchen Neitfnecht3 entgegennimmt und fich 

feiner Hülfe zu Exrreihung fchlechter Zwecke bedient. 

Der Gutsherr ift das böfe Prinzip in der Darftelung. Das 
gute ift der Herr Pfarrer und feine hülfereiche Gattin, verftärkt durch 
den reichen, glaubensftarfen Bauern Schwarzholz, ver vollitändig unter 
der Leitung des Herrn Pfarrerö fteht. — Der Berlobte der Bauern= 
tochter wird im Herrendienft arbeitsunfähig, aber der fonft loyale 
Gutsherr verweigert dem armen Knecht bie Entihädigungsfumme, 
läßt feinen Reitknecht einen falfchen Eid ſchwören unb empfängt bei 
feiner Rückkehr die göttliche Strafe für diefen Frevel; die alte Linde 
bricht über feinem Wagen zufammen, ſchädigt ihn ſchwer und töbtet 


460 Sugend- und Volksſchriften. 


ben meineidigen Reitknecht. — Auf feinem Krantenlager kommt er 
zur Erlenntniß feines Unrecht3 und gebt fortan mit dem Pfarrer Hand 
in Hand. — 

Der ſprachliche Ausdruck ift nicht überall korrekt, bie polttifche 
Tendenz ungeeignet für eine Volksſchrift. — 


91. Die Fahrt nah der Robbeninfel. Kine Volksgeſchichte von Martin 

Claudius. 12. (75 ©.) Ebendafelbl. 1874. Preis: 6 Ger. 

Zwei Schiffe begeben fih nah ber Sübfee auf den Robbenfang. 
Keiner der Kapitäne gönnt dem andern ben zu erhoffenben reichen 
Ertrag und diefer Neid bringt beide um ben Gewinn. Die Erzählung 
wird einem alten Seemann in den Mund gelegt, der alö reichften 
Schatz aus einem vierzigjährigen mühſeligen Scifferleben ein wahr= 
haft frommes Gemüth, reiche Kenntnifje und richtige Lebensanfchauungen 
beimgebradt bat. Bon diefem Reichthum tbeilt er jeinen Zuhörern 
freigebig mit. In feiner Perfon ift der Erzähler für das Bolf 
harakterifirt und gäbe es viele, bie ihm glichen, fo würde fich ihr 
Einfluß gar bald bemerflih madhen. — 

Möge zunächſt alfo dies Büchlein als vortrefflidde Volksſchrift 
für Volksbibliotheken angefchafft werden. — 


92. Der Spion. Eine amerilaniihe Erzählung aus dem Jahre 1780. Nah 
. 9. Cooper. Für die Jugend und das Bolt bearbeitet von Fr. 
offmann. Mit 1 Abbildung. 8°. (151 ©.) Ballenfiedt a. H., Oskar 

Adermann. 3874. Preis: cart. 15 Sgr. 

Während der amerilanifchen Freiheitskämpfe geräth ein wandernder 
Krämer in den Verdacht, den Feinden feines PVaterlandes als Spion 
zu dienen. Daran Inüpfen fi alle üblen Konfequenzen für ihn. 
ne vollkommene Chrenhaftigleit wird erſt nach feinem Tode er- 
annt. — 

Für die Jugend eignet ſich die Lectüre nicht befonders, ba das 
Intereſſe des Leſers durch den Grab feiner Theilnahme für zwei 
Mädchen beftimmt wird, die in zärtlichen Verhältniſſen zu den Führern 
ber feindlichen Truppen fteben. — Ueberhaupt macht bie ganze Er⸗ 
zäblung einen ungünftigen Eindruck, was theild in den gewählten 
Motiven, zum Theil au in dem Umftande liegt, daß der Stoff 
für eine viel umfangreichere Darftellung berechnet, in diefem Buche 
oft zufammenbangslos erfcheint. — Das Bild weiſt unter. Andern auf 
Kapitel 21 Hin und das Buch enthält nur 17 Kapitel überhaupt. 

93. Der befte Dienfl. Eine Erzählung von Martin Claudius, 12. 
(107 ©.) Berlin, Hauptverein für chriftliche Erbauungsſchriften. 1874. 
Preis: cart. 6 Ser. 

Das Motiv ift aus dem Handierferleben der Gegenwart ge- 
griffen. — Der auf feine moraliſche unb körperliche Stärke pochende 
Chriftian Rendel "geräth in die Gejellichaft der Socialdemokraten 
und von ihnen verführt findet er fich in kurzer Zeit am Rande bes 
Abgrundes. Ein oft von ihm verfpotteter Freund bringt Hilfe in der 
Noth und an feiner Hand findet der Berirrte fich zurüd auf ben Weg 





Jugend⸗ und Volksſchriften. 461 


bes Rechten. — Als der „beſte Dienft” erſcheint ber in thätiger 

Nächſtenliebe ſich übende „Gottesdienſt.“ — Stoff und Darſtellungs⸗ 

form eignen ſich vorzüglich für ein Vollsbuch — Möge die Er—⸗ 

zäblung fleißig gelelen werben. 

94. Sonntagsbilder. Zwei Erzählungen aus, der Kirche und aus dem 
Leben. Bon Hermann Steinbrüd, Paſtor zu Stolgenhagen bei Stettin. 
12. (76 8.) Ebendaſelbſt. 1874. Preis: 6 Sgr. | 
Aus den Darftellungen geht nicht hervor, inwiefern ber Stoff 

ein Tirchlicher ift; denn daß die Kirhengloden bier und da in 
ber Erzählung genannt werben, ift noch Fein ausreichendes Motiv 
dafür. — Wie in Nr. 90 fteht der Konflict der Gutsherrihaft mit 
ihren Untergebenen und dem Geiftlichen im Vordergrunde; nur find 
die Charaktere viel fchlimmer, der Zufammenftoß verhängnißvoller, 
dad Ende graufiger. 

Die zweite Erzählung betitelt fi „vie Pfarrbraut”. — Es handelt 
ih in derſelben um die Wiederbeſetzung einer Pfarrftelle, mit ber 
gleichzeitig die Hinterlafiene Waiſe des verftorbenen Pfarrers verforgt 
werden fol. 

Der VBerfafler ift weder in ber Wahl der Stoffe, noch in beren 
Einkleidung glüdlich getvefen. Am menigften entfprechen fie der Tendenz 
des Unternehmens, hriftlide Erbauungsſchriften verbreiten 
zu wollen. — 

95. Verlorene Söhne. Geſchichten aus dem Gefängniß für das Volk ers 
zählt von Hermann Wießner. 12. (143 S.) Gtuttgart, I. F. Stein« 
opf. 1874. Preis: cart. 7:1, Ser. 

Das erfte dieſer Lebensbilder zeichnet einen energifchen Charakter, 
der trogig und milden Zuchtmaßregeln unzugänglid if. — Als er- 
folgreichftes Befjerungsmittel ermweift ſich Beichäftigung nach feiner 
individuellen Beanlagung. — Nach 15jähriger Kerkerſtrafe findet er 
Aufnahme und Brot bei einem menjcdhenfreundlichen Fabrikherrn, der 
feine große Geſchicklichkeit jchägen gelernt bat. Trotz aller Mühe ge 
Iingt eö dem entlafienen Sträfling aber nicht, feine Ehre wieder zu 
getvinnen und biefe Erfenntniß führt ihn auf den Weg des Verbrechens 
und damit ind Gefängniß zurüd. — Die andere Darftellung beſchäf⸗ 
tigt fih mit einem 17jährigen Giftmifcher, der mehr leichtfinnig ala 
boshaft zum Guten zurüdgeführt wird. — Es erſcheint zweifelhaft, ob 
fih derartige Stoffe für eine Vollsfchrift eignen! Empfehlen würben 
wir fie nicht. 

36. Peter in der Luft. Hiſtoriſche Erzählung von Iſidor Proſchko. Mit 
1 ZTitellupfer. 8°. (84 ©.) Stuttgart und Keipzig, Otto Rifh. 1874. 
Preis: cart. 71, Spr. 

Der Peter ift ein Menſch, der Feine andern Grunbjäge bat, als 
feinem augenblidlihen Vortheil nachzugehen. Dieſe Charalterlofigfeit 
geftattet ihm denn auch, fich verjchiebenen religiöfen und politifchen 
Parteien gleichzeitig anzuschließen und in feinem fpäteren Leben ver> 
ſchiedenen Mächten als Spion gegen fein Vaterland zu dienen. — 


462 Sugend- und Volksſchriften. 


Er nimmt ein Ende mit Schrecken. Die Erzählung iſt nach der Ab⸗ 
ſchreckungstheorie componirt, hat geringen Anſpruch auf hiſtoriſchen 
Werth und ebenſo wenig auf eine beſondere Empfehlung an dieſer 
Stelle. — 


97. Jeremias Gotthelff's Käthi, die Großmutter. Neue Ausgabe 
beſorgt von Ferdinand Schmidt. 8%. (256 S.) Berlin, Zulius Springer. 
1875. Preis: geb. 16 Ser. 


In der Neubearbeitung des vortrefflichen Volksbuches bewährt 
fi das Dichterwort: „In der Befchränfung zeigt ſich erft der Meifter.” 

Hei der Richtung des Stoffes ift mit großer Pietät verfahren 
worden, die nur das durch die Beitverhältniffe abjolut Geworbene von 
ben Golblörnern fittliher Weisheit ausgefchieden hat, welche von bem 
Autor in diefer Erzählung niedergelegt worden find. In der Inapperen 
Form gewinnt der Fluß der Darftellung an Lebendigfeit, die darin 
gezeichneten Bilder an Deutlichkeit und Farbenfriſche — Möge das 
Buch deshalb aufs Neue allen Familien, befonderd auch Vorſtänden 
von Volksbibliotheken empfohlen fein. 


98. Die Rofe der Algonquin. Dem englifen Original der Miſtreß 
Unna Dorfey naderzählt con Mathilde Bleule. Mit Titelbild. 8°. 
(109 S.) infledeln. New-York, Gebr. Benzinger. 1874. cart. — 


Eine Erzählung, deren Gegenftand ein zum Chriftentbum be= 
kehrtes Indianermädchen ift, welches ſchön und tugenbhaft, dennoch 
den boshafteſten Berfolgungen zum Opfer fällt. Daß die Tendenz 
biefer Erzählung eine katholiſirende ift, geht aus folgender Stelle 
deutlich hervor: 

„Soviel ift gewiß, daß die Erinnerung an Coaina's (Name 
des Mädchens) große Verehrung zur feligften Jungfrau, wovon die 
fegensreichen Früchte nicht blos in der Belehrung ihrer Feinde, fonbern 
auch im vermehrten Olaubenseifer bes Volles lebendig unter ihnen 
(den Indianern) fortwirkten, nur ein weiteres Glied an die glänzende 
Kette der Beweiſe von Mariens wirkſamer Fürbitte fügte, wie ſolche 
fih von der nievrigen Behaufung in Nazareth durch die grauen Jahr⸗ 
hunderte bis auf unſere Seiten erſtreckt. Mariens unbefledte Em⸗ 
pfängniß bezweifeln, beißt ſich gegen Gott ſelbſt erheben;“ u. ſ. mw. 

Wir haben hiermit gleichzeitig eine Probe des ſchwülſtigen Stiles 
gegeben, in dem die Erzählung abgefaßt iſt und bie mit größter Wahr⸗ 
jcheinlichleit für eine Apologie eines geiftlichen Ordens gehalten werben 
kann, ber mit dem Gepränge bes Marienkultus die Sinne des Volles 
fefjelt, um deſſen geiftige Kräfte für feine eignen Zwecke auszu⸗ 
beuten. — Es muß bier darauf aufmerffam gemadt werben, baß 
aus einer umfangreichen Sammlung von 50 Bolksfchriften nur bie 
Nummern 38 und '39 zu näherer Prüfung vorgelegen haben (fiehe 
weiter unten). Unter den übrigen mag noch Manches vorhanden fein, 
was eine vernünftige Kritif als ungeeignet für eine Volksſchrift be 
zeichnen muß. 











Sugend- und Bollsichriften. 463 . 


9. Der [9marze Schatten. (Rr. 39 berfelben Sammlung.) Eine Er⸗ 
zäblung von 2. H. Hoppenſack. 8°. (110 ©) Ebendaſelbſt. 1874. 
cars. — 

Nah der Darftelung gilt die Begeihnung „Der ſchwarze 
Schatten‘ einem Kaplan, der fih die Seelforge unter feiner Ge⸗ 
meinde ſehr angelegen fein läßt. Sein Eifer bringt ihn vielfach bei 
der „überwiegend proteftantifchen Bevölkerung“, aber auch bei feinen 
Beichtlindern in Verdacht, feinen geiftlichen Einfluß gemißbraucht zu 
haben. Der Schein ſpricht gegen ihn; aber der „Edle“ erträgt das 
Unrecht mit Gebuld und vergilt ed jpäter mit Wohlthun. 

Die Abfiht iſt auch bier leicht herauszufinden; doch Tann es 
katholiſchen Leſern felbft überlaflen bleiben, ſich von der Schuld ober 
Unſchuld des frommen Kaplan aus der verfuchten Rechtfertigung zu 
überzeugen. 

100. Erzählungen und Romane von Friedrich Bodenſtedt. Woblfeile 
Audgabe. Jena, Hermann Eoftenoble. 1874. 12. Preis: à Lieferung 7°/, Ser. 
Die erften beiden Tieferungen enthalten zwei anfprechende Erzählungen. 

Nr. 1: „Eine Mönchsliebe“ und Nr. 2: „Das Mäbchen von Lieben- 

fein.” In beiden Darftellungen’ ift das Motiv eine unglüdliche Liebe, 

die im eriten alle den jungen Dann ins Klofter, im andern Falle 
in das Grab führt. Geldſtolz und Standesvorurtheile der refp. Väter 
die unüberwindliden Hinderniſſe für die Verbindung der Paare. — 

Die Darftellung ift elegant, feſſelnd und äußerft becent, fo daß die 

Erzählungen Gebildeten aller Stände und jeden Alters als eine gute 

Unterbaltungslectüre empfohlen werden können. — Eine dritte Erzählung 

„Die legten Falkenburger“ hat nur zum Theil noch in ber 2. Lieferung 

Play gefunden; der Anfang ift recht fpannend. — Wir fehen ben 

übrigen Lieferungen mit den beflen Erwartungen entgegen. 

101. Geſammelte Schriften von Friedr. Gerftäder. Bolls- und Familiens 
Ausgabe. 3. bis 106. Lieferung. Preis: 5 Sgr. Jena, Kermann 
Goftenoble. 1873—1874. 

Den im XXV. Bande des Pädag. Jahresberichts S. 658 an- 
gezeigten erften beiben Lieferungen find in kurzen Zwiſchenräumen 
andere gefolgt. Dieſe umfafjen gegenwärtig (Unfang bes Jahres 1875) 
folgende Schriften des beliebten Autoren: 

A eferung 3—6: Fortſetzung bes californiichen Lebensbildes 

„Bold. — 

Lieferung 7—12. Kürzere Erzählungen aus dem Matrofen- 
und Seeleben überhaupt. 

Lieferung 13—18. „Unter dem Yequator”, ein vortrefflich ge⸗ 
Iungenes GSittenbild aus Java, deſſen effectvolle Scenen aus dem ges 
jelichaftlichen Leben durch gelungene Naturjchilverungen gute Anfchaus 
ungen und angenehme Unterhaltung gewähren. 

Lieferung 19— 24. Kürzere Erzählungen und humoriſtiſche Ab⸗ 
Handlungen. 

Lieferung 25—51. Neifebilber aus Südamerika, Californien und 


464 Jugend» und Volksſchriften. 
Auftralien. — Die Regulatoren in Arkanſas. — Die Flußpiraten bes 


pp. 

Lieferung 52—57. „Die beiden Sträflinge”. Auftralifcher Roman. 

Lieferung 58—65. Miſiſippi⸗Bilder. Licht: und Schattenfeiten 
transatlantiſchen Lebens. 

Lieferung 66-79. Rah Amerika. Ein Vollsbuch in zwei 
Bänden. 

Lieferung 80 —86. Aus zwei Welttheilen. Gefammelte Erzählungen. 

Lieferung 87— 99. Achtzehn Monate in Südamerika und befien 
deutichen Colonien. 2 Bände. 

Lieferung 100—106. Skizzen aus Californien und Südamerika. 
Gefammelte Erzählungen. 

Die meiften dieſer Schriften find als jelbftändige Werke in wieder⸗ 
holten Auflagen erfchienen, auch in Auszügen durch bie gebiegenften Beit- 
ſchriften ber Leſewelt entgegengebracht worden. Es darf deshalb vorausgefegt 
werben, baß gebildete Leſer fchon Gelegenheit gehabt haben, Gehalt und 
Form der Gerftäderfchen Erzählungen felbft zu beurtheilen. Die Vorzüge 
berfelben findet man überall wieber ; bie lebensvollen Schilderungen feffeln 
immer auf3 Neue, und als in fi} vollendete Culturbilder behalten fie 
ihren Werth, auch wenn die Berhältniffe durchaus andere getvorben 
und dem damaligen Stadium längft entwachſen find. — Dem Volks- 
buche „Nach Amerika‘ liegt zubem eine ausgeſprochene praftifche 
Tenbenz unter. Der Verfaſſer ſchildert darin die Lebensſchickſale einer 
ganzen Auswandrergejelichaft! — Giebt es Präferbative gegen das 
Ausmwanderungsfieber der Deutfchen, jo tft e8 die Lectüre dieſes Buches. 
Beſſer noch als die übrigen Schriften eignet es fich deshalb zur Lectüre 
für die Leferfreife der Volls- und Bereinsbibliothelen, für bie es bier- 
mit nachdrücklichſt empfohlen fein fol. — Die Anfchaffung ſämmtlicher 
Bände ift von der Verlagshandlung in anerfennenswerther Weife er= 
leichtert worden, und Tann an dieſer Stelle beftens befürwortet werben. 


102. Das neue Bud der Erfindungen, Gewerbe und Induftrien. 
Rundſchau auf allen Gebieten der gewerblichen Arbeit. Sechs Bände von 
je 10 bis 12 Lieferungen. Gerauspegehen in Verbindung mit Prof. Dr. 
®. Birnbaum, Brof. Dr. C. Böttger, Prof. 8. Gayer, Minifterials 
rath Dr. W. v. Hamm, Prof. Fr. Kohl, Fr. Luckenbacher, R. Ludwig, 
Banratb Dr. D. Mothes, Prof. Dr. Regis, R. Richter, Julius Zöllner 
u. A. Sechſte, gänzlich umgearbeitete und flark vermehrte Auflage Mit 
mehreren Taufend Tert-Abbildungen, Abtheilungs⸗- und Anfangspignetten, 
vielen Tonbildern und Frontifpicen. In Lieferungen von 5 reich illuftrirten 
Legen neöR Tonbild. Subjtriptiond- Preis für jede Lieferung 5 Ser. — 
18 Kr. rh. 


Mit dem vorliegenden VI. Bande ift bad Buch der Erfindungen 
complet geworden. — Ein Prachtiverf feiner Ausftattung nad, qualificirt 
ed jein textlicher Inhalt ala ein „Geſchichtsbuch menſchlicher Arbeit”, 
foweit biefelbe die Verwandlung ber Naturlörper in Kunſtprodukte be= 
zweckt. (Siehe die Anzeigen in Bb. XXIV, ©. 338 und Bd. XXV, 
S. 661 des Pädagogifchen Jahresberichte) Der VI. Band führt den 
Sondertitel: „Die mehanifche Bearbeitung der Rohſtoffe“ 








Jugend- und Volksfchriften. 465 


und ift der neuften Arbeitöperiode gewidmet, in welcher unter dem 

Einfluß der Dampfmafchine in faſt allen Induſtriezweigen wefentliche 

Beränderungen ftattgefunden haben. Die einzelnen Kapitel behandeln 

folgende Materien: 

1. Der Mafchinenbau und feine Hilfsmittel. 

Geſchützweſen, blanfe Waffen und Stahlwerkzeuge. 

Schlöſſer, feuerfefte Geldſchränke und Nägelfabrifation. 

Die Fabrikation der Nadeln. 

Die Bearbeitung der Bleche und die Stahlfeberfabrifation. 

Uhrenfabrikation. 

Die Goldſchmiedekunſt und Bijouteriefabrikation. 

Die Verarbeitung des Holzes. 

Das Drechſeln und die Spielwaarenfabrikation. 

Wagen: und Kutſchenbau. 

11. Holz und Strohflechterei 

12. MBerarbeitung der Faferftoffe. 

13. Die Nähmafcine. 

14. Papiermachée und Verwandtes. 

15. Die YBuchbinberei. 

16. Die Verarbeitung bes Leders. - 

17. Berarbeitung der Haare, Borften und Därme. — 

In der Schlußbetrachtung find hierher gehörige volkswirthſchaft⸗ 

‚lie Themata behandelt. Als: Arbeit und Erfindung. Das Kapital 

und fein Einfluß auf den Austausch der Arbeit. Der Handel. Die 

wirthichaftliche Entwickelung und die Gefehgebung. Production, Fabrik— 
weſen, Majchinenarbeit. Wertberhöhung des Stoffes durch die Arbeit. 

Patent und Mufterfhug. Selbſthilfe der Arbeit. Berficherungen. 

Erhöhung der Arbeitäleiftung. Werth der Zeit. Arbeitötheilung. 

Arbeitermohnungen. Die Arbeit ale Waare. Der Preis. Preis der 

Bere Selbſtkoſtenpreis menschlicher Arbeitsleiftung. Internationaler 

erkehr. 

Die Illuſtration dieſes Bandes iſt den vorigen entſprechend. Er 
Hi 1 Titelbild, 5 Tonbilder und 500 in den Tert gedrudte Holz: 

nitte. — 

Die Schlußlieferung bringt auf 60 Seiten eine alphabetiſch— 
bronologifheleberfihtderbedeutfamften Erfindungen 
und Fortfchritte aller Zeiten und ein Sadregifter zum 
Bud) der Erfindungen, ebenfalls alphabetifch georbnet. 

Mir Finnen nur wünjchen, daß dieſes durch und durch gebiegene 
Werk eine recht weite Verbreitung finden, namentlich aud für Haus- 
und Schülerbibliothefen angejchafft werden möge. 

103. Dtto Spamer’s Illuſtrirtes Eonverfationdskericon für dad Boll. Zu⸗ 
gleih ein Orbis pictus für die Jugend. Heft 85—108. In 4 Thaler 
lleferungen. Leipzig, Dtto Spamer. 1874. 

Seit der lebten Anzeige im XXV. Bande des Pädag. Yahresb. 
(S. 663) find von dem ſchönen Werke die 15., 16., 17. und 18. Thaler- 
lieferung erſchienen, die das Unternehmen bi? zu dem Artikel „Glas“ 

VPad. Jahresbericht. XXVII. 30 


je 
sennenmwm 





466 Sugend- und Volksſchriften. 


fördern. — Was in Bezug auf paffende Auswahl der einzelnen Artikel, 

"über die Weberfichtlichleit der längeren, Klarheit und Präcifion ber 

kürzern gejagt worden ift, kann hier mit umfo größerer Anerlennung 

wiederholt werben, als jede neue Lieferung Zeugniß ablegt für die 

Sorgfalt der Rebaction, in den Urtifeln aus der Weltkunde fowol als 

in den biographifchen den Anforderungen der Gegenwart möglichft zu 

entiprechen. Namentlich find die hierher gehörigen Porträtbilder vor- 
treffliche Darftellungen und für das Werk von bleibendem Werthe. 

| Möge ſich die Theilnahme des Publitums an dem verbienftlichen 

Unternehmen in dem Grabe fteigern, als fich feine Bedeutſamkeit mit 

jedem neuen Bande erhöht. 

104. Deutfche Zeit: und Streitfragen. Flugſchriften zur Stenntniß der 
Begenwart. Herausgegeben von Fro. vd. Holkendorff und W. Onden. 
Berlin, Lüderitz'ſche Buchhdl. Preis: à 7Ys Sgr. (im Abonnement). 

Auf die eminente Bebeutung diejes Unternehmens hat der Pädag. 
Sabresbericht fchon bei dem Erjcheinen des I. Heftes hingewieſen (Bd. 
XXIV, ©. 266), da die im Proſpect dargelegte Tendenz ein wirkſames 
Mittel zur Beförderung der Volksbildung in Ausficht ftellte, welches 
namentlich zu einer bemwußten Theilnahme am Leben der Gegenwart 
befähigen ſollte — In ber Folge Tonnte mit Anerfennung bezeugt 
werden (Bd. XXV, ©. 665 und Bd. XXVI, ©. 343), daß felbft hoch⸗ 
gejpannte Erwartungen befriedigt fein dürfen und ebenfo Bortreffliches 
bieten bie feit vorigem Jahre erfchienenen Hefte. — Ihrem Inhalte nad 
bon einander ganz unabhängig, wirken fie in ihrer Gejammtheit, die 
charakteriſtiſchen Züge des Zeitgeiftes zu marfiren, 
indem einerjeitö Motive behandelt werden, welche in Beziehung zu dem 
ſchwebenden Kulturfampfe ftehen, anbrerfeit3 aber Erfcheinungen im 
focialen Leben, Intereſſen und Inſtitutionen vollswirthichaftlicher Natur 
zum Gegenftande der Erörterung gewählt worden find. — Die Der: 
faſſer diefer Auffäbe find zum Theil berufene Lehrer der Wiſſenſchaft 
und faft alle befannt als Autoritäten auf dem von ihnen vertretenen 
Wiſſensgebiet. Dies vorausgeichidt wird eine furze Inhaltsangabe ber 
einzelnen Hefte beitragen, dem zeitgemäßen Werke die verdiente Auf- 
merkſamkeit und eine wünſchenswerthe Verbreitung zu ſichern. — 
Heft Nr. 31. Die Reltgton im Zeitalter Darwins. Bon Heinrich 

Lang, Pfarrer in Zürih. Jahrgang Il. 1873. Preis: 12 Ser. 

Mit der dem Berfaffer eigenthümlichen Kraft und Schönheit der 
Sprache wird in diefer Arbeit das gegenwärtige Verhältnig der Willen- 
Ichaft, vorzugsweiſe der Naturwiſſenſchaften zur Religion beleuchtet und 
ala eine, zur Verfühnung Beider führende Kriſis bezeichnet. — Der 
Derfafler mweift in überzeugenvder Weile nach, daß ber Angriff der 
Wiſſenſchaft auf das Gebiet der Religion keinesweges ein Bernichtungs- 
kampf fein könne und folle, wie es ängftlichen und befangenen Ge⸗ 
müthern erfcheine.. — Der Angriff richte fih nicht gegen das Weſen 
und ben Inhalt der Religion, fondern nur gegen die Auswüchſe der⸗ 
felben, die inhaltslofen Culturformen und den Wunderglauben. — Er 
gelangt zu dem Beweiſe, daß Religion und Willenfchaft auf verſchieden n 








a 


Augend- und Volksſchriften. 467 


Wegen die Wahrheit fuchen und daß in biefem Streben die Garantie 

für endliche Verföhnung liege. — 

Nr, 3 Die Dichtkunſt der Börſe. Bon Dr. H. Bela, Jahrgang U. 
1873. 


Unter Dichtkunſt der Börfe verfteht der Verfafjer „Verwendung 
des Kapitald zu fittlichen und künſtleriſchen Zwecken.“ Auch deutet 
er berfchiedene Arten einer in dieſem Sinne vortheilbaften Kapitals: 
anlage an und zeigt wie hoch und wodurch fi) das Kapital verzinjen 
würde. — Die Vorſchläge werben wohl feinen Anklang finden! 

Ar. 33. DiefünfMilliarden. Betrachtungen Über die Folgen der großen 
Kriegeentfhädigung für die Wirtbfchaftsnerhältniffe Frankreichs und Deutſch⸗ 
lands. Bon Dr. holy Sootbeer. Jahrgang III. 1874. Preis: 12 Sur. 
Vom Geſichtspunkte der Moral aus betrachtet erjcheinen die Yolgen 

als nachtheilige für Deutichland, als vortheilhaft für Frankreich, vom 

Geſichtspunkte wirthſchaftlicher Anterefien ift das Verhältniß ein um- 

gelebrtes, doch nicht in gleich hohem Grade. In jedem alle erfcheinen 

dem Verfaſſer für beide Nationen die üblen Folgen vorübergebender, 
bie guten aber conftanter Natur zu fen. — 

Nr. 34. Der Felſen Petri — Fein Felfen. Bon Dr. $. 9. e, 
Geh. Rieder * Prof. der FAR A| an ber ei Pl 
1874. Preis: 10 Ser. 

Der Beweis für die im Titel niebergelegte Ueberzeugung des Ver: 
faſſers ift nicht in Form einer dogmatifchen Streitfchrift geführt, fondern 
erjcheint als das Nefultat einer angeftellten kritiſchen Vergleichung ber 
betreffenden Schrifttellen, an melden zur Evidenz nachgewieſen wird, 
daß Jeſus feinem Jünger das beanfprudte Primat niemals verliehen 
haben Tann; daß vielmehr der Ausſpruch in die Neihe derjenigen 
apoftolifhen Sonftitutionen zu ftellen ſei, welche, wie die pſeudoiſidoriſchen 
Dekretalen, der Maxime des Zurückdatirens ihr Dafein verdanfen, mit 
großer Wahrfcheinlichfeit die Beir feiner Entftehung alfo erft nach Petri 
Tod zu fegen und feine Tendenz gegen die Paulinifchen Principien ge- 
richtet ſei. 

Nr. 35. Das alte und das neue deutſche Reid. Bortrog gehalten 
zu Breslau am 7, Decbr. 1873. Don Otto Gierke, Prof. der Rechte. 
1874. Breis: 10 Ser. 

Die Parallele ift unter „dem Geſichtspunkte des Staatsrechtes, 
der rechtlichen Erfheinungsform beider Staatöförper gezogen,’ 
und wird mit einer Analyje der Grundidee berjelben eingeleitet. Aus 
diefer ergiebt ich zunächſt, daß das neue deutſche Reich der Verwirk⸗ 
lichung jener jegt fchon viel näher ftehe, ald tem alten auf feiner höchiten 
Entwidelungsftufe nachgerühmt werden könne. Ein nod bei weitem 
günftigeres Reſultat aber ergiebt fich aus den übrigen Bergleichungs- 
punften, in denen die rechtliche Natur, die Gliederung und 
die Organe, fowie deren Functionen einer näheren Beleuchtung 
unterjtellt werden. — Der Erkenntniß, baß troß ber relativ hohen 
Vollkommenheit dennoch eine abfolute Mangelbaftigleit, zumal in Be- 
zug auf die Yunction mancher Organe, nicht überjehen werden könne, 

80 * 


468 Jugend- und Volksſchriften. 


hält der Verfaſſer die Entwickelungsfähigkeit des jugendlichen Staats⸗ 
körpers gegenüber, welche die Verwirklichung jener Grundidee in ſichere 
und nicht allzu ferne Ausſicht ſtelle — Das Deutſche Reich werde 
dann als des Deutſchen Volkes deutfher Staat eriheinen 
und alle feine Lebensäußerungen nad) außen und nad innen nur bie 
einer fittlihen Kulturmadt fein. 


Ar. 36. Kosmonvolitismus und Patriotismus. Ben Dr. Edmund 
' Pfleiderer. 1874. Preis: 10 Ser. 

Die beiden gegenfätlichen Begriffe bezeichnet der Verf. in einem 
gewählten Bilde als die Banner für zwei im Kampfe beariffene Parteien. 
Aus der Geſchichte weiſt er nach, daß fich der Kosmopolitismus über- 
al einfeitig geltend gemacht bat, wo Herrichfucht mit Unwiſſenheit ge⸗ 
paart die Unterjochung gleichberechtigter Weſen angeftrebt bat, oder bie 
urtbeilölofe Menge durch eine blendende Maske für Zwecke gewonnen 
werden follte, die unverhüllt vor ber Moral nicht beftehen konnten. 
Aus diefem Erfahrungsjat erflärt er auch die befremdliche Erfcheinung, 
daß die eifrigften Apoftel des Kosmopolitismus im praftiichen Leben 
fih als intolerante Defpoten und Egoiften zeigen, die mit ihrer fchein- 
baren Hingabe an höhere Zwecke die Vernachläſſigung ihrer nächſten 
Pflihten zu entjchuldigen lieben. — In diefer Unnatur findet ber 
Berfafler den beutlichiten Hinweis auf den Patriotismus, als 
der natürlichften Lebensrichtung der fittlih gebildeten Menſchen. — 
An Schillers Entwidelungsgang weiſt er nah, daß biefelbe in ber 
That eine höhere Bildungsftufe Tennzeichne. — Trotzdem erkennt ber 
Derfafler dem Kosmopolitismus auf bejtimmten, genauer bezeichneten 
Gebieten eine Eriftenzberehtigung zu; als geiftig meitherziges Welt- 
interefje jet er auch in dem Patriotismus ſchon mit inbegriffen. — 
Nr. 37. Die Reform des Zollvereinse. Bon Dr. F. Berrot. Roſtock 

1874. Preis: 12 Ser. 

Eine volfswirtbichaftlihe Abhandlung, in welcher der Verfaffer 
ben Beweis zu führen beftrebt ift, daß die Schubzölle eine Belaftung 
des Landes zum alleinigen Vortheil ber betreffenden Fabrikanten feien. 
Zu beflerer Motivirung feiner Behauptung beleuchtet er die wahrſchein⸗ 
lihen mwohlthätigen Folgen des Freihandels. 

Nr. 38. Die Theuerung der Lebensmittel. Bon Dr. F. £. Neu: 
mann. 1874. Preis: 12 Sgr. 

Die allmähliche Steigerung der Preife wird auf Grund ftatiftifcher 
Werke verſchiedener Jahrhunderte als ein ſich vollziehendes Naturgeſetz 
nachgewieſen, das in ſeinen Conſequenzen zwar läſtig, aber doch nicht 
als eine Krankheitserſcheinung des gegenwärtigen Kulturzuſtandes zu 
betrachten ſei. — Den Charakter einer ſolchen trage nur die lokale 
Herabminderung der Kaufkraft des Geldes, die ſich vorzugsweiſe in 
großen Städten fühlbar mache und den Conflict erzeuge, der in den 
Vorzügen des großſtädtiſchen Lebens und den wirthſchaftlichen Schwierig⸗ 
keiten deſſelben liegt. — Als ein Palliativ bezeichnet er die Freiheit 
des Handelsverkehrs zur Herſtellung wirkſamer Concurrenz und gute 











Jugend- und Volksfchriften. 469 


Drganifation ber ftäbtiichen Verkehrsmittel, die eine beſſere Vertbeilung 
der Wohnfite einer Bevölferung auf ausgebehntere Territorien ermög⸗ 
licht. — Die Vorſchläge jind beachtenswerth. 

Nr. 39. Dad Berfiherungdmwefen. Bon Dr. Ernſt Bezold. 1874. 
Preis: 12 Ser. 

Die Einleitung, welche nahezu die Hälfte der Abhandlung ein- 
nimmt, ift der gefchichtlichen Unterjuchung gewidmet, in miefern bie 
modernen Snititutionen der Güterverficherungen mit bem alten römtfchen 
Rechte zufammenhängen. Das Rejultat diefer Prüfung ift ziemlich 
unbedeutend. Ferner giebt die Brofchüre eine Weberficht, morauf fi 
das Verſicherungsweſen vernünftigermweife erftreden könne und in welcher 
Weile der Spefulationsgeift fi der Idee bemächtigt habe. — Der 
Verfaſſer Jucht zu beweifen, baß es eine Aufgabe der Landesregierung 
fei, das Vertrauen zu der zeitgemäßen Inſtitution durch eine zweckent⸗ 
fprechende Gejeggebung wieder zu befeftigen. 

Ar. 40. Die Rutberbibel und ibre Textes⸗Reviſion. Bortrag im 
ftudentifhen Guſtav⸗Adolph⸗Verein in Sena, gehalten von Dr. Willibald 
Grimm. 1874. 

Die nächſte Veranlafjung zu diefem Vortrage mag das Bebürfnif 
geweſen fein, bie Urtheile der Preffe über die Ergebniffe der Revifion 
des Neuen Teitamentes zu berichtigen, und auf die Schwierigkeiten 
aufmerkſam zu machen, mit denen die beauftragte Commiſſion bei der 
Löfung ihrer Aufgabe zu kämpfen habe. — Die Darlegung bdiefer 
Schwierigkeiten giebt dem Berfafler, der felbft zu der Commiffion ge⸗ 
hört, Gelegenheit, die Grundfäge mitzutheilen, bie für das Geſchäft 
der Revifion als maßgebend und erfprießlich erfannt worden find, und 
gleichzeitig nachzumweifen, meshalb nothwendiger Weife fih bie Ver— 
änderungen nur auf Berbefjerungen des fprachlichen Ausbruds befchränfen 
müflen. — Die Abhandlung hat ein Intereſſe für Alle, die die Bibel 
nicht nur als ein Inventarienſtück des Haufes betrachten, ſondern ihren 
religiöfen, ethifchen und literarifchen Werth zu fchäten verfteben. — 
Nr. 41. Die Börfe und die Gründungen, nebft Vorfchlägen zur Reform 

des Börſenrechts und der Actiengefeßgebung. Bon Dr. art Gareis, 

ordentl. Prof. der Rechte an der Untiverfität Bern. 1874. 

Der Berfafler gebt bei der Behandlung feines Themas von der 
Anficht aus, daß die fchlimmen Erfahrungen über die Unfolidität vieler 
Unternebmungen zum Zwecke ſchneller Kapitalavermehrung ſich nicht 
ala ausreichendes Schugmittel gegen künftige Calamitäten erweiſen 
werden, und ebenſo wenig rechnet er darauf, daß bie fortfchreitende 
Bildung Gataftrophen wie die der letten Jahre in der Yolge unmög- 
lih made. Deshalb fordert er Abhilfe von Seiten der Regierung, 
die auf dem Wege der Geſetzgebung eine größere Sicherftellung bes 
Actionärd bewirken könne. Das Geſetz babe vom Unternehmer 
die perjönliche Haftpflicht zu fordern. Im Uebrigen erfennt es 
ber Berfafler als eine Aufgabe der Schule, durch tüchtige Verftandes- 
Bildung und Erweckung eines idealen Strebens der blinden Gelbgier 
zu fteuern und die Genußfucht auf ihr berechtigtes Maß zurüdzuführen. — 


470 Jugend- und Volksſchriften. 


Unter dieſen Vorausſetzungen hält er den Actionär der Zukunft gegen 

den Schwindel geſichert. Bei der Anlage ſeines Kapitals würde ihm 

nur bie ſelbſtverſtändliche Aufmerkſamkeit zur Pflicht gemacht werden, 
die bei jedem Tleineren Gelbgefchäft verlangt wird. — 

Ne. 42. Anti⸗Kliefoth oder die gefäbrlichfte Neichefeindfhaft an einem 
Beifpiel aufgezeigt von M. Baumgarten. 1874 
Eine im lauterften Geift bes proteftantifhen Chriſtenthums gegen 

den Vertreter der Medienburgiichen Landeslirche erhobene Anklage auf 

Verrath an der nationalen Sache. — 

Nr. 43. Die forſtliche Unterrichtsfrage. Bon Dr. Richard Heß, 
ord. Prof. der Forſtwiſſenſchaft an ber Univerfität zu @ießen. 

Gegenftand der Frage ift — ein Seitenftüd zur Lehrerbildungs⸗ 
frage — ob ifolirte Faclebranftalten oder Bereinigung derſelben mit 
ben allgemeinen Hochſchulen für die Bildung der Foritleute zmedmäßiger 
feien. Der Berf. vertritt die letztere Anficht und führt ſchwerwiegende 
Gründe, für melde ihm Theorie und Praxis reiches Material liefern, 
für Imwedmäßigfeit und Nothmwendigfeit einer ſolchen Verſchmelzung 
an. — Die Erörterung diefer Streitfrage ſchlägt indeſſen jo fehr in 
das Gebiet fachwifienichaftlicher Polemik, daß aus biefem Grunde ſchon 
der Lejerkreis als ein befchräntter gedacht merden muß; die außgefprochene 
Abficht des Verf. macht ihn fogar zu einem erclufiven, da er jih in 
feinem Vorwort namentlid an die Factoren ber Geſetzgebung abreifirt 
und benfelben mit feiner Arbeit ein zweckmäßig georbnetes und viel« 
feitig beleuchtetes Material darbietet. 

Nr. 44 Die Reform der höhern Rebhranftalten, insbefondere der Real⸗ 
ſchulen. Ein Beitrag zu den Borarbeiten für das Unterrichtegeſetz. Bon 
W. Gallenfamp, Director der Friedr. Werderfchen Gewerbeichufe in 
Berlin. 1874. 

Bived ber Darftellung ift: den Beweis zu führen, daß nad ben 
beſtehenden Geſetzen bie Vorbereitungsanftalten für Univerfitäten und 
Fachſchulen ihre Aufgabe nicht erfüllen können, meil zur Erreihung 
bon Nebenziveden eine Zeit: unb Rraftzerfplitterung ftattfindet. — 
Der Verf. folgert daraus die Notwendigkeit einer burchgreifenben 
Reform und bezeichnet mit forgfältiger Schätung der focialen Bebürf- 
niffe und der höhern Ziele der verichiedenen Anftalten die einzelnen 
Gebiete des Unterrichtsweſens, auf denen zunächſt eine Umgeftaltung 
anzufizeben fein würde. — 

Der Inhalt diefer Schrift, obſchon einem ausfchließlihen Zwecke 
gewidmet, ift dennoch für Alle ſehr intereffant, welche in irgend einer 
Beziehung zu ben bier in Betracht kommenden Bildungsanftalten ftehen 
und namentlich Eltern zur Lectüre zu empfehlen, die den Bildungsgang 
ihrer Söhne nach erprobten Grundſätzen zu leiten wünfchen. 


Ar. a Streitfragen der Eifenbahnyolitit. Bon Guſtav Cohn 


. Der Auflag ift gegen die Behauptung einiger Wortführer ber 
Nationalölonomie gerichtet, daß ber Verkehr auf ben Eifenbahnen ein 


Jugend- und Boltsjchriften. 471 


ſo freier werben müſſe, wie berjenige auf ber Landftraße und ben 
Waſſerwegen. 

Die Freiheit auf den Schienen iſt im Intereſſe der öffentlichen 
Sicherheit, als auch aus ökonomiſchen Gründen nicht zu geſtatten, fon= 
dern bleibe derſelbe am zweckmäßigſten ein Monopol der Staats- 
segierung. Dieje Behauptung unterftügt der Verfaſſer durch Belege 
aus ber englijchen Eifenbahnftatiftif. 

105. Zwed, Mittel und Erfolge des Mainzer Katholiken⸗Vereins, bes 

Iombere In der Rheinprovinz. Bon Emmerich Gladbach. Ebendaſelbſt. 

Der Verfafler bat den Einfluß diefer ultramontanen Streiter aus 
der Anfchauung kennen gelernt und will in dieſer Schrift einen Com⸗ 
mentar zu den unverfänglicdh klingenden Statuten des Vereins liefern. 
— Bu dem Zwecke ftellt er diejelben mit anderen fchriftlichen Kund⸗ 
gebungen zujammen, die geeignet find, fcharfe Schlaglicdhter auf bie 
Paragraphen des Programms zu merfen. 

Dennoch hat die Schrift keine aufreizgende Tendenz, ſondern ver⸗ 
folgt nur den Zweck, Aufklärung zu verbreiten und zur Borficht auf- 
zufordern. — , 

106. Sammlung gemeinverftändlider wifjenfhaftlider Vor⸗ 
träge. Herausgegeben von Rud. Virchow und Ferd. v. Holtzendorff. 

24 Hefte der VIIL u. IX. Serie. Berlin, Lüderitz'ſche Verlagsbuchhandl. 

1874. Subferiptionspreis: & 5 Ser. 

Auch bei diefem Werke dürfen wir auf die empfehlenden An⸗ 
zeigen in den früheren Bänden des Päbagog. Yahreöberichtes zurüd- 
weifen und im Uebrigen die Mannigfaltigfeit ber Themata für 
die Reichhaltigkeit, die Namen ihrer refp. Bearbeiter für den 
wiffenfhaftliden Werth dieſes zeitgemäßen Unternehmen 
ſprechen laſſen. u | 

Heft 191. Der Apoxyomenes des Lyſippos und die griechiſche Paläftre. 

Bon Dr. Ignaz Küppers, Gumnaflallehrer zu Bonn. Mit einer litho- 

grapb. Tafel. (56 ©.) ' 

Die Einleitung beipricht im Allgemeinen den Einfluß der bilden- 
ben Kunſt auf das religiöſe und politifche Leben, und bie‘ Bedeutung 
ber Gymnaſtik auf die Gefammtbildung der Griechen. — Nach diejer 
Berftändigung ſucht ber Verfaſſer die Natur des Apoxyomenes als 
ein Denkmal der höchſten Entwidlungsftufe griechiſcher Bildung und 
als ben Ausdruck des vollendet gebildeten Menſchen varzuftellen, mo= 
für die Abbildung weitere Anhaltöpunfte gewährt. — Die Abhanb- 
kung ift als ein werthvoller Beitrag zur Alterthumskunde und ber 
Aeſthetik der Aufmerkfamleit des Lejers zu empfehlen, troß des fremd⸗ 
klingenden Titels wird ihm für dad Verſtändniß des Vortrages Teine 
beſondere Zumuthung geftellt. — 

Heft 192. Erdmagnetismus und Nordlicht. Bon Dr. Geifen⸗ 
heimer, Director der Bergſchnle zu Tarnowitz. Mit einem Holzſchnitt. 


D 


472 Qugend- und Volksſchriften. 


Diefe Abhandlung ift ein interefianter Verſuch, den Erdmagnetis⸗ 
mus aus der Bewegung des flüffigen Erdinnern, die Deklination unt 
Inklination des Kompafjes aus den Hemmniffen zu erklären, auf welde 
die Gluthſtröme bei ihrer Rotation ftoßen. — Hieran fchließt ſich eine 
neue Hhpothefe über die Urſachen des Norblichtes, nach welcher das⸗ 
jelbe im engen Zuſammenhange mit den Sonnenfleden ſteht. Der 
beigegebene Holzſchnitt zeigt bie überraſchende Uebereinftimmung ber 
Curven des Norblichts und der Erfcheinung der Sonnenfleden. Seber 
Gebildete wird mit Leichtigkeit der anfchaulichen Darftellungsteife bes 
Berfaflerd folgen und Theil haben fönnen an den Errungenfcdaften 
auf diefem, im Allgemeinen ſchwer zugänglichen Gebiet ber vorbringen- 
den Naturwillenichaft. 

Heft 193. Die Urbevdflerung Europa’d. Don Rudolph Virchow. 

(48 ©.) Preis: 10 Sgr. 

Das Problem, welcher Race die Urbevölkerung Europas angehört 
babe, ift nach dem Beugniß des Herrn Verfaſſers noch lange nicht 
gelöft, wenn auch die vereinten Anftrengungen ber Alterthumskunde 
und der vergleichenden Sprachwiſſenſchaft zu fehr intereffanten Ent- 
bedungen über Abftammung und Lebensweife früherer Bewohner 
unſeres Erbtheild geführt haben. Am Baden der Entwidelung feiner 
Darftellung entrollt der Berfaffer ein intereffantes Bilb bes Völker: 
lebend in vorgejchichtlicher Zeit, welches die Anſchauung von der Seß⸗ 
baftigfeit früherer Generationen volllommen verändert. 

Heft 194. Weber Art und Kunft, Kunftwerfe zu feben. Bon 

Hermann Niegel. (30 ©.) Preis: 6 Sar. 

Der Berfafler behandelt das Thema vorzugsweiſe in negativer 
Form. Der Leſer kann aus der Abhandlung nicht erlernen, wie er 
fih felbit zu dem vollfommenften Genuß ber Runftprobufte verhelfen 
Tann, fondern erfährt nur, welche Qualifikation der Verfaſſer von einem 
Öffentlichen Kunftrichter verlangt. — 

Heft 195. Ueber die Grenzen der fihtbaren Schöpfung, nach den jepi- 

en Reiftungen der Milroffope und Fernröhre. Bon Marimiltan Party. 

(39 S.) Preis: 7, Ser. 

Der Berfaffer zeigt, wie bie Erweiterung bes menfchlichen Er: 
fenntnißgebietes von der Vervollkommnung der optiſchen Inſtrumente 
abhängt und daß gegenwärtig bie Wifjenichaft wenig Ausficht babe, 
die Leiftungsfraft derjelben noch wejentlich zu erhöhen. Möglich fei 
die Potenzirung dieſer Kraft durch Entdedung ftärler brechender Mes 
dien oder durch die Erfindung einer vollftändig neuen Konftruction. 

Heft 196. Die Sage vom Ewigen Juden, ihre poetifche Wandlung und 

Fortbildung. Bon Friedrich Helbig. 56 S. Preis: 10 Sgr. 

Der Verfaſſer ftellt die Herborragendften Kunſtdichtungen über 
diefen Stoff zufammen und findet aus ber Vergleichung, daß berjelbe 
eine allmähliche Vergeiftigung erfahren. Die in den verſchiedenen Be- 
arbeitungen zum Ausbrud fommende Idee habe ber jevesmaligen Geiftes- 
richtung der Zeit genau entiprochen, in ber die Dichtungen entflanden 











Jugend⸗ und Bolksichriften. 413 


und fei deshalb bie Syortentwicelung des menfclichen Geiftes an 
—* verſchiedenen Bearbeitungen mit großer Sicherheit zu ver⸗ 
olgen. — 

eft 197. Die PBflanzgengruppe der Farne. Don Dr. r. 

—E8 Mit Holz —* 28 5 ß ei 

Ein intereffantes Kapitel aus der Pflanzen-Anatomie. Der Vor- 
trag erflärt den auf zwei Generationen vertheilten Entwidelungsproceß 
ber volllommenen Farnpflanze. — 

Heft 198. Die Anfledelung des Chriſtenthums in Rom. Bon Dr. 

%. Solemann. 40 ©. 

Nah diefer Darftellung knüpften fich die erſten bürgerlichen Rechte 
der chriftlihen Gemeinde in Rom an ben feften Befit von Begräb- 
nipftellen, was ſich aus Inſchriften in den Katakomben nachweiſen 
läßt. — Der Zufammenbang erflärt fi aus dem Umſtande, daß bie 
Chriften nicht als religiöje Selte, fondern als eine politiich gefährliche 
Partei betrachtet und verfolgt wurden, der aber die ehrenvolle Be— 
ftattung ihrer Todten nicht verfagt werben konnte. — Unter ber Sig» 
natur eines „Begräbnißvereind” gewann die Gemeinde innern Zus 
fammenhang und den erften Grundbeſitz. — Der Vortrag ftellt 
mancdherlei neue Geſichtspunkte auf, die als intereflante Beiträge zur 
Kenntniß des damaligen Kulturlebens gelten können. 


Heft 199. Die Keuerzeuge. Bon Dr. W. Stricker. 30 S. 


Der Inhalt des Heftes beichräntt fih im Wejentlichen auf die 
Beichreibung der verichiebenen Arten der Feuererzeugung bei den Natur- 
völfern und ber bei unfern Vorfahren gebräudlichen Vorrichtungen 
bierzu. Diefelben find bis zum Aufblühen der Naturwiſſenſchaften 
darauf angelegt geweſen, Feuer auf mechanische Weife zu erzeugen, 
bi8 die chemiſchen Darftelungsweifen in allgemeine Aufnahme ge: 
Tommen find. 

gg tt 200. Das VarianiſcheSchlachtfeld. Bon Hofrath Effellen. 


Der Verfaſſer fucht in diefer Abhandlung die Frage nad ber 
Größe und Lage des damaligen Schlachtfeldes zu beantiworten, die ihm 
in der gegenwärtigen Zeit ein erhöhtes Intereſſe zu haben fcheint. 

Die biftorifchen UWeberlieferungen der Römer gewähren folgende 
Anhaltspunkte dafür: 1. Anlaß zum Aufbruch der Römer. 2. Die 
meteorologifchen Verhältniſſe der Jahreszeit, in welcher der Aufbruch 
erfolgte. 3. Die Bodenbefchaffenheit des Terraind. 4A. Die durch das 
Terrain bedingten Vorfichtämaßregeln. 5. Die Seit des Zuſammen⸗ 
floßes. — Die ſcharfſinnigen Combinationen führen zu der Annahme, 
daß das Schlachtfeld im Kreiſe Beckum zu fuchen fei. — Ein Kärtchen 
ift zur Erläuterung beigegeben. 

Heft 201. Die Piccolomtni. Don Prof. Dr. Richter. 31 ©. 

In diefer Abhandlung weiſet der Berfafler nad, daß Max Picco⸗ 
lomini Feine gefchichtliche Perſon, fondern eine Schöpfung bes Dichters 


474 Jugend⸗ und Volksſchriften. 


der Trilogie „Wallenſtein“ ſei. Der Verfaſſer ſieht in diefer Ent⸗ 
bedumg nur einen neuen glänzenden Beweis von ber Meiſterſchaft des 
Dichter in der Behandlung hiſtoriſcher Stoffe für feine Dramen, und 
erklärt e8 für einen hohen Gewinn, daß fein Commentator im Stande 
fein wird, die ideale Geſtalt des Mar durch Vergleihung mit einem 
biftorifchen Driginal zu beeinträdtigen. — _ 

Heft 202. Erdbeben und Vulkane, Bon Heinrich Möhl. Mit 

einer Abbildung. 40 ©. 

Abficht des Verfaſſers ift: bie Ausdehnung ber merkwürdigſten 
Erbbeben nad Zeit und Raum zu Schildern, gleichzeitig ftattfindende 
Eruptionen in mehr oder minder wahrfcheinlichen Zuſammenhang zu 
bringen und bie . Bebingungen für die beiden verwandten Naturpro⸗ 
zeſſe aufzujuchen und zu erklären. 

Im zweiten Theil der Abhandlung unterwirft er bie vulfanifchen 
Produkte einer chemifchen Analyje. Die beigegebene Abbildung bient 
dieſem Abfchnitt zur Illuſtration. Das Endergebniß ber Unterſuchung 
it die Beftätigung ber Hypothefe, daß Dulfane nicht die Ventile bes 
feuerflüffigen Erbinnern, fondern nur intermittirende Dampfquellen 
feien, die größtentheild ihre Speifung aus dem nahen Meere erhalten; 
ferner, daß Eruptionen zwar Erberfchütterungen in ihrer näcdhften Um- 
gebung bewirken, aber ſolche Erdbeben, die fi) über große Streden 
der Erboberfläche bemerkbar machen, in Teinem Sufammenhange mit 
vulkaniſchen Ausbrüchen ftehen. 

Heft 203. Ueber ornamentale Kunſt auf der Weltausſtellung zu Wien. 

Don Bruno Bucher. 48 ©. 

Die Faflung bes Themas giebt der Abhandlung den Charalter 
einer kritiſchen Wanderung durch die Ausftellungsräume. Das Ergeb- 
niß berfelben wird nur für die ein Intereſſe haben, melde die Aus- 
ftelung felbft befuchten und bie Eindrüde noch frifch in ber Erinnerung 
behalten haben. — Die Einleitung bierzu ift jedoch aud für Andre 
leſenswerth. Sie behandelt Urfprung, Zweck und Ziel der ornamen⸗ 
talen Kunft. — Bei der Kritil der Runftleiftungen der ausſtellenden 
nt find die beiden zuletzt genannten Geſichtspunkte maßgebend 
geweſen 

Heft 204. Das Sinnen⸗ und Seelenfeben des Menfchen unter 

den Tropen. Bon Dr. Franz Engel, 31 S. 1874 

Nach der Beobachtung des Verfaflers tritt in den Lebensãuße⸗ 
rungen des Menſchen unter der tropiſchen Bone ein entſchiedener 
Gegenſatz hervor, die von ber ihn umgebenden Natur abhängig ift. 
— Die Monotonie ber Wuſte verleiht ihrem Bewohner Oeneigtheit 
zu Viſionen und zur philofophifchen Beſchaulichkeit; im Allgemeinen 
gewahrt man eine vorherrſchende Richtung zur Einkehr in ſich ſelbſt. 
— Die üppige Vegetation der Tropenländer Amerikas bewirke das 
Gegentbeil, erzeuge Augenblidsleben und das unabweisbare Bebürf- 
niß nad) Sinnesluft. Die Seele veräußert ſich; das Geiſtesleben ift 
nur ein oberflächliches. — Dem Verfaſſer ift beſonders die Schilderung 
ber tilben Leidenſchaftlichkeit der Südamerikaner vortrefflich gelungen. 








Jugend- und Volksſchriften. 475 


Heft 205. Entſtehung und Enwickelung der religidſen Kunſt bei den 

Griechen. Bon Dr. Döhler. 47 ©. 

In diefer Abhandlung ift die Uebereinftimmung ber Produkte der 
griechiſchen Kunft mit dem Inhalt des religiöfen Gedankens nachge- 
tiefen, ber in ber Zeit ihrer Entftehung die Gemüther beherricht hat. 

Heft 206. Ueber das Salz In feiner culturgeihichtlichden und wiſſen⸗ 

ſchaftlichen Bedeutung. Bon Dr. 3. Moller. (32 ©.) 

Die Tulturgefchichtlihe Bedeutung des Salzes if durch das 
Factum bezeichnet, daß es ald einer der früheften Handelsartikel ben 
internationalen Verkehr der Völker angebahnt, ein Hauptmotiv für 
Veränderung der Wohnſitze ganzer Völferflämme geworden und er- 
giebige Yundorte zu Centralpunkten menschlicher Anſiedelungen gemacht 
bat. — Die andere Seite der Betrachtung giebt dem Berfafler Ver⸗ 
anlafjung, die Bedeutung des Salzes für das phufiiche Wohlbefinden 
des Menſchen und ber Thiere zu beleuchten‘, die Verfchiebenartigkeit 
feiner Wirkungen zu erflären und eine Schätzung des Vorrathes und 
Verbrauches bes koftbaren Minerals zu verfuhen. — Recht interefiant 
ift auch die Hypotheſe über die Bildung der Steinfalzlager. — 

Heft 207. Despotismusund Vollstraft. Eine Goethe'ſche Eon 
feffion. Bon Dr. Franz Eramer. (32 ©.) 

Der Inhalt erweiſt ſich als ein Commentar zu dem Goethe’fchen 
Feſiſpiel: „Das Erwachen des Epimenides,“ den der Verfaſſer zumeift 
in ber Abficht gefchrieben zu haben jcheint, den Vorwurf: Goethe fei 
ein Yürftendiener und Volksverächter geweſen, zu entfräften. — Die 
tiefere Abficht tritt in dem Nachwort deutlicher hervor. In berfelben 
wendet er fich perfönlich gegen den Despotismus ber Hierarchie und 
den bemoralifirenden Einfluß franzöfifcher Bühnenftüde und Moden 
und ruft die Vollöfraft, die im Bewußtſein der Gewilfensfreiheit be- 
grünbet liegt, zu Fräftiger Abwehr gegen die verberbenbringenden 
Mächte auf. — 

Heft 208. Die Sternſchnuppen und ihre Beziehungen zu den Kometen. 

Bon Dr. & v. Boguslawski. (47 ©.) 

Eine populär wiſſenſchaftliche Darftellung der Theorie der Stern- 
ſchnuppen, tie biejelbe von Prof. Weiß in Wien aufgeftellt und feit 
1871 von Sciaparelli in Mailand meiter entwidelt und begründet 
worden ift. — Für Jeden, der über die nothwendigen mathematifchen 
und aſtronomiſchen Vorkenntniffe verfügt, eine ebenfo belehrenve als 
unterhaltende Lectüre. — 

Heft 209. Die Gifte als bezaubernde Macht in der Hand des Laien. 

Bon Dr. &. Ed. Pfotenhauer, ord. Brof. in Bern. (18 ©.) 

Die „bezaubernde Macht” der Gifte fapt der Autor in feinem 
Vortrage als eine rückwirklende auf und fiellt an einer Reihe eclatanter 
Beilpiele das weibliche Geſchlecht als ausschließlich diefer Macht unter- 
worfen bar. Nach biefer Auffaflung handelt es fi alſo um bie Er- 
Härung einer piuchologifchen Erjcheinung, die der Verfafler auf Grund 


476 Jugend⸗ und Volksſchriften. 


der Unterſuchungsacten verſchiedener Giftmordsprozeſſe zu geben unter⸗ 
nimmt. Glücklicherweiſe gelingt ihm die Beweisführung nicht, ſondern 
behält den Charakter einer individuellen Anſchauung. Zudem müßte 
die Nichtigleit der von ihm aufgeftellten Behauptung die Zweckmäßig⸗ 
feit feines Vortragsthemas fehr in Trage ftellen; denn bei der an- 
genommenen Gontagiofität, ber dem bloßen Begriffe innewohnen foll, 
läge die Gefahr doch fehr nahe, durch Wiederaufnahme längft ver- 
geffener Oiftmordsgeſchichten empfänglichen Naturen den dämoniſchen 
a nahe zu bringen und eine verhängnißvolle Saat emporfprießen 
u lafien. 
3 Welches nun auch bie richtige Auffaflung fein möge, jedenfalls 
it das vorliegende das erite Heft diefer Sammlung, dem man 
einen engbejchräntten Leſerkreis wünfchen muß. 

Heft 210. Ueber elettrifhe Fiſche. Ben Dr. Franz Bol, 

Prof. an der Univerfität Roma. (39 5.) 

Die Anatomie und Phyſik der eleftrifhen Organe bes Zitterrochen, 
des Zitterwels und des Zitteraald bilden das bervorragendfte Thema 
für die Abhandlung. Ihre Einfachheit einerfeitd unb ihre große Wir: 
fung andererjeitö beftätigen ben Erfahrungsfah, daß die organifche 
ratur überrafchende Erfolge durch die denkbar kleinſten Mittel hervor⸗ 

tingt. — 
Heft 211. Das Heirathen in adten und neuen Geſetzen. Bon 
Prof. Dr. 3. Baron in Berlin. (44 ©.) 

Der Titel deutet ſchon den Geſichtspunkt an, von welchem der 
Berfafjer fein Thema der Betrachtung unterziehen wollte. Die Aus- 
führung zeigt, wann, unter welden Berbältniffen und in wel- 
hen Abſichten die Gefetgebung der Römer und ber Juden bie 
Berehelichung begünftigte oder erjchwerte, wie ſich die Anſchauungen 
darüber innerhalb der chrifilidden Kirche geftaltet haben und daß ber 
Fortſchritt unfrer Zeit auf dem Gebiet fittlicher Entwidelung durch 
das Eelbftbeitimmungsrecht des Unterthanen in diefem gegebenen Falle 
auf das beitimmtefte gelennzeichnet werde. — 

Heft 212. Die erſten Säbe der Erfenntniß insbefondere das 

Geſe oh der Urſächlichkeit und die Wirklichkeit der Außenwelt. Bon Dr. 
hrift. Wiener. (28 S.) 

Ein Abriß aus der Piychologie, die Vorgänge bei ber Denfthätig- 
feit veranfchaulichend. Die abftracte Natur bes Themas nöthigt den 
Verfaſſer zu häufiger Rückkehr auf fchon Geſagtes, wodurch der Leſer 
den Einbrud läftiger Breite empfangen muß. Veberhaupt gehört zu 
vollkommener Würdigung biefer philoſophiſchen Diagnofe ſchon Geübt- 
beit im abitraften Denken. — 

Heft 218. Die Armen- und Rrantenpfisge der geiſtlichen 
ER tden in früherer Seit. Bon Dr. U. Wernber in Gießen. 

Unter den bier in Betracht fommenden Orden hebt der Verfafler 

befonders den Sohanniterorden hervor; theils weil berjelbe zuerſt dem 








Tugend» und Volksſchriften. 477 


humanen Zwede gedient und feine Einrichtungen für die meiften ber 
übrigen muftergültig geworden, theil® auch, weil er nach feiner Wieber- 
erwedung in ber Neuzeit für die Krankenpflege im Kriege eine große 
Bedeutung geivonnen bat. Material für Schätung ber Leiſtungen 
in ben früheren Jahrhunderten haben ihm die Statuten und Ordens⸗ 
regeln geliefert, aus denen er häufig mörtliche Citate beibringt, die 
zwar bon ben Pflichten aber nicht von ben Thaten ber Ordensbrüder 
eine Borftellung geben. — 


ss st 214. Purpur und Berlen. Bon Prof. Dr. €. v. Martens. 


Der Titt Klingt zwar poetiſch, aber die Ausführung des Themas 
bient keineswegs der Abficht, die beiden Attribute des Reichthums und 
einer hervorragenden Stellung unter ber magilchen Beleuchtung einer 
poetiihen Anſchauungsweiſe in erhöhten Glanze zu zeigen, fonbern 
fie ihrer chemiſchen Natur nach zu prüfen. — Beziebentlich des koſt⸗ 
baren arbeftoffes beftätigt ber Verfaſſer, daß berfelbe längft durch 
veichern und fchönern Naturftoff verdrängt und ber Purpur faft nur 
noch Begriff geblieben. — Die Mittbeilungen über den andern Schmud- 
artikel laſſen auf unveränderte Werthſchätzung befielben bei allen Na: 
tionen Schließen. — 


XV. Muftkalifche Pädagogik. 


Bearbeitet 
von 


A. W. Gottſchalg, 


Hoforganiſt und Seminarlehrer in Weimar. 





L Geſang. 


A. Lehr: und NebungS werte für Gejang mit oder ohne 
bungsftoff. 
1. Widmann, Benediet: PBraktifher Lehrgang für einen ratios 
nellen Belangunterriöt in mebrflafftgen Bolls- und Bürger. 


fhulen. Auf Grundlage der allgemeinen Beitimmungen vom 15. Oftober 
1872 methodifch bearbeitet. 1.—5. Stufe. Leipzig, Merfeburger. Preis: 
2 Egr. 


Man vergleiche darüber, was Referent im vorigen Jahrgange, 

©. 443, über diefe ſchätzbare Erſcheinung gejagt bat. *) 
2, Flügel: GSefang- Kurfus für die Obern Klaffen höherer 
öhterfhulen. Leitfaden für Gefangfchülerinnen mit 100 ſchriftlichen 
Aufgaben. Zweite, verbefierte Auflage. Leipzig, Merieburger. Preis: 6 Ser. 
Durch diefe einhundert Aufgaben ift den Gefangfchülerinnen nit 
nur ein planmäßig geordneter Geſangkurſus dargeboten, fondern 
auch ein pofitives Wiffen ermöglicht, wenn fie jede Aufgabe 
unter Anleitung eines erfahrenen Geſanglehrers mit gewiſſenhafter 
Treue löſen und forgfältig burcharbeiten. Der Verfaſſer hat fich be- 
müht, die Gefangübungen mannigfad zu geftalten, auf Grund ber 
mufilalifhen Rhythmik, die gerade am Anfange des Geſangunterrichts 
ganz an ihrer Stelle ift, weil den Schülerinnen naturgemäß am eins 
gänglichiten. Der Schwerpunkt des Werfchens liegt in der Inter⸗ 
vallenlehre, weil ohne biefelbe ein ficheres Treffen der Töne 


®) Der fleißige Autor bat zwar den Referenten in der deutſchen Lehrer» 

zeitung (Leipzig, Klinkhardt) über einige Yweifel aufzuflären geſucht, aber 

ae I müflen wir gefteben, daß ihm dies nicht vollfländig gelungen iſt. 
edes Ding bat eben feine zwei Selten. 








Muſikaliſche Pädagogik. 479 


nicht zu erreichen iſt, und jede Unſicherheit im Einſatze auch die 

ſchönſte Stimme nicht zur Geltung kommen läßt. Es iſt eine Aus— 

wahl von Volksliedern beigegeben, damit das liebe deutſche Volks— 
lied von den Schülerinnen fort und fort gepflegt würde und nie in 

Bergefienheit komme, meil es, wie fein anderes Lieb geeignet ift, das 

Herz bis in’3 Alter warm und friſch Zu erhalten. Wehnliches- gilt 

auch von den auszujegenden Chorälen, die zum Theil aus Volks— 

liedern abſtammen, und welche ſich während der Arbeit nicht nur dem 

Gedächtniſſe, Sondern auch dem Gemüthe um fo fefter einprägen werden. 
Das Nöthigfte aus der Harmonielehre fann an den gegebenen 

Beifpielen geübt werden, und es wird ficherlich Feine mufifalifche Ge⸗ 

ſangſchülerin gereuen, dieſem Tleinen Theile des großen Muſikgebietes 

einige Aufmerkſamkeit geſchenkt zu haben. Durch die Pflege deſſelben 
wird ein folider mufilalifcher Grund gelegt, der immer zu ftatten kommt, 
mag man nun fingen, fpielen oder auh Muſik nur anhören. 

Der Anhalt diefes für ein rationelles, grünbliches Singen fehr 
brauchbaren Werkchens erftredt fih auf Folgendes: Aufgaben für Treff 
übungen, Gefangübungen (wobei die italienischen Sylben: do re mi 
ete. benugt find), zhythmifirte Dur» und Moll-ZTonleiter, bezifferte 
Bäße, dreiftimmige ausgeſetzte Choräle. Sämmtliche Uebungen, Lieder 
und Choräle find in der mittleren Stimmlage notirt, fo daß die obere 
Stimme fih nur bis zum Sopran-f beivegt. Die vom Autor gebrachten 
eigenen Gaben find werthvoll. | 

In unferen gewöhnlichen Volfsfchulen Tann bei der dem Gefang- 
unterrichte kurz zugemefjenen Zeit von einem derartigen eingehenden 
Sefangunterrichte kaum die Rebe fein. 

3. John, Friedrich: Der Sefangunterriht nah Noten. Cine ge 
drängte Zufammenftellung des Notbwendigften und Unentbehrlichſten für 
jeden Sänger. Zum Schuls und Privatgebrauche bearbeitet. Audgabe für 
Sopran und Alt.*) Dresden, Meinhord u. Söhne Breis: 1%, Nor. 
25 Exempl.: 25 Nor. 

In 8 1: einleitende Bemerkungen, wird das Notenſyſtem mit 
dem Biolinfchlüffel, in S 2: die Namen der Noten, in 8 3: Werth 
und Geltung der Noten, in $ 4: die Taftbezeichnung, in $ 5: von den 
Pauſen oder Schweigezeihen, in $ 6: die verſchiedenen mufilalifchen 
Nebenzeihen abgehandelt, woran ſich Singübungen im Umfange von 
5 Tönen ſchließen. Ob die auffteigenden Tonftufen bis zum hohen a 
(mie 3. B. in Nr. 18, 19 und 20) geübt werben können, ift natür- 
lich gar nicht fraglid. S 7 beipricht die Erhöhung und Erniedrigung 
der Töne fammt den Tonarten. Das in $ 8 kurz behandelte Athem- 
bolen beim Singen hätte wohl früher abfolvirt werben müſſen, ebenfo 
die in $ 9 berührte Ausſprache beim Singen. $ 10 bringt einige 
zwei⸗, dreis und vierftimmige Singübungen. 


‚*) Die ebenfalls vorliegende zusgabe des betreffenden Werkchens für 
Männergelangvereine, Gymnafial⸗ und Seminarhöre (40 R.-Pf. koftend) ent 
hält denjelben Stoff in etwas anderer und erweiterter Geftalt. 





480 Muſikaliſche Pädagogik. 


4. Früh, Armin: Uebungéſtücke für den realen Treffunterricht 
nach Roten in Schulen nebſt ein» und zweiftimmigen Liedern. 
Th. 1. Zweite, umgearbeitete Auflage. Frankfurt a. M. 

Ein Vergleich mit der eriten Auflage dieſes Werkes weiſet eine 
durchgreifende, vortheilhafte Veränderung auf. Nach einer ziemlichen 
Anzahl Sing: und Treffübungen auf die Silbe la la*), Tommt in 
Nr. 24 ein Tert: Ich gebe gern zur Schule, wo ich bei vielen 
Kindern bin ꝛc., der bon einer gejunden Pädagogik längft in bie 
päbagogiihe Rumpellammer verwieſen morben if. Das Volkslied 
Nr. 69: Friſcher Muth, leichtes Blut 2c., ift fo tief geſetzt, daß es 
ziemlich matt Klingen wird. Die Terte (Nr. 83): „Mein Herr Maler 
will er wohl” — fowie (Nr. 119): „Die ganze Welt ift ein Orchefter”‘, 
„In Berlin, fagt er”, (Mr. 122) 20. behagen uns für die Schule 
nidt. Ob „Berbefjerungen” der Texte, wie in Nr. 129: „Bekränzt 
mit Laub die Häupter” (ftatt die „Mützen“) und die Hüte — nicht 
etiva „Verböſerungen“ find, ift wohl nicht fehr fraglid. Wenn über- 
haupt jeder Sammler, Bearbeiter und Herausgeber Tert und Melodie 
beliebig ändern wollte, welche babylonifche Tonverwirrung follte daraus 
entfteben? Daß die gefammten Tonübungen faft alle, wenigſtens zu 
Anfange, in der C⸗dur-Tonart ftehen, tft wohl ziemlich einfeitig. 

5. Mebbeling, Lonid: Theoretiſch⸗-praktiſches Hilfsbuch für einen 
metbobifhen Gefangunterridt in unteren Gymnaftalllaffen 
und Bürgerfhulen, oder: 100 nad den Zafte und Tonarten geords 
nete Lieder, verbunden mit ihrer muflfaltihen Grundlage. Bierte Auflage. 
Braunfhweig, H. Bruhn. Preis: 6 Gr. - 

Die verſchiedenen Abfchnitte theoretiicher Belehrung im Gefang: 
unterrichte find entiprechend georbnet. Der Lieberftoff hat zu viel von 
dem Herausgeber, was immerhin fein Bedenken bat. a, wenn das 
Gebrachte auch wirklich neu und gut wäre, da könnte man ſich den 
neuen Lieberjegen wohl gefallen laflen. Man jebe aber einmal bie 
Compofition der Nr. 16: „Segne, Bater, meinen Fleiß” — einmal 
näber an, und ich fürchte, man wird nicht gerade jehr entzüdt von 
der mufilaliihen Erfindungsfraft des Autors fein. Viele glauben, 
fih zur Dichtung und Compofition von Kinderliedern berufen, aber nur 
Wenige find ausermählt! — 

6. Pürftinger**), Iofef: Der Gefang nah Noten in der Bolks⸗ 
ſchule. Eine populäre Geſangsſchule in Liedern im C» und FoSchlüſſel. 
Wien, im Selbftverlage des Herausgebero. ” 


2) Mas doch wohl etwas einfeitig if? 

*) Der Berfaffer bat au eine neue Einrihtung der Klaviaturen 
mufilalifher Snftrumente bergefiellt, über welche man fih, wie folgt, 
weiter verbreitet: „Herr P. Yofef Pürftinger zu St. Nikolai im Sauſal bat 
für den Unterrricht im Belange und Klavierfpiel ein neues Syſtem aufgeftellt, 
das beſtimmt und geeignet fein foll, dem Lernenden umfafiende Erleichterungen 
dadurch zu bieten, daß es ihm erfpart wird, fi) mit der komplizirten Tonarten⸗ 
und Borzeihnungslehre befannt zu machen. Rah diefem Syiteme follen alle 
für den Gefang und das Klavier deflimmten Muſikſtücke in zwei Zonarten, näm⸗ 
ih in C und in F geſchrieben, die übrigen Zonarten beim Geſange durd 


Muſikaliſche Pädagogik. 481 


Das vorliegende Heftchen fol ein Verſuch fein, den Zweck zu 
erreihen, daß der Geſang nah Noten mehr populär merbe, 
dag er in die Schule eingeführt und dadurch der Grund zu einem 
‚guten und geregelten Volksgeſange gelegt werde. 

Die Grundzüge der Methode dürften in Folgenbem beftehen: 

Es giebt zwei Schlüffel, einen C- und einen F-Schlüffel; beibe 
haben die gleiche Form, weshalb man dieſes Zeichen Turziveg den C- 
F-Schlüffel nennen Tann. Aus der Stellung dieſes Schlüffels auf 
der fünflinigen Notenzeile erkennt man auf den erften Blick: 


ihr Berbältnig zum Grundfuflem (Sekund, Terz und Quart zc.) angedeuter werden. 
Um diefed Suflem auch für das Klavierſpiel anwendbar zu machen, bat Herr 
PBürftinger eine fehr finnreihe Vorrichtung erfunden, welche an jedem Bianoforte 
angebracht werden Tann, und die es ermöglicht, alle Muſikſtücke in den Zonarten 
C und F zu fpielen, und fie dennoch nad Belieben durch eine, mittelft eines 
einzigen Drudes zu bewirkende Veränderung in der Lage der Klaviatur in jeder 
beliebigen anderen Zonart zu Gehör zu bringen. 

Es Tann bier nicht der Ort fein, den Werth und die Anwendbarkeit des 

angebeuteten Syſtemes vom Standpunkte der Muſiklehre aus zu beipreden; 
wir beichränten und vielmehr darauf, auf jene Vorrichtung am Planoforte 
aufmerffam zu machen, die in der That geeignet tft, das größte Intereſſe zu 
erregen. 
Adgefehen von ihrer Beilimmung für die Anwendung des fruglichen Lehr- 
ſyſtems bat fie unter allen Umitänden ſchon um deßwillen praltiihen Werth, da 
fie dem Klavierfpieler die Möglichkeit giebt, jedes Muſikſtück ohne irgend welde 
Schwierigkeit aus der vorgefchriebenen Tonart in jede beliebige andere zu 
transponiren, was beifpieläweife bei der Begleitung zum Gefange von aufer- 
ordentlihem Werthe fein Tann. 

Die k. k. dfterreichiihe Regierung bat dem Herrn P. Pürflinger auf feine 
Erfindung unterm 15. September v. 3. ein Patent ertheilt und ift derjelbe 
geneigt, die Anwendung jener Vorrichtung vorläufig auf eine beftimmte Anzahl 
don Inftrumenten auf Grund näherer Vereinbarung zu geftatten. 

Die Redaktion diefes (gefertigten) Blattes erklärt fih zu näherer Auskunft 
bereit, indem dieſelbe namentlich PBianofortefabrilanten die Beachtung diefed äußerft 
interefjanten Gegenftandes dringend anempfiehlt.“ 

„Wiener Induftrie: und Gewerbezeitung”, Nr. 8. 

Bei Anwendung dieſes Syitems fol es ermöglicht werden, daß ſowohl das 
Kirchenlied, als auch das Volkslied eine bedeutend einfachere Darftellungsform 
erhalte, und eben dadurch mehr populär werde, fo daß der Gefang nad Noten 
auch in den Vollofhulen auf dem Lande ermöglicht werden fol. — Aud für 
die Melodien des gregorianifchen Georalgefanges tft diefes einfache Syſtem an- 
wendbar, ohne dab dadurch der Charakter ber einzelnen verfchledenen kirch⸗ 
lichen Zonarten auch nur im Mindeften geändert wird. 

Der Betreffende hat eine Heine Uebungsſchule für die Hand der Schul: 
finder berauögegeben, betitelt: „Der Geſang nad Roten in der Volksſchule“, 
in welcher dieſes Syſtem erklärt ift, und welchem auch ein Anhang von 42 
Liedern im C-F-Scıylüfjel angefügt if. (Sie ift zu haben bei Ulrih Mofer in 
Graz, Bifchofplap.) Nach bereits gemachten Erfahrungen ftebt ſoviel feit, daß 
Schulkinder, welche nach einer halbjährigen Hebung von wöchentlih 2—3 Stunden 
dieſe Uebungsſchule durchgenommen haben, im Stande find, jedes beliebige eine, 
weis oder dreiftimmige Lied mit Leichtigkeit einzuüben und zu fingen; ja, daß 

e leichtere Melodien felbit, ohne Beihilfe des Lehrers oder eines Inftrumentes 
einftudiren und fingen können. 

Wenn fih blos zwanzig Freunde des Kirchen- und Bollögefanges finden 
würden, welche erklärten, je zwanzig Gxemplare abzunehmen, jo würde 


Päb. Jahresbericht. XXVIL si 


482 Muſikaliſche Pädagogik. 


1) Ob die Noten Violin⸗ ober Baß-Roten feien. (Hier kommen blos 
Biolinnoten vor.) 
2) Ob das Lieb in der C- oder F-Tonart gelchrieben ift. 
— — — — — — — — 

















Violinnoten. Baßnoten. 
— — = 
E | — —— 
Equnſe. F-Schtifel c-Sätiffel. F-Sätifiel 


Es giebt alfo auf vem Papiere bloß zwei Tonarten: Die C- 
und die F-Tonart; alle Lieder find in einer bon biefen beiden ge: 
Ihrieben und werden in der richtigen Tonart gefungen. Wenn 
3.2. ein Lieb in der E-dur-Tonart zu fingen ift, fo ift eö in der F-bur- 
Tonart zu Ichreiben und um einen halben Ton tiefer zu fingen. 

Freilich ergiebt fih da für den Lehrer die Nothivendigfeit, daß er 
die Lieder, bie er 3. B. mit ber Violine ober auf dem Fortepiano 
begleitet, in einer Tonart fpiele, deren Grundbton nad Umftänden 
um einen Ton höher oder tiefer ift, als der Grundton der Tonart, 
in welcher das Lieb gefchrieben tft. Bei den Tonarten A und As 
eine kleine Terz; wenn aber bie Lieder, welche in ber A-bur-Tonart 
zu fingen wären, um einen halben Ton tiefer gejungen werden, jo 
ergiebt fich nie ein größerer Unterjchied als Ein Ton. — 

So gut gemeint diefe Vorfchläge find, fo muß doch Referent 
ziemlich bezweifeln, daß fie weiteren Eingang finden werben, da das 
Leben Anderes verlangt, als hier geboten wird. Wenn ber Schul: 
unterricht einmal und mit Recht für Leben zu bilden bat, fo bat auch 
felbftverftändlid die Schule mit den mafgebenden Faktoren des 
Lebens zu rechnen. Es wird daher bei praftifcher Schulbildung nichts 
Andere übrig bleiben, als unferen jetigen Notenverhältniffen, in 
benen die muſikaliſchen Haffiichen Werke gefchrieben find, fo weit es 
eben in der Vollksſchule möglich ift, Rechnung zu tragen. 

Aus diefem Grunde hat ja aud das von mancher Seite vielfach 
empfohlene „Ziffernſyſtem“ nie in ber lebensvollen Praris Wurzeln 
geichlagen. 


dadurch die Herausgabe einer Meinen Sammlung von Kirchenliedern ermöglicht, 

deren Noten in dieles einfahe Syſtem tranaponirt find, und welde von den 

Saulkindern auf dem Lande während der heil. Schulmefle gefungen werden 
nnten. 

Bas die Klaviatur anbelangt, fo läßt fi die Ronftruftionsveränderung 
an jedem Inſtrumente mit einer Klaviatur, alfo auch an jeder Orgel, ohne 
große Koften anbringen, und zwar der Art, daß man nad Belieben die neue 
Alaviatır wieder herausnehmen und die gewöhnlichen alten Taften wieber hinein⸗ 
geben kann. 

Denn man bedenkt, mit welcher Mühe und mit welchen Koften das Er⸗ 
fernen des Spieles auf der Klaviatur verbunden if, fo würde bei Anwenbung 
Biefen Softeme gewiß ein Beitrag geliefert zur Löfung der Organiftenfrage auf 

em Lande. — — — 

Der Geſanglehrer H. J. Bincent in Czernowitz erfitebt etwas Aehnliches; mar 
vergl. die eben erſt erſchienene Schrift: Die Reuflaviatur. Maldin, Hothan. 





Muſikaliſche Pädagogik. 488 


Statt der Solmiſationsſylben bringt ber Verfaſſer auf S. 15 
bei den Taktübungen folgende Sylben: Ta, tu, ta, tu, ta tutu, tata 
tu, ta tutututu, tatatata tu, tata tu tu tu tu, ta ta a fa, tu tu. 

©. 16: ta ti, te, tu, tati te tu, ta ti tetu ta fi te tu 26. 

Ob nicht biefes „Taten, Teten, Titen und Tuten“ ziemlich lächer- 
lich klingen wird, fürchtet Referent fehr. Die uralten Solmijations- 
ſylben werben in biefer Beziehung noch lange unangefochten bleiben. 
Bei den Liedern find nicht immer der Dichter und ber Componift an 
gegeben. Solche triviale Texte wie in Nr. 19: „Bin ich gleich noch 
jung und Slein, fleißig kann ich doch fchon fein” — follte man in 
feiner gegenwartlichen Sammlung mehr finden. — 

7. Dartmann, 8: Gefangunterriht für Schulen. Erſter und zweiter | 

Rufus Buelte Auflage. Iſerlohn, Bädeker. Preis: 15 Ser. 

Erſter Kurfus: enthaltend Singübungen und eins und zweiffimmige 

Choräle und Lieder für Sopran und Alt. Preis: 4 Ser. 

Diefe Geſangſchule will in einem Werke das Gefammtmaterial 
barbieten; fie vereinigt demnadd Theorie und Praxis, Singlibungen 
und Lieder in ſich. 

Durch praktiſche, einfach gehaltene Uebungen ſoll in den beiden 
Kurſen die Tonanſchauung und das Tonbewußtſein der 
Schüler gefördert werben, daß fie, ohne weite Umwege, zur Mit: 
wirtung in einem Sängerchore befähigt werden. Um burch das 
muſikaliſche Gefühl die Theorie anfchaulicher zu machen, find häufig 
Modulationen,, befonderd aus den Dur- in die Molltonleitern anges 
wandt; aud ſchien dem Berfafier das Faßlichſte aus der Harmonies 
lehre zur Erleichterung in den Treffübungen, fowie aus der Metrik — 
zur fteten Orientirung für die Schüler — nicht fehlen zu dürfen. 

Wie der Sprachunterricht durch die Anknüpfung an Mufterftüde 
ber Poefie und Profa an Intereſſe und. Erfolg gewinnt: fo fchließen 
fih au den Singübungen die Lieber an, die wegen ihrer Gebiegen- 
beit und Schönheit beſonders zur Anwendung erlernter Regeln ge⸗ 
eignet ſind. 

Die Lieber find nach folgenden Geſichtspunkten geordnet: A) Gott, 
König und Vaterland, B) Kriegslieder ‚ C) Zurnlieber, D) Ratur, 
E) Abſchied. Ob es nicht angezeigt geiwefen wäre, biefe Lieder mehr 
dem Inhalte nad zu orbnen, als etwas planlo8 burdeinander zu 
würfeln, geben wir dem Verfaſſer zu bedenken. Die Singübungen 
ſcheinen dem Referenten etwas zu ſchnell vorwärts zu ſchreiten. 

Der zweite Kurſus enthält zunächſt Singübungen, die ſich, außer 
den ſchwierigern Dur⸗, hauptſächlich in Moll-Tonarten bewegen. Jede 
dieſer Uebungen dient ale Einleitung zu den unter B bezeichneten 
Gefängen. Biele derfelben fcheinen einftimmig, um das Eigen 
thümliche einer Moll⸗Tonart befjer hervorzuheben. 

Manches von dem reichhaltigen Stoffe wie die lateiniſchen Kirchen» 
terte (melde nur in Tatboliihen Schulen am Plate find), die An⸗ 
deutung über die alten Kirchentonarten, bie geringfügige metriſche 
Andeutung 2c. muß natürlich in gewöhnlichen Schulen wegbleiben. 

31* 


484 Muſikaliſche Pädagogik. 


Die aufgenommenen und vom Verfaſſer bearbeiteten Lieber find 
nit übel. — 

8. Drath, Theodor: Geſan übungen nahNoten nebft Gebrauds- 
anweifung. Zweite Auflage. erlin, Stubenrauch. 4 Sgr. 

Die Gebrauchsanweiſung erörtert in kurzen Zügen ben Tert für 
die Mebungen,*) Athmung, Rhythmik und Dynamit, Bruſt⸗ und Kopfs 
ftimme, die Mehritimmigteit, Bildungszwed der Uebungen, worauf bie 
legteren ſelbſt folgen. Diefelben zeichnen fi) nicht nur durch ihren in⸗ 
ftruftiven, fondern auch durch ihren mufilaliichen Werth aus. — 

9. Bauer, Michael: Der Elementargefangunterrit für Schule 
und Haus. Wien und Troppau, Buchholz und Diebel. 

Zweck des Werkchens ift, den Gefangfchüler auf dem einfachften, 
praktiſchſten Wege vom Blatt fingen zu lehren. Die besfallfigen 
Singübungen fehreiten bei weitem nicht fo raſch vorwärts, wie bei Nr. 7, 
fondern haben einen ftetigern Gang, deflen zweckmäßige Einhaltung ge= 
wiß ſchöne Früchte zeitigen dürfte. Im Ganzen genommen, hätten wir 
indeß den techniichen Stoff beichräntt, und den „Lieberjegen‘ ziemlich 
vermehrt gefehen. An dieſen lebensvollen Theil des Singunterrichts 
läßt fich ja ein guter Theil der Singübungen anfchließen und meiter ent- 
wideln. Die Worte und Tondichter find leider großentheild nicht 
angegeben. 


10. Skraup, Joh. Nep.: Kurze Methode beim Gefangunterridhte in der 
Volfsfchule. Prag, Domintcus. 


Nur das Allernothbürftigfte bietend. 


11. Krolop, Joſeph: Der Sefangunterridt. Theoretif-praf:- 
tifhe Methode, für jede Altersftufe und Stimmklaſſe den Motengelang 
von feinen Elementen bis zur Selbftftändigkeit gründlich zu lernen. Zum 
befonderen Gebrauche an Präparandien, Gymnafien, Realſchulen, Bürger⸗ 
ſchulen und BPrivatinftituten. Erfter Kurfus: Das Treffen auf Grund⸗ 
lage ber Scala und Intervalle mit Verbindung der mufikaliſchen Zeichen⸗ 
lehre. Zroppau — Wien, Buchholz und Diebel. 14 Sur. 


Unter den diesmal vorliegenden „Anleitungen“ ıft wohl bie in 
Rede ftehende die befte. Namentlich find die zahlreichen Tonleiter- und 
Sntervallübungen äußerſt zweckdienlich. Auch die andern bier in Be- 
tracht kommenden Punkte find gefchidt behandelt. Die Bildung ber 
Cisdurfcala hält Referent inde für überflüffig. 

12. Wälder, 3. Gualbert, op. 10: Geſangſchule für das Bebürfniß der 
katholiſchen Cborregenten in Stadt und Land zur gründlichen und 
ſchnellen Heranbildung tüchtiger Sopran» und Alt-Sänger in methodiſcher 
Stutenfolge bearbeitet. Augsburg, Böhm. 3 Fl. 

Im Vorwort motivirt der Verfafler das Erfcheinen feiner Arbeit 
dadurch, daß die gewöhnlichen Gefangfchulen den kirchlichen Zived zu 


*) Bon den Austrüden: Solmisation, Bocedisation, Labecedation, 
Damenisation, hat wobl faum der erftere in der Boltöfchule einige Berechti⸗ 
ung; die andern termini technici liegen weit über ben Borigont ber Volks⸗ 
Paule hinaus. 








Mufifaliiche Pädagogik. 485 


wenig, ja oft gar nicht berüdfichtigen, eine Behauptung, die ficher nicht 
ohne Grund if. Die ihn bei der Abfaſſung leitenden Grundſätze 
präcifirt der Berfafjer in folgenden Sätzen: 


1) Die allgemeine Theorie mußte deshalb kurz abgetban werben, 
um für praltifche Nebungen mehr Raum zu haben; inbeflen wird 
von Hauptſachen nichts vermißt werben. 

2) Da mit der Tonentwickelung, wenn ſie methodiſch durchgeführt 
würde, das Werk einen zu großen Umfang erhalten hätte, ſo wurde 
dieſer Theil um ſo mehr übergangen, als ſolches Aufſuchen und 
Anreihen der Töne in der Schule geſchehen ſoll und dann zum 
Chorgeſange nur Schüler ausgeſucht werden, die in der Schule 
bereits Muſikanlage und eine gute Stimme zeigten. 

3) Als Hauptſache betrachte ich eine tüchtige Einſchulung der Ton- 
leiter und die Uebung der Intervalle zu und gegen einander. 
Die Tonleiter werde daher ſo lange, bis die Schüler ſie gründ⸗ 
lich auffaſſen, mit Ausſprechen der Notenbuchſtaben, mit oder 
ohne Takt*) geübt, und erſt nach vollem Verſtändniß werde das 
Singen derſelben mit Textunterlage vorgenommen. Das Nämliche 
gilt für die Intervallübungen. 

4) Von großem Nutzen wird es ſein, bei dieſen Grundübungen ja 
recht langſam vorwärts zu ſchreiten und immer zu wiederholen, 
wenn die gehörige Sicherheit im Ermeſſen der Tonſtufen noch 
fehlen ſollte. 

5) In dem Maße, in welchem die Geſangſchulen im ſchnellen Auf⸗ 
ſuchen, d. h. Treffen, der verſchiedenen Intervallen bereits er⸗ 
ſtreckt fein ſollen, wurde auch mit den reinen Intervallen⸗Uebungen 
abgebrochen. 

6) Die zweiftimmigen Uebungen find fobald als möglich vorgenommen 
worden. 


Daß ausſchließlich die jetzt veralteten Sopran⸗ und Altſchlüſſel benutzt, 
und der moderne Violinſchlüuſſel garnicht berückſichtigt wurden hat wohl darin 
ſeinen Grund, daß in der katholiſchen Kirche, namentlich, wo die reformato⸗ 
riſchen Beſtrebungen des von Dr. Franz Witt m Schatzhofen bes 
gründeten und geleiteten allgemeinen deutſchen Säcilienvereind 
die altlaffiihen Produkte der Kirchenmufil, wie 3. B. die des größten 
Genius auf dem betreffenden Gebiete Sante aus Paleftrina u. 
A. in dieſen Sclüffeln gefchrieben wurden. Doch hätte es wohl 
nichts geſchadet — der Gegenwart gegenüber — wenn auch ber 
G⸗ſchlüſſel berüdfichtigt worden märe. 

Das Vorherrſchen der lateinifhen Sprache liegt natürlich 
ebenfalla in ben maßgebenven liturgifhen Verhältniſſen ber 
sömifch-Tatholifchen Kirche. Da indeß au deutſche Terte in ber 
jelben gejungen werben, fo hätten wir es gern gefehen, wenn auch bie 


*) Den letzteren Paſſus kann Meferent nicht gut acceptiren; Xaft {ft und 
bfeibt eine Hauptfache in Kunft und Leben! 





—- 


486 Muſikaliſche Pädagogik. 


deutſche Sprade neben der lateinischen zu ihrem Rechte gekommen 

wäre. — 

13. Flade, Osſswald, op. 7: Chor⸗Solfeggien zum Gebrauch beim Unter⸗ 
riht in höhern Tehranftalten. Dresden, Hoffarth. 0,50 MM. 

Auf vier Stufen wird das Nöthbigfte über ntervall- und Tons 
leiterverhältnifie geboten, woran fich entiprechende Geläufigleitsübungen 
anfchließen. — 

14. Sperber, E.: Bvangelifher Shulstiederfhap. Eine chrono⸗ 
Logife geordnete Sammlung der vorzägiıhflen und ge- 
bräuchlichſten Kirhenlieder.. Zum Gebrauche für Präpa— 
randenanftalten und Seminare. 1. Theil: Die Xieder. 2. Theil: 
Die Entwidelung des Deutfh-evangelifgen Kirchenliedes. 
Gütersloh, Berteldmann. Preis: 3,60 M. 

Das vorliegende Handbuch ift in Folge ber allgemeinen preußifchen 
Beftimmungen vom 15. Oktober 1872 bezüglich der Lehrordnung für 
bie Schullehrer-Seminare (S. 519): „Das Kirchenlied in feiner Ent⸗ 
widelung”, entworfen werben. Die in den Lehrplan der Schule aufgenom= 
menen geiltlichen Lieber werben unter Hinzunahme der ihnen nad) Form und 
Inhalt nächſtſtehenden in Biftorifcher Folge jo erläutert, daß fih an 
ihnen die Gejchichte der kirchlichen Dichtung veranſchaulicht.“ 

Die Auswahl der Lieder mußte nach einer Vereinbarung ver⸗ 
ſchiedener Rüdfichten getroffen werden, es mußten bie beiten, ver⸗ 
breitetften und bie tefentlichiten für die Entwidelung der firchlichen 
Dichtung ausgewählt werden. Der Tert ift ſoviel ala möglih in 
feiner urfprünglichen Faſſung gegeben, ohne jedoch Unmöglichkeiten für 
unfere Zeit in ſprachlichem Ausbrud und bildlicher Anſchauung mit 
berüberzunehmen. *) 

Das Verzeichniß der Tieder nach dem Inhalt, Advent, Weihnachten, 
Neujahr, Zeit der Erfcheinung, Darftellung, Paſſionszeit, Dftern, 
Himmelfahrt, Pfingften, Trinitatisfeft, Kirche und Gnabenmittel, chriſt⸗ 
liches Leben, die legten Dinge, — dient einem päbagogifchen Zwecke: 
e8 fol zu einer Bergleichung ber in der Sammlung gegebenen, dem 
Sinhalte nach verivandter Lieder die Hand bieten und zur Beiprechung 
der Anordnung und Einrichtung des im Gebrauche befindlichen Ge= 
fangbuches binüberleiten. — 

*) In dieſer Beziechung hätte der Berfafler doch noch etwas energifcher, 
unbefhadet aller Pietät, vorgeben können. So ift 3. B. die fünfte Strophe 
dea Liebes: Jeſus meine Zuperfiht — „Dann wird eben diefe Haut mid 
“Tmgeben wie ih gläube; Bott wird werden angeſchaut dann von mir in diefem 
Leibe, und in Diefem Fleiſch werd ih Seftm ſehen ewiglich,“ doch wohl 
vollſtändig unbibliſch (vergl. 1. Cor. 15, 42—44) und dem modernen 
Bewußtfein gänzli fremd. Der Berfaffer hätte getroft die neue Derfion, wie 
fie 3. 8. das neue Geſangbuch nah dem Beſchluſſe der Magdeburger 
Kreis⸗Synode (Magdeburg, Kriefe, 15 Sgr.) bringt (vergl. Ar. 579) adoptiren 
fönnen; es heißt allda: ‚‚Diefer Leib, durch Gottes Macht bergeftellt zum neuen 
Leben nad dem Schlaf der Todesnacht, wird mid dann verklärt umgeben, 
und in foldem Leibe werd’ ich Jeſum ſehen ewiglich.“ 

Die Originalledart darf man den Seminariften wohl nicht zumuthen 
zu fingen, zu memoriren und zu — glauben! — 








Mufikalifche Pädagogik. 487 


Der zweite Theil ift hymnologiſcher Natur. Außer der 
Charakteriftil der einzelnen Entwidelungsperioden und der Abjchnitte 
innerhalb derfelben — die firchliche Dichtung im chriftlichen Alterthum, 
im chriftlichen Mittelalter, das deutfchrevangelifche Kirchenlied feit der 
Reformation, die Zeit der Reformation, die Beit bes Gegenſatzes 
zwiſchen äußerem Kirchenthum und lebendigem Gefühlschriftenthum, die 
Zeit der Aufllärung, die Zeit der Erneuerung bed frommen Gefühls, 
haben die für ihre Zeit tonangebenden Dichter eine ausführliche, bie 
übrigen Dichter eine kürzere, theilmeife ganz kurze Behandlung erfahren. 
Das biographifche Element wurde nicht gänzlich übergangen, denn mas 
jene Dichter und Dichterinnen, denen wir den Schatz unjerer evange⸗ 
liſchen Kirchenlieder verdanten, nah ihrem inneren Menfchen maren, 
und mas fie auf dem Gebiete der Kirchenliederdichtung leifteten, hängt 
zu einem nicht geringen Theile von den Einflüffen ab, die äußere 
Verhältniffe und Lebensführungen ausübten. 

Daß der Berfaffer, neben den Schwächen des Rationalismus, 
nicht auch das Verbienftliche desfelben, die Befeitigung einer großen 
Anzahl inhaltsleerer, abgeftorbener Formen, die nur noch ein Schein 
leben führten, weil fie ihren zeitlichen Zweck vollftändig erreicht hatten, 
anbeutet, ift zu beflagen. 

Uebrigens ift wohl ber ziemlich ausführliche Stoff m Seminaren 
eher zu bejchränten, als zu erweitern. — 


15. Gerlad, ©. 8%: Singübungen für alle Stimmen. Gmpfohlen 
um Gebraude beim Elementarunterriht vom Konfervatorium der Mufll 
in Kopenhagen. Leipzig, Sabnt. 


Nachdem der Herausgeber den Umfang und die Eintheilung ber 
verfchiedenen Stimmen angegeben bat, folgen Uebungen im Stimm- 
anſatz, Refpirationsübungen, Uebungen zum Verbinden ber Töne, 
Uebungen mit Bruftftimme, Uebungen mit Falfetftimme, Uebungen mit 
Kopfftimme. Hierauf wird ber Mebergang von Faljet- nah Bruft- 
ftimme, ſowie umgelehrt, gelehrt, worauf alle brei Stimmregifter ver⸗ 
bunden werden. Darnach mwirb das Portamento und Crescendo, nebit 
Decrescendo geübt. Nach den Uebungen der Dur: und Molltonleitern 
kommen ſehr bildende Geläufigkeitäftubdien in Notengruppen von 3, 4, 
6, 8, 12 Noten. An die Arpeggien fchließen ſich Webungen m 
Gruppen von 32 Noten, nad melden thromatifche und Ajpirations- 
übungen, nebft Verzierungd- und Trillerübungen abjolvirt werben. 

Für den Runftgefang ift diefe Vorlage fehr werthvoll. — 


B. Liederſammlungen für ein- oder mehrftimmigen Kinder: 
oder Frauendor. 


a) Geiftliches. 


1. Sämmtliche Choral- und liturgifhe Melodien des Ehorals 
bußee von A. W. Bach, mit Anhang für Schulen. Berlin, Reimer, 
gr. 


488 Muſikaliſche Pädagogik. 


Dieſe Sammlung enthält 191 einſtimmige Choräle; jedem ber- 
ſelben iſt eine Strophe Text beigegeben. Die Angabe der Componiſten 
und Textdichter fehlt leider. Zum Schluß finden ſich einige liturgiſche 
Geſänge. Wünſchenswerth wäre bei einer neuen Auflage eine Auslefe 
zwei⸗ und breiftimmiger Bearbeitungen von befannten Kircheniveifen. 

2. Runge & Schulle: Choralmelodienbuh zum Delipfäer und 
Dresdenerdefangbude,miteinem Anbangevondreiftimmigen 
Choräfen und einer zweis und dreiitimmigen Liturgie für 
Kirche und Schule. Delisfh, Papſt. 

Diefes Schuldoralbud entipriht den Wünſchen des Nef. voll⸗ 
fommen; es enthält Melodien zu 241 Kirchenliedern mit Text (eine 
Strophe) nebjt Angabe der Entitehungszeit und ihrer Componiften. 
Den 20 breiftimmigen Choralbearbeitungen hätten einige zweiſtimmige 
vorausgehen fünnen, um eine empfindliche Lücke zu vermeiden. Bei 
ben ausreichenden Liturgifchen Chören ift diefer Mangel vermieden worden. 

3. Stolley: Mehrſtimmige Choräle (70 zweis und 20 dreiftimmige). 
Eine Auswahl aus Apela — bearbeitet und herausgegeben. Zweite 
Aufl. 3 Sgr. Kiel, Schwers. 

Eine empfehlenswertbe Golleftion. — 

4. Dalme, Rudolph, op. 18: Der kirchliche Sängerhor auf dem 
Lande. ine Sammlung bdreiftimmtiger Choräle und Gefänge, a) zu allen 
kirchlichen Welten, b) zu beiondern Gelegenheiten, c) liturgifche Gefänge. 
Magdeburg, Selbfiverlag, 2,50 Pf. In Eommiffion bei Stegesmund und 
Volkening in Leipzig. 

Man vergleiche unjere anertennende Beiprechung dieſes höchſt brauch- 
baren Wertes im vorigen Jahrgange des Päd. Jahresberichtes, ©. 453. 

5. Lißt, Franz: Des ermwahenden Kindes Lobgeſang von Ramartine 
(Deutfh von P. Cornelius) für drei Frauenftimmen mit Harmonium 
(Drgel) oder Piano und Harfe ad libit. Budapeſt, Taborsky und Barfch. 
Eomplet 6 Mark, Bart. 2 M., Chorft. 1,60, Bartit. des Harm. oder Piano⸗ 
forte mit Harfe 8 M. 

Nah einer kurzen Einleitung auf dem Harmonium ober der Orgel 
beginnt der fchöne Geſang: „D Vater, den mein Bater ehret, ben 
knieend preift das Erdgefild“ 2. Der Componift ift den zu Tage treten- 
ben Stimmungen im Gedicht außerordentlich feinfinnig gefolgt. Trotz⸗ 
dem ift das fchöne Gefangftüd verbältnigmäßig einfach und außer: 
ordentlich wirkungsvoll bis zu dem überaus ätherifch wirkenden Schlufie. 
Die Ausführung ift wegen des öfter eintretenden Modulationswechſels 
nicht ganz leicht, zumal wenn die Sängerinnen nicht über eine fichere 
Intonation verfügen. Die Drgel- oder Harmonium-Begleitung iſt von 
weſentlicher Bedeutung, nicht nur wegen ber tonlichen Unterftügung, 
fondern auch megen der inftrumentalen Illuſtration, die namentlich 
äußerft meiche, zart fchneidende Stimmen verlangt. Die Harfen- ober 
Pianofortebegleitung ift nicht unbedingt nothwendig. 

6. Brockſch, Richard: Geiftliche Lieder gedbihtet und componirt 
und für dreiftiimmigen Gefang in Schufen eingerichtet; op. 21: Bott ift 
nahe, op. 22: Zur Entlaffungsfeler. 5 Sgr. agdeburg, Hetnrichshofen. 

Bon den beiden fchlicht und einfachen Gefängen ift mohl Nr. 2 

ber gelungenere; er wird feinem Zwecke ganz entfprechenb wirken. Die 








Mufikaliiche Pädagogik. 489 


erſtere Sammlung erhebt fich uicht über das Niveau der Mittel- 
mäßigfeit. 
1. V. E. Reßler, op 68: Drei Lieder für zwei Singflimmen mit 
Begleitung des Pianoforte, Leipzig, Forberg. 24 Sgr. 
Leicht und anmuthig geichürzt, dankbar zu fingen. 
8. Freudenberg, W., op. 18: Dreiftimmige Gefänge für Sopran 
und Alt oder Tenor und Baryton. Caſſel, Ludhardt, 221/2 Sgr. 
Bon biejen Liedern wird fich namentlich Nr. 3: Serenade, Freunde 
erwerben. 
9, Liebe, Louis, op. 78: Dier Duette für Sopran oder Tenor von Mobert 
Schumann. Caſſel, Luckhardt. 20 Ser. 
Dem Beiten angehörig, was wir von dieſem Meifter beiten. 
10. Methfeſſel, Ernft, op. 20: Frühlingsterzett von Morell, für drei 
Frauenftimmen mit PBianofortebegleitung. Caſſel, Luckhardt, 3,0. M. 
Finke, Amfel und Nachtigall, bald einzeln, bald vereint, befingen 
bier den wonnigen Lenz in gar anmuthiger Weife. 
Die Ausführung des jchönen, wirkungsvollen Sates ift von nur 
geringer Schiwierigfeit. 


' b) Weltliches. 

1. Hebig, ©.: Liederfammiung. 1. 2. und 3. Heft. Zweite Aufl, 
Salle, Geſenius. 

Das 1. Heft diefer recht gut ausgeftatteten Sammlung bringt 50 
zweiftimmige Schul- und Kinderlieder, die nach und nach Gemeingut 
geworben find. Das vaterländifche Element ift fchon auf diefer Stufe 
paſſend vertreten. 

Sm 2. Hefte finden fih 69, ebenfalls zweiftimmige vollsthümliche 
Lieder, einige Canons und das Nöthigfte über die Noten nebft einigen 
Treffübungen. 

Das 3. Heft jcheint in 2 Ausgaben, eine für Töchter-(— bie 
vorliegende) und die andere für Knabenſchulen, welche letzteee 
ung indeß nicht zugegangen ift. 

Nr. 1—25 dieſes Heftes enthalten ausgewählte Lieder für zwei 
und 26—40 für drei Stimmen. Auswahl und Bearbeitung find zu: 
friedenftellend. 

2. Bei, Hugo, Stadtcantor in Weimar: Liederbuch. Auswahl zweis und 
dreiftimmiger Lieder für die obern Knabenklaſſen der Volksſchule. 
Nebft einem Anhange: 16 Ehoräle in dreiftimmiger Bearbeitung enthaltend. 
Preis: 15 Ser. in Partien 10 Sgr. Beimar, Kühn. 

In den bezeichneten Streifen ift die ſchätzbare, aus ber Praxis ber: 
vorgegangene Sammlung, die 74 zwei⸗ und breiflimmige Nummern, 
meift befannter Natur, recht gut zu vermwertben. Bei einer neuen 
Auflage wären vielleicht noch einige zweiftimmige Choralweifen einzufügen. 

3. Deutfhes Schulltederbud für Stadt und Rand. Herausgegeben 
von W. Märtens, U. F. Meyer und 3. Schäkel. Ausgabe mit und 
ohne Noten. Bierte, verb. Aufl. 15 Pf. Run. Celle, Schulze. 

Enthält 132 befannte ein=, zwei⸗ und breiftimmige Lieber für alle 
3 Unterrichtsftufen der Vollsſchule. Statt des lateinifchen Textes 


490 Muſikaliſche Pädagogik. 


zu Nr. 124: O sanctissima eto. hätte man lieber den von J. Falk 
gegebenen deutſchen Tert benugen follen. 

4. Stoley, A.: Der Befangfreund Eine Sammlung der fchönften 
eine, zweis unb bdreiftimmigen Lieder für Schule, Haus und Xeben. In 
drei gactten. Am Auftrage des Kieler Lehrervereins bearbeitet und heraus⸗ 
gegeben. 


1. Heft: Methodifher Führer für den Gefangunterriät in ber 
Volksſchule, nebit vorbereitenben TZonübungen und einftimmigen Kinderliedern 
für das Gebörfingen. 3. Aufl. 6 Sgr. Kiel, Schwers.®) 

2. Heft: 26 ein- und 58 zweiltimmige Lieder nebft vorbereitenden Zone 
übungen und 7 Canons. 7. Aufl. 3 Sgr., ebendaf. 

3. Heft: 34 zweis und 21 breiftimmige Lieder nebft vorbereitenden Ton⸗ 
übungen. 3 Sgr., ebendaf. 

Eine jehr billige und dabei recht brauchbare Sammlung, bie durch⸗ 
weg empfehlensmwerth ift. 

5.9. A. Stoffrenen: Deutfcher Liederfhag für Schule, Haus und 
Leben in drei Heften. 

Eine Auswahl der ſchönſten und volfstbümlichften Lieder gefammelt 
und zur Gewinnung fefter Normen in Tert und Weifen nach ihrer 
Driginalität und mit Berüdfichtigung der beften und gangbariten Les⸗ 
arten bearbeitet. Zum Beiten bes Peſtalozzivereins herausgegeben von 
dem Kreisvereine Hildesheim. 

2. Heft: Für die mittleren und oberen Geſangeſtufen aller Schulen, wie 
au Tür Familien⸗ und gefellige Kreife überhaupt. Nebft einem Normals 
Xiedereylius. Dritte, verb. (Stereotyps)Auflage. Hildesheim, Gerftenberg. 
4 Ser., cart. 5 Ser. 

Bietet Belanntes und Bemwährtes in entiprechender Reihenfolge. 
Man vergleiche übrigens des trefflihen Hentichel’s ausführliche 
Beſprechung aller Hefte im 22. Bande des Päd. Jahresberichte, ©. 
495 u. ff. Die dort gemachten Ausftelungen feheinen gegentoärtig 
Früchte getragen zu haben. 

6. Merz, H.: Liederfhag für Vollsfhulen. Eine Sammlung von 
60 der bewährteften Schuls, Volle» und Baterlandslieder in meift zwei- 
flimmiger Bearbeitung. Nebft einem Anhange religidfer Lieder ge 
fammelt von Fr. Dingelmann. Neuwied und Leipzig, Heufer. Ausgabe 
für evangelifhe Schulen. 

Warum 5. B. Nr. 11, Sehnſucht nah dem Rheine: „Dort, wo 
der alte Rhein mit feinen Wellen” — nicht zwei⸗ oder dreiftimmig 
gejegt ift, Tann man nicht füglich erfennen. 

Sn der vorhandenen Yorm wird fih das Lied — Dichter und 
Componift find nicht vermerkt, was auch noch bei anderen Nummern 
der Fall ift — etwas matt und leer ausnehmen. 

Die Volksweiſe unter Nr. 24 zu: „Herz, mein Herz, warum fo 
traurig“, it Beethoven mit Unrecht zugefchrieben worden ; der Schöpfer 
derfelben ift nah Hoffmann von Salleralehens Forſchungen (S. deſſen: 
„Unſere volksthümlichen Lieder“ S. 69, Leipzig, Engelmann) vom 


*) Zu dieſem Hefte iſt auch eine Ausgabe mit Text, ohne Noten, in 
3. Aufl., 1°/, Sgr. Toftend, erfchienen. 





Mufikaliiche Pädagogik. 491 


Pfarrer Frieder. Glück; die betreffende Quelle ift a. a.D. auf das Be- 
ftimmtefte nachgewieſen. 

Die Dichtung und Weile zu Nr. 24: „Napoleon“ tft wirklich 
volfsthümlich; ſchade, daß Dichter und Componiſt nicht belannt find. 
Dasfelbe gilt von dem deutſchen Siegesliede, wenigſtens was den Ton- 
faß anbelangt. In den geiftlichen Liedern ift das Wort Jehovah (in 
Nr. 5) mehrfach falfch declamirt. 

Uebrigens ift bie Zahl (12) der religiöfen Lieber ſchwerlich ge— 


nügend. — 


7. Aug. Heldemann: Sang und Klang für Mädchenſchulen. In 
3 Heften. 2. Heft enth. 95 zweift. Lieder. 6. Aufl. herausgegeben von 
Earl Hering. Berlin, Gärtner. 5 Sgr. 100 Er. 12 Thlr. 

Diefe Sammlung giebt zu feinerlei Ausftelungen Anlaß; fie ent 
Spricht der geftellten Beſtimmung binlänglich. 

8. B a Sangesiuf. Sammlung heiterer und ernfter dreift. Ge- 
änge für die Oberklaſſen mittlerer und höherer Auabenfchulen. 2. Heft 
5 Sgr. Berlin, Stubenraud. 

Man findet hier 29 dreiftimmige Sätze, die insgeſammt werthvoll 
find. In der harmonischen Bearbeitung ift dem Herausgeber nicht 
Alles gelungen; fo maden 3. B. bie verbedten Duinten im 2. Tafte 
von Nr. 3 einen unangenehmen Eindrud. Daß die Lieber in ber 
Oberftiimme mehrfach bis zum hoben a hinaufgeben, iſt auch nicht 
ganz unbedenklich. — 

9. Brockſch, Richard, op. 20: 1870 und 1871 in Wort und Lied. 
Eine Auswahl pyatriotifher Tieder des Feldzuges 1870 und 
1871, entnommen der von der Redaktion des Deutſchen Reichs⸗ und Königl. 
Preuß. Staats-Anzeigerd veranftalteten Sammlung”, herausgegeben von 
Ernft Wachſsmann, zum Gebrauche für Jedermann und befonders für 
Schul⸗ und Militär-Anflalten componirt und ein», zwei» und dreiftimmig 
eingerichtet. Magdeburg, Heinrichshofen, TY/s Sgr., Bartlepr.: 6 Sgr. 
Der Inhalt diefer patriotifchen Gabe befteht in folgenden Stüden: 

Gebet vor dem Kriege, zum Bettage, der Deutichen Gebet, Deutjch- 
land an die Königin Luife, o trauert nit, Abſchied, Soldatenlied, 
Kriegsruf (Troft), Marfchlied, deutſches Kriegslied, was wollen bie 
Franzoſen, Marfchgefang, Kriegslied, Sie ziehen nad dem Rhein, 
Marichlied; Aufftellung: Zum Eintreffen Sr. Maj. des Königs 
bei der Armee, Hurrah, Germania! — Kriegsnoth! Der Feldpoftillon, 
Des Kriegers Frau an der Wiege, Abenblieb eines verwundeten Kriegers 
auf dem Schlachtfelvde, Die Trompete von Vionville; Sieg: Deutfche 
Siege, flattre, du Fahne, in Feindesland! Prinz Friedrih Karl, hat 
ihm fchon, fommt ein Fuchs zum deutjchen Rhein, das SKutfchke = Lied 
Siegesfeier: Zum 2. Septbr. 1870, Germanias Hochzeitäfeit, am 
2. September 1870, Solvatenlieder, Liebe zum Solvatenftande, wenn 
ih an deinem Ufer ftehe, der Dom und ber Münfter, ein neues 
Rheinlied. | 

Die Poefien find von verſchiedenen Dichtern und zum großen Theil 
wertbuoll. Die Compofitionen find im volksthümlichen Style gehalten 
und enthalten bald mehr, bald minder Gelungene. Manches bat aber 





492 Muſikaliſche Pädagogik. 


entjchieden etwas Nüchteres; die bloße Nachahmung des Vollsmäßigen 
thuts noch lange nit. Allfeitiger wäre die ſchätzbare Sammlung 
jedenfalld geworben, wenn der Autor auch Fremde Gompofitionen, Volls⸗ 
weiſen 2c. benußt hätte. — 


10. Engelmeier, Eduard: Deutſche Feſtgeſänge und Declamationen 
zur Auffübrung in Schulen am Tage der Sedanfeler, ben 

2. September, in gefchichtliher Reihenfolge der Begebenheiten des Krieges 

1870 und 1871 dargeftellt. Sufammengefelt und herausgegeben. Ausgabe 

A mit Noten: geb. 6 Gr., Ausgabe B. Textausgabe 1 Gr. Leipzig, 9. 

Mentzels Derlag. 

Das Schriftchen ift ganz brauchbar. Es zerfällt in 2 Abtheilungen, 
von denen die erfte folgende Nummern enthält: Gebet (nad) ber 
Melodie: „Wachet auf ruft und die Stimme‘), Feſtrede (vom Lehrer 
geiprochen), die Wacht am Rhein, auf Frankreichs Kriegserklärung, 
zum Kampf, zum Buß- und Bettage, des Königs Abreife von Berlin 
zum Heere, Abe bon der Heimath, bes Krieger Abſchied von ber 
Hetmath, am Rhein, bie Heere am Rhein (für Declamation, wie 
ſchon mehrere der. vorher genannten Gedichte), nach der Schlacht bei 
Wörth, nah den Schlachten bei Weißenburg und Wörth 2. Die 
2. Abtbeilung bietet: Nach Paris, der König in Rheims, König 
Wilhelm der Siegreihe, das Deutfche Reich, der verwundete und 
tobte Kamerad im Felde, Friedenshymne, ber Friedensſchluß, danket 
Gott! Die Weifen find fämmtlich zweiſtimmig gejeht und find von 
verſchiedenen Autoren; der Herausgeber bat ſich in biefer Beziehung 
einer weiſen Sparjamleit befleißigt, indem er fein muftfalifches Licht 
nur einmal leuchten ließ. — 


11. Lauſch, Ernft: Die Feier des Tages von Sedan (2. Septbr.). 
Zum Gebrauch in Volks⸗ und VBürgerfhulen. Ausgabe A für die Hand 
des Lehrers, Preis: 3 Sgr. (Bei Partiebefellungen wefentlich billiger.) 
6. Aufl. Wittenberg, Selbftverlag (in Commiſſton bei Herrofe). Ausgabe 
B (für die Hand der Ainder), 1 Sgr. Bei Partiebehellungen wefcntlich 
billiger.) Quedlinburg, Hud. 


12. — —: Kurze Geſchichte des deutfhsfrangdfifhen Krieg8 1870 
und 1871. (Eine Rebe an die Schuljugend zum 2. September.) Separats 
abdruck aus des Verf. „Sedanfeier“. Schülerprämie. 2. Aufl. Wittenberg, 
Herrofe. 

Die Sedanfeier des durch manche gelungene Kinderſchrift vortheil- 
haft befannten Berfafiers bat uns vor manden andern Erzeugniflen, 
die nur aus Speculation hervorgegangen find, fehr gefallen. Diefe 
mit ſehr geſchickter Hand gearbeitete und aus ächter Begeifterung ber- 
borgegangene Gabe bat folgenden anfprechenden Inhalt: 1) Gefang: 
„Lobet den Herrn“, 2) Bibelleftion, 3) Gebet des Lehrers, 4) „Ein 
fefte Burg‘, 5) Vortrag bes Lehrers (den 1. Theil ber betreffenden 
Kriegsgeſchichte enthaltend), 6) Schülerbeclamation, 7) Deutichland über 
Alles, 8) Schülerdeclamation, 9) Die Wacht am Rhein, 10) Vortrag 
bes Lehrers (die Kriegegefchichte weiter führend), 11) Schülerbeclamation, 
12) Ich batt’ einen Kameraden, 13) Fortjegung ber Rriegähiftorie durch 
den Lehrer, 14) Schülerbeclamation, 15) Danklied, 16) Schülerbeclamation, 








Mufikalifche Pädagogik. 493 


17) Schluß des Lehrerbortrags, 18) Kaiferhymne, 19) Schülerborträge, 

20) Schlußgefang. — 

13. Jepkens, Albert: Liederbuch für die unteren und mittleren 
Klaffen der fatbolifhen Elementarfhulen. 5. Aufl. 

14. — —: Liederbud für die oberen Klaffen der katholiſchen 
Glementarfhulen, fowie für die unteren Klaffen der Som? 
nafien, Real» und Bürgerfhulen. 7. Aufl. Köln und Neuß, 
Schwann. 

Die beiden netten Büchlein bringen meiftend Dasjenige auch, 
was unfere beſſeren evangelifchen Lieberfammlungen auch enthalten: 
Kindliches, Poetifches, Vaterländifches! Und fo ifts recht! Das Befte 
aus dem deutſchen Dichter- und Tonfchate ift auch für Kinder Tatholifcher 
Schulen eben gut genug. Es freut und, daß der ftarre fanatifche 
dogmatiihe Standpunkt hier durchaus nicht fo in den Vordergrund 
gedrängt wird, wie in andern erclufiven Sammlungen. Nur nicht 
durch religidfe Haderſachen die Milch der frommen Denkart unfern 
Kindern vergiften! Der confelfionell gefärbte Sa unter Nr. 67: „Ein 
Jäger wird durch das im Walde erfchallende Echo unvermerft zum 
Stalle und Kindlein Jeſu geführt‘, ift etwas gefchraubt und gefucht. — 


15. Arndt, Mobert: 70 Schullieder. Mit den Lehrern des Gläfener 
Gonferenzs Bezirkes ausgewählt und herausgegeben. Ausgabe mit Melodien. 
Leobſchütz, Ad. Role. 4 Sgr. 

Die Sachen, liebe Herren der Gläſener Conferenz! wären ja 
gar nicht übel, aber daß Ahr diefelben, fo planlos*) aneinander gereiht, 
d. h. fo mir nichts, dir nichts, durcheinander geworfen habt, daß ift 
nicht fein! Ordnung erhält die Welt, auch die Schulmelt und au 
die Welt der Töne! So bringt Ihr, liebe Brüder und Gollegen, zuerſt 
die Canons, die in der Regel in faft allen mir befannten Sammlungen — 
und das fönnen fo ziemlih 5—600 Stüd fein, zulegt, gleichſam 
als Anhang kommen. So beißt’3 zuerſt bei Eu: 1) Erwacht von 
Schlaf und Träumen, 2) Meifter Jakob, fchläfft du noch? Hörft du 
nicht die Glocke: bim, bam, bom? 3) Lob Gottes 2c. Nach 2 Kriegs- 
lievern (der gute Kamerad, Reiter Morgenlieb) folgen ein Jäger: und 
2 Turnlieder; hernach kommt Kückens kleiner Rekrut anmarſchirt, dar⸗ 
nach wird zum Schulfeſte geläutet; nach einem Marſchliedchen kommt 
der „alte Landmann mit feinem Sohne⸗ gar ſänftiglich marſchirt. Dar⸗ 
nach ertönen zwei Morgenlieder, ein Frühlings- und ein Waldlied 
20. — fo gehts in kunterbunteſter Reihe fort durch die ganze ſonſt 
nicht unebene Sammlung. Nun — in einer gweiten Auflage, bie wir 
von ganzem Herzen wünſchen, hoffen wir eine etwas befiere Reihens 
folge zu finden. Im Ermangelungsfalle könnte dann bie Recenjenten- 
glode nicht, wie oben bemerkt: bim, Bam, bom, fonbern ein berbrieß- 
libes: Bim, bam, Bum ſchlagen, was aber eine ganz vertrakte 
Diſſonanz fein ſoll. — 


9 Edele Perlen reihbetmandohaudforgfältig an eine Schnur! 





494 Muſikaliſche Pädagogik. 


16. Melodieen zu den Liedern In Häfters Lehr⸗und Lefebud für bie 
Dberklaffen der Vollsſchule, mit beigedrudten Texten. 63 ein⸗, zweis dreis 
und vierfiimmige Lieder mit bewährten Sangweifen. weite Aufl. geb. 
Preis: 3 Spur. Eſſen, Bädefer. 

Lauter gute alte Bekannte in befter DOrbnung. Die Vaterlands⸗ 
lieber find bier vorangeftellt, die veligiöfen Sachen maden den Schluß. 


17. Sammlung neuer Lieder für die Mittelllafien der Volke—⸗ 
und Bäürgerfhulen Eins und zweiftiimmige DOriginal-Com- 
pofttionen von Dornhedter, G. Flügel, Rud. Bars, Gäbler, 
Deus, Heidler, Kern, Runge, Möbring, Richter. Schütze, Standke, 

auwig, Wolfram, Zimmer und dem Herausgeber Fried. Gartz, op. 

34: Preis: 50 Pf. Halle, Karmrodt. 

Enblih einmal etwas Neues und auch — Gutes! Zwar hält’s 
gegenwärtig jehr fchiver, etwas wirklich Neues, Driginelled und Stich⸗ 
haltiges, was Jahrhunderte unverwelklich blüht, nachdem ſchon fo un- 
enblich viel Schönes bon unfern muſikaliſchen Altvordern zu Tage ge⸗ 
fördert worden ift, ans Licht zu ftellen; aber fchon der Verfuch, zu be= 
weilen, daß die muſikaliſche Erfindungs- und Schaffensmwelt noch nicht 
mit Bretern zugenagelt ift, ift lobens⸗ und anerfennenswertb. Daß 
bei einem folden Sammelwerfe nicht Alles auf gleicher Höhe ftebt, 
liegt auf der Hand; es find mandherlei Gaben, aber es ift ein Geift, 
der Geift pädagogischen Fortichrittes; der ba ein guter, jogar — beiliger 
it. Bon dem beiten Geifte befeelt find vor Allem die Lieder Flügel's, 
Kuntze's,Möhring's, E. Richter's, Tauwitz's und Standke's. 
Auch der Herausgeber hat manches Gute geliefert. 


18. Deutſches Liederbuch für Schulen. Im Anſchluß an bie gebräuds 
lichſten Schullefebüdher, zunähft an Ed. Boock's deutfches Leſebuch bearb. 
von Earl Mettner. In 3 Abtbeilungen. Kür die Unter⸗, Mittel- 
und Ober⸗Stufe. 1. Heft für die Unter-, Mittel«- Stufe; 2. Heft 
für Die Oberſtufe. Breslau, Ferd. Hirt. 

Die erfte Abtheilung, in melder leider von einer methodiſchen 
Anordnung abgejehen murbe, obgleich ſich das Werkchen an bie „Allgemeinen 
Minifterial-Beftimmungen vom 15. Detbr. 1872” anfchließt, bringt 
lauter alte, liebe Belannte, die man immer iieber gern fieht, in 
eine und zweiſtimmiger Notirung. Das ernite, faft graufige Lieb: 
„Der Schnitter Tod“, aus dem 17. Jahrhundert, Liegt, nad unjerm 
Dafürhalten, dieſer Stufe denn doch zu fern. 

Auch die 2. Abtheilung bringt Wohlbelanntes, Vielgenanntes und 
Gefungenes, ſowie wohl Bewährtes in zwei⸗ und breiftimmigem Tonſatze. 
19. Bolkslteder für Schule und Leben. Mittlere und obere Stufe. 

Heraudgegeben von Merz, Noſtitz und Hof. Siegen, Heufer. 50 Pf. 

Auch eine Anthologie, von ber es heißt, wenn auch nicht ziel-, fo 
boch etwas planlos! Es geht eben Alles bunt durcheinander, was in 
einem Schulbuche denn doch nicht der Fall fein folltee Was würbe 
man 3. B. von einem Scullefebuche fagen, in dem bie Lejeftüde ohne 
alles Prinzip bunt durcheinander gewürfelt wären? Auch die Dichter 
und Componiften find nicht mit Confequenz angegeben. 











Muſikaliſche Pädagogik. 495 


20. I P. Neinede: Kür Schule und Haus. Sammlung eins, zwei⸗ 
und mehrfiimmiger Lieder aus neuerer und neuefter Zeit. Zweite Aufl. 
Reipzig, Breitlopf und Härtel. 

In diefer recht brauchbaren Sammlung von zwei⸗ und dreiftimmigen 
Liedern findet man, wie fo häufig, nicht die Ianbläufigen, immer und 
immer wiederkehrenden Phyfiognomien, fondern wirklih Neues und 
was die Hauptjadhe iſt, auch Gutes, mas der weiteſten Verbreitung 
fähig ift. Dafür bürgen fchon die Namen: Schumann, Gabe, 
Hauptmann, Sarl Reinede, Hiller, Taubert, Mendels— 
ſohn 2. Auch einige Canons finden ſich neben den originellen, 
prächtigen Liedern. Wenn mir nicht fehr irren, bat auch Taubert 
in Berlin zu dem reizenden Wiegenliede von Reinid: „Sonne hat ſich 
mübd’ gelaufen‘, eine wunderhübſche Melodie gefchrieben, welche bie 
bier vorhandene von Rich. Seel entſchieden in Schatten ftellt. 


21. Früh, Armin: Sammlung von drei- und vierfiimmigen Ge⸗ 
fängen für Gymnafien, Realſchulen und Pleine Gefangvereine. Theil II. 
Frankfurt a. / M., Morip Dieflerweg. Preis: 1,20 M. 

Neben Belanntem findet fi auch mancherlei Neues, beſonders 
von dem Herausgeber. Diefe Novitäten Tann man fih, wegen ihrer 
Friſche und Gebiegenheit, ſchon gefallen laſſen. Das italienische Volls- 
lied: „Das Schiff ftreiht durch die Wellen“, tft wundernett für 2 
Soprane und 2 Alte bearbeitet worden. Bon reizender Wirkung find 
auch die beiden „Chriſtlieder“. „Jeſulein, du mein Vergnügen“, und: 
Shriftfindleind Wiegenlieb, von leider ungenannten Componiften. — 


22. Voltslieder für Knaben» und Mädchenſchulen von Karl Stein. 
Sechſte, mir einem Anbange acht patriotifcher Lieber aus ben Jahren 1870 
und 1871 vermehrte Auflage. Wittenberg, Herroje. 36 Rpf. 

Eine Blumenlefe von Werth; fie bringt, bis auf den Anhang, 
nur als werthvoll Anerlanntes in zwei⸗ und breiftimmiger Bearbeitung. 

Das deutſche Lieb: „Heil dir, mein Vaterland, Land deuticher Treue”, 
eben wir nur ungern mit ber abgedrofchenen Regimentstochter-Melobie 
don Donizetti verquidt. 


23. Lüpel, J. Heinrich: Liedertrang. Sammlung ein- und mehrſtimmiger 
Lieder für Schule und Leben. Sechſte, verm. Auflage. 1. Heft: ein» und 
zweiftimmige Lieder enthaltend. Kaiſerslautern, Taſcher. 

Eine Muſterſammlung, die ſich in jeder Weiſe gewaſchen hat. 
Nichts zu viel und nichts zu wenig! Die Wacht am Rhein iſt außer 
der zweiſtimmigen Bearbeitung auch dreiſtimmig vorhanden. Im Uebrigen 
verweiſen wir auf die günſtigen Beſprechungen der früheren Auflagen 
in dem Päd. Jahresbericht. 

24. Liederſchatz für Schule und Haus. Herausgegeben vom Vorſtande 
der Lehrer-Witwens und Waiſenkaſſe für die Landdroftet Lüneburg. Aus» 
gabe mit Noten. Mit Anhang. 51, Sgr. Hannover, Hahn. 

Auch bier findet ſich mancherlei Gutes, leider bunt durcheinander 
gewürfelt, jo daß auch hier bie planmäßig orbnende Hand bei einer 
neuen Auflage bringend noth thut. 











496 Muſikaliſche Pädagogik. 


C. Gefänge für gemiichten Chor. 
a) Geiſtliches. 
1. Küßel, Heinri Ghorgefangbu ür Kirden und Schulen. 
—A— aus de : — und —E ir "gt« 
nifäten Chor. Katierslautern, Taſcher. 

Dieſe Muſterſammlung darf mit Recht allen Kirchen⸗ und Schul⸗ 
hören, denen fie auch gewidmet ift, beſtens empfohlen werben, denn 
fie entbält nicht nur Stoff für alle Feſte des chriftlichen Kirchenjabres, 
fowie für andere kirchliche Akte, fondern es ift auch die Auswahl aus 
den alten und neuern Schäen ber kirchlichen Muſik eine jo vortreff⸗ 
liche, daß Ref. dem Muſterwerke in jeder Hinficht die Palme reichen 
muß. Nicht weniger denn 100 Perlen aus dem Geſammtgebiet der 
kirchlichen Muſik werden bier um fo billigen Preis geboten, baß bie 
Partitur zugleich dem Stimmenbebürfniß entgegen kommt, — von fol- 
genden Tondichtern: Altenburg, Mich. und Seb. Bach, Beethoven, 
Bortniansky, Breidenftein, Calviſius, Commer, Eccard, Engel, Erythräus, 
Faißt, Flügel, Frank (Wolfgang und Melchior), Gläfer, Graun, 
Händel, Hafer, Hauptmann, Haydn (oh. und Michael), Hellwig, 
Homilius, Klein, Luther, Zügel, Malan, Mendelsfohn, Mozart, Emil 
Naumann, Neithardt, Baleftrina, Palmer, Prätorius, Rind, Rolle, 
—— Schletterer, Silder, Spohr, Succo , Vintoria, Bulpius, 


2. 2 Seifönnr Herman op. 11: Drei Hymnen für gemiſchten Ebor, 
Neujahrshymne, Part. und Stimmen 1,30 M. Leipzig, 

— 

Ein vortreffliches Stück: voller Andacht und voller Leben, durch 
eine ungeſuchte naturgemäße Polyphonie, ohne in den alten ſtarven 
Kirchenton zu verfallen, alfo: modern im beften Sinne des Wortes. 
Zum Schluſſe breitet fih das interefjante Werk bis zur Sieben- und 
Achtitimmigfeit aus. Um gehörig zur Geltung zu Tommen, muß das 
Dpus äußerſt accurat einftubirt werben. 

3. Krolop, Joſeph: ChoräleundKiederfürdendffentlidhen Gottes» 
dienſt an Realfhulen und Gymnaſien. Bien und Troppau, 
Buchholz und Diebel. Preis: 1,20 M. 

Diefe aus 60 Nummern beftehbende Aehrenlefe tft nur für katho⸗ 
liſche Schulanftalten bejtimmt; es enthält dieſelbe 60 Stüde für alle 
Teite des Tatholifchen Rirchenjabres, ſowie auch für befondere Anläfle. 
Der Tonſatz für gemijchten Chor ift befriedigend, nur vermiflen mir 
die Träftigere Koft aus der altklaffiichen Epoche des Kirchenliedes. Ob 
nicht auch einige Stüde für Männerchor, der doch in ben bezeichneten 
Anftalten vertreten ift, hätten vorhanden fein jollen, dürfte kaum 
fraglich fein. — 

4. Bernd. Mettenleiter: „Salve Regina“ für gem. Chor und Orgel als 
Direftionsftimme. Augsburg, Böhm. Breid: 26 Kreuzer. 

Ein aus tüchtigem Stubium der Alten erwachſenes, im modernen 
Geiwanbe einherfchreitendes, ganz beachtenswerthes Stüd, 

















Muſikaliſche Pädagogik. 497 


5. Michter, Ernſt Friedrich, op. 45: Herr, höre mein Gebet! (Palm 55. 
Rr. 2—9.) Motette für 8ſtimm. Chor, Bartitur und Stimmen 3,00 Marf, 
Leipzig, Forberg. 

Hier greift einer ber beften Meifter des gegentwartlichen Muſiker⸗ 
thums, refp. der protejtantifchen Kirchenmuſik, mit allem Erfolg in die 
Saiten. In dem von Dr. Mendelsjohn angebahnten Style ge- 
balten, bringt ber greife Künftler aus dem Schate feines Willens und 
Könnens noch jo Mandjes hervor, das zu dem Beften gehört, was 
auf dieſem Gebiet heut zu Tage eben zu haben if. Schon ber Ge- 
finnungsgenofje R’., der verewigte Dr. Hauptmann in Leipzig, bat 
biefen fchönen Tert. einmal außerordentlih wirkſam componirt. Alt- 
meifter R. faßt die betreffende Bibelitelle ganz anders an; natürlich 
nicht bezüglich der Grundfitimmung des Textes, fondern lediglih in 
Betreff der breiteren mufitalifchen Form und Anlage. Frauen- und 
Männerftimmen find vierfach beſetzt und es bildet biefer Doppelchor, 
der bald vereinigt, bald felbftftändig auftritt, ein vortrefflich wirkendes 
Ganze. Trotz der Achtftimmigfeit ift die Ausführung des in fchöner 
Kirchlichkeit daherjchreitenden Stüdes nicht gar fehwierig, teil ber 
Tondichter auf eine Fünftliche und ftrenge Polyphonie von vorn herein 
verzichtet hat. — 

6. Kretſchmar, H., op. 6: Sechs Srabgefänge fürgemifhten Chor 
Zeipzig, Forberg, 2,50 M. 

Der Comp. bietet durchaus keine fentimentalen Thränodien in 
weichiter Homophonie, fondern ernfte Kunftgebilde in polyphonem Ge⸗ 
wande, wodurch freilih die Ausführung einigermaßen erjchwert mirb. 
Die Träftige Grundftimmung in Nr. 1: „Auf, tretet an zum legten 
Gang”, ift durch den verhüllten, reſp. nur angebeuteten Marfchrhytb- 
mus fehr gut wiedergegeben, während Nr. 2: „Am Grabe ftehen wir 
und opfern’, in meicheren Accorben gehalten ift. Nr. 3: „Er lebet, 
ber im Grabe war”, eine freudig gehobene Stimmung wiedergiebt. 
Auch die folgenden Nummern: „Der Herr der Ernte wirket“, „Wir 
haben ihn zur Rub gebracht“, „Selig find, die nun ſchon in dem 
friedenvollen Grabe’, enthalten viel Gutes und Schönes, dad aber 
nur bon ziemlich ficheren Chören zur Geltung gebradjt werden kann. 
7. Jakob, F. A. B., op. 37: Fünfzig Chöre, Hymnen und Motets 

ten füralte Kefte des evangelifhenKirhenjahres und einige 

andere feflihe Deranlaffungen. Für vierfiimmig gemifchten Chor 

Zeipzig, Ed. Kummer. 

Eine vet gut und fehr reichhaltige Anthologie, die bon ben 
Meiftern: Mich. und Phil. Emanuel Bach (warum nicht auch von dem 
Großmeiſter der proteftantiichen Sirhenmufil, Seb. Bah? Und 
wenn e3 nur einige figurirte Choräle geweſen mwären!), Baumann, 
Dammas, Grell, Graun, Händel, Heinrih, Hellmig, Hiller, Homilius, 
Karow, Keifer, Lorenz, Nägeli, Naue, Paleftrina, Bar, Rolle, Rungen« 
hagen, Sering, Hiller, Schein, Schmidt, Schneider, Schubad, Stölzl, 
Boldmar, Weber, Beiträge enthält. Es ift zwar nicht Alles gleich 
werthvoll, aber troßdem wird es eine gute Wirkung machen, ba biele 

Päd. Jahresbericht. XXVI. 32 





498 Muſikaliſche Pädagogik. 


Aehrenleſe unſeres fleißigen ſchleſiſchen Collegen aus der langjährigen 
Praxis besfelben hervorgegangen zu fein feheint. Zu manchen ber 
aufgenommenen Werke, wie 3. B. zu Nr. 21: Chorgejang zum Dfter- 
fefte, dev nach einem breiftimmigen Sabe von Joh. Schneider, 
dierftimmig arrangirt wurde, iſt auch eine obligate Drgelftimme vor⸗ 
handen, die 3. B. gerade bei dem genannten Sate fehr wirkungsvoll 
ift; ein Gleiches gilt auch von dem entiprechenden Chor zum Kirch⸗ 
weihfeſte von Homilius. Ohne große Mühe könnten diefe effectvollen 
Chöre auch entiprechend inftrumentirt werden. — 

8. D. H. Engel, op. 57: XXIV Eafualmotetten für Kirchen⸗ Schul⸗ 
Höre und gemifchte Befangvereine, 1.4. Heft & 4, Sgr. Leipzig, Merſe⸗ 

urger. 

Die früher von demfelben Componiften ebirten Motetten für die⸗ 
felbe Stimmgattung haben bereits, mie das mehrere Auflagen be= 
weiſen, weite Verbreitung gefunden. Die vorliegenden neuen Spenden 
find im Mefentlichen in demfelben melodifch:polgphonen Style gehal⸗ 
ten, wie ihre früheren Schmweftern und werben fidh ficher viele Freunde 
erwerben, da die Haltung berjelben ſich dem Populären zuneigt, ohne 
trivial zu erben, und die Ausführung nur mäßige Kräfte srforbert. 
Für folgende Feſte 2e. finden Intereſſenten glüdliche Handreichung : 
Taufe, Confirmation, Abendmahl, Trauung, Grundfteinlegung einer 
Schule over Kirche, 3 Begräbnißmotetten, Kirchweih, Einführung und 
Abſchied eines Geiſtlichen, Bibel- und Miſſionsfeſt, patriotifches Dank⸗ 
feft, für die Seiten der Notb, Bußtag, Yubiläum, Neujahr, Geburts- 
tag des Kaifers, Entlafjung der Confirmanben.. — 

9. 311 Ehoräle der evangelifhen Kirche. Vierſtimmig bearbeitet und 
herausgegeben von Jacob und Richter. Preis: 1 Thlr. 15 Sgr. Berlin, 
Stubenrauch. 

Dieſes äußerſt billige und doch fo reichhaltige ſchleſiſche Choral⸗ 
buch enthält alle Melodien, welche nach richtiger Melodiebe— 
Rimmung*) zum Geſangbuche von Fr. Anders und W. Stolzenburg, 
ſowie zum Entwurfe eines Geſangbuches für die Provinz Schlefien 2c. 
nötbig fein möchten. 

Die durch Allgemeinheit und durch ihre WVorzüglichleit im Ver⸗ 
gleich zum Driginal, das bier immer im Vorbergrunde fteht, gerecht⸗ 
fertigten Varianten in der Melodie, injomweit fie ber Einheit des pro- 
vinziellen Kirchengefanges nicht fchaden, find wohl berüdfichtigt worden. 
Der Tonſatz iſt ſtets intereffant und ächt kirchlich, die Melodien find 
nad den Quellen rectificirt worden, ohne indeß berechtigten anderen 
Verſionen unbarmberzig Thor und Thür zu fchließen. Eine Menge 
hymnologiſcher Yeititellungen, Berichtigungen 2c. geben von dem großen 
Fleiße und der fpeciellen Begabung biefer bereit3 vortheilhaft befannten 
ſchleſiſchen Meifter glänzendes Zeugniß. Zwiſchenſpiele finden fi 


*) Ueber bdiefen wichtigen Punkt haben fi die Herausgeber ausführlich 
im Borwort zum „Allgemeinen Choralbuche für die evangel. Kirche‘, (2 Bände, 
7 Thlr., in demfelben Verlage) ausgefprocden. 











Muſikaliſche Pädagogif. 499 


als nicht fireng zum Weſen des Chorals, obwohl ficher zu den Eigen⸗ 
tbümlichleiten ber neuen Muſik gehörig, ſelbſtverſtändlich im bem 
vorliegenden neuen Choralbuche nicht. 

Die Agitation für eine Vertilgung aller Zwiſchenſpiele in 
ber Kirche ift übrigens durchaus nicht gerechtfertigt. — 

10, Bonifactus Oratorium in 3 Theilen von 2, Schneider. Muſik von 
. F. G. Nicolai, op. 17. Klavierauszug vom Eomponiften. 

Leipzig, Kabnt. 

Belanntli bat Schon Mufikvireftor Engel in Merfeburg diefen 
intereflanten vaterländiihen Stoff in einer oratoriſchen Arbeit bes 
Handelt. Die gegenwärtige Schöpfung überragt indeß die Engelſche 
Zeiftung textlih und muſilaliſch. 

Die Dichterin des neuen Tonwerkes hat die vorhandenen günfi- 
gen Momente gut zu verwerthen gewußt und auch neue Motive zu 
exfinden verftanden, bie mit dem hiſtoriſch Belannten jo verwebt wur- 
den, daß eine faft neue, anziehende Fabel durch dieſen Prozeß ge— 
wonnen wurde. Indem fie eine Heidenprieſterstochter einführt und 
einen beibnifchen Süngling, welche beide durch Wunder ihren Göttern 
untrew und ber chriftlichken Sache geivonnen werden, erhalten mir 
natürlich fichere Beweiſe von dem erfolgreichen Miſſionswerke bes 
Apoftels, indem fie ferner leßterem eine Jüngerſchaar zutbeilt, gewinnt 
die Ausfiht, au unter ber dem Bonifacius gegenüberftebenben 
großen Heidenmaſſe, feften Fuß für da3 Evangelium zu gewinnen, an 
Wahrſcheinlichkeit. Das Merl des untergehenden Bonifacius mußte 
gleichfalls untergehen, wenn nicht feine Nachfolger für deſſen Erhaltung 
fosgten. Durch gelegentliche Bezugnahme auf altdeutfche mythologiſche 
Borgänge — ehr finnvoll, poetiſch zart, von norbifchem Colorit ans 
gehaucht, ſcheint und vorzüglich der „heidniſche Mädchenchor“, die erfte 
Nummer des 3. Theils: „Frau Frigga träumt, wo Wodan ſäumt —, 
und als Gegenfat dazu durch die Reminiscenz an den chriftlichen 
Marieneultus (Nr. 5 des erften Theile) werben die beiden Partein 
nicht unmejentlich charafterifirt, und während die Ehriften in Ergebung 
und Demuth mit ihrem Schickſal fertig zu erben juchen, ſteht ben 
Heiden ein fanatifcher Trog und ein überall durchbrechender Natur- 
Yultus fehr wohl an. Daß dieſer zum Schluß gebrochen wird und 
dem chriftlichen Belenntnik Plag macht, läßt fi) nur durch ein voraus: 
gegangenes, ausführlich bargelegtes Wunder erllären. Mit dieſer 
Heidenbekehrung beichließt die Dichterin die Miffionsthätigleit Winfrieds 
und nad) diefem Akt läßt fie ihn gottfelig entſchlafen. 

Der Comp. bat nun ben ihm gegebenen Stoff mit warmer Liebe 
erfaßt und eine Muſik geichaffen, die zwar nicht in erfter Linie hoch⸗ 
genial, jo doch aus begeifterter Schaffensfreude und tüchtiger mufila- 
licher Begabung entiproflen ift. 

Dem Dratorium bat ber Tondichter eine breit ausgeführte, in 
Duverturenform gehaltene Drcheftereinleitung vorausgeſchickt. Er ver⸗ 
wertbet in ihr die im Verlaufe des Werkes ausfchlaggebenden Haupt: 
motive: das erfte, „das Evangelium vom Chrift“ verfündende. Das 

92° 





500 Muſikaliſche Pädagogik. 


zweite Motiv (ſpeciell Wodans wilder Jagdzug) giebt das Material 
zu einem ſehr friſchen Allegro, das ſpäter, gleichſam um ſymboliſch die 
Niederlage des Heidenthums anzudeuten, dem erſten chriſtlichen Haupt⸗ 
motive wieder Platz macht. 

Den Zuruf an Wodan hätte der Componiſt immerhin etwas 
kräftiger ausſtatten können. Nr. 2 bildet ein Männerquartett 
für die Miſſionäre („Gehet Hin in alle Welt‘). Doch die Heiden 
werben noch nicht für die neue Lehre gewonnen. Auch das in Nr. 3 
gegebene Baritonjolo drüdt eine noch wenig günftige Stimmung für 
den neuen Glauben eines Heibenpriefters aus. Auch der wilde Heiben- 
hor in Nr. 4 zeigt eine nichts weniger als mwillfährige Gefinnung. 
Das unter Nr. 5 gegebene Marienlied halten wir für eine vorzügliche 
Perle des Werkes. Nach einem fräftigen Unifono der Chriften in 
Nr. 6: „Wer verläßt Vater, Mutter, Brüder‘, kommt ber gewaltige 
Schlußchor bes erften Theild, worin noch einmal die Heiden ihre Ent⸗ 
rüftung über bie fremden Einbringlinge fund geben. 

Der 2. Theil fpielt in Thüringen, mir bören eine fliehende 
Chriftengemeinde wehmuthvoll Tagen. Bonifactus empfiehlt fie dann 
in einem längeren Solo dem Schuße des Höchſten. Sein Gejang tft 
würdig und voll Weihe. Auf diefes gelungene Tonftüd folgt ein 
Solo der Heidenpriefterötochter, fie bittet um fichtbare Zeichen der 
himmlischen Gnade. Die nächſte Nummer bietet wieder finnreidhe, 
eontraftirende Combinationen. Ein Süngling erzählt dem B. feine 
wunderſame Bekehrungsgeſchichte, während ber Chriftendhor ganz leife 
Wie im Traum, das Marienlieb intonirt. B. prägt dem Neugewon⸗ 
nenen die Hauptläße der Chriftenlehre ein und ein gut gearbeitetes 
Duett zwilchen beiden mündet aus in einen Anruf Gottes um Er» 
leuchtung und Gnabe. | 

Nr. 6, ein Chriftendjor, ift antiphonifh und erinnert durch mehr 
ald ein Merkmal an die Weifen des mittelalterigen Kirchengeſanges. 
Ne. 7 bringt ein Solo des Bonifacius: „Meine Seele verlangt nur 
nah Norden”. Der Schlußchor geftaltet ſich zu einer Fräftigen Doro- 
logie. „Lob fei Dir, Gott, in Ewigkeit“ wird in einer gelungenen 
Fuge behanbelt. 

Feſſelnd und zart hebt der 3. Theil an mit einem „beibnifchen 
Mädchenchor“. Die darauf folgende Nummer führt und in einem 
Sopranjolo die Heibenprieiterstochter vor. Ein längeres Gebet an 
die Mutter Gottes fleht um baldige Sinnesänderung des zürnen- 
den Vaters. Das Biolinfolo in feiner etwas antiquirten Geftalt 
ſcheint dem Ref. nicht ganz am Plate. Das folgende Duett (Sopran 
und Baß) zeichnet ſich durch Wärme der Empfindung, fowie durch 
planmäßige Stimmführung aus. Stark contraftirt ber nun folgende 
Männerchor, worin die Heiden Wuth und Rache ſchnauben. Der nun 
fommenbe Chor der Dryaden — nad) dem ber Höhepunkt des Stüdes: 
die Fällung der heiligen Eiche, vorüber ging, ift nicht gerabe bedeutend 
und fcheint den dramatifchen Fortgang bes Werkes ganz unnöthiger 
Weile zu hemmen. Eine geiftreiche Combination bietet ber 8. Chor; 














Mufitalifche Pädagogik. 501 


während bie Heiden Mord und Rache brüten, ftimmen Sopran und 

Alt das ſchon erwähnte ehrwürdige Marienlied an, das rhythmiſch 

etwas verändert, eine wirkſame Antithefe zum Heibengefange abgibt. 

