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PHILOLOGUS
ZEITSCHRIFT
rn C5g96
DAS CLASSISCHE ALTERTHUM.
BEGRÜNDET
von F. W. SCHNEIDEWIN uno E. v. LEUTSCH,
HERAUSGEGEBEN
VON
OTTO CRUSIUS
IN TÜBINGEN.
Neue Folge. Erster Band.
(Der ganzen Reihe siebenundvierzigster Band).
GOTTINGEN ;
DIETERICH SCHE VERLAGS - BUCHHANDLUNG.
1889,
Inhalt des siebenundvierzigsten (ersten) Bandes*).
Bemerkungen iiber einige Bibliotheken von Sicilien. Von
Frans Rithl . . . . . . . . . . . . . 577
Zu den homerischen Hymnen. Von R. Peppmüllr . . . 18
Zu den homerischen Hymnen. Von O. Crusius |. . . . . 208
Zu den Kypria. Von R. Peppmiiller, . . . . . . . . 582
Zu Tyrtaios und Sappho. Von C. Haeberlin . . . . . . 598
Ad Alcaeum (fr. 41) Ser. R. Ellis, . . . . . . . . 91
Pindar's sechste olympische Ode. Von L. Bornemann . . 589
Zu Aischylos. Von C. Haebertin, . . . . . . . . 284
Coniectanea ad comoediae antiquae fragmenta. Scr. O. Crusius 44
Zu Aristophanes. Von 0. Bachmann . . . . . 348. 370. 755
Zu den Anakreonteen. Von O. Crusius. . . . . . . 285
Babriana. Ser. Th. Bergk . . . > . . . . . . . 886
Metrische Inschrift von Metapont. Von R. Peppmüller . . . 168
Ad inscriptiones Phrygias notulae. Scr. O. Crusius. . . . 44
Ad inscriptiones Phrygias. Scr. W. M. Ramsay . . . . . 754
Zu Heraklit. Von Christian Cron. . . . . 209. 400. 599
Die ursprüngliche Stelle der Pentekontaetie im thukydideischen
Geschichtswerke. Von L. Holsapfel . . . . 165
*) Die Titel der Miscellen und LückenbüfBer sind mit kleinerer
Sehrift gedruckt.
IV Inbalt des siebenundvierzigsten (ersten) Bandes.
Zur Kritik und Exegese der Demosthenischen Kranzrede.
Von W. Schmid . 08] 05. 5. . . . . . . 426
Zu Dinarch. Von E. Schr . . . . . . . . . . . 652
Tu Theophrast. Von G. Æ Unger . . . . . . . . 874
Zur Ueberlieferung der apophthegmata Laconica. Von M. Treu. 622
Emendationum ad Dionem Chrysost. spec. I. II. Scr. W. Schmid, 24. 59
Emendationum ad Aristidem spec.I.II. Scr. W. Schmid . 375. 433
Handschriftliches zu Porphyrius de antro Nympharum. Ser.
E. Bethe . . 20. + s. + + + 554
Zu Antoninus Liberalis. Von H. Martini 2... ++ 760
Griechische Sprichwürter. Von M. Treu und O. Crusius . 198
Excerptorum Palatinorum specimen. Scr. M. Treu . . . . 622
AHAIOZ KOAYMBHTHZ. Scr. O. Crusus . . . . . . . 382
Quaestiones Vergilianae. Ser. C. Haeberlin . . . . . 310
Aemilii Macri Theriacon fr. duo. Ser. R. Unger. . . . . 555
Zu Manilius V 546. Von R. Unger. . . . . . . . . 80
Ad Tibulli elegiam II 4. Ser. H. Belling. . . . . . . 878
Witz und Humor im Iuvenal Von Jul. Jessen . . . . 321
Zu Iuvenal. Von A. Häckermann . 2... s. 176
Anthol. Lat. I n. 37 R. Scr. R. Ehwald 2... + . 764
Zur Aegritudo Perdiccae, Scr. A. Eussner. . . . . . . 162
Avian. XXVIII 7. Ser. O. Crusius . . . . . . . . . 399
Zu Cicero's partitiones oratoriae, Von W. Friedrich. . . 291
Noch einmal Cicero de imp. Cn. Pompei $ 24. Von C. Fr. Müller, 762
Zu Cicero pro Ligario 8 1. Von C. Wagener. . . . . . 554
Zu Cicero de inventione. Von E. Strobl . . . . . . . 170
Zu Cornificius ad Herennium. Von E. Stroebel , . . . . 171
Zu Caesar und Cicero. Von H. Deiter. . . . . . . . 677
In Senecam rhetorem. Ser. S. Linde . . . . . . 173. 384
Zu Livius, Von A. Eussner . , . . . . . . . . . 685
Zur Composition von Petronius! Satirae, Von Elimar Klebs . 628
Das Valesische Bruchstück zur Geschichte Constantins. Von
E. Kleba . . . . . . es . 4 . e. 9 + + + s ng 58
Zu den Scriptores historiae Augustae. Von E. Klebs . . . 559
Zu Apuleius. Von M. Petschemg . . . . . . . 278. 819
Zu Iustinus, Von Th. Stangl . . . . . . . . . . 648
Zu Porphyrio. Von J. Mähly, . . . . . . . . . . 702
Inhalt des siebenund vierzigsten (ersten) Bandes.
‘Makedonisches’ bei Lasos von Hermione? Von y
Eine Reform des Aristophanes. Von Th. Zielinski .
Die Blüthezeit des Alexander Polyhistor. Von G. F. Unger .
Poseidonios und Plutarch tiber die rimischen Eigennamen.
Von Adolf Bauer
Der Tod des Dichters Helvius Cinna. Von L. Schwabe . .
Die Angaben über die Vólker von Innerafrika bei Plinius
und Mela. Von E. Schweder
Vorlagen der Apulejanischen Metamorphosen. Von O. Crusius ,
Entstehungszeit und Verfasser von Ps.-Apuleius de ortho-
graphia. Von O. Crusius. . . . . . .
Beitrige zur Geschichte rómischer Dichter im Mittelalter.
1. Persius. Von M. Mamitius . . . . M
Beitráge zur Geschichte rómischer Prosaiker im Mittelalter.
Von M. Manitius . ee, .
Von E. Graf .
Dionys von Halikarnaß über die Lautbildung (de comp. verb. 14)
“Ovrws in der Komödie. Von 0. Bachmann . . . . .
Ein Beitrag zum Vulgirlatein. Von O. Weise
Die Aktivbedeutung der Adjectiva auf bilis im archaischen
Latein. Von Fr. Hanssen . . .
Omen. Von J. Mahly .
Zur Geschichte der antiken Metrik. 1. 4ıayogal. Von
W. Horschelmann . . . . . . «© © «© © © «
Die Forschungen über den Orient (Forts.). Von A. Wie-
demann . . .
Die Forschung über Griechische Geschichte 1882 — 1886
(Forts). Von H, Landwehr. . . . . . .
Die Großthat des Aristophon. Von @. F. Unger.
710
562
108
644
VI Inhalt des siebenundvierzigsten (ersten) Bandes.
Die Regierungszeit des Hieronymus von Syrakus.
F. Unger . , ,
Von G.
Die Ehe des Ptolemaeus Philadelphus mit Arsinoe IL. Von
A. Wiedemanno . . > . . . . . …. ….
Die zehn Eponymen und die Reihenfolge der naeh ihnen
benannten Phylen Athens. Von A. Mommsen.
Die neneren Arbeiten über Tracht und Bewalfaung des
rómischen Heeres in der Kaiserzeit. Von A. Miller. 514.
Die Hastiferi von Castellum Mattiacorum. Von A. Maué.
Geschichte der legio XIV gemina. Von Metellus Meyer
Flaviana. V. Historische Kleinigkeiten. Von A. Chambalu, 569.
Apollo Kitheródos. Von Otto A. Hoffmann
Die sogen. Pharmakiden des Kypseloskastens.
H. Roscher
Von W.
Thierfabeln auf antiken Bildwerken. Von O. Crusius .
Scaenica I. Von W. Schmid .
Aithiopenmythen I. II. Von 0. Gruppe
Zu den ‘Aithiopenmythen’. Von A. Socin,
. 92.
188
61
449
721
487
693
765
678
703
185
578
328
575
I.
Zur Geschichte der antiken Metrik.
1. dragopal.
1. Die Lehre von den diagogat des Hexameters gehört zu
dem eisernen Bestande der byzantinischen Metrik. Daher ist sie
uns, wie das ganze byzantinische Compendium, in vielen ver-
schiedenen Fassungen erhalten. Viele von diesen liegen gedruckt
vor; mehrere sind noch ungedruckt. Und zwar befinden sich
unter den gedruckten solche, die wir entbehren können, da sie
nur das Bekannte wiederholen; umgekehrt befindet sich unter
den ungedruckten eine, die wesentlich Neues bietet.
Von den 7 dtagogal, die allgemeine Anerkennung gefunden
haben, sind nur die 5 ersten metrischen Characters. Denn die
sechste (reAsıor) gilt den Versen, die alle acht Redetheile ent-
halten, die siebente (noAszıxov) denen, die frei sind von jeglichem
na9og oder zgonog. Von den fünf metrischen aber beziehen sich
drei auf die Vertheilung der Dactylen und Spondeen und zwei
auf das Verhältniß der Wortschlüsse zu den Versfüßen. Wenn
man die erste Gruppe genauer betrachtet, so sieht man, daß sie
durchaus nicht drei willkürlich herausgegriffene Formen des Hexa-
meters bietet. Im Gegentheil hängen diese drei Gestalten des
Verses eng mit einander zusammen. Versuchen wir die Frage
zu formuliren, auf die uns hier die Antwort ertheilt wird! Sie
lautet so: Wie kónnen im Hexameter zwei resp. drei Spondeen
derartig vertheilt werden, daß eine Responsion oder Symmetrie
entsteht? Da nun der sechste Fuß einfürallemal als Spondeus
und der fünfte als Dactylus angesetzt wird, so läßt sich das
gesuchte Resultat nur in dreifacher Weise erreichen. Haben wir
Philologus. N.F. Bd.I,1. 1
2 W. Hoerschelmann,
im Ganzen zwei Spondeen, so ergeben sich nur zwei respondirende
Formen, erstens epodisch: DDS || DDS; zweitens palinodisch:
SDD| DDS. Haben wir aber im Ganzen drei Spondeen, so
giebt es nur eine Möglichkeit der Symmetrie: DS | DS || DS").
Diese drei Formen bilden denn auch die drei ersten dsu-
yogul. Die erstgenannte heißt xazsrormdior, die zweite Sazquxor,
die letzte megiodıxor. Aber die Reihenfolge ist im Tractat an-
ders; die palinodische Form steht an letzter Stelle. Also: xaze-
vonlor (D D S| D D S), regiodixor (D S | D S | D S), Zen
gixov (S D D | D D S).
Sehen wir nun, daß bei den drei ersten dixpogul ein ganz
fester Plan die Auswahl bestimmt hat und daß sogar die Rei-
henfolge nicht zufällig ist, dann müssen die beiden folgenden
sehr auffallend erscheinen. Das vrogovduor ?) soll die Hexa-
meter bezeichnen, in denen in allen Versfüßen Wortende und
Fußende zusammenfällt, und das fovxoAwxov diejenigen, in denen
am Ende des dritten Fußes ein Wortende liegt. Das ist
eine eigenthümliche Combination. Warum wird der dritte FuB
allein hervorgehoben? Man könnte etwa sagen: alle Fuß-
enden und das Ende der ersten Hälfte aller Fußenden wer-
den einander coordinirt. Dagegen ließe sich aber einwenden,
daß das Ende der Drittel ebenso viel Recht hat berücksichtigt
zu werden, wie das Ende der Hälfte, daß also ein Wortende
nach dem zweiten und vierten Fuß doch auch in Frage kom-
men könnte. |
In der That erfahren wir aus einer andern Quelle, daß
man das Wortende am Schluß des dritten, des zweiten und des
vierten Fußes unter einem Gesichtspunkt zusammenfaßte. Die
Namen für die betreffenden Verse lauten: julenec, rgsTomögsov,
Bovxodixor. Das lernen wir aus dem Tractat, der jetzt in den
Handschriften des Dionysius Thrax steht, in Uhligs Ausgabe des
letzteren S. XIV. (Vgl. Pseudo-Hephaestio $ 19 und 27).
1) Es wäre unter den gegebenen Bedingungen, d. h. wenn der
fünfte Fuß als Dactylus, der sechste als Spondeus betrachtet wird,
nur noch ein einziger Fall einer symmetrischen Vertheilung möglich ;
wenn man nämlich vier Spondeen annimmt, lassen sie sich so ordnen:
SD SI S DS. Warum die obige Liste über die Verse mit drei
Spondeen nicht hinausgeht, wissen wir nicht. Bei einem und fünf
Spondeen giebt es natürlich keine Art von Responsion.
2) Statt dnöggvsuor kommen auch die Formen ónogv9uor (Pseudo-
Plutarch) und anugvsuor (Pseudo - Hephaestio $ 13 und 29) vor.
Zur Geschichte der antiken Metrik. 3
Hierzu tritt aber noch ein anderes Moment: das homerische
Beispiel für das unter den diupopal genannte PovxoAıxov ist in
unserem Tractat stets K 475: |
RE Emdiporudos mupcitns iuáoy dederro.
Das Beispiel paBt aber nicht: am Ende des dritten Fufes ist
kein Wortende. Und das Beispiel steht ganz fest: die ver-
schiedenen Recensionen (von denen sogleich die Rede sein wird)
haben es alle; an seiner Authenticität ist nicht zu zweifeln.
Wenn allen andern Quellen gegeniiber der eine Isaac S. 183
den Fehler hat gut machen wollen und einen anderen Vers un-
tergeschoben hat, der auf den Text paßt (GA4’ Ex tor dgéw zode,
xai tedeecdus olt A 204), so ist das offenbare Interpolation.
Ganz ebenso hat er bei den eidy S. 185 den ogyxlus, den er
neben dem mgoxoíliog als überflüssig erkannte, ohne weiteres
ganz umgedeutet. "H Addex 7 ovx èvonoev fand er als Beispiel
vor. Es kam auf das 7 ovx an, auf das scheinbare Plus im
Verse. Da das aber im #poxolloc schon erledigt war, griff er
ganz willkürlich den Umstand auf, daß bei évdnoey das Wort-
ende mit dem Ende des dritten Fußes zusammentraf, und be-
hauptete frischweg, dieses sei eben das Wesen des oynxlag ®).
Hier ändert er die Definition; oben beim ffovxo%ixov ändert er
das Beispiel Die Methode bleibt dieselbe. Es ist also gar
nicht daran zu denken, daß Isaak hier allein das Richtige er-
halten habe. Isaak bietet nichts als die interpolirte Gestalt ei-
ner Recension, die uns anderweitig besser überliefert ist. Ge-
gen ihn stimmt seine eigene Recension, wo sie rein ist, und die
andern, völlig unabhängigen Recensionen. Sie alle haben den
Vers :
&E Emdiporados nuuatng iuaoi dédevto.
Betrachten wir nun diesen Vers selbst etwas genauer! Er
hat nicht nur am Ende des dritten Fußes kein Wortende, son-
dern er ist das Beispiel eines Verses, in dem kein einziges
Fußende mit einem Wortende verbunden ist. Das will doch
erwogen sein. Könnte nicht auch der Vers richtig und die De-
3) Dieses hat richtig gesehen L. Voltz in seiner tiichtigen Schrift:
De Helia monacho u. s. w, S. 34. Ich bemerke das um so lieber, als
ich seinen Ansichten über die dsagooai (S. 29) nicht beistimmen kann.
Meine Gründe sind in der ganzen Darstellung, wie ich sie oben zu
geben versuchte, enthalten.
1*
4 W. Hoerschelmann,
finition falsch sein? Erinnern wir uns nun des tadgoutpov:
alle Fußenden haben Wortende; erinnern wir uns auch des
engen Zusammenhangs, in dem die drei ersten diagogal mit ein-
ander standen. Wenn wir zwischen der vierten und fiinften das-
selbe enge VerhültniB annehmen dürfen, dann kann das Ge-
genstück zu „alle“ kein anderes sein als „keines“; und das
BovxoAıx0» bezeichnete dann die Verse, in denen an keiner
Stelle Fußende und Wortende zusammenfällt.
2. Diese Lehre findet sich in der That deutlich und klar
ausgesprochen in einer Fassung unseres Capitels, die bisher nicht
veröffentlicht ist. Sie steht im Parisinus 2676, in dem metri-
schen Conglomerat, das dem interpolirten Hephaestio voraus-
geht; über diesen Tractat habe ich früher Rhein. Mus. 36, 268
und kürzlich Gött. Gel. Anz. 1887, 599 fig. gesprochen. Er
gleicht dem interpolirten Hephaestio und den interpolirten Scho-
lia A vollkommen: alle drei sind im Ganzen herzlich schlecht;
ale drei enthalten aber einzelne Reste alter Ueberlieferung, die
wichtig sind; in allen dreien lebt Manches fort, was sonst nir-
gends erhalten ist.
Im Parisinus 2676 lesen wir Fol. 9" Folgendes über die
diapogat (ich nenne diese Fassung P) 4):
Avagpogai oılywv eloiv évvéa* zur EvomAsov 10 Eyoy dv
t@ orig Ovo duxtvdoug x«i onovdeior, ws ini roviov
piv asıde, dea, Inlniddew yog (A 1). —
neouodixov 10 Éyor év 040 to org Eva daxıvlov xai
Eva onovdeior'
ovhouévmr, 7 wvol’ "Ayuoïc Giye FInxev (A 2). —
Zangixov 10 Eyov dy tH cox} xoi 1H téd& onovdelove,
rovg dé uscovs duxrulouc
Anrovg xoi 4ióg vios. 0 yàg Baci yolwSsls (A 9). —
Bouxodsxov 10 un Ev rQ wergsiodns Anjyov tlg puéoog
Ao yov *
& Emdiypgıadog moudrns imac dédevto (K 475). —
4) Das i subscriptum fehlt überall. Die Homerverse sind ohne Ac-
cent und Spiritus geschrieben; nur steht im ersten oùlouéryr und dye,
im vierten èÈ und im fünften qui». Ueber den Versen sind die Län-
gen und Kürzen angegeben. Auf der Grenze der Füße werden die
Sylben meist auseinandergerückt. Im ersten Verse steht anstatt ays-
Àgoc fälschlich aysddyos.
Zur Geschichte der antiken Metrik. 5
urogouduov dé ro Anyov els m£gog Aoyov iy to pergeiodas,
wg ini tov nagovrog torw loci»:
vßgsos elvexa tycde, od d° Toyso neldeo 0 uiv (A 214). —
t£hesov to Éyov bla ta puéon tov Adyou'
moog dé ue 10v duornvov itv poovéovi’ edéasge (X 59). —
Wokstexov tO Onuwdes xutu Tv qQuow'
Ummovg dì Eavdac Exutov xoi meviguovia (A 680). —
*xAtuaké (muß heißen: »Asuuxwiov), dv © mgowv uvées
rus OvAdaBas, olov:
w paxag Arestdn uospnyevès oABsodatwor (T 182). —
èuneolBfodov tò Eyov tua rdv. déxa xarnyoouwy xai wv
EE megsotatexwy, we TO
modhas d° ipFluous wuyas “Aids noolayer (A 3).
Eye yag oviog 6 orlyog moGOv, motor, TOHOV, yoOvov. —
Hier sind das vzogovO9uo» und das flovxoluxov einander
scharf entgegengesetzt: 10 Anyov sic u£oog Aoyov àv 10) pergeiodas
und zó un &v rà perosisdui Aijyov els w£oog Aoyov. Die termini
sind dieselben; der Gegensatz ist vollkommen. Der sprachliche
Ausdruck könnte präciser sein; beim vr000v9uor müßte eigent-
lich hinzugefügt werden x«9' &xacrov modu oder dergleichen,
das fovxodsxov selbst aber ist verständlich ausgedrückt. In ei-
ner ganz andern Fassung unseres Stiickes (p), von der unten die
Rede sein wird, in demselben Parisinus Fol. 7", ist dasselbe mit
andern Worten gesagt: zo un tedstovs modus unugıllov slg ué-
cos Zoyov Povxodixor.
Wir haben hier, wenn nicht Alles täuscht, ein Stiickchen
alter Tradition wiedergewonnen. Denn daß die ganze Lehre in
der neuen Fassung auf Erfindung beruhe, ist wenig wahrschein-
lich, da sowohl das überall erhaltene Beispiel als auch die Be-
ziehung zum önoggvsuov grade diese Definition empfehlen.
Warum man solchen Versen den Namen fiovxodixov gege-
ben habe, wird sich schwer ermitteln lassen. Aber wissen wir
denn etwa, warum Verse, die in der Mitte getheilt sind, so
heißen sollten? Unser Nichtwissen ist in beiden Fällen das
gleiche. Nur handelt es sich hier um eine Versart, für die
uns anderweitig k ein Name überliefert wird, wührend für die
in der Mitte getheilten der vortreffliche Name nuienes existirte.
Was endlich die Coincidenz der Benennung mit dem flovxoAwov
6 W. Hoerschelmann,
im gewóhnlichen Sinne betrifft, so ist dieser Uebelstand in bei-
den Fällen genau der gleiche.
3. Der oben abgedruckte Tractat hat inhaltlich an einer
Stelle Neues geboten. Der Form nach ist er vollständig
neu. Dadurch aber erschließt er uns das Verständniß für die
gesammte vielgestaltige Ueberlieferung dieses Capitels, in allen
seinen zahlreichen Varietäten. Vergleichen wir ihn nämlich mit
allen andern Tractaten über die dsugogat, so ergiebt sich jetzt
das nicht ganz uninteressante Resultat, daß es in summa nur
drei Formen desselben giebt. |
Hat man diese, dann kann man die andern so ziemlich
entbehren. Nur selten variiren sie ihre Vorlage, und dann so,
daf man die Urform auch in der Varietàt sofort erkennt. Ei-
nige wenige contaminiren auch die verschiedenen Recensionen.
Diese drei Urformen sind folgende:
I wird vertreten durch das fiinfte Buch der Scholia
B zu Hephaestio $ 19 S. 25 meiner Ausgabe. In dieser
Classe ist das flovxolwov fälschlich vor das Zungixor gestellt.
II findet sich am reinsten in einem metrischen Tractat, der
u. a. auch im Saibantianus und dessen Vorlage Venetus 488
steht. Jetzt hat ihn Studemund in Fleckeisens Jahrbiichern 1885
S. 753 herausgegeben.
III ist die oben abgedruckte Fassung des Parisinus 2676
Fol. 9° (P).
Ich werde die betreffenden Stichworte — aber nur diese —
hier zusammenstellen. In ihnen hat man eine Uebersicht iiber
die verschiedenen Recensionen und ebenso über den gesammten
Inhalt der Lehre.
1. Katrevonicoy.
I. 10 Eyow duo daxtvdoug xoi Eva amovdelor. —
II. dori dvo daxtvdos xai onovdsios, wozu Andere hinzufügen
xai nadev duo Ouxtvios xal omovdtiog. —
III. 10 &yov à» 10 orlyw duo QaxivAovg xoi Gmovóstov. —
2. Meosodixov.
I. 10 èyov Era Ouxruloy xoi Eva orovdetor. —
II. éori daxivlos xoi omovdetog. —
III. 10 &yov dv ole 16 orlyw Eva daxrvdor xai Eva onovdeiov. —
Zur Geschichte der antiken Metrik. 7
3. Sunpex oy,
I. 10 aoyouevov and onovdelou x«i Anyov slg onovdeiov. —
II. agyoy ano onovdelov xoi Anyov sig onovdsiov. —
III. 10 dyov èv ry yp x«l 1@ i£Àe onovdeloug, trove dè
uécovs daxrulous. — |
4. Bovxodıxov.
I. 1ò pera rtosig modas anagrilov sig ufgog Aoyov. —
II. 10 perd rosig nodac amagıllov uégos Aoyou —
III. ro un à» 1@ perosiodas Afyov sig uéoos Aoyov?). —
5. ‘YVro000v3uorv.
I. 10 xa?’ Exaoıov moda armagritov sig wégos Aoyou. —
II. 10 xa? Exuoroy noda anagılkov ufgog Àoyov. —
III. 10 Anyov elg uégoc Aoyov dv rà pueroeto9u. —
6. Téistor.
I. ro Fyov návra ta ufon tov Aoyov. —
II. und III. zo fyov oda rà ufon tov Aoyov.
Zwei geringere Vertreter von II ändern so: 10 Èyov rà OxtQ)
péQn v. À. —
7. DoAırtıxo».
I. ro &vev z&Oovg N roonov nenomue£rov; aber nenomuevor
fehlt bei den andern Vertretern dieser Classe. —
II. zó &vev n 2ovg 7 190nov yevouevov (Andere yivouevor). —
III. 10 dnuddeg xatà rj» poor. —
4. Mit den oben wiedergegebenen Worten ist die Summe
dessen, was wir aus all diesen vielen Versionen lernen kénnen,
. beschlossen. Die übrigen sind werthlos: sie bieten entweder
dasselbe, oder sie variiren Kleinigkeiten, oder endlich sie conta-
miniren.
Gute Vertreter von I sind noch der Tractatus Harleia-
nus $ 194 bei Studemund und Pseudo-Hephaestio $ 29
bei Jacobsmiihlen. Ein schlechter Vertreter von I ist Isaac
S. 183 $). ;
5) Ob wohl aus dem wusross09a: ein usta tosis geworden und
das Uebrige dann falsch ergünzt resp. geändert worden ist?
6) Beim nodsuxd» folgt er, willkürlich wie immer, der Classe II
und interpolirt sie; dvev nadous <Aékews> xai Toonov ysvousvoy «rnon-
8 W. Hoerschelmann,
Pseudo-Draco schreibt S. 139 von der vierten bis zur
siebenten deapoox den Isaac aus; wo er die drei ersten diagogat
hernimmt, wird sich gleich zeigen.
Viele Anhänger zählt die zweite Classe. Neben dem oben-
genannten ist weitaus der beste Vertreter Pseudo-Hephae-
stio $ 13. Daneben nenne ich vorläufig Helias § 4 S. 178
bei Studemund (Zusatz des Codex E), Pseudo-Plutarch,
den ungedruckten Parisinus 2676 Fol. 7° (p) und (nur
zum Theil hierher gehörig) Moschopulus $5. 45 bei Titze.
Beim xarsvormàiov erweitert Pseudo-Hephaestio die Definition
durch xai nuls duo daxtvios xol onovdsioc, und ebenso Helias
und der Parisinus p. (Im Pseudo-Plutarch, fehlt das jetzt, aber
zufällig; denn gerade hier beginnt bei ihm eine große Lücke).
Im Uebrigen liebt Helias kleine gelinde Abänderungen
seiner Vorlage zu machen, so beim meguodsxov (TO Fyov daxrudov
sita onovdsiov), beim Sungixov (to doyov and omovdelov xai
nal Anyov ele avrov), beim flovxolixov (10 xarà tosig modus
anagıllov xai Anyov), ohne daß er damit aus dem Rahmen der
zweiten Classe heraus trite.
Pseudo-Plutarch dagegen folgt beim fovxodixor und
vz0govOuov der ersten Classe, indem er ei; hinzunimmt. Das
mequodixov ist ausgefallen. Beim rédevov haben er und Moscho-
pulus die originelle Fassung zu ôxrw puéon tov Aoyov, die ich
oben schon registrirte. Im Uebrigen hat Moschopulus beim
Zangixov nicht &gyov, sondern doyousvov wie I. Wo er das
xatevomisov und das regs0dixov her hat, werden wir sehen.
Vom Chisianus $ 16° sagt Mangelsdorf, er stimme ge-
nauer mit Helias und Pseudo- Plutarch überein, qui uterque ad
tllud tam prope accedit, ut ne vitia quidem eadem evitaverit. Da
aber Helias und Plutarch sehr verschieden sind, wire es nóthig .
gewesen hinzuzufügen, welchem von beiden er denn näher steht.
Einen weiteren Vertreter dieser Classe, der nichts Neues
bietet, lesen wir in den Anecdota Varia I S. 245, gedruckt aus
dem Ambrosianus C. 222 ord. inf.; beim Bouxoluxor lässt
er elg aus wie I.
Von einer Reihe noch ungedruckter Fassungen, die ich
kenne, erwühne ich als hierher gehórig die im Parisinus 2676
txov>. Auch beim ó$zógovOuov folgt er II. Hier besteht aber die
Abweichung von 1 in dem Fehlen des eig. Das könnte zufällig sein.
Zur Geschichte der antiken Metrik. 9
Fol. 7% (p) Sie weicht von II ab beim fovxodsxov, wo sie mit
andern Worten dasselbe lehrt, wie die Classe III; die Worte
wurden oben S. 5 abgedruckt. Im Uebrigen ist sie ein unin-
teressanter Vertreter von II. Beim megsodsxow fügt sie zu den
Worten daxtviog xal Gmovósiog noch hinzu: êps£nc, welches die
gleich zu nennende Abart der Classe III auch hat.
Noch ist zu bemerken, daß die ganze Classe II beim zo-
Ausxov theils yevomerov theils yırousvov hat, jenes die beiden
Hauptvertreter , dieses die übrigen obengenannten und Isaac,
der ja hier die zweite Classe plündert.
Für die dritte Classe habe ich den Hauptvertreter oben ab-
gedruckt. Diese Fassung findet sich außerdem noch in den an-
dern Reprüsentanten des metrischen Tractats, der dem interpo-
lirten Hephaestio vorausgeht. Nur ist hier folgendes zu bemer-
ken: der Parisinus 2676 hat unseren 'Tractat zweimal, einmal
Fol. 7" in der Fassung II (p) und dann viel weiter unten
Fol. 11° in der Fassung III (P) Die andern unten zu nen-
nenden Handschriften dieser Masse haben den Tractat nur
einmal, und zwar nur die Gestalt der Classe II[ (P'), aber an
der ersten Stelle, nicht an der zweiten. Solche Parallelhand-
schriften sind die Parisini 2677 und 2972 (und ebenso Gais-
fords Meermannianus; vgl. Rhein. Mus. 36, 263)°). In einer
Beziehung haben sie ein gewisses Interesse. Wir finden nüm-
lich, daß Pseudo- Draco in den ersten drei diagogul durch-
aus nicht den Isaac, sondern einfach P! wiedergiebt. Draco hat
auch hier, und zwar innerhalb des einen Tractates, sowohl den
Isaac als auch jene dem Hephaestio vorhergehende Schrift benutzt.
Wie Pseudo- Draco notorisch "Verschiedenes mit einander
contaminirt, so haben es auch andere Spätlinge gethan, die um
kein Haar besser sind. Aus dem Saibantianus hatte ich ein
Capitel abgeschrieben, das jetzt aus dem Marcianus 483 bei
Studemund Anecd. Var. I S. 190 abgedruckt ist. Die diegogaí
7) Die beiden Parisini haben in den Stichworten nur beim neoso-
dixov etwas Eigenes: meoiodixóv di into Pori daxrvhog xoi onovdsios xai
nálw ddxtvdoc xai onovdeios igetig uéyos télovc. Ganz dasselbe hat
Moschopulus. Dann erweitern sie beim x«zevónhov ihre eigene
Vorlage (= III P) durch xai nal, so wie Pseudo-Hephaestio die sei-
nige (= II) erweitert hatte: 1:0 £yov idv m atiyw dio d'exrélouc xai
onovdsiov «xai nalıv dio daxiviovs xai onovdsiov>. Und wieder hat
Moschopulus dasselbe; nur läßt er i» to otiyw aus. In allen übri-
gen dsapoga: reprásentiren diese Parisini einfach die Classe III (P! = P).
10 W. Hoerschelmann,
heißen hier ufon. Die dritte bis fünfte dsugoga stammt aus
I, die sechste und siebente aus II (und zwar ytvouevoy, nicht
yerouevov), die erste hat der Schreiber ausfallen lassen; die
zweite ist hier auf Grund von II variirt: drav mag 0 orfyos
ovyxsıraı éx duxtvdov xoi onovdelov.
Endlich mag erwähnt sein, dafì es auch eine verkiirzte
Form dieses Tractates giebt, in welcher die erläuternden Worte
überhaupt ganz fehlen, und nur die Namen und Beispiele zu-
sammengestellt sind; so ist der $ 5 des Pseudo-Hephaestio
beschaffen. Es ist das ein Excerpt aus II; denn die Reihen-
folge der dupogut ist die richtige; also ist die Classe I aus-
geschlossen. Dass auch die Classe III ausgeschlossen ist, wird
sich gleich zeigen. |
5. Wir haben im Obigen nur die Definition allein ins
Auge gefaßt. Wichtig ist aber auch das Musterbeispiel,
das jeder dsapoga hinzugefügt wird. I und II stimmen zwar
stets überein, III hat aber für das x«revomwv statt A 357
ws paro duxovyéwv) vielmehr A 1 (ufrv uede) eingesetzt, und
ebenso im Sungixdy statt B 1 (4440, uév da Deol) den Vers 49
(Anrovs xai 4005 vids). Draco, der die drei ersten diagogot
von hier entlehnt, hat nur beim Su7gsxov das Beispiel mit ent-
lehnt: beim xazevondsov dagegen ist er von dem usuellen we
gato nicht abgewichen. Isaac hat beim fovxodixor, wie wir
oben S. 3 sahen, ein neues Beispiel untergeschoben, um den
Widerspruch zwischen Definition und Beispiel zu beseitigen (4
204 statt X 475); endlich hat derselbe stets interpolirende Ge-
selle auch im JZamqixov sich ein eigenes Beispiel ausgesucht, das
weder mit I und II (B 1) noch mit III (74 9) übereinstimmt, son-
dern ganz isolirt dasteht; es ist A 521 vesxet xai TÉ ME quos
ayn Teweoow aoryev. Im Uebrigen ist Alles in Ordnung 5).
8) Auch bei Pseudo- Plutarch, wo nur scheinbar Verwirrung
herrscht. (Vgl. Studemunds Abdruck desselben Philol. 46, 30). Der
Abschreiber sprang vom ersten xai onovdsiog des xurevonliov zum
xaò onovdsios des rmepsodixov über, so daß eine große Lücke entstand.
Es blieb nun das Wort oiov und der zum xazevonlsov nicht mehr pas-
sende Mustervers des repsodsxov übrig: ovlouéryr 7 (42). Ein späterer
Leser hat dieses bemerkt und den Vers durch einen zum xerevonisov
passenden ersetzt; er hat aber nicht zur Classe I oder II gegriffen,
sondern zur Classe IIT; daher steht an Stelle des gestrichenen oëlo-
mévny 5$ jetzt ur» cede. Die Bezeichnung der Lücke ist nach dem
Obigen so zu corrigiren :
7. x«i onovdsios [xai nahv — — — — 10. xai anovdsiog] olov.
Zur Geschichte der antiken Metrik. 11
Aus dem Obigen ergiebt sich nun auch, daß jener definitions-
lose Tractat nicht zu III gehóren kann, da er die specifischen
Beispiele von III nicht hat.
6. Die gemeinsame Vorlage aller drei Classen kannte nur
diese 7 dsegogul. Und auch die Quelle von I sowie die von
H hatte nicht mehr.
Die knappste und präciseste Fassung der achten dıayoo«
bietet die Classe III. In P, wo nur durch Abschreiberfehler
xlpa«5 statt xAsuaxwroyv steht, heißt es: iv @ nooiwv avute
ras ovddaBac; und ebenso ohne den betreffenden Fehler P!, wo
nur statt avkss ab£ave, steht. Diese kürzeste Fassung wird mit
einem kleinen Zusatz versehen von Pseudo-Draco: i» @ nooiwv
6 orlyoc am dáoyüc méyou réAovg avis tas ovdluBuc.
Einen andern, aber ebenso bescheidenen, Zusatz erhält die De-
finition in p: ro avEdvoy xad” sxuctov uégog tug avAAußag.
Viel weitschweifiger und mit verschiedenen Zustitzen ver-
sehen lauten die Worte im Tractatus Harleianus, bei Isaac und
im Chisianus. Allen dreien gemeinsam ist aber die ausdriick-
liche Betonung dessen, da8 ein einsylbiges Wort den An-
fang macht, was die obgenannten Quellen als selbstverständlich
auslassen. Der Chisianus stellt enthusiastische Reflexionen iiber
die Vorzüge dieser dıuyog« sowie des allen Vertretern gemein-
samen Musterverses (1° 182) an. Sehen wir von diesen ab, so
liegt bei ihm eine andere, originelle, Grundform vor: «mò
pus OvAlußns aoyôperor u(av uéyor télovg meogtlFqor ovddufny.
Dazu stimmt, daß der Chisianus einen ganz andern Namen für
diese dsaqogd hat: sie heißt hier schlechtweg zoofuF ov.
Der Tractatus Harleianus verbindet beide Ueberlieferungen
mit einander; einmal kennt er beide Namen und nennt, sogar
an erster Stelle, noch einen dritten: &uxsossd£g (respective nAo-
«dé); dann aber klingen bei ihm die Worte der ersten Defi-
nition (Classe IH) mit an: &gyeroas uiv dx uovocvAAafov Mfews,
nooióv dì aU Es, tac AME più cova] Juréguy Fareguc.
Aehnlich, nur freier, sagt Isaac, der den Namen «ipmaxwroòv
allein kennt: xa?’ Éxacrov ufoos Aoyov (was wir schon oben in
p fanden) zw» & zw orlyw ovAlafovr ano pas tlg avEnosv
zgoiovcuv. Die einleitenden Worte sind bei den drei letzten
12 W. Hoerschelmann, Zur Geschichte der antiken Metrik.
ganz individuell gestaltet. — Das xAuu«xwrov ohne Definition
erwühnt auch Pseudo-Hephaestio § 5. (Vgl. oben S. 10).
Die neunte dsagoga endlich ist uns nur in einer Gestalt
überliefert. Sie ist stets mit der achten verbunden; nur Isaac,
der Chisianus und Pseudo-Hephaestio haben die achte ohne die
neunte. In der Classe HI (P und P!) lautet sie so: éurreolfo-
Aov 10 &yov uva rv Ófxa xurnyoguv xal av FE ntguGranxQv.
Pseudo-Draco sagt statt $E déxa, und der Harleianus statt zıv«
zıvac. Den Zusatz der Classe III: dye yag ovrog 6 oríyog
7000», moldy, 10nov, yoovov nimmt Pseudo- Draco auf. Der
Tractatus Harleianus hat ihn nicht, aber zwei seiner Hand-
schriften (H und M?) haben die Namen der Categorieen inter-
linear, über den Worten des Verses. Dieser lautet: molloùc Ó'
ip9luovs wvyag "Aidı mootupe (A 3); hier findet sich drüber
geschrieben mocov, mosor, ovola, mov, more. Also eine Categorie
mehr: die ovola fehlte oben. Endlich steht die Definition, ganz
verballhornt, ohne den Zusatz, in p: to éyov tovag n nAsloug 7
nuloovg tov xatnyoguwy Eureoifolov.
7. In seiner Urform hat dieser Tractat vielleicht nur die
fünf metrischen dsagogal enthalten. Dieselben behandeln in
zwei Gruppen ganz bestimmte, mit einander in engem und na-
turgemäßem Zusammenhang stehende Fälle.
Zu ihnen traten auf einer zweiten Stufe das z£Assov und das
modiuxov: in dieser Gestalt finden wir ihn in der Quelle, die
allen unseren Darstellungen zu Grunde liegt. Diese zerfallen
selbst in drei Hauptclassen. Ein grober Fehler zweier Classen
läßt sich aus der dritten corrigiren. |
Auf der dritten Stufe wurde ‘eine achte diagoga hinzuge-
fügt; wie es scheint, in zwei Formen: die eine gehórt der Classe
III an, unter dem Namen x«Aiuaxwrov, die andere einem Exem-
plar der Classe H, unter dem Namen n908«3usov. Aus diesen
Quellen ging die neue diagog«, nicht ohne allerlei Wandelun-
gen, in andere Darstellungen über.
Auf der letzten, vierten Stufe kam noch eine neunte dea-
yoga. dazu, das èuneolBodov; diese aber nur in einer Gestalt.
Ihre Quelle ist vermuthlich die Classe III.
Dorpat. W. Hoerschelmann.
IL.
Zu den homerischen Hymnen. |
(Vel. Bd. XLIII S. 196 ff.)
1. Zum Hymnus auf Aphrodite!).
1. Drei Góttinnen vermochte Aphrodite nicht mit Liebe zu
erfiillen, Athene, Artemis und Hestia: denn Krieg und Kunst-
fertigkeit des Hauses gefällt der einen, Jagd und Reigen der
anderen, die dritte aber hat von Anbeginn Jungfrau zu bleiben
geschworen und schöne Ehrengabe von Zeus als Ersatz erhalten.
Es kann nicht sein, daB bei so scharf gezeichneten Grenzen der
Darstellung eine solche Spezialität erwähnt worden wäre, daß
Athene zuerst Kutschen und Wagen zu machen gelehrt habe
(V. 12 f.), und ebenso ist es eine durchaus richtige Bemerkung
Guttmanns de hymnorum Hom. historia critica Greifswald 1869,
daß die Wiederholung von dyAua égya V. 11 und 15 unerträg-
lich ist. Denn es widerstreitet dem Sprachgebrauch, darunter
das erste Mal Thaten des Krieges und erst das zweite Mal
kunstfertige Arbeit zu verstehen. Guttmann hilft durch Strei-
chung von V. 12—15, wie vor ihm G. Hermann für V. 12. 13
vorgeschlagen und für die ganze Partie wenigstens zugelassen
hatte, und corrigiert zugleich gy’ dAsyvresv in &gyu yvvouxüv, 80
daß trotz der Athetese auch die zweite Neigung Athenes nicht
übergangen wäre, wenngleich der kriegerischen Neigung der
Göttin dieser ihrer friedlichen Thätigkeit gegenüber unverhält-
1) Der Aufsatz erscheint unverändert in der Form, wie er in den
Pfingstferien 1886 geschrieben und im Juni des Jahres eingereicht ist.
Nur die Nummern II 3 und 4 sind nachträglich hinzugefügt.
14 R. Peppmiiller,
mimsiie viel Worte gewidmet wären. Woher V. 12. 13 auch
stammen mögen, ob aus einem Hymnus auf die Athene ’Eoyavn
oder sonst woher, an ihrer Unechtheit in diesem Zusammenhange
kann kaum ein Zweifel sein; aber sie hängen keineswegs, wie
Franke behauptete, so eng mit V. 14. 15 zusammen, daß diese
Verse mit ihnen stehen und fallen müßten, mindestens nicht dem
Sinn nach: denn Wagenbau und häusliche Arbeit, das Haupt-
werk der Athene ’Eoyavn, ist doch wohl etwas anderes. Ich
halte dafür, daß der bekannten Mustern nachgebildete V.
11 nachträglich eingeschoben ist, um V. 12. 13 dem Zusam-
menhange anzupassen und von der kriegerischen zur friedlichen
Göttin überzuleiten: nach dem Einschub ward zugleich der An-
fang von V. 14 ein wenig abgeändert und in der Form, nicht
aber seinem Inhalt nach, mit dem vorhergehenden Verse eng
verknüpft. Somit mag der Dichter des Hymnus geschrieben
haben:
7 910005 d ov duvazaı nemideiv potvas ovd’ anarjcaı,
xovonv 1° alysoyoso Ads, yAovxiimw "M9 qvqv:
ovdé of evadev Foya rmoluyevoov ‘Appoditng,
10 Gad’ «oa où modeuol te adov xoi Egyov “Anos,
14 xai dé re (Herm. ndE 16) nog9tvixüg anuloyooaç lv ue-
yagoıcıw
dylaa Egya didukev Evi posoì Psion Exaorn.
Für die Zusammengehörigkeit dieser Verse kann ich noch eins
geltend machen, die Sprache: der Dichter hat sieh stark an
Hesiod gehalten, denn V. 8 ist = Theogn. 13, V. 9 stammt
aus Op. 521 und V. 14 schließt sich an Op. 519 an; schon vor-
her zeigt V. 5 Beziehung zu Theog. 582.
In den interpolierten Versen selbst ist in #my9orlovs V. 12
ein Fehler enthalten, den Hermann entdeckt hat und dessen Vor-
handensein Baumeister nicht hätte leugnen sollen: man kann sa-
gen nowın téxrovus ardgug ediduge novjoui cattvas und now
avdyag éayIovlovg èdidate n. c., aber schwerlich ngwrn 1éx10vac
avdgus Enıydorloug édídaEs n. c. Was Baumeister dafür anführt,
zeigt, daß er Hermanns Anstoß nicht verstanden hat. Her-
mann emendierte émiyForforg: ich vermuthe in dem verderbten
Worte ein Epitheton zu curívag, etwa éxuCuyloug*), wie es
2) Hesych. hat das Compositum in émstiysor uégog ms veus. Oder
Zu den homerischen Hymnen. 15
bei Euripides in der Helena 1310 f. heißt: Snowy dre Lurleug
CevEaon Fea curlrag: V. 13 ist r£ erst vom Ruhnken zugesetzt
und wird vom Metrum trotz des Hiats nicht absolut erfordert.
2. Der dritten Góttin, Hestia, gab Zeus besondere Ehre:
17 dè nung Zeug düxe xadòv yégus àvti yaposo,
30 xal 1e péow olxw xor ag’ Etero niug Hovou.
naow 0’ iv vqgoio, Fewv nudoyog dou,
xai mugd nào, fgoroic. 9tGv mosofergu tétvxtus.
Die Unterbrechung der Struktur nach V. 29 ist von anderer
Seite schon bemerkt worden; die Darstellung ist unschón: zuerst
pí£co olx@, dann èr rgoíc, Jewr und zuletzt wieder nuga rico
Beoroics. Schreibt man efoaro, so wird wenigstens zwischen 29.
30 (dwxe und sfouro) vermittelt, und so räth die zu Ehren Gött-
lings verfaßte Jenenser Festschrift von 1865; doch mehr ge-
winnt man durch eine Umstellung:
29 ın dì naro Zeug dwxe xadòv yégas àvil yuposo,
81 now 0 lv vnoicı dev nudoyoc ÈCTu pr,
xai nugu nio, Pooroics Few nefofesoa rÉrzvxras,
30 xul te uÉo® olxw zur’ uy ELero niag tlovea.
Jetzt ist der Parallelismus mit Hymnus 11, auf welchen Gutt-
mann zwecklos verwies, vollstindig; nicht nur wegen des schlies-
senden xuf 14, das der Anfang der Aufzählung nicht vertrigt,
sondern auch des Tempuswechsels wegen, iiber welchen man
übrigens den Hymnus in Ap. D. V. 4 ff. und Schömanns Theo-
gonie S. 299 f. vergleichen kann; denn‘ {ero vertritt natürlich
einen Aorist. Ich setze Hymnus 11 her:
Hariad ’AInvalnr Eovotniodiv aeyou’ deldew,
dewnv, 7 ovv “done péd es molsuna Eoyu
neodopeval te modnes Gvın te nroAsmol te,
ult èououto Auov lovra te viooduerov te. 3) —
Unverständniß kann im Hymnus auf Aphrodite die Versver-
stellung veranlaßt haben: #10 sollte zu dwxe kommen.
3. Venus schmiickt sich und kommt zum Ida: so tritt sie, einer
Jungfrau gleich, damit Anchises nicht erschrecke, vor den Geliebten,
und dieser staunt über ihre Schönheit und Größe (époubero Fav-
purév 16 84), die glänzende Gewandung und den herrlichen
sollte émsygdaovs zu schreiben sein? Das Adjektiv würde als Pen-
dant zu queta nosxida yalxg nicht übel sein.
3) S. V. 262 im Hymnus auf Aphrodite,
16 R. Peppmiiller,
Schmuck der Góttin. Zwar nicht erschreckt, aber doch geblen-
det vom Glanz der Erscheinung hält er das Mädchen für eine
Göttin, eine Charis oder Nymphe, und darum verspricht er ihr
denn einen Altar und schöne Opfer in allen Jahreszeiten. So ist
der Zusammenhang, und doch heißt es V. 91: |
’Ayytonv d° Egos sider, Enog dé ww avıiov nida.
Wie unpassend, ja unmóglich dies ist, hat noch niemand, so viel
ich weiß, bemerkt. Erst nachdem Aphrodite sich für ein sterb-
liches Weib erklärt hat, bestimmt, sie die Phrygerin, nach Her-
mes’ Weisung sich mit dem ruhmvollen Sohne Trojas als Gattin
zu vereinigen, durfte Anchises von Liebe ergriffen werden:
da ist es ganz in der Ordnung, wenn der Dichter sagt (144 f.):
ws sinovoa Fed yivxuv luegor iuBale Fun.
"Ayytonv à Fog eidev, Enog 1 gar Ex 7’ Ovopabter —
nicht aber vorher 4). Ich bin also keinen Augenblick darüber
im Zweifel, daß goog in V. 91 nur aus einer durch die spätere
Stelle veranlafite Randbemerkung stammt, und ich denke mit
einiger Sicherheit sagen zu können, welches Wort verdrängt ist.
Als Athene y 371 ff, einem Seeadler ähnlich, plótzlich ver-
schwindet, erzählt der Dichter: 9 « u foc d° fe marras Îdorras.
Oavualer d 0 yigoioc, énsi 10er dpdadpotow . . . (cf. h. in
Ven. 83 f), und Nestor spricht, nicht anders als Anchises an
unserer Stelle, "4424 ívaco! tAn9s (h. in Ven. 92), didw9, dé pos
xÀ£og 2809409, Avıw xai nuldeoo xai uldoln nugaxolrs (h. in Ven.
102 ff) Soi d ab iyw déEw fov» Twv sùgvutrwrov (h. in Ven.
100 £). Ganz ähnlich ist die Schilderung # 178 ff, wo frei-
lich der wiederkehrende Vers (h. in Ven. 109 = x 187) von
ungleich größerer Wirkung ist. So verbessere man denn V. 90:
"Ayylony td pos eidev, Enos TE uw avılov nuda,
mit recapitulirendem, auf V. 84 zurückbezüglichem Asyndeton 5)
und Vertauschung von dé mit té wie nicht nur V. 145 und
177, sondern vor allem E 170 ff. anräth:
suos Avxdovos viòv Guuuord TE xQuisQov te,
or; dì nooo? avroio Enog TE wıv avtlov nuda. —
4. Die Göttin, die sich Anchises genaht, soll, wie Athene
dem Nestor und seinem Hause, ihm gnädig sein; beide flehen um
4) Unrichtig urtheilt Suhle im Stolper Programm von 1878 S. 28:
iteratur parum apte in v. 144 hemistichium ex 91.
5) Auch ’Ayyionv J” the Jaußos, Enos té uw avılov nda wäre bei
unserem Dichter môglich, trotz der Verletzung des Vau.
%
Za den homerischen Hymnen. 17
Rahm: Nestor schließt Weib und Kinder mit ein, Anchises
bittet die Güttin erst um einen bliihenden Sohn:
des us usıa Towscoww cosnosnt Éuuerar avdowy,
woits d’ siconicw Salspov yovor, uvtag £u! wurov
dgocr Eu wer x«i 09v proc nedioso,
oidıer Er Anois, xui yioaog ovdov ixéoFus.
Da ist freilich der Ausdruck oies 0° eloon(ow Fadegdvr yorov
„schaffe mir ‘oder gar „gebier mir“?) in Zukunft einen blühen-
den Sohn“, zumal Cwesy mit den folgenden Infinitiven
dann doch wieder von dog abhängt, höchst eigenthüm-
lich: ich corrigiere /Tosei»v 0° sicontow IFaudegov yorov. An-
chises fleht zur Göttin, sie möge geben, daß er noch einmal
einen blühenden Sohn zeuge: erst so meint er ein vollkomme-
nes Glück zu genieBen, und er wühnt nicht, wie bald und wie
glànzend sein Wunsch in Erfüllung gehen soll.
5. Aphrodite will selbst Anchises! Gemahlin sein: also
— spricht sie, sich für des Phrygers Otreus Tochter ausgebend
— habe ihr Hermes gesagt, der sie aus dem Reigen der Arte-
mis entführte :
‘Ayyioew dé us quoxe nagai A£yeow xulbeotur
xovgıdinv &Àoyor, dot d° aylaa téxvm rexeioJ a.
avido End delle xai Èpgaoer, nros by Guts
GJarutwr pera pui’ anífg xgarde ' Agyeipovins
130 uÿrao éyw 0° ixounr, xoareon dé wou Ende avdyxn xz.
Hier sind zwei verschiedene, mit einander unvertrigliche Wen-
dungen durch einander geflossen: schon Guttmann hat das nach-
gewiesen (S. 63): negai A£yeow verlangt das Verbum xAfrecda
bei sich; ohne nugui Agyeow könnte zu cdoyov auch xudeiodus
treten. Aber nicht das unhomerische Futurum x46rée03 ut,
welches Guttmann einsetzen will, sondern nugui Aey£6004 xde-
ira: genau so, wie es « 366 = o 213 heißt, halte ich für
das richtige : handelt es sich doch überhaupt um einen Zwang
(xgureon dé woe Ender? ava yan), dem Otreus' Tochter in der
Vermihlung sich fiigen soll, und nicht ein einfaches futurales
Verhiltni®. Man fragt, wie der Fehler entstanden sei: ganz
ähnlich wie Zoog V. 91 in den Text gekommen ist, aus den
Worten des Anchises V. 148:
tun à adoyos xexijcsaı fuura mavta.
Danach schien einem späteren hier derselbe, obenein decentere
Philologus. N.F. Bd.1,1. 2
18 R. Peppmiiller,
Ausdruck geboten, und so ward xAiJgva,, ohne Rücksicht auf
zagoi AsyEsccı, in xuléeodu corrigiert, das als Futurum mit
Passivbedeutung gelten sollte, und nun, indem ein Fehler den
andern zur Folge hatte, statt des Aoristes rexéodus, der als
jussivus zu fassen war, V. 127 ein seltsames, ganz unerhórtes
zweites Futurum rexeiodu 'geschaffen. Zwar findet sich gavas
bei Homer an keiner anderen Stelle mit einem solchen Infinitiv 9),
aber sonst kommt er vor nach diesem Verbum"), und grade
die Seltenheit, des jussivus nach gara. mag die futurale Auffas-
sung der Stelle begünstigt haben: doch würde xudésodus als
Futurum passivi sehr auffällig sein und ganz vereinzelt da-
stehen. Uebrigens scheint der Dichter durch y 321 ff. beein-
fluft zu sein, wo Odysseus zu Leiodes sagt:
el uiv On pera toîor Iv00x00G euyeus sivas,
nodlaxs nou péideis agnusvos dy weycoosow
tndov duoi v001010 télos yAvxegoïo yevésFas,
coi 0 aAoyov te glinv onéodas xai téxva Te-
xsEcdat,
wo der jussivus nach dorueras allerdings gebräuchlicher ist.
Auch coi 0° aylua zéxva texéodar will sich an unserer
Stelle fiir den objektiven Bericht, den Aphrodite giebt, nicht
recht schicken, obwohl der Personenwechsel an sich, wie Lobeck
zu Ajax S. 218° Anm. zeigt, nicht ohne Belege wire und
sich hier etwa aus der Nachahmung erklüren lieBe. Aber viel-
leicht ist of zu lesen, mit Orthotonierung wegen der Hervor-
hebung: „ihm sollte ich herrliche Kinder gebüren^ und nach-
wirkendem Digamma. Man konnte um so eher geneigt sein mit
Erinnerung an y 324 den vermeintlichen Fehler zu heben, als
sich Aphrodite allerdings gleich nachher direkt an Anchises
wendet, aber vorher geht erst Aùrao éwerdn dette xai
%poacev, und darin ist angedeutet, daß Otreus' Tochter
durch Hermes auf die Identität des vor ihr stehenden Mannes
6) Denn anders steht es um y 35: Où u’ Er” épdoxe?’ ónórgonor
olxad’ ixéc9es, eine Stelle, welche Buttmann ausf. Gramm. $ 95 Anm.
mit Z 500 verglich, um zu zeigen, daß der Inf. aor. wie ein Inf. fut.
gebraucht werden könne. Denn auch Buttmann zweifelte an rexe509@s
und verlangte bereits zexéc9es, indem er sich dies rexécSa: freilich, wie
man sieht, in anderer Weise, als ich es thue, erklärte.
7) Cfr. Lysias vréo MavuSéov 13: Egur 19 '0op9ofovAp aleiyaoi ue
éx tod xataloyov und Xen. Cyr. IV 6, 11: ob udyos Épaoar trois Fsoîg
èEeletv. Krüger Dial. $ 33, 13.
Zu den homerischen Hymnen. 19
mit dem ihr von den Göttern bestimmten Gemahl hingewiesen
zu sein erklärt. Darum ist es nun ganz in der Ordnung, daß
sie sich bestimmt an ihn wendet. Somit dürfte der Dichter ge-
schrieben haben :
Ayxloew dé ue pace nugul Aey Esco. xAuFFvas
xovosdinv &Aoyov, ol d^ aydak réxva texéoFar.
avtao énsdn Odette xai Èpoacer, Hr0v 0 y' aùric
áJavarwv wera pui anéBy «garde *Agysipovine,
auzao ?yw 0’ ixouny, xgareon dé woe Èrrder Gvayxn.
6. Wenn es bekanntlich auch häufig genug ist, daß im
Griechischen ein Infinitiv vom andern abhüngt und also an sich
V. 137 f.:
néupoar d° ayyshov wxa pera Dovyas ulolonwious,
elneîv mutgt vi éuò xal untéoi xndopévn meg
vollkommen berechtigt ist, so ist doch hier die Vermuthung
H£yuwov d° uyyedov wxe gestattet, da es auch 2 310 heißt:
Tl &uwov à' olwvor, rGy 9v ay y tà ov.
7. Eos that den altersschwachen Tithonos in ein Gemach
und legte eine glinzende Thür daran:
237 rov 0’ j104 ywrn dei wonerog, oùdé Te xixvg
E09", on magog Eoxev Evi yvaunroios utdeccw.
Hermann wollte zoe? aonerow verbessern aus P 332: doch wird
die Ueberlieferung nicht nur durch die mehrfach nachweisbare
Uebertragung von óíw auf den Ton der Stimme, sondern durch
eine bisher übersehene Parallelstelle, welche dem Verf. des Hym-
nus vorgeschwebt haben mag, geschützt. 2 402 heifit es:
megt di 0005 “Queavoîo
apo mopuvowv Óéev &amezoc, ovdé rec &AÀoc xz.
So heiBt es auch im Hymnus, allerdings mit eigenthümlicher
Verwerthung des Adjektivums 9), 6 £s, «ozeros. Aus demselben
Buche (Z 401) ist vorher V. 163 übertragen. Die Stimme des
Tithonos *wispert fort und fort, wie eine Cikade', erklürt Preller
Gr. Myth. I? 340 richtig: der Ausdruck scheint eben die Ver-
anlassung gegeben zu haben für die spütere Sage von der Ver-
8) Suhle zog (S. 18) E 412: Klayyz d’ donetos wero Gv» zur Er-
klärung herbei: ganz dasselbe ist das freilich nicht, da deneros an un-
serer Stelle zu dé gehört (dei x old ç in Z die Paraphrase): nur daß
@onsıos vom Ton stehen kann, ist damit bewiesen.
9*
20 | R. Peppmüller,
wandlung des Tithonos, ja wer sich an die Schilderungen in
Ovids Metamorphosen erinnert, erwartet fast eine ähnliche Aus-
führung, wie dieser Dichter sie in solchen Füllen zu geben
pflegt. |
8. V. 276: Sot Ó' lyo Oôpou tuvrnm perc qpoecì Tuvıa
déidw hat Barnes die Lücke nach ogga durch Einschiebung
von xe ausgefüllt: doch empfiehlt der Zusammenhang: .
col d° EyW ogo’ È è tuvra pera poeol navın ditidw,
és nfuntov Eiog avra; èhevcouui viov ayovou.
Cfr. o 123:
coi d’ tym eù udla muvia xai atpextws xuradekor.
IT. Zu den kleineren Hymnen.
1. Der Steuermann des Schiffes, auf welchem sich der ge-
fangene Dionysos befindet, ahnt, gewarnt durch Wunder, die
der Gott bewirkt, daß der Gefangene ein Gott sei und räth ihn
eiligst aufs Festland zu entlassen, daß er nicht gewaltige Stürme
errege. Aber dem widersetzt sich der Führer des Schiffes, in-
dem er den Steuermann schilt und seines Amtes zu warten auf-
fordert :
ode Ó avr avdgsooı uedioet.
28 EAIIOM AI, î Alyunıov ágíEszay 7 ogye Kungov
n & 'Ynsofloofovg n éxactégw.
Das kann nicht richtig sein: zwar daß sich V. 27 üvdgeoos
statt vuvrnos juegos aus einer Nachahmung?) von Z 492 u.
9) Eine offenbare, nicht sonderlich gelungene Nachahmung ent-
halten, wie ich bei dieser Gelegenheit bemerken will, die Worte, wel-
che der siegreiche Apollo, h. in Ap. Pyth. V. 184 dem bereits todt
daliegenden Drachen frohlockend zuruft : 6 & Enmu£aro «boifoc
Anollor:
ivravOoi viv nöd ini y9ori Bonaveiog
ovdì guys [wovon xaxóv diinua fpotoicw
Kcosas, of yains nolvpopBov x«gnóv Édovtes
ivtad’ ayıynoovos telnécoas éxatéupac.
oùdé v; to: 9Sdvatóv ys dvaonhsyé oùrs Tugwsüc
Goxéoes xt.
So erzählt Homer von Achilleus, der den todten Lykaon in den Fluß
wirft, + 121 ff.:
xai ob énevyóusvoc Enea niegdsvt’ dyópsvey:
ivravO ot viv xeico pst iy9éew, of o' dir
alu’ anolsyurocovtas dxndées, ovdé ce ume
iv9suévg leyéeoos yornostas x1À.
Zu den homerischen Hymnen. 21
ähnl. erklärt, habe ich bereits auf S. XX meines Commentars
zu llias Q ausgeführt, in einem freilich wenig gekannten Buche:
— aber ohne Zusammenhang und ganz ungeschickt ist das
Folgende, nicht nur das ganz abrupte ZAnouas, sondern auch die
folgende Disjunktion, wie sie jetzt lautet. Der Dichter wird ge-
schrieben haben:
TAHCET AI, n (oder ei!) Alyunıov dplkeras 7 (et 97)
oye Kungov
n (etx) & 'Yasofloof£ovc 7 éxoci£oo.
„Der wird schon aushalten !°), mag er auch nach Aegypten oder
nach Cypern oder auch zu den Hyperboreern oder noch weiter
geführt werden“.
2. Verzweifelt erscheint eine Stelle am Schluß desselben
Hymnus, wo Dionysos sich nach Verwandlung der übrigen
Schiffsleute an den Steuermann wendet und zu ihm sagt:
Faooe, die xutwe, 1G Quà) rxegaquoptve 9vuo*
lui d' Eye HArovvoog loffgouog, Ov téxe 1untno
Kadpnis Sutin frog Ev quomi puyeion.
Nichts von alledem, was zur Verbesserung des dis x&rwQ vor-
geschlagen ist, bis auf Köchlys gle nareg und Baumeisters ei-
gener Bildung di’ &xarwg hinab, befriedigt auch nur einiger-
maßen, doch verlangt das natürliche Gefühl allerdings irgend
eine Anrede des Steuermanns. Richtig ist auch Baumeisters
weitere Bemerkung: omnino displicet illud die: es stammt aus
Und indem Achilleus dann die Ausbrüche seines Zornes gegen das
ganze Troervolk richtet, fáhrt er fort:
qIeioeod, elooxev cory xsyeiouev '"Iliov ions,
dusis uiv pedyortes, ty d’ onıdev xegotiov.
ovd’ vuiv norauös neg Étppoos apyvpodivns
doxéícss, © dy dy9à noléng Îspevere sav pove,
Cwovs d' iv divyos xadiere udvvyac innovs.
alla xei ws óÀéscÓs xaxòv udoov.
Der gleich lautenden Worte sind wenig, und doch ist die Nachahmung
unverkennbar, grade so unverkennbar, wie die von £ 560 aus dem
Anfang der Ilias, trotzdem sie R. Volkmann seiner Zeit in der Be-
sprechung meines Commentars in der Jen. Lit. Ztg. 1876 S. 750 in
Abrede gestellt hat. Grade solche Nachahmungen sind oft bezeich-
nender als die Hinübernahme ganzer Verse. Nicht verschweigen will
ich übrigens, daß man der Stelle des Hymnus durch eine ganz leichte
Aenderung wesentlich helfen kann, nämlich wenn man V. 189 O 5-
xéTs 10 Oavatór ye schreibt.
10) Cfr. perio xai rdjoouas A 317, T 308, e 362.
22 R. Peppmüller,
A 608: die Mevoınadn, 10 du xeyagiouéve 9vud. Der Dich-
ter aber dürfte geschrieben haben:
Sago, l9vvtiwQ, 10 iud xsyogiouére Juud.
Dieses î3vvrwo ward durch übergeschriebenes dx«&rov erklärt !!),
und die Erklärung verdrüngte das echte Wort. So kam, indem
der Vers aus 4 608 vervollständigt wurde, das rüthselhafte
die xatwo in den Text!?) Aber eines Zusatzes bedurfte ?Fuvtwe
ebensowenig wie ihn i9wv:jg bei Apoll Rh. IV 209 und 1260
hat, und der Hiat (nach 3«oce auch 1 546) ist von Hartel
(Hom. Stud. I? 69) nach dem ersten Fuße bei Homer an 117
Stellen beobachtet worden.
9. Der Hymnus auf Helios beginnt mit der Ánrede an die
Muse Kalliope :
“Hhiov iuveiv avre dios téxog Goyeo, uovo
KaMuonn xtÀ.
und schliefit, ähnlich wie der vorhergehende Hymnus, mit einer
Abschiedsformel, in welcher sich der Dichter dem Wohlwollen
des gefeierten Gottes empfiehlt nnd mit dem dann folgenden ei-
gentlichen Uebergange zum epischen Vortrage des Rhapsoden:
yaige, avak, noogewv dé Blov Fvunoe onale.
ix oto 0 dobdusvos xAnow pegorwv y£vog avdouv
nustiwv, wv Foya Feol 9vqioiow Edu£ar.
Was die Menschen durch die Dichter von den Thaten der Vor-
zeit erfahren, das lehrt die Muse: denn die Thätigkeit des Dich-
ters und die in ihm schaffende Macht der Muse sind unzer-
trennlich : Avrod(duxtos d’ slut, sagt Phemios y 347, @eoc dé
pos dv poeoir oluac llavroíag ivégvotv. Matthiä fühlte, daß
wohl auch hier von den Musen die Rede sei, und er schlug
deshalb statt Seoi Feai vor, unter welchen er eben ‘die Mu-
sen' verstand: aber bei Beginn des Hymnus wird nur die
eine Kalliope angerufen, und diese eine Muse wird festzu-
halten sein. Minv asıde, Dea, beginnt die Ilias, "Avdou
pos Èvvene, Mov ca, die Odyssee: man hat darunter wohl die
Kalliope verstanden, an die sich der Dichter zu Anfang des
11) Vgl. Orph. Arg. 490: i» d' doa Tigus, 'I9vtoo axdtovo, xai
dylaòc Alaovos vide.
12) Nebenbei bemerkt: auch eine Verderbniß von 18 VNT£&P
7u 4IEKATQP wäre nicht unmöglich.
«n — - _—r ee ———
Zu den homerischen Hymnen. 23
kleinen Hymnus wirklich wendet und mit welcher er auch
schließt :
xAjow uegonwv yévos avdowy
nudéwr, uv soya Fea Ovpoiow EdaiEsv.
»Die Gôttin hat die Thaten der Heroen den Menschen durch
den Mund der Dichter kund gethan“. Das ist die einfachste,
vollstindig genügende Verbesserung. Wer freilich den Schluß
des folgenden Hymnus in Betracht zieht:
yaige, avacca, Fea Asvxolàeve, dia ZeAnvn,
"goggo», èvadduamos ofo d Goydueros xMfa purdv
agonas Nudéor, wy xAelovo’ toyuat dosdol,
Movocwv Seganovres, und ctoudiwv 2oo&vımv,
der wird, wie sich denn die Verwandtschaft der Epiloge nicht
verkennen läßt, vielleicht vermuthen, die Ausdrücke seien noch
ähnlicher gewesen und etwa auf wy Foy! ddoì 9vgroicw Mea=av
verfallen: es geht aus dem Vorigen hervor, warum ich dem
nicht beitrete. Der Dichter des Hymnus auf Selene beginnt
mit dr Mehrzahl: Miyp... cnere, Mosca xrk., und
er schließt consequenter Weise auch mit der Mehrzahl Mov-
cuwv Fegarovies. |
4. Der Hymnus auf Selene bietet uns V. 10 ein unho-
merisches Adverbium : sùr av . . dia ZeAnvn
écovuérus mootégwo ètiuon xullltgıyag Innovg.
Das Wort kommt in der Literatur erst im Ausgang des dritten
vorchristlichen Jahrhunderts vor: zweimal hat es Apollonius Arg.
I 306: ngotégwoe dóuwv 2 apro vésoFas und 11241: tev x90-
w£gwoe xedevFov, zweimal Dionysius der Perieget, V. 478 und
580, und einmal Nikainetos (7goréowos xiv) Schon der The-
saurus bemerkt, wie Baumeister, daß die homerischen Gedichte
nur die Form zgorégw kennen. Nun ist der Hymnus zwar ge-
wiB ziemlich jung, aber immerhin anzunehmen, daß der Rhap-
sode, der ihn dichtete, mag er nun zur Zeit des Onomakritos
oder noch etwas spüter gelebt haben, in homerischer Sprache hat
dichten wollen. Dann war ihm aber ebensogut erlaubt in der
Hauptcäsur
écovuérws moozéou thaoy xaM(mag Trrovs
zu sagen, wie er in der Ilias J 199:
dg aga Ywvicag mootégw aye diog Aysiieve,
24 KR. Peppmüller, Zu den homerischen Hymnen.
in der Odyssee d 36: weotégw aye downdjvai, sowie X
388: 70000 aye dia Jexwr vorfand. Ich halte das Adver-
bium mgotégwo’ (22607) nur für einen überflüssigen Versuch den
Hiatus zu beseitigen. Die Autorität des Apollonios kann hier
ebensowenig entscheiden wie im Hymnus auf Apollo V. 3 bei
der Form émoysdov, wo die Trennung des Wortes zu ni oye-
dov, welche ich Philol. XLIII S. 196 vorgeschlagen habe, nun
auch handschriftlich bestätigt ist.
Seehausen i. A. R. Peppmüller.
Emendationum ad Dionem Chrysostomum specimen I.
In Dionis oratione II p. 19, 25 ed. Dindorf. post uo»ov
inserendum est rov rov. — P. 22, 2 pro Zuvv«10 legendnm
est &Avunvuro. — P. 28, 32 post v zegg vwc inserendum
W c. Or. III p. 48, 1 pro #24 wc, cui adverbio opponitur
v.5 émusléoregor, legendum est auedwe; cf. locos similes Phi-
lostrati Heroic. p. 151, 24 Kayser: axove divi màtoron; énadij
rovio y 10 un üutÀug pedter; Vit. Apoll. V, 19 p. 173, 8
ubi a voce «usÀdg omnis neglegentiae vituperatio abest, inest
sola brevitatis significatio. — P. 51, 7 pro u£v lege un». —
P. 62, 18 pro oùx Ovtac lege oùx axovrag. — Or. IV p.
82, 5 pro wv» Touer lege aywwricua. — Or. V p. 91, 5
pro ws tpn reg leg. dg av putn rg. — Or. VI 96, 17
vox quae est As u» o» aut de Athenarum regione illa, in qua
theatrum Bacchi, Lenaeum, templum Iovis Olympii situm erat
intellegenda aut in Asuérwr mutanda est (de portuum laudibus
cf. Aphthon. progymn. p. 36, 4; Nicol progymn. p. 492, 1 Sp.).
— Or. XII p. 225, 6 pro womeg ovv #pq tic lege woneg
av £p f ties — Or. XVI p. 270, 5 nagunuvsiav muta in
sQo0undesuv, quae vox cum zovetodus coniungitur in Mino dia-
logo p. 318 E, cum genitivo in Gorg. p. 501 B. — Or. XX p.
290, 27 scribe GAN ovr, ye 6 ronoc Eoılv xd. et. v. 30 10
dà udtov Boviopevor.— Or. XXI p. 301,3 legendum xa-
tadévies (xaJévre; nescio an suo iure praeferat Cobet Mnemos. N.
Ser. V 73) eis 0100»: scilicet in cellam penuariam demittunt
libros novos, ubi situ obducti vetustatis quandam speciem induant.
— Or. XXIII p. 306, 19 pro xndonu&vw» scr. xndeuóvw»,
quod vocabulum .identidem in Dionis orationibus inveneris. —
Or. XXXI p. 393, 30 ser. £r. dì xoxtivo tor é£ov pro #0nv. —
Or. XXXV p. 45, 16 pro BelCovrec, quae vox ut prorsus
nullum praebet sensum ita a Dindorfiis Cobetis silentio altissimo
praetermittitur, scribendum est Fegilovres.
Tubingae. W. Schmid.
III.
Eine Reform des Aristophanes.
Der flüchtigste Leser des Aristophanes kennt den herben
und — wie es bei Zeitgenossen zu geschehen pflegt — unge-
rechten Tadel, welchen derselbe durch seine Personen über die
tragische Kunst des Euripides ausspricht. Wire man berech-
tigt, die Worte, die er diesen Personen in den Mund legt, für
den Ausdruck seiner eigenen Meinung zu nehmen), so miifite
man des Weiteren glauben, daß keine Seite der euripideischen
Poesie ihm so von Herzen zuwider gewesen ist, wie diejenige,
durch die sich Euripides als ein Schüler der Sophisten und
Rhetoren bekannte?) Angesichts dieser Antipathie würden wir
es kaum erwarten, daß Aristophanes ein Nachahmer dieses von
ihm so arg verlästerten Gegners hätte werden können; am al-
lerwenigsten aber, daß seine Nachahmung sich gerade auf das-
jenige richten würde, was er jenem am meisten zum Vorwurf
macht. Und doch ist das erstere unzweideutig überliefert, und
eine unbefangene Interpretation der Ueberlieferung ergibt ebenso
unzweideutig das letztere. Wie man sich auch mit diesen That-
sachen auseinandersetzen mag — der Grundsatz 47° &4Igwv d71a
zo0ÀÀÀ par3dvovow oi copol wird hier eine eigenthümliche An-
wendung gefunden haben.
Nach der Aussage eines alten Grammatikers wire Aristo-
1) Da8 man damit vorsichtig sein mu8, habe ich in meiner ‘Glie-
derung’ S. 112 f. nachgewiesen. Man hat häufig die aristophanische
Komödie mit der Satire der Römer verglichen; zu unserem Falle wür-
den Horat. Sat. II, 3 u. 7 gute Parallelen abgeben, wenn man nicht
gewöhnt wäre, sie falsch aufzufassen.
2) Es wird genügen, hierfür auf Eir. 532 ff., Fr. 841, 954 ff. zu
verweisen.
26 Th. Zielinski,
phanes von der zeitgenössischen Komödie verspottet worden émi
: oxwniew piv Evosnidny, puipsicda. Ó' avrov. Koarivos®
tic dè ov; xouyos <mùc &v> mg EQosto Dear:
vrnodentodgyos, yrwpidiuxtns, evosrsdupioroparituv ?).
Die Autorität des Gewährsmannes braucht nicht discutirt zu
werden; soviel wird man ihm unbedenklich glauben dürfen, daß
die ausgeschriebenen Worte des Kratinos gegen Aristophanes ge-
richtet sind. Der Vorwurf ist in drei Kraftworten ausgedrückt,
von denen namentlich das letztere an Klarheit nichts zu wiin-
schen übrig läßt. Dem Aristophanes wird darin Unselbstündig-
keit vorgeworfen; er wire nur zum Theil er selbst, zum anderen
Theil jedoch ein Abklatsch des Euripides. Fragt man weiter,
in welchem Theile seiner Natur er von Euripides abhüngt, so
läßt sich im Anschluss an Kratinos nur sagen: eben in demje-
nigen, in dem er $zoàAsmroAóyog und yvwusdiwxing ist‘). An diese
zwei Ausdriicke würde sich demnach die Interpretation zu halten
haben. Was bedeutet nun yrwwdwxins? Das Wort scheint
aus yrwusdso - diwxıns entstanden zu sein; die analogen Bei-
spiele (wie Hellanikos, tragicomoedia, stipendium, frz. idolatrie) rei-
chen, ohne zahlreich zu sein?), doch aus, um die überlieferte
Lesart zu schützen. Ist also yrwwsdwwxrns ein yrwuldın-
Jäger, so fragt es sich weiter, was unter yrwuldia zu verstehen
ist. Daß man das Wort nicht mit ‘Sentenzen’ übersetzen darf,
liegt auf der Hand; sentenzenreich ist die aristophanische Ko-
mödie gewiß nicht. Das Wahre lehren uns die ‘Wolken’ in de-
nen dies Wort nebst dem gleichbedeutenden, nur ernster schat-
tirten yruun eine bedeutsame Rolle spielt. V. 319 ff. sagt Stre-
psiades mit Beziehung auf den Wolkengesang
9) Schol. Platon. Bekk. 330 — Kratin. fgm. 307 K. Die einge-
schobenen Worte sind von Porson, Misc. 268; aus metrischen und
grammatischen Gründen ist es klar, daß nach xouwòs eine kleine Lücke
anzunehmen ist. Das Fragezeichen jedoch habe ich nach zis dé où ge-
lassen; cf. Eir. 48 f. róv Ss«rdv veavias doxnoicogos. Ueber das bei-
behaltene yvwwsdsuxms (Kock hat nach Schneider yvwwuodsuxtys) s. unten.
4) Daß Aristophanes selbst den Vorwurf nicht anders verstanden
hat, beweist seine Antwort in den Zxyvas xatclausavovoas (Fgm. 871 K.)
Xodpas yao avtod ToU otouatos tw GrQoyyUlo,
1005 voUc d'éyopaiovs nrıov à "xeivog nos.
Noug ist das edlere Wort für yvwwuidia. Die Antwort selbst bezeugt übri-
gens seine Verlegenheit; der Euripides gemachte Vorwurf ist ungerecht.
5) Am häufigsten ist diese ,,syllabische Hyphaeresis‘‘, in griechi-
schen Personennamen zu beobachten: vgl. Baunack, Rhein. Mus.
XXXVII 476 und Stud, (v. Curtius) X 128. 136.
Eine Reform des Aristophanes. Ä 27
raVr' «og dxovoao’ avidiv 10 pIÉyu 1 Wuyn pov menorniae
xui Àenroloyeiv non Cnisi, xai negl xanvov crevodeggetr,
xai yvwpsdlwo yvwunv vubao’ Étéow Aoyw dvisdoyioui.
Und was er sich hier vorahnend wiinscht, fiihrt sein Ideal, der
Sprecher des Unrechts aus. Wie er des Gegners ansichtig wird,
prophezeit er sich einen Sieg (V. 896)
alla 66 rex. — Il copdy nov; —
yrwupus xavac 2&evoloxwr
und zum Schlusse des Zankes dem Gegner eine Niederlage
(V. 948 f£.)
xevrovpevog weoneg vm uvIonvwy
UNO TU yruwuudr anoktirus.
Wie an ihn die Reihe zu sprechen kommt, bemerkt er, schon
lange plage ihn die Ungeduld, das vom Gegner gesagte évavtiasg
pwuasoi ovrvtaguéas (V. 1037) und eröffnet den Streit mit der
verfinglichen Frage (V. 1045)
xalzoı tiva yvwunr Èywv wéyes ta Feoua Aovroa;
So ist es‘ denn eine offenbare Parodie dieses seinen Schlagwortes,
wenn ihn der Gegner in einer heiklen Sache spöttisch fragt
(V. 1084)
Ele, tivà yvwpunv Adve TO ui) sUgunowxrog eivas; |
Daß sein Schüler Pheidippides es nicht anders macht, ist nicht
wunderbar; seit seiner Bekanntschaft mit yrwyucs Aemroig (V.
1404) hält er sich für befähigt den Beweis zu führen, daß man
den Vater schlagen darf; eine éréga yrwun (V. 1440) ist, daß
es auch erlaubt sein müsse, die Mutter zu schlagen.
Das genügt; denn daß vwolswroloyos in dieselbe Sphaere
hineingehórt, beweist seine Zusammenstellung mit yrwysdiwxtns
sowie zwei unter den angeführten Beispielen (V. 321; 1404; cf.
Fr. 828; 876); das vno- scheint hier dieselbe verüchtliche Be-
deutung zu haben, wie die Diminutivendung in yvwwids-. Sind
demnach, wie aus der obigen Stellensammlung zur Genüge her-
vorgeht, yrwuas die im Wortstreit angeführten Gründe, so be-
deutet yrwuldıov verächtlich den Scheingrund, die Spitzfindig-
keit, wie sie dem riv Aoyog so trefflich zu statten kommt. So
kann es denn nicht zufülig sein, daf sümmtliche angeführte
Stellen den A gon) zum Gegenstande haben; in der aristopha-
6) Diesen Ausdruck, den ich in meiner ‘Gliederung’ S. 9 f. zuerst
für die von Westphal 'Syntagma' benannte Partie in Vorschlag zu
28 : Th. Zielinski,
nischen Komódie ist eben der Agon, als der den Wortstreit ent-
haltende Theil des Stückes, fast ausschließlich der Tummelplatz
für yroua und yrwuldia.
Glauben wir demnach dem Kratinos, so hat erst Aristopha-
nes in Anlehnung an Euripides den Agon dazu gemacht, als
was er uns in seinen Komódien erscheint. Die Frage, ob Eu-
ripides in dieser Beziehung ein passendes Vorbild fiir ihn war,
läßt sich im Hinblick auf Stellen, wie Alkest. 614 ff, Andr.
147 f, Med. 446 ff. leicht in bejahendem Sinne erledigen. Durch
diese für unser Empfinden sehr glückliche Neuerung hat Ari-
stophanes mit der luußıxn idéa, welcher Kratinos sein Leben
lang treu blieb, theilweise gebrochen; durch ihn ist die Komödie
theilweise sich selber entfremdet worden (cf. Plut. 557) — Wir
wären nun außer Stande uns von dem voraristophanischen, dem
kratineischen Agon eine deutliche Vorstellung zu machen,
wenn der Dichter nicht in einer Komödie ganz entschieden zur
alten Weise zurückgekehrt wire und der Rhetorik und Dia-
lektik den eingeräumten Platz wieder genommen hätte; diese
Komödie sind die ‘Ritter’ ). Hier ist die iambische Idee zur
bringen glaubte, darf ich jetzt wohl um so unbedenklicher beibehalten,
seitdem sich herausgestellt hat, da8 schon Th. Bergk in dieser
Zeitschrift (XIV [1859] 182 = Kl. Schr. II 731) ihn optima forma
vorgeschlagen hat — ein Nachweis, für den ich Uckermann (Phil. Anz.
1887, 354; dankbar bin; vgl. auch Crusius, Centralbl. 1887, 3, 93.
Die Worte Bergk's sind folgende: Diese — nl. annáhernde Symmetrie —
erkennt man am besten in den aristophanischen Komödien, in den Par-
tien, wo ein dydv Àdywv stattfindet; es sind dies Scenen, die in der
Oekonomie der alten Komödie eine ebenso bestimmte, typische Form ha-
ben, wie die Parabase , und da die Sache doch eines Namens bedarf,
möchte ich eben dafür die Bezeichnung 4g o n vorschlagen. Sie stehen,
wo sie niemand vermuthet háütte, in einer These zu Theokrit; mir
kann also kein Vorwurf daraus gemacht werden, daß ich sie überse-
hen habe, zumal der zweite Band der Kl. Schr. ein Jahr nach meinem
Buche erschienen ist. Ferner aber ist Humphreys (American jour-
nal of philology VIII [18873 179 ff.) unabhängig von Bergk und mir
auf denselben Ausdruck gekommen. Es scheint demnach, daß jedes
gründliche Studium des Aristophanes naturgemäß darauf führt, und Blaß
(D. Ltztg. 1885, 1411), der das sinnlose ‘Syntagma’ für besser erklért,
kann getrost bei seiner Meinung belassen werden. — Bei dieser Gele-
genheit will ich mich nochmals (cf. Quaest. com. 8) gegen die Insi-
nuation verwahren (Uckermann a. O.), als lieBe ich Aristophanes die-
sen Ausdruck ‘im technischen Sinne’ gebrauchen. Sie stammt aus ei-
nem yvwuidıov von Blaß, der sich indessen vorsichtiger ausdrückt ;
bei mir steht der ,,technische Sinn‘‘ wederin noch zwischen den Zeilen.
7) Ueber diese eigenartige Stellung der ‘Ritter’ s. meine ‘Gliede-
rung’ S. 112. Natürlich habe ich hier nur die politische Komödie im
Auge, auf deren Boden allein eine Vergleichung des Aristophanes mit
Eine Reform des Aristophanes. 29
vollen Geltung gekommen; von yrepas hört man nicht viel, die
dosdopius, nach dem ZeugniB der Alten die charakteristische, von
Archilochos ererbte Eigenthümlichkeit der kratineischen Komödie,
beherrschen die beiden Agone durchaus.
Die Agone der ‘Ritter’ veranschaulichen uns somit trefflich
den Charakter des Agons vor jener Zeit, da Aristophanes diese
uralte und ursprüngliche Form mit neuem Inhalte füllte. Denn
daB er nicht etwa die ganze Form erfand, bedarf für denjenigen
keines Beweises, der überhaupt weiß, wie conservativ die an-
tke Kunst mit ihren Formen verfuhr; zum Glück haben wir
diese Agone der ‘Ritter’, die sehr formvollendet siud und doch
nicht denjenigen Inhalt aufweisen, den wir gewóhnt sind, dem
Agon zuzuschreiben; wir haben Reste aus den Agonen des Kra-
tinos und Eupolis; dazu kommen andere Erwägungen, von de-
nen noch die Rede sein wird. Uebrigens ist Aristophanes bei
seiner Neuerung schonend verfahren; er hat den kratineischen
üywr Aodogewy nicht ohne weiteres abgeschafft, sondern dessen
Inhalt auf den Proagon*) übertragen.
Eine noch friihere Staffel, den vorkratineischen Agon,
kónnen wir nun reconstruiren, wenn wir annehmen?), daf die
Kratinos möglich ist. Die Märchenkomödie mußte von der in Rede
stehenden Neuerung ziemlich unberührt bleiben, in ihrer phantasti-
schen Sphaere war für die yvwwuas kein Platz.
8) Cf. ‘Gliederung’ S. 119.
9) Ausgesprochen ist dieser Gedanke schon ‘Gliederung’ S. 181.
Hier sei noch einiges zur Composition der Lysistrateparabase nachge-
tragen. Ich habe schon früher bemerkt, daß sie von Viertelchôren
(eroëiyos) und deren Führern (Kraspediten) vorgetragen wurde und diese
Ansicht mit dem Hinweis darauf begründet, daß in jeder der vier
Oden vom Ablegen der Gewänder die Rede ist, und zwar in so be-
stimmten Ausdrücken, daß eine figürliche Deutung im Sinne des la-
teinischen acringt ausgeschlossen ist. Uckermanns (a. O. 359) Einspruch
gegen diese so natürliche Schluffolgerung begreife ich nicht; sollte
er wirklich der Meinung sein, daß beispielshalber die Greise V. 615
das Gewand ablegen, es dann wieder anziehen, um es V. 662 wieder
abzulegen ? — Denn daß nicht etwa von zwei verschiedenen Gewand-
stücken die Rede ist, beweist sowohl die Analogie der übrigen Para-
basen, als auch namentlich V. 1021, wo nur die abgelegte Exomis wieder
angezogen wird. — Nun ist es aber auffállig, dass die Aufforderung,
die Gewánder abzulegen, im ersten Odenpaar die proodischen Tetra-
meter bildet, wührend sie im zweiten Odenpaar die Oden selbst unter-
bricht. Schaut man jedoch genauer zu, so entdeckt man, daß sie in
diesem zweiten Odenpaar nicht nur an entsprechenden Stellen steht
(V. 662 f. = 686 f.), sondern auch, daß diese zwei Stellen — je zwei
trochaeische Tetrameter — sich inhaltlich und formell vom sonstigen
Bestand der Oden scharf absondern. Und da es unnatürlich würe,
anzunehmen, da$ die erste Aufforderung, weil in den Prooden ent-
30 . Th. Zielinski,
wunderliche Parabase der ‘Lysistrate’ uns den Agon jener Zeiten
darstellt, wo in der Komódie nur der Chor wirkte, keine Ago-
nisten. Das steht nun freilich nirgends 'geschrieben'; wenn wir
aber aus dem Agon uns inhaltlich die yvwWues und formell die
Agonisten wegdenken, wenn wir seinen Umfang auf ein bescheide-
neres Maß reduciren, werden wir eben die Parabase der ‘Lysistrate’
bekommen. Diese Phase führt uns unmittelbar an die Schwelle
der Kunstpoesie, in die Dichtung eines Archilochos hinein; was
dahinter liegt, gehört bereits dem Gebiete der Volkspoesie an.
Die Betrachtung der letzteren liegt außer dem Bereich des
gegenwürtigen Aufsatzes; um demselben aber einen Abschluf
zu geben, will ich aus den zahlreichen Analogien eine anführen.
Daß sie nicht gerade aus der griechischen Volkspoesie stammt,
von der uns so wenig bekannt ist, wird mir wohl niemand ver-
übeln, seitdem namentlich Mannhardts Vorgang bewiesen hat,
wie fruchtbar die Heranziehung des modernen ‘Folklore’ sich
bei der Erklürung althellenischer Gebräuche erweist. Auch soll
es ja nur eine Analogie sein, die immerhin die hohe Volksthümlich-
keit des Agons beweist. — Anderswo habe ich auf den Hyme-
naios !°) als auf eine Vorstufe des Agons hingewiesen. Nun war
halten, von den Kraspediten gesprochen, die zweite dagegen, weil in
den Oden stehend, von den Chòren gesungen wurde, so spricht alles
dafür, daß die VV. 662 f. = 686 f. als Mesoden zu betrachten
und daher den Kraspediten zu geben sind. So würden den Prooden
im ersten Odenpaar die Mesoden im zweiten entsprechen, und auch
die Megethe der beiden Odenpaare (27 Tacte im ersten — 25 im
zweiten) würden annàhernd ausgeglichen sein. Betrachtet man nun
diese proodischen bezw. mesodischen Disticha genauer:
V. 614 f. DEP. (xoaon. a’)
oùx Er Eoyov iyxadevdsiv, occ For’ èlebdepos* 10000. a'
all inurodvwpued’, avdoss, Tovtpi T nocypuar.
V. 636 f. TYN. (xoaon. y)
obx ap’ sigsovta 0° olxed" 4 Texovon yvulcetas. noowd. B
alld Jwüuecd, d giles yodes, tadì nywtoy yauui.
V. 662 f. TEP (xoaon. B)
alla rjv timuid exdvuipe?, ws tov dvdga dei ueovd. a'
avdgös oles svdus, all’ ovx évredoswodas noénes.
V. 686 f. TYN. (x0aon. d")
alla yXusic, à yuvaixes, 9àtrov ixdvdus9a, usood. B"
ds av ülwusv yvvawd» adroda& doyicuivwv.
mit ihrem Parallelismus, ihrem auffordernden dÀid, so wird man kaum
umhin kónnen, bei der sonstigen Verwandtschaft dieser Parabase mit
dem Agon, in ihnen eine Art von Katakeleusmos zu erkennen.
10) ‘Gliederung’ S. 238, 1. Eine andere Vorstufe ist das Hirten-
lied (a. O. 237), und das war auch Bergk's Meinung, als er im Agon
der aristophanischen Komódie eine Parallele zu den Hirtenliedern
Theokrit's erkannte (a. O.). Freilich ist seine Annahme einer 'anná-
Eine Reform des Aristophanes. 31
seinerzeit in Tirol die ‘Klause’ ein allgemein iiblicher Gebrauch;
sie wurde errichtet, wenn ein Midchen aus einer Gemeinde in
eine andere heirathete. An der Klause betheiligte sich eine
Menge Menschen, darunter Musikanten und noch einige andere
Personen, drollig gekleidet und mit großen Bürten versehen, s. B.
ein Zigeuner, ein Bettler, cin Auswanderer, der allenfalls eine grofe
Hennensteige mit einer Katze auf dem Riicken trigt. Eine andere
stets vorkommende Person ist das sogenannte Angele, nämlich ein
Weiblein, welches sein Männlein auf dem Rücken oder im Korbe
trägt. Also ein richtiger Mummenschanz. In der Nacht, wenn
der Hochzeitszug mit der Braut passiren soll, beginnt die eigent-
liche Scene. Lauter Jubel, Musik und Pöllerknall brechen los und die
sweî Hauptpersonen (= die beiden Gegner des Agon) be-
ginnen thr Spiel. Der eine Reimer steht hinter der Klause, der an-
dere kommt mit dem Brdutigam, oder er ist zuwetlen der Bräutigam
selbst. Letzterer verlangt freien Durchzug, ersterer verweigert ihn
Dies ist der Anfang eines Streites und Wortkampfes, der manchmal
5 Stunden lang dauert und wobei die zwei nur in Versen oder Rei-
men sprechen diirfen. Jeder riihmt seine Partei und setzt die an-
dere herab, jeder Fehler wird gerügt und jeder Vorzug des Ortes
oder der betreffenden Personen hervorgehoben. Unterdessen werden
von den übrigen Personen alle möglichen Scherze getrieben. Jeder
bringt irgend einen Reim gegen den Bräutigam. Das Angele (=
o fwpodoyos, oder, nach aristophanischem Sprachgebrauch ö za-
q«i» 1!) welches gewöhnlich eine Geige hat, die nur mit einer oder
zwei Saiten versehen isl, streicht mitunter dem Gegner ein paar recht
eindringende Töne unter’s Gesicht, besonders wenn er nicht gar viel
ss sagen weiß. Abwechselnd spielen wieder die Musikanten ein lu-
stiges Stückel . . . . Endlich läuft die Sache dahin aus, daß der
Klausenmacher entweder freiwillig oder unfreiwillig sich besiegt gibt '?).
Es ist klar, daß die Kunstpoesie in ein solches Spiel nur etwas
Ordnung zu bringen hatte, damit daraus die primitive Form
des Agons wurde.
* . *
hernden Symmetrie’ in den Agonen nicht richtig; offenbar hatte sich
Bergk kein vollstindiges Verzeichni& derselben gemacht.
11) ‘Gliederung’ 116 über die Rolle des Bœuolüyos. Dass 6 napwr
bei Aristophanes (Wolk. 542) eben auf diese Person zu beziehen ist,
habe ich Quaest. com. 22 zu beweisen versucht.
12) Zingerle, Bräuche und Meinungen des Tiroler Volkes S. 14 f.
Man móge beachten, dass die Lysistrateparabase hin und wieder in
32 Th. Zielinski, Eine Reform des Aristophanes.
Diese kurze Skizze der inhaltlichen Entwickelung des
Agons möge als eine wenngleich unvollkommene Ergänzung
zu dessen Charakteristik in meiner ‘Gliederung’ S. 9 ff. be-
trachtet werden. Eine ausführliche Entwickelungsgeschichte wird
sich nur im Zusammenhange mit einer Geschichte der Beein-
flussung der attischen Komödie durch die Rhetorik geben las-
sen; aus diesem Grunde habe ich sie von dem obgenannten Buche
ferngehalten. Dort habe ich aus metrischen und tektonischen
Rücksichten die Form des Agons für die Urkomödie in Anspruch
genommen (cf. Bergk’s Worte oben). Dies ist auch von meinen
Recensenten, denen ich sonst, mit wenigen Ausnahmen, nicht
viel Verständniß und Loyalität nachrühmen kann, richtig ver-
standen worden; keiner von ihnen hat mir den unsinnigen Ein-
fall imputirt, den entwickelten Agon der aristophanischen Ko-
mödie in die Urkomödie zu verpflanzen und etwa den Susarion
Agone in der Art des Wolkenagons dichten zu lassen. Letzteres
blieb E. Maaß vorbehalten, der im Hermes 1887 S. 585, 2
folgende wunderliche Anmerkung macht (es war von der Rhe-
torik in Athen im 5. Jh. die Rede): Wer also den aywv roywy
zu einem Urelement der Komödie macht, begeht einen handgreiflichen
Anachronismus; so Ribbeck- Zielinski in des letzteren
Schrift: die Gliederung u. s. w. Man müßte hier ein
thandgreifliches’ Mißverständniß annehmen; doch habe ich vor
Maaßens Talent zu viel Achtung, als daß ich seine Anmerkung
nicht für ein unüberlegtes Renommircitat halten sollte. Daß
man in diesem Puncte Maaß mancherlei zutrauen kann, beweist
— abgesehen von der Anmaßung, das Resultat einer langjühri-
gen Arbeit mit em paar nachlüssigen Worten abthun zu wollen
— die eigenthümliche Art, mit der er mir einen Gedanken weg-
escamotirt, der ganz und gar mein geistiges Eigenthum ist. Die
Anregung, die mir O. Ribbeck, mein hochverehrter Lehrer, ge-
geben hat, habe ich S. 6 meines Buches mit Dankbarkeit, wie
es meine Pflicht war, anerkannt und werde es immer thun;
hütte ich auBerdem ein Resultat seiner Forschung in meine Ar-
beit aufgenommen, so hütte ich es ausdrücklich bemerkt. Wie
kommt Maaf nur dazu, das Verhältniß von Lehrer und Schüler
ohne Weiteres der uuvrelu EvouxAfovs analog aufzufassen ?
den Ton eines solchen Dorfstreites verfállt; vgl. V. 640. 651 ff. und
namentlich 699 ff. ösus, w duomr, dn5y9ov nace xai roig yeitociy uti,
St. Petersburg. Th. Zielinski.
——
IV.
CONIECTANEA
ad comoediae antiquae fragmenta.
CRATINVS.
Archil. fr. 4 p. 12 K. nescio cur pro vera veteris lexicographi
lectione südovre d’abgei newxrog (Phot. Hesych.) Bodleiani
429 evdorts nowxrög aiget substitutum sit, cum totus ille Bodleiani lo-
cus 424 —435 ex eodem lexico ita sit descriptus, ut plurima misere
corrupta esse videantur (cf. Anal. ad paroemiogr. p. 106, Brachmann.
quaest. Pseudodiogen. 394). Interpretatio loci quomodo firmetur
indicis Athoi ordine, breviter indicavi Analectorum p. 71!. Si-
milis est versus Theogn. 169 8» dè 9soi TıuWar 0 xai xosmevuevoc
aigsî (corr. Hartung.). Eadem imagine sententiam contrariam
illustrant Itali (chi dorme, non piglia pesci: Düringsfeld II p. 176),
quamquam etiam Terentianum illud dormientibus suis deos ne-
gotia conficere satis tritum est recentioribus (Düringsf. I p. 322).
Fr. 5 Zielinski ‘quaest. com.’ p. 9 versum corruptum 4w-
dwrulm xuvi fwAoxónp, r(199, yegarm nooceoixwes leniter mu-
tatum ad aes Dodonaeum scite rettulit: Awdwralm zuußo Cuxonœ,
Thin yequla, nooçéosxus. Nam èv ij Aoduwvn civào: duo nu-
guAAmAos . . . xal ini piv Jurégou yadxlov Eariv ov ufya . . .,
ini di JuitQow nusdagior Pv 17 deli yesQl padre.
yıoy Eyor, quod vz0 tov avevparos ovveßumwe wave 100 yua-
xlov (Aristid.-Polemo apud Steph. p. 249, 18 ff): dre oiv 3-
Hehe 6 Feòs yonsumdjous, 6 àvdgiag Exeivog Énass io ó a-
Bog ròv AEBntu, elra ayes 6 Ufns. . . xol. Évepogoÿvro al
nooprsdes xrÀ. (Cosmas Spicil. Rom. II p. 172 Mai, apud Mei-
Philologus. N.F. Bd.I, 1. 3
$4 O. Crusius,
nekium Steph. Byz. p. 280 not. crit.) !): unde leniore medela
Zdwdwvatp «n» xvufoxong restituas. Sed quanto saepius
quod traditum est perlustravi, tanto magis et Zielinskium et
ceteros longius inde aberrasse mihi persuasi. Nam mirum
esset, si yégavoc fwAoxonoc, quod graphice dictum esse nemo ne-
gabit (cf. Babr. fab. 26)?), vano errori deberetur. Quid igitur
si scriptum erat:
. vy — vy — vv «val wa>
Audwvuiov xiva, BwAoxóno, 113, yeoure nooçéoixus —?
vai ua 400. xvva pro vai uà 4. Ata dictum est, cf. Aristoph. Vesp.
83, Cratin. fr. 281 olg nv péysotog oyxog |... xvwv, Entro
av, Jeodc 0° dcíywv. Eadem imagine avurddntog ogdçov nsQi-
nateiv yéouvog (shui) Aristopho dixit fr. 10 vol. II p. 280 K.,
atque oreguodoyovs rovg mégi unoque diarolBovias nominavit
comicus anonymus Eust. Od. e 490 p. 1547 (Apost. 1461).
Itaque manus abstinendae.
Fr. 18 p. 18 ita scribendum esse puto: 18° zug raçgéyyes
Koarvos, ano didvocufov ly BovxoAoız aokauevog. 18b ***
ànudi yoody oùx è&ufe' imi (cod. 7, non nè, quod falso in
naga corrigunt) rov &gygorios Eonv (= xeiras, ut sescenties), dv
(ov cod.) 7ryxe (ings cod., corr. Casaubon.).
Perperam enim ultima illa, quae nemodum sanavit, ad
lemma ab Hesychio exscriptum rettulerunt; neque felicissima mihi
translatione Cratinus Bacchum videtur precari, ut his ipsis Dio-
nystis non vinum superinfundat, sed ignes indignationis, quos ipse in
archontem emittat, sed quaesitissima. Vinum igni vel fulmini
collatum familiare est poetis Graecis atque dithyrambo, in quo
locum illa habuisse traditum est, quam maxime aptum, siquidem
iam Archilochus: ws Aiwyvoor avarroo xadòv èEagfar u£Aos |
olda di9voaufor oirw cuyxeguvrwdei: gporva; cf. etiam fr. 273
p. 93 K. Neque cur a dithyrambo — nihil enim est, cur
proprio sensu non accipiamus verbum illud — Bucolorum fabula
inceperit difficile est coniectu. Nam ex noto Aristophanis versi-
culo zo» uvior ag duoi BovxoAsis ZaBubior mystas Bacchi
Thracii ro? ruvgouoggou iam tune fBouvxodAovy nominatos esse
potest concludi: cf. hymn. Orph. I 9 XXXI 7 et quae ex lapi-
1) Alium omnino esse Aéfyte apud Suidam s. v. Mvias daxoevoy
commemoratum, ex Zenobio Ath. III 11 Par. 184 colligere poterat
Zielinski. Neque igitur de Suidae errore cogitandum.
2) Cf. Hesych. Bwicguya’ rjv cvv* Aaxwrss.
Coniectanea. . 85
dibus collegerunt R. Schoell in satura Sauppiana p. 176 sqq. et A.
Voigt lexic. mythol. col. 10863). Atque a Bacchico fabulae
argumento dithyrambus pendet parodi fortasse loco positus.
Bouxolos igitur nomen ad chorum spectat mystarum Sabazii:
cf. eiusdem poetae Oogrras (Bendidi operantes) "Idetove Anduedus.
Unde fabulam inter eas esse numerandam apparet, quibus pere-
grinas religiones aggressus est Cratinus: cf. Bergk, 'de reliquiis
com. Att.’ p. 109—111.
Ante éz&di) convicium excidit ad archontem frm. 15 (An-
droclem?) spectans (208 Z4fovvotoxvgovo wrwr, 263 * Ardoox o-
Awroxins |= pulo09:06]), 458) atque ipsum fortasse fr. 15 v. 1:
Oc osx Edwe’ alzourıs Zopoxhéss yooor (cf. yogóv ovx Fufe
— éni 100 Ugygovros, ov fujxe).
Fr. 60 apud Zenob. Ath. III 33 (Laur. 28) 4) 800 zagagyses,
quod breviter explicat Photius #20 rà» énayyediortme marti
aera anovducev, wo nur ely féorta mloia enßnraı ovx
Oxsnoasıos, Kockius dictum putat de eis, qui aliquid omni studio
se perfecturos esse pollicentur, occasionem autem ret gerendae
praetermittunt: neque enim tam timidos fuisse Athenienses, ut
navigia mari fluviove agitat (Ggovta?) conscendere vererentur. Sed
6&osre non recte eum intellexisse Zenobii locus qui haud ita
magno intervallo insequitur docebit Athoi III 58 (Ps.-Diog. 731)
so Mylwuxó» mloios ... éni tÀr Uyrav deo TOY... TH nloia
6siv*) atque Parisini 75 aig» per éEprrhoduer, n 8’ snzisose
. eneidàr yao vig reds deotons Féurtlwot xc).: cf. Anal.
crit. ad paroemiogr. p. 81°. Stat igitur, quod veteres secutus
de loci et sententia et conformatione coniecit Meinekius: quam-
quam verum vidisse videtur iam Morus in notis ad Nov. Foed.
(Par. 1668) p. 250.
In Eunidis p. 32 sq. agonis locum obtinuisse apparet cer-
tamen musicum, in quo priscae artis Terpandreae assecla
(fr. 67: prooemium quoddam Terpandri in Eunidis cantatum *)
graves fundens dactylos congrediebatur cum Atheniensi quodam
poeta novicio. Atque recte ni fallor hue refertur fr. 310:
3) Huc fortasse incertum illud comici Attici fragmentum referen-
dum, quod Anall. ad paroem. 68 sq. ex Athoo erui: <ov Ji» Bovxo-
Àgetesc tani mv Bobv <.inuviav> Nam "Thracia et Phrygica haud
pauca in mysteriis Lemniis Samothraciisque inveniuntur.
4) Plutarchum non recte citat Kockius.
9) Terpandrum celebratum invenimus etiam fr. 243.
8 *
36 O. Crusius,
ovzoı Ö elois GvoBoLdotOl, xpovmelomogos yErog ardpdor 9).
Quo convicio tangi opinor uovoa» apyaia» Boeotorum; Bow.
zluv v» proverbium hue rettulit Pindarus Olymp. VI 90 sqq.
atque ipsam Corinnam eodem cognomine significatam esse fama
est eandemque rouove xıdapgdıxovus ad veteris artis normam con-
didisse scimus. Itaque versum illum nescio quis ro» venzepos
in poetam ‘Terpandreum’ iactat, cui fr. 67 ceterosque hexametros
tribuendos esse conicio. Altera igitur agonis pars hexametris
constabat, sicut in Archilochis et Ulixibus. Sed perperam Zie-
linski qu. com. p. 10 sq. in antiquissima comoediae Palaeatticae ae-
tate hexametrum in deverbüs eadem ratione usurpatum esse coniecit
qua in comoedia Aristophanea tetrametros. Nam in fabulis illis
Homeri et Terpandri artem imitaturus zeg@dixmg hexametris
usus est Cratinus; eadem ratione Hesiodi povca» mudevrinzv il-
ludens in Chironibus sententias ludicras hexametris inclusit; ce-
tera denique huius generis fragmenta oraculorum et aenigmatum
(Cleob.) colore tincta sunt. Itaque apud Cratinum quoque hexa-
metros proprium sibi altioremque locum servare neque in pla-
nitiem metrorum volgarium descendere vix potest negari.
Thraess. fr. 80 p. 37 öiloyyo» Bésüiw nihil aliud. significare,
quam deam duas hastas ferentem, iam dudum perspexerunt; cf. prae-
ter lexica Mionnetum II 503, quem locum suppeditavit Rappius in
Roscheri lexico mythol. col. 782. Certe hanc explicationem silentio
praeterire non debebat Kockius Hesychii oraculis nimium tribuens.
Thraessarum fragmentum a Nauckio apud Kockium p. VI
in schol. Oribas. III 680 investigatum hunc in modum correxi:
ovx ori pidos Éxgogog
erzevdev Og <roùs> ugeovag (-185 cod.).
Non licet verbum efferre hinc ad insipientes. Loquitur mystarum
(Thraessarum) chorus: cf. Plotin. Enn. VI 9, 11 ró zwr nvorp-
Qo» Enitazua +0 ui] ExGevery Eis wy neuvnuerovg, at-
que Eustath. p. 1788, 10 (in disputatione scholio illo simillima)
TO Expepeiv MVOTIOLOY Une Eypiv avex popor. Nam aqooreg
sunt auvyrot, BeBydos, Auroi (Callim. hymn. II 10; VI 3), sicut
Evreroi vocantur oi peuviuero: (Plut. ap. Stob. V 72 vol. V p. 51
Dbn.: aslow Evrezoioi, Ovgage éni0so0s, BsBydor).
Malthac. fr. 102 p. 46 extr. omitti non debebat Athoi Ze-
nobii testimonium II 37. Accuratius de Kvidov [jee egi in
6) De fr. 317 dubito, v. infra.
Coniectanea. 37
programmate Lipsiae anno 1886 edito p. 17; addo qui in rem
faciunt Kvdtxearac Lydios Hermipp. fr. 70 p. 246.
Ad Nom. fr. 128 p. 58 vereor ut iure omissum sit ‘Zeno-
bi’ qui dicitur testimonium volg. 71 p. 26 aiwnry£ [ov]0ego-
Qoxeirav* enı 20» ov QaÓ(oc dwooıs &Àuoxopivor (exscr. Ps.-Diog.,
Greg.): quo Suidae un Gadios dwpoıg nmuDousvov firmatur.
Dona quidem accipit callidus homo, sed non facit, quod promisit:
sicut volpes esca quidem potitur, sed ita potitur, ut ipse non
capiatur (cf. Babr. fab. Vat. 9 = 130 Rutherf.). óegoóoxeiroi —
passivum non expellendum est.
Odyss, fr. 146 in Etym. M.:
ovx ID: AITAAOYKE(T)ONOOI rani Xeorkevye.
Charixenen antiquam »oovunzw» poetriam fuisse Cobetus Kockius
alii credunt; sed lexicographus, quem Etym. M., Hes., interpo-
lator Zenobii exscripserunt, eis imposuit vili autoschediasmate,
quod taedet transcribere. ‘(Oîa) rani Xagıkerns’ formula quid
significet Aristophanes poeta demonstrat Eccles. 942, ubi vetula
iuveni: oiumlor roa vj Ala onodijozis* | où yao rami XagiEdvgg
acd’ sorir, h, e. puella amata non potieris, nisi mihi satis fe-
ceris, vel non gratuita haec tibi erunt. Eodem te deducit (quod
unus Welcker videtur perspexisse ‘KI. Schr.’ I 32217) Aristopha-
nis grammatici interpretatio (a recentioribus ad gl. ém(yewoa trans-
posita vel oppressa), quae ipsum Cratini locum in Etymologico ex-
cipit: 'Agigroqarge* ot te xuru piodor, all olor ‘sai alia tive’,
h. e. zanı Xapıkevyg poeta non dixit ad mercedem respiciens, sed
eodem sensu quo ‘etiam alia quaelibet. Itaque formulam illam
primam propriamque sententiam ro? au:00f (gratis) habere cen-
suit Aristophanes, sed hoc loco translatam eam esse putavit ad
quaslibet res viles volgaresque (rà zuyorz«=) significandas, Vides
Charixenen (a yeollesSar, gratis aliquid facere) eiusdem prosa-
piae esse, cuius Callippidem, Dexo, Doro, Emblo, Dicabum, Pasi-
chaream (cf. Anal. ad paroemiogr. 55!) multosque alios, quorum
nomina o»ouaronontixGOe ficta sunt aut a volgo aut a poetis,
inprimis a comicis (cf. e. g. ipsius Cratini fr. 400 p. 121 K.).
Ita zanı Xaorkerng carmina gemella sunt modorum tibicinis Arabii,
qui 3oaguijs uà» avÀei, rarragor dè maverai, ut est apud Me-
nandrum. Totum igitur locum duce Meinekio, qui Hesychii gl.
id &eza- (dia tiva atque via zu igi Xa. recte huc rettulit,
banc fere formam habuisse suspicor:
88 O. Crusius,
Li
ovx ide atta, xovxer’ 090° ola tant Xapifévns; -
nonne «vobis cecini> nova quaedam mihi propria eaque nequa-
quam vilia?
Panopt. fr. 151 p. 60 cur xaranvyær ille Aristodemus &»
zoig Kıuwısloıcı dpeinivıg potissimum Laciadarum in finibus
sitis zoynuvıei, Posidippi fragmentum docet Zenob. Ath. I 73:
© Aaxıadaı xoi orerect . . . d7uog dé dori Artis oi Aa-
zındaı, xaxet Gapariôec neraicı piovra: tavrais Ü8 youwrras
tata Tor Angösrtos porgo équpoltorte:: quae quamquam me-
rae sunt nugae, tamen versiculi sententiam bene illustrant (cf.
Anall ad paroem. p. 64). Aristodemus ille, 0 zowxz0g cogno-
minatus ut Aaxxonownzog et À u x oxaraziyor, inter Aaxta-
dag artem suam debebat exercere.
Fr. 153 apıduazoı forma Dorica ne in hexametris quidem
delenda erat in fabula, qua Hippo Rheginus transducebatur.
Quid enim, si aut ipse aut discipulus eius sententiarum quasi
oracula edens hexametris doricas formas adspergebat?
Pylaeae fr. 176 p. 67 Zonvgov radarta recte. explicavit
Didymus éx petagogas, otovet Evyu xui nox Essig neque au-
diendus Macarius (ezı và» qovriza rina did mioizov bnousud«s-
v0»), qui persuasit Kockio. Nam reda:rae, quod ad libram Iovis
fatalem referendum est, idem valet quod sors vel fatum. Cf. Il.
XVI 658 7:0 yàp Aiôç ign tadarta, Theogn. 157 Zeus yoy tot
v0 tadavtoy Emiggeneı &Àlote &Alo,, Euphorio in Meinekii Ana-
lectis Alexandrinis p. 87 nenpœusra t«Aarto.
Ad Pytin. fr. 183 Kockius cum glossam non repperisset cita-
vit Hesych. apud Casaub. ... ao oioeı tgia; £ni otvov éheyeto url,
Sed omnibus verbis scripta haec exstant sub lemmata leviter cor-
rupto a.ovorzola* éni olvov éléyeto, Enel v0 mada éxipvato etc.,
vol. I p. 287 Schm., ubi etiam Fungeri emendatio a Casaubono
iure recepta et Cratini fragmentum indicata sunt in adnotatione.
Cf. etiam Hes. Phot. s. zgia xai duo.
Fr. 195. 196 p. 72 sq. duo nescio qui nomina eorum recen-
sere videntur Kockio, qui indigni ad rem publicam accesse-
rint; alterum iubere alterum Clisthenem et Hyperbolum ex numero
illorum qui digno sint tanto honore tollere et nomina eorum aptiori
loco (?) adscribere. — Legimus in fragmento 195:
Ançeis &yov* yeloiog fora Kluodirng xvpavor
Coniectanea. 39
te 1908 ty xadiovs axuy...
Nihil hic de re publica; sed altera‘ persona alteram corripit, quod
xupevorra fecisset Clisthenem, hominem delicatum. Atque
collato fr. 196 ‘YréyBoior 8 &200g£aus | &» roig Avyroıcı yo a-
wo» (scil. à» 77 na) [Pyt. fr. 204], i. e. in tabulis scripto-
ris) verum vidisse Dindorfium intellexi post «xu; transponentem
vod@ «vzür dy Ténecooüífq?); Er omodeio quoque libenter reci-
perem, si certior esset vocabuli auctoritas (quamquam cf. ozodeo,
62005cilavg« sim.). — Comoediam ni fallor audimus in agone
nova quaedam poetae inventa corripientem atque veras vov xop-
@dsîr vias monstrantem.
Chiron. fr. 245 p. 88 integer transcribendus erat Zenobii
Parisini locus, à quo personatus ille Plutarchus non est diversus
(= Ath. III 60).
Hor. fr. 252 p. 89
TRUE alta AQUTTO, ‘quo’ ario ovdzv moiy
palmarem Dobraei emendationem, prae qua longe abiciendum
Toupii Cobetique z/ ravru 70077%w, commendant quae olim compo-
suerunt lunius Adag. III 37 p. 162 et Gilbertus Cognatus, Adag.
VII 83 p. 481. Recte ad zavra norte (hoc age) locutionem
Cratini locum Iunius rettulit; atque locum gemellum e "Terentii
Andria 186 attulit Gilbertus, ubi Simo Davo deverticula quae-
renti: Aocíne agis an non; Davos Simoni: ego vero istuc. Addo
Ter. Eun. 57: Chrem. Alias res agis, Parm. ?stuc ego equidem,
Plaut. Poen. V 4,26 (39): Agorast. At enim volo hoc agas Han.
At enim ago istuc. Simili ratione Aristoph. Anag. 47 p. 408 K.
tour’ avtÓ myatro servi tergiversantis sunt verba, quem nummos
amissos quaerere iubet erus. Itaque lepidissimum hoc prover-
bium pera rov 8miÀOyov Aeydusror eis est addendum, quae con-
gessi in Analectis ad paroemiogr. p. 74.
Inc. fr. 279 p. 95
iQ? à v Eu’ abrir ovyxadevderr tH natof
unam novit Kockius quae loqui possit Pelopiam; sed in Aeolo-
sicone Aristophanis eundem incestum locum habuisse luculenter
exposuit Zielinski (‘Märchenkomödie’ S. 38). Ceterum huc for-
tasse fr. 287 ; naig yao Eunaıs gotiv «ti. referendum est.
7) Versus ex agone petitos esse apparet: quem éaecodsov nominari
posse non demonstravit Porsonus, Koarivos i» Mutivy léywv dv Emsıso-
diw non modicis mutationibus fingens miraque citandi ratione.
40 O. Crusius,
Fr. 290 p.97 a»0go» apiorwr mace yagyaige: nolıg mirum
quod «&. «s«&»0gov coniecit Kockius, cum nulla urbs optimis civibus
abundet et yegyafosiy de malis fere praedicetur, Quidni xar ev-
yurouôr accipiamus üpiorwr illud?
294 p. 98 apyor etui | viv Aômraios #70. Ad Bubulcos
Kockius provocans (fr. 15) is archon, inquit, éntellegendus, qui
Cratino chorum negavit eiusque rei ralionem sibi esse reddendam . ..
negat. "Verum ita quid sv» sibi velit non intellego. Mihi qui-
dem oí»o éneg0sig loqui videtur poeta: cf. Bacchyl. 27, 6 «v-
tly 6 ui» nóÀso» uondeuvo Aver, | nace à a» 0p nbie uo-
yaoyxyoery douet |... 06 m(vovrog opuairet xéap; Arist. equitt.
92 sqq. cede; Ora» mirocir &rÜQonot, rote | nhovrovor, diangat-
tovel, sixOG0i» dixag xti. Quae sententia in multis fabulis (prae-
ter Bubulcos etiam in Pytine) apte proferri poterat.
Fr.298 interpolator Zenobii volgati ex eodem lexico hausit,
a quo Hesychius pendet cum Photio et Suida. Suidae testimo-
nium II p. 725 Photiano integrius?) omittere non debebant
editores.
Fr. 305 p. 101 xai [lolvurgore asider uovorxÿr Ta pus-
Gave. Polymnestum lascivorum | carminum auctorem longe . di-
versum esse affirmat Kockius a clarissimo illo Colophonio?) Sed
de altero hoc poeta apud antiquos altum est silentium; atque
ne simile quidem est veri eodem tempore, quo Colophonium prae-
dicat Pindarus fr. 188 Bgk., cognominatum fuisse melicum glo-
ria non minore apud Graecos florentem. Recte igitur Polymne-
stos Colophonium et eroticum confuderunt antiqui. Neque vero
quicunque Alcmanis fragmenta perlegerit, auctorem, qui per artes
vias illi praeivit (cf. fr. 114), égorix« scripsisse mirabitur. Quo
accedit, quod apud Iones potissimum poesis amatoria est exculta.
Arcendum hercle novandarum rerum studium non minus in lit-
terarum historia quam in verbis scriptorum constituendis.
Parodia Hesiodea fr. 317 videndum est num apte ad prae-
cepta Chironum referatur, quorum simillimi sunt hexametri fr.
235—237. Certe Eunidae et Archilochi alio sermone utuntur.
Ad frm. 349 Navow» Navuparmn cf. fr. 401. 69 sq.
Frm. 442 Z&yoa apud Photium explicatur fai rov / aÀAjO eix
8) Hoc quoque loco demonstratur Suidam non pendere ab ipso
Photio, sed a Photii auctore.
9) Secutus est eum Flachius hist. poes. lyr. p. 279.
Coniectanea. 41
ovrog Koarivoc. Post rov tribus punctis positis excidisse quaedam
Kockius indicat, cum totius versus lacunam esse censeat cum Mei-
nekio vol. II p. 206. Sed silentio praeterire non debebat quod
iam dudum commode correctum atque a Nabero receptum est:
arti toV ade. Quod vel nt70s vocula comprobatur bre-
vibus potissimum glossis propria: cf. e. gr. gl. ocyg, o«Eac (vri
toU ruasas' ovrog Evrodis), onovürr nouwio®ar, oragvinr, avp-
Bolara, cvreAxew tag oye (arti Tov Ovsuysww * ovrog Avtiga-
915), Gvregog, ovsénene yeveaGar (avri tov avvégg: oùrws "Inno-
xoarns), cordupeir, Cuvyxowar, cvrtigQgua, cvoquei, opyxwaal, oyi-
Ces: quarum glossarum nulla ipsum scriptoris locum continet.
Proverbii explicatio Zenobiana Demoni tribuenda est: Anall. ad
paroemiogr. p. 147.
Fr. dub. 460 ex Apostolii prov. 669 petitum (Ezeov der-
Àorepog* oùrwç Eleye [scr. éléyero] Koarivog 0 xoguixóg x1.) non
opus erat in ordinem recipi: tam apertus ineptissimus est homi-
nis Byzantini error lexicographi verba bene tradita foede cor-
rumpentis. Atque nullam illius fidem esse quis est quin sciat?
CRATES.
Ther. fr. 14 p. 183 de pisce aetate aurea se ipsum assante:
dv, Badil’. „add. ovdénmn "ni datto” onto ein.“
ovxour peraorpéwas ceavtòv aii nuceig dielqor.
Kockius quid sit wlsiqgor discretum a masess non intellegit, atque
Geavtor Siandoety adevgorg Scribendum esse opinatur. At óàei-
ger arti zov Elaip yolocı accipi satis notum est: olei autem
in Owonorte veterum magnus erat honor. Cf. e. gr. Athen. XIV
645* ad Pherecr. fr. 83 p. 168.
De fr. 29,3 rurtnzepor 20xoi Pseudo-'Diogenianum' Kockius
non recte citavit cum Meinekio, ubi locuples testis adest Me-
nander apud Didymum Zenobii Athoi I 87.
PHERECRATES.
Coriann. fr. 79 p. 166 in veteribus exemplaribus longis
versibus scriptum fuisse ipse Hephaestionis auctor testatur inter
aovenetyra Üixava)gxvo illud referens, Coniungenda igitur cola
priora hunc in modum:
avdoec, noocyere toy vovy vv— | vv ekevonpare xov.
De rhythmo versuum, quos ovuntuxzovg avanatorovg ipse Phe-
42 O. Crusius,
recrates nominavit, vide quae exposui in Musei Rhenani vol.
XLII p. 199 sq.
‘Ow’ 12966, aA’ 84 rov Kolorey teoo versiculus, quem Petal.
fragmento 184 explicando recte adhibent, a Photio, quem cum
Meinekio citat Kockius, minus bene explicatur, quam ab Hesy-
chio aliisque a Leutschio ad prov. app. 349 p. 444 laudatis.
Ceterum e comoedia Attica eum petitum esse veri non est dissi-
mile: audimus imperiosum aliquem mercennarium xaüvnreol-
Corza increpitantem. Cf. Cratin. fr. 263.
Ad Petal. fr. 140 p. 186 haec adnotavit Kockius: Praeterea
‘Petale’ commemoratur. Suid. III 592 (Mein) Degexoarns Ileraly
youper. sed verba poetae exciderunt. in Bernhardyi editione frustra
quaesivi. Sed alterum hunc locum ipse Bernhardyus indicavit
in indice p. 2015/16 atque typis exprimendum eum curavit in
adnot. crit. vol. H 2 p. 1448; deest in A codice. Quamquam
verba poetae non ezciderunt: nam nudos titulos simili ratione
saepius addidit interpolator novicius, cf. Koqiurvoî* Degezgarns
xeyunzaı, KoanaixnAkoig* Devexodtns A£yer (A in margine), Mvo-
pugxerOgonoisy* diegexotzQe youges (apud Bernhard. H 1,916 adn.,
omisit A).
Dour quiaxny enızarzeı» quo sensu dixerit Pherecrates in Ty-
rannide fr. 144 p. 187 dubitare possis, nam proverbii dvalovrog
duas explicationes praebuisse videtur lexicographus (Diogenianus),
quem et Hesychius sequitur et interpolator Zenobii 198 p. 57:
Zenob. I. ?mi zo» un Gvra- Hes. I. excidit.
nero» ta npoçityuara adngowr.
II... dia zu arazuaîor avrò II. ézi cà» un deoperor nuog-
ire dut. takeng, dia TO avaynaioyg xai
ywpis Eminedetceny TOUTO AQUT-
cer. Depexoarns Tupavridi.
Sed accedit testis cui aures non praebuerunt omnium gra-
vissimus lexicographus Coislinianus 91 Gaisf. (p. 229 adn. in ed.
Gotting.) post verba Hesychiana $a: rà» um Gsouérwor — torto
noarzeır arııynaleodar haec addens: oi yap er Agyırsavauy yr-
andErtes Aaxedaimorion xat. yvuroi xai. anopor quyorteg Eteor(xov
naguxelevouérov avroîs gulaxag Fyer, ive py À&OoOw avroig
sEaigrny énincoórreg AOnvaior, anexolvarto’ dr del Tous yuurovg
85 arayans aygunreiv dic r0 Qíyog (cf. Xenoph. Hellen. I 6,
26 sqq.; Grotii hist. Graec. cap. LXIV vol. IV p. 448 sqq. in-
Coniectanea. 43
terpret. Germ.?. Quae ut narrarentur ipsum Pherecratis locum
causam fuisse lubenter crederem, si usque ad belli Peloponnesiaci
exitum vitam eum produxisse satis constaret.
De Chiron. fr. 145, 4 sqq.
(Cinesias) sSapuorlovg xuunag noir Er taig orooguig,
10 amviwdey’? ovro, (Musicam), WOTE Trjg mOIGEON
tà» ddvodufor, xadaneg "iy taîs dorici» 19),
apisteg uvtov quiretai ta delta —
quae exposui in comment. Ribbeck. p. 17 sq. nolo repetere. Il-
lud addo, quod difur et agıoregor (xw) or) vetera artis poeticae
voeabula fuisse intellegitur ex Aristotelis testimonio metaph. W 6
p. 1093* 26: Buirerur (hexameter) 6’ à» pér ra Selig Eıyem cud-
lafaig, 8r dì 16 aqioreo® 0xt0) (cf. Usener, ‘altgr. Versbau' p.
41 sq.) Quae si recte huc rettuli, versuum priora cola secundum
modos musicos etiam posteriore loco cantata esse dicere voluit poeta:
qualia facile est observare apud nostrates. Hinc igitur praesidium
petere non potest, qui interpretationem Hanovianam probat iuxta
eum eis, quae de chori versionibus volgo traduntur.
Fr. 153 p. 193 versus ‘11. 12' ad Hesiodi opera rettulit
Kockius, sed ipsos versus illos non exscripsit. Cf. Meinek. FCGr.
vol. H 1 p. 336.
Ad fr. inc. 166 p. 196
cel 208° naiv byxshexlCove ot Üsot
Leutschius paroem. vol. H p.155 non inepte rettulit Macar. 218
daluor Kidixiog* êni Ta» œnorponuior xvÀ. Ceterum in edi-
tione novissima una cum Zenob. 4, 53 proverb. syll. Milleri ci-
tatur, quam veram Zenobii recensionem esse dudum constabat.
Fr. 174 0 À«yog ue Baoxutrei (= hvnei) 189 rpxos
ad fabellam (cf. Phaedr.19), quam altera persona narrabat, per-
tinere conicio. Ita Trygaeus Aristophanis (Pacis v. 1066) ora- -
culo audito: 7097» yaponoiaı miOnxarg,
De fragm. dub. 249 éxzoréow nat ty» Toiya iusta causa non
est cur dubitetur, quamquam dubitaverunt praeter Kockium
Leutschius paroemiogr. II p.212 adn. atque censor quidam ano-
nymus in Zarnckii ephem. litt. 1881, 962, ipsum Aristophanis
nomen substituendum esse opinantes. Nam Coislinianus, qui no-
men poetae servavit (172), non mediocrem habet auctoritatem
atque versus Aristophanis Plut. 1085 ovrexmore’ sori 001 x«i tijv
10) ‘Im Spiegel’ Zielinski, *Gliederung' S. 267,
44 O. Crusius, Coniectanea.
eovya paullo aliter est conformatus: itaque ovdey Oavnuactós:
cvunínzovot yag aldmkoıs ot roujtai (Did. apud Zenob. Ath. II 52).
Contra fr. 250 cur ad Pherecratem rettulerit Kockius non
magis assequor quam qua ratione ductus tractaverit. Scripsit
enim: Photius orgaenyıav" énidvueir rig orvarnyıday. cf. fr. 235.
perperam eum verbum explicavisse arbitror. sed videtur otoarnyiny
in eadem cum fr. 235 fabula a nomine oronenyls non multum
afuisse. Nisi forte otoatnyiag scribendum est pro oroatnyldog.
Praeter Photium, cuius codex ozoazı@» exhibet, Hesychium con-
sulere debebat s. oroazzyzia»: 70 émdvusiv orgar<ny>ias (orpa-
zia cod., simili corruptela) atque Suid. s. orgoargyix»* émOvueir
orgaznyidos (ita A, ozpaznyiag volg.) xoi oronmyınvea, orgaty-
yiag ógsyóusvosy* "Ioanne: (sequitur locus).
Tubingae. O, Crusius.
Ad inscriptiones Phrygias notulae.
Inscriptionis Phrygiae, quae legitur in commentatione Ram-
sayi annalium ling. comp. voluminis VIII (XXVIII, 1887) in-
serta p. 397, verba quae sunt | K4/4AOMNHKACMENIH |
KANAPIAAAH | non recte. transscripsit Ramsay our] xe
Kaopeivy. Scribendum erat xà 4opsívi, quod nomen graeco-
barbarum est ad &ouerog (” Aoueroç: Fick, d. gr. Personennamen
p. 16) referendum. Cf. 9«1ausv formam p. 386. — Versuum
popularium atque rudi arte factorum vestigia compluribus in lo-
cis observabis pellucentia. Exempli causa profero inscriptionis V
(prope Augustopolin inventae) verba extrema execrandi hanc for-
mulam continentia: 6, ar dè xaxóe monassı (corr. Ramsayus)
| réxra &oga «Ainoito7 |. Cf. versiculum Boris moogolaeı yeiva
x:À. et quae collegit Usener, altgr. Versbau p. 35, unde Alznıro
ex barbarorum illorum consuetudine supplevi in exitu mutilato
et turbato; nam litterae subscriptae ENTT, e quibus #r7v<yo0170> (?)
elicuit Ramsay, ad formulam Phrygiam videntur pertinere, si-
cut (quod eodem loco legitur ab altera parte) /7ToN (cf. Ram-
sayum). Similis versuum numerus etiam fortius aures tangit in
inser XVIII p. 397 sq.: | rés zoizov urnu<e>iov | xax» ysiva
mgogeCv£P»xp, || Cav avzag <naga>doizo | Be<p>ow <utv>ag
unö O5pio» (scr. 9yvwr) ||. Integros duos audimus hexame-
tros ‘demoticos’ copiis Useneri p. 35 addendos. De ris prono-
minis usu relativo cf. O. Immisch in 'studiis philol. Lipsiae a.
1887 editis p. 812.
Tubingae. O. Crusius.
- -rr_r——€€+ HÀ —
V.
Ein Beitrag zum Vulgärlatein.
In fast allen das Vulgärlatein betreffenden Schriften findet
die Thatsache gebührende Berücksichtigung, daf die lateinische
Valgärsprache infolge des massenhaften Eindringens griechischer,
besonders dem Sklavenstande angehóriger Elemente in Rom stark
mit griechischen Ausdriicken verquickt ist, Ausdriicken, deren
Lebensfähigkeit so groß war, daß sie in vielen Fällen sogar
bereits vorhandene Bezeichnungen der Schriftsprache verdrängt
haben. Nirgends dagegen ist, soweit ich sehe, der anderen
nicht minder wichtigen Erscheinung genügende Beachtung zu-
theil geworden, daß das Vulgüridiom eine gewisse Vorliebe
für hybride Bildungen zeigt, sei es nun, daß griechische Suf-
fixe an lateinische Wôrter angefügt oder eine Verschmelzung
von zwei hinsichtlich ihrer Herkunft heterogenen Ausdriicken durch
Komposition vorgenommen wird. Und doch findet sieh von
Plautus bis zu den spätlateinischen Schriftstellern eine nicht un-
erhebliche Zahl derartiger Wortbildungen, die der Klassicität
fern liegen und daher in der frühesten und spütesten Epoche
der lateinischen Sprache am bedeutsamsten hervortreten.
Daß Plautus so häufig diese Sprachmengerei vorgenommen
hat, kann nicht befremden, wenn man bedenkt, dass er ein der
griechischen Sprache müchtiges Publikum voraussetzt. Hat er
doch in seinen Komödien nicht selten ganze griechische Sätze,
Redensarten und Wörter eingeflochten !)!
1) Vgl. Cas. 607: nodyuaré pos nagéyess. Stich. 707: 7 nen’ j
46 O. Weise,
Wie kann es dann Wunder nehmen, wenn er lateinische
selbstgeschaffene Eigennamen mit dem griechischen patronymischen
Suffixe versieht und Monstra wie Tedigniloquides, Nummosexpal-
ponides, Argentumexterebronides, Nugipalamloquides, Virginesvendo-
nides, Quodsemelarripides, Numquampostreddonides (Pers. 702- ff.)
produziert oder das gleiche Suffix mit latinisiertem Ausgange
zu komischen Formen wie collicrepida, Halsklirrer (weil die
Sklaven Halseisen trugen; Trin. 1022), cruricrepida, Beinum-
klatscher d. h. einer, dem die Schienbeine vom Schlagen klat-
- schen (ibid.), plagipatida, Schlägeerdulder (Capt. 472. Most. 356),
rapacida, Räuber (Aul. 368) oder gar zu Bildungen wie perno-
nida, Schinkensohn (in Verbindung mit laridum, Schinken) und
glandionida (in Verbindung mit suillus, Drüsenstück vom Schwein)
Men. 210 verwendet ?)?
Doch Plautus ist noch weiter gegangen. Schon bildet er,
anscheinend nach dem Muster griechischer Wörter wie oro«-
tıwıng, von hamus eine Form hamiota (Rud. 310) Angler,
der wir dann bei Varro sat. Men. 55 wieder begegnen, und ge-
staltet das alte Lehnwort nauta = vaurns, das wegen seines
Suffixes (das römische Suffix ta bildet nur Feminina) nicht echt
rómisch sein kann, unter Anlehnung an navis zu navita um, eine
Form, die wir dann bei Tibull, Apul. u. a. öfter wieder finden.
Ebenso hat augenscheinlich die von ihm aus dovA:xws übernom-
mene Form dulice den Ansto zu der Neubildung pugilice, nach
Art der Faustkümpfer Epid. 20 H. gegeben, die mit griechi-
schem Suffix von dem Substantiv pugil geschaffen worden ist,
man müßte denn annehmen wollen, es habe einst eine römische
Weiterbildung pugilicus existiert.
In gleich freier Weise verführt Plautus bei der Wortzu-
sammensetzung. Zunächst finden wir bei ihm Komposita, die
Teie niv' % un tétrage. Cas. 608: dabo uéya xaxov. Pseud. 712: ya-
giv Tovıw now. Versicherungsformeln : ua tov Anollw (Most. 978. Capt.
880) ») tay Koópav, vi; tav Ioaiwéorgr, vn tev Xiyviav, vn tav Poovaı-
vova, vy tav ‘Alatosov (Capt. 881 ff), vai yap, x«i tobto vai, xai TovTO
vai yao (Bacch. 1162. Pseud. 488. 484. 488); o£v Cas. 609. nade» (Trin.
705) otystas (Trin. 419).
2) Was wollen gegen solche Formen die wenigen áhnlich gebil-
deten Patronymika besagen, deren sich Lucilius, Lucrez und Vergil
bedienen: Luciliades (Lucil. dub. 5), Tusculidae (ib. inc. 24), Scipiades
(Lucr. 3. 1054. Verg. Aen. 6. 844. cf. Sil. 8. 257), Memmiades (Lucr.
1. 27) und Romulidae (Verg. Aen. 8. 638)? Vielleicht sind sie nach
Plautus' Vorbild geschaffen !
Ein Beitrag zum Vulgärlatein. | 47
den Anschein griechischeu Ursprungs haben, die man aber in
der griechischen Litteratur vergeblich suchen wird, eben weil
sie unser Autor wahrscheinlich selbst gebildet hat. Dahin ge-
hóren z. B. tragicomoedia, halophanta, halagoras, hapalopsis, cata-
ractria, migdolibs, murrobathrarius, pentethronicus , sacciperium , ha-
maxagoga, Bombomachides, Aeschrodora, Cheiruchus, Miccotrogus,
Polymachaerophagides, Clitomestoridysarchides, Cricolabus u. a. Dann
aber fehlt es auch nicht an solchen, die aus heterogenem Sprach-
gut zusammengeschweißt sind, wie ferritribax (Most. 356), Eisen-
reiber = Gefesselter von ferrum und ro/ßw, während Trin. 1022
dafiir die rein lateinische Form ferriterus (ferrum und tero) auf-
tritt (vgl. Most. 744 ferriterium = ergastulum), ferner ulmitriba
(Pers. 278) Ulmenreiber = einer, der gepriigelt wird (vgl. ul-
meus Plaut. Asin. 363), flagritriba, Geisselreiber (Pseud. 137
vgl flagrio, onis), manticinari von uavris und cano (Capt. 896)
weissagen, biclinium (von bis und xàívpg nach dem Muster von
triclinium, tolxAivoy) Speisesopha für zwei Personen (Bacch. 710.
754 vgl. Quint. 1. 5. 68), antelogium (von ante und Adyog nach
dem Vorbild von prologus) Prolog (Men. prol. 13 vgl. Fulg. con-
tin. Verg. p. 148 M., Auson. ep. 16 praef. extr. und anteloquium
Symm. ep. 8. 23), pultiphagus (von puls und gayety) Breiesser
(Most. 828 neben pultiphagonides, Poen. prol. 54).
Bei den nachplautinischen Autoren finden sich analoge Er-
scheinungen nur in spärlichem Umfange. Verwendung griechi-
scher Suffixe bei rein lateinischen Ausdriicken ist nur in we-
nigen Beispielen mit einiger Sicherheit nachzuweisen. Dahin
gehóren merkwürdiger Weise gerade zwei nur bei dem Grie-
chenfresser Cato belegte Wôrter: 1) scutriscum, flache Schlüssel
(Cat. r. r. 10. 2; 11. 3), wenn anders dies, wie man gewóhn-
lich annimmt, eine Deminutivbildung (vgl. calathus und cala-
thiscus) zu dem gleichfalls bei Cato r. r. 157. 11, ferner bei
Plaut. Pers. 88, Caecil. com. 68 u. a. bezeugten Nomen scutra,
flache Schüssel, Schale ist und hinsichtlich der Bedeutung mit
scutrillus (Pompej. comment. 164. 26 K, scutella Cic. T'usc. 3. 46
vgl. scuta, Schale bei Lucil. sat. 5. 17) identificiert werden kann.
Denn das echt lateinische gleichlautende Suffix, welches übrigens
ziemlich selten ist, hat nie deminutive Bedeutung, was man aus
Wörtern wie lentiscus, scordiscus, mariscus, vopiscus, turbiscus, Pe-
tiscus ersehen kann, aber auch aus portisculus und acisculus, die
48 O. Weise,
noch ein Deminutivsuffix (-ulus) angenommen haben. 2) apia-
con, i, n. Cat. r. r. 157. 2 vgl. Isid. 17. 9. 80 = brassica
apiaca (Cat. bei Plin. 19. 136), eine dem Eppich ähnliche
Kohlart. In dieser Form ist die griechische Endung on ent-
schieden auffüllig, zumal das Adjektivum apiacus mit rein latei-
nischem Ausgange daneben fiir denselben Autor belegt ist. Nur
fragt sich, ob das letztere nicht vielleicht auch mit griechischem
Suffix -(i)dcus = -(v)axog gebildet ist. Die Lexikographen z. B.
Georges im lat. deutsch. Handwörterbuch 7. Aufl. scheinen dies
anzunehmen, da sie meist a mit Kiirzezeichen versehen, während
das rein lateinische Suffix -Zeus z. B. in merdcus und in Ablei-
tungen wie hordaceus, arundinaceus, gallinaceus lange Pänultima
zeigt. Dichterstellen, die zur Aufklärung über die Quantität des
a in apiacus herangezogen werden kónnten, giebt es nicht; über-
haupt scheint das Wort außer den beiden oben angeführten ca-
tonischen Stellen nur noch einmal bei Hygin fab. 74 Schm. in
Verbindung mit corona = Eppichkranz vorzukommen. An sich
wire die Ableitung vom Stamme apio- mit Suffix dcus recht
wohl móglich, aber einmal giebt es, soweit ich sehe, kein stü-
tzendes Analogon aus dieser Zeit für diese Endung bei voran-
gehendem i, da ebridcus von ebrius bei Laber. com. 10 R.? jetzt
mit Recht in ebriatus geündert ist?), sodann ist in diesem Worte
griechischer EinfluB schon durch den Ausgang -on bezeugt und
endlich spricht die Analogie von scutriscum fiir die gleiche
Sprachmengerei auch in unserem Worte. Ueberdies ist das griech.
Suffix (i)äcus wohl nicht bloß in diesem Worte zur Verwendung
gekommen, sondern scheint auch in den allerdings spätlateini-
schen Ausdrücken comitidicus von comes, mit einer Militärcharge
bekleidet, Cassiod. var. 6. 13 lemm., Anthol. lat. 128 lemm.
(948 lemm.), stiridcus von stiria, gefroren, gutta, Solin. 27. 48,
milicus, mit Hirsen gefüttert, ficedulas sive quas miliacas vocant,
Cael. Aur. chron. l. 1. 27 vorzuliegen.
AuBerdem weise ich auf die singuläre Bildung facteon =
faciendum = nomréov hin, die sich Cicero in einem Briefe an
Atticus 1. 16. 13 scherzhaft gestattet hat, veranlaßt durch das
dabeistehende gsAocopntéov (:quare, ut opinor, qulocognreor, et
istos consulatus non flocci facteon), wie ja auch Laberius com.
3) Die Quantitàt des spätlat. Vulg. (Amiat.) eccli. 19. 1 belegten
ebriacus ist unbekannt,
Ein Beitrag zum Valgirlatem. 45
80! (bei Gell 16. 7. 11) sich für lewis kom des Ausirumkr à
venaa bedient, der mit der uurimischen. vermutblici sırmakascaen;
Endung -ease von ihm salbst geschaffen zu sein schen.
Ebenso dürftig, wie mit Ahleitung dureh priaschiacae Sufina
ist es mit den Beispielen für Zusammensstsung mi rina We
minibus in dieser Zeit besiellt Dem wenn man vor oem Ame
drucke Pseudocaie ba Cic. ad Au 1. 14. € nim. som
hier nur die varrenische Form dewtàsrpago (ba. Mempi 4€-
von dens und cpxei, Zaimbrecher. Insırımsent sun Zann
reißen zu Gebote, wofür ersi Cael. Aur. chron 2 4 % om Tem
begegnet.
Von Vitruv an mmmt dam Gieser Vuimu-cHumue wiege BI
Ausdehnung zu Formen we sursesrcig mi bomuren ro
chischem Kompesitionsvoka!. Sünbsmriwioswmc = £ iL. pen
dourbanus 6. 5, 3, asolipilae. Windkurei: vekunes: Gis tenti
Sogar der Kaiser Augustus bedieme sict usci Suse Eur Y.
Mangold, emer als besmders weict vakemmer “heme Lim
Bildung vermittelst des griechischer Suffaes -Ga = u „if
Aur., Cassod. Fulgent. Conso. 1 2. wexeuruer Fırmeı ib
sizo, Lentuliso, ‘chrisioma'. pogsaisu. maces * 1 Lk ZIE =
nüge darthun: ja wenn mer men: nnb fumer we sales ut
irulliso gleichbedeu;end nebensimauts esse om gono nea
wähnen, daß auch am Ther cer au ew geuibern Tee re
chen Ursprungs d. h mr rrecniscuem uftz dem ant zu
mal sie mit Ánsnahme vor vibra Tr werner wi liu.
trullisso bei Vitruv unt emopimue Li Fer nm Lema te
der lingua rustica gros: Rorsssimer semua julien . wr Wi
ziemlich späten Ausser vırzımmer: gute “and Seavert 2
gr. L 430 K — pote iabiaa, liu... iei. muaaceen culo vr
14u a Dageren mnt ce Fienen ru! mew ve spe. Ts
cesso, lacesso. ercezso. snorser. gue Zi use
4) Im Romzevischer iuc dese Midung vetarmuasi ince vet var
ter um sich gegrifer
5, Neben dear CET IL ras vie-enser gous Lis wel eit
durch die übrigen Büdrngperi nu wet em re = vr
Pbilologes N. F. Bà I 1. 4
50 O. Weise,
Bei Plin. maior 36. 55 vgl. Isid. 16. 4. 5; 6. 102. begeg-
nen wir dem Ausdrucke Augustéus, also dem Suffixe Zus zur Be-
zeichnung des Anhängers oder Angehörigen = «og in Mvdu-
yogesos, während sonst die echt lateinischen Endungen (i)änus
und nus in diesem sinne verwendet werden vgl. Caesarianus,
Sullanus, Plautinus ebenso dem aus mentum und ayga zusammen-
gesetzten Substantiv mentagra, Flechte, Ausschlag am Kinn, wel-
ches nach podagra und chiragra gebildet ist; bei Plin. minor
findet sich das Wort cryptoporticus ep. 2. 17. 17; 5. 6. 27; 7.
21. 2 vgl Sidon. ep. 2. 2 mit dem gleichen griechischen Kom-
positionsvokal oder richtiger Stammauslaut auf o wie in euro-
circias und in den viel späteren Ausdrücken:
dextrocherium Capit. Maxim. duo 6. 8. u. 27. 8. Treb. Poll.
XXX tyr. 14. 4. Schol. Iuven. 9. 50 von dexter und
yeto, Armband.
sagochlamys Treb. Poll. Claud. 14. 5 von sagum und yAapuc,
Kriegsmantel.
phallovitrobulum, Capit. Pertin. 8. 5 zweifelh., Trinkgeschirr
in Gestalt des männlichen Gliedes (vielleicht mit Momm-
sen zu ändern in vitro, fundibuli).
tractogalatus Afric. 5. 188; 6. 251 mit dünnem Kuchenteig
und Milch zurechtgemacht.
tractomelitus, Apic. 8. 375, mit dünnem Kuchenteig und
Honig zurechtgemacht.
myobarbum. Auson. epigr. 31 zweifelh., Mausbart, lüngliches
am Ende spitz zulaufendes Trinkgeschirr.
tramosericus Isid. 19. 22. 14 von trama und ongixog, von
leinenem Aufzug und seidenem Eintrag, halbseiden.
granomastix Isid. 17. 8. 7, der kórnige Mastix.
satirographus, Sidon. ep. 1. 11 p. 74 Sav., Satirenschreiber.
scenofactorius, Vulg. act. apost. 18. 3 zur Zeltbereitung ge-
hörig.
Scytalosagittipelliger, Tert. de pall. 4 Keulenpfeilundfellträger,
Beiname des Herkules.
astrolapsus, Auct. inc. exc. mathem. 1. 8, 2.3 ed. Jan.] Stern-
astrolapsum Schol. ad Macrob. somn. Scip. 1. 20. 9 {schnuppen.
liter sapit Vat. @ 551. 8 586. Amplon. 385 stammt wohl aus den al-
ten Komikern.
Ein Beitrag zum Vulgärlatein. 51
holoverus Cod. Just. 11. 8. 4. Cod. Theod. 10. 21 lemm.,
ganz echt, ganz purpurn.
holovitreus Isid. gloss. 1165 und spät. Eccl, ganz von Glas.
euroaquilo Vulg. act. apost. 27. 14, Nordostwind.
euroauster Isid. orig. 13. 11 = euronotus, Süddrittelsüd-
ostwind.
pseudoflavus Marc. Emp. 8, fast gelb.
pseudoforum Sulpic. Sev. dial. 3. 14. 1. Ven. Fort. vit.
S. Mart. 4. 388 = pseudothyrum, geheime Thiir, Hin-
terpforte.
pseudoliquidus, Marc. Emp. 16, fliissig scheinend.
pseudocomitatenses, Cod. Theod. 8. 1. 10, Afterkomitatenser.
melloprorimus, Cod. Just. 12. 19. 5, der der Wiirde des
proximus am nächsten steht, von uéllw und proximus 9).
Sonst verzeichne ich an hybriden Bildungen noch zelivira Tert.
d. exhort. ad castit. 9, eine Eifersüchtige, limitrophi fundi, Cod.
Just. 11. 59 rubr. Cod. Theod. 5. 13. 38 = limitanei, die den
Grenzsoldaten gegebenen Aecker, und archisacerdos Ven. Fort. 3.
19. 1, Erzpriester.
Ebenso ist noch mehrerer griechischer Suffixe zu gedenken,
die in dieser nachklassischen Zeit auf römischem Sprachboden
gewuchert haben: ismus, ista, issa und icus.
1) Mit ismus gebildet erscheinen cerebrismus "Theod. Prisc. II
chr. 18 und denarismus Cod. 'l'heod. 12. 1. 107; 128. 2,
wührend die romanischen Sprachen in dieser Hinsicht
viel weiter gegangen sind und Bildungen wie deism-,
fatalism- , federalism- , gentilism-, latinism-, materialism-
naturalism-, nepotism- u. a. geschaffen haben vgl. z. B.
Friedr. Koch, histor. Gramm. der engl. Sprache III 2 p. 82.
2) ista erscheint in tablista, Brettspieler, Wiirfelspieler, An-
thol lat. 196. 7 (1080, 7) und computista, Berechner
von computo = computator, Mythogr. lat. 3. 1. 5; 8. 8.
11. Aehnlich gebildet ist concellita von con und cella,
Stubengenosse, Sidon. ep. 8. 11 vgl. concellaria, Stuben-
genossin. Das Umsichgreifen dieses Suffixes in den ro-
manischen Sprachen dokumentieren Formen wie dentist-,
6) Die nicht sicher bezeugten Ausdrücke oenococtus, tyropatina u.
testamentographus übergehe ich hier.
4*
-
52 O. Weise, Ein Beitrag zum Vulgärlatein.
artist-, deist-, fabulist-, fatalist-, federalist-, latinist-, for-
malist-, iurist-, papist- u. a.
3) tsa = 4600 in factdicca finden wir in den spätlateini-
schen Wortern fratrissa, Schwägerin, Brudersfrau Isid.
9. 7. 17 == fratria Paul. ex Fest..90. 5. Non. 557.
9, sacerdotissa, Priesterin, Schol. Lucan. 7. 778 = sa-
cerdos, ferner equitissa, diaconissa, decanissa, fiir welche
ich auf die Pauckerschen Indices verweise In den ro-
manischen Sprachen tritt uns das Suffix entgegen in
comtesse, adulteresse, ducesse, hostesse. maistresse, U. a.
4) %cus erscheint nach griechischem Vorbilde in Ausdrücken
wie tussicus, zum Husten geneigt Veget. 5. 64. 3; 6.
8. 1. Marc. Emp. 10, vielleicht auch Zienicus, milzsüch-
tig, Cael. Aur. chron. 3. 4. 56; 57, 64 = oninvıxog,
strumaticus, mit angeschwollenen Driisen Firm. math. 8.
19 extr. lunaticus, epileptisch Paul. Dig. 21. 1. 43. 6.
Vulg. Matth. 4. 24 u. a. = oednuaxes, cedyvdndnxtos,
lymphaticus , wasserscheu Hier. ep. 69. 6, gebildet nach
stomachicus, chiragricus, strophicus, arthriticus u. a.
Eisenberg i. S. | O. Weise.
Emendationum ad Dionem Chrysostomum specimen II.
Or. XLV p. 118, 4 pro o#wç nescio an scribere liceat
Givnwso. — Or. XLVI p. 127, 27 post ovdé» inserendum
est av. — Or. XLVH p. 135, 31 pro 2Ew scr. & Ew: dicitur
enim youylar yw, fovylav üyw, tv TOvyí(av ayw, nusquam
ri» 5Ovy(av èyw. — Or. LXXIX p. 286, 22 pro nuyelaıg
ser. æuyyçouooiç (Cobet Mnem. N. S. V 100 mavult yovoaîs,
Herodotum III 23 secutus, sed vereor ne haec emendatio pa-
laeographica ratione minus commendetur). — Addo unum locum
ex Synesii Dione p. 324, 24 ed. Dindorf, ubi legitur xay
yaQ &7X072Q90Ggmojvijrai, Navy tov Fedigov ylvsraı xai tig ya-
Quros: cuius sententiae initium mendo deformatum ita videtur in
integrum restitui posse, ut scribamus x&v y&Q «v 7g0çw7o-
mostra: de ilis enim Dionis orationibus loquitur Synesius,
quibus in dialogorum formam redactis complures homines, quo-
rum suam quisque quasi personam tuetur, de rebus ad philoso-
phiam pertinentibus inter se disputantes inducuntur. in medii
forma zQocwnonoiic9a«, cuius exempla apud integrae Graecitatis
scriptores nulla exstant, ne quis offendat, cum azux(Covreg illi,
dum media pro activis usurparent, mirum quantum urbanitatis et
coloris vere Attici sermoni suo aspersisse sibi visi sint.
Tubingae. Dr. W. Schmid.
Das Valesische Bruchstiick zur Geschichte Constantins. 55
Die politischen Nachrichten, welche Orosius 7, 28 giebt,
. sind mit beständigen, wörtlichen Anklingen Eutrop und Hiero-
nymus entnommen (vergl. Mérner, De Orosii vita etc. S. 165
und die Nachweise bei Zangemeister). In den speciell das Chri-
stenthum betreffenden Abschnitten findet sich eine lingere Stelle
tiber Galerius Tod, wo Orosius nach der Weise der christlichen
Schriftsteller mit Wonne in Galerius zerfressenem Leibe wiihlt.
Als Quelle hierfiir hat Mérner mit Recht die Kirchengeschichte
des Rufinus genannt (S. 157). Auferdem vermuthet Zange-
meister, daß eine christliche Reflexion in $ 27 im Rückblick
auf Augustin c. d. 5, 25 gemacht sei.
Der thatsüchliche Inhalt des Capitels ist somit auf lauter
wohlbekannte Quellen des Orosius zuriickgefiihrt !).
Vergleichen wir nun:
Oros. $ 28: mox Go-
thorum fortissimas et
copiosissimas gentes in
ipso barbarici soli sinu
hoc est in Sarmata-
rum regione delevit.
A $ 34 mor Gothorum
fortissimas et copiosis-
simas gentes in ipso
barbarici soli sinu hoc
est in Sarmatarum
regione delecit.
Hieronymus 2348 : Ro-
mant Gothos in Sa-
matarum regione
vicerunt.
Calocaerum quendamin § 35 Calocaerum quen- 2350: Calocerus in
1) Dies läugnet freilich Ohnesorge (S. 70). Seine Einwendungen
erledigen sich im Allgemeinen durch die im Text gegebene Darstel-
lung des Verhältnisses zwischen Orosius u. A. Nar eine Stelle erfor-
dert eine kurze Wiederlegung. Es schreibt:
Hieronymus 2347: edicto Con-
stantini gentilium templa eversa
sunt.
Orosius $28 : tum deinde primus Con-
stantinus iusto ordine et pio vicem
verit: edicto siquidem statuit. ci-
tra ullam hominum caedem paga-
vorum templa claudi.
Es ist richtig, daß diese beiden Notizen nicht identisch sind. Orosius
spricht nur von Schließung, Hieronymus von Zerstörung der heidni-
schen Tempel. In dieser Allgemeinheit sind beide Notizen gleich un-
genau, da Constantin in Wahrheit einzelne Tempel zerstóren und ein-
zelne schließen liess (Burckhardt, Zeit Constantins S. 361 ff.) Aber
da sowohl die unmittelbar vorangehende wie die folgenden Nachrichten
des Orosius aus Hieronymus entnommen sind, und zwar in der näm-
lichen Reihenfolge, so ist es selbstverstándlich, da8 auch $ 28 trotz
der Abweichung und dem Zusatz citra - - caedem durch Hieronymus
veranlaßt ist. Beide erklären sich einfach aus der Tendenz des Schrift-
stellers: er wollte darstellen, welches Unheil das Heidenthum, wel-
chen Begen das Christenthum der Welt gebracht. So stellte er gegen-
über den blutigen Verfolgungen der Christen die Behandlung der Hei-
den durch das siegreiche Christenthum als eine móglichst milde. hin.
bas.
54 Elimar Klebs,
In der Handschrift führt der erste Theil die Aufschrift:
ORIGO CONSTANTINI IMPRIS. In Wahrheit giebt der Ano-
nymus eine Geschichte Constantins, welche die Zeit bis zur Al-
leinherrschaft ausführlich, die Folgezeit nur kurz behandelt und
mit Constantins Tode schlieBt. Für die gesammte Beurtheilung
dieser Nachrichten, ja auch für ihre historische Verwerthung ist
entscheidend die Art, in der man das Verhältniß unseres Ano-
nymus — wir bezeichnen ihn in der Folge einfach mit A —
zu Orosius 7, 28 bestimmt. In beiden Berichten finden sich
eine Anzahl von Stellen würtlich gleichlautend wieder, wie schon
H. Valois bemerkte; er nahm an, A habe Orosius benutzt und
dieser Ansicht folgten die Spüteren. Auch der letzte Heraus-
geber der Excerpta Valesiana, Gardthausen (in seiner Ammian-
ausgabe S. 280 ff), desgleichen Zangemeister in seiner Ausgabe
des Orosius S. XXVIII betrachten Orosius als die Quelle von A.
Dagegen hat Górres'(*Untersuchungen über die licinianische
Christenverfolgung’ 1875, und ‘Zur Kritik einiger Quellenschrift-
steller’ ete. Fleckeisen Jahrb. 1875, 111 S. 201 ff) die Ab-
hüngigkeit des Orosius von A behauptet und diese Ansicht sei-
ner Besprechung und Benutzung von A zu Grunde gelegt, ohne
freilich für diese Behauptung einen Beweis zu erbringen. Doch
nahm L. Schwabe die Ergebnisse dieser Arbeiten in die vierte
Auflage von 'leuffels Litteraturgeschichte als erwiesen auf und
schreibt S. 1013: ‘Die erste Hälfte, ungeführ aus dem J. 390,
ist eine (auf des Eusebius Kirchengeschichte und den verlornen
Büchern Ammians beruhende?) wichtige und schon von Orosius
benützte Quelle für die Geschichte Constantins’. Zuletzt hat W.
Ohnesorge (‘Der Anonymus Valesii de Constantino’, Kiel 1885)
in einer sehr ausführlichen Untersuchung A als Quelle des Oro-
sius zu erweisen versucht (S. 56 ff).
Es wird dem gegenüber angemessen sein, nicht nur den
wahren Sachverhalt einmal direkt zu beweisen, sondern vor Al-
lem die Zusammensetzung dieses Berichts genauer darzulegen,
als dies bisher geschehen ist. Die mangelnde Einsicht in die
Natur unseres Berichts hat in zwei Füllen, bei der Behandlung
der Gothenkriege Constantins und namentlich der licinianischen
Christenverfolgung, auch zu falschen thatsüchlichen Aufstellungen
geführt.
Das Valesische Bruchstiick zur Geschichte Constantins. 55
Die politischen Nachrichten, welche Orosius 7, 28 giebt,
. sind mit beständigen, wórtlichen Anklängen Eutrop und Hiero-
nymus entnommen (vergl. Mörner, De Orosii vita ete. S. 165
und die Nachweise bei Zangemeister). In den speciell das Chri-
stenthum betreffenden Abschnitten findet sich eine längere Stelle
tiber Galerius Tod, wo Orosius nach der Weise der christlichen
Schriftsteller mit Wonne in Galerius zerfressenem Leibe wiihlt.
Als Quelle hierfiir hat Mérner mit Recht die Kirchengeschichte
des Rufinus genannt (S. 157). AuBerdem vermuthet Zange-
meister, daß eine christliche Reflexion in $ 27 im Rückblick
auf Augustin c. d. 5, 25 gemacht sei.
Der thatsüchliche Inhalt des Capitels ist somit auf lauter
wohlbekannte Quellen des Orosius zurückgeführt !).
Vergleichen wir nun:
Oros. $ 28: mor Go- A $ 84 moz Gothorum
thorum fortissimas et fortissimas et copiosis-
Hieronymus 2348 : Ro-
mant Gothos in Sa-
copiosissimas gentes in
ipso barbarici soli sinu
hoc est in Sarmata-
rum regione delevit.
Calocaerum quendamin
1) Dies läugnet freilich Ohnesorge (S. 70).
simas gentes in ipso
barbarici soli sinu hoc
est in Sarmatarum
regione delecit.
$ 35 Calocaerum quen-
matarumregione
vicerunt.
2350: Calocerus in
Seine Einwendungen
erledigen sich im Allgemeinen durch die im Text gegebene Darstel-
lung des Verhältnisses zwischen Orosius u. A. Nur eine Stelle erfor-
dert eine kurze Wiederlegung. Es schreibt:
Orosius $28 : tum deinde primus Con- Hieronymus 2347: edicto Con-
stantinus iusto ordine et pio vicem stantini gentilium templa eversa
vertit: edicto siquidem statuit ci- sunt.
tra ullam hominum caedem paga-
norum templa claudi.
Es ist richtig, daß diese beiden Notizen nicht identisch sind. Orosius
spricht nur von Schließung, Hieronymus von Zerstörung der heidni-
schen Tempel. In dieser Allgemeinheit sind beide Notizen gleich un-
genau, da Constantin in Wahrheit einzelne Tempel zerstóren und ein-
zelne schließen liess (Burckhardt, Zeit Constantins S. 361 ff.. Aber
da sowohl die unmittelbar vorangehende wie die folgenden Nachrichten
des Orosius aus Hieronymus entnommen sind, und zwar in der näm-
lichen Reihenfolge, so ist es selbstverstándlich, daß auch $ 28 trotz
der Abweichung und dem Zusatz citra - - caedem durch Hieronymus
veranlaßt ist. Beide erklären sich einfach aus der Tendenz des Schrift-
stellers : er wollte darstellen, welches Unheil das Heidenthum, wel-
ehen Segen das Christenthum der Welt gebracht. So stellte er gegen-
über den blutigen Verfolgungen der Christen die Behandlung der Hei-
den durch das siegreiche Christenthum als eine móglichst milde. hin.
56 Elimar Klebs,
Cypro adspirantem dam in Cypro asp Cyprores novas
novis rebus op- rantem novis rebus molitu opprimt-
presstt. oppresstt. tur.
Nimmt man hier an, Orosius habe seine Nachrichten nicht
aus Hieronymus, sondern aus A entnommen, so fragt man ver-
gebens, wie Orosius dazu kam, eine der Hauptquellen seines
Buches zu verlassen, da er doch in ihr sachlich genau dasselbe
wie in A fand. Man müßte ferner wegen der wörtlichen An-
klänge folgern, daB entweder A aus Hieronymus, oder dieser
aus jenem seine Nachrichten geschôpft habe. Beides ist gleich
unwahrscheinlich. Dazu kommt, daß wir bei der Behauptung,
Orosius sei von A abhängig, annehmen müßten, Orosius habe
ganze Perioden unveründert abgeschrieben. Dies widerspricht
seiner Arbeitsweise. Vergleicht man ein beliebiges Capitel mit
seinen Quellen, so zeigt sich, daß Orosius zwar Worte und
Wendungen, auch einzelne Sätze seinen Vorlagen entnimmt, aber
nicht ganze Periodenreihen ohne jede Aenderung abschreibt.
Wenden wir uns nun zu A, so kann keinem aufmerksamen
Leser entgehen, daf) die meisten der mit Orosius gleichlautenden
Stellen nach Form und Inhalt von den übrigen Theilen scharf ab-
weichen. Formell; denn sie sind in einem leidenschaftlichen Ton
gehalten, wührend der Verfasser sonst nirgends mit seinen persón-
lichen Anschauungen hervortritt, und seine Erzühlung einfach,
ja nüchtern ist. Inhaltlich; denn es spricht aus ihnen ein fana-
tisch christlicher Geist. Die $ 20 (= Oros. 7, 28 $ 18), § 29
(= Oros. $ 21), 8 33 (= Oros. $ 1. 2 und $ 28) enthalten
triumphierende Bemerkungen über den Sieg der Kirche und die
Strafe ihrer Verfolger. Dazu kommt eine Bemerkung über den
Tod des Galerius (in supplicium persecutionis iniquissimae ad auc-
torem scelerati praecepti (iustissima poena redeunte), welche zwar
nicht wörtlich mit Orosius übereinstimmt, aber dem Sinne nach,
nur kürzer, Orosius Gedanken $ 12 und 13 wiedergiebt. Schei-
det man diese Stellen aus, so findet sich in der ganzen Erzüh-
lung kein Wort, das sich auf die Christen und das Christen.
thum bezóge. Weder von den Verfolgungen Diocletians und
seiner Mitregenten, noch von der Stellung Constantins zum Chri-
stenthum wird etwas gesagt, und die ausführliche Erzählung der
Kimpfe Constantins und Licinius übergeht günzlich die politisch
Das Valesische Bruchstiick zur Geschichte Constantins. 57
wichtige Stellung beider Regenten zu den religiösen Fragen ?).
Es ist wunderbar, daß man niemals Anstand genommen hat als
‘christlichen Autor’ einen Schriftsteller zu bezeichnen, der $ 1
mit einem divi Claudii nepos beginnt.
Die Thatsache wie der Beweggrund der Interpolation liegt
somit klar, und, wenn von den vier christlichen Stellen drei
wörtlich mit Orosius übereinstimmen, so ist der Schluß sehr ein-
fach, daß eben dieser den Stoff zur Interpolation lieferte. Doch
läßt sich hierfür auch noch ein direkter Beweis erbringen.
Man vergleiche die folgenden Stellen:
A § 20 in orientis partibus Li-
cinto Constantino <consulibus >
repentinarabie suscitatus
Licinius omnes Christia-
nos a palatisiussit expelli.
mox bellum inter ipsum
Oros. $ 18 Licinius repen-
tina rabie suscitatus omnes
Christianos e palatio suo
iussit expelli . mox bel-
lum inter ipsum Licinium
et Constantinum efferbuit.
Licinium et Constantinum
effer buit. 21 item cum Con-
stantinus Thessalonicae esset, Gothi
per neglectos limites eruperunt etc.
Sed Constantinus Licinium - - in
Pannonia primum vicit, deinde
apud Cibalas oppressit etc.
Zur richtigen Beurtheilung dieser Stellen ist zu bemerken,
daB Orosius die Nachrichten über die Kümpfe zwischen Con-
stantin und Licinius aus Eutrop 10, 5, 6 entnommen hat. Schon
Eutrop sondert die Kriege der J. 314 und 323 nicht scharf von
einander. Orosius, der hier Eutrop sehr flüchtig ausgezogen und
verkürzt hat, läßt geradezu nur einen Krieg zwischen beiden
stattfinden, der mit Licinius Ergebung endet. Orosius hat fer-
ner vorher berichtet, daß einerseits Constantin mit Maxentius,
andrerseits Licinius im Kriege mit Maximin lag, und daß sie
beide als Sieger aus diesen Kämpfen hervorgingen. Hält man
dies zusammen, so wird es vollkommen verständlich , wie Oro-
sius, als er zu dem — nach seiner Darstellung — einzigen
2) Diese klaren Thatsachen hat auch Ohnesorge (S. 58—93) rich-
tig erkannt. Doch folgert er daraus nur die “Möglichkeit der Hypo-
these’, daß vielleicht vor Orosius ein christlicher Leser A interpo-
lierte. Trotzdem wird mit Bezug auf A $ 33 = Or. $ 1. 2 als ‘si-
cher’ (S. 77) behauptet, der Anonymus habe nach 363 geschrieben,
was dem Autor auf S, 94 wieder zweifelhaft wird.
48 O. Weise,
noch ein Deminutivsuffix (-ulus) angenommen haben. 2) apia-
con, î, n. Cat. r. r. 157. 2 vgl. Isid. 17. 9. 80 = brassica
apiaca (Cat. bei Plin. 19. 186), eine dem Eppich ähnliche
Kohlart. In dieser Form ist die griechische Endung on ent-
schieden auffällig, zumal das Adjektivum apiacus mit rein latei-
nischem Ausgange daneben für denselben Autor belegt ist. Nur
fragt sich, ob das letztere nicht vielleicht auch mit griechischem
Suffix -(éläcus = -(+)uxog gebildet ist. Die Lexikographen z. B.
Georges im lat. deutsch. Handwörterbuch 7. Aufl. scheinen dies
anzunehmen, da sie meist a mit Kürzezeichen versehen, wihrend
das rein lateinische Suffix -dcus z. B. in merdcus und in Ablei-
tungen wie hordaceus, arundinaceus, gallinaceus lange Pünultima
zeigt. Dichterstellen, die zur Aufklärung über die Quantität des
a in apiacus herangezogen werden kónnten, giebt es nicht; über-
haupt scheint das Wort außer den beiden oben angeführten ca-
tonischen Stellen nur noch einmal bei Hygin fab. 74 Schm. in
Verbindung mit corona = Eppichkranz vorzukommen. An sich
wire die Ableitung vom Stamme apio- mit Suffix dcus recht
wohl méglich, aber einmal giebt es, soweit ich sehe, kein stii-
tzendes Analogon aus dieser Zeit fiir diese Endung bei voran-
gehendem i, da ebridcus von ebrius bei Laber. com. 10 R.? jetzt
mit Recht in ebriatus geändert ist?), sodann ist in diesem Worte
griechischer Einfluß schon durch den Ausgang -on bezeugt und
endlich spricht die Analogie von scutriscum für die gleiche
Sprachmengerei auch in unserem Worte. Ueberdies ist das griech.
Suffix (i)dcus wohl nicht bloß in diesem Worte zur Verwendung
gekommen, sondern scheint auch in den allerdings spätlateini-
schen Ausdrücken comitidicus von comes, mit einer Militürcharge
bekleidet , Cassiod. var. 6. 13 lemm., Anthol. lat. 128 lemm.
(948 lemm.), stiricus von stiria, gefroren, gutta, Solin. 27. 48,
miliícus, mit Hirsen gefüttert, ficedulas sive quas miliacas vocant,
Cael. Aur. chron. l. 1. 27 vorzuliegen.
Außerdem weise ich auf die singuläre Bildung facteon =
faciendum = noinréov hin, die sich Cicero in einem Briefe an
Atticus 1. 16. 13 scherzhaft gestattet hat, veranlaßt durch das
dabeistehende quAosoggréíov (:quare, ut opinor, quocognreor, et
istos consulatus non flocci facteon), wie ja auch Laberius com.
8) Die Quantität des spätlat. Vulg. (Amiat.) eccli. 19. 1 belegten
ebriacus ist unbekannt.
Ein Beitrag zum Vulgärlatein. 49
80! (bei Gell. 16. 7. 11) sich für levis homo des Ausdrucks le-
venna bedient, der mit der unrimischen, vermuthlich etruskischen
Endung -enna von ihm selbst geschaffen zu sein scheint.
Ebenso dürftig, wie mit Ableitung duroh griechische Suffixe
ist es mit den Beispielen fiir Zusammensetzung mit griech. No-
minibus in dieser Zeit bestellt. Denn wenn man von dem Aus-
drucke Pseudocato bei Cic. ad Att. 1. 14. 6 absieht, so steht
hier nur die varronische Form dentharpaga (Sat. Menipp. 441)
von dens und «aon«&, Zahnbrecher, Instrument zum Zahnaus-
reiBen zu Gebote, wofiir erst Cael. Aur. chron. 2. 4. 84 das rein
lateinische Wort dentiducum als Uebersetzung von odoriaywyor
begegnet.
Von Vitruv an nimmt dann dieser Vulgarismus wieder an
Ausdehnung zu. Formen wie eurocircias (mit bewahrtem grie-
chischem Kompositionsvokal) Siidostdrittelostwind 1. 6. 10, pseu-
dourbanus 6. 5, 3, aeolipilae, Windkugeln bekunden dies deutlich.
Sogar der Kaiser Augustus bediente sich nach Sueton. Aug. 87
des vulgiiren Wortes betizare fiir languere von beta, ae, Beete,
Mangold, einer als besonders weich bekannten Pflanze. Diese
Bildung vermittelst des griechischen Suffixes -(Cw = -iso griff
besonders im Spätlatein bedeutend um sich, wie die bei Cael.
Aur., Cassiod., Fulgent., Consent, u. a. bezeugten Formen tibieo,
singulariso, alapizo, amarizo, praeconizo, sollemnizo, auctorizo, tiro-
niso, Lentulizo, (christianizo), paganizo, subcinerizo *) u. a. zur Ge-
nüge darthun; ja wenn man sieht, daß Formen wie trullisso und
trullizo gleichbedeutend nebeneinander existiren, so kónnte man
wühnen, daB auch ein Theil der auf isso gebildeten Verba glei-
chen Ursprungs d. h. mit griechischem Suffix geformt sind, zu-
mal sie mit Ausnahme von vibrisso (vgl. vibrissae) bei Titin.,
trullisso bei Vitruv und exopinisso bei Petron (also Leuten, die
der lingua rustica grosse Konzessionen gemacht haben), nur bei
ziemlich spüten Autoren vorkommen: potisso Claud. Sacerd. a.
gr. I. 490 K. — poto, tablisso Diom., bibisso, hilarisso, Isidor. or.
1. 4 u. a. Dagegen sind die Formen auf esso wie capesso, fa-
cesso, lacesso, arcesso, incesso, petesso®) rein lateinisch.
4) Im Romanischen hat diese Bildung bekanntlich noch viel wei-
ter um sich gegriffen.
5) Neben dem letzten steht ganz vereinzelt petisso, das vielleicht
durch die übrigen Bildungen auf isso beeinflußt ist. virissat = viri-
Philologus. N. F. Bd.I, 1. 4
60 Elimar Klebs,
gründung zu Hiilfe, zu welcher freilich die des urspriinglichen
Berichts übel paBte. Indem er Orosius Worte gedankenlos ein-
setzte, wurde in A die grammatische Beziehung der Worte so-
ceri sui motus etc. undeutlich, da der Subjectswechsel dnrch nichts
markiert wird; bei Orosius schließen sich diese Worte an das
Subject der ganzen Periode, Constantinus. Es erscheint ferner
durch die Verdrüngung des echteu Berichts jetzt die Ermordung
Martinians ganz unmotivirt. Orosius begründete nur die Tödtung
des Licinius, weil er Martinianus überhaupt nicht erwühnt. Diese
Beschrinkung erwog der Interpolator nicht, als er Orosius Worte,
welche nur für Licinius passen, unveründert hinübernahm und
doch die Erwáhnung Martinians stehen lief.
Die ebeu behandelte Stelle giebt uns nun den richtigen
Maßstab für die Beurtheilung einer anderen $ 20, die von
Kirchenhistorikern unendlich oft und unendlich verschieden be-
handelt ist. A berichtet $ 19 die Abmachungen des Friedens,
welcher nach dem Krieg von 814 zwischen Licinius und Con-
stantin geschlossen wurde. Dann heißt es weiter: itaque Con-
stantinus et Licinius simul consules facti *). 20 in orientis partibus
Licinio Constantino «consulibus? repentina rabie suscitatus
Licinius omnes Christianos a palatio iussit expelli,
Die Ergünzung consulibus rührt von Valois her und ist allge-
mein angenommen; man hat darunter theils das Consulat von
915 (Constantino IV et Licinio IV) theils von 319 (Constantino V
et Licinio Caesare) verstanden. Bei der letzten Annahme muß
noch der Ausfall eines Caesare oder iuniore vorausgesetzt wer-
den. Nun ist früher erwiesen, daß in A die Worte repentina
rabie etc. aus Orosius eingeschaltet sind. Nehmen wir also die
Ergänzung von consulibus als richtig an, so müßte der Interpo-
lator die Zeitangabe anderswoher entnommen haben. Dagegen
Sprechen folgende Erwügungen:
1) aus Orosius konnte er sie auch mittelbar nicht gewin-
nen, weil Orosius die Vertreibung der Christen vom Hofe vor
den Beginn der Kümpfe zwischen Constantin und Licinius setzt.
Wer aus seiner verworrenen Darstellung eine chronologische
Angabe folgern wollte, konnte spätestens auf das Jahr 314
verfallen.
4) Sunt ist von Gardthausen mit Unrecht gegen den Sprachge-
brauch von A eingesetzt.
Das Valesische Bruchstiick zur Geschichte Constantins. 61
2) Ebensowenig aber aus Hieronymus oder Eusebius Chro-
nik, wenn überhaupt — was sich nicht erweisen läßt — Hie-
ronymus Nachricht bei Eusebius stand. Denn diese lieferten
unmittelbar nur eine Angabe in Jahren Abrahams, in Olympia-
den oder in Regierurgsjahren Constantins, Dass aber ein nach
Orosius lebender, christlicher Interpolator eine solche Zeitangabe
auf Consulate reduciert hätte, wird niemand annehmen.
3) Außer der einzigen, ursprünglichen Angabe bei Hiero-
nymus wird diese besondere Maßregel des Licinius weder in ei-
ner Chronik noch von einem christlichen Schriftsteller mit einer
Zeitbestimmung erwihnt. Es ist also sehr unwabrscheinlich,
daß sie in einem uns verlorenen Werk gestanden hätte, welches
von keinem anderen der zahlreichen christlichen Schriftsteller
und Chronisten benutzt wäre; und daß sie mit einer Datirung
nach Consuln versehen gewesen würe.
4) Spricht man die Worte in orientis partibus Licinio Con-
stantino «consulibus» dem Interpolator zu, so ist nicht zu
erklären, was ihn zu dem Zusatz in orientis partibus veranlaßte.
Denn wenige Zeilen vorher war in A § 18 bemerkt, daß Lici-
nius Herr des Ostens blieb. Da8 er darum nur im Osten die
Christen von seinem Hof vertreiben konnte. war doch auch für
den gedankenlosesten Interpolator selbstverstündlich.
5) Das Fehlen der Partikel zwischen Licinio und Constan-
tino spricht dagegen, dass hier im Text überhaupt ein Consulat
gestanden hat. Schon in der besseren Zeit ist es bekanntlich
Regel, daß wenn die consularische Datirnng mit je einem Na-
men erfolgt, die Namen mit et verbnnden werden. Als diese
Datirungen mit dem zweiten Jahrhundert immer häufiger, im
dritten, von amtlichen Urkunden abgesehen, die gewöhnlichen
wurden, hat man die beiden Namen durchgängig mit et verbun-
den. Die Indices zum C. I. L. bieten die Belegstellen dafür in
Fülle. Dazu kommt, daß es mit dem Beginn des dritten Jahr-
hunderts überhanpt Regel wird die Consulnamen mit et zu ver
binden, wie unter Anderm die Militärdiplome lehren.
6) Schriebe man auch die nicht minder auffällige Weglas-
sung der Iterationsziffern einer Nachlässigkeit zu, so wäre doch
völlig unerklärlich, was einen christlichen Autor veranlassen
62 mE Elimar Klebs,
konnte, die legitime Ordnung der Namen zu Gunsten des Lici-
nius zu ändern °).
Aus diesen Erwägungen ist die Annahme zu verwerfen,
der christliche Interpolator habe aus unbekannter Quelle eine
Consulatsangabe eingesetzt. Aus den unter 5) und 6) geltend
gemachten Gründen in Verbindung mit der Thatsache, daß
A außer der Angabe von Regierungsjahren ($ 1, 8, 29, 35)
überhaupt keine chronologischen Bestimmungen giebt, folgt, daß
auch in dem nicht interpolierten, ursprünglichen Bericht keine
Consulatsangabe gestanden hat.
Das consulibus ist also aus dem Text zu entfernen. Ent-
weder liegt hier eine handschriftliche Lücke vor ,. oder wahr-
scheinlicher eine Verderbniß des Berichts durch den Interpo-
lator. Wie in $ 29, der früher behandelten Stelle, einzelne
Trümmer des ursprünglichen Berichts aus der orosianischen In-
terpolation herausragen, so sind wahrscheinlich auch in $ 20
die ersten Worte der Anfang eines Satzes, welcher durch die
interpolierte Stelle verdrängt wurde; durch die Nachlässigkeit
des Interpolators blieben jene Worte, obwohl unverständlich ge-
worden, stehen.
Es sei schon hier darauf hingewiesen, was später noch im
Einzelnen darzulegen ist, daß auch in den $ 5—11 die Be-
weise für eine starke Zerrüttung der echten Erzählung vorlie-
gen. Was in $ 20 ursprünglich gestanden hätte, ersetzen zu
wollen, wäre bei der Dürftigkeit unserer Nachrichten über diese
Jahre ein thörichtes Beginnen.
Mag man nun aber auch die Annahme einer handschrift-
lichen Lücke vorziehen, in jedem Falle glaube ich erwiesen zu
haben, daß hier keine unabhängige Zeitangabe über Licinius
Christenverfolgung vorliegt 9).
5) Für 319 versteht es sich von selbst, daß der Augustus vor dem
Caesar stand; so auch inschriftlich CIL III 1968. Für 315 versteht
es sich nicht minder, daß nach Constantins Sieg über Licinius der
Name dieses nachgesetzt wurde, selbst wenn früher im Orient umge-
kehrt datirt sein solite. Dazu stimmen die sämmtlichen Fasten.
6) Ueber den Beginn der sogenannten licinianischen Verfolgung
ist von Kirchenhistorikern unendlich viel gelehrter Staub aufgewir-
belt worden. (Eine Uebersicht der Meinungen giebt Görres K. U.
S. 5—29). Dies schreibt sich wesentlich daher, daß man die Stellen
des Anonymus, Hieronymus, Orosius als von einander unabhängige
Das Valesische Bruchstück zur Geschichte Constantins. 63
Ein anderer Fehler, eine Art historischer Dittographie, ist
durch den Interpolator in die Nachrichten von A iiber die Go-
thenkriege hineingebracht. Nach der vorliegenden Gestalt des
Berichts ($ 31—32 und $ 34) hat es den Anschein, als würden
zwei verschiedene Kriege Constantins gegen die Gothen, beide
nach dem J. 324 berichtet”). |
Wie aus der Zusammenstellung S. 55 hervorgeht, ist die
Notiz über die Gothenkriege § 34 aus Orosius eingeschoben,
der sie aus Hieronymus 2348 nahm. Es bleibt also nur zu
prüfen, ob sich diese Ángabe des Hieronymus und die vorher-
Zeugnisse behandelt hat. Der kritische Thatbestand ist nach der im
Text gegebenen Darlegung folgender: A scheidet überhaupt aus,
ebenso Orosius als von Hieronymus abhängig. Orosius Ansetzung ist
lediglich bedingt durch seine Behandlung der Kriege zwischen Con-
Stantin und Licinius und gehórt zu den zahlreichen Belegen dafür,
da8 Orosius sich um chronologische Bedenken blutwenig kümmerte,
vollends wenn eine gottgefallige Tendenz ins Spiel kam. — Da der
armenische ‘Text des Eusebius hier fehlt, so läßt sich nicht ent-
scheiden, ob auch bei ihm die Notiz des Hieronymus stand. Schéne
hat eine Stelle aus Cedrenus II 495 in Parallele gestellt; er selbst
(praef. p. XLI) hat mit Recht darauf hingewiesen, daß solche Paral-
lelen oft sehr zweifelhaft sind. So auch hier. Die chronologische
Uebereinstimmung zwischen Cedrenus (zw sd” xai oe’ ét) und Hiero-
nymus (15 J.) ist nur scheinbar, da Cedrenns die Regierungsjahre
Constantins anders zählt als Hieronymus. Zudem ist für die Zeit
Constantins überhaupt jede chronologische Angabe des Cedrenus werth-
los wegen seiner, hier wahrhaft heillosen Verwirrung. Dazu kommt
endlich, daß Cedrenus Notiz im engsten sachlichen Zusammenhang
steht mit einer andern II, 477, die man ihrer Albernheit wegen dem
Eusebius nicht zuschreiben kann. So bleibt nur das Zeugni8 des
Hieronymus, und wir sind nicht sicher, ob er nicht eine Angabe, die
er ohne Datirung vorfand, willkürlich, wie er es öfter nachweislich
gethan, auf ein bestimmtes Jahr nagelte. — Außerdem kommt noch
in Betracht die Angabe in Eusebius V. C. 1, 48. 49, Constantin babe
im J. 315 die ersten Nachrichten über die Bedrückung der orientali-
schen Christen empfangen. — Dies ist der äußere, kritisch gesichtete
Quellenbestand. Seine Berücksichtigung von Seiten der Kirchenhi-
storiker würde den Streit sehr vereinfachen.
7) Gardthausen (Hermes 17 S. 256) hat sich durch den Interpo-
lator irreführen lassen und versteht in $ 34 wirklich einen zweiten
Gothenkrieg, der wegen der (gleichfalls interpolirten) Notiz über Ca-
locaerus in d. J. 333/334 fallen müsse. — Unschuldig aber ist der
Interpolator an dem, was bei Schiller (Gesch. d. R. K. II 220) über
diese Kümpfe zu lesen ist. U. a. finden im J. 382 zwei verschiedene
Kriege gegen die Gothen statt. Constantin siegt am 20. April 332
(Belegstelle: Mommsen im CIL. I p. 3861), sein Sohn Constantin II
am 26. April 332. Dies zweite Datum erscheint hier zum erstenmal
in der geschichtlichen Ueberlieferung; als Beleg werden genannt Exc.
Val. 6,31 und Sozomenus h. e. 1,8, die beide nicht einmal eine Jah-
resangabe haben.
64 | Elimar Klebs,
stehende von A § 31 auf dasselbe Ereigniß beziehen; denn
Eutrop 10, 7 berichtet von Constantin Gothos post civile bellum
varie profligacit.
Die Zusammenstellung dreier Zeugnißreihen giebt ohne
Weiteres die Antwort.
A $ 31 deinde adversum Gothos bellum suscepit et inplorantibus
Sarmatis aurilium tulit. ita per Constantinum | Caesarem
centum prope milia fame et frigore extincta sunt. tunc et
obsides . accepit, inter quos et Ariarici regis filium. 32 . sic
cum his pace firmata in Sarmatas versus est qui dubiae fidei
probantur. sed servi Sarmatarum adversum omnes dominos
rebellarunt , quos pulsos Constantinus libenter accepit et am-
plius trecenta milia hominum | mixtae aetatis et sexus per
Thraciam Scythiam, Macedoniam Italiamque divisit.
Hieronymus 2348: Romani Gothos in Sarmatarum regione vice-
runt. 2350: Sarmatae Limigantes dominos suo& qui nunc
Ardaragantes vocantur, facta manu in Romanum solum ex-
pulerunt.
Fasti Idat. (Roncalli H 87. 88): 332 Pacatíano et Hilariano.
his cons. victi Gotht ab exercitu Romano in terris Sorma-
tarum die XII Kal. Maii. 334 Optato et Paulino. his cons.
Sarmatae servi universa gens dominos suos în Romantam
expulerunt.
Es ist also zweifellos in A $ 81 der Gothenkrieg des J.
332, in $ 32 der Sarmatenkrieg des J. 334 bezeichnet.
Der Interpolator nahm mit der Nachricht des Orosius über
die Schließung der heidnischen Tempel noch einige, die Profan-
geschichte betreffende Notizen herüber, ohne zu beachten oder
zu erkennen, daß der Inhalt der auf die Gothen bezüglichen
schon vorher in A ausführlicher angegeben war. Auch hier
tritt sehr deutlich hervor, daB der Bericht von A, wie er jetzt
vorliegt, nicht das Erzeugniß eines Autors ist, der nach ver-
schiedenen Quellen arbeitete, sondern eine durch rohe Interpo-
lation entstellte Erzáhlung.
Es verbleibt uns noch
A 8 85 item Constantinus cum Oros. 8 31 cumque bellum în
bellum pararet $n Persas, in Persas moliretur, in villa
Das Valesische Bruchstiick zur Geschichte Constantins.
suburbano Constantinopolitano vil-
la publica iuxta Nicome-
diam dispositam bene rem
65
publica iuxta Nicomediam
dispositam bene rem publi-
cam filiis tradens diem
publicam filiis tradens
obiit.
obiit.
Orosius schópfte hier aus
Eutrop 10, 8: bellum adversus
.— Nico-
mediae in villa publica obit.
Hieronymus 2353: Constantinus
cum bellum pararet in Persas, in
Acyrona villa publica iuxta M-
comediam moritur — —
Parthos moliens — —
Da A mit Hieronymus bellum pararet schreibt gegen bel-
lum moliretur bei Orosius so kónnte man daran denken, daB
hier der Interpolator gleichzeitig Orosius und Hieronymus vor
Augen hatte, doch kann hier auch reiner Zufall gewaltet haben.
Sehr auffülig aber sind wieder die inmitten der Interpolation
stehenden Worte in suburbano Constantinopolitano. Das Schloß
Achyrona lag vor den Thoren Nicomedias *); es wäre also be-
greiflich, wenn wir in A lesen în suburbano Nicomediensi; aber
es ist nicht verständlich, wie ein Palast in den Vorstädten von
Nicomedia gleichzeitig als im städtischen Gebiet von Constan-
tinopel belegen bezeichnet werden konnte.
Nach unseren Ausführungen über die $ 20 und 29 ist es
die natiirlichete Annahme, daß diese Worte aus einer Notiz des
echten Berichts über Constantins Tod herstammen. Vielleicht
war damit in ungenauer Weise der Todesort bezeichnet, und der
Interpolator verband damit ebenso gedankenlos wie bei den Go-
thenkriegen die Notiz aus Orosius.
Dies sind die simmtlichen aus Orosius eingeschalteten Stel-
Es sind somit $ 20. 29. 33. 34. 35 wörtlich aus Orosius
eingeschoben; zu der Bemerkung § 8 (in supplicium etc.) gab
Orosius vermuthlich Anlaß und Stoff ?).
Aus der Art und dem Umfang dieser Einlagen geht her-
vor, welche Beweggründe den Interpolator leiteten.
len.
Der ur-
8) Victor C. 41, 16; Eusebius V. C. 4, 51.
9) Gardthausen und Zangemeister haben noch A $ 5 mit Orosius
$ 16 und A $ 6 mit O. $ 5 in Parallele gestellt. Aber an beiden
Stellen ist der Bericht von A genauer. Die wórtlichen Anklänge in
A $ 6 und O. § 5 sind geringfügig und können rein zufällig sein.
Philologus. N. F. Bd. I, 1. 9
66 Elimar Klebs,
spriingliche Bericht, obschon sehr wohlwollend fiir Constantin
gehalten, war mit seiner einfachen Erzählung mit seiner be-
wußten Ablehnung jedes Eingehens auf die religiösen Verhält-
nisse, dem christlichen Bearbeiter viel zu sehr grau in grau ge-
halten. Wie konnte einen Christen auch eine Biographie befrie-
digen, welche die Strafen der Verfolger nicht minder als die
wahren Verdienste des ersten ‘christlichen’ Imperators mit Schwei-
gen überging! So setzte er einige kräftige Schlaglichter darauf
aus dem Farbentopf eines Autors, der vor Anderen von christ-
lichem Fanatismus durchglüht war. Freilich waren es nur Far-
benkleckse ; nicht genug, dass die Einheit des Tons vernichtet
wurde, die Biographie mit dem divus Claudius begann und den
paganorum templa endete, auch der Zusammenhang des Einzelnen
wurde gestört.
Erst zum Schluß hat der christliche Bearbeiter auch ei-
nige Profan-Notizen aus Orosius eingesetzt.
Es ist außerdem zu bemerken daß in $ 1 die Worte ex
qua postea sex liberos Constantini fratres habuit, sich wört-
lich bei Eutrop 9, 22 und aus diesem iibernommen bei Hiero-
nymus 2307 wiederfinden, (während Orosius 7, 25 schreibt ex
qua sex filios fratres Constantini sustulit) Da A mit Eutrop
sonst nirgends Beriihrungspunkte zeigt, so liegt hier ein Ein-
schiebsel aus Hieronymus vor. Vielleicht ist hier nur die Rand-
bemerkung eines christlichen Lesers in den Text gerathen.
Aber der urspriingliche Bericht hat nicht nur Zusätze er-
fahren, sondern ist auch verkiirzt und zerriittet worden. Dies
tritt in den § 5—11 klar hervor. Einmal begegnen auffüllige
Wiederholungen: die Ernennung von Severus und Maximinus zu
Caesaren ($ 5 und $ 9), Severus Flucht nach Ravenna (8 6 und
S 9), Maxentius Erhebung (8 6 und 8 9) werden zweimal er-
zählt. Schon dadurch wird die chronologische Reihenfolge zer-
stört; in $ 8 wird Maximians Flucht zu Constantin, Licinius
Ernennung zum Caesar (J. 307) und Galerius Tod (J. 311) be-
richtet; dagegen bezieht sich $ 10 auf Ereignisse des J. 306.
Höchst auffällig ist endlich die Ungleichheit in der Ausführlich-
keit der Erzählung. Während Severus’ Schicksale und Galerius’
Zug gegen Rom ausführlich erzählt werden, erfahren wir nichts
tiber Diocletians und Maximians Ende. Am auffälligsten aber
ist, daß selbst von Constantins Thaten in den Jahren 306—311
Das Valesische Bruchstiick zur Geschichte Constantins. 67
nichts berichtet wird; der Kampf zwischen ihm und Maxentius
beginnt unvermittelt in $ 12 mit dem Sieg bei Verona.
Den direkten Beweis, dass in A ein verstiimmelter Bericht
. vorliegt, liefern die Worte 8 8 ile ad Constantinum refugit. Wie
uns die übrigen Berichte lehren, ist unter ile Maximian zu ver-
verstehen. Aus A allein kónnte man dies nie entnehmen; denn
sein Eingreifen in die Thronwirren ist in 8 6—7 mit keiner
Sylbe erwühnt. Es ist demnach jedenfalls in den § 5—11 der
echte Bericht verkürzt und verwirrt. Die Kümpfe zwischen Con-
stantin und Licinius 8 18 —29 geben, von den Verderbnissen
abgesehen, welche die Interpolationen herbeiführten, eine wohl
zusammenhängende Erzählung. Dagegen läßt die unverhältniß-
mäßige Kürze der Nachrichten über die Zeit vom J. 324 ab ver-
muthen, daß auch hier der echte Bericht nur verstümmelt vorliegt.
Seiner ganzen Haltung nach erinnert dieser Bericht !°) an
das, was Photius bibl. cod. 62 von Praxagoras erzählt. Auch
dieser schrieb, obwohl Heide (rjv Soncxelav “EAAnvy wy), über
Constantins Thaten in wohlwollendem, vielleicht panegyrischem
Ton. Auch von Nachstellungen des Galerius hatte Praxagoras
wie A § 2. 3 berichtet. Unsere Schrift zeigt zwar überall Par-
teinahme für Constantin; so wird bei den Kriegen zwischen
Constantin und Licinius dieser als der allein Schuldige hinge-
stellt und $ 25 von seiner solita vanitas gesprochen; aber von
der entsetzlichen Lobhudelei und. Vergötterung der Byzantiner
hält er sich durchaus frei. Gerade dadurch gewinnen seine
Nachrichten den hohen Werth, der ihnen mit Recht allgemein
beigemessen wird, und der mit Unrecht auch auf die Einlagen
aus Orosius erstreckt ist.
Ganz isoliert steht A in Bezug auf die Quellen. Die an-
geblichen Berührungen mit christlichen Schriftstellern gründen
sich auf die aus Orosius eingelegten Stellen und können darum
ohne Weiteres übergangen werden !!)
10) Hier wie weiterhin ist immer der ursprüngliche gemeint.
11) Wenn Görres Fl, J. 111, 209 Benutzung des Eusebius auch
aus dem harten Urtheil über Licinius A $ 22 folgert, so sei darauf
hingewiesen, daß die heidnische Epitome 41, 8 (omnium pessimus ne-
que alienus a luxu venerio) die gleichen Vorwürfe mit A erhebt.
5*
68 Elimar Klebs,
Aber auch mit den nichtchristlichen Berichten zeigt A keine
Quellenverwandtschaft. Die auch von Schwabe aufgenommene
Hypothese eines Auszugs aus Ammian stammt wohl aus Opitz’
Abhandlung über Aurelius Victor (Acta soc. phil. Lips. H 257) 1%).
Dieser sucht nachzuweisen, daß in der Epitome von C. 39 an
derselbe Bericht wie bei Zosimus vorliege; wegen der Ueberein-
stimmungen' beider mit Ammian in den erhaltenen Bücher sei
auf einen Auszug aus Ammian zu schlieBen. Da A Benutzung
derselben Quelle verrathe, die bei jenen vorliege, so habe auch
A aus einem Ammian-Auszuge geschöpft.
Wir lassen die allgemeinen Hypothesen hier bei Seite und
prüfen nur die thatsüchlichen Beziehungen zwischen den ver-
schiedenen Berichten.
Von Eunapius, dessen Bericht uns Zosimus verkürzt über-
liefert, ist es sattsam bekannt, daß sein Haß gegen Constantin
eben so groB war wie seine Begeisterung für Julian. Er und
mit ihm Zosimus stehen also gerade auf dem entgegengesetzten
Standpunkt, auf dem wir A finden; ein Umstand, der die An-
nahme gleicher Quellen von vorneherein nicht eben wahrschein-
lich macht. Dazu kommt, daß die beiden ‘ausführlichen Be-
richte bei Zosimus und bei A über die Kriege der J. 314 und
323 keine Verwandschaft zeigen.
Die Stellen, welche eine solche trotzdem beweisen sollen,
sind folgende, wobei die Epitome gleich mit herangezogen wer-
den móge:
1) A § 4 verglichen mit Zosimus 2, 8 und Ejpit. 41 init.
Gemeinschaftlich ist diesen Stellen, nur die Angabe, Constantin
habe, zu seinem Vater eilend, die Postpferde gelühmt, um seine
Verfolgung zu hindern. Die Einzelheiten sind widersprechend :
a) nach Zosimus und der Epitome flieht Constantin heimlich von
Galerius, wührend A berichtet eum Galerius patri remisit; Con-
stantin ergreift nach A jene List ut Severum per Italiam tran-
siens ritaret. b) Nach Zos. und der Ep. erreicht Constantin sei-
nen Vater in Britannien und trifft ihn im Sterben liegend ; nach
A in Bononia, worauf Constantius noch einen Sieg über die
12) Die gleiche Vermuthung wurde früher schon ohne Begründung
von Pallmann ausgesprochen, Geschichte d. Vólkerw. II 258.
Das Valesische Bruchstiick zur Geschichte Constantins. 69
Picten erficht. c) Nach der Ep. flieht er von Rom aus, nach A
aus dem Orient; denn er wird nach einem Kriege mit den Sar-
maten von Galerius entlassen, wihrend Severus als Caesar in
Italien herrscht; er streift nur (transiens) Italien.
Hier liegt demnach in A ein von Zosimus und der Epitome
ganz verschiedener Bericht vor. .
2) A § 10 verglichen mit Zos. 2, 10 und Epit. 40, 3.
Der Ort, wo Severus ermordet wurde, heißt bei A in villa
publica Appiae viae tricensimo miliario, bei Zos. Tota Kannleîa,
Die sachliche
Uebereinstimmung bei verschiedenen Bezeichnungen, von denen
sich eine aus der anderen nicht unmittelbar ableiten läßt, zeigt
recht deutlich, daß hier verschiedene Berichterstatter die gleiche
Thatsache erzühlen. Der Epit. u. A ist freilich noch die An-
gabe gemeinsam, Severus sei beigesetzt in G'allieni monumento;
im Uebrigen nennt als den Urheber der Ermordung die Epi-
bei der Epit. ungenau Romae ad Tres Tabernas.
tome Maximian, Zosimus Maxentius; in A wird nur gesagt iw-
Nach Zosimus veranlaßt die Ermordung Galerius
zum Einschreiten; nach A geschieht sie cum Galerius Italiam pe-
teret, so daß umgekehrt Galerius’ Heranrücken die Ermordung
gulatus est.
veranlaßt zu haben scheint.
Dies sind die beiden Hauptstellen für die angebliche Iden-
tität beider Berichte. Ihre Zergliederung wird genügen, um die
Behauptung eines Ammianauszuges in A als unbegründet zu
erweisen.
Nicht minder unbegründet ist die Behauptung Ohnesorges
(S. 27 ff) A sei von Polemius Silvius in seinem Laterculus be-
nutzt. Einer Prüfung werth ist überhaupt nur eine Stelle:
A 8 35: [Calocaerum quendam
in Cypro aspirantem novia rebus
appressit.] Dalmatium filium fra-
tris sut Dalmatii Caesarem fecit.
eius fratrem Annibalianum data
ei Constantiana filia sua regem
regum et Ponticarum gentium con-
stituit.
Pol. !#) Vel Calocaerus Cypro ty-
rannus fuit, sive Dalmatius frater
illius de matre alia, de quo nati
sunt Gallus et Iulianus qui im-
peravit, factus est Caesar. Han-
nibalianus frater praedicti factus
est rez regum gentium Ponti-
carum.
13) In Mommsens Ausgabe, Abhandl. d. sächs. G. d. W. III 244
vgl. VIII 695.
70 Elimar Klebs,
Die erste Notiz ist in A aus Orosius interpoliert und stammt
aus Hieronymus; Polemius, der diesen am Anfang nachweislich
benutzt, entnahm sie vermuthlich ebendaher. — In der zweiten
giebt Polemius eine falsche Nachricht iiber die Herkunft von
Gallus und Julian und verwechselt Delmatius, den Bruder Con-
stantins, mit dem Neffen, dem Cäsar Delmatius; dagegen hat A
das Richtige. — Zur dritten Notiz schreibt Ohnesorge (S. 82):
‘der Titel res regum findet sonst wohl kein Seitenstiick in der
alten Geschichte; jedenfalls ist diese Bezeichnung so auffallend
und der Umstand, daf der A und Polemius diese Nachricht ge-
meinsam haben, so gravierend, daß man aus dieser Ueberein-
stimmung auf eine Abhingigkeit des Silvius von A zu schlieBen
geneigt ist. Thatsächlich bemerken wir:
1) Hanniballianus heißt auf den Münzen (Eckhel VIII 104)
rex, ebenso bei Ammian 14, 1, 2. Der genauste Bericht über
die Reichstheilung Constantins, die Epitome 41, 20 bezeichnet
als sein Gebiet Armeniam nationesque circum socias, d. h. also
Armenien, Pontus, Cappadocien.
2) Den Titel ‘König der Könige’ führten, wie allbekannt,
nach dem Beispiel der Achaemeniden die parthischen und neu-
persischen Könige; für andere orientalische Herrscher giebt
Eckhel IV 459 Belege. Für einen römischen Herrscher ist rer
auffallend genug; in der officiellen Verwendung dieses Wortes
spiegelt sich klar wieder der Uebergang des römischen Princi-
pats in die orientalisch angehauchte, griechische Monarchie.
Gegen den Titel rex regum aber sprechen von Vorneherein in
Gleichem politische Erwägungen wie die unter 1) angeführten
Zeugnisse.
3) Nach strenger Auslegung bringt Polemius diesen auch
nicht vor; rex regum gentium Ponticarum kann nur bedeuten:
König über die Könige der pontischen Völker, d. h. römischer
Oberlehnsherr über einheimische Dynasten. Ob es solche da-
mals im gesammten Gebiet Hanniballians noch gab, können wir
nicht entscheiden, zumal bei seinem höchst vergänglichen (J.
335—337) Königthum. Immerhin könnte die Bezeichnung, ob-
wohl sicher weder titular noch correkt, etwas Richtiges enthalten.
Nach A dagegen hat es freilich den Anschein, als hätte H. den
Titel rex regum empfangen. Aber ist die überlieferte Lesart
Das Valesische Bruchstiick zur Geschichte Constantins. 71
richtig, und vor et nichts ausgefallen, so erweist sich die Notiz
von selbst als verkehrt. Denn der Titel ‘König der Könige
und der pontischen Vólker' parodiert sich selber.
Dieser angebliche römische ‘Großkönig’ 14) steht wahrlich nicht
einmal auf thönernen Füßen !
Der Mangel jeder Berührung mit anderen erhaltenen Be-
richten erschwert in hohem Maße die Bestimmung des Charakters
und der Zeit derjenigen Schrift, von der uns hier ein Bruch-
stück vorliegt. Daß die gegebenen Nachrichten auf die Bericht-
erstattung eines Zeitgenossen zurückgehen, unterliegt aus inneren
Gründen keinem Zweifel. Aber es braucht darum nicht die
Schrift eines Zeitgenossen Constantins gewesen zu sein, welche
später ein Christ verkürzte und mit christlichen Zusätzen versah.
Und war jene Schrift eine Biographie oder eine weiter reichende
Chronik ? Prüfen wir zunächst die letzte Frage, so tritt eine
besondere biographische Berücksichtigung Constantins nur in dem
Abschnitt hervor, welcher die Jugendgeschichte Constantins be-
handelt ($ 2—4). Im Uebigen erzählt das Stück — in der
vorliegenden Gestalt freilich lückenhaft — die Geschichte der
Zeit vom J. 306 an nnd bringt persönliche Notizen auch über
Severus $ 4, Galerius $ 11, Maxentius $ 12, Licinius $ 22;
es werden ferner auBer fiir Constantin auch fiir Diocletian $ 1,
Galerius $ 8, Licinius $ 21 die Regierungsjahre angegeben.
Ferner hebt unser Bruchstiick mit den Worten an Diocletianus
cum Herculio Maximiano imperavit annos XX. Ein solcher Ein-
gang zu einer Biographie eines Nachfolgers würe nicht blos ohne
Beispiel, sondern in der That befremdlich. Man wende nicht
ein, daß bei einem früheren Beginn des ursprünglichen Berichts
die Ernennung des Constantius und Galerius zu Cäsaren nicht
erst an dieser Stelle hütte erzühlt werden kónnen; bei der an-
derswo nachweisbaren Ueberarbeitung ist die Annahme gestattet,
daß hier der Bearbeiter aus dem Früheren ergänzt hat. So ha-
ben wir es wahrscheinlich mit dem Bruchstück einer biogra-
14) Er erscheint, sogar als Träger politischer Combinationen, zu-
letzt bei Schiller, Gesch. d. KR. K. II 236.
72 Elimar Klebs,
phisch angelegten Kaisergeschichte zu thun, ähnlich denen, die
bei Eutrop, Aurelius Victor und in der Epitome vorliegen. Von
ihren Grenzen wird sich nur die untere insoweit ungefähr be-
stimmen lassen, als es gelingt, die Zeit des Verfassers festzu-
stellen.
Unmittelbare, eigene Angaben des Verfassers über seine
Zeit fehlen. § 4 steht die Bemerkung: Bononiam quam Gall
prins Gesoriacum vocabant. Da aber der Name Bononia (Bono-
niensis oppidi) schon bei Eumenius Paneg. 7, 5 (aus dem J.
310/311) erscheint, während dieser Paneg. 2, 6. 14 (J. 297)
noch Gesoriacensis bietet; da ferner Eutrop und Ammian nur
Bononia gebrauchen, so war diese Form offenbar die seit Beginn
des vierten Jahrhunderts übliche, und wir gewinnen aus jener
Bemerkung nichts Neues. Ebensowenig aus anderen geographi-
schen Bezeichnungen. Zwar findet Mommsen (Abh. d. Berl.
Ak. 1862 S. 417 An. 15) eine Verwandtschaft zwischen dem
Sprachgebrauch unseres Stiickes und dem des Veroneser Pro-
vinzenverzeichnisses vom J. 297. Doch gestatten die dafür vor-
gebrachten Momente keine sicheren Schlüsse !5). Ebenso fehlt
es an anderen technischen Bezeichnungen, die zu genaueren Zeit-
bestimmungen führten. Protector $ 1, veredi = Postpferde (wie
C. Just. 50, 12, 4. Rescript vom J. 362), dux limitis § 17
kónnten in jeder Schrift des vierten und fünften Jahrhunderts
stehen. So verbleibt von äußeren Momenten nur noch die
Sprache des Bruchstücks als Anhalt für eine ungeführe Zeitbe-
stimmung.
In Bezug auf den Wortschatz ist zunüchst bemerkenswerth,
daß ausschließlich spätlateinische Worte, von den wenigen tech-
nischen Ausdrücken abgesehen, kaum begegnen. Nicht minder
bemerkenswerth ist die völlige Abwesenheit von Worten oder
Wendungen, die dem kirchlichen Latein eigenthümlich sind. Er-
wühnenswerth ist in lexikalischer Beziehung nur Folgendes:
15) Mommsen meint Pannonia in $ 9 Moesia in $ 18 und 21 be-
zeichneten offenbar die Dioecesen; auch stehe Oriens $ 5 und 18 so,
daß darunter Aegyptus mitverstanden zu sein scheine. In Bezug auf
Moesia ist diese Auffassung sicher nicht statthaft für $ 18, wie schon
Górres (a. a. O. S. 205) richtig erwiesen hat. Pannonia bezeichnet
$ 8 die Landschaft; in § 9 steht Pannoniae (scl. urbes). Auch wenn
man diesen ungenauen Ausdruck der Dioecese Pannonien gleichsetzt;
wird damit für unsere Untersuchung wenig gewonnen, da noch die
N. D. Occ. 6, 14 ‘Pannonia’ bietet.
Das Valesische Bruchstiick zur Geschichte Constantins. 73
distabuit $ 4; in eigentlicher Bedeutung wie hier nur
aus vorklassischer Zeit, dann aus Vegetius med. belegt. — ster-:
nere = vernichten $ 8 plurimis stratis, $ 15 convictus et stratus
est. — Sehr gewóhnlich in Verbindung mit caede, ferro und
Aehnlichem, wird es alleinstehend von den Lexica nicht belegt;
doch braucht es ebenso Hieronymus !®) in der Chronik 2393:
Alamannorum triginta circiter milia strata, — talia frustrante
(die HS. frustante) 8 15 = vereiteln, abschlagen; ähnlich bei
Columella und Curtius. — noscente & 4 falsch für experto. —
caput incisum § 12 statt abscisum. — pervolavit ad Sir-
mium § 16; in historischer Darstellung gewöhnlich advolare.
(Bei Cicero Somnium Scip. 9 steht es im ursprünglichen Sinn
und in gehobener Darstellung; sonst als Transitivum gebräuch-
lich). — ülue lato agmine inflexit $ 24; sonst nicht belegt,
vielleicht nur zufällig; flectere in Prosa so schon bei Livius .
(flexi medial $ 18). — precibus magis quam armis optata merca-
retur $ 7; damit würe hóchstens zu vergleichen Cicero ad Att.
9, 5, 5: haec officiu mercanda vita puto. Doch bleibt Cicero im
Bilde, während armis auch bildlich nicht als Angabe des Preises
betrachtet werden kann; mercari miifite einfach ‘erhalten, errei-
chen’ bedeuten. Da in dieser Bedeutung mereo und mereor bei
den späteren Historikern sehr häufig vorkommt, liegt es nahe
‘mereretur’ zu vermuthen. — desperata maris spe S 27 ist
ohne Beispiel. — apud Philippos constitutum $ 17 ist hier
noch = qui se constituerat, aber verwandt dem spütern Gebrauch,
wonach constitutus = agens wird. So braucht es öfter Orosius
z. B. 7, 15 in Pannonia | c. 7, 25 in Illyrico c.; Sulpicius Seve-
rus verwandelt in der Beschreibung des Brandes Roms Tacitus’
Worte Nero Anti agens (ann. 15, 39) in Nerone apud Antium
constituto (chr. 2, 29). — Aliquaca regalis (Gothorum) =
‘Häuptling’ hat Ammian mehrfach; genau entspricht der Alaman-
nus regalis 27, 10, 1. — obsidio terrena § 25 ist gebraucht
ähnlich wie ster terrenum bei Plinius n. h. Endlich mag er-
wühnt werden de parte Licinii $ 23 = a partibus.
Die relative Reinheit des Wortschatzes und Wortgebrauchs,
die aus dieser Zusammenstellung erhellt, läßt sich, als negative
16) Ammian braucht es ófter alleinstehend bei Kampfschilderungen,
doch mit Festhaltung des ursprünglichen Sinnes. Gleich caedi wie
oben könnte es gefaßt werden 31, 15, 7 sterni et sauciari.
74 | Elimar Klebs,
Eigenschaft, schwer anschaulich machen. Aber um den Gegen-
Satz zu empfinden, braucht man nicht zu dem zweiten Valesischen
Bruchstiick oder zu Jordanes hinabzusteigen; es genügt ein
Hinweis auf die Kaiserbiographen, die an späten und vulgären
Wendungen sehr reich sind, obwohl sie in ihrem ersten Theil
bis Elagabal wesentlich den Sprachbestand des dritten Jahr-
hunderts widerspiegeln.
Dasselbe Verhältniß zeigt sich auf grammatischem Gebiet.
Weder in der Formenbildung !?) noch in der Syntax zeigen sich
wirkliche Barbarismen. Zwar steht $ 12 de cuius origine mater
eius cum quaesitum esset — — confessa est; aber es ist verkehrt
quaesitum, wie thatsüchlich geschehen, ohne Weiteres gleich in-
terrogata zu setzen. Hier liegt eine Ellipse vor; rein gramma-
tisch sind solche zahlreich bei unserem Autor in Bezug auf die
Formen von esse (§ 5. 9. 18. 16; regelmäßig beim Infinitiv $ 18
(bis). 21. 27) und auf die Weglassung der Pronomina ($ 3. 12.
18). Aber auch stilistisch zeigt A ein entschiedenes Streben
nach Kürze !8): 8 16 cum Senicius — — posceretur ad poenam,
negante Licinio fracta concordia est; & 25 obsidionem terrenam maris
securus agitabat; § 27 victoriam maritimam Crispo conveniente co-
gnoscens ; S 17 ab utroque concurritur et post dubium ac diuturnum
proelium | Licini partibus inclinatis profuit noctis auxilium, Dieses
letzten Satzes, in welchem die Hauptsache im Participium steht,
hütte sich auch ein Historiker der guten Zeit nicht zu schümen.
Es ist darum ohne jedes Bedenken in 8 12 ex ea zu ergünzen
und dem entsprechend zu interpungieren mater eius, cum quae-
situm esset, — —.
Anders steht es mit § 35: Annibalianum — — regem regum
— — constituit, ita ut Gallias Constantinus minor regebat, orientem
Constantius Caesar, Illyricum et Italiam Constans, ripam Gothicam Dal-
matius tuebatur. Die Annahme, hier lägen Vergleichungssätze vor,
scheint mir zu gekiinstelt, zumal bei der sonst hóchst einfachen
Schreibweise des Autors; audrerseits ist die Annahme, hier lige ein
Folgesatz im Indicativ vor, schon dadurch ausgeschlossen, daf
es an einem regierenden Satze fehlt. Nun wurde aus sachlichen
17) Chalcedonam $ 27 ist vielleicht nur handschriftlicher Fehler.
18) In dieser Beziehung wie in der Vorliebe für die erwühnten
grammatischen Ellipsen zeigt A grofe Verwandschaft mit den Cae-
sares des Aurelius Victor.
Das Valesische Bruchstiick zur Geschichte Constantins. 75
Gründen früher erwiesen, daß auch am Ende des Bruchstücks
des Interpolaters rohe Hand gewirthschaftet hat. Wahrschein-
lich stand in dem echten Bericht — worauf eben ia ut führt
— ein Satz des Sinnes, Constantinus imperium divisit ita ut ....
regeret. Der Wegfall des Hauptsatzes machte den Conjunctiv
unbegreiflich und vielleicht erst ein spüterer Abschreiber corri-
gierte den scheinbaren Fehler. Im Uebrigen bietet A gramma-
tisch wenig Bemerkenswerthes !?) Vor Allem, der Gebrauch der
Casus, der Gebrauch und die Rection der Prüpositionen ist voll-
kommen correkt. Selbst der gewöhnlichste Fehler dieser Art,
falscher Gebrauch des Accusativ und Ablativ nach der Präpo-
sition in kommt nirgends vor. Desgleichen mangelt gänzlich
die dem vulgären und späteren Latein eigenthiimliche, fehler-
hafte Ersetzung von Infinitiv- und Participial - Constructionen
durch Sätze mit quod und quia.
Von Einzelheiten ist zu erwühnen: § 23 und 24 stehen
miserat und expleverat für das Perfectum, ein aus klassischer Zeit
seit Sallust wohl bekannter Gebrauch, der unter den späteren
Historikern in den Cäsares und in der Epitome besonders häu-
fig begegnet. — Falsch und auffalligist das Plusquamperfectum
in 818 hoc Licinium foedere sibi fecit adiungi ut Licinius. Constan-
liam . . . . duxisset uxorem, und zu erklären nur dadurch, daß
der Gedanke ausgedrückt werden sollte, aber unlogisch ausge-
drückt wurde: durch einen Vertrag, in Folge dessen Licinius
Constantia geheirathet hatte, ist ein Bundesverhältniß zwischen
ihm und Constantin geschaffen. — In $ 6 suscepit Italiam et
quicquid Herculius obtinebat ist zu erklären: bis dahin besaß.
Dum = während verbunden mit dem Conj. Imp. steht nach
Valois Conjectur (quod die HS.) 8 25; so schon seit Livius
(Dräger II 609) Ne aliquis S 11 und facere = bewirken
mit Acc. c. Inf. 8 10. 13 sind gewóhnliche Verbindungen des
späteren Lateins (Dräger I 91. 92; II 417). § 27 se viderat
19) Freilich darf man als Maßstab nicht den ‘alten Sprachge-
brauch’ anlegen, wie Ohnesorge S. 10 ff. beständig sagt, das heißt
etwa die Kegeln von Ellendt-Seyffert. So figuriert denn z. B. unter
den Barbarismen (S. 14) die Setzung von Präpositionen bei Städte-
namen in Fällen ($ 8. 16. 29), wo sie auch fehlen könnten. Doch
schon Kaiser Augustus trug kein Bedenken praepositiones urbibus ad-
i sagt Sueton Aug. 86, und das Monumentum Ancyr. giebt die
elege.
76 Elimar Klebs,
obsidendum, scl. esse, welches A beim Infinitiv beständig fortläßt.
Hier liegt offenbar die Ersetzung des Inf. Fut. Pass. durch das
Participium auf -ndus mit esse vor; ein Gebrauch, der im vier-
ten Jahrhundert sehr häufig ist, später nur vereinzelt auftritt
(Dräger II 830, Neue, Formenlehre II 385).
Ungünstiger muß das Urtheil nach stilistischer Seite hin
lauten. Zwar ist zu berücksichtigen: 1) daß durch die Inter-
polationen aus Orosius der Zusammenhang mehrfach gestört ist;
2) daß sicher in $ 5—11, wahrscheinlich auch am Schluß der
echte Bericht nur in einem verwirrten Auszug vorliegt. Aber
trotzdem und obwohl einige Sätze von wohlgelungener, prägnanter
Kürze sind, ist im Allgemeinen die stilistische Kunst des Autors
als sehr ärmlich zu bezeichnen, namentlich im Satzbau und in
der Satzverknüpfung. Als besonders charakteristisch tritt her-
vor die übermäßige Verwendung des Ablativus abs. (zuweilen
auch grammatisch incorrect wie $ 3 Galerio mittente) und des
Participium Praes. So findet sich in dem kurzen Stiick $ 18
—18 Folgendes: oppresso, celebratis, reverso, additis, caesis, sublata,
collecta, remissis, reparato, fatigatis, quo facto — persuadens, fru-
strante, tubente, negante, credentes, festinans, postulante et pollicente.
In den § 24—27 finden sich die Participia Praes.: niten-
tibus, agentem, fugiens, conveniente cognoscens, auziliantibus, pars
vincens, fugientibus.
Sicher ist diese starke Verwendung des Part. Pr. durch
das Streben des Autors nach Kürze mitbedingt, aber nicht aus-
schlieBlich individuell. Schon die Kaiserbiographen zeigen eine
erhebliche Zunahme des Gebrauchs und setzen es häufig ganz
aoristisch. — Ebenso oft wie in unserem Bruchstück steht es
bei Eutrop, im letzten Abschnitt der Epitome) c. 39 —48, wo
eine andere Quelle als vorher zu Grunde liegt) und namentlich
bei Ammian. Doch beschränkt sich diese Erscheinung nicht auf
die Historiker; sie findet sich auch im Roman, ebenso bei Apu-
leius wie in der Historia Apollonii, deren lateinische Urgestalt
aus dem dritten Jahrhundert stammt 2°),
20) Mit Unrecht ist wiederholt der háufige und aoristische Ge-
brauch des Part. Pr. als ein Gricismus einzelner Schriftsteller behan-
delt. Für Ammian wäre diese Annahme statthaft; im Uebrigen wird
sie durch die Allgemeinheit der Erscheinung wiederlegt. Der sonst
richtige Satz, daß die weitaus häufigste Participialconstruction im La-
—
Te. PT SU mue TS
Das Valesische Bruchstück zur Geschichte Constantins. 77
SchlieBlich seien hier noch einige Einzelheiten verzeichnet,
in welchen sich A mit den späteren Historikern beriihrt.
Iste steht § 1 = hic oder is. In bestündigem Wechsel
mit Aic findet es sich fast in jedem Capitel der Epitome mehr-
fach. — Contra fidem findet sich nur § 21; dagegen zur Be-
zeichnung der feindlichen Richtung adversus § 6. 13. 31. 32,
Ebenso braucht Eutrop um zu bezeichnen ‘im Widerspruch mit,
im Gegensatz’ nur contra; wo die feindliche Richtung angegeben
werden soll contra und adversus (adversum). Und zwar so, da
in den ersten 7 Biichern fiir diesen Fall contra ungefähr 4mal
so häufig ist als adversus, während in den drei letzten, das Ver-
hältniß sich umkehrt und 5 : 18 wird. Da Eutrop seine Quel-
len zum großen Theil wörtlich abschrieb, so erklärt sich jene
Verschiedenheit sehr einfach aus der Verschiedenheit der Quellen,
und der häufigere Gebrauch von adversus in den letzten Büchern
weist darauf hin, daB bei einzelnen, späteren Historikern adver-
sus an Häufigkeit zunahm *!. — Apud mit einem Städte-
namen steht $ 4. 12. 13. 15. 17 | bis) 27 (sicher = in $ 18);
ein gewöhnlicher Gebrauch späterer Historiker (Dräger I 586),
namentlich Victors und Eutrops. — Im späteren Latein schwin-
det bekanntlich das Adjectivum magnus und es treten dafür in
abgeschwächter Bedeutung grandis, ingens, nimius ein. Von die-
sen Ersatzworten hat A in $ 23 grandi classe, in $ 6. 8. 30
ingens, während nimius ganz fehlt. Auch in dieser Beziehung
berührt sich A am engsten mit Eutrop. Während bei den Script,
teinischen der Abl. abs. mit dem Part. Perf. Pass. ist, gilt für die
genannten Autoren nur in erheblicher Einschränkung. Nur ein Paar
Belege môgen hier noch Platz finden: Bei Eutrop in Buch 10 steht
das P. Pr. absolut 7mal (6 Abl. 1 Dativ), als conjunctum 20, im Gan-
sen also 27 mal gegen 29 Abl. abs. mit P. Pf. In der Epitome c.
39—41 ist das Verhältniß 32 : 22. Aus den Script. h. A. wähle ich
ıwei Participia, die besonders im Verdacht des Gräcismus stehen di-
cens = elnwy nebst verwandten und volens. Es hat z. B. die Vita
Avid. Cass. : dicens 4, 4. 6; 8. addens 3. V. Pesc.: dicens 7. adse-
rens 9. addens 10. 12. V. Elag.: dicens 10. 11. 13. 26 (ter). 28 (bis)
32. 33. V. Alex.: dicens 13. 19 (bis) 22. 32. 89. 84. 37. 40. 41. 43.
47. 49. 52. 58. Volens steht z. B. absolut V. El. 3. Al. 22. Gord.
14. XXX t. 9. 12. 24 Prob. 8; mit abhängigem Infinitiv V. Pert. 10.
Sev. 8. Gord. 8. 10. Prob. 1. Es erscheint übrigens schon in Apu-
leius Metamorphosen háufig (in Ap. und Fl. vereinzelt), so 1, 24. 2, 6.
3, 19. 22; 4, 11. 6, 3. 8; 7, 5. 11; 10, 29.
21) Doch kommt es bei den Script. h. A. und bei Ammian nur
vereinzelt vor, häufig dagegen bei den christlichen Historikern.
78 Elimar Klebs,
h. A. neben ingens sehr häufig nimius in abgeschwächter Bedeu-
tung erscheint, hat es Eutrop so nicht, braucht aber ingens im
Uebermaß ??) (beiläufig an 80mal). — Wie A § 4 schreibt
militum consensu Caesar creatus, so braucht Eutrop in gleich-
artigen Wendungen militum consensu 9, 2. 12; 10, 11. 15, con-
sensu exercitus 10, 17.
ee —— —ÓÀM M—— ———
Es entsprang weder der Bequemlichkeit noch Unkenntniß,
wenn wir im Vorhergehenden uns wesentlich auf eine Verglei-
chung mit dem sprachlichen Charakter der geschichtlichen Litte-
ratur des dritten und vierten Jahrhunderts beschränkten. Ueber-
blicken wir die prosaische Ueberlieferung dieser Epoche so kom-
men außer jener drei größern Gruppen in Betracht: die Lob-
reden, die kirchlichen und die technischen Schriften. Wir ken-
nen auBerdem sehr gut den Curialstil der Zeit, nicht bloB aus
den kaiserlichen Verfügungen; auch die Steine reden dieselbe
schwülstige und aufgedunsene Sprache. Nun versteht es sich
von selbst, jedes Denkmal irgend einer dieser Gruppen zeigt
Spuren der Veränderungen, welche die Sprache seit den Tagen
Cüsars und Augustus erfahren. Aber jede dieser Gruppen steht
doch unter eigenthiimlichen Bedingungen und Einwirkungen.
Vor Allem, die Macht der Ueberlieferung, des Hergebrachten,
die im gesammten Alterthum Kunst und Litteratur so unver-
gleichlich viel stärker beherrscht als in modernen Zeiten, sie
mußte besonders wirksam sein in einer Epoche, der es an eige-
ner Schaffenskraft und Schaffensfreudigkeit völlig gebrach. —
So wird ein sicheres Gesammturtheil über den sprachlichen Cha-
rakter unserer Schrift am ehesten zu gewinnen sein durch die
Vergleichung mit den historischen Schriften. Ueberschauen wir
aber jetzt die vorher behandelten sprachlichen Eigenheiten, so
überschreitet das Maß grammatischer und lexikalischer Abwei-
chungen vom Sprachgebrauch der klassischen Zeit in keiner
Weise die Zahl entsprechender Erscheinungen bei den Kaiser-
22) Die abgeschwächte Bedeutung von ingens zeigt sich vielleicht
am klarsten Eutrop 8, 8 vixit ingenti honestate privatus, maiore in
imperio. Hier ist ingens geradezu der Positiv zu maior.
Das Valesische Bruchstiick zur Geschichte Constantins. 79
biographen, Aurelius Victor. Epitome, Festus, Eutrop und Oro-
sius 29); ja es bleibt in mancher Beziehung hinter dem zurück,
was sich bei den erst und dem zuletzt genannten findet. Un-
leugbar ist die stilistische Ungelenkigkeit des Bruchstücks. Aber
kann es eine armseliger und elender stilisirte Schrift geben als
die Vita Elagabals ? Und doch ist sie nachweislich zwischen
den J. 323—337 geschrieben.
Man möge also aufhören von dem 'vóllig barbarischen La-
tein' unseres Bruchstücks zu reden, Es erweist sich sprachlich
als ein Denkmal des vierten Jahrhunderts.
Wenn an dem zeitgenössischen Charakter der gegebenen
Nachrichten nicht gezweifelt wird; wenn sachlich und sprachlich
nichts über das vierte Jahrhundert hinausweist, so ist es die na-
türlichste Annahme, daB der unbekannte Historiker selbst noch
ein Zeitgenosse Constantins war. Gerade bei einem solchen er-
klärt sich auch am Leichtesten, wie er, ohne Christ zu sein,
dennoch aus persónlicher Bewunderung oder in Folge persón-
licher Beziehungen so überaus wohlwollend für Constantin schrieb.
Denn sicher war der Verfasser nicht Christ. Zu den früher
schon berührten negativen Momenten tritt als positives die
schlichte Haltung der Erzühlung; sie ist gleich frei von der
schmeichelnden Geschichtsfälschung des Eusebius wie von dem
Wust alberner Fabeln, unter welchem die byzantinischen Chro- .
nisten die wahre Gestalt eines bedeutenden Mannes hegruben.
So haben wir es hier mit einem Anhänger jener Richtung zu ~
thun, welche weder von christlichem noch heidnischem Fanatis-
mus beherrscht war, und welche auf dem Gebiet der Geschicht-
schreibnng einen großen Vertreter zuletzt noch in Ammianus
Marcellinus fand. Mit dem Beginn des fünften Jahrhunderts
verstummt in lateinischer Rede die nichtchristliche Geschicht-
schreibung.
Für die Zeitbestimmung des christlichen Bearbeiters fehlt
es auBer der Thatsache, dass er nach Orosius schrieb, an jedem
Anhalt. Sein Bestreben ging dahin den ursprünglichen Bericht
zu einer kurzen, christlich gefürbten Biographie Constantins zu-
28) Ammian und Sulpicius Severus nehmen durch ausgeprügte Ei-
genart und durch die eigenthümlichen Elemente ihres Stils eine Son-
derstellung ein.
80 Elimar Klebs, Das Valesische Bruchstück u. s. w.
zustutzen. Auf dem Gebiet der geschichtlichen Litteratur kenne
ich einen genau entsprechenden Vorgang nicht; denn wenn seit
dem vierten Jahrhundert bis weit ins Mittelalter hinein Grie-
chen wie Lateiner Anszüge aus heidnischen und christlichen
Geschichtswerken mit einander verbinden, so liegt wohl ein ver-
wandter, aber doch nicht gleichartiger Vorgang vor. Wohl aber
bietet einen solchen die Erzühlung vom Apollonius aus 'Lyros.
Auch hier ward eine heidnische, lateinische Schrift des dritten
Jahrhunderts einerseits verkürzt, andrerseits mit christlichen Zu-
thaten versehen, anfangs in bescheidenem, später in immer stei-
gendem Maße. Zunächst ist dies freilich nur eine Behauptung,
die den geltenden Anschauungen vóllig widerspricht. Aber
wenn ich auch ihren Beweis erst an anderer Stelle werde bringen
kónnen, so wollte ich darum doch nicht eine interessante Paral-
lele zu dem Schicksal unseres Bruchstiicks unterdrücken.
Berlin. | Elimar Klebs.
Manilius V 546.
Hic Hymenaeus erat.
Noch hat keiner an der Erwähnung des Hymenaeus Anstoß ge-
nommen und doch steht dieselbe in vollkommenem Widerspruche
sowohl zu V. 545: vesano dedere ponto Andromedam, teneros ut
bellua. manderet artus, als zu der Erzählung V. 595 fig. (pactus-
que maritum)- Es unterliegt kaum einem Zweifel, daß hymen
ein Lesefehler statt hamon ist, wie z. B. die Codices Lucan. IX
514. Schol IV 673 S. 710 und Lactant. Stat. Theb. III 479
amon, amor Statt hammon schreiben. Das Orakel des Ham-
mon war es nach Ovid. Met. IV 670 gewesen, welches verkün-
dete mala non posse redimi a republica misi privatis et domesticis
damnis, V. 343: una malorum Proposita est merces: so furchtbar
der Preis der Rettung ist: die Noth läßt den König der Wei-
sung des Gottes sich fügen (hoc corniger imperat Hammon Val.
Flacc. II 482. Ovid. Met. V 17) und wie Virgil Aen. XII
676: lam iam fata, soror, superent, so sagt Manilius dem-
gemäß :
Hic Hammon superat; solata en publica damna
Privatis lacrimans ornatur victima poenae.
Denn nach Verkennung des Wortes Hammon ist aus superat (Hy-
mon)us erat geworden, was um so glaublicher ist, als der Aus-
fall des Buchstaben p sich auch an anderen Stellen nicht blos
des Manilius findet, z. B. V. 594.
Halle a. S. Rob. Unger.
VII.
Die Ehe des Ptolemaeus Philadelphus mit
Arsinoe Il.
Die Frage nach der Abfassungszeit von Theocrits Idyll 17
ist in der letzten Zeit viel behandelt worden!). Da eine di-
rekte Ueberlieferung über dieselbe fehlt, so ist man gezwungen,
von den historischen Anspielungen in dem Gedichte selbst aus-
gehend Schliisse zu ziehn. Den Hauptanhaltspunkt mu8 dabei
das Datum der in dem Gedichte bereits als abgeschlossen er-
wühnten Ehe des Königs Ptolemaeus II mit seiner leiblichen
Schwester Arsinoe II bilden. Freilich ist auch deren Zeitpunkt
nicht genau überliefert, doch ist es móglich, denselben auf Grund
mehrerer Texte wenigstens annühernd zu bestimmen. Zwei hier-
her gehórige ügyptische Inschriften habe ich bereits vor einigen
Jahren besprochen. Eine Stele von Mendes zeigte zwar nicht,
wie Droysen, veranlaBt durch eine ungenaue Uebersetzung an-
nahm, daf die Ehe in das Jahr 15 des Philadelphus fiel, son-
dern nur, daß die bereits verheirathete Arsinoe damals in Men-
des zur Göttin erhoben ward ?), während eine zweite Stele bewies,
1) Bücheler, Rhein. Mus. 80 S. 55 ff.; Wiedemann, l. c. 38 8.
384 ff.; F. Kópp, l.c. 39 S. 209 ff.; Gercke, 1. c. 42 S. 270 ff. 604 ff;
Hempel, Quaestiones Theocr. Kiel, 1881 S. 56; Brincker, de Theocriti vita
e. c. Rostock 1884 S. 6; Susemihl, Analecta Alex. chronologica. Greifs-
wald 1885 S8. 4; Rannow, Studia Theocritea. Berlin 1886 S. 5 ff.
2) Diesen Umstand habe ich Droysen gegenüber hervorgehoben,
nicht wie Gercke l.c. S. 272 meint, Krall, der die Mendes-Stele über-
haupt nicht behandelt, mir gegenüber.
Philologus. N.F. Bd.I,1. 6
82 A. Wiedemann,
daf) diese Apotheose mit der EheschlieBung Nichts zu thun hatte
und an andern Orten zu anderer Zeit als in Mendes erfolgte,
z. B. in Sais erst im Jahre 20 des Philadelphus. Als terminus
ante quem ergab sich hieraus für die Ehe 270 v. Chr.
Neuerdings hat Gercke (1 c. S. 278, vgl 275 Anm. 1)
gesucht, mit Hilfe von Kallimachus III 251--8 eine weitere
Datierungsangabe zu erhalten. Er bezieht diese Verse auf den
Uebergang der Kelten nach Asien (278/7); nach dem Streifzuge
derselben gegen Ephesos und die übrigen jonischen Städte seien
sie abgefaßt worden, während andererseits der Hymnos vor der
Vermählung der Philadelphen entstanden sein müsse, da 129—
137 von dem guten Familienverhältnisse zwischen Schwügerinnen
und Schwippschwägerinnen die Rede sei. . Diese Beziehungen
beruhen jedoch nur auf Vermuthungen. Die erste Stelle deutet
nach Couat, Poesie Alex. S. 217 ff. und Lübbert, Meletemata in
Pind. locos de Hieronis sacerd. Cereali S. 14 vielmehr hin auf
den in die Jahre 258 —48 gesetzten sog. zweiten syrischen Krieg
des Philadelphus. Diese Ansicht hat um so mehr für sich als
der Streifzug der Kelten nach Ephesos gleich nach ihrer An-
kunft in Asien unbelegt ist. Seine Existenz schloß Droysen,
Epigonen I S. 195 aus einer Anekdote, welche Plutarch und
Stobaeus dem Clitophon von Rhodus (Miiller, Frg. Hist. Gr. IV
S. 369) entlehnt haben. Diese Anekdote erscheint jedoch un-
datirt und wird an den Namen des Brennos gekniipft, einen
Namen, bez. Titel, welcher unter den damaligen Heerführern in
Asien nicht erscheint. Der historische Werth der Notiz wird
außerdem an und für sich dadurch sehr fraglich, daß dieselbe
in der gleichen Form bei dem Angriffe der Gallier auf Rom
erzihlt erscheint. Auch wären von vorn herein die Bemerkun-
gen des Kallimachus wenig zutreffend, da die Kelten- Skythen
gar nicht die Absicht hatten, nach ihrem Beutezug nach Sky-
thien zurückzukehren, vielmehr, wie damals allgemein bekannt
war, bestrebt waren, in Kleinasien feste Wohnsitze zu erwerben.
In der Stelle V. 133 —4 vermag ich andrerseits Nichts zu sehn
als die Schilderung eines glücklichen Familienlebens unter Ar-
temis Schutz im Gegensatz zu der Zerstórung der Familie, welche
der Zorn der Göttin (V. 126—8) bewirkt, und kann daraus
weder eine Anspielung auf Zeitereignisse noch auf das Verhält-
nil des Kallimachus zu Arsinoe I entnehmen.
Die Ehe des Ptolemaeus Philadelphus mit Arsinoe II. 83
Eine sichere Angabe über die Geschwisterehe macht dage-
gen eine vor wenigen Jahren von Naville an der Stätte der
alten Stadt Pithom - Heroonpolis (Tell el Maschütah) entdeckte
aus der Zeit des Philadelphus datirte ügyptische Stele (publ.
Naville, The store-city of Pithom pl. 8— 10). Dieselbe ist schlecht
erhalten, doch genügt das Vorhandene um zu zeigen, daf sie
einen Ueberblick über die Thätigkeit des Philadelphus für die
Stadt und Umgegend von Heroonpolis zu geben bestimmt war.
Zu oberst auf dem Monumente ist der Kónig dargestellt wie er
den Gottheiten Tum, Osiris, Horus, Isis und Arsinoe II Opfer
darbringt. Der Text selbst enthült zunüchst ein Lob des Her-
schers, der Aegypten schütze, Pferde und Schiffe besitze, die
Nomaden Arabiens abhalte, u. s. f Am 3 Athyr seines 6 Jahres
sei er nach Heroonpolis gezogen, um hier einen Tempel dem
Gotte Tum zu weihen, dann habe er Wasseranlagen machen las-
sen. Nun folgt eine Notiz zum Jahre 12, an welche anschlie-
Bend an einer durch Lücken unterbrochenen und nicht sicher
lesbaren Stelle vom Jahre 13 (?) erzählt wird. Zahlreiche Opfer-
gaben, die der König weihte, werden aufgeführt und berichtet,
daß er eine Stadt Namens Arsinoe gründete und einen Kanal
anlegte.
Nach einer längern Lücke folgt der Bericht über eine See-
expedition. Ein im Texte nicht genannter Feldherr segelte nach
dem rothen Meere, gelangte nach Chati und dem Lande der
Neger und führte von dort reiche Schätze zurück, die er dem
König und dessen Schwester und geliebten Gemahlin brachte.
Er erbaute im Negerlande eine große Feste für den König mit
dem Namen des Königs Ptolemaeus. Er besetzte sie mit den
Soldaten Seiner Majestät und allerhand Arbeitern aus Aegypten
4 n Er legte dort Felder an, die er mit Pflug und Ochsen
bestellte . . . .. Er fing dort zahlreiche Elephanten für den
Kónig, er brachte sie zu Schiff zu dem Kénige. — An den
Bericht tiber diese Expedition schlieBt sich ein erneutes Lob des
Herschers und seiner Wohlthaten fiir die Tempel Aegyptens.
Die Griindung der Stadt Ptolemais, von der hier berichtet
wird, ist auch sonst überliefert. Strabo XVI p. 768 berichtet
von diesem Ptolemais Theron, wie er es nennt, Eumedes, den
Philadelphus zur Elephantenjagd ausgesendet habe, habe erst
eine Halbinsel mit Wall und Graben umzogen und dann be-
6 *
84 A. Wiedemann,
gonnen, die Umwohnenden allmälig zu begütigen, d. h. zu wil-
ligen Unterthanen Aegyptens zu machen. Droysen (Epigonen II
S. 341 ff) hat die Lage dieser Stadt mit Recht an dem Vorge-
birge Ras Turhoba gesucht, wohin die verschiedenen, von den
antiken Geographen gegebenen Notizen verweisen.
Der Zweck der Griindung war einen Mittelpunkt fiir die
Elephantenjagd zu gewinnen. Die Thiere wurden dann in Ae-
gypten fiir den Krieg abgerichtet, wie dies auch die Inschrift
von Adulis (C. I. Gr. Nr. 5127 1. 10—3) bei Gelegenheit der
Erwähnung der Jagden des Philadelphus hervorhebt. Die Er-
öffnung dieser neuen Bezugsquelle machte die Ptolemaeer von
den Seleuciden unabhingig, sie hatten es nunmehr nicht mehr
nóthig, die Thiere aus Asien zu beziehn. Zugleich ward durch
die Stadtanlage neuer Landbesitz für Aegypten erworben und
auf solchen Gewinn spielt Theocrit Id. 17 V. 87 an mit der
Bemerkung, Philadelphus habe Stücke des Landes der schwarzen
Aethiopen an sich gebracht.
Die für uns hier wichtigste Stelle findet sich in der In-
schrift 1. 15—16 ,Im Jahre 12 im Monate Pachons unter der
Regierung des Philadelphos. Es durchzog Seine Majestät Ae-
gypten mit der wirklichen Fürstin, der Geliebten . . . . . der
kóniglichen Gemahlin, der Herrin beider Linder, der Tochter
und Gemahlin..... eines Ptolemaios, der Philadelphos Er
nüherte sich dem Nomos von Heroonpolis, der Stadt ihres Vaters
Tum, erwügend mit seiner Schwester, der Gattin und Schwester
des Tum (d. h. des mit dem König identificierten Lokalgottes
von Heroonpolis) um zu schützen Aegypten gegen das Ausland“.
Diese Sätze beweisen, daß Philadelphus und Arsinoe II im
Monate Pachons 273/2 bereits vermählt waren, ohne jedoch über
den Termin der Eheschließung Angaben zu machen, geben also
einen neuen terminus ante quem für die Ehe und berechtigen
daher, mit der Entstehungszeit des Idyll XVII Theocrits minde-
stens bis zu diesem Zeitpunkt heraufzugehn. Wichtig ist da-
bei der Zusatz, der Kónig habe damals über SchutzmaBregeln
für Aegypten Erwägungen angestellt, da sich diese Maßregeln
in dem ganz im Osten Aegyptens gelegenen Nomos von He-
roonpolis nur gegen die Seleuciden gerichtet haben können. In
der That fand in den siebziger Jahren, wie Koepp (1. c. S.
209 ff.) mit Glück nachgewiesen hat, der erste syrische Krieg
Die Ehe des Ptolemaeus Philadelphus mit Arsinoe II. 85
des Philadelphus gegen Antiochus statt, derselbe, auf den Theo-
crit. XVII V. 85—6 mit den Worten , von Phoenikien, von Ara-
bien und Syrien reißt er Stücke los“ anspielt. Während der
Vorbereitungen zu diesem Kampfe oder auch während desselben
wird der König mit Arsinoe die Ostgrenze des eigentlichen Ae-
gyptens behufs eventueller DefensivmaBregeln gepriift haben.
Die Anlage oder richtiger Wiederherstellung des Verbindungs-
kanales zwischen Nil und rothem Meere, welcher es ermöglichte,
die ägyptische Flotte bald auf dem Mittelmeere gegen Syrien
selbst zu verwenden, bald auf das rothe Meer zu senden um
Arabien und die den Handel mit Indien vermittelnden Häfen zu
beunruhigen, wird das Hauptresultat dieser Inspectionsreise ge-
wesen sein. Leider ist die Inschrift von Pithom nicht genau
genug datirt um eine ins Einzelne gehende chronologische Ein-
ordnung dieser ereignisse zu ermüglichen, doch gehóren dieselben
jedenfalls alle vor das Jahr 21 des Philadelphus. Dies geht
daraus hervor, daB die beiden letzten Zeilen des Textes, gleich-
sam als Krónung der Leistungen des Herschers unter dem 1
Pharmuthi dieses Jahres zusammenfassen, ein wie großes Ein-
kommen et den Tempeln Aegyptens bis dahin verschafft habe.
Im Zusammenhange mit der Frage nach dem Datum des
Abschlusses der Ehe mit Arsinoe II steht die nach dem Ver-
hältnisse des spätern Königs Euergetes, eines Sohnes der Arsinoe
I zu dem neuen Kônigspaare. Der Scholiast zu Theocrit XVII
128 nimmt eine Ádoption der Kinder Arsinoe I durch Arsinoe
II an ohne über deren Zeitpunkt eine bestimmte Angabe zu
machen. Auf Grund einer Notiz des Suidas s. v. KuAMuugyos,
nach welcher Euergetes sein Kónigthum Ol. 127. 2 angetreten
habe, habe ich geglaubt die Adoption in das Jahr 271 setzen
und mit der Ehe mit Arsinoe II zusammen fallen lassen zu
kónnen. Letzteres wird durch die Stele von Pithom, welche
zeigt, daß die Ehe schon früher (273/2) abgeschlossen war, wi-
derlegt, während ich an ersterem Ansatz festhalten möchte.
Gegen diese Adoption des Euergetes im Jahre 271 hat
Gercke (l. c. S. 272 £) das Idyll XVII des Theocrit angeführt,
in welchem V. 43—4 von Bastardkindern der ungeliebten Gattin
die Rede sei. Er sieht in diesen Worten eine Anspielung auf
Eurydike, die Gemahlin des Soter, und auf Arsinoe I, wobei
letzteres den Gedanken an eine Mitregentschaft des Sohnes Ar-
86 A. Wiedemann,
sinoe I ausschlósse. Allein, der Zusammenhang des Gedichtes
erweist, daf sich der Satz nur auf Eurydike beziehn kann. In
den betreffenden Versen ist von den Eltern des Philadelphus
die Rede und die ungeliebte Gattin wird geradezu in Gegensatz
zu Berenice, der Mutter des Philadelphus gestellt, d. h. unter
den Bastardkindern sind die Stiefgeschwister des Philadelphus
Keraunos, den er aus Aegypten verdrüngte, und besonders Me-
leagros?) zu verstehn.
Die Thatsache, auf welche sich die Annahme einer Adoption
des Euergetes stützt, ist das Auftreten eines Mitregenten Namens
Ptolemaeus in ägyptischen Urkunden von 267/6 und 265/4, in
welchem ich Euergetes zu erkennen glaubte. Da derselbe 276
noch nicht und 260 nicht mehr erscheint, so glaubte Gercke viel-
mehr, daB er zwischen 264 und 261 gestorben sei, und vielleicht
der ,Bastard* Ptolemaios sei, welcher in Ephesos im Aufstande
gegen seinen Vater Philadelphus, sammt seiner Geliebten Eirene
fiel, was 261 geschehn sein kónne. Diese Vermuthung wird,
abgesehn davon, daf das Todesjahr dieses Ptolemaeus unsicher
und vermuthlich ziemlich lange nach 260 lag, dadurch unwahr-
scheinlich, daß kein Grund ersichtlich ist, aus dem Philadelphus
diesen Prinzen, der trotzdem daß er damals bereits erwachsen
war, in der Ueberlieferung gar keine Rolle spielt, zum Mitre-
genten ernannt haben sollte. Auch die Ansicht von Krall (Si-
tzungsber. der Wiener Akad. CV (1884) S. 362 f.), der Mit-
regent sei ein Sohn des Philadelphus und der Arsinoe II, der
als kleines Kind starb, ist kaum haltbar. Wäre aus der Ge-
schwisterehe ein Kind entsprossen, dann hätten sich die Alexan-
driner bei dem Aufsehn, welches die Ehe machte, diesen Umstand
nicht entgehn lassen, sei es um ihn als schmachvolles Zeichen
der blutschänderischen Verbindung von Bruder und Schwester
zu brandmarken, sei es um ihn als Beweis des Segens, den die
Götter über den iegògs yanos ausschütteten in Theocriteischer
3) Meleagros wurde Anf. 279 von den Kelten aus Makedonien
vertrieben. Nach Champollion - Figeac, dem auch v. Gutschmid bei
Sharpe, Gesch. Aeg. S. 180 folgt, wäre er nach Cypern gegangen und
wäre identisch mit dem Halbbruder des Philadelphus, unter dem sich
(Pausan. I. 7. 1) diese Insel von Aegypten losriß. Als Theocrit schrieb,
war dieser Aufstand vermuthlich noch im Gange, da V. 86—90 Cy-
pern unter den Besitzungen des Königs fehlt. Dieser Umstand würde
genugsam die verächtliche Anführung der Bastardkinder zeitgemäß
erscheinen lassen.
Die Ehe des Ptolemaeus Philadelphus mit Arsinoe II. 87
Weise zu feiern. Das Schweigen der Dichter beweist die Nicht-
existenz dieses Kindes. _
Das Material, welches für den Mitregenten jetzt vorliegt,
ist übrigens etwas ergiebiger geworden als es vor vier Jahren
war‘). Derselbe erscheint jetzt häufig auf in Theben gefun-
denen Ostraka aus den Jahren 21, 22 und 24 des Philadelphus,
während er auf solchen vom Jahre 27, 29 und 30 fehlt 9), wo-
mit es übereinstimmt, daf in einem memphitischen Papyrus in
Leiden (J. 879) vom 'Tybi des Jahres 29 gleichfalls der Mit-
regent fehlt und nur nach Ptolemaeus, dem Sohne des Ptole-
maeus, des rettenden Gottes datirt wird.
Die Mitregentschaft, um welche es sich dabei handelt, war
jedenfalls eine rein nominelle, keine thatsüchlich ausgeübte, und
gehórte zu den offiziellen Fiktionen, wie sie bereits im pharao-
nischen Aegypten üblich waren und wie sie von den Ptolemaeern
weiter ausgeübt wurden. Wie wenig man sich dabei um that-
süchliche Verhältnisse kümmerte, zeigt z. B. die Inschrift von
Mendes, in welcher Philadelphus (l. 3—4; ähnlich auf der Stele
von Pithom l 2—3) im Gegensatz zu aller historischen Tra-
dition von sich behauptet, die Königswürde sei ihm übergeben
worden, als er sich noch im Mutterleibe befand, noch vor sei-
ner Geburt habe er sie besessen und als Kind an der Brust
seiner Mutter sei er Kónig gewesen. Rein fictive Mitregent-
schaften finden sich in ägyptischen Texten häufig erwähnt. Im
alten Aegypten ward z. B. Ramses II von seinem Vater Seti I
als kleines Kind zum Herscher ernannt ohne, solange der Vater
lebte, eine Rolle zu spielen, und in der spätern Ptolemaeerzeit
werden gleichfalls mehrfach kaum geborene Söhne zu einer sol-
chen Stellung berufen und ihr Name in die Datierungsformel
4) Die von Krall (l. c. S. 357 ff.) herangezogene Inschrift aus
dem Hamamät (Leps. Denkm. VI. 69 Nr. 167), welche gleichfalls kei-
nen Mitregenten nennt, ist für die Chronologie unverwerthbar, da die
Jahresangabe, auf welche es allein ankommt, unsicher ist und ebenso
gut Jahr 20 wie 26 gemeint sein kann. Außerdem ist Krall's Angabe,
daß in diesem Texte Arsinoe als lebend erscheine, nicht richtig; es
wird nur nicht bemerkt, daß sie verstorben sei, eine Bemerkung, wel-
che in den ägyptischen 'l'exten häufig hinter dem Namen von Todten
steht, aber wie zahllose Beispiele beweisen, auch fehlen kann. Fir
die Bestimmung des Todesjahres der Herscherin ist der Text demnach
gleichfalls werthlos.
5) Die Ostraka finden sich erwühnt, aber unrichtig erklärt bei
Revillout, Proc. Soc. Bibl. Arch. 5. Mai 1885 S. 188 f.
88 A. Wiedemann,
fiir Kontrakte aufgenommen (vgl. Revillout, Rev. égypt. III.
S. 1 ff).
Daß Euergetes thatsächlich von den Philadelphen adoptirt
ward, beweisen die aus seiner Zeit erhaltenen Kontrakte. Unter
diesen datirt z. B. einer im Louvre (Nr. 2438) vom Jahre 2
des Königs Ptolemaeus, des Sohnes des Ptolemaeus und der Ar-
sinoe, der Götter-Adelphen. Dieselbe Ausdrucksweise findet sich
in Urkunden aus seinem 4, 15, 20 Jahre (die Texte publ. bei
Revillout, Chrest. égypt. S. 257 ff), in denen sich Euergetes
gleichfalls, mit Uebergehung seiner wahren Mutter geradezu für
einen Sohn der Arsinoe II ausgiebt. Den Aegyptern gegen-
über ward er hierdurch in hôherem Sinne als Herscher legiti-
mirt, als wenn er als Sohn der Arsinoe I galt, da er nunmehr
miitterlicher - ebensowie väterlicherseits erbberechtigt erschien.
Aus eigener Machtvollkommenheit hätte er aber diese Behaup-
tung kaum aufstellen kónnen. Die Apotheosendekrete u. s. f.
zeigen, daß die Ptolemaeer nach jeder Richtung hin genöthigt
waren, sieh dem ügyptischen Brauche Alles durch Contrakte und
Dekrete zu regeln, zu unterwerfen, und sicher hütte es für un-
. statthaft gegolten, wenn sich ein Herscher eine neue Mutter ver-
lichen hätte ohne dazu durch eine regelrechte Adoption er-
mächtigt zu sein. Auch der Umstand, daß es später. üblich
blieb, die muthmaflichen Thronerben zu Mitregenten zu ernen-
nen, legt den Schlufi nahe, daB dies auch bei Euergetes ge-
schah. Und dies um so mehr, als unter Philadelphus in der
That ein Mitregent Namens Ptolemaeus erscheint.
Die Thatsache, daf dieser Mitregent nur kurze Zeit in den
Datierungsformeln auftritt, kann dagegen Nichts beweisen. Seine
faktische Thätigkeit war gleich Null, seine Nennung konnte nur
bezwecken, ihn als rechtmäßigen Thronerben hinzustellen, eine
Thatsache, welche nach der Verstobung seiner Mutter Arsinoe I
zweifelhaft erscheinen konnte. Nachdem sich das Volk an die-
sen Gedanken gewóhnt hatte und die Ehe Arsinoe II kinderlos
geblieben war, konnte der Name fortbleiben, da nun nicht mehr
an einen anderweitigen Thronprütendenten zu denken war. Daf
aber den Philadelphus Rücksicht auf das Gefühl der Arsinoe II,
welche' durch eine solche Ernennung des Stiefsohns zum Mitre-
genten hätte gekränkt werden können, daran hätte bindern sollen,
Die Ehe des Ptolemaeus Philadelphus mit Arsinoe II. 89
ist nicht anzunehmen 6). Dazu stand dem Könige das dyna-
stische Interesse doch zu hoch, modern sentimentale Regungen
waren ihm, wie die Ueberlieferung beweist, vollig fremd. Wurde
ihm und Arsinoe II später ein Sohn geboren, der ihm lieber
gewesen wire als Euergetes, so war es ein leichtes Euergetes
aus dem Wege zu räumen. Man konnte denselben entweder
einfach hinrichten lassen, wie dies bei dem Bruder des Königs
Argaios kurz nach der Vermählung mit Arsinoe II geschehn
zu sein scheint (Paus. I 7. 1) oder ihn anderweitig aus dem Wege
schaffen. Das Ende des Demetrius Phalereus; welcher, als er
Philadelphus unbequem wurde, an einem zufälligen Schlangen-
biß starb (Diog. Laert. V 78; cf. Cicero, pro Rab. Post. IX
23) zeigt, wie leicht es dem Kénige war, einen ihm willkom-
menen plötzlichen Todesfall eintreten zu lassen.
Ob die Weglassung des Namens des Mitregenten erst nach
dem Tode Arsinoe II erfolgte, läßt sich nicht entscheiden, da
das Todesjahr der Kónigin nicht überliefert ist und sich nur
indirekt wahrscheinlich machen, aber durch kein zwingendes
Zeugnif belegen läßt, daß sie nicht lange vor Philadelphus
starb. Jedenfalls liegt kein Grund vor, anzunehmen, daf die
Adoption erst in den letzten Lebensjahren der Arsinoe erfolgte,
denn in Kontrakten vom Jahre 33 ebenso wie vom Jahre 36
des Philadelphus, d. h. unmittelbar vor dem Tode des Kénigs
und jedenfalls nach dem der Arsinoe fehlt jede Erwühnung ei-
nes Mitregenten. |
Die Zahl der vorhandenen Urkunden ist noch zu gering
um sichere Vermuthungen über die Gründe der Nennung, bez.
Nichtnennung des Mitregenten zuzulassen. Die vorhandenen
Nennungen stammen alle aus Theben, so dafì sich nicht einmal
ersehn läßt, ob dieselbe nicht vielleicht nur hier üblich war um
6) Krall (1. c. S. 361 f.) bemerkt, dem Verfasser des sog. Ro-
manes des Setna, der vielleicht ein Zeitgenosse der Ehe mit Arsinoe II
war schwebe bei der Liebesgeschichte des Setna wohl das Verhältniß
des Königspaares zu den Kindern der Arsinoe I vor. Setna mußte
nach der Erzählung seiner Geliebten all seinen Besitz schenken, dann
seine Kinder erster Ehe die betreffende Urkunde unterzeichnen lassen,
damit sie nicht gegen seine und der Geliehten Kinder Erbansprüche
erhóben, endlich seine Kinder erster Ehe tódten lassen. Die Leichen
wurden aus dem Fenster auf den Hof geworfen, wo sie die Hunde
und Katzen auffrafen. — Wo da eigentlich die Aehnlichkeit mit der
Behandlung der Kinder der Arsinoe l liegen soll, ist mir unklar.
90 A. Wiedemann,
dem Volke, in dessen Mitte Arsinoe I weilte, zu zeigen, daß
nur diese des Hochverraths schuldig sei, ihr Sohn aber nach
wie vor Thronerbe bleibe. Stammt die oben erwähnte Inschrift
vom Hamamát vom Jahre 20, was wohl möglich ist, so würde
sie beweisen, daß selbst in der Thebais bei Datierungen nicht
regelmäßig des Doppelkönigthums gedacht ward. Ob die beiden
Geschwister des Euergetes, Berenike und Lysimachus am Hofe
blieben, was am wahrscheinlichsten erscheint, oder mit ihrer
Mutter verbannt wurden, ist unbekannt. Zum SchluB der Re-
gierung des Philadelphus muß jedenfalls das Verhältniß des Kö-
nigs zu Berenike ein gutes gewesen sein. Er vermählte die-
selbe mit Antiochus II von Syrien (Hieronym. in Dan. Cap.
XII 5) um dadurch den langen Krieg beider Staaten zu been-
den. Dies konnte nur geschehn, wenn Vater und Tochter gut
standen, denn eine aus der Verbannung zurückgerufene Gegnerin
würe nicht gerade die beste Friedensbürgschaft gewesen. Der
Zeitpunkt der Vermühlung wird nicht überliefert, doch hatte
Berenike beim 'Tode des Antiochus (247) bereits einen Sohn,
der mit ihr ermordet ward. Von Lysimachus ist nur bekannt ‘),
daß er seinen Bruder Euergetes überlebte und dann, ebenso wie
dessen Gemahlin und andere Verwandte (von Sosibios, dem Vor-
munde des Ptolemaeus IV Philopator) ermordet ward (Polybius
XV 25; cf. V 34. 1 u. 36. 1).
Auf Grund vorstehender Erwügungen würde sich demnach er-
geben, daß die Ehe zwischen Philadelphus und Arsi-
noe IIinoder vordas Jahr 273 fiel. Euergetes ward von
denselben adoptirt, was auf Grund der Angabe des Suidas 271
7) Krall (l. c. S. 366) bezieht auf I,ysimachus eine Inschrift aus
Koptos ‚‚[Göttin Mut] gebe Leben dem Lysimachos (Lsimkus), dem
Bruder der Könige, dem Strategos (srtiks). Im Jahre 7 am ....Tybi‘‘.
Die Könige erklärt er für die Euergeten, Lysimachos sei demnach
Strategos von Koptos gewesen. Allein adelipòs faostews bezeichnet in
der Ptolemaeerzeit nicht nur den leiblichen Bruder des Kónigs, son-
dern ist ein Ehrentitel, der z. B. Lochos, der Strateg des Thebais
unter Euergetes II trug (C. I. Gr. Nr. 4896). Hierdurch fallt jeder
Grund für die Annahme fort, daB dieser Lysimachos ein Mitglied der
kóniglichen Familie sei und jede Móglichkeit, das Jahr 7 einer be-
stimmten Regierung zuzuweisen, solange die Zeit des Strategen Lysi-
machos nicht durch andere Texte gesichert erscheint. Daß zwischen
der Strategie des Lysimachos im Jahre 240 in Koptos und der Ver-
bannung der Arsinoe I um 277 dorthin ein innerer Zusammenhang
bestehe, ware ohnehin durch den Zeitunterschied von etwa 37 Jahren
ausgeschlossen.
Die Ehe des Ptolemaeus Philadelphus mit Arsinoe II. 91
geschehn zu sein scheint. In Folge dessen erscheint er 266—261
als Mitregent, dann verschwindet sein Name, doch nannte er sich
selbst, Kónig geworden, Sohn des Ptolemaeus und der Arsinoe
Philadelphos. — Als "Theocrit sein Idyll 17 schrieb, war die
Geschwisterehe bereits abgeschlossen; in Aethiopien hat Phila-
delphus bereits Besitz erworben, was nach der Inschrift von Pi-
thom nach 273 geschah; in Syrien ist Philadelphus siegreich
gewesen oder noch siegreich — die Inschrift von Pithom scheint
darauf hinzudeuten, daß 273 hier noch gekämpft ward. Andrer-
seits spielt das Gedicht nirgends auf den vermuthlich 271, spä-
testens 266 ernannten Mitregenten an, so daß seine Entstehung
zwischen 273 und 271, bez. 266 zu setzen wäre.
Bonn. A. Wiedemann.
Ad Alcaeum (fr. 41 [31] Bgk.).
Iivwnev® Tl 10 Avyvov uérouer ; daxıvAog apéga
xud d° cess xvdlyvaig peyadass af to nouxlhauc.
Pro uf rà vel ut alii codices exhibent a: zu sivo at ra seri-
bendum arbitror ufgé 1e geminato imperativo sed breviore forma.
age vix habet quod dubitationem moveat, cum in Iliade (VI
264) praeiverit poeta un uo. oîrov «tige usdlpoora, motrin untno.
Sed in loco Alcaei significatius id credo positum, cum inter xd
et «sıge manifesta sit antithesis; iubet enim poeta ministrum
pocula magna et caelata non solum tollere, sed ita tollere ut
sublata rursus ante bibentem in mensa deponat. ‘Lift and set
down great beakers, lift beakers richly wrought’. Amant certe ly-
rici huiusmodi geminationes vocabulorum. Ale. 56 [49] dé£os
pe xwpdCovru, dia. 74 [81] otxw ts neocw xui meo’ Gnulac.
Sapph. I 15, 16 jos’ óru Onvre rnénov9a xin Andre un.
99 [63] of yeufos, coi wiv dì yauos, wo &gao Exreréieor,
ms dì muodevor, av agao. 103 [78] yalooica vuupa, yaroétw
d 6 yamfoos. Hor. C. I 18. 8 Centaurea monet cum Lapithis
riza super mero Debellata, monet Sithoniis non leuis Euhius.
Oxonii. Robinson Ellis.
VIII.
Aithiopenmythen.
1, Der phoinikische Urtext der Kassiepeialegende.
Zusammenhang derselben mit anderen Aithiopen-
mythen.
Karl Tiimpel hat kiirzlich in einem sehr gediegenen
Aufsatz ‘Die Aithiopenlinder des Andromedamythos’ (XVI. Sup-
plementband der Jahrbb. f. Phil. u. Pädag.) den Nachweis zu
führen versucht, daB die Andromedasage urspriinglich nicht orien-
talisch, vielmehr erst durch Griechen — etwa durch Argiver —
in Jope localisirt sei. Ich will im folgenden versuchen, die Ein-
wände zu begriinden, welche sich mir gegen diese Annahme zu
erheben scheinen. |
Der Name Jope ib? bedeutet ‘Schönheit’. Offenbar ist dies
der Name der in der Stadt verehrten Heroine. ‘Schönheit’ ist
aber auch der Sinn von Kuociwénea. Dies hat Clermont
Ganneau rev. arch. n. s. 82. 372 aus Suidas s. v. Kacooeé-
mita n Kaddovy direct gefolgert, und ich glaube, daß sich diese
Deutung auch etymologisch rechtfertigen läßt, wenn man das
Wort als Compositum von xa/rvua: !) und ox- faBt, also die in
den westgriechischen Colonien erhaltene Form mit o (Kassiopeia)
für ursprünglich hält. Dagegen vermag ich nicht recht einzu-
1) Abgesehen von einigen älteren Forschern scheint auch Roe-
diger in Kuhns Zeitschr. f. vergl. Sprachf. XVIII 70 bei Kaoosénese,
da er den Namen mit Kaondvesoa ‘die die Männer überwindende’ ver-
gleicht, an xaivuuas gedacht zu haben. Ebenso auch Hinrichs
‘Hermes' 1885 S. 315.
TT
Aithiopenmythen. 93
sehen, was sich Tiimpel denkt, wenn er (a. a. O. S. 159 und
Phil. Jahrbb. 1887 S. 104) unter Berufung auf die verstiimmelte
Glosse des Hes. x«Aóvgg den antiken Grammatikern die Ansicht
zuschreibt, die Rhodier hitten die Kassiepeia ironisch wegen
des Stolzes auf ihre Schönheit xaAAovn genannt. Gegen T üm-
pels Erklärung scheint mir auch die früher von Usener
hervorgehobene, von Tiimpel weiter fortgeführte Beobachtung zu
sprechen, daß in gewissen samothrakischen resp. lesbi-
schen Culten eine Heroine Kallone in einer offenbar der Kas-
siepeia nahe verwandten Function erscheint. Daß in der phili-
stäischen Version Jope die griechische Kassiepeia vertritt, ist
demnach nicht durch eine Beziehung auf die argivische /o, auf
welche wie mir scheint, auch die mythische Tradition keineswegs
hinweist, sondern daraus zu erklären, daß Japho-Jope das phoi-
nikische Aequivalent von Kassıeneın ist. Der Name Kaooséreca
ist nun aber so wenig den übrigen griechischen und kanaaniti-
schen entsprechend gebildet, daß höchst wahrscheinlich der eine
nach dem andern übersetzt ist. Dann aber muß eben der ganze
Mythos übersetzt sein. Dazu kommen andere Gründe. Daß in
dem Cultus von Jope ein Meerungeheuer vorkam, steht durch
vielfache Zeugnisse fest. Was Tümpel zur Verdächtigung
dieser Zeugnisse bemerkt, daß unter den Spuren dieses Cultus
sich auch solche finden, welche in der griechischen Litteratur
erst bei Euripides auftreten, würde, wenn es überhaupt etwas
bewiese, ebenso gegen die Vermuthung Tümpels sprechen,
daß Argiver — doch jedenfalls lange vor Euripides — den
Andromedamythos nach Jope brachten. Ganz unverdächtig scheint
mir ferner die Angabe tiber den Cultus der in ein Meerungeheuer
verwandelten Derketo; denn daß Plin. n. k V 69 [Der]ceto
zu schreiben sei, stellt auch T ii m pel nicht in Abrede. Aber
wir haben ein noch viel wichtigeres ZeugniB, das zwar lingst
in diesen Kreis gestellt, aber m. E. in seiner ganzen entschei-
denden Bedeutung auch von Stark 'Gaza' S. 257 noch nicht
gewürdigt ist. Derketos Tochter wird nach dem Bericht, welchen
im V. Jh. v. Chr. Ktesias las, von Tauben großgezogen und
danach Semiramis genannt (Ctes. bei Diod. II 4). Diese
Semiramis wird nach demselben Ktesias in Niniveh Köni-
gin. Die Taube heift phoinikisch jona. Wenn nun in der
jidischen Legende ein Mann Namens Jona von Jope aus-
94 O. Gruppe,
fahrend zur Beschwichtigung eines Sturmes ins Meer geworfen
und von einem Meerungeheuer verschlungen wird, danach aber
nach Niniveh gelangt, so ist bei dieser dreifachen Coincidenz
des Namens ‘Taube’ und der beiden Stadtnamen Jope und
Niniveh, wie mir scheint, für völlig sicher zu erachten, daß
der jüdische Erzähler eine heidnische, in Jo pe localisirte Er-
zihlung in seinem Sinne bearbeitet und die heidnische J u n g-
frau — auf eine Jungfrau paßt auch der Name ‘Taube’ viel
besser — willkürlich zu einem Manne Gottes gemacht hat *).
Uebrigens hat er hierin sei es Nachfolger sei es Nachahmer ge-
funden; eine spätere indische Legende erzählt von dem Büer
Caktideva, weleher von einem Fisch verschlungen und wieder
ausgespien wird. — Vergleichen wir nun die somit recon-
struirte Jonalegende von Jope mit der Andromedalegende, so
scheint mir evident, daß beide identisch sind. Freilich wird
Andromeda so wenig als Hesione vom Ungeheuer wirklich ver-
schlungen wie Jona; hier aber liegt wahrscheinlich eine Anpas-
sung an den feineren griechischen Geschmack vor. Orientalische
Versionen des Mythos erzühlen vom Meerungeheuer mehrfach,
daß das ausgesetzte Mädchen oder auch der mit dem Ungeheuer
ringende Held verschlungen wurde, sogar ein griechisches Vasen-
bild zeigt, wie der Drache den Zason auffrißt oder wieder
ausspeit?) Jona scheint mir demnach das phoinikische Aequi-
valent von Andromeda. Den rettenden Helden konnte natürlich
der mosaische Bearbeiter nicht gebrauchen. Auch in den Kte-
siasfragmenten fehlt er, wie das ganze Motiv der Aussetzung,
offenbar weil der Rationalist an dem wunderbaren Märchen An-
stoB nahm und dasselbe sehr vernünftig durch eine Eheschei-
dung ersetzte; doch läßt sich vermuthen, daß der König, wel-
chen Semiramis schließlich in Niniveh heirathet, dem Perseus
der griechischen Uebersetzung entsprach. Dafür ergiebt sich ein
Beweis auch aus den Worten des Herodot VI 54 wg dè 0 Ilee-
céwr Àoyog Àéyetus udroç 6 [ltgatug Ewv Aouugsog èyévero
"EAAgv. Aus diesen Gründen scheint mir die Folgerung un-
abweisbar, daß die Derketolegende und die Andromeda-, Jona-,
2) Vgl. auch Tümpel S. 141. 200.
3) Aus der Jonalegende wurde dann später der Atergatismythos
interpolirt ; vgl. Athen. 346 D wisneg Sav3og léye m Avdos ono ‚Mögov
tov Avdov &lovoa xarerovriodn pera Ty8vos ToU viov iv rg neQi Aoxd-
uva diuvn dià Trjv vow x«i inò rv iy 9Uwv xarepoudy.
Aithiopenmythen. 95
Semiramislegende ursprünglich zusammengehörten. Hierfür aber
ergiebt sich sofort ein neues Argument, von dem es mich wun-
dert, daß es T üm pel's Scharfsinn entgangen ist, da es recht
eigentlich am Zielpunkt seiner Untersuchung liegt und sich aus
der richtigen Wahrnehmung der ursprünglichen Localisirung der
Andromedasage in Rhodos von selbst ergiebt. Auch Rhodos
nümlich hat seine Derketosage. Die Sache ist so evident, daf
es genügt den rhodischen und den jopensischen Bericht neben
einanderzustellen.
Ueberlieferung von Jope
Diod. II 4
uvuSoloyodoiw oi Aoyıwraroı rov
3
éytwolwv impr 4 god (1v ngoc-
xoyucav tI mootionuévg dea
derrov éuBadeiv Fowra veur{oxou
LÌ - , 3 > ~
TUYOG TW IFvcriwv ovx &tidovc
imm de Acsoxerovv puiysicav TO
Svow yarıjoa pèv Fvyuréou, xa-
- x Joa ~ €
rmoyur3sicur dè ini Tots huag-
4 a 3
muévots tor u&v veuvioxov apu-
vidas, tO dè mudlov slo nvag
loruovs xai metqwdeg tonous
~ \
ixFeirar. Eavınv dé dia my ul-
oyvrnv xal Avram Sfpacer els
thy Aluvnv pstacynuutiodtnvas
T0 TOU OGwuutos wry tlg
ly3v».
Ueberlieferung von Rhodos
Diod. V 55
xarà di rjv 1001 tv Hlixlay qaciv
Apoodtrnv Ex Kutnowv xo-
ueboutvnv sig Kunoov xai nooc-
ooulouérny i5 vijom (Rhodos)
xwiv3rrar ound rwv Hocsdwdvog
Umsonparmr xoi
a wv
viwy ortTwr
vBocrwv. tig dì Feov da my
ooynv èufBulovons avroig wavlay,
usyivar avrobc Bia rf, untoì xoi
"0ÀÀa xaxà dov Toùç Èyyw-
olovs. Mocsdava dè 10 ysyovóg
aloFousrov tovg viovg Quae
xura yng dit rjv mengaypuévay
aloyuvyy, ovc xÀg9 vat ngogquiovc
datuovas. “Aklav dì ófwacay
Exutny els rjv S9«Àaocav Aev-
xodsav Ovouuc3fvar xoi wing
adavatov Tuyeiv muga tots èyyw-
elosc.
Die geringen Abweichungen scheinen mir zu beweisen, daB
nicht etwa die eine Geschichte der anderen nachträglich nach-
gebildet ist; in der Hauptsache stimmen sie offenbar zusammen.
Die erziirnte Gôttin der Liebe rächt sich, indem sie eine unna-
türliche Vereinigung herstellt: die Manner, oder der Mann wird
unter der Erde unsichtbar, die Frau wirft sich ins Meer und
wird zu einer Seegóttin. Aber noch einen anderen Beweis hütte
Tümpel aus seinen eigenen Beobachtungen für die Zusammen-
96 O. Gruppe,
gehörigkeit der Leukothea- und Andromedasage entnehmen kön-
nen: die Wahrnehmung nämlich, daß in der Version von S a-
mothrake und Lesbos Kassiepeia-Kallone gradezu an die
Stelle der Leukothea getreten ist. Die Legenden sind nun aber
nicht blos äußerlich verbunden gewesen; hierfür giebt uns schon
die rhodische Leukotheasage selbst, obschon die directe Verknii-
pfung mit der Andromedasage fehlt, indirect einen Anhalt, in-
dem sie die unter die Erde versunkenen Dämonen xgoçngios dat-
poves nennt. Das phoinikische Aequivalent der Eos in der
Phaethonsage ist nämlich “mò (vgl. Pseudojes. 14. 12; Hirsch-
felder's Philol. Wochenschr. 1883 8. 1539). Mit ^n ‘Morgen-
róthe' berüht sich aber lautlich auf das nächste “mu ‘mit ver-
branntem Gesicht. War nun diese Homonymie in dem phoi-
nikischen Gedicht verwerthet, so war der griechische Ueber-
setzer, der das Wortspiel nicht nachbilden konnte, genóthigt zwei
Worte statt eines zu wählen: er that es, indem er bald ?-
Stones bald "Hoi Moognaos sagte*). In der That finden sich
’dwoı und At9fonss im griechischen Cultus nicht blos in Rhodos
sondern auch in Samothrake: und die Identität der Eooí und
AlSionsc wird durch eine sehr wahrscheinliche Combination von
O. Crusius (in Roscher's Lexicon 387 und ‘Beitr. zur.
griech. Myth.' 225) noch wahrscheinlicher. Also die in der An-
dromedasage so wichtigen Alitfoneg-Schachorim kommen auch
in der Leukothea-Derketosage vor. Einen neuen Anhalt für die
ursprüngliche Zusammengehórigkeit der beiden Sagen finden wir
darin, daB die "Asus der Leukotheasage in einem allerdings in
seinem richtigen Zusammenhang nicht mehr herstellbaren Mythos
bei Paus. II. 22. 1 mit Perseus verbunden waren. Noch mehr
Gewicht lege ich darauf, daß die ‘Aithiopen’-Insel Samothrake (Hes.
Al9ıonla 1) Zauodggxn, nicht verstanden von Mayer Gig. S 247)
auch den Namen Aevxoola d. i. ÆAeuxod£u führt. Weitere Be-
weise für die ursprüngliche Verbindung der Andromeda- mit der
Leukothea-Derketosage ergeben sich, so wie man die Geschichten
4) Eine Parallelvorstellung zu den Schachorim, ‘den dunkelfarbigen',
sind offenbar Kimmerim ‘die versengten'. Od.414 wohnen am Okeanos
die Ksupéosos régi xai vegéln xexalvuutvor odd? nor’ abro)c | 'Hélioc
haiiwv xatadégzetes dxtiveoow. Vgl. Strab. 244. Die Phantasie derOrien-
talen hat in diesem mythischen Volk später die Barbaren wieder erkannt,
welche im 7 Jahrh. v. Chr. die Culturwelt Vorderasiens verwüsteten,
ebenso wie später bekanntlich die Griechen die Giganten mit den
Kelten verglichen: vgl. Koepp de gigantomachiae usu. Bonn 1888.
Aithiopenmythen. 97
miteinander vergleicht. In beiden Mythen wird eine Ueber-
hebung der Menschen gegen die Götter bestraft, diese Bestra-
fung aber fiihrt nur zu einem neuen Frevel: der unnatiirlichen
Verbindung der Derketo und der Aussetzung der schuldlosen
Andromeda; in beiden Fillen erbarmt sich schlieBlich die Gott-
heit: Andromeda wird durch Perseus gerettet, Leukothea - Derketo
wird eine '4Aí(«, eine Meerfrau. Wir werden gleich eine weitere
merkwürdige Uebereinstimmung kennen lernen, müssen aber zu-
vor noch einmal den Leukothea- und den Derketobericht
vergleichen. Es scheint sich mir nümlich schon aus den bisher
hervorgehobenen Concordanzen mit der Andromedasage zu erge-
ben, daß die rhodische Leukotheaversion nicht blos ausführlicher
sondern auch correcter erzählt, als die Derketoversion und daß
insbesondere der erste Frevel nicht von der Frau, sondern von
dem Mann oder wahrscheinlicher von den Männern ausging; daß
also Derketo ebenso von den Schachorim wie Leukothea von den
Hoosnéo, vergewaltigt worden ist. Erst dann wird das Mit-
leiden erklärlich, welches die Meerfrauen mit Leukothea wie mit
Derketo haben, indem sie sie zu einer der ihrigen machen. Um
so genauer wird natürlich die Annäherung der Leukothea an
Andromeda, der Derketo an Jona. Nunmehr wird auch der letzte
beiden Sagen gemeinsame Zug, die Bestrafung der Schuldigen,
klar: die ’Hoo. werden unter die Erde verbannt, die Kephenen
werden versteinert. Denn die gegenwärtige Motivirung des Zuges
der Versteinerung ist offenbar modern, der Zug selbst aber ist,
da Knyevs phoinikischem Keph ‘Stein’, entspricht, alt; in diesem
Fall aber konnte das ursprüngliche Motiv kaum ein anderes sein,
als daß die Kephenen zu Stein werden, weil sie sich an Andro-
meda vergangen haben. Es scheint mir demnach erwiesen, daß
die Andromedasage in ihrer uns vorliegenden Gestalt erfunden
ist als Fortsetzung der Leukotheasage. Daraus aber ergiebt sich
mit zwingender Consequenz eine Folgerung, welche zunächst
auffallend erscheinen wird, aber sich bei genauerer Betrachtung
des Mythos aus diesem selbst ergiebt. Die fromme Andromeda
ist gar nicht die wirkliche Tochter der übermüthigen Kassiepeia
und des frevelhaften Kepheus, sondern von diesen nur angenom-
men: ihre wirkliche Mutter ist die ebenso tugendhafte und ebenso
wie sie von den bösen Menschen vergewaltigte Leukothea, welche
das unglückliche Kind ausgesetzt hat.
Philologus. N. F. Bd.I, 1. 7
98 O. Gruppe,
Damit ist, wie mir scheint, die Erzühlung in ihrem
Verlauf im ganzen wiederhergestellt; aber sie ist noch unvoll-
stindig. Zweimal hat die Menschheit sich furchtbar an der
Gottheit vergangen, zweimal hat diese das Unheil wieder gut
gemacht, die Schuldigen bestraft. Man erwartet ein Mehr:
eine neue noch größere Schuld, welche den Untergang des
menschlichen Geschlechtes, mit Ausnahme vielleicht weniger
Gerechten, herbeiführt. Und diese Schuld ist wirklich in dem
griechischen Aithiopenmythenkreis überliefert: die That des
Phaethon. Freilich werden wir den Umstand, daB Phaethons
Vater ein König der Aithiopen heißt, oder daß durch den Brand,
den Phaethons Unternehmen verursacht, die Azthiopen schwarz
gebrannt sind, zunächst nur insofern als Grund für die Zusam-
mengehörigkeit der Andromeda-Derketo- mit der Phaethonlegende
verwenden diirfen, als beide dadurch in denselben Mythenkreis
gerückt werden: einer genaueren Verbindung scheint dieser Um-
stand insofern sogar eher entgegen zu stehen, als die Aithiopen
der Derketosage bereits unter die Erde verwiinscht sind: ein
scheinbarer Widerspruch, der sich erst später aufklären wird.
Auch die bekannte von Varro beim Interp. Serv. Aen. III 279
erhaltene Sage, wonach sich eine Frau aus ungliicklicher Liebe
zu dem Lesbier Phaon — d. i., wie O. Crusius und Tiim-
pel richtig erkannt haben, Phaethon — ins, Meer stürzt,
spricht zunächst für die Zusammengehirigkeit des Leukothea- und
des Phaethonmotives nur insofern, als die offenbar hier eingetre-
tene Contamination der beiden Versionen dann am begreiflichsten
ist, wenn dieselben von Haus aus neben und mit einander iiber-
liefert warm. Der wirkliche Beweis fiir die urspriingliche Ein-
heit der beiden Erzählungen liegt vielmehr in dem offenbaren
Parallelismus der Sage. Phaethon ist der Mensch, der sich nicht
nur wie die //gocnqos und die Erzieher der Andromeda den
Géttern mit Worten gleich stellt, sondern der sich vermiBt, selbst
Góttliches zu thun. Und Phaethon läßt sich wirklich im
phoinikischen und assyrischen Mythos nachweisen: er heißt phoi-
nikisch Helel ‘der Glünzende', seine Mutter Schachar ‘die Morgen-
rôthe. (Jes. 14. 2; Phil. Wochenschr. 1883 a.a.O.) Es läßt
sich aber auch genau in den bisher besprochenen Sagen die Fuge
feststellen, in welcher die Phaethon- Helelsage gestanden haben
muß. Leukothea hat nach der rhodischen Sage außer den 7
Aithiopenmythen. 99
Proseooi eine Tochter Rhodos. Dieses Eponymon ist offenbar Hy-
pokoristikon zu Sododuxrvios oder dodonnyve, also eine Bezeich-
nung der ‘Morgenröthe. Nun gewinnt mit einem Male die Be-
zeichnung 7906760. eine ganz neue Beziehung: in dem phoini-
kischen Gedicht gebar Derketo die eine Tochter Schachar und
die Sthne Schachorim — die Entsprechung der Namen
leuchtet ein —, ‘Podos aber ist nun auch wirklich, in der rhodi-
schen Sage wie Schachar, die Geliebte des Sonnengottes. Die-
ser Rhodos' Sohn also war in der rhodischen Sage Phaethon.
Wirklich nennt Schol. Pind. Ol. 6. 131 Phaethon den Sohn der
Rhodos. An dieser Stelle ist der rhodische Bericht bei Diod.
V 56 veründert; denn der euemeristische Bearbeiter hat, um
die benachbarten Helioscultstätten an die rhodische anschließen
zu kónnen, statt der sieben Téchter und des einen Sohnes der
ursprünglichen Phaethonsage der Rhodos sieben Sóhne und eine
Tochter gegeben. — Mit Phaethon hat der Frevel des Men-
schengeschlechtes seinen Gipfel erreicht. Bedarf es noch eines
Wortes, daß jetzt die Vernichtung desselben, die Sintf luth,
folgen muß? In der That ist die Sintflnthgeschichte, wie auch
Tiimpel richtig erkannt hat, durchaus mit der Aithiopensage
verbunden. Insbesondere ist an allen drei Localitüten, an wel-
chen unser ganzer Mythenkreis am deutlichsten localisirt war,
in Rhodos (Diod. V 157), Lesbos (Diod. V 81), in Samothrake
(Diod. V 47 ff, Schol. Il. XX 215; Nonn. Dion. III 46) auch
zugleich der Sintfluthbericht localisirt. Eine ähnliche Verbin-
dung deutet auch der allerdings nach Art der späteren prag-
matischen Geschichten modificirte Bericht an, aus dem Plut.
Pyrrh. I den Auszug erhalten hat: ©corgwıwv x«i Modocow»
pera t0v xuraxivonov icrogovos Duédovru Bucidesoas now-
10v . . . Ebenso fest ist aber die Fluthsage mit der Derketo-
sage im Local verbunden. Die beiden wichtigsten Cultstütten
der Derketo, Hierapolis und Jope erzühlen von der Fluth.
In der ersteren Stadt, deren Derketocultus unzweifelhaft ist, ob-
gleich er in der Schrift über die syrische Göttin bezweifelt
wird 5), wurde nach der bekannten Notiz in der genannten
5) de dea Syr. 14. Schon aus dieser Stelle geht der hieropoli-
tanische Cultus der Derketo hervor, gegen welchen der Schriftsteller
aus ganz unzureichenden, der Gestalt des Cultusbildes entlehnten
Gründen Einwände erhebt; andere Schriftsteller bestätigen jenen Cul-
7 *
100 O. Gruppe,
Schrift die Kluft gezeigt, in welcher das Wasser der Sintfluth
hineingelaufen sein sollte; von Jope bemerkt Plin. n. h. V
68 Iope Phoenicum antiquior terrarum inundatione ut ferunt.
WiiBten wir noch nicht, dali Japho die mythische Grtinderin
Jopes mit der Fluthlegende so verbunden war, daß die Fluth
auf die Gründung folgte, so kónnten wir es fast schon aus die-
ser Stelle folgern. °
Wenn ich zum Schlusse, wie bei früheren Gelegenheiten,
versuche die phoinikische Legende zu reconstruiren, so kann
natiirlich der Sinn dieser Reconstruction nur der sein, zu zeigen,
daB die gewonnenen einzelnen Züge sich ohne Schwierigkeit zu
einer wohlgegliederten Gesammterzühlung vereinigen lassen; da-
bei kann begreiflicher Weise nur immer eine möglichst ange-
messene und directe Vereinigung erstrebt werden. Aber die
mythenbildende Phantasie mag, weil sie nicht frei schaltete, son-
dern durch mancherlei Rücksichten und 'Traditionen gebunden
war, oft ganzanders verfahren sein und da, wo wir eine Kluft
auf einer Nothbrücke überspringen, einen weiten Umweg vor-
gezogen haben. Nicht also um die bisherigen Ergebnisse weiter
zu führen, sondern lediglich um sie im Zusammenhang ver-
stindlich zu machen, gebe ich die folgende Darstellung der gan-
zen phoinikischen Erzühlung, die uns bisher beschiftigte.
In alter Zeit fanden die Götter Gefallen an den Töchtern
der Menschen und buhlten mit ihnen. So wurden gewaltige
Menschen geboren, aber sie waren frevelhaft und achteten die
tus, z. B. Eratosth. epit. XXXVIII; schol. Arat. V 386; schol. Germ.
382 [p. 98. 16 Br. = S. 186 bei Robert cataster. vgl. MaaB *Erigone
86 adn. 27]; Strab. 748; Plin. n. h. 5. 81, wie denn auch die Trata,
welche nach dem Talmud in Mapuk (d. i. Mabug, Bambyke, Hiera-
polis) Zeripha, Askalon und Nasr in Arabien verehrt wurde, offenbar
Atargatis — Derketo ist. Die nordsyrische Münze mit der Aufschrift
INIANY (Waddington rev. num. 1861. 9) kann dabei, weil nicht
sicher hieropolitanischen Ursprungs, unberücksichtigt bleiben. Vgl.
im Allgemeinen Movers Phoen. 1 594; Baudissin Stud. zur semit.
Religionsgesch II 165 ff. Der von Manilius astron. IV 580 (vgl. Ampel.
l. m. II 12) berichtete Mythos von der ‘Venus’, welche sich in dem
Euphrat verbirgt und Fischgestalt annimmt, hüngt wahrscheinlich wirk-
lich, wie schon früher von Verschiedenen vermuthet ist, mit der Der-
ketolegende von Hierapolis irgendwie zusammen. — Die sich hier er-
gebende Uebereinstimmung von Niniveh und Bambyke in Beziehung
auf die Derketa und Sintfluthsage findet eine eirenthümliche Ergan-
zung durch die Bezeichnung von Bambyke als Alt-Ninos Amm. Marc.
XIV 8; Philostrat. vo. Apoll. I 19 vgi. Hitzig Zeitschr. d. deutsch.
morgenl. Ges. VIII (1854) S. 215.
CS
*»
*
e
e
*
LJ
eee
Aithiopenmythen. 101
Götter nicht. Da ergrimmte der Vater der Götter und wollte
die Menschen vernichten, aber er erbarmte sich ihrer und sprach :.
drei Geschlechter noch will ich abwarten, ob sie nicht besser
werden. Es lebte aber eine schóne fromme Frau auf Erden,
die hieß Derketo. Der Meergott gewann sie lieb, und sie
gebar ihm eine Tochter, die nannte sie Schachar (Morgenröthe)
und 6 Söhne, die hießen Schachorim (die dunkelfarbigen oder die
morgenlichen). Aber die Schachorim waren noch frecher als die
übrigen Menschen; höhnisch verachteten sie die Göttin der Liebe.
Da ergrimmte Aschtoreth und verblendete ihren Sinn. In der
Verblendung thaten sie der eigenen Mutter Gewalt an. Da der
Meergott erkannte, was seine rasenden Söhne gethan, verwünschte
er sie unter die Erde, und dort hausen sie noch jetzt die ‘dun-
kelfarbigen’ Unholde. Die tugendhafte Derketo aber trauerte
über die Missethat und nachdem sie eine liebliche Tochter ge-
boren, konnte sie die Schmach nicht ertragen; sie stürzte sich
selbst ins Meer. Die Meerfrauen ließen jedoch die Unglückliche
nicht sterben: sie machten sie zu einer der Ihrigen, und noch
immer schützt Derketo als gütiges Meerweib die Schiffe. Auch
das ausgesetzte hülflose Mädchen starb nicht, denn die Götter
erbarmten sich ihrer und schickten Tauben, sie zu nähren. So
fand sie der Hirt des königlichen Viehs. Er brachte das lieb-
liche Kind seinem Herrn Keph ‘Felsen’, der nahm es an und
weil es von den Tauben genährt war, wurde es Jona ‘l'aube’
genannt. Keph war ein gewaltiger Herrscher, denn Baal selbst
war sein Vater; aber so mächtig er war, so frevelhaft war er
auch. Er hatte eine hochmüthige Gattin, die war überaus schön
und deshalb hieß sie auch Japho ‘Schönheit’. Japho baute eine
Stadt am Meer, die nannte sie nach ihrem Namen. Wenn nun
die schöne stolze Königin am Meere spazieren ging, und Der-
keto mit den übrigen Meerfrauen in den Wogen spielen sah,
dann rühmte sie sich, sie sei doch schöner als alle Meerfräuen.
Da ergrimmte der Göttervater und er bot die Wogen auf, die
Menschheit hinwegzuschwemmen; aber er besann sich, daß er
sich vorgenommen hatte, das dritte Geschlecht abzuwarten. Er
dämmte die Fluthen zurück, aber aus dem Wasser ließ er ein
furchtbares Ungeheuer erstehen, dem ganzen Land eine Plage.
Da sprach die böse Königin: das Land geht zu Grunde, wir
wollen die Jona dem Ungeheuer opfern, ob es uns verschone.
102 O. Gruppe,
Jona war nämlich eine schöne Jungfrau geworden, und die Kö-
nigin war im Herzen neidisch auf ihre Schónheit. Und Jona
ward dem Ungeheuer preisgegeben und dieses verschlang sie.
Als aber die Meerfrauen das liebliche Mädchen gesehen, da
hatten sie Erbarmen mit ihm und sie schickten einen Helden ®),
sie zu retten. Das Ungeheuer ward erschlagen, gesund sprang
Jona aus dem Leibe hervor. Keph und sein bóses Weib und
sein Volk wurden versteinert, darum heiBen die Steine bis auf
den heutigen Tag Keph. Jona aber fuhr mit ihrem Erretter
nach Assyrien, dort gründeten sie sich eine Stadt Niniveh. Und
Jona gebar ihrem Gatten einen Sohn und sie erzog ihn in Got-
tesfurcht. So wuchs das dritte Geschlecht der Menschen heran.
Aber immer frevelhafter wurden die Menschen. Der Sonnengott
Schamasch hatte die Schachar liebgewonnen, und sie gebar
ihm einen Sohn, Helel, d. i. ‘der glänzende’, der war noch frevel-
hafter als die andern Menschen, Er rühmte sich mächtiger zu
6) Der phoinikische Name des Helden ist unbekannt, obwohl sich
manche Vermuthungen aufdrängen; sicher scheint mir, daß er nicht
(wie Bochardt und Clermont-Ganneau annehmen) U7)
lautete. Hegosds ist aller Wahrscheinlichkeit nach griechischer
Name des Helios; vgl. Et. Gud. 462 Isocsvs xalsiımı 6 los. Daher
heißt auch Od. x 139 Itéoon Gemahlin des Helios und Perseus (Sch.
Ap. Rh. MI 200) ein Sohn des Helios. Vgl. R. Förster Philol.
Jahrbb. 1876 S.810. In der Function des Helios scheint mir Per-
seus auch in der Gorgonensage zu erscheinen: die drei Gorgonen
sind wie ich glaube ebenso wie die Graien Personiticationen der
drei Nachtwachen. Daher ist auch die jiingste Schwester sterblich.
Die griechische Etymologie ist trotz der vielfachen Versuche, die ge-
macht wurden, noch nicht gefunden: die sprachlich sich am meisten
empfehlende Ableitung von nép3w, welche wahrscheinlich auf Kalli-
machos zurückgeht (Dilthey Cydippe S. 40) lieBe sich wohl allen-
falls mit Rückert ‘Athena’ 127 auf den Blitzstrahl beziehen; was
aber Rückert anführt, um das genealogische Verhältnis des Blitzes
zur Sonne zu rechtfertigen, ist theils unwahrscheinlich theils falsch und
für den Sonnengott, als den wir Perseus erkannten,-würe die Bezeich-
nung 'Zerstórer' wenigstens seltsam. (Ueber die der Perseuslegende
zu Grunde liegende Natursymbolik vgl. auch Cox Academy 24. Aug.
1887 Nr. 799). Offenbar ist Mego-sd¢ Hypokoristikon ; und da /7sgos-
govn eine correcte Koseform zu Meogcégacce (Hsposg.dscon) ist, so mag
das verlorene Masculinum dieses letzteren Namens der Vollname von
"Perseus sein. Die soeben wieder von Mayer Gig. S. 66 f. vorge-
schlagene Verbindung von Perseus mit Peirene, Petrasos lágt
sich sprachlich nicht rechtfertigen. — Der Nachweis, welchen neuer-
dings Isaac Taylor Academy N. 797 [Aug. 1887] S. 105 versucht
hat, daß Bel Merodach dem Perseus entspreche, scheint mir, ebenso
wie die übrigen in demselben Aufsatz aufgestellten Hypothesen, doch
auf recht zweifelhaften Gründen zu beruhen.
Aithiopenmythen. 103
sein als sein Vater, und besser als jener den Sonnenwagen füh-
ren zu kénnen. Heimlich machte er sich ans Werk. Er stieg
am Himmel empor, aber er konnte den Wagen nicht halten:
jahlings stürzte er in die Tiefe hinab, aber noch nicht hörte
der Frevler auf, die Gótter zu schmähen. Da schleuderte der
ergrimmte Göttervater seinen Blitz auf den Frevler und ließ
eine große Fluth kommen, daß alle Menschen untergingen bis
auf den frommen Sohn der Jona und dessen Gemahlin °).
Die Legende, die wir auf diese Weise reconstruirt haben,
erzühlt die Sagen nicht in ihrer ursprünglichen Form. Jona die
Taube und Japho die Schönheit sind Hypostasen der Asch-
toreth: nach der Góttin, nicht nach dem frevelhaften Weibe ist
natürlich die Stadt genannt worden. Schachar die Gemahlin des
Sonnengottes ist natürlich ursprünglich kein Menschenweib,
sondern die Naturerscheinung, welche ihr Name bedeutet: die
Morgenróthe. Dasselbe gilt von ihren Brüdern den Schachorim.
Phaethon der Sohn der Morgenróthe und des Sonnengottes ist,
wie mir aus den in Hirschfelders Philol. Wochenschr. 1883
S. 1544 angeführten Parallelen mit Sicherheit hervorzugehen
scheint, die roth aufgehende Morgensonne. Aber so willkürlich
unsere Legende offenbar mit dem Sagenmaterial schaltet, so ist
sie doch bereits im siebenten vorchristlichen Jahrhundert be-
kannt gewesen. Denn weiter darf man gewif nicht den Bericht
Gen, 6. 1 ff. herabrücken, welcher mir auf unsere Legende Rück-
sicht zu nehmen scheint. Allerdings gehórt die Erklürung die-
ser Verse zu den schwierigsten Aufgaben der Exegese. Die
wahrscheinlichste wortgetreue Uebersetzung — sicher ist nicht
einmal diese — würde etwa so lauten: '(1) Und da die Men-
schen anfingen sich zu mehren auf dem Angesicht der Erde und
Töchter sich zeugten, (2) *sahen die Gottessöhne, daß die Men-
schentöchter schön waren, bund sie nahmen sich zu Weibern,
welche ihnen immer gefallen mochten. (3) *Da sprach Jahve:
Nicht wird richten (?) mein Geist im (?) Menschen für Ewig-
keit wegen (?) ihres Vergehens; ? Fleisch sind sie. °Es seien
ihre Tage hundert und zwanzig Jahre. (4) Die Riesen waren
auf der Erde in jenen Tagen und auch noch später, weil die
7) Daß der Gerettete der Sohn der Jona war, glaube ich, ob-
wohl es nicht bezeugt ist, nach der Logik des ganzen Legende an-
nehmen zu müssen.
104 O. Gruppe,
Gottessôhne sich einließen mit den Töchtern der Menschen und
diese Starke gebaren von Ewigkeit, Männer des Ruhmes’. Es
kann natürlich nicht die Aufgabe der nachfolgenden Zeilen sein,
die vielumstrittenen Räthsel dieses Abschnittes alle zu lösen,
über einige Punkte aber scheint mir allerdings eine allseitige
Verständigung möglich. Zunächst darüber, daß dieser Bericht
nicht durch Zufall an seiner gegenwärtigen Stelle steht, daß
vielmehr die Riesen in irgend welchem Zusammenhang zu den-
ken sind, mit dem Frevel der Menschen, welcher unmittelbar
nachher die Sintfluth herbeiführt. Daraus aber folgt, daß wir
zunächst keineswegs berechtigt sind, jeden einzelnen Satz blos
aus sich selbst zu erklären, daß wir vielmehr vorher untersuchen
müssen, in welchem Zusammenhang ihn derjenige, welcher die-
sen Bericht hierher setzte (R), verstanden wissen wollte. Dies
beruht auf einem allgemein gültigen kritischen Grundsatz, der
hier um so mehr befolgt werden muß, weil offenbar und einge-
standener maaßen R einen vollständigeren Bericht vor Augen
hatte und denselben verkürzte, sei es weil derselbe zu seinem
Zwecke nicht nothwendig erschien, sei es weil er den Leser mit
demselben auch ohnehin vertraut wähnte; R ist also auch durch
seine Auffassung der Worte insofern directe Quelle, weil diese
Auffassung auf einer vollständigeren Kenntniß beruhte. Als
Auffassung von R nun scheint sich mir folgendes mit Sicherheit
zu ergeben: 1) die Periode des Geschlechtes der Gottessöhne
wird durch die große Fluth beendigt; 2) die Periode dieses Ge-
schlechtes wird in V. 3° auf 120 Jahr bestimmt; 3) der Sinn
der dunkelen und vielleicht corrumpirten Worte in 34 kann nur
der sein, daß deshalb, weil sich die Gottessöhne vergangen ha-
ben, das Geschlecht der Gottessöhne nicht immer dauern soll. —
(Dagegen erregt die Erklärung, welche die in V. 3 festgesetzte
Lebensdauer auf das Leben des einzelnen Menschen bezieht,
nach mehreren Richtungen hin den schwersten Anstoß. Erstens
ist davon, daß die Kinder der Gottessöhne eigentlich unsterb-
lich waren, nicht das Geringste gesagt; zweitens ist es min-
destens sehr auffallend, daß mit den Worten ‘seine Tage seien
120 Jahr’ die längste Dauer des Menschenlebens bezeichnet sein
soll, abgesehen davon, daß im alten Testamente diese Maximal-
begrenzung der Lebensdauer nicht weiter vorkommt; endlich
aber erscheinen ja thatsächlich später Menschen, welche länger,
Aithiopenmythen. 109
sogar erheblich linger als 120 Jahr leben). — Weiter scheint mir
4) auch dies sicher, daß die Worte Jahves in V. 3 gesprochen sind,
zwar nach der Verirrung der Gottessöhne, aber noch bevor die
Kinder dieser Verirrung geboren sind: denn nicht nur wird
vorher von der Geburt dieser Kinder nichts gesagt, sondern
auch nachher dieselbe ausdrücklich hervorgehoben. Daß der
Hexateuch häufig verworren erzählt, ist zwar richtig, aber na-
türlich muf jede vernünftige Erklärung so lange als môglich
daran festhalten, daB der erklürte Text vernünftig sei: nun ist
es aber doch sicher nicht unmöglich, daß Gott, welcher die ge-
ordnete Welt geschaffen und in ihr dem Menschen ein be-
stimmtes Quantum seines Geistes mitgetheilt hat, eine Verletzung
der Schöpfungsordnung darin erblickt, daß dem Menschen durch
die Grottessühne ein noch größeres Quantum dieses Geistes ein-
gepflanzt wird, und daß er demgemäß, auch ohne daß die
Sprößlinge der Mischehen geboren sind, und Gelegenheit gehabt
haben ihre Schlechtigkeit zu beweisen, den Untergang derselben
nach einer bestimmten Frist beschließt. Nun wäre es freilich
das viel Logischere gewesen, wenn Gott die Frucht der Verbin-
dung sofort noch im Mutterleib getödtet oder, noch besser, diese
Verletzung der Weltordnung gar nicht zugelassen hätte; aber
natürlich nahm daran der Gläubige so wenig Anstoß wie an
manchem anderen Anstößigen, er tröstete sich eben mit dem Satze,
daß Gottes Rathschlüsse unerforschlich sind. — Auch dieses scheint
mir 5) sicher zu sein, daß die 'Gottessóhne' für E nach dem
Sprachgebrauch der hebrüischen theologischen Litteratur nur die
‘Engel’ sein können. Keine Erklärung im Sinne von R weiß ich für
den Ausdruck ‘von Ewigkeit’ im vierten Vers, denn die einzige hier
in Betracht kommende Bedeutung die ‘Uralten’ (1. Sam. 27. 8)
kann der Ausdruck erst im geeigneten Zusammenhange, sicher
aber nicht hier erhalten, wo ja vielmehr grade hervorgehoben
wird, da8 die Riesen nicht von Ewigkeit her existirten. Es
bleibt hier, wie mir scheint nur die gleich weiter zu untersu-
chende Alternative, daß entweder die Worte corrumpirt oder
als überliefert von R in einem ihm selbst nicht mehr verständ-
lichen Sinne angewendet sind. Soweit scheint mir trotz man-
cher Zweifel im Einzelnen im ganzen wenigstens die Exegese
unserer Stelle, soweit dabei die Auffassung von R in Betracht
kommt, gesichert. Aber diese Auffassung ist nicht die ursprüng-
106 O. Gruppe,
liche; ja es scheint mir auch dies unzweifelhaft, daB überhaupt
die hier erzählte Legende nicht in jüdischem Sinn erfunden
wurde. Entscheidend dafiir ist schon der Umstand, daf sie in
der ganzen jiidischen Litteratur — soweit in derselben jiidische
Vorstellungen niedergelegt sind — vollkommen isolirt steht;
alle sonstigen Anspielungen auf die Legende gehen nicht allein
auf unsere Stelle zurück, sondern sie haben dieselbe sogar
großentheils gröblich mißverstanden, sodaß die Geschichte in der
hebräischen Litteratur verhältnißmäßig früh verschollen gewesen
sein muß. Zweitens aber unterbricht unsere Legende die speci-
fisch jüdische Urgeschichte. Denn wenn wir auch hervorheben
mußten, daß formal die Geschichte mit dem Vorhergehenden
und Folgenden zusammenhängt, so ist doch an der Ansicht,
welche die Geschichte als isolirtes Bruchstück betrachtet, so viel
richtig, daß logisch die Fortsetzung nicht blos von K. 5
sondern überhaupt von der Urgeschichte, wie sie die Juden sich
vorstellten, ganz anders hätte lauten müssen. Ist nun aber ein-
mal zugegeben, daß unser Bericht eigentlich heidnisch war,
so wird auch dies sofort einleuchten, daß die 'Gottessóhne' im
Gegensatz zu den “Töchtern der Menschen’ nur die ‘Götter’ be-
deutet haben können. Nun gewinnt auch der Ausdruck ‘von
Ewigkeit’ ein ungeahnte Bedeutung. ‘Volk von Ewigkeit’ ist
nämlich eine im alten Testament häufig vorkommender Ausdruck
für ein frevelhaftes Geschlecht, welches, wegen seiner Frevel-
haftigkeit in den Scheol gestoßen ist: daher heißt hinabfahren
zu ‘dem Volke der Ewigkeit’ (oder wie ‘das Volk der Ewig-
keit) gradezu ‘sterben’ Klagel. Jerem. 3. 6 = Ps. 143. 3.
Besonders characteristisch ist eine Stelle des Hesekiel, weil
der Zusammenhang fast mit Nothwendigkeit die Anspielung auf
einen heidnischen Mythos erwarten läßt. Der Prophet wünscht
den heidnischen Staaten alles Unheil, von dem ihre Mythologie
erzihlt, und spricht in diesem Zusammenhang (26. 20): Ich will
eine große Fluth über dich kommen lassen, daß dich große
Wasser bedecken, ich will dich hinunterstoßen zu denen, die in
die Grube führen, zu dem ‘Volke der Ewigkeit’; ich will dich
setzen in die Erdentiefe. Daß hier auf denselben heidni-
schen Mythos angespielt wird, wie Genesis 6 scheint mir um
so zweifelloser, da auch hier die Begebenheit mit der großen
Fluth in Verbindung gebracht wird. Aber wir kónnen noch
Aithiopenmythen. 107
bestimmter sagen, dafi der Ausdruck ‘Volk der Ewigkeit’ eine
der phoinikischen Entsprechungen für Al9iomec ist. Als Aequi-
valent für dieses fanden wir bereits Kimmerim ‘die Versengten’.
Diese in den Skythen wiedergefundenen Kimmerim heiBen nun
Jerem. 5. 15 wirklich ‘Volk von Ewigkeit. Sogar die griechische
Uebersetzung dieser Kimmerim meolam haben wir: bei Bion (Athen.
566 C) erscheinen die uéyoi vov "49 4 var ov xalovuso Al-
Sionec. — Es scheint mir unter diesen Umständen einleuchtend,
daB dem jüdischen Bearbeiter in G'en. 6 entweder dieselbe Er-
zühlung wie die von uns reconstruirte Derketolegende oder doch
eine ihr nahe verwandte heidnische Erzühlung vorlag. Es stimmt
überein: 1) die Ehe der Gótter mit den Menschenweibern 2) der
Uebermuth der aus denselben hervorgehenden Kinder 3) die Be-
zeichnung derselben als ‘Versengte’ resp. als ‘Volk der Ewigkeit’;
4) die Vernichtung dieses #bermüthigen Geschlechtes durch die
große Fluth. Unter diesen Umständen können wir vielleicht in
der Gleichsetzung noch einen Schritt weiter gehn. Bekanntlich
wird in Kanaan und sonst im Orient das Geschlecht zu 40
Jahren gerechnet: die 120 Jahre, welche dem Geschlechte der
Gottessöhne zugemessen werden, entsprechen also drei Geschlech-
tern. Drei Geschlechter hindurch sieht nun aber auch in der
von uns reconstruirten phoinikischen Legende der Güttervater
den Frevel der Göttersprößlinge mit an, und wir haben ver-
muthungsweise diese Festsetzung bereits dem Göttervater in den
Mund gelegt. Es scheint mir daher eine ähnliche Bestimmnng
in der von R gelesenen heidnischen Legerde enthalten gewesen
zu sein. —
Wir haben vier Legenden kennen gelernt, welche, obwohl
sie in der bisher behandelten Litteratur nur getrennt überliefert
sind, sich uns doch als ein zusammengehöriges Ganze darstell-
ten, weil sie erstens alle dem ‘Aithiopenkreis’ angehören,
zweitens denselben ethischen Gedanken mit der gleichen, nur
sich offenbar steigernden Mitteln der Erzählung ausdrücken,
drittens an denselben Orten, in Samothrake, Rhodos
Lesbos, Jope Bambyke, Niniveh locasisirt erscheinen und
viertens in ihrer Gesammtheit die einfachste Erklärung für
einige fast dunkele biblische Stellen geben. Wir werden im
nächsten Aufsatz eine kürzlich stark mißdeutete Ueberlieferung
besprechen, in welcher diese Legenden oder doch die wichtigsten
Bestandtheile derselben direct mit einander verbunden werden.
O. Gruppe.
IX.
Die Forschung über die griechische Geschichte
1882 — 1886).
Das Perikleische Zeitalter.
72. Laroque, la Gréce au siècle de Periclés. Paris, De-
gorce-Cadot. 1883. 18° S. 352.
73. Busolt, zum Perikleischen Plane einer hellenischen
Nationalversammlung: Rhein. Mus. Bd. XXXVIII 1883 S.
150— 152.
74. Busolt, die chalkidischen Städte während des samischen
Aufstandes: Rhein. Mus. Bd. XXXVIII 1883 S. 307—308.
75. Busolt, die Kosten des samischen Krieges: Rhein. Mus.
Bd. XXXVIII 1883 S. 309. 310.
76. Guiraud, de la condition des alliés pendant la pre-
miére confédération athénienne (extrait des Annales des facultés
des lettres de Bordeaux et de Toulouse). Paris, Ernest Thorin
1883. 8°. S. 58.
77. Lübke, observationes criticae in historiam veteris Grae-
corum comoediae. Berolini 1888. Diss. inaug. 8°. S. 59.
78. Duncker, ein angebliches Gesetz des Perikles i. Si-
tzungsber. der Berl. Akad. d. W. 1883 S. 985—948 jetzt auch
in Abhandlungen aus der griech. Geschichte. Leipzig 1887 S.
124 —141.
‘79. Duncker, der sogenannte kimonische Frieden: Sitzungs-
ber. der Berl. Ak. 1884. S. 785—812, auch in Abhandlungen
aus der griech. Gesch. S. 87— 125.
80. Pflugk-Harttung, Perikles und der samische Krieg:
Zeitschr. für Gesch. Stuttgart 1884 S. 409.—416. Vgl. Philol.
Anz. XVI. 1886. S. 822 —325.
1) [Der nachstehende Artikel ist eine Fortsetzung des ‘Jahresbe-
richtes’ im Philol. XLVI 1, 107 ff., an den sich auch die Numerie-
rung der besprochenen Arbeiten anschließt).
Die Forschung iiber die griechische Geschichte. 109
81. Pflugk-Harttung, Perikles als Feldherr. Stuttgart, W.
Kohlhammer 1884. 8°. S. 143.
82. Beloch, zur Finanzgeschichte Athens: Rhein. Mus.
Bd. XL. 1885. S. 34—64; 239—59.
83. Wachsmuth, zur Geschichte des attischen Biirgerrechtes
i. Wiener Studien VII. 1885. S. 159 f.
84. Schenkl, zur Geschichte des attischen Biirgerrechtes i.
Wiener Studien VII. 1885. S. 337—39.
85. Duncker, des Perikles Fahrt in den Pontus i. Si-
tzungsb. der Berl. Ak. 1885 S. 533—550, auch in Abhandlun-
gen aus d. griech. Gesch. S. 142 ff.
86. Hanssen, über die Bevélkerungsdichtigkeit Attikas und
ihre politische Bedeutung im Alterthume. Hamburg, Otto MeiB-
ner. 4° 1885. S. 20.
87. Beloch, die Bevölkerung der griechisch-römischen Welt.
Leipzig, Duncker u. Humblot 1886. 8°. S. XVI u. 520.
88. Egelhaaf, die kriegerischen Leistungen des Perikles in
‘Analekten zur Geschichte’. Stuttgart, W. Kohlhammer. 1886. 8°,
S. 1—31.
89. Péhlmann, Recension von Pflugk-Harttung, Perikles als
Feldherr in hist. Zeitschr. LV. 1886. S. 267— 273.
90. Boeckh, die Staatshaushaltung der Athener. Dritte
Auflage. Herausgegeben und mit Anmerkungen begleitet von
Max Frinkel. Berlin, Druck und Verlag von Georg Reimer
1886. gr. 8. I S. XVIII u. 711; II p. VII 517. 217. Vgl.
Philol. Anz. XVII. 1887. S. 174 ff.
Nur wenige Männer können im Verlaufe der Weltgeschichte
den Ruhm für sich in Anspruch nehmen, ihrem Zeitalter das
Gepräge völlig gegeben zu haben. Nur einem einzigen hat die
Geschichte bis jetzt unumstritten den Vorzug gewährt, daß nach
ihm von einem Jeden ein Zeitalter genannt wird. Das ‘Peri-
kleische Zeitalter’ ist nach landläufiger Anschauung die
Verkörperung alles dessen, was Griechenland und hauptsächlich
in diesem Athen an Gutem und Schönem geleistet hat. Aber
die Kritik hat hiervor keine Ehrfurcht gekannt, sie hat auch
hier ihre Sonde angelegt, und das Resultat dieser Untersuchung
ist kein erfreuliches gewesen. Von ‘Perikles auf einsamer Höhe’
hat schon Müller - Strübing in seinem 1874 erschienenen Werke
‘Aristophanes und die historische Kritik’ nichts wissen wollen; er
legte dar, daß der ‘Olympier’ ein Sterblicher wie jeder andere
gewesen sei, und daß es auch in seiner Zeit genügend fähige
Köpfe gab, die über seine Pläne urtheilen konnten. Gegen-
wärtig ist aber die Kritik bei diesem Urtheil nicht stehen ge-
blieben, sondern sie hat nicht davor zurückgeschreckt, die ge-
heiligte Majestät des Perikles anzugreifen und in den Staub zu
ziehen.
110 H. Landwehr,
Julius von Pflugk-Harttung (Nr. 80) ist zuerst mit
einem Vernichtungsurtheil aufgetreten; den Feldherrnruhm des
Perikles hat er auf ein Nichts zuriickzufiihren gesucht. Das
Urtheil, welches einst Hermipp über Perikles fällte ‘in Worten
ein Held, in Thaten ein Feigling’, findet Pflugk-Harttung zwar
stark, aber nicht ganz unzutreffend (S. 112). Perikles ist ihm
ein guter Kriegsminister, der weit ausschauend vorbereitete, aber
als General nicht verstand, das Vorhandene auszunutzen. Die
hauptsächlichsten Punkte der Anklage bilden der samische Krieg
und die Politik im peloponnesischen Kriege. Auch andere For-
scher waren mit Pflugk-Harttung zu gleichem Resultate gelangt.
Julius Beloch hat in einem unten nüher zu besprechenden
Werke (Nr. 93) S. 23 sich dahin ausgesprochen, daß das von
Perikles bei Beginn des peloponnesischen Krieges eingeschlagene
System der reinen Defensive nichts anderes bedeutete, als eine
nutzlose Erschépfung der finanziellen und militürischen Mittel
Athens. -Doch immerhin konnte es fraglich erscheinen, ob ge-
rechtfertigt war, allein von der strategischen Seite eine Beur-
theilung des Perikles zu unternehmen. Hieran konnte sich auch
die Frage knüpfen, ob diejenigen, welche dem Feldherrn Perikles
nichts gutes nachsagen konnten, nicht leicht auch dies schlechte
Urtheil dem Staatsmanne entgelten ließen. Ein abschlieBendes
Urtheil konnte demnach erst dann gefüllt werden, wenn ein
Forscher sich daran machte, die gesammte Thätigkeit des Peri-
kles abermals zu durchforschen. Als Max Duncker den Ent-
schluB kund gab, seine mit dem siebenten Bande zu einem ge-
wissen Abschluß gelangte Geschichte des Alterthums über die
Tage von Marathon und Salamis hinaus fortzusetzen, schlug
wohl jedes Herz höher. Allerdings war es dann mehr wie ei-
nem überraschend, daß Duncker nicht nur dem absprechenden
Urtheil über das Feldherrnthum des Perikles sich anschlof, son-
dern auch in anderer Beziehung diesem Zeitalter viel von dem
Glanzschimmer entriß. Diejenigen also, welche gerade von die-
ser Seite eine Beantwortung der Angriffe gegen Perikles gehofft
hatten, muften nun selbst auf die Schürfung ihrer Waffen be-
dacht sein. Die Vertheidigung des Perikles haben im Wesent-
lichen Póhlmann (Nr. 88) und Egelhaaf (Nr. 87) übernommen ;
ob aber mit Glück, das mag die folgende Untersuchung lehren.
An Verdiensten fehlt es dem Perikles nicht. Wer heute
noch die Stadt Athen durchwandert, wird überall lebendig re-
dende Zeugen seiner Staatsleitung finden. Ihm ist es gelungen,
alle Seiten des attischen Lebens, die im 'Triebe standen, durch
einsichtige, wohlwollende und ausdauernde Pflege zu voller Ent-
faltung und reicher Blüthe gelangen zu lassen, Athen zur volk-
reichsten, wohlhabensten und glänzendsten Stadt in Hellas zu
machen, Attika zu dem Gipfel seiner wirthschaftlichen, seiner
künstlerischen, seiner geistigen Leistungen emporzuführen. (Dun-
Die Forschung iiber die griechische Geschichte. 111
cker Nr. 6 S. 497). Im Innern des Staatslebens lag ihm keine
leichte Aufgabe ob. Egelhaaf Nr. 87 S. 6 schreibt dem Peri-
kles das Verdienst zu, daß er zum ersten und vielleicht letzten
Male in der Geschichte den bewufiten Versuch machte, eine un-
aufhaltsame demokratische Entwicklung von der fast unvermeid-
lichen Einmiindung in die Kloake. der Ochlokratie zuriickzu-
halten, die Demokratie unter eine feste, dem Wesen nach mo-
narchische, der Form nach verhiillte Fiihrung zu stellen und
sie so zur Ausreifung einer idealen Cultur zu befühigen. Aber
dies ist ohne Zweifel zu weitgegangen und allein auf Grund der
von Thucydides, dem unbedingten Bewunderer des Perikles, ge-
gebenen Charakteristik aufgebaut. Die Mafinahmen, welche Pe-
rikles getroffen hat, müssen uns eines andern belehren.
Bei Beginn seiner politischen Thätigkeit hatte Perikles ge-
gen den bedeutenden Einfluß, welchen des Miltiades großer Sohn
besaß, anzuringen. Es ist merkwürdig, daß die Bewunderer des
attischen Staatsmannes in der Regel in den Fehler verfallen,
daß sie Kimon hart beurtheilen. Schon Adolf Schmidt ist in
seinem 'Zeitalter des Perikles' hierin sehr weit gegangen. Aber
den einen auf Kosten des andern zu vergrößern, will nicht recht
erscheinen. Für Perikles gab es, um gegen Kimon aufzukom-
men, keinen anderen Weg als den, von vornherein als Mann
des Volkes aufzutreten. Wie seinem Ahnen Kleisthenes, so er-
ging es auch ihm; er wurde gegen seine Ueberzeugung ein An-
walt des Demos. Um aber die Herzen der Bürger an sich zu
fesseln, bedurfte es großer finanzieller Hülfsmittel. Gegenüber
den Reichthümern Kimons hatte er nur Geringes einzusetzen.
Er mußte also auf Mittel und Wege sinnen, diesen Mangel zu
ersetzen. Auch als er dann zum zweiten Male mit Thucydides,
des Melesias’ Sohn, und dessen Partei der Aristokraten und Kon-
servativen, der Großgrundbesitzer und Bauern, um die Herr-
schaft rang, blieb ihm nichts anderes übrig als sich auf die
breite Masse der unteren Volksschichten zu stützen. So begann
er denn jenes System, die Bürger für die Ableistung der ihnen
obliegenden Pflichten als Rathsherr, Richter oder Besucher der
Volksversammlung zu besolden. Was er für den einzelnen fest-
setzte, war nach den damaligen Preisen der Werth der noth-
dürftigen Beköstigung für einen Tag. Adolf Schmidt hat diese
Maßnahmen in seinem angeführten Werke eine soziale Reform
genannt. In der That war sie es, aber so sozialistisch, daß
schwerlich Jemand damals einen andern Plan ersonnen hätte,
der sich noch mehr den Forderungen unserer sozialdemokratischen
Ultras näherte. Nur mit vollem Rechte weist Duncker Nr. 6
S. 501 darauf hin, daß die Diätenzahlung von Staatswegen,
welche nun Jedermann in Stand setzte, Richter zu sein, schwer-
lich der moralischen Gesundheit des attischen Bürgers frommen
konnte. Durch die völlige Abhängigkeit der Bundesgenossen
112 ^. H. Landwehr,
von Athen war zudem die Gerichtsgewalt so erweitert, daf jeder
halbwegs Befähigte aus den unteren Klassen verleitet wurde,
seinen Lebensberuf in den Staatsgeschäften zu suchen, daB fer-
ner auch die Unbefähigtesten verlockt wurden, ihr täglich Brod
mittelst der Ausübung der Hobheitsrechte im Richterdienst zu
finden, wührend durch ständige Gewohnheit des Entscheidens
und Befehlens Selbstgefühl und Hochmuth in diesen Kreisen eine
kaum wünschenswerthe Steigerung erfahren muften.
Duneker schreibt dem Perikles auch die Einführung
des Ekklesiastensoldes zu. Die Gründe, welche er da-
für vorbringt, haben mich nicht zur Umkehr bewegen können.
Die Einführung des Sewguxov, welche dem Perikles von Plu-
tarch, Leben des Per. 9 zugeschrieben wird, konnte nach Dun-
cker a. a. O. S. 151 Anm. nur dann erfolgen, wenn bereits
vordem die Biirger fiir ihre Thätigkeit in der Volksversammlung
entschädigt wurden. Dann mußte Perikles auch deshalb darauf
bedacht sein, damit seine Partei, die dieses Geldes gerade be-
durfte, stets vollzählig in der Volksversammlung erschien. Eine
Möglichkeit aber, die Staatskasse in dieser Weise zu belasten,
war nur zu einer Zeit möglich, wo sich die Geschäfte der Volks-
versammlung wesentlich vermehrt hatten. Duncker meint, daf)
gerade nach der Niederwerfung des euboeischen Aufstandes der
Augenblick gekommen war. Daf dann die Worte des Aristo-
phanes in den ’Exxinowutovoe 300 ff: 094 Ó' ow; wOJncoutv
rovode 1006 ÈÈ UOTEWS fjxovrac, 000% ngó rov wiv, mvlx
der LaBPetv à3ÀA9orvr 0fg0Àóv uóvov, xadtinvro An-
Aodvrec Ev roig otsyarduaciv, vuvi 0 Erogdovs ayav sn.
über die Zeit des Perikles hinauf als die der unbeaoldeten
Volksgemeinde weisen, kann ich nicht finden. Wenn nun Dun-
cker weiter behauptet: „daß Aristophanes wie den Heliasten-,
so auch den Ekklesiastensold in den früheren Stücken hätte
verspotten müssen, wird doch nicht zu erweisen sein“, möchte
wohl eine gewisse Geringschützung des Argumentes sein. Man
lese nur den Anfang der Acharner. Dikaiopolis klagt über die
Leere der Volksversammlung. Wer sich ganz in die Stimmung
der Situation versetzt, möchte schwerlich glaubhaft finden, daß
hier eine Umgehung des Ekklesiastensoldes möglich war. Ja
die Verse 25 f.:
#A90vres aAAmAocıcı regi mowrov Evaov,
&Jgow xutuggÉortes
und Vers 42:
dg ınv noosdolu» nag dvjo worlleras
wiren ganz unverständlich, wenn bereits der Ekklesiastensold
vorhanden gewesen wire. Hier hätte es Aristophanes sich nicht
entgehen lassen die Geißel seines Spottes zu schwingen, wenn in
der That schon die ihm so schädlich dünkende Einrichtung be-
standen hätte. Daß er dieselbe aber gern geißelte, erweisen der
Die Forschung über die griechische Geschichte. 113
Plutos und die Ekklesiazusen. Die Zeit, wann der Sold einge-
führt sei, genau zu ermitteln, ist nicht môglich. Vor Euklid
hat er sicher nicht bestanden. Der bei von Leutsch und Schnei-
dewin paroemiogr. Gr. S. 437 angefiihrte Komiker schreibt die
Einführung des Ekklesiastensoldes einem KeAA(crgarog, Enıxa-
Aovmevoc Ilagvvıns zu. Aber dies ist wohl, wie Fränkel bei
Boeckh Nr. 89 Bd. II S. 65 bemerkt, nur ein Autoschediasma
zur Erklirung des vielleicht ganz anders zu deutenden Sprich-
wortes. Für seine Ungewißheit zeugt dann auch, daß er seinen
Kallistratos auch mit dem Heliastensolde in Verbindung bringt.
Auch über Kallistratos läßt sich nichts Genaueres ermitteln,
Daß Aristoteles fr. 415 sagt: Kaddexgutyy teva nowrov TW
Bixacitor roUg puodove sig vneoßoAnv uvEnca. ist bezeichnend für
die Unsicherheit der Tradition in diesen Fragen. Daf Argyr-
rhios mit dem Ekklesiastikon zu thun hatte — sei es mit sei-
ner Vermehrung auf drei Obolen oder mit seiner Einführung,
wie die Scholien zu Aristoph. Ekkles. V. 102 berichten — steht
fest nach Aristoph. Ekkles. 183 ff Weiter auf diese Dinge ein-
zugehen, wire nur eine Wiederholung dessen, was Wiirz ‘de
mercede ecclesiastica! Berolini 1878 vorgetragen hat.
Wenn dann Duncker behauptet, die Einführung des Theo-
rikon sei undenkbar, wenn nicht die des Ekklesiastikon voraus-
gegangen sei, so móchte sich dem folgende Erwügung entgegen-
halten lassen. Der Grund der Einführung der Schaugelder und
des Richtersoldes war ein anderer wie der, welcher beim Ekkle-
siastikon vorwalten konnte. Im ‘Theater wurden für den Platz
zwei Obolen gezahlt. Um nun den ärmern Klassen auch die
Schauspiele zugünglich zu machen, übernahm die Staatskasse die
Zahlung dieser Summe an jeden, der sich im Theater einfand.
Eine Entschüdigung für die Thätigkeit als Richter war dann
in Griechenland auch andernorts üblich und mufite ganz ge-
rechtfertigt erscheinen, nachdem die Processe der Bundesgenossen
auch vor die athenischen Tribunale gezogen wurden. Die hier-
für nóthigen Ausgaben wurden dann auch von den Bundesge-
nossen getragen. Deshalb ist die Annahme berechtigt, daB die
Volksversammlung, in der auch die besser gestellten keine ge-
ringe Rolle spielten, leicht sich zur Bewilligung eines derartigen
Soldes entschloB, für welchen die Ausgabe aus der Staatskasse
nur gering war. Dagegen werden die Gegner des Perikles
sicher alle Mittel in Bewegung gesetzt haben, um eine Einfüh-
rung des Ekklesiastensoldes zu verhindern. Denn sie mußten
sich sagen, daB durch denselben hauptsüchlich diejenigen Ele-
mente herbeigezogen wurden, auf die Perikles sich stützen
konnte.
Das Gesetz, welches Perikles gegen die rodo: ge-
richtet haben soll, ist von Schenkl Nr. 38, Duncker Nr. 77 und
Beloch Nr. 86 S. 75 ff. behandelt. Plutarch Perikl. C. 87 ex
Philologus. N. F. Bd. I, 1. 8
114 | H. Landwehr,
zählt, daß Perikles ein Gesetz erlassen habe, daß nur diejenigen
im Vollgenuf des Bürgerrechtes sein sollten, welche väterlicher-
und miitterlicherseits Athener waren. Die Quelle hierfür ist
Philochoros, wie Schol zu Aristoph. Wespen 718. Verknüpft
hiermit ist die Nachricht, daf bei einer Vertheilung des von
König Amyrtaios (s. unten S. 117) gespendeten Getreides 4760
Athener ihres Bürgerrechtes für verlustig erklürt seien auf Grund
jenes Gesetzes. Schenkl hat nun in den Wiener Studien Bd.
II S. 170 ff, darzulegen gesucht, daß die Erzählung bei Plu-
tarch über die Ausstoßung der Bürger kein Vertrauen verdient,
da sie nichts als eine Episode ist, welche der Anmerkung eines
alexandrinischen Gelehrten zu einer Stelle des Aristophanes
Wespen entlehnt und nicht ohne starke Mißverständnisse in
seine Darstellung verflochten ist. In ansprechenderer Weise hat
Beloch Nr. 86 den Bericht angegriffen. Er geht von der
Voraussetzung aus, daß Philochoros wirklich so berichtet habe,
doch beruhen die Zahlenangaben auf einer Kombination. Es
muß auffallen, daß beide Zahlen die runde Summe von 19000
Bürgern ergeben, also die Zahl der Einwohner, welche Athen
zur Zeit des Philochoros zählte. Nun ist die Frage, welche von
beiden Zahlen die erschlossene ist. Auf statistischer Erhebung
kann allein die Zahl der Getreideempfänger beruhen. Diese
mußte in den Rechnungen verzeichnet stehen; oder wenn nicht,
so ließ sie sich aus der Menge des überhaupt vertheilten Ge-
treides und dem Antheil jedes einzelnen ohne Mühe berechnen.
Für uns ist diese Rechnung heute nicht mehr möglich, da die
Zahlen in den Aristophanesscholien verdorben sind. Indem nun
Philochores die so gefundene Summe von der Zahl der Bürger
seiner Zeit abzog, fand er, daß die Zahl derer, die bei dieser
Getreidespende zurückgewiesen waren, 4760 war. „Die schau-
derhafte Mähr, daß damals ein Viertel der bürgerlichen Bevöl-
kerung Attikas entrechtet oder gar in die Sklaverei verkauft
worden sei, ist aus der griechischen Geschichte zu streichen“.
Es ist nun noch die Frage, wer denn unter den 14240
Getreideempfängern zu verstehen sei. Duncker Nr. 6 S. 411
Anm. 2 und Beloch Nr. 86 S. 80 entscheiden sich dafür, daß
es nur die Theten waren. Allerdings hätten wir dann hier
nicht eine genaue Gesammtangabe aller Theten, denn es „mußte
eine beträchtliche Menge von Bürger geben, die verhindert wa-
ren, sich zur Empfangnahme ihres Antheils zu melden, sei es
wegen Abwesenheit von Attika zu Handelszwecken oder auf der
Kriegsflotte, sei es durch Krankheit oder auch aus Furcht vor
den Chikanen einer ygayn Eerfag, die Aristophanes uns so dra-
stisch geschildert hat“. Beloch Nr. 86 S. 79. Die Zahl von
19000 Bürgern widerspricht aber auch, wie Beloch sagt, den
sonstigen Angaben, die wir über die Einwohnerzahl des peri-
kleischen Zeitalters besitzen. Boeckhs Behauptung Nr. 89 Bd.I
Die Forschung über die griechische Geschichte. 115
S. 51 die Bevülkerung habe sich von 445 bis 431 etwas ver-
mebrt, ist nicht stichhaltig. Auch Schenkl Nr. 38 p. 77 hat
empfunden, daß die Zahlenangaben nicht für die Zeit des Peri-
kles passen, wenn eben die Gesammtsumme der Biirger darunter
verstanden werden soll. Er glaubt daher dieselbe am leichtesten
in der Weise zur Geltung bringen zu können, daß er das Er-
eigniB in das Jahr 339 setzt. Beweis dafür soll sein, daß beide
Jahre einen Archonten Lysimachides haben, und daß also nur
eine Verwechselung beider obwalte. Aber damit ist doch nicht
die Verbindung mit der Kornspende gelóst. Bekräftigend kónnte
angeführt werden, daf 346 Demophilos den Antrag auf Reini-
gung der Bürgerlisten gestellt hatte. Aber der Antrag des Hy-
pereides (338), zahlreichen Metoeken das Bürgerrecht zu geben,
war doch nicht dadurch hervorgerufen, daß die Zahl der Bür-
ger durch eine diuyngioss arg gelichtet war, sondern es sollten
die durch die Schlacht bei Chaironea entstandenen Lücken wie-
der ausgefüllt werden. Curt Wachsmuth Nr. 82 S. 160 hat
diese Vermuthung Schenkls einfach dadurch widerlegt, daf$ in
den aegyptischen Verhältnissen des Jahres 339 für einen Fiir-
sten Psammetich, der in der Lage war, nach Athen eine solche
Spende zu schicken, keinerlei Platz bleibt. Dies zu widerlegen
ist dann Schenkl Nr. 83 S. 339 nicht gelungen.
Die Betheiligung des Perikles an einem Gesetze gegen die
y»0Jo, hat Duncker Nr. 76 aus inneren Gründen zu widerlegen
gesucht. Es konnte dies Gesetz, wenn es überhaupt beantragt
wurde, nur nach dem Tode Kimons Annahme finden. Denn
durch dasselbe würen Kimon und andere hervorragende Athener,
deren Mutter keine Bürgerin war, aus dem As£sxoysxor zu strei-
chen gewesen. Durch die auswürtigen Beziehungen der Athener
waren auch viele Familienverbindungen angeknüpft. Die Rück-
sicht, welche auf die Biindner zu nehmen war, verbot ein der-.
artiges Gesetz. Zudem wire die Partei des Perikles am mei-
sten von demselben betroffen worden, denn die Städte ver-
mischten sich leichter mit den Metoikenfamilien, als die Land-
bewohner. Schenkl Nr. 38 p. 74 will den Antrag des Perikles
mit politischen Motiven in Verbindung bringen. ,,Handel und
Industrie hatten sich zu einer solchen Höhe gehoben, daB eine
derartige Erleichterung der Ansiedlung in Athen nicht mehr er-
forderlich war; ja die starke Bevölkerungszahl ließ es nicht
räthlich erscheinen, den Zutritt zum Bürgerrechte zu erleichtern,
da eine Anhäufung von Pöbel in der Hauptstadt den aristo-
kratischen Umtrieben leicht gefügige Werkzeuge darbieten konnte“.
Ich will nicht auf eine Widerlegung dieser Combination einge-
hen, sondern mich damit begnügen, Dunckers ansprechendere
Erwägung Nr. 76 S. 945 zu reproducieren. „Unterstellt man
fir die Xenelasie des Jahres 445/4 politische Motive, so kann
die Maßregel nur von dem Gegner des Perikles, von Thucy-
8 *
116 H. Landwehr,
dides, ansgegangen sein, die Landpartei gegen die Stadtpartei
für die ausschlaggebende Stunde zu stärken“. Es stand die
Entscheidung des Ostrakismos bevor, und da mußte sich jede
Partei nach Möglichkeit stärken.
Doch für die Beurtheilung des Gesetzes ist noch ein an-
derer Gesichtspunkt von Wichtigkeit. In den Rhetorenschulen
war es ein beliebtes Thema, die Gesetzgeber in die Schlingen
ihrer eignen Gesetze fallen zu lassen. Aelian bietet dafür man-
nigfache Beispiele. Nun gab es weiter Notizen, daß Perikles
eine Abscheu vor den »090: gehabt habe; er sollte z. B. den
Kindern des Kimon immer ihre Abstammung vorgeworfen haben.
So kam man denn auf den Gedanken, ihm ein derartiges Ge-
setz zuzuschreiben, welches aber das spätere Gesetz gegen die
unıoösevoı nach Euklid in Frage stellte. Wenn nämlich Peri-
kles bereits einen derartigen Antrag gestellt hätte, wäre es un-
erklürlich, weshalb man die vor Euklid geborenen unrgo&evos
unbehelligt ließ.
Die Combinationen Schenkls Nr. 38, daß das Gesetz des
Perikles eine Entwicklungsphase in der Gesetzgebung gegen die
yvodos sei, sind einzig und allein davon abhängig, ob The-
mistokles Archon war oder nicht. Schenkl S. 73 bestreitet das
Archontat des Themistokles; folgt man nun seiner Beweisfüh-
rung nicht, so fällt seine Vermuthung auch aus diesem Grunde.
Gegen dieselbe hat Curt Wachsmuth Nr. 82 S. 159 f. Ein-
spruch erhoben. Daf Themistokles das Archontat je bekleidet
hat, steht mir unbedingt fest. Die hervorragende Stellung, wel-
che er im Staate einnahm, bedingt dasselbe. Daß ein r090c
nach richtigen Begriffen eine so mafigebende Stellung einnehmen
konnte, erscheint mir kaum glaubhaft. Diejenigen, welche das
Archontat des ''hemistokles für das Jahr 498 beanspruchen, durfte
Schenkl Nr. 88 S. 338 nicht für sich ins Treffen führen. Die
drei Stufen der Gesetzgebung, welche er annimmt, sind:
I. »o9o un eive ayyiorsiav (Solon)
IL ö dv un 2E Guçpoir vnogyg «010v, rovtQ un wereivas
ame noÀwe(ug (Perikles)
III óg dn un & acorns yévntus, vodov sivas (Aristophon).
Perikles hat die Fiihrung des Staates erstrebt um Athens
willen, wie um seinetwillen; er hat seiner Stellung bedenkliche
Stiitzen zu geben sich nicht gescheut, um Athen eine konse-
quente Politik zu sichern, die Politik der Vorbereitung auf den
Entscheidungskampf mit Sparta. Um aber dies mit Erfolg thun
zu können, war vor allem Ruhe nach außen hin geboten. Pe-
rikles gab sich nicht wie Kimon der Illusion hin, durch glin-
zende Erfolge auf Kypros und am Nil panhellenische Gefühle
am Eurotas zu erwecken. So wurden denn aus seiner Partei
die angesehendsten Münner gewühlt, die in Susa mit dem Grof-
kónig verhandeln sollten, Adolf Schmidts Verdienst ist es,
Die Forschung über die griechische Geschichte. 117
streng darauf hingewiesen zu haben, dali die Gesandtschaft des
Kallias durchweg historisch und nicht mit dem sogenannten
kimonischen Frieden zu verwechseln ist. Duncker Nr. 78
hat die viel umstrittene Frage einer nochmaligen Untersuchung
unterzogeu und durch eingehende Priifung des Gesammtbestandes
der Ueberlieferung und aller sonstigen Anzeichen nachgewiesen,
da8 die Gesandtschaft des Kallias im Jahre 449/8 durch die
Angaben des Herodot, des Damastes von Sigeion, des Ando-
kides, des Demosthenes und des Ephoros aufer Zweifel steht.
Er hat dann weiter ausgeführt, daß in der That vom Jahre
449/8 bis zum Abschluß der Spartaner mit Tissaphernes 412,11
Frieden zwischen Athen und Persien nicht bestanden hat, viel-
mehr eine Reihe von Feindseligkeiten vom Jahre 445 bis 413
nachweisbar ist. Dnncker hat ferner erwiesen, daB die angeb-
lichen Bedingungen des vielgeriihmten Friedens auf den Volks-
beschluB Athens zuriickgehen, welcher die Vollmacht des Kallias
und seiner Kollegen feststellt, dessen Hauptinhalt Diodor XII 4
nach Ephoros giebt. Krateros hat den Volksbeschluf bezüglich
der Instruktion für den Friedensschluß als Urkunde desselben
in seiner Sammlung aufgenommen. Daß Thucydides diesen
mifiglückten Friedensversuch nicht besonders hervorhebt, darf
nicht auffallen; er hatte in seinem Summarium wichtigeres zu
berichten.
Nur mißfällig hatte vor allem die Partei des Thucydides
es bemerkt, daß die Offensive gegen Persien aufgegeben
war. Sie gewann mit ihren Anfeindungen gegen das Perikleische
System an Boden, als Kallias mit leeren Händen aus Susa zu-
rückkehrte. Leider wissen wir nicht, wie Perikles diese An-
griffe erfolgreich abwehrte. Sein stärkstes Argument wird, wie
Duncker Nr. 6 8. 47 vermuthet, der Hinweis auf den bald be-
vorstehenden Ablauf des Waffenstillstandes mit Sparta gewe-
sen sein.
Aber ein anderer Umstand bereitete dem Perikles Schwie-
rigkeit auf dieser Bahn auszuharren. Im Frühjahr 444 über-
sandte der aegyptische Kónig Amyrtaios (es ist der Aegypter
Amen-er-t-rut vgl. Wiedemann aegyptische Geschichte 1884 Bd.
II S. 694) dem athenischen Volke 30000 Scheffel aegyptischen
Weizens. Wenn man erwügt, daB durch diese Spende die
Hälfte des Jahreskonsums dem athenischen Volke gegeben wurde,
so kann man danach die Bedeutung der Spende ermessen. Eine
einfache Ablehnung des Gesuches um Hülfe, welche Amyrtaios
zum Kampfe gegen Persien verlangte, war nicht móglich und
würde schwerlich den Beifall der athenischen Volksgemeinde ge-
funden haben. Wollte nun Perikles einerseits die Gunst der-
selben sich nicht verscherzen, andererseits aber auch nicht den
Kampf gegen Persien im Sinne des Kimon wieder aufnehmen,
so mufite er auf einen Ausweg bedacht sein. Als solchen sieht
118 H. Landwehr,
Duncker Nr. 84 S. 539 die Fahrt des Perikles in den Pontus
an, über die Pflugk- Harttung Nr. 80 S. 13 ohne tiefgehendes
Verständniß urtheilt. Allein der Plan war doch von einem an-
deren Gedanken durchdrungen. Denn man konnte sicher auf
dem schwarzen Meer keiner persischen Flotte begegnen. In-
dem er nun vorgab, durch diese Fahrt einen Theil der Truppen
des Großkönigs nach Norden hin abzulenken, förderte er doch
nicht minder das Handelsinteresse Athens. An Aufforderungen
auch nach dem Pontus ihren Machtbezirk auszudehnen, hat es
den Athenern nicht gefehlt. Die pontischen Städte der attischen
Bundesgemeinschaft anzuschließen, hat Perikles, so viel wir se-
hen können, nicht beabsichtigt. Handelsverbindungen anzu-
knüpfen, Pflanzstüdte zu gründen, Schutz auf Grund besonderer
Bündnisse zuzusagen, wird des Perikles Tendenz nicht gewesen
sein. Duncker Nr. 84 S. 546. Der bedeutendste Erfolg, wel-
cher durch diesen Zug erzielt wurde, war der, daß durch die
Vertreibung des Timesilaos durch Lamachos Sinope an Athen
gefesselt und 600 Athener in Sinope angesiedelt wurde. Aufer-
dem wurde Amisos attische Pflanzstadt und Nymphaion als Sta-
tion erworben. Nicht zu unterschützen ist ferner die Anknü-
pfung mit dem bosporanischen Reiche, welche dann im vierten
Jahrhundert so wichtig für Athen wurde. Duncker Nr. 84 S.
548 schwankt, ob der Sundzoll, welchen Athen in Chrysopolis
erhob, mit dem Zug des Perikles in Verbindung steht. Beloch
Nr. 81 S. 37 ff. hat es angenommen, nachdem Gilbert (griech.
Staatsalterthümer Bd. I S. 393) auf Grund von C. I. A. I Nr.
40 schon in das Jahr 426 das Bestehen des gégoc behauptet
hatte. Daß die hier erwähnte dex«ın als der Sundzoll anzusehen
sei, wire kaum zu bezweifeln. Die Errichtung der Zollstätte
durch Alkibiades uud seine Mitfeldherrn im Jahre 411/10 war
nach Beloch nur eine Erneuerung einer früheren Institution.
Byzanz hatte unter diesem Zoll sehr zu leiden. Denn alles, was
sie nach dem aegaeischen Meere ausführen wollten, unterlag
dem Zoll Es war daher kein Wunder, wenn es sich im Jahre
440 beim samischen Aufstand betheiligte. Es war wesentlich
die Beeintrüchtigung seines Handels, welche den Abfall herbei-
führte. Die Lage der athenischen Bundesgenossen hat Guiraud
Nr. 75 einer eingehenden Untersuchung unterworfen. Für uns
Deutsche bietet dieselbe wenig Neues, da sie im Wesentlichen
auf den Arbeiten Kirchhoffs, Köhlers u. a. fußt. Die Athener
hatten es nach Guiraud nicht verstanden, ihren Bundesgenossen
ein derartiges Loos zu schaffen, daß sie durch dasselbe an ihren
Herrn so gefesselt waren, daß sie denselben auch bei einem
etwa eintretenden Unglück treu blieben.
Am wenigsten erfolgreich war die Politik des Peri-
kles auf hellenischem Boden. Nachdem er die Ag-
gressive Politik gegen Persien aufgegeben hatte, wollte er das
Die Forschung tiber die griechische Geschichte. 119
gesammte Griechenthum unter athenischer Führung vereinen,
Sein Antrag in der athenischen Volksversammlung lautete:
»Athen richtet an alle Hellenen Europas und Asiens wie an die
großen so an die kleinen Gemeinden die Aufforderung, Abge-
ordnete zu einem Kongresse nach Sparta zu senden, um hier zu
berathen über die Wiederaufrichtung der hellenischen Heilig-
thümer, welche die Barbaren verbrannt, über die Darbringung
der Opfer, welche die Hellenen im Kampfe gegen die Barbaren
gelobt, die sie den Góttern schuldig sind, über ungeführdete
Meerfahrt für alle, über die Aufrechterhaltung des Friedens“.
So berichtet Plutarch Per. C. 17 wahrscheinlich nach des Kra-
teros Sammlung. Es entsteht nun die Frage, welcher Zeit die-
ser Antrag zuzuweisen sei. Curtius, griech. Gesch.° Bd. II S.
825 schwankt, ob die Aussendung dieser Gesandtschaften gleich
nach dem dreißigjährigen Frieden (445) oder nach dem fünfjäh-
rigen (451) zu setzen sei. Grote hat sich für den Abschluß des
dreiBigjührigen Friedens entschieden, und Duncker Nr. 6 S. 120
ist ihm hierin gefolgt. Er ist zu diesem Ansatz durch ver-
schiedene Kalkulationen gelangt, wührend sich die Richtigkeit
dieses Zeitpunktes sich durch andere Argumente erhärten läßt.
Ein treffliches Zeugniß dafür ist die große eleusinische Inschrift,
„die wegen ihres einen Satzes unva dé êuBallew "Exaroußuwva
tov véov aoyovra unter den griechischen Chronologen große Ver-
wirrung angerichtet hat. Vgl. Bulletin de correspondance hel-
lénique Bd. IV. 1880. S. 225 ff. Busolt Nr. 73 S. 150 ff. hat
nun darauf hingewiesen, daB bei Plutarch die Bundesbezirke in
der seit dem Jahre 439 (üblichen offiziellen Reihenfolge aufge-
zühlt sind. Danach würde also das Projekt in die Zeit nach
dem samischen Aufstande gehóren. Das trüfe nun merkwürdig
zusammen mit den Deduktionen Lipsius' in 'Leipziger Studien'
Bd. III. 1880. S. 207 ff., nach denen das eleusinische Pse-
phisma mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit in das Jahr 437/8 zu.
setzen ist.
Aber Perikles hatte fiir sein Projekt die denkbar ungiin-
stigste Zeit gewählt. Niederlagen, die Athen erlitten, konnten
nicht zur Beachtung dieses Staatswesens auffordern. Hätte Athen
bei Koroneia gesiegt und den Pleistoanax geschlagen, so würe
sein Ruf wohl gehórt worden. Was konnte aber jetzt Sparta
bewegen, sich mit seinen Bündnern in Athen einzufinden, diese
hier selbständig votieren d. h. die Föderation Spartas lockern
zu lassen. Doch das führt schon auf eine Betrachtung der
militärischen Leistungen des Perikles.
Duncker Nr. 6 S. 505 sagt: „Perikles war nicht wie seine
Vorgänger Kimon, Themistokles zugleich Feldherr und Staats-
mann; ihm fehlte der strategische Wagemuth und der Blick,
der die Punkte erkannte, an denen der Feind zum Tode zu
treffen ist“. Das Verhalten des Perikles in den Jahren 447 —45
120 H. Landwehr,
zeigt ganz diesen Charakter, und es wird keiner Vertheidigung
gelingen, sein Verhalten als richtig hinzustellen. Es ist kaum
zu begreifen, wie man zu Athen den Abfall Boeotiens und das
Uebergreifen der Spartaner nach Mittelgriechenland so leichten
Herzens ansehen konnte Zur Genüge mußte man doch über
die Schilderhebung unterrichtet sein; man mußte sich ferner
sagen, daß das hier gegebene Beispiel leicht an andern Orten
ansteckend wirken konnte. Euboia lag nicht zu fern. Die
Athener mußten daher, wie Duncker Nr. 6 S. 60 ausführt, alle
Kraft daran setzen, um die Scharte von Koroneia auszuwetzen
und so Athens Ansehen, das ins Wanken gerathen war, wieder-
herzustellen. ‚Jede Zögerung hob den Muth der Gegner Athens,
ließ das Vertrauen der Anhänger Athens sinken, gab Theben
Zeit zur Rüstung, jeder Tag, den Athen säumte, ließ die Ge-
fahr in Boiotien höher emporwachsen“. Wem ist nun die Schuld
daran beizumessen, als dem leitenden Staatsmanne? Freilich
Egelhaaf Nr. 87 S. 9 leugnet es. Ob jene Aufgabe mit Athens
Kräften selbst nach dem großen moralischen Siege der Boioter
zu lösen war, können wir, meint Egelhaaf, nicht ermessen; wir
können nur annehmen, daß Perikles, der die Dinge doch wohl
beurtheilen konnte, diese Aufgabe wirklich für unlösbar gehalten
hat. Aber gerade darin gipfelt ja die Frage, ob Perikles mit
Recht von den Streitkräften Athens so gering dachte. Muf
doch Egelhaaf selbst zugestehen, es sei sehr wohl möglich, daß
in Athen die Meinung vertreten wurde, man solle sofort die
Boioter mit verstärkter Heeresmacht angreifen und blutige Rache
für Koroneia nehmen. Einen triftigen Grund von dieser ener-
gischen Politik Abstand zu nehmen, kann ich nicht finden. Daß
bei der Masse der Bürger die Sorge um die Gefangenen ent-
scheidend gewesen sei, will mir nicht einleuchten. Vielmehr
glaube ich annehmen zu dürfen, daß es allein das Wort. des
Perikles war, welchss sie dazu bewog.
Der Verzicht auf die dominierende Stellung Athens im
mittleren Hellas, die Zulassung der Aufrichtung Thebens und
des boiotischen Bundes und die Unterlassung des Versuches,
vor den Anzug oder nach den Abzug der Peloponnesier die
Schlacht von Koroneia rückgüngig zu machen, waren, wie Dun-
cker Nr. 6 Nr. 504 sagt, die schwersten Fehler der auswür-
tigen Politik des Perikles. Sie waren die Frucht einer doktri-
nüren Auffassung, welche unter Vernachlässigung der Landmacht
ein übermäßiges und einseitiges Gewicht auf die Seemacht und
Seestellung des Staates legte.
Der samische Krieg zeigte dann ganz die Schwüchen
der Perikleischen Kriegführung. Hier hat namentlich Pflugk-
Harttung Nr. 79 Kritik geübt, während Duncker Nr. 6 S. 191 ff.
an dem Feldzug nichts auszusetzen findet. Nur allein der erste
Kampf bei Tragia, dessen Lage als identisch mit der Insel
Die Forschung über die griechische Geschichte. 121
Hyrtussa auf Kieperts Karte in einem längeren Excurs Nr. 80
S. 124 ff. bestimmt wird, hat Pflugk - Harttungs Beifall. Der
Plan Samos auszuhungern anstatt durch einen Sturm zu neh-
men, erscheint ihm nicht richtig, daf er erstens sehr viel ko-
stete, zweitens unerwartete Wechselfälle wie etwaiges Eintreffen
des Satrapen Pissuthnes in Aussicht standen (Nr. 80 8. 34).
Aber hier ist Pflugk- Harttung, wie Egelhaaf Nr. 87 S. 16 ff.
gezeigt kat, wohl zu weit gegangen. Denn wenn die vor Sa-
mos gebliebenen Schiffe der Athener geschlagen wurden, wäh-
rend Perikles den phoenikischen Schiffen entgegenzog, so kann
Perikles nicht die Verantwortung dafür tragen, wohl aber mußte
er die geschlagene Flotte erst reorganisieren, bevor er zum
Sturmangriff gegen Samos schritt. Die Ueberlieferung bei Plut.
Per. 27 steht mit sich selbst in Widerspruch, denn einerseits
wird hier gesagt, daß die Stadt dunavy x«i yoovm genommen
sei, andererseits von neuen Maschinen berichtet, die Artemon
gebaut hatte. -
Die Kosten des samischen Krieges haben eine ver-
schiedenfache Erórterung gefunden. Perikles wünschte ebenso
dringend wie die Samier die langwierige und bedenkliche Sache
beizulegen und war deshalb zufrieden, wenn Samos in sein altes
Bundesverhältniß zurücktrat, seine Mauern einrif und einen
Theil seiner Schiffe auslieferte. Als Pfand fiir die Zahlung der
Kriegskosten wurden nach Pflugk - Harttung Nr. 87 S. 35 den
Athenern ausgedehnte samische Grundstiicke überwiesen. Die
Hôhe der Kosten giebt Isokrates XV 111 auf 1000 Talente,
Ephoros nach Diodor XII 28 und Nepos Tim. 2 auf 1200 Ta-
lente an. Doch beliefen sie sich ohne Zweifel noch viel höher,
denn es wurden nicht nur die gogos verbraucht, sondern noch
eine Anleihe gemacht. Sie mögen sich daher auf mehr als 2000
Talente belaufen haben. Wie die Athener das Geld aufbrachten,
zeigen die Tributlisten. Es ist hier, wie Guiraud Nr. 76 S. 51
sagt, zu bemerken, daß die Tribute nach 439 bedeutend gestie-
gen sind. Man mufite eben schleunigst das Defizit, welches durch
den samischen Krieg entstanden war, decken und zwar durch
Erhöhung gewisser Auflagen. So wurde 439/8 der gogoc von
elf thrakischen Stüdten erhóht, die an der Westküste der Chal-
kidice und auf Pallene lagen. Denn wührend des samischen
Krieges hatten hier Unbotmäßigkeiten stattgefunden. Potidaia
blieb treu. Busolt Nr. 75 vermuthet, daß dies vielleicht damit
zusammenhinge, daf auch die Korinther gegen eine Intervention
der Peloponnesier zu Gunsten der Samier waren.
Für die obigen Angaben des Isokrates und seines Schiilers
bat Busolt Nr. 74 die Quelle in der Schuldurkunde C. I. A. I
177 nachzuweisen gesucht. DaB sich Ephoros Monumente an-
sah und die Zahlen seiner Quellen abzurunden pflegte, ist hine
lünglich bekannt. Er hat also die von der Göttin entliehenen
122 H. Landwehr,
Summen, 1276 Talente, mit den Gesammtkosten des Krieges
gleichgesetzt, ohne die sonst verausgabten Summen aus den lau-
fenden Ausgaben zu berücksichtigen.
Ueber die Art und Weise, wie die Samier ihre Schuld ab-
getragen haben, stimmen nicht alle Forscher überein. C. I. A.
I 188 findet sich eine Rubrik zu èy Zaäuou Beloch Nr. 81
S. 37 will hierin die efxoor; sehen, so daß die Zolleinnahmen
auf Samos ganz oder zum Theil fiir Bundesrechnung erhoben
seien. Doch will die Summe, wie Duncker Nr. 6 S. 216 sagt,
zu hoch erscheinen, um als Ertrag der eixooın zu gelten. In
der Höhe der Rathenzahlung von 200 'Palenten greift Busolt
sicher zu hoch, denn nach C. I. A. I 38 haben die Samier
noch im peloponnesischen Kriege, wahrscheinlich bis 409,
gezahlt.
Die heftigsten Angriffe haben die Feldzugspläne er-
fahren, nach denen Perikles den peloponnesischen
Krieg geführt wissen wollte. Pflugk-Harttung und Duncker
stimmen hier überein. Egelhaaf erkennt an, daß hier die gegen
Perikles gerichtete Anklage am ernstesten sei. Zunächst kommt
es in Betracht, ob das vóllige Preisgeben des Landes durch die
unbedingte Uebermacht der Peloponnesier zu Lande geboten war.
Eine Schlacht der Athener gegen die Lakedaimonier als unbe-
dingt aussichtslos hinzustellen, will nicht richtig erscheinen.
Archidamos warnt seine Landsleute verschiedentlich, die atheni-
schen Streitkrüfte nicht zu gering anzuschlagen. Als er dann
in Attika einrückt, wundert er sich auf keinen Widerstand zu
stoßen. Aus dem geht doch hervor, daß nach seiner Schätzung
die Krüfte der Athener genügend waren, um einen Kampf zu
wagen. Wir haben, sagt Póhlmann Nr. 88 S. 271, weder eine
genügende Vorstellung von dem Maximum der gesammten Streit-
krüfte des athenischen Reiches, noch der etwa nach Abzug der
Garnisonen und Flottenmannschaften im Felde verfügbaren Trup-
pen. Das vorhandene Material, welches im nüchsten Abschnitte
vorgeführt werden wird, veranlaßt mich, dies zu bestreiten. Da-
gegen hat Póhlmann Recht, wenn er die Möglichkeit einer Schä-
tzung der Streitkrüfte der Peloponnesier in Frage stellt. Das
Preisgeben des flachen Landes war aber insofern ein Fehler,
daß durch dasselbe gerade die Gegner des Perikles geschädigt
wurden. Denn ich bin der Ansicht, daß Perikles bei seiner
Politik sich mehr auf das Gros der stüdtischen Bevélkerung,
als auf das büuerliche Element stützte. Wenn nun diese ihm
feindlich gesinnten Elemente grollerfüllt in die Stadt kamen, so
mußten sie zersetzend wirken. Dann wirkt eine Niederlage, wie
dieser Verzicht auf die Offensive doch immerhin war, doch im-
merhin entmuthigend, selbst wenn man dieselbe vorausgesehen
hat. Immerhin bleibt es fraglich, ob denn ein Kampf im offe-
nen Felde für Perikles stets so aussichtslos war. Jedenfalls
Die Forschung über die griechische Geschichte. 123
kamen doch die Peloponnesier nicht mit allen Streitkräften nach
Attika, während die Athener, welche in ihrem Lande blieben,
ihnen ihr ganzes Aufgebot entgegenstellen konnten. Dazu konnte
auch das Terrain zu Hiilfe genommen werden. Es gab Ver-
hältnisse, in denen die Uebermacht der Peloponnesier sich nicht
so fiihlbar machen konnte. Aber von einem weiteren Vorwurf
wird es nicht gelingen, Perikles frei zu machen. In der Flotte
hatte Athen ein genügendes Hülfsmittel, um den Einfällen der
Lacedaemonier vorzubeugen. Durch kühne Streifziige an der
Küste der Peloponnes, durch Aufwieglung der Messenier konnten
die Peloponnesier so in Athem gehalten werden, daß sie nicht
an einen Einfall in Attika dachten, Daf Perikles sich gerade
in diesem Punkte etwas schlaff gezeigt hat, wird Niemand leug-
nen kónnen.
Allerdings leidet bei einer derartigen Beurtheilung des Peri-
kles die Autorität des Thukydides bedeutend. Er entbehrte
dann des richtigen Maßstabes für die Beurtheilung seines Pro-
blems und gab sich in einer Haupt- und Grundfrage einer voll-
kommenen Täuschung hin. Man darf hierbei nicht vergessen,
daß Thukydides Parteimann war und unter dem Eindruck sei-
ner Zeit stand. Ihn hatte es b&eistert , daB Athen sich von
Jahr zu Jahr unter der Leitung des Perikles verschénerte, daß
die iiberseeischen Beziehungen fortwährend an Bedeutung zunah-
men. Er sah die Lichtseite voll und ganz, fiir die Schatten-
seite hatte er kein Verständnif.
Der Peloponnesische Krieg.
91. Müller-Strübing, das erste Jahr des peloponnesischen
Krieges in Jahrb. für class. Philol. Bd. 127. 1883. S. 577 ff.
857 ff. |
92. Emminger, der Athener Kleon. Eichstätt 1882. S.
78. Per. 8°.
93. Fokke, Rettungen des Alkibiades. I. Die sizilische
Expedition. Emden. Pgr. 1883. Vgl. Philol. Anz. XIV. 1884.
S. 8—12. II. Der Aufenthalt des Alkibiades in Sparta. Em-
den, Verlag von W. Haynel. 1886. 8°. S. 112.
94. Beloch, die attische Politik seit Perikles. Leipzig, B.
G. Teubner. 1884. 8°. S. 369. Vgl. Philol. Anz. XV. 1885.
S. 128—133.
95. Szanto, Plataeae und Athen in Wiener Studien. VI.
1884. S. 159—172.
96. Beloch, zur Chronologie der letzten zehn Jahre des pe-
loponnesischen Krieges i. Philol. Bd. 43. 1884. S. 261—296,
124 H. Landwehr,
97. Stahl, eine angebliche Amnestie der Athener in Rhein.
Mus. N. F. XXXIX. 1884. S. 458—65.
98. Bauer, die Hinrichtung der 1000 Mitylinaeer i. Philol.
Bd. XLIII. 1884. 8. 362 f.
99. Holm, das alte Syrakus i. Zeitschr. fiir allgem. Gesch.
Bd. I. 1884. S. 818 und 81—95.
100. Philippi, Alkibiades, Sokrates, Isokrates i. Rhein.
Mus. N. F. Bd. XLI. 1886. S. 13—17.
101. ’Ardotae ‘ISewperoc, n dixn 12v Ev ”Agyivovouis orgu-
ınyav dv Keouioa rvmoygugeior Kogavns I. Nagapov)n. 8°.
S. 15.
Zur Beurtheilung des Perikleischen Kriegsplanes ist es vor
allem nothwendig, sich die finanziellen und kriegerischen Kräfte
Athens zu vergegenwärtigen. Es hat sich denn auch die For-
schung diesen Fragen verschiedentlich zugewandt, um zu er-
griinden, ob Athen genügend gestärkt in den Kampf gezogen sei.
Freilich haben diejenigen, welche Pflugk-Harttungs Darstellung
bekämpften, hier nicht eingesetzt, sondern sich meistentheils nur
in allgemeinen Erwägungen #halten. Dagegen hat Duncker
Nr. 6 S. 408 ff. dieser Frage eine eingehende Würdigung ge-
widmet.
Zunächst die Finanzen Athens. Wir verdanken die
Kenntniß derselben hauptsächlich den Ausführungen Kirchhoffs.
Gegen dieselben hat sich jüngst Beloch Nr. 81 erhoben. Kirch-
hoffs Beweisführung fußt darauf, daß schon beim Beginn der
88. Olympiade Herbst 428 der Schatz von 5000 Talenten auf-
gebraucht war, der nach Thuk. II 13 beim Beginn des pelopon-
nesischen Krieges auf der Akropolis als disponibel vorhanden
war. Als Thatsache für die Erschöpfung des Reservefonds führt
Kirchhoff an, daß in jenem Jahre zum ersten Male während des
Krieges eine Vermögenssteuer erhoben wurde. Die Berechtigung
dieser Schlußfolgerung bestreitet Beloch und übersieht dabei,
daß Kirchhoff noch einen andern Grund für seine Behauptung
ins Feld führen kann: Thukydides III 17. Daß dann Beloch
Nr. 81 S. 34 Anm. dies Kapitel schlechtweg als interpoliert be-
zeichnet, geschieht ohne stichhaltigen Grund und kann das Ka-
pitel nicht aus dem Wege räumen. Hat doch auch L. Herbst
im Philol. Bd. 42. S. 681 ff. eine derartige Vermuthung als
ganz unbegründet bezeichnet.
Da Busolt in seinem Aufsatz ‘der gogoc der athenischen
Bündner’ im Philol. Bd. 41. 1882. S. 652—718 dargethan hat,
daß die Abgaben nie erhöht sind, sondern vielmehr immer bei
dem Aristeidischen Ansatze von 460 Talenten stehen geblieben
sind, so möchte Beloch in dem genannten Kapitel bei Thukydides
lesen rogocôvrwr uiv E&[nxorru x«i 1eto]axociwr rudaviwr. Doch
Die Forschung iiber die griechische Geschichte. 125
ein derartiger Ausfall müßte schon sehr alt sein, denn bereits
Plutarch Arist. 24 hat die gleiche Notiz aus Thukydides ent-
nommen. Es wird deshalb besser sein, andere Einnahmen wie
z. B. die Einkiinfte aus Samos zur Kompletierung der Summe
heranzuziehen. Eine wichtige Einnahme bildete ferner die de-
xdın im thrakischen Bosporos, aus der eine beträchtliche Ein-
nahme flog. Beloch Nr. 81 8. 40 veranschlagt dieselbe auf
120 Talente, von welcher Summe aber noch die Erhebungskosten
u. a. in Abzug zu bringen wiren.
Im weiteren Verlaufe des Krieges waren dann erhóhte Ein-
nahmen erforderlich. Im Jahre 4235/4 wurde die große Steuer-
reform vorgenommen, über welche die auf uns gekommene Ur-
kunde C. I. A. I 87 ausführliche Nachricht giebt. Zwar ist
sie arg verstümmelt, aber es läßt sich aus ihr doch das Wich-
tigste ersehen, dal} nümlich eine Verdreifachung der früheren.
Ansütze eingetreten ist. Hierauf weisen auch die litterarischen
Quellen wie Andokides zegi eig. 9, Aischines 79i zmoeganposoff.
175 und Plutarch Arist. 24 hin. Freilich brachte die politische
Konstellation auch mancherlei Ausfälle. Nach dem Abschluß
des Nikiasfriedens wurden dann die hohen Abgaben beibehalten;
erst 414 dachte man angesichts des Neuausbruches der Feind-
seligkeiten an eine abermalige Reform. Die Tribute wurden be-
seitigt und an ihre Stelle ein Werthzoll auf die gesammte Ein-
und Ausfuhr der Bundesstüdte, soweit sie zur See erfolgte, fest-
gesetzt. „Es war, wie Beloch Nr. 81 S. 44 sagt, ein mächtiger
Schritt auf der Bahn zum Einheitsstaate, den der Bund damit
machte. Wenn man will, war es auch ein revolutionärer Schritt,
ganz im Sinne der extremen Volkspartei, die damals in Athen
am Ruder war; aber wie die Sachen lagen, wären vielleicht
noch radikalere Maßregeln am Platze gewesen“. Schließlich sei
noch aus Belochs Untersuchung hervorgehoben, daf er Kirch-
hoff gegenüber annimmt, die Zólle seien auch von den Kleruchen
erhoben worden.
Den Finanzbestand Athens beim Beginn des peloponnesi-
schen Krieges hat Duncker Nr. 6 S. 412 f. festzustellen ge-
sucht. Der Staatsschatz der Athener hatte im Jahre 435/4 9700
Talente gehabt. Davon waren bis Ende Mai 431 3700 Talente
verausgabt für Bauten und Kriegskosten. Die Kriegführung von
September 433 bis Mai 431 veranschlagt Duncker auf 1500—
1600 Talente, von denen jedenfalls 1000 Talente dem Schatze
entnommen wurden. Beloch Nr. 81 S. 53 ff. hat hier zu nie-
drip angeschlagen, da er nur die athenischen Hopliten , nicht
auch die der Bündner veranlagt. Mit 6000 'Talenten und einer
jährlich einkommenden Bundessteuer von 600 Talenten, von de-
nen 400 für den krieg verwandt werden konnten, begann Athen
den Kampf. Hierzu trat noch das, was in den Tempeln an
Schätzen sich befand, immerhin 2000 Talente. Rechnet man
126 H. Landwehr,
die Kosten eines Feldzuges auf 1500 Talente, so hatte man ab-
gesehen von den laufenden Einnahmen fiir fiinf Feldziige reich-
lich liegen.
Eine Berechnung der Kosten des peloponnesischen Krieges
hat Beloch Nr. 81 S. 244 ff. unternommen. Mag hier kurz
das Resultat derselben wiedergegeben werden. In den Jahren
431/0 bis 423/2 sind im Ganzen rund 5000 Talente aus den
Tempeln der Gótter entlehnt. An Bundessteuern liefen in die-
ser Zeit ein rund 7200 Talente. Aus der slogoga, die seit
428/7 erhoben wurde, ergab sich ein Ertrag von 1200 Ta-
lenten. Das würen insgesammt 18400 'Talente, mithin für das
Jahr ein Aufwand von 1500 Talenten. Für die Jahre 422/1
bis 413/2 berechnet dann Beloch den Gesammtertrag der Bun-
dessteuern auf 12000 Talente. Eine eispoo« gelangte nicht zur
Erhebung. Für den dekeleischen Krieg ist eine Berechnung
nicht mehr möglich. Athens Herrschaft schwankte hin und her
und damit auch die Einnahmen. Im Jahre 412/1 wurde der
eiserne Reservefond und die Weihgeschenke in den Tempeln
aufgebraucht. Beloch hat eine ungeführe Schätzung der Ein-
nahmen folgendermaßen aufgestellt.
Reservefond und Weihgeschenke 1500 'Tal.
Bundessteuern der sieben Jahre von 412/1 bis 406/5
jäbrlich 600 Tal. d. h. die Hälfte des früheren
Betrages; in Summa 4200 ,,
eispoga, Kriegskontributionen 2000 ,,
insgesammt 7700 Tal.
Anknüpfend hieran führt dann Beloch weiter aus, daß das Amt
der zogiorot in dem Dekeleischen Kriege entstanden ist und legt
dann genauer dar, daB es bis zur Reform des Nausinikos be-
standen hat. Aufgabe dieser Behórde war es, nicht allein neue
Einnahmequellen zu entdecken, als vielmehr vor allem unnütze
Ausgaben zu verhindern.
Konnte ich mich mit Belochs Untersuchungen auf dem f-
nanziellen Gebiete im Wesentlichen einverstanden erklüren, so
muß ich ihm bei der Abschätzung der Streitkräfte Athens
entgegentreten, Die Grundlage seines Werkes Nr. 86 habe
ich in der historischen Zeitschrift N. F. XXII 1887 S. 345 ff.
zu erschüttern gesucht. Hier kommt es hauptsächlich darauf
an, die Autorität des Thukydides zu schützen. In dem schon
mehrfach angezogenen Kapitel des Thukydides II 13 giebt Peri-
kles auch die Streitkrüfte Athens an. Es sind 13000 Hopliten
im freien Felde verfügbar, dann 15000 Hopliten zur Besatzung,
1200 Reiter, 1600 Bogenschützen, eine Flotte von 300 Trieren.
AnstoB hat nun die Kritik in ihren verschiedenen Phasen an
Die Forschung iiber die griechische Geschichte, 127
der Zabl der 16000 Hopliten genommen. Um nun diese An-
gabe zu retten, sind zwei verschiedene Versuche gemacht.
Hanssen Nr. 85 S. 12 hat nach dem Vorgange anderer unter
den 16000 die Zahl der Hopliten aus den Reihen der Metoiken
bedeutend gesteigert. Aber eine Summe von 11933 Metoiken,
zu denen dann noch 200 berittene Bogenschiitzen und 600 Bo-
genschützen zu Fuß hinzuträten, wäre entschieden zu hoch ge-
griffen. Einmal würde Thukydides II 31 dagegen streiten, denn
es müßte doch auffallen, daß zu dem Einfall nach Megaris nur
3000 Hopliten aus dem Metoikencensus herangezogen wurden,
während doch die Athener mit 10000 auzzogen d. h. mit allen
für die Offensive verfüglichen Streitkräfte. Dann widersprechen
dem auch Angaben über die Zahl der Metoiken in späteren
Zeiten, wo ihre Zahl gegen früher entschieden gewachsen war.
Im Jahre 309 ergab die Volkszählung 10000 erwachsene Me-
toiken. Duncker Nr. 6 S. 409 Anm. hat dagegen die Zahl der
16000 Hopliten dadurch zu erklären gesucht, daß er unter die-
selben die Gesammtzahl der in Attika und Euboia domicilierten
Kleruchen, deren Aufgabe vornehmlich der Besatzungsdienst ge-
wesen sei, dienstpflichtigen und nicht dienstpflichtigen Alters.
Die Gesammtzahl derselben schätzt Duncker Nr. 6 S. 238 auf
15000, die allerdings in allen Ländern zerstreut wohnten. „Ist
nun auch anzunehmen, daß mindestens die größere Hälfte der
auf Euboia ausgegebenen Hufen ihren Wohnsitz in Attika bei-
behalten haben wird, so hausten nun doch gewiß 10000 attische
Bürger außerhalb Attikas"; Duncker bringt 7000 in Anrechnung
für die Deckung der Landesgrenzen. Den Beweis dafür, daß
die Kleruchen zu Kriegsdiensten herangezogen wurden, hat Dun-
cker nicht gegeben. „Wir hören nicht, sagt Beloch Nr. 86 8.
65, daß dazu jemals Kleruchen herangezogen worden sind“.
Doch hat Foucart, ‘mémoire sur les colonies athéniennes au cin-
quiéme et au quatriéme siècle’ in den ‘mémoires prés. par div.
sav. à l’acad. des inscr. et belles lettres’: I. série IX, 1. 1878
S. 353 bereits den Beweis geliefert. Beide Annahmen haben
bei Beloch Nr. 86 S. 60 ff. keine Gnade gefunden. Hanssens
auch sonst werthlosen Auseinandersetzungen unter vielverspre-
chendem Titel ist nicht weiter das Wort zu reden. Fiir Dun-
ckers Vermuthung wire eine allerdings nicht schwierige Emen-
dation des Thucydides erforderlich: dno ze ıwv ngeoßvruıwv xoi
TU» rewratwr zul arrolxwv xai petolxwy 0001 Onlitm Tour.
Da aber Beloch auch dieser Annahme nicht geneigt ist, so ist
es ihm ‘ganz unzweifelhaft, daf die Zahlen so, wie sie iiberliefert
sind, unmöglich richtig sein können‘. Die Berichtigung dersel-
ben erscheint ihm am einfachten dadurch möglich, daß uvolwv
xal gestrichen wird. Als Begründung für seine Vermuthung
kann Beloch nur anführen, daß durch diese Streichung „stati-
stisch alles in Ordnung gekommen sei“. Die 6000 zur Landes-
128 H. Landwehr,
vertheidigung zu verwendenden Mannschaften sollen aus 1000
seolnoAoı 2000 der Altersklasse von 50—50 Jahren und 3000
Metoiken bestehen. Es erhebt sich nun die Frage, ob diese An-
zahl geniigend zur Vertheidigung der Stadt Athen war. Es
kam hier eine Strecke von ungefähr 150 Stadien (circa 4 deutsche
Meilen) in Betracht, die durch eine etwaige Landung des Fein-
des zwischen Phaleron und Munychia vergrößert werden konnte.
Hierzu kam noch die für die Grenzkastelle nothwendige Mann-
schaft. Daf hierfür 6000 Hopliten genügt hätten, will mir
zweifelhaft erscheinen. Bestürkt wird dieser Zweifel noch da-
durch, daß die Athener zum Einfall nach Megaris die Hopliten
aus der Metoikenklasse hinzuziehen konnten, ohne daß dadurch
die Besatzungsmannschaft zu sehr heruntergedrückt wäre. Es
würe doch sicher ein grober Fehler gewesen, wenn man die Be-
wachung der Stadt den wenig leistungsfähigen wegfnodo. und
den Jahrgüngen über 50 Jahre überlassen hätte.
Nach meiner Ansicht giebt es noch einen anderen Weg,
um die bei Thucydides überlieferten Zahlen zu retten. Man
fragt nümlich vergebens danach, wo die Theten aufzusuchen
sind. Daß gerade ihre Zahl nicht beträchtlich war, wird jeder
zugestehen, der nur mit den Anfangsgründen der Bevólkerungs-
lehre vertraut ist. Eine groBe Zahl derselben wird auf der
Flotte beschäftigt gewesen sein. Es muß auffallen, daß Perikles
sthlechtweg 300 Kriegsschiffe aufführt, ohne über ihre Beman-
nung etwas näheres zu berichten. Es kommt hierbei vor allem
darauf an, zu ermitteln, wieviel Freie sich zur See befanden.
Für die Feststellung der Bevölkerungsbewegung ist aber in er-
ster Linie auch eine genaue Betrachtung der Kleruchen noth-
wendig. Es ist dafür ein Verständniß zu gewinnen, daß At-
tika während nngefähr dreißig Jahre einen solchen Ueberfluß an
Bevölkerung hatte. Hier ist nicht der Ort, meine Berechnung
der einzelnen Summen näher darzulegen. Ich verweise auf den
Aufsatz, welchen ich demnächst publicieren werde.
Belochs Untersuchung Nr. 86 giebt dann auch ein Bild
von dem Schwanken der Bevölkerungsziffer im Verlaufe des pe-
loponnesischen Krieges, Die meisten Opfer forderte die Pest;
es erlagen derselben 4400 Hopliten und 300 Reiter. Als die
Athener 424 ruvdnuei ins Feld ziehen, betrug die Zahl der
Hopliten 7000 und die Reiter 1000. Die meisten Opfer for-
derte dann die sicilische Expedition. Im Jahre 412 dürfte
Athen nach Beloch Nr. 86 S. 67 schwerlich mehr als 8000 feld-
tüchtige Hopliten und Reiter gezählt haben. Die oligarchische
Revolution konnte im Jahre 411 nur 5000 wohlhabende Bürger
notieren; doch betrug die Zahl der Hopliten noch 9000. Be-
trächtliche Verluste erlitt dann Athen unter der lakedaimonischen
Occupation in Dekeleia. Durch dieselbe kamen auch viele Athe-
ner der drei obersten Schatzungsklassen in die der Theten.
Die Forschung iiber die griechische Geschichte. 129
Ich will Belochs Untersuchung nicht verlassen, ohne her-
vorzuheben, daß er sich das Verdienst erworben hat, die Zahl
der in Attika vorhandenen Sklaven zu ermitteln.
Boeckh hat dieselbe auf 400000 nach Ktesikles bei Athenaios
VI S. 272 D. Aber die Angaben des Athenaios, in deren Ge-
sellschaft sich diese Notiz befindet, sind wenig glaublich. Es
git nun zu erweisen, daf die Zahl von 400000 Sklaven für
Attika unmüglich war. Dies geschieht auf zwei Wegen. Ein-
mal weist Beloch nach, daß das Volksvermögen Athens gar nicht
so groß war, um eine derartig hohe Zahl anzunehmen. Daß
Boeckhs Behauptung, jeder Athener habe zum mindesten einen
Sklaven besessen, richtig sei, kann nicht zugegeben werden. Zu-
dem ist die Produktion an Getreide und die Einfuhr nicht so
groß, um eine solche Menschenmenge zu ernähren. Beloch glaubt
daher, daf die Zahl bei Athenaios für 40000 verschrieben sei.
Nur allein die Angabe des Hypereides bei Suidas s. v. &reywn-
gfouro (Bla fr. 33) würde dem widersprechen. Hier schlägt
Hypereides nach der Schlacht bei Chaironeia ein Massenaufgebot
der Sklaven vor, durch das 150000 zu den Waffen gerufen
werden sollten. Sicherlich hat Beloch Recht, wenn er sagt, ein
derartiges Heer sei für die damaligen griechischen Zustünde ein
Ding der Unmöglichkeit. Es muß daher auch hier eine Emen-
dation eintreten, die bei dem Stande der Ueberlieferung als
durchaus gerechtfertigt erscheinen muß. Für das unattische uv-
Qudag ndéov n dexaztrie soll uvgvu dag nAéov 0 n &. Daß das
Zahlzeichen d' häufig mit déxu verwechselt wurde, ist eine Sache,
die keines weiteren Beweises bedarf.
Beloch Nr. 86 S. 22 hat die Frage angeregt, ob der Krieg
zwischen Athen und Sparta wirklich nothwendig war. Er be-
antwortet dieselbe verneinend. „Es war eine Phrase, daß man
ohne Verzicht auf die nationale Ehre nicht einmal das Pse-
phisma gegen Megara hätte aufheben können“. „Perikles hat ge-
handelt, wie so viele Gewaltherrscher, wenn ihre Stellung von
Innen her ins Schwanken kommt; er hat gesucht, die Unzufrie-
denheit des Volkes durch eine grofie Aktion nach AuBen hin
abzulenken“. Hierzu kommt noch, daß der Krieg, nach dem
Kriegsplan des Perikles geführt, Athen so gut wie gar keinen
Vortheil in Aussicht stellte. Denn wenn Sparta wirklich durch
lange Kriegsführung erschöpft war, so erzielte man günstigsten
Falls einen faulen Frieden.
Das erste Jahr des peloponnesischen Krieges
hat dureh Müller-Strübing Nr. 90 eine genaue Behandlung ge-
Philologus. N. F. Bd. I, 1. 9
130 H. Landwehr,
funden. Er hat diese Studie verôffentlicht aus seinen For-
schungen iiber die Quellen des thukydideischen Geschichtswerkes.
Daß dasselbe einer tiefgehenden Kritik bedarf, hat schon Pflugk-
Harttung bei seiner Studie über Perikles betont. Auch Kirch-
hoff hat durch seine verschiedenfachen Untersuchungen über die
Urkunden, welche der ovyyougpi eingefügt sind, werthvolle Bei-
trige zur Beurtheilung der Glaubwiirdigkeit des Thucydides ge-
geben. Es giebt gegenwärtig viele, denen die Glaubwiirdigkeit
des Historikers nicht als unantastbar gilt. Doch auf diese Fra-
gen hier näher einzugehen, muß dem Jahrèsbericht über Thucy-
dides iiberlassen bleiben. Hier kommt nur die politische Ge-
schichte in Betracht, und von diesem Gesichtspunkte aus werde
ich mich auch mit Müller-Strübings Aufsatze beschäftigen. Es
kann deshalb eine eingehende Erórterung der chronologischen
Resultate, die Müller-Strübing gefunden, nicht unternommen wer-
den, da dies auf eine Behandlung der Jahresepoche des Thuky-
dides führt, was außerhalb dieses Aufsatzes liegen würde.
Es handelt sich zunächst um die Festsetzung des An-
griffes auf Plataiai Bei Thukydides II 2 ist in den
Worten Zvdodwoov £i résougue uirus Ggyorioc "AFnvulors all-
gemein gegen das handschriftliche dvo eine Verinderung der
Zahl vorgenommen. Krüger hat diese Vermuthung zuerst aus-
gesprochen und Boeckh ist ihm darin gefolgt. Indem nun Müller-
Strübing die Durchschnittszeit der Ernte in Attika auf die Mitte
des Mai setzt und die Worte 700 Jégovc xai 100 o(rov &xuaGoviog
als „eine schreiende Albernheit, man mag die Höhe des Som-
mers definieren, wie man will“, hinstellt, die allein durch die
Streichung des x«i 700 oíiov beseitigt werden könnte, suchte er
die handschriftliche Lesart des dvo wieder zu Ehren zu bringen.
»Wenn dem zufolge Plataeae am letzten Munichion unter dem
Archonten Pythodoros überfalen ist, und wenn Kénig Archi-
damos 80 Tage darauf, also am 21. Hekatombaion (21. August)
Olymp. 87, 2 unter dem Archontat des Euthydemos als der Som-
mer auf der Hohe war, den Einfall zur Verheerung der attischen
Heere gemacht hat, so steht der Bericht bei Thucydides nicht
länger im Widerspruch mit der Angabe der übrigen älteren grie-
chischen Historiker*. Den Einwand, welcher auf der Sonnen-
finsterniß vom 3. August fuBen kann, sucht Müller - Strübing
durch Interpretation von C. I. A. IV 179 zu beseitigen. Das
Geld fiir die nach Makedonien bestimmte Flotte wurde erst meh-
rere Tage nach dem 3. August gezahlt. Nachdem Plataiai in
die Hände der Lakedaimonier gefallen waren, haben sich die
Athener in hervorragender Weise ihrer Bundesgenossen ange-
nommen; sie haben ihnen Biirgerrecht in ihrer Stadt verliehen,
um sie so fiir ihre Bundestreue zu belohnen. Die Quelle fiir
dies Ereigni ist namentlich die Rede gegen die Neaira. Szantó
Nr. 94 hat nun nachgewiesen, daß der Redner direkt aus Thu-
Die Forschung über die griechische Geschichte. 131
kydides geschöpft hat. Es darf nicht auffallen, daß weder Thu-
kydides, noch Diodor, der den Thukydides nicht direkt benutzte,
nichts davon erwähnen. Thukydides hatte kein Interesse für
staatsrechtliche Fragen; daB ihm die Einbürgerung aber bekannt
war, geht aus V 32, ferner auch aus III 55. 63 hervor. Es liegt
daher keine Veranlassung vor, das Faktum der Einbürgerung
in Frage zu ziehen.
Die Veranlassung des Riickzuges der Pelopon-
nesier bei ihrem ersten Einfalle in Attika findet dann Müller-
Strübing S. 660 nicht in dem Mangel an Lebensmitteln, denn
einmal konnte von der Peloponnes aus die nôthige Zufuhr ge-
schehen, dann war aber auch die Verbindung iiber Oropos of-
fen. So wird denn Diodor XII 42 im Rechte sein, wenn er
behauptet, die Bemannung von 100 attischen Trieren, welche
die Peloponnes verwiisten sollten, hätten die Lakedaimonier zum
Abzug bewogen, um ihre eigenen Heerde zu schiitzen. In der
That wiirde es ihnen auch schwerlich gelungen sein, ihre Bun-
desgenossen in Attika festzuhalten, wenn der Einfall der Athener
zu ihren Ohren gelangte.
Zu den Vorsichtsmaßregeln, welche die Athener gegen die
bevorstehende Invasion trafen, rechnet Müller-Strübing Nr. 90
S. 663 die Austreibung der Aigineten. Es ist ihm höchst
wahrscheinlieh , daß dieselbe eine trotzige, energische Antwort
war auf das von den Lakedaimoniern nach dem Kongreß ge-
stellte Ultimatum, in dem ja die Herstellung der Autonomie der
Aegineten ausdrücklich gefordert ward.
Chronologisch ordnet Müller-Strübing die ersten Ereignisse
des Krieges folgendermaßen. ,,Die Schlacht von Sybota Ol. 86, 4
ist nach Boeckhs Ansatz zu Anfang der zweiten Prytanie unter
dem Archon Apseudes September 433 geschlagen, ungefähr ein
Jahr darauf Ol. 87, 1 in der zweiten Prytanie unter dem Ar-
chon Pythodoros Ende September oder Anfang Oktober 432 er-
folgt die Aussendung des Archestratos gegen Perdikkas von
Makedonien. Gleichzeitig der offene Abfall von Potidaia. Etwa
einen Monat darauf wird Kallias gegen Potidaia ausgesandt, der
sich mit Archestratos vereinigt und Pydna belagern hilft. Im
Dezember Schlacht von Potidaia, gleich darauf der erste Kon-
greß in Sparta; vielleicht noch im Dezember und bald nachher
etwa Januar 431 der zweite Kongreß, indem mit der Erklä-
rung, die Athener hätten die Verträge gebrochen, der Krieg im
Princip erklärt wird, natürlich für den Fall, daß die Athener
die ihnen vorzulegenden Forderungen nicht erfüllen würden.
Der Winter vergeht denn unter diplomatischen Verhandlungen.
Kleon erhielt nach Perikles die leitende Stellung im
athenischen Staate. Von seiner politischen Thätigkeit während
der Lebenszeit des Perikles weiß Thukydides nichts zu be-
richten, und auch die aus andern uns gewordene Kunde ist ge-
9 *
132 H. Landwehr,
ring. Seitdem Joh. Gust. Droysen in seiner Uebersetzung des
Aristophanes sich dahin aussprach, daß Kleon wirklich nicht so
schlecht sei, als ihn die Zeitgenossen geschildert hätten, begann
die Forschung die Ueberlieferung über ihn zu untersuchen. Auch
gegenwärtig ist die Untersuchung noch nicht abgeschlossen, denn
ein einheitliches Urtheil über den Demagogen (im griechischen
Sinne des Wortes) ist bisjetzt noch nicht gefunden. Der Weg,
welchen Emminger Nr. 91 kürzlich eingeschlagen hat, scheint
mir der richtige zu sein. Er untersucht nämlich in erster Linie
ausführlich das, was Thukydides und Aristophanes von ihm ge-
sagt haben. Jedermann wird zugeben miissen, daf dies nur ein
Zerrbild ist. Aber die wahren Ziige in demselben zu erkennen,
ist schwierig, und der zweite Theil von Emmingers Untersu-
chung, welcher sich hiermit beschäftigt, ist nicht als abgeschlos-
sen anzusehen. Das Endurtheil Emmingers lautet: „Kleon war
ein Kind seiner Zeit, in keinem Punkte schlechter, in vielen
besser als die Mehrzahl seiner Zeitgenossen. Nur als er Feld-
herr wurde, da hatten die aristophanischen Wolken recht, daß
sie unwillig die Braunen zusammengezogen: zum Feldherrn war
er nicht geschaffen‘.
Beloch Nr. 93 ist weniger für Kleon eingenommen. Aber
wohl mit wenig Recht möchte er ihn S. 31 den „brutalen und
ungebildeten Gerbermeister‘‘ nennen. Nach einer Begründung
dieser wenig schmeichelhaften Epitheta sucht man in Be-
lochs Darstellung vergebens, vielmehr muß dieselbe doch auch
Kleons Verdienste anerkennen. Vor allem ist er unermüdlich
für die Beschaffung der nöthigen Geldmittel zum Kriege thätig
gewesen; hierbei hat er keine Rücksichten gekannt, was für die
damaligen Verhältnisse nicht genug geschätzt werden kann.
Wenn er die Kosten für das Reiterkorps herabsetzen wollte, so
geschah lediglich aus dem Gesichtspunkte, weil die Leistungen
nicht den Kosten entsprachen. Diese finanziellen Maßregeln
hatte Kleon in seiner Eigenschaft als Rathsherr unternommen.
Das Jahr, in welchem er Mitglied der Bule war, ist nicht ge-
nau überliefert. Jedenfalls kann es erst nach 428/7 gewesen,
da damals die eisyog« wohl wesentlich auf Kleons Betrieb ein-
geführt wurden. Dann geben Aristoph. Ritter V 774 ff. den
Beweis, daß er vor der Aufführung derselben (425/4) Rathsherr
war. Unter den drei Jahren, welche demnach in Betracht kom-
men, entscheidet sich Beloch Nr. 93 S. 336 für 427/6. Die
Darstellung des Thukydides bei den. Verhandlungen über das
Schicksal der Mytilenaier ist derartig, daß Kleon nicht als
Rathsherr gedacht werden kann. Aristophanes Worte in den
Rittern V 774: jx’ 2ßovAsvov widersprechen dann der An-
nahme, daß Kleon gleichzeitig Rathsherr gewesen sei. Für das
Jahr 427,6 spricht aber auch die Aufführung der Babylonier,
wegen deren Aristophanes von Kleon vor die Bule gezogen
Die Forschung iiber die griechische Geschichte. 133
wurde, Ausschlag gebend ist für mich in dieser Frage, daf
Beloch unter Verwerthung der von Gilbert ‘Beiträge zur inneren
Gesch. Athens’. Leipzig 1877 S. 133 ff. vorgebrachten Argu-
mente klargelegt hat, daß die Reduktion des Budgettitels für
die Reiterei durch Kleon in das Jahr 427/6 gehóren.
Feldherr ist Kleon nicht gewesen und hat es auch nie-
mals sein wollen, wenn er sich auch zum Strategen wühlen lief.
Die Kriegführung vor Pylos schien ihm schlaff zu sein, er ver-
langte Erfolge von den Feldherrn. Als diese dann den SpieB
umkehrten und ihm ihre Stelle einräumten, ging er auf ihren
Vorschlag ein. Nun kam Energie, die Demosthenes gefehlt zu
haben scheint, in den Krieg. Auch Duncker Nr. 6 hat betont,
daB eigentlich erst durch Kleon die für Athen richtige Krieg-
führung gegen Sparta zur Geltung gekommen sei. ,,Das ist
Kleons Verdienst um die Gefangennahme der Spartaner auf
Sphakteria, sagt Emminger Nr. 91 S. 60, er trieb den etwas
weinseligen Demosthenes zum Angriff, da er seinen Termin ein-
zuhalten hatte". In gleicher Weise energisch zeigt sich dann
Kleon bei dem Zuge nach Thrakien. Auch hier ist es der kühne
Wagemuth, der ihn beseelte. Allerdings war es kühn gewagt,
alles auf einen Wurf zu setzen, aber es geschah nach reiflicher
Ueberlegung. ,,Die Expedition nach Thrakien, sagt Beloch Nr.
93 S. 45, hatte nur in dem Falle einen Sinn, wenn man ent-
schlossen war, den Krieg auf unbestimmte Zeit weiter zu führen.
Das war nun Kleon allerdings; und einen Grund wenigstens
konnte er geltend machen, der für den Augenblick die Fort-
setzung des Krieges empfahl Im nächsten Jahre (421) ging
nämlich der dreißigjährige Friede zwischen Sparta und Argos
zu Ende; und da es von vorn herein feststand, daß Sparta die
argeiischen Forderungen auf Herausgabe der Kynuria zurück-
weisen würde, so hätte Athen dann an Argos einen mächtigen
Verbündeten gefunden. Kleon hatte zu diesem Zweck schon vor
einigen Jahren in Argos Beziehungen angeknüpft; jetzt kam die
Zeit, wo die damals gestreute Saat aufgehen sollte“.
Der ProceB gegen die Mytilenaier, in dem Kleon
eine Rolle spielte, mag gleich hieran angeknüpft werden. Mül-
ler-Strübings Theorie (thukydideische Forschungen. Wien 1881
8. 149 —243) vom blutdürstigen Grammatiker, der hier seine
Arbeit walten ließ, um gegen das athenische Volk schwere Ver-
leumdungen auszusprengen, hat wohl nur bei sehr wenigen 'sach-
kundigen, urtheilsfáhigen und vorurtheilsfreien Gelehrten' Beifall
gefunden. Ich würde auf diese Frage, die schon von L. Herbst
in seinem Jahresbericht über Thukydides Philol. XLH 1883 S.
107 ff. eine eingehende Kritik erfahren hat, nicht nochmals ein-
gehen, wenn nicht in den hier zu behandelnden Jahren die
Frage nicht noch einige Nachblüthen gezeitigt hütte.
Unter den deutschen Gelehrten móchte Holzapfel (Rhein.
134 H. Landwehr,
Mus. Bd. XXXVII 1882 S. 448 ff) wohl ziemlich vereinsamt
dastehen, wenn er Miiller-Striibings Parteigenosse ist. Stahl Nr.
96 hat die Ausführung Holzapfels widerlegt. Allerdings war
der den Lesbiern auferlegte Pachtzins ein geringer gegenüber
dem Bodenwerth in Attika, aber das findet seine Erklürung in
dem Bericht des Thukydides selbst. „Ist nun den Lesbiern
durch Beschluf der Athener gegen einen bestimmten Pachtzins
die Erbpacht zugestanden worden, so hindert nichts anzunehmen,
ja es scheint sogar natürlich, daf die Härte der Konfiskation
durch eine niedrige Bestimmung des Pachtzinses gemildert wor-
den ist. Es liegt nun sehr nahe zu denken, daf es im We-
sentlichen die früheren Eigenthümer oder deren Familien ge-
wesen sind, welche die Erbpacht übernahmen. Damit erledigt
sich auch der Einwand, daff der gesammte Bodenertrag nicht
so hoch und dem gemäß der Pachtzins nicht so niedrig dürfte
gewesen sein, daf der lesbische Pachter sich besser gestanden
habe als der athenische Eigenthümer. Ist nun, sagt Stahl, wie
es wahrscheinlich, zum mindesten aber möglich ist, der Demos
der Mytilenaier von der Konfiskation nicht betroffen und aufer-
dem ein niedriger Pachtzins normiert worden, so erscheint die
ganze Maßregel durchaus nicht mehr so schroff und unbillig,
und das ist es ja auch, was diejenigen, welche an der bezüg-
lichen Stelle des Thukydides AnstoB nehmen, erstreben". Der
Bericht des Thukydides findet ferner seine Bestüstigung durch
Diodor XII 55, 10, dessen Zeugnifi Holzapfel zu erschiittern
nicht gelungen ist.
Einen werthvollen Beitrag zur Beurtheilung der Müller-
Strübingschen Hypothese hat Bauer Nr. 97 geliefert. Müller-
Strübing a. a. O. S. 161 sagt: ,,Kein alter Schriftsteller weder
ein Grieche, noch ein Rómer thut dieser Blutthat Erwühnung".
Bauer hat nun den Nachweis geführt, daß in der That Liba-
nios und Ailios Aristeides den Bericht bei Thukydides so gelesen
haben, wie er jetzt vorliegt. Diese beiden Zeugen genügen um
die Hypothese, welche so viel Aufsehen machte, völlig zu ver-
nichten.
Alkibiades gab dann der Kriegspartei einen neuen
Halt; er war es, der nach dem Friedensschluf wieder energisch
das Einschreiten gegen Sparta und dessen Einfluß verlangte,
weil er eben auf diesem Wege allein in die Hóhe kemmen konnte.
Mit seiner Persónlichkeit hat sich die Forschung der letzten
Jahre verschiedenfach beschäftigt, auch gehórt er zu denjenigen,
die nicht leicht verständlich sind. Doch ‘Rettungen’ für ihn zu
schreiben, móchte als verlorene Liebesmühe gelten.
Ob Alkibiades dem Sokrates seine Erziehung verdankte, muß
nach den Ausführungen, die Philippi Nr. 99 gegeben hat, zweifelhaft
bleiben. Bei seinem ersten politischen Auftreten schloß er sich an
Die Forschung iiber die griechische Geschichte. 135
Hyperbolos an; die Kriegspartei erhielt an ihm eine gewichtige
Stütze. Als nun die Parteigegensütze sich immer mehr schärften
und ein Ostrakismos allein heilsam erscheinen konnte, empfand
Alkibiades sehr wohl, daß gegen ihn die Stimmen der Partei
des Nikias gerichtet sein würden. Um nun nicht für Hyper-
bolos die Kastanien aus dem Feuer zu holen, paktierte er mit
Nikias gegen Hyperbolos. Beloch Nr. 93 S. 339 f. hat auf
Grund von Theopomp fr. 108 den Nachweis geführt, daß dies
Ereigniß in das Frühjahr 417 .gehórt. Fiele es in das Jahr
418, so würe Alkibiades ohne Zweifel unter den Strategen des
Jahres 418/7 zu finden. Den Antheil des Alkibiades an der
sicilischen Expedition hat Fokke Nr. 92 ausführlich behandelt.
Als Programm des Alkibiades bezeichnet Fokke: die Herr-
schaft über Hellas d. h. über ein zuvor durch ihn aus korin-
thisch-thebanischem Partikularismus heraus und durch die freien
Institutionen seiner Vaterstadt über den athenisch-spartanischen
Dualismus herausgehobenes Hellas. Das schwebt aher in glei-
cher Weise, wie die andern daran gereihten Behauptungen Fokkes
in der Luft, ja ist aller Ueberlieferung zuwider. Vor allem ist
Thukydides der Ansicht, da8 dureh Alkibiades der Staat zu
Grunde gerichtet ist Thuk. VI 15, 8: xaJeilev Uoreoor rjv wr
"Adnralwv nov ovx furore. Aber auch der Charakter des Al-
kibiades widerspricht einem derartigen Programm. Als ihm
durch die Wahl zum Feldherrn mit unbeschrünkter Machtvoll-
kommenheit der Volkswille das Heft völlig in die Hand gege-
ben hatte, wagte Alkibiades nicht den einen Schritt. Auch jetzt
fehlte ihm wie vor acht Jahren, als er in einer ühnlichem Lage
sich befand, der Muth, aus der Bahn der Getetzlichkeit heraus-
zutreten und die Kraft zu einem entscheidenden Entschlusse.
Beloch Nr. 93 S. 83.
Die Expedition des Alkibiades nach Sicilien, welche Fokke
in seiner ersten Rettung behandelt, soll nun die natürliche Folge
und Fortsetzung der Eroberungspolitik des Miltiades, Themis-
tokles und Kimon gewesen sein. Sie wire auch gelungen, ,,wenn
man die Führung des Krieges in der Hand des Mannes lief),
der die Seele desselben war, und ihn nicht der unschlüssigen
und schwachen Leitung desjenigen übergab, welcher ihn vom
ersten bis letzten Augenblick nur mit Widerwillen fiihrte“ S. 64.
Aber mit derartigen Faktoren kann die Geschichte nicht rech-
nen. Sie kann bei der Beurtheilung eines Mannes nur das in
Betracht ziehen, was er in der That geleistet. Doch gehen wir
selbst auf die von Fokke gestellte Bedingung ein, nehmen wir
an, Alkibiades hütte in der That den Oberbefehl behalten, haben
wir dann auch weiter Grund zu behaupten, dafi die Expedition
nach Sicilien von Erfolg gewesen wäre, daß mit ihr „eine Po-
sition gewonnen, welche, richtig behauptet, und wenn man kon-
sequent von ihr aus weiter schritt, den Ausgangspunkt zu den
136 H. Landwehr,
hóchsten Hoffnungen bildete". Schon der Gesichtspunkt bietet
Anlaß zu ernsten Erwägungen, ob die Athener recht daran
thaten, während es in Griechenland doch immer noch brodelte,
sich auf auswärtige Unternehmungen einzulassen. Dann schlu-
gen die Athener auch die Mittel der Syrakusaner zu gering an,
sie waren darüber getäuscht.
Die neuste topographische Forschung der Italiener hat sich
auch mit Syrakus *) beschäftigt und hier das Resultat zu Tage
gefördert, daß die thukydideische Schilderung der Belagerung
von Syrakus durch die Athener nur von Jemand geschrieben
sein kann, der mit den Lokalitäten vertraut war. Da das ge-
nannte Werk in Deutschland leicht übersehen werden konnte, so
hat Holm in einem Aufsatze Nr. 98 die hauptsächlichsten Re-
sultate deutschen Lesern bekannt gemacht. Auf das Topogra-
phische im Einzelnen einzugehen, ist hier nicht der Ort. Her-
vorzuheben wire, daß es sich nun herausgestellt hat, daß der
Asinaros in der That der heutige fiume di Noto ist, und daß er
thatsächlich unter den von Thukydides angegebenen Umständen
die Wassermasse haben kann, die ausreicht, um Verwundete und
Leichen fortzuspiilen.
Das Ungliick der sicilischen Expedition fand in Athen
kaum Glauben. Was war nun nach dieser Niederlage zu thun?
Wie konnte der Verlust an Biirgern wieder ersetzt werden? Man
hat auf Grund einer Notiz bei Markellinos vita Thuc. 32—34
eine nach der sicilischen Expedition erlassene Amnestie ange-
nommen. Markellinos berichtet nach Didymos, der es aus Zo-
pyros genommen haben soll, daß die Athener die Rückkehr in
das Vaterland gestatteten roig yuyacı nÀgv twv Meosoigarcdwr
meta 199 hrrav inv &v XixeMa. Die Richtigkeit dieser Angabe
hat neuerdings Stahl Nr. 96 angefochten, indem er auf Thuk.
VIII 70, 1 hinwies. Hier wird nämlich ausdrücklich gesagt:
"À,v Tous qevyortug où xurÿyov TOU Adxıßıddov Erexa, was nach
Stahl nur die Bedeutung haben kann: ,,sie riefen die Verbannten
nicht zuriick, weil sie sonst auch dem Alkibiades die Heimkehr
gestattet hütten". Dies kann nun aber gar keinen Sinn haben,
wenn jemals eine allgemeine Amnestie mit Ausschluß des Alki-
biades erfolgt wire, was doch der Fall gewesen sein miifte,
wenn eine solche nach dem sicilischen Feldzuge erlassen wor-
den würe.
Alkibiades ist der Salaminia nur eine kurze Strecke Weges
gefolgt. Dann zog er es vor, die Flucht zu ergreifen. Er be-
gab sich nach Sparta und ertheilte nun den Feinden Athens
2) Topografia archeologica di Siracusa exeguita per ordine del
Ministerio della Publica Istruzione dai Prof. Cavallari e Holm e dall’
ingegn. Cavallari. Palermo 1888. 4° con un atlante di 15 tavole in
fol. jetzt auch die deutsche Bearbeitung von B. Lupus. Strafburg 1887.
Die Forschung iiber die griechische Geschichte. 137
Rathschläge, wie der Krieg am erfolgreichsten zu führen sei.
Die allgemeine Mifbilligung, welche diese MaBnahme des athe-
nischen Feldherrn bei allen Historikern gefunden hat, sucht
Fokke neuerdings in einer zweiten Rettung des Alkibiades zu
vertheidigen. ‘So lange Vaterland und Moral nicht leere Namen
sind’, hatte Herbst im philol. Anz. XV 1885 S. 30 gesagt, ‘wird
ein derartiges Unternehmen zwecklos sein’. Fokke kann nun
den Alkibiades nur von aller Anschuldigung rein waschen, wenn
es ihm gelingt, daß in Bezug auf die Vaterlandsliebe andere
Anschauungen, als heute geherrscht haben. „Daß ein gewesener
Bürger, den sein Staat für todt erklärt hatte, auch nach Lósung
der früheren Gemeinschaft noch Pflichten gegen jenen zu erfüllen
habe, mag ein Gesetz der modernen christlichen Lebensauffassung
sein, aber es wär kein griechisches". Fokke Nr. 92 II S. 79.
Man fragt unwillkürlich, wem verdankt Fokke diese Kunde. Es
ist ergötzlich, in welcher Weise die Richtigkeit dieses Satzes
verfochten wird. Demaratos, der Exkónig von Lakedaimon,
wird zu einem Tugendspiegel, dessen persische Gefolgschaft al-
lein aus diesem echt griechischen Lebensgrundsatz hervorgegan-
gen sei. Unbekannt scheint es Fokke zu sein, mit wie herben
Ausdrücken diejenigen belegt wurden, welche mit den Barbaren
gemeinschaftliche Sache machten. Kimons Benehmen vor der
Schlacht bei Koronea wird durch das Taschenspielerkunststück :
‘keine Regel ohne Ausnalımen’ hinwegexperimentiert. Doch wenn
man die Anschauungen eines Atheners als Patriot kennen ler-
nen will, so braucht man nur die Rede des Lykurgos gegen
Leokrates zu lesen. Freilich läßt sich aus dieser nicht direkt
die von Fokke aufgestellte Sentenz widerlegen, aber ich meine,
daß wer sich derartig äußerte, kann nicht eine derartige Mei-
nung vertreten, daß der Begriff Vaterland für ihn aufhürte zu
sein, sobald nach seiner Ansicht das Vaterland ihn ungerecht
beurtheilt hatte. "Was sollte denn die Folge einer derartigen
Staatsraison sein? Doch sehen wir uns die Argumente weiter
an, auf denen Fokke fuf. Hauptsächlich stützt er sich auf
diejenigen Worte, welche Alkibiades in Sparta gesprochen haben
soll. Bei Thuk. VI 92, 4 lauten sie: 10 1e gıAonodı o)x dv @ .
adsxotpus Erw, aid’ Er © aopulws énohMrevdmr® ovò dni na-
tofda ovour Er ryovuar vor lévar, noÀo dì mällor thy oùx ovoav
araxra 0a. xui pidonodec ovt0c GOIWS, ovy Og av mv Éavioù
ud(xwg dmoltous un Enln, dii 06 av èx mavtoc r9ómov dia To
imPuusiv n&qa39j avinv avaBudeiv. Das ist doch nichts an-
deres, als Zweck heiligt die Mittel, reinste Jesuitenmoral. Doch
geben wir fiir den Augenblick zu, daf diese Worte des Alki-
biades die antike Anschauung richtig wiedergeben. Hat nun
Alkibiades wirklich gleich von Anfang an danach getrachtet,
das Vaterland wiederzugewinnen? Der Salaminia war vorgeschrie-
ben, Alkibiades so glimpflich als möglich zu behandeln, damit
138 H. Landwehr,
der Erfolg der Expedition dadurch nicht geschidigt wiirde. Es
soll den Anschein gewinnen, als ob man in Athen erwarte, Al-
kibiades würde sich von der schweren Anklage reinigen kónnen.
Aber was thut nun Alkibiades? Bis Thurioi folgt er der Sala-
minia, dann ergreift er die Flucht und weiß nichts besseres zu
thun, als sogleich die Syrakusaner zu benachrichtigen, wie weit
die Bestrebnngen der athenischen Partei in Messana gereift sind
(Thuk. II 74, 1). Die Folge davon ist, daß Messanas Ueber-
tritt zu Athen unmöglich wird. Das war aber für das Gelingen
der Expedition ein schwerer Schlag (Curtius griech. Gesch. II
S. 654). Nun frage ich: was berechtigte den Alkibiades an
seiner Vaterstadt Verrath zu üben? Er wufte ja noch gar nicht,
was man mit ihm für Maßnahmen zu treffen gedachte. Man
mag obige Jesuitenmoral gelten lassen, als er zum Tode verur-
theilt und seiner Güter beraubt war, aber jetzt konnte er doch
nicht hoffen, auf so frivole Art sein Vaterland wiederzugewinnen.
Vielmehr mufite er gerade durch diesen Akt seinen Feinden
Material gegen ihn in die Hände liefern. Eine Rettung des
Alkibiades muß demnach zurückgewiesen werden.
Der Arginusenproceß hat von den Ereignissen der
letzten Periode des Krieges die Forschung verschiedenfach be-
beschäftigt. Beloch Nr. 93 S. 87 meint, daß darin ein politi-
sches Motiv zu suchen sei, daß den Trierarchen Theramenes und
Thrasybulos der Befehl gegeben sei, die Rettung der Schiff-
brüchigen zu versuchen. ,,Es war doch, schreibt er, gar zu ver-
lockend, sich selbst von jeder Verantwortlichkeit zu reinigen,
und zugleich diese Verantwortlichkeit den politischen Gegnern
zuzuschieben. Nur unter dieser Voraussetzung ist es überhaupt
zu verstehen, wie die Strategen dazu kamen, eine so wichtige
Aufgabe zwei Subalternoffizieren anznvertrauen, denen schon die
nôthige Autorität nicht zu Gebote stand, die Mannschaften zu
dem geführlichen Rettungswerke zu zwingen". Hidromenos Nr.
101, der sich auch mit dieser Frage beschäftigt hat, halt es
nun für unmöglich, bei dem nach der Schlacht sich erhebenden
Nordweststurm eine Rettung durchzuführen. Doch geht er noch
weiter, indem er nachweisen will, daß die gesammte Forschung
betreffs der den athenischen Feldherrn gemachten Vorwürfe sich
bisher in einem schweren Irrthum befunden habe. Bei dem Pro-
ce soll es sich nach seiner Auffassung gar nicht um eine An-
klage wegen unterlassener Rettung der Schiffbrüchigen gehandelt
haben, sondern ausschließlich um den Vorwurf, daß die Bergung
und Bestattung der Leichen der gefallenen und ertrunkenen
Athener von den Feldherrn versäumt worden sei. Er beruft
sich mit Recht auf den Bericht des Diodor XIII 99—103, der
nur von einer unterlassenen ar«fosmg 10v vexowr Kunde giebt.
Aber auch Xenophon Hell. I 7, 6 hat nach Hidromenos nichts
von der versiumten Rettung Schiffbrüchiger gewuBt, weil auch
Die Forschung iiber die griechische Geschichte. 139
nach seinem Bericht gegen die Feldherrn nur die Anklage er-
hoben wurde, om oùx drsfAorto rovG rıryoarıac,;, der Ausdruck
avatgetodus werde aber wie «reAxvsır durchweg von den Todten,
nicht von Lebenden gebraucht, und deshalb sei es gewagt, bei
dem genauen Xenophon einen anderen Gebrauch des Wortes,
etwa im Sinne von drucwlerr anzunehmen. Aber dieser Auffas-
sung widerspricht Xen. a. a. O. I 7, 11, wo angegeben wird,
einem, der sich in einem Gefäß gerettet habe, sei von den Ster-
benden aufgetragen, &iv 0w37, arayysilus TO Onuw on où cIgu-
thyvi ovx dvreldovto toùs aglorous unig rc mutyldog yevoukrovg.
Die Chronologie der letzten zehn Jahre des Krieges hat
Beloch Nr. 95 einer eingehenden Untersuchung unterzogen. Be-
ziiglich der chronologischen Ordnung der Ereignisse haben sich
zwei Richtungen geltend gemacht. Die eine, deren Verfechter
Dodwell ist, setzt die Expedition des Thrasyllos nach Ionien in
das Jahr 409 und die Riickkehr des Alkibiades 407, die an-
dere, welche die in Deutschland allgemein verbreitete ist, setzt
das erstere EreigniB 410 an, das zweite in den Sommer 408.
Beloch sucht nun Dodwells Ansatz durch neue Griinde zu ver-
theidigen. Ein noch nicht beachtetes Hiilfsmittel sind ihm die
Nauarchen, deren Amtsantritt er jetzt in den Sommer verlegen
zu müssen glaubt. Als feststehendes Ereigni8 hat nun die
Schlacht bei Kyzikos zu gelten, die sich in die zweite Hälfte
von 411/10 gehört. „Wenn Mindaros, sagt Beloch Nr. 95 S.
276, etwa Anfang Miürz die Operationen begann, so kann die
Schlacht bei Kyzikos allerfrühestens im April, wahrscheinlich
erst im Mai geschlagen worden sein. Darauf folgen die Frie-
densunterhandlungen in Athen, der Angriff des Agis, die Aus-
rüstung der Flotte des Thrasyllos, mit der dieser toyouérov 108
Jévoug nach Tonien abgeht. Da die Operationen bis zu dem
Einfall in Lydien schwerlich mehr als etwa vierzehn Tage ge-
füllt haben können, dieser Einfall aber «xu«Lorroc rov ofıov
statt hatte, d. h. Ende Mai oder Anfang Juni, so wird Thra-
syllos Abfahrt etwa auf Mitte Mai angesetzt werden müssen".
Früher konnte sie jedenfalls nicht stattfinden, da der Flottenbau
Zeit in Anspruch nahm. Beim Angriffe des Agis kann Thra-
syllos nur in seiner Eigenschaft als Stratege den Befehl führen,
also muß seine Wahl vorausgegangen sein. Hierzu noch ein
Weiteres. Nach der Schlacht bei Kyzikos führt Pharnabazos
die syrakusanischen Mannschaften nach Antandros, um Schiffe
zu bauen. 20 Trieren sind beendigt, als Thrasyllos ankam.
Ferner hat des Hermokrates Nachfolger in der Strategie schon
vor der Schlacht bei Ephesos den Befehl (Xen. Hell. I 1, 31).
Von Bedeutung ist dann, daß Dionysios Hal. hypoth. z. Lys.
gg. Diogeiton die Abfahrt des Thrasyllos unter das Archontat
des Glaukipp also 410/9 setzt. Wenn also Thrasyllos im Mai
409 von Athen abfuhr, mit Alkibiades vereinigt den folgenden
140 H. Landwehr,
Winter 409/8 in Lampsakos zubrachte, so haben die Operationen
gegen Kalchedon und Byzanz das Jahr 408 vom Beginn des
Friihjahres bis zum Spätherbst ausgefiillt und Alkibiades’ Rück-
kehr gehört in den Sommer 407.
Es kommt dann weiter darauf an, die Schlacht bei den.
Arginusen festzulegen. Was unsere Ueberlieferung namentlich
bei Xenophon bietet, kann nicht als fester Anhalt gelten. Es
miissen hier also Kombinationen entscheiden. Beloch stellt fol-
gende an: „Die Belagerung von Mytilene hat etwa 1'/s Monat
in Anspruch genommen; denn Konon brauchte fiinf Tage, bis es
ihm gelang, eine Triere durch die Blokadeflotte durchbrechen zu
lassen; in weiteren drei Tagen konnte die Nachricht von den
Vorfillen auf Lesbos in Athen sein. Dreibig Tage dauerte die
Ausrüstung der Flotte; auf die Fahrt nach Samos und Mytilene
sind hôchstens acht Tage zu rechnen, da ja eben alles darauf
ankam, Konon so rasch wie möglich Hilfe zu bringen. Das er-
giebt 46 Tage. Nun wissen wir allerdings nicht, ob Konon
gleich nach Beginn der EinschlieBung Anstalt getroffen hat, nach
Athen um Hiilfe zu schicken; es liegt aber in der Natur der
Sache, daß er nicht unnützer Weise die Zeit vergehen ließ“,
Fiir die Riickkehr des Alkibiades 407 bietet auch die Nauar-
chenliste einen Anhalt. Lysanders erste Nauarchie, die der des
Kallikratides unmittelbar vorausging, war 407/6, und im glei-
chen Jahre war Alkibiades Stratege. Demnach kann er nur im
Thargelion 408/7 nach Athen zuriickgekehrt sein, und die
Schlacht bei Notion muß dann ebenfalls wie seine Nichtwieder-
wahl im Frühjahr 407 erfolgt sein.
Es wird am einfachsten sein, um Belochs Resultate klar zu
legen, die von ihm selbst zusammengestellte chronologische Ueber-
sicht der letzten zehn Jahre hier zum Abdruck gelangen zu
lassen.
410. April, Mai: Schlacht bei Kyzikos,
Mai, Juni: Friedensunterhandlung in Athen.
Angriff des Agis auf Athen.
Bewilligung der Flotte für Thrasybul.
409. Mai: Abfahrt des Thrasybul nach Ionien.
Juni: Schlacht bei Ephesos.
Beginn der Belagerung von Pylos.
Niederlage der Syrakusaner bei Methymna.
Entsatzversuch des Anytos.
Einnahme von Pylos.
Winterquartiere der Athener in Lampsakos
408. März, April: Beginn der Belagerung van Kalchedon.
Mai: Landung der Karthager in Sikilien,
Fall von Selinus.
Riickberufung der syrakusanischen Flotte.
Die Forschung iiber die griechische Geschichte. 141
Juni: Kapitulation von Kalchedon und Waffenstillstand
mit Pharnabazos.
Juli: Fall von Himera.
Belagerung von Byzanz.
Abgang der Gesandtschaft zum Kénig.
September: Hermokrates in Sikilien.
Oktober / November: Fall von Byzanz
attische Gesandtschaft in Gordion.
407. April: Alkibiades Wahl zum Strategen.
Juni: Alkibiades Riickkehr. .
Juli: Kyros Ankunft in Sardes.
Syrakusanische Gesandtschaft nach Karthago.
Oktober: Alkibiades in Ionien.
406. Miürz: Schlacht bei Notion.
April: Strategenwahl.
Mai: Beginn der Belagerung von Akragas.
August: Kümpfe auf Lesbos.
September: Schlacht bei den Arginusen.
Oktober: Feldherrenproceß.
Dezember: Fall von Akragas.
405. Januar: Beginn der Tyrannis des Dionysios.
Juni, Juli: Lysander in Ionien.
Kyros' Reise nach Persien.
August / September: Schlacht bei Aigospotamoi.
September: Schlacht bei Gela.
Oktober: Frieden in Sizilien.
404. April: Athen capituliert.
Juni: Samos capituliert, Einsetzung der DreiBig.
Juli / August: Lysanders Rückkehr nach Sparta.
Die Zeit des nationalen Niederganges.
102. Hoeck, zur Geschichte des zweiten athenischen Bun-
des: Jahrb. f. class. Philol. Bd. 127. 1883. S. 515—522.
103. Reuf, zu Xenophons Anabasis: Jahrb. f. class. Philol.
Bd. 127. 1883. S. 817 - 831.
104. Frünkel, zur Geschichte der attischen Finanzverwal-
tung: hist. und philol. Aufsätze E. Curtius zu s. 70. Geburtst.
Berlin, Ascher & Co. 1884. S. 35—49.
105. von Stein, Geschichte der spartanischen und thebani-
schen Hegemonie vom Kénigsfrieden bis zur Schlacht bei Man-
tinea. Dorpat, Diss. 1884. S. 248.
142 H. Landwehr,
106. Mangelsdorff, zu Xenophons Bericht tiber die Schlacht
bei Kunaxa. Karlsruhe. Pgr. 1884. 8. 23.
107. Seibt, Beurtheilung der Politik, welche die Athener
wührend des thebanisch -spartanischen Krieges befolgt haben.
Kassel, Pgr. 1885. S. 22.
108. Bla, die sozialen Zustände Athens im vierten Jahr-
hundert. Festrede. Kiel 1885.
109. Beloch, das Volksvermögen Athens: Hermes Bd. XX.
1885. 8. 237—261.
110. Baran, zur Chronologie des euboeischen Krieges in
Wiener Studien VII. 1885. S. 190—231.
111. Bünger, zu Xenophons Anabasis in Jahrb. f. class.
Philol. Bd. 131. 1885.
112—114. Schaefer, Demosthenes und seine Zeit. Zweite
revidierte Ausgabe. Leigzig, B. G. Teubner 1886. 1887. Vel.
Philo. Anz. XVII. 1887. S. 170—173.
115. Egelhaaf, die Schlacht bei Chaeronea i. Analekten
zur Geschichte. Stuttgart, W. Kohlhammer 1886. S. 45— 63.
S. 262-- 63.
Leider besitzen wir darüber keine genaue KenntniB, wie
Griechenland und vornehmlich Athen unter den Folgen des pe-
loponnesischen Krieges gelitten hat. Blaß Nr. 108 hat bei Ge-
legenheit der Feier des Kaisers Geburtstages die sozialen Zu-
stinde Athens im vierten Jahrhundert erörtert. Aber leider hat
es der Charakter der Festrede. verboten, die vorgetragenen Re-
sultate wissenschaftlich zu begründen. Immerhin wird aber eine
derartige Skizze aus solehem Munde nicht ohne Beachtung blei-
ben. Indem der Ausspruch des Sokrates bei Plato: ,,ich habe
mir sagen lassen, daß Perikles die Athener faul, feige, schwatz-
haft und geldgierig gemacht habe, indem er zuerst die Sold-
zahlung einführte", zur Grundlage genommen wird, gelangt das
Werden der damaligen Zustünde in Athen zur Erórterung. Es
verlohnte sich der Mühe einmal genau den Plato darauf hin
durchzulesen, was er über die soziale Lage seiner Zeit einflicht.
Ein anderer seiner Ausspriiche ist nicht minder bedeutend: er
verglich Attika mit einem Kórper, der durch lange Krankheit
bis auf die Knochen abgezehrt ist. Beide Aussprüche führen
uns mitten hinein in die Denkungsart der damaligen Athener.
Der Krieg hatte Athen an den Rand des Verderbens gebracht.
Verantwortlieh für die dadurch geschaffene Nothlage machte man
den Perikles, aber nieht deshalb weil er etwa den Krieg begon-
nen hatte, sondern weil er den Athenern die Kraft der Energie
durch sein Besoldungswesen gebrochen hatte. Es war durch ihn,
wie schon oben gesagt wurde, jenes verwerfliche System zum
Die Forschung über die griechische Geschichte. 143
Durchbruch gekommen, das jedes Bürgers Dienstleistung entschä-
digte. So erwarben sich denn viele dadurch ihren Lebensunter-
halt, daf sie einfach ihrer Biirgerpflicht genügten. Der freie
Athener arbeitete wenig. Für die Bedürfnisse des täglichen Le-
bens sorgten fast durchweg die Metoiken. Freilich zu Solons
Zeiten war ihnen der Zutritt zum Markt nicht gestattet gewesen.
Aber als man erst dahinter kam, daß aus ihrem Zutritt eine
Einnahme für die Staatskasse zu ziehen war, ging man gern
darauf ein.
Allerdings erkannten die Besseren unter den Bürgern, daß
durch das immer größer werdende Vordringen der Metoiken die
sozialen Verhältnisse nicht gebessert wurden. Zwei Versuche
der Sozialreform des vierten Jahrhunderts sind uns näher be-
kannt. In den einen Gedankenkreis gehören Xenophons nooo:,
die den Staatssozialismus predigen, in den anderen des Demo-
sthenes Reformen. Er stellte den Grundsatz auf: Wer vom
Staate etwas haben will, soll dafür auch etwas leisten.
Eine genauere Angabe über den Wohlstand Athens besitzen
wir über die Zeit des Nausinikos (378/7). Nach Polyb. II 62, 6
hatte das ifunuu in Attika eine Höhe von 5750 Talenten.
Boeckh hat nun die Hypothese aufgestellt, das Timema ent-
spreche nicht dem gesammten eingeschätzten Vermögen, sondern
nur einem größeren oder geringeren Bruchtheil desselben. Be-
loch Nr. 109 hat nun zu beweisen gesucht, daß diese Angabe
in der That das Volksvermögen Attikas repräsentiere. Er un-
terzieht Boeckhs Ansatz von 20000 Talenten Volksvermögen einer
eingehenden Kritik, und es gelingt ihm in der That nachzu-
weisen, daß Boeckhs Schätzungen zu hoch sind. Für zwei Po-
sten der Rechnung muß es gegenwärtig jeder zugestehen: die
Sklaven und das Grundeigentum. Beide aber sind die be-
trächtlichsten. Seit Boeckh hat man die Richtigkeit der von
Athenaios überlieferte Sklavenzahl Attikas 400000 allgemein an-
genommen. Beloch Nr. 86 S. 87 ff. hat aber nachgewiesen, daß
für eine derartige Sklavenzahl kein Raum in Attika vorhanden
ist. Dann verbietet auch die Höhe der Getreideproduktion in
Attika eine derartige Annahme. Auch die Angaben über das
Vermögen der Bürger z. B. daß am Ende des vierten Jahrhun-
derts von 21000 Bürgern 12000 unter 2000 Drachmen besaßen,
steht nicht damit in Einklang. Beloch nimmt demnach eine viel
geringere Zalıl an und vermuthet, daß bei Athenaios ein Schreib-
fehler vorliege, etwa 40000 Sklaven. Zur Zeit des peloponnesi-
schen Krieges ist die Zahl beträchtlich höher gewesen, etwa bis
100000. Für die Werthschätzung des attischen Bodens ist kürz-
lich durch Foucart (bulletin de correspondance hellénique VIII
1884. S. 194 ff.) eine Inschrift bekannt geworden, die genaue
Angaben über die Gesammtproduktion Attikas an Getreide giebt.
Dieselbe belief sich auf 400000 Medimnen. Das ist nun bedeu-
144 H. Landwehr,
tend niedriger, als Boeckh angenommen hat, und damit wird man
naturgemäß den Werth des Ackers geringer berechnen. Mit
Foucart hier eine MiBernte anzunehmen, ist nicht gerechtfertigt.
Die Theurung, welche 329/8 in Attika herrschte, war nicht
durch den Ertrag des eigenen Landes, sondern durch die Korn-
spekulationen des Kleomenes von Naukratis veranlait. Den
Werth für das gesammte Grundeigenthum Attikas schlägt Beloch
auf 4000 Talente an. Den Werth der Sklaven berechnet er zu
1500 -- 2000 Talenten. Insgesammt schützt er das Volksvermö-
gen auf 6500—7000 Talente, denn auch die Gebäude hat Boeckh
zu hoch veranschlagt. Daf bei Polybios sich eine geringere An-
gabe findet, liegt darin, daß es einer Steuerbehórde nie gelingt,
den gesammten Vermögensbestand zur Besteuerung heranzuziehen.
Der unter Nausinikos festgesetzte Kataster hat sich aber lange
Jahre hindurch erhalten. Ueber die Vertheilung des Volksver-
mögens unter die verschiedenen Klassen der Bevölkerung stellt
Beloch folgendes auf. „Im Jahre 3822/1, als Antipatros seine
Besatzung nach Munichia legte, gab es unter 21000 athenischen
Bürger 12000, deren Vermógen geringer als 2000 Drachmen
geschützt war. Bei der geringen Kaufkraft des Geldes in der
ersten Hälfte des vierten und dem fünften Jahrhundert mufte
die Zahl der Bürger dieser Vermögensklasse damals noch größer
sein, und in der That gehórte am Anfang des peloponnesischen
Krieges von etwa 30000 Bürgern ungeführ die Hülfte zur Klasse
der Theten, hatte also ein Vermógen von weniger als 10 Minen.
Von den wohlhabenden Bürgern waren die 1200 reichsten we-
nigstens seit Nausinikos, vielleicht schon vorher, zur Leistung
von Leiturgien verpflichtet; und von diesen wieder die 300
reichsten zum Steuervorschuf im Falle der Ausschreibung einer
elspoga. Für die Zeit kurz nach Nausinikos erfahren wir, daß
von einem Vermögen von 46 Minen keine Leiturgien geleistet
zu werden brauchten, wührend ein Besitz von 83 Minen aller-
dings zur Uebernahme der Gymnasiarchie verpflichtete. Es wird
also in dieser Zeit ein Vermógen von etwa 1 Talent erforderlich
gewesen sein, um unter die 1200 aufgenommen zu werden".
Die Finanzverwaltung in Athen wurde im vierten Jahr-
hundert eine andere. Kenntniß geben davon die Inschriften.
Auf die Schatzmeister der Góttin ging die Kompetenz der frü-
heren Hellenotamien über; auler ihrem heiligen Schatze unter-
steht ihnen jetzt auch der profane Staatsschatz. Kohler (Mit-
theil. d. d. arch. Inst. V S. 280 f) hat das Verhältniß der
Kassen folgendermaßen dargelegt. Als Hauptkassenbehörde er-
scheint der Kriegsschatzmeister, der dem Schatze Gelder zuführt
und von dort bezieht. Der Geschäftsgang war so, „daß die für
die laufenden Ausgaben nicht benöthigten Staatsgelder in die
Kasse des Kriegsschatzmeisters flossen, der daraus auf Anwei-
sung des Rathes und Volkes zunächst die für Kriegszwecke,
Die Forschung tiber die griechische Geschichte. 145
dann aber überhaupt für außerordentliche und einmalige Aus-
gaben erforderlichen Zahlungen leistete und die verbleibenden
Bestände an den Schatz, in Zeiten, in denen ein solcher exi-
stierte, abfiihrte“. „Die Verwaltung des Schatzes haben nach
Ausweis der Inschrift, wie im 5. Jahrhundert die Schatzmeister
der Göttin“. Gegen eine derartige centrale Stellung des Kriegs-
schatzmeisters hat Fränkel Nr. 104 Widerspruch erhoben. Ueber
die Thätigkeit der Kriegsschatzmeister hat uns erst die in neu-
ster Zeit bekannt gewordene große Zahl der Inschriften belehrt.
Danach ist seine Thätigkeit meist eine sehr unkriegerische.
Die Kriegskasse war wohl zunächst fiir Kriegszwecke vorhanden,
aber wenn aus derselben auch andere Ausgaben bestritten wer-
den, so ist anzunehmen, daß das Volk und der Rath schon bei
der Griindung der Kasse sich das Recht vorbehielten oder später
es usurpierten, die fiir den ersten Zweck der Kasse nicht ver-
ausgabten Gelder zu beliebig anderweitiger Verwendung anzu-
weisen. Betreffs der Frage, aus welchen Quellen die Einnahmen
der Kriegskasse flossen, schließt sich Frankel an Boeckh an,
daB für sie die Ueberschüsse der Verwaltung und die Erträge
der auferordentlichen Vermógenssteuern bestimmt waren. Zur
Zeit des Dekrets zu Ehren der Sóhne Leukons wurde eine re-
gelmäßige Einkommensteuer angeordnet, „um die Kriegskasse
von dem schwankenden und unsicheren Ertrage der Ueberschüsse
und von der ad hoc anzurufenden Geneigtheit der Bürger zu
einer Ausschreibung zu emancipieren und ihr einen stabilen
Fond zu sichern^. Hiernach gehórt die erste Einsetzung eines
Kriegsschatzmeisters in das Jahr 347. Auch die damaligen
Zeitumstünde machen eine derartige Annahme hóchst glaubwür-
dig. Die selbständige Organisation und Dotierung der Kriegs-
kasse faBt Frünkel so auf, daß es Demosthenes damals gelang,
die Hülfte seines Programmes durchzusetzen. Die Einkommen-
steuer bestand bis 323. ,So ist die Zeit dieser Steuer im We-
sentlichen die von Demosthenes politischer Wirksamkeit".
Die Einwirkungen des peloponnesischen Krieges auf Sparta
sind uns nicht bekannt. Jedenfalls lassen sie sich aus der Ge-
sammtlage Griechenlands erschließen. Es ist ein bedenkliches
Symptom, daß in dem dem großen Kriege folgenden Jahrhun-
dert das persische Geld nach Griechenland gezogen’ wird. Schon
zur Zeit des peloponnesischen Krieges war Persien wieder her-
vorgetreten und hatte den Geschicken Griechenlands ein leb-
haftes Interesse gewidmet. Sparta hatte die Unterstützung der
kleinasiatischen Satrapen gefunden. Den Dank für diese Un-
terstiitzung verlangte der jiingere Kyros bei seinem Revolutions-
versuche. Die Schlacht bei Kunaxa, welche diesen Kampf
endgültig entschied, ist immer ein von den Gelehrten bevor-
zugtes Forschungsfeld. Mangelsdorfs Untersuchung Nr. 106
kommt zu folgenden Resultaten. Der Konig zieht aus dem La-
Philologus. N.F. Bd.I, 1. 10
146 H. Landwehr,
ger der Griechen zunächst in der Richtung nach der Gegend,
wo beim Beginn der Schlacht sein Centrum gestanden hatte;
dann steuert er plôtzlich gerade auf den linken Flügel der Grie-
chen zu. Gegen die ihnen dadurch drohende Gefahr wollen sich
diese nun durch ein énxuumor sichern. Dies geplante avarivo-
cv 10 xégag, betreffs dessen die Ansichten am meisten ausein-
andergehen, erklärt Mangelsdorf so, „daß der Flügel (ró evw -
yuuov xígac) soweit zurückgenommen wurde, daß er zu der Linie,
auf welcher er ursprünglich stand, einen Winkel bildete, der
90° jedenfalls nicht tiberschritt, wahrscheinlieh aber kleiner war,
also etwa unserer heutigen Defensivflanke verglichen werden
dürfte“. Dieses mx«umor wurde jedoch nur geplant, nicht
wirklich ausgeführt; zwar sagt Xenophon I 10, 9 édoxes uvroîs
dvanıvooev xiÀ., doch gleich weiter heißt es 3» @ dè rudi
èBovAsvorto xai dì Buorevg oe ee xuréotnoay ard. Also ehe
die Berathung der Griechen beendigt ist, stellt der Kénig seine
Truppen ihnen gegentiber auf, und infolgedessen nehmen die Hel-
lenen gar keine Veränderung an ihrer Aufstellung vor, sondern
greifen an, schlagen die Feinde in die Flucht und verfolgen sie,
wahrscheinlich bis Kunaxa. Diese Nichtausfiihrung des ge-
planten dvantoouv 7. x. haben bereits Halbkart, Krüger und
Köchly behauptet. Die Worte $ 10: nugupelBeotus slg 10 adiò
oyjuc« erklärt Mangelsdorf: umwandeln in dieselbe Formation
und woneg bezieht er mit Krüger auf 10 „vw. Der König
machte demnach das von den Griechen geplante dvantvocey r.
x. nicht nach, sondern ,,wandelte seine Phalanx in dieselbe For-
mation um, in der er das erste Mal zum Kampfe mit den Grie-
chen zusammengestofen war und stellte sich ihnen gegen-
über auf".
Noch zwei andere Erklürungsversuche des avanıvoosr To
xéouç sind unternommen. Reuß Nr. 103 glaubt, daß es von der
Verlüngerung der Front dureh Déploiement gesagt sei. Biinger
Nr. 111 dagegen wil zu der Erklärung Kühners 'zurückfalten,
zurücknehmen^ zurückkehren.
Die Chronologiedes korinthischen Krieges leidet
an vielfachen Unsicherheiten. Unumstreitbar sind die Schlachten
bei Knidos und bei Koroneia; die Gewühr bieten hier astronomische
Daten. Ebenso kann jetzt kein Zweifel mehr darüber sein, daß
der Frieden des Antalkidas in das Frühjahr 386 gehórt vgl.
Mittheil. d. d arch. Inst. in Athen VII 1882 S. 174 ff. 312 ff.
Beloch Nr. 94 S. 346 ff. hat nun versucht auch hier an der
Hand der Nauarchenliste wenigstens die Ereignisse des Seekrieges
zu ordnen. Die jährlich wechselnden Nauarchen sind seit 393
Podanemos, Teleutias, Ekdikos, Teleutias, Hierax, Antalkidas,
Teleutias. Im Anschluß an diese Liste wird Konons Thitigkeit
fiir die Neuschépfung der attischen Seemacht in das Jahr 393
und Anfang 392 verwiesen. Thibrons Niederlage durch Struthas
Die Forschung iiber die griechische Geschichte. 147
gehórt in die ersten Sommermonate 391. Thrasybul ging 389
in See nach Thrakien, blieb den Winter über auf Lesbos und
unternahm in den ersten Sommermonaten 388 eine Fahrt nach
Rhodos und Aspendos. | |
Die Zeit vom Kénigsfrieden bis zur Schlacht bei Mantinea
hat v. Stein Nr. 105 in einer eingehenden Monographie behandelt.
Das hauptsächlichste Verdienst derselben ist, daB er den Bericht
des Xenophon wieder zu Ehren gebracht hat, und das mit Recht.
Denn man muß sich darüber wundern, weshalb eigentlich Diodor
und Plutarch von den Geschichtsschreibern vielfach den Vorzug
erhalten haben. Und doch bietet Xenophon die Ereignisse in
einer durchaus ansprechenden Weise. Es läßt sich nicht leug-
nen, daß der Bericht über die Einnahme der Kadmeia durch
Phoibidas jedenfalls auf die in Sparta offiziell verbreitete Dar-
stellung zurückgeht. Hiernach hat Phoibidas den Handstreich
lediglich auf Anstiften der Oligarchenpartei in Theben unter-
nommen. Sie veranlafit Phoibidas dazu, weil es ihr immer noch
nicht gelungen war, die Herrschaft in ihre Hinde zu bringen.
Wenn dann aber Stein Nr. 105 S. 38 annimmt, daß Phoibidas
seines Kommandos entsetzt und zu einer unerschwinglichen Geld-
strafe verurtheilt sei, so kann ich dem nicht beistimmen. Denn
selbst abgesehen davon, daf Xenophon nichts davon zu be-
richten weiß, so widerspricht dem auch der Umstand, daß kurz
darauf Phoibidas die Stelle eines spartanischen Harmosten in
Boiotien inne hat, und es kann nur als eine verwegene Aus-
flucht angesehen werden, wenn man auf die Vermuthung kommt,
daß die Strafe eben wegen ihrer Unerschwinglichkeit niederge-
schlagen sei.
Auch Xenophons Bericht über die Befreiung Thebens be-
ruht durchweg auf authentischen Quellen ; man sieht, daß Xe-
nophon Erkundigungen bei beiden Parteien und zwar ausnahms-
los bei Augenzeugen einzog.
Mit Recht tritt v. Stein der Auffassung entgegen, daß die
Politik des Epaminondas eine panhellenische gewesen sei. Wie
aber konnte sich Theben zu einem derartigen Ideal aufschwin-
gen! Die geschichtliche Vergangenheit der Stadt hatte mehr
als eine Schmach. Hier allein hatten die Perser hülfreiche
Hand gefunden, um die griechische Freiheit in barbarische
Knechtschaft zu verwandeln. Dazu finden sich in den Berichten
der Quellen weder Anhaltspunkte für eine Idealitàt der theba-
nischen Politik, noch sprechen die Thatsachen für eine derar-
tige Hochherzigkeit der Thebaner. Das Ziel des Epaminondas
war ein anderes. Er war voll und ganz vom Partikularismus
beherrscht. Die Thebaner hatten den Krieg mit Sparta zu-
nüchst nur deshalb unternommen, um die eigene Selbstündigkeit
wiederzugewinnen. Als sich dann Erfolg auf Erfolg an die
Waffen der Thebaner knüpfte, erweiterten sie ihr Programm bis
10*
148 H. Landwehr,
zu dem Endziel: der Hegemonie Boiotiens über ganz Griechen-
“land. Zwar hat es Epaminondas verstanden, Sparta matt zu
setzen, aber es ist ihm nicht gelungen, eine neue politische
Grundlage zu schaffen. Das Emporkommen Thebens beruht auf
einer tief begründeten starken Reaktion gegen die spartanische
Hegemonie; die Krüfte Thebens hat Epaminondas vielfach über-
schützt. Wenn er seine Vaterstadt auch zur Beherrscherin des
Meeres machen wollte, so erinnert das an die Mafinahmen mo-
derner Gründer, die eine gewagte Spekulation durch eine noch
gewagtere zu ersetzen suchen. Niemals wird ein schwerfälliges
Landvolk, wie die Thebaner, zu einem See- und Handeltreiben-
den gemacht werden kónnen. Allerdings mufì das insofern Ein-
schrinkung erfahren, daB Epaminondas nicht daran gedacht hat,
überseeischen Handel zu gewinnen. Plut. Pelop. 14 darf hier-
für nicht als Beleg dienen. Epaminondas gebot über die Ge-
schicke der Griechen, eben weil er die Erfordernisse seiner Zeit
erkannte.
Die Politik der Athener wührend dieser Zeit hat Seibt Nr.
107 in einem Programm behandelt, doch kann die Arbeit kei-
nen Anspruch auf eigene wissenschaftliche Resultate erheben.
Aus der Geschichte Athens hat der ProceB des Timotheus zwie-
fache Behandlung erfahren, allerdings in kurzen Notizen. Be-
loch Nr. 94 S. 361 spricht sich gegen eine Vermengung der Be-
richte des Diodor und Xenophon aus und gegen die Annahme
einer zweimaligen Amtsentsetzung des 'limotheos innerhalb we-
niger Monate. Stein Nr. 105 8. 116 meint dann, daß bei dem
Proceß Manches für Timotheos Kompromittierende sich heraus-
gestellt habe, sonst wäre er nach seiner Freisprechung nicht
Jahre lang ins Ausland gegangen und hätte bei den Persern
Dienst angenommen.
Die Politik des Demosthenes hat Beloch Nr. 94
einer erneuten Untersuchung unterzogen. Er hofft dabei von
den Einseitigkeiten der Groteschen Schule, wie der Verehrer
des Demosthenes sich freigehalten zu haben. Schon andernorts
habe ich das eingehend bestritten vgl. Philol. Anz. XV 1885
S. 182. 556 f. In gleicher Weise hat Péhlmann in der hist.
Zeitschr. Bd. 54 1885 S. 79 ff. gegen Belochs Verfahren Pro-
test erhoben. Die Methode, welche Beloch hier befolgt, ist die
gleiche, nach der auch sonst verfahren wird. Die eine Persón-
lichkeit wird auf Kosten der anderen herabgesetzt. Dem Ai-
schines wird Weihrauch gestreut. Man lese nur die Charak-
teristik, die von diesem S. 181 f. entworfen wird. „Schon Ari-
stophon wufte die Talente des jungen Beamten zu schätzen und
zu verwenden, aber erst als Eubulos an die Spitze des Staates
getreten war, fand Aischines sich an seinem richtigen Platz.
Das Zeug zu einem großen Staatsmanne hatte er nicht; er war
eine zu friedfertige Natur, und es fehlte ihm jene Lei-
Die Forschung über die griechische Geschichte. 149
denschaft, die allein im Stande ist, die Massen zu entflammen
und mit sich fortzureißen. Aber seine feine Bildung, sein voll-
tinendes Organ, seine glänzende oratorische Begabung befähigten
ihn in hervorragender Weise dazu in einem freien Staate wie
Athen eine politische Rolle zu spielen. Mit Eubulos verband
ihn die Gemeinsamkeit der politischen Ziele; das vulgäre De-
magogenthum war seiner vornehmen Natur verhaßt, und er hat
nie zu denen gehört, deren Patriotismus an den Grenzen von
Attika endete. Die Neugestaltung der Dinge in Hellas, wie
Philippos und Alexandros sie durchfiihrten, hat in ihm einen
der eifrigsten Förderer gehabt; und das Schicksal ist ihm denn
auch nicht erspart worden, von der sogen. Patriotenpartei als
Verräther ‘verschrieen zu werden. Aber aller Schmutz, mit dem
ihn seine Gegner beworfen haben, hat auf die Reinheit seines
Charakters keinen Makel zu heften vermocht; fiir den wenig-
stens, der zu unterscheiden weiß zwischen leeren Schmähungen
und juristisch begründeten Beweisen. Giebt es ein besseres
Zeugniß dafür, als daß Aischines, so viel persönliche Feinde er
hatte und in einer Stadt, die von Sykophanten wimmelte, wäh-
rend seiner ganzen politischen Laufbahn nur einmal angeklagt
ist, und daß dieses eine Mal das Gericht ihn freisprach, trotz-
dem der erste Redner und populärste Mann Athens die Anklage
führte ? Aber Beloch dachte wohl in dem Augenblicke, wo er
die zuletzt angeführten Worte schrieb, nicht daran, daß er im
weiteren Verlauf seiner Darstellung S. 211 zugestehen mußte,
daß der Sieg des Aischines in dem Gesandtschaftsprocesse nur
ein trügerischer war. „Es hing nur an einem Haare, und Ai-
schines wäre verurtheilt worden“. Die großen Debatten, welche
zwischen Aischines und Demosthenes geführt wurden, lassen
sich am besten aus der Politik unserer Tage verstehen. Wir
haben es ja auch jetzt gesehen, wie der politische Gegner der
Lüge geziehen, und wie dann vor den Schranken des Ge-
richtes der Beweis der Wahrheit versucht wird. Es werden
hier dann Aeußerungen aufgegriffen, die nicht gethan waren in
der Voraussicht, daß sie einst peinlich genau auf ihre Wahr-
haftigkeit hin geprüft werden würden. Wenn es uns, die wir
jene Vorgänge vor unseren Augen sich abspielen sahen, schwie-
rig, ja fast unmöglich ist zu entscheiden, wer denn hier Recht
oder Unrecht habe, um wie viel schwieriger wird es spätern
Geschlechtern sein? Soll hier dann das von den Juristen ge-
fällte Urtheil als das Maßgebende anerkannt werden? Gar
Mancher entschlüpft dem rächenden Arme des Gesetzes mit ei-
nem Nichtschuldig, und doch möchte ihn Niemand deshalb auch
für moralisch gerechtfertigt halten. Einem Historiker, der da-
nach bestrebt ist, ein klares Bild von den vergangenen Zustän-
den zu gewinnen, wird nicht ausschließlich das juristishe Be-
weisverfahren als das berechtigte anerkennen; ihm werden viel-
150 H. Landwehr,
mehr die Vorschriften der Moral hóher stehen und gerade diese
werden auf seine Geschichtsschreibung von Einfluß sein. Denn
die Objektivität des Historikers ist nur eine leere Phrase. Eben
weil wir Menschen sind, wird es uns nicht gelingen, allen Per-
sünlichkeiten der Vergangenheit kühl bis ans Herz gegenüber zu
stehen. Unsere persónlichen Anschauungen, die in der Gegen-
wart wurzeln, werden auch bei der Beurtheilung der Vergan-
genheit sich geltend machen. Wenn ich nun auch zugestehe,
daß man für Aischines schwürmen und sich begeistern kann, so
darf indessen dabei nicht zugegeben werden, daß andere Per-
sónlichkeiten darunter leiden. Mag es auch immerhin schwer sein
in dem Streite zwischen Aischines und Demosthenes zu ent-
scheiden, wer denn eigentlich im Rechte sei, jedenfalls müssen
hier die Anschauungen ins Gewicht fallen, die zu allen Zeiten
Geltung gehabt haben und haben werden: Vaterland und Moral.
Demosthenes hätte besser gethan, sich Philippos! Bestrebungen
anzuschließen, sagt eine vorwitzige Kritik, die nach dem Erfolg
die Politik beurtheilt. Wenn man die damalige Lage Athens
in Betracht zieht, so war sie doch noch nicht so trostlos, um
ein Anringen gegen die Makedoner vergeblich erscheinen zu
lassen. Wer hatte denn vordem von den Makedonern etwas
gehört? Sie galten dem gebildeten Athener als die Barbaren
des Nordens. Athen konnte auf eine ruhmreiche Geschichte zu-
rückblicken. Wäre es da patriotisch gewesen, ein Anringen ge-
gen die Makedoner für vergeblich zu erachten? Groß als
Staatsmann ist Demosthenes nicht. Denn hier kann nur derje-
nige als groß gelten, dem es weder an Scharfblick fehlt, in den
Strömungen der Zeit das Nothwendige zu erkennen, noch an
Entschlossenheit, um das Erkannte zu erstreben, noch endlich
an Kraft, um das Erstrebte zu erreichen. In allem diesen hat
Demosthenes gefehlt. Er ist nicht darüber im Unklaren, daß
Athen sich bedeutend aufraffen muß, um einem so hervorragenden
Gegner, wie Philipp gewachsen zu sein. Die volle Macht sei-
ner Beredsamkeit bringt er in Anwendung, um die Athener aus
ihrer Sorglosigkeit aufzurütteln. Als Patriot ist er deshalb hoch
zu halten. Dem Vaterland hat er alle seine Krüfte gewidmet.
Selbst wenn er im eigenen Hause Trauer hatte, legte er diese
ab, so bald er Hoffnung für die Freiheit und Größe des Vater-
landes schópfte. Als Philipp unerwartet durch Mörderhand fiel,
vergaß er den Schmerz um die einzige Tochter, die er vor we-
nigen Tagen zu Grabe getragen hatte. Ausschließlich waren
jetzt seine Gedanken dem Vaterland gewidmet. Wie urtheilt
darüber Beloch? S. 239 sagt er: „daß er seine Freude in so
lürmender Weise zur Schau trug, daB er den Kranz auf dem
Haupte, im weifen Festkleide in den Rath ging und ein Dank-
opfer brachte, daß er den Mörder als Wohlthäter Athens feierte,
das giebt uns den traurigen Beweis, daß dieser Mann bei all’
Die Forschung über die griechische Geschichte. 151
seiner sonstigen Größe doch im Grunde seines Charakters ge-
mein und ohne wahren Adel der Seele gewesen ist“.
Von den Vorwürfen, die Demosthenes von Beloch Nr. 94
gemacht werden, will ich nur einige wenige auswählen. De-
mosthenes ‘hascht nach theatralischem Effekt’. Seine ‘advokati-
sche Verlogenheit’ setzt ihn jeden Augenblick in den Stand das
Entsprechende aus seinem ‘stereotypen Lügenvorrath’ hervorzu-
langen. Der Kampf gegen Philipp (341) ist ‘frivol angefangen".
Die bei Chaironeia Gefallenen sind durch seine Politik ‘nutzlos
geopfert. Doch nicht genug damit. Demosthenes wird der
Feigheit geziehen; bei Chaironeia soll er schimpflich den Schild
fortgeworfen haben.
Aus der gesammten Darstellung Belochs ergiebt sich, daß
sein Herz nicht mit Demosthenes fühlt und schlägt. Warum
verschließt er sich völlig gegen ein Verständniß der Zeitverhält-
nisse, in denen Demosthenes aufgewachsen war, der Lehren, die
ohne Zweifel schon dem kleinen Knaben eingeimpft waren, daß
Athen zur Führerschaft in Griechenland berufen sei? Ein der-
'artiges Verfahren kann ich wohl begreifen, aber nicht als ge-
rechtfertigt anerkennen. Denn Aufgabe des Historikers soll es
doch sein, die Zeit, welche er behandelt, forschend zu verstehen.
Ich glaube, man kann die Nothwendigkeit von Pbilipps Auf-
treten sehr wohl zugeben, dabei aber doch des Demosthenes ed-
len Patriotismus, der sicherlich keine egoistischen Nebengedanken
kannte, anerkennen. Nur wenn wir uns in das Fühlen und
Denken einer jeden Persönlichkeit zu versenken suchen, werden
wir einigermaßen zur historischen Wahrheit gelangen.
Beloch mag mir verzeihen, wenn ich seiner Charakteristik
weniger positive Momente entgegengestellt habe. Sie sind viel-
fach zweischneidiger Natur und lassen sich nach beiden Seiten
deuten. Joh. Gust. Droysen hat mir einmal persönlich gegen-
über geäußert, in der Geschichte lasse sich eigentlich alles be-
weisen. Das Verfahren gewisser ultramontaner Geschichtsschrei-
ber giebt den vollen Beweis dafür. |
Baran Nr. 110 hat die Chronologie des euboiischen Krie-
ges untersucht. Dieser Krieg, der gleichzeitig mit der Expe-
dition der Athener nach Olynth stattfand, wird von den ein-
zelnen Forschern verschieden datiert, von 351 bis 348. Die
meisten haben sich mit Arnold Schaefer für 350 entschieden,
da auf dies Jahr Dionysios von Halikarnaß direkt hinwiese.
Doch nach Philochoros wäre 349/8 anzunehmen. Baran sucht
nun für die Frage die im Jahre 340 gehaltene Rede gegen
Neaira auszunutzen. Hier wird $ 3. 4 die damalige Lage be-
leuchtet. Es ist die Rede, von dem letzten Schlage, welchen
Philipp gegen Olynth führte. „Man gewinnt den Eindruck, daß
die neue Komplikation mit Olynth den Athenern höchst unge-
legen kam und sie zwang, trotz der großen Auslagen für den
152 | H. Landwehr,
nicht mehr rückgüngig zu machenden euboiischen Krieg auch
für Olynth etwas zu thun und daher zu Finanzmaßregeln, wie
sie Apollodor empfahl, ihre Zustimmung zn geben. Da es je-
doch zu deren Durchführung nicht kam, mußten freiwillige Bei-
steuern eintreten“. Danach ist der Anfang des euboiischen
Krieges in den Februar 349 zu setzen. Philipp hatte hier
Wirren geschaffen, damit er ruhig Olynth angreifen könnte,
wenn die Athener in ihrer nächsten Nähe beschäftigt wären.
Hiermit stimmt nach Barans Darlegung der Inhalt der drei
olynthischen Reden, die er genau bespricht. Scheinbaren Wi-
derspruch bietet nur der Ansatz der Midiana durch Dionysios
von HalikarnaB. Aber dieser beruht nur auf Kombination, zu
der der sonstige Inhalt der Rede nicht paßt. Nicht besser steht
es mit der Datierung der Rede gegen Boiotos megi övouurog.
Des Dionysios Argumentation kann einer Darstellung, die un-
mittelbar unter dem Druck der Ereignisse entstanden ist, nicht
entgegengehalten werden.
Den Gang der Schlacht bei Chaironeia hat Egelhaaf Nr.
115 zu ermitteln gesucht. Doch geht es bei dieser Schlacht
wie bei so vielen anderen, daf es dem Historiker nicht gelingt,
die einzelnen Phasen des Kampfes ermitteln zu kônnen. Der
Streit bei Chaironeia hat den Charakter einer Doppelschlacht;
Athener und Thebaner, Philippos und Alexandros haben ge-
kümpft, ohne von einander nüheres zu wissen. Aus Polyainos
VIII 40 will Egelhaaf Nr. 115 S. 58 schließen, daß es einen
Augenblick gegeben hat, in welchem die Schlacht zu Gunsten
der Hellenen entschieden schien. Mit Recht hebt dann Egelhaaf
gegen Ranke (Weltgesch. I 2 S.149) hervor, daf Alexandros die
Katastrophe herbeiführte. Es ist eine Charaktereigenschaft des
Alexandros sich mitten in das Schlachtengewirr hineinzustürzen.
Wie er hier zuerst den íegóg Aoyog sprengt, so wirft er sich
auch in anderen Schlachten vom Granikos bis zu den Kämpfen
in Indien tollkühn in das dichteste Feindesgewühl Es mag
hier noch erwähnt werden, was Egelhaaf übersehen hat, daß
die Leichname der bei Chaironeia gefallenen heiligen Schaar
kürzlich aufgefunden sind. Vgl. 495v«io» IX 347 ff. mit Plan.
Alexandros der Große.
116. A. Schaefer, das makedonische Königthum i. hist.
Taschenbuch VI 3. 1884. S. 1— 12.
117. Jurien de la Graviére, les campagnes d'Alexandre.
Paris, Plon. 1884.
118. Geiger, Alexanders Feldzüge in Sogdiana. Neustadt
a, H. Progr. 1884.
Die Forschung über die griechische Geschichte. 153
119. Reinhold Schneider, Olympias die Mutter Alexanders
des Großen. Zwickau. Progr. 1885.
120. Schuffert, Alexanders des Großen indischer Feldzug.
Colberg. Pgr. 1886.
121. Malden, Alexander in Afghanistan i. Journal of Phi-
lol. XII. 1884. S. 271—77.
Die Geschichte des Zeitalter, welchem Alexandros der Grofie
den Namen gegeben hat, pflegt von der Forschung wenig be-
achtet zu werden, und doch liegt hier eine reiche Fundgrube
fiir neue Resultate vor. Wird durch eine Kenntnifinahme ge-
rade dieser Periode das Urtheil iiber die griechischen Staats-
männer bedingt. Immer wird es darauf ankommen, ob wir die
Makedonen als Griechen anzusehen haben oder nicht. Beloch
Nr. 94 hat die attische Politik in der Zeit Philipps und Alexan-
dros’ von dem Gesichtspunkte aus beurtheilt, daß die Makedonen
ein hellenischer Stamm gewesen sind oder daf) sie bereits voll-
stindig hellenisch waren. Der Nachweis dafür ist allerdings
nicht gegeben, wiewohl es cine lohnende Aufgabe wäre, genau
zu ermitteln, wieweit die griechische Bildung bei den Makedo-
niern sich Eingang verschafft hatte. Egelhaaf Nr. 115 8S. 46
äuBert: ,,Makedonien war für Griechenland nicht, was PreuDen
für Deutschland war .... Die Geschichte hat bewiesen (?),
daß die makedonische Staatskunst — wenn man von dem ein-
zgen Alexandros absieht — nicht darauf ausging, noch darauf
ausgehen durfte, Griechenland zu einer kraftvollen Einheit zu-
sammenzuschlieBen . .. Wenn eine Parallele überhaupt zu-
trifft, so wird man an das Verhalten gemahnt, das Rußland
gegen Polen beobachtet hat, das ihm national.etwa so nahe oder
so ferne stand, wie die Makedonen den Hellenen“. (!!)
Dagegen hat Arnold Sclfifer Nr. 116 einer anderen loh-
nenden Aufgabe sein Interesse zugewandt: dem makedonischen
Königthum. Gegen die leitenden Staatsmänner der griechischen
Gemeinden , schreibt Schaefer, ist bis in die jüngste Zeit der
Vorwurf erhoben, daß sie kurzsichtig und eigensinnig an die
vermeintlich freien Einrichtungen ihrer Städte sich angeklam-
mert, statt unter der makedonischen Monarchie ein fest gere-
geltes Staatswesen zu begründen und mit Verzicht auf die ab-
gelebte Kleinstaaterei an dem Ausbau der makedonisch - helleni-
schen Großmacht mitzuarbeiten. Derartigen, mit mehr oder we-
niger Emphase vorgetragenen Expektorationen gegenüber ver-
dient die Frage nach dem Wesen der monarchischen Verfassung
Makedoniens Erwägung, und es kommt hierbei darauf an, ob
die Griechen Ursache hatten auf die von ihren Vätern ererbte
Freiheit Werth zu legen oder nicht. Wer einigermaßen mit
Schaefers Anschauung vom griechischen Alterthum vertraut ist,
wird nicht in Zweifel sein können, wie das Resultat seiner Unter-
154 H. Landwehr, -
suchung ausfällt. „Makedonien hatte große Könige hervorge-
bracht, aber es war nie zu einer festen Staatsordnung gelangt,
welche hellenische Gemeinden reizen konnte, ihre gesetzliche
Freiheit aufzugeben, um dem Machtgebote ihnen fremder Allein-
herrscher zu dienen‘.
In die Vorgeschichte der Makedoner gehört auch der Le-
bensgang der Olympias der Mutter Alexandros’ des Großen.
Nicht oft stößt man auf ein so vortreffliches Programm, wie
das von Reinhold Schneider Nr. 119, welches sich mit dieser
Königin beschäftigt. Die Resultate beruhen hier durchweg auf
tiefgehender Forschung. Die Arbeit war lohnend, da sich hier
vielfach Anlaß bot, weit verbreitete Irrthümer zu entkräftigen.
Zumeist kommt es darauf an, das Verhältniß der Königin zu
ihrem Gemahl Philipp ins Klare zu bringen. Freilich das zu
Gebote stehende Material ist nicht immer völlig ausreichend.
Doch sind die wenigen Nachrichten, welche wir über die Jahre
356 — 337 besitzen, genügend, uns den Beweis zu erbringen,
gegen die durchaus irrige Annahme, daß gleich in den ersten
Jahren der Ehe zwischen den Ehegatten jene Mißhelligkeiten
ausgebrochen seien, die später zur Trennung führten und die
Feindschaft zwischen Vater und Sohn veranlaßten. Fragt man
aber nach dem Grunde, der der Olympias das Herz des Gatten
mehr und mehr entfremdete und schließlich zur Lösung des Ver-
hältnisses führte, so wird man das phantastische und unheim-
liche Treiben, ihr Schwärmen für Orgien anführen können. Die
Hauptursachen aber, die das zum Mindesten bis 340 leidliche
Verhältniß störten, waren: „schwere Kränkung und begründete
Sorge um die Thronfolge ihres Sohnes einerseits, Charakterlo-
sigkeit und Sinnlichkeit Philipps andrerseits“. Von einer förm-
lichen Verstoßung der Olympias vor’ der Heirath mit Kleopatra
kann nicht die Rede sein. Dann hat Schneider die vielfach
vermuthete Theilnahme der Olympias an der Ermordung Phi-
lipps besprochen. Daß Olympias nicht vor diesem Ereigniß
nach Makedonien zurückkehrte, glaubt Schneider aus Plutarch
Alex. 9 und mor. VI S. 258 f. ed. Reiske schließen zu dürfen
und wird darin noch durch Justin IX 7, 10 bestärkt.
Betreffs der Ermordung Philipps hält Schneider Diodors
Bericht für den klarsten. Daß Pausanias keine Mitverschwore-
nen hatte, beweist Aristot. Pol. V S. 18115, 1 hervor, # dé
Didtnnov ind Muvoarlov (èntPeows eyévero) did To da004 vflquo-
Süves «vro» und thy meod "Atradov. Pausanias dient hier als
Beispiel, um nachzuweisen, daf der Angriff erzürnter Unter-
thanen auf das Leben der Monarchen fast immer Rache, nicht
eigene Erhebung bezwecke. Es existierten damals wohl Ver-
schwórungen, aber Pausanias stand mit ihnen nicht im Zusam-
menhang. Am Schluß der Abhandlung giebt Schneider eine
treffende Charakteristik der Olympias, in der er auch die guten
Die Forschung über die griechische Geschichte. 155
Seiten derselben wie ihre natürliche Klugheit, ihren Witz, That-
kraft, Kühnheit und Tapferkeit, vor allem aber die rührende
Liebe zu ihrem Sohne Alexandros hervorzuheben nicht vergißt.
Mit Alexandros’ des Großen Thätigkeit als Feldherr hat
sich Jurien de la Graviére Nr. 117 beschäftigt. Den Vorzug,
welchen sein Werk hat, besteht darin, daß er vielfach zur Er-
leiehterung des Verstindnisses Ereignisse der neuesten Zeit her-
anzieht. Allerdings verfällt er dann hierbei häufig in weit-
schweifende, wenig zur Sache gehörende Excurse Ein tieferes
Eingehen auf die Fragen ist fast immer zu vermissen. Was
sich in Zeitschriften zerstreut findet, ist nur höchst mangelhaft
zusammengetragen. Schwierige Detailfragen werden gar nicht oder
nur oberflächlich berücksichtigt. Ansprechend kann allein von
den vielen unbrauchbaren Hypothesen nur die sein, daß Ekba-
tana in die Gegend des heutigen Hamadan verlegt wird. Die
deutsche Litteratur hat Jurien nur mangelhaft benutzt, da er
der deutschen Sprache nicht mächtig ist. Aber es ist doch un-
verzeihlich an einem Werke, wie Spiegels eranischer Alterthums-
kunde vorüberzugehen. Der deutschen Forschung wird das
Werk durch seine vorzüglichen Karten nutzbar sein.
Mit einzelnen Feldzügen Alexanders haben sich verschie-
dene Abhandlungen beschäftigt. Eine Untersuchung über den
indischen Feldzug hat Schuffert Nr. 120 begonnen. Er behan-
delt nur die Kämpfe am Hindukuh. Seine Erörterung über die
Quellen zur Geschichte Alexanders ist weiter nichts, als eine
Wiedergabe dessen, was der verstorbene Professor Hirsch in
Greifswald im Kolleg gab. Ob ein derartiges Verfahren ge-
rechtfertigt ist, mögen andere beurtheilen. Die Resultate der
Untersuchung, soweit sie selbständig ist, sind gering. Daß
Alexandros bei seinem Zuge nach Indien nicht allein von der
Eroberungssucht geleitet wurde, braucht nicht besonders hervor-
gehoben zu werden. In der Feststellung der einzelnen Orte
schließt sich Schuffert bald diesem, bald jenem an. Wohl hat
er Reisewerke der neueren Zeit eingesehen, aber es fehlt ihm an
gutem Kartenmaterial, was er sich wahrscheinlich in der Pro-
vinz nicht verschaffen konnte. Juriens Werk ist ihm nicht be-
kannt. Die Resultate der Untersuchung sind in Kürze wieder-
gegeben folgende. Alexandros zog über den Paropamisos durch
das Thal des Pundschir nach Alexandreia am indischen Kau-
kasus. dem heutigen Tscharikar, dann nach Nicenoe, welches sich
nicht genauer bestimmen läßt, als daß es zwischen Tscharikar
und dem Kophenflusse, dem heutigen Kabul, lag. Hephaestion
und Perdikkas werden am rechten Ufer des Kophen bis zum
Indus gesandt, um das Land zu erobern. Alexandros üherschritt
den Kophen und zog gegen die Aspasier, Guraier und Asseka-
ner am Choas entlang vor. Der Weg durch die Bergland-
schaften des Hindukusch wurde deshalb gewählt, weil die Wege
156 H. Landwehr,
südlich vom Kophen zu beschwerlich waren. Zugleich wurde
hierdurch eine wichtige militàrische Position gewonnen. Denn
die Verbindungsstraße am Kophen war damit gesichert. De-
ckungspunkt war die Feste Andaka-Paschat. Das von Curt.
VII 10, 7 erwähnte Nysa wird ins Katlanthal verlegt. Alexan-
dros hat das Thal von Berawal durchzogen und sich an Pandjkora
bei Miankala- Ariganum mit Krateros vereinigt. Massaga ver-
legt Schuffert dann in die Nähe der Hochebene am unteren
Swat- Landai, etwa dort wo der Landai das Gebirge verläßt.
Malden Nr. 121 nimmt an, daß Alexandros die jetzige Hauptver-
bindungsroute zwischen Baktrien und Afghanistan die Strôme
Kabul, Kunar und Indus benutzt habe.
Alexandros’ Züge in Sogdiana hat Geiger Nr. 118 topo-
graphisch untersucht. Seine Forschungen sind namentlich durch
die russischen Generalstabskarten jener Gegenden und Reisebe-
schreibungen gefördert. An der Hand derselben hat er dann
eine neue Feststellung der Marschroute Alexandros’ unternommen.
Die Stelle, an der Alexandros den Oxus überschritt, sieht Geiger
in dem gegenwürtig noch viel benutzten Uebergange oberhalb
Kilif zwischen Schur-tepe auf dem linken und Tschuschka-gusar
auf dem rechten Ufer. Dann zog er an den Westabhängen des
Derbendgebirges entlang, wo es nicht an dem nóthigen Wasser
gebrach. „Demnach erhielt die Marschlinie zuerst eine nord-
westliche, dann eine mehr nórdliche Richtung ein. Alexandros
gelangte also etwa über Gusar nach Tschiraktschi d. h. in das
Gebiet von Nautaka“. Nach den mir vorliegenden Karten möchte
ich geneigt sein Alexandros’ Marschlinie auf der von Tschuschka-
gusar nach Norden sich abzweigenden, am Nordabhange des
Derbendgebirges entlang führenden Strafe, die auch heute viel-
fach benutzt wird. Nautaka verlegt Geiger in die Gegend des
heutigen Tschiraktschi, zwischen Schahari-sebs und Karschi oder
noch etwas südlicher in die Nühe von Gusar. Vom 'Thal des
Kaschka-Darja nach Samarkand führen drei Wege. Alexandros
schlug ohne Zweifel die mittlere Straße ein, welche bei Dscham
die Auslüufer des Karatsche-tagh überschreitet und auch gegen.
wärtig die wichtigste Verkehrsroute zwischen dem Thal von Sa-
markand und dem des Kaschka-Darja bildet. "Wie Alexandros'
dann von hier nach dem Tanais gelangte, kann nicht zweifel-
haft sein. Der Weg durch das Defilé von Dschilar-uti und über
Sanim ist derjenige, welcher eingeschlagen wurde. Ueber die
Lage von Alexandreia wird man zu keinem festen Resultate kom-
men. Cyrupolis ist das heutige Khodschend. :
Eine Entscheidung in diesen Fragen wird nicht eher mög-
lich sein, bis daß Karten jener Gegenden vorliegen, die für alle
Fragen stichhaltig sind oder wenn die Gegend auf diese Fragen
hin von Reisenden genügend durchforscht ist.
Droysens Untersuchungen (über Alexanders des Grofen
Die Forschung über die griechische Geschichte. 157
Heerwesen und Kriegführung (Freiburg i. Br. Mohr 1885) mö-
gen hier genannt werden. Das Resultat der Arbeit ist vielfach
ein negatives. Nach einer ausfiihrlichen Behandlung des Fuf-
volkes und der Reiterei gelangen zur Erörterung der Stab des
Kónigs, die Somatophylakes, die Geschiitze, das Lazarethwesen,
der Troß, die Aushebung, Sold und Verpflegung, das Nach-
richtenwesen, die Militairgerichtsbarkeit, Rangordnung, Elementar-
taktik, Organisation des inneren Dienstes. Ueberall wird streng
geschieden zwischen dem , was sicher feststeht und dem, was
hypothetischer Natur ist.
Alexandros in der Sage zu betrachten, liegt zwar außer-
halb des Gesichtskreises dieses Aufsatzes, doch sollen die be-
treffenden Untersuchungen wenigstens namentlich aufgeführt
werden.
122. Darmstetter, la légende d’Alexandre chez les Parses
i. essay orientaux. Paris, Levy 1883 S. 227—250.
123. Christiansen, Beiträge zur Alexandersage. Hamburg
Pgr. des Johanneum 1883.
124. Levi, la légende d’Alexandre dans les Talmud et le
Midrasch. Paris, Durlache 1884.
125. Brunet, narration fabuleuse de la vie d’Alexandre le
Grand. extrait d'un catalogue inédit des incunables conservées à
la bibliothèque de la ville de Bordeaux (extrait des actes de
l'academie de Bordeaux) 15 S. 1884.
Der Hellenismus.
126. Rühl, der letzte Kampf der Achaeer gegen Nabis in
Jahrb. f. class. Philol. Bd. 127. 1883. S. 33—46.
127. Gehlert, De Cleomene III. Lacedaemoniorum rege.
Leipzig Pgr. 1883. S. 26.
128. Hill, der achaeische Bund seit 168 v. Chr. Elber-
feld 1883. Pgr. S. 25.
129. Klatt, chronologische Beitrüge zur Geschichte des
achaeischen Bundes. Bersin 1883. Pgr. S. 42.
130. Reinach, observations sur la chronologie de quelques
archontes athéniens postérieure à la CXXII olympiade in Revue
archéol. 1883 août S. 91—101.
131. Unger, Pyrrhos und die Akarnanen i. Philol. Bd.
XLIII. 1884. S. 205—207.
132. Spangenberg, de Atheniensium publicis institutis ae-
tate Macedonum commutatis. Halle Diss. 1884. S. 56.
183. Beloch, die Errichtung der Phyle Ptolemais i. Jahrb.
f. class. Philol. Bd. 129. 1884. S. 481—488.
158 | H. Landwehr,
134. Dubois, les ligues étolienne et achéenne, leur histoire’
et leurs institutions. Paris, Thorin 1884. S. 234.
135. Koepp, tiber die syrischen Kriege der ersten Ptole-
maier und den Bruderkrieg des Seleukos Kallinikos und Antio-
chos Hierax i. Rhein. Mus. N. F. Bd. XXXIX. 1884. S.
209 — 230.
136. Koepp, die Galaterkriege der Attaliden i. Rhein.
Mus. N. F. Bd. XL. 1885. S. 114—132.
137. Wachsmuth, öffentlicher Credit in der hellenischen
Welt während der Diadochenzeit in Rhein. Mus. N. F. XL.
1885. S. 283 - 303.
138. Gregorovius, Hat Alarich die Nationalgótter Grie-
chenlands zerstért i. Sitzungsber. der bayr. Ak. d. W. 1886,
jetzt auch in kleine Schriften zur Geschichte und Cultur I.
Leipzig, Brockhaus 1887. S. 49 —72.
139. Neumeyer, Aratus von Sikyon. Ein Charakterbild
aus der Zeit des achaeischen Bundes. Nach den Quellen ent-
worfen. 2 Abtheil in 1 Bande. S. 88. 42. Leipzig, Gustav
Fock 1886.
Beim Bericht über die hellenistische Zeit werde ich mich
möglichster Kürze befleißigen, um diesen Aufsatz nicht zu sehr
anschwelen zu lassen. Zudem findet dieser Abschnitt ja nur
vereinzeltes Interesse.
Für die Geschichte des Pyrrhos muß bemerkt werden, daß
Unger Nr. 131 bei Plut. Pyrrh. 6 Axupvavlav in ’Asauarlav
verwandeln will. Denn es ist ihm unerfindlich, daß die Akar-
nanen ihr Verhültnib zu Kassandros, dessen freie Bundesgenossen
sie waren, geündert haben sollen. Nach des Pyrrhos Tode wer-
den die Akarnanen auch wieder als freies Volk erwühnt, dage-
gen treten sie während seiner Regierung nicht hervor. Dagegen
gehórt Athamania ganz in die Reihe der Eroberungen des Pyr-
rhos. Denn ohne dasselbe ist der von ihm gewonnene Besitz
nicht abgerundet.
Interessant ist die Frage des Creditwesens, die Wachsmuth
Nr. 137 in Angriff genommen hat. Die hellenischen Staaten
pflegen in Zeiten der Geldverlegenheit von den Tempeln der
Götter ihres Landes zu borgen. Die Nationalheiligthümer, vor
allem Delos, haben auch derartige Geschüfte gemacht. Die Be-
dingungen waren Rückzahlung des Kapitals nach fünf Jahren,
zehn Procent Zinsen jährlich. Die öffentlichen Einnahmen der
borgenden Gemeinde wurden verpfändet, auch leisteten drei ver-
mögende Mitglieder der Gemeinde, die @radoyof genannt werden, :
besondere Bürgschaft. Ein schriftllcher Kontrakt wurde darüber
gefaßt und an einem besonders sicheren Orte aufbewahrt. Zur
Erlüuterung des hierbei üblichen Gebrauches gelangen die von
Die Forschung tiber die griechische Geschichte, 159
Kumanudis im ’49yvuvov X. S. 536 f. veröffentlichten Inschriften
zur Besprechung.
Aus der Zeit der Epigonen hat Koepp Nr. 133. 136 zwei
Gebiete chronologisch durchforscht. Auf Grund von Theokrit
éyxw tov ele [Iroleuotor wird Nr. 135 der erste syrische Krieg
des Ptolemaios Philadelphos zehn Jahre hóher hinaufgerückt,
ebenso der Kampf gegen Magas von Kyrene. Gegenüber Droy-
sen sucht Koepp zu erweisen, daß Koilesyrien seit lange zu
Aegypten gehórte. Beim Ausbruch des Krieges des Ptolemaios
gegen Antiochos spielten die Ansprüche auf das Fiirstenthum
Herakleia am Pontos, um dessentwillen Ptolemaios jenes Schwe-
ster geheirathet hatte, eine Rolle. Gleichzeitig mit dem syri-
schen Kriege spielte der pontische. Auch dieser gehört in die
siebenziger Jahre. Die meisten Ereignisse dieses Doppelkrieges
sind spurlos verschwunden. Wann der Friede geschlossen wurde,
wissen wir nicht. Zuerst mag wohl dem Magas ein günstiger
Frieden bewilligt worden sein; darauf wurde derselbe von An-
tiochos erzwungen, um dann im chremonideischen Kriege der
immer weiter sich entfaltenden Größe des Antigonos entgegen-
zutreten.
Die letzten Jahre des Antiochos (gest. 229) sind bei Ju-
stin sehr zusammengedringt. Als Antiochos nach Magnesia
foh, war Ptolemaios nicht sein Feind. Die Flucht nach Ae-
gypten war seine letzte That. Zwischen der Flucht aus Kap-
padokien und der zu Ptolemaios liegt die Zeit, welche Justin
übersprungen hat. Antiochos floh, als er sein Leben in Kap-
padokien gefährdet sah, wahrscheinlich zu seinen alten Kampf-
genossen den Galatern. Seleukos folgte ihm nicht. Er mußte
einsehen, daB das Erscheinen jenseits des Tauros den Attalos,
der sich als Herr von Kleinasien fühlte, veranlassen würde, mit
Antiochos gemeinsame Sache zu machen. Darüber aber war
Seleukos sich klar, daß er einer Coalition dieser beiden nicht
gewachsen war. Die Galater wurden von Antiochos nochmals
zu einem Bündniß beredet. Abermals begann der Kampf gegen
Attalos. Antiochos unterlag in denselben zuerst in Syrien, dann
in Karien. Zuletzt mußte er nach Thrakien zu Ptolemaios flie-
hen. Der zehnjährige Waffenstillstand war wohl abgelaufen,
aber Ptolemaios hatte wohl mit Seleukos Frieden geschlossen.
Antiochos wurde deshalb in Haft genommen, doch gelang es
ihm aus derselben zu entfliehen. Auf der Flucht wurde er von
Räubern erschlagen.
Koepp Nr. 136 will dann auf Grund einer Inschrift aus
Pergamon Koehler (hist. Zeitschr. 1882) widerlegen, daß der
groBe Galaterkrieg keine Bedeutung gehabt habe. In der In-
schrift wird ein Sieg der Tolistoagier bei den Kaikosquellen
genannt.
Die athenische Verfassung hat in dieser Periode die
160 H. Landwehr,
verschiedenfachsten Wandlungen durchgemacht. Spangenberg
Nr. 132 faßt mehr Fragen ins Auge, die in das Gebiet der
Alterthümer gehóren. Die Errichtung der Phyle Ptolemais ver-
weist Beloch Nr. 133 mit Erfolg in die Zeit des Ptolemaios
Euergetes. Ohne Zweifel hüngt dieselbe mit der Schópfung des
Demos Berenikidai zusammen. Nach C. I. A. II 859 ist dann
die Ptolemais an die Stelle der Demetrias getreten. Es hat also
nie elf Phylen gegeben. Die Antigonis ließ man damals in
Rücksicht auf Antigonos Doson noch bestehen, denn mit ihm
fuhr Athen fort trotz der Vertreibung der makedonischen Be-
satzung freundschaftliche Beziehungen zu halten.
Reinach Nr. 130 nimmt die schon von Dumont Rev. arch.
1873 XXVI S. 256 vertheidigte, von Dittenberger C. I. A. III
Nr. 102 bekämpfte Ansicht wieder auf, daß von 166 v. Chr.
an die Archonten auf den delischen Inschriften die athenischen
wiren. Die im Jahre 1881 und 1882 in Delos gefundenen
Inschriften sollen das bestätigen. Es werden behandelt: Meton
(um 110 v. Chr), Lysikles (103), Dionysios (102) émi A4torv-
olov tov pura Auxloxov ügyorros, Dionysios 0 ue: [uguuovor
(Ende des 2. Jahrh.), Agathokles (zwischen 132 und 129).
Die Geschichte des achaiischen Bundes ist von Verschie-
denen: zur Behandlung genommen. Dubois Nr. 134 hat nicht
nur diesen, sondern auch den aitolischen Bund in einem gró-
ßeren Werke betrachtet. Leider hat er gerade die wichtigste
Frage der Chronologie gar nicht selbständig untersucht. Denn
die achaeischen Strategen führt er nach Merleker und Freemann
auf, den Namen der aitolischen fügt er S. 198 ff. die Stellen
und Inschriften bei, aber ohne in die Kontroverse selbst einzu-
treten. Betreff des Zusammentritts der achaiischen Bundesver-
sammlungen ist dann Wahners Hypothese wiederholt, ohne daf
dabei das, was von Neueren geschrieben worden ist, berücksich-
tigt würe. Dagegen hat Klatt in mustergültiger Weise sich mit
der Chronologie dieser Zeit befaßt. Das Resultat seiner Arbeit
ist allerdings vielfach ein negatives, aber dieses ist an sich
doch auch ein Fortschritt der Wissenschaft und hier doppelt
nothwendig, da die Verwirrung schon ins Ungeheure zu wachsen
begann. Unger, das Strategenjahr der Achaier Abhandl. d.
Münchener Ak. 1879 philos. philol Cl, Bd. II S. 117—192
hatte nämlich behauptet, daf zwar seit dem Ende des achaiisch-
aitolischen Bundesgenossenkrieges (217) der Antrittstermin für
die achaiischen Strategen verlegt worden sei, aber nicht, wie
man bisher meinte, auf den Herbst, sondern auf den Februar;
die Wahl der Strategen habe nicht von Anfang an, sondern
222—217 im Mai stattgefunden, auch vor 222 habe der Stra-
tegenwechsel im Februar stattgefunden. Dies hat Klatt schla-
gend widerlegt. Die Keime des achaiischen Bundes sucht Du-
bois nicht in Achaia. Seit dem peloponnesischen Kriege soll
Die Forschung tiber die griechische Geschichte. 161
nach seiner Meinung in Folge des Hasses der peloponnesischen
Staaten gegen Sparta immer eine Einigung versucht sein. Po-
lybius II 39 erzählt, daf nach der Schlacht bei Leuktra die
Spartaner und Thebaner den Achaiern die Schlichtung ihres
Streites übertragen haben. Aus welchen Gründen diese Ver-
mittlung erfolglos war, wissen wir nicht. DaB Sparta schwer-
lich einer so unbedeutenden Landschaft sein Schicksal anver-
traut hätte, ist nach v. Stern Nr. 105 S. 154 schwer glaublich.
Dlese Tradition wird vielmehr auf folgende Weise entstanden
sein. ,,Als der achaiische Bund sich zur ersten Macht Grie-
chenlands emporgeschwungen hatte, suchte man wenigstens das
moralische Ansehen des Staates in eine môglichst frühe Zeit zu-
rückzudatieren und nahm deshalb, wenn das historische Material
fehlte, zu einfachen Erfindungen seine Zuflucht". Die Einigung
der Peloponnesier unter Leitung der Achaier erfolgte vielmehr
erst, als Arat Sikyon dem aetolischen Bunde zuführte; aber
nicht im Gegensatz zum aitolischen Bunde. Unter dem Schutze
der Rimer und Makedoner kam der Bund erst zu grofer Blüthe.
Auch der Verfassung der beiden Bünde hat Dubois seine be-
sondere Aufmerksamkeit geschenkt. Doch das was er S. 188
über die aitolische Sovdn vortrügt, ist stark Hypothese und von
Klatt in der Berl. philol. Wochenschrift 1885 Nr. 50. 51 mit
Erfolg bekämpft.
Auch Klatts Untersuchung Nr. 129 hat die geringe Zuver-
lissigkeit der Chronologie der Regierung des Agis klar
gelegt. . Auf Pausanias Bericht ist hier gar nichts zu geben. Den
Einfall der Aitoler und die Ueberrumplung von Pellene legt er
zwischen die Jahre 245 und 239 v. Chr. 245 ist Arat, der
am Isthmos das Oberkommando führte, zum ersten Mal als Stra-
tege gewühlt. 239, beim Regierungsantritt des Demetrios von
Makedonien, waren die Achaier und Aitoler mit einander ver-
bündet. Die Reihenfolge, in der Plutarch die Ereignisse be-
riehtet, darf nicht für die Chronologie verwerthet werden. Der
große Plünderungszug, den die Aitoler nach Lakonien unter-
nahmen, und bei dem sie 50000 Perioiken in die Sklaverei fort-
schleppten, hat nach Plutarchs Erzáhlung nicht viel vor 226
resp. 225 stattgefunden.
Neumeyer Nr. 139 hat Arat biographisch behandelt. Er
will ein Charakterbild nach den Quellen entwerfen, versäumt es
dabei aber Plutarchs Bericht der nothwendigen Kritik zu unter-
ziehen. Dann hat er auch einzelne Persönlichkeiten und Ver-
hältnisse in ein falsches Licht gesetzt. Dagegen gehört Gehlerts
Biographie des Kleomenes Nr. 127 zu den gehaltvollsten Pro-
grammarbeiten.
Hill Nr. 128 behandelt die Geschichte des achaiischen
Bundes von 168—146 wesentlich in Anschluß an Polybios,
dem er zum Schluß ein großes Loblied singt.
Philologus. N.F. BA.I, 1. 11
162 | H. Landwehr,
Eine letzte Phase aus den Kämpfen des achaïschen Bun-
des behandelt Rühl Nr. 126. Nabis war sümmtlicher Seestädte
und aller Besitznngen in Kreta beraubt; nur zwei Schiffe waren
ihm von den Achaiern gelassen. Es muß auffallen, wie er sich
binnen Kurzem eine große Flotte verschaffte. Jedenfalls mußte
ihm ein Hafenplatz geblieben sein, denn wo hätte er sonst jene
beiden Schiffe bergen sollen? In dem bei Livius XXXV 26
vorliegenden Bericht will dann Reuß Prasias statt Patras lesen.
Auch hier muß man sich wundern, daß Philopoimen abzog, ohne
Nabis völlig vernichtet zu haben. Den Ausläufer der Studien
auf dem Gebiete der griechischen Geschichte bildet Gregorovius’
Aufsatz Nr. 138. Er widerlegt die von Fallmerayer Gesch. d.
Halbinsel Morea I 136 ausgesprochene und dann vielfach ver-
breitete Meinung, daß Alarich die Nationalgötter Griechenlands
vernichtet habe. Aber das antike Leben war in Griechenland
schon vielfach vor Alarichs Einfall (396) getódtet. Am mei-
sten hatten hierzu die Verbote der römischen Kaiser beige-
tragen. Julian war es nicht gelungen, das antike Wesen zu
beleben. Wohl mag Alarich in Eleusis einzelne Kultusstätten
zerstört haben, aber einer Vernichtung der olympischen Heilig-
thümer hat er sich nicht schuldig gemacht. Die olympischen
Festspiele waren bereits 394 untersagt. Mehr als zweifelhaft
ist es, daß Alarich den Zeuskoloß des Pheidias noch in seinem
Tempel vorgefunden hat, vielmehr darf man glauben, daß dies
erhabenste Bildwerk griechischer Kunst schon 394 auf Befehl des
Kaisers Theodosius I nach Konstantinopel gebracht worden ist.
Berlin. Hugo Landwehr.
Zur Aegritudo Perdicae.
Vers 251 ff. lauten in den Poet. lat. min. V 8. 123 Bhr. so:
Tempora demersis intus cecidere latebris | Et gracili cecidere modo
per acumina nares, | Concava luminibus macies circumdata sedit |
Longaque testantur ieiunia viscera * famem.* | Dazu bemerkt Mähly,
Satura 8.37: „von eingefallenen Schläfen kann man wohl reden,
weniger aber von der Nase, die spitz geworden ist". Warum
doch nicht? Wenn der Athem schwicher wird, fallen die vom
Hauche geblühten Nasenflügel ein, die Nase spitzt sich. Der Vor-
gang ist im Verse richtig geschildert; die Conjectur Mähly’s ces-
sere, wobei gracili modo als Dativ gefaßt werden soll, muß irrig
sein. Den angedeuteten Fehler im letzten Verse sucht Bührens
durch den Vorschlag viscera aperta, Ellis durch ramex zu besei-
tigen. Mir scheint famem durch ieiunia veranlaßt und nach dem
Verluste des echten Schlußwortes in den Vers gekommen zu sein.
Nichts aber konnte nach viscera leichter ausfallen als vesca, das
wenig gelüufig war und einer Dittographie glich. ‘Das magere
Fleisch' ist es, das vom langen Fasten zeugt. Diese Bedeutung
des Substantivs sowohl wie des Adjectivs ist selbst der Prosa
nicht fremd.
Würzburg. A. Eußner.
Miscellen.
1. Metrische Inschrift von Metapont.
Die alte metapontische Inschrift, welche sich bei Cauer?
277 findet und die Comparetti Rivista di filologia XI 1 ff. fol-
gendermafien konstituiert:
I Xuige pavoE “Hoaxes.
Niexopayos pw’ Enosı.
II 6 row xequusvs m’ ave dnxe.
III dofav Eyes ayadav
IV dog dé pur avdgwmoıg
wollte E. Hiller bei Fleckeisen 1883 S. 144 in ein elegisches
Distichon verwandeln, indem er vor 7:01 den Ausfall eines dè
annahm und die Inschriften der beiden letzten Seiten der Stele
umdrehte. Die ‘jedenfalls héchst problematische Pronominalform
pw’ entfernte Hiller durch Trennung der Buchstaben, indem er
p iv schrieb. Somit lautet das Ganze nach Hiller:
Xuigé ruvaë “Houxheis.
Nixopayos w Enosı, 0<dé>to xegumeug m &v£Oqxe
dog dé p! lv dvdgwros dokav Eyes uyadar.
Mir scheint jede Aenderung überflüssig. Um zunächst vom Me-
trum zu sprechen, so wandte der Verfasser der Inschrift, viel-
leicht der Tôpfer selbst, den herkómmlichen, in solchen Weih-
inschriften sehr häufigen Kurzvers an, dessen Verdoppelung al-
lerdings zur Bildung des Hexameters geführt hat, ohne daß
wir jedoch berechtigt würen, mehrere Kurzverse zur Bildung
nicht tiberlieferter Hexameter zu verwerthen. Wie wenig die
Konjekturen der Kritiker in dieser Hinsicht zu billigen sind,
hat Usener in seiner anregenden Schrift über den altgriechischen
11*
164 Miscellen.
Versbau S. 29 ff, 85 f., 39 f. an einer größeren Anzahl von
Beispielen bewiesen und auch die vorliegende Inschrift würde
ihm einen schönen Beleg für seine Theorie haben geben können.
Usener sagt S. 87, daß es in den kürzeren Weihinschriften le-
diglich von der Beschaffenheit des Eigennamens abhünge, ob der
Vers mit Senkung beginne, wie in dem Beispiel aus der Ephem.
arch. 1888 S. 36, 5:
"J[eooxAeíónc u^ avé9 xev
und anderen Füllen, oder ob er, wie in der Inschrift von Melos
‘Inser. Antiq. 519:
dauoroéwv avédnxe
mit einer Hebung anfange. Wie dieser Vers, so ist, von der
Katalexe abgesehen, auch in unserer Inschrift der den Namen
des Weihenden enthaltende Vers beschaffen: ihm folgt der mit
kurzer Silbe beginnende Spruchvers und diesem wieder der ka-
talektische Vers ohne Auftakt:
Nixopayds u ences, ~ yy — vv — 1
0 10b XEQOUEUG m Gvednxev v-vu—uvv—v
dogav Éyuv ayadav < vu —vu—j.
den Anfang und Schluß der Inschrift bilden zwei Tripodien:
yaige paved 'Hoaxkew + yy — — — —
dos dé pw avFowmnoss vu — ——ı,
von welchen die erste in dem bekannten Gedichte des Archi-
lochos Fr. 119 wiederkehrt. Betrachtet man aber die beiden
ersten Reihen fiir sich:
yotoe pavaé "Hoaxiuc. | Nixouuyoc uw’ Ende,
so vergleicht sich damit im Pian des Makedonios bei Bergk
PL. III* 678:
yaige Bootoic pty’ Svevag, | daîuov xAsıvorare
oder Alkmans Vers Fr. 60:
svdovow Ó ovv | puda 1ayvrreQuywv.
Das Metrum der folgenden Reihen ist nur um den Auftakt ver-
mehrt, sonst aber dasselbe:
0 tos xequueve m’ üvédnxe | dokav Eye ayadar.
Die metrische Zusammengehörigkeit spricht auch für die Auf-
fassung von éyew als eines von avéJAnxe abhängigen Infinitivs des
Zwecks. Das Pronomen fs halte ich für den Dativ, wozu
dofuv éyey zu ergänzen ist: pi» avrei ist inzwischen durch die
groBe kretisehe Inschrift von Gortyn (Rhein. Mus. XL, Ergin-
zungsheft S. 20) als sicher erwiesen, und dasselbe Pronomen
Miscellen. 165
liegt auch vor in dem von mir hergestellten hesiodeischen Frag-
ment 31 Rzach:
ty d' avi Favatov tauing, 6% Flow’ anoiéotas
Die Auslassung der Priposition, welche Hiller fiir nicht an-
gemessen erklürt, ist allerdings nicht hüufig, aber da die Form Èy
statt év bisher nur im arkadisch-kyprischen Dialekte nachwiesen
ist (G. Meyer Gr. Gr.” S. 383), so muß sie hier als bedenklich
gelten. Der Gebrauch des bloßen Dativs hat zwar nicht an He-
siod Theog. 569:
ws tWev üv9guimoic, mvgóg nAfoxonov avyiv
ein Analogon, wo man jetzt mit Recht Td’ à» avFow novos
schreibt, wird aber durch den ganz ühnlichen Ausdruck in Eu-
ripides Bacchen 310:
pn 10 xg&1oc avyes dvuvapir üávJQunoicg Eye
vollkommen bestätigt. Man vergl. auch Aesch. Pers. 751 f:
dédoixa un mods mhovtov novoc
ovuos avFoudmoig yévntas 100 pIdoavtog &grayf.
Seehausen i. A. Rudolf Peppmüller.
2. Die urspriingliche Stelle der Pentekontaetie im
thukydideischen Geschichtswerk.
Die Episode, in welcher Thukydides die von den Athenern
und Spartanern zwischen den Perserkriegen und dem pelopon-
nesischen Kriege ausgefiihrten Unternehmungen behandelt, ist ein-
geschoben in die Darlegung der Verwicklungen, durch die der
peloponnesische Krieg herbeigeführt wurde. Diese Anordnung,
welche Dionys von Halikarnaß nach dem Vorgang älterer Kri-
tiker als unpassend bezeichnet (de 'Thuc. iud. 10 ff), ist, wie
Roscher und Girard?) gesehen haben, durch künstlerische
Rücksichten bedingt. Nach dem in der Einleitung gegebenen
Ueberblick über die Machtentwicklung der griechischen Staaten
in der älteren Zeit, der scheinbar nur dazu bestimmt ist, die
Bedeutung des peloponnesischen Krieges in das rechte Licht zu.
setzen, empfahl es sich, zu den unmittelbaren Ursachen dieses
Krieges, auf den nunmehr die Aufmerksamkeit des Lesers schon
gelenkt war, gleich überzugehn. Andrerseits konnte jene die
1) Leben, Werk und Zeitalter des Thukydides S. 375.
2) Essai sur Thucydide, 2. Aufl, Paris 1884, S. 196.
166 Miscellen.
Ereignisse der Pentekontaetie behandelnde Episode sehr passend
nach der Darlegung der unmittelbaren Kriegsursachen einge-
schoben werden, um die Behauptung des Geschichtschreibers,
daß nicht die vorher erzählten Verwicklungen, sondern die wach-
sende Macht Athens die wahre Ursache des Krieges gewesen
(28, 6 vgl. 88), zu rechtfertigen.
Eine andere Frage ist es aber, ob die Darstellung der
Pentekontaetie ursprünglich diesem Zwecke hat dienen sollen.