Der auftretende Heidenpriefter erfchlägt den Bonifacius, worauf die 

Anhänger des letteren in bange Klagen ausbrechen, ohne nach Rache 

zu bürften. Diefe Demuth und Yeindegliebe rührt die riefen fo 

jehr, daß fie fich der neuen Lehre willig zuwenden, und der ſterbende 
Bonifacius bat noch die Genugthuung, fie der neuen Lehre durch bie 
Taufe zuzuführen. Der Schlußhor: „Nimm feine Seele, Herr in 
deine Hände‘, fchließt da® Ganze außerorventlich befriedigend ab. 
Das Studium des Bonifacius, das jedenfall verbienftlicher ift, 
als das fortwährende Ableiern und Breittreten alter Muſikwerke, wirb 
noch mande Schönheit enthüllen, auf bie wir, des Naumes wegen, 
nicht aufmerkſam machen fonnten. 

Das Werl mwurzelt durchweg im beutfchen Geifte und verbient 
daher vieljeitige Berüdfichtigung. — 

11. Kretſchmar, Herim., op. 7: Drei Motetten nah Pfalmen für ge 
mifhten Chor und Orgel. Nr. 1: „Der Herr ift mein Hirte — Bartitur 
1,50 Marl, Stimmen 0,60 Mark; Nr. 2: „Das ift ein köſtlich Ding“, 
Partitur 1,50 Marl, Stimmen 0,60 Mark; Nr. 3: „Hilf, Herr!" Partitur 
1,50 M., Stimmen 0,60 Di. Leipzig, Ernft Eulenburg. 


Mag man auch Einzelheiten in ben brei vorliegenden Motetten 
aufftehen, dennoch muß man ein durch und burch tüchtiges Streben 
des noch jungen Componiſten anerkennen. Die poetifhe Auffaffung 
der gewählten biblifhen Vorwürfe ift von ber gewöhnlichen Heeritraße 
weit ab liegend; die Behandlung der Drgel ift fehr feinfinnig, Solo, 
Chor und Orgel wechſeln effektvoll ab; der Componift verfügt über 
nicht gewöhnliche contrapunftifche Kenntnifle. 

Sm der 2. Motette macht bie Einführung bed vierftimmigen 
Frauenchors bei den Worten: „Des Morgen? deine Gnade und bes 
Nachts deine Wahrheit verlündigen”, einen überrafchend fchönen Effelt. 
.Auch Nr. 3 birgt charakteriftiihe und feine Züge. Seien alſo biefe 
wertbuollen Novitäten den deutfchen Gantoren und Organiſten (vie 
Drgelbegleitung ift obligat) beitens empfohlen. 

12. Beez, Friedr.: 3 Motetten für vierffimmigen Ehor mit Orgel» 


begleitung (ad libitum), Nr. 1 der nadhgelaffenen Werke. Leipzig, Breit- 
fopf und Härtel. Preis: 5,25 M. 8 s 


Wenn auch hier nicht diejelbe bedeutende contrapunktiſche Ge- 
wanbtheit wie bei Kretſchmar zu finden ift, jo befunden doch auch dieſe 
Novitäten ein Streben nah Beſſerem unb Höherem. Die Orgel tritt 
weniger jelbftftändig, ſondern mehr ftüßenb, hervor. Am beften jcheint 
und Nr. 3: „Zum Jahreswechſel“ — gelungen. 


13. Diebold, Johann, op. 3: „Missa auxilium christianorum“, Leicht 
ausführbare Meffe für den vierftimmigen gemifchten Ghorgefang, oder 
auch für eine Singſtimme mit obligater Drgelbegleitung. Augsburg, Ant. 
Böhm. Preis: 3,0 M. 


502 Muſikaliſche Pädagogik. 


Obwohl ein Erſtlingswerk, bocumentirt auch diefe kirchliche Com⸗ 
poſition ein tüchtiges Streben, das in den altklaſſiſchen Kirchenton⸗ 
werten ber katholiſchen Kirche wurzelt. Die Orgel tritt nicht ſelbſt⸗ 
ſtändig, ſondern nur das Ganze ſtützend und tragend hervor. Die 
einzelnen Sätze find nicht übermäßig ausgeſponnen, ſondern dem litur⸗ 
giſchen Bedürfniß angepaßt — mehr knapper Natur. — 


b) Weltliches. 

1. Klaffifhes Choralbuch. Sammlung berühmter Chdre für 
gemif ten Chor zum Gebrauch in höheren Unterrichtsanftalten nnd 

borvereinen. Herausgegeben von Ri. Müller und Nobert Saab. 

Leipzig, Betere. 

Eine durchaus empfehlenswerthe Aehrenleſe; fie enthält folgende 
allgemein anerlannte klaſfiſche Chorwerfe, als: Händels berühmtes 
Halleluja aus dem Meſſias, ſowie noch drei andere Stüde bon dem⸗ 
felben Großmeifter, drei Säte von Vater Haydn, Gluds: „Leib aus 
beine Himmels Höhen”, Mozarts herrlicyes Ave verum, Prätorius 
Viebliches Weihnachtslied: Es ift ein’ Roſ' entiprungen, ſowie befanntere 
Sätze von Frand, Schul, Schicht, Hiller, Neefe, Graun, Mehul, 
Flemming, Methfeflel, Kublau, Weber u. A. Ungern vermiflen wir 
einige Chorfäge von dem großen Sebaftian. Sämmtliche Sätze find 
mit untergelegter Klavierbegleitung verjehen. 

2. Schumann, Robert, op. 50: Dad Paradies und die Peri. Dich— 
tung aus Lalla Rookh von Th. Moore für Soloftimmen, Chor und 
Orcheſter. Klavierauszug mit Test. Neue Audgabe. Leipzig, Kreitkopf 
und Härtel. Preis: 6,0 M. 

Es muß bier genügen auf diefe duftige, wundervolle Märchen⸗ 
dichtung bes großen Romantikers in dem neuen fchönen und babei fo 
wohlfeilen Gewande hinzumeifen. Der Werth diefes herrlichen mwelt- 
lihen Oratorium ift längft allgemein anerfannt. 

3. Chöre zu Herders „entfejfeltem Prometheus” von Franz Lißt. 
BVerbindender Text von Richard Pohl. Klavierauszug 2 Thtr. Leipzig, 
Kahnt. Bartitur 5 Thlr. n. Ehorfiimmen 2%/, Thlr. 

Diejes bebentende neuere Chorwerk entitand 1850 zur Entbüllung 
bes Herderdenkmals in Weimar. Als Einleitung ſchrieb der be= 
treffende Künftler eine großartige fomphonifche Dichtung, worin daB 
Ningen und Anlämpfen gegen das Schickſal grandios geſchildert 
worden ik. Dieſe wirkungsvolle Tonbichtung iſt bei Breitfopf und 
Härtel in Leipzig in Partitur für großes Orchefter, Jowie für 2 Piano- 
forte und Pianoforte zu 4 Händen erjchienen. Der neue ſchön aus- 
geftattete Klavierauszug bekundet vielfach die beffernde Hand des 
Componiften gegenüber der früheren Ausgabe. Für weitere Sreije 
jei namentlih der reizende Schnitterdhor*), der befanntlich zu 
Lißts populärften Arbeiten gehört, und ber pompöfe, feurige Winzer: 
chor für Männerchor empfohlen. — 

*, @3 {A dieſe volksthümlich gehaltene anmuthige und originelle Compo⸗ 


fition auch einzeln und auch für Frauenchor — das Original iſt für gemtfchten 
Chor entworfen — zu haben. 








Muſikaliſche Pädagogil. 503 


4. Franz Lift: Die Gloden des Straßburger Münfter. Gedicht 
von Longfellow, für Bariton⸗Solo, Chor und Orchefter. Bart. 7,0 M., 
Orcefterfliimmen 14,0 M., Klavierauszug 3,0 M.n. Leipzig, Schuberth. 

Das fantaſtiſch-dämoniſche Gedicht ſchildert in ſchwungvoller 
Sprache, mie Lucifer mit feinen Dämonen da3 Straßburger Münſter 
zerftören will, und wie es ihm trotz Aufbietung aller Höllenmädhte 
nicht gelingen will, das Göttliche zu befiegen. In ohnmächtigem Grimme 
muß er fein böjes Vorhaben aufgeben. Das bier zu Tage tretende 
diaboliſche und chriſtliche Element bietet jehr wirkſame Gegenfäte, die 
der Componift mit genialer Hand muſilaliſch illuftrirt bat. 

5. Lachner, Franz: Macte Imperator von Felix Dahn in Muſik gefeht 
für ger chten Chor, Partitur mit untergelegtem Klavierauszuge, 
30 M. Scleufingen, Glafer. 

Schade, daß dieſer wirkungsvolle pompöſe Sab in lateinifcher 
Sprache abgefaßt if. Was der Verfaſſer hiermit fagen will, Tieße 
fi wohl eben jo gut, oder noch beffer in unferer Mutterfprache aus⸗ 
brüden. Nach einem feurigen Inſtrumentalſatze erflingt das Preislieb 
vom Kaiſer in ächt volfsthümlicher Weife, fo daß es überall bei patrio- 
tischen Feſten eine willlommene Gabe bilden wird. Wir rathen aber, 
dem beöfallfigen Programme eine deutfche Weberfegung, zum beileren 
Verſtändniß bes großen Bublitums, beizufügen. 

6. Zeitler, U., op. 29: Frühlings-Polka für gemifhten Chor mit 
Begleitung des Bianoforte. Klavierauszug und Singftimmen 1 Xhlr. 
21/, Nor. Für Männerchor mit Begleitung des Bianoforte bearbeitet von 
E. Kunge. Leipzig, Forberg. 

Ref. gehört nicht zu den muſilaliſchen Zionswächtern, die gleich 
Betermorbio jchreien, wenn es einmal etwas luftig hergebt; iſt doch 
unjere ganze Mufif lediglich aus dem Vollsliede und dem Volkstanze 
hervorgegangen ! 

Auf großen Kunſtwerth madt natürlich eine folche Beitere 
Sompofition feinen Anfpruch, obwohl es auch Tänze gibt, wie z. B. 
die von Chopin, Weber, Schumann, Lißt, Schubert zc., die mancher 
übergelebrten Sonatenperüde Tühnlic ein Schnippchen fchlagen, indem 
fie an eigentlicher Boefie ſolchen fteifleinenen Perüdenftüden, die ängft- 
lich nad der Schablone zufammengebraut und geleimt find, „thurm= 
hoch”, um mit Bismard zu reden, überlegen find. Die vorliegende 
Polka feiert Lenz und Liebe — und jelige goldene Zeit und wird in 
frohen Kreifen, bei einigermaßen guter Ausführung, Furore machen. 

71. Bogel, M.: Drei Lieder für gemifähten Chor: 1) Warnung vor 
dem Rhein, 2) Stiller Abſchied, 3) Ich hör ein Döglein lachen. Gaflel, 
Luckhardt. Preis: 2,25 M. 

Bon diefen Liedern verdienen vornehmlich die beiden erſten Nums 
mern, und von dieſen wieder „der ftille Abſchied“, freundliche Beach⸗ 
—* Dei Nr. 3 will uns ber etwas „abgegriffene“ Anfang weniger 
ebagen. 


8. Armonia Eine Sammlung geifllider und weltlicher Ges 
fänge (für gem. Chor) für Gymnafien, Realfhulen und Seminaren, 


504 Muſikaliſche Pädagogik. 


heraudgegeben von Sr. W. Sering, Heft III, op. 79. 5 Sgr., Partie 
preis: 4 Sgr. Magdeburg, Heinrichähofen. 
In jeder Weife preiswürdig. — 
9. Mbeinberger, Joſeph, op. 80: Liebesgarten. Fünf Geſänge für 
Sopran, Alt, Tenor und Baß. Nr. 1: Im fllen Grunde von 
Reinid. Martitur und Stimmen 1,50 M. 

Nr. 2: Willlommen von Hoffnaas, Part. u. St. 1,0 M. 

Nr. 3: Die Liebe ift ein Roſenſtrauch von Reinid. Bart. 
und Stimmen 1,50 M. 

Nr. 4: Wellen blinkten dur die Nacht, von Demfelben. 

Mr. 5: Nachtgeſang, von Demfelten. Breis: 1,0 M. 
Leipzig, Korberg. 
Fein gejungen gehören biefe prächtigen Lieber zu dem Beften, 

was das vergangene Jahr in diefer Beziehung hervorgebracht hat. 

Hier ist nicht nur die den Gedichten eigenthümliche Stimmung ſcharf 

erfaßt, fondern die einzelnen Stimmen bewegen ſich mit ſolch indibi= 

bueller und charakteriftifcher Freiheit, daß es eine wahre Luft ift, dieſe 
herrlichen Liederſpenden burchzulefen. In Nr. 1 und 3 wirb ber 

Volkston Tünftlerifch vermwertbet. Nr. 2 wird den Sängern und 

Sängerinnen Einiges zu fhaffen machen. In Nr. 4 ift der ernſtweh⸗ 

mütbige, düſtere Grunbton des Gedichts trefflich muſikaliſch getroffen. 

Bon großer Zartheit und berrlicder Wirkung ift der Nachtgefang. 

10. Die Lootfen. Ein Cyclus von Solo.» und Shorgefängen mit 
Begleitung des Orchefters und verbindenten Worten von C. 8. Klavier» 
auszug 6,00 M. Singftimmen 2'/,;, M. Leipzig, Kahnt. 

Nach einer fürzeren Inſtrumentaleinleitung folgt ein Träftiger, fröh⸗ 
licher Lootſenchor, worin dieſe wackern Meerleute ihren fchiwierigen 
Beruf befingen. Die ſchönen verbindenden Worte leiten nur auf ein 
anderes Bild bin; ein Schiffermäbchen flimmt ein jehnfüchtiges Lieb 
an, worauf ald Gegenjag ein ftimmungsvoller Gefang (Tenor ober 
Bariton) eines Lootfen folgt. Die verbindende Dichtung, die übrigens 
ganz werthvoll ift, führt einen Geifterchor für Frauenſtimmen ein, wel⸗ 
ches einen eigenthümlich ſchönen Einbrud madt. In dem nun folgen- 
ben Duettino Spiegeln fich erfüllte Wünfche: Lenz und Liebe, Blumen 
und Sonnenfcdein. 

Das nun folgende breit angelegte Chorlied (Hochzeitöreigen) wird 
„männlich und weiblich” enthufiasmiren. In dem Melobram, Nr. 7, 
fommt auch die trübe Kehrjeite bes Lootjenlebens zur Darftellung : 
ein armes blaſſes Weib harret vergebens des Bräutigams, der in den 
fühlen Meerestwogen fein frühes Grab gefunden bat. Der Schlufchor 
bringt ein frommes Gebet, gleihfam als Todtenamt reſp. Requiem, 
für die im Meeresgrunde Gebetteten. 

11. Schildhorn. Dichtung von Guſtav Gurski melodramatiih in Mufit 
efeßt für Solo» und Chorſtimmen mit SKlavierbegleitung von Eduard 

obde, op. 128, Braunfhweig und NewsYorl. Klavierauszug 38,0 M. 
Bei dem thatſächlichen Mangel an neuen guten Tonwerken mitt- 

leren Umfanges und von nicht gar zu großer Schwierigkeit, welche 

fh nad Form und Inhalt für DilettantensVereine ganz bejonbers 





Muſikaliſche Paädagogik. 5065 


eignen” machen wir unfere geehrten Leſer auf das Fürzlich erfchienene 
oben genannte Chorwerk aufmerkſam; es entjpricht den Anforderungen 
der Kunft ſowohl, als den fpeciellen Studiums: und Vortragsbe⸗ 
dingungen unferer Chor» und Gefangvereine. Einem vaterländifchen 
Stoff (ohne Liebesintrigue) entnommen, bietet das neue Opus in feiner 
muftfalifchen Ausführung (Soli, Recitative, melobramatifche Deklama⸗ 
tionen und gemifchte Chöre) den Ausführenden ein perjönlich vertheiltes 
Intereſſe, welches durch die lyriſch dramatiſche Färbung befjelben und 
durch die Vermeidung ſowohl des opernhaften, als auch des ſtreng 
oratoriſchen Styls, außerordentlich gehoben wird. — 


D. Geſünge für Männerchor. 
a) Geiſtliches. 


1. Schubert, Franz, op. 154: Hymne: „Herr unſer Gott! Erhöre 
unfer Fi eben‘, für Männerchor mit DOrchefterbeglettung. Klavierauszug 

2,0 M. Die Singflimmen 16 Sgr. Schleufingen, Glaſer. 

Eined der herrlichſten Tonwerke für ben geiftlicden Männerdor, 
fhabe nur, daß es von dem früh verflärten Meifter für Sftimmigen 
Männer- reſp. Doppelchor geſetzt worden ift, wodurch ein ziemlich ſtarker 
Männerchor erforberlih if. Die beigegebene Pianofortebegleitung 
wird ſich noch beiler auf der Orgel, mit einigen Modificationen, aus⸗ 
nehmen. Der um den beutfchen Männergefang bach verdienten Ver⸗ 
lagshandlung für Die neue, jchöne Ausgabe dieſes werthvollen Werkes 
ſei hiermit beſonderer Dank geſagt. 

2. Mein, Bernhard, op. 25, Nr. 5: „Auferſteh'n wirft du, mein 
Staub‘ für vierfiimmigen Männerdor. Säleufingen, Glaſer. Ktavier- 
auszug, 25 Sgr., die vier Stimmen 12 Gar. 

Auch die neue Ausgabe dieſes berühmten Werkes in jchöner hand⸗ 
licher Form, zunädft für dad Münchener Gefangfeft beftimmt, ift 
dankbar entgegen zu nehmen. Die beigegebene Klavierbegleitung iſt 
beim Einftubiren und Aufführen des prachtvollen Satzes von weſent⸗ 
Iihem Belang. Warum im 3. Sate 13 Takte des Driginald weg⸗ 
Da wurden, tft leider nicht motibirt. 


ranz Lißt: „An den heiligen Franziskus von Paula.” Gebet für 

ännerflimmen (Solt und Chor) mit Begleitung des Harmoniums (oder 

Orgel), drei Pofaunen und Bauen (ad libitum). Budapeſt, Taborszky 

und Para. Part. ınd St. 2,40 M. 

Nah einem kurzen Anrufe an dieſen berühmten Heiligen ber 
katholiſchen Kirche kommt ein feuriger' Chor, welcher den Schutzpatron 
auf ſeinen legendenhaften Wandeln in Sturm über die Meeresfluthen 
begleitet. In ber zweiten Strophe iſt nach dem ſtürmiſchen Anlaufe 
in Esmoll, die überraſchende Wendung nach Esbur von ergreifend 
Schöner Wirkung. Die Schlußwendung: „O Lafle und bewahren beiliger 
Liebe Gluthen, laß durch Stürme uns fchauen Gottes Angeficht”, ift 
vom zündenbem Effekt. Die DOrgelbegleitung ift von wefentlicher Be⸗ 

eutung. 


506 . Muſikaliſche Pädagogik. 


Die Pojaunen und Baufen find zwar nicht unbedingt als noth⸗ 
wendig bezeichnet, Ref. möchte fie aber im Sinterefie bes ſchwungvollen 
Ganzer durchaus nicht —3 

4. Wuͤllner, Franz, op. 33: Preis der Wahrheit. Hymne von M. 
Carrioͤre für kuneräor und Orcheſter. Klavierauszug 1 Thlr., die 
Singkimmen 16 Sur. n. GSchleufingen, Glaſer. 

Die fchönen Worte bes Dichters: „Preis der Wahrheit, die das 
AU durchwaltet, Königin im hohen Himmelszelt“, find von dem Com⸗ 
poniften in fo ſchwungvoller Weife wiedergegeben, baß biefer Chor un⸗ 
bedingt zu dem Beſten gehört, was in neuerer Beit auf biefem Ge⸗ 
biete geſchaffen wurde. Die Stellen: „Es werde Licht‘ und ber im 
%, Takt in mächtigem Unifono-Sag: „Mächt’ger hebt ber Geift die 
Adlerſchwinge“ (an den Ichönen Choral: „Wachet auf! ruft uns die 
Stimme” einigermaßen erinnernd) gehören zu den Glanz: und Höhe⸗ 
punkten des gelungenen Werkes. — 

5. Krug, ©: Weihnachtshymne für Männerchor in Begleitung von 
Blasinfrumenten und Orgel. Bart. a 1 moftimmen 0,50 M., Orgels 
flimme 0,25 M. Belmar, 3. %. A 
Eine für ſchwächere Chöre nicht unbeauäbare Arbeit. Das vom 

1. Tenor geforderte hohe h wird wohl nur felten zu haben fein. 

Statt des Uccompagnementd ber Blasinftrumente kann aud die Orgel 
eintreten. 

6. Gei nie Gefänge für Männerchöre herausgegeben von n. Palme: 

Motette: „Die Ehre des Herrn iſt ewig,’ v. Rolle, arrangirt v. 
" Bahemanı, Bart. 5, Stimmen 10 Ser. 


2. a) Motette: „Wiederfehn‘‘ von Rolle, arr. von demf. 
b) Shoral: Aun laßt uns den Leib begraben“, Tonſatz von A. 


G. Ritt 
c) Choral: Wachet auf! ruft ung bie Stimme”, Tonfab von 
Palme, Part. 5, St. 10 Ser. 
3. 8) Motette zu Königs Geburtstag: „Ewiger, deiner Siegesmacht“, 
v. Wachsmann. 
b) Choral: „Freu dich fehr, o meine Seele, Tonſatz v. Palme, 
Part. 7%, Sgr., Stimmen 10 Ser. 
4. 8) Motette: „bee Gott bu bift unfere Zufludt”, v. Rolle, 
arrangirt v. Palm 
b) Choral: BR thut mich verlangen‘, Tonſatz v. Palme. 
Part. 7'/, Sgr., Stimmen 10 Ser. 
Magdeburg, SHeintichöhofen. 


Man vergleiche unfer Urtheil über biefe im Ganzen werthvollen 

Sachen im vorigen Jahrgange des Päd. Yahresberichts, ©. 469. 

7. Laſſus, Orlandus: Moteite nah dem II. Plalm für vierflimmigen 
Männerhor. Part. 6 Sgr., Stimmen 6 Sgr. Schleufingen, Slafer. 
Ein wahrhaft vortrefflicdes Wert aus ber altllaffiichen Periode 

bes Kirchenſtyls, deſſen neues Erſcheinen hoch willlommen gebeißen 

werden Tann. 

8. Runge, 8, op. 227: Geiſtliche Befänge für vierfiimmt gen Männer 


Kor zum Gebraude in Seminarien, Gymnafien, Realſchulen und für 
Männergefangvereine. Bart. 2 M., Stimmen *,, M. Leipzig, Kahnt. 





Mufitaliiche Pädagogif. - 507 


Daß der weitgelannte Autor, bem man jo manches Beitere, wenn 
auch nicht gerabe jehr werthvolle Lied verdankt, auch in ernfteren Tönen 
denken und bichten Tann, hat er bereitö durch feine leichten und ein⸗ 
gängliden Motetten für gemifchten Chor bewiefen. Die vorliegenven 
Gefänge Nr. 1: „Auf, bringt dem Herrn Preis und Ehre — Nr. 2: 
„Bert, höre meine Worte”, Nr. 3: „Ach Herr, ftrafe mich nicht” — 
Nr. 4: „Herr, der König freuet fi”, Nr. 5: ‚Das ift ein Töftl ch 
Ding” — Nr. 6: „Selig find bie Tobten” — Nr. 7: Liturgifche 
Chöre — find in einem leicht verftändlichen Style gehalten, find nicht 
lang ausgefponnen, ergeben fih nicht in künſtlichen polyphonen Ver— 
Schlingungen, und werben in den bezeichneten Anftalten mit Nuben ges - 
braucht werben. 


9. Lißt, Franz: Das Lied der Begeifterun . Text v. Eornel Abränyt 
für vierfimmigen Männerhor. Budapeſt, Taborszky und Parſch. Bart. 
und Stimmen 10 Sgr., Stimmen apart 5 Ser. 


Sich in freien Rhythmen bewegen, verlangt das Lieb tüchtig ge⸗ 
gefhulte Sänger, welche die harmoniſchen, originellen und kühnen 
Wendungen, die natürlich in gewöhnlichem Liedertafelfutter nicht an⸗ 
zutreffen find, zu bewältigen verftehen. Gut und ſchwungvoll vor⸗ 
getragen, wird dieſer Geſang überall von Wirkung fein. 


10. Jepkens, Albert: Kirchliche Gefänge für den mehrſtimmigen Männer- 
chor. Zweite, fehr vermehrte Auflage. Köln und Neuß, Schwann. 


Für die Fatholifche Liturgie Tennen wir nur wenige neuere Samm⸗ 
lungen, welde an Reichhaltigfeit und Trefflichfeit bes hier Gebotenen 
heranreichen. Neben dem klaſſiſchen Alten it auch das gute Neuere 
vertreten, neben lateiniſchen Hymnen und Gejängen finden fi aud 
beutiche Texte — und fo ifts recht! Daß für alle kirchlichen Bebürf- 
nifie reichlich geforgt ift, wollen wir noch ganz beſonders bemerken. 


11. Oberboffer, 8; Fünf Offertorien nebfl drei Magnificat und 
acht anderen Geſängen verfchiedenen Inhalts neuerer Componiſten theils 
für gemifchten Chor, theild für Männerchor mit und ohne Orgelbegleitung. 
Zum Gebraude beim katholiſchen Botteödienfte herausgegeben. Köln und 
Neuß, Schwann. 


Die neuern Ürbeiten ber fchätbaren Sammlung find fait alle 
von dem Streben befeelt, dem in ber Tatholiichen Kirche fichtbaren 
Streben nad größerer Würde und Einfachheit der Kirchenmufif, ge- 
seht zu werben, namentlich zeichnen fih in biefer Beziehung bie 
Arbeiten des Herausgebers, Dr. Franz Witt's, Brofig’3 ꝛc. aus. Daß 
ben ältern Werken eined Bernhard Kleins: („Hoc thut euch auf”) 
und Johann Haydns („Du biſt's, dem Dank und Ruhm gebührt”) 
lateiniſche Texte untergelegt worden find, mag wohl jo oft — eher 
umgelehrt — nicht vorlommen. Daß das in unferer Schwefterlicche 
opportun ift, ſoll uns bier nicht beläftigen. 


12. Magnificat in den acht Kirdentonarten für 4 Männerflimmen 
von h Diehl, op. 8. Köln und Neuß, Schwann. 








508 Muſikaliſche Pädagogik. 


Im Haffifchen Kirchenſtyl gehalten, verdienen dieſe nach ben beften 
Muftern gearbeiteten und mufilalifh werthvollen Säte vornehmlich 
empfohlen au erben. 


b) Weltliches. 


1. Geiſthliche und weltlide Männerhdre für Seminarien, 
Gymnaſien und Gefangvereine. Bearbeitet und herausgegeben von 
J. Heinrich Lügel. Dritte, vermehrte Auflage. Kaiferslautern, Taſcher. 
Eine Mufterfammlung, die 59 geiltliche und 59 weltliche Lieber 

ber verichiedenften Meifter, Altes und Neues in fchöner Vereinigung 

bringt. Die für Männerdior neu bearbeiteten Sachen von dem 
rührigen Herausgeber find in jeber Beziehung vortrefflich. 

2. Kretſchmar, an op. 5: Drei Gefänge für Männerdor: 
Abend von Felix Dahn, Part. und Stimmen 15 Sgr., Sonntag- 
Morgen von Kauffer, 15 Sgr., zum heiligen Krieg von Müller 
von Königäwinter, 18 Sgr. Leipzig, Forberg. 

Der Componift dieſer Stüde ftrebt ohne Frage nach Höherem 
und mill nicht fade Bänkelſängerei, reſp. Liebertafelfutter präfentiren, 
aber er ftellt gleih in Nr. 1 jo erorbitante Forberungen an erſte Tenöre 
und ziveite Bäße, daß die Gefangvereine Mübe und Noth haben werben, 
ben Forderungen bes Tondichters nad) zu kommen. Aud bier beißt 
e3: In der Beichränkung zeigt fih der Meifter! Auch Nr. 3 ftellt 
an bie Chortenöre Forderungen, die nur eine phänomale Tenorftimme 
& la Wachtel binlänglich bewältigen Tann. 

3. Runge, &., op. 92: „Auf der Banderung.” Sechs leihte Maͤnner⸗ 
höre für wandernde Liedertäfeler. Bart. und Stimmen 1 Xhlr. 15 Ner. 
2 Hefte. Leipzig, Forberg. 

Hier tritt uns ein durchweg praftifcher Mann entgegen, der e3 
verfteht mit den Männerftimmen effektvoll — sans gene — umzu⸗ 
fpringen. Was er uns beut, ift nicht hochklaſſiſch, aber leicht und an⸗ 
Iprechend. Herz, mein Herz, was willſt du mehr? Die beutichen 
Sängerbrüber werben mit Behagen diefe flotten Wanderlieder be= 
grüßen und fingen. 

46. 8. Händel: Bahushor aus dem Aleranderfeft für vier 
ftimmigen Männerdor. Klavierauszug 15 Sgr., die 4 St. 6 Sgr. 
Schleufingen, Conr. Glafer. 

In kräftigen und markigen Schritten ertönt dieſer klaſſiſche Chor, 
nach einer kurzen Inſtrumentaleinleitung mit Baßſolo beginnend, dem 
fih der Männerchor anſchließt. Die erſten Tenöre müſſen bier be⸗ 
ſonders bei „guten Mitteln“ ſein, wenn Alles ſchneiden und packen ſoll. 

5. Lachner, Franz, op. 165: Macte Imperatore von Felix Dahn. 
Bartitur mit untergelegtem Klavierauszug, 3,0 M. Schleufingen, Glafer. 
Ein pompös angelegte Werk, getragen von einer prachtvollen 

Snftrumentation von zündender Wirkung. Schade, daß dieſer Kaifer- 

hymnus in lateinischer Sprache abgefaßt worden iſt! 








Muſikaliſche Pädagogik. 509 


6. ©. v. Beethoven: Weihelied aus König Stephan für vier- 
fimmigen Männerdor. Klavierauszug 0,60 M. Die 4 St. 0,60 M. 
Schleufingen, Glaſer. 

Bei aller Schlichtheit und Einfachheit doch ſchön, weil — ächt 

„Beethovenſch“! 


7. Sofmenn, einrih, op. 17: Ehbampagnerlied. Ged. von Graf 
trachwitz für Männerchor und Orcheſter. Part. mit untergelegtem 
Klavieraudzug 4,50. Chorſtimmen 1,20. Leipzig, Breitkopf und Härtel. 
Eine wirkungsvolle Dithyrambe auf den füßen, jchäumenben 
Trank, wie fie wohl noch nicht aus ber Feder eines Gomponiften 
hervorgegangen ift. Dabei wandelt der Autor durchaus nicht in land⸗ 
läufigen, ab⸗ und ausgetretenen Bahnen. 


8. F. 4. ©. Jacob: Boltsharfe oder Liederbuch fürs deutſche 
Bolt. In fliegenden Blättern herausgegeben für Boltögelanen, Arbeiter-, 
und GefelensBereine, Herbergen und Spinnfluben. weite, verbefierte und 
vermehrte Aufl. Nr. 1. Leipzig, Kummer. 

Die deutſche Volksharfe beabfichtigt, nicht nur die edelften 
trabitionellen, zum Theil corrumpirt fich fortpflangenden Volkslieder 
aus ben verſchiedenen Lesarten deutfcher Gaue wieder hergeftellt dar⸗ 
zubieten, fonbern auch die vollsthümlichiten Dichtungen namhafter 
beuticher Dichter zum Gemeingut des beutichen Volles dadurch zu 
machen, daß fie noch im Volksmunde befindlichen dazu paſſende Volks⸗ 
weifen untergelegt werden. Das verbienftliche Heftchen birgt in 
31 Nummern ädhte deutjche, kräftige Hausmannskoſt in ein- und zwei- 
ftimmiger Yorm. 

9. Erk, Ludwig: Neifelieder für DMännerflimmen gefeßt und heraus⸗ 
gegeben. 1. Heft 28 Lieder enthaltend. Berlin, Endlin. 4 Ser. 

Das morgenländifche Sprüchwort: Was Gott giebt, it gut! — 
mobificiren wir bahin: Was ber beutfche Liederhort, Vater Erf in 
Berlin, Sangliches und Klangliches darreicht, ift gut! 

10. 9. DOberhoffer: Sammlung audgezeichneter älterer Compo— 
jttionen für den vierfiimmigen Männerchor nebft vielen Original« 
compofitionen zunähft für den Gebrauch von Rehrerfeminarien und Gymnafien, 
für die Gefellenvereine und Lehrers Gefangvereine. Vierte, verbefjerte und 
vermehrte Aufl. Paderborn, Schöningh. 

Eine empfehlungswerthe Serie allgemein anerfannter, aber auch 
neuer Männerchöre. Letztere bringen manches Schöne; jo 3. B. bes 
Herausgebers „Aufmunterung‘ zur Freude“, mit effeltvollem Bariton- 
ſolo. Die Brummftimmen ber Begleitung hätten wohl obne große 
Mühe mit Tert verfehben werden fünnen. Bei einer meiteren Auf- 
lage bes fehr empfehlenswerthen Werkes ift indeß für größere Correct- 
beit des Drudes Sorge zu tragen. 

11, Album für vierfiimmigen Männergefang: Nr. 55: ©. Silk 
mann: Xumerlied „But Heil”, T71/a Sgr. Magdeburg, Heinrichshofen. 

In Träftigem Marſchrhythmus daher fchreitend mwirb biefe leicht 
eingänglicde Compofition Freunde erwerben. 





510 Muſikaliſche Pädagogik. 


Nur eine Yrage an die Herren Turner möchten wir ri 
nämlih bie: Giebt es auh ſchlechtes Heil?! Man follte doch 
meinen: Alles Heil ift gut! Wozu alfo das ganz überflüffige Beimort ?! 
12. Karl Appel, op. 38: gem Quartett gehbren vier. Humoriſtiſcher 


nnergefang. 2 
op. 39: —23* Laterne. Humoriſtiſcher Maͤnnergeſang. 


op. 40: Cinger-Tenanen für 4 Männerfiimmen (Solo 
und Chor). 1 M 

op. 41: Wer nit hören will, muß fühlen! für 
a — und Mannerqchor. 2, Marl. Leipzig, 


Der bier genannte Componift gehört zu ben Koryphäen bes 
humoriftifchen Männergefangs. Dabei bat er bas Gute, daß er fein 
ſchönes Talent nicht fabrifmäßig ausbeutet; was Appel macht, ift 
nicht nur amüfant, fondern auch Fünftlerifch "wertbvoll. Die jüngften 
Kinder der Appel’ichen Laune werben überall, nadı des Lebens Arbeit 
und Mühen, köſtlich munden. 


13. Ernſt Fürfte: Leber den Rhein und wieder beim! Achtzehn 
Lieder für Männerhor. Alldeutfhlands Sängern gewidmet. Magdeburg, 
Heinrichs hofen. 

Unter dem ſchwarz⸗ roth-goldenen Banner marſchirend, bringt 
diefer patriotiſche Blumenftrauß theils Altes, aber auch Neues von 
Taubert, Sering, Chmwatal, Rebling, Ritter 20. Bei einigen Chören 
find die Componiſten nicht genannt. Möge die ſchätzbare Sammlung 
offene Herzen und Ohren finden! 


14. Neßler, V. ©, op. 54: Heitere Stunden fir 4 Männerſtimmen. 
eelbaiß, Forb erg. 
: Die Ratte von Goethe, Part, u. ei. 75 Bf. 
⸗ Der Floh = 75 
s 3: Lieber Dorn als Horn von Grimminger für Baritonſolo 
und Mämerchor. 80 Pf. 
4: Abfagung für Baritonfolo und Männerchor. 80 Pi. 
5: Liebeshandel von Köwenftein für Tenorfolo und Männer⸗ 
chor 1,50. Leipzig, Forberg. 


Mit diefer Serie von Männerlievern bat ber Verfaffer feine 
Ratte” geichoffen; es find Roſen ohne Dornen, fo daß die deutſchen 
Riebertäfler in diefem Sanged:Lieheshandel feinen Abjagebrief ſchreiben 
werden. Die von manchen Seiten urgirten textloſen Brummſtimmen 
muß man, wohl oder übel, mit in den Kauf nehmen. 


15. Kuntze, C., op. 230: „Wir armen Frauen haben keinen Himmel nicht!" 
Sunsrikifäs Männerquartett. Part. 8, Stimmen 16 Ser. Schleufingen, 


s 
ss 


Em auch der Componift, als Matabor bed leichtbeſchwingten 
gefälligen Liedertafelhumors, nicht gerabe in ben Himmel der Klafficität 
eingehen wird zu ben mufifalifchen Olympiern, fo wird doch jeine 
Beitere Muſe auch in ber vorliegenden netten Probuftion in beiteren 
Kreifen vielen Anklang finden. 


Muſikaliſche Pädagogik. 511 


16. Beter dv. Lindpaintuer: Fünf Lieder von Müller von ber Werra 
für Männerdor: Reiter⸗, Rofen- und Bergmannslied, Bad 
zul, dualter Minnefang, Blauer Montag, 5 Sgr. Schleufingen, 

er. 


Der populäre Schöpfer ber „Fahnenwacht“ zc. verleugnet auch 
bier fein gefälliges Talent nicht; Alles fließt leicht, anmutbig und 
wirkungsvoll einher. 


17. Methfefiel, A.: Kriegslied (1813) für vierfiimmigen Männerchor, 
Part. ne: 5 Sır Sölainen Slafer. " 8 * 
Eine volksthümliche Novantike mit obligaten Trommelwirbel zum 
Ein» und Ausgange. 


18. Weber, © M. v.: Jägerchor aus Euryanthe. Bart. 3, St. 
5 Sgr. Schleufingen, Glafer. 
Eine foldy prächtige Blume aus dem unverwüftlichen Garten ber 
deutihen Waldromantik ift fort und fort allen beutihen Sängern 
hochwillkommen. 


19. Seidel, W. %., op. 7: Bier vierſtimmige Männergeſänge: 
Mr. 1: „Ein Lied” von Seidel. Bart. 5, St. 7 Ger. 
Rr. 2: Morgenlied im Walde von Ph. ©. Bart. 5, St. 7 Sur. 
Rr. 3: Der Morgen von Eichendorf. Part. 5, St. 5 Ser. 
Ar. 4: „Blümlein, waht auf!“ von Elfert. Bart. 5, St. 5 Ger. 
Scäleufingen, Glaſer. 
Namentlich die drei letten Lieder dieſer Serie empfehlen wir ber 
Beachtung unjerer nach Neuem lechzenden beutichen Liebertafeln. 
20. Bäifer, Karl, op. 82: Drei Gedihte Iaunigen Inhalts für 
ännerdhor. Bart. und Stimmen. 
Mr. 1: Bom Geldfad, 1,0. 
Mr. 2: Paragraph Eins, 1,0. 
Mr. 3: Weinlied, 1,0. . 
Kafiel, 6. Luckhardt. 
Auch dieſe Lieder eines bei unſeren deutſchen Liederkreiſen wohl⸗ 
accreditirten Sängers ſind wohl geeigenſchaftet, ein Stündchen froh zu 
vertreiben. 


E. Ein⸗ und zweiſtimmige Lieder mit Begleitung. 


1. teubelsfopn® Werke. Lieder und Geſänge für eine Singſtimme 
tung des Pianoforte. Leipzig, Breitlopf und Härte. Pracht⸗ 

au . 

Die wunderſchön ausgeftattete Gefammtausgabe (ſowie joldye eben, 
troß einiger wiberhaarigen Verleger eben berzuftellen war) barf wohl 
auf allfeitiges Entgegenlommen rechnen, denn der vereiwigte Mendelsjohn 
verftand e3 ja, neben origineller Erfindungäfraft, zugleich verftänblich 
und wirkungsvoll zu fchreiben, fo daß man bie vielfachen Schönheiten 
feiner berzigen Lieder („Es ift beftimmt in Gottes Rath ꝛc.“) nicht erſt 
lange zu fuchen braudt. Freilich vermiffen wir Einiges ziemlich 
ungern. Doch wird Alles in wenigen Jahren, wenn das betreffende 





512 Muſikaliſche Päbagogif. 


BDerleger- Privilegium erlofchen ift, von ber hochgeſchätzten Verlags⸗ 

handlung nachgeliefert werben. 

2. Sängers Weihe⸗ und ÜErbolungsflunden am Biauoferte. 
1. Weiheſtunden. Magdeburg, Heinrichshofen. 

Eine reichhaltige Sammlung, die nicht weniger denn 109 neue 
und alte Lieber von älteren und neueren guten Tonfetern bietet mit 
ganz einfacher Klavierbegleitung. Ein wahrer Schaf guter Hausmufif! 

3. Zaubert, Wilhelm, op. 138 und 145: 20 Kinderlieder für 1 Sing. 
fimme mit Begleitung des Pianoforte. Leipzig, Breitkopf und Härtel. 
3,0 M. netto. 

Unter den wahrhaft Berufenen, die im Sinne und Geifte für 
„unfere Liebe Kinderwelt‘ tonbichten können, nimmt der Berliner Alt: 
meifter Taubert den erften Rang ein. Seine lieblichen, einfachen, 
ächt kindlichen und doch originellen Weifen niften fi unwiderſtehlich 
bei großen und Heinen Kindern ein. Die vorliegende ſchmucke Edition 
bringt folgende allerliebite Liederperlen: Vom fleißigen Bächlein, Marien- 
würmchen, Eichhörnchen, Johann ſpann an! die Vöglein im Neft, ber 
Stedenpferbreiter, Stedenreiterlehren, zwei Wiegenliever, ber Sands 
mann, Frau Krabefuß, der Wind und die Hafen, Abfchied vom Steden- 
pferd, Häschen, Herr Karlmann, Lied vom Winpmüller, Maifäfers 
Klagelied, Wiegenlied, Gebet, Dlutter. — 

4. Wehe, E.: Geſangs⸗Album. Sammlung einfaher Lieder und 
Chorſähze mit Pianofortebegleitung für den Gebrauch in höhern Töchter⸗ 
ſchulen und in Yamilienkreifen. Heft 1 u. 2, Nr. 1—12, Heft 13—22, 
12 Sgr. n. Magdeburg, Heinrichshofen. 

Sn bie Klafle der ſoliden Hausmuſik rubricirend, bringt das 
vorliegende 3. Heft: Choräle und Lieder von Schulz (die ſchöne Hymne: 
„Bor dir, o Eiiger, tritt unfer Chor zufammen‘ in zweiſtimmiger 
Bearbeitung mit Klavier bietend), Wehe, Eſchmann, Hiller (deſſen 
Schönes, im Volkston gehaltenes Lieb: „Die Schwälble”, wir ganz be- 
fonders empfehlen), Möhring und Hauptmann. 

Das und eben noch zugehende zweite Heft enthält: Mozarts 
herrliches Ave verum corpus, ein Chor aus Romberg's Glocke, aus 
Haydn's Jahreszeiten, Choräle, Haydn’ Cantate: „Denk ich Gott an 
beine Güte,’ Waldesandacht von Abt, zivei Lieder von Mendelsjohn, 
ſowie Einiges vom Herausgeber in zweiltimmiger Bearbeitung mit 
Klavier. 

5 R. Krell: 12 Kinderlieder mit Slavierbegleitung von I. H. Löffler. 
Heft 1, 50 Pf. Weimar, Kühn. 

Schon in ber Driginalgeftalt von der Kritif einflimmig mit An⸗ 
erfennung begrüßt, werben dieſe ächt kindlichen Weifen und Texte aud) 
in diefer Form (das Arrangement ift möglichit einfach gehalten) viele 
Freunde finden. ° 
6. Daheim für die Mavierfpielende Jugend. Auswahl der bes 

Liebteften Säullteder mit Leichter Klanierbegreitung zum 
Enge in glücklichen Familienkreiſen. Heft 1 u. 2 & 15 Sgr. Leipzig, 
ahnt. 








Muſikaliſche Pädagogik. 513 


Die beiben netten Hefte find beim erften Mufifunterricht recht 
gut zu verwerthen, Sang und Klang, — fogar Fingerfag — ift beis 
einander, und das Alles fo FTinderleicht gejegt, daß es eine wahre 
Luft if. Die Auswahl läßt nichts zu wünſchen übrig, tie das bon 
einem pädagogiſch gebilbeten Altmeifter der mufifalifchen Didaktik nicht 
anderd zu erwarten ift. 

1. J. Schweiger, op. 17: Brühlingslieder gedidtet von Fr. A. Muth 
für eine Singfimme mit Pianoforte. Preiburg, Herder. Preis: 3,0 M. 

Schlicht und einfach, ohne große Prätenfionen zu machen, ben 
Text binlänglich illuſtrirend. 

8. Richter, Hermann Julius: Fünf Lieder, Nr. 1: Das Blatt im 
Bude, Nr. 2: Es hat die Roſe fih beffagt, Nr. 3: Im wunderfhönen 
Dionat Mai, Nr. 4: Neig, fhöne Knospe dich, zu mir, Nr. 5: Seligkett. 
Dresden, Hoffarth. 1,80 M. 

Wenn ein Großmeifter wie Franz Lit fich diefer Lieder eines 
jeiner befähigteren Lieblingsfchüler befonder8 annimmt, fo wird gewiß 
„etwas daran’ fein, und in der That verrathen diefe Lieber ein feines 
Compofitionstalent. 

9. Gaßmann, Arnold: Der Fiſcher von Goethe. Ballade für eine Baf- 
oder Baritonflimme mit Begleitung des Pianoforte. Leipzig, Kahnt. 1,50 M 
Der Grundton der Ballade ift ohne Frage gut getroffen; eine 

harakteriftiihe Klavierbegleitung unterjtügt ben effeltvollen Gefang 
ganz weſentlich. 

10. Brandeid, Friedrih, op. 36: Wunſch. Gediht von Lenau für eine 
Stimme mit Piano. Leipzig, Schubert u. Comp. 1,0 M. 

In zwei Ausgaben erfhienen, ift das ſchöne Lied auf ein ein- 
faches Motiv bafirt und wird effektvoll zu Ende geführt. 

11. a) Kißt, Franz: Helge’s Treue Ballade von Strachwitz, componirt 


von Felix Dräſeke für Declamation mit melodramatiicher Pianoforte- 
begleitung eingerichtet. Leipzig, Schubert u. Comp. 3,0 M 

Mas ber geniale Bearbeiter in biefem Genre leiftet, das bat er 
in feinen beiden ähnlichen Werfen: „Leonore und ber traurige Mönch“ 
bereit3 bewieſen. In dem phantaſtiſch⸗dämoniſchen Element ift ber 
Meifter fo wohl zu Haufe, wie ein Fiſch im Waller. Dräfele's 
Sompofition im Original gebört zu den’ harakteriftifchiten, aber auch 
ſchwierigſten Balladen für eine Baßſtimme. Es ift intereflant zu jehen, 
wie ber Meifter die gegebenen Motive des Originals höchſt geiftreich 
und effektvoll verwendet bat. Der Klavierpart fordert Übrigens einen 
gewiegten Bianiften. 

b) Lißt, Franz: Des todten Dichters Liebe. Gedicht von Moritz 
Jokai, deutih von Adolf Dur. Mit melodramatifcher Mufll. Buda⸗ 
yeit, Zaborszfy u. Parfch. 

Ein originelles, großartiges und phantaftifches Nachtftüd, das der 
geniale Künftler mit den brennenbften Farben gemalt hat. ‘Die Aus- 
führung bietet ziemliche Schwierigleiten für beide ‘Theile. 

12. Winterberger, Alerander, op. 26: Zwei Lieder für eine Sopran- oder 

Tenorſtimme mit Begleitung des Pianoforte. Leipzig, Kahnt. 

Bäb. Jahresbericht. XXVII. 33 


514 Muſikaliſche Pädagogit. 


Nummer eins diefer Lieder enthält eine Compofition von Goethe's 
„Veilchen“, das bekanntlich ſchon Mozart in bochpoetifcher Weiſe mit 
Tönen verjehen bat. Die vorliegende Illuſtration zeigt zwar entfchieben 
von mufilalifhem Talent, aber Mozart ift in diefer Beziehung nicht 
erreicht, noch weniger übertroffen worden. 

13. Urſpruch, Anton, op. 5: Rofenlieder. Fünf Gefänge für eine Sing. 
ſtiume mit Begleitung des Piano. Leipzig, Kahnt. 2,25 M. 

Die hier genannten Fieber find nicht nur Außerlich außerorbentlidh 
ſplendid ausgeftattet, fondern auch das Innere, der mufilalifche Kern, 
jeigt fih in fo liebenswürbiger und zugleich gebaltuoller Weife, daß 

iefe rofigen, berzigen Lieber dem Beiten zuzuzählen find, was bie 

Neuzeit in biefer Beziehung gebracht Bat. 

14. Wilhelm, Lieder und Geſänge für eine Singſtimme mit Begleitung des 
Pianoforte. Leipzig, Breitlopf u. Härtel. 6,0 iR. 

Gute Hausmuſik, deren wir ſchon im vorjährigen Bande bed 
päd. Jahresberichts beftens gedacht haben. 


15. Biuttt, Earl, op. 7: Steben Lieder für eine Singftimme mit Bes 
gleitung des Bianoforte. Leipzig. Kahnt. 3 M. 


Außerorbentlich feinfinnige Mufik, in Schumanns Bahnen wandelnd. 


16. Lieder und Gefänge für eine Singftimme mit Begleitung des Piano⸗ 
forte. Kaffel, Luckhardt. Heft 1—18 & 5 Ser. 

Das und von ber Ihätbaren Collektion Gebotene find die Hefte 
15—18: 4 Lieder von Alb. Dietrich, durchaus anftändige Muſik 
enthaltend. ' 

17. Zappert, Wilhelm, op. 9: Fünf Lieder für eine Singſtimme mit Klavier 

—— Kaſſel, — * AR nf viederf gm 

Obwohl der Componiſt dieſer Lieder einer der hauptſächlichſten 
Vertreter von R. Wagners Muſikrichtung iſt, ſo hat er ſich dennoch 
in feinen gehaltvollen Liedern durchaus von allen zukünftleriſchen 
Ertravaganzen fern gehalten. 

18. Wickede, Frieder. v., op. 54: Robin Adair 'aus dem CEngliſchen von 


Dranmor für 1 Singſtimme mit Pianofortebegleitung. Ausgabe für 
Sopran oder Tenor. Kaſſel, Luckhardt. 


Ein ſchwungvolles Lieb voll ſchwärmeriſcher Innigfeit. 


19. Lieder-Album 60 Geſänge verfhiedener Eomponiften für 
eine Singfimme mit Begleitung des Pianoforte für die erwadfene Jugend 
ausgewählt von J. ©. Lehmann. Leipzig, Breitkopf u. Härtel, 3,0 iR. 

Obwohl ein beftimmtes Prinzip bei ber Yufammenftellung biefer 

Collektion nicht zu Tage tritt, jo bringt dieſelbe doch vieles Schöne 

und Gute, nämlich von Beethoven, Brahms, Brud, Curſch— 

mann, Edert, Franz, Händel, Haydn, Joſephſon, 

Kreutzer, Löwe, Lorging, Marfhner, Mendelsfohn- 

Bartboldy, Mozart, Reihardt, Reinede, Reiffiger, 

Schubert, Shumann, Seidel, Spohr, Stern, Streben, 

Taubert, Walter, Weber, Zumiteeg. 











Musikalische Pädagogik. 515 


Mie man fieht, ift die betreffende Sammlung eben jo reichhaltig 
als gebiegen. 
20. Jenſen, Adolf, op. 30: Dolorofa. 6 Gefänge für eine Singftimme 
mit Begleitung des Pianoforte. Neue Ausgabe (für eine tiefe Stimme). 
Leipzig, Forberg. 4,0 M. 


Ein Cyclus von ernften, tiefinnigen und tieffinnigen Liebern, 
die dem Beften unferer gefammten Lieberliteratur angehören. 

21. Scharwenka, Zaver, op. 15: Drei Lieder für eine mittlere Stimme mit 

Begleitung des Pianoforte, Leipzig, Breitkopf und Tärtel. 1,75 M. 

Der bier auftretende, talentreiche, jugendliche Componift bat ſich 
bereitö durch feine originellen Klavierwerfe einen Namen von gutem 
Klang erworben. Auch die vorliegende Produktion läßt fofort erfennen, 
daß ibm auch bier Lorbeer und Palmen blühen. 

22. Tottmann, Albert, op. 21: Bier Sefänge für Tenor oder Sopran 
mit Pianofortebegleitung. Leipzig, Hof 
meifer. 4 M. 
op. 22: Amaranth’6 Lieder. Sieben Gefänge 
aus Oskar von Medwig gleihnamigem 
Liedercyclus für Mezzoſopran mit Begleitung 
des Pianoforte, ebendaj. 2,50 M. 

Das find höchſt achtungswerthe, feinfinnige Spenden eines 
finnigen Mufiters, zu den beften Liedern zählend, welche das ver- 
gangene Jahr gebracht bat. Während das zweite Opus mehr im ein- 
facheren Style für größere Kreife berechnet ift, wendet fich das erfte 
Heft vorzugsweiſe an bie Muſiker. In diefer Beziehung find bie 
Nummern 2: „Seit ich dich in Liebe erloren”, und Nr. 3: „Du bift 
fo ftill, fo fanft und innig”’ — wahre Gabinetftüde. — 

Bon Liedern, welche feinen ausgeprägten Styl und aud 
feinen tieferen Gehalt haben, die aber doch mitunter angenehm zu 
fingen fein dürften, jogenanntes „leichtes Gepäd”, wären noch zunennen: 


23. Billeter, op. 41: Märznacht von F. Dahn. Leipzig, Forberz. 8 Ser. 

24. ei 9.: Drei Lieder für eine Singftimme Weimar, Kühn. 
T/ gr. 

25. Weber, J., op. 36: Ständen für eine Singfkimme mit Begleitung des 
Piano. Leipzig, Zorberg. 7/, Ser. 

26. Horn, Aug. op. 39: Drei Lieder für eine Singſtimme mit Piano- 
fortebegleitung. Leipzig, ebendaf. 171/, Ser. 

27. Kreuz, Seintih, op. 24: Biömard-Tied für eine Singftimme mit 
Begleitung des Piano. Leipzig, ebendaſelbſt. 0,60 M. 

28. Steinmann, Fritz, op. 1: Drei Lieder für eine Singſtimme mit Piano- 
fortebegleitung. Leipzig, ebendafelbft. 21 Ger. 

29. Kothe, Aloys, op. 8: Lieder und Befänge für eine Singfiimme mit 

Begleitung des Piano. Im drei Lieferungen, & 1 Mark, compl. 2'/ M. 

Leobſchütz, Kothe. 

Marſchall, Hermann, op. 11: Nachklänge aus der Schule der 

Weisheit von Fr. Bodenftedt für eine Singftimme mit Begleitung des 

Blanoforte. Leipzig, ſtahnt. 2,0 M. 

31. Weber, J., op. 37: Das Häuslein am Rhein, für eine Singkimme 
mit Piano. Leipzig, Forberg. 7’, Ser. 


30 


33* 





516 Muſikaliſche Pädagogik. 


32. Heiſer, Wilhelm, op. 146: Drei Lieder für eine Singftimme mit 
PBianofortebegleitung, Kaflel, Luckhardt. 


Sehr melodiſch und anjprecdhend. 


33. Kiche, Louis, op. 75: Liebesluſt und Leid. Gin Liedercyclus von 
Heinrich Pfeil. 
Nr. 1: DO gönne mir den Frühlingstraum, 1M., 
: Dein dent ih fort und fort, 0,755 M., 
: Kür dich auch naht ein Früblingstag, 1,0 M., 
: Beim Lieben zu Haus, 0,75 M,, 
: Bor ihrem Bilde, 0,75 M., 
2 Vorbei, 0,75 M. 
Kaſſel, Luckhardt. 
34. Sieber, Ferd. op. 86: Drei Lieder für eine tiefe Singſtimme mit 
Piano. Kaffel, Audhardt. 1,50 M. 
op. 87: Drei Lieder für eine Tenor- oder Sopran⸗ 
flimme mit Pianofortebegleitung, ebendaſelbſt. 
12?/2 Gar. 
35. Methfeffel, Ernſt: Zwei Lieder für eine Singftimme mit Piano, 
ebendaf. 15 Sgr. 
36. Kothe, AL., op. 9: wei Lieder von Hoffmann von Fallersleben 
0 Tenor mit Begleitung des Violoncello und Piano, Leobſchüß, Kothe. 


DW ND 


ODhne befonbers tief zu greifen, find boch dieſe Lieber ganz 
wirkungsvoll. 

37. Lachner, Franz, op. 166: Abendelegie für eine Tenorſtimme, Dioline, 

Drgel (Harmonium oder PBianoforte) componirt. Leipzig, Forberg. 2,0 M. 

Ein meiches, Iyrifches und dankbares Stüd, das überall des 
Erfolges ſicher fein wird. 

Es fei hierbei noch Schließlich auf ein fehr brauchbares Werk für 
alle Diejenigen, welche in ber edlen Geſangskunſt unterrichten, 
aufmerkſam gemacht, nämlich: Handbuch deutſchen Liederſchatzes. 
Ein Katalog von 10,000 auserleſenen, nah dem Stimmumfange 
ſyſtematiſch geordneten Xiedern nebſt einer reihen Auswahl 
von Duetten und Terzetten von Ferdinand Sieber, Profeflor 
der Muſik, Berlin, Karl Simon. 


II. Slavierfpiel. 


a) Schul» und Etüben-Werte. 


1. Adolf Kullak, op. 17: Die Kunft des Anfhlages. Ein Studien 
werk für vorgerüdtere Klavierſpieler und Leitfaden für Unterrichtende. 

Reipzig, Friedt. Hofmeifter. 2 Thlr. 15 Sgr. Zweite Auflage. 

Das beite Werk, was überhaupt über dieſe tichtige Materie 
eriftirt. Kein Wunder, daß ber Großmeifter des neueren Klavierfpiels, 
Dr. Sranz Lift, die Debilation dieſer Meifterftudien angenommen 
bat. Das erfte Kapitel diefer claffifchen Schrift behandelt den ges 
bundenen Bafjagenanfchlag, das zweite: den gebundenen Melobienanfchlag, 
das dritte: der Anfıhlag durch Einziehen der Yingerfpite, das vierte: 
den Staccatoanſchlag mit dem ganzen Yinger, das fünfte: ben Une 














Muſikaliſche Pädagogif. 517 


ſchlag mit dem Handgelenk, das jechdte: das getragene Staccato, das 
fiebente: den Anfchlag unter dem Einfluffe des Armes, das achte: 
Vereinigung und Einheit der getrennten Anſchlagsarten und Zufäte. 
Der Anhang bringt noch folgende Klavierftubien: 1) für kleine Hände, 
um die Finger unabhängig zu machen, 2) für größere Hände, 3) Trilfer- 
ftubie für die linke Hand, 4) Trilerübung für bie rechte Hand, 5) 
Uebung für ben vierten Finger, bei fortrüdenden Figuren ohne Unter- 
fat bes Daumens und bei auögefpannter Hand, 6) zur Ausbildung 
en und geſangvollen Tones (eine der bedeutendften Etüden⸗ 
werte). 

2. Danım, Guſtav (Theodor Steingräber): Klavierſchule unb Melo⸗ 
dienfhag für die Jugend. Praktiſch bewährte Anleitung zur gründlichen 
Erlernung des Klavierſpiels mit mehr ald 140 melodifchen Luſt und Fleiß 
anregenden Muſikſtücken zu zwei und vier Händen und vielen ſchnell 
fördernden techniſchen Uebungen. Gingeführt in zahlreichen Klavier» Lehre 
anftalten und Lehrer⸗Seminarien. Dreizehnte Auflage. Commiſſionsverlag 
von 3. G. Mittler in Leipzig. 1%, Thlr. 

Diefe ausgezeichnete Klavierfchule, deren in d. BI. ſchon mehrfach 
höchſt rühmlich gedacht worden iſt, bat in wenig Jahren fait allen 
andern ähnlichen Werfen den Rang abgelaufen und bat eine über- 
raſchende Verbreitung gefunden, aus bem einfachen Grunde, meil fie 
das Angenehme und Nügliche in meifterhafter Verbindung barbietet. 
Die vorliegende Auflage hat mehrere neue angenehme Stüde von ben 
befannten Componiften Wild. Tſchirch (Czersky) in Gera aufges 
nommen, die dem Werke nicht zum Schaben gereichen. 

3. Karl U. Krüger: Bolls-Rlavierfhule Anleitung zur gründlichen 
Griernung des Stlavierfpield unter Bugrunbelegung von Volks⸗ und Opern 
melodien, technifchen Uebungen und auderlefenen Stüden aus den Werken 
älterer und neuerer Meifter. Erſte und zweite, verbefferte Auflage. Leipzig, 
Leudart (Gonft. Sander). 3,0 M. 

Das vorliegende Werk verfolgt eine ähnliche Tendenz wie das 
renommirte borgenannte; wie es fcheint, findet auch diefe gute Arbeit 
rafehen Eingang bei dem mufilliebenden Bublitum, wie dies die beiden 
in Jahresfriſt erichienenen Ausgaben wohl hinlänglich beweiſen. 
Wie bei einem guten Schulleſebuche iſt der Verfaſſer bemüht geweſen, 
außer dem Urgrunde aller geſunden Muſik: dem Volksliede und Volks— 
tanze, aus den Meiſterwerken unſerer muſikaliſchen Heroen und 
pädagogiſch⸗muſikaliſchen Meiſter Altes und Neues mit ſichtender Hand 
auszuwählen; und fo finden wir die Namen: Seb. Bad, Bertint, 
Brunner, Clementi, Haydn, Herbert, Hummel, Jadasſohn, Kuhlau, 
Löſchhorn, Markull, Carl Mayer, Mozart, Philipp, Reynald, 
Schnabel, Schols, Schubert, Schulhoff, Spindler, Weber u. U. beftens 
vertreten. Daß auch Namen zweiten, dritten Ranges 2c. zu finden 
find, thut bei einem Schulmwerle am Ende nichts zur Sache, wenn die 
an monımenen Stüde nur in den päbagogifchen Rahmen des Ganzen 
paſſen. | 

Die in ber erften Auflage vorhandenen Drud- ober vielmehr 
„Stich“-Fehler find in ber neuen Auflage ausgemerzt. 





518 Muſikaliſche Pädagogik. 


Daß ber Berfaffer mit dem ſchwächſten Finger der Hand, dem 
fünften beginnt, wird bei rigoriftifchen Muſikpädagogen einigen An⸗ 
ftoß erregen. — 

4. Mobert Wohlfahrt, op. 97: Klavierfhule für Kinder. Dresden, 

Arno. 3,0 M. 

Die pädagogifche Begabung, die dem Vater deö Autors, dem rühm- 
fichft befannten Muſikpädagogen Heinrih ®. eigen ift, fcheint auf feine 
beiden Söhne: Robert und Franz fortzuerben. Das umfichtig angelegte 
Werkchen tft wohl geeignet, der berühmten Kinderklavierſchule Heinrich 
W. (senior), die, wenn wir nicht irren, in einigen 20 Auflagen bei 
Härtel in Leipzig erfchienen ift — fie wird darin einzig und allein 
von dem in Süddeutſchland verbreiteten ähnlichen Werfen, von Hein» 
rich Reiſer (wenn uns unfer Gedächtniß nicht im Stiche läßt, iſt 
diefe muſikdidaktiſche Arbeit in mehreren breißig Auflagen gebrudt 
worden) übertroffen, Konkurrenz zu machen — nun es bleibt ja ber 
Ruhm und die Ehre in der Familie — und dürfte bald in der mufif- 
machenden Kinderwelt wohl accreditirt fein. 

Es beginnt die intereflante Novität mit einer Anweiſung zur 
richtigen Stellung der Hände und ?yinger, worauf fofort leichte ein- 
flimmige Stüdchen erjcheinen, denen ſich mehrftimmige anjchließen. 
Verſchiedene Hanbftellungen und Kleine Doppelgriffe folgen, und dann 
wird die Eintheilung und der Werth der Noten gelehrt. Darnach 
fommen die Paufen und Schweigezeichen, bie punktirten Noten Triolen, 
Synfopen, Bindung gleicher Noten, Auftakt, die Baßnoten, Oftaven- 
wechfel, Forte und Piano, mit fortrüdenden Händen, größere Spannung 
ber Hände, QTempobezeihnung (konnte vielleicht fchon etwas früher 
fommen), das Unter: und Ueberfegen, zufällige Berfegungszeichen, 
Obertaften, Tonleiter, C-moll, G-dur und E-moll, D-dur, F-dur, E-mol, 
die Verzierungen, die Dur- und Molltonleitern. 

Das Uebungsmaterial ift theild vom BVerfafler (ganz zweckmäßig 
fonftruirt), theild von Underen, und aus Volksliedern entlehnt. — 


5. Köhler, Lonis, 0p. 238: Theoretifh-praftifhe Klavierſchule für 
den Anfangsunterriht. Eine Anleitung, das Pianofortejptel nad 
einer leichtfagtichen Methode zu erlernen, nebit vielen 1lebungsftüden. 
Budapeft, Taborszky und Parſch, Leipzig. Hofmeifter. 4 Thlr. 

Bei der Beiprechung eines neuen Lehrmitteld aus der Hand eines 
ber gemwiegteiten und berühmteften Klaviermetbobifers fünnen wir uns 
ſehr Eurz fallen, indem wir nur bemerken, daß auch biefes neue Opus 
feinem Autor alle Ehre bringen wird. 

6. Wohlfahrt, Franz, op. 36: Kinder-Klavierfihule Leipzig, For⸗ 
berg. 1 Thlr. 

Der Autor dieſer neuen Schule eifert feinem Vater und feinem 
älteren Bruder wader nad. Sein Werk ift, was bie mufilalifde 
päbagogifche Behandlung bes Unterrichtsftoffed anbelangt, dem feines 
Bruders (f. Nr. 4 diefer Abtheilung) einigermaßen ähnlich. Die Brauch⸗ 
barkeit des Werkes wird kaum zu beftreiten fein. 














Muſikaliſche Pädagogik, 519 


7. Wohlfahrt, Heinrich, op. 91: Schule zum Selbfkunterriät im 
Klavierſpielen. Leichtiaßliche Anleitung für junge Leute zu balbiger 
und gründlicher Erlernung des Klavierſpielens ohne Zehrer. Leipzig, 
Breittopf und Härtel. 

Ein derartiger Unterricht wird freilich immer nur ein leibiger 
Nothbehelf fein, da es aber Autodibaften geben wird, fo lange bie 
Melt fteht, jo hat auch dieſes neue Blatt im Kranze ber mufilpädagogifchen 
Begabung feines wohlrenommirten Verfaſſers, feine volle Berechtigung. 
Wie derfelbe den bekannten Elementar-Unterrichtöftoff durchweg außer- 
ordentlich praftifch angefaßt bat, wird überall mit Wohlgefallen be- 
merkt werben. 

Freilich lobe ich mir, wenn e8 irgend fein fan, den lebendigen 
Lehrer! 

8 Eſchmann, Earl: a) op. 60: Für das erfte Klavierjahr. Mufila- 
iches Mebungsmaterial zu 2, 3 und 4 Händen für 
den Elementarunterricht junger Anfänger im Klavier⸗ 
fpiel. Caſſel, Luckhardt. 7,50 M. 

b) op. 61: Für das zweite Klavierjahr. Eben⸗ 
dafelbit, 7,50 M. 

Ein auögezeichneted Werk, Bas den beiten Unterrichtäftoff, ſorg⸗ 

fältig georbnet und bearbeitet, darbietet. 


Etüden. 


1. Köhler, Louis, op. 245: Zwölf melodifhe Etüden in progreffiver 
DiBE, ohne no Havenfyannungen für den AKlavierunterricht. Xeipzig, 
ahnt. 

Daß der Königsberger Großmeiſter der inſtruktiven Klavierkunſt 
einer der Berufenſten für den Unterricht im Pianoforteſpiel iſt, war 
wohl ſchon längſt feine Frage der Zeit mehr. Auch was er in vor⸗ 
liegendem Hefte, unermüdlich arbeitend, ſpendet, iſt ſehr ehren- und 
dankenswerth. Es iſt Silber-Scheidemünze in vollwichtiger Reichs⸗ 
währung; Bildendes und Anmuthiges iſt beſtens verſchmolzen. Die 
1. Etüde cultivirt Arpeggien und Figuratives für beide Hände ab- 
wechſelnd. In Nr. 2: „Grüß Gott, Schöne, junge Braut” hat nament- 
lich die Iinfe Hand Studienmaterial befommen. In Nr. 3 find beibe 
Hände mit laufenden Figuren bedacht. Nr. 4: „Schlummernd in 
lieblihen Träumen‘ find wieberum beiben Händen accordifche Paſſagen 
zugetheilt. In Nr. 5 ift ebenfalld beiden Händen bildende Ton 
material trefflidh übergeben. Nr. 6: „Mondnacht“ — berüdfichtigt 
namentlich da3 vordere Handgelent, wobei auch das Ueberſchlagen ber 
Hände zu traltiren if. Nr. 7 bietet eine fefjelnde Studie für präcifen 
und energiſchen Anſchlag. In Nr. 8 wird, beſonders im 2. Theil, 
der Triller cultivirt. Nr. 9 giebt ein ſehr anmuthiges Stüd für ge- 
bundenes und abgeftoßenes Spiel mit vielen dynamiſchen Nüancen. 
Der „Blumenftrauß” (Nr. 10) ift befonders für ben 4. und 5. Finger 
bildend. Nr. 11: „Kleine Blumen, kleine Blätter”, ift vorwiegend 
Trillerübungen gewidmet. Nr. 12: „Vöglein im Buſch“ iſt ein kleines, 
anmuthiges Charakterftüd für Leicht dahin fließenden Vortrag. — 


520 Mufikalifche Pädagogik. 


2. Reinsdorf, Otto, op. 11: Neuer Gradus ad parnassum. Eine 
Etüdenjhule für Pianoforte. Welmar, Kühn. 2. Heft 7'/a Ser. 
Schade, daß das brauchbare Werkchen fo langſam fortjchreitet. 

Der Bildungsftoff ift anſprechend. Den vollgriffigen Feſtmarſch über 
„Schleswig-Holſtein“ 2. (Nr. 11) werben Kleine Hände ſchwerlich be= 
mwältigen Tönnen. 

3. Efhmann, I. €., op. 16: Zwölf Studien zur Beförderung bes 
Ausdrudd und der Nũancirung im Blanofortefpiel. Neue, verbeftlerte 
Auflage. Het I—3, 25 Sgr., 1 Thlr. 5 Sgr. (Heft 2 und 8 Gaflel. 
Luckhardt. 

Für das höhere Klavierſpiel ſind dieſe ſchönen Studien 
außerordentlich zu empfehlen. Für den Geſammtwerth des vorliegen⸗ 
den Studienwerkes ſpricht auch ganz beſonders der Umſtand, daß Dr. 
Franz Lißt die Widmung dieſes vielſeitigen Werkes gern entgegen 
genommen hat. 

4. Huber, Band, op. 9: Zehn große Etüden zum Borſtudium der 
modernen Klavlerliteratur. Heft 1und 28420 M. Leipzig, Ernſt 
Eulenburg. 

Techniſch wie muſikaliſch find dieſe Exercitien gleich werthvoll. 
Daß der begabte Componiſt den nöthigen Fingerſatz — er ſteht ja 
noch nicht vollendeten Künſtlern gegenüber — nicht beigefügt hat, 
erregt einiges Befremden. 

5. Döring, Carl Heinrich, op. 33: Jwanzig Etüdenin fortſchreiten— 
der Folge zur Erwerbung eines vollen und runden Trillero. 

1. Heft, Nr. 17, 1,25 M., 
2. Heft, Nr. 8—14, 2,25 M., 
3. Heft, Ar. 15—20, 3,0 M., 

Leipzig, Eufenburg. 

Für die näher bezeichnete wichtige Spezialität wird unter den 
neuern Studienwerten kaum etwas Befjeres zu finden fein. Der 
Berf. darf mit Recht zu den beiten Praktikern feines Faches zugerechnet 
werden. Syn rein mufilalifcher Hinficht wird, neben der fpecififchen, 
techniſchen Bildung, durchaus nicht leere Stroh gedrofchen. 


6. Köhler, L., op. 266: 50 leichtere inſtruktive Etüden für Piano- 
forteüberbeltebte Rational-und Volksmelodien mitStudten- 
Anleitung. Zur Gewinnung moderner Tehnil, aber au 
befonder8 zum Borfpielen ſich eignend. 5 Hefte à 2 Marf. 
Reipzig, Schubertb & Comp. 

Ein wirklich glüdlicher Griff des Königsberger Altmeifterd auf 
dem Gebiete des methodiſchen Klapierunterrichts! Das klingt und fingt 
Alles fo allerliebft und doch ift das technifche Element fo überaus ges 
Shit angebracht, wie das eben nur ein vielerfahrener und erprobter 
Methodiker zu Wege bringt. Wie willlommen dies mohlgelungene Lehre 
wert den Interefienten gewefen ift, mag ber Umstand bemweifen!, daß 
binnen Jahresfriſt von dieſer Arbeit eine neue Auflage nöthig wurde. 

Es fei bier zugleich bemerft, daß obiges Wert ald Vorbereitung 
zu op. 155 besfelben Componiften, 12 größere Lieberftubien enthaltend, 


anzuſehen ift. 











Muſikaliſche Pädagogik. 521 


7. Blade, Oswald: Das polyphone Klavierſpiel als Vorbereitung 
auf das Orgelſpiel. Eine Sammlung von 50 Etüden und polyphonen 
Tonſtücken —— Meiſter zum Gebrauch in Lehrer⸗Seminaren und Muſik⸗ 
ſchulen, zuſammengeſtellt und mit Fingerſatz verſehen. Heft 1 (1 Xhir.) 
und 2 (1 Thlr.). Dresden, Hoffarth. 

Da ber Klavierunterrict in Lehrer Seminaren vorzüglich dem 
Zwecke dienen fol, das Drgelfpiel zu begründen und zu unterftügen, 
jo ift er nach biefer Seite hin befonderd auf Tonftüde in polyphonem 
Style Hingewiefen. Der rechte Vortrag folcher jet aber in technifcher 
Hinſicht die vollftändige Unabhängigkeit der Hände und aller einzelnen 
Singer und aljo die Ueberwindung der elementaren Technik voraus. 
Es ift der Zweck diefer Etüben-Sammlung, folde Unabhängigfeit der 
Hände und Finger nach allen Seiten bin erreichen zu helfen; die ein= 
geftreuten polyphonen Tonſtücke follen nad gejchehenem Stubium ber 
Etüden zum Prüfftein dienen, ob dieſe ihren Zmed erfüllt haben. In 
dem eben Auögefprochenen ift zugleich ber rechte Zeitpunkt für eine 
gebeihliche Inangriffnahme der Sammlung bezeichnet. Wenn einzelne 
der Studien noch in das elementare Gebiet zurüdgreifen, jo geſchah 
ihre Aufnahme um folder Zöglinge willen, die gemwifle Seiten der 
technischen Ausbildung immer von neuem zu "fördern haben. Daß 
neben diefenStudien die Beichäftigung mit Klaviermuſik anderer Gattungen 
Hand in Hand gehen müſſe, ift in dem meiteren Zivede des Klapier- 
unterrichted in Lehrer-Seminaren, dem der allgemeinen Mufikbilbung, 
ausgefprochen. Die betreffenden Studien find namentlich den beften 
Meistern der Vergangenheit entlehnt. Der Herausgeber hat einiges 
ganz Braudbare geliefert. 

8 Molfuß, B., op. 12: Sechs melodidfe Etüden mittlerer 
Schwierigfeit für das Pianoforte. Dresden, Hoffarth. 20 Ser. 
Ohne gerade unbedingt Neues zu bringen, behandeln viele Erercitien 

den Triller, de3 Tremolo, das Weberfehen des Daumen für die rechte 

und linfe Hand, gebundene Tonleitern und das lockere Handgelenf, in 
ſehr zwedmäßiger Weife. Fingerſatz und genaue Vortragsbezeichnungen 
find beigegeben. | 

9. Merkel, Guſtav: Zehn leichte kurze Etüden für Pianoforte. Dresden, 
Hoffarth. 10 Ser. 

Die bildenden Fingerftubien des Dresdener Orgelmeifterd find im 
zweiten Stabium des Klavierjpield mit Erfolg zu verwerthen. 

10. Ritter, 8. A.: Uebungsftüde in fortfhhreitender Schwierig» 
Leit, Etüde und Zoccate für Pianoforte. Krankfurt, Henkel. Heft 1, 
1,25 M., Heft 2 1,75 M 
Nah Inhalt und Form find diefe Stubien gar nicht uneben; es 

wäre aber durch Beifügung der Applicatur die Brauchbarteit derfelben 

erhöht morben. 


b) Neue Ausgaben mufil. Klaſſiker. 


1. Sering, F. op. 84: Klaffifhe BPlanoforte»-Eompofitionen. Heft 
1—5. Magdeburg, Heinrichshofen. 


522 Mufifalifche Pädagogik. 


Diefer ſchätzbaren Arbeit ift bereitd im vorigen Bande unferes 
Jahresberichtes anerkennend gebacht worden. 


2. Dr. Fubiwig Start: Klaffifher Hausfhap werthvoller und 
feltener Kammermuſitſähe in neuern Uebertragungen für 
Bianoforte zu 2 und 4 Händen. Ein Supplement zu jeder Klaſſikeraus⸗ 
gabe bearbeitet und revibirt. 


Het 7: ändel, Orgelconcert, Nr. 4, F⸗dur. 20 Sgr. 
„ 8: aydn, Phantafle und Menuett aus op. 78,Rr.6, 14. Sgr. 
„ 9: Aubert, Antante und Scerzo aus dem Gedur⸗ 
Quartett, op. 161, 24 Gar. 
„ 10: #&) Haydn, Andante aus op. 77, Rr. 2, und 
b) ozart, 1. Menuett aus der E6-dursSerenade, 14 Ser. 
„ 11: a) Haydn, Menuett und Adagio auß op. 17, Nr. 1, und 
b) Mozart, 2. Menuett aus der Eösdur-Serenade,14 Sgr. 
„ 12: Seb. Bach, Paffacaglia für Orgel, 24 Gar. 


Leipzig, Forberg. 


Ganz vortrefflide Saden, die immer Werth behalten werben. 
Bon bejonderem Intereſſe find bie bortrefflicden Bearbeitungen bes 
Hänbelichen Drgelconcertes und ber titanifchen Paflacaglia von Seb. 
Bad. Die Gewinnung dieſes Prachtſtückes*) für das Klavier ift fehr 
verbienftlid. Daß dieſes Werk fchon tüchtig vorgefchrittene Spieler 
verlangt, wollen wir befonberö bemerken. Für inftruftive Zwecke iſt 
Ir beigefügte Fingerſatz, der inbeß nicht überlaben ift, von befonderem 

elang. ‘ 


3. Kranz Kroll's Bibliothek älterer und neuerer Klavier⸗Muſik. 
Heft 36: Kar Schubert, Sonate Asdur, op. 120, 121/s Ser. 

’ : Beethoven, Barlationen in C'⸗moll, 12'/, Ser. 

„ 42: @dubert, op. 122, Sonate in Esdur, 20 Sgr. 

„ 43: Handel, Klavierfuite in Fiomoll, 7°, Ser. 

„44: Beethoven, Sonate in B-dur, op. 22, 20 Ser. 
„ 45: C. M. v. Weber, op. 70, Sonate in &-moll, 17%), Ser. 

„ 46: Beethoven, Sonate paftorale (op. 28), 15 Sgr. 

Berlin und Dresden, Ad. Fürſtner. 

Diefe Edition ift nicht nur eine der correkteſten, fondern auch eine 
für den Unterriht am brauchbarſten. Da ift nicht nur jeder Taft 
fritifch erwogen, fondern aud von unterrichtlicher Weile (Applicatur, 
Vortragsbezeichnungen 2c.) vielfeitigft beleuchtet. 


4. Felix Mendelöfohn-Bartholdy’8 Werke für Pianoforte allein. 
1.—3. Band, Pradtausgabe. veivälg, Härtel. 

Der 1. Band diefer wunderfhönen Geſammtausgabe enthält folgende 
Opera: Capriccio, op. 5, Sonate op. 6, 7 Wbaratterlüde, op. 7, Rondo 
eapriccioso op. 14, Pbantafie, op. 15, 3 Phantaflen oder Capricen op. 
16, Phantafle op. 28, Andante cantabile und Presto agitato, Etũde und 
Scherzo, Bondellied, Scherzo und Capriccioſo. 

Der 2. Band bringt: 3 Capricen, op. 33, 6 Prälubien und Fugen 
(capitaled Wert, namentlich die erfle Fuge!), 17 Barlationen serieuses, 
op. 54, 6 Sinderflüde op. 72, Variationen op. 82, Bariationen op. 83. 

*) Der befähigte Bearbeiter diefes eminenten Werkes thematiſcher Kunſt ift 
e. Bögeli; die von ihm vorgeichlagenen Klavierverfionen zeigen von tüchtigem 
tubium. 











Muftkalifche Pädagogik. 523 


Der 3. Band: 3 Präfudien und 3 Etüden, op. 104, Sonate 105, 
Sonate op. 106, Albumblatt op. 117, Kapriccio op. 118, Perpetuum 
mobile 119, Bräludium und Fuge, 2 Klavieritüe, 

Ueber dieſe formvollendeten geiftuollen Sachen noch kritifiren zu 
wollen, hieße Eulen nach Athen tragen, da die Kritik dieſe Arbeiten 
längſt zu den neuclaſſiſchen Werken rechnet. 

5. Johannes Brahmd: Pianofortewerke zu 2 Händen: Sonate 

n &sdur, op. 1, Sonate Fis⸗moll, op. 2, Scherzo Gdsmoll, op. 4, 
Bariatlonen über ein Thema bon Schumann, Balladen, Barias 
tionen und Fuge über ein Thema von Händel, op. 24. Leipzig, Breit⸗ 
kopf und Härtel, 9,0 M. n. Prachtausgabe. 

Auch für diefe Gefammtausgabe eine der bedeutenpiten Neu- 
claififer, wohl der bebeutendfte Träger der Schumannſchen Schule, muß 
man der Verlagshandlung dankbar fein. E3 finden fich bier herrliche 
Schätze, voll tiefer und origineller Gedanken, die freilih nur dem Ge- 
weiheten fih in ihrer ganzen Schönheit erfhließen. Faſt alle Ton- 
bichtungen biejes tieffinnigen Meifterd der Neuzeit ftellen bezüglich der 
Auffaffung und Technik ſehr hohe Anforderungen. 

6. 53 Cadenzen zu Pianoforte-Eonzerten von Bach, Mozart, 
Beethoven und Weber componirt von Beethoven, Mozart, Hummel, 
Jadasſohn und Neinede. Leipzig, Breitfopf und Härtel, 

Unter dieſer anfehnliden Sammlung finden fih wirklich kleine 
. Meifterftüde vol brillanter Klaviertechnik, geiftvoller Einfälle und 
tbematifcher Kunft. 


c) Leichtere inſtruktive Unterhaltungs-und Salonftüde. 


1. Handrock, uns 86: Frählings⸗Sonatine für Bianoforte. 
—— Kahnt. 13 


Muſikaliſch ehaltvoll ſehr anfprechend und dabei ächt inftruftiv. 


2 Walther von Nofen, op. 11: Neues goldenes Melodienbud. 
Eine Sammlung beliebter Volkolieder und Dpernmelodien für das 
—ã mit Fingerſatz verſehen. Heft I und II & 15 Sgr. Caſſel, 
udharbt 
Haus: und zugleich Sonntagskoſt; dergleichen wird ftetö gern an- 
genommen, namentlid, wenn es ſchmackhaft zubereitet wurde, wie hier. 


3. D. Krug, op. 196: Rofenfnospen. Leichtere Tonftüde über beliebte 
Thema’s ohne Ditavenfpannungen und mit Singerjapßegei nung für das 
Bianoforte, Leipzig, Forberg. Heft 103—110 & 10 Ser. 


Ernſtes und Heiteres, Neues und Altes, Slaffifches und Modernes 

im leichteften, kunſtloſen Mlavierfae. 

4. Bold, Oskar, op. 39: Zwanzig infiruftive Kinderftüde für 
Planoforte. Zur Bildung des Vortrages für Anfänger mit genauer Ans 
gabe des Fingerfapes fowie Dermeibung von Dftavenfpannungen. Heft 

1 und 2, 1,20, 1,50. Leipzig, E. Eulenburg. 
"any i im kindlichen Geifte gedacht, dabei voll poetifcher Sntentionen 

& la Schumann; für Talentvollere! 


2 


5. Dr. W. Volckmar: 13 leichte Sonatinen für das Piano. Langen⸗ 
ſalza, Greßler. 





524 Muſikaliſche Pädagogif. 


In klaſſiſcher Form wird bier gefunde Muſik geboten. Bei einer 
—* Auflage bitten wir mehr inſtruktiv zu ſein, d. h. den Finger⸗ 


ſatz nachzutragen. 


d) Inſtruktives und Unterhaltendes von mittlerer 
Schwierigkeit. 
1. Earl Heinrich Döring, op. 34: Zwei inſtruktive Sonaten für Piano: 
forte. Nr. 1— CE⸗dur. 2,20; Nr, 2— Amoll; 2,40. Leipzig, Eufenburg. 
Bei etwas vorgefchrittenern Schülern gut zu verwertben; bie 
lebensvollen Sachen find gewiß aus ber Praxis hervorgegangen. 


2. Bund, wertbunler Tonftüde für den Unterricht im Pianofortefptel. 
— 1: Buffet, op. 62: La Consolation, Andante in B, 12 Sgr. Leipzig, 


8. — Paul, op. 15: Zwei Idyllen, 1) Glocklein im Thale, 2) Am 
ſprudelnden Duell, für Planoforte, Leipzig, Kahnt. 


Zwei freundliche, anfprechende und unterhaltende Stüde. 

4. Hennes, Al., op. 265: Rofige Stunden, Mazurka, Ländler, Walzer 
und Galopp componirt für feine Tochter Therefe. Berlin, Selbfiverlag des 
Gomponiften, Leipzig, Händel. Nr. 1-4 = 5,0 M. 

Muſikaliſcher Biscuit, wenn auch feine „Bisque!“ Anmutbig zu 
fpielen und — zu hören. Als Borfpielftüd zu empfehlen. 

5. — op. 263: Bismarck Hoch! Zubelmarfh für das Pianoforte, 
Berlin, ebendaf. 

Sn demjelben freundlichen Genre gehalten, klingend und fingend. 


6. Liebe, Louis: Bier Duette von R. Schumann für Sopran und Tenor 
(op. 78) für Pianoforte allein übertragen. Nr. 1: Tanzlied, 
| Nr. 2: Er und fie, 
Nr. 3: Sch denke dein, 
Rr. 4: Wiegenlied. 
Caſſel, Luckhardt, 3,0 M. 


Diserete und doch dankbare Uebertragungen fehr werthuoller Stücke. 


7. Seemann, O. R.: DouzeFeuillets d’Album. Pieces musicales 
pour piano seul. Leipzig, chez Kahnt. 4 M. 

Daß man fich in Deutfchland noch immer nicht gewöhnen Tann, 
die franzöſiſchen Weberjchriften auf den im Reich” erfcheinenden 
Mufifftüden zu verbannen, namentlid wenn bie Muſik von beutjchen 
Meiftern (wie bier S Humann in Betracht kommt) angeregt wurde. 
Die mit frembländiihen Etiketten verjehbenen Heinen Muſikſtücke: 
Sönge, Rayon du Soleil ete. find übrigen® ganz annehmbar, weil eine 
poetifche Idee „durch ſcheint.“ 

8. Wohlfahrt, Heinrih,op. 92: Reminifcenzen ausllaffifgen Opern 
für Planoforte. Nr. 16 & 1,50 M. Leipzig, Kahnt. 

Solde Bühnenerinnerungen kann man ſich fchon gefallen lafſen! 
Man hört die beliebteften Weifen aus Don Yuan, Freiſchütz, weiße 
Frau, Euryanthe, Zauberflöte, Ivhigenie — in bandlichem Klavierſatz. 


9. Piutti, Earl, op. 8: Drei Klapvieritüde Leipzig, Kabnt, 3,0 M. 





Muſikaliſche Pädagogik. 525 


Start don Schumanns Schule beeinflußte poetifche und muſikaliſch 
feine Tonftüde eines vielverfprechenden jungen Componiſten in Leipzig. 
Der Klavierſatz iſt bisweilen „Inaupliger” Natur. 

10. Raff, Joachim, op. 115: Deux Morceau —s pour Piano. 
Leipzig, Forberg. 20 Sgr. 

Feine lyriſche Salonmuſik, ohne virtuoſen Apparat, namentlich 
iſt Nr. 2 nicht ohne Wirkung. Für den Unterricht wegen des ſchönen 
—— und wegen der beigefügten Applicatur verwendbar. 


u re „Jul., op. 84: Marche brillante pour Piano. Leipzig, Kahnt. 


Obwohl der ſymphoniſch angelegte brillante Marſch gar nichts 
„Franzöſelndes“ hat, hat man doch ein franzöſiſches Aushängeſchild 
geborgt. „Wozu der Lärm“?! So etwas braucht man wohl, um zu 
Ioden, heut zu Tage im neuerftandenen beutjchen Reich nicht mehr zu 
thun! 

12. Huber, Hans, 10: Skizzen. Reue Klavlerſtücke für das Piano⸗ 
rn Eutenburg. 2A0.MR. Rüde für das Piano 

Lebhaft an Schumann erinnernd, find dieſe Heinen Tonbilber 
lebens⸗ und flimmungsvoll. 

13. Meinddorf, Otto, op. 41: Lanbleben. Bier Charakterſtücke für 

Pianoforte: 

Nr. 1: Thalmühle, 12), Sgr., 
„ 2: Auf dem Baifer, 12!j2 Sgr., 
„ 3: Einfame Biefe, 7%, Sur. 


„ 4: Abends, T!/a Ser. 

Caſſel, Luckhardt. 

Gelungene Stimmungsbilder, von denen namentlich die erſte 
Nummer ein nettes Vorſpielſtück werden dürfte. Die in Nr. 2 auf 
©. 5 auftretende Begleitungsfigur in Doppelgriffen wird wohl einige 
AUnftrengung verurfachen. 

14. Bogel Rn op. 13: Eapricceio für Bianoforte Caſſel, Luds 

ardt ‚0 

Etwas an bie füblihe Saltarelloform erinnernd, giebt das nicht 
ſchwierige Stüd ein hübſches Unterhaltunggmotiv. 

15. Krug, D., op. — N { A ruffifche Lieder für Planoforte, 
2) ruſſiſches Sigeunerlied, 
3) Buladoff, Wieg enlied, 
— 33 Sagt’s Ihe, 
R BWarlamoff, der Engel. 
6) Alabieff, der Soffnungaftraßi. 


Brillante, wirkungsvolle Salonmuſik, eingetaudht in elegifches 
ruffifches Parfüm. 
16. Scharwenka, op. 17: Smpromtu für das Pianoforte. Leipzig, Breit 
kopf und Härtel. 15 Sgr. 


Ein ftimmungsvolles Genrebildchen. 


17. Riemann, Hugo, op. 12: Humoresfe (E-mol) Prälubium und Zuge 
mol) für das lanoforte Leipzig, Breitkopf und Härtel. 


526 Mufifalifche Pädagogik. 


Das erfte Etüd entiproß aus leidenſchaftlichem, doch nicht „Galgen= 
humor.” Das zweite enthält ernfte Gebdanlenarbeit. 
18. Förfter, Alban op. 11: Drei Albumblätter, 1,50 M. Caſſel, Luckhardt. 
— op. 10: b) Zwei Iyrifhe Tonftüde, 1,25 M., An. bendaf. 
— op. 7: ce) 6 kleine Zonbilder, ebendaf. 1!) 
— op. 271: d) — Stüde in AH HE 14 Sgr. Leipzig. 
orberg, 
— op. 26: e) Am Springquell. Klavierſtück 14 Ser. 


Nach Beſſerem ftrebend und Anftändiges bringend. Die Tanz⸗ 
biuetten athmen zwar nicht das beraufchende, ariftofratifch-poetifche 
Salonparfüm eines Chopin, aber fie halten ſich auch von Bannlität 
und Trivialität fern. Op. 26 giebt eine Elangbolle, nichts weniger als 
langweilige Etübe. 

19. Kogel Guſt. op. 7: Phantaſieſtücke für das Blanoforte. Caſſel, 

Luckhardt. 1 Tbir 

Poetifche Stimmungsmufil, von Schumanns feflelnder Romantik 
zofig angehaudht. 

20. Bold, Obkar, op. 38: Sechs Stimmungtbilder für Pianofortc. 

Leipaig, Forberg. 2,0 

Auch aus ber Leipziger Schule hervorgegangen, haben biefe Sachen 
eine gewiſſe Yamilienähnlichkeit, wie Alles, mas das Epigonenthum ber 
Menanpon— Schumannſchen Schule an der Stirn trägt. 

. Buchner, Emil, op. 27: 5 Charakterſtücke für das Pianoforte. Leipzig. 

Kahnt, 3 Mar. 

Sich in berjelben Richtung bewegend, nur gereifter und felbft- 
ftändiger. Auf diefe Novität find finnigen Muſikern gegenüber befonbers 
aufmerkſam zu machen. 

2%. Rentſch, Ernſt, op. 11: Fünf Charakterſtücke, Leipzig, Kahnt. SM. 

Auch bier derſelbe Ausgangspunkt wie bei den vorgenannten 
Stüden, doch ſich ſchon mehr von Vorbildern emancipirend. 

23. Keiterf, Best. op. 30: Herbfiblätter. 6 Alavierſtücke. Leipzig. 

Kahnt. 1,50 M 

Sich ſchon mehr der neuern Muſikrichtung nähernd, aber ohne 
Ertravacanzen, im Entwickelungs⸗ reſp. Abklärungsſtadium begriffen. 
24. D. Krug, op. 321: An der Elbe Strand. Romantiſches Tonbild 

für Pianoforte. 15 Sgr. Leipzig, Forberg. 

25. Ritter, K. A.: An den Ufern des Rheins. Lied ohne Worte für Piano⸗ 
forte, Bremen, Präger und Meier. 15 Sgr 
26. Gieſe, Theodor, op. 201: Baldliedchen. Tonſtück für Pianoforte. 


Kr, orberg. 
27. auſchi ‘C. op. 55: Der Traum der Nachtigall. Leipzig, For⸗ 


era. 2 Sır. 
28. Stiebl — Valseimprom tu pour Piano. gelngig,forberg. .148gr. 
29. Caudella, Evdouard, op. 12: Fr. -Mazourka Salon pour 


Piano. Leipzig, Kahn. 1,6 M. 
30. Sehmann, op. 18: Drei — für Pianoforte. Caſſel, Luckhardt. 


Sar 
31. —AS Carl, op 2 Divertiffements über Motive ans 
Mozarts, Don yuan. ale, Luckhardt, Ar. 1 und 2, & 25 > Ger. 











Mufifalifche Pädagogik. 527 


32. Heymann, Earl, op. 5, Nr. 1: Im Krühling, 10 Ngr. Caffel, 
uckhardt. 
33. Freudenberg, Wilh., op. 13: 2 Nocturnes für Pianoforte. Caſſel, 
Luckhardt. ‚1212 Ser. 
34. Hauſchild, op. 50: Schneeflocken, dharakteriftifches Tonbild für Piano⸗ 
orte. Leipzig, Forberg. 15 Sgr. 
85. — op. 52: Aus der Bergangenheit. Brillant⸗Walzer. Leipzig, 
orberg. 15 Ser. 
36. Semnader, W., a) op. 11: Un jour de printemps, Romanze 
paroles, Leipzig, Yorberg. 12 Ser. 
— b) op. 12: Po&me d’amour. Nocturne pour Piano. Leipzig, 
Korberg. 16 Ser. 
‚ Dem feinern Salongenre_ gehören die Nummern von Leßmann, 
Ritter, Sreubenberg, Stiehl und Semnader an. Die 
andern werben in Dilettantenfreifen willlommen fein. — 


e) Schwierigere Klavierwerke. 


1. Lißt, Franz: Pilgerhor aus Rihard Wagners Tannhäufer. 
Baraphrafe für Piano. Leipzig, Siegel. 20 Ser. 
Eine außerordentlich wirkungsvolle Verarbeitung des berühmten 
Männerchorz. 
2. — —: Tſcherkeſſen⸗Marſch für_Planoforte. 2. revidirte und 
veränderteAusgabe vom Componiften. Leipzig, Schuberth und Comp. 
Ein fehr wirkungsvolles, wildes und phantaftifches Driginalwerf, 
das Geift und Feuer in erfter Linie, und moderne Technik aus dem 
ff in zweiter Linie fordert. 
3. — — Sonnambula. Große Eonzertphantafie für das Piano⸗ 
forte. Zweite veränderte Auegabe. Leipzig, Schubertb und Comp. 
Die einichmeichelnde Melodien bes frühvollendeten elegifchen Mazftro 
Bellini find bier nit nur in geift-, fondern aud in glangvollfter 
Weiſe bearbeitet und gefaßt worden. Das allda auftretende wirkungs⸗ 
volle Pafjagenwert, — feinfte Garnitur und Arabesken mit genialer 
Hand gearbeitet, — umfäumend die befannten Motive — zeigt den 
imponirenden Apparat ber neuern Klaviertechnil in hohem Grade. — 
4. Saran, op. 5: Phantafte in Form einer Sonate für das Piano⸗ 
forte. Leipzig, Leudart (Sander). 2 Thlr. 
Wohl das befte Sonatenwerk, welches in vorigem Jahre das Licht . 
der Welt erblidt hat. Der bier wehende Geift und die gemandte Form 
zeigen bon ungewöhnlicher Begabung. — 


f) Bier: und mehrhändiges Klavierfpiel. 


1. Walther von Rofen, op. 13: Anthologie von VBolfsfiedern, 
Dpernmelodien zc. für das Bianoforte zu 4 Heften, Heft 1—4 & 1,50 
M. Caſſel, Ludhardt. 

Dei etwas vorgelchritteneren Schülern ganz am Plate. 
2. Weyer, Viktor, op. 12: Sammlung beliebter Lieder zu 4 Heften: 
Nr. 1: Becker — Billlommen, 8 Egr. 


528 Mufilalifche Pädagogik. 


Nr 3: Neumann — Lied, 8 Sar. 
Nr. 4: Abt — Morgengrup, 8 Sur. 
Leipzig, Forberg. 
Schon auf der Unterſtufe zu verwenden. Applicatur vorhanden. 


3. Wohlfahrt, Franz, op. 34: Kinderfreuden. Leichte Melodien für 
Dianoforte zu 4 Händen zum Gebraude beim Unterrichte. Heft 4—6 & 
10 Spur. Leipzig, Korberg. 

Belannte und beliebte Vollöweifen, wie die Wacht am Rhein, 
Ich bin ein Preuße, Lieder von Schubert ꝛc. inftruftio für bie bor- 
geichrittenere Unterftufe bearbeitet. 

4. Schaab, Robert: Drei Sonatinen für Pianoforte von Fr. Kublau, 
op. 59, zu 4 Händen eingerichtet und zu inftruftivem Gebraude mit 
Kingerfaß verfehen. Nr. 1 — Adur — 20 Sgr., Rr. 2 — dur — 
28 Sgr., Nr. 3. — C-odur — 25 Nor. Leipzig, Forberg. 

Diefe nett arrangirten, anerlannt guten Piecen laſſen fih auf 
der Mittelftufe bei fchon weiter bvorgefchrittenen Schülern (im 2. und 
3. Klavierjahr) mit Nutzen verwerthen. 

5. Krug, Arnold, op. 4: Künf Impromptus in Balzerform für 
das lanoforte, gu 4 Händen, Preiscompofttion, 2. Aufl, Leipzig, 
Korberg. 2,0 M. 

Meit obliegend von dem gewöhnlichen Tanggeflingel: feine, faubere 
und poetifche Salonmufil. 

6. Heller, Stephen, op. 14: Sechs Capricen über Tänze von Joh. Strau 
vi —— 4 a on Mob. Schaab. —S Pi 
1—3 . 

Die lebensfriſchen Tanzweifen bes alten Wiener Walzerkönigs 
baben in Heller einen geiftvollen, gemütblichen Bearbeiter gefunden. 
Das vierh. Arrangement ift ganz dankbar; namentlich empfehlen wir 
Pr. 2 (Illuſtration des Gabrielenwalzer) ala ganz reizenbes Vorfpielftüd. 


7. Rothe, Aloy8, p- 4: Morceau caractäristique pour le Piano 
& 4 mains. 15 Sgr. Leobſchütz, Kothe. 

Ein im modernen Klavierftyle gefchriebenes wirkungsvolle Stüd 
bon mäßiger Schwierigkeit (die Iinfe Hand hat befonders viel Paflagen). 

8. Vogel. Bernp., op. 1: Acht Variationen über ein Driginalthema für 
das PBianoforte zu 4 Händen. Leipzig, Kahnt. 2,0 M. 

Ein Erftlingswerl, da8 man kaum befjer erwarten Tann! Die 
Haltung bes werthvollen Driginaltverles ift eine nobele und vornehme. 
Die Variationen zeigen eine nicht ungewöhnliche Geſtaltungskraft. Die 
Ausführung ift nur mäßig ſchwer. 

9. Vogel, Morig, op. 22: Banderbilder. Sechs Charakterſtücke 
für das PBianoforte zu 4 Händen componirt und zunächſt zum Gebraude 
beim Unterrichte beftimmt. Leipzig, Eulenburg, Heft 1— 2,10. Heft 2— 1,80.M. 

„Aufbruh am Morgen, Zwiegeſpräch, Intermezzo, Raft im Walde, 
ländlicher Reigen, glüdlich am Biel” heißen bie Weberjchriften der Heinen, 
leichten und netten Charakterftüde, die wir hiermit beftens empfohlen 
haben tollen. 








Muſikaliſche Pädagogik. 529 


10. Kogel, Gufl. F., op. 3: 1870. 4 Eharakterffüde in Marfhform 
vierhändig. Caſſel, Luckhardt, Heft 1—4, & 1,15 M.? - 

Werthvolle markige Nachklänge aus dem großen Auferftehungs- 
friege. Nr. 1, 2 und 4 find raufchender, Nr. 3 mehr elegifcher Natur. 
Styl — Mendelsſohn-Schumanniſch⸗-Reineckiſch. 

11. Neinede, Earl, op. 130: Zwölf Studien in canonifher Weiſe 
für Ptanoforte zu 4 Händen. Heft 1 und 2 & 2,40 M. Leipzig, Eulenburg, 

Bon der Anficht ausgehend, daß bei dem jugendlichen Spieler 
nicht zeitig genug Sinn und Verſtändniß für die Polyphonie geweckt 
werden könne, unternahm es der Autor, eine Reihe von Heinen Studien 
zu fchreiben, in welchen dieſe zunädft in einfachfter und leichtfaßlichfter 
Weiſe auftritt; gleichzeitig aber follen die Studien auch bem Lernenden 
Gelegenheit geben, ſich in verhältnigmäßig jchwierigen Rhythmen und 
im ſichern Enjemble-Spiel zu üben. 

Wenn das während der Arbeit machfende Intereſſe an contra= 
punkttifhen Kombinationen den Componiften verlodte, auch einige 
eomplicirtere Canons, wie in der Gegenbewegung, in ber Vergrößerung 
und Berlleinerung, jowie das gleichzeitige Zufammenfügen verſchiedener 
Taltarten, ja ſelbſt die Spielerei eines Krebskanons einzuftreuen, fo 
bat er ſich nicht nur den Dank ber intelligenteren, tiefer ftrebenden 
Muſikſchüler, fondern auch den Dank aller mufifaliihen Gourmands, 
die namentlich dergleichen contrapunftifche Kunſtſtückchen lieben, erworben, 
denn die bier gegebenen Stüde find nicht bloße mufitalifche Rechenexempel, 
fondern bringen wirklich gute Muſik. 

12. Franz Lißt's ungarifhe Rhapſodien für das Planoforte zu 
A Händen bearbeitetvom Eomponiften. Leipzig, Schubertb, Nr. 1 

in Dsmoll. 3,50 M. 

Ein großartiges, höchſt wirkungsvolle Tongemälde aus dem Volf3- 
leben der Zigeuner entlehnt und mit genialer Hand zu einem zündenden 
Tonftüde zunädft fürs Pianoforte, fodann für große Orcheiter, und 
zulegt vierhändig verarbeitet. Die in des Meifterö berühmten Buche 
über die Mufil der Zigeuner geſchilderten Eigenfchaften jenes räthfel- 
haften Volles, ala: Melancholie, Trotz, Stolz und Leidenfchaft treten 
uns bier überrafchend im vollfaftigften Klavierftyle entgegen. Die Aus 
führung macht natürlich ziemlich viel zu jchaffen. — 

13. Franz Lißt: Phantaſie und Zuge über das Thema B—a——h. Für 

2 PBianoforte von Earl Thern, 4,50 M. Leipzig, Kahnt. 

Nicht nur eines der großartigften Meifterftüde für bie moderne 
Bebandlung zweier PBianoforte, ſondern auch ein höchſt bedeutendes 
Document thematifcher Umbildungs- und Geftaltungsfraft. Die Bes 
arbeitung des Herrn Prof. Thern ift mit Hilfe des Componiften wohl» 
gelungen. Die Ausführung ift ſehr ſchwierig. 

14. Seb. Bad: Klavierconcert, E:dur, mit Begleitung von 2 Biolinen, 
Viola und Continuo für zwei Pianoforte zu 4 Händen eingerichtet von 

G. Krug, Leipzig, Breitlorf und Härtel. 4,50 M. 

Freilich wieder eine ganz andere Mufit! Im vorgenannten Stüd 
der moderne Klavierftyl auf der Höhe der gegenwärtigen Entwidelung, 

Bäb. Jahresbericht. XXVI. 34 


530 Mufikalifche Pädagogik, 


bier ber ftrenge, alte gebunbene, polyphone Klavierſtyl einer vergangenen 
Zeit. Beide Werke zeugen von Trafiftrogender Fülle. Bei ber Exe⸗ 
cution braucht man nur mäßige Technik ins Teuer zu führen. 


g. Kür Violine, Pianoforte und andere Inftrumente. 


1. Mendelsſohne Werte Kritiſch durchgefehene Ausgabe von Julius 
Nie. Mit Genehmigung der Orlginalverleger. 
1. großes Trio für Pianoforte, Violine und Violoncello, 
op. 49 in D-mofl. Preis: 4,80 M. 
2 „ „ op. 66 in C-moll. Preis: 5,10 M. 
Leipzig, Breitkopf u. Sättel. 


Zwei anerlannte Meifteriverle hohen Ranges. 


2. Eonftantin zu Sternberg: Sentiment poetique über Rob. Schu⸗ 
manns Meine Studie aus op. 68, für Vtoline, Pianoforte und Harmonium. 
Lerpzig, Schuberth u. Comp. Preis: 2,0 M. 

Ein an Gounods befannte Mebitation über ein Bach'ſches Prälus 
dium erinnerndes geift- und wirkungsvolles Experiment, das übrigens 
auch ganz Schumann'ſchen Geift athmet, während befanntlid die von 
Gounod erfundene, an und für fi) ganz reigende Cantilene, mit ben 
Bachſchen Klängen entſchieden im Widerſpruche fteht, indem fie im 
ganz modernen fentimentalen Geift geichrieben ift. Die Ausführung 
diefer Meditation ift von faum nennenswertber Schwierigfeit. Statt 
des Pianoforte kann auch wohl die Harfe eintreten; die Wirkung wird 
dadurch nur poetijcher werben. 

3. Les Favoris du Salon. Choix de Morceaux arrang6 pour Piano 
er vieles 1, Stiel 119: LaJ e, Gavotte arr 

.17: 89. ‚op. 119: La Joyeuse, Gav . 
| 7 Schaab. —**— 1,30 MR. PR 
„ 18: &. Iungmann, op. 152: Die Waldcarelle, arr. von 
Rob. Schaab. Preis: 1,60 M. 
'„ 19: n ‚ op. 177: Zttbherfiänge, ar. von 
Demf. Preis: 1,60 M. 

Mährend ber erfte Sat in dem alten, etwas herben Gavottenſtyl 
geichrieben ift, beivegen fich die beiden, leicht auszuführenden in modern⸗ 
fentimentalen Style, der von manden Seiten fo fehr goutirt wird. 


4. Soirdes musicales. Duos faciles pour Violon et Piano 
par S. H. Roberti. 
Rr. 20: Franz Abt: Stil und golden ſchaun die Sterne. 
Preis: 10 Ser. 
Nr. 21: Gumbert: An bes Mheines grünen Ufern. Preis: 
10 Sur. 


Wird in befcheidenen Muſilkreiſen ganz willkommen fein. 


5. Nebling, G. op. 32: Elegie für das Violoncello mit Begleitung des 
Gtanoforte oder Orchefters. it Pianoforte 20 Sgr. Leinzig, Härtel. 
Ein ſchwungvolles Stüd, das bei der Hallenfer Tonfünftlerber- 

fammlung im Jahre 1874 mit vielem Erfolge aufgeführt wurde. 


6. Hauſer, M., op. 51: Echerzo für die Violine mit Begleitung des Piano» 
forte oder des Saltenquartetts. Caſſel, Luckhardt. Preis: 2,25 M. 





Muſikaliſche Pädagogik. 531 


e Ein kurzes, pilantes und anmuthiges Stüd von mäßiger Schwie- 

rigkeit. 

7. Sammlung beliebter Compofitionen für Pianoforte und Violine und für 
Pianoforte und Violoncello. 

7. Serie: Jean Beder, op. 3: Kleine melodiöfe Concerwor⸗ 
träge für Die Violine mit Begleitung des Pianoforte. 1) Romanze 
(10 Sgr.), 2) Humoresfe, 3) ein Traum (10 Sgr.), 4) Rons 
dino (10 Sgr.), 5) Melodie (7?/, Sgr.), 6) Erinnerung (10 Sgr.) 

Caſſel, Luckhardt. 

Graziöſe und pikante Muſik im leichteren Concertſtyl, die ſich 
überall Freunde machen wird. 

8. Divertiſſement über Motive aus Freiſchütz für Klarinette in B 
oder Violine und Pianoforte. Caſſel, Ludhardt. Preis: 1 Thlr. 5 Ser. 
Die Hauptmelobien dieſer immergrünen Volksoper find bier in 

neuer Form vorhanden und werben gewiß dankbare Hörer finden, zu- 

mal die Ausführung nicht Kräfte erften Ranges fordert. 

92.R8 Seine und W. Kothe: Theoretiſch⸗praktiſche Violinſchnule. 
2. Theil. Preis: 1a Thlr. Leobſchütz, Kothe. 

Den erften Theil biefes Werkes haben wir im vorigen Jahrgange 
des Päd. Jahresbericht? anerlennend beiprochen. Der gegenwärtige 
Band bietet Uebungen in ber 2. Lage, Intonationsbeiſpiele für das 
fprungmeife Spiel auf den 4 Saiten, die 3., 4., 5. und 6. Lage, 
in Doppelgriffen, für den Triller und die andern Verzierungen, in ben 
natürlichen und einfachen Flageolettönen, Uebungs⸗ und Vortrags: 
ftüde von verſchiedenen Meiſtern, älterer und neuerer Seit, in ber». 
fchiedenen Tagen. Neben den rein technifchen Uebungen find die Leſe⸗ 
ftüdle der gefammten Literatur des Violinſpiels mit Takt und Geſchick 
entnommen. Die vorliegende Schule ift wohl eine der beiten, die für 
Seminare entworfen worden find; eine andere Trage ift aber bie, ob 
ed möglich fein mwirb, den gegenwärtig jo außerorbentlich gefteigerten 
Anforderungen an unfere Schüler gegenüber, bie Geige, die doch Biele 
faum in ihrem fpätern Amte (wenn fie nicht Singunterricht haben) 
brauden, in folder Ausdehnung, mie bier verlangt wird, zu bes 
tonen. Für den Borträg eines Chorals und eines Volksliedes dürfte 
die Abfolvirung des 1. Theil der Schule wohl binlänglich fein. 

10. lade, Oswald, op. 4: Elementar-Biolinfhule Insbeſondert 
für Lehrer-Seminare. Heft Ia: Elementarübungen, 15 Sgr. Seft Ib: 
Elementarflüde, 15 Sgr., Heft II: 15 Etüden in der 1. Rage zur 
Strid-, Ton⸗ und Vortragsbildung, 15 Sgr. Dresden, Hoffarth. 

Menn in einem Seminar der in biefem weniger umfangreichen 
Werke gebotene Unterrichtsftoff auf der Geige in unfern Lehrer-Bils 
“ dungsanftalten bewältigt wird, fo bat man gerade genug für die Praris 
ber zufünftigen Volks-Schullehrer gethan. Ein Mehreres fcheint mir 
nicht nothwendig. 


11. Stark, Ludwig, op. 59: 4 Meine Bortragsftüde für Violine oder 
Violoncello. mit Begleitung des Pianoforte. 
Nr. 1: Idylle, 20 Spr. 


34* 


532 Muſikaliſche Pädagogik. 


Nr. 2: Ballade, 20 Ser. 
Nr. 3: Zmprovifation, 14 Ger. 
Nr. 4: Alpenlied, 14 Sgr. 
Leipzig, Forberg. 
Diefe Charakterftüde zeichnen fich durch nobele Haltung und Dant- 
barkeit vortheilhaft vor manchem andern feichten Gellingel aus. 
12. Solländer, Guftav, op. 3: Spinnerlied für Bieline miı Begleitung des 
ianoforte. Leipzig, Forberg. Preis: 15 Sgr. 
Eine einfache feelenvolle Melodie mit charakteriſſiſcher Pianoforte⸗ 
begleitung. 


1. Anhang. 


Theorie und Geſchichte der Mufit. 


1. Saran, Robert Franz und das deutſche Volks⸗ und Kirchen⸗ 
Ited. Dit Notenbeilagen, enthaltend: Sechs Choräle für gemifchten Ebor 
und ſechs aftteutfche Lieder für eine Eingfiimme mit Begieltung des Piano- 
forte bearb. von Robert Franz. Leipzig. Leudart. Preis: 1 Ihle. 

Die im lebten Decennium raſch entftandene und bereitö ziemlich 
ſtark angemachjene Literatur über Robert Franz iſt in jüngfter 
Zeit durch einen höchſt eigenthümlichen und werthvollen Beitrag ver- 
mehrt worden, indem Auguft Saran, ald Gomponift mie als 
Kritiler gleich berufen dazu, in feiner bei F. E. Leudart (Gonftantin 
Sander) in Leipzig foeben erſchienenen Schrift: „Robert Franz 
und das deutfhe Volks- und Kirchenlied“ die Stellung, 
die der halliſche Meifter in der Geſchichte und Entwidelung des deut⸗ 
fchen Liedes einnimmt, in einer Weife gewürdigt hat, die für viele 
Leſer zunächſt völlig neu, ja gerabezu umerhört fein, fchließlich aber 
doch als völlig überzeugend ſich erweiſen dürfte. 

Als Robert Franz mit feinen erften Liederheften in die Deffent- 
lichkeit trat, fanden fie zwar bei Meiftern der Kunft wie Mendelsſohn, 
Schumann, Lift, Gade u. f. w. fofort die mohlverdiente Anerkennung 
und Auszeichnung; für das große Publikum dagegen blieben fie ver: 
hältnigmäßig lange Zeit ein bergrabener und unbeadteter Schat und 
die damaligen Stimmführer der mufilalifchen Tagesmeinung und Ber: 
treter der ungefähren Durdfchnittsbildung in biefen Dingen forgten 
nad Sträften für die Verbreitung der Meinung, in den Liedern von 
Franz fei nichts zu finden, als der Ausdrud einer bis zur Sonderlings- 
natur zugefpisten Subjectivität voll krankhafter Sentimentalität, mög⸗ 
lift unpopulär in Melodiebildung und Rhythmik und äußerft will- 





Muſikaliſche Pädagogik. 533 


Zürlich in der zwiſchen Dur und Moll ftetö bin und ber ſchwankenden 
Harmonienfolge. 

Als Franz dennoch feinen ruhigen Gang unbeirrt weiter ging: 
und feine Eigenthümlichfeit. immer beftimmter entfaltete, Tonnte man 
fih zwar der Wahrnehmung nicht verfchließen, daß feine Lieder, in 
ihrem polyphonen Stil namentlih, eine große Verwandtſchaft mit 
Seb. Bach hatten; aber ftatt ihnen dies als DVerbienft anzurechnen, 
beutete man es auf’3 neue zur Verkleinerung des Meifters aus, in- 
dem man ihn einfach als Nachahmer, wenn nit gar als PBlagiator 
Bachs verfchrie und feine fonftigen Eigenthümlidhleiten auf die von 
Schubert und Schumann empfangenen Anregungen zurüdzuführen 
ſuchte. In den lesten fünfzehn Jahren etwa bat fih nun in ber 
Schägung der Franz'ſchen Lieder ein merkwürbiger Umſchwung voll 
zogen: der früher ſehr enge Kreis ihrer begeifterten Verehrer hat ſich 
außerordentlich erweitert und weit über Deutichland nach Amerika 
namentlich und in jüngfter Zeit auch nach England auögebehnt; feine 
eminente Bebeutung als des eigenartigiten und berufeniten Vertreters 
der mufilalifchen Lyrik der Gegenwart wagt kaum noch jemand, ber 
überhaupt ein Urtheil über Muſik hat, im Ernſte zu beftreiten, und 
ſehr gewichtige Stimmen wie Franz Lißt, U W. Ambros, 
Heinrich Schufter, neuerdings auch die unfres in England leben: 
ben Landsmanns Franz Hüffer, haben in eingehenden und liebe⸗ 
vollen Monographieen biefe Bedeutung. in geiſtvoller Weife zu begrün= 
ben und zu erflären gefudt. Zum größten Theil haben fie ſich dabei 
an die Perfon, die Tebensentwidelung und bie Lieder des Meifters 
ſelbſt gehalten, natürlich nicht ohne auf die Einwirkungen Bachs und 
Händel’3 einerjeitö, wie Schubert’3 und Schumann’3 anbererfeitö bei- 
läufig Bezug zu nehmen, und es ift ihnen gewiß für viele Seiten 
feines Weſens gelungen, ben treffenden Geſichtspunkt und den richtigen 
Ausdrud zu finden; aber es blieb doch immer noch ein ſchwer zu be= 
ftimmenbes Etwas übrig, worin gerade bie ſpecifiſche Eigenthümlichkeit 
der Franz'ſchen Lyrif zu beruhen jchien und wofür es in ben früheren 
Beiprechungen, wie nahe auch namentlich Lißt und Hüffer bin und 
wieder daran ftreifen, doch an einer innerlich begründeten und faßlichen - 
Erklärung fehlte. 

Das ift nun in einer bie Meiften gewiß überrafchenden Weife 
durch A. Saran ergänzt, ber den nad meinem Dafürbalten völlig 
überzeugenden Beweis geliefert hat, daß die Lieder von Rob. Franz, 
weit entfernt, ein Product mwilllürlicher, von den Gefeten ber übrigen 
Kunftentwidelung eigenfinnig Iosgelöfter Subjectivität zu fein, viel: 
mehr ihre rechte Bedeutung erfl gewinnen, wenn man 
fie als ein mit organischer Nothwendigkeit erwachſenes 
Shlußglied der gefammten ehtdeutfhen muſikaliſchen 
Lyrikbetrachten lernt. „Das ſpecifiſche Weſen der Franz— 
ſchen Lyrik,“ fagt Saran, „liegt in ihrer innigen Verwandt⸗ 
ſchaft mit dem deutſchen Volks- und Kirchenliede, wie 
daſſelbe ſich bis auf Seb. Bach Bin entwickelt hat.“ 


534 Muſikaliſche Pädagogif. 


Das altdeutſche Lied entfaltete ſich zunächſt im Gegenfag 
zum gregorianifchen Kirchengeſang ale geiftlihes und weltlides 
Volkslied, für defien Charakter ſich nad Fr. Arnold etwa folgende 
Grundzüge angeben laffen: 1. das melodiſche Sauptmotiv ift prägnant 
eonftruirt und ftreng thematisch durchgeführt. 2. Die Melodie ift (im 
Gegenſatz zu der bomophonen der Romanen) polyphon: jede Tonfolge 
ift zugleich eine Reihe latenter Harmonieen voll Bedeutung und leichter 
Beweglichkeit. 3. Die Tonart fußt auf dem altlirchlichen Syftem, zeigt 
aber bereitö eine ftarfe Neigung zum modernen Dur und Moll. 4. Der 
Rhythmus der Melodie fchließt fih eng dem im MWortaccent an; über- 
haupt ift bie innigfte Durchdringung von Wort und Ton bis in die 
feinften ‘Details bemerkbar. 

Die Reformation war aud für bad Volkslied epochemachend. 
Bi3 1570, dürfen mir annehmen, ift der größte Theil der prote⸗ 
ftantifden Choräle älteren (vorwiegend meltlihen) Volks— 
liedern entlebnt, natürlih durch die Bebürfniffe bed Cultus 
mannichlach mobificitt. Im Kirchenliede lebt das alte Vollks— 

ied fort. 

In diefer Form wurde das (nun firdliche) Volkslied zum zweiten 
Male der Ausgangspunkt für die reichfte und großartigfte Kunftent- 
widelung in der berühmten Motetten= und Drganiftenfhule 
ber Deutſchen von Joh. Eccard bi8 Seh. Bad. Wir dürfen 
den proteftantifhden Choral mithin als den eigentliden 
Mutterſchooß auch der Bah’fhen und Händel'ſchen 
Muſik betrachten. 

Die dritte Epoche der Geſchichte bes Tirchlichen Vollslieves Fällt 
in das Ende bes 17. und in den Anfang des 18. Jahrhunderts, wo 
feine legte herrlihe Blüthe unter dem Einfluß der heimischen Schulen 
und der neu entftehenden italienifhen Oper im f. g. Freyling- 
hauſen'ſchen Geſangbuch zu Tage tritt, das in feinen jpäteren 
von ©. U. Frande, dem Sohne des berühmten A. H. Francke, nad 
Saran mwahricheinlih unter der mufifalifchen Affiftenz des Cantors 
und Drganiften Hille in ber hallifchen Vorſtadt Glaucha, beforgten 
Auflagen 1581 Lieder mit 600 Melodieen enthält. Die Structur 
diefer Melodieen zeigt eine fo auffallende Verwandtſchaft mit der Bach⸗ 
{hen Melodif, daß man die directe Autorſchaft Bach's — wenngleich 
mit Unrecht, mie Spitta erwielen bat — für die meiften berfelben 
vermuthete. Die Melodit jenes Buches ift eben das Gemeingut ber 
ganzen Epoche. In und mit Bach felbft jebodh erhält die 
ältere, norddeutſch-proteſtantiſche Mujitentwidelung 
ihren weſentlichen Abfchluß. 

Die fog. Flaffifche, d. h. ſüddeutſch-katholiſche Mufil- 
fhule (Haydn, Mozart 20.) beruht auf ganz anderen Grundlagen 
und bat feinen Zufammenhang mit dem älteren deutſchen Volks⸗ 
liebe, wohl aber, wie ich mir erlaube den Ausführungen Saran’s hin 
zuzufügen, die ich bisher im gebrängten Auszuge mitgetheilt habe, mit 
dem älteren Troubadour-Gefange ber Franzofen, burd 








Muſikaliſche Pädagogik. 535 


weldden die katholiſche Kirchenmuſik darakterifiifh genug in 
ähnlicher Weife beeinflußt ift, wie die proteftantifche durch das 
ältere deutſche Volkslied meltlicher wie geiftlicher Art, weshalb 
denn auch der Charakter beider fich vielfach gegen einander verhält 
wie der Vollöcharalter der Romanen zu dem ber Germanen. Die 
meilten Meſſen der Niederländer und, die der Paleftrina vorangehenden 
Staliener behandeln die Profanliever „Malheur me bat“, „De rouges 
nez“, „’omme arme“, „dun aultre amer“, u.f. mw. als Cantus firmus 
und wird ihnen aud deren Name als Äußeres Erfennungszeichen ganz 
naiv mit auf den Weg ‘gegeben, wofür man in Ambros’ Gefchichte 
der Muſik die ausführlichen Belege finden Tann. 

Haydn, Mozart und Beethonen begründen nun die pro> 
fane Kunft, die ven dem proteftantifchen Choral und feinem Vater, 
dem altbeutichen Vollsliede — bis auf wenige Ausnahmen bei Beet- 
boven — fo gut wie nichts mehr weiß. In Schubert und Schu— 
mann befinnt fich die Zeit wieder auf das Volkslied, in Mendels- 
ſohn auf den proteftantifhen Choral, in Franz endlich faßt 
fi beides zufammen; bei Schubert, Shumann und Men» 
delsfohn treten jeboch jene Einflüfle nur accidentiell auf, wäh— 
send fie bei Franz fundamental find. Wie außerordentlich viel 
er auch ohne Zweifel den Einwirtungen Bach's und Schubert’3 ver⸗ 
dankt, wie viel namentlich der erftere dazu beigetragen haben mag, 
feinen muſikaliſchen Ausdrud zu verdichten und zu verinnerlichen, mwäb- 
rend ber zweite ihn in Fluß und Bewegung gejegt hat: bie eigentlichen 
Wurzeln feiner mufifaliiden Lyril, Hauptnachdruck in das 
Stimmungspolle zu legen fein dürfte, und bie er zu feiner aus 
fchlieglichen Gattung gemacht bat und als vollendeter Meifter tie 
feiner der Mitlebenden beherrſcht, find night in Bad und Schubert 
zu fuhen, fondern im älteren deutſchen Volfäliede und 
im proteftantifhen Choral. 

Diefen organifhen Zufammenbang nun der neueften beutidhen 
muſikaliſchen Lyrik, wie fie durch Robert Franz vertreten ift, mit der 
älteiten im Einzelnen nachzuweiſen und zu begründen hat fih A. Saran 
in feiner Schrift zur Aufgabe gemacht, deren Löſung ihm nach meiner 
Meinung vollftändig gelungen ift. Er bat zu diefem Zwecke die Paral⸗ 
lele zwifchen dem Franz’ichen Liebe und dem älteren deutichen Bolfs- 
liede in feinen verjchiedenen Phaſen an entiprechenden Beifpielen durch- 
geführt, welche allerdings die innige Verwandtſchaft beider auf das 
Frappantefte darthun. Die Architektonik der Melodie — prägnant 
eonftruirte8 Hauptmotiv mit ftreng thematiſch daraus entwideltem 
Nachſatz, Umkehrung, Verkürzung und fequenzenartige Verwendung 
beider Säge ꝛe. — ihre innere Wahrhaftigkeit und Tiefe, mie ihre 
überzeugende Kraft und über jeden Zeitgeſchmack erhabene Claſſicität, 
ihre polyphone Eigenthümlichkeit, fo wie das wiederholte, tiefberechtigte 
Zurüdgehen auf die alten Kirchentonarten (was früher bon unverſtän⸗ 
digen Beurtbeilern als willtürliches Schwanken zwiſchen Dur und Moll 
aufgefaßt wurde) und enbli die wahrhaft meifterhafte Verſchmelzung 


636 Muſikaliſche Pädagogil. 


von Wort und Ton — alle biefe Berührungspunfte der Franz'ſchen 
Lyrik mit dem altdeutfchen Volksliede hat Saran in feiner Schrift an 
treffend gewählten Beifpielen, die fich leicht um das Drei⸗ und Bier- 
fache vermehren Tiefen, aufs Anſchaulichſte nachgetviefen und dabei 
höchſt feinfinnige und Zunjtverftändige Beiträge zur Charafteriftif ber 
mufifalifchen Lyrik überhaupt, wie ber Franz'ſchen insbeſondere gegeben, 
bon denen ich namentlich die Partieen über die Sequenzformen, fo 
wie über die Verwendung der alten Kirchentonarten für die muſikaliſche 
Darftellung complicirter Seelenftimmungen, über da3 organifche Ber- 
bältniß ber Begleitung zur Melodie und über die hohe ethifche Be⸗ 
beutung der Franz'ſchen Lieder ald ganz befonder® gelungen berbor- 
heben möchte. 

Noch anfchaulicher, ja greifbarer wird die Verwandtſchaft ber 
Franz'ſchen Lyrik mit dem Weſen des altbeutichen und weltlichen Volks— 
liedes durch die Notenbeilagen der Saran'ſchen Schrift gemadit, von 
denen bie erfte zwei altfirhliche Choräle (Weihnachtslieder), die 
zweite zwei Volkslieder aus dem Lochheimer Liederbuche, 
die dritte vier Volkslieder aus der DOtt’fhen Sammlung, 
bie vierte vier Choräle aus dem Freylinghauſen'ſchen Ge— 
fangbudhe enthalten und zwar fämmtlid auf Wunſch Saran’s, 
von Robert Franz felbft bearbeitet, nämlih Beil. 1 u. 4 
(die Choräle) für gemifchten Chor, Beil. 2 u. 3 (die Volkslieder) für 
eine Singftimme mit Begleitung bed Pianoforte. Diefe Beilagen 
würden, auch wenn fie ohne jeglichen Commentar veröffentlicht wären, 
ald wahre Perlen deutfcher mufifalifcher Lyrik begrüßt werben müflen, 
aber fie gewinnen in diefem Zufammenhange doppelt an Werth und 
Bedeutung. 

Es ift in der That ganz wunderbar, wie anheimelnd bieje alte 
Muſik zum Herzen deſſen fpricht, der fich in das Weſen bes Franz⸗ 
chen Liedes hineingelebt bat. Schon wenn man bie bloßen Melodieen 
in Bezug auf ihre Architektonik in's Auge faßt, fühlt man fofort die 
innere DVerwandbtichaft heraus, aber fie wird wahrhaft überrafchend 
durch die von Rob. Franz felbit hinzugefügten Harmonieen. Niemand 
wird fagen können, fie feien künſtlich gemacht, da fie nichts enthalten, 
was nicht Schon in den Intervallen und Tonfolgenverbältnifien ber 
gegebenen Melobieen läge, fondern im Grunde nur das in Noten 
bezeichnen, was fo zu jagen zwiſchen und unter den Noten der Melodie 
für den Kundigen zu lefen if. Die Stimmführung ber für gemiſch⸗ 
ten Chorgefang bearbeiteten Choräle wie die Pignofortebegleitung der 
Volkslieder führt ung ben mohlbefannten Apparat der Franz'ſchen poly⸗ 
phonen Technik vor, einzelne Wendungen könnte man fehr wohl mit 
Varallelftellen aus Franziſchen Liedern belegen, die bei aller Selbſt⸗ 
ftändigleit genau benjelben Geiſt athmen, und doch wird Jeder geftehen 
müflen, daß diefe Begleitungen und Ausführungen den alten Melodieen 
wie auf den Leib gegoffen, ja mit foldher Nothivendigleit aus ihnen 
erwachſen find, als wenn fie von Anfang an mit ben Melodieen zu= 
ſammen geſchaffen wären. 








Muſikaliſche Pädagogik. 537 


Sao enthalten denn diefe Notenbeilagen in ber That ben an⸗ 
ſchaulichſten praftiichen Beweis für die tbeoretifchen Ausführungen ber 
Saran'ſchen Schrift in allen einzelnen Punkten. Nur in Betreff ber 
innigen Durchdringung von Wort und Ton könnten fleptifche Naturen 
daran Anftoß nehmen, daß den Volksliedern Nr. 3, 4, 6 u. 8 neue 
Texte flatt der urfprünglichen untergelegt find, die möglicher Weife 
doch dazu angethan fein könnten, dem Publitum ein X für ein U vor⸗ 
zumadben. Da W. DOfterwald*) in ber Schrift mwieberholt als Ur- 
heber dieſer Terte genannt it, fo ift er wohl berechtigt ein Wort darüber 
zu fagen. Die alten Texte enthielten bei aller VBortrefflichfeit der Grund» 
motive doch in der Ausführung Rohheiten und Unzuträglichleiten bes 
Ausdrucks, wie fie heute einem Sänger, gejchiweige einer Sängerin, 
unmöglich zugemuthet werben fünnen. Franz wandte ſich daher an 
ihn, der feit dreißig Jahren mehr mit ihm und feiner Muſik ver 
wachen tft, als irgend einer der zeitgenöffifchen Dichter, und er über: 
nahm ed gern auf feinen Wunſch, auf Grund der überlieferten Motive 
und im. engften Anfchluß an die ihm vorliegende Muſik Umbichtungen 
zu fchaffen, bie den Geift und Grundton der alten Volkslieder beibe- 
hielten, ohne ben äſthetiſchen Geſchmack und das fittliche Gefühl ver 
Gegenwart zu verleten. Da übrigens die Quellen genannt find, fo 
fann, wie Saran p. 18 ausbrüdlich bemerkt, ‘Jeder, der dennoch bie 
urfprüngliche Tertunterlage vorziehen follte, fie leicht aus den bezeichne= 
ten Sammlungen bewerfftelligen. Ich benuge dieſe Gelegenheit, um 
einen Drudfehler zu berichtigen, der fich in das Lied Nr. 3 (Scheiben 
und Meiden) eingefchlichen bat. In ber zweiten Strophe befjelben ift 


gebrudt: 
Was hilft der Blumen Blühen 
Sn voller Frühlingspracht ? 
Was frommt der Sonne Glühen 
Sn fchöner Sommernadt? 

W. O. ift an diefer wiberfinnigen Nachtfonne völlig unfchulbig und 
wir bitten zu lefen, wie gefchrieben wurde: 

Was frommt ber Sterne Glühen 
Sn ſchöner Sommernadt? — 

Das Factum der innern Verwandtichaft der Franz'ſchen Lyrik mit 
dem älteren deutfchen Volksliede und feiner Weiterbildung im prote- 
ftantiichen Choral wird alfo anerfannt werden müflen. Aber wie läßt 
e3 fi) äußerlich erllären? Die Frage ift natürlich, und Saran hat es 
verſucht, auch darauf eine möglichft befriedigende Antwort zu geben. 
Keiner war bazu berufener, al3 er, denn fein anderer als Saran felbft 
ift e8, durch den Rob. Franz erjt zum bewußten Verſtändniß beflen 
gekommen tft, was er eine lange Reihe von Jahren hindurch faft bis 
zum Ende feiner im eigentlichen Sinne probuctiven Thätigfeit in in» 
ftinetiver Genialität geichaffen bat, ohne die eigentlichen Ausgangs- 
punkte feines Schaffene und den wahren Mutterfchooß feiner Lyrik 


*) Dem Ref. im Wefentlichen gefolgt it — ©. 


538 Muſikaliſche Pädagogik. 


ſelbſt zu kennen. Erſt durch Saran hat Franz, aus deſſen brieflichen 
Mittheilungen das Factum ſeit etwa drei Jahren bekannt iſt, das Frey⸗ 
linghauſen'ſche Geſangbuch kennen gelernt und zu ſeinem Erſtaunen 
Note für Note die alten Weiſen darin wiedergefunden, die, in ſeiner 
Kindheit von ſeinem Vater ihm vorgeſungen, den erſten Keim in ſeine 
Seele geſtreut haben, aus dem ſeine eigentliche Lyrik erwachſen iſt. 
Saran giebt über dieſe erſten Eindrücke und ihre weitere Entwickelung 
in Franz p. 2—6 ſeiner Schrift werthvolle Mittheilungen. Aus ben 
Briefen von Rob. Franz, mit dem D. über diefen Gegenftand in den 
legten Sahren lebhaft correipondirt hat, würden fi) ergänzende Details 
binzufügen laflen, wenn der Raum es geftattete. Nur barauf erlaube ich 
mir noch binzubeuten, daß auch in der lyriſchen Boefie eine ähnliche 
Entwidelung wie in der Igriihen Muſik fih unfchwer nachweiſen 
läßt, und daß in jedem echt Inrifchen Gedichte bereit? geheimnißvoll 
die Bedingungen der Töne liegen müflen, die ibm naturgemäß find. 
Wer die rechte Witterung für die geiftige Atmofphäre der Textvor⸗ 
lage bat — und Franz befitt diefe geniale Divination im eminenten 
Grade — der muß notbivendig auch von ihr beeinflußt werben und 
findet fih dann in Stand gejett, aus diefem wunderbaren Dunft- 
treife das allein Ungemefjene zu treffen, wobei bie Mittel bes dichte⸗ 
frihen Ausdrucks, rhythmiſche Verhältnifie, Perioden und Stropben- 
—F wie die Figurationen der Reime natürlich unterſtützend mit⸗ 
wirken. 

Wenn nun Franz, dem Grundzuge ſeiner Natur folgend, in der 
Wahl ſeiner Texte eine ausgeſprochene Vorliebe für das Volkslied und 
alles ihm Verwandte zeigt und daneben faſt nur noch ſolche begünſtigt, 
in denen die Neigung zur Contemplation und Transfcendenz vorherrſcht 
(Saran p. 34—36) und bei denen auch im Worte ein mit bem lirch⸗ 
lichen Volksliede etwa der Reformationgzeit verwandter Ton angefchlagen 
ft, fo Hilft auch dies und die Grundeigenthümlichkeit der Franz'ſchen 
Lyrik mit erflären, foweit ſich das geheimnißvolle Wirken und Walten 
des Genius überhaupt erklären läßt. 

Im zweiten Theil feiner Schrift (p. 39—57) beſpricht A. Caran 
eine Reihe anderer Arbeiten von Rob. Franz, die ihm ein eben fo 
bleibendes Verdienſt in der Gefchichte der Tonkunſt fidhern dürfen, als 
feine Lieder, nämlih feine Bearbeitungen von Vokalwerken 
Back’, Händel3 und anderer Älterer Meifter. Die wahr» 
baft ftaunenswerthe Thätigleit, die Franz auf diefem Gebiete entfaltet 
bat, ergänzt nur noch mehr den Beweis feiner inneren Verwandtſchaft 
mit der älteren Muſik, die in bemfelben Boden des Volksliedes und 
bes proteftantiichen Choral3 murzelt. 

Unter den Männern bes Fachs haben ſich namentlidh die fog. 
Hiftorifer, denen man mit dieſer Bezeichnung viel zu viel Ehre ans 
thut, fpröde verneinenb oder vornehm ignorirend gegen die Franz’ichen 
Bearbeitungen verhalten, in denen fie von ihrem beſchränkten anti⸗ 
quarifhen Standpunfte aus nahezu arge Verfündigungen an bem 
Genius der älteren Meifterwerfe erbliden. Saran knüpft an Dito 





Muſikaliſche Pädagogik. 539 


Jahn's und Spitta's beſonnene und gründliche Erörterungen an, die 
der wirklichen Geſchichte ganz anders gerecht werden, als die auf 
völlig falſchen Vorausſetzungen beruhenden Anſichten der angeblichen 
Hiſtoriker, und führt auf Grund der eigenen Angaben des Meiſters 
und an treffend gewählten Notenbeiſpielen, in denen er die Tonſtizzen 
Bach's und Händel's mit den von Franz gegebenen Anführungen zu⸗ 
ſammengeſtellt, den Beweis für die Richtigkeit der von Franz gewähl⸗ 
ten Methode ber Bearbeitung. Cie fchmiegt Tich in liebevolliter Pietät 
und Hingebung an das überlieferte Material an, fügt nichts Eigenes 
willkürlich hinzu, ſondern entziffert nur die angedeuteten oder latenten 
Harmonieen und Tonfigurationen mit glüdlichiter Divination und bes 
lebt die verblaßten Skizzen mit einem dem Genius der alten Meifter 
innerlicht verwandten Geifte. 

„Ihr hoher Werth,” jagt Saran p. 56, „liegt nicht allein in dem 
mufifalifchen Buchftaben, mit dem fie die Originale ergänzen, ſondern 
noch mehr in dem Fünftlerifchen und ethifchen Geifte, mit dem fie an 
benjelben berantreten. Sie führen ung wirklich ein in die groß⸗ 
artige Herrlichkeit der Tonmwerle Bach's und Händel's, meil fie ihnen 
innerlih congenial find. Sie entzünden Liebe und Bemunbderung 
für die Alten, weil fie jelbft aus innigfter Pietät, Liebe und Bewun— 
derung hervorgegangen find. Mögen daher unfere Dirigenten, zum 
Theil vielleicht eingeichüchtert durch die Hiftorifer, zum Theil aus an⸗ 
deren Gründen, fie tobtzufchweigen ſuchen. Ihre Zeit wird 
fommen, und die troftlofe, ſich fortwährend fteigernde 
Inproductivität unferer Epoche (?) wird je länger deſto 
mehr uns nöthigen, zu den Werten der Alten zurüdzu= 
fehbrenundfieineiner Form zur Darftellung zu bringen, 
bie ebenso ihrem Geifte, ald den praktiſch unabweis— 
baren und beredhtigten Forderungen der Gegenwart 
entſpricht.“ 

Ich ſchließe meine Beſprechung mit dieſer Prophezeiung, an deren 
Erfüllung auch ich feſt glaube, und nehme Abſchied von der Schrift, 
indem ich ihrem Verfaſſer für ſeinen äußerſt gediegenen Beitrag zur 
Aeſthetik und Geſchichte der Muſik danke. Möge er recht viele Leſer 
finden und die wohlverdiente und gerechte Würdigung des halliſchen 
Meiſters in immer weiteren Kreiſen verbreiten helfen! 

2. Decher, Adolph: Cromographiſche Darſtellung der Tondich— 
tungen. München, Adermann. 

Wir halten dieje farbige Darftellung von mufifalifhen Tondich- 
tungen für eine hübſche Spielerei; ein praktiſcher Zweck wird fchmwerlich 
damit erreicht. 


3. Reißmann, Auguft: Allgemeine Muſiklehre für Lebhranftalten 
und zum Selbftunterridt. 2. Aufl Berlin, W. Weber. (327 ©. 89.) 


Nächſt dem ähnlichen Werke von Prof. Mare wüßten wir feines, 
was in Bezug auf das mufifalifche Darftellungsmaterial, die Formen⸗ 


540 Muſikaliſche Pädagogik. 


lehre, ſowie Kunftübung und Kunftbilbung befler belehrte, als das in 
Rede ſtehende. 

4. Fr. Zimmer: Kleine Mufiflebre. Enthaltend das Wiffenswürdigfte 
für jeten Muflttreibenden, infonderbeit eın Memorirbud für Seminarprä- 
paranden und Seminariiten. Stendal, Schindter. 

Das 1. Heft (32 Seiten) enthält das Nothwendigſte aus ber 
Zonlehre und ber Rhythmik, wie das z. B. Dapin, Sering, und in 
erjchöpfender Weife das unter Nr. 8 erwähnte Werk getban haben. 

Das 2. Heft (70 ©.) enthält das Hauptfählichite aus der 
Sarmonielchre. 

Das 3. Heft (76 ©.) verbreitet fih, ftet3 nur das Nothwen⸗ 
digfte bringend, über Organik, Melodik, und giebt noch einen Abriß 
der Muſikgeſchichte. In den genannten Anftalten ift das Büchlein 
genügend. 


5. Woblfabrt, Heinrih: Katehismus der Harmonielehre. Leicht 
Iablıhe Anleitung zum Eelbftunterriht. Leipzig, Merfebarger. Breis: 
or. 
Nicht ohne praktiſches Geſchick entwickelt der bewährte Muſikpäda⸗ 
gog die wichtigſten elementaren Grundbegriffe der Harmonielehre. 


6. Flade, D.: Muſikaliſche Vorſchule zunächſt für Präparandenan⸗ 
ſtalten bearbeitet. Zweite, verbeſſerte und vermehrte Auflage (26 S. 8°.) 
Dresden, Hoffarth. 


Verfolgt mit Geſchick eine ähnliche Tendenz wie Nr. 3 u. 4. 


7. Rürnberg, Hermann: Grundregeln des Klavierfingerſatzes zu⸗ 
ſammengeſtellt und als Leitfaden für Lehrer, wie auch als Unterrichtsſioff 
für Selbſtlernende eingerichtet. (104 S. 80.) Preis: 1,20 M. Berlin, 
Wedelind u. Schwieger. 

Das Wichtigſte aus der genannten Materie in anfchaulicher 
Weile vorführend. 

8. Nürnberg, H.: Harmonielehre in Teichtfaßlicher Darftellung bearbeitet und 
vorzugsweire für den Selbflunterricht eingerichtet. (110 ©. 8°.) Breis: 
1,27 M. Gbendaf. 

Das Längitbelannte und Nothwendigſte in anfprechender Form 
bringenb. 

9. Heinze, Leopold: Iheoretifh:praftifhe Harmonies und Muſik—⸗ 
lehre nad pädagogiſchen @rundfägen nebſt fpecieller und ausführlicher 
Bebandlung der Harmonieen der Kirchentonarten bearbeitet. Erſter Theil. 
(239 &.) Preis: 20 Sgr. n. Ober⸗Glogau, Handel. 

Das trefflihe Buch bat fich in kurzer Zeit einen weiten Wirkungs- 
kreis erworben, den es in jeder Hinficht verdient. Obwohl zunächſt für 
katholiſche Schullehrer-Seminare entworfen — daher die ausführliche 
are Darlegung der alten Kirchentonarten — wird e8 jedoch auch in 
evangelifchen Seminaren mit großem Nuten gebraucht werben können. 
Zu den Glanzpartieen des Buches gehört die außerordentlich klare und 
anſchauliche Behandlung der Mobulationslehre. 








z -  Mufifalifche Pädagogif. b41 


10. Saudtmann, Moris: Opucula: Vermiſchte Auffäge. Leipzi 
an (137 ©. or Preis: 1 Thlr, in Pas 


Aus dem Nachlaſſe des berühmten muftlalifchen Denkers hat man 
folgende gelehrte Abhandlungen über Klang, Temperatur, den Drei- 
Hang und feine Sntervalle, den Dreillang mit der pythagoräiſchen 
Terz, zum Quintenverbot, zur Auflöfung des Dominent-Septimen- 
accordes durch Erweiterung der Septime zur Ditave, einige Regeln 
zur richtigen Beantwortung des Fugenthemas, das Hexachord, authens 
tif und plagaliſch, Kontrapunlt, Metrum, zur Metrit ausgewählt. 
Die legten Abfchnitte behandeln Allgemeines, wie: Kunftvollendung, 
Form der Kunſt, Ironie der Kunft, Männlih und Weiblich 2c. vom 
funftphilofophifchen Standpunfte aus. 

Obne tiefere Bildung kann das wichtige Büchlein nicht gehörig 
verſtanden werben. 

11. Safenclever, Dr. Richard: Ueber die Grundſätze einer ratio» 
netien mufllalifhen Erziehung. Bonn, Weber. (39 S. 8°.) Preis: 75 Pf. 
Es ift Schade, daß ber Verfafler dieſes Schriftchens feine Anfichten 

nit in beftimmte Thefen formulist bat. Erſchöpft hat er übrigens 

fein wichtiges Thema noch lange nicht; etwas wejentlich Neues haben 
wir darin aud) nicht gefunden. 

12. Plaidy, L.: Der Klavierlehrer. (34 ©. 8°.) Leipzig, Breitlopf u. 
Härtel. Preis: 75 Pr. 

Der durch feine techniſchen Klavierſtudien rühmlichit be» 
Tannte Autor bat bier den jüngeren Klavierlehrern jehr ſchätzens⸗ 
werthbe Winke über die Befchaffenheit eines guten Klavierunterrichts, 
über die Technik des Pianofortefpield (ein ſehr wichtiges Kapitel) und 
zur Erzielung eined guten Vortraged ertheilt. Im Anhange bezeichnet 
er die vorzüglichiten Etüdenwerke. 


13. Schufter: Robert franz. (20 S. 80.) Leipzig, Leuckart. Preis: 50 Pf. 


Ein Verſuch, die Verbienfte des gefeierten Liedercomponiften Dr. 
R. Franz in Halle ins rechte Licht zu ftellen, was ſchon bereits von 
mehreren Seiten, 3.8. von Saran, Lißt, Ambro3 ꝛe, erfolgreid) 
verſucht wurde. | 
14. Schrattenholz: Robert Shumann als Kritiker. Sprüde aus 

feinen Scriften über Mufit und Muflfer. Bonn, Selbfiverlag des Verf. 

Preis: 10 Ser. (58 ©. 8°.) 

Da Rob. Sch. nit nur ein genialer Komponift, fondern auch 
ein nicht minder bedeutender Mufilfchriftfteller mar — man vergleiche 
die gefammelten E chriften dieſes Meifterd (2 Bände, Leipzig, Wiegand) 
— ſo far ed gar nicht ſchwer, Goldkörner auszuwählen und neu dar⸗ 
zubieten. 

15. Kod, Dr. Emft: Richard Bagner’s Bühnenfeſtſpiel „Der Ring 
des Nivelungen” in feinem Berbältniß zur alten Sage wie zur modernen 

5 zugendichiung betrachtet. Gekrönte Preisſchrift. Leipzig, Kahnt. 


542 j Muſikaliſche Pädagogif. 


Da im folgenden Jahre Wagners großartige, auf 4 Abenbe be 
vechnete Tondichtung „der Ring des Nibelungen‘ in Bayreuth zur 
Aufführung kommen fol, fo ift ein derartiger Commentar zum Ver⸗ 
ftändniß der Dichtung gar fehr am Plate. Für den mufifalifchen 
Theil diefer Riefenfhöpfung ift er freilich noch zu fchaffen. 

16. Kothe, B.: Kleine Orgelbaulehre zum Gebraude in Lehrer⸗Semi⸗ 
narien und Organiſten⸗Schulen. Leobſchütz, Kothe. (22 &.8°.) Preis: 40 Pf. 
Das Wichtigfte für die genannten Anftalten in ausreichenber 

Meile darbietend. 

17. Riemaun, Dr. Sugo: Muſikaliſche Logik. Hauptzüge der pbyflo- 
logiihen und pſychologiſchen Begründung unfers Ruftfoßems. Leipzig, 
Kahnt. (69 ©. 80.) Preis: 1,50 M. 

Eine Heine, äußerft fcharffinnige Abbanblung, aus der man mehr 
lernt, ald aus manden bidleibigen Bude. Kein tiefer ftrebenver 
Mufiter follte dieſe gründliche und klare Darlegung unſers Muſik⸗ 
weſens ungeleſen lafien. 

18. Köhler, Louis: Führer durch den Klavierunterricht. Ein Re 
pertorium der Klavierliteratur zc. als Wegweiſer für Lehrer und Schüler. 
Künfte, verbefierte und new bereicherte Auflage. (171 ©. 8°.) Leipzig, 
Schubertb. Preis: geb. 1,40 M. 

Der reiche Inhalt biefer ſehr nütlichen Schrift ift ben geehrten 
Lefern aus früheren Sahrgängen unfer® Unternehmens belannt; es 
genügt, wenn wir auf die verjüngte Geftalt des fchönen Buches bin- 
weiſen. 

19. Bineent, Heinze. Joſeph: Die Neuklavlatur. Ihre Vortheile gegen⸗ 
über den Machtheilen der alten. Ein Aufruf zur Beherzigung an alle 
ae 9 Dilettanten, Klavier⸗Lehrer und Fabrikanten. Malchin, Hothan. 
Der Verfaſſer agirt ſchon ſeit längerer Zeit für Einführung einer 

veränderten Geſtalt unſerer Manuale auf Taſteninſtrumenten. Leider 

hatte Ref. noch keine Gelegenheit, ſich von der größeren oder geringeren 

Zweckmäßigkeit der V. Reformbeſtrebungen zu überzeugen. 

20. Kuntze, C.: Die Orgel und ihr Bau. Dritte, gänzlich umgearbeitete 
Auflage von Julius Seidels gleichnamigen Werke. Mit in den Text ge- 
drudıen ‚Abbildungen. (179 ©. 8°.) Leipzig, Leudart. Preie: 1 Thlr. 
Wem daran gelegen ift, fich gründliche Kenntniffe im Orgelbau⸗ 

weſen zu verſchaffen, der greife nach biefer gehaltreichen Handreichung. 

Diefelbe bringt außer den in ähnlichen Echriften enthaltenen Dates 

rien auch weſentlich Neues, 5. B. über die pneumatifchen Mafchinen ꝛc. 

Für Seminare dürfte das Buch das befte in feiner Art fein. 

21. Bohlinger, Dr. M.: Theoretifh-praftifhe Sarmonielchre für 
Schulen, Privat» und Selbflunterridt. Nördlingen, Bed. (121 ©. 
gr. 8%.) Preis: 8 M. 