C'wiklinski?) bestreitet dies mit gutem Grunde, indem er sich
auf die diese Episode beschließenden Worte stützt: zavıa dé
Evunarta, 00a Enga&av oi “EdAAnveg moog te aaidan-
ÀAovg xai zóv Buoßugor, dyt£vevo Ev Evo. nevinuovia ua
Aire pusratò tig Etofov avagwonoews xoi Tic aoyns toùde
tov nodéuov (118, 2). Als Gegenstand der vorhergehenden Dar-
stellung erscheint also hier nicht das Wachsthum Athens, son-
dern, wie es dem thatsächlichen Inhalt entspricht, die seit dem
Abzug des Xerxes von den Hellenen überhaupt ausgefiihrten
Unternehmungen. Hierzu stimmt, wie C wikliüski richtig bemerkt,
97, 2: îyouyo dì avrà xal uL exßoAnv rov Adyou Enoınoaum
dia zöde, du roi 100 èuov anacw Èxdurtèc TOÙI0 n. tÒ ‚Xwolov
xci 9d 10 7196 ıwv Mndixdiv Elinvıxa Surerldeonv 7 ovra TU
Mudixa* rovrwv dì donso xoi faro Ev 17 "ing Evyygapy E1-
Aavixoc, Bonytws te xci Toic yodvors ovx «xoc èreuriodn*
cua d) xoi tho cogne anodakır Fy gc av AFnvalaw d»
ol roonw x«réory. Die Episode soll also die bisher noch nicht
in gentigender Weise dargestellten hellenischen Begebenheiten
zwischen den Perserkriegen und dem pelonnesischen Kriege be-
handeln. Zugleich soll bei dieser Gelegenheit gezeigt werden,
wie die Herrschaft der Athener entstand. Dieser letztere Ziweck
kommt also erst in zweiter Linie in Betracht.
Sollte nun aber die Episode über die Pentekontaetie eine
Darstellung der in diesen Zeitraum fallenden hellenischen Begeben-
heiten überhaupt bieten, so hatte sie ihre naturgemäße Stelle gleich
nach der Archäologie, an welche sich in dem uns vorlie-
genden Texte eine kurze Skizze der nach den Perserkriegen
eingetretenen politischen Verhältnisse anschließt (18, 2— 19),
Bei näherer Prüfung wird sich ergeben, daß der Geschichtschrei-
ber ursprünglich in der That beabsichtigt hat, hier die aus-
führliche Darstellung der Pentekontaetie folgen zu lassen.
Wer den Thukydides mit Aufmerksamkeit liest, wird schon
die Wahrnehmung gemacht haben, daß dieser Autor es nicht
liebt, Dinge, von denen der eine oder andere Leser vielleicht
keine Kenntniß hat, als bekannt vorauszusetzen. In der Erzäh-
3) Quaestiones de tempore, quo Thucydides priorem historiae suae
eomposuerit, Gnesen 1873, S. 19 f.
Miscellen. 167
lung von dem Ueberfall Platääs durch die Thebaner (II 2, 1)
bemerkt er ausdrücklich, daß diese Stadt in Böotien lag, aber
mit Athen verbündet war. Ebenso unterläßt er nicht anzugeben,
daB Potidäa auf dem pallenischen Isthmos gelegen und von Ko-
rinth gegründet, den Athenern aber tributpflichtig war (I 56, 2).
Für zeitgenössische Leser waren derartige Bemerkungen nicht
nöthig. Dagegen konnten sie angemessen erscheinen im Hin-
blick auf eine spätere Generation, die vielleicht nicht mehr die
nämlichen politischen Verhältnisse vorfand. Wir sehen hieraus,
daß Thukydides, wie auch schon aus seinen eigenen Aeußerun-
gen erhellt*), nicht bloß für die Mit-, sondern auch für die
Nachwelt geschrieben hat.
Um so mehr fällt es auf, daß der Geschichtschreiber, noch
bevor er zur Darstellung der Pentekontaetie gelangt, auf die
Ereignisse dieses Zeitraums als dem Leser durchaus bekannte
Begebenheiten Bezug nimmt. So läßt er die Korinthier in der
vor der athenischen Volksversammlung gehaltenen Rede auf ihre
den Athenern günstige Haltung bei dem Abfall von Samos (I
40, 5), sowie auf den Verdacht, welchen man früher bei dem
Abfall von Megara gegen sie gehegt (I 42, 2, vgl. 114, 1),
hinweisen. In einer anderen Rede erheben sie gegen die Spar-
taner den Vorwurf, daß sie die Befestigung Athens und den
Bau der langen Mauern zugelassen hätten (69, 1). Die Pelo-
ponnesier seien bisher eher durch die von den Äthenern began-
genen Fehler, als durch Spartas Hülfe gerettet worden; denn
die hierauf gesetzten Hoffnungen hätten einigen Staaten, die in
ihrer Zuversicht die erforderlichen Rüstungen versäumt hätten,
nur zum Verderben gereicht (69, 5). Diese Andeutungen sind
nur verständlich für einen Leser, der von der Katastrophe der
Athener in Aegypten (109 f.) und dem unglücklichen böotischen
Feldzuge des Tolmides (113), sowie andrerseits von der erfolg-
losen Auflehnung der auf Spartas Hülfe bauenden Thasier (101)
und Euböer (114) Kenntniß hat, Wenn ferner die rastlose,
über die eigenen Machtmittel hinausgehende Unternehmungslust
der Athener hervorgehoben wird, die ihre Siege im weitesten
Umfang ausnutzen und sich durch Niederlagen am wenigsten
4) Vgl. I 22, 4: xai ic uiv dxodacw tows TÓ m pvdudes avt»
dregméGréQov paveitar 000& dé Bovinoovras TÜv TE yevouérwr T0 oages
oxonsiv x«i tov uUshhovrwy noré avis xata TO dv Fou nevoy
Tosovtwy xai napaninoiwv icsohas, wpéhiua xoiverv asta ap-
xovvtws Eis. xTiua te Pc asi uällor 7 aywreoue à TO nagayonua
axovew Evyxetar. Hiermit ist zusammenzuhalten I 28, 5: dióu d°
Avoar (Tas onovdac), tac altias noctypawa nowtoy xai Tas diaqoods,
tod un ta Inmoai note, iE drov togodtos nólsuoc toîs "Ellos xatéoty.
Die nun folgende Auseinandersetzung ist also weniger geschrieben fir
Zeitgenossen, denen die unmittelbaren Ursachen des Krieges noch in
frischer Erinnerung waren, als für spätere Generationen, denen keine
directe Ueberlieferung mehr vorlag.
168 Miscellen.
zuriickdringen lassen (70, 3—5), so ist hier augenscheinlich auf
ihre energische Kriegfiihrung in den Jahren 460—455 Bezug
genommen. Die Angabe, daß die Aegineten sich in Sparta
über die Beeintrichtigung ihrer Autonomie beschwert hätten
(67, 2), ist nur verständlich, wenn man von dem unglücklichen
Kriege Aeginas mit Athen und der hierauf erfolgten Unterwer-
fung der Insel Kenntniß hat (105, 2 f. 108, 4). Ebenso setzen
die Ausführungen der Athener über die Entstehung und Befe-
stigung ihrer Herrschaft über die Bundesgenossen (75, 2 ff)
voraus, daß das, was später hierüber gesagt wird (95 ff. und
99), dem Leser gegenwürtig ist. Was am meisten befremdet,
ist die häufige Erwühnung des zwischen Athen und Sparta ge-
schlossenen dreißigjährigen Friedens (23, 4. 35, 1. 36, 1. 40, 2.
44, 1. 58, 2, 4. 67, 1, 2, 4. 87, 2, 8), ohne dafì über dessen
Zeit und die Verhältnisse, unter denen er erfolgte, ein Auf-
schluß ertheilt wird. Die Angabe, daß der Vertrag uera Ev-
Bolus adwos geschlossen worden sei (23, 4), kann doch nur
einem Leser genügen, der mit der Geschichte dieses Zeitraums
bereits vertraut ist.
Wie konnte nun aber Thukydides bei seinen Lesern, die
zum großen Theil jene Zeit nicht erlebt hatten, eine derartige
KenntniB voraussetzen? Er hatte hierzu um so weniger Veran-
lassung, weil bisher außer Hellanikos, dessen Darstellung er je-
doch als dürftig und chronologisch ungenau bezeichnet (97, 2),
noch kein Geschichtschreiber die Pentekontaetie behandelt hatte.
Dies war ja eben der Grund, der ihn bestimmte, selbst die Be-
gebenheiten dieser Periode dem Leser vorzuführen. Wie konnte
er also in den früheren Abschnitten das, was er spüter zu er-
zühlen gedachte, als bekannt voraussetzen? Es drüngt sich von
selbst die Annahme auf, daß der Geschichtschreiber
ursprünglich die Darstellung der Pentekontaetie
an die Archäologie angeschlossen, später aber
aus dem bereits angegebenen künstlerischen Grunde die Dispo-
sition geändert hat. Da nun aber das Proómium, wenn
es bloB die bis zu den Perserkriegen stattgehabten Begebenheiten
behandelt hatte, unvollstindig gewesen wire, so mute noth-
wendiger Weise einstweilen eine kurze Skizze der nach den
Perserkriegen eingetretenen politischen Veränderungen (18, 2—19)
eingelegt werden. So erklärt es sich also, daß über die Pente-
kontaetie ein doppelter Bericht vorliegt.
Leipzig. | L. Holzapfel,
—— ee a eee
Miscellen. 169
3. Der Tod des Dichters Helvius Cinna.
Ribbeck (Gesch. d. rim. Dicht. 1, 343) sagt: ,Es bleibt
wahrscheinlich, daß Plutarch irrte, als er den bei Cäsars Lei-
chenbegängniß von der Menge getódteten Cinna für den Dichter
ausgab: er allein bezeichnet ihn als solchen ; die übrigen Quel-
len lassen die natürlichere Annahme zu, daß Cornelius Cinna,
der Verschworene, der Rache des Volkes anheimfiel“.
Der damals Getódtete heißt Cinna (Kírr«g) an der von
Ribbeck gemeinten Stelle Plutarchs Brut. 20 (m de ng Kilvruc,
nougnxog ario + « . xai loc Kulougos yeyorwg) und er fand
den tod durch das rasende Volk, weil dieses durch die Namens-
gleichheit getäuscht ihn mit einem andern Cinna verwechselte,
welcher durch eine cüsarfeindliche Rede die Menge erbittert hatte.
Letzterer heißt bei Plut. a. O. êxsiros (Klvyuc) 6 Kalougu ngog
ınv ExxAnoiuv Evayyog Aosdognousg. Denn kurz vorher (Brut. 19)
hatte Plutarch dies erzühlt, wo zweimal ohne nühere Bezeich-
nung Kí»vag genannt wird, und es ist leicht zu sehen, daß an
der spüteren Stelle Plutarch zum Unterschiede von dem früher
genannten Verunglimpfer Cäsars den mit ihm so unglücklich
verwechselten ‘den Dichter’ Cinna nennt. Plutarch erzählt
nochmals Caes. 68 diesen Vorgang in derselben Weise: dort
wird genannt Kivwus ug r&v Kalougos étulowr, welcher durch
jenes Mißverständniß sterben mußte anstatt des Kivyag è» roig
CuropoGuptrois.
Genauer bezeichnet Appian b. c. 2, 147: er nennt das
Opfer der Volkswuth dyuuoy&v (trib. pl.) Klyvuç und den Ent-
ronnenen orguınyög (praet.) Kivvuc 0 Onunyoenous àni 10 Kul-
cags. Valerius Maximus aber 9, 9, 1 nennt den Ermordeten
C. Helvius Cinna trib. pl. und den Entronnenen Cornelius Cinna,
adfinis Caesaris (s. u.); auch dort wird dessen impia pro rostris
oratio gegen Cäsar erwähnt. Ebenso und mit gleicher Rollen-
vertheilung werden die Betheiligten genannt von Suet. Iul. 85
Helvius Cinna und Cornelius (Cinna) . . . graviter pridie contio-
satus de Caesare, und von Cassius Dio 44, 50 'Eàoviog; Kirvac
Onunogywy und Kogvghog Kirvas 0 orgainyos (ovupsitoge Tag
im 3 éotux).
Danach kann es keinem Zweifel unterliegen, daß damals
den Tod fand der Volkstribun C. Helvius Cinna (als Volks-
tribun außerdem genannt Suet. Iul. 52. Cass. Dio 44, 10; vgl.
45, 6 inc tov Kívvov ywoug xevng ovens), und daß diesen — ob
mit Recht oder Unrecht, sei hier unerórtert: ich glaube, mit
Recht — Plutarch als smownuxóg arno bezeichnete: ferner daß
der dem Volke Entschlüpfte L. Cornelius Cinna hieB, damals
Prütor (als solcher auch bei App. b.c. 2, 121. 126), der Schwa-
170 Miscellen.
ger Cäsars (als dieser auch App. b. c. 2, 121. Suet. Iul. 5 er-
wähnt), welcher auch unter die Verschworenen gerechnet wird.
Also widersprechen die oben erwähnten Worte Ribbecks,
als wenn ‘die übrigen Quellen (außer Plutarch) die natürlichere
Annahme zuließen, daß Cornelius Cinna der Rache des Vol-
kes anheimgefallen sei’, durchaus dem Thatbestand. Mit der
größten Deutlichkeit sagen vielmehr alle Quellen gerade das
Gegentheil. UeberdieB ist es so gut wie sicher, daB der bei
Cic. or. Phil. 3 § 26 (im Dezember 710/44) genannte und, weil
er die von Antonius ihm angebotene Provinz ausgeschlagen hatte,
héchlichst belobte L. Cinna (des Vornamens wegen vgl. z. B.
Suet. Iul. 5) eben jener L. Cornelius Cinna ist: derselbe war
also nicht schon im März 710/44 gestorben.
Tiibingen. L. Schwabe.
4. Zu Cicero de inventione.
In meinem im Philol. XLV 469 ff. veróffentlichten Aufsatz:
‘Die ältesten Handschriften zu Ciceros Jugendwerk de snven-
tone entging es mir, wie auch den neuesten Herausgebern der
genannten Schrift, Weidner und Friedrich, daß in der von Jo-
seph Klein im Jahre 1866 ausführlich behandelten Miscellaneen-
handschrift des Nicolaus von Cues (cod. Cusanus C 14 S. XII)
unter vielem andern auch ein Bruchstück aus de inv., nämlich
II $ 159 von Virtus est animi habitus bis $ 167 alius locus erit
considerandi enthalten ist. Nach der von Klein a. a. O. S. 53 f.
mitgetheilten Kollation finden sich allerdings in dieser Hand-
schrift ziemlich viele Fehler, weit mehr als in PHS; abgesehen
von zwei größeren, in den Text gekommenen Randbemerkungen
mahnen besonders La. wie 159 vis utilitatis et (st. vis simplicis)
honestatis, 165 ad religionem (religioni) propinqua, 167 de civilibus
«bellis causis zur Vorsicht. So richtig an sich die folgende
La. ist, so gehórt dieselbe doch wohl auch hieher: 167 sunt qui
propier se solam (st. solum, sc. petendam putant amicitiam), sunt
qui «el propter se et «propter utilitatem. Daß jedoch Her-
mannSauppe recht hat, wenn er in den Götting. gel. Anz. 1866
S. 1586 gelegentlich der Besprechung von Kleins Schrift das
Excerpt aus de inv. sorgfältiger Beachtung werth hält, beweisen
folgende Stellen, wo Cus. die richtigen La. anderer Hss. theilt:
160 ante quam factum est (w sit, vgl. Friedrich), 161 Naturae
ius est (Hgg. Natura ius est, vgl. dagegen Philol. XLV 489),
162 quae sunt aut (ohne ante) fuerunt (PHS ante aut f. Diese
Stelle findet sich nochmals im Cus. (vgl. Klein S. 32) ebenfalls
Miscellen. 171
ohne ante, 162 et (P! H! ut, C aut) si quid eorum; et kann als
Kennzeichen dafür dienen, daß hier ein Glossem vorliegt. 163
cogitatio (Sc 6 agitatio) , magnis et honestis (HS nur et honestis,
P nur honestis) in rebus, 164 ad hebitate (st. a brevitate, PHS nur
brevitate) remotum, 167 amicitiam (H?S amicitias. Aus mehreren
dieser La. ergibt es sich, daB Cus. nicht aus HS oder P
abstammt.
Von besonderer Bedeutung nun sind 4 Stellen, an denen
Cus. unter den bis jetzt bekannten Hss. allein das Richtige dar-
zubieten scheint:
160 Prudentia est rerum bonarum et malarum et neutrarum
(PHS nur utrarum ohne et, die Herausgeber nach Lambin neu-
trarumque) scientia.
161 pietas (est), per quam sanguine coniunctis patriaeque be-
nevolens (C benivolis, Hgg. nach Orelli benivolum) officium et
diligens tribuitur cultus. Man erkennt, daß benivolens leicht zu
benivolis werden konnte.
164 clementia (est), per quam animi temere in odium alicuius
illecti concitatique (C iniectionis concitati, w invectio concitata)
comitate retinentur. Man hat jetzt wohl keinen der zahlreichen
Verbesserungsvorschlüge , die Friedrich aufzihlt, mehr nôthig.
Liest man lecti, so ist temere ganz am Platz, da man nur durch
Unbedachtsamkeit zu etwas verlockt werden kann; man braucht
nun nicht mehr an non temere zu denken.
167 quid verissime constituatur , alius locus erit consid e-
randi (C considerandus). Lambins Konjektur erhält somit
handschriftliche Bestätigung.
5. Zu Cornificius ad Herennium.
In dem eben behandelten cod. Cusanus C 14 findet sich
auch ein Excerpt aus Cornif. ad Her. III $ 3 Honesta res divi-
ditur — $ 7 placatur recte appetendi voluntas (vgl. Klein S. 54);
in Betracht kommen jedoch eigentlich nur $ 9 und 4, indem in
den andern 3 $ äußerst viele Lücken sich finden. Die Hs., aus
der dieser Abschnitt genommen ist, gehört entschieden zur näm-
lichen Klasse wie HP», indem sie fast sämmtliche richtigen und
unrichtigen Lesarten derselben theilt. Beachtenswerth sind fol-
gende Stellen:
III 3 Justitia est aequitas ius uni cuique retribuens (nach
Kayser so auch andere Hss., darunter H!, statt rei tribuens) pro
dignitate cuiusque. Zu retribuere = ‘einem das ihm Gebührende
zukommen lassen’ vgl. Rosc. com. 44 mihi mihi detraham, cum
illis exactae aetatis fructum, quem meruerunt, retribuam. Im Hin-
blick auf de inv. II 160 Justitia est habitus animi . . suam cui-
que tribuens dignitatem wire Cornif. III 3 der Zusatz von rei
gewiß sehr auffallend; vgl auch de off. I 20 ff.
172 Miscellen.
III 4 cuius rei aliquam <ad> disciplinam scientiam poteri-
mus habere. So schreibt nach x bereits Kayser nicht unpassend,
wie mir scheint. — Ita fiet, uti (st. ut) isdem locis simus
comparati.
Zweibriicken. Ed. Stroebel.
Nachtrag.
Mit handschriftlichen Studien zu Ciceros Reden in Pisonem und
pro Flacco zur Zeit in Italien beschiftigt habe ich dabei abgesehen
von anderem auch de inventione im Auge. Zu Florenz verglich
ich 4 Hss. aus dem XI. Jahrh., nämlich Laur. plut. 50 cod. XII
(A), cod. XX (D), cod. XLV (C) und Acquisti 120 (B). Von diesen
gehort A enge zusammen mit S; da man wegen der groBen Ue-
bereinstimmung eine Abstammung aus S? selbst annehmen darf,
so ist er von keiner Bedeutung fiir die Textkritik. Eine Mit-
telstellung zwischen PHS und den jiingeren Hss. nehmen C und
D ein, der bessere Codex von beiden ist D. Was schließlich
B betrifft, so verfuhr der Schreiber desselben zwar nicht selten
ziemlich willkürlich; daß jedoch dieser Codex unter den 4 Lau-
rentiani die meiste Beachtung verdient, beweisen Stellen wie die
folgenden, wo B allein unter den älteren Hss., ja mehrfach al-
lein unter allen Hss. die richtige Lesart darbietet: z. B. I 25
quem adversarii perturbatum putavit (st. putant) oratione — 33
quae convenire videbantur (videntur) — 82 huius facultatis maxime
indigebimus (indigemus) — 89 si omnino falsum erit (ohne totum)
— 95 aut si . . instituetur oratio steht nach ut si . . bellum in-
utile esse demonstret — II 17 Causa tribuitur in impulsionem et
ratiocinationem (ohne Wiederholung der Präposition) — 30 facile
(faciles) cognitu sunt — 114 nonne de sua gloria . . delibari (de-
liberari) putent — 133 si eius rei (ohne causa), propter quam —
184 neque isti, ne si (neque si) etc. Eine günstige Beurtheilung
von B bewirken auch La., die derselbe allein mit H theilt, wie
I 26 vitare (vitari) oportebit — 49 Comparabile est (ohne autem)
— 104 quae constat (constant) esse peccata etc. Aus dieser Hand-
schrift lassen sich daher vielleicht ein paar neue Lesarten ge-
winnen, vgl. z. B. II 159 tota vis erit simplicis honestatis con-
siderata (consideranda) — 170 Corpus mortale (ohne ani-
mal) .. interire necesse est.
In der Vaticana fand ich bisher zu de inv. 3 Hss. aus dem
XI. (oder XII) Jahrh., nämlich cod. Vat. 3234, 3235 und
3236; der beste von ihnen scheint Vat. 3235 zu sein. Eben-
falls aus dem XI. Jahrh. stammt cod. Ambros. R 17 Sup. In
einiger Zeit gedenke ich den Werth dieser Handschriften für
die Textgestaltung von de inv. in dieser Zeitschrift eingehender
zu besprechen.
Rom. Ed. Stroebel.
Miscellen. 173
6. In Senecam Rhetorem.
(Cf. Phil. XLVI 760).
Controv. II 1 (9) 10 p. 157, 19 sqq.: Ecce instructi exer-
citus saepe civium cognatorumque conserturt manus constiterunt et
colles equis virisque complentur et subinde omnis regio trucidatorum
corporibus consternitur ; illa | tuum multitudine cadaverum vel spolian-
tium sic quaesterit aliquis: quae causa hominem adversus hominem
in facinus coegit? Ante pronominis formam illa participium
conspecta (propter antecedens consternitur) omissum esse credo et
in depravata forma — tuum (C) vel tium (TV) tanta latere.
Quare scriptum velim: conspecta illa tanta multitu-
dine cadaverum vel spoliantium sic quaesierit aliquis cet. — Con-
fer loquendi formulas paulo infra frequentatas: quae tanta ira,
quod tantum malum.
Ib. 12 p. 159, 5 sqq.: In hos ergo exitus varius ille secatur
lapis et tenui fronte parietem tegit + quam umetis (l. umectis) vis
me vere in hoc pavimentum tesselatum et infusum tectis aurum? Par-
ticula quam e loco suo est remota et voces nonnullae prorsus
detruncatae in posteriore sententiarum parte. Coniciendo lego:
— in <d>umetis mallem vivere quam inctuert> hoc pavimentum tes-
eslatum et infusum tectis aurum ? — Confer paragraphum XI, ubi
est: mensam et lacunaria — — éntueri.
Ib. 17 p. 161, 17 sqq: Sic illa patriciorum nobilitas funda-
mentis urbis | habusque in haec tempora constitit. Fortasse legen-
dum est: sic illa patriciorum nobilitas a fundamentis ur bis cse ha-
buc it et» usque în haec tempora constitit, nam hujus scriptoris cor-
rigendi ratio magis in addendo quam in tollendo versari debere
videtur, et accuratius sententia illustratur duobus enuntiatis
factis, quam si cum Bursiano legimus: nobilitas fundamentis ur-
bis abusque — constitit.
Ib. 19 p. 162, 14 sq.: dico, ut non licuerit, recte tamen re-
cusasse. Post tamen excidit me; scribendum igitur censeo:
recte tamen me recusasse,
Ib. 22 p. 165, 1 sq.: — sed consensum filiorum adversus
patrem dicturum + tacitam nescio cet. Loco adeo depravato cor-
rectionem absolutam et perfectam me adhibiturum haud spero,
propono tamen conjecturam, quae mihi in mentem venit: — sed
consensum filiorum adversus patrem <odium> incitaturum tact-
tum mihilo segnius quam Bocco cuidam non malo rhetori visum erat
cet. — Cfr. paragraphum 30: non est quod mireris, si te odi
amo quos abdicasti.
174 Miscellen.
Ib. 27 p. 167, 1 sqq.: Et alias causas dizit — licet enim
plura abdicato dicere propter quae non + leget — sed nunc re-
fero, cut rei quisque mazime institerit. Sententiam lacunosam ex-
pleo una voce addita atque verbo quod est leget in decet mu-
tando: licet enim plura abdicato dicere, propter quae adoptio non
decet, sed cet.
Ib. 37 p. 172, 2 sqq.: Solebat hos colores, qui silentium et
significationem desiderant vene (AB); e forma depravata vene KieB-
ling tueri exhibuit, Bursian adhibere sine ambagibus scripsit.
Forma vero illa depravata est littera incipiente t in # mutata
— quae mutatio haud difficilis est, vid. Wattenbachii ‘Anl. zur
lat. Palaeogr.? p.51 sq.) Pro tené igitur vene legerunt scribae.
Locus omni aerugine liberatus hoe modo nitet: (Otho) Solebat
hos colores qui silentium et significationem desiderant tenere; eodem
sensu verbum dietum in Ep. Mor. Senecae legitur, e. g. ep.
VIII 5: Hanc ergo . . formam vitae tenete .
Controv. II 3 (11) 20 p. 192, 6 sqq.: lege et interpunge:
(patrem) suspensum esse nolui, volui statim illum securum esse; de
me queritur quod illum potius cogitare de matrimonio fili quam de
periculo volui. — Paulo infra (lin. 10) legendum esse existimo:
illi qui circa erant. sodales, qui occurrerant amicis paternis. — In
paragrapho sequenti (lin. 14) haec leguntur: non erit, inquit, du-
ritia patris mei; pro non erit Gronovius nota erat proposuit, quam
emendationem KieBling probavit, Bursian noverunt scripsit. Sed
nulla mutatione opus est. Vox eodem initio atque vox lecta
(sc. inquit) excidit. Est enim inexorabilis, vocabulum scriptori
nostro ($ 5) frequentatum. Seribo igitur: non erit, inquit, c inea-
orabilis> duritia patris mei.
Controv. II, 4 (12) 9 p. 199, 8: Non quaeram extra ex-
emplum sani hominis ad quod patris | met gat: ipsum sibi compa-
rabo. Ribbeck conjecit: mentem exigam, Kießling: patrem exi-
gam. Propius tamen ad codicum scripturam legendum censeo:
non quaeram extra exemplum sani hominis, ad quod pater semet
exigat: Confer exemplum subsimile in Ep. Mor. XI 10: Opus
est, inquam, aliquo, ad quem mores nastri se ipsi exigant.
Controv. II 5 (13) p. 211, 16: deinde etiamsi non in aliis,
an in hac... f gradus esset. Fortasse lacuna explenda est
scribendo: an in hac condicione gradus esset? Cfr. ea, quae su-
pra sunt: hic quaeri de condicione iuris.
In excerpt. controv. III p. 246, 4: Cestius ex consuetudine
sua miratus dicebat. Cestium miratum dicere solitum esse quid
sibi velit, minime apparet. Sine dubio illud miratus depravatum
est: ac facile quidem ex irritatus exstitit, nam irr et m com-
mixtis sequens £ in r mutarunt. Oratorem enim irritatum decent
breves illae sententiae: ‘Si Threx essem’, cet.
Miscellen. 175
Controv. VII praef. 3 p. 294, 11 sqq.: splendidissimus erat:
idem res dicebat — sordidissimas. Non recte inter se cohaerent:
‘splendidissimus erat’: ‘idem res dicebat’ — ‘sordidissimas’;
contrariae enim sententiae non satis distinguuntur. Quod fiet,
si post erat particulam at, quae ob antecedens -at excidit, addi-
deris: splendidissimus erat, at idem res dicebat sordidissimas.
Controv. VII 1 (16), 10 p. 303., 12 sq.: scitis nihil esse
periculosius quam etiam instructa navigia: parva materia sejungit
fata. Sine sensu sunt haec verba, qualia vulgo leguntur. Scri-
bendum credo: scitis nihil esse periculosius quam etiam instructa
navigia navigare».
Controv. VII 6 (21), 9 p. 315, 15 sq.: putasti aut semper
tyrannum victurum aut semper futurum patrem. Coniectura Bur-
siani, qua dementem ante futurum additur non omnino est pro-
banda. Facilius ante futurum vox consimilis atque eadem signi-
ficatione , quae in vocabulo proposito inest, excidit, dico furen-
tem, quod quidem in contextum insertum velim.
Controv. X 2 (31) 16 p. 482, 14: processi tecum $n aciem
nec illic . . . . ubi rediimus omnis gloria in una domo erat. Sen-
tentiam abruptam refingere possumus scribendo: processi tecum
in aciem nec imbelles visi rediimus. Omnis gloria etc.
Ib. 18 p. 483, 3 sqq.: Triarius hoc colore usus est: in tu-
dicio volui tibi cedere, ut non imperasse videreris, sed vicisse, et cessi:
defunctorie causam meam egi: set notum sit illum cedere quia pa-
rum est illi non putabat. Postremam sententiarum partem sensu
destitutam quam lenissima possum mutatione Bursiani emenda-
tione partim adhibita ita restituo: sed voluisse filium cedere, quia
rarum est, illi non putabant.
Controv. X 4 (33) p. 501, 22: 4YTMONH, Clicon dixit,
roîg radunwoois quod xatedéiesmiae. Continuae orationi con-
gruenter lege: Alrnoıs worn, Glycon dixit, 101g 1aMunwgois yagd
xatudéiecnias i. e. rogatio unum gaudium miseris est relicta.
Controv. X 34 p. 514, 8: dixerat enim: oapxopaya Gov y
nr yougà NATA (wu. E depravata scriptura NADA nova
restituo. Ac vere perfecta et absoluta procedit oratio illa: cag-
rpuya Gov y N yougn nÀav& Cou i. e. fallit animalia.
Lundae. S. Linde.
176 Miscellen.
7. Zu Iuvenal
Sat. V 146 — 48:
Vilibus ancipites fungi ponentur amicia,
Boletus domino , sed quales Claudius edit
Ante illum uxoris, post quem nil amplius edit.
Dem pluralischen Gemengsel 'verdüchtiger Schwümme', welche
man den Clienten auftischt, wird mit Gewicht singularisch der
boletus für den Hausherrn gegenübergestellt, als ein Essen von
culinarischem Ansehen (Plaut. Cure. V 2, 14; Suet. Claud. 44;
Tae. an. XII 67 delectabilis cibus boletorum), zumal es Leib- und
Lieblingsgericht des Kaisers Claudius war. Befremdend ist der
Nachsatz; denn fat man den Complex sed . . . nil amplius edit
als logisch - grammatische Einheit und die Partikel in ad v er-
sativem Sinne, so ergiebt sich der Gesammtsinn: ,Jedoch
nicht vergiftet, wie dies bei dem Claudius der Fall war“. Aber
dies versteht sich von dem Boletus von selbst, sodaß es einer
solchen ausdrücklichen Bemerkung nicht bedurfte; und darf man
annehmen, der Satiriker habe auf Unkosten der eigentlichen
Darstellung eine Anspielung auf die Vergiftung des Claudius mit
Haaren herbeigezogen, um dies Capitel aus der chronique scan-
daleuse des kaiserlichen Hoflebens zu berühren ? Auch die An-
nahme eines beabsichtigten Gegensatzes zu ancipites motivirt und
deckt die nachträgliche Versicherung, der boletus sei unvergiftet
gewesen, noch nicht. Heinecke in Animadv. luv. sat. S. 32 ge-
rieth darüber in helle Verzweifelung, erklürte den Zusatz für
schlechterdings unverstündlich und absurd, die Verse selbst aber
für unecht. Solchen Verdacht wies Heinrich II S. 216 zurück
und nahm mit gleichem Rechte das handschriftlich verbiirgte
quales gegen das der Symmetrie mit boletus wegen von Manchen
vorgezogene qualem in Schutz. Freilich scheint uns der Plural
nicht deshalb allein gebraucht, weil ,,Claudius erst viele aB, ehe
er den letzten af, der vergiftet war“, sondern auch im Interesse
des Gegensatzes wider den singularischen sum uxoris. Wenn
er weiter jedoch den Zusatz ‘witzig und echt Iuvenalisch’ nennt,
als habe der Satiriker sagen wollen: „Den Gästen werden ge-
fährliche Schwiimme aufgetragen, dem Herrn ein Boletus: es ist
aber leider! nur einer, wie sie Claudius aß, ehe er den letzten
verzehrte", d. h. „nur Schade, daß es kein solcher ist, wie ihn
Claudius zuletzt aß,“, mit anderen Worten: „Ich wollte, daß
er sich don Tod daran üfe!'* — so können wir ihm nicht unbe-
dingt beipflichten. Sollte Iuvenal, fragen wir, dem Hausherrn
bloß seiner engherzigen Knauserei wegen den Tod an oder in
den Hals gewünscht haben? Zwar gab sein Freund und Ge-
sinnungsgenosse Martial dem helluo Caecilianus in gleicher Situa-
Miscellen. 177
tion den grausamen Rath Boletum, qualem Claudius edit, edas!
Aber ein Zwang Iuvenals Worte im gleichen Sinne zu verstehen,
liegt nicht vor. Wiirde es sich nicht empfehlen die Partikel sed,
statt adversativ oder correctiv, im Sinne einer Steigerung
oder Ergänzung, (wie IV 27, VII 108, X 12) zu verstehen:
„und zwar, wie sie Claudius aß“? Sodaß die leckere Zuberei-
tung der kaiserlichen Tafel auch fiir den boletus domini gelten
und ihn im Interesse der Gourmandise noch hóher über die an-
cipites fungi hinausheben würde. Dafür scheint auch qualis zu
sprechen. Gleichsam als nachwachsende und durch die Na-
mensnennung des Claudius veranlaßte Allusion würde sich dann
Ante illum uxoris, post quem mil amplius edit anknüpfen; auch
die Abgeschlossenheit des Verses in sich selbst zeugt für diese
nachtrügliche Selbstinterpellation des Dichters.
Greifswald. A. Häckermann.
8. Die Blüthezeit des Alexander Polyhistor.
Von Alexander Polyhistor sagt Suidas: qv émi rà» Suda
yoorwy x«i ini tude; aber aus fr. 2 bei Agathias II 25, wo er
auf die Herrschaft der Makedonen im Morgenland 293 Jahre
rechnet, wurde Philol. XLIII 528 fg. der Schluß gezogen, daß
er wenigstens das von Agathias nicht näher bezeichnete Werk,
in welchem diese Angabe stand, erst um 39 v. Chr. geschrieben
hat. Dem a. a. O. über sein Zeitalter Gesagten sollen hier an-
dere Belege von ähnlicher Bedeutung und einige Verbesserungen
hinzugefügt werden.
Da die makedonische Herrschaft im Morgenland mehr als
293 Jahre gedauert und demnach zur Zeit der Abfassung jenes
Werkes noch bestanden hat, so sind wir berechtigt, das letzte
der 293 als unvollendet, als dasjenige in dessen Lauf er schrieb,
, anzusehen und es. fragt sich, wenn dasselbe genauer bestimmt
werden soll, wie Alexander das erste datirt hat. Als Anfangs-
epoche wurde a. a. O. die Schlacht von Gaugamela, Nov. 331
v. Ch. genommen und demgemäB die Abfassung des Werkes 39
v. Ch. gesetzt: die seitdem gewonnene Erkenntniß!), daß nicht
Polybios sondern Polyhistor von Julius Africanus bei Eusebios
praep. evang. X 10 unter den Schriftstellern, welche den An-
fang des Kyros ol. 55, 1 (560/59) setzten, aufgeführt wird,
1) Philol. XLVI 169. |
Philologus. N. F. Bd. I, 1. 12
178 Miscellen.
macht es nothwendig, um ein Jahr hinaufzugehen: die 228 Jahre,
welche das Fragment den Persern zählt, bringen den Anfang
der makedonischen Herrschaft in ol. 112, 1. 8332/1, welcher
demnach an die Erwerbung Aegyptens im Herbst 332 geknüpft
ist. Die Wahl dieser Anfangsepoche hüngt offenbar damit zu-
sammen , daß zuletzt nur in Aegypten die makedonische Herr-
schaft noch fortbestand ; Anfangs- und SchluBtermin bekamen so
gleiche geographische Grundlage. Wenn demgemäß die Abfas-
sung des in Rede stehenden Werkes nicht ol. 185, 2. 39/8 son-
dern 185, 1. 40/39 gesetzt wird, so läßt sich hiefür auch die
Uebereinstimmung mit einer anderen Stelle anführen, welche wir
als ein Fragment des Alexander Polyhistor in Anspruch nehmen.
Eupolemos, der Verfasser einer jüdischen Geschichte, zühlte
5149 Jahre von Adam bis zum 5. Jahre des (Seleukiden) De-
metrios und zum 12. des Ptolemaios, von wo nach Clemens
Alexandrinus 120 J ahre bis 40 v. Chr. verliefen, Clem. strom.
I S. 405 noir ano "Adap ayoe tov n&uniov trovs Anunigior,
Hrohepatov 10 dwdéxut ov Busidevoviog Alyvntov, Gvvayec) ut
& sous —. and dì rov yodvov rovrov ayos tw àv “Puun
vnuiwy Tutov Aopzrsavov Kacwvov ovudpoilera Eın Exaròv
&xoc,. Die Verbesserung Ivalov Aopertov xai "Acıwlov (coss.
714/40, s. Freudenthal Alex. Polyh. 214), ist evident und all-
gemein anerkannt; Schwierigkeiten, welche noch nicht behoben
sind, machen die Kónigszahlen und die Frage nach der Quelle
der Worte «nö Ó& 100 yoorou — etxoos läßt sich ohne ihre Lö-
sung nicht mit Sicherheit beantworten. Der Schlufitermin des
Eupolemos, d.i. die Abfassungszeit seines Werkes fiel 120 Jahre
vor 714,40, also 160 oder 159 v. Chr., zu welcher Zeit Deme-
trios I in Syrien regierte: an Demetrios II (von 146 ab) ist schon
def wegen nicht zu denken, weil sein 5. Jahr nicht entfernt mit
dem 12. Jahr eines Ptolemaios verglichen werden konnte. Der
Geschichtschreiber wird mit hoher Wahrscheinlichkeit für den
Eupolemos gehalten, welcher 161 als Gesandter des Makkabüers
Judas nach Rom ging, um dort ein Bündnif auszuwirken (1.
Makkab. 8, 17. 2. Makkab. 4, 11). Die Sehwierigkeiten beste-
hen darin daf 1) das 5. Jahr des Demetrios erst nach 159 an-
hebt: er erwarb Syrien im Seleukosjahr 151 = Okt. 162—
Sept. 161 v. Chr., sein 5. Jahr beginnt also erst nach Sept.
158. 2) Besser würde das 12. Jahr des Ptolemaios Physkon,
beginnend 2. Okt. 159, passen; aber dieser besaß damals nur
Kyrene und sein älterer Bruder Philometor zählte bereits das
28. Jahr seiner Herrschaft über Aegypten.
In der Zeitschrift f. protest. Theologie 1875 S. 749 fg.
vermuthet v. Gutschmid, Eupolemos habe nur das 5. Jahr des
Demetrios angegeben; der unhistorische Synchronismus des Pto-
lemaios Physkon gehóre dem Urheber der zu jenem passenden
Miscellen. 179.
rómischen Zeitangabe und sei frühestens 146/5 entstanden, wo
Physkon Aegypten durch den Tod seines Bruders gewann, seine
dortigen Regierungsjahre aber schon von 170/169 ab zu zählen
anfing ; dieser Chronologe habe also in Aegypten geschrieben,
von Clemens sei wahrscheinlich (ich gebe nur die Möglichkeit
zu) auch sein Name genannt worden; vielleicht sei Tyulou 4o-
perlov <xui ’Acwlov vmó» Kuociaroù ?) zu schreiben. Ich be-
zweifle indeß, daß ein Chronologe nach dem Tode des Physkon
(117/6) noch ein ügyptisches Datum aus der Regierungszeit des
Philometor dem Physkon beigelegt habe; auch versteht man
nicht, wie sei es dieser oder ein spüterer auf den Gedanken
kommen konnte, das 5. Jahr des Demetrios (158/7) dem 12.
des Physkon (159/58) gleichzusetzen und von jenem 120 Jahre
bis 40 v. Chr. zu záhlen. Richtig ist aber, daf Clemens das
rómische Datum nicht selbst berechnet sondern in seiner Quelle
vorgefunden hat: denn seine eigene Kénigsliste S. 396 kennt
Physkon als Herrscher Aegyptens nur von 146/5 an und über-
haupt sind alle von ihm aus der Profangeschichte angegebenen
Intervalle, welche nicht in seine Zeit herabführen, aus älteren
Werken abgeschrieben. Woher er das obige Intervall gewonnen
hat, würde lüngst erkannt worden sein, wenn man nicht, abge-
halten durch die Angabe des Suidas über Polyhistor geglaubt
hätte, das anscheinend nach dessen Zeit fallende Datum 40 v.
Chr. auf die Ernennung des Herodes zum Kénig, geschehen ge-
gen Ende 40, beziehen zu müssen. Das Fragment des Eupo-
lemos hat Clemens, wie längst feststeht (s. Freudenthal, Alex.
Polyh. 12), dem Polyhistor entlehnt und da, wo er dieses ge-
funden hat, wird er auch das rómische Intervall gefunden haben:
jener hatte angegeben, wie viel Jahre von dem Doppeldatum des
Eupolemos bis auf seine eigene Zeit verflossen waren. Die Be-
deutung desselben ist aber durch einen Textfehler verdunkelt.
Von den Worten //rodsuatov To dwdéxatov Pucıkevorrog
Alyvnıov ist das letzte zu beanstanden. Nicht weil Physkon
damals über Kyrene herrschte: Eupolemos hat sicher nicht nach
Jahren der obscuren Regierung von Kyrene datirt sondern an
die von Aegypten und demnach an Philometor gedacht. Son-
dern deßwegen weil bei 4nuntefov das Land, über welches er
herrschte, nicht angegeben ist. Hätte er, was unwahrscheinlich,
nur bei dem einen von beiden sein Land angegeben, so würde
er das bei Demetrios gethan haben: denn den Namen Ptole-
maios führten, wie münniglich bekannt war, alle Kónige Ae-
gyptens seit 1!/;» Jahrhunderten, während in Syrien bis dahin
nur die Namen Seleukos und Antiochos mit einander abgewech-
2) Ein ágyptischer Gnostiker, aus dessen Exegetika, wie G. er-
innert, Clemens a. a. O. S. 378 werthvolle chronologische Angaben
beibringt.
12*
180 Miscellen.
selt hatten; bei Demetrios war es also nicht sofort ersichtlich,
welches Land er regierte. Das Wort Alyunıv ist aber nicht
einfach wegzustreichen, sondern in adiov *) zu verwandeln: Eu-
polemos meint das 12. Jahr seit Philometor selbst regierte.
Vorher nimlich war er unmiindig gewesen und hatte zuerst seine
Mutter Kleopatra, nach ihrem Tode aber Eulaios und Lenaios
die Vormundschaft geführt, s. Hieronymus zu Daniel S. 11.
Kleopatra starb, wie aus 2. Makkab. 4, 21 (vgl. mit 4, 23. 5, 1)
zu schließen ist, Sel 139 = Okt. 175/Sept. 174: dort heißt
es, daß Antiochos Epiphanes an die Grenze Aegyptens gezogen
sei und sich vergeblich um die Einsetzung zum Vormund be-
miiht habe. Die Vormundschaft bestand noch am Anfang des
róm. Stadtjahrs 583/171, Liv. XLH 29, 5—7, als schon Rii-
stungen, um Koilesyrien dem Antiochos zu entreifen, betrieben
wurden; noch vor Ausbruch des Krieges, nach dessen Beginn
Philometor sogleich entscheidend geschlagen und bald auch ge-
fangen genommen wurde (Anfang 169), hatte er die Volljährig-
keit erreicht und die Regierung selbst übernommen, Polyb. XXVII
12; vor Mitte 169 wurde bereits der jiingere Bruder miindig,
Polyb. XXVIII 10, 8 (vgl. Metzung, de Polybii libr. XXX—
XXXIII, Dissert. Marburg 1871 S. 9). Das ägyptische Kalen-
derjahr, in welchem Philometor selbständig wurde, beginnt dem-
nach entweder am 5. Oktober 172 oder am 5. Oktober 171; fiir
letzteres entscheidet, wenn ich ihn richtig deute, der Synchro-
nismus des Demetrios.
Zum 12. Jahr der Selbstherrschaft Philometors paft das
fünfte des Demetrios (1598/7 v. Chr.) zwar ebenso wenig wie
zum 12. des Physkon, aber bei jenem läßt sich eine Erklärung
finden, während bei diesem keine möglich ist. Demetrios hatte
seinen Vetter, den Knaben Antiochos Eupator vom Thron ge-
stoßen, indem er, nicht ohne Grund, behauptete ein besseres An-
recht auf denselben zu besitzen; diese seine Ansprüche hatte er,
wenn auch vergeblich, gleich beim Regierungsantritt des Antio-
chos Eupator in Rom geltend gemacht, Polyb. XXXI 12. Man
darf daher vermuthen, daß er, wie in solchen Fällen oft ge-
schehen ist, die Zeit der nach seiner Ansicht unrechtmüBigen
Regierung desselben in der Datirung zu seiner eigenen geschla-
gen, diese also vom Tod des Antiochos Epiphanes ab gerechnet
hat, welcher 163 v. Chr., zwischen März und September) ge-
storben war. Sein 5. Kalenderjahr ist insofern Sel. 153 —
3) Ein denkender Leser, welcher «vro? nicht verstand, konnte
leicht auf die Vermuthung kommen, es sei verschrieben st. Alyvnıov.
4) Sel. 149 (1. Makkab. 3, 37) = Oktober 164 / September 163;
varr. 591 (Granius S. 8), beginnend id. Mart. = 22. Marz oder 27.
Februar 163.
Miscellen. 181
Okt. 160/Sept. 159, mit welchem sich, vom 5. Okt. 171—70
ab gerechnet, das 12. Jahr der Selbstregierung des Philometor
fast vollstindig deckt: dieses beginnt 2. Okt. 160, jenes einen
oder einige Tage nach 4. Oktober (Neumond). Von da bis 40
v. Chr. sind 120 Jahre; das von Eupolemos gemeinte Jahr in
Olympiaden- oder in rômische Stadtjahre umzusetzen war Alexander
durch die Zeit der von Eupolemos erwühnten auswirtigen Ereig-
nisse in den Stand gesetzt; jener hatte sein Werk vermuthlich
bis zum Tod des Hohenpriesters Alkimo und dem Abzug des
Bakchides im Mai 159 (1. Makkab. 9, 57) geführt, nach
welchem 2 Jahre lang Friede und Ruhe im Lande der Juden
herrschte.
Alle über die schriftstellerische Thätigkeit des Alexander
Polyhistor vorhandenen Zeugnisse, welche einen SchluB auf die
Zeit derselben verstatten, fiihren erheblich tiber die des Sulla
herab. Das Werk neoi ’lovdalwr, in welchem die Auszüge aus
Eupolemos standen, ist 40 v. Chr. geschrieben; in demselben
Jahre das, in welchem er die Dauer der nach einander Asien
beherrschenden Dynastien angegeben hat. In der babylonischen
Geschichte theilte er Auszüge’ aus Berosos mit, welche er der
Chronik des Apollodoros entlehnte (Euseb. chr. I 7); diese ist
71/69 v. Chr. geschrieben, Philol XLI 602 ff In dem Buch
über Phrygien citirte Alexander ein Werk des Promathidas
(wahrscheinlich das über Herakleia, Steph. Byz. I: ados), wel-
cher in einer andern Schrift den von Dionysios Thrax con-
struirten Nestorbecher beschrieb (Athenaios XI 77 S. 489); da
Dionysios laut Suidas Zfio»vcwoc "AlzSavdgeug Opa] écoploreucer
ly 'Pwun &ni Iourntov rod weyaiAov zwischen 70 und 48 in
Rom gelehrt hat, so ist wohl auch die Entstehung des Werkes
negi Povylas erst um 40 zu setzen.
Die literarische Blüthe Alexanders füllt hienach, so weit
sie sich zeitlich bestimmen läßt, mehr als ein volles Men-
schenalter nach Sullas Herrsch aft; ein Ergebnif,
mit welchem sich auch die persónlichen Nachrichten, selbst die
welche von Sullar eden, ohne Zwang vereinbaren lassen. Hygin,
welcher 47 als Knabe nach der Einnahme Alexandreias Caesars
Sclave wurde, genoß nachher in Rom Alexanders Unterricht, Sue-
ton. gramm. 20. Suidas selbst sagt nicht, daß dieser unter Sulla
geblüht oder geschrieben, sondern nur daf er damals und spüter
in Rom gelebt hat: nv dé d» ‘Puun ini wv Stila yoorwr xoi
ini rade. Unter Sulla ist er also zuerst nachweisbar gewesen,
aber nicht als Schriftsteller sondern, wie die vorhergehenden
182 Miscellen.
Worte &nexA7In xoi KoovnMiog, don Aevrovio alyuadwriodeis
ènou9n x«i avi nosdaywyòc èyévero, eîra mAevdeowdn im Zu-
sammenhalt mit Servius zu Virg. Aen. X 388 quem Sylla civi-
tate donavit lehren, als gelehrter Sclave eines Lentulus, welcher
von Sulla das Biirgerrecht erhielt. Suidas oder sein Vorgänger
Hesychios hat indeß den Hergang zu kurz erzählt vorgefunden
und in Folge dessen ihn durch ein Mißverständniß entstellt.
Den Namen Cornelius erhielt Alexander nicht von Lentulus son-
dern von Sulla, wie er auch von diesem, nicht von jenem das
Biirgerrecht erhalten hat. Denn mit dem Freilassungsakt war,
wie aus Livius II 5. Dionysios ant. IV 22 fg. Dositheus Fragm.
de manumiss. 5. Zonaras VII 9. 327d u. a. bekannt ist, die
Ertheilung des Biirgerrechts unmittelbar und nothwendig ver-
kniipft; wenn also Sulla ihm dieses ertheilt hat, so war er nicht
schon von Lentulus freigelassen worden. Den Sclaven eines an-
deren Römers konnte aber Sulla nur zu der Zeit freilassen und
mit dem Biirgerrecht ausstatten, da er unumschränkter Herr des
rémischen Staates war, als das Volk ihm die Dictatur nicht
bloß auf unbestimmte Zeit sondern mit so gut wie schranken-
loser Machtvollkommenheit übertragen hatte. Damals, im J.
673/81 (Appianos b. civ. I 100) wühlte er aus den Sclaven,
welche den Proscribirten gehórt hatten und nun verkauft wer-
den sollten, die jüngsten und krüftigsten, mehr als 10000, und
gewührte ihnen Freiheit und Bürgerrecht, sie führten von da an
nach ihm den Namen (L.) Cornelius und wurden ohne Zweifel
auch mit einem Besitz von ihm ausgestattet: da der bleibende
Genuß dieser Güter von dem Fortbestand seiner Einrichtungen
‚abhing, so hatte er damit sich ebenso viele geschworene Partei-
günger geschaffen, welche jederzeit für ihn und sich die Waffen
zu ergreifen bereit waren; zu diesem Zweck hatte er die kräf-
tigst n, zum Zweck langer Dauer ihrer Verwendbarkeit die jüng-
sten ausgesucht, Appianos b. civ. I 100 rp drum tovcg doudous
ıwv avnonpévwy 1006 vewratove te xal evoworotatove (so Men-
delssohn st. svouiorovc) uvolwv nAslovg ELevdeqw ous éyxuréhete
xai noAlrag anépnve Pwpatwy xui KogrnAlouc og ÉUVTOÙ mgoc-
einev, Onwç éÉroluoic 2x ruv POnwotwy moóc rà nagayytAAoutve
pvotoic xoc 1o. Zu diesen hat also auch unser Alexander und
zu den Proscribirten oder im Kampf gegen Sulla Gefallenen
sein Herr, jener nicht näher bekannte Lentulus gehört. Seine
Geburtszeit fällt demnach um 108—98 und sein vollständiger
Name ist L. Cornelius Alexander.
Ein Peripatetiker Alexander, welcher nach Plutarch Crass. 3
den bekannten Crassus in der Philosophie unterrichtete und nicht
blofi sein Hausgenosse war, sondern ihn auch auf seinen Reisen
und Feldzügen begleitete, ist von manchen mit dem Polyhistor
identificirt worden; aber Plutarch, der letzteren aus seinen
Miscellen. 183
Schriften kennt (quaest. rom. 5. de musica 5), spricht von je-
nem wie von einem wenig bekannten Manne und Crassus, ge-
boren 115 oder 114 (Plut. Cr. 17), hat schwerlich erst im reifen
Mannesalter Unterricht in der Philosophie genommen.
Wiirzburg. G. F. Unger.
9. Die Regierungszeit des Hieronymos von Syrakus.
Daß Hieronymos, Hierons Enkel und unmittelbarer Nach-
folger desselben in der Herrschaft über Syrakus, mit Unrecht
von manchen Geschichtschreibern einem Phalaris, Apollodoros
und andern durch ihre Grausamkeiten berüchtigten Tyrannen
gleichgestellt wurde, beweist Polybios VII 7, 3 aus der kurzen
Dauer seiner Regierung: zxaeig nuoadafòv tiv aoyny, stra unvag
où nhslouc Tour xui déxu Bidouc'), puernddate tow Blor. Wib-
rend dieser Zeit, führt er fort, kónne einer oder der andere ge-
foltert, irgend einer (n»«) von den Höflingen und andern Syra-
kusern getödtet worden sein, aber daß er Willkür im Uebermaß
und ausnehmende Frevel verübt hätte, sei unwahrscheinlich,
Diese Beweisführung hat wenig Einleuchtendes: binnen 13 Mo-
naten, sollte man denken, hätte Hieronymos eine erheblich grö-
Bere Zahl von Menschen verdächtig finden nnd grausam behan-
deln können. Ebenso unbegreiflich ist, wenn er wirklich 13
Monate regiert hat, daß Polybios den Vergleich mit Apollodor
für verkehrt erklärt; welcher doch selbst höchstens 3 Jahre
über Kassandreia geherrscht hat: er schwang sich nach dem
Untergang des Königs Ptolemaios Keraunos und seines ganzen
Heeres (April 279) während der gallischen Invasion Makedo-
niens zum Tyrannen auf, nach dem Sieg des Antigonos Gonatas
über ein gallisches Heer bei Lysimacheia (Spätsommer oder
Herbst 279) erklärte ihm dieser den Krieg und eroberte die
Stadt nach 10monatlicher Belagerung ; diese mußte beendigt sein,
als Antigonos daran ging Makedonien in seine Gewalt zu brin-
gen, was ihm nach Besiegung des Antipatros im September oder
Oktober 276 gelungen ist”). Die Wahrheit ist, daß Hieronymos
nur wenige Monate regiert hat.
1) zw xai dixa 7 dudéxo (joa; Suidas unter ‘Ispwvuuos.
2) Die Zeiten des Zenon von Kition und Antigonos Gonatas.
Akad. Sitzungsb. München 1887 S. 127. Droysen III 189. 199 setzt
die Erhebung Apollodors 278, seinen Sturz 276.
184 Miscellen.
Hieronymos wurde varr. 539 ermordet, spätestens Februar
214 v. Ch.: auf die Angabe, daf nach seinem Tode der Prae-
tor von Sicilien, Appius Claudius, den Senat nef das Drohen
einer Empórung aufmerksam machte und Besatzungen in die
Grenzplütze der Provinz legte, folgt bei Livius XXIV 7: Ezitu?)
anni eius Q. Fabius Puteolos communit praesidiumque imposuit . inde
Romam comitiorum causa veniens etc. Den Thron hat Hierony-
mos nicht 216, wie viele annehmen, sondern frühestens im Spät-
sommer 215 bestiegen. Appius Claudius, welcher sich damals
schon in seiner Provinz befand (Liv. XXIV 6, 4), war einige
Zeit nach der spit erfolgten Besetzung der einen, am Anfang
des Jahres verwaisten Consulnstelle, etwa um Ende des róm.
Aprilis dahin abgegangen (Liv. XXIII 32, 2); die Consuln rü-
steten sich zum Abgang auf den Kriegsschauplatz in der zweiten
Hälfte des Maius (id. Mai 539 = 1. Juni 215), Liv. XXIV
82 transactis rebus quae in urbe agendae erant, movebant iam sese
ad bellum: denn die Latinerfeier, welche unter den stüdtischen
Angelegenheiten mitzuverstehen ist, fand den Bruchstücken der
Festtafel zufolge am 16. Maius/13. Junius statt und ein Er-
laB des Consuls Fabius befahl, alles Getreide bis kal. Iun. in
die festen Städte zu schaffen. Geraume Zeit, nachdem die Con-
suln die Kriegführung übernommen hatten, gelangten die Schiffe,
welche die inzwischen aufgegriffenen Gesandten Hannibals und
des Kónigs von Makedonien führten, zum Consul Gracchus nach
Cumae und von da zum Senat, welcher nun die Vorbereitungen
für den Krieg mit Philippos machte. Mit Bezug auf diese heißt
es XXIII 38, 12 fg. pecunia ad classem tuendam bellumque Ma-
cedonicum ea decreta est, quae Appio Claudio in Siciliam | missa
erat, ut redderetur Hieroni regi: ea per L. Antistium legatum Ta-
rentum est devecta . simul ab Hierone missa ducenta milia modium
tritici et hordei centum. Mindestens im Juli 215 regierte also
Hieron noch.
Statt 1000» xoi dexa ist Toy xai mulotos zu lesen: das
Zeichen für 1/3 ist wegen seiner Aehnlichkeit oft mit 4 (dexa
und réccages) verwechselt worden; derselbe Fehler wie hier fin-
det sich bei Andokides de pace 4 rgiaxoídexa (statt 31/2, 8.
Philol. XL 128) und Plut. Kleom. 38 éxxeídexa (st. 61/2); der
andere bei Arist. pol. V 9, 28 reıragaxorın xoi térrupa (st.
40'/, Hirsch und Roeper Philol. XX 723) Hieronymos mag
etwa vom August oder September bis December 215 re-
giert haben.
3) Der exitus anni umfaßt bei Livius die letzten 30 tage, Philol.
Suppl. IV 305 (wo 25 Tage auf die varr. 582—600 mit 18. Februarius
des Gemeinjahrs beginnende Wahlzeit zu beschrünken ist); varr. 589
beginnt er hienach mit 7. Febr. 214.
Würzburg. G. F. Unger.
Miscellen. 185
10. Thierfabeln auf antiken Bildwerken.
In der archäologischen Zeitung XXXIII (1876) S. 18 ff.
wird von F. Matz ein triimmerhaft erhaltenes, aber durch eine
alte Zeichnung sicher zu reconstruirendes Relief behandelt, wel-
ches zwischen zwei Windgöttern eine weibliche Gestalt in eiligem
Laufe zeigt; hinter ihr bauscht sich ihr Mantel bogenförmig auf;
links unten erscheint vor einem Schilfstengel en Sumpfvogel,
rechts ebenfalls vor einem Schilfstengel eine aufstrebende Schild-
kröte und noch weiter rechts neben ihr ein Adler. Matz weist
Braun’s Beziehung auf die von Zeus (= Adler) geraubte Aegina
(= Schildkröte) mit triftigen Gründen zurück. Nach Matz dient
Schildkröte wie Reiher und Schilf zur Characterisierung einer sum-
pigen Niederung und die Frau ist eine Personification des Nebels,
der aus dem feuchten Thale aufsteigt und in der Höhe von den
Winden gepackt und zersireut wird. Auf diese meteorologische
Deutung der weiblichen Figur als ‘Nebelfräulein’ will der Un-
terzeichnete hier nicht weiter eingehen, nur möge verwiesen wer-
den auf die vielbehandelte Hesiod-Stelle Opp. et dies 547 sowie
auf die Welcker'sche Deutung der Oreithyia-Sage (alte Denkm.
II 155 f, Gotterl. III 70, vgl. Rapp im mythol. Lex. 813) mit
den neuerdings aus Leistner’s ‘Nebelsagen’ (112 f. 277 f.) bei-
zubringenden Parallelen. Doch ist es keineswegs sicher, daß die
Thiergesellschaft zum ursprünglichen Kerne der Composition ge-
hórt; denn die alte Sitte, dergleichen episodisch zur Ausfüllung
leren Raumes einzufügen, ist nie ganz erloschen. Jedesfalls
hat aber das wunderliche Kleeblatt lediglich die Erinnerung an
die Fabel von der Schildkrôte, die das Fliegen lernen will, zusam-
mengeführt, Babr. 115 (Phaedr. H 6):
vers gedwvn diura cvv nov aldulucs
Adoos TE xai xivEsv. sÎnev ayouiotuis*
eae nuuwijv (Js 106 memowujxu."
1j d° ériuyuwr Èlefev aletòg tara ad. 1).
Daß hier neben den Agonisten die Sumpfvögel als Chor auf-
treten, wie in dem Relief, wird schwerlich auf Zufall beruhen.
Eben so hat ein alter Handwerker, (Ann. del Inst. X Taf. 4.
5) dem ausziehenden Helden Amphiaraos einen Igel und einen
springenden Haasen als ‘Liickenbiifer’ zwischen die Füße ge-
setzt, weil ihm das hübsche Thiermärchen vom Wettlaufe jener
beiden Gesellen in den Sinn kam, vielleicht aus einer maleri-
schen Darstellung, wie wir sie bei Gerhard, auserlesene Vasen-
bilder Taf. 317, nachweisen kónnen (de Badr. aet. p. 222, vgl.
1) Auch Matz erwahnt beiláufig die Fabel, übersieht jedoch des
Ausschlag gebenden Moment. G. Knaack (Anal. Alex.- Rom. S. 81°)
macht auf das Relief bei Gelegenheit der Chelone-Metamorphose auf-
merksam. ohne es weiter zu verwerthen, ‘cum quid bestiae illae sibi
velint mihi nondum constet’.
186 Miscellen.
203° 215!) ?). Auch in der hellenistischen Zeit verschmähte man
es nicht, auf ‘Landschaften mit Staffage’ den armen Packesel
der Fabel (Babr. 7, Aesop. 177 u. 177° H.) neben das stolze
ledige RoB zu stellen (auf einem merkwiirdigen Wandgemilde in
den Columbarien der Villa Pamphili, vgl. Jahn, Abhandlungen
der bayr. Akademie VIII 272 Taf. II 4) oder die amüsante
Fabel- Anekdote vom Esel, der dem Treiber ‘iiber’ ist (Aesop.
335 H., vgl Suid. prov. Coisl. Ps.- Diog. Vind. 237 s. v. xà
Toy byqhcérny) hôchst drastisch zu illustriren (Antich. di Hercol.
tab. XLVII).
2) An dasselbe Thiermärchen erinnert ein von Welcker im Rhein.
Mus. XV 157 besprochenes Fragment eines Komikers der véa (8 un
dedwxsev n Tiyn xovu o uévo| uam doausitas x&v vnèo Aadav
doaun); doch bleibt die Beziehung unsicher, vrgl. die verwandten
Wendungen oben p. 33.
_ Tübingen. O. Crusius.
11. ‘Makedonisches’ bei Lasos von Hermione?
In der neusten Darstellung der griechischen Litteraturge-
schichte wird als Beleg fiir die arge ‘Kiinstelei’ im Stile des
Lasos nachträglich III S. 498 mit Ausrufungszeichen die überra-
schende Entdeckung mitgetheilt: Der Hymnus auf Demeter setzt
die Kenntniß des Makedonischen voraus (Athen. X 455 d)!
Bei Athenaeus a. O. (II S. 326 Mk.) heifit es (in den Ex-
cerpten zegi yofguv) :
xal o elc LOLA Anunga dé riv ep | Eouióvg novi eic TO
Adcom vuros &cwuoc icuv, We quow ‘Houxdeldnc 6 Nov-
1806 Ev Tolt@ meQi movnuzic. ov Zorıv coyn (PLGr. III 376)
Aapurqu pénw xoour te KAvuéroio &Àoyov.
83 forw evrogjou xal dAÀwv yelpwr (PLGr. III 666)
à pareod yevouar, narguv de pov di pv9ov vdwg
aupls Eyes. umo d tor 9rd uolo noc.
parega uiv otv Aéyes 17 dio ... unmo dé 7) Antw, quc
Kofov èotì Fvyatno. Maxeddveg dì 10v ao0dpuòv
xoTov noogayogevovot.
Mit 8 83 Zour evnogjous x14. setzt^ein ganz neues Excerpt an,
welches mit den Bemerkungen iiber Lasos absolut nichts zu
thun hat. Gelesen hat also der Verf. die Stelle nicht, son-
dern ‘nur von weiten’ gesehen; und nicht einmal der höchst
befremdliche Charakter seiner vermeintlichen Wahrnehmung ver-
anlafite ihn, das Versäumte nachzuholen. Aehnliche, oft recht
störende Flüchtigkeitsversehen — z. B. Verwechselung von Ei-
gennamen (III 370, 2 Achaios fiir Aristarchos, 387, 9 Sosigenes
fiir Sositheos) — sind in dem mit unleugbarem Geschick, aber doch
gar zu eilfertig zusammengeschriebenen Handbuche leider gerade
keine Seltenheit.
x. y.
Miscellen. 187
12. ’Ovrws in der Komödie.
Der Nutzen von Specialwürterbüchern wird wohl von nie-
mandem bestritten, indessen wird es ganz lehrreich sein einmal
an einem besonders auffilligen Beispiele zu zeigen, welche Fol-
gen der Mangel eines Spezialwórterbuches unter Umstinden ha-
ben kann. Dies Beispiel ist das Wort Grrwç. Dieses Adver-
bium, welches so recht eigentlich den Gegensatz des Seins zum
Schein ausdrückt, hat bis auf den heutigen Tag noch nicht zu
einer vollen Anerkennung seines Daseins in einem nicht unwe-
sentlichen 'Theile der griechischen Literatur, der Aristophanischen
Komódie, gelangen kónnen. Ich stelle kurz die Leidensge-
schichte des Wortes zusammen. Die älteste mir zu Gebote ste-
hende Angabe ist 1) die in der Kusterschen Ausgabe vom Jahre
1710: im Index heißt es unter 6rrws: Pl. 286. 289 etc. Es
folgt 2) das Lexicon Aristophanicum graeco-anglicum von James
Sanxay !) London 1754 (neue Ausgabe Oxford 1811) mit 1
Stelle: Pl. 82. 9 Stellen bietet 3) Ioannis Caravellae Epirotae
index Aristophanicus (Oxford 1822) S. 235: Pl. 408 (sic!). 286.
289. 837. N. 86. 1274. ER. 190. V. 991. E. 781 — nur
ist aus Versehen 6rrog gedruckt, und dieser Druckfehler ist in
den Abdruck in der Invern. Ausgabe Vol IX 2 8. 508 über-
gegangen, obwohl der Umstand, daß unmittelbar vorher die
Form örrwr steht, leicht zu der Erkenntnif des richtigen Sach-
verbalts hätte führen können. Der Wahrheit sehr nahe kam 4)
Fritzsche in der Ausgabe der Thesmophoriazusen (Leipzig 1838)
zu V. 673, der (aus eigener Sammlung) 12 Stellen aufführt:
N. 86. 1271. V. 997. R. 189. PI 82. 286. 289. 327. 403.
581. 836. frg. ap. Ath. XIV 652 f. — 493 D. 586 K. —
wührend sich 5) in dem Index der Ausgabe von Bothe 1845
nur 2 Stellen finden: Pl. 323. 832. 6) Im Thesaurus Stephani
V (1842— 46) heißt es gar: ,,0r7wc Aristophanes nonnisi semel in
frg. (586 K.) nec ceteri saepe" -- offenbar eine Folge des Druck-
fehlers im Index des Caravella. Auch 7) Passows Lexicon 1852
kennt nur die Stelle in dem Frg., wührend 8) Papes Lexicon
(1843) als einzige Stelle Pl. 286 anführt und 9) Jacobitz (1862)
das Vorkommen des Wortes bei Ar. gar nicht erwähnt. Den
Irrthum des Thesaurus versuchte 10) Kock zu Eq. 177 (2. Aufl.
1867) zu berichtigen, indem er 5 Stellen hinzufügte: V. 997.
Pl. 286. 289. 327. 836. Aus Anlaß der Behandlung von Eq. 177
1) Damit sich niemand eine übertriebene Vorstellung des schwer
zu erlangenden Buches mache (selbst Blaydes ed. min. S. LXXXVIII
führt es unter falschem Titel auf; Beck in der Invern. Ausgabe Vol.
III 35. LXVI sagt: ‘lexicon Aristophanicum graeco-anglicum edidisse
dicitur Iacobus Sanxay. London 1754. 8.’) bemerke ich, daß dasselbe
auf 206 Octavseiten nur eine ganz dürftige Auswahl von Belegstellen
aus den 11 Stücken bietet; die Fragmente sind ausgeschlossen, wohl
weil Kuster sie in seine Ausgabe nicht aufgenommen hatte.
a
188 Miscellen.
citiert 11) Anz Progr. Rudolstadt 1871 S. 17 sq. 11 Stellen:
N. 86. 1271. R. 189. PI 82. 286. 289. 327. 403. 581. 836.
960. So stand die Sache, als 12) ich selbst in meiner Disser-
tation vom Jahre 1878 (Conjecturarum observationumque Aristo-
phanearum specimen I S. 19) dem verkannten Worte zu Hülfe
kam und seine Frequenz bei Ar. und den übrigen Komikern
genau feststellte. Vergeblich! Im Jahre 1883 erschien 13) die
mit stupender und stupider Fingerfertigkeit fabricierte Concor-
dance to the comedies and fragments of Ar. von Dunbar: S. 226
heißt es lakonisch: ‘uv7wo N 86 «ri... Das Jahr 1886 brachte
14) Blaydes kleinere Ar. Ausgabe mit einem Index praecipuorum
vocabulorum: in diesem heißt es (Vol. H S. 565) ‘orrwg revera
Pl. 286. 289’ und dem entsprechend in den Addenda und Cor-
rigenda zu den Fragmenten Vol. II S. 440: ôvrwç legitur apud
nostrum tantum in Pl. 256 (sic!) 289°; auch 15) in seiner Aus-
gabe des Plutus erklärt Blaydes S. 425: ‘ortrwc voz rara in
comicis: Ar. Pl. 286. 289 f. 493?’ (folgen 7 Stellen aus den
Fragmenten der übrigen Komiker). Blaydes Angabe suchte 16)
Leo Sternbach (Beitrige zu den Fragmenten des Ar. Wiener
Studien VIII 1886 H. 2 S. 252) zu berichtigen, aber auch er
gab nur einen Theil der Belegstellen: aufer Pl. 286 und 289
noch 7: N. 86. 1271. V. 997. R. 189. E. 786. Pl. 403.
836. Endlich schien es, als sollte dem geplagten Worte die
Erlósungsstunde schlagen und als sollte ihm neben der Feststel-
lung seines Besitzstandes gleichsam als Entschädigung für die
vielen Unbilden die hohe Ehre zu theil werden fortan als Kri-
terium in wichtigen chronologischen Fragen zu dienen: Schanz
suchte im Hermes XXI H. 3 S. 439 sqq. das Vorkommen der
Formeln 19 0v» und örrwg einerseits, wo dintws, 17 adntela,
and, GAnJela andererseits für die Chronologie der platoni-
schen Dialoge zu verwerthen. Aber welche Enttäuschung für
den Aristophaniker: es heißt S. 441: ,,0rrws ist wahrscheinlich
eine Schópfung des Euripides; er gebraucht es Ion 222. Herc.
fur. 145 (var. óg3wc). f. 250 N. aus dem Archelaus (auch in
der unechten SchluBparthie der Iph. Aul. 1619 kommt es vor).
Weiter finden wir ovıwg bei Ar. in dem spütern Plutos
326 und 289. In der Prosa findet sich örıws vor Platon
und Xenophon nicht“. Da halte ich es denn für meine Pflicht
noch einmal meine Stimme zu erheben, und zwar an einem
Orte, der weniger abgelegen ist als eine Dissertation, um end-
lich dem unglückseligen Worte zu seinem Rechte zu verhelfen.
orrwg findet sich bei Ar. an 15 Stellen: Eq. 177 (im Rav. in
den übrigen Hss. fehlt es). N. 86. 1271. V. 997. R. 189.
E. 786. Pl. 82. 286. 289 (om. RV.). 327 (Ovis; VU.) 403.
581 (om. VA.). 886. 960 (ivre; R.). f. 586 K. In den Frag-
menten der übrigen Komiker begegnet es uns (vorläufig noch
nach Jacobis Index) an 7—8 Stellen: Antiphan. 212, 6. 7 H
Miscellen. . 189
104 329 II 134. Amphis 37, 4 II 247 (Grotius für ovzw).
Anaxil 30 II 278. Diphil 65 II 562. Men. IV 179, 3.
Apollod. IV 454, 1 V. 1. Die älteste Stelle ist also Eq.
177: doch bedarf diese noch der Untersuchung. Der Sklave
sagt zu dem Wursthändler: ;fyres yag ws 0 yonouòs ovroci
déyei | arno peyiorogs. So haben alle Hss. außer dem Rav., wel-
cher zwischen yo und we noch óriwc bietet. Da dies unmög-
lich eine Interpolation sein kann, der Ausfall des Wortes vor
ws aber sehr leicht erklärlich ist (PL 289 und 581 ist es so-
gar ohne ersichtliche Veranlassung ausgefallen), so muß ovrwe¢
auf jeden Fall in den Text gebracht werden. Kock Rh. Mus,
IX S. 500 sq. schlug vor yfyra yüg Orrws we 9 yonouoc 00%
yr. Da man aber das Demonstrativpronomen ungern entbehrt,
so vermuthete Anz a. a. O. S. 15: ylyraı yao ortwe, yonouds
ovroci Agye (‘de parenthesi cf. 330’), wobei man aber wieder we
vermißt. Man könnte auch denken an yíyr& yao üviwc, wo 00i
yorouoc Àéyes oder besser ylyres yàg Ovrws, wc 0 yonsmos quo
di (vgl. 121. 195. 1025) — jedenfalls aber ist övrws als: von
Ar. herrührend zu betrachten. — Wer hat nun ovrws in die
Litteratur eingeführt, Ar. oder Euripides? Ar. Ritter sind an
den Lenaeen 425 aufgeführt, während sich die Aufführungszeit
der Euripideischen Stücke Ion, Hercules furens und Archelaus
nicht sicher bestimmen läßt. Den Ion setzte Boeckh (de tragg.
8. 192. 203) bald nach 428 an (vgl. Clinton fasti Hell. ed.
Krüger S. 69), Bernhardy um ol. 89 (424 —421), dagegen Zirn-
dorfer 413 (de chronolog. fabb. Eur. S. 78 - 80); jüngst hat ihn
Rich. Arnoldt (J. f. Phil. 131, 1885 S. 591 sq.) wegen schein-
barer, mir aber recht zweifelhafter Anspielungen in Ar. Vógeln
auf die Lenaeen 114 verlegt. Der Herc. fur. ist nach Zirndorfer
(S. 56—63) 421 aufgeführt, nach Hermann und Bernhardy
um ol. 90 (420—417) Der Archelaus soll dem Könige Ar-
chelaus von Makedonien zu Ehren verfaßt sein, würde dann
also in die letzten Lebensjahre des Euripides fallen. Sollte
aber auch wirklich die Stelle in Ar. Rittern die älteste uns be-
kannte Belegstelle für 0r1ws sein, so ist es doch äußerst wahr-
scheinlich, daß dies philosophisch aussehende Wort vielmehr von
Eur. zuerst in die Poesie eingeführt und anfänglich von Ar.
nur parodisch verwendet wurde: wenigstens zeigen die vier er-
sten Stellen tragische Färbung; allmählich erlangte es das Bür-
gerrecht in der Sprache der Komödie, wenn auch das achtmalige
Vorkommen im Plutos auffällig erscheint. — Von Synonymen
findet sich bei Ar. nur «2n9ws und zwar 13mal (Ach. 143.
Eq. 787. N. 209. 341. 873. V. 14. Av. 507. 1167. Th.
789. 798. R. 501. PI 108. 346), so daß es, vom Plutos ab-
gesehen, das Uebergewicht hat.
Vorstehendes war schon geraume Zeit in den Händen der Re-
daktion, ehe O. Káhler in der 2. Aufl. der Wolken von Teuffel (Leipz.
1887) Anhang S. 196 unter Berufung auf meine erste Besprechung sich .
des Wortchens annahm, allerdings an einem leicht zu übersehenden Orte.
Frankfurt a. O. O. Bachmann
——
190 | Miscellen.
Excerpte und Mittheilungen.
Revue arch. 1888. Nr. 1. 2. Januar. Februar. Sal. Rei-
nach: L’Hermés de Prazxitèle, mit Phototypie. Der Verfasser sieht
in diesem Werk des jungen Praxiteles eine Allegorie: Hermes
ist Arkadien, Bacchus Elis, mit Berufung auf Pausanias VI 26, 1
und auf die 363 erfolgte Versóhnung der Arkadier und der
Eleer. — Ernest Renan: Inscription phénicienne et grecque, mit
Phototypie. Der griechische Theil lautet: Td xowóv» 10v Di-
dwriwy MonslInv Sıdwriov. — Cagnat: Bronzeplatte aus Cre-
mona mit der Inschrift in Abbildung: Leg(tonis) IIII Mac(edo-
nicae) M. Vincio iterum Tauro Stat(ili)o Corvino co(n)s(ulibus) [im
Jahre 45] C. Vibio Rufino leg(ato) C. Iloratio . . . o princ(ipe)
p-.... Der Verfasser hält die Platte für die Bekleidung ei-
nes Kästchens zur Aufbewahrung von Geld. Das letzte p er-
klärt er für die Abkürzung von praetori; der princeps praetorii
war der princeps prior der ersten Cohorte und hatte nach Veget.
II 8 die Verwaltung der Legionsangelegenheiten. — Aévillovt:
Une confrérie égyptienne. Die religiósen Verbrüderungen erschei-
nen erst gegen das Ende der Herrschaft der Lagiden, obgleich
sie sicherlich uralt sind, während in früherer Zeit in verschie-
denen Papyrus immer nur von Handelsgesellschaften die Rede
ist. Nach dem Papyrus 115 in Berlin giebt der Verfasser eine
Uebersicht über die Verordnungen, welche eine solche religióse
Verbindung nach altem Brauch regelten. — Die Chronique
d'Orient giebt Nachricht von den Ausgrabungen, welche Mac
Murtry in Sicyon und Fougéres in Mantinea vorgenommen ha-
ben. In Sicyon hat man die Fundamente des Theaters, eines
der größten in Griechenland, blofigelegt; in Mantinea das Theater
und die Säulengänge, welche den Marktplatz einschlossen, auch
viele Inschriften, darunter auch eine Widmung von Philopoemen,
entdeckt. Der Verfasser, Sal. Reinach, bringt ferner aus der
Amalthée de Smyrne (Nr. 1152, 3—15. Juni 1887) eine Inschrift
auf dem Untersatz einer Bronzestatue bei: Muroì tewy llÀa-
oımvn | KodBsioesog Oogets | avéFnxev, | durch welche die Lesart
Ilactjvns, die man für falsch hielt, bei Pausan. V 13, 7 voll-
stindig gesichert wird. Durch Baltazi hat er Nachricht von
der Auffindung einiger Sculpturen in Cyme (Namourt) erhalten,
welche nach seiner Ansicht einem Augusteum angehórt haben,
und da einer der Kópfe Aehnlichkeit mit Tiberius hat, so glaubt
er, daß der Tempel diesem Kaiser, deu Wiederhersteller My-
rina’s und Cyme's nach dem Erdbeben, gewidmet gewesen sei.
Durch das Bruchstück einer wahrscheinlich darauf bezüglichen
Inschrift, welches er selbst 1881 aus Kleinasien mitgebracht hat,
Excerpte und Mittheilungen. 191
vervollständigt er die von Mommsen Ephem. Epigr. Tom. II p.
473 Nr. 1045 gegebene, nach dessen Angabe aus Myrina, in
Wirklichkeit aber aus Cyme herstammende Inschrift in folgen-
der Weise: TI : CAES//// | DIVI * AVG : F * DI;//IVLI n.
aug VSTVS : PONTIF /// MAX trib. ! pot EST : XXXVI *
IM /// VII cos v |. — Von dieser Nummer der Rev. arch. an
wird Cagnat regelmäßig eine Uebersicht über die neuentdeckten
Inschriften aus den verschiedenen französischen, deutschen, ita-
lienischen etc. Zeitschriften zusammenstellen: ein sehr zeitge-
mäßes Unternehmen, auf welches wir unsere Leser hierdurch
hingewiesen haben wollen.
The Academy 1888. 7. Jan. Robert Blair: Ein Stein aus
Newburn-on-Tyne mit der Aufschrift: LEG XXVV | CHO IIII |
LIB FRO | TER? MAS | d. h.: Die Centurie des Liburnius
Fronto und die Centurie des Terentius Magnus von der 4. Co-
horte der 20. Legion mit den Beinamen Valeria und victrix (er-
rihteten dies Denkmal) — 14. Jan. Robert Brown jun.: Die
etruskische Inschrift Gamurrini Nr. 30; ihm zufolge ist fuflun-
sul payie-s-vel cudi so viel wie: Wine-god-the-belonging-to: Bac-
chanal-and Goat. — 4. Febr. Flinders Petrie: Die Kolosse,
welche Herodot zufolge auf zwei Pyramiden des Sees Moeris
gestanden haben sollen, standen vielmehr, von einer Basis ge-
tragen , auf dem Ende eines ansteigenden Mauerwerks und
konnten von dem griechischen Schriftsteller, der sie wahrschein-
lich während einer Ueberschwemmung nur von fern erblickt hat,
als auf den Pyramiden selbst stehend angenommen werden. —
ll. Febr. Sayce: Brief aus Cypern über die Antiquitäten, na-
mentlich das Wenige, was noch von dem Aphroditentempel in
Paphos vorhanden ist. — 25. Febr. Robertson Smith: Der
Weg aus Syrien nach Aegypten. Es giebt zwei Strafen. , Nur
der eine Ort an der Küste, nümlich das Cap, welches die eng-
lische Karte und the Mediterranean Pilot (1885) Kas Bouroun
nennen, kann der sandige Hiigel sein, welcher beriihmt ist durch
den Tempel des Jupiter Casius und durch das Grab des Pom-
pejus". —- Naville: Vorlesung über Bubastis etc. Fortsetzung
aus 21. Jan. Die von Onias unter Ptolemaeus Philometor ge-
baute Stadt hat nicht im Nomus Heliopolis, sondern in dem
Nomus Bubastis gelegen; es giebt nämlich außer dem in der
Nummer vom 21. Jan. erwähnten Tell-el- Yahoodie noch ein
zweites gleichen Namens; 10 englische Meilen nördlich von dem
ersten befindet sich eine Niederlassung aus römischer Zeit und
6 englische Meilen weiter nördlich von dieser das zweite Tell-
d-Yahoodie und die deutlichen Spuren einer jüdischen Nieder-
lassung, welche durch die Gräber, namentlich durch den Stein
unter dem Kopf des 'lodten, zweifellos als jüdisch gekenn-
zeichnet ist. Der in einer Inschrift vorkommende Ausdruck
aiorıg xai Xugss, sonst nicht üblich in griechischen Inschriften,
192 Excerpte und Mittheilungen
ist aus dem hebräischen iibersetzt. Was jeden Zweifel beseitigt, ist
der Name ‘Orlov, von welchem der Anfangsbuchstabe allerdings nicht
vollständig ist, auf einem Stein. Wahrscheinlich sind ferner hier
die im Itinerarium Antonini erwähnten Scenae veteranorum gele-
gen gewesen. — 38. März. Max Müller: Fors Fortuna; der
Verfasser verficht seine Ansicht, daß Fors nicht von ferre, son-
dern von ghar (d. i. dawn, Morgendümmerung) herkomme;
Mdyhew dagegen vertheidigt in einem gleich darauf folgenden
Aufsatz die Ableitung von fero durch das Etymologische Wör-
terbuch der deutschen Sprache von Kluge, in welchem fors mit
dem altdeutschen (gi)burt, dem angelsiichsischen (ge)byrt zusam-
mengestellt wird, die denselben Sinn haben und welche die von
Maz Müller für nicht erklürbar gehaltene Entstehung des Vo-
kals o aus einem e hinreichend beglaubigen. S übrigens auch
Bradley, 10. Mürz, so wie Gudbrand Vigfusson, 17. Mürz, der
das Isländische durör (ursprünglich Geburt) von bera, tragen,
gebüren, welches in den Sinn von fortuna übergehe, heranzieht.
— Isaac Taylor: Die Hyksos, für den mongolischen Ursprung
derselben; dagegen in 17. Màrz für die semitische Herkunft
Tyler, der die Hauptgottheit der Hyksos Set oder Sutech mit
dem hebräischen Shaddai (Exod. VI 3) identificiren zu können
glaubt; andererseits meint, 24. März, Tomkins, daß, wegen der
deutlichen Kennzeichen in den Abbildungen, wenigstens die
Führer Mongolen gewesen sein müßten. — 17. März. Naville:
Bubastis. Der Tempel zu Bast (Bubastis), den Herodot als ei-
nen der prüchtigsten schildert, hat, bei den letzten Nachgra-
bungen, außer Resten von Kolossalfiguren mit den Namenszug-
verzierungen (cartouches) von Osorkon II und Rameses II, Sculp-
turen ergeben, welche ein Fest Osorkon's darstellen: Priester
und Gottheiten treten auf ihn, der in einer Nische sitzt, zum
Theil in groteskem Tanze, zu, vielleicht sein Krónungsfest.
The American Journal of Philology VIII 4 (32). Robinson
Ellis: Further Notes on the Ciris and other Poéms of the Appendix
Vergiliana. Der Verfasser theilt mehrere Lesarten aus einem
Manuscript des Corsini-Palastes in Rom 43 F, 111, 21 bezeichnet,
zu dem Gedicht Ciris mit und baut darauf einige Conjecturen;
sodann giebt er aus dem cod. Vat. Lat. 3269, welcher fiir an-
dere Dichter, die er enthält, Catullus etc. schon benutzt, für die
Dirae noch nicht verglichen ist, die sämmtlichen Varianten des-
selben für dieses Gedicht an, die wichtigeren besprechend. —
Perrin: The Odyssey under Historical Source-Criticism, mit Bezug
auf Kirchhoff, Die homerische Odyssee, auf von Wilamowitz- Moel-
lendorf, Homerische Untersuchungen, und auf Seeck, Die Quellen
der Odyssee, besonders auf des Letzteren Buch. — Seaton: The
Symplegades and the Planctae; Nachweis, daß sie verschieden waren.
nn eee
X.
Griechische Sprichwörter.
Im cod. Pal gr. 129, einer Heidelberger Excerptenhand-
schrift vom Ende des XIV. Jahrhunderts, befinden sich einige
wenige Excerpte aus Sammlungen griechischer Sprichwirter,
welche es vielleicht verdienen veróffentlicht zu werden.
Dieselben stehen auf Fol. 118" und Fol. 120. Aeußerlich
zerfallen sie in drei Gruppen.
Die erste auf Fol. 118": die Sprichwörter I 1—29 in 36
Reihen fortlaufenden Textes, die letzten Worte püsç-uxgareis so
unter der 36. Reihe, daß man erkennt, der Schreiber habe mit
diesen den Satz schließenden Worten erst keine neue Seite be-
ginnen wollen. Die einzelnen Sprichwürter mit ihren Erklürun-
gen werden von einander durch Doppelpunkte getrennt. Am
Rande links, etwa der 8. und 4. Reihe des Textes entsprechend,
von derselben Hand, Feder und Tinte :+nugoulus ıwv Kw
coqwr. Natürlich sollen diese Worte die Ueberschrift bilden.
Die zweite Gruppe ist in derselben Weise wie die erste
geschrieben. Am Rande rechts, der 2. und 3. Textreihe ent-
sprechend, von derselben Hand die Ueberschrift :+augowulus xai
avtri. Auf Fol 120" in 36 Reihen I 30— 50, Fol. 120°
die ersten 13 Reihen I 51—70. An I 70 schließen sich auf
der 13. Reihe unmittelbar, nur durch Doppelpunkt getrennt, bis
Reihe 17 Mitte folgende zwei Apophthegmen : Kagos 6 giAócogoc
Philologus. N. F. Bd.I, 2. 18
194 M. Treu,
8 CASnvav aveddwv dv ry Bacılevovon xal Feacapevos ta Gtoi-
zeta dv 10 inno, aywve Epn° duoruyn wos ta narra palverac, el
Tava 14 Grosysin GANFevovor. Kai Iva ti n nos avin xadé-
GrQxtv. 0 dè quÀOGoqoc "AoxAnnıog &vayvovg ta dv TH wuguaow
yocupata egy’ ayadov un pIaca rà Tore uÉddovia ytvé£oO au,
wc xai wot xéodog nv 10 un dvayıwvas: — Mit Reihe 18 be-
ginnen andere von späterer Hand geschriebene Excerpte :+ 6
adodssyos rov udolésyou: owoual ce avdice vor dé ov GyoÀaGur
0 Hiatwry nagnver roig nodituss u. 8. f. :
Die dritte Gruppe auf dem Rande von Fol 118" und
Fol 120* und zwar:
II 1— 6 auf Fol 118v oben in 2 Reihen
1— 9 » » » links » 17 »
10—14 „ ,» 120r oben , 3 ,„
15—23 „ , , rechts, 40 ,
24—25 „ , » unten, 1 Reihe.
Die erste und zweite Gruppe ist indessen in eine (I) zusam-
menzufassen. Denn einmal sind beide von derselben Hand (von
I 36 Ende des Fol. 120" Lin. 23 an mit anderer Feder), so-
dann lehrt eine Vergleichung mit dem cod. Athous, daf I 18—
29 auf Fol 118° und I 30—45 auf Fol. 120" unmittelbar
zusammengehören und einer dem Athous nahe stehen-
den Quelle entstammen. Die zweite Ueberschrift z«ooi-
ular xai avrus spricht nicht dagegen. Sie erklärt sich daraus,
daß diese direkte Fortsetzung von Fol. 118” erst geschrieben
ist, nachdem derselbe Schreiber auf Fol. 119" Excerpte anderer
Art gebracht hatte. Denn aus einer Blätterverschiebung läßt
sich das Dazwischentreten des inhaltlich fremdartiges enthaltenden
Fol. 119 nicht erklären. — Es ist für mich keinem Zweifel
unterworfen, daß diese der ersten und zweiten Gruppe angehö-
rigen Sprichwörter, die ich mit I 1—70 bezeichnet, direkt aus
einem anderen, sicherlich vollständigeren Ex-
cerptencodex abgeschrieben sind. Diesem aber, also
der Quelle unserer Sammlung, mögen drei verschiedene Sprich-
wörtersammlungen zn Grunde liegen: A) eine alphabetische, auf
die I 1—17 zurückgeht; B) eine dem Athous verwandte, I 18—
46 (auf die mich zuerst Leopold Cohn aufmerksam gemacht);
C) eine ebenfalls alphabetische, die mir besonders deshalb be-
Griechische Sprichworter. 195
merkenswerth erscheint, als sie von den 17 nagowulas Alownov
4 enthält, und zwar in derselben Folge (I 53. 58. 69. 70).
Oder beginnt diese Entlehnung aus der alphabetischen Samm-
lung bereits mit I 40? Dafür würde sprechen, daf von den
Sprichwörtern I 18—46 allein I 40 nicht im Athous zu finden
ist, wohl aber auch unter den Aesopischen vorkommt.
Die an den Rand geschriebene dritte Gruppe (II) steht mit
den anderen in keinem Zusammenhange. Denn einmal findet
sich I 15 in dieser in abweichender Fassung wieder (II 6), so-
dann ist die Schrift am Rande, trotzdem sie der im "Texte sehr
ähnlich sieht, doch nicht von demselben Schreiber; zum Be-
weise führe ich an, daß im Text das «+ von ém regelmäßig
punktiert ist, am Rande niemals.
Im Folgenden bringe ich den genauen Wortlaut der Hand-
schrift, auch mit Beibehaltung der Accente. + subscriptum
steht zufällig nur einmal. Abweichungen der Handschrift habe
ich unter dem Texte angemerkt.
I.
[Fol. 118v]+ Hagotulartwy ÊEw cogo».
[A]
l'4doy?9 Zxvolu Ev rove xoig eefhinIn nuod wr ' A9n-
valwy Oncsds xui ixfAn9tig avi AFe mods rov Avxoundnv
dy rj Sxvew we noòs YlAov- 0 dé Avxoundns poBoyueros
un 6 Onoeds éxBain avrov 15c Puoidelas povedoug èxeice
EJape . clita. ÉAaglov of °A9nvaios yogouóv ereveyxas
ta dork 100 Onotws' olrwes xai uerevsyxovres EFupav dv
ın Arai:
2’Aqoxadinv yu ulteis: Auxsdaruovior rmodsuovpuevos Und
tv Teysurwv noovto rov 9eov, mus dv rmepuyevwvias 6
dè Éyonoer oviwc^ > Agxadiny u alrig: péyu wm’ ulreîc
otro, dwow :
3 Euuvtrw fadavevow: your Épuur® dıuxornow:
4 Els nvo Eaulbvecc: dni ıWv uummr xaxonaFovrvtwy:
S "EAÉEÉquvz0G dQiagétQssg ovdév* àni tuv avascIgiwr xai
yaQ 10010 ro GQov dvalc3ntov:
1 4eyn Zxvoic fehlt 2'Aoxadinvp aiveisg fehlt
4 Zaives
18*
196 M. Treu,
6 Ev dI dgacxndlerc? èrì tov un duvauérwvr Audety na-
0000» neolontog ècrir n adwc :
7‘H xuwv &v ı5 qurvg* ni wy unis 100€ ti wosouvrwr,
une GAove Èuvrwv* nagosov N xvwv ovre avi) xguJüg
éoFles, ovre 10v nor dà:
8 "Hioc tor nkov, xuinurrakoc EEexoovoe nattadov:
9 Auyws xudevdes: Eni vOv nooonovovuévuv nxouucdui :
10 Alvov div ovvunreıg' éni rv rà BOTH RQUItOYIWY:
11 "Etw Btdwy xa9:9a9os* muoursi paxgav lordsus TW
oyAnoewy :
12 Kugixóg reayros' eni wy edrehwv Ovrwr:
13 Kontitev: éni 100 wevdseotas xol unarav EFrafav Tv
AéEw :
14 Kav ano vexgoU pégeuv àni züv xsgdowovruv ano
mevijiwr n vexQQ :
15 Kuvdugou oxiaí: ini vOv pofovuérwr 16 ur akia pofov:
16 Mié weils undì wedloous: dni wv un Bovloufvwr na-
Jeiv th padlor utra ayadtov:
17 IlégdvE ogovaor: vil 100 ragéws bade: Ene:dnneo ro Cwor
rovio tayo meduMheodur níQuxe:
[B]
18 To Awdwvuîtorgyuixetov: stonras é£ni wy nolÀà da-
kovvıwr dy. Awdwrn yag yudxeiov Enì xlorog Ev uerewow
xeiGJut qaot, nAnolov dà Ep Éré£gov x(ovoc Eorurui maida
éEnorguérov uaotiya yuAxQv rvevuatog dì xivgOérviog ue-
y4Àov tjv uaGnyu moÀÀexe. cl; tov AEBnta Èèunintev xai
3 ~ e N he > x Av ’ .
ijyeiv oviw rov deBria &ni moldy yoovor:
19 Hoóc dvo o?0 6 “Houxinc: nyour mpóg dio dodtere-
Grégous ovo’ 0 moÀÀa ardoziog:
20 °E» Kagi 0 xlvduvoc: ini rir èEulprns x«i d9goor toic
xuvduvross TéQununtOVTUM :
21 “ddic douig: àni riv dx puvdoregus dsalıms Épyouérwr àni
tu Bsdtfovar àneidr] xaragyác où arIguwioi Balavoig dovr
TQEPOmEVOL votegor toig Anunigiaxoîs eugedeios xegmoig
&yonoavıo:
22 "“Ahiny dovr Buakuvıbe: Eni rv ovveywg ulrouvrwr ragu
ıwv dedoviwy ovroic:
14 xavsov für x&»
Griechische Sprichwörter. 197
28 Alwv pootog: Futogog Tig pact inv vary mAnguioas adv
Ende vivwoaviwy OË wy vuutwy eloeAdovoa n Fudacca
TOUG re &Àag èEEmmée xai thy vavv xutemovmoe :
24 Anurıov xaxov: elonra. n rmagosula ano twv ev Afuvo
yuvarivv, af rov; avdgus Èpovevour, éyxudovou, bu uv-
tal; ovx éulyvuvio qevyovies ımv Ig O0unc dandiav, nv
agooífaisv avraîs n Ayoodiın unnuouca :
25 Evdvulwvos unvov zuFevdes‘ éni tav navv onvglqgv
elogia, Ensıdn Ev rove modes ıng Kugtuc 6 “Ynvog égacdeis
nudos Evdvulwvos xudovjévou Eri xai viv aviov xai£ytw
xouupevov dfyerui :
26 Tur Ada x«i yeiga xlves ovnlaing tic wo pace tov
Ovor tl; BoFoov ugeis eire tuig yeooiv avélxwy to ‘Hoa-
xAei noocnv&uro 0 dì Hoaxdig éxéhevosv adtov ty yeioa.
Onovdurorsgwe roocpéoeuw xai ımv Feov enyxudsiotac:
27 '" Y yvéoregovy xgotwvog* éni wy navy vysawovrwy N na-
qoiulu elontar ano tov LWov tov xgorwvog‘ Asiov ydQ
gouv Glov xoi vywwwóv* péuvntas toviov Mévavógog dv
Aoxgois:
28 Tovyovog Audloregos:* wi tovyoves ov wovov roig oro-
pac, alla xui roig Omodsv uégeow jyovow elontas dé
éni tw molla xci &mavora dudourtwy:
29 Mig Aevxog' éni tuv axoutwr megi ta ' Apoodlou ened)
oí xaroıxldıoı eg xoi wudiota ob Aevxol megi riv Oyelav
aloir üxgareig :
[Fol. 1207] + wagosplas xoi avıuı.
90 °AAin9éoteou rm» à ni Suyoa' Aoxgoi noÂeuor Eoyov
moog roùç Kgoorwvwítag x«i Emsuwav eig Aaxsdaluova
cvupaylus deouevos où dè unexolvavro , diL duvauiv uév
où dwoovoi, 1oùç dì Aiocxovgovs uvtois cvuntupovow
avactgépurtes dà où Auxgoì usia TW Aiocxovowv uayns
yeyernuérng vexwos rovg Koorwwarus. ımv dì vixnv èx
tov avtomutov Quum tig nyayev sig Auxedaiuova undevog
> E - , [N 9 ,
agiypévov ayythov, pera de tavta eAdovtes wig anny-
yeshav rj avın nuto ysyeviGOas thy payg» xai ijv vi-
. > x + 3 ~ N s ENS ~ , 3
x. enti ovv ahnd7 Eloi ta ano ING uns ayyti3Sévra,
30 dsooxogous; aber dsocxovgwy
. 198 M. Treu,
elg magosplav coquus dni wy navy aAnddr. Suyou dé
êoTu 0 tonoc, dy à) ) uuyn yeyévntac:
31 "ABudnvor ànigoonua* EFog jv toic. ABudynvoig peru
TÔ deinvoy xai tig Omovdag moocuyer roUG Muidug wer
Iv TT1IOV roig eUwyouuérous KExQuyOTWY dè tw muidwv
xal JoguBou yevoutvov did tag ılıdasg andluv ylvectas
modi v roig dastvuociv* 09ev slontar n magousla ri
t» andar:
32 Suodwwviosg y£Awg* dni tw un ix xaduoùs wwyns ye-
Awrrwy un dé yuvovons ng duuvolug Myeras, OU dv
Sagód vj vnom yiverui Poruvn oellro negandnolu,
nv ob nooceveyxuäuevor doxovcı piv yelar, onuoum dé
anodvioxovow :
33 Orou naqouuvpews* xeguusts tic nolods Ogridaç tv
rj toyacinoio Gvvnyer” bros dì nugudr axodovFouvros
auelüç tov OvnAutov nuguxvyus Out Fvoldos d&vecofnos
toug oguducg xai ra dy 10 Eoyucinglo cuvéroupe Oxsun o
youv xeouuedç Ent xglow ellxe 10v Ovnlarnv, Og xai gow-
tupueros UNO navıwp, ılvog xoívovo, PFAeysv Ovov nu-
gaxvupews. elontas dì 7) nugowle Eni 10v. xatuyehacTws
Cvxogpuviovuevwv :
94 Kıvsig vov Avayvoov* éni tw nag uxivovrviwy rwa
ni 10 Éavidv xaxdv elonraı Avayvoos yao Now; àmyw-
Qi0g tic toc éxysstovwy udr@ olxovvius &x B 99v. dvé-
zoewer, éneudi) TO 700v avrov UBolous Eregelongav:
35 ‘O Kaondd3iog tòv Auywv' ri rv Éuvrois emonwue-
ruv xaxa. ob yag Kagnuïios énnydyovio ini ijv Éuvrwv
vnoov Aaywovg, un Ovıug rmooisgov olrives noddoì yevo-
pvo, tag yewgylus uvtwy tivunvavio:
36 ALE Zxupla éni züv rag svegyeclauc dvargenoviwy, nei
moÀÀdxig ta ayyéia Gvargénes n all. uAlos dì puoir émi
1)» ovnoipoguy Àéyeoda dia to noAd yala qígQ&w ras
Zxvolas atyac:
37 Avxos nrsegwra Cntrsi’ dni vu» aduvatwv Atyetas:
38 Kuvvesoc Egug* Eni wiv un xarogIovpevwy envIumswr
6 Kuvvog yag xai n Buflis Nouv adeAyoi neo tiv Ev-
Boar’ épacdeioa dé tov adelpou n Buflis 10 nudos noòs
32 oslnvw 37 sic! 38 beidemal xuBlsg naga mv evfoiav
Griechische Sprichwörter. 199
av10» œuoloynoer 6 dì qevywv rjv ul elg Kaglay
doradn x axeî Kavvov Extioe moûvr: n dì un pé-
govoa inv Enebupiav avethev Eavıyv:
99 Tavidiov r«Anvta* Eni ıwv miovolwv selon N mago
pia, ws 1ov Tavtahov xni Feopehovg yevouévou xol
miovolov:
[C]
40" Aveu yaAxov GQoifloc où uavreverai tiv loyuv
10v10 Onuaives Tor DWowY:
41 Alavissog yélwe: éni zv nagagoorw:
42> Awovddtegos Asıßn$olwv‘ dyovra ovros Ruovootegoi
maviwr, Eredi nag «vioig 6 tov Oogpéws èyévero Guvatos:
48" Mei xolosvóg mag xodosov ilaves:
44° dei yewoyos ès v£ura whovcios:
45” Argéws duuata* ta dvudÿ xai maonvoua dia thy 7005
tov Ovéorny nagavouluy etontas:
46 "4v n Aeovi un £uxvgvaw ınv GAWMEXTY mgoGuyo»:
4| Avıov.x&xoovuxag tov Baırnoa rig Fvoue' ngog
TOÙG mAnosucurtus rwi nocyhari :
48 ‘diay uédiuvov xutagaywr ent plus cuviuovos:
49 °AdAotovovdpas 9égoc:
90 Auroë d0do0g nndnma' ini diulovevopérwv: [Fol. 1207]
dl devregos ndovs* àni zov Td devteou uigouuérwr:
52 dvo tolyous uAe(qeug* Eni vuv xodogruvr xai Enuupo-
Teostoviwv : |
53 Eotaı xai ywiwv Ogôouoc to adndov dot:
54. 55 "ES ampov cyorviow mÂéxes ni rw ddvratwv:
opoiwg xul 10 el; udwo yod per:
56 Eig wuxaowy vgcovc: isi eudwuovwv:
57 Ex ungoa»c Jeóc avaquvetíg: éni rv angocdoxytwy:
58 "H Zeus 7 Xdowy: yovv 57 eudaluwr Bloc 7 réAog:
99 ‘Hoeaxlerov vócov: Akysı mv tegav vooor:
60 XPFovea hovieu’ wm roig vexgoig Émipegoweva :
61 djaxóv xontecc?):
39 ralavtoy 50 dudas avro? 58 7 Xaowy télos, Xdowy
von derselben Hand durchstrichen
1) [Vor diesem Sprichwort ist das Hauptlemma, unter welches
auch 62 gehört, ausgefallen: yauai avrheis. Cr.].
200 M. Treu,
62 Kata wayatowy xvßıorac:
68 ’Qyuysa xuxd* ta nalmd fj td yolend:
64 del piva ngóg ro ovoatov decuetv éni tar pr
durautvuv noımoas 0 BovdAovtas magocov ov duvatul Tig
dou 10v delpiva mods ro ovonior did 10 evodsoFor:
65 ‘Aheevco nÀqy eig voùr otces éni 10v ueruuelouérwr et-
Qntas. act yag, Su dAsedg Tovg dhioxoptvovs rq Avo
ly9vag petaysroilomerng xal nÀgyeig tno oxognlov Egy’
vov» olow xaì rolg yeouì iwy veoFnoevtwy lyO9uwv ovy
ayopuas :
66 Eltguriu ix pulas mouvet éni ıwv wae èhauysora xoi
surely énosgovruv xai utyuÀa mowvviwv:
67 Hiódov woneg tlc dj Àov nifovieg' ni viv aygor-
tlotws miedviwr na0000v oí tv Anım ti vjow wléovtes ov
dedolxaci un muysity xoi dia rovro adovow :
68 ‘Avéuov nasd(íadytvovro ini tav xovpwr xai wwowr:
69 Maxousèintdacs pio:
70 Payttw dÉwy xai un &AwdnqE:-
II.
[Fol. 118° in marg.]
[20. 21] 1. 2 Tisacg xaxdv* xai navy vos serv:
[22] 3 "Ix 90v vixecIa: dsdacxesc® ni tv didacxor-
tw à énloratul rig :
[23] 4 Kaxoi novnelas nívovovv ouíyAmv: àni s»
xar' akiav riuwoovptruv :
[24] 5 Kanvov oxıa ni tu Aav cvrtàQv xai underòg
aklwy :
[25] 6 Kardagou cxsa° ènì wy pofoupérwy & où de:
[17] 7 ’Egıvvwv drogew: Mni wir dvosdwy:
[18] 8 'Eyivogc tov zóxov àvaflaAAev AMyszas dg! wy ro
avafadieodas meds tò geigov yíveras* of yag xegcatos
7 deewvuy 8 avaßalln
Griechische Sprichwörter. 201
~ x 9 e € A
Eyivos xevrouuevos avéyouos Tov toxov’ El voregov vito
zgayvılowv tw tuBovwwv xuxıov Anadliatrovory Ev 1H toxQ :
~ € , ~ €
[19] 9 Zg 7 xvr oa, {7 7 porta:
[Fol. 120r in marg.]
[16] 10 'oyvoov xoÿvus Aulodouv* Pnj ıWv amasdevitwv
uér, diu dì nÀovrov nagonosaboufvwv DneofloAgv:
[15] 11 "MoózQ o dxovillesc: ani tv acxéniws ti nos-
OvYIWy : i
[14] 12 'Moxasórego ıng dipdéous Aéyeuc éni wy
cudoù xal nalasa Asyovıwr’ naunddaios yuo 4 dipFéoa,
éy 7 xai puot Tov Alu anoygupecFus Ta yuvopeva :
[13] 13’4An0 dig È xvuat wv»: èx petagogas rov. eni
povois xuduspopétruv® oùros yàg dic È xvpacw sacs
ta iuauu muvee:
[12] 14° Ano xwnng éni Biwu’ ent wy ateows evtv-
ynoaviwy:
(11] 15° Avintorg nociv emi To téyos &veuovv*
ni wy anasws Ent uva toya xal moakess Gquxvovpé£vov :
[10] 16"Av$ownos àv9owunov davuóvsov: ini zv
a7goGdoxjrwg vm av9gwnwv BonFovutvwv :
[8. 9] 17. 18'4»é£uov wedlow ini ıwv ceóuerafoAov: xai
avdowrosevginog 10 avro:
[7] 19 Ardoì Avdò woaypar ovx nv, è d EE-
el dwv Ènolato* ini rw xaxa Euvroig emonwuévwv:
[5] 20"4220t6g wiv yidürru, ahious dì yougíos*
nugócov ob uiv dado, of dé puyo:
[5] 21”4140 yluvë, à ko xoguwrn pdtyyetae:
[4] 22 °AAXnAescpuétvos Bloc: êni vov étoluwr :
[3] 23 °Aerov yeas xogvudovvectns: êni 1)» x&v
tw ynoa nÀÉov rQv vémv evdoxswourtwr :
[1. 2] 24. 25 "Mya 9 0v Falaucca' xuiuyux 9 dv 6wo006°
ini apdovwvr dyadiv.
|
18 sdpsnos avdowros 20 youpos
Breslau. M. Treu.
202 O. Crusius,
Einem Wunsche des glücklichen Finders und Herausgebers
der vorstehenden Excerpte entsprechend, fiigt der Unterzeichnete
einige Bemerkungen iiber ihren Werth und ihre Stellung zu ver-
wandten Ueberlieferungen bei, ohne jedoch den Anspruch zu
machen, in allen Punkten zu einem abschließenden Resultate
gekommen zu sein,
Cohn und Treu haben bereits die Beobachtung gemacht,
daf det Kern der Excerpte (I 18—45 [?]) aus einer dem Athous
nahe stehenden Quelle stammt, und daß die ganze erste Abthei-
lung in der Hauptsache aus einem andern, vollstindigeren Ex-
cerptencodex abgeschrieben sein muß. Bei genauerer Prüfung
würde es Cohn sicher nicht entgangen sein, daß die Heidel-
berger Hds. (P, im Gegensatz zum p[arisinus] des Vulgärzeno-
bius) in engerer Beziehung stehen zu dem zuerst von ihm (Zu
den Paroemiographen V S.1 ff. verwertheten Laurentianus LXXX
18 (L*) als zum Miller’schen Athous mit seinem Gefolge. Die
Sprichwörter 18 — 39 finden sich freilich alle im Miller’schen
Athous, und zwar in derselben Reihenfolge:
Pal. Ath. L? Pal. Ath. L2
18 | I2 | 9 29 I 56
19 5 3 30 58
20 |. 7 31 65
21 16 9 32 68
22 | \17 10 33 70 29
23 ‘18 | 34 75 31
24 | 19 11 35 80
25 20 12 | 36 85
26 36 | 37 87
27 53 | 38 | [I1 8] |
28 55 | 39 | II 66 |
Aber der Artikel Nr. 38 Kuvvetog Fowes ist, mit
den übrigen 15 ersten Nummern der zweiten Reihe, im Texte
des Athous und seiner Verwandten ausgefallen und nur
im Sprichwörterverzeichniß erhalten.
Die Vorlage von P war also, genau wie die von L?,
vollstándiger als die des Athous. Ferner zeigt der
Palatinus und Laur.? trotz aller Differenzen , gewisse gemein-
Griechische Sprichwörter. | 203
schaftliche Eigenthümlichkeiten in der Anlage der Excerpten-
reihen (s. d. Tabelle) und der Excerpte (vgl. bes. Nr. 42 wört-
lich = Z? III 1 S. 29 Cohn, und Nr. 45 = L* IV4S. 301)
im Gegensatz zu allen andern Handschriften). Sie sind also
aus einem Archetypus abgeleitet und repräsentiren gegenüber
ALV eine zweite Handschriftenklasse.
Von diesem Standpunkte aus läBt sich nun auch über die
alphabetisch geordneten Sprichwörter C 40—63 nebst Anhang
64— 70 ein Urtheil gewinnen. Der Schreiber der Vorlage des
Pal. hat offenbar nicht unmittelbar aus einer „Vulgärhandschrift“
geschöpft, sondern Stücke aus dem nichtalphabetischen Zenobios
(42 = L* III 1) und Plutarch (45 = L? IV 4) und aus den
in L? angehängten alphabetischen, aus der Vulgärüberlieferung
geschöpften Sprichwérterreihen von neuem nach dem Alphabete
zu ordnen versucht), dabei aber doch noch etliche nicht um-
geordnete Nachträge (64—70) zu machen für gut befunden.
Außerdem hat er, wie Treu gesehen hat, die sogen. ‘proverbia
Aesopi’ benutzt): und diese sind auch in L? (vor den
Zenobianischen) erhalten (vgl. Bandini II 466; Cohn 8.39).
Daß die Sache sich nicht umgekehrt verhält, d. h.: daß in L?
nicht etwa eine alphabetisch einheitliche Vorlage nach Art des
Palatinus in verschiedenen Absätzen excerpirt ist, ergiebt sich
mit Sicherheit aus der im Palatinus beliebten Einreihung Zeno-
bianischer, Plutarchischer und ‘Aesopeischer’ Artikel, die in L?
noch an ihrer alten Stelle stehen, sowie aus der Umstellung des
Sprichwortes ix unyaunc 9eóg avapavels (so L? für ano pny.
d 184, Suid.) aus dem Buchstaben & (in L steht es zwischen
ano dic Ente xvuurwr und anodoyos ° Alxlvou, wie und pg. in
den Vulgärhdss.) in den Buchstaben €. Beide Fälle beweisen,
daß der Redaktor des Pal. verschiedene Sammlungen zu einer
einheitlich alphabetisch geordneten verbinden wollte.
1) Pal. 41 = L? Va 32; 49 = L? V» 3; 48-50 = L? Ve 109
17; 517 = 12 Vb 4. 6; 57 = 1? Ve 14; 60 63 = L? Va 196 200.
2) Pal. 40 53 58 69 70 = ‘Aesop.’ 135 6 15.
3) Ueber die proverbia ‘Aesopi’. in den sich Byzantinisches mit An-
tikem mischt, vgl. Rhein. Mus. XLII S. 386* 395°. Der Name mag
dadurch veranlaßt sein, daß die Sammlung auf die Aesopea folgte. So
citiert auch Georgides bei Boisson. Anecd. I S. 10 den Spruch avdoos
yipoviog ab yvados Baxtpoía (bei ‘Diog.’ u. s. w.) unter dem Lemma
Alownov.
204 O. Crusius,
An Zahl der Sprichwörter ist der Laur.” dem Palatinus
weit tiberlegen. Aber die Heidelberger Excerpte geben,
gerade in den werthvolleren Zenobianischen Bestandtheilen, ziem-
lich ausführliche Stücke vom Texte der Erklärung,
wo die Florentinischen uns mit dem bloßen Lemma abspeisen.
So wird uns erst durch dies #ou«îov die Möglichkeit eröffnet,
das Verhältniß des Archetypons dieser Hdss. zur athoischen
Recension annähernd zu bestimmen. Dies Archetypon war der
Vorlage von A(th.) L(aur.)' V(indob.) nicht nur dadurch über-
legen, daß es die ersten Blätter von Zenob. II enthielt, sondern
es bot den Text auch vielfach in vollständigerer und reinerer
Gestalt, denn noch in den spärlichen Heidelberger Excerpten
finden sich dafür Beispiele. 27 bietet P(al) richtig rois omoder
wegeoıw mit b; der Athous hat uéleouw. 32 hat P éni ıwv wn
ix xadaoaç wuyÿs yelmvımv nde yuıgovong ing diavolag, der
Ath. Ent — rig diuvolag undì yasgovons yedwrrwy (ohne wuvyns);
die Vulgürhdss. bieten theils un ix y. diavotas y. (b 833), theils
un i x. woxîs, haben also den volleren Text des Pal. vor
sich gehabt, 37 steht im Pal. Avxog xregwrà Cytei, Àvxov mrega
im Ath.; die vollere Form des Sprichwortes ist à/xov nrega Cy-
eig (vgl. Leutsch zu Ps.-Diog. 504 S. 270). 39 hat Pal. rich-
tig ws toV Tuvradov xai IFsopidovs yevouérov x«i niovO(ov ;
im Athous fehlt das zweite xaf. Von besonderem Interesse ist
außerdem der Demon-Artikel 38 Kavvaoc £gwc, da er im Athous
ausgefallen ist. Gegenüber den ‘Anal. ad paroemiogr.’ p. 135
behandelten Vulgür-Hdss. bietet der Pal. nicht nur etliche for-
melle Besserungen, sondern hinter ?o:&àg auch den sachlichen
Nachtrag xaxet Kavvov Exuoe nolw. In weitaus den meisten
Füllen freilich müssen (wie besonders der Vergleich der Vul-
gürhdss. lehrt) die Abweichungen der flüchtigen Heidel-
berger Excerpte vom Athous auf die Rechnung eines byzan-
tinischen Redactors gesetzt und die Zusä:tze (beson-
ders die Erklärungen unter Nr. 19. 20. 25) als Interpola-
tionen von derselben Hand betrachtet werden.
Wenn nach alle dem der Reinertrag, den die Heidelberger und
Florentiner Excerpte für die Kritik des Zenobios abwerfen, lei-
der recht unerheblich ausfällt, so lehren sie doch, daf bis tief
in's Mittelalter hinein eine ziemlich reichhaltige
von A unabhängige Excerpten- Handschrift des
Griechische Sprichwórter. 205
‘Corpus paroemiographorum' existiert hat. Und so
darf man den Glauben aufrecht halten, daß von dieser Tra-
dition noch größere und besser erhaltene Fragmente vorhanden
sind. Ein Suchen ad hoc wird freilich meist vergebliches Be-
mühen sein, da solehe Auszüge selten richtig katalogisirt wer-
den. Aber auf weitere Gelegenheitsfunde dürfen wir hoffen.
Môchten die Fachgenossen, die mit griechischen Hdss. zu thun
haben, an den unscheinbaren und namenlosen Spruchreihen, die
oft genug als Lückenbüßer fungieren, nicht achtlos vorüberge-
hen. Das an sich Unbedeutende und Werthlose kann oft, in
den richtigen Zusammenhang gerückt, ein schon aufgegebenes kri-
tisches «a209gu« endgültig lösen.
* *
*
Zwei Stücke haben wir bis jetzt bei Seite gelassen I A
(1—17) und II. Das letztere, von andrer Hand an den Rand
geschrieben, bietet keine besondern Schwierigkeiten. Die ein-
zelnen Bruchstücke sind in sich alphabetisch; der Schreiber hat
aber mit den letzten Blättern angefangen; man muß daher in
der am Rande angedeuteten Weise von rückwürts lesen, um die
Reihenfolge der Vorlage zu erschlieBen. Die Lemmata finden
sich ohne Ausnahme und meist in derselben Abfolge in der
Gruppe von Vulgär-Hdss., welche Brachmann aus Pseudo-
Diogenian abgeleitet hat, besonders im sogen. ‘Diogenian’ und bei
Gregorius Cyprins *). Der Schreiber hat also einen Pseudo-
Diogenian ausgezogen. Da sich mir kein wesentlicher Gewinst
aus der Untersuchung ergeben hat, verzichte ich darauf, dies
Ergebniß hier im Einzelnen zu begründen.
Interessanter ist das in zwei Absätzen geschriebene Excerpt
IA. Treu leitet es aus einer alphabetischen Sprichwörtersamm-
lung ab: mir scheint die Frage sehr discutierbar, ob es nicht
direct aus einem Lexikon herstammt. Wenigstens fehlt
hier jede Spur Zenobianischen oder Plutarchei-
schen Gutes, während sich in auffüliger Weise Artikel
. häufen, welche der lexikalischen Tradition des Photius und He-
sychius angehören :
4) Vgl. Brachmann, quaest. Ps.-Diogen. S. 359—378. 406.
206 O. Crusius,
p b d Phot. | Hes.
1| 31 | 61 30 I p. 275|Paus. Eust. 7 p. 782 (Suid.)
2 — | 20 | 169 Ba — |Eust. IL B p. 607 (Sd.)
83(258) 397| — © = II p. 72 (Sd.)
4| 427) 898|[d"161] S, | — (Sd.)
5| — | 405] 343 | 23,3 — |Athen XI p. 497> (Sd.)
6| 274) 417| — (Ip. 535) (Sd.)
7| — | 468/[dv183] I p.257| 272 |Paus. Eust. N p. 950 (Sd.)
8) — | 488| 416 1250 | — (Sd.)
9| 384] 587| 501 | 369 IN p. 3 (Sd.)
10| 396 608| 516 | 389 43 (Sd.)
11, 289, 436| 871 , Lücke | — |Eust. Ill. 5 p. 972 (Sd.)
12 — | 584| 448 | — | II 418 —
13| 862: 554; 458 ^ 351 II 535 (Sd.)
14| — | 584| 484 | —
15| — | — | 588 pu) | IT 406 —
16, — | 663, 558 — — —
17, — | — — Il p. 55 -— (Suid.)
Für die Annahme einer lexikalischen Quelle spricht aber
auch die Verfassung des Textes,
die sich nicht sowohl an die
bekannten alphabetischen Handschriften anschlieBt, als an die
Lexikographen.
Pausan. bei Eust. Il.
I p. 782, 53 nagoı-
pla ... aoyn Sxvola
êni TG» svteAdr .
A. uno Oncéwsc
Anpdeiou, wo qot
Iluvouvius, énesdn
ènidtuevos ij Av-
xoundovg apri xoi
JzQUY Thy yovaixe
UÜTOÙ TatuUxenurio-
Deln.. B.déyes dé xoi
01i OOTQU xı097-
vas ngwıoo 43 1-
yr Os Onoéa icrogei
Hier ein paar Beispiele :
Pal. I 1 èér revs xai-
od 9) dEBAr9m naga
wy d3mnvalíwv
Onoeuc xoi èxBin-
Feic (= B) aride
moog Avxounòonv
iy 17 Sxl[ow wg 7006
g(Aov* 0 dé A. go-
Bovusros un 0 ©.
éxBudy «vtov tig Bu-
Othelag qovevoue È
xeice EFuwpe (= A).
tira &Aafov oi “AIn-
vaios yQmópov pere-
veyxas TA OOTA TOU
Zenob. Par. 32 p. 11
= b, d) u. Sx:
maqoiula ni adv eÙ-
AWP . .: 7u0000v
nerowdne xai Zunoa
€ ~
&orıv n Dxvooc.
Die mythographische
Partie fehlt in allen
Paroemiographen-
Hdss. Die Erklä-
rung bei Hesych. ist
aus dem Zenob. Par.
entlehnt.
5) Das sieht fast aus wie eine Hindeutung auf das bei Suidas er-
haltene Theophrast-Citat.
Griechische Sprichwörter.
Osogppactos. Aehn-
lich Suid., nur citirt
er @eoge. dv roig
NQWTIOIG xALQOIS.
Steph. Byz. s. v. Te-
yea p. 610 (cf. Eust.
a. 0.): Ménidog à. àv
ioroglus émis. zgwio
neoì Auxedusuo-
yrlwr oùrw quot:
~ 3 3 - €
10% oO avroig 7
Ilv3(o. En?’ Agxudle
wde* Aoxudinvarà.
Oncéwc olives xai
peteveyxovzec EFupay
d ın iux.
Auxsdaswovsos
n0Àtu ov aevo, UNO TV
Teysurov foovro tov
deor, nag dv ntQi-
, € BY
yerwrtas 0 dè Ey ON-
e >
cev ovr GG Agxa-
dinv uw’ alrtig: u£ya
p. alrsic, ovtos dwow.
207
b 200 S. 19 Gaisf.
* Au alicic (ni rv
peyada abıovvrwvia-
Petr, yo. 08 ° A. u ai-
ic, uéya alıeic, ours
dwow. Noch kürzer
von der historischen
Erklärung nirgends
eine Spur.
Den Ausschlag giebt endlich die Thatsache, daf sich ein
Lemma, gerade das letzte der Reihe, in unseren Vulgürhdss.
überhaupt nicht nachweisen läßt (Apost. 1187 stammt aus Suid.),
wohl aber (wenn auch in corrupter Form) bei Photius (Suid.):
Pal. I 17 ngodıE
000v600v' arti tov
ragétws 8A9 £: è-
oov
Phot. II 8. 55 t zagesEogovcov: ’ Av-
crogpurns Tuynrornis* &nt£dwxav dà oi wer
nudiag eldog 1° Evgeoviog dì n a 0 os-
uiuwòd ds Atyeotaur ini rov nagaxedevo- neadnneg TO
Touro tuys pueda-
1.090 méqpuxe.
uévwr 1ayéwçixeur n enaddarrecdas
(ähnlich Suid.)
Das Aristophanes-Fragment (523 p. 525 K.) ist
ein altes vielumworbenes éroyquu: die glänzende Lösung, die
unsere Hds. bietet, erweist alle Besserungsversuche (Blaydes p. 261)
als verfehlt — denn daB wir das Lemma mit Recht auf jene Pho-
tiusstelle bezogen haben, wird angesichts der gleichen Erklirung
wohl Niemand bezweifeln. Auf die unstäten Bewegungen des Reb-
huhns bezieht sich auch Arist. Avv. 769 &xnsodıxloaı, dazu
Hesych. s. v. (aus derselben Quelle [Diogenian ?] ‘Diog.’ Vind.
157 Pl. II p. 27 Ltsch, Greg. Cypr. 180) 10 ... dtudoadvas,
ano 10v negdixwy utiuqogixuc* nuvovoyov yuo 10 (wor xai dia-
d.dg«Gxov rovc Ingwriuc. Danach hieß xar! drrlpouc ein y w-
A ò c xunniog bei Aristophanes und andern n£gdıE& (Avv. 1292,
Anag. fr. 53 p. 405 K. Phryn. Trag. fr. 53 p. 884 K.). Etwas
anders liegt die Sache wohl bei Pherekrates Chiron. fr. 150 p.
208 O. Crusius, Griechische Sprichwérter.
192 K., wo ich vorschlagen möchte: Euow «à m axow»y (für
üxwv, vgl Ach. 638) devgo mégdixog 190mov mit Bezug auf die
stolzierende Gangart des Vogels (vgl. Fleckeisens Jahrbb. 1883,
235). — An diesem Beispiel vor Allem erkennt man, daß die
excerpierte Quelle sehr gut war, stellenweise besser, als die von
Photius, Suidas und Eustathius benutzten Lexika.
Nach Alledem ist es recht wahrscheinlich, daß hier E xcerpte
aus einem Lexikon den Grundstock bilden, ohne daB man
diese Herkunft für jeden einzelnen Fall verbürgen kónnte.
Aber wie erklärt es sich, daß sich jene Lemmata, mit
einer Ausnahme, auch in den Vulgürhdss. finden? An anderer
Stelle (Anal. ad paroemiogr. S. 106 sq.) ist es bereits nachge-
wiesen worden, daf) sich aus dem Vulgär-Zenobius umfangreiche
Lexikonexcerpte ausscheiden lassen. In diese Excerpte gehóren
auch unsre Artikel. Der Redaktor des Vulgür- Zenobius , wel-
eher die alphabetische Anordnung, oder vielmehr Unordnung der
verschiedenen Sammlungen des ‘alten Corpus’ auf dem Gewissen
hat, fand vermuthlich, wie der Schreiber des Palatinus, vor dem
Zenobios in seinem Archetypon ein größeres Lexikon - Excerpt
vor und schichtete dann Stücke aus diesem Excerpt, Zenobiana
und Plutarchea, unter den einzelnen Buchstaben auf- und inein-
ander. So geben uns die Heidelberger Fragmente I 1—39/45 auch
ein Bild von dem Arche typon der Vulgärhandschriften.
Tübingen. O. Crusius.
Zu den homerischen Hymnen.
Daf die Hymnen auf Helios und Selene (XXX XXXI)
einem Verfasser zuzuschreiben sind, ist schon von Schwenck
und Bergk vermuthet worden und neuerdings von Gemoll S. 355
weiter ausgeführt. Unverkennbar ist aber der Hymnus XXIX
elg tvi» untéga navıwv der dritte im Bunde. Hier haben wir die-
selbe runde Zahl von 16 + 8 Versen, denselben unepischen, an die
Orphika erinnernden Stil in Sprache und Verstechnik (rein dak-
tylische Verse in H. XXIX XXX je zwei, in XXXI gar fünf),
dieselbe ganz elementare, gleichfalls orphisch gefürbte Auffassung
der Gottheiten (cf. Hymn. Orph. XXVI Ab.); vor allem aber
wird XXX 3 l'aí(ag nasdì xai Ovgavod deutlich genug auf XXIX
17 (Faia) aloy Ovgavov Bezug genommen.
Tübingen. O. Crusius.
XI.
Zu Heraklit.
1,
Schleiermachers bahnbrechende Abhandlung hat die Ueber-
schrift: ‘Herakleitos der dunkle, von Ephesos, dargestellt aus den
Triimmern seines Werkes und den Zeugnissen der Alten’. Von
diesen kommen natiirlich zuerst Platon und Aristoteles in Be-
tracht. Doch bemerkt Schleiermacher, daß sie beide als Zeugen
und Gewührsmünner für die Lehre Heraklits nicht leicht zu
gebrauchen sind, und von Aristoteles insbesondere, daß er nicht
nur als Vorgänger derer anzusehen sei, „welche dem Manne
nicht beharrliche Anstrengung genug widmen wollten, um sich
den Lobnamen delischer Schwimmer an seinem Werke zu ver-
dienen, sondern auch, indem er die Lehren des Ephesiers in
seine eigene Sprache übertrügt, unrühmlich zu spüteren Miftdeu-
tungen den Weg gezeigt habe". Gleichwohl läßt er als Erklä-
rung für die vielbesprochene Dunkelheit des Ephesiers nur das
Urtheil des Aristoteles, mit dem Demetrius (Rhett. Gr. ed. Sp.
Vol. III p. 304) übereinstimmt, gelten!) Dieser findet den
1) Pfleiderer findet die Ansicht des Aristoteles ,,etwas pedantisch‘‘
und meint, daß das Maß von Dunkelheit, das man allein zugeben
könne, ,,einfach in der Natur der Sache, wie des Mannes und seiner
Situation‘‘ d. h. in dem anderwürts betonten Ringen des Gedankens
mit dem Ausdruck liege. Dieser allgemeineren Fassung, die jener
bestimmteren Erklärung keinen Eintrag thut, wird man seine Bei-
stimmung nicht versagen.
Philologus. N.F. Bd. I, 2. 14
210 Christian Cron,
Grund der Schwierigkeit des Verständnisses in einem stilisti-
schen Mangel. In dem fiinften Kapitel des dritten Buches der
Rhetorik, welches beginnt mit den Worten: 6 piv ovr Aoyog
Guvt(Oezos dx tovrwy, tori d° aoyn tng AsSews 10 EAAnriCeav, be-
zeichnet er als Hauptregel und gleichsam Inbegriff eines guten
Stils die Wohlverständlichkeit, die denjenigen Sätzen
fehlt, & un dadıov diaotltas, wWoneg ta ‘Houxdettov. ta yaQ
“Houxieltrov diuot(Eur Egyov dia To adniov tiva: notégw ngoc-
XETOL, TO VOTEQOY N TH nootegor, olov d» Th KOYR uvroù Lov
Ovyyodupatos: Dnoi yàg ,,100 Aoyou 10ovd’ éovrog dei ako-
veros uvFownos ylyvorrw. adnhov yag 10 dei, mgóg OnoiígQ
diuciizai. Das Beispiel ist vortrefflich gewählt, um mit einem
Worte die Sache zu erläutern, und empfiehlt sich auch deswe-
gen, weil die Stelle dem Anfange der Schrift — nicht im al-
lerengsten Sinne — entnommen ist?) Um aber die schlimmen
Folgen des gerügten Mangels für die Leichtigkeit des Verstünd-
nisses recht anschaulich zu machen, ist keine Stelle mehr ge-
eignet, als Fr. 65, welches in der Ausgabe von Bywater folgen-
dermaßen lautet: “Ev ro coqóv uovrov Aéyecdur ovx LIE xai
EI Znvog ovvoua. Denn man kann wohl sagen, daß, soviel
Worte es sind, so viel und noch mehr Zweifel und Bedenken
über die richtige Auffassung sich erheben. Daß das diaorttu
bei Aristoteles sich natürlich nicht blof auf das Setzen der Un-
terscheidungszeichen bezieht, sondern die richtige Verbindung
der Worte, kurz das, was man in der Schulsprache das Kon-
struieren nennt, begreift, ist nach dem gesammten Wortlaut
selbstverständlich.
Die vorliegende Schreibung , obwohl sie nicht darauf be-
rechnet ist die Auffassung des Herausgebers zu verbergen, hat
doch auch den Vortheil, daß sie allen sich ergebenden Möglich-
keiten freien Spielraum gibt. Betrachten wir also den Wortlaut,
so ergeben sich für den aufmerksamen Leser folgende Fragen.
Ist £v mit 10 cogo» als Subjekt — denn darüber, daß letzteres
zum Subjekt gehért, scheint kein Zweifel zu bestehen — oder
mit Aéyeodu zusammen als Prädikat zu verbinden ? Wird er-
steres angenommen, so fragt es sich, ob dann uovror als Prä-
dikat oder so zu sagen adverbial zu verstehen ist. Wenn letz-
2) Fr. 2 ed. B.
Zu Heraklit. 211
teres, so kann auch hier die Frage, die Aristoteles bei der von
ihm angeführten Stelle erhebt, ‘morfo@ zmoooxtzas, TO Voreoov 7
10 ngoregov, Platz greifen, nämlich ob es zu ro 0090» gehört
oder sich zu £v mit oder ohne Zubehór neigt. Am wichtigsten
aber sind die folgenden Worte oùx êdéle x«i #34, über wel-
che gleich eingehender zu sprechen ist, nachdem nur noch be-
merkt sein möge, daß auch die letzten Worte, Zyvoç oùroua,
eine verschiedene Auffassung gefunden haben. Schleierma-
cher setzte ein Komma vor denselben, und andere, z. B. Zeller
in den ersten drei Auflagen seiner 'Philosophie der Griechen'
folgte diesem Vorgange. Sie faßen also die Worte als erklä-
renden Beisatz entweder zum Subjekt oder zu dem durch A£-
yesdas angeregten Begriffe, der nach Maßgabe des bei xadety
und ovouubew vorkommenden Sprachgebrauchs als intransitiver
Accusativ beigefügt werden könnte. Doch ist bei dieser An-
nahme die Setzung eines Unterscheidungszeichens nicht gerade
unbedingt nothwendig. Sie würde nur dazu dienen, der Beifü-
gung des Namens einen besonderen Nachdruck zu verleihen.
Dieser ist aber schon durch die Stellung am Ende des Satzes
und die räumliche Trennung von A£ysc2o, ohnedies gegeben.
Darum hat Bernays das Komma getilgt. Ihm folgen By-
water, Schuster, Zeller in der vierten Auflage des ersten Ban-
des, und neuerdings Patin, welcher in seiner anderwärts ?) er-
wühnten Schrift folgende Uebersetzung darbietet: ,,Eines, das
allein weise, will nicht und will doch genannt werden mit dem
Namen des lebendigen (belebenden) Gottes“. Doch hat der bei
Aéyesy immerhin ungewöhnliche Sprachgebrauch einiges Bedenken
erweekt. Zu schwer darf dies freilich nicht ins Gewicht fallen.
Denn die Zurückhaltung, welche Bywater dem Dialekte gegen-
über beobachtet 2), hat natürlich ebenso oder noch mehr Gel-
tung bei dem gesammten Sprachgebrauch in lexikalischer und
3) Philol. Anzeiger 1887 (17, 6 und 7).
4) Praef. p. XI bemerkt er: , Quod ad dialectum fragmentorum
adtinet, non suppeditant quibus freti de universa Heracliti locutione
pronuntiemus: veterrimae enim ‘ados leges et varietates nondum per-
spectae nobis et exploratae sunt, Ephesiaca dialectus quas proprietates
habuerit nescitur, ne de Herodotea quidem loquendi ratione satis con-
stat inter eos qui Herodoto operam dederunt. .Accedit quod auctores
nostri sua scribarumve incuria saepissime ita Heraclitea tradiderunt ut
dialecti vestigia obscurata modo lateant interdum prorsus deleta pe-
rierint'*,
14*
196 M. Treu,
6 Ev GI doucxdbeuc dni tiv un duvautruv Aa9siv: na-
00009 neolonıog doriv n &Àwg:
7‘Huxvwv ev ijj putvn* ni 1v unis 1006 v0 xououvrwr,
unre addovg Èuvrw° mogocov n xvwuv obre avi) xguJüg
êod les, ovre 10v Inmov Eu:
8 "Hioc row nkov, xuinattahos éEéxQgovos nuttadov:
9 Auyws xaudevdes' ni tw nooonoiovué£rov xouucdui :
10 Alvo» Àlvw cuvantrerc? éni rQv TA udré AQUttorIWr:
11 "Ew Belwy xatnoFae’? mugurei paxgav toruddus rw
oyAnoewr :
12 Kugixoç Touyos" Eni tv edrek@v Ovrwr:
13 KontiGeuv: éni 100 pevdeotas xol anarav trazav Tv
AEE:
14 Kav ano vexgou pégery Eni tw xegdawortwr and
TEVTWY n verga :
15 Kar9auoov ocxiai* Eni TW» poBovuérwr 14 un «Esa pofov:
16 Mié wéde undì wedloous: èni wv un Povhouérwr ma-
Seiv th pavior peru ayatov:
17 HégoO.& Ogovaor: arrì 100 ruyéws 039€ Pnedineg r0 [wor
rovio tayo medJuAkeodur mé—puxe :
[B]
18 To Awdwwvuîorgqyulxetov: stonras émi wv nolÂà Au-
dovviwr êv Awdwry yao yudxeiov Eni xlovog èv petewow
xelo9ut quot, mAnolov dé ig” éréoou xloroc Eoruraı maida
ÉEnorquéror wacuya yulanı“ nvevcros dì xiwg9értog uc-
yadov thy uaGnyu moÀÀaxes elg tor EBnta èunintev xai
> ~ er M he > x Ao , .
nyetv oviw tov deBria Eni modòr yoovor:
19 WMoöc dvo odd 6 ‘HouxXî5g' your noös dio acdere-
orégoug ovd 0 xolÀa ardosiog :
20 °E» Kagi 0 xlyduvoc: ini ror éEulprns xai d99oor roic
KLVOLVOLG MEQLRLTTOVTWY :
21 “Adic dovos: éni rv Ex pavdoregus dialttts Égyouérwr Eni
tu Bedilova' Ensıdn xatuoyac où arIguwo Balavos dova
rgegoueror VOTEQOY roig Anumrgraxois sUgedeici xagmoig
&yonoavıo?
22 "Ahiny dovv Paduvibe: Eni ı@v ovveywg ulıovvrwv nage
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23
24
26
27
28
29
30
Griechische Sprichwörter. 197
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Aw» pogtoc* Ewrogos tig paci zy» vary rÀngwous alwy
Ende: vivwoaviwr dé idv vuvrwv eloshdovoa n Fudacoa
, bd ot ^ x - ,
TOUG Te &Àag EEtinte xai THV vuU» xarenovuce:
Aáuviovr xaxov: congra n rmagosula ano tw tv Ajpro
yuvuexwv, af rov; avdous Eporsvoar, Éyxulouow, ow ud-
“ E) , \ % > ~ > a
tuis ovx Éplyvuvio gevyovieg rjv tig dounc andlav, nv
npocéBuñer avruts n Apoodim unvuocuca :
Evdvulwvos vnvov xaS2evdes: (ni tov navo onvglav
elonues, énmesdn Ev tivi modes ıng Kugtus 6 "Y mvoc éguodeic
nu00ç Evduulwvog xuhouuérou Ers xai vüv uvIOv xuréyeuv
xoruwpuevov Àéyeru :
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vr Ada xai yeigu x(vev* ovnhaing tig wo pace tov
övor slg Botoov uqeig elia Tulg yegoiv avtAxuv to ‘Hoa-
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onovdusorégwse 7900pEgE xai ımv Feov enmixulsiotus:
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Qounlu elontas ano ToU Cow Tod xgQormvog' Asiov ydo
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Tovyovoc Aul(oregogs ub tovyoves ov uovov roig Oro-
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ovumayluc deouevor oi dè unexolvarıo, Or duvanır wer
où dwoovoi, 1005 di Aiocxovoove würoig ovuntupovow
avactgépurtes dè oi Aoxgoì usta rOv Aiocxovewr waynes
yéyevnuévns vixwoi tous Kooiwriatus. ımv dé vixnv dx
tov avtoputov quum tig nyayev elg Auxeduiuovu undevog
apiyuévov dyyéhov, pera de zudra 8490ovreg Tivèç anıy-
yéthav rj avi) Nutoa yeyevnotas tpv wayny xai ijv vi-
av. ened ovv din sol ta and tig puuns dyytAS £vra,
30 diocxogovs; aber Jsocxovgwy
. 198 M. Treu,
elg nagomulur eloqras esi rdv navy adndav. Zuyou dé
Zorw © tonoc, dv di h muyn yeyévntus:
81 ’ABvdnvov Enıyoonwa* EFog qv rois. ABvdnvois peta
TÔ deinvov xui tac Omovdag rmoocuyew roUg muiduç per
iv ruv roig sVwyovutvoss* xexguyorwv dè ruv muidwr
xai FoguBov yevouérou dca tag i(rJag dndiuv ylvsodaı
nodi v Toig dasrvuooww* 09 stonta n ragouulu ini
av andar:
32 Sugdwveoc yéiws* Mni two un ex xadagus Wurns ys-
Auvıwv pui dì yavovons tig dinvolus A€yerar, Ou dv
Zuodd ty vnom ylveru Boruvn oeÂlro navarànota,
nv of nooceveyuiuevor doxovo: uiv yelar, onucue dé
uno vn oxovery :
88 'Ovov naguxswewg* xegumeig rig molloug 0dgridag dv
zw &oyasinolo suvayev’ Orog di nag)» Gxolovdodrroc
auehws rov OvnAurov magaxswag det Fvoldog vecof nos
tous 0ovidus xoi rà dv 19 toyucinglo ovvé£rgue oxEUN o
yov» xeguusrg Ent xplow ellxe 10v OvgÀargv, Og xoi égu-
TWMEVOG 6n ó navıwp, ılvog xoívovro, EAeysv Ovov za-
Qaxvwews. &ogras dì 7 magoula dni THY xatayelaorws
Cvropuviovuevwv :
94 Kevetg tov "Avayvoov' ni twv nagazxvosviuv twa
Ent 10 Euvıwv xaxóv slogrow Avayvoos yao News ensyuwi-
Qi0g rig. rovc Exysııovwv abro olxovvrag éx Butowy avé-
toewer, 85d) TO 70Qov avroù UBolous Eregelongav:
35 ‘(O Kaond3iog tov dayuv' eri tdv Éavroig è monwpe-
vu» xaxa. oi yag Kagnudios énnyayovio ini ijv Euvımv
vico» Auywouc, un Ovtug nootegor olruves moÀAol yevo -
wevos tag yewoylas avtwy èivunvavio:
36 ALE ZSxvoía'* éni tav rac evegyeclug Uvatperoviwv, ened
zmolÀaxig ta ayyéiu dvargéne n aif adios dì quoòv ini
1:0» oynoipogwy AfyecFar dia to molv yala péosv tas
Zrvolug atyac:
37 Avxos nısowra Lnrei' àni ıwv aduvatwv Myetas :
38 Kuvvetos Èqus* ini wy un xarogdovpevwv muy
6 Kuvvos yao xai 5 Buff noav àdelpoi mtgi rjv Ev-
Boar’ égaodsion dì tov adelpov n Buflis 10 nudoç ngóc
92 oshyvw 37 sic! 38 beidemal xußlss naga my evBosav
Griechische Sprichwórter. 199
avtov wuoloynoer* 6 dì getywy thy ulEıw elg Kaglay
écran xaxet Kuavvov Errıos moÀwvv: m dì un pé-
govoa inv ènebupiav avetiev Eavıyv:
39 Tarickiov r«Anvta* Eni twv miovotwv stona 7 muoo-
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[C]
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42? Auovooteooc AecBnFolwy: Myovras oùros GjyovGOteQOs
nuviwv, nudi nag! avioig 6 tov Ogq£wc éyévero Huvarog:
43 "Mei xolosóg mao xokosovilavee:
44° dei yewoyos &¢ véwra miovotiogs:
45 °Argéws Oupmata’ ta void] xoi magtvoua dia THY 7005
tov Ovéorny nagavoutuv stontas :
46 "Av n covig un ££exvizat ınv dAwnexnv ng00«wyor:
47 Avıov.x&xgovxag tov Baınoa rc Fvoue' ngog
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48 ‘diay u£ÓOvuvov xutapaywvr' ini pidlus auviuovos:
49 "4ilorgvov á un ác 9égoc:
90 Avroù d0dog nádnua- ini cdiulovevopévwy: [Fol. 120°]
dl deuregoc niowvc: éni tw 1ù devtegn uigouuévwr :
52 dvo rolyovg uAseíqeug* ni twv xodogrwr xoi énapgo-
teosloviwy :
98 "EG Ta « xai ywÀdv Ógóyuog: to adnAov dnkoi:
54. 55 "EE aupov Oyoıvlo» nmAÉxewv Qni rdv dduratwv*
ouoiws x«l 10 elg vdwog yo pes:
56 Eig uaxagwv vggovc* ài suduuovwv:
97 Ex unyxavîg Feòg avapuvelg’ ini rv angocdoxytwr:
58 "H Zeus n Xaowv' nyov 5 evdaluwr Blog 7 tedos:
99 'HoaxAevov vocov: Aya mv iegav vocor:
60 Adora dovrou' wm roig vexgoig Enspegomere:
61 djaxóv xontecg?):
39 rdlavrov 90 dudos avro) 58 7 Xaoww télos, Xapwy
von derselben Hand durchstrichen
1) [Vor diesem Sprichwort ist das Hauptlemma, unter welches
auch 62 gehört, ausgefallen : yauai avrdeis. Cr.].
200 M. Treu,
62 Kara payatewy xvBvozüc:
68 Qyvysa ruxd' ta malud N tà qadend:
64 Aelpiva noòsg To ovoatov decuetv' éni 12v un
durauévwr morjous 0 BovAovrow nagocov ov duvarai tig
dus 10v dedgiva noog 10 ovgaiov did 10 e00M0d0v :
65 “diveve sAnyeìc vovv olosı ni wy ueruushouérwr el-
ouiai. padi yao, dr dhieve rovc Uhioxoptvovs tH Ava
IyIvas wetaysioulomerng xai nÀgysig vno oxogníov È pn *
your olow xui rato yeooi iv veotnoedtwv lyJuwv ovy
awpowas :
66 “EZt pavia x uví(ag moset’ Eni wiv wm èhageora xol
evr&A] Ènasooviwr xa) ueyuia mosovviwv:
67 Hidov Borneo sic Afiov wikoviec: ini và» ayeor-
tlowws nÀtóviw»* na0000v oí iv dii 17 vico mifovies ov
dedolxaci un mviyetev xoi dia rovro adovow :
68 "4v£uov nasdladylvovro ini tiv xovpwy xoi uwowv:
69 Maxous @inidac mec:
70 Dayétw rléwy xai un akwnnE:
II.
[Fol. 118" in marg.]
[20. 21] 1. 2 °Z2sag xax@v* xal navy vosc xoxo»:
[22] 3 "Ix 99v vnyeodaı didacxesc* Eni rv didacxor-
tw à éntotatal tuc:
[23] 4 Kuxoi novnotas nlvovoıv owlyaAny: dni wy
xar' akiav riuwgovuérur :
[24] 5 Kanvow oxıd Pm rov Mar evredwv xai underòs
&E5(wy :
[25] 6 Kav3aoov cxsu ini wy goflovutvov a où de:
[17] 7 'Egu.vs wv dnoggwt: éni wy duvoudwr:
[18] 8 'Ezyivog tov sóxov avußardsı“ Myeras d! dv 10
&vafaAAscO9os nods 10 yeigov ylveras’ of yàg yegoaïos
7 bogwiar 8 avaßalln
Griechische Sprichwörter. 201
~ M e A
Éyivos xevrovpevos Avégovos Toy zOxov^ «lO^ voregov vno
1oayuré£ouv rv duflgumv xaxvov a raddattovorv Er 16 Toxw:
[19] 9 Zg 7 xutoa, Cm n quta:
[Fol. 1207 in marg.]
[16] 10 'Moyvoov xojvas Aulodousvy® dni rdv. anadevıwv
uév, du dè miovrov rmaognosatoptvwuv ÖnspßoAnv:
[15] 11 'Aociow axovillesc: esi wr acxémwe ti n0i-
OULVIUY : .
[14] 12 "Apyasdrega ıng dipFéiqus déyesc' éni wy
Cutoa xai nadasa Asyovrwy’ naunddaios yug fj dipFéga,
éy 7 xai Put tov Ala &noygaqto9 o: TR yuvopeva :
[13] 13° Anò dig D xvuurt wv: èx petagogus tuv Eri
gôvois xaduspopérwv® oùros yao dis È xvpaciv eluitaos
1a iuauu nÀvrvuv:
[12] 14 Anò xwnng ini Bawu: dni wy aFeows evrv-
noaviwv :
[11] 15° Avinmrorg nocìv àni TO thyog avsıoıv“
éni iv cuadwg Ent uva Eoya xal npakess aquxvovuévor :
[10] 16 "Ar9owros dvFounov duıwövsov‘ ni vov
angoodoxntwg vn’ avtounwy BonFovutvwr :
[8. 9] 17. 18 "Avéuov nedlov ini zov evuerafolwv xai
urvdowrnosevosnog 10 avro:
[7] 19 Ardoì Audd noaruat ovx nv, È d EE-
#43 wv Exolaro® Eni tw xaxa Éavroig Emonwutvwv:
[5] 20422016 wiv yiwrru, aii0646 dì youglos:
nuoocor of uiv Aados, of dì puyot :
[5] 214220 ylavt, «X20 xoquvn pFéyyetui:
[4] 224A nieowévos Bloc: end tw troluwv:
[3] 23°Aerov yngug xogudov veotns: êni iQ» x&v
tw ynoa nÀÉov rüv véwy Evdoxsuovvtwy :
(1. 2] 24. 25 Ayu3d&v Jalucca xui uya3F dv 6w906
ini upJorwvr ayudar.
v
18 evosnos &v99ownoc 20 yougo:
Breslau. M. Treu.
218 Christian Cron,
phen um eine Form des Namens zu thun war, in der die Ver-
wandtschaft mit dem Wort und Begriff Cj» deutlich hervorträte.
Darauf deutet schon Clemens mit der einleitenden Bemerkung :
‘olda ty x«i Marwvu roocuugrugodvru “Houxhsfro youpovt’,
womit er wohl auf die Stelle im Cratylus 396 hinweist. Platon
läßt hier seinen Sokrates in dem Namen des höchsten Gottes
zwei Bestandtheile finden, von denen man theils den einen, theils
den andern anwendet; of uiv y&o Ziva, où dì Alu x«Aovow. Die
Vereinigung beider, meint Sokrates, zeige das Wesen des Gottes
an; ov yàg gov muiv xai roig &ÀÀosg mou Ori Eoriv atrios
wddhov toù Civ jv & &oyov re xxt Baciiebg tv navrwr. Wir
können daher wohl glauben, daß, da der Philosophie und Ety-
mologie der Herakliteer in diesem Dialoge doch ein großer
Spielraum gegónnt ist, diese Herleitung und Erklärung des Na-
mens des hóchsten Gottes auf Heraklit selbst zurückgeführt
werden darf. Damit kónnte es denn wohl zusammenhüngen
daß Heraklit hier lieber das Nomen als das Verbum (Zevg ov-
vouutecT4) anwendet, wozu auch der vorhergehende Infinitiv,
wenn man Àéyeodus selbst bei Znvog ovroux in Gedanken zu
wiederholen nicht für zulüssig erachtet, doch einigermafien be-
hülflich ist. Im allerschlimmsten Falle, d. h. bei strengster Gel-
tendmachung des attischen Sprachgebrauches, wozu man jedoch
bei einer aus dem 5. Jahrh. v. Chr. und aus Kleinasien stam-
menden Schrift von so trümmerhafter und vielgestaltiger Ueber-
lieferung kein Recht hat, würe es auch keine allzukühne Ver-
muthung, wenn man annühme, daß nach ovrou« in der Ur-
schrift noch ovvou«Leosu gestanden habe !!).
Was mit dieser etwas langathmigen Erórterung des sprach-
lichen Ausdrucks beabsichtigt und auch wohl erreicht worden
ist, ist das, daß das Ungewöhnliche der Verbindung von
11) Mullach scheint an der Bedeutung des i9éls Anstoß genom-
men zu haben, indem er übersetzt : ,, Quod unum sapiens est solum Iovis
nomine appellari potest et non potest“. Diese Auffassung scheint mir
eine nicht hinreichend begründete Abschwüchung des Gedankens zu sein.
Denn mit solchen Beispielen aus den homerischen Gedichten, wie Il.
q 365 f., wo es von dem durch Hephästus bedrängten Skamander
heißt: ws roD xala Óés99a nvoi qAéytto, Lee d’ tdwo, odd E96Ae n po-
Qéesv, GAM boyero: wozu Aristarch bemerkt: dvij ro) ovx yddvato —
läßt sich der vorliegende Fall doch nicht vergleichen. — Die Un-
klarheit in der Auffassung und Beziehung des ‘solum’ gibt die Zwei-
deutigkeit des griechischen Ausdrucks wieder.
Zu Heraklit. 219
à89£A1ceiy mit dem Akkusativ eines Nomens uns nicht zu
hindern braucht, zu der älteren Interpunktion zuriickzukehren,
wenn diese dem Verständnisse des Inhalts zu statten kommt.
Daß dies aber der Fall ist, hoffen wir darthun zu können.
Zunächst handelt es sich um die Frage, ob man mit der
lateinischen Uebersetzung der Stelle bei Clemens uovror oder
vielmehr das an der Spitze des Satzes stehende £v als Prädikat
anzusehen hat. Wir haben uns, wie bereits oben bemerkt ist,
für letzteres entschieden, und zwar hauptsichlich aus einem
Grunde, dem Pfleiderer kein Gewicht beilegen kann?) Damit
ist er aber zu einer Auffassung der Worte Zyrôç ovvoun ge-
drüngt worden x die sprachlich unmöglich ist und daher unter
Voraussetzung dieser Deutung die Auffassung des £v als Pri-
dikat ausschlieBt. Diese wird sich nur dann rechtfertigen las-
sen, wenn man dem ersten Theil des Ausspruchs die Beziehung
gibt, von der Pfleiderer nichts wissen will Wir haben an der
oben angeführten Stelle darzuthun gesucht, daß, was dem P ar-
menides und Zenon gegenüber mit Recht behauptet wird,
auf Xenophanes, den anerkannten Urheber der eleatischen
Lehre, keine Anwendung findet. Gegen diesen kann der ver-
neinende Theil der Aussage um so mehr gerichtet sein, als der
ganze Ausspruch eben in das Gebiet einschlügt, auf dem sich
Xenophanes vorzugsweise bewegt. Mag daher immerhin die dem
Xenophanes zugeschriebene Ansicht, wie Pfleiderer will, „zu
wenig markirt sein, um jene Antithese Heraklits zu provoziren
und auf diese Weise den zureichenden Grund für die Entstehung
seines neuen Systems zu bilden", so küme doch jedenfalls das
in Betracht, was Pfleiderer selbst weiter bemerkt, ,,daB der
Ephesier, nachdem sein selbständiger Weg anderweitig motivirt
war, theils bewuBt, theils wenigstens thatsüchlich und von uns
aus betrachtet mit manchen Sätzen in gegensützliche, wie in
verwandtschaftliche Beziehung zu Xenophanes tritt". Aber bei
der Erörterung der fraglichen Stelle (S. 93 f. und 95 A. 1)
macht Pfleiderer von dieser Einsicht keinen Gebrauch, was um
so befremdlicher ist, als seine Deutung des vorangestellten &
beinahe dazu drüngt. So gefaBt lautet Heraklits Ausspruch wie
eine Gegenerklürung gegen solche AeuBerungen, wie sie Aristo-
12) Vgl. Philol. Anz. 17, 6. 7.
220 Christian Cron,
teles im Auge gehabt zu haben scheint, als er im ersten Buch
seiner Metaphysik schrieb: Zevopavng mowios toviwy — er hat
vorher den Parmenides und Melissus genannt — érfoug...
ovdév dueGagrvioev . . . GAI elg tov dhov ovguvov &ánofAtyag r0
Ev eivul pnoitòv Feov. Daß Heraklit ebenso wenig wie
Aristoteles von einer solchen Ansicht über Gott und die Welt
befriedigt ist, kann nicht wunder nehmen. Er schließt die Be-
stimmung der Einheit zwar nicht aus von dem weisen Wesen,
er verlangt aber noch eine andere Bestimmung, die er in dem
Namen des Zeus als Lebensspenders findet. Diese Deu-
tung des Namens bringt eine andere Stelle!) in Erinnerung,
die von dem zig dettwov handelt. Als solches wird nun frei-
lich der xoouos bezeichnet. Aber Gott und Welt,. der Lebens-
quell und das immerlebende Feuer entsprechen sich doch gegen-
seitig und sind daher in ihrem Wesen und Wirken untrennbar
verbunden !*), |
Was nun die Auffassung des Ausdrucks £v 10 0090» in un-
serer Stelle betrifft, so empfiehlt sich die Scheidung des g von
dem Subjekt 70 gogov und die Zuweisung desselben zum Prä-
dikat auch durch Vergleichung mit einer andern Stelle, in wel-
cher dieselben Worte am Anfange stehen. In Fr. 19 heißt es:
“Ev 16 coqóv, enloracdue yrwunvy 7 xußegvarcı muvta dia nav-
twr. So unsicher die Lesart im zweiten Theile ist, so unzwei-
13) Fr. 20 Kócuov Tüv avtòv andyrrwv oùn nc 960v ovts avIounwy
énoinoe, ail 5v abet xai low xai fare, nie deibwov, antiuevov uéroa xai
dnooßsvvuusvov uerga. Der letzte Theil dieses Ausspruches, ‘das im-
merlebende, nach Maßen sich entzündende und nach Maßen verle-
schende Feuer’ erlaubt, um die wirksame Kraft dieses Ausdrucks dar-
zulegen, die Vergleichung mit einer Stelle aus Schellings nachge-
lassener und von dem Herausgeber als Bruchstück bezeichneter Schrift
„die Weltalter‘ (Werke 1 8 S 265). Sie lautet: ,, Die ewige Na-
tur ist, dasselbe in Gott, was im Menschen seine Natur ist, so-
fern unter dieser das ganze aus Leib, Seele und Geist Bestehende
gedacht wird. Sich selbst überlassen ist diese Natur des Men-
schen, wie die ewige, ein Leben der Widerwärtigkeit und Angst,
ein nnaufhórlich verzehrendes, unablássigsichselbst
wieder erzeugendes Feuer‘‘. Man könnte sagen, daß in dem,
was ähnlich und was verschieden ist, nicht blo8 die fortwirkende, son-
dern auch die immer neu und anders sich gestaltende Kraft des Aus-
drucks sich kund gibt.
14) Diese Beziehung behauptet auch Bernays a. a. O. S. 258
(S. 90U.), der überdies auf Grund eines Zeugnisses des Chrysippus
(„zov Molemov xoi tov dia Tür abtov elves) sich dahin ausspricht: ,,das
schaffende und erhaltende 'Streiten' der Gegensátze heifit bei Hera-
klit Zeus''.
Za Heraklit. 221
felhaft feststehend ist der erste Theil. Unzweifelhaft ist auch
die Zerlegung der drei Worte in Subjekt und Prädikat mit zu
ergänzendem ?erív. Daß hier ro cogor nicht, wie in der andern
Stelle, ‘das weise Wesen’ bezeichnet, sondern die ‘Weisheit’, die
sich im menschlichen Thun und Vermögen bewährt, ist unver-
kennbar. Eher kénnte man dariiber in Zweifel sein, welcher
der beiden Bestandtheile als Subjekt, welcher als Prädikat an-
zusehen ist. Die Entscheidung dariiber ist bekanntlich nicht
immer leicht !°), besonders bei einer aus dem Zusammenhang
herausgerissenen Stelle. Der Artikel allein reicht noch nicht
aus, das betreffende Wort zum Subjekt zu stempeln. Doch da
der Philosoph in seiner Schrift ja mehrfach von dem Unverstand
der Menschen geredet hat, so mag er in diesem Ausspruch sa-
gen, worin die menschliche Weisheit besteht, also auch hier ró
cogóv als Subjekt zu fassen sein und £r» als Prädikat, dessen
erklärende Ausführung der übrige Theil des Satzes bildet. Der
ganze Ausspruch lautet demnach: ‘Eins ist das Weise (Weis-
heit) zu verstehen den Gedanken, durch welchen alles in allem
(durchgängig) gelenkt wird’, d. h. mit andern Worten: ‘den im
Weltall waltenden Gedanken zu verstehen '*)’, Wir glauben so-
mit jenen andern Ausspruch am wértlichsten so übersetzen zu
kónnen: ‘Eins will das weise Wesen allein nicht genannt wer-
den, es will auch den Namen Lebensquell’. Daß 10 copor uov-
vor auch zusammengenommen und ‘das allein weise Wesen' über-
setzt werden könnte, soll nicht in Abrede gestellt werden, doch
thut uovvov in Beziehung auf £v bessere Dienste, um einer fal-
schen Auffassung vorzubeugen. Auch über xuf ist noch ein
15) S. Philologus Band 40 S. 1 ff. und 41 S. 533 ff.
16) Sehr eingehend behandelt Bernays a. a. O. S. 253 f. (84 ff.)
den zweiten Theil des Ausspruchs, der in der Ausgabe des Diogenes
von Stephanus lautet: re oi iyxvBsprzos navıa dia navıwv. Er sucht
zu zeigen, daß Schleiermachers Vorschlag, dem Cobet beipflichtet, zs
oi» xvfsov5os, mit der Auffassung von narra als Singular sich mit
der gebotenen objektiven Auffassung von yrwun» nicht verträgt, und
schlägt seinerseits vor re od«xiles zu schreiben, seinen Vorschlag
wohl begründend. Pfleiderer, der dreimal die Stelle berührt, wahrt
S. 232 das ,,in charakteristischem Futurum stehende‘ xvßsov/oss und
übersetzt es: ,,jetzt und in Zukunft‘‘. Da aber die Handschriften
nicht dieses, sondern 67° &yxußsovjoas oder dts 7 xufeorijoas bieten, so
schreibt Bywater in der Append. I ‘7 otstas xvfegvdoda’, die indi-
rekte Fassung natürlich im Heraklittext aufgebend. Bei dieser großen
Unsicherheit der Lesart verdient auch Mullachs Schreibung Beachtung.
Sie lautet: oljy te éyxufeorzoni xté,
222 Christian Cron,
Wort zu sagen, um der Ansicht zu begegnen, daß es in dieser
Bedeutung vor Znrog stehen müßte. Das trifft darum nicht zu,
weil doch beides gesagt wird, sowohl dal) das weise Wesen
nicht will, als auch daB es will.
Darf somit das Recht, den fraglichen Ausspruch Heraklits
im Sinne eines Widerspruchs gegen die Einheitslehre des Xeno-
phanes zu verstehen, als von allen Seiten gesichert betrachtet
werden, so kónnten wir in diesem und anderen Aussprüchen
des Ephesiers eben so gewissermaflen eine vorahnende Erfassung
des wichtigeren und lebensvolleren Begriffs von Monotheismus
sehen, wie Pfleiderer in anderen Aussprüchen des Philosophen
„den ersten spekulativen Versuch dessen, was später Theodizee
heißt“, erblicken zu dürfen glaubt 17).
Während nun dieser Ausspruch sich ganz in den Grenzen
sachlichen Widerspruchs hält, nehmen andere Aeußerungen das
Gepräge persönlicher Zurechtweisung an. Dies gilt in hohem
Maße von jener Stelle #), in welcher außer Hesiodus und Py-
thagoras auch Xenophanes und Hekatäus als Beispiele dafür
angeführt werden, daß Gelehrsamkeit oder Vielwisserei keines-
wegs den Besitz von Verstand verbürgt. Dieses harte Urtheil
ist dem Xenophanes gegenüber um so befremdlicher, als Hera-
17) Damit soll natürlich nicht der Ansicht widersprochen werden,
welche sowohl Zeller als Pfleiderer mit anderen vertreten, daß Hera-
klit ebensowenig wie Xenophanes einen außer- und überweltlichen
persönlichen Gott kennt und daß die Gotteslehre beider also wesent-
lich pantheistisch ist. Wenn jedoch sogar in der auf Homer fußenden
polytheistischen Volksreligion Nägelsbach ein freilich unbewußtes
Streben nach Monotheismus erkennt, so darf man sicher noch viel-
mehr diesem philosophischen Pantheismus ein auf sittlicher Erkennt-
niß beruhendes Erfassen der Einheit des göttlichen Wesens zuerken-
nen, wie dies ja auch allerseits geschieht. Bei dieser Gelegenheit
möchte ich auch darauf hinweisen, daß Schelling in der oben an-
geführten Abhandlung über die Gottheiten von Samothrake von dem
erörterten Ausspruch Heraklits Gebrauch macht, wo er den von ihm
bekämpften Begriff des Monotheismus als einen solchen bezeichnet, der
„nicht alt, nicht neutestamentlich, . . . dem ganzen Alterthum und
der schöneren Menschlichkeit widerstrebt, die sich ganz in dem Aus-
spruche des Heraklit spiegelt, dem auch Plato Beifall gegeben'*.
18) Fr. 16 MHodvpadin voor Eyes où diddoxes, “Hoiodov yao av
édidaks xai Musayoonv astis te Revogavea xai ‘Kxataiov. So schreibt
Bywater in Uebereinstimmung mit Athenaeus XIII 90 (S. 610b). An-
dere z. B. Mullach, schreiben auf Grund anderer Ueberlieferung voor
où dida'cxss, was vielleicht ansprechender, aber trotz der Mehrzahl der
Zeugen doch nach kritischen Grundsätzen nicht besser beglaubigt
scheint.
Za Heraklit. 223
klit mit diesem in so wichtigen Ansichten ganz übereinstimmt,
namentlich in der Verurtheilung der Dichter, welche nach He-
rodot (II 50) den Hellenen eine Theogonie gedichtet haben.
Patin findet diese Feindschaft Heraklits gegen Xenophanes —
man könnte sagen diesen Ausdruck der Verachtung — „bis-
her“, d.h. also wohl nach der herrschenden, von ihm bekämpften
Auffassung, unerklürlich. Dies gilt wirklich für unser Gefühl,
das von Hochachtung erfiillt ist fiir den Mann, der zuerst mit
dem Muth und der Kraft sittlicher Ueberzeugung den innerlich
unwahren und sittlich haltlosen, aber durch die Staatsgewalt ge-
schiitzten und durch herrliche Gebilde der Kunst sich einschmei-
chelnden Polytheismus angriff. Doch bieten die thatsächlichen
Verhältnisse der Betrachtung mancherlei Umstände dar, die ge-
eignet sind, die persönliche Ungunst einigermaßen zu erklären.
Mit Recht legt Pfleiderer, wie andere vor ihm, grofes Ge-
wicht auf die Lebensverhältnisse und die persónliehe Stellung
des Mannes zu seinen Mitbürgern. Diese war sowohl nach Ab-
stammung als Würde eine sehr angesehene. Schuster in dem
zweiten Excurs seines Werkes bietet einen Stammbaum, der so-
wohl in der Haupt- als in den Seitenlinien die erlauchtesten
Namen, darunter den des Gründers oder Ansiedlerführers, des
Kodriden Androklus, enthält und mit der Abtretung der f«cs-
Aelu seitens des Heraklit an seinen jüngeren Bruder schließt.
In Bezug auf dieses Ehrenamt bemerkt Schuster auf Grund ei-
ner Stelle bei Strabo: ,,dieses Geschlecht hatte auch nach dem
Verlust der Kónigs- und der Archontenwürde sich immer noch
einige Ehrenrechte gerettet, nämlich den Vorsitz in den öffent-
lichen Spielen, die alte purpurne Königstracht, den langen Für-
stenstab statt des gewöhnlichen Stockes und die Pflege des Hei-
ligthums der Eleusinischen Demeter“. Pfleiderer, dem es beson-
ders darum zu thun ist, den Antrieb und Ausgangspunkt für
die Philosophie unseres Ephesiers nicht in einem der älteren
oder gleichzeitigen Systeme zu erkennen, sondern in der Reli-
gion und insbesondere der Geheimlehre nachzuweisen, knüpft an
diese geschichtliche Ueberlieferung die weitergehende Folgerung
an, daß Heraklit im Vergleich mit Pythagoras und Platon „am
originalsten und stärksten jene a priori zu erwartende Vermäh-
lung der Philosophie mit dem theoretischen Kern des Mysterien-
wesens repräsentire“.
224 Christian Cron,
Wie es sich aber auch immer mit dieser Auffassung der
Philosophie des Ephesiers verhalten mag, der sein Werk in dem
Tempel der Artemis hinterlegt und in seinem Alter sich aus
dem Treiben der Stadt in die Einsamkeit des umliegenden Ge-
birges zuriickgezogen haben soll: jedenfalls steht das, was uns
von dem Leben und Treiben des Xenophanes berichtet wird,
in einem recht augenfälligen Gegensatz zu der Lebensführung
und Handlungsweise des Heraklit. Schon das ist bedeutsam,
daß Xenophanes nicht nur die Gründung von Elea in einem
weitläufigen Gedicht in epischem Versmaße besang, sondern in
dieser Form auch seine Philosophie darstellte, wie nach ihm auch
Parmenides und Empedokles, während Heraklit wie Anaximan-
der sein Werk in ungebundener Rede schrieb. Aber nicht ge-
nug damit: Xenophanes fiihrte, frühzeitig aus seiner Vaterstadt
Kolophon vertrieben, ein unstätes Wanderleben, das ihn über
die beiden Hellas umgebenden Meere führte, und trug in den
hellenischen Städten auch Italiens und Siciliens nach Art der
fahrenden Singer selbst seine Gedichte vor. Hôren wir, wie
der Mann aus Ephesus in einer uns in etwas schwankender
Ueberlieferung erhaltenen Stelle !?) sich vernehmen läßt. „Wo“,
ruft er aus, „findet sich bei ihnen (den Leuten) Verstand oder
Sinn? Volkssängern laufen sie nach und nehmen
sich den großen Haufen zum Lehrer, ohne zu wissen, daß viele
schlecht und nur wenige gut sind. Denn statt alles anderen
wählen die Edelsten eines, ewigen Ruhm bei den Sterblichen,
die Menge aber ist gesättigt, (d. h. lebt dahin) wie das liebe
Vieh“. Mag die vorliegende Gestaltung des Textes auch noch
manchen Zweifeln Raum geben, soviel ist doch sicher, daß der
Spott des Philosophen nicht bloß die stumpfsinnige Menge, son-
dern auch Leute wie Xenophanes trifft. Auf diesen würde das
überlieferte dyuwr «oido recht gut passen, da das von Bergk
beanstandete dyjuwy sich auf die verschiedenen Ortsgemeinden
beziehen kann, welche der Sänger nach einander heimsucht, so
daß der von Schuster gebrauchfe Ausdruck 'Bünkelsünger' nicht
19) Bywater gibt die Stelle Fr. 111 in folgender Weise : Tis yàg
avi 06 n gen; [dyuowy] c'osdoics énorra, xai didaoxalo xoéortas
óutÀo, ovx eido0tes ots nollos xaxoi Gdiyos dé dyadoi. alosivias yao ty
dvtía nevrov oi aesotos, xléos dévaov Svnrür, où dè noÂloi xsxconvtcs
OXWONED xInvea.,
Zu Heraklit. 225
unberechtigt ist. Ob man aber dem Ephesier eine so gering-
schätzige Bezeichnung des achtungswerthen Philosophen und
Dichters aus Kolophon zutrauen kann? Daß beide sich in den
Angriffen auf die Volksreligion berühren, bietet kein HinderniB.
Denn gerade da, wo die Uebereinstimmung groß ist, wird der
Rest von Verschiedenheit, der übrigens hier doch nicht so ge-
ring ist, leicht am übelsten vermerkt. Braucht man da noch
an die irae theologorum zu erinnern? Bei den alten Griechen
aber fiel die Theologie ja ganz in den Bereich der Philosophie.
Und theologische Lehren waren es ja gerade, wo die beiden
Philosophen sich am nächsten beriihrten, aber wegen der doch
noch bestehenden Verschiedenheit der Ansichten unter dem viel-
leicht mächtig wirkenden EinfluB der persónlichen Verhältnisse
auch am kräftigsten abstieBen. Doch nicht bloß in den An-
griffen auf die Volksreligion, also in der Verneinung und dem
gemeinsamen Gegensatz, sollen beide Philosophen sich berührt
haben, sondern auch was Xenophanes an die Stelle setzte, soll
er mit Heraklit fast gemein haben, dessen göttliches Eine
dieselben Prädikate, außer dem der Unveründerlichkeit, zu tra-
gen fahig sei. Daf wir uns dieser Ansicht nicht anschlieBen
kónnen, ergibt sich schon aus dem, was oben zu der angenom-
menen und vertheidigten Auffassung des in Fr. 65 erhaltenen
Ausspruchs bemerkt worden ist, und auch Pfleiderers Ausfiih-
rung scheint zu keinem solchen Ergebniß zu führen. Daß ein
Wort des Xenophanes schon vor alters unter Heraklits Namen
ging, ist darum nicht von Belang, weil es ja seinem Inhalte
nach auch in die negative Seite der Philosophie des Ephesiers
einschlug.
Der hier eingehend erörterte Ausspruch des Philosophen
bot durch die große Zahl der Möglichkeiten, die sich für die
Wortverbindung ergab, reichliche Gelegenheit, die von Aristo-
teles bereits anerkannte und auf einen bestimmten Grund zu-
rückgeführte Schwierigkeit des Verständnisses thatsächlich zu
erproben. Wenn nun vielleicht auch die hier unternommene
Befürwortung der seit Schleiermacher fast ausnahmslos verlas-
senen Schreibung und Deutung der Stelle keine Zustimmung
finden und der von Bernays eingeschlagene Weg zu allgemeiner
Geltung gelangen sollte: der oben bezeichnete Zweck wäre doch
vollkommen erreicht.
Philologus. N.F. Bd.I, 2. 15
226 Christian Cron,
2.
In der Anzeige von Pfleiderers Buch über Heraklit 2°) kam
Fr. 38 zur Sprache, das nach der bisher unangefochtenen Ueber-
lieferung lautet: Ai wvyai douoviar xa9° adnv. Es war hier
auf das fo» hinzuweisen, welches der Verfasser den „Fach-
philologen“ bietet, um ihnen und noch mehr den Philosophen
„für die Zukunft die komischen Spekulationen über das hera-
klitische Riechen der Seelen im Hades zu ersparen“. Zu die-
sem Zweck schlägt er vor 00400vro& statt oouwrım zu schrei-
ben. Seine ausführliche Begründung dieser Aenderung verdient
eine eingehende Prüfung, zu der dort der Raum nicht gegeben
war. Sie soll deshalb hier vorgenommen werden.
Zuerst fragen wir nach der Nothwendigkeit der vorgeschla-
genen Aenderung. Betrachten wir'die Fundstelle in der Aus-
dehnung, in der sie Bywater mittheilt ?'), so ist zunächst er-
sichtlich, daß Plutarch den Ausspruch Heraklits als ein will-
kommenes Zeugniß zur Bekräftigung der eben vorgetragenen
Ansicht beibringt. Mehr will das xulwç efnev nicht besagen,
und das Bedenken, welches Pfleiderer gegen die Anwendung
dieser „Einführungsformel des sentimental-erbaulichen Plutarch
bei einem irgendwie erklärten Riechen‘ als eine geradezu ge-
schmacklose erhebt, scheint selbst von moderner Sentimentalitit
etwas angekrünkelt. Um nun die fragliche Ansicht Plutarchs
darzulegen, müssen wir mit dem Verfasser etwas weiter zurück-
gehen als Bywater in seiner Angabe. In dieser merkwiirdigen
Schrift Joi 100 éupurouévou noocwmov TO xvxÀo ing OtÀgrge,
aus der die Stelle genommen ist, bestreitet P. die Richtigkeit
der Ansicht, welche den denkenden Geist als einen Bestandtheil
der Seele ansieht. Denn der vovg, der dem «og seinen Ur-
sprung verdankt, erhebe sich ebenso über die wuyn, die der os-
Àjrg entstammt, wie diese über das owuu, das von der Erde
20) Philol. Anz. 17, 6. 7.
21) Plutarchus de Fac. in orbe lun. 28, p. 943: ai d° avw ye-
vonevas (scil. vvyai) . . . . dxüivi mv Ce louxviæs, nvoi dì Tiv Voyiv
ava xovqaQouévgv, monio èviadbba, tQ neoì my celnvny aldéor, xai tovoy
an’ avtod xci divausv, olov tà aronovusva Bagyy, tsyoves. to ydg apr
En xai diaxegvpivov Suirvvtay xai yíveres ctads0dv xoi Ssavyés, wote ond
Tic Tuyovons dvaOvuidotoc ıpkgsodar xci xadwe “Hoaxleros elasy on ai
yuyai oouwrıas xa9' Adv.
Zu Heraklit. 227
(Demeter) genommen ist. Die griechischen Ausdrücke sind bei-
behalten, weil das grammatische Geschlecht nicht ganz bedeu-
tungslos ist. Demgemäß wird auch ein zweifacher Tod ange-
nommen. Der erste scheidet die Seele schnell und mit Gewalt
von dem Leibe, der dadurch der Demeter anheimfallt; der
zweite sanft und langsam den Geist von der Seele. Der vom
Leibe geschiedenen Seele ist es vom Sckicksal bestimmt in dem
Raume zwischen der Erde und dem Monde zu schweifen; doch
ist nicht allen die gleiche Zeit verordnet. Die Ungerechten und
Zuchtlosen büßen ihre Frevelthaten, die Gutgearteten müssen zur
völligen Reinigung von der Befleckung des Leibes in dem
annehmlichsten Theile der Luft, ov Aeıuwvacg
«dov x«Aovoci, eine gesetzte Zeit verweilen. Denn, wie aus
dem Ausland (Elend, arodnul«) ins Vaterland zurückgebracht,
genießen sie Freude. Denn — wir kehren hiemit zum Schlusse
des Kapitels und zur Ausgabe Bywaters zurück — das Schwache
und Zerfahrene wird gestärkt und wird stätig und durchleuchtet,
WOTE VEO Ing tugovons avudupiicews roéqeo9ur xol xuA wc ‘Hod-
xlestoc eînev O1 — nun kommen die im Gericht stehenden
Worte. Der Verf. bestreitet die Auffassung Teichmiillers, der
die Ansicht ausgedrückt findet, daß die Seelen im Hades athmen.
Denn — versichert er wiederholt — ,,der Geruchssinn als sol-
cher hat bekanntlich mit dem Athmen eigentlich nichts zu thun".
Wir nehmen das „eigentlich“ im Sinne einer halb zugestandenen
Beschränkung ; denn völlig und unbedingt von einander ge-
trennt ist doch athmen und riechen nicht, da bei jener noth-
wendigen Lebensthütigkeit das eigentliche Riechorgan, die Nase,
doch auch betheiligt ist. Doch ist für Plutarch die Entschei-
dung dieser Frage überhaupt nicht von Belang. Er spricht ja
nicht von der Luft, die wir einathmen, sondern von einem auf-
steigenden Dampf oder Dunst oder Duft, wie er von Fett- oder
Rauchopfern ausgeht. Dies zeigt deutlieh sowohl der Ausdruck
ara3vutacis, der bei der angenommenen Beschaffenheit und
Lage der Hadesauen eine ganz angemessene Vorstellung gibt,
als auch das rgéps09as Zur Aufnahme dieser Nahrung aber
ist gerade der Geruchssinn erforderlich. Dies bedarf keines
weiteren Beweises, also auch nicht der Anführung der aristoteli-
schen Stelle, in welcher Fr. 37 enthalten ist. Diese ist so we-
nig ,ganz ohne Belang für unsere textkritische Frage“, daB viel-
15*
228 Christian Cron,
mehr die Worte ‘doxéi d’ évlow n xamıwdns avatuulacus
sivas Gown’ eine ganz ausgezeichnete Bestätigung für die An-
nehmbarkeit des überlieferten 0 6 u à v ra, darbieten. Ein wahres
opus supererogationis ist es, das der Verf. seinem Eéow zulegt,
wenn er bemerkt: ,,die Seelen werden entsühnt, geweiht oder
gereinigt im Hades oder auch (im Hades) nach Hadesart, nach
den Bräuchen und dem Recht desselben, wodurch dann zugleich
das xaza zu seiner besseren sprachlichen Geltung käme“. Denn
daß xura mit Akkusativ sehr gewöhnlich nur den örtlichen Be-
reich, in welchem etwas vorgeht, bezeichnet, erhellt aus vielen
der gewöhnlichsten Ausdrücke, wie xara yzv xal xura Fakarıav
z. B. wx&v. Und daß die Bezeichnung der Oertlichkeit hier
nicht vermißt werden kann, zeigt der Verf. selbst durch die
seiner Erklärung, die dadurch aber ausgeschlossen wird, vor-
ausgeschickte Parenthese.
So viel möchten wir zur Rechtfertigung der ,, Fachphilo-
logen“ sagen, welche die Unzulässigkeit des nun zuerst bean-
standeten Ausdrucks bisher nicht erkannten. Doch soll damit
keineswegs die freundlich dargebotene Gabe des gelehrten und
geistreichen Philosophen schnöde zurückgewiesen werden. Denn
was dieser zur Unterstützung seiner Ansicht weiter beibringt,
hat vollbegründeten Anspruch auf Beachtung und eingehende
Erwägung.
Zunächst ist ja anzuerkennen, daß in dem Abschnitt der
Schrift Plutarchs selbst, aus welchem die fragliche Stelle ge-
nommen ist, Ausdrücke vorkommen, die mit dem Begriff der
Reinigung und Heiligung wohl übereinstimmen. Dies ist der
Fall da, wo für die gutgearteten Seelen der Zweck des Aufent-
haltes in den Hadesauen angegeben wird mit den Worten: ö0ov
apayvevcas xal aronmvevoni a0 100 CWuates, Worso alılov mo-
yngov, wıocuovc. Was nun insbesondere den Ausdruck ocsoër
betrifft, so weist der Verf. auf die merkwürdige Betrachtung
hin, welche Plutarch an seine Erzählung über die Erhebung des
Romulus zu den Göttern (L. des R. Kap. 28) knüpft. Die
Stelle, um die es sich handelt, hat so viel sprachlich und sach-
lich Eigenthümliches, daß es sich verlohnt sie ihrem Wortlaut
nach anzuführen. Nachdem er auseinandergesetzt hat, daß die
Seele, solange sie mit dem Leibe behaftet ist, nicht von hier
dorthin gelangen kann, fährt er fort: zug dgerag xoi tag ww-
Zu Heraklit. 229
gas (wohl soviel als rag wvyóc zur dyuddv) naviuzacw oleoIus
(det) xara giai x«i dlxny 9etav Ex wiv avFounwy ele fowug,
ix d' noWwv ele duluoruc, ix dì datucvwr, av téleov womeg dv
tehery xudFaodwoi xai oovwFwour anuv anopuyovoa 10
Ovgróv x«i mudntixor, ov vou molews, GAN dÀg9e(g xai xara
tov elxotu Adyov elg Feoùs dvupégeodas 10 xdAdioroy xal uuxa-
Qiwrurov thos &noluBououc. Die durch den Druck hervorge-
hobenen Worte sind diejenigen, welche der Verf. besonders be-
rücksichtigt sehen will. Die ganze Stelle schließt sich überdies
an eine andere an, die, verwandten Inhalts, für den Uebergang
ins Jenseits die Bedingung stellt, div ow ucdsora oWmarog
analiayn xai diaxgıIn7 xui yévgian xadugov Havianacs
xui ayvov. ir yàg wvyi Eno) xoà áglorg xud 'HodxAturov,
woneg Gorgari) vépous diumıauevn tov cupuatos. Man sieht, daß
Plutarch diese Gedanken immer mit sich herumtrigt und bei
gegebener Gelegenheit anbringt, dabei aber auch des alten Phi-
losophen wohl eingedenk ist. Bywater (Fr. 74) nimmt an, da
der Wortlaut des vielfach angeführten Ausspruchs am richtigsten
von Stobäus erhalten sei und etwa gelautet habe: din wuyn
Copwicin xui glory. Pfleiderer ist geneigt, mit Schleierma-
cher und Schuster auch den Zusatz wWoneg dorgan) végovg
diertanervn (oder duntauévn) noch für heraklitisch zu halten.
Die Entscheidung ist schwer, da man den Zusammenhang nicht
kennt. Doch spricht manches dafür, daB man sich auf dem
Gebiet des plutarchischen Gedankenganges befindet, aus welchem
der fremde Ausspruch sich nicht immer leicht ausscheiden läßt ??).
Das Ergebniß der vorstehenden Erörterung läßt sich nun
dahin zusammenfassen, daß der durch die vorgeschlagene Aen-
derung gewonnene Begriff sich zwar mit dem Gedankengang der
Stelle, welcher wir den Ausspruch Heraklits verdanken, und
den Vorstellungen Plutarchs, wie sie sich auch anderwärts zu
erkennen geben, wohl vertragen würde, daß aber in dem un-
mittelbaren Zusammenhang der Fundstelle der angefochtene Aus-
druck doch so viel Halt hat, daß ein Aufgeben des überlieferten
Wortlautes nicht gerechtfertigt wire. Es würde damit vielleicht
ein eigenthümlicher Gedanke des alten Philosophen preisgegeben
werden, der kein so abschätziges Urtheil verdient, wie es ihm
22) Vgl, Philol. Anz. 17, 6. 7.
230 Christian Cron,
von seiten Pfleiderers zu Theil wird. Denn warum sollte es des
alten Ephesiers so ganz unwiirdig sein, auch tiber die Nahrung
der Seelen im Hades und die Art ihrer Aneignung sich seine
Gedanken zu machen? Pfleiderer erblickt in Heraklit, obwohl
er ihn für keinen Physiker auch nur in der Weise der alten
Milesier gelten läßt, doch „auch für die bedeutendste naturwis-
senschaftliche Lehre der Gegenwart — er meint die Lehre von
der Erhaltung der Kraft und dem mechanischen Aequivalent
der Wärme — den intuitiven Propheten“. Wie, wenn dieser
mit dem ‘Riechen der Seelen’ in aller Unschuld auch eine der
neuesten Errungenschaften auf dem Gebiete der Psychophysik,
die noch nicht zu allgemeiner Ánerkennung durchgedrungen zu
sein scheint, vorausgeahnt hätte ? *9).
9.
Da Pfleiderer den Ephesier nicht den Naturphilosophen
beigezühlt wissen will, so läßt er es sich angelegen sein, zur
Kennzeichnung des eigenthümlichen Wesens der heraklitischen
23) Bei dieser Gelegenheit, wo es sich um die Nothwendigkeit
oder Annehmbarkeit einer Konjektur handelt, móchte ich einer Ver-
muthung von Bernays gedenken, die vielleicht nicht die verdiente
Beachtung gefunden hat. Sie bezieht sich auf Fr. 4, das aus Sextus
Emp. stammend bei B. lautet: Kaxoi u@utvoss àv9ounoics 0q9aluoi
xai wie, BagBagovs wuyàs dydviov. Ausgehend von dem Nachweis,
daß Schleiermachers Deutung, der um dem Wortlaut gerecht zu wer-
den, dv39w70:c« und iyóvrov von zweierlei Leuten versteht, unzulässig
erscheint, und die Annahme einer pleonastischen Beifügung des Da-
tivs abweisend, macht er das Bedenken geltend, ob die hier gefor-
derte Bedeutung von f«gfdgovc bereits für Heraklit angenommen wer-
den kónne. Diesen Schwierigkeiten sucht nun Bernays zu begegnen,
indem er vorschlägt zu schreiben: 'BooBógpov yvyàc Eyovrog’, mit
der Uebersetzung: wenn Schlamm die Seelen einnimmt’. Bywater er-
. wähnt die Vermuthung in der kritischen Anmerkung, Pfleiderer läßt
sie unberücksichtigt, indem er übersetzt: ,,Schlechte Zeugen sind den
Menschen Augen und Ohren, wenn sie barbarische Seelen haben‘‘.
Daß eine solche Loslösung der Beziehung des Particips auf das Sub-
stantiv noch am ehesten angenommen werden kónnte, ist nicht zu
leugnen. Doch bleibt das Bedenken wegen des Gebrauchs des Wortes
BeéeBagos, und wenn man auch diesem kein Gewicht einräumen wollte,
so wird man doch zugestehen müssen, daß die vorgeschlagene Aende-
rung wirklich zu einem ,,in Gehalt und Ausdruck gleich sehr hera-
klitischen Satz‘‘ führt, während die überlieferte Lesart, auch abgesehen
von den Schwierigkeiten, an denen sie leidet, dem Verdacht einer
Einwirkung des attischen Sprachgebrauchs Raum gibt.
Zu Heraklit. 231
Philosophie einen kurz zusammenfassenden Ausdruck zu finden
und zu erfinden. Denn zu dem bezeichneten Zwecke scheint
ihm weder Hylozoismus noch Pantheismus geeignet,
wohl aber Panzoismus. Somit bereichert Pfleiderer den exo-
tischen Ziergarten des urwüchsigen deutschen Sprachwaldes mit
einer neuen Pflanze, die mindestens als eine bemerkenswerthe
Abart neben andern stammverwandten kann betrachtet werden.
Es ist kaum zu bezweifeln, daß dieses neue Erzeugniß echt
deutscher Geschmacksrichtung auf dem Gebiete der Wortbildung
sich neben anderen behaupten wird, von denen Pfleiderers Buch
eine reiche Auswahl bietet, außer den beiden oben genannten
noch Monismus, Panlogismus, Pampsychismus, — gar nicht zu
reden von den eine besondere Art bildenden Personalabstrakten,
wie Pythagorüismus, Heraklitismus, Kartesianismus, Spinozismus
und anderen beliebten ‘ismen’ älterer und neuerer Zeit, wie Op-
timismus, Pessimismus, die schon lüngst in der gebildeten Um-
gangssprache eingebürgert sind **). Damit wird sich nun frei-
lich Pfleiderer nicht befriedigt fühlen. Er gibt nämlich, wie es
natürlich und billig ist, seinem Geisteskindlein noch eine beson-
dere Empfehlung mit auf den Lebensweg; er nennt den vorge-
sehlagenen Terminus ,eine neue, aber sprachlich korrekt
gebildete Formel für eine neue materiale Auffassung des
Manns“. Wir wissen nicht, ob die durch den Druck hervorge-
hobenen Worte zugleich als ein unterscheidendes Merkmal ge-
genüber andern gemeint sind, wundern uns aber, daß, als Pflei-
derer sie niederschrieb, das Daimonion — will sagen das phi-
logische Gewissen -— sich bei ihm gar nicht geregt zu haben
scheint. ,,Korrekt gebildet?“ Wie? nach welchen Gesetzen
welcher Sprache, der deutschen, lateinischen oder griechischen ?
Denn mit allen dreien hat das neue Gebilde es ja zu thun.
Die Wortstämme, aus denen es zusammengesetzt und hergeleitet
ist, weisen auf die griechische Sprache. Geben wir ihm also
seine eigenthümliche Form und Schrift, so heißt es auvCwsoucs.
Die Wortbildungsendung deutet auf die Ableitung von einem
Verbum. Beliebige Beispiele seien die aus der Geschichte be-
kannten von Herodot und Thukydides überlieferten Ausdrücke
24) Von der kantischen Unterscheidung von Theismus und Deis-
mus macht Pfleiderer meines Erinnerns keinen Gebrauch.
232 Christian Cron,
undiouds und dinmouôc, von unditev und arzextte gebildet.
Diesen mag sich gidtznsoucg anschließen, das wenigstens auf
das mehrfach von den Rednern gebrauchte gidinnilesy (peden-
ale 7 MvSta) zurückgeht. Es ist nicht zu verkennen, beide
Verba und Substantiva, haben etwas Gemachtes; sie sind Er-
zeugnisse des politischen Parteieifers und bezeichnen das Ge-
bahren, Verhalten (mit wem man es hält). Verwandter Bedeu-
tung, aber mehr dem Bediirfni8 der wissenschaftlichen Kunst-
sprache dienend, sind Ausdrücke wie élimuouos von éhAnvilesy,
ücrtiGguóg von dotelteoda, u. a. dgl. Man sieht, sprachlich
sind von den oben angeführten Wortbildungen allenfalls ge-
rechtfertigt die von Eigennamen abgeleiteten, deren Ursprungs-
zeugniß zum Theil schon auf das Alterthum zurückgeht, nur
daß nicht suPayogaisucs, sondern nuPayogsouoc, wie muFayo-
ole und nusayogiorjg gesagt wurde. Die übrigen sind eben
sammt und sonders unorganische Gebilde der neueren Sprachen,
die glücklicher Weise nicht ganz so empfindlich den Sprachor-
ganismus schädigen, wie das von den sogenannten Neubildungen
im leiblichen Organismus gilt. Was nun den empfohlenen Pan-
. zoismus betrifft, so hat er als Sprachgebilde nichts vor sei-
nem älteren Vetter, dem Hylozoismus voraus Von dem
Stammwort Cwy gibt es keinen Uebergang zu einem irgendwie
gearteten Zwicuos.
Lassen wir also die „sprachlich korrekte“ Bildung des neu
erfundenen Kunstwortes als die fiir den Zweck im ganzen doch
minder wichtige Eigenschaft ganz bei Seite und fragen wir nur
darnach, was es zum Zweck der kurz zusammenfassenden Kenn-
zeichnung der Philosophie Heraklits, wie sie unser Verfasser
versteht und deutet, leistet, so können wir ihm genau genom-
men kein besseres Zeugniß ausstellen. Halten wir uns zunächst
an das, was der Verfasser selbst zur Begründung des neu er-
fundenen Ausdrucks beibringt. ,,Derselbe“, sagt er, „stellt ge-
wissermafien die Synthese aus den beiden vorhin kritisirten Be-
zeichnungen (Hylozoismus und Pantheismus) vor und benennt
das System nach seiner wahren General- und Grundidee von
der Unzerstörbarkeit des Lebens auch im scheinbaren Tod“.
Und blicken wir zu weiterer Bekräftigung auf den Abschnitt
zurück, der schon in seiner Ueberschrift das Losungswort ent-
hült ,Unzerstórbarkeit des Lebens in allen Gegensützen und
Zu Heraklit. 233
Wandlungen“, und heben wir daraus die Stelle hervor, die in
auszeichnender Schrift ,,als philosophischen Grundgedanken He-
raklits in einleuchtend naher Verwandtschaft mit der Myste-
rienidee“ folgende Ueberzeugung aufstellt : „Unzerstörbar ist die
Feuerkraft des Lebens, welches auch im scheinbaren Tode, in
den es oscillirend übergeht, überhaupt aber in allen, überall
regsamen Gegensützen und in den rastlosesten Wandlungen sich
nicht nur erhält, sondern allezeit siegreich durchsetzt und eben
in dieser Probe seine wahre Lebendigkeit erweist‘: so gestehen
wir, daß nach unserm Dafürhalten die neue Formel den ange-
gebenen Grundgedanken nur sehr unbestimmt und allgemein aus-
drückt und mindestens ebensogut oder noch besser das Gefühl
bezeichnen würde, das in der Brust eines jeden, der offene Au-
gen und Ohren und Sinne hat, sich regt, wenn im neuen Früh-
jahr das neuerwachende Leben der Natur überall hervorbricht,
wenn alles keimt und grünt und blüht und kiinftige Frucht
verheißt, freilich auch das sinnende Gemiith die weiter hinaus
abermals bevorstehende winterliche Erstarrung vorausahnen läßt ?°).
Wollte man aber an diesem Gemeingefiihl sich nicht genügen
lassen, sondern für den neuen Ausdruck doch eine höhere und
tiefere Bedeutung in Anspruch nehmen, so brauchen wir nur an
das Wort der Schrift zu erinnern „der Tod ist verschlungen in
den Sieg", um das anzudeuten, was dem gläubigen Gemüthe
des Christen das höchste und tiefste ist, das ihm die Hoffnung
verbürgt, daß — um mit den Worten des Verfassers zu reden
— „die ewige Kraft des Lebens auch an ihm sich erweisen
werde‘, oder wieder nach den Worten der Schrift, daß „dies
Verwesliche anziehen wird das Unverwesliche, und dies Sterb-
liche anziehen wird die Unsterblichkeit“. Ein Ausdruck aber
von solcher Dehnbarkeit, der auf so verschiedene Vorgänge und
Erscheinungen des natürlichen und geistigen Lebens anwendbar
ist, erscheint eben darum nicht sonderlich geeignet, gerade das
eigenthümliche Wesen der Philosophie Heraklits zu bezeich-
nen. Dazu ist derselbe auch darum wenig geschickt, weil —
25) Wir befinden uns bei dieser Ansicht in voller Uebereinstim-
mung mit dem Verfasser, der einer ähnlichen, nur weiter ausgeführten
Darlegung die Bemerkung beifügt: ,, Wenn sich nun Heraklit daran
macht, ein derartiges Denken, Fühlen und Ahnen philosophisch zu
verwerthen und ins Begriffliche umzugießen, so brauchte er nicht ein-
mal sehr viel zu ändern‘‘.
234 Christian Cron, Zu Heraklit.
das eine ist nur die natiirliche Folge des andern — wichtige
Ziige oder Bestandtheile dieser Philosophie nicht zur verdienten
Geltung kommen. Denn mag man auch in der neuen Formel
das, was der Verfasser in der oben angefiihrten Stelle als die
General- und Grundidee des Systems bezeichnet und gleich dar-
auf ,die oscillirende Identitit von Leben und Tod nennt", und
ferner etwa die Lehre vom rg deltwov mit seinen Wandlungen
und von dem allgemeinen Fluf der Dinge, wie sie der Ver-
fasser versteht, ausgedrückt finden: wo bleibt aber, von anderen
zu schweigen, der Aoyog Évvog, dem er doch auch eine große
Bedeutung beimift ? Hören wir, wie er sich selbst schön und
geistvoll darüber äußert. „Was uns“, dies sind seine Worte,
„aus dem Ganzen entgegentritt, ist kurz gesagt die tiefe Ratio-
nalitàt des Universums und seine harmonische Wohlordnung,
welche Alles schlieBlich ausgleicht und aus der sich auch für
das praktische Individuum sehr einfach das Grundgesetz ergibt,
sich dem einzufügen, um darin seine definitive Befriedigung zu
finden“. Es bedarf wohl nicht der Anführung noch anderer
Stellen, deren das anziehende Buch zahlreiche darbieten würde,
um das Ungeniigende der neuen Bezeichnung bemerklich zu
machen. Man kónnte versucht sein, sie auch eine Art enchei-
resis naturae zu nennen nach der freilich mehr geistreich spie-
lenden als sprachlich richtigen Deutung des Dichters. Denn
wenn sie auch ein und den andern Theil des Gesammtwesens
an die Hand gibt, so doch nicht alle, und namentlich fehlt die
Hauptsache, das geistige Band, das die lebendige Einheit des
Wesens ausmacht.
Augsburg. Christian Cron.
Zu Aischylos.
Suppl. 55 K. ist für Eyyasog olxiov oixroov alwy, dem in
der Antistrophe Vs. 60 merde véov olxıov NIEwv entsprechen
soll, wohl éyyusog <ém’> oîxtov ulwv zu lesen.
Suppl. 255 K. ist zu corrigiren :
Th On nadudiv aiuatwr piaowacer
LoavFeio’ avnxe yata vndéa daxn,
douxovIousrlov dvouern Svvoixlay.
Ueberliefert ist statt vnA&a daxy das sinnlose unvetzas xg; vgl.
Prom. 580, wo Aischylos zovna daxy erwähnt.
C. Haeberlin.
XII.
Zu den Anakreonteen!).
1. Die Schluß-Länge im Anaklomenos und
Anakr. 2: 50.
Zwei Anakreonteen (2* und 50, im Ganzen 18 Verse) haben
nach Hanssen (Anacreont. syll. Palat. p. 10) die Eigenthüm-
lichkeit, keine Schlußkürze zuzulassen. Dasselbe Be-
streben vor allem die offene Schlußkürze zu vermeiden, läßt
sich aber auch sonst beobachten (z. B. 16. 21 ff. 28 ff. 34 ff.
40. 46. 51): so daß es bei der geringen Zahl der in Frage
kommenden Verse zweifelhaft bleiben muß, ob jene Gedichte
wirklich eine Sonderstellung einnehmen. Weiter meint Hanssen
Nonni vestigia utriusque carminis auctores pressisse, und setzt sie
(deshalb ?) in’s fiinfte oder sechste Jahrhundert. Nothwendig ist
eine solche Annahme nicht; die melischen Versmaße haben alle
Zeit andre und strengere Gesetze gehabt, als die declamatori-
schen. So hat z. B. schon Anakreon (für etliche Fälle
wohl vielmehr ein hellenistischer Anakreontiker) in 24 anaklas-
tischen Dimetern fr. 61—66 Bgk. die offene Schluf-
kürze niemals, die (zumal bei folgendem Consonanten) mit
einer Länge gleichwerthige geschlossene Schlußkürze
nur dreimal (63, 2. 64; 65, 1; 66, 1 ist unvollständig) zu-
1) Die folgenden Bemerkungen sind bei der Lektüre der neusten
sehr verdienstlichen Arbeiten von F. Hanssen entstanden, dem sie zur
Berücksichtigung oder Berichtigung empfohlen sein mögen.
236 O. Crusius, -
gelassen. Ebenso streng baute man die anakreonteischen Verse
in der attischen Zeit, wie u. A. das schóne Beispiel im Kyklops
des Euripides zeigen kann (V. 496 ff): uaxag Sorc eviube |
Boipéw» ylAaıcı nnyuic || dni xwuov Exnernadeig | pilor avdg
vrrayxa)ltwr || xrd.; und die Hellenisten pflegten auch bei ihren
mit den Anaklomenoi eng verwandten iambischen dimetri cata-
lectici regelmäßig die Schlußlänge anzuwenden (Callim. epigr.
37 ff): worauf schon an andrer Stelle hingewiesen wurde. —
Unsre Anakreontiker werden diese bei dem singenden ionischen
Rhythmus doppelt zweckmäßige Selbsteinschränkung also ihren
klassischen Vorbildern abgesehen haben. Nonnos übertrug wohl
in der Hauptsache (vielleicht nach dem Vorgange der Hymnen-
dichtung) Gesetze des lyrischen Hexameters (vgl. z. B. Alem.
fr. 26) auf den recitirten.
2. Die Entstehungszeit von Anakr. 21— 32.
F. Hanssen hat unlüngst in diesen Blättern (XLVI 446 ff.)
zu erweisen gesucht, daß Anakr. 21— 32 ein jüdischer Poet
alexandrinischer Zeit gedichtet habe. Die spütere Blüthe
dieses Johannistriebes der griechischen Poesie in Syrien erweckt
ein günstiges Vorurtheil für eine derartige Annahme. Nichts-
destoweniger scheinen dem Unterz. die von Hanssen beige-
brachten Beweise keineswegs ausreichend. In Betracht kommen.
einzig die S. 449 ff. verzeichneten formellen Anklänge
an die Ps.-Phocylidea?); denn die aus der Gleichheit der
Denkweise entspringenden Uebereinstimmungen, welche S. 448
beigebracht werden, sind theils zu wenig individuell (waren etwa
Gastfreiheit [31], Abscheu vor der Habgier [27>], Friedliebe [32]
specifisch jiidische Tugenden ?), theils vermittels gesuchter Inter-
pretation zu Wege gebracht (z. B. wenn der schließlich einge-
fangene Don Juan in Nr. 28 die Ps.-Phokylideische Vorschrift
seine Liebe an ein Weib zu fesseln, zur Geltung bringen soll;
ähnlich S. 452 über 31)?). Aber auch mit jenen formellen An-
2) Beiláufig notiere ich, daß theologische Stimmen die Ps-Phoky-
lidea jetzt wieder für christliche Kreise in Anspruch nehmen: Hein-
rici DLZ. 1888, 227.
3) Den Gedanken, daß die Liebenden Aenrór | poyys tow ya-
Zu den Anakreonteen. 237
klängen hat es eine eigne Bewandtniß. Zu der Einleitung des
bekannten epigrammatischen Gedichtchens qvow; xéQuru ravgoug,
Ondac dédwxev Innos, . . . roig avdodow poornua. yvvoei£iv . .
xaAdog (Nr. 24) bietet allerdings Ps.-Phokyl. 124 ff. eine Parallele,
wie schon Th. Bergk PLGr.* II p. 19 (nicht erst Herr Thewrewk
von Ponor) nachgewiesen hat; nur fehlt die Pointe. Beides,
die priamel-artige ‘Erwartung’ (im Lessing’schen Sinne), wie den
‘AufschluB’, kónnen wir in gut griechischer Poesie nachweisen.
Vgl. Bergk a. a. O. und meine Bemerkungen im Rheinischen
Museum XXXIX 603 f. (unten S. 240) und Fleckeisens Jahrbb.
123 (1881) S. 294 f. Vor Allem ist der Grundgedanke ein
griechisch-hellenistischer, den ganz ebenso, an eine hellenistische
Vorlage sich anlehnend 4), Claudian in der griechischen Giganto-
machie ausgesprochen hat (Anacr.: didwor xadhog | &v' aontdwv
&nacQv | avi èyyéwr anavrwv | ving dé xol otdngov | xai nig
xaÀg tie ovon; Claudian: ovre B£loc péoev | Aphrodite], ovy onioy,
GAN? Exowitev | &yAatqv). — 27> klagt der Dichter über Streben
nach G'eldheirathen, wie H. S. 450 ganz richtig erklürt: das soll
sehr ungriechisch, aber echt israelitisch sein: wofür Ps.-Phok. 93 ff,
199 ff. angeführt wird. Allein wer kennt nicht ganz die glei-
chen Klagen aus den griechischen Iambographen und Elegikern,
besonders aus Theognis (vgl. z. B. V. 483 ff. 700 ff. 719 ff)!
Gerade aus Theognis hat der falsche Phokylides
die Gedanken und Bilder an den von H. angeführten
Stellen entlehnt?): und ein solches ‘thema Theognideum’
konnte jeder griechische Dichter ebenso gut behandeln, wie ein
Mann aus dem Samen Abraham's. — Anacr. 30 steht: rgoyd¢
Gupaiog yàg oia | Bloros —, OAlyn dé rxesoduecda | xorg; Ps.-
Phok. 27 6 Blog :9oyog , 108 (an einer von Bergk als inter-
eæyua haben, findet Hanssen S. 448 ungewühnlich sentimental
und deshalb ungriechisch. So sagt ja aber schon Sophokles (Euri-
pides?) fr. 607 “Kows — wuyàs yagadooes, von den hellenistischen
Elegikern und den Frotikern (vgl. z. B. Heliod. V 5) ganz zu schweigen.
4) Beweisend ist dafür die Uebereinstimmung Claudian's mit einem
in Fleckeis. Jahrbb. a. O. genannten Vasenbilde.
5) Am auflälligsten ist das Ps.- Phok. 201 inznovc s) ysvéag
dil uusta yeiapuras vs | tatvoovg dynrévovracs . . . | yiuas d' ovx
dyadnv tosdaivouev dgpovéovrsc | ovdèì yurn xaxóv &vdo dna y-
aivetas apveòv bvta: vgl. Theogn. 179 ff. xosods puév xci övous
dıln usa, Kiove, xaì innoveletdyeviacg... |. . yipuce dì xa-
xjv xaxoò où ushedaives| ... oUdè yuri xaxoù dvdgos avai-
vetas eva, &xos | nlovoiov, all’ a pveòyr Bovdetas art’ dyadoù,
238 O. Crusius,
poliert angesehenen Stelle!) Avowevos xovıg 2ouev. Aber 100706
6 Bloc oder rg. 12 kvPoQWnwe ist eine seit Herodot (I 207) oft
auftretende sprichwôrtliche Wendung, die auch in den paroemio-
graphischen Apparat der Sophisten aufgenommen wurde: vgl.
Leutsch zur App. prov. 400 paroemiogr. vol. I p. 458 II p. 87.
Wodurch H. die Echtheit der zweiten Stelle gegen Bergk er-
wiesen haben will, bekenne ich nicht einzusehen; der Gedanke
selbst gehórt zu den Gemeinplützen, die man auf jedem Grab-
Steine lesen konnte (vgl. z. B. Epigr. Gr. ex lapid. coll. 298.
564. 696; Lucian. de luctu 19). — Bei den übrigen S. 452 ff.
behandelten Stellen kann von irgend einem bemerkenswerthen
Zusammengehen nicht die Rede sein. Bei beiden Autoren heißt
Nest x«Ai« und Küken »e0000ç, in beiden ist von Sonne, Mond
und Sternen die rede — was sollen solche Dinge beweisen?
Die Partie steht demnach so: die Anakreonteengruppe 21
—31 hat mit den Pseudophocylideis keinen einzigen wirklich
individuellen Zug gemein: hinter allen Parallelstellen
liegt ältere griechische Tradition. Jene gemein-
same Verwendung gewisser trivialen Bilder und Gedanken würde
man immerhin geltend machen kónnen, wenn es sich um die
Ausführung einer schon mit andern Mitteln begründeten Hypo-
these handelte. Ob sie allein ausreicht, um auch nur eine Gei-
stes- und Schulverwandtschaft wahrscheinlich zu machen, er-
scheint sehr fraglich. Sicher aber reicht sie nicht aus, um
die Kette von Schlüssen zu tragen, welche H. S. 453 daran an-
knüpft. Schließlich sollen die Phocylidea wie die Anacreontea
von dem Juden Aristobul untergeschoben sein: eine Hypo-
these, zu der H. sich durch eine ihm ‘besonders auffällige Stelle’
des Aristobul verleiten läßt, die m. E. nur die entferntest-äußer-
lichste Aehnlichkeit mit An. 21 zeigt 9. Aber von allem Ándern
abgesehen und die angezweifelte Echtheit der Aristobulea (Bergk,
L.-G.IV 535) vorausgesetzt, traue ich schon um ihres Inhalts willen
6) Aristobul sagt: durch Gott hat Alles seine feste Ordnung, . . .
dg otdénote yéyovev ovoavòs yi, yi d' odgaves, oùd” nhsog aelyvy Àdu-
novoa . . . ovdé Idiagga normuoi: das wird verglichen mit dem
feucht-fróhlichen 4 yz uélawa nives ..., niva Idi a co! dvavgovc
etc. (wofür vielmehr Alcaeus fr. 89, 2 das Archetypon ist) Gerade
so gut und besser hätte Hanssen Heracl. 25 Byw. ij to tov yñs Faratoy
... Bdwe Ki tov digos Favatov, yi tov vdatos anführen können, oder
Aesch. Danaid. fr. 41.
Zu den Anakreonteen. 289
dem scheinheiligen Fälscher diese heitern, harmlosen Verse nicht zu,
Sie gehóren auch nicht in die Zeit des Aristobul, sondern sind
schwerlich älter, als die Blüthe der nachchristlichen So-
phistik. Auf diese Annahme, die vermuthlich mancher Fach-
genosse theilen wird, leitete mich freilich zunächst ein subjek-
tives, bei litterarhistorischer Beweisführung nicht stimmberechtigtes
‘Stilgefühl’ hin. Doch notierte ich gelegentlich ein paar Einzel-
heiten, welche, so unbedeutend sie erscheinen mögen, doch den
von H. beigebrachten Parallelen jedesfalls die Waage halten und
wenigstens erweisen, daß gewisse Hauptmotive gerade in jenen
Kreisen in Umlauf waren. Anacr. 27 heißt es: /J«g9(ovg ng
ardoac èyruoo uv udgoic, | ru dé rovg Eowvruc | ida»
dnlorou’ s09vc: Epovor yao m dentov | puyîs Fow yupayua:
ebenso spricht Heliodor V 5 von TW puywy ra ÈQowrixd
yvwolouaru. — Anakr. 30: oAlyn dé xevoouscda | xóvic
00réu» AvOéviwv. | if oe dei ALFov wvollew, 16. 08 yn yéesv
wataca u. S. w. Ganz ähnlich Lucian de iuct. 19 ai dé ue
6 xwxvt0g tud@y ovirnos . . . th dè 0 vnèo 1où TaGgov A(O oc
écrepuvwuévos; 7 th vuiv duvarar 10 axgatov Enıysivr...
10 dè xarudsnouevor, N xovig ayosioy u. S. w. -— Ferner
macht Anacr. 51 beinahe den Eindruck, als ob es durch Con-
tamination zweier Fabelmotive — dergleichen man besonders bei
jenen Spätlingen nachweisen kann") — zu Stande gekommen
wire. Der Eingang — Eros in unwirthlicher Nacht Obdach su-
chend und vom Dichter an den gastlichen Heerd aufgenommen
— erinnert nach Motiv und Ausfiihrung auf’s lebhafteste an das
Märchen von den ‘dankbaren Thieren’ in seiner babrianischen
Fassung (Fab. 74); wenn dann schließlich der gewärmte und
erquickte Eros us zunısı | ufcov rag, Wong oloıgoc, so ist die
bekannte gleichfalls von Babrius (150 Ebh.) behandelte Erzäh-
lung von der erstarrten und ‘am Busen’ erwürmten Schlange -
(auf die z. B. auch Philostratos Vit. Apoll. IV 25 [ogy 9w1-
fic] anspielt) einfach auf das yluxumixgor œuuyuvor Ogneroy
Eros übertragen 5. — Ebenso ist die Einkleidung von Nr. 24
7) Mit Babrianischen Fabelmotiven operieren z. B. die byzantini-
schen Epigrammatiker und Jambographen bei Piccolomini, suppl. de
Anthol. p. 330 (xdAAeog jv foes u. s. w. = Babr. 72 (56) + 114)
331 (rv agetny y9éc eldov = Babr. 128 Ebh.).
8) Aehnliche Zusammenklange lassen sich freilich auch sonst beob-
achten. So erinnert No. 10 #0wra xzgwóv we | vegvigc inde u. 8. w,
240 O. Crusius,
wohl aus einem abermals bei Babrius (paraphr. Bodl. 87 Kn.
— Fab. 153 p. 85 Gitlb.) erhaltenen Aesopeum entlehnt; Ver-
wandtes findet sich bei Maximus Tyrius und Aristides (vgl.
Rhein. Mus. XXXIX 8. 604).— Nr.32 ist ein ganz der Technik
der Sophisten entsprechender Znuivog des réruE: die Hauptzüge
finden sich zwar schon bei ältern Epigrammatikern (vgl. Leon.
und Antipater. AP. VI 120, IX 92), mit denen diese Poeten
überhaupt vielerlei gemein haben?); aber eine gewisse Ver-
wandtschaft zeigen wiederum Babrianische Aesopea (160 p. 90
Ebh. — 337 Halm; vgl. 126) sowie mehrere andre Stellen von
Sehriftstellern der Sophistenzeit (Aelian. de nat. an. I 20; mehr
bei Leutsch zu Apost. 1537 p. 668). Besonders bezeichnend ist
das der rérrË£ beigelegte Epitheton ynyerns (V. 16), welches sich
durch Beziehung auf die schulmäßige Erklärung der ‘Tettigo-
phorie’ der Athener (Lobeck, Aglaoph. 169) deuten läßt. Vgl.
Suid. s. rerruyopégos' of "dO qvator zérryoag yag èpovovr youdoug
cvuBolov ro) ynyeveis elvus. — Oovxvd(dgg . . . n On uovoixo(:
povoixog yùo 6 i£inE. ynyereig dé, dorsi xai 'Egey9eog ano
ing yng étéy9n; ähnlich Phot. II p. 209 Nb. und Eustath. Il.
T 159 p. 395, der nur noch einfügt d7Aov dé ore of rérriyec
avuspos u. 8. w. (vgl. Anacr. 32, 17 &ávaiu ócagxe). Der Ana-
kreontiker verarbeitet offenbar allerlei Schulreminiscenzen !9). —
In dieselben Regionen führen auch kurzathmige und geistesarme
mythologische Allegorien, wie No. 27. Ich wüßte dafür keine
bessern Parallelen, als gewisse mythologische F'abeln des Sophi-
sten Babrius: vgl. z. B. Fab. 70 (Gótterhochzeit, Polemos und
Hybris) auch No. 56 f. 165 Ebh. (Hermes mischt ein gzouaxor
weudovg, wie Eros und Aphrodite den Liebestrank). Das Alles
gehört in eine späte Zeit, wo die antike Litteratur nicht mehr
an Babr. 30 ydvwas nues Auydıvov 15 ‘“Eousinv + Babr. 119 (vgl. das
aus denselben beiden Vorlagen contaminierte Aesopeum 2 H.). Gei- -
stesverwandt mit der Leporello- Liste 13 ist das BekenntniB des
Theomnestos in Lucian's "Kgwrec 12 (Anacr.: ef xüuar oldas evdgsiv | và
ins oÀgc Falacons | ce tav Èuuv toutwvr | ucvoy now Aoyıoımw ; Luc.:
Sdtrov dv... Salaııms xiuara ... aps unosas 7) 1096 Éuovs "Epwras
u. s. w.): eine Stelle, welche schon ältere Interpreten nachgewiesen
haben.
9) Zum Erotennest No. 25 vgl. Helbig ‘campan. Wandgemälde’
S. 223.
10) Beiláufig notiere ich zu 26 den spáten Vers bei Apost.-Arsen.
478% p. 355: yuvasxòs Supe Toig dxudlovo Bélos. .
O. Crusius, Zu den Anakreonteen. 241
lebendig war, sondern nur noch in den Rhetorenschulen eine
kiimmerliche Scheinexistenz führte. So erklirt sich auch der
Mangel jeder tiefern Beziehung auf altes Volks
leben, alte Volksreligion und Mythendichtung.
Einem Hellenisten traue ich nicht zu, daß er, trotz des eifrig-
sten Bestrebens, mit mythologischen Anspielungen zu prunken,
über den Kreis der Atriden, des Kadmos und Herakles — d.h.
über die Mythologie der Schulstube — nicht hinaus kômmt.
Wenn der Gesammteindruck dieser Verse also durchaus für
eine möglichst späte Datierung spricht, so hat man keine Ver-
anlassung, die falsche Quantitàt eines ‘doppelzeitigen’ Vocals
27, 6 weds 10 yÀvx 9 dafovoa mit Hanssen dem Dichter ‘nicht
zur Last legen’ zu wollen: um so weniger als dieser Fehler ‘fest
sitzt’ und, wie H. selbst eingesteht, bis jetzt aller Emendations-
Versuche spottet !!). Hier gewinnen wir vielmehr eine nach-
trägliche äußere Bestätigung für unsern Ansatz.
Wir haben die Anakreonteengruppe 21— 31 H. als ein
Ganzes betrachtet, denn daß sie sich ebenso von den übrigen
Partieen abhebt, wie sie in sich eine einheitliche Färbung zeigt,
hat H. in seiner Habilitationsschrift p. VII sq. mit Recht her-
vorgehoben. Dagegen scheint mir ein zwingender Beweis dafür,
daß die ganze Reihe von einem Verfasser herstammt, immer
noch nicht erbracht zu sein. Auch fehlt es bei dieser Annahme
nicht an kleinen Bedenken. Sollte z. B. derselbe Dichter das
Motiv des "Egwg ıgoyalwr ?) in zwei benachbarten Gedichten
(23. 29) behandelt haben? Diese beiden Stücke sehen fast aus
wie jene Concurrenzleistungen, welche besonders die Fabel- und
Epigrammendichtung, aber auch die Anakreonteenpoesie (vgl.
Hanssen p. 6) so oft bietet. Bergk meinte, daß die Familienähn-
lichkeit mancher Stücke auf Rechnung gemeinsamer Schulmanier
zu setzen sei: und es wird schwer halten, diese Möglichkeit end-
gültig zu eliminiren.
11) Hanssen's neuster Vorschlag u. xai y £a x9? #4 oven ist nach
seinem eignen Bekenntniß nicht ausreichend gesichert. Dagegen
spricht der einfache Gegensatz yodj. Ganz ähnlich heißt es bei
Catull 68, 19: (dea) quae dulcem curis (d. i. ‘in den Gedichten’,
vgl. ueléin, uéAyua) miscet amaritiem, vgl. Riese S. 222.
12) Der Schluß von 29 (gsdAjoas;) wird als Frage zu fassen sein.
Tübingen. Otto Crusius.
Philologus. N. F. I, 2. 16
XIII.
Poseidonios und Plutarch über die römischen
Eigennamen.
Seitdem Heeren de fontibus Plutarchi geschrieben hat, ist
die Zahl der Untersuchungen über die Quellen des Plutarch in's
Ungemessene angewachsen; gleichwohl ist, was wir von der
Arbeitsweise dieses. Schriftstellers wissen heute noch unverhält-
nißmäßig wenig. Gerade über diese wichtigste Vorfrage aller
Quellenuntersuchungen bestehen auch bezüglich Plutarchs die
widersprechendsten Anschauungen. Im Ganzen wird jedoch ófter
behauptet, er schreibe seine Quellen lediglich aus, als man an-
nimmt, er gebe sie in freier Bearbeitung und selbstündig aus
dem reichen Schatze seiner Gelehrsamkeit schópfend wieder, es
werden ihm häufiger Mißverständnisse und Einfalt vorgeworfen,
als man die Genauigkeit seiner Anführungen loben hört.
Der Untersuchungen kleineren Umfanges, welche jedes Ka-
pitel einer plutarchischen Biographie auf eine bestimmte Quelle
zurückzuführen wagen, gibt es so viele, daß deren Anführung
sich von selbst verbietet, A. Schmidt (Zeitalter des Perikles) hat
in größerem Zusammenhang sich bemüht, eine ganze Reihe von
Lebensbeschreibungen der Griechen als „continuierliche Excerpte“
aus Stesimbrotos zu erweisen, und jüngst ist K. Müllenhoff in
seinen weitausholenden und eindringlichen Forschungen, in denen
er die Kenntniß der Griechen und Römer vom Westen und
Norden Europas zu umschreiben unternimmt, bezüglich des Ver-
hältnisses des Plutarch (Marius K. 11 ff.) und Poseidonios zu
Poseidonios und Plutarch über die rômischen Eigennamen. 243
einem ganz gleichartigen ErgebniB gelangt (Deutsche Alterthums-
kunde II. Bd.). Nach ihm ist der einzige zusammenhüngende
Bericht, den wir über die Kimbernkriege besitzen, von unbedeu-
tenden Zusätzen abgesehen, dem Geschichtswerke des Poseidonios
entlehnt, das dieser zur Fortsetzung des Polybios verfaßt hatte.
Plutarch kommt dabei nicht gut weg, er spielt die Rolle eines
Autors vom Schlage des Diodor oder Aelian; was sein Bericht
Gutes enthält, ist aus seiner Quelle, was er hinzufügt, ist werth-
los und er irrt, sobald er aufhört Poseidonios auszuschreiben ?).
Derartige Ergebnisse und Ansichten sind jedoch mit dem
Eindruck, den eine unbefangene, um ihrer selbst willen ange-
stellte Plutarchlektüre hinterläßt, nicht vereinbar. Die Erklä-
rung für diesen Widerspruch kann ich nur darin finden, daß
die Mehrzahl der Forscher dem Schriftsteller, über dessen Quel-
len sie handeln, als solchem nicht dieselbe Theilnahme entge-
genbringen wie den Quellen, die sie zu ermitteln suchen. Der
verlorene Autor gilt meist als Ideal, er ist unübertrefflich, heiße
er nun Poseidonios oder anders, der erhaltene wird als ein
Stümper oder noch Schlimmeres dargestellt, sei es Plutarch oder
1) Freilich sagt Müllenhoff einleitend (S. 123) ,,Plutarch wieder-
holt aber oder epitomiert nicht einfach den ilım vorliegenden Be-
richt, sondern erweitert seinen Auszug durch Zusätze aus anderen
Schriften und verfehlt dabei .. . . mehrmals auffällig die richtige
Darstellung‘; seine folgende Untersuchung beschuldigt jedoch Plu-
tarchs Schriftstellerei dessen völlig, wovon ihn der angeführte Satz
halb rein zu waschen scheint.
Aus Livius ist nach Müllenhoff die zweite Hälfte von K. 14 und
die Marius ungünstige Erzählung K. 12. K. 13 hat Plutarch 10 oder
16 Zeilen ,,aus einer Parömien- oder Apophthegmensammlung einge-
schaltet‘, K. 15 enthält eine ,,gedankenlose‘‘ Bemerkung und einen
„ohne Nachdenken‘‘ erhobenen Vorwurf von Plutarch selbst, K. 17
ein chronologisches ,,Versehen‘‘ und eine ,,Reminiscenz‘‘ an ein Pa-
radoxon in der Vogelgeschichte des Alexander von Myndos, K. 11
eine Bemerkung, aus der man entnimmt, Plutarch habe noch andere
Berichte gekannt. In Kapitel 25 ist eine ‚‚einigermaßen unverständ-
liche Notiz ungeschickt angeknüpft', K. 25 und 26 sind „einige
Sätze‘‘ aus den Kommentarien Sullas eingefügt, die Plutarch selbst
benutzte ; die Apologie des Catulus dagegen, auf die er sich beruft,
kennt er nur durch Vermittelung seiner Hauptquelle. Von diesen Zu-
sätzen abgesehen ist alles andere so.sehr ein ,,Auszug‘ aus Poseido-
nios, daß Müllenhoff auch die einleitenden Sätze von K. 23, ,,eine
schön geformte und im Hinblick auf das wechselvolle Menschenleben
würkungsvolle Periode‘‘, diesem ,,geistreichen‘‘ Autor zuzuschreiben
geneigt ist.
In einer Darstellung von 655 Zeilen hätte also Plutarch aus Ei-
genem und aus anderen Quellen höchstens 100 Zeilen hinzugefügt.
16*
244 Adolf Bauer,
ein anderer. Und in den meisten Füllen ist es nur dadurch, daß
die uns erhaltenen Autoren zu thörichten Abschreibern oder
schlechten Menschen gemacht werden, móglich, ihre guten und
„geistreichen‘‘ Quellen mit solcher Sicherheit zu ermitteln.
Es ist jedoch ebenso wichtig zu wissen, wie Plutarch ge-
arbeitet hat, als zu erfahren, wie viel er Ephoros, Poseidonios
und anderen entnahm. Für eine methodische Quellenkritik ist
unerläßlich, vor allem von den Zwecken und der Arbeitsweise
der erhaltenen Schriftsteller eine bestimmte Vorstellung zu ge-
winnen, ihrer schriftstellerischen Individualität näher zu treten,
ehe die Frage nach ihren Quellen durch Vergleichung von Pa-
rallelberichten erörtert wird. Die Uebereinstimmungen und Un-
terschiede derselben lassen an sich meist verschiedene Auffas-
sungen zu, zwischen denen nur zu entscheiden vermag, wer sich
von der Schriftstellerei der verglichenen Autoren eine bestimmte
Ansicht gebildet hat. Gerade bei Plutarch, der sich so oft über
die Absichten geäußert hat, die er in seinen Parallelen verfolgt,
der so häufig auf dieselben Dinge zu sprechen kommt, scheint
es mir möglich diese Vorfrage befriedigend zu beantworten; die
folgende Darlegung möchte dazu einen Beitrag liefern.
Ich werde zuerst versuchen (I) ein Stück des Werkes des
Poseidonios aus zerstreuten, hauptsächlich Plutarch entnommenen
Angaben wieder zusammenzufügen und dann (Il) daraus Ergeb-
nisse für die Art der Quellenbenutzung Plutarchs zu gewinnen
trachten.
I.
Im ersten Kapitel der Mariusbiographie sagt Plutarch, er
könne von Gaius Marius sowenig einen dritten Namen anführen
wie von Quintus Sertorius und von Lucius Mummius; den Bei-
namen Achaicus habe der letztere erst in Folge einer Kriegs-
that erhalten wie Scipio und Metellus ihre Beinamen Africanus
und Macedonicus. Mit Berufung darauf glaube Poseidonios jene
zu widerlegen (@ ov xai padsora Mocesduirios éléyyesr oferus
....), welche den „dritten Namen“ der Römer wie z. B. Camil-
lus, Marcellus, Cato für das oroua xvgwr hielten: es würden
nämlich sonst Leute mit nur zwei Namen überhaupt namenlos
sein. Dabei übersehe dieser Schriftsteller seinerseits, daß durch
Poseidonios und Plutarch tiber die rémischen Eigennamen. 245
seine Auffassung wiederum die Frauen namenlos gemacht wiir-
den *), denn keine habe den ,,ersten Namen“, den er fiir den ei-
gentlichen halte. Von den zwei anderen Namen bezeichne der
eine nach Poseidonios die Geschlechtsangehörigkeit z. B. Pompeii
Manlii, Cornelii, wie man von Herakliden und Pelopiden spre-
che, der zweite werde beigelegt mit Bezug auf natiirliche An-
lagen, Thaten, auffalende körperliche Eigenschaften oder Ge-
brechen, wie z. B. Macrinus, Torquatus oder Sulla, vergleichbar
Mnemon *), Grypos oder Kallinikos: dazu gäbe Ungewöhnliches
häufig Veranlassung. |
Unter den hier (Mar. K. 1) für zwei Kategorien von Namen
der Rómer angeführten Beispielen *) erscheint auch das Cognomen
Marcellus angeführt. In der Biographie desselben, wieder in
der Einleitung (K. 1) heißt es: der Eroberer von Syrakus sei
zuerst von allen Claudiern Marcellus genannt worden, 079
Eoıtv ° Agniov, ws on Hooudwvioc. qv yao ij wiv Eurespla
moleusxog xrÀ. . . . Diese Bemerkung gehört zweifellos dersel-
ben Auseinandersetzung des Poseidonios an, welche Plutarch im
ersten Kapitel des Marius im Auge hat. Dieselbe muB also
ausführlicher gewesen sein und ist von Plutarch an der zuletzt
erwähnten Stelle nicht vollständig wiedergegeben, ferner rühren
aller Wahrscheinlichkeit nach auch die im Marius angeführten
Beispiele nicht von Plutarch selbst her, sondern er fand diesel-
ben bereits in seiner Quelle vor, was sich noch näher erweisen
wird °), endlich hatte Poseidonios irgendwo in seinen Werken
2) Ueber die Zweinamigkeit der Frauen, die Plutarch hier gegen
Poseidonios ausspielt vgl. unten S. 256 A. 18.
3) Ueber diesen Beinamen des Artaxerxes. ohne ihn jedoch beson-
ders zu erklüren, spricht Plutarch auch Artaxerx. K. 1, anderen Ge-
währsmännern folgend und für anderes als dessen Bedeutung inte-
ressiert.
4) Daß gerade Pompeius als Familienname genannt wird, und
zwar an erster Stelle, verdient bemerkt zu werden; wahrscheinlich ist
ferner , da$ die Beispiele für Geschlechtsnamen und Cognomina zu
Pompeius Macrinus, Manlius Torquatus, Cornelius Sulla zu verbinden
sind. Für den zweiterwühnten darf an den Legaten des Pompeius im
Seeräuberkrieg (Appian Mith. 95), ebenso wie an den Consul L. Man-
lius Torquatus (Dio XXXVII 1) des Jahres 66 erinnert werden, diese
Beispiele beziehen sich also auf Zeitgenossen des Poseidonios; einen
Pompeius Macrinus kenne ich freilich aus dieser Zeit nicht, der Con-
sul M. Pompeius Macrinus 164 nach Christo darf kaum als Beweis für
das Vorkommen dieses Cognomen bei den Pompeii angeführt werden.
5) C. Müller frag. hist. Gr. III S. 270 hätte das Marius K. 1
entnommene Fragment, wie auch Arnold XIII. Suppl.bd. d. Jahrb. f.
246 Adolf Bauer,
über rómische Namengebung, dieselbe mit der griechischen ver-
gleichend, gegen die Ansichten anderer polemisierend besonders
gehandelt. Er bemerkte dabei auch, daß die Römer drei Na-
men, den Individualnamen, den Geschlechtsnamen und den Bei-
namen in feststehender Abfolge führten; dies ist zunüchst zu
beweisen.
Von vorne herein wird man eine Darlegung über das We-
sen der rómischen Namen, wie jene im Marius K. 1 gegebene,
in der, wie wir noch sehen werden, lateinische Namen auch
sprachlich erklürt wurden, nicht Plutarch selbst zuzuschreiben ge-
neigt sein, der seine geringen Kenntnisse des Lateinischen un-
verhohlen eingesteht (Cic. K. 2 u. 5.) Diese Erörterung be-
trachtet ferner die Abfolge der Namen als feststehend, sie spricht
von einem „ersten, zweiten und dritten“ Namen und versteht
darunter Praenomen, Geschlechtsnamen und Cognomen, wovon
zu Plutarchs Zeit gar nicht mehr die Rede sein kann, da da-
mals das Cognomen bereits willkürlich vorausgesetzt wird. Da-
gegen ist eine Darlegung dieses Inhaltes gerade bei Poseidonios
sehr wahrscheinlich, auf dessen Zeit passen ihre Angaben nicht
nur vollkommen, sondern sie erscheint im Munde dieses Schrift-
stellers, dessen Beziehungen zu hervorragenden Mitgliedern der
römischen Nobilität bekannt sind, auch deshalb besonders zu-
treffend, „weil Praenomen und Cognomen, die feierliche Dreinamig-
keit, das rechte Distinktiv eben der Nobilität bis zum Ausgang
der Republik bildete“ (Mommsen R. Forsch. S. 55), wie denn
auch der Streit darüber, ob das Prá- oder Cognomen der eigent-
liche Hauptname des rómischen Bürgers sei, eben in dieser Zeit
am Platze war (ebenda S. 61), in welcher Varro über die ró-
mische Namengebung handelte.
Diese Erwügungen, welehe darauf hinweisen, das ganze
erste Kapitel des plutarchischen Marius, mit Ausnahme des
Rückweises auf die Biographie des Sertorius, dem Poseidonios
zuzuschreiben, werden bestütigt durch Heranziehung einiger an-
derer Stellen der Parallelen.
kl. Philol. S. 127 rügt, nicht mit önso oteras . . . Mocssdwysog enden
lassen sollen, und Müllenhoff a. a. O. S. 129 irrt, wenn er Plutarch
Marius K. 1 von einer ,,Bemerkung‘‘ des Poseidonios ausgehen läßt,
er nimmt vielmehr auf eine ausführliche Darstellung desselben Bezug,
die er jedoch nur theilweise wiedergibt.
Poseidonios und Plutarch über die rômischen Eigennamen. 247
Noch zweimal, im Marcellus (K. 9) und Fabius (K. 19), be-
ruft sich Plutarch in Sachen der rômischen Namengebung aus-
drücklich auf Poseidonios und sagt, daß nach ihm Fabius der
Schild, Marcellus das Schwert genannt worden seien. In Zusam-
menhang mit den übrigen Stellen wird man daraus schließen
müssen, daß Poseidonios in seiner Auseinandersetzung über die
rómischen Namen auch von solchen ehrenvollen Bezeichnungen
sprach, die nicht zum eigentlichen Bestand des vollen bürger-
lichen Namens gehörten, wie z. B. Camillus der zweite Gründer
Roms genannt ward (Plut. Cam. K. 1 u. 31, vgl. über Laelius Tib.
Gracch. K. 8). Man wird ferner nicht fehlgehen, wenn man hie-
her auch die Bemerkungen über Magnus und Maximus im Leben
des Pompeius (K. 13) zieht. Sie dem Poseidonios zuzuschreiben
dürfte schon der Umstand ausreichen, daß dieser mit Pompeius
Beziehungen hatte und daß der Gewührsmann des Plutarch an
dieser Stelle in der Lage ist zu sagen, wann Pompeius, beschei-
dener Weise zuletzt von allen, in seinen Briefen und Akten sich
Magnus nannte). In gleicher Weise läßt sich noch eine Anzahl
anderer derartiger Angaben Plutarchs in den Rémerbiographien
als dem Poseidonios entnommen erweisen, obschon dieser nicht
ausdrücklich citiert wird. Zunächst jene Stellen, die sich auf
die im Marius aus Poseidonios beispielsweise angeführten Cogno-
mina beziehen.
Unter diesen erscheint für das rzoírov övoua nebst anderen,
wie wir gesehen haben, auch Cato angeführt. Nun liest man
im Leben des älteren Cato, wieder in der Einleitung, sobald
Plutarch auf den Namen desselben zu sprechen kommt: éxaieiro
dì 16 tolto rw» Óvou asc modtegov où Kétwy aiid Iloto-
xoç, votegoyv dé tov Karwva rg duvapews Enuivvuov Foye
‘Pwuator yao tov Eunsıgov xatov dvouatovar. Diese Bemerkung
ist um so sicherer derselben Darlegung des Poseidonios ent-
lehnt, als sie auBer der Hervorhebung der feststehenden Rei-
henfolge der Namen mit der Stelle im Marius auch noch die
Gemeinschaft aufweist, daf die später erst erfolgte Beilegung
des Namens Cato besonders betont wird. Diese bildete für Po-
6) In Kürze berichtet über die Ertheilung des Namens Magnus
an Pompeius Plutarch noch im Leben des Crassus (K. 7) und Serto-
rius (K. 18); die übereinstimmende Angabe bei Appian b. c. I 80 hat
schon Arnold. a. a. O. S. 80 dem Poseidonios zugewiesen,
248 Adolf Bauer,
é
seidonios wie bei Mummius Achaicus und Anderen ein Argu-
ment für seine Ansicht, das Cognomen kónne aus diesem Grunde
nicht dvoua xvgiov sein, da Leute sonst namenlos wären, ehe
ihnen dasselbe ertheilt wurde. Der oben ausgeschriebene Satz
fügt sich also aufs Vollkommenste in den kurzen Auszug ein,
den Plutarch Marius K. 1 aus Poseidonios gibt.
Das letzte unter den drei Beispielen, welche Plutarch im Ma-
rius K. 1 für die Beilegung von Beinamen nach individuellen
Eigenthümlichkeiten erwühnt, ist Sulla. Wieder in der Einlei-
tung der Sullabiographie (K. 2) heißt es: èEnvde yuo 16 égv-
Inua toayy xai Onogadnv xaruuemymévor 1j devnotniL* n006 0
xai zovvoua A&yovoıv avra yeresd.... Auch diese Bemerkung
gehört dem Poseidonios an’). Es ist möglich, daß dieselbe bei
Plutarch nicht vollständig wiedergegeben ist; vielleicht hat Po-
seidonios neben dieser zweifellos unrichtigen Nachricht (das
Cognomen Sulla ist bei den Corneliern älter als der Diktator)
noch einige der anderen uns aus dem Alterthum bekannten Er-
klirungen des Namens aufgefiihrt (vgl. dieselben bei Drumann
H 427). Daf Plutarch aber gerade diese, etwa schon von Po-
seidonios mit Afyovow eingeführte Erzählung, ausgewählt hat,
weil sie dem Zwecke individuelle Züge seines Helden vorzu-
bringen am besten entsprach, ist eine statthafte Annahme.
Zu den übrigen bei Plutarch Marius K. 1 angeführten
Cognomina Macrinus und Torquatus sind Vergleichstellen in an-
deren Biographien nicht erhalten, auch in der Vita des Camillus
findet sich keine Erklärung des Namens?) Einige Römerbio-
graphien enthalten jedoch Bemerkungen über die Namen ihrer
Helden, die, wenn auch deren Triger im Marius K. 1 nicht bei-
spielsweise erwühnt sind, gleichwohl zweifellose Merkmale ihrer
Zugehörigkeit zu dieser Auseinandersetzung des Poseidonios zeigen.
Wieder in der Einleitung zum Fabius Maximus, über des-
sen Namen wie über den seines Ahnen Poseidonios gehandelt
hatte (Mare. 9, Fab. 19, Pomp. 13), heifit es, nachdem der
Name Fabii?) erklärt ist (K. 1): zv d «ro cwuatsxòy
7) Die Zugehórigkeit dieser Stelle zu Marius K. 1 hat Arnold a.
a. O. bereits bemerkt.
8) Das Citat aus Juba Plut. Numa K. 7, daß die dienenden Kna-
‘ben beim Opfer camilli geheiBen haben, hat mit dieser Frage nichts
zu thun.
9) Vielleicht stammt auch diese Nachricht aus derselben Quelle;
Poseidonios und Plutarch iiber die rimischen Eigennamen. 249
piv rmapwvvpiov 0 Bsgovxwoog: eiye yàg uxgoyogdovu pixgav Ènarw
rov yellouc Qavntquxviuv 0. dì Oovixovdus onualres iv 10 mgo-
B«nov, &£9n dè nods inv noadtniu xoi Poadvizia tov n Fog
En madòs 0r106 . . . . Hier wird wie an der früher aus Ma-
rius angeführten Stelle (K. 1 mods zug qvotig — 10d Owmarog
ddp xai nudn ... ovvnOQ e(ag avwuadlu) darauf Gewicht ge-
legt, daß die Cognomina von körperlichen oder geistigen Eigen-
thümlichkeiten genommen sind; Fabius bot ein Beispiel für bei-
des und auch dafür, daß das Cognomen mitunter erst später
beigelegt wurde, worauf, wie wir sahen, Poseidonios Gewicht
legte, um jene zu widerlegen, die es für den Hauptnamen hielten.
Endlich gehört diese Stelle deshalb der Darlegung des Rhodiers
an, weil auch hier wie bei der Bemerkung über Fabius Rullia-
nus (Pomp. 13) von der Ertheilung des Namens Maximus die
Rede ist.
Ein gleiches gilt von den einleitenden Worten des Popli-
cola (K. 1): ZTondıxoiur rmupuPaliouer, © todo piv VoTEQoOY
6 ‘Pwpulwv diuos eSevgev ni tej, tovvoua, ngo rov dé Mo-
thos Ovadrégucg êxuleïro . . . . Im 10. Kapitel kommt Plu-
tarch nochmals darauf zurück, anläßlich der volksfreundlichen
Maßregeln seines Helden: wore xai lJonAwoÀav avnyogsvosr uv-
toy onualvss dì rovvoua dnuoxndi: x«i rovro alloy Voyvos 1wv
«ogulcv övouarwr. Beidemale wird hier, wozu Pluturch keine
Veranlassung hatte, worauf aber Poseidonios besonderen Nach-
druck legen mußte, die spätere Beilegung des Cognomens be-
tont. Plutarch führt fort: @ x«i juets yonoouesdu r0v Aovzov ffov
rv «rdoòs iormgoëvreg, er fand also, daß das Cognomen der ge-
liufigste der drei Namen sei. Erinnern wir uns der pole-
mischen Haltung des Poseidonios gegen jene, die es für den
Hauptnamen hielten, so wire denkhar, daß letzterer etwa gesagt
hatte: allerdings sei das Cognomen der häufigst verwendete der
drei Namen, wie z. B. bei Poplikola, es kónne aber dennoch
nicht oroua xvgiov sein, da auch dieser erst später imi nu so
genannt worden sei und ursprünglich Publius Valerius hieß.
Erwügt man ferner, dafi Plutarch, wie wir bisher beob-
die rómischen Antiquare mindestens, denen Plutarch sonst in den
auf Geschlechtsnamen bezüglichen Angaben zu folgen pflegte, wie
noch zu zeigen ist, leiteten den Namen anders ab als Plutarch a.a. O.
wie aus Plin. h. n. XVIII 8. IO erhellt.
250 Adolf Bauer,
achten konnten, nahezu regelmäßig in den Einleitungen der Rö-
merbiographien auf diese Darlegung des Poseidonios zurück-
kommt, so ist es zweifellos, daB er ebendaher auch das Poseido-
nioscitat (Brut. K. 1, vgl. Caes. 61. 62) entnommen hat, wo-
nach das Geschlecht der Iunii Bruti von einem unmündigen
Sohne des Gegners der Tarquinier herstammte, wofür sich einige
Geschlechtsmitglieder, die zu Poseidonios’ Zeit lebten, auf ihre Aehn-
liehkeit mit den Zügen der Statue ihres angeblichen Ahnherrn
beriefen. Daß diese Angabe nicht nóthigt, wie C. Müller ge-
meint hatte, mit diesem Fragment unseres Geschichtschreibers
bis auf Caesars Tod herabzugehen, hat Müllenhoff (a. a. O. S.
126 Anm.) mit Recht bemerkt. Das Spiel mit der Statue des
‘ angeblichen Ahnherrn Brutus auf dem Capitol konnte auf Cae-
sars Môrder nur dann die gewünschte Wirkung haben, wenn
der Glaube an die Abkunft längere Zeit Geltung hatte, so daß
er im Jahre 48 v. Chr. bereits feststand. Poseidonios kann
also sehr wohl von dieser Ueberlieferung bereite früher Kennt-
niß gehabt haben. Von Brutus als Cognomen wird er im Zu-
sammenhang mit Caecus und Clodius (Plut. Coriol K. 11 vgl.
unten) gehandelt und an die dort erhaltene Bemerkung etwa
in der Form angeknüpft haben: die Rómer sähen in solchen
Beinamen keine Schande, sowenig daß einige Iunii Bruti, die er
kannte, sich sogar auf ihre äußere Aehnlichkeit mit einem „Bru-
tus“ beriefen.
Hierher darf endlich gezogen werden, was wir wieder in
der Einleitung der Cicerobiographie (K. 1) über dessen Namen
lesen: ó uévros nowrog èx tov yévous Kixtowv émovouuoTeis afsog
Adyou doxei yevéotus, did tiv entxdnow ovx Untogipav of per
aviv, aad’ nondourro, xulmeo vnò noklüv yAsvulouernv. Kt-
xeon yao ob Aarivos 10v èvéBirdov xadovos, xaxelvog dv 1@ néout
ins Ówog duucrodÿr, wg Eoıxev, duBheiuv elyer, wonso egsBlvFov
diayunv, ag’ no éxtriouro ray Énwruulur. Auch dieses Cognomen
gab ein gutes Beispiel wie Caecus und Clodius fiir den Satz,
den wir noch als Eigenthum des Poseidonios werden kennen
lernen (Coriol. 11): x«Agg #%(tovues — wnt GAAnv tiva owuurtixny
aruyluv Ovesdog nyeioFus undi Aosdoplur. . .
Plutarch erzählt dann, daB Cicero, als man ihm rieth, den
Namen abzulegen, da er die politische Laufbahn betrat, gesagt
habe, er wolle denselben beriihmter machen als den der Scauri und
Poseidonios und Plutarch über die rimischen Eigennamen. 251
Catuli, und fügt hinzu, daß Cicero auf einem Weihegeschenk,
welches er als Quästor (75 v. Chr.) in Sizilien stiftete: za uv
nowra dvo ruv üvouarwv Entyguype rdv 18 Mugxov xai 10v
Tudor, &vil dè Tov rolrou oxwnrwv èoéBwdov 2x£Asvos naga
Te yocupurae tov teyritny évrogevour und schließt zuurn u£v oùv
xeoù TOU Orduatos torcgntar. Diese Erzählung weist gleichfalls
Berührungen mit der uns bekannten Fasseng des Excurses des
Poseidonios auf, und muß daher für denselben in Anspruch
genommen werden !") Erinnert man sich der weit harmloseren
Erklirung des Namens, die Plinius lateinischen Autoren folgend
(h. n. XVIII 3. 10) gibt, so ist nicht unwahrscheinlich, da
wir hier Erzühlungen vor uns haben, die von der Nobilität dem
Redner aufgebracht wurden; gerade aus ihren Kreisen stammen
aber des Poseidonios Informationen.
Recht als Bestütigung für die Richtigkeit der bisherigen
Auseinandersetzungen , erweist sich als dem Poseidonios zuge-
hörig, was Plutarch Coriolan K. 11 mittheilt!!). Hier wird von
dem BeschluB erzühlt, dem Gaius Marcius den Beinamen Corio-
lanus zu ertheilen: èx rovrov roírov £oycev Oroua 10v Kooio-
Aavóv. © xoi uauluoru dijdov tor, du TGV dvouatwy Tdsov ny
0 l'aioc, 10 dì dsvtegov olx(ag 5j yévovs xowàv 0 Magxioc, và dè
roro votegov iyorcaro MonEEWS rwog n wyns | Ideas n dgs-
10) Nicht mit Sicherheit ist auf Poseidonios zurückzuführen, was
Cic. 17 über Cornelius Lent:lus Sura steht. Der Anlai, in Folge
dessen der aus der Catilinarischen Verschwörung bekannte Mann das
Cognomen Sura erhielt, fallt in das Jahr 80 v. Chr. und kónnte da-
her allerdings dem Rhodier zur Zeit, da er diesen Excurs verfaßte,
schon bekannt gewesen sein, wie wir noch sehen werden. Die Fas-
sung der Erzählung Plutarchs betont aber keines der für Poseidonios
charakteristischen Merkmale, obschon auch hier ein Beispiel spüterer
Beilegung eines Cognomen vorliegt, und die Weglassung des Prüno-
men Publius macht nicht wahrscheinlich, daß dieselbe gerade einer
Darlegung entnommen sei, welche sich wie die des Poseidonios mit
dem Wesen der drei Namen beschäftigte. Plutarch hat sich, wie sein
háufiges Zurückkommen auf Poseidonios' Auseinandersetzungen beweist,
auch seinerseits für diese Frage interessiert, man muf also die Móg-
lichkeit im Auge behalten, daß er auch aus anderen Berichterstattern
darauf Bezügliches genommen hat.