Ob der Verfaſſer mit feiner neuen Harmonielehre die muſikdidak⸗ 
tiihe Literatur um etwas wirklich Brauchbares bereichert bat, glauben 
wir nit. Das, was der Verfaſſer mit feinen „primterzverminderten“ 
Dreis und Vierklängen 2c. fagen will, ift von Mare, Lobe, Richter, 


Muſikaliſche Päbagogit. 543 


Heinze, Lehmann 2c. ſchon viel befier geſagt worden. Das, was er 
über Mobulation in 8 61 fagt, ift völlig ungenügend. Wie ganz 
anders und befjer bat diefe fchwierige Materie z. B. Heinze behandelt 
in feinem unter 9 berührten trefflihen Werte (S. 107 ff.)! 

22. Lyra, Juſtus W.: Die Iiturgifhen Altarweifen des Iutherts- 
fhen Hauptgotiesdienfles nad ihrer Meinheit und Einheit in mufl- 
Balifher Beziehung unterfuht und feftgeftellt. Mit befonderer Rädfiht auf 
den Echap des liturgiſchen Chors und &emeindegefanges von Fr. Niegel 
und Dr. E. Schöberlein. Nebft Anhängen und einer Rotenbeilage: Müſi⸗ 
kaliſcher Grundriß der Liturgie für den lutheriſchen Sauptgotteädienft nad 
dem Syſtem der 2. Kirchentonart. Göttingen, Vandenhoeck u. Ruprecht 
Berlag. (79 ©. gr. 8°.) Breis: 28 Ser. 

Ein jehr grünblidhes Werken, das ben gewählten Gegenftanb 
in erjchöpfender Weile vom rein biftorifhen Standpunkte beleuchtet. 
Ob nicht auch das reformatorifche Princip zur Weiterentwickelung biejer 
lirchlich⸗ muſikaliſchen Angelegenheit beſondere Rüdficht verdient? — 
23. Kunkel, Franz Joſeph: Theoretifch-prattifhe Borfhule zur 

Melodie-Bildungslehre. Leipzig, Merſeburger. Preis: 18 Sgr. 

Nah Mare und Lobe's PVorgange entwidelt ber Verfafier bie 
Geheimniſſe der melodiſchen Erfindung und Ausformung in glüdlichfter 
Weiſe, jo anfhaulid an den Werken unferer Klaſſiker, an Vollsliedern 2c., 
daß es eine Luft ift, feine leitende Hand zu verfolgen. 

24. Süffer, Franz: Die Poeſie in der Muſik. Autorifixte deutſche Aus⸗ 
gabe. Leipzig, Leudart. (238 ©. 8°.) Preis: 1 Thlr. 

Das ſchwungvoll gefchriebene Buch ſucht namentlih Propaganda 
für Rich. Wagners Beftrebungen zu machen, indem es beflen Dramas 
tiſche Schöpfungen erörtert. Sodann befpricht es auch bie Leiftungen 
Schubert’, Schumann's, Rob. Franz's und Lißt's. Warum man Men: 
delsſohn mweggelafjen hat, tft nicht gut einzufehen. In den Anhängen 
werden interefjante Briefe von berühmten Mufilern, 3. B. Schumann ꝛc., 
producirt. 

25. Schubiger, Anſelm: Die Pflege des Kirchengeſanges und der 
Kirchenmuſik in der deutſch-katholiſchen Schweiz. Eine muſilaliſch⸗ 
hiſtoriſche Skizze. Im Selbſwerlage des Verfaſſers. Commiſfionsverlag 
von Benziger in Einfiedeln. 

Eine werthvolle Bereicherung ber mufil-hiftorifchen Literatur von 
der Hand eines ber bewährteften Forſcher. Der reiche Inhalt der 
Schrift erftredt ſich auf die Zeitperiode des vorguidoniſchen gregorianiichen 
Chorald, die Zeitperiode ber Einführung einer neuern Tonfchrift, die 
Kirchenorgel, der Choral, das deutſche Kirchenlied und der Yiguralgefang 
bis zur Reformation des 16. Jahrhunderts, die Periode des künſtlichen 
Contrapunftes, im 16. bi zur Mitte des 17. Jahrhunderts, Orgel 
fpiel und Notendrud, ſowie fchlieglich auf die ‘Periode der inſtrumen⸗ 
talen Kirchenmufil bis in die neuere Zeit. 

26. Meinardud, Ludwig: Ein Jugendleben. 1. Band: Das elterliche 


Haus — Lehrjahre; 2. Band: Kreuz- und Querzüge — vor Anfer. Gotha, 
Andreas Peribes. Preis: 14,40 M. 








544 Mufikalifche Pädagogik. 


Unter dem fingirten Namen Sigfrieb fdhilvert der als mufila- 
liſcher Schriftftellee und Componiſt (wir erinnern an feine beiben 
Dratorien Salomo, Luther zc.) befannte, jebt in Hamburg lebenbe 
Ludwig Meinarbus fein Leben. Zwar ift das Ganze etwas zu 
breit gerathen, auch ift ber Verfaſſer nicht frei von Selbfigefälligkeit 
und Einfeitigleit, aber trogbem bat das Buch großes pinchologijches 
und daher auch päbagogiiches Intereſſe. Wenn fchon die allmälige 
Enttidelung eine jungen Mufilerd an und für fi} ihre ſpannende 
Seite bat, fo gewinnt bie Darftellung noch an Reiz, daß ber Berfafler 
als Hauslehrer in der Nähe Berlins eine tragikomiſche Thätigkeit ent- 
wideln mußte. Sinterefiant ift des Autors Schilderung von feinen 
Beziehungen zu berühmten mufilaliiden Künftlern, wie Shumann, 
Mendelsfohn, Lipt, R. Franz x. — 


U. Auchang. 


Für die Orgel. 
a) Shulwerte 


1. Kempter, Fr, Materialien zur Erlernung eines foliden Dr» 
gelfpiele. 
1. Abtheilung: Anleitung über Yingerfag, Orgelregifter zc., Fingerübun- 
gen im Umfange einer Quinte für alle Dur-Konarten, 
onleitern in Dur⸗ und Woll (auf- und abwärts) und 
einer begleitenden Stimme, 16 zweiſt. Säße in derſchie⸗ 
denen Ton⸗ und Taftarten, kurze dreiſtimmige Gadenzen, 
8 dreiſt. Sängere Cadenzen in Dur und Mo. Preis 
1 Fl. 12 Ko. 
2. Abtheilung: Dur- und Moll-Tonlelier (dreil.) in geraden und un⸗ 
eraden Zaltarten, Pedalfpiel (Anleitung und Uebungs«- 
Rüde) dreis und vierftimmige Orgellüde (mit und ohne 
Pedal) 34 in Dur, 26 in Moll. Preis 1 Fl. 12 Krz. 
3. Abtbeilung: Längere und fürzere Orgelſtücke in verfchiedenen Dur- und 
Molltonarten, welchen die harmonifirte Tonleiter voraus⸗ 
gebt. Preis 3 Il. Augsburg, A. Böhm. 


Diefe neue Orgelſchule leidet an einem großen fehler, dem ber 
Monotonie und Trodenheit; das ganze Material fcheint von dem 
Herausgeber zu fein, was immerhin fein Bedenken hat, felbft wenn 
ber Herausgeber ein Seb. Bad wäre. Auch ift die mufilalifche Pä- 
dagogik längft von folden einfeitigen Schulwerken abgefommen, denn 
eine Orgelſchule foll ein praktiſches Leſebuch fein, worin Meiſterwerke 
aus allen Epochen zu Nutz und Frommen der Schüler bearbeitet find. 








Mufikalifche Pädagogik. 545 


Dazu kommt Bier noch in Betracht, daß bie muſikaliſche Erfinbungs- 
kraft den Gomponiften nicht Iebensfrifch und urfräftig genug fprubelt, 
wie das eigene mufilalifche Ich fo in ben Vordergrund zu ftellen. 


2. Kretfhmar, Hermann, op. 8: Techniſche Etüden für Orgelfpieler. 
— 18 —* 9. IL 3. Nor. — Tür Drselſ 
Für Leute, die ſchon etwas Tüchtiges auf der Orgel gelernt 

haben, ſind dieſe Studien im hohern Orgelſpiel, die fich mit Ueber⸗ 

und Unterſchlagen der Füße, Pedalarpeggien, mit glatten Gängen bei 
unbequemem Applicaturen, Manualwechſel, leichter Beweglichkeit des 

Fußgelenkes, weiten Intervallen und Doppelpedal — alſo namentlich 

m Dienfte ber Pebaltechnif fiehen — beichäftigen, von entithiebenem 

ugen. 


3. Körner, 8. 8., op. 40: Der neue Organiſt, enthaltend 207 Orgel⸗ 
präludien in progreifiver folge, in den gebräuchlichen Dur» und Moll, fos 
wie in den alten Kirchen-Tonarten, nebft allgemeinen Regeln für das 
Drgelfpiel. Leipzig, Schubertb u. Eomp. 1.—20. Kiefer. & 10 Ger. 

Es iſt Schade, daß diefe fo allfeitig ausgeftattete Mufterfammlung 
von Drgelftüden ber einfachften bis fchwierigften Art: (aus allen 
Perioden des Orgelſpiels), die mit forgfältigen Applicaturen 2c. bis 
ins Kleinſte ausgeftattet wurde, — für eine correlte Herftellung des 
Notentertes bat Ref. und Stabtorganift Bernh. Sulze in Weimar 
Sorge getragen — etwas theuer ift, fonft würbe biejes ausgezeichnete 
Lehrwerk allen gerechten Forderungen entiprechen. 


4. Barrelmann, ©. (Cantor u. Organift in Brüdau bei Bremen): Neues 

täludienbud. Eine Sammlung kurzer Vor⸗ Nach⸗ und Zwiſchen⸗ 

piele, Ausweihungen und Gadenzen tm allerleichteſten Style, zum Ge⸗ 

brauche beim Öffentlichen Gottesdienſte und als leichteſte Orgelfchufe, für 

angehende Drganifien, Lehrer, Seminariftien und Präparanden. Gefammelt, 

—8 am berausgegeben im Selbſtverlage. Bremen, Ed. Hampe. 
reis: . 


Leicht, melodiſch, hübſch gearbeitet und kurz, fcheinen dieſe harm⸗ 
loſen Orgelſtücke alle von dem Herausgeber zu ſein, was bei einer 
„Orgelſchule“ denn doch bed Guten etwas zu viel wäre. Die Aus⸗ 
Rattung läßt Einiges zu wünjchen übrig. 


5. Göoͤtze, Heinrich, op. 1: 15 Drgelſtücke verſchiedener Charakter zum Ge⸗ 
Zraude beim Gottesdienſte und zur Uebung. Keobfhöß, Kothe. Preis 
2 


Sn diefer Heinen Sammlung giebt ih ein anerlennenswerthes 
Streben Fund, das noch Befleres erwarten läßt. 


6. Poſtel, Rudolph, op. 12: gar Kirche, Schule und Haus. 105 
kurze, leichte Ghoralvorfpiele Für Harmonium oder Drgel, ſämmtlich ohne 
Pedal ausführbar. Mitau, Beßhorn. 3 M. 


In ſchmuckſtem Kleide machen dieſe Fleinen, mohlabgerunbeten 
Formen einen guten Einbrud. 
Vab. Jahresberit. XXVIL 35 


546 Muſilaliſche Pädagogik. 


7. Albun für DOrgelfpieler. Eine Sammlung von Drael- Gompofitionen 
Älterer und neuerer Melfler zum Stublum p » öffentl nd rtrag. 
1. Lieferung: — tonen von wit tade, 2 
2. „ geikäde von D. H. ne, m 50 9f. 
3 


. [LG M. 50 

4... „u raelfo nate von Boigtmann, 1. Fe 0. Pf. er 

5. „ ra t eugführbare Borfplele von C. Kung e, op. 350, 
Leipzig, Kahnt. 

Die beiben erften Namen find in ber Drganifienwelt bereits 
beſtens accredirt. Die ſchöne Orgelſonate über „Seju meine Freude 
läßt ſchwer bedauern, daß der hegabte Autor in der Blüthe ſeiner 
Entwickelung hinweggerafft wurde. Die Beobuftionen bes beliebten 
Componiften für Männergefang find fehr annehmbar. Die Ausftattung 
ift eine vorzügliche. — 

8. Piutti, Karl, op. 9: Die Trauung. Gin Cycins von 4 Stüden in 

Form einer Sonate fir die Orgel. Leipzig, Culenburg, 3 M. 

Das bebeutendfte Driginalwerl für Drgel, weldes im vorigen 
Sabre erichienen if. Zwar find die einzelnen Säte etwas — Ian 
geratben, auch find bie verarbeiteten Motive von ungleichem 
aber trotzdem bleibt diefe originelle Sontae doch in jebem Bezuge * 
hochintereſſantes Werk 


9. Mendelsfohn-Bertho F wei Präludien und eine 
—V Ba Orgel rer von Rob. ash — Hofmeiſter, Preis 


Die zwei erſten, zarteren Prälubien athmen ganz Mendelsſohnſchen 
Geiſt; die Fuge iſt ein mächtiges, vielſeitig zu verwerthendes Pracht⸗ 
werk, das vielleicht etwa lang auögefponnen wurde. 

10. Buxtehude, Dietrich: Drei große Orgelſtücke. Revidirt und zum 

Gonuert- und Schulgebrauche een von Hermann Kreifhmar, 

1.91. 80 $f., IL 9. 1 M. 9. 1 M. 30 Bf. Leipzig, Forberg. 

Auf diefen bedeutendften Vordermann Seh. Bachs hat zuerft 
Spitta in feiner claffiihen Bach-Biographie (f. Band 7 db. vorjähr. 
Jahrg. des Päd. Jahresberichte) aufmerkſam gemacht, kein Wunder, 
wenn auffirebenbe Organiften dieſe bisher ungebrudten Schätze zu⸗ 
gänglich zu machen ſuchen. Die vorliegenden Novantifen find hoch⸗ 
intereſſant, ſchade nur, daß es dem Herausgeber nicht gelungen iſt, das 
Manuſcript von einigen Fehlern zu ſäubern, die wir, Haha auf 
Dr. $ranz Lißt's Autorität, auf Verlangen zur Verfügung ſtellen. 


11. Schaab, Robert: 120 der befannteften und a 
— oräle für Säule und Haus, Sf LU, TR 1 
Reipgig, Forberg. 
Guter vierftimmiger Tonſatz und eine Tertftrophe ber betreffenden 
Kirchenlieder machen die Sammlung ganz annehmbar. 
12. Schaab, Mobert: Haus⸗Choralbuch. Cine Auswahl von 100 der 
befannteften Ghoräle nad; den Feſtkreiſen des Kirchenjahres geordnet und 


a mi für Pianoforte oder Harmonium bearbeitet. Leipzig, Bortins, 
Preis 


Mußilaliſche Pädagogik 547. 


Auch biefe Choralanthologie if, wie bie vorige Sammlimg, gang 
zwedmäßig- entworfen, nur hätten wir auch hier bie Lieberterte ge= 
wünſcht. | “ 

13. Bad, A. W.: Choralbuch für den Gemeindegefang und die 
Drgel, Mit Anhang. Enthaltend 192 Ghoräle und ihr iſche Reſpon⸗ 
forien. Beigabe: Baterunfer und Cinſetzungsworte für Geſang. Berlin, 
Georg Reimer. 

Die Herausgabe des vorliegenden Chorafbuches in ber urfprüng- 
lichen Geftalt mit 116 von bem verftorbenen A. W. Bach bearbeiteten 
Ehorälen zum Preuß. Militairgefangbuche ift vor einigen Jahren von 
ben oberften Kirchenbehörben bewerkftelligt tuorben, nachdem das vor: 
ber im Gebrauch geweſene Neibtharbt’iche Choralbuch im Buchhandel 
bergriffen war. Bei fFeitftellung ber Veränderungen in leßterem Choral- 
buche, welche nach den in ben Milttairgottesbienften gefammelten Be— 
obachtungen fich ala wünfchenswerth ergeben hatten, ftellte fi) haupt⸗ 
fählih Heraus, daß die Mehrzahl der Melodien zu hoch gejegt war. 
Die 76 letzten Nummern (Nr. 117—192) find in Bach'ſcher Weife 
gearbeitet worden. Die Entſtehungszeit der betreffenden Ghoräle ift 
meiſtens angegeben. 


Für Orgel und andere Inftrumente. 


14. Ausgewählte Stüde für das Bioloncello mit Begleitung des 

Bien W8— oder Orgel oder Harmonium. 
1. Haͤndel: — Cello und Orgel, arr. von ®. Fihenhagen, 
reis . 
2. „ Sarabande von W. Fißenhagen, Preis 1 M., Caſſel, 
Luckhardt. 
Ein Paar kernige und körnige Stücke von beſtem Schrot und 

Korn. 

15. Andante aus dem italieniſchen Concert von Geb. Bach für 
Bioline und Orgel, eingerihter von Hermann Kretſchmar. Leipzig, 
Korberg. Preis 1 M. 30 Pf. 

Eine fehr dankenswerthe Bereicherung unferer geiftlichen Concert- 
programme. 

16. Zander, D.: Andante für Oboe, Violine, Bioloncello und 
Orgel. Weimar, Kühn, 12%/, Nor. 


Ein fchöner Sa, der bei guter Ausführung Erfolg haben wird. 


Für Harmonium. 


17. Schaab, Mobert: Theoretiſch⸗praktiſche Harmoniumſchule. Leipzig, For⸗ 
berg, 2 M. 25 Pf. 

Enthält das Nothivenbigfte, was man zur Behandlung biefes 
immer mehr und mehr in Aufnahme kommenden Inſtrumentes wiſſen 
muß. Die gewählten Uebungsſtücke find von verſchiedenen Componiften. 

s5* 


548 Mufttaliihe Päbagogit. 


18. ESchaab, Robert: Sarmoninm-Album. Altes und Neues, Ernſtes 


ln Dı Reibe ibe aus den Schäpen unferer Meißer. Zeipzig, 


Auswahl und Bearbeitung lafien nichts zu wänjchen übrig. 


19. Schaab, Robert: 7 erüd: aus dem Oratorium: „Das Ende 
des Gerechten“ von J. &. Schicht für Harmonium bearbeitet, Leipzig, 
Hofmeifter, Preis 1 Thlr. 


Durchweg en phon im weichen Mozart⸗Style gehalten, ohne er⸗ 
hebliche Schwierigkeit. 


20. Schaab: op. 104: 8 Charakterſtücke (Leder ohne Worte) für Harmo⸗ 
nium oder Pianoforte, Leipzig, Hofmelfter, Preis 3 M. 


Nicht nur als fleißiger, vielleicht fleißigſter aller, Arrangeure, 
bringt ber Autor au Eigenes und zwar Mittelſchweres in an- 
nebmbarer Form. 


21. Schaab: Drei Stüde auß dem Oratorium: „Die Schöpfung” von 
Il. Haydn für BPtanoforte und Harmoni 
1. Chor: „Die Himmel erzäblen bie Ehre Gone“, Preis 15 Nor. 
„ „Stimmt an die Saiten, Preis 10 gt 
7 Arie: „Run beut die Flur“, Preis 14 Rgr., Leipzig, Forberg. 


Auch in dieſer Geſtalt werden nd bie jugendfrifchen Arbeiten bes 
Bater Haydn neue Freunde eriverbe 


4 








XVI Die äußeren Berbältniffe der 
Deutichen Volksſchule. 


Bon 


6. Kehr, 
Gemtnardirektor in Halberſtadt. 





1. Die Beit, in der wir leben, ift eine ernfle und ſchwere, aber 
auch eine große Zeit. Nach ber glorreichen Wiedergeburt bes Deutfchen 
Vaterlandes iſt ber Kampf um bie erhabenften, ebelften Güter ber 
Menfchheit auf der ganzen Linie mit einer Kraft umb einer Begeifte- 
zung geführt worben, wie nie zubor. Die biefen Kampf hanpta 
führenbe Hreffe welche heutzutage fi zur erſten Macht ber 
binaufgefdtuungen, bie Öffentlihe Meinung bildet und —88 

de Ideen und Grunbjähe faſt mit Blitzesſchnelle verbreitet 

und über alle Lebensfragen, ſei es in religibſer, ſei es in politiſcher 
Hinſicht, entſcheidet, hat es jedoch zu einer Entſcheidung in dem gegen⸗ 
mwärtigen Culturlampfe bis auf die Stunde noch nicht gebracht. Der 
Rampt tobt weiter, weil die Parteien fih gegenfeitig Unterfepät haben. 
Die Einen haben an die Größe der Dimenfionen, welche der Wider⸗ 
fand jemals annehmen könnte, nie geglaubt, die Anderen die Energie 
und eiſerne Gonfequenz nicht für möglih gehalten, mit welcher bie 
Geſetze des Staates audgeführt und gehanbhan werben. Defien un- 
geachtet mehren fi überall bie Zeichen, welche auf eine Ermattung 
im Im rcmpfe fchließen laſſen. Im ulteamontanen Lager beginnen bie 
U zus Fortſetzung —78 — fh zu erſchöpfen, man ſetzt feine 
Sof auf eine beflere Zukunft, zum Theil auf Männer, aus beren 
biöherigen Ganblungen wenigſtens man mit Buberficht fchließen Tann, 
ap f fie fih nimmermehr in bie Breſche werfen werden, und rechnet 
fo mit Faetoren, in denen man einen Rettungsanler nicht zu erbliden 
vermag. Die Regierung bagegen ſchreitet an dem paffiven Wider⸗ 
Rande der Hierarchie, durch melden fie noch nie in eine peinliche 
Situation gelommen, mit einer Rube und Nichtachtung vorüber, als 
wäre ex gar nicht vorhanden. Dieſe Erſcheinungen aber deuten Darauf 


550 Die äußeren Verbältnifje ber beutfchen Vollsſchule. 


bin, daß man nad) ben entſetzlichen Stürmen, welche das Vaterland 
lange genug unbeilvoll burdtobt, allgemein des Kampfes mübe ge» 
worben, daß man allerfeits nicht den Streit, fonbern den langerſehnten 
Frieden wolle. Dem Frieden aber muß ber Waffenftillfiand vorher- 
geben. Wer Tchlägt ig u ihm bie golbene Brüde? Diejenigen, 
weldhe vor einem Jahre X Abſchaffung ber Maigeſetze, jet aber 
- Schon mäßiger getvorben, eine Reviſion berjelben als conditio sine qua 
non berlangen, vermögen e3 damit noch nit. Der Staat verlangt 
ein ganz anderes Unterpfand. Allen, was aud nur entfernt ben 
Schein einer Negation ber Majeſtätdrechte des Kaifers an. ſich trägt, 
wird er ſich widerſetzen, das ift ſonnenklar. Es muß alfo mit einem 
hofitipen Achte bes borfams zunächſt won Seiten derer, welche bie 
göttliche Providenz ana Steuerruber ber Kirche in Deutſchianb gerufen, 
begonnen werben. Ohne dieſen giebt es feinen modus vivendi zwiſchen 
Staat und Fire. Weit entfernt, nur fo, wenn bie tetholifcjen 
Bifchöfe von dem unbeilvollen paffiven Wiberftande ablafien und in 
Demuth wirken, dann ift bie goldene Brüde geichlagen, und wir 
können zuverſichtlich hoffen, daß die böſen Wetter weichen, daß fern 
von allem Zank und Streit, des Volles Wohlfahrt ſich "heben und 
Alle im großen Deutichen Baterlande als Kinder eined Vaters in 
Liebe ſich die Hände reichen werben. . 

In ben Freien der Volksſchullehrer if men, wie bie päbagogifche 
Prefie beiverft, der Entwickelung biefed ſchweren Waffenganges mit 
gang befonderem Intereſſe gefolgt. Iſt doch bie Macht, gegen welche 
ber Staat in die Schranten trat, diejenige, welche dem Beben, 
fortjchrittlichen Enttoidelungägange ber Schule, namentlich der 3 
ſchule, von jeher mit rückſichtsloſer Energie und — leider — jr 
mit nur zu glüdlichem Erfolge ben Lebensfaben abzuſchneiden firebt. 
In Arbeiterkreiſen verfucht man, dem herrſchenden Streite mit Dften- 
tation die Bedentung eines „Culturlampfes“ zwar ohaufpreiien, 
bie Lehrerwelt aber gehört, in unferem Vaterlande menigftens, ber 
Mehrzahl nah zu denjenigen Parteien, welche die ſchwerwiegenden 
Folgen jenes Kampfes nach allen Seiten bin klar vorauszuberechnen 
und voll zu würbigen vermögen. In jedem alle wird fich dieſelbe 
ftet3 fagen müflen, daß derjenige Theil Sieger fein wird, der e3 am 
längften aushält. 

2. Im vorigen Jahresberichte ſchon wurde barauf hingewieſen, 
bat bie Pädagogik auf literariſchem Gebiete alle anderen Wiffenfchaften 
an Zahl der Publilationen überholt bat. Einen neuen Beweis 
bon bem regen Leben auf dem Gebiete ber Erziehung und bes Unter⸗ 
richtes giebt der 8. Nachtrag zum Zeitungs-Preiscourante, wonach 
innerhalb des beutjchen Reichspoftgebietes bo 1. Juli 1874 ab nicht 
weniger als 93 Schulgeitungen begogeniverben. Davon erſcheinen in Preußen 
allein 41 (Berlin 16), in den übrigen deutſchen Staaten 43 (Leipzig 10), 
Defterreich. wird burch 5, bie Schweiz burch:& Lebrergeitungen vertreten. 
2 dieſer Beitfchriften. zeichnen I durch gweimaliges wochentliches Er⸗ 
ſcheinen aus, 41 erſcheinen wöchentlich 1 mal, 2 alle 14 Tage, 








Die äußeren Verhältniſſe der deutſchen Volksſchule. 551 


1 monatlich 4 mal, 6 monatlich 3 mal, 11 monatli 2 mal, 
16 monatlich 1 mal, 1 jähri 11 mal, 2 je 10 mal, 2 ie 8 mal, 
5 je 6 mal, 3je 4 mal, ım unbeftimmten Beiträumen. 

3. Von allgemeinen. gefetzlichen Beſtimmungen, weiche das ganze 
deutſche Reichsgebiet betreffen, verdient das am 2. Mai 1874 publi- 
cite Reichs militärgeſet deshalb beſondere Aufmerkſamkeit. weil 
es in 8 51 bie Militärdienſtzeit der Lehrer mit folgenden Beſtimmungen 
feſtſetzt: „Volksſchullehrer und Candidaten des Vollsſchulamtes welche 
ihre Befkhigung für das Schulamt in vorſchriftsmäßiger Prüfung 
nachgewieſen haben, Tönnen nach kürzerer Einübung mit den Waffen 
zur Verfügung ber Truppentheile beurlaubt werben. Giebt der Be 
urlaubte feinen biöherigen Beruf gänzlich auf ober wird er aus bem 
Schulamte für immer entlaffen, fo kann er vor Ablauf bes Jahres, 
in welchem er das 25. Lebensjahr vollendet, zu altivem Dienſt ein⸗ 
gezogen werden.“ 

ereſſant iſt ferner die Anficht der Militãrkommiſſion des 
Neichötages, daß die Vorbedingungen zum einjährigen Freiwilligendienſte 
durch ein befonbere® Geſetz zu regeln ſeien. Dieſem Beſchluſſe gegen« 
über erllärte die Reichsregierung, fie beabſichtige nicht, die Anſprüche 
an das Bildungsmaß der Breitvilligen zu erhöhen. Im Bredlau iſt 
bereitö einer neunflaffigen Mittelſchule, melde Anftalten befanntlich 
zu den Volksſchulen gerechnet werben, die Berechtigung zur naöfiellung 
von Neifegeugnifien für ihre Abiturienten verliehen worden, wo⸗ 
durch die Inhaber zum einjährigen ee im Häbagogid berechtigt find. 
Großes Auffehen erregte nicht nur in päbagogiichen Kreiſen eine 

Nede des Feldmarſchall Grafen Moltte im beutfchen Reichstage. Die 
Ausfprüche des genialen Schlachtendenkers wirbelten in der pädagogischen 
Fachprefſe gewaltigen Staub auf, ‚weil Moltke's Worte der allgemeinen 
Militärpflicht einen größeren erziehlihden Einfluß auf ba3 Wolf zu- 
reiben, als der Schule. Veranlaſſung dazu gab Moltke die Ver⸗ 
tpeibigung erböhter Unforberungen Betreff ber Leitungen für das 
Her. Es erſcheint wohl nicht als meitfchweifig und fernliegend, bie 
einfchlägigen Stellen feiner Rebe hier wieberzugeben: „Die Säule iſt 
der Punkt, wo der Hebel eingeſetzt werden muß, wenn wir uns gegen 
Gefahren ſchützen wollen, bie ebenfo ſehr wie ein Angriff von außen 
und von innen broben, aus forialiftifchen und fommuniftifchen Be- 
Deehungen, — Gefahren, welche nur befeitigt werben Tönnen neben focialen 
rbefferungen durch eine größere und allgemeiner berbreitete Bilbung. 
Die Säule, meine Herren, nimmt nicht die gange Jugend in fi auf 
und fie begleitet die Mebrbeit derfelben nur auf einer verbältnigmäßig 
kurzen Strede ihres Lebensganges. Glücklicher Weife tritt nun bei 
und ba, wo ber eigentliche Unterricht aufhört, ſehr bald die Erziehung 
ein und feine Nation bat bis jegt in ihrer Geſammtheit eine Erziehung 
genofien, wie die unferige durch die allgemeine Mtfttäcpfliht. Man 
Bat gefagt, der Schulmeifter ‚habe unſere Schlachten gewonnen. Das 
bloße Wiffen‘ aber erhebt den Nenſchen noch nicht auf ben Standpunkt, 
wo er bereit iſt, daB Leben Für eine fee, Für Pflichterfüllung, Kir bie 


—— —— — — ——— —— 


— — 


— — — — — uno 


552 Die äußeren Verhältniffe ber beutfchen Volksſchule. 


Ehre des Baterlandes einzufehen: dazu gehört bi a Gryiehung bei 
Denim Nicht der Schulmeifter, ſondern der Exzie ber Staat, 
bat unfere Schlachten getvonnen, der Staat, welcher dan I han 60 Jahr⸗ 
gänge ber Nation erzogen anti zu teperlide Rüftigleit und geiftiger 
Friſche, zu Ordnung und Pünktlichkeit, zu Treue und Gehorſam, zu 
Bateelanbäliche und Mannhaftigk * 

In manchen Pa: bat man ſich begeiſtert für bie See 
ausgefproden, bad Schulweſen zus Reichsangelegenheit zu machen. Die 
babin gehende, bejonders von dem Schriftſteller Dr. Hirth angeregte 
Agitation bat neuerdings ihren entichiedenften Ausbrud in einer Adreſſe 
an den beutichen Reihätag gefunden, welche von Hirth verfaßt wurde 
und viele Unterfchriften fand. Es wird barin bejonbers betont, daß 
bie Regelung bed Schulweſens buch das Reich aus 15 einzeln und 
ausführlich angegebenen Gründen durchaus in befien Competenz und 
Interefie Liege. Schließlich bitten Hirih und Genoflen: „Der bobe 
Reichstag wolle balbigft geeignete Schrüte thun: a um volle Klarheit 
zu geivinnen über ben Zuſtand bes Volksſchulweſens in ben ver⸗ 
ſchiedenen Staaten und Gegenben bed Reichs, insbejonbere über die 
Zahl und den geiftigen Zuſtand ber Schüler, über Bildung und Be⸗ 
ſoldung des Lehrerperfonals, über das Verhältniß befjelben wie bes 
Schulen überhaupt zur Rixche ‚ über den Buftand ber Schulgebäube 
und der Lehrmittel, über bie linterhaltung ber Schulen aus Gemeinbe= 
und Staatömitteln, Stiftungen, Schulgeldern u. |. w.; b. um feſtzu⸗ 
ftellen, was bie Volksſchule aller Orten, vielleicht im Bufammenbange 
mit einer obligatoriihen Fortbildungsſchule, leiften muß, bamit jedem 
jungen Reichsbürger das Rüflzeug mit auf ben Weg gegeben werben 
Tonne, ohne welches für ihn das Leben eine Laft, die Freiheit ein 
Fluch, das Geſetz ein tobter Buchſtabe, das Vaterland ein leeres Wort 
fein muß; co. um Gefehe und Einrichtungen zu ſchaffen, welche eine 
biefen dr Forderungen entiprechende Schulverwaltung gewährleiften, uf 
bem Grunde der kommunalen Selbftverwaltung, unter Mitwirfung ber 
gelekgebenden und Vertvaltungsorgane ber Bunbesflanten, unter Aus- 
ſchluß alfo jeder centraliſtiſchen Entwidelung bed Schulweſens — aber 
mit einem ſtraffen Reichsfchulgefek und einem bie „nsfübung befielben 
verbürgenden Reichsſchulbudget. —“ Diefe Petition bat weder in 
maßgebenben pädagogiſchen Kreifen — man fürditet bort, daß mög⸗ 
ligerweile das Schulweſen in ber Hand eines Reichökultusminifters & 

la Mübler mit einem Schlage ber Reaction in die Hände geliefert 
werden könne —, noch im Neichötage jelbft die von ben Bittftelleen 
gewünjchte Aufnahme gefunden; bie betreffende Kommiſſion —3 
nämlich Uebergang zur —— , mit der Motivirung, daß dad 
— ber Competenz des Reichs verfaſſungsgemäß nicht unter⸗ 
worfen ſei 

5. Die mancherlei Mängel der nn eujeen Rechtſchreibung haben 

in ber päbagogiichen Preſſe lebhafte Erörterungen über die Möglichkeit 
einer Ginigung auf dieſem Gebiete Berborgerufen. Ginzelne Lehrer⸗ 
zeitungen haben ſich fogar eine beſondere Orthographie gebildet und 





Die äußeren Verhältniſſe der deutfchen Volksſchule. 553 
bringen biefelbe confequent in A Aber die Verwirrung 


irb dadurch nur größer. Auf ber einen Seite flieht bie Schweizerifche 
Zehrerzeitung mit ihrer rabifalen, alle Sprachentwickelung einfach über 
Bord werfenden „ortografie“, welche fogar bie beutichen Leitern voll⸗ 
fändig verwirft, auf ber anderen Seite gemäßigtere Organe, melde 
nur bad gerabezu Inconſequente, augenſcheinlich Falſche über Bord 
werfen; dazwiſchen bie große Zahl ber Beitfehriften, welche ruhig beim 
Altbergebrachten bleibt. Anftoß pr einer weitergehenden Bewegung in 
biefer Frage gab wohl die Rede des berühmten Profefior Duboig- 
Reymond am Geburtstage des Königs in der Ulabemie ber Wiflen- 
fchaften gu Berlin. Der verdiente Gelehrte fagt unter Anderem: „Ich 
träume eine kaiſerliche Alademie ber beutichen Sprache, bie alle bis⸗ 
berigen und, jagen wir es nur, vbergeblichen Verſuche, eine allgemein 
gültige deutſche Nechtichreibung feftzufehen, ihrerſeits in die Hand 
nimmt, an ber ſich bie bebeutenditen und kompetenſten Schriftfteller 
unferer Ration arbeitend betbeiligen.“ Auf eine Petition des rheinifchen 
Brovinzialvereins von Dirigenten, Lehrern u. |. w. an höheren Töchter- 
Schulen, worin ber Kultusminifter Dr. Falk um Einfegung feines Ein- 
flufjes in der Angelegenheit gebeten wurbe, erwiberte berfelbe, daß bie 
Sade bereitd längere Zeit in Erwägung genommen worden fei, bei 
den vielem vorhandenen Schwierigleiten aber nach allen Seiten bin 
eine rückſichtsvolle Behandlung erforbere. Dr. R. von Raumer in 
Erlangen bat vom genannten Miniftee den Auftrag erhalten, bie 
Grundfäge zu einer Reform der deutſchen Rechtſchreibung aufzuftellen. 

6. Das Vereinsweſen trieb aud im verflofienen Sabre feine 
periodiſch wiederlehrenden Blütben in ben Vereinsverſammlungen; 
beſonderer Aufmerkfamleit und Theilnahme dürften ſich wohl zunächſt 
biejenigen Vereine verfiddert halten, welche das Intereſſe für Schuls 
wein und Volkserziehung in weitere Kreiſe zu tragen beftrebt finb 
ober direct erziebend auf das Volk einwirken wollen. Ihnen wenden 
wir unfere Aufmerlfamleit zunächſt zu. 

Unter der Firma: „Norbiweftdeuticher Vollsjchriftenverlag“ bat 
eine Anzahl bewährter Bollsfreunde in Bremen ein Berlagsgeihäft 
begründet, welches ſich die Pflege der Vollksliteratur zur alleinigen 
Aufgabe gemacht bat, Man beabfichtigt, zunähft nur gute, volls- 
thümliche Erzählungen berauszugeben, ſpäter aber auch anderen, rein 
belehrenden, bejchreibenden zc. feine Aufmerkſamleit zuzuwenden. Bes 
seits find tüchtige Vollsfchriftfteller für das Unternehmen geivonnen 
und mehrere Schriften veröffentlicht worden. Die materielle Grunde 
Inge bes Geſchäfles Lieferten die von patriotifhen Bürgern Hamburg's, 
Bremen's, Oldenburg's und Emden's bereitwillig gefpendeten Mittel. 
Das Unternehmen erjcheint bei der Hochfluth unfittlicher Golportage- 
Romane, welche namentlich von Berlin aus auf den literarifchen Markt 
geworfen werben, höchſt anerklennenswerth und verdient bie wärmſte 
Bertretung durch bie beutiche Lebrerwelt. Seine Einführung bürfte 
um fo leichter möglich fein, ald man vernünftiger Weife ben phantafies 
beftechenden Verliner Schanbpublifationen nur mit anregenben, das 


554 Die äußeren Verhäktniffe ber bentfchen Wolfafchule. 


GBernüth eriwärmenben Etzachlungen Concurrenz bieten will. Mochte 
der weitreichende Einfluß der dentſchen Lehrerſchaft das jugendliche 
Inſtitut über die erſten Gefahren des Daſeins hinwegheben helfen! 

Die Geſellſchaft für Verbreitung von Vollsbildung“ entfaltete 
au im verfloffenen Jahre eine rege Thätigleit. Die beftehenden 
Zweig⸗ und Provinzialvereine wachfen an Mitgliederzahl, an vielen 
Drten entftehen neue. Wanderlehrer durchziehen alle Theile des Vater⸗ 
landes, allerorten die Ideen eines vernünftigen Fortſchrittes prebigend 
und in die Schichten des Volles tragend. Eine hocherfreuliche An⸗ 
erkennung wurde ber Gejellichaft durch bie großartige Schenkung des 
Herrn ©. A. von Hoffmann zu Streatbam in England I Theil. 
Genannter Herr überwies, um fein Intereſſe für die Geſellſchaft zu 
betbätigen, die Summe von 10,000 Thalern unter ber einzigen Be- 
dingung an diefelbe, dag nur die Zinſen diefer Summe verwandt 
werden follen, die Summe felbft aber zum Stammkapital ber Ge: 
ſellſchaft geſchlagen werde. Der Verein bat damit eine feite Grund⸗ 
lage geivonnen, mit Hülfe deren eine immer erfolgreichere Thätigkeit 
zu erivarten ſteht. Der Bericht über das abgelaufene Geſchäftsjahr 
giebt folgende intereffante Mittbeilungen: Die Zahl der Mitglieder 
beträgt 3123, gegen dad Vorjahr 849 mehr; davon kommen auf 
Preußen 1584 (Heffen-Raffau 395, Brandenburg 256, Rheinprovinz 
253, Hannover 207, Pommern 149, Preußen 89, Weftphalen 72, 
Sachſen 52, Säleften 35, Pofen 15, Schleewig-Holflein 11), König: 
reich Sachſen 685, Hefſen⸗Darmſtadt 3583, Bremen 208, Samburg 208, 
Bahern 66, Reuß &. 2. 58, Medienburg. Schwerin 47, Weiningen 33, 
Neuß j. 2. 30, Weimar 20, Baden 19, Würtemberg 13, Braun« 
ſchweig 9, Dlbenburg 7, Altenburg 7, Goburg:Gotha 6, das Reichs⸗ 
land 6, Schmargburg - Rubolftadt, Walded, Lippe - Schaumburg und 
Lübel je 1 Mitglied. Die Geſellſchaft umfaßt 445 Bereine, melche 
nach den Iofalen Bedurfniſſen verfchiedene Bildungszwecke verfolgen ; bie 
meiften find eigentliche Bildungsvereine, dann Handiwerler-, Gewerbes, 
Sonfume, Vorſchuß⸗, Orts⸗(Gewerk⸗)Vereine ꝛe. In Folge der Agitation 
für Einführung der Fortbildungsfchulen wurden von Mitgliedern 13 
derartige Anftalten in's Leben gerufen, deren Bejuch durch Drtöftatut 
obligatorisch gemacht tft; in 18 Städten wurden von Gejellihaftämit- 
gliedern Fortbildungsfchulen mit freitvilligem Befuche in's Leben ge: 
rufen. Ferner wurden von Mitgliedem 40 neue Bibliotheken ge⸗ 
gründet. Im Auftrage ber Gefellfchaft hielten die Wanderlehrer und 
Ausfchußmitglieder gegen 400 Vorträge. Die Ausgaben für Bildung 
zwecke beliefen fih auf 12,579 Thlr. Organ der Geſellſchaft ift bie 
Wochenſchrift „Der Bilbungsverein.“ n 

Speciell für Erhöhung der Bildung und des wiſſenſchaftlichen 
Strebens in Lehrerkreiſen beſtimmt iſt die Leipziger Comenius⸗ 
Stiftung. Sie ſoll, als eine pädagogiſche Gentralbibliochel, "ben 
Lehrern das wiſſenſchaftliche Material nicht nur m möglichfter Boll: 
ſtlindigkeit, ſondern auch genau geordnet bieten. Gegründet am 
15. November 1871’, konnte die Bibliothek im -erfien Jahre nur bie 





Die fußeren Verhältniffe der deutſchen Volkeſchule. 555 


Amſterdamer Oefammtatägabe von Gomentus bidaktiſchen Werken für 
90 Mark erwerben, mußte ſich übrigens aber auf: das Intereſſe der 
Saale en md. Lehrer Deutfchlands und Deſterreichs verlaſſen. 
Bereits am Jahresſchluß 1872 waren denn auch 2500 Bande als 
Geſchenke eingegangen. Die Geldmittel: wurben Anfangs befonbers 
durch Sammlungen unter den Lehrern Leipzigs und durch ein großes 
Kinderconcert aufgebracht. Neichlilhe Unterftühungen bon ber beutfchen 
Kaiſerin, der bayriſchen Staatöregierung, 36 Magifträten und vielen 
Lehrervereinen verftärkten die Mittel der Anſtalt in erfreulicher Weiſe. 
88 Pflegichaften wirken jetzt mit Erfolg in allen Bauen Deutichlands 
für das Intereffe der Stiftung Die öffentliden Lehranftalten 
Preußens, Deſterreichs und einiger Heineren Staaten find zur Ein- 
fendung ihrer Programme an die Bibliothek angewieſen worden; im 
November 1874 waren fon 674 Schulen mit 3292 Programmen 
vertreten. Zahlreiche Sefchente, worunter vollſtändige Bibliotheken von 
Hunderten von Bänden, theild von Pädagogen und Schrififtellern, 
theils von Buchhändlern, brachten den Beftand der Bibliothek bis Ende 
November auf über 10,000 Bände. Den Plan zur mifienfchaftlichen 
Ordnung ber Biblisthef entwarf Gymnaſialdireltor Dr. Vogt in Kaſſel. 
Die Außerfi mühlame Anfertigung des Zettellatalog3 volljogen Lehrer aus 
Leipzig und Umgebung, die Anlegung bes rubricirten Kataloges hingegen 
wurde mit einigen Leipziger Lehrern von dem neuerwählten Stiftungs- 
Bihliothelar Dr. Zimmermann bewirkt. Auch ein geeignetes Lokal ift be- 
veits erworben (Sidonienftraße 51 parterre). Die Gefammteinnahme ber 
Stiftung betrug in ben brei erften „Jahren 3600 Mark; es fteht nad) 
Maßgabe ber erften, gerabezu glänzenden Erfolge zu hoffen, daß immer 
reicher fließende Gelbbeiträge bie -Lüdenlofe Vervollftänbigung ber 
Büderfammlung ermöglichen werben. Das in der ganzen Welt einzig 
daftehende Unternehmen wird hoffentlich der werfthätigen Unterſtützung 
der beutichen Lehrerihaft nicht entbehren. — — 

In Berlin ward Ende Februar ber fünfte Congreß beutfcher 
Landtvirthe gehalten. Bandesölonomierath Griepenferl aus Braun⸗ 
ſchweig, beantragte bie Einführung Inbitfgaftihe Mittelfichulen 
und warb dabei ‚lebhaft vom Abgeordneten Miguel unterſtützt. Die 
Berfammlung erkannte bie Einrichtung dieſer Anftalten für „ein bringen- 
des Bebürfniß der Landwirthichaft und ein nothwendiges Glied in 
ger Kette der öffentlichen Unterrichtsanftalten.” Alle Rebner, befonders 
Neferent Sombart und Miqusl, forberten ferner bei Gelegenheit ber 
—— über ländliche Fortbilbungafehulen energifch deren Errichtung. 

Die Errichtung von obligatorifchen Yortbildungsfchulen für die männ- 
üch⸗ Jugend auf dem Lanbe zur Befeſtigung und Erweiterung des 
in der Vollsſchule Gelernten if ein ſtaatliches und vollswirthſchaftliches 
Bedurfniß.“ — — Die Berjammlung bes deutichen Landwirthſchafts⸗ 
rathes, welche Mitte Oltober in Berlin tagte, ‚verdient deshalb an 
diefer ‚Stelle Befondere- Erwähnung, weil fülgende Beſchlüſſe über die 
Borrbitbungafinlen gefaßt wurden: „Die Erriätung von Fottbildungs⸗ 
ſchulen für. die männliche Jugend aus auf dem Sande iſt im ſtaat⸗ 


556 Die äußeren: Verbältniffe ber deutſchen Volloeſchule. 


lien und wirthſchaftlichen, wie fpecjell landwirthichaftlichen Interefſe 
dringendes Bebürfniß. Die Aufgabe ländlicher Fortbildungeſchulen 
ſoll aber keineswegs eine landwirthſchaftliche Fachbildung fein, ſondern 
einzig und allein Befeſtigung und Erweiterung des in ber Vollaſchale 
Gelernten. Solde Sortbilbungsfculen ſollen in allen deutſchen Ländern 
und allen Schulgemeinben für die männliche Jugend bis mindeſtens 
zum Aa Sebendjahre angefivebt und auf bem Wege ber Geſetzgebung 
eingerührt w 
7. —8 ben ſpeciell padagogiſchen Vereinen, bezuglich Verſamm⸗ 
lungen geben wir im Folgenden um deßwillen ein eiwa⸗ ausführlicheres 
Referat, weil dieſe Verſammlungen denjenigen Wünſchen und Be 
firebungen Ausbrud geben, welche die gegenwärtige Lehrerivelt beivegt. 
Wir erwähnen zunächft ben allgemeinen Erziehungsverein. Seine britte 
Jahresverſammlung wurde am 26. und 27. Mai unter Borfig des 
Eiſenbahndirektors Schrader aus Berlin in Braunfchweig abgehalten. 
Zwar sagten —— Lehrerverſammlungen in —æ** und Dresben; 
bennoh war ber Beſuch ein gahlveicer. Am erften Tage wurbe 
Bericht über bie gegenwärtige Verbreitung bed Vereins erſtattet. Er 
zählt gegenwärtig in allen Bauen Deutichlands 250 Einzelmitglieber, 
außerdem haben ſich 14 Vereine, worunter jämmstliche Dresdener Logen, 
angefchlofien. Die innere Deeinbihätiglei richtet ſich beſonders auf 
bie Gründung und Erweiterung bes geplanten Hröbelftiftung, melde 
eine Mufteranfialt für Sröbel’Iche — Sie ward mit Errichtung 
einer Bildungsanſtalt Kir 5 Hinbergäistnerinnen begonnen; bie Babl ber 
ülerinnen ift nad dem Berichte bes Direlter Marquart 
gelegen, Ein zur Verſtärkung ber Unterbaltungsmittel erla 
Aufruf hatte den Fonds auf faft 3000 Thle. gebracht. ALS Vereins⸗ 
organ iſt „die Erziehung ber Gegenwart” gewählt; bad Blatt bringt in 
immer weitere eife und ift durch Zutritt befannter Mitarbeiter 
weſentlich gehoben worden. Außerdem hielt Pfarrer Bähring aus 
Wilgartöwieien einen Bortvag über die Grunbbebingungen ber Er- 
giehung, in welchem Herder's Wort „Licht, Liebe, Leben“ geiftuoll auf 
8 Gebiet ber Erziehung angewendet wurde. Am zweiten Tage 
— Dr. Hohlfeld klar und ſcharf über das Themas. „Erziehung zur 
unft”, womit er zugleich auf das von den Schülern bes Borboueriden 
mufilalifcjen Kindergartens am folgenden Tage gegebene Concert hin⸗ 
ieh, Die Anivenbung der Zröbel’jchen Idee auf den Mufilunterricht 
atte für die Zuhörer etwas Ueberraſchendes und man verſpricht bem 
en eine große Zukunft. — Gejellige Bergnügungen wurden 
eine gemeinfchaftlihe Tafel und eine Vergnügungsfahrt nad) 
Der geboten. Die nächte Berfammlung fol Michaelis 1875 
ftattfinden. In ber Biviichengeit ſollen Duartalöfigungen 
bes —— eingeführt werben und das Arbeitsmaterial für bie 
ammlungen borbereiten. 
Einen internationalen, kosmopolitiſchen Anhauch hat ber er 
berein am Bodenſee, weldier am 18. Juli in Bregenz Der 
Verein verdankt feine Entftehung bairiſchen und —— — Pada⸗ 








Die äuferen :Werhältniffe ber beutfchen Volksſchule. 557 


; er ſoll durch geiftigen Austauſch nicht nur daB padagogiſche 
De und Können ber Mitglieder erweitern fordern: auch bie etwa 
vorhandenen nationalen Empfindeleien beſeinigen helfen. Die dies⸗ 
jährige dritte Haupwerſammlung war bon mehr als 160 Theilnehmern 
—** Als Präfident fungirte Obmenn Dr. Nachbaur aus Feldkirch. 
Die Berfammlung ward mit Abfingung bes Mozart'ſchen Bunbestiebes 
eröffnet. Darauf gab der Borfigende einen Abriß über Entflehung 
und Beſtand des Vereines wonach Semimarbireltor Herz aus Meers⸗ 
burg „Weber den Anſchauungsunterricht in der Vollsſchule“ ſprach. 
Redner. Inüpfte an feinen Vortrag eine Probelection mit 12 Schülern 
einer Bregenzer Volksſchule. Dr. Largiader, Seminarbireltor in 
Rorſchach, gab hierauf einen Bericht über ben Buftand dieſer Disciplin 
in der Schweiz und ſprach ſich Kar über Zweck und Methode deſſelben 
aus. Brand aus Aeſchach berichtete über den Anſchauungsunterricht 
in Baiern, Merz über diefen Unterrichtözweig in Baden. Nachmittags 
3 Uhr ward die Verfammlung mit einem Bortrage bed Profeflor 
Zösmair aus Feldkirch über „Gründung ber Vollsichule in Defterreich 
durch Kaiferin Maria Therefia” wieder eröffnet. Die Verkommenheit 
bes Volles vor Gründung der Vollsſchule warb durch ftatiftifche Er⸗ 
hebungen nachgewieſen, das Bild ber großen, energiſchen Yürftin mit 
Sachkenntniß und marmer Begeifterung gezeichnet. Schließlich warb 
noch als Verfammlungsort für nächftes Jahr Konflanz und zum Bor- 
Rande Merz aus Meeröburg, Wil und Keßler aus Konflanz gewählt. 

Die 21. allgemeine beutfche Lebrerverfammlung wurde vom 
26.—29. Mai in Breslau abgehalten. Lehrer Sturm als Vorfigender 
des Ortsausſchuffes begrüßte berzlichft die in ber VBorberfammlung ans 
weſenden Gäfte. worauf unter dem Vorſitz von Bertbelt aus Dresden 
das Präſidium der Hauptverfammlungen gewählt wurde. Die Wahl 
fiel auf: Schulrath Theodor Hoffmann aus Hamburg, Lehrer Sturm 

aus Breslau und Direktor Bertholt aus Dresden. Die erſte Haupt« 
berfammlung warb am 27. Mai Vormittags 9%, Uhr im großen 
Schießwerbergarten mit feitlicher Begrüßung ber Yeftgenofien durch 
Dberbilrgermeifter von Fordenbed eröffnet. Hierauf hieß der Tönigliche 
Regierungd» und Schulvath im Auftzage der koniglichen Regierung bie Ver⸗ 
fammlung in ausführlicher Rede willlommen und betonte befonbers, daß 
bie „Allgemeine deutſche Lehrernerfammlung” von allen gegenwärtigen Ver⸗ 
einigungen in erfter Linie eine Macht im vollen Sinne des Wortes 
fei, der gegenüber fih Niemand theinahmlos, fondern nur entiveder 
hoffend ober fürchtend verhalten könne. Lebhafter Beifall dankte bem 
Kebner. Die in der Vorverſammlung bereits gefaßten Beichlüfie 
wurden fobann von ber Hauptverfammlung beſtätigt. Nun bielt 
Schulrath Hoffmann aus Hamburg feinen Vortrag „über die nothe 
wendigen Bedingungen für eine fernere, glüdliche Entwidelung bes 
been Volksſchulweſens.“ ine lebhafte Debatte knüpfte fih am 
biefen Vortrag, als deren Reſultat ſchließlich folgende Theſen fenge- 
Melt wurden: 1) Grünblide Lehrerbilbung, würbige Stellung ber 
Lehrer, allgemeine, richtige Würdigung bes Lehrerberufes, Beauffich⸗ 





488 Die äußeren Verhältniffe ber deutſchen Volkeſchule. 


tigung ber Lehrer durch Fachmaänner und Mitwirkung bes Lehrerfiandes 
an- ber Gelehgehung- find bes erfe Seforberniß fr das —** der 
Schule. 2) Das Vereinsleben ber Lehrer muß ſich fortſchreitend ent⸗ 
wideln und ausbreiten, ſowohl zu ideellen, als auch zu materiellen 
Zwecken. 3) Balbige gejetzliche gelung bes Schulweſens und Ges 
Kaltung der Schulen zu ——— iſt der ——A Wunfd 
ber Verfammlung. 4) Die öffentlichen, d. b. die Staats⸗ ‚und bürger- 
lichen Gemeindeſchulen find in Bezug auf Gonfelfion nicht zu trennen.“ 
Thefis 1 wurde mit einigen Zujägen angenommen. Nector Dr. Bad 
empfahl ber ——— rilnebne für die früher bereits von uns 
erwähnte Petition des Dr. G. Hirth, worin um Erlaß eines Reichs⸗ 
ſchulgeſetzes gebeten wird. Direktor Heinrichs bieran gelnüpfte Reſo⸗ 
Iution: „Die 21. deutſche Lehrerverfammlung Tpricht ihre Ueberzeugung 
dahin aus, bag bie einheitliche Entwidelung bes deutſchen Volles es 
gebieterifch fordere, die Geſetzgebung über das beutfche Schulweſen dem 
Reichſstage zu übertragen”, ward angenommen. — — Am 28. Mai, 
fand, feine Hauptverfammlung ftatt, es wurden vielmehr nur zahlreiche 
Sectionsſitzungen gehalten. In ber zweiten Hauptverſammlung am 
29. Mai wurden von Lehrer Sturm die Antworten des 
Bismarck und des Kultusminiſters Dr. Falk auf die telegraphiſch ab⸗ 
geſandten Begrüßungen mitgetheit. Dr. Falk telegraphirt: „Den Dank 
für den Gruß der 21. allgemeinen deutſchen Lehrerverſammlung drücke 
ih aus in dem warmen Wunfche gebeiblicden Erfolges der erniten 
gemeinfamen Arbeit.” Die Antwort des Yürften Bismarck Iautete: 
„Herzlichen Dank den treuen Kampfgenofien,” welcher Gruß jubelnde 
Begeilterung erregte. Schuluorfteher Ittig aus Bremerhafen ſprach 
ſodann in längerem Bortrage „Ueber die Stellung ber Schule unb 
ihrer Lehrer im Gulturlampfe unferer Tage. ALS die Urbeber des 
Eulturlampfes bezeichnete der Redner beſonders die Ultramontanen 
und Socialdemokraten; bie Schilderung ber erfleven erregte Unruhe 
in der Verſammlung. Als Theſe hatte Ittig folgenden Gap zur 
——— empfohlen: „Im Culturkampfe unſerer Tage iſt es Pflicht 
der Schule und der Lehrer, allen Beſtrebungen entgegenzuarbeiten, 
welche das moderne Staatsbewußtſein zu untergraben ſuchen.“ Endlich 
brachte Seminarlehrer und Landtagsabgeordneter Kieſel aus Creutzburg 
folgenden Antrag ein: „Die 21. allgemeine deutſche Lehrerverſammlung 
ſpricht die Erwartung aus, daß die königlich preußiſche Staatsregierung 
durch baldige Vorlage eines Unterrichtögefehes die Grundlage für ein 
allgemeines deutſches Schulgefet fchaffe und auf diefe Weiſe bie Initiative 
zur einheitlichen Regelung des deutſchen Schulweſens ergreife. Zum 
Schluſſe gab der Vorſitzende geſchäftliche Mitiheilungen über die 
Sectionsſitzungen; die Berichte über diejelben ſollen mit den Berichten 
über die. Hauptverfammlungen gebzudt werben, In jeinem Schluß 
worte ſprach er den Mitgliedern ber Verfammlung fowohl, als ben 
bochgeftellten Perfönlichleiten, melde ein jo warmes Snterefie an ben 
Tag legten, endlich aber auch den Bürgern Breslaus für die bewieſene 
Gaftfreundichaft und dem Ortsausfchufle für feine Yufopferung ben 








‚ Die Anßeren Verhältnijje ber deutſchen Volboſchule. 569 


wörmften Dant aus. — In Nr. 26 der „Allgemeinen Schubeitung“ 
ſpricht Nicola J. Petrowitſch einen Vorwurf aus, welchey ben. allge 
meinen beutichen Lehreryerfammlungen ſchon vielmal gemacht worden 
if. Er bezeichnet als pofitives Refultat ber breitägigen Aubeit: all» 
gemeine Säge, welche über bunbertmal in vielen Zeitungen abgebrudt 
worden feien und noch täglich abgebrugft würben und welche bie Schule 
zu feinem Heile führen könnten. Gine rationelle, fruchtbringende 
Arbeit fieht er in ben Lehrerverfammlungen gar nicht. . Bildung und 
Fortſchritt feien unmöglich herzuſtellen, fo lange bie Lehrer bei Wünfchen 
und jo allgemeinen Sägen blieben. Die Verfammlungen müſſen auf 
das Speciellite eingeben, das „Wie? der Befriebigung fo vielmal 
ausgeiprochener Wünfche müfle einmal ernftlih vorgenommen werben. 
Die Schule folle auch dem Staate nicht dienen, fie fei ihrem innerfien 
Weſen nach Feine Dienerin und müſſe deshalb frei und felbititänbig 
fein. Diene fie dem Staate, fo müſſe fie ſich aud als Mittel zum 
Zwei gebrauchen laſſen. Die Schule fei eine Macht und als folde 
Macht, welche alle anderen in ihrer Wirkung übertzeffe, dürfe fie feiner 
anderen Macht als gehorjame Dienerin zugetheilt werden. Die Idee 
der Erziehung wolle keine Staatsſchule, ſondern eine freie Gemeinde⸗ 
ſchule, eine Schule, welche mit ber päbagogifch-bibaltiiden Wiſſenſchaft 
und bem bie höchſten Intereſſen in ſich faflenden Gulturibeale ber 
Nation. fortichreiten ſolle. Die natürlichen, geſellſchaftlichen und 
confeffionellen Berhältnifle ftellten ſich einer durch ein beutfches Schul 
geſetz egalifixten Schule in Deutichland entgegen. — 

Bei Gelegenheit des allgemeinen beutichen Lehrerverfammlung in 
Breslau murde zugleih eine Situng ber Delegixten des beutjchen 
Lehrervereins zur Hebung der Vollsſchule abgehalten. Schon in den 
Nachmittagsſtunden des 28. Mai hatte eine Vorbeſprechung ſtatt⸗ 
gefunden. Am 29. Mai früh 7°/, Uhr verfammelten fi) die Dele⸗ 
girten ber Biveigbereine in ben Räumen des Magdalenengymnafiums. 
Bertreten . waren folgende Smeigvereine: Heflen- Darmftabt durch 
Schmitt⸗ Darmſtadt; Schleswig-Holftein durch Stolley-Kiel und Bod- 
Wilſter; Preußen durch Florian-Elbing; Berlin durch Tierfch-Berlin; 
Leipzig durch Beger, Rode und Schneiber-Leipzig; Gerswalde durch 
Dr. Schnell-Prenzlau Den geichäftsleitenden Ausſchuß vertraten 
Dorner, Renid und Rapmund. Schmitt-Darmitadt übernahm an 
Stelle des am Erjcheinen verhinderten Borfigenden das Präfibium. 
Zunädft warb ber Jahresbericht erftattet. Des im Vorjahre neu» 
gewählte Ausſchuß hat vor Allen das bedenklich erfchütterte Vertrauen 
auf die Eziftenzfähigfeit des Vereins mwieber zu beleben verfuht. Von 
verſchiedenen Seiten feien in Folge davon Anfragen über ven Stand 
bes Dereind, Aufforderungen um Zufendung ber Statuten 2c. eine 
gelaufen. Für den Anſchluß babe ſich dex Lanbeslchrerverein Reuß 
j. & auf feiner Generalverfammlung erllärt, Die Zahl der Mitglieder 
betrage. 4000 in 10 Landes-, Provinziale oder Zmeigvereinen. Als 
Bereindorgane feien gewünſcht worden: Die allg. deutiche Lehrerzeitung, 
ber heſſiſche Schulbote, die freie deutſche Schulzeitung, die Schleswig 


560 Die äußeren Dee ber beutfchen Volksſchule. 


für bie I een —— die Dres —* Die Vorige Dee, 
—— — habe folgende drei Punkte zur Bearbeitung bes 
fiimmt: 1. Sammlung bon flatiftiichem Marerial ber das Volksſchul⸗ 

weſen Deutfhlands mit befonderer Betonung der Gehaltsverhaltnifſe. 
2. —— von Grundzügen eines Reichsſchulgeſedes. 3. Veran⸗ 
laffung von Lehrmittelausſtellungen, womöglich in Verbindung mit ber 
Delegirtenverfammlung. Demgemäß ſei verfahren worden, boch harre 
Rr. 2 noch der Erledigung, da man burd den lekten, im März er- 
Infienen Aufruf erſt die nothivendigen Unterlagen über die Frage ge 
winnen müfle: „ob ‚allgemeine Volksſchule ober ob nad den Standes⸗ 
und ermögenöberhältnifien ber Eltern verichiebentlih gegliederte 
Unterrichtsanſtalten ?” Bereits fei zahlreiches Material geivonnen, ein 
beftimmter Schluß laſſe ſich jedoch dedan nicht ziehen, weil der 
Endtermin der Einſendungen erſt mit dem 15. Juni ablaufe. Dex 
3. Bunt babe im Berliner —— großen Anklang gefunden; 
ein Comitd babe unter Vorſitz des Herrn Ballen unter lebhafter Be 
tbeiligung ber Berliner Lehrerichaft die Sache fo weit gefördert, daß 
man die Eröffnung ber Ausftelung mit dem 1. Auguft erhoffe. Das 
anerfannt Beſte folle dann den Zweigvereinen bezeichnet werben. 
Stolley dankt dem Ausichuffe für feine Thätigleit und erhofft ftetige, 
wenn auch langſame Weiterentiwidelung bed Vereine. Rad) vorgenom⸗ 
mener Rechnungslegung theilte ber Referent ferner mit, man babe 
bon etwa 120 Stäbten mit 10,000 und mehr Einwohnern, von 
Haupt- und Regierungsftäbten, twelche ber erften Kategorie nicht ſchon 
„ſtatiſtiſches Material erhalten. ine mindeſtens glei 
große Anzahl fei noch im Rüdflande, doch gingen fortwährend n 
Sendungen ein. Collegen aus allen Theilen bes Reiches, mit Aus⸗ 
nahme von Würtemberg, Braunfchwweig und einigen leineren Furſten⸗ 
thümern hätten ſich an ber gemeinſchaftlichen Arbeit betheiligt. Mate 
trial aus ca. 50 Städten laſſe fi noch durch birecte Einwirkung be= 
ſchaffen. Man möge daher ben Ausſchuß ermäctigen, das gelammte 
Ratiftifhe Material in Form eines Kalenders herauszugeben, der außer= 
dem enthalten fol: 1. ein Kalendarium; 2. eine Ueberficht über bie 
im deutſchen Reiche exiftirenden verſchiedenen Lehrervereine und ihre 
Thätigleit im verflofienen Jahre; 3. eine Weberficht über ben gegen- 
wärtigen Stand der Schulgeſetzgebung in ben einzelnen beutichen 
Staaten betreffs ber brennenbften Fragen, tie Dotation, Schulaufs 
ht ze. Der Antrag Beeger’3, daß noch eine Ueberficht der in beutjcher 
Sprache erjcheinenden und für Lehrer beitimmten SBeitichriften auf 
genommen werden möge, warb angenommen. Eine Statutenrebifion 
warb nicht für nöthig gehalten; ber gefchäftsleitende Ausſchuß ſoll 
jeboch die Zweigvereine zu Meinungsäußerungen über einzelne wüne 
ſchenswerthe Statutenänberungen auffordern. Berlin ward endlich ein⸗ 
fimmig wieder zum Vorort gewählt und bie Berfammlung gegen 
9 Uhr geichlofien. 


Die äußeren Verhältniſſe ber deutſchen Volksſchule. 561 


Der Berein für wiſſenſchaftliche Pädagogik tagte am 7. und 8. 
April in Eiſenach. Der Borfitende, Prof. Dr. Ziller, begrüßte bie 
Berlammlung ; dann wurben zunächſt Dr. Bartholomät’3 Abhandlungen 
„Ueber Ereurfionen mit Rückficht auf eine Großftabt”, ferner Dörp- 
feld's „Theorie des Lehrpland” und „Zwei Hauptfragen aus der Ver⸗ 
waltung bes Volksſchulweſens“ mit ungetheiltem Intereſſe behandelt: 
Profeflor Dr. Stoy ſprach ſich fodann über die Stellung bes Vereins 
binfichtlid confeffionslofer Schulen „zur Wahrung vor Auffaffungen 
einfeitiger Anfihten” aus und wurden feine Anſichten und Erklärungen 
allfettig mit Befriedigung aufgenommen. Dann kam Barth's Ab⸗ 
handlung: „Das Schulwejen in großen Städten mit befonderer Be- 
ziehung auf Leipzig” zur Verhandlung, gegen welche beſonders Bar« 
tholomäi in die Schranken trat. Überlehrer Krufche ſprach über das 
„Stigmograpbifche Zeichnen” von Dr. Rein. Er führte aus, nicht 
Hiller fei der Erfinder der genannten Methode und verwarf die ſechs 
Hefte Zeichenvorlagen von Bauer und Rein. Ballaufs „Bemerkungen 
zu dem Aufſatze des Herm Dr. Bartholomäi” und R. Dunas Ab: 
handlung „Zur unterridhtlihen Behandlung ber lat. Konjugation“ 
wurden derb abgefertigt. Die Sigungen bed Vereins bauerten am 
erften Tage von 8—12 und 2—4, am zweiten von 8—12 ihr. 

Unter den Berfammlungen mit einem fpeciellen Fachcharakter fei 
zunächft ber zweite deutſche Seminnrlehrertag, welcher vom 29. Sep- 
tember bis 2. Oktober in Dresden tagte, erwähnt. Die Verfammlung 
war verhältnißmäßig recht zahlreich beſucht. Der Unterrichtsminifter 
Dr, von Gerber begrüßte die Verfammlung in berzlicher Weife. Nach 
ihm fprach im Auftrage des Kultusminifter Dr. Fall der Geh. Ober- 
regierungsrath Wätzoldt aus Berlin und brüdte den warmen Antheil 
feines Chefs -an den Verhandlungen aus. Seminarbirector Kehr⸗ 
Halberfiadt veferirte fobann über ‚Die praktiſche Ausbildung ber 
Seminariften.” Der zweite Referent, Dr. Schumann-Alfeld, ſprach über 
die Yrage: „Wie bat ſich mit Rückſicht auf die faft überall beftehen- 
den Internate die Seminarerziehung zu geftalten ?" 

Der zweite Tag mar den Sectionsfigungen gewibmet; e3 wurden 
deren 5 gehalten, nämlih für Pädagogik, Geſchichte, Naturwifien- 
fhaften, Sprade und Muſik. Gegenftände der Beiprechungen waren 
u. U. die Chemie als Unterrichtägegenftand im Seminare, der &e- 
Tchichtäunterricht, die zweite Prüfung der Vollsfchullehrer, die Behand⸗ 
lung der Geſchichte der Pädagogik, ber Gefangunterriht im Seminar 
im Bergleih mit den Erfolgen deſſelben in der Volksſchule, der per- 
fönlide Verkehr zwiſchen den Lehrern und ZBöglingen der Lehrer- 
feminare. — Ausführliche Referate über den 2. deutichen Seminare 
Iehrertag finden fih in Kehr's päd. Blättern. — Bon den für bie 
nächſtjährige Verſammlung ‚in Borfchlag gebrachten Zuſammenlunfts⸗ 
orten wurde Stuttgart gewählt. 

Aus den Verhandlungen ber zweiten beutfchen Realihulmännen 
Berfammlung, welde am 1., 2. und 3. Oftober in Braunfchtweig zue 
fammentrat und von ungefähr 180 Theilnehmern beſucht war, gingen 

BAD. Jahresbericht. XXVIL 36 





562 Die äußeren Berhältniffe der beutjchen Vollsſchule 


folgende Refolutionen, weile vom Ausſchuſſe vorgeſchlagen worben, 

beroor: J. 1. Die Pflege ber höheren Buürgerſchule, ihre Aus- 

bildung und weitere Verbreitung ift eine beſonders michtige Aufgabe 
der nächſten Zukunft. 2. Sole Schulen müflen fo organifirt wer⸗ 

ven, baß fie bei genügenber Berüdfichtigung ber allgemeinen Bildung 
ben eigenartigen, örtlichen Bedürfniſſen Rechnung tragen. Ein Nor 

malplan kann nicht aufgeltellt werden. Jede biefer Schulen muß ein 
felbftändiges, in fich abgefchloflenes Ganze bilden. 3. Gemeinfam muß 
allen Abiturienten diefer Schule fein: ein noch näher zu beſtimmendes 
Maß von Kenntniffen in ber beutihen Sprade, in Geſchichte, Geo⸗ 
graphie, Raturwifienichaft und Mathematil. Ueber dieſes Maß hinaus 
muß jede Schule, welche auf das Freiwilligenrecht für ihre Schäler 
Anſpruch macht, ſich mindeſtens nad einer weſentlichen Richtung, fei 
«8 in fremden Sprachen, ſei e8 nad einer Seite des mathematiſch⸗ 
naturwiſſenſchaftlichen Unterrichts, erhöhte Ziele ſetzen unb zwar ders 
art, daß diefe Ziele von fleißigen, im Ganzen gut beanlagten Schülern 
unter normalen Bebingungen bis zum vollendeten 16. Lebensjahre 
erreicht iverden können. 4. Das Berechtigungsweſen ift nicht durch. 
einfeitige Verordnungen einzelner Winifterien zu ordnen, fondern ge 
jeglih zu regeln. II 1. Das Recht ber Meldung zum einjährigen 
Freiwilligendienſt kann nur auf Grund einer Prüfung erlangt werben, 

welche entweder vor den bazu beitellten befonderen Gommiffionen ober 
bor den XLehrercollegien ber dazu berechtigten Schulen abzulegen ift. 
2. Die Auffiht über die Prüfungen ſteht den Reichsbehörden zu. 
8. Die an die Prüflinge zu ftelenden Forderungen werben nad dem 
Maßſtabe beftimmt, welcher für die Leiftungen der Abiturienten der 
höheren Bürgerjchule aufgeftelli wird. 4. Dem neu zu wählenden 
Ausſchuſſe bleibt die Aufgabe, das Maß der allen gemeinfamen Kennt⸗ 
nifle (of. I. 3.) zu beftimmen. II. Es ift nothwendig, daß zwifchen 
ber höheren Bürgerichule und der Realichule ein organischer Zufammen- 
bang bergeftellt werde, daher wünſchenswerth, daß die unteren Klafien 
der einen und ber andern Anftalt einen im Allgemeinen gleichartigen 
Lehrplan befolgen. Diefer Lehrplan ift wejentlih nad den Bebürf- 
niffen der höheren Bürgerfchule zu geftalten. Es ift münfchenswertb, 
daß die höhere Bürgerichule als Realſchule, die Realſchule als Real» 
gymnafium bezeichnet werden. — IV. 1. Die Schüler unferer Oberklaſſen 
leiden an Weberbürbung; Abhülfe ift auf dem Wege der Eoncentration 
zu. fuhen. 2. Diele Goncentration ift durch eine Modification der 
Zielleiftung anguftreben, damit Berüdfichtigung der verfchiebenen localen 
Bedürfniſſe und der Individualitäten ermöglicht werde. 3. Es wird 
demnach eine mathematiſch-phyſikaliſche und eine fprachliche Richtung 
des Realunterrichtes zu. ſondern fein. 4. Beiden Richtungen gemein= 
fam bleibt, im Intereſſe humaner und einheitlih nationaler Bildung, 
ein gleichmäßig gründlicher Unterricht in beuticher Sprache und Lite⸗ 
ratur, Geſchichte und Geographie, ſoweit letztere nicht Kenntniſſe in 
ber höheren Mathematik erfordert. 5. Die Schüler der mathematiſch 
phyſikaliſchen Gruppe find von ben frembfprachlihen Aufläken zu 








„Die äußeren Verhältnifje ber deutſchen Vollsſchule. 568 


entbinden, ſowie, auf ihren Wunſch, von Latein. Dagegen muß nu) 
bon ihnen Sicherheit in ber franz. und engl. Elementargrammatjt 
und Fertigkeit in der Lectüre wiſſenſchaftlicher Werfe in. franz. und 
engl, Sprache verlangt werben. 6. Die Schüler ber fprachlichen Ab⸗ 
tbeilung werden bon höherer Mathematik, mathematifcher Phyſik, 
mathematiſchem Zeichnen entbundben; dagegen ift Sicherheit in der 
Elementarmathematit, Experimentalphyſik, eine gute, grumblegenbe 
Ueberſicht über die bejchreibende Naturlunde und die Elemente ber 
Chemie auch von ihnen zu verlangen. 7. Beide Abtbeilungen werden 
fo im den Stand gelebt, den an ihre fpecielle Richtung ſchon jetzt ge— 
ftelten Forderungen wirklich und intenfiv zu genügen und die Schüler 
zu felbfiftändiger wiſſenſchaftlicher Arbeit vorzubilden und anzuregen. 
8. Die Durchführung dieſer Reorganiſation wird je nach ber Frequenz 
der Schulen, entweder durch Bildung beſonderer Klafien oder durch 
Hinzufügung facultativer Grtraftunden in den Plan ber Oberllafien 
und dem entiprechende Dispenjationen zu erftreben fein. So wird 
localen Bebürfnifien genügt werben können, ohne Gefahr für bie natio- 
nale geiftige Einheit und für den erziehenden Einfluß des Unterrichts. 
.9.-Den Abiturienten beider Abtheilungen ift bie ungefchmälerte Be- 
rechtigung zum Beſuch ber Univerfität zu gewähren. — Der neue 
Ausſchuß beftehbt aus: Oſtendorf, Düflelborf; Kreyßig, Frankfurt a. 
M.; Krumme, Remſcheid; Strad, Berlin; Giefel, Leipzig, — 

Die 3. Hauptverfammlung von Dirigenten und Lehrern an ben 
höheren Mädchenihulen Deutſchlands ward am 29. September in 
Karlöruhe abgehalten und von etwa 300 Mitgliebern befudht. Das 
Berlangen nach Befeitigung der vorhandenen Mängel in der Mädchen⸗ 
erziehung brüdte Oberbürgermeiſter Lauter in feiner Begrüßungsrebe 
aus. Hofprediger Helbing begrüßte die Verfammelten im Namen ber 
Großherzogin, wobei er die lebhafte Theilnahme der hohen Frau an 
allen auf Hebung ber Mädchenerziehung gerichteten, Beftrebungen 
dankend erwähnte. Director Schomitein-Elberfeld berichtete fodann 
über die Geichäftsführung des engeren Ausfchufles und ber Zweig⸗ 
vereine, ſowie über den Zuftand ber Caſſe. Director Diedmann- 
Hannover referirte über die am 24. April vom preußifden Cultus- 
minifterium erlafiene Prüfungsordnung für Lehrerinnen und Bor: 
ſteherinnen. Oberſchulrath Armbrufter gab interefiante Mittbeilungen 
über die Thätigkeit des badifchen Frauenvereins für den Handarbeits⸗ 
und. Beichenunterricht. Aeußerſt lebhafte Discuffion erregte der Vors 
trag des Director Haarbsüder aus Berlin über die Beichränfung. des 
Unterrihtes auf den Vormittag. Klar und gebiegen referirte Schorn- 
ftein-Elberfeld über ben Unterfchied der Disciplin in den höheren 
Knabene und Mädchenſchulen. Maut-Karlsruhe, Director der Turn⸗ 
‚dehrerbildungsanftalt, ſprach in einem geiltvollen Vortrage über ben 
Zurnunterriht an Mädchenſchulen; am folgenden Tage wurden bie 
Säfte durch das Schauturnen der höheren Mädchenſchulen in Karlsruhe 
erfreut. Drei Vorträge mußten wegen Mangel an Zeit wegfallen. 
Director Barth-Pofen ftellte noch den Antrag auf Erhöhung ber 

36 * 


564 Die äußeren VBerhältniffe der deutſchen Volksichule, 


Gehalte, worauf bie Verfammlung, welder Staatöminifter Jolly bis 
zum Schlufie beiwohnte, für beendet erflärt wurde. Der Beſichtigung 
des fchönen neuen Realfchulgebäubes und feiner Einrichtungen folgte 
am nädften Tage eine Zufammentunft in der höheren Mädchenſchule, 
um Proben des Schallenfelv’schen Handarbeits⸗ und des Klafienzeichen- 
unterricht? zu prüfen. Zum nädften PVerfammlungsorte wurde 
Dresden vorgefchlagen. — 

Die Fröbelvereine wachſen an Bedeutung und fangen an, fich 
enger aneinanderzufchließen. Die beiden Berliner Körperichaften wenig⸗ 
ſtens haben ſich zum „Berliner Fröbelverein“ vereinigt. Sein Bor- 
fand beftebt aus 11 Herren und 10 Damen; der Verein befigt jet 
7 Kindergärten, 1 Volkskindergarten und eine Anftalt zur Belehrung 
des weiblichen Gefchlechtes für den erziehlichen Beruf, fowie ein Ver⸗ 
mögen bon 6000 Thlrn. 

Sm Salzburg tagte den 30. Juli bis 1. Auguft der 7. deutſche 
ZTurnlebrertag, welcher von über 100 Turnlehrern und etwa 30 Turn⸗ 
freunden befudht war. Die Berfammlung wurde vom Landeshaupt- 
mann Grafen Lamberg und dem Bürgermeifter von Salzburg berzlich 
begrüßt. Die Sigungen wurden im Landtagsfanle abaehalten. Dr. 
Lion aus Leipzig entwidelte im erften Vortrage feine Anfichten über 
Nothwendigkeit und Werth des Turnens, über die Einheit zwiſchen 
Leib und Geift und über die Bedeutung der gumnaftiichen für die 
politifche Gemeinfchaft. Dr. Kloß aus Dresben wandte fich energiſch 
gegen die auf der 46. Naturforfcherverfammlung zu Wiesbaden von 
Sanitätsratb Dr. Snell dem heutigen Sculturnen gemachten Bor- 
würfe. Auf feinen Antrag ſprach fich die Verfammlung in einer 
Reſolution dahin aus, daf die gemachten Vorwürfe über unpraftifches, 
unpädagogifches und refultatlofes Weſen des heutigen Schulturnens 
auf einfeitiger Anjchauung und Auffaflung berube, daß manche geringe 
Erfolge an vielfach noch beftehenden mangelhaften Berhältnifien lägen 
und daß die Turnlehrerfchaft nach der beften Methode ftrebte. Kluge: 
Berlin fehilderte in anregender Weife die Sicherung der Geräthe und 
ber Turnenden durch befondere Vorrichtungen. Auf Antrag de Dr. 
Bach aus Breslau wurde noch befchlofien, die Bildung von Turn⸗ 
fectionen auf den allgemeinen beutfchen Lehrerverfammlungen für höchſt 
wünſchenswerth zu erflären. In den Ausfhuß wurden gewählt: Dr. 
Lion-Leipzig, Dr. Mabl-Rarlsrube, Dr. Euter-Berlin, Dr. Bakmanns- 
dorf-Heibelberg, Hoffer-Wien, zum Vorfigenden wählte der Ausſchuß 
Dr. Waßmannsdorf. In der Turnhalle des ſtädtiſchen Schulgebäudes 
wurden bon einigen Klaſſen jeder Schule, ſowie von einer Mädchen⸗ 
abtheilung aus Linz zur allgemeinen Befriedigung der Theilnehmer ein 
Schauturnen ausgeführt. In ber legten Sitzung ſprach Dr. Bad 
Breslau Über Turnfahrten und Wanderungen mit ben Schülern. Dr. 
Euler behandelte den Schwimmunterricht in feiner Beziehung zur 
Schule, im Anfchluffe daran murbe folgende Refolution angenom- 
men: der Schwimmunterricht bildet einen weſentlichen Beftanbtheil der 
örperlichen Erziehung der Jugend und follte womöglich von Seite ber 








Die äußeren Verhältniſſe der beutichen Volksſchule. 565 


Schule geregelt und beauffichtigt werben. Reyer:Graz beantragte Auf: 
nahme einer QTurnftatiftif an allen Lehrerſeminarien Deutfchlands für 
das Jahr 1874/75; fein Vorſchlag wurde dem Ausschuß zur Erftattung 
eines Vorfchlages über die Art und Weife der Ausführung überwiejen. 
Als Verfammlungsort für den nächſten Turnlebrertag wurde Braun- 
fchweig gewählt. 

8. Den Lebenden und ihrem Streben ift ihr Recht geworden, 
gedenken wir am Schlufie des allgemeinen Theiles auch noch ber ver: 
dienituollen Todten! 

Am 19. Januar ſchloß Dr. Hoffmann von Fallersleben in Folge 
eines Sclaganfalles auf Schloß Corvey die Augen zum ewigen 
Schlummer. Welch' innige, tiefempfundene Lieber das deutiche Volt 
feinem füßen Liedermunde verdankt, wie viele davon namentlich recht 
eigentlich Eigenthum der deutſchen Jugend find und täglich noch wer⸗ 
den, beweiſt jebes gute Schulleſebuch. Er ſelbſt hat am beiten dafür 
geforgt, daß fein Name unvergefien bleiben wird im Herzen feines 
Volles. — Am 23. Januar verfchieb der langjährige Lehrer an der 
Garniſonſchule zu Potsdam, ©. Adami, durch feine meitverbreiteten 
Kartenwerle, Erd: und Himmelögloben befannt. In Verbindung mit 
dem Buchhändler ©. Reimer in Berlin bat er die Anfchauungs- 
materialien für den geographifchen Unterricht weſentlich bereichert. 
Durch Schwerbörigleit zur Niederlegung feined Amtes genöthigt, 
gründete er die „deutſche Lebens⸗, Penfiond» und Nentenverficherungs- 
anftalt auf Gegenſeitigkeit“, deren Verbandsbevollmächtigter er war, 
bis ihn körperliche Leiden auch bier zum Rücktritte nöthigten. — 
Ebenfalld am 23. Januar ftarb „Bater Liebe‘, der ältefte Lehrer am 
großen Militärwaifenhaufe in Potsdam, der 1871 jchon fein 50jähriges - 
Dienftjubiläum feierte. Seiner der vielen Lehrer der Anftalt foll den 
Böglingen näher geftanden haben, ald er. — Am 16. Februar endete 
der Tod das Leben bes hochverbienten Oberfchulinfpectord® und Se⸗ 
minarbirectorss a. D. 3. H. Schüren zu Dönabrüd. Als 70jähriger 
Greis noch war er in feinem Amte thätig, geliebt und verehrt von 
feinen Untergebenen, geſchätzt von feinen Vorgefegten. — Dr. Herm. 
Guthe, Profeflor der Geographie am Polytechnicum in Münden, Ber- 
fafjer eines trefflichen Lehrbuches der Geographie, verfchied am 30. Ja⸗ 
nuar. — Dr. Karl Ernſt Bod, Profeflor der pathologifchen Anatomie 
an ber Univerfität zu Leipzig, ftarb den 19. Februar nad) längerem 
Siehthbum 65 Jahre alt zu Wiesbaden. Der Verftorbene war nicht 
nur ein warmer Lehrer: und Sculfreund, jondern warb auch durch 
fein weitverbreitetes Buch vom gefunden und kranken Menfchen, fowie 
durch fonftige fchriftftellerifche Leiftungen ein wirklicher Volkslehrer. — 
Am 2. April rief der Tod nad) kurzem Krankenlager den Saatzminifter 
a. D. Heinrih von Mübhler aus dieſem Leben ab. Im Jahre 1862 
übernahm er den Poften ald Minifter der geitl. 2e. Angelegenheiten, 
welden er 10 Jahre inne hatte. — Um 4. April ftarb ber verdiente 
Etadtältefte und Geb. Negierungsrath, früher Stadtſchulrath, Mori 
Fürbringer nad) kurzem Srantenlager in Berlin, 72 Jahre alt. — 





566 Die äußeren Verhältniffe der beutfchen Volksſchule. 


Die bekannte Jugendſchriftſtellerin A. Stein, pſeudonym für Marga⸗ 
rethe Wulf, ſtarb Anfang Juli zu Schleswig, 86 Jahre alt. — Prof. 
Hans Ferdinand Maßmann, hochverdient um die Wiedereinführung 
des Turnunterrichts in Preußen, endete ben 3. Aug. zu Muskau. — 
In Folge einer Lungenlähmung ftarb am 30. September Moris Hill, 
Inſpector der Taubftummenanftalt zu Weißenfels, hochverbient um bie 
Entwidelung bed Taubſtummen⸗Bildungsweſens, Begründer der „neu⸗ 
preußifchen Schule.” — Der verdiente Hauptlehrer der 13. Berliner 
Gemeindeichule zu Berlin, Aug. Petſch, Rebacteur ber ehemaligen 
„Preußifhen Schulzeitung” und Mitarbeiter des ZJahresberichtes“, 
farb am 11. November, 37 Jahre alt. — Profeflor Karl Koppe, 
Berfaffer der befannten mathematischen und phyſilaliſchen Lehrbücher, 
farb den 10. November. — 
Den Todten ber Friede — den Lebenden der Kampf! æ 


1. Das Königreich Preußen. 


Preußens Volksſchulweſen entwickelt ſich ſeit 1872 wenn auch 
ſtetig, ſo doch im Allgemeinen ſehr langſam. Das Jahr 1874 hat 
ſehr wenig epochemachende Ereigniſſe gebracht; noch immer wartet die 
Lehrerſchaft und die Schulverwaltungsbehörde auf das ſo lange ver⸗ 
heißene, dann und wann wie die Seeſchlange auftauchende, dann aber 
wieder niedertauchende Unterrichtsgeſetz, wozu allerdings viele 
Vorbereitungen gemacht find und noch fortwährend gemacht werben; 
allein da die mit der Kreisorbnung in Zuſammenhang ſtehen⸗ 
ben Bertvaltungsreformen (Gemeinbeorbnung, Propinzialorbnung 2c.) 
noch nicht zum Abſchluſſe gebracht find, fo bat ber, wie verfichert wird, 
Thon feit längerer Zeit fertig liegende Entwurf zu dem Unterrichtö- 
geſetze einftweilen zurüdigelegt werden müflen. Die Dotationsverhält- 
nifje der Volksſchule hängen aber zu innig mit der Berwaltungs- 
organifation des Staats zufammen, ald daß fie ohne eine Reform 
biefer geregelt werben könnten und ohne Dotationsgeſetz ift das Unter 
richtögefeh, wenigſtens für die Lehrer, ziemlich werthlos, beſonders ſeit 
1872, wo anderweit im Unterrichtsweſen nöthige Reformen ſich auf 
dem Wege der dem befonnenen Fortfchritt huldigenden Verwaltung, durch 
Referipte u. |. w., vollziehen. 

Als die wichtigften Vorarbeiten für das Unterrichtägefeg find die 
amtlichen ftatiftifhen Ermittelungen und Veröffentlihungen über 
bie Bolksbildung und über die Befoldung ber Volsſchul⸗—⸗ 
lebrer anzufeben. 











Die äußeren Verhältniffe ber beutfchen Volksſchule. 567 


Nach der „Zetfchrift des königlichen ftatiftifchen Bürsaus für 1874 
betrug 1871, wo mit ber Volkszählung zugleich der Bildungsſtand 
ermittelt wurde, von der Geſammtbevölkerung Preußens über 10 Jahren 
zu 18,576,801, die Zahl derjenigen, welche leſen und Schreiben Tonnten;- 


bei männl, weibl. Geſchlecht, zuſammen. 

1 8,112,051 — 7,926,901 — 16,038,592. 
welche nicht lefen u. fchreiben _ 

tonnten: 963,843 — 1,396,434 — 2,260,277. 

blieb es zweifelhaft bei 118,868 — 158,709 — 277,572. 


Es ergiebt ſich hieraus, daß bie Zahl der Analphabeten weiblichen 
Geſchlechts, was auch zu erwarten ftand, erheblich größer ift, als bie 
der männlichen Perfonen: von je 10,000 Ortsanweſenden über 10 
Jahr waren 950 Männer oder 9,509), und 1473 Weiber oder 14,73°), 
Analphabeten. Gewiß ift diefe Zahl für den Vorkämpfer unter den 
Eulturftaaten immerhin noch betrübend und beſchämend, wenn aud) 
Baiern und die meiften nichtdeutichen Staaten Europas noch ungünftigere 
Bildungsverbältnifie aufzumeifen haben. Bemerkenswerth ift es aber, daß, 
wie ſchon bie jährlich publicirten Bildungsverhältniſſe bei den Rekruten 
vorausſetzen ließen, — die Volksbildung in den dftlichften Provinzen am 
ſchwächſten ifl; während ber Procentſatz der Analphabeten in Wieöbaben, 
Berlin, Sigmaringen und Merjeburg zwiſchen 1,10—2,08°/, männlide 
Perfonen und 2,11 — 4,52 9), weibliche Berfonen ſchwankte, kommen auf die 
R.⸗Bez. Pofen, Danzig, Bromberg und Marienwerder 30,31—34,68, 
be3. 37,66 - 41,04 9% — alſo franzöfiiche Zuftände! 

Wenn es ber verhältnigmäßig ftet3 rührigen preußiichen Unter- 
richtöverwaltung auch gelungen ift, in ben katholiſchen Diftricten bie 
volfsbildungsfeindlichen Einflüffe des Ultramontanigmus einigermaßen 
abzuwehren — vgl. den vorigen Jahresbericht in Betreff der wachſenden 
Zahl weiblicher Lehrkräfte in katholifchen Gegenden — fo ftellt fich doch 
auch ein nicht unerheblicher Unterſchied in derfelben nach der Confeſſion 
heraus. Unter ben 2,260,277 Analphabeten, das ift 12,2 °%, ber 
Geſammtbevölkerung über 10 Jahre, waren 


| männl. weibl. 

Evangeliide — 390,117 oder 6,60%, — 693,400 oder 11,37%, 
Katholiken — 164,755 = 15,16%, — 685,535 = 21,81%, 
Seraeliien — 78976 = 6,65% — 16,648 = 12,55% 
Difiidenten — 995 = 496%, — 1851 = 9,02%, 


Da ein großer Theil unjeres Volles nach der Schulzeit fo wenig 
Gebraud von ber in der Schule erlangten Fertigkeit des Leſens und 
befonder8 bes Schreibens macht und da e8 zur Zeit in Preußen noch 
überall auf dem Lande an regelmäßigen obligatorifchen Fortbildungs⸗ 
fhulen fehlt — die gewerblihen Fortbildungsihulen in Städten ab⸗ 
gerechnet — fo erflärt e3 fich leicht, daß für älter werdende Leute ein 
gut Stüd Schulbildung wieder verloren geht und daß die Bildung 
unjerer Rekruten fchon feit länger als einem Menfchenalter um 


568 Die äußeren Verhältniſſe ber deutſchen Vollsſchule. 


vieles günftiger ſich berausgeftelt bat, als obige Zahlen vermuiben 
laſſen. Für dus Erfakjahr 1873/74 ſtellte fih die Schulbildung 
der Erfatmannihaften (Relruten) folgendermaßen heraus. 





Gingeflelte Erfagmannfcaften 










* 

= mit Schulbildung Obne 
= 

& b Schul⸗ 
Provinz bildung. 
8 bile | haupt 

= dung. 

8 

” Prozent 





102581 1222 











1 Preußen 9077| 1181 114800 10,64 
2 Prandenburg 8013| — | 8013| 1120 8125| 137 
3 IBommern 5213 4 5217 101 5318 1 

4 Poſen 2950| 20671 5017 a 59891] 16,26 
5 Schlefien 10570 2106 12766) 5761 19342: 4,31 
6 1Scchfen 7034 — | 7034| 7 7081) 0,56 
7 Schles wig⸗ Holſtein 3038 25] 3063; 1 3082. 0,62 











8 6267| 761 6343| 1,20 
9 5509| 781 5587 1,39 
10 | 4501| 37) 4628| 0,79 
1 12) 11869  S1! 11950! 0,67 
13 | 215 ! 2160| 0486 
13 180 190) 0.00 
Summa | 74524] 5485| 00009, 5324] 83333] 





Vergleicht man diefe Zahlen mit denen der lehten Sabre, fo ge= 
wahrt man kaum einen Fortfchritt: 1866/67 betrug die Zahl der An⸗ 
alphabeten unter den Refruten 3,81%, für die preußifche Monarchie, 
für die Provinz Preußen 12,28 %,, Poſen 13,8 und von 1846—49, 
alfo vor den Regulativen in der Prov. Preußen 9,24°%,, in Pofen 
18,22 %/,, in der Monarchie 4,81 %,, eine Bildungsziffer, die ſich jegt 
ebenfalls noch für die älteren Provinzen berausftellen würbe, wenn 
man aus obiger Zufammenftellung die 1866 erworbenen Landestheile 
ausſchiede. — 

Die dankenswertheſte Publilation in Betreff des Volksſchulweſens 
bildet aber die lang erjehnte, mit Spannung erwartete „Statiftil 
über den Stand der Elementarlebrers und Lehrerinnen— 
Befoldungen ber preußifhen Monarchie am 1. Sept. des Jahres 
1874” , welche dem Landtage vorgelegt und dann aud im März: und 
Aprilbefte des „Gentralblattes für die gefammte Unterricht3-Berwalrung 
in Preußen‘ 1875 veröffentlicht wurde. Da bie lekten allgemeinen 
ftatiftiichen Erhebungen der Art aus dem Dec. 1864 berrühren, in dem 
legten Jahrzehnt nur vereinzelte Weberfichten amtlichen Urfprunges in 
bie Deffentlichleit gedrungen find, fo ftellen wir die neueften Ergebnifle 
der leichteren Dergleihung halber mit denen von 1864 zufammen. 
Borab ift jeboch zu bemerken, 











Die äußeren Verhältniffe der deutſchen Vollsſchule. 569 


1. baf für 1874 überall in Stadt und Land freie Wohnung und 
“  Feuerung nit mit in Anfag gebracht worden ift, was fi 
von der Statiftif aus dem Jahre 1864 rüdfichtlih der Feuerung 
wohl nicht annehmen läßt; wenigſtens ſprechen ſich die „Statift. 
Nachrichten” darüber nicht beftimmt aus; 

. daß biesmal auch die Dienftalterszulagen, bie 1864 noch 
höchſt unbebeutend waren, nach ihrer durchſchnittlichen Höhe in den 
einzelnen R.Bezirken angefept find; 

3. baß diesmal ebenfowohl wie 1864 das Einkommen aus kirchlichen 
Aemtern mit verrechnet worden ift, wenn auch wie bamald nicht 
überall zum vollen Betrage, wie verfihert wird. „Eine Ausfon= 
derung für biefe Einfünfte hat fih für diesmal überhaupt nicht 
beierfftelligen laſſen“, was wir gerne glauben. Sie kann erft 
erfolgen, wenn der Staat fich gänzlich mit der Kirche auch über 
das Vermögen audeinanber geſetzt reſp. mit ihr über das fog. 
Küftervermögen für die Schule einen Gompromif getroffen hat. 


» 



































1864 Landlehrer 1874 Stadtlehrer 
eier 1878 Gtobiiehren 
San) lagen Gehalt 
a 2 ua 2] 13 
Reg.Beg. und i| $& El E|E 
—S IleE & # 2|E 
1ER | ES Ss 
U 8) 18 kopiert 
Königsberg 148] 269 197| — || 31 1326 | 161) 17| 2 
Gumbinnen 156 | 307 206 |165|| 32 — 12881149 | 17| 4 
Danıig 192341 217|201|| 35) 10|367|256 | 10 1 
Marienwerder 164 | 272 iss — | 32] — 326/258 | 22] 2 
it zul. ‚mit b. Fir 
161! 288)1871201|194: 233 2023281199. 345 201 
160 242 184| — | 32 2711255) 221 — 
1321231 202| — | 30 24 — | 231 — 
149236 176 1191| — |222) — | 277] 255 300|255 
— 1502| 5061295 | 11 — 
5 4 ri 
2 
290 
6 
4 
9 4| 5 
ö 259 
0 2— 
153 |255 | 174 [251 26 "360 | 212 2 — 
227 311 246 '260 12034 344 | 270 3 — 
185: 297) 212 26711241800 401, 284 410] 284 
228 !300| 258 |269 30 I} 400 | 293 4| 1 
270330 ' 2911312 33 61 1 250 9 — 





































































































361 | 250 | 
182 | 258} 214275 [1s1|| 35! 1713701 180I 


570 Die äußeren Verhältniffe ber beutfchen Vollsſchule. 


























1864 Landiehre . 1874 Gtodtlebrer 
7 
Idmittögehalt 
ry Eire Gehalt, eu für, Gehalt für 6% 
P= 2 —8 3 } o& [7] “ 
Reg. Bez. und 23 FSIEH „elle & EiE| EI SE 
Provinzen, s| 215° aaa ee 
u 
| . ‚ Ehle.NTHlelEhlelTpie. Thir —— Thlr. Thlr. 
Sachſen zu 298 263 2831| 131 314: 148) 3830| 2421887 248 
Köln 216 | 306 | 248 272 | 219 
Düffeldorf 246 | 327 287 |, 375 | 245 
Eoblenz 172 | 262 ‚188, 245 | 1% 
Trier 11 257 192, 268 | 200 
Aachen 25711212! 244 | 222 
Kheinprov. 201 306 283 285| 221, 809, 226! 43 
Munıter 160 | 242 181 „242 | 206 || 39 
Minden 210 | 303,236 2591182 26| 1111384 
Arneberg 212 | 3201244 327 |244| 30 


ohenzollern fe 285 
Hobenz En FAR, 0° 1 171 || 277 
im Durdlantti 185 MU — 

Hannover — | — 
Senabrüd (evangel.) 252) — 
Stad 2071 — 
—* 2601 — 
Ditern dorf 1244| — 
——6 225 | — 
Hildesheim 215 '141 92 
—B (tatholiſch) 218 213 32 151326 240 23 
Sannober 227 193 260 215 324 213 341 En 11 
Kaflel —| 6, — 37 a1) 8 
Wiesbaden Ä 200 | 26' 514 24 F 
geilen Bafian | 1220) 20 200| 294 200 4832| 236 447| 242 

leswig-Holftein 1322 347 l 4181 2251 448] 227 





In der Monarchie waren am 1. Sept. 1874 
a) in Städten 15,125 Lebhrerftellen mit einem Geſammt⸗ 
gehalt von 5,820,523 Thlr. 
oder durchſchn. fürjede Stelle 399 Thlr. 
und 2,065 Zebrerinnenftellen 
mit 537,967 Thlr. Gehalt, 
für j iebe . 264 = 
b) auf dem Lande 33,754 Bebrerfellen "mit . 
8,414,375 Thlr., für jede 279 = 
und 1,437 Lebrerinnenftellen 
mit 311,521 Thle., für jede 224 = 


zufammen 48,879 Lebrerftellen mit 14,234,898 Thlr., jede 316 + 
und 3, 502 Lebrerinnenft. mit 849, 488 = = 249 = 


Sa. 52,381 Stellen mit 15,084,386 Thlr., jebe 288 Thlr. 


Die äußeren Verhältniſſe der beutjchen Volksſchule. 571 


Dazu fommen für “ 

55,381 Stellen an Zulagen 1,250,635 Thlr., jede 23,8 Thkr. 

' in Sa. fall 312 Tölk. 

‚ Mit diefem Durdfchnittögehalte von 312 Thlr. hätten wir fomit 

in 10 Jahren vorläufig das faft erreicht, mas wir in ber fog. Kaifer- 

petition 1871 als jofort nothiwendig zur Erhaltung des Schulweſens, 

nämlid für jede Stelle 100 Thlr. Zulage bezeichneten und für dieſen 

Fortſchritt, der größtentheils erſt feit 1871 durch bie bedeutend geſtei⸗ 

gerten Mittel aus Staatsfonds eingetreten ift, haben die Lehrer alle 

Urfache, der Töniglichen Stantöregierung und dem Landtage zu damen. 

Gleichwohl bürfte es fraglich fein, ob die Steigerung der Durchſchnitts⸗ 

gehälter von 1864—74 von 218 Thlr. auf 312 Thlr. einen wirk⸗ 
lichen und wejentlichen Fortfchritt bilde; denn 

1) iſt nicht zu überſehen, daß für 1874 ſämmtliche Stellen in den 

1866 neuerworbenen Provinzen mitgezählt find, Stellen, die wenig- 

fiens in Schleswig: Holftein und Wiesbaden, weit den Durchichnitt 

überfteigen. 

Für die älteren Provinzen allein teilt ſich das Verhältniß weniger 
günftig heraus, am ungünftigften natürlich für die öftlichen. 

Im ganzen waren 1874 in den älteren Provinzen an Lehrer: und 
ZehrerinnenStellen vorhanden : 

41,912 mit einem Gefammteintommen von 
11,993,845 Thlr., durchichn. pro Stelle 286 Thlr., außer den 
Zulagen, aljo 2 Thle. weniger als in der gefammten Monardie. 
2) Beſonders aber ift die ſeit 1864 eingetretene Preisfteigerung 
für die nothwendigen und fonft allgemein üblich gewordeneneben$= 
bedbürfniffe zu beachten. Wir müſſen es uns indeß bier des 
beichräntten Raumes halber verfagen, biefe weitläufige und für 
jeden Reg.:Bezirt beſonders zu führende Berechnung der Preis- 

fteigerungen und der inzwiſchen gewachſenen, fonftigen Ausgaben . 

bes Lehrers nachzumeifen, tollen aber nicht unertwähnt lafien, daß 

hierbei nicht blos die Preife für die Rohprodukte, z. B. die Korn- 
preife, fondern zu biefen auch das inzwiſchen geftiegene Müller: 
und Bäderlohn in Betracht fommen, und ferner, daß ber in meiner 

Dotationsſchrift geſchilderte Proceß ver Verſchlechterung ober 

Schmälerung vieler guten und beften Stellen inzwifchen feinen Fort⸗ 

gang genommen haben wird. 

Eind aber kann unbedingt zugegeben werben, daß, wie ſchon für 
1864 nachzuweiſen mar, ſeitdem auch fehr viele, ja Tauſende ber 
ſchlechte ſten Stellen mehr ober weniger wirklich verbeffert worden 
find. Zu dieſem Zwecke ift nicht nur der größte Theil der ſeitdem 
bewilligten jehr beträchtlichen Staatsmittel verwandt, ſondern es find auch 
biele Gemeinden in Stadt und Land von den Schulbehörben zur 
Aufbeflerung ber Minimalgehälter energifch und erfolgreich angehalten 
worden; andere Gemeinden, namentlich ftäbtifche, haben dieſelben aus 
eignem Antriebe erhöht. So zeigen denn in Beziehung auf die kleinern 
Stellen die heutigen Tabellen ein anderes Geficht als die von 1864. 
Wir Stellen die wichtigften Ergebniſſe beider überfichtlich neben einander. 


m 








572 Die äußeren VBerbältniffe ber deutſchen Vollsſchule. 


—* * Jahre 1864 hatten von 36,297 Lehrern (und Lehrerinnen) 


bon Ga 00x: 1778 SanbL und 148 Stabil zuſ. 1926 od. 5,3. x 


»100—125 = :3473 200 = » 3673, 
b. i. mit erfteren auf. 144X 

= 125—150 = :4378 = = 310 = = 4688, 
d. i. mit erfteren zuf. 28 x 

= 150—180 = :5683 = = 853 = s 6536. 

= 180—200 = :2645 = = 1109 = s» 3754, 

= 200—250 = :3772 = = 2425 = . 6197. 

= 250—300 » :1929 = = 1816 +» = 3745. 

= 300—350 = :1031 s = 1225 » = 2256. 

= 350—400 = : 520 s» = 895 = = 1415. 
= 400—450 = : 253 = = 542 = = 7950. 2,1% 
= 450—500 = : 160 = = 333 = = 493 = 1,3% 
«500-600 = : 126 » ss 369 = = 495 = 13% 
= 600—700 = : 34 ss -» 105 +» »„ 139 = 0,38 x 
= 700—800 s» : 12 = = 87 = ⸗ 99 = 0,28% 
= 800-900 = : 1 = = 35 =: ⸗ 36 =0,099 x 
= 900 und mehr : 2 = 35 = ⸗ 37 =0,101x 


Bon fämmtlichen Sandfäulftellen hatten damals noch 6,9 x 
unter 100 Thlr., in ber Provinz Preußen 7,7x, in Pommern 
faft 18%, in Schleſien 11,5xX. Unter 150 Thir hatten überhaupt 
37,2%, in ber Provinz Preußen 59 x, in Bofen 41,7 X, in Branden- 
burg 26x, in Pommern 63,3, x, in Schlefien 33 %, in Weftfalen 
37,2%. Dies Verhältniß ftellte ſich in einzelnen Neg.-Bez. noch viel 
ungünftiger heraus. Die fämmtlichen Zanblehrer hatten in Preußen 
und Poſen durdignittlih 157 Thlr., in ben 4 öſtl. Prob. 165 Thlr. 

Näheres über die damaligen Dotationdverhältnifie in meiner Ges 
ſchichte des Rüdfchrittes in der Dotation der preuß. Volksſchule, ©. 16 ff. 


1874 hatten von den vorbandenen 33,754 Landlcehrer- und 1437 Land- 
lebrerinnenftellen in Preußen an Behältern (excl. Zulagen) 






























oleoeleloleols|lo o os 
in den 212 2 a 3133 212 2 |8 IE 
:eIT.T7 A [A JA IT 8 Ja li A JE |TES 
Provinzen: [2] 45 | © o ,o oo sı2l2ls-85 

12178181885 |*j312]8]8:5 
Breuin | — 1446'2741]1469 1841113, 56 8122| 7| 9: 7, 715089 
Brandenburg I— — | 26| 96111206 414216 7125| 8 5 7] 3 312951 
Benmern 20 | 93.1590] 626! 195| 70 23 9] 2] 1 —| 1:— 2630 
Bofen — —| —Iısı2 3834| 89 5 — 1--1— — 111941 
Schleflen — 4 257 423° 393123721563 195° 79154 | 25 | 1513! 414397 
Sadien _ — 428 >53110541355 211-165) 8465 |27:32 62991 
Sähleew.Holft.|— 7 15 98) 223] 226/682 273 12468 ,32|28|27| 61852 
Hannover |— 16 122] 87711850] 4u7150! 69 4418,15] 5| 2 1 13576 
Weſtfalen 1! 3| 15! 252 539| 545330'222 15653 36 16] 6 2.2226 
Heſſen⸗Naſſau — 6| 38! 161| 109113051387°128 50) 6:13] —| 1! 12205 
Rheinprov. |— 15 119) 705 1566|1381|681,423 1611 92 |49 | 6 "| 5.4210 
Sigmaringen I—| — 38 il' Pd o— — — | —11 133 





Die äußeren VBerhältniffe ber beutfchen Volksichule 578 


Demnad haben von fämmtlichen 35,191 Landſchulſtellen außer 
Wohnung, Yeuerung und perfönlichen und Alterszulagen: 
71 Stellen die 0, 2% zwiſchen 50 und 100 Thlr. 
15 5 u 3X 10,10, 
976 m 2783X „ 150 „ 20 „ 
8929 „ „ 25,37% „ 200 ,„ 250 „ 
Bon 100—150 Thle.: in der Prob. Preußen 5,3 x, 
| in Bommern 60,4%, Poſen 77,8.x 
Nur 361 Stellen die 1,025 x zwiſchen 500 und 600 Tälr. 
„9 vn 022% „ 60 „ 70 „ 
„35 u rn .009% „ 700 „ 1000 „ 
Ueber 500 Thle.: in Pommern nur 1 Stelle, in Bofen 0 
1 


„ 600 „ ” „7 " "n ” „ 0 


1874 hatten von den vorhandenen 15,125 Stadtlcehrern und. 2065 Stadt- 
lehrerinnen in Preußen an Behältern (excl. Zulagen) 








© S > |& S . 
indn |215|- 35818 8: 
Provinzen: | 8 143 
= & 1 @ 
u 8 8 S 20 
Preußen 10 92 159 303 291 201 1603 84] 78 64, 29| 17j15| 1911525 
Brandenburg |—-|— | 1 1241334:515 544 265 22013921174 30) 5638127113069 
Pommern — | 17 160.293 26'166 141: 81| 83 46 40| 29)13| 2811203 
ofen — | 3 159/286 2211100] 46] 24l 20] 19l 14] 7| 3) 10] "12 
Sclefien —| 7 3| 43|222 300|:08:236 226|168j141! 86] 8%|4U| 69.1937 
Sachſen —|-— |— | 55104 533'452/252'20311681100. 65| 44.37 652073 
Schlesw. Holſt. II— | 2 10 18; 85 130| 88, Yu! 60] 6;| 241 33] 11| 22) 644 
Hannover | 4) 2120) T7lassla1sın0lı26.105| 53) 58] 2225| 7 221153 
Weſtfalen 2 2110| 44'117:138'1471118:120! 89| 56| 40 33 22 34 977 





Heflen: Naſſau — 4 | 22| 33 681112.106|158 138! 53| 79! 35) 12] 13]118]1039 


Rbeinproving 18 2133| 9113111308 490/517 3371921116] 55| 87| 13115/2610 
Sigmaringen _ | 13 1| 18 13 2| — — | —|1—-1—|—-| — 48 
Demnah haben von fämmtlihen 17,190 ftädtifchen Stellen 
außer Wohnung, Feuerung und Zulagen aus befondern Gründen 
20 die 0,11% nichts, 
27 „ 0,15% zwiſchen 50 und 100 Thlr., 
203 „ 112% „ 100 „ 150 „ 
968 „ 563% „ 150 „ 20 „ 
2093 „ 12,17% „ 20 „ 230 „ 
Nur 1458 „ 824X „ 500 „ 60 „ 
678 „394% „ 600 „ 70 „ 
773 ,, 4502X „ 700 „ 100 „ 
Bon 150—200 Thle.: in Pofen 17,4%, Pommern 13,3% 
„ 200—250 „ in Bofen 31,3% 
‚„ 500-600 „ in Pofen 3,6, x, Bommern 7,1X. 


Daß trotz der Aufbeflerungen, beſonders der Heineren Stellen aus 
Staatsmitteln, der Lehrermangel in den legten Jahrzehnten außer- 








574 Die äußeren Verhältniſſe ber beutjchen Volksſchule. 


orbentlich gefliegen jet, berichteten wir im vorigen Jahresberichte: es 
waren nämlih am 15. Juni 1873 von den damals vorhandenen 
49,709 ordentlichen Lehrerftelen und ben 2337 Hilfslehrerftellen nicht 
weniger ala 3616, d. i 7%, ganz vacant, und ebenfalld 3616 entweber 
durch ungeprüfte Lehrkräfte (Präparanden) verwaltet oder burch geprüfte 
Lehrkräfte einer andern Schule oder Klaſſe mit verjehen oder gar ohne 
jede unterrichtliche Berforgung, zufammen aljo 7236 Schulftellen ober 
14x ver Gefammtzahl zur Hälfte gar nicht, zur Hälfte ungenügend 
verforgt.. Allen Anſcheine nad bat fich diefe Schreden esregenve Ziffer 
feitvem noch erhöht, da ſelbſt in denjenigen Regierungsbezirken, in 
denen die Beſoldung verhältnißmäßig mit am beſten ift, der Lehrer: 
mangel’ bis in die jüngfte Seit immer fühlbarer geworden iſt, und in 
wie vielen taufend Schulen mögen theild aus Mangel an Lehrkräften, 
theils weil die Schule unter dem Fabrikweſen zu leiden bat, in dem 
jüngften Jahrzehnt ſog. Halbtagsſchulen eingerichtet jein! Hier 
unterrichtet 1 Lehrer zwei Klafien ober 2 Lehrer unterrichten 3—4 
Klaſſen, ohne daß eine berfelben unter bie vacanten Schulitellen ge 
rechnet wird. 

Durch das immer nothivendiger werdende Unterrichtsgeſetz ift noch 
fehr vieles zu regeln; am meiften indeß binfihtlih der Beſoldungs⸗ 
verhältnifie. Abgeſehen von der für einen großen Theil der Monarchie 
immer noch unzulänglidhen Höhe derſelben fehlt es faft überall auf 
dem Lande und in fehr vielen Heineren und mittleren Städten nod 
an ber feften Gehaltsicala, nach dem Dienftalter der Lehrer aufiteigendb 
und im wie vielen Stäbten fteigt diefe auf über 500 Thlr.! Dod 
wäre es ficherlich unrecht, den immer wachjenden Lehrermangel lediglich 
diefer immer noch im ganzen traurigen Lage der Volksſchule zugufchreiben. 
Der Aufihwung, den der Aderbau, die Induſtrie und der Kandel 
fett einem Benichenalter genommen haben, abjorbirt einen immer größern 
Theil der intelligenten Kräfte unferer Bevölkerung, fo daß für bie 
ibealen Gebiete des Lebens mit dem Intereſſe auch der Zudrang junger 
Kräfte mehr und mehr ſchwindet; wie es an Juriſten und Mebicinern 
merklich fehlt, fo auch an Theologen: von 1851 bis 1860 ftieg bie 
Zahl der pro Semefter auf ben fämmtlichen preußifchen Univerfitäten 
ebangelifche Theologie Stubirenden vor 604 auf 1154, ſank von da ab 
bis 1874 aber nad) und nad und ziemlich regelmäßig wieder auf 667 
und blieb damit um 227 Hinter der Durchſchnitiszahl von 1857 big 
1874 zurüd; ſ. Gentralblatt für 1874 ©. 642. Daß die Pfarritellen 
fih gegen früher verfchlechtert hätten, läßt fih durchaus nicht mit 
folder Allgemeinheit und in folhem Maße behaupten, wie dies bin- 
fichtlid der Landſchulſtellen der Fall ift, wenn auch die Beſoldung ber 
Geiftlihen, beſonders ver ftäbtiichen, keinesweges den gegenwärtigen 
Bebürfnifien genügt. Auch für fie werden größtentheild aus Staats» 
mitteln bie Minimalgehälter auf 600 reſp. 700 Thlr. erhöht. Weber 
700 Thlr. find indeß von ſämmtlichen Landſchulſtellen nur 41, d. i. 
bon 858 Stellen eine! 














‚Die äußeren Verhältniſſe der beutjchen Volksſchule. 475 


- Immerhin ift aber bas, was jetzt aus Staatsmitteln für 
die Volksſchule und befonderd für die Lehrerbefoldungen aufgewandt 
wird, im Vergleich gegen früher fehr anfehnlih. Bis zum Jahr 1869 
betrug diefe Summe erft 169,000 Thlr.; der Etat für 1874 zeigt unter 
dem Titel; „Beſoldungen und Zufchüffe für Lehrer, Lehrerinnen 
und Schulen, insbefondere auch zur Gewährung jetweiliger Gehalts⸗ 
zulagen für ältere Lehrer“ 2,942,285 Thlr., das ift 439,744 Thlr. 
mehr als für 1873. In jener Statiftif der Dotationöverhältnifle vom 
‚1. Sept. 1874 werben von ber Geſammtdotation zu 15,084,386 Thlr. 
1,489,560 Thlr. als aus Staatsfonds fließend bezeichnet ; dazu kommen 
:noch 1,250,635 Thlr. an perſönlichen und Alterszulagen, die zwar als 
„jederzeit widerruflich“ bezeichnet werben, im Allgemeinen aber doch 
als dauernd angejehen werben können. Lehrern, die wenigſtens 12-Jahre 
im Dienſte ftanden, konnten dann etwa 30 Thlr., denen, bie über 20 
Dienitjahre hatten, gegen 60 Thlr. ald Dienftalterözulage gewährt werden. 

Für das laufende Jahr 1875 find zu Lehrerbefoldungen zu dem 
Bisherigen no 1,000,000 Thlr. bewilligt worden, wovon indeß nad 
den Ausführungen der Regierungs⸗Commiſſare zu Alterszulagen wenig 
verwendet werben könne. 

Auch für die penfionirten Lehrer, deren Lage bislang eine 
überaus Häglide war, da ilmen herkömmlich nur ?/, des zuletzt 
bezogenen Gehalts als Penfion zuftand, feheint die K. Regierung 
etwas Drbentliches thun zu wollen. Der Etat für 1874 hat an Ruhe⸗ 
gehaltszuſchüſſen für emeritirte Elementarlehrer 90,000 Thlr., db. i. 
10,000 Thle. mehr als im vorigen Jahre. Dies bringt indeß für 
jeden der 2019 am 15. Nov. 1874. vorhandenen Penftonäre durch⸗ 
ſchnittlich kaum 31 Thle. Bon diefen hatten am genannten Tage 
717 noch unter 100 Thle. Penfion, die Mehrzahl derfelben, nämlich 
1169, zwifcgen 100—150 Thle., 492 zwiſchen 150 und 200 Th. 
und nur 541 über 200 Thlr. Unter den 717, welche unter 100 Thlr. 
bezogen, befanden fich freilih 397, melde durch eine günftige Ver⸗ 
mögenslage oder Nebeneinnahmen al3 eines weiteren Zuſchuſſes nicht 
direct bebürftig bezeichnet werden lonnten. Eben jetzt läßt das Minifterium 
genaue Ermittelungen über die Lage der Penfionäre anftellen, um auf 
Grund berfelben mit neuen Forderungen vor den Landtag zu treten. 

Wie entfchieben der Cultusminifter Dr. Fall die Nothwendigkeit 
einer weiteren Aufbeflerung der Gehaltsverhältniſſe ind Auge faßt, gebt 
aus einer desfallfigen Verfügung vom 27. Dec. 1873 hervor, worin 
€3 unter Anderm beißt: 

„Außerbem barf nicht außer Acht bleiben, daß bie veränderten 
Verkehrsverhältniſſe nicht nur das Bedürfniß hervorgerufen haben, bie 
Lehrerbeſoldungen zu verbeflern, fondern auch bie Verpflichteten ver⸗ 
Ichiedentlih in den Stand geſetzt haben, mebr als früher für ihre 
Schulen zu leiften, denn unter Anderem können erhöhte Arbeitslöhne 
bei nicht fehlender Gelegenheit zur Verwerthung ber Arbeitskräfte, ge 
fteigerte Preife der Erzeugnifje der Landwirtbichaft und der Gewerbe 
bei vermehrten und vielfach erleishterten Abſatzwegen nicht ohne Eim- 


576 . Die äußeren Verhältniſſe der deutſchen Vollsſchule. 


fluß auf die Beſtreitung der Schulunterrichtöfofien Seiten? ber Ver⸗ 
pflichteten bleiben.‘ 

Auch der Elementarlebrer an höheren Unterrichtsan— 
falten, die in dem vor einigen Jahren feftgeftellten NRormal-Etat 
für Gymnafiallehrer nicht berüdfichtigt worden waren, ift in einer 
minifteriellen Verfügung vom 2. Mat 1874 gedacht. Darnach follen 
die vollbefchäftigten Elementar- und die techniihen Lehrer an höheren 
Unterrichtsanſtalten 
a. in Berlin auf 500 Thlr. bis 1000 Thlr., im Durchſchn. 

750 Thlr., 

b. in allen andern Orten auf 400 Thlr. bis 800 Thle, im 
Durchſchn. 600 Thle. Gehalt außer einer hinlänglichen Miethsent⸗ 
ſchädigung gebracht werben, nachdem ihnen fchon bei Durdführung 
jenes Normal-Etats vom 20. April 1872 eine Beſoldungsverbeſſerung 
erwirkt worden war. Sie werben demnach den orbentlihen Seminar, 
lehrern gleichgeftellt. — 

Ferner hat das Minifterium fein Augenmerk auf bie oft völlig 
ungulängliden Dienftwohnungen ber Volksſchullehrer gerichtet. 
Nah einer Verfügung vom 26. Febr. 1874 genügt ein „Wohngelaf 
von einer Stube und einer Kammer von beſchränktem Umfange” nidt. 
„Der Lehrer hat vielmehr einen dur die Nüdficht auf die Sitte, die 
Geſundheit und das wirkliche Bedürfniß unterftügten Anſpruch auf 
Einrichtung eine 2. Wohnzimmerd von entiprechender Größe ober 
wenigftens einer 2. Kammer. In der Regel ift die Familienwohnung 
eines Lanbfchullehrers, abgeſehen von den erforberliden Wirthſchafts⸗ 
räumen, auf 2 geräumige heizbare Stuben unb eine 3. Stube ober 
Kammer zu bemeſſen.“ 

Sn Betreff ver Feuerung ift ben Lehrern in ber Provinz Preußen 
neuerdings durch ein Minifterial:Refeript vom 14. Sept. 1874 bie 
eigenmächtige Veräußerung des f. g. Deputatholges unterfagt worden. Der 
Lehrer darf dort ein etwaiges Erjparniß nur mit befonberer fchriftlicher 
Erlaubrig des Schulvorftandes und des Local-Schulinfpectors, reip. 
in Städten mit Erlaubniß der Schulbeputation veräußern (6.-Bl. 659). 
Man war früher hierüber vielfach anderer Anficht, vgl. meine, Geſchichte 
des Nüdfchritts in der Dotation der preuß. VBolksfhule” ©. 64. 

Der Kampf um bie Wittwen- und Waifenkaffen, den im 
Namen der Lehrerichaft die von ihr erwählten Saflen-Curatoren theils 
für die Selbftänbigleit ber einzelnen Kafien, theils für Erhöhung ber 
in der Regel nicht über 50 Thlr. per Kopf fteigenden Wittmenpenfionen 
führen, ift in dem abgelaufenen Sabre wenig vorwärts gerüdt. Die 
Caſſen⸗ Curatoren glaubten auf Grund forgfältig geführter Berechnungen 
durchweg eine Berminderung der Sapitalifirung empfehlen zu dürfen, 
um dadurch eine Erhöhung der PBenfion zu erzielen; einer derſelben 
erhielt nach dem Gentralblatt S.215 am 10. Dez. 1873 eine abichläg- 
liche Antiwort, wofür unter anbern folgender mathematifche Beweis 
geführt wird, der einiges Erſtaunen erregen bürfte: „Eine Verminde⸗ 
rung der Sapitalifirung unter das von den Sachverſtändigen feftgeftellte 








Die äußeren Verhältniffe der beutfchen Volksſchule. 577 


Maß wird unzuläffig fein. Es ergieht dies folgendes Beiſpiel: Eine 
neu gegründete Wittivenfafle mit 1000 Theilnehmern würde nad 70 
Jahren vorausfictlih eine Anzahl von etwa 300 Wittwen zu ver- 
forgen haben. Wären am Schluß des erften Jahres des —* 
dieſer mit 9 Thlr. für jedes Mitglied jährlich geſpeiſten Kaſſe 10 pen- 
fionsberechtigte Wittwen vorhanden, fo erhielte jede derfelben ohne das 
Prineip der Capitalifirung den 10. Theil von 9000 Thlr., d. i. 900 
Thlr.; nad) 70 Jahren dagegen würde jede der dann vorhandenen 
300 Wittwen nur 30 Thlr. an Penfion erhalten. Die Ungerechtigkeit 
jede Verfahrens ift offenbar, denn diejenigen Wittwen, für welche 

Durchſchnitt dad Wenigfte an Beiträgen vereinnahmt ift, würben 
bie höchften Benftionen erhalten, während diejenigen Wittiven, auf welche im 
Durchſchnitt das Entgegengejekte zutrifft, die verhältnißmäßig niebrigften 
Penfionen genießen würden. Es ift deshalb Aufgabe ber Sachverſtän⸗ 
digen, für die in Rede ftehenden Kaſſen wie bei allen ähnlichen An- 
ftalten eine Ausgleichung der Gegenwart mit der Zukunft durch Capi- 
talifirung Berbeizuführen.” 

Nach demfelben minifteriellen Refcript hatten damals ſchon in 
10 Fällen bie Beiträge ber Lehrer für Gehaltöverbefferung unter dem 
Marimalfage (25 9%, derjelben) nachgelaſſen und in 8 Fällen bie Ex: 
böhung der Penſion über den Minimalſatz (50 Thlr.) bei den einzelnen 
Bezirkskaſſen erfolgen können. Uebrigens find ſeitdem in mehreren 
Sieg: Bez. dieſe oft brüdenden Gehaltsverbefierungsgelder ganz erlaffen 
mworben. 

Eine noch energiſchere Thätigkeit entfaltete bie Schulverwaltung 
in Betreff des innern Ausbaues des Schulweſens auf Grund ber 
Allg. Beftimmungen vom 15. Det. 1872. So ſchärfte dad Minifterium 
unter dem 26. Sept. 1874 nachdrücklich ein, „bie zweite Prüfung ber 
ehren, bie2—5 Jahre nach ber erſten zu erfolgen hat, hinfort nicht mehr nach 

dem befeitigten Regulativ vom 6. Dft. 1854 eine Nachprüfung 
oder nach dem Gircular vom 30. März 1857 eine Wiederholung: 
prüfung zu nennen, weil dies manche Prüfungs-Commiffionen ver⸗ 
leitet babe, mit einer gewiſſen Beinlichkeit „Ahr Hauptaugenmerk” darauf 

zu richten, ob der Prüfling auch noch im Beſitze desſelben Maßes 
Sofitiber Kenntniſſe fei, welches er bei feiner erften Prüfung in jedem ein- 
zelnen Gegenftande dargethan babe”; um irrige Auffafiungen zu ber» 
hüten, wird auf 88. 21—26 der Prüfungs-Orbnung vom 15. Octbr. 
1872 vertiefen, nach welcher die Prüfung hauptſächlich die päbagogifche 
Befähigung nachweiſen fol. In Folge des größern Gewichts, dad bie 
Behörden auf die zweite Prüfung legten und die wiederholten Aufforde- 
rungen, fich zu derſelben zu ftellen, ift denn aud) 1874 und um Oftern 1875 
faft überall die Zahl berjenigen, melde fie beitanden, viel größer ge= 
weien, als die Zahl derjenigen, welche die erfte Prüfung beftanden; 
freilich find auch faft überall viele derfelben wegen mangelhafter Bildung 

noch zurüdgewiefen, bin und wieder bis zu 1/, der Gelammtzahl, 
obne daß auch nur im Entfernteften über zu große Strenge in ven An⸗ 
forderungen gellagt werben könnte. 

Bäd. Jahrekbericgt. XVI. 37 


578 Die äußeren Verhältniſſe der deutſchen Bollsjchule. 


Am ſchwächſten waren nad meinen und anderer Wahrnehmungen 

die Leitungen in dem wichtigften und fchwierigften Fade: im Deutſchen. 
Da die Zahl ber Lehrerinnen an höheren, mittleren und felbft 

an Volksſchulen im beftändigen Wachſen begriffen ift, theils weil man 
in katholiſchen Gegenden die Schulſchweſtern bejeitigt, theild weil man 
wegen Mangel an Lehrern und geringer Beſoldung zu ihnen feine Zu⸗ 
Flucht nehmen muß, jo wurde eine Regelung ber Bildungsver— 
hältniſſe derjelben immer nothwendiger. Einen wichtigen Schritt in 
dieſer Richtung hat das Minifterium mit dem Erlaß einer „Prüfungs: 
ordnungfürlebrerinnenundSchulvorfieherinnen” vom 24. 
April 1874 gethan, bie mit dem 1.Dct. desſelben Jahres in Kraft getreten iſt. 
Die „ Brüfungs:Orbnung” bezieht fich zunächft auf Lehrerinnen und 
dann auf Schulvorfteherinnen. Die Prüfung der Lehrerinnen ift ent- 
weber eine Entlafjungsprüfung an einer zur Abhaltung berfelben berech⸗ 
tigten Lehrerinnen-Bildungsanftalt, oder aber eine Gommiffionsprüfung 
für anderweitig vorbereitete Lehrerinnen. Zu Entlafjungsprüfungen 
Im zur Seit berechtigt die Anftalten in Berlin, Droyffig, Münfter, 
aderborn und Poſen. Doch foll die Berechtigung zur Abhaltung 
von Entlafjungsprüfungen auf Antrag des Schullollegiums auch ſolchen 
Anftalten gegeben werben, bie feit minbeftens 5 Jahren ihre Schüles 
rinnen mit Erfolg für die Ablegung ber Lehrerinnen: Prüfung vorbe⸗ 
yeitet haben. — Die Prüfungen ber Lehrerinnen für Volksſchulen iſt 
mit derjenigen für Lehrerinnen an mittleren und höheren Schulen 
verbunden, beide Prüfungen unterfcheiden fi im Wejentlichen dadurch, 
baß für Lehrerinnen der beiden legten Kategorien ein größeres Maß 
von Wiflen in der Literatur, Gefchichte und in den fremden Sprachen 
verlangt wird. Die Ziele find im Wefentlihen die von der Auguſt⸗ 
Conferenz aufgeftellten. — Alle müfien fich einer Prüfung unterwerfen : 
in der Religion, im Deutfchen, im Rechnen, in ber Gefchichte, Geo⸗ 
graphie, der Naturbefchreibung, ber Naturlehre, in der Pädagogik; im 
Geigen, Zeichnen, Turnen und in weiblichen Handarbeiten ift eben jo 
wie für Vollksſchullehrer die Prüfung im Franzöfiichen facultativ. Die 
Anforderungen gleichen im Allgemeinen benen an bie Lehrer nach den All⸗ 
gemeinen Beftimmungen vom 15. Dct. 1872. Die Prüfung kann nicht 
vor Vollendung bes 18. Lebensjahres ber Bewerberin gemacht werben 
und wird bei den zu Entlafjungsprüfungen berechtigten Anftaltenunter 
dem Vorſitz eine® Commiſſars bes Schul:Rollegi vom Lehrer-Kolle⸗ 
gium, fonft aber von einer Prüfungdcommilfion abgenommen, die vom 
Dber-Präfidenten nach paritätifchen Grunbfägen ernannt wird, jo baß 
alfo befondere evangelifhe und katholifche Prüfungs:Kommiffionen in 
Zufunft wegfallen. Bor einer folden Kommilfion wird auch die 
Prüfung der Schulvorfteherinnen abgelegt. Zugelafien werben dazu nur 
folche Lehrerinnen, welche mindeftens 5 Jahr fungirt und davon min» 
deſtens 2 Jahre an Schulen unterrichtet haben. Die Prüfung erftredt 
fih beſonders auf das Gebiet der Erziehungs: und Unterrichtslebre 
in ihrem Zufammenhang mit der Pfychologie und auf bie fpecielle 
Methodik. Sie ift feine Prüfung pro loco und fann jederzeit an ben 








Die äußeren Verhältniſſe der deutſchen Volksſchule. 579 


feſtgeſetzten Terminen, abgelegt werben. Die Uebergangsbeftimmungen 
fihern die bereit angeftellten Lehrerinnen und Vorfteherinnen in ihren 
erworbenen Rechten; geftatten bis jept ungeprüften, aber bereitö pro= 
viforifch Unterricht ertheilenden Lehrerinnen eine zweijährige Frift zu 
Ablegung der Prüfung und verheißen bei Beurtbeilung der Leiftungen 
ber Bewerberinnen einen milderen Maßftab, bis die Lehrerinnen 
Bildungs-Anftalten Zeit gehabt haben werben, ben ihnen nunmehr 
borgezeichneten Zielen entiprechende neue Lehrpläne aufzuftellen und 
durchzuführen. — Die neue Prüfungsordnung trat mit dem 1. Det. 
1874 in Kraft. Für Lehrerinnen, welche nur in einem ober mehreren 
technifchen Gegenftänden unterrichten wollen, beivenbet es bis auf Weis 
tere3 bei den beſtehenden Vorſchriften. 

Auch den Fortbildungsfchulen hat der Kultusminifter Dr. Falk 
feine Aufmerfjamleit und Yürforge zugewendet, nicht nur, indem er 
zur Unterftüßung folder Anftalten 47,212 Thlr. in den Staatöhaus- 
baltsetat brachte, fondern auch, indem er unter dem 17. Juni 1874 
„Grundzüge für Errichtung gewerblicher Yortbildungsfchulen” erließ. 

Wie auf die gewerblichen Fortbildungsſchulen in Städten 
bat der Her Minifter feine Aufmerkſamkeit auf die ländlihen Fort⸗ 
bildungsſchulen gerichtet, über melde er, jo weit fie bereit3 vor⸗ 
Banden waren, bis zum 1. Aug. 1874 Bericht einforderte (Centr.⸗Bl. 
©. 488 ff). Wenn au die vollftändige Drganifation biefer wich: 
tigen Anftalten erft durch ein allgem. —— möglich wird, ſo 
bringt doch das Minifterium auf Gründung und auf eine beſſere Ein⸗ 
richtung berfelben. Es follen nad Reſer. vom 6. Nov. 1874 nicht nur 
bie technifchen, fonbern die fog. ethiſchen Fächer in ihnen eine an- 
gemeflene Berüdfichtigung finden. Näheres barüber Centr.-B1. ©. 707. 
Es ift erfreulih, daß die Regierung in dieſem Streben vielfach von 
Räbtifhen Behörden und Bereinen unterftügt wird. Erſtere haben 
nad ber Gewerbeorbnung das Nedht, den Beſuch gewerblicher Fort⸗ 
bildungsſchulen für junge Leute bis zum 18. Lebensjahre obligatorisch 
zu machen, mad auch immer mehr gejchieht, da ein facultativer Beſuch 
aus befannten Gründen nicht zum Ziele führt. Insbeſondere rührig 
it auch der Berliner „Verein für das Wohl der aus der 
Säule entlaffenen Jugend”, ber fih bemüht, diefe in ben 
Nachmittags und Abendftunden der Sonntage in der Schule, die fie 
beſucht haben, zu verfammeln und in belebrender Weile zu unterhalten. 
Der Plan ift bereit3 an 5 Gemeinbefchulen verwirklicht worden und 
bat recht erfreuliche Refultate ergeben. In den Berfammlungen werden 
von Lehrern populäre Vorträge aus der Geſchichte, Geographie, Natur: 
geſchichte, Geſundheitslehre u. |. w. gehalten, pafiende Gedichte und 
Lieber vorgetragen und fragen aus dem Fragelaften beantwortet. Das 
Unternehmen bat auch von Seiten einiger Vereine und Privatperfonen 
durch Geldgeſchenke und Zufendung von Büchern, behufs Gründung 
von Bibliothelen, ſowie Beichaffung von Clavieren u. |. w eine recht 
beachtenswertbe Förderung erhalten. — Demnädft hat fich ber Verein 
in dem abgelaufenen Sabre befonderd angelegen fein laſſen, die aus 

37? 


580 Die äußeren BVerhältniffe der beutfchen Volksſchule. 


ber Schule entlafienen Knaben in georbnete Lebrverhältniffe zu bringen. 
Es find nahe an 400 Knaben (mehr als zwei Drittel der fi) bewer⸗ 
benden) bei Meiftern untergebracht, bie fi auch gern bereit zeigen, 
die ihnen übertviefenen Lehrlinge zum regelmäßigen Beſuch der von 
ben ftäbtifchen Behörden errichteten Fortbildungs⸗ refp. Vorbereitungs- 
ſchulen anzubalten. Auch bat ber Berein ben Verſuch gemadt, auf 
die aus der Schule entlafjenen Mädchen einzuwirken, berfelbe wird 
nad Möglichkeit für die Verwendung junger Mädchen in Heinen Wirth⸗ 
ſchaften Sorge tragen, um fie vor dem Fabrikleben zu bewahren. — 

Don ber Tönigl. Wifjenfchaftlichen Deputation für das Medicinal⸗ 
weien bat das Minifterium fih ein ausführlihes und jedenfalls be⸗ 
herzigenswerthes Gutachten über die zweckmäßige Ventilation 
und Heizung der Schulzimmer ausarbeiten laſſen, das ſich im 
Centralblatt für 1874 ©. 423 ff. abgedruckt findet. Auf Grund 
beffen bat die Abtbeilung für das Bauweſen für die Aufftelung von 
Schulbauplänen folgende Gefihtspuncte empfohlen: Im Allgemeinen 
wird davon auszugehen fein, baß 

1. im Winter nur vorgewärmte, frifche Luft den Schulyimmern, 
fo lange fie bejegt find, zugeführt und die verborbene Luft durch Ab⸗ 
faugung entfernt wird, und 

2. im Sommer der äußern Luft Eintritt gewährt wird, ohne den 
Schüler dem Zugwinde auszufehen. 

Die erfte Bedingung wird, wenn e8 fi) nur um die Heizung eines 
einzigen Saales handelt, durch Mantelöfen zu erreichen geſucht, beren 
innerer Kern den Yeuerberb enthält, während ber Raum zwiſchen Kern 
und Mantel mit frifcher Luft aus dem Freien angefüllt mirb, bie, in= 
dem fie fih an dem innern Ken erwärmt, in das Bimmer tritt und 
dieſes ebenfall8 erwärmt. Damit zugleich eine gute Bentilation erfolgt, 
wird ein oberhalb des Fußbodens des Zimmers ausmündender, ges 
mauerter Schacht bergeftellt, in deſſen Mitte das gußeiferne Rauchrohr 
des Ofens auffteigt. Indem die firahlende Wärme des Rauchrohrs 
einen auffteigenden Luftftrom im Ventilationsſchacht erzeugt, entzieht 
diefer die am ftärkften verunreinigte Luft, die, weil fie bie ſchwer ere 
ift, dicht am Fußboden lagert, und es Tann bie vorgewärmte frifche 
Luft nun um fo bequemer in den Schulſaal eintreten. 

Bei größeren Schulen wendet man jeßt faft allgemein eine voll⸗ 
Rändige Central-Zuftheizung an, deren Ealoriferen im Keller aufgeftellt 
werden. 

Für den Sommer werden Lüftungsflügel in den Fenſtern mit 
Nuten angewendet, auch wird für dieſe Zeit eine im Bentilationd- 
ſchachte unmittelbar unterhalb der Zimm erdecke befindliche Klappe Rs 
Öffnen fein, um bie im Zimmer entwidelten Dünfte möglichft raſch 

leiten. — 
" Den ſchwerſten Stand bat die Königl. Regierung feit einigen Jahren 
befanntlih gegen den Ultramontanismus, der fidh jeit langer 
Beit die Herrſchaft über die Echule zu verfchaffen und fie zu behaupten 
gefucht hat. In den öftlichen Provinzen, befonders in Poſen, ſteht 


2a ——— .- 


Die äußeren Verhältnifje der deutſchen Volfsichule. 581 


das Bolenthbum tm innigften Bunde mit dem Ultramontanismuß, 
Nah einem Reicript vom 31. Mai 1874 fol der Religionsunter⸗ 
richt, ben die ultramontan-polnifche Seiftlichleit gern ganz in polnischer 
Sprache ertheilt ſehen möchte, in den Seminaren auf ber Unterftufe 
— alſo die bibliſchen Geſchichte — ganz oder vorzugsweiſe in polnifcher, 
auf ber Oberftufe, aljo hauptſächlich bie Religionslehre, ganz ober 
vorzugsweiſe in deutfcher Sprache ertheilt merben, jedesmal aber gegen 
das Ende der Unterrichtöftunde eine Wiederholung des in berjelben 
durchgenommenen Penfums in ber andern Sprache, bei der biblifchen 
Geſchichte in ber beutichen, bei der Religionslehre in der polnischen, 
ftattfinden. So fuht man aljo auch in diefer Beziehung die Parität 
zu wahren. 

Sn den ebangeliihen Seminaren Poſens mwirb der Religions 
Unterricht nur deutſch ertheilt. Für alle Seminare ift die polnifche 
Sprache aber Unterrichtögegenftand; doch foll die darauf biöher ver- 
wandte Zeit in katholiſchen Anflalten von 6, 5 und 4 Stunden auf 
4, 4 und 2 Stunden in den drei Seminartlafien befchräntt werben. — Im 
Seminar zu Poſen und Paradies find methodologiſche Kurſe für Lehrer 
einaerichtet, welche ber beutichen Sprache nicht gehörig mächtig find. 
Sentralblatt S. 296. — 

Im Reg.Bez. Pojen ift in ben lebten 2 Jahren 116 Tatholifchen 
Geiftlihen, melde etwa 200 Schulen infpicirten und leiteten, bie 
Schulauffidht genommen und biefe auf meltlidhe Schulinfpectoren 
übertragen; über 200 Geiſtliche (in 600 Schulen) führen fie indeß 
nod weiter fort. Die Pof. Big. bemerkt dazu: „Man bat eben bie 
Unvorfictigen, welche durch ihre DOppofition gegen ben Staat compro= 
mittirt wurden, ihrer Schulberrfchaft enthoben, und bie Vorfichtigen, 
aber deſto Gefährlicheren, in ihrer Stellung belafjen”. 

Auch im Rheinland und Weitfalen fieht die Königl. Regierung 
fih genöthigt, mehr und mehr die ultramontane Geiftlichleit aus ber 
Schule und von der Schulinfpeltion zu entfernen, ohne daß fie jedoch 
überall theoretiſch und praktisch gebildete Pädagogen zu Inſpectoren 
ernennt, wie die Lehrerichaft es ftet3 gewünſcht bat. Auch bier Tann 
nur das erwartete Geſetz ben berechtigten Wünfchen der Lehrerichaft 
Rechnung tragen. Da in katholiſchen Gegenden die Lehrer, die ein 
Tirchliches Amt befleiden, aljo eine unerquidlicde Stellung zwilchen den 
beiden kämpfenden Mächten, dem Staate und der Kirche, einnehmen, 
jehr leicht mit einer derjelben oder mit beiden zugleich in Kampf ges 
rathen, fo bat fih z.B. die Regierung zu Köln Folgendes anzuorbnen 
veranlaßt gejeben: „Lehrer, die ein Tirchliches Amt nicht bekleiden, 
Zönnen zu kirchlichen Dienflen irgend welcher Art nicht herangezogen 
werden. Zur Betheiligung an Prozeffionen und ähnlichen kirchlichen 
Aufzügen können weder Lehrer noch Schüler verpflichtet werben, und 
fofern gedachte Aufzüge in bie Schulzeit fallen, ift bie Betheiligung 
ber Schule an benjelben gänzlich unftatthaft. Ebenfo Tann die Schule 
zur Betheiligung an Anbachten, die nicht zum Schulgottesbienft ge- 
hören, auch dann nicht herangezogen werben, wenn biejelben außerhalb 


582 Die äußeren Verhältniffe der deutſchen Volksſchule. 


der Schulzeit Rattfinden. Die Betheiligung der Schulen an Anbaditen 
mit firchenpolitifcher Tendenz ift jederzeit unſtatthaft.“ 

Die Königl. Regierung zu Koblenz bat folgendes Eircular an bie 
katholiſchen Schulinfpectoren, betreffend die Unterbreddung des Unter- 
richts durch kirchliche Geſchäfte, erlaffen: „Es ift und zur Anzeige ge- 
bracht worden, daß häufige Unterbrechungen des Schulunterrichts da⸗ 
durch herbeigeführt werben, daß bie Kinder mährend ber Zeit ber 
Iehrplanmäßigen Unterriditöftunden bon den Geiftlichen zur Beichte 
gezogen ober ala Meſſediener im Gottesbienfte, bei der Spenbung des 
heiligen Abendmahls an Krante und bei Leichenbegängniffen benutzt 
werden, ober fich mit dem Lehrer an den lektern als Xeichenbegleitung 
betbeiligen. Wir veranlaffen Sie, binnen 3 Wochen zu berichten, ob 
dies auch betreffd des dortigen Bezirks zutrifft, refp. ob Veranlaſſung 
zu einer bejondern Anordnung vorliegt, durch welche bie Diöpenfation 
von Scullindern vom Schulunterricht zu Zwecken der angegebenen 
Art unterfagt wird.“ 

Die Regierung in Düffelvorf bat eine amtlihe Bekanntmachung 
erlafien, wodurch fie allen von ihr reffortirenden Staats: und Ge: 
meindebeamten, Schulinjpectoren und Lehrern unterfagt, dem als un- 
patriotifch und ftaatsfeindlich anerkannten Mainzer Katholiten-Bereine 
beizutreten ober fernerhin anzugehören oder feinen Berfammlungen — 
fofern dies nicht zum Zwecke der polizeilihen Ueberwachung geſchieht 
— beizumohnen. Gleichzeitig find die Polizeibehörden angewieſen wor⸗ 
ben, die Verfammlungen biejes Vereins forgfältig zu überwachen unb 
die Vorſchriften des Vereinsgeſetzes gegen benfelben mit aller Strenge 
zur Ausführung zu bringen. 

Die Regierung zu Breslau fieht ſich genöthigt, den katholiſchen 
Kreis Schulinipectoren und den Tatholiichen Schulinipectoren der Stabt 
Breslau die Pflicht einzufchärfen, die anzuftellenden Lehrer auf die 
Berfaffung zu vereidigen und feinerlei Referbation zu biefem Eibe 
zuzulaflen. Jeder Zehrer, welcher die Ableiftung bes Eides verweigert, 
und jeber Schulrevifor, melcher die Abnahme des Eided in der am 
27. Det. 1873 worgefchriebenen Yorm ablehnt oder der ſich dabei irgend 
einen Vorbehalt geftatten jollte, fol fofort feiner Funktionen enthoben 
erben. 

Man fieht daraus, daß dort und vielleicht auch anderswo das 
Beftreben bei den Ultramontanen vorhanden ift, fi den Berpflidh- 
tungen gegen den Staat zu entziehen, um benen, welche die Firchlichen 
Dbern verorbnen, defto unbebingter nachzukommen. Aus demjelben 
Grunde macht die Regierung zu Dppeln den Landräthen und Kreisſchul⸗ 
infpectoren bemerflich, „daß bie Seelforger nicht für berechtigt erachtet 
werben könnten, dem Lehrer in Bezug auf fein Amt Berpflidtungen 
aufzuerlegen , insbefondere an denfelben das Verlangen zu ftellen, daß 
ex fich der Ertheilung des Religionsunterrichts erft unterziehe 
nachdem er zuvor bon der geiftlichen Behörbe die missio canonica erhalten 
und das Tridentiniihe Glaubensbekenntniß abgelegt habe. Der 
Religionsunterridht in den Öffentlichen Elementarfchulen gehöre zu ben 








Die Aufßeren Verhältniffe der deutſchen Volksſchule. 583 


ein Ganges bildenden Lehrgegenftänden verfelben; bie katholiſchen Lehrer 
würden auf den Seminarien orbnungsmäßig für die Ertbeilung des 
Unterrichts in einem jeden diefer Lehrgegenftände vorbereitet und nad 
beftandener Prüfung für qualificirt zu dem Amte eines Elementar- 
Ichrer3 erflärt 20.” 

Wenn die fatholifchen Oberbehörden dem Staate das Necht beftreiten, 
feine Lehrer mit dem Religiondunterricht zu betrauen, fo Täßt ſich noch 
viel eher erwarten, daß fie die vom Staate und von Gemeinden biel- 
fach gewünfchten, durch Iocale Verhältnifje gebotenen Simultanfhulen 
bartnädıg als unchriftliche und verderbliche Inftitute befämpfen. Als 
die Regierung zu Marienwerder die Einrichung berfelben anorb= 
nete, wurde diefe don ber evangelifchen Bevölkerung durchweg beifällig 
aufgenommen, von der katholiſchen gingen aber zahlloſe Protefte da⸗ 
gegen ein; doch trat die Organiſation paritätifcher Schulanftalten in 
diefem Bezirfe mit dem 1. Detbr. 1874 ins Leben. Die Einrichtung 
einer eintlaffigen öffentlichen Gonfeffionzfchule neben den mehrklaſſigen 
ſtädtiſchen Schulen wird mitteld Minift.-Rejeriptd vom 19. Aug. 1874 
für unzuläffig und die bürgerliche Gemeinde zu Beiträgen für eine 
folche und für eine confeffionelle Privatfchule für nicht verpflichtet er- 
Härt (Centralbl. S. 627). Uebrigend hält e8 dad Minifterium noch 
nicht an der Zeit, mit der Einrichtung von Simultanfchulen ganz all- 
gemein vorzugehen, ſondern gewährt bier den communalen Behörden 
die gewiß erwünfchte freie Hand (daf. S. 549). Als von allgemeiner 
Bedeutung ift e3 gewiß anzuſehen, daß zu Oſtern 1875 die ftäbtifchen 
Behörden Kölns fih mit großer Mehrheit für die Simultanfchule 
entſchieden haben. — 

Seit dem Jahre 1872 fteht an der Spige ſämmtlicher Provin- 
zial-2ebrervereine der preußifche Landeslehrerverein, 
dem nunmehr viele taufend Lehrer aus allen Provinzen, außer 
Scleswig-Holftein, angehören. Den Borftand desſelben bilden je 2- 
Delegirte von jedem Provinzial-Verein und 3 Tooptirte Mitglieder; 
Vorfitender ift Schulinfpector Backha us aus Denabrüd. Aus ber 
Thätigleit des Vorftandes für 1874 ift bervorzubeben, daß derfelbe 
eine von dem Borfigenden entworfene Petition an den Finanz⸗ 
minifter Camphaufen gerichtet, in welcher die Dringlichkeit der Alters⸗ 
zulage nachgewieſen ift und gebeten wird, diefelbe fo zu normiren, daß 
nah 5jähriger Dienftzeit 25 Thlr., nad 10jähriger 50 Thlr., nad) 
15jähriger 75 Thlr. und nad 20jähriger 100 Thlr. aus Staats⸗ 
mitteln gewährt werden und baß hierbei die probiforifche Dienitzeit 
angerechnet werde. Diefe wie andere von kleinern Vereinen ausge: 
gangene Petitionen ähnlichen Inhalts find auch Gegenftand Iebhafter 
Erörterungen in der Unterrihtscommiffion des Abgeordnetenhaufes ge- 
weien; doch haben bdiefelben zu feinen greifbaren Refultaten geführt, 
weil die Regierungs:Commifjarien auf Grund der Gehaltzftatiftif die 
fortbauernde Nothwendigkeit ber Aufbefierung der Minimalgehälter 
nachwieſen. 





584 Die äußeren Verhältniffe ber deutſchen Volksſchule. 


Sodann find von verſchiedenen Bereinen Rejolutionen über bie im 
Sabre 1873 vom Vorftande der preußiichen Lehrerichaft vorgelegte 
Denkſchrift „vie Boltsfchule”, von Seyffartb, eingegangen, melde 
berfelbe im jebigen Bereinsorgane, in der von ihm herausgegebenen 
preußiſchen Schulzeitung, veröffentliht bat. Auf Antrag bes 
Provinzialvereing Schlefien machte der Borftand die Einzelvereine 
auf die von dem Görlitzer Verein herausgegebene Schrift: „Borfchläge 
zur Neugeftaltung unferer Drtbograpbie‘ aufmerffjam und veran- 
laßte diefelben, darliber zu beratben und bie Ergebnifle der Berathung 
dem Borfitenden mitzutbeilen. Inzwiſchen bat, wie es heißt, ber 
Eultusminifter Dr. Fall die Smitiative in der Orthographie⸗Reform 
ergriffen, indem er ben berühmten Germaniften Rubolf von Raumer 
zur Ausarbeitung einer besfallfigen Vorlage aufgefordert bat, über 
welche eine Commiſſion von Sachverftändigen berathen fol. Endlich 
bat der Vorftand die Frage, ob die Volksſchule völlige Staats» 
anftalt werben müfle, alfo ganz aus ber Staatskaſſe zu unterhalten 
fei, in ben Kreis feiner Berathung gezogen und wird darüber in ber 
nächſten Vorftandfigung, melde im Juli 1875 zu Eisleben flatt- 
finden wird, beichließen. 

Es beftehen jett überall mit Ausnahme des Rheinlandes, wo bie 
eonfejfionellen Verbältnifie dafür Schwierigkeiten bieten, Provin⸗ 
zialsLehrer-VBereine, die auf den Kreis- und Special-Bereinen 
auferbaut find, und durchweg mit Peſtalozzi-Vereinen für die Provinz 
in Verbindung ſtehen. Sämmtlidhe Bereine haben im abgelaufenen 
Sahre je eine Jahresverſammlung gehalten, Hannover ausgenommen, 
das alle 2 Sabre foldhe Gencral-Berfammlungen bält. Die Wahl ver 
auf dieſen Berfammlungen behandelten Themata und bie Ergebniffe 
der Beratbungen zeugen von bem ernften, auf praftiiche allgemeine 
Tragen gerichteten Sinn der Lehrerſchaft. 

Der Brandenburger Berein, der zugleich Peſtalozzi-Verein iſt 
und 5300 Mitglieder zählt, brachte einen Jahresbeitrag von 3697 Thlr. 
auf, womit 419 Witwen mit je 5—16 Thlr. unterftüßt werben Ionnten. 
An außerordentlihen Einnahmen hatte der Berein 2106 Thlr., die 
dem Vereine gehörige Buchhandlung zu Neuftabt-Eberswalde warf 
davon 1200 Thlr. ab. 

An der Prov. Hannover beftehen mehrere Peſtalozzi⸗Vereine 
mit recht guter Einnahme, die man zu einem allgemeinen hannover⸗ 
ſchen Peſtalozzi⸗Verein zu verſchmelzen gedenkt. 

Mit dem heſſen⸗naſſauſchen Verein iſt die Adolfſtiftung 
zur Unterftügung an Lebrerwaifen verbunden, welche Stipendien von 
50—150 Mark gewähren fann. Der pommerſche Peſtalozzi-Verein 
zählte am 31. Dec. 1873 565 Mitglieder und konnte 39 Witwen 
und Waiſen mit 3231/, Thlr. unterftüben. Der preußifche Peita- 
lozzi⸗Verein zählt 2723 Mitglieder und hatte 3444 Thlr. Einnahme, 
ein Fondskapital von 9800 Thlr. und hat 1874 über 300 Witwen und 
Waiſen unterflügt. Außerbem beftebt bier ein Emeriten: Unter» 
ſtützungs-Verein mit 2005 Mitgliedern und 365 Thlr. Jahres⸗ 








Die äußeren Verhältniffe ber deutſchen Volksſchule. 585 


beitrag. Dem ſach ſiſchen ProvinzialsBerein gehören 2200 Mitglieber 
an, bem damit verbundenen Peſtalozzi⸗Verein aber 8336 Mitglieder 
nebft 3001 Ehrenmitgliedern. Derfelbe hatte eine Gefammteinnahme 
von 9189 Thlr. 28 Sgr. 6 Pig. und fonnte 493 Wittiven und 
299 Waifen unterftügen mit 6685 Thlr., alſo burchichnittlich per Kopf 
mit 8,5 Thlr. Während feines 12jäbrigen Beſtehens hat diefer wadere 
Berein über 68,000 Thlr. eingenommen und an Unterftübungen 50,000 
Thlr. gezahlt; vergl. ven Jahresbericht des Vereins vom 1. Det. 1873 
— 30. Sept. 1874. — Der ſchleſiſche Prov.-Verein zählt 1500 
Mitglieder in 64 LocalsBereinen. Neuerdings wird der Wunſch nad 
einer gewiſſen Verbindung bes beutfchen Lebrerbereins mit dem preußi= 
Then Landeövereine allgemein rege und dürften bald darüber von Dele⸗ 
girten beiberfeitö Verhandlungen gepflogen werben. 

Eisleben. | Dr. ®. Yütting. 


2. Das Königreich Bayern. 


L Das verflofiene Jahr bat für das bayerifche Volksſchulweſen 
auf Tegislatoriichem Gebiete wenig Aenderungen gebracht. Die be» 
kannte politifche und Tirdhliche Conftellation, in der wir uns ſchon feit 
Jahren befinden, fteht, wie in vielen anbern Dingen, auch bier einem 
entichiebenen burchgreifenden Vorgehen hemmend entgegen, und bie 
Ausfichten auf das Zuftandelommen eines zeitgemäßen Schulgefetes 
find gegenwärtig vielleicht ungünftiger ald je. Wie dringend nothwen⸗ 
dig ein ſolches aber wäre, das bat fich gerade im legten Jahre wieder- 
holt gezeigt. Denn gewiſſe fragen, darunter in erjter Linie die der 
Schulaufficht, laſſen ſich auch bei uns nicht mehr zurüddrängen, und 
fo lange fie nicht gelöst, und zwar im Sinne ber modernen Pädagogik 
gelöst find, werben fi) auch bei der größten Zurüdhaltung und Vor⸗ 
fit immer und immer wieder Conflikte und Collifionen ergeben, wie 
wir fie in Nachfolgendem zu berichten haben. Allerdings ift ein kleiner 
Anfang zum Beflern gemadt. Die Wahl der Kreisſchulinſpektoren, 
die Vermehrung bes Yaien-Elements in den Kreisfcholarchaten, die An⸗ 
ftelung von fachmänniſch gebildeten Schulrätben in 7 Städten und 
von einigen Lehrern als Diftriltöfchulinfpeltoren beweist dies. Allein 
wie fchwer eö hält, mit dem herlömmlichen Syftem zu brechen, gebt 
aus Folgendem berbor. 

Nah den im Pädag. Yahresberichte von 1872 und 1873 erwähn⸗ 
ten Vor⸗Verhandlungen hatte der pfälziiche Landrath in feiner legten 
Selfion mit ällen gegen die Stimmen feiner 3 geiftlichen Mitglieber 
die Anftellung von 6 felbftändigen Diſtriktsſchulinſpektoren beantragt 
und für jeden berfelben einen Gehalt von 1400 fl. nebit 280 fl. 
Theuerungszulage und 500 fl. Neifeaverfum bewilligt. An der Ge- 
nehmigung diejes Beſchluſſes zweifelte man um fo weniger, als ber- 
felbe nah dem Landrathsabſchied von 1872 und nad den mündlichen 
Erklärungen bes kgl. Regierungskommiſſärs mit den biesfallfigen Ver⸗ 
faffungsbeftimmungen nicht im Widerſpruch fliehen ſollte. Trotzdem 





586 Die äußeren Verhältniffe der deutſchen Volkoſchule. 


wurde bie Genehmigung des Antrages verfagt, weil er eine weſentliche 
Uenderung der bisherigen Verfaflung der Diftriltsfchulinipeltionen be» 
ziele, die wenigftens für den proteftantifchen Religionstbeil ber Pfalz ver» 
faffungsmäßig gewährleiftet fei. — In den Debatten, die dem erwähn- 
ten Beſchluſſe vorangingen, hatte der Landrathspräſident Dr. ‘Jacob 
erflärt, die Welt fei darüber einig, daß bie Schule den Geiftlichen 
nicht viel zu danken babe unb daß fie von der Kirche getrennt wer⸗ 
ben müſſe, wenn fie gebeiben folle. Diefe Erflärung rief eine ziemlich 
erregte Zeitungspolemif hervor und veranlaßte eine große Anzahl pfälzifcher 
proteftantifcher Geiftlicher, in einer gemeinfamen Eingabe an die Kammer 
der Abgeorbneten das Erfuchen zu ftellen, dahin wirken zu wollen, daß 
die mit Geſetzeskraft beftebende Verordnung vom 20. Auguft 1817, 
wonach der Drtögeiftliche als folcher Lokalſchulinſpeltor iſt, als nicht 
mebr haltbar aufgehoben werde. Die Motivirung fagte, daß fich ber 
Kreiß durch feine berufenen Vertreter gegen die bisherige Schulauflicht 
offen ausgeſprochen babe, daß bie fgl. Regierung durch alle ihre bie 
Schule betreffenden Verordnungen und Anorbnungen der nämlichen 
Anficht beizupflichten fcheine, daß die Lehrer Trennung der Schule bon 
ber Kirche fordern, und daß die Geiftlichen fich dem allem gegenüber 
außer Stande fehen, in erfprießlicher Weife dem Wohle der Schule zu 
dienen. — 

Zu noch ſchlimmeren Zeriwürfnifien Fam es wegen diejer Frage in 
Mittelfranten. In der am 15. September zu Fürth ftattgehabten Ver⸗ 
fammlung bes mittelfränfifchen Kreisvereins ſtand das Thema ber 
„Sculaufficht‘ auf der Tagesordnung. Der Referent, Lehrer Jage⸗ 
mann aus Fürth, betonte, daß bie geiftlide Diftrikts- und Lolalichul- 
aufficht der modernen Volksſchule nicht förderlich, fondern eher hinder- 
lich fei, und verlangte deren Aufhebung. Er mwünfchte eine Umgeftal- 
tung der Kreisſcholarchate, die Berufung eines wiſſenſchaftlich und 
techniſch gleich tüchtig gebildeten Schulmannes als Beirath ind Eultus- 
miniftertum und die Errichtung eines oberften Schulrathes auch für das 
Volksſchulweſen. Seine aufgeftellten Theſen fanden den Beifall und 
die Buftimmung ber Berfammlung. Die ſüddeutſche Reichspoſt, das 
Organ ber orthodor⸗lutheriſchen Geiftlichfeit Bayerns, machte daraufhin 

“den Vorſchlag, die hohe Stantäregierung folle entiweber den Geiftlichen 
die Schulinfpection abnehmen, oder fie vor den Angriffen der „radi⸗ 
calen’’ Lehrer in deren Blättern und Verhandlungen fchüßen, da "durch 
derlei Kritiken die obrigkeitliche Autorität gefchmälert und der Oppoft- 
tionsgeift des einzelnen Lehrers, der doch immer noch Pfarrlind und 
Gemeindeglieb bleibe, machgerufen werde. Weiter richteten etwa 200 
mittelfräntifche Lofalfchulinfpektoren eine Eingabe an bie kgl. Kreisregie⸗ 
rung, des Inhaltes, daß fie, befonders aus Anlaß ber von ber Kreislehrer⸗ 
verſammlung in Fürth angenommenen Thefen, in denen über die 
Geiſtlichen als Lokalſchulinſpektoren das wegmwerfendfte und verletzendſte 
Urtheil geſprochen werde, gegen eine ſolche fortgeſetzte öffentliche Be⸗ 
ſchimpfung von Seiten der Lehrer energiſch proteſtiren und für den 
Fall, daß die Regierung die geiſtliche Lokalſchulaufſicht noch länger bei 


Die äußeren Verhältniſſe der beutichen Volksſchule. 587 


zubehalten beabfichtige, um ausgiebigern Schuß ihrer Drgane gegen . 


foldde Angriffe nachſuchen. Endlich Ni fih fogar der mittelfräntifche 
Lanbrath dur Annahme bed von feinem Präfidenten, dem Bürger- 
meifter Frhrn. v. Stromer in Nürnberg, geftellten Antrag: „es fei 
an die Tal. Staatdregierung die Bitte zu ftellen, die verorbnungsmäßige 
Auffiht auf die Volksſchule wirkſam zu handhaben und hiernach die 
zur Zeit beſtehenden legalen Schulauffihtäorgane erneut zu inftruiren“ 
— veranlaßt, für die geiftliche Schulauffiht einzutreten. Die Folge 
davon war, daß durch Regierungs⸗Erlaß den Lehrern wegen ihres 
forporativen,, agreffiven Vorgehens die ernftefte Mißbilligung auöges 
fprochen wurde, daß aber auch anderfeit3 „ein gleich Torporatives Vor⸗ 
geben der Schulinfpeftoren geiftlihen Standes und das allenthalben 
zu Tag tretende Streben der proteftantifchen Geiftlichkeit, fich der Schulaufe 
fit, zu der fie durch Die Staatäverfafiung und Verordnung berufen ift, zu 
entſchlagen, nicht gebilligt” und die Erwartung ausgefprochen wurde, 
daß fie bei Führung ihres Amtes „auch die Rüdfichten nicht außer 
Acht laſſen würden, melde ein mohlmollender und loyaler Vollzug 
gegenüber dem Lehrerſtande und die auch letterem zu zollende Achtung 
gebiete“ Diefe unerquidlichen Vorfälle, die über die Grenzen Bayerns 
hinaus Aufſehen erregten, mirbelten in ber pädagogiſchen wie in ber 
politifchen Preffe viel Staub auf, und es darf nicht verſchwiegen 
werden, daß felbft liberale Blätter, wie die „Frankfurter Preſſe“ und 
ber „Bfätzifche Kurier” das Vorgehen der mittelfränliihen Kreisver⸗ 
tretung und Regierung billigten. — Wie man nun aud) darüber denken 
mag, fo viel ift ficher, daß eine bedeutende Verftimmung gegen den 
Lehrerftand berrfcht, und daß berfelbe, wenn auch entſchieden, fo doch 
mit aller Beſonnenheit und Ruhe fein Biel erftreben muß, menn nicht 
ein Umschlag der Öffentlichen Meinung zu feinen Ungunften eintreten 
fol. Einzelne Kreis- und Bezirksvereinsausſchüſſe haben denn auch 
in biefem Sinne Ausfchreiben an ihre Vereinsgenofien erlafien. — 


IL Obgleich die Präparandenjchulen und Seminarien fi) jeit ben 
letzten Gehaltsaufbeflerungen und in Folge der reichlich geipenbeten 
Unterftügungen — für die 6 pfälzifchen Präparandenichulen pro .1875 
allein 16,095 fl. aus Staats- und 3000 fl. aus Kreisfonds — wieder 
mehr benölfern, wirb boch der Lehrermangel no auf Jahre hinaus 
in empfinblicher Weiſe fih fühlbar madhen. In Oberfranten allein 
fehlen über 90 Lehrkräfte, und ähnlich fieht’3 in ben anderen Kreifen 
aus. Die oberbayrifchen Diftriltsfchulbehörden wurden aufgefordert zu 
berichten, an welchen Orten Sculgebilfen für dad Sommerjemefter 
entbehrlich feien, und den auöbelfenden ftändigen Lehrern wurde für 
ihren erfegenben Unterricht entiprechende Entſchädigung zugefihert. Auch 
in der Pfalz Hat man, wo es nur immer anging, von Schulen, die 
mit 2 Lehrern beſetzt waren, einen weggenommen, fleinere Schulen 
ganz aufgehoben und bie Rinder benachbarten Säulen zugetheilt, 
was ſchon zu berichiedenen Competenzconflilten zwiſchen Gemeinden 
und Regierung geführt bat. Man foll daher auch hier die Gründung 


588 Die äußeren Verhäktnifie ber deutſchen Volksfchule, 


eines Lehrerinnenſeminars beabfichtigen. In Niederbayern hat ber Landrath 
wieberholt die Bewilligung der Mittel zur Errichtung eines folden 
abgelehnt, in Mittelfranten ebenfalls. Doch wurde bier ald wünſchens⸗ 
werth bezeichnet, daß ein Lehrerinnenjeminar aus Staatömitteln er- 
richtet werde, und bat man auch für Jungfrauen aus dem Kreife, 
die fih in dem Privatfeminar zu Memmingen als Lehrerinnen aus⸗ 
‚bilden wollen, 200 fl. ala Stipendien ausgefegt. In Afchaffenburg 
tritt mit dem Beginn bed Schuljahres 1875/76 eine höhere teibliche 
Bildungsanftalt in’3 Leben, errichtet vom Staate und botirt aus den 
Renten des Afchaffenburger allgemeinen Schul: und Studienfonbes. 
Diefelbe umfaßt eine höhere Töchter: und zugleich Präparandenichule 
und bieran fi anfchließend ein Lebrerinnenfeminar in Verbindung 
mit einem Penfionate. Außer dem Direltor und 3 orbentlichen Lehrern, 
die in Rang und Gehalt den Seminarinfpeltoren, reſp. Seminarlehrern 
gleich geftellt find, werben an berielben 5 weltliche Lehrerinnen anges 
ftellt, 1 für den franzöſiſchen Unterricht, 1 für den Vorkurs, 1 Arbeitö- 
lebrerin und 2 für die Seminarübungsfhule. Zum Direltor murbe 
vor kurzem ber bisherige Studienlehrer zu Regensburg, Dr. Reber, 
ernannt. — Lehrplan und Einrichtung der Schullehrerfeminarien und 
Präparandenfchulen haben feine Aenderungen erfahren. Dagegen ift 
unterm 8. Mai 1875 eine umfaflende Minifterialentfchließung, bie 
Fortbildung bes Lehrerperfonals an den Vollöfchulen beir., erjchienen, 
bie viele Neuerungen bringt. Cinleitenb bezeichnet fie als ein Haupt- 
gebrechen, an dem unfer Volksſchulweſen leide, die Thatſache, ba ber 
Fortbildung des Lehrerperfonals nach dem Austritt aus dem Seminar 
nicht allenthalben im Königreiche jene Aufmerkfamfeit und Sorgfalt 
zugewendet werde, welche bie Wichtigkeit bes Gegenftandes erforbere 
und das Normativ über die Bildung ber Schullehrer vom 29. Sept. 
1866 ala nothwendig erachte, und erllärt eine beflere Organifation 
des Fortbildungsweſens bes Schullehrerperfonald und einen energifchen 
Bolzug diefer Organifation als ein bringendes Beitbebürfnig. Dann 
wird in der Hauptjache Folgendes verorbnet: 


1) In jedem Kreiſe wird eine entfprechertbe Anzahl von Fortbilbungs» 
kurſen (in der Regel der Sprengel eines Bezirksamtes, dann jebe größere 
Stadt) errichtet, die für ſämmtliche Lehrer dieſes Bezirks ohne Unter: 
ſchied der Gonfeffion beftimmt find und bon einem entiprechenb remu- 
nerirten Hauptlehrer (einem hierzu befähigten Schullehrer des Bezirks) 
geleitet werben. 


2) Der Beſuch der Fortbildungskurſe ift a) ein pflichtmäßiger für 
bie Schuldienfterjpeftanten, die die Anftelungsprüfung noch nicht mit 
Erfolg beftanden haben, b) ein freiwilliger für die übrigen Lehrer. 
Doch können auch Schuldienfteripeftanten, die die Anftelungsprüfung 
mit der Note ILI beftanden und durch ihre biöherige Amtsführung 
nicht befriedigt haben, fowie Schullehrer, deren Lehrgeſchicklichkeit oder 
beren Leiftungen in ber Schule nicht genügen, zum längeren, reſp. 














Die äußeren Verhältniffe der beutfchen Volksſchule. 589 


wiederbolten Beſuch der FYortbildbungsturfe durch bie Kreisregierung 
verpflichtet werben. | 


3) Die Fortbildungskurſe follen vorzugsweiſe auf dem Wege bes 
Selbftftubiums und der Selbftübung unter der Führung erfahrener 
Berufögenofjen eine möglichite Ergänzung der Seminarbilbungszeit ge= 
un und deshalb im Wejentlihen den Charakter von Schulen. 

eigen. 

Das anzuftrebende Ziel der Fortbildung Bat eine doppelte Seite, 
eine theoretifche und eine praftifche. Erſtere fol erreicht werden a) durch 
geregeltes, planmäßiges, überwachtes Selbftftubium, für welches alljähr- 
lid von der Kreisregierung nad) Vernehmung des Lehrerraths bes 
einſchlaͤgigen Seminars ein Programm mit Angabe der zu benübenben 
Schriften 20. feſtgeſetzt wird; b) durch bie Gonferenzthätigfett, welche 
fih enge an das für das Selbftftubium fetgeftellte jeweilige Programm 
anichließt. Außer der von den Diſtriktsſchulinſpektoren mit dem ges 
fammten ihrer Aufficht unterftellten Lehrerperfonale abzubaltenden Einen 
Hauptconferenz finden jährlich für jeben Fortbildungsbezirt 3 Konferenzen 
für die gejammte Lehrerſchaft unb 4 nur für die zum Beſuche ber 

stbilbungskurje Verpflichteten unter Leitung des Hauptlehrers ftatt. 

ie Themata zur fchriftlicden Bearbeitung für biefe Conferenzen ber 
fimmt alljährlich die Kreisregierung nach Vernehmung bes Lehrer: 
rathes des einjchlägigen Schullehrerfeminard. — Der praktiſchen Seite 
der Yortbilbung fol Rechnung getragen werben a) durch controlirte 
planmäßige Vertheilung bes Jahres-Lehrſtoffes der einzelnen Schal- 
Hafjen auf kürzere Zeitabjchnitte, db) durch ausführlide Tagebuchführung 
über den Schulbetrieb; c) durch Hospitixen der pflichtigen Theilnehmer 
in anderen Schulen; d) durch Probeleftionen; e) durch Schuloifitationen 
feitens des Hauptlehrers und des Kreisſchulinſpektors. 


4) Die Hauptlehrer haben über den Fleiß und die Leiltungen 
ber yortbildungspflichtigen Einzelcenfurbögen anzulegen und am Schluſſe 
jeden Jahres ausführlihen Bericht mit Beilage ber Genfjurbögen, 
fchriftlichen Arbeiten und Conferenzprotofolle an die Kreiöregierung zu 
erftatten, welche darauf den entfprechenden Beſcheid erläßt. — 

Die päbagogifche Preſſe Bayerns hat ſich bis jegt über biefe, fo tief 
in das Wefen der Schule und in die Pflichten der Lehrer eingreifende 
Verordnung entiveber gar nicht, oder boch ſehr reſervirt ausgeſprochen. 
Die Redaktion der bayerifchen Lebrerzeitung fagt, es lägen ihr Gor- 
refpondenzen vor, die der neuen Einrichtung ihr ungetheiltes Lob zoll⸗ 
ten, andere, bie darin eine gänzliche Verkennung und Mikachtung des 
durch ben bayerifchen Lehrerverein erweckten geiftigen Lebens, bethätigt 
durch freiwillige Thätigkeit, erblidten und in den angeorbneten Maß 
nahmen zugleih einen Zug nad rüdwärts fehen wollten. Die „Pfälz. 
Beitung” meint, ein britter Seminarkurs wäre zweckentſprechender ge= 
weſen. Eine vor kurzem bei Lindauer in München erfchienene Brochüre: 
„Wie es mit Schule und Lehrer befjer wird‘, hält eine fruchtbare 
Fortbildung doch zunächſt von einer gründlichen Vorbildung bedingt, 


590 Die äußeren Verhältniffe ber beutfchen Vollsſchule. 


und biefe fei in dem Bildungsgange der Schullehrer überhaupt wicht 
gegeben. Der betreffende Mangel könne durch Errichtung von Fort⸗ 
bildungsfurfen und Bibliothelen nicht erfegt werben; bier belfe nur 
eine gründlichere, tiefere allgemeine Bildung ber Lehrer, deren Grund⸗ 
lage in der Kultivirung minveftens einer tobten Sprache, der Iateinifchen, 
zu fuchen fei. Aus den betreffenden Stundenplänen weiſt Berfaffer 
nad, daß in den bayeriſchen Schullehrerfeminarien nur 17°%,, in ben 
bumaniftiihen Gymnafien dagegen 65 °/, und ben Realgymnafien 33 9, 
ber jährlichen Gelammtftundenzahl dem Sprachſtudium gewidmet find, 
erftere alfo fi in einem unverhältnigmäßigen Nachtheil befinden. — 


In Bezug auf Gehaltsaufbeflerungen und dergl. find ſeit bem 
Vorjahre Feine nennenswerthen Fortichritte zu verzeichnen. Nur das 
iſt rühmend berborzubeben, daß von feiner Majeftät dem König zu 
Neujahr 1875 81 Lehrern und 19 Lehrerinnen der Bolfsichulen in 
den adt Regierungsbezirten in „Allerhöchſter Anerkennung ihrer er⸗ 
ſprießlichen Wirkſamkeit Remunerationen von je 100 fl. bewilligt wurden. 


IIL Die Zahl der Tandbwirthichaftlichen Fortbildungsſchulen bat 
fi feit vorigem Jahre von 1107 auf 1123 mit 18,087 Schülern, 
die der gewerblichen von 240 auf 249 mit 14,459 Schülern vermehrt. 
Zur NRemunerirung der an ben erfteren wirkenden Lehrer wurden 
71,094 fl. verausgabt; letztere entzifferten einen Geſammt⸗-Koſtenauf⸗ 
wand von 111,779 fl., hiervon 89,538 fl. für Befoldungen und 
NRemunerationen und 15910 fl. für Lebrattribute und Sammlungen. 
Auf Grund der 88. 106 und 142 der Reichögeiwerbeorbnung iſt durch 
Ortsſtatut ein obligater gewerblicher Fortbildungsunterricht dermalen 
eingeführt in 75 Gemeinden. Das Eultusminifterium foll beabfichtigen, 
in Bälbe die Organilation der Fortbildungsfchulen in die Hand zu 
nehmen und zunächſt auf einen obligatorifhen Beſuch berfelben im 
ganzen Lande binzuarbeiten. — Mit den angegebenen Zahlen läßt 
fih ſchwer in Einklang bringen, daß die mit den MWehrpflichtigen des 
Jahrganges 1874 vorgenommenen Prüfungen wieder 6°%/, mit mangel- 
bafter Schulbildung ergaben, und daß bie Pfalz bei der größten Zahl 
ber Yortbildungsichulen (492 landwirthſchaftliche und 20 gemwerbliche) 
wieber den höchſten Prozentfap mit 13,1%, aufzuweiſen hat. — Sn den 
pfälzifchen Städten Dürkheim, Grünftadt, Kaiferslautern, Landau, Lud⸗ 
wigshafen und Zweibrüden find ſtädtiſche höhere Töchterſchulen errichtet 
worden. Der Umftand, baß einige berfelben ſchon Kinder vom 6. 
Lebensjahre aufnehmen, ſowie die weitere Thatſache, daß in Yolge 
Erweiterung der Stubienanftalten durch Hinzufügung einer neuen (unter= 
ften) Klaſſe die Knaben ſchon mit dem zurüdgelegten 9. Jahre in die⸗ 
felben eintreten können, hat ben Bezirlölehrerverein Bergzabern- Kandel 
veranlaßt, den Kreisausſchuß des pfälzifchen Lehrervereins zu erfuchen, „im 
Verein mit dem Hauptausfchuß bei ber kgl. Staatsregierung diejenigen 
Schritte einzuleiten, welche geeignet find, die Intereſſen ber „allges 
meinen Volksſchule“ gegenüber dem Aufwuchern ber elementaren Vor⸗ 
ſchulen höherer Schulanftalten zu mahren. Insbeſondere wolle man 





Die äußeren Verhältniffe ber deutſchen Volksſchule. 591 


dahin fireben, 1) daß die Kinder bes ganzen Volles mindeitens ‚bis 
zum bollendeten 11. Jahre in der allgemeinen Volksſchule vereinigt 
bleiben; 2) daß Gemeinde- und Staatömittel, welche für das Elemen⸗ 
tarſchulweſen beftimmt find, in der Regel nur der allgemeinen Volle- 
ſchule zugewendet werben, und 3) daß die allgemeine Volksſchule, na⸗ 
mentlich durch zweckentſprechende Organifation und reichliche Ausftattung 
mit Lehrmitteln, zeitgemäß gehoben werde, bamit durchaus fein Um⸗ 
ftand mehr für die Epriftengberechtigung jener Elementarfchulen an 
höheren Anftalten ſpricht.“ Bereits hat eine Anzahl vecht3: und links⸗ 
zheinifcher Bezirtölehrervereine biefem Antrage zugeflimmt. — 


IV. Die kgl. Regierung von Oberbayern hat mit dem Lanbrath 
des Kreiſes in München ein Kreismagazin von Lehrmitteln und Schule 
einrichtungsgegenftänden gegründet und dasſelbe einem befonberen 
Verwaltungsrathe unterftellt, der aus 5 Vertretern der kgl. Regierung 
und 4 Abgeoroneten des Stadt-Magiſtrats Münden zufammengefegt 
if. Die Hauptaufgabe dieſes Magazins befteht darin, die für Volks⸗ 
und Fortbildungsſchulen geeigneten Lehrmittel und Einrichtungsgegen- 
Hände in einer ftändigen öffentlichen Ausftellung dem Publitum vor⸗ 
suführen und den bezeichneten Schulen rückſichtlich ihrer biesfalffigen 
Bebürfnifie als eine Bezugöquelle guter und preismürbiger Waaren 
su dienen. — Noch einen Schritt meiter iſt in dieſer Angelegenheit 
die pfälziſche Kreisregierung gegangen. Diefelbe bat unterm 30. April 
fd. 3. ein reichhaltiges Verzeichniß von Lehrmitteln für die deutfchen 
Säulen der Pfalz belannt gegeben und verordnet, daß diefelben von 
ben Gemeinden längftens bis 1. Nov. d. J. angeſchafft fein müflen 
und daß die betheiligten Lehrer beim Ankaufe heranzuziehen find. Aer⸗ 
mern Gemeinden werden zu biefem Zwecke von der Regierung unver: 
zinsliche Vorſchüſſe auf 3 Jahre bewilligt. Außer ben gewöhnlichen 
LZehrmitteln (Karten, Schreib= und Beichenvorlagen, Rechenmaſchinen ꝛc.) 
werben verlangt: anatomiſche Wandtafeln, Holzmobelle zur Körper- 
berechnung, Globus, metriſcher und phyſikaliſch⸗chemiſcher Apparat (16 
Stüd) von Bopp und eine Raturalienfammlung aus der Heimatb. 


V. Das Vereinsleben innerhalb des bayerifchen Lehrerbereins, ber 
über 7000 Lehrer und circa 2500 Nichtlehrer ald Mitglieder zählt, hat fich, 
wie die Verhandlungen der zahlreichen Kreis-, Gau⸗ und Bezirlöver- 
fammlungen des vergangenen Jahres beweiſen, auf's regfte entfaltet. 
Die nähfte Hauptverfammlung des Vereins findet am 30., 31. Auguft 
und 1. September 1875 in Kaiferslautern ftatt. Am Ende bes Jahres 
batte berfelbe den durch Geſundheits⸗ und Familienverhältnifie motis 
virten Rücktritt feiner beiden langjährigen Vorftände, des Oberlehrers 
Heiß aus Münden und bes Lehrers Brand aus Aeſchach bei Lindau, 
zu beflagen. Zu proviforiihen Nachfolgern wurden vom Hauptaus⸗ 
ſchuß die Lehrer Roppenftäbter aus Geiſenfeld (Oberbayern) und Strauß 
aus Altdorf gewählt, erfterer, wie die Motive jagen, „teil er Katholik 
und ein Ehrenmann als Lehrer ift, treu zum Vereine fteht und bie 
erforderliche geiftige Gewandtheit zur Fortführung ber Geſchäfte bes 





592 Die äußeren Verhältniffe ber beutfchen Volfsfchule. 


fit.” — Der pfähiihe Kreisverein bat, ähnlich tie ber heſſiſche 
Lehrerverein, die Einrichtung getroffen, daß gegen Erhöhung der 
Jahresbeiträge jedem Mitglieve das Bereinsorgan, die pfälziiche Lehrer» 
zeitung, frei in's Haus geliefert wird. — Pfälziiche, badiſche und 
befliiche Lehrer veranftalten feit einiger Zeit periodiſche Wanderver⸗ 
fammlungen zur Befprechung gemeinfamer Angelegenheiten, namentlich 
der materiellen Yrage, der Bildungsverhältniffe und der Stellung der 
Lehrer. — Der bayeriiche Fatholifche Erziehungsverein, der aus Pfarrern 
und Kaplänen, Lehrern und „chriſtlichen Yamilienvätern” zufammengefeht 
ift und gegenwärtig befonders in der Pfalz Anftrengungen macht, fi 
weiter auszubreiten, hielt vom 1. bis 3. September vor. 3. eine 
Hauptverfammlung in Amberg. Die Vorträge bei berfelben waren, 
wie ber „Fränk. Kurier‘ berichtet, alle mehr oder minder mit Aus 
lafjungen gegen die Freimaurer, bie böfen Liberalen, den religions- 
feindlichen deutſchen und bayerifchen Lehrerverein geſpickt. Ein Herr 
Pfarrer Köfterus aus Heſſen faßte bie ganze Tatholifche Erziehung zu⸗ 
fammen in bie Worte: „Beten, Beichten und Altarſakrament;“ ein 
anderer hatte „bie päbagogiiche Bebeutung ber Andacht zum bi. Herzen 
Jeſu“ als Thema feines Vortrags gewählt. Der Verein errichtet, 
nach dem ausführlichen Berichte ber „Pfälg. Zeitung”, in Neuburg. d. D. 
unter dem Gejammtnamen „Caſſianeum“ eine Reihe von Anftalten, 
Unternehmungen und Einrichtungen zur Hebung und Förderung ber 
Erziehung und des Unterrichtes im entſchieden chriftlichen und Tatho= 
liihen Sinne. Diefes „Caſſianeum“ foll in drei Abtbeilungen zer⸗ 
fallen: L die wiſſenſchaftliche — Pädagogium; II. die praftiide — 
Knabeninftitut; DI. die Hilfsabtheilung; hierher gehören 1) Scien⸗ 
tifiſche Hilfsmittel: päbagogifche Bibliothek, Lehrmittelfammlung, Haus⸗ 
bibliothek; 2) finanzielle: Kranken, Penſions⸗ und Sparlafle; 3) ma= 
teriele: Buchbruderei, Antiquariat, Buchhandlung und Buchbinderei. 
Schöpfer und Direktor diefer „herrlichen und großartigen, wohl einzig 
in ihrer Art daftehbenden Schöpfung”, die am 4. Juni d. J. er⸗ 
Öffnet werben follte, ift ber Vorſtand bed Erziehungsvereins, Lehrer 
Auer in Neuburg a. d. D. 
Raiferslautern. Hildebrand. 


3. Königreich Sachſen. 

1. Das Bollsfhulmefen. 1. Im verflofienen Sabre bat. 
durch Einführung des neuen Schulgeſetzes das ſächſiſche Volksſchul— 
weſen eine mejentliche Neugeftaltung erfahren und dadurch eine neue: 
Bahn der Entwidelung betreten. Die Vorzüge bed Schulgefees ſind 
bereit3 im XXV. Bande bes Pädag. Jahresberichts eingehend dar⸗ 
gelegt worden; es genügt daher, bier kurz binzumeifen, daß durch das 
Schulgeſetz, weiches, nachdem am 25. Auguſt 1874 die Ausführungs⸗ 
verorbnung erfchienen war, feit bem 15. October 1874 in Kraft ges 
treten ift, die langjährigen Wünſche der ſächſiſchen Lebrerichaft Realität 
erlangt haben: Die Vollsfchule ift aus einem bloßen Anhängfel der 











Die äußeren Verhältniſſe ber beutfchen Volksſchule. 593 


Kirche zur jelbftändigen Anftalt erhoben; ihre oberfte Verwaltung ges 
ſchieht durch fachkundige Behörden, ihre fpecielle Aufficht durch fach: 
männifche Organe; ber Lehrer bat überall im Schulvorftande Mitglieb» 
fchaft mit Stimmberedtigung und dadurch eine erweiterte Rechtsſphäre 
erworben; allerwärts find Fortbildungsfchulen entftanden, die den 
Erfolg des Schulunterricht? fihern 2. Mag denn nun bie freubige 
Genugtbuung über ben erheblichen Gewinn an Selbftänbigfeit und an 
felbftthätigem Einfluß auf die Geftaltung der Schulzuftände, wie über 
die Möglichkeit, ſich durch wiſſenſchaftliche und praktiſche Tüchtigkeit 
zu ben höchſten Stellungen ihres Standes emporarbeiten zu ‚können, 
die Lehrer mit voller Berufsfreudigkeit und gefteigerter Hingabe an 
den Geift bes neuen Gefetes beleben, bamit die fo tief eingreifende 
haltung ber Berbältnifie zu einem fröhlichen Gedeihen ver Schule 
übre] 

’ Erfreulich ift die Wahrnehmung, daß durch die neue Orbnung ber 
Dinge fih auch im Publitum das Intereſſe für die Volksſchule weſent⸗ 
ih erhöht hat; denn die Gemeinden ftrengen fi an, ihre einfache 
DOrtsfchule zur mittleren Volksſchule zu erheben, find bemüht für befiere 
Ausftattung der Schule, für Vermehrung der Lehrmittel und für Er- 
bauung neuer würdiger Schulgebäude. So enthalten 3. B. gegen- 
mwärtig bie Schulen der ſächſiſchen Oberlaufik ala dag Minimum an 
Lehrmitteln: 1. einen Globus, 2. Planigloben, 3. eine Karte von 
Europa, 4. eine Karte von Deutichland, 5. eine Karte von Sachſen, 
6. eine Karte von Paläftina, 7. die Schreiberfchen naturgefchichtlichen 
MWandtafeln, 8. die Elßner'ſchen Anfchauungsporlagen, 9. bie anato= 
mischen Tafeln von Dr. Fiebler, 10. den Kleinen phyfilalifchen Apparat 
von Lukas, 11. eine ruffiihe Rechenmaſchine, 12. Veranſchaulichungs⸗ 
mittel für das neue Maß, 13. den Tleinen Zeichner von Tretau, 
14. eine Leſemaſchine. Gewiß ein anjehnlicher Apparat, mit dem ſich 
etwas anfangen läßt! Daß die Gemeinden auch für zeitgemäße Er⸗ 
höhung der Lehrergehälter Sorge tragen, geht daraus berbor, daß faft 
an allen Drten die Dotation der Lehrer die gejeglichen Beftimmungen 
überjchreitet; freilich werden die Schulvorftände dazu auch durch den 
leidigen Lehrermangel gezwungen. 

Beiondere Thätigleit entfalten gegenwärtig die päbagogifchen 
und abminiftrativen Kreiſe in ber Errichtung und Einrichtung der 
Hortbildungsfchulen. Diefe Schulen werden namentlich als eine der 
fegensreichften Neuerungen begrüßt; man erkennt, daß durch fie nicht 
nur die LZehrarbeit der Volksſchule gefeftigt wird, ſondern daß fie auch 
nicht ohne ethiſche Wirkung bleiben werden, da feit Aufhebung bes 
Lehrzwanges und Loderung des Verhältniffes der Lehrlinge zu den Mei- 
ftern die Jugend durch fie noch eine Zeit lang in die Zucht ber Schul- 
gemeinde genommen wird. Reben der allgemeinen Yortbildungsfchule 
werden in einzelnen Stäbten landwirthſchaftliche, gewerbliche und an= 
bere jpecielle Fortbildungsſchulen errichtet, zu melden das Miniſterium 
bereitwilligft Unterflügungen zugefagt bat. Wer eine folche fpecielle 
Fortbildungsſchule beiucht, ift vom Beſuche der allgemeinen Fort: 

Päd. Jahreiberigt. XXVIL 38 


594 Die Äußeren Berhältniffe ber deutſchen Volksschule. 


bilbungsfchule befreit. Den Unterricht in diefen Schulen ertheilen in 
eriter Linie Lehrer, die dafür eine Bezahlung von nicht unter 12 Thle. 
pro Stunde erhalten; doch ift es auch zuläffig, Nichtlehrer für ben 
Unterricht in einzelnen Zweigen, wie 3. B. Gewerbtreibende für Zeichnen 
unb Geometrie, praftifche Deconomen für die Lanbmwirtbichaftslehre, 
Geiftlihe für Gefchichte, Geographie und Literatur zu bejchäftigen. 
Gegenwärtig liegt natürlich die ganze Einrichtung noch in den An- 
fängen; wenn ſich die Verhältniſſe mehr confolibirt Haben werben, wird 
über die Fortbildungsfchulen wie über die neue Entwidelung bes Bolfg- 
ſchulweſens ein genaueres Referat gegeben werben. 


2. Die 25 Bezirtsfchulinfpectoren des Landes find durch⸗ 
weg Männer von ſachlichem und gefchäftlichem Wiſſen, tbeoretifch ge- 
bildete und praktiſch bewährte Pädagogen. Nachdem fie am 12. Dt. 
in Dresden durch den Eultusminifter Dr. v. Gerber unter Hinweis 
auf die hohe Bedeutung ihres Amtes und der hauptſächlichſten Ziele 
vefielben in Pflicht genommen und bei biefer Gelegenheit Sr. Maj. 
dem Könige Albert vorgeftellt worden waren, haben fie am 15. Oft. 
ihr neues Amt angetreten und fi mit Eifer und Luft ihrer hoch⸗ 
wichtigen Aufgabe bingegeben. Hinfichtlih ihrer pecuniären Stellung 
find die Bezirksfchulinfpectoren in bier Klafien zu je 6600, 6000, 
5400 und 4800 M. eingetheilt; außer biefem Gehalt erhalten fie 
1200 M. für Erpebitionsaufivand, die Reiſevergütung wird bejonbers 
liquidirt. Nah dem kürzlich erfchienenen Regulativ für Gewährung 
an Taggeldern und Neifevergütung an Staatödiener erhalten die Be- 
zirtöfchulinfpectoren, wenn fie. außerhalb ihres Bezirkes beichäftigt 
werden, 15 Mark Taggelber und bie Vergütung des Tourbillet® erfter 
Klaſſe; auch ift ihnen Hofrang zu Theil geworden. Bei den Canbi- 
daten und Wablfähigteitöprüfungen ber Lehrer find fie theils als 
töniglide Commiſſare, theils als erfte Eraminatoren thätig. Den 
Inſpectoren, welche die Stadtbezirke Dresden, Leipzig und Chemnitz 
verwalten, bat man das Prädikat „Schulrath“ gegeben. Gewiß kann 
die ihnen eingeräumte hohe Stellung nur dazu beitragen, das Anſehen 
bes Lehrerſtandes und der Volksſchule ſelbſt zu heben. Bei der Größe 
einiger Bezirke ift übrigen? eine Vermehrung der Inſpectorenſtellen 
mwünfchensiverth. 

Eine Sonferenz der Bezirksfchulinipectoren fand bereitö zu Chemnit 
unter Vorfitz des Schulraths Berthelt aus Dresden ftatt. Hierbei 
wurden die nach verfchiedenen Richtungen gemachten Erfahrungen aus: 
getaufcht und eine Gleichartigkeit des Verfahrens bezüglich mehrerer 
zweifelhaften Punkte feftgeftellt. Die Beiprechungen ergaben die ſchöne 
Thatjache, daß fait überall das Verhältniß zu den Firchlichen Behörben 
ein frieblihes und ebenfo das Verhalten ber Gemeinderäthe ein ent- 
gegenkommendes fei; nur verſchwieg man fi} nicht, daß ein haupt- 
fächliches Hinderniß zu weiterer gebeihlicher Entwidelung ber Lehrer⸗ 
mangel ſei, und empfahl als Mittel zur Befeitigung -biefer Calamität 
die Gründung neuer Seminare und befonders bie Aufbeflerung ber 
finanziellen Lage ber Lehrer. 











Die äußeren Verhältniſſe der deutſchen Volksſchule. 595 


3. Der Lehrermangel ift, da infolge des neuen Schulgefeges, 
welches als Marimalzahl der Schüler einer Klaffe 60 beitimmt, an 
manden Orten neue Lehrerftellen gegründet wurden, nur noch fühl- 
barer aufgetreten als biöher. Manche Seminare können faum die 
Hälfte Candidaten für die im Schulinfpectionzbezirfe offenen Lehrer⸗ 
ftelen liefern. Um fih eine möglichft genaue Weberficht über bie 
Ausdehnung defielben zu verſchaffen, bat fi) das Eultusminifterium 
aus allen Schulinfpectionsbezirfen ‚berichten laſſen, wieviele ftändige 
Lehrerftellen in jedem Bezirke aus Mangel an mahlfähigen Lehrern 
nur durch Vicare verſorgt, wieviele gänzlich unbeſetzt und unberforgt, 
und wieviele nichtftändige Stellen unbefett find. Die Aufzeichnungen ber 
Sthulvorftände haben ergeben, daß für das Königreich mehr ala 300 
Lehrer fehlen. Um nun diefen Mangel nicht zu empfindlich wirken zu 
lafien, ſah ſich das Minifterium zur Aufhebung einer in der Aus: 
führungsverordnung zum Schulgefeg enthaltenen Beſtimmung genöthigt. 

Wenn das Geſetz im. Allgemeinen beftimmt: Lehrer an einfachen 
Volksſchulen find bei je 32 Lehrftunden verpflichtet, für Lehrer an 
mittleren und höheren Volksſchulen ift diefe möchentliche Stundenzahl 
je nad) den Berhältniffen abzumindern — fo präcifirte 8. 45 ber 
Ausführungsverorbnung: Lehrer an mittleren Volksſchulen find bis zu 
26, ſolche an höheren Volksſchulen bis zu 24 möchentlichen Unterrichts- 
ftunden verpflichtet. Wegen des gegenwärtig noch berrichenden Lehrer= 
mangel3 ift nun dieſer Sat der Ausführungsverordnung bis auf 
MWeitered außer Kraft gefegt worden (Verordnung vom 30. December 
1874). Außer dieſer proviforifchen Maßregel ſucht die Regierung dieſen 
Nothitand, der die beabfichtigten Wirkungen der jüngften Reformen 
nur hemmen könne, burch Vermehrung der Anzahl der LRehrerfeminare 
und — last not least — durch zeitgemäße Erhöhung ber Lehrer: 
gebälter zu heben. Es ift nicht zu verfennen, daß es in Sachſen 
vielen Gemeinden Ehrenſache ift, die Lehrer anfländig zu bejolden und 
daß fie um deswillen ſelbſt Opfer bringen und eine beträchtliche Steuer- 
laft nicht fcheuen, doch ift noch in vielen Fällen die Exiſtenz der Lehrer 
eine ungenügende, objchon der Grund diefer niedrigen Gehälter weniger 
in der Mipftimmung gegen ben Xehrer, als vielmehr in ber äußerft 
bebrängten Lage mancher Gemeinden zu fuchen iſt. Ohne Zweifel 
wird nun die Regierung mit Unterftügungen eingreifen und ber nächſte 
Landtag wird wohl eine höhere Gehaltzftaffel bringen, die die Wünjche 
der Lehrerſchaft erfüllen wird. Freilich dürfte es dann fehr an der 
Beit fein, daß die Lehrer endlich aufhören, gegen ihren eignen Stanb 
zu Felde zu ziehen, um fi) dadurch in den Augen Beſonnener felbft 
berabzufegen. Denn wenn bie Lehrer in ihren Berfammlungen be- 
chließen, daß fie ſich dem Lehrermangel gegenüber nicht nur gleich- 
gültig verhalten, fonbern daß fie denſelben fogar mit allen Mitteln 
begünftigen, insbeſondere feine Präparanden mehr ausbilden, vielmehr 
jeden jungen Mann, der entfchlofjen ift, den Lehrerberuf zu ergreifen, 
davor warnen tollen, fo bünft uns, daß durch derartige Beichlüfje die 
Geneigtheit des Staates und ber Gemeinden zur Aufbefjerung ber 

38 * 


596 Die Äußeren Verhältniſſe der deutfchen Volksſchule. 


Lehrergehälter ſchwerlich gefördert werden könne. Die gegenwärtig 
jo gewaltige Ausdehnung bed Lehrermangels ift ja übrigens auch mit 
durch die berüchtigte Gründerperiode hervorgerufen worden, in ber bie 
Eltern ihren Söhnen einen lohnenderen Beruf ergreifen ließen, als 
ben Lehrerftand. Die bermalige wirthſchaftliche Krifis wird ſicher auch 
in dieſer Beziehung eine Reaction erzeugen, und einen Ausgleich wieder 
herbeiführen, worauf bie gegenwärtig ſchon öfters vorkommende Auf—⸗ 
nahme von Söhnen bemittelter Eltern ins Seminar weiſt. Wir wün⸗ 
Shen von ganzem Herzen eine Beſſerung ber materiellen Lage des 
Lehrerftandes, um fo mehr bebauern mir, baß aus ber Mitte der 
Lehrer Refolutionen in bie Welt geſandt werben, bie bie gerechte 
Sade nur aufs Tieffte zu ſchädigen vermögen. 


4. Unter dem 8. Dftober 1874 bat das Königlide Miniftertum 
eine neue Prüfungsordnung für Lehrer und Lehrerinnen an 
Volksſchulen erlaflen. Diefe Verordnung erftredt fih auf bie Ganbi- 
datenprüfungen, auf die Amts» oder Wahlfähigkeitsprüfungen und bie 
mit ben letteren gleichzeitig abzubaltenden befonderen Fachlehrer⸗ 
prüfungen. 


a) Die Candidatenprüfung zerfällt in eine fchriftliche, 
praftiihe und münblihe Prüfung; der praftifchen und mündlichen 
Prüfung find nit mehr ala 6 Aſpiranten zugleid zu unteriverfen 
(8 6). Die Lebrprobe erftredt ſich über einen religiöfen und einen 
anderen Unterrichtsfloff, überfchreitet aber im Ganzen für einen 
Eraminanden nicht bie Zeit don 40 Minuten (8 7). Die fchriftliche 
Prüfung umfaßt die Ausarbeitung « 


a) eines Auflates über ein fchulwifienfchaftliches ober bem ver⸗ 
wandtes Thema und 

b) eines ausführlichen Entwurfs für eine Katecheſe, 

c) eine Ueberſetzung in bie lateinifhe Sprache, 

d) die Löfung einiger mathematifcher Aufgaben und 

e) für diejenigen Alpiranten, welche in der Mufil geprüft werben, 
eine mufilalifche Ausarbeitung. 


An Lehrerinnenfeminaren fällt die Ausarbeitung einer ausführlichen 
Katechiſation weg, an Stelle der Ueberfegung in bie lateiniſche Sprache 
tritt eine leichte freie Arbeit brieflihen oder befcriptiven Charakters 
in der frangöfifchen und englifchen Sprache. Alle fchriftlichen Arbeiten, 
mit Ausnahme des deutſchen Aufjates, find in Claufur unter dauern⸗ 
ber Aufſicht eines Seminar-Oberlehrers zu fertigen. Zur Fertigung 
des deutichen Aufſatzes find je 8 Tage Zeit zu gewähren. Die vollen- 
beten Arbeiten werden 2 Tage vor der eriten Claufurarbeit eingereicht 
und dabei den Seminarbirector mittelft Handſchlags verfichert, daß fie 
ohne fremde Hilfe gefertigt worden find. Die übrigen ſchriftlichen 
Arbeiten haben die Examinanden unter Clauſur und zwar eine jede 
längftens innerhalb 4 Stunden zu fertigen (8 8). 








Die äußeren Verhältniffe ber deutjchen Volksſchule. 597 


Die münblide Prüfung erfiredt fi) während einer Dauer von 
ungefähr 5 Stunden auf alle Hauptfächer des mifjenfchaftlihen Se⸗ 
minar-Unterrichtö und bat denjenigen Fächern, welche in ber jchrift- 
lihen Prüfung nicht berüdfichtigt werden, einen größern Theil der 
Zeit zu widmen ($ 9). Bon ber Prüfung in den Lehrfächern, welche 
die Lehrordnungen für die ebangelifchen Lehrers und Lehrerinnen- 
ſeminare als facultativ bezeichnen, wird auf geichehenes Nachjuchen 
dispenfirt ($ 10). Das Prüfungszeugniß foll den Grad ber erlangten 
Kenntniſſe und Fertigkeiten wie das Urtheil über das ſittliche Ver: 
balten des Geprüften unter Anwendung der brei Grabe: „zur befon= 
deren Zufriedenheit”, ‚zur Zufriedenheit‘, „nicht durchgängig zur Zur 
friedenheit”’ wiedergeben; ſowohl bezüglich der einzelnen Fächer als 
bezüglich des Gefammtergebnifjes find die Prüfungsergebnifje durch bie 
Genfuren: vorzüglich (I), recht gut (ID), gut (III), ziemlich gut (IV), ges 
nügend (V) — mit Worten und unter Beifegung der entfprechenben Ziffern 
auszubrüden ($ 11). Geprüften, welche nicht wenigſtens die Haupt- 
cenfur „genügend — V“ erhalten, joll nachgelaflen fein, fih nad 
Verlauf eined Jahres nochmals der Candidatenprüfung zu unterwerfen; 
wer jedoch bei wiederholter Prüfung nicht wenigftend ben fünften 
Cenſurgrad erlangt, ift fitr immer von ber Bewerbung um bie Scul- 
amt3-Candidatur ausgeſchloſſen ($ 12). 


b. Die Wahlfähigkeits- oder Amtsprüfung, durch melde 
die Befähigung zur Verwaltung ftäntiger Lehrerftellen erworben wird, 
wird von 10 befonderen Prüfungsbehörden abgenommen, melde ihren 
Sig in folgenden Städten haben: in Dresden für die Bezirke 
Dresden I und II, Pirna und Dippolbiswalde; in Noffen für die 
Bezirke Meißen, Großenhain und Freiberg; in Bauten und Löbau 
(alternirend) für die Bezirfe Bauten, Kamenz, Löbau und Zittau; in 
Grimma für die Bezirke Grimma, Leipzig I und U, Borna; in 
Oſchatz für die Bezirke Döbeln und Rochlitz; in Blauen für bie 
Bezirke Plauen und Auerbad; in Waldenburg für die Bezirke 
Zwickau und Schönburg’sche Herrichaften, in Zſchopau für die Be⸗ 
zirfe Chemnig I und II; in Annaberg für die Bezirke Annaberg 
und Schwarzenberg; in Dresden für die Hilfglehrerinnen aus dem 
gefammten Königreiche (8 14). 


Für diefe Prüfungscentren werben von der oberften Schulbehörde 
bejondere Prüfungscommiffionen ernannt, bie nah 8 34 der Aus- 
führungsverordnung zufammengefeßt find aus: 


a. einem Commiſſar der oberften Schulbehörbe, als Vorfigendem, 
b. einem Commifjar des evangelifchen Landesconfiftoriums, be= 
ziehentlich der Fatholifch-geiftlichen Behörde, als Beifiger, 

c. einem Bezirksſchulinſpector, 

d. einem Seminarbdirector, 

e. zwei Seminars ober Realſchul⸗Oberlehrern oder Directoren 
höherer Vollsſchulen, 





598 Die äußeren Verhältniſſe der beutfchen Volksſchule. 


f. den erforberliden Faceraminatoren für Muſik, Turnen, 
Beichnen und fremde Sprachen. 


Die Zeit diefer Prüfungen ift von dem Vorfigenden der Prü- 
fungdcommiffion im Einverftändnifje mit den betheiligten Bezirksſchul⸗ 
infpectoren und Seminarbirectoren nah der Rüdficht zu beftimmen, 
daß der Unterricht im Seminare, an beflen Site und in beflen Räu- 
men die Prüfungen abgehalten werben, keine weſentliche Störung er- 
leidet (8 15). . 

Die Anmeldungen zu dieſen Prüfungen übernehmen bie Bezirks⸗ 
fchulinfpectoren, melde fie fpäteftense am 1. März jeden Jahres an 
ben Vorſitzenden der PBrüfungscommiffion ihrer Bezirke abzuliefern 
haben ($ 16). Die Einrichtung der Amtsprüfungen entipricht ganz 
der der Sanbibatenprüfungen, nur find die Aufgaben fo zu ftellen, 
daß ſich aus deren Löſung beurtbeilen läßt, ob insbeſondere auf dem 
Gebiete der ſchulamtlichen Thätigfeit und in Rüdficht der geiftigen 
Reife ein Fortſchritt der Candidaten ftattgefunden habe. 


As Prüfungsgegenftände bei den Prüfungen führt 8 22 
folgende an: 
a. Religion (Glaubend- und Sittenlehre), Bibellunde und Yibel- 
ertlärung, Kirchengeſchichte; 
Deutiche Sprache und Titeratur; 
Lateiniſche Sprache für Lehrer, franzöſiſche Sprache für Lehre: 
rinnen; 
Geographie (Länder: und Völkerkunde, phyſiſche und mathe 
matifche Geographie) ; 
Geſchichte, allgemeine und vaterländifche ; 
Naturbefchreibung mit Einfluß der phufifchen Anthropologie, 
Grundlehren der Phyfit und Chemie; 
Arithmetit und Geometrie (für Lehrerinnen: Arithmetik, For⸗ 
menlehre und elementare Raumlehre) ; 


b. Pädagogik: Erziehungs und Unterrichtölehre, Methodik, 
Katechetif, Geſchichte und Literatur der Pädagogik, Schul: 
gelebgebung und Schuleinrichtungstunde; 


o. Geſang, 
Schönſchreiben, 
Turnen, 
Zeichnen, 
für Lehrerinnen auch weibliche Handarbeiten; 
d. practiſche Lehrfertigkeit überhaupt, insbeſondere auch für Tur⸗ 
nen und Zeichnen. 


Diejenigen Aſpiranten, welche die Befähigung zur ſpäteren Be- 
werbung um ein Sirhfchulamt erlangen tollen, haben ſich der Prü⸗ 
fung in allen Zweigen bed Seminar-Mufitunterrichts (Harmonielebre, 
Gejang, Violin:, Clavier⸗, Drgelipiel) zu unterwerfen. 








Die äußeren Berhältniffe der deutfchen Volksſchule. 599 


Während bei ber Canbibatenprüfung das in der Seminarlehr- 
ordnung bezeichnete Wiffen und Können, wie das für den Schufpienft 
nöthige practifche Lehrgeſchick zu fordern ift, ift bei der Wahlfähigkeits⸗ 
prüfung unter tieferem Eingehen auf den innern Zulammenbang ber 
einzelnen Disciplinen das für Fortbildungsſchulen, für miütlere und 
höhere Volksschulen nöthige umfaflende Wifien und Können zu ver- 
langen, bauptfächlich aber gründliche Kenntniß jedes Lehrgegenitanbes 
der Volksſchule nach Anhalt und Methode, ‚ferner Gewandtheit und 
Sicherheit im Unterrichten, pädagogischer Talt und Bertrautheit mit 
der Schufgefeßgebung und ben durch fie beftimmten amtlichen Pflichten 
eines. Lehrers ($ 24). 


o. Die Fahlehrerprüfungen. Die Fächer, für welche ſolche 
Prüfungen zugleih mit den Wahlfähigfeitsprüfungen abgehalten wer⸗ 
den, find: franzöfifche, engliſche Sprache, Mufil, Schönfchreiben, Zur: 
nen, Zeichnen. Die Prüfungen für moderne Spradhen und Muſik 
fönnen nur vor der Königlichen Prüfungscommiſſion zu Dresben, die 
für Turnen vor den Commiffionen zu Dresden, Grimma und Zichopau, 
die für Zeichnen und Schönfchreiben vor den in Dresden, Zſchopau 
und Waldenburg beitehenden Commilfionen erftanden erden. Die 
Anmeldungen find an die Bezirksſchulinſpectoren zu bewirken und von 
biefen an die betreffenden Gommiffionen abzugeben (8 29). Die Fach—⸗ 
lehrerprüfung zerfällt auch in eine fchriftliche, eine mündliche Prüfung 
und in eine Lehrprobe (8 30). 

Die Prüfung in der englifhen und franzöfifhen Sprade 
umfaßt in ihrem fchriftlichen Theile 


a. einen bdeutichen Auffab aus dem Gebiete ber allgemeinen 
tifienioaftligen Fächer (Geſchichte, Literatur, Erziehungs- 
ebre 2c.), 

b. einen Auffa in ber Sprache, welcher bie Prüfung gilt, über 
ein Thema aus der Literatur ober Gejchichte des betreffenden 
Spracdengebietes, 


(Zu jedem biefer Aufläge find 8 Tage Arbeitözeit zu gewähren.) 


o. eine nach fremdſprachlichem Dictate fofort nieberzufchreibenbe 
Ueberſetzung in die deutſche und 


d. eine nach deutſchem Dictate ſofort nieberzufchreibende Ueber⸗ 
ſetzung in die fremde Sprache. 


Die mündliche Prüfung erſtreckt ſich auf Ueberſetzung und in der 
fremden Sprache zu gebende ſachliche, etymologiſche und grammatiſche 
Erklärung eines proſaiſchen und poetiſchen Leſeſtücks, wobei zugleich 
die Literaturkenntniß und die Sprachfertigkeit zu ermitteln ſind. Die 
Lehrprobe wird in einer ber Oberclaſſen einer höheren Volksſchule ab⸗ 
gehalten (8 32). 

Die Prüfung n Muſik, Schreiben, Beihnen und Turnen 
fol die erworbenen Fertigkeiten, fachwiſſenſchaftliche Kenntniſſe und prac- 


600 Die äußeren Verhältniſſe der beutjchen Volksſchule. 


tiſche Lehrgefchidlichleit darlegen. Außerdem bat aber auch jeber Alpirant 
fih einer ſchriftlichen Prüfung zu unterziehen; in dieſer ift zu liefern 


a. ein deutſcher Aufſatz, in welchen ber Eraminandb von feiner 
allgemeinen und ſprachlichen Bildung Zeugniß ablegen kann 
und zu befien Anfertigung 8 Tage Zeit gewährt wird; 

b. eine deutſche Glaufurarbeit über eine Yrage bes betreffenden 
Fachunterrichts (8 33). 

Diejenigen, welche bei Erſtehung biefer Prüfung minbeltens bie 
Hauptcenfur II erhalten, können zur Ertheilung des betreffenden Un= 
terrichtö auch) an Seminaren und Nealfchulen IL Drbnung, nach Be— 
finden aud an anderen höheren Unterrichtöanftalten zugelafien werben, 
während diejenigen, welche nur die Hauptcenfur V erreichen, auch zum 
Unterridte in den Oberklaſſen der mittleren und höheren Volksſchule 
nicht zugelaflen find. Doch fol den Geprüften freiltehen, wenn fie 
ben LU., beziebentlih V. Hauptcenfurgrab nicht erreichen, fih nach Ab⸗ 
lauf von 3 Jahren zur Erlangung eines höheren Cenſurgrades noch⸗ 
mals diejer Prüfung zu unterwerfen (8 34). 


2. Die Lehrerbildungsanftalten. 5. Die Zahl ber 
Lehrerfeminare hat ſich im Jahre 1874 nicht erhöht, ba vier Se- 
minare (Oſchatz, Schneeberg, Löbau, Pirna) noch in der Entwidelung 
begriffen find; doch gebt wie bereitö oben angebeutet, bie Regie— 
rung damit um, zwei neue Seminare und zwar je eins im Regierungs⸗ 
bezirle Leipzig und im Negierungsbezirte Zmidau zu gründen. In⸗ 
zwiſchen ift ein neue Lehrerinnenfeminar ohne internat zu 
Dresden eröffnet worden. In demfelben follen Lehrerinnen für böhere, 
mittlere und einfache Volksſchulen gebildet werden. Die Anftalt wird, 
jobald fie ein abgefchlofiened Ganze bildet, 5 Klaſſen zählen, an Schul- 
geld ift ein Jahresbetrag von 120 M. in vierteljährliher Vorausbe— 
zahlung zu entrichten. Mit diefem Seminare ift zugleich eine 6llaffige 
Töchterfchule verbunden, die gegenwärtig von 265 Schülerinnen be= 
fucht wird und den Seminariftinnen al Mufter-, Uebungs⸗ und Vor- 
faule dienen foll, weshalb ihr Lehrplan dem des Seminars genau 
angepaßt if. Es ift dies eine fehr practiiche Einrichtung, und es 
wäre nur lebhaft zu wünſchen, daß diefe Schule bei den Lehrerfeminaren 
ebenfo organifirt würde; die Seminarlehrer hätten dann weniger 
Grund, über die oft fo ungleichartige, mangelhafte oder forcirte Vor— 
bereitung ihrer Aſpiranten zu Tagen. 


6. Das Minifterium bat die Lehrorbnung für die Lehrerinnen⸗ 
jeminare des Landes (Callnberg und Dresden) erjcheinen lafien. Im 
Seminar zu Dresden findet die Aufnahme nur zu Dftern jeden Jahres 
ftatt, in der Regel nicht vor Vollendung des 14. Lebensjahres. Der 
Grad der Vorbildung wird durd das Bildungsziel beftimmt, welches 
der mittleren Bollsfhule als Aufgabe geftellt iſt. Die Zöglinge wer- 
‚den in 5 Sahresfurfen und dem entipredend in 5 auffteigenden, im 
Unterrichte von einander getrennten Klaſſen auögebilvet. Die Aufnahme 








Die äußeren Verhältniffe ber deutſchen Volksſchule. 601 


ind Callnberger Seminar findet ftiftungsgemäß (Stiftung bes Fürften 
dv. Schönburg) zu Michaelis jeden Jahres ftatt, ın der Regel nicht vor 
vollendetem 16. Lebensjahre, fo daß die Anftalt nur 3 Jahreskurſe 
aufweift. Der Grad ber Borbildung wird burch das Bildungsziel bes 
flimmt, welches in ber Lehrorbnung für die IV. Klaſſe feſtgeſtellt ift. 
Wir laſſen bier nun bie Meberficht über den Lehrplan in beiden Lebe 
rerinnenjeminaren folgen. 





. 106l. | fae. obl. fac. Nobl.| fac. 

















| 


|Ivesenillwan onelaoe| 








Religion 
Deutfche 
Do! che | Sprache 


3 
3 
4 
1 
2 


4 


Schihtee . . . 
Naturwifjenichaft 
Arithmetik u. Formen- 
Ihre . . . 
Pädagogik. 
Gefang . . 
Harmonielehre . 
Slavierfpiel . 
Beichnen 
Schreiben 
Zume . . . 
Nabelarbeiten . 
Stenographie 
Schulpraxis 


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36 36 38 40 40 














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7. Bon den im Laufe des Jahres herausgegebenen Programmen 
liegen uns folgende vor: 6. Nahresbericht über das Seminar zu 
Plauen vom Dir. Römpler, 5. Sahresbericht über das Seminar zu 
Zſchopau nebit einer Abhandlung: Grundlinien der elementaren Lehr: 
methodik vom Dir. Israel; 4. Bericht über das Seminar zu Borna 
vom Dir. Dr. Theilemann, mit borangefchidter Abhandlung: Ueber 
Deutichlands Stellung zum Meere in der Vergangenheit und Gegen- 
wart vom Dberlehrer Ludwig Wolfram; 3. Bericht über das reis 
berrlih von Fletcherfhe Seminar vom Dir. Kühn, 3. Bericht über 
das evangelifhe Seminar zu Bauten vom Dir. Leuner; 2. Bericht 
über das Seminar zu Noffen vom Dir. Bräß; 1. Bericht Über das Fürftlich 


602 Die äußeren Verhältniffe der beutfchen Volksſchule. 


Schönburgſche Seminar zu Waldenburg vom Dir. Dr. Schüße, ent» 
baltend zugleich die Gefchichte de Seminars von 1844—1874. Alle 
Berichte conftativen bie erfreuliche Thatſache, daß, abgejehen von ge- 
ringen Ausnahmen in einzelnen Fächern, wo bie Rüdfiht auf den 
früher in ber Anftalt geltenden Lehrplan eine Umftellung bez. 
Verſchiebung der Klafienpenfen forderte, bie neue Lehrordnung überall 
durchgeführt und fomit die wünſchenswerthe Einheit ber Lehrpläne ber 
geſtellt if. Zu beflagen bleibt nur, daß einige Seminare aud in 
biejem Sabre eine Veröffentlichung ihrer Thätigleit beanſtandet haben. 

8. Die Seminare werben gegenwärtig von 1939 Schülern be- 
fucht, die von 181 Lehrern unterrichtet werben, wie folgende Frequenz⸗ 
tabelle veranſchaulicht: 








Semi er] lu Ei: v 1.|&a 
eminar. räfte.| J. . ‚|IV.| V. | VL | 

Annaberg . . | ı3 |27|30| 28 | 24 | 31 | 28 | 168 
Bautzen, ebang. Sem. . | ı2 21 25 18 28 22 | 26 | 1aı 

——— 

Bauten, kath. Sem.*). 5 4 9 12 25 
Borna. . 2 | 19119 | 20 | 18 | 23 |, 23 | 122 
Dresden Fletcher ſches) 12 /|19 | 21 | 23| 18 23 231127 
Dresden-Friedrichflabt . || 12 | 30 128 |26 | 27 | 25 | 28 | 162 
Grimma, Hauptiem. 13 | 19 | 24 | 24 | 26 | 24 | 24 || 141 
Grimma, Nebenſem. 9 4 14 9| 810 — — J 4 
Löbau . . . 9 ı— | — 12 | 22 | 28 | 28 | 90 
Nofeen -. . » 2... 12 | 21 |14 | 16 | 19 | 20 | 26 || 116 
Oſchatz. 12 | — | 18 | 21 | 24 | 21 | 22 || 106 
Pirna . 6 — — — 24129 33186 
Plauen..... 13 19 25 23 | 28 | 17 | 22 | 134 
Schnederg . . . 10 |—| 9|25|26|27| 24 | 111 
Waldenburg . 12 | 19 19 | 20 | 22 | 23 , 20 || 123 
Bihopau . . 12 | 24 | 21 | 27 | 23 26 | 27 || 148 
Sallnberg, Lehrerinnenſem. 9 120|20I1241I|—'—| — | 64 
Dresden, Lehrerinnenfem. | 3’) — | — | — 115 | 19| — || 34 


9. Um den Seminarzeichenunterricht nach einbeitlichem ‘Principe 
zu geftalten, ift vom Minifterium des Cultus und öffentlichen Unter 
richts dem ‚Beichenlehrer an ber höheren Gewerbefchule in Chemnik 
Friedrich Wilhelm Tretau die Inſpection des Zeichenunterrrichts an 
fämmtlichen Lehrer» und Lehrerinnen-Seminaren, ſowie die Mitwirkung 
bei den Yachlehrerprüfungen für Beichenunterricht übertragen worden. 


a che Zweijäprige Eurfe mit einer in den geraden Jahreszahlen flattfindenden 
ufna 
”*) Dfficiet jest: Seminar für ältere Afpiranten. ***) Außerdem 5 fluns 
denmelfe Befhäfige Lehrer für Mufl, Schreiben, Zeichnen, Stenographie und 
adelarbeiten 


Die äußeren Verhältniſſe ber deutjchen Volksſchule. 603 


3. Qebrervereine. 10. Der ſächſiſche Peſtalozziverein hat fich 
nach dem zulegt ausgegebenen Jahresberichte im vergangenen Bereing- 
jahre einer Einnahme von 4668 Thlr. 23 Ngr. 9 Pf. zu erfreuen 
gehabt, welche hervorgegangen ift aus außerorbentlichen Beiträgen, 
Legaten, Sahresbeiträgen, Vermögenzzinfen 2. Unterftübungen wur⸗ 
den gegeben 3190 Thlr. an Lehrerwaiſen und 220 Thlr. an Le 
rerwittwen. Bon den mit dem Vereine verbundenen 9 Stiftungen, 
welche ein Capital von 8760 Thlr. repräfentiren, wurden auf Grund 
der betreffenden Beftimmungen 337 Thlr. zur Bertheilung gebradit. 
Das gefammte Vereindvermögen belief ſich am Schluffe des Jahres 
auf 39,452 Thle. 20 Nor. 6 Pf. — 

Der fächfifhe LXehrerpenfionsverein bat eine Einnahme von 
6730 Thlr. 22 Nor. 2 Pf. gemadht und davon 3469 Thlr. 18 Ner. 
an 277 Emeriti gewährt und für 2100 Thlr. Werthpapiere angelauft. 
Für das Jahr 1875 fol die Penfiondquote 63 M. betragen. Die 
Zahl der fteuerzahlenden Mitglieder ift bon 1445 auf 1346 herab- 
geſunken. 

Die Allgemeine Brandverſicherungsgeſellſchaft ſächſiſcher Lehrer 
wies im Vorjahre eine Einnahme von 10236 Thlr. 22 Nor. 8 Pf. 
auf, von melder Summe an Brandichäden, Expeditionsaufwand ze. 
4503 Thlr. 14 Ngr. 1- Pf. verausgabt wurden. Der Referbefonds 
bes Vereins ift auf 6651 Thlr. 15 Nor. 2 Pf. angewachſen. 

Der Lehrerpenfiondverband in Dresden zählt nach feinem erften 
Ssahresberichte bereit3 123 Mitglieder und hat mit einer Berliner 
Lebensverſicherungsgeſellſchaft einen Vertrag geichloffen, welcher ſowohl 
demjenigen: Mitgliede des Verbandes, welches fein Leben bei jener Ge⸗ 
ſellſchaft verfichert, al auch ber Verbandkaſſe nicht unbedeutende Vor⸗ 
theile gewährt. 

11. Der fächfifche Lehrerverein hielt am 31. Dftober zu Dresden 
feine zweite Delegirtenverfammlung ab, auf welcher 35 Bezirke vers 
treten waren. Man befchäftigte fi) dabei mit der Uebernahme ber 
Alterszulagen feiten der Staatsfafle, mit Erhöhung der Gehälter und 
gefeglicher Gleichſtellung der Stadt: und Landlehrer bezüglich des Ein⸗ 
kommens, ganz beſonders aber mit der Einführung eines Bibelauszugs 
nad) pädagogischen Grundjägen. Die Delegirtenverfjammlung hält ent⸗ 
gegen den Befchlüffen der Landesſynode die Abfaffung und Einführung 
eined Bibelauszugs (Schulbibel) nad) päbagogifchen Grundfäten für 
nothwendig und empfiehlt die Schulbibelfrage allen Bezirksvereinen 
ala Gegenftand ihrer Verhandlungen. Seitdem wird dieſe Frage in 
Wort und Schrift wieder fleißig ventilirt. 


12. Der Berein für wiflenfchaftliche Pädagogik, welcher feit fieben 
Jahren unter dem Vorſitz des Prof. Ziller in Leipzig ſich beftrebt, bie 
Grundfäge der Herbertichen Philofophie auf die pädagogiſche Wiflenfchaft 
und Prarid anzuwenden, hielt feine diesjährige Generalverfammlung in 
Leipzig ab. Bekanntlich macht es fich diefe Verfammlung zur Aufgabe, 
die in dem betreffenden Jahrbuch des Vereins erfchienenen pädagogiſchen 


604 Die äußeren Verhältniſſe der beutfchen Volksſchule. 


und philofophifchen Arbeiten, foweit die allerdings kurz bemeflene Zeit 
(2 Tage) binreicht, zu beiprechen. Die miflenfchaftliden Refultate 
ber Debatte fügt feit dem legten Jahrgang Prof. Ziller in kurzer, 
orientirender Weberfiht bem Jahrbuch bei, eine Einrichtung, bie wir 
beſtens willlommen heißen. Als fehr werthvolle pſychologiſche Stubie 
tritt im diesjährigen Jahrbuche Nr. 4: „Das Nachahmen‘ von Hartung 
hervor. Der Berein, deſſen ftille, ohne alle Anmaßung und Reclame 
geleiftete Arbeit der mwiffenfchaftlihen Pädagogik, wie nicht minder dem 
praftiichen Schulleben zum Segen gereichen wird, zählt ſchon jetzt über 
300 Mitglieder. Mag er fröhlich weiter gebeihen! An diefer Stelle 
ſei zugleih erwähnt, daß das Zillerihe Seminar, nachdem ed durch 
den Entzug der Staatäunterftügung in eine ſchwere Krifis gerathen 
war, in der es feine Exiſtenzfähigkeit und Lebenskraft bewieſen batte, 
wieber erftanden ift: Der bisher geleiftete Jahresbeitrag von 600 Thlr. 
ji ihm von Seiten des Töniglichen Cultusminiſteriums wieder zuge— 
ſichert. 

13. Die Comeniusſtiftung in Leipzig, begründet am 15. Novem⸗ 
ber 1871 (am 200jährigen Tobestage des Pädagogen im Patriardhen- 
gewande) Hat die Höhe von 10072 Bänden erreicht, ungerechnet eine 
Menge päbagogifcher und anderer noch nicht georbneter Zeitſchriften, 
und wird nad Aufitellung diefer päbagogiichen. Gentralbibliothef mit 
Ausleihen der Bücher beginnen. Die gefammten Einnahmen der drei 
erften Sabre baben ca. 1011 Thlr. betragen; die Stadt Leipzig be- 
willigt jet einen Jahresbeitrag von 300 Marl. Möge das bebeuts 
fame Unternehmen recht viele Freunde und Gönner finden. 


14. In Zwickau bat fi ein Drganiftenverein ber Kreishaupt⸗ 
mannſchaft Zwickau gebildet, melder feinen Mitgliedern Gelegenheit 
zu gegenfeitiger Anregung und gemeinfchaftlicher Fortbildung im Bereich 
der Mufil, fpeciell ber geiftlichen, bieten will. Bier Drganiftentage 
werben zu biefem Zwecke jährlih abgehalten. Jedes Mitglied iſt ver⸗ 
pflichtet,, für jeden Drganiftentag 1. einen Choral, beftehend a. aus 
einem felbitgefertigten entiprechenden Prälubium, b. eine nad einem 
gegebenen Gefangbuchäliede mehrfachen Harmonifirung biefer Melodie 
und c. den nöthigen Weberleitungen, fogen. Zwiſchenſpielen, durchzu= 
arbeiten und 2. nach einer getroffenen Reihenfolge für Stoff aus dem 
allgemeinen muftlalifchen Gebiete Jur Beſprechung zu forgen. Zugleich 
ftrebt der Verein an, eine Vereinzbibliothet ind Leben zu rufen. Nach 
dem Mufter dieſes erzgebirgifchen Vereins haben Laufiger Lehrer einen 
ſolchen Verein für Löbau und Umgegend gegründet. Ein ſchönes 
Zeichen von ber Strebſamkeit der ſächſiſchen Lehrer! 


15. Die Bildungsanftalt für Kindergärtnerinnen entließ 61 
Schülerinnen, welche zur Leitung von Kinderbewahranftalten und Volfs- 
findergärten Stellung gefunden haben. Zur Zeit ift die Anftalt von 45 
Schülerinnen befuht, meift Töchtern von Geiftlihen, Lehrern und 
Beamten. In einem ber Anftalt gehörigen Haufe find nicht bloß bie 
Lehrzimmer und der als Uebungsſchule dienende Kindergarten, jondern 











Die äußeren Verhältniffe der deutſchen Volksſchule. 605 


zugleih die Wohnräume für die mit ber bafelbft mohnenden Hausvor⸗ 
fteherin zu einer Familie verbundenen auswärtigen Echülerinnen. 
Bugleich if eine Zmeiganftalt eröffnet worden, in welcher durch einen 
6monatlichen Lehrlurfus brauchbare und gewiſſenhafte Mädchen zu 
Kindermädchen ausgebildet werden, ein in Anjehung der jeigen focialen 
Berhältniffe äußerft verbienftvolles Unternehmen. 

Löbau. Dr. Burdbardt. 


4. Das Königreiih Württemberg. 


Das abgelaufene Schuljahr 1874/75 war im Ganzen ein ruhiges; 
geſetzgeberiſche Alte find nicht zu verzeichnen, auch die Zahl ber Ver: 
orbnungen und Erlafie ift eine geringe Am Ende bes verflofienen 
Jahres erichien 
1 ein Sonfiftorialerlaß, betreffend bad religiöfe Memoriren. 

Biöher mußten in ben ebangelifhen Volksſchulen Württemberg 

400 Sprüche, 45 Lieber, der (Brenz’iche) Katechismus und das aus 

73 Stüden beftehende „Confirmationsbüdjlein” memorirt erben. 

Es war zwar in ungünftig geftellten Schulen eine mäßige Rebuftion 

der Memorirftüde geftattet, wenn die Ortsſchulbehörde zuftimmte; 

aus mehreren Gründen wurde aber faktiſch von diefer Ermäßigung 
höchſtens in 5°/, der Schulen Gebrauch gemadtt. 

Das Memoriren wurde zwar biöher in den Schulberichten, zumal 
wenn nur nah dem im legten Halbjahre Eingeprägten gefragt 
wurde, als ein im Allgemeinen mwohlgepflegtes Fach bezeichnet. Wenn 
aber, namentlih bei außerorbentlihen Inſpektionen, auf welche feine 
befondern Vorbereitungen getroffen werden fönnen, nad früher Ge— 
lerntem gefragt mwurbe, fo zeigte fich dafjelbe felten in fiherem 
Befit der Schüler. Zudem wurde vielfad über Mangel an gutem 
Ausdrud, richtiger Betonung und gehörigem Berftänpnig geklagt. 

Diefe Wahrnehmungen gaben Anlaß zu einer NRevifion der Be- 
fimmungen über das Memoriren. Durch Confiftorialerlag vom 
4. Dezember 1874 wurde im Allgemeinen Folgendes angeorbnet: 

a. In allen Schulen foll ber Memorirftoff auf 350 Sprüche, 
35 Lieder und den Katechismus ermäßigt werben. Es fol zwar 
feinem Lehrer verwehrt fein, den bisher borgeichriebenen Stoff 
lernen zu lafien, aber der Schulinfpeftor bat bei den Bifitationen 
nur nad) dem ermäßigten Stoff zu fragen. 

b. In überfüllten Slafien und in fonft ganz ungünftig geftellten 
Schulen können mit Oenehmigung oder auf Anordnung des 
Schulinſpektors noch weitere — im einzelnen bezeichnete — Stücke 
erlafien werden. 

c. Diefelbe Ermäßigung und nad Bebürfnig noch eine weitere ift 
in allen Schulen den eigentih Schwachen oder Schwerlernen: 
den zu gewähren. Für fie wird bie Anlegung von Memorir- 
zetteln empfohlen; auf melde die vom Finde gelernten Stüde 
eingetragen werben. 


s 


606 Die äußeren Verhältnifje der deutjchen Volksſchule. 


d. Das Lernen und Herfagenlafien bed Konfirmationsbüd- 
leins fol künftighin nicht mehr durch ben Lehrer in der Schule, 
fondern im Religions⸗ und SKonfirmandenunterridht durch den 
Geiftlihen beforgt werben. 


e. Um das fo wichtige Repetiren alles Gelernten zu ermöglichen, 
wurde verfügt: Was in einem Halbjahr gelernt wirb, muß immer 
auch wiederholt werden. Vor dem Webertritt in eine böbere 
Klaſſe ift das in der vorangehenden Gelernte zu wiederholen. 
Bom vierten Schuljahr an fol überhaupt dem Weiterlernen 
ftetig das Wiederholen des in den früheren fahren Selernten fo 
zur Seite geben, daß alles wenigftens zweimal zu fürm= 
liher Repetition fommt. Nach diefen Grundjägen ift in 
jeder Schule ein Memorir- und Repetirplan aufzuftellen, 
der dem Bezirköfchulinfpeftor zur Prüfung und Genehmigung 
vorzulegen ift. — 

Die dem Lehrer im Memoriren geftellte Aufgabe ift durch dieſen 
Erlaß zum mindeften gleich geblieben. Der Etoff ift zwar rebucirt, 
aber die mehrmalige Repetition deſſelben belaftet Lehrer und Schüler 
ziemlich ſtark. Dagegen wird durch ben neuen Plan dafür geforgt, 
dat die Kinder mehr für das Leben lernen. 


2. Turnen. Dieſes wird bei uns mit befonderer Vorliebe gepflegt. 
Alle höhern Schulanftalten, wie Gymnaſien, Lyceen, mebrklaffige 
Latein: und Nealfchulen haben befondere Turnlehrer. Um für die 
Einführung des Turnens in den Volksſchulen allmählich die nöthigen 
Lehrkräfte beranzubilden, wird in den Schullehrerfeminaren das 
Zurnen mit drei Wochenftunden bedacht. Seit 3 Jahren werben 
die abgehenden Seminariften im Turnen geprüft, und ed werben 
ihnen über ihre Gewandtheit und Fähigkeit im QTurnunterricht be= 
fondere Zeugniffe ausgeftellt. Nachdem ed nun in vielen Gemeinden 
nicht mehr an ben nötbigen Lehrkräften feblt, jo bat bie Ober- 
ſchulbehörde die Einführung des Turnunterrichts in den Vollksſchulen 
durh Erlaß vom 23. November 1874 dringend empfohlen. 
Derfelbe lautet: „Schon wiederholt bat die Oberfchulbehörbe den 
großen Werth, den das Turnen nicht bloß für die Ausbildung der 
törperlihen Kraft und Gewandtheit, ſondern aud für bie fittliche 
Erziehung zur Ordnung und Pünktlichkeit, Botmäßigfeit und Aus 
dauer aufmerkſam gemacht und den nachgeſetzten Behörden empfohlen, 
auf die Einführung des Turnunterrichts auch in den Volksſchulen 
binzumirten. Ein Haupthinderniß mar inbefien der Mangel an 
turnfundigen Lehrern. Derfelbe hat fih nun infofern gehoben, ala 
feit Jahren in den Schullehrerfeminaren gründliche Unterweilung 
im Turnunterricht ertbeilt wird und fo von Jahr zu Jahr eine 
größere Anzahl Turnlehrfähiger in den Schulitand eintritt. Wenn 
aud bei dem noch drüdenden Lehrermangel die Vollzahl don Turn⸗ 
lehrern noch nicht vorhanden ift und ſchon aus biefem Grunde bie 
aldbaldige Einführung des Tumunterriht3 in die Vollksſchule in 





Die äußeren Berhältniffe der deutfchen Volksſchule. 607 


allgemein verbindlicher Weife noch nicht thunlich erjcheint, fo fteben 
doch bereits fo viele Lehrkräfte zu Gebot, daß einftweilen ba, mo 
die übrigen Bedingungen dazu gegeben find, mit Einführung bes 
Turnunterrichts vorgegangen werden Tann. 

Es wird nun mit Zuftimmung des Kultminifteriums für bie 
jenigen einzelnen Volksſchulen, in deren Lehrplan die Ortsbehörden 
den Zurnunterricht in der Eigenfchaft eines für die Schüler verbind- 
lihen Unterrichtöfaches aufzunehmen wünſchen, bie Ermächtigung 
hiezu ertheilt, fowie dazu, daß, wo folches geichieht, der Turn» 
unterricht in das gejegliche Penfum bes Lehrer? von 30 Wochen» 
ftunden nöthigenfall3 einzurechnen if. Um bebürftigen Gemeinden 
die Einführung des Turnunterricht3 zu erleichtern, iſt vom königl. 
Minifterium dem Antrag der Dberfchulbehörde entſprechend im nächſten 
Etat eine Summe zu Beiträgen für diefen Zweck in Ausficht ge= 
nommen. | 

Es werden nun die Bezirköfchulinipeftorate beauftragt, auf die 
Einführung des Turnunterrichts in den Volksſchulen an denjenigen 
Drten, mo ſich Geneigtheit und Möglichkeit dafür zeigt, nad 
Thunlichkeit fördernd hinzuwirken.“ 


.Prüfungen der Volksſchullehrer. Bis vor zwei Jahren 
wurden alle Volksſchullehrer, auch die abgehenden Seminariſten, von 
einer beſonders hiezu aufgeſtellten Kommiſſion geprüft. Da aber 
ſeit mehreren Jahren wegen Mangels an Lehrern in den Seminaren 
ein Theil der Seminariſten ſchon nach 21/, Jahren entlaſſen wird 
und darum die Prüfungskommiſſion ſich jährlich zweimal in jedem 
Staatsſeminar einfinden mußte, ſo iſt — zunächſt proviſoriſch — 
von dem Konſiſtorium angeordnet worden, daß die abgehenden 
Seminariſten jedesmal vom Lehrexkollegium des Seminars 
unter dem Vorſitz eines königl. Kommiſſärs geprüft werden. Dieſe 
Einrichtung, melde in Mittel- und Norddeutſchland ſchon längſt 
beſteht und auch dem Verfahren in den übrigen höheren Unterrichts⸗ 
anſtalten entſpricht, iſt gewiß zweckmäßig. Die zweite Dienftprüfung, 
welche zur definitiven Anſtellung befähigt, nimmt dagegen bei allen 
Lehrern die bisherige Prüfungskommiſſion vor. 
. Ueber den äußern Stand des Volksſchulweſens gebe ich 
aus den „Württembergifchen Jahrbüchern“ folgende Ueberſicht: 
I. Die Zahl der Lehrerftellen beitrug am 1. Januar 1874 und 
zwar 
A. der Schulmeiſterſtellen: 
neben freier Wohnung 

a. mit Gehalt von 480—499 fl. . . . . . . 710 

b ⸗ ⸗ s 500—524 0 2020.20. 786 

a ⸗ ⸗ 525—-549 756 

d. » s = 550—574 . 0.210 
Latus: 2412 


u Te \ | 


608 Die äußeren Verhältniffe der deutſchen Volksſchule. 


B. ber fländigen = Sniiamtöertvejerfielen . 
C. der Unterlebrerftelen . . een. 247 
D. ber LZehrgebilfenftelln . . . 2.672 


Transport: 2412 
e. mit Gehalt von 575—599 fl. . . . .. 79 
f. » = = 600—649 = „. ... 0... 121231 
B = = 650-699 - 80 
h. = =  _e 70074 = 91 
ı ⸗ ⸗ s 750—799 = 44 
k. = = = 800—8149 s 42 
L > ⸗ = 850—899 » 0. 1 
m. =: + = 900 fl. u. barüber . . .. 8 


Zufammen 2878 
een. 28 


Summe ber Gebrftellen 3825 


II, Bon den vorhandenen Schulmeiftern waren am 1. Januar 1874 


in den Genuß von penfionsberedtigten Alterszulagen ein- 
geſetzt 


a. im Betrage von je 50 fl. nach zurückgelegtem 

40. Lebensjahr.. 481 
b. im Betrag von je 70 A. nad) zurückgelegtem 

45. Lebensjahr.. 582 
o. im Betrag von je 100 fl nad gurüdgelegtem 

50. Lebensjahr .. ..997 


Zufammen 2060 


was einen jährliden Aufwand erforbert 


III, 


ua VON. 2 2 en een. 24,050 fl. 
bon 2 31333 
guobon. . 2. 2 2 02% 20. 99,700 fl. 


Zufammen 164,490 fl. 


Was den Perſonenwechſel auf Schulmeifterftellen betrifft, fo 
famen im Salenderjahr 1873 an Schulmeifterftellen zur Er⸗ 


ledigung: 
a. durch Tod. . . een... 52 
b. durch Penfionirung . . een. . 26 
o. durch freiwilligen Austritt . | 
d. durch Dienftentlafjung . 2... 2 
e, durch Uebertritt auf anbere Vollksſchulen 20. .1897 


f. als neu errichtet wurden zur Bewerbung ausgelchrieben 37 
Zufammen 308 


Beſetzt wurden im gleichen Beitraum an Schulmeiſterſtellen 


a. mit bereitö angeftellten Säulmeifte . 200.108 
b. mit Lehramtälandidaten . . 0. 115 


Bufammen 223 








Die äußeren Berhältniffe ber deutſchen Volksſchule. 609 


IV, &n der deranbilbung für den Volksſchuldienſt 
waren am 1. Januar 1874 begriffen 


A. Schulpräparanden vom 1. und 2. Bibungdjabr (ämmt- 
lich Privatfchulamtözöglinge) . . . 282 


B. Schulamtszöglinge vom 3., 4. und 5. Silbungsiabe und 
zwar 
a. Zöglinge der Staatsſeminare287 
b. Zöglinge der Privatſeminarre.88 
C. Weibliche Schulamtszöglinge. 0.74 


Bufammen 681 


V. Stand bed Rehrerperfonales an ben Schullehrer- 
feminaren am 1. Januar 1874: 


1. An ben drei evangeliſchen Staatsſchullehrer— 
feminaren zu EBlingen, Nürtingen und Künzels- 
au waren angeftellt 3 Reftoren, 3 wifjenfchaftlich gebilbete 
Hauptlehrer (Profefloren),” 7 Oberlehrer, 5 Unterlehrer, 
3 Hilfslehrer; an den mit den Seminaren Eßlingen und 
Nürtingen verbundenen Uebungsihulen und Taubftummen- 
anftalten 4 Oberlebrer, 2 Unterlehrer, 4 Lebrgehilfen, ſonach 
im Ganzen 17 ftändige, 14 unftändige, zulammen 31 Lehrer. 

An dem katholiſchen Staatsſchullehrerſeminar 
zu Gmünd taren angeftellt: 1 Rektor, 1 wiſſenſchaftlicher 
Hauptlehrer (Profeffor), 2 Oberlehrer, 2 Unterlebrer, 1 Hilfe- 
lehrer, zufammen 7 Lehrer. 


2. Un ben drei evangelijhen Privatfeminaren waren 
angeftellt, und zwar 
zu Reutlingen 9 2ebrer 
=» Zempelhof 4 = 
= 2ichtenften 3 = 
zufammen 16 Lehrer. 


3. An bem evangeliſchen Lehrerinnenfeminar zu 
Martgröningen, welches mit feiner Verlegung (von 
Lubwigsburg) dahin zur Staat3anftalt erhoben worden 
tft, waren angeftellt 1 Rektor, 1 Oberlehrer, 1 Unterlehrer, 
2 Lehrerinnen, an dem damit verbundenen Waiſenhaus 
1Oberlehrer, 1 Lehrerin, an dem katholiſchen Privat: 
lehrerinnenfeminar zu Omünd 5 Lehrer. — 


5Mer Mangel an Lehrern hat fi im letzten Jahr, namentlich 
im evangeliſchen Württemberg, gefteigert. Derfelbe rührt nicht 
vorberrfchend vom Mangel an Kandidaten, fonbern in erfter Linie 
vom maflenhaften Austritt jüngerer iſchon geprüfter) Lehrer her. 
Etwa 200 Lehrer müſſen 100—160 Schüler unterrichten. Daß 
unter biefen Umftänden bie Nejultate des Unterrichts an vielen 
Orten zurüdgegangen find, ift nicht zu verwunbern. Es ift baber 
Päd. Jahresbericht. XXVIL. 39 


610 Die äußeren Verhältniffe der deutſchen Volksſchule. 


bobe Zeit, daß biefem Uebel vorgebeugt wird. Die Oberſchulbe⸗ 
börbe ſetzt auch alle Hebel in Beivegung, um dem Volksſchullehrer⸗ 
ſtand größeren Zuwachs zuzuführen. Im Frühjahr 1875 fanden 
fih auch etwa 500 Aipiranten bei den Prüfungen ein. In Nür⸗ 
fingen wurden 270, in Küngeldau 100 evangelifche Randibaten ge: 
prüft, und das Gonfiftorium nahm 230 Aſpiranten (ſtark zweimal 
foviel als bisher) auf. Es mußten darum mehrere neue Präpa- 
randenanftalten errichtet werben. Um dieſe Kanbibaten in 2 
Jahren in Seminaren unterbringen zu können, geht man gegen- 
wärtig allen Ernftes damit um, ein weiteres evangeliſches Staats» 
feminar (das vierte) zu errichten. So darf man denn mit einigem 
Recht hoffen, dag in 3—4 Jahren dem Mangel an Lehrern ab⸗ 
geholfen fein wird. 


6. Neue Lehrmittel. Bor einigen Wochen ift von den beiben 
Oberſchulbehörden ein amtliher „Leitfaden fürben Rechen— 
unterricht in Volksſchulen bezüglih der Maße, Gewichte 
und Münzen bes beutichen Reichs’ ausgegeben morden. Im 
Buchhandel koſtet derſelbe 75 Pf. Diefer Leitfaden wurde bon 
einer fachmännifchen Kommiſſion unter dem Borfit des Oberſtudien⸗ 
raths Fiſcher ausgearbeitet und giebt größtentheild treffliche 
Winte für das Schulrechnen. Er enthält aber nicht einen voll- 
fländigen Lehrgang bes Rechenunterrichts, fondern beichränft fih — 
wie ber Titel angiebt — auf das Rechnen mit metrifchen Maßen 
und den Reichsmünzen. Er ftellt diejenigen Uebungen in ben 
Vordergrund, die nah Einführung der becimal und centimal ein= 
getheilten Maße und Münzen eine größere Bebeutung erlangen 
oder eine forgfältigere Pflege als bisher erfordern. Der Leitfaden 
it in der Vorausfehung abgefaßt, daß die Lehrer ben nach bem= 
felben zu ertheilenden Unterricht in ben Gang des allgemeinen 
NRehenunterrihtd einzufügen und zu bverfledten 
wiffen werben. Lebteres iſt bereits gefcheben in ben Rechen⸗ 
ra des Unterzeichneten, die foeben in 24. Auflage erfchienen 
ind. 

Nürtingen. Guth. 


5. Das Großherzogthum Baden. 


1. Bezüglich der Schulgeſetzgebung unſeres Landes haben wir 
in dieſem Jahre nur zu berichten, daß die Beſtimmungen, welche durch 
das Geſetz vom 19. Februar 1874 getroffen wurden, im Laufe bes Jahres 
ausgeführt wurben, daß namentlich durch die Minderung der Schüler- 
zahl eined Lehrers eine große Zahl Hauptlehrerſtellen neu errichtet 
wurden, jeit Auguft 1874 an 300 Stellen. Wenn baburd auch un- 
leugbar manche Gemeinde ſchwer belaftet wurde burch den Hauptlehrers- 
gebalt und Herftellung von Lebrerwohnung und Schullocal, fo kamen 
dadurch eine Menge älterer Unterlebrer zu definitiven Stellungen und 








Die äußeren Verhältniffe der deutſchen Volksſchule. 611 


bie Laufbahn eines Unterlebrers iſt in Zukunft bebeutend kürzer als 
bisher. Diefe vermehrte Beſetzung von Schulftellen hatte ihren großen 
Einfluß auf die Zahl der Lehrkräfte, woran bisher fchon großer 
Mangel war. Um diefe in vermebrter Zahl dem Schulfache zuzuführen, 
wurden im verflofienen Sabre einige wichtige Schritte gethan. Die 
beiden in Ausficht genommenen Präparandenanftalten wurden ins Leben 
gerufen, die eine in Meersburg am Bobenfee, die andere n Tauber- 
bifhofsheim, und nad einem Ausſchreiben des Großherzoglichen 
Dberfchulratb3 vom 20. April 1875 follen biefelben zwei Jahres⸗ 
eurfe umfaflen und mit October d. J. beginnen. Zu gleicher Zeit 
wird auch die neu errichtete vierte Lehrerbilbungsanftalt des Landes 
eröffnet, das confeifionell gemifchte Seminar in Carlsruhe, für welches 
bereitö der bisherige Leiter des Schullebrerfeminard in Colmar, Herr 
Director Dr. Berger ernannt ift. Wenn dieſe Anftalten, deren Bahl 
zwar immer noch nicht im Verhältniß zur Bevölkerung genügt, voll- 
ftändig befeßt fein werden, dürfte der Lehrermangel doch bedeutend 
rebucirt werden. Der Bejuch der Seminare war folgender. In Meer» 
burg waren im Detober 1874 136 Zöglinge, von denen 35 nad 
beftandener Prüfung entlaflen wurden; in Ettlingen 132, von denen 
an Oftern 1875 41 und in Garlörube 129, von denen 39 ind Amt 
entlafjen wurden. Dem Sjahresberichte in Carlsruhe ift eine Beigabe 
bes Directors angefügt: Beiträge zur Gefchichte der Philanthropine in 
Deffau und Marichlind nach Briefen und Tagebüchern. 

2. Der beite Weg, dem Lehrermangel abzubelfen, wäre die Zu: 
laſſung von Lehrerinnen, die aber unfer Schulgefeg von den Volks⸗ 
ſchulen ausfchließt. Diefe Beſtimmung, für melde feiner Zeit Gründe 
borgelegen haben mögen, wird Hoffentlich mit der Zeit fallen. Eine 
Prüfungsordnung für Lehrerinnen wird noch im Laufe diefed Jahres 
erfcheinen. Es beitand bereits feit Jahren eine Prüfung für Lehre: 
rinnen, die fi in verſchiedenen Anftalten des Landes, in Anftituten, 
befonders dem des Herrn Ehrhardt in Heidelberg, oder in Töchter⸗ 
fchulen beranbilbeten, auch fanden ſich ſtets zahlreiche Candidatinnen, 
welche aber eine gewifle Tyreiheit in der Auswahl ber Prüfungdgegen- 
fände hatten. Die neue Prüfungsordnung, melde ber preußifchen 
nachgebibet ift, ftelt nun die Anforderungen für Lehrerinnen an 
niederen und höheren Schulen feſt. Die ganze Angelegenheit ber 
Lehrerinnenbildbung und des Töchterfchulweiens erhielt eine wirkſame 
Förderung durch die im September v. %. in Carlsruhe ftattgehabte 
Berfammlung von Dirigenten, Lehrern und Lehrerinnen der Töchter- 
ſchulen Deutſchlands, wobei auch ein babifcher Ziveigverein zur Förde⸗ 
rung ber Sinterefien ber Töchterfchulen gegründet und ein gleicher von 
den Württenberger Theilnehmern ind Auge gefaßt mwurbe. 

Für die Heranbildung des weiblichen Geſchlechs find beſonders 
die beiden Fürftinnen, J. Königlide Hoheit die Großherzogin 
und 9. Katferlide Hoheit Prinzeſſin Wilhelm thätig, 
leßtere in ber bon ihr gegründeten und erhaltenen Centralanſtalt 
für Erzieherinnen unter Leitung bed Fräulein Trier, erflere 

39* 


612 Die äußeren Berhältniffe ber deutſchen Volksſchule. 


in den mannigfachen Anftalten des Frauenvereind. Dieſer befigt außer 
der Anftalt für SHeranbilbung von Handarbeitslehrerinnen noch bie 
Luiſenſchule, melde, untergebracht in prächtigen Räumen, geleitet 
von tüchtigen Lehrern, fehr beſucht if. Sie hat den Zweck, der Volls⸗ 
fhule entlafienen Mädchen ſowohl eine Weiterbildung in allgemeinen 
nügliden Kenntnifien, als auch eine Vorbereitung zu künftiger Thätig- 
feit als Haudfrauen ober in einem gewerblichen Berufe zu bieten. Es 
werben die gewöhnlichen Unterrichtögegenflände gelehrt, auch franzöſiſch, 
dazu Handarbeiten, und die Penfionatözöglinge werben zu ben Haus- 
haltungsgeſchäften (Kochen, Waichen, Bügeln) angeleite. Der Benfions- 
preis ift 440 Mark jährlich. 

3. Die durch das Gefeh vom 18. Februar 1874 wieder ein« 
geführten Fortbildungsſchulen —X neu ins Leben getreten und von 
Seiten der Oberſchulbehörde wurde unterm 5. Februar 1875 ein 
Lehrplan für biefelben und unterm 30. März eine Dienft- 
weifung erlafien. Der Lehrplan bat folgende wichtigeren Be⸗ 
flimmungen: 


8. 1. Der Unterricht bezieht fich auf Lefen, Schreiben und Rechnen 
und zieht von dieſen Mittelpuntten aus bie übrigen in ber 
Volksſchule behandelten Wiflendgebiete in feinen Bereih. Wo 
e3 die Verhältnifie geftatten, fol auch Zeichnen und Gefang 
gepflegt werben. 


8. 5. Der Lefeftoff aus der Naturgeichichte richtet fih nach dem 
Bebürfniß der einzelnen Schulen und bat demnach bald mehr 
das Gewerbe, bald mehr die Landwirthſchaft zu berüdfichtigen. 
In Mäbchenichulen fliegen ſich Unterweifungen aus dem 
Gebiet der Geſundheitslehre an. 


8. 6. Die Naturlehre umfaßt die Vorführungen einiger bebeutenderer 
Erſcheinungen der Schwere ber feften, tropfbarflüffigen und 
gadförmigen Körper, des Schalles, der Wärme, des Lichts, des 
Magnetismus und der Elektrizität. 


8. 7. Der Lejeftoff aus der Gefchichte umfaßt Bilder aus ber babifchen 
und deutſchen Gefchichte. Kulturhiſtoriſche Bilder aus der neuen 
Geſchichte (die wichtigften Erfindungen und Entbedungen). Das 
MWichtigfte über die Verfaffung und politifhe Einrichtung bes 
Großherzogthums Baden und de Deutichen Reiches. 


8. 8. Dem Unterricht in der Geographie dient das Lejen geographifcher 
Bilder. Im Uebrigen bat ſich derfelbe an ben fonftigen Unter- 
richt, namentlich an die Geſchichte anzufchließen. 

8. 10. Bei Behandlung ber einzelnen 2ejeftüde ift das Hauptaugen- 
mer! auf Klarftellung des Inhalts zu richten. Die Herbei- 
ziehung der Spracdlehre ift nur in fo weit ftatthaft, als fie 
Hr einzelnen Fällen zur Erzielung des Verſtändniſſes nöthig 

eint. 








Die Außeren Verhältniffe der beutfchen Volksichule. 613 


8. 14. Der Unterricht im Schreiben hat die Aufgabe, den Schüler in 
diefer Yyertigleit überhaupt weiter zu üben, fodann aber feine 
Fähigkeit zum fchriftlihen Ausdruck feiner Gedanken in ein- 
facher, fprachrichtiger Form zu förbern. 


8. 18. Den Stoff für die Uebungen bilden hauptſächlich die Bebürf- 
nifje des praftifchen Lebens, Briefe über Familien: und Ge⸗ 
Ihäftsverhältniffe und die jogenannten Gefchäftsauffäge. 


$. 23. Der NRechenunterricht umfaßt das Kopf- und Tafelrechnen und 
die Anleitung zur Führung von Haushaltungs⸗ und einfachen 
Geſchäftsbüchern. 


8. 26. Bei der Auswahl der Aufgaben ſoll der Lehrer durch die 
wirklichen Anforderungen des körperlichen Lebens ſich leiten 
laſſen und verwickelte Einkleidungen und Rechnungen in großen 

‚ Zahlen vermeiden. Bei der Ausführung iſt darauf zu ſehen, 
daß diefelbe auf möglichft einfachen Wege erfolge und daß 
namentlih da, mo die Natur der Aufgabe einen Anja nicht 
erheifcht, ein ſolcher auch nicht angewendet merbe. 


8. 28. Die Aufgaben umfafien auch die Flächen- und Körperberechnung, 
woran fih das Zeichnen der betreffenden Figuren jcließt. 


8. 32. Der gelammte Unterrichtäftoff für die Fortbildungsſchule wird 
auf 2 Jahre vertheilt. Die Unterrichtözeit ift zur Hälfte auf 
das Lefen und die damit zu verbindenden Realien, zur andern 
Hälfte auf das Schreiben und Rechnen zu verwenden. 


als Schulſtrafen dürfen in ber Fortbildungsſchule in Antvendung 
fommen: 1) ber Verweis in der Schule, 2) der Verweis vor ber 
örtlichen Aufſichtsbehörde, 3) ber Arreſi hinter geſchloſſener Thüre im 
Schullokale oder in einem beſonderen Raume im Schulhaus mit ent- 
Iprechender Beichäftigung. Die Dauer fann bis 12 Stunden feſtgeſetzt 
erben. Ausnahmöweife kann gegen Fortbildungsſchüler auch Arreſt 
im Ortögefängniß bis zu 2 Tagen als Schulitrafe erkannt werben 
1) bei hartnädigen Weigerungen am Unterricht Theil zu nehmen; 2) bei 
häufigen ungeredtfertigten Verfäumniffen de3 Unterrichts, wenn die 
übrigen Strafen fchon erfolglo8 zur Anwendung kamen; 3) bei grober 
Unbotmäßigfeit des Schüler8 gegen die Lehrer. Diefe Strafen werden 
in genau beftimmter Weife theild von dem Lehrer, theild von der Auf: 
ſichtsbehörde ausgeſprochen. 

Die Dienſtweiſung ordnet die Führung von Schülerliſten, Auf⸗ 
nahme und Entlaflung, das Verfahren bei den Verſäumniſſen, die 
Lehrmittel, die Schulzucht und bie Beförberungämittel bes Fleißes, die 
Prüfungen. 


4. Bon größeren Lehrerverfammlungen haben wir im verflofjienen 
„Jahre zwei zu nennen: die Verfammlung bes badiſchen Peſtalozzi⸗ 
vereind unb die 1. Generalverfammlung des babifchen Lehrervereins. 
Erftere fand in Carlsruhe am 5. Detober v. J. ftatt und gab Zeug- 


-614 Die äußeren Berhältniffe ber deutſchen Volfsjchule. 


niß von dem erfreuliden Stande bed Vereins. Das Vermögen er- 
reicht beinahe die Höhe von 100,000 fl. — 171,428 Marl, und der 
Mitglieder jind es 1500. Die beiden Lehrerbereinigungen, der Lehrer⸗ 
ausfhuß und Lehrerverein beftehen noch nebeneinander, obwohl fchon 
mehrfach Berfuche gemacht wurden, dieſe Spaltung zu befeitigen; beibe 
baben ihre Schulgeitung und bemühen ſich nach Kräften des Lehrer⸗ 
ftandes geiftige und materielle Intereſſen zu fürdern. Der Lehrer 
verein hatte feine erite Generalverfammlung am 5. und 6. Dictober 
v. 3. in Durla und mar fehr zahlreich beſucht. Nach einem Rück⸗ 
blid auf die Vereindthätigleit der beiden erften Jahre waren bie vor⸗ 
nebmften Gegenftfinde ber Berathung die Herbeiführung der Be heili⸗ 
gung bürgerlicher Elemente an den Beftrebungen für Hebung ber 
Vollsſchule, das Anftreben einer Wiebervereinigung bes babifchen Bolfs- 
fehullehrerftandes und die Gründung eines Waifenftifte. Außerdem 
wurde der Borftand bes Vereins beauftragt, den Eintritt in den 
deutfchen Lehrerverein zur Hebung der Volksſchule den einzelnen freien 
Genferengen zur weiteren Berathung und Beichlupfaflung anheim zu 
geben. 

5. Einen ſchweren Berluft erlitt unfer babifches Schulmwefen 
dur den Tod des Oberfchulratbes Dr. Otto Deimling, welcher 
unerwartet am 12. März db. 5%. ſtarb. Es mar ein bochgebilbeter, 
für die Jugendbildung begeifterter Mann, der, wenn auch fein Beruf 
ihn vorzugsweife auf das Gebiet der Gelebrtenfchulen führte, doch 
allezeit für das geſammte Volksſchulweſen einen offenen Sinn und 
ein warmes Herz hatte, der auch feine Befähigung für dad Volk zu 
fchreiben und hohe geiftige und fittliche Wahrheiten in einfache und 
edle Worte zu Heiden bewiefen hat in dem ſchön gefchriebenen 
Schriftchen: „Ueber die Segnungen ber menſchlichen Gefellichaft.” 

Carlsruhe. Leutz. 


6. Großherzogthum Heſſen. 


Das neue Schulgeſetz, deſſen hauptſächlicher Inhalt im vorigen 
Jahrgang mitgetheilt worden iſt, hat ſeit Anfang dieſes Jahres formelle 
Gültigkeit erhalten; die völlige Durchführung wird allerdings noch mit 
manchen Schwierigleiten zu kämpfen haben. Die neue Oberſchulbehörde 
— eine Abtheilung des Miniſteriums des Innern — fungirt ſeit dem 
1. September vorigen Jahres. Mitglieder dieſer Behörde ſind: der ſeit⸗ 
herige Miniſterialrath Knorr als Dirigent, der bisherige Gymnaſial⸗ 
lehrer Hofrath Becker und der bisherige Direktor der Realſchule zu 
Offenbach Greim. Dieſe beiden mit dem Amtstitel Oberſchul⸗ 
räthe“; die ernannten Kreis-Schulinſpeltoren haben ſeit dem 1. Dez. 
vorigen Jahres ihr Amt angetreten. Es finden fi) darunter vier 
evangelifche Geiftliche, drei theologiſch gebildete Lehrer, zwei ſtädtiſche 
Säulinfpeftoren, zwei Reallehrer, die übrigen waren bisher Lehrer an 
Bolkeihulen. Die Lokal: Schulvorftände und Kreisfchullommiffionen 
find bis jet nur theilweiſe nach bem neuen Geſetz gebildet, da in 


Die Äußeren Verhältniffe ber beutjchen Volkösſchule. 615 


manchen Streifen bie neue Kreis⸗ und Gemeinde⸗Organiſation noch nicht 
durchgeführt werden konnte. In einigen Streifen find bie bisherigen 
geiftlicden Nreis-Schullommifjäre mwieber zu Mitglievern der Kreis: 
Schullommiffionen ernannt worden, auch bat man, mo überhaupt bie 
Drganifation vollzogen wurde, wenigſtens in ven Dörfern, befonders ben 
evangeliſchen, faft ausnahmslos den Geiftlihen zu Vorfitendem des 
Ortsſchulvorſtandes ernannt. Der Schulvorftand bat nach der gegebenen 
Inſtruktion nur als aufjehende, nicht als enticheidende Behörbe zu 
fungiren; darum fteht ihm auch Teine Strafgewalt gegen den Lehrer 
zu. Er bat, wenn Anftände bei dem Verhalten befjelben, feiner dienſt⸗ 
lichen Wirkſamkeit u. ſ. w. nicht durch freundliche Vorftellungen bejeitigt 
werben fönnen, bie Sache ber Kreis-Schullommiffion zur Enticheibung 
vorzulegen. Er führt zunächſt die Aufficht über das Schulvermögen, 
über die Handhabung der Schulgefege und Verordnungen. Er bat die 
Tageszeit, zu welcher der Unterricht beginnen fol, feitzufegen, die Zeit 
und bie Dauer ber Ferien zu bejtimmen; doch dürfen die Ferien im 
Laufe des Jahres zufammengenommen nicht über zwei Monate betragen, 
und ber Unterricht darf bei einzelnen Ferien nicht über 4 Wochen aus⸗ 
geſetzt bleiben. Bon dem Beginne und der Dauer ber ferien ift ber 
Kreis⸗Schulkommiſſion rechtzeitig Anzeige zu machen. 

Der Kreis» Schulinfpeltor bat die öffentlichen Volksſchulen bes 
Kreifes, beziehungsteife jede Klafie einer foldhen Schule, ebenjo bie 
Privatichulen jährlich mindeftens einmal und wenn dies nöthig er: 
ſcheinen follte, auch häufiger zu befuchen. Alle drei Jahre foll jede Schule 
einer genauen Bifitation unterworfen werden, wobei fich der Vorfikende 
— der Kreisrath — möglichft oft zu betheiligen bat; auch Tünnen 
andere Mitglieder der Kreis: Schullommiffion zugezogen werden. Die 
Lehrer find verpflichtet, den mündlichen Weifungen bed Kreis-Schul- 
inſpektors, unbeſchadet des Rechts der Beſchwerde bei der Kreis-Schul- 
tommiffion, Folge zu leiften. Den im Kreiſe etwa beftehenden Prä- 
paranden-Anflalten bat der Schulinfpeltor feine unausgeſetzte Aufmerk⸗ 
ſamkeit zu wibmen und fich durch wiederholte Befuche von ihrem regels 
mäßigen Gang und ihren Leiftungen zu überzeugen. Ueber alle In⸗ 
fpeltiongreifen, den Befund der Schulen und die von ihm gemachten 
fonftigen Wahrnehmungen bat derfelbe ein Tagebuch zu führen und 
nad demjelben vierteljährig der Kreis-Schulfommiffion Vortrag zu er- 
ftatten. An Tagegebühren, Vergütungen von Transportloften erhält 
er den Betrag von 10 Mark aus der Kreiskaſſe; die Schulinfpeftoren 
können von Beit zu Zeit am Sig der oberften Schulbehörbe zuſammen⸗ 
berufen werben. 

Die übrigen Mitglieder der Kreisſchulkommiſſion find verpflichtet, die 
ihnen von dem Borfigenden übertragenen Arbeiten und Gefchäfte zu voll⸗ 
ziehen und haben das Recht, allen ordentlichen und außerordentlichen Schul« 
bifitationen, auch ohne befonders zugezogen worden zu fein, beizumohnen. 
Sie haben bei Dienftgefchäften, welche weiter als eine halbe Stunde 
von ihrem Wohnorte entfernt find, den für Mitglieder der Kreisauss 
ſchüſſe beftimmten Betrag aus der Kreiskaſſe zu beziehen. Wenn in 





616 Die äußeren Verhältniſſe ber deutſchen Volksſchule. 


den Situngen ber Kreis-Schullommiffionen Gegenftänbe zur Verhand⸗ 
Iung kommen, die den Religiondunterricht, beziehungsweiſe die religiöfe 
Erziehung der Kinder wejentlich berühren, follen bie betreffenden Decane 
durch ben Borfigenden davon in Kenntniß gefeßt werben. Am Schlufſe 
borigen Jahres wurde eine Verordnung über die Eintbeilung der 
Volksſchulen in Klaſſen und der Lehrplan für Volks— 
ſchulen veröffentlidt. Nach derfelben fol die Schülerzahl einer Klafie 
80 nicht überfteigen; und unter befonderen Umftänben lönnen einem 
Lehrer bis zu 100 Kinder zum Lnterrichten überwiefen werben. Im 
Allgemeinen follen die Gefchlechter nur in den Schulen, welche mebr 
ale A Klaſſen umfaflen und zwar zunächſt bei ber oberen Klaſſe ge- 
trennt werben. 

Die obligatorifchen Lehrgegenftände find die gewöhnlichen; doch 
werben ausbrüdlich noch angeführt: Raumlehre, Beichnen, Geographie, 
Geſchichte, Naturbeichreibung und Naturlebre, für die Knaben Turnen, 
für die Mädchen „weibliche Handarbeiten‘. 

Der Religionsunterriht fol den religiöfen Lehrftoff in Geift und 
Herz der Kinder einpflangen, um biefelben, infoweit es durch die Schule 
geicheben Tann, zu lebendigen Gliedern ihrer Gemeinde 
beranzubilden. Ueberhäufung mit Memorirftoff und geiftlofes Ause 
wendiglernen ift zu bermeiben. 1. x— 

Der Unterricht von ber Raumlehre fol in Berbinbung mit dem 
Beichen: und Rechenunterricht die Schüler im Anfchauen und Darftellen 
ber Formen und Linien, Flächen und Körper üben und fie in den 
Stand jeßen, bie für das bürgerliche Leben wichtigften Flächen und 
Körperberehnungen mit Verſtändniß auszuführen. 

Der Beihenunterricht fol Hand und Auge ber Kinder üben, 
den Sinn für das Schöne mweden und eine Fertigkeit gewähren, welche 
für das Gejchäftsleben fo unentbehrlich geworden ift. 

Bei Geographie und Gefchichte ſoll Deutjchland in ben Border: 
grund treten; doch follen die Kinder auch mit den übrigen europäiſchen 
Ländern und den übrigen Erbtheilen, fowie mit dem Weltgebäube, ſo⸗ 
weit das möglih ift, befannt gemadt werden. Die Geſchichte 
anderer Nationen außer ber beutfchen foll nur foweit berüdfichtigt 
werben, als dies das Verftändnig der deutfchen und zum Theil auch 
der biblifchen Gefchichte erfordert, überhaupt follen die Kinder durch 
den Geſchichtsunterricht das Walten der göttliden Vorſehung 
erfennen und verehren, die Verhältniffe der Gegenwart befjer 
verftehen, ihr Vaterland und deflen Herrſcher lieben lernen und durch 
die ausgezeichneten Perſonen, welche die Geſchichte ung vorführt, zum 
fittliden Handeln ermuntert werden. | 

Der naturkundliche Unterricht foll einestheild in ben 
Kindern das Intereſſe für die Natur und Freude und Luft an Gottes 
Werfen weden, anderntheild aber auch die Vorbildung fürs Leben nicht 
außer Acht Iaffen und Rüdficht auf den techniſchen Gebrauch der Natur 
lörper und die Anwendung ber Naturgefege nehmen. 








Die äußeren Verhältniffe ber beutichen Volksſchule. 617 


Der Gefang fol ein Mittel zur Bilbung bes feinen Gehörs 
und der menfchlichen Stimme jein, das Gemüth veredeln, das Gefühl 
für das Schöne weden und den Kindern einen Liederſchatz fürs Leben 
mitgeben, der ihnen Troft und Freude gewährt, und geeignet ift, 
fittenverberbliche Lieber aus dem Volke zu verbrängen. Auch follen 
die Kinder befähigt werben, fih an dem Kirchengeſange zu bes 
theiligen; in gemeinfamen Schulen, welche von Kindern verichiebener 
Gonfeffionen befucht werden, bleibt jedoch das Einüben der Choräle 
dem Religionsunterricht überlafien. 

Man wird fih bei einigem Nachdenken bald überzeugen, baß bie 
geftellten Forderungen neben benen im Lelen, in der Sprache, im 
Rechnen u. f. w., die wir, weil fie mit denen in andern Staaten ziem⸗ 
lich übereinftimmen, mindeſtens nicht geringer, ſondern eher größer find, 
übergangen haben, nicht ohne Mühe und großen Zeitaufwand erreicht 
werben können. Es mußten alſo den Schülern mehr Unterrichtsſtunden 
als bisher zuertheilt werben. Dies ift ſchon dadurch geichehen, daß 
don nun an im Sommer fobiel Stunden als im Winter für den Unter- 
richt verwendet werben follen, während bisher nur Vormittags Schule 
gehalten wurde. Ein anderes Mittel, den Schülern eine größere Zahl 
von Unterrichtöftunden zu verfchaffen, ohne daß dem Lehrer mehr als 
die gefegliche Bahl von 30 mährend der Woche aufgebürdet würde, 
bat man darin gefunden, beſonders in ber einllajfigen Schule bie bis— 
ber getrennten Abfheilungen zu vereinigen. Wie wohl es in ben all 
gemeinen Bemerkungen des Lehrplanes heißt, daß die Kinder der 3. Ab- 
tbeilung (von 6—7 Jahren) foweit ala möglich getrennt von ben 
anderen Abtbeilungen unterrichtet werben follen, hat man fie doch in 
der einllaffigen Schule in 8 möchentlihen Stunden mit den anderen 
Klaſſen vereinigt, in 6 Stunden „Deutſch“ und 2 Stunden biblifche 
Geſchichte. Die 1. und 2. Abtheilung find faft in allen andern Unter» 
richtöftunden vereinigt. Die 1. Abtheilung (Kinder von 10—14 Jahren) 
bat nur 3 Stunden für fi allein, nämlich Raumlehre, Gejchichte und 
Naturlehre. Die 2. Abtbeilung (von 7—10 Jahren) ift immer mit 
ber erften verbunden; die 2. Abtbeilung hat 4 Stunden für fidh, je 
1/. Stunde Rechnen und 1), Stunde Deutſch. 

Außerdem mußte, um Zeit für die Realien zu gewinnen, die Unter⸗ 
richtögeit für andere Gegenftände gegen bisher abgelürzt werden. Der 
Religion mwaren bisher ſechs Wochenftunden gewidmet, jet nur vier. 
Für das Singen ift nur eine Wochenftunde bejtimmt, freilich mit dem 
Zuſatz: die erlernten Lieder können dadurch geläufig gemacht werben, 
dab öfters beim Beginne oder beim Schluffe des Unterrichts ein geift- 
liches oder weltliches Lied gejungen wird. Für das Schönfchreiben ift 
nur eine Mochenftunde und zwar nur für die zweite Abtheilung an= 
geſetzt, während die erfte Abtheilung feinen befonderen Unterricht 
darin erhalten fol. Es fol bei allen ſchriftlichen Arbeiten auf 
fauberes, deutliches und gefälliges Schreiben gejehen werden. Weiter 
beißt es: doch follen in bejonderen Schreibftunden die Formen der 
Heinen und großen beutfchen und Iateinifchen Buchftaben geübt werben. 


618 Die äußeren Verhältniſſe ber deutſchen Volksſchule. 


Borlagen mit wertbuollem Inhalt (Denkſprüche, Sprichwörter, Mufter 
für Gefhäftsauffäte) empfehlen fi. In den Schönfchreibftunden können 
auch die Abſchriften der Auffäge gefertigt und bie bei ben Aufſatz⸗ 
übungen erwähnten Belehrungen über Briefe gegeben werben. Und 
das Alles in einer Stunde für die zweite Abtheilung, während in ber- 
—*8 Stunde die erſte Abtheilung Unterricht im Zeichnen erhalten 
ol!!! 

Im Rechnen find für ſämmtliche Kinder von 7—14 Jahren zu⸗ 
fammen vier Stunden gemwibmet, und doch wird bie Trennung einer 
jeden Abtheilung in zwei Unterabtbeilungen, tie nicht anders zu er- 
warten, in Ausficht genommen. 

Man Tann ſich denken, daß biefer Lehr: und Unterrichtsplan keines⸗ 
wegd mit ungetbeiltem Beifall aufgenommen wurde. Die älteren 
Lehrer meinten, ed würde zuviel verlangt, namentlih ba man ein 
Lehr: und Lernmittel — den Nürnberger Trichter — vergefien babe. 
Den Gemeinden will es nicht in den Kopf, baß jest ihre fämmtlichen 
fchulpflichtigen Kinder den ganzen Tag aud im Sommer bie Schule 
beſuchen follen, während früher die DOber- und Unterllafle abgefondert 
unterrichtet wurde, ſodaß fie immer entweder die größeren ober bie 
kleineren zu Haufe verwenden konnten. Auch ftellte fich der allgemeinen 
Durdführung der neuen Beſtimmung ein unüberfteigliches Hinberniß 
entgegen. 

Die meiften Schulfäle für einklaffige Schulen find nämlich für 
den getheilten Unterricht — in zwei Abtheilungen — eingerichtet, fo 
daß fie nur für einen Theil ber Schüler, nicht aber für ſämmtliche 
Schüler Raum bieten. Es mußte darum eine abändernde Verordnung 
erlafien werben. Im Fällen diefer Art follten in der einllaffigen Vollks⸗ 
ſchule bie Kinder des erften Schuljahres völlig getrennt von den übrigen 
Kindern unterrichtet werden, um aber zu berhüten, daß alsdann bem 
Lehrer mehr wie dreißig Unterrichtöftunden die Woche überwiefen würben, 
follten in dieſen Yällen die Kinder des erften Schuljahrs ftatt in 12 
ganzen in 12 halben, reſp. 6 ganzen Stunden Unterricht erhalten, 
natürlich unter entiprechender Minderung der im Lebrplane für die 
einzelnen Unterrichtäftoffe vorgefehenen Zeit. Die alsdann noch nöthige 
Herabminderung der Uinterrichtäftunden um zivei, fei durch Kürzung ber 
für den Turnunterricht und ben Unterricht in der beutichen Sprache 
im Lehrplane vorgefehenen Unterrichtözeit um je eine Stunde zu bes 
werfftelligen. Wolle der Lehrer freiwillig mehr als breißig Stunben 
Unterricht ertheilen, fo ſei das nicht ausgefchlofien. 

Dann wird weiter bemerkt, die ben Lebrplänen beigegebenen 
Stundenpläne feien nur ald Mufter, als Beilpiel für die Ber- 
tbeilung der Stunden zu erachten. Es fünne baber durch den Schule 
vorftand eine andere Tageszeit für den Beginn und den Schluß bes 
Unterrichts feftgelegt werden, aud könne bie Kreis-Schullommiffion 
eine andere Vertheilung ber Unterrihtäftunden — vorausgeiekt, daß 
dadurch nicht die den einzelnen Fächern zugewiejene Stundenzahl ber- 
fürzt werde — genehmigen ober anorbnen. 











. Die äußeren Verhältniffe ber deutſchen Volksſchule. 619 


Die Lehrer tabeln im Allgemeinen vom päbagogischen Stanbpunfte 
aus die Kombintrung der Kinder vom 7.—14. Jahre; fie meinen, ein 
metbobifcher Unterricht fei hierbei unmöglih; bie Handhabung ber 
Disciplin werde außerordentlich erfchwert, bei der früheren Trennung 
in zwei gejonderte Abtheilungen habe man ebenfoviel geleiftet, als 
man bei der Kombinirung leiften Tönne. Auch die geringe Stunden» 
zahl für fehr wichtige Disciplinen, wie Geſang, Schönfchreiben,, theil- 
weiſe felbft für Lefen will manchen Lehrern und noch mehr den Eltern 
nicht gefallen. 

Natürlich Tommen dieſe Uebelſtände bei zivei- und mehrllajfigen 
Schulen weniger vor, am meiften noch bei den erfteren. 

Der in Ausficht geftellte Lehrplan für den Neligiondunterricht ift 
noch nicht erjchienen, wiewohl bie bafür von dem Ober-Konfiftorium 
ernannte Kommiffion ſchon im Januar und Februar barüber berathen 
bat. Natürlich find zur Erreichung bes weiter geftedten Zieles reichere 
und befjere Lehr- und Lernmittel als feither erforberlih. Auch 
in dieſer Beziehung ftellt ber Lehrplan an die Gemeinden nicht ganz 
geringe Forverungen. Es werben ſchon für bie einklaffigen Schulen 
folgende Lehrmittel verlangt: Ein Exemplar von jedem in ber Schule 
eingeführten Lebrbuche, Alphabete, weithin erfennbar, auf Holz⸗ oder 
Papptäfelchen geflebter Buchſtaben zum Gebraud beim erften Leſe⸗ 
unterricht, eine Rechenmafchine, ein Globus, Wandkarten von Heflen, 
Deutichland, Europa, Paläftina, einige Abbildungen für den Unterricht 
in der Naturbefchreibung, eine Geige, Lineal und Hirkel, einige Körper 
für die Raumlehre (Würfel, drei=, vier- und fechsediges Prisma), einige 
phyſikaliſche Anftrumente, etwa ſechs Reagircylinder, ein Glastrichter 
mit langem, gradem Rohr, zwei Spitröhren nach Berzelius, ein poröfer 
Tonbecher für galvanische Verſuche, 66 Gramm Kupferdraht, ein Elektro⸗ 
magnet, eine Bunfen’fche Binkohlenfette, eine Wage, ein Barometer, 
ein Thermometer, eine Magnetnabel. 

Die Lehrbücher find nicht allgemein vorgefchrieben; es ift viel 
mehr unter folgenden die Auswahl geftattet: Lejebücher von Homſen, 
Engelien und Fechner, R. und W. Dietlein, von Kieffer, für Simultan- 
fhulen von Ked und Johannſen, für nicht preußiiche Schulen von 
denfelben. Die Fibel ift freigelafjen, ebenfo die Wandtafeln; empfohlen 
werben die bei Kern erfchienenen, die von Dietlein, J. Schmitt u. |. w. 
Auch ift der Gebraud des mittleren Theils des bei E. Kern er- 
fchienenen Leſebuchs in Lebensbildern, welcher in der Umarbeitung be= 
griffen ift, vorläufig zu geftatten. Für den Unterridt in ber ’ 
deutfhen Sprache: Leitfaden für den Spradhunterriht von R. 
Engelien I. und nad Bebürfnig für bie böberen Klafien II. Theil. 
Realien: Ergebnifle des Unterrichts in Naturgefchichte, Naturkunde, 
Geographie und Geſchichte von Dietlein, Weltlunde von Hüttmann, 
Jaſtrow u. a. Kleines Handbuch ber Reallenntniffe von Fifcher (jedoch 
ausſchließlich der Sprachlehre). 

Wo für einzelne Disciplinen befondere Lehrbücher eingeführt 
werden Tönnen, find auch zuläffig: Deutſche Gefchichte von Liebler, 


620 Die äußeren Verhältniffe ber deutſchen Vollsfchule, 


Zeitfaben ber Geſchichte von Badbaus, Erzählungen aud ber beutfchen 
Geſchichte von Andrä, dafielbe für Simultanichulen, Kleine Geographie 
von Klöden, Leitfaden für den Unterricht in der Geographie von Daniel, 
die Leitfäden von Bertbelt und Lüben. Als Atlas: Kiepert, Ißleib, 
Lange, Elementarjchul= Atlas von Flemming. Bon Karten: die von 
Geyer, Kiepert, Stülpnagel, Petermann, Möhl, Wagner, Hanbile, 
Schade & Sohn, die aus dem Verlag von Gottihid, Naturlehre von 
Krüger, Naturgeſchichte für Vollsſchulen von Lüben. Rechnen: 
Praktifches Rechenbuch von Löfer, Aufgabenfammlung von Geiß, 
Uebungsaufgaben von Köpp, Niepotb, Würth, Häßers. Gefang: 
Liederfrang von Erk, Sammlung eins und zweiftimmiger Lieder bon 
mehreren Mainzer Lehrern, Liederbuch für Volksſchulen von Seeger, 
Liederfreund von bemfelben, Lieberhain von Hentſchel. Die Lehrbücher 
für Gegenflände, für welche feither entweder gar feine oder nur un= 
genügende vorhanden waren, wie für den beutfchen Sprachunterricht 
das von Engelien und das auszumählende allgemeine Realienbud 
follen alsbald eingeführt werden, während in Betreff der übrigen zum 
Erjaß bereit3 vorhandener beftimmten, 3. B. der Lejebücher, die baldige 
Einführung gewünſcht wird; doc wird der Kreis-Schullommiffion an» 
beim gegeben, wenn Gründe zur Verzögerung vorliegen, einen ſpäteren 
Termin feftzufegen; nur follen mit Beginn bes Schuljahre 1876/77 
allgemein die neuen Lehrbücher in Gebraudy genommen werben. Die 
Trennung ber niederen Kirchendienſte, welche das Schulgeſetz verlangt, 
ift wohl allentbalben vollgogen, wenn nicht in einzelnen bejonderen 
Fällen Lehrer felbft gewünſcht haben, bie bisherigen Functionen bei= 
zubebalten. Für Verſehung ber Organiſten⸗, Kantor⸗ unb Lectoren- 
geſchäfte find befondere Vergütungen außer dem Schulgehalt feitgejeht 
worden. Die übrigen Befoldungsverbältnifie find meiftens aber noch 
nicht durchgängig definitiv geregelt. Es findet nämlich das Mißver⸗ 
bältniß ftatt, daß in manchen Gemeinden die früheren Fruchtgefälle 
abgelöft und in andern nicht. Letztere find im Vergleich mit den erfteren 
benachtheiligt, inbem bie Fruchtgefälle niedriger als ber wirkliche Preis 
veranfchlagt find, fo daß die Gemeinden einen ficheren Beitrag geben 
müſſen al8 andere, um ben befinitiv feſtgeſetzten Gehalt aufzubringen. 
Diejer Umftand hat zu vielen Reklamationen Beranlafjung gegeben, 
über welche die endgültige Entfcheidung noch nicht allgemein erfolgt ift. 

Vielfach gellagt wird von ben Lanblehrern über bie bebeutenb 
höhere Befoldungsffala der Lehrer in Städten und in größeren Ge= 
meinden überhaupt; Letztere hätten außerdem noch manche andere Vor⸗ 
theile vor den Landlehrern, da fie ihre Kinder leichter und ohne be» 
fonderen Koftenaufwand Tönnten ausbilden laflen. Mit Ausnahme 
der Wohnung — und hierfür werde befondere Vergütung gereicht — 
jet e8 auf dem Lande keineswegs billiger leben als in der Stabt, ja 
theilweife fogar tbeuerer; aus der Defonomie könne der Lehrer bei den 
hoben Arbeitslöhnen Teinen großen Vortheil ziehen; er könne nicht mehr 
jelbft Hand anlegen, wie in früheren Seiten. Es fol in ber That bei 
den Landftänden Neigung vorhanden fein, das vor einigen Jahren ge= 


Die äußeren Verhältniſſe der beutjchen Volksſchule. 621 


gebene Beſoldungsgeſetz zu modificiren. Uebrigens haben bie gebeflerten 
Beioldungsverhältnifie ſchon einige Früchte getragen, jo daß zu hoffen 
ſteht, der fi bemerkbar machende Lehrermangel werbe allmählich be- 
feitigt werden, Es fehlten im Laufe des Winterd 70—80 Lehrer. 
Bom Seminar in Yriedberg gingen 49 Abiturienten weg; doch haben 
fih Ausländer, wenn auch noch nicht in genügender Zahl, gemeldet; 
auch war die Zahl der zur Aufnahme gemeldeten Präparanden größer 
als bisher, ſodaß mwenigftend Ausficht zur Dedung des jährlichen Ab⸗ 
gangd vorhanden if. Ob die Errichtung von zwei Präparandenan= 
ftalten die Zahl der Aſpiranten noch vermehren wird, fteht zu erwarten. 
Es find nämlid von Staatöwegen zwei dergleichen: eine zu Lich in 
Oberheſſen und eine zu Lindenfels in Startenburg, gegründet worden, 
welche mit dem 1. Juni dieſes Jahres ins Leben treten ſollen. Aud 
von der Errichtung eines 3. Seminars in Rheinheflen ift die Rebe. 
Es fol ein interlonfeffionelles fein, während bisher von den zwei be⸗ 
ftebenden Seminarien das zu Friedberg evangelifche und das zu Ben 
beim Intholifche Zöglinge aufnahm. 

Nah einer anderen wahrſcheinlicheren Nachricht ift das zu er⸗ 
richtende Seminar für weibliche Zöglinge beitinmt; doch geht man 
weiter dem Vernehmen nach darauf aus, die Tonfeffionelle Verſchieden⸗ 
beit der beftebenden Seminarien zu bejeitigen. Es müßte alddann noch 
ein bejonderer ebangelifcher Katechet in Bensheim und ein Tatholiicher 
in Friedberg angeftellt werben; wenigſtens würde biefe Neuerung ben 
Koftenpuntt nicht unbebeutend vergrößern. Die Regierung gebt aber 
unverlennbar darauf aus, die konfeſſionelle Sonderung allmählich 
ad acta zu legen. Bisher hatten alle Schulen, welche nicht ausdrüd. 
Lich in Kommunalſchulen verwandelt worden waren, dad Epitheton 
ihrer Konfeffion ; neuerdings heißt es kurzweg, die Gemeinbefchule zu N. 
N., wenn nicht eine evangelifche und eine katholiſche als Tonfeffionelle 
neben einander befteben. 

Bisher fiel der Termin der Aufnahme in und die Entlaflung 
aus der Schule mit der Konfirmation auf Pfingften zuſammen. Nach 
bem neuen Geſetz ſoll die Entlafjung und Aufnahme nad Oftern er= 
folgen. Es gab deßhalb mancherlei Rellamationen, da die Gemeinden, 
befonder8 auf dem Lande, den bisherigen Konfirmationstermin nicht 
aufgeben wollten, und boch zu fürdten war, wenn bie Schüler viel 
früher aus der Schule entlafjen würden, fo werde dies auf den Beſuch 
ber Konfirmandenftunden und die Disciplin während berjelben nach⸗ 
theilig wirten. Es ift darum der Termin für den Beginn des neuen 
Schuljahrs auf den 1. Mai verlegt worden, fobaß berjelbe dem 
Pfingftfeft näher gerüdt ift. Natürlich find von nun an die Konfirmation 
und die Entlaffung aus der Schule zwei von einander ganz unabhängige 
Dinge. Diefer Umftand bat biefes Jahr einige Unannehmlichleiten 
verurſacht. Manche Eltern erwirkten fi) beim Dber-Konfiftorium Dis- 
penfation zur Konfirmation für Kinder, welche noch nicht 8 Jahre bie 
Schule beſucht hatten. Als die Schulbehörde die Sache erfuhr, ver: 
weigerte fie die Erlaubniß zur Entlafjung aus ber Schule, fo daß fich 


622 Die äußeren Verhältniſſe der deutſchen Volksſchule. 


bie Eltern in ihren Hoffnungen bitter getäufcht fahen; denn gerabe 
um das Letztere war es ihnen zu thun geweſen. 
Gr. Buſeck. Strac. 


7. Meclklenburg⸗Schwerin. Jahresbericht für 1874. 


Indem wir für die allgemeineren und bleibenden Schulverhältnifſe 
auf den ausführlichen Jahresbericht p. 1873 verweiſen, notiren wir 
diesmal nur die Vorkommniſſe und etwaigen Veränderungen im Jahre 
1874. 

Der Lehrermangel dauert noch fort und wird vorausſichtlich 
noch einige Jahre fortdauern, nicht weil ſich nicht die erforderliche An⸗ 
zahl junger Leute zum Schulfache hergiebt, ſondern weil namentlich 
in den Städten, aber auch auf dem Lande viele neue Klaſſen errichtet 
und überfüllte getheilt werden. Auch ſuchen manche jüngere Lehrer 
(21 ſeit dem Jahre 1872), die im Inlande noch feine Familienſtelle er⸗ 
halten konnten, Anſtellungen im Auslande, namentlich in dem reichen 
Hamburg. So ungern die Regierung ſich dazu entſchloß, mußte ſie 
dennoch, um nicht neue Klaſſen wieder eingehen zu laſſen oder getrennte 
zu kombiniren, die Zöglinge ber oberſten Präparanden-Klaſſe des 
Seminars zu Neukloſter bereits nach zweijährigem (ſtatt dreijährigem) 
Kurſus als Aſſiſtenten verwenden. Jedenfalls wird dieſelbe Vorſorge 
tragen, daß alle brauchbaren jungen Leute, die ſich zur Aufnahme ins 
Seminar oder Präparandum melden, wirklich angenommen und aus 
gebildet werden. Es hatten ſich 1874 zur Aufnahme ins Präparandum 
75 gemeldet, bon denen 63 aufgenommen find. Zur Aufnahme ins 
Seminar meldeten fi 47, von benen 37 (die höchſte, des Raumes 
und fonftiger Verhältniſſe wegen zuläffige Zahl) eintraten. In dem 
ritterfchaftlihen Seminar zu Lübtheen waren 37 Böglinge und 5 Ho⸗ 
fpitanten, von denen 15 die Abgangsprüfung beftanden. 

Perfionirungen famen unter den Domaninal-Landfchullehrern 
im Ganzen 9 vor. Die nad dem Dienftalter und ben fonftigen Ver⸗ 
hältnifjen gewährten Penfionen betrugen für 1 Lehrer 450 M., für 
1 Lehrer 600 M., für 4 Lehrer je 700 M., für 2 Lehrer je 800 
M., für 1 Lehrer 945 M. Ueber die PBenfionirungen ftäbtifcher und 
ritterfchaftlicher Lehrer ift wenig bekannt getvorden. | 

Die nunmehr in allen DomanialsDörfern eingeführte Gemeinde⸗ 
ordnung bat bis dahin, gegen bie früher gehegten Befürchtungen, nicht 
nachtheilig auf die Schulbauten gewirkt, vielmehr ift bei vielen 
Gemeinden Willigleit vorhanden, die Schul⸗ Wohn- und Wirthſchafts⸗ 
räume zu erweitern und zu verbefiern. Es foll der Regierung eine 
ziemliche Anzahl Rifie von Neubauten zur Genehmigung vorgelegt fein. 

Sur Aufbefferung ber ftäbtifchen, bisher aus ftäbtifchen Mitteln 
erhaltenen, aber unzureichend dotirten Schulftellen wurde Seitens 
ber Regierung bem Landtage eine fehr erfreuliche Vorlage gemacht, 
dahin gehend, daß zu biefem Zwecke eine beftimmte Summe ber franzöf. 
Kriegskontribution verwendet würbe. In Folge befien ift nun für bie 





Die äußeren Verhältniffe ber deutſchen Volksſchule. 623 


Geſammtheit der Städte eine Zinſenaufkunft von jährlih 48,000 M. 
ausgejegt, über deren Vertheilung zur Zeit noch unterhandelt wird. 
Die wirkliche Zumeifung an die einzelnen Städte wird borausfichtlich 
an gewiſſe Bedingungen binfichtlich ber Lehrergehalie und der Klaſſen⸗ 
frequenz gelnüpft werden. 

Die Sache ber Kortbildungsfchulen macht einige Fortfchritte. 
Die überall im Lande beftebenden Iandwirtbichaftlichen Vereine bemühen 
fih, auf den Dörfern derartige Schulen ins Leben zu rufen, doch hört 
man über die Nefultate ihrer Bemühungen nicht viel. Lebhaftere 
Förderung fcheint diefe Angelegenheit burch einzelne Behörben zu finden, 
namentlich in dem Amte Crivitz. Vereinzelte Fortbildungsſchulen find 
in Wittenburg, Conow und Schwerin entftanden. Don der Regierung 
ift ein „Statut der ländlichen Fortbildungsfchulen im Domanium” ent= 
worfen, worin fich biefelbe zu einer jährlichen Unterftügung von 50 
big 100 M. verpflichtet, ſobald die Gemeinde mindeſtens die Koften 
bed Lolald, der Heizung und Beleuchtung übernimmt. Obligatoriſche 
Betheiligung wird gewünfcht, aber nicht ald unumgängliche Bedingung 
bingeftellt. Zur Theilnabme am Unterricht find alle geförberteren 
Rnaben vom vollendeten 12. und alle jungen Leute männlichen Geſchlechts 
bis zum vollendeten 18. Lebensjahre berechtigt. Zur Erlangung ber 
Subvention der Regierung ift nachzumeifen, daß der Unterricht in 
mindeftend 100 Stunden jährlich ertheilt wird. Lehrgegenftänbe find: 
Deutihe Sprache, Rechnen, Naturkunde, Geometrie, Zeichnen. 

Die Lanvesbeihülfe zu den ftäbtiihen Gewerbeſchulen it 
erhöht worden, und tie Erhöhung wird ſchon auf Johannis 1874 
zurüddatirt. Die Städte bis zu 5000 Em. erhalten von da an jähr- 
lih 600 M. (früher nur 300 bis 450 M.), die von mehr ald 5000 
Em. erhalten 1000 M. (früher 600 M.). Auch die Domanialfleden 
nehmen von nun an Theil an biefer Beibülfe. Für Schwerin und 
Roftod bleiben die bisherigen Beträge von 1200 M. und 1500 M. 

Die im Herbſte 1873 eröffnete landwirthſchaftliche Schule 
zu Dargun zählte 50 und einige Schüler. 

Der Landes-Lehrerverein bielt im Herbft 1874 feine Vers 
fammlung in Roftod. Die verhandelten Gegenftände (über Seminar» 
Bildung, ritterfchaftliche Schulen, Memorirftoff aus dem Katechismus) 
waren intereflant, nur blieb zu wünſchen, daß fie mit mehr Sachkennt⸗ 
niß und weniger Animofität behandelt wären. 

Guten Fortgang hat es mit dem Verſicherungsweſen ge 
nommen. Die Lebensverficherung für Mecklenburgiſche Lehrer, deren Ber- 
waltungsfig in Neuflofter und deren Berechner ber Inſpeltor bes bortigen 
Blinden-Anftituts, Wulff, ift, hat in ihrer lebten Jahresrechnung eine 
Einnahme gehabt von 51,000 M. und eine Ausgabe von 48,000 M. 
incl. 42,000 M. neu belegter Rapitalien. Das Vermögen bes Vereins 
betrug 152,000 M. 

Der Feuerverfiherungsd-Verein trat am 1. September 
1871 ins Leben. Sekretär befielben ift ber Lehrer Tarnle zu Marnig, 
ber Berein bat aber im Uebrigen feinen Verwaltungsſitz in Parchim. 


624 Diejäuperen Verhältniſſe ber beutjchen Volksſchule. 


Die Zahl feiner Mitglieder ift jet 1264 mit einer Verfiherungsfumme 
von !/, Million Marl. 

Der Peſtalozzi-Verein zur Unterftügung von Lehrer-Wittiven 
und Waifen, der feinen Berwaltungsfit weſentlich in Roftod Bat, 
notirte in feinem letzten Jahresberichte eine Einnahme von 10,000 M. 
und eine Ausgabe von 4700 M. Die Ueberichüfle werben zur An» 
fammlung eines Fonds verwendet. Es wurben 104 Wittwen mit und 
obne Waifen unterftügt. Aus der franzöfiichen Kriegskontribution find 
dur Lanbtagsbefhlug dem Peſtalozzi⸗Verein 10,000 M. zur Ber 
wendung ber Binfen bewilligt. 


8. Medlenburg:Strelig. Jahresbericht für 1874. 


1. Der Bildungsftandb bes Volkes kommt etwa dem in ben 
angrenzenden preußiſchen Provinzen Brandenburg und Pommern gleich, 
mit deren Bevölkerung ohnehin das mecklenburgiſche Bolt nahe Ber- 
mwanbtichaft hat in Abftammung, Sprade, Sitten und focialen Bers 
bältnifien. Faſt alle Erwachſenen können Gebrudtes lefen und nament⸗ 
lich die jüngere Generation auch nöthlich fchreiben und rechnen. 


2. Schulgefetgebung. Es fei vorweg bemerlt, daß es im 
Medienburg-Strelig’fchen mie im Schwerin’fchen drei gefonderte Arten 
von Volksſchulen giebt mit ganz gefonderter Gefeßgebung: großher- 
zoglidye in den landesherrlihen (Domanial:) Gütern und Flecken, 
täbtifche und ritterſchaftliche Schulen. — Für die Domanial: 
ſchulen beftimmt das Reglement vom 7. März 1874 betr. Näh⸗ unb 
Stridfchulen im Domanium, daß im Winter Aftündiger obligatorifcher 
Unterricht ertheilt, im Sommer jedoch fafultativ gelafjen wird. — 
Die revidirte Schulorbnung für das Fürftentbum Ratzeburg vom 
29. Aug. 1872 fommt immer mehr zur Ausführung. 


3. Schulgeld. a. In ben Domanial-Landſchulen nah 4 Ab⸗ 
ftufungen: im Winterquartal: 3 M., 2M,ı M. 25 Pf, 
IM; im Sommerqartal: 2 M., 1 M 50 Pf, 1 M., 


50 Pf. 

b. In den ritterfchaftlihen Schulen pro anno 3 M. 

0. In den ftäbtifchen Volksſchulen fehr verfchieden. In ben ober- 
ften Klaſſen der meift fünfflafjigen Schulen ift dad Maximum 
4 M. 50 Pf., das Minimum 1 M. 50 Pf.; in ben unterften 
Klafien dad Marimum 3 M., Minimum 75 Pf. 


4. Kindergärten. Nur in Neu-Strelit vorhanden. Dagegen 
find in allen Städten (meift durd bie verwittwete Großherzogin ſub⸗ 
ventionirte) Kinderbewahranſtalten. 

5. VBollsfhulen, of. Zahresberiht 1873 für Mecklenburg⸗ 
Schwerin. 

6. Fortbildungsſchulen. Ueber ſchwache Anfänge noch 
nicht hinausgelommen. 


Die äußeren Verbältnifje der deutfchen Volksſchule. 625 


7. Brivatichulen find nur für Mädchen höherer Stände in 
einigen Stäbten und einem Fleden vorhanden; auch die Vorfchulen in 
zwei Stäbten find noch Privatanftalten. 

8. Präparandenanftalten. Präparanden werben von ein- 
zelnen Lehrern vorgebilbet. Die meilten bejuchen die mit bem Se- 
minar in Mirow verbundene Ortsſchule. cf. Jahresbericht von 1873 
für Medlenburg: Streli. 

9. Das Seminar für Lehrer ift in dem Städtchen Mirom, 
wo gegenwärtig 32 interne und 6 externe Böglinge ausgebildet wer⸗ 
ben und dieſe erhalten nad beendigtem Zjährigen Kurſus ihre An⸗ 
ftelung im Domanium und in den Städten. Für bie ritterjchaftlichen 
Schullehrer ift fein Seminar vorhanden, geſetzlich auch Feine Seminare 
bildung erforderlih. Hier warten noch große Webelftände ihrer Bes 
feitigung. 

10. Seminare für Lehrerinnen find nicht vorhanden. 

11. Die Brüfung der DomanialsLehrer gejdieht im 
Seminar bei ihrem Abgange von dort. Die ritterfchaftlichen Lehrer 
werden vom Konfiftorio geprüft, und es wirb von berfelben Behörde 
auch eine bejondere Prüfungskommiſſion für Lehrerinnen bei ihrer An- 
ftelung beftellt. 