11) Den Zusammenhang von Marius K. ! und Coriol. 11 hat auch
Mommsen a. a. O. S. 61 Anm. 1 bemerkt. Der Pausan. VII 7. 8 (und
X 36. 1) erwähnte 'Ozilsos kann aber nicht, wie Mommsen will, A.
Atilius Serranus sein, sondern ist, wie der Zusammenhang ergibt, Q.
(P. Villius Tappulus der Vorgünger des Flamininus, weshalb man
bei Pausanias an beiden Stellen ‘Ortdsog in ‘Ovéllsoc oder Billsos ver-
bessern muß; beides bietet paläographisch keine Schwierigkeit.
252 Adolf Bauer,
ins Ot xadaneg “Eddnveg . . . Dabei weist auf den glei-
chen Gewährsmann schon die Betonung der feststehenden Rei-
henfolge der Namen, besonders aber die hier wie Cato K.'1 und
Marius K. 1 aus den bekannten Gründen hervorgehobene „spä-
tere“ Beilegung des Cognomen. Der folgende, reich mit Bei-
spielen ausgestattete Vergleich der griechischen und rómischen
Namen ist ebenfalls dem Poseidonios entlehnt wegen der zahl-
reichen hier wie in der Mariusbiographie K. 1 übereinstim-
mend angeführten Namen, wodurch es zur Gewifheit wird,
daB Plutarch die Beispiele beidemale, im Coriolan aber reichlicher
als im Marius, seiner Quelle entnommen hat.
Von griechischen Beinamen, die als Epitheta mgufews
ertheilt wurden, werden Soter und Kallinikos (letzterer auch Mar.
1), von denen ?dée¢ Physkon und Grypos (letzterer ebenda)
ager]; Euergetes und Philadelphos, eörurfag Eudaimon, der Bei-
name des zweiten Battos, erwühnt. Auch der Spott, heiBt es
dann, habe einigen Kónigen Beinamen verschafft, so seien An-
tigonos Doson (vgl. Aem. Paull K. 8) und Ptolemaios Lathyros
genannt worden. Häufiger noch seien derartige Namen bei den
Rómern im Gebrauch, so habe man einen Meteller Diadematus
genannt, der krankheithalber eine Stirnbinde tragen mußte, ei-
nen anderen desselben Geschlechtes Celer, da man sich wunderte,
wie rasch derselbe nach dem Tode seines Vaters Spiele veran-
staltete 1”). Einige würden péyge vor nach den Umständen,
unter denen ihre Geburt erfolge, benannt, Proclus, wer in Abwe-
senheit, Postumus, wer nach des Vaters Tod zur Welt komme,
der überlebende eines Zwillingspaares Vopiscus !?) Nach Körper-
eigenschaften (wv di cwwa tsxdv vgl. oben Cato K. 1 cwpa-
12) Dieselbe Bemerkung ist beilàufig auch Rom. K. 10 gemacht,
wo Plutarch von dem Celer spricht, der nach Angabe einiger Remus
erschlagen haben soll, er flüchtete nach Etrurien xaé an’ éxeivou tou
tayeis oi ‘Pwpuaîos xai óffic xélepas bvouabovaw: (vgl. Coriol. a. a. 0.
10 Tdyos xai thy OEbtnra Javudouvres) xai. Koivroy Mérellor, ow rou na-
1006 Amodavovios dyuva uoroudywr iuétoas ohiyass Enoinos, davpa-
Gavtes TÓ TRY os Ts napaoxsung Kéleoa noocnyopevoay.
13) Auch diese Bemerkung fügt sich dem ganzen Zusammenhan
der Darlegung des Poseidonios, die wir zu ermitteln bemüht sind,
aufs Beste ein. Derselbe hatte die ,später“ beigelegten Cognomina
als Beweis angeführt, daß das roiroy övoua nicht der eigentliche Name
sein könne; indem er nun über das Cognomen überhaupt sich aus-
ließ, bemerkte er „freilich würde einigen auch nach den Umständen
ihrer Geburt das Cognomen gegeben, dasselbe sei aber gleichwohl
nicht der Personenname".
Poseidonios und Plutarch über die römischen Eigennamen. 253
Zixov mugwrvpior) seien nicht nur die Sullae (auch Marius K. 1
erwühnt) Nigri und Rufi sondern auch die Caeci und Clodii ge-
nannt xadwòs #0ltovres unte tophetnra un’ addny twa Cwma-
tí. x 1v aruyluv Urerdos nytioFas unà Aoudoglur, GAI” ws olxeloıg
vraxovt» dropuucir. Eine wenn auch Anderes an den römischen
Namen bewundernde AeuBernng findet sich auch Pomp. 13, ge-
rade dort, wo von der Annahme des Namens Magnus durch Pom-
peius die Rede ist: oùxére yaQ 7v énlpdovor tovrouu ovrndec
yerouerov. Oder elxorws ayaodeln xai Fuvuaoerer av ng 100g
náAus Pouatovc, of tuig totuvtass emixdnoso, xai rnoocwrvuiuig
où zug modemixeg "ut(Bovro xai CrontiWtixcs xuTOQFWOELS povov
Qu xai rug rmodirinag mods: xai averag éxoouour. Es folgt
dann die Mittheilung, daB Valerius und Fabius Rullianus den
Beinamen Maximus erhalten hatten, der eine wegen Beschwichti-
gung eines Streites im Senat, der andere, weil er reiche Freige-
lassene aus demselben entfernte. Die Uebereinstimmung in der
bewundernden Anerkennung mit der ersteren Stelle und die An-
bringung der zweiten anläBlich des Beinamens Magnus gerade
bei Pompeius, erweist beides als dem Poseidonios entlehnt.
Die Auseinandersetzung im elften Kapitel der Coriolanbio-
graphie, die Plutarch selbst mit Rücksicht auf den Anlaß zu
lange gerathen schien, schließt derselbe mit den Worten: adda
tuttu mer ÉTÉOW yÉrer yoagns mQoorxa.
Was diese Stelle an Neuem zu des Poseidonios Behandlung
der rómischen Namen beibringt, bestätigt die Richtigkeit der bis-
herigen Darlegung bestens. Wir ersehen zunächst, was wir schon
früher annehmen mußten, daß er den Gegenstand ausführlicher
erörtert hatte, als das Citat im Marius vermuthen läßt. Es
kann ferner nicht Zufall sein, daB in einer Sammlung von min-
destens 28 griechischen und rómischen Namen die der Lebens-
zit ihrer Träger nach spätesten gerade Zeitgenossen des Posei-
donios sind, daß nicht ein einziger dem Zeitraum zwischen Po-
seidonios und Plutarch angehórt; schon der verschiedenen An-
sichten über die Herkunft des Namens Caesar wird beispiels-
weise mit keinem Worte gedacht, was durchaus bezeichnend ist.
Dabei ist auf die Liste der Griechen weniger zu geben, weil die
Beinamen hellenistischer Herrscher mit dem Ende ihrer Herr-
schaft naturgemäß versagen, daß aber der seit 121 regierende
und 96 v. Chr. verstorbene Antiochos Grypos, der 146—117
254 Adolf Bauer,
regierende Ptolemaios Physkon und der 117—107/6 und 88—81
herrschende Ptolemaios Lathyros gerade die jiingsten Beispiele
sind, darf doch nicht ganz als unbeweisend bezeichnet werden.
Wichtiger sind zur Bestimmung der Herkunft dieser Stellen die
jüngsten der beispielsweise erwähnten Römer, theilweise wenig
bekannte Männer, alle Zeitgenossen des Rhodiers. Sowohl die an
der zuletzt angeführten Stelle des Coriolan wie die an der früher
besprochenen des Marius meist Genannten stammen aus des Pom-
peius Umgebung (vgl. oben S. 245 A. 4).
Auf die zweimalige Erwähnung Sullas ist freilich nicht
viel zu geben, auch die von Plutarch als „bis jetzt“ üblichen
Namen Proclus und Postumus'4) gestatten, da sie häufig vor-
kommen, keine sicheren Schlüsse; es verdient jedoch bemerkt zu
werden, daß der Beiname Vopiscus, trotz der von Plin. VII 10. 8
betonten Seltenheit des Anlasses gerade zu Poseidonios' Zeit von
einer bekannten Persónlichkeit geführt wird; und nur um eine
solche kann es sich handeln, wenn der Hinweis wirksam sein
soll, daß dieser Name w£yoı rov gebräuchlich sei. Vopiscus heißt
C. Julius Caesar Strabo, Aedil im J. 90 v. Chr., der sich
für das Jahr 88 um das Consulat bewarb und von Cicero fünf-
mal vertheidigt worden war (Phil. XI 5. 11). Ihm gegenüber
kann der Consul suffectus Pompeius Vopiscus aus dem Jahre 69
nach Christo, dessen kurze Amtsdauer also in Plutarchs Jüng-
lingszeit fállt, nicht in Betracht kommen, noch weniger der
Consul des Jahres 114 nach Chr. Manilius Vopiscus. Plutarch
hat also auch diese Zeitangabe aus seiner Quelle sammt den
Beispielen entlehnt.
Noch mehr darf man darauf Gewicht legen, daß neben
Sulla (Coriol. 11 u. Mar. 1) an ersterer Stelle gerade die in der
Familie der Pompeii häufigen Beinamen Niger und Rufus bei-
spielsweise erwühnt werden. Am meisten aber spricht für Po-
seidonios die Namhaftmachung der beiden Metelli (Cor. 11).
Luc. Metellus Diadematus war Consul 117 v. Chr. und der Sohn
des Marius K. 1 gleichfalls beispielsweise genannten Q. Metellus
Macedonicus. Der andere, Q. Metellus Celer !°), der wie Plutarch
14) Die Angabe über den Namen Postumus ist anläßlich der Va-
leria Postuma (Sulla K. 27) wiederholt. Vgl. die Angabe aus Athe-
nodoros Pop. 37 über Opsigonos.
15) Der gleichnamige Adoptivsohn desselben (Drumann IT 24)
war im Jahre 66 als Legat des Pompeius in Asien.
Poseidonios und Plutarch über die rômischen Eigennamen. 255
(Cor. 11 und Rom. 10) erzählt, wegen der raschen Veranstaltung
von Spielen diesen Beinamen erhielt, lebte ungefähr 90 v. Chr.
Dies Alles bestätigt also die Entlehnung der längeren Ausein-
andersetzung im Coriolan aus Poseidonios !9): Plutarch hat sie
in seine sonst aus Dionysios von Halikarnaß vornehmlich, aber
nirgends ausschlieBlich oder etwa gar würtlich geschópfte Dar-
stellung (Peter die Quelle Plut. in d. Biogr. d. Rómer S. 12)
eingelegt, dessen Bemerkung (VI 54) êx rovrov Kogsoduros
énsxAn9n tov Zoyov ihm den Exkurs des Rhodiers über
die römischen Namen, speziell seine Ansicht von der späteren
Beilegung des Cognomen in Folge einer noadıg ins Ge-
dächtniß gerufen haben dürfte. Neben dieser Reihe von An-
gaben über die römischen Namen, deren Zusammengehörigkeit
und Herkunft erwiesen scheint, findet sich bei Plutarch noch eine
zweite, nicht auf die gleiche Quelle zuriickgehende.
In der Einleitung zum Aemilius Paullus (K. 1) lesen wir,
daß einige, die den Numa von Pythagoras unterrichtet sein lie-
Ben, auch behaupteten, daß ein Sohn des Pythagoras dem Ge-
schlechte der Aemilier den Namen gegeben habe, da er di’ ai-
uvàdlav Aoyov xai yagw Aluvàdcos genannt ward !). Im Numa
(K. 8) sagt Plutarch, der römische König habe vier Söhne ge-
habt, deren einen er nach dem Sohne des Pythagoras Mamercus
nannte, von ihm stammten, da der Vater ihn seiner Wohlre-
denheit wegen Aemilius nannte, die Aemilier ab. Den Zweifeln
an der Richtigkeit dieser Herleitung, die er mit Rücksicht auf
die Lebenszeit des Pythagoras hegte, gibt Plutarch hier noch
näher Ausdruck. ° Endlich im Numa K. 21 nennt Plutarch die vier
Söhne des Numa und sagt, daß von ihnen die Pomponii, Pinarii
(vgl. die aus anderen Quellen geschöpfte Nachricht quaest. Rom.
60) Culpurnii und von Mamercus die Mamercini abstammten. Hier
liegen sich widersprechende Angaben vor; gegen die Annahme,
daß etwa schon Poseidonios diese Ableitungen alle vorgebracht
16) Vielleicht darf hiemit noch verbunden werden, was Cic. 29
steht: Klwdiev de Mérellos ó Kédso slytv, nr Kovadoavtiav èxalovr, 0n
wy épaotwy us avın yalrods Zußalwv sic Baldvuov we aoytosoy sicé-
neue 10 dé hentotatoy 100 yalxov vouicuatos xovadgaviny éxahovy.
17) Wenn Nissen. Untersuch. tiber die Quellen der 4. und 5. De-
kade des Livius S. 289 sagt „unter den &»s0s ist ohne Frage ein spä-
terer Annalist gemeint“, so ist er die Griinde fiir diese Behauptung
schuldig geblieben.
256 Adolf Bauer,
habe, spricht der Umstand, daß Plutarch im Numa Antiquare
benutzte, deren Studien sich auf die Eigennamen der Römer
erstreckten. In den quaestiones Romanae ist Varro benutzt (trotz
Gläser Leipz. Stud. IV S. 198 ff), und außerdem erwähnt er
(10 und 76) Kastor, der za “Pwunixa 1oig Mu9ayooxoîs ver-
glich; diese Angaben über Numa und Pythagoras werden daher
theilweise diesem Autor entlehnt sein !5) Die Erklärung des
Namens Ahenobarbus, die Plutarch Aem. Paull 25 gibt, bietet
mit dem bisher über die Abhandlung des Poseidonios Ermittelten
keinerlei Berührungspunkte, auch diese Angabe wird daher nicht
als ein Theil derselben zu betrachten sein !?).
Nicht aus Poseidonios, sondern wohl aus den rómischen An-
tiquaren, die Plutarch studiert hatte, wird auch stammen, was er
Popl. K. 16 über den Beinamen Cocles (vgl Dion. Hal. V 22)
und Popl 17 über den Namen Scaevola erzählt; in den Viten
des Romulus, Numa und Poplicola ist ja aus den rómischen An-
tiquaren geschópftes, schon in den quaest. Rom. verwendetes Ma-
terial reichlich eingearbeitet. Aus Poseidonios ist ferner schwer-
lich abzuleiten, was Sulla K. 34 über Felix, Faustus und Fausta
steht (vgl. de fort. Rom. 4). Wohl mit Sicherheit kann dem
Poseidonios die Anton. K. 4 enthaltene Angabe abgesprochen wer-
den, der zufolge die Antonii nach einem Qoyog mudutoc von
einem Sohne des Hercules abstammten, was der Triumvir durch
Tracht und Erscheinung zu bestätigen bestrebt war. Bedenkt
man, dafi darauf noch zweimal in der Biographie selbst (K. 36,
60) Bezug genommen wird, so ist alle Wahrscheinlichkeit dafür,
18) Quaest. Rom. 102 — diese Schrift ist vor Camillus (K. 19)
und vor Romulus (K. 16) geschrieben — spricht Plutarch von der
Namensertbeilung am 8. beziehentlich 9. Tage und erklürt diese
Sitte aus pythagoreischer Zahlensymbolik. Am Schlusse erwühnt er,
gerade wie Marius K. 1 in seiner Polemik gegen Poseidonios, daf
die Frauen zwei, die Mánner drei Namen führten. Aus Kastor stammt
also wahrscheinlich sein Wissen über die Zweinamigkeit der Frauen,
die er Mar. K. 1 gegen Poseidonios ausspielt.
19) Nissen a. a. O. S. 303 meint dem zweimal im Aemil. Paull.
genannten Poseidonios nicht zu nahe zu treten, wenn er die Erzäh-
lung K. 25 demselben zutheilt. Dieselbe Erzühlung über Aheno-
barbus findet sich auch Suet. Nero K. 1. Die Plutarchstelle Aem.
Paull. 25 hat am meisten Verwandtschaft mit Cic. de deor. nat. II 2.
Sei dem wie immer, jedenfalls ist der Hocsdwriógc rss, den Plutarch
im Leben des Aemilius Paullus (19, 20, 21) als Verfasser einer Ge-
schichte des Krieges gegen Perseus nennt, nicht der Rhodier, den er
stets Poseidonios 6 quAocogosc oder schlechthin Poseidonios nennt.
Poseidonios und Plutarch über die rimischen Eigennamen. 257
daB auch die erstere, in der Einleitung enthaltene Nachricht der
oder den im Antonius benutzten Quellen entlehnt ist, unter wel-
chen Poseidonios nicht sein kann. Die Angabe Popl 11 über
die Bedeutung der Namen Suilius, Bubulcus (vgl. Plin. XVIII
9. 10) und Caprarius stammt aus Fenestella wie quaest. Rom. K.
41 zeigt *°).
Was Plutarch über die rómischen Namen berichtet, scheidet
sich also der Hauptsache nach in zwei Theile: die auf das
Wesen der Cognomina, auf deren spätere Beilegung und auf die
Dreinamigkeit beziiglichen Angaben stammen, soweit sich Sicheres
ermitteln läßt, aus Poseidonios, die übrigen Bemerkungen sind,
soweit sie sich nach ihren Quellen bestimmen lassen, rómischen
Antiquaren entnommen *!).
Ueberblickt man nunmehr die Stellen, deren Zusammengehó-
rigkeit durch zahlreiche noch erkennbare Fugen ebensowohl, als
ihre Entlehnung aus Poseidonios durch genügende Anzeichen
früher erwiesen wurde, so zeigt sich, daß dieser eingehend über
die rómische Namengebung, sie mit der griechischen vergleichend,
speciell über das Cognomen gehandelt hat; dabei gab er zahl-
reiche Beispiele aus der griechischen und rômischen Geschichte
von Battos Eudaimon, Poplicola und Camillus bis herab auf
seine eigene Zeit.
Und dennoch macht der Gesammtinhalt dieser zersprengten
Stücke nicht den Eindruck einer besonderen, diesem Gegenstand
ausschlieBlich gewidmeten Abhandlung, dazu sind die gewühlten
Beispiele doch allzu willkürlich und wie zufällig zusammen ge-
bracht. Dieser Eindruck wird bestätigt durch die folgenden
Erwägungen, auf Grund deren es mir möglich erscheint, mit ge-
nügender Sicherheit auch die Stelle zu ermitteln, an welcher
Poseidonios auf die Frage der römischen Namen zu spre-
chen kam.
20) Andere Angaben über die von Thieren genommenen Namen
bietet Varro de re rust. IT 1.
21) Wenn die mit Plutarch Coriol. 11 übereinstimmende Angabe
über den Namen Vopiscus bei Plinius (h. n. VII 8. 10), der mehrfach
Angaben über die rómischen Cognomina bietet, aus Varro entlehnt
ist, was der Index der Autoren möglich erscheinen läßt, so zeigt dies
nur die theilweise Uebereinstimmung der Angaben des Poseidonios
mit Varro, die ganz natürlich ist, und kann diese Pliniusstelle keine Ge-
geninstanz bilden für den oben geführten Nachweis, da8 Plutarch
das elfte Kapitel des Coriolan ausschließlich Poseidonios entlehnt hat.
Philologus. N. F. Bd. I, 2. 17
258 Adolf Bauer,
Plutarch hat seine beiden ausfiihrlichsten Wiedergaben der
Erôrterung des Poseidonios an die Erwähnung des Marius und
an die Beilegung des Cognomen Coriolanus gekniipft. Es spricht
jedoch wenig für die Vermuthung, daB er dabei gleichfalls
dem Beispiele des Poseidonios gefolgt sei; auch die sonstigen
Anlässe, bei denen er auf seinen Gewührsmann zurückkommt,
bezeichnen nicht die Stelle des Werkes, an welcher dieser Ex-
curs eingefügt war.
Die Anknüpfung desselben an die Erwühnung Coriolans,
des Marcellus, Fabius und Anderer in der Geschichte u::4 /To-
AvBsov ist ausgeschlossen, denn Poseidonios könnte diese Römer
nicht anders als gelegentlich namhaft gemacht haben, und die
Anfügung einer ziemlich umfangreichen Darlegung bei einem
solchen Anlalì ist sehr wenig wahrscheinlich. Aus dem Schluß-
satz Plutarchs im 11. Kapitel des Coriolan erhellt überdies, daB
derselbe die vorhergehende Auseinandersetzung des Poseidonios
in die Coriolanvita eingelegt hat, sie also nicht in der Umge-
bung vorfand, in welcher wir sie bei ihm lesen. Ein solcher
Excurs bei Poseidonios anläßlich der Nennung des Marius, wie
bei Plutarch, oder gelegentlich der Erwühnung des Pompeius
oder Sulla hat gleichfalls wenig Wahrscheinlichkeit , und der
Umfang desselben würde nóthigen eine Unterbrechung des Zu-
sammenhanges anzunehmen, wozu für Poseidonios kein Grund
vorlag. Auf diesem Wege sind also bestimmte Anhaltspunkte
nicht zu gewinnen.
Gliicklicherweise gelangen wir über solche allgemeine Er-
wügungen hinaus zu einem befriedigenden ErgebniB, indem wir
nochmals auf Plut. Marius K. 1 zurückgreifen.
Hier beginnt Plutarch mit den Worten T[utov Muolov
zulior ovx tyousv elneiv dvopa, xaJansQ ovdè Kotvtov Zeotwelov
tov xatacyovtog Ißnelav ovdèì Aevxlov Mopuulov 100 Kogwdoy
floviogs 6 yàg Ayuixös rov: ye 196 noakews Enuvvuov
ytyovey, Wo 0 Aypızuvög Tanntwvi xui 0 Maxedorixdg Me-
teilw. E où xai pudicia [loosıdwvsog Edéygew oleruc . ....
Die Rückbeziehung mit &£ ob weist darauf hin, daß die früher
erwähnten Beispiele von Beinamen, die von npu&ss hergenom-
men sind (vgl. Mar. 1 mgoonyogsxov E ineéOÉ10v moog...
tag nouËeus Coriol. 11 toregow éyonoavto moa teo mnvog
+. . êxsdérp), dem Poseidonios entlehnt sind. Daß mit Quin-
Poseidonios und Plutarch iiber die rimischen Eigennamen. 259
tus Sertorius in den ersten Worten gerade Lucius Mummius,
verbunden erscheint, ist auffülig. Der Hinweis auf Q. Serto-
rius hat seinen guten Grund in Plutarchs eigener schriftstelleri-
scher Thätigkeit; er bezieht sich damit auf seine Sertoriusbio-
graphie zurück, die daher früher geschrieben sein muß als Ma-
rius ??). Um so auffälliger ist, daß er dann grade den Eroberer
von Korinth unmittelbar mit Sertorius verbindet; dafür läßt
sich aus Plutarchs Werken kein Grund erfindlich machen, er
hat weder je eine Biographie desselben geschrieben, noch auch
seiner in einer Weise Erwühnung gethan, die diese beispiels-
weise Anführung erklären kónnte, Lucius Mummius nennt er
in nur an unserer Stelle sonst immer nur Mummius, er hat
sich endlich niemals über die Zweinamigkeit desselben und die
spätere Ertheilung des Cognomen geäußert (vgl. Plut. Philop.
21. Lucull 19. Crass. 10 comp. Nic. Crass. 3). Die Erwüh-
nung dieses Mannes neben Sertorius wird man also damit zu
erklären haben, daß schon mit ihr die von Plutarch benutzte
Quelle einsetzt. Nimmt man hinzu, daf zusammen mit dem Er-
oberer von Korinth, der im Jahre 146 v. Chr. seinen Triumph
beging, der Bezwinger Karthagos und der Sieger über den Pri-
tendenten Andriscus, die im Jahre 147 v. Chr. triumphierten
und Africanus beziehungsweise Macedonicus genannt wurden, im
Kapitel 1 des Marius verbunden erscheinen und erinnert man sich,
daß Polybios mit dem Jahre 146 sein Werk endigte, Poseido-
nios daher seine Fortsetzung mit demselben Jahre begann, so ist
deutlich, daB dieser Schriftsteller seine Auseinandersetzung über
die römische Namengebung an die Erwähnung des Mummius,
des jüngeren Africanus und des Metellus Macedonicus anknüpfte,
und folglich überaus wahrscheinlich, daf er diese am Anfange
seiner 52 Bücher uera ModvBsov vorgebracht hat ?°).
22) Lion, comment. de ord. quo Plut. vitas scrips. Gött. 1837 hält
fälschlich (S. 26) das Paar Sertorius-Eumenes für erheblich später als
Marius-Pyrrhos und Michaelis de ordine vit. par. Plutarchi Berlin 1875,
der Sertorius-Eumenes für früher geschrieben erachtet als Marius-Pyr-
rhos, hat diesen stärksten Beweis für seine Ansicht nicht genügend
hervorgehoben.
23) Es ließe sich bestimmt beweisen, daß ein ganzes Buch bei
Poseidonios als Einleitung den Anfang machte, wenn die Behauptung
Scheppigs de Pos. Ap. Berlin 1869 S. 27 richtig wäre Fr. 1. Mill,
erst aus dessen zweiten Buche, handle von Mummius. Daß der Sieger
vom Isthmos den Tempel des Hercules Victor baute, ist keineswegs
sicher aus C. I. L. I 541 (vgl. Jordan Hermes XIV 573 Topogr. von
17 *
260 Adolf Bauer,
Eine Bestätigung dieses Ergebnisses bietet das Prooemium
des Appian, der bekanntlich des ófteren den Poseidonios als
Quelle benutzt hat. Wenn er nun sagt (K. 13), die Romer
hätten ursprünglich nur einen Namen gehabt wie alle anderen
Menschen, später zwei und nicht lange nachher auch noch ei-
nige einen dritten Namen sich beigelegt x«i tofrov... és
éntyywow ix na Fous 7 agsınzg xada xat tav Edinrwv noiv
ini ta dvowatu noav minos, so ist diese Bemerkung, welche
die Dreinamigkeit in der offiziellen Abfolge voraussetzt, fiir Ap-
pians Zeit sowenig entsprechend als für die des Plutarch *‘), sie
erweist sich aber um so sicherer dem Poseidonios entnommen,
als sie mit früher erwähnten Stellen Plutarchs wörtliche Berüh-
rungen zeigt, von dem auch bei Appian sich wiederholenden
Hinweis auf die griechische Namengebung ganz abgesehen. Man
vergleiche mit der oben ausgehobenen Stelle Appians Plut. Cor.
K. 11 . 16 igltm medkews . . . n agerng énmiJéro und Ma-
rius K. 1 è émdérou moog tag pucess . . . n 1 100 Gwunroç
eldn xual na Fn .. Appian bemerkt schließlich, er werde manch-
mal, besonders bei bedeutenden Persónlichkeiten alle drei Namen
aufführen, im übrigen sich mit den gebräuchlichsten begnügen ?5),
Man wird also annehmen dürfen, daf er zu dieser Bemer-
kung in seinem Prooemium veranlafit wurde, weil er in der
„ngoxaracxeun‘‘ des Poseidonios eine ausführlichere Erörterung
über die rómische Namengebung fand, die er seinerseits kurz
wiedergab. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat also auch Po-
seidonios in der Einleitung sich über die rómischen Namen ge-
äußert, um wie Appian damit zu erklären, weshalb er bald
einen bald mehr Namen in dem Werke selbst anführte.
Rom I 2 8.481 Anm.) zu folgern, noch weniger, daß gerade die gro-
ßen Festlichkeiten bei seinem 146 gefeierten Triumph Poseidonios den
Anlaß boten der Schmausereien bei dieser Gelegenheit zu gedenken.
24) Dem gegenüber ist es ein Beweis von selbständiger Kennt-
niß des römischen Namenwesens seiner Zeit, wenn Pausanias VII 7. 8
sagt, die Römer hätten nicht wie die Griechen die patronymische Be-
zeichnung und daher mindestens drei, manchmal auch noch
mehr Namen.
25) Es ist mit Rücksicht auf das oben über Scipio Africanus mi-
nor, Mummius und Metellus Bemerkte hervorzuheben daß Appian
(Ib. 98) auch seinerseits über die Annahme der Beinamen Africanus
und Numantinus durch den ersten ausführlich handelt. Das Cognomen
Africanus hatte also Scipio Aemilianus von seinem Adoptivvater, dem
ältesten Sohn des älteren Africanus, nicht ererbt (vgl. Momm. Rim.
Eigenn. 8. 54).
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des Appianos az. we=n À. 12 meter dar Ryragiziandano PAM Ww
Roms mit Siziien ond Raritago ?adeszal awa dia diplomati
durch Gesandtschaften besoniers bertronrehoton werten, din ale
mäßige Wichtigkeit der letzteren für den Gambie ante
Polybios zuerst und ganz besonders betont,
262 Adolf Bauer,
gen dankt man die endgültige Zurückführung der ethnographi-
schen Abschnitte in Diodors fiinftem Buch und in Plutarchs
Marius K. 11 über die Kelten und Herkunft der Kimbern auf
diesen Autor, der sie als Einleitung vorbrachte.
Von dem Satze und der Auffassung des Polybios bis zu
der Darstellungsweise des Appian, der die Geschichte jedes Vol-
kes bis zu seiner Aufnahme in’s Rómerreich erzühlte und so
eine strenge Zerlegung des Stoffes in Geschichten einzelner Völ-
ker vornahm, ist nur ein Schritt. Es frügt sich, ob Poseidonios
denselben bereits gethan hat. Was Müllenhoff über sein drei-
Rigstes Buch ermittelt hat, spricht dafür, obschon dieser Ge-
lehrte C. Müller folgend (fr. hist. Gr. III 251) geneigt ist zu
glauben, Poseidonios habe der annalistischen Anordnung getreu
in jedem Buch die Geschichte ungeführ eines Jahres zur Dar-
stellung gebracht (Deutsch. Alterthk. II S. 126) *5. Die Bruch-
stücke aus dem Werke des Poseidonios müssen darauf hin be-
fragt werden,
Was an sicher Datierbarem zugleich mit Angabe der Bü-
cher, denen es entnommen ist, vorliegt, spricht durchaus gegen
eine von Jahr zu Jahr fortschreitende Erzühlung und für eine
Darstellung in geographisch-ethnographischer Anordnung ?9) Es
ist zunächst unverkennbar, daß erst die Geschichte des Ostens
dargestellt war, dann die Betrachtung sich dem Westen des
Rómerreiches zuwendete, und wahrscheinlich etwa mit dem 14.
Buche wieder zu ersterem zurückkehrte ®) Wenn im vierten
Buche erst von dem Ptolemaier die Rede war, der 146 den
Thron bestieg, im dritten von Demetrius Nikator, der gleich-
falls 146 zur Regierung kam, wenn wahrscheinlich im achten
28) Derselben Ansicht huldigen auch Toepelmann de Pos. Rhod.
Bonn 1867 S. 42 ff. und Scheppig a. a. O. S. 31 ff. Obschon sich er-
sterer der Einsicht nicbt verschlossen hat, daB die geographische Ord-
nung bei Poseidonios eine Rolle spielt, ist er dennnch geneigt, demsel-
ben ein annalistisches Schema nach Art des Diodor zuzutrauen, dem-
zufolge er in den ersten sieben, den Osten behandelnden Büchern am
Schluß jedesmal kurze Notizen über die römische Geschichte ange-
fügt bitte (S. 48).
29) Dies nóthigt jedoch keineswegs mit Brandis Handbuch d. gr.
rim. Philos. Berlin 1866 S. 540 anzunehmen, das Werk habe ,,Ge-
schichtliches dem Erdkundlichen nur eingestreut enthalten“. Athenäus
und Strabo, denen wir die meisten Fragmente entnehmen, haben na-
türlich grade die geographischen Abschnitte besonders ausgebeutet.
30) Vgl. für die folgende Darlegung die Sammlung der Frag-
mente bei C. Müller a. a. O.
Poseidonios und Plutarch iiber die rémischen Eigennamen. 263
bis elften Buch die Angelegenheiten in Italien, insbesonders der
Sklavenkrieg behandelt waren, der 141 v. Chr. begann, während
notorisch bereits im fiinften und siebenten auf den Osten beziigliche
Ereignisse aus den Jahren 138 und 136 v. Chr. erwähnt waren,
wenn Diodor und Livius, die in der Erzählung des Sklaven-
kriegs Poseidonios folgten, auch ihrerseits auf dessen erste An-
finge zurtickgreifen, da sie von der Besiegung der Aufständi-
schen berichten, so ist wohl zweifellos, daß unser Schriftsteller,
wenn auch nicht durchaus wie Appian, so doch ähnlich wie
dieser seine Geschichte angeordnet hatte, so daB auch von sei-
nem Werke gilt, was Appian prooem. 13 sagt vouícag d’ av tiva
xai «AAov ovtws èdelioa: uadetv rà “Pwualwv, Gvyyoqu xar EFvoc
ExuoTor 00u dì dv usom ngog Erévous uvroîs Eyévero, ÉEulgw xai
dg rà Exefruv ueruridqu. Auch was wir den späteren Büchern
entnehmen, gewährt denselben Eindruck. In dem 14. wie in
dem 16. Buche sind Ereignisse aus den Jahren 129, 128 be-
richtet, wenn Poseidonios dann im dreiundzwanzigsten Buche
erst die Sitten der Kelten anläßlich der Kriege der Römer von
125—118 beschreibt, also doch jedenfalls anläßlich der Erzäh-
lung des Beginnes derselben, so ist deutlich, daß er in den zwi-
schen dem 16 und 23 liegenden Büchern nicht chronologisch
hat verfahren können; wiederum erst volle vier Bücher nach dem
23., im 27., macht er eine Bemerkung, die allem Anschein nach
anläßlich des im Jahre 117 geführten Krieges in Dalmatien ein-
gefügt war. Den weiten Raum, den somit die Ereignisse allein
nicht können ausgefüllt haben, hat unser Autor zu einleitenden
Darlegungen über die Länder- und Völkerkunde verwendet, in-
dem er, so oft ein neues Volk dem Rahmen seiner Erzählung
sich einfügte, zunächst über dieses handelte; so erklärt sich auch
die Einführung des achten Bruchstückes am Einfachsten, zugleich
die eben vorgetragene Ansicht über die Anordnung des Stoffes
bestätigend: é» dà rn néunrn negi Iauoddv dinyovuevos Hooen-
dwriog noir . . . .
Appian hat also auf die Darstellung der rômischen Ge-
schichte als Ganzes dasselbe Eintheilungsprincip übertragen, des-
sen Anfänge wir in der Fortsetzung des Timaios bei Polybios
für die Zeit bis 146 v. Chr. und noch mehr in der Fortsetzung
des letzteren durch Poseidonios für einzelne Abschnitte ange-
wendet sehen. Wie weit sich Poseidonios von dem Synchronis-
264 Adolf Bauer,
mus seines Vorgängers freigemacht hat und dadurch in die Lage
versetzt war, die ethnographische Anordnung des Stoffes schärfer
durchzuführen, ist im Einzelnen nicht mehr genau zu erkennen,
die Thatsache selbst jedoch zweifellos. Dieses Prinzip hatte sich
auf dem Gebiete griechischer Historiographie allmälig immer
mehr Geltung verschafft, liegt aber im Keime schon in deren
Anfängen vor; der Gewinn der Weltherrschaft durch die Römer
war die Veranlassung für die griechischen Literaten jener Zeit,
dasselbe mit ausdrücklichen Worten hervorzuheben und es auf die
Darstellung der Geschichte Roms zu übertragen. Der erste Ver-
such es in die lateinische Geschichtschreibung einzuführen, scheint
mir bei Trogus Pompeius vorzuliegen, der darin von seinen grie-
chischen Quellen abhüngig ist.
Es erübrigt nunmehr noch das, wie ich glaube, zuverlissig
ermittelte Stück aus der Einleitung in das Geschichtswerk des
Poseidonios auf seinen Ursprung hin einer kurzen Betrachtung
zu unterziehen.
Man wird schon daraus, daß mit Vorliebe unter den ange-
führten Beispielen Personen gewühlt sind, deren Beziehungen zu
Poseidonios naheliegen, den Schluß ziehen dürfen, daß diese
Darlegung über die römischen Namen nicht besonders angestellte
antiquarische Studien zur Voraussetzung hat. Der Umgang mit
unterrichteten Rómern ermüglichte ihm, falschen Ansichten seiner
griechischen Landsleute über das rómische Namenwesen mit gu-
ter Information entgegenzutreten. Es ist aber auch nicht we-
sentlich mehr als die aus dem Umgang geschópfte KenntniB
eines gebildeten Griechen, die uns bei dem rhodischen Gelehrten
entgegentritt. Daf schon 212 v. Chr. in der Familie der Cor-
neli der Beinamen Sulla vorkommt ?!) weiß dieser Gewährsmann
sowenig, als da& der Beiname Maximus auch bei anderen als
dem Fabier und Valerier vorkommt, die er erwähnte ??), ebenso
unrichtig ist die Behauptung, daß der Eroberer von Syrakus
zuerst den Beinamen Marcellus erhielt ??) Die sprachlichen
31) Der Diktator Sulla selbst berichtet nach Gell. n. Attic. I 12.
.16 in seinen Memoiren, daß der praetor urbanus 212 a. Chr. zuerst
den Beinamen führte.
32) Z. B. P. Cornelius Dolabella Maximus, Consul 283 v. Chr.
38) Drumann II S. 890. Es haben sich somit von den vier Po-
seidonioscitaten in der Biographie des Marcellus zwei K. 1 und 9 als
zur Einleitung seines Geschichtswerkes gehörig erwiesen. Die beiden
Poseidonios und Plutarch iiber die rimischen Eigennamen. 265
Sünden, die bei einigen dieser Erklärungen begangen wurden,
sind so allgemein im Alterthum, daß Poseidonios nicht beson-
ders dafiir verantwortlich gemacht werden kann. Daf seine An-
gaben gelegentlich auch mit denen lateinischer Autoren zusam-
menstimmen, darf nicht als ein Hinweis auf die Benutzung ge-
meinsamer schriftlicher Quellen betrachtet werden, sondern es
entspringt diese Uebereinstimmung dem Umstande, daß Posei-
donios wie jene Lateiner der herrschenden Ansicht Worte leiht.
Die von hellenischer Weise so abweichende Art der rômischen
bürgerlichen Namen mußte griechischen Geschichtschreibern,
sobald sie einmal ausführlich sich der Geschichte der Römer zu-
wandten, auffallend sein und bemerkt werden; es mochten wohl
allerlei irrige Ansichten über das Wesen derselben bereits im
Umlauf sein, ehe Posidonios seine Darlegung geschrieben hat.
Daß man auf den Gedanken gerieth, das Cognomen sei der ei-
gentliche Name, ist sehr begreiflich, denn die geringe Anzahl
der Praenomina und Geschlechtsnamen schien nach griechischer
Anschauung die Annahme auszuschließen, daß mit einem dieser
beiden Bestandtheile, vollends mit dem ersten das Individuum
benannt werde. Dies bei den gebildeten Griechen berichtigt zu
haben, ist das Verdienst, welches der Darlegung des Poseidonios
zuerkannt werden muß. Seiner Zeit und Stellung, wie seinen Bezie-
hungen zu vornehmen Römern durchaus entsprechend ist, daß
er der römischen Namengebung seine Bewunderung nicht ver-
sagt. Dieser Excurs ist aber, so viel wir sehen können, wie die
erste so auch die letzte Feststellung der Wesenheit der tria no-
mina nobiliorum in der griechischen Literatur, denn schon für
Dionysios von Halikarnassos existieren nicht mehr diese drei,
sondern nur die zwei das Individuum und das Geschlecht be-
zeichnenden Namen (III 48. IV 1).
Wenn ich früher (S. 250) die Einleitung zum Cicero Plu-
tarchs mit Recht auf Poseidonios zurückgeführt habe, so ergibt
anderen (K. 20 und 30) darf man daher gelegentlichen Erwähnungen
des Mannes zuschreiben, und dieser Sachverhalt macht ‘die Vermu-
thung von C. Müller (fr. hist. Graec. III 270), dem Töpelmann a.a. 0.
S. 39 theilweise folgt, hinfällig, daß Poseidonios, der unter dem Con-
sulat eines Marcellus nach Rom kam, über den Eroberer von Syrakus
eine besondere Schrift verfaßt habe. Noch weniger braucht man mit
Scheppig a. a O. S. 38 anzunehmen, diese Stellen seien der Schrift
nei wxeavov entnommen.
266 Adolf Bauer,
sich daraus, daf er frühestens im Jahre 74 v. Chr. sein erstes
Buch were lJoÀvfiov geschrieben hat, denn Cicero war 75 a. Chr.
Quästor in Sizilien, und Poseidonios bezog sich auf Erzühlungen,
die ein damals von seinem Schüler gestiftetes Weihgeschenk
zur Voraussetzung haben, als er von dessen Beinamen han-
delte. Dies ist mit Rücksicht auf die wahrscheinliche Todeszeit
des Poseidonios durchaus zulässig; dem steht auch nicht entge-
gen, was Strabon (XI 1. 6) von einem Werke des Poseidonios
über Pompeius berichtet, von dem der Schriftsteller im Jahre
67 v. Chr. Pompeius gegenüber sprach. Der Wortlaut dieser
Angabe macht wahrscheinlich, daß dasselbe, wenn überhaupt, da-
mals schon .vollendet war; daB mit demselben eine Fort-
setzung der Bücher were JToÀvfhor beabsichtigt war (C. Müller
fr. hist. Gr. S. 251. Miillenhoff D. Alterthumsk. S. 126), ergibt
die Strabostelle keineswegs. Die Angaben über den Endpunkt,
bis zu dem Poseidonios gelangte, gestatten weiter herabzugehen als
Müller und Miillenhoff, die 96 a. Chr. annehmen, wie dies schon
Arnold (a. a. O. S. 149), der das Jahr 82, Toepelmann, der das
Jahr 67 und andre, die das Jahr 62 annehmen, gethan haben.
Die Ansicht, daB jedes der 52 Biicher ungefähr die Geschichte
eines Jahres enthalten habe, muß, wie wir sahen, ohnedies auf-
gegeben werden.
II.
Der Nachweis, daß das erste Buch des Poseidonios eine be-
sondere Abhandlung über das rómische Namenwesen enthielt, würe
unvollstindig, wenn nicht dessen Nutzanwendung auf den Schrift-
steller folgte, welchem wir die meisten Bruchstücke derselben
verdanken. Das hüufige Zurückkommen Plutarchs auf dieses
Stück des Poseidonios gestattet uns einen, wie ich glaube, lehr-
reichen Blick in die Werkstütte zu thun, in welcher die Paralle-
len entstanden sind; dies dürfte sich auch für die Ermittelung
anderer Quellen bei Plutarch nutzbringend erweisen.
Es kónnte den Anschein haben, als ob die vorstehende Un-
tersuchung die einleitenden Worte Lügen strafen würde, in de-
nen ich Plutarch als selbständigen Schriftsteller gegen neuere
Auffassungen in Schutz genommen habe. Wir haben gesehen,
Poseidonios und Plutarch über die rémischen Eigennamen. 267
daß Plutarch zweimal, im Coriolan und im Marius, ein längeres
Stick mit Haut und Haaren dem Poseidonios entnommen hat,
daß er nicht nur die Beispiele für einzelne Behauptungen, son-
dern sogar die Zeitangaben (u£yoı »ur) seiner Quelle entlehnte.
Wir haben ferner beobachtet, daß in den Parallelen nahezu je-
desmal in den Einleitungen und in den meisten Füllen, in denen
überhaupt von den Namen der Rómer die Rede ist, immer wie-
der dieser Schriftsteller hat herhalten müssen. Der Abschreiber
Plutarch scheint also abermals auf's Schônste erwiesen, er citiert
seine Quelle ein paar Mal, noch ófter und am Ausgiebigsten be-
nutzt er sie, wenn er sie nicht namhaft macht.
Und dennoch ist das alles nur Schein, und bei näherem
Zusehen zeigt sich ein ganz anderes Ergebniß.
In den Rómerbiographien dürfen wir bei Plutarchs geringer
Kenntnifi lateinischer Quellen überhaupt nicht erwarten, daf er
auf der Höhe seines schriftstellerischen Schaffens stehe. Angesichts
der beiden umfangreichsten ,,Excerpte aus Poseidonios verdient
zunächst hervorgehoben zu werden, daß Plutarch im Coriolan,
in dem ausführlichsten derselben, die Ansicht seiner Quelle ohne
jede Kritik widergibt, daß er im Marius, wenn auch nicht eben
glücklich, gegen dieselbe polemisiert. Das zeigt, mag man wie
immer über das zeitliche Verhältniß ?^) beider Stellen denken,
daß Plutarch zu verschiedenen Zeiten auf Grund von neuerwor-
benen Kenntnissen oder angestellten Ueberlegungen über die Zu-
verlässigkeit auch einer so oft benutzten Quelle wie Posei-
donios verschieden gedacht hat, daß er also auch fortgesetzten
Studien oblag, und nicht bloß „gedankenlos“ immer wieder seine
Excerpte oder Bücher vornahm. Nehmen wir die anderen Stel-
len hinzu, an denen bloß kurze Angaben demselben Abschnitt
des Poseidonios entnommen wurden, so sind auch diese, wie mir
scheint, für Plutarchs Arbeitsweise bezeichnend. Sie finden sich in
einer ganzen Anzahl von Viten, auch wenn der Rhodier eben nur
für die einzelne Notiz als Quelle dienen konnte 3), so im
34) Michaelis a. a. O. S. 61 hält die Coriolanstelle für die frühere;
daß dieselbe den Gegenstand besser behandle, kann man aber nicht
sagen, wie denn überhaupt die in dieser Schrift für die Reihenfolge
der Plutarchviten vorgebrachten Beweisgründe großentheils von zwei-
felhafter Natur sind.
35) Es ist deshalb unstatthaft, die Erwähnung des Poseidonios
anläßlich des Namens in der Einleitung für seine Vorlage als Quelle in
268 Adolf Bauer,
Coriolan, Cato, Fabius u. A., ein Beweis, daß Plutarch für be-
stimmte Fragen gewisse Autoren zu Rathe zog, ohne Rücksicht
darauf, ob er sie sonst fiir seine eben im Werden begriffene Ar-
beit brauchen konnte oder nicht.
Es fragt sich jedoch, ob wir recht thun zu sagen, daß Plu-
tarch jedesmal diesen Autor zu Rathe zog, ihn jedesmal
selbst eingesehen hat, oder ein Excerpt, das er besaß, wie-
der hervorholte. Ich glaube der Anlaf, bei welchem er der
Angaben des Poseidonios sich am Häufigsten bedient, spricht
dagegen. Die Einleitungen zu seinen Biographien sind doch,
wenn irgend etwas seine eigenste Arbeit, ein Ausfluß seines ei-
genen Besitzes an Wissen und Anschauungen, nirgends ist er so
persónlich, wie natürlieh gerade in diesen Prooemien, nirgends
also auch die Wahrscheinlichkeit so gering als gerade hier, daß
er die Citate, die in denselben enthalten sind, jedesmal mühselig
nachgeschlagen hat. Und ist etwa ein so parat gewordenes Wis-
sen, daß der Schriftsteller mit und ohne Bezeichnung des Ur-
sprunges jeden Augenblick desselben Herr ist, nicht sein Eigen-
thum? Ist es überhaupt zulüssig, in solchen Füllen im gewóhn-
lichen Wortsinn von „den Quellen“ des Plutarch zu sprechen ?
Man thut Unrecht, wenn man die Parallelen und insbesonders
die Einleitungen zu denselben zv5 xol AcE auf ihre Vorlagen
auspreßt und läuft Gefahr, dadurch dem Plutarch an seinem
Wesen wegzunehmen, um es jenen zuzuweisen °°), Wer wie
der ganzen Biographie zu verwerthen, auch dann wenn dies an sich
móglich ist, wie Müllenhoff a. a. O. (S. 179) bezüglich des Citates
Marius K. 1 gethan hat.
36) Wire Plutarch nicht selbst ein griechischer Schriftsteller,
hátte er nicht selbst, wie viele Stellen zeigen, (Brut. 1. Them. 2.
Aem. Paull. 6. Marc. 1. Cato 2. Num. 1. Crass. 3. Lucull. 1 u A.),
fiir den Bildungsgang seiner Helden, bei den Rémern fir ihr Ver-
hältniß zur griechischen Bildung großes Interesse, dann freilich könnte
man eine Bemerkung Marius K. 2 mit Peter (die Quell. Plut. in den
Biogr. d. Römer S. 105) als einen Beweis für Poseidonios als Vor-
lage gelten lassen, und mit Müllenhoff (a. a. O. S. 129) sagen, was
Plut. K. 2 von „der Geringschätzung griechischer Bildung durch Ma-
rius erzählt, ist sichtbar einem griechischen Schriftsteller und zwar
je mehr die geistreiche Verweisung auf die Aussprüche anderer, hier
die Mahnung des Plato an Xenokrates den Grazien zu opfern in der
Art des Poseidonius ist, um so gewisser nur diesem entlehnt“. Das
Verhältniß zu Plato ist gerade für Plutarch charakteristisch, er zeigt
seine Selbständigkeit in diesem selben Kapitel, da er von einer Por-
tritstatue des Marius spricht, die er in Ravenna gesehen hatte und
deren Züge er dem Wesen des Mannes überaus entsprecbend fand.
Poseidonios und Plutarch iiber die rémischen Eigennamen. 269
Plutarch seinen Poseidonios so kannte, daß er in jedem Falle
gerade auf ihn verfiel sowohl in den Prooemien der Biogra-
phien als auch sonst gelegentlich, auch wenn er eine nicht streng
zu seinem Gegenstand gehôrige Bemerkung desselben brauchen
konnte, der ihn citierte, nur wo er ihm die Verantwortung fiir
seine Behauptung überlassen (z. B. beziiglich Brutus, da Poseido-
nios die Vulgata gegeniiberstand vgl. Dion. Hal. V 18) oder
wo er gegen ihn polemisieren wollte, dem läßt sich gar nicht
mehr überall nachweisen, wie viel er diesem Autor im Allge-
meinen verdankt, so lange wir nur die wenigen Fragmente des-
selben besitzen. Plutarch hat Poseidonios also in einer Weise
gekannt, die wahrscheinlich macht, daß er ihn an allen Stellen
aus dem Gedächtniß angeführt hat, von der ausführlichen, deut-
lich und eingestandenermaßen eingelegten im Coriolan
vielleicht allein abgesehen. Jedoch selbst wenn er ihn sowohl
Coriol. K. 11 als Marius K. 1 vor sich liegen hatte, so muß man
doch bemerken, daß er das eine Mal vornehmlich das über den
Hauptnamen und über das Wesen der drei Namen Erwühnte
nebst einigen Beispielen aushob (Marius), das andere Mal das
auf den Ursprung, die sprachliche Bedeutung und den Anlaß der
Cognomina Bezügliche mittheilte (Coriol). Dennoch ist die Her-
kunft beider Stücke aus einem ursprünglich einheitlichen Zusam-
menhang nicht sofort erkennbar, weil sie eben nicht abgeschrie-
ben, sondern selbstündig, jedesmal bestimmten Absichten entspre-
chend wiedergegeben sind. Es würe wohl ein vergebliches Un-
terfangen den Versuch zu machen, aus den Plutarchstellen mit
Zuhiilfenahme des Prooemium Appians die Darlegung des Po-
seidenios wiederherzustellen in der Art etwa, wie Müllenhoff
Wir vernehmen da deutlich Plutarch selber, den Schriftsteller, der
seine Thätigkeit als Biograph so oft mit der des Malers oder Bild-
hauers vergleicht und deshalb, wo er kann, in den Einleitungen der
Viten die Richtigkeit seiner Charakterzeichnung an den erreichbaren
Portrátkópfen seiner Helden mift (Philop. 1. Flamin. 1. Lysand. 1.
Pomp. 2. Marc. 30. Cat. Mar. 11). Endlich ist gerade für diese Ein-
leitungen Plutarchs der „Verweis auf die Aussprüche anderer“ be-
zeichnend, eine Menge von solchen enthält die Einleitung zum Pelo-
pidas und das Prooemium des Perikles; der SchluBsatz von Marius
K. 2 wiederholt sich genau Flamin. K. 2. All dieses und besonders
ein dem platonischen Kreise angehóriger Ausspruch bei Plutarch ist
aleo für diesen und nicht für seine Quelle als Merkmal zu verwer-
then. Ein Xenokratesspruch findet sich gleichfalls Flam. 12. Phok. 29;
daraus läßt sich nichts für Poseidonios schließen.
270 Adolf Bauer,
aus Plut Mar. K. 11 und ein paar anderen Stellen die Einlei-
tung zu der Erzählung der Kimbernkriege über die Herkunft
dieses Volkes gelehrt und scharfsinnig, aber doch nicht völlig
überzeugend wiederherzustellen unternommen hat ?").
Wir übertragen viel zu viel von der Art unserer eigenen
wissenschaftlichen, Stellen nachschlagenden und vergleichenden
Arbeitsweise, wenn wir etwas Aehnliches bei den Alten voraus-
setzen, die auf ganz andere Ziele hin lasen und vor allem, wenn
sie Schriftsteller waren wie Plutarch, zu ganz anderen Zwecken
die Feder ergriffen; Plutarch vergleicht seine Thitigkeit als
Biograph nicht umsonst so häufig mit der des Malers und Bild-
hauers; ihm selbst ist also seine Leistung in erster Linie eine
künstlerische nicht eine gelehrte; die moderne Kritik setzt daher
an einer falschen Stelle ein, wenn sie beim Nachweis der Quel-
len letzteres fast ausnahmslos voraussetzt. Ueber die Zwecke
seiner Viten hat er sich deutlich genug ausgesprochen. Ein
Heldenspiegel zur Erhebung und Nachahmung der Leser wird
auch heute noch geschrieben, ohne daf Satz für Satz oder Ab-
schnitt für Abschnitt „Quellen“ entnommen werden. Eine solche
Arbeit ruht zwar ebenfalls auf der Kenntniß der Ueberlieferung;
diese ist aber, sobald sie selbständig wiedergegeben wird, nicht
37) Ein solches Verfahren, das starken Glaubens an die Zuver-
lässigkeit der eigenen Eindrücke vor den letzten Folgerungen nicht
zurückschreckt, führt zu Willkürlichkeiten. Ganz bestimmte Ergeb-
nisse sind, wie die Dinge liegen, nur um den Preis von Inkonsequenzen
zu erreichen. Müllenhoff findet S. 125 Anm. Peters Ansicht, daß Sulla
in seinen Memoiren des Catulus Schrift eitirt habe und Plutarch die-
selbe aus ersteren anführte „seltsam verkehrt", weil Mar. K. 25 roy
"Kaılov igropodos nicht dasselbe Subjekt habe mit 470: und yéyeage.
Aber, wo es gilt K. 11 der Mariusbiographie als Excerpt einzig aus
Poseidonios zu erweisen, besteht fiir Millenhoff darin kein HinderniB,
daß es dort heißt: «iei dé of Aéyouar . . . . alloı dé qos . . ictoontas
und nimmt derselbe an, daB diese Ausdrücke, die auch verschiedene
»Subjekte' voraussetzen, von Plutarch seiner Quelle entnommen wur-
den. Was für K. 11 recht ist, sollte auch für K. 25 billig sein; frei-
lich muß man dann aufgeben, was sich ohnedies nicht halten läßt,
daß die Erzählung des ganzen Kimbernkrieges, geringe Zusätze abge-
rechnet, aus Poseidonios ist. Die Benutzung der sullanischen Memoi-
ren in ausgedehntem Mafe für jene Partien des Marius, wo Sulla
mithandelnde Person ist — für die Schlacht von Vercellae werden sie
dreimal (Mar. 25. 26) citiert — hat schon deshalb große Wahrchein-
lichkeit für sich, weil dieselben in der früher geschriebenen “Sulla-
biographie (Mar. K. 10) Hauptquelle sind; die auffallend ungünstige
Beurtheilung des Marius in dessen Vita erklärt sich gleichfalls zum
guten Theil eben daher.
Poseidonios und Plutarch über die rômischen Eigennamen. 271
mehr etwas Objektives, außerhalb des Schriftstellers Existie-
rendes , das sich mechanisch von demselben scheiden läßt, son-
dern sein Eigen nach Inhalt und Form, desto mehr, je bedeu-
tender derselbe durch seine geistige Veranlagung oder seine Ge-
lehrsamkeit ist, je mehr ihm bei seiner Arbeit bestimmte Zwecke
vorschweben.
Die Einquellenlehre erweist sich auf Plutarch angewendet
noch schlechter als sie überhaupt ist. — Plutarchs Freiheit als
Schriftsteller zeigt sich auf Schritt und Tritt, trotz der spanischen
Stiefel, die ihm die modernen Quellenjüger anlegen, um ihn zum
Geständniß zu nóthigen, welche Autoren er in seinen Parallelen
abgeschrieben habe. Wie oft hat man, theils um die Abfolge
der Biographien Plutarchs zu ermitteln, theils um ihm einen
bestimmten Schriftsteller als Vorlage nachzuweisen, die Be-
hauptung aufgestellt, er pflege, wenn er das erstemal eine Stelle
benutze, dieselbe ausführlicher wiederzugeben, wenn er spüter
wieder auf sie zurückkomme, sich kürzer zu fassen. Nun hat
Plutareh die Angaben über die ehrenden Beinamen des Fabius
und Marcellus der Áuseinandersetzung des Poseidonius, wie durch
Citate verbürgt ist, in der That zweimal entlehnt: das einemal
im Fabius K. 19, das anderemal im Marcellus K. 9. An der
ersteren Stelle ist wahrscheinlich sehr viel, vielleicht der ganze,
mit einem Citat aus Homer geschmückte Vergleich beider Män-
ner, dessen gewühlte Sprache auffallend ist, diesem Autor ent-
nommen 38), auf alle Fälle ist aber im Fabius K. 19 ausführ-
licher über beide Namen nach Poseidonios berichtet als im Mar-
cellus K. 9 und dennoch ist, wie eben Fabius K. 19 beweist,
die Fabiusbiographie jiinger als die des Marcellus, also auch die
ausführlicher entnommene Stelle die später geschriebene. Das
deutet doch darauf, daB Plutarch diese Angaben des Poseidonios
ein fiir allemal gekannt hat, und daher als er sie das erstemal
nur ganz kurz, das zweitemal ausfiihrlicher verwerthete, vielleicht
beidemale, gewiß aber das erstemal nur aus dem Gedächtniß
wiedergab, und nicht nóthig hatte, sie besonders nachzuschlagen
oder aus Excerpten hervorzusuchen. Ueber den Beinamen Ca-
millus berichtet Plutarch weder in dessen Biographie noch sonst
gelegentlich, obschon, wie wir Mar. K. 1 entnehmen, Poseidonios
38) C. Miller hätte daher fr. 44 reichlicher aus Plutarchs Fabius
bedenken miissen.
272 Adolf Bauer,
auch davon gesprochen hatte; ich meine auch dieses einmalige
Außerachtlassen seines Gewährsmanns spricht für freie Arbeit aus
dem Gedächniß und gegen durchgängige Abhängigkeit von je-
desmal vorliegenden Quellenberichten.
Wenn ich friiher recht geurtheilt habe, so ist Poseidonios
der erste und der letzte bedeutende griechische Schriftsteller, der
in einer ausfiihrlichen Auseinandersetzung sich mit den biirger-
lichen Namen der Rómer beschäftigt hat. Gerade ihm gute In-
formation in dieser Frage zuzutrauen, da er mit vornehmen
Rómern Beziehungen hatte, bestand für Plutarch aller Grund;
für ihn, der seine Rómerbiographien, soweit es ging, nach grie-
chischen Autoren erzählte, läßt sich daher eine bessere Quelle
gar nicht ausdenken, und es ist daher recht anerkennenswerth,
daß er so häufig, wenn er von den Namen seiner Helden han-
delte, auf Poseidonios Angaben zurückkam. Gleichwohl hat er
sich mit dieser guten Quelle seiner Kenntniß nicht als einziger
begnügt, sondern, wie wir sahen, einiges auch bei römischen
Antiquaren über diesen Gegenstand gelernt und einmal, wenn
auch nicht glücklich auf Grund dieser Kunde gegen seinen
Hauptgewährsmann polemisiert. All dies sind Anzeichen ernst-
hafter und selbständiger Arbeit, Plutarch hat also in seinen Viten
nicht eine beliebige Quelle zu Grunde legt, oder ein willkürlich
zusammengesetztes Mosaik von mehreren geboten. Plutarch ist
kein großer Schriftsteller, vielleicht nicht einmal einer zweiten
Ranges, aber er schöpfte bei der Abfassung seiner Biographien
frei und selbständig aus einem ausgebreiteten Wissen. Irr-
thümer in Einzelangaben sind ihm dabei vielfach unterlaufen,
die nicht zu begreifen wären, wenn er sich immer streng, wie
die neue Lehre will, an seine Quellen gehalten und nicht viel-
mehr auf sein Gedächtniß verlassen hätte 59), Seine eigene
Kenntniß zeigt sich eben deshalb achtungswerther als gewöhn-
lich angenommen wird — auch darin wie er den Abschnitt über
die römischen Eigennamen im ersten Buche des Poseidonios
peta IoXvBiov verwendet hat.
Ich habe absichtlich vermieden einige Stücke plutarchischer
39) Vgl. was hierüber Michaelis a. a. O. 8.8 ff.; beigebracht hat
und besonders den Nachtrag, der comp. Nic. et Crass. 2 steht: oneg
nuas Ev Tjj dinyioss nagedgdude.
A. Bauer, Poseidonios u. Plutarch ii. d. rim. Eigennamen. 273
Viten, die möglicherweise anderen Theilen desselben Werkes
entlehnt sind, auch nur vermuthungsweise hier anzufügen.
Die Philologen und Historiker des Alterthums unter den
Lesern dieser Zeitschrift móchte ich schlieBlich auf die bedeu-
tungsvollen Ergebnisse hinweisen, welche K. Miillenhoffs Lebens-
werk?) auch für sie enthält, die auch dann als überaus för-
dernd bezeichnet werden müssen, wenn man mit Einzelheiten
derselben und in einiger Hinsicht auch mit den wissenschaft-
lichen Grundsätzen dieses Forschers sich nicht einverstanden er-
klären kann. Sollte es mir gelungen sein, das Bild der Schrift-
stellerei des Poseidonios und Plutarch um einige Züge bereichert
und in anderen berichtigt zu haben, so danke ich die Anregung
hiezu der ,deutschen Alterthumskunde".
40) Der Herausgeber des zweiten Bandes ,,hat alle Zuthaten, auch
Correcturen für unerlaubt zehalten“, solche also anderen überlassen.
So ist ohne jede Bemerkung S. 140 Anm. ** dem Florus (I 38. 11)
der Ausdruck Tridentinis Alpibus, unter dem Merkzeichen wörtlicher
Uebereinstimmung mit Ampelius (45. 2) zugeschrieben, wührend er-
sterer von Yridentinis iugis spricht, letzterer Tridentinas Alpes bietet.
Ebenso findet sieh S. 285 Anm. ein unrichtiger Ergünzungsversuch
von res. gest. div. Aug. 5. 14, während durch die letzte Vergleichung
des griechischen Textes der Inschrift feststeht, daf zu lesen ist: cla[s-
sis mea per Oceanum] ab ostio Rheni ad solis orientis regionem usque
ad filnes Cimbroru]m navigavit . . . was dem Recensenten der Alter-
thumskunde in der Berl. phil. Wochenschr. vom 21. Marz 1888, R.
Steig, auch nieht bekaunt war, obschon Mommsens zweite Auflage
des mon. Anc. seit 1883 vorliegt.
Graz. Adolf Bauer.
Zu Apuleius.
Met. XI 9 pag. 210, 18 (Eyssenh.) lese ich aliae quae ni-
tentibus speculis pone tergum reversis venienti deae obvium commi-
nistrarent obsequiun. — Obsequium ist hier = venerationem,
cultum ; vgl. Hildebrand zu Met. XI 16. Aehnlich sagt Arno-
bius VII 23 Ris . . . sacrorum sollemnia ministrari. — Met. XI
19 init. schreibt Eyssenhardt adfatis itaque ex officio singulis
narratisque probe meis et pristinis aerumnis et praesentibus gaudiis,
aber für probe meis et bieten Fy meis pro et. Wie Eyssen-
hardts Vermuthung so ist auch Koziols meis propriis et nicht
wahrscheinlich; in pro et steckt offenbar pro re.
Graz. M. Petschenig.
Philologus. N. F. Bd. I, 2. 18
XIV.
Die Aktivbedeutung der Adjektiva auf bilis im
archaischen Latein.
Der Gegenstand, den ich behandeln will, ist ein sehr spe-
cieller, aber ich glaube, daß durch seine Aufhellung sich Ge-
sichtspunkte ergeben werden, welche nicht nur für dies be-
schrinkte, sondern auch für weitere Gebiete der lateinischen
Grammatik fruchtbar werden kónnen.
Wie andern Kapiteln der lateinischen Wortbildungslehre, so
hat auch den Adjektiven auf -bilis Paucker seine Sorgfalt zuge-
wendet. In seinem Aufsatz über „die Verbaladjektiva auf -bilis"
in den „Vorarbeiten zur lateinischen Sprachgeschichte“ Berlin
1884 S. 46 ff. gibt er ein alphabetisches Verzeichniß sümmt-
licher Adjektiva auf -bilis mit kurzem Vor- und Nachwort.
Doch gewührt diese Arbeit, obwohl durch den Druck kenntlich
ist, welchem Zeitalter die Adjektiva angehóren und ob sie ak-
tive oder passive oder beide Bedeutungen haben, für meine
Zwecke nicht viel Hülfe. Ich beschrünke mich auf das archaische
Latein und gebe ein ungeführ bis zum Jahre 100 vor Chr. rei-
chendes Verzeichniß der Stellen, wo Adjektiva auf -bilis vor-
kommen. |
1. Adjectiva auf bilis mit echter Passivbedeutung.
Als echtes Passiv bezeichne ich das gewóhnliche aus den
Passivfornen des Verbums genugsam bekannte im Unterschied
Die Aktivbedeutung der Adjektiva auf bes u. s. w. 275
von gewissen Mittelstufen zwischen Activ und Passiv, welche
ich weiterhin zu besprechen haben werde. Zur Passivitàt ge-
sellt sich in den Adjektiven auf bilis die Modalbedeutung der
Möglichkeit. Aber letztere weist zwei Nuancen auf: mera inven-
dibilis (Plaut. Poen. 341) und homo infortunio donabilis (Plaut.
Rud. 654) stehen nicht auf einer Stufe, ersteres heißt „eine
Waare, die nicht verkauft werden kann‘, letzteres „ein Mensch,
der werth ist mit Ungliick beschenkt zu werden“ Man ist oft
versucht, in diese zweite Species die Modalbedeutung der Noth-
wendigkeit hineinzutragen, aber das wäre nicht richtig: homo in-
fortunis donabilis ist nicht „ein Mensch, der mit Unglück be-
schenkt werden muff sondern „ein Mensch, der mit Unglück
beschenkt werden kann, weil er dessen werth ist". Ich will,
um diese beiden Arten der Modalität zu scheiden, die Ausdriicke
wirkliche Möglichkeit und moralische Möglichkeit anwenden !)
und nehme die Beispiele, welche die wirkliche Möglichkeit zei-
gen, voraus *): Terenz Adelph. 896 Meditor esse adfabilis. Plaut.
Stich. 74 Ezorabilist (scil. pater, vielleicht exorabilest zu schrei-
ben) Plaut. Cas. 4, 3, 18 Edepol nae tu, si esses equua, esses in-
domabilis. Accius tr. 75 Quid hic tam obscure dictum est tamve
inenodabile. Pacuv. tr. 122 Ni me inexorabilem faxis. Terenz
Phorm. 497 Adeon ingenio esse duro te atque inexorabili. Plaut.
Aul. 191 Virginem habeo grandem, dote cassam atque inlocabilem.
Accius tr. 91 Pertolerarem vitam cladesque exanclarem inpetibilis.
XII tab. 8, 22 (Scholl) Qui se sierit testarier libripensve fuerit, ni
testimonium fatiatur, inprobus intestabilisque esto (testabilis wird aus
einer lex Horatia citirt von Gellius 7, 7, 2. 3). Plaut. Cure.
90 Semper curato ne sis intestabilis. Plaut. Mil. 1414 Et s? hinc
non abeo intestatus, bene agitur pro noxia. — Quid, si id non
faxis? — Ut vivam semper intestabilis. Plaut. Aul. 533 Haec
1) Der Begriff der Nothwendigkeit kann in zwei entsprechende
Unterabtheilungen zerfallen; dieselben kommen z. B. zum Ausdruck
in der Verschiedenheit, welche zwischen necesse est und oportet besteht.
2) Die Adjektive sind alphabetisch geordnet. Ich citire Plautus
Menaechmi, Mostellaria, Persa nach Ritschl, Casina und Cistellaria
nach Weise, die übrigen Stücke nach den von Götz, Schöll, Löwe
besorgten Ausgaben (doch habe ich von Pseudolus die Ritschl'sche,
von Captivi die Sonnenschein'sche, von Rudens die Fleckeisen'sche
Ausgabe benutzt und nur nachtriglich meine Citate den neuen in-
zwischen erschienenen! Ausgaben angepaßt), Terenz nach Umpfenbach,
die Tragiker und Komiker nach Ribbeck, die übrigen Dichter nach
Bührens, Cato de re rust. nach Keil, Cato's Fragmente nach Jordan.
18*
276 Friedrich Hanssen,
sunt atque aliae multae in magnis dotibus incommoditates sumptusque
intolerabiles. Afran. tog. 255 Didicisset ferre et non esse intolera-
bilis, Plaut. Poen. 341 Invendibili merci oportet ultro emptorem
adducere. Ennius com. 1 Huic est animus propitiabilis. Plaut.
Cist. 1, 1, 63 Facito ut facias stultitiam sepelibilem (bringe deine
Thorheit dahin, daf sie begraben werden kann). Plaut. Capt.
518 Hic illest dies, quom nulla vitae meae salus sperabilist. Te-
renz heaut. tim. 205. Paulo qui est homo tolerabilis.
Dagegen erkenne ich die moralische Môglichkeit'in fol-
genden Beispielen: Plaut. Capt. 302 Vis hostilis cum istoc fecit
meas opes aequabiles (aequabilis heiBt hier wohl noch ,,werth
gleichgestellt zu werden“, in classischer Zeit ist es in die in-
transitive Bedeutung ,gleich" übergegangen) Plaut. Curc. 168
Quid vidisti aut quid videbis magis dis aequiperabile. Plaut. Trin.
466 Ita nunc tu dicis, non esse aequiperabilis vostras dum nostris
factiones atque opes? Plaut. Asin. 674 Nimis bella's atque ama-
bilis, Plaut. Stich. 737 Mea suavis, amabilis, amoena. Accius
tr. 555 Aspernabilem ne haec taetritudo mea me inculta faxit,
Plaut. Trin. 44 Qui admisit in se culpam castigabilem. — Plaut.
Pseud. 525 Dabo aliam pugnam claram et commemorabilem. Plaut.
Bacch. 616 Credibile hoc est? (Worte wie credibilis, bei wel-
chem die wirkliche und die moralische Möglichkeit fast immer
zusammenfällt, haben wohl den AnstoB zur Ausbildung des Be-
griffes der moralischen Möglichkeit gegeben) Plaut. Trin. 606
Non credibile dicis. Terent. Andr, 625 Hocinest credibile aut me-
morabile? Plaut. Rud. 654 Edepol infortunio hominem praedicus
donabilem. Plaut. Cist. 4, 1, 1 Nullam ego me vidisse credo ma-
gis anum excruciabilem. Accius Tr. 270 Tyranni saevom ingenium
atque execrabile. Plaut. Stich. 395 Ego huc citus praecucurri, ut
nuntiarem nuntium exoptabilem (eine Nachricht, welche werth ist
erwünscht zu sein) Lucilius 467 (Bührens) Neque inimicis invi-
diosam neque amico exoptabilem. Plaut. Bacch. 614 Inamabilis,
inlepidus vivo. Plaut. Rud. 912 Miroque modo atque incredibili
hic piscatus mihi lepide evenit (vielleicht wäre es richtiger, hier
wirkliche Möglichkeit anzunehmen) 'lerenz Eun. 1049 Inere-
dibilia Parmeno modo quae narravit! Terenz Heaut. Tim. 624
Vin me istuc tibi, etsi incredibilest, credere? 'Terenz Phorm. 239
Quia praeter spem atque incredibile hoc mihi obtigit. Terenz Phorm.
247 Incredibilest quantum erum ante eo sapientia. Terenz Hec. 377
Die Aktivbedeutung der Adjektiva auf bis u. s. w. 271
Incredibili re atque atroci percitus. Com. inc. 40 Incredibile hoc factum
obicitur. Plaut. Bacch. 614 Incredibilis imposque animi inamabilis
inlepidus vivo (incredibilis übersetzt Pareus im Lexicon Plautinum
indignus cui quisquam credat“, es ist ein Beispiel für eine Pas-
sivbildung, bei welcher das dativische Objekt des Aktivs zum
Subjekt des Passivs erhoben wird wie sonst das akkusativische).
Auct. prol Plaut. Capt. 56 Neque spurcidici insunt versus inme- :
morabiles. Plaut. Capt. 684 At erit mi hoc factum mortuo memo-
rabile. Plaut. Curc. 8 Istuc quidem nec bellumst mec memorabile.
Plaut. Stich. 729 Hoc memorabilest: ego tu sum, tu’s ego. Terenz
Andr. 625 Hocinest credibile aut memorabile? Terenz Heaut.
tim. 314 Non. fit sine periclo facinus magnum nec memorabile.
Accius tr. 613 Virum memorabilem intui viderer (venerabilem ver-
muthet Bücheler). Plaut. Epid. 225 Quid istuc tam mirabilest ?
Plaut. Trin. 931 Quos locos adiisti? — Nimium mirimodis mira-
biles. Terenz Heaut. tim. 387 Et vos esse istius modi et nos non
esse haut mirabilest. Accius Didasc. 11 Falsidica audax gnati
mater pessumi odibilis natura impos excors et fera. Liv. Andr.
tr. 7 Iamne oculos specie laetavisti optabili. Plaut. Bacch. 159
Compendium edepol haud aetati optabile fecisti. Afran. tog. 166
Retinebitur viri hac voluntate unica probabili. Plaut. Aul. 633
Verberabilissume, etiam rogitas? (setzt wohl die Existenz des für
das archaische Latein nicht sicher bezeugten — vergl. aber oben
Accius tr. 613 — venerabilis voraus).
Bekanntlich kann im Verbum das Passiv reflexive oder
intransitive Bedeutung annehmen: moveri „sich bewegen", volvi
„rollen“. Derselbe Vorgang zeigt sich auch in Adjektiven auf
bilis: Plaut. Mil. 629 Clare oculis video, sum pernix, manibus pe-
dibus mobilis (,,perniz pedibus, manibus mobilis' Bugge). Pacuv.
tr. 367 Saxoque instare in globoso praedicant volubilei (welcher
rollen kann).
Bei den form- und bedeutungsverwandten Adjektiven auf
tilis schwindet bisweilen der Begriff der Möglichkeit, so daß nur
reine Passivbedeutung übrig bleibt. Bei den Adjektiven auf
bilis ist das nach meiner Ansicht im archaischen Latein, abge-
sehen von mobilis, nicht der Fall. Allerdings steht intestadilis
an zwei oben citirten Plautusstellen (Cure. 30, Mil. 1414) im
Wortspiel für intestatus ,entmannt" aber in seiner eigentlichen
Bedeutung „nicht als Zeuge aufstellbar‘ ist es modal gefärbt.
278 Friedrich Hanssen,
Vermuthen kónnte man reine Passivbedeutung bei Plaut. Cist.
1, 1, 63 (sepelibilis) und Plaut. Stich. 395 (exoptabilis), doch
läßt sich an beiden Stellen, wie ich oben durch Uebersetzung
gezeigt habe, Modalbedeutung in die Adjektive hineinlegen.
Höchst auffallend ist dagegen Plaut. Epid. 577 Scio quid erres:
quia vestitum atque ornatum inmutabilem (,,mutabilem“ Pius) habet
haec. Hier steht inmutabilis „verändert“ gleichbedeutend mit
inmutatus; diese Stelle ist so seltsam, daß ich inmutatilem, eine
scherzhafte Bildung nach Analogie von vestis plumatilis und ve-
stis cumatilis, vermuthen möchte.
Es bleiben noch die Adjektive nobilis (gnobilis), ignobilis und
cognobilis. Nach Festus (S. 174") wurde im archaischen Latein
nobilis für notus gebraucht, und das scheint richtig zu sein. Es
kann diese Bedeutung in folgenden Stellen angenommen werden:
Liv. Andr. com. 4 Ornamento incedunt gnobiles ignobiles (citirt
von Festus, wir kónnen die Richtigkeit der Erklürung nicht
controlliren). Plaut. Pseud. 592 Quis hic est, qui oculis meis
obviam ignobilis obicitur (citirt von Festus, hier könnte allenfalls
modale Färbung hineingelegt werden: „so daß er nicht erkenn-
bar ist“) Plaut. Pseud. 964 Peregrina facies videtur hominis at-
que ignobilis (citirt von Festus, der vorhergenannten Stelle gleich-
artig). Plaut. Pseud. 1112 Cum his mihi nec locus nec sermo unquam
convenit, neque is nobilis fui (die Stelle ist kritisch unsicher, aber die
reine Passivbedeutung in nobilis scheint unzweifelhaft). Plaut. Rud.
619 Vindicate, ne inpiorum potior sit pollentia qnam innocentum, qui se
scelere fieri nolunt nobilis, Terenz Heaut. tim. 227 Meast potens
procax magnifica sumptuosa nobilis (stadtbekannt) Dagegen glaube
ich in der von Festus a. a. O. citirten Stelle Accius tr. 283.
deutlich Modalbedeutung zu erkennen: Ergo med Argos referam,
nam hic sum gnobilis, ne cui cognoscar noto. Mit Rücksicht auf
den sich anschlieBenden Satz , ne cui cognoscar noto“ wird man
in gnobilis nicht ein Synonym für notus sehen dürfen, sondern
wird übersetzen müssen „denn hier kann ich erkannt werden“.
Die Modalbedeutung ist unzweifelhaft im Adjektiv cognobilis bei
Cato ed. Jordan S. 26, 10 Itaque ego cognobiliorem (verständlich)
eognitionem esse arbitror. Daß mobilis in manchen Fällen rein
passiv gebraucht wird, hängt wohl damit zusammen, daB es
noch hüufiger sowohl die Modal- als auch die Passivbedeutung
abgeworfen und die intransitive Bedeutnng „vornehm“ angenom-
Die Aktivbedeutung der Adjektiva auf bilis u. s. w. 279
men hat. Die Belegstellen aus dem archaischen Latein will ich
nur aufzählen, nicht ausschreiben: Plaut. Cist. 1, 2, 10. Trin.
831. Terenz Eun. 204. 952. Heaut. tim. 609. Adelph. 15.
502. L. Calpurnius Piso fr. 27 (Peter) Ignobilis ist entspre-
chend gebraucht: Enn. tr. 166. ‘Terenz Phorm. 120, wahr-
scheinlich auch Liv. Andr. com. 4 und Pacuv. tr. 221 . . ques
sunt is? — Ignoti, nescio ques ignobiles, als Schimpfwort Plaut.
Amph. 440 Vapulabis, ni hinc abis, ignobilis, (Variante: igno-
rabilis).
2. Adjectiva auf bilis, die sich der Aktiv-
bedeutung nähern.
a. Adjektiva auf bilis mit der Bedeutung in-
transitiver Zustandsverba. — Anscheinend scharf und
klar ausgeprägt ist der Unterschied von Aktiv und Passiv, und
doch stößt man, sobald man ihn genauer auf seinen Werth prü-
fen will, auf erhebliche Schwierigkeiten. Man kann z. B. zwei-
feln, ob Passiva wie amari und timeri wirklich Passivbedeutung
haben. Denn weder die Person, welche geliebt, noch die, wel-
che gefürchtet wird, ist leidend, im Gegentheil, sie ist in ge-
wisser Hinsicht aktiv, denn sie verursacht Liebe und Furcht.
Noch schwieriger erscheint es, eine scharfe Grenze zwischen den
beiden Genera zu ziehen, sobald man einen Unterschied inner-
halb der Verba mit Aktivform beachtet, welcher dem von Aktiv
und Passiv sehr nahe kommt. Denn viele Intransitiva verhalten
sich zu bedeutungsverwandten Transitivis nahezu wie Passiva
zu Aktivis, z. B. das intransitive cuere „stürzen d. i. gestürzt
werden“ zum transitiven ruere „stürzen d. i. stürzen machen“.
Bekannt ist ja, daß im Griechischen Intransitiva geradezu als
Passiva verwendet werden können (Farsîv vmo wvos) und daß
auch im Lateinischen Passiva zu Intransitivis werden können
(efundi „fließen‘“, aus dem Medium darf man das nicht erklären
wollen). So erscheinen denn Intransitiva mit passiver Bedeutung
und eigentliche Passiva als zwei Nuancen des Passivs gegenüber
den aktive Bedeutung enthaltenden Transitivis. Ein Passiv von
einem solchen Intransitivum sollte daher streng genommen nicht
möglich sein, denn das Intransitivum ist schon passiv; wenn
280 Friedrich Hanssen,
von ihm trotzdem ein impersonelles Passiv gebildet wird z. B.
ventum est ,man kam", so ist das eine Nachbildung nach datur
„es wird gegeben d. h. man gibt“ und dergleichen mehr, welche
nur conventionell als Passiv gilt.
Ein dem Passiv nahe stehendes Intransitivum habe ich
schon erwühnt nümlich volubilis, bei demselben war die intran-
sitive Bedeutung aus der passiven entstanden. Es bleiben noch
die Adjektive, welche von solchen Verben herzuleiten sind, die
schon in der aktiven Form intransitiv sind. Die Scheidung von
wirklicher und moralischer Möglichkeit braucht von nun an
nicht mehr durchgeführt zu werden: so viel ich sehe, findet sich
moralische Möglichkeit nur in den Adjektiven auf bilis mit echter
Passivbedeutung. Die Beispiele für Adjektive auf bilis mit in-
transitiver Bedeutung sind: Accius tr. 264 Alternabilem divitiam
partissent (alternabilem ist. Conjektur Ribbecks für aeternabilem,
das Verbum alternare ist erst seit Vergil belegt) Plaut. Capt.
402 Me hic pol et te tute audacter dicito, Tyndaze, inter nos fuisse
ingenio haud discordabil. Plaut. Mil. 543 Nunc demum scio me fuisse
excordem caecum incogitabilem. Terenz Hec. 284 Quanto fuerat prae-
stabilius ubivis gentium agere aetatem quam huc redire. Plaut. Pers.
837 Hic faceret te prostibilem propediem (prostibilis wird gewöhn-
lich für ein Substantiv gehalten). Cato R. r. 35, 2 Qui locum
novus erit aut qui restibilis fieri poterit . . . et qui locus restibilis
crassitudine fieri potest. Plaut. Aul 233 Neutrubi habeam stabile
stabulum , si quid divorti fuat. Plaut. Bacch. 520 Profecto sta-
bilest me patri aurum reddere. Plaut. Merc. 653 Quae patria aut
domus tibi stabilis esse poterit? Cato R. r. prooem. 4 Quaestus
stabilissimus. Terenz Adelph. 66 Et errat longe mea quidem sen-
tentia, qui imperium credat gravius esse aut stabilius, vi quod fit.
b. Adjektiva auf bilis mit instrumentaler Be-
deutung. — Liest man bei Terenz Phorm. 226 causa vin-
cibilis, so pflegt man in das Adjektiv Aktivbedeutung zu legen
und also zu übersetzen „eine Sache, die siegen kann“ Ich
halte das für unrichtig oder wenigstens ungenau. Ein Ab-
straktum wie causa ist an und für sich einer aktiven Thiitig-
keit garnicht fühig; wir pflegen zwar in unserer Muttersprache
durch eine Redeweise, die wir als bildlich kaum noch empfinden,
fast ohne Beschrinkung sächlichen und abstrakten Dingen ak-
tive Handlungen zuzuschreiben, aber der Rómer der archaischen
Die Aktivbedeutung der Adjektiva auf bilis u. s. w. 281
Zeit dachte darin strenger. Da nun ferner die Adjektiva auf
bilis überwiegend passiv sind, so würde ich übersetzen „eine
Sache, mit welcher man siegen kann“, indem ich annehme, daß .
wir hier eine besondere Art der Passivität, oder wenn man will
der Aktivität, haben, welche ich die instrumentale nen-
nen will. Es ist dies diejenige Art der Passivität, welche wir
erhalten, wenn wir einen Akkusativ des inneren Objekts zum
Subjekt des Passivs machen: der Ausdruck vincere causam ?)
ist nach dem Griechischen mxav Ofxnr oder nach vincere spon-
sionem bei Cicero pro Caec. 31, 91 und 32, 92 denkbar, das
Passiv dazu wäre causa vincitur, und dem entspricht causa vinci-
bilis. Der Akkusativ des inneren Objekts bei transi-
tiven Verben ist nämlich nach meiner Ansicht immer instru-
mental und steht daher auf der Grenze von Aktiv und Pas-
siv. Als Akkusativ des inneren Objekts betrachte ich auch den
sächlichen Akkusativ bei Verben wie docere: haben wir den
Satz grammaticus docet puerum litteras, so ist grammaticus aktiv
und puerum passiv, litteras aber ist weder aktiv noch passiv
sondern instrumental, denn passiv ist der Akkusativ literas ge-
wif nicht, die Zitterae werden nicht unterrichtet, sie sind viel-
mehr in gewisser Hinsicht aktiv, sie unterrichten den Knaben
gemeinschaftlich mit dem Lehrer, aber freilich nicht selbstthätig
sondern als Werkzeug in der Hand des Lehrers. Diese instru-
mentale Passivität ist in den Adjektiven auf biis nicht selten
und keineswegs auf die Fälle beschränkt, wo das Stammverbum
einen Akkusativ des inneren Objekts zu sich nehmen kann:
Plaut. Mil. 1139 Date operam adiutabilem (opera adiutabilis heißt
nicht opera quae adiutet sondern opera qua adiuietis, denn die
Hülfe kann nur helfen als Mittel in der Hand einer thätigen
Person). Plaut. Pers. 673 Edepol dedisti, virgo, operam adiuta-
bilem (adiutabilem ist sichere Emendation) Aceius tr. 551 Fle-
bilis voces refert. Plaut. Epid. 342 Pro di inmortales, mi hunc
diem ut dedistis luculentum, ut facilem atque inpetrabilem! (die in-
strumentale Passivität ist hier unzweifelhaft, natürlich meint
Plautus nicht, daß der Tag etwas erreichen kann, das wäre
ganz unlateinisch gedacht, sondern daß man an dem Tage d. i.
durch den Tag etwas erreichen kann). Plaut. Pers. 712 Ne hie
3) Georges citirt noch vincere causam aus Ovid, aber dort ist es
interpolirt.
282 Friedrich Hanssen,
tibi dies inluxit lucrificabilis („durch welchen du dir Gewinn er-
werben kannst", könnte aber auch ,,gewinnbringend“ heißen und
also zur folgenden Classe gehören). Plaut. Cas. 4, 1, 3 Hic
intus fiunt ludi ludificabiles (durch welche man foppen kann).
Plaut. Asin. 792 Neque ullum verbum faciat perplexabile (durch
welches er Verwirrung anrichten kann) Terenz Phorm. 961
Nunc quod ipsa ex aliis auditura sit, Chremes, id nosmet indicare
placabilius est. 'Terenz Adelph. 608 Quapropter te ipsum purgare
ipsi coram placabilius est. 'lerenz Phorm. 226 Iustam illam cau-
sam facilem vincibilem optumam.
In den genannten Beispielen spricht schon der, Umstand,
daß die Adjektiva mit Sachsubstantiven, die eigentlich gar nicht
aktiv gedacht werden kénnen, verbunden sind, dagegen, aktive
Bedeutung in ihnen anzunehmen. Ausgelassen aber habe ich
zwei Stellen von anderer Art, nämlich Plaut. Merc. 605 Inpe-
trabilior qui virat, nullus est. Plaut. Most. 1162 Non potuit venire
oratar magis ad me inpetrabilis. Da sich, wie sich ergeben wird,
wirklich aktive Bedeutung in den Adjektiven auf bilis sonst
nicht findet, so wird man auch hier das Adjektiv inpetrabilis
nicht als aktiv sondern als instrumental auffassen miissen wie in
der erwähnten Stelle Plaut. Epid. 342 dies inpetrabilis „ein Tag,
durch -den man etwas erreichen kann“. So wird man Mere.
605 iibersetzen miissen ,,es lebt niemand, durch den man leichter
etwas erlangen kann“, in der That sollte ja der Jiingling, von
dem die Rede ist, nicht fiir sich selbst etwas erreichen sondern
fiir den Redenden. Ebenso steht es mit Most. 1162: orator ma-
gis inpetrabilis ist zu übersetzen „ein Sprecher, durch den man
leichter etwas erlangen kann“, denn auch er will nicht fiir sich
sondern fiir einen anderen etwas durchsetzen. Wir werden also
auch in diesen beiden Beispielen, obwohl das Adjektiv mit ei-
nem persónlichen Substantiv, welches an sich aktiv gedacht sein
kónnte, verbunden ist, instrumentale Bedeutung annehmen müssen.
c. Adjektiva auf bilis mit kausaler Bedeu-
tung. --- Ich glaubte die instrumentalen Adjektiva nicht als
aktiv bezeichnen zu diirfen, weil die Substantiva, mit denen sie
verbunden werden, nicht selbständig sondern nur als Werkzeuge
in der Hand der handelnden Person thätig erscheinen. Es gibt
aber noch eine andere Art der Aktivität, welche dem Passiv
ebenso nahe steht und welche ich als die kausale bezeichnen
Die Aktivbedeutung der Adjektiva auf bilis u. s. w. 283
will Dieselbe erkenne ich z. B. im Adjektiv terribilis: ein Ge-
genstand, welcher Schrecken verursacht, braucht keineswegs ak-
tiv thätig zu sein, er kann vielmehr nur als Werkzeug in der
Hand des Geschicks oder des Zufalls dienen, wührend er selbst
vollkommen unthätig d. h. passiv ist. Diese causale Bedeutung
ist mit der instrumentalen nahe verwandt; bei einigen Beispie-
len, die ich fiir die instrumentale Aktivität gegeben habe, konnte
man zweifeln, ob nicht vielmehr die kausale in ihnen zu er-
kennen sei, ob man z. B. ludi ludificabiles (Plaut. Cas. 4, 1, 3)
übersetzt durch ,,Spiele, durch welche jemand foppt“ oder ,,Spiele,
durch welche gefoppt wird“ (mit unbestimmtem logischem Sub-
jekt, denn wirklich aktiv können die Judi niemals sein) kommt
fast auf dasselbe hinaus: in beiden Fällen ist ludificabilis in ge-
wisser Hinsicht zwar aktiv, aber die in ihm liegende Thätig-
keit kann verglichen werden mit der Thätigkeit einer Maschine
oder eines Automaten, der nur scheinbar handelnd auftritt.
Suchte ich vorhin die Verwandtschaft der instrumentalen Be-
deutung mit der passiven dadurch zu beweisen, daß ich auf
ihre Corresponsion mit dem inneren Objekt hinwies, so läßt sich
bei der kausalen in analoger Weise der Beweis führen. Es
werden manche Verba mit einem Akkusativ construirt (und zwar
mit einem Akkusativ, der meist als Akkusativ des äußeren Ob-
jekts gilt), obwohl sie eigentlich einen Zustand und keine Thä-
tigkeit bezeichnen, dahin gehören z. B. amare (,,lieben ist ein
Zustand, das Transitivum dazu wäre „lieben machen“), timere (,,in
Furcht sein“, als Transitivum dazu kann man, wenn man von
dem Unterschied von Furcht und Schrecken absieht, terrere be-
trachten), fugere (das Transitivum dazu ist fugare), uti (uti ali-
quid: Nutzen haben von etwas), horrere (horrere aliquid: schau-
dern vor etwas), gaudere (gaudere aliquid) u. a. m. Bei man-
chen dieser Verba weist schon die Form (timere gaudere horrere,
vergl. albere florere vigere) darauf hin, daf) sie ursprünglich in-
transitiv waren. Der Akkusativ, der bei diesen Verben steht,
ist eigentlich transitiv, zwar nieht aktiv, aber doch kausal, al-
lerdings sind viele ganz in die Analogie der transitiv - aktiven
Verba übergeführt, so amare timere fugere, nur zógernd folgten
uti (wo die Construction mit dem Akkusativ zurückgedrüngt
wurde), horrere (von welchem man horrendus ableitete) gaudere
(erst spät bildete man gaudendus) Man kann also sagen, die
284 Friedrich Hanssen,
kausale Bedeutung entspricht derjenigen Passivität, welche man
erhielte, wenn man das kausale Objekt von Verben wie uti hor-
rere, gaudere zum Subjekt des Passivs machen wiirde. Beson-
ders interessant ist utibilis; dasselbe enthält deutlich transitive,
d. h. kausale Bedeutung: es heißt „das, was nützen kann“,
nicht „das was benützt werden kann“ und correspondirt mit
dem kausalen Objekt bei uti, z. B. kann quid minus utibile fuit
(Terenz Phorm. 695) umschrieben werden durch quid minus uti
oportuit. Ebenso steht es mit Aorribilis, auch es correspondirt
mit dem causalen Objekt bei horrere, während in den übrigen
Beispielen die Adjectiva mit dem causalen Subjekt correspon-
diren z. B. terribilis. Die Adjektiva mit kausaler Bedeutung
sind: Accius tr. 158 Sed pervico Aiax animo atque advorsabili
(advorsabili ist unsicher) Plaut. Bacch. 52 Non ego istuc facinus
mihi, mulier, conducibile esse arbitror. Plaut. Cist. 1, 1, 79 Ma-
tronae magis conducibile est istuc, mea Silenium. Plaut. Epid. 256
Reperiamus aliquid calidi conducibilis consi. Plaut. Epid. 260
Dederim vobis consilium catum . . . atque ad eam rem conducibile.
Plaut Epid. 388 Fuit conducibile hoc quidem mea sententia, Plaut.
Trin. 25 Amicum castigare ob meritam noxiam inmoenest facinus,
verum in aetate utile et conducibile. Plaut. Trin. 36 Ita vincunt
tllud conducibile gratiae. Plaut. Epid. 606 Sé invento, exitiabilem
ego illi faciam hunc ut fiat diem (exitiabilem ego faciam ut hic fiat
dies hat der Ambrosianus, darnach hat Geppert nicht ohne
Wahrscheinlichkeit vermuthet: exitialis illi ego ete.) Lucilius
153 (Bährens) Flebile cepe simul lacrimosaeque ordine tallae (die
Bedeutung von fiebilis ist hier eine andere als oben in flebiles
voces bei Accius tr. 551; hier ist das Adjektiv kausal und ent-
spricht also einem kausalen Objekt wie quid fles „warum weinst
du?“, dort war es instrumental und entsprach einem inneren
Objekt wie flere carmina bei Columella) Lucilius 1 Aetheris et
terrae genitabile quaerere tempus (dies Beispiel ist sehr significant:
activ, „gebärend“, ist genitabile tempus natürlich nicht, aber
ebenso wenig echtes Passiv) Accius tr. 80 O vim torvam as-
pecti, atque horribilem (welche schaudern machen kann). Accius
tr. 617 Nam etsi opertus squalitate est luctuque horrificabili (horri-
ficali ist überliefert). Plaut. Cist. 2, 2, 3 Ut ilaec hodie quot
modis sibi moderatrir fuit atque inmemorabilis (vergl. die vor-
stehende Stelle). Lucilius 481 Nunc ignobilitas his miserum,
Die Aktivbedeutung der Adjektiva auf bilis u. s. w. 285
mirum ac mortificabile (man pflegt mortificabile in monstrificabile
zu ändern). Ennius tr. 22 Mater terribilem minatur vitae cru-
ciatum et necem. Ennius Ann. 95 At tuba terribili sonitu ta-
ratantara dixit. Satur. 462 Africa terribili tremit horrida terra
tumultu (Variante: terribilis). Trag. inc. 96 Quae tam terribilis
tua pectora turbat. | Accius tr. 421 Pernici orbificor liberorum leto
et tabificabili. Plaut. Epid. 21 Voluptabilem mihi nuntium tuo ad-
ventu adportas. Plaut. Bacch. 1 Quibus ingenium în animo uti-
bilest. Plaut. Merc. 1005 Eamus intro: non utibilist hic locus
(utibilest hic loqui Götz in der Anm. Plaut. Mil 612 Immo
magis esse ad rem utibile non potest. Plaut. Most. 859 Servi, qui
quom culpa carent, tamen malum metuont, hi solent esse utibiles eris.
Plaut. Trin. 748 Vide si hoc utibile magis atque in rem deputas.
Terenz Phorm. 690 Quid minus utibile fuit quam hoc ulcus tangere.
Nichts entnehmen für die Bedeutung läßt sich aus folgen-
den Fragmenten, die Adjektiva auf bilis aus dem Zusammenhang
gerissen enthalten: Pacuv. Antiop. fr. XIV cor luctificabile. Cato
ed. Jordan S. 109, 12 mobiliorem, nobiliorem. Festus führt me-
dibilis an.
Ebenso wenig nützen uns die Adverbia auf biliter: Plaut.
Pseud. 950 cruciabiliter (unsicher) Plaut. Mil. 260 dissimula-
biliter. Naev. com. 35 exanimabiliter. Pacuv. tr. 15. Accius
praet. 11 minitabiliter. Accius tr. 258 indecorabiliter. Cato ed.
Jordan S. 89, 6 imperabiliter. Plaut. Most. 24 pollucibiliter.
Ebensowenig die Substantiva auf bilitas: Plaut. Stich. 741
amabilitas. Plaut. Poen. 1174 amabilitati. Plaut. Cist. 2, 1, 8
cruciabilitatibus. Lucil. 481 :gnobilitas. Plaut. Rud. 933. Ac-
cius tr. 621. 643 nobilitas. Plaut. Capt. 299. Mil. 1319. Te-
renz Hec. 797 nobilitatem. Turpil. com. 208. Lucil 198 mo-
bilitate.
Ebenso wenig schliefMich die abgeleiteten Verba: Plaut.
Capt. 453 constabilivi. Terenz Ad. 771 constabilisses. Caecil.
Stat. com. 192 mobilitat. Terenz Eun. 1021 nobilitas. Pacuv.
tr. 120. Accius tr. 622 nobilitat. Titin. tog. 69 nobilitarent.
C. I. L. I 38 nobilitavit. Pacuv. tr. 324 restibiliet. | Ennius
Ann. 28, 9 stabilibat. Accius praet. 40 stabWliverat. Ennius
Ann. 55, 21 stabilita und das daraus abgeleitete Substantiv Ac-
cius tr. 210 stabilimen.
286 Friedrich Hanssen,
Das Resultat, das wir gewonnen haben, ist also: Die Ad-
jektiva auf bilis sind im archaischen Latein nie-
mals wirklich aktiv, d. h. sie treten nie zu einem Sub-
stantiv, das selbständig thätig gedacht wird, hinzu, niemals wird
gesagt homo adiutabilis „ein Mann, der helfen kann“ *) oder der-
gleichen, sie sind vielmehr entweder passiv oder sie enthalten
gewisse Mittelstufen zwischen echtem Passiv und
echtem Aktiv, welche ich als die intransitive, instrumentale
und causale Bedeutung bezeichnet habe. Mir scheint, daB wir
dadurch einen interessanten Einblick in die Denkgesetze der
lateinischen Sprache gethan haben: wir haben eine wesentlich
andere Scheidung von Aktiv und Passiv getroffen, als im Ver-
bum üblich ist, und zwar eine Scheidung, welche ich für ei-
gentlich besser begründet und auch für älter halte. Für älter
halte ich sie deshalb, weil sie besser in Einklang steht mit dem
Unterschied, der zwischen Subjekt und Objekt besteht, und auf
diesen Punkt will ich zum Schluß mit wenig Worten eingehen.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß das Objekt ei-
gentlich ein zweites Subjekt ist. Wie es geschehen konnte, dafì
von zwei zu einem gemeinschaftlichen Prüdikat gehórigen Sub-
jekten das eine zum Objekt herabgedriickt wurde, hat Paul,
Principien der Sprachgeschichte, zweite Aufl, Halle 1886 S. 118
überzeugend dargelegt: „Wir können uns diesen Procef am be-
sten verdeutlichen an einem Satze wie ich rieche den Braten.
Ohne persönliches Subjekt können wir auch noch sagen der
Braten riecht. Wir kónnen uns danach leicht in eine Zeit zu-
rückversetzen, in welcher bei vólligem Mangel jeglichen Casus-
suffixes und jeglicher Fixierung der Wortstellung in. einem Satze
wie ich riechen Braten oder Braten riechen ich die Worter ich
und Braten unter diesclbe allgemeine Kategorie des psychologi-
schen Subjekts fielen. Die Verwandtschaft zwischen Subjekt
und Objekt erhellt ja auch daraus, daß das letztere durch Um-
setzung des Verbums in das Passivum zum ersteren gemacht
werden kann“. Ich will versuchen auf dieser Grundlage das
Verhältniß von Subjekt zu Objekt etwas genauer zu prüfen ®).
4) Das könnte höchstens heißen „ein Mann, durch den geholfen
werden kann“, vergl. orator inpetrabilis.
5) Ich hoffe, daß es mir gelingen wird, zu zeigen, daß wir uns
Die Aktivbedeutung der Adjektiva auf bilis u. s. w. 287
Für werthlos halte ich dabei das von Paul am SchluB der ci-
tirten Stelle hervorgehobene Kriterium, daß das Objekt bei Um-
setzung des Verbums ins Passiv als Subjekt erscheint. Denn
es gibt bekanntlich Objektsakkusative die nicht zum Subjekt
des Passivs erhoben werden kónnen 5). Auch ist das Passiv, wel-
ches sich, darüber sind wohl alle einig, erst aus dem reflexiven
Medium entwickelt hat, eine verhältnißmäßig junge Bildung.
Vom Passiv müssen wir also zunächst ganz absehen, und einen
der Entstehung des Passivs voraufliegenden Sprachzustand ins
Auge fassen. Aelter ist ohne Zweifel jener der Differenz von
Aktiv und Passiv nahe kommende Unterschied von Transitivum
und Intransitivum und dieser ist das wichtigste Kriterium, um
die verschiedenen Arten des Objektsakkusativ zu
sondern. Es ergeben sich vier Klassen:
bei der nichtssagenden Definition des Akkusativs, welche in der mo-
dernen Grammatik üblich geworden ist und welche z. B. bei Schmalz
(ich bin weit entfernt, diesen verdienstvollen Mann dafür verantwort-
lich zu machen) in Iwan Müllers Handbuch II S. 262 folgenden Aus-
druck findet ,,der Akkusativ ist ein rein verbaler Kasus und gibt le-
diglich die Modifikation des Prüdikats'' nicht zu beruhigen brauchen.
6) Dazu rechne ich nicht den lokalen Akkusativ des Zieles (Ro-
mam eo), derselbe ist vielmehr gar kein Objektsakkusativ mehr, son-
dern gehórt in eine Kategorie mit den übrigen Casus obliqui, mit den
präpositionalen Wendungen und den Adverbien. Alle diese Elemente
sind zwar aus dem Objekt hervorgegangen, aber thatsüchlich geben
sie nicht mehr eine objektive sondern eine attributive Bestimmung des
Verbums. Diese attributive Funktion wird dadurch deutlich, daß die-
selben Elemente (die lateinische Sprache ist freilich mit dieser Ueber-
tragung viel zurückhaltender als das Deutsche und Griechische) auch
beim Nomen attributiv verwendet werden kónnen: Plaut. Merc 257
navem ex Rhodo. Plaut. Pers. 385 nunc hominum, ganz gewóhnlich
der Ablativ qualitatis, auch der Genitiv ist wohl ursprünglich ein ad-
verbialer Casus und nicht ein erstarrtes Adjektiv. Auch der lokale
Akkusativ kann attributiv verwendet werden: domum reditus, Romam
adventus und dergl., vergl. Drüger Syntax? 1 $ 177. Ganz anders
steht es mit Redewendungen wie Quid tibi nos tactio est?, die im
archaischen Latein gewöhnlich sind, vergl. Dräger a. a. O. $ 163.
Bei denselben gehórt der Objektsakkusativ nicht attributiv zum Ver-
balsubstantiv, sondern das Verbalsubstantiv wird mit der Copula zu-
sammengefafit, und dies zusammengesetzte Prädikat regiert den Akku-
sativ. Zu vergleichen sind hiermit Ausdrücke wie infitias ire aliquid:
hier ist 2nfitias prädikativ gebraucht und bildet mit ?re zusammen ei-
nen neuen transitiven Verbalbegriff. Uebrigens glaube ich, daf
Schmalz in Iwan Müllers Handbuch II S. 263 im Irrthum ist, wenn
er diesen Akkusativ infitias als lokalen Akkusativ auffaßt und mit
dem Akkusativ von Stádte- und Lándernamen zusammenstellt: es ist
ohne Zweifel ein Akkusativ des inneren Objekts und also zusammen-
zustellen mit wre viam.
288 Friedrich Hanssen,
a. Transitives Subjekt und intransitives Ob-
jekt *). Hierher gehört die Mehrzahl der Verba, die ein di-
rektes Objekt bei sich haben. Beispiele sind: Volvo lapides ich
rolle, d. h. mache rollen, und daher rollen die Steine. Ago ca-
pellas ich treibe, und daher gehen die Ziegen. Mitto servum ich
schicke, d. h. mache gehen, und daher geht der Sklave. Fugo
hostes ich schlage in die Flucht, und daher fliehen die Feinde.
Colo agrum ich pflege, und daher empfängt der Acker Pflege,
Tego domum ich decke, und daher empfüngt das Haus ein Dach.
b. Intransitives Subjekt und transitives O b-
jekt: Maneo te ich bleibe, weil du bleiben machst. Gemo ve
strum malum ich seufze, weil euer Unglück seufzen macht. Gau-
deo omnia haec ich freue mich, weil alles dies Freude veranlaßt.
Tremo Iunonem ich zittere, weil Iuno zittern macht. Timeo mor-
tem ich fürchte mich, weil der Tod fürchten macht. Patior vul-
nera ich leide, weil die Wunden leiden machen. Fugio hostem
ich fliehe, weil der Feind fliehen macht.
€. Transitives Subjekt und transitives Ob-
jekt: Doceo artem ich lehre mit einer Kunst (dagegen mit in-
transitivem Objekt: doceo puerum). | Rogo aliquid ich befrage mit
etwas (dagegen mit intransitivem Objekt: rogo te). Sero hordeum
ich sie mit Gerste (dagegen mit intransitivem Objekt: sero
agrum) Vinco bellum ich siege mit einem Kriege (dagegen mit
intransitivem Objekt: vinco hostem).
d. Intransitives Subjekt und intransitives
Objekt: Somnio somnum ich träume mit einem Traum. Eo
viam ich gehe mit einem Wege. Tremo artus?) ich zittere mit
den Gliedern. Vivo vitam ich lebe mit dem Leben. Luceo fa-
cem ich leuchte mit einer Fackel. Stilo rorem ich trópfele mit
Thau ?).
7) Nehmen wir z. B. verto, welches transitiv und intransitiv sein
kann (als noch kein Passiv existirte, konnte wahrscheinlich jedes Ver-
bum nach Belieben transitiv oder intransitiv gebraucht werden, die
Verbalwurzel wenigstens enthielt ohne Zweifel beide Bedeutungen), so
ist leicht verständlich, deB zwei Sätze wie agricola vertit , der Land-
mann macht wenden‘ und bos vertit ,,der Ochse wendet sich‘ zusam-
mengezogen werden konnten in agricola bovem vertit ,,der Landmann
wendet den Ochsen‘‘, wobei das Verbum im Verhältniß zu agricola
transitiv, im Verhältniß zn bovem intransitiv ist.
8) Das ist ein Graecismus, aber dieser Umstand thut nichts zur
Sache, denn im Griechischen steht es nicht anders. |
9) Die Klassen a und b enthalten die äußeren, die Klassen c und
Die Aktivbedeutung der Adjektiva auf bilis u. s. w. 289
Es ist selbstverständlich, daß dasjenige, was vom Objekt
ausgesagt ist, stets in causaler Beziehung steht zu demjenigen,
was vom Subjekt ausgesagt ist. Ich habe das auch durch die
Umschreibung anzudeuten gesucht und habe z. B. volvo lapides
paraphrasirt durch ,,ich rolle und daher rollen die Steine*. Be-
merkenswerth ist aber, daß wir in den vier Klassen, die ich
unterschieden habe, die vier Species des Kausalitätsverhältnisses,
Zweck, Ursache, Mittel, Art und Weise !”), finden, und ich schlage
daher folgende Bezeichnungsweisen vor:
Finaler Akkusativ (Zweck): volvo lapides (Klasse a).
Kausaler Akkusativ (Grund): fugio hostem (Klasse b).
Instrumentaler Akkusativ (Mittel): doceo artem (Klasse c).
Modaler Akkusativ (Art und Weise): stillo rorem (Klasse d).
In dieses System wurde Verwirrung gebracht durch die Aus-
bildung des Passivs. Das VerhältniB des Aktivs zum Passiv
entspricht nur dem des Subjekts zum finalen Objekt. Die übri-
' gen Arten des Objekts wurden entweder gewaltsam, den Ge-
setzen strengen Denkens zuwider, umgedeutet, so bei timere,
amare etc. vergl. oben S. 283, auch bei docere, rogare u. a. m.,
oder sie wurden nicht oder doch nicht deutlich mehr als Ob-
jekte empfunden.
Wir haben bisher einen wesentlichen Unterschied zwischen
Subjekt und Objekt nicht gefunden: der Gegensatz von Aktiv
und Passiv ist erst nachtrüglieh und unvollkommen hineinge-
tragen worden, der Gegensatz von Transitivum und Intransiti-
vum ist zwar wichtig für die Scheidung der verschiedenen Klas-
sen aber das Subjekt kann so gut wie das Objekt transitiv oder
intransitiv sein. Das unterscheidende Merkmal ist vielmehr: der
Bewußte, T'hätige wird als Subjekt, das Unempfindliche, nur Lei-
dende oder nur mechanisch Thätige als Objekt bevorzugt !!).
: Ich kehre zu dem Ausgangspunkt dieser Untersuchung zu-
rück : Die Bedeutung der Adjektiva auf bilis steht in naher Be-
ziehung zur grammatischen Kategorie des Objekts. Wie das
d die inneren Objekte. Stilo rorem und dergl. betrachte ich unbe-
denklich als Akkusative des inneren Objekts, vergl. Delbrück, Synt.
Forsch. 4 S. 30 unten.
10) Vergl. Wundt Logik I S. 132 und 182.
11) Ganz consequent ist das nicht durchgeführt, es widersprechen
z. D. die Impersonalia piget, pudet etc.
Philologus. N. F. Bd. 1,2. 19
290 Friedrich Hanssen, Die Aktivbedeutung u. s. w.
Objekt entweder leidend (Klasse « und d) oder nur mechanisch
thätig ist (Klasse b und c), so schließen sich die Adjektiva auf
bilis nicht an bewußt und selbstständig thätig sondern an lei-
dend oder nur mechanisch thätig gedachte Substantiva an; be-
sonders wichtig ist die Beziehung der instrumentalen und kau-
salen Adjektiva zu den instrumentalen und kausalen Akkusa-
siven. Wir sehen also, daß wir uns bei den Adjektiven auf
bilis ebenso wie bei der Lehre vom Akkusativ von den üblichen
Anschauungen über die genera verbi freizumachen haben !?).
12) Die griechischen Adjectiva auf -ros, die sich in
einem großen Theil ihres Bedcutungsumfanges mit den lateinischen
auf -biles decken, werden demnächst von Charles Edward Bishop
aus Petersburg in Nord-Amerika behandelt werden und es wird sich
dabei eine Bestütigung meiner Resultate ergeben.
Leipzig. Friedrich Hanssen.
Zu Apuleius.
A pol. cap. II p. 4,6 (Krueg.). igitur Pontianum fratris sui filium,
quem paulo prius occisum a me clamitarat, postquam ad subscribendum
compellitur, ilico oblitus est . [de morte cognati adolescentis] sin
subito taceret tanti criminis descriptionem , tamen ne omnino desi-
stere videretur calumnia magiae, quae facilius infamatur quam pro-
batur, eam solum sibi delegit ad accusandum. Die Stelle läßt sich
auf eine weniger gewaltsame Weise heilen, indem man subito ta-
cerem zu subiit tacere in ändert und mit V descriptione liest.
Demnach lautet sie oblitus est . de morte cognati adolescentis subiit
tacere in tanti criminis descriptione: tamen, ne omnino desistere vi-
deretur, calumniam magiae, quae facilius infamatur quam probatur,
eam solum sibi delegit ad accusandum. Zur Wiederaufnahme des
Objekts durch das Determinativum nach einem Relativsatze ver-
gleiche man IIII pag. 7, 6 Pythagoram, qui primum se esse phi-
losophum nuncuparit, eum sui saeculi excellentissima forma fuisse:
L pag. 60, 22 quod animi partem rationalem, quae longe sanctis-
8ima est, eam violet. :
Graz. M. Petschenig.
XV.
Zu Cicero’s Partitiones oratoriae.
Die nachstehenden Untersuchungen zu Ciceros Partitiones
oratoriae griinden sich auf folgende Handschriften: die Parisini
7231 (P) und 7696 (p), beide aus saecl. X = A, auf die
Erlangenses 848 (#7), 858 (B), 863 (Z) sowie den Redige-
ranns (E) und Vitebergensis (V), 5 Handschriften aus dem
XV. Jahrhundert. Hierzu kommt die editio Norimbergensis von
1497 (N), welche einen A nahe verwandten Text aufweist und
auf die gleiche Quelle wie die Veneta von 1485 zurückzuführen
ist. Die drei Erlangenses bezeichne ich, wo sie übereinstimmen,
mit E. Rücksichtlich der Handschriften selbst und ihres Ver-
hältnisses zu einander verweise ich auf das Programm der Kó-
nigl. Studienanstalt Zweibrücken 1886/87 von Dr. Ed. Stróbel.
Was zunüchst die durch die Aldina in unsere Texte ein-.
geführte Personenbezeichnung C. F. und C. P. anbetrifft, so ist
dieselbe ohne jede handschriftliche Gewähr. In den jüngeren
Handschriften variiert sie, theils fehlt sie ganz. So auch in p,
wührend die in P angewendeten Siglen auf Magister und Disci-
pulus führen. Man wird daher künftighin bei einer Ausgabe
gut thun, entweder, wie es in p häufig geschah, den Personen-
wechsel allein durch Zeilenbrechung oder durch die groBen An-
fangsbuchstaben der in dem Dialog selbst gebrauchten Bezeich-
nungen Cicero und pater zu markieren. Ich gehe jetzt zur Be-
sprechung einzelner Stellen über.
$ 3 wird von der eigentlichen Thätigkeit des Redners ge-
sprochen, welche sich anf Inhalt und Form, auf die Herbei-
19*
292 W. Friedrich,
schaffung des Materials und dessen Anordnung, sowie auf den
angemessenen sprachlichen Ausdruck und im Anschluß daran
auf den Vortrag beziehen soll. Mit Bezugnahme auf den letz-
teren heilt es: Vox motus voltus atque omnis actio eloquendi comes
est. Daran schließen sich in der Vulgata nach E die Worte
earumque rerum omnium memoria. Aber durch que wird das letzte
Satzglied zu eng an den Begriff der acto gekettet, während
doch die memoria viel eher für die Resultate der vorhergenannten
Thätigkeiten, der inventio collocatio und elocutio, Hauptsache bil-
det und bilden muß. Vgl. Cornif. I 3. III 28. de inv. I 9. de
or. I 18. 142. II 355. Br. 219. Nun lesen wir in AV: comes.
si earum rerum omnium memoria. Es wird daher nach R comes
est. Sed earum rerum omnium memoria zu schreiben sein. Viel-
leicht auch, daß die von der bei Thomas Richard Paris
1555 (Rich.) erschienenen Ausgabe sowie von Lambin beibe-
haltene Wortstellung omnium rerum aus EN nach de opt. gen.
$ 5 vorzuziehen ist, da auf omnium ein ganz besonderer Nach-
druck ruht.
$ 6 ist vor allem nach A der Text so zu geben: divinum
est ut oracula auspicia, ut vaticinationes et responsa etc. Vgl. Dri-
ger hist. Synt. II S. 207. Vor auspicia schoben HR ut, BN et,
Z aut ein. Fiir das zweite ut geben aut VZ, fiir das folgende
et aber ut HBN. Zu est, welches nur in R fehlt und das auch
Strôbel beizubehalten wünscht, vgl. in Pis. 8.
$ 9 überliefern die codd. mit N: cum inveneris collocare
cuius in (om. AVN) infinita quaestione (quaestio est AV) ordo (est
ordo HB, ordo est RZN) idem fere quem exposui locorum etc.
Darnach liegt es am nächsten zu schreiben: Cum inveneris, collo-
care: cuius în infinita quaestione ordo idem fere, quem exposui lo-
corum; etc. Die Einfügung eines est vor oder nach ordo oder
gar nach idem mit Kayser halte ich an unserer Stelle für um
so weniger nothwendig, als sich ein solches bei folgendem sunt
in der Unterhaltung leicht überspringen ließ, alle anderen Ver-
suche aber die einfache Verderbnif) infinita quaestio é in AV aus
in infinita quaestione, welches das parallele Glied zu dem in de-
finita des folgenden Satztheiles bildet, in anderer Weise zu er-
klüren und zu heilen für weiter abliegend und somit verfehlt.
$ 11 Quas res sibi proponit steht in AVR. In C ist pro-
ponet durch Assimilation der Endung an das vorausgehende
Zu Cicero’s Partitiones oratoriae. 293
habet entstanden. Umgekehrt behalte ich $ 19 nach AR dilu-
cidum fiet bei. Der Wechsel zwischen Futurum und Praesens ist
in unserer Schrift nichts seltenes und schon von Strôbel S. 38
bemerkt. Den Ausschlag in solchen Fallen kann nur die bes-
sere Ueberlieferung geben.
$ 19 u. ff. erklirt Cicero die Gedanken- und Wortfiguren,
von denen er in § 21 das suave genus dicendi zunächst mit Be-
zugnahme auf den einzelnen Ausdruck und dann, wie $ 72, auf
die Periodenbildung behandelt und zwar diese zuerst von nega-
tiver (quae neque etc.), dann von positiver Seite betrachtet mit
folgenden Worten: et sit circumscripta non longo anfractu, sed ad
spiritum vocis apto habeatque similitudinem aequalitatemque verborum.
Letzteres Satzglied wollte Piderit ganz unrichtiger Weise auf
den sich gleichbleibenden allgemeinen Charakter des Stils, sei es
genus dicendi grave oder tenue oder medium, bezogen wissen, wäh-
rend dasselbe doch, wie aus $ 72 hervorgeht, den Collektivbe-
griff abgiebt, der im folgenden in seine einzelnen Glieder auf-
gelóst wird. Dieses erkannten schon die alten Interpreten Stre-
baeus, Latomus, Hegendorphinus, Ioannes a Fossa und der Com-
mentator anonymus, von denen ersterer sagt similitudinem referre
ad concordiam verborum, aequalitatem ad parem vel fere parem
magnitudinem. Es ist daher bei vorausgehendem Komma ent-
weder nach N (qui) mit cum oder mit ut statt des überlieferten
tum fortzufahren, wodurch wir in noch einfacherer Weise als
durch seine Aenderungen Schiitz den an unserer Stelle geforderten
Gedanken erreichen. — Bei den folgenden Worten, glaube ich,
hat man sich lediglich an A zu halten, in welchem der Text so
lautet: ex contrariis sumpta verbis verba, paribus paria respondeant,
Natürlich ist zu verbis ein quae ex contrariis sumpta sunt zu er-
günzen. Ganz dieselbe Kürze im Ausdruck finden wir vor Or.
§ 38: ut verba verbis quasi demensa et paria respondeant und
§ 220: aut quae similiter cadunt. verba verbis comparantur. Auch
läßt sich hierher § 164: sive opponuntur contraria ziehen, wäh-
rend wir $ 220 die volle Form aut contrarium contrario oppo-
nitur lesen. Die jüngeren Handschriften (HB fehlen bis in den
Anfang von $ 25) und alten Ausgaben geben an unserer Stelle
sämmtlich für verbis verba die durch keine einzige der in den
rhetorischen Schriften Ciceros so zahlreichen Parallelen gestützte
Lesart verbis, ercbra crebris. — $ 22 fährt Cicero mit der Auf-
294 W. Friedrich,
zahlung der significanten Merkmale der oratio suavis fort. Fiet
etiam suavis oratio, quom aliquid aut tu aut inauditum aut novum
dicas A. Für tuum hat invisit tuum R, inusitatum V (ohne die
beiden aut), tuversus Z, diversius N. Seit Aldus steht invisum in
den Ausgaben. Allein während Zusammenstellungen von novum,
inauditum, inusitatum nichts ungewöhnliches sind, lesen wir bei
Cicero invisum mit inauditum nur einmal de har. $ 57 und zwar
hier mit pointierter Schärfe nebeneinander gestellt. Nach dem
Wortreste in A zu schlieBen werden wir entweder inusitatum oder
invisitatum schreiben müssen. Ich ziehe ersteres vor. — Die
Vulgata lautet weiter: Delectat enim quidquid est admirabile
mazimeque movet ea, quae motum aliquem animi miscet, oratio etc.
So hübsch sich auch das enim auf den ersten Blick ausnimmt,
insofern als admirabile dann die drei vorausgehenden Begriffe
inusitatum , inauditum und novum prädikativ in sich zusammen-
zufassen scheint, ist es doch falsch. Vielmehr soll mit Delectat
das admirabile als ein neues Moment eingeführt werden, wel-
ches, wie der mit mazimeque explicativ fortgeführte Satz besagt,
durch das Pathos und Ethos der Rede hervorgerufen wird.
Unserer Stelle entspricht genau Or. $ 128 Duo restant enim, quae
bene tractata ab oratore admirabilem eloquentiam faciant, quorum
alterum ete. Es ist daher mit ARN Delectat etiam zu schreiben.
An animi miscet nahm schon C. F. W. Müller Progr. Landsberg
1865 S. 18 Anstoß. Piderit erklärte „die irgend eine heftige
Gemüthserregung hervorbringt, die Gemüther in Aufregung (Gäh-
rung) versetzt" und verwies auf de or. I $220. Nun aber setzt
doch wohl die Grundbedeutung von miscere immer ein mehr als
eins von Objekten voraus, wie denn in der That auch dieses an
der angeführten Stelle (und ebenso II 203) im Plural steht.
Wir müßten daher ebenfalls hier motus aliquos lesen. Ferner
beruht die Vulgata nur auf RVZ. In A dagegen steht ani-
miscit. Vgl. Priscian I 457 und 508 ed. Krehl. Wir werden
somit künftighin animis cit oder, da sich für das Verbum cire
sonst bei Cicero kein Beispiel zu finden scheint, animis ciet schrei-
ben müssen. Vgl. Neue, Formenlehre II 430. Müller vermu-
thete, daß motum animi ciet zu lesen sei. Aus demselben Satze
ist noch erwühnenswerth die Lesart aus A aut signando iu-
dicio ipsius et animo humano ac liberali d. h. dadurch daB man
seiner Rede- und Denkweise die Merkmale eines nicht nur hu-
Zu Cicero’s Partitiones oratoriae. 295
manen, sondern auch vornehmgesinnten Mannes aufprigt, solche
gleichsam vor aller Augen stellt (ad inspiciendum Or. 37. Br.
220 pr. Arch. 14), wie die Münze ihr Gepräge. Vgl. Or. 64:
Das scheinbar näherliegende significando der Vulgata entsprang
aus dem kurzvorhergehenden significat.
§ 23 geben Est quidem id genus totum in commutatione ver-
borum ARN, nur daß für id in P ut steht, in R hinter quidem
ein unverstindliches cinum mit einem iiber c nach auswirts ge-
bogenen Haken sich findet und nach totum N situm ut einschiebt.
Ich halte den von p unverändert gegebenen Text fiir tadellos,
denn durch quidem wird der von dem jungen Cicero gebrauchte
Ausdruck mutata bekräftigt. In V ist quidem in ne ita ne ver-
derbt, wobei das erste ne. von 2 interpungiert wurde, in Z steht
ita neque mit der Verstellung genus id. Beide haben auch hinter
totum die Glosse situm im Texte. — Im Folgenden, wo von der
Einschrinkung im Ausdruck die Rede ist, findet Piderits Con-
jektur circuitus dirimuntur Stróbels Beifall Nur wünscht er der
Ueberlieferung noch näher zu kommen und schlägt für diriguntur,
was die Handschriften geben, digeruntur zu schreiben vor. Piderit
nun erklürt ‘auch dadurch wird commutatio verborum mittelst der
contractio bewirkt, daß die längeren Perioden aufgelöst und die
Gedanken dann membratim und incisim ausgedrückt werden’.
Gerade das Gegentheil aber behaupten die alten Interpreten
Strebaeus, Latomus, Ioannes a Fossa. Letzterer mit den Worten:
circuitus sive pertodos licet pauciora complectatur verba, tamen quia
dicentis spiritus non requiescit, nec audientis intentio, ideo natura est
brevior oratione membris et incisis distincta. An einem gefälligen
Beispiel macht diesen Satz Strebaeus klar. Und in der That
bestätigt die Ansicht der letzteren, was Cicero von dem Gegen-
theil der contractio, dem dissolutum $ 53 sagt: soluta, quae di-
cuntur sine coniunctione , ut plura videantur, womit Quintil. IX 3,
50, wie auch Aristot. Rhetor. III 12 (1413^ Schluß) zu ver-
gleichen ist.
$ 25 lautet die Vulgata: Facit enim et dilucidam orationem
. sed varietate vocis, motu corporis, voltu, quae plurimum va-
lebunt etc. Allein voltu, quae stützt sich nur auf die Lesart von
EVN voltuque, das sich in E zu vultusque quae erweitert hat,
während in A ac voltus quae gelesen wird. Ich schreibe habitu
voltus, quae und stelle so die Symmetrie mit den zwei vorausge-
296 W. Friedrich,
henden Gliedern wieder her. Vgl. de fin. III 56 und de nat.
deor. I 99.
$ 26 ergiebt der Zusammenhang in quo imprimuntur ipsae
notae als die richtige Lesart. So A. In den übrigen Hand-
schriften ist aus ipsae, wie nicht selten anderswo, so auch hier
illae gemacht worden.
$ 27 ist vel plurimum sprachlich wie inhaltlich falsch, da
vel sich an unserer Stelle nicht mit dem vorausgehenden quoque
vertrigt und diese gesteigerte Ausdrucksweise vel plurimum nur
auf die Gemiithserregung, nicht auf die Form der Beweisführung
Beziehung haben durfte. Vel entstand durch Vorwegnahme des
folgenden valet, wie die Lesart valet vel plurimum valet in Z zeigt.
In PB fehlt es daher mit Recht. — Die folgenden Worte lauten
nach AR est enim amplificatio vehemens quaedam argumentatio: ut
illa docendi causa, sic haec commovendi. Auch fiir N war dieses
Vorlage, wie aus der Interpunktion daselbst nach causa hervor-
geht. Doch steht hier sit an Stelle von sic, wie in EV, wel-
chen die Herausgeber folgen und demgemäß interpungieren.
Haec aber bezieht sich auf amplificatio, sowie illa auf das vor-
ausgehende ad fidem, womit, wie z. B. $ 46, top. 98, die conjir-
matio bezeichnet wird. Der Fehler erklürt sich aus dem in P
von einem Glossator hinter commovendi iiber der Zeile hinzuge-
fügten sit. — Da die comparative Ausdrucksweise ut — sic in
unserer Schrift häufiger vorkommt (vgl. $ 2, 18, 26, 44), so
móchte vielleicht auch § 31 narremus (Z narramus) sich nur dem
mißverstandenen ut anbequemt und der Text ursprünglich Nam
ut dilucide probabiliterque narrare necessarium est, sic adsumi-
mus etiam suavitatem gelautet haben. Wenigstens ist die Ver-
wechslung von sed, si (so R), sic in den Handschriften nichts
seltnes. Das Fut. adsumemus steht nur in V, der Conj. adsu-
mamus in HB. -
§ 30 Sit autem hoc etiam hat C etiam hoc, was Strobel bil-
ligt, p. Ist letztere Lesart die Richtige, dann empfiehlt es sich
mit Heusinger autem zu streichen. In demselben Satze ist wohl
um des adverbiellen Zusatzes ad adversario willen dictum aliquid
mit RVZ zu schreiben.
$ 34 giebt Cicero je ein Beispiel von dem accidentiellen und
von dem wesentlichen Merkmale eines Begriffes. Sed appellemus
docendi gratia veri simile, quod plerumque ita fiat, ut adulescentiam
Zu Cicero's Partitiones oratoriae. 297
procliviorem esse ad libidinem, propriae autem notae argumentum,
quod numquam aliter fit certumque declarat, ut fumus ignem. Aber
notae beruht nur auf R. Dafiir haben notatur A, notatur cum V,
nota! cum HN, nota è Z, notatum B. Vorher steht, wenn auch
dieser Umstand nicht ausschlaggebend ist, in allen Handschriften
außer B proprie. Ich glaube daher, daß wir proprie autem no-
tatum aufnehmen müssen. Vgl. $ 61. Ferner hat A sit, nicht fit,
AR declaret, entsprechend dem vorausgehenden fiat. Und mit
Hecht, da auch dieser Satztheil als noch unter der Einwirkung
von appellemus stehend ein subjektives Urtheil ausdrückt. Zu
aliter sit vgl. Reisig (Landgraf-Schmalz) Vorl. der lat. Sprachw.
Anm. 392.
$ 38 ist die Lesart cum aliter cecidit quam putatum est aus
A bemerkenswerth. Vgl. Seyffert-Müller Lael. S. 129, Draeger
hist. Syn. II 623. Ferner sit etiam AR. Vgl. $74. Am Schluß
will Stróbel Hac gitur materie ad argumentum subiecta perlustrandae
animo partes erunt omnes etc. lesen. Aber hac beruht nur auf
p. In P steht hae, in HB hee, V he, Z heae, HN hui’. Auch
würde der Abl. materie (vgl Reisig-Hagen A 94) sich dann nur
(nach Neue) an unserer Stelle finden. Allerdings beruht sub-
iecla auf AHB. Ich halte Haec igitur d. i., wie Piderit sagt,
‘die genannten verschiedenen Theile’ für die ursprüngliche Les-
art und durch diesen nicht verstandenen plur. fem. gen. die Aen-
derung subiecta aus subiectae veranlaßt.
$ 39 schreibt man seit Orelli u£ telum, cruor, clamor, eiu-
latus. Letzteres Wort steht allein in V, in dem es eine junge
Hand für das ausradierte editus der Vulgata einsetzte, wührend
ABZN auditus, HB editus bieten. Eiulatus hat somit keinen hö-
heren Werth als den einer Conjektur. Wenn nicht auditus
(editus) eine Zuthat aus Cornif. II 8 ist, móchte ich es für eine
VerderbniB aus dem ebenfalls daselbst stehenden crepitus halten,
nachdem CR hinter OR verloren gegangen war. — Wie die ge-
nannten vier Ausdrücke sich auf den Ort der That, so beziehen
sich die folgenden auf die Person des Angeklagten nach der
That in progressiver Reihenfolge titubatio, permutatio coloris,
oratio inconstans, tremor, woran sich die Worte et eorum aliquid,
quod sensu percipi possit schließen. Aber et kennt nur RN.
Ferner steht eo% alto. (alog P) quid quod (quid P) in A. Ist
eorum etwas anderes als eine Verschreibung, neben welche oder
298 W. Friedrich,
tiber welche zuerst die Correktur dazu aliorum gesetzt wurde,
dann kônnte es vielleicht aus dem abbrevierten corporis verlesen
und tremor <corporis>, aliorum quid, quod zu schreiben sein.
$ 40. Veri similia autem partim singula movent e suo pon-
dere A. In den jüngeren Handschriften fehlt die Präposition.
Aber durch dieselbe gewinnt dieser Satztheil etwas selbständi-
geres. Es heißt dann ,in Folge ihres Gewichtes, wenn sie ge-
wichtig sind“ und es entspricht diese Wendung besser dem fol-
genden cum sunt coacervata.
$ 44 Aut totum est negandum . . . aut redarguendum ea,
quae pro veri similibus sumptu sunt sichern PEV. Zudem führt
auf diese Lesart redarguendom in p, welches p? und nach ihm
RN in redarguendo verderbten. Auf dem Verbum soll der Nach-
druck liegen. Vgl § 77. — Untadlich erscheint mir ferner
in PN folgender Text Accidere autem oportet: ut singula, sic uni-
versa frangentur. In p ist ut in de, in C in ad verschrieben. —
Es folgt Commemoranda sunt etiam exempla, quibus simili in dispu-
tatione creditum non sit. Die Prüposition in fehlt in simmtlichen
Handschriften. Dagegen steht in A sit hinter quibus. Ich
schreibe daher in simili disputatione. Am Abschluf des Satzes
nahm Kayser nach AV mit Recht est auf, denn der Relativsatz
muß hier das Thatsächliche und Wirkliche enthalten. Zu Gun-
sten der Vulgata sit beruft sich Ströbel auf den folgenden Satz
.8i ... sit exposita. Allein hier ist der Conjunktiv ein potentialer
und somit ganz anderer Natur. Auch der Ursprung der fal-
schen Interpunktion in A4 Non est (conquerenda) ist leicht be-
greiflich und diese kein Grund sich für das hier inhaltlich
unzureichende s zu erwürmen.
$ 45. Die den Zusammenhang stórenden Worte quae sumpta
. . dilucide est fehlen in HB ganz und sind schon von Er-
nesti auf Vermuthung hin, nach ihm von Schütz für unücht er-
klärt. — Plane ipsum istuc (requiro), wie Strébel auf Grund-
lage der Handschriften zu schreiben mit Recht empfiehlt, steht
in N.
$. 46 wird das analytische und synthetische Beweisverfah-
ren erörtert. Von ersterem heißt es in unseren Texten: Diri-
gitur , cum proposuit aliquid, quod probaret sumpsitque ea, quibus
niteretur, atque his confirmatis ad propositum se rettulit atque con-
Clusit, Piderit erklärte: „das Beweisverfahren schreitet in ge-
Zu Cicero’s Partitiones oratoriae. 299
rader Richtung vorwärts da, wo man mit der propositio beginnt".
Um ein Subjekt zu proposuit zu gewinnen, nahm Schütz nach
Purgolds Vorgange aquis für aliquid auf. Aber Piderits Er-
klärungsversuch scheint der Wahrheit näher zu stehen. Nur
muß auch sprachlich das von ihm angenommene Subjekt zum
Ausdruck gebracht werden. Nun haben aber AEN nicht diri-
gitur, welches seine Entstehung einer falschen Bezüglichkeit auf
das voraufgehende ad motum verdankte, sondern de re igitur in
ihrem Texte stehen. Ich glaube daher, daß mit Bezugnahme
auf den Ausdruck derecto spectat, welcher jetzt definiert werden
soll, derecta igitur zu schreiben ist, wozu sich das bei der un-
mittelbar folgenden Definition des synthetischen Beweisverfahrens
gebrauchte argumentatio schon hier aus dem vorausgehenden ar-
gumentandi leicht hinzuhóren läßt. So haben wir an der Spitze
das gemeinschaftliche Subjekt und im Anschluß daran den Vor-
dersatz stehen. Den Nachsatz gewinnen wir, wenn wir nach A
atque streichen und ihn mit his confirmatis beginnen lassen. Aber
auch so erscheint die ganze Stelle noch nicht heil. Ohne jeg-
liche Beziehung auf Nebenumstünde wird hier ein Begriff defi-
niert, der für alle Zeitverhältnisse als unabünderlich angesehen
werden soll. Was sollen da die Perfecta bedeuten ? Piderit
sowie die alten Interpreten bewegen sich bei ihren Erklärungen
einfach im Prüsens. Auch die folgende Definition schreitet im
Präsens vorwärts: sumit, confirmat, iacit. Durch die Annahme
eines mit quom eingeleiteten Vordersatzes nun sind proposuit und
sumpsit gesichert. Dagegen halte ich die folgenden Perfekta
rettulit und conclusit. durch Tempusassimilation entstanden und
glaube, daB ursprünglich Aehnliches wie sese (so AN, Ald.
Lamb. Rich.) revolvit atque concludit den Abschreibern vorlag.
Zu revolvere vgl. Cornif. II, 27, de or. II 130, de div. II 13,
Lucullus 18, Tusc. I 12. Allerdings steht hier überall, wenn
auch in medialem Sinne, nur die passive Form.
$ 47. Est etiam illa varietas in argumentando et non iniu-
cunda distinctio, cum ete. geben richtig AN. Das von C vor cum
eingeschobene und ein Beispiel einfiihrende ut ist wegen des vor-
ausgehenden, auf bestimmte Einzelnheiten hinweisenden ila, so-
wie wegen des im abschließenden, explicativen Relativsatze (quae
sunt „denn das sind“) enthaltenen cum aliis compluribus einfach
incorrekt.
300 W. Friedrich,
$ 49 utendumque exemplis, si quis testibus etc. A ohne Tadel,
Das in C (außer H) theils vor theils nach exemplis, mit Auslas-
sung von si, eingeschobene est ist ebenso unnäthig, wie es sunt
bei dem folgenden comparandique sein würde. In gleicher Weise
aber sind mit si, aus welchem Stróbel für A est herstellen will,
auch die folgenden einzelnen Satzglieder si natura vani, si leves,
sí cum etc. eingeleitet. Zu quis vgl. Reisig A 222.
$ 50. Die schwierige Stelle multi in tormentis ementiti per-
saepe sint morique maluerint falsum fatendo quam verum infittando
dolere sucht Sauppe (Gott. gel. Anz. 1867 S. 1872) mit fol-
genden Worten zu erklären: ,,Viele haben sich vor Schmerz
so gefürchtet, daß sie lieber durch Bekennen dessen, was sie
nicht gethan, den Tod auf sich nahmen, als mit Ablüugnung
dessen, was sie gethan, die Folter trugen. Es ist also eher zu
erwarten, daß jemand fälschlich bekennt, was er nicht gethan,
und stirbt, als dalì er liugne, was er gethan, und der Folter
trotze^. Aber setzte diese Interpretation nicht ein plures statt
multi als Subject zu maluerint voraus? In all den vielen ein-
zelnen Fällen nun eines peinlichen Verhörs konnte doch das
Objekt jedesmal nur ein einzelnes und einheitliches sein, wobei
die Frage sich so gestaltete, ob der Delinquent gethan oder
nicht gethan, ob er wußte oder nicht wußte (vgl. Cornif. II 10),
was man ihm Schuld gab. Es konnte sich aber niemals um
das Zweierlei handeln, was der Delinquent gethan und was
er nicht gethan oder was er wußte und was er nicht wußte,
wie wir es bei der obigen Erklärung annehmen müßten. Da-
her kann der Sinn unserer Stelle nur der sein, daß der hier
Vortragende die jedesmalige Stellungnahme des Gefolterten zu
der an ihu gerichteten Frage in Betracht zog und als Resultat
fand, daß die Gesammtzahl derselben, welche mit multi hier als
eine große, aber unbestimmte bezeichnet wird, lieber ja sagte zu
dem, was nicht war, als nein zu dem, was nicht war, um so
den weiteren Folterschmerzen zu entgehen. Das Objekt also
war für jeden einzelnen Fall stets dasselbe. Es konnte jedoch
je nach der Stellungnahme der Betheiligten sowohl mit falsum
als verum bezeichnet werden, als ein falsum in Wirklichkeit und
im Sinne des Gefolterten, als ein verum in der Nichtwirklichkeit
und im Sinne des Richters. Nur verlangten dann gleiche Sub-
Jekte auch gleiche Prädikate bei conträren Objekten, sowie bei
Zu Cicero’s Partitiones oratoriae. 301
gleichen Objekten contrüre Prüdikate. Und da an unserer Stelle
dasselbe Objekt durch conträre Ausdriicke bezeichnet wird, so
sind hier nur synonyme Prüdikate denkbar. Es ist somit infi-
tiando eine Glosse, die als aus dem Sinne des Richters gedacht
und über den ursprünglichen Ausdruck hinzugeschrieben das ei-
gentliche verum regierende Verbum aus dem Texte verdrüngt
hat. R schrieb an den Rand verum inferendo. Wohl kaum rich-
tig. Ich vermuthe Aehnliches wie defendendo oder dicendo. Für
letzteres kónnte Quintil. V 4, 1 und Halm Rhet. Lat. 404, 35
sprechen.
S 54. Haec igitur în verbis, quibus actio congruens et apta
ad animos permovendos accommodata est C. Erst N und Lamb.
schrieben accommodanda. Ich halte diese Aenderung nicht für
nóthig. Auch im vorausgehenden Stück war die Darstellung
zumeist eine vortragende, nicht eine Vorschriften ertheilende.
Die letztere hebt erst wieder mit dem folgenden einschrün-
kenden sed ‚indessen‘ an. Ich fasse congruens et apta als einen
Begriff (vgl. de or. III 53), den ich in Verbindung mit quibus
durch et si iis congruens et apta est auflóse (vgl. $ 25, de or. III
222) und verbinde ad animos perm. mit dem folgenden Verbum.
Die in den Handschriften vor congruens eingefügten Worte vocis
(vobis A in vocis R) et gestus halte ich mit Sauppe für ein Glos-
sem, welches ursprünglich zu Unterrichtszwecken übergeschrieben
die Haupttheile der actio bezeichnen sollte und dann sich in den
Text gedrängt hat.
$ 55 maximeque valent A (in P Schluß der Seite), mazimeque
et defiuitiones valent VHB(Z etiam), maximeque definitiones valent
R und die Ausgaben, maximeque valent definitiones et N. Wir
werden demgemäß wohl richtig maximeque valent et definitiones
conglobatae etc. schreiben, wobei die Bezüglichkeit des Verbums
auf alle Glieder scháürfer hervortritt.
$ 56. Ex üs et cohortationes . . . et miseratio nascitur :
nihil est enim tam miserabile quam ex beato miser schreibe
ich. Vor nihil hatte sich in die Texte der Handschriften die
Randbemerkung zu der folgenden Auseinandersetzung gestohlen:
Proprius locus augendi in ws rebus aut amissis aut mittendi peri-
culo, Die Varianten dazu sind locus est VN etiam locus est Z,
augendus Z, his VRZN, amittendi VR amittendis ZN; HB fehlen
bis § 65. Schon Lambin strich einen Theil des Satzes und ge-
302 W. Friedrich,
staltete in Anschluß an nascitur aus dem Reste ex sis rebus aut
amissis aut amittendis, Worte die jedoch bei dem folgenden quae
amittat aut amiserit durchaus iiberfliissig sind und an unserer
Stelle nur den Zusammenhang stôren.
§ 61 bestimmt Cicero das Wesen des genus finitum und in-
finitum, sowie ihr Verhältniß zu einander. Letzteres bei Kayser
mit folgenden Worten: Sed est propositum latior quasi para causae
[quaedam et controversiae]; inest enim infinitum in definito et ad
illud tamen referuntur omnia. Ohne Zweifel sind nach dem hand-
schriftlichen Apparate (vgl. Stróbel S. 39) und nach dem ver-
schiedentlich lautenden Texte dieser Stelle in den älteren Aus-
gaben die von Kayser eingeklammerten Worte unücht. Vgl.
top. $ 80. Aber was soll ferner das gleichfalls in der Topik
fehlende Zatior bedeuten, welches durch keine andere handschrift-
liche Autorität als den Palat. V gestützt, in dem die ganze
Stelle schwer verderbt ist, erst durch Schütz in unsere Texte
eingeführt wurde? Wie kann man die hypothesis in einem Athen
eine Erweiterung, um mit Piderit zu reden, oder Verallgemei-
nerung der thesis und zugleich wieder einen Theil derselben
nennen? Fal man die hypothesis eben als eine Erweiterung der
thesis auf, dann würde erstere richtiger Weise nicht mehr mit
pars, sondern nur mit genus bezeichnet werden dürfen (vgl. $ 69),
wie aus den gerade von Piderit angeführten Stellen de or. II
133 und Or. 45 klar hervorgeht. Daß aber dieses nicht der
von Cicero hier gewollte Gedanke ist, ergiebt sich aus top. $ 80.
Nun lesen wir in EVZ Sed est consultatio quasi pars, in AN Sed
propositum latio (latius N) quasi pars. Es wird demnach dieses
latio nichts weiter sein als der Rest des in der Vorlage von A
übergeschriebenen est consultatio und ist somit zu streichen, wie
denn in der That Lamb. in zwei alten Handschriften propositum
ohne dasselbe vorfand. Auch est halte ich bei folgendem nest
enim für durchaus überflüssig.
$ 62 quod refertur ad faciendum quid AN ad efficiendum quid
C. Das Simplex jedoch verlangen das Folgende und die $ 67,
top. 82 und 86 angeführten Beispiele. Vgl. de or. III 118.
Auch kónnen nur diesem die beiden nachher folgenden contrüren
Verba persequi und declinare als ihrem gemeinsamen Oberbegriffe
gleichmäßig gut untergeordnet werden.
$ 65 lesen wir lilius autem generis . . . duo sunt genera.
Zu Cicero’s Partitiones oratoriae. 303
Wir müßten also neben generis als Gattungsbegriff noch genera
im Sinne von Unterabtheilungen verstehen. Dafiir hat Cicero
aber den Ausdruck species oder forma. Vgl. top. $ 30 und 31.
Genera ist einfach zu streichen. — Quorum in altero disputandum
est aliud an idem sit, ut pertinacia et perseverantia C. Aber die
vergleichende, nicht die verbindende Kraft muB hier überwiegen.
Vgl. Reisig § 235. Dräger II 26. Richtig daher die Lesart
von AN pertinacia perseverantia d. i. an pertinacia sit perseverantia.
Vgl. top. 47.
§ 69 werden die bekannten drei Redegattungen entwickelt.
Die Vulgata lautet: Et earum quidem forma duplex est: quarum
altera delectationem sectatur. aurium; alterius, ut obtineat, probet et
efficiat quod agit, omnis est suscepta contentio. Indessen A (in
welchem die Worte altera — aurium fehlen) und E bieten in
altera ius, wie mir scheint, das Richtige. Denn dann werden
durch die gewählten Ausdrücke die unterscheidenden Merkmale
beider Unterabtheilungen der zweiten Klasse schon mit ange-
zeigt, ius als Objekt des genus iudiciale steht parallel dem quod
agit des genus deliberativum und der beiden Redegattungen ge-
meinschaftliche Begriff des probare (de or. II 115) halt die Mitte.
Auch ZN führen auf unsere Lesart insofern als beide altera
ohne ius haben, welches vor ut leicht verloren gehen konnte.
Zur Stellung von ius ut vgl. § 29, top. 2, 97, Zumpt Gr. 356,
Reisig 318, 471 c. Die cop. Conj. et nach probet fehlt in A
und ist schon von Sauppe gestrichen. Schließlich werden wir
nun auch aus N das in den Handschriften vor omnis ausgefallene
unde (d. i. vom Rechtsfall und dem Berathungsobjekt aus) wie-
der aufnehmen dürfen. Ich schreibe demnach an unserer Stelle
altera ius ut optineat, probet, efficiat quod agit: unde omnis est sus-
cepta contentio.
$ 71 lese ich nach der besser bezeugten Ueberlieferung
Conficitur autem genus hoc dictionis narrandis exponendisque factis,
quod sine ullis argumentationibus ad animi motus leniter tractandos
magis quam ad fidem faciendam aut confirmandam accomm o-
datur. Denn quod, was die Vulgata wegläßt, sichern AN, ac-
commodatur (-dantur p) mit diesen auch VZ, wührend accommo-
date nur durch HB, accommodatae durch E (so auch Ald.) über-
liefert wird. Der Gedanke ist dieser: Ihre Bestimmung und ih-
ren Abschluß findet diese Redegattung schon in der Erzählung
304 W. Friedrich,
und Darstellung von Geschelinissen, denn sie bedarf keiner Be-
weisführung und paßt sich dem Gedanken an, mehr die Zuhörer
zu erwürmen als ihnen eine Ueberzeugung aufzureden oder sic
in der schon vorhandenen zu bestürken.
$ 72 ist von der Diktion im genus demonstrativum die Rede.
Die Vulgata (seit Ald.) utendum erit tis in oratione singulorum be-
ruht theilweise auf R, insofern als hier wirklich ts in steht,
während alle anderen Handschriften in is stellen. Aber auch
R giebt mit diesen oratione et singulorum. Kayser zog daher
mit Recht letztere beiden Lesarten für seinen Text vor, nur
schloB er mit Unrecht oratione in Klammern ein, da es durch-
aus unerfindlich erscheint, wie und wozu dasselbe als Glosse in
den Text gekommen sein sollte. Vielmehr glaube ich, daß man
vor (oder nach) oratione den Ausfall eines dasselbe: näher be-
stimmenden Adjektivs, etwa ornata (vgl. sogleich nachher $ 73
ornamenta), annehmen muß, zu dem die folgenden Ablative in-
signibus und ipsa constructione in einem instrumentalen Verhilt-
nif stehen würden. Vgl. de or. I 50; II 36, 145, 341—349 ;
III 53, 96, 152, 170; Or. 134, Br. 275.
$ 73 monstris prodigiis et oraculis C. Nur R läßt et weg.
Sollte nicht in et der Ueberrest von extis stecken ? Vgl. top.
77, de div. I 28.
§ 74. Postea de corporis bonis; in quibus quidem, quae vir-
tulem maxime significat, facillime forma laudatur haben die Aus-
gaben. Nur Lamb. schrieb mit Streichung von quidem nach
einigen seiner Handschriften quod und Kayser mit Beibehaltung
jenes Adv. quia virtutem. Durch diese Aenderungen indessen
wird der Gedanke, welchen die Vulgata enthält, nur um ein
Unwesentliches modificiert. Ihm aber widerspricht entschieden
de or. II 342: Genus, forma, vires etc. non habent in se veram
laudem, quae deberi virtuti uni putatur; etc. Davon also, da die
äußere Gestalt ein Merkmal und noch dazu das bedeutendste
innerer Tüchtigkeit sei, wird auch an unserer Stelle nicht die
Rede sein können. Nun geben aber die Handschriften einstim-
mig mit N quasi statt quae, ferner quid AN quod HBRV und
nur Z quidem. Wir werden daher in quibus, quod quasi virtutem
maxime significat, facillime forma laudatur nach der Ueberlieferung
zu schreiben haben. Zu quasi vgl Reisig A 415 i.
$ 75 aut multa et varia facta in propria virtutum genera sunt
Zu Cicero’s Partitiones oratoriae. 305:
digerenda etc. Das letzte Wort setzten Schiitz und Orelli an-
geblich als Conjectur Lambins in den Text. Aber schon dieser
fand, wie er selbst sagt, digerenda als Lesart vor. Auch steht
sie in der Richardiana und dem Strebaeus scheint sie vorge-
legen zu haben. Alle übrigen alten Herausgeber dagegen lesen
mit unseren Handschriften dirigenda. Ich stehe nicht an, diese
Lesart beizubehalten und sie mir so zu erklären: ,,Die Thaten
eines Mannes, auf den eine Lobrede gehalten werden soll, sind
in der Art darzustellen, daf sie sich in die verschiedenen Kate-
gorien der Tugend einfügen“. Denselben Gedanken drückt Cic.
$ 82 durch ad genera accommodabuntur aus.
$ 79 quae ex eodem hausta genere, quo illa quae în disputando,
est uberior atque latior AN tadellos. Dagegen est, uberior est
RVHB und die jüngeren Herausgeber (seit Ern.), est uberior ex-
tatque Z, uberior est Aldus und mit ihm die älteren Ausgaben.
$ 81. In der Aufzählung von Fehlern, die oft scheinbar
das Geprüge der Vorzüge an sich tragen, schließt das letzte
Glied nach A mit et illam disputandi prudentiam concertatio capta-
tioque verborum, hanc oratoriam vim inanis quaedam profluentia lo-
quendi. Die Gegenüberstellung durch slam und hanc zeigt deut-
lich, daß ein Doppelglied aufgeführt wird. Ganz ungerechtfer-
tigter Weise ist daher in C vor hanc ein et eingeschoben. Vgl.
S 99 aut illane lege, hisne verbis.
$ 85. Ita cum constat A, Itaque cum constet C. Vgl. $ 10,
de or. II 113 und Krebs-Schmalz Antibarbarus unter itaque.
$ 88. Facile est intellectu quae sunt contraria ANZ, Doch
vgl. Draeger, hist. Synt. H 835.
$ 90. Itaque huic generi laus . . . omnisque virtus, illis au-
tem alteris quaestus ... proponitur A. Die übrigen Handschriften
haben illis alteris dem vorausgehenden huic generi anbequemt und
geben tli autem alteri. Voraus geht hominum esse duo genera.
$ 91 ut doceamus qua re AN quae E qua vi E (Ald. Rich.)
qui V, welches aus qui entstanden ist, qua via Lamb., Schütz.
Stróbel wünscht qua ratione zu lesen. Ich halte an qua re fest
und verweise auf Landgraf pro Rosc. S. 308.
§ 98 quid autem possit [effici necne possit], in quo etc. Die
eingeklammerten Worte fehlen in A. Vgl. Krebs-Allgayer An-
tib. unter necne. Da die volle Form quid possit fieri $ 83 und
Philologus. N. F. Bd. I, 2 20
306 W. Friedrich,
84 in mannigfachen Wendungen vorausgegangen ist, auch eff-
ciant sogleich folgt, so halte ich eine Hinzufügung von feri oder
effici an unserer Stelle nicht für nôthig. Im Uebrigen vgl. auch
Madvig de fin. V § 84, Seyffert- Miiller Lael. S. 34 und 187.
Anton Stud. zur lat. Gr. und St. II S. 106.
§ 94 cuius vis generis ziehe ich nach A als die ältere Ue-
berlieferung vor, In C sind die Worte in cuius generis vis der
Construktion zu Liebe verstellt. Vielleicht ist auch § 136 die
Stellung ut ex facto cuiusque legis iudex mentem mit AN beizube-
halten und es ist in C, um eine falsche Beziiglichkeit zu ver-
meiden iudex (om. B) vor legis willkürlich geschoben worden.
§ 96 ut possit vel utilia ac necessaria saepe honestis vel haec
ills anteferre C. Nach $ 87 möchte ich hinter honestis den Aus-
fall von ac commodis vermuthen.
§ 98 in quibus causis quid aequius atque aequissimum sit quae-
ritur ist mit A nach § 66 quid aequius atque etiam quid . . . ae-
quissimum beizubehalten. Die Vulgata lautet aequius aequissimumve.
$ 99. Plus petisti C. Ströbel möchte lieber prius petisti le-
sen. Dagegen vgl de or. I 167. Der Ansdruck plus petere
war, wie im Corpus iuris die Kapitelüberschrift de plus petitionibus
zeigt, terminus technicus. So Strebaeus, Latomus, Leodegarius,
Hegendorphinus. Letzterer sagt: Petitur autem plus re loco tem-
pore etc.
§ 101 giebt A est ut id quo de agitur si factum fateare si
neges, dagegen C est ut id (id om. RV) quod obicitur (obijciatur
Z) factum neges aut id (illud R) quod factum fateare neges. In
N sind beide Klassen so ineinander geflossen: est ut quod obit-
citur faclum neges . aut id de quo agitur si factum esse fateare .
sed neges etc. Dem schlichten und formelhaften quo de agitur
gegenüber erscheint quod obicitur leicht als Glosse, die überge-
schrieben war. Ferner glaube ich, daß entsprechend dem dritten
Satzgliede aut si neque etc. auch hier si factum fateare aus A
beizubehalten, das zweite si aber in A als aus einem mißver-
standenem Gegensatze zum vorausgehendem entsprungen zu strei-
chen und der ganze Satz so zu schreiben ist: est, ut id quo de
agitur, factum neges aut si factum fateare, neges etc.
$ 102 lautet die jingere Ueberlieferung: tertius, quod (qui V)
td rectum (recte RV om. Z) factum esse defendat (defendas Z) quod
sine ulla nominis controversia (contr. nom. V) factum fatetur. In
Zu Cicero’s Partitiones oratoriae. 307
AN steht tertius quod recte (rectum P) factum (om. P) esse fateatur
(doceatur p'). Im Anschluß an den Ausgang des $101 schreibe
ich demnach : tertius, quod rectum esse defendat, quod sine ulla
nominis controversia facium esse fateatur.
$ 104. Nemo enim eius, quod negat factum, potest aut debet
aut solet reddere rationem AN. Mit Recht sind so dem Objekte
die betonten Begriffe vorausgeschoben. Die Vulgata setzte mit
C rationem hinter factum und mit E noch einmal aut vor potest ein.
$ 105 enthält je ein Citat aus einer Vertheidigungs- und
einer Anklagerede. Die erstere sagt nach AN: Non minuit maie-
statem quod egit de Caepione turbulentius: populi enim dolor iustus,
non tribuni actio; maiestas autem . . . aucta potius est quam de-
minuta. In E dagegen finden sich nach enim diese Worte: dolor
iustus (iustus d. Z) vim tum (tam B) illam excitat non tribuni actio
(tribunatio Z), in RV dolor iustissime (-mi V) tamen (tum V) illam
excitavit (-tatum V) actionem. Daraus hat die Vulgata folgendes
herausgeschält: dolor iustus vim (tum Rich., Lamb.) illam exci-
tavit, non tribuni actio. Und in der That mag dieses die ur-
sprüngliche Fassung der in den Text gedrungenen Randbemer-
kung gewesen sein, welche die kraftvolle Aposiopese des Redners
erklüren sollte. Ich verstehe die in AN uns rein tiberlieferte
Stelle in folgender Weise. Quod sagt der Vertheidiger, nicht
qui, mit bewußtem Doppelsinn in der Art daß, faßt man quod
selbst als Subjekt und nicht als Conjunktion, noch ganz andere
Faktoren als Ursache jenes tumultuarischen Verfahrens bei der
Verurtheilung des Caepio gedacht werden kónnen als Norbanus.
Und nun nennt er diesen Faktor selbst: der gerechte Volksun-
wille war es, nicht des Tribunen Klage. So hört der Zuhörer
leicht aus dem vorhergehenden die Worte egit de Caepione tur-
bulentius als Prüdikat zu dolor iustus wieder heraus und nicht
ohne Absicht stellt im folgenden der Klüger dem minuit quod
das unzweifelhafte minuit is qui gegenüber.
§ 106 strich Schütz das in AN fehlende zweite factum in
den Worten ubi aliquid recte factum aut concedendum esse faclum
defenditur. Dagegen sagt Ströbel: ‘recte factum entspricht dem
rectum esse in $ 101 und factum dem quod feceris’. Vielmehr
gehóren dort rectum esse und quod feceris eng zusammen und ent-
sprechen hier dem recte factum, an welches sich aut concedendum
esse, wie dort concedendumve ohne factum anschlieBt. — Auch
20*
308 W. Friedrich,
am Abschluß des $ glaube ich, daß von Kayser bereits als das
Richtige gefunden ist detractis personis et temporibus et rursum.
Dagegen schlügt Stróbel auf Grundlage der jüngeren Hand-
schriften detractisque personis et temporibus rursum zu schreiben
vor. Aber durch eine solche Anknüpfung mit que wird das we-
sentliche Moment, welches in das erste Glied gehört, in das
zweite gezogen.
$ 107 haben sämmtliche jüngeren Handschriften die hiufi-
gere Construktion in eas causas incurrit (occurrit H) um so lieber
vorgezogen, als sogleich in definitionem venit darauf folgt. Aber
in ei’ causis incurrit. giebt A. Daher war wohl in eis causis die
ursprüngliche Lesart und incurrit ist hier, wie z. B. $ 51, top.
94, absolut gebraucht. Vgl. Nügelsbach-Müller Stilist. 8 129, 4.
Auch top. 7% lautet in qua . . incurrat die bessere Ueberliefe-
rung. — Am Schluß des § scheint es mir sehr fraglich, ob
parit mit C noch beizuhalten ist und nicht vielmehr dem farb-
losen facit aus A der Vorzug gebührt.
S 111 fecisse dicatur AN, fecisse dicitur C.
§ 113 aut aliqui repentinus animi motus schreibt Stróbel nach
9. Aber aliquis hat PN, worauf auch das alius in C führt.
Daher ist aliquis hier beizubehalten.
§ 116. Sequitur ille autem locus stellt A die Worte. Ebenso
$ 119 Facultatum infirmatione autem utetur.
$ 117 ipsum sua cautione effecisse, testis effugere non posse
steht in AN, während in den übrigen Handschriften durch As-
similation an effecisse aus posse des Perf. potuisse geworden ist.
Aber das Praesens ist nothwendig, wie die nachfolgende Erörterung
zeigt, nach welcher der Redner dem Richter die Zeugenaussagen
als endgiiltige Beweismittel anzusehen anempfehlen soll. — De
quo agatur C, aber quod agatur A, woraus Kayser quo de agatur
machte. Indessen ist kein Grund vorhanden, von A abzuwei-
chen. Vgl. de or. I 242, H 104, or. 116.
$120 wollte Sauppe aut sibi cum accusatore communia esse
et pro periculo . . . valere debere schreiben. Diese Vermuthung
stützeñ A, indem esse, nicht essent, steht, und V, in dem si vor
sibi fehlt. Auch das in A vor aué eorum fehlende ea halte ich
nicht fiir nothwendig, da tndicia noch in dieses Glied als Sub-
jektsaccusativ mit hineinwirkend gedacht werden kann.
§ 124 sit ergo haec contentio primum verborum, in quo etc. A.
Zu Cicero’s Partitiones oratoriae. 309
Aus Unverständniß fur die Anakoluthie ist in den übrigen Hand-
schriften primum in prima verwandelt worden. Cicero knüpft
aber hier, statt mit deinde fortzufahren, nach Anführung eines
längeren Beispieles die zweite Vorschrift mit communeque sit hoc
praeceptum ut cum . . . tum, die dritte mit Atque an. Vgl. de
or. II 21 (Sorof), 244, Madvig de fin. I $ 17, Reisig $ 481.
$ 126 verbique vim ex contrario repetit ... et ex consequentibus
. . & ex nomine N. Das erste et fiel in ARVZ, das zweite in
HB aus. Z giebt hier nur et nomine.
§ 130 cuius altera derecta .. . ratione entnahm Schütz
dem Gudianus 2. Diese Lesart stützt 4. In den anderen Hand-
schriften steht directi, welches durch Assimilation an die folgen-
den Genetive entstanden ist.
S 132 aut etiam discrepare cum ceteris scriptis vel aliorum
vel mazime si poterit eiusdem die Vulgata nach C. Aber quam a
ceteris steht in A. Sollte man da nicht annehmen dürfen, daß
quom a ceteris die ursprüngliche Lesart war und der Re-
dende das dem entsprechende Glied tum maxime unter dem
- Einflusse des hinzugefügten vel aliorum in vel maxime änderte?
Auch potuerit giebt A. Dasselbe vertheidigt Stróbel.
8 133 fore uti multa A.
$ 134 audaciamque confutet eius C. Die Lesart computet
in A setzt die allerdings leichte Verwechslung von P und F
voraus. Indessen sollte nicht doch in dieser ältesten Ueberlie-
ferung etwas Anderes als das vulgiire confutet, etwa ein am-
putet stecken ?
§ 137. Deinde genus cius modi callidatis et calumniae retra-
hatur (trahatur A) geben die Handschriften und alten Ausgaben.
Durch Schiitz ist die in dem Texte Lambins stehende Lesart
retrahetur in Aufnahme gekommen. Ganz mit Unrecht. Denn
wie in dem vorausgehenden und folgenden Satze die Formen des
Gerundiums erit utendum und erit deprecandum zeigen, handelt es
sich um Vorschriften über das, was geschehen soll, nicht um Mit-
theilungen von dem, was geschehen wird. Vgl. $ 96 habeat.
$ 140. Qua re haec tibi sint, mi Cicero, quae . . . ad quos
si his isdem ducibus aliisve perveneris etc. A. Man begreift sehr
leicht, wie in einer Schrift, die zu einem Schulbuch geworden
war, die alte gute Lesart Ais durch das Personalpronomen nobis
verdrüngt werden konnte.
Mühlhausen i. Th. W. Friedrich.
XVI.
Quaestiones Vergilianae.
Augusto perfecta demum materia tres omnino Aeneidos libros
a Vergilio recitatos esse secundum quartum sextum poetae vita
Suetoniana, quae exstat apud Donatum, memoriae traditum est.
Cum vero in eis libris qui tempore reliquos antecedunt haud
paucis locis res quae in libris posterius compositis narrantur
apertissime respiciantur, eiusmodi versus singulis libris iam con-
fectis a poeta insertos esse manifestum est. Qui quominus Ae-
neidi summam manum impositurus discrepantiam auferret rerum,
quas aliter in aliis libris expositas invenimus, totumque opus
non ex iusto rerum ordine compositum emendaret, morte impe-
ditus est. Videamus igitur fierine possit, ut indicia quaedam et
vestigia compositionis persequentes non solum tres illos Aeneidos
libros in pristinam redigamus formam verum etiam quo ordine
reliqui conscripti sint inde eruamus.
Atque a libro secundo omnium vetustissimo ut ordiamur,
versus huius libri 65 et 66:
accipe nunc Danaum insidias et crimine ab uno
disce omnis.
non prius quam liber primus perfectus est, a poeta eo consilio
additos esse, ut liber II cum libro I coniungeretur, inde apparet,
quod Vergilius his verbis respicit I 753—754:
immo age et a prima dic, hospes, origine nobis
insidias, inquit, Danaum casusque tuorum.
Pro namque vs. 67 olim poeta tunc vel ille videtur scripsisse,
quod postea mutavit. Praeterea vel hemistichio adducimur, ut
illos versus inter eos quos posterius composuit Vergilius refera-
Quaestiones Vergilianae. 311
mus. Idem cadere in versus 345—369 veri simile, in versus
345—346 certum est. Quos una cum toto libro secundo non
esse scriptos variis indiciis probatur (vide e. gr. Peerlkampii et
Weidneri notas ad vss. 348 sq.). Verba una salus victis nullam
sperare salutem v. 354 nondum dici potuerunt, Aeneas enim tum
omnem vel victoriae vel salutis spem ereptam sibi esse nondum
sciebat, neque ipse nec socii eius victi erant sed pugnare tum
demum incipiunt, quin etiam sec. v. 399 hostes superant. He-
mistichium habemus v. 346; una salus etiam II 710, sperare sa-
lutem I 451 iterum legitur; versibus 361 et 362: quis funera
fando explicet aut possit lacrimis aequare labores? admonemur initii
libri II v. 6—8: quis talia fando . . . temperet a lacrimis?
Praeter hos II 451— 468 hemistichio (468) insignes a Vergilio,
toto libro iam confecto, additi sunt, cum desideraret, cur et unde
ipsum (v. 499 sq.) omnia vidisse Aeneam dixerit. Quare in
tectum ascendentem eum (454, 458) et cum sociis turrim con-
vellentem altis sedibus (464) facit, prorsus oblitus eius rei, quod
socii, qui Aeneam sequebantur, fuerunt Iphitus aevo iam gravior
et Pelias volnere tardus Ulixi (436). Ab his ingentem turrim
destrui potuisse vereor ut cuiquam persuadeatur. Aeneas igitur
Iphitus, Pelias ad sedes Priami clamore adducti sunt, minime ut
regis tectis succurrerent, sed ut quid fieret ibi, cognoscerent.
Hune deinde belli statum vident. Danai partim scalis ad tecta
ruunt, partim fores et limina obsidunt, Dardanidae vero turres
ac domorum culmina convellunt foresque defendunt (440—430):
has servant agmine denso; vestibulum ante ipsum primoque in limine
Pyrrhus exsultat e. q. s. (470). Neque usquam commemoratur
inferius Aeneam in tecto fuisse, qui in altam Priami arcem
ascenderat; cum vero Priami mortem vidisset (550), de arce
descendit, ut Ánchisen patrem quaereret (632). Ceterum vs. 462
respicit vss. 27—30. — . Versus 604—623, binis hemistichiis
(614 et 623) insignes, cum in rerum ordinem non quadrent, a
Vergilio additi videntur esse. Aeneas enim (v. 632) ducente deo
flammam inter et hostes expeditur, quamquam nemo nisi Venus
eum ex hostium manibus eripuisse dicitur v. 664: hoe erat, alma
parens, quod me per tela, per ignis eripis? Haec autem sec. v.
621 spissis noctis se condiderat umbris. Quare non est dubium
quin poeta v. 632 olim scripserit ducente dea, quod deinde ver-
sibus 604—623 additis in deo mutavit, ut et incertum esset,
812 C. Haeberlin,
quis Aeneam servasset et id tantummodo significaretur divino
auxilio Orci faucibus illum ereptum esse. Accedit, quod v. 619
Venus filium monuisse fertur, ut fugam peteret finemque impo-
neret labori. At supra, v. 596—597, eum non fugere, sed An-
chisen, Creusam, Ascanium quaerere iusserat. Neque minus aegre
ferendum est, quod postquam v. 610 a Neptuno totam a sedibus
. urbem erui narratum est, nihilo setius v. 625 Troia tum etiam
Neptunia vocatur. Videtur igitur versus 604—623 post librum
primum confectum — propter Iunonis Neptunique inimica
Troiae numina ibi memorata — Vergilius addidisse, ut v. 602
divüm inclementia Troianorum opes everti aptis exemplis illu-
straret, Habemus etiam verbum aspice (604) quo illud non prius
aspicies (596) excipitur; cum versu 619 cf. IV 639. — Paulo
inferius iterum nobis occurrunt versus 688 —653 (640 hemistich.)
libro tertio iam confecto in librum secundum inserti. Sic enim
initio poeta scripserat :
atque ubi iam patriae perventum ad limina sedis
antiquasque domos, genitor, quem tollere in altos
optabam primum montes primumque petebam,
abnegat excisa vitam producere Troia,
abnegat inceptoque et sedibus haeret in isdem.
(De verbo abnegat iterato cf. II 483—484, I 664—665, III
156 —157, 523—524, 566—567, IV 182—188, 247—248,
345—346 al) Illos versus ut post librum III scriptos esse
existimem , ea re permoveor, quod et vs. 642—643 respondent
lib. III 476 (cf. et III 709—711) et v. 644 in quo offendit
Peerlkampius, intellegi non potest nisi III 67—68 et VI 506
prius esse scriptos statuimus. Etiam libri II versus 718—720
posterius a Vergilio inserti sunt; Aeneas enim quominus penates
ipse ferat, non manibus caede et cruore pollutis impeditur, sed
quod patrem umeris portat, penates patri dederat auferendos.
Ubinam Aeneas flumine vivo se abluisse dicitur ? Pronomen
vero tu (717) non opponitur insequenti me (718), sed praece-
denti vos, famuli (712). — Similiter versum 760 olim subse-
cutus est vs. 771. Iunonis asylum (761) quasi de caelo videtur
decidisse, utpote cuius nec superiore nec inferiore loco fiat mentio.
Versus 761—770 inter additos esse hemistichio (767) docemur.
Qua vero causa permotus Vergilius hoc embolii quasi fragmen-
tum inseruerit, nos fugit. Certiora quidem his proferri possunt
Quaestiones Vergilianae. 818
de versibus 785 —787, qui cum ad casus Andromaches et He-
leni (III 294 sq. cf. imprim. vs. 327 et 329) spectent, post con-
fectum librum III inserti videntur. Accedit grammatica ratio.
Nam versus 785 (ego) et 788 (sed me) inter se opponi non pos-
sunt, sed versum 784 (parta tibi) excipere debuit vs. 788
(sed me).
Quarti libri, quem inter antiquissimos fuisse constat, ver-
sum 21 spurium esse censet Peerlkampius. At cum hic versus
ad ea quae I 343 sq. narrantur referendus sit, nonne veri multo
similius est eum a Vergilio ipso adiectum esse, libro primo iam
confecto? Amplificationis causa praeterea IV 40— 44 (fortasse
35—44) a poeta sunt additi. Gaetulas enim urbes genus insu-
perabile bello, Numidas, Syrtin, Barcaeos Augusti gratia comme-
moravit cf. VI 794; simul I 339 genus intractabile bello in me-
moriam vocatur. Neque probabile est Vergilium, si illos versus
una cum reliquis scripsisset, versus 320—326, quibus idem fere
quod supra exponitur, adiecturum fuisse. Scripti igitur illi sunt
versus non priusquam versus lib. I 343 sq. confecit Vergilius.
Proximum vero libri quarti hemistichium (361), quamquam VI
460: invitus, regina, tuo de litore cess paene idem dicitur quod
verbis: Italiam non sponte sequor eaque respici videntur, tamen
ne posterius in librum IV immissum esse putemus, ea res ob-
stat, quod illud versu 381: i, sequere Italiam, Didonis responso
excipitur. Praeterea haec Aeneae excusatio non sponte se ex
Africa cessurum esse hoc loco propter vss. 220—237 et 265—276
necessaria est. Versuum 397—401 pristina forma haec fuerat:
tum vero Teucri incumbunt et litore celsas |
deducunt tota navis ex urbe ruentes.
Quibus Vergilius cum versus 398—401 qui nunc leguntur (cum
hemistichio 400) insereret, toto scripsit pro tota, quod nisi infra
(401) iterum legeretur vix nobis contigisset , ut hoc loco quae
genuina, quae adiecta fuerint a poeta, discerneremus. — Agen-
dum est denique de versibus 474—521, quos posterius a Ver-
gilio additos esse non una causa docemur. Illis enim Dido An-
nam sororem sacra parare iubet; ipsa postquam Anna sororis
precibus obsecuta est (503), sacris rite peractis tamquam mori-
tura deos inferos testatur. Tum vero tantum abest, ut Vergilius
statim Didonem morientem faciat — id quod exspectandum erat,
ubi sacra dis inferis regina paraverit, cum ipsa Dido esset
314 C. Haeberlin,
victima quam dis offerre in animo habebat —, ut contra plane nova
et quae rerum ad eventum festinantium cursum continuum tardet
narratio incipiat (vss. 522 sq.). At ea sacra quae reginae mors
subsequitur postea demum (v. 634 sq.) fiunt! Deinde vero v.
638 Dido ambigue loquitur:
sacra lovi Stygio quae rite incepta paravi
perficere est animus finemque imponere curis.
Ipsa igitur sacra paraverat, non Anna, quam versibus 500 sq.
vult Vergilius. Existimo versus 504—521 additos ab eo esse,
quod apparatum sacrorum, quae Dido se paravisse simulat,
describere animum induxit, quo fit, ut verba rite incepta ad versus
504 sq. referri possint. At si poeta Didonem dicentem facit se
sacra rite incepta perficere velle, minime sequitur necessario, ut
iam supra expositum sit, quomodo sacra pararet. Omnia prae-
terea verba, quibus Dido Barcen alloquitur (632), eo consilio a
regina simulata sunt, ut eam omnino amoveret. Statim deinde
sibi mortem consciscit. Annam vero his sacris non adfuisse inde
apparet, quod de Didus morte nuntium audivit (672) et postea
cum advenisset (674) absentem se vocavit (681). Famulae (iam
v. 991 commemoratae) reginam non prius aspiciunt quam mortua
collapsaque est (664). Versus 676, qui nunc ad v. 494 refe-
rendus est, spectabat antequam vs. 474—521 additi sunt, ad
versus 635—640. De eis enim rebus, quas perfici Dido ibi iu-
bet, Anna per Barcen certior facta erat. Ceterum vs. 482 re-
spicit libri sexti versum 797; hemistichia (503 et 516) exposi-
tioni nostrae ansam et fundamentum praebebant.
Transeamus iam ad sextum librum. Huius libri initium
(1—2) & Vergilio post confectum librum V videtur additum esse,
ut liber VI cum quinto coniungeretur. Praeterea vss. 88 —94
(hemistich.) a poeta posterius confecti sunt quam reliqui eius
libri versus. Hoc enim loco in universum tantummodo fata
Aeneae futura perstringenda erant, cum poeta expositurus esset
non sine novis bellis Troianos Latio potituros esse. Singulae
vero res infra loco aptiore accuratiusque enumerantur (vs. 756
sq.) neque eodem libro easdem res bis iam ab initio descriptas
fuisse probabile est. Etiam versus 103 — 105 melius in hunc
locum quadrant, si versus 82—87 et 95—97 solos antecessisse
censemus ; Aeneas enim, qui omnia animo secum se ante pere-
gisse dicit (105), ea quae versibus 88 —94 praedicuntur, certe
Quaestiones Vergilianae. 815
animo secum peragere non potuit, cum de his rebus nihildum
cognovisset; in regna vero Lavini se perventurum esse cum sae-
pius (velut H 781, IV 345) tum vs. 88— 87 compererat.
Haec exempla e prioribus libris collecta attulisse satis habeo,
ut cognoscatur Vergilium cum libros prius conscriptos cum po-
sterius scriptis coniungere instituisset, priores non modo supple-
visse sed etiam amplificasse, ita ut rationem quandam inter omnes
intercedentem efficeret et quas exposuerat res singulas diligentius
subtiliusque depingeret. Augeri vero posse exemplorum numerum
non negaverim, sed quae attuli ad reliquorum librorum rationes
persequendas sufficiunt.
Àc primum quidem de libris V et III, uter utro prius sit
confectus videamus. Librum V priorem esse forsitan vel inde
colligatur, quod tam arte cum sexto cohaeret, ut continuo post
sextum confectum eum esse credibile sit, ita ut veteres iam in-
terpretes primos libri sexti versus de hoc libro sublatos ad finem
quinti adiunxerint. Graviora tamen argumenta protulit Remi-
gius Sabbadini (Quae libris II] et VII Aeneidos cum universo
poemate ratio intercedat disput. Rivist. di Filolog. XV fasc.
1—2. 1886 § 4. Seors. express. Aug. Taur. 1886 p. 37—-40),
quae hoc loco repetere non opus est. Sed quod idem (p. 15 —16)
duas libri V partes (ludos funebres et navium incendium) di-
versis temporibus scriptas esse coniecit, vereor ne probari non
possit. Uno enim tenore, si versus 286—361 et 789 —792 ex-
ceperis, liber V conscriptus est, cum poeta totius libri composi-
tione Homerum imitatus sit. Quare Aeneam bis (v. 40 reduces)
in Siciliam pervenientem fecit. Nam ut Ulixes, qui nihil nisi
fumum e patriae focis ascendentem conspicere cupiebat, iam se-
mel prope Ithacam versatus (4 79) procellis et undis in Loto-
phagos deiectus est, ita Aeneas iam prope Italiam versabatur,
iam finem laborum exspectabat, cum prius in Sicilia fuisset —
nam si ex Asia, Graecia, Africa in Latium eum mari proficisci
Vergilius voluit, utique Sicilia insula ei non solum attingenda
sed etiam circumvehenda erat, — tum vero tempestatibus in
Africam deiectus est. Itaque cum ex Africa discessisset, eum
iterum Siciliam attingere (V 23-34) necesse erat, ut inde pro-
fectus. tandem terram fatis destinatam nancisceretur. ^ Apparet
igitur iam a primo e poetae consilio fuisse iteratum in Siciliam
cursum. Eadem causa permotus in libro V Anchisen iam mor-
316 - C. Haeberlin,
tuum fingit, id quod postea in libro III (710) accuratius expo-
nere in animo habuit. Ad Anchisae deinde honorem ludos fu-
nebres (sec. Iliad. #7) inseruit. Quaerendum iam est quomodo
inter se cohaereant descriptio ludorum et navium incendium.
Ut praeteream hane fabulam non a Vergilio demum esse in-
ventam (ef. Heynii excurs. ad V 604 sq. ed. 4 vol. II p. 1059;
Mommsen R. G. I* p. 466), id commemoro apud Homerum
Ulixem in simili condicione fuisse atque Aeneam apud Vergi-
lium. Cum dormiret Ulixes (u 338), comites boves Phoebi
mactabant, quare interclusi sunt reditu. Aeneas ludos celebrat,
mulieres interea naves incendunt. Atque ut Pseudo-Beroe apud
Vergilium, ita in Odyssea Eurylochus comites ad scelus incitat;
ut Aeneas (V 687), ita Ulixes (u 371) deinde Iovis auxilium
implorat. Ulixis comites cum pelagi perferre laborem nollent,
apud Lotophagos reditus obliti sunt; mulieres Troianorum, quae
in Sicilia manere quam iter pergere malebant, naves incenderunt,
ut navigatione intercluderentur. Ut Ulixem ad inferos descen-
surum prius Elpenora fata voluegunt amittere (x 551, 4 61), ita
Aeneas priusquam ad inferos perveniret Palinurum amissurus
erat; postea uterque et Ulixes Elpenora et Palinurum Aeneas
(VI 337) apud inferos insepultos inyeniunt ; et Elpenor et Pali-
nurus (370) sepulerum in terra petunt. Quod vero duae de Pa-
linuro narrationes in libro V et VI (imprimis VI 848 cum V
838) inter se pugnare videntur (cf. Sabbadini p. 41), explicari
non potest, nisi librum quintum sexto posteriorem esse conce-
ditur. Alteram libri quinti partem arte cum priore cohaerere
demonstratur etiam versu 605, quo haec cum illa coniungitur ;
versibus 767—769, quibus excipitur versus 617; vss. 775—746,
qui ad V 237—288 spectant; vs. 796, qui revocat versum
691. — Post librum I confectum additi sunt libri quinti ver-
sus 789—792 (hemistich., de versibus 779—832 idem affirmare
nondum ausim); spectant enim ad I 50 —156; post librum no-
num (176—502) narratio de Niso Euryaloque (V 286—361,
cf. Ribbekk. Prolegg. p. 79). Ceterum librum III post librum
V scriptum esse mentione Palinuri III 202, 518, 562 docemur,
quibus locis quis sit Palinurus propterea non dicitur quod libro
V (vs. 12, 833 sq.) et VI (337 sq.) Aeneae gubernatorem Ver-
gilius eum iampridem designaverat.
Restant libri artissime inter se coniuncti I et IIT, in qui-
Quaestiones Vergilianae. 817
bus ante omnia describuntur errores Aeneae. Priorem esse ter-
tium demonstremus. Librum enim primum post quintum esse
scriptum vel inde elucet, quod Acestes libro V 35 sq. inducitur
quasi tunc primum exsistat; libri primi autem versibus 195,
550, 558, 570 non cognoscitur quisnam sit ille Acestes. Quin
etiam Ribbekkius post versum 550 lacunam indicavit, cui cur
assentiamur non est causa, dummodo librum V primo priorem
esse statuamus. Etiam tertium ante primum scriptum esse, versu
7 docemur: incerti quo fata ferant; nam per totum librum I La-
tium finis errorum iam dicitur (cf. I 6, 31, 205, 261 —265).
Vergilius enim ut librum III ad librum II adiungeret, libro
tertio (163, 166, 170, 496, 86—87) errorum finem in universum
significavit (cf. Kvicala Stud. Verg. p. 77 sq.) Ceteris autem
libris (IV 432, VI 891 saep.) Latium dixit; Anchises enim V
731 vaticinatus est in Latium filium perventurum esse. Bene
vero intellexit poeta Aeneam in libro III Latium commemorare
nondum posse; si minus, liber III contrarius esset libri II ver-
sibus 781 sq. Itaque ubi ipse Aeneas errores narrat, Hespe-
riam, Ausoniam vel simile aliquid nominat; ubi poeta, Latium.
Id quoque monendum est libro I continuari libri ILi errores,
praeterquam quod I 31—32 liber tertius respicitur; quae enim
fuerint fata (32), Vergilius libris prius compositis dixerat (cf.
III 494 al. II 780 sq. IV 345—346, VI 67, V 629, 702—703,
709, 731, 797—798). Teucri deinde notitia nobis demum e
libro III 104 — 110 contingit; at I 235 et 619 obscura est
Teucri persona. Ergo liber III primo est prior. Idem demon-
stratur Heleni vaticinio III 856—463; Aeneam enim ad Dido-
nem perventurum esse, id quod libro I exponitur, Helenus non
vaticinatur. Aperte deinde respiciuntur libri III versus 558—685
libri I versibus 200—202, et III 168 versu I 530 quem locum
illo recentiorem esse probatur hemistichio I 543.
Atque haec quidem de priore Aeneidos parte, quam libro
primo finivit Vergilius; de posteriore facilior est quaestio, cum
Vergilius libros VIII—XII deinceps videatur secundum ordinem
confecisse; librum VII omnium ultimum esse, quo poeta alteri
quoque carminis parti quasi prooemium praemittere voluit, iam-
pridem constat (cf. Ribbekk. Proll. p. 81— 82, Sabbadini p. 19;
de discrimine inter utramque partem faciendo cf. Serv. ad VII 1°
et III 718). Ordo igitur, quem Vergilius in componendis libris
318 C. Haeberlin,
persecutus est, hie est: II, IV, VI, V, IIT, I; VIII— XII, VII;
inde erit proficiscendum in explicandis eis quae apud Vergilium
inter se pugnare videntur; consulto vero omisi hoe loco quae
iam Conrads (progr. gymn. Trever. 1863), Ribbekkius (Prolegg.
p. 59 sq), Sabbadini a. 1. protulerunt. Tum etiam de singulis
locis et versibus, quorum alter alterum respicit, rectius erit iu-
dicandum, velut
IV 40 respicit I 339 IIIT 3 resp. H 625 |III 529 resp. IV 562
IV 79 , libll |HI4 ,IV 468|III 588/9, IV 6/7
IV 81 „I9 I9 . IV 546|III 608 „II 74
IV 186 , IL 40 Ir 10 II 717 III 687 , IV 6
IV 280 „II 774 » JH 747|III 655 ,, VI 190
IV 343 , 1156 IIL17 , H 257 [III 658 „IV 181
VI 111 , II 721 |III48 „IV 280|III 710 , V 81
VI 185 , IV 533 |II 56 =, IV 4121 30, III 87
VI 190 , II 692 |II 87 ,130 [150 , VI 185
VI 217| q gq (ML 180 , V 777/1958, IIT 322
VI 490} ” Ill 131 vio ‚1159 „III 229
VI 273 , 11 469 [IH 569! ” I 273 sq.,, VI777sq.
VI 700 , II 792 |III 147 „IV 52211 286 sq.,, VI 792-798
V 84 , VI2 |II 158 „II 775 L 310 ,, III. 229
V 76 ,IV 186 [III 189 „IV 577] 347 „IV 325
V 84sq. „ IL208sq.III192-195, V8—11|I 349 , III 56
V 89 ° „IV 701 II 198 „Its 1 380 ,, VI 123
V 400 ,V 14 [HI 277 , VI 90101 401 — , V 162
V 607 ,, VI 893 [III 290 , V 7781497 , V 76
V 629 , VI 61 |n gos | VI 3851580-538,, III 163-166
V 657 „IV 252 LVL 6921 550 V 61
V 700 , VI 475 [Ill 331 „IV 471 » |V 106
V 788 „Is |II 457 , VI 76 I 728 ,, I 216
V 769 , V 617 III 467 ,, V 259 [II 724 , III 525
V 775/6 ,, V 237/8 II 496 , V 629 I 744 „IL 516
V 778 . IV 583 [III 510 , VI 162
V 835 , V 738
Hoc tamen indice caute utendum est, si quis de librorum
ordine quaeret; complures enim versus, qui saepius apud Ver-
gilium leguntur, cum ex Homerica imitatione conficti sint (cf.
Aen. V 8—11 et Odyss. u 403—406; V 778 et + 180 al),
semper nimirum praesto fuerunt Vergilio reliquorum locorum ra-
tionem non necessario habenti (cf. Kvicala Nov. Symbol. p. 190;
E. Albrecht Herm. XVI p. 394 sq.). Neque minus accurate
unoquoque loco, quatenus Vergilius in eius compositione fontium
Quaestiones Vergilianae. 319
unde hausit singulorum rationes ordines compositionem secutus
sit, reputandum est. Atque ut eo in fine revertar unde sum
egressus, cum commentatione nostra, quae antiquitus de Aeneidos
librorum II, IV, VI compositione tradita sunt, ea confirmari vi-
derimus, deterreri non debemus ad medelam alteri loco, qui ob-
stare videtur Donati (i. e. Suetonii) verbis adhibendam (cf.
Georgii Festschr. d. Württemb. gymn. 1877 p. 75). Exstat
enim apud Servium ad Aen. IV 323 (Thilo I p. 521, 26) haec
annotatio: dicitur autem (Vergilius) ingenti adfectu hos versus pro-
nuntiasse, cum privatim paucis praesentibus recitaret Augusto: nam
recitavit primum libros III et IV. (IN i. e. IV. I. VI. cod. F
et Bern. 167; HI et IV L et H. III et IV [V supra utrumque
numerum addit] M.) Quae Servium ex Donato hausisse, cui
praeter alia debet quaecunque de recitatione Aeneidos tradidit
ill (ef. e. gr. Serv. ad Aen. VI 165 et VI 861), cum verisi-
mile sit, emendanda sunt ita ut vel numerum III in II mutemus
vel praeterea (sec. cod. F et Bern. 167) numerum VI adiciamus,
quo melius saltem congruant cum Suetonianis.
Hannoverae. C. Haeberlin.
Zu Apuleius.
Apol. cap. XXI pag. 29, 18 Krueg. hocine homini obprobrari
[pauperiem] quod nulli ex animalibus vitio datur, non aquilae , non
tauro, non leoni? Acidalius tilgte pauperiem als Glossem; aber —
hocine bezieht sich auf mihi fortuna divitias invidit u.s. w. und
ist somit nicht dasselbe wie pauperies. Daher schreibe ich ob-
probrari <in> pauperiem. — Cap. XXII pag. 30, 17 steht hinter
tvug@ in den Handschriften TwNTw, woraus O. Jahn omitto ge-
macht und geschrieben hat omitto iam cetera tam mirifica. In
TwNTw steckt jedoch sicher 10170 und dies ist aus Hom. Od.
XIX 172 eingedrungen, wie KpHTh zu Anfang des Verses. —
Cap. LV pag. 64, 27. Diese von Herausgebern und Kritikern
arg miBhandelte Stelle ist im wesentlichen nach den Handschriften
so zu gestalten : at ego quamquam omnino positum ullum sudarium
meum in bybliotheca Pontiani possim negare ac, <si> maxime fuisse
concedam, tamen habeam dicere nihil in eo involutum fuisse.
Graz. M. Petschenig.
XVII.
Witz und Humor im Juvenal.
,An komischen Ziigen ist Juvenal reich, aber die wenigsten
sind bisher recht gefaßt worden. Der Juvenalische Witz ist
etwas Eigenes und die Ausleger sind theils zu ernsthaft, theils
zu stumpfsinnig, um sich darein finden zu können“. So Hein-
rich in seinem Kommentar. Auch er hat jedoch die Stelle, auf
welche seine Bemerkung sich zunächst bezieht (Sat. XIII 40 f.)
nicht verstanden. In den alten, guten Zeiten als Juno noch ein
Backfisch war und Juppiter noch Privatier, da gab es tiber den
Wolken noch keine Gastmähler der Himmlischen :
nec puer Iliacus formonsa mec Herculis uxor
ad cyathos, et iam s$ccato nectare tergens
bracchia Vulcanus. Liparaea nigra taberna .....
Munro (in der Anmerkung zu Mayor's Commentar) giebt sich
viele Mühe für siccare die, Bedeutung „abziehen und klären“ zu
gewinnen, er zieht sogar Analogien wie span. seco und dry sherry
herbei — es ist einfach zu lesen:
et iam saccato nectare tergens
brachia.
Wie ich nachtriglich gesehen, hat schon Schurtzfleisch und nach
ihm Scholte so zu lesen vorgeschlagen, letzterer giebt (p. 91 seiner
observationes crit. in sat. Iuvenalis) eine vortreffliche Erklärung
der Stelle. Daß der Gôtterwein wie Caecuber und Falerner der
Klärung bedarf und daß Vulcan den Göttern den Nectar ver-
leidet, ist das Komische an der Sache.
Witz und Humor im Juvenal. 321
Wie Juvenal hier unter den drei Mundschenken der Götter
den letzten, den russigen Vulkan hervorhebt, um ihn zu ver-.
spotten, läßt er (Sat. I 115) eine ganze Gótterschaar Pax, Fides,
Victoria, Virtus auftreten, um der letzten, der Concordia etwas
anzuhüngen. Da die Stelle eine viel besprochene und immer
nur muthmaßlich zu erklürende ist (s. Friedlinder, Burs. Jah-
resber. VI 179) wird eine etwas kühne Vermuthung vielleicht
Entschuldigung finden.
Der Schol hat die Ausleger in die Irre geführt!), es ist
‘zunächst festzuhalten, daß crepare (crepitare) von mancherlei Ge-
räuschen, vom erhabenen Tönen des seine Mutter begrüßenden
Memnon bis herab zum Lächerlichen gebraucht wird. Begrüßt
man die Concordia, so begrüfit man — ihr Bild, welches nach
Juvenal ein Geräusch hervorbringt, crepat oder crepitat. Zu-
nächst wird man an ein altes Holzbild zu denken haben Dio
Cass. 48, 49 zug oix(ag 10vg te vuovg — 6 Kaîcao zuFelwv
aitlay flaBev, ote ta daydduata, Su Avva nAnv dAlywr Orta
xutexavoev. Tibull I 10, 19 Tunc melius tenuere fidem cum pau-
pere cultu stabat in exigua ligneus aede deus. Unter den Holz-
arten bekommt das des Feigenbaumes (ficus) besonders leicht
Risse (crepaturas, mit dem Schol. zu reden) Ficus steht nach be-
bekannter Metonymie fiir das daraus Verfertigte, eine Statue aus
Feigenholz. Ganz wie bei Horaz, den Juvenal so oft vor Au-
gen hat:
displosa sonat quantum vesica pepedi
diffissa nate ficus
Vielleicht wäre auch Horaz (Sat. 2, 5, 34) rubra Canicula findet
infantes statuas herbeizuziehen. Der Sinn der Stelle ist dem-
nach: das alte Holzbild der Concordia bekemmt, wie der Dichter
mit satirischer Uebertreibung sagt, Risse so oft man es begrüßt.
Es wäre demnach zu lesen:
quaeque salutata crepitat Concordia fico
Die verkehrte Auffassung des Frequentativum crepitare hat die
falsche Lesart nido und die ganz spite,- metrisch unmögliche
Lesart ciconia für Concordia hervorgerufen.
1) Nur Ovid braucht wie es scheint crepifare vom Klappern des
Storches, der Naturlaut desselben ist crofolare (Reiff. Sueton rel. p.249).
Philologus. N. F. Bd. I, 2. 21
822 Julius Jessen,
Ebensowenig ist man dem derben Realismus und Humor
des Juvenal gerecht geworden in der siebenten Satire
Et spes et ratio studiorum in Caesare tantum
Der reiche Gónner macht lieber selber Verse um sich der Ver-
pflichtung dir etwas zu geben mit Anstand zu. entziehen und
steht selber nach seiner eigenen Meinung kaum dem Homer nach.
Willst du eine Vorlesung veranstalten, so stellt er dir ein stock-
fleckiges ^) Lokal zur Verfügung. Dies oder jenes lang ver-
schlossene Haus soll dir dienen, in welchem die Thür geäng-
steten Stadtthoren gleicht (V. 41)
haec longe ferrata domus servire iubetur
in qua sollicitas imitatur ianua portas -
Die Schol. erklären portas sollicitas — cum fuerint clausae do-
mini calamitate oder sollicitae propter incursionem hostium. Aber
warum fragt man, war der alte, leerstehende Rumpelkasten denn
80 fest verschlossen?
Man hat meiner Meinung nach das imitari nicht scharf ge-
nug gefaBt. Beim Phaedrus (V 5, 27) ist ergótzlich zu lesen,
wie man bedacht war, die Römer — ce peuple inamusable —
zu belustigen. Ein scurra tritt auf und imitirt ein Schwein
(porcelli vocem est imitatus sua). Vergebens macht ihm ein
rusticus, welcher ein wirkliches Schwein im Sacke hat, Concur-
renz — exclamat, populus scurram multo similius imitatum.
Ueber die Vorliebe der Alten für derartige Imitationen s. Wyt-
tenb. zu Plut. p. 144. Parmeno (de aud. poet. 18 C. mdavds
powsitar, xadaneo Maouévwy tiv bv) scheint eine Specialitàt
ersten Ranges gewesen zu sein. Der scurra des Phaedrus tritt
auf und degrunnit — grunzt sein Pensum ab, vom tiefsten Grun-
zen bis zum hellsten Quieken (xoí, xot) des geüngsteten Thieres.
Letzteres ist an unserer Stelle gemeint: die Thiir des lange
nicht betretenen Hauses quiekt — sehr stórend für einen Reci-
tator — wie ein geüngstetes Schwein:
haec longe ferrata domus servire iubetur
in qua sollicitas imitatur ianua porcas.
2) So Friedlünder Jahresb. d. A. IX 1881 p. 66 gegen Bücheler
dem sich Vahlen (Ind. lect. Berol. 1884 p. 25) anschließt.
Witz und Humor im Juvenal. 323
Wenn Juvenals Freund und Zeitgendsse Statius ganz ernsthaft
sagt (Theb. X 265)
ne gravis exclamet portae mugitus aenae
konnte sich der Satiriker diesen drastischen Vergleich, der fast
wie eine Parodie der amica Thebais aussieht, ‘schon erlauben.
Auch Cicero Tusc. disp. V 40, 116 stellt stridorem serrae tum
quum acutur aut grunnitum quum tugulatur suis zusammen.
Was die Femininform porca anbetrifft, so schienen dem Dichter
entweder die weiblichen Laute der Quirina, der Schwester des
M. Grunnias Corocotta fiir unseren Fall geeigneter oder es ist
wie bei Vergil caesa porca ,,elegantius dictum pro tenui et plebeio
caeso porco“ vgl. Serv. Aen. VIII 641 und Quint. VIII 3, 19. *
Auch die Gerichtsscene derselben Satire (V. 115)
Consedere duces: surgis tu pallidus Aiax
dicturus dubia pro libertate, bubulco
tudice
hat man nicht energisch genug interpretirt. Der Dichter denkt
an den im Armorum iudicium besiegten Aias, welcher in der
Abstimmung der Achaeer unterlegen, Hirt und Heerden
mordet. Natürlich ist für einen solchen ein bubulcus ein un-
giinstiger Richter. Dem Sinne nach entspricht Ovid, wel-
chen Juvenal vor Augen hatte, difficilem tenuit sub iniquo tu-
dice causam (Met. XIII 190). Ruperti erklärt bubulco iudice =
rudi, rustico et iuris legumque ignaro. Heinrich meint bubulco
iudice sei etwas gar zu derb. Auch er hat die Stelle mißver-
standen, ebenso Mayor, der neueste Commentator.
Denselben alles niedermetzelnden Aias hat der Dichter vor
Augen in der X. Satire (V. 84)
Quam timeo victor?) ne poenas exigat. Aiax
ut male defensus.
Das humoristische an der Sache ist, daB die turba Remi,
deren Gesprüch uns mitgetheilt wird, sich selbst als wehrlose
Sehafherde betrachtet. Dasselbe Volk, von dem es einige
Verse vorher heißt:
3) Victor statt victus hat schon Lupus vorgeschlagen s. Friedl.
im Jahresber. d. Alterth. 1874 p. 211.
21*
324 Julius Jessen,
qui Aabat olim
imperium, fasces, legiones, omnia
fiirchtet jetzt, daf der in Sachen Sejan’s siegreiche Aias, ut male
defensus über sie, wie über eine wehrlose Schafherde herfallen
würde (ne poenas .exigat sc. de nobis). Um seinen Landsleuten eine
patriotische Grobheit zu sagen, mennt der Dichter den Tiberius
Aias, und zwar den Thatsachen gemäß Aias victor oder i n-
victus im Gegensatz zu dem allbekannten Aiax victus. So
erst wird verständlich, warum Juvenal die Begegnung am Altar
des Mars (V. 83) stattfinden läßt. Dort auf dem campus Mar-
tius sind ganz in der Nähe der ara Martis die septa, das — ovile:
(Juven. VI 52 antiquo quae proxima surgit ovili) Darum heißt
es kurz vorher V 74: iam pridem ex quo suffragia nulli ven-
dimus. Einem ängstlichen Römer mußte diese Gegend man-
cherlei Gedanken erwecken, vergl. Lucan. II 197
et miserae maculavit ovilia Romae
und Schol. p. 63, 15 Biich. ovilia locus in urbe Roma ex grege
Euandri nominatus Sulla cum legiones Marianas ad ovilia convo-
casset, qui locus est in campo Martio, iussit omnes occidi. An
eine rhetorische Jugendsünde des ängstlichen Bruttidius, eine
verunglückte Declamation , deren Thema der Aias war (Madvig
und Ribbeck) ist nicht nothwendig zu denken. Der spóttische
Ton des Redenden
pallidulus mi
Bruttidius meus ad Martis fuit obvius aram.
erklürt sich hinreichend aus der gerechten Schadenfreude (über
das Verunglücken eines solchen Prototyps aller Streber, als wel-
chen ihn Tacitus in unvergleichlichen Worten geschildert hat
(dum aequales, dein superiorcs, postremo suasmet ipse spes antire parat
Ann. III 66). Im Verein mit einem ehemaligen Schulmeister
hatte er einen Proconsul angefallen, indem er ihm violatum Au-
gusti numen, spretam Tiberii maiestatem vorwarf. Zu fornacula (V.
82) wäre vielleicht Apul. mag. 321, 32 hic accusationis auctor,
hic testium coemptor, hic totius calumniae f ornacula herbeizuziehen.
Die Worte:
sed videant servi, ne quis neget et pavidum in ius
cervice obstricta dominum trahat
Witz und Humor im Juvenal. E 825
sind natürlich als Worte des von quam timeo (V. 84) an Re-
denden aufzufassen. Wilh. Schulz (Hermes XXI p. 181) ist
in der Behandlung dieser Stelle nicht glücklich gewesen, quis
(V. 87) scheint er ganz übersehen zu haben.
An Sejans warnendes Beispiel knüpft Juvenal in derselben
Satire einige Betrachtungen über den menschlichen Ehrgeiz und
fragt (V. 108)
quid Crassos, quid Pompeios evertit et illum,
ad sua qui domitos deduxit flagra Quirites ?
Ein Dichter, welcher Domitians Herrschaft vor Augen hatte,
konnte den Ausdruck ,,Peitsche nicht auf Caesars mildes Regi-
ment anwenden. Markland’s Vermuthung dominos ist überflüssig.
Neben Quirites erwartet man einen soldatischen Ausdruck castra
oder signa, Es mag genügen auf Sueton I 70 una voce, qua
Quirites eos pro militibus appellarat tam faeile circumegit et flexit
vergl. Tac. Ann. I 42 (verbo uno compescuit Quirites vocando) zu
verweisen und zu lesen:
ad sua qui domitos deduxit signa Quirites?
An die ars circumagendi et flectendi schlieBt sich die Antwort Ju-
venals, evertit illos summus nempe locus nulla non arte petitus
passend an. Wer nicht überzeugt ist, lese Lucan. Pharsal. V
309: militis indomiti und 349:
quisquis mea signa relinquit . . . .. discedit castris
tradite nostra viris ignavi signa Quirites.
Juvenal der alte Soldat bewundert Caesars Herschergewalt, da-
gegen konnte ihm der weichliche Selbstmérder Otho, welcher in
ähnlicher Lage wie Caesar nur Thränen und Bitten hatte, keine
Achtung abnôthigen. Er schildert II 108 das Gebahren des
weibischen Stutzers, er that was selbst eine Semiramis, selbst
eine Cleopatra nicht gethan hat
quod nec in Assyrio pharetrata Semiramis orbe
maesta nec Actiaca fecit Cleopatra carina
Maesta ist unglaublich nichtssagend, aber auch moecha, was
Heinrich vorgeschlagen, ist fiir diese meretrix regina (Plin.) zu
schwach. Wer den patriotischen und zugleich soldatischen In-
grimm Juvenals versteht, wird lesen:
326 Julius Jessen,
quod nec in Assyrio pharetrata Semiramis orbe
nostra nec Actiaca feeit Cleopatra carina.
Nostra bildet zur pharetrata Semiramis im fernen Osten in As-
syrio orbe einen prichtigen Gegensatz. Nostra nennt sie der
Römer ironisch als ovupayosg und „Gattin“ des Antonius — se-
quiturque — nefas — Aegyptia coniunx
Romanus, eheu, posteri negabitis
Emancipatus feminae
Fert vallum et arma miles et spadonibus
Service rugosis potest etc.
Doch wenden wir uns von der indignatio zur Kehrseite dersel-
ben, dem komischen Element im Juvenal zuriick. In der 13.
Satire (180 ff.) bekämpft der Dichter den Satz: die Rache ist
süf aber, führt er fort:
Chrysippus non dicet idem nec mite Thaletis
ingenium dulcique senex vicinus Hymetto.
Chrysipp, den Stoiker und Socrates, den häuslichen Dulder kann
man sich als Vorbilder der patientia gefallen lassen. Aber Tha-
les zwischen den beiden? Ueber sein Geschick im Ertragen ist
nichts bekannt. Dagegen erzühlt Diog. Laert. VI 7 von einem
Philosophen, welcher, als ihm ein Jühzorniger ein blaues Auge
geschlagen , einen Zettel an die Stirn heftete, auf welchem der
Name des Künstlers Nixodgouos ërole zu lesen war. Es ist
Crates von Theben, der geistvolle Cyniker. Er übte sich sy-
stematisch im Ertragen von Beschimpfungen (s. Diog. L. l. 1.)
und tröstete sich, schimpflich hinausgeworfen damit, daß es dem
Hephaestos einst im Himmel nicht besser ergangen sei. Da
Juvenal eben vorher (V. 121) den Unterschied zwischen Stoi-
kern und Cynikern auf ‘die verschiedene Kleidung reduciert hat
so tritt Crates der Cyniker hier passend neben den Chrysipp:
Chrysippus non dicet idem nec mite Cratetis
ingenium.
Ein drastisch-komischer Zug ist uns durch eine falsche Er-
günzung des Pithoeanus verloren gegangen. VI 237 heift es
in einer Skandalgeschichte der römischen Hauptstadt :
abditus interea. latet [et] secretus adulter.
Witz und Humor im Juvenal. 327
Wer Lord Byron's Don Juan gelesen hat, weiß, daß der adulter
da versteckt ist, wo man ihn am wenigsten sucht. Ueber das
Bett als Versteck vergleiche man was Sueton vom Kaiser Clau-
dius erzählt c. 35: neque aegrum quemquam visitavit nisi explorato
prius cubiculo culcitisque et stragulis praetemptatis et ex-
cussis. Somit ist zu lesen: abditus interea latet his secretus adulter.
Auf das Doppelsinnige des Ausdrucks onerosa pallia V. 236
braucht wohl kaum erst hingewiesen zu werden.
Endlich liegt auch vielleicht in den Worten Sat. III 46
me nemo ministro fur erit eine scherzhafte Anspielung auf die bei
den Rómern übel beleumundete linke Hand (illa furtifica laeva
Plaut. Pers. II 2, 40 natae ad furta sinistrae Ovid. Met, 13, 111).
Von zwei Diebeshelfern sagt Catull XLVII 1 duae sinistrae Pi-
sonis cf. XII 1 comites illi tui delecti manus erant tuae Cic. in Ver-
rem II 10, 27. So erst erklürt sich meiner Meinung nach das
folgende :
atque ideo nulli comes exeo tamquam
mancus et exstincta, corpus non utile dextra.
Meine Linke ist (zum Stehlen) nicht zu gebrauchen und deshalb
bin ich auch als comes nicht geeignet, als ob auch meine Rechte
nicht zu gebrauchen würe.
Hamburg. Julius Jessen.
2
Zu Apuleius.
Apol cap. LXXIIII pag. 85, 2 schreibt Krueger mit
Oudendorp omnium falsorum commentor statt des überlieferten com-
mentator. Aber commentari mit seinen Derivaten findet sich auch
anderwürts für comminisci mit seiner Sippe gesetzt. - So gebraucht
Ennod. Ep. VII (pag. 16, 11 Hartel) commentator in dem Sinne
von fictor, indem er sagt: quis hoc commentator vel in scena pro-
ponat? Ferner spricht Lucifer von Calaris ‘de non conveniendo
cum haereticis cap. V (pag. 12, 14 Hartel) von mendacia dete-
standae commentationis und de sancto Athanasio II cap. VII pag.
160, 17 liest man quod enim idcirco talia fuissetis commentati circa
Athanasium.
Graz. M. Petschenig.
XVII.
Witz und Humor im Juvenal.
„An komischen Zügen ist Juvenal reich, aber die wenigsten
sind bisher recht gefaBt worden. Der Juvenalische Witz ist
etwas Eigenes und die Ausleger sind theils zu ernsthaft, theils
zu stumpfsinnig, um sich darein finden zu kónnen*". So Hein-
rich in seinem Kommentar. Auch er hat jedoch die Stelle, auf
welche seine Bemerkung sich zunüchst bezieht (Sat. XIII 40 f.)
nicht verstanden. In den alten, guten Zeiten als Juno noch ein
Backfisch war und Juppiter noch Privatier, da gab es über den
Wolken noch keine Gastmähler der Himmlischen :
nec puer Iliacus formonsa nec Herculis uxor
ad cyathos, et iam s$ccato nectare tergens
bracchia Vulcanus. Liparaea nigra taberna . . . ..
Munro (in der Anmerkung zu Mayor's Commentar) giebt sich
viele Mühe für siccare die, Bedeutung „abziehen und klären“ zu
gewinnen, er zieht sogar Analogien wie span. seco und dry sherry
herbei — es ist einfach zu lesen:
et iam saccato nectare tergens
brachia.
Wie ich nachträglich gesehen, hat schon Schurtzfleisch und nach
ihm Scholte so zu lesen vorgeschlagen, letzterer giebt (p. 91 seiner
observationes crit. in sat. Iuvenalis) eine vortreffliche Erklärung
der Stelle. Daß der Götterwein wie Caecuber und Falerner der
Klärung bedarf und daß Vulcan den Göttern den Nectar ver-
leidet, ist das Komische an der Sache.
Aithiopenmythen. | 329
treten, so wiirde selbst, wenn Plato zuerst jene Lehre aufge-
stellt hatte — was iibrigens sicher nicht der Fall ist, da sie auch
chaldäisch ist, s. Culte und Mythen I 696 — diese Herleitung
keineswegs wahrscheinlich sein, da jene Platostelle ja grade um-
gekehrt nóthigt, eine lange Periode zwischen den beiden Ereig-
nissen anzusetzen; und was Mayers andere Vermuthung anbe-
trifft, daß der Synchronismus der Sintfluth und des Weltbrandes
in jüdisch-alexandrinischen Kreisen aufgekommen sei, weil man
einerseits Moses zum Zeitgenossen des Phoroneus-Deukalion machte,
andererseits die ägyptischen Plagen in dem Phaethonbrande wie-
derfand, so scheint mir doch das festzustehn, daß diese Combi-
nation, wenn sie überhaupt das Richtige trifft, vielmehr insofern
umzukehren ist, als jene späten Synchronismen auf einer reci-
pirten "Tradition beruhen, wonach Weltbrand und Fluth gleich-
zeitig stattfanden. — Ebenso wenig zutreffend aber scheint mir
nun zweitens das, was zur Verdüchtigung des in der Hyginfabel
erhaltenen Mythos hervorgehoben ist; vielmehr lehrt genauere
Betrachtung derselben, daß die Anstöße, welche Robert, Mayer
und Knaack zur Ansetzung der Interpolation führten, auf ganz
anderem Wege erklürt werden müssen. Allerdings ist es mir
peinlich diesen Punkt noch einmal zu berühren, da ich alle we-
sentlichen Erwägungen, aus denen mir die Echtheit der ange-
fochtenen Hyginworte zu folgen scheint, bereits in der Recension
der K naackschen Schrift in der Wochenschr. f. class. Phil. 1886
S. 650) hervorgehoben habe; indessen hat Knaack in dersel-
ben Wochenschr. 1886 S. 859 diese Gründe, wie es scheint
ohne sie zu verstehen, angefochten und neuerdings im ‘Hermes’
XXII S. 640 erklürt, diese Ansicht 'übergehen' zu kónnen —
wobei er wohlweislich auch die zahlreichen ihm in jener Recen-
sion nachgewiesenen Irrthümer ‘übergeht’ —, und dieser Umstand
nothigt mich, ausführlicher auf jene Hyginfabel zurückzukommen.
Die betreffende Fabel ist zweimal überliefert: in dem von
Micyllus benutzten codex Frisingensis des Hygin und in wesent-
lich kürzerer Fassung im Schol. Stroz. des Germanicus:
Schol Strozz. p. 174. 4. Hyg. 152°
«fluvius? ab Arato vel Phere- Phaethon, Solis et Clymenes
cyde Eridanus, qui et Padus, filius, cum clam patris currum
esse putatur .... Hesiodus au- conscendisset, et altius a terra
330
tem dicit inter astra collocatum
propter Phaethonta Solis et Cly-
menes filium. Qui clam dicitur
currum patris ascendisse, cum-
que a terra altius levaretur, prae
timore in Eridanum fluvium, qui
et Padus, cecidisse, eumque
percussum fulmine a love. om-
nia ardere coepisse causaquè ex-
stinguendi universos amnes im-
missos esse omneque mortalium
genus interisse praeter Pyrrham
et Deucalionem .
O. Gruppe,
esset elatus, prae timore decidit
in flumen Eridanum. Hunc
luppiter cum fulmine percus-
sisset, omnia ardere coeperunt.
Iovis, ut omne genus mortalium
cum causa interficeret, simulavit
se id velle exstinguere; amnes
undique irrigavit, omneque ge-
nus mortalium interiit praeter
Pyrrham et Deucalionem. At
sorores Phaethontis quod equos
iniussu patris iunxerant, in ar-
bores populos commutatae sunt.
153 Deucalion et Pyrrha. Ca-
taclysmus, quod nos diluvium
vel irrigationem dicimus, cum
factum est, omne genus huma-
num interiit, praeter Deuca-
lionem et Pyrrham, qui in mon-
tem Aetnam, qui al[t]issimus in
Sicilia esse dicitur, fugerunt.
Hi propter solitudinem cum vi-
vere non possent, petierunt ab
Iove, ut aut homines daret, aut
eos pari calamitate afficeret.
Tum Iovis iussit eos lapides post
se iactare; quos Deucalion iac-
tavit, viros esse iussit, quos Pyr-
rha, mulieres. Ob eam rem
*2a0g dictus ; *A&as enim Graece
lapis dicitur.
154 Phaethon Hesiodi. Phaethon
Clymeni Solis filii et Meropes
Nymphae filius, quam Oceani-
tidem accepimus, eum i[n]dicio
patris avum Solem cognovisset,
Aithiopenmythen. 831
impetratis curribus male usus
est. Nam cum esset propius
terram vectus, vicino igni omnia
conflagrarunt; et fulmine ictus
in flumen Padum cecidit. Hic
amnis a Graecis Eridanus dici-
sorores quoque Phaethontis flen- tur, quem Pherecydes primum
tes in arbores populos versae vocavit. . . .. Sorores autem
fuisse. Phaethontis dum interitum de-
flent fratris, in arbores sunt
populos versae. Harum la-
erimae, ut Hesiodus indicat,
in electrum sunt duratae. He-
liades tamen nominantur. Sunt
autem Merope, Helie, Aegl[e],
Lampe[t]ie, Phoeb[e, Aejtherie,
Dioxippe. Cyenus autem rex
Liguriae, qui fuit Phaethonti!pro-
pinquus, dum deflet propinquuum,
in cycnum conversus est; is quo-
que moriens flebile canit.
Wer die beiden Berichte oberflächlich betrachtet, wird leicht
zu der Annahme geführt werden, daB der schol. Strozz., der
zweifellos aus Hygin schópft, eine ursprünglichere Form dieses
Schriftstellers las, als sie uns der Frisingensis bietet. Hierfür
scheint zunächst der Umstand zu sprechen, daß u. A. der sehr
anstoßerregende Satz des Freisinger Codex Jovis, ut omne genus
mortalium cum causa interficeret, simulavit se id velle exstinguere
beim Scholiasten fehlt; zweitens aber, daß dieser den in fab.
154 beiläufig genannten Hesiodus zur Quelle des ganzen Be-
richtes macht, woraus sich doch das zu ergeben scheint, daß er
die fab. 152^ und 154 noch nicht getrennt las. So haben in
der That Knaack, Meyer und Robert argumentirt, nach-
dem schon Carl Lange de nezu inter Hygini opus mythologicum
et fabularum librum, (diss. Bonn. 1865) S. 32 die Vermuthung
ausgesprochen hatte, daB die zwischen beiden hyginischen Phae-
thonerzählungen stehende /. 153 eine Interpolation aus Schol.
Germ. 154 Br. sei. Genauere Prüfung der Versionen des Schol.
332 O. Gruppe,
Strozz. und des Fris. ergiebt jedoch vielmehr, daß der erstere keinen
anderen Text vor Augen hatte als den uns im Fris. vorliegenden.
Er hat den anstófigen Satz ut omne genus mortalium cum causa in-
terficeret, simulavit se id velle exstinguere zwar ausgelassen, aber
er bietet statt dieser Worte etwas, das bei Hygin, wenn wir
jene Worte streichen, keine Entsprechung haben würde, nümlich
die Worte causaque exstinguendi, die offenbar ein Versuch
sind, dem anstößigen Satz seiner Quelle einen minder verkehrten
Sinn beizulegen. Denn wenn Robert catast. S. 216 umgekehrt
annimmt, daß ursprünglich das exstinguere sich bloß auf das
Löschen des Feuers bezogen habe und erst von dem Interpo-
lator auf die Vernichtung des Menschengeschlechtes bezogen sei,
so hat er zwar unzweifelhaft darin Recht, daß der Verf. des
Strozz. das exstinguere von der Löschung des Brandes verstand, nicht
aber — wie mir wenigstens scheint — darin, daß dieser Sinn
dem Zusammenhang besser entspreche. Nur äußerlich ist der
Fortschritt der Erzühlung berichtigt, dafür ist ein schweres in-
neres Bedenken hinzugekommen. Die ültere Tradition hült, wie
es ja auch der Sinn des Mythos unzweifelhaft verlangt, daran
fest, daß die Sintfluth in Folge eines göttlichen Beschlusses zur
Strafe für einen menschlichen Frevel eintrat. Dies war der
Sinn auch in der vom Frisingensis excerpirten Erzählung, so
unsinnig das Excerpt dies auch ausdrückt: daß Zeus die Ab-
sicht hatte, die Menschen zu vernichten, wird ausdrücklich ge-
sagt, die Schuld des Menschen ist im Excerpt zwar nicht über-
liefert, ist aber ohne Weiteres eben in der That des Phaethon
zu finden. Dagegen ist im Strozz. die Sintfluth und die Zerstö-
rung der Menschen das Werk eines blinden, weder von den
Menschen verschuldeten noch von den Göttern gewollten Zufalls.
Zwar giebt es auch hierfür eine ‘scheinbare Parallele in einer
späteren Tradition, welche am ausführlichsten im VI. Buch der
nonnianischen Dionysiaka erhalten ist, aber die Vergleichung lehrt,
glaube ich, grade die innere Unmöglichkeit der Erzählung des
Strozzianus. Auch bei Nonnos zwar gehen die Menschen ohne
Schuld unter, aber dort handelt es sich um den großen Welten-
kampf der Titanen gegen Zeus, dessen Furchtbarkeit durch den
Hinweis auf das doppelte Verderben, das die Welt durch Feuer
und Wasser beinahe ereilt hätte, passend, wenn auch dem ur-
sprünglichen Sinn des letzteren Motivs zuwider gesteigert wird.
Aithiopenmythen. 833
Dagegen entbehrt die Sintfluth in der Erzählung des Strozzianus
der inneren Motivirung, zumal wenn Zeus erst durch seine ei-
gene Unbesonnenheit den Weltbrand, wie es nach dem Strozzia-
nus unzweifelhaft angenommen werden muf, entflammte. Der
Strozzianus also bietet die Geschichte von der Sintfluth äußerlich
zwar besser, innerlich aber wesentlich schlechter als der Frisin-
gensis. Schon dieser erste Punkt läßt über das wahre Verhält-
nif der beiden Berichte, wie mir scheint, kaum einen Zweifel.
Aber auch der zweite wichtigere Umstand, daß nämlich der
Strozzianus die ganze Erzählung dem Hesiod zuschreibt, spricht
keineswegs dafür, daß er f. 152° und 154° ununterbrochen las.
Dies Argument ist überhaupt nur dann beweisend, wenn, wie
es Robert und Mayer in der That annahmen, Hesiod
wirklich der Verfasser der ganzen Erzühlung war. Aber dies
ist nicht möglich. Es folgt das schon aus einigen der von
Knaack angeführten Gründe, der mir freilich auch manche
Irrthiimer einzumischen scheint. . Wenn aber Hesiod nicht der
Verfasser der hier vom Schol. Strozz. excerpirten Geschichte ist,
so schwindet damit das wichtigste Argument für die Ursprüng-
lichkeit des Berichtes beim Scholiasten, und es ist fast unbe-
greiflich, daß Knaack zwar die Folgerung Roberts aner-
kennt, das aber, woraus es hauptsächlich gefolgert ist, mit Recht
verwirft, ohne doch einen andern Beweisgrund dafür an die
Stelle zu setzen. Der Scholiast, der dicht hinter einander in
derselben Quelle zwei ungefähr übereinstimmende Berichte über |
den Phaethon und in dem zweiten Bericht den Hesiod er-
wähnt fand, hat bloß die beiden Berichte vereinigt, und He-
siod zum Urheber des Ganzen gemacht, was nach den Begriffen
dieser Scholiasten gewiß keine große Ungenauigkeit ist. Also
sind die Gründe, aus denen die Unechtheit der fab. 153 und
154* gefolgert sind, hinfällig, Genauere Betrachtung der Stücke
lehrt aber auch weiter das Doppelte, daß nämlich 153 hinter
152 gestanden haben muß, und daß 154° und 152° verbunden
nicht ein griechisches Gedicht (geschweige denn gar des He-
siod!) wiedergeben kann! Denn ist es glaublich, daß in dem-
selben Gedicht die Verwandlung der Heliaden sowie die des
Kyknos und die Sintfluth als Folge des Phaethonbrandes erzählt
waren? Blieben die Heliaden am Leben, bis die großen Wasser
sich verliefen, und wurden dann nachträglich zu guterletzt noch
334 O. Gruppe,
verwandelt? Oder. ging die Sintfluth tiber sie hinweg, als sie
schon verwandelt waren? Wurde vielleicht Kyknos zum
Wasservogel, damit er in diesem Zustand dem Wassertode ent-
ränne ? Schon die Aufstellung dieser Fragen zeigt, wie unmög-
lich es ist, aus den zwei Versionen eine einzige zu machen’)!
Betrachten wir nun aber die angeblich unechten Stiicke des cod.
Frising.! Zunächst, welchen Grund hätte ein Fälscher haben
können, die Geschichte in der Mitte zu spalten und der ersten
Hälfte ein Ende, der zweiten einen Anfang hinzu zu erfinden ? Was
konnte ihn bestimmen, einen so anstófigen Satz zu schreiben
wie den ut omne genus mortalium cum causa exstingueret? Denn
daß nicht etwa bloß, wie Robert annahm, ein Schreibfehler
vorliegt, scheint mir klar. So auffallend die Worte sind, un-
sinnig, wie Knaack meint, sind sie an sich keineswegs; wer
diese Worte schrieb, stellte sich unzweifelhaft vor, da Zeus
aus irgend einem Grund sich scheute, als der Urheber der Ver-
tilgung des Menschengeschlechtes zu erscheinen, und daß er dem-
nach mit der Verbrennung des Phaethon und dem daraus ent-
stehenden großen Brande einen Vorwand für sein Vorhaben
suchte. Durch die Annahme einer einfachen Interpolation ist
natürlich diese wunderliche Ueberlieferung nicht nur nicht er-
klärt, sondern es ist sogar eine Erklärung überhaupt unmöglich
gemacht. Dazu kommt, daß die H yginfabeln, welche für sich
einzeln überliefert sind, sich in gewisse nach dem mythologi-
schen Zusammenhang geordnete Reihen zerlegen lassen. Was
aber konnte auf eine Darstellung der Phaethonsage, welche mit
dem Einbruch der großen Fluth schloß, (152^) passender fol-
gen als die Geschichte dieser Fluth (153)? Zumal, da 158
sehr wahrscheinlich auch auf 152* Bezug nimmt! Denn das
leuchtet doch sofort ein, daß die sonst nur noch vom schol.
Stroz. 154. 2 bezeugte Rettung Deukalions auf dem Astnaberg
irgendwie damit zusammenhängt, daß dieser Berg in 152* auf
den Typhon geworfen, also an seine gegenwürtige Stelle versetzt
wird. Aber wir wissen ja positiv, daB f. 158 echt ist und
1) Freilich ist bei Ovid Met. I 237 eine Version der Deukalion-
sage erhalten, welche die Fluth u. a. durch die Unthat des Lykaon moti-
virt, daneben aber die Verwandlung des Frevlers festhült. Aber mit
welcher Sorgfalt hat der Dichter, der dem Plane seines Werkes ent-
sprechend den letztern Zug nicht opfern durfte, durch die Dazwischen-
schiebung der Götterversammlung die beiden Ereignisse zeitlich ge-
trennt
Aithiopenmythen. 335
daB sie eben von dem Scholiasten gelesen worden
ist, aus dem ihre Unechtheit gefolgert werden soll!
Denn es ist doch klar, wie es auch Robert selbst cataster. 217
annimmt, daß der Verfasser des schol. Stroz. 154. 7 die rare
Notiz von der Rettung des Deukalion auf dem Aitna nirgends sonst
als eben in Hyg. fab. 153 gefunden hat. Aus diesen Gründen
scheint mir zweifellos hervorzugehn, daß wir im schol. Stroz.
nicht einen reineren Hygintext besitzen, als im Frisingensis ?),
daß also der Text unseres Hygin nicht auf nachträglicher In-
terpolation beruht. Wie unwahrscheinlich wire dieselbe auch!
Gewiß ist das in den Ayginfabeln überlieferte Sagenmaterial ein-
mal im großen Maßstab contaminirt und interpolirt worden: wer
aber hatte zu solcher Interpolation Veranlassung, nachdem das
Material einmal in seine] jetzige Form abgerissener Geschichten
gebracht war? Liegt es nicht auf der Hand, daf die Interpo-
lation vielmehr Hand in Hand ging mit dem Versuche, aus
einem großen Werke voll seltener Gelehrsamkeit, welches in
fortlaufender Erzählung den mythologischen Stoff darstellte —
denn ein solches Werk liegt unsern Hyginfabeln unzweifelhaft
2) Auch was Robert sonst zur Begründung seiner Hypothese
von der Benutzung eines reineren Hygintextes durch den cod. Strozz.
anführt, scheint mir unrichtig. In der Arionfabel würde der Satz
des Strozz. ‘ut civitates arte sua inlustraret für per civitatem artem suam
inlustraret’ selbst dann nicht im Sinn von Robert:beweisend sein, wenn
er die richtige Tradition wiedergibe: denn nicht um cine Interpo-
lation des Frisingensis würde es sich hier handeln, sondern um eine
nachträgliche Textverderbni8. Aber jene Worte des Strozzianus be-
ruhen iiberhaupt nicht auf einer Tradition, sondern wieder auf einer
Conjectur und zwar auf einer falschen Conjectur; viel einfacher we-
nigstens ist es für civitatem den Pluralis ‘civitates zu lesen. In der-
selben Fabel kann das Traumbild des Arion nicht auf einer Inter-
polation beruhen, weil es bereits beim Interp. Serv. Verg. ecl. VIII 55
erscheint, wie Robert selbst mit Recht hervorhebt, und weil die
Sátze, wenn man das betreffende Stück herausnimmt, zusammenklap-
pen. Den einen Delphin endlich, welcher den Arion trug, konnte
der Strozz. leicht aus dem Fortgang der Erzählung gewinnen: ‘del-
phi n um in mare non propulit . qui ibi exanimatus est. — Daß dies
Verfabren des Verfassers der schol. Strozz. verkannt werden konnte,
ist um so wunderbarer, da ja seine Quellen größtentheils erhalten sind
und nur mit ihm verglichen zu werden brauchten, um die selbstän-
dige Quellenbenutzung, die ihm eigenthiimlich ist, auBer allem Zwei-
fel zu stellen. Die Freiheit, welche sich nach dem oben Bemerkten
der Verf. des Strozz. gegen die beiden Hyginfabeln erlaubt, ist ganz
dieselbe, die er fortwährend anwendet, indem er die schol. Basileensia
und Sangermanensia (resp. ihre .Archetypa) untereinander oder mit
Fulgentius, Hygin u.s. w. verarbeitet.
336 O. Gruppe,
zu Grunde — und ein paar anderen minder gelehrten Schriften
eine Sammlung fiir sich stehender kleiner mythologischer Ge-
schichten zu excerpiren? Da nun niemand glauben wird, daB
der Verfasser des codex Stroszianus jenes große Werk vollständig
las, so hat er auch die Interpolationen mitgelesen.
Daraus folgt,-daß wir zur Erklärung der Wunderlichkeiten
unseres Hygintextes ganz andere Mittel als die vorgeschlagenen
anwenden müssen, Mittel, die uns nur der Text selbst an die
Hand geben kann. Da scheint mir nun zunächst gefragt wer-
den zu müssen, was denn eigentlich fab. 154 neben 152^ be-
zweckt. Die Antwort ist darauf meines Erachtens nicht zwei-
felhaft. Der Erzähler folgte in fab. 152. 153 (und schon vor-
her) einer Quelle (4), welche die Phaethonsage mit der Sintfluth-
erzählung verband; außerdem hatte er eine sehr abweichende,
der Vulgata viel näher stehende Vorlage (B), welche sie isolirt
vortrug. Nachdem er die erste Version A bis zum Schluß der
Sintfluthgeschichte erzühlt hat, beschlieBt er nun auch die zweite
Version B vorzutragen. Fab. 152 und 154 sind also nicht die-
selbe Geschichte, sondern grade umgekehrt Vari-
anten! Uns interessirt natürlich jetzt nur noch die erste, viel
seltnere Version A f. 152. 153. Leider giebt Hygin dieselbe
nicht rein, sondern vermischt mit Zusützen aus der Vulgata, in '
diesem Fall vielleicht einfach aus der in fab. 154 benutzten
Quelle B, deren Inhalt er nachtrüglich ausführlich giebt, weil
er sich von der Unmöglichkeit denselben ganz mit A zu conta-
miniren, überzeugt hat. Dieses contaminirende Verfahren ist für
den Verf. oder Bearbeiter der Hyginfabeln characteristisch; re-
gelmäßig verfáhrt er dabei so, daß er die aus verschiedenen
Versionen stammenden Züge durch innere Motive zu verknüpfen
sucht. Diese Motive zeigen bei ihm gewóhnlich eine wunderlich
krankhafte Phantasie: ein recht crasses Beispiel ist z. B. in fad,
140 der Satz ne rescinderet Iunonis fatum (vgl ‘Culte und My-
then’ I S. 529). Grade diese krankhafte Phantasie zeigt sich
auch hier in dem Schlußsatz der f. 152 at sorores Phaethontis,
quod equos iniussu palris iunzerant, in arbores populos commutatae
sunt. Der ursprüngliche Bericht, welcher die Sintfluth folgen
ließ, kann die Verwandlung der Heliaden nicht gehabt haben;
sie stammt aus der Vulgata. Der Verfasser der Fabeln aber hat
diesen Zug in willkürlicher Phantasie mit einem characteristi-
Aithiopenmythen. 337
schen Zuge von A verbunden, indem er als den Grund der Ver-
wandlung angiebt, die Heliaden hütten gegen den Befehl des
Vaters den Wagen für Phaethon angeschirrt. Ist es nun nicht
von vornherein klar, daß der anstößige Satz ut omne genus mor-
talium cum causa interficeret , simulavit, se id velle exstinguere auf
dieselbe Weise zu erklären ist, d. h. daß hier eine Erfindung
vorliegt, bestimmt zwei nicht zusammengehirige Züge der beiden
Vorlagen zu verknüpfen? Diese beiden Züge sind offenbar der
große Brand und die Sintfluth. Wirklich kommen beide Motive
in der Phaethonlegende nicht nebeneinander vor?); sie sind auch
neben einander lästig. Schon daß der Göttervater in der Deu-
kalionsage statt nach seiner gewaltigen Waffe zu greifen, sich
mit einer Ueberschwemmung begnügt, war dem antiken Gefühl
anstóBig: Ovid (Met. I 252) oder seine Quelle hält eine
besondere Begründung für angebracht. Wie viel stärker aber
wird der Einwand, wenn der Mensch Phaethon den gewaltigen
Weltbrand entzündet, der Göttervater aber — der eben als
Retter des Weltganzen Phaethon zermalmt hat! — eine partielle
Weltzerstörung durch Wasser bewirkt! Wer den Sintfluthmy-
thos hinter dem Phaethonmythos erzählte, wollte natürlich in
Phaethon den schwachen, sich überhebenden Menschen darstellen ;
aber diese Schwächlichkeit trat nur dann hervor, wenn ihm
gleich von Anfang an das Werk zu schwer war, wenn er un-
mittelbar nach der Ausfahrt herabstürzte: gelang es ihm, hoch
am Himmel emporzufahren, die ganze Welt in Brand zu stecken,
so mußte dies grade die Kraft der Menschheit in einem Augen-
blick hervorheben, wo vielmehr ihre Ohnmacht betont werden
sollte. Es kommt dazu, daß jeder Leser, wie auch unser latei-
3) Denn wenn in chronologischen Notizen z. B. bei Clemens
strom. p. 335 C ed. Syib. 1688 der daëovros iunggauóc dem devxa-
liwyos xeraxkvouos zeitlich coordinirt wird, so beweist dies keines-
wegs das Vorhandensein solcber Berichte. Für die spätere Zeit war
der éungyoucs einmal die wichtigste Begebenheit des Phaethonmythos;
und grade wie dem Verfasser unsrer Hyginfabeln kounte jedem
spätern Autor sehr leicht bei Phaethon der mit ihm verbundene Welt-
brand einfallen. Daß Ovid Metam. I 253 (s. im Text) eine Version
kannte, aber nicht benutzte, nach welcher die Sintfluth mit dem
Phaethonbrande verbunden war, ist eine allzuspitzfindige Vermuthung
Mayersa.a. O. S. 137. Außerhalb des Phaethonmythos aber ist
die an sich nahe liegende Verbindung des großen Brandes und der
groBen Fruth in der That vollzogen, z. B. im VI. Buch des Nonnos ;
8. o. S. 882.
Philologus. N. F. Bd.1,2. 22
338 O. Gruppe,
nischer Fabelschreiber, daran denken muß — woran er aber
nach dem Gange der Er«ühlung nicht denken sol —, daß die
große Fluth ein vorzügliches Mittel ist, den großen Brand zu
lóschen. Entweder die Fluth also oder der Brand muB an
unserer Stelle interpolirt sein‘). So hat das Problem schon
Mayer ganz richtig gestellt; es ist nur die Consequenz von
Roberts irriger Auffassung von der textkritischen Bedeutung
des Strozzianus, wenn er sich für die Echtheit des Bran-
des entscheidet. Nachdem sich herausgestellt, daB f. 153 wirk-
lich, wie es die Ueberlieferung ja selbst angiebt, die Fortsetzung
von 152 ist, kann kein Zweifel sein, daB vielmehr der W elt-
brand in unserer f. 152^ interpolirt ist. Hierfür sprechen
auch andere entscheidende Gründe. Die Vorlage, welcher die
Fabeln in dem ganzen theogonischen Abschnitt folgen, gehört
zu den eigenartigsten der griechischen Litteratur: vieles, was
sie bringt, ist sonst gar nicht oder sehr selten überliefert. Die
Interpolationen gehören dagegen der später allgemein bekannten
Sagenform an, wie wir es ja auch bei dem Schlußsatz unserer
f. 152° bereits gefunden haben. Nun gehört wirklich die Ver-
bindung der Phaethon- und der Sintfluthsage zu den rarsten Ue-
berlieferungen, wogegen der Weltbrand des Phaethon später
allgemein und zwar grade auch in einer von Hygin gelesenen
Version (154) vorkam: kann es noch zweifelhaft sein, in wel-
chem der beiden Züge das Echte gesucht werden muß?
Der Brand wird jetzt durch den Blitz des Zeus verur-
- sacht. Es könnte so scheinen, als sei auch dieser von dem Verf.
aus der Vulgata entlehnt, zumal da es bei oberflächlicher Be-
trachtung wunderlich erscheint, daß der schon am Boden lie-
gende Phaethon noch vom Blitze getroffen wird. Genauere Be-
trachtung ergiebt jedoch eine weit überwiegende Wahrschein-
lichkeit dafür, daß dieser Zug schon in Hygins Quelle stand.
Wie hätte sonst überhaupt Hygin auf den wunderlichen Ein-
fall kommen können, den großen Brand an den Blitz des Zeus
anzuknüpfen? Die Vulgata und auch Hygins zweite Quelle B
(f. 154) läßt den Weltbrand dadurch entstehen, daß Phacthon
der Erde zu nahe fährt. Die bizarre Phantasie des Verfassers
der Fabeln erklärt sich nur, wenn er als erste Quelle eine Ver-
4) Die Consequenz hiervon zu ziehen, habe ich früher unterlassen,
Aithiopenmythen. | 339
sion hatte, welche nicht den großen Weltbrand, wohl aber den
Blitz des Zeus kannte. Als Zeitpunkt dieses Blitzes muB, da
ein Grund zur Aenderung fiir den Verf. der Fabeln nicht vor-
lag, der Moment als iiberliefert gelten, in welchem Phaethons
Sturz schon erfolgt war?) Die bisherigen Bearbeiter unserer
Hyginfabeln halten es für undenkbar, daß Phaethon noch lebte,
da er hoch vom Himmel herabgefallen war. Aber wir sahen
ja schon, nicht hoch am Himmel, nein, nicht allzufern der Aus-
fahrt muß er zu Fall gekommen sein. Und der Verfasser sagt
es ja selbst, weßhalb : prae timore. Grade diese, und nur diese
Motivirung entspricht dem Grundgedanken unserer Erzühlung,
welche in Phaethon den schwachen sich überhebenden Menschen
darstellt. Die Ueberlieferung also, daß der Blitz auf den ge-
fallenen Phaethon geschleudert wurde, ist nicht anzutasten. Aber
warum wird denn überhaupt Phaethon, so wird man mit Recht
fragen, noch besonders getódtet, da ja ohnehin der ganzen
Menschheit der Untergang schon bestimmt ist? Woher diese
plotzliche vorwegnehmende Strafe? Das Unheil, was Phaethon
hütte herbeiführen kónnen, ist ja durch seinen Sturz schon un-
móglich gemacht! Zur Erklürung dieses scheinbar auffülligen
Umstandes bietet sich am einfachsten die Annahme, daß Phae-
thon, gemäß dem ganzen Character, in welchem er hier erscheint,
noch nach dem Sturze die Gótter schmäht. — Uebrigens zeigt
sich auch hier wieder, daß der wunderliche Text des Frisingensis
das Original für den scheinbar reineren Text des Strozzianus ist.
Denn eben die befremdliche Umdrehung der natürlichen und
sonst überlieferten Reihenfolge, diese größte Wunderlichkeit des
Frisingensis, die nur im Zusammenhang mit den andern Abwei-
chungen dieses codex von der Vulgata zu erklären ist, diese
scheinbar so unbegreifliche Niederblitzung des gefallenen Phae-
thon steht unzweifelhaft auch im Strozzianus: cumque a terra ale
tius levaretur, prae timore in Eridanum fluvium, qui et Padus, ceci-
disse eumque percussum fulmine a Iove.
5) Ob auch nach dieser Version Phaethon in den Eridanos fiel,
ist nicht ganz sicher, weil der Verfasser der Hyginfabeln leicht diesen
Zug aus der Vulgata entlehnen konnte. Falls "Hosdavos, wie es fast
scheint, den 'früh verbrannten’ bezeichnete, ist es wenigstens für die
ursprüngliche griechische Form unserer Version des Mythos wahr-
scheinlicher. daß Eridanos hier nicht genannt war, da dieser Name
den großen Brand vorauszusetzen scheint, den unsere Version nicht
kannte.
22*
340 O. Gruppe,
Hygins erste Quelle A trug demnach die Phaethonlegende
in allen wesentlichen Punkten ebenso vor, wie nach unserer Re-
construction die Legenden von Joppe, Rhodos, Samothrake
und Epeiros. Die Frage wird nahe gelegt, ob nicht in die-
sem Zusammenhang die Quelle unserer Hyginfabeln auch die
Perseuslegende las. Da drängt uns denn f. 151 eine Ver-
muthung auf, die ich nicht erst anzudeuten brauche, weil sie
jedem Leser jener Fabel von selbst vorschweben wird, die ich
aber ausführlich zu begründen und genauer zu beschränken an
dieser Stelle deshalb nicht vermag, weil dieser Nachweis eine
Ausscheidung der lüngstgeahnten Zusätze jener f. 151 zur Vor-
aussetzung hat und überhaupt nur in einer umfassenden Arbeit
über die Hyginfabeln gegeben werden kann. — Hier mache
ich zum Schluß nur noch darauf aufmerksam, daß die Fabeln
152° und 153, wie wir sie wieder hergestellt haben, direct einen
Widerspruch aufklüren, in welchem die combinirte Phaethonsint-
fluthlegende mit der gewöhnlichen Phaethonlegende, (die wir
im Gegensatz gegen die Phaethon- Sintfluthsage die ‘isolirte’
Phaethonlegende nennen wollen) steht. Denn in der Phae-
th onsintfluthsage sind die Aithiopen schon längst unter die Erde
verwiinscht, wogegen die isolirte Phaethonsage die Aithiopen noch
kennt. Wer so erzählte, wollte offenbar die ‘versengte’ Haut-
farbe der Aithiopen mit dem großen Brande in Verbindung
bringen (vgl. Ov. Met. II 235 sanguine tunc credunt in corpora
summa vocato Aethiopum populos nigrum trazisse colorem). Die
Phaethonsintfluthsage, welche keinen Weltbrand hatte, wird also
hier auch keine Aithiopen mehr genannt haben. — Uebrigens
ist nicht bloß die Phaethonsintflutherzählung sondern ebenso auch
die ‘isolirte’ Phaethonlegende in der phoinikischen Litteratur
nachweisbar. Denn nur der letztern Version gehürt die Ver-
wandlung der Heliaden an; dieser Theil der Legende aber ent-
halt einen merkwiirdigen Uebersetzerfehler. Warum werden die
Sonnentóchter in Pappeln verwandelt, da doch diese keinén Bern-
stein und keinen andern leuchtenden Saft herabtriufeln lassen ?
Miillenhoff deutsche Alterthumsk. I 221 und ihm folgend
Knaack quaest. Phaeth. 11 sowie neuerdings O. Crusius
Jahrbb. f. Philol. 1887 S. 662 nehmen an, daß die Schwarz-
pappel an den Eridanos gehört, weil dieser eigentlich der ache-
rusische Strom sei. Aber dieser Grund scheint mir keineswegs
Aithiopenmythen. 341
ausreichend. Gesetzt, ‘Hesiod’, der zuerst diesen Theil des My-
thos erzühlt, hütte auf der einen Seite die Sage von den Elektron
weinenden Heliaden, auf der andern den von Pappeln umschat-
teten Eridanos gekannt — durfte er dann ohne weiteres die
Heliaden in Pappeln verwandelt werden lassen? Mit nichten;
das wäre eine willkürliche und krankhafte Phantasie: es mußte
ein tertium comparationis hinzukommen. Nur wenn sowohl von
den Heliaden als auch von den Pappeln überliefert war, daf
sie Goldharz weinten, war die Erfindung berechtigt. Aber die
ältere Dichtung wußte überhaupt nichts von dem acherusischen
Erídanos, den Pappeln umschatteten: diese Vorstellung wider-
spricht dem Gedanken des Mythos: Phaethon ist die rothe M or-
gensonne, seine Mutter ist die Morgenróthe, Eridanos der
‘früh verbrannte’ oder der ‘morgenliche. Also im Osten ist
offenbar der älteste Eridanos zu suchen. Uebertragungen der
mythischen Localititen von Ost nach West haben zwar naturge-
mäß stattgefunden, wo der Sinn des Mythos verloren gegangen
war; aber grade beim Eridanosmythos mit seinen durchsichtigen
Namen war dies schwer: noch Herodot scheint in dem Gedicht,
dem er folgt — also nach Knaack sogar grade bei Hesiod
selbst! — die Ableitung von Zridanos gefunden zu haben (III
115). Die Verlegung des Eridanos nach dem Westen scheint
mir untrennbar verbunden mit der griechischen Colonisation in
den Westlündern, durch welche, wie so viele andere mytholo-
gische Namen, auch die dem Phaethonmythos angehórigen Eri-
danos, Rhodanos, Ligys (d. i. Kyknos Jıyupwvog) nach dem
Westen verpflanzt wurden, und durch deren Vermittelung
auch der Bernstein aus dem fernen Westen nach Griechenland
gelangte. Nachdem der Eridanos aus dem Mythos in die Geo-
graphie übergegangen war, ist er, und zwar in sehr spiter Zeit,
aus dieser modificirt wieder in den Mythos zuriickgekommen.
Die älteste und einzige Quelle auf die sich Knaack sicher be-
rufen konnte, war Vergil. Aen. VI 658, Culex 260, neuerdings
(Jahrbb. f. Phil. 1887 S. 319) hat er mit Recht auch auf ein
von Schwartz vollständiger abgedrucktes Euripidesscholion
(Or. 981) verwiesen; er hätte auch auf Apoll. Rhod. 4. 610
hinweisen künnen, da dieser die Localität des Phaethongrabes mit
Zügen beschreibt, die an die Eingünge der Unterwelt erinnern.
Dagegen fehlt es an jeder Spur des Todten - Eridanos in der äl-
342 O. Gruppe,
teren Sage. Knaack hat den Versuch gemacht, den west-
lichen Eridanos bei Hesiod — zwar nicht bei dem Hesiod des
Phaethonmythos, aber doch bei dem Hesiod der Theogonie, auf
den Unterschied kommt es ihm anscheinend nicht an — aus
dem Verse Neilöv 1 *Adgeov ze xai “Hosduvov Badvdlyyv (Theog.
338) zu folgern; er meint nämlich, daß der Mil den Fluß des
Ostens, der Alpheios den der Mitte, der Eridanos den des We-
stens bezeichne. Ein Blick auf jenen Katalog der Fliisse lehrt
uns, daß eine bestimmte Reihenfolge innerhalb der einzelnen
Verse nicht beabsichtigt ist. Zufällig wissen wir aber auch,
daB die Flüsse in den Vorlagen in ganz anderem Zusammen-
hang standen (Culte und Mythen I 602). Damit fällt jeder
Anhalt für den Eridanos des mythischen Westens aus der äl-
teren Zeit. Unter diesen Umständen scheint mir die Erklärung
für die wunderlichen Goldharz träufelnden Pappeln auf anderem
Wege gesucht werden zu müssen. ‘225 ‘die weiße’ ist im
phoinikischen die Bezeichnung eines Baumes, dessen leuchtendes
wohlriechendes Harz geschätzt war. Wenn nun der Baum in
der Sonne Gluth den kostbaren Saft ausschwitzte, lag es da
für die poetische Betrachtung nicht nahe, zu sagen, daß in dem
Baum die eingeschlossenen Sonnentöchter weinten, zumal, wenn
$3335 zugleich, wie es sehr wohl möglich und sogar nach der
Leukothoesage höchst wahrscheinlich ist), gradezu der Name
einer mit dem Sonnengott in Verbindung gesetzten weiblichen
Gottheit war? Daß der griechische Bearbeiter, der von dem
Baume nichts wußte, 1335 durch Asvxn übersetzte, ist gewiß
nicht wunderbar — haben doch sogar die LXX noch diesen
Uebersetzungsfehler gemacht! — vielleicht war er sogar durch
die Etymologie des Namens gebunden. Ebenso wenig kann es
6) Leukothoe, die Geliebte des Helios wird bei Ovid Met. IV
190 ff. in einen Weihrauchbaum verwandelt. Daß auch dieser
Mythos schließlich auf ein phoinikisches Original zurückgeht, scheint
mir wegen des offenbaren Verhältnisses von 4fevxo9óg zu 1935 zwei-
fellos; dann aber ist es gewiß bedeutsam, daß die Baumnymphe zu
Helios (freilich nicht als ‘l'ochter, sondern als Geliebte) in Beziehnng
gesetzt wurde. — Als Thrane des Baumes erscheint der Weih-
rauch u. A, auch Ov. Metam. XV 394; Fast. I 339 (vgl. Schme-
kel de Ovid. Pythag. doctr. adumbr. diss. Gryphisw. 1885 S. 24);
Porphyr. de abstin. 11 5 (vgl. Bernays ‘Theophr. üb. d. Frömmigk.’