12. Der Lehrerbedarf wird im Allgemeinen gebedt. 


13. Lehrer⸗-Konferenzen werben vielfadh, wenn aud nicht 
überall gehalten. Gegenftände ber Beſprechung find päbagogifche 
Fragen und äußere Berhältnifie der Lehrer. In vielen Parschien 
halten audy die Paftoren Konferenzen mit den Lehrern. 

14. Der Landes-Lehrerverein hält aljährlih in Neubran- 
benburg feine Berfammlung, zulett am 6. Dftbr. 1874. 

15. Allgemeine Berbältniffe der Lehrer. Im Do: 
manium bis auf Penfion und Wittivengehälter befriedigend, meniger 
in ben ſelbſtändigen Stäbten, unbefriebigenb in der Ritterfchaft. 
Eigentlihe Noth kommt nur in ſehr feltenen Fällen, und dann im 
Ritterfchaftlichen, vor. Die ländlichen Lehrer, welche einige wirthſchaft⸗ 
liche Kenntnifje, Umſicht und Zleiß haben, pflegen recht gut fituirt zu 
93 In Krankheitsfällen haben ſie auf Antrag freien Arzt und freie 

ediein. 

16. Gehalt a. Für Landlehrer im Domanium of. Jahresbericht 
bon 1873 für Strelitz; mit wenigen Ausnahmen find die 
Lehrer 3. 8. befriedigt; 

b. in Stäbten unb Flecken, welde von der Regierung verforgt 
werben, ift das Minimum des Anfangsögehaltes 750 M., das 
Marimum 1050 M.; Bulagen von 5 zu 5 Jahren bis 
Minimum 1500 M., Marimum 1800 M., bei den mit kirch⸗ 
lichen Nebenämtern verbundenen Stellen 90 biö 150 M. mehr; 

c. in ſelbſtändigen Städten Maximum in der Regel 1200 M. 

d. in ber Ritterfchaft cf. Zahresbericht 1873 für Medl.-Schwerin. 

Dad. Jahresbericht. XXVI. 40 


626 Die äußeren Verhältniffe der beutjchen Volksichule. 


17.Nebenämter. Küfter-, Drganiften- und Kantorenämter iver- 
ben von vielen ftäbtiichen und einzelnen Landlehrern befleivet. Ein- 
zelne Lehrer haben auch Poftagenturen übernommen ober find Agenten 
für Lebend: und Feuerverſicherungs⸗-Geſellſchaften, ob aber allemal 
zum Vortheil der Schule, bleibe babingeftellt. 

18. Pension. a. Domanial-Lanblehrer 144 M. und 7 Raums 
meter Holy. Daneben Unterftügungen durch das Konfiftorium 
je nach Bedürfniß. Doch kommen Penfionirungen felten vor, 
vielmehr erhalten ältere und ſchwächliche Lehrer eher einen 
Affiftenten. 

b. In den Domanial-Stäbten und Fleden erhalten ältere Lehrer 
in der Regel 900 M. 

oc. In felbfländigen Städten und im Ritterfchaftlicden entfcheibet 
die Willkür der Schulpatrone. 

19. Eine Sterbelaffe befteht feit 1846. Jedes Mitglied 
zablt bei einem Tobesfalle 50 Pf. an die Wittwe ober Erben des ver- 
ftorbenen Kollegen. 

20. Berfiherungswejen. Ein Feuer-Verficherungs:Berein iſt 
für Schwerinfche und Streligiche Lehrer gemeinfam. Landlehrer pflegen 
ihre Kühe in jogen. Orts-Kuhkaſſen zu verfidhern. 

21. Die Lolalfhulauffiht hat in den ländlichen Domanial- 
Schulen der Paftor, in den Städten ber Schulvorftäand (Scholardhat, 
Schul⸗Kommiſſion), im Ritterfchaftlichen gemeinfam der Gutsherr und 
Drtöprebiger. 

22. Die Staatsauffiht wird duch das Konfiſtorium als 
Dber-Schulfollegium geübt. | 

23. Nur lutheriſche Konfeſſion sſchulen find vorhanden. 

24. Staatöregulatide giebt ed nicht. Der mit Genehmigung 
des Konfiftorio vom Seminar= Direktor Bedftröm zu Mirow heraus 
gegebene Einrichtungs- und Unterrichtsplan für Volksſchulen auf dem 
Lande ift zur Berückſichtigung empfohlen. 

25. Lehrpläne werben dem Konfitorium zur Genehmigung 
eingereiht. Als Anhaltspunkte für Landichulen find in bem sub 24 
genannten Buche einige Lehrpläne (db. h. Stundenpläne) abgebrudt. 
Im Domanium werden im Winter mwöchentlih 30, im Sommer 18 
Stunden Unterricht ertheilt, in ritterfchaftlichen Schulen 26 refp. 12. 
Für jede Stabtichule ift ein vom Konfiftorium approbirter Unterrichts- 
plan feftgeftellt. Die Lanbichulen richten ſich im Plane meiftens nach 
dem oben genannten Beckſtrömſchen Buche. 

26. Schulverfäumniffe Ferien. Der Schulbeſuch ift im 
Winter ein regelmäßiger, im Sommer bagegen treten nicht felten 
Schulverfäumnifle ein, welde im Domanium unb in den Städten von 
der Obrigkeit beftraft werben, in dem Nitterjchaftlichen aber felten 
— Ahndung finden. Die Ferien betragen jährlich etwa 81, 

ochen. 








Die äußeren Verhältniffe der beutfchen Volksſchule. 627 


27. Schulprüfungen finden im Domanium und in den 
Städten zu Oſtern jeden Jahres ftatt, dagegen in der Nitterfchaft nur 
gelegentlich. 

28. Weiblihde Handarbeiten of. für Domanium sub 2. 
In den Städten wirb überall Unterricht in weiblichen Handarbeiten 
ertbeilt, meiften? nach der Schallenfeld'ſchen Methode, im Ritterichaft- 
lien nur ausnahmsweiſe. In den Domanial⸗Landſchulen ertheilen 
meiſtens die rauen und Töchter der Lehrer ben Unterricht für eine 
beftimmte Remuneration bon 15 M., 3%, Raummeter Hola und 
durchſchnittlich 38 Pf. Schulgeld pro Quartal von jedem Kinde. 

29. Das Turnen wird in einzelnen Landſchulen, in allen 
Städten, fowie auf dem Seminar geübt. 

30. Lehrmittel. a. Für Neligionsunterridt: Bibel, Geſang⸗ 
buch, Landes-Katechismus, Wedel's oder Bahn’ 3 biblische 
Hiftorien. 

b. Für Lefeunterricht : Theel’3 oder Schulz's Fibeln, Wanblefetabellen 
von Theel, Lejebücher von Keck oder Theel. In den Städten 
Koch's Leſeb uch. 

c. Anſchauungsbilder von Wille oder Schreiber. 

d. Für Rechenunterricht: Böhmes Rechenbücher. 

e. Yür den geographifchen Unterricht: in den Domanialſchulen fünf 
Wandkarten, nämlid von Europa, Deutfchland, Mecklenburg, 
PBaläftina und Planigloben. 

f. Rechenmafchinen von Neubert. 

In den ritterfchaftlichen Schulen fehlen die sub co, e und f ges 
nannten Lehrmittel ganz ober theilmweife. 

31. Die Schulhbäufer im Domanium find meiftentheild ge= 
nügend, die neu erbauten fehr gut; in dem Ritterfchaftlichen, ſowie 
en Di theilweife in den Städten laſſen biefelben noch Manches zu wün- 
ſchen übrig. 

32. Die Shulzimmer werben mehr und mehr zweckmäßig ein- 
gerichtet, auf Ventilation wirb bei Neubauten fehr geachtet. In vielen 
Domanialjchulen ift die „Kölner Bank eingeführt, die theure „Chem⸗ 
niger” nur in einzelnen Stabtichulen. 

33. Die Unterhaltung ber Schulen Liegt in ſämmtlichen 
Domanial⸗Landſchulen, fowie in den meiften Städten und Fleden faft 
ausſchließlich dem Landesherrn ob, in A Städten ben betreffenden 
Kämmereien; in ber Ritterfchaft den Patronen. 

34. Das Sthulwefen ber drei größeren Städte bes 
Landes, Neu-Brandenburg, Friedland und Neu-Strelig. Es befinden 
fih in benfelben 3 Gymnaſien und 2 Realſchulen, wovon ein Gym⸗ 
nofium von der Stadt Neu: Brandenburg und eins von Friedland 
unterhalten wird. Das Schulweſen ber erfigenannten Stabt gilt ale 
ein im Ganzen wohlgeorbnetes, bad Schulweſen in Friedland und in 
Neu-Strelig harrt der Reorganif ation. NeusBrandenburg und Fried⸗ 
land find in ihrem Schulweſen faft jouverän und müflen ſich nur für 
ihre Gymnaſien eine jpeciellere Kontrole des Konſiſtoriums gefallen laſſen. 

40* 


628 Die Äußeren Verhältniſſe der deutſchen Volksſchule. 


35. Schriften. 6. Stolte, Lehr: und Uebungsbuch für den 
Unterridt in ber Geographie, verbunden mit naturtwifjenfchaftlichen 
und gefchichtlichen Belehrungen in 4 konzentriſchen Kuren. Neu⸗ 
Brandenburg bei Bründlow 1874. 

36. Berfiorbene Pädagogen: Profeffor Morig Füldner in 
Neu Strelig, Mathematiker und Naturforfcher. 

Neuflofter. Stahlberg. 


9. Großherzogthum Sachſen⸗Weimar⸗Eiſenach. 


Außer dem im vorigen Bericht erwähnten Geſetz, das Vollsſchul⸗ 
weſen betreffend (I. Gele über das Volksſchulweſen im Großherzog- 
thum Sachſen und II. Gefeb über die Befoldungen und Alterözulagen 
der Vollsfchullebrer, beide vom 24. Junt 1874), find mittlerweile er- 
ſchienen: 1) Minifterialverorbnung zur Ausführung des Geſetzes vom 
24. Juni 1874, vom 16. December 1874; 2) Minifterialverorbnung 
über die innere Einrichtung des Volksſchulweſens im Großherzog: 
thum Sadfen vom 20. März 1875, und 3) Statut der Penfionsan- 
w die Witten und Waifen ber Schullehrer im Großherzogthum 

achſen. 

Sn die unter 1—3 genannten Verordnungen iſt ein großer Theil 
ber bisher beftehenden Beitimmungen aufgenommen, fo weſentlich auch 
die durch das Geſetz nöthig gewordenen Veränderungen find. — 

Sn bem folgenden Bericht können natürli nur einige wenige 
berborragende Punkte aufgenommen werden. — 

Die unbedingt nothwendigen Unterrichtögegenflänbe ber 
Volksſchule find: Religions: und Sittenlehre, beutiche Sprache mit 
Leſen und Schreiben, Rechnen mit Zahlen und Raumgrößen, Natur: 
und Erblunde, Geichichte, Gefang, Turnen und Zeichnen für Knaben. 
Aus den, diefe Unterrichtöfächer betreffenden Ausführungsverorbnungen 
mögen nur einige VBeltimmungen über den Religiongunterricht 
erwähnt werden. Der Satechismusunterriht in ben ebangelijchen 
Schulen fol bödftene 2 Stunden wöchentlich umfaflen, die beiden 
legten Hauptftüde follen von bem Religiondunterricht der Volksſchule 
ausgeichlofjen fein. In den Memoirirftoff folen eine Anzahl pafjen- 
der Sprüche, höchſtens 20 Lieder und die 3 erften Hauptflüde aufs 
genommen werben. — Die firchlidhe Behörde bat das Recht der Mit- 
wirkung bei Anorbnung und Ueberwachung des Religionsunterrichts 
durch ihre höheren und niederen Organe. — 

Ob und in wie weit die Unterrichtögegenftände nad) Bebürfniß und 
Füglichleit (Obſtbaumzucht für Knaben, weiblide Handarbeit, Turn⸗ 
übungen und Zeichnen für Mädchen) in ben Leltionsplan aufzunehmen 
find, ift vom Schulinfpeltor nad Anhörung des Schulvorſtandes zu 
erörtern, wonach die oberfte Schulbehörte die Entſcheidung trifft. 
NRüdfichtli des Unterrichtes in den meiblihen Handarbeiten beitimmt 
die Ausführungsverordnung über bie innere Einrichtung ber Volks— 
ſchulen, daß ba, wo eine von einem Frauenverein geleitete, unter beim 


Die äußeren Verhältniſſe der beutjchen Volksſchule. 629 


Proteltorat der Frau Großberzogin flehende Induſtrieſchule beftebt, 
biefe an bie Stelle der Volksſchule nach der fraglichen Rüdfiht treten 
fann. Der Unterricht wird in diefem Falle unter den eben angegebenen 
Vorausfegungen obligatoriſch. Da, mo diefer Unterricht mit der 
Schule verbunden wird, fol berfelbe, im Falle Sommer und Winter 
unterrichtet wird, nicht weniger als 3, wenn nur im Winter unter: 
Her wird, nicht weniger ald 4 Stunden möcentlih in Anſpruch 
nehmen. — 

Die Lehrziele ftellen, menn allen Unterrichtögegenftänden, incl. 
das neuhinzugekommene Zeichnen, Genüge gefchehen foll, für die einfache 
Landſchule nicht geringe Anforderungen. Es mird um ſo ſchwieriger 
fein, ben Unforberungen in voller Ausdehnung zu genügen, wenn ber 
Sehrermangel zwingt, Klaſſen mit mehr als 80 Kindern, (gegen bie In— 
tentionen des Geſetzes) vereinigt zu laflen, Lehrer mit der Führung 
zweier Klaſſen zu betrauen, länger dauernde Bilariate einzurichten. 
Zwar find in Folge der Aufbefferung der Gehälter aus Preußen und 
Meiningen eine Anzahl Lehrer nad) dem Großherzogthum übergefiebelt, 
zwar ift auf die Verwendung von Lehrerinnen Bebacht genommen 
und benjelben Unterftügung bei ihrer Ausbildung in Ausficht geftellt, 
doch find immer noch nicht alle Lüden ausgefüllt. — 


Zur Erreihung ber Lehrziele ift allerdings manche wohlgemeinte 
Anordnung getroffen. Jede Schule, auch die mit einem Lehrer ſoll ſich 
in 3 Stufen gliedern; die genügenden Lehrmittel ſollen überall vor⸗ 
handen ſein, die von den Eltern zu beſchaffenden Lehrmittel ſind bis 
auf das gedruckte Liederheft genau beſtimmt, auch iſt der Schulvor⸗ 
ſtand gehalten, wenn die Eltern ſäumig ſind, für vorläufige Anſchaf⸗ 
fung des Nöthigen Sorge zu tragen. Kinder von 12—14 Jahren 
follen in Fabriken täglich nicht mehr ala 2 Stunden befchäftigt werben, 
auch ift jedem Kinde täglich 2 Stunden Zeit zur Anfertigung der 
Scularbeiten zu gewähren. NRüdfichtlih ber Durchführbarfeit des 
Legteren werden ſich in vielen Fällen gerabezu unüberwinblihe Schwie⸗ 
rigfeiten erheben. Zur Herftelung eines gebeihlicheren Verhältnifjes 
zwiſchen Schule und Haus tft bie allgemeine Einführung ber Genfur- 
bücher auch in der einfachlten Schule mit Freuden zu begrüßen. 

Andere Beitimmungen bürften fich einem gebeihlichen Fortſchreiten 
hindernd in den Weg ftelen. So wenn in Konfequenz des Schulge- 
feßes beitimmt mird, daß taubftumme und blinde Kinder, ſoweit fie 
noch nicht Aufnahme in die Yandesanftalt finden können, in bie Volks⸗ 
ſchule im jchulpflichtigen Alter aufgenommen werden müſſen, wenn 
ferner beftimmt wird, daß zurüdigebliebene Schüler nicht länger als ein Jahr 
F die übliche Zeit in der betreffenden Klaſſe zurückgehalten werden 
dürfen. — 

Rüdfichtli der erziehlichen Einwirkung ift es mit Freuden zu 
begrüßen, daß den Schülern der Volksſchule und der Fortbildungsſchule 
(bis zum 16. Lebensjahr) der Beſuch der Zanzlofale und Berfamm- 
lungen unterfagt ift. Die Beftimmungen über dad Strafrecht der 


630 Die äußeren Verhältnifje der deutſchen Volksſchule. 


Säule empfehlen mit Recht weiſe Mäßigung, ohne einer falichen 
- Humanität in bdiefer Beziehung zu bulbigen. Aber nicht von allen 
Erziehern möchte es gebilligt werden, baß jebe körperliche Züchtigung 
in den — beiden Schuljahren unterſagt iſt. — 

Beſuch der Fortbildungsſchule iſt von Seiten der 
Pa bi8 2 Jahre nad dem Austritt aus ber Volklsſchule oblis 
gatoriſch. Das geringfte Beitmaß für ben Fortbildungsunterricht iſt: 
an 2 Tagen wöchentlich je 2 Stunden in den Wintermonaten. Noth- 
wendige Unterrichtäfächer find: Leſen, Schreiben, Unterricht im korrek⸗ 
ten münblichen und fchriftlicden Gebraud der Mutterfprache, Rechnen 
mit Bablen und Raumgrößen, beſonders für das landwirthſchaftliche 
Gebiet und Zeichnen. — 

Die Anforderungen an ben Lehrerſtand erben buch 
bie Seminarlebrziele, die Prüfungsorbnung für bie erſte und ziveite 
Prüfung und die Reltoratsprüfung geregelt. — 

In Bezug auf bie äußere Stellung ber Lehrer find manche 
günftige Beftimmungen getroffen. Nüdfichtlih der Benfion und bes 
Disciplinarverfahrens find die Lehrer den Civilſtaatsdienern gleich geftellt, 
die Befoldungen find für die jüngeren Lehrer weſentlich aufgebeflert. 
Bellagendwerth ift, daß das Geſetz in ben Städten 1. Klaſſe nicht 
bi8 zu dem bereitd von Weimar und Eiſenach früher beftimmten, 
wenn auch im Berbältniß zu dem Gefeh fpäter zu erreichenden Maris 
mum bon 600 Thlr. emporftieg. Der Lehrer bat, wie früber, im 
Schulvorſtand Sig und Stimme, in gegliederten Schulen follen bie 
Lehrer außer durch den Direktor noch durch einen aus ihrer Mitte 
zu wählenden Lehrer im Schulvorftand vertreten fein. Den Vorſitz 
führt der Bürgermeilter. 

Weniger günftig geftalten fich zum Theil die Verhältniffe in nicht 
geglieberten Schulen rüdfichtlih der Ortsſchulaufſicht. Da, wo 
der Geiſtliche nicht gewählt ift, bat man nur in wenig Orten bierzu 
geeignete Perſönlichkeiten. Darum follen mehrfach ungeeignete Perfön- 
lichkeiten gewählt fein. Man bat noch nicht gehört, ob dieſelben von 
ber Behörde beftätigt find. Es wird dem Anjehen bes Lehrerd ſicher⸗ 
lich nicht förderlich fein, wenn ein Korkſchnitzer oder Barbier Schulauf- 
jeber wird und Urlaub zu ertheilen und über den Lehrer zu berichten hat. — 

Zur Uebernahme der niederen kirchlichen Berrichtungen (Glocken⸗ 
und Uhrbienft, Gregorius-Neujahrfingen, Hochzeitsbitten, Chorrodtragen) 
ift der Lehrer nicht verpflichtet. Es hat die Lehrer befrembet, baß fie, 
fofern fie Kirchendiener find, den Glocken- und Uhrdienſt beauffichtigen 
und für etwaige Schäden verantwortlich fein follen. Für die übrigen 
kirchlichen DVerrichtungen erhält der Lehrer als außeretatmäßiges Ein⸗ 
fommen die Accidenzen. 

Um den Lehrer vor ehrberlegenden Störungen während bed Un- 
terrichtö zu ſchützen ift angeorbnet, daß in jeder Schule eine Belannt- 
machung Großh. Staatsminifteriums, in welcher auf die betreffende 
Beitimmung im Reichsſtrafgeſetzbuch, den Hausfriedensbruch betr., auf: 
merkſam gemacht wird, angeheftet fein ſoll. — 


Die äußeren Verhältniſſe der deutſchen Volksſchule. 6831 


In Ausführung bes Schulgefeted finb bis jegt 3 Schulinfpeltoren 
für drei Verwaltungäbezirfe (II, IV und V), die Herren Jakobi, Stier, 
Schmidt, ernannt worden. ‘Der eine der Herren tar bor feiner Er- 
nennung Direktor der evangeliihen Schule in Wien, der andre Dia- 
fonus und Schulephorus in Siena, der dritte Kirchenrath und Super- 
intendent in Buttitebt. In 2 anderen Bezirken find die bisherigen 
Ephoren beibehalten. In der Stabt Weimar und Eiſenach follen bie 
beiden Seminarbireltoren als Schulinfpeltoren vorläufig funktioniren. 

Die Schulinfpeltoren refp. Ephoren bilden mit den Bezirksdirek⸗ 
toren die Schulämter. Hoffen wir, daß bie Bezirksdirektoren bie ihnen 
erwachiende, nicht unbedeutende Arbeit nicht als eine Laft empfinden. — 

Zum Schluß die Bemerkung, daß das hieſige Schulgefeh von einem 
liberalen Verein in Belgien überfegt, verbielfältigt und im Lande ver 
theilt worden iſt. — 

Das Statut der Penfionsanftalt für die Wittven und 
Waiſen der Schullebrer bat bie Erwartungen nicht ganz befriebigt. 
Die Beiträge find beibehalten und die gegenwärtige ‘Benfion beträgt 
200 Marl. 

Der weimariſche Lehrerverein bat gegenwärtig die Ver- 
fiderungsangelegenbeit in die Hand genommen und veranlaft jett auf 
Grund eines gebrudt verfandten Profpeltes eine Abftimmung darüber, 
welcher Verſicherungsgeſellſchaft (Gothaifche, Germania und Eifenbahn- 
berficherungageielliäaft) die Mitglieber des Vereins beizutreten ge= 

enlen. 

Die nächſte weimarifche Lehrerverſammlung wirb im Sep- 
tember in Sulza ftattfinden. 


Eiſenach. Eberhardt. 


10. Das Großherzogthum Oldenburg. 


1. Ausführung des neueſten Schulgeſetzes. Das 
Geſetz vom 10. Januar 1873 (mitgetheilt Jahresbericht Bd. 25) 
brachte den Oldenburger Lehrern eine nicht unbedeutende Verbeſſerung. 
Nach Ausführung des Geſetzes haben die Gehaltsverhältniſſe ſich 
folgenderweiſe geftaltet: 

Im proteſtantiſchen Theile des Herzogthums befinden ſich 282 Haupt⸗ 
lehrerſtellen; 180 Schulen find einklaſſig, 102 zwei- und mehrklaffig. 

Sn Rüdficht auf die im Geſetz beftimmte Familienzahl ber Schul- 
achten giebt es 

245 Hauptlehrerftellen mit 675—750 M., 
27 ⸗ s s 600—675 = 
4 ⸗ ⸗ = 525—600 = Einnahme. 


6 Stellen find fogenannte Anfangzftellen mit 360, 450 oder 525 M. 
Gehalt. Das Oberfhullollegium hat für jede Schulacht, je nach deren 


632 Die äußeren Verhältniffe der deutſchen Volksſchule. 


Steuerkraft, die Höhe des Gehalts innerhalb des gewährten Spiel- 
raums feſtgeſetzt. 

Für die Stellen in der Marſch und in den größeren Ortſchaften 
kommt die ſogenannte Ortszulage mit 150—300 M. hinzu. Rad 
Beſtimmung bes Oberſchulkollegiums wird dieſelbe in 165 Schulachten 
gewährt. 

Die Entihäbigung für fehlendes oder ungenügendes Schulland 
muß in 36 Schuladten mit 90—150 M. gezahlt werben. 


85 LVebrerftellen find gleichzeitig Drganiftenftellen und bringen 
dadurch einen Zuwachs an Einnahme von 150—300 M. 


Das Gefammteintommen ber Hauptlehrer (reſp. mit ber Ders 
gütung für den Kirchenbienft) beträgt: 


1 Stelle 360 M. 12 Stellen 1050—1125 M. 
2 Stellen 450 = 16 ⸗ 1125—1200 = 
2 . 525 = 4 ⸗ 1200—1275 ⸗ 
4 ⸗ 525— 600 M. 36 ⸗ 1275—1350 = 
16 ⸗ 600— 675 =: 7 = 1350—1500 = 
68 ⸗ 675— 750 = 8 = 1500—1800 = 
8 5 750— 825 = 3 ⸗ 1800—1950 = 
12 = 825— 900 +» 3 ⸗ 1950—2400 = 
15 z 900— 975 > 2 2400—2550 = 


53 = 975—1050 1 Stelle 2800 M. 


Die 282 Hauptlehrerftellen bringen eine Einnahme von 294,550 M., 
im Durchfchnitt jede Stelle ca. 1040 M. 

Vorftehende Einnahme fchließt Alterdzulage, Wohnung und Garten 
nicht ein. Als Alterözulagen werben im proteftantiichen Theil unfers 
Herzogthums jährlich ca. 40,000 M., im katholiſchen Theil ca. 15,000 M. 
aus der Staatskaſſe gezahlt. 

Die im Etat der laufenden Finanzperiode für das evangeliſche 
Schulweſen verausgabte Summe beträgt 166,000 M., davon fommen 
auf Volksſchule und Seminar reihli 100,000 M.; : für das katholiſche 
N iſt eine Totalſumme von ca. 60, 000 M. in Ausgabe 
geſtellt. 


2. Beſteuerung der Schulachten. Im Fürſtenthum 
Lübeck hat jede politiſche Gemeinde die Verwaltung des Schulweſens 
innerhalb ihres Bezirks; die Ausgaben für Schulzwecke werden über 
die Gemeinde repartirt. Dadurch wird eine gleiche Beſteuerung 
wenigſtens innerhalb der Gemeinde erreicht. Am Herzogthum Olden⸗ 
burg bat jede Schulacht ihre eigene Schulkaſſe, und nad der ver= 
ſchiedenen Steuerfraft tritt für benachbarte Schulachten bei gleiden 
Ausgaben für die Schulen oft ein ganz bedeutender Unterſchied in 
dem Grade ber Befteuerung zu Tage. Eine aug Marſch- und Moor— 
biftriften beftehende Gemeinde z. B. enthält 6 Schulachten, in dieſen 
betragen die Schulumlagen das refp. 11/,, 2, 6%/,, 11, 17%/,, 44°/g= 
fache es monatlichen Einfommenfteuerjages. Würden biefe Schul⸗ 





Die äußeren Verbältniffe ber deutſchen Volksſchule. 6353 


achten zu einer Schulfafle vereinigt, jo würde der Beitrag für jeben 
Sinterefienten einen 4-5 monatlihen Steuerfat ausmaden. Durch 
Beihülfe aus der Staatslafje wird allerdings mande Schuladht von 
einer übermäßigen Befteuerung entlaftet. Nach dem Schulgejeg wird 
weniger bemittelten Schulachten Zufhuß aus der Stantslafle gezahlt. 
Diefen Zufchuß erhalten reihlih 100 Schulachten. 

Wenn auch das Lübeder Schulgefeh (Jahresbericht Bd. 25 und 
26) in den meiften Punkten bei den Lehrern bes Herzogthums Feine 
Buftimmung gefunden hat, fo wird die Bildung größerer Schulver- 
bände doch von vielen Seiten gewünſcht; gerade daburh, daß der 
Sintereflent der einen Schule ſich im Bergleih mit den Intereſſenten 
benachbarter Schulen übermäßig belaftet glaubt, werden Klagen über 
den Drud der Schulumlagen hervorgerufen. 

3. Seminar. Präparanden. Nachdem unfer Seminar in 
den lebten Jahren zahlreiche und heftige Angriffe aus der Lehrerwelt 
erfahren hat, bricht fich jegt nad) und nach das Gefühl des Vertrauens 
Bahn. SHerborgerufen wird baffelbe befonders durch das offene und 
gewinnende Auftreten unſers jegigen Seminar-Direktors, Oberſchulraths 
Sander. Die Lehrer fehen in ihm den Mann, der Herz und Auge bat 
für das Wohl und Wehe des Lehrerftandes, der fich felbit zu den 
Lehrern zählt und es nicht verfchmäht, aud in einer Lehrerkonferenz 
zu erfcheinen. Als Sander auf der diesjährigen Landeskonferenz ſich 
dabin ausfpracdh, daß Seminar und Volksſchule Hand in Hand geben 
müßten, daß hier wie dort Jeder feine Pflicht zu thun habe, daß aber 
gegenfeitige® Zutrauen die gemeinfame Arbeit erleichtere: da hatte er 
fih die Herzen aller Oldenburger Lehrer erworben. 

Angenehm bemerkt ift es, daß die jetige Seminarbireftion es ans 
gebracht findet, über die Verhältniffe des Seminars etwas bekannt 
werden zu laflen. Wenn die beabfichtigte Herausgabe eines Jahres⸗ 
berichtes aus verfchiebenen Gründen nicht möglich war, fo hat Sander 
es nicht unterlaffen, durch Beröffentlihung in einem biefigen Lokal⸗ 
blatte verichiedene Mittheilungen über dad Seminar zu machen. 

Das Seminar zählte im verfloffenen Jahre in 3 Klaſſen 
85 Zöglinge, 16 von ihnen waren Lehrerfühne. Bon den 24 
Seminariften der 1. Klaffe benugten im Sommer 5, im Winter 19 
das ihnen eingeräumte Recht, außerhalb bed Seminars zu tohnen. 
Nah Ausfage der Seminardireltion hat biefe Einrichtung Feine Un⸗ 
zuträglichleiten mit fich geführt, die Externen find in ihren Leiftungen 
nicht binter den internen zurüdgeblieben. Die Summe der monat- 
lichen Unterftügung, welche fat allen Seminariften gewährt wird, be- 
trug im lebten Sabre 6300 M. Statt der bisherigen 225 M. ftehen 
dem Eeminar dies Jahr 1050 M. für Lehrmittel zur Verfügung. 
Zu einer Ferienreife der 1. Seminarllafle find wie bisher jährlich 
600 M. aus der Staatskaſſe beftimmt. Diefe Summe wurde zu einer 
Harzreife unter Führung eines Seminarlehrers verwandt. Direltor 





634 Die äußeren Verhältniffe der beutjchen Volksſchule. 


Sander fagt darüber: „Dieſe gemeinfchaftliche Reife und bie für dies 
ſelbe ausgeſetzte Iiberale ftaatliche Beifteuer darf als eine ber beiten 
Eigenthümlichleiten des Oldenburger Seminard bezeichnet werben.” Im 
Boranichlag des Herzogthums find jährlich 22,500 M. für das evange- 
liſche Seminar in Ausgabe geftellt. 

Die Erweiterung des Seminarkurfus um eine 4. Klaſſe, ſowie 
die Errichtung einer organifh mit dem Seminar verbundenen Uebungs⸗ 
Schule werden von der Seminarbireltion angeftrebt und finden bei 
unfrer Staatsregierung Zuftimmung. Hoffentlih wird dann auch bie 
jmeiläbrige Unterbrechung des Seminarkurſus durch das fogenannte 

usſenden als Hülfslehrer wegfallen. Nach Aeußerungen der Seminar⸗ 
lehrer machen ſich die Nachtheile dieſer Einrichtung für das poſitive 
Willen in jo hohem Maße fühlbar, daß bie Vortheile, welche fie 
unter günſtigen Verhältniſſen haben kann, dagegen gar nicht ind Ge— 
wicht fallen. Für mehrere Seminariſten iſt der Kurſus dadurch ſchon 
ein vierjähriger geworden, daß ſie noch ein zweites Jahr in der von 
ihnen beſuchten Klaſſe zubringen müſſen; 6 Zöglinge der 3. und 5 
der 2. Klaſſe find nad Beſtimmung der Seminarbireltion in ihrer 
Klaſſe geblieben. 

Die Gehaltsverbeflerung bat ben Zudrang zum Seminar gefleigert, 
der Mangel an Lehrern ift jedoch noch nicht gehoben. Dftern 1874 
meldeten fih 35, Oſtern 1875 44 Präparanden zur Aufnahme ins 
Seminar. Aufgenommen wurben Dflern d. %. 24 Präparanden. 


4, Landesconferenz. Ueber das Ergebniß ber letten Prä⸗ 
parandenprüfung kamen Mittheilungen in die Preffe, nach welchen die 
Eraminanden befonders im Deutfchen klägliche Leiftungen gezeigt hatten; 
die Mehrzahl fchrieb ein einfaches Dictat höchſt fehlerhaft. Widerrufen 
wurden diefe Angaben nicht, fie mußten aljo der Hauptſache nad) 
wahr jein. 

Will man das Refultat einer Präparandenprüfung auch gerade 
nicht als maßgebendes Zeugniß für die Leiftungen unſrer Volksſchulen 
hinftellen, fo konnte doch Fein Lehrer durch jenen Ausgang befriedigt 
fein. Auf unfrer diesjährigen Landeslonferenz in Berne (Stedingen) 
brachte Lehrer Lahrßen-Jever, anichließenb an das Ergebniß der Prä- 
parandenprüfung, ein Referat über die nächften Mittel zur Hebung 
unfrer Volksſchule. Referent verlangte beftimmt ausgearbeitete Lehr⸗ 
pläne für die einzelnen Unterrichtöfächer in ber einklaffigen Schule 
ſowohl, ala befonderö in ber mehrklaſſigen; ftrenge Controle des Schul- 
beſuchs; flatt der verfchiedenen Kreisfchulinipeltoren (Jahresbericht 
Bd. 26), die bei ihren Bifitationen einen verſchiedenen Mafftab an= 
legen, einen alademifch gebildeten Schulinfpektor für alle Schulen des 
Landes, der auch Mitglied des Oberfchullollegiums jein müſſe; Staats 
eramen für die Lehrer bei ber befinitiven Anftellung, 5 Sabre nach 
Entlafjung aus dem Seminar. Direltor Sander erllärte, daß bie 
Angaben der Zeitungen etwas übertrieben fein möchten, baß aber bie 


Die äußeren Verhältniffe der deutſchen Volksſchule. 635 


Vorbildung ber angemelbeten Präparanden allerdings wenig befriebigt 
babe, und eine einheitliche, planmäßige Ausbildung der Präparanden 
in einer beſonderen Anftalt event. eine Verlängerung des Seminars 
furfus durchaus zu wünſchen fei. 

5. Herbart- Dentmal. Zur feier bed hunbertjährigen 
Geburtstages des Philofophen und Pädagogen Herbart am 4. Mai 
1876 fol demſelben bier in Oldenburg, feiner Geburtäftabt, ein Dent- 
mal errichtet werden. Aus den namhafteſten Schülern und Anhängern 
Herbarts bildete fih ein Komitd, das zu Beiträgen auffordert. In 
Didenburg wurden im Laufe des Winter Vorträge zum Beiten des 
Dentmals gehalten. Eröffnet wurde die Reihe derjelben durch: „Das 
Leben Koh. Friedr. Herbarts”, von Realſchuldirektor Straderjan. 
Dann folgten: „Die Berbienfte Herbart3 um bie Philofophie”, von 
Konfiftorialrath Thilo in Hannover, und „Einige Grundgebanten der 
Herbartichen Pädagogik“, von Konrektor Ballauf in Varel. Straderjans 
Bortrag ift im lebten Ofterprogramm ber Oldenburger Realfchule ver: 
Öffentliht. Ueber Herbart3 Bebeutung für die Pädagogik heißt es in 
bemfelben: „Bon allen praftifchen Wiſſenſchaften ift durch Herbart am 
meilten bie Pädagogik gefördert, welche von den früheren und fpäteren 
Philofophen vergleichämeife nur ftiefmütterlich behanbelt ift, während 
fie theilweiſe fich lieber auf das hohe Pferb der Politik fetten, für 
welche Herbart die Philofophie nur wenig berufen hielt. Herbart 
Nkann in gewiſſem Sinne als Begründer ber wifjenfchaftlichen Pädagogik be: 
zeichnet werben, und barum ift ber Kreis feiner Verehrer gerade unter 
den Pädagogen fo gewachſen, in dem Maße, in welchem unter ihnen 
das Bedürfniß wuchs, einen unfichern bon sens oder eine mehr ober 
minder handwerksmäßige, traditionelle Routine durch fefte, wiſſenſchaft⸗ 
lih begründete Principien zu erleben ober doch zu ergänzen und zu 
ftüben. Was Peftalogzi durch die Praxis und gleichſam durch einen 
genialen Inſtinkt für die Entwidlung ber Pädagogik geleiftet bat, das 
leiftete Herbart durch wiſſenſchaftliche, beſonders auch pſychologiſche 
Begründung, wie ſich denn auch ſeine erſte wiſſenſchaftliche pädagogiſche 
Arbeit unmittelbar an die Vorarbeiten Peſtalozzis in Lienhard und 
Gertrud anlehnte. Auf dieſem Gebiete hat Herbart eine ſolche Be- 
deutung erlangt, daß manche feiner jegigen Anhänger erft durch das 
Studium feiner pädagogifhen Schriften zum Studium der Philofophie 
angereizt wurden.” 

Straderjan citirt in feinem Vortrage eine Aeußerung aus einem 
Briefe von Dr. Fride zu Bamberg: „Jeder Schritt zur weiteren Aus: 
breitung der Pädagogik Herbart3 ift nationaler Gewinn.” ebenfalls 
ift die Errichtung eines Herbart: Denkmals aud ein folder Schritt, bie 
Ausführung befjelben ift zum großen Theile der Thätigleit bes Direktors 
Straderjan in der betreffenden Sache zuzufchreiben. 


Oldenburg. Fiſſen. 


636 Die äußeren Verhältniffe ber deutſchen Volksſchule. 


11. Herzogthum Braunſchweig. 

Der Michaelis 1864 gegründete Braunſchweigiſche Peſtalozzi⸗ 
Verein darf mit Befriedigung auf das erſte Jahrzehnt ſeines Beſtehens 
zurückſehen. Er zählt unter ſeinen Mitgliedern neben 530 Lehrern 
auch 68 Geiſtliche und 46 Perſonen anderer Berufsſtände, fo daß 
noch etwa 100 Lehrer unſers Landes dieſem Liebeswerke fernſtehen. 
Das Kapitalvermögen des Vereins betrug am Schluß des 10. Rech⸗ 
nungsjahres 16895,58 Mark. Bon den ſtatutenmäßig zu Unter- 
flügungen verivandten Sahreseinlünften (*/, bed Gejammtbetrages) 
entfielen 12 M. auf jede Wittwe und jebes Sind; außerdem erhielten 
beſonders bedürftige Wittwen noch Zuſchüſſe, fo daß 3. B. eine Wittwe 
für fih und ihre vier Kinder 90 M. belam. — Das Minimum der 
Beiträge wurbe von 1,5 auf 3 M. erhöht. Mit Anerkennung ſei 
erwähnt, daß die Herzogl. Landesregierung feit einigen Jahren einen 
Beitrag von je 600 M. verwilligt bat. Uebrigens waren im legten 
Rechnungsjahre an Liebesgaben, einfchließlich der Erträge von litera- 
zifchen Unternehmungen des Vereins (Volksſchul⸗Liederbuch von Sölter), 
etwa 300 M. eingegangen. — Der Verein hatte im 1. Jahre feines Bes 
ſtehens 9 Perfonen zu unterftügen, im 10. dagegen 94, nimmt ſich 
auch ber Hinterbliebenen von Lehrern, welche bereitö vor feiner 
Gründung verftorben, nad Kräften an. Möge er ferner gedeihen! 

Die Gehaltsfäge der Volksſchullehrer unferer Nefidenzftabt find 
in erfreulicher Weife erhöht worden, fo baß fie ſich jetzt auf 1200 
bis 2800 M. belaufen; die Inſpektoren beziehen 3000 bi8 3600 M. 

Nachdem ſich in jedem ber 6 Kreiſe unfers Landes Kreis-Lehrer⸗ 
vereine gebildet haben, ift die Gründung eines Landes⸗-Vereins dadurch 
erzielt, daß ber Vorſtand der bisherigen Landes = Lehrerverfammlung 
als Gentralorgan für alle Kreiövereine gilt. Bon zwei Kreisvereinen 
(Helmftebt und Blantenburg) war der Antrag geftellt, daß bie Lehrer⸗ 
Ihaft bes Landes bei dem Herzogl. Ronfiftorio mit der Bitte um Ge⸗ 
haltserhöhung (900 bis 2400 M. und Wohnung, dazu 300 M. für 
Kirchendienſt), um Entbindung ber Lehrer von den niebern Küfter- 
bienften und um Sig und Stimme im Schulvorftande einlommen 
möge. Dieſer Antrag wurde auf der Zandes-Lehrerverfammlung dahin 
erweitert, daß um zeitgemäße Drganifation des gefammten Volksſchul⸗ 
weſens in unſerm Herzogthum petitionirt werben folle. Der Central- 
borftand hat demnach die Grundzüge für dieſe demnächſtige Petition 
zufanmmengeftellt und zur Berathung an bie einzelnen Kreisvereine ges 
langen laſſen. — Wichtig erfcheinen befonders folgende Punkte. Alle 
Bolfafchulen ohne Ausnahme haben Zeichnen, wie Turnen für Knaben 
und Handarbeiten für Mädchen in ihren Lehrplan aufzunehmen. Die 
Schulpflichtigfeit umfaßt 9 volle Jahre, dad 6. bis 14. Lebensjahr 
der Kinder. (Blanfenburg ftimmt dem legten für bie Mäbchen bei, 
fordert dagegen für die Knaben das 7. bie 15. Lebensjahr.) 

Für die Aufnahme in's Seminar ift eine Vorbildung erforderlich, 
welche der Reife für Prima der I. Realfchule oder des Gymnaſiums 








Die äußeren Verhältniſſe ber beutjchen Volksſchule. 637 


entipriht. Kein Lehrer ift verpflichtet (Lanbichulen!), mehr als 
120 Kinder zu unterrichten; für die Ueberzahl bis 140 Kinder ift ihm 
bejondere Vergütung zu gewähren; beträgt bie Schülerzahl dauernd 
mehr als 140, fo ift ein 2., 3. u. f. mw. Lehrer anzuftellen. In feiner 
tirchlichen Stellung foll der Lchrer nur zum Organiſten⸗ und Por: 
fängerdienft, wie zur Bertretung des Predigers (Prebigtlefen und 
Katechismuslehre in der Kirche) verpflichtet fein. Die Gehaltsfäte 
entiprechen dem Helmſtedt⸗Blankenburger Antrage. Umzugsloften follen 
den Lehrern nach gleichen Grundſätzen vergütet werben, wie ben Staats⸗ 
dienern. Die Schulgrunbdftüde, mit Ausnahme ber Gärten, follen den Ges 
meinden überlafjen werben; ber Lehrer Tann gegen ortsüblichen Pacht⸗ 
preis fo viel davon bewirthichaften, wie er beanjprucht. (Diefer Punkt 
findet heftigen Widerſpruch, namentlich in den Kreilen der Landſchul⸗ 
—* Der Lehrer wird ſtimmberechtigtes Mitglied des Schulvor⸗ 
andes. 

Ein eigenes Schulblatt beſitzt unſer Ländchen ſeit ben lebten 
Jahren nicht mehr, und alle Bemühungen verſchiedener Lehrer, ein 
ſolches wieder in's Leben zu rufen, ſind bis jetzt geſcheitert. Man iſt 
in weitern Kreiſen der Anſicht, für ein derartiges Blatt liege kein 
Bedürfniß vor, da man ja mit der pädagogiſchen Wiſſenſchaft durch 
die größeren Schulzeitungen in Verbindung bleibe, die politiſchen 
Zeitungen aber gern intereſſante Mittheilungen auch aus dem Schul⸗ 
und Lehrerleben bringen. 

Blankenburg am Harz. Sölter. 


12. Das Herzogthum Meiningen. 


Das verfloſſene Jahr iſt für die Volksſchule und den Lehrerſtand 
des Herzogthums Meiningen von außerordentlicher Wichtigkeit geweſen, 
indem unſer Landtag, der ig dieſem Winter verſammelt war, vom 
Minifterio zwei Gefegesporlagen, die fi) auf die Volksſchule bezogen, 
erhielt, die er beratben hat und bie dann von höchſter Stelle beftätigt 
wurden und nun aljo Geſetzeskraft erhalten haben. Es find dieſe beiden 
Schulgefete, ein Dotationsgefet oder wie es amtlich heißt, Gele vom 
21. Februar, betreffend das Dienfteinlommen der Volklsſchullehrer, 
und das Volksſchulgeſetz vom 22. März d. % Mit beiden Geſetzen 
ift ein bedeutender Schritt vorwärts gejchehen, doch wird erft die Aus⸗ 
führung zeigen, ob Alles, was man ſich verſprochen hat, auch wirklich 
erlangt wird; Doch hoffen wir das Beſte! 

Da der Platz bier es nicht erlaubt, beide Gefehe vollitändig zum 
Abdruck zu bringen, jo‘ möge ein gebrängter Auszug aus benjelben 
hier folgen: Das Dotationdgefeb umfaßt 7 Artikel, wovon der erite 
das befignationsmäßige Dienfteinlommen eines definitiv angeftellten 
orbentlichen Volksſchullehrers feſtſtellt. Demnach erhalten in den 
Städten erfter Klaſſe (es find dies 5, die 5000 Einwohner und darüber 
haben) die Schuldireftoren 1900 Mark, die zwei niedrigft bejolbeten 
Lehrer 900 M., die beiden folgenden 1000 M. und alle übrigen 





638 Die äußeren Verhältniffe ber deutſchen Volksſchule. 


1200 M.; in den Stäbten zweiter Klaſſe (e8 find bies 2, welche 
3000—5000 Einwohner haben) die Schulbireltoren 1800 M., ber 
niebrigft befolbete Lehrer 850 M., ein böber bejolbeter 1000 M. und 
bie übrigen 1200 M.; in andern Orten mit 4 und mehr Lehrern erw 
hält der Neltor 1350 M., bat er fiubirt 1400 M., der niebrigft be 
foldete Lehrer erhält 725 M., der folgende 850 M. und bie übrigen 
950 Marl. An den übrigen Orten erhält der Lehrer, wenn nur einer 
da ift unb der Dirt weniger ald 300 Einwohner Hat, 675 M., in 
größern Orten 900 M.; bei Schulen mit zwei Lehrern beträgt das 
Einlommen 675 und 900 M., bei Schulen mit brei Lehrern 675, 
750 und 900 M. Wo durch Lolalverhältnifie es bedingt und bas 
Bebürfnig nachgewiefen wird, Tann bie oberfte Schulbehörde 100 M. 
jährliche Zulage aus der Hülfskaſſe bewilligen. Lehrer, bie zugleich 
Geiftliche find, beziehen in den Städten I. Klaſſe 1600 M., II. Klafle 
1400 M. und III. Klaffe 1100 M., incl. des Einkommens, was fie 
etiva für geiftlihe Funktionen beziehen. — Der zweite Artikel be- 
handelt das Dienfteintommen für den SKirchendienft, welcher befonbers 
bonorirt wirb und zwar erhält ein Lehrer in einem Dorfe unter 300 
Einwohner 100 M. für Kircdenbienft und in größeren Dörfern 
175 M. Menn die Kirchenbienfte getrennt find, jo erhält der Kantor 
in den Stäbten I. und II. Klafle 200 M., an den übrigen Orten 
100 M., der Organiſt 150 M. und 75 M. — Artikel 3 Handelt 
von den Alterözulagen. Diefe find nad 5jähriger Dienftzeit 70 M., 
nah 10jähriger Dienftzeit 100 M., nah Adjährigen Dienftzeit 
150 M., nad 20jähriger Dienftzeit 200 M. und nad 30jähriger 
Dienftzeit 300 M. Zu biefen Alterözulagen haben die Ge 
meinden 70 M. beizutragen, das Uebrige wird aus ber Staatslafſe 
abgewährt. Die proviſoriſch angeftellten Rektoren und akademiſch 
gebildeten ordentlichen Lehrer der Vollsfchule erhalten 200 M. weniger 
als die definitiv angeftellten. Die Mbrigen proviſoriſch angeftellten 
ordentlicden Lehrer baben in den Städten I. und II. Klafle 700 M. 
und auf dem Lande 600 M. zu befommen. An Naturalbezügen bat 
ein Rektor ober Schulbireltor zu beziehen: 600 Kilogramm Korn, 
12 Raummeter hartes oder 17 Raummeter gemifchtes oder 20 Raums» 
meter weiches Holz, wie e8 der Stamm giebt, die übrigen Lehrer er⸗ 
halten 500 Kilogramm Korn, 10 Raummeter harted ober 12,5 Raum- 
meter gemifchtes ober 15 Raummeter weiches Hol. Dieſe Naturalien 
find zu einem fehr niebrigen Normalpreife in die Befoldungsbefignation 
aufgenommen und müflen dem Lehrer entweder in Natura koſtenfrei 
geliefert oder nad dem Marfipreife in Gelb vergütet werben. Diefe 
ſehr humane Beitimmung über Naturalien, die für alle Staatödiener 
gilt, fchügt die Beamten gegen die Schwankungen bed Marktes und 
gewährt in tbeuren Zeiten eine nicht unerhebliche Theuerungäzulage. 
Sind mit einer LTehrerftelle mehr als die oben angegebenen Naturalien 
verbunden, fo find diefe nach 5jährigem Durchſchnittspreiſe bei ber 
Beloldung mit in Anſchlag gebradt. Ebenfo werden Accibenzen nad 
Sjährigem Durchſchnitt berechnet und Grunditüde, wie Garten, Wiefen, 





Die äußeren Verhältniffe ber deutſchen Volfsichule 639 


Selber, werben nad) bem Pachtwerth oder nad) dem durch die Steuer- 
veranlagung ermittelten Reinertrag in Anſatz gebradit. 

Alle Lehrer, mit Ausnahme der in den Stäbten I. und II. Klaſſe, 
haben eine Dienftwohnung zu beanſpruchen, bie auf dem Lande und 
in ben Stäbten II. Klafje mit 21/,—5°), in Anſchlag gebracht wird; 
in ben Städten I. und II. Klafie dagegen mit 5—10%,. Die 
Wohnungen müſſen Wohnungs- und Wirthſchaftsräume enthalten und 
über die Erforberniffe einer folden follen Vorfchriften auf dem Ber- 
waltungswege ertheilt werden. In den Städten 'I. und II. Klaſſe 
Tann aud ben Lehrern bie Beihaffung ihrer Bewohnung jelbit über- 
laflen werden. Diefe baben dann eine Miethsentſchädigung von 
10—15%, zu beanfpruden. Dies find die wichtigften Beftimmungen 
bed Dotationdgejeged für die Volksſchullehrer bes Herzogthums 
Meiningen. Es ift nicht zu verkennen, daß es einen bedeutenden 
Schritt vorwärts enthält. Dies gilt befonbers bon dem Eintommen 
ber Landlehrer. Eine Nebeneinanberftellung wird es zeigen; früher 
bezog ein Landlehrer 400 fl. —= 685°, M., jetzt, wenn er bie höchſte 
Alterszulage erreicht, beträgt fein Eintommen inclufive der Remune⸗ 
ration für Kirchenbienft 1375 M., aljo das Doppelte; in Stäbten 
dagegen war früher das höchfte Einfommen 550 fl. — 942%, M. 
und 120 M. Alterözulagen, jett beträgt daſſelbe einfchlieglich ber 
höchften Alterözulage 1500 M. Hier werden wohl bie Behörden in 
den großen Städten, wollen fie tüchtige Lehrer haben und erhalten, 
noch ein Webriges thun und nochmals in ben Beutel greifen müflen 
und bie Wlterözulagen verboppeln. Nah unjerm Dotationsgeſetze 
ftehen bie Beſoldungen, etiva die in den großen Städten auögenommen, 
denen der Übrigen thüringiichen Staaten nicht nad. Möchte in Folge 
befjelben fich ein tüchtiger Lehrerſtand herausbilden. Doch ver Menſch 
lebt nicht von Brod allein, jehen wir nun, ob auch die übrigen Ver— 
hältnifje fo find, daß fie dem Lehrerftand günftig genannt werben 
lönnen. Dies wird uns eine Betrachtung des Volksſchulgeſetzes zeigen. 
Che ich jedoch dies kurz charakterifire, mag noch eine Dotationsffala 
bier angereiht werben, die auch die Volksſchule nahe berührt, nämlich 
die des Seminare, Es wurden durch den lebten Landtag auch bie 
Staatsdienergehalte um 20°), erhöht, wodurch für das Seminar folgende 
Scala entftanden ift: Der Direltor 3600 M., der erfte Lehrer 2400 M., 
der zweite Lehrer 2140 M., der britte Lehrer 2050 M., der vierte 
und fünfte Lehrer je 1800 M., ber fechste Lehrer 1500 M., ber 
proviforifche Hilfslehrer für die Taubftummenfchule 1000 M., der 
Hilfglehrer für Geſchichte und Bibellefen 700 M. (11 St. wöchentlich), 
ber Zeichenlehrer (er ift gemeinschaftlich für Gymnafium und Seminar 
und bat in erfterem 6, in letterem 4 St. Beichenunterridht zu er- 
theilen) 1542 M. (900 fl.). Bergleicht man die Gehaltsſcala * der 
der preußiſchen und ſächſiſchen Seminare, ſo ſteht ſie gegen dieſe noch 
bedeutend zurück. Daſſelbe ergiebt ſich, wenn man ſie mit der der 
andern höhern Schulanſtalten unſeres Landes vergleicht; dies iſt jedoch 
ſchon immer der Fall geweſen und dies Verhältniß durch die letzte 


640 Die äußeren Verhältniffe der beutjchen Volksſchule. 


Gebaltsaufbefjerung nicht geändert worden. Mit der Beit wird ſich 
gewiß auch dies noch anders und beſſer geftalten; durch bie under 
bältnigmäßig hohe Honorirung des vor Kurzem erft angeftellten Zeichen: 
lehrers, eines bloßen Technilerd, haben die hohen Behörden zu er 
kennen gegeben, daß bier Abhilfe geichafft werben foll, denn es kann 
doch wohl ein Hilfslehrer nicht höher befoldet werben als bie wirk⸗ 
lichen Lehrer, die alle mehr ala 25 Sabre im Amte find und Die 
außer ihrer Stundenzahl, die fie zu halten haben, und bie bei feinem 
unter 20 ift, noch einen bebeutenden Theil ihrer Zeit durch Präpa- 
sationen und Korrelturen zu vermenben haben, bie Arbeiten ungerechnet, 
die das Internat mit fi bringt. Man bat häufig und an ver- 
ſchiedenen Drten feine Verwunderung darüber ausgefprochen, daß das 
Seminarlollegium fo ſtark beſetzt fei und bat gemeint, es könne bei 
drei Klaſſen die Urbeitslaft eines jeden einzelnen Lehrers unmöglich fehr 
groß fein. Hierauf diene Folgendes zur Antwort: Der 2. und 4. 
Seminarlehrer find Muſiklehrer und hierdurch volllommen beichäftigt, 
der 3. ift Lehrer der Taubftummenfchule und ber 6. ber Lehrer der 
Seminarfchule, es bleiben alfo für den wiſſenſchaftlichen Unterricht in 
ben Seminarllafien nur der Direltor, der 1. und 5. Seminarlebrer 
und ein Hülfälehrer übrig; jedoch ift der 5. Seminarlehrer noch Hülfs⸗ 
lehrer in der Taubftummenjchule und dort in 8 St. wöchentlich befchäftigt. 

Bedeutender und umfangreicher, als das Dotationsgefeg ift das Volks⸗ 
fhulgefeg vom 22. März 1875. Es zerfällt in 6 Abfchnitte, denen 
noch einige Webergangäbeftimmungen angereibt find und hat 96 Artikel. 
Wir wollen den wejentlichen inhalt deflelben bier kurz angeben und 
da, wo es fich und aufbrängt, einige Bemerfungen anreiben. Der 1. Ub- 
ichnitt handelt von der Aufgabe der Volksſchule, von den Arten und 
der Einrichtung derfelben. Es wird bier die Aufgabe ver Volksſchule 
aufgeftellt, die Arten derſelben aufgezählt und dann befonders bie 
Rektoratsſchulen beiprochen; das find foldye, welche 4 und mehr Klaſſen 
haben. Dann werden bie Unterrichtögegenitände namhaft gemacht, 
wobei das Turnen ala nothwendiger Unterrichtägegenftand für Knaben 
in allen Schulen genannt, der Unterricht in den weiblichen Hand- 
arbeiten dagegen für Mädchen nicht ald durdaus nothwendig bezeichnet 
wird. Hierauf werden Beftimmungen über Unterrichtdertheilung, Schul- 
zucht, Lehrplan und Stundenplan gegeben und dann bie Fehrgegen- 
ftänbe der erweiterten Volksſchule genannt. Hier Tann aud der Unter: 
riht in einer fremden Sprache aufgenommen werden. Wird die 
Schule von Kindern verjchiedener Religionöbelenntniffe befucht, jo fann 
ein nach dem Religionsbelenntnig verfchiedener mehrfacher Religions 
unterricht an berfelben angeorbnet werden. Die Zahl ber Unterrichts- 
ftunden find 32, mwirb Unterricht in fremden Sprachen ertheilt, fo 
fann diefe Zahl der Unterrichtäftunden bis auf 36 erhöht merden. 
Die Unterrichtözeit ift die gewöhnliche, wenn jedoch Finder aus ent- 
fernt liegenden Orten bie Schule bejuchen, fo fann der ganze Unter» 
richt des Tages auf den Vormittag verlegt werben, ed muß dann 
jedoch zwifchen 2 und 2 Stunden eine Pauſe von 20—30 Min. ein- 





Die äußeren Verhältniſſe der beutjchen Volksichule 641 


treten. Die Ferien bürfen die Zeit von 60 Werkeltagen nicht über: 
fchreiten und follen auf die Feſt- und Erntezeiten nach Bebürfnik 
vertheilt werden. Die Zahl der Schulkinder in einer Klaſſe fol 60 
nicht überfteigen und einem Lehrer follen in getrennten Abtheilungen 
nie mehr als 120 Kinder zugewiefen werben. Bei ben Beftimmungen 
über das Schulhaus, Einrichtung deſſelben, Schulftube, Heizung 
berfelben, Schulgeräthe und Erhaltung der Schulgebäude ift feftgeftellt, 
daß bei Neubauten auf jebes Kind ein Flächenraum von 0,8 [Meter 
zu nehmen iſt. 

Der zweite Abjchnitt Handelt von der Errichtung und Erhaltung 
der Volksſchule und von der Koftenbeftreitung derfelben. Die Volfg- 
ſchule tft die gemeinfchaftlicde Ortsſchule. Das Schulvermögen ift ein 
Theil des Gemeindevermögens und wird als ſolches verwaltet. Mehrere 
Gemeinden können fi) zu einem Schulverbande vereinigen. Die bis⸗ 
herigen Beiträge aus dem Kirchenvermögen zu den Schullaften fallen weg. 
Dagegen ift von den bisherigen jährlichen Beiträgen das Zehnfache aus 
dem Kirchenvermögen an die Gemeinde abzugewähren. Eine Religions 
gemeinde kann neben ber Drtsfchule eine eigene Volksſchule unterhalten, 
jedoch auf eigene Koften. Die Gemeinden können Schulgeld erheben, 
jedoch darf dies höchſtens betragen in größeren Städten 6 M., in den 
kleinern 4 M. und auf dem Lande 2,50 M. Befuchen mehrere Kinder 
einer Familie die Schule, fo ermäßigt ih das Schulgeld. Für Kinder 
armer Eltern kann ed ganz oder theilweiſe exrlafien werden. Sind die 
Gemeinden zu arm, um bie Koften zur Erhaltung der Schule zu be= 
ftreiten, fo tritt Staatshülfe ein. Hierauf folgen noch Beltimmungen 
über die Erhaltung gemeinfchaftlicder Schulen, dann über die Zuläflig- 
keit der Vereinigung mehrerer Gemeinden zu einer Schulgemeinde, über 
Einſchulung und Ausfchulung. 

Der dritte Abjchnitt handelt von der Schulpflichtigfeit und dem 
Schulbeſuch. Die Dauer der Schulpflichtigfeit währt vom 6.—14. 
Jahre. Das Kind ift der Schule feines Wohnortes zugewiefen, doch 
Tönnen bier auch Ausnahmen ftattfinden. Kinder einer andern Kon» 
feifion gehören zunächſt ihren Konfeffionsfchulen an. Fehlt diefe 
jedoch, jo müſſen fie bis zum 12. Sabre mindeſtens die Ortöfchule 
bejuchen. Ungeredtfertigte Schulverfäumnifie follen mit 20 Pf. bis 
1 M. für jede verfäumte Schule beftraft werben. 

Der vierte Abfchnitt handelt von den Volksſchullehrern. Es 
giebt ordentliche ober Hauptlehrer und außerordentliche oder Fachlehrer; 
die Anftelung Tann fein ftändig (definitiv) oder widerruflich (proviſoriſch) 
Die Leitung der Schulen von vier und mehr Klaſſen haben die Rektoren. 
Diefe führen in den Städten I und II. Klafje das Dienitprädifat 
Sculdireltoren. Die Ausbildung der Lehrer geihiehbt auf dem 
Seminar. Eine Seminarorbnung fol fpäter veröffentlicht werben. 
Der Anftellung im Lehramte haben folgende Prüfungen vorauszugehen: 
a) die erfte oder Kandidatenprüfung. Diefe gefchieht von dem Lehrer: 
Tollegium des Seminars unter dem Vorſitze des von ber Oberſchul⸗ 
behörde beftellten Kommiſſars. Durch daB Beſtehen dieſer Prüfung 

Bad. Jahresbericht. XXVIL 41 


642° Die äußeren Verbältniffe ber deutſchen Volksſchule. 


erwirbt fih der Examinand des Zeugniß ber Reife, die Aufnahme 
unter die Schulamtskandidaten und die Befähigung zur probiforifchen 
Anftelung im Lehramte. b) Die zweite oder Lehrerprüfung, melde 
früheftend 2 Jahre, fpäteflens 4 Jahre nach ber erften erfolgen fol, 
geſchieht von einer befonderen Kommilfion, melde von der Oberſchul⸗ 
bebörbe ernannt wird. Bis jeht bat fie beftanden aus dem Herzogl. 
Kommiſſarius, dem Seminarbireftor und den beiden erften Seminars 
Iehrern. Diefe Prüfung gewährt die Anwartihaft auf die definitive 
Anftelung an einer Volksſchule. c) Das Rektoratsexamen wird von 
einer bon ber Überjchulbehörbe beitimmten Rommiffion abgehalten. 
Diefe Prüfung fol ermitteln, ob der Examinand neben einer 
allgemein wiſſenſchaftlichen und päbagogifchen Bildung auch die für 
einzelne Unterrichtöfächer, die zur Ertheilung eines über bie einfache 
Volksſchule hinausgehenden Unterricht? erforderliche Befähigung und 
bie zur Ertbeilung des Elementarunterricht3 in ber lateinischen und 
franzöfifchen oder englifchen Sprache erforberlihen Kenntniſſe befitt. 
Die Kandidaten für ein Rektorat in den Städten I. und IL Klaſſe 
baben ein 3jähriged akademiſches Studium nachzuweiſen. Diefen Be— 
flimmungen über dad Rektoratsexamen möchte man noch einige andere 
binzumwünfchen, 3. B.: e8 Tann fich Keiner zum Rektoratsexamen melden, 
der nicht minbeftend 10 Jahre praftiih an der Volksſchule gearbeitet 
bat. Bei der Melbung bat er ein Zeugniß des Kreisfchulinfpeltors 
einzureichen, welches ſich ausführlid auszuſprechen bat über ben 
Standpunkt feiner Schule, über feine Befähigung zur Ertheilung eines 
entwickelnden geiftbilbenden Unterrichts, über das Verhältniß zu feinen 
Schulkindern und zu feiner Gemeinde, über feine wiſſenſchaftliche Fort⸗ 
bildung, feine fittlihe Haltung und darüber, ob von ihm zu erwarten 
ift, daß er eine mehrllaffige Schule päbagogifch richtig zu leiten und 
einem Lebrerfollegio auf die rechte Art vorzuftehen vermöge. Fällt 
biefes Zeugnig günftig aus, jo Tann das fchriftliche ober mündliche 
Examen ganz oder theilmeife erlaffen werden. Die Prüfung in fremden 
Spraden, welde für die Volksſchule direft gar feine Bedeutung haben, 
ſollte den ſeminariſtiſch gebildeten Lehrern fo lange erlafien bleiben, bis 
im Seminare die fremden Sprachen getrieben würden. Aelteren be- 
währten Volksſchullehrern follte diefe Prüfung ganz und gar erlaflen 
werden, wenn fie fich fonit für ein Rektorat eignen. 

Doch Tebren wir zu unferem Gefete zurüd. Die folgenden Artikel 
handeln davon, unter welchen Bedingungen aud andere Individuen, 
die dad Seminar nicht beſucht haben, unter die Zahl der Schulamts- 
Tanbidaten aufgenommen erden können, dann von ben Pflichten der 
Schulamtskandidaten, von der Anſtellung der Volksſchullehrer, von ber 
Befoldung berfelben, von den Beloldungsbefignationen, wie fie einzu= 
richten und von wem fie auszuftellen find, und von ben Obliegenbeiten 
und Verpflichtungen der Volksſchullehrer. Sie find bis zu 32 St. 
wöchentlich, einjchließlih der Turnſtunden, zu ertheilen, verpflichtet. 
Außerdem haben fie fich der Uebernahme des Orgelipiele, der Leitung 
des Chorbienftes, der Abhaltung des Lefegotteödienftes und bergl. zu 





Die äußeren Verhältniſſe ber deutſchen Volksſchule. 643 


unterziehen. Niebere Sirchenbienfte können ihnen jedoch nicht zu⸗ 
gemuthet werden. Für bie bei Abtwejenheit eines Geiftlichen herbei- 
geführte außerordentliche Vermehrung derartiger Arbeiten, welche über 
6 Wochen andauern, bat der Lehrer eine Vergütung bis zu 200 M. 
zu beanſpruchen. Hierauf folgen Beltimmungen über Nebenverbienft 
des Lehrers, über Urlaub, Verheirathung, über Mißbrauch der Straf: 
gemalt, über ven freimilligen Austritt aus dem Schulbienfte und über 
die Verſetzung in den Rubeftand und über ben Ruhegehalt. Die Be: 
ftimmungen über den Ruhegehalt find dem Penſionsgeſetze für die 
Staatsdiener nachgebildet. Die wichtigſten Beftimmungen befjelben 
find: Wirb ein Lehrer ohne fein Berfchulden dienftuntauglich, fo er- 
hält er, wenn er noch nicht volle 10 Jahre feit feiner befinitiven An⸗ 
ftelung im Amte ift, 60%, feines Dienfteinfommend und die ihm ge: 
jeglich zulommende Alterszulage als Ruhegehalt. Nach zurüdgelegtem 
zehnten Dienftjahre fteigt daſſelbe jährlih um 12/, %,, bis zum vollen 
Betrage feines ‘Dienfteinfommend, mozu dann noch die gejetliche 
Ulterszulage kommt. Diefer Ruhegehalt wird aus der Penſionskaſſe 
beftritten, zu der die Schul- und Kultusgemeinden des Herzogthums 
bi3 auf Weiteres 31/, 9%, des defignationgmäßigen Dienfteinfommens 
der an ihren Volksſchulen angeftellten orbentlichen Lehrer beizuftenern 
haben, mogegen ber übrige Bedarf aus der Staatskaſſe ergänzt wird, 
Die Dienitwohnung haben penfionirte Lehrer zu räumen, proviſoriſch 
angeftellte Lehrer haben fein Recht auf Penſionsgeſuch. Lehrer, welche 
das 50. Dienftjahr oder das 70. Lebensjahr zurüdgelegt haben, können 
ihre Berfegung in den Ruheſtand mit der höchften Alterszulage fordern. 
Lehrer, die dag 65. Lebensjahr oder das 45. Dienftjahr zurückgelegt 
haben, können auch wider ihren Willen von der Ortsſchulbehörde in 
den Ruheſtand gejegt werden. Sie haben dann die Penfion zu fordern, 
die ihnen nach der Zahl ihrer Dienftjahre zufommt. ‘Der Ruhegehalt 
geht verloren, wenn der Lehrer fich eines ſchweren Vergehens jchuldig 
macht ober ohne Erlaubniß in einen andern Dienft tritt. Wird ein 
Lehrer zur Dispofition geftellt, was hervorgerufen werden kann durch 
längere Krankheit, bie aber auf eine Wiedergenefung hoffen läßt, oder 
was auch verurfacht werben kann durch neue organische Schuleinrich- 
tungen, jo erhält der Lehrer *, feines Gehaltes und der ihm zu= 
fommenben Alterszulage als Wartegeld. Dies Tann verloren gehen 
in denfelben Fällen, in welchen die Penfion verloren geht, außerdem 
noch, wenn der auf Wartegeld Geftellte fich meigert, Aufträge ber 
Oberfchulbehörbe, die feiner Stellung entjpredhen und dem Rehrerberufe 
nicht fremd liegen, zu vollziehen, oder in den aktiven Schuldienft wieder 
einzutreten, wenn die Befoldung nicht niedriger ift als feine frühere. 
Proviſoriſch angeftellte Lehrer haben feinen Anipruh auf Wartegelb. 
Iſt ein Lehrer länger ala 31Monate unverfchuldeter Weife verhindert 
fein Amt zu verwalten, fo Tann ihm ein Vikar gejegt werden, zu 
deſſen Remuneration der Lehrer mit dem Fünftel feiner Bejoldung 
herangezogen werben Tann; den übrigen Theil gewährt zur Hälfte 
die Schulgemeinde, zur Hälfte die Penſionskaſſe. Die Wittme eines 
4” 


644 Die äußeren Verhältniſſe ber deutſchen Volksſchule. 


definitiv angeftellten Lehrers hat bad Einfommen ihres Mannes bis 
zum Ende des Sterbemonatd und dann noch 3 volle Monate zu 
bezieben (Gnadenzeit). Hinterläßt ber Lehrer Feine Wittwe, aber 
Kinder, bie bei feinem Ableben noch in feinem Brode geftanden, fo 
gebt auf diefe die Gnadenzeit über. 

Für die Lehrerwiltiven bes Landes befteht eine Lehrerwittwen⸗ 
kaſſe. Jeder Lehrer, deflen Gehalt unter 1075 Darf beträgt, bat zu 
berfelben einen jährlichen Beitrag von 6 Mark zu zahlen, wofür bie 
Wittwe 120 Dart Benfion erhält. Bei einem Gehalte über 1075 Marf 
bat der Lehrer jährlich 9 Mark zu zahlen, wogegen die Wittwe 180 Marf 
Penſion erhält. Die Gemeinden haben zur Wittiwenpenfionäfafje !/, %/, von 
jedem Lehrergehalt zu zahlen, welcher Beitrag, wenn ed erforberlich ift, bis 
auf 1 %/, gefteigert werben Tann. Gegen Lehrer, welche ihre Dienftpflidht 
verjäumen, ober fonft ein dienſtwidriges Berbalten fich zu Schulden kommen 
laſſen, Tann ein Disciplinarverfahren eintreten. Daſſelbe beftebt in einer 
amtlichen Bermabhnung und dann in einem disciplinarifchen Verweiſe, womit 
die Androhung der Amtsenthebung verbunden ift. Die Dienftentlafjung 
geichieht von der Oberfchulbehörde auf Bericht bes Kreisfchulamtes, 
worauf dem Lehrer Berufung an dag Staatöminifterium offen ſteht. 
Die Entlaffung folgt in allen Fällen immer dann, in welden nad 
$ 33 des Neichäftrafgefegbuches Verurtheilung wegen entehrender Ver⸗ 
brechen eintritt. Lehrer, welche wegen Disciplinar-Bergeben entlaffen 
find, können, wenn es die Oberfchulbebörde für zuläffig hält, wieder 
angeftelt werben. Lehrer, welche in gerichtliche Unterſuchung gezogen 
werden, find während ber ‘Dauer berfelben vom Schuldienft zu ent⸗ 
heben. Außerorbentliche Lehrer für einzelne Unterrichtäzweige (Fach: 
lehrer) haben ihre moralifhe und technifche Befähigung bei der Ober- 
fchulbehörde nachzuweiſen. Pfarramtslandidaten können als Religions- 
lehrer an Volksſchulen ohne dieſen Nachweis beichäftigt werden. Lehre⸗ 
rinnen für weibliche Arbeiten werben wie Fachlehrer angeltellt. Lebre- 
rinnen, die anderen Unterricht ertbeilen wollen, müflen ihre Befähigung 
durch eine Prüfung bei der Oberſchulbehörde nachgewiejen haben. 

Der fünfte Abſchnitt behandelt die Verwaltung und Beauf: 
fihtigung der Volksſchule. Man unterjcheidet drei Schulbehörben, Die 
Drtöfchulbehörde, die Kreisichulbehörde und die Oberfchulbehörbe, welche 
ein Theil des Miniſteriums if. An der Spitze bes Ortsſchulweſens 
ſteht der Schulvorftand. Dies ift die unterfte Schulbehörbe. Er be- 
ſteht in Städten I. und II. Klaſſe aus dem erften Bürgermeifter, als 
Borligendem, aus dem Schulbireltor und aus drei Gemeinbemitgliebern, 
welche auf drei Jahre vom Gemeinberath gewählt werden. In den 
übrigen Schulgemeinden aus dem Bürgermeilter ober Ortsvorſteher 
als Vorfigendem, aus dem Rektor ober dem erften Lehrer oder einzigen 
Lehrer der Drtsfchule, aus drei Gemeindemitgliedern, welche vom Ge⸗ 
meinderathe ober der vollen Gemeinde auf brei Jahre gewählt werben. 
Der Schulvorftand hat die Aufficht über die Ortsſchule, ſoweit nicht 
biefelbe an mebrllaffigen Schulen dem Reltor ober Schulbireltor zu- 
fommt. Seinem Wirkungskreiſe find unterftellt: a) Die Benuffichtigung 





Die äußeren Verhaͤltniſſe ber beutfchen Volksſchule. 645 


des bienftlihen und außerbienftlichen Verhaltens bes Lehrers, b) die Ver- 
mittelung von Streitigkeiten zwiſchen den Lehrern unter ſich oder 
zioifchen den Lehrern und Eltern von Sculfindern, c) die Aufficht 
über das Schulgebäude und die Grunbftüde, das Schulinventar, die 
Sorge für die orbnungsmäßige Ausftattung der Schullofale und die 
Vorhaltung, der nöthigen Lehrmittel, d) die Ueberwachung und bie 
Vollziehung der gefeglichen Beftimmungen über die Verbindlichkeit zum 
Schulbeſuch und überhaupt die Sorge, daß die gefehlihen Beitimmungen 
und Anordnungen der Schulbehörben in Betreff des Schulweſens 
pünktlich befolgt werden, e) die Theilnahme an der Einführung neu= 
angeftellter Lehrer, an Schulprüfungen und Sculfeierlichfeiten, f) die 
Zulaffung nit in der Schulgerheinde mohnender Kinder zum Schul⸗ 
befuche, g) die Verfügung über die im Gemeindebaushalte für die 
Schule etatifirten Mittel innerhalb feiner durch das Geſetz vorgefchriebenen 
Kompetenz. Die Aufficht über den KReligionsunterricht übt der Orts- 
geiftliche oder ber Geiftliche der Kultusgemeinde, nach deren Bekenntniß 
der Religionsunterricht ertheilt wird. Der Schulvorftand wählt aus 
feiner Mitte den DOrtöfchulauffeher auf je drei Jahre. Derfelbe hat 
den Lehrer bei Ausübung feined Berufes zu unterftühen, durch öfteren 
Beſuch der Schule von deren Stande Kenntniß zu nehmen und den 
Lehrer auf etwa borgefallene Mängel aufmerlfam zu machen. Be 
ſchwerden gegen den Lehrer find zunächſt bei dem Ortsfchulauffeher 
anzubringen, iwelcher diejelben, wenn er fie nicht zu erledigen vermag, 
dem Schulvorftande vorzulegen hat. 

Diefe legten Beftimmungen find fo ſchwer und wichtig, daß es 
wohl gerechtfertigt erfcheint, wenn man noch einige Augenblide bei 
denjelben vermeilt. 

Ob die Stellung, welche man bier den beiden Anftalten, Kirche 
und Schule, angemwiejen bat, die richtige fei, wird ſich aus einer ruhi⸗ 
gen Betrachtung über die Zwecke und Ziele berjelben ergeben. Der 
Zweck der Kirche ift die Erwedung und Bewahrung des Glaubens, 
die Hegung bed Dogma und die Pflege bes Kultus. Der Zweck der 
Schule ift Unterriht und Erziehung, d. 5. naturgemäße Entwickelung 
aller Geifted: und Körperfräfte des jungen Menſchen, alfo Wiſſen und 
Können. Diefe Zwecke gehen weit auseinander und man kann von 
einem Geiftlichen als folchen nicht verlangen, daß er die Schule leiten 
und beaufficätigen fol. Außer dieſen Zmeden haben beide Anftalten 
aber gemeinfam einen ethiichen, nämlich den, die Sittlichleit und Sitte 
im Volke zu begen und zu kräftigen. Um biefem hoben, wichtigen 
Zweck nachzukommen und denfelben nad Möglichkeit zu erreichen, ift 
ed vor allen Dingen auf dem Lande notbivendig, daß Kirche und 
Säule, Geiftlihe und Lehrer, Hand in Hand gehen. Es muß des⸗ 
halb, wenn auch das jegige Verhältnig zwilchen beiden nicht mehr be 
fteben kann, dennoch eine Verbindung bleiben. Wir denken und dag 
Berhältniß auf dem Lande fo: Der Geiftlidhe ift als folcher Mitglied 
des Schulvorftanbes, ebenfo follte auch ber Lehrer Mitglied des Kirchen» 
vorftandes fein. Der erftere ift auch zu gleicher Zeit, weil ex wohl 


646 Die äußeren Verhältniffe der deutſchen Volksſchule. 


in den meiften Fällen bes Einzige fein wird, der ſich bazu eignet, ber 
Schulvorfteher, bat aber als folder nur die äußeren Angelegenbeiten 
der Schule zu leiten. Die jogenannten Interna, wie Unterriht, Me— 
tbode, Disciplin, Lehrgang ze. ift Sache des Streisfchulinfpeltors. Der 
Schulvorfteher hat bei Beſchwerden über den Lehrer ſich nie direft an 
den Lehrer felbft, ſondern nur an ben Kreisſchulinſpektor zu menden. 
Die Obliegenheiten eines Ortsſchulvorſtehers, die oben angeführt find, kann 
fein Geiftlicher, wenn er nicht Schulmann ift, erfüllen noch viel weniger 
ein Nichtgeiftlicher, der doch ebenfalls nad unferem Schulgefete zum 
Schulvorfteher gewählt werben könnte. Wenn man den Bildungsgrad 
, unferer gewöhnlichen Ortsfchulzen oder eines fonftigen Dorfbewohners 
genauer fennt, jo ift es nicht zu begreifen, wie es möglich fein fol, daß 
diefe Leute den Lehrer bei der Ausübung feines Berufes unterflügen, durch 
Öfteren Befuch der Schule von deren Stande Kenntnig nehmen und 
den Lehrer auf etwa vorgefundene Mängel aufmerkſam machen follen. 
Das Beſte würde dann immer fein, wenn dergleichen Schulauffeber 
fih nicht um die Schule befümmerten. Das MWünfchenswertbeite würbe 
immer, wie die Saden einmal liegen, das fein, daß der Geiftlicdhe 
Ortsſchulaufſeher werde, jedoch feine Thätigleit nur auf die fogenannte 
Externa befchränft, 

Gehen wir nun in der Skizzirung unferes Schulgejetes weiter. 
Die nächſt höhere Behörde in Schulfachen ift das Kreisichulamt, wel⸗ 
ches vom Landrath und Kreisfchulinfpeltor gebildet wird. Das, was 
zur Zuftändigfeit des Kreisfchulamtes gehört, find größtentheild Ver⸗ 
waltungsfadhen und ohne befondere Wichtigkeit, weshalb wir bie ein⸗ 
zelnen Punkte hiermit übergeben wollen. Die mit dem Seminar ver⸗ 
bundene Uebungsſchule fteht unter Leitung und Auffit bes Seminar- 
direltors. In den Städten erfter und zweiter Klaſſe beftebt ein Stabt- 
ſchulamt, welches von dem erften Bürgermeifter und dem Kreisichul- 
inspeltor gebildet wird. Dem Kreisſchulinſpektor liegt die Beauffich- 
tigung der im Kreife befindlichen Volksſchulen, der Privatinftitute, der 
Kleinfinder- und Fortbildungsjchulen ob. Er bat die neu angeftellten 
Lehrer einzuführen, die Stundenpläne zu prüfen und feftguftellen, bie 
Einführung der nöthigen Lehrbücher und Lehrapparate zu überwachen 
und die einftweilige Verwaltung einer erlebigten Schulftelle anzuorbnen. 
Außerdem hat er die Schule fleißig zu rebibiren und es ift genau vor⸗ 
geichrieben, worauf er hierbei zu achten bat. Aus dem allen geht 
hervor, daß nur em tüchtiger Schulmann diefe Aufgabe zu löſen im 
Stande ift und bloße Theologen, Oymnafial- oder Realjchullehrer wohl 
ſchwerlich den geftellten Anforderungen entfprechen möchten. Die Ober- 
aufficht über den Religionsunterricht führt der Ephorus. Das Kreid- 
und GStadt-Schulamt hat jährlich einen Bericht über den Zuftand ber 
Schulen an die Oberſchulbehörde einzureichen. Der Kreis⸗-Schulinſpek⸗ 
tor leitet die Sonferenzen ber Lehrer feines Kreifes; berfelbe wird mit 
Genehmigung des Landesherrn von der Oberſchulbehörde ernannt und 
aus der Staatälaffe befolbet. 


Die äußeren Berhältniffe der deutſchen Volksſchule. 647 


Die Dberfchulbehörbe bed Herzogthums ift bie Minifterialabthei- 
- Tung für Kirchen: und Schulſachen; fie Bat die das Volksſchulweſen 
betreffenden Geſetze vorzubereiten. Ferner fteht unter ihr die Einrichtung 
und Beauffichtigung des Seminars, von ihr gehen aus die Ernennung 
ber Kreisſchulinſpektoren, fie hat das Bejegungsrecht zu manchen Schul- 
ftelen und die Beitätigung aller; ferner bat fie die vorgefchriebenen 
Prüfungen zu leiten und anzuorbnen. Das Referat für Schulfachen 
in ber Oberjchulbehörbe hat der Schulrath. 

Der fechite Abfchnitt enthält Beftimmungen über Kleinkinderfchulen, 
Fortbildungsſchulen, Mittelſchulen, Rettungshäufer und über den Privat- 
unterricht. Zur Errichtung einer Kleinkinderſchule bedarf es der Ge- 
nehmigung de3 Sculvorftandes. Der Unterriht fol Hauptfächlich 
Anfchauungsunterricht fein. Jede Schulgemeinde ſoll wenigſtens eine 
Fortbildungsſchule befigen, der Unterricht in derjelben foll mindeſtens 
in 2 wöcentlihen Stunden ertheilt werben und es find zur Theilnahme 
an bemfelben alle Knaben 2 Jahre lang nad ihrer Entlafjung aus 
ber Volksſchule verpflichtet. Auch für Mädchen können ebenfalls Yort- 
bildungsfchulen errichtet werden. Die Lehrer haben für ihren Unter- 
richt in berfelben ein entjprechendes Honorar zu beanſpruchen. — Auch 
Mittelfchulen können errichtet werden. Dieſelben follen fi mit Yen 
unteren Klaffen an den Lehrplan der Volksſchule anjchließen, in ihren 
oberen Klaſſen aber weitergehende Bildungsbedürfnifje verfolgen, ohne 
die Ziele der höheren Schulanftalten (Gymnafien, Realichulen) zu er- 
reihen. — Privatunterrichtsanftalten ftehen unter Oberaufficht des 
Staates. Diefem Gefete, welches mit dem 1. Juni 1875 in Kraft 
getreten ift, find noch einige Webergangäbeftimmungen angehängt. 
Nach diefen bleiben bis zur Einfebung der neuen Schulbehörbe bie 
bisherigen in Wirkſamkeit. Bis auf Weiteres ift es der Herzoglichen 
Staatöregierung unbenommen, ſowohl die Kreisfchulinfpeltoren auf 
Zeit anzuftelen, als auch nach Befinden in einzelnen Kreifen mehr 
Inſpeltoren auf Zeit zu ernennen und anftatt fefter Gehalte Remune⸗ 
rationen und die fonjtigen Nebenvergütungen auszuſetzen. 

Es ift nicht zu verkennen, baß durch diefe beiden Geſetze, wovon 
beſonders das lettere dem königlich jächfifchen und meimarifchen ſehr 
ähnlich, ein bedeutender Yortfchritt im Schulweſen unferes Herzogthums 
angebahnt if. Mit Anerfennung find zu erwähnen die Beitimmungen 
über die Penftonirungen bdienftuntauglich gewordener Lehrer und über 
die Verſorgung der Wittwen und Lehrerwaiſen. Bebenflih finb die 
Beftimmungen über die Befugniffe des Ortsſchulvorſtandes und des 
Schulvorſtehers auf dem Lande. Es ift mehr als bebenflih, wenn 
diefen das Recht eingeräumt wird, in das innere Schulleben einzu= 
greifen, wogegen berjelbe dem Schulweſen ſehr nütlich fein Tann, wenn 
er feine Thätigleit auf dag Aeußere der Schule beſchränkt. Soll über- 
haupt das Gejeß wirken, was man bavon erwartet, jo wird faft Alles 
auf die Perfönlichkeiten anlommen, denen man die Ausführung an- 
vertraut. Die wichtigfte von dieſen ift offenbar ber Kreisſchulinſpektor, 
deſſen Anftellung jedoch, nach den Uebergangsbeftimmungen zu jchließen, 


648 Die äußeren Berhältniffe ber deutſchen Volksſchule. 


in der nächſten Beit wohl noch nicht zu erwarten if. Die Befugnifle des⸗ 
felben find fo ungeheuer wichtig und in das innere Schulleben eingreifent, 
daß fie nur von einem tbeoretifch- praftiihen Schulmanne ausgeübt 
werben können. Nothwendig ift, daß er ein warmes Herz für feine 
Lehrer befitt und daß ihr geiftiges und Förperliches Wohl ihm Herzens: 
fadhe if. Er muß ein Freund und Beratber ber tüchtigen Lehrer, 
ein Anreger der lauen, und fertigen und vor allen Dingen ein Führer 
der jüngeren fein, die bei ber fo ſehr frühen Anftellung in ber jegigen 
Beit eined Leiterd und Berathers nicht entbehren können. Beſonders 
fei ex diefen, die eben erft in das Amt eingetreten find und oft ein= 
fam auf dem Lande wohnen, ein warmer, bäterlicher Freund bei ben 
mannichfaltigen Verſuchungen, denen dieſe fih nur zu oft ausgeſetzt 
ſehen. Möge es unferem Lande zum Gebeiben der Schulen und bes 
Lehrerftandes an tüchtigen Schulinfpeltoren nicht fehlen! Ueber bie 
weitere Entwidelung unferes Schulweſens werde ich in den folgenden Bes 
richten Gelegenheit haben, mich auszufprechen. 

Ueber fonftige Schulverhältniffe unferes Herzogthums ift diesmal 
wenig zu fagen. Nur noch einige Nachrichten über das Seminar und 
die Lehrerprüfungen. Im vorigen Herbft unterzogen fih 21 bisher 
proviſoriſch angeftellte Lehrer der zweiten Prüfung und erhielten fänmt= 
lih die Berechtigung für die definitive Anftelung im Lehrfache. Im 
Laufe des Winters wurden 10 Böglinge der I. Klaffe des Seminars 
aus der Anftalt mit Erlafiung des Abiturienteneramend entnommen 
und ihnen Schulftellen übertragen. Die übrigen 11 unterzogen ſich 
Dftern dem Abiturienteneramen und wurden ſämmtlich mit dem Beug- 
niß ber Reife entlafien. Zur Aufnahme in das Seminar hatten fidh 
36 junge Leute gemeldet, von denen 28 in bie TII. Klafje aufgenommen 
wurden, fo daß ber Kurfus 1875 begann in der I. Klafie mit 22 
Zöglingen, in der II. Klaſſe mit 28, in der III. Klaſſe mit 29, aljo 
zufammen mit 79 Zöglingen. Die Taubftummenjchule, bie mit dem 
Seminar verbunden ift und melde von circa 30 Schülern befudht 
wird. bat jeit Dftern wegen Kränklichkeit des Hauptlehrers einen ftän= 
digen Hülfglehrer erhalten. Die beabfidhtigte Einrichtung einer 4. Se— 
minarflaffe ift bis jett noch verfchoben worden. Das Lehrerinnen= 
Seminar in Meiningen hat die Berechtigung erhalten, daß bie von ber 
Herzogl. Kommiſſion ausgeftellten Zeugnifle der Reife für die Schüle⸗ 
rinnen dieſer Anftalt auch für das königlich preußiſche Staatsgebiet ala 
gültig anerfannt werden. Die Yortbildungsfhulen haben im legten 
Sabre weniger Fortjchritte gemacht, was ohne Zweifel darin feinen 
Grund hat, daß man erft abwarten wollte, bis die neuen Schulgeſetze 
ind Leben getreten; diefe werden gewiß auch biefem Theile des Volks— 
ſchulweſens Anftoß zur Fortentwidelung geben. 

Hildburghaufen. Heine. 





Die äußeren Verhältniffe ber deutſchen Volfsichule. 649 


13. Sadfjen-Altenburg. 


Auf die im legten Berichte mitgetheilte Petition, die Gehalts» 
und Penfionsverhältniffe der Lehrer, ſowie bie Schulgefehgebung be— 
treffend, ift bis jett von Seiten ber Herzogl. Regierung dem Bor: 
ftande des Landeslehrervereins noch Feine offictelle Mittheilung zuge⸗ 
gangen, doch follen, fiherem Vernehmen nad, der in nädhfter Zeit 
einzuberufenden Landſchaft auf durchgreifende Berbefierungen bezügliche 
Borfchläge gemacht werben. 

Erfreulih iſt es, daß ſich in verſchiedenen Orten des Landes das 
Beſtreben, die Lehrergehälter zu verbeſſern, kund giebt; am meiſten na⸗ 
türlich da, wo es gelungen iſt, die Gemeinden für die Schulen zu 
intereſſiren und wo wohlwollende Perſonen an der Spitze der Ge— 
meindeverwaltung ſtehen. Der Fortſchritt, der in den letzten fünf 
Jahren gemacht worden iſt, kann als ziemlich bedeutend bezeichnet wer⸗ 
den. An verſchiedenen Orten ſind bereits ſehr freundliche Geſinnungen 
der Schule und ihrer Lehrer gegenüber zu Tage getreten. So hat 
die Rittergutsbefitzerin von Löbichau, Herzogin von Curland, den 
Lehrern ihrer Parochieen, Stechau und Beerwalde, zum letzten Weib- 
nachtsfeſte je 150 Mark ald Geſchenk überreichen laſſen und eine gleiche 
Summe auch den ärmeren Kindern ihrer Schulen gewährt. Ferner 
hat die Gemeinde Wildenbörten bei Schmölln vor furzer Zeit erft 
ihrem Lehrer freiwillig 150 Mark aus Gemeindemitteln zugelegt. 

Trotz folder Erjcheinungen und trotz der Gebaltsaufbeflerungen 
ift in unferm Lande der Lehrermangel doch immer noch recht fühlbar, 
und der Umftand, daß noch verfchiedene Schulftellen fchon längere 
Zeit vacant find, weift darauf hin, daß aud im Altenburger Lande 
den Lehrern noch fo Manches zu wünſchen übrig bleibt. — 

Die Reorganijation bes Yandesfeminard zu Altenburg ift Michaelis 
1874 ins Leben getreten und findet den Beifall der Fachgenoffen, da 
die fünf auffteigenden: Klaffen mit höheren Zielen in den verſchie⸗ 
denen Unterrichtöfächern Gewähr für eine gute Lehrerbildung geben. 

Um eine größere Einheit bezüglich der Lehrpläne, menigftens in 
den Landſchulen des Herzogthums, die meiftens zwei Klaflen haben, zu 
erzielen, bat e8 der Borftand des Landeslehrervereind unternommen, 
einen Normallehrplan aufzuftellen, und hat zu diefem Behufe jeden ein- 
zelnen Zmeigverein erſucht, über eine beftimmte Schuldigciplin einen 
Lehrplan auf Grund der zeitherigen Erfahrungen auszuarbeiten und 
an den unterzeichneten Vorſitzenden einzuräichen. Das eingegangene 
Material wird dann dem ermählten Referenten, Seminardireltor Runf- 
wit in Altenburg, als Unterlage zur Ausarbeitung des beabfidhtigten 
Normalplanes dienen, der in feinen Orundzügen der nächſten, ben 4. 
und 5. Auguft in Schmölln tagenden Landes-Lehrerverfammlung zur 
weiteren Berathung vorgelegt werben ol. 

Bezüglich der Reorganifation von Vollsſchulen fei erwähnt, bag 
eine foldhe zu Michaelis d. J. in Ronneburg in Ausficht fteht. Die 
SHerzogl. Regierung bat im Verein mit ber Landfchaft dieſelbe durch 








650 Die Äußeren Verhältniſſe ber deutſchen Volksſchule. 


die Bewilligung eines jährlichen Zufchuffes von 3000 Mark ermöglicht. 
Aus der fechöllaffigen Knabenbürgerfchule geftaltet fi) nad) dem Plane 
eine fiebenllaffige, deren Schüler in Zukunft in wöchentlich 16, 20, 
24, 25, 26, 28, 30 Stunden unterrichtet werben follen. Außerdem 
haben aber folche Kinder, deren Eltern benfelben eine Gymnafials oder 
Realſchulbildung zu Theil werben lafien und fie in den Jahren, wo 
fie ihrer Pflege und Wachſamkeit noch am meiften bebürfen, nicht aus 
dem Haufe geben wollen, Gelegenheit, von der vierten Klaſſe an, fich 
die zum Eintritt in eine Tertia jener Schulen nöthigen Kenntniſſe, 
namentlih auch im Lateiniichen und Frangöfifchen, zu erwerben. Bus 
glei fol aber auch durch Erhöhung ber biäherigen Ziele in den übrigen 
Unterrichtöbisciplinen der Segen einer, das fpätere Fortkommen im 
bürgerlihen Leben fürbernden, gründlicheren und umfafjenderen Schul- 
bildung allen Einwohnern zugänglich gemacht werben. 

Was Lehrmittel betrifft, jo kann conftatirt werben, baf einige 
Räbtiihe Schulen des Herzogthums mit foldyen ziemlich) genügend, 
einige, wie die zu Ronneburg, fogar reichlich ausgeftattet find; im All⸗ 
gemeinen fehlt ed aber immer noch und namentli auf dem Lande an 
bem Nöthigften. Eine von Zeit zu Zeit, hauptfächli zu den jähr- 
lihen Prüfungen veranftaltete Lehrmittelausftellung bat in Ronneburg 
großen Nuten gebradt. Einmal wurde überhaupt das Intereſſe an 
den, den Unterricht fördernden Anſchauungs⸗ und Hülfsmitteln erwedt, 
und dann fühlten fich auch verfchievene Gemeinbeglieber veranlaßt, an 
ihrem Theile mit zur Ergänzung, reſp. Vermehrung diefer oder jener 
Gruppe beizutragen. — Mit den Prüfungen ber Schüler der Fort⸗ 
bildungsſchulen zu Altenburg und Ronneburg bat man in dieſem Jahre 
eine Ausſtellung von Lehrlingsarbeiten verbunden, die den Lebrlingen 
außerordentliche Aniregung gab und für ihre praftifche Ausbildung nicht 
ohne Segen bleiben wird. 

Das Intereſſe an einem Leben und Streben im Ganzen fteigert 
fich unter der Tehrerfchaft des Landes von Jahr zu Jahr, und es bil- 
ven fih mit jedem Jahre neue Zweigvereine, die fih dem Landes⸗ 
lehrerverein ala dienendes Glied anfchließen und ſich mit allgemeinen, 
für die Lehrerfchaft wichtigen Angelegenheiten, wie mit der Beiprechung 
päbagogifcher Zeitfragen beichäftigen. So bat ſich nach gegebener 
Anregung im Weſtkreiſe in der Ephorie Kahla vor einigen Wochen 
wieder ein päbagogifcher Verein gebildet, der 23 Mitgliever- zählt. 

Der achte Jahresbericht über die Bürgerfchulen zu Altenburg ent- 
hält außer den Schulnachrichten von Direktor Doelele eine pädagogiſche 
Arbeit über Schulitrafen von Lehrer Kaifer I-Altenburg. — 

Außerdem ift feit Michaelis vorigen Jahres der von dem Lehrer 
Scheer aus Königshofen zur lebten allgemeinen Landeslehrerverſamm⸗ 
lung in Eifenberg gehaltene Bortrag über: „Sind die Anforderungen 
der Jetztzeit an die Volksſchule bei ihrem bermaligen Stanbpunfte ge= 
rechtfertigt, und mas ift im Bejahungs- oder Berneinungsfalle zu 
thun?“ in Drud erſchienen. (Schöne’fche Buchhandlung in Eifenberg) 

Ronneburg. Rudolph. 











Die Außeren Verhältniſſe der deutſchen Volksſchule. 651 


14. Herzogthum Coburg⸗Gotha. 


Aus allen Theilen des Herzogthums waren im verfloſſenen Jahre 
ſowohl beim Herzogl. Staatsminiſterium, als bei dem Speciallandtage 
Maſſenpetitionen aus den verſchiedenen Bezirken des Landeslehrerver⸗ 
eins eingelaufen. Das planmäßige, gemeinſame Vorgehen fand bei 
der höchſten Behörde freundliches Entgegenkommen und auch die Landes⸗ 
vertretung ſuchte durch Annahme des Kommiſſionsantrages den gerech⸗ 
ten Wünſchen ber Lehrer um Beſoldungserhöhung nach Möglichkeit 
nachzulommen. 15,000 Mark wurden zur Unterftügung ſolcher armer 
Gemeinden ausgeworfen, deren Mittel zur Erhöhung der Lehrerge- 
halte nach Maßgabe der neuen Scala nicht genügen, fernere 6000 
Mark follen zur Unterſtützung folder Lehrer verwendet werben, welche 
wegen Brtlicher Berhältniffe oder unverſchuldeter Bebrängniß einer 
Unterftügung beſonders bebürftig erfchienen. Die Errichtung einer 
Landesſchulkaſſe (Generalſchulkaſſe) wurde nicht feſt befchloffen, ber 
Staatsregierung vielmehr anheimgegeben, die Rätblichleit und Aus- 
führbarfeit einer ſolchen Einrichtung vorerft zu erwägen. Nach der 
vom Landtage angenommenen Schulgefeh-Novelle erhalten die wider⸗ 
ruflich angeftellten Volksfchullehrer auf dem Lande 220 Thlr., in den 
Städten Gotha, Ohrdruf und Waltershaufen 250 Thlr. jährl. Beſol⸗ 
dung. Die Bezüge ber definitiv angeftellten Lehrer betragen: a) an 
Landſchulen mit 40 oder weniger Schülern 230 Thlr. bis zum 5. 
Dienftjiahre, nad je 5 Dienftjahren um meitere 30 Thlr., Maximum 
nach 21 Dienitjahren: 350 Thle.; b) an Lanbfchulen, mit mehr als 
40 Schülern: 260 Thlr. bi8 zum Ende des fünften Tienftjahres; bie 
Duinquennalgulage beträgt pro Jahr 40 Thlr., das Marimum nad 
21 Dienftjahren 420 Thlr.; c) an den ſtädtiſchen Schulen bis zum 
5. Dienftjahre 350 Thlr., mit Steigerung in fünfjährigen Zeiträumen 
um 50 Thlr.; Marimum nad 21 Dienftjahren: 550 Thlr. Die durch⸗ 
fchnittlihe Erhöhung beträgt demnach in Gruppe I: 12°/,, in Gruppe 
II: 14%,, in ©ruppe II: 13%. Die Direltoren ber 3 größten 
Städte dürfen nicht unter 650 Thlr. Anfangsgehalt beziehen. Die 
Beſoldungserhöhungen follen mit Ablauf des Rechnungsjahres ein» 
treten. — An Stelle des nad Halberftabt berufenen Seminardirel- 
tors Kehr übernahm der Pfarrer und Bezirksichulinfpeltor Alwin 
Zeyß zu Mehlis, der früher bereitd als Lehrer am Seminare thätig 
var, die Leitung der gothiſchen Lehrerbildungsanftalt. 

Der Landeslehrerverein feierte am 16. und 17. September auf 
feiner Hauptverfammlung das Jubiläum feines 25jährigen Beſtehens 
durch Feſtrede des Vorfigenden, Lehrer Krellmann in Gotha, Fefteflen, 
Nachmittagsausflug nad dem Berggarten und großes Concert. Auch 
die ernite Arbeit wurde bei der Feſtfreude nicht vergefien. Vorträge 
hielten u. A. Cantor Reinharbt-Gropfahnern „Ueber Erziehung zum 
Gehorſam“, Lehrer Heyn-Gamſtedt „Ueber die Stylübungen in ber 
Vollsſchule.“ 


652 Die äußeren Verhältniffe ber beutfchen Volksſchule. 


15. Herzogthum Anhalt-Deilau. 


Dem. längern Bericht zum Jahr 53 füge ich diesmal Yolgendes 
zu: Da auch im lektverflofienen Jahre auf manchen Dörfern und in 
einigen Städten neue Klaffen eingerichtet, und jo die Halbtags- 
Säulen nah und nad befeitigt wurden — im Etat wurde für dies 
Jahr die Summe von 271,294 Mark zu Schulneubauten und Haupt 
reparaturen ausgeſetzt — und eine auffallende Sterblichkeit, bez. Kränk⸗ 
lichfeit unter den jungen Lehrern nicht aufgehört hat, fo wurden wieder 
neue Lehrkräfte nöthig, fo dag bei dem Zuftrömen zum Seminar: 
aufnabmeeramen und der Ueberfülung unfrer Seminare — die 
Neuorganifation zu einem Landesſeminar läßt lange auf 
fih warten — ein Lehrermangel flatt bat, der nur zum Theil durch 
preußifchen Zuzug gededt worben. Auf den Seminaren — zu Bern 
burg und Cöthen — find in Summa 90 Seminariften und 36 Prä- 
paranden. Entlaffen werben jährlich ungefähr 20, aufgenommen etwa 
ebenfoviel. Bei der Aufnahme in den zmwetjährigen Vorkurſus wird 
eine gute Volksſchulbildung vorausgefegt. Set wird in den Lehrer⸗ 
bildungsanftalten auch Franzöſiſch und Latein gegeben. Der 
Unterricht ıft fafultativ, und dürfen die Zöglinge entweder nur die 
eine oder die andere Sprache mitnehmen. Das Staatseramen 
der Schulamtäfandidaten — 11/, Jahr nad dem Abiturienteneramen 
— findet nun auch im Bernburgifhen ftatt. Die eingetretenen 
preußiſchen Kollegen — in den lebten 2 Jahren einige 30 — 
wurden biöher ohne Examen, allein auf Grund ihrer Beugnifle ange: 
ſtellt. Es find meift tüchtige Leute, und unfre Verhältniffe fcheinen 
ihnen zu gefallen. Die Lage des Lehrers ift ja auch im Allgemeinen 
eine erfreuliche zu nennen. Wie allen Staatsbeamten, fo wurde auf 
ben Lehrern — die Volksſchullehrer rangirten bei der Gelegenheit 
freilih unter den SKanzliften und Regiftratoren — eine Theue- 
rungäzulage, die aber leiver nicht bei der Penftonirung angerech⸗ 
net wird, im Sahresbetrage von 100-300 M. zu Theil. Privat- 
ftunden und nicht mit dem Lehramt zufammenhängende Nebenämter 
find jedoch trotzdem nicht don vielen Lehrern zu umgeben, und wird 
diefe Mebenarbeit namentlich den Kollegen an den niederen Belle- 
ſchulen recht brüdend, die zu 32 Schulftunden verpflichtet find. 

Unfer Schulmefen ift jebt der Regierung unterftellt, und das 
Konſiſtorium — die frühere vorgefete Behörde — bat nun nur noch 
die firchlichen Angelegenheiten zu leiten, während bie Lokal⸗ und Kreis- 
Ihulaufficht auf dem Lande burch bie betreffenden Drtögeiftlichen fort- 
beftebt. Das vor etwa 4 Jahren an den Bürgerjchulen organifirte 
Tünfllafienfuftem fcheint ein wenig ins Schwanken zu fommen. Unſere 
Serien betragen an böbern und an Bürgerjhulen in Summa 10, 
an niedern Volksſchulen 12 Wochen, bie fih fo vertbeiln: 1, W. 
Pfingften, */; W. einzelne Feſt- und Gedenktage, 6 W. Sommerferien 
(je nad den Sanbwirtbichaftlichen Verhältnifien, 3. B. 11/, W. Rüben⸗ 
verziehferien, 21/, W. Ernteferien, 2 W. Kartoffel» oder Michaelis⸗ 








Die äußeren Verhältniſſe ber deutſchen Volksſchule. 653 


ferien), 1 W. Marktferien, 2 W. Weihnachts- und ebenſoviel Dfter- 
ferien. Die weiblichen Handarbeiten werden in untern Schulen 
endlich auch wie andere Fächer angeſehen, d. h. man befolgt eine 
rationelle Methode (Schallenfeldt?), ſucht nicht mehr an Examentagen 
mit allerlei Knippereien und Stickereien zu prunken und fängt an, 
bie Rinder hauptſächlich im Striden, Nähen, Flicken unb Stopfen zu 
unterweiſen. 

Zum Schluß geſtatte ich mir, eines in dieſem Jahre Entſchlafenen, 
des Seminarmuſiklehrers Kindſcher, Erwähnung zu thun. Derſelbe, 
ein edler und ſehr intelligenter Mann, ein treuer Lehrer und uner- 
müblicher Schaffer, bat ſich durch feine Kompofitionen — Wär’ft bu 
doch bei ung geblieben, Yrüh’ morgens, wenn die Hähne kraͤh'n, Deuticher 
Männer Feltgefang, Hurrah Germania, Mien Chriftian, Friedrikus 
Rex — und dur feine Aufſätze über Mufil, wie durch feine wahr: 
heitsvollen, unumwundenen Kritiken — fiehe bie Nieberrheinifche Mufil- 
zeitung und die Euterpe — auch in weitern Streifen einen Namen ge- 
macht, und made ich deshalb auf die bezüglichen Nekrologe verſchie⸗ 
dener Beitfchriften, wie . 3. der Euterpe, aufmerkſam. Kindſcher war 
geboren am 16. Dftober 1800 zu Deflau und ftarb am 7. Februar 
1875 zu Wörlitz. Sein Lehrer auf dem Konferbatorium zu Leipzig 
war Schicht, der Komponift be3 „Ende bes Gerechten”. 

Cöthen. Pforte. 


16. Fürſtenthum Neuß j. 8. 


Bon Neujahr 1871 bis Oſtern 1875 betrug bei und bie Mindeſt⸗ 
befoldung eines Vollsſchullehrers außer freier Wohnung ober einer 
Entſchädigung für biefelbe 
auf dem platten Sande . » 2 2 2 2 2 0 2. 200 Thlr., 
in den Marttfleden und Heinen Stätten . . . . 220 „ 
in den Städten Lobenftein und Schle3 . . . .» . 240 „ 
in Gera ee nn. 260 „ 

Die Minbeftbefoldung eines Oberlehrers betrug außer Woh- 
nung oder Wohnungdgeld in den 
Marktfleden und Heinen Stätten . - . 220 Thlr., 
in Lobenſtennnnn... ... 340 „ 
in Schlettzzzz.... 360 „ 
in ba : 2 en en ne 420 „ 

Sn diefe Mindeftbefoldungen waren die Bezüge aus dem mit 
einer Schulitelle verbundenen Kirchendienfte nur inſoweit einzurechnen, 
als deren jährlicher Betrag nach fünfjährigem Durchſchnitte 50 Thlr. 
überftieg. Auf die Sabre 1872, 73 und 74 Wurden 10prozentige 
Theuerungäzulagen gegeben. 

Seit Dftern 1875 aber beträgt, indem bie Theuerungszulagen 
in Wegfall gelommen find, die Minveftbefolbung eines Volksſchullehrers 
außer freier Wohnung ober Wohnungsgelb 


654 Die äußeren Verhältniffe der deutſchen Volksſchule. 


auf dem platten Lande - » > 2 2 2 2 nn. 

in den Markifleden und Heinen Stäbten, ſowie in den 
Ortſchaften Köftrig, Langenwetzendorf und Triebes 850 „ 

in Schleiz, Xobenftein und Untermbaus . . » x... 90 „ 

Sn diefe Mindeftbefoldungen find die Bezüge aus dem mit einer 
Sculftelle verbundenen Kirchendienfte nicht einzurechnen. 

Die Alterszulagen wurden zeither in folgender Weile getvährt: 
Bei tabellofer Führung und befriedigenver Zeiftung im Amte wurben 
nah 5jähriger Dienftzeit 25 Thlr., nad) 1Ojähriger Dienftzeit 50 
Thlr., nach 15jähriger Dienftzeit 75 Thlr., nad 20jähriger Dienftzeit 
100 Thlr. mehr aus der Staatskaſſe gewährt, als die Mindeftbefol- 
dung betrug. 

Seht aber werben als Alterszulagen nad) 5jähriger Dienftzeit 100 
Mark, nach 10jähriger Dienftzeit 200 M., nach 15jähriger Dienftzeit 300 
M., nach 20jähriger Dienftzeit 400 M. gewährt, wobei auch jet die 
Mindeftbefoldung der Ausgangspunkt der Rechnung ift. 

Nach wie vor geht der Anſpruch auf die Alterszulage durch bie 
nicht ausreichend begründete Nichtannahme -einer befiern Stelle info= 
fern verloren, als diefer Anſpruch buch Annahme der lehtern aus⸗ 
geſchloſſen fein würde. 

Die Dienſtzeit iſt nach wie vor von der definitiven Anſtellung an 
zu berechnen. 

Wenn Volksſchulen, an denen mindeſtens 4 Lehrer an ebenſo 
viel Klaſſen thätig find, unter der Leitung bes erſten Lehrers ſtehen, 
fo bat letzterer aus Gemeindemitteln in Schleiz, Lobenftein und Hirſch⸗ 
berg 450 M., in den übrigen Ortſchaften aber 250 M. mehr zu be» 
Lommen ‚als das geſetzliche Mindejteinlommen nebit ver Alterszulage 

eträgt. 

Noch bevor diefe neuen gefetlichen Beflimmungen über die Ge- 
haltsverhältniffe der Vollsfchullehrer vom Staate gegeben wurden, bat 
die Stabt Gera durch Beichluß ihrer Gemeindebehörden ala niebrigftes 
Gehalt ihrer Lehrer 1200 M. feſtgeſetzt. | 

Der Staat zahlt im Ganzen zu den Beſoldungen ber Volksſchul⸗ 
lehrer einen Zuſchuß von 60,000 M. Derjelbe Landtag, melcher bie 
auf die Gehaltöverhältniffe der Volksſchullehrer ſich beziehenben Ge: 
fetesvorlagen der Regierung in jo bantenswerther Weife genehmigte, 
ift auch auf die Negierungsvorlagen, welche die Beloldungen ber Se— 
minarlebrer erhöhten, mit großer Bereitwilligfeit eingegangen. Diefe 
Bejoldungen find feit dem 1. Jan. 1875 folgende: der Direftor be— 
zieht außer freier Wohnung 3300 Mark, der Oberlehrer 2400, ber 
3. Lehrer 2000, der 4. Lehrer 1500, der 5. Lehrer 1200, ber 6. 
Lehrer 1200, ber 7. Lehrer (Dftern 1875 new angeftellt) 1050, der 
Mufillehrer 1200, der Taubftummenlehrer 1500. Der ganze Etat 
für das Seminar und die Taubftummenanftalt betrug zeither mit ben 
Theuerungszulagen 13,420 M.; jetzt beträgt er 18,000 M. Das Lan- 
desfeminar zu Schleiz, feit 1867 das einzige in unferm Staate, be⸗ 
ſteht ſeit dem Jahre 1820. Ziemlich 40 J. lang beitand die Anftalt 


800 M., 








Die äußeren Verhältniffe der deutſchen Volksſchule. 655 


aus einer einzigen Klaſſe; gegen 10 Jahre lang hatte fie 2 Klaſſen; 
1869 bekam fie 3 Klaffen; 1872 wurde eine 4., Oſtern 1875 eine 
5. Klaſſe eingerichtet. Von Dftern 1820 bis Oſtern 1822 hatte bie 
Anftalt 9 Schüler, jeßt bat fie deren 75 (60 aus dem Fürftenthbum 
und 15 Ausländer). Die Afpiranten können gleih nad der KRonfir- 
mation aufgenommen werden. An Kenntniffen und Leiftungen mirb 
bon ihnen nur Dasjenige gefordert, mas jede gute Volksſchule bietet. 
Muſikaliſche Vorbildung ift fehr erwünfcht, ift aber nicht Bedingung 
der Aufnahme. Schüler, deren muſikaliſche Befähigung fi nad einem 
Sabre als unausreichend herausgeftellt bat, Tünnen von dem muſika⸗ 
liſchen Unterrichte theilweife oder ganz freigefprochen werden. Die meiften 
Alpiranten treten unmittelbar von der Landfchule in das Seminar 
ein, doch find fie faft immer nebenbei auch von einem Geiftlichen oder von 
einem Lehrer privatim unterrichtet worden. Nächitvem Tommen bie 
meiften Afpiranten aus ben verichiedenen ftäbtifchen Schulen, z. 2. 
von Hirſchberg, Neuftabt a. D. im Weimarfchen u. f. wm. Bon 35 zu 
Dftern 1875 aufgenommenen Schülern find 16 vom Lande gelommen, 
3 von Hirſchberg, 3 von der Selundarfchule in Neuftabt, 2 bon der 
Bürgerfchule in Schleiz, 5 vom Gymnafium in Schleiz. 

Bon der Thätigfeit des lebten Landtags ift auch noch das zu er- 
mwähnen, daß derielbe 15,900 M. zur Erbauung einer Seminarturn- 
halle bemilligte. Die vollftändige Einrichtung der Halle, die Auffiellung 
der Geräthe in der Halle und auf dem Plate und die Umzäunung 
des Plates werben freilich von den genannten 15,000 M. nicht mit 
beftritten werden Tönnen. Der Plat felber ift vom Fürſten der An: 
ftalt überlaffen worden. Der Bau bat in diefem Sabre (1875) be- 
gonnen. Das Gymnafium, die Bürgerjchule und die „Turnerſchaft“ 
werden an der Benußung der Halle ebenfall3 mit theilnehmen. In 
Gera find zwei Turnhallen vorhanden. Die genannten drei Turn- 
ballen find die einzigen im ganzen Fürftenthum. 

Durch die ſchon erwähnten Bewilligungen ber Gelder für das 
Schulwefen, ſowie auch durch die Bewilligung von 4500 M. zu einem 
Bau am Seminar hat der Landtag bewiefen, daß er nicht minder als 
der Landesherr und das Finanz: Minifterium der Schule die regite 
Theilnahme widmet. 

Diefer Bau am Seminar ift insbeſondere nothwendig gemacht 
worden durch die Erweiterung der Taubftummenanftalt. 

Die Taubftummenanftalt ift im Jahre 1847 durch den damaligen 
Fürften Heinrich LXD. geftiftet worden. Sie war zuerft Internat. 
Shren Sitz Hatte fie zuerft in Oberböhmsborf, dann in Dettersborf 
bei Schleiz. 1859 wurde fie nad Schleiz verlegt, in ein Erxternat 
verwandelt und mit dem Seminar bereinigt. Gleich Anfangs wurden 
diejenigen Gemeinden des damaligen Fürſtenthums Neuß Schleiz, in 
denen notorifch arme taubftumme Kinder fi fanden, zu gewillen Bei- 
trägen für die Anftalt verpflichtet, und jo war denn das genannte 
Fürftentbum der allererfte Staat, welcher burch feine Verordnungen 
die unumſtößliche, aber leider nur erft an wenigen Stellen beachtete 


656 Die äußeren Verhältniffe der deutſchen Volksſchule. 


Wahrheit anerkannte, daß auch das Armfte taubflumme Kind ein Recht 
bat, auf eine menfchenwürbige Weife erzogen und gebildet zu erben. 
Die Taubftummenanftalt in Schleiz extheilt den Unterriht nach ber 
deutſchen Methode und pflegt alio befonders die Lautſprache. Der 
erfte Lehrer derfelben, welcher als der eigentliche Begründer berjelben 
angejeben werden muß, war der Landſchullehrer Johann Georg Meyer, 
ein ehemaliger Schüler des fchleiger Seminars. Derjelbe (penfionirt feit 
dem J. 1868) ift im Nov. des Jahres 1874 zu Heidelberg in Eachfen ge- 
ftorben. Ehre feinem Andenten! Seit Dftern 1874 wirkt an der Anftalt 
ein unmittelbarer Schüler des hochverbienten, im September 1874 ver- 
ftorbenen Taubftummenlehrers Inſpektor HiU in Weißenfeld. Er wird 
unterftüßt don einer größern Anzahl Seminariften ber eriten Klaſſe. 
Für einen zweiten Taubftummenlebrer, der zu Oftern 1876 angeftellt 
werden fol, ift das Gehalt bereit? etat3mäßig feſtgeſetzt. Die gegen- 
wärtige Anzahl der Zöglinge beträgt 22 (14 Knaben und 8 Mäb- 
den). 9 derjelben find aus Neuß j. 2, 5 aus Reuß &. 2. 7 aus 
Schmwargburg-Rubolftadt, 1 aus Schwarzburg-Sonbershaufen, 1 aus 
Preußen. Den Taubftummen, welche nicht dem Fürſtenthume anges 
bören, wird Koft, Pflege und Unterricht für jährlih 120 M. gewährt, 
den andern für 75 M. Mit Schwarzburg-NRubolftadt wird betreffs 
der Benugung der Anftalt in der nächiten Zeit ein fürmlicher Vertrag 
abgeſchloſſen werben. 

Seit 1869 ift mit dem Seminar eine Uebungdfchule verbunden. 
Diefe zählt gegenwärtig in 3 Klaffen 80 Kinder. In den meiften 
Stunden unterridten in der Uebungsſchule Seminariften der erften 
Klaffe nad) Anleitung verjchiedener Lehrer in felbftändiger Weife. Der 
Zurnunterricht ift auch für bie größeren Mädchen der Uebungsſchule 
obligatorifch. 

Seit dem 3. 1873 müffen ſich die aufzunehmenden Seminariften 
ohne Unterfchied, weß Landes fie find, unter Zuftimmung ihrer Väter 
oder Vormünder reverämäßig verpflichten, nad ihrer Ausbildung auf 
dem Seminar 3 Jahre lang ald Lehrer dem Lande zu dienen. Dies 
fchließt aber nicht aus, daß jedes Jahr einige Seminarilten noch vor 
Vollendung ihres Kurfus ausfcheiden, nah Sachfen geben und etwa 
befonders erhaltene Wohlthaten (Gewährung des Schulgelbes sc.) der 
Anftalt ratenmweife zurüderftatten. In Sachfen giebt es für ſolche Leute 
bereitwillige Aufnahme und, zunähft im Bilariat, gutlohnende Verwen⸗ 
dung. Daflelbe ift audy ſchon der Fall geweſen bei Schülern ber 
dritten Seminarklaſſe, ja fogar bet folden Schülern, welche infolge 
ihres ſchlechten Betragens von der Anftalt fortgetsiefen worden waren. 

Bom Jahre 1877 an wird mahrfcheinlich der Lehrerbedarf des 
Fürftentbums durch die alsdann abgehenden Seminariften fo ziemlich 
gebedt werden; aber gegenwärtig berricht auch bei uns ein entſchiede— 
ner Lehrermangel, fo daß man aud auswärtige Schulamtölandibaten 
jehr gern anftellt. Könnte man alle Diejenigen zu einer Anftelung 
im Lande zwingen, welche auf dem fchleizger Seminar gebilbet worden 
find und jest in andern Ländern Lebrämter verwalten: ſo wäre ber 





Die äußeren Berhältniffe der beutfchen Volfsfchule 657 


Bedarf des Landes auf lange hinaus gebedt. Bon ben 141 Lehrern, 
welche im Laufe der Zeit bon Michaelis 1861 — Ende bed Jahres 
1870 Zöglinge des Seminars waren, haben nur 70 ihre erite .öffent- 
liche Anftellung in ber engern Heimath geſucht, 46 aber find fogleich 
in das Ausland gegangen und haben bort Öffentliche Anftellungen ge= 
funden. So erflärt ſich unfer Lehrermangel fehr leiht. Bon Oſtern 
1874 bis Dftern 1875 mußten 8 Seminariften zufammen 34 Monate 
lang Schulftellen verwalten, gewiß nicht zum Segen ber betreffenden 
Schulen, ebenfowvenig zu ihrem eigenen Beten. Es ift aber zu hoffen, 
daß dieſes Vikariren der Seminariften in ber nächſten Seit aufhören 
wird. Wenn das Gefeh ausgeführt würde, nach welchem in ber Regel 
ein Lehrer mehr angeftellt werden muß, jo bald die Zahl der von 
einem Lehrer zu unterrichtenden Kinder nach dem SDurchichnitt ber 
legten 5 Jahre die Zahl 80 überftiegen bat, dann brauchten wir ge= 
genwärtig noch 10—20 Lehrer. 

Mas nun die Unterrichtsfächer der Landſchulen anbelangt, fo ift 
Iobend anzuerlennen, daß unfer Schulgefeh ben Unterricht im Zeichnen, im 
Turnen und in weiblichen Handarbeiten für alle Vollksſchulen vor⸗ 
Schreibt; nur weicht auch hier die Ausführung bes Gefehes von ber 
Vorſchrift des Gejehes ab. 

Die älteren Lehrer Tönnen nicht turnen, unb jo ift denn bas 
Turnen zur Zeit auf vielen Dörfern immer noch eine unbelannte 
Sache. Wo aber die Lehrer das Turnen wenigſtens einigermaßen 
verfteben, da find Turnplätze eingerichtet worden, allerdings an vielen 
Drten erft dann, nachdem die Einrichtung mit Androhung von Gelb- 
firafen mehrmals auf das Strengfte anbefohlen worben war. Meiften- 
theild finden nun auch die Bauern Gefallen an der Sache und halten 
die Sache für ſchön und nützlich. Dagegen können fie den Nuten ber 
weiblichen Arbeiten in ver Schule noch nicht recht einfehen; benn fie 
meinen, dad könnten die Mädchen zu Haufe auch lernen. 

Mas die Verhältniſſe der Stabtichulen anbelangt, fo bürfte 
ed interefiant fein, auf das Schulweſen zu Gera einen Blid zu 


en. 

In dieſer Stadt gibt e3 die Amthor’fche Handelsſchule mit Tauf- 
männifcher Hochſchule, ein fürjtliches Gymnaſium mit Vorklaflen, eine 
ſtädtiſche Realſchule mit Vorklaſſen, eine ftäbtifche höhere Töchterſchule 
mit Vorklaſſen und 3 Bürgerfchulen. Die 3 Bürgerfchulen find aber 
nicht Diftriltsfchulen, ſondern find nad ihren Bielen und aud in Hinz 
ficht des Schulgelds verjchieden. Die 3. Bürgerfchule ift aus der früheren 
Abend- und der Armen: oder Rathsfreiſchule hervorgegangen. Die 
3 unter Einer Direktion ftehenden Bürgerſchulen haben 55 Klafien 
und 47 Lehrer, außerdem auch noch verfchiedene Lehrerinnen. 

Die ftädtifchen Behörden ſchenken ihrem Schulweſen die größte Auf- 
merkſamkeit. Die Realfchule, welche zeither einen Staatszuſchuß von 
7500M. erhielt, bekommt feit dem Jahre 1875 einen Staatszufchuß von 
9800 M. Bei der großartigen Gliederung der ftäbtifchen Schulen 
haben in Sera die Eltern eines fihulpflichtigen Knaben je nach dem 

Bäb. Jahresbericht. XXVIL 42 


& 


658 Die äußeren Berbältniffe ber deutſchen Volksſchule. 


Berufe, dem berfelbe fi einmal wibmen foll, und nach der Groͤße bes 
Geldbeutels, in den fie greifen können, bie Möglichkeit, eine fünffach 
verfchiebene Wahl der Unterrichtsanftalt zu treffen, bezüglich ber Mäb- 
hen ift diefe Möglichkeit vierfach, und fo kann man denn alle ſchul⸗ 
pflichtigen Kinder Taftenartig von ber Berührung mit allen verſchiedenen 
Berührungselementen abjchließen. Diefe Zuftände erregten das Miß⸗ 
fallen vieler; auch mehrere Zehrer nahmen daran Anſtoß. Sie be 
haupteten: Die Ziele der erften und zweiten Bürgerfchule find nur in 
unwefentlihen Punkten verfchieben. Daher flellte der Schriftfteller 
und Landtagsabgeorbnete Wartenburg als Gemeinderathsmitglied den 
Antrag auf Verfchmelzung ber 1. und 2. Bürgerſchule. Der Direltor 
der Bürgerfchulen ſprach fich entfchieden gegen bie Verſchmelzung aus. 
Gemäß der Anordnung bes fürftl. Minifteriums fand nun in den 
Tagen vom 11.—18. März 1875 eine Nevifion der Berner Bürger: 
ſchulen fatt, und. zwar durch den preuß. Provinzialſchulrath Kretſchel 
aus Gafjel. Diefer ſprach ſich gegen die Verſchmelzung aus, indem er 
hervorhob, daß die erfte Bürgerfchule zu Gera der preußifhen Mittel- 
ſchule volllommen zur Seite geftellt merben könne, während die ziveite 
Bürgerfchule die Volksſchule vertrete; bei einer Verſchmelzung der beiden 
Anttalten würbe aber das Ziel der erften Bürgerfchule herabgedrückt 
werden. Im Juni 1875 tft demgemäß der Antrag auf Verſchmelzung 
im Gemeinderath endgiltig abgelehnt worden. Die Gegner dieſes 
Beichlufles hoffen das Ihrige von der Zulunft. 

Yür verwabrlofte Kinder gibt e8 ein Rettungshaus in der Nähe 
von Hohenleuben. Dasfelbe wurde im Sabre 1853 von ber Fürſtin 
Klotilde Neuß Köftrig mit einem Kapital von 2300 Thlr. gegründet. 
Gegenwärtig zahlt der Staat zur Unterhaltung der Anftalt jährlich 
einen Zufhuß von 1365 M. 

Kindergärten gibt e8 in unferem Lande drei, und zwar in Gera. 
Den bis vor kurzem in Schleiz beftehenden hat bie Unternehmerm 
aus Rückſicht auf ihre Geſundheit wieder aufgegeben. Mehrere Familien 
Fer fih aber fehr freuen, wenn eine andere Kindergärtnerin ſich 
ände. 

„inberbewahranftalten gibt es zwei, eine in Gera und eine in 


iz. 

Fortbildungsſchulen für Lehrlinge gibt es in Gera und in Schleiz. 
Die „Gewerbliche Fortbildungsſchule“ in Gera beſteht aus einer zwei⸗ 
Haffigen Abendſchule und aus einer Zeichenſchule. In ber erfteren 
wurde auch Buchführung gelehrt; Direktor Bartels hielt im Sommer 
Vorträge Über Wechſel⸗ und Handelsrecht. Der Befuch dieſer Abend⸗ 
ſchule wie auch ber Zeichenſchule wird als ein fehr erfreulicher bezeichnet. 

Die ebenfalls hieher gehörende Heinrichäftiftung in Schleiz wurde 
zum Andenken an dad Regierungsjubiläum des Fürſten von Schleiz 
Heinrih LXII. (+ 1854) mit Hilfe der ftäbtiihen Behörden und ber 
Mitglieder der „Erholungsgeſellſchaft am ofchiger Wege‘ ſchon im 
Sabre 1843 begründet. Anfangs zwang fie alle Handwerkslehrlinge 
zum Bejuche gewiſſer Unterrichtöftunden. Die jungen Leute kamen 





Die äußeren VBerhältniffe der deutfchen Volksſchule. 659 


aber unregelmäßig und unwillig. Im Sabre 1867 bewirkte e8 daher 
ber Bürgermeifter Alberti, daß ber Beſuch der Anftalt ein freiwilliger 
wurde. Da kommen benn jegt bie Leute nicht mehr unwillig; aber 
der Beſuch ift trogbem weder zahlreich, noch regelmäßig.’ Mit der 
Heinrihsftiftung ift auch ein Kurſus für künftige Bauhandwerker ver- 
bunden, die Baugewerkenſchule, welche ihre Schüler an den Sonntag- 
bormittagen im Zeichnen, in ber Fertigung von Koftenanfchlägen u. |. 
iv. unterrichtet; dieſe Baugewerkenſchule befteht ſchon feit 1834. Vom 
Stante befommt die Heinrichäftiftung einen Zuſchuß von 648 M. 

Die Fortbildungsſchule zu Lobenftein, welche die Lehrlinge im Noth⸗ 
fall fogar mit Gefängniß zum Beſuch der Stunden zwang, ift zu Oftern 
1875 eingegangen. ⸗ 

Unter ber Regierung Heinrich LXTL im Jahre 1844 war im 
Fürſtenthum Schleiz aud eine Sonntagsfhule für die Konfirmirten 
eingerichtet worden. Dieſelbe erſtreckte fih auf die Stabt Tanna und 
die 26 Dörfer, welche damals zum Fürftentbum Schleiz gehörten. Für 
zwei wöchentliche Unterrichtsftunden wurden dem Lehrer jährlih erft 
5, dann 7 Thle. gezahlt. Als aber nah Aufbefjerung aller Stellen 
im ganzen Lande der jüngern Linie diefe Vergütungen nicht mehr ge= 
zahlt wurden, trat bie erwähnte Spezialbeftimmung für das fchleizer 
Land inbetreff der Sonntagsſchule außer Kraft; die Sonntagsſchulen 
hörten auf. Dagegen find feit jener Zeit von ben Lehrern in Stabt 
und Land viele Gejangvereine ins Leben gerufen worden ober werben 
wenigſtens von ihnen geleitet. 

Der Peftalozziverein für das Fürſtenthum Neuß j. 8. wurde am 
15. Nov. 1865 vom jchleizer Lehrerberein geftiftet. 

Unter der trefflichen Leitung feines Vorſitzenden, bes Archidiakonus 
Dr. Paßolt in Schleiz, ift der Verein immer mehr erftarlt. Er bat 
jest ein Vermögen bon Über 1500 Thle. An 5 Witwen Bat er im 
Jahre 1874 20 Thlr. 25 Sgr. ausgezahlt und an 14 Waifen 70 Thlr. 

Schleiz. Broßmann. 


17. Hamburg. 


1. Scähulgefeggebung. Das Geſetz betreffend das Unter: 
richtsweſen vom 11. Nov. 1870 erftredte ſich, abgeſehen von allgemeinen 
Beitimmungen über Schulpflichtigleit, Organilation ber Behörden ꝛc. 
faft ausſchließlich auf die Verhältniffe der Volksſchulen in Stadt und 
Vorſtadt. Seine Ausdehnung auf das Sandgebiet blieb bis auf Weiteres 
vorbehalten, und konnte erſt im Jahre 1874 vorbereitet werben, ba 
die Oberſchulbehörde in ben erften Jahren nad Erlaß bes Unterrichts⸗ 
geſetzes mit Einführung der neuen Drganifationen, welche dasſelbe be- 
gründete, vollauf zu thun hatte. Ein Geſetzentwurf, melden ber 
Senat an bie Bürgerfchaft richtete, beabfichtigt nur für bie Schulen 
in den eigentliden Landgemeinden, ausfchließlih der in 
unmittelbarer Nähe ber Stabt liegenden halbftäbtifchen Vororte, folgende 
Einrichtungen: die Schulen in ben Landgemeinden follen Gemeinbe- 

42* 








660 Die Auferen Verhältniffe ber beutichen Volksichule, 


anftalten fein. Als oberfte Behörde berielben wirb eine befonbere 
Seltion ber Dberfchulbehörbe eingefekt; nur einzelne obrigkeitliche 
Funktionen, das Aeußere der Schule und bie Sontrole bes Schulbeſuchs 
betreffend, bleiben ven als Landherren fungirenden Senatsmitigliebern 
vorbehalten. Jede Schule erhält einen Borftand, den die Gemeinde 
wählt. Der erfte Lehrer der Schule ift Mitglied dieſes 
Borftandes. Die Schule wird auf Grund einer Schulorbnung von 
dem Borflande verwaltet, für welche gewiſſe Rormativbeftimmungen 
geſetzlich feitgeftellt werben follen. Die Lokalſchulinſpektion 
wirb beibehalten; die Ernennung ber Smfpeltoren erfolgt auf 
Vorſchlag der Oberſchulbehörde durch den Senat. Der Inſpeltor kann 
den Situngen bes Schulvorftands mit berathender Stimme beimohnen. 
Schulgebäude und Lehrervohnungen find von ben Gemeinden in Stanb 
zu balten. Die Lehrergehalte zahlt ebenfalls die Gemeinde, doch will 
der Staat die Alterszulagen ganz, bie Penfionen zur 
Hälfte übernehmen. Wahl der Schullehrer und feſt angeftellten 
Lehrer durch bie Gemeindebehörben aus einem durch die Oberſchul⸗ 
behörde zu präfentivenden Wahlaufſatze von brei Perfonen; Wahl ber 
nicht feftangeftellten Hülfslehrer durch den Schulvorſtand vorbehältlich 
ber Beftätigung durch bie Oberfchulbebörde. Penfionirung der 
Lebrer nah dem Geſet für bie ſtädtiſchen Lehrer (nad 
10 —25jähriger Rand 1, nad 25, 30, 40, 50» 
jähriger Amtsdauer %, Ma, sr ls des Gehalts); aus: 
wärtige Amtsbauer Tann für die Penftonirung angerechnet werben. 
Iſt die Semeinbejchule zugleich Kirchenfchule, fo unterliegt fie ebenfalls 
allen Anorbnungen ber Schulbehörben; doch fteht e8 ben Kirchen» 
behörben auch frei ihre Schulen ala Privatanftalten fortzuführen; dann 
muß neben benjelben eine von ber bürgerlichen Gemeinde errichtete 
Schule beiteben. Die Rormativbeflimmungen für die Landgemeinde 
Schulordnungen enthalten Folgendes: Die Zahl der Klafienräume ſoll 
ih nach ber vurchichnittlihen Normalzahl von 60 Schülern 
per Klaſſe richten; doch fol fchon bei 50 Schülern Halbtags- 
chule eintreten. Jedes Schullind foll 2°/, Cubilmeter Raum bei 
31, M. Höhe haben. In vier» und mehrflafifigen Schulen find wenig⸗ 
ftend auf der oberften Stufe die Gefchlechter zu trennen. 

Spielplag mit Turngeräthen, gejonderte Aborte für Knaben und 
Mädchen find vorgefchrieben. Die Lehrerwohnung fol außer Küche 
und den erforberlihen Nebenräumen mindeitend 3 beigbare Bimmer 
haben. Für jeben Hülfslehrer, der im Schulhaufe mohnt, ift ein heiz- 
bares Zimmer mehr zu vechnen. Inventar und Lehrmittel find bon 
der Gemeinde nach Anweiſung ber Schulbehörbe zu beforgen. Die 
Zahl der Lehrer richtet fih nach der Schülerzahl; bei 70 Schülern 
it ein Hülfslehrer anzuftellen; eine breillaffige Schule Tann eine 
Lehrerin für Elementarunterriht und Handarbeit anftellen, bei bier 
Klaſſen ſoll ein zweiter Lehrer feft angeftellt werben. Lehrer und 
Lehrerinnen follen geprüft fein, boch find Ausnahmen zuläffig; für 
bie eriten fünf Sabre kann überall vom Prüfungszwang abgefehen 





Die äußeren Verhältniffe ber deutſchen Voflsichufe. 661 


werben. Das Dienfteinfommen ber Lehrer richtet fih nach folgenden 
Beftimmungen: Der Schullehrer (erfte Lehrer) der Schule Toll außer 
Familienwohnung mit Garten (Y/; Hektar Garten, 1/,, Hektar Marfchland) 
nebft freier Feuerung für Schule und Haus ein Gehalt beziehen, deſſen 
Minimalfak nad den Brtlichen Berhältniffen und der Schülerzahl be= 
trägt: für den Lehrer einer einklaffigen Schule von höchſtens 35 Schülern 
1000—1200 M., bei mehr als 35 Schülern 1200—1500 M.; für 
den Lehrer einer mehrklaſſigen Schule 1500— 2000 M. Feſt angeftellte 
Klafienlehrer erhalten Wohnung und 1000 M., geprüfte Hülfslehrer 
möblirte Wohnung, Belöftigung und 5—800 M., geprüfte Hülfe- 
lehrerinnen 100 DM. weniger; Handarbeitlehrerinnen, bie nur für einzelne 
Stunden thätig find, M. 30 per wöchentliche Unterrichtäftunde.. Alle. 
Scäullehrer und feftangeftellte Lehrer erhalten nad 
dreijährigem Dienft 10 x des Gehalts al8Alterszulage: 
nah dem 6., 9., 12. Dienftjahr foll fich dieſe jährliche 
Zulagejedesmalum fernere 10 x erhöhen. Naturallieferungen 
werden von 5 zu 5 Jahren taxirt. Schulland ift vom Schulborftande 
für Rechnung der Schullafle zu verpachten. Für Beſorgung ber Heizung 
und Reinigung, Anfhaffung von Dinte, Kreide :c. bat der Schullehrer 
gegen Vergütung zu ſorgen. Die Lehrer find mit ihrer ganzen Arbeits- 
kraft der Schule verpflichtet, und bürfen andere amtliche und Privat- 
geichäfte nur mit Genehmigung ber Oberfchulbehörbe übernehmen; in 
der Regel haben die Lehrer bis zu 30, die Lehrerinnen bis. zu 26 
Stunden Unterricht zu ertheilen. Die Schulzucht fol in den Grenzen 
einer ernften elterlichen Bucht bleiben. An mebrllaffigen Schulen bat 
der Schullehrer die Leitung der Anftalt; allmonatli foll er eine 
Konferenz halten, über deren Verhandlungen Protokoll geführt werben 
muß. Die Auswahl der Lehr» und Lernbücher fteht unter bem Ein- 
fluffe der Oberſchulbehörde. Die Schulverfäumniffe find genau zu 
Iontroliren; jedes Bierteljahr ift eine Berfäumnißlifte einzureichen, der 
Schullehrer ertheilt Erlaubniß zum Fehlen bis zu brei Tagen; bis zu 
8 Tagen Tann der Inſpektor die Schulverfäumniß geftatten, längere 
Abweſenheit bedarf der Genehmigung des Senatord. Der Wunſch 
ber&ltern, Schulkinderzu Erwerbszwecken zuverwenden, 
iſt in der Regel als genügender Grund für eine Schul⸗ 
verſſumniß nicht zu betrachten. Der Lektionsplan eh jebeö- 
mal vier Wochen vor dem Beginn bes Semefterd dem Inſpektor ein- 
zureichen und bon biejem ber DOberfchulbehörbe zur Genehmigung vor- 
ulegen. Etwaige Entlafſungsgeſuche der Schullehrer find in der Regel 
rei Monate vor dem Dfter- ober Michaelistermin einzureichen. Gegen: 
fände des Unterricht3 find Religion, Deutiche Sprache, Anſchauungs⸗ 
unterricht, Gefchichte, Erdkunde, Naturlunde, Rechnen, Schreiben, Zeichnen, 
Singen; für Knaben außerdem Raumlehre und Turnen, für Mädchen 
weibliche Handarbeiten. Die Oberſchulbehörde bat für die verſchiedenen 
Gemeindeſchulen je nach der Zahl ihrer Klaſſen einen Normal⸗Lehrplan 
zu entwerfen. Die Ferien follen außer den Sonntagen 48 Tage ber 
tragen. Die Schulpflichtigleit beginnt am erften Schultage im April 





662 Die Auferen Verhältniſſe ber deutſchen Volksſchule 


für alle Kinder, die das ſechſte Lebensjahr vollendet haben; die Ent- 
lafjung derjenigen, welche im Laufe des Schuljahre das fchulpflichtige 
Alter vollendet haben, erfolgt wit Ende März. 

Zur Beit beftehen in ben 39 hamburgiſchen Landgemeinden 52 
Schulen, deren Verhältniſſe viel zu mwünfden übrig lafien, ba die 
Lehrer, befonders die |. g. Hülfslehrer theils fchlecht beſoldet werben, 
und beöbalb vielfach ungenügend gebilbet find; auch fehlt diefen Schulen 
die fahmännifche Inſpektion mit ihrer regelmäßig erneuten päbagogifchen 
Anregung, bie dem Lehrer auf bem Lande fo oft dringend nothwendig 
ift; ferner if das Verhältniß zu den Gemeinbebehörben zur Beit noch 
ganz ohne geſetzliche Baſis und namentlich fehlt vielfad) has A und 
das D allen Erfolg treuer Schularbeit, der regelmäßige Schulbeſuch. 

offentlih wird ber vorftehend ſtizzirte Entwurf binnen kurzer Zeit 
a damit aud bie 6000 Schüler dieſer Bezirke eine beflere Ge 
Vegenbeit zur Aneignung guter Schulbildung erlangen. 

Sn den ſechs Schulbezisten der Stabt Hamburg nebſt Borftabt 
beftanden im April 1874 77 Snabenfchulen, 104 Mäbchenichulen, 63 
gemischte Schulen und 10 fogenannte Kurſe; außerbem 41 Kindergärten 
ober Wartejchulen für die noch nicht fchulpflichtige Jugend. Bon biefen 
Anftalten find brei öffentliche höhere Schulen: Die Gelehrtenſchule bes 
Pr Fr Dftern 1868: 220 Schüler, 1869 232 Schüler, 1870 253 

üler, 1871 277 Schüler, 1872 299 Schüler, 1873 307 Schüler, 
1874 317 Schüler und im März 1875 348 Schüler. Zu Dftern 
1875 hatte bie Anftalt 11 Abiturienten. Das Lehrerfollegium zählte 
außer dem Direltor 14 ord. Lehrer, A Hülfslehrer und 4 techniſche 
Lehrer. Die Realſchule (1. Drbnung) des Johanneums hatte Oftern 
1868 258 Schüler, 1869 279 Schüler, 1870 294 Schüler, 1871 
303 Schüler, 1872 361 Schüler, 1873 432 Schüler, 1874 608 
Schüler, im Winter 1874/75 614 Schüler. Oſtern 1875 machten 
zum erften Mal zwei Abiturienten die Abgangsprüfung. Die Anftalt 
hatte außer dem Direktor 20 ordentliche Lehrer, 6 Borfchullehrer, 
2 Fachlehrer, 1 Hülfslehrer. 

Die höhere Bürgerjchule, erſt Michaelis 1873 eröffnet, ift für 
Schüler bis zum vollendeten 16. Lebensjahr berechnet, lehrt zwei neuere 
Sprachen, fließt das Latein aus. Die Schule fol zu 3 Vorſchul⸗ 
und 10 Bürgerſchulklaſſen entwidelt werben; zur Zeit find in 8 Klaſſen 
230 Schüler; die Anftalt bat außer dem Direltor 8 orbentl. Lehrer, 
2 proviforifche Lehrer, 1 Fachlehrer. Die Zahl der ftäbtifhen Volks⸗ 
ſchulen hat fih im Winterjemefter 1874/75 auf 24 gehoben. Die 
Zahl der Klaffen und Schulen betrug im März 


Knabenfulen . Mädchenfchulen überhaupt 

Klaſſen, Schüler Klaſſen Schülerinnen Klaſſen Schulkinder. 
1871 51 2718 55 2606 106 5324 
1872 63 3191 63 2910 126 6101 
1873 80 3966 73 3569 153 7535 
1874 90 4296 86 3986 176 8282 


18756 103 5197 98 4534 201 9731 





Die äußeren Verhältniffe der beutjchen Volksſchule. 663 


In den Öffentlichen Volksſchulen wird Schulgeld bezahlt, dasſelbe 
richtet ſich nad) dem Einfommen ber Eltern und beträgt, je nachdem 
diefes jährlich über M. 2400, 1800, 1200, 600 oder unter 600 M. 
angegeben wird, per Duartal M. 12, 9, 6, 3 oder gar nichts. “Die 
Schulbücher liefert die Schule den Armen umfonft, ben Bemittelten 
gegen Vergütung. Auf Grund dieſer Beftimmungen zahlten: 


Kein Schulgeld 1871/72 Knaben 2268, Mädchen 1964 


1872/73 = 2312, = 2250 
1873774 = 2306, := 2185 
187475 = 2217, = 2136 


Kein Schulgeld aber Vergütung für Bücher und Schulbenürfnifie 
1871/72 Knaben 379, Mädchen 510 
1872/73 = 538, =. 561 
1873/74 = 578, = 638 
1874/75 a 704, ⸗ 758 


3 M. Schulgeld zahlten 1871/72 Knaben 524, Mädchen 428 
1872 


73 =: 11%, = 753 

1873/74 s 1295, = 1017 

1874/75 = 1864, = 15835 

Höheres Schulgelb zahlten 1871/72 Knaben 20, Mädchen 8 
18723 = 97, . 5 

1873774 = 18, = 151 

187475 = 176, . 90 


Im April 1874 waren in den Volksſchulen 4539 Knaben und 
4013 Mädchen, zufammen 8602 Kinder. Bon den zum 1. April 1874 
Ungemelbeten mußten 335 Knaben und 327 Mädchen vorläufig wegen 
Mangel an Plat zurüdgemwiefen werden. Die 8602 Rinder waren 
auf 185 Klaſſen vertbeilt; in jeber Klaffe durchſchnittlich 46,5 Kinder; 
von Dftern 1874 47,1 Kinder, zu Oftern 1875 48,0 Kinder per Klafle. 
Die Zahl der Lehrer und Lehrerinnen an ben Bollsjchulen betrug 
1874 148 Lehrer, 58 Lehrerinnen; burchichnittliche Stundenzahl ber 
Lehrer. 27, der Lehrerinnen 26. Nachdem eine allgemeine Gehalt- 
erhöhung ftattgefunden, ftellen ſich die Gehalte der Volksſchullehrer jegt 
folgendermaßen: Hauptlehrer, außer freier Wohnung M. 2880 mit 
zweimaliger Alterözulage von 600 M. nah je fünf Jahren; feitan- 
geftellte Lehrer M. 2250 mit 2 ähnlichen Alterözulagen von DM. 300; 
feftangeftellte Lehrerinnen M. 1152, zwei Alterözulagen à M. 120. 
Die nicht feftangeftellten Lehrer erhalten von M. 900 bis 1800, jet 
durchſchnittlich M. 1431 gegen M. 1386 vom vorigen Jahr; die nicht 
feſt angeftellten Lehrerinnen M. 480 bis 900, im Durchſchnitt M. 
734 gegen M. 693 des letzten Berichts. Der Schulbeſuch in ben 
Volksſchulen wird ftrenge kontrolirt; die bis jet erreichte Regelmäßig- 
keit des Unterrichts ergiebt fich aus folgender Notiz über die Schul⸗ 
verjäumniß des Monat März 1874: Don 4143 Knaben, melde bie 
Volksſchulen befuchten, fehlten 2578 niemals, während die übrigen 1565 


664 Die Äußeren Verhältniffe ber deutſchen Volksſchule. 


zufammen 7007 halbe Tage verfäumt haben. Bon ben 4134 Mäbchen 
baben 2245 nie gefehlt, bie übrigen 1889 Mäbdhen verfäumten 10334 
balbe Tage. Berjpätungen kamen bei 750 Knaben und 1135 Mäbchen 
vor. Die laufenden Koften für das Volksſchulweſen betragen nach den 
Boranfchlägen für 1872; M. 312,331, 1873: M. 431,880, 1874: 
M. 537,804, 1875: M. 668,400; für das höhere Schulweſen 1872: 
M. 181,646; 1873: M. 217,060; 1874: M. 276,936; 1875: M. 
846,086. In biefen Summen find bie Aufwendungen für Erbauung 
reſp. Miethbung von Schulgebäuden und Zurnlolalen, fowie bie Unter⸗ 
baltungsloften ber Gebäude und des Mobiliars nicht enthalten. Die 
jeit dem Jahre 1860 bis 1873 für Schulbauten bewilligten Summen 
beitragen M. 2,440,444 für das höhere Schulweſen und M. 2,840,351 
für das Volksſchulweſen. Zur Vergleichung fei bier bemerkt, daß das 
Bubget pro 1875 einen Betrag ber Gefammtausgaben für Staat und 
Stadt Hamburg von M. 24,913,985 veranfchlagt. 

Das Hamburgiſche Lehrerfeminar zählte im Schuljahr 1874/75 
13 Seminariften in der L, 10 Seminariften in ber II. 29 Seminariften 
in ber III. Klafle; zu Dfieen 1875 gingen die 13 Zöglinge der erfien 
Kaffe nah beflandener Prüfung ab. Nah Dftern 1875 Bat Klafle 
19, Klafle II 27, Klaffe III 33 Schüler. Das Lebrerlollegium ber 
Anftalt erlitt im Jahre 1874 bebauerlihe Wanblungen; nachdem Direktor 
Paul auf Dften nah Pr. Friedland üÜbergefiebelt war, kam nad 
einigen Monaten Direltor Matthias, bisher in Wolfenbüttel, an feine 
Stelle; berjelbe trat aber zum großen Bebauern der Lehrer und Zög⸗ 
linge des Seminars, fchon um Weihnacht mieber in feine frühere 
Stellung zurüd. Da auch einer ber beiden eriten Lehrer der Anftalt 
als Seminarbireltor nach Preußen berufen wurde, befand ſich bas 
Seminar in einem ftetigen Propiforium. ine weſentliche Veränderung 
erfuhr im Sabre 1874 die BPräparandenbildbung, indem bie 
bafür proviſoriſch beitebende vierte Seminarllafie eingezogen wurde; 
an deren Stelle traten zwei neue Präparandentlafien, welche ben jungen 
Leuten nur in 18—20 Nachmittags⸗ und Abenbitunden Unterricht 
gewähren, während biefelben am Morgen zur praktiſchen Vorbildung 
einer Volksſchule zugetviefen find; diefe Klafien zählten 1874/75 reſp. 
24 und 19 Böglinge, nad Oſtern 1875 22 und 32 Theilnehmer. 

Bur HeranbildungvonkehrerinnenfürunfereBo!f3- 
ſchulen ift in Ermangelung eines für dieſen Zweck beftimmten Seminars 
ebenfalls durch ſolche Nachmittags und Abendkurſe geforgt; dieſelben 
find auf vier Jahre berechnet und zählen zur Zeit in Klafie I: Teine, 
in Klaſſe II 16, ın Klafie III 33 und in Klafle IV (a und b) 21 und 
26 Schülerinnen. Auch diefe jungen Mäbchen werben praftiich auf 
Schulen verwendet und zwar diejenigen aus SI. II al3 Lehrerinnen, 
biejenigen aus Klaffe III und IV als Helfer und Hospitanten. Als 
Beihülfe zu ben Koften ber Berufsbildung gewährt ber Staat ben 
Präparanden und Präparandbinnen Stipendien von M. 360 bis 300 
p. Ao., den Seminariften gegen breijährige Berpflichtung für den ham⸗ 
burgifchen Schuldienft, jährlich M. 100200, welche jeboch durch vor⸗ 


Die äußeren Verhältniffe ber beutfchen Volksſchule. 665 


bandene Privatflipendien (im Ganzen faft 13,000 M.) für Einzelne, 
insbefondere für geborene Hamburger auf 400 M. fteigen können. 
Das Behbrerinnenfeminar des St. Johanniskloſters 
bat in Folge neuerer Beſchlüſſe feines Curatoriums nur die Ausbildung 
bon Lehrerinnen für höhere Schulen zu feiner Aufgabe gemacht; die An⸗ 
ftalt zählte 34 Seminariflinnen ; zu Oftern 75 ftellten fich 11 Schülerinnen 
der I. Klaſſe und 5 Externe zur Abgangöprüfung; 13 berfelben haben 
die Prüfung beftanden. Mit dem Seminar ıft eine höhere Töchter 
ſchule verbunden, welche 10 Klafienftufen enthält, von denen die fieben 
unteren bereits getrennte Oſter⸗ und Michaeliskurſe befiten. Die Schule 
zählt 453 Schülerinnen. Die Anftalt bat zu Michaelis ein neues 
Seminar und Schulgebäude erhalten, das außer der Wohnung bes 
Direltor3 und einiger Lehrerinnen, 25 Schulllafien, Turnfaal, Beichen- 
ſaal, Lehrſaal für Phyſik und Chemie, Räume für Bibliothek und 
Sammlungen, Aula und 5—6 SKonferenze und L2ehrerzimmer enthält. 
Das Gebäude hat Nieberbrud:Waflerheizung und buch Dampflraft 
beforgte Bentilation. Koften bed Baues ohne Grundwerth M. 530,000. 
Die allgemeine Gewerbefhule ftellt fi die Aufgabe, 
allen Getverbetreibenden bie für ihren Beruf notbiwendige wiſſenſchafi⸗ 
liche und Fünftlerifche Ausbildung zu geben, welde in ber Werfitatt 
nicht erlangt werden Tann. Die Unterrichtözeit fällt auf die Nach⸗ 
mittagsftunden ber Wochentage von 5—9, Mittwochs und Sonnabends 
auch von 1—5 Uhr, Sonntags Morgen? von 8—12 Uhr. Ueber 
die Errichtung ber Anſtalt auf den vorigen Bericht verweiſend, fei bier 
nur bemerkt, daß die Schülerzahl im Sommer 1874 1186, im Winter 
1874/75 1446 betrug, unter denjelben waren refp. 117 und 89 Lehrer. 
Die Taubftummenanftalt befteht feit 1827; Zahl der Zög⸗ 
Iinge 1878: 18 Knaben und 19 Mäbdien. Einnahme der Anfalt 
an. 44,043, wobon M. 24,116 als Legate und Schenkungen; Ausgabe 
. 20,915. 
Die Blindbenanftalt von 1830 zählte 1873: 5 Knaben und 
8 Mädchen; das damit verbundene Blinden-Afyl für erwachſene blinde 
Mädchen, meift frühere Zöglinge der Anftalt, hatte 7 Pfleglinge. Ein- 
nahme 1873 42,690 M., wovon 34,825 M. an Legaten und Ge⸗ 
Schenken, Ausgabe 17,858 M. Die Schuliynobe (f. Bericht v. 1373) 
Hat im verflofienen Jahre Anträge in Betreff der Reorganifation des 
Landſchulweſens beratben und an bie Oberfchulbehörde gelangen Laflen; 
biefelben weichen in einigen Hauptpunlten von dem zu Anfang dieſes 
Berichts mitgetheilten Geſetzentwurf ab. Die in der Synode verfammelten 
Lehrer verwarfen erfilih mit allen übrigen gegen 2 Stimmen die 
Fortbauer der Lolalichulinfpeltion und forderten bafür eine häufige, 
unächſt vierteljährliche Inſpeltion durch den Schulratb;; ferner wünſchten 
7 ein gefeßliches Berbot jeber Störung ber Schule durch den Kon⸗ 
firmationdunterriht, und die f. g. Kinderlehre; auch hielten fie eine 
Erhöhung der Babl der feſt angeftellten Lehrer für erforderlich und 
äußerten binfichtlich ber zu bewilligenden Gehalte weitergehende Wünfche; 
enblid wollten fie die Vefugniß zu Diepenfationen vom Gchulbefudh 





666 Die Äußeren Verhälfniffe der deutſchen Volksſchule. 


ausſchließlich in bie Hand bes Lehrers, bes Schulvorſtands und in 
höchſter Inſtanz des Schulraths legen. 

Die Geſellſchaft der Freunde des vaterländiſchen 
Schul- und Erziehungsweſens, geſtiftet 1805, zählt 6 Ehrenmit⸗ 
glieder, 402 unterftügende Mitglieder und 180 active Mitglieder; letztere 
find Lehrer. Die Geſellſchaft hielt 12 wiſſenſchaftlich⸗pädagogiſche Vers 
fammlungen, bat Bibliothel und 4 Leſecirlel. Die Wittwenkaſſe ber 
Geſellſchaft zählt 101 Mitglieber, zahlt an 30 Wittwen 216 M. jährlicher 
Wittwen⸗Penſion. Einnahme der Kafle 10,000 M., Ausgabe 7700 M. 
Rapitalbeftand und vorhandener Werth ber zum Beſten ber Kaſſe heraus: 
gegebenen Berlagsartilel ca. 111,000 Marl. Die Penfionstafje ber 
Geſellſchaft hat 71 Mitgliever, fie vertheilte an 30 Mitglieder, welche 
das 60. Lebensjahr überfchritten, 2670 Marl. Die Penfionen werben 
ohne Rückſicht auf Invalidität nur nach dem Alter (über 60, 65, 70, 
75 Sabre im Verhältniß von 12:13 und 14:15) vertheilt. Die 
Einnahme der Penfionslafle war 3174 M., ihre Ausgabe ca. 2700 
Marl, Der Kapitalbeftand reichlihd 42000 Marl, Die Krankenkaſſe 
giebt wöchentlich 8,40 M. Krankengeld, im letzten Jahr 201 M. 60 Pf.; 
außerdem befitt bie Geſellſchaft noch eine Unterftügungslafle und Bor- 
ſchußkaſſe. Vorfigender der Gefellichaft it Oberlehrer H. Dunder. Der 
ſchulwiſſenſchaftliche Bildungsverein befteht am 20. April 
1375 funfzig Sabre, zäblt einen Ebrenpräfidenten, 6 Ehrenmitglieder, 
176 Beförderer und 214 ordentliche Mitglieder (Lehrer); bielt im 
letzten Jahr 27 Arbeitsverſammlungen, hat Bibliothel, vier Leſecirkel, 
eine Geſangſektion, ein Schulmufeum, eine Krankenkaſſe und eine Unter: 
ftügungstafie für hülfsbebürftige Lehrer-Wittwen und Waifen :und ältere 
Lehrerinnen. Das Schulmufeum leibt gegen 1 M. — 1,50 M. Bei: 
trag pr. Quartal naturwifienfchaftl. Anſchauungsobjekte aus ; im vorigen 
Sabre ca. 200 Exemplare pr. Woche. Die Gefangfeltion (Polyhymnia) 
ählt 2 Ehrenmitglieder, 13 fociale, 54 aktive Mitglieder. Die Kranken⸗ 
afle gewährt gegen 1 M. Beitrag pr. Quartal ein wöchentliches Kranken⸗ 
geld von 10 M.; im legten Jahre M. 359. 

Die Unterftügungslalle theilte 72 Unterftüungen im Betrage bon 
2318 M. aus; Kapital ber Kaſſe ca. 46,000 M. Präſes des Ver⸗ 
eins iſt Seminarlehrer oh. Halben. 

Die Heineren Lehrervereine Hamburgs, die Zehrer-Union 
(Präfes: Oberlehrer Hager), der Volksſchullehrer⸗-Verein (Präc 
ſes: Hauptlehrer Hahn) und ber päbagogifhe Verein ber Bor- 
ftabt St. Bauli (Präfes: Dr. Heine. Halben) beftehen in unber- 
änderter Wirkſamkeit. An die Stelle de Hamburg-Altonaer Lehre 
rinnen-Bereind ift ein Verein von Mädchenſchullehrern ge 
treten (Präfes: Robert Meisner). 

Schließlich fei bier noch zweier Vereine gebacht, in welchen Lehrer 
und, Schulfreunde zur Förbesung von Erziehungszweden zuſammen⸗ 
wirlen. Der Erziehungsperein (Vorfigenber: Hauptlehrer 9. €. 

MW. Tiebemann) fucht durch Sffentliche Borträge und Discuſſionen über 
Erziehungsfragen pädagogiſche Anregungen in weitere Kreiſe des 





Die Äußeren Verhältnijfe der deutſchen Volksſchule. 867 


Publikums zu tengen. Der wohithätige Schulverein (Bor: 
figender: H. Stra) will der Volksſchule dadurch dienen, daß er be- 
bürftige Schüler und Schülerinnen derſelben in leibliche Pflege und 
Auffiht nimmt. Er will bebürftigen Kindern beſſere Kleidung und 
Nahrung verichaffen; er beabfichtigt Schülern, deren Häuslichkeit be- 
ſchränkt if, Räume zur Anfertigung ber Schularbeiten, eventuell auch 
beauffichtigte Spielräume barzubieten; auch mill er dahin ftreben, 
Kinder, beren Berbleiben im elterlichen Haufe bebenklich ift, in andere 
Familien, und folde Kinder, deren Verhalten ber Schule gefährlich 
ift, in geeignete Anftalten unterbringen. 


Hamburg. Joh. Salben. 


18. Bremen. 


Das verfloffene Schuljahr hat endlich eine Frage geregelt, die 
Sabre lang Gegenftand von Verhandlungen zwiſchen der Schulbehörbe 
und den Prebigern geweſen ift: Die Zeit bes Predigerunter— 
richts. In bremiſchen Schulen wird fein Neligionsunterridt im 
engeren Sinne ertheilt, er beichränft fich auf Bibellunde. Die Schüler 
bejuchen deshalb 2 Jahre lang den Prebigerunterricht in wöchentlich 
2 Stunden. So vortrefflich dieſe Einrichtung nun auch an und für 
fih ift, jo war doch die Unterrichtögeit ver Prediger fiet3 ein Gegen 
fand der Klage; fie fchnitt fo ſtörend in den Schulunterricht ein, bag 
Wünſche nach zeitgemäßer Reform nie verftummten. Es ift deßhalb 
folgendes Geſetz erlafien worden: Die Vorſteher und Vorſteherinnen 
Sämmtlicher ſtadtbremiſcher Schulen haben 1) zum Satechumenen-Un- 
terriht die Anaben an jedem Montag und Donnerltag um 11 Uhr 
Vormittags mit dem Glodenjhlage aus der Schule zu entlaffen; die 
Mädchen an benfelben Tagen vor pünktlich 9 Uhr Vormittags im 
Sommer und vor 94 Uhr Vormittags im Winter nit für die-Schule 
in Anfpruch zu nehmen; 2) zum SKonfirmations-Unterricht Die Knaben 
an jedem Dienftag und * um 11 Uhr Vormittags mit dem 
Glockenſchlage zu entlaſſen; die Mädchen an denſelben Tagen um 
3 Uhr Nachmittags im Winter und um 4 Uhr Nachmittags im 
Sommer mit dem Glodenichlage zu entlaflen; 3) zu feiner anberen 
als der vorftehend unter 1) und 2) benannten Zeit für ben vorgedach⸗ 
ten Zweck, Schüler oder Schülerinnen, fowie überhaupt nur ſolche 
Schüler oder Schülerinnen fchulfrei zu laſſen, die das zwölfte Lebens- 
jahr bereit8 vollendet haben oder in dem laufenden Kalenderjahre 
vollenden werben. 

Diefe Berorbnung tritt am 1. April 1875 in Kraft. 

Das Scholardat. 

Noch eine zweite Frage bat durch Verordnung bes Scholarchats 
ihre befriedigende Grledigung gefunden: Die Schulferien. 
Es beftanden in Betreff der Schulferien biöher ſchon geſetzliche 
Beitimmungen, fie wurden aber nicht Tonjequent inne gehalten und 








668 Die äußeren Verhältniffe ber deutſchen Volksſchule. 


fo wurde durch wilffürlihe Handhabung biefer Schulangelegenbeit 
manches Aergerniß gegeben. Hier und da wurde wohl einmal ber 
Unterricht auögefegt und alsbald ertönten dann Klagelieber und Stoß⸗ 
feufjer in unſerer Tageöprefle. Letztere ſpielt in Bremen eine eigen- 
thümliche Role. Manchmal follte man glauben, der „Courier jet 
eine Schulzeitung, denn Lehrer und Eltern benuben biejes Blatt als 
Erercierplag für alle Wünfche und Beſchwerden. An Takt ift kein 
Vieberfluß bemerkbar, und fo war e3 namentlich die Ferienfrage, welche 
die Beranlafiung zu Verbächtigungen und Schmähungen aller Art gab. 
Hoffentlich bat die Verordnung des Scholarchats diefem Unfug im 
Etwas Einhalt getban. Das Feriengeſetz lautet wie folgt: 
1. 
Schulferien find außer den Sonntagen, bem Himmelfabrtötage und 
den obrigkeitlich angeorbneten Feſttagen 
a) in ben höheren Schulen: 
1) vom grünen Donnerftag bis Mittwoch nach Oftern einfchließlich, 
2) die brei legten nicht in bie Oſterferien fallenden Wochentage 
im Mär, 
3) bie Pfingſtwoche, 
By vom erften Montag im Juli an fünf Wochen, 
5) vom 27. September bis 3. Dftober einfchließlich, 
6) vom 24. December bis 1. Januar einjchließlich; 
b) in den Bollsichulen: 

1) vom grünen Donnerftag bis Mittwoch nach Oftern einfchlieglich, 

2) die beiden legten Wochentage im März, falls fie nicht ſchon 

in die Öfterferien fallen, 

3) die Pfingſtwoche, 

4) vom zweiten Montag im Juli an vier Wochen, 

5) vom 24. December bis 1. Januar einſchließlich. 

2. 

Vorſtehende Beſtimmung gilt für alle Schulen in ber Stabt 
Bremen mit alleiniger Ausnahme der Baifenhausfchulen und. der Fach⸗ 
faulen, und ift den Borftehern und BVorfteherinnen von Schulen bie 
Anordnung weiterer oder anderer Serien unterjagt. 

Das Scholarchat. 


Die Bremiſche Schulbeputation beſteht aus ben Scholarihen, 
(5 Mitglieber des Senats) und 10 finbtbremifchen Mitglievern ber 
Bürgerfhaft. Außerdem find ihr 3 Lehrer mit beratbender Stimme 
beigeorbnet. Der Deputation erjcheint es nun wünſchenswerth, daß 
die Zahl der berathenden Lehrer auf 4 erhöht wird, damit auch die 
Realſchulen gejehlih in ber Deputation ihre Vertretung haben. 
Nun fiten aber augenblidlih außer ben beratbenben noch 3 Lehrer 
als Mitglieder der Bürgerfchaft in ber Deputation. Indem fie baber 
in ihrem Jahresbericht einen Antrag auf Vermehrung ber Zahl ber 








Die äußeren Berhältnifje der deutſchen Volksſchule. 669 


berathenten Lehrer ftellt, Täßt fie in ungewöhnlicher, aber nicht miß- 
zuverſtehender Weiſe erfennen, daß bie Zahl ber gegenwärtig vorhan⸗ 
denen Lehrer der Deputation unbequem geiworben tft. Und erfcheinen 
7 Lehrer unter 18 Deputationsmitgliebern nicht zu viel, zumal bon 
biefen 7 Lehrern 4 nur berathende Stimmen haben. 

Die Hauptfchule (Gymnaſium, Realſchule LD. und Brogymnafium) 
Bat am 18. Januar, alſo mitten im Winter, das neue impofante 
Schulhaus bezogen. In der Stabt berrichte einige Verwunderung über 
diefen Termin, und Schulbehörbe und Lehrer bemühten fi, eine 
günftigere Umzugszeit zu bewirlen. Umfonft. 

Natürlich ftellten ſich eine erhebliche Anzahl von Uebelftänden 
heraus, unter denen bie Luftheigung in ihrer ungleichen und unge⸗ 
nügenden Wirkung oben an flieht. Wie man hört, belaufen ſich die 
Heizkoften incl. Heizer und Berzinfung der Anlage auf jährlih M. 20,000. 
— Ein abfchredendes Beiſpiel! 

Schülerzahl: Die ftabtbremiihen Schulen wurden im ver- 
flofienen Schuljahre beſucht von 14,117 Kindern, 637 mehr als im 
borbergehenden Jahre. Die rafhe Zunahme ber. Schulbenälferung 
macht die Einrichtung neuer Schulen zur dringenden Nothwendigkeit 
und e3 fteben beshalb fortwährend Schulbäufer im Bau. ODſtern 
wurde eine neue Volksſchule mit 804 Schülern eröffnet. 

Schulgeld: Das Schulgeld für Volksſchüler ſchwankte bisher 
wiihen M. 20 — und M. 16,80 per Kopf; dabei traten für Ge- 
chwiſter Ermäßigungen ein, die aber nicht gleichmäßig normirt waren. 

Die Schuldeputation beantragt in biefer Beziehung folgende 
Regelung: 

Es wird zu zahlen fein für ein Sind M. 20. — 

„ zwei Geſchwiſter M. 30. — 
„drei n „ 36. — 
„ bier „ „ 40. — 

Bon Aufhebung des Schufgelves ift alſo Feine Rebe, und alle bie 
ſchönen Reden über biefen Gegenftand, melde im verflofienen Jahre 
im „Gewerbe= und Induſtrie:Verein“ namentlich von Lehrern gehalten 
worden find, verlaufen, wie e3 jcheint, im Sande. 

Landſchulben: Weber die bremiſchen Landſchulen erfährt bie 
Stabt nichte. Senat und Bürgerfchaft beiwilligen alle Jahre eine 
erbeblihe Summe Geldes für dieſelben; wie es aber mit dieſen 
Schulen ftebt, darüber berricht tiefed Schweigen. 

Mie man hört, bat der Seminarbireltor Credner in Begleitung 
einiger Senatoren fämmtliche Landichulen injpieirt und in Perjon 
Probearbeiten anfertigen lafien. Wir freuen uns aufrichtig über dieſes 
Vorgehen und knüpfen daran den fehnlichiten Wunſch, daß die Be- 
hörde ſich entichließen möge, jämmtliche Schulen unter fachmänniſche 
Inſpektion von nur zu biefem Zweck angeftellten Beamten zu ftellen. 
Daß dieſe wohlthätige Einrichtung noch nicht befteht, darf als die be= 
ubendmertbefte Schwäche unſeres Schulmejend bezeichnet 
werben. 








670 Die äußeren Verhältniffe ber deutſchen Volksſchule. 


Das Seminar bat 50 Yöglinge. Wegen Mangels an Raum 
mußte eine ziemlicde Anzahl Solcher, die ih als Präparanden an⸗ 
gemelbet hatten, abgemwiefen werben. Hoffentlih wird durch bie m 
Ausficht geftellte Vorſchule hinreichend Raum geichaffen: nicht minder 
erwarten wir aber, dat das bremifche Seminar balbigft eine Seminar 
ichule erhalte. Die jetige Einrichtung, bei welcher die Seminariften 
der Oberklaffe in einer 5 Minuten entfernt liegenden Yreifchule wöchent- 
I, einige Stunden unterrichten, Tann nur als Notbbehelf angeſehen 
werben. 

Zu der Wahl des neuen Seminarbiveltord Credner barf fich bie 
Stabt, darüber herrſcht nur eine Stimme, aufrichtig Glück wünfchen. 

uni 13. 1875. 6. W. Debb. 


19. Lübed. 


Die Mittheilungen unſeres Berichterftaiters über das Lüheder 
Volksſchulweſen lauten wenig erfreulih. Als Hauptübelſtände des 
jetigen Schulweſens bebt ber umfangreiche Bericht hervor: 1) Ser: 
fplitterung in au viele Schulen mit ungenügend zahlreichen Stufen und 
Parallelklaffen. 2) Begünftigung jelbftftändiger Vorfchulen (Klein⸗ 
finderfchulen, Spielſchulen, Kindergärten 2c.). 3) Gänzlicher Mangel an 
gefchlofjenem Lehrerperfjonal (daher das Wandern ber Lehrer aus einer 
Schule in bie andere). 4) Nicht Binreichend burchgebilbete Lehrkräfte, 
tie‘ ſolche das Geſetz mit Recht verlangt. 5) Höchſt ungleich vertheilte 
Vergütung für Lehrerarbeit. — Hoffentlid werden bie Verhältniffe 
ſich befier geftalten, menn der zu Anfang 1875W;mls Schulrath er- 
wählte Fachmann fih der Sade annimmt. Wir werben uns deshalb 
auch für dieſes Jahr auf biefe Mittbeilungen befchränten und im 
nächſten Sabre das Berfäumte nachholen. Es würde uns im hoben 
Grade erfreulich fein, wenn mir dann über Lübed recht viel Gutes 
berichten könnten. 


20. Das Reichsland Elfak-Lothringen. 


I. Öefeggebung. Im Sabre 1874 find folgende Verordnungen 
zur Negeluug des Elementarfchulwejend ergangen: 

1) Regulativ für die Elementarfchule in Elfaß-Lothringen vom 
4. Januar 1874. 2) Negulativ für die Präparandenidule in Elſaß— 
Lothringen vom 4. Januar 1874. 3) Prüfungsordnung für Elemen- 
tarlehrer und Clementarlehrerinnen vom 4. Januar 1874. 4) Regu- 
lativ für die Seminare ber Elementarlehrer und der Elementarlehre: 
rinnen vom 4. Januar 1874. 

Die vier genannten Verorbnungen find für das Volksſchulweſen 
des Reichslandes von grundlegender Bebeutung und deöhalb von hoher 
Wichtigkeit. Wir würden beshalb auch die gefammten Schriftitüde 
mit Vergnügen zum Abdrucke bringen, wenn uns ber beichränkte Raum 





Die äußeren Verhältniffe ber beutfehen Volksſchule. 671 


dies attete. Indem wir mit Bebauern auf den vollen Abbrud 
verzichten, weiſen wir unfere Leſer ausdrücklich darauf Hin, daß ber 
Wortlaut der qu. Regulative in ber Straßburger Zeitung 1874, Nr. 24 
bis 27, in Kehr's pädag. Blättern 1874, Bd. III ©. 277 und 366 ff., 
fowie in Keller’3 deutſcher Schulgefehfammlung 1874, abgedruckt il. 
Den betreffenden Berordnungen liegen meift die Preuß. Allg. Be 
fimmungen zu Grunde. Wefentlihe Abweichungen treten nur im 
Einzelnen zu Tage. 


I. Lehrerbildung. Sämmtliche Lebrerbilbungsanftalten er- 
freuen ſich einer fteigenden Frequenz, jo daß in ben meiften die Nor⸗ 
malzahl von 75 Zöglingen in 3 Klaſſen (in ben Präparandenfchulen 
bon 50 Zöglingen in 2 Klaffen) erreicht ift oder mit Oftern 1875 er⸗ 
reicht wird. Der außerorbentlihe Zubrang von jungen Leuten beiber 
Geſchlechter veranlaßt, daß die Eröffnung neuer Lehrerbilbungsanftalten 
in Ausfiht genommen ift, zu Met (Lehrerinnen-Seminar), Kolmar 
(zweite Lehrer-Seminar), Pfalzburg (Lehrer-Seminar), St. Avold 
(Präparandenfchule), Lauterburg (Bervollftändigung des Lehrer-Semi- 
nars und Priparanden-Anftalt),. Nah Durdführung dieſer Organi⸗ 
Dr wird das Reichsland folgende Lehrerbildungsanftalten be= 
itzen: 

1. Präparandenſchulen mit je 50 Schülern: zu Straßburg (Neu⸗ 

dorf), Kolmar, Lauterburg, St. Avold. 


2. Lehrer-Seminare mit je 75 Schülern: zu Straßburg, Lauter⸗ 
burg, Kolmar (Altes), Kolmar (Neues), Met, Pfalgburg. 


3. Lehrerinnen-Seminare mit je 75 Schülerinnen zu Straßburg, 
Schlettſtadt, Metz. 


Aus dieſen Seminaren iſt ein jährlicher Zugang von 150 Lehrern 
und 75 Lehrerinnen zu erwarten. 


Methodologiſche Kurſe wurden gehalten zu Straßburg, Kolmar 
und Metz. 


IH. Sonſtige Verhältniſſe. Die Zahl von Hilfslehrern, 
weldye ohne feminariftiiche Vorbildung zu befigen und ohne ein Ma⸗ 
turitätseramen beftanden zu haben, zum Theil noch aus ber franzö⸗ 
fiihen Beit ber, Verwendung finden, iſt noch immer ziemlich erheblich. 
Eine nicht geringe Zahl berjelben hat ſich in ben außerorbentlichen 
Prüfungen da3 Zeugniß ber Befähigung erworben. 


Eine tief eingreifende Maßregel war die Entfernung ber geift- 
lichen Congregationen, welche unter auswärtigen Oberen ftehen. Doch 
war die Schwierigkeit, den Ausfall von Lehrkräften zu deden, nicht 
fo groß, ald die Einen gehofft, die Andern gefürdtet hatten. Die 
Abnahme der Maturitäts-Prüfung in den Eeminaren zu Straßburg, 


672 Die äußeren Verhältniſſe ber deutſchen Volksſchule. 


Kolmar und Schlettſtadt an Weihnacht 1874, ſtatt an Oſtern 1875 
half dem bringenbften Bedürfniß ab. Durch Zufammenlegung kleinerer 
Schulen wurde gleichfalls eine Anzahl Lehrkräfte verfügbar. 

Die Entfernung ber Schulbrüber gab PVeranlafiung, daß an 
mehreren Drten, barunter folder, deren Gemeinbebehörben die Eni- 
fernung ber geiftlichen Lehrkräfte als eine Schäbigung ber Tatholifchen 
Religion belämpften — die Einrichtung Tonfeifionell gemifchter Schulen 
in Ausficht genommen worden ift. 








AVIL Mittheilungen 


über 


Das Tchweizerifche Volksſchulweſen 


von 


J. J. Schlegel, 
Reallehrer in St. Gallen. 


A. Das Schulweſen der Schweiz im Allgemeinen. 


Einleitender Ueberblick über die Bildungsbeſtre⸗ 
bungen. Das Jahr, über welches wir heute Bericht geben wollen, 
war, wie das vorangegangene, ein vielbewegtes. Wir leben in einer 
Zeit der Nengeftaltung aller Verhältniſſe in Schule, Staat und Kirche. 
In einigen Kantonen herrfchte auf dem Gebiete des Schulwefens ein 
reges Leben, eine fruchtbare Thätigleit. Das find die glüdlichen Kan- 
tone, wo man auf der Bahn des Freifinns feſt und ficher einem 
bejonnenen, gefunden, naturgemäßen Fortſchritt zufteuert, wo jedoch bie 
prinzipiellen Gegenſätze noch nicht fo ſcharf bervortreten und die Par⸗ 
teten noch nicht fo feindlich einander gegenüberftehen, wie anberwärts; 
wo vielmehr Männer verfchievener Anfchauung in beften Treuen einander 
die Hand bieten zu gebeihlicher Weiterentwidlung, fo bald es fih um 
bie Jugend- und Vollsbildung handelt. In andern Kantonen fehlt Leider 
dies friedlihe Zufammenmirken. Bald fteigert fich der Wetteifer in der 
Prefle, in Vereinen, in Behörden zur heftigen Debatte, zu erbittertem 
Kampfe. Die feindfeligen Parteien treiben einander gegenfeitig auf bie 
Spige, zum Extrem. Die Kluft, die Spaltung, bie Entfremdung wird 
immer größer; die Verſöhnung, jede Annäherung wird zur Unmöglich- 
feit. Da beißt e8: biegen ober brechen. In ſolch' fturmbewegten Zeiten, 
bei fo leivenf&haftlicher, gegenfeitig verlegenber Kampfesweiſe kann für 
bie Schule keine erſprießliche Frucht reifen, da dürfen wir feine kern⸗ 
gefunde Entwidelung, feine folive, dauernde Reform erwarten. Die Er: 
fahrungen, die man früher in Freiburg und Bern und jüngft in Luzern 
und Teſſin gemacht hat, beweifen, daß die erzielten Refultate nur fo lange 
beftehen, bis bie Gegenpartei die Oberhand gewonnen. Ein Syſtem⸗ 
wechjel ſtürzt und ruinirt meiftens das im Sturm Eroberte und Errungene. 
Wir geben zu, daß e8 Krebsſchäden und Feinde fortfchrittlicher Entwicklung 
giebt, die nur durch einen kräftigen Hauptichlag zu befiegen find; wir 
geben auch zu, daß für Kantone, wo die Gleichgültigkeit, die Trägheit 
und Pebanterie jeven Auffchwung hemmen, daß für Perioden der Stagna⸗ 
tion und des Schlendrians, in denen fein frifcher Geiſteshauch mehr 
weht, Fein Fortſchrittsgedanke mehr Wurzeln ſchlagen will, bahnbrechende 

Päb. Jahresbericht. XXVIL. 43 





674 Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 


Charaktere und Teuergeifter, die den Zurüdgebliebenen einen Impuls 
zu geben vermögen, und alle zu neuem friſchem Leben And Schaffen an- 
treiben, als eine wahre Wohlthat zu begrüßen find, aber ein fortwähren- 
ber Kampf auf Leben und Tod kann der Schule unmöglih frommen. 

Hier fliehen in enggefchlofiener Reihe die Klerikalen und Hoch⸗ 
fonfervativen, bie fein Berftänpnig für die neue Richtung haben, fondern 
gegen alles Neue, gegen jede Reformbefrebung eifern und oppeniren, 
die fleif und ſtarr am Alten und Hergebrachten fefthalten, als ob fonft 
fein Heil zu hoffen wäre; dort gruppiren fich die Ultrarabifalen, die mit 
Geſchichte und Verhältniſſe vollſtändig breigen, die rüdfihtslos das Be⸗ 
fiehende nieberreißen, ohne etwas Solide wieder aufzubauen. Nicht 
felten fehlt da eine ſtarke, freifinnige Mittelpartei, die einen entfchie- 
denen, doch maßvollen, ftetigen, dem Bollscharafter entſprechenden Fort⸗ 
Ihritt im Bildungsweſen anftrebte. Und gerade hier wäre ein kräftiger 
Steuermann am Plage, der das Fahrzeug fiher und mit feftem Zügel 
durh das flurmbewegte Meer zu lenken wüßte Oft bleibt den ger 
mäßigten Elementen, welche bem Neuen zufireben, mit dem Alten, Bes 
währten aber nicht nöllig brechen wollen, melde alfo eine vermittelnde, 
verföhnende Stellung einnehmen möchten, keine andre Wahl, als fid 
entweder einer ber friegführenden Partei anzufchließen, oder aber eine 
Abtbeilung ohne Einfluß und Bedentung zu bilden. — — 

Sälte der Wettkampf allezeit einem wärbigen, heben Ziele: der Er- 
friſchung des Abgelebten, der geiftigen Bildung der Yugend, dem Glüd 
des Volkes, fo wäre diefer Preis wohl eines Kampfes werth; allein 
man fchlägt fich oft nicht einmal um Principien und Hauptfragen, 
fondern bloß um neue Formen, wobei die Mode und Nachahmung: 
fucht meift eine große Rolle fpielt. — Wenn man einmal in den beiden 
äußerften Lagern der wahren Toleranz, ber gegenfeitigen Achtung Raum 
gönnt; wenn man ba und bort ber Ausfchließlichleit und dem Un— 
fehlbarkeitsdünkel den Abſchied giebt, dann ift auch wieder ein gemein- 
fames Wirken für die Hebung des Schulweſens möglich; dann fann es 
befier werben. Denn das Volk der meiften Kantone hat guten Willen 
and ift den Reformbeftrebungen und einem zeitgemäßen Fortſchritte nicht 
abgeneigt. 

Zu den Kantonen, in welden das Schulweſen ohne gewaltige 
Kämpfe erfreulich vorwärts geht, rechnen wir diejenigen, in denen bie 
proteftantifche Bevölkerung vorherrſcht, oder wo die Breifinnigen das 
Uebergewicht haben. In Zürich belämpfen fich merkwürdiger Weife zwei 
freifinnige Parteien, die Liberalen, welche ſchrittweiſe dem Biele zuftreben, 
und die Demokraten, welche daſſelbe im Galopp erftürmen wollen. — 
Zu ten Kantonen, in weldhen die Stürme ven Fortſchritt erfchweren, 
zählen wir diejenigen, in welchen Satholifen und Reformirte faft im 
gleiher Zahl vorkommen. Zur dritten Kategorie von Kantonen, bie 
ohne einen kräftigen Anſporn von Seite des Bundes im Schulwelen 
zurüdbleiben, gehören tiejenigen mit vorherrſchend katholiſcher Bevöl⸗ 
ferung: bie Urkantone, Wallıs, Freiburg ꝛc. Solothurn macht eine 
rühmliche Ausnahme. Ä 


Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volkoſchulweſen. 675 


Rah unferer Auſicht üben immer auch die politifhen und kirchlichen 
Kämpfe und Stürme zu großen Einfluß auf die Schule aus. Allerbings 
kann ſich biefe nicht ganz abſchließen, da ihre Intereſſen mit benjenigen 
bes Staats und ber Kirche eng verknüpft find; doch kann eine Bermengung 
von PBolitit und Schule, wie wir fie gegenwärtig erfahren, letzterer nicht 
von Nuten fein. Dean follte der Pädagogik eine unabhängige Stellung, 
eine ſelbſtändige Entwidlung wahren und bie Schule nicht zur Magd der 
einen oder andern Macht erniedrigen. „Die Schule ift ein neutrales 
Gebiet, und wer fie nicht als ſolches achtet, wer fie in die politifchen 
Barteilämpfe bineine und hinabzieht, ber verfündigt fih an ihr.” 
(„N. Zuͤrch. Ztg.“ 

Ehe wir zur ſpeziellen Berichterſtattung gehen, erſcheint uns zweck⸗ 
bienlih, wenn wir bie Bildungsbewegung in kurzen Zügen charakterie 
firen und einen Ueberblid über diejenigen Kardinalfragen geben, welche 
in dem betr. Zeitraume bei Behörben und Vereinen, dem Bolt und der 
Preſſe in den Vordergrund traten. 


Zwei Gegenftände, die feit Jahren auf der Tagesordnung ftanben, 
find endlich zum Abſchluſſe gediehen. Es find die grundfäglihen Fragen 
über die Unentgeltlichkeit des Primarunterrichts, die Mi— 
litärpflihtderXehrer und überden militärifhen Boruntere 
riht der Jugend. Mande Kantone hatten ſchon vor Exrlaffung des 
eidgenöſſiſchen Geſetzes das Schulgeld abgefchafft; einzelne erflärten auch 
die Unentgeltlichkeit des Sekundarunterrichts; den übrigen Kantonen 
wurde zur Vollziehung des Beſchluſſes eine Friſt von 5 Jahren ein⸗ 
geräumt. Der neuen Militärorganifation folgte bald auch eine Verordnung 
über die eidgenöſſiſchen Rekrutenprüfungen und Nachſchulen. 


Eine Frage, deren endlihe Löſung wohl erfi nach heißen Kämpfen 
erzielt wird, betrifft die allmälige Zentralifation des Shul- 
wefens Sie hat trog des Widerſtandes der Kantoneſen in lebten 
Jahren entfchienen Yortfchritte gemadht. Der Zeitgeift feuert mit Macht 
auf dieſes Biel. Die Föberaliften, die der Uniformität und ber Gleiche 
macherei im Unterrichtöwefen entgegenwirfen und eine Berüdfichtigung 
der verfchiedenen, eigenthümlichen Berhältniffe verlangen, werden kaum 
im Stande fein, dad Rab der Zeit lange aufzuhalten. Ihre Antipoden 
verfihern zwar, es fei nicht auf eine gänzliche Zentralifation abgeſehen; 
fie ftreben nur eine theilweife Einheit an, um eine Gteigerung der 
Durchſchnittsbildung, einen gleihmäßigeren Volksbildungsſtand zu er- 
aweden. Ob fie aber die Macht haben, der Strömung Halt zu ge- 
bieten, wirb die Zeit lehren. Im Santon Genf ift bereits vollfländige 
Bentralifation im Unterrichtswefen durchgeführt. Im Kanton Glarus 
Dagegen wurde bie angeregte Bentralifation für einmal abgelehnt. So 
eben liegt bier in Berathung, ob man der einheitliden Schulz: 
infpeltion ben Vorzug geben, oder ob man fih für das Bezirks⸗ 
Inſpektorat entjcheiden wolle. — Einige Zeitungsblätter brachten unlängft 
die Mittbeilung, der Bundesrath beabfichtige, eine eidgenöſſiſche 
Schulinſpektion einzuführen. Die Nachricht darf wohl als ver- 
früht betrachtet werden. — Ein beveutungsvolle Schritt zur Einheit 

45* 








676 Mitteilungen über das ſchweigzeriſche Volksſchulweſen. 


und zu Erzielung einer nationalen Bollsihule wäre bie Er- 
ftellung eines eipgendffifhen Schulgeſetzes, welches vom fchwei- 
zerifhen Lehrerverein als Ausführung bed Schulartikels der ſchweizeri⸗ 
fen Bundesverfafſung vorgefchlagen und befürwortet wurde. Wohl 
werden die angeorbneten eibgendffiihen Hekrutenprüfungen zur Auhand⸗ 
nahme dieſes Poftulats drängen. Berfaflungsgemäß könnte dafjelbe jedoch 
nur bie allerwefentlichften Grundlinien enthalten. — Prof. Humbert ift der 
Anjicht, es könnte der gebachte Zwed vorberhanb eher durch Errich⸗ 
tung von drei [hHweizerifhen Normalſchulen zur Bilpung 
von Lehrern erreicht werben. Er motivirte feinen Vorſchlag in einer 
befonderen Brofhäre.- — Mit dem Streben nah Zentralijation ſteht 
auch die Entfcheidung für die Urt der oberften Leitung des Grziehungs- 
weiens im Zuſammenhang. Manche Kantone verlangen bie Einführung 
des Departementalfuftems, nach welchem bie Führung einem Er- 
ziehbungsbireftor übertragen wird; anbre finden es nicht gut, alle Gewalt 
in die Hand eines Mannes zu legen und erflären fi für das Kolle⸗— 
gialfyftem, demgemäß ein Erziehungsrath, aus mehreren Mitgliebern 
beftebend, die Leitung zu beforgen hat. Einige wenige Kantone alzep⸗ 
tirten eine Einrichtung, welde die Vorzüge beiver Syſteme vereinigt. 
Der Schulartitel der neuen Bunbesverfaflung rief in vielen Kan: 
tonen einer Revifion der fantonalen Schulgefege. In ten 
Kantonen Wallis, Uri, Glarus, Solothurn find bie neuen Schulgefege 
bereit8 in Kraft; das thurganifche Voll hat fi nächſtens über An- 
nahme ober Berwerfung einer Vorlage zu enticheiven*); in Graublinben 
und Schaffhauſen haben die Erziehungsbehörben einen Entwurf Hiezu 
ausgearbeitet; im Innerrhoden und in Bafelland wurden bie Projekte — 
dort vom Landrath, bier vom Volle — abgelehnt. Im den Kantonen 
Bafelftadt und St. Gallen hat man folgewichtige Schulartitel in die 
nenen DBerfofjungen aufgenommen. In St. Gallen muß berfelbe noch 
der Volksabſtimmung unterftellt werden**). — In den meiften der genann- 
ten Geſetze tritt die Tendenz entfhieven zu Zage, bie Parität im 
den Schulen aufzuheben, einen konfeffionslofen Reli— 
gionsunterriht einzuführen, oder den Religiondunterricht gänzlich, 
aus der Vollsſchule auszuſchließen und benfelben durch eine Sitten- umb 
Pflichtenlehre zu erfegen. Diefem umgeftaltenven, tiefeingreifenden Prin⸗ 
zipe wird in allen gefeßgebenden Behörden das Wort gefprocdhen, in 
denen die Fortfchrittspartei ein Webergewicht hat. In den paritätifchen 
Kantonen Thurgau und Aargau if die Verfhmelzung der reformirten 
und katholiſchen Schulen bereitd durchgeführt; auch im St. Gallen ift 
eine ſolche Bereinigung angebahnt. Das Boll ſcheint aber mit biefem 
Grundſatz nicht völlig einverftanven zu fein. Ueberhaupt ift gerade andı 
dies eine trage, welche bei ängftlihen Gemüthern große Beſorgniß er- 
wedt, und welche aud nicht ohne Aufregung und Stürme ihre Löfung 


*) Das thurg. Volk bat das neue Schulgefeb im Auguft d. 3. angenommen. 
‚ 3 Da et des Kis. St. Ballen hat die revidirte Derfaffung am 12. Sept. 
. 3. verworfen. 








Mittheilungen über das fehweizerifche Volksſchulweſen. 677 


finden wird. Diefe Frage über die Stellung des Religionsunterrichts 
in der Volksſchule fleht neuerdings auf den Traktanden der fchweizeri- 
fen gemeinnützigen Geſellſchaft; auch vie ſchweizeriſche Prebigergefell- 
ſchaft wird ſich mit derſelben beſchäftigen. Ueber das Reſultat der be⸗ 
züglichen Berathungen werben wir ſpäter Bericht geben. — 

Mit aller Energie wurde in letzter Zeit die Reform der Lehrer⸗ 
bildung an die Hand genommen. Ueberall geht das Streben auf 
größere Gründlichkeit und Erweiterung derſelben. In dieſem Sinne 
wird eben dem Bernervolle die Annahme des neuen Seminargeſetzes 
empfohlen*). Selbſt die im Schulweſen zurückgebliebenen Kantone Wallis 
und Teſſi wagten einen Schritt zu verbeſſerter Lehrerbildung, indem 
daſelbſt an die Stelle ber mehrmonatlichen Bildungskurfe num zweikurſige 
Normalſchulen treten. In Züri wurde der Lehrplan für das kanto⸗ 
nale LXehrerfeminar im Sinne erhöhter Anforberungen revidirt. Auch in 
ben Kantonen Thurgau und St. Gallen wurbe die Errichtung eines 
vierten Seminarfurfes angeregt, bier allervings mehr in ber Abficht, die 
nöthige Zeit zu gewinnen, um den vorgefchriebenen Lehrſtoff des gegen- 
wärtigen Unterrichtsplans allfeitiger und grünblicher burcharbeiten zu 
lönnen. Die allgemeine Stimmung im Bolle ift zur Zeit biefer Idee 
noch nicht günftig. — Die gefteigerten Anforderungen an bie Lehrer⸗ 
bildung, die Periobizität oder die periodifhen Erneuerungs» 
wahlen (mit denen nun aud bie Lehrer des Kantons Aargau bejchert 
werben follen), ſodann die vielerorts unzureihenden Befoldungen 
haben in vielen Kantonen einen empfinvlihen Lehrermangel und 
eine Abnahme der Frequenz der Seminare hervorgerufen. ALS 
das wirkfamfte Mittel gegen ven Lehrermangel wird nun mit echt die 
Berbejjferung der ökonomiſchen Stellung ber Lehrer vor⸗ 
gefhlagen. Allmählig erwacht auch wirklich beim Bolte mit den Bil⸗ 
bungeintereffe bie Einficht, daß die Erhöhung der Lehrerbeſoldungen eine 
bringende Nothwendigkeit fei. Baſelſtadt hat Diesfalls ftets feine Auf- 
gabe erkannt und fteht als Vorbild an der Spige ver Kantone. Yargau 
wird bei der zweiten Volksabſtimmung hoffentlih tie Scharte auswetzen, 
ba fogar die Kantone Wallis und Oranblinden die niedrigen Lehrer- 
gehalte etwas höher geftellt haben. Im Kanton Teſſin, wo leider die 
realtionãäre Partei die Majorität erlangt bat, beginnen bie Bildungs⸗ 
feinde ihre Wirkſamkeit mit Rebuzirung der Lehrerlöhne. — Um ven 
Zehrermangel zu befeitigen, empfiehlt man im Fernern mehrfeitig bie 
Herbeiziehbung von Lehrerinnen. Wohl erheben fi noch einzelne 
Stimmen gegen die Anerlennung nnd Anftellung weiblicher Lehrkräfte; 
doch fpriht das allgemeine Urtheil zu Gunſten derfelben. In diefem 
Sinne äußerte ſich die einflußreiche fchweizerifche gemeinnützige Gejell: 
ſchaft, welche die Verwendung von Lehrerinnen mit Wärme befürwortet. — 
Getheilter Anfiht ift man betreffs der Art der Heranbilbung von 
Lehrerinnen. Während manche der Errichtung befonberer Seminare 
das Wort reden, verlangen andere die Verbindung der Lehrerinnenbilbung 


*, Das Geſeß wurde bei der Ichten Bollsabflimmung angenommen. 


678 Mittheilungen über das ſchweizeriſche Bolfsfchultwefen. 


mit höheren Mädchenſchulen. Im teſſiniſchen Seminar haben bie männ⸗ 
lichen und die weiblichen Zöglinge gemeinfamenlinterricht. Auch bie 
uud. Erziehungsbehörde geftattete weiblichen Lehramtskandidatinnen bie 

ufnahme in das kantonale Lehrerſeminar; vie fl. galliſchen Erziehungs⸗ 
und Seminardirektionen gedachten, dem Vorgange zu folgen; bie Idee 
fand aber weder im zürcheriſchen, noch im fl. galliſchen Or. Rathe Au⸗ 
Hang. Biele halten dieſe Bereinigung für ein gewagtes Experiment. — 
Wie früher in andern Kantonen, fo erhob fi dieſes Jahr au in Et. 

allen ein gewaltiger Sturm gegen bie freie Richtung des 
Seminars in Rorfhad. 

In den legten Jahren trat da und bort das Streben immer beut- 
licher hervor, den fachlichen, abgefhloflenen Lehrertonfexenzen mehr ben 
Charakter von allgemeinen Bildungsvereinen und ge: 
miſchten Schulſynoden zu verleihen. Man fürdtet, die Konfe⸗ 
venzen begünftigen auf nachtheilige Weile das Kaftenwefen, den einfeitig 
torporativen Geift; man hofft tagegen, bie Einverleibung von Schul 
freunden verfchiedener VBerufflände diene jenen Lehrervereinen zu wohl: 
thätiger Erfriſchung; fie Mräftige und förbere das allgemeine Bildungs: 
intereffe und bewahre vor exllufiver, pedantiſcher Richtung. — Ebenſo 
mehren fi bie internationalen päbagogifhen Vereine, in 
benen Lehrer verfchietener Kantone, ja auch ſchweizeriſche und beutfche 
Schulmänuer zufammentreten, um gemeinfam das Beſte der Schule zu 
fördern. Jüngſt wurde von einer Seite die Gründung eines all: 
gemeinen [hweizerifhen BVolksbildungsvereins angeregt. 

Mit überzeugenden pädagogiſchen und fanitarifhen Gründen und mit 
beftem Erfolg wirkten in letter Zeit Schulmänner und Aerzte vereint für 
einen fpätern Schuleintritt. Die meiften kantonalen Schulgejege 
beftimmen für ven Eintritt das erfüllte fechfte Altersjahr; einige Berg⸗ 
fantone geflatten bie Aufnahme fogar erſt mit dem zurüdgelegten fiebenten 
Lebendjahre. Dagegen verlangt man den Ausbau der Vollsſchule nad 
unten duch Errichtung von Fröbelſchen Kindergärten. Im 
neuefter Zeit haben fich vie Hr. Pfr. Wachter, Dir, Morf und Hollmann 
durch gediegene Scrifthen um die Sindergartenfache verdient gemacht. 
Auch einige Öffentliche Blätter fuchten durch empfehlende Aufjäte bem 
Inftitut mehr Eingang zu verfchaffen. Dem Vorgang von St. Gallen 
in Gründung eines Kindergartens folgen in nädfter Zeit: Züri, 
Winterthur, Bafelftabt, Aaran, Luzern zc. 

Mit gleihem Ernſte arbeiteten Vereine und Behörden für Er— 
mweiterung und Ausdehnung der Bolleihule nah oben durch Ein⸗ 
führung von Fortbildungsſchulen. Solothurn befigt bereits 
eine gejegliche Kortbildungsfhule; ver Große Rath des Kantons Thur⸗ 
gau entſchied fich ebenfalls für vie obligatorifche Yortbilvungsfchule, Die 
bi zum 18. Jahre dauern fol. Auch in Züri firebt man bie 
Grünbung von Zivilſchulen an. In andern Kantonen will man vorerſt 
den Verſuch mit freiwilligen Fortbilpungsichulen machen, nnd glaubt, 
auf diefem Wege eher den Zwed zu erreichen.’ 

In lebten Jahren trat ſodann die Schulbankffrage, bie 





Mittbeilungen über bas ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 679 


Reform des Turnunterridhts, Überhaupt die Sähulgefund- 
beitspflege immer mehr in ven Vorbergrund. Die neuen Schulgejege 
von Glarus und Solothurn erklären die Leibesübungen als obligatori= 
ſches Lehrfach. Die Erziehungsbehörben beider Kantone richteten ihr 
Augenmerk auch auf vie Herftellung zwedmäßiger, gefunbheitsbienlicher 
Scäullofale. Um die Nothwendigkeit einer bezüglichen Reform zu begrün- 
den, forgten fie für ftatiftifche Aufnahmen, deren Nefultate in interefianten 
Tabellen erjchienen find. Baſelſtadt, Aargau und Zürich flellten für 
Erlangung zwedgemäßer Subfellien Speciallommifftonen auf, und im 
Züri wurde zu dieſem Zwede eine Schulbanlausftellung an- 
geordnet. (Siehe „ſchweiz. Lehrerztg. 1874“ pag. 441.) Die Schulbehörben 
der Städte Schaffhaufen und Bern wandten ihre Aufmerkjamleit ſpeciell 
auf die fchredlih überhanpnehmende Kurzſichtigkeit. Die ftatifti- 
ihen Erhebungen bier und dort mahnen zu größter Borfiht. Ein treffe 
liches Schrifthen von Dr. Treichler beftätigt die bort mitgetheilten bes 
denllihen Thatſachen. 

Ein beſonderes Interefle zeigte die Schulwelt für die Lehr— 
mittelangelegenheit. Die Herren Dr. Tſchudi und Prof. Ram- 
bext begründeten in ihren Berichten über die Unterrihtsausftellung im 
Dien die Wünfchbarkeit einer permanenten ſchweizeriſchen 
Ausftellung von Lehr- und Anfhauungsmitteln; eine 
Lehrerkonferenz der Stabt Zürich ergriff in Verbindung mit der Schul» 
behörde die Initiative jür die Realifirung diefer Anregung. Auch in St.Gallen 
ſprach man ernftli davon, eine bleibende kantonale Lehrmittel: Aus- 
ftellung anzuorpnen. Für Erftelung von trefflihen Veranſchaulichungs⸗ 
mitteln bat ſich Erzieher Beuſt im Aürid wirkliche Berdienfte erworben. 
Mit der Lefebuhfrage im Speciellen beſchäftigten fih die Schul- 
ſynoden in Solothurn und Bern, dann auch die Lehrerlonferenzen in 
Graubünden, Glarus und Thurgau. Im allen drei Vereinen wurde das 
dort obligatorifch eingeführte Lehr- und Leſebuch von Scherr einer fcharfen 
Kritil unterworfen. Dan war allgemein der Anficht, paffelbe entſpreche den 
gegenwärtigen Anforderungen der Pädagogik in feiner Weife mehr. — 
Einen heftigen Sturm veranlaßten die Lehrmittel im Kanton 
Zürih. Die außerordentliche Aufregung galt dem neuen obligatoriſchen 
Ergänzungslefebudh, insbejondere dem gefcichtlichen, von S. Bögelin 
verfaßten, Theile deflelben, gegen deſſen Einführung mehrere Gemeinden 
aus pädagogifhen und religidjen Gründen protefticten. Die renitenten 
Schulkreiſe appellirten an den Großen Rath. 

Im Berichtsjahre kam endlich der lang zurüdgehaltene Unwille 
gegen die zwedwidrigen Schlußprüfungen oder Schuleramen 
zum Ausbruch. Ws die Herren Reltoren Sutermeifter und Zehender, 
Pfarrer Chriftinger u. A. dieſe Paradefeſte wahrheitögetreu und an 
der Hand einer vieljährigen Erfahrung fchilderten und verurtheilten, 
als fie mit überzeugenden Gründen für VBefeitigung ber verberblichen 
Schauftellungen fih ausſprachen, da wurde ihnen von vielen Seiten 
Beifall zugerufen. In gleichem Sinne ſprachen ſich die „ſchweizeriſche 
Lehrerzeitung” und ber „pädagogiſche Brobachter“ aus. 





680 Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 


Schon oft ertönte der Auf für Hebung der weiblihen Bildung. 
Zu diefem Zwede errichtete die Stadt Zürich eine, Über der vierkurfigen 
Mäbdchenſekundarſchule ſtehende, Höhere Töchterſchule, welde fi jetzt 
ſchon einer bedeutenden Frequenz erfreut. Die Leitung hat der bewährte 
Schulmann Fr. Zehender übernommen, deſſen Stelle an ver höhern 
Madchenſchule und am Lehrerinnenfeminar in Winterthur Hr. Pfarrer 
Gamper Übertragen wird. Zur Förderung bes gewerbliden Un— 
terricht® hat neuerdings bie fehweizerifche g. Geſellſchaft einen Anftoß 
gegeben, ba fie bie frage zum Gegenftand ihrer Berathungen genommen 
hatte. Mehrere Referenten der Vereinsfeltionen fanden es nicht rathſam, 
den Realſchulen das Gepräge von vorzugsweife gewerblichen Lehr⸗ 
anftalten zu geben. Empfehlenswerther fei es, für dieſen fpeziellen 
Zwed in den verfchiedenen Theilen der Schweiz Tech niken nad, ber 
Mufteranftalt in Winterthur zu errichten. 

Auch für Rultivirung einzelnerlinterrihtsfäder wurde 
Anerlennenswertbes geleiftet. Ein neu gegründeter Berein bat ſich 
jpegiel „vie Reform des Zeihnungsunterrichts" zur Aufgabe 
gemadht. Um den Bwed eher und ficherer zu erreichen, beſchloß er bie 
Herausgabe eine® eigenen Organs. Hoffentlih wird man nicht darauf 
ausgeben, dem ftigmographifchen Zeichnen Eingang in die Bolföfchule zu 
verſchaffen. Für eine zeitgemäße VBerbefferung des Arbeitsfchuls 
unterridts wirkte in anerfennenswertber Weile Frl. Weißenbach, 
befonders durch Leitung von Biltungsfurfen und durch ihre nem er 
ſchienene „Arbeitsſchulkunde.“ 

Hat auch das Berichtjahr keine bedeutende, epochemachende Erſchei⸗ 
nungen auf dem Gebiete der pädagogiſchen Literatur aufzuweiſen, 
fo können wir doch mehrere Schriften anzeigen, die geeignet find, in 
einzelnen Zweigen des Unterrichts eine geiflig bildenvere und erfolg: 
reichere Methode zu erzielen. 

Auch die Tagespreffe, welche in neuerer Zeit den Schulfragen 
größere Aufmerlfamleit wibmet, al® dies früher der Yall war, wirkte 
durch gut gefchriebene Auffäge dem Schlenprian, der Routine, der band» 
werfsmäßigen Führung der Schule, der bloßen Lern: und Abrihtunge- 
ſchule, dem häufig zu Tage tretenden Utilitätöprincip, dann auch ber 
Gleichgültigkeit mancher Eltern, dem firafmärbigen Gehenlaſſen einzelner 
Gemeinden und Behörben Fräftigft entgegen; fie ſpornte zu raftlofem 
Fortſchritt, zue fteten Vervollkommnung; fle pries diejenige Schule als 
mufterhaft, die als Unterrichts: und Erzlehungsanftalt eine wahrhaft fo- 
five Bildung des Verſtandes und Charakters zu geben vermag, eine 
Schule, aus der junge Bürger mit hellem Kopf, warmem Herz und an- 
ftelliger Hand hervorgehen. — Allerdings gab e8 auch Publiziften, bie 
ihre Pfliht nit in dieſem Sinn und Geift erfüllten, vie gegentheils 
verberblich wirkten. 

Den Schluß unfrer Schulnadgrichten bildet die Todtenlifte verdienſt⸗ 
licher ſchweizeriſcher Schulmänner und die Mittheilungen über die Er⸗ 
en zweier namhafter vaterländifcher Pädagogen: Wehrli 
und Kräfi. 


Mittheilungen über das fehweizerifche Volksſchulweſen. 681 


Nah Andeutung ber zeitbewegenden Ideen und nach ber überficht- 
Iihen Angabe des Hauptinhalts unferes Berichts geben wir zu ben 
ſpeziellen Mittheilungen. 

1. Vorſchläge zur Ausführung des Shulartilels ber 
nenen Bundesverfaffung Der fhweizerifhe Lehrer— 
verein bat am 7. Sept. 1874 in fehr zahlreich befuchter Verſammlung 
zu Winterthur auf Grundlage zweier Referate über die Vollziehung bes 
Art. 27 ver neuen Bunbesverfaffung Berathung gepflogen und mit großer 
Mehrheit bejchloffen, ven Bundesrath zu erſuchen, durch Vorlage eines 
eidgendffifhen Volksſchulgeſetzes eine wirkſame Ausführung 
des erwähnten Artikels anzubahnen. Der Zentralausfhuß erließ bald 
darauf dieſem Anftrage gemäß ein Schreiben an bie oberfte ſchweizeriſche 
Behörde, in welchem er die in der Diskufflon betonten Hauptpunfte her- 
vorhob. Demnach hätte, nad der Anficht ver Lehrerfchaft, das ſchwei⸗ 
zeriihe Schulgefe ſichere Normen aufzuftellen, insbefondere über: 

a. dad Minimum der Schuljahre, die jährlihen Schulwochen und 

die wöchentlichen Schulſtunden; 

b. eine obligatoriſche bis ins Jünglingsalter ſich erſtreckende Fort⸗ 

biſldungsſchule; 

c. das Maximum der Schulerzahl für eine Lehrkraft; 

d. Beihaffung und Dualität der Lehrmittel; 

e. die geeigneten Mittel, die ſchweizeriſche Ingend überall au zu 

körperlicher Gefundheit, Kraft und Gewandtheit zu erziehen; 

f. ein beflimmtes Maß der Anforderungen an bie allgemeine Bil 

bung und bie Lehrbefähtgung der Lehrer; 

g. ein Minimum der LTehrerbefoldung. und 

h. über die Art, wie der Bund, theild überhaupt, theils fpeziell 

mit Beziehung auf Punkt 3 im Art. 27 die Kontrole über 
das Schulwefen in den Kantonen ausüben werde. 


Am 4. Oktbr. 1874 verfammelten fi) in Baden die Abgeord⸗ 
neten der ſchweizeriſchen Volksvereine. Sie fanden, baß 
jest, nach der Annahme der neuen Bundesverfaſſung, die Mifflon der 
Bolfövereine erſt recht beginne, indem es fih nun um ben innern Aus⸗ 
bau des neuen Gebäudes und ftaatlihen Lebens handle. ALS eine der 
erftien und größten Aufgaben betradhtete man bie Anregung zur Aus- 
führung des Schulartifeld durch Erlaß eines eidgenöſſiſchen Schulgefees. 
Allererft entftehe, fagt das Nundfchreiben an die Seltionen, die frage, 
ob der Bund befugt fei, auf Grund des Art. 27 ein eidgendffifches 
Schulgeſetz zu erlaffen. Die Abgeordneten bejahten die Kompetenzfrage. 
Zwar fpreche bie neue Bunbesverfoffung die Verwaltung des Primar⸗ 
ſchulweſens den Kantonen zu. Allein fie verlange zugleih, daß fle für 
einen genügenven Primaruntereicht forgen müffen. Die Mittel zu diefem 
Zwecke feien: genügende Schulzeit, Tehrerbilvung, LXehrerbefoldung, Lehr: 
mittel 2c. Die Anwendung biefer Mittel dürfe der Bund nicht dem - 
Belieben bilpungsfeindlicher Kantone überlaſſen. Wenn der Bund be= 
rechtigt war, den Zweck feftzufeben, fo fei ex berechtigt und vers 
pflichtet, auch bie Mittel zu normiren. Die Rothwenbigfeit eines eid⸗ 
gendſſiſchen Schulgefeges zeige fich fofert, wenn man einen Blid auf 


682 Mittheilungen über das fehmeizerifche Volksſchulweſen. 


die Schulzuftände einiger Kantone werfe, beiſpielsweiſe auf den Schulbericht 
bes ſchwyzeriſchen Erziehungsbepartements und die Rehrerbefoldungstabelle 
vom Staatsrath Torrente. Bezüglich des Inhalts eines ſolchen Geſetzes 
lehnt fih das Memorial an die Refolntionen und Vorſchläge des ſchwei⸗ 
zerifchen Lehrertage, die ſich durch Mäßigung auszeichnen und im feine 
Spezialitäten ſich verirren, die auch die Selbfläntigleit der Kantone . 
wahren und feine Zentralifation des Schulweſens tendiren. Obige acht 
Punkte wurden im Schreiben näher motivirt und prägifitt. Auch bie 
„ſchweizeriſche Grenzpoſt“ unterzog die acht Punkte einer ein⸗ 
gehenden Beſprechung und Prüfung, insbeſondere diejenigen, welche die 
laudwirthſchaftliche und gewerbliche Fortbildungeſchule, die eidgenofſſiſche 
Kontrole über den Gang und die Leiſtungen des Primarunterrichts in 
den Kantonen, den Religionsunterricht und den Finanzpunkt berühren. 
Betreffend den Weligionsunterriht werbe fi der Bund nur bie Ge⸗ 
nehmigung ber religidfen Lehrmittel vorbehalten. „Der Lehrertag war 
vom Geiſte wahrer Toleranz durchdrungen. Die Lehrer wollen feine 
Bundesreligion, feine eidgenöffliche Schablone für daB, was Jeder glauben 
fol.” Die Finanzfrage betreffend frage e& fi, ob die angeftrebte Schul- 
organifation die finanziellen Kräfte der Kantone nicht Überfteige. Für 
die induftriellen Kantone (weſtliche und nörblide K., für Glarus und 
Appenzell a. Rh.) könne biefe Frage verneint werden, indem fie bereits 
haben, was angeftrebt werde. Ein anderes fei es bezüglich der zurück⸗ 
gebliebenen Kantone des Hochgebirgs: Uri, Wallid, Unterwalden, Teifin, 
Graubünden, au Freiburg, Schwyz, Zug und Innerehoden. Da mälfe 
bee Bunb der Schule mit Subventionen nachhelfen. Mit einer Summe 
von einer Million Franken jährlich könnte ein beventender Fortſchritt 
erzielt werben. — Noch bemerkt der Korrefponvent, daß unter ber Lehrer⸗ 
fhaft von feiner weitgehenden Zentralifattion die Rede ſei. Die Be 
fürdhtungen erweifen ſich alfo als grundlos. — 

Mit Wärme und in zuftimmendem Sinne äußerte fi auch ber 
„Bund“ über obige Örundzüge für ein eidgenöſſiſches Unterrihtögefeg. 
Eine nationale Volksſchule bringe Eintracht, Kraft und neues ſchöpfe⸗ 
rifche® Leben in das Schweizervolk. Schon ver edle Stapfer habe dies 
i. 9. 1802 erkannt. Jetzt fei die Zeit da, feine Gedanken zur Ver⸗ 
wirflihung zu bringen. Referent bringt der Ueberfichtlichleit halber Die 
Hauptgefihtspunfte in ein Syſtem und erhält folgenden Grundriß: 
I. Schußeit: 1) Zahl der Alltagsſchuljahre, 2) Zahl der jährlichen 
Schulwochen, 3) Zahl der Jahre der obligatorischen Fortbildungsſchule; 
II. Unterricht: 4) Genehmigungsrecht ver xeligiöfen Lehrmittel, 5) ein= 
heitliche Lehrmittel, 6) Unentgeltlichleit ver Lehrmittel, 7) Kontrole durch 
den Bund — Inſpektion der öffentlichen und Privatſchulen durch Fach⸗ 
männer; II, Schüler: 8) Marimum ber Schülerzahl einer Schule; 
IV. Lehrer: 9) Minimum der Lehrerbefoldung, Bunbesjubfidien, 10) 
Freizügigkeit, 11) Hebung der Lehrerbildung. 

Die berniſche Schulfynode befhloß, die Petition der ſchweiz. 
Lehrer lebhaft zu unterſtützen. Daſſelbe geſchah von einem thurgauiſchen 
Berein. Auch bie Tehrerzeitung zog den Gegenfland neuerdings 








Mitteilungen über bas ſchweizeriſche Volkefäuliweien. 683 


in Erwägung in den Artikeln: „vie ſchweizeriſche Vollsſchule“ und bas 
„eidgendifliche Lehrerbefoldungsminimum”. Die Verfaſſer gelangten im 
Wefentlichen zu gleihem Reſultate. Driginelle Geſichtspunkte fanden 
wir im venfelben nicht, wohl aber eine fpeielle Auseinanberfegung 
(Schuldauer: vom 6—14 J., Marimum der Schülerzahl 60, Gehalte⸗ 
minimum Fr. 1000). An der demokratiſchen VBerfammlung in Winters 
thur legte Prof. Bögeli einen Entwurf eined Ergänzungs-⸗ und Bivil: 
ſchulgeſetzes vor, nach weldem bie Ergänzungsichule das 7.—9. Schuljahr 
mit 12 wöchentlichen Unterrigtöftunden, die obligatorifhe Zivilſchule 
bie Altersftufe mit mindeſtens 2 wöchentlichen Stunden umfaft; bie 
befonderen landwirthſchaftlichen und gemerblihen Fortbildungsfchulen 
würden in der Regel von Wanbderlehrern geleitet. — Daß das „Rütli‘ 
berichtete, man beabfichtige in maßgebenvden Kreifen, zur Ausführung 
des Schulartileld, am eidgenöſſiſchen Departement des Innern eine bes 
fonidere Abtheilung für das Unterrichtewefen aufzuftellen, an deſſen 
Spige ein Direktor oder eidgenöffifher Schulinjpeltor zu ftehen 
kãme, daß ferner Prof. Humbert ein Schriftchen veröffentlichte, worin 
er vor allem auf Gründung von fhweizerifhen Normal: 
ſchulen bringt, haben wir in der Einleitung angebeutet. 

2. Der militärifhe VBorunterrigt der Shuljugend 
und die Militärpflidt der Lehrer gehören zu ben wichtigflen 
Punkten der neuen ſchweizeriſchen Militärorganifation, welche in ven eid⸗ 
genöſſiſchen Räthen behandelt wurden. Der Bundesrat hatte im diefer 
Hinſicht folgende Beftimmungen in den Entwurf aufgenommen: „bie 
Kantone find verpflichtet, der ſchulpflichtigen männlichen Jugend denjenigen 
militäriſchen Borunterricht zu ertbeilen, weldher mit den gumnaftifchen 
Uebungen verbunden werden fann. In den höhern Schulen wirb dieſem 
Unterricht eine weitere Ausvehnung gegeben. Die Heranbilbung ber 
Lehrer zu dieſem Unterrichte gefchieht duch den Bund. Die aus ber 
Schule entlafjene Jugend ift bis zum Beginn ber Wehrpflicht zur Fort⸗ 
ſetzung dieſer Uebungen gehalten, welche jährlidy während wenigftens 15 
halben Tagen vorzunehmen find.” Die nationalräthlide Kom 
miffion rebuziete die Borfchläge auf folgende Beftinmungen: „Die Kan⸗ 
tone haben bafür zu forgen, daß die männliche Jugend vom 10.—20. 
Altersjahr durch einen angemeflenen Turnunterriht auf den Militär- 
‚bienft vorbereitet werde. Dex Lehrer erhält bie zur Eribeilung dieſes 
Unterrichts nöthige Anleitung in der Rekrutenſchule. Die Lehrer können 
nad beftandener Rekrutenſchule von weitern Dienftleiftungen dispenſirt 
werden, wenn die Erfüllung ihrer Berufspflichten dies nothwendig macht.“ 
Eine Minderheit der Kommiſſion beantragte Streihung jeber auf ven 
militärifchen Borunterricht bezüglihen Beftimmung. Da biemit die fünf: 
tige Stellung und Aufgabe von Schule und Lehrerfchaft zum Wehrweien 
fizirt werben follte, fo war es fachgemäß, daß ver ſchweizeriſcheLehrer⸗ 
verein, ber fih ſchon am Lehrerfeft in Baſel für diefe Idee aus» 
gefprodhen, die Frage neuerdings diskutirte, um ber gejeßgebenden Be: 
hörde vor der Schlußnahme ihre Anfichten fund zu geben. Sie entſchied 
fih mit Mehrheit für den bunbesräthlichen Entwurf. Ebenſo nahm ver 


684 Miütheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 


ſchweizeriſche Turnlehrerverein ben Gegenfland in reifliche Be⸗ 
rathung und gelangte bei ber Abſtimmung zu vemfelben Refultate. In 
gleihem Sinne äußerte fih ein Referent an ber zürch. Offiziers- 
gefellijhaft. Er betonte die enorme Bedeutung eines rationellen 
Turnunterrichts für alle Stadien ber Bollsfhule. Nach feiner Anſicht 
umfaßt der erfte linterricht eine Neihe Ordnungsübungen, die wejentlid 
der Soldatenſchule entſprechen, ferner Beräthe-, Frei und National 
übungen in methodiſcher Stufenfolge. Dieſes Turnen bis zum 15. 
Jahre entbehrte jedoch des eigentlichen militärifchen Gepräges. Fur die 
Periode vom 15.—17. Jahre müßte das Turnen Einheit in Kommando 
und Ausführung erlangen. Dazu kommen Exkurfionen, Märſche, Schiek- 
und Waffenübungen. Der eigentliche Waffenunterricht würbe auf bie 
pritte Periode bis zum 20. Jahre fallen. Referent beleuchtete ſchließlich 
vie Entwicklung des Kadettenweſens an höhern Lehranftalten. 

Die Stimmen der Preſſe waren nicht fo ausnahmlos für dieſe 
Neuerung. In der „Ölarnerzeitung” opponirte ein Schulfreund 
fowohl gegen die Wehrpflicht ver Lehrer, als auch gegen den projeltixten 
Borunterriht. Er wunſche ben Lehrer mit feiner vollen Thätigkeit in 
der Eule; an biefer Stätte könne er dem Vaterland weit mehr Segen 
bringen, als durch Refrutenumterriht und Waffenübungen. Die Zeit 
reiche nicht aus, um tüchtige Militär zu bilden; werde aber hiefür mehr 
Zeit in Unfprucd genommen, fo gefchehe dies auf Koften der Volloſchule 
und der Bollsbildung. Die Ferien, die man für den Relrutendienſt be 
flimme, feten für den Iugenderzieher zur lörperlichen und geifligen Er⸗ 
bolung durchaus nothwendig. Es fei nit vom Guten, daß man das 
Militärweien der Schule überordne, daß man fchon die Vollsſchule mit 
milttärifchem Geifte erfüle. Mit aller Ueberzeugung befänpfe er bie 
Militãr⸗Republik. — Auch „das Wochenblatt für den Seebezirk 
und Gafter” äußerte Bedenken gegen die weitgehenden Beflimmungen 
und war für Berwerfung Es fagte u.%.: „Wir befürchten vor allem, 
daß durch die obligatoriihe Einführung bes militäriihen Turnens ber 
Schule der Geift eines fireng militärifchen Formalismus eingeprägt, 
daß ein firammes Polizeiregiment die Oberhand gewinnen werbe. 
Zweitens bringt eine Ausdehnung des Turnunterrichts der Volksſchule 
auch in fahlicher Beziehung Schaden. Die Neuerung entzieht den Lehrer 
fo ſtark der Schule, daB er dem eigentlichen Lehrerberufe nicht mehr 
feine ganze Kraft widmen kann. Die Sache hat aud ihre bebenfliche 
finanzielle Seite. — Sollen denn alle Interefien dem Moloch des Mili- 
tarismus geopfert werben? Noch bekämpft der Korrefpondent die Mei⸗ 
nung, daß ber Militärbienft dem Lehrer Achtung und Popularität ver- 
ſchaffe. In Winterthur, wo die Lehrer dem Projekt beigeftimmt haben, 
ſei nit die geſammte fchweizerifche Lehrerichaft verfammelt geweſen. 
Im Zuge bes Fefttaumels fei vieles möglih. Wer recht Ted auftrete, 
das Maul vecht voll nehme, richte ba immer mehr aus, als wer be- 
dächtig die Sache anfafle und fie nach allen ihren Konfequenzen behanble. 
So gehe es bei verartigen Feftverfanmlungen. — 

Die Lehrer ber welfhen Schweiz (Waadt, Genf, Nenen⸗ 


Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 685 


burg) votirten, entgegen bem Beichluß der Lehrertage in Winterthur, 
für inng der Lehrer vom Militärbienfte. 

Im Nationalrathe befürworteten den Vorſchlag insbefondere 
die Hr. Stämpfli und Welti mit allen euer. Die Altersfiufe vom 
16.—20. Jahre fei bei der vollfien Emanzipation von allen Bilbungs= 
einricgtungen einer gewiflen Verwilderung ausgeſetzt; ver militäriſche 
Borunterriht Tiege daher nicht bloß im militärifchen, ſondern im all 
gemeinen Kulturintereſſe. Der militäriſche Vorunterricht werbe den Lehrer 
ſjelbſt heben und ihn zum ganzen ehr» und wehrfähigen Manne machen. 
Man bezwede nicht die Yörberung eines militärifchen Formenweſens, 
fondern die Hebung ber vaterländiſchen Wehrkraft in körperlicher und 
geiftiger Hinfiht. Es fei gerade das Gegentheil von Militarismus, 
wenn der militärifhe Borunterricht von ber Kaferne in die Schule ver⸗ 
legt werde. Darin liege für beide Theile eine weſentliche Erfrifchung. 
Die körperliche Ausbildung ftehe überhaupt in inniger Wechſelbeziehung 
mit der geiftigen und fei jo nothiwendig, wie biefe. In den glorreichften 
Zeiten unfrer Schweizergeſchichte giengen bie zivile und bie milttärifche 
Bildung Hand in Hand. Nur wenn die Schweiz in biefer Richtung 
rationell und eigenartig vorgehe, dokumentire fie ihre Exiſtenz⸗Berech⸗ 
tigung. Diefe Beftimmung fei der Edflein der neuen Militärorganis 
fation. Die ganze Idee fei eine neue und habe, wie alles Neue, mit 
Borurtbeilen zu kämpfen. 

Die Genfer und Waadtländer erhoben praftiihe Bedenlen und 
wiefen auf die vielen oppofitionellen Eingaben aus der franzöftfchen 
Schweiz hin. Wed, Arnold u. U. belämpften vie neue Idee. Man 
entfremde die Lehrer ihrem Berufe. Die militäriichen Uebungen arten 
in zwedlofe Spielerei aus. Der militärifche Nuten fei nicht fo groß 
und jedenfalls nicht mit dem Schaden zu vergleichen, welcher ber Volls⸗ 
faule erwachſe. 

Der Nationalrat faßte nach gefchloffener Diekaffion mit 86 gegen 
19 Stimmen folgenden Beihluß: Der Zurnunterricht hat mit dem 10. 
Jahr zu beginnen. Der militärifche Borunterriht wird auf die Gym⸗ 
naftif beſchraͤnkt. Ex fol nicht prinzipiell durch den Lehrer ertheilt werben. 
Auch Kinder der Privatfchulen haben ven militärifchen Vorunterricht zu 
befuchen. — Die Frage der Militärdienftpflicht der Lehrer wurde im Sinne 
ber Kommiſſion erledigt. 

Im Ständerath wollten bier einen Redner weiter geben und 
legten für die Fortfegung der Uebungen nad dem Austritt aus der 
Schule auf die Schiekübungen daB Hauptgewidt. Schule und Militär- 
weien haben einen analogen Zwed, den der Ausbildung des Volles. 
Sie erllärten fi gegen die Beſchränkung bes militäriihen Vorunter⸗ 
rihte auf das Turnen. Die andern wollten Dagegen noch weiter rebu- 
ziren. Der Militärunterriht könne nur von militärifch gejchulten In⸗ 
ftruftoren mit Nuten ertheilt werben. Das bloße Turnen aber ſei ein 
Schulfach, und bezügl. Vorfchriften gehören in ein Schulgejeg, nicht in 
eine Milttärorganifation. In Berggegenven fei ber projeftirte Borunter- 
richt gar nicht durchführbar. Die Abftimmung ergab folgendes Refultat: 





686 Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 


In der Primarſchule fell ver Turnunterricht eingeführt werben. Diefer 
Unterricht foll in ber Regel durch die Lehrer ertheilt werden. Die Lehrer 
find hiezu in den Seminarien und durch den Bund vorgubilden. Ben 
dem militärifchen Unterricht für bie reifere Jugend wurde abftrahirt. 
Die beiden Räthe einigten fih alsdann auf folgende Bunte: Die 
Lehrer find wehrpflictig. Sie Tönnen nad beftandener Rekrutenſchule 
von weiten Dienftleiftungen bispenfirt werben. Die Kantone forgen 
dafür, daß die männliche Iugend vom 10. Jahre bis zum Austritt aus 
ber Primarfchule durch einen angemeflenen Turnunterricht auf ven Mili⸗ 
tärbienft vorbereitet werden. Diefer Unterricht wird in ber Regel durch 
bie Lehrer ertheilt, welche bie Dazu nöthige Bildung in den kantonalen 
Lehrerbildungsanftalten und buch den Bund in ber Nekrutenfchule er 
halten. Die Kantone forgen ferner dafür, daß der militäriihe Turn⸗ 
unterricht allen Yünglingen bis zum 20. Jahre ertheilt werde. 

Der Chef des Militär- Departements ernannte hierauf eine Kom⸗ 
miſſion für Wusarbeitung eines Regnlativs für den militäri- 
hen Borunterridt. 

Die 1100 feldtüchtigen ſchweizeriſchen LTehrer im Alter von 20-—25 
Jahren erhalten ihren befondern Rekrutenſchulunterricht im 
Inzern und Bafel. Künftig follen biefelben jeboch nicht mehr geſon⸗ 
dert gefehult werben. 

3. Im Folge Intraftretung der neuen Militärorganifation bat ber 
Bundesrath für die Relrutenpräfungen und Nahfchulen ein 
Regulativ erlaffen. Daſſelbe beftimmt folgendes: Beim Beginn eines 
Rekrutenkurſes ift der Bilpungsftand ſämmtlicher Rekruten durch päbago- 
gifche Experten zu konſtatiren. Diefelben find ermächtigt, allen denjenigen 
Rekruten, welche wenigft:nd ein Yahr lang eine höhere Schule, als bie 
Primarſchule, beſucht haben, die Prüfung zu erlafien, fo fern die Zeug: 
niffe befriedigend erfcheinen. Alle diejenigen aber, welche fich nicht über 
eine das Primarſchulpenſum überfchreitende Bildung dur Beugnifie 
answeifen können, haben eine befondere Prüfung zu befteben in ben 
Fächern: 1) Lefen (Lefebuch fir die mittlere Stufe); 2) Auffap (Brief 
an die Eltern, Gefhichte des Bildungsganges der Rekruten); 3) Recht⸗ 
ſchreiben einiger biktirter Säge für foldhe, die keinen Aufſatz zu Stande 
bringen; 4) Rechnen und 5) Baterlandokunde (Geographie, Gedichte 
und Berfaffung). In dieſen Fächern werben folgende Noten erxtheilt: 
Lefen: 1 = medhanifches richtiges Leſen mit finngemäßer Betonung und nad 
Inhalt und Yorm befriedigende, zufammenhängende oder doch freie Re⸗ 
produftion ; 2 = befriedigende mechanifche Fertigkeit und richtige Beantwor⸗ 
tung von Fragen über den Inhalt des Belefenen; 3 — mechanifches Leſen 
ohne Nehenfchaft über ven Inhalt; A— Mangel jeder Fertigkeit im mecha⸗ 
nifhen Leſen. Auffag: 1 = Heinere fhriftliche Arbeit nady Inhalt und Form 
(Orthographiſche Interpunttion, Kalligraphie) annähernd korrelt; 2 = dae⸗ 
felbe bei erheblichem Mangel in der einen oder andern Richtung ober bei 
Heinen Schwächen in allen; 3 Form und Inhalt ſchwach; 4 == werthlofe 
Leiftung. Rechnen: 1 Fertigleit in ben vier Species mit ganzen und 
gebrochenen Zahlen aus dem Gebiete ber bärgerlihen Rechnungsarten; 





Mittheikungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 687 


2 —= die vier Specied mit ganzen Zahlen; 3 — bloß theilmeife Löſung 
obiger Anfgaben,; 4 = fein pofitives Refultat. Baterlandskunde: 1 = 
die Hauptmonsente der Schweizergefchichte und der Berfaflungszuftänte be= 
friedigend dargeſtellt; 2 — richtige Beantwortung von Fragen aus ber 
SGefhichte und Geographie; 3 — Kenutniß wenigftend einzelner That⸗ 
ſachen oder Namen aus diefem Gebiete, 4 — nichts. 

Ber in mehr als einem Fache tie Note vier bat, ift während ber 
Rekrutenzeit zum Beſuche der Nachſchule verpflichtet. Der Unterricht 
erſtreckt fih auf Schreiben, LTefen und Rechnen. Die nähere Anordnung 
bes Unterrichts iſt der Einſicht und der Beurtheilung ver hiefür berufenen 
Lehrer überlaffen. 

4. Die Fabrilgefegfommifflen bat die erfte Berathung des eid- 
genöffifden Fabrikgeſetzes beentigt. Die britte Abtheilung 
handelt von ver Kinderarbeit oder der Verwendung von minber- 
jährigen Arbeitern. Die betr. Bunkte heißen: Kinder, welche das vier> 
zehnte Altersjahr noch nicht zurüdgelegt haben, dürfen nicht zur Fabrik⸗ 
arbeit verwendet werben. Finder zwifchen 14 und 16 Jahren dürfen 
höchſtens 6 Stunden täglih in ver Fabrik arbeiten. Der Schul- und 
Neligiondunterricht darf micht beeinträchtigt werben, namentlidy darf die 
Fabrikarbeit demfelben nicht voraus gehen, Ale Sonntag- und Nacht⸗ 
arbeit von jungen Leuten unter 18 Jahren ift ausnahmslos unterfagt. 
Die weiteren, den Schub der Kinder betreffenden Kunfte, die mit bem 
Schulunterricht in keinem birelien Zufammenbang ftehen, übergehen wir. 

5. Die neue Bundesverfaffung und der Religions— 
unterriht in ben döffentliden Schulen Der „Schweizer- 
bote“ widmete viefem Gegenſtande beſondere Aufmerkſamkeit. Wir 
citiren aus dem bezüglichen Aufſatze nur einige der bemerkenswertheſten 
Stellen: „Art. 49 und 50 der neuen Bundesverfaſſung, welde vie 
religiöfen Fragen behandeln, fordern mit unabmeißbarer Konſequenz bie 
Entfernung des Weligionsunterrihts aus allen öffentlihen Schulen. 
Manche behaupten zwar, konfeſſionslos folle der Religionsunterricht 
fein, frei von Glaubensfäten irgend einer Art. Ein folwer konfeſſions⸗ 
loſer Religionsunterrigt, der den driftlih=religiöfen Sınn wede, fei 
möglih und nothwendig. Verfaſſer des Artifels zweifelt aber daran, 
daß fih ein Neligionsunterricht denken laffe, der für keme Konfeffion, 
feiner religiöfen Anfhauung ber Eltern verlegend wire. Er begründet 
feine Bedenken an der Hand der zwei bezüglichen Lehrmittel von 
MW. Fricke und Fr. Wyß. Da die reine Moral und die daraus reful: 
tirenden Pflichten das Intereffe der Kinder nicht anzuregen vermögen, 
fo nehmen beive Berfaflee ihren Stoff aus Geichichte, Sage, Literatur, 
Natur. Den gleihen Zmed, die Pflege des füttlihen Sinne, erreiche 
man alfo auch mit dem Unterricht in Gefhichte, Sprache und Naturs 
kunde, fomit fei der Eonfeffionslofe Religionsunterricht nicht nöthig. Er 
unterftellt beide genannte Bücher eingehender Kritik. Beide Schriften 
werben eine große Zahl Eltern gegen fi haben. Die leifefte Berlihrung 
religiöfer Fragen verurfache heftigen Streit. Mandes ſei ven Inden 
ein Aergerniß; anderes ftöre vie Bibelgläubigen. Es jet nicht möglich, 





688 Mittheilungen über das ſchweizeriſche Vollsſchulweſen. 


über Moral und Pflichtenlehre zu unterrichten, ohne daß man nad 
biefer oder jener Richtung Jorageliten oder Chriſten, Bläubige ober Un- 
gläubige, Konfeffionelle oder Verächter aller Konfeffionen verlege. Es 
ſei aber Pflicht, jede redliche Ueberzeugung zu ehren. Die Hauptſache 
feien die Geſinnungen, bie Thaten der Menſchen. Dies alles ſpreche 
alfo eher für Weglafiung alles Religionsunterrichts aus ber öffentlichen 
Säule. Zur GSittlichleit erziehe des Lehrers Talt und gutes Beiſpiel, 
die ganze Behandlung ber Unterrichtögegenftände, bas andre fei Sache 
ber Eltern und der Geiſilichen. 
Bon einem andern Standpunkte beleuchtet Hr. Pfarrer 3. Wirth 
bie Frage in einem fehr beachtenswerthen Aufſatz bes „religidfen 
Bolkoblattes“. Er fagt m. U: „Mit den Beflimmungen in Artifel 
27 und 49 wollte bie Bunbesverfaflung einerfeit® der Schule den rein 
bürgerlichen konfeſſionsloſen Charakter wahren und anderſeits ben Grund⸗ 
fat der Glaubens⸗ und Gewiffensfreiheit auch in der religiöfen Zugend⸗ 
erziehung zur Geltung bringen. Die Ionfeffionelle Trennung, aus ber 
eſchichtlichen Entwidlung des Chriſtenthums hervorgegangen, bis ins 
Fort des Volles eingedrungen, kann freilich durch eine gemeinfame, 
bürgerliche Bollsſchule noch nicht aufgehoben werden, und mancher fangni- 
nifhe Politiker giebt fi großen Illuſionen hin, wenn er Davon eine 
völlige Vermiſchung ber tiefgehenden Gegenſätze erwartet; body begrüßen 
wir jedes Mittel, das darauf hinzielt, die Tonfeffionelle Engberzigfeit, ben 
tonfeffionellen Yanatismus, ber fo großes Ungläd in unfer Vaterland 
— unſchädlich zu machen. Wie geſtaltet ſich nun aber auf dieſem 
oden das Verhaͤltniß der Schule zum Sefigionsnnterrichte? Diefe Frage 
ift durch die Bundesverfaflung keineswegs entſchieden; es ſtehen vielmehr 
immer noch drei Wege offen: 


a. entweder übergiebt man ben Neligionsunterridht in der Schule 
feloft den verfchiedenen Konfeffionen und Religionsgenoflen- 
ſchaften; | 

b. oder man fließt den Religioneunterricht vom Lehrplan ans und 
überläßt es den Eltern, außerhalb der Schule nad Gntfinden 
dafür zu forgen; 

c. oder endlich ertheilt die Schule von fi aus durch den Lehrer 
einen für alle Kinder berechneten Tonfeffionslofen Religionẽ—⸗ 
Unterricht. 


Verfaſſer bezeichnet bie zwei erſten Auswege als folgenſchwer, als durchaus 
verfehlte. Man entziehe dabei den Religions⸗Unterricht aller öffentlichen 
Kontrole. Das Reſultat ſei die vollftändige Monopoliſirung derſelben 
durch die Kirche. Er halte das für eine Verſündigung an der Kinder⸗ 
natur. Die Schule fer zugleih Erziehungsanftalt nnd bürfe bie ideale, 
bie fittlich-religiöfe Bildung nicht vernadhläffigen. Dies hieße den höchſten 
Zweck ver Schule verkennen, den fchönften Evelftein aus ihrer Krone 
reißen. Den ganzen Menſchen zu bilden, die ganze Menfhennatin 
zu erfaflen, zu weden, zu entwideln: das fei und bleibe die Aufgabe 
der Volksſchule, und dazu gehöre doch wohl auch ber Religionsunterricht. 








Mittheilungen Über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 689 


So wenig er alfo mit dem Beſchluß des fl. galliihen Großen Raths 
fi befreunden könne, der ben erften Weg betreten habe, ebenjo fehr 
firäinbe er fi) gegen den Gedanken, ven Religionsunterridt aus der 
Säule zu entfernen. „Wir verlangen vielmehr einen Eonfeffionslofen 
Religiongunterriht in der Schule und durch die Schule. Soll dieſer 
nme eine Sittenlehre fein? Die wahre Religion ift Sittlichleit, die 
wahre Sittlichleit ift auch eine religiöfe. Die Ethik, die Tugend⸗ unb 
Pflichtenlehre lann der Religionsunterricht Teineswegs vollftänpig erſetzen. 
Eine. abfolute Trennung der veligiöfen und ethiſchen Stoffe, eine völlige 
Ansſcheidung der Religion aus der Sittenlehre iſt nicht wohl durch⸗ 
führber. Was Gott zufammengefügt hat, das foll ver Menfch nicht 
ſcheiden. Alſo keine aparte Sittenlehre mit ängftliher Fernhaltung des 
Religidfen, fondern eine Bereinigung und Verfchmelzung beider Elemente 
zu einem geift- und gemüthbilbenden Unterrichte. Es giebt in der Religion 
ebenfo gut einen gemeinfamen Boden, einen Schag allgemein chriftlicher, 
menſchlich religiöfer Gedanken und Wahrheiten, die an feine Konfeſſion 
gebunden find. Die biblifhe Geſchichte ift auch konfeſſionslos. Es 
handelt ſich einfach um bie Einführung eines vernünftigen, dem Kindes⸗ 
alter wirklich entſprechenden, ausſchließlich nach pädagogiſchen Grund- 
ſätzen eingerichteten Religionsunterricht in der Schule. Ein ſolcher 
Unterricht wird die Kinder die Größe, Weisheit, Gerechtigkeit, Liebe 
und Gnade Gottes, des himmliſchen Vaters ahnen laſſen und dazu das 
Beſte verwenden, was er findet, ſtehe es in der Bibel oder in einem 
andern Buche; er wird die Kinder zu den Quellen des Wahren, Guten 
und Göttlichen führen, wie ſie in der Natur, in der Geſchichte, in der 
Bibel geöffnet find. Die Konfeffionslofigkeit ift das Ergebniß einer ger 
funden Pädagogik. Ein Religionsunterridt, der der kindlichen Yaflungs= 
kraft auf dieſer Stufe angemeſſen ift, kann gar uidht anders als fon» 
fefftonslos fein. An dieſen fchließt fih dann fpäter als naturgemäße 
Weiterführung ber kirchliche oder konfeſſionelle Religionsunterriht an. 
In der Religion kommt e8 mehr auf das Einfache, auf vie Praris, auf 
ben Charakter, als auf Glaubensanfihten an. Das Reich Gottes ift 
etwas viel Größeres, als jede Kirche und Konfeffion. Selbſtverſtändlich 
müßte der Beſuch des konfeſſionsloſen Religionsunterrits fakultativ fein.’ 
dr. Wyß, Redaktor der „Schweizerifhen Lehrerzeitung“ ſteht auf 
bemjelben Boden. In einem Aufſatze: „Das Verhältniß der Vollsſchule 
zum Neligionsunterridhte”, fpricht er folgenden Grundſatz aus: Der 
Religionsunterriht fol in der Schufe ertheilt werden und zwar durch 
den Lehrer, weil diefer dadurch ein Erziehungsmittel mehr in die Hand 
befommt, weil der Religionsumterricht eher vor Entartung geſchützt ift, 
wenn er nicht einem einzigen Stande ganz Überlaffen wird. Der Religions- 
unterricht darf nicht zum Schaden ver fittlihen Erziehung im Wiber- 
fprud mit der Erfenntniß und Wiffenfhaft fein, fondern in ihm follen 
fidy Glauben und Wiffen verfühnen. Der Wunderglauben muß fallen; 
denn er ſchwächt die Bernunft, den fittlichen Willen und bafirt auf einem 
niedrigen Gottesbegriff. Auch die Kirchendogmen müfjen vom Religions- 
unterrichte ausgeſchloſſen fein. Gott, Unfterblicleit und Tugend bilden 
Päd. Jahresbericht. XXVIL 44 





690 Meittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 


den alleinigen Inhalt berfelben. Diefe Trias ift das Gemeinſame aller 
KRonfeifionen. In diefen drei großen Ideen ift aud bie reine Ehriftns- 
religion enthalten. — Der religiöfe Unterrihtöftoff muß nad päbage- 
gifchen Grundfägen georonet und behandelt werben. Ein abfixafter und 
dogmatifcher Religionsunterricht iſt unpädagogiſch und unpraltiſch. Der 
Keligionsunterricht der Volkaſchule muß vielmehr eine geſchichtliche Grund⸗ 
lage haben. Er muß zum wahrbaftigen Zentralpunft des gefanumten 
Unterrichts werben.” — Tür den Eonfeifionslofen Religionsunterriät 
ſprach fi) auch Pfarrer Herzog in einer Schulrede aus. Einer bezüg- 
Iihen Schrift von Pfarrer Kinder haben wir.im legten Bericht erwähnt. 
— In den Räthen ver Kantone Glarus, Graubünden und St. 
Gallen führte die Diekufftien Über ven genannten Gegenſtand zu eb» 
baftem Kampfe. Mit diefer hochwichtigen Frage werben fi in nächſter 
Zeit au die [Hweizerifhe gemeinnätige Gefellfhaft und 
fpäter die Shweizerifhe Predigergefellfhaft befäftigen. 

6. Ein Israelite befhwerte fih beim Bundesrath 
über die Schlußnahbme ber narg. Regierung, zufolge 
welcher feinem Sohne der Zutritt zur Bezirksſchule nur unter ber 
bingung geftattet fei, als der Knabe die Anflalt auh am Samstag 
(Sabbath) beſuche. In dieſer Verfügung glaubte er einen Wibers 
fpruh mit der Bundesverfaflung zu erbliden. Nah Prüfung der Hier 
in Berückſichtigung fallenden Geſichtspunkte hat der Bundesrath gefunden, 
bie Verpflichtung, ein Kind am äffentlihen Unterricht, mit Ausſchluß 
des Religionsunterrichts, theilnehmen zu laſſen, ftehe mit Art. 27 voll» 
fländig im Einklang. Die Glaubens⸗ und Gewifiensfreiheit werbe 
dadurch nicht beeinträchtigt. In vorliegender Angelegenheit fei dies um 
fo weniger ber all, weil der Beſuch einer Schule und die Theilnahme 
am wifjenfchaftlihen Unterricht nicht als eine Arbeit, bie mit der Feier 
eine® dem Gottesdienſte gewidmeten Tages unvereinbar wäre, betrachtet 
werben könne; hinwieder fei der beliebige Veſuch des gejetlich vor 
gefchriebenen Unterrichts mit einer zwedmäßigen Schulorbnung durchaus 
unverträgli, und es könnte eine folche, namentlich in paritätifhen Ge⸗ 
meinden nicht durchgeführt werben, wenn es geftattet fein follte, bie Kin⸗ 
ber willlürlih am Unterrichte theilnehmen zu laflen oder fie bemfelben 
zu entziehen. Aus viefen Gründen wurde vom Bundesrath die Des 
ſchwerde als unberedhtigt erllärt. — Als der Betreffende den Rekurs 
an die Bundesverſammlung ergriff, wurde er vom Nationalrathe eben» 
falls abgemwiefen. 

7. Wirkſamkeit [hweizerifher Vereine zur Hebung 
des Schulmwefen®. 

a. Der fhweizerifhe Lehrertag (7. Sept. 1874). In der 
Schulſtadt Winterthur kamen ca. 1200 Vertreter ver Schulen aus allen 
Gauen des Schweizerlandes zu einem Kongrefle zufammen, um ba bie 
Konjequenzen der neuen Bundesverfaflung, foweit diefe die nationale 
Erziehung betrifft, zu befprehen. Mit dem kraftvollen Nägelin’fchen 
Chorgefang: „Wir glauben AN’ einen Gott” wurben die Verhandlungen 
in ber Stabtlirche eröffnet. Kerr Pfarrer Zollinger, Präſident des Feſt⸗ 


‚Mittheilungen über das fchmweizerifche Volksſchulweſen. 691 


fomites, begrüßte hierauf die Männer der Erziehung im einer gehalt« 
vollen Anfprache, worin es jedem ber drei Haupttraktanden: ber nationalen 
Boltsfhule, dem militärifchen Jugendunterricht und der Militärpflicht 
dee Lehrer, ebenfo dem Zeichnungsunterricht einige angemeflene Worte 
widmete. In ſchwungvollen Worten fchilverte der Redner die nationale 
Aufgabe der Schule. Mit wohlberechtigtem Stolze warf ber Redner 
zum Schluffe einen intereffanten Blick auf bie bermaligen Schnlzuſtände 
Winterthurs, welhe im Berhältniffe zur Einwohnerzahl dieſer Stabt 
wohl einzig in ihrer Art baftehen (Siehe: Bild des Schulweſens W...!) 
Winterthur war bemgemäß wohl bie geeignete Feſtſtadt, wo die ſchweizeriſche 
Lehrerfhaft tagen und fich wohl fühlen konnte. — Darauf handelte es 
fih um Aufftelung von Poftulaten, durch deren Erfüllung Art. 27 ber 
neuen Bundesverfaſſung wirkfam ins eben gefett werden follen. 
Regierungsrath Sieber forderte in feinen weitgehenden Theſen als noth— 
wendig gefeggeberifhe Konſequenzen des Art. 27 in Bezug 
auf eine nationale Bollsbildung: ein eidgenöſſiſches Schulgejeg, worin 
bie Forderungen eines genügenden Primarunterrichts ausgeſprochen wer» 
den, unentgeltliche Xehrmittel, ausreichende Lehrergehalte mit Beizug von 
Bundesfubfidien, ftaatliche Leitung und Inſpektion der Schule, Beſtim⸗ 
mungen, wonad auch der Privatunterricht unter flaatlihe Kontrole zu 
ſtellen ſei, das Maß ver Lehrerbildung, die Geſtaltung bes Xehrplans und 
der Lehrmittel nad einheitlihem Syſtem, bie Freizügigkeit der Schule 
und Lehrer, Hebung und Weiterführung ber Ergänzungsſchule, Umge⸗ 
ftaltung des Religionsunterrichts mit Ausflug alles Dogmatifhen und 
Konfeffionellen, Beftellung einer fländigen Kontrole über die Leiftungen 
der Primarfhulen in den Kantonen. — Im hiſtoriſchen Ueberblick, 
den Referent der Begründung feiner Thefen voranjchidte, charafterifirte 
er dor allem die Scherrfhe Schule, und verherrlichte mit Vorliebe die 
Berdienfte Schere. Alle Ahtung vor ben Leiftungen Scherrs! 
Aber ein offenbares Uebermaß von Lob Tann ver Sache nidt dienen 
und ruft der Erwiderung. Wir denken, das Hauptverbienft, der Lorber⸗ 
franz, gebühre Peſtalozzi. Er fteht uns oben an, und alle fpätern 
fhweizer. Schulmänner waren feine Jünger, die auf dem Fundamente, 
das er zum Grunde legte, weiter bauten. — Nationalrath Frei, ber 
zweite Botant, flimmte im Grundfag mit dem Referent überein. Statt des 
tonfeffionslofen Religionsunterrichts verlangte er aber den Ausſchluß des⸗ 
felben aus ber Boltsfhule und Webertragung befjelben an die Geift- 
lichen. Schulinſpektor Wyß kritifiete die Thefen des Referenten und 
fand dieſelben theils zu allgemein, theils zu betaillirt. Er vefümirte in 
trefflicher Weife fämmtliche Forderungen in folgende Hauptpunkte: Fixirung 
ber Anzahl der Alltagsſchuljahre und der jährlihen Schulwochen, Aus- 
behnung der Primarſchule, Feftftellung des Minimums der Lehrerbeſoldung, 
Beſtimmung gegen Ueberfüllung der Schule, Kreirung einer obligatorijchen 
Fortbildungsſchule. Andere Redner legten das Hauptgewicht auf die Er⸗ 
ftellung einheitlicher Lehrmittel durch eine eidgenöſſiſche Kommiſſion, auf 
bie eidgenöffifhe Infpeltion durch Fachmänner; die Dritten betonten bie 
Treizügigfeit der Lehrer, die Beranftaltung einer permanenten Lehrmittel⸗ 
44* 


692 Mittkeilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 


ausftellung; die Förberung bed Turnunterrichts; wieber Andere befür 
worteten vor allem vie Rothwendigkeit befiexer Lehrerbilbung, bie Felt: 
ftellung der Zahl der jährlichen Unterrihtäftunden (6300), eine Beſtimmung 
für genügende Beſoldung. Das Schwächſte an ber ganzen Verhandlung 
war die Abftimmung Der Präfivent hatte zwar den Abftimmunge- 
mobns aufgezeichnet Fformulirt; aber der Referent fand es nach dem 
fernhaften Votum von Wyß gerathen, ber Sache eine andere Wendung 
zu geben und von einer fpeziellen Abftimmung abzumahnen. Es wurde 
einzig und allgemein beichlofien, eine Petition an bie Bundesbehörde, 
betr. Erlaß eines eibgendffiihen Vollsſchulgeſetzes, einzugeben. Dies 
befriedigte gar Viele nicht, welche zugleich die Grundlinien und fpeziellen 
BZielpunfte bezeichnet wiffen wollten. 

Der zweite Berhandlungsgegenftand betraf „die Stellung ber 
LehrerimEntwurfder neuen Militärorganifation. Direkter 
Targiadör beantragte in ausführlicher Auseinanderfegung Die Zuflimmung 
zum bundesräthlihen Entwurfe, weil er das Wichtige treffe. SDiefem 
Votum für die Sache folgte ein nicht weniger eloquentes gegen 
biefelbe. Brofefior Daguet führte, Namens der romanifhen Lehrerſchaft 
mit oratorifhen Geſchick alle Gründe ins Feld, welche ein ungünftiges 
Licht auf das neue Projelt werfen konnten. Die Gerbeiziehung ver 
Säule und der Lehrer in der Wehrbilvung müſſe ihre verberblichen 
Wirkungen anf die Yamilie, die Schule und den Staat geltend machen. 
Der Redner fragt, warum man dem Lehrer noch mehr Pflichten auf- 
erlege, da ſchon die jegigen in keinem Verhältniſſe ftehen zu jeiner Befol- 
bung. Klage man bereits über Lehrermangel, fo werde dieſer ſtets 
größer, wenn ber Lehrer noch zum Waffendienfte verpflichtet werde. Der 
militärifche Beruf vertrage fih ganz und gar nicht mit bem frieblidhen 
Berufe des Lehrers. Der Lehrer fer ein Beamter der wahren Humanität, 
des Friedens, nicht des Kriegs. Die Schule dürfe nicht der Tummel⸗ 
platz dieſes nothwendigen Uebels fein. Humboldt und Agaſſiz haben auch 
als Soldaten der Wiffenfhaft von der Wiege bis zum Grabe dem Bater- 
Iande gedient. Welche Figur wohl Peftalozzi im Militärrock dargeſtellt 
haben würde! Der Lehrer, der zugleich Inſtruktor fein müfſe, ſei nicht 
mehr Lehrer. Man faye, der militäriiche Vorunterricht werde weſentlich 
bie Disciplin und den Gehorfam fördern; der militärifche Gehorſam jei 
aber die Configne, und diefe habe ſchon manches Blatt der Gefchichte 
fchredlich befchrieben. Indem man die Freiheit bes Vaterlandes nad 
außen zu wahren ſuche, zerftöre man alle Freiheit des Individuums. 
Die welfhe Schweiz fei aus Ueberzeugung gegen den altiven Militär- 
bienft des Lehrers und gegen die Einfügung bes militäriichen Unterrichts 
in den Organismus ber Schule. So äußerte fih ber Hebner, ber bem 
Milttarismus in dem Entwurfe energifhen Proteft entgegenfete. 

An der Diskuffion betheiligten fi) noch manche Redner und zwar 
die meiften im Sinne der vom Referenten beantragten Zuftimmung zum 
Brojelte, Die große Mehrheit erflärte dann auch wirklich die grund- 
fäglihe Zuftimmung zum Entwurfe der neuen Militärorganiſation, foweit 
biefe bie Lehrer und bie Schule betreffe; fie fpricht den ausbrüdlichen 





Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 693 


Wunſch aus, daß dem Lehrer, beir. Erfüllung feiner Wehrpflicht, keine 
Ansnahmeftellung zugemiefen werde. — Berichterſtatter ſtimmte in biefer 
Frage mit der Minderheit; er wird fi) aber freuen, wenn fich feine 
Bedenken und Befürchtungen ale grundlos erweiſen. 


Am zweiten Tage folgte eine Sektionsberathung Über „ven Zeich⸗ 
nungsunterriht auf den verfhiedenen Shulftufen. Es 
referirten die Herren Schoop und Weißbrodt. Die 10 aufgeftellten 
weitläufigen Theſen zielten im Wefentlihen auf: Betreibung bes Zeich⸗ 
nungsunterriht3 als Bildungsmittel, Erſetzung des Einzelunterrichts 
durch Klaſſenunterricht, Beihaffung von Wandtafeln und plaftifchen 
Mopellen, Kolorirübungen auf der Sekundarſchulſtufe, Entfernung des 
Landſchaftszeichnens anf der untern und mittlern Stufe ver Boltstäufe 
(als bloße Tändelei), Reorganifation des Zeichnungsunterrihts an, Semi= 
norien, Abhaltung von Exrtrafurfen und Gründung eines Bereins zur 
Förderung des Beichnenunterrichts. 


Ein andrer Theil der Feftbefucher wohnte einer gelungenen Bors 
führung des „Fonkauld'ſchen Bendelverfuhs” unter Leitung 
der Herren Schulrath Hirzel Gyſt und Lehrer Krzymowski bei; wieder 
andere befuchten die mit dem Lehrertag verbundene Schulansftellung 
zärd. Lehrmittel over die großen Etablifiementse von Winterthur, 
die ben Gäften offen ſtanden. Die Iugendfhriftenfommiffion 
hielt ihre Sitzung am erften Fefttage. ' 


Zum künftigen Feflorte wurde Bern und zum Präflventen Ers 
ziehungsdireltor Ritſchard bezeichnet. 


Einige öffentliche Blätter, wie die zürch. „Volkszeitung“ 
(Red.: Pfarrer Frei v. Illnau) und die fl. galliihe Oſt ſchweiz“ unter 
warfen die Beſchlüſſe des Lehrertags einer ſcharfen Kritik. Ste finven, 
ber fehweizerifche Lehrerverein verliere immer mehr den pädagogiſchen Cha⸗ 
zafter und finfe ftatt deſſen zur politifchen Agitationsverfammlung herab. 
Mit den Poftulaten Siebers fei der ganze Feldzugsplan der herrſchenden 
Partei gegen die Souveränität der Kantone anf dem Gebiete des Volks⸗ 
ſchulweſens und der religiöfen Gefühle des Schweizervolls zum unver: 
blümten Ausdruck gebracht. Das Bedauern über die Stellung ber ſchwei⸗ 
zerifchen Lehrer gegenüber ihren wahren und wirklichen Intereffen fteigere 
fih durch den Beſchluß betr. die Wehrpflicht des ſchweizeriſchen Lehrers. 
Wäre der erftere Beichluß ein Mittel, um die Zentralifation des Volks⸗ 
ſchulweſens duch ein Hinterthürchen einzuſchmuggeln, fo hätte ber 
Lehrertag, bemerken fie, die Rechnung ohne den Wirth gemadt. Hinter 
dee Bundesverfammlung flehe die Mehrheit des Schweizervolls. Je 
mehr fi der Lehrer mit hoher Tagespolitit beſchäftige, um fo ficherer 
büße er die Sympathie des Volles ein. Der Lehrertag in Winterthur habe 
bie Intereflen der Volloſchule und der Lehrer in keiner Weife gefördert. — 
Andere Blätter beurtheilten dagegen die Beſchlüſſe in beifälligem Sinne. 


b. Der fhweizerifhe Turnlehrerverein tagte im Oktober 
1874 in Züri. Es waren ca. 50 Mitglieder anwefend. Die Leitung 





694 Mittheilungen über das fchweizerifche Vollsſchulweſen. 


übernahm Herr Hängäriner. Zur Behanblung kam zunädft „das Schui- 
tuenen nad dem Militärgefeh- Entwurf”. Referent war Erziehungsrath 
Egg. Auf feinen Antrag wurde bem bunbesräthlihen Entwurf ein 
hellig beigeftimmt. — Referent unterfhieb drei verjchievene Stufen. 
Stoff und Betriebsweiſe jeder Stufe richte fih nach allgemeinen päda⸗ 
gogifhen Prinzipien. Die unterfte Stufe umfaſſe die obligatoriihe All» 
tagsichule (6—12 Jahr). Bier fei die Rückſichtnahme auf militärifche 
Bielpuntte auszufhließen; denn ba fei das reine Schultummen nad Spieß 
allein zwedmäßig. Auf der zweiten Stufe, welde die Knaben vom 
12.—15.-Iahre umfafle, follen die Turnübungen nah Geift und Ziel 
ſchon als eine Vorſchule der Wehrtüchtigleit behandelt werben. Als 
Uebungen nennt Referent: Wendungen, Märſche, Evolutionen, Preis 
übungen, Stabübungen, Wettlauf, Springen, Gerätheübungen. Die 
britte Stufe umfafle die Jahre vom Schulaußtritt bis zum bienftpflichtigen 
Alter und begreife aud die Schüler an obern Gymnaſien, Seminarien ꝛc 
in fih. Die Klagen über bie fehlimmen Folgen, die das ewige Schul- 
leben in Berbindung mit übermäßigen häuslichen Aufgaben für die Körper- 
liche Entwicklung bringen, werden immer lauter, und es mäffe den 
Menſchenfreund erjchreden, wenn nachgewiefen werbe, daß in obern 
Gymnaſien bei 80%, der Schüler an körperlichen Gebrechen leiden. 
Darum fei Abhülfe ein Gebot der Natur. Auf diefer Stufe fommen 
ſaäͤmmtliche Turngattungen in allfeitig gefteigerter Form mieber ver. 
Die Preis und Ordnungsübungen können ſchon ganz mit militärifcher 
Abfiht betrieben werben, ohne jedoch ſchon firenge auf die Regeln ver 
taktifchen Einheiten Rädfiht zu nehmen. Die Freiübungen gruppiren 
fih zu ſchwierigeren Kombinationen. Die Gerätheübungen treten in ben 
Bordergrund. Im ihrer Betriebsweiſe trete das fireng Schulmäßige 
zurüd; dazu kämen Qurnfpiele, Turnfahrten, Nationalübungen zur Foör⸗ 
derung der Gewandtheit und Kraft, ebenfo Hebung in Handhabung der’ 
Waffe und im Zielfhießen. „Wenn fo die Schule des Geifle und 
diejenige des Körpers ſich gegenfeitig durchdringen, fo exfteht ein Ge- 
ſchlecht mit Licht im Kopf, mit Muth im Herzen, mit Kraft im Arm“. 
Bund und Rantone hätten dabei folgende Leiftungen zu über- 
nehmen: Der Bund forgt dafür, daß alle dienfttauglihen Lehrer in der 
Rekrutenſchule zur Ertheilung des Turnunterrichts befähigt werben. Zu 
militärifchen Turnkurfen wird die männliche Iugend mehrerer Gemeinden 
zufammengezogen. Der Bunbesrath bezeichnet und beſoldet bie geeig- 
neten Lehrkräfte für diefe turnerifchen Mebungen. In den lebten Klaſſen 
wären Inſtruktoren ober Offiziere als Leiter am Platz. Der Bund 
erläßt die Reglements über die Disziplin und forgt für bie nöthigen 
Waffen. Alle ein ober zwei Jahre wird die junge Mannſchaft mehrerer 
Kreife zu Juſpektionen zufammen berufen. Beim Webertritt in ben 
eigentlihen Rekrutendienft findet eine Prüfung flat. Das eidgendfflfche 
Milltär-Departement befammelt alle Jahre eivgenöffliche Turn - Infpef- 
toren, um (Einheit in die Sache zu Bringen und zwifgen Wehr- und 
Schulweſen die nöthige Fühlung berzuftellen. Der Bundesrath ver- 





Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 695 


anlaßt die Ausarbeitung eines Hanbbuchs für den Turnunterricht und 
zwar durch Fachmänner ver Schule und des Militärs. Daffelbe biente 
als Grundlage zu tumerifher Bildung an Lehrerbilpungsanflalten und 
hätte alle Stufen der Leibesübungen vom Schuleintritt bis zum dienſt⸗ 
pflihtigen Alter nach pädagogiſchen und milttärifchen Zweden zu ums 
fafien. — Die Kantone forgen für Einführung des Schulturnens als 
Unterrihtsfach mit gleicher Berechtigung, wie die andern Fächer. Turn⸗ 
und Waffenäbungen find an allen Lehrerfeminarien einzuführen. Yür 
die bereit angeftellten Lehrer find Ertraturnkurfe einzurichten. Die Ge⸗ 
meindefchulräthe haben die nächte Aufficht über die Kurſe. Wünfchbar 
wäre bie Feſtſtellung eines Minimums der obligatorifhen Schulzeit. 
Die Gemeinden forgen für Turn⸗ und Spielpläke. 

An das vorzügliche Referat Schloß fi eine belebte Diskuffion. Ein 
anweſender Militaͤr opponirte gegen bie Meilitärpflicht der Lehrer, bie 
Referent abfihtli nicht berührt hatte. Die Lehrer leiften dem Vater⸗ 
lande in ihrer Stellung eben fo viel, als die Militär. Man folle nicht 
zu viel Beit mit Milttärlen verlieren. Die Schule werde Schaden leiden, 
befonders dann, wenn man bie Lehrer zu Offizieren heranziehen wollte, 
— Wie fhon angedeutet, wurde bei der Abftimmung der Anſchluß an 
den bunvesräthlihen Entwurf ausgefprocden. 

Das zweite Thema: „Stellung berlehrerinnen zum Schul» 
turnen“, wurde ſchneller erledigt. Der Heferent, Herr Niggeler, kam 
in feiner Arbeit zu folgenden Schlußfäßen: vie Lehrerinnen follen (wo 
folche angeftellt find) in den drei erften Klaffen der Primarfchule Turn 
unterricht für Knaben und Mäpchen ertheilen; über diefe Stufe hinaus 
nur an Mäpchenichulen. Sie follen die nöthige Borbildung für das 
Turnen erhalten. — Bei der Diökuffion äußerten fich die meiften Redner 
für die Gleichberechtigung. _ 

Ein treffliches Referat des Herrn Olatz von Bafel Über die „Zurns 
Literatur” wurbe mit großem Intereſſe angehört, gab aber zu keiner 
Diskuſſion Anlaß. — Zur Förderung und zur Populariftrung bes Tur- 
nens wurde befchloffen, alljäbrlihe Schulturnfefte einzuführen. 

0. Die Öeneralverfammlung des [hweizerifhen land— 
wirthſchaftlichen Vereins fand den 18. Oktober in Zug ftatt und 
war aus verfdiedenen Gegenden der Schweiz zahlreich befucht. Das zur 
Sprache gekommene Thema lautet: „Wie kann der landwithſchaftliche 
Fortſchritt Durch pra’tiich und wiffenfchaftlich geleitete Kurfe, durch Ber: 
ſuche und Proben am zwedmäßigiten gehoben werden?" Nach Ber- 
lefung bes WReferat® von Dr. Krämer und nad lebhafter Diskuffion 
gab der Berein folgenden Schlußfägen feine Zuftimmumg: die oblige- 
torifhen Fortbildungsſchulen, in denen landwirthſchaftlicher Sachunterricht 
Berädfihtigung findet, find Bedürfniß; die Anordnung von Spezial- 
turfen find den Kantons= Regierungen zur Unterftügung angelegentlich 
zu empfehlen; Winterkurſe find bei zweckmäßiger Organifation -und bei 
ausgedehnter Unterrichtszeit von großem Vortheil. Der Berein wird 
darauf hinwirlen, daß am -eingendffiichen Polytechnikum Zentralkurſe zur 

usbildung von landwirthſchaftlichen Fachlehrern eingerichtet werden. 


696 Mittheilungen über das ſchweizeriſche Vollsſchulweſen. 


Permanente Ausftellungen, verbunden mit Berfucheflationen, find ein 
mächtiged Förberungsmittel für Ianbwirtbfchaftlihe Bildung. . 

d. Am ſchweizeriſchen Gymnaſiallehrerverein, der im Okt. 
in Olten tagte, waren, mit Ausnahme der Gymnaſien der inneren Kan⸗ 
tone, bie meiften bentfhen Gymnaſien vertreten. Im der Anjprade, 
mit welder der Präfident, Profefior Hunzifer, die Berfammlung eröffnete, 
empfahl er vor allem das eifrige mund gründliche Stubium ver deutſchen 
Sprade. Es fei dies das befie Mittel, um den gegenwärtigen Geiftes- 
kampf zu einem kultucbefxuchtenden zu erheben. Sodann wurde für Er⸗ 
zielung einer Statiftil ver ſchweizeriſchen Oymnaſien die Gründung eines 
Bereinsarchivs beantragt. Hierauf folgte die Verlefung ber Theſen über 
Einrichtung eines Realgumnaflums. Dieſes legt das Haupigewicht theils 
auf bie neueren Sprachen, theil® auf die mathematifchen und natur⸗ 
wiffenfhaftlihen Fächer. Das Latein wird aufgenommen als wefent- 
licher Faltor der allgemeinen Bildung und als befle Grundlage für das 
Studium ber neueren Spraden und zur Beförberung der formalen 
Geiftesbildung. Der Unterſchied zwiſchen humaniftifgen und Realghinna⸗ 
flum fol aber erſt in ben obern Klaſſen jchärfer hervortreten. Das Real: 
gynmaſium bient zunähft zur Vorbereitung auf das Polytechnikum, 
dann aber auch auf die Univerfität. — Die Verhandlungen erwedten 
pas lebhaftefte Interefie. Als Hauptthema für die nächſte Berfammlung 
wurde bie Frage geftellt, wie ein Stundenplan einzurichten fei, der vom 
Grundſatz ausgehe, daß das humaniſtiſche Gymmaſium die gemeinfame 
Bildungsanftalt fein ſolle. Ein Redner meinte, es Liege nicht im Aug 
ber Zeit und aud nit in der Richtung bes praltiihen Schweizervolls, 
daß die bumaniftifchen Studien in bebeutendem Umfange betrieben wer: 
den; darum werde wohl bie Anficht, welche das Realgymnaſium für 
das zeitgemäßefte halte, ven endlichen Sieg davontragen. 

e. Dieſchweizeriſche gemeinnügige Geſellſchaft warım 
September in Freiburg verfammelt. Den erften Verhandlungsgegeuſtand 
bildete „der gewerbliche Unterricht, die Zortbildungsfchule und die Bildung 
bes weiblichen Geſchlechts“. Das intereffante Thema veranlaßte eine 
einläßliche Diskufflon, die jedoch feine Beſchlüſſe reſultirte. Dr. Kummer 
warnte davor, daß man die Primarſchule allzu ſehr dem Profefficnellen 
bienfibar mache und äußerte Bedenken gegen das Obligatorium ber Fort⸗ 
biſldungsſchule. Der diesjährigen Verhandlung in Lieſtal hat die Jahres⸗ 
direltion folgende päbagogifche Frage unterftellt: Das Verhältniß ber 
Vollsſchule zum Religionsunterrichte. (Bisheriges Verhaͤltniß. Sell aud 
in Zulunft ein Weligionsunterrigt in der Schule ertheilt werden? 
Wenn ja, durch wen? Welches ift der Inhalt foldhen Unterrichts? 
Referent Pfarrer A. Salie.) 

£. Die ſchweizeriſche reformirte Predigergefellfeft, 
die fi im Laufe dieſes Jahres in St. Gallen verfammelt, wirb aud eine 
Urbeit über folgendes Thema befprehen: „Stellung ber ſchweizeriſchen 
evangelifchen Kirche, insbefondere — des Religionsunterrichts, auf Grund 
der neuen Bundesverfafiung“. Referent: Pfarrer Pfeiffer in St. Gallen; 
Korreferent: Pfarrer Furrer in Ufer. 





Mittheilungen. über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen 697 


Im Jahre 1874 war biefefbe in Züri verfammelt. Wntiftes 
Finsler bemerkte damals im Eröffnungewort, er Halte einen Religions: 
unterricht, der gleicherweife bie Proteſtanten, vie Katholiken, die Juden 
und refigionslofe Leute befriebige, für unmöglich. 

g. Nach dem offiziellen Schluß bes Lehrertages in Winterthur 
griimdete eine Anzahl Lehrer einen Berein zur Förderung des 
Zeihnenunterrihts. Seither beſchloß berfelbe die Herausgabe 
eines eigenen Organs, dad unter bem Kitel: „Blätter für den 
Beihnenunterricht" erfcheint und von Weißbrodt in Baſel rebi- 
girt wird. 

h. Das Bahresfer des chriſtlichen Lehrervereins 
(Oktober, Bern); Konferenz von Freunden Kriftlider Er» 
ziehbung (Juli, Zürich). Wir konnten nit ermitteln, ob dies zwei 
Bereine oder nur ein Verein unter verjchiedenen Namen fe. — Es 
famen da Referate über „ven Religionsunterricht in der Vollsſchule“ 
(von Lehmann), „Ueber den Ausbau der Vollsſchule“ (vou Bränbli), 
„die heutige Pädagogik im Lichte der heiligen Schrift” (on Sekundar⸗ 
lehrer Schumacher), „vie freien Lehrerſeminare“ (von Dir. Bachofner) 
zur Beſprechung. 

i. Der offfhweizer Armenerzieher:Berein verjammelte 
ih im Mai d. I. in Trogen. Die Haupttraftanden waren: „Bericht 
über die Armenlehrerbildungsfrage“, Referent Schmieb von. Olsberg; 
„Referat über Waifenerziehung” von Wellauer in St. Gallen. Ueber 
die Verhandlungen berichten wir ſpäter. 

k. Der Ruf nah Gründung eines ſchweizeriſchen Volls— 
bilbungspereins wurbe von einem Blatte alfo mobivirt: Mit den 
bloßen Lefen, Schreiben und Rechnen in den vier Spezies bei ven 
Relrutenpräfungen wird der Beweis für den Fortſchritt der Bolksbildung 
noch nicht geleiftet. Die Bildung muß noch mehr in die untern Volks⸗ 
fhichten dringen. Wohl macht die ſchweizeriſche gemeinnätige Geſellſchaft 
auch die Volksbildung zum Gegenftand ihrer Verhandlungen; wohl behan⸗ 
delt der ſchweizeriſche Tehrerverein Themata, die das Schulweſen befchlagen; 
aber ein Verein, welcher die Vollsbildung zum ausfchlieklichen Gegen: 
fand feiner Wirkfamleit macht und Mittel und Wege beräth, wie ein 
einbeitliche® Vorgehen, gemeinfame Einrichtungen in allen Schweizer⸗ 
ſchulen zu treffen, zu organifiren feien, ein folder Verein befteht noch 
nicht und wäre doch fo nöthig. Zwei Befahren, der Sozialismus und 
der Ultramontaniemus, mahnen zur Gründung, mahnen an gränblichere 
Pflege und Förderung ber Bollebilbung zc. x. 

8 Schweizeriſche Bilpungsanftalten. 

a Laut Programm des eidgenöſſiſchen Polytechnikums 
befanden fih 1874/75 an biefer Anftalt 676 reguläre Schüler — inbe⸗ 
griffen die 84 Schüler des mathematifchen Borbereitungsfurfes — und 
zwar 277 Schweizer und 399 Ausländer. Die flärkfte Frequem zeigte 
die Ingenienrfchule mit 287, die geringfte die Forſt⸗ und landwirth⸗ 
ſchaftliche Schule mit 14 Schülern. Die Zahl der Mechaniker betrug 
188, der Chem.ker 88, der Architelten 25, bie fogenannte fechfte Ab⸗ 


698 Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 


theilung ober die Schule ber Fachlehrer der Mathematik und Natır- 
wiſſenſchaft zählte 26 Schüler. Dazu kamen 275 Zuhörer, wovon 
93 Stubirende der Hochſchule; Geſammtzahl 951. Am Polhytechnikum 
fol nın aud ein Lehrkurs über Gefunbheitepflege eingeführt werben. 

b. Die Sammlung für die ſchweizeriſche katholiſche Rettungs- 
anftalt Sonnenberg bei Luzern ergab Fr. 11,617 als Averſal⸗ 
beiträge und Fr. 3482 als Yahresbeiträge. 

o. Dem 35. Jahresbericht der ſchweizeriſchen Rettung danſtalt 
Bächtelen entnehmen wir die Angabe, ba anfangs die Zahl der Zög- 
linge 53 betrug. 9 Zöglinge wurden im Laufe des Jahres aufgenommen 
und 50 Anmeldungen mußten abgewiefen werben. Am Schluffe bes 
Jahres waren noch 52 Knaben vorhanden, die fih auf neun verfchiedene 
Kantone vertbeilten. 


9. Beiträge zur [hweizerifgen Schulſtatiſtik. 


a. Aus Dr. „I. 3. Eglis'Taſchenbuch für ſchweizerifche 
Geographie, Statifil, Kulturgeſchichte xc.“ und aus ber 
„Zeitſchrift für fhmeizerifhe. Statifil” (zur Kenntnig ver 
ſchweizeriſchen Rettungsanftalten) entheben wir folgende ſtatiſtiſche An⸗ 
gaben: Die Schweiz zählte 

3 Hochſchulen in Bafel, Züri und Bern, 2 Thierarzneifchnlen 
in Bern und Züri und 3 Alademien in Raufanne, Genf und Nenchatel. 

6 Priefterfeminare in Luzern, Freiburg, Solothurn, St. Gallen, 
Chur, Wallis, 

13 Taubſtummen-Anſtalten (davon 3 ftaatliche) mit 233 Knaben 
und 159 Mädchen. Werth ber Immobilien Fr. 371,100, Kapital 
Fond Fr. 311,900. 

2 Biindenanftalten in Zürid und Bern mit 58 Knaben und 
54 Maäbchen. Wertb der Immobilien Fr. 924,478, Kapital» Fond 
Fr. 1,108,700. 

1 Blindenafyl in Laufanne. 

47 Rettungsanftalten in 131/, Kantonen und 7 fogenannte Arbeits: 
fhulen mit 1077 Knaben und 470 Mädchen. Werth der Immobilien 
Sr. 2,761,900, Kapital⸗Fond Fr. 2,098,400. Züri bat 4, Bern 
12, Luzern 1, Glarus 2, Solothurn 2, Baſel 5, Schaffhaufen 1, 
Außerrhoden 1, St. Gallen 6, Graubfinden 2, Yargan 3, Thurgau 1, 
Waadt 1, Neuenburg 6. Ohne ſolche Anftalten: Uri, Schwyz, Unter: 
walden, Zug, Freiburg, Tefftn, Wallis, Genf, Innerrhoden. 

b. Zur Tehrerbefoldungsftatiftif enthält ber Bericht ber 
bern. Erziehungsdirektion an den Gr. Rath („die Befolpungen 
ber Brimarlehbrer im Kanton Bern, vergliben mit den 
Befoldungsverhältniffenveräbrigen Schweizerkantone“) 
reihen Stoff. Der Bericht diente als Beweismaterial für die Dringlich⸗ 
keit der Lehrerbeſoldungserhöhung. Die Reſultate dieſer gründlichen 
und gewifienhaften ſtatiſtiſchen Aufnahme liefern einen werthvollen Beitrag 
zur: Auflläraug der Blonomifchen Stellung der Lehrer und laſſen zunächkt 
erkennen, daß die Befoldungsverhältniffe des Lehrerperfonals einen, wen 





Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 699 


auch nicht abfolut genauen, doch fihern Schluß auf die Zuſtände bes 
Schulweſens überhaupt geftatten. Die Lehrerbefoldungen bilden ven 
Hauptheil der Leiftungen für das Schulwefen überhaupt; in ihnen fpiegelt 
fih im Großen una Ganzen die Schulfreundlichkeit, das Intereſſe an 
der Volksbildung ab. Wir Iaflen die Kantone nad ber Größe ber 
durchſchnittlichen Lehrerbeſoldung folgen. 


1. Baſelſtadt... Fr. 2817 13. Bern ...... Fr. 977 
2. Zürich..... „ 1470 14. Luzern..... u 953 
3. Außerrhoden. „ 1235 15. Solstfum... „ 877 
4. Glarus.... „ 1226 16. Seebug.... „ 793 
5. Schaffhaufen. „ 1176 17. Bug ...... „ 742 
6. Neuenburg .. „ 1165 18. Schwyz..... „ 132 
7. Thurgau... ,„ 1083 19. Innerrhoden .. „ 568 
8. VBaadt .... „1068 20. Obwalden... „8565 
9. Genf ..... „ 1058 21. Nidwalden...„„479 
10. Baſelland... „ 1010 22. Uri....... „ 390 
11, St. Sollen... „ 996 23. Graubünden... „ 380 
12. Yargau .... „994 24. Zeffin ..... u 368 
25. Wallis... . Ir. 195. 


Diefe Angaben beziehen ſich auf das Jahr 1871. Seither wurden bie 
Gehalte wohl in allen Kantonen mehr ober weniger erhöht. Das 
Zablean zeigt eine Überrafchende Rangordnung. Sämmtliche reformixte 
Rantone ftehen mit dem liberalen Tatholifchen Kantonen Genf uud St. 

en oben an, bie Fatholifchen konfervativen Kantone aber ftehen unten. 
— Rah jenem Bericht beträgt die mittlere gegenwärtige Gefammt- 
befoldung für Lehrer und Lehrerinnen bed Kantons Bern mit ben 
Erhöhungen bis Oktober 1874 Fr. 1048. Die Vergleihung ber 
Lebrerbefoldungen mit ben Löhnungen anderer Berufsflafien fällt fehr 
zu Ungunften ber erfleren aus, namentlich wenn man bie Erwerbsthätig⸗ 
teiten ins Auge faßt, die ungefähr denſelben Bildungsgrad verlangen, 
zu weldem bie Konkurrenz ben Lehrkräften mehr oder weniger offen ſteht. 
An die Beſoldung der Primarlehrer leiftet der Staat ca. 131/,%,, bie 
Gemeinden 861/,%/,. Eine vergleichende Tabelle des Berichtes giebt 
Auskunft über die Berhältniffe der Staatsleiftungen an bie Schulen zu ben 
Sefammtausgaben: Bern 24,7%/,; Züri 28,8%, ; Luzern 44,8%, ; Uri 
86,790; Baſelſtadt 76,9%, ; Bafelland 43,1%; Appenzell Innerrhoden 
739%; Yargau 25,4°/,; Neuenburg 28,3%, ; Genf 68%,. Die Budget 
für Staatöbeiträge find jedoch feine Gradmeſſer für die Kulturzuftände, 

10. Die Unregung des Herrn Dr. Tſchudi, betr. die Erftellung 
einer permanenten [hweizerifhen Schulansftellung, ift 
auf beſtem Wege, in.nächfter Zeit realifirt zu werben. Der Schulverein 
der Stadt Zürich, beſtehend aus Mitgliebern der Schulbehörde und aus 
Lehrern, hat die Idee algeptirt und ift auch fogleih zur That gefchritten. 
Er hat fi mit dem Vorfland des nen errichteten Gewerbemufeums in 
Zirih In Verbindung geſetzt, und bie Ausftellung von Lehrmitteln umb 
Scäulgeräthen wird num als eine befonbere Wbtheilung des Muſeums 


700 Mittbeilungen über bas ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 


aufgenommen und umter befien Divektion geftellt werden. Die Wünſch 
barkeit und Nothwendigkeit eines ſolchen Unternehmens wird allfeits 
anerfannt. Die Schulausftellungen von St Gallen und Winterthur bei 
Anlaß der ſchweizeriſchen Lehrerfefte daſelbſt, fowie die Weltauöftellung 
in Wien, haben deutlich gezeigt, wel’ reiches Material unferm Bater: 
lande zu Gebote fteht und welch’ anſchanliches, lebendiges Bild von den 
Beitrebungen auf dem weiten, ſchönen Gebiete der Schule eine perma- 
nente fchweizerifche Schulausftellung geben müßte. Zürich verdient dafür 
Anertmung, daß es die Gelegenheit ergriff, eine ſolche in® Leben 
zu rufen. u 

Gerade zu einer Zeit, wo der Bund im Begriffe ift, die geifligen 
Interefien in ein Ganzes zu vereinen, blrfte es auch am Plage fein, 
einen äußerlihen Sammelpunkt deſſen zu fchaffen, was die Schule in 
ihrer praktiſchen Thätigkeit zu Tage fördert. 

Das ganze Unternehmen kann aber nur durch vereinte Kraft und 
duch freundliche Unterflügung von Seite der Schulbehörden und Schul: 
freunde unſers gemeinfamen Vaterlandes recht gelingen. Es wirb tie 
Ausftellung vor allem die allgemeinen Volksſchulen, die Mittelihulen und 
die BVorbereitimgsfhulen für Univerfität und Polytechnikum in ihren 
Bereich ziehen und fo ein allfeitiges, anſchauliches Bild der Entwidlung 
unb ber Bebürfniffe unfrer ſchweizeriſchen Schule geben. Allfällige Senbun: 
gen find zu abreffiren an „bie ſchweizeriſche Schulaußftellung in Züri”. 

Die „Rene Züricher Zeitung“ äußert fih hierüber u. U. alfo: 
„Seitdem die Wiener Ausftellung die Schule, äußerlich wenigftens, in 
ihre Rechte eingefegt, machen ſich alläberall vie wohlthätigſten Yolgen, 
bie aus dem Vergleich der Beftrebungen andrer Böller erwachien, geltent. 
Die Zentralifation des ſchweizeriſchen Schulweſens durch die Bundesgefege 
ift gewiß nicht zum Meinften Theil der Erkenntniß zu verbanfen, daß 
ein vepublilanifches Gemeinwefen nicht monarchiſchen Staaten zuräd: 
bleiben darf. Es werden in Zukunft in unferm Vaterlande die Beſonder⸗ 
beiten, die jeder Kanton nad eigenen Prinzipien großzog, dem allge- 
meinen vaterländifchen Geifte weichen müſſen, und bie ſchweizeriſche Bolts- 
ſchule wird bald die wiberftrebenpften Elemente vereinen. Der Bunb 
wird Geſetze aufftellen, welche dieſe Ivee verwirklichen, dieſes Biel herbei⸗ 
führen werben. Die äußerliche Darftellung dieſes gemeinfamen Interefſes 
if die Schöpfung einer permanenten ſchweizeriſchen Schulausflellung. Die 
Hr. Dr. Tſchudi und Prof. Rambert haben hiezu die Anregung ge= 
geben. Welch’ ein intereffantes Bild müßte eine foldde Ausftellung wicht 
geben von den Beitrebungen ber verfchiedenen Kantone auf dem Gebiete 
der Jugenderziehung und welche förderung des Ganzen und Einzelnen 
müßte nicht in dieſem befländigen Vergleich liegen! Es follte denmach 
allgemeines fchweizerifches Interefie fein, eine ſolche Ausftellung zu ſchaffen, 
und wir begrüßen es mit Freuden, daß bie Stadt Zürich dus Werk an 
die Hand genommen bat. Sie ift berufen, hierin der Mittels und 
Sammelpunft zu fein. Gewiß werben bie Zantonalen Exziehungs- 
bireftionen frendig mitwirken. Wir wiufchen dem buch vaterlänbifchen 
Patriotismus ind Leben gerufenen Werke beten Erfolg! 











Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 701 


Die jüngft erſchienenen, Höchft intereffanten Schriftchen von Dr. Tſchudi 
und Profefſor Rambert werden wir im nächſten Berichte eingehender berück⸗ 
fihtigen. Bet diefem Anlaß empfehlen wir ſchweizeriſchen Verlegern und 
Verfaſſern von Schulfchriften auch die Comeninsftiftung, Die pädagogiſche 
Zentralbibliothek in Leipzig, wohlwollender Rückſichtnahme. 

11. ©egenwärtig wirft man in ber Schweiz mit großem Eifer 
für Errichtung Fröbel'ſcher Kindergärten Wir erinnern 
zunächſt an bie einfhhlägigen, aufmunternden Schrifthen von Wellauer, 
Morf, Lämmlin, Böller, Hollmann, Wachter. Züngft trafen wir auch ein- 
gehende Auffäge über dieſen Gegenftand in der „ſchweizeriſchen Grenzpoſt“, 
in der „Neuen Züriher Zeitung”, „Appenzeller Zeitung“, im „Schweizers 
boten” und „Toggenburger Anzeiger‘. Dieſe Anregungen blieben nicht 
ohne den gewünſchten Erfolg. Wie wir früher berichtet haben, eriftirt 
bereit3 ein folder Kindergarten in St. Gallen, allwo eine Anftalt für 
mebr als 100 Kinder eingerichtet wurde, bie trefflich gedeiht und mit 
welcher auch ein Inſtitut zur Heranbildung von Kindergärtnerinnen vers 
bunden worden if. Die Anftalt befigt ein eigenes Haus, an befien 
Koften (Fr. 58,000) duch Freunde dieſer Beftrebungen ca. Fr. 11,500 
an freiwilligen Gaben hbeigefteuert wurden. In Wallenftabt wurde eine 
derartige Anftalt für bie Kinder ber Fabrikarbeiter zu gründen beſchloſſen. 
In Winterthur hat bie Hilfögefellfehaft ein gut gelegenes Stüd Land 
angelauft. Im Auftrage derſelben beſuchte Herr Morf verſchiedene 
Kindergärten in Deutſchland und legte die viesfallfigen Beobachtungen 
im Winterthurer Neujahröblatt nieder. In Aarau hat fih ein Grün⸗ 
dungslomitd gebilvet, welches den Rathhausgarten bafelbft zu einem 
Spielgarten für Kinder einrichtet, auch eine Juchart Land zu kaufen 
beabfihtigt, um im bemfelben einen Heinen zoologifhen Garten anzu: 
legen. Der Banplan für das Gebäude, das nöthigenfalls für 300 Kinter 
Raum bieten fol, ift entworfen, und es find die Koften auf Fr. 90,000 
veranschlagt. Auf den Aufruf an die Einwohnerſchaft Aaraus folgten 
erfreuliche Zeichnungen freiwilliger Beiträge. — Auch Zofingen rüftet 
fi zur Gründung eines Kindergartens. Im Langenthal fteht ebenfalls 
ein Kindergarten in Ausficht; in Thun ıft ein ſolcher fett 1874 eröffnet 
(N, Züriger Zeitung), In Züri ift die Sache auf Anregung von 
Hr. Pfarrer Wachter in beſtem Gange. Die Kommilfion denkt zunächft 
an bie Erridtung von drei Stindergärten, je für 35 Kinder. Jedes 
Kind hätte jährlih Fr. 6—60 zu bezahlen. Die Koften für das 
Gebäude x. werden zu minbeftens Fr. 100,000 berechnet. Approri⸗ 
mativ betragen bie jährlichen Ausgaben Fr. 6000, die Gehalte für 
3 Lehrerinnen Fr. & 1500. — Wir fügen biefem bei, daß gegen- 
wärtig au in Bafel, Luzern und Flawyl Vorkehrungen zur Gründung 
von Kindergärten getroffen werden. Im Tichtenfteig wurde im Dlai d. J. 
ein Kindergarten eröffnet. 

Pfarrer Wachter, ein begeifterter Freund der Kindergarten- 
ſache, ſpricht fi in feinem „Vortrage“ über Fröbel'ſche Kindergärten in 
klarer, gewinnender Weife über Zwed, Prinzip, Bedeutung, Einrichtung, 
Methode und Biel, über die Bildungsmittel: Spiel, Beſchäftigung, 


702 Mittheilungen über das fehweizerifche Volksfchuliwefen. 


Erzählung und Gefang aus. Die Kindergärten unterfcheiben fi dem⸗ 
nad von den Kleinkinderſchulen, tie früher den Charakter bloßer Bewahr⸗ 
anftalten für die vorſchulpflichtige Jugend trugen, befonbers durch ihren 
erzieberiihen Zwei. Nach des Berfaffers Anfiht wären die Kinder 
gärten nicht bloße Surrogate der häuslichen Erziehung, ſondern eine 
nothwendige Ergänzung berfelben. Er befirwortet mit Wärme bie 
Aufnahme berfelben in den Organismus der allgemeinen Bollserziehung. 
Um viefem Unterbau der Volksfchule immer mehr Boden zu gewinnen, 
wünſcht er zuvdrderſt bie Exftellung eines Volkslindergartens als Muſter⸗ 
und Zentralanſtalt. 

Hr. Morf giebt in ſeiner ſehr intereſſanten Schrift: „Aus dem 
Fröbel'ſchen Kindergarten‘ Bericht über das Ergebniß feiner Schulreiſe. 
Zu beſſerem Verſtändniß der Kindergartenſache ſchickt er feiner Bericht⸗ 
erſtattung eine kurze und überſichtliche Darlegung ver Ideen und An⸗ 
ſchauungen Fröbel's voraus. Am Schlufſe faßt er das Reſultat feiner 
Studien, die Beobachtungen feiner Kindergärtenbeſuche in kurze Säge 
zufammen. Morf fand einzelne muftergültig eingerichtete und gut ge 
leitete Kindergärten, die jeden überzeugen, daß die beveutungspollen Ideen 
Fröbel's geeignet feien, eine Reform ber Jugenderziehung zu begränben. 
Doch fand er in ber Praris auch manche bedenkliche Schattenfeiten. Die 
Ausführung entſpreche den Anforderungen einer gefunden und richtigen 
Pärazogit noh an wenigen Orten. Auch vie äußere Einrichtung fei 
nicht felten eine mangelhafte. So fand er da und dort zerfirente, 
gähnende Kinder, ein finnlofe® Zändeln, geſchmackloſe Reime, fort 
währennes Kontroliven, affektirtes, altkluges Gerede und känftliches, ſchul⸗ 
mäßiges BVielerlei, und doch wäre, fagt der Berfaffer, die Ausführung 
bes Prinzips im Weſen eine fo einfahe Sache und bebürfe nicht fo 
vieler Künfte. Bon vielen Kindergärten gelte das Wort von Claudius: 
„Sie fpinnen Luftgefpinnfte und fuchen viele Künfte und kommen weiter 
von dem Ziel". Auf Grund feiner Erfahrungen empfiehlt Herr Morf 
den wohl organifirten, päbagogifh geführten Kindergarten, dringt aber 
alles Ernftes auf Vereinfachung findergärtnerifcher Bethätigung, auf mehr 
Zeit zu freier Bewegung, für freie Selbfithätigleit der Kinder. 

12. Herr Brofeffor Ofenbrüggen geftattet uns, feine 
Mittheilungen über das fhweizerifhe Schulmefen („Der 
Schweizer daheim umb in ber fremde‘, der „Gebirgsſchulmeiſter“) auszugs⸗ 
weile für unfern Bericht zu benügen. Wir thun dies um fo eher, ba fie 
mandy’ hartes Urtheil etwas mildern, indem nach dieſer Darftellung die 
Schulzuflände in einzelnen Bergfantonen (wie Obwalden) nicht fo 
bedenklich erfcheinen, wie fte fonft gewöhnlich gefchilvdert werben. 

„Ste Volkeſchule ift ohne Zweifel ein Werthmeſſer der Kultur 
eines Landes, Aus der Beſchaffenheit des Schulhaufes fann man auf 
den Bildungsfland einer Gemeinde fließen. Wenn man geneigt fein 
darf, das Schulweſen in den reformirten Kantonen höher zu fiellen, als 
in den Kantonen mit katholiſcher Bevölkerung, jo muß man doch wit 
dem bezügliden Rechnungsabſchluß vorfichtig fen. Der Halbkanton 
Obwalden gehört durchaus zu den katholiſchen Kantonen der Schweiz, 





Mitiheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 708 


barf fi aber eines. guten Schulwefens rühmen. In Samen, Kerns 
und Sachſelen fieht man das ſchon an ven flattlihen Schulhäufern, die 
der Stolz ver Gemeinden find. Es zeigt fi Hierin ein edler Wett- 
eifer. Tritt man mit ben Leuten in Verkehr, jo kann man fich Leicht 
überzengen, daß e8 mit der Schulbildung bort gut beftellt if. 

In armen Bergbörfern Graubündens dagegen ift oft gar kein 
Schulhaus, fonvdern im Pfarrhauſe ift ein Shulimmer, und ber Lehrer 
ertheilt den Unterricht gemeinfchaftlih mit dem Pfarrer. Da und dort 
ift er auf „Rundeſſen“ angewiefen, indem er in wöchentlihem Wechſel 
in ben verfdiebenen Häufern des Dorfes feine Nahrung findet. Die 
Stellung der Lehrer in Bergbörfern bilvet einen Gegenfat zu derjenigen 
in den Fortſchrittskantonen. 

In vielen Berggegenden, wo das Hirtenleben bominirt, iſt ber 
katholiſche Kaplan zugleich Schulmeifter. Die Verbindung des Pfarramts 
und Schulamts findet fich befonders in Wallis, das in Beziehung auf 
allgemeine Vollksbildung noch fehr im Rückſtande iſt. Bor einiger Zeit 
empfahl der Unterrichtsminifter in Wallis feinen Lehrern, ihre Stellung 
buch Kolportiven fih zu verbeflern. 

In der Bildungsatmofphäre find die Gegenfäge in ber Schweiz 
ſehr flarl. Die Schweiz wirb auch bei der Neugeftaltung das Sand der 
Marigfaltigleit, Eigenthümlichkeit und auch der Gegenfäte, namentlich 
im Schulweſen, bleiben. In dem idylliſchen Hochthal der Alpen wird 
nur im Winter Schule gehalten. Der Lehrer hat eine Inappe Befol- 
bung, von welder er nicht leben kann; daher muß er eine Nteben- 
beihäftigung ſuchen, wozu er Zeit genug bat. Er ift zugleich Bauer 
oder treibt ein Handwerk. In Graubünden find bie jüngern Lehrer im 
Sommer in großer Zahl Kellner in den Kuranſtalten, over fte find 
Bergführer, Poſtkondulteure, Fuhrlente ꝛc. Kine ftarfe und fonderbare 
Häufung von Aemtern fand ich vor einigen Jahren ‚bei einem Lehrer 
in Obers Ormont (Waadt), Der Mann war im Winter Lehrer, aber 
das ganze Jahr hindurch Gemeinderath, Gerichtöfchreiber, Salzauswäger, 
Poftmeifter und Briefträger. \ 

Wohl leiften die größern Stäptelantone im Schulwefen mehr als 
bie Berglantone. In den meiften der erſtern Kantone kann ſich das 
Schulweſen wohl mit jevem deutſchen Rande mefjen, und die Befoldungen 
ber Lehrer find anfländig. Für die zurüdgebliebenen Kantone ift nun 
eine Yortfchrittsbewegung fehr wünſchbar; aber es frägt ſich, wie dieſelbe 
mit Sicherheit herbeizuführen ſei. Bei ver ftarfen Neigung zu größerer 
Zentralifation denkt man baran, die Bunbesfompetenz für die Schule 
zu erweitern. Damit wäre bem Bunde ein Recht eingeräumt, welches 
eine Beihränfung der bisherigen Santonalfouveränität enthielte; einem 
ſolchen Rechte müßte eine gleich große Pflicht entfprechen. Rechte und 
Pflichten des Bundes könnten nit nur darin beftehen, daß bie zurück⸗ 
gebliebenen Kantone gemafregelt und normirt würden, den fort« 
gefchrittenen Kantonen nachzueifern, fondern er müßte audy mit Gelb 
nachbelfen. Ob ber Bund im Stande fein würde, ven Schulunterricht 
in ben Berggegenben für das ganze Jahr obligatorifch zu machen, muß 


704 Mittheilungen über das ſchweizeriſche Bollsfchulwefen. 


ich bezweifeln. In Berggemeinden wirb ſchwer eine regelmäßige Sommer: 
ſchule buxchzuführen fein. Die Gebirgeleute jagen, die Schule fei der 
Kinder wegen da, nicht umgekehrt. Die. Geifbuben, im gefunder Berg: 
luft körperlich und geiflig —5 und nm. holen im Bunter das 
Berfäumte ſchneller nad, als man glauben follte. — Eine vom Bunde 
ausgehende unb ben Kantonen zur Pflicht gemachte Aufbeflerung ber 
Lehrergehalte würde nicht nur eine bebenflihe Zwangemaßregel fein, 
fondern allgemein mehr haben, als nügen. Es ift in ber Schweiz eine 
erfreuliche Erſcheinung, daß bie Gemeinden in richtiger Erlkenntniß ber 
Nothwendigkeit guter Schulbildung nad beften Kräften thun, was fie 
vermögen (?). Wir lefen fortwährend von Erhöhungen ber Lehrerbeſoi⸗ 
dung durch die Gemeinden. Würde das aber den Gemeinden zur Pflicht 
gemacht, was fie jetzt freiwillig thun, fo Fönnte ihr Interefje für bie 
Schule verringert werben. Das Bedürfniß einer guten Schulbilbung 
ift in der Schweiz fehr allgemein auerlannt, und ih glaube, ba ber 
Bund fi möglihft hüten fellte, als eibgenöfftfcher Eäulinfpeftor 
aufzutreten. 

Steigen wir von ben Primarf chulen zu der hödjften Nänweigerilgen 
Lehranſtalt auf, fo finden wir aud da eine Bundesfrage, — Der B 
faſſer giebt nun eine intereffante hiſtoriſche Skizze über tie Borb 
ſtadien, die Vorgänge und Beftrebungen zur Erzielung einer —— 
Univerfität (feit 1848 bis heute). Die Gründung einer eibgenöfftichen 
Hochſchule Liege im ſchweizeriſchen Intereffe. Sie wäre vom nationalen, 
wie vom wiſſenſchaftlichen Gefichtöpuntte höchſt wichtig. In der eit- 
gendffiichen Zulunfts-Univerfität müßte fich der Charakter ver Schweiz 
abfpiegeln. Da wäre ein inniges Zufammenleben der Iugenb eher 
möglih, ald an Schügen: und Sängerfeſten. Eine heille Frage je 
allerdings diejenige nach dem Site ber eibgenöffiichen Hochſchule. Da 
erwache die wechjelfeitige Mißgunſt, bie Eiferfucht, das Sonderintereſſe- 
Für die portionsweife Vertheilung der Fakultäten könne er fi nicht 
befreunden. Verfaſſer fährt dann alfo fort: Es if barin fein Wider⸗ 
ſpruch, daß ich glaube, der Bund habe fich der direkten Einmifhung in® 
Volksſchulweſen möglichſt zu enthalten; bagegen die Schöpfung einer 
eidgenöſſiſchen Hochſchule mit aller Kraft an die Hand zu nehmen. Um 
das Vollsſchulweſen auf die wünſchbare Höhe zu bringen, dazu bebarf 
es des Eifers der Gemeinden und des Kantons, und in ber materiellen 
Entwidiung wird ftet8 aud ein Fortichritt ver a enthalten fett. 
Die Kantone haben felbft Kraft und Einfit genug, für ihre geiftigen 
Iuterefien zu forgen; ter Bund bat gar nicht .nöthig, fi) ins kantonale 
Schulwejen zu mifchen. 

Sollte es, wie ich hoffe, bald zur Errichtung einer eingenöfflfchen 
Univerfität fonımen, und id bin bed Glaubens, daß es dazu kommen 
muß, fo giebt ſich die republikaniſche Schweiz Das Zeuguiß, daß fie ven 
Sag erkennt: „Willen ift Macht. Die Hochſchule wird nicht nach der 
Schablone gemacht, ſondern in der Organiſation und im Lehrplan ihre Eigen⸗ 
thümlichleit bewahren. Die Loſung muß lommen. Der nene Verfaſſungs⸗ 





Mittheilungen über das fühmweizerifche Volksſchulweſen. 705 


kampf dreht fi um daſſelbe Prinzip. Die Errungenſchaft bes Kampfes 
wird die eidgenoſſiſche Univerfität fein. 

12. Andeutungen einiger Hauptfehulfragen, bie in ſchwei⸗ 
zerifhen pädagogiſchen Zeitfhriften und in der Tages» 
preffe behandelt wurden. 