168); Arnob. adn. nat. 7. 27; Tertull. apol. 30. Fs entspricht genau
hebr. "29 "5. '
Aithiopenmythen. 343
befremden, daß später efysgo; und Asvxn verwechselt wurden
— wissen wir doch z. B. aus Paus. 5. 14. 2; Serv. Aen. 8.
276, daB grade die Silberpappel der acherusische Baum ist! —
und daß, als der Bernstein in Griechenland häufiger bekannt
wurde, der poetische Ausdruck ‘Thräne der Heliade’ auf ihn
überging. Es ist diese Verwechselung zwischen Weihrauchbaum
und Silberpappel um so wahrscheinlicher, da ebenso wie der
Weihrauchbaum (Bótticher Baumcultus 275) auch die Sil-
berpappel (vgl. z. B. Foucart assoc. relig. S. 35) dem Sonnen-
gotte heilig ist, was eben mit unserm Mythos unzweifelhaft zu-
sammenhängt.
Berlin. O. Gruppe.
Zu Aristophanes,
Der Chor der Vögel setzt einen Preis auf die Tédtung oder
Gefangennahme des Philokrates und schildert in beweglichen Wor-
ten, wie er die armen Vögel mißhandle. 1080 heiBt es in den Aus-
gaben efra puowy ric x(ylag Oeíxvvow xal Avpulvetas, RVA (nach
Blaydes auch BS4/) und Suidas aber haben hinter defxruos noch
mao. Blaydes bemerkt dazu: ,,latet fortasse mendum. Qu. det-
xruoi mar x«i v — (gl. Auualveras)“. Die Lücke ließe sich leicht
mit x«xoi ausfüllen. Weiter geht Schnee Progr. Hamburg 1886
S. 10: er findet es unpassend zu sagen deferuos xalÀ vuatveros
monstrat et contumelia afficit, zieht auch xal (= „das heißt“) zu
dem Glossem und schreibt óeéíxrvos naow anrígovg. Darnach
würde also der Händler die Drosseln gerupft zum Verkauf stel-
len, wührend z. B. Ach. 988 Dikaiopolis die Federn als Zeichen
seines üppigen Mahles vor die Thür seines Hauses wirft, die
Drosseln also ungerupft gekauft hat, wie auch 970: sto vrai
nreQuywr xylav xai xowlywv zeigt. Wollte der Händler die
Vógel móglichst fett erscheinen lassen und blies er sie zu die-
sem Zwecke auf (pvowr), was ihm der Chor als Verunstaltung
vorwirft, so handelte er gewiß in seinem Interesse, wenn er den
Thieren die Federn ließ. Ueberdieß erscheint es nicht recht
glaublich, daß jemand zu «4miégovg eine Glosse wie xui Avpal-
veros hinzugeschrieben haben würde.
Frankfurt a. O. O. Bachmann.
XIX.
Die Forschungen über den Orient.
(Vgl. Bd. XLV 689).
Alexandrien nach den Untersuchungen Nissen's (Rhein.
Mus. XL S. 62) am 21. Jan. 381 v. Chr. gegründet, ist die
jüngste, aber für die griechisch-rómische Periode wichtigste Groß-
stadt Aegyptens. Hier war die Residenz der Könige und der
Mittelpunkt der Verwaltung, wenn auch nominell noch lüngere
Zeit Memphis als Hauptstadt galt, indem man an der seit meh-
reren Jahrhunderten eingewurzelten ägyptischen Anschauung
festhielt trotz der wechselnden königlichen Residenzen stets nur
diese eine Hauptstadt rechtlich anzuerkennen. Eine entsprechende
Geschichte Alexandriens fehlt und populäre Werke, wie z. B.
das neueste von de Vacquery (Alexandrie et la Basse Egypte.
Paris 1886) vermögen diese Lücke naturgemäß nicht auszufül-
len. Die Hauptschwierigkeit beruht auf dem Unbekanntsein der
genauern Topographie der alten Stadt. Das Material fiir deren
Bearbeitung bilden zunächst zahlreiche, leider unvollständige und
meist vieldeutige Notizen antiker Autoren, welche nach den äl-
tern Untersuchungen von Ritschl, Parthey u. a. besonders durch
Lumbroso (Descrittori italiani dell’ Egitto e dij Alessandria. Roma
1879; L'Egitto al tempo dei Greci e dei Romani. Roma 1882
u. s. f) und Wachsmuth (Rhein. Mus. N. F. 35 S. 448 ff;
42 S. 462 ff.) bearbeitet worden sind. Eine neue Quelle nach
dieser Richtung erschloß Crusius in der von ihm aufgefundenen
Schrift Plutarch's de proverbiis Alerandrinorum. (Tübingen-Leip-
. zig 1887), welche besonders für das Leben und 'Treiben in der
Stadt von hohem Interesse ist, aber auch topographische An-
haltspunkte enthält, die der Herausgeber in seinen werthvollen
Erlüuterungen zu der Schrift (Fleckeisen's Jahrb. 135 S. 241 ff.
Die Forschungen iiber den Orient. 345
657 ff.) der Wissenschaft nutzbar gemacht hat!) Ergänzt wer-
den die Schriftstellerangaben durch zahlreiche Funde von In-
schriften in der Stadt und ihrer Umgebung, welche besonders
Nerutsos- Bey edirte ('494jv«w» 1875; Bull. de Corresp. Hell.
1878; Rev. arch. III Ser. IX p. 198 ff, 291 ff, X p. 61 ff,
121 f., 208 ff) Systematische Ausgrabungen haben seit den
Arbeiten von Mahmud-Bey (Mém. sur l'antique Alexandrie. Co-
penhague 1871) nicht stattgefunden und dies ist um so mehr
zu bedauern, als sich vor einigen Jahren nach der Beschießung
der Stadt und bei den dadurch veranlaßten Neubauten eine hier-
für selten günstige Gelegenheit geboten hätte. Nur gelegentlich
entdeckte man damals bei dem Neubau der Bórse die Funda-
mente eines Tempels und unter diesen mehrere Platten von
Gold, Silber, Bronze und glasirtem Thon, welche ein und die-
selbe bilingue, griechische und hieroglyphische Inschrift trugen.
Nur die Goldplatte war gut erhalten, ihr griechischer Text lau-
tete: Zagamdog ya» (sic) [odog (sic) Fewr Twrnewwr (2) zus Bu-
eiAecog Hrolewacouv xut Paodicons Agosvong Iewv Didonarogwr.
(Maspero, Rec. de trav. rel. à VEg. VII p. 140 f£). Nicht ein-
mal die Schutthiigel, welche die moderne Stadt umgeben, sind
systematisch durchforscht worden, obwohl dieselben bei gelegent-
lichen Nachgrabungen eine reiche Ausbeute von Bruchstiicken
griechischer Statuen, kunstreich gearbeiteten Thonwaaren, ver-
einzelten Inschriften und besonders gestempelten Henkeln rhodi-
scher und sonstiger Thonkriige ergaben.
Heliopolis. Die Bedeutung von Heliopolis beruht
darauf, daB es der Mittelpunkt des über ganz Aegypten ver-
breiteten Kultus des Sonnengottes Ra war. Hier entstand nach
den Forschungen Naville’s (Das ag. Todtenbuch der 18. — 20.
Dyn. Einleitung) der weitaus größte Theil des sog. Todtenbuches.
. Hier wurde der Vogel bennu, der Phoenix der Griechen, eine
Form der Morgensonne, (Wiedemann, Aeg. Zeitschr. 1878 S.
89 ff.) verehrt. Von hier ist endlich auch die Verehrung des
Gottes Aten, der Sonnenscheibe, ausgegangen, welchen der Kónig
Amenophis IV zur henotheistischen Gottheit Aegyptens zu er-
heben versuchte. Diese Reform richtete sich hauptsächlich ge-
gen den Gott Amon, eine andere Form des Sonnengottes, welche
in Theben ihren Haupt- Verehrungsort hatte. Sie hatte jedoch
keinen Bestand. Nach dem Tode des Kénigs und seiner un-
mittelbaren Nachfolger ward der Amon-Kult wieder herrschend.
Die Aten-Tempel wurden zerstért und die Verehrung der Gott-
heit blieb fortan auf Heliopolis beschrünkt. Die Fundamente
seines hiesigen Heiligthums liegen bei dem Orte Matarieh (vgl.
Maspero Aeg. Zeitschr. 1881 S. 116) Ausgrabungen sind an
1) Ueber die von Crusius a. O. S. 674 erórterte Frage nach der
diaBa9oa vgl neuerdings Wachsmuth im ‘Rhein. Mus.’ XLIII 306.
346 A. Wiedemann,
dieser Stelle ebensowenig wie an der Stätte des Ra- Tempels,
welche durch die noch bestehende Umfassungsmauer und durch
einen Obelisken bezeichnet wird, vorgenommen worden. Erhalten
werden freilich nur die Fundamente sein, da man bereits zur
Zeit der Ptolemüer und rómischen Kaiser angefangen hat den
Tempel auszuplündern. Die sog. Nadel der Cleopatra und ihr
Pendant *), fast alle Obelisken in Rom und sonst im römischen
Reiche, zahlreiche dem Isis-Kult dienende Denkmäler, u. a. eine
von Psammetich II geweihte, in Pompeji entdeckte (Lepsius
Aeg. Zeitschr. 1868 S. 85 ff) Altarplatte, stammen von hier.
Der Tempel galt seit der 12. Dynastie als der Mittelpunkt
der ägyptischen Weisheit; sogar die Gótter erholten sich in ihm
bei Verwundungen Rath. Noch in griechischer Zeit lebten hier
die weisesten Priester und der 'Tradition nach sollen von ihnen
die verschiedenen griechischen Philosophen die Grundlagen ihres
Wissens empfangen haben. Wenn auch die Mehrzahl dieser
Ueberlieferungen von Reisen nach Aegypten auf späterer Erfin-
dung beruht, wie dies in Bezug auf die Reisen Plato's wohl
sicher der Fall ist °), so beweisen dieselben doch das hohe An-
sehen welches der heliopolitanische Tempel noch in später Zeit
besaB. Dabei ist stets nur von dem Tempel und seinen An-
nexen und nie von der Stadt die Rede. Diese scheint stets un-
bedeutend gewesen zu sein, spielt auch in den Inschriften keine
weitere Rolle. E. Brugsch (On et Onion in Rec. de trav. rel. e.
c. VIII p. 1 ff) vermuthet die Stadt sei von den Hyksos zer-
stórt worden, Seti I habe dieselbe wieder aufgebaut, aber nicht
an der gleichen Stelle, sondern bei Tell el Jahudi im öst-
lichen Delta. Diese Ansicht wird durch die Angaben der Klas-
siker, welche über die allgemeine Lage von Heliopolis bei dem
Orte Matarieh, in der Nühe des Sonnentempels, keinen Zweifel
übrig lassen, widerlegt. Seine genaue Lage ist dagegen ebenso
unbekannt wie die seiner Nekropole.
Memphis. Nach dem Zeugnisse der Klassiker war
Memphis die Residenz der ersten historischen Kónige Aegyptens.
Diese Ansicht wird von Manetho getheilt, welcher seine dritte
bis vierte und 6.—8. Dyn. als Memphiten bezeichnet und den
Nachfolger des Menes die Königsburg von Memphis erbauen
läßt. In den Inschriften erscheint die Stadt unter ihrem Namen
Men-nefer erst zur Zeit der 6. Dyn. Hieraus hat Erman (Ae-
2) Die Errichtung dieser beiden Obelisken in Alexandrien erfolgte
nach einer bilinguen (griechischen und lateinischen) Inschrift im Jahre
.18 des Augustus. Vgl. Merriam The greek and latin inscription on
the obelisk - crab. New-York 1883; Mommsen Eph. epigr. IV p. 26;
V p. 2.
i 8) Neumann de locis aegypt. in operibus Platonicis. Vratisl. 1874
und Ch. Huit in den Séances et trav. de l’Ac. des sciences morales XX.
1883 nehmen dieselben freilich als authentisch an.
Die Forschungen über den Orient. 347
gypten I S. 243 f) geschlossen, dieselbe sei erst damals im
Anschluß an die hier gelegene Grabpyramide des Königs Pepi I,
welche den Namen Men-nefer führte, entstanden. Allein bereits
früher hat der König Sahura (5. Dyn.) den in Memphis gele-
genen 'lempel der Góttin Sechet gegründet und schon vor Pepi
haben hier die Könige Unas und Teta ihre Grabpyramiden er-
richtet. Jünger als der Name Memphis ist für die Stadt die
zweite Benennung Aevxór 1eïyoc, unter welchem ein Theil der-
selben bei den Klassikern (z. B. Her. III 91. "Thucyd. I 104)
erscheint, sie begegnet uns erst im neuen Reich als anub het'
„weiße Mauer“, war aber damals sehr gebräuchlich.
Die Stadt bedeckte einen ungeheueren Flüchenraum; sie er-
streckte sich von Gizeh bis über Saqqarah hinaus und auch auf
dem rechten Nil-Ufer befanden sich einige Vorstädte. Natürlich
war nicht das ganze Gebiet mit Häusern bebaut, diese wech-
selten vielmehr wie bei allen orientalischen Städten mit ausge
dehnten Villenanlagen, Gürten, Feldern und auch ganz unbe-
nutzten Strecken ab. Die eigentliche Stadt ist vüllig verschwun-
den, erhalten sind nur die Nekropole und einige Tempel; das
Meiste ist den Arabern zur Beute gefallen, als diese im Mittel-
alter diese Ruinen als Steinbruch für ihre Hauptstadt Kairo
benutzten.
Die Nekropole wird charakterisirt durch eine Reihe von
Pyramiden, welche sicher die Gräber der Könige der 4.—6.
Dyn. und wahrscheinlich noch einiger anderer Herscher ent-
hielten. Dieselben wurden von Vyse (Operations carried on at
the pyramids. London 1840) und Perring (Zhe Pyramids of
Gizeh. London 1839— 42) und neuerdings in eingehender und
sorgfältiger Weise von Petrie (The Pyramids. London 1882) un-
tersucht ohne daß dabei außer den Namen der Erbauer einzel-
ner Anlagen historisch wichtigere Resultate zu 'lage getreten
wären. Nach dieser Richtung war es bedeutungsvoller, daß es
1880—82 Mariette und Maspero gelang eine Reihe von Grab-
pyramiden aus der 5.—6. Dyn. (der Kónige Unas, Teta, Pepi I,
Ra-mer-en und Pepi II) zu eróffnen, deren Wünde mit ausge-
dehnten religiósen Inschriften bedeckt waren. Ihre vollständige
Publikation erfolgt durch Maspero (Rec. de trav. rel. etc. IV ff)
welcher den 'lexten auch eine vorlüufige Uebersetzung beige-
fügt hat. Die Inschriften haben zunüchst sprachlich einen ho-
hen Werth. Es sind die ältesten ausgedehnten Kompositionen,
die bisher entdeckt worden sind. Einen gewissen Abbruch thut
ihnen dabei freilich der Umstand, daß sie insgesammt rein reli-
giösen Inhaltes sind und daß die hergebrachte formelhafte Ab-
fassungsweise, wie in allen derartigen Texten, eine freiere Satz-
entwickelung beeinträchtigen mußte. Ihr Inhalt 5) bezieht sich auf
4) Vgl. Maspero La religion Egyptienne d’après les pyramides de
348 A. Wiedemann,
die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, welche im Allge-
meinen in derselben Weise wie in jüngeren Urkunden dargestellt
wird. Dies geht soweit, daß lange Abschnitte dieser Texte sich
in Inschriften aller Perioden des äg. Heidenthums bis in die
römische Kaiserzeit hinein wiederholt finden. Die religiöse Auf-
fassung ist eine ganz materielle. Das Jenseits wird genau wie
das Diesseits dargestellt, der Todte braucht Speise und Trank
und empfindet Hunger, wenn ihm die Hinterbliebenen nicht
durch Opfergaben oder Recitation bestimmter Formeln seinen
Unterhalt zukommen lassen. In derselben Lage wie er befindet
sich auch die Gottheit, der er durch seine Seligsprechung voll-
kommen gleich und identisch geworden ist. Auffallend ist es,
welche große Rolle bereits in diesen Texten magische Beschwö-
rungen und Dämonenglaube spielen. Von irgend welcher Reli-
gionsphilosophie oder monotheistischen Lehren, wie man solche
gern, freilich vergeblich in den tg. Texten nachzuweisen sucht,
ist keine Spur vorhanden.
Trotzdem daß durch diese Funde die längst feststehende
Ansicht, daß die Pyramiden nichts als Grabanlagen seien, von
neuem erhärtet wird, haben die Versuche, in ihnen selbst und
in ihren Maaßen allerhand mystische Geheimnisse zu entdecken,
noch immer nicht aufgehört. Hauptsächlich thätig ist nach
dieser Richtung hin der bekannte englische Astronom Piazzi
Smyth, der besonders in England und Amerika zahlreiche An-
hänger und Nachfolger gefunden hat, welche fortdauernd neuen
und immer wunderbareren Geheimnissen auf die Spur zu kom-
men wissen.
Der Haupttempel von Memphis war dem Gotte Ptah, den
die Griechen ihrem Hephästos vergleichen, geweiht. Seine Stätte
wird durch eine umgestürzte Kolossalstatue Ramses II bei dem
Orte Mitraheni bezeichnet. Systematische Ausgrabungen sind
hier nicht vorgenommen worden. Dieselben würden außer für
die Aegyptologie auch für die klassische Philologie von Bedeu-
tung sein, da Herodot diesen Tempel am eingehendsten besucht
hat und schildert, und seine Kenntniß der äg. Geschichte größ-
tentheils auf den in ihm angebrachten Darstellungen und In-
schriften beruht. Mehr ist für das in der Nähe gelegene Se-
rapeum geschehen. Dieser Bau bestand aus zwei durch einen
Dromos verbundenen Gebäudecomplexen. Der eine, dessen An-
lage von Amenophis III (c. 1500) begonnen wurde, enthielt die
Grabstätten des heiligen Apis-Stieres. Bis in die Ptolemäerzeit
wurden die Thiere hier beigesetzt und tausende von Votivstelen
neben den Särgen des verstorbenen und seligen Apis, des Osiris-
Apis, woraus das griechische Sarapis entstanden ist, aufgestellt,
la Ve et de la Vie dynastie in Rev. de l'histoire des réligions. 1885
sept.-oct. p. 123—39.
Die Forschungen über den Orient. 349
bez. eingemauert. Der zweite Complex entstand erst in grie-
chischer Zeit und bildete das in Papyris hüufig erwühnte Sera-
peum mit seinen Annexen. Hier waren die beiden Zwillings-
schwestern angestellt, deren Prozefiakten sich sammt den Pa-
pieren des Klausners Serapion erhalten haben. Die Urkunden
sind größtentheils griechisch geschrieben, doch haben sich neuer-
dings auch einige demotische hierher gehórige Aktenstücke ge-
funden. Eine zusammenfassende Behandlung der Texte fehlt.
Ebensowenig ist eine entsprechende Beschreibung des Serapeum's :
und der dabei gemachten Funde erschienen. Die beste Schil-
derung der Anlage gab ihr Entdecker Mariette (Choiz de monu-
ments et de dessins, découverts au Serapeum de Memphis. Paris
1856); eine Publikation der Monumente, die aber bald ins Sto-
cken gerieth begann derselbe (Le Serapeum de Memphis. Paris
1857); neuerdings hat Maspero eine solche nach Papieren Ma-
riette’s in Angriff genommen (Le Serapeum de Memphis I, Paris
1882), doch enthält der bisher erschienene Band eigentlich nur
den Abdruck bereits veróffentlichter Aufsütze Mariette's, das Er-
scheinen einer Fortsetzung steht einstweilen nicht in Aussicht.
Die Todtenstadt ist wichtig durch zahlreiche Grüber aus
der 4.—6. Dyn., neben denen die jüngeren derartigen Anlagen,
so bedeutend auch einzelne derselben sein mógen, zurück stehen
müssen. Die Ausnutzung ihrer Inschriften und Darstellungen
begann Lepsius, der einen Theil seiner Resultate in seinen Denk-
mülern Abth. II niederlegte. Später hat Mariette hier ausge-
dehnte Ausgrabungen veranstaltet ohne etwas Eingehendes über
dieselben zu veröffentlichen. Die sehr unvollständigen Notizen,
welche sich über die Ergebnisse in seinem Nachlasse vorfanden
publizirte Maspero (Les Mastuba de l'ancien Empire. Paris 1882 —5).
Achmin, das alte Panopolis ist in letzter Zeit viel genannt
worden, da hier eine ausgedehnte Begräbnißstätte in Felsen-
grüften aufgedeckt worden ist. Tausende von Mumien sind die-
ser bereits entnommen worden, doch sind die historischen Resultate
des Fundes nicht sehr hervorragende. Es handelt sich haupt-
sächlich um Leichen der jüngeren Perioden, welche größtentheils
ohne Sarg und bessere Beigaben bestattet worden sind (Maspero
im Bulletin de l'Institut égyptien II. Ser. nr. 6 p. 73 ff). Da-
neben finden sich aber auch einzelne werthvollere Mumien (vgl.
z. B. Études dédiées à M. Leemans p. 85 ff. Stelen von hier
publizirte Bouriant Rec. de trav. rel. e. c. VII p. 121 ff, VIII
p. 159 ff.; koptische Papyri derselbe, Mém. de la miss. arch. du
Caire I p. 242—304, vgl. Stern Aeg. Zeitschr. 1886 S. 115 ff. ;
griechische Papyri®) Wilcken Sitzungsber. der Berl. Ak. 1887
S. 807 ff) und ist nur zu hoffen, daß das Fundmaterial ent-
$) Letztere enthalten Hesiod Theogonie v. 75—145; Euripides
Rhesos v. 48—96; Paraphrase zu Homer Ilias I u. s. f.
350 A. Wiedemann,
sprechend registrirt worden ist, da es dann einen Einblick in
die Bevölkerungsverhältnisse der Stadt gewähren wird. Bereits
früher hat sich gezeigt, wie verhängnißvoll die Unterlassung
einer solchen Registrirung für die Wissenschaft werden kann.
In den 50er Jahren entdeckte Maunier in Theben die Begrüb-
nißstätte einer Familie, deren Mitglieder von der 21.—26. Dyn.
zahlreiche Priesterthümer, bes. des Gottes Mont, in Theben be-
kleidet hatten. Leicht würe es damals gewesen die Geschichte
dieser Familie, welche für die sozialen Verhältnisse Aegyptens
und besonders für die Erblichkeit bestimmter Stellungen hohes
Interesse darbietet, wiederherzustellen. Jetzt sind die Sarge in
die verschiedenen Museen Europa’s und Aegyptens zerstreut,
einige sind auch zerstórt worden; so dient z. B. ein groBes, mit
Inschriften versehenes Sargbrett aus diesem Funde als Garten-
thür eines Hótels in Luqsor, so daf eine Zusammenstellung der
Angaben der Sarge zu einer Unmöglichkeit geworden ist.
Abydos hat in der politischen Geschichte Aegyptens keine
Rolle gespielt, wenn auch aus dem ihm benachbarten This (Girgeh)
der erste Kónig des Landes. hervorgegangen sein soll Um so
6fter begegnet uns die Stadt in religiósen Texten als der Haupt-
sitz des Gottes Osiris. Ihm galten die beiden Haupttempel,
welche Seti I und Ramses II errichteten und deren erster in
seinen Reliefs die höchste Blüthe der ag. Kunst vorführt. Auch
das Grab des Osiris wurde hier gesucht und es lieBen sich da-
her vornehme Aegypter gern an dieser Stelle beerdigen, um ihr
Grab möglichst nahe bei dem des Herrn der Unterwelt zu ha-
ben. War dies nicht möglich, so ließ man häufig wenigstens
eine Votiv-Stele für den Verstorbenen hier aufstellen. Besonders
während der 11.—14. und 17.—19. Dyn. war dies tiblich und
stammt bei weitem der grófte Theil der erhaltenen Stelen die-
ser Perioden aus Abydos. Systematische Ausgrabungen unter-
nahm hier Mariette, welcher seine Resultate in einer großen
Publikation (Abydos. Paris 1869—80) niederlegte. Die beiden
ersten Bünde derselben enthalten die Tempelinschriften und gró-
feren Monumente, wührend der dritte einen ausführlichen Ka-
talog aller aufgefundenen Denkmiüler giebt. Die wichtigste hi-
storische Inschrift aus dem Tempel, eine lange Königsliste, ward
bereits von Dümichen (Aeg. Zeitschr. 1865) publizirt, eine an-
dere, über die Jugend Ramses II von Maspero (Essai sur l'in-
scription dédicatoire du temple d'Abydos. Paris 1867) behandelt.
Neuerdings hat Sayce (Proc. Soc. bibl. arch. VI 209 ff; VII
96 ff; VIII 159) zahlreiche Grafiti entdeckt und publizirt,
durch welche Reisende ihren Namen an den Tempelwänden ver-
ewigt haben. Der größte Theil derselben ist in cyprischer und
in griechischer Schrift aufgezeichnet.
Denderah. Die hier erhaltenen Tempel und besonders
der groiie Hathor- Tempel stammen aus junger Zeit. Es sind
Die Forschungen iiber den Orient. 351
die spätern Ptolemäer, unter ihnen die letzte Cleopatra und ihr
Sohn Caesarion, welche sie erbauten und im Wesentlichen aus-
schmiickten. Der Haupttempel ward durch Mariette und Dii-
michen ausgegraben und seine Inschriften publizirt (Mariette,
Dendérah. 4 Bde und Suppl. Paris 1870— 74; Diimichen,
Bauurkunde der Tempelanlagen von Denderah. Leipzig 1865;
Altäg. Tempelinschriften. II. Band. Leipzig 1867; Baugeschichte
des Denderah-Tempels, Straßburg 1877 u. s. w.) Wichtig ist
unter letzteren die ausführliche Baugeschichte, welche zahlreiche
ehronologische Angaben für die Ptolemüer-Zeit enthült und über
den Umfang und Zweck der einzelnen Riume des Tempels in-
teressante Aufschlüsse gewührt. Der am Anfang dieses Jahr-
hunderts viel behandelte und für uralt erklärte Zodiakus von
Denderah stammt gleichfalls aus junger Zeit.
Theben. Ebenso wie Memphis hatte auch Theben einen
für seine Einwohnerzahl unverhältnißmäßig großen Umfang. Die
‘ Stadt selbst, deren Hiiuser aus Holz und Lehmziegeln errichtet
waren, ist verschwunden, erhalten sind nur die Tempel, welche
nach “den bei ihnen gelegenen arabischen Ortschaften genannt
zu werden pflegen, einige Reste der dieselben verbindenden
Sphinx-Straßen und zahlreiche Gräber. Die großartigste Tem-
pelanlage ist die von Karnak. Sie wurde während der 12.
Dyn. begonnen, an ihrem Ausbau waren alle Herrscherfamilien,
bis zu den Kaisern hinab, thätig. Es entstand hierbei kein ein-
heitlicher Tempel, sondern ein regelloses Conglomerat zahlreicher
neben-, hinter- und ineinander liegender Einzelanlagen, deren
jeweiliger Plan oft kaum feststellbar ist. Die beste Beschreibung
der Ruinen gab Champollion (Notice descriptive e. c.); einen ge-
nauen Plan auf Grund umfassender Ausgrabungen Mariette, der
dabei gleichzeitig die von ihm neu gefundenen Inschriften edirte
(Karnak. Textbd. und Atlas. Leipzig 1875 und les Listes géo-
graphiques des Pylones de Karnak. Textbd. und Atlas. Leipzig
1875). Mehrere kleinere Tempel umgaben den Hauptbau, dar-
unter der Tempel des Kriegsgottes Mentu (Month). Einige der-
selben werden auch in griechischen Papyris erwähnt, besonders
in den auf das Haus des Hermias, welches im Nord-Westen des
Amon - Tempels gelegen war (vgl. Revillout, Rev. égypt. I p.
175 ff) bezüglichen. Dieser Hermias, Sohn des Ptolemäus, hatte
zur Zeit des Ptolemäus Euergetes einen Prozeß gegen die the-
banischen Choachyten auszufechten, die ihm, während er als Of-
fizier von Theben entfernt weilte, sein von den Eltern ererbtes
Haus entrissen hatten. Die Akten dieses Prozesses, die in grie-
chischer und demotischer Sprache abgefaßt und für die Rechts-
verhältnisse der Ptolemäerzeit vou hoher Bedeutung sind, haben
sich erhalten. Die griechischen Texte behandelte Wolff (de causa
Hermiana, papyris Aegyptiacis tradita. Breslau 1874; vgl. Da-
reste, Le procès d'Hermias in Now, Rev, hist, de droit fran.
352 . A. Wiedemann,
çais et étranger 1883 nr. 2) eine Bearbeitung sümmtlicher Ur-
kunden begann Revillout (le procès d’Hermias. I. Paris 1884).
Innerhalb der Tempel- Umwallung entstanden in der spá-
teren Kaiserzeit Dörfer, deren Hausmauern theilweise noch er-
halten sind. Dieselben bestanden aus luftgetrockneten Lehm-
ziegeln, denen man um ihnen mehr Festigkeit zu geben, Thon-
scherben eingebacken hatte, ühnlich wie man im Delta und bei
uns dem Lehm Stroh beizumischen pflegt. Ein groBer Theil
dieser Scherben ist mit griechischen und demotischen Inschriften
versehen; erstere stammen- aus der Zeit von Augustus (unter
welehem sie nach der aktischen Aera datiren) bis zu Commodus,
bez. Pescenius Niger; letztere beginnen bereits unter den Ptole-
miern. Der Inhalt der Texte bezieht sich auf das Steuerwesen,
es sind Listen steuerpflichtiger Bürger mit Angabe des Steuer-
betrages, Quittungen über bezahlte und Notizen über noch rück-
stindige Betrüge, Briefe von einzelnen Beamten an andere über
Steuerfragen und ähnliches. Dieselben sind in sehr großer Zahl
vorhanden, aber nur wenige sind bisher publizirt worden (vgl.
Sayce Proc. Soc. Bibl. Arch. VII p. 11 ff; p. 195 ff; Wilcken
Jahrb. des Ver. v. Altfr. im Rheinl. LXXXV ; für den Fundort
Wiedemann Revue égypt. II p. 346 ff), aus ihnen ergeben sich
zahlreiche für die Verwaltung und Geschichte Aegyptens wich-
tige Notizen. Eine der Scherben enthielt auch einen literarisch
interessanteren Text, ein griechisches Epigramm (publ. Bücheler
Rhein. Mus. XXXIX S. 151 ff).
Der zweite größere auf dem rechten Nilufer gelegene Tem-
pel ist der von Luqsor, dessen Bau Amenophis III begann und
Ramses II beendete. Nur Weniges ward spüter noch hinzuge-
fügt, wie z. B. eine neue Cella für das Sanktuarium von Alexan-
der II. Die Anlage ist architektonisch dadurch interessant, daß
ihre Hauptaxe keine gerade, sondern eine gebrochene Linie bil-
det. In den Tempelräumen ward später ein koptisches Dorf
angelegt, welches dieselben fast ganz ausfüllte. Seit einigen Jah-
ren arbeitet man an dessen Niederreißung, um so die gesammten
Inschriften des Bauwerkes zugänglich zu machen.
Größer war die Zahl der Tempel auf dem linken Nilufer.
Dieselben hatten einen doppelten Zweck; einmal dienten sie den
Begräbnißceremonien und Todtenopfern für den König, der sie
errichtet hatte, dann aber stellten ihre Reliefs auch die Groß-
thaten des betreffenden Herrschers, seine Feldzüge und seine
Siege dar. Unter diesen Anlagen sind von besonderer Bedeu-
tung die 'Tempel von Medinet-Abu (Ramses III und Thutmes
III), der von Gurnah (Ramses I und Seti I), das Ramesseum
(Ramses II), welches Diodor als Grab des Osymandyas schildert
und der Terassen-Tempel von Dér-el-bahari (Ramaka-Hatasu).
Nur von letzterem sind eingehendere Publikationen von Ditmi-
chen (die Flotte einer ag. Königin. Leipzig 1868; Resultate
Die Forschungen tiber den Orient. 358
der photographischen Expedition I. Berlin 1869; historische
Inschriften I) und Mariette (Deir-el-bahari. Leipzig 1877) vor-
handen; aus den iibrigen wurden nur einzelne Inschriften her-
ausgegeben. Andere Tempel sind hier vollstindig zerstórt, so
vor allem einer Amenophis III, dessen Eingang zwei Kolossal-
statuen des Herrschers, die sog. Memnonskolosse, bewachten.
Der nórdliche unter diesen trügt die bekannten griechischen In-
schriften (am besten zugleich mit zahlreichen andern in Aegypten
gefundenen griechischen Texten publizirt Lepsius Denkm. VI
76—80, 101; vgl. Puchstein Epigrammata graeca in Aegypto re-
perta. Straßburg 1880).
In der Nähe von Dér-el-bahari entdeckten die Araber vor
einigen Jahrzehnten in einer abgelegenen Felsschlucht, an einer
schräg abfallenden Wand einen senkrecht in die Erde getriebe-
nen Schacht. Derselbe führte zu einem horizontalen Gang, welcher
mit regellos durch einander liegenden Särgen, Mumien und Todten-
beigaben angefüllt war. Die Fundgegenstände sind jetzt größten-
theils im Museum zu Bulaq. Es waren die Mumien einer Reihe von
Herrschern und königlichen Anverwandten aus der 17.—21. Dyn.,
deren letzte ganz am Anfang der 22. Dyn. (c. 950) beigesetzt
worden war; die meisten wurden während der 21. Dyn. in die-
sen Schacht gebracht. Zu welchem Zwecke dies geschah ist un-
klar, da wenigstens die älteren Herrscher im Thal der Königs-
gräber zum Theil noch erhaltene prachtvoll ausgeschmückte
Grabstätten besaßen, in welchen sich ihre Steinsarkophage be-
finden. Das Interesse des Fundes (vgl. für denselben Maspero
und E. Brugsch la trouvaille de Deir-el-bahari. Cairo 1881) be-
ruht darauf, daß wir durch ihn die bedeutendsten Pharaonen
von Angesicht zu Angesicht kennen lernen; direkte historische
Notizen haben sich nur wenige gefunden. Dagegen ergab sich
eine Reihe neuer Thatsachen, als Maspero sich vor zwei Jahren
entschloß wenigstens einige der Königsleichen ihrer Binden zu
entkleiden. Es stellte sich dabei z. B. heraus, daß der König
Ra-sekenen, einer der Anführer der Aegypter im Kampfe gegen
die Hyksos, eines gewaltsamen Todes gestorben war (Maspero
The Academy 31. Juli 1886 p. 78. Rec. de trav. rel. e. c. VIII
p. 179 ff.). Eine andere, namenlose Mumie zeigte Spuren eines
Vergiftungstodes (Maspero Rev. crit. 26. Juli 1886 p. 80). In
einem Sarge, welcher die Kónigin Ahmes-nefer-ateri enthalten
sollte, fand sich der König Ramses III, der Rhampsinit Hero-
dot’s, und daneben ein Packet mit faulenden Mumienstiicken,
wohl die letzten Reste der Herrscherin. Ferner entwickelte man
Seti I, Ramses XII (gewóhnlich fiir Ramses II erklärt, dessen Statuen
der Mumie freilich ganz unühnlich sind) und mehrere falsche,
aus allerhand mit Binden umwickelten Toilettegegenstünden, Stó-
cken, Lumpen u. s. f. gebildete Mumien. Ein umfassender Be-
Philologus. N. F. Bd. 1, 2. 23
354 A. Wiedemann,
richt über die Auswickelungen, welche hoffentlich bald fortgesetzt
werden, ist noch nicht erschienen.
Die Nekropole stammt gerade aus derjenigen Periode der
ig. Geschichte fiir welche die memphitische Gräberstadt weniger
ergiebig ist. Die Anlagen datieren größtentheils aus der 18.—26.
Dyn. und sind für die Kulturgeschichte von größter Bedeutung.
Ausgenutzt sind dieselben nach keiner Richtung hin und nur Wil-
kinson hat sie in eingehenderer Weise bei der Darstellung ägypti-
scher Sitten und Gebräuche zu verwerthen gesucht. Die ausge-
dehnteste und inschriftenreichste Grabanlage dieser Necropole
publizirt Dümichen (Der Grabpalast des Patuamenap. Leipzig
1884 ff.). In einem der Gräber entdeckten die Araber vor etwa
10 Jahren die Reste einer alten Bibliothek. Es waren zahllose
griechische und koptische Papyrusfragmente, meist sehr zerbrö-
ckelt und von geringem Werthe, doch finden sich darunter auch
eine Reihe besserer Stücke, besonders Briefe. Einer der Papyri
enthielt ein griechisches Epos 9), welches in Hexametern einen
Kampf der Blemmyer an den Ufern des Niles feierte und für
die Literärgeschichte von Bedeutung ist (publ. von Stern, Aeg.
Zeitschr. 1881 S. 70, besprochen von Bücheler Rhein. Mus. XXXIX
S. 277 ff). Einen für sich abgeschlossenen Theil der Todten-
stadt nehmen die Gräber der Könige der 18.—20. Dyn. ein.
Es sind dies großartige Felsbauten, deren Wände mit unzäh-
ligen Inschriften religiösen Inhaltes bedeckt sind. Sie behan-
deln vor allem die Lehre von ‚dem was ist in der Tiefe“ und.
legen dabei die Fahrt der Sonnenbarke während der Nacht von
Westen nach Osten durch die verschiedenen Räume der Unter-
welt zu Grunde. Die betreffenden Texte, die sich auch auf Pa-
pyrus in verkürzter Form aufgezeichnet finden, haben bisher
eine Behandlung nicht gefunden; doch bildet die Beschreibung,
bez. Uebersetzung der im Louvre befindlichen Exemplare, durch
Deveria (Catalogue des Manuscripts du Louvre. Paris 1872) eine
werthvolle Vorarbeit. Die Publikation der Königsgräber selbst
begann in vortrefflicher Weise Lefebure; erschienen ist bisher
das Grab Seti I (Ann. du musée Guimet IX. Paris 1886).
Die Mumien aus der griechischen und römischen Zeit sind
dadurch beachtenswerth, daß ihnen häufig griechische und de-
motische Papyri, besonders Kontrakte enthaltend, beigegeben wur-
den. Auch sind ihre Papp-Särge häufig aus beschriebenen Pa-
pyris gefertigt worden und sind auf diese Weise mehrfach der-
artige Texte erhalten geblieben. Endlich sind aus dieser Pe-
riode die Särge der Familie eines hohen Beamten, namens Soter,
kunsthistorisch wichtig; auf ihren Deckeln finden sich die Por-
6) Zwei ähnliche Papyrusfragmente mit Hexametern mythologi-
schen Inhaltes, welche vielleicht dem kyklischen Gedichte des Neu-
platonikers Proklus angehôrten, publizirte C. Limerick in Hermathena
Nr. XI. London und Dublin 1885.
Die Forschungen über den Orient. | . 855
traits der einzelnen Persónlichkeiten in lebenswahren Farben auf-
gemalt (vgl. Cros et Henry L'encaustique et les autres procédés de
peinture chez les anciens. Paris 1884).
Esneh. In dem Tempel von Esneh, von welchem nur die
Vorhalle ausgegraben, aber nur zum geringsten 'Theile publizirt
worden ist, waren namentlich die rómischen Kaiser thütig. Die
langen Inschriften zeigen die späteste Form der Hieroglyphen-
Schrift, geben die letzten in Hieroglyphen aufgezeichneten Kai-
sernamen (bis zu Decius) und enthalten manche historisch wich-
tige Angabe.
Edfu. Ebenso wie in Denderah stammen hier die Jetzt
vorhandenen Tempel aus der Zeit der Ptolemäer, wenn auch in-
schriftlich feststeht, daB dieselben bereits zur Zeit der 18. Dyn.
oder schon im alten Reiche geplant worden sind. Der Haupt-
tempel von Edfu war dem Sonnengotte Horus geweiht und zwar
insbesondere seiner Form als geflügelte Sonnenscheibe. In die-
ser Gestalt hatte er, einer im 'lempel selbst aufgezeichneten
Sage zufolge, die Feinde seines Vaters Osiris durch ganz Ae-
gypten verfolgt und überall besiegt (Naville textes relatifs au
mythe d'Horus. (Genf 1870; übersetzt von Brugsch die Sage von
der geflügelten Sonnenscheibe in Abhl. der Góttinger Akad. 1870).
Die zahllosen den Tempel bedeckenden Inschriften sind geogra-
phisch und religionsgeschichtlich von Bedeutung, aber nur zum
geringsten Theil publizirt (vgl. bes. E. de Rouge, Inscr. re-
cueillies à Edfou, 2 vols. Paris 1880; J. de Rouge, 7'extes geogr.
d'Edfou in Rev. arch. 1865 f.; Dümichen, Altäg. Tempelinschr. I.
Leipzig 1867 e. c.).
Assuan, das alte Syene, und die ihm gegenüber im Nil
liegende Insel Elephantine, bildeten lange Zeit die Südgrenze
des üg. Reiches. Hier wurden vor kurzem durch die englischen
Truppen unter dem General Grenfell eine Reihe von reich aus-
gestatteten Felsengräbern aus der 6. und 12. Dyn. auf dem lin-
ken Nilufer entdeckt und ausgegraben. (Wallis Budge Proc. Soc.
Bibl. Arch. IX 78 ff: X 4 ff) Dieser Fund ist historisch in-
teressant. Nachdem man die griechische Ansicht, daß die Kul-
tur aus Aethiopien den Nil herabgezogen sei, aufgegeben hatte,
hatte man angefangen, ihren Ausgangspunkt im Norden zu su-
chen und anzunehmen Oberügypten sei erst in verhältnißmäßig
später Zeit dem ag. Einflusse unterworfen worden. Aus diesen
und ähnlichen Funden geht hervor daß diese Ansicht unrichtig
ist und daß spätestens zur Zeit der 6. Dyn. Oberügypten den
Pharaonen unterworfen und vollständig ägyptisirt worden war.
Etwa gleichzeitig mit diesen Gräbern ward in Assuan eine
fragmentirte, griechische Inschrift von 75 Zeilen entdeckt. Sie
enthült die Copie einer Reihe von Briefen und Dekreten aus der
Zeit des Ptol. Philometor, Ptol Eupator und dessen Mutter
Cleopatra I zu Gunsten gewisser Priester der höchsten Göttin
> 23 *
856 A. Wiedemann,
und der Hera auf Elephantine (nach einer vorlüufigen Copie
publ von Sayce, Proc. Soc. Bibl. Arch. 3. Mai 1887 p. 202 ff).
Die Tempel der Insel Elephantine sind fast völlig in un-
serem Jahrhundert zerstórt worden. Ein Bild derselben gibt die
Publikation in der Descr. d'Egypte. Sonst ist die Insel ein Fund-
ort griechischer Ostraka, welche ühnlichen Inhaltes sind wie die
thebanischen. Dieser F'undort ist seit lange bekannt; die in das
Corp. Inscr. Graec. aufgenommenen Ostraka ") stammen fast alle
von hier; jetzt scheint er fast erschépft zu sein. Das Thon-
Material ist feiner und dünner als das thebanische; seine F'arbe
meist schön roth. Auch die Schriftzüge sind sauberer und ele-
ganter. — Die insgesammt aus der späteren, besonders der
Ptolemüischen Zeit stammenden Tempel der oberhalb der Kata-
rakten gelegenen Insel Philae, sind wenig untersucht worden.
Der Inhalt der Inschriften ist fast ausschließlich religiös.
Weiter den Nil hinauf in Nu bien stammen fast alle An-
lagen aus der 18.—19. Dyn., besonders von Ramses II. Die
späteren Herrscher, deren Macht sich nur selten über den ersten
Katarakt hinaus erstreckte, finden sich nur selten genannt. In
der Mitte des 7. Jahrhunderts v. Chr. hatte sich tief im Süden
in Napata ein mächtiges Kônigreich gebildet, in welchem die
Priesterschaft die herrschende Klasse bildete. Gegen Ende des
Jahrhunderts war es diesem Reiche gelungen sich auch Ae-
gyptens selbst zu bemächtigen. Seine Armeen zogen sogar ge-
gen die asiatischen Reiche zu Felde; allein erst Sabako und
dann Taharka unterlagen im Kampfe gegen die Assyrer. Unter
dem Sohne des letzteren mufiten die Aethiopen Aegypten ver-
lassen. Jahrhunderte lang bedrängten sie nunmehr die Süd-
grenze des Landes. Bei einem Zuge gegen sie verwendete
Psammetich II auch griechische Söldner, welche an den Kolossen
vor dem Felsentempel zu Abu Simbel ihre Namen und damit
die ältesten, sicher datirbaren griechischen Inschriften hinter-
lassen haben (Wiedemann in Rhein. Mus. 35 S. 364 ff. ; Abel Wie-
ner Studien III S. 161 ff). Gegen das Ende der Ptolemäerzeit
rückten die Aethiopen wieder vor und unter den Kaisern finden
wir sie als Herren Nubiens. Augustus schickte gegen ihre
Kónigin Candace ein Heer aus und unter Tiberius erscheint ihr
König Ark-Amen (Ergamenes *) als römischer Vasall (Wiede-
mann L'Ethiopie au temps de Tibère in Le Muséon III p. 117 ff).
7) Nur wenige dieser Scherben sind bisher publizirt worden; un-
ter den neuern Editionen ist hervorzuheben die von Birch (Proc.
Soc. of Bibl. arch. 1883) von Stücken im British Museum, und die
von Wessely (Neue griechische Ostraka in Wiener Studien VIII S.
116 — 24).
8) Dieser Herrscher darf nicht mit dem Kénig Ergamenes, wel-
cher zur Zeit des Ptol. Philadelphus nach Diodor in Aethiopien der
Priesterherrschaft ein Ende bereitete, verwechselt werden.
Die Forschungen über den Orient. 357
Später drangen sie noch weiter vor und beherrschten im 3. Jahr-
hund. n. Chr. die ganze Thebais. Die Geschichte ihres Reiches
ist wenig bekannt. Werthvolles neues Material für dasselbe er-
geben die Publikationen von Revillout (Rev. égypt. IV 156 ff.;
V 72 ff, 97 ff), wenn auch die von demselben aus den In-
schriften gezogenen Schlüsse vielfach zu beanstanden sind. Die
ülteren Inschriften, die von ihm Kunde geben, sind hierogly-
phisch abgefaBt; die jüngsten, wie z. B. die Inschrift des Kó-
nigs Silko (Lepsius Inschr. des Silko, im Hermes 1875) grie-
chisch. Dazwischen liegt aber ein weiter Zeitraum, aus wel-
chem uns zahlreiche Texte in einer noch unentzifferten (auch der
Entzifferungsversuch von Brugsch, Aeg. Zeitschr. 1887 S. 1 ff,
75 ff. erscheint noch nicht abschlieBend) Sprache erhalten ge-
blieben sind. (Zahlreiche Texte publ. Lepsius Denkm. Abth. V.
Mehrere Papyri in derselben befinden sich in der Sammlung
Rainer in Wien) Die Schrift ist wie aus der Zahl der Zeichen
hervorgeht eine wesentlich alphabetische; die Schriftcharaktere
scheinen dem demotischen und dem griechischen entlehnt zu
sein. Wegen ihrer Aehnlichkeit mit dem demotischen und nach
dem Hauptfundort der Texte, pflegt man sie als meroitisch- de-
motisch zu bezeichnen.
Die StraBen vom Nilthale zum rothen Meere sind nicht ge-
nauer durchforscht worden. Bereits in der 11. Dyn. standen
dieselben unter staatlicher Aufsicht und waren die Pharaonen
bemüht durch Anlage von Cisternen, Stationsgebäuden u. ühnl.
ihre Benutzung zu erleichtern. Bis in die Rómerzeit hinein ist
ihren Spuren gefolgt worden. Eine von Maspero in Koptos ver-
baut gefundene lateinische, leider nicht vollständige Inschrift,
welche auch für die rómischen Militairverhältnisse in Aegypten
wichtig ist, legt davon Zeugniß ab (vgl. Mommsen in Eph. epigr.
V p. 9 f£, Nr. 15).
3. Geschichte.
a. Chronologie.”
Die Gewinnung absoluter Daten für die äg. Geschichte ist
mit großen Schwierigkeiten verknüpft, da eine Aera für prakti-
sche Zwecke unbekannt war. Die Datirung erfolgte nach Re-
gierungsjahren des jeweiligen Herrschers, wobei als erstes Jahr
das Kalenderjahr gilt, in welchem der König den Thron bestieg.
Das zweite Jahr beginnt mit dem ersten Thoth des folgenden
Kalenderjahres u. s. f. Es ist dies dieselbe Datirungsmethode,
welche sich in den Inschriften und auf den Münzen der römi-
schen Kaiser in Aegypten angewendet findet. Die von den
griechischen Chronographen erwähnten Sothis-, Phoenix-, Apis-
u. a. Perioden ?) erscheinen in den Inschriften nicht verwendet.
9) Die hierher gehörigen Angaben finden sich eingehend behan-
delt bei Lepsius Chronologie der Aegypter. I. Berlin 1849.
358 A. Wiedemann,
Nur einmal wird nach dem Jahr 400 eine Aera datirt, deren
Anfangspunkt im 18. Jahrhundert v. Chr. lag, doch handelt es
sich dabei wohl mehr um eine antiquarische Reminiscenz als
um eine wirklich verwendete Aera. Aus den Regierungsdaten
lassen sich keine allgemeinen Resultate gewinnen, da nur von
wenigen Herrschern die Regierungsdauer bekannt ist. Ander-
weitige brauchbare chronologische Angaben enthalten die In-
schriften nicht. Die gelegentlich sich findenden Listen von
Sternaufgüngen, Bilder astronomischer Constellationen u. s. f. sind
so unklar und derartig mit mythologischen Ideen durchsetzt,
daf die verschiedenen Gelehrten, die sich mit ihnen beschüftigt
haben, regelmäßig zu verschiedenen Ergebnissen gelangt sind.
Hauptsächlich thätig war nach dieser Richtung Seyffarth !°), der
auf hóchst phantastische Weise astronomische und auch rein my-
thologische Darstellungen zu chronologischen Zwecken zu ver-
werthen suchte. Wie inkorrekt die Aegypter selbst in derar-
tigen Dingen waren, geht am besten daraus hervor, daf auf dem
einzigen Monument, welches direkt einen wichtigern astronomi-
schen Vorgang, den Frühaufgang des Sirius zur Zeit Thutmes
III erwühnt, der Schreiber sich um einen Monat geirrt hat.
Neuerdings hat Lieblein (Rech. sur la chronol. égypt. Chri-
stiania 1873) versucht auf Grund von Angaben über die Zahl
der Generationen, die von einer Dynastie zur anderen verflossen
waren, chronologische Schlüsse zu ziehen. Allein die Fehler-
quellen sind hier in Folge der Kürze und Ungenauigkeit der
vorliegenden Listen so grof, daf die Resultate keine abschlie-
Benden sein können, ebenso wenig wie dies bei gelegentlichen
Bemerkungen über den Anfangstag von Feldzügen (dies ver-
suchten Lieblein Rec. de trav. e. c. I 62 f, 95 f. und Krall
Sitzungsber. der Wiener Akad. CV 8.419 ff.) u.s.f. der Fall sein kann.
Unter diesen Unistánden geht man bei chronologischen Un-
tersuchungen immer noch von dem Werk des Manetho und des-
sen Dynastienliste aus, dessen beste Bearbeitung die von G. F.
Unger (Chronologie des Manetho. Berlin 1867) ist. Hier ist
jedoch die Ueberlieferung der Zahlen eine auBerordentlich schlechte;
da das Werk nur in Exzerpten, welche z. Th. die ausgespro-
chene Absicht hatten die manethonischen Zahlen mit den bibli-
schen Systemen in Einklang zu bringen, erhalten ist. Dazu
10) Eine ausführliche, sehr panegyrisch gehaltene Biographie die-
ses Mannes, welcher das Verdienst hat, als erster die äg. Sylbenzei-
chen als solche erkannt zu haben , sonst aber fast nur Wunderlich-
keiten veröffentlichte, verfaßte Karl Knortz, Gustav Seyffarth. New-
York 1886. Sie enthält u. a. ein Verzeichniß seiner Schriften und
eine Reihe von interessanten Briefen, in denen Seyffarth sein Zusam-
mentreffen mit Champollion schildert. Den modern wissenschaftlichen
Standpunkt wahrt Seyffarth gegenüber Ebers Zeitschr. der deutsch-
morgenl. Ges. 41 S. 193—231.
Die Forschungen über den Orient. 359
kommt daß man über die Vorfrage zu keiner Einigung gelangen
kann ob die Dynastien, in welche Manetho seine Geschichte ein-
theilt, als successive, was mir das wahrscheinlichste zu sein
scheint, zu betrachten sind, oder ob man, wie dies besonders
Lepsius vorschlug, eine Reihe derselben als Neben - Dynastien
auszuscheiden hat. So kommt es daß auch die Bearbeiter Ma-
netho’s zu lauter verschiedenen Auffassungen seines Systemes und
zu verschiedenen Zeitdauern der äg. Geschichte gelangt sind.
Bei derartigen Quellenverhältnissen ist es jedenfalls am
gerathensten, auf die Aufstellung einer absoluten Chronologie
für Aegypten überhaupt zu verzichten, bis sich neue Urkunden
uns erschließen. Erst für die Zeit von Psammetich I (664 v.
Chr.) an, lassen sich zuverlässige Daten ermitteln. Besser steht
es um eine relative Chronologie, die Reihenfolge der einzelnen
Könige wird durch zahlreiche Listen und Inschriften verbürgt,
so daß hier nur in wenigen Fällen noch Zweifel zu lösen sind.
Die neueste, das grundlegende Königsbuch von Lepsius vielfach
vervollständigende Zusammenstellung der Königsnamen gaben
Brugsch und Bouriant Le livre des roîs. I. Kairo 1887.
b. Politische Geschichte.
Das erste größere Werk, welches nach den bald überholten
Arbeiten von Rosellini und Bunsen, auf Grund hieroglyphischer
Urkunden die ag. Geschichte behandelte, verfaßte Brugsch (Hi-
stoire d'Egypte. I. Leipzig 1859; zweite Aufl, 1. Heft. Leip-
zig 1875; gänzlich umgearbeitete deutsche Ausgabe „Geschichte
Aegyptens“. Leipzig 1878; engl. Uebers. von Smith, 2. Aufl.
London 1881) Das Buch enthält vor allem Uebersetzungen
der wichtigeren historischen Inschriften, unter Hinzufügung eines
verbindenden und erläuternden Textes. Ein Mangel desselben
ist das Fehlen von Anmerkungen, aus denen sich ersehen ließe
woher die einzelnen Notizen von dem Verf. entnommen worden sind.
Eine möglichst vollständige Zusammenstellung der aus den Texten
und aus der klassischen Literatur sich ergebenden geschichtlichen
Angaben unter Hinzufügung der Belegstellen, der Inschriftsüber-
setzungen und einer Liste der aus den einzelnen Regierungen dati-
renden größeren und kleineren Monumente gab Wiedemann (Hand-
buch der ig. Geschichte. Gotha 1884 Supplement. Gotha 1888).
Als Einleitung ist dabei außer Bemerkungen über Land und
Leute, Sprache, Wissenschaft u. s. f. eine kritische Behandlung
des Werthes der vorliegenden ägyptischen, griechischen und
sonstigen Quellen für Aegypten vorangeschickt. An ein größeres
Publikum wendet sich Eduard Meyer (Geschichte des alten Ae-
gyptens. Berlin 1887), welcher als Fortsetzung der nur theil-
weise erschienenen Arbeit Dümichen's Aegypten in der Oncken-
schen Sammlung von einem sehr subjektiven Standpunkte aus
360 A. Wiedemann,
behandelt hat. Aus abgeleiteten Quellen schöpft G. Rawlinson
(History of Egypt. London 1881) bei seiner fleißigen Darstellung.
Unter den Behandlungen Aegyptens in umfassenderen Wer-
ken ist bei Weitem die bedeutendste die von Duncker (Ge-
schichte des Alterthums. I. Leipzig 1878), der es, auch ohne
die aig. Urkunden direkt benutzen zu kónnen, verstanden hat
aus den ihm vorliegenden Angaben ein lebenswahres, wirklich
historisches Bild zu gestalten. Mehr die kulturgeschichtlichen
als die reinpolitischen Ereignisse berücksiehtigt Weber (Allge-
meine Weltgesch. I); einen kurzen aber geistvollen Ueberblick
über das ganze gibt Ranke (Allgemeine Weltgesch. I); für ein
größeres Publikum schreibt Welzhofer (Allgemeine Geschichte
des Alterthums. I. Gotha 1886). Weit ausführlicher als in
allen diesen Werken ist die Besprechung des Nilthals bei Mas-
pero (Histoire ancienne des peuples de l'Orient. 4. Aufl. Paris
1886; deutsche Uebers. von Pietsehmann. Leipzig 1877) Hier
sind die Resultate der Denkmälerforschung in umfassender und
geistvoller Weise verwendet, wenn sich auch gegen das chrono-
logische System des Verf. und gegen die Art und Weise, in
welcher er die Geschichte der einzelnen orientalischen Völker
verknüpft, manche Bedenken geltend machen lassen. Als Nach-
schlagebuch soll das Werk von Eduard Meyer (Geschichte des
Alterthums. I. Stuttgart 1884), in welchem Aegypten ausführ-
lieh berücksichtigt worden ist, dienen.
Die bisher erwühnten Arbeiten sind der gesammten üg. Ge-
schichte, im Allgemeinen bis auf Alexander d. Großen herab
gewidmet, eine Aufzählung der zahllosen Monographien über ein-
zelne Dynastien, Regierungen, Inschriften würde zu weit führen.
Nur auf ein Ereignif der älteren Geschichte muB kurz hinge-
wiesen werden, da dasselbe für die griechisch-ägyptischen Bezie-
hungen von grundlegender Bedeutung ist. Es ist dies der An-
griff, den eine Reihe von Seevülkern zur Zeit des Kónigs Mer-
en-ptah und Ramses III auf Aegypten machten, um sich hier
neue Wohnsitze zu erobern. Sie wurden beide Male besiegt,
theils erschlagen, theils zu Gefangenen gemacht. Letztere mußten
in die üg. Armee eintreten und bildeten mit ihren Nachkommen
den Kern des späteren Séldnerheeres. In diesen Seevölkern
glaubte De Rouge (Mémoire sur les attaques dirigées contre l'Egypte
in Rev. arch. 1867) griechische und italische Stämme, die Achäer,
Sikuler, Sardinier u. a. wieder zu finden. Seine Ansicht hat
großen Beifall gefunden; allmählig machte sich aber auch Wider-
spruch geltend. Brugsch erkläi.e die Völker für kaukasische
Stimme, Duncker u. a. vielmehr für Libyer und diese letztere
Ansicht erscheint als die richtigste (vgl. u. a. Wiedemann, Ael-
teste Beziehungen zw. Aeg. und Griechenland. Leipzig 1888).
Weit weniger als für die Geschichte der älteren Perioden
ist für die Ptolemüerzeit geschehen. Die Werke von Vaillant
Die Forschungen iiber den Orient. 361
(Historia Ptolemaeorum. Amsterdam 1701) und Champollion-
Figeac (Annales des Lagides. Paris 1819) sind längst veraltet
und seither ist keine zusammenfassende Darstellung mehr er-
schienen. Verhältnißmäßig am meisten äg. Material findet sich
noch bei Sharpe (Gesch. Egyptens, deutsch von Jolowicz mit
werthvollen Anmerkungen von A. v. Gutschmid. Leipzig 1857
—58); Droysen in seiner Diadochengeschichte berticksichtigt nur
die drei ersten Ptolemäer und auch für diese fast ausschlieBlich
griechische Quellen.
Friher bestand die Hauptschwierigkeit fiir die ErkenntniB
dieser Zeit in dem Mangel an Material. Die zahlreichen klassi-
schen Werke, welche dieselbe behandelten, sind verloren gegan-
gen, und die gelegentlichen Angaben anderweitiger Autoren ge-
nügten nicht einmal um die Folge der Herrscher sicher festzu-
stellen. Jetzt ist eher das umgekehrte der Fall. Viele grie-
chische Inschriften haben sich im Nilthale gefunden, aus denen
sich bemerkenswerthe Resultate entnehmen lassen. Die Münz-
funde haben sich dergestalt vermehrt, daß auch sie zu einer
wiehtigen historischen Quelle geworden sind (vgl. für die Münzen
bes. St. Poole, Coins of the Ptolemies in Numism. Chron. IV — VI;
Catalogue of the Greek coins in the British Museum, vol. VII
The Ptolemies. London 1883). Die griechischen Papyri haben
über die sozialen und natinonalökonomischen Verhältnisse rei-
chen Aufschluß gebracht. Ihre Bearbeitung wurde in Folge ei-
ner Preisaufgabe der Pariser Akademie, gleichzeitig von Lum-
broso (Rech. sur l'économie polit. de l'Egypte sous les Lagides.
Turin 1870) und Robiou (Mém. sur l’économie polit. des Lagides.
Paris 1876) in Angriff genommen, wobei besonders erstere Ar-
beit eine Grundlage späterer Forschungen bilden muß, wenn sie
auch durch neu gefundene Texte in manchem überholt worden
ist. Noch weit ergiebiger als die griechischen Urkunden sind
die demotischen. Mit diesen hat sich nach den ersten Versuchen
von Brugsch !!) bisher eigentlich nur Revillout beschäftigt. Der-
selbe hat behufs Publikation seiner Studien eine eigne Zeit-
schrift Revue égyptologique, von der jetzt der fünfte Band erschie-
nen ist, begründet, und außerdem in der äg. Zeitschrift und an-
deren Journalen zahlreiche Aufsätze über hierher gehörige The-
mata veröffentlicht unter Beigabe der betreffenden demotischen
Texte !?). Endlich sind von ihm eine Reihe von Werken er-
schienen, welche theils eine Anzahl von Kontrakten im Original-
text mit Uebersetzung (Nouvelle chrestomathie démotique. Paris
1878; Chrestomathie démotique. Paris 1880) publicirten, theils
bestimmte Rechtsfragen auf Grund dieser Texte behandelten
11) Grammatre démotique. Berlin 1855; Die Inschrift von Ro-
sette. Berlin 1850.
12) Hervorzuheben sind Aufsätze über eine Paraschistenfamilie ;
ägyptische Münzen; den König Harmachis und ägypt. Ackermaße in
362 A. Wiedemann,
(Cours de droit égyptien, I 1. L'état des personnes. Paris 1884).
Die Resultate, welche Revillout erzielt hat werfen auf das öf-
fentliche Leben, die Verfassung, das Münzwesen, die Familien-
verhültnisse ein ganz neues Licht. So ergeben die neu erschlos-
senen Urkunden, um nur ein Beispiel aufzuführen, für die ag.
Ehe den eigenthümlichen Umstand, daß dieselbe in drei ver-
schiedenen Abstufungen abgeschlossen werden konnte. Zunächst
ward durch einen rechtsgültigen Kontrakt eine Art Cohabitatio
eingegangen, welche ohne weiteres lósbar war; doch bedang sich
die Frau Rückerstattung ihrer Mitgift, Zahlung eines Reugeldes
und Aussetzung eines Erbtheiles für etwaige Kinder aus. Der
Zweck dieser Form der Ehe war wohl, sich darüber zu verge-
wissern, ob dieselbe auch Nachkommen erzielte, denn der oft
ausgesprochene Wunsch jedes Aegypters war es einen Sohn zu
erzeugen ,um leben zu lassen seinen Namen“. In Folge dessen
ward denn auch nach Geburt eines Sohnes, also meist nach etwa
einem Jahre, hüufig ein neuer Ehekontrakt aufgesetzt, durch
welchen eine Ehe mehr in unserem Sinne des Wortes mit glei-
chen Rechten und Pflichten für beide Gatten eintrat. Das Ein-
gehen dieses Verhältnisses war jedoch nicht gesetzlich vorge-
schrieben, sondern in das Belieben des Einzelnen gestellt. End-
lich wird noch eine dritte Art von Ehekontrakten erwühnt.
Durch diese iiberschrieb der Mann der Gattin sein gesammtes
Vermégen und bedang sich nur die nôthigen Subsistenz-Mittel
aus, eine eigenthiimliche Sitte, welche ihren Grund vermuthlich
in den sehr komplizirten Erbschaftssteuer-Verhältnissen hatte.
Auch rein historische Thatsachen haben sich aus diesen
Kontrakten ergeben. So gelang es Revillout und Brugsch nach-
zuweisen daß im 3. Jahrhundert Theben sich von der Herr-
schaft der Ptolemäer freimachte und daß hier während mehrerer
Jahrzehnte eine einheimische Kónigsdynastie regierte (Baillet Le
roi Hor-em-hou in Rev. arch. 1881). Eine Verarbeitung all die-
ses Materials, zu welchem in neuester Zeit noch zahlreiche be-
sonders in Theben gefundene demotische Ostraka gekommen sind,
ist bisher nicht erfolgt. Sie würde die unbedingt nothwendige
Vorarbeit für eine auf dem jetzigen Standpunkt der Wissen-
schaft stehende Ptolemäergeschichte bilden.
Noch weniger als für die Ptolemäer ist für die römischen
Kaiser geschehen. Die für ihre Zeit sehr anerkennenswerthe
Arbeit von Varges (De statu Aegypti prov. romanae primo et sec.
post Chr. n. saeculis. Gottingen 1842) ist veraltet, aber trotz-
dem die einzige geblieben. Einen kurzen, aber sehr beachtens-
ig. Zeitschr. 1879 (separat als Mélanges d'Egyptologte. Paris 1880);
über äg. Numismatik in Ann. de la Soc. franc. de numssmatique et
d'archéologie. Paris 1886 p. 5-46; den feststehenden Silberwerth in
Aegypten in Rev. arch. 1884 Heft 2; einen Pachtkontrakt aus der Zeit
des Amasis in Rev. arch. 1885 p. 257— 72.
Die Forschungen über den Orient. 363
werthen Ueberblick iber die Entwickelung der Provinz auf
Grund der neuesten Forschungen gab Mommsen (Rim. Gesch.
IV). Auch hier ist das Material in den letzten Jahren unge-
mein gewachsen. Die ägyptischen Inschriften selbst sind frei-
lich wenig ergiebig. Die Hieroglyphen waren damals zu einer
Spielerei herabgesunken und enthalten die Texte fast nur ste-
reotype Phrasen und religióse Angaben. Ergiebiger sind die
demotischen Texte, welcher in ähnlicher Weise wie für die Pto-
lemäerzeit, wenn auch nicht so reichhaltige Aufschliisse gewähren.
Dann folgen griech. und lateinische Inschriften theils aus Ae-
gypten selbst, theils auch aus anderen Provinzen des rômischen
Reiches. Unter letzteren befindet sich ein neuerdings in Nimes
entdeckter Text, welcher Hirschfeld's Hypothese (Wiener Stu-
dien V S. 320), daß die unter Augustus hier angesiedelten Ko-
lonisten ig. Ueberlüufer von der Flotte des Antonius !*) gewesen
seien, bestütigt (Rev. arch. 1884 Nro. 5—6; cf. Phil. XLIV 759).
Dies erklürt die eigenthümlichen in der Kolonie Nemausus auf-
tretenden Erscheinungen, ihre eigenartigen Münzen und das häu-
fige Auftreten üg. Alterthümer in der Umgebung der Stadt.
Mehr Aufschluf als alle diese Quellen gewühren die grie-
chischen Papyri, welche neuerdings in reicher Fülle im Fayum
zu Tage getreten sind. Hier entdeckten die Araber die im Al-
terthume als unbrauchbar fortgeworfenen Theile einer Bibliothek
und eines Archivs, welches mehrere Jahrhunderte hindurch in
Benutzung gewesen ist. Die zahlreichen von hier stammenden
Bruchstiicke griechischer Klassiker und sonstiger Literaturwerke
sind in dieser Zeitschrift bes. von Landwehr besprochen worden;
uns interessiren augenblicklich mehr die speziell auf Aegypten
beztiglichen Urkunden, die besonders von Wilcken bearbeitet
worden sind (Wilcken Arsinoitische Steuerprofessionen in Sitzungs-
ber. der Berl. Akad. 1883; derselbe im Hermes XIX.— XXI;
in den Etudes dédiées & Leemans S. 67 f.; Observationes ad hist.
Aeg. prov. Romanae. Berlin 1885; cf. Mommsen in Etud. déd.
à Leemans p. 19 f.; Magirus in Wiener Studien VIII S. 92 ff.
und den Zusatz von Wessely l. e. S. 109 ff: Wessely Rev. ég.
III 161 f£, IV 58 ff, 177 f£, V 66 ff, 185 Rus. f. Für
den Fundort Erman im Hermes XXI Heft 4). Es sind dies
Rechnungen aller Art, Berechnungen der Einnahmen und Aus-
gaben des Tempels des Jupiter Capitolinus von Arsinoë, Steuer-
register und ühnliches, welche einen klaren Einblick in die Fi-
nanzverwaltung eines ziemlich umfangreichen Bezirkes der Pro-
vinz Aegypten bes. am Ende des 2. und Anfang des 3. Jahr-
hunderts gewähren. Daneben ergeben sich zahlreiche für die
Kulturgeschichte, die Familienverhültnisse, die Chronologie und
13) Ueber den Aufenthalt Caesars im Orient ist neuerdings zu
vergleichen Judeich, Caesar im Orient. Leipzig 1885.
364 A. Wiedemann,
andere Gebiete werthvolle Notizen. In Verbindung mit den der-
selben Zeit entstammenden Ostrakas miissen diese Texte die
Grundlage jeder Behandlung der Verwaltung der Provinz Ae-
gypten bilden; sie sind auch für die Geschichte des gesammten
römischen Reiches von weittragendster Bedeutung.
c Kulturgeschichte.
Weit reicher als für die politische Geschichte fließt das
Material für die Kulturgeschichte des alten Aegyptens. Seiner
Benutzung stellt sich jedoch eine große Schwierigkeit entgegen;
die Reliefs zeigen die Handwerker bei ihren einzelnen Beschäf-
tigungen, beweisen also die Existenz der verschiedenen Gewerbe,
sind aber nur selten genau genug ausgeführt um (über die Art
und Weise des Gewerbebetriebes Aufschluß zu gewähren. Das-
selbe ist der Fall bei Darstellungen des Hofstaates, von Fest-
lichkeiten, bürgerlichen Handlungen u. s. f. Ueberall werden
Episoden vorgeführt und nicht der Verlauf der einzelnen Vor-
günge. Systematische Werke, welche diese Lücke ausfüllen
kónnten, sind nicht erhalten; ihre Existenz ist bei der unme-
thodischen Denkart der Aegypter überhaupt fraglich. Die gele-
gentlichen Angaben der Inschriften über kulturhistorische Dinge
Sind nur schwer benützbar; der genaue Sinn technischer Aus-
drücke wie der Beamten-Titel, der Namen von Gewerben, Stof-
fen, Manipulationen ete. ist meist unbekannt und nur sehr
schwer festzustellen; annähernde Uebersetzungen genügen hier
zwar um den Sinn des Ganzen ungeführ zu erkennen, nicht aber
um daraus sichere Schliisse zu ziehen. Fast mehr als die Ae-
gypter selbst, lehren die Griechen, unter denen bes. Herodot
und Diodor sehr werthvolle Notizen ergeben. Ihre Benutzung
muß freilich mit Vorsicht erfolgen, da sie nur zu gerne mit der
den Griechen innewohnenden Neigung zur Verallgemeinerung
aus Einzelerscheinungen Schliisse auf allgemein geltende Gesetze
und Gepflogenheiten gezogen haben. Thatsächlich falsch sind
ihre Angaben hier selten, wohl aber sind sie fast regelmäßig zu
weit gefaßt und bedürfen wesentlicher Einschränkungen.
Diese Schwierigkeiten haben zur Folge gehabt, daf das
Gebiet der aig. Kulturgeschichte fast ganz unbearbeitet geblieben
ist. Das erste, das ganze Gebiet umfassende Werk verfaßte
Wilkinson (Manners and customs of the ancient Egyptians. 6 Bde.
London 1837—41. 2. Aufl. von Birch 3 Bünde. London 1878;
Auszug daraus Wilkinson Popular account of the ancient Egyp-
tians. 2 Bde. London 1854), welcher außer den Angaben der
Klassiker die Darstellungen der thebanischen Grüber in umfas-
sender Weise verwerthete, auf eine Benutzung der Inschriften
muBte er bei dem damaligen Stand der Wissenschaft fast ganz
verzichten. Auch in der neuen Auflage ist diese Lücke nicht
entsprechend ausgefiillt worden. Die Texte ihrerseits legte Er-
Die Forschungen über den Orient. 365
man (Aegypten und dg. Leben im Alterthum. 2 Bde. Tübin-
gen 1885—7) zu Grunde, welcher dagegen die Angaben der
Klassiker fast vollständig überging. Seine Darstellung umfaßt
nur die älteren Perioden und schließt vor dem Eintritt ägyp-
tisch-griechischer Beziehungen.
Von monographischen Bearbeitungen einzelner kulturhistori-
scher Fragen ist nur wenig hervorzuheben. Eine vortreffliche
Behandlung der nach dieser Richtung hin besonders ergiebigen
ig. Briefsammlungen !4) verdankt man Maspero (Du genre épi-
stolaire chez les anciens Egyptiens. Paris 1872), welcher auch die
übrige fiir Sitten und Gebräuche werthvolle schôngeistige Lite-
ratur behandelt hat (Etudes égyptiennesI 1—3. Paris 1879—83;
les contes populaires de l'Egypte ancienne. Paris 1882). Ueber
die angebliche Eintheilung des Volkes in Kasten schrieb Wie-
demann (les castes en Egypte in le Muséon 1886); dieselben haben
in ihrer indischen Form im Nilthale nie bestanden, wohl aber
ist eine deutliche Tendenz ersichtlich einzelne Stellungen, wie
z. B. das Oberpriesterthum des Ptah von Memphis erblich zu
gestalten. Fiir das Gerichtswesen sind zu nennen Maspero (Une
enquête iudiciaire à Thèbes in Mém. prés par div. sav. à l Acad.
des Inscr. VIII 2 p. 211— 296) und Erman (Aeg. Zeitschr.
1879 S. 71 ff, 148 ff.), welche beide auch Vertriige aus der
Zeit der 14. Dyn. besprachen (Maspero Transact. of the Soc. of
Bibl. arch. VII p. 6— 36; Erman Aeg. Zeitschr. 1882 S. 159 ff).
Von wissenschaftlichen Gebieten sind Mathematik und Medizin
durch Papyrus-Funde näher bekannt geworden, fiir erstere ist
der wichtigste Text der Pap. Rhind des British Museums (Ei-
senlohr Ein mathematisches Handbuch der alten Aegypter.
2 Bde. Leipzig 1877), fiir letztere der Papyrus Ebers (Ebers
Papyros Ebers. 2 Bde. Leipzig 1875). Fiir die Gewerbe ist
zu vergleichen Maspero (Journ. asiat. VII ser. 15 p. 116 ff),
zahlreicher kleinerer Arbeiten nicht zu gedenken. Fiir Kostiim-
kunde ist noch immer am vollständigsten Weiß (Geschichte des
Kostiims der vornehmsten Vélker des Alterthums I. Berlin 1853),
aber freilich nicht immer zuverlissig. Genauer ist die Dar-
stellung bei Erman (Aegypten I S. 280 ff). Für. die me-
tallurgischen Kenntnisse der Aegypter ist ein grundlegender Text
in dem Chemischen Papyrus Leyden vorhanden (publ. Leemans
Pap. Graec. Musei Lugduno - Batavi II. Leiden 1886, vgl. Ber-
thelot Journ. des Savants 1886 April), welcher Anweisungen zur
Mischung, Läuterung und Prüfung von Metallen enthält. Der
14) Die meisten hierher gehórigen Papyri befinden sich in Lon-
don (publ. Select Papyri in the Hieratie character. I. London 1844),
einzelne sind in Bologna (Lincke Correspondenzen aus der Zeit der
Ramessiden. Leipzig 1878), Berlin (Wiedemann Hieratische Texte aus
Berlin und Paris. Leipzig 1879), Turin (Rossi und Pleyte Papyrus
de Turin. Leyden 1869—76) und andern Museen.
366 A. Wiedemann,
Papyrus stammt zwar erst aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. doch
haben die in ihm niedergelegten chemischen Kenntnisse jedenfalls
einen weit älteren Ursprung !°). Die auf den Monumenten er-
scheinenden Metalle und ihre Verwendung besprach Lepsius (Die
Metalle in den äg. Inschriften in Abhandl. Berl. Akad. 1872;
frz. von Berend, Paris 1877 mit Zusätzen von Lepsius).
d. Kunstgeschichte.
Das erste die gesammte Entwicklung der äg. Kunst behan-
delnde Werk stammt von Perrot und Chipiez (Gesch. der Kunst
im Alterthum. I. Aegypten, deutsch mit Zusätzen von Pietsch-
mann. Leipzig 1882—83). Die Arbeit ist als ein erster Ver-
such von hohem Werthe, stellt auch das Material mit grofer
Vollstindigkeit zusammen, doch sind gegen zahlreiche Anschau-
ungen erhebliche Einwendungen zu machen und sind vor allem
die Illustrationen nicht treu genug. Sie sind viel zu kiinstle-
risch aufgefaßt und geben das Schematisch -steife der Originale
nicht entsprechend wieder. Neuer und besser ist Maspero Ar-
chéologie égyptienne. Paris 1887, welcher auf Grund eines um-
fassenden Wissens besonders die religiôse Kunst, die Tempel
und deren Ausschmiickung, daneben aber auch das Handwerk,
die Technik, u. s. f. eingehend besprach. Für die Auffassung
der Entwickelung der Architektur war grundlegend eine Unter-
suchung von Lepsius (Ueber einige äg. Kunstformen und ihre
Entwickelung in Abh. der Berl. Akad. 1871). Die Skulptur
behandelte Soldi (La sculpture égyptienne. Paris 1876); die Ent-
wickelung der Ornamente von Sybel (Kritik des ag. Ornaments.
Marburg 1883; vgl. Brunzlow Ueber das Formenprinzip in der
bildenden Kunst der Aegypter. Schwerin 1883). Eine grofe
Rolle in der ig. Kunst spielt die Pflanze, ihr sind die Säulen
nachgebildet ; zahlreichen Ornamenten liegt sie zu Grunde und
fiir die Relief-Darstellungen hat die Pflanzenwelt ungemein häu-
fig Motive geliefert. Vom kunsthistorischen ebenso wie vom bo-
tanischen Standpunkte aus besprach Woenig (Die Pflanze im
alten Aegypten. Leipzig 1886) die auf den Monumenten dar-
gestellten und in Gräbern sich findenden Pflanzen. Gerade in
letzterer Beziehung hat der Mumienfund von Dör-el-bahari große
Ausbeute geliefert; seiner Untersuchung unterzog sich Schwein-
furth (De la flore pharaonique. Cairo 1883. Ber. der Deutsch.
Botan. Gesellsch. I. 544 ff., II 351 ff), dem die Bestimmung
der Pflanzenarten in Folge ihrer guten Erhaltung möglich war.
Die Resultate waren botanisch von Interesse; es ergab sich daß
die Arten mit den noch jetzt im Nilthal vorkommenden völlig
übereinstimmen und daß sie in den seither verflossenen 3—4
15) Einen koptischen alchemistischen Text edirte Stern Aeg. Zeit-
schr. 1885 S. 102 ff,
Die Forschungen iiber den Orient. 367
Jahrtausenden nach keiner Richtung hin eine Veränderung er-
fahren haben !$).
e. Religion.
. Reicher als für irgend ein anderes Gebiet der Aegyptologie
fließen hier die Quellen. Freilich nicht die klassischen; was
die Griechischen Autoren von der ag. Gôtterwelt, den Mysterien
u. s. f. berichten, ist fast durchweg unrichtig. Sie haben ge-
glaubt am Nile ihre Gôtter wiederzufinden und in Folge dessen
Identifikationen derselben mit ig. Gestalten versucht. Diese be-
ruhen insgesammt auf rein äuBerlichen Aehnlichkeiten, in ihrem
Kerne sind beide Religionen durchweg verschieden. Um so er-
giebiger sind die ag. Texte. Gerade die Tempel und Gräber
sind erhalten geblieben, während die Städte der Lebenden ver-
schwunden sind, so daß man ohne Uebertreibung sagen kann,
daß eigentlich alle erhaltenen ag. Denkmäler zur Religion in
einem engen Verhältnisse stehen. So grof aber auch die Quan-
titit der Texte ist, so gering ist ihre Qualität. Meist sind es
stereotype Formeln und Adorationsscenen, aus denen sich auf
den Inhalt der Glaubenslehren keine Rückschlüsse ziehen lassen.
In ihnen treten tausende von Göttern auf, ohne daß deren Natur
näher bestimmt würde; dieselben sind einander so ähnlich, daß
ihre Einordnung in ein System einstweilen unmöglich erscheint.
Und dies um so mehr als nur wenige Gestalten monographisch
auf Grund der Texte behandelt worden sind, und auch da wo
dies geschehen ist, das Material nicht erschöpfend ausgenutzt
werden konnte. Die wichtigeren, hierher gehörigen Untersu-
chungen betreffen die Götter Osiris (Lefébure Le Mythe osirien.
2 Thle. Paris 1874—75), Thot (Pietschmann Hermes Trisme-
gistos. Leipzig 1875); Set (Pleyte. La religion des Pré-Israé-
lites. Utrecht 1862, Lettre è Devéria. Leiden 1863, Set dans
la barque du soleil. Leiden 1865; Meyer, Set-Typhon. Leipzig
1875); Amon Ra (Grébaut, Hymne & Ammon-Ra. Paris 1874);
die vier Elementar-Gottheiten (Lepsius Ueber die Gótter der
vier Elemente in Abh. der Berl Akad. 1856); die widderkö-
pfigen Götter Chnum und Amon (Lepsius Ueber Amon und
Chnumis in Aeg. Zeitschr. 1871).
Die Arbeiten, welche die üg. Religion als solche behandeln
sind sehr zahlreich. Ihre Verfasser sind jedoch meist nicht Ae-
gyptologen sondern Dilettanten; ihr Zweck kein wissenschaft-
licher, sondern ein populärer. In folge hiervon sind sie auch
fast durchweg unbrauchbar und vóllig werthlos. Von ügypto-
logischen Werken ist hervorzuheben neben einem populüren und
16) Die ág. Pflanzenwelt überhaupt behandelten eingehend Ascher-
son und Schweinfurth Illustration de la Flore d Egypte. Le Caire 1887
aus Mém. de lInst. eg. II.
368 A. Wiedemann,
oft sehr phantasiereichen von Lieblein (Egyptian religion. Leipzig
1885; Gammelaegyptisk Religion. Kristiania 1885) ein sehr
interessantes von Brugsch (Religion und Mythologie der alten
Aegypter I. Leipzig 1885). Der vorliegende erste Band be-
handelt in philosophischer und oft sehr kiihner Weise die Grund-
lehren der ig. Religion. Ueber die Berechtigung der einzelnen
Sätze wird sich ein definitives Urtheil jedoch erst nach dem Er-
scheinen des zweiten Bandes, welcher die Belegtexte enthalten
soll, geben lassen. Ueber das Wesen der ag. Religion handelte
Le Page Renouf ( Lectures on the origin and growth of religion as il-
lustrated by the religion of ancient Egypt. London 1880; deutsch.
Leipzig 1881). Im Großen und Ganzen ist entschieden für
Bearbeitungen der Gesammt- Religion die Zeit noch nicht ge-
kommen; unser Wissen zeigt nach allen Richtungen hin noch
viel zu große Lücken und ehe man an weitergehende Schlüsse
denken kann muß erst die Basis der ganzen Lehre, das Wesen
der einzelnen Gottheiten bekannt sein. Jedenfalls ist es nicht
móglich auf Grund der Angaben der Gnostiker, Neu-Platoniker
u. s. f., besonders des Iamblichus, die religiósen Mysterien zu
enthüllen, wie dies nur zu oft versucht worden ist. Es ist rich-
tig, daß sich in diesen Schriften zahlreiche ag. Elemente vor-
finden und daf dies vor allem in den im Nilthal entstandenen
gnostischen Compositionen der Fall ist. Weniger freilich in der
von griechischer Philosophie beeinflußten koptisch erhaltenen
Pistis Sophia (ed. Schwartze und Petermann. Berlin 1851), als
in einer Reihe von Papyris, bes. den neuerdings von Leemans
(Papyri graeci. Lugduno Batavi II) publizirten. Die äg. Leh-
ren sind hier aber überall dergestalt mit griechischen , hebräi-
schen, syrischen und anderen vermischt, daß es unmöglich ist
aus ihnen Schlüsse auf die Natur ihrer einzelnen Bestandtheile
zu ziehen. Die äg. Religion kann zur Erklärung dieser gno-
stischen Lehren dienen, nicht aber ist das Umgekehrte möglich.
Genau dieselben Grundsätze müssen bei der Behandlung der
demotisch - gnostischen Texte, wie des Leidener Papyrus (ed.
Leemans Aeg. Monumente. Lfg. 1—3. Leiden 1839) geltend
gemacht werden.
Der einzige Theil der äg. Lehren, über welchen wir ge-
nauer unterrichtet sind, ist der auf das Leben der menschlichen
Seele nach dem Tode bezügliche. Diese wird behandelt in dem
sog. Todtenbuch, einem verschiedenen Zeiten entstammenden Sam-
melwerke, von dem uns Abschriften aus der Periode von der
11. Dyn. bis zu den römischen Kaisern herab in großer Zahl
überkommen sind. Die Exemplare sind an Linge und Zusam-
meusetzung verschieden; die in ihnen auftretende Lehre jedoch
ist überall fast völlig die gleiche.
Nachdem mehrere kürzere Exemplare des Werkes verüf-
fentlicht worden waren, erfolgte eine grundlegende Publikation
Die Forschungen iiber den Orient. 369
mit Hülfe eines Papyrus der saitischen Epoche durch Lepsius
(Das Todtenbuch der Aegypter. Leipzig 1842), der später auch
eine Reihe von Copien aus dem alten Reich veróffentlichte (Ael-
teste Texte des Todtenbuchs. Berlin 1867). Eine kritische
Ausgabe der Exemplare aus der Bliithezeit der Monarchie ver-
dankt man Naville (Das ag. Todtenbuch der 18.—20. Dynastie.
Berlin 1886. 2. Bde. Tafeln und 1 Bd. Einleitung). Es ist
dies eine ganz vorziigliche Arbeit, auf welche man bei Behand-
lung religióser Fragen stets wird zurück gehen müssen. Da-
neben haben die hier gesammelten ausgedehnten Texte auch für
grammatische und lexikographische Studien große Bedeutung.
Ergünzt werden die Angaben des Todtenbuches durch zahl-
reiche Texte, welche entweder aus einer Compilation einzelner
Sütze des Todtenbuchs bestehen oder auch selbstindige Compo-
sitionen ähnlichen Inhaltes enthalten. Hierher gehórt das Buch
vom Athmen (publ Brugsch Sai an Sinsin. Berlin 1851; de
Horrack Le Livre des Respirations. Paris 1877), die Klagen der
Isis und Nephthys (publ De Horrack Les Lamentations d'Isis et
de Nephthys. Paris 1866), das Buch vom Durchwandeln der
Ewigkeit (publ. von Bergmann in Sitzungsber. der Wiener Akad.
1877), die Hymnen an Osiris (bester Text publ. von Chabas in
Rev. arch. 1857), die Zusatzkapitel zum Todtenbuch (publ
Pleyte Chapitres supplémentaires du Livre des Morte. 3 Bde.
Leyden 1881) u. s. f. Weitere Angaben machen die Sarko-
phagtexte, die Grabinschriften und die magischen Papyri, so
daß über den Kern der Unsterblichkeitslehre keine Zweifel mehr
obwalten kónnen. Die Behandlung ihrer Einzelheiten auf Grund
der Texte würde eine sehr lohnende Aufgabe bilden.
Die große Zahl der im Vorstehenden aufgeführten Werke,
zu denen noch viele andere, deren Titel übergangen werden
mußten 17), hinzukommen, wird beweisen, welch reges Leben auf
dem Gebiet der Aegyptologie herrscht und wie zahlreiche Fragen
hier bereits gelöst worden sind. Die beigefügten Erörterungen
sollten aber andrerseits zeigen, wie viele Lücken noch ausge-
füllt werden müssen, ehe die Wissenschaft auch nur zu einem
vorläufigen Abschluß gebracht werden kann. Je mehr dies aber
geschieht, um so mehr werden ihre Resultate auch für andere
Wissenschaften, insbesondere für die klassische Philologie und
Alterthumskunde, an Bedeutung gewinnen.
17) Ein vortreffliches bibliographisches Hülfsmittel bei Aegypten
betreffenden Fragen bildet Jolowicz Bibliotheca Aegypitaca. Leipzig
1858; Supplement. Leipzig 1861. Neuer ist Ibrahim-Himly The lite-
rature of Egypt and the Soudan from the earliest times to the year
1885. I A—L. London 1886.
Bonn. A. Wiedemann.
Philologus. N.F. Bd.I, 2. 24
Miscellen.
13. Zu Aristophanes.
1. Wolkenkukuksheim ist erbaut, die Gótter vermissen den
gewohnten Opferdampf. Da sendet Zeus die Iris ab, um die
Menschen an ihre Pflicht zu erinnern. Sie geräth in die Vogel-
stadt und wird von Peithetairos über ihr unbefugtes Eindringen
zur Rede gestellt. In dem héchst lebendigen Zwiegespräch, das
sich zwischen beiden entwickelt, lesen wir Av. 1212 sq. die Worte:
"góc rovg xodostoyove ztQ007A9 tc ; où Akyesc; | Cpoauyid Eye maga
ıwv nelugywv; So pflegt in den Ausgaben geschrieben zu wer-
den, während die Hss. (RVAT' Vat.-Urb. Ven. 474 — leider sind
die Angaben bei Blaydes, wie gewóhnlich, recht mangelhaft) noch
Jc vor 10007495 bieten; ferner haben VAI' xoAosovg statt xo-
Aow«Qyovc (so außer R auch B und Havn., diese in der Form
xoÀowtgyag). Schnee de Aristophanis manuscriptis etc. p. 9 tadelt
die Auslassung des sicher überlieferten mw¢ und sucht es, nach
dem Vorgange von Bergk, der zog roig xolovagyoug nugrates ;
vorschlug, wieder in den Text zu bringen. Des zw wegen
müsse man offenbar, meint er, z«974A9:c schreiben, und das scheine
auch der Schol. gelesen zu haben, da er zu oyegayida 1213 be-
merke: oiov ovußoAor àni r$ ovyywond vas nugeAdeliv. Mit Un-
recht habe aber Bergk xodo:ugyovg aus dem R behalten: denn
wer an der Wache vorbeizuschlüpfen wünsche, habe ‘nicht so
sehr den Wachtkommandanten als den Wachtposten selbst zu
meiden. Auch sei der Plural xoAow«gyovg anstößig, man erwarte
vielmehr den Singular, wie 1215 dgrf9ueyoc; endlich sei nicht
zu übersehen, daß der Schol. (RVA) zu 1212 bemerke #uego-
griuxes yoo oi xoAosol — und daß der Dichter 1174 sage
Aadwr xokocoùc quAexac tutgooxonov;. So schlägt er denn
vor zu schreiben: ng z0ùs xodosovs yóQ nugñAdes; ov Ayes ;
Miscellen. 871
Eine überkühne Kritik! Das Wort xwe ist glücklich in den
Text gebracht, aber um welchen Preis! gegen alle Hss. ist 1)
zwg umgestellt 2) xooc getilgt 3) yng eingeschoben 4) n900743 tc
in suonAdes geändert 5) ist gegen den E xolosouç aufgenommen!
Das Wort xoloséeyous aber ist als anak elgnuévoy meines Er-
achtens über allen Verdacht einer Interpolation erhaben: es ist
so gut wie 6or(9ugyos 1215 von Ar. nach Analogie von fz-
zagyoc und andern Worten gebildet; auch an dem Plural finde
ich nichts Anstößiges, wenigstens ist Schnees Hinweis auf 1215
ganz verfehlt, denn dort heißt es ovdè ovuffodor | énéBadev à g-
»í(Jagyoc obOcíc 00 nugwv; Die Lesart xodosovs dagegen
ist entweder auf einen Schreibfehler zurückzuführen oder auf die
Absicht durch Beseitigung einer Silbe dem "Verse aufzuhelfen.
Das nowrov yevdos in der ganzen Behandlung der Stelle ist die
Annahme, wer zog aufnehme, müsse #agÿAdeç schreiben, wozu
dann wieder xoAos«gyovs nicht passe. Ich denke, mws läßt sich
noch auf andere einfachere Weise in den Text bringen, indem
man es nach Tilgung von ov mit A&ysıc verbindet und diese
Worte der Iris giebt: /7. 1905 rovg xoÀowxQoyovg nQocnjA9tc; I.
noc Aéyes 3 | HI. oygayid’ Eyes naga 1ùv neÀagyQv; I wl ro
xuxôv; | 77. o)x fluBec; I vysatvers pév; So kommt zugleich
mehr Lebendigkeit auch in diesen Theil des Gesprächs: es fol-
gen auf einander die 3 Fragen der Iris nog Aéyeis 1212, rl 10
xaxór; 1213, vysalveus uév; 1214 in charakteristischer Steige-
rung. Die Frage nwe Afysıs; bezieht ich eben auf das der
Iris neue und nicht recht verständliches Wort xoAosdeyous, wie
il 10 xaxov; auf opoayidu. Ebenso zum leblraften Ausdruck der
. Verwunderung dient die Frage nwe¢ Aéyeg; Av. 323. Th. 6
(mus Alyaıs; avdic podoov) und R 515. zgg nc; Av. 818. Pl.
268. Auch wird so der Anstoß beseitigt, den, vielleicht mit
Recht, Herwerden ez. crit. p. XII an der Frage où Afyaıs; ge-
nommen (anders ré ovv ov Afysıs; Ach. 359): man erwartet eher,
was auch Blaydes aufgenommen hat, oùx 2geis; — vgl Ach.
580. Av. 67. ovxov» égeig; P. 185 (Philol. Suppl. V 2 S. 257
sq.) E. 1144. Pl. 71. 974.
2. Die Vögel sind durch die Ankunft des Peithetairos und
Euelpides in Aufregung versetzt und wollen über sie herfallen.
Der Epops sucht sie zu beruhigen durch die Bemerkung, jene
könnten doch vielleicht gekommen sein, um die Vögel etwas
Nützliches zu lehren. Der Chor bezweifelt dies wegen der alten
Feindschaft zwischen Menschen und Vógeln, worauf der Epops
erwidert 975 : add’ an’ éySowv di (so RVAT, nach Blaydes auch
B4, die Ausgaben seit der Aldina dire) molla pardavovow
oi cogot. Schnee S. 9 sq. stößt an diesem Verse an: er sieht
dia als Interpolation an, vermißt xaf vor and und hält wodda
nicht für richtig, da man nicht Vieles, sondern Nützliches von
den Feinden lernen müsse. Zudem sei, was der Vers enthalte,
24*
872 Miscellen.
besser 382 gesagt: LOTS WOY wt Fou yàg av ti xàmo rjj» ZyIgwv
cogpdé. Der Vers sei wohl aus einer zu den folgenden Worten
beigeschriebenen Erklärung entstanden. Das ist schwer zu glau-
ben. Denn auf die Frage der Vögel: „wie könnten uns diese
etwas Nützliches lehren, da sie von alters her unsere Feinde
sind?“ muß der Epops nothwendiger Weise zunächst den Ge-
danken aussprechen, daB man allerdings von den Feinden vieles
lernen kónne; die Rede würde sehr abgerissen erscheinen, sollte
Peithetairos seine Auseinandersetzung sofort mit den Worten 7
yao evAdBea eub nuviu 376 beginnen. Auch verrüth das of-
fenbar zur captatio hinzugesetzte of cogoi doch wohl eher die
Hand des Dichters als die eines Interpolators. Erwägt man den
Gedankengang genau, so wird man auch ein x«í nicht vermissen:
der Epops behauptet, daB man allerdings von Feinden manches
lernen kónne, und nennt im folgenden gerade das, was nur der
Feind, nicht der Umgang mit Freunden lehre: dadurch ist xaf
hier ausgeschlossen, während es 382 in den Worten des zógernd
nachgebenden Chors ganz an seiner Stelle ist. d77@ scheint
freilich auf einer alten Conjectur zu beruhen: aber ihr Alter
wird ihr hoffentlich nichts schaden, wenn sie nur leicht und gut
ist — und das ist sie, denn dira, eine Lieblingspartikel des
Ar., ist ganz an seinem Platze, wo es sich, wie hier, darum han-
delt, etwas in Frage Gestelltes zu bestütigen und mit Nachdruck
als ganz evident zu bezeichnen (vgl nur Wehr quaest. Ar. p.
79 sq). Daher würde ich auch die nahe liegende Aenderung
zonorà noli verschmühen: der Begriff „Nützliches“ ergänzt
sich leicht aus dem in der vorhergehenden Frage stehenden 74
xonoiuov (oder ygnoió» nach Thomas de Ar. Avibus p. 49 und
Kock ex. cr. p. 9; die Conjecturen von G. Hermann ZFAW
1842 p. 1221 sind zu verwerfen).
9. Peithetairos bereitet ein leckeres Mahl und sagt Av.
1579 sq.: thy mooxvgorí(v por dorw* qépe olAysov' | rugôr ge-
géræ rug? nvgnoÀs rovc ürdgaxac. Die interpolierten Hss. haben
statt wor dorw (so RVA) uc dorw, und so fordert auch der fest-
stehende Sprachgebrauch: dozw res Av. 1693. Lysipp. 9 I 708.
Antiph. 136 II 67. dorw — ns L. 186. Plat. 10 I 603. Alex.
286 II 401. reg dorw Antiph. 74, 7 II 41. us— oro R. 871.
Men. 258 III 75 (?). zig wos dorw Av. 1187. éxdotw ris PI. 1194.
dxdorw-rıc F. 348. Yrw ng Av. 229. L. 688. rg xaudeociw E.
366. ng xadss Pl. 1196. AuBerw reg Av. 1055. eéxdaxnoarw rig
V: 1525. «voiyérw nc F. 268. nó molto Plat. 69, 8 I 620.
pegtre ric Av. 1580. pegétw — 115 Av. 464. 1325. L. 199. àxge-
pére 106 Eq. 1407. Zveyxaıw mg Ach. 805. N. 1490. P. 1149.
Th. 238. R. 1304. éveyxurw— atc V. 529. re — Éveysd 10. Cratin.
251 I 89. rig elosveyxuiw Pl. 228. ng éfereyxarw V. 860. nc
&yysı Henioch. 1 IE 431. mg — éyyeaiw Philem. 9 II 480. Diesen
86 Komikerstellen gegenüber wüßte ich außer unserer Stelle nur
Miscellen. 373:
noch eine anzuführen, wo xs und zwar in allen Hss. fehlt: V.
935: 0 Peouotéizns nov ‘09; oùros, autda wos dérw — so hat
z. B. Meineke, während Richter die Worte so verbindet: 6 de-
cuodtrns. noU "63° ovrog; aulda uos dorw — mit einer etwas
geschraubten Erklärung. Der Vers eignet sich nicht zum Eides-
helfer, er bedarf selbst der Heilung: etwa 0 Seouodérnc. moü
"oF; ovioc, áp(da uo. dore — vgl. N. 907: dore por Acudvqv
und V. 166: dore wos Elpos und über die Verbindung der An-
rede an einen einzelnen mit einer Aufforderung an mehrere Av.
850: aut noi, 10 xavo)v aïgeode xai rv yéoviBa. V. 975. L.
1166. schol Ach. 115. Kock zu R. 1479. Weniger empfeh-
lenswerth wäre ovr0c, auidu wos où dog (vgl. Av. 988: ovrog —
dog und über ov beim Imperativ Pl. 935: dog ov mos). Kock
zu Av. 1579 dachte geradezu an auldu ri; dérw — damit ließe
sich aber ovzo¢ schwerlich verbinden. An der Stelle in den Vö-
geln halte ich es für unbedenklich 716 aus den geringeren Hass.
aufzunehmen : mindestens ist es eine alte, aber darum doch nieht
zu verwerfende Conjectur (us konnte nach zugoxrnorıv leicht
ausfallen). Schnee S. 10 ist anderer Ansicht: er verschmäht
zc und glaubt den Anstoß, den auch er hier nimmt, durch Um-
stellung der Verse zu beseitigen : zvgó» peoérw ug" mvQnóÀt rovg
avdouras | Tv rvooxvgoiiv pos dorw géos cligsov. Er hätte
zur Empfehlung seiner ansprechenden Vermuthung anführen kón-
nen, daß so gége und gegérw passend von einander weiter ent-
fernt werden und das ofAgiov nicht mehr störend zwischen rvgó»
und rvgóxvgonuv tritt, sowie daß es angemessener ist zuerst den
Küse und dann erst die Küseschabe zu verlangen (vgl. auch
533 sq.) Wenn Schnee indessen glaubt, das Vorangehen von
gegétw 1:15 mache die Hinzufügung des ng zu dotw entbehrlich,
so wird man ihm schwerlich beistimmen Künnen: sind doch beide
Aufforderungen durch eine andere, selbstindige getrennt; überhaupt
stehen die vier Befehle asyndetisch, selbständig neben einander,
jeder mit einem besonderen Verbum, wie sie sich eben anf vier
verschiedene Handlungen beziehen. Etwas ganz anderes ist es,
wenn aus einem vorangehenden Nebensatze rng zum Imperativ.
ergünzt wird oder vielmehr dieser Nebensatz selbst Subjekt zum
Imperativ ist: vgl. ei rec — Bovderas, —tiw Av. 754 (= dog —
BovAetas, rw L. 1210. no00s49érw 0 PovAousvog Pl. 928). # zus
Iveacw — eloirw V. 891. st us — quow, elotıw V. 1499. ei
rig old, èuol xuzecnatw P. 20. sì un tig — Phénes, Vio) E. 1143.
4. Ich gedachte vorhin der Möglichkeit des Ausfall»von rig
nach zugoxvnotiv — es giebt, glaube ich, noch manche andere
Stelle im Ar., an der die Aufeinanderfolge ähnlich lautender
Silben oder Worte Ausfälle verursucht hat, die dann von inter-
polierender Hand ungeschickt ergänzt sind. So heißt es in dem
Hundeprocesse Vesp. 940 sq. BAE. aM Eu av y' ovgeis xai
(besser Richter xov) xadites oëdénw. | DIA. rovrov dé y° olpus
374 Miscellen.
"yw (Hirschig, ou” &yw RV) yecstodar ınuegov. Das entspricht
nicht ganz dem Sprachgebrauche des Ar.: dem Verbum oluns
(olouaı, dor. ol) pflegt er, sei es mit einem abhängigen Satze
verbunden oder parenthetisch eingefügt, das Pronomen nicht hin-
zuzufügen (wie 36 Stellen zeigen: Ach. 1018. Eq. 407. 413.
429. N. 373. 1112. 1113. 1185. 1311. 1342. 1391. 1405.
V. 295. 515. P. 863. 1286. Av. 75. 986. L.81. 156. 554.
998. 1256. Th. 27. R. 491. 803. E. 164. 280. 664. 1036.
Pl. 114 bis. 267. 473. F. 464, 2. 646), es sei denn, daß er
den Gegensatz zu einer andern Person nachdrücklich hervorheben
will, wie Th. 441: we èy@ua. PI 834: xuyw uiv ous. R.
934: #0 de -- eum. F. 636: œ@unr — Ëywye. Pl. 489:
&ywy’ ouai Th. 594: ofouos "yoy . Das ist aber an der vor-
liegenden Stelle kaum der Fall, und daher glaube ich, daß éyw
von einem Interpolator herrührt, der eine fehlende Silbe suo
Marte ergänzte, und daB Ar. schrieb: zoviov dé y” oluas xai
(vel) zeostoda: imuegor. Daß damit ein Beispiel für die cae-
sura media fortfällt (Preu de senarii graeci caesuris p. 110), kann
der Conjectur nur zur Empfehlung dienen. Der Vorschlag Reiskes
dagegen rounuegor totum triduum für rfusgov ist trotz Richters
bedingter Beistimmung (quod conveniret, si legeretur: Tovıov dé
geosiodaî y oly èycò roujueoor) entschieden abzulehnen: 7-
peor „heute noch“ (vgl. zzde Smuéox Th. 76) dient zur Ver-
stirkung der in den Worten liegenden Drohung, wie oft: vgl.
nur Eq. 68. N. 699. 1491. V. 643. P.248. Av.10495. 1465.
L. 685. 'Th. 729. R. 577. Pl. 433. 947. F. 597.
Frankfurt a. O. O. Bachmann.
14, Zu Theophrast.
-
"Theophr. char. 28 a. med. avrus ul yuvutxec, sagt der
Schmähsüchtige, éx zig odov ro)g maosovias Gvvagnalovos xai
olx(a ww; avin rà Ox£Àg foxvia ov ydQ ovv Agos tori 10 Atyo-
pévov GA dono ai yuvaixes Ev roig odoig cvvégovia.. Das
zweite yvvaixeg ist, wie mehrere Herausgeber erkannt haben, in
xuves zu verwandeln, aber nicht mit Petersen und Ussing das
zum Gedanken gut passende àv raig ódoig als Dittogramm zu
streichen : dazu ist die Aehnlichkeit von 2x 175 ódov nicht groß
genug und auch das falsche yusaixeg dürfte nicht sowohl einer
Dittographie sondern der unüberlegten Aufnahme einer das ver-
glichené Subject ergänzenden Randglosse in den Text zu ver-
danken sein. Vielmehr ist mit Meier und Foß ovvegyorras (coeunt)
zu schreiben. Die olxla za oxéln noxvia bietet auch bei Us-
sings Erklürung: domus (pro feminis eius domus) quae pedes tol-
lere (ad concubitum patiendum) consueverit eine abgeschmackte Vor-
stellung und oixía kann wohl die Gesammtheit der Hausbewoh-
ner, nicht aber einen Theil derselben, die Frauen bezeichnen.
?
Miscellen. 875
Unsres Erachtens deutet 766 auf das Vorhandensein einer Ver-
gleichung und zwar, dem Zusammenhang nach zu schlieBen, auf
das Bild eines Hundewesens hin, welches in aller Munde (zò
Aeyóptvor) aber nicht fabelhaft, kein leerer Wahn (Ajgoc) sein
soll: also Sxvdda re. Von Anaxilaos bei Athen. XIII 6 wird
eine Hetüre 7 tofxoavoc Zxvila , moviíía xvwv genannt, Lyko-
phron 44 nennt die Skylla ayotay xura; Schol. Apoll. Rhod.
IV 825 Aéyetus (die Skylla) mapa Toi mowtats &yew xuvas 2é-
xoviag amo Tüv mievodv xai roU stn Fous ; in der Odyssee hat
sie wenigstens die Stimme eines jungen Hundes, # 85 oxvAaxog
veoythic. Zu oxvlug verhält sich ZxvA1a wie 9vAA(g Sack zu
Jvluxos Sack; an Hesych. oxvddoc] © xvwr und xvAAag] oxvlaë.
"Hisio, hat schon Doederlein Hom. Gloss. III 129 erinnert. Theo-
phrast dachte vielleicht an jenen Vers des Anaxilaos oder an den
andern a. a. O. i dè Navviov tb vuri drapégery Zug doxei ; j
Folgt xai 10 0Àov avdgoAakol tives xai avrai ınv Fvoav mv
uvAssor vinaxovovci. Man vermuthet avdooyayoı, avdocdayvot,
avdgodoyos, avdgodufos (dieses sprachlich unpassend, vgl. #9y0-
AdBos aorgoiaBoc); im bisherigen Bilde würde avógóA«quo: blei-
ben: Zauos Aœuoç Schlund, Aawor Erdschlund, Aqua die kin-
derfressende Mutter der Skylla, Axufu Haifisch wie oxvdda, oxv-
Atov Haifisch; die Hetäre Lamia stand damals in ihren Blüthe-
jahren, Plut. Demetr. 27. Weiterhin ist mit Schneider xa?’
aùriv statt xai «avral zu schreiben; endlich vmaxovovor füllt ge-
gen das Vorhergehende gar zu matt ab, ich vermuthe vzowov-
govos: sie lauern am Hofthor, um die vorbeigehenden Männer
anzufallen und sie zu verschlingen.
Würzburg. G. F. Unger.
15. Emendationum ad Aristidem specimen.
In Aristidis oratione III p. 35 Dindf. 39 Canter. verba
quae sunt ro négi ınv éxtopnv ab interpolatore inculcata
sunt neque minus suspecta habeo verba in eadem oratione p. 36
inde a xai U4vwdev Eni rw» xvuatwr usque ad vavv dé
ày Q9alarrg: quae verba nisi tollimus, neque sententiarum
nexus neque verborum structura grammatica bene procedit: ne-
que enim alia causa nisi illis verbis inepte hoc loco infartis
factum est, ut Reiskius post verba Sy zgozov» xai elg yadaxto-
yayovs tov dia iv adeAyöv avrov aliquid deesse opinaretur:
utique, siquidem codieum nostrorum fidem habemus, huie enun-
tiato deest verbum: commodissime autem ad Anodnuourın mt-
notnxev refertur omnis haec, quam modo laudabam, sententia,
dummodo verba, quae suspecta esse puto, de medio tollamus:
quod si fecerimus, loci illius Homerici (Il. XIII 21), quem me-
morat rhetor, ordo continuus neque z«guazÀgowpao: distractus ex
scriptore nostro elucet atque relativum illud £vJa non minus
876 Miscellen. .
quam apud Homerum ipsum, statim annectitur ad oppidorum no-
mina . interpolatio unde profecta sit, non difficile est ad per-
spiciendum : quippe nescio qui grammaticaster sagacitatis qua-
dam prurigine tentatus similitudinem, quae intercedat inter na-
vem et currum, hoc loco demonstrandam eoque modo cur Nep-
tunus navium equorumque idem sit dominus, explicandum esse
ratus simplicem sententiarum ordinem turbavit. — ibid. p. 36,
40 in infima pagina pro éxuwlyvuvto lege Èmsuiyvvosvto.
Or. VH p. 71, 74 pro 8» Êceo dar lege tvéceoF as id quod
sic intelligendum est, ut dicat rhetor, uter Aesculapii filiorum
sibi per somnum visus sit, cum non satis liqueat, utique illum,
qui visus sit, inter laudatos esse futurum, si utrumque laudaverit.
Or. VIII 93, 97 scribe pofeowratos 0 uviOg sive qof. autos.
Or. XIII 269, 285 pro dvınoxacıv lege ürrnopxeour ;
vocem arragxetv saepius inveneris apud Aristidem (XXI 430,
362; XXII 490, 549; XXVI 513, 585; XXX 588, 52; XXXIII
632, 112; XLV 134, 168). — ibid. p. 292, 311 pro &var-
riw 010 nescio an legere oporteat ZAatiw puta: oppositum
est vixas: ceterum vocis &Aurrwuo, siquidem lexicis plane con-
fidere licet, exempla ante Polybium exstare nulla etsi concedi-
mus, tamen quod commendavimus haud improbatum iri speramus,
cum in eandem orationem Panathenaicam quae inter posteriores
velut perfectessimum sermonis Attici exemplar summis laudibus
extollebatur (testis est grammaticus in Bekkeri Anecdotis p. 1082),
etiam alia quaedam vocabula minus Attica (uldéospos, arııdını-
efopai, ayıınlnıw, unavınyodev, tx BaIgwr al.) irrepsisse monea-
mus. — ibid. 295, 315 pro ég' éxaoryn yufoa legendum est
éy Exacıns $uf£gag cum hiatus vitandi causa tum quia Aristides
ad tempus definiendum ézi praepositionem cum genitivo coniun-
gere solet (XXXIV 644, 127; XLIII 816, 365; XLVI 170,
211). — ibid. p. 297, 318 duo glossemata expungenda esse
puto: alterum est Leg «wv post ıwv slc 16 uécor elogoowy, al-
terum idemque magis etiam manifestum è mi di 175 "A39nvalwy
Gvréoteuntac. verba quae huic glossemati antecedunt proxima
quid sibi velint magis erit perspicuum, si post zn» éavru in-
seruerimus 17v» v uer éQuv.
Or. XIV p. 330, 354 locum sine dubio corruptum a scrip-
torum erroribus simpliciore quam Reiskius voluit ratione liberari
posse existimamus, si pro eis quae traduntur ovy ónwc &v del
xurtyew eldoteg scripserimus oùx GWG ava zei x. eldorss — ibid.
p. 331, 355 in verbis xai oóQxovc WE mielotovg yev-
ou TT rectius dativum 0gxess scribi putaverim (cf. Sexoic iEa-
matav Plut. Lys. 8) — ibid. p. 847, 374 pro ov» avroîg
"3 T- dovy scribe UM ators thc géovary, — ibid. P. 852,
979 in verbis nag tpi» dé anaviwy tyoviwy to lcov tò payipov
duvatov xywgic idgvaFus pro durarov scribe aduvazov. id
enim dicere vult rhetor, apud Romanos, quippe qui suum cuique
Miscellen. 377
ius tribuant, fieri non posse, ut milites a civibus inermibus se-
gregentur: immo vero unum quemque eundem esse militem et
civem. — ibid. p. 365, 394 pro upeic £gyo Èmounoute
lege vu. Ègyov Enoınoure
Or. XV p. 373, 402 legitur où xai 70 Uroumua 0wes,
legendum est pro Gwes: réQwes.
Or. XVI p. 405, 438 pro dyF wy lege 4» 92£w» (Hero-
dian. in calce Phryn. ed. Lobéck p. 454).
Or. XIX p. 428, 455 pro viv yé te dv vuwy atiwy
£osa Ie lege yi» y! Eu xi.
Or. XXI p. 438, 471 pro dwervorwy BeBusorégwy
scr. auslvw xoi BeBasotegor.
Or. XXII p. 440, 473 lacunam a Dindorfio indicatam in-
terposito xara inter xurolxıoıg et 70v voces expleveris.
Or. XXIII p. 450, 487 in vocibus éxvidesxvuplv@ no?
accentu circumflexo liberandum est nov. — ibid. p. 464, 509
scr. xaí pos dQoxei xà» (pro xat) nàetw Pıwvus yoQovov.
. Or. XXIV p. 481, 537 ser. wg dei dnEomevros (pro
deËoueroc). |
Or. XXV 488, 547 scr. GA’ zv puoi (pro xai) darìg
avıl tgixvplas. — ibid. p. 490 primam paginae vocem xu parta
muta in xuwuriu — ibid. p. 491, 551 ser. adda 16 yooro yé
14 uvvosie: yé vocula deest in codicibus. — ibid. p. 494, 556
scr. 101 ng «v yonousto (cf. or. XXVI p. 525, 605). — ibid.
p. 495, 357 ser. Ervyov piv anak (pro unus) do9twv. —
ibid. p. 501, 568 vocula quae est oí in elocutione xai oi pe-
140100Gévi1tC anysouv accentu gravi munienda est.
Or. XXVI p. 505, 573 extr. pro xuza nowıug lege
xai tè nowiu eùddçs yevousva, unde haec rhetoris sententia
efficitur: et ea dei verba mihi solatio erant, quibus me cum So-
crate Demosthene Thucydide comparabant, et illa, quae statim
initio mihi dicta erant. — ibid. p. 511, 582 pro olov émi
Badous lege olov Emßadonc.
Or. XXVII p. 585, 619 pro wo oix sicousroy at-
roig scr. wo Ot x &lg noouévwy ovrovg: cum scilicet Cumaei
illos (Aristidis comites) in domos suas intrare non sinerent. —
p. 542, 630 pro ép oi d° drag scr. duoi Jd ovv drug. —
ibid. p. 534, 532 legitur xaracxeuuoac oviwc wore agun-
veCounv, legendum esse videtur xazusnevouc. — ibid. p. 548,
642 pro nuidu 10vu Aovxiov lege zaid& riva Aovxlov.
Or. XXIX p. 559, 13 lege 70 di zo noour pro ri dn
noujouy. — ibid. p. 564, 19 lege moovneoygvoùrio pro mposva.
— ibid. p. 566, 21 inter voces olxelu» et ovdeputa»v inse-
rendum est durapuur.
Or. XXX p. 583, 16 pro fwo avid teyetv Pv Twy
advvatwy lege wo av 1. r. & jj wv ad. (eandem loquendi
formam habes or. XXX 595, 64; XLVI 168, 208; 190, 235;
378 Miscellen.
268, 332). — ibid. p. 584, 47 scr. ro ye (pro tov ye) Tos-
ovrov sivas. — ibid. p. 585, 48 scr. old a dì ınv Boiw-
tlav povov où Gy óvracg . VOX wixgov, qua scripta nescio
quis uoror ov elocutionis sententiam explicare volebat, scribae
neglegentia in verborum contextum irrepsit.
Or. XXXI p. 595, 63 pro dewpuévovs scr. 9eopué-
vous. — ibid. p. 597, 67 nescio an ors davAsvr£o» (pro
dovAevev) zv» melius scribatur.
Or. XXXIII p. 611, 87 ser. zei ro ngóg motégoue
òouov onuuvo . deest codicibus vox soc.
Or. XXXIV p. 642, 124 vocem zwr, quae in codicibus in-
tercidit, restitue post Auxedumovio:, ante unig uviwy égovrrwv. —
ibid. p. 645, 128 pro rf matey scr. Ti putper.
Or. XXXVIII p. 723, 238 in locum nominativi dy «9 7
ruyn dativus substituendus est.
Or. XLII p. 772, 303 pro muons del uviuns scr.
naons a&ıov uvpung. — ibid. p. 779, 318 post orea-
tnyoîs dé arı wo» verba ovdi ayoncror cicienda sunt. — ibid.
p. 781,817 pro où gFovov ua AA ov scribendum est ov pF o-
vou wovor . eundem scribarum errorem apud Philostratum
Vit. soph. p. 16, 16 (Kayser) correxerunt, suo quisque Marte,
Cobetus (Mnem. N SI 229) et Hertleinius (Herm. IX 362) .
paulo post illa Aristidis verba foedissimum hiatum tollere licet,
sì moocnyogly ndayıwv scribimus. — ibid. p. 788, 320
ser. 90 «v eTgovio (pro o000r.evyovio) vixiivieg: dicere vult
rhetor: vincentes, ubicumque manus iniciebant.
Or. XLIII 800, 344 corrupta sunt verba êlépuç xai
10 voùs tio téxvns devteoog: nescio an recta reddamus,
si ric relevo TAG téyvng ov devregoc scribamus. — ibid. p. 802,
347 scr. TOU nolírov PET _xuBeovntov. — ibid. p. 809, 355 ser.
n dì Enwvvmos avin tie Nvugng rodvreëüdevy (pro tov
Fsov) oy 4 « axıng wetelAnge. Sententia est: haec urbs,
quae a nympha (Rhodo scilicet) nomen duxit, inde ab hoc tem-
pore orae maritimae, i. e. hominum cultu destitutae speciem in-
duit. — ibid. p. 826, 378 minime delenda sunt verba adda
xaiév toig wera rovro, quippe quibus nitatur parenthesis,
sed verba «42% x«i post parenthesin inculcata.
Tubingae. W. Schmid.
16. Ad Tibulli elegiam II 4.
I. In v. 5: et seu quid merui seu quid peccavimus urit,
quia vis verborum merui et peccavimus parum diversa est, ob-
iecta opponantur necesse est. Itaque Hiller cum Vahleno Heinsi
coniecturam seu nil peccavimus recipere debebat.
IL V. 12 edd. sic exhibent: omnia nam tristi tempora felle
madent, Scriptura nam confirmatur usu Tibulliano. Nam cum
‘fiseeilen.
ul
omnia -empora «uasi -ouo rile large a:mrmxto corTmTDfA | a
rior juam Uae ZUSAM -^ssit Tacta*: .jeantnr + mir
ipsa "La juae „examerrn - eta sh le . Tiafitié AI. DI.
Eadem zutem ‘sus -articuia libulina
32 sentenrias :exametris 'rolatas - sntamatma ar U.
leg P auctor. it sosointam camane +rantuerm ent ol.
dolore sententiolam erHeeret. Lartieniae comica cone c Dt
OL Vv. 27-01 -ie :radauntnr: ma eum 4
viridesque smaragdos it niteam l'uri0 muss como e-
ararttiae «causas -t Coa webs — ostia - "hens sc» hem.
mari. aee recere maias. Cibuilus io cuis on oom.
genera Der yiecuey ira «ommemarat MIA we -
positis paria -ignincet. “ed » oat — lo + 0 mm. -
gende potius juam -maraedia «* — + eerste
utramque :uaestus :iciendi itinem crates vo 7
rentur. verbo ‘emt ue ubicendunmi — ..
legit ante véridesque collocatum »t 5 Lello Cl aoc a
que collocandae snae an: Want 2: 2: . -
Apud Tibuilum isitur cirene contes o 6 SEI
meter trisvilana “ei .raenomtione "us... uno.
elaudi solet. it -vilaha mr. ua sues ere ann
que * contieiatur. 'Juam enter TUS M Na me oe ii
hexametri in metrum :--esiaen 4 t u ou
Arte: aoe "M - — “se
eorum qui imitati nt cans o —
ostendetur ?' :
in Catulli ec. 55—.1:
in Properti I Li Tr Lis
" , II st TT AZ 2i
” I V I 0 ZIA i -
apud Propertinm "ilL. p >
in Tibulli [ 4 l
” a9 IT die n 2 7
ne *y ITIT Lee - =” -
apud Tibnilum v. . m P
in Lygdami dre e. 0 ed
li CE 131. % frate. UT When MCT MA, EI MAL
2 nune f cos meto 7 MOT 7 Maar Aer Mu
3 Quam com lo FT RB LT ILLATUM AUS Zee aha Che
tare, ostenditur : . 2 c. L2 77 0-6 AT UC Ou are CET na (ellc
versibus #—21 ul.icıt. E
4 Puureoamee rien er A — ME Di u.
5) 1a4e5e aut er mern nil Tui CaHüwCUMP ad lacerante.
6) Prise vimes, sure dena piSYUS Denier, Das
riore, quotes Tuas 1-LiZz4.:2 4/9 D —3 Sent DIABICAL
380 Miscellen.
in Ovidi amor. I 55 . 17
” ” ” u 27 37
» » art. am. I 17 26
» » fast. I 15 28
» » trist. I 17 vel 18 28
» » ex Ponto I 25 vel 26 55
on » I 24 24
apud Ovidium omnino 22 26 vel 27
Iam vero Tibullus, ut pentametri extremam partem ea ra-
tione pangeret, particulam que certis condicionibus ab enuntiati
adiungendi initio removit". Atque primum quidem, si Leo
Broukhusium secutus recte de hac re notavit v. II 4, 54 ,addo
simillimum IIII 5, 8 (perque tuos oculos per geniumque rogo).
Deinde particula que verbi finiti formae adhaeret aut trisyllabae
sed cum una particulae regentis syllaba cohaerenti®) aut quatuor
syllabas complectenti ?). Eis autem versibus quos Leo notavit !")
addiderim II 5, 70 (per flumina sortes | portarit, sicco pertuleritque
sinu) per flumina ad portandum, sicco sinu ad perportandum re-
ferens et I 3, 14 (quin fleret, nostras respueretque vias), in quo
collata structura vv. I 6, 72. I 7, 62. II 8, 54. II 5, 70. 90
obiectum ad secundum tantum verbum pertinere et flendi ver-
bum ut v. 8 absolute dici existimo. — Denique ambiguitatem
quandam Tibullus ea collocatione vitavit II 9, 88 (hinc cruor,
hinc caedes mors propiorque venit); neque enim cruoris caedis
mortisque, sed propioris mortis originem repetit.
Hae consuetudine Tibullum eo perductum esse, ut in hexa-
metri quoque extrema parte particulam que ab enuntiati initio
removeret, demonstratur v. H 5, 53. Aseribo vv. 51—54: te
quoque iam video, Marti placitura sacerdos | Ilia, Vestales dese-
ruisse focos, | concubitusque tuos furtim vittasque iacentes | et cupidi
ad ripas arma relicta dei. Furtim sententiae ratione habita ad
concubitus multo artius quam ad vittas iacentes pertinere Leo
falso dicit. Nam illos furtim factos esse ita apparet, ut hic in-
super significandum non fuerit; at vittae, cum Martis propriis
armis iam ab amori indulgente relictis poeta opponat sacerdoti
Vestae signum ab llia iam desertis Vestae focis Marti morem
gerente depositum — neque enim de vittis reluctanti puellae
dereptis vel delapsis cogitandum est — furtim iacentes proprie
atque recte dicuntur. Neque igitur est, quod durissimum —
nam adverbium inter substantivum et adiectivum and xosrou
esset — eius structurae genus poetae politissimo obtrudamus.
7) Secutus est Ovidius.
8) 1 3, 56. I 4, 2. ME
9) Neque igitur mille patentque tiae, quod Leo I 8, 50 scribi iu-
bet, hoc usu Tibulliano comprobatur.
10) I 1, 40; 3, 38; 6, 54. 72; 7, 62; 10, 54; Il 8, 54; 5, 22.
72. 86. 90; 6, 16.
Miscellen. 98t
Quae cum ita sint, ne II 4, 27 quidem anacoluthon, sed tra-
iectionem verborum metri ratione Tibullo commendatam agnoscimus.
Sed in v. 29 enuntiato hic dat avaritiae causas enuntiatum
et Coa vestis et concha puellis dant avaritiae causas, quia Coa ve-
stis et concha sunt causae avaritiae, ineptissime adiungitur. Ne-
que vero aut verba dat avaritiae causas, nisi pronomen Aic sub-
iecti loco servatur, apta sunt aut verbis quae secuntur coniectura
tentatis locum restituere possumus; nam ne vocabulum puellis
quidem, quia infra extat haec fecere malas, verbi finiti substi-
tuendi causa delere debemus !!). Apparet igitur aut verba hic —
causas aut et Coa — mari spuria esse. Atqui illa et parium oppo-
sitionem male interrumpunt et sequentem in v. 31 eomprehen-
sionem inepte praecipiunt; haec aptissima sunt. Ergo illa v.
29 pars a Tibullo scripta non est. "Videtur autem, cum casu,
quo proximi carminis versus complures interisse constat, prior
versus pars deleta esset, is qui cd. archetypum confecit causa
ilius devotionis declarata lacunam explesse. Quam coniecturam
eis quae de vv. 37. 38 disseram non nihil confirmari puto.
IV. Vv. 85—38 sic traduntur: heu quicumque dedit for-
mam caelestis avarae, | quale bonum multis attulit ille malis. | hinc
fletus rizaeque sonant, haec denique causa | fecit ut infamis hic deus
esset Amor. Avaram igitur eandemque formosam amanti ad
mala multa e puellae avaritia orta bonum quod acerbe dicitur
e forma ortum adfertur, cum ei non solum solitaria sed etiam
desiderio fletuque nox vigilanda veniat et perstanti ante duras
fores cum rivalibus, qui formosam illam puellam ipsi quoque
cupiunt capere, rixae sint inserendae !?). Quo bono ab amato-
ribus patiundo Amoris infamia verbis haec — Amor declarata
non continetur. Itaque ex forma fletus et rixae videntur oriri,
his denique Amoris infamia confici. Sed Amor eis tantum re-
bus infamis factus dici potest, quae ad Amorem auctorem refe-
runtur. "Tibullus autem modo apertissime fletus et rixae origi-
nem repetivit ab illo caelesti quicumque formam avarae dedit,
non repetivit ab Amore. An cuiquam videtur, postquam am-
bigue atque obscure de aliquo deo locutus est, exponere, qua
consecutionum serie infamem se reddiderit Amor? Ergo haec
de Amore infami facto verba eum eis quae praecedunt non
modo non cohaerent sed etiam pugnant, et cum nihil intercidisse
possit, sequitur, ut a Tibullo scripta non sint. Atque quae in
his verbis apparent interpolationis vestigia a Wissero !5), qui
totum distichum falso delet, exposita sunt 14).
Hexametri igitur altera pars et pentameter casu aliquo vi-
11) Kraffert (‘Betirdge’ III. Aurich 1883) cum scribit: hic—causas,
set Coa puellis - mari, ut alia omittam, oppositione absurda sententiam
corrumpit.
12) Cf. 1 1, 56. 74; Prop. III 19, 5.
13) Quaestiones Tibullianae. Lips. 1869 (Kil. 1870).
14) Addiderim quod parum apte tempus perfectum subito infertur;
382 Miscellen.
dentur deleta fuisse. Eum autem qui codicem archetypum con-
fecit, si toti versus interierant, lacunas intactas reliquisse com-
pluribus locis cognoscimus 1%). Sed hic altera hexametri parte
extante distichum refingere animum induxit. Itaque cum modo
eius quicumque legit et tingit execrationem verbis Aic dat ava-
ritiae causas confirmasset, simili cogitatione eo deductus ut hanc
de illo caelesti quicumque formam dedit exclamationem male de
Amore intellectam explicaret, commentus est: haec denique causa
fecit ut infamis esset Amor. Explevit versum'f) eisdem voca-
bulis quibus Lygdami de Libero loquentis v. 6, 23. Neque
enim dubium est quin fragm. Cuiac. recte illum sic praebeat:
quales his poenas qualis quantusque minetur. Ille vero cum aut
qualis his poenas qualis aut quales his poenas quantusque invenisset,
ut aut duplicem quae esse videbatur scripturam tolleret aut la-
cuna expleta versum restitueret, scripsit: quales his poenas deus
hic quantusque minetur 17).
V. V. 48 cd. A sic exhibet: seu veniet tibi mors nec erit qui
lugeat ullus. Sed cum appareat precari poetam, ut dolor opum
incendio ereptarum augeatur, sententiarum structura haec esse
debet: quin etiam tune, cum opes eripientur, iuvenes laetentur
atque te deserant; vel, si tibi opibus unde iustum funus procu-
retur privatae mors veniet, ne lugeant neve inopi muneribus
succurrant. Itaque scribendum est: mec sit.
VI. Componitur carmen vv. 1— 10, 11 — 26, 27 — 88,
99—50, 51—60. Mediam igitur partem qua de puellis pretii
cupidis agitur praecedit pars qua de ipso pretium flagitato, se-
quitur pars qua de domina pretium flagitante poeta dicit; prima
autem pars imaginem dominae catenis tenentis facibusque urentis
continet, extrema veneficae potionibus magicis quales Circe Me-
dea Thessalae gerunt atque tractant aliisque ad furores conci-
tandos aptis irretientis atque illigantis.
15) I 2, 25; II 3, 15. 84. 58. 75; III 4, 65.
16) memor vv. II 1, 709 8.: a miseri quos hic graviter. deus urget . at
ille | felix cui placidus leniter adflat Amor.
17) Idem cum 11 1, 58 tradita invenisset verba dux pecoris reli-
qua versus parte casu deleta, e Tibulli verbis a pleno memorabile mu-
nus ovili simili atque II 4, 38 metri vitio bis admisso commentus est:
hircus: auxerat hircus oves; cf. Bubendey Quaest. Tibullianae. Bonnae
1864, pg. 23.
Berolini. H. Belling.
——— — — —
17. AIAI0X KOAYMBHTHZ.
Notum est Socratis de Heraclii philosophia apophthegma
Laert. Diog. H 22: „a uiv cwmxa, yevvuiu* olpas dé xoi à un
evixa* man AnAlov yé rwoc deitas xoAuußnov“‘) Idem
1) Laertii locus memoriam excitat Tulliani illius ad Q. fr. II 9, 8
(cf. Teuffel-Schwabe rom. Litt. $ 203, 2) ad carmina philosophica Lu-
Miscellen. 888
fere obliqua oratione narratur IX 12; transcripsit ipsius Laerti
libro usus Suidas s. v. ZfgA(ov xoAvufmrov (vol. I p. 1238 Bhd.),
in fine vero (post xoAvufinrov) addit: slg 10 pun anonvynvas Ev
avro: xui nagoslas Anksog xoAuvufßnıng‘ ini tay nave
dunslowy rixeog as (hine Apostol. 500 p. 364: Æmlou xodup-
Bniou: àni 10v axews rnyouévwy), Sed de hoc quidem ‘proverbio’
altum apud antiquos auctores est silentium: scilicet ipse lexico-
graphus flosculum quem excerpsit hoc nomine ornavit. Itaque
universam Delii urinatoris memoriam uno Diogenis loco
niti vides.
Ex hac igitur parte bene munita est Nauckii sententia,
(Bullet. de l'académie imp. de St.-Pétersbourg XXX [1886] p.
114, 59), qui AnAlov illud, quod omnes ante eum viri docti
tacite probaverunt ?), ineptum esse opinatus deu» oU rivogc
xoàvufntot (4HAlov: AEINov) eleganter coniecit. Verum
tamen scrupulos mihi inicit Aristoteles, qui (apud Athenaeum
VII p. 296 C = Aristot. Ps. p. 465 R.) & 77 4uMwv nodsela
(Piavxoy Tov Faduocior daluova) dv Aniw X 101x1009TG
peta rU» Nnonldwv roig dedovor uavisvecdoa, memoriae tra-
didit. Glaucum enim priusquam deus marinus fieret piscatorem
fuisse urinatoremque peritissinum vetus est fama. Ita
in excerptis mythographicis ab Athenaeo servatis ante Aristo-
telis testimonium haec inveniuntur: Mrao&ug Ó' èv rolrm 16v
Evowmaxwy . . . vovuxóv dì udrdr xai xoAvußnınv aya-
9 ov yevouevov Hóvriov xadsicda:. — Deinde litt. D: Mico d 6
Müyvns . . . vg Moyovg qaoi dnuiovgyòor yerec9u, tov Thai-
xo» ... xuta dì tie Aids Bovdnow Ev tH TIC Fadhariys
Bud aqpuro97ra. Litt. E: Aloygiwv dì 6 Sausos &v un
ıwv luufwr (choliambogr. p. 138 Mk.) "Ydrng gnoi mo Sxv 1-
Aou tov Txiwralov xataxolum pnt od Fuyurgos oe
èQuod ru 3). P. 297 B.: ‘Hdvdn ... &v m envy gapou ery Sxvddy
ioroosî 10v Tiuvxov équodévia Zxvlnc 89e avis slg 10. Gv-
100r, donis marinis onustum: «xrjv yao xe(vpy à nev goa ro?)
Similia de Enhalo narrabantur: cf. Tuempel Bemerkungen zu ei-
nigen Fragen der griech. Religionsgeschichte, Progr. Neostett. 1887
p. 9 sqq. Medio vero aevo Glaucus ille Scyllae amator ite-
eretii Sallustiique spectantis: in quo simile quoddam acumen vide-
tur latere.
2) V. c. cf. Schleiermacherum et Cronium supra p. 209.
3) Cf. Pausan. X 19, 1 Zxswraîog Zxöllıs, US zaradüvaı xai 86
Ta fa9ilata Saldaons naons tye g'iunv ididd Sato dì xai Tv
Suyatéoa d'éec au oùtos .. Inınsodviog VAUTIXO T Hégtov Biaiov y&-
udvos ngoctétigydaavró oy sow &nuÀsav TRGS TE ayxvoas... Elxdouvtss xrÀ.
4) Hine profectus Palaephatus XXVIII p. 289 (— Apostol. 449)
vaticinatur: Tlavxos z» avyo Ghisvg.. hy dé xolvußnrns éy
toU diay ÉQuY tor allwr. xolvuBovte di iy TU, durs avıov oguiviwy
TU» dv Tj modes diaxoÀ vuBn cas elc tiva tonov x«i un 0q9eic roig
olxei0LS è è + dıaxolvußnoas nalıy wgIn avtois xt,
884 Miscellen.
rum homo factus est urinandi arte clarus: nam Nicolaus Piscis
Schilleri carmine celebratus Glaucus est personatus 5). Atque
apud nostrates quoque fabellis popularibus iuvenes cantantur in
puteos vel stagna desilientes atque in daemonum aquatilium antra
pervenientes.
Iam tales narratiunculas etiam apud Delios
viguisse ipsius Aristotelis testimonio constat: quid igitur,
si fabulosum hunc urinatorem significavit Laertii Socrates?
5) Cf. Gervas. otia imperial. p. 11 Liebr.: Sicilia ab Italia modico
freto distinguitur, in quo Scylla et Charybdis ... In hanc referunt
ex coachone regis Siculi Rogerii descendisse Nicolaum Piscem (corr.
Liebr., volg. Pepam), hominem de Apulia oriundum, cuius mansion fere
continuo erat in profundo maris . . . . maris sedulus explorator, . ..
nautis instantes tempestates praenuntiabat (sicut Glaucus
vates), nihil praeter oleum ... postulabat (undarum sedandaram causa).
Cf. Liebrecht p. 94.
Tubingae. | O. Crusius.
In Senecam Rhetorem.
(ad p. 175).
Controv. II 12 p. 159, 5 sqq. adhibitis scripturis codicis
A: quam vismeuere et codicum BVD: quam umetis seuere una
fere littera mutata sententia loco apta efficitur; quare scriben-
dum nunc censeo: in hos ergo exitus varius ille secatur lapis et
tenui fronte parietem tegit, quamvis timetis spuere in hoc
pavimentum levatum et infusum tectis aurum. Levatum, quod ad
verbum /?vandi (glätten, poliren) pertinet, retineo.
Lundae. S. Linde,
Excerpte und Mittheilungen.
The Journal of Philology XVI (32). Onions: Noniana. —
Paley: Notes on Propertius. — Nettleship: Adversaria (zu Cato,
Horaz, Livius, Servius, Lucanus, Vergil etc). — Haverfield :
Lexicographical Notes. — Darbishire: The Numasios Inscription
(s. Biicheler Rhein. Mus. XLII S. 317), hauptsächlich in pho-
nologischer Beziehung, speciell in Betreff des F-Lauts, tiber die
Variationen des Namens Numasius im Lateinischen, Oskischen
und Etruskischen und über den altlateinischen Dativ auf oi,
dem griechischen auf © entsprechend. — Macnaghten: Ae-
schylea; zu den Choephoren, zu Agamemnon und zu den Eume-
niden. — Garrett: On the Date of Calpurnius Siculus; er wird
in die Regierungszeit Gordianus III gesetzt.
The American Journal of Philology IX 1 (33). M. Blom-
field : the origin of recessive accent in Greek, im Anschlusse an
die Beobachtungen von J. Wackernagel, F. Hanssen u. A., und
im Gegensatze zu Wheeler. — G. L. Kittredge: Chaucer and
Maximianus. Benutzung des M. bei Ch. und andern altengli-
schen Poeten nachgewiesen. — Berichte über Langen Plaut.
Stud.; Mayer Giganten und Titanen; Schmid, Atticismus.
XX.
Babriana’).
Aesopeas fabellas, quae nunc feruntur pedestri sermone con-
scriptae, magna ex parte paraphrases Babrianorum apologorum
esse constat: itaque cum Babrii mythiamborum plurimi sint in-
termortui, commode hanc iacturam quodammodo resarcire licet.
Paraphrases istae duplicis sunt generis: plerumque metraphra
stae omni orationis ornatu detracto tenui sermone poetae sensa
interpretantur: alii vero pristinam poematiorum formam plus mi-
nusve servant: nam versus quamvis solvant, integros tamen
choliambos vel hemistichia passim retinent; item cum alia bre-
vient, nonnulla amplificent vel mutatis verbis eloquantur, non
1) [Quaecunque Th. Bergkius tertiam anthologiae lyricae editionem
curaturus de Babrii fabulis restaurandis conscripsit per R. Peppmuel-
lerum in meum mihi usum sunt transmissa. Atque praeclarae quaedam
emendationes notulaeque in editione poetae quam paro spero fore ut
idoneum habeant locum; non habent prolegomenon nova illa capita
vel funditus retractata in quibus cum paraphrasium usum et rationem
tum ‘alterius’ sylloges naturam virtutemque illustrare conatur. Haec
igitur Philologo inseri satius esse putavi. Nam licet improbanda om-
nino videantur quae de fabulis a Babrio bis recensitis deque frauda-
toris Lewisiani fide disserit (teneo quod posui de Babr. aet. p. 155!
193! 2264), tamen utiles coniecturae gravesque quas cum fructu Gitl-
baueri legent sententiae et observationes ubique sunt inspersae. At-
que omnes has quaestiones magna eum contentione tenacique acumine
usque ad ultimum fere vitae spatium animo volvisse diligenterque per-
tractasse vel inde apparet, quod singulorum capitum binae vel adeo
trinae exstant recensiones: quae folia disiecta digerenti mihi et com-
ponenti magnum facessivere negotium. Ultimam brevissimamque re-
censionem typis describendam curavi. O. Cr.].
Philologus. N. F. Bd. I, 3. 29
386 Th. Bergk,
tamen penitus poesis lumina extinguunt?) Critici utroque ge-
nere pariter ac sine dilectu uti solent; ac pedestrem quidem
interpretationem qui criticum factitat in eis apologis, qui integri
sunt servati, non sine fructu adhibeat, sed si quis perditos my-
thiambos horum metaphrastarum opera usus restituere conetur,
irritum suscipere laborum censendus, est ?); sin semipedestris
metaphrasis ad manum est, aliquanto tutius licet restituendi poe-
matii periculum facere.
Instaurandorum carminum cum omnino arduum sit opus,
difficultates mirum quantum augentur eo, quod iam Byzantini
magistri pro sui saeculi captu solutos Babrii versus ad numeros
revocare ausi sunt. Mitto tetrasticha trimetris iambicis con-
dita pariterque quae 'Tzetzes tetrametris politicis astrinxit; sed
praeterea isti magistelli paraphrasibus tam pedestribus quam semi-
pedestribus usi apologos Babrianos denuo versibus clodis inclu-
dere instituerunt. Facile apparet, quantopere horum magistel-
lorum inscitia et audacia paradosis adulterata sit, ac magna est
cautio adhibenda ne falsa specie decipiamur.
Ita in codice Vindobonensi magistellus aliquis pede-
Stres paraphrases complurium apologorum in choliambos rede-
git 4), h. e. in versus duodecim syllabarum, ita ut neque sylla-
barum mensura quantitatem neque accentum curaret, nisi quod
paenultima versus syllaba constanter accentu percutitur; vide
quae de huius libri fabulis notavit Tycho Mommsen Philol.
XVI 721 sq. et qui plenissime rem tractavit Fr. Fedde 5).
Choliambos dixi versus, quandoquidem ut plurimum paenultima
syllaba longa est, velut in fab. XIII quae versibus 18 constat
plerique versus spondeo vel trochaeo terminantur, quinquies tan-
2) Saepe eiusdem apologi dispares extant paraphrases, velut 65
a. b. Hlm. posterior admodum curta et pedestris, sed prior non solum
sensa poetae commode reddit, verum etiam integra servavit Babriana:
1006 ódoimópovg 1épnuwr guvys di nag fuoò nl et ov ovdiv svenasse.
3) Conferas metaphrasin 242 ed. Halm cum fabula Babriana CII.
4) Etiam alii codices vel easdem fabulas vel alias ad eundem mo-
dum instauratas exhibent, ac videntur plures deinceps huic negotio
operam dedim. fab. XL Vindob. alia recensio extat in libro Casin.
5) Ueber eine noch nicht edirte Sammlung Aesopischer Fabeln.
Breslau 1877. Sed erravit Fedde quod passim syllabas tantum nume-
rans versus sibi visus est repperire, ubi pedestris exstat oratio, velut
fab. VU p. 19 in trimetros redegit caesura plerumque carentes, velut
A4cualis Bos» toyaldpuevov öpwaoe, id quod versus legibus plane adver-
satur, ut ne in his quidem misellis poematis sit neglectum. Adde,
- Babriana. - 887
tum iambus vel pyrrhichius admissus est?) Iam etiam in tri-
metris Byzantinorum, qui proletariae poesis licentiam prae se
ferunt, passim novissimo loco spondeus vel trochaeus se insi-
nuavit, sed legitimus est iambus, quemadmodum in his apologis
spondeus *). Manifestum est fabularum, quas isti magistelli pe-
destribus usi interpretationibus pro arbitrio refinxerunt, ut nu-
meris includerent, exiguum esse usum in acte critica factitanda 9).
Similem operam instaurandis Babrii apologis navavit ma-
gister Byzantinus cuius choliambos in codice Athoo investi-
gavit Menas, edidit Lewis (Syll. ID. Usus ille est paraphra-
sibus tam pedestribus, quam semipedestribus in quibus pristini
nitoris vestigia non penitus oblitterata erant. Versifieator Vin-
dobonensis pariter fabulas prioris quam posterioris syllogae, ad-
hibuit; neque vero germana Babrii poematia oculis usurpavit:
expers omnino artis neque alienum exemplar imitatus fabulares
narratiunculas in versus redigere conatus est. Sed nova sylloge
nullas omnino fabulas exhibet, quae in priore leguntur, quam-
quam consentaneum est Athoo versificatori etiam interpretationes
apologorum, qui insunt in priore sylloge, ad manus fuisse; sed
neglexit, quandoquidem versavit Babrianorum mythiamborum
eclogas, quas prior sylloge «complectitur: satis igitur habuit
studiose conquirere et pedestres et semipedestres interpreta-
tiones perditorum poematiorum, ut ad illud exemplum quoad
licitum Babrii poesin instauraret. Et hie quidem versificator, cum
multae paraphrases versus vel hemistichia integra exhiberent ?),
cumque lectitasset Babrii mythiambos, aliquanto meliores versus
quod paraphrasis versibus astricta plus minusve immutatam paradosin
exhibet, hic vero cod. Vindobonensis lectiones cum reliquis libris fere
congruent,
6) Neque tamen omnium eclogarum eadem ratio, velut XXXVIII
maior iamborum, quam spondeorum numerus deprehenditur.
7) Perperam Ritschl Mus. Rh. 1 300 [= op. I 295 sqq.] contendit
hos trimetros, quoniam paenultima syllaba accentu feriatur, in cho-
liamborum numerum referendos esse, atque assensus est Christ
Metrik 404 [* § 440], nescii eandem legem a Byzantinis etiam in tri-
metris artificialibus fere ubique observari.
8) Quamquam alii versificatorem Vindobonensem et si qui alii
eius vestigia legunt, audacia longe superaverunt, hic quoque haud
pauca, ut versus numero satisfaceret, novavit, velut IV 3 ogvidoss,
VII 5. XXII 6 not», XXII 1 éqsdydy pro igsdw9n, XXVI 11 9v5£v,
XXVII 2 yovoata (quoniam yovosa propter accentum non satisfaciebat).
9) Exordiis et clausulis fabularum potissimum pepercit interpre-
tantium libido.
25 *
388 Th. Bergk,
‘edolavit, quam Vindobonensis: prosodiae ratio habetur in pri-
more potissimum versu, in posteriore parte, maxime in sede paen-
‘ultima, plurima et turpissima delicta deprehenduntur: et cum
syllabas non tantum numerare sed etiam ponderare studeret,
etiam trisyllabos pedes admisit: hiatum aspernatur, quem Vin-
dobonensis non curat. Spondeo plurimi versus terminantur, tro-
‘chaeo pauci admodum: passim iambi comparent, uayn, #aymv,
divo, doaxwy, 2öruyovv, éoxepaunv. Item paenultima syllaba
accentu percutitur, cui legi pauca exempla adversantur geda,
el Cae, wevdés, xonuvor, moy, xatégyovtas. Cum solutos versus
et sermonem variatum vel breviatum reconcinnare satis arduum
esset opus, magistellus rem ita administravit, ut novandi au-
dacia et insigni stupore Vindobonensem longe superaverit. Osten-
tant igitur hae fabulae Babrianam gracilitatem et elegantiam
miris modis scabritie sermonis et foeda barbarie inquinatam.
Quodsi paraphrases, quas adhibuit versificator, servatae essent,
antiqua a noviciis, germana ab adulterinis facili plerumque ne-
gotio segregare liceret . . .
Iam cum veri sit similimum eclogas dodecasyllabis poli-
ticis scriptas posteriores esse iis, quae umbram certe artis servent,
tum haec suspicio planissime confirmatur eo, quod Vindobonensis
versificator usus est Athoi diasceuastae eclogis, ut infra lucu-
lento exemplo ostendam (vid. p. 392). Item Vindobonensem Athoi
vestigia legisse largietur, qui Vind. IV. XX. XXI XXXV.
XXXVIII composuerit cum Athois IV. LXXX. XLIX. LXVIII.
LXXXI '?) quamquam Vindobonensis, cuius ingenium satis illu-
strat contaminatio diversarum recensionum XXIX (A LX), de
qua supra verba feci, passim peculiaria quaedam habet !!)
Item animadversione dignus consensus V XVI, v. 1 #x01gam-
ynoas et A XLIII, v. 1 éxcrgurnyéwr, quod metri gratia novatum
esse apparet?) paraphrastae, velut Bodl, croa:ny76as exhibent.
Eandem necessitudinem testificantur aliae fabulae dodecasylla-
borum versuum, quae in cod. Vindob. non leguntur, velut fab.
10) Itaque Vind. XXXVIII v. 5. 6 pariter versus Babrianos, quos
servavit .í, quam paraphrasin pedestrem respexit.
11) Velut IV ueus est etiam paraphrasi pedestri, XX et XXI euo
periculo animantes verba facientes induxit, w Se Àeunoà rai xncrà
ms uelicops xil, item £yo uè» gile, Uno cot anodvnoxe: En (corr. Fors)
di Pets, 0g xauè ixdixgon xtd.: quae Athous pariter ac paraphrases
ignorant.
12) Ad eundem modum V XXXV v. 3 éxvsxgow novavit.
Babriana. 389
240^ Him. plane ad similitudinem A LXXXIII exacta est, con-
spiratque uterque versificator vel in manifesto mendo v. 1 paces
pro oz«6046!?) Item fab. 207^ Halm'‘), quamquam partim
ad pedestrem paraphrasin (Bodl. 56) propius accedit, tamen no-
vissimo versu 0uws nenovdag 0 ifovAov uo, ngátos aperte se-
quitur Athoum XXX 6 onug némov9ag, a dqagut wy’ ÈèBoy-
Asvang !9). |
Athois eclogis cum Vindobonensem versificatorem usum essa
demonstraverim, apparet quam vana et temeraria sit
suspicio eorum, qui ad Menam auctorem refe-
runt, quae octo minimum saeculis ante adornata esse necesse
sit: nam codicis Vind. ea pars, quae Aesopea continet, si reete
ad saec. XII minimum refertur, atque eidem saeculo si versifi-
catorem istum adscribimus, Athous diasceuasta saeculo XI, ne
altius eius natales repetamus, vixisse censendus est.
* | *
Ne
Qui Menae apographo confidenter omnem fidem abrogant,
eos temere et praeceptis opinionibus indulgentes de rebus, quas
ne primoribus quidem labris attigerunt, indicare contendo:
quod ne quis [temere me et] pro imperio fecisse me criminetur,
Babrii et veritatis causam agens, non meam, (nam-ingenuum
veritatis cultorem omnisque fraudis cultorem*) neque imperitae
multitudinis convicia neque iW» duvuctevortwy- movet invidia),
ex multis quae in promtu sunt pauca quaedam sed luculenta
expromam exempla.
Quemadmodum passim Babrianos apologos fere integros propa-
gaverunt homines Byzantini (cf. Babrii append. fabb. ógn-
SoFnoas et ovog naíQwv; fab. zeru& xai puoun£ Dositheo ae
13) Versus dodecasyllabi recte procedunt, si v. 1 àz54959e pro
7A9s, et v. 4 ónócov» pro nócov rescripseris.
14) Huius quoque fabulae versus, si ab uno discesseris loco, integri
sunt servati.
15) Quae fabulae prioris syllogae a Vindobonensi instauratae sunt,
examinare non est huius loci; illud notavisse satis habeo V XVIII
copiosam argumenti enarrationem a brevitate Babrii f. V plane ab-
horrere, sed videtur V diversam sequi recensionem, cuius principium
servavit par. pedestris 4dextogotaxos ovunecôvies dljloss, sed V
ut solet inepte Babriana amplificavit. N oque vero negligenda Y XI,
quae commode redintegrat Babrianam LXIII, ut ibi significavi.
*) (Error fatalis: voluit ni fallor osorem. —
390 Th. Bergk,
ceptam referimus, quam paraphrasis ope frustra in integrum re-
stituere tentaveris): ita etiam nova sylloge fab. 51 (Zed¢ xgstijc)
quae decem choliambis constat, plane integram exhibet, et quam-
vis verba vitiorum non sint immunia, omnis tamen fraudis sus-
picio procul habenda. Ac posteriorem quidem partem critici
paraphrasi usi probabiliter redintegraverunt; sed exordio recon-
cinnando paraphrases non sufficiunt, praesertim intra se dis-
crepantes :
Bodleiana. Vaticana.
‘O Zug tas rv avIodnwy — "Oorgáxo yedgort tov ‘Eo-
apaorbag àv dorgaxoss row "Eg- iv Éxéleuder 6 Zeug els xi-
uv wesce yougew xal sig xv Pwröv 1avtag swosverv, D^ Egev-
Puteoy dmoridtvas minotov av- vloag Exaoroov tac dixas ava-
tov, Önws éxdciov tag Ólxag noacoss.
Ava TQ COM.
Cum alii in tres versus haec redigissent, Lachmann quin-
que olim fuisse vidit:
‘O Zevs yedqorr’ Ev Ooroaxoici "Eouslnv
"Exédevoev eic xiPwrdv alta swoevesy
re Egevoas
“Onwg $xdorov tag dlxas àvangacog.
V. 1 refinxit Lachmann, v. 3 C. Schneider, épeur7ouç cor-
rexit Coraes, v. 5 veterum exemplorum fides tuentur. Aliorum
pericula recensere supersedeo. Iam nova sylloge hanc sup-
peditat :
‘O Zeus yodgovi! tv dorgaxososy ‘Egustyy
“Avdody movne@v tac Guagradus macac
°Exthevoev sig xfwroy avrà sweevesy,
Kailas anaviwy Broınv èosvvijoas,
"Onwg éxactov 106 dlxag dvangacoy.
Vel Ionicum vocabulum ayugreg, quo Herodotus et Hip-
pocrates utuntur, ipsius Babrii, non interpolatoris manum ostentat,
Graeculum autem, si praeter Bodleianam et Vaticanam pa-
raphrasin atque Lachmanni recensionem nihil subsidiorum ei
Babriana. | 391
it, suopte ingenio supplevisse hiantem exordii sermonem, cui
itituendo critici nostri impares fuerunt, fidem omnino excedit.
wnifestum est Menam in hoc apologo religiose sui exempli
ipturam tradidisse, qui v. 8 ne apertum quidem vitium eé-
ves (su9vvo, Vat. et Lachmann !5) correxerit, nisi forte insimules
um hoc mendum intulisse, ut fraudem occultaret. Licet igitur
egrum recuperare apologum, mendis quae restant, sublatis:
‘O Zeig youporr” Ev ócrgaxowiw “Eouelny
Boorwy novnowy tag apagradag nacag
"ExtAevotv. sig xiBwroy avrà. cwgevesr,
"Onws anaviwy Blorov e€egevvnoas
5 Kuiwe éxaoroy tag dixas dvangaoon.
Tüv ócigdxwuv dà xeyuutrwr En’ alias
To uiv fiov, ro de taysov euntnres
Eig 100 Mog ras yeious El nor ev Fuvos.
Tav o)» novgodv ov nooçixe Iuvuales»,
10 El Boacooy adixwy xot we dla duca.
V. 5 xadws i. e. ut decet’ scripsi, cod. Athous xadwe et
ws primore vocabulo perperam traiecto. Blowov êfepeurnoaç
lui scribere quam ßiozov nv 2gsvvnon, quoniam participium
raphrasis tuetur: nam clausulas öwosoreAsuroug haud asper-
tur Babrius.
Non minus testificatur virtutem Athoi libri fab. LX, quae
a solum complures versus Babrianos suppeditat, quorum nul-
a extat vestigium in vulgatis metaphrasibus, sed etiam, quod
lto est gravius, enarrationis lineamenta variata ostentat, ut
mifestum sit hanc fabulam de agricola et serpente va-
8 subiisse vicissitndines. Secundum pedestrem metaphrasin
6* et 96^ Halm, 118 Bodl) agricola, cum filius serpentis
rsu occidisset, securi accepta vario ictu serpentem petit, saxum
tum, in quo ferae latibulum erat, percussit Aliter versi-
ator Athous (syll. II 60) rem gestam narrat: rusticus ut poe-
3 repeteret saxum arripit, sed ictus irritus fuit, quandoquidem
16) Bodleiana : sinors xaldç xpivosro, scilicet in Babrii fabularum
xQivos
quo exemplo fuit scriptum: elzor sddivos, interpretamento addito,
taphrasta sd xoivos esse ratus more suo x«Àdg substituit. In eodem
mplo fortasse fecit zo dy novnpwv pro zu» ob» novnowy, inde xgi-
ro ortum; nam novissimos versus metaphrasta epimythium esse cre-
t et ut assolet apologo praemisit.
392 Th. Bergk,
extremam tantum caudam serpentis abscidit. Uterque ordo rei
gestae ad Babrium referendus, qui cum secundis curis apologos
retractavit, narrationem variavit '"). Denique versificator Vindo-
bonensis (XXIX) fecit agricolam securi arrepta serpenti mortem
intentare, sed caudam modo abscidere: saxo hic nullus est lo-
eus, itaque etiam in extrema fabula, ubi ceteri testes néroa» ad
unum omnes memorant, substituit ogg» yag iyd iv ovgay pou
Auzwpos. Contaminavit igitur utramque Babriani apologi recen-
sionem, quisquis hoc argumentum politicis choliambis astrinxit ;
hunc Athoa ecloga usum esse certum, siquidem Vindobonenses
fabella passim plane congruit cum Athoo apologo, velut quod
est Syll. II 60, v. 17—19:
6 0 ob» damdev Aenróv ónoovolEoc
— quydr yag nmÀgyeig sig Óm)v anexgußn —
Aéywy Èpnoe torade wva ravFeunw.
totidem versibus Vindobonensis repetit:
0 dé xatwdsv Aenróv aviüg cveloug
xai yao éxouBn imi nérgas 6 Sgsc,
zo avtownw Eynos toads Aéywr
Hic concursus nequit ex paraphrasi aliqua repeti, qua uterque
versificator sit usus: nam a pedestri interpretatione non minus,
quam a gracilitate Babriana inanis haec verborum copia ab-
horret: poeta scripserat opinor:
od 0guc Onndev dentòv eine oveisac:
ws ov tvufov, vd’ lyà fAtnw nta»,
ovx 69° Önwg yévosto vwiv elerva.
Uno igitur versu 17 quae poeta absolvit, tribus enarraverunt
versificatores. Neque vero v. 18 Athous videtur suo periculo ad-
didisse, quemadmodum v. 19, sed haec fere repperit in suo ex-
emplo opinor: 0 dì Onmn9ev Asmiv Gvgífag, ninyeis yay elg
onÿr ansxgußn, Epnoe tovade ràv2Quinmo, repperit enim hic meta-
phrasta in suo libro otiosum additamentum :
mAnyny evyOv ydg elg On anexgupdn.
quod interpolator aliquis subiecit v. 17, quem offendit figura
xarà 10 OCiWTWUErOr, qua poeta brevitatis studiosus erat usus.
17) Haud exiguus numerus variarum recensionum dubitationem af-
fert, num omnes ad Babrium sint referendae; nam fortasse alii Ba-
brium secuti eadem argumenta variando, breviando , amplificando ad
mythiamborum modum tractaverunt.
Babriana. 398.
Etiam hoc diversae recensionis indicium , quod in Athoa
ecloga agricola &Aevgor uéls vdwe, sed in paraphr. ààec xoi
&gro» offert, ut anguem loci genium placaret: haec quoque Vin-
dobonensis inscite conciliavit &4evoo» «Aus vdwg perinde enume-
rando. Manifestum igitur hanc eclogam, quae diversam plane
apologi Babriani recensionem exhibet, non potuisse ex subsidiis,
quae ad nos propergata sunt, concinnari, sed repetendam esse
ex integro rivulo, cuius fidem atque auctoritatem temere addu-
bitare non decet: nam quod diasceuasta aliis locis deprehenditur
usus esse iisdem, quae nobis in manibus sunt, interpretationibus
mythiamborum Babrianorum, hoc argumento nisi malignus ca-
lumniator non facile quisquam abutatur ad existimationem ha-
rum eclogarum labefentandam.
* *
In malae fraudis suspicionem facile vocaveris fab. 41 (Aéwy
Iooun9sds xai pas) et fab. 36 (xwvwy xai Aéwuv), componeus
cum Achille Tatio, qui II 21. 22 utroque apologo utitur prae-
fatus: rd; xatauwrà mov xoi tovvouas pége 00 uv tov
ano xurwnog enw, et: &xov0ov xauoù tiva doyov ano xu-
vwnoç x«i Afovrog, ov iteijxoa tIVOG THY pslocogwy’ yagíbouo: '
dì oo rov uvdov ty @égarrz. Sed Byzantinum magi-
strum, qui syllogenII adornavit, Tatio usum
esse nego.
Priorem fabulam enarrans Tatius 7j dé cov [o7] yuyn noog
zovro uovov uudaxlteroas inertissime scripsit, multo commodius
versificator v. 10:
Ei neo dì 9uuog m pixoov éuulaxw Fn,
Cavpacióv ovdèr, ev 1vyuy ye rà» üAAwv.
Idem sane novissimam fabulae periodum parum scite confor-
mavit, neque tamen pedestrem 'latii sermonem perperam inter-.
pretatus est, sed cum in exemplo antiquo hos fere versus
repperisset :
"Elégaviog avrov Tvyyavwr modo xpelttwr,
"Ocov r alfxrwe cvyxolos ye xwrwnwvy —
poeticum 600v re quid sibi vellet nescius poematium detruncatum
esse opinatus est, ac suo periculo addidit versum:
388 Th. Bergk,
edolavit, quam Vindobonensis: prosodiae ratio habetur in pri-
more potissimum versu, in posteriore parte, maxime in sede paen-
ultima, plurima et turpissima delicta deprehenduntur: et cum
syllabas non tantum numerare sed etiam ponderare studeret,
etiam trisyllabos pedes admisit: hiatum aspernatur, quem Vin-
dobonensis non curat. Spondeo plurimi versus terminantur, tro-
haeo pauci admodum: passim iambi comparent, uayn, nayny,
Olivos, dodxwr, eorvyoury, toxspaunr. Item paenultima syllaba
accentu percutitur, cui legi pauca exempla adversantur gesde,
eb Gov, wevdis, xonuvóv, usò, xar£oyovras. Cum solutos versus
et sermonem variatum vel breviatum reconcinnare satis arduum
esset opus, magistellus rem ita administravit, ut novandi au-
dacia et insigni stupore Vindobonensem longe superaverit. Osten-
tant igitur hae fabulae Babrianam gracilitatem et elegantiam
miris modis scabritie sermonis et foeda barbarie inquinatam.
Quodsi paraphrases, quas adhibuit versificator, servatae essent,
antiqua a noviciis, germana ab adulterinis facili plerumque ne-
gotio segregare liceret . . .
Iam cum veri sit simillimum eclogas dodecasyllabis poli-
ticis scriptas posteriores esse iis, quae umbram certe artis servent,
tum haec suspicio planissime confirmatur eo, quod Vindobonensis
versificator usus est Athoi diasceuastae eclogis, ut infra lucu-
lento exemplo ostendam (vid. p. 392). Item Vindobonensem Athoi
vestigia legisse largietur, qui Vind. IV. XX. XXI. XXXV.
XXXVIII composuerit cum Athois IV. LXXX. XLIX. LXVIII.
LXXXI !°), quamquam Vindobonensis, cuius ingenium satis illu-
strat contaminatio diversarum recensionum XXIX (A LX), de
qua supra verba feci, passim peculiaria quaedam habet !!).
Item animadversione dignus consensus V XVI, v. 1 éxowgary-
yricas et A XLIII, v. 1 édxorgurmyéwr, quod metri gratia novatum
esse apparet !?), paraphrastae, velut Bodl, croazny7oas exhibent.
Eandem necessitudinem testificantur aliae fabulae dodecasylla-
borum versuum, quae in cod. Vindob. non leguntur, velut fab.
10) Itaque Vind. XXXVIII v. 5. 6 pariter versue Babrianos, quos
servavit .4, quam paraphrasin pedestrem respexit.
11) Velut IV usus est etiam paraphrasì pedestri, XX et XXI suo
periculo animantes verba facientes induxit, @ Se leunoé zei xnorà
rus medieene xr, item tye uiv gile, ENO COP anodricxe: En (corr. Fer)
di Secs, vs xauè tadixiori xrà.: quae Athous pariter ac paraphrases
ignorant.
12) Ad eundem modum VY XXXV v. 3 éxvsxgew novavit.
Babriana. 395
a philosopho quodam se accepisse dictitat, satis aperte profitetur
se puerilem fabulam vulgari sermone narrare: neque Babrio usus
est, sed pedestri metaphrasi, quae utrumque apologum continebat :
hunc totidem verbis descripsit, illum sophistarum more variavit
et immutavit. |
* *
*
Iam quaeritur, quis hoc Aesopiarum fabularum exemplo
usus Babrianae poesis instaurandae periculum fecerit. Et Me-
nam quidem huius sive laudis sive culpae immunem esse con-
fidenter assero. Fac Graeculum forte fortuna archetypum illud,
quale supra designavimus nactum, eiusmodi facinus animo con-
cepisse, insignem certe et audaciam et inscitiam, quam nova
haec recensio per omnia prae se fert, in Menam cadere omnino
nego. Atque menda plurima, quibus Menae liber obsitus est,
Satis superque arguunt recensionem non esse noviciam. Mitto
caeca et graviora vitia, nam haec plerumque securum propaga-
visse diasceuasten consentaneum est, qui vel apertis mendis
decipi se passus est, velut fab. LXXXIII litterae ® inseruit,
cum in archetypo exordium corruptum quo mor 7498 reppe-
risset. Itaque non utar corruptelis quibus cum alii apologi
tum LXXVI laborant !?), quas diasceuasta vel nullam sentiens
offensam toleravit vel pravis correctionibus mitigare studuit;
sed satis superque plurimi errores quibus ipsius diascuastae
sermo inquinatus est, testificantur librariorum incuriam, qui
istam recensionem descripserunt: velut fab. XVIII v. 1 éze-
xunxes legitur (i. e. gmexAjxu), v. 5 tuvde (1ÿçde), v. 9 we
aE v (H3 wc), v. 16 aguj9n (avn), v. 27 yAnvas voo-
ovens (vocovcas): adhibuit hoc loco diasceuasta metaphrasin si-
milem earum, quae extant, quam ut potuit in versus redegit ??);
haec autem menda adhaerere novae recensioni, non ex antiqui-
ore exemplo propagata esse manifestum est: neque vero eius-
modi errores admittere potuit quamvis stupidus diasceuasta ?!),
19) Huius apologi, quam in integrum restitui versu 8, qui in
alienum locum delatus est, reposito et hemistichiis v. 15. 16 traiectis,
inveterata sunt menda, quae non advertit diasceuasta.
20) Poesis vestigia nusquam comparent neque in Athoa recensione
neque in paraphrasibus vulgatis: nihil igitur causae est, cur Babrium
hoc argumentum tractavisse credamus.
21) Praetermisi offensiones, quae utrum a diasceuasta an a libra-
890 Th. Bergk,
ceptam referimus, quam paraphrasis ope frustra in integrum re-
stituere tentaveris): ita etiam nova sylloge fab. 51 (Zevdg xgszijc)
quae decem choliambis constat, plane integram exhibet, et quam-
vis verba vitiorum non sint immunia, omnis tamen fraudis sus-
picio procul habenda. Ac posteriorem quidem partem critici
paraphrasi usi probabiliter redintegraverunt; sed exordio recon-
cinnando paraphrases non sufficiunt, praesertim intra se dis-
crepantes :
Bodleiana. Vaticana.
‘O Zeig tag Wr dv9odnuv "Ooredxp yedgort tov “Eo-
apagtbag àv dorgaxoss tov ‘Eo- pv Éxéleuder 0 Zeug slg x-
Biv wesse yodpew xal slg xi Pwröv ravtag oweever, D Egev-
Bwreov drmoridtvas nÀqotov ad- vlouç Éxdoroov tag dixus ava-
tov, Onws Exacıov tag dlxug modoce.
ava nod 00g.
Cum alii in tres versus haec redigissent, Lachmann quin-
que olim fuisse vidit:
‘O Zeig yougorr’ èv dotodxosoiv ‘Egpelnv
"Exthevoev eig xıßwiov avıa swoeverv
2100007
“Onwe éxdorou 1a¢ dlxas àvang«cog.
V. 1 refinxit Lachmann, v. 3 C. Schneider, 2gevvnoag cor-
rexit Coraes, v. 5 veterum exemplorum fides tuentur. Aliorum
pericula recensere supersedeo. Iam nova sylloge hanc sup-
peditat:
‘O Zeus yodgovi! dy doroaxosow ‘Eguslyy
"vdgüv nommer tas Guagradus nacag
"Exéievoev sic xsBwtov avrà owgeves,
Kaiws anartwv fiov èoevrious,
“Onwg éxaGrov 106 dixas avangacon.
Vel Ionicum vocabulum dauagras, quo Herodotus et Hip-
pocrates utuntur, ipsius Babrii, non interpolatoris manum ostentat.
Graeculum autem, si praeter Bodleianam et Vaticanam pa-
raphrasin atque Lachmanni recensionem nihil subsidiorum ei
Babriana. | 391
erat, suopte ingenio supplevisse hiantem exordii sermonem, cui
restituendo critici nostri impares fuerunt, fidem omnino excedit.
Manifestum est Menam in hoc apologo religiose sui exempli
scripturam tradidisse, qui v. 8 ne apertum quidem vitium eé-
Juve (ed9vvo, Vat. et Lachmann !5) correxerit, nisi forte insimules
ipsum hoc mendum intulisse, ut fraudem occultaret. Licet igitur
integrum recuperare apologum, mendis quae restant, sublatis:
‘O Zeug yodgovr’ dv dorguxoicir "Egwelnv
Boorwv novngwy 105 amapındag macas
*ExtAevoev sig xfotòv aura owgeverr,
“Onws anavıwv Bíorov e€egeevnoas
5 Kadws éxacrov tag dixas dvangaoon.
Tüv Corgaxwy dà xeyvutvuv én” aMajAoc
To uiv Boudior, ro dì tayiov euntarer
Eig 100 dios tag yeioas et nor evduvos.
Tüv ovv novnowy ov moocixe Favuabesr,
10 Ei Baaccoy adızav xat uc dlxnr wo.
V. 5 xaAwg i. e. ut decet scripsi, cod. Athous xa et
Onws¢ primore vocabulo perperam traiecto. Bloiov 2&egevvnoag
malui scribere quam ßiorov rv égevynon, quoniam participium
paraphrasis tuetur: nam clausulas öwosoreAsurovg haud asper-
natur Babrius. |
Non minus testificatur virtutem Athoi libri fab. LX, quae
non solum complures versus Babrianos suppeditat, quorum nul-
lum extat vestigium in vulgatis metaphrasibus, sed etiam, quod
multo est gravius, enarrationis lineamenta variata ostentat, ut
manifestum sit hanc fabulam de agricola et serpente va-
rias subiisse vicissitndines. ^ Secundum pedestrem metaphrasin
(96* et 96^ Halm, 118 Bodl) agricola, cum filius serpentis
morsu occidisset, securi accepta vario ictu serpentem petit, saxum
tantum, in quo ferae latibulum erat, percussit. Aliter versi-
ficator Athous (syll. II 60) rem gestam narrat: rusticus ut poe-
nas repeteret saxum arripit, sed ictus irritus fuit, quandoquidem
16) Bodleiana: sinozs xaÀóe xpivosro, scilicet in Babrii fabularum
Xpıyos
antiquo exemplo fuit scriptum: sino?’ BS vos, interpretamento addito,
metaphrasta ed xpivos esse ratus more suo xad@s substituit. In eodem
exemplo fortasse fecit ro dj novyowy pro zwv or novyouy, inde xçi-
yosto Ortum; nam novissimos versus metaphrasta epimythium esse ore-
didit et ut assolet apologo praemisit. | |
4
3 4 3
RAP A
898 | Th. Bergk,
lectio: posteriore parte privata fuit 2°). Contra Athous liber nul-
lam fabulam prioris syllogae continet, auctor enim, cum in ar-
chetypo eclogas Babrianas plurimas indagavisset, dedita opera
omnes segregavit, quas in illa sylloge exstare vidit, cuius sup-
plementum condere instituit °°). Repperit autem Athous diasceu-
asta syllogen priorem iam tertia parte orbatam, quemadmodum
nunc exstat; hine in priore parte novae syllogae, quam condidit,
paucae admodum, in posteriore multo plures eclogae Babrianae
comparent.
. In libro Vaticano XXX fabulae Babrianae plus minusve
incolumes leguntur, et XVIII quidem exstant in sylloge I, ac
praeter has ineditae XII, (quorum sex Furia, totidem nuper
Knoell foras dedit), quae nobis solae sunt aestimandae. [Iam
Athous liber].*** Ex fabulis ineditis XII, quas suppeditavit Vat.,
in Athoo leguntur VII, ut commode liceat utriusque libri in-
dolem introspicere. Fabulae tres a Furia primum editae 130.
131. 132 ed. Eberh. in Vaticano tam male habitae extant, ut
criticis restituendi periculum non satis ex sententia cesserit °°).
Atqui easdem eclogas, quae in Athoo libro LI. LIII. LIV quam-
vis vitiorum et interpolationis haud immunes extant, ego huius
libri potissimum auxilio in integrum restitui. Item fab. 128
Eberh. a Furia olim vulgatam, ubi Vaticana paradosis criticis
passim fraudi fuit, plane redintegravi Athoi libri auxilio LII,
Siquidem hic diasceuasta usus est exemplo, quod propius aberat
a pristina specie quam Vaticanum. ' Trium fabularum, quas
Knoell indagavit in codice Vaticano, aliquanto melior est ha-
bitus: easdem Athous L. LV. LIX exhibet. Et tetrastichon
quidem LV in utroque libro pariter, quamvis diversim, adulte-
25) Quod Vat. servavit fabulam Néos iv xófow», quae desideratur
in edita sylloge, non offendit, siquidem consentaneum est diversa exem-
pla non eadem cura paradosin propagavisse. Atque etiam scripturae
varietates arguunt Vaticani exemplum ab edito diversum fuisse, quem-
admodum exemplum, quo Suidas usus est, ab utroque saepius recedit.
Quod Vat. nullam fabulam servavit literis Z T X aliis insignitam, in
paucitate eclogarum, quas propagavit, non mirum accidit.
26) Sed diversas recensiones fabularum, quae in Syll. I extant,
non dubitavit recipere. Omnino animadversione dignum, Athoum dia-
sceuastam retractatarum fabularum exemplis sat multis usum esse, id
quod plane confirmatur Vaticano libro adhibito.
27) Largitur hoc etiam Knoell Neue Fabeln d. Babrius p. 9:
von denen sich einige, namentlich 130. 131. 132, trotzdem ihnen Meister
der Kritik wie Lachmann und Haupt thre Hilfe angedeihen ließen,
noch immer in einem desperaten Zustande befinden.
Babriana. 399
ratum. Eclogarum autem L et LIX singularis plane ratio,
quandoquidem et Vaticanus et Athous diversas adhibuerunt re-
censiones, ille ampliores, hic breviatas: ut reapse "quattuor apo-
logorum Babrianorum exempla recuperaverimus. Sed L redin-
tegrari nequit, quandoquidem Athous paraphrasi, non apographo
poematii usus est: hane priorem recensionem postea poeta se-
eundis curis perpolivit, quam epecdosin propagavit Vaticanus.
Vicissim LIX, ubi Athous modo versus Babrianos descripsit, modo
pedestrem paraphrasin in numeros redigere conatus est, ope cod.
Vat., ut in adnotatione <Anthologiae> significavi pristinum nitorem
recuperat, atque haec brevior species apologi, si quid video, haud
quaquam posthabenda fabulae retractatae et amplificatae, quae
in Vaticano exstat, ut suspicari liceat hanc alteram recensionem
non Babrii, sed alius esse. Virtute igitur Athous liber haud
quaquam cedit Vaticano, sed aequiperat vel etiam
antecellit. Denique quod quis contendat, archetypo sane,
quo Athous versificator usus est, fuisse praecipuam auctoritatem,
sed Athoum librum, quem diasceuasta pro arbitrio finxerit ac
refinxerit, quemque etiam Mena interpolaverit, fide plane indi-
gnum, speciosior quam verior est haec criminatio. Nam Vatica-
nus quoque liber non solum foede depravatus, sed etiam satis
licenter adulteratus, quod cum iam Knoell luculenter demonstra-
verit, aliis exemplis firmare nihil necesse ?®).
28) In fab. LV (A) refingenda Vaticanus eadem grassatus est au-
dacia, cui Athous aliis locis indulsit. Item versus in V saepius dodecasyl-
laborum «speciem» prae se ferunt, vel ad Athoiiambos proxime accedunt.
Th. Bergk.
—
Avian. XXVIII 7.
,Vana t laboratis aufer mendacia dictis". Pro laboratis
in adn. crit. vaporatis vel adeo plena laboratis (ex Martial. IV
83, 1) suspicatus est qui doctam nitidamque editionem nuper
adornavit R. Ellis Babrii Rutherfordiani gemellam; in commen-
tario p. 122 vocem cruce notatam dubitanter his conatur expli-
care: ‘studied’ . . . (Cannegieter) The idea is perhaps an ez-
tension of this, ‘magniloquent’. Or is it ‘fabricated’ and so ‘unreal’?
— Alteri interpretationi ipse subscribit Babrius 95, 36: 6 vous |
Éyavrw n Aoyoıcı noınroicu», i.e. fictis, cf. Pind. Nem. V 29.
Tubingae. O. Crusius,
XXI.
Zu Heraklit.
4.
Hütte der alte Ephesier eine Ahnung davon haben kónnen,
daß dermaleinst nach mehr als zwei Jahrtausenden im fernsten
Norden, bis wohin höchstens kühne Seefahrer aus Abenteuerlust
oder Gewinnsucht vorgedrungen waren, ohne damit Land und
Leute der wissenschaftlichen Kenntniß oder auch nur der dich-
terischen Vorstellung nahe gebracht zu haben, einem der blond-
harigen Barbaren es belieben würde, sich den Magus im Norden
zu nennen: wer weiß, ob es ihm nicht wie ein Blitz durch die
Seele gefahren wäre, diesem Spätgeborenen zuvorzukommen und
sich mit nicht minderem Rechte den Magus in Ephesus zu nen-
nen? Das Vorrecht der Erstgeburt hätte er jedenfalls für seine
Benennung in Anspruch nehmen können, das nun dem Lands-
manne und Zeitgenossen Kants für seine Erfindung verbleibt 1).
1) An Vergleichungspunkten zwischen Heraklit und Hamann fehlt
es auch nicht ganz. Bekannt und vielbesprochen ist die Dunkelheit
der Schreibweise oder richtiger des Gedankenausdrucks beider. Beide
haben davon selbst auch ein Bewußtsein und sprechen sich darüber
wohl auch gelegentlich und zwar mit ähnlichem Selbstgefühl aus. Ha-
mann nimmt auch hie und da auf den alten Ephesier und die angeb-
liche Aeußerung des Sokrates über denselben Bezug. Auch in dem
Verhalten gegen Zeitgenossen findet sich eine bemerkenswerthe Aehn-
lichkeit zwischen beiden. Hamanns Auslassungen über Kant und zwar
in seinen Briefen an diesen stehen ,,an gôttlicher Grobheit‘ nicht zu-
rück hinter den bekanuten Aussprüchen Heraklits über Xenophanes u. a.
Zu Heraklit. 401
Was aber die innere Berechtigung zu einer solchen Be-
zeichnung betrifft, so dürfte sie wohl dem Philosophen des Al-
terthums zu statten kommen, welchem gelehrte Forscher nicht
nur einige Kenntniß von der Lehre Zoroasters beilegen,; sondern
sogar eine tiefgehende, das Wesen seiner eigenen Lehre beein-
flussende Aneignung derselben zuschreiben. Für den Zeitge-
nossen Kants, der ja auf dem Boden christlicher Erkenntniß und
Lebenserfahrung steht und sich zu dieser ausdrücklich und im
Gegensatze zu andern Philosophen bekennt, würe ja jede ern-
stere Hinneigung zum Magierthum ein unverantwortlicher Rück-
fall in vorchristlichen Irrthum und Aberglauben.
Doch Heraklit versäumte es eben, soviel wir wissen, sich
diese Benennung beizulegen und damit auch seiner Philosophie
dieses Siegel aufzudrücken, und so ist denn der wissenschaft-
lichen Forschung und dem erfinderischen Scharfsinn bis zum
heutigen Tage das Recht unbenommen, das Wort zu finden, das
am richtigsten das Wesen des Mannes und seiner Lehre und
die wissenschaftliche Bedeutung beider kennzeichnete.
Daß dies auch dem neuesten Versuche in dieser Richtung
nicht gelungen ist, glauben wir in dem dritten Abschnitte der
vorliegenden Erórterung dargethan zu haben. Der eigentliche
Grund dieses Mißlingens liegt wohl darin, daß der Urheber der
neu erfundenen Bezeichnung mit dieser etwas anstrebte, was
ebenso unmöglich wie zweckwidrig war. Er wollte die Philo-
sophie Heraklits mit einem Ausdrucke bezeichnen, der einzig
und allein auf diese pafite, diese gleichsam ganz individuell
kennzeichnete. Aber dazu dient eben das von dem Eigennamen
gebildete Adjektiv. ,,Die heraklitische Philosophie", diese all-
gemein gebräuchliche Bezeichnung , läßt sich zu diesem Zweck
durch keine andere neu erfundene oder noch zu erfindende er-
setzen. Was zu erstreben ist, besteht vielmehr darin, bei voll-
stindiger Würdigung des eigenthümlichen Wesens der einzelnen
Erscheinung das, was sie mit anderen gemeinsam hat, zu ermit-
teln, das Wesen dieser gemeinsamen Bestrebungen zu erkennen
und innerhalb dieses Kreises der Besonderheit ihr Recht ange-
deihen zu lassen. Mit dieser geschichtlichen Auffassung ist zu-
gleich die Aufgabe der wissenschaftlichen Forschung bezeichnet.
Dieser Aufgabe sucht der Verfasser der mehrgenannten
Schrift über die Philosophie Heraklits in vorzüglicher Weise
Philologus. N.F. Bd. I, 3. 26
402 Christian Cron,
gerecht zu werden. Aber indem er bestrebt ist das eigenthiim-
liche Wesen des Mannes und seiner Lehre tiefer zu erfassen
und richtiger zu würdigen als es bisher geschehen ist, verliert
er doch jenen Zug der Gemeinsamkeit, der seine Weltanschauung
mit der anderer Denker jener Zeit verbindet, zu sehr aus dem
Auge und entreißt die Einzelerscheinung mit seiner neu erfun-
denen Formel der geschichtlichen Auffassung. Wir haben nun
nichts dagegen, da8 er die früher mehr als neuerdings beliebte,
doch aber auch jetzt noch nicht aufier Gebrauch gesetzte *) Be-
zeichnung als Hy lozoismus für Heraklit abweist, wünschten viel-
mehr, daß mit diesem älteren Erzeugniß der Wortbildungskunst
zugleich der jüngere Bruder für immer begraben würde. Wir
sind nämlich der Meinung, daß es einer Neubildung gar nicht
bedarf, da, wenn man keine zu unbescheidene Ansprüche an
wissenschaftliche Bezeichnungen macht, man sich wohl mit einer
der schon vorhandenen und in Gebrauch befindlichen, (über de-
ren Bedeutung und sprachliche Berechtigung kein Zweifel be-
steht, begnügen kónnte.
Die erste Berücksichtigung gebührt nun jedenfalls dem ei-
gentlichen Wegebahner und Vorgünger auf diesem Gebiete der
geschichtlichen Darstellung, der den Ephesier sammt den Mile-
siern zu denen rechnet, die alles aus einer stofflichen Ursache
herleiten und von ihm gelegentlich gvoixot oder gvorodoyo: ge-
nannt werden. Dieser Name ist denn auch zum Theil von
neueren Forschern beibehalten oder mit dem der jonischen N a-
turphilosophen vertauscht worden. Diesen will aber Pflei-
derer für Heraklit durchaus nicht gelten lassen. Denn wenn
dieser auch selbst seine Schrift, wie auch Pfleiderer annimmt,
negi puoewc überschrieb, so soll doch gvors damals gleichbe-
deutend mit xocuoc gewesen sein. Diese Ansicht lassen wir um
so lieber gelten, als auf diesem Wege vielleicht am ehesten eine
Bezeichnung gewonnen wird, die allen billigen Anforderungen zu
genügen vermöchte und auch von Pfleiderer zugelassen werden
könnte Wir meinen den Ausdruck Kosmologie.
Dieser entstammt der Sprache desselben Volkes, dem die
Philosophie selbst ihren Ursprung und Namen verdankt. Er ist
2) So z. B. läßt sie auch Heinze in der siebenten Auflage von
Ueberwegs Grundriß der Geschichte der Ph. des Alterthums beste-
hen und zwar auch in Anwendung auf die Philosophie Heraklits.
Zu Heraklit. 403
keine Neubildung und darum der Gefahr einer Mißbildung we-
niger ausgesetzt, als dies bei Neubildungen gar zu leicht der
Fall ist. Denn wenn das Wort auch nicht in der eigentlich
klassischen Periode bereits nachweisbar ist, so gehórt es doch
der noch lebenden Sprache an und steht ebenbürtig dem gut
bezeugten und zu bleibender Geltung auch in den neueren Spra-
chen gekommenen Ausdruck Seodoylu zur Seite. Es wurde
unter andern im Gegensatz zu den theogonischen und kosmo-
gonischen Dichtungen älterer Zeit auf das in Prosa geschriebene
Werk des Pherekydes von Syrus angewendet, ohne daß diesem
ein ausschließlicher Anspruch darauf zuküme. Demgemäß ist
der Ausdruck auch bereits in neueren Darstellungen der Ge-
schichte der griechischen Philosophie zu entsprechender Verwen-
dung gekommen. Es genügt zum Beweise auf Ueberwegs
Grundriß auch in der Bearbeitung von Heinze hinzuweisen,
wo in $ 9 die erste Periode der Entwicklung der griechischen
Philosophie in folgender Weise bezeichnet wird: ,,Vorwiegende
Richtung der philosophischen Forschung auf das Ganze der Na-
tur und Welt oder Vorherrschaft der Kosmologie (kosmocentri-
scher Standpunkt) Von Thales bis auf Anaxagoras und die
Atomistiker“. Schon diese Grenzbestimmung zeigt, daß auch
die heraklitische Philosophie in diese Kennzeichnung des We-
sens mit eingeschlossen ist. Daran dürfte auch Pfleiderer
kaum Anstoß nehmen, der eher gegen die Aufnahme des Anaxa-
goras unter diese Wesensbestimmung Bedenken hegen könnte.
Denn da, wo er betont, daß bei Heraklit das Urwesen als Welt-
stoff, Weltkraft, Weltgesetz zu fassen ist, schreibt er die
Auffassung des gôttlichen Wesens als Persónlichkeit und
Selbstbewußtsein (bewußte Intelligenz) ausdrücklich dem
Anaxagoras zu. Indessen verschließt sich auch Heinze,
den wir immer auch als Vertreter Ueberwegs nennen, der
Einsicht nicht, daß „der Begriff des vous zu einer wirklichen
Erforschung des Geistes veranlassen und somit über die bloße
Kosmologie hinausführen konnte". Mit diesem Zugeständniß
dürfte auch Pfleiderer sich zufrieden geben, da es ganz ge-
eignet ist den anerkannten Werth und Mangel der von Anaxa-
goras in die Philosophie eingeführten Bestimmung zur Geltung
zu bringen.
Wenn nun freilich weiter gegangen und eine Gliederung
26*
404 Christian Cron,
dieser Periode in gewisse Unterabtheilungen mit unterscheiden-
den Begriffsbestimmungen versucht wird, so ist auf eine Ueber-
einstimmung der Auffassung und eine ausgleichende Verständi-
gung schwerer zu rechnen.
Heinze theilt die erste Periode in vier Abschnitte, 1) die
älteren jonischen Naturphilosophen, 2) die Pythagoreer, 3) die
Eleaten, 4) die jüngeren Naturphilosophen. Heraklit wird nun
den älteren Naturphilosophen zugewiesen und somit vor die
Eleaten gestellt. Dies entspricht nun ganz der Forderung Pflei-
derers, der „die unerbittliche Chronologie‘ als Kampfmittel ge-
gen Zellers Anordnung ins Treffen führt. Um so weniger
aber kann derselbe mit der weiteren Ausfiihrung in jener Dar-
stellung einverstanden sein. Denn abgesehen von der Bezeich-
nung „Hylozoismus“ als kennzeichnendes Merkmal für „die Phi-
losophie der älteren jonischen Physiker oder Physiologen", die
Pfleiderer für Heraklit unbedingt zurückweist, dürfte dieser auch
der beigefügten Unterscheidung zwischen den drei Milesiern einer-
und Heraklit andererseits séhwerlich beistimmen; bei jenen soll
„auf den materiellen Urgrund“, bei diesem „auf den Proce des
Werdens, des Entstehens und Vergehens das Hauptgewicht fal-
len*. Man sieht, dem Inhalt nach unterscheiden sich diese Be-
stimmungen nicht von denen, welche Zeller als die mafige-
benden hinstellt, dagegen wird hier dem Heraklit eine andere
Stellung in den unterschiedenen Entwicklungsstufen der ersten
Periode gegeben, welche auf den Angaben bei Aristoteles fußend
im wesentlichen mit der geistreichen Auffassung Bóckhs über-
einstimmt, der auf der Grundlage platonischer Begriffsbestim-
mungen den Ioniern die «lo9nr«, den Pythagoreern die diu-
vogr&, den Eleaten das vonzo» als Gegenstand der Forschung
zuweist.
Wenn man freilich tiefer in das Einzelne eingeht, wozu
unter den Ioniern allerdings erst Heraklit reicheren Stoff bietet,
so wird man wohl zugestehen müssen, daf keine derartige for-
male Bestimmung ausreicht, um die Geistesarbeit der einzelnen
Forscher zu umspannen und von einander abzugrenzen. In die-
ser Beziehung sind viele der Einwendungen Pfleiderers gewiß
wohlbegründet, der aber wahrscheinlich der gleichen Schwierig-
keit begegnen würde, wenn er dazu schritte, seine philosophische
Monographie zu einer Geschichte der Philosophie zu erweitern.
Zu Heraklit. 405
Eine Schwierigkeit bietet bei allen geschichtlichen Darstel-
lungen das Verhältniß der Zeitfolge zu dem inneren Zusammen-
hang der Thatsachen und der darauf zu begrtindenden Anord-
nung der Theile. Es ergeben sich bei diesem Bestreben leicht
Widerspriiche zwischen beiden Gesichtspunkten. Den klassischen
Ausdruck für dieses Verhältniß bietet Aristoteles in der Aeuße-
rung über das Verhältniß des Anaxagoras zu Empedokles. Auch
Heinze macht von diesem Ausdruck Gebrauch bei der Auffas-
sung des Pythagoras und Xenophanes im Vergleich mit Hera-
klit. Doch ganz alles Recht kann man gerade hier dem chro-
nologischen Princip nicht absprechen , da der berühmte Aus-
spruch Heraklits über die beiden anderen kaum verstattet, je-
den Einfluß dieser auf jenen in Abrede zu stellen, mag auch
die Wirkung desselben, wie das ja hier zunächst der Fall ist,
nur als Widerspruch und Geringschätzung sich kund geben.
Bei dem Verhältniß, das anerkanntermaßen auch zwischen Py-
thagoras und Xenophanes besteht, dürfte es nicht unangemessen
sein, die drei Stifter abgesondert von ihren Jüngern voranzu-
stellen, was auch darum nicht zu verwerfen wäre, weil es sich
so deutlicher als bei der anderen Anordnung herausstellen würde,
daß wir von dem ersten, Pythagoras, möglichst wenig wis-
sen, was mit einiger Sicherheit als von ihm aufgestellte Lehr-
sätze betrachtet werden könnte, daß ferner auch das, was ung
aus den philosophischen Gedichten ‘des Xenophanes erhalten
ist, nicht ausreicht, um das Maß seines Antheils an der Lehre
der Eleaten genau zu bestimmen; daß dagegen die Bruchstücke,
die uns aus dem Werke des Heraklit überliefert sind, an
Zahl und Inhalt so bedeutend sind, daß sich die geschichtliche
Betrachtung seiner Philosophie fast ausschließlich dem Stifter
selbst zuwendet. In umgekehrter Richtung wächst die Bedeu-
tung der Jüngerschaften. Von den Herakliteern ist ver-
hältnißmäßig wenig die Rede, besonders wenn es sich im Ernste
um die wissenschaftliche Bedeutung der heraklitischen Philo-
sophie handelt; bei den Eleaten fällt in dieser Hinsicht das
Hauptgewicht auf Parmenides und Zenon; Pythagoras end-
lich wird hauptsächlich als Stifter eines religiös- und philoso-
phisch-sittlichen Bundes von politischer Bedeutung angesehen,
während die an seinen Namen geknüpften philosophischen Lehr-
sätze mit wenig unbestrittenen Ausnahmen auf seine Jünger und
404 Christian Cron,
dieser Periode in gewisse Unterabtheilungen mit unterscheiden-
den Begriffsbestimmungen versucht wird, so ist auf eine Ueber-
einstimmung der Auffassung und eine ausgleichende Verständi-
gung schwerer zu rechnen. |
Heinze theilt die erste Periode in vier Abschnitte, 1) die
älteren jonischen Naturphilosophen, 2) die Pythagoreer, 3) die
Eleaten, 4) die jtingeren Naturphilosophen. Heraklit wird nun
den älteren Naturphilosophen zugewiesen und somit vor die
Eleaten gestellt. Dies entspricht nun ganz der Forderung Pflei-
derers, der „die unerbittliche Chronologie“ als Kampfmittel ge-
gen Zellers Anordnung ins Treffen führt. Um so weniger
aber kann derselbe mit der weiteren Ausführung in jener Dar-
stellung einverstanden sein. Denn abgesehen von der Bezeich-
nung „Hylozoismus“ als kennzeichnendes Merkmal für „die Phi-
losophie der älteren jonischen Physiker oder Physiologen“, die
Pfleiderer fiir Heraklit unbedingt zuriickweist, diirfte dieser auch
der beigefiigten Unterscheidung zwischen den drei Milesiern einer-
und Heraklit andererseits schwerlich beistimmen; bei jenen soll
„auf den materiellen Urgrund“, bei diesem „auf den Proceß des
Werdens, des Entstehens und Vergehens das Hauptgewicht fal-
len“. Man sieht, dem Inhalt nach unterscheiden sich diese Be-
stimmungen nicht von denen, welche Zeller als die mafige-
benden hinstellt, dagegen wird hier dem Heraklit eine andere
Stellung in den unterschiedenen Entwicklungsstufen der ersten
Periode gegeben, welche auf den Angaben bei Aristoteles fuftend
im wesentlichen mit der geistreichen Auffassung Bóckhs über-
einstimmt, der auf der Grundlage platonischer Begriffsbestim-
mungen den Ioniern die «2097ra, den Pythagoreern die diu-
vonru, den Eleaten das vonzo» als Gegenstand der Forschung
zuweist.
Wenn man freilich tiefer in das Einzelne eingeht, wozu
unter den Ioniern allerdings erst Heraklit reicheren Stoff bietet,
so wird man wohl zugestehen müssen, daß keine derartige for-
male Bestimmung ausreicht, um die Geistesarbeit der einzelnen
Forscher zu umspannen und von einander abzugrenzen. In die-
ser Beziehung sind viele der Einwendungen Pfleiderers gewiß
wohlbegründet, der aber wahrscheinlich der gleichen Schwierig-
keit begegnen würde, wenn er dazu schritte, seine philosophische
Monographie zu einer Geschichte der Philosophie zu erweitern.
Zu Heraklit. 405
\
Eine Schwierigkeit bietet bei allen geschichtlichen Darstel-
lungen das Verhältniß der Zeitfolge zu dem inneren Zusammen-
hang der Thatsachen und der darauf zu begründenden Anord-
nung der Theile. Es ergeben sich bei diesem Bestreben leicht
Widersprüche zwischen beiden Gesichtspunkten. Den klassischen
Ausdruck für dieses Verhältniß bietet Aristoteles in der Aeuße-
rung über das Verhältniß des Anaxagoras zu Empedokles. Auch
Heinze macht von diesem Ausdruck Gebrauch bei der Auffas-
sung des Pythagoras und Xenophanes im Vergleich mit Hera-
klit. Doch ganz alles Recht kann man gerade hier dem chro-
nologischen Princip nicht absprechen , da der berühmte Aus-
spruch Heraklits über die beiden anderen kaum verstattet, je-
den Einfluß dieser auf jenen in Abrede zu stellen, mag auch
die Wirkung desselben, wie das ja hier zunächst der Fall ist,
nur als Widerspruch und Geringschätzung sich kund geben.
Bei dem Verhältniß, das anerkanntermaßen auch zwischen Py-
thagoras und Xenophanes besteht, dürfte es nicht unangemessen
sein, die drei Stifter abgesondert von ihren Jüngern voranzu-
stellen, was auch darum nicht zu verwerfen wäre, weil es sich
so deutlicher als bei der anderen Anordnung herausstellen würde,
daß wir von dem ersten, Pythagoras, möglichst wenig wis-
sen, was mit einiger Sicherheit als von ihm aufgestellte Lehr-
sätze betrachtet werden könnte, daß ferner auch das, was uns
aus den philosophischen Gedichten ‘des Xenophanes erhalten
ist, nicht ausreicht, um das Maß seines Antheils an der Lehre
der Eleaten genau zu bestimmen; daß dagegen die Bruchstücke,
die uns aus dem Werke des Heraklit überliefert sind, an
Zahl und Inhalt so bedeutend sind, daß sich die geschichtliche
Betrachtung seiner Philosophie fast ausschließlich dem Stifter
selbst zuwendet. In umgekehrter Richtung wächst die Bedeu-
tung der Jüngerschaften. Von den Herakliteern ist ver-
hältnißmäßig wenig die Rede, besonders wenn es sich im Ernste
um die wissenschaftliche Bedeutung der heraklitischen Philo-
sophie handelt; bei den Eleaten fällt in dieser Hinsicht das
Hauptgewicht auf Parmenides und Zenon; Pythagoras end-
lich wird hauptsächlich als Stifter eines religiós- und philoso-
phisch - sittlichen Bundes von politischer Bedeutung angesehen,
während die an seinen Namen geknüpften philosophischen Lehr-
sätze mit wenig unbestrittenen Ausnahmen auf seine Jünger und
406 Christian Cron,
Nachfolger zurückgeführt werden, namentlich auf Philolaus,
obwohl die unter seinem Namen von Böckh herausgegebenen
Bruchstiicke auch nicht mehr als unbezweifelt echte Ueberreste
eines Werkes desselben gelten.
Bei dieser Auffassung und Anordnung wird man auch ge-
neigt sein, in der neuerdings verhandelten Frage, ob Parmenides
in seinem Lehrgedichte auf gewisse Aeußerungen Heraklits Be-
zug nimmt, sich dahin zu entscheiden, daß dies unverkennbar
der Fall ist. Dafür spricht schon im allgemeinen die Wahr-
scheinlichkeit, daB ein Mann, wie Parmenides, der auf dem Ge-
biete der philosophischen Welterklärung mit einer an Copernicus
und Columbus gemahnenden Kühnheit des Denkens der ge-
sammten gemeinen Wirklichkeit entgegentritt, den beleidigenden
Angriff auf den anerkannten Stifter der eleatischen Lehre nicht
unerwiedert lassen würde. Wenn nun gleichwohl der Name des
Ephesiers nirgends in dem Gedichte des Parmenides vorkommt,
so mag dies in der gewühlten Form der Darstellung liegen, de-
ren hoher Flug im Eingang des Gedichtes ihm die Nennung des
Namens vielleicht zu verbieten schien. Er hätte ihn ja der
hehren Góttin selbst in den Mund legen müssen. Diese Ehre
aber wollte und konnte er wohl dem Manne nicht erweisen.
Dafür werden seine Aussprüche mit so deutlicher Anspielung ge-
kennzeichnet, daB dem Kenner der heraklitischen Schrift sich
die Beziehung dieser Auslassung wohl kaum verbergen konnte,
die vielleicht auch Zeller nicht mehr abweist. Und dafì es
auch an der persónlichen Spitze nicht fehlt, dies zeigen die
Worte Boorot eldorsg ovdiv ... dixgavos — ein Aus-
druck, der wohl nicht bloß auf die Jünger, sondern zunächst
und hauptsüchlich auf den Meister selbst gemünzt ist als Rück-
zahlung für das abschätzige Urtheil über Xenophanes. Der
Pluralis spricht nicht dagegen, da dieser auch in der dichteri-
schen Darstellung seine hinreichende Begründung findet *).
3) S. darüber Bernays (Ges. Abhandlungen I S. 62 Anm.) und
Heinze S. 49 und S. 72. Außer Schuster und Gladisch behauptet
neuerdings auch Diels in seinem Aufsatze ,,Ueber die ültesten Phi-
losophenschulen der Griechen'' (Philosophische Aufsätze. Eduard
Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubilium gewidmet. Leip-
zig 1887) die Hinweisung auf die Herakliteer, die ,,mit ihrem sadi»-
toonos xékevdos unzweifelhaft gekennzeichnet sind‘‘ und als Nichts-
wisser und Doppelkópfe bezeichnet werden. Nahe liegt es mit diesem
Zu Heraklit : 407
Wollte man den Spuren dieser zeitgenössischen Beurthei-
lung der heraklitischen Philosophie folgen, um eine fiir die Ge-
schichte der Philosophie brauchbare Bezeichnung derselben aus-
findig zu machen, so bite sich ganz ungesucht der in der Ge-
schichte der Philosophie längst heimische Ausdruck ‘Identi-
tätssystem’ dar. In der That könnte man diesen modernen
Mischling unserer wissenschaftlichen Kunstsprache nicht treffen-
der auf ihren urwüchsigen und rein natürlichen Ausdruck zu-
rückführen als durch den Vers des Parmenides, welcher lautet:
+ \ ’
olg to nées te xai ovx siva: IWÜTOV vevopuotai.
Und bieten nicht zahlreiche Ausspriiche Heraklits dem jiingeren
Zeitgenossen und Gegner das Recht zu solcher Auffassung und
von seinem Standpunkte verwerfenden Beurtheilung? Diese
brauchte man sich darum noch nicht anzueignen, wenn man von
der dargebotenen Kennzeichnung und der spiiter erfundenen Be-
nennung Gebrauch machen wollte. Diese letztere wire noch
immer empfehlenswerther als die neuerfundene, und zwar sowohl
nach Form als Inhalt. Doch erhebt sich auch gegen jene noch
ein und das andere Bedenken. Sie entstammt nicht der Sprache
des Philosophen selbst und ist daher auch der Auffassung und
Darstellung des Platon und Aristoteles fremd geblieben. Mit
der Uebertragung der modernen Kunstsprache in die alterthiim-
liche Anschauung und Gedankenwelt könnte sich aber leicht
auch eine Einmischung solcher Ziige verbinden, durch welche
das ursprüngliche Bild entstellt oder doch weniger treu wieder-
gegeben sich darstellte. Es ist daher gerathen, lieber bei einer
weniger sagenden und darum anspruchsloseren, zugleich aber
auch naturwahren und zutreffenden Bezeichnung stehen zu blei-
ben. In diesem Lichte aber erscheint uns der oben bereits an-
geführte Ausdruck ‘Kosmologie’.
Der Entwicklungsgang der Bedeutungen des Wortes xoouoç,
wie er sich in dem Sprachgebrauch der Dichter und Philoso-
phen beurkundet, ist in der That geeignet, auch den verschie-
denen Seiten in der Philosophie Heraklits gerecht zu werden.
Ausdruck eine Stelle in dem Buche Pfleiderers zu vergleichen,
in welcher er auf das ,,unverkennbare Do ppelgesicht der Phi-
losophie unseres Ephesiers, ihre zugleich positiven und negativen Züge'*
hindeutet. Die Ausdrücke passen zu einander, wenn auch gleich die
Absicht beider eine ganz verschiedene ist.
408 Christian Cron,
Wenn man nun auch die von Diogenes angeführte Eintheilung
der Schrift Heraklits in drei Abschnitte, welche durch die Auf-
schriften als Aoyos meoì toù nurtog und als À. moAszıxoc und als
‘A. Feodoyixog unterschieden werden, nicht auf Heraklit selbst
zurückführen will und kann, so kommt doch zunächst xoouoç in
der Bedeutung in Betracht, welche Pfleiderer auch ftir das
Wort quais in jener Zeit in Anspruch nimmt. Das Weltall als
Weltganzes (Weltsystem) schlieBt natürlich auch den Begriff in-
nerer Gesetzmäßigkeit und Wohlordnung ein. Diese
bildet denn auch nach Pfleiderer den Grundzug in der
Weltanschauung Heraklits, von der er S. 231 sagt: „denn was
uns aus dem Ganzen entgegentritt, ist kurz gesagt die tiefe
Rationalität des Universums und seine harmonische Wohl-
ordnung, welche alles schließlich ausgleicht und aus der sich
für das praktische Individuum sehr einfach das Grundgesetz er-
gibt, sich dem einzufügen, um darin seine definitive Beruhigung
zu finden“. Daß diese Kennzeichnung der heraklitischen
Weltansicht auch auf die pythagoreische paßt, gereicht ihr
nicht zum Vorwurf, sondern zeigt nur, wie sehr beide Auffas-
sungen trotz aller Verschiedenheit der physikalischen Grund-
lagen, die Arirtoteles zag àv vino etde, alılug nennt, doch ihrem
geistigen Wesen nach, das sich in dem Begriff des x0ouoç er-
fassen läßt, übereinstimmen. Diese Uebereinstimmung erstreckt
sich aber auch auf das Gesetz der Sittlichkeit und zwar
sowohl für das Einzelwesen als auch für das Gemein-
wesen, das ja für die Lebensordnung der Pythagoreer von so
maßgebender Bedeutung ist, aber auch der heraklitischen Welt-
anschauung nicht ganz fern liegt, wie schon aus der oben er-
wähnten Eintheilung seiner Schrift erhellt.
Ob man freilich auch von einem besonderen Aoyog 3eodo-
yixog bei Heraklit reden kann, bleibt fraglich ; ebenso, ob die
Auffassung der heraklitischen Philosophie als ersten Versuchs
„von spekulativer Theodicee“, wie Pfleiderer will, am Platze ist,
wenn man, was Pfleiderer ebenfalls thut, von Heraklits Unwesen
sagt, daß es „Weltstoff, Weltkraft, Weltgesetz ist. Daß
sich Heraklit nirgends zu dem Begriff eines außer- und über-
weltlichen persönlichen Gottes, der ein Herr des Seins ist, er-
hebt, wird auch allerseits zugegeben. Der &urog Aoyog Heraklits
ist nicht dem denkenden Geist (vovg) des Anaxagoras zu ver-
Zu Heraklit. 409
gleichen, der zu dem urspriinglichen Durcheinander der unend-
lich vielen Urstoffe als Ordner hinzutritt, sondern er ist, wie
Pfleiderer sagt, „die alldurchdringende Rationalität des Seins“.
Wenn, wie kaum zu bestreiten ist, dieser die Grenzen rei-
ner Naturphilosophie überschreitenden Auffassung der herakliti-
schen. Philosophie der Ausdruck ‘Kosmologie’ besser als je-
der andere entspricht und gerecht wird, so verdient er in die
Geschichte der griechischen Philosophie allgemein eingeführt und
zur Kennzeichnung der ersten Periode ihrer Entwicklung Ver-
wendet zu werden. Denn er genügt vollkommen, um auch die
Grenzen zu bezeichnen, innerhalb deren sich diese Entwicklung
bewegt.
Freilich ergeben sich für die Darstellung bezüglich der Un-
terscheidung und Anordnung immer noch namhafte Schwierig-
keiten, mit denen sich die Darsteller so oder so abzufinden
suchen müssen. Auf diese hinzuweisen, dazu gibt die oben er-
wähnte Abhandlung von Diels noch besonderen Anlaß. Der
Verfasser leitet sie mit folgender Bemerkung ein: „durch die
biographisch -individualisirende Betrachtung, welche in der Ge-
schichte der alten Philosophie hergebracht ist, sind wir ge-
wöhnt, die Fortschritte auf diesem Gebiete an einzelne Namen
zu heften, auf sie allen Ruhm zu häufen und dabei die wesent-
lichen Dienste zu übersehen, wslche die Genossen und Schüler
den einzelnen hervorragenden Philosophen leisteten, nicht bloß
nach deren Tode durch Verbreitung und Ausbildung ihres Sy-
stems, sondern auch durch hülfreiche Mitarbeit und Vorarbeit
zu ihren Lebzeiten“. Um die Berechtigung dieser Ansicht dar-
zuthun, weist Diels auf entsprechende Thatsachen in der Ge-
schichte der Künste und Wissenschaften hin. Demgemäß glaubt
er auch für Thales, der in der Geschichte der griechischen
Philosophie die erste Stelle einnimmt 4), das Recht beanspruchen
zu dürfen, ihn „als den Mittelpunkt einer schon völlig regel-
recht organisirten Innung zu denken". Ohne diese Annahme
scheint ihm die bis zur Zeit des Aristoteles und seiner Schule
fortdauernde KenntniB seiner Lehrsütze schwer erklärlich, da
Thales selbst aller Wahrscheinlichkeit nach keine Schriften hin-
terlassen habe. Dieser innerhalb der Grenzen wissenschaftlicher
4) ‘O ın5 tosavtns grlocogias doynyds. Arist. -
410 Christian Cron,
Besonnenheit gehaltenen Annahme soll unsrerseits nicht wider-
sprochen werden; nur ist daran zu erinnern, daf in der ge-
schichtlicheu Darstellung die Zusammenfassung der Stifter der
Schulen mit diesen selbst auch Schwierigkeiten verursachen kann
und darum Beschränkungen erleiden muß. Ein in die Augen
fallendes Beispiel dafiir bietet die eleatische Schule oder Genos-
senschaft. Es wire nicht wohlgethan den Xenophanes in eine
so enge Verbindung mit Parmenides und Zenon zu setzen, wie
diese selbst unter einander stehen; denn nicht bloß nach dem
Mafistabe, nach welchem Aristoteles den Xenophanes mit Me-
lissus zusammen als minder gewandt in der Dialektik (wg ovzeg
uixgov Gygoixó1eQos) den beiden anderen gegeniiberstellt und
Pfleiderer ersteren nur als „das theologisirende Vorspiel der
eleatischen Metaphysik* betrachtet, sondern auch in einem an-
deren Betracht gebührt demselben eine gewisse Sonderstellung.
Denn wenn Xenophanes ‘auch /7uouertdov didacrados genannt
wird, so scheint sich doch, wie man schon einigermaßen aus
dem von Aristoteles gerügten Mangel schließen kann, ein Ein-
fluß der Schule auf ihn nicht bemerklich gemacht zu haben.
Ja man kónnte vielleicht gerade und vorzugsweise auf ihn ein
Wort Pfleiderers anwenden, der im Hinblick auf die ,,kernge-
sunden Vorsokratiker“, die vielfach der Wahrheit näher ge-
kommen seien als die Meister der Schulen, wie es scheint , im
Sinne einer Herzenserleichterung sich folgendermaßen vernehmen
làBt: ,die Schulen verderben ja nicht nur das leibliche, son-
dern unter Umständen auch das geistige Auge: glücklich dieje-
nigen, welche noch ohne jegliche Brille frisch und froh in die
Welt selbst hineinschauen durften". Diese AeuBerung Pfleide-
rers erseheint recht wie die Kehrseite dessen, was Diels in sei-
ner Abhandlung darzuthun bemüht ist. Doch kann sie, richtig
verstanden und aus dem richtigen Gesichtspunkte gewürdigt, un-
beschadet der von Diels vertretenen Ansicht wohl zu Recht be-
stehen. Von Xenophanes namentlich kann man nach allem, was
von ihm vorhanden ist und glaubwürdig überliefert wird, sagen,
daß er frei und kühn in die Welt blickend (slg 10» 040y où-
guvov anoBiéwaus) unbeirrt durch den Schein, mit der uner-
schiitterlichen Kraft sittlicher Ueberzeugung seinen Satz von der
Einheit des Seienden und der Einheit Gottes aussprach und den
Za Heraklit. 411
anthropomorphistischen Vorstellungen des Polytheismus 5) ent-
schieden zu Leibe geht. So, als selbständiger Denker, fand er
einerseits überzeugte Zustimmung und wurde der Stifter einer
Schule, welche die groBen Grundgedanken ergriff und mit folge-
richtiger Strenge weiterbildete, andrerseits forderte er zum Wi-
derspruch heraus, der mit philosophischem Geiste frei und kühn
in schroffster Entschiedenheit sich äußerte. Hier Parmenides
mit seinem Genossen und Nachfolger, dort Herakleitos in
einsamer Selbstgenugsamkeit, wenn auch nicht ohne Nachfolger.
Somit spricht dieser mit seinem wuchtigen *zó4suog narno mav-
twv aus seinem eigenen Fühlen und Denken zugleich auch ein
Gesetz der Entwicklung der griechischen Philosophie aus, das
aber vollstindiger und richtiger in den weltbildenden Kriften .
des Empedokles yıAla (YıAorns) und veixog zum Ausdruck kommt.
Dem griechischen Volke aber bleibt die Ehre und das Ver-
dienst, die Philosophie nicht nur ins Leben gerufen, sondern
sie auch in unermüdlicher Geistesarbeit fortgebildet und der
Nachwelt überliefert zu haben. Seine Schöpfung bewährte
sich als so lebenskräftig, daß sie nicht nur den politischen Ver-
fall des Volkes überlebte, sondern auch in andern Völkern und
Ländern den Geistesfunken entzündete, der neues Leben er-
zeugie und durch die Vermählung des griechischen Geistes mit
fremder Volksart und Ueberlieferung neue lebenskräftige Ge-
bilde ins Dasein rief. So pflanzte sich die Philosophie in einer
ununterbrochenen Reihenfolge von Entwicklungen fort durch
Jahrhunderte bis tief hinein in die Zeitrechnung, die von einer
weltumgestaltenden Thatsache ausgehend durch die von Volk zu
Volk weiter schreitende Anerkennung dieser Thatsache um der
tiefgreifenden Wirkung willen, welche dieselbe auf das Leben
der Völker und ihr Verhältniß zu einander ausübte, in der Ge-
5) Und nicht bloß diesen! Denn würde Xenophanes, wenn er so
manche hochberühmte Darstellung christlicher Maler gekannt hätte,
die uneingedenk des Gebotes, das da lautet: ‘du sollst dir kein Bild-
niß noch irgend ein Gleichniß machen’... ‘auf daß ihr euch nicht
verderbet und machet euch irgend ein Bild, das gleich sei
einem Manneoder Weibe’, und der von Jesus dem sama-
ritischen Weibe ertheilten Belehrung : ‘Gott ist ein Geist’, also nicht
ein menschliches Gebilde, sich vermaßen die göttliche Dreieinigkeit
oder Dreiheit der Personen und Gott den Schöpfer Himmels und der
Erde in menschlischer Gestalt darzustellen — würde, sagen wir, Xe-
nophanes diesen christlichen Malern die derbe Zurechtweisung vorent-
halten haben, die er seinen Zeitgenossen ertheilte ?
412 Christian Cron,
schichte der Menschheit den Anfang einer neuen Zeit bezeichnen
soll. Aber trotz dieser Umgestaltung des äußeren und inneren
Lebens der Völker lebte und wirkte auch die griechische Philo-
sophie fort, da die eifrigsten Vertreter und Verbreiter der christ-
lichen Lehre den in der griechischen Literatnr niedergelegten
Erkenntnißschatz dem Christenthum anzueignen, ja als Ausfluß
göttlicher Offenbarung darzustellen bemüht waren. Dieser Be-
mühung verdanken wir die Erhaltung so mancher Trümmer aus
der geistigen Hinterlassenschaft der Griechen, die ohne die ret-
tende Hand in dem großen Schiffbruche mit untergegangen wä-
ren. Glticklicher Weise ist auch abgesehen von diesen trüm-
merhaften Ueberresten der Schatz an vollständigen Geisteswerken
nach Umfang und Gehalt noch groß genug, um dem Erkennt-
nißbedürfniß der Menschheit auch fernerhin Stoff und Auregung
zu wissenschaftlicher Forschung zu bieten. Zunächst stellte
sich die Philosophie im christlichen Zeitalter in den Dienst
der Kirche, ohne darum aufzuhören bei der Philosophie des vor-
christlichen Alterthums in die Schule zu gehen. Diese gewährte
ihr das Uebungsfeld, auf dem sie ihre Kraft erproben und aus-
bilden konnte, und nachdem sie auf diese Weise erstarkt war,
das Rüstzeug zur Vertheidigung der Kirchenlehre: ein Zweck,
der freilich ihrer freien Entwicklung und selbständigen Entfal-
tung Eintrag that. Diese ward erst zu der Zeit wiedergewon-
nen, als der Menschengeist auf anderen Gebieten des Lebens
und Denkens und Handelns die Fesseln des Herkommens durch-
brach und kühnen Muthes die Bahnen der Entdeckungen und
Erfindungen beschritt, die auch nicht vor den von der höchsten
kirchlichen Autorität aufrecht erhaltenen Schranken Halt machten.
So gelangten durch unwiderlegliche Beweise gesicherte Erkennt-
nisse, wenn auch in hartem Kampfe mit der geistlichen Gewalt,
langsam und allmählich doch zu allgemeiner und unbestrittener
Anerkennung und die Wissenschaft überhaupt zu der ihr unent-
behrlichen Freiheit der Bewegung.
Bei diesem Befreiungskampfe, der alle anderen in der Ge-
schichte verzeichneten Freiheitskämpfe an Wichtigkeit der Fol-
gen weit übertraf, hatte auch die Wiedererweckung der klassi-
schen Studien ihren Antheil; insbesondere trug die erneuerte
und mit warmer Begeisterung ergriffene Kenntniß der platoni-
schen Schriften, die durch die Uebersetzung des Florentiners
Za Heraklit. 418
Marsilius Ficinus unterstützt und gefórdert wurde, viel bei zur
Verdrüngung der ausschlieBlichen Geltung des scholastisch zuge-
richteten Aristoteles. Dadurch daß die Herrschaft der kirchlich
gepanzerten Scholastik gebrochen wurde, erlangte die Philosophie
ihre Freiheit und wissenschaftliche. Selbstündigkeit wieder, frei-
lich nicht ohne ihren Märtyrer gefunden zu haben. Die Vor-
liebe für Platon, die sich am glünzendsten in der Stiftung der
platonischen Akademie zu Florenz bethitigte, rief Widerspruch
hervor, der zu einem Kampfe zwischen Platonikern und Aristo-
telikern gedieh und auch das Verhältniß beider zur Kirchen-
lehre nicht aus dem Auge verlor, auch die Kirchentrennung
überdauerte. Aus diesem Kampfe entwickelte sich allmählich,
nachdem auch den vorsokratischen und nacharistotelischen Sy-
stemen die gebührende Beachtung zu Theil geworden, die ge-
schichtliche Auffassung und Würdigung, zuerst mehr von lite-
rarisch - philologischem Standpunkt, dann auch mit philosophi-
schem Interesse und Verstündnif. Letzteres wurde um so besser
gefórdert, je mehr der philosophische Geist des Forschers sich
mit den Grundsützen echt geschichtlicher Wahrheitserforschung
verband und sich nicht in den Dienst eines besonderen Sy-
stems stellte.
Dieser Vorwurf wurde von manchen Seiten gegen Heg els
Darstellung in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Phi-
losophie erhoben und auf solche Schriften, die auf der gleichen
Grundansicht beruhten, wie z. B. Lassalles umfassendes Werk
über Herakleitos, ausgedehnt. Ja sogar Zeller entging nicht
ganz dem gleichen 'Tadel, obschon er in der Einleitung zur
dritten Auflage des ersten Bandes seines berühmten und vielbe-
nutzten Werkes selbst die wissenschaftliche Voraussetzung He-
gels als eine der geschichtlichen Auffassung nicht entsprechende
eingehend und gründlich bekämpft. Besonders Gladisch gab
diesem Tadel Ausdruck noch in seinem letzten Aufsatze über
die vorsokratische Philosophie, welche, in dem 11. Hefte des
Jahrgangs 1879 der Jahrbücher für classische Philologie abge-
druckt, wie aus Fleckeisens Nachschrift zu ersehen ist, erst nach
dem Tode ihres Verfassers zur Veróffentlichung kam. Eine wich-
tige Stelle in dieser Polemik nimmt die Auffassung der hera-
klitischen Lehre ein, und besonders wird auch der Ausgangs-
punkt in der Darstellung Zellers als ein unrichtig gewühlter
414 Christian Cron,
und die Gesammtauffassung benachtheiligender angefochten. In
dieser Ansicht stimmt Pfleiderer mit Gladisch tiberein, ver-
wirft aber dessen Beiziehung der Zoroastrischen Religion ebenso
wie die anderer orientalischer Religionen von seiten anderer
Forscher.
Die ganze Frage iiber den bestimmenden EinfluB, den die
orientalischen Religionen auf die griechische Philosophie geübt
haben sollen, unterzieht Zeller einer griindlich eingehenden Un-
tersuchung, deren Ergebniß ein abweisendes ist und namentlich
auch dazu führt, die wissenschaftliche Unhaltbarkeit der von
Gladisch unternommenen geistreichen Zusammenstellung der ein-
zelnen vorsokratischen Systeme mit den verschiedenen Religionen
des Morgenlandes darzuthun. Gladisch geht wohl auch darin
fehl, wenn er annimmt, daß bei Zeller dem Bemühen, „das Mor-
genlündische fernzuhalten oder hinwegzudeuten“, der Glaube zu
Grunde liegt, ,,als ob die Philosophen durch die Nachweisung des
morgenländischen Gehaltes ihrer Lehren“ — ein sonder-
barer Ausdruck! — ,,an dem Ansehen, welches ihnen bisher
beigelegt wurde, eine Einbuße erlitten“. Wer ohne Voreinge-
nommenheit die oben erwühnte Einleitung Zellers durchliest,
wird kaum dieser Ansicht beipflichten kónnen; er wird vielmehr
sich gedrungen fühlen anzuerkennen, daß Zeller mit wissen-
schaftlicher Unbefangenheit und gründlich prüfendem Urtheil
den Entwicklungsgang des griechischen Geistes- und Kultur-
lebens von den ersten unserer Kenntniß sich erschließenden An-
fängen an darlegt, um auf diese Weise den Boden erkennen zu
lassen, aus dem die griechische Philosophie hervorgegangen ist.
Daß von diesem Boden auch fremde Religionsvorstellungen nicht
ausgeschlossen waren, stellt auch Zeller nicht in Abrede Nur
das bestreitet er, daß ihr Einfluß ein so maßgebender gewesen
sei, daß dadurch die Entstehung und Weiterentwicklung der
griechischen Philosophie bestimmt und beherrscht worden wäre.
Uebrigens ist nicht unerwähnt zu lassen, daß Gladisch in der
mehrgenannten — man könnte sagen letztwilligen — Kundge-
bung gegenüber dem angenommenen Vorurtheil Zellers sich in
folgender Weise ausspricht: „Während Pythagoras und seine
Schule, Herakleitos, die Eleaten, Empedokles und Anaxagoras
bisher bloB fiir hervorragende Denker des hellenischen Volkes
galten, werden sie durch diese Nachweisungen zugleich Reprä-
Zu Heraklit. 415
sentanten ganzer weltgeschichtlicher Culturvólker, indem sie deren
mehr oder minder sinnliche religióse Weltanschauungen in der
Klärung der Philosophie, gleichsam in schónen Lichtbildern,
wiedergeben und so das rechte tiefere Verständniß der Ge-
schichte erschließen“ — mit der beigefügten Bemerkung: „Na-
türlich kann davon nicht die Rede sein, daß die genannten Phi-
losophen unmittelbar aus der morgenländischen Urquelle
geschöpft hätten ; auch nicht davon, daß sie das aus der Ur-
quelle Ueberlieferte auch in allem einzelnen geistlos wiederge-
geben; .... aber im grundwesentlichen liegt die Ueberein-
stimmung so klar zu Tage, daß sie von keinem Unbefangenen
bestritten werden kann“. Ob damit Zellers Gegengründe ent-
waffnet sind, dürfte zu bezweifeln sein. Eher möchte man glau-
ben, daß durch diese Auffassung den genannten Denkern eine
Leistung und Würde zugeschrieben wird, die außerhalb des Be-
reiches ihrer Absicht und Einsicht lag.
Pfleiderer, wie gesagt, stimmt zwar mit Gladisch überein in
dem Widerspruch gegen Zellers Auffassung und Darstellung der
Philosophie Heraklits, erkennt aber andrerseits an, daß, was
Zeller zur Widerlegung von Gladischs Ansicht über den Ein-
fluß der morgenländischen Religionen auf die philosophischen
Systeme der Griechen sagt, richtig und zutreffend sei. Er sei-
nerseits setzt an die Stelle der fremdländischen Religion den
heimischen Volksglauben, insbesondere den in Ephesus beste-
henden Mysterienkultus. Daß die äußeren Umstände die-
ser Annahme keinerlei Schwierigkeit in den Weg legen, daß
die persönlichen Verhältnisse des Mannes vielmehr die vertraute
Bekanntschaft mit dem Mysterienkultus in seiner Vaterstadt be-
günstigten, und daß diese auf Geist und Gemüth des edelge-
bornen und hochgemuthen Jünglings eine nachhaltige Wirkung
üben mußte, ist ja nicht zu bestreiten; aber ebensowenig ist an-
zunehmen, daß diese ihn erst zum Philosophen gemacht und
seinem Denken und Wollen die Richtung gegeben, die aus den
erhaltenen Trümmern seines Werkes hervorleuchtet; daß nicht
vielmehr der Keim dazu in seiner ursprünglichen Geistesanlage
gelegen gewesen sei, der sich seinem inneren Wesen nach nicht
ohne Antrieb und Anregung von außen entwickelt habe. Sollte
unter diesen äußeren Einwirkungen nicht auch das kühne Her-
vortreten des Mannes aus Kolophon mit seinem unbewegten und
416 Christian Cron,
unveränderlichen Eins einen mächtigen Einfluß auf sein eigenes
Denken geübt haben? und sollten wir nicht berechtigt sein zu
glauben, daß bei der Selbständigkeit und Eigenart seines We-
sens der Grundgedanke seiner Philosophie sich gerade im Ge-
gensatze gegen die Lehre seines älteren Zeitgenossen gestaltet
und entwickelt habe?
Daher wird man, wenn man davon absieht, aus den erhal-
tenen Trümmern die ursprüngliche Anlage des Werkes wieder-
zuerkennen, die Berechtigung nicht bestreiten können, vom Stand-
punkte der geschichtlichen Darstellung des Entwicklungsganges
der griechischen Philosophie die Lehre von dem Flusse voran-
zustellen. Freilich in rein negativem oder gar ,, pessimistisch-
nihilistischem“ Sinne darf man sie nicht auffassen. Dazu ist
aber auch nicht der geringste Anlaß gegeben. Nimmt man die
Hauptstelle, deren urspriinglicher Wortlaut sich auf Grund der
verschiedenen Ueberlieferung allerdings nicht unbedingt feststel-
len läßt, so wie sie Bywater fr. 41 bietet), so hätten wir zu-
nächst ein Bild von dem steten Wechsel der Dinge, in welchem
der beständige Zugang stärker als der Abgang betont wird.
Letzterer liegt sozusagen unausgesprochen in dem Bilde. Zum
entschiedenen Ausdruck kommt derselbe, wenn man die in einer
der Fundstellen bei Plutarch mit jener Stelle in einen gewissen,
aber keineswegs unmittelbaren Zusammenhang gesetzten Worte
beizieht. Bywater stellt sie losgelést von jedem Zusammenhang,
ohne Zweifel um anzudeuten, daß man diesen mit Sicherheit
nicht aus der Anführung Plutarchs entnehmen kann, vor jene
Stelle in folgender Fassung: Sxfdvnos xuè ovraysı, n000E61 xoi
arci. Das Subjekt bleibt somit ganz unbestimmt”), Denn
daß Bywater nicht daran denkt, aus dem sechsten der angeb-
lichen Briefe 9eég zu entnehmen, liegt auf der Hand. Ja nicht
einmal die Zusammengehórigkeit der beiden zweigliedrigen Aus-
sagen Steht unbedingt fest, läßt sich aber mit einiger Wahr-
scheinlichkeit annehmen. Pfleiderer setzt diese Stelle mit
6) Horeuoics dis totes avroici ove dv tufains Érega yàg «xal Frs-
oc énipotes vdara. Die Anführungen, aus welchen die Stelle genom-
men ist, schwanken zwischen norauoioi, noraup und ds norauór.
7) Schuster entnimmt auf Grund der Anführung Plutarchs aus
den Worten ‘ovdé Symrÿs ovoias dic apacdas xarà FK» den Begriff
$ynta und setzt diesen Ausspruch in Verbindung mit dem gleich an-
zuführenden eiuéy te xai ovx eluév.
Za Heraklit. 417
jener in Verbindung und betrachtet die fraglichen Worte als
eine neue Wendung der letzten Worte des angeführten Bruch-
stückes. Doch übersetzt er durch ein Versehen nicht ganz rich-
tig: „Es, das Wasser, vertheilt sich und drängt zu-
sammmen, es ist da und ist weg" statt: es geht zu
und geht ab. Auch der erste Theil würde besser lauten: es
zerstreut und führt zusammen, da bei der Unsicherheit
des Zusammenhanges die wörtlichste Fassung rüthlich erscheint.
Also nicht bloß Vergänglichkeit und Mangel an Beharren, son-
dern steten Zu- und Abgang und somit fortwührenden Wechsel
— Schuster und Pfleiderer erinnern an den jetzt üblichen Aus-
druck 'Stoffwechsel' — will der Philosoph durch das Bild von
den Flüssen, in die wir nicht zweimal hineinsteigen können, aus-
drücken.
Schwieriger im Verständniß und Zusammenhang ist eine
andere Stelle, deren Wortlaut allerdings unverkennbar an jene
Hauptstelle anklingt*). Das Besondere in dieser Fassung liegt
also vornehmlich in dem letzten Satzgliede, in dem von unserm
Dasein gesagt wird, daß es dahinflieBt, wie Flüsse dahin fließen,
die nicht einmal, während wir hineinsteigen, dieselben bleiben;
so schwankt auch unser Leben zwischen Sein und Nichtsein.
Diese Fassung stimmt also weit mehr überein mit den gewöhn-
lichen Klagen in Prosa und Versen über die Vergünglichkeit
unseres Lebens und aller irdischen Dinge als jene, die in den
beiden andern Bruchstücken vorliegt. Der ersteren Fassung
kommt daher mehr Bedeutung als der letzteren zu, wenn man
den eigenthümlichen Gedanken und Ausdruck des Philosophen
im Auge hat. Dieser stimmt trotz aller Verschiedenheit des
Bildes doch im Wesen überein mit jener anderen Stelle von dem
immerlebenden Feuer, das nach Mafen sich entzündet und nach
MaBen verlischt?). Freilich der erste Theil des dem Philoso-
8) Wir geben sie nach Bywater fr. 81 mit geringer Veränderung
in der Schreibung der letzten Worte wieder: MHotamotos Toic& avroiaı
luBaivouév te xai oix luBaivoutv, eluév te xai oix eluév. Die Quelle
der Ueberlieferung gibt B. zu fr. 67 an und findet also in dem von
Aristoteles bezeugten Tadelspruch des Kratylus kein Bedenken gegen
die Zuverlássigkeit jener Ueberlieferung.
9) Die Stelle lautet bei Bywater fr. 20 folgendermaßen : Koouor
<1ivds> 10» adtoy Gnaviwv oùre tig Fey ovte dvdounwv énoinos, did
zv alei xai fou xal Fores nig deilwov, dGntoueror utroa x«i anooßev-
yuusvoy utra.
Philologus. N. F. Bd.I, 3. 27
418 Christian Cron,
phen hier zugeschriebenen Ausspruches geht iiber den Inhalt des
anderen über den fortdauernden Fluf weit hinaus und bietet an
sich erhebliche Schwierigkeiten, mit deren Lósung sich Pfleiderer
angelegentlich beschiftigt. Besonders fraglich erscheinen die
Worte ovre zig Fewv ovie avdowrwv Enolnoe, an deren Erklä-
rung sich schon Plutarch versucht hat. „Götter und Menschen“
nur als Theilbegriff fiir das negative Kollektivum ,,niemand“ zu
fassen, scheint ihm zu matt. Er hilt sich daher lieber an den
Doppelsinn von roseiv, das gleichermaßen „reales Schaffen oder
Herstellen und ideales Darstellen oder Dichten‘ bezeichnet, und
erkennt in dem zweiten Theil der Disjunktion einen Hieb auf
die Urheber der Kosmogonien, die sich geriren, „als wären sie
bei einer etwaigen Weltschöpfung mit dabei gewesen und hätten
zugesehen, wie eine Welt überhaupt gemacht wird“!°). Das
ebenfalls schwierige 10» auıöv änuvrov — letzteres Wort persön-
lich genommen — versteht er in gegensätzlichem Sinne zu „der
Differenz des 7», Zorı, toras der Welt mit ihren diversen Pha-
sen“. Freilich wird man auch hier an G. Hermanns Wort er-
innert: in Heracliticis perdifficile est certi quid pronuntiare. Pflei-
derer vermuthet, daß dieses Bruchstück bald nach dem Eingang
des heraklitischen Buches stand und betrachtet es ,,mit seiner
reichen Gedrungenheit, die gewissermaßen den Heraklitismus sn
nuce gibt, wie eine Art von vorangestelltem Thema oder Pro-
gramm der nachfolgenden Lehren des Philosophen“. Er weist
ihm demnach seine Stelle vor dem oben erörterten Bruchstück
(fr. 41 B. an. Damit kann man sich um so eher einverstan-
den erklüren, als diese Stellung auch mit dem von Diogenes
(IX 1 $8 S. 57 B.) gegebenen Auszug, welchem namentlich
Mohr (a. a. O. S. 13 ff.) eine maßgebende Bedeutung zu-
schreibt, in Uebereinstimmung steht.
Für Pfleiderer ist von größerer Wichtigkeit der Umstand,
daB er in diesem Ausspruch des Philosophen das wiederfindet,
was er früher ,als Grund- und Centralgedanken seiner religions-
philosophisch-metaphysischen Spekulationen" voranstellte.
Fragen wir nun nach der Mysterienidee, deren ,,philoso-
phische Formulirung bei Heraklit", wie Pfleiderer im Eingange
seiner Schrift behauptet, „der Augpunkt ist, von dem aus an-
10) Vgl. was Góthe von H. Sachs sagt: ,,Erzählt das Alles fix
nnd treu, Als wär er selbst gesyn dabey*''.
Zu Heraklit. © 419
gesehen und durchgenommen die Triimmer des Ephesiers sich
am meisten harmonisch zu einem Gesammtbilde von eigenthiim-
lichstem Reize zusammenfiigen“, so entnehmen wir die Antwort
aus dem zweiten Abschnitt, dessen Ueberschrift lautet: ,,Die ma-
terialen Hauptsätze Heraklits in ihrer abstrakt metaphysischen
Form: Unzerstörbarkeit des Lebens in allen Gegensätzen und
Wandlungen". Wir kónnen nicht umhin, auch hier den Ver-
fasser selbst reden zu lassen, da es sonst nicht möglich wäre,
seine Ansicht unverkürzt und unverkümmert hervortreten zu las-
sen. Er sagt: „Was die betreffende Generalidee nun ei-
gentlich sei, darüber kann nicht wohl ein Zweifel obwalten.
Tritt sie uns doch aus allen Formen und Gestaltungen des My-
sterienwesens wesentlich identisch entgegen und wird durch den
Grundgedanken der angrenzenden und jedenfalls faktisch ver-
wandten orientalischen Religionen mitbezeugt. Es ist der alter-
nirende Gegensatz und Wechsel zwischen dem lichten, warmen
Leben hier oben und dem dunklen kalten Tode drunten, in
welchen beiden Phasen sich Ein und Dasselbe, nennen wir es
Natur oder Seele oder Gottheit zu bewegen und auch bei dem
scheinbaren Untergang zu erhalten weiß. Das ist dem Volks-
oder Völkergemüth selbstverständlich aufgegangen in sinniger
Naturbeobachtung und feinem Mitgefühl für den Wechsel der
Jahreszeiten und ihren unwandelbar sicheren Gang, den mit kür-
zerer Periode und mit kleinerem Maßstab auch die alternirenden
Tageszeiten wiederholen. Und an diesen Sonnenphasen mit Licht
und Wärme oder Nacht und Kälte hängt in unzerreißbarer Sym-
pathie alles organische Leben der Natur, Alles, was da wächst
und grünt und blüht; mit ihnen entsteht, mit ihnen vergeht oder
verschwindet es auch wieder, um unfehlbar von neuem zu er-
scheinen, sobald seine Zeit gekommen“.
Das also ist die Mysterienidee, die in der Beobachtung ei-
nes jedem mit gesunden Sinnen und Gefühl und Verstand be-
gabten Menschen sich aufdringenden Naturvorganges wurzelnd,.
auch des „menschlich-gemüthlichen Tröstungsmoments‘‘ selbst dem
gemeinen Bewußtsein gegenüber nicht entbehrend, sich zu einem
allgemeinen Gesetz erweitert, das der Verfasser in einer ab-
schließenden Frage folgendermaßen zum Ausdruck bringt: „Ob
also nicht das Leben überhaupt, sei es in der wachsthümlichen
Natur oder in der Menschenwelt oder endlich mit größter Weite
27*
420 Christian Cron,
des Blicks im Weltganzen an sich als dem Sein der Gottheit
selber ein ewiges, in Wahrheit unzerstôrbares, nur allezeit sich
wandelndes ist ?“
Indem er nun darin bereits „ein tiefsinniges religióses Na-
turphilosophem“ vorliegen sieht, das ,zwischen physikalischem
Sinn und anthropo-kosmologischer Metaphysik schillerte oder in
elastischer Dehnbarkeit vom nächsten Ausgangspunkt sich zu
weiteren und weitesten Intuitionen !!) zu erheben vermochte“,
glaubt der Verfasser, daß, wenn Heraklit sich daran machte,
„ein derartiges Denken, Fühlen und Ahnen philosophisch zu
verwerthen und ins Begriffliche umzugiefien“, er nicht einmal
sehr viel zu ändern brauchte, und „als philosophischen Grund-
gedanken Heraklits in einleuchtend naher Verwandtschaft mit
der Mysterienidee folgende Ueberzeugung aufstellen zu dürfen:
Unzerstörbar ist die Feuerkraft des Lebens, wel-
ches auch im scheinbaren Tode, in den es oseilli-
rend übergeht, überhaupt aber in allen überall
regsamen Gegensätzen und in den rastlosesten
Wandlungen sich nicht nur erhält, sondern alle-
zeit siegreich durchsetzt und eben in dieser
Probe seine wahre Lebendigkeit erweist“.
Vergleicben wir nun die der Mysterienidee zu Grunde lie-
gende Naturbeobachtung mit jener von dem beständigen Flusse,
von der Pfleiderer bemerkt, daß sie der üblichen Anschauungs-
weise der Menge viel zu nahe stand, um den schroffen Wider-
spruch zu rechtfertigen, welche Heraklit gegen die gemeine Welt-
auffassung der Menge zu Schau trägt: so müssen wir gestehen,
daß die Beobachtung des Wechsels der Jahreszeiten und von
Tag und Nacht mit seinen für das Natur- und Menschenleben
so einflußreichen Lichterscheinungen und von Geburt und Tod
dem gemeinen Bewußtsein gewiß nicht ferner stand als jene von
dem Flusse, in welchem alles Dasein begriffen ist. Ja wir kön-
nen sagen, daß jene der Menge so geläufigen Klagen über die
Flüchtigkeit und Vergänglichkeit aller Dinge doch nur einzelne
und einseitige Kundgebungen einer durch zufällige Umstände
11) Der nachgeborene und in der neueren Philosophie eingebür-
gerte Ausdruck ‘Intuition’ entspricht wohl seiner wesentlichen Bedeu-
tung nach dem, was die ebenfalls in den wissenschaftlichen Sprachge-
brauch eingeführte ‘intellektuelle Anschauung’ besagen will.
Zu Heraklit. 421
und Erfahrungen angeregten Stimmung sind, von welchen eine
alle Erscheinungen des Lebens und Daseins umfassende, nicht
einseitig wehmiithige, sondern eindringlich urtheilende Weltan-
schauung sich nicht bloß ,,gradweise“, sondern wesentlich un-
terscheidet.
Welche Bedeutung und Stellung man aber auch immer die-
sem oder jenem Ausspruch in der Gesammtheit der philosophi-
schen Anschauung des alten Ephesiers einräumen mag, welchem
Einfluß und Antrieb von außen, sei es von Seiten älterer oder
gleichzeitiger Philosophen, sei es von dem einheimischen Myste-
rienwesen oder von fremdländischen Religionen man ein größeres
Gewicht zuschreiben mag: mit der gesammten Strömung des
geistigen Lebens seiner Zeit und der philosophischen Bestrebun-
gen insbesondere war er doch jedenfalls eng verflochten. Pflei-
derer freilich bemüht sich redlich, ihn aus der Gesellschaft der
Naturphilosophen herauszureißen. Nicht als Physiker, son-
dern „als einen religionsphilosophischen Metaphy-
siker will er ihn bezeichnet sehen. „Denn“, sagt er, „der
früher erwähnte Ausspruch eines Alten, daß er „die Natur theo-
logisire“, wird wohl richtiger umgedreht und gesagt, Heraklit
physizire die mysteriöse Theologie, besser noch, er metaphysizire
sie aufs freieste und mit umfassender Weite des Blicks, wie eine
solche dem philosophischen Denker ziemt“. Auch läßt er „trotz
des orientirenden Ausgangs den Schwerpunkt der heraklitischen
Lehrausführung aufs Philosophische und nicht aufs Theologische
fallen“. Man sieht, es ist nicht ganz leicht, den alten Ephesier
fein säuberlich in ein systematisches Verzeichniß einzuregistrie-
ren; für jenes Zeitalter der vorsokratischen Philosophen, in wel-
chem wohl die Anfänge griechischer Wissenschaft zu erkennen
sind, von einer Unterscheidung einzelner Theile derselben oder
einzelner Wissenschaften und ihrer Ausbildung ins einzelne aber
noch nicht die Rede sein kann, kommt es auf diese Bezeich-
nungen weniger an. Im großen und ganzen wollte doch Hera-
klit trotz mancher Scheltworte gegen Vorgänger und Zeitge-
nossen und mancher Aussprüche, die sich zum Theil etwas be-
fremdlich in einer Schrift zegi Yvoswg ausnehmen, wie jener
über seine Mitbürger (fr. 114 B.), dasselbe, was die anerkannten
älteren und jüngeren Naturphilosophen mit Einschluß der Py-
thagoreer und Eleaten wollten und erstrebten, nämlich die Welt
499 Christian Cron,
in ihrem Wesen und Ursprung, ihrer Ordnung und Einheit zu
begreifen. Wenn man nun den vielfach für alle diese Philoso-
phen gebrauchten Namen ‘Physiker’ in dieser weiten Anwen-
dung nicht gelten lassen und etwa auf die alten Milesier be-
schränkt sehen will so muß man gestehen, daß schon der erste
derselben, den man allgemein als den Urheber der ionischen Na-
furphilosophie betrachtet, mit seinem Wissen und Wirken in
diesen Rahmen nicht eingeschlossen werden kann. Jenes er-
streckte sich auch auf Mathematik und Astronomie, dieses läßt
ihn auch als Staatsmann erscheinen und hat ihm auch einen
Platz unter den sogenannten sieben Weisen verschafft Man
kónnte sich wundern, dafì in all den verschiedenen Verzeich-
nissen, durch welche die Zahl der genannten Namen verdreifacht
erscheint, der des Heraklit nicht vorkommt. Und doch wären
manche seiner Aussprüche ganz geeignet, unter denen Platz zu
finden, welche mit mehr oder weniger geschichtlichem Recht
den sieben Weisen zugeschrieben werden. Wenn man nun
auch dazu den berühmten Ausspruch „edılnouunv êuewvrôr“,
über dessen Deutung und Bedeutung verschiedene Ansichten be.
stehen, weniger angethan erachtet, so wird man doch auch nicht
daran denken, dem Urheber desselben die Stellung in der Ent-
wicklung der griechischen Philosophie einzuräumen, die man fast
allgemein dem Sokrates zuerkennt, nämlich einen Wendepunkt
in derselben und gleichsam neuen Anfang zu bezeichnen. Pflei-
derer übersetzt und erläutert den Ausspruch Heraklits folgender-
maßen: „Ich forschte in mir selbst“ d. h. ich versenkte
mich sinnend und forschend und ging in dieser Weise mich
selbst um Aufschluß an, den Kern der Wahrheit zu erlangen".
Der Abschnitt, in welchem diese Worte stehen, fiihrt die Ueber-
schrift: ,,Sein (Heraklits) Schwerpunkt lag positiv in der spe-
kulativen Intuition und Selbstvertiefung". Wenn man diese und
andere AeuBerungen des geistreichen Verfassers berücksichtigt
und namentlich sein Widerstreben, den Ephesier den übrigen
Philosophen seines Zeitalters beizugesellen, bedenkt, so künnte
man wohl versucht sein anzunehmen, daß er nichts dagegen ein-
zuwenden hätte, wenn man ihm in der Geschichte der griechi-
schen Philosophie dieselbe Stellung einrüumte, welche im christ-
lichen Zeitalter die sogenannten Mystiker einnehmen. Dazu lädt
gewissermaBen schon der Titel des Buches ein, welcher die Phi-
Zu Heraklit. — 428
losophie Heraklits ,im Lichte der Mysterienidee“ zu
betrachten verheißt.
Zu den Mystikern des achtzehnten Jahrhunderts wird auch
Hamann gerechnet, der in der That manches mit dem alten
Ephesier gemein hat. Abgesehen von den schon erwühnten Eigen-
schaften — insbesondere der Dunkelheit seiner Sprache und Gedan-
ken, über welche sich Góthe #hnlich ausspricht, wie Pfleiderer über
die Heraklits, — sind es auch einzelne Grundgedanken, in welchen
sich die beiden der Zeit nach so weit aus einander liegenden
Philosophen begegnen. Als ein solcher Grundgedanke in der
Philosophie Heraklits gilt allgemein die Lehre von den Gegen-
sitzen und deren Ausgleich. Andrerseits ist es merkwiirdig,
mit welchem Verlangen Hamann nach der Schrift von Jordano
Bruno fahndet, in welcher, wie er vernommen, das principium
coincidentiae oppositorum zur Sprache kommt, von dem er ur-
theilt, daß es mehr werth sei als alle Kritik Kants. Auch die-
ser starke Ausdruck der Hoch- und Geringschützung erinnert
an Aussprüche Heraklits, wie an den über Bias und den allge-
meiner gefaßten Els êuoi uvgio (fr. 112 und 118 B.), von dem
über Hermodorus zu geschweigen.