Des Raumes wegen beſchränken wir uns bei umferer Umſchau in 
ber Regel auf bloße Angabe der Themate und zwar folder, bie bie 
Richtung ber Zeit oder den Geift des Blattes bezeichnen. 

a. Die „ſchweizeriſche Lehrerzeitung” enthielt Längere 
Leitartifel über „vie foziale Stellung der Lehrer“, „vie moberne Bildung 
und bie Anftalten für diefelbe”, „die Meilitärpflichtigleit ver Geiftlichen 
und Lehrer”, über ben „interfonfeffionellen Religtonsumterriht”, „ven 
Fröbel'ſchen Kindergarten”, „bie Schulpräfungen”, die „höhern Mäbchen- 
ſchulen“, die „Anforderungen an einen Schulinfpeltor”, die „Berufung 
zum Lehramt”, die „Diefterwegfeier” c. Die „Blätter für die 
Hrifllide Schule” brachten Auffüge über „Willensbildung und 
Autorität” („Viele Eltern bringen e8 nicht dazu, einen nnbebingten 
Gehorfam zu fordern. Und doch gebeiht das wahre Tebensglüd nur auf 
dem Boden des Gehorfams‘‘), die „konfeſſionellen und konfeſſionsloſen 
Schulen‘ („vie Tonfeffionslofe Schule ift weder Fifh no Vogel. Sie 
wirb zur,bloßen Unterrihtsanftalt erniedrigt. Der Grund ber konfeſfions⸗ 
Iofen Schule Liegt in der heutigen Aufklärung, in der Verflimmung gegen 
das Poſitive in der Religion, in der Feindſchaft gegen die Bibel. Sie 
ift ein Werk des Zeitgeiftes, der fi) von allen religiöfen Banden los⸗ 
machen will’), die „Tugend⸗ und Pflichtenlehre von Fr. Wyß“ (das 
Buch entſpreche dem Zweck nicht; es verlege fowohl bie Inden, als auch 
bie Angehörigen hriftlicher Konfeffionen), über ven „religidfen Fanatismus 
in der liberalen Lehrerzeitung”, „vie Lehrerbildung” (tadelt die übermäßig 
gefteigerten Anforderungen), „Gedanken über die heutige pädagogiſche An- 
fhauung”. Im „Berner Schulblatt“ fanden wir Originalartilel über 
„einige Hauptmängel in ber pädagogiſchen Praxis und die Beſeitigung der⸗ 
felben‘‘, ven ‚gegenwärtigen Refruten-Schulunterricht” (derſelbe fei verwerf⸗ 
lich), die „‚religiöfen Lehrmittel in der Volksſchule“, „ven militärifchen Vor⸗ 
unterricht und die Wehrpflicht der Lehrer”, die „Grammatik in der Vollks⸗ 
Thule" (für Beſchränkung, aber nicht fie Beſeitigungſ. Das „katho⸗ 
Life Volksſchulblatt“ brachte faft in jever Nummer Aufſätze über 
„Kirchenmufilaliſches“, auch ein „goldenes ABE der edlen Geſangskunſt“, 
dann über ben „Thenterbefuh der Schuljugend“, die „Pſychologie in 
ihrer praltifhen Anwendung”, die „Schulbefuhe von Behörden und 
Eltern”, ferner: „Bilder aus der Schule ans dem Anfange des heutigen 
Schulweſens“, „eine Vollsſtimme über das gegenwärtige Erziehungs» 
weſen“, „das fchweizerifche Miotikon“. Nah allen biefen Blättern 
mehren fih die Stimmen über Meberladung der Schule 
mit Fächern umb ber Kinder mit Aufgaben. Nen eriheinende päbagos 
giſche Journale find: Der „pädagogifhe Beobachter“ in Winter⸗ 
thur, das „Uargauifhe Schulblatt“ und bie „Blätter für ben 
Zeichnenunterricht“ ꝛc. 

Dad. Jahreabericht. AVI. 45 





706 Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 


b. Ein Zeitungsblatt wies auf die merfwärbige Erſcheinung bes 
allmäligen Zurüdweihens der dentſchen vor ber frauzöfifhen 
Sprade in den Grenzdiſtrilten der Schweiz (Wallis m. a. O.). Rum 
wird aber von andrer Seite gerade bie entgegengefegte Erſcheinung kon- 
ftatirt. So gebe e8 am Bielerfee, in der Nähe des Murtuerfee’s umd 
im bern. Jura Ortfchaften, in denen bie franzöſiſche Sprache allmälig durch 
die beutfche verbrängt werde. In ben neuenburgiſchen Bergen bilden 
die Deutfchfchweizer eine eigentlihe Madt. Während ba und bort noch 
im vorigen Jahrhundert die Gemeinveprotofolle und die Schulen fran- 
zöftfch waren, ſpreche die Bendlferung nun vollftändig dentſch. Dieſe 
Umwandlung laffe fi aber auf die fehr natürliche Erſcheinung zurüd- 
führen, daß bie bortigen franzöſiſchen Schulen buch Verfügung des da⸗ 
maligen Herrſchaftsherrn in deutſche, und daß mit ber Schulſprache auch 
vie Volksſprache umgewandelt worben fei. 

' c. Aus einer „Darlegung des Wachsſsthums der reinen 

Demotratie” von Prof. Bogt und aus einem Aufſatz über „die 
Sortentwidelung berfhweizerifhen Demofratie unb ber 
Volksſchule“ erfehen wir ben enorm raſchen Fortſchritt ver ſchweizeriſchen 
Demtofratie. Die Statiftil zeigt, daß ſchon 1872 14 von 25 Kantonen 
irgend welche Einrichtungen befaßen, vie fi ber reinen Demokratie mehr 
oder weniger näberten. Die Lanbögemeinbelantone (Uri, Glarus, Unter: 
walden, nid u. ob d. W., Appenzell ARh. u. INH.) zählen 138,000 
Einw., die Referendumslantone (Zürich, Bern, Schwyz, Solothum, 
Bafelland, Graubünden, Thurgau, Yargan) ca. 1,346,000 Seelen Wohn: 
bevölkerung — bie 11 übrigen Repräfentativ- und Veto Kautone zu: 
fammen 1,171,000. Die veine Demokratie umfaßt ſomit ſchon 56 °1, 
der fchweizerifchen Bevölkerung; fie hat alſo innert einem Jahrzehend 
bie Oberhand gewonnen. Angeſichts biefer enormen quantitativen Trieb 
kraft bes demokratiſchen Gedankens darf man fi fragen, ob denn aud 
bie qualitativen Waltoren, die Volksſchule, die Vollsbildung, eim ent- 
ſprechendes Wachsthum erfahren haben. Mit Einführung der Demo- 
fratie erlangt die Volksſchule eine weit höhere Bedeutung. Die Ant- 
wort auf obige Frage fällt für mehrere Kantone nicht erfreulich aus. 
Was kann man von ber gebeihliden Fortentwidelung erwarten, wenn 
bie Volksſchule ſolche Zuftände zeigt, wie eine bezügl. Tabelle (fiehe 9.) 
zeigt? Da darf man es wohl als eine Pflicht des Bundes bezeichnen, 
geſetzgeberiſch etwas Einheitliche zu ſchaffen und armen Kantonen eme 
Geldunterſtützung zu gewähren, ohne die bort feine weientliche Verbeſſe 
rung möglich iſt. 

d. Em Artikel des „W. Landboten“ „Zur Trage Des 
gewerbliden Unterrichts“ fagt, zu einer durchgreifenden 
Hebung der gewerblien Bildung komme e8 nur dann, wenn man ge 
eignete Lehrer gewinne, bie eingelebt feien in bie Arbeiterfreife, für bie 
fie wirken follen, Lehrer, die in Theorie und Praris gleich gefeftigt da⸗ 
ftehen. Lehrer techniſcher Anftalten follten für einige Zeit auf die Wanber- 
ſchaft fid) begeben. Gerade mit Gewinnung eines tüdtigen Lehr⸗ 
perfonals, fpeziell durch Ertheilung von Reifeftipendien, follte der Anfang 








Mittbeilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 707 


gemacht werben. „Schaffe man gute Lehrer! — und für bie Schulen iſt 
ſchon geſorgt.“ | 

e. Ein anregendes Wort „über Die phyſiſche Erziehung“ 
enthält das „Wochenblatt vom Seebezirkt“. Die Tabellen ber ärztlichen 
Unterfuhungstonmiffion ftellen feit 20 Jahren bie Thatfache feft, daß 
30—40 %/, der jungen Bürger wegen Gebrechen oder mangelhafter 
körperlicher Entwidelung vom Militärdienft befreit werben. Sie bes 
weifen, daß die geiftige Bildung mehr oder weniger auf Rechnung ber 
phyſiſchen ftattfinde. Die gleihen Erfcheinungen werben wohl aud beim 
weiblihen Geſchlechte vorlommen. Mit Recht werben dieſe betrüßenpen 
Erſcheinungen theilweife ber Berufsbeſchäftigung und ber mangelhaften 
Nahrung zugefchrieben. Eine Vergleihung zwifchen einem Volksſchlag 
einer agrilolen und einer inbuftriellen Gegend zeige zur Genüge, daß ber 
erſtere ftärker und kräftiger fei. Eine andere Urfadhe finde man in ber 
Schulzeit. Der tägliche Schulbefudy (6 St.) fei ein zu langer. Die Schul- 
luft und die gebrüdte Stellung in den unzwedmäßig konſtruirten Bänten 
üben einen entfchieden nachtheiligen Einfluß aus. Dem aufmerkfamen 
Beobachter. werde es nicht entgehen, daß die Kinder während der Ferien⸗ 
zeit munterer und blühenber werden. Gar oft höre man von Eltern 
bie Klage: „Das Kind hat keine Farbe mehr, feit es in die Schule geht.“ 
„Dur Reduktion der Schulzeit von 6 auf 4 tägl. Stunden und durch 
Einführung angemefjener Turn⸗ und Leibesübungen, als obligatorifhen 
Lehrgegenftand, würben wir uns für eine kräftigere körperliche Ent⸗ 
widelung unfrer vaterländifhen Ingend viel verfprehen. Eine gefunde 
Entwidelung des Körpers kommt auch dem Geifte zu gute, Nicht bie 
Länge des Unterrichts, fondern feine Fruchtbarkeit bebingt den Erfolg.” 


f. Einem Auffat in der „St. Gallerzeitung” „Die Klerilalen 
und die Jugenderziehung“ entnehmen wir folgende Gedanken: 
Wie wäre e8 ein edler Wettlampf, wenn bie gegenfeitigen ‘Differenzen 
in unfern politifchen, fozialen und päbagogifhen BVerhältuiffen auf ehr- 
lihe Weife, mit ehrlihen Waffen, mit gegenfeitiger Achtung ausgefämpft 
würben! Geſchieht die gegenfeitige Bertheidigung in fachlicher, grumb- 
fägliher Weife, fo ift ber Rap! ein bildender; geſchieht dieſer unter 
Verleumdungen, wie ihn jetzt die ultramontane Preſſe führt, iſt er ein 
unwürdiger. Wir ſind Bürger des gleichen chriſtlichen Staates, der die 
Hauptaufgabe hat, für die freie Entwickelung aller menſchlichen Anlagen, 
für die Deranbilbung der Jugend zu fittlic guten Bürgern zu forgen. 
Aber nun beginnt der Streit Über die Erziehungsweife in der Familie. 
Während die einen fagen, daß den Eltern die Erziehung ihrer Kinder 
zuftehe, kommt eine andre Partie und behauptet, die fittlichereligidfe Er⸗ 
ziehung fei Sache der Kirche, und es gebe im Grunde nur eine ein- 
zige, alleinfeligmachende, die römifch-fatholifche Kirche. Die Pfleger diefer 
Kirchen feien die katholiſchen Geiftlihen, und dieſe allein haben bas 
Recht, den Kindern den fittlichsreligidfen Unterricht zu geben. Das iſt 
der große Kampf unfrer Zeit, der Kampf ver freien geiftigen Erziehung 
mit dem todten Formalismus und dem Außern Gepränge. "Im nde 

45° 


708 Mittheilungen über bas fehweizerifche Volksſchulweſen. 


führt alles auf biefen Widerſpruch umb bie frage zuräd, ob biefe ſo⸗ 
genannte alleinfeligmachende Kirche bie Berechtigung habe, ihre 
ausfchlieglich zu Lehren und zu praftiziren, fo daß neben berfelben vie 
Keäte bes Yamilienvaters, die Rechte des Staates rein nichts mehr 
gelten. 

g. Wir machen bier noch aufmerffam auf „bie pädagogiſchen 
Studien‘ von Rob. Weber, im Sonntag8blatt des Bund Wr. 15 ꝛc. 
ferner auf das Referat über die Leſebuchfrage (fiche Glarus) und 
über Guillaume's Vortrag über die hauptſächlichſten Urfaden 
der Berbreden (fiehe Ber). 

14.Veberfiht per nenern Erfheinungen ver päbagogis 
hen Literatur der Schweiz. Werke, bie im Bericht berührt find 
und ſolche, welde nur in neuer Auflage erſchienen find, werben nicht 
genannt. 

a. Shriften allgemein pädagogiſchen Inhalte: 
I. C. Haug, Prof, „über die Bildung von Sekundarlehrern“; O. Hun= 
ziker, „I. I. Wehrli als Armenerzieher und Sem.-Dir.; D. Hun» 
ziker, „Ph. E. v. Wellenderg, der Stifter v. Hofwyl“. B. Kühne, 
„Biogr. v. Gall. Morel.“ Einfleveln, Tr. Koller, „Lebensbild v. 
alt. Sem.⸗Dir. Srunhoßer”; R. Seifert, „mnfere zukünftige Gemeinde⸗ 
faule”, St. Gallen; I. I. Kummer, „pas Fortbilpungsfchulwefen”, 
Ben; 9. Rüegg, „Gutachten betr. die Einklafſenſchulen“ 2. Bühler, 
„Geſch. des oberaarg. Sekundarſchulweſens“, Ben; „Schweizerifcher 
Lehrerlalender 1875; Sem.:Dir. Bachofner, „bie freien Lehrer 
ſeminare“, Zürich; Ida Sulzb erge t, „der Taubſtummenfreund“; 
„Siebenter Bericht des ſchweiz. Lehrervereins“; Dr. Fr. Tſchudi, 
„Wiener Weltausſtellung. Schweiz. Bericht über das Bildungsweſen“. 
1. Thl.; Rambert, „Bericht Über das Bildungsweſen“. 2. Thl.; 
„Jahresbericht der Erziehungsanſtalt Einfiedeln”; „Mittheilun 

en über die Wiener Weltausſtellung“. Bafel. Fr. Zehender, „über 
Bektüke ber weibl. Jugend‘; H.Welti-Kettiger, „Über bie Trennung 
von Staat, Kirche und Schule‘. 

b. Religionsunterriht: 8. Schlager, Pfr., „zur Charalteriftif 
ber beiden religidfen Richtungen”, Yarau; 9. Brüllmann, Pfr, 
„Religion und religiöfe Richtung”; W. Langhans, „vie chriftliche 
Lehre, für den Konfirmanden-Unterriht dargeſtellt““ Mayer, Pfr. 
„Kinderlehrbuch für die evangelifche Kirche des Kantons St. allen“; 
Ed. Langhans, „Handbuch der biblifhen Geſchichte und Literatur, 
Ben; Ed. Langhans, „pie heilige Schrift. Leitfaben für den 
Religionsunterriht an höhern Lehranftalten”; Heuer, Pfr., „Religiöfe 
Lieber für Schule und Haus”, Bern; Pfr. Linder, „der Religions⸗ 
unterricht in der Volksſchule“; Pfr. Herzog, „Konfeifionslofe Schule 
und Religionsunterricht". Dlten. 

0. Sprahunterridt: H. Lutz, „Materialien zur Auffaplehre 
auf ber Oberftufe ver Volksſchule“, Zürich; Meißer, „ver beutfche Auf: 
fag". 3 Thl.; Sr. Epinger, „Leſebuch für Sekundarſchulen“ zc., Bern; 
C. Ruſegg, „Aufgabenſammlung für grammatifche und ftyliftifche Uebun⸗ 





Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 709 


en”; Berftenberg, „Geſchichte ber deutſchen Literatur”; Alb. 

uhn, „vie Bebentung der mittelhochdeutſchen Poeſie“. Einſiedeln; 
„Proben und Jahresbericht über das ſchweizerdeutſche Idiotikon“. 
H. Breitinger, „die Grundzüge der franzöfiſchen Literaturgeſchichte“; 
H. Breitinger, „bie franzöſiſchen Klafſiker' M. GOötzinger, 
„Deutſche Dichter”, neue Auflage. 


d. Unterriht im Rechnen und in der Geometrie: 
NR. Brei, „neues Rechenbüchlein für die 1. Klaſſe der Vollsſchule“. 
Degersheim; Ph. Reinhard, „neue Methode für den Rechnungs⸗ 
unterriht auf der Elementarftufe”, Bern; U. Pfenniuger, „Lehr 
buh der Arithmetik und Algebra“. 2 Th. Zürid; F. Jacob, 
„Mebungsbeifpiele für die Rehnungsführung” ; S. Fäs, „das metrifche 
Syſtem“, Aarau; Ph. Largiader, „praltiihe Geometrie”. 3. Aufl. 


Ä e. Realunterridt: Dändliker, „Lehrbuh der Geſchichte 

bes Schweizervolls". H. Nitegg, „Bilder aus ber Schweizergefchichte”, 
Züri; Fricker, „Schweizergefhichte für Mittelſchulen“; 5. Herzog, 
„Sxzählungen aus der Weltgefchichte”. 4 Thl. Aarau; Dr. 3. Stridler, 
„eine Schweizergeſchichte“. Zürich; Prof. Meyer, „Geſchichte des ſchwei⸗ 
zerifhen Bundesrechtes“, Frauenfeld; 3. H. Sievers, „allgemeine 
Geographie”, Zofingen; „Züricher Blätter für Geſundheitspflege“. 


f. Runftfäder, Arbeitsunterridt ꝛc.: H. Weißbrodt, 
„Blätter für ven Zeihnenunterricht”‘, Frauenfeld; MM. „Kinderlieder 
für Schule und Haus in der basler Mundart”; Heim, „Sammlung 
breis und vierftimmiger Gefänge für Knaben und Mädchen”, 2. THL., 
Zurich; J. Niggeler, „Anleitung zum Turnen mit dem Eifenftab‘‘; 
Eliſabeth Weißenbach, „Arbeitsſchulkunde“, 1. u. 2. ThL, Zürich; 
Suſ. Müller, „das fleißige Hausmütterchen”. 


g. Iugendfhriften: „Mittheilungen über Jugendſchriften“, 
3. Heft; WeltiKettiger, „Weihnachtöpoefie für die reifere, weibliche 
Jugend”, Aarau; „Schweiz. Bilderbogen”; „Die lahme Martha“, 
Erzählung, Bafel; Kindergartengeſchichten für bie Jugend“ 
von M. K—g., Bafel, „Neujahrblätter für die Lernbegierige Ju⸗ 
gend“ 1875 (Züricher⸗, Winterthurer-, St. Galler N.) 


15. Noch berühren wir hier bie Erinnerungsfeier breier be 
beutungsvoller, um das ſchweizeriſche Bildungsweſen bochverbienter 
- Männer: Weffenberg, Krüfi und Wehrtli. 

8 Um 4. November I. 9. feierte man an mehreren Orten ber 
Schweiz den bundertjährigen Geburtstag des I. Heinrich Freiherr von 
Weffenberg, ber durd fein Lichtfreunblihes Wirken in Kirche und 
Schule auch auf die Schweiz einen wohlthätigen Einfluß ausübte. Be— 
kanntlich war Wefjenberg einige Zeit Bisthumsverwefer der Diözefe 
Konftanz und wirkte in feiner einflußreihen Stellung in chriftlich-natio 
nalem Sinne für Förderung der Vollsbildung und Sittenvereblung und 
für eine allmälige innere Reform der Kirche. Die Ausbildung frei= 
finniger Geiftliher und Errichtung von tüchtigen Schulen waren das 


110 Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 


Hauptziel feiner energifhen Beſtrebungen. Diefer Priefter voll Milde 
und Menſchenliebe, ver kräftige Streiter für Recht und Wahrheit, der 
gründliche Gelehrte, der begabte Dichter und Schriftfleller Iebte feit Auf⸗ 
Löfung des Bistums als Privatnann in Konflanz, wo er am 30. Anz. 
1860 farb. Hier fam er mit manchen ſchweizeriſchen Geiftlichen und 
Schulmännern in Berührung. Gerne und fleißig beſuchte er auch die 
Berfammlungen der ſchweizeriſchen gemeinnügigen Gefellichaft. Das An» 
denlen dieſes edlen Mannes bleibt im Segen. 


b. Am 12. März (1875) fah Gais ein ebenfo einfaches, als 
ſchönes Feſt. Die Familie des Bater Hermann Krüfi (geb. 12. März 
1775, geft. 25. Juli 1844) feierte befjen 100. Geburtstag. Auch mande 
Freunde und Schüler des Berewigten hatten fi babei eingefunden. 
Die Feftfeiernden fanmelten fih nah der firlihen Feier im Saale 
zur Krone. Denfelben ſchmückten, von frifhem Grün umflochten, bie 
Bildniffe Bater Krüfl’s, und Vater Peſtalozzi's und Dekan Weishanpte. 
Mit Wärme und Wahrheit zeichnete Dr. Sottl. Krüft das freundliche 
Lebensbild feines Baters. Die Weftfeier erhöhte der Männerchor von 
Gais mit feinen herrlichen Liedern. Nach dem Eröffnungsgefang ſprach 
Herr Dekan Heim fein Wort der Weihe den Manen bes Gefeierten. 
Ein Seminarzögling hielt Revue über die 60 and den fünf Seminar 
kurſen in den Lehrerberuf getretenen Zöglinge. Hr. Pfr. Heim ſprach 
alsdaun im Auftrag ber Landesfhullommijfion der Familie Krüfi ven 
Dank und bie Anerkennung ber Verdienſte Krüſi's um bie Hebung bes 
appenzelliiden Schulweſens aus, und mit tiefgefühlten Worten ſchloß 
Hr. Pfr. Tobler, einer der älteften Schüler der Kantonsschule in Trogen, 
bie Feier mit einem Hoch auf den echten Idealismus. 


c. Um dem unvergeklihen 3. I. Wehrli (geb. 6. Nov. 1790, 
gef. 15. März 1855) für fein treues Wirken den Tribut der An- 
erfennung und des Dankes zu zollen, verfammelten fih die Familie 
Wehrli's und ca. 220 Männer von 40—60 Jahren (Schüler Wehrli’s) 
im ſchön dekorirten Saale des Seminars in Kreuzlingen. Hr. Gupl 
begrüßte die Anweſenden aufs herzlichfte. Hr. Eigenmann ſchilderte im 
ſchwunghaftem Vortrage das Leben und Birken des wadern Schul⸗ 
mannes. Er zeichnet? deſſen Bild als Gründer der Kettungsanftalten, 
als Armenerzieher und als Seminarbireltor. Der herrliche Tag des 
. 22. Mai wird jedem Beſucher unvergeßlich bleiben. Da bier der Raum 
nicht geftattet, auch eine Charakterifiil von Krüfi und Wehrli’s Weſen 
und Wirffamfeit, von deſſen trefflihen Grunbfägen für Erziehung und 
Unterriät beizufügen, fo gebenlen wir, eine ſolche für die neue päda⸗ 
gogifhe Zeitfhrift von Noftiz, „bie beutfhe Schule” zu ſchreiben. 





Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 711: 


B. Bericht über das Schulweſen in den einzelnen Kantonen. 
Der Kanton Yargan. 


1. Borgänge betreffend die Lehrergehaltserhöhung. 


Aus der Maſſe, über dieſes kulturſtaatliche Schulereignig angefammelte, 
Moterial fafien wir das Wefentlichfte kurz zufammen. Unfer legter Bes 
richt machte Mittheilung über den Erlaß eines Beſoldungsgeſetzes und 
enthielt audy die Andeutung über die Ablehnung des Volls am 22. Nov. 
1873. Das Geſetz wurbe beinahe von allen Gemeinden (mit 21,945 
gegen 12,829 St.) verworfen. Einzelne, die ben Barometer und bie 
Stimmung des Souveränd verflanden, erwarteten biefen Ausgang. 
Andre glaubten um fo mehr an die Amahme des Geſetzes, da es in 
Verbindung mit der „jechsjährigen Wiederwahl” vorgelegt wurde. Ob⸗ 
ſchon felbft im Großen Rath Bedenken geäußert und bie frage geiftellt 
wurbe, ob die periodifhe Ernenerungswahl wirklih im Intereſſe ver 


Schule fei, wurde fie gleihwohl als Xodfpeife der bittern Pille bei=- 


gegeben. — Die Dritten waren über den unerwarteten Volksentſcheid 
frappirt, beſtürzt. Die Preffe ftellte Betrachtungen an über bie Situation, 
über bie Urſachen und Folgen der unglüdlihen Volksabſtimmung. Der 
„Bund“ fagte: „vie Tagesllage bildet die Verwerfung bes Befoldungs- 
geſetzes durch das aargauiſche Boll. Wir ſuchen bie Gründe des be= 
dauernswerthen Reſultats in der Abneigung des Volls gegen Mehr⸗ 
belaftung und Steuern, in ber Gleichgültigkeit gegen bie ıhm oftronrte 
Schule, in der Schulführung und im Betragen mander unpopnlärer 
Lehrer, und befonders in der Wiberfeglichkeit gegen alles, was vom 
Gr. Kath und Reg.⸗Rath ausgeht.” Der „Schweizerbote” fchrieb: 
„Damals, als der Aargau den Namen des Kulturftaats erwarb, wo 
unfer Schulgefeg das erſte der Schweiz war, wo das Seminar unter 
der Leitung bes jngendlich feurigen Aug. Seller europäiſchen Auf gewann, 
damals, als noch Begeifterung herrfchte für die idealen Ziele des Staats⸗ 
und Bollslebens, da fein Opfer zu groß ſchien, um in ber Pflege ber 
Bollsbildung an der Spige der Kantone zu fliehen, damals waren noch 
ſchöne Tage. Heute verweigert das Bolt bie abfolut nothdringendſte Be⸗ 
foldungserhöhung für die Lehrer feiner Jugend. Wo fol das hinaus ? 
Andere waren geneigt, die Hauptſchuld auf die Lehrer zu wälzen. So 
ſchreibt ein Korrefpondent wörtlih: „Das Bolt wänfht gute Lehrer, 
bie im Geiſte eines Peſtalozzi wirken; es will diefe auch recht beſolden; 
aber das will das Voll nicht, Daß vie Lehrer, welche die bisherige Be⸗ 
foldung nicht verdienen, für ihre Pflichtvergefienheit durch größere Be⸗ 
foldung belohnt werden. Es will, daß das Beſoldungsgeſetz ein Mini⸗ 
mum und ein Marximum feftfege und ben Gemeinden Spielraum Iaffe, 
um die Lehrer nach Berbienft bezahlen zu können. Gleich nad ber Ver⸗ 
werfung des Geſetzes haben mehr denn 100 Gemeinden ihren braven 
Lehrern ohne Hilfe bes Staats den Gehalt erhöht; dieſe willen alfo 
ihre guten Lehrer zu ſchaͤtzen.“ 


* 
% 





712 Mütheilungen über das ſchweizeriſche Volkeſchulweſen. 


Als bald nah der Abſtimmung ber Gr. Rath zufammentrat, 
ber Präfident, Hr. Nationalrath Haller, im Eröffnungsworte feinen 
fühlen ber Trauer und der Scham über das beflageuswerthe Reſultat 
Ausorud. Nach feiner Ueberzengung feien diejenigen, welche das Boll 
zum Neinfagen verführten, bie Todtengräber bes Kantons. So lautete 
die Stimme ber Prefie, fo tönte es in ben Behörben. Welch' d ⸗ 
renden Eindruck die Sache auf die hartbetroffene Lehrerſchaft machte, 
läßt fich leicht errathen. Einzelne nahmen die Entlaffung; andre machten 
Miene zur Lehrerſtrike; die britten verlangten bie Berabfolgung einer 
Thenerungszulage; bie Mehrheit verhielt ſich troß ber innern Erregung ruhig. 
Nachdem der Borftand der Kantonallehrerfonferenz die vorgefchlagene Abhal⸗ 
tung einer außerorbentlihen Berfammlung zur Erörterung der Lage für 
unzeitig gefunden hatte, traten auf ben Ruf eines Komitoͤ ca. 130 
in Turgi zuſammen. Die Berfammlung verlief in Ruhe und Mäfigung, 
obſchon man einen ſtürmiſchen Ausgang prophezeit hatte. Nach An 
hörung eines Referats und gepflogener Diskuffion wurden folgende Punkte 
einhellig angenommen: Der Gr. Rath foll erfucht werben, bei ber 
Wiederaufnahme dieſes Gegenſtandes bie Gehaltsanfäte bes vermorfenen 
Geſetzes feftzubalten und bie Alterszulagen allen Lehrern zulommen zu 
laſſen. — Die Lehrer verpflichteten fich durch freiwillige Unterfchrift, an 
feine Stelle fi) zu melden, deren Beſoldung unter dem vorgefchlagenen 
Minimum von Fr. 1200 ftebe. Alfo: befonnen, aber einig unb ent 
fhloffien! Noch wurbe die Herausgabe eines Tantonalen pädagogiſchen 
Blattes angeregt, um die Vereinigung unter ben Lehrern noch mehr zu 
fefligen. — Unter ven Gemeinden entftand bald ein rühmlicher Wetteifer 
für Verbeflerung der älonomifchen Lage der Lehrer. Es war, als ob 
die Verwerfung ein Appell an die Gemeinden gewefen wäre, um ihrer 
feits felbftändig vorzugehen und freiwillig die Scharte auszuwetzen. Cine 
Gemeinde um bie andere rüdte jetzt aus freien Stüden mit Beſoldungs⸗ 
erhöhung auf. Eine Reihe von Gemeinden ftellte ven Gehalt des Pri⸗ 
marlehrer8 auf Gr. 1200, bes Fortbildungslehrers auf Fr. 1700. 
Aarau erhöhte ven Gehalt der Primarlehrer auf Fr. 2000—2100, ber 
Deziclölehrer auf Tr. 2800—3000. Brugg fette bie Bejolbung ber 
Primarlehrer auf Fr. 1500—2000, ver Bezirkslehrer auf Fr. 2800, 
einer Lehrerin auf Fr. 1200—1400, einer Yrbeitslehrerin auf Fr. 700. 
Nah dem Bofingerblatt waren im Febr. von 550 Gemeindeſchulen fchon 
134 mit einer von über Fr. 1000, 118 mit Fr. 1200 botirt. 

Die beförberlihe Wiederaufnahme ber Arbeit war dringend geboten. 
Der Reg.:Rath war willens, das Minimum auf Sr. 1000 zu rebuziren, 
weil er nicht eine zweite Verwerfung risfiren wollte. Bon verfdiebenen 
Seiten wurde er jedoch aufgeforvert, den frühern Gehaltsanſatz feſt⸗ 
zubalten. Der Gefetetvorfchlag des Reg.⸗Rath an den Gr. Rath lautet: 
Definitiv angeftellte Primarlehrer beziehen eine jührlihe Mindeſtbeſoldung 
von Fr. 1200, Lehrerinnen Fr. 1000. Die Befoldung ber Lehrer an 
Fortbildungsſchulen beträgt Fr. 1400—1600. Die Primarlehrer er: 
halten, fo lange ihre Leiftungen befriebigen, nach 15 Dienfljahren eine 
jährliche Zulage von Fr. 100. Wo Gemeinden den Lehrern Wohnung, 








Mittheilungen über bas ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 713 


Holz und Pflanzland verabfolgen, dürfen. biefelben nicht in Abzug ges 
bracht werden. Die Befolbungen werben von den Gemeinden beftritten. 
Erhöht die Gemeinde von ſich aus ben Gehalt bis Fr. 1400, fo erhält 
fie einen Staatsbeitrag. Eine Arbeits-Oberlehrerin bezieht Fr. 400 bis 
800 und Fr. 400 Zulage für die Leitung des Unterrichtskurſes; ein 
Hanptlehrer an einer Bezirlsſchule bezieht wenigſtens Fr. 2400, an ber 
Kantonsschule, je nach Stundenzahl, Leiſtung und Dienftiahren 3000 bis 
4500 Fr., am Lehrerſeminar Fr. 2500—3000, dazu freie Wohnung 
und Pflanzland. — Der Gr. Rath ift bereits in die Berathung dieſes 
Geſetzes eingetreten. Mit 119 gegen 35 Stimmen wurde das Gehalts⸗ 
minimum auf Fr. 1200 feftgefeut. — Nad der zweiten Berathung des 
Gr. Raths folgt künftigen Herbft die Volksabſtimmung. 


2. Im Aug. 1874 tagte in Brugg die fantonale Xehrer- 
tonferenz. Die Hauptraltanden bildeten ber Entwurf des Lehr⸗ 
plans für die Primarfchulen und bie Eingabe an den Gr. Rath, be- 
treffend das Befolpungsgefet. NRefolutionen: Der Lehrplan ſtehe 
über den Lehrmitteln. Ex fege kurz und beftimmt Lehrſtoff und Lehrziel in 
jedem Fache fe. Im Sommer fei der Schwerpunkt auf ben Vormittag zu 
verlegen, dagegen der Nachmittagsunterricht möglihft zu befehränten. — 
Betreffend die Befoldung begnügte man fi} mit dem Anſatz von Fr. 1200. 
Dazu wänfchte man aber Alterszulagen (nad 10 Dienftjahren Sr. 100, 
15 9. 200 Fr. 20 3. 300 Fr). Gegen die Wiederwahl erhob 
fid in der Verfammlung feine Oppofttion. — Dagegen entſpann fich 
darüber ein Federkrieg in ber Prefie; man gab aber den Lehrern zu 
verbenten, fie dürften fich nicht mudfen, wenn fie die Annahme des Bes 
ſoldungsgeſetzes nicht verwirken wollten. Ein Korrefponvent der „Aarauer 
Nachrichten” befprach die Wirkſamkeit ver Kantonallonferenz 
und fand, fie bebürfe einer Reorganifation. Ihre Einfluß fer gering, weil 
fie auf eine Kafte befhränft fe. Um fie zu demokratifiten, gebe es 
kein beſſeres Mittel, als das Laienelement darin aufzunehmen. Eine 
folhe Synode ſei die rechte Bertreterin der Interefien der Schule. 


3. Ein Korrefpondent des „Schweizerboten” befprach die Frage 
bes Lehrerſeminars. Er begreift nicht, warum man für Erweiterung 
bes Lehrerſeminars in Wettingen 80,000 Fr. verwenden wolle, da doch 
die Verlegung ber Anftalt und ihre Verbindung mit der Kantonsſchule 
nur noh eine Frage der Zeit fe. Mean follte von eigenen Lehrer 
biſdungs⸗ und Abridhtungsanftalten abgehen. Solche Liegen nicht mehr 
im Geifte der Zeit. Die Lehrer follen Ihre wiſſenſchaftliche Vorbereitung 
an der nämlihen Anftalt erhalten, wie die Kandidaten der andern Be» 
zufsarten. Ein Lehrerfeminar in Konviktöform fer heutzutage ein Ana⸗ 
chronismus. — Eine andre Einfendung nimmt bie Erziehungsbehörbe 
geaen ungerechte Angriffe in Schub. Sie handle im Auftrage des Gr. 

aths, der den Anftoß zu einer Reorganifation und Erweiterung ber 
Anftalt gegeben habe. ine fo weitgretfende Ungeftaltung (Aufhebung) 
bebärfe einläßlicher Vorbereitung. 


4. Die Erziehungspireltion erließ eine Iuftruftion betr. 


714 Mittheilungen über das fehweizerifche Volksſchulweſen. 


Einführung ber neuen obligatorifgen Schulbänte Um ben 
Schulbehörden möglihft an die Hand zu geben, ließ fie nach ben ge» 
nehmigten Vorſchriften ſechs Modelle von Mufterftühlen von verſchie⸗ 
dener Größe anfertigen. 

Sie veranflaltete ferner die Abhaltung eines Zeihnungsfurfes 
für Bezirtsfhullehrer, bei dem insbefondere die Lehre von ber 
Perfpektive und das Zeichnen nad) Gypemodellen behandelt werben foll. 
Der Erziehungsrath befhloß die obligatorifhe Einführung der 
Geſangslehrmittel vonShäublin. Im Schulgefangsunterridte 
werben bereits ſchöne NRefultate erzielt. Die Schüler feien im Singen 
viel felhftändiger. 

In jüngfter Zeit handelte es fi darım, bie weiblihe Armen= 
erziehungsanftalt bei Breſtenberg zu erweitern. Gin Kor⸗ 
refpondent des „Schweizerboten“ hält e8 für rathjamer, der Staat be= 
ihränte fi) darauf, bie Beftrebungen der Vereine in biefer Richtung zu 
unterftügen. Es fei beffer, mehrere "Heine Anſtalten zu gründen, als 
eine Eleine Anftalt in eine große umzuwandeln. Solle eine ſolche Er⸗ 
ziehungsanftalt ihrem Zwecke recht entfprechen, fo muſſe fie den Charakter 
einer Familie haben. 


5. Ein Verein einflußreiher Männer erließ einen Aufruf zur 
Gründung eines Kindergartens. Seither ift bie für das Unter: 
nehmen verlangte Summe (Fr. 85,000) bereit gezeichnet worden, was 
dem Hauptorte des Kulturftaats, gegenüber den betrübenden Erfahrungen 
über das Lehrerbefoldungsgefeß, alle Ehre macht. 


6. Die Relrutenprüfungen in dieſem Kanten zeigen mit 
jedem Jahr günftigere Ergebniſſe. Während die Zahl der Strafſchüler 
i. 9. 1870 no 20%, betrug, fant fie i. 3. 1871 anf 1i!/,, 1872 
auf 10%/, und 1873 auf 84, Yo. . 


7. Hier farb der aargauiſche Lehrer M. Wirth, geb. 1791. 
Im Jahre 1812 begann er feine Lehrerlaufbahn, 1873 feierte er fein 
5ojähriges Amtejnbiläum Er war einer der tüchtigften und hervor⸗ 
ragendſten Lehrer des Kantons. 


8. Laut dem Beriht der Erziehungspireltion über 
das Erziehungswefen pro 1873 zählte ver Kanton 539 Gemeinbe- 
fhulen. Die Schulerzahl flieg auf 31,357. Weber das gefeglihe Maximum 
von 80 Kindern zählten noh 79 Schulen. Das Lehrerperfonal beſtand 
aus 506 Lehrern und 34 Lehrerinnen. Un ven 26 Fortbildungsihnlen 
wirkten 22 Lehrer und 5 Lehrerinnen; an den 23 Bezirksſchulen unter⸗ 
richteten 68 Haupt⸗ und 74 Hilfslehrer; an den 303 Arbeitsichulen 
wirkten 290 Lehrerinnen für die Oefammtbefoldung von Br. 58,000. 
Der Kanton befigt ferner 4 Rettungs- und 3 Taubflummenanftaften. 
Das Lehrerfeninar zählte in 4 Kurfen 62 Zöglinge Die Zahl der 
Seminarzöglinge nimmt jährlih ab. Das Total der Staatsausgaben 
fürs Unterrichtsweſen betrug Br. 521,675. Nach bem 2. Bericht über 
das Töcterinftitut und lehrerfeminar in Yaran zählte dieſe 








Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 715 


Anſtalt in 3 Klaffen 55 Schülerinnen (darunter 24 Seminmiflinnen). 
Nah dem Programm der Kantonsſchule betrug die Sefammtzahl 
der Schüler 1874/75: 123. Laut dem Programm ber ſtädtiſchen 
Schulen in Aarau wurde dvaſelbſt eine neue Mäpchenbezirkäfchnle 
gegründet. Diefe Stadt gab laut dem Schulbunget fürs Schulweſen 
Fr. 96,000 aus. Die Aufhebung der landwirtbfchaftliden 
Schule wurde vom Volle mit großer Mehrheit ausgeſprochen. 

9. Ein aarg. Blatt fagt: „Soll das aarganiſche Schulweſen nit 
den Krebsgang machen, fo fteuere der Kanton gegen die Uebervölkerung 
der Schulllafſen und gegen den Lehrermangel. Er forge für flanves- 
gemäße Beſoldung, damit die Lehrer ihre ganze Thätigkeit und Kraft 
der Schule widmen fümen!“ — 


Der Kanton Appenzell. 


a Außerrhoden. 1. Der Synodalbericht pro 1873/74 
(von Hm. Delan Heim abgefaßt) enthält auch Mittheilungen über das 
Schulweſen in ven einzelnen Gemeinden. Demnach ift daſſelbe faft Überall 
in erfrenlicher Entwidelung begriffen. Herisau beſchloß die Errichtung 
von Ganztagsſchulen. In Teufen herrſcht ebenfalls rege Thätigkeit. 
Die Realſchule wurde. nen organifirt und die Gehalte der zwei Lehrer 
auf je Fr. 2700 geſtellt. Die Gemeinde heut kein Opfer, um das 
Schulwejen mit den Forderungen der Zeit in Einklang zu bringen. 
Die Gemeinde Gais feierte nah 30jährigem Unterbrud ein Kinderfeſt 
und zwar zu allgemeiner Freude für Groß und Klein. Neu ift hier die 
Theilnahme der Lehrer an den Verhandlungen der Schullommijfion. 
Auch in Trogen wird auf dem Gebiete der Schule tüchtig gearbeitet. 
Ebenfo hat Speicher einen weſentlichen Yortjchritt zu melden, indem vie 
Kirchhöre den Antrag für Trennung ver Uebungsſchule von der Alltags» 
ſchule alzeptirte und die Realſchule zur Freiſchule erhob. Walzenhaujen 
hat die Realſchule zur Gemeindeſache erklärt; jelbft das arme Reute, 
das 34 per mille Steuer erheben mußte, hat ven Lehrergehalt auf 
Gr. 1000 geftellt. Mehrere andere Gemeinden bekundeten ihren Sinn 
für Schule und Bildung durch Gründung von Mittelſchulen, durch obli= 
gatorifche, unentgeltliche, planmäßig geleitete Arbeitsſchulen, Durch Erhöhung 
der Gehalte bis Fr. 1500, ja Fr. 1800, durch den Bau neuer Schul- 
bäujer und durch Einführung des Turnunterrichts. Nicht einverftanden 
ift der appenzellifche Berichterftatter mit der Forderung, daß in der Arbeits⸗ 
ſchule aud über Haushaltungokunde, Gefunpheitslehre, Krankenpflege :c. 
dozirt werben folle. — Wir fügen diefem Berichte noch einige bezügliche 
Notizen bei. Ein Schulmann fchreibt uns, die Landesſchullommiſſion 
beabfichtige gegenwärtig vor allem die Förderung des Fortbildung s⸗ 
ſchulweſens. Sodann liege im Projekt, einen Fortbildungskurs für 
Lehrer (Deutſch und Turnen) anzuordnen. — In Herisau beſteht ein 
Erziehungsverein, der den Zweck hat, die Jugenderziehung zu 
fördern und hervortretende Uebelſtände zu belämpfen. So petitionirt 
er eben um Reduzirung der Arbeitszeit ſchulpflichtiger Kinder und tritt 


716 Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 


ergifch dem Biethefausbehug Unerwach ſener entgegen. Er regt auch 
die die Örlndung von Kindergärten an. — Weniger erfreulich tönt bie 
Nachricht aus Grub, mo man Luft zeigt, bie übrlige Wahl der Lehrer 
wieber einzuführen. 


2. Die Ausgaben des Kantons fürs Schulwefen betrugen 
Fr. 14,193. Einer Ueberfiht über ben Stand der Primarlebrer: 
befoldungen zufolge beziehen 6 Lehrer & 1000 Fr. 25 & 1200, 
12 & 1300, 2 a 1400, 36 & 1500, 3 & 1550.- Der durchſchnittliche 
Gehalt beträgt Fr. 1310. — 

Die 84 Primarfchulen wurden von 6145 Alltags» unb 3138 
Uebungsfhälern beſucht. Dazu kommen 136 Waiſen⸗ und 353 Real⸗ 
en — 9972. Das Berhältniß der Schülergabl zur Bevölkerung 
ift 1 

3. Die appenzellifhe gemeinnügige Geſellſchaft war 
am 30. Nov. in Teufen verfammelt und wurbe von Landamman Roth 
präftbirt Das Haupttraktandum betraf päbagogifde Tragen. Land⸗ 
ſchreiber Fäßler begründete in gebiegenem Referate den Antrag für 
DBetheiligung bes weiblichen Geſchlechts am sffentligen 
Unterridte. Referent ift entfchteden für Anftellung von Lehrerinnen. 
Dafür fprechen, wie die Anlagen, welche das Weib für den Unterricht Eleiner 
Kinder vorzüglich qualifiziven, fo auch bie bisher gemachten Erfahrungen. 
So wirkten im Jahre 1872 in ber Schweiz 246 Lehrerinnen an Klein⸗ 
Kinderfhulen, 3045 an Arbeitsfchulen, 1805 an Primarſchulen, 149 an 
Realſchulen und 19 an höhern Lehranftalten. Die Zeugniffe über 
ihre Lehrwirkſamkeit lauten fehr gut. Referent betrachtet es als ein- 
fache Sache ber Gereditigfeit, daß der weiblichen Jugend Gelegenheit ge⸗ 
boten werbe, für das Lehrfach fich andzubilben. Bereits fei im St. Gallen 
bie Anregung gemacht worben, ein oſtſchweizerifches Lehrerinnenfeninar 
zu errichten. Am Schluffe beleuchtete Referent bie Frage ber Mäpden- 
arbeitsfchulen. Außerrhoden zähltein 47 Arbeitoſchulen 34 Le 
welche größtentheils nur eime ungenügende berufliche Vorbildung erhalten 
hatten, weßhalb ihre Leiftungen nicht über ein handwerksmäßiges Vor⸗ 
machen binandgiengen. In ber Diskuffton gab fi die Anſticht kund, 
man thue beſſer, nicht zu viel auf einmal in Angriff zu nehmen. Ein⸗ 
zelne Redner trauten den Tehrerinnen nit und meinten, durch Anftellung 
von Lehrerinnen könnte ver männlichen Lehrerſchaft eine unliebfame Kon⸗ 
kurrenz gemacht werden. So zielte denn ſchließlich alles auf bie Arbeits-⸗ 
ſchule ab, und man fand es allgemein für wünjchbar, bie Arbeitsfchule 
als obligatoriſch zu erklären und die Ausbildung von Lehrerinnen an bie 
Hand zu nehmen. Man beſchloß, die Abhaltung eines Bildungskurſes 
für Arbeitslehrerinnen duch einen Beitrag zu unterſtützen. 

In der vorangegangenen Sigung (15. Juni) biökutirte ber Verein, 
an der Hand eines Referats von Pfr. Gamper, die Trage über För⸗ 
derung des gewerbliden Unterrichts. Referent wies an bem 
thatjächlichen Schulverhältnifſen nah, daß der gewerblihe Unterricht, 
wie er gegenwärtig ertheilt wird, lange nicht ift, wie er fein fellte. 








Mittheilungen über bas fehtweizerifche Volksſchulweſen. 717 


Weber in den breifurfigen Realſchulen noch an ver Kantonsſchule befaßt 
man fi fpeziell mit dem gewerblihen Zweck. Auf die Frage, ob nicht 
ur Erzielung gewerblicher Bildung dem Realſchulunterrichte eine praktiſche 

ethätigung zur Seite gehen follte, erklaͤrt fi Referent gegen bie 
Tendenz, die gewerbliche Bildung auf Koften ber allgemeinen Menſchen⸗ 
bildung anzuflxeben. Er warnt vor tem puren Nätlichleitsprinzip und 
verlangt vor allem die Pflege der idealen Güter. Wohl habe die Schule 
fürs Leben zu bilden, wohl fei noch manches unnöthige Detail im Unter- 
richte zu befeitigen, wohl dürfe der theoretifche Lernfloff noch rebuzirt 
werben: dennoch fei nicht rathſam, ben gewerblichen Unterricht in den 
Realſchulen einzuführen. Die Finder dieſer Stufe feien hiefür nicht 
veif. Aufgabe und Zmwed der Realſchule fei, das Denken zu kräftigen, 
bie Erkenntniß zu mehren und ben praftifchen Blick zu weden und zu 
bilden. Die gute Schule ſei eine Vorſchule zu jedem Berufe. Auch 
bie Töchterſchulen haben vor allem die allgemeine, ibeale Bildung an» 
zufteeben. Allerdings haben fi die Mädchen in Handarbeiten, in Buch⸗ 
haltung und kaufmänniſchem Rechnen zu üben; doch fei die Schule nicht 
dazu ba, die Kochkunſt, ven Apotheferbienft und bie Handelswiſſenſchaften 
zu lehren. Der eigentliche gewerblihe Unterricht fei dem Technilum 
und den Fortbildungsfhulen in Verbindung mit Mufter- und Modell⸗ 
fammlungen für Entwidelung des Gewerbwefens zuzuweiſen. Es fehle 
zur Gründung nur die rechte Energie. Der rechte, lebenskräftige Im⸗ 
puls zu gewerblichen Fortbildungsſchulen follte von Seite des Gewerb- 
ftandes felber kommen. 


4. Der interefjante Beriht über die Rettungsanftalt in 
Miefen bei Herisau pro 1848/73 handelt von der Gründung und 
Drganifation, von ber Aufgabe und Wirkfamleit der Anftalt, von ber 
Ernährung, Kleidung und Gefundheitspflege, vom Wamilienleben, von 
ber Arbeit ımb der Schule, vom religiöfen Leben und ben häuslichen 
Teften, vom Finanziellen ꝛc. Bis jetzt wurben 62 Zöglinge aufgenom= 
men; nunmehriger Befland: 10. Das Koſtgeld beträgt pro Woche 
Ir. 21.4. Das Bermögen ber Anftalt befteht in Fr. 27,937. 


5. Das Programm der appenzellifhen Kantonsſchule in 
Trogen pro 1874/75 giebt eine Ueberſicht der behandelten Unterrichts- 
gegenflände, das Berzeichniß der Real- und Induſtrieſchüler in den 4 Klafien 
(Schälerzahl: 85), einen Bericht Über die naturhiftorifde Sammlung und 
eine kurze Gefchichte ber Anftalt.e Sie wurde 1821 eröffnet. Seit 
biefer Zeit wirkten an derſelben 27 Lehrer. Sie ftand unter folgenven 
Direktoren: &. Zuberbühler, H. Krüfl, Gutbier, Tobler und I. G. Schoch. 
Die Schälerzahl variiste zwifhen 17 und 88. Die Kantonsſchule diente 
unter Krüſi (1821—33) aud der Bildung von Primarlehrern. Die 
Erhebung des Inflituts zur wirflih Tantonalen Lehranſtalt datirt eigent- 
lich erft vom Jahr 1863; früher trug fie mehr den Charakter einer 
Privatfchule. Gegenwärtig beträgt ver Gehalt eines Hauptlehrers Fr. 
2800, bes Direktors Fr. 3100 nebft freier Wohnung und Garten. Das 
Bermögen ber Anftalt befteht in Fr. 153,000. — 


718 Deittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 


Hear Direltor Schoch, ein gründlich gebilbeter und energiſcher 
Schulmann, tritt nun von der Leitung zurüd. 

b. Innerrhoden. 1.Schulverorbnung fürben Kanton Appen- 
zell Innerrhoden. In jeder Gemeinde beftebt eine Prunar- und Repelirſchule, 
am Hanptorte auch eine Realſchule. Der Primarunterricht ift gratit. 
Der Kanton forgt für Heranbildung von Lehrern durch Unterftägungs 
beiträge. Die Schulpflicht beginnt mit 61/, Jahren. Die Alltagsfhule 
bauert 6 Yahre & 42 Schulwochen (täglihd 5— 6 Stunden). Ohne em 
Wahlfähigkeitszeugniß erhält kein Lehrer eine Anftellung. Die Wahl 

efhieht auf unbeflimmte Zeit. Zur Bortbildung der Lehrer dienen 

ildungskurſe und Konferenzen. Die oberfte Behörde ift die Landes 
fhullommiffion. Der Geiftliche ift von Auıtswegen Mitglied bes Orts: 
ſchulraths. — Erziehungsdirektor Ruf Legte dem Großen Rath einen 
neuen Geſetzes-Entwurf über das Unterrichts⸗ und Erziehungs 
wefen vor. Derſelbe verlangte einige Neuerungen und Verbefierungen, 
fo auch die Hebung der Mädchenbildung und ver Wieberholungefäule, 
die Einführung der Ganzjahrſchulen. Der Große Rath aber wies ben- 
felben mit 29 gegen 17 St. an die Landesſchulkommiſſion, mit dem 
Auftrage, nur dasjenige abzuändern, was nicht mit ber Bundesverfafſung 
übereinftimme. 

2. Wie die „Neue Appenzellerzeitung” berichtet, wird buch Hm. 
Neff zum Sitterthal in Appenzell eine höhere Tehranftalt gegründet, 
welche es ſich zum Biele fest, ven Zöglingen eine tüchtige hHumaniftice, 
realiſtiſche, handelswiſſenſchaftliche Bildung zu gewähren. 

Züngft fand in Appenzell die Prüfung der Freiſchüler bee 
Hrn. Pfr. Koller in Schwendi ſtatt. Erziehungsdirektor Ruſch fprah 
über die Unterrichtsergebniſſe beſonders im ber franzöſiſchen und engli⸗ 
ſchen Sprache ſeine Anerkennung aus. 

3. Nah der Staatsrechnung pro 1873 betrug der Staats⸗ 
beitrag an bie Volksſchulen Fr. 16,347 (Xehrergehalte: Fr. 13,872; 
Repetirfchulen: Br. 732; Konferenzen: Fr. 48; Schulgegenftände: St. 
ai Eramen: Fr. 403). — Der Staat befitt ein Schulvermögen von 

r. 46,834. 


Der Kanton Bafel. 


a. Bafelftabt. 1. Seit ber Annahme der neuen Bunte 
verfafiung nimmt ein Kanton nad) dem andern bie Reviſion feiner 
Kantonsverfaffung vor, um fie mit jener in Lebereinftimmung zu 
‚bringen. Auch Baſelſtadt fand eine Abänderung für nothwendig. Bor 
allem wurde in Behörden. und in ber Preffe ver Schulartifel des neuen 
Grundgeſetzes lebhaft beiprohen. Es hieß, bie Reviſtonskommiffion habe 
beſchloſſen, die Zuflände der katholiſchen Schule beim Alten zu laflen, 
da man fein Recht habe, die Latholiihe Schule zu reformiren und zu 
reorganifiren. Eine friedenftörende Einmifhung bes Staates im die 
katholiſchen Angelegenheiten wäre nicht nur unbefugt, ſondern auch durch⸗ 
ans unnöthig. — 





Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 719 


Ein Korrefpondent ber „Schweizerifchen Grenzpoſt“ dagegen erflärte 
es als Pflicht der Behörden, vie katholifhen Schulen, wie die übrigen, 
unter firenge Auffiht des Staates zu flellen. Bafel zähle heute 12,000 
tatholifhe Bewohner. Ale 9 Lehrer und 8 Lehrerinnen ber katholi⸗ 
fhen Schulen gehören geiftlichen Korporationen an. Angeſichts dieſes Bes 
ftandes der Lehrkräfte laſſe fich Teicht abnehmen, in welchem Sinne die 
900 Tatholifhen Kinder herangebilvet werben; jebenfalls nicht in ſchwei⸗ 
zerifch vaterländiichem, fondern in ultramontanem Geiſte. Eine auf ſolchem 
Boden ftehende Schule fer feine Mufteranftalt, wenn gleich fie puncto 
Drbnung und Disziplin als Borbild angepriefen werde. Eine folche 
erfiufive Erziehung und Selbſtherrlichkeit dürfe nicht mehr gebulvet 
werden. 

Im Großen Rathe drehte fi die Diskuſſion um bie Fragen, ob 
bie Unentgeltlichleit des Unterrichts auch auf die Mittelfchulen aus» 
zubehnen fei, ob ferner bie katholifchen Privatfchulen fortbefiehen oder ob 
konfeſſionsloſe Schulen errichtet werben follen, ob endlich ein konfeſſtons⸗ 
Iofer Religionsunterricht einzuführen, ober aber ob bie Ertheilung des 
re ‚giöfen Unterrichts den Konfeffionsgenofienfchaften zu überlaffen fei. 
Prof. Bifcher verurtheilte den in der Prefje losgelaſſenen Sturm gegen 
die katholiſche Schule. Die Lehrfreiheit der Brivatichulen babe eine 
eminente Bedeutung für die Entwidelung des Schulwefens und oft ben 
Anftoß zu beilfamen Neuerungen gegeben. Auch Schäublin warnte 
davor, bier Ängftlidy zu reglementiren. Die Privatfhulen haben ſchon 
fehr wohlthätig auf die äffentlihen Schulen gewirkt. Einige Redner 
nannten den konfeſſionsloſen Religionsunterricht ein Unding, ein Meſſer 
ohne Klinge und ohne Heft. Selbft der radikale Falkner bemerkte, er 
fei von feinem frühern Gebanfen, ven Religionsunterricht in der Schule 
zu ertbeilen, zurüdgelommen und halte e8 nun für zwedmäßiger, den⸗ 
jelben der Kirche zu überlaffen. 

Nah Schluß der lebhaften Debatte wurde der Schulartifel ber 
neuen Berfaffung in folgender Form angenommen: Die Förderung 
bes Erziehungsweſens und der Vollsbildung ift Aufgabe ver Staats⸗ 
verwaltung. Der Schulunterricht ift für alle Kinder innerhalb ber 
gefeglichen Altersgrenzen obligatorifh und in ben öffentlichen Primar- 
ſchulen unentgeltlich. Dem Geſetze bleibt vorbehalten, den Grundſatz ber 
Unentgeltlicgfeit. au auf andere weitere Schulen auszudehnen. Die 
öffentlihen Schulen follen von den Angehörigen aller kirchlichen Be⸗ 
fenntnifje ohne DBeeinträchtigumg ihrer Glaubens⸗ und Gewiflensfreiheit 
beſucht werben lönnen. Erziehungs: und Bildimgsanftalten, welche nicht 
vom Staate errichtet find, haben keinen Anfpruch anf Staatsunterſtützung, 
find aber der Staatsauffiht unterworfen. 

2. An der Hochſchule beſuchten 1874/75 158 Studenten bie 
Borlefungen (52 Theologen, 13 Juriſten, 69 Mediziner, 24 Philo⸗ 
ſophen). Die Zahl der Profefloren und Dozenten belief fih auf 61. 
Das Pädagogium zählte 1873/74 in 3 Klaffen 70, das huma⸗ 
niſtiſche Gymnaſium in 6 Klafien 399, das Realgymnaſium 
in 5 Klaſſen 470 und die Realfhule in 4 Klafien 484 Schüler. 


1720 Mittheilungen über das fchweizerifche Volksſchulweſen. 


3. Im lebten Jahre fanb die offizielle Einweihung ber neu⸗ 
erbauten Kleinkinderſchule zu St. Leonhard flat. Dieſes Hans 
verbankt feine Entſtehung gänzlich dem opferwilligen Gemeinfinn ver Ein- 
wohnerſchaft Baſels. Dieſe Schule wird von 100 Kindern befucht und 
von 3 Lehrerinnen geleitet. 

Ein freier Berein erließ einen Aufruf zur Gründung $röbelfder 
Kindergärten In Bafel befleht ein Berein für Bildung 
hriftlih gefinnter Lehrer in ber Schweiz, ber I. 9. für biefen 
Zwei Fr. 5231 eingenommen hat. 

b. Bafelland. 1. Aus dem Bericht über die Thätig- 
feit der Erziehbungsdireltion. Der Stand der Alltagsſchulen 
war im Wllgemeinen ein wohl befriebigender. Die Gefantmtleiftung 
wird durch die Ueberfällung der Klaſſen heruntergedrückt. Der Schul 
beſuch läßt no zu wünſchen übrig. Die Summe aller Schulfonds be⸗ 
trägt Fr. 565,282. Die beiden Mädchenſekundarſchulen zeigen günſtige 
Leiftungen. In 12 Dörfern wurden Winterabenbfchulen abgehalten. 
Die Zahl der Schüler der 4 Bezirkoſchulen beträgt 263. An 39 Jung⸗ 
linge (wovon 16 Seminariften), wurden Stipendien im Betrag von ca. 
Fr. 8000 ausgetheilt. Ein Kurs zur Fortbilbung von Arbeitslchrerinnen, 
geleitet von Frau Kalenbai- Schröter, hat gute Früchte gebracht. Zur 
re bes Turnens wurben zwei Lehrer an antwärtige Kurfe 
geſchi 

2. Nach ber von der Erziehungsbireltion. vorgelegten überſicht⸗ 
lihen Zufammenftellung der Lehrerbefoldungen bezichen 
die Primarlehrer gegenwärtig eine durchſchnittliche Baarbeſoldung von 
dr. 973. Die Befoldungen ſämmtlicher 120 Primarlehrer betragen 
dr. 117,752, woran ber Staat Tr. 54,450, die Öemeinden Fr. 63,202 
beitragen. Es beziehen (Wohnung, Holz, Laub und Theurungszulage 
nicht mit gerechnet) 23 Lehrer & Fr. 700—790; 25 à 800—895; 
20 à 900—955; 12 à 1000—1055; 19 à 1100—1174; 13 a 1200; 
2 &1300; A& 1400; 1 & 1450; 281600 Fr. — Diele Tabelle follte 
das Boll von der Nothwendigkeit einer Gehaltserhöhung überzeugen. 

3. Das Programm zur Berfaffungsrevifion enthält be 
züglich bes Erziehungsweſens folgende Punkte: Erweiterung ber 
Altagfchule bis zum 14. Wltersjahr mit Verminderung ber Unterriäts- 
finden in ben wunterften und oberften Schulflafien; Ummanblung ber 
Repetirſchule in eine Fortbildungsſchule; Neorganifation ber Arbeite⸗ 
und der Mäpchenfelunbarfchulen. 

4. Die Regierung bat in Hinfiät auf Art. 81 der neuen ſchwei⸗ 
zeriihen Milttärorganifation das obligatorifge Turnen für bie 
Schulen eingeführt. Allwöchentlich fol zwei Stunden geturnt werben. 
Der Turnunterriht iſt durch die Lehrer zu ertheilen. Die Gemeinden 
baden hiefür einen freien Pla und ein gefchloffenes Lokal anzumeifen. 
* Neubauten iſt auf die Erſtellung von Turnlokalen Bedacht zu 
nehmen. 

5. An der kantonalen Lehrerkonferenz referirte Bezirkes 
lehrer Steibinger über den Zeihnungsunterriht in ber Bolks⸗ 


Mittheilungen über das fchweizerifche Volksſchulweſen. 721 


ſchule, wobei er die Nothwendigkeit hervorhob, daß dieſem Schulfach 
mehr Aufmerkſamkeit geſchenkt werden ſollte, als bisher. 

Der in Lieſtal verſammelte „Altzofingerverein“ behandelte 
bie Franenfrage. Es wurde bei dieſem Anlaß ber Wunſch aus- 
geſprochen, die Bezirksſchulen möchten auch den Mädchen geöffnet werben. 
Die Mädchenſekundarſchulen ſollten nicht nach hohen Dingen ſtreben, 
ſondern nach dem, was das Weib als Hausfrau, Gattin und Mutter 
braucht und was auch dann von Nutzen ſein kann, wenn ein Mädchen 
darauf angewieſen iſt, alleinſtehend ſeine Exiſtenz zu gründen. Man 
beſchloß, die weibliche Bildung den Behörden angelegentlich zu empfehlen. 

6. In Winterſingen (Bafelland) ſtarb im Ian. 1875 Pfr. Raget 
Chriftoffel aus dem graubündn. Domlefhg im Alter von 65 
Jahren. Er Hatte die Kantonsfchule in Chur und die Hofwyler Anftalt 
beſucht und fid) dann auf deutſchen Hochſchulen zu einem tüchtigen Pfarrer 
und Schulmann ausgebildet. Sein Freifinn verurfacdhte ihm mande 
Kämpfe. Seiner fchriftftellerifchen Thätigleit verdanken wir gute Schriften 
über Beftalozzi, Zwingli, den bündnerifhen Pädagogen Planta ꝛc. 

Dan beabfichtigt hier, dem verftorbenen Seminarbireltor Kettiger 
em Denkmal zu errichten. 


Der Kanton Bern. 


1. Nah dem Berwaltungsberiht der Erziehbungs- 
direktion pro 1873/74 zählte ver Kanton 1670 Primarfchulen, bie 
von 91108 Schülern befucht wurden. Auf eine Schule fommen ca. 54. 
Die Zahl ver Lehrkräfte betrug 1648, nämlich 1090 Lehrer und 558 
Lehrerinnen. Die Unterrichtsergebniffe befriedigten. Es ift ein ftetiger 
Fortſchritt bemerkbar. Anerkennenswerth fei der Eifer der meiften Schul- 
behörben, der zwölf Schulinfpeftoren und aud ber proteftantifchen Geift- 
fihen. Die Leibgebinge an 123 Lehrer betrugen Fr. 23,100. — Die 
4 Progymnaflen mit 33 Lehrern zählten 298 Schüler; die 48 Real» 
ſchulen (wovon 6 Mäpchenfetundarfchulen) mit 160 Lehrern und 56 
Lehrerinnen zählten 3146 Schüler (1437 Knaben und 1709 Mädchen) ; 
Staatöbeitrag für alle Sekundarſchulen: Fr. 181,900. Die 3 Gymne- 
fien (& 6—8 Klaſſen) in Bern, Pruntrut und Burgdorf mit 64 Lehrern 
wurden von 767 Zöglingen bejucht. Staatsbeitrag: Fr. 175,700. Die 
Thierarzneifchule zählte 20, die Hodfchule 320 Studirende, darunter 
26 Damen. Die Zahl der Medizin-Studirenden fleigt, die Zahl der 
Tcheologies und Philofophie- Studirenden nimmt ab. Staatsausgaben 
Fr. 240,125. Zahl der Profefioren und Lehrer: 79. Die Univerfität 
verlor durch den Tod Dr. 8. Papft und Dr. Munzinger, zwei 
Zierden der Hochſchule. B. Studer, ein Gelehrter von Welteuf, er⸗ 
Härte feinen Rüdtritt. An den 95 Privatlehranftalten wirkten über 
256 Lehrkräfte. Sie zählten 5631 Zöglinge. — Der Stantöbeitrag 
für die 4 kantonalen Lehrerbildungsanftalten betrug Br. 107,600. 
Seminar Münchenbuchſee hatte 10 Lehrer und in 3 Klaſſen 123 Zög— 
linge; Seminar Pruntrut 6 Lehrer und in 2 Klaffen mit dreijährigen 

Bib. Jahresabericht. XXVIL. 46 


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Sm weiten wurden Drei Epezufburie abachalten: ein Gerüthtamiot. | 
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Lemeng row Dr. Ye:zmann Im mächfier Zeit Tom na: Biejegühe: 
tieichrerbilemngeanfiolten im zweite Beratkmup zer ven Grefe 
Wıtu Zie Reirmienpröiung (1790 Man) im Leim, Schreiben mt 
Sehnen ergab einem Rüdgımg in ben Leiftungen*. De Geiamr: 
ans aabea des Siaats für das Trziehungswefen bergen Fr. 1,871,58 
(Frmaribulen: g̊t. 613,000). 1874: 1,420,7 00 
Der Bericht hat ein beſonderes Intereſſe dur ze: Tauftellung ve 
exrkerertentliben Iufpeltion ver Schulen im Ürra, bir mad. 
Getrechen aufdedte. Rum fucht ein Lehrer aus dem Im im „Er 
caremr“ die Urſachen des Berfalls vieler Schulen marzumeifen. © 
Oaudtarſache diefer Erfheinung findet er in dem Zuiten ner 
ſcawate für dem franzöfiihen Kantonstheil. Die Gemmazlebrer im 
andt ausreihend beſoldet und auch nicht gemügend gehilee Der zmir 
Hauptgrund liege in bem geringen Befoldungen ber Sichrer Ex greie 
mach Rebenbefchäftigung, vernahläffigen die Schule wur werben ſo der 
ven Geiſtlichen abhängig. — Die Regierung vernahläffige den Im 
in Bezug aufs Schulweſen. Er meint, eine gemame Iurfpeitisn ver ten: 
ſchen Schulen des Kantons Bern refultirte auch nicht lnımer Mübent 
werthes. — Der Jura habe fHöne Schulgebäude, ſei ihm züntı: 
geftelt, fo daß er mit tätig vorbereiteten Lehrern mm eimer thänıe 
Squlaufficht in wenig Jahren ein blühendes Schulweſen heiigen faunz 
Ein Korrefpondent des „Bund“ uimmt bie Seminare gegen ben jr 
machten Bormurf in Schutz. Er beflagt insbeſondere die anmiekige Er: 
folbuug der Seminarlehrer (Fr. 2200) und den Mangel gar rerten: 
teter Kandidaten. Die mangelhafte Leiftung falle weber Der Leiur; 
noch dem andern Lehrkräften zur Laſt. — 
u hi; vm 14. Seit der bie Einwohzermätger 
ule in Bern pro 1874/75 hatte bie Auſtalt wegen umgumiise 
Meeftände eine harte Zeit durchzumachen. Beinahe hambelte es fih 
ulverein um Sein ober Nichtſein des Imfituts; dech fei die err“ 
Krifis num überftanden. Nah dem fatalen Proviforumm Besiıx 
wieber eine neue Öarantieperiode. Im dem fummarifgen Bera 
















*) Das Berner Sqhulblatt nahm fich der geplagten angehenden Baterfı 

i Thulmeihatioe Atinfäste seläir Bone Bahr vi hans Ren 
efruten] le le ’ 

zelhafte Beſchulung nicht feiöft v ae Ba Eee m 








Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 728 


begegnen wir manchen interefjanten, belehrenden Bemerkungen über ge- 
machte Erfahrungen und Beobadhtungen. Im der Anftalt wurde unter 
Leitung des Frl. Weißenbah ein Wiederholungskurs für Lehrerinnen 
ber Handarbeiten abgehalten. Die Anftalt zählte in der Kleinkinder⸗ 
fhule, in den 4 Elementarkiaflen, in den 6 Sefundarllafien und in ben 
3 Fortbildungsklaſſen insgefammt 512 Schülerinnen. Den Unterricht 
ertheilen 12 Lehrer und 20 Slaffen- und Hilfslehrerinnen. Künftig 
fol eine neue Abtheilung an die Fortbildungsſchule zur Vorbildung der 
Töchter, welche fich dem Handelsſtande widmen wollen, angefchloffen 
werden. Die Beilage enthält eine kurze Abhandlung über das „Gebiet 
des deutihen Aufſatzes“. Verfaſſer (Widmann) erklärt ſich gegen bie 
neue Orthographie ver Tehrerzeitung und gegen das verberbliche Notizen- 
fhreiben während des Unterrihts, und empfiehlt die Aufftelung eines 
Schema und die Nutzbarmachung der Fabel. 

Einem Berichte über das Schulwefen der Stadt Bern 
entheben wir folgende Notizen. Die Summe aller Ausgaben für bie 
Primarſchulen betrug Fr. 122,774 (Br. 102,300 für Beſoldungen, 
&r. 1500 für Prämien zc). Die fieben Schulbezirte zählten 3259 
Schüler; nur in drei Schulbezirken find Knaben und Mädchen getrennt. 
Die Realſchule zählte 359 Schüler, die ſtädtiſche Mädchenſchule in 11 
Klafſen 297 Schüler, die Gewerbeſchule 108 Schüler. 

2. Die diesmalige Hochſchulfeier (am 14. Nov.) wurde buch 
einen Vortrag bed Rektors Dr. Dor über „vie Jugend und bie 
Kurzſichtigkeit“ eingeleitet. Herr Dor hat ſich mit biefer wichtigen 
Frage ernfthaft befchäftigt und in der Kantons» und Realſchule in Bern 
eingehende Unterfuchungen angeftellt. Das Refultat feiner Beobadhtun- 
gen war bie bevenflihe Wahrnehmung, daß die Hurfichtigkeit von Klaffe 
zu Klaſſe zunimmt und in ber oberften Klaſſe bis auf 50—60 °/, fteigt. 
Herr Dor ſchreibt die Urfache der unzwedmäßigen Einrichtung der Schuls 
Iofale zu. Am Literargymnafium beginnt die Zahl der Furzfichtigen _ 
Schüler in der, unterften Klaffe mit 14%, und fleigt bis zur oberften 
Klaſſe auf 53%. Am Realgymnaſium zeigt bie unterfte Klaſſe 10 °%/,, 
bie oberfte Klaſſe 60%, Kurzfihtige. Ein noch ſchlimmeres Verhältniß 
zeigt die ſtädtiſche Realſchule, wo die unterfte Klaſſe 15%, und bie 
oberſte Klaſſe 66 %/, Kurzfichtige aufwies. Unter den ſämmtlichen Schü- 
lern befinden ſich alſo 29%, Kurzfihtige — eine erfchredende Thatſache. 

Die neu gegründete katholiſch-theologiſche Fakultät in 
Bern hat fih im November konftituirt und zu ihrem Dekan Prof. Dr. 
Friedrich erwählt. Zur Ausarbeitung eines Plans für die Errihtung 
eines pädagogifhen Seminars an ber bern. Hochſchule hat die 
Erziehungsbireltion eine befondere Kommiffion ernannt. 

3. Faſſen wir die Refultate der genannten Lehrerbeſoldungs— 
ſta tiſtik zufammen, fo ergiebt fi Folgendes: Die Totalbefolbung ber 
Lehrer im Kanton Bern (duchfchnittlih Fr. 1048) war ungenügend 
zum orbentlihen Unterhalt; fie ſtand relativ ziemlich unter den Arbeits⸗ 
löhnen andrer Berufsllaffen. Die Naturalentfchädigungen waren durch⸗ 
gehend zu gering, und ihre Umwandlung in Geld führte zu einer rela- 

46* 


724 Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 


tiven SHerabfegung der Beſoldung. Bern hatte das relativ geringfe 
Minimum der Schweiz; jedenfalls ftand e8 am Schwanz ber politiſch 
fortgefohrittenen Kantone, Die Erhöhung des Minimums war unzweifel- 
haft erforberlih, um vie Leiftungen des Kantons im Schulwefen auf 
das Niveau anbrer Kantone zu heben. Nach dem Berichte, der ſich 
mit rüdhaltlofer Offenheit über die bern. Schulzuftände ausfpricht, be: 
ſtand die Befoldung zu 12°, in natura, zu 88%, an Geld. Die Ge 
meinden tragen 861/, %/, dazu bei, ber Staat 131/, %%. Daß eine Ber- 
beflerung noth that, zeigte auch eine Yusfhreibung von 29 Lehr⸗ 
ftellen mit durdfchnittli Fr. 496 Befoldung. Das vierjährige Finanz⸗ 
Budget, weldes auch eine Aufbeflerung ver Lehrergehalte in ſich ſchloß, 
wurde bei ber, Volksabſtimmung mit großer Mehrheit angenommen. 
Demnach Können für Erziehung Fr. 184,000 mehr verwentet werden. 
Das Budget enthält einen erhöhten Staatsbeitrag von Fr. 100 für jeben 
Lehrer. Die Annahme der Referendums-Vorlage wird demnach aud) 
für die Schule von guter Wirkung fein. 

4. Die fantonale Schuljynode hat in ihrer Jahresverſaum⸗ 
lung am 26. Oktober die „Frage des Religionsunterridts 
und der religiöfen Lehrmittel in der Volksſchule“ behan- 
beit. Wir greifen nur ein paar Säte aus dem Beſchluſſe heraus: „Der 
Grundftod des Lehrſtoffs ift dem Gebiete des alten und neuen Teſta⸗ 
ments zu entnehmen. Dazu kommt bie Herbeiziehung paflender Bei⸗ 
fpiele und Xehren aus der Weltgefhichtee Bon den Wundererzählungen 
fol nur eine befchränfte Anzahl aufgenommen werben. Die Ertheilung 
bes Religiongunterrihts in der Schule ift in der Regel Sache bes 
Lehrers. ALS obligatorifhe Frage folgt: „vie Nothwendigkeit. 
und die Organifation ber Fortbildungsfhulen „Der 
bern. Kantonal-Turnlehrerverein bat in feiner Verſamm— 
lung im März einhellig befchloffen, feine Thätigkeit zur Forderung bes 
Schulturnens nah allen Richtungen mit aller Energie wieder au bie 
Hand zu nehmen. Im das Aktionsprogramm für die Zukunft wurden 
folgende Hauptpunfte aufgenommen: Förderung ber tbeoretifchen und 
praktiſchen Ausbildung ber QTurnlehrer duch. Vorträge und Turnkurſe; 
Anftrebung einer georbneten Kontrole des Turnunterrichts an Primer: 
ſchulen; Vorſorge gegen die allfällige Einfeitigleit und Verkünſtelung des 
Volksſchulturnens; fpeziele Förderung des Mädchenturnens. 

Der bern. Mittelſchul-Lehrerverein biskutirte vorerſt ein 
Referat „über den naturfundlihen Unterriht in ben Se» 
Tundarfhulen”, fpäter ein folhes von Dr. Bäbler „über bie 
Neorganifation des Mittelfhulwefens” Es wurden m. U. 
folgende Thefen angenommen: Der Sekundarſchulunterricht follte unent⸗ 
geltlich fein. Für die Selundarlehrerbildung follte eine eigene Anftalt 
erftellt werben. 

Um Lebrertag in Urſenbach wurde, anfnüpfend an ein 
Votum des Hm. Pfr. Ammann, das Thema „Bundesrevifion 
und Volksſchule“ beſprochen. Zur Beiprehung verfhiebener Schul⸗ 
fragen traten die Schulinfpeltoren und Seminarbireftoren 








Mitteilungen über bas fchweizerifche Volksſchulweſen. 725 


zu einer Konferenz jufommen. Zunächſt fam ein Geſetz über die Arbeite- 
ſchulen und ein foldhes über den Privatunterricht in Behandlung. 

5. Fortbildungsfhulwefen. Nachdem Nationalrat von 
Arr in Olten einen Vortrag Über die Wichtigkeit und die Einführung 
von Portbildungsjchulen gehalten, bat aud bie bern. kantonale 
gemeinnägige Geſellſchaft, anfhließenn an ein vorzügliches Re⸗ 
ferat von Hrn. Dr. Kummer, den gleichen Gegenſtand einer einläß- 
Iihen Beſprechung unterworfen. Referent wies nad, daß die Errichtung 
gewerbliher Yortbildungsfhulen unumgänglid nöthig fei, wenn das 
fchweizerifche Handwerk und Gewerbe mit den in biefer Richtung befjer 
ausgeftatteten Nachbarſtaaten konkurriren follen. Zu dieſem Zweck müſſe 
wohl der Staat auch eingreifen; doch ſprach Referent mehr der freien, 
ſelbſtändigen Entwickelung durch Gemeinden und Vereine das Wort. 
Ueber die Frage, ob obligatoriſche oder freiwillige Fortbildungsſchulen, 
entſpann ſich eine lebhafte Diskuſſion. Eine vermittelnde Stellung 
nahm Seminardirektor Grütter ein. Ueber dieſelbe Frage hielt auch 
Oberlehrer Umbehr von Bern in einem andern Verein einen Vor⸗ 
trag und gelangte im Weſentlichen zu folgenden Theſen: Es iſt Auf⸗ 
gabe des Bundes und der Kantone, für genügende Primarſchulbildung 
zu ſorgen. Von den Kantonen ſoll der Bund verlangen: ſtrengere 
Ueberwachung des Schulbeſuchs und Beſtrafung der Abſenzen, Bermeb- 
rung der Schulklaſſen (Marimum: 50), Erhöhung der Lehrerbeſoldungen. 
Im Anſchluß an die Primarſchulen find in allen Gemeinden Fortbildungs- 
fhulen zu errichten, deren Beſuch für die Bünglinge von 16—20 Jahren 
obligatoriſch iſt. Diefes Inftitut fol in drei Abtheilungen zerfallen: in 
einen Vorkurs, in bie eigentliche Fortbildungsſchule und in die Fach⸗ 
ſchule, in der bie verfdiedenen Berufsarten zu berüdfichtigen wären. 
Der Beſuch der letztern wäre fafultativ. In allen follte ver Unterricht 
unentgeltlich fein. 

Der Bollsverein von Aarberg, ber für Gründung obliga= 
torifher Fortbildungefchulen wirkt, legt' das Hauptgewicht auf die Heran- 
bildung geeigneter Yachlehrer. 

6. Herr Guillaume hielt in Bern einen Vortrag über „bie 
hauptfächlichſten Urfahen der Verbrechen“ und ſuchte an ber 
Hand der Statiftif die Geſetze, die der Verbrecherfrequenz zu Grunde 
Itegen, nachzuweiſen. Der Redner forfchte nad den Quellen ver Ber- 
brechen und deutete auf die Thatſache Bin, daß die Erziehungsverhälts 
nifje der Verbrecher fehr eng mit ihrer |pätern Laufbahn zufammenhängen. 
Eine vernadhläffigte Erziehung fei die Haupturfahe aller Verbrechen. 
Die Hauptaufgabe einer Gefängnißreform fei nicht firenge Strafe, ſon⸗ 
dern bie Rettung. Das Zuchthaus fol ein Rettungshaus fein. Noch 
ſprach er fchlieglih über die hohe Bedeutung guter Rettungsanftalten 
für verwahrlofte Kinder. 

7. In Bern farb im März 1875 Pfr. Friedr. Langhans, 
80 Jahre alt. Der Berfiorbene widmete feine Xhätigkeit unentwegt 
dem Fortfehritte in Kirche und Schule und fland auch in ben Zeiten 
ber Reaktion zur Yahne des Freifinnd. Im der legten Zeit überließ 


= 


726 Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 


er den Kampf feinen beiden Eöhnen, den VBorlämpfern der Refonn. 
Kurze Zeit war er aud Direktor des Lehrerfeminars in Münchenbuchſee. 
Seine ſchwierige Stellung zu Fellenberg veranlaßte ihn zum Nüdtritte, -- 
Mit aller Entfchievenheit feiner energifchen Natur vertheidigte er fpäter 
den abberufenen Seminardireltor Grunholzer und tem angefeindeten 
Seminarbireltor Morf. 


Bor kurzer Zeit ftaıb in Bern Dr. Leizmann, ein ausgezeichneter 
Schulmann. 

Eine Ehrenmeldung verdient Ch. Röthlisberger, Oberlehrer 
in Bern, ber 52 Jahre in feltener Treue und Hingabe dem Lehrer 
berufe lebte und nun von feiner Stelle zurüdtritt. 


Der Kanton Freiburg. 


1. Herr Fürfpreh Gendre hält dem Freiburger Erziehungspireftor 
Schaller in dffentlihen Briefen fein Sündenregifter vor. Er kw 
ftatirt u. A., daß Schaller das Jeſuitenkollegium wieder bergeftellt habe; 
bie Xehrer des College feien Jeſuitenzöglinge, und jefuitifch fer die Mes 
thode und feien die Lehrbücher, welche fie anwenden. 

2. Zur Rehrmitteleinheit. In den Kantonen ber franöf 
fhen Schweiz arbeitet man daran, gleiche Lehrmittel einzuführen. Cs 
ift auffallend, daß gerade die franzöfiihe Schweiz, welche ſich fo jeht 
gegen jede Sentralifation firäubte, zuerſt praktiſche Schritte thut, um 
größere Einheit in den Volksſchulen zu erzielen. Das bekannte Leſebuch 
von Duffand-Gavard (Genf) ift bereits in Waadt und Genf, aud m 
bern. Jura eingeführt. Nun bat auch Freiburg die obligatorifche Ein- 
führung befchloffen. So ftehen nur nody Neuenburg und Wallis aus, 
die aber wohl auch bald folgen werben. 


Der Kanton Genf. 


1. Ein Korrefpondent der „Thurgauer Zeitung” giebt Bericht 
über das Schulwefen der Stadt Genf, welder beweift, daß 
man fih daſelbſt die Pflege der Volksſchule angelegen fein läßt und 
bedeutende Summen dafür zu opfern bereit if. Der Chef bes Er: 
ziehungs- Departements, Herr Carteret, verdient für bie Förderung ter 
Schulzwede alle Anerkennung. Die Kleinkinderſchule mit 13 Lehrerimen 
nimmt einen Ausgabepoften von Fr. 17,000 ein Im den Primar: 
ſchulen find 12 Lehrer mit je Tr. 1500, 15 Unterlehrer mit je Fr. 1200 
und 20 Unterlehrerinnen mit je dr. 800 bedacht, an welde 
Befoldungen der Staat die Hälfte bezahlt. Immerhin fleigen die 
Ausgaben für die Primarſchulen auf Fr. 57,519 an, da die Wohnung 
entf hädigungen nebft Heizung ꝛc. ganz der Stadt zur Laſt fallen. Die 
Induſtrieſchule, an die der Staat ebenfalls die Hälfte der Lehrerbeſol⸗ 
bung beiträgt, belaftet das Stadt-Budget mit Fr. 8200. Die Ergänzungd 
fhule für Mädchen (vom 13. Jahr ab) koſtet unter den gleichen Be 
bingungen Tr. 3400. Die Zeihnungsihule, ganz von der Statt 
unterhalten, figurixt in der Rechnung mit Fr. 27,000, die Spezial: 








Mittheilungen über das fchweizerifche Volksſchulweſen. 727 


fhule mit Fr. 7300 und endlich die Uhrmacherſchule mit Fr. 43,000. 
So fteigt der ftäptifhe Theil der Schulausgaben auf Fr. 184,000 an. 
Das ift aber noch nit Alles; das Budget für 1875 weift nod 
Fr. 101,000 für Unterflügung anderweitiger vollserzieherifcher Beſtre⸗ 
Bungen. So kommen wir zu einem Total von Tr. 285,000. Die 
Stadt Genf wird überbies kommendes Jahr Fr. 300,000 für neue 
Primarfhulausbauten verausgaben. Das find anerkennenswerthe Opfer, 
wenn auch der praftifche Erfolg denfelben nicht in vollem Maße ent: 
ſpricht. „Wir Genfer find im Gebiete der Erziehung, namentlich was 
Methode und Disziplin betrifft, gegen andere Schweizerlfantone zurüd. 
Doch holen wir, wenn wir aud den Franzoſen gerne ein bischen nach⸗ 
Affen, unfere Vorbilder bei Einrichtung des Schulweſens nicht jenfeits, 
fondern diesſeits des Jura“. 

Ein Korrefpondent der „Neuen Züricher Zeitung” beleuchtet das 
Unterrihtswefen in Genf. von anderer Seite. „Es ift ſchwer, 
fih irgend ein Land zu denken, wo auf dem Felde des öffentlichen 
Unterrichts eine vollftäntigere Bentralifation herrſcht, als im Kantone 
Genf. Außer dem Chef des Erziehungs-Departements und deſſen An« 
geftellten exiſtirt auch gar feine andere Schulbehörde. Berwaltungs- 
behörden für lokale Schulzwede find bier gänzlih unbelannt. Der 
Erziehungsdirektor bat fih bei allen Angelegenheiten mit Niemandem zu 
berathen. Die Gemeinvebehörven haben bloß für den Unterhalt ver 
Schulzimmer zu forgen, und alle Lehrer, vom Univerfitätsprofefior herab 
bis zum einfachſten Dorfichulmeifter, werben vom Staatsrath ernannt. 
Diefe Organifation bringt e8 nothwendig mit fi, daß die Bürger feine 
Selegenheit haben, das Interefie am Sculwefen irgendwie zu bezeugen 
und die bezüglichen ragen felbfländig zu prüfen. — Terner befteht 
eine Satalität darin, daß fi) die Volitik mit der Leitung des Erziehungs⸗ 
wejend vermengt und daß das Publikum veranlakt ift, ben Gang ber 
Dinge in der Erziehungsbireltion einfach zu mißbilligen ober aber dem⸗ 
felben Beifall zu fpenven, je nachdem er mit den politifhen Zenbenzen 
des Staatsraths ſympathifirt oder nicht. Nicht wenige Stimmen erheben 
fi) gegenüber biefer abminiftrativen Allmacht mit dem beftinnmten Ver⸗ 
langen nad Schaffung autonomer Schulbehörven, die aus einer allges 
meinen Wahl hervorgehen, und die die Schulangelegenheiten an ſich, 
ohne jede Beimifhung von politischen Erwägungen, in Berathung ziehen 
follen. Bis zu dem Zeitpunkte, da die Schule ihre eigenen Organe 
erhalten wird, weldhen die Entwidlung des Erziehungswefens am Herzen 
liegt, ſucht man num das Publikum auf dem Wege freier Affoziation zur 
Theilnahme am Gange des Schulwejens zu interefficen. In diefem Sinne 
find in Genf zwei Vereinigungen gefhaffen worden, die ſich fpeziell die För⸗ 
derung des Erziehungsweſens zum Zwecke fegen. Es find dies die „Socidte 
Pedagogique“ und die „SocistE pour le progr&s des Etudes“. Die 
erftere, meift aus Primarlehrern beftehend, fteht in Verbindung mit dem 
weſiſchweizeriſchen Lehrerverein. Die Mitglieder der zweiten find nament» 
lich Profefioren bes Collöge umd der Univerfität. Es wäre zu wäünfchen, 
daß die Familienväter mit den Lehrern mehr als bisher in einen vegels 


728 Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 


mäßigen und häufigen Verkehr treten, um gemeinfam pädagogifche Fragen 
zu bebattiren. 

2. Die pädagogiſche Geſellſchaft diskutirte nah Anhörung 
bes Berichts über den Lehrertag im Winterthur die Militärfrage. 
Wenngleich der Berein mit dem Grundfag, daß auch die Lehrer vol 
und ganz bem Baterlande angehören und im Falle der Gefahr bereit 
fein müſſen, daſſelbe gegen äußere Feinde zu vertheibigen, vollkommen 
einverfianden wer, fo erflärte man fi doch mit Entfchievenheit gegen 
jede Uebertreibung diefes Prinzips, weldhe die Schule zur Kaferne und 
ben Erzieher der Jugend zu einem Jnuſtruktor von 14 — 20 jährigen 
Solvätlein umwandeln würde. Einftimmig befchloß man, die in ber 
romaniſchen Schweiz herrfchenden Anfichten ben eidgenöſſiſchen Räthen 
ebenfalls in einer Eingabe mitzutheilen. 

3. Die Hochſchule in Genf zählte im Schuljahr 1874/75 
297 Studenten, worunter 24 Damen. 


Der Kanton Glarus. 


1. Bei der Berathung ver VBerfafjfungsrevifion entſpann 
fih im dreifachen Landrathe eine lange Diskuffton Über den Artifel, welcher 
das Schulwefen als Sache bes Staates erklärt. Eine Reihe von Rebnern 
traten für und gegen die Zentralifation auf. Nach einem glänzen- 
den Votum des Herrn Landammann Dr. Heer gegen ven Antrag, folgte 
die Abftimmung. Mit überwiegender Mehrheit, 57 gegen 21 Stimmen, 
wurde die Zentralifation des Schulwefens abgelehnt und die Faffung 
bes urfprüngliden Entwurfs wieder aboptirt, welde daſſelbe unter 
„kräftiger Beihülfe des Staats ald Sache der Gemeinden erklärt“. 

Eine Reihe anderer Anträge, 3. B. auf „Erridtung einer 
fantonalen Sekundar- und Induftriefhule”, auf „Unent» 
geltlihleit auch des Sekundarſchulunterrichts“, wurden zur 
Begutachtung an ben Verfofjungsrath gewiefen. Derfelbe bat ſich nad 
veifliher Erwägung zur Ablehnung dieſer beiven Poftulate entſchieden. 

2. Der Kantonsfhulratb erließ im Berichtsjahre: a) ein 
Regulativ für die Prüfungen der Primar- und Sekundar— 
lehrer, b) einen Lehrplan für die Arbeitsfhulen vom britten 
bis achten Schuljahr, c) einen Lehrplan für die Primarfhulen 
(probeweife auf die Dauer von zwei Jahren; berfelbe fordert bloß ein 
Minimum der Leiftungen), d) Verordnung betreffend Kontro— 
lirung und Beftrafung ber Abfenzen, und e) Berorbnung 
betreffend Maßregeln gegen Berbreitung von Krankheiten 
in der Schule. 

3. Wir verdanfen Herrn Dr. F. Schuler die Zufendung feiner 
lehrreichen Denkſchrift: „die glarnerifhden Schulhäufer und die 
Unforderungen der Geſundheitspflege“. Verjaſſer beipricht 
in einläßlicher Weife alle Punkte, welche in fanitarifcher Beziehung von 
Wichtigkeit find: Lage und Umgebung des Schulhaufes, Schulluft, 
Treppen und Gänge, das Schulzimmer, die Beleuchtung, Schultifch, 


Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 729 


Schreibmaterialien und Schulbücher, Heizung, Ventilatioh, Abtritt, Rein⸗ 
baltung der Lokale; er bezeichnet die Mängel, beſonders betreffend die 
Schulbank, die Bentilation, den Abort. Schließlich giebt er den Be- 
börden und Lehrern Winke und beberzigenswerthe Käthe zur Befeitigung 
ber Uebelſtände. Hecht interefiant find auch die beigegebenen Tabellen 
über die Größenverhältnifie der Schulzimme. Die Höhe verfelben 
variirte zwiſchen 7,5° und 11,9’, per Kind trafs mindeſtens 5,5 D und 
48 ob, höchſtens 27 D und 250 cb‘ Raum. Der befchriebene Zuftand 
ver Schulhäufer bezieht fich begreiflih auf die Zeit der Frageftellung. 
Seither find fchon einzelne Verbeſſerungen erfolgt. 

4. Der Kantonal⸗Lehrerver ein behandelte im Oftober 1874 
als Haupttraftandum die Frage Über die Tragweite und Konfequenz bes 
neuen Schulgefeges, insbefondere den „Eonfejfionslofen Religion = 
unterricht in der Volksſchule“, wobei die beiden Richtungen 
ihre tücdhtigen Vertreter fanden. Beide Arbeiten wurben als fleifige und 
gebiegene bezeichnet. Referent war Elmer (für) und Reflektent Beg⸗ 
linger (gegen den konfeſſtonsloſen Religionsunterricht). 

5. „Zur Militärpflidht der Lehrer“. Unter biefem Titel 
erihien in der Ölarnerzeitung eine Einfendung, wohl von einem militär= 
pflihtigen Lehrer herrührend, welcher die Hoffnung ausſprach, die Lehrer 
werben zufanmen einen eigenen, gejonderten Rekrutenkurs machen können. 
Diefe rief einer fharfen Replik, in der weiblich über Schulmeifterftoß 
loögezogen wurde. Der Gegner fagt, das Sondiren würde das Kaften- 
weien noch mehr ausbilden. Es ſei gut, daß man feinen Unterfchieb 
mehr mache zwifchen Schulmeifter und Bürger. 8 erniebrige den Lehrer 
nit, wenn er in Reih' und Glied mit den andern Söhnen bes Landes 
ſtehen müſſe. Die Einreihung der Lehrer unter andere Rekruten fei 
für ihn wohlthätig. Er werde dadurch aus feiner Sonderſtellung erlöft 
und komme mit dem frifch pulfivenden nationalen Leben des Volles in 
nähere Berührung. Er gewinne an Popularität, was auch nicht zu 
unterfhägen fei. Die Befürchtung über Benachtheiligung bes Schul: 
unterrichts durch fiebenwöchentlichen Rekrutenkurs fei unbegründet; ja, 
auch Xruppenzufammenzüge können die Lehrer ohne Nachtheil für vie 
Schule mitmaden. (Die Erfahrungen, die man desfalls in Graubünden 
machte, wiberlegen diefe Behauptung.) 

6. AS der Cyklus der diesjährigen Schuleramen geſchlofſſen 
war, theilte ein fleißiger Bejucher derſelben feine Beobachtungen in einem 
öffentlichen Blatte mit. Er bemerkte u. A., daß jest dem Sprachfach 
die Priorität eingeräumt fei, während früher vielfach die Klage gehört 
wurde, daß daſſelbe zu ftiefmütterlih behandelt werde. Man treffe 
heute durchwegs wohlbetontes Leſen und Rezitiren von poetifchen Stüden, 
fowie namentlich auch georbnete, ziemlich korrekte fchriftlihe Darftellungen. 
Das Nothwendigſte aus der Grammatik werde richt in abftralter, ifolirter 
Weife, fondern mit praltifhen Uebungen verbunden. „Rultivire man 
alle Schulfächer mit dem bisherigen Fleiße; aber das Sprachgebiet ftelle 
man entſchieden in die vorberfte Reihe!“ 


730 Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen 


Ein anderer Schulfreund fagt: „Auf unfrer Ferientour mußten 
wir über das eingeführte ſiebente Schuljahr unangenehme Er- 
Örterungen hören. Da hieß es, dafielbe müſſe wieder befeitigt werben, 
indem einerfeit8 der Entzug des Berbienftes vielen armen Eltern zu 
ſchwer falle, andrerſeits dafjelbe den ſchwachbegabten Kindern doch nichts 
nüge. Wir fignaliftven biefe Beobachtung als Avis für die Behörden. 
Es wird wahrfheinlih einen ernften, beißen Kampf abſetzen.“ 

7. Mehrere Zöglinge der Linthkolonie erachteten es als ihre 
Pflicht, ven Vorfteher Zwidi gegen bie ausgeftzeuten Berleumbungen 
(Klage über ſchlechte Ernährung und Mißhandlung der Knaben) im 
Schu zu nehmen. Die Behandlung fet Human, bie Nahrung gut um 
reihlid. Die bösmilligen Gerüchte feien total grundlos. Er⸗ 
ziehber Zwidi bemerkte in feine „Rechtfertigung“, daß nur 
Demjenigen ein Urtheil über eine Anftalt zuftehe, ver durch eigene Anz 
fhauung nnd fleißigen Beſuch Stand und Gang berfelben beobachtet 
babe. „Wir huldigen freilich nicht einen gewiffen Humanitätsſchwindel, 
der von Geſetzes wegen jede körperliche Strafe von Seite bes Lehrers 
verbietet. Im einzelnen Fällen, wie bei frecher Rüge, Bosheit 2c., haben 
wir unbedenklich zur körperlichen Beitrafung Zuflucht genommen; aber 
da macht fih dann eben der bezügliche Schulartitel fühl 
bar, in dem Schüler fi auf das Gefeg fteifen“. 

Die Borfteherfhaft der Lintholonie erhielt ald Vermächtniß 
bes verftorbenen N. Dürft von Mitlövie Fr. 5000. Diefe Gabe mil: 

“dert die Sorgen für den Wiederaufbau des abgebrannten Aſyls in jehr 
erfreuliher Weiſe. 

8. In ber legtjährigen Landesrechnung figurirt das Schul: 
wefen bereit3 mit der refpeftabeln Summe von Fr. 27,000. Cr: 
freuliche® wird ber Lehrerzeitung über Die Lehrerbefolpungen 
berihtet. Glarus bezahlt jedem Primarlehrer Fr. 1900, Eimenda 
Sr. 1800, Netftal Fr. 1600. Schwanden falarirt die Primarlehrer 
mit fr. 15—1700, Mollis mit Fr. 14—1600. — Ueber die beiden 
Syſteme der Befoldung: daB gleihmäßige und das ſukzefſive Auf⸗ 
fteigen der Salarien nah Dienftjahren und Schulſtufen, tft bierort® 
in ſchulfreundlichen Zirkeln fhon manches Wort gewechfelt worden. 


Der Kanton Graubünden. 


1. Endlih Tiegt ein Entwurf zn einem Geſetz betreffend 
das gefammte Schulwefen des Kantons zur Prüfung vor. Im 
Weſentlichen iſt berfelbe eine Zuſammenfafſung der bisher geſetzlich be 
ftehenden Verordnungen; doch enthält er auch einige Neuerungen und 
Berbefferungen. Wir heben nur ein paar von ben weſentlichſten Be 
ftimmungen heraus. Primarſchuldauer vom 7.—16. Lebensjahre; die 
Schule dauert in den 6 erſten Schuljahren 7 Monate, in den 3 legten 
24 Wochen. Maximum ver Schälerzahl: 60. Ertheilung bes fittlichen 
religiöfen Unterrichts mit Ausſchluß alles Dogmatifchen. Für den kon: 





Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volkoſchulweſen. 781 


feffionellen Religiondunterriht in ben Schulen forgen unter flaatficher 
Auffiht die betreffenden Religionsgenoſſenſchaften. 30 Schuldienſtjahre 
im Kanton berechtigen zum Fortbezug der geſetzlichen Staatözulagen. 
In den Schulgemeinven find die Niedergelaffenen wie Ortsbürger ſtimm⸗ 
und wahlfähig. Sämmtlihe Sculausgaben werden von den Schule 
gemeinden beftritten. Arme Gemeinden werden vom Staate unterftägt. 
Der Entwurf ftellt die Vereinigung fleiner Schulen in Ausfiht. Fir 
Lehrerinnen gelten analoge Beftimmungen, wie für Lehrer. Der Staat 
unterftägt freiwillig erftellte Sekundarſchulen. Die dreikurſigen Sekundar⸗ 
ſchulen fliegen fih an die ſechſte Klaſſe der Primarſchule. Der Staat 
fördert ferner die Gründung von Fortbildungsſchulen. Die Kantons» 
ſchule befteht aus einer Realabtheilung, einem Gymnaſium und einem 
Lehrerfeminar. Sie ſchließt fih an das Lehrziel der fechften Primar⸗ 
ſchulklaſſe. Das Lehrerfeminar ſchließt fi an das Lehrziel der zweiten 
Kantonsſchule. Zur Aufnahme ins Seminar ift das erfüllte 15. Alters⸗ 
jahr erforverlih. Die Seminariften erhalten Stipendien. Sämmiliche 
Lehrer der Kantonsfchule werden vom Erziehungsrathe auf die Dauer 
von ſechs Jahren gewählt. , Nah 30 Dienftiahren hat ein Lehrer An⸗ 
fpruh auf ten Bezug einer Averfalfumme, die bis drei Jahresbeſol⸗ 
bungen erreichen kann. Privatfchulen fliehen unter Oberauffiht des 
Staats. Inſtanzen der Auffihtsbehörden: Ortsſchulrath, Inſpeltorat, 
Erziehungsrath, Kl. Rath, Großer Rath. 

Der Große Rath verjhob die Berathung bis zur befiern Abklärung 
der Anfihten; dagegen wurde ber Entwurf in der Kantonalfone 
ferenz, die fi am 16. Nov. in Chur verfammelte, lebhaft viökutirt. 
Der Referent, Reallehrer Heinrich, befchräntte fi in feiner Arbeit auf 
wenige Hauptpunkte: die Ausdehnung der Schulzeit von acht auf neun 
Schuljahre, die Erweiterung der Schuldauer von 24—30 Wochen, bie 
Hebung ver Lehrerbildung, die unabhängige Stellung der Schule gegen» 
über der Kirche, den konfeſſionsloſen Religionsunterricht. Nicht einvers 
landen war er mit dem bezüglihen Zwed und der Aufgabe ber 
Sekundarſchule. Sodann verlangte er eine obligatorifche Yort- 
bildungsſchule für das Alter von 16—18 Jahren. 

Die Diskuffton drehte fi) (wie dies aud in der Breffe geſchah) 
befonderd um die Frage des Neligionsunterrihtd. Der Artikel fand 
harte Angriffe und warme Bertheidigung. Die Opponenten erflärten, 
ein Neligionsunterriht ohne Dogmen fei undenkbar. Den beften Stoff 
bieten die biblifchen Geſchichten. Die Vertheidiger bemerften, vie 
Religionslehre müſſe der Sittenlehre Platz machen. Der Staat fiehe über 
ber Kirche. Divergirende Anfichten walteten audy Über die Verlängerung ber 
jährlihen Schuldauer, die Berfaffungstunde für die Knaben, die Buchhaltung 
für die Mäpchen, die Wünfchbarkeit und Zweckmäßigkeit der Korteriftenz 
bes Lehrerſeminars. — Es foll nun auch die Beiprehung des Gegen» 
flandes in den Bezirks⸗ und Kreiskonferenzen angebahnt werben. 

2. Frequenz des Lehrerſeminars. Daſſelbe zählt gegen- 
wärtig über 100 Yöglinge. Unter 80 ſtand die Zahl ſchon feit mehreren 
Jahren nicht, und body eriftirt ftetS ber gleiche Lehrermangel. Thatſache 


732 Mittheilungen über das fchweizerifche Volksſchulweſen 


fei eben, daß ein großer Theil diefer jungen Leute nur deshalb ins 
Seminar eintrete, um auf billige Weiſe die Kantonsjchule befuhen zu 
fönnen.. Sole halten wohl einige Jahre Schule, um bie Stipendien 
ir zurüdbezahlen zu müſſen, und wenben fi dann einem anvern Be 
rufe zu. 

Da Hr. Müller, biöheriger Direktor des Xehrerfeminars 
in Schiers, einem Rufe als Pfarrer in feinem Heimatlanton Aargau 
Folge Leiftet, fo wurde Pfarrer Baumgartner, früher Pfarrer in 
Gruob, ale Direltor an defien Stelle berufen. 

3. An einem Lehrerbildungskurs in Ilanz nahmen auf 
8 Lehrerinnen Theil. Dies veranlaßte einen Korrefponventen des ‚ Freien 
Rhätier”, den Wunfh für Errichtung eines Seminars für 
Lehrerinnen audzufpreden. Graubünden habe alle Urſache, ben 
biesfälligen Beſtrebungen anderer Kantone fi) anzuſchließen. Dazu treibe 
ber Mangel an pädagogiſch gebilveten Lehrern. Arme Schulgemeinden 
feien nit im Stande, anftändige Lehrergehalte anzubieten. Da helfe 
am wirkfamften die Heranbilbung von Lehrerinnen. Es ftehen dafür 
brei Wege offen. Dean könne Kandidatinnen zum Beſuch auswärtige 
Anftalten mit Stipendien unterflügen; man inne fie frifchweg mit ben 
Lehrerzöglingen in ein Seminar zufammennehmen, oder man entfchliee 
fih zur Gründung befonderer Lehrerinnenſeminare. Zu bem Zwede 
follten fi mehrere Kantone zu einer gemeinjamen Bildungsanftalt ver 
binden. Graubünden thue wohl daran, bei einer folden Bereinigung 
fih zu betheiligen. Korreſpondent hofft, daß alsdann die Anftalt am 
zwedmäßigften im Alpenlande Rhätien, mit dem gefunden Klima und 
dem einfachen Landleben, ihren Sig finde. 

4. Der „freie Rhätier” erklärt die veröffentlihte Statiftik der 
Lehrerbefolpung mit Bezug auf Graubünden für unridtig. Nah 
bem Beichlufie bes Großen Raths betrage das Gehaltsmi nimum eine? 
abmittirten Lehrers für 24 Schulwochen fr. 400 (Fr. 340 von ber Ge 
meinde und Fr. 60 Zulage vom Staat), für einen patentirten Lehrer 
einer Halbjahrfhule Br. 500— 540 (fr. 340 von der Gemeinde und 
dr. 160—200 Zulage vom Staat). Ein Lehrer der Kantonsſchule bezieht 
bei 28 wöchentlichen Stunden einen Gehalt von Fr. 2500 bis 3000. 

Die AUnsgaben fürs Erziehungsweſen betrugen pro 1874 
Fr. 166,119. 

5. Ein Korrefpondent bes „freien Rhätier“ entwirft ein merl⸗ 
würdiges eigenthümliches Bild der Schulverhältniffe des hod- 
gelegenen Gebirgsthals Avers. Die weiten und gefahrpollen Schulwege 
bieten fo viele Schwierigleiten, daß da an keinen geregelten, fleißigen 
Schulbeſuch zu denken ſei. Jedenfalls follte ver Schuleintritt möglich! 
ſpäͤt geſchehen und bafür die Schulzeit nach oben erweitert werden. 

6. Ueber die Lehrmittelfrage bringen uns die Journale 
Berichte, die einen totalen Umſchwung in ben Anfichten über dieſe An: 
gelegenheit befunden. Wie wir früher meldeten, wurben feiner Zeit in 
den Kantonen Graubünden, Glarus, Thurgau x. die Lehr- und Lele 
büher von Scherr eingeführt. Die Erfahrungen, die man nun feit 


Mittheilungen über das jchweizerifche Volksſchulweſen. 733 


bem Gebrauche derſelben gemadt Hat, ſcheinen bier und dort nicht zu 
ihren Gunften zu fprechen. Der bundneriſche Kantonallehrerverein beſchäf⸗ 
tigte fich Lebhaft mit der Leſebuchfrage und entfchied ſich für Beſeitigung 
ber eingeführten Schnlbüchlein. Auch ver glarneriſche Kantonallehrerverein 
ſprach fi gegen bie obligatorijche Beibehaltung deſſelben aus. “Die 
Reviſion der Schulbücher bildete auch das Traktandum ver thurg. 
Bezirköfonferenz Bifchofszel. Auch da zeigt ſich die gleiche Stimmung 
und Oppofltion gegen bie eingeführten Schulbücher von Scherr. An 
eine Beibehaltung berfelben fei nicht mehr zu denken, da fle der Schule 
durchaus nicht genügen. Bor Allem müfje der Borwurf als begründet 
angefehen werben, daß fle einerjeits das Stoffverhältniß der verſchiedenen 
Fächer unrichtig fiellen, und anderfeits, daß fie viel zu umfangreich ſeien 
und zum heutigen Rufe nad Sonzentration in bireltem Widerfpruche 
fiehen. Ebenſo feien fie nicht frei von Einfeitigleit, wie denn überhaupt 
zu zweifeln fei, ob es einer einzigen Perſon möglih wäre, auf allen 
Gebieten menſchlichen Wiſſens, weldes der Boltsfchule zugänglich ift, 
jelbftändig fchriftftellerifch aufzutreten. Eine fcharfe Kritit und wohl⸗ 
motivirte Berurtheilung erfuhren bie erften, früher jo maßlos gepriefenen 
Lefebüchlein von Scherr, ſodann auch von Seite der Redaktion ber 
fchweizerifchen Lehrerzeitung. Eine nach logiſchen und grammatilalifchen 
Kategorien angeorbnete Beifpielgrammatit als Leſe buch gebrauden, fei 
unpfychologifh und umpädagogiih, eine ſprachdenklehrliche Berirrung. 
nie Büchlein, die Alles in Allem fein wollen, feien in Keinem etwas 
chtes. 

Es iſt gut, wenn man endlich zur Einſicht gelangt, daß man mit 

Einführung derſelben einen Mißgriff gethan hat. 


Der Kanton Luzern. 


1. Die neue Bundesverfaſſung verlangte auch hier eine Revi— 
fion der Kantonsverfaſſung. Der beantragte Schulartikel 
lautet: Der Kanton forgt unter. Beobachtung der Berfchriften ber 
Bunbesverfafjung fir den öffentlihen Unterricht. Die Leitung der öffent: 
lichen Schule fteht ausfchließli der Staatsbehörbe zu. Die Freiheit 
des Privatunterrihts wird, unter Wahrung der gefeglichen Auf- 
fiht über die Erreihung des Lehrzield der öffentlichen Primarfjchulen, 
grunbfäglih anertannt. Den Gemeinden wird die Wahl der Volks⸗ 
ſchullehrer gewährleiftet. 

Der Antrag kam im Großen Rath zur Beratung. ALS prinzipiell 
der wichtigfte Punkt wurde der Saß bezeichnet, der die Errichtung von 
Primarſchulen ſtatuirt, welde nur in fo weit unter Auffiht des Staates 
ftehen, daß derſelbe berechtigt ift, zu unterfuchen, ob in ſolchen Anftalten 
das Lehrziel im Minimum erreiht werde ober nicht. Die liberale 
Dppofition ftellte dieſem Artikel die Forderung entgegen: Privatfchulen 
innen nur mit Bewilligung des Erziehungsraths errichtet werben und 
fteben unter Auffiht des Staates. — Die Konfequenzen, welche ſich 
aus dem Ürtifel in jener Fafjung ergeben, könnten bedenklicher Art 


734 Mittheilungen über das fchweizerifche Volksſchulweſen. 


werden. Es wäre möglich, daß nad franzöſtſcher Manier der Elementar⸗ 
unterricht faft völlig in die Hände von Orbensperfonen geriethe. Die 
Abficht gehe dahin, der Eonfeffionslofen Schule ans dem Wege zu geben. 
Man dürfe wohl zweifeln, ob es die fonfervative Regierung mit der 
Entwidlung des Schulweſens wirklih in vaterländiſchem Geifte ehrlich 
meinte. Statt die Einheit im Schulwefen zu fördern, wärbe man wohl 
eher ber Zerfplitterung Vorſchub Leiften. Diefe Anfiht blieb in Minder⸗ 
heit. Die Oppofition verlangte weiter, daß auch die Schullonmiffionen 
von den Gemeinden zu wählen feien. Selbft diefer billige Wunſch 
wurde abgelehnt. — Nun kam die Iuftitution bes Erziehungsrarhs 
zur Sprache. Derfelben war das Meſſer an ven Hals geiekt; fie follte 
befeitigt werben. Früher hatte fi der (Liberale) Erziehungsrath große 
Verdienſte erworben und fand in hohem Anfehen. Nun aber war biefe 
Inſtitution um allen Kredit gelommen, fo daß die Abſchaffung ein Fort- 
ſchritt geweſen wäre. Bon ber erften bis zur zweiten Berathung nahm 
ber Wind eine andere Richtung, und es fand fih nur noch eme Heine 
Mehrheit (57 gegen 56) für Befeitigung Un feine Stelle follte eine 
Erziehungspireltion mit einer Fachkommiſſion treten. Doch fiehe, über 
Nacht brachte der Klerus noch eine Wandlung zu Wege, und als man 
am folgenden Morgen nochmals barauf zurückkam, war der Erziehungs 
rath glüdlih gerettet. Ex fol num aus drei Mitgliedern beftchen. 
Chef verfelben ift ein Regierungsrath. Die liberale Partei bat bei der 
ganzen Reviſion auf feinem Punkte einen Vortheil errungen. Bei ber 
Schlußabſtimmung (im Januar d. J.) wurde die neue Berfafiung mit 
69 gegen 43 Stimmen angenonmen. Für Berwerfung flimmten alle 
Liberalen, 

In einer andern Sigung ftellte im Großen Rath ein Mitglied den 
Antrag, die Fortbildungsſchule einer Reorganifation zu 
unterftellen. Der Vorſchlag wurde erheblich erflärt und dem Regierungs⸗ 
rath zur Begutachtung übergeben. 

2. Auf dem Gebiete des Boltsfhulmefens ſteuert der 
Kanton Luzern mit vollen Segeln im realtionären Fahrwaſſer. 
Die Schule fol wieder der Kirche untergeorbnet werden. Alle Gewalt 
und aller Einfluß im Erziehungswefen liegt in den Händen der Geiſtlich⸗ 
feit. Die Entfernung der felbftändigen, liberalen Lehrer, heißt e8, werbe 
ſyſtematiſch betrieben. Sei der Wink vom Pfarrhaufe aus gegeben, fo 
helfen Dienftjahre, Lehrtüchtigkeit, Pflichteifer, alle VBerdienfte nichts. — 
Gegenwärtig erfege man die gemwaltfam befeitigten Lehrer durch Lehr 
ſchweſtern und Klofterfrauen. Zwei Lehrer von Efholzmatt be 
Hogten fi wegen Benachtheiligung bei Austheilung der Gehaltsanf- 
befjerung. Darauf wurde eine Gemeinveverfammlung abgehalten, welche 
ein neues Charafteriftilon fir. das gegenwärtige Regiment liefert. Es 
legten nämlich 141 Männer aus allen politiſchen Schattirungen beim 
Regierungsrathe Proteft ein gegen bie Berweigerung ber Gehaltszulagen 
an ihre zwei wadern Lehrer, bie allerdings liberal, gleichwohl von allen 
Parteien geliebt und geachtet find. 








Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 735 


3, Die Rantonallehrerlonferenz wurde am 5. Oltober 
in Hisfirh abgehalten. Schon am Vorabend verſammelten ſich bafelbft 
50 Mitglieder der Lehrerkaſſſe. Der vielangefeinbete Artikel, wonach 
bürftige Mitglieder dreifache Nutznießung erhielten, wurbe auf die frühere 
Bafis geftellt, fo daß künftig wieder alle Vereinsmitglieder in Pflichten 
und Rechten gleichgeftellt find. Im Vorſtand befindet ſich auch als 
Seminarbireltor Rietſchi. 

Die übliche Predigt fiel biegmal weg. Seminardireltor Stutz 
eröffnete die Verhandlungen mit einer Anfprache, in welder er Rücerts 
Deutung der Hilfszeitwörter auf das Lehren bezog und nachwies, wie 
man lehren könne, durfe, müſſe, ſolle und wolle. Herr Achermann be⸗ 
richtete Über die Veranſtaltung einer Ausſtellung von Beran- 
ihaulidungsmitteln. Inſpektor Unternährer veferirte über das 
Wirken der Kreis: und Sektionskonferenzen. Cr rühmte 
das rege und follegialifche Leben und Streben der Iuzern. Lehrerſchaft 
Seminar⸗Direktor Dula babe das Verdienſt, den Konferenzgeiſt in rechter 
Weiſe gewedt und genährt zu haben. Mit großer Mehrheit wurde als- 
bann die Nothwendigkeit der Ausbehnung ber Schulzeit aus⸗ 

geſprochen. Die Diskuſſion über den Zeichnungsunterricht in der 
— 28— führte zur Annahme der Schoop'ſchen Theſen. Zu dieſem Be- 
Ihluffe, betreffend das ſtigmographiſche Zeihnen, bemerkt das 
„Luzerner Tageblatt”: Soll nun diefe Mißgeburt, wie das fligmogra- 
phifhe ober Punlt - Netzeihnen vom Beichnungslehrer Weingartner 
bezeichnet wird, in Luzern auferfiehen? Lieber gar nicht zeichnen, als 
fich auf ſolche Art behelfen; denn bei einer ſo rein mechamſchen An⸗ 
leitung muß jebe ſelbfiandige Entwickelung im Keime erſtickt werden. 

4. Das Jahrbuch der luzern. Kantonallehrerkon— 
ferenz pro 1873. Die Redaktion knüpft an den Konferenzbericht 
einige Gedanken über den Nugen ber Luzern. Kantonaltonferen,. Bor 
Allem verdanke man dem Inftitut den erwachten forporativen Geiſt und 
bie Herausgabe der anregenden SKonferenzblätter und des Jahrbuchs. 
Dann giebt er noch Winke über wünſchbare Verbeſſerungen. Das 
Jahrbuch enthält im weitern zwei tüchtige umfaflende Arbeiten vom 
ZTöchterlehrer Achhermann: „bie Vorbereitung auf den Unterricht“ und 
„die Charakterbildung durch die Volksſchule“, ebenfo eine lefenswerthe 
Abhandlung von I. Müller: „vie Hilfsmittel des finnlihen Anſchauungs⸗ 
unterrichts“. 

5. Unter Leitung von Seminardirektor Stutz wurde ein Wieder- 
holungskurs für Lehrer abgehalten. 

In ber Kaferne erhielt eine ftattlihe Schaar BVollöfchullehrer 
(60—70) militäriſche Inftruftion. Bei diefem Anlaß wurde 
auch Unterricht in Geſang, Turnen und Geſundheitslehre durch beſon⸗ 
dere Fachlehrer ertheilt. Die luzern. Lehrer unter 25 Jahren waren 
ſchon ſeit einigen Jahren militärpflichtig und hatten einen Relrutenkurs 
zu machen. — Mit Begeiſterung beſchloſſen ſie eine Zuſchrift an 
den Ständerath, und erllaͤrten ſich einverſtanden, daß die Lehrer 


736 Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 


einen fünfzigtägigen Rekrutenkurs zu beftehen unb der Jugend militärifchen 
Vorunterricht zu ertheilen haben. 

6. Der Stadtrath von Luzern hat, geftätt auf Klagen ver 
ſchiedener Töchter, daß fie bei ber Beite unziemlihen Fragen ausgefeßt 
feien, den Beſchluß gefaßt, es feien in Zukunft die Rapuziner ale 
Beichtiger bei den dortigen Schulen nicht mehr zuzulafien. 

In der Stadt Ruzern egifirt feit Jahren ein Berein zur 
Unterflätung armer Schulkinder. Die freiwilligen Gaben (die 
. 3. Fr. 3000 erreichten) werben zur Anſchaffung von Schulfachen 
und Kleidern verwendet. " 

Eine Anzahl Schulfreunde der Stabt Luzern erließ einen Aufruf 
zur Gründung eines Kindergartenverein®. 

7. Laut Budget pro 1875 beziffern fi die Ausgaben bes 
Staats für das Erziehungsweſen auf Fr. 391,395, bie fid 
auf folgende Poften vertheilen: Allgemeine Ausgaben, Verwaltung: 

15,500; Gemeinde⸗ und Bezirksſchulen: Br. 251,965; Lehrer: 
feminar: Fr. 27,430; Zaubftummenanftalt: Fr. 10,100; Kantons- 
ſchule: Fr. 86,380. Die fämmtlihen Staatsausgaben belaufen fih in 
runder Summe auf 1'/, Millionen Franken, fo daß das Erziehungsweſen 
einen refpeltablen Prozentſatz aufweiſt. Unter den Gemeinden fteht die 
Stadt Luzern ehrenvoll da, die Fr. 98,000 für das Schulweien ver- 
wendet. 

Nach dem Bericht Über die Lehrerkaſſe befteht das Kapital 
berfelben in Fr. 75,427. 126 Nutnießer bezogen 3246 (à jr. 7—85), 
17 Witwen erhielten ca. Fr. 700, 23 Watfen Fr. 235. 

Kantonsfhule und Theologie zählten 1873/74 in ben fünf 
Klaſſen der Realſchule 68 und in den act Klaflen bes Gymnaſtums 
und Lyceums 80 Schüler. 

Am Seminar in Hitkirch bezieht ein Lehrer einen Gehalt von 
Fr. 2000 nebft freier Wohnung. 

Die Steigerftiftung vertheilte an 48 Bibliothelen 472 Bände 
Sugend: und Bolfsfchriften (feit 1864: 4671 Bände für Fr. 4066). 
Diefe Bibliothelen zeigen einen Beftand von 17,000 Bänden. Das 
Rapital der Stiftung beträgt Sr. 6770. 

8. In Ruswil farb Pfarrer 9. Siegrift, ein würdiger 
Schüler Peſtalozzi's. 


Der Kanton Neuenburg. 


Die Generaltonferenz der nenenburgifchen Primarlehrer hat 
mit Hinfiht auf den Militärpienft ber lehrer und ven militärifchen 
Unterricht der ſchulpflichtigen männlichen Jugend beſchloſſen, den Bunbes- 
behörven folgende Wänfche vorzulegen: es mödte dem Primarlebrer 
einzig immerhalb der gefeglihen Schulzeit der Turnunterricht, foweit er 
zur Vorbereitung bes MilitärunterrichtS dient, zugemmtbet werden. Wenn 
bie Lehrer dennoch zu eigentlihem Deilitärdienft verpflichtet werben jollten, 
habe fich biefer auf ven Rekrutendienſt zu befchränten. Die Dienft- 





Mittheilungen über das fchweizerifche Volksſchulweſen. 737 


unfähigleit fol nicht zugleich diejenige als Lehrer überhaupt nach fich 
ziehen. Das Gejeg über bie Dienfipflicht fol nicht auf die gegenwärtig 
in Amt und Bunltion flehenden Lehrer rückwirkend fein. Der militärifche 
Unterricht fol von der Militärfteuer befreien. 


Der Kanton Schaffhanfen. 


1. Das Programm des Gymnaſiums in Schaffhaufen 
pro 1873/74 enthält eine Weberficht der Jahrespenſen, ven Bericht über 
eine augenärztliche Unterfuhung von Seite ſachverſtändiger Experten und 
eine Abhandlung über ven femitifchen Infinitiv. — Nach Regelung und 
Feſtſtellung der Befoldungen betragen nım bie Gehalte ſämmtlicher Gehrer 
Gr. 37,850. Die Ehenerungszulage inbegriffen beträgt die Erpöhung 
Dr. 5574 oder 17%. Die Zahl ber Schüler ftieg auf 128, dag 
Symnaflum zählte in 6 Klaſſen 61, die Realabtheilung in 5 Klaſſen 67. 
Die Herren Dr. Ott und Dr. Rigmann unterfuchten das Sehvermögen 
der Öpmmnaflaften nach zwei von einander unabhängigen, fi gegenfeitig 
ergänzenden Methoden. Nach ihren Berichten waren unter 122 Schülern 
42 kurzſichtig, 55 normal, 7 überfidhtig u. f. w. Kurzfichtig waren im 
Klaſſe I 27%), in Klaffe II 40°/,, in Klaſſe III 309%, in Klafje IV 
47%,, in Klaſſe V 549%,, im Klafle VI 58%,. 

2. Laut dem Programm ber Prüfungen ber Elementar= 
und Realfhulen der Stadt Schaffhbaufen (pro 1874/75) 
zählte die Realſchule 299, die Elementarihule 1230, die Steigfchule 
197, die Foribildungsſchule 44, total = 1770 Schüler. Den Unter- 
richt ertheilten 32 Lehrer und 2 Lehrerinnen. 

Um bie Entſtehung und Entwidlung der Kurzfichtigfeit in ber 
mittleen Schulperiove zu erfahren, wurden auch die Augen der Real- 
ſchulen unterſucht. Nah dem Beriht waren unter 164 Schülern 
22 kurzſichtige. J. Klaſſe 84,%,, U. Klaſſe 14%, HI Klaſſe 12%), 
Diefe und obige Zufammenftellung beweifen auf eine ganz überzengende 
Weife, wie die Zahl der Kurzfihtigen mit der Höhe der Klaffe zunimmt. 
Dieſe erſchreckende Progreffton hebt die nicht erfreuliche Thatſache hervor, 
daß die Schulyggienie nit mit der Übrigen Entwidlung des Schul⸗ 
weiens Schritt gehalten bat. Mit ver großen Anftrengung des Geiftes 
und der Sinne follte die erhöhte Sorge für die Organe Hand in 
Dand gehen. ' 

Die Experten fnüpften an die Auseinanterjegung des Thatbeflandes 
und der Urjachen diefer Erſcheinungen aud die Borfchläge und Mittel 
zur Abhilfe der Mißſtände. Als ſolche bezeichnen fie: Redultion der 
Lehrftunden und Schulaufgaben, welche die Augen ſtark in Anſpruch 
nehmen, Vermehrung der Lehrftunden, welche ten Aufenthalt im Freien 
ermöglichen, Vermehrung der Turnſtunden und der naturwiſſenſchaftlichen 
Fächer, obligatorifcher Eintritt ins Kadettenkorps, Errihtung gut bes 
leuchteter und ventilirtee Schulzimmer, Anſchaffung geeigneter Schul⸗ 
bänfe mit richtigem Größenverhältniß, Rückſichtnahme auf die Augen bei 
Eintheilung bes Lehrplans, Verlegung der Schulzeit auf die hellen Tages: 

Pab. Zahresberit. XXVII. 47° 


738 Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 


ſtunden, Wechſeln der Plätze und Einführung von Panfen nach jeder 
Unterrihtöftunde mit obligatorifchen Aufentyalt im freien, forgfältige 
Brillenwahl bei Kurzfihtigen, Ueberwahung der Schüler in ihrer häns⸗ 
Iihen Thätigleit von Seite der Eltern. Es fällt uns auf, daß bie 
Experten die Landkarten und Bücher mit Heinem Drud nicht berührten. 

3. Der Schulartilel des Entwurfs der revidirten Kan— 
tonspverfaffung, der aber vom Volle zurüdgewiefen wurde, lautete: 
Der Primarunterriht ift obligatorisch. An ſämmtlichen öffentlichen 
Schulen ift der Unterrit für die Kantonseinmohner unentgeltih. Die 
Befoldung der Lehrer ift zu einer Hälfte vom Staate, zur andern von 
den Gemeinden zu entrichten. Die übrigen Koften des Primarumterrichts 
find von den Gemeinden allein zu tragen. 

4. Die Rekrutenprüfung beſchränkte fi auf Leſen, Schreiben 
und Rechnen. Geprüft wurben 181 Mann. Im Ganen war ein 
Fortſchritt bemerkbar. Sie zeigte folgendes Ergebniß: Leſen: 8 ſchwach, 
24 mittelmäßig, 110 gut, 39 ſehr gut; Schreiben: 38 ſchwach, 68 wittel⸗ 
mäßig, 60 gut, 20 ſehr gut; Rechnen: 1(0), 15 ſchwach, 46 mittel: 
mäßig, 81 gut, 38 fehr gut. 

Im Kopfrechnen follten folgende Aufgaben gelöft werben: 1) A. 
verfauft 6 Pfund Butter à Fr. 1.20 und giebt vom Erlös Fr. 2.80 
aud. Was bleibt ihm übrig? 2) Wenn man fr. 7.55 und Fr. 8.70 
einnimmt, wie viel macht das? 3) Drei Männer verdienen zufanımen 
täglih Br. 13.505 was trifft auf einen? 4) Wie viele &llen famı 
ih aus 3 Fünffrancstbaler laufen, wenn die Elle 21/, Fr. koſtet? 
5) Wie viel beträgt ber Zins von Fr. 2500 & 41,0? 6) Ein 
Thurm ift 37 Meter body, wie viele Fuß? 

5. Der flattgehabte dreiwöchige Inftruftionslurs für 
Arbeitslehrerinnen batte 25 Theilnehmerinnen. Der Unterrit 
erftredte fi auf das Fliden, Striden, Nähen, Zufchneiven. Daneben 
giengen Belehrungen über Methode und Schulzudt. 

6. Nah der Staatsrehnung pro 1873 erreichten die Totalane- 
gaben die Summe von Fr. 493,900; davon fallen auf das Erziehunge- 
weien ca. Br. 138,900. (Eymnafium: Fr. 46,000, die Realichulen: 
Br. 51,700, die Elementarſchulen: Fr. 45,000 u. ſ. w.) Eine Erhöhung 
ber Ausgabeziffer (fr. 76,500) hätte bie projelticte Berfafſung ge- 
bracht. Daß das Budget bes Staats keinen Gradmeſſer für vie Kultım- 
zuftäube abgiebt, haben wir bereits angebentet. 


Der Kanton Schwyz. 


1. Bericht des Erziehungsdepartements (Chef: N. Ben- 
zinger) über das ſchwyzeriſche Schulweſen pro 1873. Was 
uns an dieſem Berichte aufrihtig freut, ift das unverfennbare, redliche 
Streben, die thatfählihen Schulzuftände ohne Schminke treu umb wahr 
darzuftellen, das Streben ferner, das Bute zu profifiren, komme es vor 
tonfervativer ober liberaler Seite. Wir bepanern aufridtig den Rüd 
tritt dieſes einficht8vollen und verdienten Erziehungsrathspräftdenten. — 


Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 739 


Der Erziehungsrath arbeitete im Laufe des Berichtsjahres an neuen 
Lehrplänen für das Lehrerfeminar, die Wiederholungskurſe, an Unters 
rihtöplänen für die Selundar= und Arbeitsſchulen. Er beendigte ferner 
einen Entwurf zu einem Beſoldungsgeſetz. Mit diefem bezwedt er bie 
Stellung der Lehrer durch Diinimalgehaltsanfäge zu fihern und ihnen 
freie Wohnung, Garten, Holz oder Aequivalente zuzumenden, ferner 
duch Alterözulagen nah 5, 10, 15 Dienftjahren zur Ausdauer im 
Beruf zu ermuntern. Gewiß find die Alterszulagen ein wirkfames 
Mittel, berufstreue und erfahrungsreiche Lehrer dem Schuldienſte zu er⸗ 
balten. : Der Gefegesentwurf fol demnächſt dem Gr. Rath zur Beſchluß⸗ 

faflung vorgelegt werden. 

Die Gemeindeſchulräthe wirken ungleich; einzelne find eifrig, 
andere läffig und ſchlaff. Diefe Theilnahmlofigkeit fei eine Hauptſchuld 
am Berlottern der Schulführung, am ſchlechten Zuſtande der Lolale. 
ES hulverwaltung:Schulfond-Kapital: Fr. 455,243, Grundeigenthum: 
Sr. 639,790, Schulmobiliar: Fr. 41,126 Die Lebrerbefoldungen bes 
trugen nad den Lehrerberichten Sr. 74,345. Die Schulausgaben: 
Fr. 89,742. 

Rückſichtslos dedt der Bericht die Blößen einzelner Gemeinde: 
primarfchulen auf. Die Gemeinde Sattel muthet einer Lehrſchweſter 
die Führung einer Halbtagsjchule mit 6 Klafjen und 154 Kindern zu, 
äbnlih andere Gemeinden. Sole Zuſtände verdienen, durch eim eib» 
gendffiiches Schulgefetz verdrängt zu werden. Das Tehrerperfonal 
beftehbt aus 119 Lehrern und Gcfrerinnen an Primarfchulen (6 geift« 
Iihen, 56 weltlichen Lehrern, 46 Lehrſchweſtern und 11 weltlidhen 
Lehrerinnen). Einige Gemeinden erhöhten die Gehalte; in andern trifft 
man noch eigentlich elende Löhne Niemenftalden bezahlt Fr. 60; 
Grabenegg Fr. 50; andere Gemeinden muthen dem Lehrer eine Ges 
ſammiſchule mit 6 Klaffen und 60-80 Kindern für einen Lohn von 
Fr. 350—400 zu. Die Schullolale und Schulapparate zeigen 
bas größte Gebrehen im Schulweſen dieſes Kantone, Genügend große 
und eigene Schulbäufer befigen nur 61 Gemeinden; in 41 Gemeinden 
find die Schulzimmer dunkel, eng. Mit der Beftublung fteht e8 nicht 
befier. Das Hauptübel find die Miethlokale. Im die abjcheulihe und 
finftere Schulftube in Schindeleggi dringe nie ein Sonnenftrahl. Feufis⸗ 
berg habe fein Schullofal in einem Wirthshauſe. Ein anderer Haupts 
übelftand find die Halbtagſchulen. Dieſe Halbheit und Snauferei 
führen ficher zur Verarmung. Berichterflatter fordert deshalb durchwegs 
gefeglihe Ganztagſchulen. Die Primarfchulen wurden von 6633 Kin⸗ 
dern beſucht, die fih auf 6 Klaffen vertheilen. In die oberfte Klaſſe 
fommen nur 8%. Das dritte Hauptübel find die Abfenzen. Der 
Schulzwang fer eine Wohlthat. Der Schulbeſuch müſſe hier mit aller 
Energie fontrolirt werben. In St. Gallen treffe e8 pro Kind 10,5 
unbegrünvete Abfenzen, in Schwyz 13,5. Sobann werben die 8 Wochen 
gejetzlicher Ferien bi8 zu 100 Tagen überfchritten, jo daß bie Finder ber 
Halbtagfhulen nur 123 Tage Unterriht haben. Die Schulinfpeftoren 
tadeln im Sprachunterrichte, dem Höhenmeſſer der geiftigen Entwidlungss 

47” 


740 Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 


ſtufe der Schüler, das Auswendiglernen vieler Regeln, das ableiernte 
Lefen, die gebantenarmen Aufſätze. Im Gefang und Zeichnen werde 
fozufagen nichts geleiflet. Der Realunterricht beftehe in der gedächtniß⸗ 
mäßigen Einprägung von Namen und Zahlen. Die Wiederholungs- 
faulen feien mangelhaft. Die Arbeitsſchulen feten nur falultativ ein- 
geführt. Einfiebeln gehe hierin rühmlih voran. Die 7 zwei⸗ bis 
breifinfigen Sekundarſchulen wurten von 163 Schülern beſucht. 
Die Gefanmitbejoldungen der 9 Lehrer betrugen Fr. 12,700 (& Zr. 500 
bis 3100). Das Lehrerfeminar zählte in 3 Klafien 30 Zöglinge 
(gegenwärtig 37). Den Unterricht beforgen 4 Lehrer. Die 14 ſchwy⸗ 
—3 Zöglinge erhielten aus dem Jütziſchen Fond Stipendien von je 

. 250—300. 

Patentirte Lehrer erhalten vorerfl nur proviforifche, fpäter definitive 
Anftellung auf 6 Jahre. Die Lehrer fireben die Gründung einer fan= 
tonalen Konferenz an. Die Lehrſchweſtern haben ihre befonderen 
Konferenzen und Kurje im Mutterhaufe in Ingenbohl oder in Dien- 
singen. Der Ranton befigt zwei höhere Lehranftalten. Das 
Kollegium Maria Hilf in Schwyz und bie Lehr und Erziehungsanftalt 
bes Stiftes Einfleveln. Der Bericht. enthält eine Ueberſicht ver 
fieben höhern Lehranftalten in der Urſchweiz mit Zug und 
Luzern. Nach derfelben zählte 1) die Kantonsjchule in Altorf 40 Schüler 
und 6 Profeſſoren (3 geiſtliche and 3 weltliche); die Kloſterſchule Ein⸗ 
fieveln 176 Schüler und 24 Profefioren (24 geiftliche); die Kloſter⸗ 
ſchule Engelberg 69 Schüler und 10 Profefioren (10 geiſtliche); die 
Kantonsschule in Luzern 246 Schäler und 33 Profefioren (14 geiftliche, 
19 weltlidhe); daB Gymnaſium in Samen 131 Schüler und 11 Bro: 
fefloren (10 geiftlihe und 1 weltliher), das Kollegium ın Schwyz 
298 Schüler und 20 Profeſſoren (13 geiftlihe und 7 weltliche), vie 
Kantonsfhule in Zug 129 Schäler und 12 Profefforen (3 geiſtliche 
und 9 weltliche). Ale 7 Lebranftalten zählten fomit 1089 Schüler 
(188 im Vorkurs, 297 Realſchüler, 452 Gymnafiaſten, 81 Lyceiften 
und 20 Theologen) und 110 Brofefioren (74 geiftlihe und 36 weltliche). 

Der ſchwyzeriſchen Tehrerfaffe, die erft ein Kapital von Fr. 5108 
befigt, wurde ein Vermächtniß des jüngft verfiorbenen Seminar- 
Direltors Schindler jugewendet. 

Die Sefammtausgaben des Staats für das Schul: 
wefen betrugen Fr. 10,000, diejenigen der Gemeinden Fr. 89,800 
(pro Schäler Fr. 13. 21 Ct.. 

. 2. P. Benno Kühne bat feinem verftorbenen St. galliſchen Lands⸗ 
ae P. Gall Morel in einer trefflihen Biographie ein Denkmal 
gelebt. 

Sal Morel war eine edle, ahtungswerthe Perjönlichteit von emi⸗ 
nenter pädagogifcher und dichterifcher Begabung. Mit großem Interefle 
lafen wir barum das Kapitel: „Morel’s Wirken ale Shulmann“. 
Seine Theilnahme am innern Um⸗ und Ausbau der Stiftsſchule, -fein 
Birken als Profefior und Rektor (1826— 72), feine pädagogiſchen An- 
ſchauungen, feine Xhätigleit auf dem Gebiete der Volksſchule fihern ihm 





Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 741 


ein ehrendes Andenken. Sein Leben war mit der Schule verflodten. 
Im Yahre 1848 wurde er Rektor, unb damit beginnt die Glanzperiode 
feines Wirkens. Seine Individualität gab ihm ein eigenes Gepräge. 
Lebensfroher Humor, freier Sinn, unermüdliche Arbeitsluft, tiefe Religid- 
fität bildeten die Grundzüge feines Weſens, bildeten aud den Angel- 
und Zielpunft feines päbagogifhen Wirken. Ex liebte frifhe Natürlich 
keit, felbftänvige, eigenartige, originelle Entwidlung, lebensfrohen, heitern 
Geiſt; er war der Kopfhängerei, dem Pedantismus feind. Einen ſolchen 
Manne wird man nicht zürnen, wenn er fi auch gegen bie zentraliftifche 
Strömung und gegen bie konfeſſionsloſe Schule äußerte. Die Bedeutung 
Morels als Shulmann Liegt allerdings in feinen Leiflungen für vie 
Stiftoſchule; doch war aud fein Wirken für die Volksſchule verdienftvoll. 
Die Hebung ber Volfefhule lag ihm am Herzen, und als Schulinipeltor 
und Erziehungsrath entfaltete er eine vielfeıtige anregende Thätigkeit. 
Da er wußte, Daß die Hebung des Sculwefens Hauptfählib durch 
Heranbildung eines tüchtigen Tehrftandes bebingt fei, der Kanton Schwyz 
aber fein eigenes Seminar befaß, fo gab er 1844 (September bis Dftober) 
30 Schullehrern im Slofter einen Bildungskurs. Die Vorträge über- 
nahmen Gall Morel und Bfarrer H. Rättimann. Gall entwarf 
ven Plan, der einen Schag von pädagogiſchem Wiffen und trefflichen 
Winken enthielt. Er ſchrieb auh Schulbücher. Das ſchwyzeriſche Schul⸗ 
geſetz tft das Wert Morels. — Hätten wir lauter katholiſche fchuleifrige 
Geiftlihe, wie Giraid, Weſſenberg, Federer, Morel, ja auch Scubiger, 
Theopofius u. U. fo flünde e8 um die Schulfadhe und den Eonfejfionellen 
Frieden nicht fo ſchlimm. 


Der Kanton Solothurn. 


1. Das Boll des Kantons hat im lebten Februar ein neues 
Geſetz über die Bezirtsfhnlen angenommen. Wir punltiren 
bie wichtigſten Beflimmungen. Anſchluß der zweilurfigen Bezirksſchulen 
an die ſechſte Primarfchulflaffee Doppelaufgabe: Vorbildung für das 
landwirthſchaftl. und gewerbliche Berufsleben, Vorbereitung für die Kantons⸗ 
ſchule und das Lehrerſeminar. Die Koften übernehmen Staat und Ges 
meinde. Unterrichtögegenftände: bie üblichen, auch Berfaffungslunde und 
örperlihe Uebungen. Wo mehr als zwei Lehrer an einer Bezirksſchule 
wirlen, ift die fakultative Einführung von Latein, Griechiſch, Italieniſch 
oder Engliſch geftattet. Wahl der Lehrer durch den Negierungsrath auf 
6 Jahre. Voran geht eine zweijährige Probezeit. Gehalt wenigftens 
Sr. 2200, dazu eine Bürgergabe Holz. Der Staat leiftet 4, an bie 
Beſoldung (fr. 18002000). Berpflihtung zu 30 wöchentlichen 
Unterrihtöftunden. Der Beſuch der Bezirksſchule ıft auch Mädchen ge- 
ftattet. Jede unbegründete Abfenz wird mit 50 Et. beftraft. Unterricht 
ſchulgeldfrei. 

2. Us eine zeitgemäße Schöpfung und wichtige Errungenſchaft 
wird dasſsn eue Kantondfchulgefeg bezeichnet. Man hofft, e8 werde 
das höhere Schulwefen des Kantons einer neuen Entwidlung und ges 


742 Mittheilungen über das ſchweizeriſche Vollsſchulweſen 


veihlichen Zukunft entgegenführen. Die Kantonsſchule beſteht demgemäß 
aus dem Gymnmaſium mit 7 Klaſſen, der Gewerbſchule mit 6 Klaffen 
und ber tbeologifhen Anftalt, welche 3 Jahreskurſe umfopt. Die Ge⸗ 
werbſchule trennt fi im eine techniſche, merkantiliſche und landwirth⸗ 
ſchaftliche. — Anſtelluug von 24 Profeſſoren; Maximum der Stunden- 
zahl 24; Beſeldung fr. 2800-3200 und ülterszulagen. 

3. Anleitung und Lehrplan für die folorhurnifhen 
obligatorifhen Fortbildungsfhulen, bearbeitet von P. Gun- 
zinger. Berfafler ſpricht fi darin aus über: Das Verhältniß der Fort⸗ 
bildungsſchulen zu den Primarfchulen, die allgemeine und praktiſch 
beruflihe Aufgabe der Fortbildungeſchulen, die Auswahl des Lehrſtoffs, 
bie Lehrform, die Schulzeit, tie Schulpflicht (bis 18 Yahre), die Klaſſi⸗ 
fizirung, die Auffiht und Prüfung. Sodann folgt ein fpezieller Lehr- 
plan für 3 Winterlurfe zu je 84— 86 Gtunten. Berfafler vertheilt 
Tücher und Lehrftoff in 4 Gruppen, je nach dem fünftigen Beruf ter 
Schüler. 

4 Nah dem Rechenfhaftsberiht des Erziehungs» 
bepartements pro 1873 zählt der Kanton 202 Schulen, von denen 
25 überfüllt find. Der Schulbeſuch ift nicht befriedigend und follte ftrenger 
fontrolirt werben. Die Beurtheilung der Leiftungen geſchieht nicht nad) 
einheitlihem Maßſtab. Die Berichterfiatter bemerken, das Buchſtabiren 
werde zu fehr vernachläffigt, fie können der Anficht mancher Lehrer, melde 
bie Grammatif für etwas Unnüges halten, nicht beipflichten; beim Unter⸗ 
richte follte immer mehr vie Schriftſprache angewendet werben. 

Die obligatorifche Fortbildungefchule ſtößt auf Schwierigkeiten. — 
Die 9 Bezirksſchulen zählen 339 Schüler (davon 60 Mädchen). Dlten 
hat neben der Bezirksjchule eine dreikurſige Sekundarmädchenſchule. Das 
Lehrerfeminar zeigte erfreuliche Leiftungen. Die Kantonsſchule wurde 
von 167 Schülern befugt. Die Zahl der Primarſchüler flieg auf 11,632. 
Der Kurs für Arbeitslehrerinnen zählte 43 Theilnehmerinnen. Die 
Rekruten wurden im Lejen, Erzählen, Schreiben, Auffag, Rechnen ges 
prüft. Bei 17 bis 80 von 402 Xekruten waren bie Leiſtungen in ben 
verſchiedenen Fächern gering. 

Die Erziehumgspireltion ließ einen Unterfuh fänmtlider Schul⸗ 
Iofale des Kantons vornehmen. Die überfichtlichen flatiftifhen Tabellen 
geben nun Aufſchluß über die Raumverhältniffe der Schulzimmer, das 
Berhältniß der Fenſterlichtfläche zur Bodenfläche, die Banflänge für einem 
Schüler. Höhe der Schulzimmer: 6,5'— 11‘, Bodenflähe pro Schüler 
56 D’— 38 DI’; Kubikraum pro Schüler 43 ob — 378ch‘; Bes 
leuchtung 2,1 bis 32,5 %/,; Banllänge pro Schüler 1,3’ —3'. 

5. Zweiter Iahresberiht Über das Lehrerfeminar 
pro 1873/74 von P. Öunzinger, proviforifhem Seminar-Borfiunt. Das 
Seminar zählte 37 Zöglinge. Den Unterridt ertheilten 3 Haupt- und 
8 Hilfsfehrer. Im Oftober 1873 wurde die Gemeinbefchule von Zud- 
wil zur Muſterſchule erhoben. Der Berfafler hält die Ausdehnung ber 
Seminarzeit für fehr wünſchbar. — Das Schrifthen enthält noch den 








Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 743 


Lehrbericht und eine fpezielle methodiſche Stufenfolge bes Rechnungs⸗ 
unterridhts in den Volksſchulen. 


6. Die von Federfpiel präfivirte Lehrerverfammlung in 
Dornach vebattirte die Frage Über „vie Stellung bes Lehrers“. 

Der Lehrerverein Solothurn Lebern behandelte die Fragen 
über den „Geſangs- und Zeichnungsunterridt”. Ein anderer diskutirte 
die „Leſebuchfrage“. 

7. Die Regierung bat befchloffen, alle Studentenverbin- 
dungen am Öymnaflum zu verbieten, da durch biefelben die Diss 
ciplin gefährbet ſei. Auch in Zürich find die fludentifchen Verbindungen 
verboten. Ein Staatsmann fagte: Unfere Studenten kommen vor lauter 
wifſenſchaftlichen Vereinen gar nicht zum Studiren. 


Der Kanton St. Gallen. 


1. Die kantonale Lehrerkonferenz wurde am 28. und 
29. Sept. in Flawyl abgehalten. Zu den 65 Ubgeorbneten hatten ſich 
noch ebenfo viele andre Lehrer, auch Geiftlihe und Schulfreunte zu dem 
Berhandlungen eingefunden. Nah Erledigung der flatutarifchen Ges 
fchäfte verlas Lehrer Seliner fein ausführlihes Referat über „Schul⸗ 
infpeftiion und Eramina, ihren Zwed und die Stellung der Lehrer und 
Behörden zu denfelben”. Referent ftellte fi auf den Boden des Ge- 
fees und der bisherigen Uebung und erklärte ſich für Beibehaltung ber 
Eramen, Die Diskuffion wurde nicht benugt, und eine Abftimmung 
fand man aud nicht für nöthig. 

Am zweiten Tage folgte die Hauptfhlaht, nachdem Reallehrer 
Aliefh fein Referat Über das Thema „die Grundbedingungen einer ge= 
deihlichen Yortentwidelung des ft. galliihen Volksſchulweſens“ vorgetra= 
gen hatte. Das Referat war einjchneidend, die Diskuffloen anregend. Im 
Referate und in der Diskuſſion wurden folgende Forderungen geftellt: 
Erfegung der bisherigen Schulgemeinten durch die politifchen Gemeinden ; 
ſelbſtändige Organifation der Sekundarfhulen durd den Staat; Ein- 
fügung berfelben in den Unterrichtsorganismus; Ausbau der Volklsſchule 
nah unten (buch Einführung der Kindergärten) und nad oben durch 
Ausvehnung der Alltagsfchule (7—14 9.) und Einführung obligatori= 
fher Fortbildungsſchulen; Unentgeltlichkeit des Primer: und Sekundar⸗ 
ſchulunterrichts; Beſeitigung der Halbjahrſchulen; Vereinfahung und 
Reduktion des Lehrſtoffs, Herabfegung des Marimums der Schülerzahl 
einer Klaffe auf 60; beſſere Einrichtung der Arbeitöfchulen; Hebung 
der Lehrerbildung durch Einführung eines vierten Kurſes (die gegenwär⸗ 
tige Lehrerbildung entipreche den heutigen Anforverungen nicht. “Die 
allgemeine wiffenfchaftlihe Bildung und die fpezififch pädagogiſche und 
methodiſche Berufsbildung follten von einander getrennt werden (Referent 
hält die Verbindung mit der Kantonsſchule rathſam); bie erhöhten An« 
forderungen an ben Lehrerſtand bebingen eine entfpredhende Erhöhung der 
Lehrerbeſoldung; Berabreihung von Gehaltszulagen von Seite des Staats; 





744 Mittheilungen über das fchweizerifche Volksſchulweſen. 


demnach größere Betheiligung des Kantons an ven Ausgaben für bie 
Volkoſchulen. 

Aeltere Lehrer hofften die baldige Realiſtrung ber projektirten Grim⸗ 
dung einer Penſionskafſe. Andere verlangten die Gründung einer rechten 
Kantonalfonferenz; die jetzige fei lächerlihe Karrilatur. 

Viel Redens und Schreibens verurfachte die Gründung eines 
katholiſchen Bereins rheinthaliſcher Lehrer. 

Der internationale Lehrerverein am Bodenſee ver: 
ſammelte fih im Juli. Herr Seminarbireltor Merz hielt babei einm 
Bortrag Über den Anfchauungsunterriht. In ber gemeinnügigen 
Geſellſchaft des Seebezirks verlas Reallehrer E. Freund eine 
Ürbeit „Parallele zwifhen dem Schulmwefen von 1849 und 
heute.“ Die Arbeit ift gebrudt zu haben. 

2. Der Schulartikel in der projeltirten Rantonals 
verfoffung. Es würde zu weit führen, wenn wir ben Verlauf ber 
Frage durch alle Stadien darftellen wollten. Wir beuten die Vorgänge 
in Kürze an und theilen das Ergebniß der Beratung des Großen Rathes 
mit. Vorerſt wählte der Große Rath eine Kommiſſion. Diefe gab ver 
Preſſe und ven Volksvereinen Gelegenheit, die wichtige Frage zu erörtern 
und bezügliche Wünfche einzugeben. Bon ben eingereichten Vorſchlägen 
nennen wir: bie periodifche Wiederwahl der Lehrer. („Toggb. Bote“ 
machte begründete Gegenvorftellungen) ; Aufhebung ber Parität in Schulen 
und Behörben; Uebergabe der Primarſchulen an die politiiden Gemein 
ben; rein bürgerliher Charafter der Schulen; die Realjchulen fein 
Staatsſache und ſchulgeldfrei ꝛc. Die Kommiffton fchieb fich in zwei 
Parteien. Der prinzipielle Unterſchied befand darin, daß die Mehrheit 
bie Eonfeffionellen Schranken fallen ließ, während die Minderheit ben 
tonfeifionellen Charakter der Primarſchulen grunpfäglich feſthalten wollte. 
Bon konſervativer Seite wurde nämlich beantragt: Gemährleiftung ber 
Unterrihtöfreiheit (Privatſchulen), Garantie für die orteriftenz ber fon 
feffionell getrennten Schulen und deren Fonds. Für Ertbeilung bes 
Religionsunterrichts haben die kirchlichen Behörden zu forgen. 