Was nun die von Hamann so sehnlich begehrte, aber, wie
auch F. H. Jacobi bemerkt, hóchst selten gewordene Schrift von
J. Bruno betrifft, so war es die in italiänischer Sprache und in
Form eines Gesprüches geschriebene und 1584 herausgegebene:
De la causa, principio et uno, welche F. H. Jacobi mit seiner
Schrift ,,Ueber die Lehre des Spinoza“ im Jahre 1789, also ein
Jahr nach dem Tode Hamanns, in einer kürzer gefaßten Ueber-
setzung oder richtiger in einem Auszuge herausgab. In der That
eine hóchst merkwürdige Schrift, in welcher selbst ein Akt der
coincidentia oppositorum vollzogen wird. Denn J. Bruno, der sich
durchgängig als einen Kenner der griechischen Philosophie be-
wührt, vereinigt darin die Lehre der Eleaten mit der des Hera-
klit In dem Abschnitt , Von dem Einen" heiBt es bei Jacobi:
»So ist das Universum Eins, unendlich, unbeweglich. — —
— Seinen Ort kann es nicht veründern, weil aufber ihm kein
Ort vorhanden ist. Es wird nicht erzeugt, weil alles Dasein
sein eigenes Dasein ist. Es kann nicht untergehn, weil nichts
ist, worin es übergehen kónnte. — — — Da es Eins und das-
selbe ist, so hat es nicht ein Sein und ein anderes Sein; und
424 Christian Cron,
weil es nicht ein Sein und ein anderes Sein hat, so hat es auch
nicht Theile und andere Theile; und weil es nicht Theile und
andere Theile hat, so ist es nicht zusammengesetat. Es ist auf
gleiche Weise das Gesammte und ein Jedes, Alles und Eins. —
— — Das Ganze und jeder Theil ist der Substanz nach nur
Eins. Diese nannte daher Parmenides mit Recht das Eine,
Unendliche , Unwandelbare“. Weiter unten lesen wir: ,, Demje-
nigen, welcher unseren Betrachtungen bis hierhin gefolgt ist,
kann die Behauptung des Heraklit von der durchgängigen
Coincidenz des Entgegengesetzten in der Natur, welche alle Wi-
derspriiche enthalten, aber zugleich sie in Einheit und Wahrheit
auflösen muß, nicht mehr anstößig sein“ — — — „Um in
die tiefsten Geheimnisse der Natur einzudringen, muß man nicht
müde werden, den entgegengesetzten und widerstreitenden äußer-
sten Enden der Dinge, dem Maximum und Minimum nachzu-
forschen. Den Punkt der Vereinigung zu finden, ist nicht
das Größte; sondern aus demselben auch sein Entgegen-
gesetztes zu entwickeln: dieses ist das eigentliche und
tiefste Geheimnif der Kunst". Zum Schlusse seiner Betrachtung
kehrt er wieder zu dem Einen zurück, von dem er sagt: ,,Das
hóchste Gut, die hóchste Vollkommenheit und Seligkeit beruhet
auf der Einheit, welche das Ganze umfaßt“. Die eigentlichen
SchluBworte aber athmen religiose Wärme und Erhabenheit:
»Was Odem hat, erhebe sich zum Preise des Hohen und Mich-
tigen, des allein Guten und Wahren; zum Preise des unend-
lichen Wesens, welches Ursache, Princip — Eins und
Alles ist“,
Hamann hatte, wie gesagt, zunüchst nur auf das sein Ab-
sehen gerichtet, was J. Bruno als Behauptung Heraklits anführt.
Mit diesem hat er überhaupt manche Gedanken gemein, die man
keineswegs als bloB entlehnte betrachten kann. Ich begnüge
mich eine Stelle als Beispiel herzusetzen. Der erste Band der
von F. Roth herausgegebenen Schriften enthält unter andern
„Biblische Betrachtungen eines Christen ^. Dort lesen wir 8.
118 f.: ,,Gott wiederholt sich, wie in der Natur, in der Schrift,
in der Regierung der Welt, in der Aufbauung der Kirche, im
Wechsellaufe der Zeiten; wenigstens scheint es uns so, und es
ist nothwendig für uns, daf wir Wiederholung sehen. Es sind
nicht dieselben Früchte und sind doch dieselben, die jeder Früh-
Zu Heraklit. 425
ling hervorbringt; es ist nicht derselbe Leib und doch derselbe,
den wir aus Mutterleibe bringen und in den Schofi der Erde
sien; es ist nicht derselbe Flu8 und doch der-
selbe, der sich selbst zu verschlingen scheint.
Wer ein Sonnenstäubchen erklären kann, der hat das Räthsel
der ganzen Natur“.
Natürlich führte die Anregung, die Hamann für sein Phi-
losophiren durch die christliche Religion und insbesondere das
fleißige Lesen der Schriften alten und neuen Testamentes em-
pfing, nicht gerade zu denselben Ergebnissen, zu welchen Hera-
klit nach Pfleiderers Annahme vermittelst der aus dem heimi-
schen Religions- und Mysterienwesen geschöpften Anregung ge-
langte. Aber eine gewisse Geistesverwandtschaft wäre unter
dieser Voraussetzung zwischen beiden Männern nicht zu ver-
kennen, die sich nicht nur in der gleichen Empfänglichkeit für
religiöse Einwirkung, sondern auch in vielfacher Uebereinstim-
mung der Gedanken und namentlich der Gedankenäußerung
kund gibt. Denn was Pfleiderer von den wuchtigen Einzelaus-
sprüchen Heraklits, den kurzen, räthselartig pointirten Sentenzen
(Onuuttoria bei Platon) bemerkt, die „wahrscheinlich in Folge
der Eigenart des Mannes selber und nicht bloß durch Schuld
einer mangelhaften Ueberlieferung sich sozusagen als erratische
Blöcke, die in der alten Literatur liegen geblieben sind, prä-
sentiren": das kann nach Maßgabe der veränderten Umstände
mit einigem Recht auch von Hamann gesagt werden, aus des-
sen Schriften vor der vollständigen Ausgabe eine Blumenlese
erschier unter dem Titel: „Sibyllinische Blätter des Magus im
Norden“. Gedankenblitze hat man seine Aussprüche wohl auch
genannt, obwohl sie uns nicht bloß in einer Auswahl und her-
ausgerissen aus ihrem Zusammenhang, wie die Bruchstücke aus
dem Werke des Ephesiers, vorliegen.
Augsburg. Christian Cron.
Zu Apuleius. |
Apol. c. LXXXIII liest Krüger in dem Briefe der Pudentilla
crovdatwr aviòv olxeio» vpi di’ èuoù nosstodas. viv dì ws dia-
90901 nuov xaxonteco ce avamıldovow. Statt wovsioFar, wie
Spengel schrieb, bieten die Handschriften /70@/Cal, statt dia-
gogo aber uaKuPOI und dann KulKOROEICTE. Darnach
schreibe ich nogidus viv dì wo ffuGxaros huwy xaxondes 16,
Graz. M. Petschenig.
XXII.
Zur Kritik und Exegese der Demosthenischen
Kranzrede.
$2 adda xai 10 17 16 Ees xal v jj d noAoy(q schreibt
Lipsius gegen die von Vômel und Blaß angenommene Lesart
der Handschriften Z 244 pr. Aug.?,. welche adda 16 xal xrA. bieten,
Die letztere besser bezeugte Lesart giebt auch den besseren Sinn.
Der vollständigen Concinnität der Glieder würde es entsprechen,
daß dem ov uoror ein ununterbrochenes «44% xa{ gegenüber
stinde. Nun schiebt sich aber zwischen die beiden Glieder ein
mit dem Daktylus oùdè zo anlautendes ein: dieser daktylische
Anfang des eingeschalteten Gliedes mag auch für den Beginn
des nächsten den daktylischen Anfang &424 70 anstatt alla xaf
nahegelegt haben. Der aus rhythmischen Gründen vielleicht zu-
nächst empfohlenen Stellung der Worte adda 10 xai folgt aber
eine Modification des Sinnes auf dem Fuße nach: sobald die
Verbindung adda xul zerrissen und das x«i erst im weiteren
Verlauf der Struktur eingefügt wird, erstreckt zich die mit die
xul bezeichnete Steigerung nicht auf den ganzen nachfolgenden
Satz gleichmäBig, sondern das losgetrennte xuf hebt alsdann im
besonderen denjenigen Begriff hervor, welcher ihm unmittelbar
nachfolgt, d. h. in diesem Fall z7 14€, ein Begriff, um welchen
es dem Redner hier im Hinblick auf Aeschin. III 206 ganz be-
sonders zu thun ist: haben wir demnach die Stellung ró xaf für
die richtige zu halten, so muß 7} zu&s, der spezielle, gerade
hier hervorzuhebende Begriff folgen und man darf nicht mit
Zur Kritik und Exegese der Demosthenischen Kranzrede. 427
Fox daran denken, 17 zu&ss zu streichen, denn. das allgemeine
und farblose 17 äxoloyla könnte doch unmöglich dem auf etwas
Bestimmtes und Naheliegendes hinweisenden xaf unmittelbar an-
geschlossen werden. Ist nun neben rage der Begriff anoloyla
wirklich so unerträglich, daß man ihn streichen oder ändern
müßte? Streichen darf man ihn keinesfalls, da man sich wohl
erklären könnte, wie tutes als Glossem zu àzoÀoyíg, nimmermehr
aber, wie «zoAoyía als Glossem zu rugs hätte in den Text ge-
rathen kónnen. Einen Aenderungsversuch macht Usener, welcher
für anodoyta schreiben will dixasodoytu. Das Wort dixasodoyla
kommt bei Demosthenes und den übrigen Rednern nicht vor.
Zugegeben, daß Demosthenes es gebraucht haben könnte, so
fragt sich, wodurch es den Vorzug vor anodoyla verdienen soll.
Offenbar soll es etwas Spezielleres bezeichnen als «moAoyla und
doch nicht dasselbe wie trafic. Es bedeutet das Anführen von
Rechtsgründen zu seinen Gunsten. In wiefern kónnen nun von
einem y0709% solcher dsxusodoyfu sprechen ? d. h. von der Mög-
lichkeit, die dsxxsokoylu so oder anders zu behandeln? Auf ein
Hinzufügen oder Weglassen von Rechtsgründen kann sich das
xonoduw doch nicht wohl beziehen, denn Demosthenes führt na-
türlich alle Rechtsgründe, die ihm zu Gebote stehen, nicht
mehr und nicht weniger, für sich an, und ich sehe keinen an-
deren Ausweg, als das y97609«. von der Ordnung zu verstehen,
in welcher er die Rechtsgründe vorbringen will — also kommt
man auf den schon mit r«&s erschópften Sinn hinaus: kurz,
dixoioloy(a ist nicht zu brauchen, und man kann sich füglich
bei «modoyia beruhigen!), welches zu dem spezielleren Begriff
der ra&s¢ einen allgemeineren binzufügt und mehr enthält als
rate; dieses letztere ist derjenige Unterbegriff zu «moAoyfa, wel-
1) Eine logische Ungenauigkeit bleibt freilich bestehen, wenn in-
nerhalb eines allgemeinen, auf beide Parteien gleichermafen bezüg-
lichen Satzes der Begriff anoloyia angewendet und damit nur vom
Standpunkt der angeklagten Partei aus geredet ist. Diese Ungenauig-
keit aber beruht doch auf einem leicht erklarlichen psychologischen
Prozeß — Demosthenes denkt hier, unter dem lebendigen Eindruck
der Unverschimtheit, mit welcher ihm Aeschines den Gang seiner Ver-
theidigungsrede hatte verschreiben wollen, augenblicklich nur an seine
eigene Rede, welche er schon ausschlieBlich im Sinn gehabt hatte, als
er das Wort z«£es aussprach. Weder Minucian (bei Spengel Rh. Gr. I
423, 26) noch Tiberius (III 68, 28) haben, als sie die Stelle citierten,
daran Ansto8 genommen. In solchen Ungenauigkeiten kann sogar
79og und aksonsotia beabsichtigt sein.
428 W. Schmid,
cher dem Redner zunächst der wichtigste ist, .welchen er
darum nambaft macht, ehe er den allgemeineren vorbringt.
Daß aber x«( Allgemeines und Spezielles verbinden könne,
dafür hat Krüger Sprachl 69, 32, 2 die nóthigen Beispiele
gesammelt.
$ 12 $ nooulgecigs avis. Reiske hat zuerst für au:
vorgeschlagen «vij, was Laur. S Aug. 1 und etliche anderen
Handschriften bieten, wührend Dissen, Vómel, die Züricher Her-
ausgeber und Weil bei dem wahrscheinlich von Z gebotenen
avin bleiben. Liest man «vin, so muß, wie Dobree gesehen hat,
nach diesem Wort interpungiert werden und man hat den Vor-
theil, den Hiatus zwischen «vr; und éy9ooù durch die Pause
entschuldigen zu können, wogegen er bei der Lesart aûsy, welche
zu sofortiger Weiterführung der Struktur veranlaßt, unentschul-
digt bleibt. Nun verlangt aber der Zusammenhang doch auf
das entschiedenste «vi; — der eigentliche, tiefste Sinn der An-
klage, eben die ngoulgeois wvın, wird unterschieden von dem
scheinbaren , vorgeschützten, von einer mgoalgecis gasvouénn.
Diese scheinbare xgouloecis besteht eben in den eigentlichen
Rechtspunkten, die sich auf das nugévouov beziehen, d. h. in
jenen formalen Einwendungen gegen Ktesiphons Antrag. Die
wahre ngoufgsoı; dagegen ist das Verlangen des Aeschincs, an
dem Todfeind Rache zu nehmen und ihn politisch zu Grunde
zu richten. Empfiehlt sich so die Lesart «vi; ohne Zweifel, so
ist doch auch nicht zu leugnen, daß, vom rhetorischen Stand-
punkt aus betrachtet, es viel wirkungsvoller ist, wenn der Satz
von éy9gov an mit einem erklärenden Asyndeton selbständig
eingeführt, als wenn zxçgoulgeous als Subjekt des langen, zwei-
gliedrigen Satzes beibehalten wird. Dazu kommt noch ein Wei-
teres: kann ngoulgeoıs «vij, logisch genau betrachtet, überhaupt
Subjekt für die beiden yes sein? Demosthenes unterscheidet
zweierlei: 1) die eigentlichen xurnyogouussu, welche nur schein-
bar die zgouigeoi des Aeschines darstellen, dem es bei dem
ganzen Prozeß doch in Wahrheit nicht um Vertheidigung seines
guteu Rechts zu thun ist 2) die tieferliegende, nur in persön-
licher Rachsucht begründete Tendenz. Diese beiden Dinge kom-
men in dem gegenwärtigen ayw» zur Erscheinung, der aywy ist
der höhere Begriff für sie beide, und dywr muß auch Subjekt
für die beiden dyes sein: denn zgoalgeosg avr] würde nur zu
Zar Kritik und Exegese der Demosthenischen Kranzrede. 499
dem ersten #ye noch als Subjekt verstanden werden können —
im zweiten Glied von zw» wfrro an ist von der rooaloscis
adın ja offenbar gar nicht mehr die Rede, wird vielmehr von
dem ersten Punkt, den xarnyopovwev« und der eventuellen Strafe
gehandelt, die ihn, wenn die Anklagen wahr wären, treffen
müßte. Die Erklärung, auf welche nooulgeotg avın hinweist,
wird also lediglich durch das erste Glied mit éyes gegeben.
Kann aber für das zweite Glied mit Eye nicht zgoulgeoss Sub-
jekt sein, so ist es eine grammatische Nothwendigkeit, auch dem
ersten èye. ein anderes Subjekt als wooufosc:c zu geben, d. h.
eben den höheren Begriff #ywv. Somit ist der Sinn der Stelle:
dieser xywr hat eine subjektive und eine objektive Seite: nach
der ersten hin erreicht er seinen Zweck, nämlich èy9900 érnosa,
vBoss u. s. w., oder kurz gesagt, seine Rachsucht kann Ae-
schines befriedigen; nach der objektiven Seite hin, d. h. wenn
es sich darum handelt, nach Gesetz und Recht die vorgewor-
fenen Vergehungen zur Strafe zu ziehen, erreicht er ihn nicht,
denn es giebt nach dem Gesetz gar keine Strafe, mit welcher
ich auf Grund der vorgebrachten wirklichen Anklagen belangt
werden könnte. Es scheint mir demnach aus rhetorischen und
logischen Gründen nothwendig vor éydooù zu interpungieren,
und um dieser Nothwendigkeit gerecht zu werden, hat man die
beiden Worte in den Text zu setzen, zwischen welchen die
Handschriften schwanken, und zu schreiben: 7 ngoulyeoig adım
atm. Wer an dem Hiatus Anstoß nimmt, der lasse sich durch
die Beispiele bei Rehdantz Indices S. 173 f., und z. B. durch
$ 18 (verglichen mit Demetr. de interpr. $ 299) und $ 20 (ov?
ail ovderf) unserer Rede beruhigen.
Von dieser Interpretation des $ 12 aus wird nun auch der
vielumstrittene $ 13 Licht erhalten. Von den gewaltsamen Um-
stellungsversuchen des Lambinus und Taylor (Schäfer apparatus
crit. II 28 ff.) ist man jetzt ganz abgekommen, aber den Aus-
weg, an der Partikel yao zu corrigieren, welchen schon H. Wolf
angedeutet hatte, hat neuerdings noch Fox mit seiner Conjectur
ovx ag für où yag betreten wollen. Er führt sicherlich nicht
zum Ziel: y«o ist unerschiitterlich, und der mit yag eingeleitete
Satz muß offenbar eine Erläuterung zum Nächstvorhergegan-
genen bringen. Schließt nun $ 12 mit dem Gedanken, objektiv
genommen gebe es für die zur Anklage gebrachten Vergehungen
430 W: Schmid,
gar keine dfxn a&fa, so muß der Gedankenfortschritt sein: denn
das, was sogleich näher bezeichnet ist, kann durchaus nicht als
Îixn «Eta gelten, d. h. es existiert kein Gesetz in Athen, dem
zufolge die Verhinderung am Zutritt zu der Volksversammlung
und an dem Recht der freien Rede eine Strafe fiir die vorge-
brachten Vergehungen wire: diese Verhinderung ist nur das
Ziel, welches dem rachstichtigen Gegner vorschwebt, kann aber
niemals das Ziel einer gerechten Gerichtsentscheidung sein. Das
Prädikatsverbum des Satzes mit yag muß demnach den Werth
der Worte ovx dEla dixn 2oriv haben: dieser Werth steckt nicht
in dem Verbum dei, welches im 2 fehlt. Ich glaube, daB im
Archetypus unserer Handschriften das Verbum ausgefallen war
und dei eben als Nothbehelf eingesetzt wurde; eine bestimmte
bessere und wahrscheinlichere Ausfülung der Lücke steht mir
jetzt nieht zu Gebote, und ich bleibe vorerst bei dem negativen
Ergebniß, daß dei nicht das Richtige sein könne. Der weitere
Gedankenfortschritt ist nun ganz klar: die Sätze mit ovre be-
kräftigen nochmals das Ausgesprochene, daß die oben bezeichnete
Verhinderung keine dix7 «d&l« sei, und mit «Aa wird zum Po-
sitiven weitergegangen und bezeichnet, was das Richtige ge-
wesen wäre, wie Aeschines hätte verfahren müssen, um aus sei-
nen Beschwerden gegen Demosthenes richtige, eines nach der
Wahrheit entscheidenden Gerichtes würdige Rechtsfälle zu
machen *).
$ 18 am Schluß dürfte das muga roig des Z eher in
mag avrois (vgl die Schreibversehen mit #azov u. dgl. Corp.
inscr. Att. II 1 Nr. 478 Fragm. C 6; 487, 5; 8. 420 Nr. 489%
2) Die Erklärung des yag, welche Schómann (Neue phil. Jahrbb.
1869 S. 755 f.) versucht, halte ich für unzulässig: er meint, der Satz
mit y@g nehme Bezug auf etwas schon früher Geschehenes, was nicht
recht gewesen sei: durch seine &nwwuocia gegen Ktesiphons Antrag
nümlich habe Aeschines verhindert, da8 das Rathsgutachten behufs
der Ratifikation seiner Zeit vor die Volksversammlung gebracht wor-
den sei, und damit dem Demosthenes unmöglich gemacht, vor dem
Volk in dieser Sache für sein Interesse zu sprechen. Ob es in Athen
für anständig oder auch nur zulässig gegolten habe, daß in einer
Volksversammlung, wo über die Bekrünzung eines Bürgers verhandelt
wurde, dieser selbst auftrat, um seine Würdigkeit zu beweisen, will
ich nicht erórtern. Jedem unbefangenen Leser der Stelle aber wird
ohne Weiteres klar sein, daß hier Demosthenes nicht von vergangenen
Dingen sprechen will, sondern von demjenigen, was ihn nach der
Meinung des Aeschines treffen soll, falls Ktesiphon wegen Gesetzwi-
drigkeit verurtheilt würde,
Zur Kritik und Exegese der Demesthenischen Kranzrede. 481
Z. 15; II 2 Nr. 766, 6; III 1 Nr. 552, 2 und Dittenberger
zum Corp. inscr. Att. III 1 Nr. 645; auch Philodem. de rhet. col.
32, 21 Gros) als in z«g« rovrosg zu verbessern sein.
§ 19 bieten die Handschriften alle den Optativ cur éA Foser,
während sie im Modus des vorangehenden und ebenfalls von fva
abhängigen Verbums schwanken: yévozto hat Laur. S, X in
Correctur und die Vulg., yévnrac 3 pr. Aug. 1 u. &, yévyrae mit
einem über das n geschriebenen os und über das «+ geschrie-
benen o Bavar. Monac., yévnro Antwerp. 2. Die besten Zeug-
nisse sprechen also für y&rnını, und eine grammatisch - logische
Analyse kann sich in der That y&ryraı und owr&iFoev gefallen
lassen, da der Sinn ist: Philipp will: zunüchst mit Bestimmt-
heit nicht, daf die Thebaner ihre Zuflucht bei den Athenern
suchen müssen, denn daraus kónnte eventuell eine Verbin-
dung der beiden Staaten entstehen, welche ihre Spitze gegen
Makedonien kehren würde (vgl Krüger Sprachl. 54, 8, 2). Es
bedürfte übrigens nicht einmal dieser Erklürung, da Classen zu
Thuc. III 22, 8 erweist, daf in Finalsützen nach historischen
Tempora Conjunctiv und Optativ neben einander ohne bemerk-
baren Unterschied des Sinnes vorkommen kónnen; auch die Rede
gegen Neüra 14 zeigt einen analogen Fall. Es ist also kein
Grund, von yérqrus abzuweichen. Daß ein Grammatikaster das
Bediirfni8 empfand, die beiden Formen auszugleichen, versteht
sich, und für die Frage, weshalb derselbe den Conjunctiv in
einen Optativ und nicht umgekehrt den Optativ ouréldoer in
einen Conjunctiv corrigiert habe, ist die Antwort in meiner
Schrift über den Atticismus I 97 nebst Zusatz gegeben: der
Optativ galt der Spätzeit als eine Eleganz (vgl. Greg. Cor. p.
58 Schaefer: ro Ayer suxuxa avii OQuOTUXQv “Arrsxdv).
In § 22 ist zu lesen vuvi disgzeis und nachher viv
xutnyogsîs. Um das Schwanken und die Correcturen der
Handschriften bei vv» und »v»í( zu verstehen, muß man sich der
Regel erinnern, welche die byzantinischen Grammatiker über die
beiden Adverbia festgestellt hatten: übereinstimmend behaupten
sie (Eustath. ad Iliad. p. 164, 20; Etym. magn.; Phot. lex. p.
452 Naber; Nicephor. Greg. in Matthüis Gloss. Graec. min. p. 5),
vor dürfe mit allen drei Zeiten, »v»( aber bloß mit dem Präsens
verbunden werden, Durch die Beobachtung des attischen Sprach-
gebrauchs wird diese Regel nicht bestütigt (entgegenstehende
482 W. Schmid,
Beispiele aus Aristoph. und Plato s. bei Stephanus). Wenn aber
die Byzantiner an ihre Richtigkeit glaubten, so versteht man,
aus welchem Grunde vor dusËyei ein vuv und vor xuınyogeig
ein vuvi (als Eleganz) corrigiert werden konnte — die richtige
Lesart, die oben empfohlen wurde, bietet Z pr., das Präsens
xatnyooeig aber, das in allen Handschriften steht und von Schäfer
ohne Noth in xergyóoeg verändert wurde, wird eben durch die
alte Correctur »vvf, welche im Sinn der Byzantiner ein nachfol-
gendes Prüsens voraussetzt, nur noch mehr empfohlen.
$ 25 bietet eines der wenigen Beispiele, wo schon in die
erste Hand des Z ein Glossem hineingekommen ist, nämlich das
seltsame ze zzv elonvn» für mavia (Spengels Veränderung:
tore inv elonvnv ist sprachlich nicht möglich). Ich halte dies
re für eine Abkürzung von tovréors, und die Bemerkung soll
wahrscheinlich nach Ansicht des Verfassers dieser in den Text
gerathenen Glosse eine Restriktion von zuvr« enthalten: advza
erschien als zu allgemein und demnach als Uebertreibung. Die-
ser Erklärungsversuch nimmt an Glaubwürdigkeit zu, wenn man
bedenkt, daf unter den Rhetoren eine (wahrscheinlich christliche)
Richtung deutlich hervortritt, welche darauf ausgeht, den (von
den Heiden so sehr bewunderten) Demosthenes als Lügner hin-
zustellen: man vergleiche die Aeußerungen des Joh. Sicel über
die Kranzrede in Walz Rhet. Gr. VI 175 f.; ferner das Schol.
zu de cor. p. 233, 1 = § 23 (zu ovre yàg nv mosofeia die No-
tiz: cvuPadietas dì avi xoi 0 yodvog modùs mupedda)v ele re
duracda: xuxovoyeir) und S. 226, 16 = $ 3 (hier wird das
dıauagrsiv ing evrofug mit der Bemerkung begleitet: éfovAsrzo
eineiv tov ouparov): aus solcher Quelle ist auch unser Glossem
geflossen und demnach z«vra im Text zu behalten.
$ 28. Auf den ersten Anblick scheinen die Worte rà ws-
xoù cvugpéoovia tng mohews freilich matt und Useners
Conjectur :& xéguera sehr verlockend im Anschluß an das ge-
ringschätzige é» roiv voir oBodoiv und im Gegensatz zu rà
oda. Denkt man sich aber, daß im Buleuteneid, unter welchem
Demosthenes &. 346 stand (leider ist uns von der Formel des-
selben außer Lys. or. 31 init. und Xen. mem.I 1, 18 sehr we-
nig bekannt), vielleicht die Worte enthalten waren rd cvugé-
govra 16 nodews qvÀutwo, denkt man sich ferner, daß die Be-
ziehung auf die Eidesworte von den Zuhórern ohne weiteres
Zur Kritik und Exegese der Demosthenischen Kranzrede. 433
verstanden wurde, so wird man sich doch besinnen, ehe man
Useners geistreichen, Vorschlag annimmt. Der Sinn wire sehr
gut: ,,sollte ich meine eidliche Verpflichtung, das Interesse der
Stadt zu wahren, mit der Sorge fiir solchen Bettel erfüllt zu
haben glauben ?“
Tübingen. W. Schmid.
Emendationum ad Aristidem specimen II.
Or. XLV p. 2, 5 pro ro)g imi zw» Àóyov av Égyovrac
lege avr&yovrag: de eis dicit, qui in orationis cultu persé-
verant. — ibid. p. 45, 58 lege ovy @ oroyaletas dba wa ç-
Téves (pro &uagrave) te, GAA” dinuagrev 00x êcroyücaro
cum annominationis servandae tum hiatus vitandi causa. — ibid.
p. 55, 72 lege zv aut (pro uèr®) otroder pégew tov 0As9'Qor.
— ibid. p. 71, 91 lege 09 ev meg (pro deg) Aéywv EEE. —
ibid. p. 83, 105 pro r2» éntoguxny etvgéoFas | evoncdae.
— ibid. p. 85, 108 umd nolwy .. nolsuluv: pronomen inter-
rogativum muta in indefinitum zoıwv. — ibid. p. 134, 168
pro ax wâlurro 647% nescio an legendum sit an. e? x 7. unde
oıyn lectio nata sit, difficile est ad diiudicandum: Iliadis loci,
quem respicit in parenthesi rhetor (III 6), memoriam quandam
scribae animo obversatam esse putaveris. — ibid. p. 136, 170
pro gore Aoyog d7X0v scr. à. À. dnAwv. — ibid. p. 189,
173 verba @u&Ası xai ro vg Wong 0voua aùttò Gvy-
xexAngoWwraı eicienda sunt neque maiorem auctoritatem tri-
buerim eis quae p. 145, 180 leguntur: zó wiv aoy7 mov, 10
dè áxgortsAceu1:0v Éxovc èotiv' immo vero haec tam
certa glossematis inepti vestigia prae se ferunt, ut vera eorum
natura editorum sagacitatem effugere non potuerit, nisi illi, atque
inter eos maxime Dindorfius, in edendo Aristide somnolentia
quandam, cui in auctore nostro facile veniam tribuerimus, op-
pressi essent.
Or. XLVI p. 159, 195 de verborum serie e$ tug a 4406
TOY vnèo rovtovg «vw tole inig rovrovc, quibus verbis
nescio quis grammaticus «rw vocem explicare voluit, quae iden-
tidem in Aristidis orationibus ad tempus significandum usurpatur
(VII 79, 82; XIII 152, 163; XIV 362, 891 al) — ibid.
168, 208 pro Aiyeoratwy scr. ’Eysoralwv. — ibid. 182,
224 pro éuoi yàg ein ser. 8j 0v yag ein. — ibid. 211, 262
Avgorotov legere malin quam yogomoıöov. — ibid. 232,
286 verba quae sunt x«i 1adra apédes dixusa noviv
nescio an eicienda sint non minus quam quae habes or. XLV
138, 173 inde ab auéA& usque ad ouyxexdAjowtus.
Tubingae. W. Schmid.
Philologus. N:F. Bd.I, 8. 28
XXIII.
Entstehungszeit und Verfasser von Ps.- Apuleius
De orthographia.
Madvig hat in seiner Abhandlung De L. Apuleiî fragmentis
de orthographia nuper inventis (1829, opusc. acad.? 1 ff) durch
eine sachliche Kritik des Inhalts nachzuweisen versucht, daß die
von Mai und Osann unter dem Namen eines sonst ganz unbe-
kannten L. Caecilius Minutianus Apuleius herausgegebenen *Bruch-
stücke' de orthographia eine Fülschung aus der zweiten Hälfte
des 15. Jahrhunderts seien (S. 20). Abgesehen von Osann, der
seinen Pflegling gegen solche Angriffe zu vertheidigen suchte
(freilich mit den stumpfsten Waffen), haben wohl alle stimmbe-
rechtigten Gelehrten dem verdammenden Urtheile Madvig's bei-
gepflichtet; und es ist vermuthlich eher Fahrlüssigkeit, als be-
wußte Opposition, wenn auch noch später in Fragmentsamm-
lungen und neuerdings in mythologischen ‘Untersuchungen’ der
falsche Apuleius als Zeuge auftritt. Doch läßt es sich nicht
leugnen, daß Madvig das Problem mit einer gewissen Einsei-
tigkeit behandelt und noch nicht zu einer definitiven Lósung
geführt hat. In der That kann man den terminus post quem
genauer festlegen durch den Nachweis benutzter Druck-
werke, und auch über die Persónlichkeit des Verfassers
lassen sich einige Anhaltspunkte gewinnen. Móge der Leser
sich die Mühe nicht verdrieBen lassen, in die Werkstatt des
Mannes hinabzusteigen und ihn bei der Arbeit zu beobachten:
- Entstehungszeit u. Verfasser v. Ps.-Apuleius de orthographia, 485
nicht leicht kann man die Technik des Fülschens, wie man sie
in der Renaissancezeit zu üben wagte, bequemer kennen lernen.
Ps.-Apuleius liebt es, an die hóchst ürmlichen orthographi-
schen Bemerkungen, welche er nur zum Theil aus den (bei
Osann spüter abgedruckten) grammatischen Schriften des ‘Apu-
leius minor’ (de nota aspirationis und de diphthongis) entlehnt hat,
allerlei sachliche Bemerkungen und Exkurse anzuschließen, welche
mit seiner eigentlichen Aufgabe absolut nichts zu thun haben.
Ganz dieselbe Eigenthümlichkeit zeigt ein 1471 zum ersten Mal
gedrucktes Werk des Tortellius (ca. 1400 — 1466), welches
gleichfalls den Namen de Orthographia trügt (voll-
stindiger de O. dictionum e Graecis tractarum, bezeichnend für die
Tendenz des Buches) Aber mehr als das: auch in Einzel-
heiten findet sich oft die wunderbarste Uebereinstimmung, wie
folgende Beispiele darthun werden:
Ps.- Apuleius $ 2: Busiris
cum .i. latino, qui apud Iovis
aram hospites mactabat, di-
vinoque iudicio ab Hercule ibidem
mactatus est, auctore Argone $n
quarto Apollonii commentario ...
ez nostris Nasone et Calvo.
$3: Lachesis aspirat .e,
una ez tribus Parcis, quae
necis nostrae habent arbitrium et
vitae, quam ipsa sororesque eius
producunt corripiuntve.
$ 6 p. 5: Allia per du-
plex.l. flumen memorabile ex-
ercitus nostri clada .T. Verax
in suo sive Homerico Ulixe ...
§ 9: Antus Virgilianus
unico .n. notatur.
Tortell. de orthogr. ed. 1501
Fol. 485: Busiris cum unico
8 et .. latino ... qui cum
suis diis hospites imolaret: et
ad eum Hercules divertisset . . .
regem ipsum aris impositum tn-
terfecit . Cuius . . ritue causam
posuit Ovidius etc.
Fol. 100: Lachesis cum .ch.
aspirato scribitur: fuit una ec
parcis, ut vidimus in dictione .
atropos. Fol. 43 sq.: Atropos
. una ez parcis, quae filum
frangit etc.
Fol. 31%: Alia cum unico.l.
idque ostendit Luc. cum
dixit: Quos aliae clades. Est-
que teste Livio ... fluvius...,
Virgi. vero. . . metri causa cum
duplici .l. scripstt.
Fol. 35: Anius cum 4, la-
tino scribitur: rex fuit in Delo:
28 *
436
811: Eumenides in latino
nos Furtas dicimus. :
§ 13 p. 6: Cassandra fi-
lia Priami vatis geminat .s.
§ 14: Proteus filius Oceani
ete., vgl. unten S. 442.
§ 16 p. 7: Pyrrhus scri-
bitur cum hya et duplici
Tr.,ultimum quoque as pirati.
Fuit rex Epiri ... interemptus-
que fuit a Cerere sub mulieris A r-
givae specie ... Trogo, Sal-
lustio et Lucio...
§18: Vulcanus cum duplici
uu. Praecipitatus est a
Iove de coelo ... Homero
imprimo etc.
$ 20: Auctor per .c. ante
t., nomen primigenium(NB.)
communis generis.
§ 21: Antaeus .ae. diphthon-
gum habet etc.
§ 22: Troia modo habet 4.
vocalem, modo consonantem.
O. Crusius,
dicente lb. Aenei.
II etc.
Virgilio
Fol. 80: Eumenides cum
.eu. diphthongo ... per contra-
rium Furiae designantur etc.
Fol. 53: Cassandra cum
.c. exili et duplicato .s. scribitur:
fuit Priami regis filia ete.
Fol. 189%: Proteus cum ..
exili scribitur : fuit teste Hesiodo
... Oceani et Tetyos filius etc.
Fol. 129: Pyrrus cum y.
Graeco et duplicato .r. atque
secundo aspirato scribi--
Fuit Achillis filius . ..
fuitque rex Epiri . . . de
tur.
quo Iustinus ... pertractavit;
deindecum Ar gos oppidum in Pe-
loponneso oppugnaret, lapide ictus
interüt.
Fol. 167:
.c. exile scribitur . .
Vulcanus cum
. a Iove e
caelo fuit praecipitatus
in Lemnum Hoe.vero
(d. i. Homerus vero) dizit etc.
Fol. 450: Auctor cum .au.
diphthongo et .ct, exilibus scri-
bitur . sed quaerit Servius
. + @uctor uirum per se an
sed est
sciendum, quod a se nascitur
(= primigenium bei Ps. Apul).
Fol. 35: Antacus cum .t. ..
et ae diphthongo.
Fol 165*: Troia cum .t.
exi et .3. latino scribitur . ..
Et ut vidimus .o. et .i. apud
de verbo oriatur ...
Entstehungszeit u. Verfasser v. Ps.-Apuleius de orthographia.
23: Aeneas.
$ 25: Catarrhus per .rr. du-
plex et .h.
$ 26: Atha per . th. in
fans VIII annorum cursor admi-
randus, Numa in dogmatum
philosophiae libro tertio ...
§ 28: Eridanus.
§ 29: Ocyroe.
8.32: Menoetius habet in
secunda syllaba .oe. dip h-
thongum. Fuit filius Ac-
toris teste Apollonio.
§ 33:
Graeca.
Phylaeus cum ph.et.y.
$ 36:
§ 37:
§ 40:
§ 42:
M. Fontanus in nympharum sa-
Adytum.
Antiochus.
Hedera.
Au diphthongus.
tyrorumque amoribus libro III.
§ 43: Battus iambicus poeta
Ovidii contubernalis duplici
437
graecos per diphthongum coniun-
guntur quam nos dividentes faci-
mus 4 aonsonantem. Nisi
ea dictio fiat adiectiva; in qua
€. divisa ab .o. remanet vo-
calis.
Fol. 26,.
Fol 53°: Catarrus . . . cum
duplicato .r. scribitur . . . Nam
descendit a verbo xuragéw etc.
Fol 42: Atalanta ...
fuit
42":
scribitur fluvius ..
alia
Fol.
Athax cum .th. aspirato
cursu mobilis etc.
cursu lenis
. de quo Lu.li.i ait. mitis
athas lattas gaudes non ferre
carinas,
Fol. 79.
Fol. 118"*.
Fol 118: Menoetius se-
cunda cum oe diphthongo
et penultima cum .t. exi et .i.
latino scribitur fuit teste Ho-
... Actoris filius et
Patrocli pater etc.
mero
Fol. 128°: Pylaeus prima cum
.Y. graeco, sequens cum .ae.
diphthongo — scribitur non
numquam cum aspiratione Ph y-
laeus a Graecis scribitur.
Fol. 25°.
Fol. 35” sq.
Fol. 85.
Fol. 9° sq.: De diphthongo av.
Fol. 45": Battus cum duplici.t.
exili ... pastor quidam, -ut fingit
498 O. Crusius,
.t. scribitur ... Fu et .. qui Theocritus ... per id pulchre nos
Cyrenem condidit; unde... Bat- admirabilis poeta | annotavit
jiadae dicuntur Herodio etc. ... et ab Ovidio... trans-
formatur. Battus .. teste He-
rodo. lib, hist. III. Cyre-
nem urbem aedificavit.
§ 48; Ichthys. Fol. 96”.
§ 49: Aether. Fol. 26.
§ 50: Hostis. Fol. 95.
§ 55: Tarchetius. Fol. 158.
$ 56: Dahae. Fol. 66.
$ 59: Ac primum elementum Fol. 26”.
in Aeglaea etc.
§ 59: Acragas. Fol. 25.
$ 60: Aeas urbs non est, sed Fol. 25v: Aeas cum ae diph-
fluvius iuxta Apolloniam Epi- thongo acribitur : fluvius est E-
ri, Livius ... piri etc.
861: Aethiops, Aethio- Fol. 23: Aetiops cum. ae.
pus, per.ae. diphthongum diphthongo et. th. aspirato
scribendum ... Lupus Sicu- ... scribitur... apud an-
lus in Menelao tragoedia . .. tiquos Aethiopus.
Aetna mons est Siciliae.
Nun citiert Tortellius wiederholt einen Grammatiker Apu-
leius (auch Apulegius). Osann, der hierauf hinwies (p. XV sq),
meinte zuerst ganz richtig, minoris tantummodo opuscula (d. h.
die Tractate de nota aspirationis und de diphthongis) Tortellio
cognita fuisse, quod grammaticum uno tantum Apulegii nomine
laudet. Er beobachtete dann aber eine Stelle, an der Tortellius
mit den ‘Fragmenten’ übereinstimmt, während sich in den bei-
den Tractaten nichts ähnliches findet (oben zu $ 32, Osann p.
64); daraus schloß er nachträglich, daß Tortellius doch schon unsre
Fragmente benutzt habe. Diese devreous goovrideg waren aber
keine cogwresgar: denn erstens ist es schwer begreiflich, weshalb
Tortellius, der in klangvollen Namen geradezu schwelgt, den
pomphaften lüngeren Namen nirgends genannt haben sollte;
zweitens stimmt der Text des Tortellius, wo er ‘Apuleius’
citiert, im Einzelnen nie zu den ‘Fragmenten’, wohl aber
zu den Abhandlungen des ‘Apuleius minor’:
Entstehungszeit u. Verfasser v. Ps.-Apuleius de orthographia.
Ps. Apul § 24:
Aevum aliquando di-
vidit diphthongum.
Vgl. $ 47: Aevum
ab alwv, .v. littera
hiatus causa inter-
vecta.
Tortell. Fol. 28v Ae-
vum cum ae diph-
thongo scribitur: et
ab aluv teste A-
puleio gramma-
tico Latini tra-
cerunt ipsum vide-
licet .v. interiec-
tantes hiatus causa
439
Apul. ‘min.’ de diphth.
p. 130 Os.: Ante .v.
habetur [ae] in aevum,
quod a Graeco aiwv
Latini traxerunt,
aL în .ae, convertentes,
vw. quoque inter-
vectantes hiatus
caussa.
vitandi.
Ebenso sind in den einleitenden Kapiteln de aspiratione und
de diphthongis die beiden Tractate benutzt, nicht die Fragmente.
Tortellius, der Vorsteher der Vaticana von 1449 bis ca. 1466,
hat also die vaticanischen Handschriften des ‘Apuleius minor’,
excerpiert, den ‘L. Caecilius Minutianus Apuleius’ aber nicht ge-
kannt. —- Wie sind dann aber jene Uebereinstimmungen zu er-
klären? Wer sich die Mühe giebt, die oben zusammengestellten
Belege zu priifen, wird sicher in vielen Fallen (vgl. bes. zu § 9.
11. 16. 18. 20. 22. 26. 43. 61) den Eindruck gewinnen, daß
Tortellius Original-Artikel bietet, Ps.-Apuleius
spärliche, mit Absicht verstümmelte und unkennt-
lich gemachte Excerpte. In manchen Stellen scheint
Ps.-Apuleius sogar durch die Abkiirzungen der uns vorliegenden
Drucke irre gefiihrt oder durch die Reihenfolge der Artikel bei
Tortellius in seinen Phantasien geleitet zu sein. Aus Hoe.uero
(= Homerus vero) wird Homero ($ 18), aus Lu.li.iait ‘m[itis] etc.
(= Lucanus libro primo ait:) Numa în libro III ($ 26), aus teste
Herodo. lib. hist. III (= teste Herodoto libro historiarum tertio)
dicuntur Herodio ($ 43). Bei Tortellius stehen Artikel über die
Läuferin Ata lan t e und den ‘sanft laufenden’ Fluß Athax ne-
beneinander: Ps.-Apuleius macht daraus einen berühmten Läufer
Atha ($ 26). Bei Tortellius zeigen sich die Begriffe Battus-
— admirabilis poeta — Ovidius in einem Gesichtsfelde: Ps.-
Apuleius entdeckt einen Battus iambicus poeta Ovidii contubernalis
(843). Bei Tortellius stehen hinter dem Artikel Aethiops Notizen
über Aetna mons Siciliae: Ps.- Apuleius folgt in unwillkür-
licher ‘Gedankenflucht’ auch dahin und citiert den Dichter Lu-
pus ‘Siculus’ (§ 61), wie er ($ 2) aus dem Scholiasten zu
440
O. Crusius,
Apollonius’ Argonautica auctore Argone (Osann corrigierte Cha-
ronte!) in quarto Apollonii commentario macht. Kein Zweifel:
Ps.-Apuleius hat den Grundstock seines gelehrten Capitals aus ei-
nem gedruckten Exemplar des Tortellius de ortho-
graphia entwendet ').
Noch weiter führt uns folgende Beobachtung. Neben an-
dern hóchst überflüssigen Notizen bringt der falsche Orthograph
an ein paar Stellen Sprichwörter mit weitläufigen Erklä-
rungen und zahlreichen Citaten aus den verschiedensten griechi-
schen und römischen Schriftstellern, Grammatikern, Lexiko-
graphen : dergleichen man in
der ganzen paroemiologischen
Litteratur des Alterthums nicht findet, wohl aber in — den
Chiliaden des Erasmus.
Etliche besonders auffällige Stel-
len mögen hier neben einander gehalten und mit einem kurzen
Commentar begleitet werden.
I. Apul. de orthogr. $ 8 p. 5
Os.:
militer tympanum . ..
Cymbalum hya habet et si-
Vulgatum
- est proverbium in eos qui vana
loquacitate im probe, impor-
une inaniterque loquuntur,
cymbalum Dodoneum, ut
tintinabulum, ut lebes, ut
aes Dodoneum, ut pelvis
aerea, ut tympanum mundi,
ex Aristotele, Menandro,
Xenophonte, Zenodoro, Caeci-
lio, Plinio, Suda et altis,
Lupus Antlus proin cym-
balum appellat
Aemulum.
Uranium
Erasm. chil. I 1, 7: Dodo-
naeum aes || 4Awdwvutov yaà-
id est,
cymbalum aut tintinna-
XELOV : Dodonaeum
bulum. In hominem dici con-
auevit improbae atque im-
portunae loquacitatis.
Zenodotus citat ex Ari-
phoro Menandri. Tradit au-
tem in Dodona duas fuisse sub-
limes columnas, în altera positam
pelvim aeream... Sui-
das diversam adagii interpre-
tationem adfert ex Daemone. Ast
enim oraculum Iovis, quod olim
erat in Dodona, lebetibus
aereis undique cinctum fuisse
Verum Aristoteles hoc
1) Auf die Möglichkeit, daß der falsche Apuleius von Tor-
tellius z. B. im Artikel ‘Menoetius’ abhängig sei, hat schon Madvig
p. 9 hingedeutet, jedoch ohne die Spur weiter zu verfolgen.
Entstehungszeit u. Verfasser v. Ps.-Apuleius de orthographia, 441
commentum ut ficlicium . refellit.
[Chil. IV 10, 822): Piinius
maior ... refert Apionem gram-
maticum a Tyberio Caesare Cy m-
balum mundi consuesse vo-
cart... Plinius autem ob
arrogantiam | mavult illum a p-
pellari tympanum
quod tympana fiunt e pelle as t-
nina |.
Es ist fast beschümend, zu beobachten, wie Mai und Osann
den hier ganz besonders wüsten Unsinn des Ps.-Apuleius mit der
größten Hochachtung behandeln und z. B. aus Suidas einen
antiquum historicum Suidas oder gar einen rómischen Rechtsge-
lehrten resp. Grammatiker Sura machen wollen, manifeste prodente
auctorum ordine (Osann p. 34). Das ganze Citaten - Nest mit-
sammt der Erklärung gehört selbstverständlich dem Erasmus:
denn Zenodotus oder Zenodorus, d. h. Zenobius der Paroemio-
graph (vgl. Anal. ad paroem. p. 8 not), und Suidas der Lexi-
kograph sind in der That seine Hauptquellen, in denen sich das
Sprichwort wirklich mit der von ihm gegebenen Erklärung vor-
findet. Aus den von Erasmus vollstindig übersetzten Stellen
hat der Fülscher ein Paar Stichworte und die Namen der Ge-
wührsmünner losgelóst und zusammengestellt Wenn es schon
danach kaum bestreitbar ist, daß Ps.-Apuleius hier Artikel des
Erasmus geplündert hat, so fassen wir den Betrüger sozusagen
iw avrogwem bei den Worten ut tintinabulum . . . ex Ari-
stotele Menandro, . . Zenodoro, die offenbar aus aut tint.
Zenodotus citat ex Ariphoro Menandri entstanden
sind. Der Komödientitel Ariphoro (d. h. ’Ad6nypogog: Meineke
IV 88) den der Fülscher nicht verstand, ist ersetzt durch den
ähnlichen (bei Erasmus folgenden) Namen des Aristoteles. Den
Namen Caecilius, in welchem man den alten Komiker sah, hat
Ps.-Apuleius de suo hinzugethan in Erinnerung an C. Plinius
Caecilius Secundus, ebenso den Namen Xenophon. Seine
eigenste Schópfung ist Lupus Anilus (vgl. $ 64).
2) Fehlt in den früheren Ausgaben.
442
II. Apul. 14 p. 6: Proteus
filius Oceani, qui Homero et
Virgilio testibus, ut notissi-
mum est, în varias formas ver-
tebatur: unde proverbium est apud
Plutarchum et Democri-
tum, interpretem Aristo-
phanis et Lucianum în
tergiversantos, mutabiles,
inconstantes ac versipelles.
Sed et Horatius eos, qui fa-
cile vertunt sententiam
et deprehendi difficile
possunt, Proteos nominavit. Var-
ro in Punico belle...
Hier ist der Betrug womöglich noch verwegener.
O. Crusius,
Erasm. chil. II 2, 74: Z70w-
Tewg nowıAwWregog: id est Proteo
mutabilior in vafrum et versi-
pellem competit . Lucianus
.. . Jovem momiwiegov adrod
Ilowréws appellat ...
tius în eos, qui facile ver-
tunt sententiam: ‘quo teneam
vultus mutantem Protea nodo”
Item alibi: ‘Effugiet ...
cula Proteus’ Protea vocat ter-
giversantem et quem Graeci
vocant duoywgarov: id est d e-
prehensudifficilem. Por-
ro fabulam Protet notiorem ar-
bitror , quam ut hic sit recen-
senda. Extat apud Homerum
Odysseae quarto et apud Ma-
ronem quarto item Gerrgicon ...
Simili figura diceretur . . . sv-
ustaßoAwıegog Eunovons : id est,
Empusa mutabilior ... Meminit
huius Aristophanes in Ranis
... Interpres adscribit, Em-
pusam specirum quoddam esse ...
Demosthenes att Aeschinis
appellatam fuisse
Hora-
vin-
matrem
Empusam.
Der
Fälscher hat sich darauf beschränkt, einen Artikel des Erasmus
zu excerpieren und durcheinander zu würfeln; daß dabei ganz
verschiedene Dinge unter einen Hut kommen, entsprach wohl
gerade seiner Absicht.
Bei Erasmus werden richtig Aristo-
phanes nebst seinem ‘Interpres’ und Demosthenes für
die Empusa-Legende citiert: Ps.-Apuleius citiert darauf hin den
‘Interpes Aristophanis’ und ‘Democritus’ für den Proteus-Mythus.
Bei Erasmus wird eine griechische Redewendung mit Ueberse-
tzung gegeben: Ps.-Apuleius denkt: Graecum est, non legitur und
Entstehungszeit u. Verfasser v. Ps,-Apuleius de orthographia, 448
begnügt sich mit der versio Latina. Ueberschüssig sind bei
Ps.-Apuleius die Namen Plutarch und Varro. Aber nicht
einmal hier schópft der ärmliche Geselle aus eigener Erinnerung:
denn bei Erasmus wird unmittelbar vorher unter in simpulo Nr.
73 zweimal M. Varro, unmittelbar nachher unter amicus magis
necessarius etc. Nr. 75 zweimal Plutarch citiert! Kein Wun-
per, daß den Herausgebern locos invenire non contigit.
Es wire Zeitvergeudung, Beispiele zu häufen: die beiden
besprochenen Fülle genügen vollauf, um die unglaublich freche
; Arbeitsmethode * des Fälschers zu kennzeichnen und die
Thatsache, daß die Fälschung nach dem Erscheinen
der Chiliaden, d. h nach dem Jahre 1501, ent-
standen ist, über jeden Zweifel zu erheben.
* *
*
Die Chiliaden des Erasmus bieten in ihrem zwanglosen sermo
familiaris mancherlei kulturgeschichtliche und autobiographische
Bemerkungen, welche zwar nicht streng zur Sache gehóren, aber
doch angenehm und niitzlich zu lesen sind. Ein besonderes In-
teresse besitzen die Abschnitte, in denen Frasmus andre Ge-
lehrte seiner Zeit charakterisiert, oft mit boshaftem, aber immer
urbanen Witz; von Auflage zu Auflage hat er derartige Stellen
mit sichtlichem Behagen eingeschoben. Chil. I 1, 2 S 16 ed.
1574 erläutert er die homerische Schilderung des Irus — sed
ventre insignis inerti Assidue bibere atque edere, ast industria
nulla Nullaque vis aderat — mit dem Spruche des Paulus: Qué
non laborat, nec manducet. In den Ausgaben letzter Hand
findet sich unmittelbar darauf folgender Zusatz: Cum [haec] no-
bis adornaretur sexta [iam], ni fallor, Chiliadum editio?), nempe
anno ab orbe redemptio MDXVII, commodum in lucem ext opus
Antiquarum lect. Ludovici Caeli? Rhodigini, de quo
quid in totum sentiam, mon habeo necesse nunc ferre sententiam :
tam etsi [iuvenis ipse, si modo hic ille est Caelius, olim Ferra-
riae în domestico congressu visus est mihi cum eruditionis haud
spernendae, tum spei summae atque] ipse operis gustus (nam d e-
libavi duntaxat) protinus arguit hominem inexplebili legendi
3) Die eingeklammerten Wörter der Baseler Ausgabe von 1528
hat Erasmus spáter getilgt.
444 | - QO, Crusius,
aviditate per omne genus autorum circumvolitantem et retextia
aliorum sertis novas subinde corollas concinnare
gaudentem. Quod autem Georg Vallae Volaterrani meique
nusquam, quod quidem compererim, admiscuerit mentio-
nem, quorum tamen commentartis nonnihil adiu-
tum fuisse probabile est, scio iudicio factum, non livore (!) : etiamsi
hoc ipsum tractans symbolum (yolvixe un Erixadlou), negat se quic-
quam adferre velle, quod in aliorum commentariis rebulliat (sic enim
ille loquitur), cum non pauca adducat, quae in mets
Chiliadibus reperio ...... In der Baseler Ausgabe
von 1528 und den späteren Drucken schließt sich daran fol-
gender Zusatz: Cum haec scriberem, ex eruditorum litteris cognovi,
Rhodiginum obisse supremum vitae diem (ca. 1525), non sine gravi
dolore studiosorum et iactura studiorum. Narrant enim . . . futsse
virum integritatis Christianae nullo studiorum labore fatigubilem ...
Itaque tot virtutibus facile condono, si minus candide de
nobis sensit. Plus enim apud me valet publica studiorum uti-
litas, quam mei nominis ratio 4).
Erasmus macht hiermit dem Rhodiginus den schweren Vor-
wurf, daß er ‘geschmaust habe ohne zu arbeiten’, d. h. daß er
Werke des Georgius Valla, Erasmus u. A. ausgebeutet habe,
ohne seine Quelle zu nennen. Von Schriften des Georgius Valla
kommt hier besonders in Frage der Anhang zur Ortho-
graphiedes Tortellius Fol. 168 ff. der Ausgabe von
1501. Denn Caelius hat einen Druck der Orthogra-
phica von Tortellius-Valla bei der Zusammenstel-
lung der lectiones antiquae sicher in seinem Handapparate ge-
habt; das wird bezeugt durch die Gesammtanlage des lexikalisch-
antiquarischen Werkes, wie durch zahllose Einzelheiten; und
wider Willen verräth es schließlich der Verf. selbst, wenn er
den Tortellius in der schnödesten Weise angreift (lect. antiqu.
XXVIII 24 male feriati homines Tortellii deliramenta sunt
insequuti) — man kennt ja diese Gepflogenheit der gelehrten Char-
latane aus alter und neuer Zeit, ihre Hauptquelle nach Kriften
4) Auch sonst geht Erasmus dem Rhodiginus scharf zu Leibe, vgl.
Chil. II 1, 45: doch hat er die Antiquae lectiones offenbar nur flüchtig
benutzt: was er in der oben angeführten Stelle ja selbst gesteht. [Ue-
ber das Verhältniß des Erasmus zu Caelius bietet möglicherweise das
vielgerühmte Buch von Ed. de Nolhac Erasme en Italie weitere Auf-
schlüsse; doch konnte ich es noch nicht benutzen.]
Entstehungszeit u. Verfasser v. Ps.-Apuleius de orthographia. 445
schlecht zu machen und dadurch ihre Abhingigkeit zu verdecken.
Aehnlich steht es bei Erasmus. Eine Priifung des oben an-
geführten Artikel sowie der übrigen paroemiographischen Partien
in den lectiones antiquae (auszugsweise zusammengestellt in der
Baseler Ausgabe der Chiliades von 1574 Vol. II 8. 568 sqq.)
wird den Leser überzeugen, daß Erasmus eher zu wenig be-
hauptet hat, als zuviel. Hier, einem lebenden, streitbaren Ge-
lehrten gegenüber, beschrünkte sich Caelius als Schriftsteller zu-
nächst darauf, seine Quelle nicht zu nennen. Doch scheint
er schließlich frech genug gewesen zu sein, den Spieß geradezu
umzukehren; wenigstens berichtet Morhof im Polyhistor I 1, 26
p. 367 sq.: Liticulam illi (dem Erasmus) aliquando movit Caelius
Rhodiginus, quasi surripuerit aliqua sibi circa ada-
gia meditata (Erasmus!) ; sed non habet quo se iactet Rho-
diginus, quod guttula una vel altera hunc fontem auxerit: paucula
enim sunt, quae în opere ipsius antiquarum lectionum habentur de
quibusdam adagiis?). Jetzt erinnere sich der Leser nur noch an
die schon von Mai nachgewiesene Thatsache, daß der falsche
L. Caecilius Minutianus Apuleius zuerst ge-
nannt und ‘benutzt! wird — gerade in den antiquae
lectiones des Caelius Rhodiginus: dann wird er über
. die Nutzanwendung unserer Beobachtungen keinen Augenblick
im Zweifel sein. Die Verfasser der lectiones antiquae und der
fragmenta de orthographia gehören beide in dieselbe Zeit; be-
nutzen beide dieselben ‘Quellen’, besonders Tortellius und Eras-
mus; machen beide paroemiographische Exkurse an der ver-
kehrten Stelle; sind beide gleich unehrlich — kurz, sie sind
dieselbe Person, Niemand anders als Ludovicus Caelius
Rhodiginus.
Eine Gegenprobe zu dieser Rechnung kann der Leser
ausführen, wenn er einmal in den Antiquae lectiones blüttern
und dann ein paar Artikel des Ps.-Apuleius lesen will. Er wird
dann nicht nur bei beiden einen Hauch desselben dumpfen und
schwindelhaften Geistes verspüren, sondern auch durch die
eigenthümlichsten sachlichen, besonders mythologischen Paral-
lelen überrascht werden. Vgl. Ps.-Apul. $ 4 (Rhoeo und Anius)
und lect. antiqu. VII 15 extr. p.351 (ed. 1666); $ 19 (Phaon) —
5) Wo und wann Caelius das behauptet hat, ob in Schriften oder
nur im Verkehr, habe ich nicht feststellen kônnen.
446 O. Crusius,
IX 24 p. 489; § 21 (Antaeus) — XX 28 p. 1186 (wo auch
Caecilius Minut. Ap. citiert wird); $ 28 (Eridanus) — XXIV p.
1343 (Caec. Min. Ap. citiert); § 35 (Ceraphia) — XXVIII 6 p.
1552; $43 (Battus) — XIII 1 p. 658; $ 51 (Azania) — XVII
21 p. 934; § 53 (Rhoecus) — XVI 3 p. 836; § 56 (Dahae) —
XVIII 24 p. 1012; § 64 (Pasiphae) — V 7 p. 245 sq. Ps.-
Apuleius arbeitete eben mit denselben Excerpten - Sammlungen,
wie Caelius Rhodiginus.
* *
*
Auf das Resultat, welches uns die Prüfung der Apuleius-
fragmente in ihrem Verhältniß zu Erasmus, Tortellius-Valla und
Caelius an die Hand gegeben hat, kommen wir auch auf einem
andern, mehr historischen Wege. Die 'Fragmente' zeigen, wie
oben erwühnt ist, wiederholt starke Uebereinstimmungen mit den
unter dem Namen ‘Apuleius’ überlieferten Tractaten de nota aspi-
rationis und de diphthongis: man vergleiche die Notizen über
saeculum p. 9 und 143. 146 Osann, über Aedera p.10 und 129,
aes p. 11 u. 129, aeternus 11 u. 130, über halo hostis hostio und
die nota aspirationis p. 11 u. 198 sq. Die von Osann benutzten
Handschriften des Tractates stammen aus der zweiten Hälfte des
15. Jahrhunderts; älter sind die Vaticani, aus welchen Mai (p.
XXXIV Os.) folgende subscriptio notiret: Apuleii fragmentum de
diphthongis, quod în vetustissimo codice repertum est, finit fe-
liciter per Nicolaum Peroctum, quum Ferrartae apud
magnificum et generosissimum virum. D. Gulielmum. GR. esset, duo-
devicesimumgne aetatis suae annum ageret (also im Jahre 1448).
Danach sind die echten orthographischen Tractate um die Mitte
des 15. Jahrhunderts in Ferrara aufgetaucht und dort später
jedesfalls zugänglich und wohl auch in Abschriften verbreitet
gewesen; und nach Ferrara gehórt auch Caelius Rho-
diginus, welcher dort seit ca. 1460 als Student, von 1508—
1512 als Professor lebte und wirkte 5. Und nun können wir
auch den SchluBstein der ganzen Beweisführung einsetzen. Bei
Lilius Gyraldus ‘Dial. de poet. histor. IV p. 226 (nachgewiesen
schon von Osann p. XXIV not.) sagt Piso zu Lilius: Attende,
quaeso, Lili, quae ex communi amico his diebus audivi, is enim se
domi habere affirmabat quaepiam Caecilii Mi.
6) Die Monographie von Gaetano Oliva (C. Rhodigimus, saggio
biografico, Rovigo 1868) habe ich leider nicht benutzen kónnen.
Entstehungszeit u. Verfasser v. Ps.-Apuleius de orthographia. 447
nutiani Apulett fragmenta, in quibus de Ovidio poeta
haec fere inerant perscripta, eum scilicet calendis Ianuarii . ..
hominem esse desiisse . . . . Lilius antwortet: Istiusce, Piso,
ret fides esse penes auctorem adhuc mihi incognitum et
amicum tuum — man sieht, der Zweifel an der Echtheit der
‘Apuleiusfragmente’ ist so alt wie ihre Existenz. — Der jüngere
Ferrarese Lilius Gyraldus (1479 —1552) hat in Ferrara studiert
und gelehrt, wie Caelius Rhodiginus ; deshalb hat schon Osann
vermuthet, amicum hunc Pisonis et Gyraldi communem — Caelium
fuisse. Danach kónnen wir jene Stelle des Dialogus auf Cae-
lius Rhodiginus beziehen. Dieser behauptete also
jüngeren Gelehrten gegenüber, Fragmente des
Caecilius Minutianus Apuleius’ zu besitzen,
scheint jedoch für seine Botschaft nicht überall den rechten
Glauben gefunden zu haben; wir kónnen ihn jetzt mit ziemlicher
GewiBheit beschuldigen, daf er sie unter Benutzung der Schriften
von Erasmus, Tortellius u. A. aus den lüngst bekannten Ferra-
resischen Tractaten de nota aspirationis und de diphthongis zurecht
gestutzt hat. Dem Lilius Gyraldus stand vermuthlich eine Ab-
schrift zu Gebote (Osann p. XXIV sq.): kurze Zeit darauf citiert
Achilles Statius, der in dieselben italienischen Gelehrtenkreise
gehórt, in seinem Catull-Commentar zu c. X: L. Caecilius Minu-
tianus ... in iis fragmentis . quae scripta exstant. apud paucos.
Ein solehes Exemplar hat Statius mit eigner Hand abgeschrie-
ben und dem Filippo Neri vermacht: das ist die einzige erhal-
tene, unvollständige Handschrift des Falsificats, welche A. Mai
in der bibliotheca Vallicelliana aufgefunden und zum Druck ge-
geben hat. — So führen auch diese äußeren Spuren alle auf einen
Punkt zurück: auf Ferrara und Caelius Rhodiginus,
den Verfasser der variae lectiones.
Daß Caelius es bei diesem einen Fülschungsversuche habe
bewenden lassen, ist wenig wahrscheinlich; man sei also auf
der Hut, wo man seinen Spuren begegnet. In einer Ge-
schichte und ‘Technik’ der litterarischen Fülschungen, die ein-
mal geschrieben werden müDte"), wird man seinem Namen wie
7) [Ueber die Fälscherthätigkeit der Neugriechen Konstantin Pa-
laeokappa und Jakob Diassorinos giebt Leopold Cohn interessante
Nachweise in den eben erschienenen ‘philologischen Abhandlungen,
M. Hertz zum 70, Geburtstage gewidmet’ S. 122—149].
448 O. Crusius, Entstehungszeit u. Verfasser u. s. w.
seiner verwegenen und doch nicht ganz ungeschickten ‘Arbeit’,
welche noch in unserer Zeit Unheil anrichten konnte, einen Eh-
renplatz einräumen müssen. e.
Tübingen. O. Crusius.
Vorlagen der Apulejanischen Metamorphosen.
Als Apuleius die Fabel seiner Metamorphosen mit novel-
listischem Arabeskenwerke überreich verzierte, benutzte er nach
seinen eigenen Andeutungen griechische Novellen- und Anek-
dotenbücher, fabulae Milesiae. Da diese Literatur so gut wie
verschollen ist, sind auch kleine Funde und Beobachtungen, unter
den richtigen Gesichtspunkt gebracht, von Werth und Interesse.
Metam. I 13 fiigt sich in die Reiseabenteuer des Lucius un-
gezwungen ein abgeschlossenes Histérchen ein: Diophanes, ein chal-
däischer Weissager, wird bei seinem Schwindelhandwerke auf offe-
ner Straße dadurch entlarvt, daß ihn eine Hiobspost völlig außer
Fassung bringt. Ganz derselbe Hergang mit derselben Scenerie
und der gleichen Tendenz wird erzählt in den ‘Aesopea’ 286 H.;
Variationen dazu sind Fab, 312 und 329 und Babr. 2.— Eine
pikante Ehebruchsgeschichte, charakterisiert durch einen wunder-
lichen Vermittlungsvorschlag des Geschädigten, wird erzählt Met.
IX 26. Nach Anlage und Pointe identisch ist die ‘Novellette
in Versen’ bei Babrius 116, und auch Lucian im Bis accusatus 31
scheint dasselbe Original im Sinne gehabt zu haben, mußte aber
freilich um seiner Allegorie gerecht zu werden dem Schlusse eine
andere Wendung geben. In beiden Fällen haben unsere Fabel-
sammlungen auch die fabellae Milesiae erhalten.
Aehnliche Beobachtungen lassen sich schon bei dem grie-
chischen Aovxıog 7 06vos machen; insbesondere sind die Reise-
abenteuer des in einen Esel verwandelten Lucius vielfach alte
Fabeln und Schwänke, neugefaßt und zu einer wohlgefügten
Kette zusammengeschweißt : etwa wie der Reinhart-Roman aus ur-
sprünglich selbständigen Stücken entstanden ist *). Diese Gleich-
heit der Quellen und der Arbeitsweise könnte für Dilthey’s Hypothese
zu sprechen scheinen, daß der Verf. des Lukios kein andrer sei als
der des ‘Goldnen Esels’. Aber auch sicher echte Schriften des
Lucian (sowie der Roman des Petronius) zeigen eine ähnliche Mo-
saik-Technik : man wird also keine derartigen Folgerungen dar-
aus ableiten dürfen.
*) Vgl. Aovx. 28 (Met. VII 15): Babr. 83 (Futter vom Wärter ver-
zehrt); 4. 31: Babr. 11, Ovid Fast. IV 700 (Brennendes Werg getra-
gen, zur Strafe); 4. 35 sq. (Met. VIII 24 sqq.) = Babr. 127, Phaedr.
IV 1 (Esel bei den Galli); 4 40: Babr. 132, paroemiogr. p. 439 Gott.
und Babr. 125, Petron. 63 p. 46 Bch. (Esel beim Mahle); 4. 45 (Met.
IX 42): Aesop. 190, Paroemiogr. p. 136, Zenob. 1, 70 Mill. (övov nza-
odxvyss). Entferntere Anklänge finden sich 4. 19 an Babr. 7, 111
(Plut. soll. anim. 16, Ael. Nat. an. VII 42), Aesop. 111, 885, und 4.
42 (Met. IX 11) an Babr. 29. 125.
Tübingen. O. Crusius.
XXIV.
Die zehn Eponymen und die Reihenfolge der nach
ihnen benannten Phylen Athens.
Einst waren, wenn wir recht berichtet sind, Götter die
Paten der attischen Phylen; Pollux VIII 109 éni dé ’EgıyFovlov
(ab quai joav) Aids "A9nvats Mocesdwwiadts “Hpacuas. So stolze
Namen paßten dem Klisthenes nicht für die zehn Phylen !),
welche sich als Theile einem Ganzen, dem Staate, einzuordnen
und zu fiigen hatten; die Gôttin Athena mit ihrem durch Pisi-
stratos zu hohem Glanze gelangten Centralfest, den Panathenüen, ©
reprisentierte das Ganze, die Theile wurden getauft nach He-
roen *), die zwar, ähnlich den Heiligen der katholischen Kirche,
1) Klisthenes hat die Heroendekade kreiert und ein dekaphyli-
sches Attika geschaffen, Herod. V 66; eine die zehn Heroen umfas-
sende Bildergruppe, dergleichen sich nach Pausan. I 5, 1 bei dem
Rathhause der Fiinfhundert und der Tholos befand, kann es vor Kli-
sthenes in Athen nicht gegeben haben. Die Heroen selbst allerdings
waren, viele wenigstens, vorklisthenisch; aber so zu einer festen Ge-
sammtheit kombiniert hatte man sie nicht. Pausanias spricht so, als
hätten die Phylen ihre Namen von den schon früher aufgestellten He-
roen erhalten, a. O. avwréow dé ardordvirs siorjxaow yowwy ag’ wv
Anvaiois voerle00v ta dvouata Écyov ai qulai. Ebenso wird die Ver-
ordnung Gegenstände der Berathung vor den Eponymen aufzustellen
da8 jedermann Kenntni8 nehme, auf Solon zurückgeführt bei Dem. 20,
94; auch bei Aeschin. 3, 38 f., vgl. Weidner z. d. St. und Grote
Gesch. Griech. II 96 (Uebers. 1881). Bei Pollux VIII 110 liest man
gar ini de Alxuaœiwvos (Ol. 6, 3) déxa (quai) iyévovto xr.
2) Die Eponymen waren Heroen; Pausan. X 10, 1 dx dè 10
yowwy xalovuérwr ‘KosySets xai Kéxgoy xt. ; Schol. Dem. 24, 8 ta dé
óvouara TO» nouwy - - Havdiov 'Egey9esg xt. Aber man sagte nicht
Pbilologus. N. F. Bd. I, 3, 29
450 A. Mommsen,
ceremoniós geehrt und den Unsterblichen angenähert, auch als
Schiitzer der Phyleten gedacht wurden, denen aber der Gottheit
gegentiber vielmehr die bescheidene Rolle von Schiitzlingen zu-
kam oder zukommen konnte.
Die Reihenfolge nun, in der die Phylen vorkommen, ist
fiir gewisse Zwecke durchs Los bestimmt worden, um eine Zeit
lang, z. Beisp. ein Jahr, zu gelten; fiir andere Zwecke hat eine
dem Lose nicht unterworfene Folge gedient, die wir die solenne
nennen können *). Nach dieser ordneten sich die Phylen so:
I Erechtheis, II Aegeis, III Pandionis, IV Leontis, V Aka-
mantis, VI Oeneis, VII Kekropis, VIII Hippothontis, IX Ae-
antis, X Antiochis.
Man pflegte die Namen der im Kriege gefallenen Mitbiirger,
sowohl der in Attika wohnhaft gewesenen als auch der aus-
wirts angesiedelten (Kleruchen), in Stelen einzugraben und da-
bei die solenne Folge zu beobachten. CIA I p. 200 n. 446
(verm, aus Ol. 88, 4 = 425/4) ist eine Urkunde dieser Art;
die Namen der Stümme sind übergeschrieben, es folgen die Na-
men der gefallenen Stammgenossen *). Links scheinen solche
verzeichnet, die in Attika gewohnt hatten, die rechts werden für
Kleruchen gehalten?) — In eine dem peloponnesischen Kriege
nicht wenig voranliegende Zeit — man vermuthet Ol. 79, 4 /
80, 1 — führt uns CIA I p. 193 n. 433, eine Verlustliste die
freilich nur die Todten der Erechtheis enthält; doch werden ent-
sprechende Listen aus den übrigen Stimmen einst vorhanden
gewesen sein. Ueberhaupt wird das öffentliche Bestattungs-
où indvvuos nowes, sondern bloß of imwvvuos, Paus. I 5, 2 vov dé inw-
viuwr, xalotos yao oviWw opas, ton uév ‘Inno96wv xtd.; vgl. die Orta-
bezeichnung necoder (EunpooSer), nods twv inwvvuwr bei den Rednern,
Sauppe Or. Att. Index p. 44; Singular auf Inschriften CIA II n. 569
oTyoas naga toy énwvuuoy (Pandion), III n. 1051 legeds éxwvvson (Aias,
wie der Herausg. vermuthet).
3) Bôckh (Mondcyklen S. 68) spricht von der ‘festen Ordnung’
im Gegensatze zu der alljährlich ‘erlosten’, nach welcher die Stämme
ihre Verwaltungszeiten antraten. — L. Ro$ Demen S. 10 nennt er-
stere die ‘gewöhnliche Keihenfolge der Stämme’.
4) Erhalten ist etwas mehr als die Halfte. In der Kolumne links
folgen hinter einander die Namen in Stámme VI VII VIII IX X;
rechts stehen VI VIL IX X; VIII (Hyppothontis) fehlt wohl nur darum
weil keine Todten dieses Stammes zu verzeichnen waren.
5) S. Dittenberger Sylloge S. 60, wo CIA I n. 448 verglichen
wird. N. 443 ist eine fragmentierte Todtenliste lemnischer Kleruchen
aus der Zeit des peloponnesischen Krieges; links I II, rechts VIII IX,
Die zehn Eponymen u. die Reihenfolge der Phylen Athens. 451
wesen schon Ol. 79, 4 folg., etwa ein Menschenalter vor dem
peloponnesischen Kriege, so bestanden haben wie es wihrend des
Krieges bestand. — Theilweise, und gerade was die Beriick-
sichtigung der Phylen angeht, haben die Herkómmlichkeiten schon
490 vor Chr, bestanden und sind gelegentlich der ehrenden Ver-
zeichnung derer die bei Marathon gefallen, angewendet worden ;
Pausan. I 32, 3 zugpos dé iv vj zedio (in der marathonischen
Ebene) '"495wva(ov èorlv, ini dé avid Gro, 1% dvopaza twy
arodavoviuv xa gulag Exactov syovoas. Es sind also die
Todten von Marathon phylenweise wie die der jiingeren Zeiten
verzeichnet worden auf Stelen, die sich ohne Zweifel so an einan-
der schlossen, dafì sich die solenne Reihenfolge Erechtheis Ae-
geis u. s. w. darstellte ©). In Betreff des öffentlichen Grabes,
das während der Bliitheperiode Athens in der schônsten Vor-
stadt, dem Keramikos war, stimmt allerdings die Bestattung von
490 nicht mit den späteren Bestattungen überein; die Mara-
thonomachen lagen nicht im Keramikos, sondern an dem Orte
wo sie gestritten und gesiegt hatten. — Aus der den Herbst
431 vor Chr., Ol. 87, 2, angehenden Beschreibung des Thuky-
dides (II 34 èredav dà n éxpogu 7, Adovaxag xvragiocivag
ayovosy auntdi pvang Exaoıng ulav Éveots dì ta OCT NG Exactog
jv và) erhellt, daß die nach Phylen angelegten Verlustlisten
nicht bloße Form waren, sondern auf dem Brauche beruhten
die Ueberreste der Gefallenen phylenweise in Sürgen vereinigt
zu bestatten. Wir dürfen glauben, daß die Leichenwagen nach
der solennen Folge geordnet daherfuhren. — Demselben Her-
kommen werden die epitaphischen Redner Ausdruck gegeben
haben, wenn sie in ihrer Parentation die attischen Stümme der
Reihe nach besprachen. So ist bei [Demosth.] 60, 27—31 zu-
erst von den gefallenen Erechthiden die Rede, dann von den
Aegiden, und so geht der Parentator auch die übrigen Stimme
nach der solennen Folge durch bis zum zehnten und letzten. —
Da das Herkommen die im Kriege Gefallenen dekaphylisch und
6) Man könnte denken, daß die Stelen so geordnet waren, wie
die Phylen bei Marathon in der Schlacht gestanden hatten — wenn
nämlich die Ueberlieferung, die Positionen der Leontis und Antiochis
seien benachbart gewesen, s. unten S. 456 f., auf Wahrheit beruht, so
haben die Phylen bei Marathon nicht in der solennen Folge gestanden.
Aber wo Plutarch von der athenischen Aufstellung spricht (s. unten
S. 457) da beruft er sich auf eine ganz andere Quelle.
29 *
453 | A. Mommsen,
nach der solennen Folge zu bestatten, offenbar ziemlich alt ist
und wohl schon zu Anfang des V. Jahrh. bestand, so werden
wir es auf Klisthenes zurückzuführen haben; wie dieser Staats-
mann die zehn Phylen schuf, (s. oben S. 449, 1), so hat er auch
ihre solenne Folge ") und deren epitaphische Anwendung fest-
gestellt.
Auf lebende Personen desselben Amtes, Standes , Schlages
u. s. w. ließ sich eine Anordnung nach Stämmen anwenden,
sofern in den nach dem einen oder andern Gesichtspunkte Ver-
einigten sämmtliche Stämme vertreten waren oder vertreten sein
konnten. Nennung der einzelnen Personen war nicht überall
nóthig; so hat man bei Steuern die Beträge phylenweise zu-
sammengefaßt und registriert, ohne die Steuerzahler zu nennen.
Nicht wenige Belege geben Beamtenverzeichnisse. Schol.
Aristid. p. 182 ed. Frommel zw» déxa orguinyuv ıwv iv Jano
za Ovouuiu xurx “Avdgotlwvu' Zuwxourns ‘Avayvguoiog (Erech-
theis), ZogoxAns &x Kolwvou (der Demos Kolonos muß zur Zeit
der Unternehmung des Perikles gegen Samos Ol. 84, 4 dem IL.
Stamm angehört haben, Roß Demen S. 10) o mou, Avdo-
xlîns Kuda3nvarevs (Pandionis), Xotwv ZxauBortdns (Leontis),
Tlegıxing Xodagyevs (Akamantis), PAasxwv éx Kequutwv (Aka-
mantis), KuAMorparog “dyagvevg (Oeneis), Zevopwv Melurevs (Ke-
kropis). Die Akamantis ist doppelt vertreten, durch den Ober-
feldherrn Perikles und den diesem Stamm angehörigen Feld-
herrn ®); die drei Feldherren aus VIII IX und X fehlen ?).
Androtion wird einer öffentlichen Urkunde gefolgt sein, welche
7) Auch Böckh hat Klisthenes als den Urheber betrachtet; Monde.
S. 68 bemerkt er, die feste Ordnung der Stämme sei ‘sicherlich sei-
Klisthenes immer dieselbe geblieben‘. — Wenn Classen zu Thuk.
II 34, 1 oi 495voio, 10 notQíp voup youuevos dnuooig Tapas noc
cavto nach Diog. Laert Solon 8, 55 adnotiert, daß der marysos vóuo-
von Solon eingeführt sei, so kann es in Solons Zeit eine dekaphylit
sche Bestattungssitte noch nicht gegeben haben; vgl. oben S. 449, 1.
Diogenes, auf den Classen sich beruft, sagt auch nur, Solon habe die
Belohnungen der Wettspielsieger beschränkt und darauf hingewiesen,
daB man besser thun werde die im Kriege Gefallenen zu ehren.
8) Ebenso ist die Phyle Oeneis, zu welcher Miltiades Heimathsort
Lakiadä gehórte, in jener das Andenken des marathonischen Sieges
verewigenden Gruppe, Pausan X 10, |, zweimal vertreten gewesen,
erstlich durch das Standbild des Oberfeldherrn und dann durch das
des Phyleus, der als Ortsheiliger des zur Oeneis gehórigen Demos
Phyle anzusehn ist.
9) Roß Demen S. 10, 6. Anders Bóckh C, I. Gr. I p. 90 G.
-
Die zehn Eponymen u. die Reihenfolge der Phylen Athens. 453
die Namen der Strategen in der Ordnung darbot die wir beim
Scholiasten finden !?). — Auch der Schatzmeister waren zehn,
aus jedem Stamm einer. Das Kollegium des Jahres Ol. 95, 3
= 398/7 Arch. Euthykles findet sich verzeichnet CIA II 2 p.
9—11 n. 652 f.; der erstgenannte Schatzmeister ist ein Euo-
nymeer, also aus der Erechtheis, der dritte ein Päonier, also aus
der Pandionis u. s. w.; was wir vor uns haben, ist die solenne
Folge. Schon vor Euklid (Ol. 94, 2) ist es so gehalten worden,
wie CIA I p. 69 n. 140 lehrt: vgl. Bóckh St.H. II S. 201.
Da also in den Verzeichnissen der zehn !!) Schatzmeister der
aus der Erechtheis immer den ersten Platz hat, der aus der
Aegeis den zweiten u. s. w., so kónnte man denken, der in der
Formel © deiva xoi ovv&gyovre; Genannte müsse allemal aus der
Erechtheis sein. Aber das trifft nicht zu. Die Bestimmung des
Mitgliedes welches die Ehre haben sollte vor xai ovvagyortec
namhaft gemacht zu werden, scheint vielmehr auf eine spezielle
Losung zurückzugehn, die die zehn Kollegiaten unter sich an-
stellten !?). — CIA II 2 p. 357 n. 948 ist ein Verzeichniß der
10) Sauppe De demis p. 19.
11) CIA I n. 194 und II n. 642 sind nicht alle zehn verzeichnet,
und die Demotika ergeben eine Folge der Stámme, die nicht die so-
lenne ist.
12) Für die Bestellung des Oberschatzmeisters, desjenigen welcher
vor x«i cvvaggovies namhaft gemacht wird, war Bóckh C, I. Gr. I p.
234 geneigt. zwei verschiedene Normen anzuerkennen; vor Euklid
sollte der Oberschatzmeister immer dem zuerst prytanisierenden Stamme
des Jahres, nach Euklid immer dem in der solennen Reihe ersten
Stamme, der Erechtheis also, angehóren. Mit Bóckhs voreuklidischer
Norm stimmt CIA I p. 85 n. 188 (Ol. 92, 3 — 410/9 Arch. Glau-
kippos Kallioroaros Mapaduyvios (Aeantis) xai Evvdgyovies napédocar
xt, da der Aeantis die erste Prytanie des Jahres zugefallen war. Aber
nach CIA I p. 79, n. 179 (Ol. 86, 4 = 433/2 Arch. Apseudes) war
der Oberschatzmeister aus Kerames, lin. 5 [..... ix Keo]auéwy, ei-
nem Demos des akamantischen Stammes, und die erste Prytanie hatte
dieser Stamm nicht, da lin. 10 [imi Ho . . . »]rdos novraveiac nowme
nov[1avevovons] zu wenig Raum für [4xeuavj]jtídoc bietet; vgl. Böckh
SC H. ® II S. 216, Fränkels Note. Ein zweites Gegenbeispiel ist
CIA I p. 146 n. 273 (Ol. 88, 3 = 426/5 Arch. Euthynos) [rade 6]s
tausas napédoo[ ar 4vdoo]xAze «bAvebc (Kekropis) xai Evrdoyovtes. Der
Oberschatzmeister Androkles war aus der Kekropis und diese hatte
die zweite, nicht die erste Prytanie. Die Behauptung mithin, man
habe vor Euklid den Oberschatzmeister aus der zuerst im Jahre pry-
tanisierenden Phyle genommen, ist keineswegs haltbar, wie Böckh
selbst spüter erkannte, St.H. a. O. und S. 511. Es bleibt danach
nur übrig anzunehmen, daß die zehn Mitglieder unter sich um die
Vorstandschaft losten. Dieselbe Annahme dürfte für nacheuklidische
Zeiten zu machen sein. Daß im jahre des Aristokrates Ol. 95, 2 =
454 | À. Mommsen,
Schiedsrichter (dsastntal) von: Ol. 113, 4 = 325/4 Arch. An-
tikles: [dslustqrat of ani ’AvnxÂ[éous agyovrocg] avrédeour o1e-
pavwdtrre[s Uno tov dr ]uov ’EosyInldos Aaunieées Namen u. s.
w. Es sind ihrer 104, die sich auf die naeh solenner Folge
geordneten Phylen vertheilen. — Das Fragment CIGr. I p. 152
n. 118 — CIA II 1 p. 165 n. 336, welches aus der Zeit her-
rührt als die Phylen Demetrias und Antigonis hinzugekommen
waren, bietet [cvu]modedoos. Der erste ist, wie es scheint, aus
der Antigonis, der zweite aus der Demetrias; dann Erechtheis,
Aegeis u. s. w. Aeantis und Antiochis blieben weg, erstere
weil aus ihr der Epistates war, letztere weil sie die Prytanie
hatte. S. Bóckh a. O. — Eine praktische Bedeutung, die die
solenne Folge für die Beamten und ihre Thätigkeit gehabt hätte,
ist nicht nachweisbar.
Anwendung auf lebende Personen desselben Standes und
Schlages ergiebt sich aus den zahlreichen, bis in die späteste
Zeit vorhaltenden Ephebenlisten, aus CIA IT 2 p. 374 n. 960,
wo Kleruchen, aus Roß Demen n. 6 = CIA III 1 p. 462 n.
1276, wo Personen desselben Schlages, die Mitglieder des Amy-
nandridengeschlechtes, verzeichnet werden.
Auch Leistungen, Gaben und Steuern konnten den Ge-
sichtspunkt an die Hand geben, unter welchem eine Vielheit
von betheiligten Personen vereinigt und phylenweise registriert
wurde. Es sind einige Listen erhalten, in denen Töchter vor-
nehmer und wohlhabender Häuser Athens aufgeführt werden,
welche der Stadtgöttin mit einer Handarbeit, bei der Wolle zu
verwenden war, gedient und sie mit einer Phiale beschenkt
haben. Die Zeit der diese Fräuleinlisten angehören, ist eine
9399/8 der Oberschatzmeister aus der dem Herkommen nach ersten
Phyle, der Erechtheis, war, CIA II 2 p. 9 n. 652 [napadstaus ]ros
naga tav no[o]réo[w]y tausòv rà» ini [‘Apsoroxgdiove do]yovroe Zwxoa-
[ov]s 4au[nrjoéws (Erechtheis) xai ovvaglyovtwy], beweist nichts ge-
gen die Anwendung des Loses; das Los konnte, wie jeden Stamm,
so auch den ersten treffen. CIA II 2 p. 3 n. 645 (Ol. 95, 2) [naga-
dsEdusvos naga wy ngorégo]v raus» rv ini Adynros [doyorrog Msi-
dwyos Evwvvuéws (Erechtheis) x]aè £vvagyóvrov ist weniger geeignet
als Beleg, weil Name und Demotikon aut Erginzung beruhn: Bôckh
St. H. * II S. 263 nahm Msidwvos Ævwvyvuéws aus der vollständigen
Schatzmeisterliste CIA II n. 643. In einer solchen hat die Erechtheis
allerdings den herkémmlichen Vorrang, aber die Ordnung der voll-
ständigen listen ist nicht maßgebend für die Formel à deive xai
Guvagygortes.
Die zehn Eponymen u. die Reihenfolge der Phylen Athens. 455
ziemlich späte, c. 100 vor Chr., vgl. U. Köhler Mittheil VIII
S. 64. Aus den Fragmenten erhellt, daß die Anzahl der Ver- -
zeichneten 100 bis 120 war; den übergeschriebenen Bezeich-
nungen der Stämme folgen die Namen z. B. 'Egey9eidog elf
Namen, 4iysidog sieben Namen. Vgl. CIA II n. 477 und
956 f. 957°, — In CIA ILL p. 79 n. 172 (verm. um Ol. 110
folg.) sind Beisteuern registriert für Ausrüstung derjenigen, wel-
che in der Eutaxie, die mit der panathenäischen Euandrie, CIA
II 2 p. 382 n. 965, identisch !?) oder doch verwandt gewesen
sein mul, zu wetteifern gedachten. Nach jedem der in solenner
Weise geordneten Phylennamen zwei Personennamen nebst den
gezahlten Betrügen, — Auch CIA II 2 p. 210—212 n. 803,
wo es sich um Leistungen fürs Seewesen handelt, findet sich die
solenne Folge beobachtet.
In der eleusinischen Urkunde Ephemeris 1888 S. 123 (OL
113, 1 = 2328/7 Arch. Euthykritos) heißt es lin. 50 folg. zz
énaggis (d. i. anagyis) roiv Fsoîv tov olrou xepadaca ıng puAñs
&xaorng' "Egey9nldog xgs(Pwv) 444MMM, [zx]vo[Àv . . . .] quee-
xteiu, duo yolwxes Aîyntdos xo Far) xrà., und so werden weiter
in der bekannten Ordnung die den eleusinischen Gottheiten ge-
biihrenden Getreidesteuern (vgl. Bulletin IV p. 326 folg.) phy-
lenweise registriert, ohne die Namen der einzelnen Steuerzahler
zu nennen; s. oben S. 452.
Hier dürfte endlich noch der besondere Fall anzuschliefen
sein, wenn eine und dieselbe Person von jeder Phyle bildlich
aufgestellt wurde; CIA III 1 p. 101 n. 466:—469 (Hadrian),
p. 140 n. 669—672 (Herodes) Die im Theater stehenden Ha-
driansbilder waren so geordnet, daß sich die solenne Reihen-
folge der Phylen ergab; W. Vischer N. Schweiz. Mus. III (1863)
S. 64. Was anderswo durch schriftliche Verzeichnung, das ward
hier durch Placierung bewirkt.
Aus dem Gesagten geht hervor, daß die solenne Reihen-
folge der attischen Stümme frühzeitig, verm. schon 509 vor Chr.,
13) Man kann wohl im Ausdrucke geschwankt haben. — Die
Phylen sind durch je zwei Beisteuern vertreten, verm. darum, weil es
auf zwei Wettkimpfe abgesehn war, deren Spezialnamen zur Zeit von
n. 172. Euandrie und Euoplie, vgl. CIA II 1 p. 219 n. 444, gewesen
sein mógen. Es gab zwei Preise in der Eutaxie; so viele gab es auch
in der Euandrie nach n. 965, die Euandrie zerfiel also nach n. 965 in
zwei Spezies, deren damalige Namen wir nicht kennen.
456 A. Mommsen,
entstanden und seither in fortwährendem Gebrauche geblieben
ist bis in die spätesten Zeiten; festgestellt von Klisthenes, galt
sie noch in den Tagen der rémischen Kaiser.
Bei dem häufigen uud vielseitigen, dabei langdauernden Ge-
brauch der solennen Folge, den die Inschriften bekunden, sollte
man dieselbe auch bei den A-utoren erwarten. Diese Erwar-
tung täuscht denn auch nicht vóllig: der Verfasser des Epita-
phios, (s. oben S. 451) hat sich ihr angeschlossen. Aber im allge-
meinen gehen die überlieferten Verzeichnisse der Eponymen oder,
was auf dasselbe hinauskommt, der nach den Eponymen be-
nannten Phylen von der solennen Folge ab aus Griinden die
sich nicht immer erkennen lassen !4). Pausanias I 5, 2—5 nennt
dreizehn Eponymen, den zehn alten drei von den jiingeren zu-
fiigend. An die solenne Folge hat er sich nicht gebunden; der
Grund liegt in gewissen Gesichtspunkten, die er nebenher nimmt;
sein Verzeichnif ist zugleich Studie 15). Anders Pollux, der VIII
110 die Namen der Phylen einfach registriert: “EgeyPnlg Ke-
xgoníg Alynts Tlavdtovls *Axauavtls ’Avuoyls Asovile Olvntg "In-
zoJuvtíg Alavıls. Die Anordnung geht stark ab von derje-
nigen die Klisthenes vorgeschrieben, stimmt aber mit dem was
man von der Aufstellung des athenischen Heeres bei Marathon
wußte oder zu wissen glaubte. Nach Plutarch Aristid. 5 dv» dé
7j payn puhota Tüv "dOmnva(u» tov uécov novyouvtog — —
xarà mv Aeovtida xoi "dvnoy(da gednv jywrloavio Aauredg
14) Bei dem Scho]. Dem. 24, 8 findet man die Eponymen folgen-
dermaßen verzeichnet: Mavdiw» 'EoeyO9esc Kéxgoy Alysóc Olvevs Aéwy
Altas ‘Axduas ‘Avtioyos "Inno96ov. Nach welchem Gesichtspunkte die
Namen angeordnet sind, ist unklar. Man kann vielleicht sagen, die
in der attischen Sage besonders gefeierten Helden seien dem Urheber
des Verzeichnisses zuerst eingefallen, womit denn nicht viel gesagt
. und erklürt ist.
15) Von den zehn alten Eponymen scheidet Pausanias Hippothon
Antiochos und Aias aus, weil er die drei für Auslünder hült; zu den
übrigen sieben nämlich geht er über mit den Worten: ix dé 4-
vaiwy Ass. Danach spricht er von Erechtheus, dem er (und dies
nach der solennen Folge) den Aegeus anreiht. Nachdem er hierauf
Oeneus und Akamas genannt hat, schlie8t er die Musterung der zehn
alten Eponymen mit Kekrops und Pandion, weil die lingere Betrach-
tung historisch-kritischen Inhalts, die er an diese beiden zu knüpfen
nöthig findet, am Schlusse weniger stört. Nach den zehn alten Epo-
nymen nennt er als jiingere von welchen man in Athen Phylennamen
entnommen habe, Attalos und Ptolemäos, endlich seinen Zeitgenossen,
den römischen Kaiser Hadrian. Von Antigonos und dessen Sohn De-
metrios, die eine Zeit lang attische Eponymen waren, verlautet bei
Pausanias a. O. nichts; vgl. inde8 X 10, 2.
Die zehn Eponymen u. die Reihenfolge der Phylen Athens. 457
teraywévos mag’ GÀÀjAovg 0 te Osusoroxlng xai 6 “Aooretdns
0 piv yoo Asovrldog nv, 6 d' °Avrioytdos haben die Leontis
und die Antiochis neben einander und zwar, wohin der Zusam-
menhang fiihrt, im Centrum neben einander gestanden. Damit
stimmt, daß Pollux die beiden Phylen zusammenordnet und daß
die zusammengeordneten in der mittleren Partie seines Registers
vorkommen ; nur wird die Antiochis zuerst, hernach die Leontis
genannt, was Plutarch umkehrt. Ferner ist heranzuziehn Plut.
Quaest. Symp. I 10, 3 l'Àavxfag dì 0 dirwp xoi 10 deEsov x£gag
Alavılduss ris dy. Muga9ave nugatakews anodoFnva rato Al-
oyuAov sic mv uedoglav !9) eyes Èrmorovro, Qrwropérov thy
waynv exelynv Émpuvwc. Aeschylos hatte also gesagt, der rechte:
Flügel sei der Phyle Aeantis !") anvertraut worden. Der rechte
Flügel war eine vornehmere Position als der linke und das Cen-
trum, so daß. wenn die Plätze dem Range nach gezählt wurden,
der Platz der Aeantis als erster oder als einer der ersten zu
zühlen war. Wenn Pollux die Aeantis als zehnte und letzte re-
gistriert, so muf er vom andern Ende zu zählen angefangen
haben, wie er ja auch “Avtsoyls Asorils giebt, während bei Plut.
Aristid. 5 xarà ijv Aeovrtda xai "dvnoy(d« qvÀqv. angetroffen
wird. Daß die letzten Phylen des pollucischen Registers und
zwar die drei letzten dem rechten Flügel der marathonischen
Acies entsprechen sollten, läßt sich auch von anderer Seite wahr-
scheinlich machen. Die Oeneis ist Miltiades’ Phyle (s. oben S.
452, 8), und gewiß würde er sich auf eine Anordnung der Phylen
wie sie gezühlt wurden (Herod. VI 111) niemals eingelassen
haben, wenn diese Anordnung verhindert hätte daß einer der
Ehrenplätze, d. h. ein Platz auf dem rechten Flügel, ihm und
16) Me9opíar wird für verdorben gehalten; allerdings ist ‘auf
das Grenzland' kein passender Titel, man erwartet den Ortsnamen
‘Marathon’.
17) So ist Alevridass unstreitig von denen, die Plutarch als spre-
chend einführt, von Plutarch also, verstanden worden. Um den Po-
lemarchen Kallimachos zu verstehn, müßte Alarıidass für einen rheto-
rischen Plural gehalten werden, so wie sich die Hauser der Gold-
schmiede Dem. 21, 62 auf ein Haus und einen Goldschmied namens
Pammenes a. O. § 21 reduzieren. Aber nichts hindert den Kallimachos
mit zu verstehn und das kann auch wohl die Meinung des Aeschylos
gewesen sein. Die Sprecher bei Plutarch haben Alavsidas bloß von
der Phyle verstanden, da auf Kallimachos hernach noch besonders
hingewiesen wird: és dé xai Kalliuuyov anedsixvus (Thavxias) tov no-
AéuaQyor iE Exeivns Ovra mo quic xil.
458 — A. Mommsen,
seiner Oeneis zufiel. Kynegiros und Aeschylos, Euphorions Sóhne
aus Eleusis, waren Hippothontiden; Aeschylos kümpfte ruhmvoll,
éxsparvws, Plut. Q. Symp., s. vorhin; sein Bruder starb den
Heldentod, Herod. V 114. Sehr passend also werden wir die
Sóhne des Euphorion auf dem siegreichen rechten Flügel den-
ken, der im Verlaufe der Schlacht, vereint mit dem linken, die
geschlagenen Phylen des Centrums heraushauen mußte. Gehören
also die letzten Phylen des pollucischen Registers dem rechten
Flügel, so folgt daf die ersten für den linken Flügel in An-
spruch zu nehmen sind. Unter der Voraussetzung daB man die
Flügel gleich bemessen hat, müssen die Erechtheis und die Ke-
kropis zum linken gezogen werden; mit den tausend Platäern
stellten sie eine dem rechten Flügel gleiche Truppenmacht dar.
Für das Centrum bleiben dann Aegeis Pandionis Akamantis
Antiochis Leontis. Von den zehn Phylen haben also fünf im
Centrum und ebenso viele auf den Flügeln, zwei auf dem lin-
ken, drei auf dem rechten !*), gestanden !?).
Eine Art von Eponymenverzeichniß findet sich endlich noch
bei Pausan. X 10, 1. Die Athener haben eine Zehntgabe von
der marathonischen Beute (amò dexurns tov Muoudwilov ëgyov
Pausan.) nach Delphi gestiftet, bestehend in dreizehn Statuen,
Werken des Phidias. Zuerst nennt Pausanias zwei Gtter,
18) To delsov xéoas voig Alavtidass anododivar klingt so, als
würe alles auf die Aeantis angekommen, als hütte der rechte Flügel
blo$ aus Aeantiden bestanden. That er das, so hatte die Aeantis ihre
Position an der äußersten Spitze der Acies. Aber der rechte Flügel
ist ohne Zweifel mehrere Phylen stark gewesen. Aeschylos hat auch
nicht eine Position am ‘äußersten rechten Flügel’ (Bóckh Mondo.
S.68) von anderen dem Centrum näheren Flügelpositionen unterschei-
den und als die wichtigste und am meisten exponierte betonen wol-
len, sondern er hat bei Aiavtidase a&nodo9zves auch (s. S. 457, 17)
an Kallimachos gedacht; dem war: in der That der ganze rechte
Flügel anvertraut. Es genügt die Aeantis überhaupt nur auf dem
rechten Flügel zu denken, also mit Duncker VII S. 132 zu sagen ‘die
Aeantis hatte diesen Flügel.
19) M. Duncker VII S. 131 nimmt an, daß die platäisch-attische
Armee aus 10,500 Mann bestand; jedem Flügel giebt er 3000, Im
Centrum (4500 M.) scheint er die Phylen kleiner anzunehmen als auf
den Flügeln, worüber sich wohl mit ihm rechten ließe. Was aber
die dem Centrum und jedem der Flügel zugewiesene Anzahl von
Phylen angeht, so hat er offenbar auf dem rechten Flügel drei, zwei
auf dem linken, fünf im Centrum angenommen. Er ist also durch
Herod. VI 111 ro dé xépac éxatepor Iogwto niÿ9 und durch allge-
meine Wahrscheinlichkeiten zu eben dem Ergebni8 gelangt, welches
auf anderm Wege von mir erreicht worden ist.
Die zehn Eponymen u. die Reihenfolge der Phylen Athens. 459
Athena und Apollon, und den Feldherrn Miltiades; dann lüBt
er ‘von den sogenannten Heroen’ sieben folgen: Erechtheus Ke-
krops und Pandion, ferner Leos und Antiochos, auch Aegeus
und Akamas, die sieben seien Eponymen attischer Phylen;
schließlich nennt er Kodros Theseus und Phyleus, von diesen
habe man keine Phylennamen entnommen. Da Pausanias hier
— weniger jedoch als I 5 — neben der Verzeichnung auch
noch anderes, eine Scheidung nach Kategorien, berücksichtigt,
so kann der Gedanke entstehn, seine Aufzühlung folge nicht
dem Nacheinander der in Delphi aufgestellten Statuen, die sie-
ben eponymen Heroen, welche er zu einer Kategorie vereinigt,
und die drei nicht eponymen welche er ebenfalls vereinigt, seien
in Delphi nicht so kategorienweise aufgestellt gewesen, sondern
hütten bunte Reihe gemacht. Aber in wesentlichen Stücken
stimmt seine Aufzählung mit Pollux und entspricht der mara-
thonischen Acies, so das jener Gedanke abzulehnen oder sehr
einzuschrünken ist. Die bei Pausanias zuerst genannten Eponymen
Erechtheus Kekrops korrespondieren mit den beiden ersten Phy-
len des Pollux Erechtheis Kekropis; die fünf mittleren Eponymen
und Phylen angehend, kommen Pausanias und Pollux ebenfalls,
freilich nur materiell, überein; die Aufeinanderfolge weicht ab,
doch bietet sich die Verbindung 'fvuoyíg Asovits (Poll) in
Mews te xai ' Avtloyos (Pausan.) dar, allerdings mit Umstellung.
Die drei nichteponymen Heroen der delphischen Gruppe, Kodros
Theseus und Phyleus, entsprechen mithin der Oeneis Hippo-
thontis und Aeantis des Pollux, den drei Phylen die den rechten
Flügel bildeten. Auch ohne diesen SchluB würde es am ange-
messensten sein in Kodros Theseus und Phyleus Reprüsentanten
eines der Flügel und zwar des rechten zu erblicken. An The-
seus, der unter den Marathonomachen der Erde entsteigend ge-
malt war in der Stoa Pökile, muß sich der Sieg geknüpft haben
und sein Erscheinen nicht im Centrum angenommen worden sein,
sondern da wo der Sieg errungen ward, auf den Flügeln; am
wahrscheinlichsten ist der rechte Flügel, auf welchem die Biir-
ger der Theseusstadt ihren Erfolg nicht mit Platüern zu theilen
hatten. Den rechten Flügel also reprüsentiert die Theseusstatue
mit in der Gruppe in Delphi. Phyleus ist Patron eines Demos
der miltiadeischen Phyle Oeneis, s. oben S. 452, 8, und diese
muß auf dem rechten Flügel gestanden haben, s. vorhin. Der
460 A. Mommsen,
delphischen Gruppe nach hat die Oeneis zuäußerst gestanden,
während nach Pollux der Aeantis diese Position zukommt; die
Epigonen scheinen gewußt zu haben welche Phylen im Centrum
gewesen und anfänglich geschlagen worden waren, auch, welche
dem linken und welche dem rechten Flügel angehórt hatten;
dagegen war ihnen der Anschlu8 der einzelnen Phylen inner-
halb der drei Heerestheile nicht mehr vollstindig bekannt. —
Die Frage, was es damit auf sich habe daf man in der delphi-
schen Gruppe drei klisthenische Eponymen ignorierte, und wes-
halb man sie gerade durch Kodros Theseus und Phyleus ersetzte,
liBt sich theilweise beantworten. Es sollten die dreizehn Statuen
ein kleines Bild des athenischen Heeres sein, wie es phylenweise
den Kampf bei Marathon gekümpft hatte und die Phylen welche
sich besonders horvorgethan, sollten in besonderer Weise ausge-
zeichnet werden. Dies machte man so, daß man die drei kli-
sthenischen Stammheroen Hippothon, Aias und Oeneus beseitigte
und andere beliebtere oder passendere Heroen an ihre Stelle
treten ließ. Man hätte die Auszeichnung auch anders einrichten
können, z. Beisp. so, daß bloß die fünf Eponymen der auf den
Flügeln postierten Stimme aufgestellt wurden und der Rest weg-
blieb. Aber es ward vorgezogen die drei alten Heroen zu be-
seitigen und zu ersetzen; der im Verlauf gesteigerte Stolz der
Epigonen, das Bewußtsein des Sieges über Persien fluthete einem
Strome gleichend hinaus über die alten Ufer. Weshalb nun aber
unter den zum Ersatz herangezogenen auch Phyleus eine Stelle
erhielt, ist unklar. Die Heranziehung von Kodros und Theseus
läßt sich; verstehn; diese echt attischen Patrioten und Helden
eigneten sich. besser als der eleusinische Hippothon und der
salaminische Aias um Athens Ruhmesthat von Ol. 72, 3 zum
Ausdruck zu bringen.
Gezählte Prytanien der Stämme verrathen uns durch das
Abweichen von der solennen Ordnungszahl die Einwirkung des
Loses, z. Beisp. CIA I p. 79 n. 179 (OL 86, 4 = 483/2
Arch. Apseudes) [:si rjg . . . »]r{doç noviavelus mowing, wo
der nach solenner Ordnung erste Stamm, die Erechtheis, des
Raumes wegen (s. oben S. 453, 12) nicht eingesetzt werden kann.
Mit Inschriften nun reichen wir nicht sehr hoch in die Vergan-
genheit hinauf, und von Herodot VI III ws 70sFuforro al œu-
Aut ist für die Prytanien abzusehn, s. hernach; so bleibt es eine
Die zehn Eponymen u. die Reihenfolge der Phylen Athens. 461
offene Frage, ob Klisthenes den Gebrauch des Loses bei der
Prytanienvertheilung gleich mit der Verfassung 509 vor Chr.
eingeführt habe oder ob das Los zu den Neuerungen der Epi-
gonen gehóre und das dekaphylische Attika in den ersten Jahren
der klisthenischen Aera noch nach der solennen Phylenordnung
regiert worden sei. — Um zu bestimmen, in welcher Reihen-
folge die mit Chóren certierenden Stümme, vertreten durch ihre
Choregen, zur Auswahl der Auleten schreiten sollten, hütte man
sich dem für die Prytanien angewendeten Lose und der für das
Jahr festgestellten Folge der Stümme unterordnen kónnen; aber
man that das nicht, es wurde eine neue, speziell behufs der
Auletenauswahl anzustellende Losung beliebt; Dem. 21, 13 à»
n (èxxAnota) 1àv &gyovta Emuxlngobr 6 vOjog roig yogoic 1006
avinias xedever. — — xai xlnoovuévwy nouiog algsiodar 10v av-
Anti &Aeyov ‘und als gelost wurde in der die Auleten betref-
fenden Ekklesie, fiel mir und meiner Phyle das erste Los zu;
ich durfte mir also unter allen den besten Auleten auswählen”.
— Daf auch die zehn Schatzmeister sich dem Lose welches
über die Prytanien entschieden hatte, nicht unterordneten bei
Bestellung des in die Formel 0 deiva xai cvvagyovreg nament-
lich einzusetzenden Kollegiaten, des Oberschatzmeisters, sondern
denselben anderweitig, wahrscheinlich durch eine spezielle Lo-
sung, bestimmten, ist oben S. 453 bemerkt. — Aus diesen Ana-
logien folgt, daf das Los welches den einzelnen Stümmen ihre
Verwaltungszeiten zuwies, sich in seinen Wirkungen nicht auf
andere Gebiete erstreckt hat. Ueberhaupt dürfte von jeder Lo-
sung als Regel gelten, sie sei, wie der Kónig im Schachspiel,
herrschend im nächsten Umkreis, weiter hinaus aber ohnmächtig
gewesen, so daß für neue Fälle neue spezielle Losungen nöthig
wurden.
Wir kommen schließlich zu der Frage, wie über Herod.
VI 111 yeouévou dì 10vrov (indem der Polemarch Kallimachos
Anführer war) èfsdéxorro wg 7949u£ovro al qvAal èyouevar GA-
Andéwv zu urtheilen sei #9). Da bei Marathon die Leontis und
20) Nach Grote II S. 590 hat Herodot den Stamm des Polemar-
chen, die Aeantis, mit gemeint und ist der Sinn, daB die Aufstellung
der Stämme mit dem des Polemarchen begonnen habe, diesem dann
die übrigen gefolgt seien nach einer durch ihre Nummern bestimmten
Reihe. Man hat sogar vorgeschlagen mit Valla (ceterae tribus) ai
alles gvieé zu lesen, s. Stein zu Herod. a.O. Aber 7yoöuas bedeutet
462 . A. Mommsen,
die Antiochis nebeneinander standen, s. oben S. 457, so kann we
n0:3u£ovro nicht auf die solenne Folge bezogen werden; in die-
ser ist Leontis die vierte, Antiochis die zehnte Phyle. Die Ord-
nungszahlen also, von denen Herodot spricht, miissen durchs
Los bestimmte sein. Das vorhin S. 461 Gesagte fiihrt dahin,
daß in der marathonischen Acies nicht Ordnungszahlen befolgt
sein kónnen, die zu anderem Zweck erlost waren, daB mithin
von prytanischen Ordnungszahlen, die, wenn seit Ol. 68, 1 den
Stimmen ihre Verwaltungszeiten (Prytanien) durchs Los zufielen,
auch für die verwaltenden Stümme des Jahres der Schlacht Ol.
72, 3 Arch. Phänippos, erlost sein mußten, abzusehen ist; wie
sollte man sich bei der Heeresordnung Ol. 72, 3 dem über die
Prytanien waltenden Lose untergeordnet haben, da man sich
sonst nicht unterordnete ?') ‘25 josPuéorvro ist also auf sine
‘ich bin Anführer'; der Stamm führt nicht, sondern wird geführt.
Grotes Vermuthung daß da wo der Polemarch stand, auch sein Stamm
gestanden haben werde, ist nur annähernd zuzugeben. Aus Plutarch
Quaest. Symp. I 10, 3 folgt nicht eine Position der Aeantis am äu-
Bersten rechten Flügel, s. oben 8. 458, 18; der Polemarch war An-
führer des rechten Flügels und hatte seinen demselben Flügel ange-
hórenden Stamm in der Nühe; kommandiert wurde der Stamm von
dem aus seinem Mittel ernannten Strategen, von Kallimachos nur so-
fern er das Oberkommando über sämmtliche den rechten Flügel bil-
dende Truppen hatte. 'Hysouévov ist also durchaus nur auf die Per-
son des Kallimachos zu beziehen, und Herodots Meinung war die,
daB sich die zehn Stámme der Athener dem Polemarchen Kallimachos,
der sich am äußersten rechten Flügel befand um diesen und die
ganze Armee ins Treffen zu führen, nach der Folge ihrer Nummern,
eine kompakte Fronte bildend, anschlossen. Auf die Frage ob auch
die Nummernfolge gestattet habe dem Polemarchen seinen Stamm in
die Nähe zu bringen, hat Herodot sich nicht eingelassen ; m. E. hat
sie das gestattet.
21) Bóckh hat angenommen, daß die zehn Stämme ihre Positio-
nen bei Marathon nach der für die Prytanien des Jahres Ol. 72, 8
erlosten Ordnung erhielten, Monde. S. 68 ff. Den ‘schwachen Punkt'
dieser Annahme kannte niemand genauer als ihr Urheber: es sei nicht
bewiesen, daß durch eine und dieselbe Losung die Ordnung der
Stimme für alle Verhültnisse, die in Betracht kommen, bestimmt
wurden; auch gebe es Einwürfe, Dem. 21, 13 u. a. (s. oben S. 10).
Er hielt trotzdem an seiner Ansicht fest, weil er aus Plutarch. Quaest.
Symp. I 10, 3 folgerte, daß die Aeantis den ersten Platz in der Acies,
den äußersten des rechten Flügels, hatte und auch die erstprytani-
sierende Phyle war — eine numerische Uebereinstimmung die nicht
zufüllig schien. Aber so bestimmte Resultate ergeben sich nicht aus
der Stelle. Auch ist es schwer sich des Bedenkens zu entschlagen,
ob nicht das den Auszug des Heeres betreffende Psephisma auf Fiktion
beruhe. Die Hauptsache aber bleibt, daß die von Böckh selbst bei-
gebrachten Analogien uns nöthigen Speziallosungen anzunehmen. —
Der für die Aeantis vermuthete Platz am äußersten rechten Flügel
Die zehn Eponymen u. die Reihenfolge der Phylen Athens. 463
neue Losung zu beziehen ??) Als der Auszug des Heeres aus
Athen sicher war und nahe bevorstand, werden ‘die Strategen
unter einander gelost haben **); Miltiades wurde dabei der
zehnte, Herod. VI 103, d. h. es gehörte ihm der letzte Befehls-
tag in dem zehntügigen Turnus der Strategen und, wenn nach
der speziellen Losung aufgestellt wurde, seinem Stamme (Oeneis)
der zehnte Platz in der Acies. Das lief sich so benutzen, daB
Miltiades mit der Oeneis an das Ende des rechten Flügels
kam *4), Auch sonst muß eine der strategischen Losung ent-
sprechende Heeresaufstellung die Wünsche und Ansprüche be-
friedigt, insonderheit der Aeantis den neunten oder achten Platz
angewiesen haben; die Aeantis war Kallimachos’ Stamm, und
da er als Polemarch Anspruch auf den rechten Flügel batte, so
gedachte man, weil Kallimachos wohl wiinschte seinen Stamm in
der Nühe zu haben, der Aeantis eine Position auf demselben
Flügel zu geben; das ließ sich in Uebereinstimmung mit der
Losung erreichen, wenn diese für die Aeantis eine der Zehn
naheliegende Ziffer 2°) ergeben hatte. Ohne diesen günstigen
Ausfall der Losung würde man sie bei Seite gelassen hahen; es
hing ja ganz von der Willensmeinung der Offiziere ab, wie sie
das Heer aufstellen wollten. — Die marathonische Acies nun
ergiebt sich — besonders nach Anleitung von Pausan. X 10, 1
— folgendermaßen.
würde als eine mögliche und auch recht passende Hypothese stehn
bleiben, zumal da Pollux VIII 110, s. oben S. 456, ibr günstig ist,
wenn nicht die dem Miltiades zugefallene Nummer (6 déxatocs 7 Mur,
Herod. VI 103) in Verbindung mit der delphischen Gruppe, s. oben
S. 459, dahin leitete, daß die Oeneis zuäußerst am rechten Flügel lo-
ciert gewesen ist.
22) E. Curtius gr. Gesch.? II S. 21 spricht von ‘einer durch das
Los bestimmten Ordnung’, die befolgt worden sei. Ich verstehe ibn
so, daB er an eine zu dem besondern Zweck angestellte Losung denkt,
sehe in ihm also einen Meinungsgenossen.
23) M. Duncker Gesch. d. Alterth. VII 130 setzt den Beschluß
aus der Stadt zu ziehn auf den 12. Metag., 5 Tage vor der Schlacht.
Am Schlachttage war die Reihe an Miltiades, also war der Tag der
Schlaeht der zehnte des Turnus der Strategen. Sollten aber die
Strategen ihren Turnus am 8. Metag., als der Auszug noch gar nicht
beschlossen war, festgestellt und begonnen haben?
24) Wie es von den Heerführern abhing, ob sie bei der Aufstel-
lung der Phylen von den Nummern Gebrauch machen wollten, so
wird es auch von ihnen abgehangen baben zu bestimmen, von wel-
cher Seite zu zühlen sei.
25) Eine nicht sehr kühne Voraussetzung, da ein Spielraum von
zwei Plützen ist.
464 A. Mommsen, .
1. 2. | 8. 4. 5. 6. | 7. 8. 9. 10.
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Linker Flügel. Rechter Flügel.
In Herod. VI 111 also liegt kein HinderniB zu behaupten,
daB in den ersten Dezennien des V. Jahrhunderts vor Chr. der
attische Staat noch nach der solennen Folge verwaltet worden
sei und man damals eine erloste Folge der prytanisierenden
Stämme nicht gekannt habe. Aber es giebt doch eine Notiz,
die jener Behauptung hinderlich ist. Ob wir gewissen Zweifeln
die sich gegen die Notiz erheben lassen, Raum zu geben haben,
steht dahin 9). Entscheiden läßt sich nichts.
26) Plut. Quaest. Symp, I 10, 8 iy di rj Plavxig mpocendy», in
saltò Wigioua xa9' $ tds ‘A9nvaiovs (Miknddgc) Bjyays, nic Alartidos
nevravevosons yeagsin. Wenn Plutarch Wahres berichtet, so muß den
Aeantiden im Jabre Ol. 72, 8 die erste oder zweite Prytanie suge-
fallen sein, und zwar durche Los; nach der solennen Belge ist dio
Acantis der vorletzte Stamm, in die vorletzte Prytanie (Mon, und
Thargel.) kann aber der Volkebeschlu8 aus der Stadt nach Marathon
zu ziehn nicht gesetzt werden; die Schlacht fand wahrscheinlich Mitte
Metag. statt und der Beschluß des Auszuges aus der Stadt wird reich-
lich zehn Tage, nicht mehrere Monate vorher sustande gekommen
sein; Böckh hat den Volksbeschluß auf den 4. Metag., die Schlacht
auf den 17. gesetzt. Nach Herodot hat der Polemarch Kallimachos,
der aus Aphidnë, also ein Aeantide war, durch seine hinzukommende
Stimme das Ausrücken der schon bei Marathon stehenden Truppen
veranlaßt. Daraus könnte leicht ein den Aeantiden, dem Stamme
Aeantis, zu verdankendes Ausrücken aus der Stadt mißverstanden oder
erfunden sein; überdem ist der Autor Plutarch, dazu der in I 10 der
Quaestiones Sympos. herrschende Ton etwas tändelnd, um nicht zu
sagen albern. — Nach M. Duncker VII 123 ff, hat Herodot den Her-
gang falsch dargestellt, die Debatte der Strategen fand statt, als das
Heer noch in Athen war, und drehte sich um die Frage, ob man
ausziebn oder die Hauptstadt vertheidigen solle; nachdem die Stra-
tegen sich für den Auszug aus der Stadt erklärt hatten, wurde ihr
Beschluß auch noch an das Volk gebracht und von diesem bestätigt.
Die Zweifel gegen eine Verdoppelung des Aeantidenruhme sind damit
nicht gehoben. Was dann die nachträgliche Genehmigung des Stra-
tegenbeschlusses durch das Volk, also dar Psephisma selbst, angeht,
so wird dadurch der Zeitpunkt, wo der Auszug anfing sicher su sein,
offenbar zu schr verspätet, s. oben S. 463, 23. Wer den Volksbe-
schluß aufrecht halten will, wird ihn dem Strategenbeschlusse voran-
gebn laseon müssen,
Die zehn Eponymen u. die Reihenfolge der Phylen Athens. 465
Wenn wir annehmen, daß die Eponymen aus der Zahl vor-
handener Heroen erkoren wurden — eine Annahme die, wenn
nicht für alle, doch für die meisten gewiß das Wahre trifft —, so
fragt es sich, weshalb gerade Erechtheis Aegeus u. s. w. und
nicht andere ausgewühlt wurden, um den neuen Phylen als na-
mengebende Patrone vorzustehn ". Auch Pollux hat an Wahl
aus vorhandenen Heroen gedacht und die darauf gestellte Frage
zu beantworten gesucht; VIII 110 heißt es bei ihm: déxa (pudaò)
dy£vovro , èx nollwy Ovouutwv éAouévov rà maÀow tov [loOtov,
°Eosy9nts Kexgorls xrÀ. ‘aus den vielen Namen von Heroen die
es in Attika gab, hat der pythische Gott die alten erkoren.'
Man suchte sich, wie es scheint, zu erklüren, weshalb Heroen
jüngeren Andenkens wie Theseus und Kodros verschmüht wur-
den. Die Statuengruppe zu Delphi (s. oben S. 460) enthielt von
den zehn nur sieben, die fehlenden hatte man durch Theseus
Kodros und Phyleus ersetzt; die Statuen rührten her aus Peri-
kles' und Phidias’ Zeit, und den Epigonen des Klisthenes waren
die Heldengestalten eines Theseus oder Kodros im allgemeinen
lieber als die klisthenischen Eponymen, indem sich der Heroen-
kultus seit dem VI. Jahrh. vor Chr. erheblich geündert hatte.
Pollux beantwortet die Frage vom epigonischen Standpunkt, statt
dessen vielmehr der Standpunkt des VI. Jahrh. zu nehmen ist.
Sagen wir also nicht mit Pollux, der pythische Gott habe die
alten Heroen bevorzugt oder Klisthenes habe dem pythischen
Orakel die alten Heroen besonders stark empfohlen. Der Stand-
punkt des klisthenischen Zeitalters und des von Klisthenes be-
einflußten Orakels kann nur der gewesen sein, solche Heroen zu
bevorzugen, die damals besonders angesehn und gefeiert waren 7°)
oder nach des Gesetzgebers Ansicht besonders gefeiert zu wer-
den verdienten. Wir sehen uns also auf die Festfeier gewiesen,
27) Die Frage welche wir zunächst aufwerfen, ist die nach der
Kreierung der Eponymen. An zweiter Stelle wire die solenne Folge
der Kreierten ins Auge zu fassen. Doch wird sich zeigen, daß die
zweite Frage ihre Antwort findet durch das Eingehn auf die erste,
daB also Kreierung und Folge nicht besondere Probleme bilden.
28) Grote II S. 415 (Uebersetz. Berlin 1881) bemerkt, die Namen
der zehn Stámme seien ‘hauptsächlich von den geachteten Heroen der
attischen Legende entnommen’ worden. Das ist verstándig geurtheilt ;
zu den geachteten, den damals, im VI. Jahrh., hochgeschatzten
Heroen hat Theseus sicher nicht gehórt, s. unten S. 467 und auch
Kodros ist wohl erst spüter, im demokratischen Athen, zu solcher Glo-
rie gelangt.
Philologus. N.F. Bd.1,3. 90
466 A. Mommsen,
und zwar wird es sich handeln um die heortologische Bedeutung
welche in Klisthenes’ Zeit fiir die einzelnen Heroen vorauszu-
setzen ist.
Das Festjahr, welches im VI. Jahrh. vor Chr. o. Zw. schon
mit dem Monat Hekatombäon begann, bot dem Klisthenes gleich
zuerst die Panathenüen und den altberühmten Heros Erech-
theus dar, den Spätere gern Erichthonios nennen. Es war
derselbe Stifter der Panathenäen, Marmor Parium Epoche 10;
die Opfer galten zunächst der Göttin Athena, aber auch dem
Erechtheus ??) Wenn die Autoren von dem Eponymos dieses
Namens einen riihrenden Beweis seines Patriotismus oder einen
Waffenerfolg oder beides überliefern °°), so zeigen sie ihn uns
schwerlich in dem Lichte, in welchem Klisthenes ihn sah; ihm
‘war er der mystisch erzeugte und wunderbar gehiitete Pflegling
der Athena, der danach seine góttliche Pflegerin so herrlich zu
ehren wußte.
Im zweiten Monat des attischen Jahres ist es sehr still von
Festen; die Athener hatten da die Pythien und andere große
Panegyrien mit den Nachbaren (uerà zwv yeırovay) zu begehen.
Aber im Monat Boedromion gab es wieder Tage und Zeiten die
den heimischen Gottesdiensten gewidmet waren, auch solche, die
29) Was die Epidaurier darbringen sollen, Herod. V 82 én’ o
ánátovos (ob 'Enidavgso:) Eisos Exdorv 1 A9yvain 16 1ÿ Holıadı lea xal
td Kocydéi, ist, wie man mit Recht angenommen, den Panathenáen be-
stimmt gewesen.
30) Nach [Dem.] 60, 27 hat der Eponymos der Erechthiden, um
das Vaterland zu retten, seine eigenen Töchter (die Hyakinthiden,
vgl. aber Apollodor II 15, 8) geopfert. Der epitaphische Redner
legt den Stammheroen oder ihren Familien hohe Tugenden, besonders
hingebenden Patriotismus bei, um dann sagen zu können, die augen-
blicklich ins Grab zu legenden Todten seien ihrer Stammheroen wür-
dig gewesen und hätten gleiche Denkart bewährt, eine Tendenz die
dem bei [Demosthenes] über die Stammheroen Gesagten eine merk-
liche Einseitigkeit giebt. Klisthenes aber hat die Eponymen und die
Phylenordnung nicht um Todte zu bestatten, sondern für die Leben-
den aufgestellt; nur folgerungsweise und nebenher fand die Ordnung
Anwendung auf Todte. — Der historisierende Pausanias legt I 5, 2
dem Eponymos Erechtheus einen Sieg über die Eleusinier bei, und
Apollodor III 15, 8 erzählt beides, Opferung und Sieg, von dem Kö-
nig Erechtheus. Dieser Erechtheus, der sogen. Il, war aber ein
Mensch wie andere Menschen. Für Klisthenes bestand wohl der Un-
terschied zwischen einem dämonischen und einem menschlichen Erech-
theus noch nicht; waren die Ruhmesthaten, die in unseren Quellen
dem letzteren zugeschrieben sind, bereits im VI. Jahrh. vor Chr. er-
sonnen, so wird man sie dem dämonischen Erechtheus mit zugeschrie-
ben haben.
Die zehn Eponymen u. die Reihenfolge det Phylen Athens. 467
Bezug hatten zu Eponymen. Die Nemesien weisen auf Aegeus,
die groBen Mysterien auf Pandion hin.
Fiir die Griinde welche den Klisthenes bewogen Aegeus
unter die Eponymen aufzunehmen, gewinnen wir durch [Dem.]
60, 28 nichts ?). Pausanias beschränkt sich I 5, 2, wo er ihn
als Eponymos erwähnt, auf Nennung seines Namens; weiterhin
aber berichtet er einiges von dem König Aegeus, was uns auf
die Spur leiten kann; s. hernach. — Unsere Ueberlieferung
kennt zwei öffentliche Todtenfeste, die Nemesien (Genesien, Ne-
kysien) im Boedromion, die mit den Theseen verbundenen Epi-
taphien im Pyanepsion. (Die nema CIA II n. 453^ dürften zu
exklusiv gewesen sein, um als drittes Todtenfest don Nemesien und
Theseen angereiht zu werden) Die Theseen sind erst nach den
Perserkriegen entstanden, als es dem Kimon gelungen war das Grab
des attischen Herakles auf der Insel Skyros zu entdecken (Plut.
Thes. 36 wera dì ta Mndixa Datdwvos àoyovrog [OL 76, 1
476/5] x14.), und der Heimathsboden die nach Athen überge-
fiihrten Reste aufgenommen hatte; fiir das VI. Jahrh. haben
wir also die Theseen zu streichen. Auch die Epitaphien sind
zu streichen; wie es in der späteren Zeit nur Ein ernstlich ge-
feiertes Todtenfest, das theseïsch-epitaphische im Pyanepsion, ge-
geben hat, neben welchem sich die Nemesien wie ein verges-
senes, unscheinbares Ueberbleibsel früherer Zeiten ausnehmen 5),
so hat auch das VI. Jahrh. nur die Nemesien den Todten be-
gangen und noch 490 vor Chr. hat man nicht etwa zwischen
zwei Festen zu wählen gehabt um die Marathonsfeier anzu-
schliefien 39). Nun fanden aber an den Epitaphien des Pya-
nepsion auch Bräuche für Aegeus statt und diese dürften einer
Vorzeit angehören, die von Theseen und Epitaphien noch nichts
31) Bei dem epitaphischen Redner heißt es: oùx nyvdovy Alysidas
Qncéa tov Alyiws nodtov lonyopiav rataomodusvov ti mole: desvòv obv
myodvio ngodoUves tiv èxelvov nooaigsosww. Aegeus ist ohne Zweifel um
seiner selbst willen rezipiert worden, nicht mit Rücksicht auf seinen
Sohn, dessen Heroenansehn in Klisthenes’ Zeit, wenn nicht ganz null,
so doch gering war, wahrend das des Vaters bedeutend und von ei-
genthùmlicher Begriindung gewesen sein wird.
32) Vermuthlich hielten sich die städtisch antiquierten Nemesien
auf dem Lande in den einzelnen Ortschaften, wie es ja auch demoti-
sche Apaturien (CIA II n. 841, 6) gab.
33) Wollte man sie überhaupt anschließen, so bot sich nur der 5.
Boedr. (Nemesien); und diesem Tage hat man sie angeschlossen, denn
ihr Tag ist der 6. Boedr.
30 *
468 “A. Mommsen,
wußte 4). Es werden also die Bräuche für Aegeus einst dem
Nemesienfeste angehért haben, von welchem sie sich im Verlaufe
ablósten und auf das jüngere Fest im Pyanepsion übergingen.
Ebenso scheint es mit dem amazonischen Todtenbrauch gegan-
gen zu sein. Danach ist denn Aegeus ehedem nicht im Pya-
nepsion, sondern im Boedromion und zwar am 5. betrauert
worden. — Auch auf anderem Wege gelangen wir zu einem
Bezuge, der zwischen Aegeus und den Nemesien obwaltete,
so jedoch daB Aegeus Stifter des Festes wird. Pausanias spricht
I 14, 7 über das Heiligthum der Aphrodite Urania; ihr Dienst
stamme aus dem Orient, von den Phónikern sei er nach Ky-
thera gekommen, in Athen habe Aegeus ihn gegriindet, seine
damalige Kinderlosigkeit auf den Groll der nachtragenden Góttin
zurückführend. Nun wird Nemesis, von der einer der Namen
des Festes entnommen ist, mit Urania Nemesis (Sesselinschrift
CIA III 1 p. 84 n. 289 iso&wg Ovoartas Neuscewg) und diese
mit Aphrodite Urania eine und dieselbe sein #5). So hat denn
Aegeus fiir den Stifter der Nemesien des 5. Boedromion zu gel-
ten °°), — Endlich ist noch heranzuziehn, daB die Nemesien-
94) Plut. Thes. 22 énspovsir de dv roig onovdais Èleleù tov loo roùs
nagovtas. Solch lautes Klaggeschrei stimmt besser mit den Gewohn-
heiten alter Zeit als mit der seit Epimenides (Plutarch Solon 12) und
Solon (a. O. 21) gemäßigten und gemilderten Trauersitte der urbanen
Epigonen; von Ol. 76, 1 kann das Eleleu Ju Ju nicht datieren.
85) Vischer schweizer. Mus. III S. 52 spricht von ‘Zusammenhang’
der auf dem Sessel (bei ihm n. 8) genannten Urania Nemesis mit
Aphrodite Nemesis. Damit ist wohl eben gemeint, daß die beiden
Namen dieselbe góttliche Person bezeichnen.
80) Man kann fragen, ob der Stifter beabsichtigt habe die Manen
des in Attika umgekommenen Androgeos, Sohnes des Minos, zu süh-
nen — daß das Todtenfest des 5. Boedr. für Attika und attische Fa-
milien (Teveos« ‘Geschlechterfest’) bestimmt war und Ausländer wie
Androgeos nicht anging, hat seine Richtigkeit, aber Androgeos! Blut
war auf attischen Boden geflossen, seine Asche mischte sich mit attischer
Erde, daher man ihm einen Heroenaltar am phalerischen Hafen ge-
weiht hatte, Paus. I 1, 4; so waren seine Manen gewissermaßen natu-
ralisiert. Veranlaßt wird jene Frage durch den Umstand, daß Minos
auf Paros, wo er sich aufhielt und gerado den Chariten opferte als
die Todesnachricht kam, unfreiwilliger Urheber von Bräuchen wurde,
die den alten d. h. den das Eleleu Ju Ju um Aegeus einschließenden
Nemesien verwandt sind; Apollodor III 15, 7 Mivws dì anayyelSévros
avrò 100 Jardrov, Fiwr lv Ilágo taîs Xdgios, tv uiv Grípavor dno vie
xegaliîjs Eddie xa) tov ablòv xarícys xai rjv Svoiav oddiv Arrov Insri-
Àegev: 096» its xai dsvoo yoois a«vlev xci crepavwv iv Haow Piove
tais Xaosos. Chariten gehören zur Aphrodite und diese Chariten, die
nicht tanzen und jubeln, denen Sang und Klang verstummt. zu der
schwermüthigen Aphrodite in deren delphischem Dienst Grabesspenden
Die zehn Eponymen u. die Reihenfolge der Phylen Athens. 469
feier dem Wohnsitze des Aegeus nahe stattgefuriden haben kann.
Von der Göttin der sie galt, gab es ein vierkantiges Bild bei
dem Aphroditentempel in den Gärten; die Aufschrift besagte,
das Bild stelle Aphrodite Urania als älteste der Mören dar,
Pausan. I 19, 2. Auf diese Aphrodite, die o. Zw. wie andere
im S.W. der Burg belegene Heiligthümer (Thuk. II 15) in
fernster Vergangenheit gestiftet ist, haben wir das ebenfalls in
vorhistorischer Zeit entstandene Nemesienfest zu beziehn, nieht
auf die bei der Königshalle an der westlichen Seite des Marktes
angesiedelte. In der Gegend aber, wo das Delphinion und die
Gärten waren, befand sich die Wohnung des Aegeus°’”).
Auf den Eponymos Pandion ist bei [Dem.] 60, 28 die
Tereussage bezogen. Da Apollodor III 14, 8 dieselbe an Pan-
dion I. knüpft, so ist auch die Ankunft der Mysteriengötter ir
Attika, die er a. O. 7 ebenfalls unter Pandions I. Regierung
setzt, für den Eponymos in Anspruch zu nehmen. Pausahias I
5, 8 erklärt nicht zu wissen, welcher von den beiden Kömgen
des Namens Pandion für den Eponymos zu nehmen sei, Pan-
dion Erichthonios’ Sohn (Pandion I.) oder Pandion Kekrops' II.
Sohn (Pandion IL) Die Tereussage scheint er, wie [Dem.] und
Apollodor, zur Geschichte Pandions I. gezogen zu haben °°). —
flossen (Aphr. Epitymbia, Plut. Q. Rom. 23) und die der Môren
Schwester war; wie es alte Darstellungen der Aphrodite gab, die hey-
menartig und nicht viel mehr waren als Steine, Pausan. I 19, 2, so
kannte auch der Charitendienst Steinidole, a. O. IX 38, 1. Dürfen
wir das dem Aegeus geltende Ceremoniell mit seinem Aufeinander-
latzen von Leid und Freude (Plut. Thes. 22) far die alten Nemesien
in Anspruch nehmen, so ist das attische Fest auch in diesem Zuge
dem parischen verwandt gewesen; Minos schweigt die Flöten die
schon erschallen und thut den ihn schon zum Feste schmückenden
Kranz von sich, áhnlich setzt der theseische Herold die dargebotenen
Kränze nicht aufs Haupt (robs uiv obr orsqévous deyöusvos TO xyQv~
xgsov dvéorepev, Plutarch a. O.). Auch was Apollodor über die Kalen-
derzeit angiebt, läßt sich mit einem am 5. Boedromion dem Androgeos
ausgerichteten Todtenopfer vereinigen; Aegeus, von Trózen heitige-
kehrt, begeht die Panathenäen, an denen Androgeos siegreichen An-
theil nimmt; danach schickt der Kónig den kretischen Gast aus den
Stier zu tódten, der aber ihn tódtet. Auf die panathenäischen Siege
Ende Hekatomb. konnte im Metag. der Kampf mit dem Stier und
Androgeos' Tod fallen, dem dann Anf. Boedr. sich das Todtenopfer
anschlof.
97) Plutarch Thes. 12 a. E.; vgl. Wachsmuth Athen S. 230.
38) Sein Bericht ist nicht klar. 8 8 soùroy Mynovidas xrÀ. geht
unstreitig auf Pandion IL, der eben vorher mit 6 Kéxgonos tov dev-
tégov bezeichnet ist. Der auf diesen bezügliche Passus endet wohl
mit éoyer 8 4, und was folgt: Svyatégas dì où div Gya9gò daiuovi
l9osysv 6 Mavdiwy, ist Anfang des den älteren Pandion angehenden
470 A. Mommsen,
Fiir die Zeiten des Klisthenes diirfte die Verdoppelung des Pan-
dion abzulehnen und der in Megara begrabene Pandion II.
(Paus. a. O.) zu streichen sein.
Unter Pandion also kamen Demeter und Dionysos nach
Attika; jene fand Aufnahme in Eleusis bei Keleos, dieser bei
Ikarios, von dessen Schicksalen Apollodor a. O. weiteren Bericht
giebt. Dem Hymnus (V. 97 und 473 ff.) zufolge ist Keleos, dama-
liger Kónig von Eleusis, unter der Zahl derer welchen Demeter
die heiligen Bräuche lehrt. Was wir also bei Apollodor lesen,
kommt darauf hinaus, daß unter Pandions Regierung die eleu-
sinischen Weihen eingesetzt sind. Seine Verdienste um die Wei-
hen bleiben freilich im stillen; doch ist der Umstand, daß sein
Sohn Lykos für Demetermysterien thütig gewesen ist, bei der
im Mysteriendienst vorherrschenden Tendenz zur Erblichkeit,
vielleicht auch für den Vater °°) mit in Anschlag zu bringen. —
Wir können also sagen, daß Klisthenes, nachdem er mit Rück-
sicht auf die Panathenäen den Erechtheus zum ersten, mit Rück-
sicht auf die Nemesien den Aegeus zum zweiten Eponymos ge-
macht, dann, dem Festjahr folgend, bei den großen Mysterien
angelangt sei und weil die Mysterien unter Kónig Pandion ein-
gesetzt worden, diesem den dritten Platz gegeben habe 4°).
Unabhüngig von dem Gesagten ergiebt sich der Herbst für
die von Pandion untrennbare Tereusfabel Die stumme, der
Fabel nach durch Ausschneidung der Zunge stumm gemachte,
Philomela — ein hóchst wesentlicher Umstand — führt da in Philo-
Passus. Allerdings erwartet man statt des einfachen 6 /Javdiw» einen
unterscheidenden Zusatz, und vielleicht ist ein solcher einst dagewe-
sen, in unserm Text aber ausgefallen. Meursius de regib. Atheniens.
p. 94 hat, dem überlieferten Texte gemäß, alles auf Pandion II. be-
zogen und daher den Pausanias des [rrthums geziehen.
39) Dies unter der (keineswegs sicheren) Voraussetzung, daß was
von Pandion II. überliefert ist (hier, da8 Lykos ein Sohn Pandions II.
war, Apollod. IIT 15, 5), ohne weiteres auf Pandion I. übertragen
werden kann.
40) Man kann einwenden, daß nach anderen Angaben, Demeter
und Dionysos weit friiher, lange vor Pandion, nach Attika gekommen
sind, Demeter unter Kranaos, Dionysos unter Amphiktyon, s. Meurs.
a. O. 14 und 15. und daß Klisthenes doch vielleicht die Ankunft der
Mysteriengôtter unter Kranaos und Amphiktyon angenommen habe.
Allerdings würde das im Text Gesagte stärker sein, wenn simmt-
liche die Gôtterankunft betreffende Angaben auf Pandion lauteten.
Indeß dürften gerade jene Urkónige recht spät ausgesonnen sein.
Auf alle Fälle ist es eine mögliche Annahme, daß Apollodor (und Eu-
sebios, den Meurs. a. O. S. 89 zitiert) uns diejenige Version giebt
welcher im VI. Jahrh. Klisthenes folgte.
Die zehn Eponymen u. die Reihenfolge der Phylen Athens. 471
mela ein Singvogel, Schwalbe (oder Nachtigall), personifiziert ist,
auf die Zeit wo, nachdem das Friihjahr voriibergegangen, Schwal-
ben und Nachtigallen zwar noch im Lande sind, aber sich still
verhalten. Vom Sommer ist fast ganz abzusehn, weil der Wie-
dehopf (Tereus) seine Brut in nérdlicheren Gegenden macht und
nach dem eigentlichen Griechenland (Phokis, Attika) erst im
September zurückkehrt 44). Vom Lenz also, den Pandion und
seine Tôchter allerdings ebenso sehr angehen wie den Herbst,
müssen wir absehn *?) und die Tereusfabel dem September zu-
41) Von der Mühle und Lindermayer, die ihre Erfahrungen im
eigentlichen Griechenland sammelten, geben September an. Ersterer
sagt (Beitr. z. Ornithol. Griech. S. 34), da8 sich der Wiedehopf ‘in
Griechenland in ungemeiner Menge auf dem Herbstzuge im Monat
September, seltener im Frühjahr Anf. März’ finde. Auf dasselbe
kommt Lindermayers Bemerkung hinaus, da$ ‘im Monat September
auch die aus dem Norden Europas herabziehenden in Griechenland
ankommen', denn in dem Zuzug der noch nicht dezimierten Schaaren
des Nordens liegt der Grund, daß die herbstlichen Gäste so zahlreich
sind. Krüper (Jahreszeiten S. 192) hat für den Herbstzug des Wiede-
hopfs August und September — August, verm. weil er nördliche Ge-
genden (Olymp, Macedonien) mit ins Auge faßt; unsere Frage be-
zieht sich aber auf das eigentliche Griechenland, daher denn der Au-
gust bei Seite zu lassen sein dürfte; die schleswig-holsteinschen Wie-
dehöpfe ziehn im August (Rohweder Husumer Programm 1875 S. 8),
aber schon in Oesterreich bleiben sie durchweg bis September, nur
an einzelnen Stationen Böhmens Ungarns und Galiziens ist die zweite
Augusthalfte als Zugzeit notiert (K. Fritsch norm. Zeiten, Wiener Ak.
naturw. Kl. B. XXXIII 1874 S. 200). Die in den mittleren Land-
schaften von Hellas (Daulis in Phokis) heimische Tereusfabel gehört
also dem September an; Schwalbe und Wiedehopf sind dann zusam-
men daselbst anwesend, die Nachtigall aber schon fort (sie zieht im
August, Jahresz. S. 243); daher wird Philomela, auf deren Zusammen-
sein mit Tereus in der Fabel das Hauptgewicht fällt, den meisten
und besten Quellen zufolge, zur Schwalbe. Die Nachtigall (Prokne)
ist mit einiger Willkür zugesetzt; sie ist zugleich mit der Schwalbe
(während des August) im mittleren Hellas anwesend, nicht aber zu-
gleich mit dem Wiedehopf. Ebenso ist der Schluß der Fabel — Phi-
lomela und Prokne vereinigt fliehend, hinter ihnen Tereus, Apollodor
III 14, 8 a. E. — soweit es auf Prokne ankommt, durch natürliche
Vorgänge nicht unterstützt, da die drei Arten nicht gleichzeitig
fortziehn.
42) Im gefiederten Reich, dem die natürlichen Urbilder Proknens
und Philomelens und ihres Verfolgers angehören, sind die Ueber-
gangsjahrzeiten am interessantesten; die Singvögel verkündigen und
verschönern den Lenz, die stillen Vögel des Herbstes imponieren durch
ihre Menge und sind lockender für den Jäger. Während also die
Fabel von Tereus und den Pandionskindern auf den Herbst deutet,
hängt der Name Pandion mit dem Pandienfeste zuzammen, welches
im Elaphebolion, im Lenz also, begangen ward. Daß in Klisthenes
Zeit der Elaphebolion keine großen Dionysien aufzuweisen hatte, ist
wahr, doch brauchen darum die Pandien mit ihrem Tanz um den
472 A. Mom msen,
weisen; die zahlreich — zahlreicher als im März — erschei-
nenden Wiedekópfe sind dann fett und ein beliebtes, viel ver-
folgtes Wildpret. — Der allgemeine Eindruck, den das Er-
gehen der handelnden Personen macht, kann hierin nur bestär-
ken ; Lenz ist die Wonnezeit der Natur, die Flora prangt, im
gefiederten Reich ist alles Gesang und Lust — wie paßt dazu
ein Märchen welches düsterer und trauriger kaum gedacht wer-
den kann? haben die Schicksale der Pandionstöchter, was sehr
wohl möglich, gottesdienstlichen Ausdruck gefunden, so ist an
herbstliche Bräuche zu denken, und zwar an Bräuche des Boe-
dromion 48),
Klisthenes hat also die drei ersten Epony men gewählt
und geordnet nach bezüglichen Festen, von denen ihm der
Boedromion zwei, der Hekatombion eins, der Metageitnion gar keins
lieferte. Wenn er, statt mit Monatslingen zu Werke zu gehn,
sich an Zehntellängen des Jahres hielt, so war seine Methode
ebenmäßiger; es ergab das erste Zehntel die Panathenäen (Erech-
theus) das zweite die Nemesien (Aegeus), das dritte die großen
Mysterien (Pandion); überschlagen wurde keine Linge. Es
scheint also daß Klisthenes das Jahr zehntelweise ins Auge faBte
und jedem Heros ein Jahreszehntel unterstellte, dem ersten
(Erechtheus) das erste, dem zweiten (Aegeus) das zweite **), dem
dritten (Pandion) das dritte.
Zwölfgötteraltar nicht erst im V. Jahrh. von Delphi erborgt zu sein,
so daB sie im klisthenischen Festjahr fehlten. Wie dem Asklepios
zweimal im Jahre (dis tov évsavroù CIA II 1 p. 426 n. 352b), im
Elaph. und Boedr., gedient ward, so hat man auch den Pandion und
die an ihn sich knüpfenden Mythen besonders in den Uebergangs-
jahrszeiten berücksichtigt. Für die Ansetzung des Pandion also und
der Phyle Pandionis hatte Klisthenes die Wahl zwischen der durch
die groBen Mysterien und die Tereusfabel gewiesenen Herbstzeit und
der durch die Pandien gewiesenen Frühlingszeit; wühlte er letztere,
80 bekam die Phyle Pandionis statt des 8. Platzes den sie in der so-
lennen Folge hat, den 8.
43) Aristoteles Histor. anim. VIII 12 p. 230 Bekk. sagt, der Ab-
zug der schwächeren Vôgel erfolge immer zuerst, die Wachtel zum
Beispiel ziehe vor dem Kranich. Für den Abzug der schwücheren
Vögel giebt er Boedromion an, die großen, starken Vögel ziehen nach
ihm im Mämakterion (ré uév yao uerafa Mer rot Bondoausdvos, tà di
100 Matuaxmosavos). — Grenzen des Boedromion im V. Jahrh. vor
Chr.: Aug. 26. bis Oktober 21. julian. Kal. Nach unserm (gregorian.)
Kalender, auf welchen die Angaben der deutschen Ornithologen, s.
vorhin vorhin Note 41, sich beziehn, giebt das ungeführ Aug. 20. bis
44) Als die Stämmezahl größer, die Länge der Prytanien kleiner
Die zehn Eponymen u. die Reihenfolge der Phylen Athens. 473
Die Leontis, Asovits oder Aswvilc, hatte ihren Namen von
Leos, Aswc, Genitiv ew, Dativ Asw ‘5). Die Variante éwy
ist wohl bei Seite zu lassen 49). Pausanias hat von einem Vater
oder einer Mutter des Leos nichts zu berichten und der Vater-
name, den man bei geringeren Autoren findet, diirfte zu igno-
rieren sein 47), Auch von einem Grabe des Leos verlautet nichts.
So werden wir dahin gefiihrt in Leos ebenso sehr einen Begriff,
Aswç ‘Leute, Volk’ 48), als eine Person?) zu erblicken. Ueber
heortologische Anhaltspunkte, die den 4. Eponymos an das 4.
wurde, änderte sich manches, z. Beisp. gehörten die Nemesien mei-
stens der dritten Prytanie an, nur im Schaltjahr (durchweg) der
zweiten. Doch diirfte das Band zwischen den Festen und der solen-
nen Folge auch in den jüngeren Zeiten nicht überall zerschnitten ge-
wesen sein. Die Ptolemüen mógen in dem der solennen Nummer des
ptolemáischen Stammes entsprechenden Monat Mümakterion began-
gen sein.
45) Nominativ und Genitiv sind mehrfach zu belegeu aus Pau-
sanias, Aelian und anderen spüten Autoren. Der Dativ scheint CIA
IV p. 4 n. 2C lin. 4 vorzukommen: tw .few[s Body 16]Aeov. Die
Bewohner des städtischen Demos Skambonid&, der zur Leontis ge-
hörte, haben die Inschrift, ihre demotischen Opfer betreffend, anfer-
tigen lassen; lin. 7 [Z]xeuBovi[doc] und lin. 9 f. 4» aooga]s ty Zx[au-
Bovidw[v].
46) Der Nominativ .4éo» findet sich in dem Eponymenverzeichniß
Schol. Dem. 24, 8. Man könnte dieser Namensform Gewicht bei-
legen wollen, weil sich der Phylenname Leontis besser vou 4éwy als
von 4ews herleiten läßt. Aber 4ews ist weit stärker beglaubigt —
auch abgesehn von CIA IV n 2, wo allerdings viel ergünzt ist. Be-
denke man auch, daß sich von dem nach der attischen 2. Deklina-
tion abgewandelten 4sws ein Femininum auf ss, das sich als Phylen-
name eignete, nicht wohl bilden ließ. Aus Zlaoç ließ sich der Frauen-
name dais machen, aus dews ließ sich nichts derart machen. So
kam denn eine etwas willkiirliche Sprofform zu Tage, für welche
4éíov als Nebenform vorausgesetzt war, wie InnoO9ówv nur ein vari-
ierter ‘709005, der Monat ‘Aersusossy ein ionisch gestalteter ‘Aore-
micros ist.
47) Schol. Dem. 54, 7. Sauppe p. 125 sews yap, 6 Ovpéws, vior
uiv Écye Kölavdov, Ivyarioas dé tosis xrÀ. Vgl. was Benseler unter
Aeus zitiert. In Klisthenes' Zeit wird diese Vaterschaft noch nicht
ausgesonnen sein; daß er eines Thrakers Sohn zum attischen Epony-
mos machte, ist nicht glaublich.
48) Also Leos = Demos. Wie in älterer Zeit Leos Opfer er-
hielt (CIA IV n. 2), so haben die Epigonen ein Priesterthum fir den
Demos die Chariten und die Gôttin Roma (CIA II 1 p. 83 n. 265)
gestiftet ; Vater und Mutter hatten diese idealen Personen oder viel-
mebr personifizierten Ideen nicht, noch weniger Gräber; denn sie
ebten.
49) Benseler a. O. wirft den Herold Leos aus Hagnus (Akaman-
tis), welcher dem Theseus die Anschlige der Pallantiden verrüth,
Plut. Thes. 12, mit dem Eponymos der Leontis zusammen, eine Iden-
tifikation die abzulehnen sein diirfte.
474 A. Mommsen,
Jahreszehntel zu kniipfen geeignet wären, giebt es nur Ver-
muthungen °°).
Akamas’ Name kommt neben Gótternamen auf einer atti-
schen Altarinschrift vor; sie ist gefunden im Keramikos und
gestattet den Schluß, daß Akamas Antheil hatte an Opfern die
hier auszurichten waren?!) Mag dieser Lokaldienst schon im
VI. Jahrh. vor Chr. geübt sein, für die Frage weshalb Kli-
sthenes den Akamas zum fiinften Eponymos gemacht habe, ist
er belanglos. Wenn dann überliefert ist, Akamas sei Theseus’
Sohn gewesen und um Theseus’ Mutter Aethra zu befreien nach
Troja gezogen **), so ist diese Ueberlieferung schwerlich an-
wendbar auf das VI. Jahrh.; sie wird ersonnen sein im V. Jahrh.
als der Theseusdienst aufgekommen war, s. oben S. 465. Bezie-
hungen zu Gottesdiensten die im 5. Jahreszehntel begangen
50) Es lieBe sich die Hypothese bilden, der Eponymos des Na-
mens Leos beziehe sich auf die wahrscheinlich Ende Pyaneps., im
4. Jahreszehntel, begangenen Apaturien, ein Fest welches den Be-
stand der Bevólkerung anging. Für einen attischen ‘Leuthold’ paft
was überliefert ist von den drei attischen Müdchen Praxithea (Pha-
sithea) Theope und Eubule, deren Andenken das Leokorion erhielt;
es waren Töchter des Leos; der Vater gab sie auf Apolls Geheiß in
den Tod, als die Bevólkerung durch Landplagen geschwendet und
verringert wurde. S. Aelian Var. Hist. XII 28 (Schol. Dem. 54, 7).
Die den Nachwuchs in die Phratrien Einführenden und die ihn stan-
desamtlich Verzeichnenden handelten im Sinne des Zeus Phratrios;
aber über den Phratrien schwebte einigend der Begriff Jews, sie gin-
gen darin auf; ein heroischer Vertreter dieses Begriffes ist denkbar
bei den Apaturien. Da aber nichts Bestimmtes, z. Beisp. daß Leos
die Apaturien gestiftet habe, überliefert oder aus der Ueberlieferung
herzuleiten ist, so bleibt alles in der Schwebe und muß man es da-
hingestellt sein lassen, ob ein Heros Leos im Apaturienkultus wie er
im VI. Jahrh. bestand, vorgekommen sei und Klisthenes ihn da her-
habe, oder ob er ihn, mit Bezug auf die Apaturienzeit, ersonnen und
der Verehrung des Publikums empfohlen habe, wie ja auch die er-
sonnenen Persónlichkeiten des Demos und der Demokratia in den óf-
fentlichen Kultus übergingen.
51) Auf einem runden Altar liest man: 4505 épxeiov ‘Eouod Axd-
uavtos. Der Altar befand und befindet sich da wo der innere Kera-
mikos an den äußeren grenzte. Es hat der Demos Keramikos zur
Akamantis gehört. S. U. Köhler Mittheil. IV S. 288.
52) [Dem.] 60, 29 Euéuvnrro 'Axauavtidus àv inày. Ev obs "Oumpos
Évexa ts untoos qow Aidoas Axauavim sls Tooiav creas xrÀ. (Es
scheint an Il. III 144 gedacht; vgl. Plut. Thes. 12). Da Aethra als
Mutter des Akamas bezeichnet wird, so könnte wer hierauf Gewicht
legte, behaupten, der Meergott habe mit Aethra zwei Söhne Theseus
und Akamas gezeugt; doch mag es ein Flüchtigkeitsfehler des Pa-
rentators sein. — Es scheint auch eine Tradition gegeben zu baben,
nach der Akamas ein Enkel des Theseus war; Schol. Aeschin. 2, 31
p. 29 Saupp.
Die zehn Eponymen u. die Reihenfolge der Phylen Athens. 475
wurden, geben sich fiir Akamas ebenso wenig kund, wie sich
deren fiir Leos zum 4. sicher auffinden lassen 53),
Das den Oeneus angehende fünfte Jahreszehntel schloß
den Monat Gamelion ein, dessen Bakchosfest, Lenüen genannt,
im VI. Jahrh. noch nicht durch die große städtische Feier
überglänzt wurde. Daf es nun die dem Weingott begangenen
Lenüen waren, welche den Eponymos an die Hand gaben, wird
durch den von ofvog hergenommenen Namen 9*) nahe gelegt, und
was der epitaphische Redner über den Eponymos Oeneus sagt,
führt ebendahin; er macht ihn nümlich zu einem Sohne des
Bakchos %). Die gewöhnliche Tradition ist freilich eine andere °®).
[Demosthenes] 60, 30 erkennt den Eponymos der Kekro-
piden in demjenigen Kekrops, welchen Spätere den ersten
53) Im Posideon ward der Namensgott gefeiert, CIGr. I n. 523;
auch gab es ländliche Dionysien. Die für einen Neptuni filius (?, s.
vor. Note) oder nepos passende Derbheit (Faustkampf bei Quint.
Smyro. IV 332 ff) und der Name Akamas (novrov — — dxauartos,
Pindar Nem VI 39) kónnen veranlassen die Frage auf Poseidonsdienst
zu stellen. Aber sie zu bejahen ist miBlich, da es an Anhaltspunkten
gebricht.
54) Vgl. Hygin Fab. 129, wo indeB nicht vom attischen Oeneus
die Rede ist: Oeneo autem ob hospitium liberale muneri vitem dedit
(Liber) monstravitque quomodo sereret fructumque eius ex nomine hos-
pitts olvos ut vocaretur instituti. Auch, was Benseler unter Oivedg
z. Anf. zitiert.
55) [Dem.] 60, 30 oùx #iavdavev Olvsidas ou Kaduov piv Ze-
nés, 175 dé Ov où noénov iariv router ini tovde Tod tagov, tov dè
(von Bakchos) Olveds yéyover, 0c doynyös adtwy Exalsizo. Hoffentlich
hat der Parentator dies nicht aus der Luft gegriffen, weil es in sei-
nen Kram pafite. Das that es nimlich; er will uns demonstrieren,
wie es für die Oeniden angezeigt gewesen sei auch um Thebens wil-
len ihr Leben einzusetzen: xosvov Jd” Ovtos. dugotioars mais nodeci
(Athen und ‚Theben) ToU nagovtos xivduvov, Unito augqotiowy änacav
wovro deiv aywviav êxréivas Darum geht er auf Kadmos zurück. —
Auf die Frage, ob die Athener des VI. Jahrh. den Oeneus am Feste
der Lenäen feierten und Klisthenes ilın den Lenäen entnahm oder ob
. wir einen aus der Idee des Festes konstruierten Patron der Lenäen-
zeit vor uns haben (vgl. vorhin Note 50 a. E.) giebt es nur ein non li-
quet. -- Da Bakchos im VI. Jahrh. schwerlich noch für einen Heros
galt, so dürfte es unzulässig sein Oeneus mit Theönos (Heort. S. 327)
zu identifizieren ; vergleiche man ihn lieber mit dem zu den bakchi-
schen Dämonen gerechneten Akratos, Pausan I 2, 5.
56) Nach ihr ist Oeneus ein natürlicher Sohn des Pandion; Oi-
vec Mavdiovos viòs voÿos Pausan I 5, 2 u.a. In Klisthenes’ Zeit
braucht diese voSscaæ noch nicht erdacht gewesen zu sein. — Mit der
Feier welche von den vo090:s im Kynosarges begangen ward, hängt
die vo9sia des Oeneus schwerlich zusammen, man müßte denn nach-
weisen kónnen, die kynosargische Feier habe im Gamelion stattge-
funden; aber einen Wintermonat hat niemand vorgeschlagen. S.
unten S. 484.
476 | A. Mommsen,
genannt haben 5"): jdecay Kexgonídus rov Éuvrür dgymyóv va
piv ws For douxwy ia d ws Forw avdowros Àeyoueror xi:
Anders wird auch Klisthenes nicht gedacht haben, so dafì ein
zweiter Kekrops 55) fiir ihn nicht existierte. Wir dürfen also,
was Apollodor III 14 von dem autochthonischen Urkünig Ke-
krops erzählt und was sonst von uralten, mit Kekrops in Ver-
bindung zu setzenden Dingen (Gôttergericht, Altarritus) verlautet
fir den Eponymos in Anspruch nehmen. — Es wird sich zei-
gen lassen, daf das siebente Jahreszehntel (Anthesterion nebst
Tagen nachher, im Schaltjahr auch vorher) rituelle Handlungen
darbot, die Bezug zu Kekrops hatten.
Die am Altar des Zeus Hypatos herkémmlichen Opfer
(Pausan I 26, 5 roò dé ris eloodou dios dou fwpoc Ynarov,
Eva tuyvyov Ivovow ovdév, néupara dé Dérrec ovdiv Er otro
xoícac9os voulbouorr) stellen kekropische Sitte dar; erst unter
späteren Königen (Amphiktyon, Pandion, Erechtheus) fing man
an diesen mageren und nüchternen Brüuchen Valet zu sagen,
indem Rindsopfer im Dienste des Zeus Polieus, a. O. 28, 10,
üblich wurden 5%), auch die Kunst erlernt wurde, wie man aus
Most Wein bereiten kónne sich zu berauschen Am 18. An-
thesterion nun, dem Tage der Chytren, ward kein Fleisch ge-
gessen und was man spendete, war Wasser. Das kekropische
Herkommen die 'Trankopfer nicht aus dem Weinschlauch, son-
dern aus Zisternen und Quellen zu schópfen hat die Behauptung
veranlaßt, der Wassermann des Thierkreises stelle den Kekrops
dar ©). — Auch können wir uns daran erinnern, dass Kekrops
57) Pausanias I 5, 3 gesteht nicht zu wissen, ob der Eponymos
mit Aktäos’ Schwiegersohne, dem schlangenfüßigen Autochthonen,
Kekrops dem ersten, oder mit dem später zur Regierung gekomme-
nen Kónige der nach Eubóa zog, Kekrops dem zweiten, identisch sei.
58) Grote I S. 163 betrachtet Kekrops II. als bloßen Lücken-
büßer; mit Recht, wie es scheint. |
59) Daß Eusebios’ Ueberlieferung, Kekrops habe zuerst ein Rind
eopfert nach Pollux VI 76 xéxdyytas dé (nélavos) ano tod cyfuater,
woneg xai 6 fobc* néuua ydg ton xépata Eyov nennyutva zu verstehn
sei, zeigt Meursius de regib. p. 43.
60) Hygin. Astron. II 20 Eubulus autem (Aquarium) Cecro-
pem demonstrat esse, antiquitatem generis commemorans et osten-
dens, antequam vinum traditum sit hominibus , aqua în sacrificits
deorum usos esse et ante Cecropem regnasse quam vinum sit inventum.
Eubulos kann, von dem Herkommen im allgemeinen ausgehend, su
dem Wassermann Kekrops gelangt sein. Oder er ging ganz spesiell
von der attischen Wasserspende des 18. Anthesterion aus und iden-
tifizierte den Stifter der Wasserspende mit dem Zodiakslbilde, wet
Die zehn Eponymen u. die Reihenfolge der Phylen Athens. 477
der erste Kónig war den das durch die groBe Fluth veridete
Attika erhielt®'); an die Zeiten der Fluth nun kniipften sich
verschiedene Bräuche des Anthesterienfestes, und man muß an-
genommen haben, sie seien durch Kekrops, unter seiner Herr-
schaft wenigstens, aufgekommen ‘?).
Wir kommen zu den Zwölfgöttergerichten. Im Anthesterion
begab sich Orestes von Delphi nach Athen, wo er an den Choen
(12. Anthesterion) theilnahm; Eurip. Iph. Taur. 960. Nach
Aeschylos Eum. 455 ff. beruft Athena die besten Biirger ihrer
Stadt (xoliace d’ aoıwv tw» fuor ta P£lrara) um in der Sache
zu entscheiden und stiftet damit das Areopagitengericht. Das
Zusammentreten der Areopagiten ist dem Monatsende zuzuweisen;
Pollux VIII 117 (Sitzungen der Areopagiten am 4. 3. und 2.
vom Ende jedes Monats) Es steht zu vermuthen, daf ein die
mythische Einsetzung des Gerichts angehendes Ceremoniell be-
stand, geübt Ende Anth. am Altar der Athena, den nach Pausan,
I 28, 5 der freigesprochene Orestes auf dem Areshiigel ge-
stiftet hatte 99). — Nach vorherrschendem Glauben “) aber sind
es nicht athenische Bürger gewesen, die den Spruch zwischen
Orestes und seinen Verfolgerinnen gefällt haben, sondern das
Richteramt ist von den zwölf Göttern übernommen worden 65),
ches über den Monat Anthesterion herrscht. (Wenn man ein Ge-
meinjahr zugrunde legt und den 1. Tag des Krebses dem 1. Heka-
tombüon gleichsetzt, so fallt der Anthesterion dem Wassermann zu),
61) Die zehn Dekennaeteriden, welche zwischen Kekrops und
dem Ende der Fluth lagen (nach Eusebios), kommen auf Rechnung
derer die die Mythengeschichte ordneten. Vgl. Meurs. p. 25.
62) Zu den Bezügen des Kekrops zum Anthesterion könnte ge-
rechnet werden, daß man in Kekrops den Stifter gesetzmäßiger Ehen
sah; vgl. Meursius p. 36, auch Delphika S. 293. (Pandora, Stoff für
schauspielartige Akte im Monat Bysios — Anth.) Doch war das wohl
etwas Sekundäres, ein ForschungsergebniB, ausspintisiert um das Bei-
wort digoys zu erklären.
63) Eine das Zwólfgóttergericht angehende Ceremonie im sie-
benten Zehntel des Jahres anzunehmen empfiehlt sich auch dadurch
daB es zn den Brüuchen des alten (vordionysischen, s. oben Note 42)
Pandienfestes gehörte den Altar der zwölf Götter zu umtanzen. Dem
ernsten Akte der Berufsgenossen des Kekrops folgte ein Brauch, bei
dem man sich leichten Herzens bewußt ward die fatalen Rechtshündel
abgethan zu haben. Zwischen den Anthesterien und großen Diony-
sien ist wohl in Athen viel prozessiert worden und nicht bloß in
Steuersachen (CIA IV p. 7 n. 22); im Landbau ist dann wenig zu
thun, vrgl. Mittelzeiten S. 3 und die Bauernregel n. 93; die Schiff-
fahrt ruht auch.
64) Vgl. Joh. Franz Oresteia S. XXIV.
65) Wie Orestes, nach verschiedener Version, bald von Góttern
478 A. Mommsen,
1
Wenn nun für das den Besitz von Attika betreffende Götterge-
richt, an welchem sich der Urkónig Kekrops als Zeuge oder als
Richter betheiligte, und für das unter der Regierung desselben
Königs wegen des erschlagenen Halirrhothios gehaltene (Apol-
lodor III 14) dieselbe Kalenderzeit zu gelten hat wie für Orests
Prozef gegen die Eumeniden99), so giebt sich ein Bezug des
bald von Menschen gerirhtet wird, so meldet auch Apollodor III 14
von dem Prozeß der um Attikas Besitz geführt wurde: yevouévgc di
&pdoc auqoîv nepi 196 yagac — — Zeus xouras Édwxer oùy we sinor
tec, Kéxgona xai Koavaov. ovdé Kovaiydova, Bsods dé toD; dudexa
Der auf menschliche Richter (Kekrops und Kranaos) lautenden Version.
folgt Xenophon Mem. III 5, 10 daga Atysıs mv 19v Iswr xpiow Fy ob
nepi Kexpona di cosy Exowar; Aéyw ydg xri. Hier sind oë nepi
Kéxgone ‘Kekrops und wer neben ihm des richterlichen Amtes wal-
tete’ die Areopagiten. Da die streitenden Parteien selbst zu den
zwölf Göttern gehören, so passen athenische Bürger besser als Him-
melsbürger.
66) Es läßt sich einwenden, daß Plutarch de frat. amore 18 über-
liefert, im Boedromion sei die devrépa (scil. édiauévov) allezeit aus-
geschaltet worden wegen des Zwistes (ms d&e«qogac), den Poseidon an
diesem Tage mit Athena gehabt habe; vgl. Plut. Symp. Q. IX,6,
wo ebenfalls der 2. Boedr. als ein Tag des Streites (#0600:) der Götter
um das Land bezeichnet wird. Damit scheint zu stimmen, daß der
von der einen Partei erschaffene Oelbaum gleich mit Früchten (cum
baccis Ovid. Met. VI 81) ans Licht tritt, was auf Boedromion paßt.
Man kann folgern, es müsse der Sieg der Oelbaumschépferin über ih-
ren Gegner auf Boedr. 8 angesetzt worden sein (Heort. S. 209), so daß
wir das Zwöltgöttergericht dem Anfange des Boedr. zuzuweisen hät-
ten. Auch wer so folgert, wird den oresteischen Prozeß Ende Anthe-
sterion setzen müssen und dahin gelangen, daB die mythische Vorge-
schichte an zwei Zeiten des Kalenderjahres geknüpft worden sei;
zweimal im Jahre, im Frühjahr und Herbst, ward ja auch dem As-
klepios gedient, s. oben Note 42. — Aber vielleicht ist doch die
plutarchische Ueberlieferung bei Seite zu lassen. Die beständige Aus-
merzung des 2. Boedr. ist für ültere Zeiten (CIA I p. 89 n. 189) un-
wahr und ihre superstitióse Begründung wird ebenfalls erst spat er-
sonnen sein. Auf Ovid a. O. ist kaum irgend ein Gewicht zu legen.
An den erfreulichen Verlauf und Ausgang des Prozesses, ja überhaupt
an ProzeB, hat Plutarch a. O. nicht gedacht, er wufte ja recht wohl
daß der 3. Boedr. der Siegsfeier von Platäa bestimmt sei. Es ist also
der Gótterzank willkiirlich separiert worden von dem was weiter
folgte, weil die Ausmerzung des 2. einen Anhalt empfangen sollte.
Ich glaube also da$ für das VI. Jahrh. und die besseren Zeiten Athens
vermuthet werden kann, man habe simmtliche Góttergerichte im An-
thesterion angenommen. Dahin führt auch Servius zu Georg. I 18,
wo die Thatsachen der beiden ülteren Prozesse verschmolzen werden.
— Nehmen wir mit Bóckh CIGr. I p. 226 n. 148 an, daß Plutarch
seine Quelle, in der von der devrioa gSivovrog die Rede war, mißver-
standen hat, daB es sich also hier um den 2. v. E. handelt, so ist es
noch mehr erschwert, das Góttergericht oder das der Areopagiten an-
zuschließen; Athenas tes folgte nicht, sondern ging voran, und der
Tag welcher folgte, die Enekünea, gehórt nicht zu den Sitzungstagen
der Areopagiten.
Die zehn Eponymen u. die Reihenfolge der Phylen Athens. 479
Monats Anthesterion und seiner Briuche zum Kekrops kund und
es zeigt sich, daf der siebente Eponymos Patron des
siebenten Jahreszehntels gewesen sein kann.
Der Eponymos des achten Stammes Hippothon, Sohn
des Poseidon 9°) und der Kerkyonstochter Alope, hatte in Eleusis
einen Priester und eine Weihstätte 58); andere Denkmäler da-
selbst riefen den grausamen Ringer und ebenso harten Vater
Kerkyon ins Gedächtniß 9?) Hippothon war ein durchaus eleu-
sinischer Heros, auch vielleicht, da er Triptolems Bruder heißt,
nicht ohne Beziehungen zu den Mysterien °°), daher man fragen
kann, ob er und die ihm gewiesene achte Stelle nicht mit eleu-
sinischen Dingen, etwa mit Kores lenzlichem Aufstieg *'), zu-
sammenhängen. Eine Antwort läßt sich freilich nicht geben.
Als Klisthenes die Aeantis zum vorletzten Stamme machte,
gab es nach dem Munychion - Vollmond noch keine Feier des
Sieges von 480 vor Chr., die Grundlagen aber auf denen die
Feier beruhte, kann man für das VI. Jahrh. voraussetzen. Am
16. Mun. wurden der Artemis, nach deren Beinamen der Monat
benannt ist, die augsgwrieg dargebracht. Vom selben 16. Mun.
sagt Plutarch de gloria Atben. 7, man feiere ihn der Göttin Ar-
temis, die an diesem Kalendertage ihren Vollmondsschein ge-
spendet und bei Salamis den siegenden Griechen freundlich ge-
leuchtet habe. Nun ist aber bei Salamis weder an einem 16.
67) Den Späteren mag er auch für einen Theseussohn gegolten
haben, wie deun Theseus im Verlaufe mehr und mehr in den Vorder-
grund geschoben wird; Plutarch Thes. 29 Aéyeras (50:0) xai Ziviv
anoxtéivas xai Kepxvova GvyytvécO9a, Bia iais Fvyarvacwv aviav.
68) Eleusinische Inschrift Ephemer. 1883 S. 125 lin. 77 f. ‘Inno-
9o[v]roc beget nédavov 4444I' FF FFU. Ein Heroon bezeugt Pausanias I
38, 4, das ‘Iano$owvresov der Lexikographen, s. Benseler; nach CIA
II 1 p. 429 n. 567b ist ein Beschluß der Hippothontis aufzustellen
im (städtischen) Heiligthum des Asklepios und im (eleusinischen) des
Hippothon, rj» dé (die andere Stele) é 19 'Inno9wvtiq.
69) An ‘Kerkyons Ringbahn’ zeleíctoa Kegxvovos, Paus. I 39, 3,
knüpfte sich die Sage, er habe immer die Fremden niedergerungen
und dann getódtet, bis ihm dasselbige von Theseus wiederfahren sei.
In der Nahe Alopes Grab, Paus. a. O.; der Vater tódtete sie, nach-
dem sie den Namensheros der Hippothontis geboren hatte.
70) Nach Chórilos, der ein Drama Alope gedichtet hatte, Paus.
I 14, 3, waren Kerkyon und Demeters Vertrauter Triptolemos von
derselben Mutter, aber nicht vom selben Vater; den Kerkyon batte
Poseidon, den Triptolemos Rbarios gezeugt. Subjektiv erfunden braucht
das nicht zu sein. Vgl. die verschleiernde Art, wie Pausanias a. 0.
und [Dem.] 60, 31 sieh aussprechen oder vielmehr ausschweigen.
71) Zu vgl. Philios in der Ephemeris 1886 8. 31.
480 A. Mommsen, -
noch im Munychion gekümpft worden, sondern die Schlacht hat
an den Eikaden des Boedromion stattgefunden, so daß Mun. 16
für den Tag der Siegesfeier zu halten ist; Böckh Monde. 8.
78 f. Da nun unter den zu Hülfe gerufenen Heroen auch Aias
ist (Herod. VIII 64), so sind die auf der Tnsel Salamis began-
genen Aeanteen späterer Zeit, an welchen sich die Epheben
Athens lebhaft betheiligten, verm. eine Weiterführung des der
Artemis Munychia am 16. ihres Monats gefeierten Festes und
haben wir sie den Artemisbräuchen des 16. anzuschlieBen. Die
Hauptfeier auf Salamis mag, sofern, neben Aias, Asklepios mit
Opfern bedacht ward, (CIA II p. 266 n. 470 lin. 17 und 55),
dem Asklepios aber eine Ogdoe gebührt, am 18. stattgefunden
haben?) Die kombinierte Feier der äugupwvtes und des dem
Siege von 480 und dem Aias geltenden Festes fiel also in die
Tage, wo im Gemeinjahr das achte Zehntel endet und das neunte
seinen Anfang nimmt %); bei dreizehn Monaten fiel sie stets in
das neunte Jahreszehntel. Dürfen wir nun dieselben Tage für
das VI. Jahrh. und die damals noch nicht kombinierten , son-
dern selbständigen Feste voraussetzen, so kann, da die Jahres-
zehntel am Schln8 36tägig zu nehmen sind ”*), das am 18. Mun.
72) Daß das Asklepiosopfer für den 18. passe, habe ich Heort.
S. 412 bemerkt. Man kann einwenden daß es sich hier um Aias,
nur beilàufig um Asklepios, handele. Ein starkes und zwingendes
Argument zu gunsten des 18. haben wir allerdings in dem obligaten
Asklepiosopfer nicht. — Wenn schon am Nachmittage des 16. He-
roenbräuche stattfanden, so dürften dieselben in der Stadt (am Eu-
rysakeion ?) geübt sein. Am 17. mochten die städtischen Theilnehmer
nach der Insel hinüberfahren und der Tag so ziemlich darüber hin-
gehn, weil mit ceremoniöser Weitläuftigkeit verfahren ward und etwa
nur ein Voropfer abends auf Salamis gebracht werden mußte. Am
Lichttage, des 18. dann die Spiele, Opfer und besondere Bräuche wie
das xAivnv aurw (dem Aias) mera navonliag xataxoousîiv Schol. Pind.
Nem. 2, 19 p. 438 Böckh (Meurs. Gr. fer. p. 9).
73) Der Anfang des 9. Jahreszehntels hat im Gemeinjahr einen
viertägigen Spielraum; je nach der Länge die man den Monaten (29
oder 30 T) und den Zehnteln des Jahres (35 oder 36 T.) giebt, be-
wegt er sich innerhalb des Quadriduums Mun. 17 bis 20. Setzt man
die Jahreszehntel zu 36 T. an, so fallen Mun. 19 und 20 weg, als
Spielraum bleibt das Biduum Mun. 17 und 18.
74) In den Jahren Ol. 88, 3 Arch. Euthynos und 89, 2 Arch.
Amynias ist immer zuerst mit 35tügigen Prytanien vorgegangen, die
überschüssigen Tage kommen den letzten Prytanien zu. Vgl. Chron.
S. 163 und 401. — Daß diese für 36tägigkeit der letzten Jahres-
zehntel sprechenden Analogien auch für Klisthenes und das VI. Jahrh.
maßgebend sind, läßt sich freilich nicht beweisen; es sind aber doch
Analogien.
Die zehn Eponymen u. die Reihenfolge der Phylen Athens. 481
auf Salamis begangene Aiasfest allemal den Anfängen des neun-
ten Jahreszehntels angehórt haben. Es kann also Klisthenes
dem Aias die neunte Stelle mit Bezug auf die Aeanteen des
neunten Jahreszehntels gegeben haben.
Von dem Eponymos der Antiochis ist es in unserer Ue-
berlieferung sehr still; Antiochos war ein Heraklide, viel mehr
wissen wir nicht °°). — Herakles wurde überall in Attika ver-
ehrt, und neben ihm Diomos, Hebe, Alkmene, auch die Hera-
kliden, CIA II 1 p. 248 n. 581 10 Lgéa tw Hgaxieduly
Ko]AMav xai tiv iégecur ij; Hfgg xai ing Adxunvng (Fundort
Aexone, CIGr. I p. 345 n. 214). Sollten nun unter den Hera-
kleen, welche man am 4. v. E. Skir. Ol. 108, 2 beschloß in
der Stadt zu feiern, die marathonischen zu verstehen 76) und in
Marathon neben Herakles auch den Herakliden, insonderheit dem
Herakliden Antiochos geopfert sein, so würde das marathonische
Heraklesfest, auf Ende Skir. gesetzt (alte Hypothese), dem letzten
Jahreszehntel, auf Anf. Hek. gesetzt (neuere Hypothese), dem
ersten angehört haben '", in jenem Falle also die Wahl des
75) Die Mutter war Mida, des Dryoperkóniges Phylas Tochter;
Paus. I 5, 2 yevousvos dx Midas, nach anderer Lesart Mydas, noch
anders Paus. X 10,1 6 ix Midsias — ysvóuevoc. Antiochos hatte einen
Sohn, der wie der mütterliche Großvater, Phylas hieß. Unter einem
Urenkel des Antiochos zogen die Dorier gegen Korinth, Paus.II 4, 3.
76) Dettmer (de Hercule Attico p. 48) vertritt diese Ansicht. Auch
mir gilt sie für richtig. Daß die nach Dem. 19, 86 und 125 (ausnahms-
weise) in der Stadt zu begehenden Herakleen dem gewóhnlichen Lauf
der Dinge zufolge in Marathon hätten begangen werden müssen,
dürfte zu dem wenigen gehóren, was aus dem schwankenden Material
gefolgert werden kann.
77) Die alte Hypothese hat Corsini, die neuere Dettmer aufge-
stellt. Letzterer schlägt Hek. 4 für die marathonische Feier vor; er be-
trachtet sie als Penteteris nach Pollux VIII 107 und da die penteterische
Begehung der Panathenäen und Pythien ins dritte Jahr der Olym-
piade gehórt, so nimmt er auch für die Penteteris von Marathon ein
solches an; dieser Annahme wird genügt durch eine Verspütung, die
nur wenige Tage beträgt, indem statt Ende Skir. (exeunte Sctrrhopho-
rione mense, Corsinill p. 336) Hek.4 eintritt; das Jahr des Beschlusses ist
ein zweites der Olympiade und ein paar Tage nach dem Beschluß langt
man bei dem Neujahr des gewünschten dritten Olympiadenjahrs
(108, 3) an. Daß Demosthenes die Penteteris meint ist Konjektur;
er kann auch die neben der Penteteris vorauszusetzende Jahresfeier
meinen. Andererseits ist es etwas unsicher, ob sich die marathonische
Penteteris nach der in Athen und Delphi befolgten Norm regelte.
(Der Werkeltag Hek. 4 01. 112, 4 Arch. Kephisophon, CIA II 2 p. 523
n. 834 b. I lin.33, läßt sich kaum gegen Dettmer benutzen.) — Setzt
man im Sinne der alten Hypothese. die Herakleen auf Skir. 2 v. q.
Philologus. N. F. Bd. I, 8. 31
482 A. Mommsen,
Heros Antiochos und der ihm gegebene letzte Platz sich aus
gottesdienstlichen Herkémmlichkeiten des letzten Jahreszehntels
erklären 5) Eine sichere Entscheidung ist nicht erreichbar.
Mit der Betrachtung der einzelnen Eponymen und ihrer
gottesdienstlicher Bedeutung sind wir zu Ende. Daß das Epo-
nymenthum, mag man auf die heroischen Personen selbst oder
auf die Anordnung: Erechtheus Aegeus u. s. w. sehn, einen
FuB in den attischen Gottesdiensten hatte, wird man nach dem
Gesagten nicht leugnen können; es ist gewiß kein Zufall, daß
der 1. Eponymos auf ein Fest des 1. Jahreszehntels hinweist,
der 2. auf ein Fest des 2., und daß so auch für den 3. 6. 7.
und 9. Eponymos sakrale Beziehungen zu den numerisch ent-
sprechenden Jahreszehnteln obwalten. Diejenigen Heroen für
welche sich nichts ergeben hat — Leos Akamas Hippothon An-
tiochos — sind die unbekannteren, und wir dürfen glauben, daß es,
wenn unsere Tradition vollständiger wäre, an Beziehungen zu
den entsprechenden Zehnteln auch für diese nicht fehlen würde.
Klisthenes hat also das Eponymentum so einzurichten gewußt,
daß die nach der solennen Folge numerierten He-
roen mit Herkömmlichkeiten des ihnen nach der
Nummer zukommenden Jahreszehntels in Rapport
standen.
Was nun aber die solenne Folge anbetrifft, so hat sie ne-
benher gewisse Eigenschaften, die sich nicht durch Anwendung
des sakralen Gesichtspunktes erklären lassen. Die sieben ersten
Stellen werden von attischen Heroen eingenommen, die übrigen
von nichtattischen oder doch den sieben nicht ebenbürtigen, die
daher Pausanias für sich stellt 9). Es ist also bei Konstituie-
(Corsini wählt den 3. v. E.), so bietet CIGr. n. 523 einen Anhalt für
den Monatstag, freilich nicht für den Monat. Auch der Stiftungstag
des templum Herculis Musarum, 30. Juni, stimmt mit Herakleen a.
E. Skir. Dettmer p. 49, 1 hat die alte Hypothese einer näheren Prü-
fung nicht unterzogen.
78) Wenn Klisthenes den Demos Eleusis zu der nach einem eleu-
sinischen Heros benannten Phyle (Bippothontis) gezogen hat, so folgt
nicht, daß Marathon, falls die zehnte Phyle (Antiochis) mit Rücksicht
auf einen daselbst mitgefeierten Herakliden ihren Namen empfing,
zu dieser Phyle gezogen sein müsse; die neunte Phyle (Aeantis) em-
pfing ihren Namen von einem Salaminier, und Salamis gehörte nicht
zur Aeantis, ja überhaupt zu keiner der attischen Phylen.
79) Herodot V 66 sondert nur Aias aus; die übrigen neun scheert
er über einen Kamm, sie sind ihm éasywgsos. Aber ich möchte glau-
ben, daß Pausanias, der I 5, 2 nur die sieben ersten Eponymen für
Die zehn Eponymen u. die Reihenfolge der Phylen Athens. 483
rung der solennen Folge auch auf Herkunft Riicksicht genom-
men. Außerdem scheint dem allgemeinen Ansehn nachgefragt
zu sein, Erechtheus hat den Ehrenplatz als ein besonders ange-
sehener Heros, und auch die beiden ihm angeschlossenen, Ae-
geus und Pandion, sind angesehene Heroen gewesen °°); Obsku-
ritäten sind im allgemeinen nachgeordnet. Wie konnte aber der
Gesetzgeber mehreren Gesichtspunkten zugleich folgen? mußten
nicht mehrere Gesichtspunkte einander stören? — Da ist denn
erstlich zu sagen, daß neben dem gottesdienstlichen Gesichts-
punkt nicht noch zwei andere, ein nationaler und ein dignitäti-
scher, anzuerkennen sind. Den nationalen Gesichtspunkt muß
man streichen , weil er in dem dignitätischen mitbegriffen ist ;
für den in Athen centralisierten Staat ist ein Ausländer wie
Aias schon darum weil er dem Auslande angehört, von gerin-
gerer Wichtigkeit und Bedeutung. Dagegen läßt sich nicht be-
streiten, daß die solenne Folge, obwohl auf gottesdienstlichen
Beziehungen beruhend, doch auch eine Art von Rangordnung
darstellt, mithin nach zwei Gesichtspunkten gebildet ist. — Was
dann die letzteren und eine mögliche Störung des einen durch
den andern betrifft, so erwäge man Folgendes. Der Gedanke
eine gottesdienstlich begründete Folge von Heroen die zugleich
dem Range der Heroen entsprach, aus den Jahreszehnteln her-
zustellen muß sich dem Klisthenes durch eine gewisse Gunst
der Umstinde, d. h. der Gegebenheiten des Festjahrs empfohlen
haben, da er sich ja auch anders hütte wenden kónnen, indem
er seine Phylen nach Góttern benannte oder sie, wenn ihm Gütter
nicht paßten, (s. oben S. 449), bloß numerierte. — Günstig wa-
ren Jahreszehntel wie das erste (Hek. und Metag.) und das
neunte (Mun. und Tharg.). Das erste Zehntel bot den pana-
thenäischen Heros Erechtheus dar; dies war zugleich der Rang-
ordnung gemäß, Erechtheus war durchaus würdig den Reigen
der Eponymen zu führen. Wenn dann das Festjahr salaminische
Aeanteen im neunten Jahreszehntel darbot, wonach dem Aias
Athener erklärt, die allgemeine Ansicht richtiger giebt. Er sagt nicht
geradezu, daß Hippothon Aias und Antiochos unechte Athener, Aus-
länder, sind, meint es aber doch.
80) Von den der Antigonis und Demetrias gegebenen Plätzen 1
und 2 sagt Böckh CIGr. I p. 153 sehr richtig, es habe den Macht-
habern damit geschmeichelt werden sollen (Demetrius et Antigonis,
quas Athenienses nimia adulatione primo loco posuerint).
31 *
484 A. Mommsen,
ein viel bescheidenerer Platz, der neunte und vorletzte, zu ge-
ben war, so entsprach das wiederum auch der Rangordnung,
weil Aias fiir Athen nicht von der Dignität war wie Erechtheus
Kekrops und andere echt attische Heroen. Hier nun brauchte
Klisthenes nur zuzugreifen. Günstig waren auch andere Fälle,
die wenn sie ihm auch das Gewiinschte nicht so geradezu in den
Schoß warfen, sich doch so benutzen ließen, daß zum Ziele ge-
langt ward. Bei Pandion, der den Uebergangsjahrszeiten ange-
hört, s. oben S. 271, 42, blieb eine Wahl, und die Wahl wurde
durch Heranziehung des zweiten Gesichtspunktes so entschieden
daß dem sehr angesehenen Heros der ihm gebührende vorneh-
mere Platz zufiel. Wählen konnte Klisthenes o. Zw. auch in
Betreff der heraklidisch zu benennenden Phyle; eine Berück-
sichtigung der kynosargischen Herakleen, wahrscheinlich eines
nachsommerlichen Festes #!), würde der Phyle zu einem der an-
sehnlichsten Plätze verholfen haben; aber der Heraklide hatte
den echt attischen Heroen zu weichen, er empfing den zehnten
und letzten Platz. — Daß dann die Umstände keineswegs über-
all günstig waren, lehrt die Mittelpartie der solennen Folge:
Leos Akamas Oeneus Kekrops. Hier hat der altberühmte, kaum
dem Erechtheus nachstehende Kekrops einen schlechteren Platz
als Leos Akamas und Oeneus; zu dieser Verletzung des zweiten
Gesichtspunktes nóthigten die Gegebenheiten des Festjahrs; Ke-
krops war von der Wasserspende und den areopagitischen Brüu-
chen (Anthesterion) nicht zu trennen, und in den vorangehenden
Zehnteln ließen sich bessere Heroen nicht finden, ja die Ungunst
der Umstände war vielleicht so groß, daß Klisthenes Lücken-
büßer nach Maßgabe der Bräuche zu schaflen gezwungen war.
— Das Ergebniß dieser Erörterung ist, daß die beiden Gesichts-
punkte einander nicht störten, weil der des Ranges nur sekun-
där war und je nach Umständen Beachtung fand oder unbe-
achtet blieb.
Schließlich müssen wir noch auf das Los und seine alljähr-
81) Ich setze die kynosargische Feier in den Metagitnion und
glaube sie abgebildet in der bezüglichen Gruppe des Reliefs, welches
sich in Athen an der Panagia Gorgopiko befindet. Daß die Gruppe
den Monat Metagitnion angeht, hat Bursian erkannt; s. Centralblatt
1866, n. 44, October 27. Andere haben Boedromion (Bötticher Philol.
XXI S. 421 ff.) oder Pyanepsion (Dettmer de Hercule Att. p. 49)
vorgeschlagen.
Die zehn Eponymen u. die Reihenfolge der Phylen Athens. 485
liche Benutzung bei den Prytanien zuriickkommen. Fiir die
Zeit vor 490 sind erloste Prytanien durch nichts unterstiitzt,
der Beweis für 490 sogar läßt sich anfechten, s oben S. 464, 26.
Es ist mithin ohne weiteres möglich, für die ersten Lustren nach
Klisthenes’ Reform (Ol. 68, 1 ff) eine Alleinherrschaft der so-
lennen Folge anzunehmen. Für diese Möglichkeit einzutreten,
also den gegen sofort (seit Ol. 68) erloste Archonten erhobenen
Protest 8?) auf die Prytanien auszudehnen, veranlaßt eine Be-
trachtung der Eigenschaften welche die solenne Folge hat, so-
wie der Beziehungen die zwischen ihr und dem Festjahr ob-
walten. Stellen wir denn diese Betrachtung noch an.
Die solenne Folge besaß ein gewisses Ansehn und eine be-
merkenswerthe Kraft sich zu behaupten. Obwohl diese Eigen-
schaften wesentlich aus der Anlehnung au die Festzeiten flossen
und sich vielleicht sagen ließe, so lange die Festzeiten bestan-
den, habe auch die solenne Folge in Ansehn und Kraft bleiben
müssen, so waren die gottesdienstlichen Bezüge doch nicht überall
so direkt und bestimmt, daß sie die solenne Folge unter allen
Umständen über Wasser halten konnten. Wenn die neue Regel,
daß die Erechtheis den 1. Platz haben müsse, die Aegeis den
2. u.s.w., gleich ihre Ausnahme, und eine schwerwiegende Aus-
nahme, mitbrachte, so war das nicht der Weg sie zur Autorität
gelangen zu lassen; die Herrschaft des auf die Prytanien ange-
wendeten Loses ward alljährlich, um: nicht zu sagen alltäglich,
empfunden, während diejenige Benutzung der solennen Folge,
welche es mit den Prytanien allein aufnehmen konnte, die epi-
taphische, manches Jahr ausfiel; öffentliche Bestattungen fanden
ja nur in Folge von Kriegsläuften statt. So empfiehlt es sich
denn mehr anzunehmen, das über die Prytanien verfügende Los
habe nicht von vornherein zu den Institutionen der neuen Ver-
fassung gehört, sondern sei später zugefügt.
Was dann die Beziehungen zum Festjahr angeht, so ist es
wenig glaublich, daß Klisthenes die Zehntel nach Heroen abge-
sucht oder den Zehnteln Heroen angepaßt und dann die nach An-
leitung der Zehntel gebildete Reihe dem Lose überantwortet habe,
auf daß es sie umwerfe und alljährlich eine andere Reihe bilde,
82) Grote II S. 427, Emil Müller Jahrb. f. Phil. LXXV (1857)
S. 756 £, M. Duncker VII S. 593, 1.
486 A. Mommsen, Die zehn Eponymen u. s. w.
vermöge welcher das Verhältniß zu den Zehnteln preisgegeben
wird. Ist er bei Aufstellung und Anordnung der Eponymen
und der nach ihnen benannten Stimme dem Festkalender und
den Beziehungen der einzelnen Feste zu Heroen die sie gestiftet
und gefördert hatten oder in anderm Sinne von ihnen untrenn-
bar waren, gefolgt, so muB seine Meinung die gewesen sein, daß
in den Tagen der Hauptfeier des Erechtheuskreises, der Pana-
thenüen, allemal die Erechtheis, in den Tagen der von Aegeus
eingesetzten Nemesien allemal die Aegeis und so jede Phyle in
der ihren Eponymos und sie selbst angehenden Zeit amtieren
solle, und hat seine Politik ein gottesdienstliches Kleid getragen.
— Die Zeitgenossen des Klisthenes dürften nichts eingewendet
haben, im Gegentheil. Es werden die Mitglieder der einzelnen
Stämme den Heroen gegenüber welchen sie ihren Namen und
ihre Einigung verdankten, in der Stimmung gewesen sein den
Namengebern und Einigern ernstlich zu dienen und zu huldigen.
Spüter mochte es genügend scheinen dem Eponymos theilzu-
geben an den Opfern welche die dem Lose nach fungierenden
Prytanen bei der Tholos und dem Standorte der zehn Heroen-
bilder, vermuthlieh am ersten Tage der Prytanie, darzubrin-
gen pflegten; Pausan. I 5, 1. Aber in Klisthenes’ Zeit als die
Stimme etwas Neues waren, wurde dem noch lebhaften Gefühl
der Verpflichtung schwerlich genügt durch solch ein geschäfts-
mäßiges Opfern bloß um geopfert zu haben; es mußten die Ge-
nossen eines jeden Stamms eine Kalenderzeit wühlen, wo sie den
Spuren ihres Heros begegneten, wo auch wohl Ceremonien die
er gestiftet, auszuführen waren; die Kekropiden zum Beispiel
hatten sich an die Kalenderzeit der auf Kekrops zurückzufüh-
renden Brüuche im Monat Anthesterion zu halten und indem
(nach der damals auch für die Prytanien geltenden Folge Erech-
theis Aegeis u. s. w.) der Staat in der Anthesterienzeit zugleich
von fünfzig Mitgliedern der Kekropis reprüsentiert, die ganze
feiernde Gemeinde also so zu sagen kekropisch angehaucht war,
fand das Pietütsgefühl gegen den Heros seinen richtigen und
vollen Ausdruck,
Hamburg. A. Mommeen.
ne — le > — = o--—._
XXV.
Die hastiferi von Castellum Mattiacorum.
In einer Programmabhandlung !) hatte ich ausgeführt, daß
die in so vielen Stüdten Italiens und der Nachbarprovinzen in
den Inschriften erscheinenden dendrophori gleichzeitig eine zünf-
tige Berufsgenossenschaft und ein sacrales Colleg darstellen. Ich
suchte dort zu erweisen, daB die dendrophori in ihrem biirger-
lichen Beruf identisch sind mit den lignarii oder Holzhändlern
und Holztransporteurs, und dafì sie als Colleg constituiert wur-
den, um bei den Festen der Magna Mater und des A t-
tis die sacrale Funktion der Dendrophorie zu übernehmen. Seit
dieser Zeit ihrer Constituierung, wahrscheinlich seitdem Kaiser
Claudius das große Dendrophorenfest am 23. März eingesetzt,
führten die Collegien der lignarii den griechischen Namen, und
dieser findet sich als der sacrale und vornehmere fortan stets in
den Inschriften gebraucht. In Bezug auf diesen Gebrauch hatte
ich damals bereits gesagt, daß der Name dendrophori diesen
Handwerkern eigentlich als religióser Sodalitit der Magna
Mater zukomme. Wenn sie nun auch im bürgerlichen
Leben, als Handwerker diesen Namen führten?) und der Name
lignarü, nach den Inschriften zu urtheilen, ganz schwünde, so
1) Die Vereine der fabri centonarii und dendrophori im rim
Reich. I. Die Natur ihres Handwerks und ihre sacralen Beziehungen.
Frankfurt a/M. 1886. S. 19 f.
a2 Auch einzelne nennen sich dendrophorus in Grabschriften
u. dgl.
488 H. C. Maué,
môge zweierlei die Ursache gewesen sein: einmal drückte ja der
Name dendrophori = Holzlieferanten oder Holzfuhrleute, abge-
sehen von der technisch-sacralen Bedeutung des Wortes, ihre
btirgerliche Thätigkeit noch deutlicher und klarer aus als ihr
bisheriger bürgerlicher Name Zignarii, dann aber erinnerte der
neue Name sofort an ihre Beziehung zu der Gottheit und gibe
ihrem Handwerk eine religiise Weihe und daher ein gewisses
Ansehen. In Inschriften aber, die bestimmt seien, das Anden-
ken der darin Genannten der Nachwelt zu iiberliefern, kämen
naturgemäB nur die Bezeichnungen zur Verwendung, die eines-
theils officieller Natur, anderntheils aber geeignet seien, das An-
sehen des zu Verewigenden zu heben.
Dieser Versuch den sacralen griechischen Namen des rémi-
schen Handwerkercollegs und das Verhältniß dieses Namens zu
der lateinischen profanen Bezeichnung desselben Handwerks zu
erklären, erhält eine durchaus sichere Bestätigung durch eine
erst ganz kiirzlich aufgefundene Casteler Inschrift, welche
ein analoges Verhältniß in der Benennung eines und desselben
Collegs aufweist: es ist das Colleg der hastiferi — so ihr sa-
eraler Name — oder der pastores im bürgerlichen Leben.
Diese Inschrift eines Sandsteinaltars, welcher am 19. Juli
1887 zwischen dem Rheinufer und dem Wasserthurm der Ce-
mentfabrik Amöneburg gefunden wurde, lautet, nach der Publi-
kation des Obersten A. v. Cohausen in den Ann. d. Ver. f.
Nass. Alterthumskunde u. Geschichtsforsch. 1887, Bd. X X 8S. 150:
In H DD
NuM AVG
HAStIFERII
SIVEPASToR
CONSIS ENT
ESKASTELLO
MATTIACORVM
ESVOPOSVE
rVNT VIIITKA L
APRILE 8
Iu LIANOETCRIs
PINOCOs == 224 n. Chr.
Die Inschrift ist, auch ganz abgesehen von der durch sie ge-
wonnenen endgiiltigen Fixierung des Namens des rimischen Ca-
Die hastiferi von Castellum Mattiacorum. 489
stel, von großer Wichtigkeit und hohem Interesse nach meh-
reren Seiten hin, und wir diirfen sie den hervorragendsten Fun-
den zuzühlen, welche in neuerer Zeit in den Rheinlanden ge-
macht worden sind.
Die hastiferi von Castel oder von Civitas Mattiaco-
rum sind uns längst bekannt aus einer Dedikationsinschrift,
welche von ihnen im J. 236 der Virtus Bellona gewidmet
wurde?) Das Wesen dieser Speertriger zu ergründen sind die
Forscher seit der Zeit der Auffindung der Inschrift i. J. 1809
vielfach bemüht gewesen. Es stehen sich hierbei zwei Ansichten
gegenüber: nach der älteren sind die hastiferi eine aus Bewoh-
nern der bürgerlichen Ansiedelung gebildete Municipalmiliz ge-
wesen, nach der anderen dagegen, welche besonders von J.
Becker in den Nass. Annalen Bd. VII S. 44 f. vertreten
wird, stellen die hastiferi ein sacrales Colleg dar. Bei Becker
findet sich die Literatur angeführt. Der letzteren Ansicht hatte
ich mich in der angeführten Programmabhandlung S. 21 f. A.
14 angeschlossen, allerdings mit der Modification, daß. ich nicht
in dem Worte hastiferi — wie Henzen, Becker und auch
Th. Mommsen im Hermes (VII 1878 S. 325 A. 4) — eine
lateinische Uebersetzung des Wortes dendrophori erblicken und
beide Collegien nicht fiir identisch halten konnte.
Die andere Ansicht dagegen, daB die hastiferi eine militä-
risch organisierte Stadtwehr gewesen seien, hatte neuerdings
noch ihre Vertreter gefunden in der 2. Bearbeitung der Staats-
verwaltung v. J. Marquardt (Bd. II S. 538, 1884) und bei
Th. Mommsen (Rôm. Gesch. V 1885 8. 135 A. 2); auch
Cagnat (de municipalibus et provincialibus militiis in imperio
Romano, Paris 1880 p. 80) neigt sich dieser Ansicht zu.
3) Or. 4983 = J. Becker, Nass. Ann. VI S. 44 f. = Bram-
bach 1336 = J. Becker, Inschr. d. Mainz. Mus. 82. Wir geben
den Text nach Brambach: In. h. d. d. deae. Virtuti. Bello|ne. montem
Vaticanum | vetustate. conlabsum | restituerunt hastiferi. ci|vitatis.
Mattiacor. X. Kal. | Sep. Emp. JAH | et. Africano.
cos. hi. quorum no|mina. i. 8. ta. sunt | G. Meddignatius. Severus cur.
bis. | Dann in zwei Columnen: a. L. Levinius Quetus. | T. Vitalinius
Peregrinus | Costantius. Marcianus | Crixsius. Adnamatus | Giamillius.
Crescens | Titius Belatullus |... . us. Severus|...t.. fus Costas
eet eee es ss. Victor | 5. Tertinius Abrosus | Marcrinius Pris[o]us
Atregtius. Cupitianus | Perrius. Justinus. Ri .. sop (? dieser 3. Name
fehlt sonst in allen mir zugänglichen Lesungen) | Attonius Asclepius |
Ursius Maturus | Statutius Secundinus | Servandius. Senurus.
490 H. C. Maué,
Die Gründe, welche Becker zu seiner Auffassung brachten,
sind in Kürze die folgenden: die Wiederherstellung des heiligen
dureh Alter verfallenen mons Vaticanus konnte der Natur der
Sache nach nur cin frommes, religióses Werk sein; daher müsse
man schon aus diesem Grund allein an dem militärischen Cha-
rakter der Aastiferi zweifeln. Unter diesen aber würden die drei
ersten mit ihren drei Namen genannt, was in Verbindung mit
ihrem Voranstehen auf die Vorstandschaft über die ganze Ge-
nossenschaft hinweise. Ferner aber würde der zuerst stehende
C. Meddignatius Severus CVR(ator) BIS bezeichnet, cu-
rator bedeute aber nur ein bürgerliches, dagegen kein militüri-
sches Amt, und gerade an der Spitze von Berufs- und reli-
giösen Genossenschaften (collegia, corpora, sodalitates) erschie-
nen Curatoren hüufiger ). Soweit konnte ich mich Becker's
Auseinandersetzung vollkommen anschlieBen, nicht jedoch seiner
weiteren Ausführung, worin er nach Vorgang von Henzen)
die Aastiferi für gleichbedeutend hielt mit den sonst hüufig vor-
kommenden, jedoch in Germanien bis jetzt nicht nachweisbaren 9)
dendrophori. Vielmehr suchte ich z. T. aus inneren Gründen,
z. T. nach Notizen, die in Schriftstellern überliefert werden ?,
4) Zwar komme in einer Vienner Inschrift bei Reinesius p. 183
CLXIII ein MAGISTER ASTIFEROR D. N. vor, d. h. also ein Vor-
steher kaiserlicher Leibwüchter, aber dies sei, soviel ihm bekannt, die
einzige und, wie es scheine, aus spüter Zeit stammende Urkunde für
hastifers überhaupt. Allein die richtige Lesung ist, wie sich aus
Cagnat, l. 1. p. 79 nach Allmer, Inscr. Vienn. II, p. 328, n. 211 er-
gibt MAGIST | ASTIFEROR | D. D., also kaiserlich sind diese
astiferi jedenfalls nicht. Aber auch davon abgesehen: gewichtiger
als die Gründe Beckers spricht gegen den militärischen Charakter
der Vienner hastiferi, wie ich schon in der Programmabhandlung her-
vorgehoben, die Bezeichnung magister für ihren Vorsteher. Denn da-
mit kann nur eine sacrale oder collegiale Würde, kein militüri-
sches Amt in dieser Zeit gemeint sein. Daher sind auch diese Aasti-
feri für eine sacrale Corporation anzusehen.
5) In den Annali dell’ Instit. arch. 1857, p. 26 A. 1.
6) Vgl. in meinen 'Ver.d.fabri' u. s. w. die Sammlung der In-
schriften, und die geographische Uebersicht in meinem: ‘Der Prae-
fectus fabrum. Ein Beitrag zur Geschichte des rôm. Beamten-
thums und des Collegialwesens wührend der Kaiserzeit. Mit den In-
schriften’. Halle 1887, S. 52.
7) Den Belegen, daß die Lanze im Dienst der Bellona eine
wichtige Rolle spielte, ist noch die Inschrift bei Grut. 8. 318, 1 hin-
zuzufügen, welche Becker l. l p. 49 citiert: danach wurde auf die
Mahnung (monito) oder Weissagung eines Bellonariuseine Lanse
(hasta) in aede Bellonae in luco geweiht. — Auch ist ja bekannt, daß
die ibr geweihte Lanze von den Fetialen bei Kriegser
Die hastiferi von Castellum Mattiacorum. 491
den Nachweis zu liefern, daß thatsüchlich bei dem orgiastischen
Dienst der Virtus Bellona*) ein Collegium von Lanzen-
trigern betheiligt war und zu dem chorus furentis Bellonae
gehörte — wie Juvenal (VI 512) das Gefolge dieser Göt-
tin nennt.
Diese Erklärung, daß die hastiferi ein sacrales Collegium
darstellen und jedenfalls nicht mit dem Handwerker- und sacra-
len Colleg der dendrophori gleichbedeutend sind, hat durch die
neugefundene Inschrift die klarste Bestätigung gefunden. Wies
schon in der älteren die Art und Weise der Namenssetzung und
Aufzählung auf ein Collegium hin, so sind die hastiferi in
der neuen Inschrift auf das unzweideutigste als Collegium be-
zeichnet durch die Worte consistentes kastello Mattiacorum. Denn
diese Wendung ist die officielle Bezeichnung fiir ein mit staat-
licher Concession an einem Ort bestehendes Collegium.
Das Wort consistere wird zwar häufig gebraucht von dem
Verweilen an einem Ort, ohne daf der länger oder kürzer Ver-
weilende daselbst auch domiciliiert ist. So gebraucht Caesar
dasselbe, wenn er von dem Aufenthalt rimischer Biirger in Ce-
nabum und Cabillonum redet ?), wo dieselben Handelsgeschäfte
treiben. So ist in den Digesten das Wort gebraucht und
das Consistieren in einen Gegensatz zum Domiciliiertsein ge-
bracht 1°), und auch aus den Inschriften ist das Wort in
dieser Bedeutung bekannt !!).
von der columna bellica aus, die vor ihrem Heiligthum stand, in das
fingierte feindliche Gebiet geschleudert wurde, vgl. Ov. Fast. VI, 201 f.
8) Zu dem Doppelnamen vgl. Lactant. Inst. 1, 21,16: Vérduéss,
quam eandem Bellonam vocant. St.-V. HI 75, A. 5.
9) Caes. b. G. VII 3 eivesque Romanos qui negotiandi causa tbi
(in Cenabum) constiterant; ibid. VII 42 idem facere cogunt eos, qui ne-
gotiandi causa 16: (in Cabillonum) consüterant.
10) Digg. 5 tit. 1, 1. 19 8 2: At si quo constitit, non dico ture
domicilu, sed tabern’ılam, pergulum, horreum, armarium, officinam con-
duxit, ibique distrazit, egit, defendere se eo loci debebit. Vgl. Vatican.
$ 232 (b. Dirksen, Manuale s. v. 8 1) Si in provincia sit patrimo-
nium, licet is, (qui) petitur, in urbe consistat . . . und Vat. fr. 247: tn
Italia cives Romani consistentes.
11) Vgl. Henz. 5323 = Renier, Inscrr. de l’Alg. 4064 Rusy(unien-
ses) et Rusg(uniae) consistentes, Or. 485 = CIL HI 5282 cives Romani
ex Italia et aliis provineus in Raetia consistentes; CIL III 860 Ga/[at]ae
consistentes municipio ; Or. 1246 cultores Iovis Heliopolitani Berytenses
qui Puteolis consistunt; Wilm. 2239 = ‘Ver. d. fabri’ u.s. w. n. 221 Pri-
sciani consistentis Luguduni pertinentis ad colegium fabror(um); vgl. auch
die von Mommsen Herm. VII S. 318 nochmals zusammengestell-
ten Inschriften von cives Romani, die in Lagerstädten consistieren.
492 H. C. Maué,
Daneben aber findet sich in der officiellen Benennung eines
Collegs das Wort sehr hiufig in einer Weise mit dem Namen
eines Lokals oder einer Stadt verbunden, daB wir an die tech-
nische Bedeutung des Wortes eines vorübergehenden oder blei-
benden Aufenthalts 1?) mit dem das Domiciliiertsein nicht ver-
bunden ist, nicht denken können. Dieser Erkenntniß verschließt
sich auch Th. Mommsen nicht, wennera.a.O. S. 810 A. 1 zu
den negotiatores vinari Lugud(uni) con[sist]entes der Inschr. Henz.
7254 = Boissieu S. 390 bemerkt, daß der Ausdruck consi-
stere mit dem Namen einer Stadt in dem oben angegebe-
nen Sinn unstatthaft sei in Beziehung auf eine stüdtische Cor-
poration, welche dem stüdtischen Gemeinwesen organisch ange-
hóre und in diesem die Bedingung ihrer Existenz habe. Statt
aber nun zu schließen, daß consistere hier nicht in dem ange-
gebenen Sinn eines bloB voriibergehenden Aufenthalts gebraucht
ist, nimmt Mommsen vielmehr eine incorrekte Abkürzung des
Ausdrucks an, wie solche auf Inschriften hüufig begegneten.
Diese negotiatores vinari von Lugudunum sind nämlich sonst 15)
als Luguduni in canabis consistentes bezeichnet und hiermit
seien die Geschäftsgebäude an dem Ausschiffungsplatz gemeint,
mit denen auch das Gebäude verbunden gewesen, wo das Col-
legium als solches zusammentrat. Auf diese canabae also —
so ist der Gedankengang — beziehe sich der Ausdruck mit
Recht, denn hier, in seinem Vereinslokal, hielt sich das Colle-
gium nur gelegentlich auf, wührend der Ausdruck auf Lugdu-
num bezogen, mit welcher Stadtgemeinde das Colleg organisch
verknüpft sei, nicht passe. Nun existieren aber inschriftlich
noch eine ganze Reihe von Benennungen von Collegien, in wel-
chen in ganz gleicher, angeblich incorrekter Weise das Wort
consistere mit dem Namen der Stadt in Locativ- oder den Lo-
cativersetzender der Ablativform verbunden erscheint!*) Sie sind
12) „Vorübergehend“ definiert Cohn, z. röm. Vereinsr. S. 3 A.5,
„bleibend“ Mo m msen, Herm. VII p. 309.
13) Henz. 7007 = n. 208 meiner Ver. d. fabr. u. s. w. negotia-
(ori) vinari(o) Lugud(unt) in kanabis consist(enti) und ibid. negotiatores
vinari [Lug] in kanab. consist(entes); Or. 4077 corporis negot. vinario.
Luguduni in canabis consistentium.
14) Henz. 5216 = n. 220 fabri tignuar(*) qui Foro Segus(iavorum)
conststunt; Henz. 5824 cultores qui Sigus consistunt; viell. CIL VII 11
= n. 294 [colle]gium fabror(um) qui in eo [loco consistunt]; Wilm.
2233 = n. 226 patrono centonarior. Lug(uduns) consist[ent(ium)]
Die hastiferi von Castellum Mattiacorum. 493
nicht minder zahlreich als die Stellen aus Collegialinschriften,
in welchen consistere mit der Bezeichnung eines (Versammlungs-)
Locals verbunden ist. Sollen wir da iiberall eine ,,incorrekte
Abkürzung" annehmen? Die Vermuthung liegt doch unzwei-
felhaft viel näher, daß die mehr technische: Bedeutung des
Consistierens im Gegensatz zu dem Domiciliiertsein hier nicht
obwaltet, da8 vielmehr dem Wort einfach die allgemeine Be-
deutung des ,Bestehens, Geltunghabens, Existierens“
beizulegen ist, mit der Niiance, daB dies Bestehen eine
rechtliche Begriindung hat.
Dieselbe Bedeutung des ,,Bestehens de iure“ ist sogar
auch m. E. dem Wort beizumessen, wenn es in Verbindung mit
dem Namen eines Locals verbunden steht, an welchem wir
uns den Vereinssitz zu denken haben. Ich móchte sogar den
Gedanken, daß in der Titulatur der Collegien mit dem Wort
betont sein soll, daB der Verein in dem Vereinssitz oder -Local
nur gelegentlich zusammentrete, nicht in demselben sein Domicil
habe, für einen ganz unmôglichen halten, da das, was damit
gesagt werden soll, wenn auf die einzelnen Mitglieder
des Vereins bezogen, doch zu klar auf der Hand liegt,
um noch einmal besonders ausgedriickt zu werden; wenn aber
auf das Colleg als Ganzes bezogen, insofern dasselbe ei-
nen abstrakten Begriff ausmacht, gar nicht einmal der That-
sache entsprechen würde: denn das Colleg als solches hat al-
lerdings sein Domicil in seinem Vereinslocal.
Die Bedeutung, die das Wort m. E. hier hat, ,,(rechtlichen)
Bestand haben, existieren (als gestatteter Verein)" ergibt sich
einestheils aus dem synonym gebrauchten esse !°) in Verbindung
Wilm. 2229 = n. 225 centenario Lug(udunt) consistent(i); Henz. 7007
= n. 223 patrono ... III vir(orum) utr[r]clur(iorum). fabror. Lugud(uni).
consist(entium); Henz. 7260 = n. 222 corporat(t) inter fabros tign(artos).
Lug(uduni) consistentes; Wilm. 120 = n. 229 dendrophori Luguduns
consistentes; Henz. 6991 corporato inter utriclar(ios) Lug(udunt) consi-
stentium (sic); ibid. 6950 patron(o) Conde[atium et Arec]ariorum Lu-
gud(unt) consistenttum; Or. 2773 genio arenartorum consistentium ool(o-
_ niae) Aug(ustae) Tre(virorum).
15) Or. 2414 collegium quod est in domu Sergiae Paul
linae; Or. 4938 [co/]legium m[aiorum] et mino[r. quae] sunt in
[do mo] Sergsae [L. f Paullinae: Or. 2389 (aus Verona) consti-
tutors collegi numinis dominorum quod est sup. templo Divi Claudi.
Vgl. damit Or. 1223 collegio sanctissimo quod consistit in praedis
Larci Macedonis in cursa. Hier steht consistit. offenbar ganz
494 H. C. Maué,
mit einem Local, anderntheils daraus, daß thatsächlich das Wort
in dieser Bedeutung, ganz besonders mit dem Nebenbegriff des
rechtlich Begriindetseins ein sehr hiufig gebrauchter Aus-
druck ist !9). Wir müssen also annehmen, wie ja auch die Stellen,
in welchen est an Stelle des consistit steht, bezeugen, daB das Wort
urspriinglich zu verbinden ist mit dem Wort collegium, nicht mit
dem Wort, welches den Stand oder Charakter der Mitglieder
angibt. Verbindungen wie Henz. 6302: collegium cocorum Au-
g(usti) n(ostri), quod consistit in Palatio und die A. 6 aus Or.
1223 angeführte, enthalten also sprachlich und inhaltlich den
urspriinglich correktesten Ausdruck. Nun wird aber bekanntlich
in Collegialinschriften unzählige Mal anstatt der Bezeichnung
der Corporation durch das Wort collegium oder corpus oder so
dalicium einfach der Plural des Wortes gebraucht, welches den
Beruf oder Charakter der Mitglieder anzeigt z. B. dendrophori
Ostienses statt collegium dendrophororum Ost., und so wird denn
zu dieser abstrakt gedachten Gesammtheit das Wort consistere
hinzugesetzt, welches deswegen aber nicht in dem technischen
Sinn des Consistierens der einzelnen Mitglieder, sondern nicht
anders zu verstehen ist, als in Verbindung mit dem Wort
collegium. Wenn wir daher bei Festus s. v. scribae lesen:
publice adtributa est in Aventino aedes Minervae, in qua liceret
scribis histrionibusque consistere, so heiBt das nicht, daB den Dich-
tern oder Schreibern und Schauspielern im Tempel der Minerva
erlaubt war zusammenzutreten zu gelegentlichem
Aufenthalt (so Cohn z. róm. Vereinsrecht S. 3 A. 4) — so
synonym mit dem sonstigen est, nur daß in diesem bloßen est nicht
der Nebenbegriff des ,rechtlich Gestattetseins" mit enthalten ist.
16) Stellen hierfür aus den Rechtsquellen weist das Manuale v.
Dirksen s. v. und besonders Heumann im Handlexicon z. Corpus
iuris civilis s. v. in reichlicher Zahl auf. Ich führe nur die folgenden
an: Digg. 45, tit. 1, 1. 98: et mazime secundum sllorum optnionem,
qui eliam ea, quae recte constiterint, resolvi pulant, quum in
eum casum reciderunt, a quo non potuissent consistere; ibid. 50, tit.
17, 1. 129 8 1 quum principalis causa non consistit, ne ea
quidem, quae sequuntur locum habent; ibid. 24, tit. 1, 1. 27 Inter eos,
qui matrimonio coituri sunt, ante nuptias donatio facta sure con-
sistit, etiamsi eodem die nuptiae fuerint consecutae; ibid. 13, tit. 6,
l. 1, 8 2 Impuberes commodati actione non tenentur, quoniam nec
consistit commodatum in pupilli persona sine tutoris auctoritate,
usque adeo, ut etiamsi pubes factus dolum aut culpam admiserit, hac
actione non teneatur quia ab snitio non conststit. VgL auch
noch Digg. 5, tit. 1. 1. 11; 20, tit. 1,1. 14, $8 1u. a.
Die hastiferi von Castellum Mattiacoram. 495
heißt consistere niemals 17) — sondern, daß ihnen rechtlich ge-
stattet war eine Corporation zu bilden, deren Sitz eben der Mi-
nervatempel bilden sollte; der Ausdruck consistere ist also hier
schon ein dem Vereinswesen technisch angehörender geworden.
Und nicht anders ist es in der bekannten Inschrift !9) des col-
legi fabrum soliarium baxiarium (centuriarum) III qui consistunt in
urbe sub theutro Aug(usto) Pompeian(o), wo die Beziehung des
consistunt auf qui trotz des vorherstehenden collegi nicht auffallen
kann, nachdem einmal der technische Sprachgebrauch sich aus-
gebildet hatte. So hatte ich bereits das collegium centonariorum
Placentinorum consistentium Clastidi, (ein vicus von Placentia), ent- .
gegen der Mommsen'schen Annahme als einen Zweigverein der
centonar von Placentia erklürt, der einen besonderen Vereins-
sitz in Clastidium hatte !?), und ebenso ist das Verhältniß zu
denken bei dem collegium nautarum Veronensium Arelicae (ein vi-
cus von Verona) consistentium °°). |
Ueberall also bedeutet in den oben angeführten Collegial-
Inschriften die Verbindung des Wortes consistere mit dem Na-
men einer Stadtgemeinde, daB das Colleg dort (mit staatlicher
Genehmigung) seinen Sitz hat ?!), folglich auch in der neu ge-
fundenen Inschrift unsrer Casteler hastiferi ??).
17) Auch Consistere c. alquo wird nicht in diesem Sinn gebraucht,
sondern bedeutet nur soviel als ,,auf der Strafe bei einem stehen
bleiben, um mit ihm eine Unterredung zu führen‘, so bei Plaut.
Curc. 4, 2, 16: „nec vobiscum quisquam in foro frugi consistere audet.
Qui constitit, culpant eum, conspuitur, vituperatur“‘; id. Cist. 4, 2, 31
„sed is hac tit: hac socci video vestigium in pulvere: persequar hac. In
hoe tam loco cum altero constitit". Cic. p. red. in sen. 6, 14; Verr.
act. I 7, 19.
18) CIL VI 9404 — Or. 4085.
19) Ver. d. fabri u. s. w. p. 49.
20) CIL V 4017.
21) Der Ausdruck kommt also in der Bedeutung dem Zusatz
nahe, den wir sonst ófter in Collegialinschriften hinter dem Namen
des Collegs finden: quibus ez s(enatus) c(onsulto) coire licet oder per-
missum est, z. B. Or. 4075; 8140; Henz. 6633; CIL IX 2218 ; X 3700;
5198. Ueber die Bedeutung dieses Senatsconsults vgl. meinen Praef.
fabr. p. 23 f., bes. Anm. 6.
22) Auch aus einer andern rômischen Niederlassung in den Rhein-
landen, aus Cöln, ist eine Collegialinschrift mit analoger Bezeich-
nung des Collegs bekannt geworden, ein collegium [f]ocartorum [con-
sist]entium [Coloniae Claudiae Augustae Agrippinensium] zuerst von H.
Düntzer in den Bonn. Jhrbb. 42, 8. 83 f., dann bei Brambach,
C. J. Rh. Addenda p. XXIX als n. 2041 ediert = Wilm. 2287).
Düntzer hält die focari für Verfertiger von foci d.i. Kochgeschirren.
488 H. C. Maué,
möge zweierlei die Ursache gewesen sein: einmal drückte ja der
Name dendrophori = Holzlieferanten oder Holzfuhrleute, abge-
sehen von der technisch-sacralen Bedeutung des Wortes, ihre
bürgerliche Thätigkeit noch deutlicher und klarer aus als ihr
bisheriger bürgerlicher Name lignarii, dann aber erinnerte der
neue Name sofort an ihre Beziehung zu der Gottheit und gübe
ihrem Handwerk eine religióse Weihe und daher ein gewisses
Ansehen. In Inschriften aber, die bestimmt seien, das Anden-
ken der darin Genannten der Nachwelt zu überliefern, kämen
naturgemi8 nur die Bezeichnungen zur Verwendung, die eines-
theils officieller Natur, anderntheils aber geeignet seien, das An-
sehen des zu Verewigenden zu heben.
Dieser Versuch den sacralen griechischen Namen des rómi-
schen Handwerkercollegs und das Verhältniß dieses Namens zu
der lateinischen profanen Bezeichnung desselben Handwerks zu
erklären, erhält eine durchaus sichere Bestütigung durch eine
erst ganz kürzlich aufgefundene Casteler Inschrift, welche
ein analoges Verhältniß in der Benennung eines und desselben
Collegs aufweist: es ist das Colleg der hastiferi — so ihr sa-
craler Name — oder der pastores im bürgerlichen Leben.
Diese Inschrift eines Sandsteinaltars, welcher am 19. Juli
1887 zwischen dem Rheinufer und dem Wasserthurm der Ce-
mentfabrik Amöneburg gefunden wurde, lautet, nach der Publi-
kation des Obersten A. v. Cohausen in den Ann. d. Ver. f.
Nass. Alterthumskunde u. Geschichtsforsch. 1887, Bd. XX S. 150:
In H DD
NuM AVG
HAStIFERII
SIVEPASToR
CONSIS ENT
ESKASTELLO
MATTIACORVM
ESVOPOSVE
rVNI'VIIITKA L
APRILE §
Iu LIANOETCRIs
PINOCOs = 224 n. Chr.
Die Inschrift ist, auch ganz abgesehen von der durch sie ge-
wonnenen endgiiltigen Fixierung des Namens des rimischen Ca-
Die hastiferi von Castellum Mattiacorum. . 489
stel, von großer Wichtigkeit und hohem Interesse nach meh-
reren Seiten hin, und wir dürfen sie den hervorragendsten Fun-
den zuzühlen, welche in neuerer Zeit in den Rheinlanden ge-
macht worden sind.
Die hastiferi von Castel oder von Civitas Mattiaco-
rum sind uns lüngst bekannt aus einer Dedikationsinschrift,
welche von ihnen im J. 286 der Virtus Bellona gewidmet
wurde?) Das Wesen dieser Speertrüger zu ergründen sind die
Forscher seit der Zeit der Auffindung der Inschrift i. J. 1809
vielfach bemüht gewesen. Es stehen sich hierbei zwei Ansichten
gegenüber: nach der älteren sind die Aastiferi eine aus Bewoh-
nern der bürgerlichen Ansiedelung gebildete Municipalmiliz ge-
wesen, nach der anderen dagegen, welche besonders von J.
Becker in den Nass. Annalen Bd. VII S. 44 f. vertreten
wird, stellen die hastiferi ein sacrales Colleg dar. Bei Becker
findet sich die Literatur angeführt. Der letzteren Ansicht hatte
ich mich in der angeführten Programmabhandlung S. 21 f. A.
14 angeschlossen, allerdings mit der Modification, daB. ich nicht
in dem Worte hastiferi — wie Henzen, Becker und auch
Th. Mommsen im Hermes (VII 1878 8. 325 A. 4) — eine
lateinische Uebersetzung des Wortes dendrophori erblicken und
beide Collegien nicht für identisch halten konnte.
Die andere Ansicht dagegen, daß die hastiferi eine militä-
risch organisierte Stadtwehr gewesen seien, hatte neuerdings
noch ihre Vertreter gefunden in der 2. Bearbeitung der Staats-
verwaltung v. J. Marquardt (Bd. II S. 588, 1884) und bei
Th. Mommsen (Róm. Gesch. V 1885 S. 185 A. 2); auch
Cagnat (de municipalibus et provincialibus militiis in imperio
Romano, Paris 1880 p. 80) neigt sich dieser Ansicht zu.
3) Or. 4983 = J. Becker, Nass. Ann. VII S. 44 f. = Bram-
bach 1336 = J. Becker, Inschr. d. Mainz. Mus. 82. Wir geben
den Text nach Brambach: In. h. d. d. deae. Virtuti. Bello|ne. montem
Vaticanum | vetustate. conlabsum | restituerunt hastiferi. cilvitatis.
Mattiacor. X. Kal. | Bep. Imp. ////]]IIHBIHHUTUTITII]! | et. Africano.
cos. hi. quorum no|mina. i. s. ta. sunt | G. Meddignatius. Severus our.
bis. | Dann in zwei Columnen: a. L. Levinius Quetus. | T. Vitalinius
Peregrinus | Costantius. Marcianus | Crixsius. Adnamatus | Giamillius.
Crescens | Titius Belatullus | . . . . us. Severus |. . . & . . fus Costas
sos. ss. Victor | 5. Tertinius Abrosus | Marcrinius Pris[c]us
Atregtius. Cupitianus | Perrius. Justinus. Ri .. sop (? dieser 3. Name
fehlt sonst in allen mir zugänglichen Lesungen) | Attonius Asclepius |
Ursius Maturus | Statutius Secundinus | Servandius. Senurus.
493 HK. C. Maze,
Ausdruck cousisientes kastello Mattiacorum dagegen wird das Col-
leg seiner Ortszustandigkeit nach charakterisiert, d h nach dem
Domial. wo das Colleg von Staatswegen eoncessioniert ist.
So benennen sich auch die fabri tigauarü von Ostia bald fabri
lign. Ostienses **) bald fabri liga. Ostie**:. und im letzwren Fall
ist natürlich consistente: zu erganzen.
Auch die neugefundene Inschrift der Aastferi enthält wie
die bereits früher bekannte eine sacrale Dedikation. diesmal al-
lerdings nicht an Bellona. die Gottheit. deren Dienst sich die
Bruderschaft zur besonderen Aufgabe gemacht. vielmehr ist die
Dedication unsers Altars an die Schutzgomheit des Kaisers zu
Ehren aes göttlichen Hauses nur der gewöhnliche Ausdruck der
Lovalitat. die sich in gleicher Form sowohl in Widmungen ein-
zeiner Persenen. wie ganz besonders auch ganzer Corporationen,
zumal zinfiiger, häufiger kundgibt. Darum halen wir aber
dennoch unsere Ansicht. die wir bereit: früher zu begründen
gesucht *i aufrecht. daß die hastiferi zu dem Dienst der orgia-
süsch verehrten Bellona gehörten. und daß sie bei den Pro-
cessionen dieser speertragenden Gorin selbst als Speerträger
fangierten Für die Verbreitung und Wichtigkei: der aus dem
Orient stammenden Gottesdienste gerade in den Rbeinlanden
zeugen for: und fort neue Funde " . und es darf uns daher
nich: Wunder nehmen. daß der Cuius der orientalischen Bel-
lens. die mir der al:ròmischen Rriegsgétün verschmolzen war,
in CasteLum Mattiacorum. wie der Name unsers Collegiums be-
zeuz:. eine officielle Verehrung gefunden hare. Der Dienst
cer Bellona zumal ist in der rein militärischen und strate-
zeirem Praefectus fabrom p. 167 f. 2 R. 2. " ce dacrum) Jabiro-
run. penädusimoe eir:ahs Ariminensum: TS: 14i: 5): [8]: [11—
ig}: 2:— 231 134]: 137.
$=) Vgl Yee d. fabri a. s w. n. 8: 70: 75; Nachtrag [12];
1130: lid.
21 Ver. d. fabri c. a w. n. 72; 73; 74: Nacktrag 1) — Vgl
acct = 113 omo cissectorum fd. ww: dendr. Feitriae siomque
Beruensuum. Auch bier ist nach Feärsse das Wort consisten-
zum rz ergänzen.
Sr. Ver. d. fabri u. & w. p. 22 f. A. 14.
31: Val. die körziich gefundene Mainzer Inxbrft: In À(omerem
d'ou dara deo Ainsi TFoetorins Salacons über£ us] Korr. d.
Westd. Z& br. f Gesch. v. Kunst VI 1587. S I £: eim neuves Mi-
rirgeumi cit bedectenden Skcipturen und Inatriften wurde 1887 in
Hèilierzzeiri gefuróen. worîber ausfitriicter Bericht v. A. Ham
merara 20 VI 1557 S. 40 f.
nn
y
Die hastiferi von Castellum Mattiacorum. 499
gisch so wichtigen Festungs- und Stadtanlage ein sehr nahe-
liegender 3”).
Wenn nun unzweifelhaft feststeht, daB die hastiferi ein Col-
legium darstellten, so ist damit ausgeschlossen, daß sie zu mi-
litärischen Zwecken, etwa einer Grenzwache, verwendet wor-
den seien °°), wogegen ja auch schon ihre geringe Zahl spricht,
die nach der Inschrift v. J. 236 nur 18 beträgt **). Wohl fin-
den sich militärisch gegliederte Collegien mit Centurien- und
Decurieneintheilung unter Leitung von Centurionen, Decurionen 5°)
und Praefekten °°), wohl heißt es von Hadrian"), daß er
simmtliche Bauhandwerker in militürisch organisierte Verbünde
einrangierte, die geradezu ,,Cohorten“ genannt werden, allein
diese Organisation, welche nur bei wenigen und ganz bestimmten,
dazu nur bei mitgliederreichen Classen von Handwerkern vor-
kam, bezweckte keineswegs militärische Verwendung, weder zum
Angriff noch zur Vertheidigung °°), sondern sie wurde für zweck-
mäßig gefunden für Dienstleistungen, bei welchen es auf strengste
planmäßige Ordnung und Regelmäßigkeit ankam, bei der Aus-
führung großer Bauten, für den Löschdienst u. ä. Leistungen ;
sind doch auch unsere modernen Feuerwehren ganz militärisch
eingerichtet. Außerdem aber findet sich ja in unsern Inschriften
32) Vgl. den 1841 in Mainz gefundenen Stein Brambach 998:
Bellonae | Terentia | Martia | v. s. l m.
33) Das vielberufene collegium Germanorum , der germanischen
kaiserlichen Leibwache in Rom, welches man hier entgegenhalten
könnte, läßt sich gar nicht in Vergleich bringen. Dasselbe war ein-
fach eins der sehr zahlreichen Sklavencollegien des kaiserlichen
Palastes und gehörte zu der Leibdienerschaft, aber keineswegs
zu den milites. Was Cohn, Z. róm. Ver. S. 118 über dasselbe nach-
zuweisen sucht, ist durchaus unzutreffend, doch ist hier nicht der Ort
darauf einzugehen. .
34) Es läßt sich freilich nicht mit Sicherheit entscheiden, ob in
den Worten di quorum nomina infra scripta sunt nicht implicite ent-
halten ist, daß außer den aufgeführten dedicierenden Mitgliedern noch
andere, die zu den Kosten nicht beitrugen, vorhanden waren. Doch
ist diese Annahme die unwahrscheinlichere.
35) Vgl. meinen Praefectus fabrum p. 55 f.
36) Vgl. Praef. fabr. p. 72 f.
37) Sex. Aur. Vict. c. XIV: ad specimen legionum militarium fa-
bros, perpendiculatores, architectos, genusque cunctum extruendorum
moenium seu decorandorum, in cohortes centuriaverat. Vgl. Praef.
fabr. p. 39.
38) Im Gegentheil bestand jederzeit das ängstliche Bemiihen, das
Collegial- und das Militärwesen ganz von einander gesondert zu hal-
ten, vgl. meinen Praef. fabr. p. 34 f. und besonders p. 69 f. u. p. 74.
32 *
500 H. C. Maué,
keine Spur, daB das kleine Colleg der hastiferi militärisch or-
ganisiert war, und endlich móchte ich auch glauben, daB ge-
rade in Castellum Mattiacorum, welches zusammen mit Mogontia-
cum das Hauptbollwerk der rimischen Macht in Obergermanien
bildete, wo daher stets eine starke Besatzung lag, eine solche
Municipalmiliz nicht einmal BediirfniB war. Es ist also nach
allem vollkommen ausgeschlossen, daß die hastiferi eine Munici-
palmiliz bildeten. —
Wie unsere Inschrift besagt, war nun dieses sacrale Colleg
der hastiferi zusammengesetzt aus Mitgliedern, die ihrem bürger-
lichen Beruf nach Hirten waren, und es erhebt sich natiirlich
sofort die Frage, warum gerade die Hirten die sacrale Funk-
tion der Hastiphorie bei den Fasten der Bellona iibernahmen.
Die Frage ist nicht so schwer zu lôsen, wie es auf den ersten
Blick erscheint.
Vor allem muf man sich hiiten, nach inneren Beziehungen
zwischen den Hirten und der Bellona zu suchen. Auch
hier ist die Analogie der dendrophori wieder sehr lehrreich. Es
ist ja ganz unzweifelhaft, daß die Zunft der Holzlieferanten und
-transporteurs, also der Zignarii, zum sacralen Colleg der Baum-
triger der Magna Mater und des Attis darum wurden, weil sie
die bei einem Umzug nöthigen Bäume lieferten. Sie sind ja
bereits durch ihren bürgerlichen Beruf ,Jdendrophori* gewesen.
Die Beziehung zur Magna Mater, deren eigenstes Colleg die
dendrophori sind, ergab sich also aus einem rein duferlichen,
um nicht zu sagen zufälligen Umstand. Dies gibt uns den Fin-
gerzeig, wie die Hirten zur Hastiphorie kamen. Auch sie sind
durch ihren bürgerlichen Beruf bereits Rastiferi, wenigstens
zweifellos in der fernen Grenzwacht des rómischen Reichs im
rauhen Norden, und sie hatten ihre Lanzen und Stachel-
instrumente nicht nur nóthig zum 'Treiben des ihnen anver-
trauten Viehes — wie noch jetzt die Ochsenhirten der rómischen
Campagna — sondern auch zum Schutz desselben gegen Raub-
thiere und feindliche Ueberfülle. Es verlohnt sich, näher zuzu-
sehen, welches überhaupt das charakteristische Instrument der
Hirten in rómischer Zeit gewesen sein mag.
Schon der alte Gottfried Grosse bemerkt in seiner
trefflichen Uebersetzung von ,des M. Terentius Varro Buch von
der Landwirthschaft“ (Halle 1788 8. 237/88 A. 562): „man
Die hastiferi von Castellum Mattiacorum. | 501
sieht aus dieser Stelle, daß sich die alten Hirten auch schon der
Hörner bedient haben, von der Peitsche aber, durch deren
Knall jetzt unsere Hirten die Heerden commandieren, finde ich
noch bis jetzt keine Spur“. Eine solche Spur ist nun
allerdings seither m. W. mindestens in einem Falle gefunden
auf dem weiter unten noch zu erwähnenden Grabstein des bei
Mainz ermordeten Viehzüchters Iucundus: auf der unter ‘der In-
schrift angebrachten rohen Reliefdarstellung ist der seine Schaf-
heerde begleitende Hirt nach dem Bericht der Herausgeber der
Inschr. mit einer Peitsche dargestellt, die nach der Abbil-
dung (Bonn. Jhrb. LXXIV, Taf.I) unsern Hunds- oder Schweine-
peitschen mit kurzem Stiel ühnelte. Jedenfalls aber zeugt das
Fehlen oder die Seltenheit sonstiger Spuren, wenn auch nicht
für die Unbekanntheit, so doch für den seltenen Gebrauch der
Peitsche bei den Heerden.
In friedlicher Gegend und in dem idyllischen Leben, wel-
ches Theokrit und Virgil besingen, trugen die Ochsen- und Kuh-
hirten gewöhnlich nur den einfachen langen Stab, der selbst
schon hastile genannt wird??). So finden sich u. a. Hirten in
den Abbildungen zu den Eclogen in der Vatican. Bilderhandschrift
des Virgil dargestellt. Die Schaf- und Ziegenhirten gebrauchten
das pedum (xogvvn oder AaywßoAor), einen an seinem unteren
Ende umgebogenen Stab, dessen Krümmung den Zweck hatte,
die Ziegen und Schafe beim Bein festzuhalten *") Aber in vie-
len Gegenden Italiens und Galliens mußten die Hirten zum
Schutz ihrer Heerden auf Ueberfälle von mancherlei Art gerti-
39) Calpurn. Eel. III 21 f.: Tityre, quas dixit, salices pete laevus,
et illinc, Si tamen invenies, deprensam (sc. vaccam) verbere multo Huc
age, sed fractum referas hastile memento.
40) Virg. Ecl. V 88f.: At tu sume pedum, quod, me quum saepe
rogaret, non tulit Antigenes, (et erat tum dignus amari) formosum pa-
ribus nodis atque aere, Menalca. Dazu Servius: sume pedum:
Virga incurva, unde retinentur pecudum pedes. Jedenfalls zeigt das
Attribut formosum . . aere, daß auch das pedum mit Metall beschla-
gen war, vielleicht eine bronzene Spitze hatten. Vgl. auch F'estus
8. v. p. 210 (O. Müll.) u. p. 249: pedum est quidem baculum incur-
eum, quo pastores utuntur ad comprehendendas oses, aut capras, a pe-
dibus. — Theokr. Id. IV 49: 839’ $3» pos Gosxdy 16 Aaycfodov! we tv
natata! ibid. VII 128; ibid. VII 19 Qosxdv d' Eye dyossdaiw defstegg
xogivav; ibid. 43. Dasselbe Instrument, nur ein wenig stärker als
das Hirteninstrument trugen Jüger und Bauern, um Hasen damit zu
werfen und zu tódten, daher der Name Aaywßölor. Vgl. Rich, Handb.
d. röm. Antiqu. s. v.
502 H. C. Maué,
stet sein: daher verlangt Varro nicht nur wegen der Beschwer-
den, die das Leben in wilder Gebirgsgegend mit sich bringt,
sondern auch um das Vieh vor Raubthieren und Räubern schii-
tzen zu können von den Hirten, daß sie wetterhart, schnellfüßig,
behend sind und einen in jeder Beziehung gestählten Körper
besitzen, ja geradezu, daß sie im Gebrauch des W urfspieBes
wohl erfahren sind *'. Während daher auf Landgütern der
Ebene nicht nur Knaben, sondern auch Mädchen ohne Gefahr
das Vieh treiben kónnen, müssen die Hirten im Gebirge krüf-
tige Männer und bewaffnet sein?) Namentlich mit
Räubern mußten sich die Hirten vielfach herumschlagen, und
wie verbreitet der Viehdiebstahl gewesen sein muß, geht aus
den zahlreichen gesetzlichen Bestimmungen hervor, die gegen die
abigei oder abigeatores, die Viehrüuber, erlassen sind *°);
man mußte zu den härtesten Strafen greifen, um dies Uebel ei-
nigermaßen einzudämmen.
Durch das beständige Leben in der Wildniß, durch den
Umgang mit Gefahren aller Art und durch den fortwährenden
Gebrauch ihrer Waffen wurden aber die Hirten selbst zu einer
verwegenen, gefährlichen Menschenclasse, die mit Recht stets als
verdächtig und kaum besser als die Räuber selbst galt. Be-
sonders berüchtigt waren in dieser Beziehung die Hirten von
Apulien, dem eigentlichen Heerdenland, wie uns manche Be-
richte schon aus früher Zeit zeigen. Im J. 185 vor Chr. mußten
wegen des unerträglichen Brigantaggio dort Tausende von Hirten
und Helfershelfern derselben hingerichtet werden‘). Sie waren
auch immer für verzweifelte Unternehmungen zu haben. So
41) Varro d. r. r. II 10, 3: Formae hominum legendae, ut sint fir-
mae ac veloces, mobiles, expeditis membris : qui non solum pecus sequi
possint, sed etiam a bestiis et praedonibus defendere:
qui onera extollere in iumenta possint, qui excurrere, qui iaculari.
42) Varro d. r. r. II 10, 1: Ziaque in saltibus licet videre iuven-
lutem, et eam ferearmatam; cum in fundis non modo pueri
sed etiam puellae pascant.
43) Vgl. Huschke, Iurisprud. anteiustin. Mosaic. et Rom. leg.
coll. tit. XI de abigeatoribus Kap. I— VIII ed. 4, p. 668 f. — Ferner
Digg. 47. tit. 14, 18 4; 2; 3.
44) Liv. 39, 29: Magnus motus servilis eo anno in Apulia fuit.
Tarentum provinciam L. Postumius praetor habebat. Is de pastorum
coniuratione, qui vias latrociniis pascuaque publica snfesta habuerant,
quaestionem severe exercuit, Ad septem milia hominum condemnavit:
multi inde fugerunt, de multis sumptum est supplicium. Consules diu
retenti ad urbem dilectibus tandem in provincias profecti sunt.
Die hastiferi von Castellum Mattiacorum. | 503
hatte unter den Freunden des Catilina M, Ceparius die Auf-
gabe erhalten, die Hirten in Apulien aufzuwiegeln *°). Und
daf sich auch in späterer Zeit die Hirten dort nicht viel von
Briganten unterschieden haben miissen, geht aus einem hôchst
interessanten Rescript der praefecti praetorio (wahrsch.
a. d. J. 168 nach Chr) an den Magistrat von Saepinum
und den dieses Schreiben begleitenden Anlagen der kaiserlichen
Domanialbeamten hervor #6).
Die gewóhnlichste Waffe der Hirten mag wohl der Bau-
ernspeer, der sparus oder sparum, gewesen sein, soweit nicht
der mit starker Spitze versehene Lanzenstock selbst, der sti-
mulus, der wohl auch hasta *") genannt wurde, als Waffe ver-
wendet wurde. Dieser agrestis sparus, wie er bei Ver gil (Aen.
XI 682) genannt wird, heißt nach Servius zur Stelle mit
Recht agrestis: nam sparus est rusticum telum in modum pedi re-
curvum *®), Diese Waffe trugen in der Regel nur die Land-
sturmaufgebote , irregulüre Streitkrüfte, die sich aus der Land-
bevólkerung, aus Bauern und Hirten oder den Bewohnern der
Landstüdte zusammensetzten 4°), daher auch der sparus als Waffe
von Barbaren genannt wird 5). Sonst findet er noch Verwen-
45) Cic. Cat. III 6, 14: in M. Ceparium (decretum est, ut tn cu-
stodiam traderetur sc.), cui ad sollicitandos pastores Apuliam atiributam
essé erat indicatum. |
46) CIL IX 2438. — Vgl. auch noch Cic. pro Clu. 59.
47) Du Cange, Glossarium s. v. hasta, Tom. IV, p. 173 führt
das Wort Haste noch aus einem altfranzôs. Brief des Jahres 1479
in dieser Bedeutung an: Hine Haste appellatur Stimulus, quo boves
punguntur et incitantur in Lit, remiss. ann. 1479 ex Reg. 206 ch. 263:
y Durand Jarric portant à son col une Haste ou aguillade pour toucher
8 beufz'.
48) Rich gibt s. v. eine Abbildung nach einem Basrelief aus
der Sammlung zu Ince-Blundell, auf welchem diese mit der Beschrei-
bung des Servius übereinstimmende Waffe als Jagdspieß (vgl.A.50) dient:
Vgl. auch Non. Marc. p. 555 s. v. (p. 382 ed. Gerlach und Roth)
sparum, telum agreste.
49) So bei Sall. Cat. 56: Sed ez omni copia circiter pars quarta
erat militaribus armis instructa, ceteri, ut quemque casus armaverat,
sparos aut lanceas, alii praeacutas sudis portabant, — Bei Silius
8,523 heißt es von der Bevölkerung einer Reihe von italischen Land-
städten: Omnibus in pugna fertur sparus.
50) Sil. It. 3, 388 RAyndacus his ductor, telum sparus. Derselbe
ist ein Sarmate. Von Lucilius bei Non. Marc. p. 224 (p. 152 ed. Ger-
504 H. C. Maué,
dung auf der Jagd °'), allein nicht unmöglich ist es, daB er
auch in der regelrechten Kriegführung eine Stelle fand, . denn
mehrfach wird er als Waffe im regulären Krieg genannt. Wahr-
scheinlicher jedoch hat man an den Belegstellen hierfür, wie sich
in einem Fall ja sogar noch verweisen läßt (A. 52), nur eine
(poetische) Variation des Ausdrucks zu erblicken 9?) Wird doch
der heilige Speer der Bellona, wit welchem sich ihre weissa-
gende Priesterin in orgiastischer Begeisterung verwundet hat,
von Tibull in hochpoetischer und pathetischer Sprache veru
genannt °5). So gut wie nun dieser heilige Speer veru, ebenso
wohl konnte zweifellos der HirtenspieB in castellum Mattiaco-
rum, mag derselbe nun wirklich der sparus oder, wie Oberst v.
Cohausen im Rhein. Kurier v. 17. Aug. 1887 will, die
Lanze mit breitem Blatt gewesen sein, mit der man hauen
und stechen und auch wohl Erdklöße werfen konnte, ebenso
wohl — sagen wir — konnte dieser HirtenspieB hasta genannt
werden, welches, wie wir gesehen, ja geradezu synonym mit
sparus und wahrscheinlich auch thatsächlich für den Hirtenspieß
selbst (vgl. A. 46) gebraucht wurde.
Wenn bei Livius (IX 36) den in der Verkleidung etruski-
scher Hirten gehenden rimischen Kundschaftern dina gaesa als
agrestia tela beigelegt werden, so ist diese Waffe nicht eine den
Hirten ursprünglich eigenthümliche, sondern erst von den galli-
schen Alpenbewohnern hier wie auch anderwärts
angenommene. Denn das gaesum wird ausdrücklich als eine
charakteristisch der Alpenbevölkerung angehörige Waffe be-
lach und Roth) wird das Wort mit einem andern, ihm offenbar ähn-
lichen, nicht militärischen Geschoß, rumez genannt, zusammengestellt.
51) Varro in der Meleagris bei Non. Marc. 1. L.: aut tlle, cereum
qui volabile currens Sparo secutus est tragulave traicit.
52) Nep. Epam. 2: ipsum Epaminondam pugnantem sparo eminus
percussum concidere viderunt....... st ferrum , quod ex hastili in
corpore remanserat, extraxisset . . . Dasselbe Geschof jedoch, welches
den edlen Epaminondas niederstreckte, wird bei Val. Max. III 2, 5
und bei Cic. de fin. II 30 hasta genannt; Cic. ad fam. V 12 spricht
von ihrem spiculum; Liv. 84, 15 si quis extra ordinem avidius procur-
rit, et ipse interequitans sparo percutit, et tribunos centurionesque
castigare iubet (Cato sc.) — Sisenna Historiar. 1. III bei Non. Marc.
1. 1: sparis ac lanceis eminus peterent hostis. Doch sind hier unter
den Angreifenden hóchst wahrscheinlich irregulüre Truppen zu ver-
stehen.
53) Tibull. I 6, 49.
Die hastiferi von Castellum Mattiacorum. — 505
zeichnet 54), welche übrigens auch von andern Völkern adoptiert
wurde °°), 1
So diirfen wir denn auch als sichere Thatsache annehmen,
dass die Hirten in dem rauhen germanischen Grenzland mit:
Lanzen bewaffnet waren.
Der Grundbesitz im rómischen Germanien bestand, wie
schon in der Zeit vor der rémischen Occupation, wohl fast aus-
schließlich — wo nicht dichte Wälder die Berghiinge deckten
— aus Weideland, und, wie zahlreiche Spuren zeigen, trieben
die Viehheerden der rimischen Standlager und der biirgerlichen
Niederlassungen und Gehôfte allenthalben auch in dem Thal
des Mains und in der Wetterau, auf den Vorhühen und Ab-
hüngen des Taunus, auf den Abdachungen des Vogelsbergs
und des Hahnenkamms, soweit sie innerhalb des limes lagen,
Oberst v. Cohausen hat bereits in dem Artikel im Rhein.
Kurier v. 17. Aug. 1887 auf die aus Steinen aufgerichteten
Pferche hingewiesen, die wir hier und dort im Walde antreffen,
auf die starken Ringmauern, die sich über den Steetener Hóh-
len, auf dem Altkónig und dessen Nachbarbergen erheben, auf
die eisernen Glocken des Viehs, die wir so häufig finden. Er
hätte hinzufigen können die unzähligen Namen für Gemarkungen,
Gewanne, Anhöhen, Gehöfte, Mühlen, Brücken, die seit uralten
Zeiten ihre Namen der in der Gegend betriebenen Viehzucht
verdanken. Kapellen, die St. Wolfgang, dem Schutzpatron der
Hirten, geweiht sind, dürfen wir überall als Mittelpunkte einer
Hirtenbevölberung ansehen, und an solchen Orten muß natürlich
auch schon in vorchristlicher Zeit Hirtenbevölkerung ansässig
gewesen sein. So lag beim Kastell Groß-Krotzenburg dicht am
Pfahlgraben ein Kloster St. Wolfgang *9), welches im Bauern-
krieg zerstört wurde, und auch durch zahlreiche Namen erinnert
diese Gegend, wo jetzt blühender Ackerbau betrieben wird, an
die hier einstmals ausschließlich ausgeübte Viehzucht. Und so
war auch das jetzt üppige Gemüse, Obst- und Getreidegelände
der Main-Rheinniederung bei Castel, aber auch weiter das ganze
höher gelegene Vorland bis zum Abhang des Gebirges in römi-
54) Verg. Aen. VIII 661 Alpina . . gaesa; Caes. b. G. II 4. — |
Vgl. neuerdings auch Th. Mommsen in dem am Schluß citierten
Aufsatz im Hermes XXII, S. 548 f. und Anm.
55) Vgl. Rich s. v.
56) Vgl. v. Cohausen, Der rômische Grenzwall S. 43 und 45.
506 H. C. Maué,
scher Zeit lediglich Weideland, und zwar bestand es der Natur
des Bodens nach zum kleineren Theil, im sumpfigen Fluf-
schwemmland, aus eigentlichen Wiesen, bei weitem den größe-
ren Theil bildeten Hutwald oder Waldweiden, silva pascua 5*)
oder saltus®*) in technischem Sinn?) Auch mehrere andere
direkte Zeugnisse aus der Römerzeit bekunden uns die in dem
Taunusgebiet bei Castel betriebene Viehzucht. Am interessante-
sten ist der bereits oben erwühnte Grabstein des pecuarius, d. i.
Viehzüchters J ucundus, welcher 1881 in Mainz gefunden und
mehrfach, bes. in den Bonner Jahrb. 72 S. 137 von J. Keller
und 74 S. 24 f. von P. Wolters (hier mit Abbildung) und
im Nachtrag zu dem J. Becker'schen Katalog des róm. Museums
in Mainz von J. Keller (Zeitschr. d. Ver. z. Erforsch. d.
Rhein. Gesch. u. Alterth. Bd. III Mainz 1883 8. 168 f. n.
246*) herausgegeben und besprochen worden ist. Nach der
wahrscheinlich dem ersten Jahrhundert angehôrigen Inschrift
wurde Jucundus in seinem 31. Jahr von einem Sklaven ermor-
det, der sich dann nach der That selbst im Main ertrünkte.
57) Digg. 50 tit. 16, 30 8 5: Pascua silva est, quae pastui pe-
cudum destinata est.
58) Festus p. 302: Saltum Gallus Aelius I. II significationum,
quae ad tus pertinent, ita definit: ,,Saltus est, ubi silvae et pastiones
sunt, quarum causa casae quoque: 8$ qua particula in eo saltu pastorum
aut custodum causa aratur, ea res non peremit nomen saltuis‘‘. —
Varro de l. Lat. 5, 36: quos agros non colebant propter silvas aut id
genus, ubi pecus posset pasci et possidebant , ab usu suo saltus nomina-
runt (nach St.-V. II S. 158 A. 5).
59) Wie sich seit ròmischer Zeit bis auf den heutigen Tag die
Cultur des Bodens geündert, ist vor kurzem in einem conkreten Fall,
nümlich für die nächste Umgebung von Homburg in einem inter-
essanten Aufsatz von Dr. Friedr. Rolle, Ueber einige Landschnek-
ken aus einer rómischen Aufgrabung bei Homburg v. d. Hóhe (Jahrb.
d. d. Malakozool. Ges. Bd. VIII 1881, S. 44—50) nachgewiesen wor-
den, dessen KenntniB ich der Güte des Herrn Baumeister L. Jacobi
in Homburg verdanke. Man fand im Gonzenheimer Feld bei Hom-
burg mitten im Getreidefeldgebiet in einer rômischen Hausanlage eine
merkwürdige Anhüufung von 9 Schneckenarten in vielen Exemplaren
auf. Von 216 Exemplaren gehóren 120 den noch bei Homburg le-
benden 5 Arten und 96 Exemplare drei bei Homburg nicht mehr
vertretenen Arten an. Diese starke Individuenzahl der jetzt nicht
mehr vorkommenden Arten erklärt sich daraus, daß die ganze Strecke
von Homburg bis Frankfurt, die jetzt von Feld- und Wiesenbau ein-
genommen ist, in ròmischer Zeit, wie man aus den Lebensbedingungen
und Gewohnheiten der dort einst lebenden Schnecken schließen darf,
aus sonnigem Gestrüpp und buschigem Weideland —
also recht eigentlichem saltus — mit vereinzelten Gartenanlagen da-
zwischen bestanden hat. (1. 1. p. 49, vgl. p. 48 und 46).
Die hastiferi von Castellum Mattiacorum. 507
(Der Name Moenus kommt hier nach Wolters znm ersten Mal
inschriftlich vor). Leider fehlt in der ungeschickten metrischen
Inschrift, die allerhand miissige Wiederholungen bringt, gerade
das weitere Thatsichliche, so daß wir über die näheren Um-
stinde, die uns von ganz besonderem Interesse sein wiirden, in
Unkenntniß bleiben. Auf der unter der Inschrift angebrachten
Reliefdarstellung erscheint ein Hirt 5°) mit seinem Hund und
seiner Heerde, die durch drei Schafe, einen Widder und ein
Lamm angedeutet ist, während zwei Biume die Landschaft kenn-
zeichnen sollen. Wie P. Wolters richtig erkannt hat, sind
die Schafe, die übereinander dargestellt sind, an einem Abhang
weidend gedacht. Im Verein mit den beiden Bäumen ist da-
durch allerdings die Landschaft, wo Jucundus seine Heerde trei-
ben lief, vortrefflich charakterisiert. Es sind die Abhünge zwi-
schen der vorderen Taunuskette und dem Main, die Gegend um
Hochheim, die, wie die Baume zeigen, saltus, Wald- und Gebirgs-
weide, bildete. — Ganz verwandt sind zwei Denkmale, deren
eines gleichfalls in Mainz, das andere sehr verstümmelt im
Deutzer Castrum gefunden ist. Beide werden gleichfalls von
Wolters l 1. p. 30 f. besprochen. Auf dieser zweiten Main-
zer Skulptur ist ebenfalls die Landschaft durch einen ziemlich
ausgeführten Baum bezeichnet.
In wessen Diensten wir uns unsere Hirten zu denken ha-
ben, läßt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit vermuthen. Wahr-
scheinlich waren sie beschäftigt in Diensten der Stadtgemeinde,
der civitas Mattiacorum selbst. Denn nicht nur besaßen die al-
ten Landstüdte Italiens häufig Weideland entweder in der Nahe
ihres Stadtgebiets oder auch weit entfernt®!), sondern auch die
60) Mit Recht bemerkt P. Wolters (l. 1), da$ man den darge-
stellten Hirten wohl kaum für eine Darstellung des Ermordeten halten
darf. Das Bild solle nur die Art der Beschäftigung andeuten, welche
der Verstorbene ausgeübt habe, nicht dessen Beschäftigung selbst
zeigen. Deu Hauptgrund für diese unzweifelhaft richtige Deutung
des Reliefs hat aber Wolters nichtangeführt: der Hirt ist auf dem-
selben, was Stellung im ganzen Bilde, wie Größe der Figur, wie künst-
lerische Ausführung betrifft, ganz als Nebensache behandelt und dient
eigentlich nur zur Füllung des kleinen Raums zwischen dem Baum
zur Linken und der Randleiste, während die Heerde den Hauptgegen-
stand der Darstellung bildet und fast den gesammten Raum ein-
nimmt und die einzelnen Schafe im Vergleich zu dem Hirten riesen-
hafte Proportionen zeigen.
61) S. St.-V. 0 S. 99 f. A. 1: pascua von Mantua vgl. Servius
508 H. C. Maué,
neu anzulegenden Colonien wurden mit Weideland ausgestattet 9),
und Castellum Mattiacorum besaß solches ohne Zweifel getrennt
von den Weiden, deren das Heer für sein Schlachtvieh bedurfte.
Natürlich wurde dieses Weideland verpachtet, allein die
darauf wohnenden und ihm zugetheilten Hirten wurden als zum
Inventar gehörig 99) mitverpachtet, wie sie auch nach Varro mit
den Privatgütern unzertrennlich verbunden bleiben und Fami-
lien gründen $*) ; sie blieben selbst dann auf dem Weideland, wenn
die Heerden mitsammt den Hunden verkauft wurden $5).
Daraus ergibt sich schon, daß die Hirten in der Regel dem
Sklavenstand angehórt haben müssen, und dies wird uns aus-
drücklich häufig von den Hirten berichtet 99). Unsere Hirten
g. Verg. Buc. 9,7; Quittungstafeln, die sich auf die pascua von Pom-
peji beziehen s. Mommsen, Herm. 12, S. 140; Agennius Urb. p.
85 L.: silvae et pascua publica Augustinorum; silva et pascua coloniae
Augustae Concordiae; die publica prata von Apamea in Syrien vgl.
Strabo 16, p. 752; Madvig, Verf. II S. 16 A.: „Dio Cass. 49, 14
meldet, da$ Augustus der Stadt Capua das Land der Gnosier auf
Kreta, also die Steuern desselben, schenkte, und daß Capua es noch
zu Dio’s Zeiten besa8. In der lex coloniae Iuliae Genetivae
c. 82 wird es untersagt, óffentliche Gebäude oder der Stadt geschenkte
silvae und pascua zu veräußern oder die letzteren auf länger als fünf
Jahre zu verpachten“.
62) Frontin. de contr. p. 49 (nach St.-V. l. 1.): Solent et privilegia
quaedam (coloniae) habere beneficio principum , ut longe remotis locis
saltus quosdam reditus causa acceperint.
63) Digg. 33, tit. 7, 8 8 1 Quibusdam in regionibus accedunt 1n-
strumento . .... si fundus saltus pastionesque habet, greges pecorum,
pastores, saltuarit. In tit. 7 auBerdem noch mancherlei darauf Be-
zügliches.
64) Varro d. r. r. II 10, 6: Quod ad foeturam humanam pertinet
pastorum, qui in fundo perpetuo manent, facile est, quod ha-
beant conservam in villa .... Qui autem sunt in saltibus et silvestre
bus locis pascunt, et non villa, sed casis repentinis imbres vitant: his
mulieres adiungere, quae sequantur greges, ac cibaria pastoribus expe-
diant, eosque assiduiores faciant, utile arbitrati multi.
65) Varro. 1. 1. II 9, 6: P. Aufidius Pontianus Amiterninus, cum
greges ovium emisset in Umbria ultima, quibus gregibus sine pastoribus
canes accessissent; pastores ut deducerent in Metapontinos saltus et He-
racleae emporium: inde cum domum redissent, qui ad locum deduzerant,
e desiderio hominum diebus paucis postea canes sua sponte, cum dierum
multorum via interesset, sibi ex agris cibaria praebuerunt, atque in Um-
briam ad pastores redierunt. Neque eorum quisquam fecerat quod $n
agricultura Saserna praecepit, Qui vellet se a cane sectari, uti ranam
obiciat coctam.
66) Ich verweise der Kürze wegen nur auf die Bezeichnung des
Aufstands der Hirten in Anm. 43 als eines motus servilis, auf die
Charakterisierung der Gattin eines Hirten als conserva in Anm. 60;
am deutlichsten geht es hervor aus Varro de r.r. II 10, 4, wo er die
Die hastiferi von Castellum Mattiacorum. | 509
sind allerdings in der Inschr. v. J. 236 nicht als Sklaven cha.
rakterisiert: drei, die als Vorstand an der Spitze stehen, sind
mit drei, alle übrigen nur mit je zwei Namen bezeichnet,
ohne daß eine weitere Angabe des Standes hinzukommt. Wohl
aber sind die Mehrzahl der Namen gallischen Ursprungs, und
wir dürfen wohl auch für die Träger der anscheinend ächt la-
teinischen Namen, die sich darunter finden, annehmen, daß sie
der gallischen Bevölkerung angehören, die, wie wir wissen,
gleichzeitig mit der römischen Occupation in das rechtsrheinische
Land bis zum kimes eingedrungen war. Gerade die gallische
Nationalität verstand es, wie Varro erwähnt 9"), ganz besonders
mit dem Vieh, zumal mit Pferden, umzugehen. Manche hier an-
süssig gewordene Gallier gelangten zwar sogar an die Spitze der
communalen Verwaltung, wie sich aus der Rómerstadt bei Hed-
dernheim nachweisen läßt 5) die Mehrzahl derselben befand sich
jedoch in untergeordneter und abhüngiger Stellung: sie bildeten
den Stand der kleinen Leute auf dem Land, meist als lündliche
Arbeiter. Wenn nun die dreifache Namensbezeichnung des
Curators unserer hastiferi, der, wie sein Name G. MEDDIGNA-
TIVS: SEVERVS besagt, unzweifelhaft gallischer Nationalität
war, auf seine Qualität als freien Bürgers der Civität hin-
weist, so dürfen wir für die mit nur zwei Namen benannten
schließen, daß sie in ihrem Stand hinter Meddignatius zurück-
standen und als Hirten in der mit Waffengewalt in Unterthä-
nigkeit gehaltenen fernen Grenzprovinz nicht als Freie anzuse-
hen sind: vielmehr dürfen wir bei ihnen eine ähnliche Lage
voraussetzen, wie sie die späteren Colonen hatten, d. h. sie
gehörten untrennbar zum Grund und Boden der Civitas Mattia-
corum. Freilich läßt ja die Namensbezeichnung in dieser Zeit,
sechs Arten angibt, auf welche man rechtmäßiger Herr von Hirten
wird. — Instruktiv ist das Beispiel des Hirten Tityrus aus Vergils
1. Ecloge, der sich durch das peculium, das er sich erworben, los-
kaufte. Vgl. die Bemerkung von Heyne-Wagner dazu (Vol. I, p. 60):
in Italia ‘villici, et quicumque, in agris essent, non facile alia quam
servili conditione aut libertini fuisse videntur. — Auch der bei Mainz
von seinem Sklaven ermordete Viehzüchter Zucundus war ein Freige-
lassener (vgl. oben S. 506 f.).
67) Varro d. r. r. II 10, 4: non omnis apta natio ad pecuariam,
quod neque Basculus, neque Turdulus idonei: Galli appositissimi, maxime
ad tumenta.
68) Vgl. Hammeran, l. l. p. 12.
510 H. C. Maué,
besonders wenn es sich um Provinzialen und Peregrinen handelt,
keine sicheren Schliisse mehr zu, allein wir wissen ander-
seits, daß Ansätze zu den Zuständen des Colonats, in dessen
Rechtsverhältniß das Wichtigste die Gebundenheit an den Stand
und an den Boden war, bereits im dritten Jahrh. oder noch
früher sich vorfinden, wenn sich auch diese Zustände erst vom
4. Jahrh. an consolidieren und verallgemeinern $°) und deswegen
erst dann condificiert wurden. Wir sind zu dieser Annahme
um so eher berechtigt, als sich dieselbe feste Gebundenheit an
Stand und Beruf auch bei den Collegiati, d. h. bei den verschie-
denartigen Handwerkern, die dem Unterhalt des tüglichen Le-
bens, zunächst in der Hauptstadt dienen, auf Alexander Severus,
also auf dieselbe Zeit, zurückführen läßt und gleichfalls in man-
nigfacher Weise bereits im zweiten Jahrhundert vor-
bereitet war 7°). Unnachsichtiger Zwang war allein geeignet
vom 3. Jahrh. an, die allgemeine Auflösung der Verhältnisse
aufzuhalten, und derselbe auch in Handel und Gewerbe von
den Kaisern unnachsichtig angewandte Zwang erklärt, wie
Kuhn mit Recht ausführt, vollstindig die Umwandlung des
Zustandes der ackerbauenden Classe aus einem freien in einen
an das Grundstück gebundenen. Der Colonat war thatsüchlich
vorhanden, sobald einmal gesetzlich festgestellt war, daß die
bisherigen Bewirthschafter des Bodens diesen nicht mehr ver-
lassen durften. Mitunter freilich mag auch die Verpflanzung
von barbarischen Volksangehórigen auf unterworfenes Gebiet zur
Bewirthschaftung desselben, wie das bereits unter Augustus und
Nero erwähnt wird ', mitgeholfen haben, die später allgemeinen
69) Vgl. darüber die Ausführungen von Em. Kuhn, Die städ-
tische und bürgerliche Verfassung des Rómischen Reichs bis auf die
Zeiten Iustinians. Th.I, S. 257f. Unter andern Beweisgründen hier-
für hebe ich nur die l. l. citierte Constitution von Valentinian II’,
Theodosius und Arcadius, also aus dem Ende des 4. Jhrh. hervor,
durch welche die Gebundenheit der Colonen an die Scholle für P a-
laestina vorgeschrieben wird, und in der es heißt (Cod. XI, tit.
50, 1): Quum per alias provincias... leza maioribus
constituta colonos quodam aeternitatis iure deti-
neat, tta, ut tls non liceat ex Mc locis, quorum fructu relevantur,
abscedere, nec ea deserere, quae semel susceperunt, neque id Palaestinae
provinciae possessoribus suffragetur, sancimus, ut etiam per Palaestinas
nullus omnino colonorum suo iure velut vagus ac liber exsullet et q. seq.
70) Vgl. den Abschnitt II in meinem Praefectus fabrum, bes.
S. 43 f.
71) Vgl. E. Kuhn, 1. 1. p. 260.
Die hastiferi von Castellum Mattiacorum. 511
Zustände vorzubereiten. Was aber von den ackerbauenden Co-
lonen gilt, dürfen wir auch auf die mit Viehzucht beschäftigten
anwenden. Und gerade die Thatsache selbst, daß in dieser
Zeit die Hirten der civitas Mattiacorum als Colleg constituiert
waren, läßt es schon als kaum zweifelhaft erscheinen, daß eine
feste, kastenartige Gebundenheit mit dem Recht der Vereinigung
verknüpft war, mit einem Wort, daß die Hirten der civitas Mat-
tiacorum untrennbar zum Boden, zu den saltus der Civität ge-
hörten. Anderseits ist nicht zu übersehen, daß die Zeit des
Uebergangs von den früheren freieren und privilegierten Col-
legien zu den Zwangsverbänden der corporati sich in unsren
Inschriften darin zu erkennen gibt, daß auch unsere pastores
noch eine religióse causa besitzen wie früher simmtliche
Collegien, eben die Hastiphorie. Aber wir wissen ja freilich
auch nicht, in welche Zeit die Gründung unseres Collegs zu-
rückreicht; diese religióse causa, welche den corporati fehlt, mag
im Anfang des 2. Jahrh. die Veranlassung zur Gründung des
Collegs gewesen sein. .
Was den Curator Meddignatius anbetrifft, so mag der-
selbe vielleicht ein angesehenerer Bürger der Stadt gewesen sein,
wührend die beiden andern Vorstandsmitglieder wohl unter den
Hirten selbst die Viehmeister, die magistri, waren, von welchen,
wie Varro berichtet ’?), eine höhere Bildung beansprucht wurde:
sie mußten im Besitz von medicinischen Kenntnissen sein, um
Menschen und Vieh bei vorkommenden Krankheitsfällen zu cu-
rieren und mußten lesen und schreiben können, um die Rech-
nung für den Herrn zu führen °®).
Was endlich das Datum der Weihe des Altars, den 24.
März, angeht, so sind Schlußfolgerungen aus demselben nur mit
Vorsicht zu ziehen. Denn wenn auch der 24. März in die
große Festzeit der Magna Mater fällt — er ist der Bluttag,
dies sanguinis, an welchem der archigallus seinen Arm ritzte und
72) Varro d. r. r. II 10, 10: Quae ad valetudinem pertinent homi-
num ac pecoris, ut sine medico curari possint, magistrum scripta habere
oportet. Is enim sine lstteris idoneus non est, quod raliones dominicas
pecuarias conficere nequidquam recte potest.
73) Dies Verhältnis erinnert an dasjenige des Obersenns zu den
Sennen in der heutigen Alpwirthschaft; auch dieser führt die Rech-
nung über den täglichen Milchertrag.
512 H. C. Maué,
Blut daraus vergoß 7) — so ist doch der Altar nicht etwa der
Góttermutter, sondern dem numen Augusti errichtet,
und da der dies sanguinis innerhalb der Festzeit der Idaeischen
Göttin ein Trauertag ist”), so scheint mir wenig glaubhaft,
daß die Hirten zu diesem Trauertag in Beziehung standen, sonst
hütten sie sich wohl einen andern Tag ausgewühlt, um ihre
fromme Loyalität zu bezeugen. Immerhin aber liegt die An-
nahme einer inneren Beziehung zwischen unsern hastiferi und der
Góttermutter nahe, zumal da entsprechend dem mons Vaticanus
der dea Bellona Virtus, den die Corporation nach der Weih-
inschrift vom Jahre 236 wiederherstellte, auch in einer Tauro-
bolieninschrift aus Lugdunum (Or. 2322 — Ver. d. fabri u. s. w.
n. 228) ein (mons) Vaticanus erwühnt wird und eine Reihe von
Taurobolieninschriften (CIL VI 497—504) in Rom beim Bau
der Peterskirche auf dem dortigen mons Vaticanus aufgefunden
worden sind). Eine solche Beziehung würde nicht einmal
Wunder nehmen, denn die Religionsmengerei in den aus Klein-
asien stammenden Culten war in dieser Zeit des 8. Jhrh. bereits
weit gediehen. Allein da auch aus dem Datum der Inschrift
von 236, dem 23. August, die doch der Bellona geweiht war
keine Schliisse zu ziehen sind und das Bedenken wegen des
Trauertags hinzukommt, so diirfte wohl auch bei der Commen-
tierung der Inschrift vom Jahre 224 auf das Datum kein grofes
Gewicht zu legen sein.
Zum Schluß möge es uns vergónnt sein, die Hoffnung aus-
zusprechen, daß nunmehr endgiltig die hastiferi civitatis Mattia-
corum als Municipalmiliz gestrichen und in ihre Rechte als
sacrales Colleg von Berufsgenossen, dessen religióse
causa der Cult der Bellona war, eingesetzt werden.
Der vorstehende Aufsatz war bereits vollendet, da gelangte
der Aufsatz Th. Mommsen's, Die rómischen Provinzialmilizen,
im neuesten Heft des Hermes (Bd. XXII 1887, S. 547 f.) zu
meiner Kenntniß. In einem Nachtrag zu diesem Aufsatz be-
74) Vgl. St.-V. III p. 372.
75) Vgl. St.-V. 1. 1.
76) Vgl. über den mons Vaticanus in den Inschriften ‘Ver. der fa-
bri' p. 22 und Anm.
Die hastiferi von Castellum Mattiacorum. 513
spricht Mommsen kurz unsere ihm nachtriglich erst bekannt ge-
wordene Inschrift. Merkwiirdiger Weise findet er in derselben
eine Bestätigung dafür, daß die hastiferi, die also nach der In-
schrift bewaffnete Hirten gewesen, die Landwehr der Gemeinde
der Mattiaker gebildet habe, welche ihrer Lage nach darauf an-
gewiesen gewesen sei, sich selbst zu vertheidigen. Dabei geht
er, veranlaßt durch eine Stelle bei Tacitus (Hist. I 67), die sich
auf die Helvetier bezieht, von der befremdlichen Annahme aus,
daß das in der Inschrift erwähnte Castellum Mattiacorum ein
Castell der Gemeinde der Mattiaker an der Grenze
ihres Gebietes, Mainz gegeniiber, gewesen sei, also nicht der stàd-
tische Mittelpunkt dieser Gemeinde selbst, aus dem das heutige
Castel erwachsen. Dieses Castell hätten die ,,bewaffneten
Hirten, dort consistentes, also ständig“ besetzt gehalten").
Unbeschadet aller Hochachtung, die wir den Ansichten und
Aussprüchen unseres großen Alterthumsforschers zollen, kann
die Wiederholung dieser herkómmlichen Ansicht, zu deren Be-
stirkung die Inschrift fülschlich mit der Taciteischen Stelle in
Parallele gesetzt wird, uns nicht in der Auffassung wankend
machen, die wir oben eingehend begründet haben.
Abgesehen von der für unsere Inschrift irrthümlichen Er-
klärung des dem Vereinswesen angehörigen consistentes , ab-
gesehen ferner von der irrthümlichen Beziehung des Castellum
Mattiacorum auf ein von Hirten besetztes Castell der Stadtge-
meinde anstatt auf die damals blühende Stadt selbst, in welcher,
als dem Briickenkopf fiir Mogontiacum, von Anfang an Trup-
penabtheilungen als Besatzung lagen??), wird Momm-
sen’s Auffassung schon durch die Bemerkung hinfällig, die er
selbst in Anm. 2 macht: „Die. Besatzung von Kastel muß zu-
gleich fiir diesen damals mit den Culten des Mithras und der
Bellona sich verschmelzenden Gottesdienst (der Göttermutter)
als Korperschaft fungiert haben“. Eine militärische Auf-
gabe, wie sie diese sacrale Kôrperschaft gehabt haben soll*),
ist eben in dem ganzen Vereinswesen der Römer unerhört.
77) Anm. 2 ist diese Besatzung wieder Besatzung von Castel.
78) Vgl. J. Becker, Cast. Matt. Nass. Ann. VII 86; vgl. 73.
Frankfurt a/M. H. C. Maué.
*) [Zu erwägen bleibt noch die Analogie der Bovxókos (= pastores)
in orgiastischen Kulten von Kleinasien: s. oben S. 34. — 0. Cr.]
Philologus. N. F. Bd.I, 8. 33
XXVI.
Die neueren Arbeiten über Tracht und Bewaffnung des
rümischen Heeres in der Kaiserzeit.
1.
1. Joachim Marquardt Rómische Staatsverwaltung. Zweiter
Band. Zweite Auflage. Leipzig 1884. III. Das Militürwesen,
besorgt von A. von Domaszewski.
2. Max Jahns Handbuch einer Geschichte des Kriegswe-
sens von der Urzeit bis zur Renaissance. Nebst einem Atlas
von 100 'lafeln. Leipzig 1880.
3. Hermann Weiß Costümkunde. Geschichte der Tracht
und des Geräths der Völker des Alterthums. Zweite Auflage.
Stuttgart 1881.
4. August Demmin Die Kriegswaffen in ihrer historischen
Entwickelung von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart.
Zweite Auflage. Leipzig 1885/6.
5. Ludwig Beck Die Geschichte des Eisens in technischer
und culturgeschichtlicher Beziehung. Erste Abtheilung. Braun-
schweig 1884.
6. Bruce Lapidarium septentrionale, or a description of the
monuments of Roman rule in the North of England. Published
by the Society of Antiquaries of Newcastle-upon-Tyne. London
and Newcastle 1876.
7. Alexander Conze Römische Bildwerke einheimischen
Fundorts in Oesterreich. Heft III. Wien 1877.
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 515
8. Ludwig Lindenschmit Die Alterthümer unserer heidni-
schen Vorzeit. Band III. Mainz 1871 bis 1881.
9. O. Kohl Die rémischen Inschriften und Steinsculpturen
der Stadt Kreuznach. Kreuznach, Gymnas.-Progr. 1880.
10. E. Desjardins Monuments épigraphiques du musée na-
tional Hongrois. Buda-Pest 1873.
11. Archiologisch-epigraphische Mittheilungeu aus Oester-
reich. Wien 1877 ff.
12. Ludwig Lindenschmit 'Tracht und Bewaffnung des ró-
mischen Heeres wührend der Kaiserzeit mit besonderer Bertick-
sichtigung der rheinischen Denkmäler und Fundstücke. Braun-
schweig 1882.
13. August Weckerling Die rómische Abtheilung des Pau-
us-Museums der Stadt Worms. Worms. I, 1885. II, 1887.
14. Alfred von Domaszewski Die Fahnen im rómischen
Heere, mit 100 Abbildungen. Wien 1885.
15. Jahrbücher des Vereins von Alterthumsfreunden im
Rheinlande. Bonn. Heft LV ff. 1875 ff.
16. Ephemeris epigraphica. Vol. V. Rom und Berlin 1884.
17. Friedrich Kenner Rómischer Grabstein aus Carnuntum.
Mittheilungen der Centralcommission. N. F. 6, 8. CXVI ff.
Wien 1881.
18. A. von Domaszewski Grabstein eines Centurio aus
Carnuntum. Separat-Abdruck aus Arch.-epigr. Mittheihfngen V,
Heft 2. Wien 1881.
19. H. Düntzer Verzeichnif der rómischen Alterthümer
des Museums Wallraf-Richartz in Cóln. Cöln 1873.
20. Jacob Becker Die rómischen Inschriften und Stein-
sculpturen des Museums der Stadt Mainz. Mainz 1875. — Nach-
trag dazu von J. Keller. Mainz 1883.
21. Felix Hettner Katalog des Kônigl. Rheinischen Mu-
seums vaterlindischer Alterthiimer bei der Universitàt Bonn.
Bonn 1876.
22. F. Haug Die rômischen Denksteine des GroBherzog-
lichen Antiquariums in Mannheim. Konstanz 1877.
23. Albert Müller Sepulcralmonumente rómischer Krieger.
Philologus XL, S. 221—270.
24. E. Hübner Zur Bewaffnung der rómischen Legionare.
Hermes XVI, S. 302—908. Berlin 1881.
33 *
516 . A. Miiller,
25. E. Hübner Die Beinschienen der römischen Legionare.
Archäolog. - epigraphische Mittheilungen aus Oesterreich. VI
S. 67—69. Wien 1882.
26. Albert Miiller Studien zur Lehre von der Bewaffnung
der römischen Legionen. Philologus XL 8. 122—178. Göt-
tingen 1881.
Der vorliegende Bericht bildet die Fortsetzung des von uns
im XXXIII. Bande dieser Zeitschrift S. 632 — 685 gegebenen.
Wenn dieser im Eingange darüber zu klagen hatte, daß die das
römische Kriegswesen zusammenfassend behandelnden Werke in
den Abschnitten über Tracht und Bewaffnung verhältnißmäßig
wenig Gewicht auf die Denkmäler legten, so ist darin während
der seitdem verflossenen vierzehn Jahre Wandel geschaffen. Es
liegen jetzt mehrere derartige Bücher vor, welche bestrebt sind,
in dieser Beziehung den berechtigten Anforderungen zu entspre-
chen. Zunächst haben wir mit besonderem Lobe (1) die von
Alfred von Domaszewski besorgte Neubearbeitung der das rö-
mische Kriegswesen behandelnden Abtheilung von Marquardt’s
Staatsverwaltung zu nennen, welche zwar S. 335—344 den Text
der 1876 erschienenen ersten Auflage unverändert wiedergiebt,
aber in den Anmerkungen theils Irriges berichtigt, theils Ueber-
sehenes nachträgt, theils alles neu Hinzugekommene sorgfältig
verzeichnet, so daß das Gebotene die Summe der bis dahin ge-
wonnener Erkenntniß reprisentirt. In seinem Handbuche einer
Geschichte des Kriegswesens (2) hat Max Jähns sodann S. 191
—211 Tracht und Bewaffnung des römischen Heeres mit sorg-
fältiger Berücksichtigung der Litteratur lichtvoll dargestellt und
auf den Tafeln 17 und 18 des dem Werke beigegebenen At-
lasses durch zahlreiche Abbildungen illustrirt. In gleicher Weise
bietet (3) Hermann Weiß in der zweiten Auflage seiner Kostüm-
kunde S. 488-515 eine eingehende mit vielen Abbildungen ver-
sehene Darstellung des fraglichen Gebietes. (4) August Dem-
min’s zum ersten Male 1869 herausgegebenes Buch „die Kriegs-
waffen in ihrer historischen Entwickelung“ ist 1885/6 in zweiter
Auflage erschienen. Dasselbe legt das Hauptgewicht auf die
nach Federzeichnungen wiedergegebenen bildlichen Darstellungen,
denen nur kurze Erklärungen beigegeben sind, und will als
Hand- und Nachschlagebuch sowie als Führer durch größere
Sammlungen dienen. S. 173—204 werden römische, samnitische,
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 517
dacische Waffen aus Bronze und Eisen, sowie Waffen verschie-
dener rômischer Verbiindeter zur Darstellung gebracht. In der
dieser Abtheilung vorangeschickten kurzen Einleitung so wie in
den betreffenden Partieen des 8. 23—120 gegebenen Abrisses
der Geschichte der Waffen findet sich allerdings Mehreres, was
zu Bemerkungen Veranlassung giebt; auch ist zu bedauern, daB
die Quellen der Zeichnungen nicht angegeben sind. (5) Aus
Ludwig Beck's Geschichte des Eisens gehören hieher 8. 549—568
mit den eingereihten Abbildungen; hervorzuheben ist, daß S. 564
—568 sich mit den Waffenfabriken des Kaiserreichs beschiftigen.
Schließlich möge hier noch der von mir verfaßte Artikel „Waffen“
in Baumeister’s Denkmälern des klassischen Alterthums erwähnt
werden.
Ist somit dem hinsichtlich der zusammenfassenden Darstel-
lungen früher beklagten Mangel abgeholfen, so hat auch die
Einzelforschung nicht geruht. Besonders erfreulich ist, daß die-
selbe sich der Behandlung der auf den Grabsteinen römischer
Soldaten befindlichen Sculpturen in hôherem Grade zugewandt
hat. Diese allerdings oft unschónen Monumente haben einen
unvergleichlichen Werth, da wir annehmen dürfen, daB sie, ab-
gesehen von kleinen Fehlern, wie sie bei diesen mehr handwerks-
müfigen Arbeiten immerhin vorgekommen sein mügen, ein bis
ins Kleine treues Bild von der Tracht und Bewaffnung des ver-
storbenen Kriegers gewähren. Wir dürfen sogar behaupten, daß
diese Sepulcralmonumente für unsere Studien eine eben so große
Bedeutung haben, als die Fundstücke, da den letzteren meist
die Inschrift fehlt. Zwar ist erst durch diese über manche
Stücke der Ausrüstung, wie die phalerae, die caligae und vor al-
len Dingen das pilum, Licht verbreitet, aber oftmals erläutern
auch die Grabsteinsculpturen erst die Fundstücke.
Je wichtiger also diese Denkmiilerclasse ist, desto erfreu-
* licher ist es, daB man in den letzten Jahren theils durch Publi-
cation, theils durch Beschreibung eine ziemliche Anzahl derselben
zur Kenntnif gebracht hat. Abbildungen solcher Monumente
sind gegeben in folgenden Werken: (6) Bruce Lapidarium septen-
trionale, or a description of the monuments of Roman rule in the
North of England. Published by the Society of Antiquaries of New-
castle-upon-Tyne. London and Newcastle -upon- Tyne 1876. —
(7) Conze Rómische Bildwerke einheimischen Fundorts in Oester-
518 A. Miller,
reich. Wien 1877, Heft 3. — (8) Lindenschmit, Die Alterthii-
mer unserer heidnischen Vorzeit, Bd. III. Mainz 1881. — (9)
O. Kohl Die rémischen Inschriften und Steinsculpturen der
Stadt Kreuznach. Kreuznach Gymn.-Progr. 1880. — (10) Mo-
numents épigraphiques du musée national Hongrois par E. Desjar-
dins. Buda-Pest 1873. — (11) Archäologisch-epigraphische Mit-
theilungen aus Oesterreich, Bd. V. Wien 1881. — (12) Lin-
denschmit Tracht und Bewaffnung des rômischen Heeres wüh-
rend der Kaiserzeit mit besonderer Berticksichtigung der rheini-
schen Denkmale und Fundstiicke. Braunschweig 1882. — (13)
Weckerling Die römische Abtheilung des Paulus- Museums zu
Worms. I. Worms 1885. IL. ebendas. 1887. — (14) A. von
Domaszewski Die Fahnen im rimischen Heere. Wien 1885. —
(15) Jahrbiicher des Vereins von Alterthumsfreunden im Rhein-
lande. Bonn. Heft LV (1875), LXVI (1879), LXXVIT (1884),
LXXXI (1886). — (16) Ephemeris epigraphica Bd. V. Berlin 1884.
Selbstverständlich kônnen wir hier aus der Fiille der in den
genannten Werken gegebenen Darstellungen nur Weniges her-
vorheben. Zunächst machen wir auf die Ephemeris Epigr. V-87
wiedergegebenen Seulpturen des Steines CIL III 454 aufmerksam.
Die Inschrift lautet: Sex. Vibio Gallo tricenario primipilari praef.
kastror. leg. XIII gem. donis donato ab imperatorib(us) honoris vir-
tutisg. causa torquib(us) armill|]is phaleris coronis muralibus IM
vallaribus IL aurea I hastis puris V vexillis II Sez. Vibius Cocceia-
nus patrono benemerenti. Dieselbe stammt aus dem zweiten Jahr-
hundert, weil dem Titel praefectus kastrorum die Legion beige-
fügt ist (vgl. Marqu. Róm. Staatsv. II? S. 459). Schon Cyria-
cus hatte die Inschrift gesehen, und nach dessen Abschrift ist
sie im Corpus a. a. O. abgedruckt. Da derselbe jedoch über
die Sculpturen nichts gesagt hatte, so fehlt auch an genannter
Stelle jede Andeutung (über diese. Neuerdings hat jedoch G.
Hirschfeld auf seiner pontischen Reise den Stein bei Amasra, -
dem alten Amastris, wiedergefunden und die Inschrift aufs neue
copirt, jedoch nicht vollstindig, denn es fehlt noch eine grie-
chische Uebersetzung des lateinischen 'Textes, welche unter die-
sem stehen soll Auf dieser Abschrift und einem Abklatsch
fut der Abdruck in der Ephemeris. Auf der Rückseite des
Steines befinden sich Sculpturen, und zwar nach den Notizen
der Ephemeris eques currens d. hastam vibrans; sub eo homo ma-
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 519
nibus ut videtur pone dorsum ligatis und darunter vir sedens in
prora. Von diesen bezieht sich der Reiter, der dem so häufig
vorkommenden 'Typus zu entsprechen scheint und hinsichtlich
dessen es sehr zu bedauern ist, daB eine Abbildung fehlt, viel-
leicht auf die Stellung als praefectus kastrorum, den wir uns als
berittenen Officier zu denken haben; welche Beziehung die zweite
Darstellung hat, ist nicht zu ermitteln. Diese Abbildungen sind
jedoch von geringerem Interesse, als die auf der linken Schmal-
seite des Steines wiedergegebenen hóheren Ehrenzeichen, welche
dem Vibius in seiner Stellung als praefectus kastrorum ertheilt
waren (vgl Ephem. epigr. V 1344 und das. Mommsen) Es
fehlen allerdings die coronae murales, die übrigen dagegen sind
in zwei Gruppen dargestellt, von denen die erste auf einer lie-
genden corona die Mauer mit einem Thore, das Characteristicum
der corona vallaris (Gell. N. A. V 6, 17: ea corona insigne valli
habet), und darüber neben einander stehend die fünf hastae purae
zeigt. Vor denselben befindet sich eine corona lemniscata, welche
in der Beischrift als ozepavorg yovoouc (sic!) bezeichnet ist (die
lateinische Beischrift ist verstümmelt) Auffallend ist, daB die
hastae purae, welche nach Servius zu Verg. Aen. VI 760 und
Zonar. VII 21 keine Spitze gehabt haben sollen, hier mit solchen
versehen sind. Die zweite Gruppe zeigt unten ebenfalls eine
corona vallaris, darüber aber das an einem Lanzenschafte befe-
stigte vexillum, dessen unterer Rand zu Franzen ausgeschnitten
ist. Da die rechte Schmalseite des Steines ihrer Lage wegen
nicht untersucht werden konnte, so dürfen wir nur vermuthen,
daß auf derselben das zweite verillum und die drei coronae mu-
rales dargestellt waren, sowie daß die dona minora überhaupt
fehlten. Unseres Wissens erscheinen hier zum ersten Male Ab-
bildungen der hastae und des vexillum") Es möge hier noch
bemerkt werden, daß in der Inschrift CIL X 3900: evo[catus]
O coh. X [praet.] donis don[atus] aureis anulu[m] (sic) unter den
Ehrenzeichen ein sonst nicht bekannter anulus aureus vorkommt.
An zweiter Stelle heben wir einen in Carnuntum gefunde-
nen, jetzt in Wien befindlichen Stein hervor; die Inschrift des-
selben lautet: 7. Calidius P. Cam(ilia) Sever(us) eq(ues) item optio
decur(io) coh(ortis) Y Alpin(orum) item centurio leg(ionis) XV Apol-
1) Aehnlicher Art scheinen die Abbildungen auf dem Steine CIL
XI 624 zu sein.
520 A. Miiller,
U(inaris) annor(um) LVIII stip(endiorum) XXXIII Hic) s(itus) e(at).
Q. Calidius fratri posuit (1. Jahrh.). Auf die Eigenthümlich-
keiten im Avancement gehen wir hier nicht ein und bemerken
sonst nur, daß die Auslassung des Wortes filius nicht selten ist;
vgl. CIL III 4484. 6366. VII 248. Bonner Jahrbb. LVII S. 71.
CIR 310. 523 u. a. m. Dieser wegen der unter der Inschrift
auf zwei Feldern befindlichen Skulpturen besonders merkwiirdige
Stein ist publicirt von (17) F. Kenner in den Mittheilungen der
Centralcommission N. F. VI S. CXVI ff. und (18) von A. v.
Domaszewski in den Arch. epigr. Mitth. aus Oesterreich V 8.
203 ff. und Taf. V. Auf dem ersten Felde unter der Inschrift
finden sich nümlich in ganz eigenthümlicher Weise die für einen
Centurio charakteristischen Ausrüstungsgegenstände dargestellt,
d. h. links vom Beschauer die /orica squamata, deren lederne
Unterlage unten zu kurzen Streifen ausgeschnitten ist, rechts
davon vertikal gestellt die vitis, und' weiter rechts unter einem
eigenthümlichen Helme zwei Beinschienen. Zu diesen Armatur-
stücken ist Folgendes zu bemerken. Wenn auch nicht geradezu
die lorica squamata, so wird doch ein Metallpanzer für die Cen-
turionen von Vegetius ausdrücklich bezeugt. "Vgl. II 16 S. 49,5
(Lang): centuriones vero habebant catafractas et scuta et galeas fer-
reas, sed transversis et argentatis cristis, ut celerius noscerentur a
suis. Die lorica squamata dagegen trügt der cent. leg. XI Q.
Sertorius Festus, CIL V 3374 (abgeb. Maffei Mus. Veron. p.
121, 4 und Orti, gli antichi marmi alla gente Sertoria Veronese
spettanti Taf. 2) ebenso wie, wohl seiner dem Centurionate nahe
kommenden Stellung wegen, der aquilif. leg. XI L. Sertorius
Firmus CIL V 3375 (abgeb. bei Orti 1. l. Taf. 3). Die vitis
ist als Stab mit einfachem oben plattem Knopfe gebildet. Die-
selbe Form hat sie auf dem Steine des Caelius bei Lindenschmit
Alterth. u. heidnischen Vorzeit I 6, 5 und auf einem Klagen-
furter Relief bei Jabornegg Kärnthen’s römische Alterthümer S.
158; auf dem in Graz befindlichen bei Lindenschm. Tracht und
Bewaffnung I 7 abgebildeten Medaillon eines Centurio hat sie
einen runden Knopf; auf dem Steine des Q. Sertorius ist der
Griff nach Orti's Abbildung leicht gekrümmt, wovon jedoch auf
einer mir zur Verfügung stehenden nach einer Photographie an-
gefertigten Zeichnung nichts zu bemerken ist; ebenfalls gekrümmt
ist der Griff auf dem Relief des Steines CIL VII 90 nach einer
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 521
in Hiibner’s Besitz befindlichen Photographie. Im Katalog des
Cólner Museums S. 101, Nro. 208 wird das Relief vom Grab-
steine eines centurio der leg. XXII erwähnt, dessen vitis in einen
sehr breiten nach außen gebogenen Knopf ausläuft, der etwa dem
oberen Ende eines Tambourmajorstockes gleicht. Eine leichte
Krümmung hat der Stab auf dem Denkmale des C. Iulius Sar-
nus (CIR 1520) im Museum zu Wiesbaden. Die eitis des Evo-
katen Aurelius Iulianus CIL VI 3419, abgebildet bei Fabretti
Syntagma de columna Traiana p. 195, verbreitert sich nach oben,
zeigt aber keine Krümmung. Ein eigentlicher Krückstock scheint
also die vitis nicht gewesen zu sein. Es möge hier noch be-
merkt werden, daß sich im Paulus-Museum zu Worms (Wecker-
ling I S. 117 Nro. 4) der Griff einer vitis aus Bronze befindet,
der im Rhein bei Mainz gefunden ist. Derselbe bildet eine ge-
riefte 10!/; cm. lange Hülse aus Bronze, in der noch ein Stück-
der Rebe steckt, welches sich durch die Verbindung mit dem
Metall sehr gut erhalten hat. Auf dem Holze im Innern der
Kapsel liegen zwei kleine Steinchen, durch die beim AufstoBen
des Stockes ein Rasseln entstand. Der Helm fällt schon durch
seine gedrückte Form und seine breiten "Backenklappen auf, be-
sonders aber dadurch, daß er auf dem Scheitel an einem kur-
zen Stiele eine quer gestellte crista aus kurzen Roßhaaren trägt.
Somit wird die Notiz des Vegetius II 13 S. 45, 9 (Lang): cen-
turiones — loricatos transversis cassidum cristis, ut facilius nosce-
rentur, singulas iusserunt gubernare centurias, quatenus nullus error
exsisteret, cum centeni milites sequerentur non solum vexillum suum,
sed etiam centurionem, qui signum habebat in galea (vgl. die be-
reits erwihnte Stelle S. 49, 5) durch eine bildliche Darstellung
bestätigt. Diese steht jedoch nicht allein. Die crista transversa
findet sich auch auf einer in Wien befindlichen Skizze des Stei-
nes CIL III 4060, jedoch meint von Domaszewski, sie bestehe
hier aus Federn. Ich fiige hinzu ein Tropium in der Sala a
croce greca im Vatican, auf dem der mit der crista transvera ge-
schmiickte Helm noch mit den ftir den cornicularius charakteri-
stischen Hórnern versehen ist. Die Beinschienen, welche nach
unserem Steine ebenfalls zur Rüstung des centurio gehórten, fin-
den sich auch sonst auf Grabsteinen dieser Charge. v. Doma-
szewski citirt Zoéga Bassir. I 16 (Or. 3509); CIL VII 90; IT
4060; Ephem. epigr. IV 286 und den Grabstein des Sertorius
522 A. Miiller,
Festus. Hinzuzufügen ist CIL X 4210, wo die Inschrift zwar
nur lautet: Dis manib(us) Lucceiae Tyche, aber auf der Riickseite
rosa cum galeis duabus, ocreis, lorica abgebildet sein soll. Hier-
aus darf geschlossen werden, daß ein Verwandter der Verstor-
benen, und zwar derjenige, welcher den Stein setzte, centurio
war. Die Beinschienen unseres Steines sind vor den Knieen mit
bürtigen Kópfen verziert, die des Sertorius scheinen an gleicher
Stelle Gorgoneien zu tragen. Auf die Frage nach dem Ge-
brauch der Beinschienen in der Kaiserzeit werde ich weiter un-
ten zurückkommen.
Von großem Interesse ist auch die Sculptur des unteren
Feldes nicht sowohl wegen der Darstellung, als wegen der sich
an dieselbe knüpfenden Frage. Dargestellt ist ein Pferdeknecht
in Pünula und hochgeschürzter Tunica, welcher mit der linken
Hand ein Pferd am Zaume führt. Ob er um den Hals das
focale trägt, oder ob ein an dieser Stelle schwach angedeuteter
Wulst zur Pänula gehört, läßt sich auf der Abbildung nicht un-
terscheiden; von Domaszewski ist der ersteren Ansicht. Diese
Darstellung kommt sehr häufig auf den Grabsteinen der Equites
singulares, aber auch auf andern Reitergrabsteinen vor. Es fragt
sich, wie dieselbe hier zu erklüren ist. von Domaszewski will
aus derselben darauf schließen, daß der centurio beritten gewesen
sei, doch sei nicht mit Sicherheit in ihm ein Reiterofficier, etwa
der Commandant der Legionsreiterei zu erkennen. Ein berit-
tener Centurio kommt, wie v. D. mit Recht bemerkt, bei der Er-
mordung des Avidius Cassius (Dio Cass. LXXI 27, 2) vor;
auBerdem erscheint auf dem in Wien befindlichen Sarkophag
(CIL III 4315) eines Centurio der /eg. I adi. an der linken
Schmalseite ein gerüsteter Reiter und, wenn mich meine Notizen
nicht trügen, darunter die nümliche Darstellung wie auf unserem
Steine. An und für sich ist die Ansicht v. D.'s nicht zu ver-
werfen; sehen wir, ob dieselbe für unseren Fall gehórig begrün-
det ist.
Ob es besondere Centurionen zum Commando der Legions-
reiterei gab, die dann beritten gewesen sein würden, läßt sich
nur aus den /atercula nachweisen. Auf diesen stehen die equites
praetoriani mit den übrigen Soldaten in der Centurie, vgl. CIL
VI 2385; Eph. epigr. IV 894, und nennen auf Grabschriften
mehrfach die Centurie, vgl. CIL V 918; VI 2438; 2517; 2519;
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u.s. w. 523
2572; 2591; 2672; 2679 u. a. m. Indessen ist das bisweilen
auch nicht der Fall, vgl. CIL III 3265; 5222; VI 2489. Die
Legionsreiter nennen auf den Grabsteinen die Centurie meist
nicht, jedoch geschieht dies CIL VIII 2593: Aelius Severus eq.
leg. IIL Aug. I Iul, Candidi. Wenn nun durch diesen Stein be-
wiesen wird, daß auch die equites legionarii in der Centurie
standen, so ist daraus doch nicht zu schließen, daß sie von
einem centurio commandirt wurden. Sie hatten vielmehr decu-
riones. Vgl. CIL II 1681: decurioni equitum centurioni hastato
primo leg. IIII (zwischen Augustus und Claudius nach Hübner zu
CIL II 2916) sowie das höchst interessante latereulum einer
vexillatio der leg. XI Claudia aus dem Jahre 155, welches Eph.
ep. IV p. 524 publicirt ist. Diese vexillatio steht sub cura eines
centurio, wird aber von einem beneficiarius consularis commandirt.
Es werden zunáchst die principales aufgeführt, darauf die Mann-
schaften, und zwar aus coh. I 8, aus coh. II 5, aus coh. III 8,
aus coh. IIIT 9 und aus coh. V 37 Mann; endlich folgt ein de-
curio und 1 eques XI Claudiae. Steht hienach fest; daß die
Legionsreiterei von decuriones commandirt wurde, so ist — wie
auch v. D. geneigt ist anzunehmen — es nicht gestattet aus
dem Steine von Carnuntum zu schlieBen, dafi der Centurio we-
gen einer Verbindung mit der Legionsreiterei beritten gewesen
sei. Es ist nun die Frage zu beantworten, ob die Darstellung
eines Reiters oder eines vom Knechte gehaltenen Pferdes jedes-
mal mit Bestimmtheit darauf schließen läßt, daB der Verstorbene
oder der den Grabstein Setzende beritten gewesen ist. Von vorn
herein sollte man das annehmen, und in auBerordentlich zahl-
reichen Fallen verhält sich das auch so; indessen trifft das nicht
immer zu. So ist ein Reiter dargestellt auf dem Steine CIL III
4477 mit mil. leg. XV Apoll., oder man müßte annehmen, daß
statt miles eques zu schreiben gewesen wire. Zwei Legions-
steine am Antoninswalle CIL VII 1088: Jeg. II Aug. per. m. p.
IIIIDCLIL fe. und VII 1130: deg. II Aug. pep (sic) m. p.
INIDCLXVIS zeigen ebenfalls einen Reiter; es wäre aber doch
hôchst auffallend, wenn lediglich oder vorwiegend Legionsreiter
bei den Wallarbeiten beschäftigt gewesen wären. Auch die Dar-
stellung des am Zügel geführten Pferdes läßt nicht ohne Wei-
teres auf Berittensein des Mannes schlieBen, so CIL V 895:
optio leg. XI Claud.; 940: centurio leg. XI Claud.; 914: mil. leg.
524 A. Miiller,
I Italices. Daß in allen diesen Fällen ein Irrthum beim Ab-
fassen der Inschrift anzunehmen ist, ist unwahrscheinlich. Hie-
nach glaube ich, daß die fraglichen Darstellungen erst dann auf
Berittensein schließen lassen, wenn noch anderweit besondere
Gründe hinzukommen. Mit dem von v. D. angeführten Wiener
Sarkophag hat es eine besondere Bewandniß. Derselbe ist von
einem primipilaris einem centurio gewidmet. Ich habe mir notirt,
daß auf der rechten Schmalseite ein Mann mit der »itis in der
rechten Hand und einer Rolle in der linken dargestellt ist.
Diese Figur ist auf den Verstorbenen zu beziehen, der oben er-
wähnte Reiter auf der linken Schmalseite dagegen auf den pri-
mipilaris, der beritten war. Auch der bei Dio Cass. 1. 1. vor-
kommende Centurio wird ein primus pilus gewesen sein.
Aber auch, wenn v. D. recht hätte, so würde auf dem
Grabsteine eines Centurio schwerlich nur ein Pferd dargestellt
sein. Die Centurionen standen im Range über den Decurionen,
und diese hielten nach Hygin. 16 (alunt equos singuli decuriones
ternos, duplicarü et sesquiplicarii binos) 3 Pferde. Philol. XL
S. 261 habe ich gezeigt, daß in der That auf den Grabsteinen
der Decurionen der Equites singulares 3 Pferde dargestellt sind.
Dasselbe ist der Fall bei dem decurio einer ala CIL VIII 9389.
Wenn CIL III 4368 bei einem decurio der ala Aug. Ituraeorum
nur 2 Pferde vorkommen sollen, so ist das nicht beweisend, da
die Angaben des Corpus über die Sculpturen nicht immer zu-
verlissig sind (vgl. m. Bemerkung zu VI 3206 Phil. l.l) Auch
hinsichtlich der duplicarii wird die Notiz des Hygin durch die
Abbildungen bestätigt. CIL III 3677 duplicarius alae Itur. (ab-
geb. Desjardins Mon. épigr. du mus. nat. Hongr. Taf. XXVH
Nro. 146) und III 2016 duplice. al. Pann. zeigen nur 2 Pferde.
Wäre also unser Calidius wirklich ein berittener Centurio gewe-
sen, so würden 3 Pferde dargestellt sein.
Die richtige Erklärung unserer Darstellung liegt nicht fern,
da in der That der von uns verlangte anderweitige Grund vor-
handen ist. Ich verweise zuvor auf Zoéga Bassir. I 16 (Or.
3509), welches neuerdings wieder bei von Domaszewski Die Fah-
nen im römischen Heere S. 31 Fig. 5 abgebildet ist. Der Ver-
storbene M. Pompeius Asper war centurio leg. XV Apoll.., cen-
turio coh. III praet., prim. pil. leg. III Cyren. und praef. castr.
leg. XX wictr. gewesen. Die bildlichen Darstellungen auf dem
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 525
Steine beziehen sich nun sowohl auf den Dienst in der Legion
als auf den bei den Prätorianern; denn es erscheinen neben dem
Legionsadler zwei Manipelzeichen der coh. III praetoria. In ühn-
licher Weise beziehen sich die Darstellungen unseres Steines auf
die verschiedenen Dienststellungen des Calidius, und zwar die
Reliefs des oberen Feldes auf seine letzte als centurio, das des
untern auf seine erste als eques legionis.
Auch neue Darstellungen von phalerae haben wir zu ver-
zeichnen. So sind auf der Brust des C. Marius eg. leg. I (Bon-
ner Jahrbb. LV/VI Taf. V 1) deutlich 3 phalerae zu bemerken,
wührend unter dem Pferde an der Stelle, wo sonst der besiegte
Feind zu liegen pflegt, eine auf die Seite gestellte lorica mit 9
phalerae und zwei armillae und torques darüber angebracht ist.
Lediglich phalerae ohne Figur eines Kriegers finden sich auf
dem 1. 1. Taf V 2 veröffentlichten Steine, der außerdem nur die
Inschrift Vale Luci trigt. Die phalerae sind hier recht unregel-
mäßig dargestellt, und über ihre Zahl ist nicht mit Sicherheit
zu urtheilen, da der Stein oben verstümmelt ist. Erhalten sind
7, wahrscheinlich fehlen 2. Die rohen und gewiß nicht völlig
zuverlässigen Zeichnungen von militärischen Decorationen zu
CIL V 5586 und 4365 sind nach bezw. Gruter und dem Cor-
pus wieder publiciert von v. Domäszewski Die Fahnen u. s. w.
S. 38, Fig 15 u. 16. Außerdem habe ich Philol. XL S. 252
Anm. einen Stein mit einem mit phalerae versehenen Riemen-
werk beschrieben, welchen ich im April 1879 in dem an der
via Appia liegenden Gehófte casale rotondo sah.
Wie bereits oben bemerkt, sind in den letzten Jahren auch
vielfach Sepulcralmonumente beschrieben; theils ist dies in meh-
reren der oben erwühnten Schriften geschehen, theils ist Fol-
gendes hier namhaft zu machen. (19) H. Düntzer Verzeichnif
der rómischen Alterthümer des Museums Wallraf- Richartz in
Cóln. Cöln 1873. — (20) J. Becker Die römischen Inschriften
und Steinsculpturen des Museums der Stadt Mainz. Mainz 1875
(vgl. Philol. Anzeiger Bd. VIII S. 322) und Nachtrag dazu von
J. Keller. Mainz 1888. — (21) F. Hettner Katalog des Kgl.
Rheinischen Museums vaterlündischer Alterthümer bei der Uni-
versität Bonn. Bonn 1876 (vgl. Philol Anzeiger Bd. IX 8S.
220 ff) — (22) F. Haug Die römischen Denksteine des Grof-
herzoglichen Antiquariums in Mannheim. Konstanz 1877, —
526 A. Miiller,
Hettner und Lamprecht Korrespondenzblatt der westdeutschen
Zeitschrift für Geschichte und Kunst. Trier 1881 ff. — (28)
Philo. XL S. 221—270 habe ich in einem „Sepulcralmonu-
mente römischer Krieger" betitelten Aufsatze diejenigen Grab-
Steine beschrieben, welche ich auf einer im Frühling 1879 durch
Italien unternommenen Reise gesehen habe. Von den dort ver-
zeichneten 20 Steinen entfallen auf Prütorianer 5 (Nro. 2, 4,
14, 15, 16), auf die cohortes urbanae 8 (Nro. 8, 8, 12), auf die
vigiles 1 (Nro. 17), auf die Flotten 1 (Nro. 11), auf Legionen 2
(Nro. 19, 20), auf unbestimmte Truppentheile 8 (Nro. 1, 5, 6,
7, 9, 10, 18, 18). Da diese Monumente bis auf 2 (Nro. 19 und
20) die Soldaten nicht im Panzer, sondern im Costiim des täg-
lichen Dienstes, bei welchem der Panzer nicht angelegt wurde,
zeigen; so habe ich S. 223 ff. auf Grund der schriftlichen Quel-
len über dieses eingehend gehandelt. Indem ich auf diese Aus-
führung verweise, beschrünke ich mich hier darauf die dort be-
sprochenen Stellen anzuführen: Dio Cass. XLII 52 — Tae.
Ann. III 4; Dio Cass. LXXIV 4, 6 — Herodian. II 2, 9 —
VH 11,2 ff — Tertull. de corona 1 — Tac. Hist. I 29.
Darüber, daß bei diesem Costüm statt des sagum auch die pae-
nula getragen wurde, sind zu vergl. Sen. de benef. V 24; III
28; Suet.:Nero 49. Galba 6. — S. 227 ff. ist sodann über
die verschiedenen Formen gehandelt, in denen das sagum er-
scheint. Es konnten eine reichere und eine knappere Form des
Gewandes unterschieden werden, von denen jede wieder zwei
Behandlungsweisen zeigt. Von einem bei Personen der militia
equestris üblichen Umwurf des sagum ist S. 247 gesprochen.
S. 228 sind die charakteristischen Merkmale der paerula ange-
geben.
Die Beschreibung des Grabsteines des Q. Sertorius F'estus,
centurio leg. Xl Claudiae piae fidelis, CIL V 8374 (Nro. 19 8.
246 ff) hat sodann (24) Hübner Veranlassung gegeben im Her-
mes XVI S. 302 ff. einige abweichende Meinungen auszuspre-
chen. Es war mir an der auf diesem Steine dargestellten Figur
eine gewisse Mischung von Eigenthümlichkeiten der militia ca-
ligata — vitis, caligae, phalerae, torques — mit Eigenthümlich-
keiten der militia equestris — niéguyes und Umwurf des sagum
— aufgefallen, und vollends hatte ich geglaubt die ocreae, den
Mangel des Schwertes und die lorica squamata in das Bereich
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u.s. w. 527
der idealen Kunst setzen zw sollen. Daran hatte ich die Be-
merkung geknüpft, daß die Darstellungen der Grabsteine viel-
leicht nicht immer streng realistisch seien und daß sich, wenn
einmal das Material an Grabsteinen gesammelt vorliege, provin-
zielle Typen herausstellen dürften und dieses Aufgeben streng
realistischer Darstellungsweise als Eigenthümlichkeit bestimmter
Gegenden erkannt werden könnte. Hieran hat Hübner Anstoß
genommen und den Satz aufgestellt, daß den Denkmälern, wo
sie nicht in offenbarem und aus stilistischen oder technischen
Gründen erklärlichem Widerspruch zu den Zeugnissen der Schrift-
steller stehen, durchaus Glauben beizumessen ist. Ich gebe zu,
daß Hübner mit seinen Ausstellungen zum großen Theile im
Rechte ist. Der Stein aus Carnuntum beweist das Vorkommen
der lorica squamata für die Centurionen ; nach den oben 8. 521 f.
eitirten Monumenten, auf denen Beinschienen vorkommen, steht
es fest, daß diese den Centurionen in der Kaiserzeit eigenthüm-
lich waren ; und da Lampridius von Severus Alexander (40) er-
zählt: donavit et ocreas et bracas et calciamenta inter vestimenta
militaria, so muß sich der Gebrauch der Schienen lange erhalten
haben. Indessen möchte ich meine Bemerkung: „daß die Schie-
nen bei außerordentlichen Gelegenheiten, Festzügen u. dgl. ge-
tragen wurden“ — welche dem Vorstehenden entsprechend auf Cen-
turionen zu beschränken ist — mit Hübners Entgegnung : „eher
sollte man doch denken, daß die zur vollen Bewaffnung gehö-
rigen, gewiß sehr unbequemen Erzstücke, wo sie nur irgend
entbehrlich waren, nicht getragen wurden“ keineswegs vertau-
schen ; denn obwohl in manchen der mit einem Wams bezw. lo-
rica hamata bekleideten Figuren der Trajanssäule Centurionen
zu erkennen sind, findet sich auf diesem Monumente doch keine
Spur von Beinschienen. Wenn die Schienen wirklich zur vol-
len kriegsmäßigen Bewaffnung gehörten, so mußten sie doch vor
allen Dingen im Kriege getragen werden, und man sieht nicht
ein, was die Künstler, welche doch aufs genaueste Nacktheit des
Beines und die kurzen bracae unterschieden haben, bewogen ha-
ben sollte, die mit leichter Mühe darzustellenden ocrese zu über-
gehen. Auch auf der Antoninssäule, der Basis der Säule des
Antoninus Pius im Giardino della Pigna sowie auf dem Severus-
bogen fehlen die ocreae völlig. Ich möchte daher nach wie vor
glauben, daß die ocreae zum Galacostiim der Centurionen ge-
528 A. Miller,
hérten und kann mich der Vermuthung Hiibner’s, dieselben seien
allen Soldaten (Hermes 1. l. p. 306) als regelmäßiges Ausri-
stungsstiick zugekommen, nicht anschlieBen, da dem doch die
Grabsteine der principales und gregarii entgegenstehen.
Zu dem erwähnten Aufsatze giebt (25) Hiibner in den Arch.-
epigr. Mitth. VI (1882) S. 67 ff. einen Nachtrag, in dem er
berichtet, er habe im Museum zu St. Germain auf dem Gyps-
abgusse des Tiberiusbogens zu Orange die ocreae deutlich wahr-
genommen, und auf dem Abgusse des Julierdenkmals zu St.
Remy und des Reliefs an der porte noire zu Besançon wahrzu-
nehmen geglaubt. Dem gegenüber habe ich zu bemerken, daB
ich mir Angesichts der beiden letzteren Monumente nichts der-
artiges notirt habe und hinsichtlich des ersteren von Doma-
szewski beistimme, welcher Röm. Staatsverw. II? S. 338 Anm. 5
behauptet, daB es sich auf dem Tiberiusbogen eben um einen
centurio handeln müsse.
Hinsichtlich der nréguyss, welche auf den Reliefs der bei-
den Sertorii mein Bedenken erregten, bin ich inzwischen anderer
Meinung geworden. Sowohl auf dem Juliermonumente, als auf
dem Relief der porte noire kommen Personen der militia caligata
mit Lederstreifen vor, und da sich Gleiches auch auf Grabstei-
nen mehrfach findet — vgl. zu dem Philol. XL S. 234 von mir
beigebrachten Materiale die Zeichnung des daselbst S. 287 unter
Nro. 6 beschriebenen Steines bei von Domaszewski Die Fahnen
u. s. w. 8. 32 Fig. 6 und CIL VII 90 nach Hübners Beschrei-
bung —, so dürfen wir die zmrégvys; jetzt nicht mehr lediglich
der militia equestris zuweisen. Dal dieselben bei den caligati in
verschiedener Form erscheinen, ist bereits Philol. l. l. erórtert;
man füge hinzu, daß bei dem Grazer Centurio (vgl. Linden-
schmit Tracht und Bewaffnung Taf. I 7) das Lederwams unten
in kurze Streifen ausgeschnitten ist und da8 beim Caelius (eben-
das. I 1) unten am Wams zwei Reihen ganz kurzer Streifen be-
festigt sind. Bei beiden Figuren erscheinen am Oberarm die
Streifen in entsprechender Weise. Bedenklich ist es jedoch,
wenn Hübner (Hermes l. l. p. 307) die auf dem Steine des C.
Valerius Crispus (CIR 1515. Lindenschmit Alterth. u. heidn.
Vorzeit III 6, 5 und Tracht u. Bewaffn. Taf. IV 1) an den
Beinen vorkommenden kurzen Lederstreifen mit den obigen zu-
sammensfellt. Es sind da vielmehr kurze bracae zu erkennen,
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u.s.w. 529
welche entweder blof aus diesen kurzen Lederstreifen oder aus
Zeug bestehen und mit den Lederstreifen besetzt sind. Achn-
lich finden sich dieselben auch beim signifer Q. Luccius (Lin-
denschm. A. u. h. V. I 4, 6, 2).
Von Hübner weiche ich auch ab in der Auffassung der Rü-
stung des Signifer im Museo civico zu Verona (abgeb, bei von
Domaszewski Die Fahnen u. s. w. S. 32 Fig. 6). Nach Hub-
ner (Hermes l. l. p. 808) trügt der Mann den Erzpanzer, unter
demselben die Tunica, unter welcher noch Lederstreifen her-
vorkommen. Diese Auffassung erscheint mir mehrfach irrthiim-
lich; zunächst ist an einen Juge oradıog nicht zu denken,
weil der Armausschnitt nicht weit genug ist; hóchstens würe
lorica hamata zu vermuthen, aber auch diese ist nicht wahr-
scheinlich, da an der Taille ein starker Bausch zu bemerken ist,
wie er bei der lorica hamata kaum vorkommen kann; es ist also
ein Lederwams zu erkennen, wie das auch Phil XL 8. 287
ausgesprochen ist. Sodann aber ergiebt sich sowohl aus einer
von mir genommenen Skizze, als aus der Zeichnung bei von Do-:
maszewski, daß die Lederstreifen über der Tunika sitzen; letztere
ist um etwas länger als die ersteren, so daß ihr äuBerster Rand
unten sichtbar wird. Ich glaube überhaupt nicht, daß Leder-
streifen unter der Tunica vorgekommen sind.
Wenn somit die Anlässe gehoben sind, welche meine Be-
denken gegen den streng realistischen Charakter der Sepucral-
monumente hervorgerufen hatten, so bin ich gern bereit die Rich-
tigkeit der Hübnerschen Bemerkung, daf von vornherein die
Steine allen Glauben verdienen, in vollem Mafie anzuerkennen.
Im zweiten Theile meiner Abhandlung (Philol. XL 8. 257 f£.)
habe ich die Grabsteine der Equites singulares behandelt, da je-
doch diese Denkmäler sehr gleichfórmig sind, von einer Beschrei-
bung der einzelnen abgesehen und mich auf die Scheidung der
verschiedenen Typen beschrünkt. Die Resultate der Untersu-
chung wolle man an der citirten Stelle nachlesen.
Zu vorstehenden Bemerkungen gaben die Forschungen Ver-
anlassung, welche sich mit den Sepulcralmonumenten beschiiftigt
haben. Wir können an dieser Stelle den Wunsch nicht unter-
drücken, daß doch recht bald eine Gesammtpublication dieser
Denkmälerclasse veranstaltet werden michte. Um unsererseits
zur Erfüllung desselben beizutragen, geben wir im Folgenden
Philologus. N. F. Bd. I, 8. 34
530 A. Miiller,
eine Uebersicht der uns theils durch Autopsie, theils durch Zeich-
nungen, theils durch schriftliche Notizen bekannt gewordenen
Denkmiiler, bei der wir abgesehen von manchem Unbedeutenden
diejenigen Steine, welche nicht mehr vorhanden sind, und die
Mehrzahl der Monumente der Equites singulares übergehen. Die
Notizen des Corpus Inscriptionum Latinarum und des Corpus In-
scriptionum Rhenanarum wiederholen wir nicht und ordnen das
Material nach den Truppenkérpern. Man wird sehen, daß die
Zahl der Reliefs selbst bei Hinzunahme der Waffendarstellungen
nicht so groß ist, um eine Gesammtpublication unmöglich zu
machen, falls bloße Doubletten ausgelassen werden. Möchte es
den Gelehrten, welche durch ausgedehnte Reisen oder durch die
ihnen zu Gebote stehende reichere Litteratur in der Lage sind,
dies Verzeichniß zu vervollständigen, gefallen, ihre Zusätze an
geeigneter Stelle zu verôffentlichen.
Cohortes praetoriae. Coh. I. CIL VI 2487. Paris.
Clarac, p. 148, Nro. 319. — V 2505. Verona. Philol. XL 8.
248, Nro. 15. — Coh. III. VI 2488. Rom. Philol. l.c. S. 242,
14. — VI 2514. Rom. — VI 2519. Glienicke. — VI 3419.
Rom. Fabretti Syntagm. ad Col. Trai. p. 195. — Eph. epigr. IV
132. Tatar Bazari. — . Coh. IV. VI 2544. Rom. Philol. 1. 1.
S. 248, Nro. 16. — IX 4397. Cività Tomassa. — Coh. V. VI
2572. Rom. Skizze bei mir. — Coh. VI. V 912. Monastero bei
Aquileja. Zeichn. beim Arch.-epigr. Seminar zu Wien. — VI
2602. Rom. Philol l.c. S.231, Nro.2. — VI 2627. Rom. Phi-
lol. 1. e. S. 233, Nro. 4. — VI 8894. Pesaro. — Coh. VII. VI
2635. Rom. — Coh. VIII. VI 2672. Rom. Zeichnung bei mir. —
Coh. 1X. V 6424. Belgiojoso. — Coh. X. VI 2780. Rom; ver-
geblich von mir gesucht. — VI 2742. Rom. Abb. bei Gruter I
S. 540 Ed. Amst. 1707. — VI 2751. Rom. (erhalten?). — X
1754. Neapel (erhalten?). — Ohne Cohorte. VI 2770. Rom;
wahrscheinlich 2 Riemensysteme für phalerae dargestellt; (erhal-
ten?). — VI 2776. Frusino. (erhalten ?). — Zu vergleichen die
Darstellungen im Bullet. arch. municipale 1876 Taf. VII, VIII
zu VI 3901 und 2805; Taf. V, VI zu VI 2803. 2804. 2806.
Cohortes urbanae, Coh. XI. VI 2886. Rom. Philol.
l. e. S, 282, Nro. 3. — VI 2900 Paris (im Louvre von mir
gesehen; im CIL ist der Aufbewahrungsort unbekannt) — IX
4455. Aquila. Dolch an einem cingulum. — Coh. XII. V 909.
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 581
Verona. Philol. l.c. S. 241, Nro. 12. — VI 2911. Philol. S.238,
Nro. 8. — XI 958. Reggio (Aemilia) — Coh. XIV. VI 2931
(erhalten ?). |
Cohortes vigilum. Coh. VI. VI 2987. Rom. Philol. l c.
S. 245, Nro. 17.
Legiones. Leg. I adi. CIL III 4315. Wien. Der Bericht
im Corpus über die Sculpturen ist ungenau. — III 4310. Pest.
— III 196. Syrien. — III 4328. Szóny. — CIR 1146. Mainz.
Becker Katalog S. 39, Nro. 135. — Keller Nachtrag zu Be-
cker’s Katalog Nro. 140*. Mainz. Bonner Jahrbb. LX XII S. 140f.
— Eph. epigr. IV 125. Heraclea. — Leg. I Germanica. CIR
486. Bonn. Hettner Bonner Katalog S. 82, Nro. 84. — Bon-
ner Jahrbb. LV S. 177. Bonn. Abbild. L c. Taf. V 1. — Leg. I
Italica. CIL III 2010. Salona. Skizze beim Archäol.-epigr. Se-
minar in Wien. Notiz über die Skulptur fehlt im Corpus. —
Leg. II adiutriz, Eph. epigr. II 740. Pest. — CIL III 3530.
Pest Desjardins Taf. XXIV Nro. 138. — Keller Nachtrag
Nro. 141*. Mainz. Bonner Jahrbb. LX XII S. 139 f. Hettner und
Lamprecht Zeitschr. 1881 S. 51. — CIL VI 3562. Rom. (er-
halten?). — Leg. II Augusta. Bonner Jahrbb. LXVI S. 70 ff.
Strassburg. Abbild. ibid. Taf. II. — CIL VIII 2877. Lambaesis.
— Zwei Legionssteine am Piuswalle mit Darstellung eines Rei-
ters CIL VII 1088, 1130. — Leg. II Italica. CIL III 5218. Cilli.
Abb. Conze Rómische Bildwerke einheimischen F'undorts in Oe-
sterreich Heft III Taf. XIII. — Leg. II Parthica. CIL V 5824.
Mailand. (erhalten?). — Leg. II Traiana. Eph. epigr. II 327.
Bulak. Abb. v. Domaszewski Die Fahnen u.s. w. S. 37 Fig. 14.
— Eph. epigr. I1 337. Museum d. ägypt. Instituts. — Leg. III
Augusta. VIII 3207. Lambaesis. Sonst finden sich zu Lambaesis
fast nur Brustbilder der Verstorbenen, so CIL VIII 2788. 2823.
2864. 2896. 2931. 2945. 2949. 2955. 2999. 3000. 3001. 3055.
3151. 3224. 3275. 4232. — Leg. III Italica. CIL III 5812.
Augsburg. — Leg. III Flavia. CIL V 899. Grado. — VII
7981. Paris. — Leg. VI Victrix. XII 3175. Nemausus. — Leg.
VII Claudia. CIL III 2716. Gardun. — III 3162. Stra. — Eph.
epigr. IV 219. Bardofze. — Leg. VIII Augusta, CIL III 4060.
St. Veit a. d. Drau. Zeichnung beim Arch.-epigr. Seminar in
Wien. — CIR 1515. Wiesbaden. Lindenschm. A. u. h. V. III
6, 5. Tracht u. Bewaffn. Taf. IV 1. — CIL III 4858. Klagen-
94*
532 A. Miller.
furt. Zeichnung beim Arch.-epigr. Seminar in Wien. — III 630.
Monastir. — Leg. VIIII Hispana. CIL VII 243. York. Abb. v.
Domaszewski L 1. S. 36 Fig. 13. — Leg. XI Claudia. CIL V
3374. Verona. Philol l. 1. S. 246, Nro. 19. — V 895. Aqui-
leia. Zeichnung beim Arch.-epigr. Seminar in Wien. — V 3375.
Verona. Philol 1.1. S. 255. Nro. 20. — III 782. bei Sebastopol.
— V 944. Cassis. Zeichnung beim Arch.-epigr. Seminar in Wien,
— V 900. Aquileia. — III 6194. Paris. — Leg. XII. CIL V
2520. bei Rovigo. — Berliner Philolog. Wochenschrift 1888,
S. 418. Heraklea a. d. Propontis; mit griechischer Inschrift. —
Leg. XIII gemina. Eph. epig. V 87. Amastris. Abb. zum Theil
in der Ephemeris 1. 1 — CIL III 4061. Pettau. Das vezillum
bei v. Domaszewski 1.1. S. 77 Fig. 95. — V 5586. bei Mailand.
v. Domasz. 1. 1. S. 38, Fig. 15. — Leg. XIV gemina Martia
victriz. CIR 1183. Mainz. Lindenschmit Alterth. u. h. V. I 4,
6, 1. — Keller Nachtrag Nro. 176*. Mainz. Bonner Jahrbb.
LXXII S. 135. — CIR 923. Mainz. Lindenschm. 1. c. I 4, 4, 1.
— CIR 1180. Mainz. Lindenschm. 1. l. I 4,6, 2. — CIR 1184.
Mainz. Becker Katalog Nro. 161. — Leg. XV Apollinaris. Arch.-
epigr. Mittheilungen aus Oesterreich. V S. 208. Wien. Abb. ibid.
Taf. V und Mittheil. d. Centralcommission, N. F. VI S. CXVI ff. —
CIL III 4483. Petronell. — III 4477. Wien. — III 4456, Wien.
— Leg. XV primigenia. CIR 479. Bonn. Abb. Lindenschm. 1.1. I
8, 6,1. — CIR 480. Bonn. Abb. Dorow Denkm. I Taf. XX 2. —
Leg. XVI. CIR 1303. Wiesbaden. Abb. Jahn Lauersforier Pha-
lerä Taf. II 2. — Leg. XVIII. CIR 209. Bonn. Lindenschm.
I 6, 5. — Legio XX Valeria victriv. Or. 8509. Alba. Zoëga
Bassir. I 16. Jahn Lauersforter Phalerä II 5. v. Domaszewski
L e. S. 81 Fig. 5. — CIL VII 90. Colchester. Photographie bei
Hiibner. — V 4365. Brescia. Militàrische Ehrenzeichen. Abb.
im Corpus. — Leg. XXI. CIL V 4902. Val Sabbia. Ehrenzei-
chen. — Leg. XXII primigenia pia fidelis, CIR 811. Cóln. Abb.
Bonner Jahrbb. XXXVI Taf. I 2. — Düntzer Kölner Katalog
S. 101 Nro. 208. Cüln. — CIR 1382. Mannheim. Hiezu d. Re-
lief bei Haug, Denksteine S. 48 Nro. 68. — CIR 1225. Mainz.
Lindenschm. 1. 1. I 9, 4, 3 u. 33. Benndorf Gesichtshelme S 60
Fig. 7. — CIR 1208. Mainz. Lindenschm. I 9, 4,2 u. 2* Benn-
dorf L e. S. 60 Fig. 8. — CIR 1223. Mainz. Abb. Lehne II
Taf. X 45. — Correspondenzblatt der westdeutschen Zeitschr,
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 588.
f. Gesch. u. Kunst V (1886) S. 202 ff. Mainz. Photographie bei
Dr. Keller. — CIR 468. Bonn. Abb. Dorow I Taf. XIX 1.
— Leg. XXX Ulpia. CIL V 7009. Turin. (erhalten ?). |
Alae. Ala Afrorum. Bonner Jahrbb. LXX XI S. 91. Bonn.
— Ala Agripiana, CIR 893. Worms. Skizze bei Weckerling
Paulusmuseum I, Taf. IV 4. — Ala Aravacorum. CIL III 3286.
Essek, Abb. Desjardins Taf. XXIX Fig.168. — Aia II Asturum.
St. Germain en Laye. AbguB eines in Chalons sur Saône gefun-
denen Steins. Skizze bei mir. — Eph. epigr. III 100 gef. bei
Cilurnum. Bruce Lapid. septentr. p. 472 Nro. 949. — Ala I
Flavia Augusta Britonum mil. CIL III 4576. Ebersdorf. — CIR
1525. Wiesbaden. — CIL III 4576. Ebersdorf. — Ala Celerum.
"CIL III 4832. Klagenfurt. — Ala Claudiana. CIR 1228. Mainz.
Lindenschm. 1. L I 11,6, 2. — Ala Claudia nova, CIL III 2712.
Bei Gardun. — Ala I contariorum. CIL III 4278. Tata, — VIII
9291 Algier. — Ala II Flavia. CIR 981. Mainz. Abb. Stacke
Deutsche Geschichte S. 32. — Ala Frontoniana. CIL III 800.
Alsó Ilosova. — III 801. ebendas. — III 802. ebendas. — II
3400. Tétény. — III 8679. Pest. Abb. Desjardins Taf, XXIX -
Nro. 169, — Ala Hispana, CIR 1227. Mannheim. Haug S. 36
Nro. 41. — CIR 889. Worms, Lindenschm. 1 l I 3, 7, 1. —
CIR 890. Worms. Lindenschm. 1. 1, I 8, 7, 2. — Ala Indiana.
CIL VII 66. Cirencester. — CIR 307. Cóln. Düntzer Cólner
Katalog S. 107 Nro. 224. — CIR 891. Worms. Weckerling
Paulusmuseum I S. 63, Nro. 3. Lindenschm. Tracht u. Bewaffn.
Taf. VIL 4. — Aia Ituraeorum. CIL III 8677. Pest. Abb. Des-
jardins Taf. XXVII Nro.146. — III 4867. Raab. Arch.-epigr.
Mitth. I S. 148. Zeichnung beim Arch.-epigr. Sem. in Wien. —
III 4368. Wien. — Ala miliario. VIII 9389. Florenz. — Ala
Noricorum. CIR 1229. Mainz. Lindenschm. A. u. h. V. III 8, 4
und Tracht u. Bewaffn. Taf. VII 3. — CIR 1118. Mainz; ver-
stiimmelt. Becker Mainzer Katalog S. 73, Nro. 225. — CIR 187.
Trier. Skizze bei mir. — Bonner Jahrbb. LXXXI 8. 102 ff.
Cóln. Abb. ibid. Taf. IV. — Ala Pannoniorum. CIL III 2016.
Salona. — III 4372. Ebersdorf. — III 4377. Raab. (erhalten?). —
VIII 6309. Constantine. — Ala Parthorum, Ephem. epigr. V
1055. St. Leu. — Ala Petriana. von Domaszewski Die Fahnen
S. 70 Fig. 85, (ohne Ort u. Quelle). — Ala Picentina. CIR .915.
Mainz. Lindenschm, Tracht und Bewaffnung Taf. VIII Fig. 2. —
934 A. Müller,
Ala Scubulorum. CIR 1524. Wiesbaden. — Ala Sulpicia. CIR
344. Cüln. Düntzer Cólner Katalog S. 99 Nro. 205. — Bonner
Jahrbb. LXXXI S. 87. Bonn. Abb. ibid. Taf. III 1. — Ala
Tampiana. CTL III 4466. Petronell. — Ala Tautorum. CIL II
2984. Calahorra. --- Ala Thracum. CIL VII 68. Watermore. —
Ala veterana, CIL. VIII 5963. Bled-el-Gouhari. — Ala Vetionum
civ. Rom. CIL VII 52. Bath.
Cohortes auxiliariae. Coh. I. CIL X 217. Saponara.
— Coh. III Alpinorum. CIL III 6366. bei Mostar. — Coh. Aqui-
tanorum. Eph. epigr. IV 357. Sinj. — Coh. Asturum. CIR 478.
Bonn. Cok. V. Lindensehm. A. u. h. V. I 11, 6, 1. — 1231.
Mainz. Coh. I; verstümmelt: Lehne II, Taf. VI 23. — Cok. I
Belgarum, Eph. epigr. IV 330. Gardun-Vojnic. — Coh. III Bri- ‘
tannorum. CLL V 7717. Cuneo, — Coh. I Campestris. Eph. epigr.
IV 280. Narona. — — Cohortee Delmatarum, CIL VII 388. Ne-
therhall, Cox. I. — CIR 742, Kreuznach. Cod. I. Lindenschm.
A. u. h. V. I 10. à. Kohl. Steinzeulpturen d Stadt Kreuznach.
Tare. — CH. VIII 9377. Seherschel. Co&. VL Revue arch. XIV,
Tat, 395, — VII 9384. ebendas. Coa. VII. — Col. VI Inge
mio, CIR 2033. Cola. Düntzer Cöiner Katalog 3. 104, Nro.
229. — Ca. I Zisrueoren. CIR 1233. Mannheim. Haug Denk-
steine S 41. Nro. 32. Becker, Grabsehrit eines Panzerreiterof-
Sene Feet. 1303. Tat ID 4. — CIR 1234. Mainz. Becker,
Gras Tat ID 3. — Goi. I Zipuram. CIL II +35. Smyrna.
— Cod. Ligurum 26 Hisvanorum, V 2200. Nizza, erhalten? —
Cost. Leszonenum. CIL X 7382. Peria Sera — CIR 312.
Cum cua. IDO Benzer Jabsht. NXNVI Tal 1. 3. — Calorie
Pinus CLA 2465 Rrvugnzaeno Goa. ID Boal S ES Nr 15.
— CIR THE Kerze CALI versie Bohl S 21 Mo 13.
— CN 1512. Weslates Co. I Lindenwhm Track us Be
wiring. Var VI 5 — CIL IN 3234. Au Fue. Cà OIL
Cwtertss Eagtorum. Sez Jabst> LXNVII S. 14: Boom Abb.
greta Lar [| — CIX iii. Wein Coa. I Eat c. R.
Salz Dei ir — CLR 235 mr sa LaxSenhein, Cok. Il Rae.
— Lut.) Supésureren. CIR TSS. Kreuzgaeuns Decker Orabwehr.
2 UGG Roi oS 2. New D. — CIR 73}.
Amumaed TCeexir Dal ID Real S iid, New 13. — CIL VI
3333. Maschi — Cod. Survram, Eph. spiego. V 395. Seharsehel
— Coll l'irucum. VITO ZII «31i Dese Cos, L Dewurdims TÉ
La - we “> »
. Z'ASETOSL OUT LL
Die neueren Arbeiten tiber Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 585
XXIX 166. — CIR 310. Cóln. Coh. I. Bonner Jahrbb. XXXVI
Taf. I 1. — CIR 1290. Mannheim. Cor. III. Haug S. 35, Nro.
40. — CIR1523. Wiesbaden. Coh. III. Skizze bei mir. — CIR
990. Mainz, Coh. VI. Lehne II, Taf. VII 28. — CIL VII 67.
Cheltenham. Coh. VI. — CIL VII 158. Wroxeter. Coh. VI? —
Coh. I Vindelicorum, CIL III 3652. Pest. Desjardins Taf. XXX,
Nro. 173.
Classes. Classis praetoria, Misenensis, Eph. epigr. V 208.
Constantinopel. — CIL X 3434. Florenz — X 3437a. Neapel.
— Eph. epigr. V 201. Piraeeus. — III 556 a. Athen. Archäol.
Zeit. XXVI Taf. 5, 1. — III 6109. Athen. — Classis praetoria
Ravennatium. Or. 3618. Ravenna. Philol. XL S. 240 Nro.11. —
CIL III 557. Piraeeus. — V 2834. Padua. — V 2840. Padua;
verstümmelt.
Numeri reliqui. Numerus Divitensium. CIL III 728.
Rodosto. — Equites singulares. Eph. epigr. IV 983. Rom. (Die
Darstellung zeigt einen von mir Philol. XL S. 257 ff. nicht be-
handelten Typus)!). — Numerus Katafractariorum. Weckerling II
S. 55, No. 2. Worms. Abb. ibid. Taf. IV 2. — Numerus Mele-
nuensium. CIL VIII 9060. Aumale. — Numerus Palmyrenorum (?).
CIL VIII 2504. El Kantara.
Munera militaria. Centurio deputatus, Eph. epigr. V
207. Constantinopel. — Evocati. CIL VI 3431. Rom. (er-
halten?). — VI3434. Rom. — Ezplorator. CIL III 4276. Tata.
— Librarius legati. Archäol.-epigr. Mitth. VIII S. 4. Hassiduluk.
— Praefectus fabrum, CIL VI 3512. Rom. — Singulares. CIL
VIII 3050. Lambaesis. — VIII 9292. Algier. — Speculatores. CIL
V 7164. Turin.
Hieran reihen sich folgende Inschriftsteine mit Skulpturen,
die einem bestimmten Truppenkörper nicht zugewiesen werden
können: CIL III 2057; 4266; 5092b; 5633; 5634; V 945
(Zeichnung beim Arch.-epigr. Sem. in Wien); 1027 (Philol. XL
S. 297 Nro. 7); 2090; 5196; 6572; 6999; 7163 (erhalten?);
VI 3623 (erhalten?); VII 406; 590 (Abb. Bruce Lapidar. sep-
tentr. Nro. 118); 719; 919 (Abb. Bruce Nro. 481); VIII 9204;
9206; IX, 996; 3852; Ephem. epigr. II 333 (Philol. XL S. 235
Nr. 5); IV 354; 502; V 94; 1054; CIR 1380 (Haug S. 34
1) Ich bemerke, daß ich die Steine CIL VI 3210 u. 3265 im
Louvre gesehen habe, wodurch die im Corpus in betreff des Aufbe-
wahrungsortes ausgesprochene Vermuthung bestitigt wird.
534 | A. Müller,
Ala Scubulorum. CIR 1524. Wiesbaden. — Ala Sulpicia. CIR
344. Cóln. Düntzer Cólner Katalog S. 99 Nro. 205. — Bonner
Jahrbb. LXXXI S. 87. Bonn. Abb. ibid, Taf. III 1. — Ala
Tampiana. CIL III 4466. Petronel. — Ala Tautorum. CIL II
2984. Calahorra. — Ala Thracum. CIL VII 68. Watermore. —
Ala veterano, CIL VIII 5963. Bled-el-Gouhari. — Ala Vettonum
civ. Rom. CIL VII 52. Bath.
Cohortes auxiliariae. Coh. I. CIL X 217. Saponara.
— Coh. III Alpinorum. CIL III 6366. bei Mostar. — Coh. Aqui-
tanorum. Eph. epigr. IV 357. Sinj. — Coh. Asturum. CIR 478.
Bonn. Coh. V. Lindenschm. A. u. h. V. I 11, 6, 1 — 1231.
Mainz. Coh. I; verstümmelt; Lehne II, Taf. VI 23. — Coh. I
Belgarum. Eph. epigr. IV 350. Gardun-Vojnic. — Coh. III Bri- '
tannorum. CIL V 7717. Cuneo. — Coh. I Campestris. Eph. epigr.
IV 236. Narona. — Cohortes Delmutarum. CIL VII 388. Ne-
therhall. Co^. I. — CIR 742. Kreuznach. Coh. IIII. Lindenschm.
A. u. h. V. I 10, 5. Kohl. Steinsculpturen d. Stadt Kreuznach.
Tafel. — CIL VIII 9377. Scherschel. Coh. VI. Revue arch. XIV,
Taf. 305. — VIII 9384. ebendas. Coh. VIL. — Coh. VI Inge-
nuorum. CIR 2088. Cüln. Düntzer Cólner Katalog S. 104, Nro.
220. — Coh. I Ituraeorum, CIR 1289. Mannheim. Haug Denk-
steine S. 41, Nro. 52. Becker, Grabschrift eines Panzerreiterof-
ficiers. Frkft. 1868. Taf. II 4. — CIR 1234. Mainz. Becker,
Grabshrift Taf. II 8. — Coh. I Ligurum. CIL III 435. Smyrna.
— Coh. Ligurum et Hispanorum, V 7900. Nizza. (erhalten ?). —
Coh. Lusitanorum, CIL X 7882. Perda litterada. — CIR 812.
Cöln. CoA. III. Bonner Jahrbb. XXXVI Taf. 1, 3. — Cohortes
Pannoniorum. CIR 748. Kreuznach. Coh. I. Kohl S. 18 Nro.15.
— CIR 744. Kreuznach. Coh.I. verstümmelt. Kohl S. 21 Nro. 18.
— CIR 1519. Wiesbaden. Coh. I. Lindenschm. Tracht u. Be-
waffnung. Taf. VI 2. — CIL IX 3924. Alba Fuc. Coh. IIII.
Cohortes Raetorum. Bonn. Jahrbb. LXXVII S. 14 ff. Bonn. Abb.
ebendas. Taf. I. — CIR 1520. Wiesbaden. Coh. II Rai. c. R.
Skizze bei mir. — CIR 935. gef. zu Laubenheim. Coh. II Raet.
— Coh. I Sagittariorum. CIR 738. Kreuznach. Becker Grabschr.
e. Panzerreiteroff. Taf. II 2. Kohl S. 20, Nro. 17. — CIR 739.
Kreuznach. Becker Taf. II 1. Kohl S. 19, Nro. 16. — CIL VI
3595. Madrid. — Coh. Syrorum. Eph. epigr. V 995. Scherschel,
— Coh. Thracum, CIL III 4316. Pest. Coh. I. Desjardins Taf.
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 585.
XXIX 166. — CIR 310. Cöln: Cok. I. Bonner Jahrbb. XXXVI:
Taf. I 1. — CIR 1290. Mannheim. Cok. IIII. Haug S. 35, Nro.
40. — CIR1523. Wiesbaden. Coh. IIII. Skizze bei mir. — CIR
990. Mainz. Coh. VI. Lehne II, Taf. VII 28. — CIL VII 67.
Cheltenham. Coh. VI. — CIL VII 158. Wroxeter. Coh. VI? —
Coh. I Vindelicorum. CIL III 3652. Pest. Desjardins Taf. XXX,
Nro. 173.
Classes. Classis praetoria Misenensis, Eph. epigr. V 208..
Constantinopel. — CIL X 3434. Florenz. — X 8487a. Neapel
— Eph. epigr. V 201. Piraeeus. — III 556 a. Athen. Archiol. :
Zeit. XXVI Taf, 5,1. — III 6109. Athen. — Classis praetoria
Ravennatium. Or. 3618. Ravenna. Philol. XL 8.240 Nro. 11. —
CIL III 557. Piraeeus. — V 2834, Padua, — V 2840. Padua; -
verstümmelt. |
Numeri reliqui. Numerus Divitensium. CIL III 728.
Rodosto. — Equites singulares. Eph. epigr. IV 933. Rom. (Die
Darstellung zeigt einen von mir Philol. XL S. 257 ff. nicht be-
handelten Typus)!). — Numerus Katafractariorum. Weckerling II
S. 55, No. 2. Worms. Abb. ibid. Taf. IV 2. — Numerus Mele-
nuensium. CIL VIII 9060. Aumale. — Numerus Palmyrenorum (?).
CIL VIII 2504. El Kantara. Ä
Munera militaria. Centurio deputatus, Eph. epigr. V
207. Constantinopel. — Evocati. CIL VI! 8481. Rom. (er-
halten?). — VI3434. Rom. — Explorator. CIL III 4276. Tata.
— Librarius legati. Archäol.-epigr. Mitth. VIII S. 4. Hassiduluk.
— Praefectus fabrum, CIL VI 3512. Rom. — Singulares. CIL
VIII 3050. Lambaesis. — VIII 9292. Algier. — Speculatores. CIL
V 7164. Turin.
Hieran reihen sich folgende Inschriftsteine mit Skulpturen,
die einem bestimmten Truppenkérper nicht zugewiesen werden
konnen: CIL III 2057; 4266; 5092b; 5688; 5634; V 945
(Zeichnung beim Arch.-epigr. Sem. in Wien); 1027 (Philol. XL
S. 237 Nro. 7); 2090; 5196; 6572; 6999; 7163 (erhalten?);
VI 3623 (erhalten ?); VII 406; 590 (Abb. Bruce Lapidar. sep-
tentr. Nro. 118); 719; 919 (Abb. Bruce Nro. 481); VIII 9204;
9206; IX, 996; 3852; Ephem. epigr. IL 383 (Philol. XL S. 285
Nr. 5); IV 354; 502; V 94; 1054; CIR 1880 (Haug S. 84
1) Ich bemerke, daß ich die Steine CIL VI 8210 u. 3265 im
Louvre gesehen habe, wodurch die im Corpus in betreff des Aufbe-
wahrungsortes ausgesprochene Vermuthung bestätigt wird.
536 A. Müller,
Nro. 39); 1684; 1886 (das Original ist in Straßburg 1870 zu
Grunde gegangen; Gypsabgüsse befinden sich in Mainz und St.
Germain; vgl Bonner Jahrbb. LXXII 8.139); Keller Nachtrag
zum Mainzer Katalog Nro. 226* (Bonner Jahrbb. LX XII S. 137);
Westdeutsche Zeitschrift 1882 S. 51.
Ferner sind verschiedene Reliefs zu erwühnen, denen die
Inschriften fehlen: Archäologisch - epigraphische Mittheilungen I
S. 117; 152; 166; V S. 178 Nro. 16 u. 24; VIII S. 38. 59.
Bruce Lapidarium Nro. 238; 239; 240; 421; 754; 755; 756;
930 (= v. Domaszewski die Fahnen S. 75 Fig. 90). Conze
Rómische Bildwerke u. s. w. Heft III Taf. XI. von Doma-
szewski l. c. p. 32 fig. 6 (Philol. XL S. 237 Nro. 6); 8. 39
Fig. 17; S. 74 Fig. 87; S. 77 Fig. 95. Jabornegg Kärnthen's
Rómische Alterthümer S. 158. Bonner Jahrbb. LXXVII S. 37
u. 40 zu Taf. II 1. 2, und III 1 LXXXI S. 223 f. Linden-
schmit Tracht und Bewaffnung Taf. VIII 3. Prize London and
Middlessex archaeol. Journal 1880/1. Weckerling II S. 58
Nro. 4 u. Taf. HI 1 a u. b. Ferner Benndorf und Schoene
Lateran. Mus. 8. 406 zu Nro 151 (vgl. Philol. XL S. 230 Nro. 1).
Hettner Bonner Katalog S. 83 Nro. 226; S. 84 Nro. 227 und
228. Kohl Kreuznacher Inschriften S. 22 Nro. 20. Philologus
XL S. 239 Nro. 9; S. 240 Nro. 10; S. 242 Nro. 18. Reiches
Material von Zeichnungen findet sich im Apparate des Archäo-
logisch-epigraphischen Seminars zu Wien, und zwar von Reliefs
aus Aquileja, Schlo8 Hollenburg bei Klagenfurt, Klagenfurt,
Mariasaal, Pola, Possau, Sekau, Stein am Anger, Triest; das-
selbe wird sich in den letzten Jahren noch vermehrt haben.
Ich besitze Skizzen von Reliefs aus Linz, dem Musée Carna-
valet zu Paris, dem Vatikan und der Villa Albani. Aus dem
CIL gehören hieher II 793 und Hiibner's Nachweisungen zu II
2462. — Endlich finden sich auch militürische Reliefs auf Steinen,
deren Inschriften nichts Militärisches enthalten. S. CIL II 2781.
2790. III 5519. 6157. V 3365. VII 74. VIII 3917. 8516.
IX 3851. 5688. X 2399. 4210. Ephem. epigr V 65.
Der hochverdiente Director des römisch - germanischen Cen-
tralmuseums, Ludwig Lindensc hmit, will in seinem Buche über
Tracht und Bewaffnung des rémischen Heeres wührend der Kai-
serzeit (12) nicht nur einen Beitrag zur Kenntniß der römischen
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 587
Bewaffnung, sondern, da dasselbe sich vorwiegend auf die am
Rhein gemachten Funde stützt, auch einen solehen zur Kennt-
nif der vaterlindischen Alterthümer liefern. Außerdem soll das
Buch ein Unterrichtsmittel für höhere Lehranstalten sein. Un-
seres Erachtens ist diese Verbindung zweier Zwecke nicht vor-
theilhaft gewesen; denn während bei einem rein wissenschaft-
lichen Werke die strengste Genauigkeit in der Wiedergabe der
Monumente erforderlich und es am besten gewesen wäre, einfach
die in den „Alterthümern unserer heidnischen Vorzeit‘ gegebe-
nen musterhaften Abbildungen zu reproduciren, hat die Bestim-
mung des Buches zu einem Unterrichtszwecke dazu geführt, „un-
beschadet des alterthümlichen Charakters der Bildwerke der
Deutlichkeit halber die den Gesammteindruck störenden Ver-
stiimmelungen sowie die abstoßenden Mängel in der Ausführung
der Körpertheile“ zu beseitigen. Auf diese Weise sind dann
mehrfach Figuren entstanden , welche selbst dem mit diesen
Denkmälern völlig Vertrauten auf den ersten Blick fremd er-
scheinen werden. Schon beim Caeliussteine (Taf. I, 1) hat sich
der Zeichner einige Freiheiten erlaubt. Bei dem aquilifer Mu-
sius (Taf. II, 1 vgl. mit Alterth. u. h. V. I 4, 6, 1) weichen
die Größe des Adlers, die Lage des ergänzten Schwertes, die
Gestalt des Schildes, die Stellung des rechten Beines und infolge
dessen die Stellung des Mannes erheblich vom Original ab. Taf.
III 1 ist aus Luccius, der auf dem Originale (A. u. h. V. I
4, 6, 2) eine Kleine schlecht proportionirte Gestalt ist, ein gro-
Ber schlanker Mann geworden, und die Einzelheiten seiner Rti-
stung sind zum Theil weit genauer gegeben, als sie auf dem
Steine erkannt werden können. Sehr stark und, was den den
linken Arm bedeckenden Theil der paenula anbetrifft, nicht ein-
mal richtig ergünzt ist die Figur des Petilius (Taf. IV 2 vgl.
mit A. u. h. V. I 8, 6, 1). Beim Hyperanor (Taf. V 2) haben,
da der obere Theil der Figur verstiimmelt ist, sehr erhebliche
Ergünzungen vorgenommen werden müssen, die auch an der
Giirtung nicht genau sind (vgl. Becker Grabschrift eines Pan-
zerreiterofficiers Taf. II 1). Auch C. Marius (Taf. VII 1) ist
gegen das Original (Bonner Jahrbb. LV Taf. V 1) bedeutend
verändert.
Hienach können die Abbildungen zum großen Theile für
wissenschaftliche Forschungen ein sicheres Fundament nicht ge-
538 A. Müller,
währen, während allerdings ihre Brauchbarkeit für die Zwecke
des Unterrichts durch die Nacharbeitung gewonnen hat. Auflr-
dem ist darauf hinzuweisen, daß der Text selbst von größeren
Druckfehlern nicht frei ist, die Inschriften meist nicht völlig
richtig wiedergegeben und die Citate nicht selten ungenau an-
geführt sind. Auf alle diese Dinge hat bereits eine Besprechung
in den N. Jahrbb. f. Philologie und Pädagogik Bd. 128 8. 566
aufmerksam gemacht. Wir unsererseits nehmen daran nicht so
großen Anstoß; das Hauptgewicht ist bei diesem Buche darauf
zu legen, daß ein durch langjährigen Umgang mit den Denk-
mälern und Fundstücken im hohen Grade sachkundiger Mann
redet und seine auf die eingehendsten Forschungen begründeten
Ansichten mittheilt.
Der Verfasser beginnt S. 3 mit einer kurzen Geschichte
der Bewaffnung des römischen Heeres, wie sie sich aus den
Schriftstellern ergiebt. Wenn er dabei die Bewaffnung der Ser-
vianischen Classen auf etruskische Vorbilder zurückzuführen
scheint, so möchte ich dagegen bemerken, daß es zwar schwer,
wenn nicht unmöglich ist darüber etwas Sicheres festzustellen,
ich aber doch für jene Bewaffnung und ihre Unterschiede lieber
griechischen Einfluß annehme, zumal sich in den Classen deut-
lich die griechischen Hopliten, Peltasten und Gymneten wieder-
finden. Ferner beruht es wohl auf einem Versehen, wenn S. 8
gesagt wird, bei Polybius hätten die Triarier statt der hasta das
pilum ; dies wird Liv. VIII 8 berichtet, bei Polybius VI 23, 16
ist das Verhältniß das umgekehrte. Es ist eine ansprechende
Vermuthung Köchly’s (Abhandl. der Philol.-Vers. zu Würzburg
S. 43 ff.), daß das Zusammentreffen der römischen Legionen mit
der makedonischen Phalanx im Tarentinischen Kriege die Ver-
anlassung bot den beiden ersten Abtheilungen des Fußvolks das
pilum zu geben, um es zu befühigen vermittelst des Wurfes in
den Reihen der Phalanx Lücken zu reißen.
Der Verfasser geht S. 4 zur Behandlung der einzelnen
Waffenstücke über. Wir heben aus diesen Ausführungen Fol-
gendes hervor. Der Helm nähert sich in der Kaiserzeit im
allgemeinen den edleren Formen griechischer Helme, wie sie von
Fundstücken, aus den Wandgemiilden etruskischer Metropolen,
und aus Darstellungen samnitischer Krieger bekannt sind.
Obwohl Camillus (Plut. Cam. 40) den Eisenhelm eingeführt he-
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 539
ben soll, so findet sich der ältere Erzhelm noch in der Kaiser-
zeit, wie Fundstücke diesseit der Alpen bezeugen. Ueber die
galea, den Lederhelm, fehlen nähere Angaben; wahrscheinlich
waren galea und cassis in der Kaiserzeit im wesentlichen von
gleicher Form, so daß die verschiedene Benennung nur stoffliche
Verschiedenheit andeutet. Die charakteristischen Eigenthümlich-
keiten des rómischen Helmes, wie er diesseit der Alpen gefun-
den wird, bestehen in einer mäßig gewölbten Kopfform mit steil
abfallendem Hinterhaupt, breitem Nackenschirm , breiten Wan-
genbändern (bucculae), einem bogenförmigen Ausschnitte des Ran-
des über dem Ohr, welches durch einen stark vortretenden Be-
schlag gedeckt ist, einem über die Wölbung der Haube laufen-
den Kamm und einem etwas nach oben gerichteten Stirnschild.
Bei eisernen sowohl, wie bei ehernen Helmen sind die Beschläge
aus Erz gefertigt. Die Helme der Trajanssäule stimmen nur
zum Theil mit den Fundstücken, namentlich zeigen sie, wie wir
hinzufügen, nur schmale ducculae Der Verfasser ist der An-
sicht, daß die Darstellungen dieses Denkmals und ähnlicher zu
sehr von künstlerischen Anschauungen beeinflußt seien, als daß
ihre Vergleichung mit den Fundstiicken und Sepulcralmonu-
menten fruchtbar sein könnte. Diesem ungünstigen Urtheile über
die Treue der auf den Triumphaldenkmälern gegebenen Darstel-
lungen vermag ich mich nicht anzuschließen. Die Reiterhelme
auf rheinischen Grabsteinen zeigen mehrfach die Eigenthümlich-
keit, daß ihre Kappe das Haar nachahmt; diese Runzelung oder
Corrugation diente dazu das Metall zu verstärken. Auf das,
was der Verfasser über Visierhelme sagt, werde ich unten zu-
rückzukommen Gelegenheit haben. Wenn geäußert wird, daß
die crista nur in der Schlacht getragen wurde, so ist damit wohl
zu viel gesagt. Nach Caes. B.G. II 21 scheint es allerdings
daß die Soldaten auf dem Marsche, wo nach verschiedenen Ab-
bildungen der Trajanssäule der Helm vor der Brust hing, die
crista abnahmen und vor Beginn der Schlacht wieder am Helme
befestigten. Der oben besprochene Grabstein des Calidius ist
nicht, wie S. 6 gesagt wird, in Steiermark gefunden, sondern
stammt aus Petronell dem alten in Pannonien gelegenen Car-
nuntum.
Bei der Behandlung der Zorica wird sodann der z. B. auf
dem Wiesbadener Steine des C. Valerius Crispus (A. u. h. V.
542 A. Miller,
bindung mit dem cingulum oder dem balteus ist auf der Riick-
seite durch einen Beschlag zum Durchziehen der Schwertkuppel
in verschiedener Weise hergestellt.
Während wir über das pilum unten ausführlich handeln -
werden, geben wir iiber die hasta hier Folgendes. Ueber die
Form derselben fehlen alle schriftlichen Nachrichten. Der Ver-
fasser vermuthet, die älteste hasta der Römer sei der griechi-
schen Sarisse ähnlich gewesen. Auf den Denkmilern ist die
Form der Spitze verschieden. Die hasta auf dem Flavoleius-
steine (A. u. h. V. I 9, 4) ist durch die starke, jedenfalls hohle
Mittelrippe und das nach der Tiille zu abgerundete Blatt den
ehernen Lanzenspitzen der deutschen und italischen Grabhiigel
nahe verwandt. Mehrere Stücke dieser Art sind auch bei Alis
St. Reine, dem alten Alesia, gefunden worden. Die Lanzen auf
den Steinen der Cohortalen, welche merkwürdiger Weise mei-
stens paarweise erscheinen, zeigen wie die rheinischen Fund-
stücke eine flache, von einem bald leichten, bald schirferen Mit-
telgrat durchzogene Klinge, deren Seiten bald geradlinig gebro-
chen, bald leicht oval gegen die Tülle ablaufen. Aehnlich sind
die in den rheinischen Castellen und sonstigen rómischen An-
siedelungen, sowie im Nydamer Moor gefundenen Spitzen leich-
terer Wurfgeschosse, wozu noch eine besondere Gattung von
kegelförmigen, bolzenartigen und pyramidalen, drei- oder vier-
kantigen Spitzen kommt, welche mit der von Vegetius (II 15;
S. 47, 19 LJ): unum maius ferro triangulo unciarum novem) be-
schriebenen Spitze des Pilums identisch sind. Es giebt auch
Pfeilspitzen gleicher Art, neben denen aber auch blattförmige
und kleine mit Widerhaken versehene, zum Einschieben in den
Schaft bestimmte, also der Tiille entbehrende, vorkommen.
Die Form der Reiterlanze, contus, scheint ungewiB; auf den
Grabsteinen hat sie durchschnittlich eine kleine Spitze, entweder
mit gradlinig gebrochenen Seiten mit und ohne Widerhaken, oder
nach der Tülle zu abgerundet mit kurzer, nur wenig in die
Klinge hineingreifender Rippe. Die plumbatae oder mattiobarbuli
(Veget. I 17; p. 19, 2 L.) hatten eine kurze mit Widerhaken
versehene Spitze, unterhalb deren zur Verstärkung des Warfes
ein Bleigewicht befestigt war. Die Länge des Handpfeiles, auf
dem diese Spitze befestigt wurde, kann nicht betrüchtlich ge
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 548
wesen sein, da die Truppen fiinf derartige Geschosse auf der
Innenseite des scutum aufbewahrten (vgl. Taf. XI 22).
Das gewölbte scutum der Kaiserzeit hat sich aus dem dv-
ocoç entwickelt, der von Plutarch (Aem. Paullus 20) als ein bis
auf die FiiBe reichender länglicher Schild beschrieben wird; es
ist jedoch unklar, ob der Sugecg bereits gewülbt war, oder eine -
gerade Fläche hatte, wie die Schilde auf den Grabsteinen des
Annaius (Taf. VI 1) und Licaius (Taf. VI 2). Daf es zu Po-
lybius’ Zeit gewölbte Form hatte, läßt sich daraus schließen,
daf er (Polyb. VI 23) aus zwei über einander geleimten Holz-
lagen bestand; denn dieses Verfahren ist üblich, wenn es darauf
ankommt eine Holzplatte von geringer Stärke in dauernde Kriim-
mung zu bringen. Neben dem scutum erscheint auf den Säulen
und Grabsteinen oft der flache Ovalschild aus. Holz und mit
Leder überzogen, der durch einen Metallrand und den umbo ge-
schiitzt wird. Auf den Grabsteinen hat er nur eine unter dem
umbo befestigte Handhabe, auf den Säulen dagegen deren zwei,
Endlich fiihren auf rheinischen Grabsteinen einige Reiter auch
sechseckige Schilde. |
Wenn der Verfasser sodann zum Schluß dieses so lehrrei-
chen allgemeinen Theiles seiner Arbeit bemerkt, die Tracht und
Bewaffnung der Auxiliaren gehóre nicht mehr in das von ihm
zu behandelnde Gebiet, so kann er damit wohl nur solche Au-
xiliaren gemeint haben, welche in ihrer nationalen Ausriistung
dienten; die iibrigen standen in ihrer Riistung doch den Le-
gionen sehr nahe. |
Der zweite Theil (S. 16 ff) bringt die Erklürung der 12
Tafeln, von denen I—VIII eine Anzahl Grabreliefs, einige Pha-
lerä und eine auf der Salburg gefundene Bronze darstellen. Ei-
nige Bemerkungen zu diesen Figuren haben wir bereits oben
ausgesprochen, einige die Erklirungen betreffenden unterdrücken
wir, da wir hier nicht zugleich die Figuren wiedergeben kón-
nen, und beschrünken uns auf Folgendes. Zum Steine des M.
(nicht Manius) Caelius ist S. 17 darauf Bezug genommen, daß
ich den Mann für einen Evocatus erklirt habe. An dieser Phi-
lol. XXXIII S. 659 f, und Philol. Anz. IX S. 221 f. gegebenen
Erklärung halte ich nicht mehr fest, glaube aber auch, dal man
Caelius nicht mit Hettner (Bonner Katalog S. 32) für einen
centurio halten darf, sondern habe die Ueberzeugung gewonnen,
544 A. Müller,
daß der erste Buchstabe der Inschrift einerseits ein O, andrer-
seits ein Anfangsbuchstabe ist, so daB nichts anders tibrig bleibt,
als O(ptio) zu lesen. Die nämliche Abkürzung findet sich CIL
VI 627. Zum Steine des C. Romanius eq. al. Noricorum (Taf.
VII 3) wird S. 23 der hinter dem Reiter erscheinende mit zwei
Lanzen bewaffnete Fußgänger nach Caes, B.G. I 48 für einen
dem Reiter zeitweise beigegebenen auserwühlten leichten Infan-
teristen (vgl. Veget. III 16; p. 100, 16 Lang) erklürt. Wir
vermógen dem nicht beizustimmen und halten den Mann ledig-
lich für den waffentragenden Sklaven des Reiters , vgl. Philol.
XL S. 261. Zu dem Grabsteine des Silius eq. alae Picentinae
(Taf. VIII 2) behauptet der Verfasser S. 24, ich hätte densel-
ben für einen eques singularis erklürt. Dies beruht auf einem
Irrthume. Philol. XL S. 260 habe ich den Silius zu einem
der Typen auf den Grabsteinen der Equites singulares einfach
verglichen, Zu dem Rest der Tafeln ist kaum etwas zu be-
merken. 'laf. IX und 'X geben rómische Helme nach Fund-
stücken, darunter auch ganze Visierhelme (Taf. X 1*-*; 2s*)
und eine Visiermaske (ibid. 3). Taf. XI Fig. 1 — 11 geben
Schwertklingen, Scheiden, Theile der letzteren, Griffe und Dolche.
Zu 2 wird die in den A. u. h. V. I 8, 6, 4 beigegebene Sei-
tenansicht der Klinge vermißt, bei der die Verstärkung der
Spitze so deutlich hervortritt. Fig. 12—16 stellen verschiedene
Pilumklingen und restaurirte Pila dar, Fig. 17—21 Lanzen-
spitzen von verschiedenem 'Typus, Fig. 22 einen mattiobarbulus,
Fig. 23—26 Pfeilspitzen, Fig. 27 —28 Schleuderbleie, von denen
jedoch das erste mit der Inschrift L.XV ein gefülschtes zu sein
scheint. Zu bedauern ist, da& der Mafstab der Zeichnungen ein
verschiedener ist, wofür die Angabe der Dimensionen in der
Beschreibung nicht entschüdigen kann. Taf. XH Fig. 1—6
zeigen Figuren von der Trajanssäule mit der lorica segmentata
bezw. der lorica hamata, Fig. 7 einen Helm des Museums zu
Stuttgart, dessen Kappe das Haar nachahmt, Fig. 8 einen Bron-
zehelm aus England, an dessen Wangenband das Ohr nach-
geahmt ist, Fig. 9 den Helm vom Grabsteine des centurio Ca-
lidius, Fig. 10 —11 Fragmente zweier Exemplare der lorica squa-
mata, Fig. 12 ein solches von einer lorica hamata, Fig. 18 end-
lich eine caliga nach einem in Mainz gefundenen Exemplare.
Nach Vorstehendem wird man leicht erkennen, daß in Lin-
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 545
denschmits Buche ein sehr brauchbares Hülfsmittel zur Verbrei-
tung der Kenntniß der Tracht und Bewaffnung des römischen
Heeres in der Kaiserzeit geboten ist; hoffen wir, daß bei einer
wahrscheinlich erforderlich werdenden zweiten Auflage vermittelst
einer durchgreifenden Revision die hervorgehobenen Anstöße be-
seitigt werden.
Schon einige Zeit vor der Herausgabe der eben bespro-
chenen Schrift hat Lindenschmit Modelle von Waffenstiicken ró-
mischer Krieger nach Fundstiicken und Sepulcralmonumenten in
den Werkstätten des Centralmuseums herstellen lassen. Die
Sammlung umfaßt folgende einzelne Stücke: 1) Helm aus Eisen
nach einem im Castell zu Niederbiber gefundenen Exemplare;
2) gladius ; Griff nach einem Holzgriffe aus dem Nydamer Moor
(ein anderer Griff aus Buchsbaumholz ist nach einem Elfenbein-
originale des Mainzer Museums hergestellt), Klinge nach einem
Originale zu Mainz, Scheide Copie des sogen. Schwertes des Ti-
berius; 3) pugio, Klinge und Scheide nach einem Original des
Museums zu Speyer, Griff nach dem Grabstein des Flavoleius ;
4) clipeus nach Details des Mainzer Museums; 5) scutum, der
umbo nach einem in England befindlichen Exemplare, das unten
näher besprochen werden wird, hergestellt; 6) pilum ohne star-
ken Knauf nach einem Exemplare des Museums zu Wiesbaden;
7) pilum mit starkem Knaufe nach dem Denkmale des Valerius
Crispus zu Wiesbaden; 8) sagum nach Grabsteinen; 9) lorica
aus rothem Leder und tunica nach Denksteinen bezw. zu Bonn
und Kreuznach; 10) zwei cingula nach denselben Grabsteinen;
11) fibula nach einem Original zu Mainz. Es müge auch hier
darauf aufmerksam gemacht werden, daß diese Waffenstiicke,
nach Art eines íropaeum an einem Baumstamm befestigt, für
Lehrzimmer und Säle höherer Lebranstalten einen schönen
Schmuck bilden.
Ein solches tropaeum war im Jahre 1877 bei Gelegenheit.
der Philologenversammlung zu Wiesbaden ausgestellt und wurde
dort durch einen Vortrag Genthe’s (vgl. Verhandl. S. 54 ff. und
N. Jahrbb. 116 S. 604 ff.) erklärt und eingeführt. Derselbe
Gelehrte empfahl sodann die Modelle mittelst Circulars d. d.
Corbach December 1877 weiteren Kreisen. In diesem Circular-
schreiben wurden die fraglichen Waffen als „Modelle der Be-
waffnung und Ausrüstung eines römischen Legionssoldaten* be-
Philologus. N.F. Bd.1,3. 30
546 A. Miller,
zeichnet, und in seinem Vortrage hatte Genthe ausdrticklich ge-
sagt, daß die „ausgestellten Modelle die Summe aller bisher ge-
wonnenen Erkenntnif hinsichtlich der betreffenden Waffenstiicke
in sich verkörpern“. Dies schien mir in einem Stücke bedenklich;
ich mußte annehmen, daß mit einem Lederwams für einen Le-
gionar das Richtige nicht getroffen war. Lindenschmit hatte die
lorica dem Steine des Pintaius signif. coh. V Asturum (A. u. h.
V. I 11, 6), also eines Cohortalen, entnommen; die Cohorten
waren aber leichter gerüstet als die Legionen (vgl Tac. Ann I
51; II 52; III 39; IV 78); ferner sagt Vegetius II 16 (S. 49,
1 Lang): omnes — signiferi — loricas minores accipiebant ; aufer- '
dem erinnerte ich mich einiger Stellen, nach denen den Legio-
naren cin Metallpanzer zukam. Ich ging der Sache weiter nach
und fand eine ziemliche Anzahl von Stellen, welche diesen Me-
tallpanzer beweisen und habe diese Philol XL $S. 122—126
(26) zusammengestellt. Dieselben lassen sich leicht zu einigen
Gruppen vereinigen, von denen die erste solche umfaBt, an denen
von dem großen Gewichte des Panzers die Rede ist: Tac. Ann.
164; Ioseph. B. Iud. III 7,18; Veget. I 20 (S. 21, 6 ff. L.).
In einer andern Reihe von Stellen wird der Glanz des Panzers
hervorgehoben: Dio Cass. LXIII 4; Ios. B. Iud. V 9, 1; Dio
Cass. LXXIV 1, 4. Vgl. auch Vopisc. Aurel. 7; Veget. I 20
(S. 22, 8 L.) und vielleicht auch Ammian. Marcell. XVI 10, 8.
Vom Geräusch läßt auf einen Metallpanzer schließen Ios. B. Iud.
III 10, 9. Endlich führen einige Stellen, an denen von der
Wirkung des Feuers auf den Panzer die Rede ist, auf dasselbe
Resultat: Ios. l. l. VI 1, 3; Herodian. VIII 4, 10. Wenn wir
somit aus allen vier nachchristlichen Jahrhunderten, nümlich aus
den Zeiten der Kaiser Tiberius, Nero, Vespasian, Septimius Se-
verus, Maximinus Thrax und Constantius, Nachrichten besitzen,
aus welchen auf den Gebrauch des Metallpanzers zu schlieBen ist,
und wenn Vegetius I 20 denselben bis auf Gratian ausdrücklich
"bezeugt, so dürfen wir wohl mit Sicherheit annehmen, daß der
Panzer eines Legionars durch ein einfaches Lederwams nicht
dargestellt wird. Dies Resultat hat Hübner Hermes XVI S. 307
anerkannt.
Das oben erwähnte Circular gab mir noch zu einer andern
Ausführung Veranlassung. Genthe hatte sich in demselben über
die lorica segmentata, welche auf den Säulen und Triumphbögen
Die neueren Arbeiten tiber Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 547
den Panzer der Legionare bildet, in der Weise ausgesprochen,
daB man annehmen durfte, er halte diese Zorica überhaupt für
ein Phantasiegebilde der Künstler. Zu dieser Annahme lag um
so größere Berechtigung vor, als derselbe Gelehrte in seinem
Vortrage ausgeführt hatte, die Abbildungen auf den Triumphal-
denkmälern hütten, da sie sich den Anforderungen der Kunst
hätten anbequemen müssen, manche Veränderungen an den Waffen ©
nothwendig gemacht. Es lag mir daran, dieser von einem so
anerkannten Gelehrten etwa gehegten Ansicht entgegenzutreten
und die wirkliche Existenz der lorica segmentata nachzuweisen.
Ich habe daher Philol. XL S. 127 ff. Folgendes ausgeführt. Die
lorica segmentata besteht auf den Denkmälern aus zwei Stücken,
von denen das eine die rechte, das andre die linke Seite des
Oberkörpers schützt und die auf dem Rücken durch Charniere
verbunden sind, während der Verschluß auf der Brust durch
Schnallen hergestellt wird (Fróhner La colonne Trajane 1865
S. 82). Diese gewülbten Stücke decken nur den Brustkasten
und den oberen Theil des Rückens; die Taille schützen vier bis
sieben dicht an einander liegende Gürtel, welche ein integriren-
des Stück des Panzers bilden, da sie auf der Rückseite in der
Mitte ebenfalls in zwei Hälften zerfallen, welche ihrerseits wie-
der durch Charniere zusammengehalten werden (vgl. Fróhner 1. 1.
S. 80; 114 und Taf. zu S. 86, 93, 103, 104, 105). Hieraus
folgt auch, daß jene Platten unter den Gürteln nicht fortlaufen,
sondern an der betreffenden Körperstelle durch diese ersetzt
werden. Vor der Taille legen sich die Spitzen der einen Seite
über die der anderen (Fröhner 1. 1. 8.85; Taf. zu S. 86 u. 98);
da ein weiterer Verschluf nicht sichtbar ist, so wurden die Giir-
telenden vielleicht auf der innern Seite verschnürt. Um einen
der untersten Gürtel pflegt das cingulum militiae gelegt zu wer-.
den. Zum Schutze der Schulter dienen humeralia, welche eben-
falls aus drei bis vier giirtelartigen Streifen bestehen. Ob die-
selben am Panzer festsaben, oder nach Anlegung des letzteren
nachtriglich befestigt wurden, ist nicht ersichtlich. Der untere
AbschluB des Panzers ist gradlinig. Einzelne Abweichungen
sind a. a. O. S. 128 nachgewiesen. Die lorica segmentata ist
demnach ein dem 9woaf oradiog verwandtes Waffenstück, dessen
Vortheile sie bot, wihrend sie seine Nachtheile vermied, indem
sie völligen Schutz gewährte, dem Oberkörper aber die volle
89 *
548 A. Miller,
Beweglichkeit sicherte. Hinsichtlich des Materials der lorica seg-
mentata entschied ich mich fiir Metall, worauf fiir das Brust-
und Riickenstiick sowohl die Construction aus zwei Hilften, als
namentlich die Verbindung durch Charniere und der Verschluß
mit Schnallen, für die Gürtel- und Schulterstreifen die Erwägung
führte, daß Lederriemen bei Biegung des Körpers und beim
Aufheben des Armes sich nicht über einander schieben und nach-
geben konnten. Dazu kommt, daß bei allen exacten Darstellun-
gen diese Streifen an ihrem Ende eine eigenthümliche Biegung
zeigen, welche entschieden auf Metall deutet, und daß sich fast
immer an den Spitzen kleine Nägel dargestellt finden, welche
dazu gedient haben werden die Metallstreifen auf dem mit Si-
cherheit vorauszusetzenden Lederfutter zu befestigen. Wenn nun
in der lorica segmentata ein im hohen Grade praktischer Panzer
zu erkennen ist und wenn ferner eine Classe von Denkmälern
ihren Gebrauch bezeugt, so hat man das Recht anzunehmen, daß
sie nicht ein Phantasiegebilde der Künstler ist, mag auch eine
Beschreibung aus dem Alterthume nicht auf uns gekommen sein
und mag dieser Panzer auf den Sepuleralmonumenten nicht nach-
gewiesen werden können. Unseres Wissens findet sich nur auf
dem Steine des Musius das Schulterstück aus Metallstreifen.
Daß sich noch nirgends Reste gefunden haben, welche auf die
lorica segmentata bezogen werden können, erklärt sich daraus,
daß die dünnen Eisenbleche im Laufe der Zeit dem Roste zum
Opfer fielen. Lindenschmit (Tracht und Bewaffnung S. 8) will
allerdings aus dem Mangel an Fundstücken lieber auf Leder
schließen. |
Im weiteren Verlaufe der Abhandlung weise ich einige Dar-
stellungen der lorica segmentata nach, welche bis dahin theils
nicht richtig erkannt, theils nicht beachtet worden waren. Es
sind dies 1) ein Relief des Lateranischen Museums bei Benndorf
und Schoene Nro. 38 und Abbild. Taf. I 1. 2; 2) eine Dar-
stellung auf einem der beiden Reliefpfeiler, welche sich im zwei-
ten Vestibulum des Museums der Ufficien in Florenz befinden,
s. Diitachke Antike Bildwerke in Oberitalien III S. 18, Nro. 44
und 54: 3) Marmortorso in der Villa Albani, im Jahre 1879
neben der Allee, welche vom Hauptgebiude nach dem Bigliardo
fiihrt, eingemauert. Der in der Vorderansicht dargestellte Krie-
ger trügt die lorica segmentata in der auch auf den Trajans-
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 549
sculpturen des Constantinsbogens vorkommenden Form, wo der
ganze Panzer aus horizontalen Giirtelstreifen besteht. Auf dieses
Monument hatte mich Hiibner aufmerksam gemacht. 4) Endlich
findet sich unsere lorica mehrfach auf der Basis der Säule des
Antoninus Pius, welche im giardino della Pigna im Vatican auf-
gestellt ist.
Nachdem sodann in längerer Ausführung nachgewiesen ist,
daß die Darstellungen auf den Säulen und Bögen in der That
realistisch sind und allen Glauben verdienen, geht die Abhand-
lung auf die Frage nach der Herkunft der lorica segmentata über
und sucht dabei etruskischen Einfluß nachzuweisen. Allerdings
brachten schon die Griechen auf den Panzern gürtelartige Or-
namente an (vgl. die Aristionstele, Baumeister Denkmäler des
class. Alterth. S. 341, Nro. 358, und die Vasenbilder bei Wie-
seler Denkmäler der alt. Kunst I. Taf. XLIII 202; XLIV 208;
XLV 210*), aber besonders häufig bemerkt man solche an den
Kriegerfiguren der etruskischen Aschenkisten, auf denen mit Vor-
liebe der Brudermord dargestellt ist (vgl. Dütschke 1. L II S. 210,
Nro. 449; S. 222, Nro. 475; Maffei Mus. Veron. 3, 3; Inghi-
rami Monum. Etruschi, ser. VI, Taf. V 2). Wenn nun auch
diese Denkmäler eine sichere Gewühr fiir ihren streng realisti-
schen Charakter nicht bieten, so darf mit größerem Rechte eine
Anzahl kleiner etruskischer Bronzen herangezogeu werden, welche
gepanzerte Krieger darstellen. Der Panzer dieser Figuren ist
mit einfachen Achselklappen und um den unteren Theil der
Brust sowie um die Taille mit mehreren parallelen erhaben ge-
arbeiteten Linien versehen, welche mit den Gürtelstreifen der lo-
rica segmentata zusammenzustellen sind; ebenfalls erhaben gear-
beitete vertikale Linien, welche in groBer Zahl auf den einzelnen
Gürteln angebracht sind, lassen keinen Zweifel darüber, daf man
sich diese als aus Metall bestehend vorstellen soll. Ganz beson-
ders wichtig für unsere Frage ist aber die unter dem Namen
des Mars von Todi bekannte etruskische Kriegerstatue im Va-
tican (Mus. Gregor. I, Taf. 44 und 45), an welcher der ganze
Panzer mit solchen horizontalen Streifen versehen ist. Aus die-
sem Material glaubte ich unbedenklich den Schluß ziehen zu
sollen, daß zuerst die Etrusker den Iwou& ocradios theils in sei-
nen unteren Partieen, theils ganz in bewegliche Gürtelstreifen
auflósten, und daß die Römer diese Technik von ihnen an-
550 A. Miiller,
nahmen sowie später die ähnlich gearbeiteten Aumeralia hinzu-
fiigten.
Diesem Schluß stimmte jedoch Hübner nicht bei, der Hermes
XVI S. 306 geltend machte, der Mars von Todi sei nicht etrus-
kisch, sondern umbrisch, und behauptete, die Griechen seien in
der Technik des aus beweglich sich anschmiegenden Erzstreifen
bestehenden Harnisches die Lehrmeister der Etrusker und Um-
brer gewesen, und daher hätten auch die Römer diesen Panzer
von den Griechen erhalten.
Diesen Bemerkungen haben wir hier Folgendes entgegen-
zusetzen. Bei den Griechen kommen allerdings giirtelartige Or-
namente auf Panzern vor, und auf solche Vorbilder mógen im-
merhin die etruskischen Harnische auf den Aschenkisten zurtick-
gehen; aber von eigentlichen Giirtel- oder Schienenpanzern, wie
sie z. B. auf alten ägyptischen Monumenten erscheinen (vgl.
Weiß Kostümkunde I? S. 25, Fig. 26), findet sich im gesammten
griechischen Waffenwesen keine Spur. Auffallend erscheint die
Behauptung, der Mars von Todi sei umbrisch, durch welche die
Beweiskraft dieses Denkmals beseitigt werden soll. Gewiß liegt
Tuder oder Todi auf umbrischem Gebiete, aber Stephan. Byz.
sagt doch geradezu: Tudeora, noAıs Tvognvsxn, und eine etrus-
kische Nekropole beweist, daß es in Tuder eine etruskische Ge-
meinde und solche Ansiedler gab (Müller Etrusker I? S. 98,
A. 80); es hat sich auch in Tuder eine bilingue Inschrift ge-
funden, auf der die eine Sprache das nordetruskische Alphabet
zeigt (Litt. Centralbl. 1886, Sp. 324), wodurch die Behauptung
Müller’s (Etrusker I? S. 293) bestätigt wird, daß Tuder und
Iguvium zu demselben Systeme der Cultur, wie Etrurien gehört.
Die altumbrische Inschrift auf dem Mars von Todi kann dem
gegenüber nicht ins Gewicht fallen, und da außerdem die Technik
des Werkes durchaus der der etruskischen Bronzearbeiten ent-
spricht, so scheinen diejenigen vóllig im Rechte zu sein, welche
wie Welcker (zu Müller's Archäologie S. 186) und Deecke (su
Müller's Etrusker II* S. 257 A.) diese Statue unter den etrus-
kischen Arbeiten aufführen.
Ich denke mir den Verlauf folgendermafien. Zu Polybius
Zeit trugen die römischen Legionen den xugdiopvdat, zur Zeit
des Ausganges der Republik und zu Beginn der Kaiserzeit, wo
uns das Monument von St Remy zur Verfügung steht, trugen
e ccn ASA eal
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u.s w. 551
die Legionen einen Metallpanzer nach Art des Iwguk cradiog,
oder ein starkes Lederwams wie Valerius Crispus. Aus ersterem
wurde dann unter dem Einflusse etruskischer Waffentechnik die
lorica segmentata gebildet, welche um die Wende des ersten Jahr-
hunderts im Gebrauch war, wie die Trajansdenkmäler beweisen.
Wie lange sie üblich blieb und ob sie etwa durch eine andre
Art des Metallpanzers abgelóst wurde, ist bis jetzt nicht festzu-
stellen. Wenn es sich bestätigt, was von Domaszewski Archäol.-
epigr. Mitth. V S. 206 bemerkt hat, daf mit dem Ende des er-
sten Jahrhunderts bei den Soldaten die Sitte aufhórt, sich in
voller Waffenrüstung auf den Grabsteinen darstellen zu lassen,
so würde sich allerdings das Fehlen der lorica segmentata auf
diesen Denkmälern in der einfachsten Weise erklüren.
Hinsichtlich einer andern von Hübner angeregten Frage,
ob sich nämlich zwischen verschiedenen Truppenkörpern Uni-
formität der Bewaffnung nachweisen läßt, kann nach dem ge-
genwärtigen Standpunkte unserer Kenntniß ein abschließendes
Urtheil nicht abgegeben werden. Einstweilen dürfte Folgendes
zu beachten sein. Obwohl mehrere Legionen an den dacischen
Feldzügen theilgenommen haben, wie die I Italica, V Macedonica,
VII Claudia u. a. m., so erscheinen doch auf der Trajanssäule
sämmtliche Legionare in ein und derselben Weise gerüstet. Bei
Tac. Histor. III 22 heißt es eadem utraque acie arma, und ibid.
III 73 können sich die Vespasianer und Vitellianer an der Rü-
stung nicht erkennen. Nach ibid. III 23 lag der Unterschied
in den Schildzeichen, wobei es allerdings sehr auffallend ist, daß
auf der Trajanssäule, wenn ich nicht irre, alle scuta mit dem
geflügelten Blitze versehen sind. |
Flensburg. (F. £) A. Müller.
Zu Cicero pro Ligario $ 1.
Trotz der einstimmigen Ueberlieferung der Handschriften
möchte ich im Anfange der Rede pro Ligario: novum crimen, C.
Caesar, et ante hunc. diem non auditum, wie auch C. F. W. Müller
liest, lieber ante hanc diem schreiben, 1) weil dies mit einem
Demonstrativpronomen nach ante, ad, ex, post gewöhnlich als
Femininum gebraucht wird (vrgl Neue, Lat. Formenl. 1 8. 685;
J. H. Schmalz Ueber den Sprachgebrauch des Asinius Pollio 8. 81;
Fabri-Heerdegen zu Liv. 22, 8, 6; Kühnast Liv. Syntax 9. 33),
und 2) weil Quintilian, der sich eingehend mit dieser Rede be-
schäftigt hat, unsere Stelle zweimal XI 3 $ 108 und $ 110 mit
ante hanc diem citiert.
Bremen. C. Wagener.
Miscellen.
18. Zu den Kypria.
Das erste Fragment der Kypria, dessen Anfang ich bei
Fleckcisen Jahrg. 1885 8.832 f. behandelt habe, ist im vorletzten
Hefte des Rhein. Museums S. 472 f. von Ludwich „auf Grund
neuen Materials“ von neuem behandelt worden. Es standen ihm
dabei eigene Vergleichungen von 6 Handschriften zu Gebote, in
denen sich das Fragment befindet. Wenn man das „neue Ms-
terial’ nun freilich mit dem vorhandenen vergleicht, so erkennt
man, daß dasselbe fast nichts bietet, das nicht schon ander-
weitig bekannt gewesen wäre: nur im ersten Verse hat M (Laur.
LVIL 386), eine nach der Zeit des Tzetzes für den Anfang der Ilias
zusammengostellte Seholiensammlung, statt einfachem rlaboueru,
wie alle anderen Handschriften. die neuen wie die alten (d. h.
der Ven. A zu .4 à. 6 wie das übrige bisher bekannte, bei Kin-
kel gesammelte Material! überliefern. miuêouera meo. Nach
Ludwich lauten die Verse:
rv O18 proia qe ha xari yoora nkalouerar "tQ
Fardoawan Sape oe Sade! „ar egrov. wharog alnc.
ZW di dan shines xoi v mrzıraig noanidecci
xovg í6as: ardearar raufwroga covFero
yaliav.
9 ginscs dì xwrokéuov utyaám fer ‘Tisaxoio,
OFLA rar Severe Sugos oi d evi Tooír
Peer xitvovrie ecl d êrsisiero Sevir
Die Gestaltung der durch den Drack hervorgehobenen Stellen
rührt von Ladwich her: denn für die llerstellung von V. 2 habe
ich das Recht der Priorità s. Flockeisen 1885 & 882 f, wo
ick ausführlicher über diese Erginzung gesprochen habe). Wenn
ich àort auferdem
,
Miscellen. 553
j» ote puola quia xarà y9ova niabouer al people]
vorgeschlagen und durch Berufung auf # 128: noddoi dè qu-
zwv cav öpyaroı Qu qc begründet habe, so ziehe ich auch
jetzt noch diese Herstellung der von Ludwich auf Grund der
Lesart von M gebotenen entschieden vor: denn z«Q ist ein Flick-
wort und kann durch J 301: où 0° &AAovg neg Havoyoiovg 18-
oou&vovg êéusge nicht gestützt werden: an letzterer Stelle ist die
Hervorhebung des Begriffes £A2ovc Havayatovg durch den Ge-
gensatz zum Atriden, dem verhaßten, durchaus gerechtfertigt, in
dem Fragmente aber ist wey unerklärbar und, wie ich glaube,
eben auch nichts als ein Versuch die Lücke am Schlusse des
Verses auszufüllen. V. 4 weisen Ludwichs Quellen ebenfalls auf die
auch sonst überlieferte Wortstellung hin: sie bieten: ovvero
[ouvé9exo Ambr. J 4 sup.] xovglous nupBwroga [navß. M] yaîav
[so der Riccardianus 30, yain»v JL (116 sup., ein Ambros.)
und M, y «(gc A, der Veneto-Marcianus 454, und Z, der Vati-
canus 33], à»99u nov; y«(ng àv wv» hat der Ven. A, yalny
die Schol. Vind. Wir haben also kein Recht von der in allen
Quellen festgehaltenen Wortfolge abzuweichen: nur
muß statt des von Schneidewin nach xovgfoou eingeschobenen
Baesos nunmehr «r9Qu nov» zur Vervollständigung des Verses
verwandt werden. Somit ist zu schreiben:
Gurdero xovploca: naufu1ogu y» avIqunwy.
Die fehlerhafte Form y«fny, die ein späterer in yalng verbessern
zu kónnen dachte, wird aus einem übergeschriebenen und mit
yuiav vermischten y» entstanden sein. Spondeische Verse, die
mit Formen von &v»9Q9wnog schließen, gehéren bekanntlich nicht
zu den Seltenheiten: die Form yîv aber, welche dem jüngeren
Epos sicher nicht fremd gewesen ist, aber auch in unsern
Homertexten mehrfach vorkommt, darf man dem Stasinos um so
weniger absprechen, als der Heimathsdialekt des Dichters die
einsilbigen Formen Cas (= ya) und {as (Acc. pl, s. Bronze-
platte von Idalion Nr. 60, 8, 17, 24 und 80 Collitz) wiederholt
aufweist und den Dichter beeinfluft haben kónnte. Im folgenden
5. Verse bieten 4 neue Handschriften (um(cos, wie aus den Schol.
Vind. bekannt war, und nur A gszfous tè nodfuov: dinlou: 18
zoÀéuov lautet die Stelle auch im Ven. A. Was Schneidewin
daraus machte: dinloon te norvov ueydAnr Four Daaxoto wider-
streitet den homerischen Analogien: man vergleiche = 389 f:
dn da Tor’ alvorarnv Égida. nrodtuoso 1dvvocar
xvavoyaita Tloosdawv xol paldiuos “Extwe
und P 253: 10007 yag gs nodéuoio dédner, mit ähnlichem
Ausdruck wie in dem Fragmente. Da das Participium (wmío(o)as,
welches in den Schol. min. steht, den Eindruck macht, als sei
es aus dizioni (noAguov) korrigiert, um eine Verbindung zu erzie-
len, so wird sich eine methodische Kritik in diesem Falle für
Ludwichs Herstellung entscheiden, welcher, wie bemerkt,
554 Miscellen.
êlnuce dì nrodéuov wsydAny Foy “LAsaxoto
vorgeschlagen hat.
Nach alledem führt unsere Ueberlieferung auf folgende
Fassung:
nv Ore puuglu qiia xurk y9óva miuloper’ G[uglc]
[ar Fou muy é |Suor[ve Budo ]orégrov nAutog alns.
Zeus dì idwy edénoe xai dv nuxsvaîg noanldecos
GuvIero xouplocus nuufwiova viv avd QU Trey.
Ölnıoe dé mioMpov peyuAnv Eger "Diaxoio,
pou xerwoser Favino Bagoc oi d' Evi Tooly
jowec xrelvorro. Adc d’ èredeleto Bouar.
Seehausen i. A. Rudolf Peppmiiller.
————__————— ——+—-——— ——=—<@
19. Handschriftliches zu Porphyrius De antro
Nympharum.
Ad libellum de autro Nympharum expoliendum bonàe notae cod.
Marcianum 211 adhibui, cuius usum mihi concessit Välentinelli ...
Nonnullu ob chartam detritam legi non poterant. So Hercher in der
Didotschen Ausgabe des Aelian und einiger Porphyriusschriften. In
Zanetti's Catalog ist de antro Nympharum in cod. 211 nicht ver- .
zeichnet und ich habe sie vergeblich gesucht. Unter den selb-
ständigen Stücken der Handschrift fand ich diesen Aufsatz nicht,
doch blieb die wenig wahrscheinliche Môglichkeit, da8 er sich
unter den Aristoteless@holien befinde, welche die Ränder bedecken.
Nun hatte Schrader in der lehrreichen Recension der 2.
Ausgabe der Porphyrii opuscula selecta vou August Nauck (Phi-
lolog. Anzeiger 1887, S. 445) auf cod. Marcian. cl. IX 4 (bom-
bye. saec. XIV, s. Schrader S. 446, Anm. 1) hingewiesen, in dem
er auf Fol. 73*— 79^ zu den Versen » 102 — 112 unter den
Scholien jene Schrift des Porphyrius gefunden. Er selbst hatte
sie nicht vergleichen kónnen, aber Castellani hatte ihm mitge-
theilt, che in molte lezioni s’allontana dalle edizioni dell’ operetta
stessa.
Leider hat sich die so erweckte Hoffnung auf Erweiterung
der handschriftlichen Grundlage als eitel erwiesen. Schon nach-
dem ich wenige Seiten collationirt hatte, driingte sich mir die
Vermuthung auf, daß dieser cod. Marc. el. IX 4 und der schon von
Hercher collationirte cod. Marc. 211 identisch sein. Dieselbe hat
sich mit jedem weiteren Schritte bestütigt.
Zunüchst stimmt die kurze Beschreibung nonnulla ob chàrtam
detritam legi non poterant vortrefflich mit dem Zustande der be-
treffenden Blätter des cod. IX 4. Mehrere waren an den oberen
Ecken durch irgend einen Zufall leicht zusammengeklebt und
beim nächsten Aufschlagen hat sich dann an einigen Stellen die
Miscellen. | 099
oberste Haut mit den Buchstaben auf das andere Blatt abge-
zogen. Auch mehrere andere Stellen sind verblaßt oder abge-
griffen. Dann aber stimmt der Text bis auf verschwindend we-
nige Kleinigkeiten vollkommen mit der Collation Herchers. We-
nige Stellen werden zum Beweise genügen. Hercher und cod.
Marc. cl. IX 4 geben:
S. 56, 1. 7 (Nauck): _Kelvios fiir Kodvsog
» 57, 2 : Gxotswroig dvreoiç für exorto avto@
» 62, 9: öAov für 7Alov
„ 63, 10: contre für zg001Luvew
» 64, 7: Grappa für œuua.
» 68, 23: du pepogeuoe für | ‘di ppogevos
» 80, 6: où dpFaduoy für dv opPadpov .
Beide lassen aus:
» 57, 9: ultluv
» 62, 24: wç xal 10 mag’ mio di voor
» 77, 11: pUGEWG
wo 21: xai anoyeréoeus.
Endlich sind im cod. IX 4 die Verse » 102—112, obgleich
diese Schrift gewissermaßen als Scholion ihnen beigegeben ist,
doch noch einmal als Einleitung zu derselben abgeschrieben,
wie auch Hercher angiebt, und, was, wenn noch ein Zweifel
möglich wäre, den Ausschlag geben würde, S. 67 L 24 sind in
cod. IX 4, wie in Herchers Collation, die Verse v 108 f. sinn-
los eingefügt.
Da die Nummer der Handschriftelass. IX 4 nicht ge-
ändert ist, so muB sich Hercher in ihrer Bezeichnung geirrt
haben.
Die wenigen Nachtrüge zu seiner Collation werde ich bei
anderer Gelegenheit geben.
Firenze. Erich Bethe.
20. Aemilii Macri Theriacon fragmenta duo.
I.
In Commentis Lucani Bern. VI 488 leguntur haec: gelidos
his explicat o| ut frigidus orbis flectitur aestivae colu-
brae. De quibus Usenerus p. 208, 21: ,,infrigia. O (h. litt.
rubro) fa citaé. va cecolubras C. fragmentum versuum mihi
ignotorum, fortasse Macri“ Qua coniectura Eyssenhardtius An-
nall. Philol. Fleckeis. 1874 p. 96 probabiliora videtur sibi his
consequutus esse: ,,codicis verba videntur sic restituenda: în
Phrygia Qphiussa sita est, qua se colubras, his autem subiungenda
aliqua, quae similia Straboni p. 588: èvravda uvdsvovor Todg
’Ogsoyeveig cvyyévesav ura. eyes medg tovs 0gtig dicta fuisse cre-
556 Miscellen.
dibile sit de Pario urbe contra Ophiussam insulam sita“ Ve-
rum haec ipsa nec ad Lucani verba his explicat orbes ac-
commodate excogitata sunt et quamvis magna opinandi licentia
facta, imperfecta tamen ac manca nullam fidem inveniunt. Quam-
quam ne Usenero quidem inceptum successit: quae enim ab eo
audacius proposita sunt, singula (orbis. frigidus: aestivae. ftectitur)
parum apte congruunt cum sententia Scholiastae Vossiani hac:
cum in frigido loco colligere se angues soleant, nunc se extendunt
carminum potestate. Nos quidem in longe .aliam sententiam ad-
ducimur illis litteris, quae ipsae cum Lucani versibus Ais ez-
plicat orbes Inque pruinoso coluber distenditur arvo com-
paratae quum animo subiciant memoriam Virgilii Aen. VI 419:
horrere videns iam colla colubris Melle soporatam et medicatis
frugibus off am Obiicit: ille — immania terga resolvit Fusus humi
totoque ingens ezten ditur antro (cf. Apul. Met. VI p.418. 419.
Fulgent. Contin, Virg. p. 756. Cerd. Virg. 1. d. p. 666 8q.)
tantum abest ut tot mutationum, quot docti homines moliti sunt,
necessitatem iniungant, ut paucorum incrementorum accessionem
exigant, quibus hic versus efficiatur: Offa <s>cit aenecas> vaclet
extendiss>e colubras:
Offa (scit Aeneas) valet extendisse colubras.
De quo versu duo adiecisse satis est: verborum enim hunc or-
dinem: offa scit reprehensione carere exemplo discitur Lucretii
IV 475: Unde sciat aliisque multis (Barth. Calpurn. Eel. II 32
p. 971. Quaest. nostr. de Tanusio Gemino p. 36. add. Wakef.
Silv. Crit. I 29 p. 60. Conrad. Progr. Confluent. 1868 p. 15)
illam autem partem: scit Aeneas tutam praestat comparatio
Ausonii Epitaph. Her. 19, 5: Scit pius Aeneas — quod me
Thracia poena premit ac Statii Theb. VIII 102: scit tudicis urna
Dictaei et eorum, quos commemoravit Burmannus Grat. Cyn. 203
p. 144. Quod superest: quum nihil frequentius reperiatur com-
mutatione litterarum c et g (ut v. 458 exgantata p. 207, 18.
v. 477 p. 208, 2 iucum) atque f et t (Drak. Liv. XX XII 21,1
p. 386 cf. VI 11,8 p. 105, ut Z’hraces: Feaces Prop. III 1, 51
cod. Mentel. vid. Scal. Lectt. Auson. I 28 p.80. Thressa Ovid.
Her. XIX 100 Putcan. Festa Moret.) eoque accedat, quod vo-
cem în et numerorum II et III notas multifariam inter se aemu-
lari constat (ut apud Priscianum V p. 145, 25: Statius in libro
Thebaidos cod. Bongars. id est III libro et Iunilium Virg. Georg.
II 160, de quo infra fr. II dicetur, et in iis locis, quos indica-
vimus in Quaest. de Lucani Carm. Reliqq. II p. 18 et Scheda
Enniana p. 5 Progr. Hal. 1875), hoc potest dubitari, an vox
frigia pro tricia eruperit, id ipsum autem antiquitus hunc sta-
tum habuerit: tertio l'heriacô: Offa — :cf. Charis. p. 81, 18:
theria o; nam Macri illum versum esse quis est quin Usenero
concedat? Qui idem de Comm. Dern. IX. 716: spina torquente)
cerastam Helena rapta a Paride in Aegyptum dicitur calcasse: inde
Miscellen. 557
spinam fractam habere p. 309, 17 scite argumentatus est: „Macri
facile deprehendas vestigia, Nicandrum si contuleris Tber. v.
909 sqq.".
qq IL
Iunil Virg. Georg. II 160 p. 8 Muell: ZJunilius dicit:
Benacus eiusdem regionis lacus circuitus stadia mille, ut Aemilius
Macer: illi multa lacus quem circum milia. De quo
loco prave sentit Hagenius, quum haec p. 899 praecipit, ut et
verbum habens adiiciatur: circuitus habens stadia mille (quo
quidem verbo superséderi posse alius fortasse dicet auctoritatem
et exemplum sequutus Lampridii Heliogab. 22 Cortiique Cie.
Ep. Fam. XI 10, 4 p. 575 ac Bergkii Philol, 1878 p. 282 sq.
add. Laurent. Lyd. de Mag. II 3 p. 94) et versus hexameter
sic restituatur: Illic multa lacus quem circum milia currunt
(vel curras). Quis enim aut istum verborum et ordinem (illic,
multa, lacus, quem circum milia) et delectum (quem circum
milia multa hominum currunt) aut rem tulerit, si mula milia
non passuum, sed stadiorum dici dederis, mirifice discrepantem
et cum ipsius Iunilii auctoritate et cum Philargyrii loco v. 159
p. 929: Larius — non amplius centum viginti stadiorum cir-
cuitu patens, Benacus — mille et ducentorum cf. Oberlin.
Vib. Seq. p. 247. 257? Nec vero obscurum est duo esse ab
Iunilio allata, primum situm Benaci lacus, deinde circuitum:
Benacus eiusdem regionis lacus; circuitus stadia mille (nam
ne hac quidem mutatione: lacus, cuius circuitus opus est), cir-
cuitus autem magnitudinem (quam brevius Servius et Gauden-
tius his indicarunt: Benacus magnitudine sua marinas
tempestates imitatur) et certo stadiorum numero definitam et
perspicuo monstratam argumento eo, quod in Aemilii Macri The-
riacis inveniretur. Haec enim Plinius prodidit N. H. IX 22,88
p. 162,75: Lacus est Italiae Benacus in Veronensi agro Min-
cium amnem transmitiens, ad cuius emeraus annuo tempore Oc-
tobri fere mense autumndali sidere, ut palam est, hiemato lacu
fluctibus glomeratae (anguillae) volvuntur in tantum mi-
rabili multitudine, ut in excipulis eius fluminis ob hoc
ipsum fabricatis singulorum milium reperiantur. globi. Quae
sic a Plinio narrata esse auctore maxime Aemilio Macro Vero-
nensi poeta quis negaverit memor eorum, quae leguntur in libro I
p.29 sq.: Libro IX continetur aquatilium natura, — Anguillae,
Murenae. — Ex auctoribus — Macro Aemilio, Messalla — ?
Quem enim locum aliqua de anguillarum natura exsequendi The-
riacorum scriptori datum fuisse dicamus, minime latet per eundem
Plinium et XXXII 10, 49 p. 48, 138 haec referentem: Mullus
in vino necatus vel piscis rubellio vel anguillae duae, ttem uva
marina in vino putrefacta its, qui inde biberint, taedium vini
adfert, et haec professum I p. 88 sq.: Libro XXXII continentur
medicinae ex aquatilibus. — De iis, quibus in aqua et in terra
558 Miscellen.
victus est. — rubellio, anguilla, uva marina. — Ex auctoribus
Licinio Macro, ubi Licinium perperam pro Aemilio nominari
postquam olim aliis freti argumentis suspicati sumus persuasi-
musque Brunnio de Auctorum Indicibus Plinianis Bonn. 1856
p. 31 contra Liebaldtum de C. Licinio Macro Progr. Numburg.
1848 p. 12 sq. commentato, iam perspicuo illo, quod Iunilius
suppeditavit, testimonio confirmamus. Quibus ita propositis et
deliberatis pro comperto hoc afferimus: illa verba, quae Momm-
senus Mus. Rhen. XVI p. 449 sq., nisi fallit Hagenii silentium, expli-
care neglexit, ipse Hagenius prave detorsit; in hanc fere senten-
tiam a Macro fuisse scripta, ab Iunilio autem ea brevitate, qua
cum multos tum Lactantium in Statii commentariis usum vide-
mus, indicata:
«Has Benacus alit, quo non fecundior unda est
Ulla per Hesperiam: sunt autumnalia testes
Sidera? multa lacus quom circum milia <Minct
Ingerit excipulis glomerata sub impete Cauri>.
sive mavis: glomerata Aquilonibus atris. Haec igitur supplementa
fingere licuit incepto minime laborioso, quod et ad Mincii no-
men proclivi gradu a millibus pervenitur et vox circum a
proxime superiore voce quom dirempta facile assignatur ei usui,
qui cernitur Virg. Georg. IV 193. Aen. IV 416. Hand. Tur-
sell. I p. 52 sq. Burm. Quintil Decl. IX 12 p. 201. Ipsius
Plinii autem vestigiis pressius ingressus malui eum consectari mo-
dum, ut /acus diceretur Aquilonibus atris agitatus multa anguilla-
rum milia conglomerata volvere, quam vocem ii servando aut
ventos facere anguillarum globos ad lacus ora devolventes (lacus
— milia ad ora Conglomerata ferunt vel vehunt) aut Veronenses
homines singula milia everrentes (quo circa milia ad ora Everrunt
vel Ezxcipiunt). Namque vel ex ea ipsa re, quod non minus fre-
quenter litteras 4| et n (ut Virg. Georg. II 252 ila. Menag.
una. Cir. 58 Unam. codd. Illam, quo loco memorabilem exem-
plorum modum proferemus), quam syllabas 4, in, vi et numero-
rum IT. III notas, ut supra (fr. 1) diximus, inter se commutatas
esse constat, facili colligitur coniectura certum quendam .Theria-
corum, quibus nullum Maeri carmen esset notius, librum ab Iu-
nilio indicatum fuisse; illud quidem propter ea, quae in nostra
de Macro Nicandri imitatore quaestione p. 6 exprompsimus, arduum
et difficile est interpretari et decernere, utrum hoc scribi prae-
stet: Macer in I vel sn III, an, id quod pervelim (cf. Drak.
Liv. IV 42, 9):
ut Aemilius Macer I III: multa lacus —.
Halis Sax. Rob. Unger.
Miscellen. 559
21. Zu den Scriptores historiae Augustae.
I. In dem angeblichen Senatsbeschluß V. Maximin. 25,
"welcher nach dem Eintreffen der Nachricht von Maximins Tode
gefaßt sein soll, heißt es $ 4: Maxime, Balbine, Gordiane, di vos
servent . victores hostium omnes desideramua . praesentiam Maximi
omnes desideramus . Balbine, Auguste, di te servent . praesentem
annum consules vos ornetis . in loco Maximini Gordianus suffi-
ciatur. So schreiben mit dem Palatinus die Ausgaben, wührend
der Bambergensis Masimi bietet.
Ich bekenne offen nicht zu wissen, was man sich staats-
rechtlich und politisch bei der herkómmlichen Lesart überhaupt
denken soll Es ist klar, daß mit Gordianus sufficiatur be-
zeichnet werden soll, daß der Cäsar Gordianus gleich den bei-
den Augusti das Consulat erhalten sollte. Nun war Maximinus
‚im J. 238 überhaupt nicht Consul gewesen; wäre er es gewesen,
so wäre sein Consulat mit seiner Verurtheilung erloschen. Hätte
aber der Verfertiger des SC. selbst diese Thatsachen (übersehen
— er sagt übrigens selbst $ 3: Mazimini nomen olim erasum
nunc animis eradendum — so konnte er doch immer nur darauf
verfallen, einen der beiden neuen Augusti in seine Stelle ein-
rücken zu lassen.
Bekanntlich pflegten die Kaiser bald nach dem Regierungs-
antritt das Consulat zu übernehmen; gewóhnlich am 1. Januar
des dem Regierungsantritt folgenden Jahres als ordinarii, mit-
unter jedoch auch mitten im Jahr als euffecti unmittelbar nach
dem Regierungsantritt. [Nach diesem Gebrauch spricht unser
SC. den Wunsch aus, daß im laufenden Jahr die beiden Au-
gusti das Consulat übernehmen mögen. Auch der Cäsar Gor-
dianus soll dieser Ehre theilhaft werden, wie ihm ein friiheres
(bestimmt als gefülscht zu erweisendes) SC. V. Maximin. 16 die
Prütur verleiht. Da drei Consuln nicht gleichzeitig fungiren
kónnen, so soll der eine der Augusti das Consulat niederlegen
und der Cüsar an seine Stelle treten. Die frühere Niederlegung
wird nicht dem hochadligen Balbinus, sondern seinem Mitkaiser
plebejischer Herkunft Puppienus Maximus zugemuthet: in loco
Maximi Gordianus sufficiatur.
II. V. Commodi 18, Fuit autem validus ad haec, alias de-
bilis et infirmus, vitio etiam inter inguina prominenti, üa ut eius tu-
morem per sericas vestes populus Romanus agnosceret . versus in
eo multi scripti sunt, de quibus etiam în opere suo Marius Mazi-
mus gloriatur. Die Berliner Herausgeber schreiben wie die editio
princeps in eum, Peter hat in eo beibehalten. Doch fordern sach-
liche Grinde eine Aenderung. Wie die Worte jetzt gelesen wer-
den, können sie nur als allgemeine Bemerkung über Spottverse
auf Commodus gefaBt werden; dementsprechend giebt Peter
(Fragm. H. R. p. 335) als Fragment 14 des Marius Maximus
560 Miscellen.
die Worte: Versus in co [Commodo] multi scripti sunt etc. Aber
man beachte, was beim Biographen folgt: virium ad conficiendas
feras tantarum fuit ut elephantum conto transfigeret et orygis ornu
basto transmiserit et singulis ictibus multa milia ferarum ingentium
conficeret. Jene Notiz iiber die Verse steht also inmitten von
Excerpten, die sich ausschlieBlich auf die kôrperlichen Eigen-
schaften beziehen, eine nach Suetons Vorgang stehende Rubrik
der Biographien. Wie sollte denn da auf ein Mal eine ganz
allgemeine Bemerkung über Verse auf Commodus hineingeschneit
kommen? Vielmehr fordert die Stellung der Notiz einen Zu-
sammenhang mit den körperlichen Eigenschaften, und dieser ist
klar genug gegeben! Seit Urzeiten vereinigten sich bei den
Italikern die Spottlust und der Sinn für die scharfe sinnliche
Auffassung der äußeren Erscheinung der Dinge dazu, körperliche
Eigenheiten zum bevorzugten Gegenstand des Spottes zu machen.
Ich erinnere nur an eine bekannte Thatsache: von den ältesten
römischen Cognomina hebt ein beträchtlicher Theil solche kör-
perlichen Eigenschaften hervor, deren Hervorhebung für die Be-
sitzer nicht schmeichelhaft ist. Schon der Begründer der Mo-
narchie hatte darunter zu leiden; es schmerzte den Diktator
Cäsar, daß seine Kalılköpfigkeit in Vers und Prosa verspottet
wurde (Sueton d. Jul. 45. 54). Daß ein Leiden, wie das von
Commodus angegebene in Folge seines Sitzes die Spottlust noch
besonders herausforderte, wird weiterer Begründung nicht bedürfen.
Der durch die Stellung der Notiz verlangte und gegebene
sachliche Zusammenhang wird weder durch die Lesart in eum
noch durch in eo sprachlich ausgedrückt. Denn man kann nicht etwa
in eo auf vitium beziehen, da unmittelbar vorher eius = Com-
modi steht. Auch ist die Lesart in eo aus grammatischen Grün-
den überhaupt zu verwerten.
Es ist ein Aberglaube, daß bei den S. H. A. jede belie-
bige falsche Construktion der Priposition in stehen könne. Selbst
wenn man zunächst bei der handschriftlichen Teberlieferung ste-
hen bleibt, ist die Zahl der Fälle falschen Gebrauchs eine re-
lativ geringe >. Wer aber möchte glauben. daß während der
M-Strich in allen Handschriften klassischer Autoren oft genug
falsch gesetzt oder weggelassen ist), dergleichen in den Hand-
schriften der S. M. A. niemals vorgekommen sei ?
Was nun unser scripti in co anlangt. so würde diese Ver-
bindung dem konstanten Sprachgelrauch unserer Sammlung wi-
N Zur vor!äufiger Oriertirung kann auf Kran de praepoeitionum
eSa dies sta NR. hp SSR Nenn wers. n. Im Uebrigen ist
diese -"--— rar eite Ste ‘orsamminno, die n en * e'rwal den Ver
Sai Macht den Atsyra fon Ger historisceen Gc matie zu genügen.
oO Der Arto jet quae die Mebrzazi der Fi . in denen nach
BP ewe A6 Corstraktion von a vor cet. Dii ist noch zu be-
ricks: ohtgen SAR à vrnà « am Ende in RP sehr :infg verwech-
$07 81
Miscellen. . 561
dersprechen und in ihr ohne jedes Beispiel sein. Man vergleiche:
V. Hadr. 27, 1: in mortuum eum multa sunt dicta; V. Opell.
Maer. 11, 3: unde in eum epigramma — — videtur extare. In
der Vita Diadum. 7, 3, welche die handschriftliche Ueberlie-
ferung eben so wie die Vita Commodi Lampridius beilegt, heißt
es: versus iv Commodum Antoninum dicti.
Es ist deshalb zu schreiben versus ideo multi scripti sunt *).
Ein Hinweis auf Commodus konnte als absolut selbstverständlich
fortbleiben.
Unter Marius Maximus Fragmente aber ist die ganze Stelle,
welche sich auf das Gebrechen bezieht, aufzunehmen.
III. V. Carac. 5, 6: et cum Germanos subegisset, Germa-
num se appellavit, vel ioco vel serio ut eràt stultus et demens, àd-
serens si Lucanos vicisset, Lucanicum se appellandum. That-
sächlich hat nach dem Ausweis der Inschriften und Miinzen Ca-
rakalla den Siegesnamen Germanicus (Maximus) gefiihrt, wie
auch die Vita 10, 6 angiebt. Dennoch haben die neueren Her-
ausgeber mit Recht das thatsächlich falsche Germanum der Hand-
schriften beibehalten. Aber dies Germanum fordert unbedingt
ein Lucanum. Es soll ein Witz oder eine Dummheit berichtet
werden; das eine oder andere wird darin gefunden, daß Cara-
kalla nicht nach der Regel der späteren Zeit das vom Volks-
namen abgeleitete Adjectivum auf -icus als Siegesbeiname braucht,
sondern den Volksnamen selber. Der Berichterstatter oder Er-
finder wußte offenbar nicht mehr, daß in altrepublikanischer Zeit
thatsächlich der Volksname so verwandt wurde. Dazu soll Cara-
kalla selbst etwas angeführt haben, was nach der handschriftlichen
Lesart ohne jeden Bezug zum früheren ist. Salmasius hatte das
richtige Gefühl für die Nothwendigkeit einer Parallele, wenn er
mit der editio princeps Germänicum schrieb; er übersah aber, daß
dann die Bemerkung vel ioco etc. unverstündlich wird. Mit der
Aenderung in Lucanum kommt alles in Ordnung.
IV. Freunde des Terenz wird es vielleicht interessiren, ein
Wort des Dichters auch bei den Kaiserbiographen zu finden, wo
3) «deo, obwohl bei den S. H. A. nicht so háufig als 2dcirco, findet
sich doch in seinen verschiedenen Gebrauchsweisen nicht selten: atque
ideo V. Hadr. 15, 2; 22, 14. Pert. 12, 8. Sev. 8, 18. Pesce. N. 1, 1.
Car. 8, 4. Get. 2, 9. Alex. 51, 4. Maximin. 6,6 7, 5. Max. et
Balb. 10. 8; et ideo Alex. 46, 1; édeo ut Aurel. 14, 2 ideo ne Alex.
48, 8. Maximin. 33, 4. Zur ferneren Ergänzung und Berichtigung
von Drager H. S. Il? 486 sei bemerkt, daß ideo sowohl alleinstehend
als in Verbindung mit kopulativen Partikeln auch sonst in der spüte-
ren Latinität stets üblich geblieben ist. So braucht z. B. Apuleius at-
que ideo Fl. 18. M. 8, 23 et ideo Ap. 3. 13. 25. 26. ideoque Fl. 6.
Ammian atque ideo 15, 8, 6, et ideo 16, 10, 8, sehr häufig ?deoque z. B.-
15, 10, 8; 16, 7, 2. 6; 17, 1, 9; 4, 15; 5. 2. 6: 7,12; 18, 8. 4. 5. 10;
18, 3, 5 ete. In der Inschrift CIL VI 1724 vom Jahr 435 steht ideo
allt cessit in praemium; in dem Erla8 VI 711 Z. 5 (aus dem Ende des
fünften Jahrhunderts) et deo.
Philologus. N. F. Bd. I, 3. 36
562 Miscellen.
es bisher niemand als solches erkannt zu haben scheint‘). Von
Elagabal erzählt die Vita 11, 2: cum ad vindemias vocasse
amicos nobiles et ad corbes sedisset. gravissimum quemque percontari
coepit, an promptus esset in Venerem, erubescentibusque senibus ez-
clamabat ‘Erubuit, salva res est’, silentium ac ruborem pro consensu
ducens. Nun ist zwar salva res est eine ganz gewöhnliche Wen-
dung der lateinischen Comödie; aber erubuit salva res est steht
nur bei Terenz Adelphoe 643 F., wo es Micio zu dem verstum-
menden Aeschines sagt. So darf man diese Wendung unter die
zahlreichen anderen einreihen, welche aus 'lerenz in die rómische
Umgangssprache übergingen.
4) Ich schließe dies daraus, daß auch Peters zweite Ausgabe die
Stelle nicht, wie in allen anderen entsprechenden Fállen, als Citat
am Rande verzeichnet.
Berlin. Elimar Klebs.
22. Beiträge zur Geschichte römischer Prosaiker
im Mittelalter.
I Solinus.
Mommsen hat bekanntlich in seiner vortrefflichen Ausgabe
des Solin die handschriftlichen Verhältnisse einer sehr genauen
Prüfung unterzogen und hierbei mehrere Interpolationsstufen fest-
gestellt. Von der großen Verbreitung im Mittelalter legen die
zahireichen auf uns gekommenen Handschriften Zeugniß ab
(Mommsen 8. LXXIX—XCII) Auch in den alten Bibliotheks-
katalogen findet sich Solin öfters erwähnt (Becker catall. biblio-
thecarum antiqui p. 324): s. IX in S. Gallen Solinus I und So-
linus polihistor (hiermit ist die Angabe in den Cas. S. Galli
Mon. Germ. hist. SS. II 72 zu vergleichen, daß Solin im Klo-
ster abgeschrieben wurde), s. X in Lorsch (Solini polyhistor de
situ orbis et mirabilibus in uno codice), s. XI in einer bibl. inco-
gnita (indiculus capitulue Iuli Solini rerum collectaneum), in einer
eben solchen, in Toul, in Pompuse (mit Plinius), s. XII in Corbie
(Solinus de situ orbis terrarum), in Michelsberg (Bamberg, zwei-
mal), in Wessobrunn (physica Iulii Solini), in St. Peter (Salzburg),
in Durham (de mirabilibus mundi, zweimal). In den Schriften des
Mittelalters findet sich Solin nicht eben selten benutzt, wie schon
Mommeen fiir die Zeit bis zum 9. Jahrhundert dargelegt hat
(S. LXXVIII f.; 255 ff).
- Aus der älteren Zeit sind noch folgende Schriften zu er-
wühnen:
Der Mythographus Vaticanus I 79 (Mai class. auct.
III 31) citiert ein größeres Stück 32, 17— 19 (Inter omnia —
cibum capiat) ‘Refert Solinus quod’ etc.
_ Miscellen. 568
Bei Jordanes de reb. Geticis hat Mommsen die Citate in
seiner Ausgabe zu VII 53 und 55 selbst angemerkt.
Audoenus (e. 680) nennt in seiner Vita S. Eligii (d’A-
chery Spicileg. II 77) prol. den Solin unter einer großen Anzahl
römischer Autoren: Quid.. Solini . . aliorumque solertia . . iuvat . .?
Adrevaldus bringt in seinen Miracula S. Benedicti prol.
(Mon. Germ. hist. SS. XV 478) einige Citate aus Solin soripto-
ribus namque praestantissimis subpetere plurimum videbatur . . caeli
scilicet. temperie locorum salubritate fertilitate soli opacitate . . ne-
morum collium apricitate olearum viciumque profluis proventibus no-
varum urbium amoenitate veterumque oppidorum decore amnium no-
bilium fecici prolapsu unaque cunctarum rerum opulentissima gloria:
Solin II 2 f. assimilis utique querno folio quod proceritas sui lati-
tudinem excedit: Solin II 20. |
In meiner Ausgabe des Anonymus de situ orbis
(Stuttg. 1884) p. XII sq. wies ich nach, daß die vom Autor
zahlreich ausgeschriebenen Solinstellen große Aehnlichkeit mit
H h S zeigen.
In den Schriften des 10. Jahrhunderts habe ich bisher
Solin noch nicht entdecken kénnen. |
S. XI. Adam von Bremen hat in seiner ‘Descriptio in-
sularum aquilonis’ den Solin ófter zu Rathe gezogen, wie. Waitz
in seiner Ausgabe (Hannov. 1876) sehr sorgfültig nachwies. An
drei Stellen wird Solin genannt, c. 19 p. 167 Albani .... cum
canicie nascuntur; de quibus auctor Solinus meminit (15, 5); c. 21
de Sueonia vero non tacent antiqui auctores Solinus (et Orosius) (cf.
20, 1); c. 25 ibi sunt hài quos Solinus dicit Ymantopodes (81, 6).
In c. 19 und 25 ist Solin auch weiter benutzt, desgleichen in
schol. 132. 133 p. 173.
In den Gesta Treverorum findet sich c. 19 (M. G.
hist. SS. VIII) eine vollständig verkehrte Benutzung Solins ohne
Namensnennung. Der Verf. identificiert nämlich den Bischof
Brittonius mit Mars und giebt die Deutung des Namens nach
der cretischen Britomartis Brittonius . . qui ipse Mars gentiliter
appellatur, in nostro sermone sonat virginem dulcem, cf. Solin. 11, 8.
S. XII. In der Chronik von M. Cassino wird IV 66
(M. G. h. SS. VII 795 1. 9) erzählt, Solinum cum miraculis breviavit
(miracula = mirabilia?) Wahrscheinlich heift dies, daB Solin
in einen Auszug fiir die Schule gebracht wurde.
| Im Glossarium Osberni (Mai class. auct. VIII 422)
findet sich die Stelle unde Solinus de situ Britanniae: pecua, in-
quit, nist interdum a pastu arceantur, ad periculum coget satietas.
Das letztere Wort weist auf ähnliche Ueberlieferung wie bei
Priscian hin; cf. Solin. 22, 2.
Ein größeres Citat bringt Johannes von Salisbury ^
(opp. ed. Giles) IV 38, nümlich das Lob auf Caesar Solin 1, 106.
107 (Senicius; undecies centum viginti et duo milia).
36*
564 Miscellen.
Mit seiner Kenntniß des Solinus rübmt sich Gotfrid von
Viterbo zwar sehr, es ist jedoch fraglich ob er ihn wirklich
gekannt hat. Die Stellen sind Memoria seculorum M. G. b. SS.
XXII 100 teste Solino de mirabilibus; ib. p. 103 imitati sumus ci
Orosium et .. . Solinum; ib. Actores autem chronicorum quos imi-
tamur sunt hit: . . . et Solinus de mirabilibus mundi; Pantheon
ib. p. 138 Orosium . . Solinum; ib. p. 308 Catalogus regum 11
de septem miraculis secundum Solinum de mirabilibus mundi. Letz-
tere Stelle ist jedoch nicht aus Solin, sondern aus Baeda (opp.
Colon. 1688 I 400) geschópft. Da nun Gotfrid auBerdem kein
wirkliches Citat dem Solin entlehnt hat, so wird er ihn wohl
bloB dem Namen nach gekannt haben.
Es ist ferner fraglich, ob Gervasius Tilleberiensis
in seinen 'Otia imperialia’ den Solin benutzt hat. Denn die eine
in Betracht kommende Stelle (decisio II 3 Mon. G. h. SS.
XXVII 370) Sunt alii qui iam senio confectos parentes mactant ci
eorum carnes ad epulas sibi praeparant impio tudicato qui ista facere
negaverit erzühlt allerdings dasselbe wie Solin. 52, 22 aber doch
mit ganz anderen Worten. Ich glaube daher, daß diese Erzäh-
lung bei Gervasius erst aus zweiter Hand stammt; decis. III 10
p. 372 quod Greci Yonium, Itali Inferum nominant deckt sich al-
lerdings beinahe mit Solin. 23, 14.
Keinesfalls aber stammt aus Solinus, was diesem in Albrici
chron. Trium Fontium M. G. h SS. XXIII 677 beigelegt wird: Qui
Nectanabus, si verum est quod scribit Solinus, iam accesserat ad ma-
trem Alezandri. Ueberhaupt habe ich eine ähnliche Stelle bisher
nicht ermitteln können. Vielleicht gehört die Erzählung einer
noch unbekannten Interpolation des Solin an.
Dem Roger Baco ist als Philosophen der Solin gut be-
kannt gewesen; Opus tertium c. 63 p. 264 (ed. Brewer) unde
Solinus dicit in libro de mirabilibus mundi quod grues saburrant
guttura sua 3. e. accipiunt. sabulum in guttura ut fortius possent ae-
rem dividere quando volant gregatim, cf. Solin. 10, 12. Stärkere
Benutzung findet sich im der epist. de secretis operibus p. 529
(ed. Brewer) et hyaena intra umbram suam non permittet canem
latrare sicut. Solinus de mirabilibus mundi narrat 27,24; ib. equae
impregnantur in aliquibus regionibus per odorem equorum ut Solinus
narrat 45, 18; ib. et Solinus narrat quod in Scythia regione sunt
mulieres geminas pupillas habentes in uno oculo 1, 101.
Viel Citate bringt Conrad von Mure in seinem Re
rium vocabulorum exquisitorum (impressit Berthold, Basil. ca. 1470)
p. 73: Solin. 32, 17 (Inter — numinis) ; p. 105 unde Solinus in
polüstore: 7, 19 (Callirroe — annumerant); p. 118 Cyrus, ut die
Solinus, memoriae bonae claruit quia in exercitu cui innum erosissime
prefuit, n. s. a.: 1,108; p. 135 delphin de quo dicit Solinus quod
inter omnia nihil ‘habent velocius maria: 12, 3; p. 138: 7, 22
(apud Thebas — Ypocrena); p. 144 require Solinum ubi loquiter
Miscellen. -665
de Libia; qui dicit quod Athlas mons inter alia chor(o) Egippanum
personatur : 24, 10; p. 168 (de Hennaeis campis) Item Solinus ubi
loquitur de Sicilia: 5, 14; p. 211 Milo eciam Orothoniensis sieut
dicit Solinus notatur egisse — valet; hic proditur — gravatim: 1,76.
Aus dem letzten p. 275 stehenden Citate ergiebt sich, welcher
Handschriftenclasse der Codex des Conrad angehört hat; das-
selbe heißt: Huic simile dicit Solinus de Gallia: infamantur mo-
ribus incolarum qui ut aiunt detestabili sacrorum ritu —
litatis hostiis: 21, 1.. Hier zeigt sich die völlige Uebereinstim-
mung mit SA also den Interpolati, Ueber den Titel seiner
Handschrift giebt Conrad das nühere an s. v. Solinus p. 267:
S. est proprium nomen gramatici qui scripsit. librum de incredibilibus
mundi qui polihistor a pluribus appellatur,
Erwühnt wird Solin in Jacobi Aurie annales (M. G.
SS. XVIII 288) XII cum . . de multis aliis civitatibus Ytalie . .
per Solinum et alios ystoriographos edificatores ipsarum scriptum in-
veniatur. Wahrscheinlich liegt hier directe Kenntniß des
Werkes vor.
Kenntniß des Solin ergiebt sich auch aus Martini Op
paviensis chronicon (M. G. h. SS. XXII 406) et Solinus qui
dicit quod maiores fluvii Germaniae sunt Alba que Aust de Bohemia,
et Gutalus id est Odra qui nascitur in Moravia, Wisla qui nascitur
in Polonia et fluit per ipsam in oceam um cf. 20, 2.
Wilhelmus Tyrius XIX 26 (Migne 201, 744) bringt
das Citat Condita autem est (scil. Alerandria) ut ait Iulius. Solinus
duodecima — Canopicon appellant : 32, 42.
Henricus Huntendunensis führt in seiner hist. Angl.
p. 5 ed. Arnold an: Unde Solinus: Ita pabulosa in quibusdam lo-
cis est Britannia ut pecua — satietas: 22, 2.
In den Gesta Romanorum ed. Oesterley p. 558 findet
sich die Stelle Solinus dicit quod preter mulieres pauca. animalia
coitum movent gravida — diffamentur.
Auszüge aus Solin finden sich nach F. Rühl (die Verbrei-
tung des lustinus im Mittelalter S. 83) im cod. Cottonianus
Faust. A. VIII fol. 104°,
IL Tacitus.
Kürzlich hat E. Cornelius (Quomodo T'acitus.. in hominum
memoria versatus sit usque ad renascentes litteras saec. XIV et
XV. Marpurgi Catt. 1888) das Fortleben des Tacitus im Alter-
thum und Mittelalter verfolgt und in dieser Arbeit die Resultate
früherer Forscher sowie seiner eigenen Untersuchungen niederr
gelegt. Leider ist es auch ihm nicht gelungen, das Dunkel ei
nigermaßen aufzuhellen, welches sich im Mittelalter gerade über
diesen Autor gelegt hat. Von Jordanes bis su Kinhart und Re-
566 Miscellen.
dolf von Fulda ist ein weiter Sprung, den auch Cornelius nicht
hat überbrücken kénnen. Dann kommen Widukind und der
Verfasser der Vita Heinrici IV, während Kenntni des Tacitus
bei Johannes Saresberiensis und Petrus Blesensis (S. 41) mit
Recht verworfen wird. Unwahrscheinlich ist die von Cornelius
angenommene Benutzung der Germania bei Donizo in der Vita
Mathildis. Für das 14. Jahrhundert kann ich jedoch eine neue
und interessante Stelle beibringen. Im Liber Augustalis c. 5
(Freher-Struve rerum Germanic. SS. II 6) heiüt es von Claudius
Fuit tamen satis utilis sed infortunatus in uxoribus, de quarum una
Messalina scribit Cornelius Tacitus. Hieraus ergiebt sich
daß dem Verfasser der Mediceus II oder eine Abschrift dessel-
ben bekannt gewesen ist. Der Verfasser schreibt wührend der
Regierung Kónig Wenzels (1378—1400), da er p. 20 sagt
Wenezeslaus . . . hodie regnat. Hic iuvenis . . . quid facturus sit
ignoro, cum minatur se venturum ad Italiam. Es war für ihn
leichter, sich KenntniB des Tacitus zu verschaffen, da er in Ita-
lien lebte. — Uebrigens benutzt der Verfasser außerdem Plinius
(c. 8 p. 6: 28, 23; c. 11 p. 7: praef. 3) und die Scriptores
hist. Augustae (c. 15 p. 7: Spart. Hadrian. 1; c. 16 p. 8: An-
tonin. 2. 9. 12; c. 32 p 10: Treb. Poll. Gall. 11 und außer-
dem). Ferner findet sich c. 3 p. 6 Orosius (VII 4, 7) und c. 5
Iuvenalis (VI 180 nondum) benutzt. Der Autor ging also mei-
stens auf die alten und echten Quellen zurück, indem er die
christlichen Chronikenwerke des Mittelalters vernachlüssigte und
verschmihte.
Endlich erwühne ich noch einen wórtlichen Gleichklang bei
Wilhelm von Malmesbury mit Tacitus:
Tac. Hist. II 73 Viz credibile Wilh. Malmesb. gesta reg.
memoratu est quantum superbiae Angl. c. 68 (ed. Hardy I 95)
socordiaeque Vitellio adoleverit. incredibile quantum brevi adoleverit
Der Vollständigkeit halber hätte Cornelius erwähnen können,
daß Tacitus saec. XI in Monte Cassino abgeschrieben wurde, cf.
chron. M. Cassin. III 63 (M. Germ. h. SS. VII 746).
III Plinius der Jüngere.
Die Epistolographie des Alterthums außer den Briefen Se-
necas ist im Mittelalter nur in sehr geringem Maße bekannt ge-
wesen, sie wurde fast vollständig durch die Briefe der Kirchen-
väter u. A. ersetzt. Die Briefe des Plinius haben daher in
dieser Beziehung das Schicksal derjenigen des Cicero getheilt,
obwohl uns ja eine größere Anzahl älterer Handschriften erhal-
ten ist. Noch im fünften Jahrhundert scheint Plinius öfter ge-
lesen worden zu sein, denn vor kurzem hat Eug. Geisler (Si-
donii Apoll. opp. ed. Luetjohaun p. 353 ff.) nachgewiesen, daß
Miscellen. 567
sich Sidonius Apollinaris in seinen Briefen. sehr stark an die
Briefe des Plinius angelehnt hat. Und der Zeitgenosse des Si-
donius, Salvianus, bezieht sich in seinem Werke de gubernat.
Dei V 11,60 auf eine Stelle aus dem Panegyricus des Plinius:
Disce vel a pagano homine verum bonum; caritate enim, inquit, et
benivolentia saeptum oportet esse non armis, cf. Paneg. 49. Auch
Sidonius (ep. VIII 10) kennt den Panegyricus.
Im 10. Jahrhundert taucht Plinius bei Ratherius von
Verona auf; Rather. opp. Migne 136, 374 apud saeculi vero
scriptores Tullium Senecam Plinium ipsum quoque . . . epistolares
condidisse et appellasse libros. Eine wirkliche Anfübrung findet
sich ib. p. 391 facete satis enim Plinius ait Secundus: Gratiam
malorum tam infidam esse quam ipsos; Plin. ep. I 5, 16 (Nam
gratia malorum tam infida est quam ipsi).
Im 12. Jahrhundert erwähnt Walter Map den Plinius
in seinen Gedichten (Poems of W. Mapes ed. Th. Wright Lond.
1841) p. 28 vs. 182 Plinium Calpurniae succendit scintilla, Je-
denfalls setzt diese Angabe die Bekanntschaft mit den Briefen
voraus.
Johannes von Salesbury hat sicher den Panegyricus,
vielleicht auch die Briefe des Plinius gekannt, cf. Reifferscheid,
Rhein. Mus. 1860 S. 12 ff. und Schaarschmidt Johannes Sares-
bariensis nach Leben und Studien etc. S. 95. 107.
Am Beginne des 15. Jahrhunderts findet sich Plinius bei
Johannes de Monasteriolo epist. 60 (Martene et Durand
ampl. coll. II 1428) quam illud Plinii Secundi ad Nonnium masi-
mus (l. Maximum): pulcrum validum acre sublime varium et elegans:
ep. IV 20, 2.
Die Briefe waren vorhanden nach Becker catalogi bibl. an-
tiqui p. 321 saec. X in Lorsch (liber epistolarum Gait Plinii); in
einer bibl. incognita s. XI (Plinium epistolarum), s. XII in Beccum
(in alio epistole Plinii iunioris).
IV. Cornelius Nepos.
Der sehr spärlichen handschriftlichen Ueberlieferung des
Nepos entspricht die Seltenheit von Anführungen im Mittelalter.
Bisher ist mir nur eine einzige unmittelbare bekannt. Nämlich
der gelehrte Abt Wibald von Stablo und Corvey (s. XII)
schreibt an Bischof Manegold von Paderborn (Jaffé bibliotheca
rer. Germanic. I 277) lege Tranquillum, lege Cornelium Nepotem
et alios quosdam gentiles de viris illustribus: tanta esse scripta in-
telleges, quae viz a quoquam studiosissimo legi possint, Aus dem
Nachsatze könnte fast hervorgehen, daß Wibald mehr von Nepos
besessen hat als wir, denn sonst würde der Satz kaum einen
Sinn haben, Es ist nach der ganzen Stelle auch kaum anzu-
568 Miscellen.
nehmen, daß die Erwähnung aus Hieronymus (opp. ed. Vallarsi
II 281) stammt, wo die Verfasser de viris illustribus aufgeführt
werden. Wibald ist in der alten Literatur so gut zu Hause,
daB man ihm die Bekanntschaft mit Nepos wohl zutrauen darf.
Auch bei Einhart hatte ich KenntniB des Nepos zu er-
weisen versucht, s. Neues Archiv d. Ges. f. alt. deutsche Ge-
schichtskunde VII 522 f. Eine Anzahl von Aehnlichkeiten in
der historischen Erzühlung kónnen allerdings darauf hindeuten,
daß Einhart den Nepos wie viele andere römische Autoren be-
nutzt hat.
Becker weist darauf hin (Catalogi bibl antiqui p. 309),
daß das in S. Riquier saec. IX vorhandenen Buch Plinius Se-
cundus de moribus et vita imperatorum Nepos sein kónne, was
allerdings jenem Titel nicht entspricht; eher ist an Sueton
zu denken.
Oberlößnitz b. Dresden. M. Manitius.
23. Omen.
Ueber das dem Wort omen zu Grunde liegende Etymon
sind die Philologen noch heute nicht im Klaren. Vanicek
(etymol. Wörterb. d. lat. Spr.) bringt es zusammen mit ]/ as
(„aufmerken“) (?) Luterbacher (Prodigienglaube . . der
Römer 1880 S. 5) läßt es ,verwandt" sein mit audire hören;
kommt also auf die alte Ableitung zurück, welcher zur Zeit der
naiven Etymologie gehuldigt wurde. Daß das Wort ,,meistens“
auf ein „hörbares Zeichen gehe* behauptet zwar Luterb., ich
zweifle aber daß er die sümmtlichen Stellen nachgesehen und
nachgerechnet hat — jedenfalls wird es auch von anderen ,,An-
zeichen“ häufig genug gebraucht. Bei einem Vogel kommt
bekanntlich, wenn er als Weißsagevogel gelten soll, ebenso wohl
das Gehór (d.h. sein Laut) als das Gesicht (d. h. seine Ge-
stalt, Zahl u. s. w.) in Betracht, und er ist doch wohl dasje-
nige Thier, das seit den ältesten Zeiten und am hiufigsten als
bedeutungsvoll für die divinatio angesehen wurde. Warum gleich-
wohl noch Niemand auf den Gedanken verfallen ist — wenig-
stens erinnert sich Schreiber dieser Zeilen nichts, ihn irgendwo
getroffen zu haben — daß omen etymologisch mit avis zusam-
menhünge? omen = avimen, aumen? (vgl caudex und co-
dex, Claudius und Clodius, plaustrum und plostrum, Aulus und
Olus u. s. w.) Daß die Form aumen sich nicht erhalten hat,
kann sehr wohl seinen Gruad darin haben, daß das Wort im
Volksleben eine so große Rolle spielte; jene Verwandlung
des Diphthongs au in den Vokal o ist ja grade der Volkssprache
Miscellen. 569
eigenthümlich gewesen. — Was die Wortbildung betrifft, so
sind allerdings die Ableitungen, mit -men gewühnlich keine
Denominativa sondern deverbale Nomina, doch giebt es auch
eine Anzahl solcher, denen ein Nomen zu Grunde zu liegen scheint:
li-men, ferru-men, sag-men, colu-men (cul-men), ger-men, cacu-men.
Basel. J. Mähly.
24. Flaviana.
V. Historische Kleinigkeiten *).
1. Spanien im Jahre 70.
Die Aufschrift ‘Hispania’ des Reverses der undatirten Gold-
münze 200 scheint mit der in den Anfang der Regierungszeit
Vespasians fallenden Sendung ‘des Ti. Plautius M. f. Silvanus
Aelianus nach Spanien in Verbindung gebracht werden zu miis-
sen. Es heifit nämlich von diesem Manne auf einer bei Tibur
gefundenen Inschrift (Orelli 750): Hunc legatum in Hispaniam ad
praefecturam urbis remissum senatus in praefectura triumphalibus or-
namentis ornavit und weiter: Hunc in eadem praefectura urbis Imp.
Caesar Aug. Vespasianus iterum cos. fecit! Zum zweiten Mal Kon-
sul wurde Plautius an Stelle Vespasians am 13. Januar d. J.
74"). Nach der Sitte der Zeit wird er also kurz vorher, also
wohl in der zweiten Hälfte d. J. 73 praefectus urbi geworden
sein ?). Für die Präfektur war er aber zur Disposition gestellt
(remissus), also schon vorher in Aussicht genommen. Dies wird
wohl geschehen sein, als nach dem Tode des Flavius Sabinus
am 20. Dezember d. J. 69%) die Präfektur unbesetzt war. Da-
her ist wahrscheinlich, daß Plautius alsbald, nachdem er mit den
mósischen Legionen in Rom eingerückt war, zum Stadtprüfekten
bestimmt und in besonderer Mission, worauf die ungewöhnliche
Bezeichnung ‘legatus in Hispaniam’ hinweist, nach Spanien ge-
sandt worden ist. Nach dem Abgange des Cluvius Rufus war
noch im Anfange d. J. 70 kein Statthalter für Spanien er-
nannt ‘). Am 21. Juni d. J. 70 aber war Plautius wieder in
Rom?) In die Zwischenzeit also scheint die Sendung zu fal-
len. Die Münze 200 aber gehórt demnach ins J. 70 wozu auch
die ungewóhnliehe Folge der Namen Vespasians: Imp. Caesar
Aug. Vespasianus stimmt, da diese sonst nur i. J. 70 vorkommt.
Sie findet sich außerdem auf der angeführten Inschrift des Plau-
*) Vgl. Philol. XLV 2 S. 100.
1) CIL I 774 vgl. Klein. Fast. cons. unter d. J.
2) Mommsen Róm. Staatsr. II? S. 1015.
3) Tac. Hist. III 67, 69, 73.
4) Tac. Hist. II 65. IV 39, 68. 9) Tac. Hist. IV, 53.
570 Miscellen.
tius und merkwiirdig oft auf spanischen Inschriften z. B. CIL
H 1610, 1963, 2096, 1049, während sie sonst auch auf den
Inschriften selten ist.
2. Annona und Ceres August.
Daß die Erwähnung der Annona oder Ceres August. auf
den Kaisermiinzen zusammenhänge mit den in der rômischen
Kaiserzeit so häufigen Getreidespenden an die stadtrimische Plebs,
bedarf keines besonderen Beweises. In Vespasianischer Zeit nun
findet sich diese Erwähnung mit 2 Ausnahmen ®) erst vom J.
76 ab. Denn die datirten Miinzen tragen die Consulate Vesp. VII,
VIII, VIII Tit. VI Dom. V d. J. 76, 77, 79, und von den unda-
tirten haben viele die Namenfolgen : Caesar Vespasianus Aug. — T.
Caesar Vespasianus — Caesar Aug. f. Domitianus die sonst nur
nach d. J. 77 vorkommen ". Daß die Erwähnung der Getreide-
gôttin zusammenhänge mit dem Verfassungsstreite d. J. 77 ist
nicht zu erweisen. Das Erscheinen derselben auf den Münzen
grade dieses und der folgenden Jahre zu erklüren ist mir noch
nicht gelungen. Annona Aug.: Caesar Vespasianus Aug. 27
29 (G) 28 30 (S). TT. Caesar Vespasianus 16 (G) 17 (S). An-
nona August. s. c.: Imp. Caes. Vespasian. Aug. p. m. tr. p.
p. p. cos. VII 31, 32 (G.E.) cos. VIII 33, 34 (G.E.) Imp.
Caesar Vespasian. cos. VIII 35 (G.E.) = T. Caes. Vespasian.
imp. pon. tr. pot. cos. VI. 18, 19 (G. E.) = Caesar Aug. f.
Domitianus cos. V. 21 (G.E.), Ceres Au(gust.): Caesar
Vespasianus Aug. 53 (G.) 54 (S.) = T. Caesar Vespasianus. 30
(G.) 81 (S.) = Caesar Aug. f. Domitianus 29 (G.) 30 (S).
Imp. Caesar Vespasianus 55 (S) Aug. 56 (G.). Ceres Au-
gust. s. c.: Imp. Caesar Vespasian. cos. VIII 57, 58 (M. E)
59 cos. VITH (M.E.) = T. Caesar Vespasianus tr. p. cos. VL
32, 33 (M.E.)= Caesar Aug. f. Domitian. cos V. 31 35 (ME).
Divus Augustus Vespasianus 60 (M.E.). Imp. T. Caes. Vesp.
Aug. p. m. tr. p. cos. V. 11. 34 35 (M.E.) Caes. Divi (Aug.
Vesp. f. Domitian(us) cos. VII 32, 36 (M.E.).
3. Congiarium.
An die Erwühnung der Getreidespenden d. J. 76 ff. will
ich die Congiarien d. J. 72, 73 anknüpfen: T. Caes. Vespasian.
imp. pon. tr. pot. cos. IL | congiar. primum p. r. dat. s. c. 46
6) Imp. Caes. Vespasian. Aug. cos. III. | Ceres. August. s. c. 61
(M.E.). Es ist vielleicht cos. [V]III zu lesen. Caesar Aug. f. Domitianus
cos. III. | annona August. s. c. 20. Der Revers stimmt zu V. 31, 32 (a.
76) so daB vielleicht cos. II[I su lesen ist.
7) De. mag. Flav. 5.29 N. 3. Zu Caesar Vespasianus Aug. | imp.
Miscellen. 571
(G.E.). Caes. Aug. f. Domitian. cos. II. | cong. II. cos. II. s. c.
43 (G.E.). Ist die letzte Spende dieselbe welche Tacitus
in dem ins iJ. 75 gesetzten Gesprüch über die Redner (17)
anführt ?
4. Konsekration des Vespasian anfangs d des
Jahres 80.
Aus Münzverz. Ve. ergibt sich, daß von den 58 zwischen
. d. 1. Januar d. J. 80 (cos. VII) und d. 13. September d. J.
81 (Imp. Domit.) geprägten Münzen Domitians 13 den Prinzen
Aug. f. dagegen 45 denselben Divi f. nennen. Die Consekration
Vespasians fällt also nach Januar 80. Sie fällt aber vor d. 13. Juni
d. J. 80, denn von diesem Tage heißt Titus auf dem Militär-
diplom CIL III S. 854: Imp. Titus Caesar Divi Vespasiani f.
u.8.w. Daf auf der Inschrift der aqua Maria (CIL VI 1245)
Titus schon vor Januar 80 Divi f. heißt, beweist nur, daß diese
Inschrift von Karakalla 212 oder 213 restaurirt worden ist, wor-
auf auch der Umstand hinleitet, daf die Inschrift des Karakalla
sich mitten zwischen der des Augustus und der des Titus
befindet.
5. In welchem Jahre unternahm Domitian seinen
Chattenzug?
Die Chattenexpedition Domitians setzt Imhof in seinem
Buche über Domitian ins J. 84 gestützt auf Jos. Just. Scaliger,
der dies Jahr aus den Münzen gewonnen habe. Aber von den
Münzen führt CD 602%) den Namen Germanic(us), den Domi-
tian von dem Zuge nach Rom zuriickbrachte, neben tr. pot.
II. cos. VIIIL des. X. p. p. auf also schon in der Zeit von
Januar bis 13. September 83 ?). Die 6 Münzen derselben Zeit
600, 601, 603—606 !) haben den Namen Germanicus freilich
noch nicht. Dagegen haben die Stücke vom J. 84 sämmtlich
das Wort Germanicus, ebenso alle späteren Münzen mit allei-
niger Ausnahme von C. D. 98 (cos. XVI. a. 92—94)!!). Nach
den Münzen darf man also die Annahme des Namens Germa-
nicus und damit aueh die Chattenexpedition ins J. 83 hinauf-
rücken. Hierzu stimmen auch andere Momente.
XIII, XIII (a. 74, 75) fehlen die genau entsprechenden Titusmünzen.
T. Caesar Vespasianus | — 397 gehórt wohl ebenfalls i. d. J. 77 ff.
8) Imp. Caes. Domitianus Aug. Germanic. | tr. pot. II. cos. VIIII.
des. X. p. p. (S.).
9) De. mag. Flav. S. 18 und S. 10.
10) Imp. Caes. Domitianus Aug. p. m. | tr. pot. II. cos. VIIII. des.
X. p. p. (6. S.).
11) Domitianus Augustus. | cos, XVI. (ohne s. c.). (M. E.).
572 Miscellen.
Im J. 84 erscheint auf 5 Stiicken: Imp. Caes. Domitianus
Aug. Germanicus. | p. m. tr. pot. III. imp. V. cos. X. p. p. !*).
Die fünfte Imperatorakklamation erscheint schon auf dem ein-
zigen aus dem Zeitraume vom 13. September bis 21. Dezember
83 überlieferten Stücke CD 590 7%). Leider ist hier von Mo-
relli der Avers nicht überliefert. Daß die Morellische Münze .
nicht wie viele andere von Morelli überlieferte bedenklich ist,
sondern durchaus Glauben verdient, werde ich weiter unten aus-
führen. Hier genügt der Hinweis daB der Name (Germanicus
gleichzeitig oder vor der 5ten Imperatorakklamation angenom-
men sein muß. Man müßte denn annehmen, daB Domitian, der
nach der großen Zahl seiner 22 Akklamationen zu schließen,
bei jedem kleinen Anlaß seine Imperatorzahl vermehrte, aus dem
Chattenzuge, der ihm doch einen Triumph einbrachte, keine Ak-
klamation angenommen habe. Fällt aber die Annahme des Na-
mens Germanicus wenigstens nicht nach imp. V so steht nichts
im Wege daB sie vor September 83 falle. Die übrigen in Be-
tracht kommenden Momente hindern das wenigstens nicht.
Nach dem Chattenzuge wurde Domitian auf einmal für 10
Jahre zum Consul bestimmt !*. Die Einzeldesignation konnte
von da ab auf den Denkmälern bei den Consulaten wegbleiben.
Faktisch erscheint sie zuletzt im J. 83 !°). Die erste Münze,
welche sie ausläßt ist die oben besprochene Morells CD 590.
Die Auslassung der zehnten Designation auf derselben ist kein
Beweis gegen sondern ein solcher für die Echtheit der Münze.
Denn nichts hindert anzunehmen, daß der SenatsbeschluB über
das zehnjührige Consulat gefaBt sei: nach der sehnten Designa-
tion (Januar 83)!9) und vor dem Schlusse d. J. 83 zugleich
auch vor der Prügung des erwühnten Stücks. Wenn in den
Dioexcerpten die bestündige Censur Domitians iu unmittelbaren
Zusammenhang mit dem Chattenzuge gebracht sind, so ist in
dieser Nachricht nur eine unverstündige Zusammenziehung eines
eingehenderen Berichtes zu erkennen. Faktisch bekam Domitian
nicht nur die bestündige Censur sondern die censorische Ge-
walt überhaupt erst in viel späterer Zeit!”). Allerdings ist die
Annahme der Gewalten eine Folge der mit dem Chattenzuge in
der Regierungsreise Domitians eigetretenen Aenderung.
Ich weiß sehr wohl, daß mit unserer Verschiebung der
Chattenexpedition vor den September d. J. 83 die Chronologie
der Feldzüge des Agrikola, wie sie Urlichs in seiner Schrift über
12) CD. 355—359 (G. S. SQ.).
13)... . tr. p. IIT. imp. V. cos. VIII. p. (8).
14) Mommsen Rom. Staatsr. II? S. 1042 N
15) 008. VIII des X. s. oben S. 571 N. 10.
16) D. mag. Flav. S. 15, 16.
17) De mag. Flav. S. 19.
Miseellen. 678
Agrikola !5) aufgestellt hat, nicht stimmt. Aber Nipperdey 7)
hat obne überhaupt den Sachverhalt der Münzen zu kennen, die
Chronologie der britannischen Feldzüge des Agrikola so geord-
net, daß die kurz nach dem Chattentriumph des Domitian fal-
lende Beendigung derselben noch ins J. 83 gehört. Also auch
von dieser Seite ist gegen das Hinaufrücken der Chattenexpe-
dition Domitians vor den September d. J. 83 kein Bedenken
zu erheben.
18) De vita et honoribus Agricolae.
19) opusoula S. 525.
25. Scaenica.
I Das steinerne Dionysostheater in Athen.
Die Zuverlässigkeit der Nachricht des Suidas (s. v. Zpattvac),
wonach Olymp. 70 die hölzernen Zuschauergerüste bei Gelegen-
heit eines dramatischen Wettstreits zwischen Aeschylus, Chórilus
und Pratinas zusammengebrochen seien, wird sehr in Frage ge-
stellt durch die weitere desselben Lexikographen (s. v. Aloyuiog),
daB Aeschylus nach Sizilien geflohen sei ds ro meosiv ra Troia
énmidsixrvuérov avrov. Auch in der zuerst angeführten Glosse
wird an den Zusammensturz der txgsa eine Consequenz geknüpft:
xui ix rovrov Jéurgor @xodour9n "AImvaloıs. Wenn man nun
geneigt wäre, wenigstens die Notiz über die reine Thatsache, daß
jener Zusammenbruch irgend einmal in der ersten Hälfte des 5.
Jahrhunderts stattgefunden habe, als zuverlüssig bestehen zu 1as-
sen, so wird man auch daran irre durch diese doppelte ätiolo-
gische Verwendung derselben — die Begründung der Flucht
des Aeschylos, der doch für die Haltbarkeit des Gerüstes nicht
verantwortlich war, mit dem Zusammenbruch ist lüppisch, die
Begründung der Erbauung eines (doch wohl steinernen) Theaters
mit demselben so naheliegend, daß die combinierende Phantasie
eines Grammatikers sie fast erfinden mußte: die Kunde von
der Existenz hölzerner Zuschauerplätze ') lag natürlich vor —
und nun war zu erklüren, weshalb diese mit steinernen vertauscht
worden seien. Auch die chronologische Angabe, mit welcher die
Nachricht in der Pratinasglosse auftritt, wird man nicht allzu
ernst nehmen dürfen. Aber mag das besprochene Ereigniß immer-
1) Improvisierte Theater, wie das des Kleomenes (Plut. Cleom. 12),
wurden noch in der Zeit des steinernen Theaterbaus aus Holz ge-
zimmert.
574 Miscellen.
hin OI. 70 stattgefunden haben: die Hauptsache ftir uns ist, zu
constatieren, daf die sich an dasselbe anschlieBenden Consequen-
zen ganz werthlos sind.
Es scheint demnach, daß man die von Wieseler (Ersch. u.
Gruber Sect. I Bd. 83 S. 178) und Alb. Müller (Griech. Büh-
nenalterthiimer S. 85 f.) noch festgehaltene Ansicht, daB der Bau
des steinernen Theaters Ol. 70 begonnen habe, verlassen und
sich nach anderen lingst bekannten aber nicht gentigend benutz-
ten Zeugnissen umsehen muß. Daß im Jahr 411 der Zuschauer-
raum des Theaters, in welchem die Stücke des Euripides gege-
ben wurden, d. h. des Dionysostheaters noch aus Holzgerüsten
bestand, ist durch Ar. Thesmoph. 395 (die Männer kommen von
den misogynen Stücken des Eurip. nach Hause and r&v Ixolwr;
über den Begriff von ixgıov s. jetzt Unger, neue Jahrbücher Bd.
133 S. 153 f) meines Erachtens unwiderleglich bewiesen. Wie
könnte sich auch der Ausdruck nowror EvAor für die Proédrie
(Poll. IV, 121) gehalten haben, wenn schon vom Jahr 500 an
die Zuschauer auf steinernen Sitzen gesessen wären? — Ferner:
der Redner Lykurgos hat (Plut. Vit. X or. p. 852 B) das Dio-
nysostheater julegyov überkommen und es vollends ausgebaut.
Soll man sich denn vorstellen, dasselbe sei etwa 170 Jahre lang
in halbfertigem Zustand dagelegen? gleich Anfangs nicht fertig
gebaut worden? oder (wie Wieseler und A. Müller annehmen)
es habe durch die Perserkriege Beschädigungen erlitten, durch
welche es aber nicht zu einem halbfertigen, sondern einem
halbzerstörten geworden wäre? Und Perikles sollte diese
wichtigste Volksbildungsstätte, zu deren Gunsten das Schaugeld
von ihm eingeführt wurde, in halbzerfallenem Zustand haben
liegen lassen? Dies anzunehmen scheint mir ganz unmöglich.
Vielmehr haben den steinernen Ausbau des Theaters athenische
Staatsmänner unmittelbar vor Lykurg begonnen, sind darin auf-
gehalten worden, und Lykurg hat das Werk vollendet. Den
Beginn des steinernen Baus darf man vielleicht in die Verwal-
tungsperiode des Eubulos setzen, in welcher die Theorikenvor-
steher auch die Leitung des öffentlichen Bauwesens hatten (Böckh
Staatsh. I? 225); Verzögerung werden die Verwicklungen mit
Philippos gebracht haben. Als das älteste steinerne Theater
im griechischen Mutterland werden wir also dasjenige des Po-
lyklet im epidaurischen ‘/eg0» anzusehen haben. Das Bestreben,
die Anziehungskraft dieses Kurorts nach Möglichkeit zu erhöhen,
mag hier den Plan einer solideren und comfortableren Theater-
construction zuerst zur Ausführung gebracht haben.
Tübingen. W. Schmid.
Miscellen. 579
26. Zu den ‘Aithiopenmythen’.
(Genesis VI 1—4).
Der gelehrte Verfasser des Aufsatzes über die Aethiopen-
mythen (oben S. 103 ff.) hat darin durchaus recht, daß die Le-
gende Genesis VI 1—6 „in der jüdischen Literatur isolirt steht ;“
dies ist namentlich in der ersten Abhandlung von Karl Budde
(Die biblische Urgeschichte, GieBen 1883) stark hervorgehoben,
und auch von Kautzsch und mir in unserer Uebersetzung der
Genesis (Freiburg 1888) dadurch gekennzeichnet, daß wir die
Stelle dem J! das heißt dem ältesten Jahwisten zuschrieben.
Man mag nun von der Unterscheidung von J!J?J? d. h. ver-
schiedenartiger Bearbeitungen des jahwistischen Werkes halten,
was man will; eines scheint mir sicher: wir stehen hier ganz
auf mythologischem Boden, auf dem Boden von Mythen
welche uns nur fragmentarisch erhalten sind. Wenn diese Con-
cession von Seiten der Vertreter des Fachs nun den Verfasser
jenes Artikels freuen wird, so wirft doch die Folgerung, welche
man betr. jene Stelle gezogen hat, einen Theil seiner Thesen
geradezu um. Es scheint nämlich erwiesen, daß J! die Fluth-
geschichte nicht gekannt haben kann. In jener Gene-
sis-Stelle soll die Herkunft der vor Alters hochgefeierten Ne-
fiim berichtet werden; dies schließt, wie ebenso Genesis IV
17 ff, die Fluthgeschichte geradezu aus; denn der Verfasser
von Genesis VI 1—6 setzt die Nefilim augenscheinlich nicht
ale vor die Fluth; auch sonst ist ja von solchen Nefilim im
A. Test. die Rede. Ebenso möchte ich jedoch auch gegen die
Erklärung des „Volkes der Ewigkeit" = frevelhaftes Geschlecht
(S. 106) Einsprache erheben. Aus den von O. Gruppe citirten
Stellen geht eine solehe Anschauung wenigstens nicht hervor;
damit fällt hinweg, daß sie mit den Aldiones in Zusammenhang
gebracht werden dürfen.
Daß der Text stark corrupt sei, leugne ich am allerwenig-
sten; eine befriedigende Erklärung von Vers 3 kenne ich nicht.
Noch möchte ich aber auf Wellhausen Prolegomena zur Ge-
schichte Israel?, Berlin 1886, S. 321 Anm. verweisen: „Ein
gröberes Gegenstück zu Gen. 2. 3, auch eine Art Sündenfall,
ist Gen. 6, 1—4: die Verrückung der Grenze zwischen gött-
lichem und menschlichem Geschlecht“. Dazu mag allerdings
R (d. h. irgend ein Redactor) den überlieferten Mythus ver-
wendet haben.
Tübingen. A. Socin.
576 Miscellen.
Excerpte und Mittheilungen.
Revue arch. 1888. Nr. 3. 4. März, April. Héron de Ville-
fosse: Figure en terre blanche trouvé à Caudebec-lès- Elbeuf (mit Ab-
bildung). Hieratisches, mit Ornamenten tibersites Idol, für wel-
ches zahlreiche gallisch-rémische Arbeiten Parallelen bieten; auf
der Riickseite die Marke des Fabrikanten Rextugenos auvot (=
R. fecit) — Clermont-Ganneau: Sarcophage de Sidon représentant
le mythe de Marsyas (mit Abbildung); zur Einleitung Bemer-
kungen über die Sarkophage von Tabnit mit Nutzanwendung
auf Theokr. XVII 110 f. — F. Cumont: Les dieux éternels des
inscriptions Latines. Die Bezeichnung deus aeternus dea aeterna
wird aus syrischen Kulten hergeleitet. — Arbois de Jubainville:
Le char de guerre des Celtes dans quelques textes historiques (Li-
vius, Polybius, Plutarch, Diodor, Pausanias; das Reiten ist auch
bei den Kelten eine jiingere Sitte, als das Fahren). — P. Mon-
ceaux: Fastes éponymiques de la ligue thessalienne. Tages et stra-
tèges fédéraux (bis zum Jahre 352 v. Chr). — L. de Launay:
histoire geologique de Mételin (Lesbos) et de Thasos (mit Abbil-
dung). — S. Reeinach>: Liste des oculistes Romains mentionnés
sur les cachets (alphabetisches Namenverzeichnif). — Cagnat:
Revue des publications épigraphiques relatives & Vantiquité romaine
(a. oben S. 191).
Mnemosyne 1887. XV, 4. Valeton: De Ostracismo (Fort-
setzung). — Van Herwerden: Spicilegium Strabonianum. — J.
v. L.: Ad Aristophanis Equitum v. 742; der Verf. liest:
0 163 OTQoTnytor, vrodoupav zovc éx llvàov,
mÀsvGag éxeiGe :0UC Auxwvug Nyayorv.
Mnemosyne 1888. XVI, 1. Valeton: De Ostracismo (Fort-
setzung). — Leeuwen: Homerica (Fortsetzung), — Karsten:
De Tibulli Elegiarum structura (pars tertia) — Van der Vliet:
Ad Symmachum. — Boissevain: Epistula critica (zu Thucydi-
des). — Burger: Ad annalium Romanorum reliquias a Diodoro
servatas. — Naber: Selecta (zu Aristophanes Acharnern, Xe-
nophon’s Anabasis, Plato, Polybius, Aeneas tacticus, Plutarch,
Lucian, Dio Cassius, Diodor etc.) — Leeuwen: Ad Soph. Aj.
646—649; er liest 647 gulver, 648 ef undcocera:, 649 oyxoc.
The Academy 1888, 26. Mai. L. Campbell: Sehr abfällige
Besprechung der gr. Sophokles- Ausgabe von Semttelos, welcher
beside our ingenious countryman Blaydes gestellt wird. — 2. Juni.
Neben andern Anzeigen gute Charakteristik der ‘gr. Chronologie’
von A. Schmidt. — 9. Juni. Terrien de Lacouperie: The name
of Oannés (Qc, "Ads, Quvvnç) in the cuneiform texts, — 80. Juni.
A, S. Murray: Bericht über Rayet und Collignon, Histoire de la
Céramique Grecque.
XXVII.
Bemerkungen über einige Bibliotheken von Sicilien.
Die Bibliotheken von Sicilien sind im Allgemeinen wenig
bekannt; über ihren Bestand an Handschriften gibt es nur sehr
geringfügige Mittheilungen und diese stammen meist aus ülterer
Zeit, konnten also die schweren Verluste, welche die siciliani-
schen Sammlungen in den letzten Jahrzehnten der Bourbonen-
herrschaft durch Krieg und Diebstahl erlitten haben, noch nicht
berticksichtigen. Andererseits machen die neueren Reisehand-
biicher an nicht wenigen Orten auf ziemlich umfangreiche Hand-
schriftensammlungen aufmerksam und da sie ja heute wohl alle
in dem Rufe stehen, von competenten Gelehrten revidirt zu sein,
so läßt sich mancher Philologe verleiten, diesen angeblichen Schi-
tzen nachzugehen. Das Resultat steht in bei Weitem den mei-
sten Fällen in gar keinem Verhältniß zu der aufgewandten Zeit
und Mühe. Ich glaube daher nichts Ueberflüssiges zu thun,
wenn ich die Bemerkungen, welche ich in diesem Frühjahr in
einigen Stüdten der Insel darüber zu machen Gelegenheit hatte,
hier mittheile. Ich notire was ich an Klassikerhandschriften in
den Katalogen verzeichnet fand, vermehrt um einige Notizen aus
Autopsie. Handschriften, die ich selbst gesehen habe, sind mit
einem Stern bezeichnet worden. Patristik habe ich fast durch-
weg ausgeschlossen; viel ist davon indessen nicht anzutreffen.
Die wichtigste unter den Handschriftensammlungen Sici-
liens ist die der Universitütsbibliothek zu Messina.
Philologus. N. F. Bd. I, 4. 97
578 F. Rihl,
Man weiß,. wie eifrig in den Zeiten des Wiedererwachens der
Wissenschaften die klassischen, insbesondere die griechischen
Studien in Messina gepflegt wurden, und die Stadt war lange
Zeit wegen der zahlreichen und vortrefflichen Handschriften, die
sie beherbergte, beriihmt. Jetzt sind aber leider nur noch ge-
ringe Ueberbleibsel dieser Schätze vorhanden. Das barbarische
Bombardement von 1848 hat die Bibliothek von S. Placido ver-
nichtet (vgl. Plauti Poenulus ed. Gótz et Loewe S. XV) und
dasselbe Schicksal hat die große Bibliothek von S. Maddalena
betroffen, mit Ausnahme des Klosterarchivs, das sich augenblick-
lich in Palermo befindet. Ebenso hat das Basilianerkloster S.
Salvatore de' Greci die schwersten Verluste erlitten; nicht nur hat
auch hier das Bombardement zahlreiche Codices vernichtet, son-
dern das Kloster ist auch durch einen Bischof eines groBen
'Theils seiner Handschriften beraubt worden; der Raub befindet
sich jetzt. zum Theil im Vatican!) Was übrig blieb ist vor
nicht langer Zeit mit der Universitütsbibliothek vereinigt wor-
den. Diese Handschriften von S. Salvatore wie der alte Be-
stand der Bibliothek ( die sog. codici preesistenti) sind von Herm
Matranga in zwei getrennten handschriftlichen Katalogen recht
sorgfältig beschrieben worden. Das Verzeichniß des alten Be-
standes ist lediglich auf lose Zettel geschrieben und führt den
Titel: No. 281. Schede per il Catalogo Descrittivo dei Manoscritti
Preesistenti finite oggi 11 Giugno 1887 giorno di Sabuto. Deo
gratias. Beide Kataloge haben mir bei den folgenden Aufzeich-
nungen werthvolle Dienste geleistet.
*Codex praeexistens 11 membr. oct. saec. XII. Die bekannte
Handschrift von Hesiods Werken und Tagen mit Einleitung
und Scholien von Tzetzes. Enthält 86 Blätter. Matranga hat
im Katalog folgende Bemerkung gemacht: Bisogna avvertire
quando leggesi nell’ ultima edizione del 1870 fatta in Lipsia da
Koechly e Kinkel, i quali nella Prefazione IV (vielmehr S. VII)
avvertono, che in fine i versi 744—828 sono suppliti da mano più
recente: ma niente dissero dei due fogli 85 ed 86. Non lessero.
Ebene diciamo, che nel foglio 85 sono contenuti i Versi 791 sino al
V. 802 del libro stesso di Esiodo con il Commentario di Zese; e
. 1) Ich verdanke diese Mittheilangen Herrn Prof. Dr. Kleinenberg
in Messina.
Bemerkungen über einige Bibliotheken von Sicilien 579
nel foglio 86 sono i versi 770 sino al V. 775... Questi due
fogli, perchè dispari ed illegibili, furono calcolati estranei da chi sud:
pli i versi 744--828, ora però sono all’ evidenza. Das ist voll-
kommen richtig und Albert Guethe, welcher die Handschrift ftr
Kôchly und Kinkel verglich, hat sich die beiden Blätter auch
nicht weiter angesehen. Ich habe die Gelegenheit benutzt, den
Text des Hesiodos auf diesen beiden Blittern mit der Ausgabe
von Kóchly und Kinkel zu vergleichen und gebe im folgenden
die Varianten, oder vielmehr ich verzeichne eine Anzahl von
Lesarten dergestalt, da8 wo ich Nichts bemerke, die Handschrift.
mit dem gedruckten Text übereinstimmt, wührend ich auch eine
Anzahl Lesarten, des positiven Zeugnisses halber, mitverzeichnet
habe, in denen der Codex mit der Ausgabe übereinstimmt. 792 —
zhew nuats (80) — 793 ob yelvacdus oder ylrvacda: dastand ist.
nicht zu erkennen — menvuuévog — 795 puéoon (so) — 796
der Accent von xagyugodovru nicht mehr zu erkennen — 797
nouvvey — 799 ob nuae oder juag dastand ist nicht mehr
zu sehen — 801 of 1° èn° Zoyuat — 770 ivan — quug sicher
lesbar — 771 yovouogoy — muaura sicher — 774 alle Accente
_unsicher, von gw incl. ab Nichts mehr zu lesen — 775 mit
Ausnahme von aua03%, das nicht mehr zu lesen ist, Alles wie
der gedruckte Text. Auf Fol. 1” steht unter den Versen saec.
XII, die Tzetzes preisen, eine ältere Schrift; Matranga will die
Jahreszahl quid = 6414 = 906 p. C. gelesen haben; ich hatte
keine Lust, mir die Angen an dieser Minuskel zu verderben.
*Codex praeexistens 12 chart. Oct. saec. XV enthält Fol. 100
Gorgias éyxwusov 'EAvgc.
Codex praeexistens 14. Juvenalis et Persius von 1459.
Codex praeexistens 15. "Terentius in Calliopischer Re-
cension. Vollendet 22. September 1446 in civitate Cesarauguste
per me loannem de campis. .
Codex pracexistens 21 bomb. saec. XVI Buch 1 von
Xenophons Kyropaedie.
*Codex pracexistens 62 chart. fol. saec. XV (so nach
meiner Schätzung, nach dem Katalog saec. XIV). 52 Blätter.
Auf dem untern Rande von Fol. 52" steht: Coll. Mess. Soc. lesu.
Enthält Pseudokallisthenes. Beginnt Fol 1': KA.
‘ GO£vqc iorogsoyodgpos, 6 rd megl 1v ÉXivww Cvyyeawuperos. :
ovrog. taroget aieEavdoov moatsss: — "Agsorog [Alles bis "4 incl.
87 *
580 F. Rühl,
€
roth] doxet yeréodar xoi yervasvitaros adfEardoos 6 paxxedwr
(so) Idlwe muvia momoupevos. ovvegyovGa» avtw &vQuv (80) dei
Taig ageruig inv nQovorav. tocovtoy d» Exucıw Tv tIvdv rnode-
pv xai payopevos Oinyaye yo0vov, Ocov ovx Moxes zoig flovAo-
pévowg tag modes axgıßwg iorogqou. SchlieBt Fol. 527: mouirg
7? Odupmeas (so) ZogEuro (s0)' dro dè ing TeAsving aAsEadrdgou Ews
Ing tov Jeoù Àóyov èx nugdérov capuwoews Em xd (80): — r£-
200 zw dorri tégua dota rium x«i xgatog: — Danach scheint
der Codex zu der durch den Codex B bei Müller reprüsentirten
Recension zu gehóren.
Codex pracexistens 110. Roma instaurata und Italia il-
lustrata des Blondus.
*Codex praeexistens 278 chart. fol, saec, XV —XVI. Ge-
schenk des Pater Filippo Matranga 1887. Fol. 1" Ozodweov
dvayvuorov xwvoturtvouncdsmg exxAnovatixng Îoroglac —fhfMor
a. Ex rwvog Vrgov x. r. 4. SchlieBt Fol. 157: rovro d° v mo-
rov 176 diaxociootis 0ydons Glvumtadog Unarelag (?) zavgov (80)
xai pauwgivriou ıng rolıng tov vosußglov unvos. T&os tov 8 Pr
Bifov. Das ist also der unedirte Text, von dem Leo. Allatius
bei Mai, Bibl. nov. VI p. 153 f. handelt und von dem er ein
Stück mittheilt (wieder abgedruckt bei Migne, Patrologia Graeca
LXXXVI 1 S. 159).
*Codex S. Salvatoris 29 membr. forma maxima saec.
XI—XII in zwei Columnen geschrieben. Geistlichen Inhalts,
sogenannter Metaphrastes. Die untere Schrift, gleichfalls in zwei
Columnen geschrieben, steht zuweilen auf dem Kopf. Auch sie
ist geistlichen Inhalts, besteht aus Uncialen und enthält einen
Psalmencommentar. Hier und da ist sie sehr bequem zu lesen, z. B.
Fol. 55": EICTOTEAOCENYMNOIC | +AAMOC TW (so)
A&A, ohne Worttrennung, Accente und Spiritus. Die Unciale
ist indessen nicht überall von derselben Hand; Fol. 169 z. B.
zeigen sich auch Spiritus und Accente, wie mir schien von ei-
ner spüteren Hand, welche auch Correcturen in Minuskel aus-
geführt hat. Herr Dr. Reitzenstein, der einige Zeit nachher auf
meine Veranlassung den Codex in behaglicher MuBe untersuchte
schreibt mir, daß nur die Ueber- und Unterschriften den älteren Cha-
rakter trügen, der Text dagegen in der „schräg liegenden schmalen,
spitzen Uncialschrift geschrieben sei, welche jetzt gewöhnlich dem
Bemerkungen über einige Bibliotheken von Sicilien. 581
VII— IX Jahrhundert zugewiesen wird“. Hoffentlich werden
wir von Reitzenstein noch mehr über die Handschrift erfahrén,
Im Ganzen befinden sich unter den Handschriften von S. Salva-
tore 18 Palimpseste.
*Codex S. Salvatoris 63 . membr. fol. saec, XII. Ent-
halt allerlei geistliche Schriften, Heiligenleben und Aehnliches.
Darin Fol. 217": ’/ovdiavòs BaciAsvg Buoidetu Émioxonw xasca-
oslag xammadoxlus. To tugvrév wos dx nudoFsv yaleór xai qu-
AdvPowrrov Émideuxvuuerog wéygs tov nagóvrog x. 7. À. (= Julian.
ep. 75 Hertlein) Der Brief schließt Fol. 218" & yag avéyvw.
xareyvwv. Es folgt: Buoilesos Eniononog Kussugslag Kunna-
doxtas loviuavió Pace: — Mıxga cov ta tig magovons rigne
avdouya3nuara x. Te À. |
*Codex S. Salvatoris 84 membr. saec. X—XL Vorn
und hinten verstiimmelt; vom 1. Quaternio fehlen Blatt 1 und
8; angeblich Galenos, in Wirklichkeit eine Excerptensammlung
aus Galenos, Oribasios und Anderen. Beginnt jetzt Fol. 17:
alcInow È... .. GTIYW®) xurarofoue (80) cagug èFsdoss. Ém-
xixıdoo te xoi x. t A. Fol. 1" verklebt. Fol. 2" beginnt ddy-
dov yuo elze dia tv oruyer stre dia tiva tov Émuusunyuérwy adri
movotntwv. ere diappotégus Erjoynoev nsov T0 mAnovatoy (o aus
w) avtw cwua x. 1. Fol 6% Mitte: av Qwww äqueodas
pégia ^ CYNOYCIC TWN ATIAWN PAPMAK GUN: — ABPO-
TIONON , Seguor core xoi Enodv (Accent von 2. Hand) rh»
duvauev x. t. À. Fol. 58% am Ende: xoi ura wa vinsa |
CYNAVIC (so) T8 ff TWN ATIAWN | PAPMAKWN T'AAIN8
(so) KAI T8 | TTEPI TPOPWN AYNAMEWN | AOTOC X: + +4),
Fol. 597 KEDANEA T8: B: AOFOY +. Fol. 62: TTEPI TON
THC FHC AIADOPON KAI AIOWN KAI METAAIKON . KAI THC
ATTO TON ZWWN @OEAIAZ EK TON |‘ATTA@N TA (= l'A-
2) Die Punkte bedeuten Buchstaben, welche ich im Augenblick
nicht lesen konnte; wer Zeit hat wird sie wohl ohne besondere Mühe
entziffern können.
3) Ve 1. Blume Iter italicum IV S. 103. Blumes Bibliotheca Mes,
Italica fehlt auf der hiesigen Bibliothek. Ich glaube indessen, sowohl
nach Blumes Bemerkungen im Iter wie nach Notizen, die ich mir
früher aus dem Buch gemacht hatte, daß ihre Nichtbe nutzung diesem
Aufsatz nichts geschadet hat.
582 F. Rühl,
€ n _
AHNOY) KAI TOY TT TPO®(ON AYNAMECUN AYTOY | KAI
(| über der Zeile) OPIBAZIOY KAI ETEP oN: A B | “Oca piv
gend» Zor uogia x. t. A. Fol. 116" TEP! METAAAIK.UN KAI
NIGcUN KAI THC | KAI THC ATTO TwN Z@wN W®EAEIAC.
| KAI TTEPI AYNAMEWC ATTAGN | VAPMAKGN: AB
| KEDAAEA TOY TPITOY AOTOY. Fol. 119: " ENOYMEN@N
KENOYMENWN . TIPOC®EPOMENWN . KAI T AEPON.
"ANEMQN TOTTON YAATWN | OYNIT MON . CINATTIEMWN
(1)
KAI T OMOICON: NOTOCF °° C " TPIVEWC TIAPAZKEYA-
CTIKHC > (so): Hoo Tv yvuraGusv x.r.À. Schließt Fol. 141"
im Artikel pce #201 Aovrowr yadsvov (ya nicht sicher) mit den
Worten ovx Oàfya cuviiel . aouodia de ra.
*Codez S. Salvatoris 194 chart. oct. saec. XIV. Grie-
chisches Lexikon. Die ersten Blütter haben sehr gelitten. Fol.
1” beginnt 4yytàfa qoooc. Es ging indessen noch etwas vorher.
Probe von Fol. 111": CTOIXEION TOY: A: | Adas, è 26900.
Aaßwr, anagus. | iaBowsros, doafapevos, Aaiywrirw, dale,
Boazve agroc. | Aaíquros, 16 luanor xai 0 Ggirog, laïor, age-
cregov. Das Ganze schließt Fol 178": «olor (so), acrgor ros-
rov xadovperor (80) | woscer, Exosvev Exelnoev. Es folgt oi ETTI-
MEPICMOI QN: KA: | ixagwrres (vor i ein Gesicht als Initiale
gemalt, das wohl ein O vorstellen soll) êæi meoscuoi, cov | ré-
Ferrari xara Croizeior, ov|tws doyoutJa and rov 8.
*Codez S. Salvatoris 167 membr. 4°, in zwei Columnen
geschrieben. Besteht aus 143 Blättern. Die Blätter 78—148
sind im 12. Jahrhundert mit Schrift bedeckt worden; am obern
Rande von Fol. 78" steht das Quaternionenzeichen 1. Die
Blatter 1—77 sind später zur Ergänzung der verstümmelten
Handschrift hinzugefügt worden und die Schrift ahmt den Cha-
rakter der älteren nach. Die ersten Blatter sind sehr mitge-
nommen. Fol. 1' beginnt
"erac. parzoao . . . »*)
4) Die Punkte bedeuten wieder schwer lesbare Buchstaben, die
su entziffern es mir an Zeit und Interesse fehlte.
Bemerkungen über einige Bibliotheken von Sicilien. 583
Au... wees GU
"Avisa: nad
Aödtagang: ixavoo.
Fol. 78" beginnt unAovouog: 6 ra ng0ßa
véuwv. Ste xai ta déoua
10 undoragia:
Dieses Lexikon schlieBt Fol. 116" mit den Worten:
w : tov lóíov |
e: Ou»
Es folgt uirégor A£Eeig : | ^ Apociwuevov: ayılsgwuevov x. 1. À.
Fol. 1227 AéEug éyxeluevar | &v 17 Enızuyv (80) 100 dlyiov fac
helou: |’ Aygıdvgos: èyyvo: x. Y. 4. Fol. 123" alitgos Acc
AA0yioay : xatageovnour x. 7. A. Fol. 129" Akrosticha eines Mónchs
Theodor; Fol. 129° al A£&&g rd» zgona|giwv. égunreurà | rata
crouylov : |" Ageyysic: un Eyovisg | péyyos x. 1. A. Fol. 133" ai
ME iv GN | weApQv xai wdwr: |'-AÀglowa: alvelta | àv
óvra ros tow xvgiov:| Fol. 184r AéSeug ıwv wdwr. Fol. 1347
leer. Fol. 135", vielleicht ursprünglich einen andern Codex be-
ginnend, enthält roù (9 xai owoAoyırov | uuËEluov Egunvelus | dia-
pogo. negl owuarwr xai Wuyüvr: | yos] yırwazsıy oT Terpuuespèc
êoriy 10 owuu x.1. 4. Fol. 143" schließt mit den Worten ém:d
dauovia x«i; der Schluß des Codex ist also verloren gegangen.
Es ist Hoffnung vorhanden, daß wir auch über die Lexika
der Codices 84 und 134 bald von Dr. Reitzenstein nühere Aus-
kunft erhalten werden; ich glaubte indessen doch meine Notizen,
die dem Einen oder Andern nützlich sein kónnen, hier mitthei-
len zu sollen.
Die Universitàtsbibliothek zu Catania besitzt
im Ganzen 60 Handschriften. Darunter sind folgende von phi-
lologischem Interesse :
No. 1. Aesopi fabulae versibus expressae saec. XIV.
No. 12. Ciceronis Tusculanarum disputationum libri V membr,
saec. XV.
No. 60. Ciceronis de officiis libri saec. XV.
Mit der Universitàtsbibliothek ist die Biblioteca Venti-
milliana vereinigt, von der es einen gedruckten Katalog von
Francesco Strana (Catania 1830) gibt. Ich habe daraus folgen-
des notirt.
584 F. Ruhl,
Cicero ad familiares (XI F 7). Nach einer Mittheilung
des Herrn Prof. Sabbadini saec. XV.
*Pindarus Thebanus (XI E 9, alte Nummer XI E 12)
membr. oct. saec. XV mit schönen Initialen und Randleisten.
SchlieBt :
Pindarus hunc librum fecit sectatus homerum
Grecus homerus erat sed pindarus iste latinus ?).
Homeri hystoria clarissimi traductio exametris versibus pyndari
haud (d von 2. Hand corrigirt) indocti ad institutionem filit sui
parme. Auf derselben Seite steht dann von anderer Hand und
mit anderer Tinte: Ex bibliotheca p Ill. D. Don Matthema de bar-
resio facta Anno zpi. 1531.
Opuscula miscellanea (XI E 10) sae. XV. Darin
lateinische Uebersetzungen der Briefe des Phalaris und Brutus
und verschiedene Arbeiten von Humanisten.
Ciceronis Cato maior, ins Griechische übersetzt von
Theodor Gaza (XI E 17).
Die Bibliothek von S. Nicola in Catania umfaßt nach
Bädeker „20000 Bände und 300 Handschriften“ und wer das
ungeheure, zum Theil recht prachtvoll ausgestattete Kloster be-
tritt, wird zu dem Glauben geneigt sein, daß sich wenigstens
irgend etwas Nennenswerthes in der Bibliothek finden werde.
Die Enttäuschung, die ich erfuhr, war außerordentlich groß. Die
Bibliothek enthält allerdings nicht weniger, als 372 Handschrif-
ten, allein eine solche Sammlung von Schund wird in der gan-
zen Welt nicht zum zweiten Mal existiren. Ich hatte mir einen
Auszug aus dem handschriftlichen Katalog gemacht und fing
dann an zu fordern: „No. 1, Chronica Eusebü“. Ich bekomme
den Codex in die Hand und lege ihn sofort mit lautem Gelächter
wieder hin. Was war es? Eine im 17. Jahrhundert angefer-
tigte Abschrift aus einer Venediger Ausgabe von 1488. Der
Bibliothekar stimmte in mein Gelächter mit ein und erklärte,
der Rest sei ungefähr derselben Qualität. Das bestätigte sich
denn auch sehr rasch und als Entschädigung für die verlorene Zeit
blieb mir nur die Kenntniß der kulturhistorisch allerdings höchst
merkwürdigen Thatsache, daß noch im 17. Jahrhundert in einem
5) Vgl. Baehrens, Poëtae Latini minores III p. 4.
Bemerkungen iiber einige Bibliotheken von Sicilien, 689
reichen Kloster Mönche gelebt haben, welche gedruckte Bücher,
die meist gar nicht selten oder theuer gewesen sind, abzuschrei-
ben Zeit und Lust hatten. Allenfalls bemerkenswerth in der
Bibliothek sind zwei griechische Urkunden aus dem 12. Jahr-
hundert, ein Dante, ein schünes livre d'heures und ein ,,Calenda-
rio in lingua rabbinica“ (cod. 29). Palaeographisch merkwürdig
ist daneben allerdings der Codex 37 membr. saec. XV. Er ent-
halt die Priapea und die virgilischen Catalepta. Dieser Codex
ist nämlich in einer eigenthümlichen Geheimschrift geschrieben.
Für jeden Buchstaben ist ein besonderes Zeichen angewandt,
welches buchstabenühnlich , aber kein eigentlicher Buchstabe ist,
d. h. der Schreiber hat für diesen Codex ein eigenes Alphabet
erfunden. Beispiele solchen Verfahrens sind aus dem Mittel-
alter nicht grade viele bekannt (die vollständigste Zusammen-
stellung gibt Wattenbach, Anleitung zur lateinischen Palaeogra-
phie S. 12 f. der 4. Auflage) und es würe daher sehr dankens-
werth, wenn einer der Gelehrten der Universitit Catania ein
Facsimile einer Seite des Codex veróffentlichen wollte- Ange-
wandt ist in diesem Falle die Geheimschrift natürlich wegen des
obscónen Inhalts der in dem Codex enthaltenen Gedichte.
So gut wie werthlos ist auch die Biblioteca arcives-
covile zuSyrakus, auf welche Bädeker ebenfalls nicht verfehlt,
aufmerksam zu machen. Für Philologen kommt hichstens der
Codex No. 7 in Betracht, welcher die „Institusioni di rettorica
di Giorgio Trapezuntio“ enthält.
Ueber die Biblioteca nazionale zu Palermo endlich
habe ich folgendes notirt:
Boethius de consolatione (IV H 15).
Catalogo della biblioteca di S. Martino (III G 11).
Catalogo della biblioteca de’ Dominicani (II H 1 und X H 10).
Chrysoloras Erotemata vel octo orationis partes (IC 10) saec. XV.
Ciceronis Ars rhetorica (I F 8).
S. Ephraem Syri et aliorum opuscula graece I D 4.
Eusebius de evangelica praeparatione von 1466 (V H 1).
* Eugippius Vita S. Severini. Accedit historia inventionis el
translationis corporis S. Sosii (IV C 10). Stammt aus der Jesui-
tenbibliothek zu Palermo; ist saec. XVI.
— Historia Bysantina (III F 12).
574 Miscellen.
hin OI. 70 stattgefunden haben: die Hauptsache für uns ist, zu
constatieren, daf die sich an dasselbe anschlieBenden Consequen-
zen ganz werthlos sind.
Es scheint demnach, daß man die von Wieseler (Ersch. u.
Gruber Sect. I Bd. 83 S. 178) und Alb. Müller (Griech. Büh-
nenalterthümer S. 85 f.) noch festgehaltene Ansicht, daß der Bau
des steinernen Theaters Ol. 70 begonnen habe, verlassen und
sich nach anderen längst bekannten aber nicht genügend benutz-
ten Zeugnissen umsehen muß. Daß im Jahr 411 der Zuschauer-
raum des Theaters, in welchem die Stücke des Euripides gege-
ben wurden, d. h. des Dionysostheaters noch aus Holzgerüsten
bestand, ist durch Ar. Thesmoph. 395 (die Männer kommen von
den misogynen Stücken des Eurip. nach Hause and trav Ixglwr;
über den Begriff von îxgior s. jetzt Unger, neue Jahrbücher Bd.
133 S. 153 f.) meines Erachtens unwiderleglich bewiesen. Wie
könnte sich auch der Ausdruck rowrov Evlor für die Proédrie
(Poll. IV, 121) gehalten haben, wenn schon vom Jahr 500 an
die Zuschauer auf steinernen Sitzen gesessen wären? — Ferner:
der Redner Lykurgos hat (Plut. Vit. X or. p. 852 B) das Dio-
nysostheater nw/egyov überkommen und es vollends ausgebaut.
Soll man sich denn vorstellen, dasselbe sei etwa 170 Jahre lang
in halbfertigem Zustand dagelegen? gleich Anfangs nicht fertig
gebaut worden? oder (wie Wieseler und A. Müller annehmen)
es habe durch die Perserkriege Beschädigungen erlitten, durch
welche es aber nicht zu einem halbfertigen, sondern einem
halbzerstörten geworden wäre? Und Perikles sollte diese
wichtigste Volksbildungsstätte, zu deren Gunsten das Schaugeld
von ihm eingeführt wurde, in halbzerfallenem Zustand haben
liegen lassen? Dies anzunehmen scheint mir ganz unmöglich.
Vielmehr haben den steinernen Ausbau des Theaters athenische
Staatsmänner unmittelbar vor Lykurg begonnen, sind darin auf-
gehalten worden, und Lykurg hat das Werk vollendet. Den
Beginn des steinernen Baus darf man vielleicht in die Verwal-
tungsperiode des Eubulos setzen, in welcher die Theorikenvor-
steher auch die Leitung des öffentlichen Bauwesens hatten (Böckh
Staatsh. I° 225); Verzögerung werden die Verwicklungen mit
Philippos gebracht haben. Als das älteste steinerne Theater
im griechischen Mutterland werden wir also dasjenige des Po-
lyklet im epidaurischen '/egór anzusehen haben. Das Bestreben,
die Anziehungskraft dieses Kurorts nach Möglichkeit zu ‘erhöhen,
mag hier den Plan einer solideren und comfortableren Theater-
construction zuerst zur Ausführung gebracht haben.
Tübingen. W. Schmid.
—
— — | sn na
Miscellen. 575
26. Zu den ‘Aithiopenmythen’.
(Genesis VI 1—4).
Der gelehrte Verfasser des Aufsatzes über die Acthiopen-
mythen (oben S. 103 ff.) hat darin durchaus recht, daí die Le-
gende Genesis VI 1—6 ,,in der jüdischen Literatur isolirt steht;“
dies ist namentlich in der ersten Abhandlung von Karl Budde
(Die biblische Urgeschichte, GieBen 1883) stark hervorgehoben,
und auch von Kautzsch und mir in unserer Uebersetzung der
Genesis (Freiburg 1888) dadurch gekennzeichnet, daß wir die
Stelle dem J! das heißt dem ältesten Jahwisten zuschrieben.
Man mag nun von der Unterscheidung von J!J*J? d. h. ver-
schiedenartiger Bearbeitungen des jahwistischen Werkes halten,
was man will; eines scheint mir sicher: wir stehen hier ganz
auf mythologischem Boden, auf dem Boden von Mythen
welche uns nur fragmentarisch erhalten sind. Wenn diese Con-
cession von Seiten der Vertreter des Fachs nun den Verfasser
jenes Artikels freuen wird, so wirft doch die Folgerung, welche
man betr. jene Stelle gezogen hat, einen Theil seiner Thesen
geradezu um, Es scheint nämlich erwiesen, daß J! die Fluth-
geschichte nicht gekannt haben kann. In jener Gene-
sis- Stelle soll die Herkunft der vor Alters hochgefeierten Ne-
fiim berichtet werden; dies schließt, wie ebenso Genesis IV
17 ff, die Fluthgeschichte geradezu aus; denn der Verfasser
von Genesis VI 1—6 setzt die Nefilim augenscheinlich nicht
alle vor die Fluth; auch sonst ist ja von solchen Nefilim im
A. 'Test. die Rede. Ebenso móchte ich jedoch auch gegen die
Erklärung des „Volkes der Ewigkeit" = frevelhaftes Geschlecht
(S. 106) Einsprache erheben. Aus den von O. Gruppe citirten
Stellen geht eine solche Anschauung wenigstens nicht hervor;
damit fällt hinweg, daß sie mit den Aidiones in Zusammenhang
gebracht werden dürfen.
Daf der Text stark corrupt sei, leugne ich am allerwenig-
sten; eine befriedigende Erklürung von Vers 8 kenne ich nicht.
Noch móchte ich aber auf Wellhausen Prolegomena zur Ge-
schichte Israel?, Berlin 1886, S. 321 Anm. verweisen: „Ein
gróberes Gegenstück zu Gen. 2. 3, auch eine Art Sündenfall,
ist Gen. 6, 1—4: die Verrückung der Grenze zwischen gött-
lichem und menschlichem Geschlecht“. Dazu mag allerdings
R (d. h. irgend ein Redactor) den iiberlieferten Mythus ver-
wendet haben.
Tübingen. A. Socin.
576 Miscellen.
Excerpte und Mittheilungen.
Revue arch. 1888. Nr. 3. 4. März, April. Heron de Ville
fosse: Figure en terre blanche trouvé à Caudebec-lès- Elbeuf (mit Ab-
bildung). Hieratisches, mit Ornamenten übersütes Idol, für wel-
ches zahlreiche gallisch-rômische Arbeiten Parallelen bieten; auf
der Rückseite die Marke des Fabrikanten Rextugenos auvot (=
R. fecit) — Clermont-Ganneau: Sarcophage de Sidon représentant
le mythe de Marsyas (mit Abbildung); zur Einleitung Bemer-
kungen tiber die Sarkophage von Tabnit mit Nutzanwendung
auf Theokr. XVII 110 f. — F. Cumont: Les dieux éternels des
inscriptions Latines. Die Bezeichnung deus aeternus dea aeterna
wird aus syrischen Kulten hergeleitet. — Arbois de Jubainville:
Le char de guerre des Celtes dans quelques textes historiques (Li-
vius, Polybius, Plutarch, Diodor, Pausanias; das Reiten ist auch
bei den Kelten eine jüngere Sitte, als das Fahren). — P. Mon
ceaux: Fastes éponymiques de la ligue thessalienne. Tages et stra-
tèges fédéraux (bis zum Jahre 352 v. Chr). — L. de Launay:
histoire geologique de Mételin (Lesbos) et de Thasos (mit Abbil-
dung). — S. R<einach>: Liste des oculistes Romains mentionnés
sur les cachets (alphabetisches Namenverzeichni&). — Cagnat:
Revue des publications épigraphiques relatives à l'antiquité romaine
(s. oben S. 191).
Mnemosyne 1887. XV, 4. Valeton: De Ostracismo (Fort-
setzung). — Van Herwerden: Spicilegium Strabonianum. — J.
v. L.: Ad Aristophanis Equitum v. 742; der Verf. liest :
0 1; SToUTHyWY, vrodgupuwv rove éx [ulov,
zÀsvGag éxstos 1006 Auxwrag nyuyov.
Mnemosyne 1888. XVI, 1. Valeton: De Ostracismo (Fort-
setzung). — Leeuwen: Homerica (Fortsetzung). — Karsten:
De Tibulli Elegiarum structura (pars tertia). — Van der Vliet:
Ad Symmachum. — Boissevain: Epistula critica (zu Thucydi-
des). — Burger: Ad annalium Romanorum reliquias a Diodoro
servatas. — Naber: Selecta (zu Aristophanes Acharnern, Xe-
nophon's Anabasis, Plato, Polybius, Aeneas tacticus , Plutarch,
Lucian, Dio Cassius, Diodor etc.). — Leeuwen: Ad Soph. Aj.
646—649; er liest 647 q«(ra, 648 si uuduocera:, 649 oyxogc.
The Academy 1888, 26. Mai. L. Campbell: Sehr abfällige
Besprechung der gr. Sophokles- Ausgabe von Semitelos, welcher
beside our ingenious countryman Blaydes gestellt wird. — 2. Juni.
Neben andern Anzeigen gute Charakteristik der ‘gr. Chronologie’
von A. Schmidt. — 9. Juni. Terrien de Lacouperie: The name
of Oannés (Ans, "Ades Quvrns) in the cuneiform texts, — — 80. Juni.
A. S. Murray: Bericht über Rayet und Collignon, Histoire de la
Céramique Grecque.
Bemerkungen über cinige Bibliotheken von Sicilien. 535
reichen Kloster Mönche gelebt haben, welche gedruckte Bücher,
die meist gar nicht selten oder theuer gewesen sind, abzuschrei-
ben Zeit und Lust hatten. Allenfalls bemerkenswerth in der
Bibliothek sind zwei griechische Urkunden aus dem 12. Jahr-
hundert, ein Dante, ein schönes Zivre d'heures und ein „Calenda-
rio in lingua rabbinica“ (cod. 29). Palaeographisch merkwürdig
ist daneben allerdings der Codex 37 membr. saec. XV. Er ent-
hilt die Priapea und die virgilischen Catalepta. Dieser Codex
ist nämlich in einer eigenthiimlichen Geheimschrift geschrieben.
Für jeden Buchstaben ist ein besonderes Zeichen angewandt,
welches buchstabenühnlich , aber kein eigentlicher Buchstabe ist,
d. h. der Schreiber hat für diesen Codex ein eigenes Alphabet
erfunden. Beispiele solchen Verfahrens sind aus dem Mittel-
alter nicht grade viele bekannt (die vollständigste Zusammen-
stellung gibt Wattenbach, Anleitung zur lateinischen Palaeogra-
phie S. 12 f. der 4. Auflage) und es wire daher sehr dankens-
werth, wenn einer der Gelehrten der Universitit Catania ein
Facsimile einer Seite des Codex veróffentlichen wollte. Ange-
wandt ist in diesem Falle die Geheimschrift natürlich wegen des
obscénen Inhalts der in dem Codex enthaltenen Gedichte.
So gut wie werthlos ist auch die Biblioteca arcives-
covile zuSyrakus, auf welche Büdeker ebenfalls nicht verfehlt,
aufmerksam zu machen. Für Philologen kommt höchstens der
Codex No. 7 in Betracht, welcher die „Institusioni di rettorica
di Giorgio Trapesuntio" enthält. |
Ueber die Biblioteca nazionale zu Palermo endlich
habe ich folgendes notirt:
Boethius de consolatione (IV H 15).