Im Großen Rath finden wir dieſelben Parteigegenfäge, dem gleichen 
Kampf. Die Diskuffton drehte fih um die Sauptfragen des Religions- 
unterricht, der Zutheilung ver Schulen an die politifhen Gemeinben, 
der Beforgung des Schulweſens durch den Gemeinderath oder durch 
befondere Schulbehörden. 

Wir zeichnen die Situation, indem wir brei darakteriftifche Voten 
hervorheben. Ein radikaler Redner: „ver Boden des VBürgerthums ift 
für das Schulweſen der allein richtige, gefunde. Dre Emanzipation ber 
Volksſchule muß vollftändig durchgeführt werben. Wir wollen ein Recht, 
ein Heer, eine Schule. Der Religionsimterriht iſt kein Schulfad. 
Es ift Sache des Familienvaters, ob, wo und wie er feine finder den 
Religionsunterriht genießen laflen will. Religion und Moral find 
identifh. Hinaus mit den Konfeffionen aus der Schule! Wir verlangen 
eine fonfequente Durchführung der konfeffionslofen Schule. Der Schul: 
artikel fol ein Mittel fein, die Eule ganz in die Hand des Staats 














Mittheilungen über das fchweizerifche Volksſchulweſen. 745 


zu legen und eine tüchtige Volksbildung, gegenfeitige Duldung, Wohl- 
wollen und Frieden Anter ben Staatöbärgern zu fördern”. Dr. Tſchudi: 
Eine Nötigung für Aufhebung der konfeffionellen Primarſchule und 
Uebergabe des Schulwefens an die politifhen Gemeinden liege nad 
feiner Anſicht in der Bunbesverfaffung nicht. Ihm fei bei Beurtbeilung 
der vorwärfigen Frage einzig ber größere. Vortheil maßgebend. Großen 
pädagogifhen Gewinn erwarte er nicht von der Uebernahme des Schul⸗ 
weſens durch die Gemeinden. Auch jei es fein abjoluter Bortheil, wenn 
fleinere Schultzeife zu Gunſten von größern aufgehoben werben, und 
man habe Beifpiele, daß jene ihr Schulweſen befler beforgt haben, als 
dieſe. Ebenſowenig verſpricht er fih wefentliche finanzielle Vortheile 
von dem neuen Vorſchlage. Über die Frage babe eine emimente poli⸗ 
tifche Wichtigkeit, fei eigentlich ein politifcher Akt, und darum ſtimme 
er zum Mebrheitsantrage, weil dadurch bie Eonfelfionellen Schranken 
endlich niedergerifien werden, weil bann eine einheitliche Leitung des 
Schulweſens Pla greife und dadurch für ven Kanton eine glüdlichere 
Zukunft vorbereitet werde. Ein Eonfervativer Katholit: Die Lonfeffione- 
Iofe Schule fei das Schiboleth der Rulturftärmer, und dieſem Gögendienft 
huldigen auch die hochmüthigen Schulmeifter. Man rufe nah einem 
Feldzuge gegen bie chriftlihe Schule. Die konfeſſionsloſe Schule fei 
nichts anderes, als die Zwangsjade Eonfeffioneller Minderheiten. Sein 
Staat beftehe ohne das gemeinfame Zuſammenwirken von Kirche, Staat 
und Schule. Es fei Zeit, vom päbagogifhen Schwindel zurüdzulommen. 
Die Bundedverfafiung verlange feine Verſchmelzung. Die Liberalen 
feien nur dann grunpfäglic, wenn es ihnen konvenire. So haben fie 
die Schule ala konfeſſionslos erflärt und dann gleihwohl den obliga= 
torifhen Neligionsunterricht in die Berfaflung aufgenommen. 

Als Beſchlüſſe notiren wir: Die Leitung und förderung bed ge= 
fammten öffentlihen Erziehungsweſens ift Sache des Staates. Dafſelbe 
begreift in fich die Primar-, Yortbildungs-, Realſchulen und die höhern 
fantonalen 2ebranftalten. Für den Religionsunterricht forgen im Ein- 


verſtändniß mit den Schulbehörven die betreffenden Religionegenoffen« ' 


ſchaften (da diefe Zuſcheidung des Religionsunterrichts an die Konfeffionen 
von verſchiedenen Seiten als ganz zweckwidrig bezeichnet wurde, blieb ber 
Paffus bei der zweiten Berathung weg). Die Beforgung und Verwal⸗ 
tung der Vollsſchulen ift Sache ver politifchen Gemeinden. Den poli- 
tifchen Gemeinden ift freigeftellt, das Schulwejen mittelft Aufftellung be- 
jonderer Schulbehörben zu beforgen. Das Eigenthum der bisherigen 
Schulgemeinden geht an die politiichen Gemeinden über. Wo die Steuers 
kraft zu ſehr in Anfpruc genommen wird, tritt Staatshilfe ein. Die 
weitere Entwidelung des Sekundarſchulweſens iſt Aufgabe der Geſetz⸗ 
gebung. Die Errichtung von Privatſchulen ift unter Vorbehalt gefeg- 
licher Beſtimmungen geftattet. 

In der Liberalen Preſſe („Tagblatt“ und „Wochenblatt vom See⸗ 
bezirk“) erhoben fih Stimmen gegen einzelne Punkte. Der Mitgenuß 
Aller am Schulfonds fer ein Eingriff in das Eigenthumsrecht. Durch 
die Verſchmelzung werde ver Bildungszwed gehemmt. Der Gemeinberath 





2 — — — 


746 Mittheilungen über da8 ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 


werde die Schulleitung als Nebenſache betrachten. Der Staat mäfle 
Religionslehre verlangen. Das Boll wolle keine religionslofen Schulen 
Es werde zu Ronflitten kommen, die dem Imterefje der Schulen mehr 
Schaden. Alle konfeffionellen Unterfehiede werde man im Volle nicht ver- 
wifhen. Die Schulen werden nach wie vor einen reformirten oder einen 
katholiſchen Charalter tragen. Der DBerfaflungsentwnuf wırde am 
12. Sept. d. I. vom Volle verworfen. 

3. Nachdem wir ein paar der widitigften Punkte eingehenber an⸗ 
zeigten, können wir bie übrigen mit Hinftdht auf ben uns angeiwiefenen 
Kaum nur kurz andeuten oder einfach regiftriren. 

vehrerbilbungsfrage. Der Erziehungsrath befchäftigte ſich 
mit der Erweiterung des Lehrerſeminars und zwar auf Grund 
der vom Seminarfonvent und der Studientommiffion gemachten Borlage. 
Die Errihtung eines Vorkurſes für eintretende Zöglinge, welche nicht 
bie nötbigen Vorkenntniſſe befigen und die Zulaſſung weiblider 
Zöglinge ins Seminar (zum gemeinfamen Unterricht mit bem 
Sentnariften) wurbe dem Großen Rathe zu beantragen beſchloſſen. Der 
Konvikt follte nur für die zwer untern Klaffen obligatorifch, für bie zwei 
obern Klaffen dagegen falultativ fein. Zur Unterflügung talentvoller, 
aber unbemittelter Zöglinge wurbe ein Kredit von minbeftens Fr. 11,000 
verlangt. — Der Semimarlehrplan wurde revibirt, jedoch nicht in dem 
Sinne, daß die Anforderungen vermehrt wurden. Es wurbe dabei viel- 
mehr auf beffere Vertbeilung des Lehrſtoffs, fowie auf die Pflege des 
Charakters und die Entwidelung zu größerer Selbflänbigkeit der Zög⸗ 
Iimge gefehen. — Der Große Rath überwies obigen Vorſchlag an eine 
Kommiſſion. Der Antrag fand Widerfiand von allen Seiten. Es reg⸗ 
nete eine Flut von Entgegnungen nit nur in lonfervativen, fonbern 
auch in Liberalen Blättern. Das „Wochenblatt vom Seebezirk“ und der 
„Toggenburger Anzeiger‘ eiferten gegen bie Errichtung eines vierten Semi- 
narkurfes. Damit fteigere man nur die Kalamität, betreffend den ehrer= 
mangel. Ein weitläufiger Artikel im „Tagblatt“ erklärte fi gegen 
bie Betheiligung des weiblihen Geſchlechts am Unterrichte. Die „Oft: 
ſchweiz“ tadelte in fcharfer Weile „vie Inlonfequenz der fi. galifchen 
Staatspädagogen”. Im Yahre 1861 fei allen Weibsbilvdern mit Ordens⸗ 
tod das Schulhalten im Kanton auf ewige Zeiten verboten worben, unb 
jett fomme der Erziehungsrath wegen Lehrermangels auf den Gedanken, 
auch Schulmeifterinnen nachzuziehen. 

4. Anfangs dieſes Jahrs brach von Seite ultramontaner Zei- 
tungen ein wüthender Sturm über das fl. gallifhe Lehrerfeminar 
und feinen Direltor los. Der Kriegsplan wurde jedenfall gemein 
fam entworfen. Den Angriff machte der „Rorſchacher Bote‘, vie andern 
ſekundirten. Wir haben bier eine ganze Ladung Stoff Über bieje Fehde, 
befchränfen uns aber darauf, einige Anklagepunkte zu berühren. So hieß 
e8, der Seminardireltor fei ein Reformer und Chriftusleugner und be= 
mühe fi), da8 Seminar zu einer glaubend- und religionslefen Schul- 
anftalt umzugeftalten; er fei ein Vertheidiger des Darwinismus und ſtehe 
anf dem Voden bes Materialismus; biefe Grnndfäte trage er auch auf 





Mittheilungen über das ſchweizeriſche Vollksſchulweſen. 747 


bie Zöglinge über; es mangle ihm bie gründliche wiſſenſchaftliche Bil 
bung und dozire den jungen Leuten Dinge vor, bie er felbft nicht ver- 
ſtehe; zu einem Schulmanne fehle ihm die Klarheit und Einfachheit, ber 
praftifche Sinn, durch die fich fein Vorgänger (Zuberbühler) ausgezeichnet 
babe; daher feien auch die Leiftungen im Seminar nicht befriedigend; 
ber jetzige Direltor ftehe in Handhabung der Disziplin weit hinter feinem 
Borgänger. Es fehle am pädagogifhen Takt, und man finde bei vielen 
Zöglingen ein unbeſcheidenes, anmaßendes Benehmen; er widme jeine 
Kraft nit ausichlieglih der wichtigen Aufgabe eines Lehrerbildners, 
fondern gebe allen möglihen Nebengefhäften und Nebenverbienften nad; 
feine Redſeligkeit verleite ihn, an allen feftlihen Anläſſen das große 
Wort zu führen; er fei fo taftlos, im Kanton St. Gallen eine politifche 
Rolle fpielen zu wollen ꝛc. ıc. 

Die Mitglieder der katholiſchen Kaſinogeſellſchaft von Rorſchach legten 
eine bedeutende Summe Geldes zufammen, um eine Anzahl fi. galliicher 
Zöglinge, die fpezififch katholiſche Seminare befuchen, zu unterjtügen. 

Zur PBertheidigung gegen die maßlofen Anklagen richtete der Se⸗ 
minarbireftor im „Zagblatt” in würbigem Zone „ein offenes Wort an 
Freund und Feind“. 

5. Die Berhältniffe der katholiſchen Schule in der 
Stadt St. Ballen werben immer unerquidliher. Ein heil der 
Schulkinder (attlatholifher Eltern) erhält den Religionsunterricht von 
ben Lehrern, der andre Theil (römifch-katholifch) von den Pfarrgeiftlichen. 
Nun Hört man fortwährend von Neibereien” und Kollifionen zwifchen 
dem Schulrath und der Geiſtlichkeit. Die gegenfeitige Erbitterung er- 
reichte ihre Höhe, als ber Schulrath betr. Regulirung des diesjährigen 
fogenannten Faftenunterrihts verfügte, daß derſelbe als Theil des Reli⸗ 
gionsunterriht8 von den Lehrern in der Schule ertyeilt werde für alle 
Rinder, welde daran Theil nehmen wollen, daß der Schulrath eventuell 
zur Vornahme biefer Funktion (Beihte und Kommunion) einen dhrifte 
Tatholifchen Geiftlihen berufen werde, fo fern von den Pfarrgeifilihen 
ben Kindern, welche in der Schule den betreffenden Unterricht genießen, 
ber Zutritt zur Kommunion 2c. verweigert würde. — Die hriftfatholifche 
Dfterfeier wurde alddann durch den hiefür berufenen Pfarrer Herzog in 
der reformirten St. Laurenzenkirche vorgenommen. 

6. Die Shlufrehnung der evangelifhen Schule der 
Stadt St. Gallen pro 1873/74 erzeigt an Ausgaben für vie 
Primars und Realichulen : ca. fr. 227,500 (Rehrerbefoldungen Fr. 112,300) 
Bermögensbefland: ca. Fr. 1,870,000. Die Lehreraltersfaffe bat ein 
Bermögen von Fr. 30,700. Die Xehrer tragen 11/, 9), des Gehalts 
(3. 1590) bei; die Schulkaſſe leiftet 3%, (dr. 3180). Die 
Nehnungstommifflon hat daran Anfloß genommen, daß Schüler in 
Thaliens Tempel in der Schaufpieltunft debätirten. Sie hofft, daß 
wenigftens feine Mitglieder der Schulbehörde mehr Hand bieten werben 
zu thbeatralifden Aufführungen der Shnljiugenb. Mehrere 
Schulgemeinden erhöhten die Befolpungen der Lehrer, fo 
Rheined um Tr. 300—600; Rapperswil ftellte ven Gehalt ver 
brei Brimarlehrer auf je Fr. 1900; Peterzell denjenigen bes Primar⸗ 


748 Mitteilungen über das fchweizeriiche Volksſchulweſen. 


lehrers auf Fr. 1200, denjenigen des Reallehrers auf Fr. 2400. In 
Mosnang verfammelten fih die Schulräthe Alt-⸗Toggenburgs, um fi) über 
die Gründung und fafultative Einführung von Fortbildungoſchulen 
zu beſprechen. 

7. Die latholiſche Kantousrealfhule mit 6 Lehrern zählt 
72 Zöglinge, vie katholiſche Mädchenrealſchule in St. Gallen 
in 3 Klafjen 105, und die katholiſche Mädchenrealſchüle in 
Rorſchach in 4 Klafien 89 Schülerinnen. Den Unterricht ertheilen 
in dieſen beiden Anftalten Lehrfhweftern von Menzingen. Die katho⸗ 
liſche Rettungsanftalt „Thurhof“ Hatte 36 Zöglinge. Sie 
entipreche den Bedürfniſſen und befriedige in ihren Leiſtungen. 

Aus eigener Anfhauung überzeugten wir uns von der mufterhaften 
Einrihtung des Ritimayerſchen Mädchenaſyls im Sittertbal 

8. Der Ruf nach Gehaltserhöhung der Lehrer ertönt auch 
in biefem Kanten. Man wuünſcht Firirung eines Minimums von 
Sr. 1200, dazu Wlterszulagen von Fr. 100-600 von je 5 zu 
5 Jahren. — 

In ungünftiger Zeit gevachte man, dem Großen Rath das Geſuch 
vorzulegen, durch Staatsfubventionen bie Gründung einer Alters⸗ 
kafſe für die Lehrer der Kantonsschule zu ermögliden. Ein 
Toggenburger Blatt bemerkte: „Cine Anftalt, welche dafür forgt, daß wohl. 
verdiente, im Schuldienſte ergraute Lehrer nicht auf die Galle geftellt 
werben, ift Bebürfniß; aber bedenklich will ung vorlommen, baß man 
den Saul beim Schwanz aufzäumen will, Naturgemäß baut ınan von 
unten nad) oben, und wir ſehen nidt ein, warum man ber Slantons= 
fhule hierin die Initiative gewähren wil. Die Volksſchule vor allem 
bedarf Schug und Unterfägung, wenn man nicht rieliren will, daß bie 
beften Kräfte der Schule Balet jagen“, 

In legter Sigung gewährte der Gr. Rath dem kranken Prof. Bäſſer, 
ber viele Jahre der Schule treu gedient, einen Ruhegehalt von Fr. 3000. 

9. Es ift ein gute® Zeichen, daß an ſchweizeriſchen Volkafeſten 
auch die Volksſchule zur Sprache fonımt. So toaftirte am eitgenäfflfchen 
Schügenfeft in Ct. Gallen Kanonikus Ohiringhelli, der teifiniiche Schul: 
mann, auf bie Vollsbildung; Prof. Völker, ein geiftesfriicher Greis und 
päbagogiiher Schriftfteller, auf die Opferfrendigfeit für bie Schule; 
Delan Mayer auf die Ieen einer nationalen Volksſchule, auf bie pas 
triotiſche Erziehung der Jugend. 

10. Wir gedenken endlich dreier nm das Schulweſen des Kantons 
verdienter Männer. Am 20, Oktbr. ftacb in St. Gallen Hr. 
Delan Bänziger. Sein Fachſtudium begann er an der theologiſchen 
Fakultät in St. Gallen, wo Prof. Scheitlin fein anregentfter Lehrer 
war. An Berlin fludirte er bei Schleiermader. Nach feinen Univerfi- 
tätöftudien fam er in das Fellenbergiſche „Hofwyl“, wo er Unterridt 
ertheilte. Bald wurde er als Pfarrer nah Altſtädten gewählt, wo er 
52 Jahre fegensvoll wirkte. Die Hebung der Schulen war fein hanpt⸗ 
fächlichfted Streben. Die Schule war fein Leben. Im Iahre 1833 gab 
er den xheinthalifhen Lehrern einen Fortbildungskurs. Er wurde als 
ein Meiſter der praftiihen Pädagogik geehrt. 


Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 749 


Hr. Dekan Seifert von Wartan, ein eifriger Schulfreund, trat 
nah 50jährigem, thatenreihen Wirken in ven Ruheſtand. Die größte: 
Zeit feiner Wirkfamleit widmete er der Gemeinde Ebnat. Bor allem war 
ihm die Jugend lieb. Die Schule war e8, die er mit Liebe baute und 
pflegte. Immer ſchenkte er der Schule feine beſondere Aufmerkfamteit. 
Mehrere Jahre bekleidete er das Präſidium des evangeliſchen Er⸗ 
ziehungsrath®. 

Der dritte opferbereite Förderer der Schule feiner Heimalſtadt Alt⸗ 
ſtädten ift Senerallonful Geier in Turin. Er machte der katho⸗ 
liſchen Schulgemeinde das generofe Anerbieten, auf feine Koften ein 
le für die Primar- und Realfhulen (im Banwerthe von Fr. 100,000) 
zu erftellen. 


Der Kanton Teffin. 


1. Nach einer Heberficht ver Lehrerbefolpung (im „Edu⸗ 
catore”) erhalten 204 Lehrer & Fr. 500—980; 267 Lehrerinnen & 
Fr. 400-784. 

2. Einer Korrefpondenz der ‚Neuen Zürcher Zeitung” „über bie 
teffinifhen Shulverhältniffe” entnehmen wir folgende Angaben: 
In 263 Gemeinden beftehen 479 Efementarfhulen, wovon 140 Knaben-, 
136 Mäpchen- und 203 gemifhte Schulen find. Bon ben 19,789 
ſchulpflichtigen Kindern befuchten (i. J. 1874) 16,962 die Schulen. 
Das Lehrerperfonal befteht aus 209 Lehrern nnd 270 Lehrerinnen; 
bavon find 472 Laien und 7 Geiftlihe. 458 befiten ein umbebingtes 
und 21 ein bebingtes Patent. In 225 Schulen dauert der Unterricht 
jährlih 6 Monate, in 21 Schulen 7 Monate, in 24 Schulen 8 Donate, 
in 47 Schulen 9 Donate, und in 162 Schulen 10 Monate. Zägliche 
Stundenzahl A—6. Der Kanton bat 64 Fortbildungsfhulen, ebenfo 
19 Sekundarſchulen und zwar 9 für die männlihe und 10 für bie 
weibliche Jugend. Ferner beftehen 4 Zeichnungs- und 4 Privatſchulen, 
4 Gymnafien und 1 fantonales Lyceum. In auswärtigen Schulen fu: 
dirten 291 junge Teffiner. — Wie man aus biefer Statiftil erfieht, iſt 
ber Kanton in Sachen ter Volkserziehung nicht ber allerlegte; jebes Jahr 
führt er etwelche Verbeflerungen ein. ‘Da man jett eine gute Lehrer⸗ 
bilvungsanftalt bat, hofft man für die Zukunft befriedigende Reſultate 
in den Schulen zu erhalten. Eine Klippe eriftirt noch, an welcher bie 
Anftrengungen der Freunde der Volksbildung ſcheitern, und das ift bie 
geringe Bezatlung "der Lehrer. Man trachtete darnad die Befoldung 
zu erhöhen; allein bie Filzigkeit mancher Gemeinden fträubt fi gegen 
jeglihe Erhöhung. Es ift daher nicht zu verwundern, wenn bie guten 
Lehrer die Schulen verlaffen, um auszuwandern und fi) einem andern 
Berufe zu widmen. 

3. Im Febr. d. 9. wählte das Volk einen Großen Rath, in dem 
die Ultramontanen die Majorität bilden. Weber biefen Sieg 
der Konfervativen jubelt begreiflich die gefinnungsverwandte Tagespreffe. 
Dit dieſem Umſchwung fei der Willtücherrfchaft der Negierungspartet, 


750 Mittheilungen über das fchweizerifche Volksſchulweſen. 


bem rabifalen Erziehungsfyflem ein Ende gelegt. Wir aber fagen: An 
ben Früchten werden wir fie erfennen. ‘Die Mojorität begann ihre ſchul⸗ 
feindlihe Wirkfamfeit damit, daß fie eine Kommilfion für Reduzirung (!) 
ber vom frühen liberalen Großen Rathe dekretirten Erhöhung der Lehrer: 
befolvungen nieberjegte. 


Der Kanton Thurgan. 


1. Die Berathung des Unterrichtsgeſetzes vom Großen 
Rath. Einige Hauptpunkte haben wir im letzten Bericht bereits mit⸗ 
getheilt. Mir fügen demſelben zur Ergänzung Folgendes bei. Als wirk⸗ 
liche Fortfchritte werden bezeichnet: der fpätere Schuleintritt, die Beſei⸗ 
tigung der ungenügenden Repetirſchule und Erſetzung berfelben durch 
den Befuh der Winter-Alltagjhule (9 Schuljahre und zwar 6 Yahr 
Sommer und Winter und 3 Jahre Winterfhule), die Herabfegung bes 
Marimum der Schülerzahl von 100 auf 80, in der Arbeitsfchule auf 25, 
bie beffere Kontrole des Schulbeſuchs (jede unentſchuldigte Abfenz wird 
mit 20—40 CEts. gebüßt), die Organifation und Einführung ber obli- 
gatoriſchen Fortbildungsſchule (vom 15.—18. Fahre). Manche befürchten, 
bie legtere Beftimmung biete Grund zur Berwerfung beim Referendum 
des Bolls, das gegen das Obligatorium geftimmt fei und nur eine 
fafultative Fortbildungsſchule wolle. Kine Diskuſſion veranlaßte pie 
firenge Handhabung des Schulbeſuchs (einzelne wollten milder ver- 
fahren), das Verbot der körperlihen Züchtigung (dev Große Rath ent- 
ſchied fi für Streihung der unzwedmäßigen Beftimmung), das Maximum 
der Schülerzahl (eine Minperheit wollte auf 90 (!) gehen; die Mehrheit 
hielt aus pädagogiſchen und fanitarifhen Gründen die Zahl 80 feft). 
Einige Redner wollten die unterflügten Lehrer zu 8 Sabre (ftatt 4) 
Schuldienſt verpflichten. Andre fanden dies unbillig: Die Lehrer können 
dem Staate aud in andrer Stellung dienen; es ſei nicht rathfam, fie 
an die Schule zu ketten. Die Beſtimmung, welde die Anftellung von 
Lehrerinnen geftattet, wurde von feiner Seite beanftandet. Der Kredit 
für das Lehrerſeminar wurde von fr. 11,400 auf Fr. 17,400 erhöht 
und dabei die Stipenvienfumme für Tehramtszöglinge auf Fr. 7000 ges 
fett, fo daß e8 auf den Kopf Fr. 180 trifft. Die Schulausgaben were 
ben durch Steuern und Staatsbeiträge beftritten, jo weit zu deren Dedung 
bie Zinserträgniffe des Schulguts (Primarſchulfonds: Fr. 4,900,000) 
nicht ausreichen. Bei der Totalabftimmung wurde das Gefeg mit 76 gegen 
2 angenommen. Ueber das Schidjal bei der Vollsabſtimmung geben wir 
fpäter Beriht. Das Sculgefeg wurde im Ang. d. 3. vom Bolle an= 
genommen. | 

2. Rehenfhaftsberidt über das Erziehungsmwefen 
pro 1873. Da der Gefegentwurf betreffend Reorganifation des Lehrer⸗ 
feminars in der Bollsabitimmung mit 9610 gegen 4378 Stimmen unter= 
lag, wurde die Wiederaufnahme verfhoben. Der Reformgedanfe fei 
damit nicht aufgegeben; denn e8 liege auf der Hand, daß drei Jahre zu 
einer gefteigerten Lehrerbildung nicht ausreihen. Zum Zwecke ber 
Hebung der Arbeitöfhulen wurde ein befonderes Inſpelktorat von fach— 





Mittheilungen über das ſchweizeriſche Vollsſchulweſen. 751 


Immbigen frauen aufgeflellt und die Abhaltung von methodiſchen Unter: 
richtsturſen für Urbeitölehrerinnen veranflaltet, an welchen 79 Tehrerinnen 
Theil nahmen. Die Leitung beforgte Frl. Weißenbach. Ebenſo wurbe 
unter Leitung von Direltor Schagmann ein Vorbereitungsfurs für Lehrer 
von landwirthſchaftlichen Fortbildungsſchulen abgehalten. Er zählte 48 
Surstheilnehmer. 

Der Kanton zählt 184 Brimarfchulen mit 245 Lehrern und Lehrerinnen, 
und 14,391 Alltagsſchülern, 181 Arbeiteſchulen mit 213 Lehrerinnen. Die 
Durchſchnittszahl der Abſenzen betrug pro Schüler 141, halbe Tage. 
Die 22 Sekundarſchulen wurden von 796 Schülern befudht. Der Kanton 
befigt 41 Ianbwirtbfchaftliche und 20 gewerbliche Yortbildungsichulen. 
Un denjelben unterrihteten 41 Lehrer und 8 Geiftlihe, Aerzte und 
Landwirthe. — Im Seminar belief fih die Zahl der Zöglinge auf 58. 
Das jährliche Koftgeld wurde auf Fr. 320 gefett. Die auffallenpfie 
Erſcheinung im Leben des Seminars ift die Abnahme der Schülerzahl. 
Die Kantonsschule zählte 210 Zöglinge. — Die Befoldungen ver ſämmt⸗ 
Iihen Primarlehrer betrugen Tr. 248,265. 

3. Beranlaßt durch die Wahrnehmung, daß an manden Orten bie 
Fernhaltung der Kinder vom Befude des Religions— 
unterrichts und ber Kinderlehre in bedenklichem Maße überband 
nimmt, fowie durch bezügliche Einfragen, ob nicht die Eltern folder Kinder 
angehalten werben könnten, entweder der gejeglichen Beftimmung nade 
zulommen over ihren Austritt aus der Landeslicche zu erklären, erließ 
ber evangelifhe Kirchenrath ein Zirkular, in. weldem er Wine über 
das Verhalten gab. 

Anberfeits wurde geflagt, daß bei Katholiken bie gefeglihe Schul⸗ 
zeit oft durch firchlidhe Alte geftört werde. Darüber wurbe eine 
bezügliche Verfügung ins Schulgejeg aufgenommen. 

4. Der Regierungsrath bat fih über Verwendung bes ka— 
tholifhen Stipendienfonds das Oberauffihtsrecht vorbehalten, 
ba berfelbe zu ultramontanen Zwecken gebraucht wurde, 

5. Aus dem thurgauiſchen Bereinsleben. Der voll: 
wirthſchaftliche Verein von Arbon hörte ein Referat über „vie Ver- 
beflerung des Vollksſchulweſens mit befonverer Rüdfiht auf die Geſund⸗ 
beitöpflege”. In der Bezirkskenferenz Biſchofzell referirte Hr. Schär 
über ‚ven Einfluß der neuen Bundesverfaſſung auf die Volksſchule“. 
Als Konſequenzen bezeichnete Referent: Einführung bes Schulturnen®, 
bes konfeſſionsloſen Unterrichts, der Zivilſchule; die Freizügigleit der 
Lehrer, eidgenöſſiſche Schulinfpeltoren, eidgenöſſiſche Rekrutenprüfungen, 
Erſtellung eines eidgenöſſiſchen Schulgeſetzes, finanzielle Unterſtützung 
des Bundes zur unentgeltlichen Verabreichung der Lehrmittel und für 
Aufſtellung eines ſchweizeriſchen Beſoldungsminimums. Die ſchweizeriſche 
Volksſchule müſſe einen nationalen Charakter annehmen. Die gleiche 
Konferenz disfutirte ein Referat über „die Reviſion der Schul— 
bücher“. Die obligatorifhen Lehr⸗ und Lefebücher von Schere wurben 
als zu leicht gefunden. Nach der Anficht diefer Berfammlung follen die 
neuen Lehrmittel nicht mehr bloß von einem Manne abgefaht werben, 


752 Miüttheilungen über das fchweizerifche Vollsſchulweſen. 


ebenfo mäffe die Erſtellung berfelben von dem Grundſatz der möglicfien 
Konzentration bes Unterrichts ausgehen. 

6. Wie der aargauifhe Erziehungsrath, fo Hat auch ber thurgauiſche 
Regierungsrath auf Antrag der Schulfynode die obligatorifche Ein: 
führung der als mufterbaft anerlaunten Schäublinſchen 
Gefangslehrmittel für die Primar: und Sekundarſchulen des Kan: 
tons befhlofien. So haben fih denn dieſe vortreffliden Lehrmittel in 
einem großen Theile ber Schweiz Bahn gebrochen. 


Der Kanton Unterwalben. 


1. In dem Halblfanton Nidwalden trifft man bereits Maß— 
nahmen, um die vorgefchriebene Unentgeltligleit des Primar⸗ 
unterrihts durchzuführen. Die Kommiffion zur Prüfung der Schuf- 
zechnung ftellte ven Antrag, eine Schulfteuer von 1, %o zur Dedung 
der jähylihen Schulausgaben zu befretiren. Damit will man ſich recht⸗ 
zeitig auf die Beſtreitung vermehrter Ausgaben, die in Yolge der Ab- 
ſchaffung des Schulgeldes eintreten, vorjehen. 

2. Wir verbanfen der Tit. Exziehungslanzlei in Sarnen bie 
Mittbeilung des Schulgejeges für ven Halblanton Obwalden 
1849—73. Demnad führt daſelbſt ein Erziehungsrath aus fünf Mit⸗ 
gliedern, ven denen zwei vom Briefterfapitel gewählt find, bie Ober- 
auffiht über die Schulen. Derfelbe prüft u. A. vie Lehrer und wählt 
ben Schulinfpefter, der einen Jahresgehalt von Fr. 120 bezieht. Die 
Ortsſchulräthe Überwachen die Schulen in Bezug auf Unterridt und 
Disziplin. Der Ortspfarrer ift als folcher Präfivent des Schulrathe. 
Der Schulbeſuch dauert 6 Jahre umd jährlih 42 Wochen. Ausgezeich⸗ 
nete Schüler erhalten Prämien. Zur Aufnahme ind Lehramt hat fi 
der Kandidat einer Prüfung zu unterziehen. ‘Den Geiftlihen wird Die- 
felbe erlaſſen. Die Anftellung gefchieht auf fürzere oder längere Zeit. 
Das Recht zur Lehrerwahl fteht bei 3er Schulgemeinde. Die Refer- 
mirten haben nicht das Recht, mit zu wählen, dagegen die Pflicht, 
Schulſteuern zu bezahlen. Die Lehrer find vom Militärdienfte befreit. — 
Nach der nenen Bundesverfaſſung wird nun bie eine und andre mittel 
alterliche Beſtimmung (Privilegium der Geiftlichleit) wegfallen. Trotz 
dieſes einfadhen, primitiven Schulgefeges findet man in Obwalden nad 
Dfenbrüggen noch einzelne recht gute Schulen. Nah ven Grund⸗ 
zügen des Lehrplaus find Zeichnen und Geſang als bloß wünſch⸗ 
bare Fächer bezeichnte. 

3. Die Zeitſchrift für ſchweizeriſche Statiſtik enthält (Br. 1875) 
ein Referat Über die Finanzverwaltung des Kantons Obwalden pro 
1873/74 von I. Durrer. Wir entnehmen demfelben biejenigen Puntte, 
bie fih auf vie Schulfondsverwaltung beziehen. Dieſe trägt 
fänmtlihe Ausgaben für die Kantonsſchule (Kollegium), fowie bie kan⸗ 
tonalen Ausgaben für das Bollsfhulmefen. Die Einnahmen beftehen 
aus den Schulgeldern ter Kantonsſchüler (& 15 Fr.) und den Zinfen 








Mitteilungen über das fehweizerifche Volksſchulweſen. 758 


des Schulfonds (Fr. 21,876) und des Kollegifondes*) (Fr. 35,663). Der 
Schulfond ift zur Unterflügung des Volksſchulweſens beftimmt. 

Ausgaben fir Erziehungswefen: Gratifilationen an bie Profefforen 
und Lehrmittel Fr. 4438, Beheizung des Kollegiumd Wr. 644. Bei- 
träge an die Gemeindeprimarſchulen Fr. 1500, Stipendien für Lehramts⸗ 
kandidaten Fr. 300, Honoranz des Schulinfpeltors Fr. 120, Verſchiedenes 
Fr. 1293 — Fr. 8296. Die 10 PBrofefloren der Kantonsschule (Pater) 
erhalten jährlich fammethaft eine Oratifilation von Fr. 3200. Der 
welt. Profeflor erhält eine Entſchädigung pro Stunde. Die finanziellen 
Laften des Primarfchulwelens liegen auf den Einwohnergemeinden. 
Sährli werden zwei Lehramts-Kandidaten Unterftügungen von Fr. 
200-300 verabreiht. Die Stipendiaten verpflichten fih, acht Jahre 
im Kanton als Lehrer zu dienen. | 


Der Kanton Uri. 


Einen erfrenlihen Fortſchritt vom primitiven Schulzuſtande auf 
eine etwas höhere Stufe ‚wagte der Kantonsrath von Uri, indem er 
(am 24. Febr. 1875) eine neue Shulorbnung erließ, ber wir einige 
Orumpbeftimmungen entheben. Die oberſte Schulbehörde iſt der Er 
ziehungerath. Er führt die Oberaufficht über die Schulen, Lehrer und 
Methoden; er prüft und patentirt die Lehrer 2. Den Schulinfpeltoren, 
bie im Erziehungsrathe berathende Stimme haben, liegt ob, die jährliche 
Viſitation vorzunehmen. Die unmittelbare Leitung der Gemeindeſchulen 
ſteht dem Ortsſchulrathe zu. Der Lehrer bedarf zur Ausübung feines 
Berufs eines Patents. “Die bereits angeftellten Lehrer haben fi auf Ver⸗ 
langen ebenfalls einer Prüfung zu unterwerfen. Die Wahl der Lehrer 
verbleibt den Gemeinden. Diefe haben für angemefjene Lehrerbeſoldungen 
zu forgen. Zur Fortbildung der Lehrer und Lehrerinnen finden Kon— 
ferenzen flatt, deren Beſuch obligatorifh ift. Für die Lehrerinnen werben 
gefonderte Konferenzen abgehalten. Sie erhalten ein Taggeld von Fr. 4. 
Unentfhultigtee Wegbleiben wirb das erfte Mal mit Fr. 30 gebüßt, 
und im Wiederholungsfalle zieht ex die Einftelung im Amte nad ſich. 
Der Stellung des Lehrers nicht angemeflene Nebenbefchäftigungen find 
“ verboten. — Der Kurs der Primarfhule dauert 6 Jahre. Die Schul- 
pflichtigfeit beginnt mit dem erfüllten 7. Altergjahr. Vom 13—15. Sabre 
haben bie Finder die Repetirfchule zu beſuchen (2 Stunden pro Woche). 
Der Unterricht dauert im Jahr mindeftens 30, wenn möglid 40 Wochen. 
Der Schulbefuh wird kontrolirt. Bis i. 3. 1879 fol die Unentgelt 
Iichleit des Primerunterrichts durchgeführt fein. Arme Schüler find 
jest ſchon fchulgelvfrei. Kein Lehrer foll mehr ala 70 Schüler gleid- 
zeitig unterrichten. Bei alfäliger Trennung wird die Theilung nad 
bem Gefchledht empfohlen. Als Lehrgegenftände find vorgefchrieben: 


*) Näheres findet man in ber „Geichichte bes Kollegiums in Sarnen v. 
B. Martin Kiem.” 
Päd. Jahresbericht. XXVIL 48 


754 Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volkeſchnlweſen. 


Religionslehre, Berſtandes⸗, Gedächtniß⸗ und Anfhaunngsühungen, Lefen, 
‚Schreiben und Rechnen. Für die obern Kaffen kommen hinzu: Stil⸗ 
übungen, vaterläudifhe Geſchichte, Geographie der Schweiz, wo 
thuulich auch Gefang, fowie Turnen bei Knaben und Handarbeiten Bei 
Mädchen. Un jede freiwillig erſtellte Sekundarſchule giebt der Stat 
einen jährlihen Beitrag von Fr. 200—500. Private und Selunbar: 
ſchulen ſtehen ebenfalls unter Auffiht des Erziehungsraths. Für bie 
Drganifation der Kantonsichule wird ein beſonderes Geſetz aufgeftellt. 
Einen Fortſchritt und etwelche Rückſichtnahme auf die eivgendffifche Berfaf- 
fung erbliden wir darin, daß den Geiftlihen keine Vorrechte eingeräumt 
wurden, daß nur patentirte Lehrer Anftelung erhalten können, daß bie 
Schulzeit eine Erweiterung erfahren hat, daß die Gründung von Selunbar: 
faulen angeregt und die Einführung bes Turn⸗ und Arbeitsunterrichts 
angebahnt worben find. Weniger gefällt uns die angerathene Trennung 
der Schüler nach dem Geflecht. Ebenſo fehlt uns die Feftftellung eines 
Gehaltsminimums für die Lehrer. 


Der Kanton Waadt. 


1. Am 3. Oktober fand da eine ſtark befuchte Tehrerverfamm: 
Iung flatt, bie fih mit dem Militärgefegentwurf beicdäftigte. 
Einftimmig entfchieb fi die Verfammlung gegen die Militärpflicht der 
Lehrer. Im der Schule möge ber militärifche Unterricht auf das Turnen 
befchränft bleiben. Obgleich fie ih in andem Sinn ausſprechen, als 
bie Deutfchichmeiger, fo fehle es ihnen doch nicht an Batriotismue. 
Dberft Lecomte jpradh die Meinung aus, ein bloßer Rekrutenkurs ge 
näge nicht zur erforderlichen Ausbildung. 

2. Wie in Solothurn, fo wurden aud in Laufanne den bi 8zi- 
plinaren Ausfchreitungen der Studenten mit Beſchränkung 
der Freiheit Schranken geſetzt. Die Stubenten wandten fih au den 
Staatsrath, um zu erfahren, was diefen Beſchluß veranlaßt habe. 

3. Der proteftantifhe Pfarrer Chappuis erflärte in einem öffent- 
lien Bortrage mit Rüdfiht auf die Schulen der Stadt Lauſanne, daß 
von 10 Primarfhälern im Alter von 13—15 Jahren immer einige 
nicht lefen und nur wenige eine Meine Aufgabe leferlich fchreiben Können. 
Hat der Here Lektor nicht durch eine trübe Brille gefchaut ? 

4. Hier wurde bie Revifion des Bollsfhulgefeges an- 
geregt. Eine Reviſion ift ſchon deshalb nothwendig, um einige Beſtim⸗ 
mungen mit ber neuen Bimdesverfaffung in Einklang zu bringen. Ander⸗ 
feit8 wurde vom Großen Rath die Frage aufgeworfen, ob ed nicht an» 
gemefien wäre, bie periobifche Wiederwahl ind Gele aufzunehmen. 
Wichtiger als dies ift wohl die allgemein als nothwendig erfannte Ge⸗ 
haltserhöhung. — Man bedauert hier den Rücktritt des thätigen Er— 
ziehungsdirektors Nuchonnet, dem die Lehrer insbefondere die Feſtſetzung 
eines Ruhegehalts (Fr. 500) zu verdanken haben. 

5. In ber Ecole normale fand im Nov. 1874 eine Feier zu 
Ehren des Hr. H. D. Magnenat flatt. Diefer Veteran der Lehrer⸗ 


Mittheilungen über das fchweizerifche Volksſchulweſen. 755 


shaft ſah fih nad 55 jähriger Lehrthätigkeit veranlaßt, da Geſuch um 
Entlafjung einzureihen. Nachdem er 26 Jahr als Volksſchullehrer ge= 
wirkt hatte, war er feit 1845 Lehrer ver Geographie an der waadt⸗ 
ländifhen Lebrerbildungsanftalt. In Anerlennung feiner langen und 
pflichtgetreuen Wirkſamleit extheilte ihn der Negierungsrath einen Ruhe⸗ 
gehalt von Fr. 2000. 

Im Juli d. 93. farb Chappuis-Buihond, ber Direktor ber 
Normalfchule, 


| Der Kanton Wallis. 


1. Der Regierungsrath erließ en Reglement fürdie Volks— 
ſchulen, das die Grundzüge des neuen Schulgefeges (fiehe den 
vorjährigen Bericht) weiter ausführt und betaillirt. Es enthält fpeziellere 
Vorſchriften über Zwed, Schuleinrihtung, Kintheilung ber Schüler, 
über die Unterrichtäftunden, die Schullofale, Über die Pflichten bes Lehrer⸗ 
perfonals, die Konferenzen, ven Schulausfhuß und die Schulinfpeftoren. 

2. Ebenſo folgte dem neuen Normalſchulgeſetz ein Regler 
ment betreffend die Aufnabms- und Beförberungsbeningungen an den 
Normalſchulen; ferner ift vemfelben das Regulativ über die Prüfungen 
zur Erlangung des Lehrerpatents beigefügt. Zur Aufnahme wird das 
Alter von 15—25 Jahren gefordert. Die Afpiranten müflen fidy einer 
mündlichen und fohriftlihen Prüfung unterziehen und fich über den Beſitz 
guter Primarjchullenntniffe ausweifen. Die vom Staat unterftügten 
Zöglinge verpflichten fih, 8 Yahre an den Bolksfchulen des Kantons.- 
zu wirlen. Die Beförderung in bie obern Klaſſen geſchieht nur nad 
einer gut beftandenen Promotionsprüfung. Am Schluſſe des Kurfes 
folgt die Prüfung zur Erhaltung des Fähigkeitöpatents. Es giebt Pa- 
tente 1., 2. und 3. Grades: dad proviforifhe ermädhtigt zum Schul- 
balten für ein Jahr, das temporäre für eine Frift von vier Jahren; 
das definitive erlangt man erſt nach fünf Dienfljahren und gut beften- 
bener zweiter Prüfung. ’ 

3. Nah dem Lehrplan für die franzöfifhen Normal- 
ſchulen wurden für die Lehrerzöglinge die wöchentlihen Stunden fol- 
genbermaßen vertheilt: Religion 2 St., franzöfiihe Sprade 9— 11 St., 
Schreiben 2 St., Arithmetik und Buchhaltung 8 St., Geographie 3 St., 
Geſchichte und Berfafiungstunde 2—3 St., Geſang 3 ©St., Zeichnen 
1—2 St., Agrikultur 1—2 St., Pädagogik 2 St. — Für die Leh- 
rerinnen: Religion 3, franzöfiihe Sprade 10, Schreiben 2, Arithmetil 
7—8, Geographie 3, Geſchichte 2, Geſang 3, Zeichnen 1—2, Hand- 
arbeiten 10, Pädagogit 2—3 St. 


Der Kanton Bug. 


1. Rehenfhafts-Beriht des Regierungs-Raths über 
das Erziehbungswefen pro 1873. Der Kanton zählte 56 Primar-, 
48* 


756 Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 


24 Repetir⸗, 4 Selundarfchulen, eine Induſtrieſchule und ein Gymmaſium. 
Die Geſammtſchulerzahl belief fi auf 3221. Ungeftellt waren 59 Brimar- 
Iehrer, 5 Selunvdarlehrer, 8 Lehrer der Kantonsſchule, — 72, ohne die 
Hilfslehrer an Sekundar⸗ und Kantonsſchulen. Unter den 59 Primar- 
Iehrern befanden fi 34 Lehrer (10 geiftlihe und 24 weltliche) und 
25 Lehrerinnen (4 SMofterfrauen, 19 Lehrfchweftern und 2 weltliche 
Lehrerinnen). Die Schulzeit dauert pro Jahr 40—44 Wochen. Die 
Leitungen werben als befriedigend taxirt. In einzelnen Schulen fei 
jedoch der Unterricht gebähtnigmäßig und mechaniſch, flatt gründlich und 
geiftbildend. Die Repetirſchulen (wöchentlich 3—6 Stunden) mit 581 Schä- 
lern entſprachen aud den billigften Anforderungen nit. Die Schul 
Iofale und die Beftuhlung genügen in gefunpheitlicher und pädagogifcher 
Hinfigt nicht. — Die Kantonallehrerlonferenz diskutirte eine Arbeit über 
das Thema: „Die Piychologie in ihrer praftifhen Anwendung in ber 
Pädagogik." Im Weiteren entſchied fie fih für „vie Nothwendigkeit 
einer Erweiterung der Primarſchulen durch Ausdehnung der Schulzeit 
von 6—7 Yahren”. Der Erziehungsrath bewilligte 6 Lehramts⸗Kandi⸗ 
daten Stipendien & Fr. 200 und ertheilte 11 Kandidaten Patente. Der 
Staat unterflügte die Primarfchulen des Kantons mit Fr. 4319. Die 
Lehrerunterftägungstaffe befitgt ein Vermögen von ca. Fr. 5400. — Die 
Sekundarſchulen zeigten befriedigende Leiftungen. Eine Hebung berfelben 
erwartet man vom neuen Geſetz, insbefondere von der Erweiterung von 
2 zu 3 Surfen, von der Vermehrung des Lehrerperſonals und ber Lehr⸗ 
gegenftänbe (nen: Turnen und Italieniſch) und von der Erhöhung der 
ehrergehalte (ftatt Fr. 1200 nun Fr. 1500—1800). Die Zahl ver 
Sekundarſchüler flieg auf 135 (84 Knaben und 51 Mädchen), die von 
5 Haupt⸗ und 11 Hilfslehrern unterrichtet wurden. 

Nah dem neuen Kantonsfchulgefeg wurde die Induftriefchule von 
6 auf 7 Kurfe erweitert. Die Schüler der 4 erften Kurfe haben den 
Unterriht mit den erften 4 Klafien des Gumnaflums gemeinfam. Die 
Gehalte der Lehrer wurden von Fr. 16—1800 auf 18— 2400 erhöht. 
Neu eingeführte Fächer find: Englifh und Oymnaſtik. Die Gymnafial⸗ 
abtheilung bat 6 Kurfe (Grammatik, Syntag, Rhetorik). Die Induſtrie⸗ 
fhule zählte 46, das Oymnafium 27 Schüler. 

Die Schulfonds beziffern fih auf Fr. 451,485. Die Gefammt- 
ausgaben der Gemeinden für Schulzwede beliefen fi auf 55,215. 
(Durchſchnittsbetreffniß auf ven Schüler Fr. 17. 14 Et., auf den Kopf ver 
Bevölkerung Fr. 2. 63 Et.) Der Unterricht an der Töchterſchule in Zug 
wird von 8 Klofterfrauen umentgeltlih ertheilt. Mehrere geiftliche 
Lehrer beziehen ihre Beſoldung aus firdlihen Fonds. Die Totalaus⸗ 
gaben fürs Erziehungswefen erreichten Fr. 69,040, (die Gemeinden: 
Fr. 47,230, der Kanton: 18,210, die Sparfaffe: 3600). Auf die Ge- 
ſammtſchülerzahl berechnet, triffts im Durchſchnitt auf 1 Schüler Fr. 21. 
48 Ct., auf 1 Kantonseinwohner Fr. 3. 27 Ct. 

2. Dieſem amtlichen Bericht fügen wir zur Ergänzung einige Säge 
aus zwei Referaten über das zugerifhe Schulweſen aut 
nit offizieller Feder bei („Lehrerzeitung” und „Bund‘), Referent 





Mittheilungen über das fehweizerifche Vollsſchulweſen. 757 


behauptet, der amtliche Bericht gebe fein getreued® Bild der ‚Schul- 
zuftände; er fet nicht der adäquate Ausdrud der thatſächlichen Verhältniſſe. 
Der Bericht athme Selbftzufriedenheit und ſcheue fi, die Blößen aufr 
zubeden. Referent wage, einen fritifhen Blid in das Innere zu thun. 
Es fei Thatſache, daß eine fortichrittlihe Entwidelung der zugerifchen 
Schulſtände in Stadt und Land bei der dominirenden Stellung bes 
Klerus abfolut unmöglich fei, daß nur dann eine beflere Zukunft zum 
Durchbruche komme, wenn Art. 27 zum eidgenöſſiſchen Schulgeſetz fich 
geſtalte. Das Geſetz räume dem Klerus eine bevorzugte Stellung ein! 
Der Erziehungsrath beſtehe größtentheils aus Geiſtlichen. Im Drts- 
ſchulrath ſei der Pfarrer von Amtswegen. Unter den Lehrkräften bilden 
die Geiſtlichen die Mehrheit. Den Geiſtlichen und Kloſterfrauen werde 
die Staatsprüfung erlaſſen. In der Lehrerſchaft fehle die geiſtige Reg⸗ 
ſamleit. Das geiſtliche Regime vermöge fein Leben zu wecken. Die 
Oberin des Lehrſchweſtern-Inſtituts gebiete über die bereits angeſtellten 
Lehrſchweſtern, was Abberufung und Verſetzung betreffe. Der letztere 
Satz wurde in der Lehrerzeitung berichtigt. Die Dislozirung durch die 
Oberin geſchehe im Einverſtändniß mit den Schulbehörden. 

3. Das Inſtitut Neu-Frauenſtein in Zug zählte 1873/74 
genau 100 Zögliuge im Mlter von 10 bis über 20 Dahre, 
weldhe von Direktor Staub und 12 eigens für die Anftalt angeftellten 
tüchtigen Lehrern unterrichtet wurden. Das große Lebrerperfonal war 
nöthig, weil bei der Klaſſeneintheilung die Kenntniffe und Fähigkeiten 
ber Einzelnen in jedem Fache möglichſt individuell berüdfichtigt wird. 
Der Unterrichtsplan ift fo organifirt, daß in der ganzen Anftalt zu der⸗ 
felben Zeit das gleiche Fach gelehrt wird. So ift e8 möglich, denfelben 
Schüler in den verfohiebenen Fächern in verfchievene Klaſſen ein= 
zureiben. Die Lehrfäher haben wir in einem früheren Berichte an⸗ 
gegeben. | 


Der Kanton Züri. 


1. Amtliher Iahresberiht Über den Zuſtand bes 
zürher.Unterrihtswefens 1873/74. Der Kanton hat 366 Pri- 
marfchulen. 30,898 Schüler befuchten vie 6 Klaffen der Alltagfchule, 
10,982 Schüler die 3 Klafien ver Ergänzungsſchule, 15,186 Schüler 
die Singfhulen. Die Primarfhulfonds betrugen Fr. 5,528,715, die 
Spezialfonde Fr. 381,430. An den 340 Arbeitsichulen wirkten 362 
Lehrerinnen. Der Kanton hat ferner 66 Sekundarſchulen mit 3714 
Schülern. Die Summe der Sekundarſchulfonds flieg auf Fr. 432,600, 
ber Spezialfonds auf fr. 53,573. Un den Primarſchulen wirkten 590, 
an den Sekundarſchulen 109 Lehrer; im Ruheſtand befinden fi 65. 
Total der Lehrkräfte: 1071, der Schüler: 71,000. 294 Brimar: und 
Selundarlehrer erhielten die gefeglihe Beſoldung, 402 erhielten mehr 
als die gefelihe, und zwar indgefammt um ca. Fr. 155,000. Der 
Staat trug an die Befoldungen der Primar⸗ und Selundarlehrer ca. 
Fr. 784,000; die Ruhegehalte betrugen ca. Fr. 23,000. An den 49 


758 Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 


Handwerke⸗ und Yortbildungsfhulen unterrichteten 95 Lehrer. Noch 
beſtehen im Kanton 55 Privatanftalten. Für daB Lehrerfeminar ftellte 

ber Erziehungsrath einen neuen Lehrplan anf, der eine Erhöhung der 
Stunvdenzahl und des Lehrziels für Mathematik, Naturgeichichte, Ge⸗ 
ſchichte, Zeihnen und Zurnen, eine Herabfegung der Stundenzahl für 
Religion, deutſche und franzöſiſche Sprache, Schönſchreiben und Gefang 
in fih fließt, die lanpwirtbichaftlihen Arbeiten ganz fallen läßt und 
das Englifhe und Lateiniſche fakultativ einführt. Die Sefammtzahl 
ber Zöglinge betrug 134. Im Konvikt waren 63. Die Konviltstoften 
betrugen per Zögling Fr. 532. Ein Bögling bat aber nur Fr. 240 
Koftgeld per Jahr zu bezahlen. Die Summe der Stipenbien belief. fidh 
auf ca. Fr. 12,000. — Die Thierarzneifcgule zählte 47, die Kantons- 
fhule 394, die höhern Schulen Winterthur 573 Schüler. Die Vor⸗ 
lefungen ver Hochſchule befuchten 348 Studenten, darunter 33 weibliche 
Studirende. 

2. Bericht über die zürcher. Schulſynode von 1874. 
Diefe ſchloß fih unmittelbar an den Lehrertag an (8. Septbr.). Hr. 
Lehrer Keller eröffnete diefelbe durch eine geviegene, gehaltvolle Anſprache 
über die Heranbilbung tüchtiger Charaktere. Darauf folgte die Syno⸗ 
balpropofition vom Selunbarlehrer Bodmer über das Thema: „über die 
Nothwendigkeit einer wefentlihen Umgeftaltung der Pädagogik durch die 
Naturwiflenfhaften und moderne Philofophie‘. Der Raum geftattet 
es nicht, fänmtlihe Theſen hier aufzunehmen; wir greifen nur einige 
harakteriftifhe Säte heraus: Die bisherige Piychologie erweift fich als 
in ihren Grundprinzipien ierthämlich, in ihrem Ausbau widerſpruchsvoll 
und zur praftifchen Anwendung ungenügend. Die Unterfcheidung' körper⸗ 
licher und geiftiger Vorgänge {ft nicht ftihhaltig. Die richtigen Grund» 
fäte fallen theilweife zufammen mit den Hauptideen der Phrenologie, 
bie, abeptirt und richtig angewandt, eine Reform der Erziehung und 
des Lebens herbeiführen würde. Der einzelne Willensakt iſt die Rejul- 
tante aller gleichzeitig zuſammenwirkenden VBegehrungen. Bon eimer 
Freiheit dieſes Altes kann feine Rede fein u. ſ. w. — Reflektent, 
Proreltor Fr. Zehender, glaubt, es gebe noch keine gefchlofiene Reihe 
fefigeftellter Refultate der Naturwiflenfchaften, auf die man jest ſchon 
eine neue Pädagogik gründen könne. Ihm ſcheint der Aufbau der 
Vhrenologie noch zu fehr in der Luft zu ſchweben, ald daß er auf alls 
gemeine Anerkennung rechnen dürfe. Die Sache fei noch unklar. Die 
Beweisführung, daß eine Umgeftaltung der Pädagogik durch die moderne 
Philofophie erfolgen müßte, beruhe zum Theil auf der „Philoſophie des 
Unbewußten” von E. Hartmann, bie in ihren widtigften Refultaten 
trofllo8 und wiberfinnig fei. Wenn es fih einmal um eine neue Pä⸗ 
dagogik Handle, jo werde man jedenfalls das Holz dazu nit in dieſem 
Walde ſchneiden. Die Frage, ob auf die Refultate der Propofition 
eine neue Pädagogik ſich gründen laſſe, glaube er am beften mit dem 
Sate beantworten zu können: „Was daran gut ift, iſt nicht neu, und 
was daran neu iſt, ift nicht gut”. Die wichtigſte Behauptung, welche 
allerdings eine wefentlihe Umgeftaltung ber Pädagogik hervorrufen 


Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 759 


müßte, fei die Leugnung bes freien Willens ober ber freien Selbft- 
beffimmung des Menſchen. Sei die Lehre vom freien Willen eine bloße 
Illuſion, dann falle eine der wichtigften Aufgaben des Lehrers, biejenigen 
ber Charalterbildung, in nichts dahin. Er aber müffe mit aller Energie 
die Freiheit des Willens und die Möglichkeit einer erfolgreihen Ein- 
wirfung auf ben Charakter durch das Mittel der Erziehung betonen. 
Er erlläre ſich vollkommen einverfianden mit den herrlichen Gedanken 
über die Bildung des Charakters, die der Präfident im Eröffnungswort 
ausgeſprochen habe. Selbſt auf die Strafe werde die Pädagogik nicht 
verzichten können. Die Strafe werde bleiben und im äußerften Falle 
and? der Stod. Im gefunden Körper eine geſunde, lebensmuthige 
Mannesfeele, das fei die alte und immer neue Pädagogik, welche bie 
Natur und prebige von Geſchlecht zu Geſchlecht. Das werbe zu wenig 
berüdfichtigt; da wäre wieder einmal ein Feldzug gegen Ueberladung 
mit Lehrftoff zu exöffnen. 

3. Der Erziehungsrath hatte eine Kommiffion beftellt, um bie 
Frage zu prüfen, welde Nachtheile für das Auge fi aus 
dem Sculbefuh ergeben und was von Seite der Schule gethan 
werben follte, um vie Uebelftände zu befeitigen. Seither erſchien das 
trefflihe und beachtenswerthe Schrifthen „über die Reform des 
Schulunterridts in Bezug auf Kurzſichtigkeit von Dr. 
U. Treichler“, das im Auftrag der Erziehungspireltion durch den 
Drud verbreitet wurde. Dr. Treichler weift anf die gleihen That⸗ 
ſachen Hin, wie bie bezüglichen Berichte von Bern und Schaffhauſen. 
Die Zunahme der Kurzfidtigkeit falle in die Zeit der legten 30 Jahre 
und hange mit den Webelftänden zufammen, bie im Wejen der vegene= 
rirten Schule liegen. Die Urſachen fucht er im längeren Schulbefuch, 
in den häuslichen Aufgaben und ber Anftrengung der Augen durch 
Lektüre, als Urſachen bezeichnet er ferner die fchlecht konſtruirte Schul- 
bant, die Schiefextafel, die mangelhafte Beleuchtung, die ſchlechte Körper- 
haltung, insbeſondere das Hmunterliegen beim Schreiben in ber erften 
Elementarklaſſe. „Das erfte Schuljahr birgt für alle folgenden Schul⸗ 
flufen Glück und Ungläd in feinem Schoß”. Den Schluß des Büch⸗ 
leins bilden die Vorſchläge für eine Neform, der Hinweis auf die Vor⸗ 
fihtömaßregeln. 

4. Die Erneuerungsmwahlen der Lehrer (von Mitte Mär, bis 
Mitte April) giengen fat überall in Ruhe und Frieden vorüber. Im 
Großen und Ganzen betrachtet, legte tiefe Wahloperation Zeugniß ab 
für die ſchulfreundliche und loyale Gefinnung des Volle. Es wurden 
500 Lehrer wieder gewählt, 18 nicht beftätigt. Auffallend war bei ven 
Wahlen in der Stadt Zürich, daß nur die Lehrerinnen einflimmig 
gewählt wurden. 

5. Der Große Rath behandelte vor dem periopifhen Wahltermin 
ben Gefegesentwurf betreffend Entſchädigung an nidt 
beftätigte Lehrer auf Grund einer Borlage des Regierungeraths und 
einer Iachbegägligen Eingabe einer Lehrerverſammlung. Es wurbe bes 
ſchloſſen: Jeder bei der Erneuerungswahl nicht beftätigte Lehrer hat 


760 Mittheilungen über das fchweizerifche Volksſchulweſen. 


Anſpruch auf eine volle Bierteljabrsbefoldung. Ueberdies haben Lehrer, 
welche durch Nichtbeftätigung von einer Stelle entfernt werden, auf 
welche fie vor Inkrafttretung der Berträge auf Lebenszeit gewählt 
wurden, Anſpruch auf Entſchädigung nah Mafgabe der Dienftjahre. 
Diefelbe beträgt mindeſtens ein und höchſtens drei gefetliche Jahres⸗ 
befoldungen, inbegriffen bie Raturalnugung, welde nit Fr. 600 im 
Marimum zu berechnen ifl. Lehrern mit 30 Dienftiahren kann der Er⸗ 
ziehungsrath einen Ruhegehalt bewilligen. — Das Boll hat das Geſet 
nicht angenommen, 

6. Seit der April 1872 das Unterridtsgefeg zu Yall 
gebracht, wurde von ben damals vorgeichlagenen Fortichriften ſtücweiſe 
einiges errungen, fo bie Erhöhung ber Lehrergehalte, vie Aufhebung Des 
Sekundarſchulgeldes, die Errihtung des Technikums in Winterthur. 
Nun macht fi die fehr thätige Erziehungspireftion wieder lebhaft an 
weitere Partien des Unterrichtögefeged. Der regierungsräthliche Ent⸗ 
wurf, betreffend einige Abänderungen und Ergänzungen bes Säul: 
gefetes, will die Schule im innige Wechfelwirkung mit dem fo mächtig 
pulfivenden Trieb nad nationaler Einigung bringen. Die Vorlage ſetzt 
fih drei Hauptaufgaben: die Organifation der Yortbildungsfchule (obli- 

atorifh vom 15.—18. Jahr), die Organifation des Realgymnaftums 
(ie 31/, Jahreskurſen) und den Ausbau der Ergänzungsihule (7.—9. 

chuljahr mit 12 wöchentlihen Unterrichtöftunnen). Ferner wirb be 
antragt: die unentgeltlihe Verabfolgung der obligatoriihen Schulbücher 
für Primarſchüler, Aufhebung bes mit dem Lebrerfeminar verbundenen 
Konvilts und Anordnung einer einheitlihen Schulinfpeltion. 

7. Zwiſchen der Stabtbibliothel-Gefellihaft und dem Erziehungs 
rath ift über Benutzung der Staptbibliothel von Lehrern 
ein Vertrag abgeſchloſſen worden. 

8. Die „Zürcher Prefſe“ tabelt das felbfiberrliche Verfahren des 
Erziehungsdirektors. So babe er von ſich aus verordnet, daß das Ein⸗ 
klaßſyſtem aufgegeben werbe, wo es exiſtire. Die Schulpflege Außer 
fihl aber babe im Einverſtändniß mit den Lehrern beichlofien, dieſen 
Befehl einfach bei Seite zu legen und die Eintlaffchulen fortbefichen zu 
laſſen. Das Schullapitel Züri Hat fih für das Einklaßfyſtem, das 
Schulkapitel Affoltern dagegen für das Mehrklaßſyſtem ans 
geſprochen. 

9. Im Großen Rath ſtellte Pfarrer Scheller folgenden Antrag: Die 
Kirhgemeinden bilden zugleih die Schulgemeinden, 
welchen die Obforge für die allgemeinen Bollsfchulen obliegt. Der An- 
trag wurde verworfen. Es hieß, die bisherigen Schulgemeinden ent- 
ſprechen den örtlichen Bedürfniſſen befier. 

10. Lehrmittelfiurm im Kanton Züri und Schuld e⸗ 
batte im Großen Rathe. Die Haupttraktanden betrafen die drei 
brennenden Schulfragen: Die Meaffenpetition gegen Einführung bes 
gelhigtlicen Lehr: und Lefebuchs für die Ergänzungsfhulen von 

ögelin und Müller, die Petition von 12 Privatſchulen, für Lehrmittel» 
freiheit und gegen bie Oktroyirung ber flaatlichen Lefeblicher, pie Löfung 


Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 761: 


ber Lehrerinnenfrage oder die verſuchsweiſe Bildung der Lehrerinnen am 
Seminar. — Das Signal zum Angriff des Vögelin'ſchen Geſchichtsbuchs 
gab die Schulpflege von Illnau, der ſich manche andere renitente Schul- 
gemeinden anjchlofien. Die Gegner warfen dem Buche vor, es fei für 
die Schule zu umfangreich gehalten, es fielle an das Faflungs- 
vermögen zu große Anforderungen, e8 zeuge von unpatriotiſchem 
und irreligiöfem Sinne und widerfpreche der Anſchaumg des bibli⸗ 
fhen Chriſtenthums. Auch die „N. Zürd. Ztg.“, weldye die Lehrmittel⸗ 
frage vom rein ſachlichen Standpunkte aus beurtheilte, hielt Die pädago⸗ 
gifhen Bedenken für begründet. Es fei unbeftrittene Thatſache, daß 
das Buch für den beflimmten Zweck zu hoch gehalten und zu voluminds 
fei. — Die großräthliche Kommiffton tadelte das ungefegliche Verfahren 
bes Erziehungsrathe. Es fei dem Begutachtungsrecht ber Lehrerkapitel 
niht Rechnung getragen worden. In ber lebhaften Diskuffion erklärten 
bie Gegner, da8 Bud; fei nach Anlage und Ausführung verfehlt; bie 
Bertheidiger fanden es vortrefflid und nahmen ben Erziehungsrath 
in Schutz. Es wurbe Tagesordnung beſchloſſen. — 

Hinfichtlich der Lehrerinnenfrage mißbilligte die Kommiſſton das 
diesfallfige Vorgehen des Erziehungsraths und den hoch geſchraubten 
Seminarlehrplan. Sie fand die Bevorzugung der mathematiſchen 
Wiſſenſchaften und die Reduzirung der Stundenzahl im Fache ber 
beutfchen Sprache höchſt zwedwidrig. Durch diefe Umgeftaltung werbe 
das Seminar in eine falſche Richtung hineingetrieben. Die Kommifflon 
lönne biefe Tendenz um fo weniger billigen, als vie weiblichen Zöglinge 
zum gleichen Lehrgang gendthigt fein. Die Aufnahme vefjelben in das 
gleihe Seminar fei überhaupt ein gewagtes Experiment. In der Sache 
felbft herrſchte allgemeine Uebereinftimmung, darin nämlih, daß bie 
Berwendung von Lehrerinnen zu begünftigen fe. Das Poftulat der 
Kommilfton wurde angenommen und der Regierungsrath eingeladen, 
binfichtlih der Ausbildung, Prüfung und Wahlberechtigung weiblicher 
Lehramtskandidaten ein befonderes Gefeg in Vorfchlag zu bringen. Das 
Geſuch der Privatfcgulen gegen Lehrmittelzwang betreffend votirte bie 
Kommiſſion Berädfihtigung der Petenten fowohl vom pädagogifhen als 
gefeglihen Standpunkt. Sie gab aljo materiell den Rekurrenten Recht, 
beantragte aber aus formellen Gründen motivirte Tagesorbnung. Der 
Erziehungsrath habe in diefer frage weit über feine Kompetenz hinaus⸗ 
gegriffen. Der Beſchluß wärbe zur Uniformität, zur Monopolifirung 
der gefammten Erziehung, zur Untervrüdung der freien Entwidelung 
und der Ölaubensfreibeit führen. Damit wäre den Privatfchulen ber 
Lebensnerv abgejhnitten. Der Große Rath flimmte der Kommiſſion 
bei. „Alle Befchlüffe wurden mit 4%, gegen 1, gefaßt. Die Er: 
ziehungsdirektion erlitt eine entſchiedene Niederlage”. In der Diskuſſion 
tadelte man ſcharf die eigenmäctigen Neuerungen, die Nichtachtung ber 
Beihlüffe und des Vollswillens. Der ariftoratifhe Ton ftehe den 
Demokraten gar nicht wohl an. 

11. Unter dem Titel „Schulfrüchte“ tbeilten die Blätter 
Volgendes mit: „In einer zürder. Sekundarſchule verbreitete fi) der 


762 Mittbeilungen über das ſchweizeriſche Vollsſchulweſen. 


Unterricht über die Berfertigung und Nachbildung des gemünzten Geldes, 
Fluges nahm eine Anzahl Knaben den Schmelztiegel nebſt Zinn und 
Blei zur Hand und förberte kunſtgerechte Fünffrankfläde zu Tage. — 
Diefe gelangten in den Beflg der Polizei. 

Der von der Schule ertheilte Unterricht in Mechanik, Phyſik unb 
Chemie kann demnach mißbraucht werden. Trifft nun au die Schule 
fein gegründeter Borwurf, fo muß doch möglichſte Vorfiht zur Pflicht 
gemacht und ber weile Rath Herders beberzigt werben: Lehre bie 
Schüler nicht jebe der Künfte, die du kennſt!“ 

12. Die Schulgemeinde Töß bat den Beſchluß gefaßt, daß künftig 
ſaͤmmtliche Lehrmittel und Schulmaterialien den Schälern unentgeltlich zu 
verabreihen feien. Die Koften übernimmt die Schulkaſſe. Horgen hat 
ben Ban eines neuen Schulhaufes mit einem Koflenaufwande von Fr. 50,000 
beſchloſſen. — Ein Berein von Zürich beichloß auf Anregung des Hr, 
Pfarrer Wacter die Gründung Fröbelſcher Kindergärten. 
Die Peftalozzi- Stiftung für Knaben in Schlieren hatte 
eine ſchwere Epoche durchzumachen. Die in Ausficht genommenen Bauten 
für Erweiterung der Anftalt find für drei Yamilien von je 12 bie 
15 Knaben beredinet, Ausgaben ca. Fr. 37,000. Bermögensbeftand 
ca. Sr. 87,000 

13. Nah dem Programm des Tehnilums in Win—⸗ 
terthur fchließt die Berufsſchule für diefe mittlere Stufe ber ge 
werblichen Ausbildung an die dritte Klaſſe ver Sekundarſchule. Es hat 
2—21/, Jahrkurſe und befteht aus Fachſchulen für Bauhandwerker, 
Mechaniker, Chemiker, Geometer, Förſter, Weber, aus einer Handelsſchule 
und Fachkurſen für fpeziele Berufszweige. Es zählt 90 Schüler, 
72 Hofpitanten und 81 Xheilnehmer am Arbeiterkurs. 

Die „Schweizer Grenzpoft” ſtellt demjelben zu feinem Aufs 
blühen ein günftiges Prognoſtikon, weil e8 unter der Leitung eines Mannes 
ſtehe, der mit ben gediegenften Kenntniſſen vollendete Reife, Erfahrung 
und Begeifterung zum Lehrberuf verbinde, 

Der fünfte Beriht über das evangeliſche Lehrer— 
feminar in Unterfiraß (1873/74) enthält einen gehaltreichen Bor: 
trag über „die freien Lehrerfeminare” von Direktor Bachofner. 
Ein Refumd der ausgejprohenen Gedanken geben wir im folgen- 
den Beriht. Die Anftalt, an der 14 Haupt: und Hilfglehrer wirken, 
zählt in 4 Klaſſen 52 Zöglinge. Die Ausgaben betrugen ca. $r., 36,000 
die Einnahmen Fr. 37,600 (freie Gaben 23,000, Koftgelver Sr. 10,000 
2), — Diejes Jahr Haben fih 34 Zöglinge neu angemelvet. An 
das Gedeihen der Anftalt Muüpfte „vie Freitagszeitung‘‘ für bie Demo⸗ 
kraten einige freimäthige Bemerkungen. 

14. Stadtzürcheriſches Schulwesen. Die Schulgemeinde 
beſchloß mit Eimmuth die Errihtung einer höhern Töchterſchule 
mit zweijährigem Kurſe. Diefelbe fchließt fih an die aus 4 Klaſſen 
beftehbende Mäpchenfelundarfchule. Zweck der Anftalt ift einerfeits allge⸗ 
meine höhere Bildung und anderſeits Vermittlung von Kenntnifjen, welche 
den Eintritt in einen praltiſchen Wirkungstreis erleichtern. Der Unter 





. Mittheilungen über Idas ſchweizeriſche Volksichulweien, 768 


richt umfaßt neben ven Real⸗ und Kunftfächern: deutſche, franzöfifche, 
italienifhe und englifhe Sprahe und Literatur, Mathematik, Buch⸗ 
baltung, Erziehungs- und Gefunbheitslchre und Haushaltungskunde. 
Errihtumg und Lehrplan der höhern Töchterſchule wurden in einem 
Basler Blatt ſcharf kritiſirt. Das weibliche Gefchlecht fei in erfter Linie 
berufen, ſich als Hausfrau und Mutter zu bethätigen. 

Eine zweite Neuerung ift die Kreirung ber Stelle eines ftäntifhen 
Schulpräfidenten mit einer Befoldung von Fr. 5000. Gewählt 
wurde Pfarrer Paul Hirzel. Die Preffe opponirte gegen Einführung 
eines ſtädtiſchen „Schulpapites‘. 

Die Stadt leiftet für Erziehungszwede vie fhöne Summe 
von Fr. 201,560. 

Ein Korrefpondent des „Bund“ tadelt die allzu gefchlofiene 
Standesvertretung der zürcheriſchen Lehrerfchaft. Für das ein- 
feitige Korporativ⸗Intereſſe wäre eine Mifchung des fachmänniſchen und 
bed Laienelements in der Schulſynode eine heilfame Neuerung. 

15. Wir konnten über mandy’ Exfreuliches im ſchweizeriſchen Schul- 
wefen Bericht geben, mußten aber auch auf dunklere Partien vefjelben 
hinweifen, um fo mehr freut e8 uns, mit einem herrlichen, lichtoollen 
Schulbilde das Referat fchließen zu können. Der Präfivent des ſchwei⸗ 
zerifchen Lehrertags entwarf in feinem Eröffnungsworte eine furze 
Shilderung der Schulverhältniffe von Winterthur 
(12,000 Einw.), aus ber wir ein paar Hauptftellen anführen. „Bes 
ginnen wir von unten, fo ift zu erwähnen, daß ein Berein damit um⸗ 
geht, die Fröbelſchen Kindergärten einzuführen. Die Brimarfchule wird von 
20 Lehrern geführt, deren jeder Kinder aus zwei Jahresklaſſen unterrichtet. 
In den untern Primarklaflen find Knaben und Mädchen vereinigt, in 
ben obern Klafſen getrennt. Maximum einer Klaſſe: 60. Die Zahl ver 
Primarſchuler beträgt 1112. An der Ergänzungsfchule theilen fich für 
jede Jahresklaſſe drei Primarlehrer in ven Fachunterricht. Die Schüler 
zahl beträgt 138. Diefelben bilden mit noch weitern 58 Kindern bie 
Singſchule. Die Befoldung der Primarlehrer beträgt im Anfang 
Fr. 2500 und fteigt nad) je fünf Jahren um fr. 200 bis zum Marimum 
von Tr. 3300. Der Schule find drei Arbeitslehrexinnen zugetheilt je 
mit einer Befoldung von Fr. 1230. Die Oefammtauslagen der Stadt 
für die Primarfchulen betragen Fr. 69,000; dazu kommt ber Staats» 
beitrag von fr. 12,110. Die Sekundarſchule befhäftigt 7 Lehrer und 
umfaßt 3 Knabenklaſſen mit 122 Schälen und 3 Mäpchenklaffen mit 
155 Schülerinnen. Es befleht theils Klaffen-, theils Fachſyſtem. Die Bes 
foldung des Selundarlehrers beträgt Fr. 3400, dazu kommt bie flaat- 
liche Alterszulage, die von 5 zu 5 Jahren von Fr. 100-400 anfleigt. 
Die diesjährigen Ausgaben für die Sekundarſchulen betragen Fr. 27,400, 
dazu der Staat Fr. 10,800. Es folgen die höhern Staptfchulen: das 
Gymnaſium mit 7 Klaffen und 114 Schülern (daffelbe führt zur Maturitäts- 
prüfung für die Hochſchule); die Inpuftriefhule mit 3 Klafien und 45 
Schülern. (Siehat eine technifche und eine merkantile Abtheilung. Sie findet 
in der Maturitätspräfung fürs Polytechnikum ihren Abſchluß); die Ge 


764 Mittheilungen über das ſchweizeriſche Volksſchulweſen. 


werbſchule für Handwerkslehrlinge mit 29 Schülern (daneben befteht noch 
eine von einem Berein beforgte Handwerkerſchule); vie Höhere Töchter 
Schule als Fortfegung der Maädchenſekundarſchule mit 48 Schülern, dieſe 
Anftalt bezwedt neben einer höhern Bildung aud die Heranbildung von 
Lehrerinnen. An viefen höhern Stabtfhulen wirten 23 Lehrer nnd 
5 Lehrerinnen. ine Lehrftelle mit 25— 28 Stunden wirb mit 
Sr. 3600—4000 befolvet. Nah ZOjährigem Dienft folgt Benflonirung 
mit *%/, der biöherigen Befoldung. Die Anftellung gefchieht auf 6 Jahre. 
Die Auslagen für die höhern Lehrauftalten betrugen Fr. 99,952; bazu 
trägt der Staat Fr. 5000 bei. Der Beſuch iſt unentgeltlih. Das 
Turnen ift in allen Klafien, die Schwimm⸗ und WBaffenübungen in ben 
obern Klafſen eingeführt. Aktive Lehrer: total == 58; penflonirte: 11; 
Ruhegehalt: Fr. 14,928. Die gefammte Schälerzahl beträgt 1821. 
Die Jahresausgaben für fänmtlihe Schulen: Gr. 196,380, dazu eine 
Staatsfubvention von Fr. 28,000. Die Koften werben gebedt durch 
die Schulgutäzinfen und einer Steuer von 1 pro mille. Rod ift hin⸗ 
zumweifen auf das Technikum mit 67 Schülern und 8 Lehrern Die 
Stadt errichtet dad Schulgebäude und giebt einen Jahresbeitrag von 
Sr. 15,000. Die Scullotale haben einen Werth von Fr. 2 Millionen. 
Die Jahresauslagen der Gemeinde betragen für Schulunterricht über 
Sr. 210,000. Die Schule ift der Augapfel unfrer Gemeinde.” 

16. In Zürich flarb Prof. 58. Heinrih Bögeli, einer ber 
erften Geſchichtsforſcher der Schweiz, Er war ein großer Freund bes 
Turnens und felbft ein ausgezeichneter Turner. 

Herner farb bier Prof. Lüning, Verfaſſer einer weit verbreiteten 
Schulgrammatik. Am 5. Auguft d. 9. verſchied Seminarbireltor D. 
Fries in Kusnacht. 

Der Bericht zeigt, daß wir noch nicht fo weit find, um die Hände 
in ben Schoß legen und auf Lorbeeren ausruhen zu lönnen. Noch iſt 
anf vem Felde des Schulweſens viel Arbeit zu tfun Mögen alle Re 
formbeftrebungen ein folides Refultat, eine gefunde Fortentwidelung er⸗ 
zielen! Mögen fi hiezu alle tüchtigen Kräfte der verjchiedenften Rich⸗ 
tungen bie Hände bieten! Den Extravaganten und ben äußerften 
Wlügelmännern ver beiden extremen Parteien empfehlen wir zum Schluß 
bie Beherzigung eined Wortes von Prof. Röder: „Wer in Anflchten 
und Handlungen nur Extreme Liebt, fteht immer einen Grab unter oder 
über jener Linie, weldye den Stand geiftiger Geſundheit bezeichnet.” 
St. Gallen, im Juli 1875. 


XVII. Turnen. 


Bericht 


über die in den Jahren 1872 bis 1875 über bie Leibesübungen (im 
Deutſchland) erfchienenen Schriften. 


Erfattet 
von 


Dir. Dr. J. €. Lion. 


Obwohl drei und ein halbes Jahr vorübergegangen find, feit ich 
zum letzten Dale an bdiefer Stelle über die deutſche Literatur der turs 
nerifchen Leibesübungen berichtet habe, wird ſich der folgende Bericht in 
ber Hauptfahe doch nur als eine Ergänzung und als ein Nachtrag zu 
feinem Vorgänger darftellen. Und zwar nicht einmal als ein reichlicher 
Nachtrag; geſetzt, es habe jemand bie Berpflihtung, der geiftigen Be⸗ 
wegung, welche fi in der Literatur des beflimmten Wiſſens⸗ und Lehr⸗ 
zweiges ausſpricht, zu folgen, und habe ihr während des angegebenen 
Zeitraumes nicht nachkommen können und wolle e8 nan unternehmen, 
das Verfäumte mit einem Male nachzubolen, fo würde er damit un⸗ 
fchwer in wenigen Wochen auf das Gemwifienhaftefte zurecht kommen 
tönnen. Ein folder Zuſtand in der Literatur ift einerjeits ein erfren- 
liches Symptom, denn es läßt fih baraus fchließen, daß das Nachdenken 
über den Gegenftand eine gewiſſe Feſtigkeit erlangt hat und ſich in wohl- 
gewählten Bahnen mit Sicherheit auf beſtimmte Ziele richtet, amderer- 
feitS aber aud ein bevenfliches Zeichen, wenn man nämlich ver Anficht 
ift, daß jener Gegenſtand weder nad der Seite feiner wiflenfchaftlichen 
Begründung erſchöpft noch nad der Seite feiner Einführung, Stellung 
und Geftaltung im äußeren Leben abgefchloflen fein dürfte. Man be= 
abfidhtigt, binnen drei Jahren ben Hunvertjährigen Geburtstag bes 
Mannes zu begeben, an welchen Jeder zuerft denkt, wenn von beutjcher 
Turnkunſt die Rede if; und in ber That, meine ih, haben wir gar 
nicht Urfache, bei diefem Anlaffe etwa mit ungewöhnlicher Befriedigung 
einen Rüdblid auf ein ganzes Iahrhundert zu werfen, an befien Ende 
fih fo viele Schöne und fromme Wünfche zu einem großen Haufen ſam⸗ 


766 Turnen. 


meln werden, welche ſchon zu Aufang deſſelben nach baldiger Erfüllung 
riefen. Die Saugwurzeln der Turnkunſt find in dem Boden unſeres 
‚gefammten Vollslebens, aus dem fie nad ber Meinung ihrer Begründer 
ihre Nahrung ziehen follten, noch lange nicht weit und bicht genug ver⸗ 
zweigt. Das Lumen trat zuerft als eine Erziehungsſache, als ein Er⸗ 
ziehungsmittel ber unreifen Jugend auf, und — geſchweige denn, daß 
es in dem geſelligen und in dem wirthſchaftlichen Verkehr der Erwachſenen, 
die volle Kraft zu entfalten vermöchte, welche in ihm enthalten iſt und 
welche aus ihm hergeleitet werben kann, — wir find heute noch weit 
bavon entfernt, daß ihm ber „Platz in allen Schulen des Bolfes ge= 
fichert“ wäre. Wem es barım zu tun iſt, den Grund und die Be 
rehtigung biefer Klage im Einzelnen zu prüfen, den verweife ich aber- 
mals auf das bereitS im Päd. Yahresberiht XXI, ©. 560 an 
gezeigte, do erſt 1873 vollendete Buch: 


1. Statiſtit des Shulturnens in Deutfhland. Im Auftrage des 
Ausſchuſſes der deutſchen Turnerſchaft berausgegeben” von 3. C. Lion 
— Kell. 1873. XIL u 474 e. gr. 8. (Herabgef. Brei 

ar 

Anſcheinend richtet fi die Klage nur gegen äußere fFactoren, ih aber 

bin nicht gewillt, fie auf dieſe zu beſchraͤnken und es ſchlechthin zu⸗ 

zugeſtehen „ daß die innere Arbeit an der Sache, welche ſchließlich ſtets 
in der Turnliteratur ihren Ausdruck finden muß, vor der äußeren einen 
jo ſehr großen Borfprung gewonnen habe. Mit Berwunverung babe 
ih vor einigen Monaten den Sag gelefen: „bie beutfche Turnerſchaft 
bat für das Turnen nad allen Rıdıtungen und auf allen Gebieten 
menſchlichen Wifiens, die mit demfelben zufammenhängen, einen Reid 
thum geiftiger Arbeit ohne Gleichen entfaltet, und es giebt kaum nod 
eine Frage, auf welde in der in vielen Hunderten von Werken auf: 
gefpeicherten Zurnliteratur nicht Rath und Antwort zu Holen wäre”. 


2. Klugblätter für den märkiſchen Kreisverband. Med. von J. u 
ermann. Berlin 1873—1875. 9. Rau. Unter den Linden, Rr. 12. - 
aflugblatt. 


Das heißt denn doch wohl den Mund etwas fehr voll nehmen. In 
Wirklichkeit enthält die Turnliteratur nur fehr wenige wahrhaft bedeu⸗ 
tende Werfe, eine etwas größere Zahl guter und gebiegener Arbeiten, 
die übrigen find, fobald man den Maßſtab anlegt, welcher auf den 
Sebieten aller alten und jungen Facultätewiſſenſchaften angelegt zu 
werben pflegt, ſämmtlich won fehr feaglichem Werthe, und die „Arbeit 
ohne Sleihen“ wird wohl nod eine geramme Zeit fortgeführt werben 
müflen, ehe von einer Gleichftellung in irgend einer Weife bie Rebe 
fein kann. 

Je offener man ſich Dies eingefteht, befto eher darf man fi ter 
Hoffnung Hingeben, daß es damit beffer werde, und daß bie Schriften, 
welche über das Turnen veröffentlicht werden, allmählich den Charakter 
des Dilettanttsmus zu Gunften wiffenfchaftlicher Strenge verlieren, daß 
der Ernſt und die Sicherheit methodiſchen Verfahrens an bie Stelle ber 





Turnen. 767 


Gelegentlichkeit und Zerſplitterung treten werden, welche zur Zeit noch 
die Mehrzahl jener Schriften kennzeichnet. 

Wäre es in der That wahr, daß man ſich in ihnen, fo viele ihrer 
bis jetzt erfchienen find, über alle möglihen das Tach betreffenden ragen 
bereit8 Rath, holen lönnte, fo wäre auch bie Kritik felbft übel daran, 
denn fie müßte alsdann ſchlecht und recht über die nenen Erſcheinungen 
als lauter Erzengniffe eine® Aberflüffigen Bemühens ven Stab brechen, 
während eine befcheidene Auffaſſung und Schägung besjenigen, was ge= 
feiftet tft, dem, was noch geleiftet wird, zu Qute kommt. Ich halte es 
alfo mit ſolcher Beſcheidenheit in Entbehrung zufanmenfaflender und 
hervorragender Leiftungen, freue mi auch der Heinen Beiträge und 
Baufteine zu dem Werke und, ohne die endliche Vollendung voraus⸗ 
zufeben, bei aller Langfamkeit bes Fortſchritts doch des Fortſchritts felbft. 


Noch fehlt uns u. U. jeder” ernftliche Verſuch einer Geſchichte 
des Turnens, aber wir haben dazu wieder einige nützliche Vor⸗ 
arbeiten erhalten. In dem einen ober anderen Sinne (Vergl. Päd. 
Jahresberiht XXI, 557 und 5581!) gehören dahin: 

3. Oberlehrer Dr. . Meyer, de virginum exercitationibus gymnicis 
apud veteres. OÖfterprogranım des Gymnaflume zu Clausthal. 1872. — 
Stiche Päd. Jahresber. XXIII 557, Ar. 12. — 

4 ©. Wahl. Kurze Geſchichte des Turnvereins Augsburg, zufammengeftelt 
für die 2jährige Jubelfeier des Vereins, Drud von 6. Reichenbad In 
Augsburg 1872. 

5. Bendiät Hurni. Der berniſche Kantonalturnverein. Hiftorifher Rückblick 
bei Anlaß des 25jährigen Jubiläums. Buchdruckerei Fiſcher in Bern. 1873. 

6. Heinrich Metzner, Geſchichte des (nordamerifanifhen) Turmerbundes. 

edrudt in der Office der (nordamerikaniſchen Turnzeitung) Zukunft. 

Indianapolis. Indiana, 1874. (112 &.8.) Siehe auch die deutfche Turn⸗ 

zeitung, Jahrgang 1875, Nr. 3 ff.) 

1. Eonftanfino Meyer, Vorarbeit zu einer Statiftit der deutfchen Turnvereine 
des XV. Kreijes (DeutfhsDefterreih). Graz. 1873. Gelbftverlag. 

8 Ed Bienz u. U, Berichte über den eidgendffiichen Turnverein, heraus⸗ 
gegeben vom Gentralcomite. Bern. Drud von B. F. Haller. 

9 Joſ. Dorn und Mund. Lion, Statifiit des XIL deutſchen Turnkreiſes 
(Bayern diefjeits des Rheins) vom 20. Sept. 1874. Hof. Drud von $. 
Hörmann. 1875. 

10. Eduard Möndh, Über den Stand des Zurnwefens in den Volksſchulen 
des Herzogthume Gotha. 9. Jahresbericht über das Lehrerfeminar zu Gotha. 
Gotha. C. F. Thienemann. 1874... 


Bon größeren Aufſätzen geſchichtlichen Inhalts in Zeitſchriften ver⸗ 

dienen Erwähnung: 

11. K. Waſſmannsdorff, 3. H. Fichte und das Turnen. Deutſche Turn⸗ 
zeitung 1872, ©. 301. 

12. — —, Kinder- und Turnſpiele moraliſch gedeutet durch die Züricher Am- 
man und Meyr i. 3. 1657. Deutfche Turnzeitung 1872, 217. 


13. — — die Leibesübungen in dem 1696 gegründeten Pädagogium zu Halle. 
Deutfce Zurnzeitung, 1373, 95. ges gogiumz 


768 Turnen. 


14. 8. WBoffmannsdorff, die Gymnaſtik Ronffeaus in ihrem Verhältniß zu 
dem deutichen Leibesübungen. Reue Jahrb. f. d. Zurnfunfl. 1871, 23. 
Es wäre wohl an der Zeit, wenn Herr Waflmanusporff auf eine 

georbnete Zufammenftellung feiner zahlreichen turngeſchichtlichen Mit⸗ 

theilungen (Bergl. Päd. Yahresberiht XXI, 5551) ernſtlich Bedacht 

nähme. — Ferner gehören hierher: 

15. W. Jenny, Bas Schaden Tanzen bringt. Deutiche Turnzeitung 1872, 209. 

16. ©. Euler, Geſchichte des Jahndeukmals. Befondere Beilage zur deut⸗ 
ſchen Zurnzeitung 1873. 

17. — — Gutsmuths und Garl Ritter. R. Jahrb. f. d. Turnkunſt, 1872, 2. 


18. U. Boettcher, Mittheilungen aus Craft Bernhard Eifelen’s Tageb 
Deutide Korrleinung 187 61. r v fe agebuche. 


19. F. Voigt, Hans Ferdinand Maßmann. Deutſche Turnzeitung 1875, 3. 


Ebenſo wie es an einer wirklichen Geſchichte des Turnens fehlt, 
vermiſſen wir ebenfalls feit einer Reihe von Jahren eine allgemeine 
Geräthkunde, wie fie doch ſchon 1862 W. Angerflein im feiner 
im Päd. Jahresbericht XVI, 310 namhaft gemachten Anleitung zur 
Einrichtung von Turnanſtalten zc. zu geben verfudht hat. Auf dieſem 
Gebiete ift feitvem ungemein viel und theilweife Erfolgreiches geleiftet, 
fo daß der Verſuch zweifellos der Erneuerung werth if. Beiträge zu 
einer ſolchen Erneuerung, aber aud nicht mehr, finden ſich zerftreut in 
allen Jahrgängen ver Turngeitfchriften, ferner beſonders gedruckt in zwei 
Progranımen 
20. Dr. Richard Braumüller, über den Turnbetrieb am Königl. Wilhelms 

gymnaflum zu Berlin. SHerbiiprogramm. 1873. ' 


21. Buntd, Beihreibung des Winterturniolals der Kloſterſchule Roßleben. 

fterprogramm. 1874. | 

An beiden genannten Schulen find die Einrichtungen auf den Ein- 
fluß von H. O. Kluge, defjen Thätigkeit bereits im Päd. Jahresbericht 
XXI, 588 eine ehrenvolle Erwähnung zu Theil geworden ift, zu⸗ 
rüdzuführen. Zwei weitere größere Aufjäge von demſelben finden ſich 
in den weiterhin unter Ar. 64 und unter Nr. 65 angeführten Berichten über 
die deutfhen Turnlehrerwerfammlungen, welde in Darmftadt 1872 und 
in Salzburg 1874 gehalten find. Das a. a. O. angekündigte Bud 
22. 9. D. Kluge und Dr. C. Euler, Turngeräthe und Turneinrichtungen 

fur Schuls und Milttär-iurn-Anftalten und Turnverein. Mit 3 Zafeln 

Abbild. Berlin. E. H. Schroeder. 1872. (222 ©. 8.) 6 Marl. 
enthält zwar eine große Menge fehr genauer und zuverläffiger Maß— 
angaben, fo daß es dem, welder eine ber auf dem Titel des Buches 
erwähnten Anftalten einzurichten hat, häufig fehr zu flatten kommen 
wird, ift aber immerhin von einer Einfeitigkeit und einer Vorliebe für 














Turnen. 769 


gewiſſe Anordnungen nicht freizuſprechen, von welcher ſich bie Verfafſer 
hätten losmachen können, wenn ex, dem Begriffe der allgemeinen Geräth- 
Iunde näher tretend, die Geräthe mehr als Uebumgsmittel zur Darfiellung 
ber verſchiedenen Turnarten, denn als Handwerlserzeugnifle irgend eines 
Tiſchlers, Schlofferd, Sattlers nach beliebigen aus der Empirie gezogenen 
Regeln behandelt, fie mehr nad ihrem turnerifchen Werthe als ihren 
Herftellungstoften gewürdigt und endlich nidt eine Beſprechung ihrer 
Zufammenftellung und gegenfeitigen Zufammengebörigleit für alle be⸗ 
ſonderen Fälle verabjäumt hätten. 


Die längft erfannte Nothwendigkeit der monographiſch-er⸗ 
fhöpfenden Bearbeitung ber einzelnen Turnarten bat 
neuerdings durch wiederholte Auflagen einiger der bezeichneten Richtung 
angehörenden Bücher abermals eine Beſtätigung gefunden, aber es fehlt 
an der Nachfolge. Jägers württembergifhe Turnſchule, das Haffifche 
Bud für Stabübungen (Päd. Jahresbericht XXIII, 577), Waſſmanns⸗ 
dorffs Orbnungsübungen (ebenda, ©. 586), Jenny's Tanzreigen (ebenda, 
©. 571), Kluge's Lehrbuch der Schwimmkunſt (ebenda, ©. 564) find 
noch unvergriffen, während 
233. Z.€. Lion, Leitfaden für den Betrieb der Ordnungs⸗ und Freiübungen. 


Fünfte verbefjerte Auflage. Mit 133 Solglänitten. Leipzig, Mobert 
Frieſe. (VIII und 1655 ©. 8.) 2,5 M. (Pad. Jahresber. 565.) 


24 3. €. Lion, Die Turnübungen des gemifchten Sprunges. Zweite Auflage. 
Mit 299 Abbild. in Holzſchnitt. (X und 240 ©. s) Leipzig. E. Keil. 
(Bid. Zahresberiht XIX, 532.) 3 M. 

das Glück und ven Bortheil, neu aufgelegt zu werben, im Jahre 1875 

gehabt haben. Hinzugelommen ift zu ber Heinen, eben aufgezählten 

Öruppe von Monographieen nur | 

25. W. Jenny, Die Schwungfeilübungen, ein Beitrag zu einem Leitfaden für 
das Mädchenturnen. (Beſonders verfäuflich.) Bellage zur deutfchen Turn⸗ 
zeitung. (Mit Abbild. 46 Spalten. 4.) Leipzig, E. Keil. 1873. 50 Bf. 

Denn 

26. 3. Niggeler, Anleitung zum Turnen mit dem Eiſenſtab. (Mit 48 Fig. 
Kl. 8) Zürich, Fr. Schultheß. 1874. 1,6 M. 

wird ber Verfaffer wohl felbft nicht als eine urfprüngliche Arbeit, viels 

mehr als eine bloße Ergänzung zu feiner Turnſchule (ſ. unten, Nr. 36!) 

angefeben haben wollen; die Anleitung ift etwa mit dem im Päp. 

Sahresberiht XXI, 577 unter Nr. 97 genannten Büchlein von 

M. Böttcher gleihes Schlage. — Ebenfowenig kann das unter Ums 

fländen zwar brauchbare, jedoch ald Ganzes nur lofe zufammengeftoppelte 

27. F. Kaufmann, Mertbühlein für Freiübungen. 78 ©. 16. .Göthen, Dtto 
Schulze. (50 Pf.) 

Anfpruh auf Beachtung an diefer Stelle erheben. — Wäre da nidt 

Arbeit für Viele, da fo einige zwanzig unbenrbeitete Turnarten den vier 
Päd. Jahreabericht. XXVIL. 49 


770 Turnen. 


ober fünf gründlich beacheiteten gegenüberftehen? Jedenfalls wäre es 
verbienftliher, wenn bie Turnſchriftſteller ſich diefer Arbeit unterziehen 
wollten, ald wenn fie burd Auszüge und Compilationen aus vorhau⸗ 
benen Hauptwerten beurfunden, wie tief fie in das Verſtändniß derfelben 
eingebrungen ober auch nicht eingebrungen find. Nach biefer Geite Bin 
möchten immerhin die vorhandenen Lehrmittel, um fo mehr, da einige 
berfelben, die früher fchon ala die befferen hervorgehoben werben konnten, 
es ebenfalld zu neuen und verbefierten Auflagen gebracht haben, vor- 
läufig ausreichen. Ich rechne dahin: 

28. F. Kaufmann, Mertbühlein für Geräthe-Tumen. (Dritte und) Bierte 


Auflage. Cöothen, Otto Schulze. 1875. (120 ©. 16. &d. Jahresber. 
XXIL, 564, Rt. 51.) u ) 6 


20. Carl Kapell, Handbuch für Vorturner der Turnvereine. Dritte Auflage. 
Stade, U. Krakau. 1873. (Päd. Jahresber. XIX. 529, Nr. 46) 
Letzteres Buch hat außerdem eine Erweiterung durch eine andere 

Schrift deſſelben Verfaſſers erfahren, welche die im Haudbuche enthal⸗ 

tene Beiſpielſammlung vervollſtändigt, nemlich durch 

30. Earl Kapell, Zuſammengeſeßte Uebungen am Reck, Barren und Pferde. 
Münſter, Selbſtverlag. 1872. (48 ©. 5, — 


31. Dr. Ed. Angerſtein, Dieters Merkbüchlein für Turner. Siebente, vielfach 
umgeänberte und vermehrte Auflage. Halle, Waiſenhausbuchhandlung. 
1875. (Päd. Zahresber. XXIII, ©. 564, Nr. 46.) 

Das Buch, welches troß der wiederholten Auflagen zu veralten Gefahr 
lief, ift in der gegenwärtigen Auflage endlich einer burchgreifenden und 
erfolgreihen Umgeflaltung unterworfen worden und dadurch wieder aufs 
Laufende gebracht, fo daß es jet allen Denen, welche folder Hülfsmittel 
wie dieſes bei ihrem Unterrichte nicht entrathen können, mit gutem Ge⸗ 
wiffen empfohlen werben kann. Dean weiß nur nicht mehr, für wen es 
jetzt eigentlich beflimmt if, für Schäler ober für Bereinäturner. Den 
erftern wird wohl noch beſſer gedient fein, wenn man ihnen 
32. Ludwig Puritz, Merkbüchlein für Borturner oberer Klafſen höherer Lehr⸗ 

anftalten. Hannover, Hahn. 1873. (74 ©. 16.) 
in die Hand giebt, da die Auswahl der Uebungen in dieſem Merk- 
büdlein Inapper getroffen ft und die BZufammenorbnung ber gegen⸗ 
wärtig üblichen Lehrweiſe, welche die Mebungsformen nach ausgewählten 
Merkmalen in Gruppen vereinigt, enger ſich anſchließt. Neben dem im 
Päd. Yahresberiht XXIII, S. 564 unter Nr. 80 genannten Büchlein 
von Muttrich ift es zur Zeit das befte Hülfsbuch für ſolche Turnlehrer, 
weldye bei der Unterweifung von Schülern höherer Schulen auf bie 
Beibülfe von Borturnern angewiefen find. 

Daß diefe Nothwendigkeit, welche beim Turnunterricht an ber Volls⸗ 
faule eher als ein Notbftand zu bezeichnen ift, gleichwohl aud da noch 
vielfach vorhanden fein muß, geht daraus hervor, daß auch 
33. Anton Titz, Leitfaden für dad GBeräthturnen an der Vollaſchule. Löwen- 

berg in Schlefien, Guſtav Köhler. 1875. (30 Bf.) . 


eine britte Auflage erlebt Hat. (Siehe Päd. Jahresbericht XXIII, 567 








Turnen. 171 


Nr. 60.) Auf einem ähnlichen Nothſtand, ber noch ſchlimmer ift, läßt 
bie Erneuerung des im Päd. Jahresbericht XXIU, S. 581, Nr. 101 
erwähnten Schriftchens | 

34. R. Meinbardt, Dad Turnen im Schulzimmer nebft einigen Frei» und 
ODrdnungsübungen, fowie leicht ausführbaren Geräthübungen für freie 
Turmpläge. Zum Gebrauche für den Unterricht an Volls⸗ und Bürger: 
ſchulen. Zwelte, gänzlich umgearbeitete, vermehrte, mit (2 Taf.) Abbilvun« 
en und einem Anbange von Turnſpielen verfehene Auflage 3. u. F. Leon. 

lagenfurt. 1873. (79 ©. 9.) 

Schließen. Käme doch die Zeit bald, wo durch ben Einfluß ber Central⸗ 

turnanftalten und der Lehrerbildungsanftalten überhaupt die turneriſche 

Kenntniß des Lehrerftandes einerfeits fo weit gehoben wird, daß fie bes 

Gebrauches derartiger Schriften ſchlimmſten Falles entratben können, 

und wo man anderſeits es nicht mehr für Gewinn erachtet, wenn bie 

in bumpfen Schulftuben zufammengebrängten Sleinen zur Vermehrung 
von Dunft und Staub hübſch ordentlich bin und ber gefhoben und ges 

[enft werden. Denn wo man feinen ausreihenden Turnraum hat, ges 

reicht ihmen doch die frifche Bewegung in freier Luft allemal mehr zum 

Bortheil, als das Trampeln und Hampeln zwifhen den Schulbänlen. 

Es ift deshalb Doppelt erfreulih, daß auch reine Schulturnbücher nicht 

vergeflen find, wie 

35. Dr. Morig Kloß, Anleitung zur Ertheilung des Turnunterrichts. Hweite, 
vermebrte und verbefferte Aufl. G. Schönfeld, Dresden. 1873. (VIII 
und 191 ©. 8.) (Päd. Jahresbericht XVI, 297.) 

36. 3. Niggeler, Turnſchule für Rnaben und? Mädchen. Erſter Theil: 
Künfte Auflage, Zweiter Theil: Vierte Aufl. (Jeder Theil: 1,8 MM.) 
Schultheß, Züri. (Päd. Jahresbericht XXIII, 565, Nr, 83.) 

37. F. Mary, Leitfaden für den Zuruunterricht in den Bollsihulen. Zweite 
Auflage. 3. Ehrhardt & Eomp., Benſsheim. 1875. (XI und 96 ©. 8.) 

die an dieſem Leitiaden im Päd. Yahresberiht XIX, 530 erhobenen 

Ausftellungen haben meiftentheild genügende Beachtung gefunden, nur 

der Wunſch, daß der Berfaffer der Bearbeitung ber Geräthäbungen 

gleiche Sorgfalt wie der der Orbnungsübungen zuwenden möchte, ift un⸗ 
berädfichtigt geblieben, fo daß das Lob feiner Arbeit nach wie vor in 
derſelben Weiſe bedingt und beſchränkt bleibt. — 

Freilich, muß ich hier wiederholen, iſt es leichter, auf geebneter 
Bahn ruhig und gemächlich weiter zu wandeln, als neue Wege durch 
Geſtrüpp und Geſtein auszuſuchen und feſtzutreten. Mit fo viel Orb» 
nungsübungen, als vernünftiger Weiſe in einer Vollsſchule oder auch 
in —* überhaupt in ben Turnſtunden getrieben werben müflen, 
kommt zur Noth jeder Lehrer zurecht, da es hauptfählid doch nur gilt, 
bie Buben dahin zu. bringen, daß fie ohne Drängen und Stoßen leicht 
und fiher neben- und hintereinander marſchiren und laufen, benn dies 
iR Alles, was fie über die Schulzeit hinaus fefthalten und im Leben 
gebrauchen können. Es ift aber im Grunde ziemlich gleichgültig, ob fie 
das nach diefer oder jener Vorſchrift erlernen. Dabingegen fehlt es 
den angehenden Lehrern faft immer an genügender Kenntniß bes Stoffes 

49 * . 


772 Turnen. 


und ber Methode bei den Geräthübungen, fie halten fi iz 
Ermangelung andermeiter Belehrung und Erfahrung dann in ver Regel 
an die Erinnerungen ihrer eigenen Yünglingsjahre oder an ba, was fie 
anf dem erften beften Vereinsturnplage fehen, und begeben dabei eine 
Menge von Fehlern, welche jeden einzelnen Schüler treffen und bei 
jedem mehr oder weniger nachwirken. &s ift eben viel fhwerer, Geräth- 
übungen forgfältig und planmäßig anzuordnen, als erträgliche Aufftellungen 
auf dem Gebiete der reis und —S zu Stande zu bringen; 
bei den lesteren bepürften alfo die Lehrer ver Unterftägung durch das 
Lehrbuch bei weitem nicht fo fehr, als bei ben erfteren, wo es im her⸗ 
gebrachter Weife fi auf kurze Andeutungen beſchränkt oder durch gänz- 
liches Schweigen die vertehrte Anficht verflärkt, ald käme wenig barauf 
an, ob die Geräthübhungen, ganz abgejehen von ihrer gefunpheitlichen Wire 
tung, läffig oder energifch, albern oder finnig gehandhabt würden, und 
al8 dürfte Derjenige, welcher die erfte Hälfte jeder Unterrichtsftunde 
im Zurnen bei leiblihem Aufwand von Verſtand mit Freiübungen im 
Ordnung ausgefült hat, ſchon von der Mitte der Stunde an von feiner 
Anftrengung fih erholen und vie Leitung nunmehr unbedenklich auf bie 
leichte Adel nehmen. Es kann und wird dem, wie gefagt, nur abs 
eholfen werden, wenn eine Turnart nad ber anderen bezüglich des in 
ihr enthaltenen Lehrftoffes und der aus deſſen Weſen herauswachſenden, 
ihm eigenthümlichen Lehrform für fi gründlich dargeftellt wird, fo daß 
bie Sammler wiffen, an welden Gewährsmann ſie fih vornehmlich 
halten müſſen, wenn fie fih den Marſch Leicht machen und dennoch 
fiher gehen wollen. 


Eine befondere Stellung unter den neuen Auflagen ver älteren, 
lediglich auf die Zurechtlegung befannten Uebungfftoffes für beſtimmte 
Unterrichtözwede zugerichteten Turnbücher nimmt 
s. ©. J. Haudımann (Seminarlehrer in Weimar). Das Turnen in der Boll 

ſchule, mit Berüdfihtigung des Turnens in den höberen Schulen. Gin 

nad dem neneflen Standpunkte der Turnkunde bearbeitete Lehrbuch. 

Zweite durchaus umgearbeitete und flard vermeorte Auflage. Weimar, 

9. Böhlen. 1873. II und 246 2. mit 96 Solyfänitten.) 


ein. Die erfie Auflage des Turnens in ver Volksſchule erſchien 
1862, fie ift im pädagogiſchen Jahresbericht XVI, 289 beſprochen, 
und der Berfaffer hat fich, wie er in der Vorrede zur zweiten Auflage 
offen befennt, einen dort ausgeſprochenen Tadel ernfthaft zu Herzen 
genommen. Es war feinem Buche, welches fich ausſchließlich als einen 
Beitrag zur Einführung geregelter Körperübungen in der Boltefhule 
gab, damals vorgeworfen, daß ein folder Beitrag nicht durch einen 
einfahen Auszug aus dem Schulturnbuche von Ad. Spieß geliefert 
werden lönne, welder an einer beftimmten Stelle abbreche. Denn in 
biefem Falle würbe er nur Anfänge fhlehthin enthalten, während bie 
Anfänge fowohl als der Betrieb des Turnunterrichts je nach dem Alter 
ber Zöglinge und anderweit gegebenen Verhältniffen verſchieden georbnet 
werden müßten. Bemüht, biefen Vorwurf von feinem Werke abzurwälzen, 








Turnen. 773 


gelangte ber Verfaſſer nicht bloß zu einer Erweiterung ber urſprüng⸗ 
lichen Anlage, fondern zu einer fo vollfländigen Umgeftaltung, baf die 
Bezeihnung des Buches als zweite Auflage fireng genommen eine faljche 
Angabe enthält; wir haben es vielmehr mit einem ganz neuen Buche 
zu thun. Diefes nene Buch in feiner Eigenart bat nun bei feinem 
Erſcheinen fofort und feither die ungetheilte Anerkennung aller Der» 
jenigen gefunden, welche die Bildung und bie Strebſamkeit unferer Volls⸗ 
ſchullehrer nit gar zu niebrig anfchlagen. Indem es mit dem Anſpruche 
bervortrat, bloß den „Suchenden in das Gefauimtgebiet des Schulturnens 
gründlich einzuführen‘‘, flellte es ſich in einen fchroffen Gegenfat zu einer 
Menge früherer Schriften, fcheinbar gleicher Beſtimmung, welche ihre 
Aufgabe vielmehr darin erfannt hatten, gerade dem nicht Suchenden 
das Leben möglichft bequem zu machen. Ein Lehrer nannte e8 deshalb 
ein „Compliment“ gegen ven Lehrerſtand und gab durch dieſe Aeußerung 
dem Berfaffer auf zierlihe Weife ein Compliment zurüd. Uebrigens 
nad) meinem Urtheil ein wohlverdientes Compliment! Denn, fo wenig 
ih Anftand nehme, auch der Eſelsbrückenliteratur auf tem Gebiete des 
Schulturnens bei dem gegenwärtigen Zuftande der Turnbildung unferer 
Lehrer ein Lebensrecht zuzufprechen, fo fehr ich überzeugt bin, daß aud 
fie weiterer Ergänzung dringend bebarf, wenn bei allgemeiner Einführung 
des Turnunterrichts in allen Schulen nicht gar zu viele Seltfamteiten 
vorkommen follen, fo bin ich doch andrerfeits noch meit ficherer, daß es 
diefe Literatur allein nicht macht. Insbeſondere wäre es arg gefehlt, 
wenn die Unterweifung der jüngeren Lehrer, welche noch nicht lange im 
Amte fiehen und Derer, welche erft Lehrer werben wollen, fort und fort 
den Zufchnitt handwerksmäßigen Drils und des eiligen Einpaufens ad 
hoc, ben fie geraume Zeit hindurch gehabt hat, behalten würde; nein, 
auch die Eurnbildung der jungen Leute muß auf bie breitere und feitere 
Orundlage wirflihen Willens geftellt werben. Und wie bie Bildung 
der zufünftigen Lehrer eine umfafjendere unb gebiegenere wird, müſſen 
auch die Anſprüche ber Auffichtshehörden und deren Urtheil über die 
wirklichen Leiftungen allmählıh andere werben, da beutfche Lehrer auf 
die Dauer denn doch wohl nit damit einverftanven fein können, daß 
an ihre Arbeit der Mafftab eines ftarren Reglements gelegt wird. Bon 
gleihen Anſchauungen hat fih Hausmann bei ber Herftellung feines 
neuen Buches leiten laflen, und fo bat er denn in ber That ein Lehr⸗ 
buch des Turnens geichaffen, wie wir es bisher noch nicht befaßen, ein 
Lehrbuch, welches ein Seminarturnlehrer getroft feinen Schülern in bie 
Hände geben, an welches er feine Erläuterungen knüpfen kann und 
welches der Schliler, wenn er ind Amt tritt, nicht mit andern Schul⸗ 
büchern als abgethbau wegzuwerfen braucht, in das er dann wieder recht 
ernfthaft bineinbliden kann, wenn er auf ber Leiter ber Aemter und 
Würden die Stufe eines Direltorats orer Infpektorats erllommen hat. 
Bon den vier Abfchnitten, in die es getheilt ift, handelt ber erſte von 
der Wichtigkeit, dem Weſen und Bwede ber turnerifchen Leitesäbungen 
in NRüdficht auf ven einzelnen Menſchen und auf die menfchliche Gefell- 


774 Turnen. 


ſchaft, der zweite giebt einen geſchichtlichen Abriß der turneriſchen Leibes⸗ 
übungen, ber dritte eine überfichtliche Darſtellung ber Turnübungen, 
Räume und Geräthe. Neben dem Outen, was dieſe Abſchnitte ſelbſt 
enthalten, ift durchgängig dafür geforgt, dur Angabe ber beften Hilfs⸗ 
mittel und Quellen ven Gefihtäfreis des „Suchenden“ zu erweitern 
und, indem ihm die Möglichkeit eigener Fortbildung eröffnet wird , ihm 
zugleich Har zu machen, wie nöthig bie Fortbildung an ſich ift und 
in welder Richtung fie zu geihehen bat. Am zeitgemäßeften ift ber 
vierte Abſchnitt, welcher auf den lebten 76 Seiten einen kurzgefaßten 
Verſuch einer befonderen Methodik des Turnunterrichts darſtellt. 
Von den Vorbedingungen des Turnunterrichts, d. h. von dem Wiſſen 
und Können des Lehrers, von der Ausrüſtung ber Turnanſtalt aus⸗ 
gehend, verbreitet ſich der Verfaſſer zunächſt über das Biel und bie 
Weiſe des Turnunterrichts, befchreibt in Form von Lehrbeifpielen eine 
erfte Turnſtunde für Kinder von ſechs bis adıt Iahren, eine Vorturner⸗ 
ftunde, eine Turnſtunde für eine einklaffige Landſchule, — vielleicht fügt 
er fpäter ein Beifpiel einer Mäpchenturnjchule hinzu — und fommt zum 
Schluß nod einmal auf die fhon fräher (S. 169) befprodenen Turn- 
präfungen zurüd. 

Den Kern bes Abſchnittes an welchem fi bie vorerwähnten Theile 
gewiſſermaßen anfegen, bilden inbeß die vier ben Lehrbeifpielen vorausges 
ſchickten Zurnlehrpläne für eine gegliederte Stadtichule mit Sommer= und 
Winterturnen, für eine einflaffige Landſchule mit bloßem Sommerturnen, 
für Gymnaſien und Nealfhulen, für Schullehrerfeminarien. Daß ber 
Berfafler die Form des Lehrplan gewählt bat, um feine Anfchauungen 
zu verdeutlichen, bietet dem Leſer den Bortheil bequemer Vergleichung 
der Hausmann’shen Methodik mit anderen Beftrebungen verwandter 
Art, da es gerade diefe Yorm ift, mit der gegenwärtig bie Mehrzahl 
der Methodiker auf dem Gebiete des Turnens fihb mit Borliebe bes 
ſchäftigt. Wir haben uns über dieſe Beftrebungen fogleih weiter zu 
unterrichten, wobei denn au ben Hausmann'ſchen Plänen ihre Stelle 
beflimmt werden Tann. 


Schon im fünfzehnten Bande bes Päd. Iahresberihts (1863) S. 613 
ift bei Oelegenheit der Anzeige einer im Jahre 1861 veröffentlichten Schrift 
A. M. Böttcher's die Löfung der Aufgabe, den Turnübungs⸗ 
ftofffür die üblichen Schulflaffen einzutbeilen, als una 
läßlih und dringlich Hingeftellt. Es heißt dort: „Es wird verfchiedene 
Löfungen berfelben geben; fie zu finden, bilvet vielleicht ven wich tigſten 
Gegeuftand des Nachdenkens für die in der Gegenwart wirkenden 
Turnlehrer. Gewiß aber ift, daß fie nicht auf dem Papiere gelöft wer 
ven kann, fo lange fie noch nicht in ber Praxis gelöft if. Hierzu iſt 
aber eine Reihe von Jahren erforberlich und in doppelter Hinſicht eine 








Turnen. 775 


große Borſicht, damit man nicht ſpecifiſche Unterſchiede in den Stoff 
hineintrage, wo keine beſtehen, und damit man ſich nicht dahin verirre, 
mittelſt ſtofflicher Abgränzung erreichen zu wollen, was nur eine Sache 
der unterrichtlichen Ueberlieferung des Stoffs an die Schüler ſein kann. 
Es hat nun wirklich ziemlich lange gedauert, ehe jenem wichtigſten Gegen⸗ 
ſtande bes Nachdenkens die allgemeinere Würdigung zugewandt 
worden ift, faft als ob die an obigen Hinweis auf die Nothwendigkeit 
gefnüpfte Warnung und Mahnung zur doppelten Vorſicht kopfſcheu ge⸗ 
macht hätte. Nunmehr ſcheint einerfeits das Bangen ſich verloren zu 
haben, anbererfeitd. fcheinen aber aud die Vorarbeiten an verſchiedenen 
Drten zu binlänglicher Reife geviehen zu fein; es wird bald bahin 
fommen, baß jede größere Stadt oder auch jede größere Turnanftalt 
ihren Normalturnlehrplan zu Stande befommt. Berhältniffe haben es 
mit fi) gebracht, daß der Berichterftatter felbft mit feinen Bemerkungen 
über Knabenturnen 1863 (Päd. Yahresberiht XIX, 525) und über 
Mäpchentumen 1870 (Päd. Yahresberiht XXI, 571) den Reigen 
für Leipzig eröffnete. 1868 folgte Bafel mit Maul's Lehrzielen 
für Anabenfchulen (Päd. Iahresberiht XXI, 571), 1871 Berlin 
mit Fleiſchmann's Klafienzielen (Päd. Jahresberich XXIU, 572), 1872 
Bern, 1872 bis 1875 Plauen, 1873 Wien, Weimar und 
Carlsruhe, 1873 bis 1875 Frankfurt, 1875 Chemnitz u. f. w. 


Bei den meiften der jüngeren Klaffenziele ift der Einfluß ber vor⸗ 
ausgegangenen Leipziger Bemerkungen und ber Basler Lehrziele mehr 
oder weniger deutlich zu verfpüren, was an fih nicht Schade iſt, da 
die Eicherheit des Verfahrens nur gewinnen kann, wenn bie Nachfolger 
fih die Ergebniffe der Bemühungen ihrer Vorgänger zu Nuge machen 
und nicht ohne zwingende Gründe wieder in Frage ftellen, was einmal 
gewonnen ift. Faſt will es mich bedünken, als hätte der Eine oder ber 
Andere noch weniger nöthig gehabt, fremdartige Züge in die Eopie feiner 
Borbilder bineinzutragen, als er es bier und da gethan hat, während 
wieder Andere freilih in treuer Nachfolge ven beſonderen Umſtänden, 
unter denen fie zu arbeiten haben, zu wenig Rechnung getragen haben. 
Ungeachtet Hausmann (fiehe oben) bei feinen in Berbindung mit 
feinem Collegen Goldner in Eiſenach aufgeftellten Plänen für das Groß- 
herzogthum Weimar ben engften Anſchluß an feine Vorgänger zeigt, will 
ih ihm dieſen Vorwurf nicht gemacht Haben, noch weniger trifft ex 
39. J. Niggeler, Lebrziele für den Turnunterricht an der berniſchen Bolld- 


ſchule. Zwei Auflagen. Bern. Antenen. 1872. (VII und 87 ©. 16) 
— 50 Cent., 


dagegen ohne Zweifel in höherem Grade die von Wien ausgegangenen 
Berſuche. Dies find der 
40. Lehrplan für den Zurnunterriht an Wiener Vollds und Bürgerihulen (für 


Knaben und für Mäpchen) aufgeftellt von der Turnlehrerverbindung in 
Bien (1873 und 1874), 








767 ‘ Turnen. 


ber in feinem für Knaben beſtinmiten Theile eine weitere - Aue 

führung in 

41. Alois Idinger, Turnbüchlein für Volld⸗ und Vürgerfchuien. Wim. 1873. 
Selbſtverlag. 

erfahren hat und deſſen Zwillingsbruder 


42. Dans Boffer, Entwurf eines Lehrplans für den Zurmunterricht an Volks⸗ 
und Bürgerfhulen für Knaben. Bien 1874 Berlag des Bereins öfter 
reichiſcher Turnlehrer. 


ni den durch Verordnung des K. K. öſterr. Unterrichtsminiſters vom 
18. Mai 1874 eingeführten Lehrplänen für Volkoſchnlen auf die ganze 
etsleithanifche Reichshãlfte ausgedehnt if. Ich kaum mich nicht Über 
zeugen, daß man fidh auf bem rechten Wege befindet, indem man bie 
verfehiedenartigften Berhältniffe ber verſchiedenſten Kronländer nach dem⸗ 
felben urjprünglid auf die ausgebildeten Schulverhältnifie größerer 
Städte berechneten Mufter zu regeln und ven Lehrplan ber ungetheilten 
einflaffigen Bollsfchule aus dem der achtklafſigen ſchlankweg durch flei⸗ 
Kigen Gebrauch des Rothſtifts abzuleiten unternimmt. Es tft vielmehr 
vorauszufehen, daß bei biefem Derfahren die Wirklichkeit fozufagen leer 
ansgeht. Gewiß ift zu erinnern, daß je einfader die Schulverhältnifie 
an einem Orte find, deſto mehr die Berfüntichleit des Lehrers in den 
Bordergrund tritt, während die Borfchriften des Umiverfalplans zur 
DBedeutungslofigleit herabfinten. Welche Durchführbarkeit fol ein folder 
Plan noch befiten, wenn etwa im einer einfachen Lanpfchule 30 bis 40 
Knaben und Märchen aus fleben und acht verfchiedenen Sahresklafien 
ufammenfigen? Welche, wenn es an den geläufigften Uebungsmitteln 
best? Hier erhält eben unfere alte Bemerkung, daß es nicht fo fehr 
anf die Auswahl des Stoffes als auf die Behandlung ankommt, ihr 
vollſtes Gewicht. Wenn wir es ſchwer begreifen, daß es heutzutage 
noch Lente giebt, welche die Moͤglichkeit der Aufſtellung von Klaffenzielen 
im Turnen bezweifeln, nachdem ſolche vielerorts aufgeſtellt und mit Er⸗ 
folg durchgeführt find, fo bringen wir ähnlichen Klaſſenziel⸗ Aufſtellungen 
für ganze weite Länderſtrecken auch umfererfeitd nur ein ſchwaches Ver⸗ 
ſtändniß entgegen. Ya fogar die nur auf gewifie Schulgattungen derſelben 
Provinz, 3. B. Oymnaften und Realſchulen, ausgedehnten Vorſchriften 
baben wir bis jest noch mit einigem Zweifel aufzunehmen, obwohl es 
vorauszufehen ift, daß wir eines Tages in biefem Falle eine Art von 
Abſchluß erreichen werden, wenn es möglich ift, aus einer Menge von 
Blänen für einzelne Lehranftalten gleicher Anlage und Höhe ben übers 
einftimmenden Gehalt auszufcheiden. Im dieſer Hinficht vervienen bie 
Schulprogramme, welche über thatfächliche Leiftungen der Unftalten be= 
richten, befondere Aufmerkfamfeit. Ein ſolches Brogramım iſt das ber 
Muſterſchule zu Frankfurt a. M. mit ver Abhandlung 

43. Dr. 8. Weisſsmann, Turnplan der höheren Töchterſchule nach Berathungen 


ber gs unnlehrer an benfelben aufgeftelt und eingeleitet. Frankfurt a. 





Turnen. 777 


da dieſer Plan erſt veröffentlicht iſt, nachdem bie Schule länger 
ale 20 Jahre geturnt bat. Geringeren Werthes, weil exfichtlich viel 
weniger aus ber Praris herausgewachfen, ift die PBarallelichrift 


4. Juliud Bautz, Turnplan der Realſchule und der mit ihr verbundenen 
Vorſchulklafſen. Programm der Mufterfchule zu Frankfurt a. M. 1872. 4. 


Was ihr vollkändig fehlt, ift bie Charakteriſtik der einzelnen Klaſſen, 
fo daß der Plan auf ein ziemlich dürres Vebungsverzeihniß hinausläuft, 
in welches die Einfchnitte mehr nad zufälligen Rüdfichten als nad 
Grundſätzen gemadt find. Biel überlegfamer gearbeitet ift 


45. Moritz Zedtler, Methodit des Turnunterrihts. Ghemnig, Focke. 1875. 
(128 ©. 8. (1,2 M.), 


‚wenn auch ber Titel die Sache gewiffermaßen auf ben Kopf ftellt. Die 
dem Unterrichte der höheren Bürgerſchule (für Knaben und für Mädchen) 
feit Jahren zu Grunde gelegten Zurnziele werden in dieſer Methodik 
nemlich al8 ein „Beifpiel“ für die Anwendung allgemeiner Grunbfäge 
bingeftellt, als ob die vorausgejchidten Betrachtungen verſchiedenen In⸗ 
halts das Urfprüngliche geweſen wären. Dies ifl offenbar nicht der 
Hal. Die Klaffenziele find das ältere, die Betrachtungen fließen erft 
aus ihrer Anwendung, fie find im Grunde nur eine Einleitung zu jenen 
und haben vorzugsweife durch ihre Verbindung mit den Sllaflenzielen 
ihre Bebeutung, obgleich fie durch mehrfache Exrcurfe und die Einſchal⸗ 
tung zahlreicher Lefefrüchte ſcheinbar volle Selbftändigfeit erlangt haben 
und eine recht anregende Lectäre bieten. Eigenthümlich ift der Zedler⸗ 
fhen Bearbeitung der Ehemmiger Klafienziele, wie ich fie nennen will, 
außerdem die Einfchaltung ausgeführter Uebungsbeifpiele aus dem Ges 
biete der einzelnen Turnarten für je eine Turnſtunde jeder Klafienftufe ; 
> nimmt biefen Einſchaltungen nichts von ihrer Originalität, daß dem 
eftchen 


46. Alfred Maul (Director der Zurnichrerbildungsanftalt zu Garlörube), 
Lehrplan für den Zurnunterriht an Knabenſchulen. Zwei Auflagen 1873 
u. 1874. Karlörube, Drud von Friedr. Gutſch (47 ©. 8.), 


ebenfalls zwei Hefte Uebungsbeiſpiele beigefügt find. Letztere tragen 
den Titel: 


47. Alfred Maul, Nebungdbeifpiele für ben Turnunterricht an Knabenſchulen. 
Erſte Abtheilung: Marche und Ordnungs⸗, Frei: und Stabübungen für 
Scäüler vom 9. bis 15. Lebensjahre. Zweite Abſheilung: Drdnungsübungen 
und Uedungen mit Handgeräthen für Schüler vom 15. bis 18. Lebens 
jahre. In Uebungsreiben zufammengeftellt. Karlsruhe, Drud von Friedr. 
Gutſch, 1874 (52 u. 32 ©. 8). | 


| Es ift von Interefie, Nr. 46 mit den oben bereits in Grinnerung 
gebrachten Basler Lehrzielen deſſelben Verfaſſers zu vergleichen, um 
beutlich zu erkennen, was bei ber Ausdehnung eines für einen einzelnen 


we 


178 Turnen. 


Drt entworfenen Lehrplanes auf ein ganzes Sand verloren gehen muß; 
Ar. 46 aber follte einfach die Auffchrift Uebungsreihen tragen, da der 
in jeder Reihe zufammengefaßte Unterrichtöftoff, wie bei ben Uebungs⸗ 
reihen der Niggeler’fchen Turnſchule (fiehe oben Nr. 35), aus dem 
Rahmen der einzelnen Turnſtunde fo weit übergreift, daß wir es mehr 
mit einem Leitfaden, als einem Lehrbeifpiele zu thun haben. Aus bem 
Umftande, daß weder ber Lehrplan noch die Uchumgsbeifpiele in Verlag 
gegeben find, ift zu fchließen, daß beibe ber endgültigen Feſtſtellung erft 
noch entgegenfehen, ihr Berfafler es aljo bis jett noch nicht am ber 
Zeit hält, die Organifation des Badiſchen Schulturnens (fiehe Päd. 
Dahresbericht XXIII, 5721!) zu einem Abfchluß zu führen, was ih 
als „Idblich“ hervorzuheben nicht nnterlaffen will. 


Der Rüdblid auf die Entwidelungsgefdichte des Schulturnens umb 
vie Rolle, weldhe die fogenannten amtlihen Leitfäpen (vergl. Pär. 
Bahresberiht XVI, 284 und XVII, 5601) in ihr gefpielt haben, lockt 
mir dieſes „löblich“ ab. Preußen, Sachſen, Bayern, Württemberg, 
Heflen, Weimar haben fih zu Zeiten mit größerer oder minderer Kunft 
folde Fäden fpinnen und fpannen laflen und ihre Lehrerſchaften aufs 
geboten, daß fie die Jugend in das Net der Fäden verwidele, ale gälte 
e8 Fliegen oder Lerchen fangen. Sieht man aber zu, was bad Treib⸗ 
jagen eıngebracht bat, fo ergiebt fi da nur eine äußerſt geringfügige 
Beute, und wenn fi einige dieſer Netze dennoch leidlich Haltbar zeigen, 


während andere längft zerrifien herabhängen, fo verdanken jene es durch⸗ 


aus nicht der Auktorität, weiche ihnen ven Urfprung gab, fondern einigen 
davon ganz mnabhängigen Vorzügen. Schriften, melde im Banne ber 
amtlichen Vorſchrift erfcheinen, wie z. ©. 

48. H. Sermond (Seminarlehrer in Straßburg), Handbu für den Turn⸗ 


unterricht in Elementare und höheren Schulen. Freiburg im Breisgau, 
Serder, 1872 (98. ©. 8. mit 24 eingedrudten Figuren), 


in der bed preußifchen Leitfadens, erfcheinen ums geradezu wie ein Ana= 
chronismus, und die Regierungen felbft wagen es nicht recht mehr, für 
beren Einführung einzutreten, ja fie überlaffen vielfach das eigene amt⸗ 
Ihe Buch feinem Schidfal. Ich werde alsbald (S. ©. 780 legte 
Beile) eine charakteriſtiſche Illuſtration dieſer Sachlage anführen, muß 
indeß babei einen Umweg einfchlagen. 


Eines der neueren Turnbücher, weldhes ohne amtliche Unterflägung 

einen durchſchlagenden Erfolg gehabt hat, iſt 

49. D. Schettler (Obertum- und Efementarlehrer an den Bürgerſchulen zu 
Blauen), Turnfhule für Mädchen. Tb. L Stufe I-IU. 1 OD, Stufe 
IV. u.V. bp. IH. Spiele. Blauen 1. ®., Hohmann 1872 (IX u. 147, 
VI u 136, IV w852 ©. 8.). 


Geſtützt auf die, den Lefern des Pad. Jahresberichts (vergl. 
Bd. XIX, 588, m. und XXI, 571, Nr. 90, aud oben Ar. 25) 
befannten Beiträge zu einem Leitfaden für das Mädchenturnen von 





Turnen. 179 


Lion, Jenny, Weafimannsporff, Erbes und Anderen, bat es der Ber: 
fafjer unternommen, ein Turnbuch für Mäpchenfchulen zufammenzuftellen, ' 
welches uns (fiehe Päd. Jahresbericht XIX, 526) bis dahin völlig 
fehlte, da die Schriften 

50. Dr. M. Kloß, Weibliche Hausgymnaſtik. Dritte Auflage, Leipzig, Weber. 


51. Dr. M. Kloß, Weibliche Turnkunſt. Dritte Auflage. Leipzig, Weber. 
1875, 


welde fhon XV, 594 und XIX, 527 genannt find, dem wahren 
Bedürfniß der Mädchenſchulen wenig oder gar nicht Rechnung 
trugen. 

Indem Schettler fih bei der Eintheilung und Auswahl des 
Uebungsftoffes ſtreng an die in Lions Bemerkungen (XXI, 571, 
Nr. 90) vorgefhlagene Gliederung in fünf Stufen für das Alter vom 
8. bis 14. Lebensjahre und mit voller Entfchloffenheit dann in der Dar- 
ftellung an die der Übrigen Beiträge zu einem Leitfaden für das Mäd- 
henturnen oder an andere Schriften von der Hand berjelben Gewährs⸗ 
männer hielt, die Rüden, welche nod, am den Rahmen der ‚Bemerkungen‘ 
auszufüllen, blieben, vorfidhtig in demfelben Sinne ergänzte oder zubedte, 
bat er in der That ein Werk zu Stande gebracht, welches zwar bem 
Mufterbilde, das ven Verfaſſern der Beiträge vorgefchwebt, nicht ganz 
entfpricht, wohl aber einem unleugbaren Bebürfniffe in fo praftifcher 
und gelungener Weiſe entgegentommt, daß man ſich eine geraume Belt 
nah anderen Hülfsmitteln gleiher Art nicht wird umzufehen brauden, 
und eine wirflihe Neubearbeitung erſt dann an der Zeit fein wird, 
wenn fich die Beiträge felbft Über das ganze Gebiet des Mädchenturnens 
werden ausgebreitet haben. Nun hat es ſich begeben, daß in dem nem- 
lihen Augenblid, wo Scettler felbft, angefpornt durch den feiner Turn: 
Thule für Mädchen gefpendeten Beifall, ihr mit eigener Arbeit eine 
Turnſchule für Knaben von ganz gleicher Anlage zur Seite zu ftellen 
unternahm: 

52. D. Schettler, Zurnfchule für Anaben. Th. I. Stufe I-IH, beſtimmt 

für die Drei eriten Turnjahre. Blauen i. V. Hohmann. 1875. (182 

S. 8. Mit 96 Holzſchnliten), 
noch ein anderes Buch ans Licht trat, welches in Papier, Format, 
Druck, Figuren, kurz zunächſt in allen Aeußerlichkeiten der Turnſchule 
für Mädchen bie zum Verwechſeln ähnlich ſah. Sehr ſchmeichelhaft für 
Herrn Schettler und deſſen Verleger Hohmann! Doch aber auch be⸗ 
fremdlich, dieſes Wandeln in geborgtem Kleid; befremdlicher noch, was 
für ein Leib fich mit dem Kleide deckt! 

53. G. —— Leitfaden für den Turn⸗Unterricht In achttlaſſtgen Knaben» 

und Mädchenbürgerſchulen. frankfurt a. M., Auffarth. 1875. (XVII 

u. 212 ©. 8. Mit 128 eingedr. Figuren.) 


©. Danneberg, ein Schüler der Eentralturnanftalt zu Berlin, ift 
Zuminfpeltor ver Stadt Frankfurt a. M. Als folder hat er die Auf⸗ 
träge der ſtädtiſchen Schulbehörben zu vollziehen, und einer biefer Auf- 











780 | Turnen. 


träge lautete auf die Anfertigung eines Turnlehrplans für die Frau 
furter Bürgerfhulen. Danneberg ift Zumlehrer am Gymnaſium zu 
Frankfurt, Schettler aber if Bürgerſchullehrer. Was liegt näher, als 
daß jener dieſen zu Rathe zieht, wie er fi des erhaltenen Auftrages 
zu erledigen habe. Da von biefem vorerfi nur bie Mändenturnfchule 
veröffentlicht ift, iſt es natürlich, daß jener damit anfängt, fidh dieſe 
Mäpchenturnfchule zurechtzulegen. Je gründlicer er dabei zu Werke 
geht, defto fleifiger benugt er auch Schettlers Gewährsmänner Spieß, 
Waſſmannsdorff, Lion, Kloß, Hausmann u. |. w., Namen von guten 
Klang, deren Arbeiten ja ohnehin Gemeingut find. Schettler unter 
ſcheidet fünf Stufen, die Frankfurter Schulen find fiebentlaffig, werden aber 
demnächſt achtklaſſig, und in allen acht Klaſſen foll fpäter geturnt wer- 
den. Herr Danneberg muß alfo, wenn fein Unternehmen nicht ſcheitern 
fol, aus fünf Stufen acht machen. Kurz entfchloffen läßt er bie beiden 
legten Stufen Schettlers unverändert, macht aus den zwei folgenden 
drei und aus der Anfangeftufe abermald drei, zwei und brei und brei 
giebt acht, der Turnplan für die Mädchenſchule ift mit Schettlers Hülfe 
fertig; nun erübrigt es nur nod, den Turnplan für die Knabenſchule 
anz parallel aufzubauen, und die Sache ift gemadt. Vergnügt be⸗ 
ennt Herr Danneberg: „Die Feflfegung des Lebungsftoffee 
für beide Geſchlechter eines gleihen Alters bot im Öan- 
zen feine große Schwierigleit dar. Die unterfien Klaſſen ver- 
wenten für Knaben und Mädchen den gleihen Uebungsftoff; in den 
mittleren Klaſſen ift in dem Snaben- und Mädchenturnen ſchon eine 
größere Scheidung fihtbar, während in den oberen Mäpchenllaffen das 
Seräthturnen mehr zurücktritt und fi endlich auf Weniges befchränft”. 
Zur größeren Sicherheit erhalten die Uebungen, melde blos für die 
Knaben befiimmt find, ein +, die für die Mädchen einen *; das „ab- 
gefürzte Berfahren” ermöglicht’, den Stoff, zu deſſen Darftellung 
Scettler gegen achthundert Seiten gebraudt bat und gebrauden wird, 
auf ungefähr zweibundert in mehr als genügender BVollflänbigfeit 
zu behandeln. Mehr no, da Herr Waffmannsporff mit der gleichen 
Freundlichkeit, welche er bereits Schettler erwiefen hat, auch Herrn 
Danneberg entgegenzulommen ſich bereit exflärt und die Eorrefturbögen 
des Frankfurter Turnplans bezüglihd der Modelung ber turnerifchen 
Auspräde in feinem Sinne u. ſ. w. einer forgfältigen Durchſicht durch⸗ 
zieht, kann ber Verfaffer dieſem Plane getroftes Muthes das Zeugniß 
ausftellen, daß derfelbe dem „neueften Standpunkte der Turnfunde” ent⸗ 
ſpreche. Einige leiſe Bedenken, welche bei Waſſmannsdorff, unerachtet 
Herr Danneberg von feinen Belehrungen ven „weitgehembften Gebrauch“ 
macht, gegen die Bertheilung bes Stoffes auffteigen, verſchwinden vor 
der Freude, daß ein Schüler ber Eentralturnanftalt, der Imfpeltor bes 
Turnens in einer prenfiichen Siadt ven neuen preußiſchen Leitfaben, ber 
Herrn Waſſmannsdorff fehr wißtiebig ift, fo angenirt links Itegen läßt; 
Herr Waſſmannsdorff fpricht feinen Segen und das Buch erfcheint „für 
einen größeren Leferkreis in ter Form eines Leitfaden”, und erhält — 
fpaßhafter Weife, flugs die Approbation der preußifhen Regierung. 








Turnen. 181 


Ich bin weit bavon entfernt, einen Proteft wider bie Unbefangenheit 
der Behörde, no wider das Zuvorkommen bed Herrn Waflnannsborff 
gegen Seren Danneberg zu erheben, verwahren aber muß ich mich gegen - 
das Buch felbft und gegen deſſen Verfaſſer. Eine Reihe von Jahren 
hindurch fegt eine ganze Zahl ven Männern, die Berfafler der Bei: 
träge zu einem Leitfaden für das Mäpdentumen, einen bedeutenden 
Theil ihrer Arbeitskraft daran, die im Schulturnen der Mäpchen von 
Stufe zu Stufe vorzunehmenden Uebungen aus allen Zurnarten aus⸗ 
zuwählen und ſchulmäßig zu geftalten; aus dem Wejen bes Stoffes 
heraus entwideln fie die Methode, treffen nach langer Erwägung bie 
Eintheilung in fünf Stufen, deren jede ihren beftimmten Charakter hat, 
erproben die Anwendbarkeit ihres Planes unter verfchievenen Verhält⸗ 
niſſen; ehe fie jelbft noch am Ziele zu fein glauben, nimmt ein Anderer 
ven Abfchluß vorweg, aber in ihrem Sinne und mit ihrer Zuflimmung, 
fo daß ihr Bemühen doch nicht vergeblid geweſen ift und fie fich ber 
Hoffnung hingehen dürfen, dem Mädchenturnen die fefle Grundlage 
verſchafft zu haben, welde das Knabenturnen burd ihre und andere 
vorausgegangenen Ürbeiten bereits hatte. Wie bitter werben fie durch 
Herrn Danneberg enttäufht! Indem berfelbe ihren Freund Schettler 
ausſchreibt, erklärt er friſches Muths: „Die Feſtſetzung des Uebungs⸗ 
ſtoffs für beide Geſchlechter bot im Ganzen keine große Schwierigkeit“. 
Er ſtößt ihre logiſch begründete Stufeneintheilung über den Haufen, 
zerreißt ihre Uebungsreihen, wirft das Material, das ſie geſammelt, ge⸗ 
ſichtet, geordnet, nach feinem Belieben durcheinander, zerſtört deſſen Ver 
hältnißmãßigkeit, deſſen Beziehungen und erklimmt jo im Handumdrehen 
über ſie hin „den neueſten Standpunkt der Turnkunde“. Nein, dies 
iſt nicht der neueſte Standpunkt der Turnkunde, auf dieſe Art läßt ſich 
ein probehaltiger Turnplan nach Klafienzielen weder zu Stande bringen, 
noch iſt er zu Stande gebracht. Vielmehr firogt er von Selt- 
famtleiten, wie wenn u. U. ©. 103 den Knaben ber dritten Klaſſe das 
Wiegegeben und Schottiſchhüpfen auf dem ebenen Boden verwehrt wird, 
aber ©. 122 müfſen viefelben Knaben auf den Stelzen wiegegeben und 
©. 125 auf dem Schwebebaum fchottifch hüpfen; S. 141 wird ber 
zweiten Klaſſe das Berbot wiederholt, S. 158 beim Stelzengebrauch wieber 
aufgehoben und ©. 160 für ven Schwebebaum neuerdings eingefhärft. 
Genug an bdiefem einen Beifpiele, es wird Sache der Fachblätter fein, 
das ausgefprochene Urtheil, wenn es nöthig erfcheinen follte, näher zu 
begründen, bier kam es nur barauf an, diejenigen, welde auf Grund 
freundſchaftlicher ober amtliher Empfehlungen geneigt fein möchten, das 
Bud Dannebergd zu benutzen, auf die Schrift Schettlere, aus ber es 
abgeleitet iſt, zurfdzuverweifen. 

Es ift allerdings richtig, daß jeber neue Turnfchriftfteller bie Ver: 
pflihtung übernimmt, die Leitungen feiner Vorgänger kermen zu lernen 
und zu benugen, aber nicht Jeder, ber feine Vorgänger benußt, erwirbt 
fih damit die Befugniß, fie aus dem Sattel zu heben. — 

Auch der neuefte mir zu Geficht gekommene Turnplan beruft ſich 
auf die Schriften von Spieß, Kloß, Lion, Hausmam, Mast, Niggeler, 


788 Turnen. 


auch ſchon auf — Danneberg. Es iſt ein dreiſtufiger Turnplan für 
bie Volksſchulen in der ſächſtſchen Lauſitz. 
4 J. W. — Zurmunteeriät und Athemgymnaſtik in der Bolkeſchule. 

Baupen, Kb ds. 1875. (36 ©. 8.) 

Knaben⸗ und Mädchenturnen iR auch Hier durcheinandergeworfen, 
die „theoretiſche Einleitung zeugt von ziemlicher Unllarheit des Ber⸗ 
faſſers über die einfahften Dinge. Da werden Turnarten und An 
wendungsgebiete der Turnkunſt verwechfelt, Uebungen mit Handgeräthen 
find Freiü bungen mit durch Velaftung gefteigerter Mustelthätigfeit, 
das Turnſpiel iſt eine dem Turnen verwandte Leibesübuug, da heißt 
es, daß die zwei „Hälften“ der Turnſtunde ſich bald wie 3: 2, bald 
wie 2: 1 ‚ bald wie 3 : 1 verhalten, obgleidy ber Herausgeber bes 
Planes ſelbſt Rechenbücher verfaßt Hat; am Schluſſe der Stunde wer⸗ 
den die Schüler in einer Aufftellung entlaffen, u. ſ. w. Die Ans 
weifung zur Athemgymnaſtik, melde 8 5 bes Heftes bilvet, iſt originell; 
gut iſt's jedoch, taß ber Berfaffer fie, wie er im Bormorte fagt, bei 
feinem Turnunterricht im Lehrerjeminar zu Bautzen nicht in Anwen⸗ 
bung bringt, die Stunden möchten fonft hier und da durch bie flummen 
Gefangslünfte, die der Taktſtock des Lehrers der Athemgymnaſtik ben 
Schülern zumutbet, etwas heiterer werben, als im Allgemeinen zu 
wünſchen iſt. 

So viel von Lehrplänen; ich wiederhole noch einmal, damit mein 
Tadel nicht mißverſtanden werde, daß ich auf die Vermehrung deren 
Zahl großen Werth lege, allein nur dann, wenn die neuerſcheinenden 
Pläne wirklich auf dem Grunde der Erfahrung ruhen, vann aber nicht, 
wenn fie aus einem oder zwei bereits vorhandenen Plänen ſchlechthin 
abgeſchrieben find; es find die thatſächlichen Darſtellungen, welche uns 
willlommen find. In diefer Anfiht erwähne ich ſchließlich noch 
55. 8. D. Kluge, das Mädchenturnen in den Kluge'ſchen Turnanflalten nebfl 

ent Befäräbung der zweiten Kiuge ſchen Turnanſtalt zu Berlin. Berlin, 

H. Schroeder. 1872. (64 
Die iR eine thatfächliche Dorfen und zugleich eine Ergänzung zu 
den oben unter Nr. 20 bis Ne. 22 und im Päd. Jahresbericht, 
XXII, 588 angeführten Aufjägen über Einrichtung von Turnanftalten. 


IH fliege mit der Angabe einiger Nummern, deren Beſprechung 
an biefer Stelle erläßlich ift, und mit einem Inhaltsverzeichniß der Berichte, 
welche über größere Turnlehrerverfammlungen gefondert ver- 
öffentlicht find, ohne weitere Bemerkung, daß ich glaube, mich Über ven 
Werth und das Weſen dieſer Berfammlungen bereits früher, Pär. 
Jahresbericht XVI, 279 und XXIH, 577 genügend ausgeſoro hen zu 
haben. Bezüglich der deutſchen Turnzeitung en verweife ich ebenfalls 
auf die früheren Bände des Berichts. 








56. 
x 


87. 


58. 


59. 


60. 


61. 


62. 


63. 


64. 


Turnen. 783 


8. Heſſe, Zur Reform der 8. Zurnfehrerbiltungsanflait in Dresden, bei 
Zurnweiens in Sachſen und der „deutfchen Zurn- und Militärbildung”. 
Behörden, Fachmännern und Freunden der 0 geribmel Dresden, 


Schulbuchhandlung. 1872. (40 ©. 1.8) (60 P 


Mofentzeter (Bremierlientenont im Seebataillon), Betrachtungen Aber Be- 
vn smethode u pelktätgpunafit. Kiel, Univerfitätabuchhandlung. 48173. 
und 31 ©. 8. | 


3 Egg, Das Schulturnen ald.Borbereitungsuntetricht zum ſchweizeriſchen 

Milttördienft. Vortrag a. d. ſchweizeriſchen Tutnlehrer⸗Verſammlung zu 
irig Dat. 17, 1874. Zürich, Genoſſenſchaftsbuchdruckerei. 1874. 
28 ©. 8. 

Balfiger, Der Zurnunterrit an den Lehrerbildungsanftalten. Ein. Vor⸗ 


rag, gehalten a. d. fchweizertfhen Turnlehrer⸗Verſammlung zu Bern. 
Mat 31, 1873, Bern, Huber & Co. 1873. (18 ©. 8.) 


Dr. G. Rotter, Zurnerftreben, ein Mabnruf an Deutſchlande Turner. 
Leipzig, Rob. Frieſe. 1873. (28 ©. 8.) (25 Pf.) 

Dr. $. Raſch (Gymnafiallehrer), über die Pflege der Leibesübungen an 
den Schulen. Diterprogramm bed K. Stiſts⸗Gymnafiums in Zeitz. Zeig, 
Drud von C. Brendel. 1873. 


©. Fleifhmann, Bericht über den erſten märkifchen Zurniehrertag zu 

Berlin, März 25 und 26, 1872. Beilage zur Deutfhen Turnzeitung. 

Leipzig, E. Keil. 1872. (26 ©. 4.) Darin enthalten u. A.: 

a. * Deluse: Welches find die nothwendigſten Geräthe für Lands 
ulen 


b. C. Euler: Ueber Militärturnen und feine Beziehungen zum Schulturnen. 
e. E. Angerſtein: Diatetik für Turner. 

J. C. Lion, Die Verhandlungen der VI. deutſchen Turnlehrer⸗Verſamm⸗ 
lung in Darmſtadt, Juli 30 und 31. Aug. 1., 1872. Nebſt einem ge⸗ 
ſchichtlichen Bericht über den Derlauf der Berfammlung von 2. Lorey. 
Bellage zur Deutſchen Turnzeitung. Leipzig, E. Keil. 1872. (42 ©. 4.) 
Darin u. A.: 

a. 3. &. Lion: Gedanken und Winke für Turniehrer. 


b. 9. D. Kluge: Beſchreibung der Turnhalle des K. Wilhelmsgymnaſtums 
zu Berlin. | 


c. 3%. Küppers: Der Einfluß der turnerifhen Ausbildung auf bie 
Kriegsrüchtigkeit. 


d. * Kies: Dad Minimum der turnerifchen Ausbildung in der Vollks⸗ 
ule. 


e. Beißmann, Brebm & Jenny: Ueber das Mädchenturnen. 
Berihtüber bie dritteßerfammlungdes Turnlehrer⸗Vereins 


der Marl Brandenburg zu Potsdam, März 30 u. 31, 1874. 
Herausg. vom Vorſtande. Poisdam, 3. C. Gräfe 1874. (139 ©. 8.) 


Darin u. A.: 
a. E. Ungerftein: Ueber Mäpdchenturnen. 


b. 9. DO. Kluge: Erläuterung eines Modells der Turnhalle des K. Wil⸗ 
beimsgymnaflums zu Berlin. 


e. Sähilldbad: Ueber den Einfluß der Gymnaſtik der Griechen auf das 
nationale Leben derfelben. 


AM. Boettcher: Ob und in wie weit fi der Turnlehrer mit Ortho⸗ 
pädie zu befaflen babe. 


| 
784 Turnen. | 


65. I. ©. Pion, Die Berhenblungen der fiebenten deutſchen Turulehrerver ſam 
lung in —52— Juli 31, Aug. 1 und 2, 1874. Rebſt einem geſcht« 
lichen Beriht über den Berlan der Berfammlung und einem An arı 
Geſchichte des Salzburger Zurnvereind von Dr. Emmer. Beilage i 
Deutſchen Zurnzeitung. Leipzig, C. Kell. 1874. (60 S. 4.) Darin u. 
. 3. C. Lion: Betrachtungen Über die Turnkunſt. 


b. M. Kloß: Weber einige turneriſche Zeit⸗ und Gtreitfragen aus De 
Gebiete bes deutfchen Eu —*8 8 rag 


e. H. D. Kluge: lieber Gicherheitsehnrichtungen an ben TZurngerdiben ur 
über Sicherung der Turnenden. 


d. Sb. Bach: Ueber Wanderungen und Tumfahrten. 
e. C. Euler: Dar Schwimmunterricht im feiner Beziehung zur Schule. 


Abgeſchloſſen den 1. September 1875. 


Den 


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