Catalogo della biblioteca di S. Martino (III G 11).
Catalogo della biblioteca de’ Dominicani (II H 1 und X H 10).
Chrysoloras Erotemata vel octo orationis partes (I C 10) saec. XV.
Ciceronis Ars rhetorica (I F 8).
S. Ephraem Syri et aliorum opuscula graece I D 4.
Eusebius de evangelica praeparatione von 1466 (V H 1).
*Eugippius Vita S. Severini, Accedit historia inventionis et
translationis corporis 8. Sosii (IV C 10). Stammt aus der Jesui-
tenbibliothek zu Palermo; ist saec. XVI.
Historia Bysantina (III F 12).
578 F. Rühl,
Man weif,. wie eifrig in den Zeiten des Wiedererwachens der
Wissenschaften die klassischen, insbesondere die griechischen
Studien in Messina gepflegt wurden, und die Stadt war lange
Zeit wegen der zahlreichen und vortrefflichen Handschriften, die
sie beherbergte, beriihmt. Jetzt sind aber leider nur noch ge-
ringe Ueberbleibsel dieser Schitze vorhanden. Das barbarische
Bombardement von 1848 hat die Bibliothek von S. Placido ver-
nichtet (vgl. Plauti Poenulus ed. Gótz et Loewe S. XV) und
dasselbe Schicksal hat die große Bibliothek von S. Maddalena
betroffen, mit Ausnahme des Klosterarchivs, das sich augenblick-
lich in Palermo befindet. Ebenso hat das Basilianerkloster 8.
Salvatore de' Greci die schwersten Verluste erlitten; nicht nur hat
auch hier das Bombardement zahlreiche Codices vernichtet, son-
dern das Kloster ist auch durch einen Bischof eines grofen
Theils seiner Handschriften beraubt worden; der Raub befindet
sich jetzt, zum Theil im Vatican!) Was übrig blieb ist vor
nicht langer Zeit mit der Universitätsbibliothek vereinigt wor-
den. Diese Handschriften von S. Salvatore wie der alte Be-
stand der Bibliothek ( die sog. codici preesistenti) sind von Herrn
Matranga in zwei getrennten handschriftlichen Katalogen recht
sorgfältig beschrieben worden. Das Verzeichniß des alten Be-
standes ist lediglich auf lose Zettel geschrieben und führt den
Titel: No. 281. Schede per il Catalogo Descrittivo dei Manoscritti
Preesistenti finite oggó 11 Giugno 1887 giorno di Sabato. Deo
gratias. Beide Kataloge haben mir bei den folgenden Aufzeich-
nungen werthvolle Dienste geleistet.
*Codex praeexistens 11 membr. oct. saec. XII. Die bekannte
Handschrift von Hesiods Werken und Tagen mit Einleitung
und Scholien von Tzetzes. Enthält 86 Blätter. Matranga hat
im Katalog folgende Bemerkung gemacht: Bisogna avvertire
quando leggesi nell’ ultima edizione del 1870 fatta in Lipsia da
Koechly e Kinkel, i quali nella Prefazione IV (vielmehr S. VII)
avvertono, che in fine i versi 744—828 sono suppliti da mano più
recente: ma niente dissero dei due fogli 85 ed 86. Non lessero.
Ebene diciamo, che nel foglio 85 sono contenuti î Versi 791 sino al
V. 802 del libro stesso di Esiodo con il Commentario di Zese; e
. _1) Ich verdanke diese Mittheilungen Herrn Prof. Dr. Kleinenberg
in Messina.
Bemerkungen über einige Bibliotheken von Sicilien. 579
nel foglio 86 sono i versi 770 sino al V. 775... Questi due
fogli, perchè dispari ed illegibili, furono calcolati estranei da chi sup-
plà i versi 744--828, ora però sono all’ evidenza. Das ist voll-
kommen richtig und Albert Guethe, welcher die Handschrift fiir
Köchly und Kinkel verglich, hat sich die beiden Blätter auch
nicht weiter angesehen. Ich habe die Gelegenheit benutzt, den
Text des Hesiodos auf diesen beiden Blättern mit der Ausgabe
von Köchly und Kinkel zu vergleichen und gebe im folgenden
die Varianten, oder vielmehr ich verzeichne eine Anzahl von
Lesarten dergestalt, daß wo ich Nichts bemerke, die Handschrift
mit dem gedruckten Text übereinstimmt, während ich auch eine
Anzahl Lesarten, des positiven Zeugnisses halber, mitverzeichnet
habe, in denen der Codex mit der Ausgabe übereinstimmt. 792
thew "urs (so) — 793 ob yeivaodas oder yiracdu, dastand ist
nicht zu erkennen — menvuuévog — 795 uéoon (so) — 796
der Accent von xagyugodovru nicht mehr zu erkennen — 797
rouvre — 799 ob muug oder 7uao dastand ist nicht mehr
zu sehen — 801 ot 1° én’ toyuate — 770 Evry — quug sicher
lesbar — 771 yovoaogov — Ruara sicher — 774 alle Accente
unsicher, von gw incl. ab Nichts mehr zu lesen — 775 mit
Ausnahme von 4u&c93a das nicht mehr zu lesen ist, Alles wie
der gedruckte Text. Auf Fol. 1" steht unter den Versen saec.
XII, die Tzetzes preisen, eine ältere Schrift; Matranga will die
Jahreszahl quid == 6414 = 906 p. C. gelesen haben; ich hatte
keine Lust, mir die Angen an dieser Minuskel zu verderben.
*Codex praeexistens 12 chart. Oct. saec, XV enthält Fol. 100
Gorgias #yxwpiov “Edtvns.
Codex praeexistens 14. Juvenalis et Persius von 1459.
Codex praeexistens 15. Terentius in Calliopischer Re-
cension. Vollendet 22. September 1446 in civitate Cesarauguste
per me loannem de campis.
Codex praeezistens 21 bomb. saec. XVI Buch 1 von
Xenophons Kyropaedie.
"Codez praeexistens 62 chart. fol. saec. XV (so nach
meiner Schätzung, nach dem Katalog saec. XIV). 52 Blatter.
Auf dem untern Rande von Fol. 52" steht: Coll. Mess. Soc. Iesu.
Enthält Pseudokallisthenes. Beginnt Fol 1': KaAL-
| G9évqc Îcroguoyodgpos, 6 rà megi wv ElAnvwv Gvyygawaptvog.-
ovrog. iotogei dÀeEávdgov moabees: — “Aguorog [Alles bis "A incl.
97 *
580 F. Rühl,
roth] doxe? yevéodas xoi yevrordtarog aAf£ardgos è paxxedwy
(so) idfwo nuvia momodpevos. Guvegyovour avi evewy (80) dei
Taig agetuis Inv noovosar. rocoviov Ev Exacıw rdv dOvdv moM-
pv xal mayomevos dinyaye yoovov, Ocov ovx fjoxt& zoig fowAo-
pévois tag modes axgiBws torognou. Schließt Fol. 52": mou
7 OÀvumüg (so) fofaro (s0)' amo dé 175 tedeviNe aAsEdvdgou Ewe
ts tov soU Aoyov èx naodévov cagxwoews Ér xd (80): — té
200 tw dovrs tégua dota zıum x«i xgatog: — Danach scheint
der Codex zu der durch den Codex B bei Miiller reprisentirten
Recension zu gehóren.
Codex pracexistens 110. Roma instaurata und Italia il-
lustrata des Blondus.
"Codec praeezistens 278 chart. fol, saec, XV —XVI. Ge-
schenk des Pater Filippo Matranga 1887. Fol. 1" ©zodagov
avayvuotov xwvotuvivoumodgwg éexxdnovatexig icroglac BuBAlov
a. Éx Tuvoç Ynpov x. r. À. SchlieBt Fol 15°: rovro d’ jv mQo-
rov 196 diaxociooriie 0ydons divuriadog Unarelag (?) tavgow (so)
xai œâwgivtiou 176 teling rov vosußglov unvoc. T&og tov 8 Pr
BAtov. Das ist also der unedirte Text, von dem Leo. Allatius
bei Mai, Bibl. nov. VI p. 153 f. handelt und von dem er ein
Stiick mittheilt (wieder abgedruckt bei Migne, Patrologia Graeca
LXXXVI 1 S. 159).
*Codex S. Salvatoris 29 membr. forma maxima saec.
XI—XII in zwei Columnen geschrieben. Geistlichen Inhalts,
sogenannter Metaphrastes. Die untere Schrift, gleichfalls in zwei
Columnen geschrieben, steht zuweilen auf dem Kopf. Auch sie
ist geistlichen Inhalts, besteht aus Uncialen und enthält einen
Psalmencommentar. Hier und da ist sie sehr bequem zu lesen, z. B.
Fol. 55”: EICTOTEAOCENYMNOIC | TAAMOC TW (so)
AAA, ohne Worttrennung, Accente und Spiritus. Die Unciale
ist indessen nicht überall von derselben Hand; Fol. 169 z. B.
zeigen sich auch Spiritus und Accente, wie mir schien von ei-
ner spüteren Hand, welche auch Correcturen in Minuskel aus-
geführt hat. Herr Dr. Reitzenstein, der einige Zeit nachher auf
meine Veranlassung den Codex in behaglicher Muße untersuchte
schreibt mir, dafì nur die Ueber- und Unterschriften den älteren Cha-
rakter trügen, der Text dagegen in der „schräg liegenden schmalen,
spitzen Uncialschrift geschrieben sei, welche jetzt gewöhnlich dem
Pindar’s sechste olympische Ode. 593
Agcaca. Aehnlich Lesches über den Tod des Astyanax bei
Tzetzes ad Lycophr. 1268: maida d' &iwv ix xoAnov ivwnmioxa-
poso TiO nvns Öle woddc rerayuv and mígyov. Wie später (in
unserer Ode Vs. 54) Iamos ,,geborgen war im Binsicht“, so
barg die zärtliche Mutter Pitana die Frucht ihrer
Jugend an ihrer Brust; es wurde ihr schwer, sich von
dem Kinde zu trennen, aber sie gab es hin, als es sein: muBte
— xvolm iv unr. Wenn die entscheidende (oder passivisch
„festgesetzte‘?) Stunde der Trennung kommt — vgl. die Stel-
len bei Tafel —, dann muf die Mutter das geliebte Kind dem
Erzieher geben, dann muß auch Agesias die stille Heimath Ar-
kadien verlassen, um eine grôBere, nicht gefahrlose Aufgabe an-
zutreten. Apollon aber hat in der Ferne die Euadne gesegnet
(Vs. 35). Auch Euadna muß später ihr Iamoskind schmerzlich
verlassen; aber dosuorwur fovdaiciv wird es genährt (Vs. 46).
Alles vorbildlich fiir den Abschied des Agesias, Endlich Ia-
mos selbst, als er zu Ehren kommt, sehnt sich nach einer 4«o-
rooqog tit Vs. 60, und die «orismns rmarola 600% ruft ihn aus
Arkadien hinaus zu einer hóheren Aufgabe, welcher Vs. 70 die
Krone aufsetzt. — Aber wir müssen noch weiter feststellen,
was ebenfalls hierher gehórt, inwiefern von Hermes gesagt wer-
den kann, daß er das Glück des Agesias ovv fagvydovmo nori
xoalves (Vs. 81). Zeus hat ihm den olympischen Sieg verliehen;
Hermes ist es, der ihn nach Sicilien ruft, wie einst den Achil-
leus gegen Troja. Man vergleiche die Darstellung bei Gerhard
Auserl. Vasenb. III 200: „jetzt ist der Entschluß gefaßt; indem
er sich von der besorgten Mutter wegwendet, reicht er dem
Hermes die Rechte, um zu sagen: ich folge deinem Rufe“.
(Brunn Troische Miscellen I 61 ff). Hierher beziehen wir auch
Vs. 88, worüber unten im Zusammenhange zu sprechen ist. —
Summa Vs. 72 f.: Mit Agesias, welcher agonische Siege hoch-
halt (suwyrtec dgeruç) treten nunmehr die Iamiden é gavegdy
odov (was keineswegs mit xa2«guv gleichbedeutend ist, wie Rum-
pel und Gildersleeve glauben), indem jenem (mit seinem das-
uorios novg Vs. 8) eine hervorragende Stelle im öffentlichen Le-
ben zugefallen ist.
Indessen schon der Eingang des Liedes Vs. 1—3, viel ge-
rühmt, aber meines Erachtens nicht voll gewürdigt, steht in un-
mittelbarer Beziehung zu der gezeichneten Situation. Die El-
Philologus. N. F. Bd. I, 4. 38
582 F. Rühl,
€ ^ ~
AHNOY) KAI TOY TT TPO®WN AYNAMEWN AYTOY | KAI
(| über der Zeile) OPIBAZIOY KAI ETEP dN: A B | “Oca piv
quidr ore uogia x. t. A. Fol. 116" TTEPI METAANIKWN KAI
AlQwN KAI THC | KAI THC ATTO TN ZwwN WOEAEIAC.
_ | KAI TTEPI AYNAMEWC ATTAGN | PAPMAKGN AB
| KEDAAEA TOY TPITOY AOPOY. Fol. 119: " ENOYMENGN.
KENOYMENWN . TTPOC®EPOMENWN . KAI " AEPON.
"ANEMON TOTTON YAATWN | PYNIT MON . CINATTIEMWN
KAI T OMOIGN : AOT OCT: 000 n TPIYEWC TIAPAZKEYA-
CTIKHC ^ (so): 90 tv yvuvaciwv x.v. . Schließt Fol. 141"
im Artikel oce zsQu Aovıowv yalıyov (ya nicht sicher) mit den
Worten ovx öAlya GwrrtÀti . aopuodia de ta.
*Codex S. Salvatoris 134 chart. oct. saec. XIV. Grie-
chisches Lexikon. Die ersten Blätter haben sehr gelitten. Fol.
1" beginnt &yyeMla q09oc. Es ging indessen noch etwas vorher.
Probe von Fol. 111": CTOIXEION TOY: A: | das, 5 AYos.
daBuv, andguo. | Außousvoo, dgakapevos, Aulywvwvw, ètiatw,
Boazvo agroc. | Aalpwvoc, 1ó luanov xai 0 ág|toG, Aniov, age-
oregov. Das Ganze schließt Fol. 178": «fov (so), aorçor roù-
tov xaloëuevoy (so) | wgiGev, &xgivev éxolyoev. Es folgt OÌ ETTI-
MEPICMOI ON: KA: | txagwyrrec (vor è ein Gesicht als Initiale
gemalt, das wohl ein O vorstellen soll) émi wegsouot, cóv | ré-
Fewtas xara OToıyeiov, ov|twc dogoueda ano TOU .B.
"Codex S. Salvatoris 167 membr. 4°, in zwei Columnen
geschrieben. Besteht aus 143 Blättern. Die Blätter 78—143
sind im 12. Jahrhundert mit Schrift bedeckt worden; am obern
Rande von Fol. 78" steht das Quaternionenzeichen 17. Die
Blätter 1—77 sind später zur Ergänzung der verstümmelten
Handschrift hinzugefügt worden und die Schrift ahmt den Cha-
rakter der älteren nach. Die ersten Blätter sind sehr mitge-
nommen. Fol. 1" beginnt
"Avias. parjouo + . . .4)
4) Die Punkte bedeuten wieder schwer lesbare Buchstaben, die
su entziffern es mir an Zeit und Interesse fehlte.
Bemerkungen iiber einige Bibliotheken von Sicilien. 583
PAU eue ee + Ou
’ Avius: nade
Abragxncg: ixavoo.
Fol. 78" beginnt u7Aovóuoc: 6 ta no00fa
véuwv. ó9ev xai ta déouu
1a undoragia:
Dieses Lexikon schließt Fol. 116" mit den Worten:
€ : tov lóíov
ws uM
Es folgt uizégae Mbeg: | > Apoowwpevor: agieguiuevov x. 1. À.
Fol 1227 AéEaug èyxeluevai | &v 17 ênurugu (so) tod á|y(ov Paci
helou: | 'dyyi90gos: dyyvo: x. t. A. Fol. 123" ali£gos 1 €Eesc°
Akoyı oaov : xatageornouy x. t. À. Fol. 129" Akrosticha eines Mönchs
Theodor; Fol 129" ai Aé£ac r&v» mgona|g(wv. égunvevtd | xaru
ororylov: | Ageyysic: pn Eyovies | péyyos x. t. à. Fol. 1387 al
AéEig av GN | paludy xai wdwv: |? AAdnloua: olveiras | 10V
Orru nos tow xvgeov:| Fol. 184r Ages ıwv wdwy. Fol. 184"
leer. Fol. 135", vielleicht ursprünglich einen andern Codex be-
ginnend, enthält zo? (9 x«i owoAoyırov | uu£luou Egunvetus | dia-
gogo. negl Owuarwv xai YuyWv: | yon yırwazsıy OT Terouueoëc
êotiy 10 cwua x. T7. À. Fol. 143" schließt mit den Worten Erıa
duuoviæ xoi; der Schluß des Codex ist also verloren gegangen.
Es ist Hoffnung vorhanden, daß wir auch über die Lexika
der Codices 84 und 134 bald von Dr. Reitzenstein nühere Aus-
kunft erhalten werden; ich glaubte indessen doch meine Notizen,
die dem Einen oder Andern niitzlich sein kénnen, hier mitthei-
len zu sollen. |
Die Universitatsbibliothek zu Catania besitzt
im Ganzen 60 Handschriften. Darunter sind folgende von phi-
lologischem Interesse :
No. 1. Aesopi fabulae versibus expressae saec. XIV.
No. 12. Ciceronis Tusculanarum disputationum libri V membr.
saec. XV.
No. 60. Ciceronis de officiis libri saec. XV.
Mit der Universitütsbibliothek ist die Biblioteca Venti-
milliana vereinigt, von der es einen gedruckten Katalog von
Francesco Strana (Catania 1830) gibt. Ich habe daraus folgen-
des notirt.
584 F. Rühl,
Cicero ad familiares (XI F 7). Nach einer Mittheilung
des Herrn Prof. Sabbadini saec. XV.
*Pindarus Thebanus (XI E 9, alte Nummer XI E 12)
membr. oct. saec. XV mit schönen Initialen und Randleisten.
SchlieBt :
Pindarus hunc librum fecit sectatus homerum
Grecus homerus erat sed pindarus iste latinus °).
Homeri hystoria clarissimi traductio exametris versibus pyndari
haud (d von 2. Hand corrigirt) indocti ad institutionem filit sui
parme. Auf derselben Seite steht dann von anderer Hand und
mit anderer Tinte: Ex bibliotheca p Ill. D. Don Matthema de bar-
resio facta Anno opi. 1531.
Opuscula miscellanea (XI E 10) sae. XV. Darin
lateinische Uebersetzungen der Briefe des Phalaris und Brutus
und verschiedene Arbeiten von Humanisten.
Ciceronis Cato maior, ins Griechische übersetzt von
Theodor Gaza (XI E 17).
Die Bibliothek von S. Nicola in Catania umfaßt nach
Bädeker „20000 Bände und 300 Handschriften“ und wer das
ungeheure, zum Theil recht prachtvoll ausgestattete Kloster be-
tritt, wird zu dem Glauben geneigt sein, daß sich wenigstens
irgend etwas Nennenswerthes in der Bibliothek finden werde.
Die Enttäuschung, die ich erfuhr, war außerordentlich groß. Die
Bibliothek enthält allerdings nicht weniger, als 372 Handschrif-
ten, allein eine solche Sammlung von Schund wird in der gan-
zen Welt nicht zum zweiten Mal existiren. Ich hatte mir einen
Auszug aus dem handschriftlichen Katalog gemacht und fing
dann an zu fordern: „No. 1, Chronica Eusebii. Ich bekomme
den Codex in die Hand und lege ihn sofort mit lautem Gelächter
wieder hin. Was war es? Eine im 17. Jahrhundert angefer-
tigte Abschrift aus einer Venediger Ausgabe von 1483. Der
Bibliothekar stimmte in mein Gelächter mit ein und erklärte,
der Rest sei ungefähr derselben Qualität. Das bestätigte sich
denn auch sehr rasch und als Entschädigung für die verlorene Zeit
blieb mir nur die Kenntniß der kulturhistorisch allerdings höchst
merkwürdigen Thatsache, daß noch im 17. Jahrhundert in einem
5) Vgl. Baehrens, Po&tae Latin’ minores III p. 4.
Bemerkungen tiber einige Bibliotheken yon Sicilien, 585
reichen Kloster Ménche gelebt haben, welche gedruckte Bücher,
die meist gar nicht selten oder theuer gewesen sind, abzuschrei-
ben Zeit und Lust hatten. Allenfalls bemerkenswerth in der
Bibliothek sind zwei griechische Urkunden aus dem 12. Jahr-
hundert, ein Dante, ein schönes livre d'heures und ein „Calenda-
rio in lingua rabbinica (cod. 29). Palaeographisch merkwürdig
ist daneben allerdings der Codex 37 membr. saec. XV. Er ent-
hält die Priapea und die virgilischen Catalepta. Dieser Codex
ist nämlich in einer eigenthümlichen Geheimschrift geschrieben.
Für jeden Buchstaben ist ein besonderes Zeichen angewandt,
welches buchstabenühnlich , aber kein eigentlicher Buchstabe ist,
d. h. der Schreiber hat für diesen Codex ein eigenes Alphabet
erfunden. Beispiele solchen Verfahrens sind aus dem Mittel-
alter nicht grade viele bekannt (die vollstindigste Zusammen-
stellung gibt Wattenbach, Anleitung zur lateinischen Palaeogra-
phie S. 12 f. der 4. Auflage) und es würe daher sehr dankens-
werth, wenn einer der Gelehrten der Universitàt Catania ein
Facsimile einer Seite des Codex veröffentlichen wollte: Ange-
wandt ist in diesem Falle die Geheimschrift natürlich wegen des
obseönen Inhalts der in dem Codex enthaltenen Gedichte.
So gut wie werthlos ist auch die Biblioteca arcives-
covile zuSyrakus, auf welche Büdeker ebenfalls nicht verfehlt,
aufmerksam zu machen. Für Philologen kommt höchstens der
Codex No. 7 in Betracht, welcher die „Institusioni di retorica.
di Giorgio Trapesuntio“ enthält.
Ueber die Biblioteca nazionale zu Palermo endlich
habe ich folgendes notirt:
Boethius de consolatione (IV H 15).
Catalogo della biblioteca di S. Martino (III G 11).
Catalogo della biblioteca de’ Dominicani (IL H 1 und X H 10).
Chrysoloras Erotemata vel octo orationis partes (I O 10) saec. XV.
Ciceronis Ars rhetorica (I F 8).
S. Ephraem Syri et aliorum opuscula graece I D 4.
Eusebius de evangelica praeparatione von 1466 (V H 1).
*Eugippius Vita S. Severini, Accedit historia inventionis et
translationis corporis 8. Sosii (IV C 10) Stammt aus der Jesui-
tenbibliothek zu Palermo; ist saec. XVI.
Historia Bysantina (III F 12).
578 F. Ruhl,
Man weiß,. wie eifrig in den Zeiten des Wiedererwachens der
Wissenschaften die klassischen, insbesondere die griechischen
Studien in Messina gepflegt wurden, und die Stadt war lange
Zeit wegen der zahlreichen und vortrefflichen Handschriften, die
sie beherbergte, beriihmt. Jetzt sind aber leider nur noch ge-
ringe Ueberbleibsel dieser Schätze vorhanden. Das barbarische
Bombardement von 1848 hat die Bibliothek von S. Placido ver-
nichtet (vgl. Plauti Poenulus ed. Gótz et Loewe S. XV) und
dasselbe Schicksal hat die große Bibliothek von S. Maddalena
betroffen, mit Ausnahme des Klosterarchivs, das sich augenblick-
lich in Palermo befindet. Ebenso hat das Basilianerkloster S.
Salvatore de’ Greci die schwersten Verluste erlitten; nicht nur hat
auch hier das Bombardement zahlreiche Codices vernichtet, son-
dern das Kloster ist auch durch einen Bischof eines großen
Theils seiner Handschriften beraubt worden; der Raub befindet
sich jetzt, zum Theil im Vatican!) Was übrig blieb ist vor
nicht langer Zeit mit der Universitütsbibliothek vereinigt wor-
den. Diese Handschriften von S. Salvatore wie der alte Be-
stand der Bibliothek ( die sog. codici preesistenti) sind von Herrn
Matranga in zwei getrennten handschriftlichen Katalogen recht
sorgfältig beschrieben worden. Das Verzeichnif des alten Be-
standes ist lediglich auf lose Zettel geschrieben und führt den
Titel: No. 281. Schede per il Catalogo Descrittivo dei Manoscritti
Preesistenti finite oggi 11 Giugno 1887 giorno di Sabato. Deo
gratias. Beide Kataloge haben mir bei den folgenden Aufzeich-
nungen werthvolle Dienste geleistet.
*Codex praeexistens 11 membr. oct. saec. XII. Die bekannte
Handschrift von Hesiods Werken und Tagen mit Einleitung
und Scholien von Tzetzes. Enthält 86 Blätter. Matranga hat
im Katalog folgende Bemerkung gemacht: Bisogna avvertire
quando leggesi nell’ ultima edizione del 1870 fatta in Lipsia da
Koechly e Kinkel, î quali nella Prefazione IV (vielmehr S. VII)
avvertono, che în fine i versi 744—828 sono suppliti da mano più
recente: ma niente dissero dei due fogli 85 ed 86. Non lessero.
Ebene diciamo, che nel foglio 85 sono contenuti i Versi 791 sino al
V. 802 del libro stesso di Esiodo con il Commentario di Zene; 6
. 1) Ich verdanke diese Mittheilungen Herrn Prof. Dr. Kleinenberg
in Messina.
Bemerkungen über einige Bibliotheken von Sicilien. 579
nel foglio 86 sono i versi 770 sino al V. 775... Questi due
fogli, perchè dispari ed illegibili, furono calcolati estranei da chi sup)
pli $ versi 744--828, ora però sono all’ evidenza. Das ist voll-
kommen richtig und Albert Guethe, welcher die Handschrift ftir
Kôchly und Kinkel verglich, hat sich die beiden Blütter auch
nicht weiter angesehen. Ich habe die Gelegenheit benutzt, den
Text des Hesiodos auf diesen beiden Blättern mit der Ausgabe
von Köchly und Kinkel zu vergleichen und gebe im folgenden
die Varianten, oder vielmehr ich verzeichne eine Anzahl von
Lesarten dergestalt, daB wo ich Nichts bemerke, die Handschrift.
mit dem gedruckten Text übereinstimmt, wührend ich auch eine
Anzahl Lesarten, des positiven Zeugnisses halber, mitverzeichnet
habe, in denen der Codex mit der Ausgabe übereinstimmt. 792 _
whew nuare (80) — 793 ob yelracdas oder y(rac3a: dastand ist.
nicht zu erkennen — xenvuuéros — 795 boon (so) — 796
der Accent von x«gy«godovra nicht mehr zu erkennen — 797
zmouv»t» — 799 ob wag oder juao dastand ist nicht mehr
zu sehen — 801 ot & én’ Zoyaauı — 770 Evry — muug sicher
lesbar — 771 yovoogov — Nuara sicher — 774 alle Accente
unsicher, von gw incl ab Nichts mehr zu lesen — 775 mit
Ausnahme von äuäodu, das nicht mehr zu lesen ist, Alles wie
der gedruckte Text. Auf Fol. Ir steht unter den Versen saec.
XII, die Tzetzes preisen, eine ültere Schrift; Matranga will die
Jahreszahl cu = 6414 = 906 p. C. gelesen haben; ich hatte
keine Lust, mir die Angen an dieser Minuskel zu verderben.
*Codex pracexistens 12 chart. Oct. saec, XV enthält Fol. 100
Gorgias èyxwpisov ‘Elévns.
Codex pracexistens 14. Juvenalis et Persius von 1459.
Codex pracexistens 15. "Terentius in Calliopischer Re-
cension. Vollendet 22. September 1446 in civitate Cesarauguste
per me loannem de campis. E
Codex pracexistens 21 bomb. saec. XVI Buch 1 von
Xenophons Kyropaedie.
"Codex pracexistens 62 chart. fol. saec. XV (so nach
meiner Schätzung, nach dem Katalog saec. XIV). 52 Blätter.
Auf dem untern Rande von Fol. 52" steht: Coll. Mess. Soc. lesu.
Enthält Pseudokallisthenes. Beginnt Fol 1°: Kad:
‘ otévys Îoroguoyodgpos, 6 TÀ megi 1ùv SAlnvwy Gvyygowapivog.
ovrog. baroget dAsEdvdgov xgakess: — “Agsorog [Alles bis “4 inel.
97*
580 F. Rühl,
roth] doxe? yertodos xai yervaswrarog dˣEavdgog 6 paxxedwr
(so) Idlws muvia momouperos. Guregrovour avrò eugwr (80) ae
Taig agetuic inv noovosav. tocovtoy Ev Exacıw tv iOvd» moM-
piv xoi paydpusvog dinyays yoovov, Goov ovx Teues toig Powdo-
pévoig tag modess axgıßwg Lorogjnoas. SchlieBt Fol. 527: mou
7 dAvuraüg (80) GoËEuro (so)' amo dè ing reAsving aAsEdvdgow Ewe
inc tov Feo Adyou èx nugdérou cagxwoews Em xd (80): — té-
200 tw dorms tégua dofa tin xai xgatog: — Danach scheint
der Codex zu der durch den Codex B bei Müller reprisentirten
Recension zu gehoren.
Codex praeexistens 110. Roma instaurata und Italia tl-
lustrata des Blondus.
"Codex praeezistens 278 chart. fol. saec, XV —XVI. Ge-
schenk des Pater Filippo Matranga 1887. Fol. 1" ©sodweov
avayvuotov xwvotuvivovmodews exxdnovatsxig toroglag PußAlor
a. Ex tivo yripou x. r. 4. Schließt Fol. 15": rovro d’ fv noù-
rov 175 diaxociootie cyddng ÖAvunıadog bnatelas (?) tavegow (so)
xai yAwgıvriov 175 teltys tov rosufolov unvos. Téhog rov 8 Pr
BAtov. Das ist also der unedirte Text, von dem Leo. Allatius
bei Mai, Bibl. nov. VI p. 153 f. handelt und von dem er ein
Stück mittheilt (wieder abgedruckt bei Migne, Patrologia Graeca
LXXXVI 1 S. 159).
*Codex S. Salvatoris 29 membr. forma maxima saec.
XI—XII in zwei Columnen geschrieben. Geistlichen Inhalts,
sogenannter Metaphrastes. Die untere Schrift, gleichfalls in zwei
Columnen geschrieben, steht zuweilen auf dem Kopf. Auch sie
ist geistlichen Inbalts, besteht aus Uncialen und enthält einen
Psalmeneommentar. Hier und da ist sie sehr bequem zu lesen, z. B.
Fol. 557: ELCTOTEAOCENYMN OIC | X&AMOC TW (so)
A&A, ohne Worttrennung, Accente und Spiritus. Die Unciale
ist indessen nicht überall von derselben Hand; Fol. 169 z. B.
zeigen sich auch Spiritus und Accente, wie mir schien von ei-
ner späteren Hand, welche auch Correcturen in Minuskel aus-
geführt hat. Herr Dr. Reitzenstein, der einige Zeit nachher auf
meine Veranlassung den Codex in behaglicher MuBe untersuchte
schreibt mir, daf nur die Ueber- und Unterschriften den älteren Cha-
rakter trügen, der Text dagegen in der „schräg liegenden schmalen,
spitzen Uncialschrift geschrieben sei, welche jetzt gewöhnlich dem
Bemerkungen tiber einige Bibliotheken von Sicilien. 581
VII— IX Jahrhundert zugewiesen wird". Hoffentlich werden
wir von Reitzenstein noch mehr über die Handschrift erfahrén,
Im Ganzen befinden sich unter den Handschriften von S. Salva-
tore 18 Palimpseste.
*Codex S. Salvatoris 63 membr. fol. saec, XII. Ent-
halt allerlei geistliche Schriften, Heiligenleben und Aehnliches.
Darin Fol 217": ’/ovdsavòs Baosdeds Buovheiw ènioxonw rxasca-
oelas xannadoxtus. To Fugvróv wos éx nasdotsv yadsvov xaù ps-
AcvFowmov Ernidesavvuevos wéygs 100 magóvrog x.t. 4. (== Julian.
ep. 75 Hertlein). Der Brief schließt Fol. 218" & yag avéyvus.
xatéyvwv. Es folgt: Busileos Eníoxonog Kusstugelag Kanna-
doxtas tovdisava faciei: — Miro Gov TA THs magovons rire
dvdguya3nuara x. v. À. B
"Codecs S. Salvatoris 84 membr. saec. X—XI. Vorn
und hinten verstiimmelt; vom 1. Quaternio fehlen Blatt 1 und
8; angeblich Galenos, in Wirklichkeit eine Excerptensammlung
aus Galenos, Oribasios und Anderen. Beginnt jetzt Fol. 1":
aloFnow È... .. oróqur?) xururojous (80) capwe eFeloug. im-
x(xidó0 te xai x. x. A. Fol. 1" verklebt. Fol. 2" beginnt ddy-
dov yao else dia Tv Orvwur eire dia tiva tv Émiusunyuévwy abri
movotntwy. ere diumporsgag Erjoynoev nsos tò mAnovafov (o aus
w) avt odpa x. 1.4. Fol 6" Mitte: zwv Cour aqixeoPas
pógia > CYNOYCIC TUN ATTA ON PAPMAKQN: — ABPO-
TIONON , 93eguo» sor, xoi Enodr (Accent von 2. Hand) zi
dvvanı x. t. À. Fol. 58% am Ende: xoà udQora a vim |
CYNAVIC (so) T8 ÍT TWN ATTAWN | PBAPMAKWN FAAING
(so) KAI T8 | TTEPI TPOGXUN AYNAMEWN | AOTOC &: +9).
Fol. 59° KEDANEA T8: B: AOFOY +. Fol. 62: TIEPI TON
THC THC AIADOPGN KAI AIGCUN KAI METAAIKON . KAI THC
ATTO TON ZWWN OPENIAE EK TON |‘ATTAQN TA (= Tä-
2) Die Punkte bedeuten Buchstaben, welche ich im Augenbliok
nicht lesen konnte; wer Zeit hat wird sie wohl ohne besondere Mühe
entziffern können.
3) Vgl. Blume Iter italicum IV S. 108. Blumes Bibliotheca Mas,
Italica fehlt auf der hiesigen Bibliothek. Ich glaube indessen, sowohl
nach Blumes Bemerkungen im Iter wie nach Notizen, die ich mir
früher aus dem Buch gemacht hatte, da8 ihre Nichtbe nutzung diesem
Aufsatz nichts geschadet hat.
594 L. Bornemann,
lipse nach wg ore ist hart und bisher nicht entsprechend belegt.
Ferner was ist Objekt zu naËousr? Man wird sich am ehesten
dafür entscheiden, als solches den Akkusativ Jalauor zu er-
günzen; aber dann ist die Parallele Sunrov ué£yagov unschün.
In welchem Verhültnisse stehen überhaupt diese beiden Begriffe?
Warum wird das :909voov mit den goldenen Säulen evresyés
genannt? Endlich: will Pindar als m069vgov eine recht schöne
Einleitung machen ? — wo ist sie? — oder soll man das ganze
Lied als schóne Einleitung eines Herafestes (Leop. Schmidt) oder
ühnlich fassen ? Es will uns scheinen, als gübe die oben ge-
zeichnete Gesammtlage, für welche nach unserer Ansicht die Ode
gedichtet ist, die Lósung dieser Schwierigkeiten an die Hand.
»Wir wollen jetzt bauen ein stattliches Haus“ d. h. Agesias
tritt in eine neue Wirksamkeit ein. Dazu stellt der Dichter
die Vorhalle mit goldenen Sáulen her, indem er die Siegesfeier
durch sein Lied schmückt. Somit werden wir auch nicht an
einen Tempel, sondern an eine Privatwohnung, Palast (ufyag«)
denken müssen, im allgemeinen einfach gehalten, aber mit za-
quorades xui n009voa (vor der hinter die Flucht des Hauses
zurückgezogenen Juge) moxida Cratin. bei Poll. 7, 122, bezw.
mit goldbelegten Pfeilern (vgl. das Haus des Alkinoos Od. 7,
89). Ferner ist nicht das ayodvgor, sondern der Fudapog als
„wohlummauert“ anzusehen, ein sicherer Wohnraum bezw.
Schatzkammer. Die ganze Stelle aber dürfte mit geringfügiger
Aenderung einiger Endungen folgendermaßen ohne die beregten
Anstöße gut zu lesen sein:
Xqvosag ómooráGavieg evtes|yîj noo9vQm Juluuor
xlovas wc Ste Jun| riv ueydowy
nuËouev.
Die kühn verschlungene, auf den ersten Blick auffallige Wort-
stellung wird durch die rhythmische Zweitheilung beider Verse
aufgelöst. Noch ist zu erinnern, daß logisch im Participium
vnvordouvies das Hauptverbum des Satzes liegt. Also: zum
Schmuck des aufzufiihrenden neuen Palastes will Pindar goldene
Pfeiler unter die Vorhalle riicken und mit seinem Liede dem
unternehmenden Agesias fröhlich getrosten Muth erwecken.
Seht, er zieht mit Preis gekrént zu neidlosen Mitbiirgern. In
Gottes Namen tritt er in den immerhin nicht gefahrlosen Beruf
ein. Für ihn ist Agesias geschaffen; denn Adrast's Lobrede
Pindar’s sechste olympische Ode. | 595
auf Amphiaraos, als ihn die Erde verschlang, und nachher
(Ewesru Vs. 15) dessen rühmendes Wort paßt auf ihn: ein Seher
und Krieger, des Heeres Stern, ist dahin. — zeisos&vrwv als
feierlichen Ausdruck für „verzehren, vernichten“ halte ich durch
den entsprechenden Gebrauch von &rvw P 12, 11. Od. 24, 71
u. ä. (auch éasvw) für hinreichend gesichert und schreibe in .
Anlehnung an die Vermuthung Bernhardy's azvgai;. |
Mit dem zweiten System beginnt der Haupttheil Phintis,
der Wagenlenker, soll dem Dichter die siegreichen Mäuler ein-
schirren; denn gerade diese, denen der Dichter die Thore der
Lieder aufthut, werden besser als andere ihn zu dem Volke der
Helden und ihrem Geschlecht führen. Der Weg ist lang; es
gilt, schnell auf freie Straße zu kommen: noch heute muß der
Dichter am Eurotas sein. — Den Uebergang auf die Ahnen des
Siegers vergleicht der Dichter mit einer Fahrt von Stymphalos,
dem Lokal der Feier, nach Pitana; eine tüchtige Leistung, zu
welcher der gewöhnliche Reiter wohl 20 —24 Stunden gebrauchen
würde, zumal da anfangs der Weg noch beschwerlich ist. ¢
ruyos ziehe ich zum Finalsatz, nicht zu bei£or. Statt des me-
trisch unmöglichen o«uwsoov dürfte ouuéoous zu lesen sein. —
Pitana gebiert vom Poseidon die Euadna. Sie muß ihren Lieb-
ling bald fortgeben, aber in der Fremde segnet Apoll die Toch-
ter durch die Geburt des Iamos (Ende des 2. Systems).
Die Erwähnung beider Stammmütter ist um so mehr am
Platze, weil Agesias nach Vs. 77 der Nachkomme einer Iami-
din ist. Mit Vs. 34 erreicht das Lied wieder das Arkaderland,
speciell die Gegend von Stymphalos. Freilich man hat über die
Lage von Phaisana allerlei Vermuthungen aufgestellt (zuletzt v.
Wilamowitz S. 75 f), aber zugleich sich nichts daraus gemacht,
daß der betr. Vers metrisch unmöglich ist wegen der ersten Silbe
von «vacos. Ueberdies ist aus Pausanias klar, daß die Herr-
schaft des Aipytos in der Gegend von Stymphalos ihren Sitz
gehabt haben muß. Damit scheint nun freilich nicht zu stim-
men, wenn Pindar den Alpheus erwähnt. Wie ist das zu rei-
men? Vs. 58 heißt es von Iamos: ’ Algen puéoc® xuraßus.
Mit Recht wundert sich v. Wilamowitz 8. 176 über die Idee,
daß er mitten in den Fluß gestiegen sei, um den Meergott zu
rufen. Indessen xurufulvw ist nicht == éufalyw oder éyxara-
fuirw, und *,4Agsóg uéocos ist (cf. P 9, 118. J 6, 5) der Mit-
38 *
596 L. Bornemann,
tellauf des Flusses, etwa wo Ladon und Alpheus zusammen-
fließen. Dort an der Grenze des Heimathlandes ruft Iamos den
Meergott; und Apoll (denn damals rief Poseidon ihn nicht, wie
jetzt den Agesias) führt ihn weiter nach Olympia. Mithin ver-
lebte Iamos seine Jugend am oberen Alpheus. Das stimmt aber
mit Vs. 35, wenn es erlaubt ist anzunehmen, daß Pindar den
Ladon meint, wie heutzutage der ganze Fluß den Namen des-
selben rechten Quellflusses Rufia trügt. Mit der Tendenz des
ganzen Gedichtes verknüpft sich aber diese ausdrückliche Nen-
nung des Alpheus im 2. und 3. System, weil die Quelle Orty-
gia in der neuen Heimath des Siegers das &urrvevua Geuvor ’ Al-
peov ist. Es ist ferner die metrische Schwierigkeit Vs. 35 zu
beseitigen. Da das kurze @ von «raoce nur als neunte Silbe
des Verses seinen Platz haben kann, wage ich es, den Namen
Pascuva anzutasten und mit der bei Eigennamen hiufigen Auf-
lösung der Länge des Epitrits zu schreiben:
os avdgwy” Aoxadwy Devi cavuccey xoi Aayer ’ Ad-
peòv olxeiy.
Vom Gott ist Euadna gesegnet. Das bleibt dem Aipytos
nicht für immer verborgen. Freilich das Jeoio Vs. 36 ist in
gewissem Sinne proleptisch gesprochen, sofern dies wenigstens
nicht sofort zu des Pflegevaters KenntniB kommt. Vielmehr er
geht zum Orakel, „den unsagbaren Kummer mit scharfsichtiger
Ueberlegung niederhaltend“ (Vs. 37), während sie in lieblicher
Umgebung unter des Gottes Beistand dem Iamos das Leben giebt.
Damit treten wir in das dritte System ein: das Iamoskind,
natürlich ein Typus des Siegers. Es wird leicht (aùr(x«) gebo-
ren oo ondiyyrwy $m wdivog t &oarüs. Die Bedenken v.
Wilamowitz’ S. 165 gegen die herkömmliche Erklärung theile
ich. Indessen wenn wir uns erinnern, daß Vs. 31 «díg Euadna
selber war und auf sie das Beiwort éger« paßt, so finden wir
nichts anderes als die epexegetische Zufügung mit zs, wie in
O 1, 38 £pavov giur te Sinvdov oder J 7, 1 KAedvdog alızla
ze oder N 8, 46 nurou Xuquudarg te. — Sie muß ihn allein
lassen, aber Schlangen nähren ihn. Er ist ja ein Sohn des
Phoibos, von dem auch allerlei Zukiinftiges geweissagt ist. So
liegt er geborgen und versorgt. Und als er (im. y”) zum Jüng-
ling gereift ist, da führt ihn des Vaters Ruf zu einer A«orgogog
nuo, von welcher als dem Besitze der Iamiden das vierte Sy-
Pindar’s sechste olympische Ode. . 8691
stem redet. — Man übersetzt pauas oma» gewöhnlich „hinter
meiner Stimme her“. Ein recht überflüssiger Zusatz, in welchem
weder der Begriff p«ua (was nicht = Ywr« ist) noch der Be-
griff 0mcJev (was nicht = dxolovPwr ist) richtig gefaßt ist.
Besser hat schon ein Scholion Smo9ev von der Zeit verstanden:
Olympia wird künftig eine allgemeinsame Stätte sein, nämlich
eine Stätte der Weissagung (pduu).
Nun folgt das Glück der Iamiden (viertes System) und
zwar erstens (str. d°) die Sehergabe, sodann aber (ant. und ep. d)
oAßos, agetai und gavega 0doc. Jeglichem Dinge setzt der Neid
ein Ziel (so rexuuloes Vs. 73), und dieser (ix d') trifft gewóhn-
lich solche, die wie Agesias zum ersten Male gesiegt haben.
Aber hier schweigt der Neid, wie wir schon Vs. 7 hürten,
Vom Glücke des Agesias heißt es nicht: rexualgetas, sondern
xgaívera,, nemlich durch den Ruf nach Syrakus. Und das ist
ein Geschenk des Hermes Kyllenios, des hóchstens Gottes jener
Gegenden (Paus. 8, 14, 10, wo auch der ayw» "Eguosa erwähnt
wird) So gewinnt Pindar ungezwungen den Uebergang zu
- Hieron, dem auch er persönlich nahe steht; das ist der Stoff des
folgenden 5. Systems. — Vs. 81—88 habe ich in den Jahres-
berichten von Bursian-Müller 1885 I 92 folgendermaßen herzu-
stellen versucht: xgaíve céder sdruylas dokar. Erw vw ini yhwoog
áxovay Awvgav, | à m êSélorra nçodyes xadlsodossi nvoaig.
Zum fünften System ist Folgendes zu bemerken. Schon
bei Besprechung des Programms von Seeliger Die Ueberlieferung
der griechischen Heldensage bei Stesichorus 1886, im philol.
Anzeiger 1887 S. 16 habe ich angedeutet, daß für mich der
vielbesprochene .4ivéag des Vs. 88 eben der trojanische Held
als Typus des Agesias ist (wodurch dann allerdings „der Ver-
such, die römische bezw. italische Aineiassage über das 4. Jahr-
hundert hinaus rückwürts nachweisen zu wollen“, sichergestellt
würde). Ich fasse nemlich Alvea als Genetiv und lese 'Eguav
naodeviav. Nebensächliche Gründe sind, daß éraïgos ein beliebter
Ausdruck für Leute wie die Argonauten ist, daB P 328 von
Apollo gesagt wird Alvelav wıguve, daß bei Orchomenos das
Grab des Anchises gezeigt wurde (Schliemann Ilios 190). Viel-
mehr mit der plôtzlich auftauchenden Hera hat man nichts Rech-
tes anzufangen gewußt, und der Chorege Alvelag ist (wie "Mag
O 11) eine müssige Erfindung der Scholiasten. Dagegen die
598 NL. Bornemann, Pindar's sechste olympische Ode.
Bezeichnung des Hermes als z«g9ertag (vgl h. in Merc. 1—9
und Il. 16, 179) paßt zu dem Bilde des Agesias, und Hermes
steht inmitten der tabula Iliaca nach Stesichoros als Geleitsmann
neben dem AINH AS. Ihn gilt es zu feiern, und das hat Pin-
dar von Vs. 77 ab gethan. — Jetzt kommt das Zweite, der
Preis des Hieron. Nicht etwa soll, wie man gewöhnlich erklärt,
der Chorfiihrer oder sonst wer konstatieren, ob Pindar mit seinem
Liede den Schimpfnamen „böotische Sau“ verdient (!). Vielmehr
Agesias und seine Genossen sollen demnächst sehen, ob der Dich-
ter mit wahren Reden (über Hieron) den Ruf der plumpen bóo-
tischen Sau meidet, d. h.: ob er fein héflich und doch auch wahr-
heitsgemäß redet, was er zu reden sich anschickt. Der «&yys4og
ist, wie oft, der Dichter selbst, und er will 6g90¢ sein neben
aller yluxurnç. Treffend und schön nennt er sich oxviada: Hi-
eron soll diese Worte lesen, indem er zu ihrem Verständniß die
Erinnerung an Pindars Persönlichkeit braucht. Und nun läßt
er Syrakus grüßen und Ortygia und preist den Hieron. Deme-
ter bei Hieron ist — neben Zeus — eine heimathliche Erinne-
rung fiir Agesias; vgl. nicht bloB Paus. 8, 15, 4, sondern auch
die Miinze von Pheneos Friedlaender und Sallet Nr. 153, welche
auf der einen Seite die Demeter, auf der anderen Hermes mit
dem jungen Arkas darstellt. Endlich bittet der Dichter um
festfreundliche Aufnahme des Agesias, der nun in einer zweiten
Heimath einen zweiten Anker seines Lebensschiffesi finden soll.
Poseidon móge gute Fahrt geben und drüben die! Blume des
pindarischen Liedes d. h. den Agesias blühen und gedeihen
lassen!
Hamburg. | L. Bornemann.
Zu Tyrtaios und Sappho.
Tyrt. Fragm. 11, 37 Bergk ist zu schreiben: dovouot re
Esorolow dxovrttovtec, dutije | Toiou navonAos0ı nAnolov tora pevot
Die Ueberlieferung hat 2; adzove für cutie.
Sappho Fr. 1 Bgk. ist die corrupte SchluBstrophe etwa in
folgender Weise zu verbessern: #49 puo. xai vor, yalfnav dè
Avooy | zx pegluvay, 000a dé wos télecous | Jopoc imégges s OÙ
télecoov uvia | cvuuayog %oou. Die Form toon = ovoa findet
sich übrigens auch Fr. 75, 4.
Hannover. C. Haeberlin.
Pindar’s sechste olympische Ode. 595
auf Amphiaraos, als ihn die Erde verschlang, und nachher
(Euesrx Vs. 15) dessen rühmendes Wort paßt auf ihn: ein Seher
und Krieger, des Heeres Stern, ist dahin. — sclsodérrwr als
feierlichen Ausdruck für „verzehren, vernichten“ halte ich durch
den entsprechenden Gebrauch von avuw P 12, 11. Od. 24, 71
u. ä (auch £ærvw) für hinreichend gesichert und schreibe in
Anlehnung an die Vermuthung Bernhardy's zugeis.
Mit dem zweiten System beginnt der Haupttheil. Phintis,
der Wagenlenker, soll dem Dichter die siegreichen Máuler ein-
schirren; denn gerade diese, denen der Dichter die Thore der
Lieder aufthut, werden besser als andere ihn zu dem Volke der
Helden und ihrem Geschlecht führen. Der Weg ist lang; es
gilt, schnell auf freie Straße zu kommen: noch heute muß der
Dichter am Eurotas sein. — Den Uebergang auf die Ahnen des
Siegers vergleicht der Dichter mit einer Fahrt von Stymphalos,
dem Lokal der Feier, nach Pitana; eine tüchtige Leistung, zu
weleher der gewóhnliche Reiter wohl 20 —24 Stunden gebrauchen
würde, zumal da anfangs der Weg noch beschwerlich ist. ¢
tuyoc ziehe ich zum Finalsatz, nicht zu Gei£or. Statt des me-
trisch unmöglichen o«wsoov dürfte ouuégous zu lesen sein. —
Pitana gebiert vom Poseidon die Euadna. Sie mufì ihren Lieb-
ling bald fortgeben, aber in der Fremde segnet Apoll die "Toch-
ter dureh die Geburt des Iamos (Ende des 2. Systems).
Die Erwühnung beider Stammmiitter ist um so mehr am
Platze, weil Agesias nach Vs. 77 der Nachkomme einer Iami-
din ist. Mit Vs. 34 erreicht das Lied wieder das Arkaderland,
speciell die Gegend von Stymphalos. Freilich man hat über die
Lage von Phaisana allerlei Vermuthungen aufgestellt (zuletzt v.
Wilamowitz S. 75 f), aber zugleich sich nichts daraus gemacht,
daB der betr. Vers metrisch unmüglich ist wegen der ersten Silbe
von «racce. Ueberdies ist aus Pausanias klar, daß die Herr-
schaft des Aipytos in der Gegend von Stymphalos ihren Sitz
gehabt haben muB. Damit scheint nun freilich nicht zu stim-
men, wenn Pindar den Alpheus erwühnt. Wie ist das zu rei-
men? Vs. 58 heißt es von Iamos: ° Alpe uéoo® xutafus.
Mit Recht wundert sich v. Wilamowitz S. 176 über die Idee,
daß er mitten in den Fluß gestiegen sei, um den Meergott zu
rufen. Indessen xuraf fvw ist nicht = éguBulrw oder éyxara-
fuirw, und ° 4Agqsóg uéocog ist (cf. P 9, 113. J 6, 5) der Mit-
38 *
600 Christian Cron,
nennen ihn nunmehr mit Bernays und anderen?) ohne weitere
Prüfung der Ursprungsfrage Hippolytus —, zu Anführung he-
raklitischer Sätze bestimmt und beim Auswihlen derselben leitet,
eine polemische ist. ,,Er behauptet und will den Beweis schwarz
auf weiß führen, daß Noëtus, ein Ketzerhaupt aus Smyrna, sein
theologisches System in allen Stiicken, die von der orthodoxen
Lehre abweichen, dem Buche des Ephesiers Heraklit entnommen
habe; demnach sei N. nicht Xgsorot uasnıng sondern, wie es
mit anzüglichem Doppelsinn heißt, uamsÿç tov oxorssvoè“. Der
Geist aber, in welchem H. diesen polemischen Nachweis zu
geben versuche, sei der Geist einer theils buchstäbelnden, theils
Consequenzen machenden Deutelei.
So vorbereitet treten wir an den wichtigen, das neunte und
zehnte Kapitel des neunten Buches umfassenden Abschnitt der
Schrift des H. heran, welchen Bernays seinem Wortlaut nach
mit beigefügten kritischen Anmerkungen (S. 75—78 und 78—101
d. GA.) mittheilt. Dieser Abschnitt enthält nun gleich im An-
fang die Sätze, welche man zum Theil auf die Gewähr des Ari-
stoteles ziemlich allgemein an die Spitze der aus der Schrift des
Heraklit erhaltenen Bruchstücke setzen zu müssen glaubt. Doch
bieten sowohl Ein- als Anführung erhebliche Schwierigkeiten.
Zunächst lesen wir: 'HocxAuroc piv ovv grow sivas 10 nav deus-
08107 adeatostovr, yevniòv üyévqvov, 9vqróv á2avarov, Aóyov, aldiva,
zaréga viov, Ieov dixacov. Ovx duov adda rov AOyov
àxovcavrag ónoAoytiv cogo» ècrer, Ev ravira eìdé-
vas 0 ‘Hoaxietés qgow xıe. Die durch den Druck hervorgeho-
benen Worte werden damit als Worte des Philosophen bezeich-
net. Bernays unterzieht nun die ganze Stelle in Bezug auf ihren
Wortlaut und Sinn einer eingehenden Prüfung, deren Ergebnif
er in einer Uebersetzung mit beigefügter Begründung darlegt.
Erstere lautet: ‘Heraklit sagt das All sei 1) theilbar untheilbar,
2) geschaffen ungeschaffen, 3) sterblich unsterblich, 4) Wort, 5)
ewige Zeit, 6) Vater Sohn, 7) richtender Gott'. Dazu bemerkt
er: ,Allein schon aus dem was Hippolytus im weitern Verlauf
dieser Kapitel über die noetianische Lehre mittheilt, erhellt klar,
2) Nicht Lagarde, der von seiner 1858 unter dem Titel ‘Hippolyti
Romani quae feruntur omnia Graece! erschienenen Ausgabe die Refu-
tatio haeresium ausschlo8, offenbar als eine der Ueberlieferungen, quae
in codicibus veteribus Hippolyto non adscripta Hippolyto tribuere recen-
tiores.
Zu Heraklit. 601
daß das 2. 3. und 6. Paar von verschlungenen Gegensätzen als
heraklitische Lehrstücke deshalb hervorgehoben werden, weil die
ungetrennte Einheit von Geschaffen-Ungeschaffnem, Sterblich-Un-
sterblichem, Vater-Sohn die Grundlage des Noetianismus bildet.
Und da... den Noetianern zufolge auch Aoyog ganz gleich
vios und dieser gleich mazze, also alle drei nur eines sind: so
springt nicht minder deutlich in die Augen warum das mit »u-
mo und vió; zusammenfallende All nun auch an 4. Stelle als
Acyos erscheint Weniger klar freilich liegt in der 1., 5. und
7. Nummer der Tabelle die Rücksicht auf den Noetianismus su
Tage; sie wird sich erst weiterhin bestimmen lassen bei Behand-
lung der heraklitischen Belegstellen; wie denn tiberhaupt zwischen
der Tabelle und den Citaten diese Wechselbeziehung stattfindet,
daf die Tabelle die Rubriken aufführt, nach welchen die Citate
ausgesucht und im allgemeinen geordnet sind, hinwieder die Ci-
tate benutzt werden können um die Bedeutung der einzelnen
Rubriken festzustellen und auch die Lücken zu ergänzen, durch
welche, wie gleich das erste Citat ausweist, die Tabelle in unserer
Handschrift verstümmelt ist“. |
In dieser Darlegung erscheint zunächst bemerkenswerth, daß
B. in den mit ‘Hodxhesrog uèr ov» nov eingeführten Worten
nicht eine Anführung aus Heraklits Schrift sieht, sondern ein
vorausgeschicktes Inhaltsverzeichniß, um die Rubriken anzugeben,
nach welchen die Lehrmeinungen der Noetianer auf Sätze aus
der Schrift des Heraklit zurückgeführt werden sollen. Für diese
Auffassung kann nun einigermaßen der Umstand geltend gemacht
werden, daß die Worte in abhüngiger Form erscheinen und daß
die folgenden Worte sich nicht an dieselben anschließen, sondern
viel augenscheinlicher das Gepräge eines Anfanges an sich tragen.
Demzufolge hat denn auch Bywater diese Worte an die Spitze
seiner Sammlung der erhaltenen Bruchstticke aus dem Werke des
Ephesiers gesetzt und andere folgen seinem Vorgange. Diese
Annahme hindert aber nicht, die vorausgehenden Worte an diese
anzuschlieBen, da sie der Schriftsteller um ihrer Bedeutung willen
für die Bekämpfung der Irrlehrer kénnte vorangestellt haben,
so daß er ihnen nachträglich ihre Stelle im Zusammenhange der
Schrift des Philosophen anweist. Und diesen Eindruck macht in
der That die unverbundene Aufeinanderfolge der beiden Sätze
mit ihrem doppelten of. Dadurch findet dann auch die Form
602 Christian Cron,
der Abhängigkeit ihre natürliche Erklärung in dem Anschluß
an owoloysiv cogpov dor, von welchem nach der überlieferten
Lesart mit der von Miller vorgenommenen und allgemein aner-
kannten Verbesserung die Worte fr navra eldéras abhängen.
Freilich unangefochten kann diese Lesart anch so dann nicht
bestehen. Man müßte dann auch mit Miller sidévas in evo;
verwandeln. Aber gerade gegen diese Aenderung spricht sich
Bernays entschieden aus mit dem stärksten Tadel gegen Miller
und Wordsworth, der ihm folgte?) Er bezichtigt sie leichtfer-
tiger Oberflüchlichkeit, die sie ganz übersehen lief, da8 Heraklit,
sobald er den Satz fv nuvra sivo, ausgesprochen hätte, aufgehört
haben würde ein Herakliteer zu sein und ein Eleate geworden
wire. So trügt denn Hippolytus, freilich etwas in Widerspruch
mit der früheren Kennzeichnung, das Lob davon, zu ehrlich ge-
wesen zu sein, „um in dem heraklitischen Wort eidévas die zwei
Buchstaben de zu lóschen, auf deren An- oder Abwesenheit so
viel für seine Polemik ankommt“. Denn daß in diese sidfyas
nicht paBt, erkennt B. selbst so unbedingt an, daB er, um die-
sem polemischen Bedürfniß Rechnung zu tragen, in den Einlei-
tungsworten & vor gnoır sivas r0 mv einzuschalten für nöthig
findet*). Diese Aenderung, der merkwürdiger Weise auch By-
water in der Anführung der Fundstelle unter der Rubrik Testi-
monia Raum gibt, vermag ich in keiner Weise gut zu heilen,
da das Prädikat & dem All doch am wenigsten selbst von Hippo-
lytus da kann beigelegt werden, wo eine ganze Reihe verschie-
dener, zum Theil entgegengesetzter Bestimmungen von ihm aus-
gesagt werden. Zugleich schrumpft mit dieser Aenderung, durch
welche ja mindestens ebenso augenscheinlich dem Heraklit die
Lehre der Eleaten zugeschrieben wird, das dem Hippolyt ertheilte
Lob der Ehrlichkeit ein zu dem Vertrauen auf die leichtfertige
Oberflichlichkeit der Leser, die er im Auge hatte, und zwar so-
wohl Freund als Feind.
Man wird nicht leugnen kónnen, daf diese Deutung etwas
gekünsteltes hat, womit man sich nur dann befreunden dürfte,
wenn es kein anderes Mittel gibt, den Heraklit vor der Gefahr
zu bewahren sich selbst untreu zu werden. Dieser würe er frei-
8) Wordsworth schrieb ein Werk über Hippolytus, das 1858 in
London erschien. S. Bernays G. A. I S. 102 ff.
4) G. A. S. 82.
Zu Heraklit. 608
lich unentrinnbar verfallen, wenn ihm der nach Bernays von
Hippolyt nur untergeschobene Satz f» ro má» nachgewiesen wer-
den kénnte5). Wäre dies aber auch der Fall, wenn er behaup-
tete £v ndvra dort? — Besteht nicht doch zwischen beiden Aus-
drücken ein Unterschied, der móglicher Weise einer verschiedenen .
Auffassung Raum gibt? In ersterem ist & unbedingt Prädikat,
in letzterem kann es wenigstens auch Subjekt sein 5. Dann
würde z«vra das Prädikat und von dem f» nur ausgesagt, daß
ihm alle Bestimmungen zukommen, insbesondere auch die, welche
ihm in dem einleitenden Satz beigelegt werden. Diesen hat By-
water unter den Bruchstücken selbst keine Stelle gegönnt, nimmt
aber gleichwohl die Aenderung elvas statt eldévas trotz dem ihr
von Bernays gesprochenen Urtheil auf. Man könnte sich darüber
wundern, da er unter diesen Umständen ja nicht zu einer Aen-
derung des überlieferten Wortlautes genóthigt war. Es ist also
wohl anzunehmen, daß ihm der Ausdruck fv marre sidtras we-
niger heraklitisch dünkte als der andere f» narra elvas, den er
dann aber auch wohl: so verstanden haben muß, wie eben darge-
legt worden ist ?).
Noch in anderer Hinsicht weicht Bywater von Bernays ab,
Er führt die in dem einleitenden Satz von Bernays unter: N. 4)
und 5) gesondert aufgeführten Begriffe Aoyor und alwra eben-
falls als ein zusammengehóriges Paar vor. Es ist nicht zu
leugnen, daß die vorher und nachher in paarweise zusammenge-
stellten gegensützlichen Begriffen sich bewegende Rede durch die
dazwischentretenden Einzelbegriffe in störender Weise unter-
5) Dazu wird wohl niemand Fr. 59 verwenden wollen, welches bei
B. lautet: Zuvaysıns obla xai ody: obla, cvugscousror dapsgousror,
cuvadov diGdov: ix ndviwy Ev xai, i£ Evig ndvra.
6) Auf andere Art sucht Schuster (H. v. E. S. 82) zu helfen, in-
dem er das überlieferte iv navta sidivas in ivavrtia navıa 8v sivas um-
wandelt und auch das von B. empfohlene & sivas 16 naw bereitwillig
annimmt, dagegen die von Mullach beliebte Aenderung Br «d»ra yé-
vesta: als „ganz gewaltsam“ verwirft. Der Forderung des Sinnes
würde sie gut entsprechen, aber nòthig erscheint sie nicht.
7) Es ist bemerkenswerth, da8 Bernays in der Anzeige von By-
waters Sammlung der Bruchstücke Heraklits (Philosophische Monats-
hefte hrsg. von C. Schaarschmidt 1877. G. A. I. S. 106 —108) diese
Abweichung von seiner mit solchem Nachdruck verfochtenen Ansicht
nicht rügt, ja nicht einmal erwähnt, und überhaupt dem Lobe .,selb-
ständiger Sachkunde und planmäßiger Sorgfalt" keinerlei Beschrän-
kung beifügt. Daß Bernays selbst in der Zwischenzeit seine Meinung
geändert habe, ist wohl kaum anzunehmen.
€
604 Christian Cron,
brochen wird, eine Ausgleichung daher wohl erwünscht würe.
Ob sie freilich in der Zusammenstellung von Aöyov und aldvu
zu einem Paare kann gefunden werden, erscheint mehr als frag-
lich. Denn was sollte Aoyog in dieser Verbindung mit aw» be-
deuten? Wort, Gedanke, Vernunft, Verstand, Rede?®). Geht
man, um der Vieldeutigkeit des Wortes Aéyoc zu entrinnen, von
alu» aus, so bietet sich hier der Begriff ‘Lebenszeit’ und ‘ewige
Zeit oder Ewigkeit’ dar. Dieser Begriff kénnte zu zwei Paaren
von Gegensätzen hinleiten: zu ‘Raum und Zeit’, beide als all-
umfassend gedacht, und zu ‘Zeit und Ewigkeit’, eine Zusammen-
stellung, die uns beinahe noch geläufiger ist als die andere.
Aber auch dem Heraklit, bei dem nicht einmal das Wort ygoros,
das man zur Bezeichnung des Gegensatzes nothwendig hätte,
nachweisbar ist?)? Dieses Bedenken füllt nun freilich bei der
trümmerhaften Ueberlieferung der Gedanken und Aussprüche des
Philosophen nicht allzusehr ins Gewicht. Der «lw» dagegen fin-
det sich noch in einer gut bezeugten hóchst eigenthümlichen
AeuBerung. Sie lautet bei Bywater Fr. 79: Æiwr meig ieu
rullwv mecoevwy* nudos y Baordntn. Ohne auf die weiteren den
Wortlaut betreffenden Fragen, die doch für die Auffassung nicht
von wesentlicher Bedeutung sind, näher einzugehen, bemerken
wir nur, daß Pfleiderer diesem Ausspruch des Philosophen eine
besonders eingehende Untersuchung widmet, deren Spitze gegen
Bernays gerichtet ist. Er sucht nachzuweisen, daß das Spiel
eines Kindes, das am Meeresufer Sandhüufchen baut und wieder
8) Pfleiderer fügt noch dazu ‘Einzelverhältniß’ und vereinigt die-
sen Begriff mit dem ‘gesammter Weltgang' zu einem Paar. Diese
Bedeutung scheint mir mehr écharfsinnig ausgeklügelt als einfach
wahr und für sich selbst sprechend.
9) Doch erscheint das Wort und zwar in einer ganz entsprechen-
den Ausführung bei Sk ythinus (vgl. Ph. A. 17, 6. 7) nach einer An-
gabe des Stobäus in den Ecl. phys. (vgl. Bernays G. A. S. 67). Bywa-
ter (App. IIl fr. 2) stellt daraus folgende Jamben her:
Havtwy piv Vorariv te xai nQuTov yoovos,
Eyes d? ly iautw navia x&otv els asi.
xoùx slow ovvsautag 06 nagéoystas
évertiny TOv nycadev ivsaviwy 6d0v°
To yao aigsoy uiv. y9éc, 10 dè yFés abpsov.
Ueber den Werth dieses Bruchstückes aus dem Gedicht des Sky-
thinus negi gicews bemerkt Bywater in der Vorrede S. VII: Seythi-
nus in altero sultem fragmento apertissime Heracitissat. Die Vermu-
thung, daß yodvov aiwva zu lesen sei, finde ich nachträglich schon von
Schuster (a. a. O. S. 228 A. 2) ausgesprochen. Derselbe fügt auch
dem Ausdruck 90» dixasov ein Fragezeichen bei.
Zu Heraklit. 605
einstürzt, nicht zur Vergleichung beigezogen werden darf, daß
vielmehr das Brettspiel, wie in einer Stelle der platonischen Ge-
setze, „die Leichtigkeit der das Ganze überschauenden göttlichen
Fürsorge für Alles“ veranschaulicht Da nun aber, wie Pfli-
derer ausdrücklich bemerkt, Heraklit nicht schon eine Vorsehung
im Sinne eines persönlichen Gottes lehrte, so faßt er den Aus-
druck uiwy nei, êors in dem Sinne, daß damit gesagt werden
soll: „Die Welt in ihrem ewigen Lauf ist ein junges Kind, oder
mit leichter Versetzung : Die Welt in ihrem Lauf ist ewig jung“.
Um nun die Bedeutung der ganzen Stelle zusammenzufassen, so
sieht Pfleiderer in diesem „vielleicht tiefsten und merkwürdig-
sten Wort“ des Philosophen ausgedrückt: „Die Unzerstör-
barkeit des Lebens, welches in ewiger Jugendfrische aus
dem scheinbaren Tode neugeboren wird oder sich selbst gebiert;
ihm ist der Gegensatz überhaupt kein herbes Muß, kein frem-
des Andere, sondern eher eine Lust, ein Spiel; denn in rastloser
Veränderung oder allgemeiner in ewigem Phasenwech-
sel bewahrt es seine Identität, da es ja mit sich selbst spielt
oder sein eigener Partner ist“. Diesen letzten Begriff findet er
in dem Ausdruck ovrdsayegouevos, den Bernays mit einer wohl-
begründeten Verbesserung aus Lukians Anfübrung entnimmt und |
der Stelle beifügt.
Wenn wir nun dieses Ergebniß der gründlich eingehenden
Erörterung unbefangen ansehen, was leuchtet uns aus diesem
„ewigen Lauf der Welt“, aus dieser „Unzerstörbarkeit des Le-
bens“ mit seiner „rastlosen Veränderung“ oder seinem „ewigen
Phasenwechsel* anderes entgegen, als der physisch, nicht meta-
physisch erfaßte, in sinnlich anschaulicher, nicht in abstrakt be-
griffsmäßiger Sprache ausgedrückte alles Leben durchwaltende
Gegensatz von Zeit und Ewigkeit? Daß diesem in Hippolyts
Zusammenstellung ein Platz zukäme, ist wohl nicht zu bestreiten,
wenn man auch zur sprachlichen Herstellung desselben nur mit
Zagen und Vorbehalt schreiten wird. Daß die handschriftliche
Ueberlieferung der Schrift des Kirchenlehrers mit mancherlei
Fehlern behaftet ist, hat Bernays zur Genüge dargethan und: an
einzelnen Beispielen !°) erwiesen. Man wird ihm daher gerne
die Umwandlung von doyumıog in ÀAóyov zugestehen, der auch
Bywater Fr. 1 Folge gegeben hat. Hält man mit diesem an
10) Vgl. die Anm. S. 80 f. der G. A.
606 Christian Cron,
der paarweise vorgefiihrten Zusammenstellung von Gegensiitzen
in der einleitenden Angabe des Hippolytus fest, so ergibt sich
auch bei dem letzten Ausdruck 3e0v dixasoy eine Schwierigkeit,
die kaum anders als durch eine Aenderung behoben werden
kann. Bernays weiß freilich aus dem Schatz seiner Gelehrsam-
keit eine Erklärung zu entnehmen, indem er darauf hinweist,
daß bei den Kirchenschriftstellern diese Bezeichnung im Gegen-
satz gegen deòs «yu3os (gnüdiger Gott) ganz gewöhnlich sei.
Doch bemerkt Bernays selbst, daB ebenso bei dieser Bestimmung
wie in der 1. und 8. Nummer der Tabelle ,,die Rücksicht auf
den Noetianismus weniger klar zu Tage liegt“ und sich erst
weiterhin bestimmen lassen werde ,,bei Behandlung der hera-
klitischen Belegstellen“. Zu letzterer scheint B. nicht mehr ge-
kommen zu sein. Vgl. die Bemerkung des Herausgebers der G.
A. I S. 64 Anm. 2.
Daß die Anführung des Hippolytus einer Aenderung be-
dürftig sei, erkannte auch Bergk, der nach Bywater (Adnotatio
critica zu Fr. 1) folgende Umgestaltung für angemessen erach-
tete: dixusov ovx &uov GÂlu tov doyuutog dxovourruç ooloyéesv
dre Ev 16 coqov, €» nuvra eldévar. Es ist begreiflich, daß By-
water diesen Herstellungsversuch nicht in den Text aufnahm,
ihn aber doch der Erwühnung werth hielt. Jedenfalls kónnte
man bei dieser Aenderung nicht stehen bleiben. Man müßte
den durch die Abtrennung von dfxusor vereinsamten Ausdruck
Seow mit einer in den Zusammenhang passenden Beigabe aus-
statten. Wie könnte diese anders lauten als &»39w ror? In der
That, diese Zusammenstellung würde ebensogut in die angenom-
mene Tabelle des Kirchenschriftstellers wie in einen Ausspruch
des Philosophen passen. Fiir letzteres sprechen ausdrückliche
Zeugnisse, welehe Bywater zu Fr. 67, das mit den Worten be-
ginnt "Atévuros Jvnrof, Jvqroi adFavaros, beibringt. Wir wollen
aus der ganzen Reihe für diesen Zweck verwendbaren Stellen
nur eine anführen, welche am augenscheinlichsten einen derar-
tigen Ausspruch des Philosophen verbürgt Sie steht bei Clem.
Alex. Paed. III 1 und lautet: 099486 dou sinev ‘HoaxAesos
* Av9ownor Geol, Feoi avFgwnot. hoyos yàg 6 ubrèç puuotrgsor
luquríg Jedc dy avemmo zul 0 avdgwnos Feoc.
Aus dem Gesagten mag so viel erhellen, daB die Sachlage,
wie sie in der Ueberlieferung der Schrift des Kirchenlehrers vor-
Zu Heraklit. | 607
liegt, zu manchen Zweifeln über die richtige Schreibung der Ein-
leitungsworte AnlaB gibt, in keinem Falle aber dazu berechtigt,
die dem Heraklit zugeschriebenen Worte, wie man sie auch im-
mer gestalten móge, diesem geradezu abzusprechen. Da es nun
aber auch nicht móglich ist, die Stellung und den Wortlaut der-
selben mit zweifelloser Sicherheit festzustellen, so hätte es sich
allenfalls empfohlen, die Fundstelle selbst in &hnlicher Weise
unter die Bruchstücke aufzunehmen, wie dies Bywater mehrmals
für gut fand, z. B. Fr. 84, Fr. 87, Fr. 46, in welchen die mit
Sicherheit dem Ephesier zugeschriebenen Worte durch den Druck
ausgezeichnet werden. Diese Auszeichnung hätte dann wohl
auch den fraglichen Worten gebührt trotz der bestehenden kri-
tischen Bedenken, die sich ja auch auf den Wortlaut des Fr. 1
erstrecken. Daß Bywater die von Miller eingeführte Aenderung
in den Text aufgenommen hat, ist ganz gerechtfertigt, da, wie
bereits dargethan ist, der von Bernays gegen die Schreibung fv
nuvia eivas geltend gemachte Grund nicht stichhaltig ist. Dazu
kommt, daß vermittelst dieser Aenderung nicht nur der von
Hippolyt dem Heraklit auch zugeschriebenen Áussage Raum ge-
geben, sondern auch der von Bernays selbst gestellten Forderung
in angemessener Weise Genüge geleistet wird. Denn daß bei
der von Hippolyt beliebten Art der Anführung, wodurch die
eben genannten Worte dem unmittelbaren Zusammenhang mit
den übrigen Prüdikaten entrückt werden, die Zweideutigkeit des
Ausdrucks leicht zu einer Verwechslung von Subjekt und Pri-
dikat Anlaß gibt, bethätigt Bernays selbst durch sein Beispiel.
Für die Aufnahme der in Frage stehenden Worte unter die
Bruehstücke aus der Schrift Heraklits und die für dieselben in
Aussicht genommene Stellung spricht aber noch ein gewichtiger
Grund. In der Schrift des Kirchenlehrers schlieBen sich an die
oben (S. 600) ausgeschriebenen Worte folgende an: xai dts tovro
oùx [G«G& muvtes ovd? duorloyovow, impépugeros di mw’ o9
Evvíu Gs 0xws diupegopevor éuvid dpodoyte: na-
Alvrpoonoç aquorin oxworeo TOoËou xai Avens. So
konnte Hippolytus, auch alles zugegeben, was man seiner Pole-
mik nachsagt, unmöglich fortfahren, wenn die vorhergehenden
Worte so lauteten, wie Bernays will, wogegen Sinn und Zu-
menhang klar wird, wenn man nicht bloß & nuvru sivas
600 Christian Cron,
nennen ihn nunmehr mit Bernays und anderen?) ohne weitere
Prüfung der Ursprungsfrage Hippolytus —, zu Anführung he-
raklitischer Sätze bestimmt und beim Auswählen derselben leitet,
eine polemische ist. „Er behauptet und will den Beweis schwarz
auf weiß führen, daß Noétus, ein Ketzerhaupt aus Smyrna, sein
theologisches System in allen Stücken, die von der orthodoxen
Lehre abweichen, dem Buche des Ephesiers Heraklit entnommen
habe; demnach sei N. nicht Xoso100 uadning sondern, wie es
mit anzüglichem Doppelsinn heißt, ua3n:s tov oxorswou“. Der
Geist aber, in welchem H. diesen polemischen Nachweis zu
geben versuche, sei der Geist einer theils buchstübelnden, theils
Consequenzen machenden Deutelei.
So vorbereitet treten wir an den wichtigen, das neunte und
zehnte Kapitel des neunten Buches umfassenden Abschnitt der
Schrift des H. heran, welchen Bernays seinem Wortlaut nach
mit beigefügten kritischen Anmerkungen (S. 75—78 und 78—101
d. GA.) mittheilt. Dieser Abschnitt enthült nun gleich im An-
fang die Sätze, welche man zum Theil auf die Gewähr des Ari-
stoteles ziemlich allgemein an die Spitze der aus der Schrift des
Heraklit erhaltenen Bruchstücke setzen zu müssen glaubt. Doch
bieten sowohl Ein- als Anführung erhebliche Schwierigkeiten.
Zunächst lesen wir: ‘Houxdetoc piv our grow sivas 10 nav dwu-
08109 adeatostor, yevniòv üyévqvov, Fvytov éJavarov, Aóyov, aidva,
mattoa viov, Isov dixacov. Ovx tuo ahha rov Aoyov
áxovcavzag óuoAoytiv cogoy èorsv, Er ravsa ebdé-
vas 0 Hoaxituóg noi «rg. Die durch den Druck hervorgeho-
benen Worte werden damit als Worte des Philosophen bezeich-
net. Bernays unterzieht nun die ganze Stelle in Bezug auf ihren
Wortlaut und Sinn einer eingehenden Prüfung, deren Ergebniß
er in einer Uebersetzung mit beigefügter Begründung darlegt.
Erstere lautet: ‘Heraklit sagt das All sei 1) theilbar untheilbar,
2) geschaffen ungeschaffen, 3) sterblich unsterblich , 4) Wort, 5)
ewige Zeit, 6) Vater Sohn, 7) richtender Gott’. Dazu bemerkt
er: ,,Allein schon aus dem was Hippolytus im weitern Verlauf
dieser Kapitel über die noetianische Lehre mittheilt, erhellt klar,
2) Nicht Lagarde, der von seiner 1858 unter dem Titel ‘Hippoly&
Romani quae feruntur omnia Graece! erschienenen Ausgabe die Aefw-
tatio haeresium ausschloß, offenbar als eine der Ueberlieferungen, quae
in codicibus veteribus Hippolyto non adscripía Hippolyto tribuere recen-
tiores.
Zu Heraklit. 601
daß das 2., 3. und 6. Paar von verschlungenen Gegensätzen als
heraklitische Lehrstücke deshalb hervorgehoben werden, weil die
ungetrennte Einheit von Geschaffen-Ungeschaffnem, Sterblich-Un-
sterblichem , Vater-Sohn die Grundlage des Noetianismus bildet.
Und da... den Noetianern zufolge auch Aoyog ganz gleich
vios und dieser gleich mezzo, also alle drei nur eines sind: so
springt nicht minder deutlich in die Augen warum das mit n«-
mmo und vioc zusammenfallende All nun auch an 4. Stelle als
Xoyos erscheint. Weniger klar freilich liegt in der 1., 5. und
7. Nummer der Tabelle die Rücksicht auf den Noetianismus zu
Tage; sie wird sich erst weiterhin bestimmen lassen bei Behand-
lung der heraklitischen Belegstellen; wie denn überhaupt zwischen
der Tabelle und den Citaten diese Wechselbeziehung stattfindet,
daB die Tabelle die Rubriken aufführt, nach welchen die Citate
ausgesucht und im allgemeinen geordnet sind, hinwieder die Ci-
tate benutzt werden künnen um die Bedeutung der einzelnen
Rubriken festzustellen und auch die Lücken zu ergünzen, durch
welche, wie gleich das erste Citat ausweist, die Tabelle in unserer
Handschrift verstümmelt ist“.
In dieser Darlegung erscheint zunächst bemerkenswerth, daß
B. in den mit ‘Hodxiesrog uiv ovv gnow eingeführten Worten
nicht eine Anführung aus Heraklits Schrift sieht, sondern ein
vorausgeschicktes Inhaltsverzeichniß, um die Rubriken anzugeben,
nach welchen die Lehrmeinungen der Noetianer auf Sätze aus
der Schrift des Heraklit zurückgeführt werden sollen. Für diese
Auffassung kann nun einigermaßen der Umstand geltend gemacht
werden, daß die Worte in abhängiger Form erscheinen und daß
die folgenden Worte sich nicht an dieselben anschließen, sondern
viel augenscheinlicher das Gepräge eines Anfanges an sich tragen.
Demzufolge hat denn auch Bywater diese Worte an die Spitze
seiner Sammlung der erhaltenen Bruchstücke aus dem Werke des
Ephesiers gesetzt und andere folgen seinem Vorgange. Diese
Annalıme hindert aber nicht, die vorausgehenden Worte an diese
anzuschließen, da sie der Schriftsteller um ihrer Bedeutung willen
für die Bekämpfung der Irrlehrer könnte vorangestellt haben,
so daß er ihnen nachträglich ihre Stelle im Zusammenhange der
Schrift des Philosophen anweist. Und diesen Eindruck macht in
der That die unverbundene Aufeinanderfolge der beiden Sätze
mit ihrem doppelten qct. Dadurch findet dann auch die Form
602 Christian Cron,
der Abhängigkeit ihre natürliche Erklärung in dem Anschluß
an 040A0;tiv copov dorv, von welchem nach der überlieferten
Lesart mit der von Miller vorgenommenen und allgemein aner-
kannten Verbesserung die Worte fr navra sidévas abhängen.
Freilich unangefochten kann diese Lesart anch so dann nicht
bestehen. Man müßte dann auch mit Miller eldéras in elros
verwandeln. Aber gerade gegen diese Aenderung spricht sich
Bernays entschieden aus mit dem stärksten Tadel gegen Miller
und Wordsworth, der ihm folgte?) Er bezichtigt sie leichtfer-
tiger Oberflächlichkeit, die sie ganz übersehen ließ, daß Heraklit,
sobald er den Satz fv navıa sivo, ausgesprochen hätte, aufgehört
haben würde ein Herakliteer zu sein und ein Eleate geworden
wäre. So trägt denn Hippolytus, freilich etwas in Widerspruch
mit der früheren Kennzeichnung, das Lob davon, zu ehrlich ge-
wesen zu sein, „um in dem heraklitischen Wort eid&vas die zwei
Buchstaben de zu löschen, auf deren An- oder Abwesenheit so
viel für seine Polemik ankommt“. Denn daß in diese sidévns
nicht paßt, erkennt B. selbst so unbedingt an, daß er, um die-
sem polemischen Bedürfniß Rechnung zu tragen, in den Einlei-
tungsworten &r vor gnow sive, r0 mv einzuschalten für nöthig
findet*). Diese Aenderung, der merkwürdiger Weise auch By-
water in der Anführung der Fundstelle unter der Rubrik Testi-
monia Raum gibt, vermag ich in keiner Weise gut zu heilen,
da das Prädikat # dem All doch am wenigsten selbst von Hippo-
lytus da kann beigelegt werden, wo eine ganze Reihe verschie-
dener, zum Theil entgegengesetzter Bestimmungen von ihm aus-
gesagt werden. Zugleich schrumpft mit dieser Aenderung, durch
welche ja mindestens ebenso augenscheinlich dem Heraklit die
Lehre der Eleaten zugeschrieben wird, das dem Hippolyt ertheilte
Lob der Ehrlichkeit ein zu dem Vertrauen auf die leichtfertige
Oberflächlichkeit der Leser, die er im Auge hatte, und zwar so-
wohl Freund als Feind.
Man wird nicht leugnen können, daß diese Deutung etwas
gekünsteltes hat, womit man sich nur dann befreunden dürfte,
wenn es kein anderes Mittel gibt, den Heraklit vor der Gefahr
zu bewahren sich selbst untreu zu werden. Dieser wäre er frei-
3) Wordsworth schrieb ein Werk über Hippolytus, das 1858 in
London erschien. S. Bernays G. A. I S. 102 ft.
4) G. A. S. 82.
Zu Heraklit. 608.
lich unentrinnbar verfallen, wenn ihm der nach Bernays von
Hippolyt nur untergeschobene Satz & ro má» nachgewiesen wer-
den kénnte5). Wäre dies aber auch der Fall, wenn er behaup-
tete £v navru 010? Besteht nicht doch zwischen beiden Aus-
drücken ein Unterschied, der möglicher Weise einer verschiedenen .
Auffassung Raum gibt? In ersterem ist £y unbedingt Prädikat,
in letzterem kann es wenigstens auch Subjekt sein ®). Dann
würde z«vra das Prädikat und von dem f» nur ausgesagt, daß
ihm alle Bestimmungen zukommen, insbesondere auch die, welche
ihm in dem einleitenden Satz beigelegt werden. Diesen hat By-
water unter den Bruchstücken selbst keine Stelle gegónnt, nimmt
aber gleichwohl die Aenderung «vo, statt eldévas trotz dem ihr
von Bernays gesprochenen Urtheil auf. Man könnte sich darüber
wundern, da er unter diesen Umstünden ja nicht zu einer Aen-
derung des überlieferten Wortlautes genöthigt war. Es ist also
wohl anzunehmen, daß ihm der Ausdruck fr narra eldérus we-
niger heraklitisch dünkte als der andere f» narra elvas, den er
dann aber auch wohl:so verstanden haben muß, wie eben darge-
legt worden ist).
Noch in anderer Hinsicht weicht Bywater von Bernays ab,
Er führt die in dem einleitenden Satz von Bernays unter N. 4)
und 5) gesondert aufgeführten Begriffe Aoyor und aiwra eben-
falls als ein zusammengehóriges Paar vor. Es ist nicht zu
leugnen, daß die vorher und nachher in paarweise zusammenge-
stellten gegensützlichen Begriffen sich bewegende Rede durch die
dazwischentretenden Einzelbegriffe in störender Weise unter-
5) Dazu wird wohl niemand Fr. 59 verwenden wollen, welches bei
B. lautet: Zuvawperes ovla xoi oÛyi obla, cuugeoduevor diapegoueror,
cuvadov digdov: Ex ndvrwy Ev xai, i£ Evos navra.
6) Auf andere Art sucht Schuster (H. v. E. S. 82) zu helfen, in-
dem er das überlieferte iv navıa sidivas in dvarsia navta Ev sivas um-
wandelt und auch das von B. empfohlene & sivas 16 naw bereitwillig
annimmt, dagegen die von Mullach beliebte Aenderung $8» drra yi-
veodes als „ganz gewaltsam“ verwirft. Der Forderung des Sinnes
würde sie gut entsprechen, aber nóthig erscheint sie nicht.
7) Es ist bemerkenswerth, da8 Bernays in der Anzeige von By-
waters Sammlung der Bruchstücke Heraklits (Philosophische Monats-
hefte hrsg. von C. Schaarschmidt 1877. G. A. I. S. 106 — 108) diese
Abweichung von seiner mit solchem Nachdruck verfochtenen Ansicht
nicht rügt, ja nicht einmal erwühnt, und überhaupt dem Lobe .,selb-
ständiger Sachkunde und planmäßiger Sorgfalt keinerlei Beschrän-
kung beifügt. Daß Bernays selbst in der Zwischenzeit seine Meinung
geändert habe, ist wohl kaum anzunehmen.
614 Christian Cron,
Heraklit selbst mit seiner Weltansicht dieser Forderung geniigt.
Wenn nach seiner Ansicht der Aoyos das Weltall durchwaltet,
wenn er das Eine alles umschließende ist, wie sollte er außer- .
halb dessen sein, den H. doch wohl zu denen rechnet, die er
(Fr. 91) Eur vow Afyovras nennt? Wenn (Fr. 92) der Aoyos
Evrog ist, wie sollte H. sich zu denen rechnen, die dahin leben
ws idlnv Eyortes poornow? Und nun gar das kühne Wort, zu
dem sich der unverzagte Denker erhebt, das wir Fr. 67 lesen:
GJavaros Ivnrol, 9vgroi Adururoı, Cwvtec tov Éxelvwr Javaror
tov dì éxelvwv Plor terewrss — wie sollte sich dieses mit tder
„außerhalb seiner Person liegenden höheren Instanz‘ vertragenÿ
Pfleiderer wendet diesem Ausspruche zweimal eine eingehende
Betrachtung zu, zuerst in dem „die metaphysischen Hauptsiitze
überschriebenen zweiten Abschnitte unter der besonderen Ueber-
schrift ,,Oscillation von sterblich und unsterblich“; dann in dem
vierten Abschnitte, der die Ueberschrift trägt: ,,Psychologie und
Eschatologie“ und u. a von „der Seelen Auf- und Absteigen“
handelt. Wir unterlassen es hier auf diese Erérterung weiter
einzugehen und begnügen uns die Worte anzuführen, mit wel-
chen Pfleiderer im ersten Abschnitt, der über die ,,erkenntnif-
theoretische Stellung“ Heraklits handelt, die ,,das Gemeinsame
als identischer Vernunftgrund “ überschriebene Erörterung im
Anschluß an Fr. 1 beschließt. Sie lauten: „Ja man kann sa-
gen, daß das Individuum durch diese Lösung von sich selbst
geradezu Organ und Sprachrohr einer höheren Macht wird, ob
wir nun diese objektive Vernunftsubstanz Natur oder Gott nen-
nen wollen. „Weisheit ist es, wahr zu reden und zu
handeln, indem man auf die Natur hört“ Fr. 107 ").
Oder: „Das menschliche Gemüth hat keine Ein-
sicht, das göttliche aber hat sie“ Fr. 96. Nur leider
versäumen eben die meisten Menschen, aus dieser ihnen so na-
hen Quelle zu schöpfen und ihren Mangel zu ergänzen: „Der
unverständige Mensch hat von jeher nur soviel
von der Gottheit gehört, als ein Kind vom Manne“.
Fr. 97 !6)
15) Bei B. mit zwei Kreuzen versehen.
16) Die Stelle lautet bei Bywater: ‘Ario vrnsos Fxeves nodc da
uovos öxwoneo nais noòs avdoos. Die wörtlichste Ueberse schiene
uns auch hier die beste: Ein unverständiger Mann hat von der Gott-
Zu Heraklit.- -..:. :618
Noch aber haben wir den oben (S. 607 f.) versprochenen
‚Nachweis zu liefern, daß, wenn man die von dem Kirchen-
lehrer dem alten Philosophen ebenfalls zugeschriebenen Worte
diesem trotz aller kritischen Bedenken, die nicht zu -verkennen
sind, bewahrt und dem Fr. 1 beifiigt, indem man sich zugleich
auch zu der von Bywater aufgenommenen Aenderung des tiber-
lieferten s?dévas in silvas entschließt, Fr. 2 sich besser an Fr. 1
anschlie8t, als wenn man die fraglichen Worte ohne Fug und
Recht dem Heraklit abspricht oder entzieht. Dieses tritt wohl
nicht sofort bei den ersten Worten von Fr. 2 zu Tage, wohl
aber bei dem zweiten Satze, der mit den Worten beginnt: yivo-
.évov yàg navıwv xata tov Adyov tovde. Daß diese mit Fr. 1,
‚wenn dieses nichts anderes enthält, als was aus der Anführung
bei Hippolyt mit Wahrung des überlieferten Wortlautes entnom-
men wird, sich nicht vertragen, erkennt Patin mit vollster Ent-
‚schiedenheit an, indem er (a. a. O. S. 45) bemerkt, daB „die
Worte ysvouévwr yàg ndviwv xarà tov Àoyov tovds nur durch
weitausholende Folgerungen verständlich werden, soferne der
Inhalt des Logos nur der ist, daß Eines alles weiß“. Diesem
Uebelstand glaubt P. nun damit abzuhelfen, daß er aus Fr. 19,
das hauptsächlich auf der Anführung bei Diogenes fußt, die in
der handschriftlichen Ueberlieferung (s. Bywater App. I p. 55)
unsicheren und von mancherlei Vermuthungen heimgesuchten
Worte mit Beistimmung zu einer Vermuthung Bergks in folgen-
der Fassung ‘ore xvßegrnous mavra dia navımv nach &y mavia
‚eld£ras einschaltet. Doch ist zu bemerken, daß er in der schließ-
lichen Zusammenstellung des durch die vorhergehende Unter-
suchung gewonnenen Anfangs der Schrift die eingefügten Worte
in Klammern einschließt. Diese Klammern aber bedeuten nach
der vorangeschickten Erklärung „unheilbare Abweichungen und
sehr ungewissen Wortlaut“. Dies letztere Urtheil finden wir
hier ganz zutreffend, da trotz der Verweisung auf die Gramma-
tik der Infinitiv und zwar des Aorists im Relativsatz doch be-
denklich erscheint. Einen so gewichtigen Satz würde Heraklit
heit gehört gerade wie ein Kind von einem Marne. Nicht um das
Was? sondern um das Wie? handelt es sich zunächst. . Wir könnten,
in unserem Sinn und in unserer Sprache etwa sagen: Ein unverstän-
diger Mann vernimmt Gottes Wort wie ein Kind eines Mannes Rede,
d. h. er vernimmt nichts von der verborgenen Weisheit Gottes und
verharret in Unverstand oder in der Thorheit seines Herzens.
610 Christian Cron,
jener stummen Predigt !?) der Schöpfung, die doch so wohl ver-
nehmlich ist‘, sondern auch eine Stelle bei M. Aurel (Bywater
zu Fr. 5), in welcher die Worte vorkommen: 2óye 19 tad dle
dioixovris. Er ist nun zwar überzeugt, daß der Satz von M.
Aurel stoisch gemeint sei, glaubt aber doch, daß „der Ausdruck
sich immerhin an einen Heraklitischen anlehnen kénnte“. Wenn
nun diese Anlehnung, wie man wohl annehmen müßte, sich auch
auf dioixovvi, erstreckte, nun so fragen wir: wie weit ist der
Aoyog 6 ta Ou Óiowxéwv , den Sch. irgendwie zur Vermittlung
zwischen Fr. 2 und 3 zu brauchen glaubt, entfernt von jenem
Begriff, den er dem H. nicht zugestehen will? Denn nach der
herkömmlichen Bedeutung des Verbums diosxsiv kann an eine
aus der Natur zu dem Menschen sprechende Rede
nicht wohl gedacht werden, sondern die das Ganze durch-
waltende Rede kann eben doch nur der im All waltende
Gedanke sein. Man müßte also wohl annehmen, daß die
Zweiseitigkeit des Begriffes, die in dem ohnedies sehr beschrünkten
Gebrauch des Wortes bei Homer noch nicht zu Tage tritt, doch
ursprünglich in dem Wort lag und sich in dem uns doch nur
sehr unvollständig bekannten Sprachgebrauch der ältesten Ly-
riker und Dramatiker und Philosophen einigermaßen entwickelte,
so daß Heraklit in seiner Denk- und Redeweise ihr Raum ge-
ben konnte, ohne erst einen Widerspruch gegen den Sprachge-
brauch erklären und rechtfertigen zu müssen. So hätte viel-
leicht Sextus Emp. mit seinem rove (Sinn oder Gedanke) nicht
so ganz fehlgegriffen; nur möchten wir weniger gern zu dem
deutschen Worte ‘Vernunft’ greifen, dessen eigentliche und ur-
sprüngliche Bedeutung durch den Gebrauch in der neuern Phi-
losophie eher verdunkelt als geklärt worden ist und keinesfalls
besonders geeignet erscheint, das griechische Wort :oùç oder
Auyog wiederzugeben. Eher dürften wir bei dem Ausdruck 4o-
yog ó 1 047 drouxwr nach Heraklitischer Denkweise an den
uns näher liegenden Ausdruck ‘der allwaltende Gott’ denken,
obwohl dieser Ausdruck bier nicht Platz greifen könnte.
13) Andreae in seiner Üebersetzung der Psalmen (1885) nennt es.
eine „Thatpredigt, die, wenn auch nicht in Menschenworte gefaßt,
doch vernehmlich genug sei, um allerwürts von den Menschen ver-
schiedenster Sprachen, falls sie nur wollen, dem Sinne nach riehtig
aufgefaßt werden zu können“.
Zu Heraklit. 611
Ob nun aber hier und besonders Fr. 1 B. (Fr. 79 Sch.)
eine solche Auffassung am Platze ist, bleibt freilich vorerst frag-
lich. Die Ansichten gehen in dieser Hinsicht noch ziemlich
weit auseinander. Schuster übersetzt die Stelle folgendermaßen :
„Nicht auf mich, sondern auf meine Beweise hörend thut
man weise einzugestehen, daB das Entgegengesetzte alles Eins
ist^. Obwohl nun Sch. von der früher von ihm verfochtenen
Bedeutung 'Rede' die er in der Uebersetzung von Fr. 9 dem
Wortlaut nach zur Geltung bringt, hier im Ausdruck abweicht,
so bleibt er doch der gewóhnlichen Bedeutung des griechischen
und deutschen Wortes hier treuer als dort, wo er über den Be-
reich menschlicher Kundgebung hinausgehend zu der „Offenba-
rung, welche die Natur uns bietet in vernehmlicher Rede“ hin-
überschweift Doch konnte er freilich den Ausdruck ‘Rede’ dem
Wortlaut nach nicht festhalten, weil sonst der Gegensatz zu
éusv noch fraglicher erschienen wäre, als er es auch jetzt ist.
Wenigstens fragt Patin a. a. O. S. 68: ,denn was in der Welt
von ihm hóren, wenn nicht seine Rede ? Dieser Widersinn ist
nun, wie gesagt, wenigstens gemildert durch die Uebersetzung:
‘meine Beweise. Denn so ganz schlimm, wie Patin behauptet,
der in dieser oder einer derartigen Uebersetzung nur das be-
kannte mephistophelische Auskunftsmittel sieht und für die nichts-
sagende ,, Phrase“ überdies „die Gefälligkeit der deutschen
Sprache" verantwortlich macht, steht es mit dem Sinn des frag-
lichen Ausdrucks doch nicht. Vor allem ist hier die deutsche
Sprache, die sich oder richtiger gegen die sich ihre Kinder gar
oft versündigen durch ihre Gefälligkeit gegen fremde Anmaßung
oder vielmehr durch eigene Geistestrügheit gepaart mit gedan-
kenloser Vorliebe für alles fremdlündische, frei von Schuld.
Denn hier unterscheidet ja die deutsche Sprache die verschiede-
nen Begriffe auch durch verschiedene Bezeichnungen, wührend
die griechische Sprache mit alterthümlicher Einfalt und: Gedan-
kentiefe durch ein Wort eine Fülle von Begriffen zum Aus-
druck bringt, die für den sondernden Verstand oft schwer rich-
tigzustellen sind. So läßt sich das Hören auf eine Person
zwar nicht wohl von dem Hóren auf ihre Rede, wohl aber
von dem Hôren auf die dargelegten Gründe oder Beweise
und von dem Verstehen derselben unterscheiden. Dies weif)
P. natürlich ebenso gut wie ich; nur meint er, H. brauche dem
39 *
612 Christian Cron,
allgemeinen Widerspruche nicht zu versichern, daß er keinen
Autoritütsglauben fordere. Der Autoritütsglaube kann nun aber
je nach VerhältniB ein lobens- oder tadelnswerther sein. Wenn
ein Kind auf das Wort des Vaters hórt oder ein Kriegsmann
auf das seines Befehlshabers ohne erst Gründe für dessen Be-
rechtigung zu verlangen, so handelt dieser und jenes nur löb-
lich, während das avrog ipa in der Philosophie allerdings we-
niger am Platze ist und seine Berichtigung findet in der Mah-
nung: vage xai péuvuo amoruiv' agtea raUr« Tay ger.
Wäre es nun ganz undenkbar, daß Heraklit, dem bekanntlich
Scheltworte und Zurechtweisungen nicht allzu ferne liegen, es
für gut befunden habe, den Leser gleich am Eingang seiner
Schrift zu bedeuten, welche Leser er wolle und welche nicht?
Zu letzteren mag er wohl die rechnen, die er (Fr. 6) dxovous
ovx émoruueror oùd eineiv nennt. Denn (Fr. 117) BAGE ur
Fowros àni navıi Moyw Enronodar quién !*).
Ein anderes Ansehen kann die Sache freilich bekommen,
wenn man die AeuBerung im Zusammenhang mit anderen sich
anschließenden betrachtet. Räumt man ihr mit Bywater und
Patin die erste Stelle ein und schließt man daran mit oder ohne
Zwischenglied die Worte, welche Aristoteles dem Anfang der
Schrift zuweist, so fragt es sich, ob die Worte ‘rou dè Aoyos
tovd. dóvioc mit oder ohne «lí jene in Fr. 1 angenommene
Bedeutung von tov Adyow festzuhalten erlaubt. Daß Schuster
trotz seiner Versicherung über die gewóhnliche Bedeutung des
Wortes ‘Rede’ hinausgeht, ist schon oben bemerkt worden.
Pfleiderer dagegen bleibt auf dem eingeschlagenen Wege der
Deutung, indem er Fr. 1 S. 51 so wiedergibt: ,,Nicht auf mich,
sondern auf den verniinftigen Sinn des durch mich Dargelegten
14) Letztere Stelle kann auch als Beispiel dienen fir die Mehr-
deutigkeit Heraklitischer Ausspriiche. Es geniigt auf Schusters und
Pfleiderers Uebersetzungen hinzuweisen. Erstere lautet: „Ein Dumm-
kopf pflegt bei jedem [neuen] Wort ängstlich zu sein“; letztere:
„Bin thörichter Mensch läßt sich gerne von jeder Rede imponiren“.
Letztere drüekt den Sinn wohl richtiger aus als erstere, die in dem
eingeklammerten Worte dem System zu lieb etwas beifügt, verleug-
net aber in dem modernen Gewande etwas den Grundton, der viel
leicht durch folgende Uebersetzung besser gewahrt würde: Ein th.
M. pflegt bei jeder Rede außer sich zu sein’. Im Phädon setzt Pla-
ton dem un énroÿodas nspi tac éni9uusag das oleycigoc Iysır n) xog-
“iwc gleich, und das meinte wohl auch Plutarch, wenn er in der
einen Fundstelle sagt: navti Acym nie giov woneg nvevuan napadidoës
avıor.
Zu Heraklit. | 613
(Aoyos) hórend sollen sie zugéstehén — —-“ (die Ergänzung dét
hier abgebrochenen Rede ist aus dem B. 282 Gesüptén zu ent-
nehmen: ‘daß Eines Alles wisse’). Und det erste Satz von Fr.
2 lautet S. 61: „Obwohl das, was ich im folgenden därlöge,
der beständige Sachverhalt ist, sind doch die Menschen ohtié
Einsicht dafür, sowohl ehe sie dgvon hóreh, als nddidem sie &
vernommen“. Man sieht, Pfleidérer versucht gewissermafen
Schuster mit Bernays zu vereinigen, der (G. A. 8. 80) bethesktt?
»0 Aöyog . . ist stehende und weitestgreifende Bezeichnung des
heraklitischen Princips". Disses kommt bei Pfleiderer im ersten
Satz durch die Worte ‘auf det verntinftigén Sinz’ und int swa-
ten durch ‘der beständige Sachverhalt’ einigermaßen zum Aus:
druck, während dort die Worte ‘des durch mich datgelegten’,
hier die ‘was ich im folgenden daflége’, Sehusters Forderung
wohl genügen möchten. Ob auch der Patins, welcher 9. 68
A. 1 bemerkt: H. „muß sich auf eins wirklich höhere Instenz
berufen, die wirklich außerhalb seiner Person Hegt'', ist str be-
zweifeln.
Doch ehe wir auf diese Frage näher eingehen, sid mod
einige Kleinigkeiten zu erledigen. Zunächst handelt es sich wit
die Auffassung des Pronomens rovde. Pfleiderer sucht der be:
kannten Unterscheidung von ovrog und ode Géntige su this
durch den Ausdruck ‘im Folgenden’ und it demi weiteren Ver-
lauf der Stelle vermitteist der Uebersetzung von ‘xard bv Ad=
yov zovde’ durch ‘nach der hier zu entwickelnden Weise’.
Doch hat diose Hinweisung auf eins erst zu erwartende Erdy-
terung etwas Unzuträgliches, weswegen die von Patitt vorgezo-
gene Auffassung, nach welcher der 4. als ein unmittelbar
gegenwärtiger bezeichnet werden sell, da die sprachliche
Berechtigung außer Frage steht, auch wirklich den Verzug vere
dient. Die gleiche Bedeutung wäre festzuhalten, wein Alan
sovde mit éovroc zusammen als Prädikat faßte, was. möglich,
aber nicht nothwendig oder vorzuziehen wäre, wogegen: die voti
Schuster auch als möglieh befundene Uebersetzung ‘obgleich dies
eine Rede ist’ sprachlich und sachlich unzulässig erscheint. :
Kehren wir nach dieser Zwischenbemerkung zu der For-
derung zurück, daß H. sich hier auf eine „außerhalb seiner Per-
son“ liegende höhere Instanz berufen muß, so bezweifeln wir
nicht bloß, daß Pfléiderer mit seiner Webersetauhy, sondern daß
614 Christian Cron,
Heraklit selbst mit seiner Weltansicht dieser Forderung geniigt.
Wenn nach seiner Ansicht der Aoyog das Weltall durchwaltet,
wenn er das Eine alles umschließende ist, wie sollte er außer- .
halb dessen sein, den H. doch wohl zu denen rechnet, die er
(Fr. 91) Eur vom Aéyovras nennt? Wenn (Fr. 92) der Aoyos
Euros ist, wie sollte H. sich zu denen rechnen, die dahin leben
wc lótgv Eyovtes poornow? Und nun gar das kühne Wort, zu
dem sich der unverzagte Denker erhebt, das wir Fr. 67 lesen:
addvaros Jvmol, Svgroi Adavuroı, Lüvrec row Éxelvwy Iavarov
10v dì exelvwv Blov teFvewtes — wie sollte sich dieses mit tder
„außerhalb seiner Person liegenden höheren Instanz“ vertragenf?
Pfleiderer wendet diesem Ausspruche zweimal eine eingehende
Betrachtung zu, zuerst in dem „die metaphysischen Hauptsätze
überschriebenen zweiten Abschnitte unter der besonderen Ueber-
schrift „Oscillation von sterblich und unsterblich“; dann in dem
vierten Abschnitte, der die Ueberschrift trägt: „Psychologie und
Eschatologie“ und u. a. von „der Seelen Auf- und Absteigen“
handelt. Wir unterlassen es hier auf diese Erörterung weiter
einzugehen und begnügen uns die Worte anzuführen, mit wel-
chen Pfleiderer im ersten Abschnitt, der über die „erkenntniß-
theoretische Stellung‘ Heraklits handelt, die „das Gemeinsame
als identischer Vernunftgrund “ überschriebene Erörterung im
Anschluß an Fr. 1 beschließt. Sie lauten: „Ja man kann sa-
gen, daß das Individuum durch diese Lösung von sich selbst
geradezu Organ und Sprachrohr einer höheren Macht wird, ob
wir nun diese objektive Vernunftsubstanz Natur oder Gott nen-
nen wollen. „Weisheit ist es, wahr zu reden und zu
handeln, indem man auf die Natur hört“ Fr. 107 15).
Oder: ,Das menschliche Gemiith hat keine Ein
sicht, das géttliche aber hat sie“ Fr. 96. Nur leider
versiumen eben die meisten Menschen, aus dieser ihnen so na-
hen Quelle zu schópfen und ihren Mangel zu ergänzen: ,,Der
unverstindige Mensch hat von jeher nur soviel
von der Gottheit gehôrt, als ein Kind vom Manne“.
Fr. 97 16) |
15) Bei B. mit zwei Kreuzen versehen.
16) Die Stelle lautet bei Bywater: vo vrnıos ?xoves node dai-
povos oxwonsp nais ngóc avdoos. Die wörtlichste Uebersetzung schiene
uns auch hier die beste: Ein unverständiger Mann hat von der Gott-
Zu Heraklit. - ‚615
Noch aber haben wir den oben (S. 607 f.) versprochenen
Nachweis zu liefern, daß, wenn man die von dem Kirchen-
lehrer dem alten Philosophen ebenfalls zugeschriebenen Worte
diesem trotz aller kritischen Bedenken, die nicht zu -verkennen
sind, bewahrt und dem Fr. 1 beifügt, indem man sich zugleich
auch zu der von Bywater aufgenommenen Aenderung des über-
lieferten eldévas in sivo, entschließt, Fr. 2 sich besser an Fr. 1
anschließt, als wenn man die fraglichen Worte ohne Fug und
Recht dem Heraklit abspricht oder entzieht. Dieses tritt wohl
nicht sofort bei den ersten Worten von Fr. 2 zu Tage, wohl
aber bei dem zweiten Satze, der mit den Worten beginnt: ysvo-
uérwr yao navıwv xara tov Adyov tovds. Daß diese mit Fr. 1,
wenn dieses nichts anderes enthält, als was aus der Anführung
bei Hippolyt mit Wahrung des überlieferten Wortlautes entnom-
men wird, sich nicht vertragen, erkennt Patin mit vollster Ent-
schiedenheit an, indem er (a. a. O. S. 45) bemerkt, daß „die
Worte yirouérwr yàg naviwy xata tov Aoyov tovde nur durch
weitausholende Folgerungen verstindlich werden, soferne der
Inhalt des Logos nur der ist, daß Eines alles weiß“. Diesem
Uebelstand glaubt P. nun damit abzuhelfen, daB er aus Fr. 19,
das hauptsächlich auf der Anfiihrung bei Diogenes fuBt, die in
der handschriftlichen Ueberlieferung (s. Bywater App. I p. 55)
unsicheren und von mancherlei Vermuthungen heimgesuchten
Worte mit Beistimmung zu einer Vermuthung Bergks in folgen-
der Fassung ‘ore xvßeovnou mavra du mavrw» nach £f» mavia
sidé: as einschaltet. Doch ist zu bemerken, dafì er in der schließ-
lichen Zusammenstellung des durch die vorhergehende Unter-
suchung gewonnenen Anfangs der Schrift die eingefiigten Worte
in Klammern einschließt. Diese Klammern aber bedeuten nach
der vorangeschickten Erklärung ,,unheilbare Abweichungen und
sehr ungewissen Wortlaut“. Dies letztere Urtheil finden wir
hier ganz zutreffend, da trotz der Verweisung auf die Gramma-
tik der Infinitiv und zwar des Aorists im Relativsatz doch be-
denklich erscheint. Einen so gewichtigen Satz wiirde Heraklit
heit gehört gerade wie ein Kind von einem Manne. Nicht um das
Was? sondern um das Wie? handelt es sich zunächst. Wir könnten
in unserem Sinn und in unserer Sprache etwa sagen: Ein unverstün-
diger Mann vernimmt Gottes Wort wie ein Kind eines Mannes Rede,
d. h. er vernimmt nichts von der verborgenen Weisheit Gottes und
verharret in Unverstand oder in der Thorheit seines Herzens.
616 Christian Cron, Zu Heraklit.
doch kaum in so nebensächlicher Form einftihren. Wir ziehen
daher den anderen Weg vor, der uns einfacher und sachge-
mäßer zu dem vorgesteckten Ziele führt, nämlich für das ‘xuta
tov Zoyov róvd& die Erklärung nicht erst in der folgenden Ent-
wicklung suchen zu müssen, sondern bereits in dem ersten Sats
‘der Schrift gegeben zu haben, so daB der Leser sie bei den
fraglichen Worten bereits deutlich vor Augen hat. Dieser Zweck
wird erreicht, wenn man dem Philosophen láfüt, was unser Ge
währsmann ihm ausdrücklich zuschreibt, und ihm da seine Stelle
anweist, wo es am ersten Platz findet. DaB der Wortlaut nicht
ganz sicher ist und am Ende auch über die Art des Anschlusses
Zweifel bestehen können, ist bei der schon angedeuteten Be-
schaffenheit sowohl des Berichterstatters als auch der Ueberlie-
ferung nicht zu verwundern. Dies aber steht wohl fest und
unterliegt keinem Zweifel, daß, wenn man diesen Zusammenhang
annimmt, Aoyoc in den fraglichen Worten ganz zu der Bedeu-
tung gelangt, die Bernays fiir dieses Wort mit dem Artikel in
Anspruch nimmt, nämlich ,,stehende und weitestgreifende Be-
zeichnung des Heraklitischen Princips^ zu sein. Denn was
kónnte mit mehr Recht als Grundgedanke der heraklitischen
Philosophie und nach dieser als Grundursache alles Daseins und
Lebens anerkannt werden, als daB das Eins nicht in unbewegter
Verschlossenheit in sich verharrt, sondern in allen Erscheinungs-
formen und Gegensützen sich bewegt, daB das Sein das Werden
nicht ausschließt. Dieser Grundgedanke spiegelt sich in zahl-
reichen, mannigfaltigen, zum Theil sibyllinisch räthselhaft lau-
tenden Aussprüchen wieder, denen wir hier nicht näher nach-
gehen können, weil wir sonst befürchten müßten, die Grenzen
der gegebenen Vollmacht doch zu überschreiten. Die Weitliu-
figkeit der vorstehenden Erörterung aber wolle der geneigte Leser
mit der Schwierigkeit der zur Sprache kommenden Fragen ent-
schuldigen, und der geehrte Verfasser der neuesten Schrift über
die Philosophie des Heraklit daraus entnehmen, mit welcher
Theilnahme wir den Untersuchungen des geistreichen Buche
gefolgt sind.
Augsburg. Christian Cron.
XXX.
Zur Ueberlieferung der apophthegmata Laconica.
Die apophthegmata Laconica, welche sich unter den soge-
nannten Moralia Plutarchs befinden, gehen in der in den Aus-
gaben vorliegenden Gestalt im Wesentlichen auf eine Ueberliefe-
rung zuriick, wie sie in der von mir mit dem Namen corpus
Planudeum bezeichneten Sammlung enthalten ist. Wir finden
diese Sammlung vollstindig, soweit mir bis jetzt bekannt ist, in
den codices Ambros, C 126 Inf., Laurent. LXXX 5, Marcian.
248, Paris. 1671, Paris. 1672, den größeren Theil der Schriften
im Petavianus (= Vaticanus reginae Christinae 80; vergl. das
l. Heft meiner Mittheilungen zur Geschichte der Ueberlieferung
von Plutarchs Moralia S. XIII),
Es giebt aber noch eine andere von dieser abweichende
Ueberlieferung; ich kenne sie besonders aus dem Ambros. M 82
Sup., Marcian. 250 und Paris. 2078. Ebenso hat Raphael Re-
gius in seiner lateinischen Uebersetzung der apophthegmata La-
conica vom Jahre 1507 einen zu dieser Gruppe gehórigen codex
benutzt. Auch die neueren Herausgeber haben sie gekannt, Da-
niel Wyttenbach aus einem Harleianus, aus dem genannten Mar-
cianus und Parisinus, Friedrich Dübner aus letzterem oder we-
nigstens aus der Vergleichung desselben vom Griechen Kontos,
Aber für die Textgestaltung sind diese Handschriften recht we-
nig verwerthet worden. Und doch bieten sie uns einen vollstün-
digeren und zuweilen auch besseren Text als jene Planudische
618 M. Treu,
Ueberlieferung. Ich will mich im Folgenden darauf beschrän-
ken, erheblich abweichende Stellen, sowie diejenigen apophtheg-
mata mitzutheilen, welche in den Ausgaben gar nicht zu finden
sind; ich hoffe, daß diese Auswahl denen, welche sich in sach-
licher Beziehung mit jener Schrift beschäftigen, solange von ei-
nigem Nutzen sein wird, als keine kritische Ausgabe erschienen
ist. Um jedoch auch zu zeigen, wie wenig auch diese codices
zur Herstellung eines lesbaren Textes beitragen, fiihre ich auch
die wenigen Stellen an, in welchen Lesarten bestätigt werden,
welche Eduard Kurtz in seinen trefflichen Miscellen zu Plutarch's
vitae und apophthegmata theils selbst verbessert, theils wieder-
hergestellt hat. Ueber den bisher vóllig unbenutzten Ambros, M.
82 Sup. (A) habe ich im 3. Hefte der oben angeführten Mit-
theilungen S. 10 gesprochen, über den Marcian. 250 (M) im 1.
Hefte S. XIII. Paris. 2078 (P, bei Wyttenbach J) ist aus
dem XV. Jahrhundert und enthält an Schriften, die unter Plu-
tarehs Namen gehen, nur noch die apophthegmata reg. et imp.
Raphael Regius (r) kenne ich aus der Ausgabe von Sebastian
Gryphius (vergl. das 3. Heft der Mitth. S. 35). Ich citiere nach
dem 3. Bande der Dübnerschen Ausgabe vom Jahre 1868.
S. 253, 35 (Ages. 4) vai ua dia A roth am Rand; per
lovem r. Vergl. Kurtz S. 38.
S. 262, 2 (Ages. 77) noo9vcoao9« AP; sacrificium facere
r. Kurtz S. 29.
S. 262, 25 (Ages. 79) unis nâaGtur, unis yeantay, pure
uoundav rob Owuurog elxovx AP fictam pictamve aut effigiatam
corporis imaginem r; M hat nur mye nAucınv TOU cwparog
&xora.
S. 265, 8 (Alexandr. 1) ' 4raEavdofdac APr. Wyttenbach
animadv. a. h. l. Auch die alphabetische Reihenfolge der Na-
men spricht dafür.
S. 26 7, 19 (nach Archidamus Zeuxid. 3): épwsndei dé,
dini puixgoîg roig lyyespid(ow; yowvrus, Gre twv üAlwr En voi;
noltufoig Eyyıov noognelatoper. AMP; darnach: smornooù dé u-
vog avió» fowroariog, to tors Fragriardv Èmesstoraroc, 6 oot
Epn undiv nupömorog. AP.
S. 267, 28 (Archidam. Zeuxid. 5) beginnt: éwsww dì tir
Kogwdlwr nó)» pera cigarevuatos eldev AMPr. . - Eu
Zur Ueberlieferung der apophthegmata Laconica. 619
S. 268, 31 (Bias); Blog statt Brag, offenbar verstiimmelt
aus ' AvuklBr0s- AMP. Doch verbietet die alphabetische Folge
dies in den Text zu setzen. Wyttenbach animadv.
8,268, 39—42 (Brasid. 2) stimmt in Mr mit der vul-
gata. In AP steht statt des apophth. xaí, mug éreu9n, dew-
andels, nçodovons ue Èpn tig dontdos das folgende: zapaxa-
Aovjssvog dì uno tiv0g Gopsoroù zÓv maguradovyia jer, on im-
delxvuodas perle xdxelvog einer ‘Houxhéous éyxu mov. xai. 001
yao wéye tov Fedv rovrov. Nach éyxwyusov ist wohl eine Lücke.
S. 271, 28 (Thearidas) lautet: @sugidag Eipog dxovwy
xai ÉQUTUUEVO, al oSv tot, GEvtegov diafodîg eine. AMP.
S. 272, 2 (Theopomp. 3): xei noregor tpn, d sie, 0
60ç AMPr.
S. 272, 12 (nach Theopomp. 5): émdesevupévov dé wog
avr reiyos xai nuvFavoptvov, el xgaregdv xol üwpnlor, ovd el yu-
vasxiv etnev jv. AMP. Darnach ist auch in den apophthegm.
reg. et imp. p. 228, 30 (Theopomp.) xgniegör statt xaÀQr
zu lesen.
S. 275, 11 (Cleomenes Anax. 16): 00% xexopíxes youoea
te xa) doyvosa èunupara, yao. AMPr. Wyttenbach animadv.
S. 276, 12 (nach Leotychides Aristonis 3): avPopévouv dé
uvog, dcatl 1à ano tiv modepalwv Onda roig Feoig oùx dvan-
Péaow, Ep or ta dik tv desdlav tv xsxrnpévav Ingadévia'
oure tovs véovs o9ayv xudovr, ovis roig Jeoïc avandtrvas. AMPr.
Dagegen fehlen in AMPr. p. 275, 24 (Cleomenes Anax. 18) die
an dieser Stelle entbehrlichen Worte ra yov» bis dvanFévus. —
S. 276, 33 (Leonidas 8): OGeguonvAag, ovx GÀÀag Egg
eos nv» AP.M in Rasur vielleicht dAfyoug statt allg. r: EX
ad quod, inquit, vadimus opus?
S. 276, 35 (Leonid. 4): gun n Eregor diérrwnus (Eyvwxacg A)
mowiv, n ta¢ nagodovg av Papßapwr xwivesv; tb Adro Ëpn
x: T. À. AMP. Wyttenbach animadv. Kurtz 9. 39.
S. 277, 50 (Lyc. 1): dì xvrgyqrexov A. Kurtz S. 39.
S. 278, 23 (Lyc. 3): edgoó AMPr.
S. 279, 34 (nach Lye. 9): GA’ alozuveodas ele Av
sloayov (?) olxelav Èxmupara xoi ciquuara xal rohorlats 100-
méCag M, auch r.
S. 279, 43 (Lye. 11): > Aynorddov AMP. Kurtz 8. 89.
S. 279, 46 (nach Lyc. 11): rerewpévor yoùr Ida» "Arrad-
620 M. Treu,
xidas, xaia eine za rgogpeïa (cime s0ogeiu antyets A), pù Bovio-
pérovs uviods urn: eldoras paysotat dıdakus AP. tergwuévor
yovv avıov luy ‘Aviudxlduc evexcder, Om pi) Bovdonévovs avrods
ponte eldorag püytc9ui Udldake. xala yao spy didaczaleta ga
Onfalwr anolauSdveav avrov &Floavta xal dıdakurın modepeiy
axovtuc. Mr.
S. 281, 5 (Lye. 22): fake rv Fewv tag Fvolas AMP.
8. 281, 13 (Lyc. 24): Bldarwuev M. Kurtz S. 34.
S. 281, 48 (Lysander 1): Avourdgog Asovvotov :ov tig
Sixehlug tvpuvvov né£uyarvrog avrov raig Fvyargaow incarna ro-
AvreAn ovx ZhuBev elnav dedsévar, un del rasta peaddov uloyoui
pavaosr udd’ Gllyov boregov góc TOV uUIÒY tuguvvov Ex tHE nodews
unocruheis colores wéupavtog avi rov 4sovuolou dvo Groldg
xai xelevoavtoc, nv Bouderas, tuurnpr Ehomevov ti Fuyargì xo-
alle, aviv exelynv tpn PéArior aignosodu xui AaBwv duepo-
tous annddev. So AP, nur daß P zgooséupaurros nach dglorag
schreibt und A Zpn auslift. M stimmt bis gurwow, darnach:
oMyov d° ab voregov ngo [Lücke] méuwavrog av: tov Asovuctov
dio OroÀag xui xelsvouvıog nv Bovderas tovrwy Elowerov rj Fu-
yuroi xoulbeiv, êxelrnv Epn x. tr. 4. Ebenso wie Mr.
S. 281, 47 (Lysander 2) beginnt darauf in AMPr cogs-
ons dé dewos yevouevos 0 Avourdoog xai ün&tusg.
S. 282, 24 (Lysander 9) apecrwiwy AMP. Kurtz S. 39.
S. 282, 52 (Lysander 14) ’-4ysadwy AP ’Ayıadov M. Kurtz
S. 34.
S. 283, 27 (Nicander 3) «47% AMP. Kurtz S. 40.
S. 283, 29 (Panthoidas) beginnt: /Zavdoldas xgecBev wv
elo (tiv M) Acta» enidecxviviwy avr. Twwv tsigos kya xai
vyniov AMPr.
S. 285, 7 (Plistarch. 1) éxeîvos pèv” Ayıy Bacrdevesr Èyopbor,
of d’ éxslvwr doreoos ovduuws AP. M wie die vulgata, ohne
oí d’ éxelvwr doiegor ovduus. Wyttenbach animadv. Kurtz
S. 40.
S. 285, 11 (nach Plistarch. 2): moog de 10v undova ps-
uovpuevor fdiov Èpn, w Eve, uvtIG axovea ang andovog AP.
S. 285, 13 (Plistarch. 3) Favpalw Ep, el pa ng avrg
einer antdave0 AMP.
S. 286, 33 (Charill. 4): Z9wryoavreg dé nro; udrer, iva
Zur Ueberlieferung der apophthegmata .Laconica. . 621
(Ces moditeiur aglommv (sivas A) En. AMP, am Schluß dyo-
cda dJélwo M, dJélouce AP.
S. 286, 40 (nach Charill. 5): mgóg dé roy nuSousvor, dia
tf xouWwoı, ebner Om tw xoguww è pudixoc xai Uddzavos oùreg
éor(. AP.
S. 286, 43 (nach Nr. 1): $mroaog puxgor xurazslvurtog
Aoyov x«i tdg umoxgices alroUvrog, lu roig modbroug drmuyyetdg
(anuyysthes A) anuyyedde tolvuv EÉguGav, O16 n0As pèv Ov èravew
héywv, polis dé nueis axovovies. AP. Wyttenbach animadv.
bringt dies apophth. ebenfalls, aber nicht aus M, sondern wohl
aus dem Harl, denn in M fehlt sowohl Nr. 1, wie dieses
apophth. In A sind in Nr. 1 die Worte Zmsisi«dages bis
nouru ausgefallen; in r fehlt Nr. 2. !
S. 287, 3 (nach Nr. 8): &Aiog mudoptrov 106, dient
éyxssoudlouc Poaykoı yonoFe, Ina nAnolov sins roig nokeulosg ele
yetous Tewues AP. In Mr fehlt dies, in M auch noch Nr. 4.
S. 288, 16 (Nr. 23): avruywrsctas of véow. AMP.
8. 288, 32 (nach Nr. 27): Anunroiov èyxadovvros, ots Eva
noeoBevriy Énsuwav moóg avtov, oùy ixavóg ovv simo» ef, ngog
&va sig AMP. Wyttenbach animadv. bringt dasselbe aus MP
Harlei., schreibt aber ixuvog our, stor, el ngog. So fat es
auch r auf. |
S. 288, 42 (Nr. 31) #ueldov statt ZueAder ist wohl nur
Druckfehler: rel diaAvec9 us Fusddev übersetzt r: quum is mo-
riturus esset. Kurtz S. 35.
8. 289, 44 (Nr. 42) lautet in 4P, nicht in Mr: ywiog
êni noAsuor EEiwv Enuxolovdovvıwv avidi way x«i diaysduiviwv
(ysAuvruv A) envorgagets eine xaxai xepalul ov gevyorta dei
roig modeuloi uuyeodur, adda pévorta xal ijv kw quâut-
zovra. So auch Wyttenbach animadv. aus P.
S. 290, 7 (Nr. 47) »} rà Sew statt vij dla AP. v per
louem. M hat Nr. 46 garnicht. Wyttenbach animadv.
S. 290, 18 (Nr. 49) Kurtz S. 36 stellt her: r£ zouro
ws ov raFagg, 6podQ« dé Qvnagi nAsiov nuguget; AP hat: sí
Toro ws où xuJaQQ, cpodou di QvnagQ nisiov mag£ye. M: 10
rov ip xai où xaJugi, opodea dì duragd mAkov ragéyes. r: quid-
nam hoc? ait, quod ut immundo ualdeque sordido plus aquae
praebet ?
S. 290, 20 (Nr. 50) beginnt: @unnov rov Maxsdoros
622 M. Treu, Zur Ueberlieferung der apophthegmata u.s. w.
noooiuırovıog deva (twa AP) dv lmoroAijc, avityoayar of Aa-
xedaıuorıoı Dilnno negi wry aumıw (aus AP) Eygawac, où' ore
d° évéBadev elg r3». Aaxwrexnvy 6 Dllunnos xoi edoxovwv. AMP.
So auch Wyttenbach animadv. aus MP. Im Harlei. fehlt Nr.
50 ganz. |
S. 297, 34 (nach Gorgo): épwmdeioa de $no nvoc > Arnxîs,
diutl vusic &gyere povai rdv avdowv ul Adxwras On Ep xaì
tixıousv uovas avdgac. noorpenopévn dì r0» avdoa Aswvidav
ébiovrn sl; Osouorvius akvov tng Znagrqgg pavia, mowrtwe tl
XQ Teurtev; 0 08 pn ayadòv yausiv xal dyada ulxiev AP.
S. 298, 15 (nach Nr. 1): «An zöv vidv àv nagurafsı me-
corra, Epn° Oriol xhaséodwoav, éyw dé ce, téxvov, aduxgus xai
iduga Funtw, 10v xoi èuov xui Auxsduuoviov. APr. In M
fehlen diese Worte, wie auch Nr. 1. Nach nuguruëes ist aus
Ambros. C 195 Inf. uaJovoa zu ergänzen. Dem entsprechend
hat.r: quum filium în acie cecidisse audisset.
Breslau. M. Treu.
Excerptorum Palatinorum specimen.
In codice Palatino Graeco 129 Heidelbergensi, de quo aliis
codicibus miscellaneis quibuscum arte cohaerere eum mihi per-
suasum est inspectis accuratius dicam, folis 113 et 114 inter
scholia, quae maximam partem pertinent ad Aelium Aristidem,
non pauca snnt quae quo referam adhuc nescio . ita nusquam
alibi hane de septem sapientibus legi narratiunculam (fol. 114°
24—28): Où ı75 Hàa«dog ovouubbpero Ente cogol
"Ens yonowög éEénece 10 copwrutw dodiras tov reguuagniov Tol-
nodu, Exadtos Éavroù Oopwi£govg toùs addoug xgívwv did quÀo-
copor émeixeur dg adAjiors diunavımv üvaxvxAovjuévov ntQuodsxaG
nuoéneunev xai TEAog &mogrGuvrtg TQ AnoAlwrs rovrov av€Iy-
xav): nusquam hoc ambiguitatis exemplum (fol. 114" 28—30):
Oi "Iwveg notè 10 Erıßwuov Euégupavro Eniyouupa, tò Àéyor
HPAKAEITOIEODEXIOI
(codex: nouxistrw Eyeolw), dote regi thy noosmdlav tye augebo-
Muv- elle yàg 10 “Heaxieitm td qguocope avetéIn 6 Bwuds, etre
1) "HooxAsi, ovx our elneiy ?),
Vratislaviae. M. Treu.
1) [Verba nova sunt, rem invenies apud Plutarchum Solon. cap.
IV, unde haud scio an sua hauserit excerptor Palatinus. Plura dabit
Schneider Callim. II p. 245sq., Meinekius Choltamb. p. 158sqq. — 0. Cr.]
2) [Similia sunt quae de BAZTAKAPAZ inscriptione leguntur
apud Hesychium s. v. et Zenobium app. prov. 50 (III 115 Mill). — Cr.)
XXXI.
Zur Composition von Petronius Satirae.
Bei der griechischen Stadt Campaniens, in welcher der An-
ig der uns erhaltenen Bruchstiicke Petrons spielt, hat Encol-
»s, der Held des Romans, eine nächtliche Feier des Priapus
stort und geräth deshalb mit seiner Priesterin Quartilla in
sanfte Beriihrung (c. 16—26). In Croton wendet er sich mit
rem Gebet an denselben Gott und Oenothea, die dort Priapus’
enst versieht, unternimmt es ihm die entschwundene Mannheit
ederzugeben (c. 133—136). Auch in Massalia, das der Schau-
itz eines verlorenen Theiles des Romans war, muf Encolpios
t dem Priapus-Dienst in Berührung gekommen sein (fr. 1 u. 4
t Biichelers Anmerkung ed. mai. p. 207). Aus alledem erhellt
nächst, worauf Bücheler zuerst aufmerksam machte, daß Pria-
s im Roman eine bedeutende Rolle spielte.
Ueber diese bekannte Thatsache hinaus führt uns die ge-
uere Betrachtung einiger Stellen, welche Encolpios’ Beziehun-
n zu Priapus etwas nüher erkennen lassen. Wir gehen dabei
n dem eben erwühnten Gebet aus (188). Nach der Anrufung
s Gottes (V. 1— 4) sagt Encolpios:
9 huc ades et Bacchi tutor Dryadumque voluptas
et timidas admitte preces . non sanguine tristi
perfusus venio, non templis impius hostis
admovi dextram, sed inops et rebus egenis
attritus facinus non toto corpore feci.
10 quisquis peccat inops, minor est reus. hac prece, quaeso,
624 Elimar Klebs,
exonera mentem culpaeque ignosce minori,
et quandoque mihi fortunae adriserit hora,
non sine honore tuum patiar decus, — —
Es folgt die Aufzählung der versprochenen Opfer.
Die älteren Ausleger bringen zur Erklürung dieser Stelle
gar nichts bei!) Nur die gewohnte Verkehrtheit bei Petron,
nicht zufrieden mit dem reichlich Gebotenen, allüberall Obsceni-
titen zu wittern, verläugnet sich auch hier nicht. Douza und
Gonsales deuteten die Worte inops et rebus egenis attritus auf
Encolpios’ kórperlichen Zustand und bezogen die ganze Stelle
auf sein Abenteuer mit Circe?) Diese Auslegung ist sprachlich
und sachlich gleich unmôglich. Es genügt zu bemerken, daf
Encolpios in seiner Unfähigkeit die Wünsche der schónen Circe
zu befriedigen, wohl eine Strafe des erzürnten Gottes erblicken
konnte — und so geschieht es thatsüchlich —, nimmermehr aber
ein Vergehen gegen den Gott selber, wegen dessen er diesen
um Verzeibung bittet?) Mit klaren Worten bekennt er, gegen
den Gott, von Armuth getrieben, gefehlt zu haben. Die Beto-
nung der Armuth als des treibenden Beweggrundes läßt zwar
zuerst an einen Raub oder Diebstahl denken; aber sie schließt
jede beliebige andere Handlung nicht aus, die um des Geldes
wilen von Encolpios ausgeführt wurde. Auch die Wendung
V. 9 'nieht mit dem ganzen Leibe habe ich sie vollbracht! —
sondern also nur mit einem Kórpertheil — ist viel zu allgemein,
um eine bestimmte Handlung zu kennzeichnen. Denn sie ließ
sich mit gleichem Recht und Unrecht so ziemlich von allen phy-
sischen Handlungen gebrauchen. Auch der Gegensatz, den sed
V. 8 einleitet, läßt eine mehrfache logische Deutung zu. Am
nächsten liegt, daß Encolpios seine That als leichtes Vergehen
Beispielen von besonders schweren Verbrechen gegenüber stellte.
— Aber man kann auch zu einer genaueren Auslegung kom-
men, wenn man einen engeren Zusammenhang der Worte non
templis impius hostis admovi dextram mit dem Folgenden annimmt.
‘Nicht habe ich als Feind an Tempel die Hand gelegt’, weist
auf Zerstörung oder wenigstens Ausplünderung von Tempeln;
wer solches begangen, ist ‘unsühnbar’ (impius) Einera solchen
1) Vergl. Burmann’s Ausgabe 1? 822.
2) Douza (Praecidan. Il c. 133, bei Burmann II 48) änderte dabei
et rebus egenus attritis. Gonsales bei B. II 274.
3) ‘deprecatus sum numina versu! heißt es vor dem Gebet.
Zur Composition von Petronius Satirae, 625
Frevel konnte Encolpios mit der verschleiernden Wendung fa-
cinus feci ein anderes, leichteres sakrales Vergehen, z. B. etwa
die Aneignung von Opfergaben, entgegensetzen; bei dem auch
von der Seite des subjectiven Thatbestandes, juristisch zu reden,
mildernde Umstände geltend gemacht werden: es entsprang nur
drückender Noth.
Natürlich begründete eine Handlung wie die eben als
Beispiel angeführte objektiv auch ein schweres sakrales Ver-
gehen; sacrum sacrove commendatum qui clepsit rapsitve parricida
esto, sagt Cicero in seinem Entwurf des sakralen Rechts (de
legg. 2, 9, 22, vergl. 2, 16). Hier, wo Encolpios um Gnade
feht, sucht er sein Vergehen in ein müglichst mildes Licht zu
stellen; in dem Brief an Circe (e. 110), in dem er sich seiner
Frevelthaten rühmt, bezeichnet er vermuthlich die nämliche Hand-
lung mit einem templum violavi. Soviel also läßt sich mit eini-
ger Wahrscheinlichkeit vermuthen: Encolpios hatte sieh den
Zorn des Gottes durch irgend eine Form der Tempelentweihung
zugezogen, die wir genauer nicht bezeichnen können).
Auf die Störung der niichtlichen Priapus-Feier in Campa-
nien kann sich das Vergehen nicht beziehen. Denn Quartilla
hült Encolpios und seinem Genossen zwar vor, Niemand schaue
ungestraft das Verbotene; im Uebrigen aber klagt sie nicht über
‘ein Vergehen gegen den Gott, sondern nur über eigene Unbill.
Also in einem verlorenen Theil des Romans hatte Encolpios
eine Handlung begangen, welche ilim Priapus Zorn zuzog; sei
es nun, daß er sich an einer Bildsäule des Gottes vergriff, sei
es daf er einen seiner Tempel beraubte oder entweihte, Wie
wir wissen, trat in Massalia Encolpios in Beziehungen zum Pria-
pus-Dienst; es liegt am nächsten anzunehmen, daß er dort seinen
Frevel begangen hatte. Darauf führen auch andere Spuren. In
einer poetischen Klage tiber sein Geschick sagt Encolpios (c. 139)
me quoque per terras, per cani Nereos aéquor
Hellespontiaci sequitur gravis ira Priapi.
4) Das den Versen folgende Fragment beginnt mit den Worten
‘dum haec ago curaque sollerti deposito meo cuveo' — — und scheint
dafür zu sprechen, daB Encolpios einen geraubten Gegenstand dem
Gotte wiedererstattet. Aber da die Noth das Vergehen herbeigeführt
hatte, so kann es nicht in Croton verübt sein, wo Encolpios sich im
Ueberflu8 befindet (c. 125). War es aber früher ‚verübt, so war der
aus Noth gestoblene Gegenstand doch schwerlich in Encolpios Händen
geblieben, sondern verzehrt oder versilbert.
Philologus. N. F. Bd. I, 4. 40
626 Elimar Klebs,
Und ‘in dem Monolog, den er einsam am campanischen
Strande hält: ‘ergo me non ruina terra (cf. c. 9) potuit haurire?
non iratum innocentibus mare?’ Sicher hatte er also schon bevor
er nach Campanien kam, arge Gefahren auf dem Meere bestan-
den; vielleicht auf der Ueberfahrt von Massalia.
In Campanien nimmt Priapus’ Priesterin an Encolpios empfind-
liche Rache fiir seine Stérung der heimlichen Feier. Aber klarer
noch tritt Priapus Eingreifen bei dem Abenteuer mit Lichas und
Tryphäna hervor. Ahnungslos haben Encolpios und Giton das
Schiff ihrer ärgsten Feinde betreten. Dem Lichas aber ist Pria-
pus im Traum erschienen und hat ihm verkiindet, er selber habe
Encolpios, den Lichas sucht, auf das Schiff geführt (c. 104).
Und als Lichas ihn dann entdeckt hat, sagt er, der Gott selbst
hat sie der Bestrafung iiberliefert (c. 106).
In Croton versagt ihm Priapus dem schönsten Weibe ge-
genüber?) den Gebrauch eben der Gaben, welche er mit dem
Gotte gemein hatte 9). Er vergreift sich dann an Priapus heili-
gen Günsen, und vergebens sucht Oenothea ihm seine Kriifte
wiederzugeben. — Als er sich dem Sohn der Philomela. nähert,
‘fand ihn auch da die feindliche Gottheit’ (c. 140).
Soviel läßt diese Zusammenstellung erkennen: in den Thei-
len des Romans, von denen wir einige Kenntniß haben, spielten
Vergehungen des Helden gegen Priapus und Strafen des erzürnten
Gottes eine bedeutsame Rolle.
Nun war Priapus gewiß die angemessenste Göttergestalt für
einen Roman, in welchem die Liebe in ihrer grob - sinnlichsten
Gestalt einen so breiten Raum einnahm. Aber in welchem Sinn
und zu welchem Zweck hat Petron diese Gestalt eingeführt ?
Brauchte er sie etwa als ernsthaftes Mittel die Handlung in Be-
wegung zu setzen, wie bei Apuleius nach allen Zauber-, Räu-
ber- und Schmutzgeschichten pathetisch schließlich die tausend-
namige Isis eingreift? Dagegen spricht eigentlich schon die
Wahl der Gottheit, aber nicht minder der Umstand, daß Petron,
so ernsthaft er zu Zeiten ist, doch — soweit wir nach den erhal-
tenen Stücken schließen dürfen — nie Apuleius Geschmack-
losigkeit begangen hat, die Einheitlichkeit der komischen und
5) mulierem omnibus simulacris emendatiorem c. 126.
6) c. 105 und 129.
Zur Composition von. Petronius Satirae. 627
satirischen Grundfirbung durch das Aufsetzen schwer pathe-
tischer Töne zu zerstören.
Allerdings auch seine ‘Schelme’ werden bisweilen pathetisch.
Aber es ist auch fiir die Sonderfrage, die uns hier beschiiftigt,
belehrend die Art dieses Pathos etwas nüher zu prüfen. Seine
Eigenart wird bei einem Hinblick auf einige verwandte Erschei-
nungen am besten hervortreten.
Zu den gelungensten Figuren der plautinischen Komödie
gehören bekanntlich die genialen Spitzbuben, wie Tranio in der
Mostellaria, Chrysalus in den Bacchides und Pseudolus; sie
haben wohl das Beste vom eigenen Geist des Dichters empfan-
gen. Auch sie werden nicht selten pathetisch "); die Quelle ihres
Pathos ist dieselbe, aus der die komischen Spitzbuben der Ju-
gendwerke Schillers das ihre schöpfen, das hoch gesteigerte Selbst-
gefühl Aber wenn bei den Figuren. des modernen Dichters,
wie bei Spiegelberg und dem Mohren, das Pathos allein die
Kosten der komischen Wirkung bestreiten muß, so haben jene
soviel zahmeren plautinischen Gestalten zugleich eine behagliche
und gemüthliche Freude an ihrer spitzbübischen Kunst und
Kraft. — Ganz anderer Art ist das Pathos der Räuber des Apu-
leius. Sie berichten die Schicksale ihrer in Böotien gefallenen
Kameraden) in Tönen, als hielten sie Epaminondas die Leichen-
rede. Aber dies Pathos wirkt nicht komisch, sondern erscheint
nur gespreizt, weil es von Apuleius ganz äußerlich aufgetra-
gen ist.
Stellen wir nun demgegenüber einige AeuBerungen der pe-
tronischen Gesellen zusammen. Encolpios versteckt Giton vor
Askyltos Nachforschungen unter einem Bett und heißt ihn sich
an den Gurten anklammern, wie Odysseus an den Widder des
Cyklop. Er übertraf, sagt Encolpios, den Odysseus durch seine
List, und nennt ihn später einen Odysseus, den selbst ein hun-
griger Cyklop verschont hätte (c.: 48). — Von sich selbst
rühmt Encolpios einmal, er wäre in gewissen Betracht ein Achil-
les gewesen (c. 129). — Als Askyltos den Giton vergewaltigen
will, ruft er ihm zu ‘wenn du die Lukretia spielen willst, hast
du einen Tarquinius gefunden’ (c. 9). Als sich die beiden
des Pseudolus Ps. 2, 1.
7) Man vergleiche z. B. die Monologe des Chrysalus Bacch. 4, 9,
8) Apul. M. 4, 9 ff. |
40 *
628 Elimar Klebs,
Spießgesellen wieder einmal um den Besitz des Buhlknaben
streiten, fleht dieser, die niedere Hütte möge kein ‘Thebanisches
Paar’ erblicken (c. 80). Durch einen obscenen Griff stellt Lichas
fest, daß er Encolpios vor sich habe; dieser selbst vergleicht
das mit der Wiedererkennung des Odysseus durch die Amme
(c. 105)! Diese petronische Gesellschaft, voran Encolpios, liebt
es also gerade von niedrigen, obscenen Dingen und Situationen
pathetische Wendungen zu gebrauchen, welche dem Epos und
der Tragódie entlehnt werden. Die Wurzel dieses Pathos ist
nicht wie bei Plautus Gestalten das gesteigerte Selbstgefühl, die
behagliche Freude am eigenen Selbst; vielmehr ist dieses rein
ironisch und entspringt dem Bewustsein der eigenen Niedrigkeit.
Encolpios ist sich über sich selbst wie über seine Genossen
sehr klar (vergl c. 81); aber der Dichter, welcher in der aller-
schlimmsten Epoche der Kaiserzeit schrieb, leiht ihm seine eigene
ironisch - blasirte Weltanschauung. Encolpios fühlt sich nicht
schlechter als alle anderen, die doch allesammt tief verdorben
sind und hóchstens mit ‘erheuchelter Strenge' die Catonen spie-
len. Es entspricht dieser ironischen Stimmung, wenn die ehr-
würdigsten Gestalten des Epos und der Tragödie gerade für
das Gemeinste herangezogen werden.
Aber wo bleibt bei alledem Priapus? fragt man vielleicht
verwundert. Gemach! die Stelle, die wir als gleichartig den
eben genannten noch anzureihen haben, führt uns sogleich zu
ihm zurück. Die poetische Klage, deren SchluBworte wir schon
S. 625 anführten, lautet vollständig also:
non solum me numen et implacabile fatum
persequitur. prius Inachia Tirynthius ora
exagitatus onus caeli tulit, ante profanam
Laomedon gemini satiavit numinis iram,
Iunonem Pelias sensit, tulit inscius arma
Telephus et regnum Neptuni pavit Ulizes.
Me quoque per terras, per cani Nereos aequor
Hellespontiaci sequitur gravis ira Priapi.
Um das ironische Pathos dieser Verse voll zu würdigen, muß
man sich des schmäligen Anlasses zur Klage erinnern und die
erbauliche Zwiesprache hinzunehmen, welche Encolpios vorher
mit sich selbst gehalten hat (c. 132).
Gleichartig ist diese Stelle den früheren insofern, als auch
Zur Composition von Petronius Satirae. 629
hier das Niedrige pathetisch verglichen wird mit dem Erha-
benen, das aus dem Epos und der Tragödie genommen wird.
Aber an Stelle der früheren, vereinzelten Töne erklingt jetzt ein
voll ausgeprügtes Thema; der Zorn des Priapus bedeutet
für Encolpios Schicksale, was Poseidon's Zorn für
Odysseus, Hera's für Herakles. Diese Zusammenstellung wäre
ohne jeden Sinn, wenn^nicht im Verlauf der Erzählung Priapus
Zorn thatsüchlich sich bemerkbar gemacht hätte. Wir haben ja
aber auch selbst aus dem geringen Bruchtheil, der uns noch
vorliegt, vier entsprechende Fälle verzeichnen können.
Ein Zug von Milde und Güte kennzeichnet im Allgemeinen
die Gestalten der hellenischen Gôtterwelt. Und doch, so wenig
sie gemein haben mit jener finsteren Strenge, wie sie sich im
Jahwe der Hebräer oft bis zur Rachgier steigert: in den grie-
chischen Mythen spielen zürnende Götter die bedeutsamste Rolle.
Man braucht, um dessen recht inne zu werden, nur einmal eine
Zusammenstellung von Mythen zu durchblättern, wie sie Apollo-
dor giebt, oder auch nur den dürftigen Abriß des Hyginus.
Die beiden Vorstellungen vom Neide der Götter und die andere,
mit ihr eng zusammenhängende von der menschlichen Ueber-
hebung und der ihr folgenden Nemesis *), die beide so tief im
sittlich-religiôsen Empfinden der Hellenen wurzeln, sie haben
wohl dazu beigetragen, daß in der poetischen Ausgestaltuug der
Sagenstoffe zürnende Götter so überaus häufig erscheinen. Die
Poesie fand hier ein höchst fruchtbares Motiv; so haben denn
auch nach dem Vorbilde Homers die Dichter, neben den epischen
vornehmlich die tragischen, den Zorn einer Gottheit ausgiebig
als poetischen Hebel benutzt, um die Handlung in Gang zu
bringen.
Seitdem auch bei den Römern die Poesie zur Grundlage des
Jugendunterrichts geworden war; seitdem die ganze Fülle poe-
tisch gestalteter, griechischer Sagenstoffe so allgemein bekannt
war, wie dies anschaulich heute noch die campaniscben Wand-
gemälde erkennen lassen, mußte auch die poetische Verwendung
jenes Motives jedem römischen Leser Petrons geläufig sein. Und
wußte er selbst nicht aus Homer und Sophokles, was für das
Epos und Drama die zürnende Gottheit bedeutete, so wußte er
9) Vergl. Lehrs, Populäre Aufsätze S. 33 ff.
630 Elimar Klebs,
es aus dem verbreitetsten und volksthiimlichsten Gedicht der
rómischen Kaiserzeit, aus Virgils Aeneis.
Wenn nun dies allbekannte Motiv aus der Welt der Götter
und Helden versetzt ward in die Welt des genialen Gesindels;
wenn an die Stelle der obersten Gótter, die als die mächtigsten sonst
in solchen Füllen verwandt zu werden pflegen, die an sich schon
lächerliche Gestalt des Priapus trat, so mußte der doppelte
Gegensatz eine große komische Wirkung erzeugen.
Wo'rein ästhetische Beweggründe das künstlerische Handeln
zureichend erklären, ist es an sich überflüssig, ja unstatthaft,
nach Nebenabsichten zu spüren. Aber bei einem so satirischen
Geist wie Petron liegt die Frage nach einer satirischen Neben-
absicht zu nahe, um sie nicht zu prüfen. Daran wird natürlich
kein Verständiger denken, daß es Petrons Absicht gewesen sei
eine prosaische Travestie zu den Gesängen vom Zorn Poseidons
oder Junos zu schreiben. Ein Werk mit einer solchen Fülle
lebensvoller Schilderungen der Wirklichkeit erhebt von selber
dagegen Einspruch, unter die reinen Litteratur-Satiren eingereiht
zu werden. Aber eine Parodierung der ausgedehnten poetischen
Verwendung des Götterzornes wäre an sich nicht ausgeschlossen.
Auch im römischen Epos spektakelte nach Ennius Vorgang die
Göttermaschinerie und sollte durch ihr Lärmen oft genug, auch
bei Virgil, die Hörer darüber hinwegtäuschen, daß der Dichter
unfähig gewesen war, die Handlungen seiner Gestalten aus de-
ren eigenen Beweggründen zu erklären. — Uns liegt der Ge-
danke nahe, daß dieses Verfahren die Satire herausforderte.
Aber wenn heute ohne Schwierigkeit Schulknaben von den inne-
ren und nothwendigen Mängeln des heroischen Kunstepos reden
können, so wollen wir doch nicht vergessen, wie jung diese ästhe-
tische Weisheit ist; von der Messiade trennt uns eben nur ein
Jahrhundert. So geistvoll Petron auch den Schwall und Schwulst
der Dichterlinge und Deklamatoren verspottet, auch der Geist-
vollste ist am Ende ein Kind seiner Zeit. Auch Petron hat in
seinem ästhetischen Urtheil der seinigen den Zoll bezahlt. In
seiner Kritik Lukans hebt er scharf und treffend den Gegensatz
hervor zwischen der historischen und der epischen Behandlung
geschichtlicher Stoffe (c. 118). Seine Bemerkungen sind ganz im
Einklang mit den entsprechenden Ausführungen der aristoteli-
schen Poetik (c. 23) und beruhen vielleicht auf diesen. Aber
Zar Composition von Petronius Satirae. 631
seine Kritik dringt nicht bis zu dem Ergebniß vor, daß die
epische Verarbeitung von Stoffen wie der Bürgerkrieg nur zu
einer Afterpoesie führen kann; sie bleibt bei der Forderung stehen,
an Stelle einer ängstlich genauen, ‘durch Zeugen verbtirgten’
Erzühlung eine freie poetische Behandlung der Thatsachen zu
setzen; an Stelle der pragmatisierenden Behandlung das Ein-
greifen góttlicher Müchte (‘deorum ministeria). Und meines Erach-
tens ist der ganze Zweck der hierauf in poetischen Form gege-
benen positiven Kritik, des sogenannten ‘carmen de bello civili’,
kein anderer als die praktische Verwirklichung eben jener theo-
retischen Forderung*zu veranschaulichen '°). Gerade Lukan ge-
genüber, der oft sklavisch am Stoffe klebt, war ein solcher Hin-
weis sehr angebracht. — Doch wieviel oder wenig man auch
sonst noch in diese Kritik in poetischer Form hinein geheim-
nissen mag, soviel lehrt unwiderleglich der prosaische Theil:
wir wiirden mit der Annahme einer satirischen Nebenabsicht
bei der Verwendung des priapeischen Zorns zu Unrecht Ideen,
die uns gelüufig sind, in eine Zeit hineintragen, in der sie noch
gänzlich unter oder auBerhalb des Gesichtskreises selbst der Ge-
scheidtesten lagen.
Es verbleibt uns noch die Frage, wie das bisher Ermittelte
mit demjenigen zu vereinigen ist, was wir sonst tiber die Com-
position des Romans den Bruchstücken entnehmen können Nur
von der Form, in welcher Petron seinen Stoff gestaltete, soll °
dabei die Rede sein, nicht aber von den Ideen und Absichten,
die Petron durch den Inhalt seines Romans zu verwirklichen
strebte. In dieser Beziehung kommen wir über die allgemeine
Thatsache nicht hinaus, daß Petron ein satirisches Zeitgemälde
entwarf. Selbst der kleine Theil, der uns vorliegt, bertihrt so
verschiedenartige Gebiete des Lebens, daß jeder Versuch auch
nur die inhaltliche Ausdehnung des Verlorenen zu bestimmen
als Vermessenheit erscheinen miifte.
Jedoch die Grundzüge der Form der Erzühlung treten deut-
lich hervor. In den erhaltenen Stücken erzühlt überall Encol-
10) Die Aufstellungen Westerburg's (Petron und Lucan, Rhein.
M. 38 S. 42 ff.), in dem Gedicht Petrons lüge eine Travestie und
Parodie vor, hat bereits Friedlinder (Bursians JB. 14 S. 196) mit
Recht zurückgewiesen. — Mössler hat in seinen Arbeiten (de Petronss
oemate de bello civili 1842 und den Hirschberger Programmen von
1857. 1865. 1870) den im Text angegebenen Gesichtspunkt nicht über-
sehen, aber doch zu nebensüchlich behandelt.
632 Elimar Klebs,
pios in der ersten Person. Alle Verweisungen auf friiher Be-
richtetes beziehen sich auf Encolpios Schicksale. Wir diirfen
demnach mit Bestimmtheit sagen, daß das Ganze, um den nicht
eben schénen, aber gebriuchlichen modernen Ausdruck anzuwen-
den, in der Form des Ich- Romans gehalten war; wie Lukian's
Lukios, und Apuleius’ Metamorphosen. Ein begabter, hochgebil-
deter Mensch, der sich selbst zu jenen zählt, die außerhalb des
Gesetzes leben!!), berichtete seine bunten Abenteuer zu Land
und zu Meer. Man wird sich somit, soweit es sich um die for-
male Gestaltung der Erzühlung handelt, das Ganze zunüchst
einigermaßen ähnlich den Schelmenromanen des sechszehnten
und siebzehnten Jahrhunderts denken dürfen. Manche Züge
finden sich gemeinsam: Encolpios hat wie alle Helden dieser
Art gar gewaltiges Glück bei den Weibern und erprobt es reich-
lich!?); der Held kommt häufig in die schlimmste Gefahr, schlägt
sich aber immer wieder durch Glück und Schlauheit heraus.
Auch den häufige Wechsel des Schauplatzes der Handlung hat
Petron mit den Späteren gemein!?) Es sind das lauter Züge,
deren Gemeinsamkeit aus der Natur dieser Gattung der Erzüh-
lung sich von selbst ergiebt. Uebrigens läßt der ironische Grund-
ton, auf den Petrons Werk gestimmt ist, darauf schließen , daß
. Encolpios darin wohl am meisten seinen spüteren spanischen
Vettern ähnelte, daß er am Ende nicht um ein Haar gebesserter
als am Anfang dastand. Aber gegenüber dem Mangel an ge-
schlossener Composition, welcher den meisten modernen Erzeug-
nissen dieser Art anhaftet, zeigt Petrons Werk das unver-
gleichlich lebendigere, antike Formgefühl und wird trotz einiger
äußeren Aehnlichkeiten schon durch seine Composition etwas
wesentlich anderes als jene.
An einer bekannten Stelle der Poetik '*) rühmt Aristoteles
an den homerischen Epen die Einheitlichkeit der Handlung; an
einer anderen 15) setzt er die Einfachheit der Grundfabel der
11) quam male est extra legem viventibus : quicquid mernerunt,
semper expectant. c. 125.
12) Abgesehen von Quartilla, die wir billig bei Seite lassen, hat
Encolpios Doris 126 und Hedyle, Lichas Gattin 113 in den verlorenen
Theilen gewonnen; in den erbaltenen Circe und ihre Zofe Chrysis.
13) Hier, wo keine vergleichende Litteraturstudie gegeben wer-
den soll, wird ein Hinweis auf die beiden bedeutendsten und sugleich
bekanntesten Werke dieser Gattung genügen, den Gil Blas von Le-
sage und den Simplizissimus.
14) c. 8. 15) c. 17 (1455; 17 f£).
Zur Composition von Petronius Satirae. 633
Odyssee auseinander und führt unter ihren Grundziigen Odysseus
Verfolgung durch Poseidon auf. In der That, wenn ein antiker
epischer Dichter, der eines Helden Schicksale besang, die Ereig-
nisse nicht. bloß wie Perlen auf der Schnur aneinander reihen
wollte, so gewührte ihm die Einführung einer zürnenden Gott-
heit ein treffliches Mittel von der rein äußeren Einheit der Per-
son zur inneren Einheit der Handlung zu gelangen. Die ge-
sammten Schicksale des Helden liefen sich dann als das Ergeb-
nifi eines Kampfes fassen zwischen dem Helden und einer ihm
feindlichen Gottheit. Nach der epischen Schablone, wie sie das
Vorbild der Odyssee gab, war der größte römische Epiker ver-
fahren; nach ihr verfuhr Petron, indem er seinen Helden über
die Linder und über des ‘Nereus Fluth' durch den Zorn des
Priapus verfolgt werden ließ. Die Wendung des Motivs ins
Komische ergab sich von selbst aus dem komischen Grundcha-
rakter des Ganzen.
Im Epos steht der zürnenden Gottheit regelmäßig die schir-
mende gegeniiber. Auch Petron hat wenigstens einmal einen
hilfreichen Gott eingefiihrt und sehr passend den Gott der Diebe
und Schwindler dazu erwäblt: dem Merkurius schreibt Encolpios
seine Heilung zu !f).
Diese klar vorliegenden Parallelen 1") führen mit ästhetischer
Nothwendigkeit zu dem Ergebniß, daß das Motiv von Priapus’
Zorn nicht etwa nur die uns noch erkennbaren Theile, sondern
das Ganze beherrschte. Man muß sich freilich dabei vor Ueber-
treibungen hüten. Auch im Epos poltern die zürnenden Götter
nicht beständig herein; auch im Epos geschieht vieles, was nicht
unmittelbar mit dem Grundmotiv zusammenhingt. . Die komische
Muse durfte sich eine noch viel größere Freiheit gestatten. Es
genügte vollauf, wenn aus den bunt verschlungenen Melodien
das Grundthema von Zeit zu Zeit wieder auftauchte. So hat es
Petron in den uns bewahrten Bruckstiicken gehalten.
Aber zur vollen Wiirdigung dieser Compositionsweise fehlt
16) ‘dis maiores sunt, qui me restituerunt in integrum. Mercurius
enim qui animas ducere et reducere solet, suis beneficiis reddidit. mths
quod manus irata praeciderat. 140. Die letzten Worte weisen deut-
lich auf Priapus.
17) Auch an die richtige cyayrwosois dx mneosneteias in c. 105
(vergleiche oben S. 626 und 629) welche sich unter ausgesprochener
Bezugnahme auf die Odyssee in niedrig-komischer Weise abspielt,
mag noch einmal erinnert werden.
634 Elimar Klebs,
doch noch eins. Auf litterarischem Gebiet ist Petron wohl unbe-
stritten der stirkste Realist des Alterthums. Aber von jenen
‘allermodernsten Naturalisten, die mit ihm nur die breite Behand-
lung des Schmutzes gemein haben, scheidet ihn der kiinstlerische
Charakter seines Realismus. Wir erinnern nur an seine unver-
gleichliche Behandlung der Volkssprache. Es heißt einem Mann
von so feinem Kunstverstand wenig gerecht werden, wenn man
seine weise Beschränkung auf den philologischen Grund zurück-
führt, daß die rein wiedergegebene Vulgärsprache von gebil-
deten Lesern nicht verstanden würe!9) Sparsamkeit in der
Verwendung der kiinstlerischen Mittel der Charakterisierung gilt
uns doch seit Lessing als ein Grundzug der gesammten alten
Kunst. |
Wenn nun Petron seine realistischen Bilder einer unsagbar
tief gesunkenen Zeit zu innerer Einheit zusammenfafite durch
den Zorn des Priapus, so umschlang die lebensvollen Schilde-
rungen der Wirklichkeit ein komisch-phantastisches Band; phan-
tastisch in dem Sinne, daß es nicht der Wirklichkeit, sondern
dem Reich der Phantasie entnommen war. Damit aber wurde
das Ganze aus der Sphire der gemeinen Wirklichkeit entriickt
in die ideale der Kunst !*). So ward es dem Dichter möglich
sich die kiinstlerische Freiheit zu wahren, mit der wir ihn stets
iiber seinen Gestalten stehen sehen; so ward dem Leser Vieles,
was als blofer Abklatsch der Wirklichkeit unerträglich wäre,
gemildert, weil das Ganze geworden war, was ein Kunstwerk
18) A. v. Guericke (de linguae volgaris reliquiis apud Petronium
etc. p. 2) ‘st enim prorsus linguae plebetae. locum dedisset sllas satiras
. . . partim now intellezissent lectores eruditi partim tuedio commoti re-
pudiassent ; das beißt doch wohl aus Abneigung der Gebildeten gegen
das Ungebildete. Vielmehr liegt der Grund darin, daß die reine Vul-
gürsprache einen unertrüglichen Contrast zu den übrigen Theilen ge-
bildet und die künstlerische Einheit des Werkes vernichtet hätte. :
Denn die Rede Petrons trigt ja nicht nur das vollendete Geprige
jener der lateinischen Sprache eigenthümlichen Eleganz, sondern ging
sehr häufig in Verse über, entsprechend diesem bewust kunstmäßigen
Charakter des Ganzen erschien die Vulgürsprache nur in ‘stilisir-
ter’ Form.
19) Die Erinnerung an die aristophanische Komödie stellt sich
dabei von selber ein. — Auch an das Verhältniß von Oper und Schau-
Spiel mag in Kürze erinnert werden. Jene trigt in viel ausgeprügte-
rem Mafe den Charakter des unwirklichen, rein künstlerischen Spiels.
Dieselbe Handlung, die im recitirenden Drama (z. B. in den lustigen
Weibern von Windsor) plump und abstoBend wirkt, kann in der
idealen Sprache der Musik zum anmuthigen, phantastischen Spiel werden.
Zur Composition von Petronius Satirae. 685
sein soll: ein ernsthaftes Spiel. Uns ist es nicht mehr ver-
gönnt, den vollen Eindruck dieser Compositionsweise zu genießen.
Ganz abgesehen von dem Unterschiede modernen und antiken
Empfindens, müssen darum die herausgerissenen Bruchstticke
einen wesentlich anderen Eindruck als das ursprüngliche Werk
in seiner Gesammtheit hervorrufen. Aber selbst aus den Ruinen,
die vor uns liegen, kónnen wir doch in seinen Hauptzügen den
Bauplan des Meisters ahnend erkennen, welcher dies in jedem
Sinne unvergleichliche Werk schuf.
Berlin. Elmar Klebs.
Zu Livius.
VII 2, 4 . . iudi quoque scaenici, nova res bellicoso populo . .,
inter alia caelestis irae placamina | instituti. dicuntur. celerum parva -
quoque, ut ferme principia omnia, et ea ipsa peregrina res fuit.
Madvig hat es schon ausgesprochen, daß quoque nicht zu perva
gezogen werden kann; und H. J. Müller bemerkt richtig, daß
es nur Bezug auf das vorhergehende nova oder auf das nach-
folgende peregrina haben kónnte. Aber keine dieser beiden Be-
ziehungen ist im Sinne des Autors; das zeigen die Worte $ 18
inter aliarum parva principia rerum ludorum quoque prima origo
ponenda visa est. Es muf also, damit der entsprechende Gegen-
satz zu ut ferme principia omnia zur Geltung komme, parva «haec?
quoque geschrieben werden. Die Einsetzung eines Demonstrativs
empfahl auch Madvig, aber das von ihm vorgeschlagene ea mif-
fällt wegen des sofort folgenden et ea ipsa. :
VII 30, 11 Omnibus quidem, Romani, vestram misericordiam .
aequum est patere, iis tamen mazime, qui, ca ca inplorantibus aliis dum '
supra vires suas praestant, omnes ipsi in hanc necessitatem venerunt,
Die campanischen Gesandten gründen im Senate ein besonderes
Anrecht, von den Römern Unterstützung zu erlangen, darauf, daß
sie in Noth geraten seien, indem sie den Sidicinern aus ihrer
Noth zu helfen bemüht waren. Wie wenig omnes in diesen Zu-
sammenhang paßt, ist anerkannt. Im Philologus III 559 schlug
Scheibe Tilgung des Wortes vor, worin ihm Hertz und früher
auch Madvig folgten. Jetzt schreibt Madvig wie WeiBenborn
und Müller nach Büttners Vorschlag «ante? omnes, wodurch der
Gedanke nichts gewinnt. Nun läßt sich aber aus den später
angegebenen Entscheidungsgründen der Senatoren auf die von
den Gesandten dargelegten Motive zurückschlieBen. Livius erzählt
31, 6 commoti patres vice fortunarum humanarum, si ille
praepotens opibus populus . ., a quo paulo ante auzilium finitimi
petissent, adeo tnfractos gereret animos e. q.s. Die Gesandten hatten
also gesagt: homines ipsi in hanc necessitatem venerunt.
Würzburg. A. Eufiner.
XXXII.
Die Angaben iiber die Volker von Innerafrika bei
Plinius und Mela.
Die Angaben über die Vólker von Innerafrika bei Plinius
H. N. V 43—46) und Mela (I 22. 23. 48—48 III 103) stim-
men in so hohem Grade mit einander überein, daß hier unzwei-
felhaft die engste Verwandtschaft obwaltet. Eine genaue Be-
trachtung und Vergleichung dieser Angaben läßt aber erkennen,
daß neben der oft überraschenden Uebereinstimmung in den
Ausdriicken und Wendungen, sowie in der ganzen Anordnung,
doch im Einzelnen wieder einige nicht unwesentliche Verschie-
denheiten vorliegen. Grade diese Verschiedenheiten aber miissen
unser Interesse erregen, denn grade sie werden uns darüber be-
lehren, wie die Verwandtschaft der beiden Schriftsteller zu er-
klären sei. Sie werden darthun, daß zwar Mela und Plinius
hier völlig von einer gemeinsam benutzten Quellenschrift abhän-
gig sind, zugleich aber auch, daß Mela die ihm vorliegenden
Angaben mehrfach falsch verstanden hat, daß er sich in Folge
dessen eine zwar klar gedachte, aber ganz unrichtige Auffassung
von den Wohnsitzen der Völker nach seiner Quelle gebildet hat,
und daf aus dieser irrigen Auffassung die Verschiedenheiten
entstehen mußten, welche nunmehr in den beiden Berichten vor-
liegen. Es ist aber wichtig festzustellen, was die einflußreiche
Quelle der beiden Schriftsteller über die Geographie von Inner-
afrika lehrte, auch läßt sich dieses m. E. vollkommen evident
nachweisen. Daher wollen wir uns diese wichtigen und lehr-
reichen Angaben hier einmal etwas genauer ansehen.
Wenn wir zunüchst diese Angaben im Ganzen betrachten,
Die Angaben über die Völker von Innerafrika u. s. w. 687
so muß doch auffallen, daß dieselben bei Plinius (V 43—48) in
geschlossener Folge und in ununterbrochenem und gutem Zu-
sammenhange, von Mela dagegen an drei ganz getrennten Stellen
(I 22. 28. 43—48. III 103) gegeben werden. Man vergleiche
nur die Angaben selbst, man wird leicht erkennen, daB Plinius,
nicht Mela, die Sache gut und angemessen darstellt. Denn die
Fabeln, welche Mela (III 103) über die Himantopodes und die
Pharusii mittheilt, sind völlig von gleichem Schlage, wie dieje-
nigen, welche er früher (I 43 — 48) über die Atlantes, Troglo-
dytae, Garamantes, Augilae, Gamphasantes, Blemyi, Satyri und Ae-
gipanes gegeben hatte. Es muB also ganz so scheinen, als ob die
ersten Angaben (III 103) von diesen letzteren (I 48— 48) nicht
getrennt werden durften, vielmehr miissen wir die Anordnung
bei Plinius (V 45—46), welcher die Angaben wirklich im Zu-
sammenhange macht, entschieden fiir die nattirlichere erkliren.
Mela's Anordnung ist hier nur dadurch bedingt, daß er die Hi-
mantopodes und Pharusii nicht als Völker des Binnenlandes an-
sieht, sondern sie an die Küste des atlantischen Oceans versetzt.
Wenn nun aber Mela an drei von einander. getrennten Stellen
(I 22. 23. I 43—48. III 103) dasjenige berichtet, was Plinius
in geschlossener Folge und gutem innerem Zusammenhange (V
48—46) mittheilt, wenn auferdem die Trennung der letzten
Angaben bei Mela (I 43—48 und III 103) ganz ungehörig und
unangemessen erscheint, so muß auch die Annahme, Plinius
habe hier den Mela ausgeschrieben, die ursprünglich von Mela
zu Unrecht getrennten Angaben sorgfältig zusammengesucht,
geordnet und dadurch dann einen guten inneren Zusammenhang
der Angaben hergestellt, als völlig unstatthaft bezeichnet wer-
den. "Vielmehr wird der natürliche innere Zusammenhang die-
ser Angaben sicher schon ursprünglich vorhanden gewesen sein,
Mela wird ihn zerrissen, Plinius ihn konserviert haben. Plinius
also wird nicht aus Mela hier schöpfen, vielmehr beide Autoren,
wie auch sonst, aus ihrer gemeinsamen rümischen Hauptquelle.
Nur kónnen in der letzteren die Himantopodes und Pharusii nicht
als Küstenvölker, wie bei Mela, angesetzt gewesen sein, weil ja
die Fabeln über beide Vólker sich den Fabeln über die andern
Völker des Binnenlandes aufs engste anschlossen. Es fragt sich
nur, was den Mela zu dieser Abweichung von seiner Vorlage
veranlaßt habe.
638 E. Schweder,
AuBerdem hat Mela noch ein drittes Volk, das Plinius in
Innerafrika nennt, die Nigritae, an die Küste versetzt. Wenn
sodann Plinius (V 43. 44) vier Gruppen innerafrikanischer Vól-
ker gebildet hat: 1) Gaetuli, Libyes Aegypti, Leucoe Aethiopes —
2) Nigritae, Gymnetes Pharusü, Perorsi — 3) Garamantes, Augilae,
Troglodytae — 4) Atlantes, Blemmyes, Gamphasantes, Satyri, Hi-
mantopodes, so hat Mela an der entsprechenden Stelle die zweite
dieser Gruppen ganz unterdrückt. Endlich bezeichnet Plinius
die Völker der zweiten Gruppe (Nigritae, Pharusii und Perorsi)
als Aethiopes; Mela dagegen hat die Perorsi niemals genannt, die
Nigritae aber und die Pharusii (I 22) bestimmt von den Ae-
thiopen unterschieden.
Allen diesen Verschiedenheiten liegt nun un-
zweifelhaft, wie mir scheint, eine einzige Ursache zu
Grunde: der Umstand, daß Mela einen von Plinius
ziemlich getreu erhaltenen Satz seiner Quelle
falsch verstand. Plinius entlehnte seiner Quelle folgende
Angabe (V 43, betreffend die zweite der oben bezeichneten Völ-
kergruppen): Super eos (nämlich: den Völkern der ersten Gruppe)
Aethiopum gentes Nigritae a quo dictum est flumine, Gymnetes Pha-
rusti, tam oceanum attingentes quos in Mauretaniae fine dicimus
Perorsi. Die Worte quos ..... diximus werden ein Zusatz des
Plinius selbst sein, das übrige aber muß wohl ebenso oder
doch ganz ähnlich in der Quelle des Plinius gestanden haben.
Mela mißverstand diesen Satz nun in zwiefacher Weise. .Zuerst
bemerkte er nicht, daß Nigritae, Pharusii und Perorsi hier im
AppositionsverhültniB zu Aethiopum gentes zu fassen seien, er
meinte also, es seien hier vier, nicht drei !), verschiedene Volker
(1. Aethiopum gentes. 2. Nigritae. 3. Pharusii. 4. Perorsi) zu
unterscheiden — sodann aber bezog er die Worte iam oceanum
attingentes nicht auf das folgende Perorsi, sondern irrthiimlich
auf die zuvor?) genannten Namen (Aethiopes, Nigritae, Pharusii).
1) Unsere neueren deutschen Pliniusausgaben (v. Sillig, Jan, Det-
lefsen) haben den Sinn der Stelle richtig aufgefaßt, und also den
Text auch richtig interpungiert.
2) Die Ausgaben von Jan und Detlefsen setzen auch hier rich-
tig vor tam ein Komma; Sillig hat, minder gut, statt des Komma
ein et eingeschoben. Denselben Irrthum wie Mela hat dagegen
Vivien de Saint-Martin (Le Nord de lV’ Afrique dans l'antiquité. S. 158.
412) begangen, indem er, was bei einer aufmerksamen Lesung der
Pliniusstelle unmöglich war, die Worte iam oceanum attingentes auf
das Vorangehende bezog.
Die Angaben über die Völker. von Innerafrika u. s. w. 639
Man sieht leicht, was von diesem MilWverstündniB ?) die Folge
sein mußte. Zuerst die falsche Unterscheidung der Aethiopes
von den Pharusü, Nigritae und Perorsi. Sodann aber mußten
ihm nun Aethiopes, Nigritae und Pharusii zu Küstenvölkern wer-
den, dagegen blieben ihm, ebenfalls falschlich, als Volk des Binnen-
landes die Perorsi übrig. Nach Mela's Auffassung waren also
in seiner Quelle in der zweiten Gruppe der Vülker bei Plinius
drei Stämme der Küste und ein Volk des Binnenlandes (die Pe-
rorsi) genannt. Die Küstenvölker waren aber hier nicht zu nen-
nen, mit den Perorsi wußte er nun nichts mehr anzufangen, und
sie konnten allein unmóglich eine Abtheilung bilden: deshalb
unterdrückte er bei der Anführung der Völker des Binnenlandes
(I 23) diese Gruppe, als nicht hierhergehórig, ganz und ver-
setzte die Nigritae und Pharusii an den Ocean. Die Aethiopum
gentes aber faßte er dann ohne Zweifel als identisch mit den
Aethiopes Hesperi auf, welche, wie er auch sonst in seiner Quelle
fand, die Südecke von Afrikas Westküste bewohnten. Man sieht,
wie durch ein MiBverständniB bei Mela die bezeichneten Ab-
weichungen von Plinius nun nothwendig entstehen mußten.
Mela hat dann aber die falsche Auffassung, die aus dem be-
zeichneten Mißverständniß hervorgehen mußte, streng festgehalten
und die irrige Anschauung, die er sich so gebildet hatte, stets
sehr klar dargestellt. — Nur ein kleiner Umstand bleibt noch
unaufgeklärt, nämlich der, daß Mela nun auch die Himantopodes
aus der Aufzählung der innerafrikanischen Völker entfernte und
sie an die Küste (III 103) versetzte. Was ihn hierzu veran-
laßte, würden wir aber wahrscheinlich auch wohl erkennen, wenn
3) Denn daß Plinius selbst und seine deutschen Herausgeber die
Sache hier richtig aufgefalit haben, ist unzweifelhaft An zwei Stel-
len (V 30 und V 58) betont Plinius, sicher in Uebereinstimmung mit
seiner Quelle, daß der Niger Afrika und Aethiopien scheide. Wir
müssen uns demnach den Flu8 von West nach Ost (oder von O. nach
W.) fließend denken. Ferner bildet derselbe Fluß auch die Südgrenze
Gätuliens (V 30): et tota Gaetulia ad flumen Nigrim qui Africam ab
Aethiopia, dirimit. Wenn nun die Nigriten Anwohner des Flusses ge-
nannt werden (V 43: Nigritae, a quo dictum est flumine), so können
sie nur auf seiner Südseite gedacht werden und müssen in der Quelle
des Plinius zu den Aethiopen gerechnet sein. Der Niger des Plinius
ist nach der gewiB richtigen Ansicht neuerer ausgezeichneter For-
scher (0. Peschel Gesch. d. Erdk. S. 20. Vivien de Saint- Martin
a. a. O S. 437. Vgl. Ragot Le Sahara de la province de Constan
tine bei Ch. Tissot Géogr. comp. de la prov. Romaine d'Afrique I
S. 95 f.) der von W. nach O. flieBende Wed Djedi.
642 07 E. Sch weder,
den. Da nämlich die drei Völker der ersten Gruppe von O.
nach W. sich schon durch die ganze Lünge Afrikas erstrecken,
so kann „super“ eos nur als „südlich von diesen“ zu verstehen
sein. Die Nigriten aber sollen am Niger (am Wed Djebi) die
Perorser am Ocean, die Pharusier zwischen *) beiden Völkern
wohnen, folglich sind die drei Völker ohne Zweifel die südlichen
Nachbarn der Gaetuli. Die Perorser, Pharusier und Nigriten
. werden auf demselben Parallelkreis wohnend gedacht, die Pe-
rorser im Westen, hinter (östlich) ihnen die Pharusier, hinter
diesen (am weitesten östlich) die Nigriten. Alle drei Völker
werden aber als Aethiopum gentes bezeichnet. |
3. Gruppe. Plinius fährt fort: ab his omnibus vastae soli-
tudines orientem versus usque ad Garamantas Augilasque et Tro-
glodytas . . . . . Die Worte „ab his omnibus“ können hier nur
heifien: „von den Völkern der zweiten Gruppe an“. Plinius
selbst, welcher sich selten, was die Lokalitäten betrifft, eine
klare Vorstellung bildet, mag freilich in konfuser Weise auch
die Vólker der ersten Gruppe mit eingeschlossen haben. Allein
das „orientem versus" schließt doch diese Auffassung bestimmt
aus. Somit ist der Sinn folgender. Oestlich von den Nigriten
breiten sich große Wüsten aus bis zu den Garamanten. Dann
folgen (óstlich von den Garamanten) die Augiler und die Tro-
glodyten. Diese drei Völker werden also als in gleicher geo- -
graphischer Breite mit denen der zweiten Gruppe ansüssig ge-
dacht. — Mela reproduciert den Quellenbericht hier ungenau,
weil er, wie gesagt, die zweite Gruppe unterdrückt hatte. Er
sagt: Tum primos ab oriente Garamantas, post Augilas et Trogo-
dytas, et ultimos ad occasum Atlantes audimus, Nur in so weit
ist er korrekt, als auch für ihn die Völker dieser Gruppe eine
zweite Reihe (tum) hinter den Völkern der ersten Gruppe bilden.
Er nennt dann Garamanten, Augiler und Troglodyten in der
Reihenfolge des Plinius, aber in entgegengesetzter Richtung, weil
er willkürlich die Atlanten hinzufügt, die zuletzt genannt wer-
den und natürlich am weitesten nach Westen gesetzt werden
(s. ob.). Die Atlanten müssen ihm gewissermaßen die Völker
der zweiten Gruppe ersetzen. — Die Anschauung der Quellen-
schrift ist aber aus Plinius zu entnehmen. |
. 4. Gruppe. Plinius (V 44) sagt: quidam solitudinibus in-
4) Nach der Reihenfolge, in welcher Plinius sie nennt.
Die Angaben über die Vélker von Innerafrika. u. s. w. 643
terposuerunt Atlantes eosdem iuxta Aegipanas semiferos et Blem-
myas et Gamphasantas et Satyros et Himantopodes. Mela sagt:
intra . . . semiferi Aegipanes et Blemyes et Gamphasantes et Sa-
ri ....... Mela unterdrückt hier die Atlantes, die er der
dritten Gruppe angeschlossen hatte, und die Himantopodes, die
er (III 103) an die Küste versetzt. Sonst stimmt seine Reihen-
folge der Namen mit derjenigen des Plinius überein. Die Wohn-
sitze dieser letzten sechs Völker werden nicht genauer angege-
ben. Sie wohnen „intra“, d. h. weiter nach Süden, und sind
(nach Plinius) solitudinibus interpositi. Es wird aber nicht ge-
sagt, daß sie eine dritte, südlichere Reihe bilden. Ihre Sitze
waren, weil am entlegensten, am wenigsten bekannt.
Was sodann die Fabeln betrifft, welche von allen diesen
Völkern berichtet werden (M. I 43— 48. III 103. Pl. V 44—46)
so stimmen dabei Plinius und Mela in der Reihenfolge der Völ-
ker überein. Die Reihenfolge ist: hier keine geographische ; Mela
aber hat dies wohl geglaubt und hat deshalb die Atlanten, wie
schon bemerkt, den Vélkern der dritten Gruppe angeschlossen.
Auch mag ihn dieselbe irrthümliche Auffassung veranlaBt haben,
die Himantopodes zu Nachbarn der Pharusii zu machen und sie
demnach neben diese an den Ocean zu versetzen.
Kiel. E. Schweder.
Zu Iustinus.
II 9, 15: Inter ceteros . Themistoclis adulescentis gloria emi-
cuit, in quo tam tune indoles futurae imperatoriae dignitatis ap-
paruit. Fr. Ruehl setzt in seiner Teubnerausgabe 1886 vor
dignitatis ein +, und merkt im Apparat (p. XXII) dexteritatis und
facultatis als Konjekturen von A. v. Gutschmid und Baehrens an.
Der wahre Text ist divinitatis. Vgl. darüber Georges’ s. v.,
II B, Cic. de or. II $ 86. 298, Merguet Lex. z. d. Reden d.
Cicero II 138. 139, Bonnell Lex. z. Quintil, s
94, 9, 7: Laodice soror (Mithridatis) , cum perisse eum cre-
deret, im concubitus amicorum mariti proiecta, quasi admissum fa-
cinus maiori scelere deleri posset, venenum advenienti paravit. Fr.
Ruehl giebt mit der Casinatischen Hss. deleri, die übrigen drei
Klassen, I7'P, baben tegere. Wir nehmen, wie Ruehl das öfters
thun mußte, von beiden Theilen etwas und schreiben tergeri.
Georges’ s. v. führt geradezu scelus tergere aus Senecas Tragödien
an; derselbe aus Cicero abstergere molestias dolorem luctum metum,
aus Plinius d. Ae. fastidium, aus Ammianus suspicionem abstergere ;
ferner detergere fastidia, somnum aus Columella und Claudianus.
Vgl. meine Tulliana (München, 1888) S. 49.
München. Th. Stangl.
m 41*
XXXIII.
Die Großthat des Aristophon.
Der Redner Aristophon war, wie sein Gegner Demosthenes
Lept. 148 (evpero riv dweskv nag Ou», iv 7 tovr ëvÿv) berich-
tet, mit einer großen und seltenen Auszeichnung geehrt worden,
der Befreiung von den gewóhnlichen Leiturgien für sich und
seine Nachkommen («4:£4&o); daB er sie einem wirklichen Ver-
dienst verdankte, erkennt Demosthenes indirekt an, indem er
zwar sich anstellt als bezweifle er dasselbe (x«i ov rovr Emriuw*
dei yag èp tuiv sivas dıdovas tà vuéreg avıwv ol; dv BovAnode),
aber nicht den geringsten Versuch macht, diesen Zweifel zu be-
gründen. Man vermuthet, er habe Verdienste um die Wieder-
herstellung des Demos im J. 403 gehabt; diese können indeß
nicht hervorragender Natur gewesen sein: denn sein Name wird
in dieser Beziehung nirgends neben einem Thrasybulos, Archi-
nos, Anytos hervorgehoben. Keiner von diesen Männern ist
jener Auszeichnung theilhaftig geworden, die Rede selbst unter-
scheidet $ 48 geflissentlich die Belohnung der Demosbefreier von
der Atelie und wir wissen auch, worin jene bestanden hat: mit-
einander bekamen sie 1000 Drachmen zu einem Opfer und
Weihgeschenken, einzeln jeder einen gewöhnlichen Kranz (Ai-
schin. III 187). In der Natur der Sache lag es, daß die Atelie
nur selten einem Bürger ertheilt wurde, denn die Zahl der zu
den Leiturgien Verpflichteten verminderte sich durch sie für alle
Zukunft; dem entspricht es, daB Demosthenes Lept. 21 nur
5—6 Bürger kennt, welchen sie ertheilt worden ist; die er nennt,
Die Grofthat des Aristophon. 645
sind Namen hellsten Klanges in der Geschichte Athens, ihr Ver-
dienst jedes in seiner Weise ein auferordentliches: es sind die
Blutzeugen der Freiheit Harmodios und Aristogeiton, die einzi.
gen deren Auszeichnung Leptines bei dem Antrag auf Abschaf-
fung der Atelie fortbestehen lassen wollte; ferner Konon, von den
Rednern als Wiederhersteller der Hegemonie gefeiert, vom Staat
belohnt ‘wegen Befreiung der Bundesgenossen’; endlich Chabrias
wegen des Sieges von Naxos, welcher laut $ 77 fg. ohne jeden
Verlust erkauft nicht nur an Beute 70 Schiffe, .3000 Gefangene
und 110 Talente einbrachte sondern auch den Uebertritt der
meisten Inseln zur Folge hatte. Eine ähnliche That, welche in
den Augen des Volkes ewigen Gediichtnisses und Lohnes werth
war, muß demnach auch Aristophon verrichtet haben.
Einen Hinweis auf dieselbe glauben wir in ejner verdorbe-
nen Stelle Theophrasts zu finden, charact. 7 post med., wo von
dem Redseligen (AuAog) gesagt wird, er liebe es #000d:7y0a0das
xai rjv En’ ‘Aouciopivide note yevopérnr 100 bytogos payny xoi
ın» Aaxedasuorloss und Avoavdeov. Casaubonus, Corsini und
Clinton schreiben zd» énrogwr mit Bezug auf den Redekampf
zwischen Demosthenes und Aischines unter Archon Aristophon
Ol. 112, 3. 330; aber die Fortsetzung lehrt, daB vom Kriege
die Rede ist. Mit Joh. Frieder. Fischer werfen Petersen und
Ussing zov $510gog aus, um das eben erwähnte Archontendatum
(der Redner Aristophon lebte 112, 8. 880 nicht mehr) zu ge-
winnen; unter der ersten Schlacht soll der Sieg Antipaters über
Agis bei Megalopolis, unter der andern der Sieg Lysanders bei
Aigospotamoi verstanden werden. Die nachweislichen Glosseme
der Textüberlieferung verrathen indef keine solche Gelehrsamkeit
wie sie für einen Zusatz dieser Art vorauszusetzen würe, und
der Untergang des Agis bei Megalopolis gehürt hóchst wahr-
scheinlich dem Frühling oder Frühsommer 880, also dem Archou
Aristophanes 112, 2 an!) Die Charaktere sind 115, 9 318
1) Philol. XL 105. Die pythischen Spiele setzte Droysen, ehe
inschriftlich der delphische Bukatios = att. Metageitnion als ihr
Monat bekannt war, in den September, wodurch sich ihm auch das
Datum der Schlacht zu spät stellte. Die Pythien wurden wabrschein-
lich in der ersten Hülfte des Monats gefeiert, Philol. XLIII 610; di
Rede des Aischines gegen Ktesiphon, ‘wenige’ Tage (was auch 15-20.
sein könnten) vor den Spielen gehalten, fällt also in den Hekatom-
baion: zu dieser Zeit war man schon im Begriff, die spartanischen
Geiseln nach Asien zu Alexander zu schaffen. |
646 G. F. Unger,
geschrieben; die Zeit eines nur 12 Jahre älteren Ereignisses
würde nicht mit nor: bezeichnet worden sein. Nachdem sich
an der Parallele des Konon und Chabrias die Möglichkeit heraus-
gestellt hat, in dem Verdienst des Redners Aristophon eine
Kriegsthat zu erkennen, ist es auch nicht mehr nöthig, 27 ’Agı-
oroywvrog für ein Datum anzusehen: es kann duce Aristophonte
heißen wie z. B. Thukyd. VI 6 = 75 ry» ini Auymog yevopévay
Evuuayluy (gemeinsame Kriegführung), Xenoph. hipparch. 1, 12
Av ini cov avafwow, Demosth. ol. 2, 14 oiov bnjoEté no piv
êni Tiuo9£ov ngog "OdvvF toic.
Auch einiges Nühere über diesen Kampf unter Aristophon
ist aus der Stelle zu gewinnen, vorausgesetzt daß wir aus den
zwei Kümpfen einen einzigen machen: was dieser Vereinigung
entgegensteht, ist nur das Wôrtchen x«i, dessen Einschiebung
sich leicht erklären läßt; was andrerseits für sie spricht, ist der
gewichtige Umstand, daß jede der zwei Schlachtangaben für sich
allein unvollstindig und verstümmelt da stehen würde, in Wirk-
lichkeit aber das in der einen Fehlende sich in der andern vor-
findet und umgekehrt. Nehmen wir 15» iw "Agıctoywrios more
yevouérny rov ÖNTogog wayyy im Sinn der Vulgata als in sich
abgeschlossene Schlachtangabe, so vermißt man nothwendig, weil
in der andern die Lakedaimonier und Lysander angegeben sind,
in jener die dem entsprechende Bezeichnung des feindlichen
Volkes und Anfiihrers oder mindestens des einen von beiden.
Hinwiederum fehlt in xai zzv Auxeduwuorloss dro Avoavdeov,
da die andere Schlachtangabe den athenischen F'ührer nennt, der
Name des attischen Strategen und wenn man auch wegen der
allgemeinen Bekanntheit der Schlacht von Aigospotamoi darüber
hinwegsehen wollte, so macht es doch ein anderer Umstand
unmöglich, in jenen Worten allein ohne weiteren Zusatz eine
abgeschlossene Schlachtangabe zu erkennen. Lysander stand
in drei berühmten und folgenschweren Schlachten an der Spitze
des athenfeindlichen Heeres: sein Sieg bei Notion führte die
Flucht und Verurtheilung des Alkibiades herbei, wodurch Athen
den weitaus fähigsten aller Heerführer und zugleich den einfluß-
reichsten Staatsmann, damit aber die beste Aussicht auf den
endlichen Sieg verlor; dann befehligte Lysander bei Aigospo-
tamoi; endlich in der Schlacht bei Haliartos, welche den Wie-
deraufschwung Athens einleitete und von den Athenern insofern
Die GroBthat des Aristophon. 647
mit gewonnen wurde, als sie am Tage derselben Theben fiir die
ausgerückten Thebaner behüteten und nur die Eile Lysanders
schuld war, daß der Kampf 2 Tage vor ihrem Eintreffen statt-
fand. Welche von diesen Schlachten soll nun in hv Aaxedas-
uovtois uno Avoardoov zu finden und woran soll sie zu erken-
nen sein?
Die erste der zwei im Vulgattext durch xoi von einander
getrennten Angaben nennt den attischen Führer; die Athener
selbst brauchen nicht genannt zu werden, weil die Schrift in
Athen verfaßt ist und hier die Erzählung eines Atheners in Rede
steht. Die andere nennt das feindliche Volk und den feindlichen
Führer Wie ein Schreiber dazu kommen konnte, xai einzu-
setzen, ist leicht zu begreifen, besonders nachdem das offenbar
verdorbene vnc Avo«rdoov der gebührenden Verbesserung theil-
haftig geworden ist. Weder diese Lesart, wie Petersen glaubt,
noch Ussings Conjectur uno fvodvdgo hat die hier offenbar
zu Grund liegende Bedeutung duce Lysandro, wohl aber mi
Avoordgov , was schon als Conjectur am nächsten liegen würde,
in Wahrheit aber die Lesart aller Hdss. außer AB ist. Dies
sind nun freilich die zwei ältesten und besten Handschriften der
ersten Hülfte des Buchs (die zweite enthalten sie nicht), aber
einander so nahe verwandt, daB sie als Abschriften eines ge-
meinsamen Originals angesehen werden dürfen, und keineswegs
so ausschließlich maßgebend, daß, wie Cobet Mnemos. VIII 34
und Diels Theophrastea 1883 S. 11 meinen, den andern neben
ihnen jeder Ueberlieferungswerth abgeht”). Um so mehr dürfen
wir éni Avouvdgov festhalten und man sieht auch jetzt, wie der
Zusatz xai entstanden ist: ein Schreiber oder Leser wurde durch
das zweifache Vorkommen der scheinbaren Zeitangabe (nf zog)
auf die Meinung gebracht, es sei von zwei Schlachten die Rede,
2) In Cap. 4 allein ergänzen sie zwei Lücken des AB: vor der
Mitte 27° allo uev underi (uns Favuatew) pyre èendytreota» und in der
Mitte aosorwy dé Gua roi; dnolvyioss Zußalsiv (tv Sugar xai xowayroc)
Tj» 9Upav Unaxovom avréc. Hier erklärt es Petersen S. 29 für certo
certius, daB der Archetypus des AB die Ergänzung der schlechteren
Hdss. vor sich gehabt und nur aus Versehen tibergangen habe; Diels
S. 13 gibt die Richtigkeit der Ergänzung nur für xei xowavtog zu,
wogegen er es fiir certo certius hält, daß vj» Süoar die Erfindung eines
Schwachkopfs sei. Mirscheint éufadsivy rjv 9)gev so unsinnig zu sein,
da8 man überhaupt nicht an eine Erfindung denken kann; vielmehr
ist Judge» aus ölvge» verschrieben, s. Philol. XLIII 218.
648 G. F. Unger,
welche er demnach gut griechisch durch die Conjunction verbin-
den zu miissen glaubte.
Der redselige Athener erzählte also mit Vorliebe zu» è7°
* Apsorogirios note yevoué£vmv tov Üfropoc payny tiv Auxsdarpo-
vloss àni Avodvdgov. Offenbar war es nicht die traurige Ge-
schichte von Aigospotamoi, die jener sich und andern Athenern
nicht oft genug ins GedächtniB zuriickrufen konnte, er war
sicher so tactvoll und wenn auch das nicht, doch wie alle Redse-
ligen gutherzig genug, die Hand nicht in diese fortwährend
brennende Wunde jedes patriotischen Athenerherzens zu legen;
ihm selbst als einem Athener mufte die Erinnerung daran so
schmerzlich sein wie jedem andern; jedenfalls aber wiirde er
dieselbe nicht zum zweiten Mal als Unterhaltungsstoff zum besten
gegeben, ja schon beim ersten Versuch wiirde man ihm den Kopf
zurechtgesetzt haben. Ohne Zweifel erzählte er von einem gliick-
lichen Kampfe, bei dessen Vortrag es ihm und, wenn die Ge-
schichte nicht gar zu oft aufgetischt und dadurch langweilig
gemacht wurde, auch seinen Zuhörern wohl und warm ums Herz
werden durfte: denn nur dieses einzige Beispiel aus den Ge-
schichtserzählungen des Redseligen wird herausgehoben, es war
also sein Paradestiick, von welchem er hoffen durfte, daf es seine
Wirkung auf die Geneigtheit zuzuhôren nicht verfehlen wiirde,
eine Geschichte welche sicher unter den Erzählungsstoffen jener
Zeit eine hervorragende Rolle spielte. Die Erinnerung an Aigos-
potamvi mußte zwei- und dreifach schmerzlich berühren: nicht
bloß war in Folge dieses Ereignisses die Macht und Herrlich-
keit Athens auf Nimmerwiederkehr entschwunden, es war auch
eine vollständig vernichtende Niederlage und doch keine eigent-
liche Schlacht gewesen so gut wie ohne Schwertstreich hatte
Lysander die ganze Flotte weggenommen und doch wäre es bei
der geringsten Achtsamkeit so leicht gewesen, das Unglück zu
vermeiden, überdies waren die Strategen auch noch von Alki-
biades gewarnt worden. Wie viele ‘wenn’ und ‘wenn nicht’
mögen den damals lebenden und allen späteren Patrioten bei
der Erinnerung an diese sogenannte Schlacht in den Sinn ge-
kommen sein; sie war und blieb der wunde Fleck, dessen Be-
rührung einen Stich in die Seele gab. War ihr ein kriege-
rischer Vorgang nachgefolgt, welcher das leistete was den Umstän-
den nach noch geleistet werden konnte, der, wenn auch die ver-
Die Großthat des Aristophon. 649
lorene Macht zurückzubringen unmöglich war, doch wenigstens
die befleckte Waffenehre wiederhergestellt, den Besiegten aber
auf Kosten der verhaBten Sieger von Aigospotamoi eine will-
kommene Genugthuung gegeben und so die Schmach von damals
getilgt hatte, so bot derselbe gewiB denjenigen Stoff, welcher am
hüufigsten erzählt und am liebsten gehórt wurde. Eine Geschichte
dieser Árt gab es in der That: sie spielt zwei Jahre spüter und
ist bei Xenophon Hell. II 4, 31 ff. zu lesen.
Bald nachdem Lysander mit einem Söldnerheer und der
Flotte erschienen war, um den vom Demos besetzt gehaltenen
Peiraieus zu Wasser und zu Land zu belagern und durch seine
Eroberung den bedrüngten Aristokraten die Herrschaft zu sichern,
stieß auch der König Pausanias mit der ganzen Feldmacht von
Sparta und dem Aufgebot fast aller Bundesgenossen zu ihm und
schlug in der Nähe des Peiraieus sein Lager auf. Als dieser
mit zwei Moren der Lakedaimonier und drei Phylen der atti-
schen Ritterschaft von einer Besichtigung der Mauern zum Lager
zurückzog, wurde er von einer Schaar Leichtbewaffneter in so
dreister und herausfordernder Weise belüstigt, daB er im Aerger
den Reitern und den zehn jüngsten Jahrgüngen der Moren den
Befehl gab, schnell gegen die Belistiger vorzugehen; mit den
Uebrigen rückte er in der bisherigen Marschweise nach. Etwa
30 von den Angreifern wurden niedergemacht, die andern flohen
und wurden bis zum Peiraieustheater verfolgt. Nun trat eine
unerwartete Wendung ein. Dort war nümlich die Hauptmasse
der Leichtbewaffneten und nicht blof sie sondern auch das Ho-
plitenheer des attischen Demos aufgestellt. Im Nu schwärmten
die ersteren aus und begannen den Feind mit einem so dichten
Hagel wohlgezielter Geschosse aller Art (nxovritov EBullor dıo-
Eevov écperdorwr) zu überschütten, daß eine Menge Lakedaimo-
nier dureh Wunden kampfunfühig gemacht und das ganze Heer
genóthigt wurde den Rückzug anzutreten. Sie wichen zurück,
zwar schrittweise und die Front den Angreifern zugewendet,
aber diese setzten ihnen jetzt noch stürker zu und es blieb nicht
mehr blof bei Verwundungen. Unter den tapferen Kriegern,
welche hier schimpflich das Leben lassen mußten, befanden sich
auch die Polemarchen Chairon und Thibrachos, welche die swei
Moren befehligten, dazu ein gefeierter Kimpe, der Olympionike
Lakrates; auf das Massengrab der Gefallenen konnten späte
650 G. F. Unger,
N
Erzähler, wenn es galt die Wahrheit der Geschichte zu erweisen,
noch mit Fingern hinzeigen, es befand sich vor den Thoren des
Kerameikos. Angesichts dieses Hergangs erschienen nun auch
die Hopliten des Demos, geführt von Thrasybulos, und nahmen
schnell 8 Mann hoch vor ihren Peltasten Stellung ; dadurch noch
mehr bedrängt schickte der König, nachdem er 4—5 Stadien
weit bis zu einem Schutz bietenden Hügel zurückgewichen war,
nach den andern Moren und. den Bundesgenossen ; erst bei deren
Eintreffen konnte er den Kampf wieder aufnehmen und bei der
Uebermacht, über welche er jetzt wahrscheinlich verfügte, auch
zu einem besseren Ende führen.
Das war ein erquickliches, mit Trost und Genugthuung er-
füllendes Bild: ganze zwei Moren der stolzen Lakedaimonier mit
ihrem König stufenweise immer härter bedrängt, in die Flucht
geschlagen und eine Viertelstunde hindurch verfolgt; ein großer
Theil verwundet, andere, unter ihnen die höchsten Befehlshaber
nach dem König erlegt: und von wem? nicht von Hopliten, nicht
einmal von ordnungsmäßig ausgerüsteten Leichtbewaffneten, de-
ren es zu Thukydides Zeit (IV 94) außer einer kleinen Zahl
Bogenschützen unter den Bürgern keine gab, sondern von tief
verachteten Gegnern, einem Haufen Leute, welche wie im J. 424
bei Delion von Hause aus zumeist aondo. (Thuk. IV 94) mit
den verschiedensten, theilweise gar nicht Waffen zu nennenden
Angriffsmitteln, mit Steinen (Xen. 2ß«4AXov) Schleudern Pfeilen —
Wurflanzen ausgerüstet waren *), sonst aber für gewöhnlich gar
nicht im Landkrieg sondern als Ruderknechte auf der Flotte
gedient hatten. Fragte es sich, wem zuerst und zumeist die
Ehre jenes Tages gebühre, so müßte das schon unter gewöhn-
lichen Verhältnissen dem militärischen Brauche gemäß der An-
führer gewesen sein; hier aber kam hinzu, daß derselbe einen
solchen Erfolg mit einem Haufen Leute erzielt hatte, welchen
der Name von Soldaten eigentlich gar nicht zukam: offenbar
hatte er dieselben schon vor längerer Zeit nach Maßgabe der
vorhandenen Waffenstiicke eingetheilt und seitdem täglich ein-
geübt, er hatte sie zu ermuthigen und zu begeistern verstanden,
so daß sie es wagten für sich allein ein von guten Reitern be-
gleitetes Hoplitenheer anzugreifen, und er hatte im rechten Au-
‘ 8) Die Waffenvorrüthe des Zeughauses waren mit diesem in der
Gewalt der Aristokraten.
Die Großthat des Aristophon. 651
genblick mit ihnen losgeschlagen, ohne auf das Zeichen des
Oberbefehlshabers zu warten. Seinen Namen überliefert uns
Theophrastos: es ist Aristophon, Stratege nachweislich 363/2
(Kohler Mitth. II 142) und gewif auch in andern Jahren, ein
Mann von unverwiistlicher Kraft und noch im hóchsten Alter
ein feuriger Redner.
Der ganze Vorgang war aber in politischer Beziehung min-
destens ebenso wichtig wie in militärischer. Diese yAof oder
nediuorat, wie Xenophon sie abwechselnd nennt, gehörten zu
denjenigen Athenern, deren Biirgerrecht in den Parteikämpfen
der Stadt jederzeit am stirksten in Frage gestellt und eigent-
lich nur in der Zeit der vollständigen Demokratie unbestritten
war, während sonst auch bei der größten Mäßigung beider Par-
teien ihre AusschlieBung den unerlüffichen und selbst von vielen
Mitgliedern der demokratischen Partei leichten Herzens gezahlten
Preis der Aussöhnung bildete; es waren die unter dem Titel
Theten zusammengefafiten Angehórigen der letzten Steuer- und
Rangklasse. Bald nach jenem Kampf, als bereits der Einzug
des Demos in Athen stattgefunden hatte, trat ein um die Sache
desselben wohlverdienter Biirger, Phormisios mit dem Antrag auf,
dem Wunsche der Lakedaimonier entsprechend das volle Biir-
gerrecht auf die Grundbesitzenden zu beschrinken; fast 5000
Athener sollten solchergestalt politisch enterbt werden. Die nur
ihrem Anfang nach erhaltene Rede, welche Lysias fiir einen
Gegner des Antrags anfertigte, macht als einen Hauptgrund
(Lys. XXXIV 4) gegen ihn geltend, daB das attische Volk sich
durch seine Annahme einer großen Anzahl tapferer Mitkä m-
pfer berauben wiirde. Dieser oder ein anderer Redner wird
nicht verfehlt haben, auf jene Grofithat der Theten hinzuweisen,
mit welcher sie, nach vielen werthvollen Leistungen auf der
Flotte, sich jetzt auch zu Lande den Hopliten, welche bei der
Fortsetzung des Kampfes geschlagen worden waren, fast mehr
als ebenbürtig und aller Biirgerehren wiirdig gezeigt hatten.
Der Antrag des Phormisios fiel durch und, wie uns scheint, ent-
weder bei dieser Gelegenheit oder gleich nach dem Abzug der
Lakedaimonier wurde ihrem Fiihrer jene Auszeichnung zu theil,
welche zugleich jedem einzelnen von ihnen als Anerkennung
seiner T'apferkeit gelten durfte.
Der Einwand, welchen man etwa erheben könnte, daß nicht
652 G. F. Unger, Die Grofithat des Aristophon.
Lysander sondern Pausanias der geschlagene feindliche Heer-
führer war, würde zutreffen, wenn Theophrast wera, nicht émi
Avsavdoov geschrieben hätte. 'En( uvog, d. i. ésovtog oder Eni
tU» nouyuarwv Ovrog nvóc, bezeichnet jeden, der auf einen Vor-
gang irgend einen Einfluß ausgeübt hat, den Regenten, Ober-
befehlshaber, Urheber, Rathgeber, Vermittler; es dehnt sich dann
noch weiter aus auf alle Betheiligten, zuletzt auf alle Gleichzei-
tigen. Jene Kümpfe waren von Lysander herbeigeführt worden,
er galt nicht mit Unrecht für den Urheber und Lenker aller
Feindseligkeiten und für das Haupt der Kriegspartei; auch hatte
Pausanias zu jener Zeit noch nicht die Maske abgeworfen, für
die Athener war er zur Stunde noch, trotz seines Oberbefehls,
der Gehülfe Lysanders gewesen; dazu kommt, daf die Schmach,
welche damals getilgt wurde, den Athenern gerade von ihm be.
reitet worden war. Daß imi bei Avoardoov nicht völlig gleiche
Bedeutung hat wie bei '7f9vo:0gvroc, will wenig sagen. Aehn-
liches bei Xen. memor. III 5, 10 und Thuk. VI 6, 2.
Würzburg. G. F. Unger.
Zu Dinarch.
Dinarch c. Dem. 28 steht eine dradindwoic: peoFwros
ovroc © AInvaion, unodwròdg ovrog tori nadaros. Ich möchte
vorschlagen das zweite ovrog zu streichen da es Dittographie zu
sein scheint. Es ist sehr stórend und giebt der rhetorischen
Wiederholung, zu der es gehórt, etwas Schleppendes; das Pri-
dieat, nicht das Subject, wird hier schon durch die Stellung als
das betonte Wort gekennzeichnet. Ueberhaupt wird bei diesem
rhetorischen Kunstgriffe der Regel nach ein besonderes ei n-
zelnes Wort wiederholt: z. B.: tore W°A9nvaîos, 1018, c.
Dem. 76; xaAdg yàp d°A9nvaîioi, xad of medyovos negi
T0U10Y Ynpiocuevoi xıE. c. Aristog. 29; êxeïvos Hoar, Exetvos,
w° A. Eos cvufovdor c. Dem. 90; dxouPds yag tore, wa,
àxgsf Oc or xrë c. Philocr. 22.
New-York. E. Sihler.
XXXIV.
Geschichte der legio XIV gemina.
Die Geschichte der rómischen Legionen, so wichtig sie auch
fiir die rémische Kaisergeschichte ist, hat eine allseitig genii-
gende Behandlung noch nirgend erfahren. Denn die einschla-
genden Arbeiten sind theils veraltet, wie der sonst grundlegende
Artikel von Grotefend (in Pauly’s Realencyklopädie unter legio,
Bd. 4, 1846), theils in Bezug auf Benutzung des Quellenmate-
rials, hauptsächlich des inschriftlichen, völlig unzureichend, wie
die Arbeiten von Allmer (in Bd. 1 und 2 der Inscriptions anti-
ques de Vienne, Vienne 1875) und Pfitzner (Geschichte der ró-
mischen Kaiserlegionen, Leipzig 1881), theils an sich schon be-
grenzt und für diesen begrenzten Zeitraum auch nicht erschó-
pfend, wie die Preisschrift von Stille (Historia legionum ausilio-
rumque inde ab excessu divi Augusti usque ad Vespasiani tempora.
Kiel 1877). Es sol nun an dieser Stelle versucht werden,
durch die Geschichte einer einzelnen Legion, nämlich der legio
XIV gem., deren eingehende Bearbeitung schon vor vielen Jah-
ren anderen Orts als erwünscht bezeichnet wurde (cf. Ritter
Bonner Jahrb. 36 (1864), S. 133), eine Vorarbeit und einen
Beitrag zu einer vollständigen und erschópfenden Gesammtle-
gionsgeschichte zu geben.
Entstehung der legio XIV gemina, ihre Beinamen
und ihr Insigne.
Daß die legio XIV gem. schon zu Augustus’ Zeiten bestan-
654 Metellus Meyer,
den habe, wissen wir sicher aus den Zeugnissen des Tacitus
(Ann. I 37) und des Dio (LV 23). Mit Mommsen (Res gestae
divi Augusti, iterum ed., Berlin 1888, S. 70—73) aber ge-
rade das Jahr 6 p. Chr. als das Griindungsjahr der Legion an-
zunehmen, hindern uns gewichtige Bedenken. Es mag uns ge-
stattet sein, hier kurz auf die Annahme und Beweisführung
Mommsens einzugehen. Mommsens Hypothese ist die, daß die
Legionen XIII — XX sämmtlich erst im Jahre 6 p. Chr. (wo wir
die letzte derselben, die leg. XX, erwähnt finden [ Velleius
Patere. II 112]) zur Dämpfung des dalmatisch - pannonischen
Aufstandes ausgehoben seien ; und zwar giebt er hierfür
hauptsächlich folgende Gründe an: Keine der genannten Le-
gionen wird vor dem Jahre 6 p. Chr. auf Inschriften er-
wähnt; die Legionen XIII—XX lagern in der ersten Zeit nach
dem Jahre 6 am Rhein und an der Donau zusammen, die übri-
gen dagegen sind durch alle Grenzprovinzen zerstreut; endlich,
unter den Legionen I— XII sind mehrere, welche dieselben Num-
mern tragen, die Nummern XIII—XX aber werden nur von je
einer Legion geführt. Aber alle diese Gründe können doch
wohl kaum beweisen, daß gerade sämmtliche 8 Legionen von
XII—XX im Jahre 6 p. Chr. ausgehoben sind. Auf den
Münzen der Kolonieen, die Mommsen bei seinem ersten Grunde
im Auge hat, werden von den 18 Legionen, welche die Num-
mern I — XII trugen, folgende erwähnt: Die Zegg. I und H
(Cohen: Description hist. des monnaies, Paris 1859—68. Bd. I,
2. Aufl. (1880), S. 152 Nr. 622—634; S 241 Nr. 83; Eckhel:
Doctrina nummorum veterum, Wien 1792—1838, Bd. I S. 84
liest fälschlich III statt I und II); die Zegg. IV, VI, X (Cohen
I S. 154 Nr. 663; S. 198 Nr. 101; Eckhel I S. 37, 38, cf.
S. 34); die Zegg. V und VIII (Cohen I S. 263 Nr. 138; Eckhel
III S. 355, 356); die Zegg. V und X (Cohen I 8. 149, Nr. 594,
595; S. 150 Nr. 605; Eckhel I S. 12, 19); die Zegg. X und
XH (Cohen I S. 351 Nr. 442; Eckhel II S. 257 liest fälsch-
lich leg. XXII statt leg. X und XII) !). Demnach sind auf den
Münzen vertreten die Legionen I, II, IV, V, VI, VIII, X, XII;
dagegen fehlen die 3 Legionen, welche die Nummer III trugen,
1) Die Münze bei Eckhel I S. 25, auf der ein princeps der leg.
JX vorkommt, ist sicher falsch gelesen oder uuecht.
Geschichte der legio XIV gemina. 655
weiter, da es von den Nummern IV, V, VI je zwei Legionen
gab, die 3 gleichnummerigen Legionen, endlich Zegg. VII, IX.
und XI. Wenn nun von den 18 mitI— XII nummerierten
Legionen 9 nicht auf Münzen überliefert sind, weshalb soll
unter 20 dasselbe Schicksal nicht auch die Legionen XIII
und XIV getroffen haben? Dies Hauptargument Mommsens, um
die Nichtexistenz aller Legionen von XIII —XX vor dem Jahre
6 p. Chr. zu beweisen, scheint uns daher nicht zwingend zu
sein. Derselbe Einwand aber läßt sich auch gegen seine übrigen
Argumente erheben. Denn ebensogut wie z. B. die legio V
Al. (cf. Velleius Paterc. II 97) können die /egg. XIII und XIV
vor dem Jahre 6 p. Chr. am Rhein gelagert haben: die Legio-
nen mit den Nummern I—XV würen dann nicht weniger weit
von einander durch alle Provinzen zerstreut gewesen im Gegen-
satz zu den 4 Legionen XVI— XIX, als die Legionen mit den
Nummern I—XII im Gegensatz zu den Legionen XIII—XX.
Was endlich den letzten Grund Mommsens anlangt, daß unter
den Legionen von I— XII mehrere gewesen seien, die gleiche
Nummern getragen hätten, so kónnen wir doch fragen, weshalb
wir gerade mit der Nummer XII, und nicht erst mit XV oder
XVI oder schon mit X aufhören sollen? Ebensogut wie von
den Legionen mit den Nummern I, II, VIT, VIII, IX, XI, XII
nur je eine vor dem Jahre 6 existierte, konnten auch die Le-
gionen XIIT, XIV, XV und XVI schon vor dem Jahre 6 als
einnummerige bestehen. : Der pannonische Aufstand endlich, des-
sen Größe und Gefahr für Italien gewiß nicht unterschätzt wer-
den darf, hat allerdings sicher zur Aushebung einer oder meh-
rerer Legionen geführt: ebenso sicher aber scheint es uns, daß
nicht in einem Jahre 8 neue Legionen gebildet sind. Aus
allen diesen Gründen ist uns die Hypothese Mommsens von der
Aushebung aller 8 Legionen von XIII—XX im Jahre 6 p. Chr.
unwahrscheinlich, Dagegen geben uns unsere Quellen wohlbe-
gründeten, wenn auch nicht zwingenden Anlaß, die Entstehung
der leg. XIV gem. ebenso wie die der Legg. X gem. und XIII gem.
— um von den iibrigen nicht zu reden — in eine friihere Zeit
zu verlegen. Bei Dio (LV 28) führt unsere Legion nämlich
den Beinamen gemina (dıdvun), und Dio erklärt nach der zu sei-
ner Zeit allgemein bestehenden Annahme diesen Beinamen da-
hin, daf er die Art der Entstehung der Legion bezeuge: niim-
656 Metellus Meyer,
lich auf die Zusammenschmelzung zweier alten Legionen in eine
neue hinweise. Dieses Zeugniß Dio's wird bestätigt durch eine
Stelle bei Caesar (Bellum civ. III 4), wo es heißt, „er habe eine
Veteranenlegion, die aus zwei alten gebildet sei, gemella genannt“.
Wenn wir an dieser Bedeutung des Beinamens gemina (denn ge-
mella” bezeichnet ganz dasselbe), der einzigen uns aus dem Al-
terthum überlieferten, festhalten wollen, so kann der Ursprung
unserer Legion, da ihre Existenz für die Zeit des Augustus im
allgemeinen schon gesichert ist, ebenso wie der den gleichen
Beinamen tragenden Legionen X und XIII nur in den Zeiten
der Bürgerkriege oder sofort nach der Beendigung derselben ge-
sucht werden. Denn nur damals hatte Augustus Veranlassung,
sein durch den Uebertritt der Legionen des Lepidus im Jahre
36 und der des Antonius nach der Schlacht bei Actium unge-
heuer angewachsenes Heer zu verkleinern (Appian b. c. V 129),
wührend er in den späteren Jahren im Gegentheil wieder zur
Vergrößerung desselben schreiten mußte. Mommsen allerdings,
der seine oben angeführte Hypothese bei der von Dio und Cae-
sar gegebenen Erklürung des Namens gemina nicht aufrecht er-
halten konnte, meint, die Legionen XIII und XIV seien geminae
genannt, weil sie zusammen ausgehoben worden seien (a. a. O.
S. 78 Anm.) Indessen einmal widerspricht dies, wie schon be-
merkt, der ausdrücklichen Angabe der Alten, dann aber ist bei
seiner Hypothese von der gleichzeitigen Aushebung der legg.
XII—XX auch nicht einzusehen, weshalb gerade nur die legg.
XIII und XIV und nicht auch die übrigen von XV—XX ge-
minae genannt wurden.
Genau die Entstehungszeit der /eg. XIV zu bestimmen, ist
uns freilich nicht möglich; indessen liegt die Vermuthung, daß
die cäsarische leg. XIV (Caesar B.G. VI 32; B. c. I 46), die
später unter den Oberbefehl des Octavian kam (Appian B. c.
V 24), die Stammmutter unserer leg. XIV gem. sei, deshalb nicht
fern, weil wir die letztere in der ersten Kaiserzeit in Germanien
finden, um hier das von Caesar begonnene Werk der Unterwer-
fung der Germanen zu vollenden.
Außer dem Beinamen gemina hat unsere Legion in späterer
Zeit noch mehrere andere geführt: ihre vornehmsten und klang-
vollsten waren jedenfalls die Kognomina Martia victriz. Wir
können wohl mit Sicherheit behaupten, daß diese Kognomina sich
Geschichte der legio XIV gemina. 657
an die größte Waffenthat der Legion, die Besiegung der Königin
Boudica (Tacit. ann. XIV 31 ff, Dio LXII 7, 8), anknüpfen,
und daß Nero sie zum ewigen Gedächtniß jenes Sieges durch
diese Beinamen geehrt habe, wie einst die cüsarische legio Martia
yeti nag dus Axis (Appian B. c. IV 115) ihren Beinamen
geführt hatte. Für die Zurückführung dieser beiden Namen auf
jenen großen Sieg des Jahres 61 spricht auch das Zeugniß der
Inschriften: denn alle Inschriften unserer Legion aus der Zeit
ihres ersten germanischen Aufenthalts (so weit wir sie auch nach
inneren Indicien allein einigermaßen genau bestimmen können)
und ebenso alle britannischen Inschriften derselben bieten nur
das Kognomen gemina, während schon aaf der Inschrift des Vet-
tius vom Jahre 66 (Orelli 6767) und von da ab in den nächst-
folgenden Jahrzehnten fast immer die Beinamen Martia victrix
zu lesen sind, jedoch fast immer mit Beibehaltung des alten
Kognomens gemina. Selten findet sich Martia oder victriz allein -
neben gemina als Beiname der leg. XIV”). Ein neues Kognomen,
das aber nicht ihr allein eigenthiimlich war, erhielt die Legion
von Caracalla und Elagabal, die sie nach ihrem eigenen Namen
Antoniniana nannten (C. I. L. III 4173, 4184, 4187, 4238,
4550, 4661; Ephem. epigr. IV 525); dasselbe thaten, so weit wir
wissen, spüter Severus Alexander, nachdem sie Severiana oder Se-
veriana Alexandriana (C. I. L. X 1254; Ephem. epigr. IV 526;
Orelli 96, 6794; Bulletin epigr. de la Gaule II S. 485), Maximinus,
nachdem sie Maximiniana (Archaeolog. - epigraph. Mittheilungen
aus Oesterreich VIII S. 76), und Gordianus, nachdem sie Gor-
diana (C. I. L. III 1911) hieB. Auf den Münzen des Gallienus
(Cohen IV S, 387 Nr. 312, 318) und des Victorinus (De Witte:
Recherches sur les empereurs qui ont régné dans les Gaules . . .,
Lyon 1868 S. 101 Nr. 40) führt unsere Legion, wie die übri-
gen occidentalischen Legionen, außer dem Beinamen gemina noch
die sonst ihr fremden P. F. = pia fidelis. Außerdem finden
2) Gemina Martia heißt sie auf den Ziegeln: Brambach Corp. inser.
Rhenan., 1377, e, 1417, c, 1491, b, 1501, b, 1537, d; Bonner Jahrb.
58 (1876). S. 20, und auf den Inschriften ; Corp. inser. lat. III 2029,
4578; Ephemeris epigraphica II 737. — Gemina victrix findet sich auf
einem Ziegel Brambach 1377, e und auf den Inschriften C. I. L. II
3274 und X 6555. — Martia als alleiniges Kognomen ohne Beibehal-
tung von gemina führt unsere Legion auf einigen Ziegeln (cf. C.I.L.
III 4661; Brambach 1377, e) und auf der (freilich verderbten) In-
schrift C. I. L. VIII 825.
Philologus. N. F. Bd. I, 4. 42
658 Metellus Meyer,
sich noch die Kognomina G. F. = gemina fidelis auf einem
Ziegel von Carnuntum (cf. C. I. L. III 4661); ferner zeigt uns
eine in Vindobona ausgegrabene Tegula die Lettern GER (cf.
C. 1. L. III 4661), was nur Germanica bedeuten kann, ein Bei-
name, den unsere Legion merkwürdigerweise auch beim Ptole-
maeus (Geographia lib I cap. II 14) führt: dennoch ist nicht
ausgeschlossen, daß beide Lesungen auf einem bloßen Irrthum
beruhen und an beiden Stellen nicht GER, sondern GEM (ge-
mina) zu lesen ist. — Die Inschriften, auf denen die 14te Le-
gion ohne jeden Beinamen sich verzeichnet findet sind verhilt-
nißmäßig selten (C. I. L. III 3943, 4493, 5336; V, 51268 (?);
Brambach 1193 (?) 1339); nur auf den germanischen Ziegeln
ist dies häufig der Fall (Hermes XIX S. 437; C. I. L. III 4661).
Endlich mag hier noch das Insigne unserer Legion Erwäh-
nung finden. Die Münzen zeigen uns als solches außer dem
allgemeinen Legionsadler (Cohen III S. 300 Nr. 525) einen nach
rechts gewandten Steinbock, über dem auf manchen Münzen ein
in seinem Schnabel eine Krone haltender Adler schwebt (Cohen
III S. 387 Nr. 812, 313; De Witte S. 101 Nr. 39, 40). In
der Notitia dignitatum (ed. Bócking 1 Occid. cap. VII S. 80*)
finden wir als Insigne unserer Legion einen weifben Schild, in
dessen Mitte sich eine roth umfaßte goldene Kugel befindet, die
von einem hellblauen darüber schwebenden Adler getragen wird.
Die verschiedenen Stationen der legio XIV gem.
und die Dauer ihres Aufenthalts in denselben.
Als ersten Standort der leg. XIV gem. kónnen wir nach
dem Zeugniß der Schriftsteller, Ziegel und Inschriften Mogon-
tiacum, das heutige Mainz, in Obergermanien bezeichnen, das sie
wahrscheinlich in den Jahren 12—9 a. Chr., während Drusus
den Oberbefehl in Germanien führte, erbaute (Dio LIV 38;
Florus IV epit. IX; Tacit. ann. I 37; Brambach 1377, o 1—9;
ef. Cohausen: Der rimische Grenzwall in Deutschland, Wies-
baden 1884 S. 183). Auch an dem Bau der von Mainz nach
Kastel fiihrenden Briicke ist die 14te Legion jedenfalls bethei-
ligt gewesen, da in den Fundamenten derselben ein Ziegel un-
serer Legion gefunden ist (cf. Schwórbel Bonn. Jahrb. 76 (1888),
S. 214). Außer Mainz und Kastel waren durch sie schon vor
dem Jahre 43, in dem sie zum ersten Mal Germanien verlieB,
Geschichte der Zegio XIV gemina. . 659
die Kastelle und Lager in und bei den heutigen Städten Wies-
baden (Cohausen S. 183; Becker Bonn. Jahrb. 67 (1879), S.
13---15), Heddernheim (Cohausen 8. 136), Nied, Hofheim (Co-
hausen S. 156), Rambach, Höchst, Friedberg (Cohausen S. 94),
Rheinzabern besetzt, wie sich aus den an diesen Orten ausge-
grabenen Ziegeln schließen läßt (Brambach 15374, 1999*; 1491®;
1501^; 1503; 15385; 1502*; 1417*; 1822» uud Bonn. Jahrb.
66 (1879) S. 163, cf. Florus epitomae rerum Romanarum IV
epit. IX).
Im Jahre 43 ging unsere Legion unter der Führung des
Aulus Plautius nach Britannien, um diese Insel dem römischen
Reiche zu unterwerfen (Tacit. Ann. XIV 34, 37; Agricol. 13;
Sueton Claud. 17; Iosephus b. J. II 28; Dio LX 19— 22; cf.
Hübner Hermes XVI S. 527 ff); mit ihr gingen die Legionen
II Aug., IX Hisp. und XX Val. victr. Ihr Hauptlager schlug
sie zuerst in Camalodunum, dem heutigen Colchester, spüter,
seit dem Jahre 50, in Viroconium, dem heutigen Wroxeter, auf.
Für die Stationierung unserer Legion nicht nur in Camalodunum,
sondern auch in Viroconium (cf. dagegen Hübner a. a. O., 8.
533 und Mommsen C. I. L. VII S. 5, 34, 45), sprechen einmal
zwei an dem letzteren Ort gefundene Inschriften von aktiv in
der Legion dienenden Soldaten (C. I. L. VH 154, 155)?
zweitens die Theilnahme unserer Legion an dem Zuge des Sue-
tonius Paulinus im Jahre 61 gegen die Insel Mona, zu dem
derselbe ohne Zweifel die dieser Insel zunüchst lagernden Le-
gionen, die XX Val. victr., die in Deva stationierte, und die in
Viroconium liegende Legion verwandte. Hierzu kommt noch,
daß Camalodunum im Jahre 50 zur Kolonie erhoben wurde
(Tacit. ann. XII 32, XIV 31), und im ersten Jahrhundert, wie
Mommsen nachgewiesen hat (Hermes VII S. 299), kein Ort der
Kolonie war, zu gleicher Zeit auch Legionslager sein konnte,
weshalb schon Jung (die roman. Landschaften des rim. Reichs,
Innsbruck 1881 S. 279) den Ausweg wühlte, das Lager der
Legion in die Nähe von Camalodunum, nicht in die Stadt selbst
zu verlegen. Mit unserer Annahme von der Verlegung des
Hauptquartieres der 14ten Legion von Camalodunum nach Vi-
3) In Britannien sind überhaupt nur 3 Inschriften unserer Le-
gion gefunden: die beiden genannten in Viroconium und eine in
Lindum (C. I. L. VII 187). |
42%
660 . . Metellus Meyer,
roconium im Jahre 50 stimmt übrigens noch die weitere An-
gabe des Tacitus tiberein (Ann. XH 32, 33), wonach die Le-
gionen ins Gebiet der Siluren und Ordoviker, in dem Viroco-
nium lag, geführt wurden und zu gleicher Zeit Camalodunum,
des Standort der leg. XIV gem., eine starke Veteranenkolonie
erhielt. Die Mittheilung des Tacitus aber, die er uns bei Ge-
legenheit der Zerstérung Camalodunums im britannischen Auf-
stand (61 p. Chr.) macht, daß nämlich früher die Soldaten (ir-
gend eines uns unbekannten Legion) den Schandthaten der Ve-
teranen ruhig zugesehen hätten (Tacit. ann. XIV 31), zwingt
uns durchaus nicht, einmal diese Soldaten für Vierzehner zu
halten (diese waren ja damals alle auf Mona), und zweitens
ebensowenig, in ihnen die Vertreter einer ganzen Legion zu
sehen, die dort, in Camalodunum, ihr Hauptquartier gehabt
haben müßte,
Bis zum Jahre 67 blieb die Legion in Britannien; dann
traf sie der Befehl Neros, zu einem Feldzug gegen die am kas-
pischen Meer wohnenden Albaner aufzubrechen (Tacit. hist. II
11, 66; cf. I 6). Indessen schon in Gallien erhielt sie die
Kunde von ‘dem im Juni des Jahres 68 erfolgten Tod Neros
und der Thronbesteigung Galbas, der die ihm feindlich gesinnte
Legion mit der /eg. XI Claud. zusammen nach Dalmatien schickte
(Tac. hist. II 11, 14, 32) *. Aber schon im Frühjahr 69 ver-
ließ sie ihre dortigen Standquartiere, um dem neuen Kaiser Otho
zu Hilfe zu eilen (Tac. hist. II 11, 54, 66); nach der Schlacht
von Bedriacum sandte dann Vitellius sie nach Britannien zu-
riick (Tacit. hist. II 66). Noch in demselben Jahr erging in-
dessen vom Vespasian der Befehl an sie, Britannien zum zweiten
. Mal zu verlassen, um dem germanischen Heere zugewiesen zu
werden (Tacit. hist. IV 79). Nur zwei Tage lang stand sie
bei dem untergermanischen Heer, dann wurde sie dem oberger-
manischen zugetheilt (Tacit. hist. V 19) und bezog von neuem
als Standquartier Mainz und die umliegende Kastelle Wiesbaden,
Heddernheim, Nied, Hofheim, Rambach, Höchst, Friedberg, Ade-
nau u. &, wie die an den betr. Orten gefundenen Legionsziegel,
4) Dalmatische Ziegel der 14ten Legion sind gefunden in: Bur-
num (C. I. L. III 2830), Salonae (IIl 2015, 2029, 2035, 2066), Narona
(III 1180), Stolae (Archaeolog.-epigr. Mittheilungen aus But. VIII S.
88), Iader (C. I. L. III 2915), Novae (III 1911).
Geschichte der legio XIV gemina. 661
welche die Kognomina Mart. (victr.) führen, bezeugen (Brambach
1377, e; 1537, d; 1491, b; 1501, b; 1583, a; 1538, b; 1502, a;
1417, c; Bonner Jahrb. 44 (1868), S 64 und 58 (1876), S. 20). —
Hierher gehóren auch die Ziegel von Mirebeau-sur-Bèze (Momm-
sen Hermes XIX S. 437—441), auf denen aufer unserer Le-
gion die Legionen I, VIII, XI und XXI verzeichnet sind, Aus
ihnen ersehen wir, daß Vexillationen der genannten Legionen zu
irgend einer Zeit im Kastell von Mirebeau-sur- Béze stationiert
gewesen sein oder dasselbe zusammen erbaut haben müssen.
Mommsen (a. a. O.) glaubt die Ziegel in die Zeit des Bataver-
aufstandes verlegen zu müssen, wo die auf den Ziegeln ge-
nannten Legionen Getreidestationen in diesen Gegenden errichtet
und besetzt hätten. Dagegen aber spricht entschieden, daß die
verzeichneten Legionen damals unter zwei verschiedenen Füh-
rern standen, nämlich die Legionen I, VIII, XI unter Annius
Gallus, die Zeg. XXI aber unter Cerialis und unsere Legion an-
fangs unter Cerialis, dann unter Gallus (cf. Tacit. bist. IV 79;
V 49). Es können aber nicht Vexillationen von Legionen, die von
verschiedenen Legaten befehligt wurden, auf einem Ziegel ver-
eint genannt sein. Dagegen steht nichts der Annahme im Wege,
daß diese Ziegel in der Zeit vor dem Aufstand des Saturninus
und während desselben verfertigt seien. Denn daß auch da-
mals Stationen oder Getreideplätze von Legionsvexillationen er»
richtet und besetzt sind, erhellt zur Genüge aus den bei Mire-
beau und Aquae Neri gefundenen Ziegeln der leg. VII Aug. (cf.
Mommsen a. a. O.), die jedenfalls in eine nur wenig spätere
Zeit gehören, da sie außer der Legionsziffer den Namen des
Legaten L. Appius tragen, der wahrscheinlich an Stelle des von
ihm besiegten Saturninus Statthalter von Obergermanien wurde,
Gleich nach der Niederwerfung des saturninischen Auf-
standes im Jahre 90 scheint unsere Legion an die Donau ver-
setzt zu sein. Denn damals erließ Domitian ein Verbot, nach
dem nie wieder zwei Legionen in einem Lager vereint liegen
sollten (Sueton Domit. 7). Außerdem aber wissen wir, daß die
leg. XXII primig. um diese Zeit aus Pannonien nach Mainz ge-
schickt wurde (C. I. L. III 550; cf. Mist. Aug. Scriptor, Hadr.
2; cf. Pfitzner S. 271): es muß also zweifellos damals. unsere
Legion der Befehl Domitians, nach Pannonien aufzubrechen, ge
662 Metellus Meyer,
troffen haben (cf. E. Ritterling: De legione Romanorum X gemina.
Lipsiae 1885). |
Die Lagerstädte Carnuntum und Vindobona, die später
beide von der 14ten Legion bezogen wurden, waren um diese
Zeit noch von anderen Legionen, die eine von der leg. XV Apoll.
(cf. Pfitzner S. 260), die andere von der leg. XIII gem. (cf. C.
I. L. III S. 482) besetzt. Dahin also kann die 14te Legion
noch nicht gekommen sein. Vielmehr fiihrt uns eine in Petrievci
in Slavonien ungeführ an der Stelle des alten Mursella gefun-
dene Tegula unserer Legion nach Pannonia inf., das damals
freilich noch nicht als eigene Provinz bestand (C. J. L. III 3755):
hier, nahe bei dem Einfluß des Karasch in die Drau, muß da-
mals die 14te Legion oder wenigstens eine Abtheilung derselben
gelagert haben, wenn wir nicht glauben wollen, die Tegula sei
durch bloßen Zufall hierher verschleppt. Daß auch die Kriege
Domitians mit den Dakern, Sueben und Sarmaten in militàri-
scher Hinsicht die Besetzung des ôstlichen, den feindlichen Lin-
dern näher gelegenen Theils von Pannonien, des späteren Pann,
inf., durchaus wünschenswerth erscheinen lassen mußten, kann
unserer Ansicht als weitere Stütze dienen. |
Eine neue Verschiebung der Legionen trat ein nach der
Unterwerfung Daciens, zu dessen Besatzung unter andern die
legio XIII gem. aus Vindobona von Traian ausersehen war (Pfitz-
ner S. 256); zu gleicher Zeit aber rückte in Pann. inf. die legio
II adj. ein (C. I. L. III S. 415, Pfitzner S. 225). Nun wissen
wir ziemlich sicher, daf in dieser Provinz im zweiten Jahr-
hundert nie mehr als eine Legion gelegen hat: die 14. Legion
muß also damals Unterpannonien verlassen haben. Nun kennen
wir auBer Vindobona (wo unsere Legion nach der Menge der
dort gefundenen Ziegel ohne Zweifel zu irgend einer Zeit gelegen
haben muß) nur noch ein Hauptquartier der 14. Legion: Car-
nuntum. Diese Lagerstadt aber war damals noch von der leg. X V
Apoll. besetzt (C. I. L. III S. 284, Pfitzner S. 260), und so bleibt
nur übrig, daß die Leg. XIV im Jahre 107 in das von der leg,
XIII verlassene Vindobona eingezogen sei. Diese Ansicht, daß
unsere Legion zuerst nach Vindobona, und dann nach Carnuntum
gekommen sei, wird noch dadurch bestütigt, da8 die Ziegel von
Vindobona (C. I. L. III 4661) meistens die Beinamen Martia
victrix führen, wührend dieselben auf den karnuntischen Ziegeln
Geschichte der Zegio XIV gemina. 668
in der Regel fehlen: was sich bei unserer Annahme ganz natiir-
lich daraus erklärt, daß diese Beinamen am stehendsten waren,
so lange die That der Legion, die ihr diese Beinamen einge-
bracht hatte, noch frisch in Erinnerung war, daß sie aber mit
der Zeit mehr und mehr in Vergessenheit kamen, bis sie endlich
ganz verschwanden. — Außer im Hauptquartier von Vindobona
lagen, wie die an den betr. Orten ausgegrabenen Tegulen zeigen,
Abtheilungen der 14. Legion in den Kastellen von Hernals,
Meidling, Baden, Schwechat, Oedenburg (Scarbantia), Mariarast
'C. I. L. III 4661).
Die letzte Versetzung unserer Legion, die von Vindobona
nach Carnuntum, muß vor dem Jahre 150, wo Ptolemaeus (I
cap. II 14) sie als in Flexum (nahe bei Carnuntum) liegend
anführt, stattgefunden haben*) Nun aber bot weder die Regie-
rung des Hadrian noch die des Pius Anlaß zu Legionsverschie-
bungen, so daf wir auf Traian zurückgeführt werden. Aus der
Legionssäule (C. I. L. VI 3492 a, b) wissen wir nun, daß die
leg. XV Apollin., die nach den Dakerkriegen Traians in ihr
Standquartier Carnuntum zurtickgekehrt war, zur Zeit der Errich-
tung dieser Säule (zwischen 120 und 170) im Orient, in Kappa-
docien, lagerte: die Berufung dieser Legion in den Orient aber
kann kaum zu einer andern Zeit geschehen sein als in den Jahren
der Partherkriege Traians. Da wir nun von keiner andern
Legion wissen, daß sie die Nachfolgerin der XV Apoll. in Car-
nuntum geworden sei, die Versetzung der leg. XIV gem. nach
Carnuntum aber, wie wir gesehen, jedenfalls zwischen den Jahren
107 und 150 und wahrscheinlich schon unter Traian zwischen
107 und 117 erfolgt ist, so kénnen wir wohl mit ziemlicher
Sicherheit das Jahr 114, das Jahr des Abriickens der leg. XV
Apoll. aus Carnuntum nach dem Orient zu den Partherkriegen,
zugleich als das Jahr des Einrückens der leg. XIV gem. in Car-
nuntum von Vindobona her betrachten. In Carnuntum blieb
unsere Legion bis hinab auf Diocletians Zeit. Viele an der Stelle
des alten Carnuntum selbst, in den angrenzenden Städten Pe-
tronell und Deutsch- Altenburg und in den umliegenden Orten
gefundene Ziegel (C. I. L. III 4661. — Archaeol. - epigraphische
5) Es 1st klar, da$ Ptolemaeus hier irrthümlich eine Nebenstation
anstatt der Hauptstation, die bei der Lage Flexums nur Carnuntum
sein kann, genannt hat.
664 Metellus Meyer,
Mittheilungen aus Oest. I S. 133, 143; II S. 185; Ephem. epi-
graph. IV 542) bezeugen uns den langjährigen Aufenthalt der
Legion in diesen Gegenden. Weiter wird sie als Legion Ober-
pannoniens außer von Ptolemaeus und der Legionssäule ausdrück-
lich angeführt vom Itinerarium Antonini (edd. Parthey et Pinder,
Berlin 1848 S. 247), von Dio (LV 28) und von der Notitia
dignitatum; die letztere kennt milites liburnarü legionis quartae-
decimae unter dem dux Pannoniae primae in Carnuntum und
Arrabona (Occid. cap. XXXIII D2u.3 S. 99), und auBerdem
die Quartodecimani unter dem magister militum per Thracias (Or.
cap. VII C 6 S. 31). |
Als Legaten der 14. Legion während ihres Aufenthalts in
Carnuntum sind uns aus den Inschriften bekannt: Unter Hadrian
um das Jahr 120: Sextus Vinicius Faustinus Julius Sergius
Severus, der unter Traian schon Tribun unserer Legion gewesen
war (C.J. L. IH 2880); unter Hadrian oder Antoninus Pius:
Titus Caesernius Statius Quintius Statianus Memmius Macrinus
(C.I.L. VIII 7036); ebenfalls unter Antoninus Pius um das
Jahr 157: Marcus Statius Priscus Licinius Italicus (C. I. L. VI
1523); unter Commodus: Lucius Ragonius Urinatius Larcius
Quintianus (C. I. L. V 1968, 2112, VI 1502, 1503); unter Se-
verus Alexander: lasdius Domitianus (C.J. L. VI 1428) und
Cneius Petronius Probatus Iunior Iustus (C. I. L. X 1254); endlich
unter Valentinianus, Valens und Gratianus: Titus Flavius Secun-
dus Philippianus (Orelli 922; Boissieu: Inscriptions antiques de
Lyon, Lyon 1846— 54 S. 65). — Als Legionsprüfekten melden
uns die Inschriften die Namen des Caius Cornelius Egrilianus
(C. I. L. VIII 1858) und des Publius Aurelius Cassianus (C. I. L.
III 4393), von denen der erste unter Caracalla die 14. Legion
befehligte. Von den Tribunen der Legion während ihres Auf-
enthalts in Carnuntum lassen sich zeitlich einigermaßen genau
bestimmen Lucius Aconius Callistus (Orelli 96) unter Severus
Alexander und der Mitkonsul des Kaisers Gallienus im Jahre
261, Titus Petronius Taurus Volusianus (Orelli 3100).
Zum Schluß dieses Abschnitts geben wir eine kurze Ueber-
sicht über die Hauptstationen unserer Legion und die Dauer
ihres Aufenthalts in denselben.
Geschichte der legio XIV gemina. |. 665
Legio XIV gemina.
A. In Germania sup.: Von Augustus bis 48. Hauptquar-
tier: Mogontiacum.
B. In Britannien: Von 43—67. Hauptquartiere: a. Ca-
malodunum (43—50). b. Viroconium (50 —67).
Auf dem Zuge nach Rom in Gallien : Im Jahr 68.
In Dalmatien: Von 68 bis Frühjahr 69.
In Britannien: Im Jahr 69. Hauptquartier: Viroconium.
In Germania sup.: Von 70—90. Hauptquartier: Mo-
gontiacum.
In (dem späteren) Pannonia inf.: Von 90—107.
In Pannonia sup.: Von 107 an. Hauptquartiere: a. Vin-
dobona (107—114). b. Carnuntum (von 114 an).
Bao
Eo
Thaten und Schicksale der legio XIV gemina von
Augustus bis auf Diocletian.
Wir haben schon erwähnt, daß wir unsere Legion als die
Mitbegründerin und Miterbauerin jener fünfzig Kastelle, von
denen Florus (IV epit. IX) berichtet, vor allem des Kastells Mo-
gontiacum, .ansehen müssen (vgl. oben S. 658). Da nun gerade
Mogontiacum den Hauptstützpunkt der Operationen des Drusus
bildete, so hat die 14. Legion ohne Zweifel die Feldzüge des-
selben mitgemacht: die specielle Geschichte der Legion aber
unter Drusus und ebenso unter seinen Nachfolgern bis auf Ger-
manicus ist uns unbekannt; wir kónnen nur im allgemeinen ihre
Theilnahme an den Kümpfen, die damals in Germanien geführt
wurden, voraussetzen. An der unglücklichen Expedition des
Varus hatte sie keinen Antheil; dagegen war sie sicher eine der
beiden Legionen, mit denen L. Nonius Asprenas von Mainz aus
nach dem Niederrhein eilte, um die Ueberreste des varianischen
Heeres zu retten (Velleius II 120; Dio LVI 22).
Unter Germanicus machte die 14. Legion bald von sich
reden. Kaum zwei Jahre nämlich hatte dieser die Statthalter-
schaft von Gallien und Germanien geführt, als Augustus starb
und am Rhein wie an der Donau die Legionen sich gegen den
neuen Kaiser empörten und drohend Solderhóhung und Herab-
setzung der Dienstzeit forderten. Die oberrheinische Armee
(legg. II Aug., XIII gem., XIV gem. u. XVI) wartete ab, was
die niederrheinische (legg. I, V Al, XX victr. u. XXI rap.), zu
666 Metellus Meyer,
der Germanicus zuerst geeilt war, thun wiirde: als diese sich
nach der vorläufigen Bewilligung ihrer Forderungen beruhigte,
schwuren auch die Legionen II, XIII und XVI am Oberrhein
ohne Widerstand den Treueid (Tacit. annal. I 31—37): nur die
14. zôgerte noch, sich zu unterwerfen, bis ihr aus freien Stiicken
Solderhóhung und Verminderung der Dienstjahre angeboten wurde
(Tacit. ann. I 37). An den Zügen des Germanicus, die derselbe
sofort nach Beschwichtigung des Aufstandes unternahm, hat uusere
Legion bedeutenden Antheil, zumal Germanicus wie einst Drusus
das Kastell Mogontiacum zur Basis seiner Operationen machte.
Indessen ist uns die specielle Geschichte der leg. XIV bei den
ersten beiden Zügen des Germanicus nicht überliefert. Auf dem
dritten Zuge gegen die Germanen hatte sich der rómische Ober-
feldherr mit den vier oberrheinischen Legionen von der Rhein-
mündung aus nach der Ems eingeschifft, wo er mit dem nieder-
rheinischen Heer, das unter dem Befehl des Caecina zu FuB
dorthin marschiert war, zusammengetroffen war. Von dort zog
man unter fortwührenden Scharmiitzeln mit den Germanen in
getrennten Abtheilungen nach der Stätte der varianischen Nie-
derlage, wo die Ueberreste der gefallenen Soldaten begraben
wurden (Tacit. ann. I 61, 62). Nach kurzer Verfolgung des
Arminius und einem kleinen Reitertreffen mit ihm begannen die
Römer den Rückmarsch, und zwar wurde bestimmt, daß die 14.
Legion mit den übrigen oberrheinischen Legionen unter Germa-
nicus! Führung sich von der Ems aus nach dem Rhein ein-
schiffen sollte, wührend Caecina den Befehl erhielt, das nieder-
rheinische Heer zu Fuß über die „langen Brücken“ zurückzu-
führen (Tacit. ann. I €3). Indessen bald stellte es sich heraus,
daß die Flotte bei der Herbststürmung wegen des seichten Fahr-
wassers die vier Legionen des Germanicus nicht aufnehmen konnte:
daher wurde unsere Legion und mit ihr die II. Aug. ausgeschifft
und dem P. Vitellius befohlen, sie zu Fuß in ihre Standquar-
tiere zu führen. Aber unbekannt mit den Verhältnissen von Ebbe
und Fluth wurden die beiden Legionen von einer Springfluth
überrascht, verloren ihr sämmtliches Gepäck und waren selbst
nahe daran, in den Wellen umzukommen. Glücklicherweise ge-
lang es ihnen noch, einen höheren Punkt zu gewinnen, wo sie
übernachteten; am folgenden Tage stießen sie wieder zum Ger-
manieus und traten mit ihm auf der Flotte die Rückfahrt nach
Geschichte der legio XIV gemina. 667
dem Rhein hin an (Tacit. ann. I 70). — Auf den letzten Zügen
des Germanicus wird nichts Besonderes von der leg. XIV erwühnt;
jedenfalls hat sie an der Schlacht bei Idistaviso theilgenommen
(cf. Tacit. ann. II 8—25; Dio LVII 18) und ist auf der Rück-
fahrt zusammen mit den übrigen oberrheinischen Legionen von
jenem furchtbaren Sturm heimgesucht, dem die ganze Flotte fast
zum Opfer gefallen würe (Tacit. ann. II 28, 24). —
Nach Germanicus Abberufung ist das erste bedeutende
Ereigniß, das uns aus der Geschichte der legio XIV bekannt
ist, die Ueberführung derselben nach Britannien, zu dessen Unter-
werfung der Kaiser Claudius sie mit den /egg. II Aug., IX Hisp.
und XX Val. victr. ausersehen hatte (a. 48; vgl. oben S. 659).
Von den vielen Auxiliartruppen, die diese Expedition mitmachten,
standen die 8 cohortes Batavorum, wie ausdrücklich bezeugt ist
(Tacit. hist. I 59; cf. I 64, Il 27), in näherem Zusammenhang
mit der leg XIV, so daß sie sogar speciell die auailia dieser
Legion genannt werden. Auf die Unterwerfung der Insel, den
Sieg über die Sóhne des Cunobellinus und die Eroberung von
Camalodunum brauchen wir hier nicht näher einzugehen, da die
specielle Thitigkeit der leg. XIV hierbei uns nicht bekannt ist.
Daß unsere Legion bis zum Jahre 50 in Camalodunum und
von da ab bis zum Ende ihres britannischen Aufenthalts in
Viroconium stationierte, haben wir schon oben (8. 6, 7) wahr-
scheinlich zu machen gesucht. Ist diese Annahme richtig, so
hat sie jedenfalls an den Kämpfen des Jahres 50 gegen die
Silarer und Ordoviker, in deren Gebiet Viroconium lag, und an
der schließlichen Unterwerfung derselben den Hauptantheil ge-
habt (Tacit. ann. XII 32— 40). Bis zum Jahre 61 hören wir
dann nichts Besonderes von unserer Legion: dieses Jahr aber
bildet den Glanzpunkt in ihrer Geschichte.
Die britannischen Legionen standen damals unter dem Ober- .
befehl des Suetonius Paulinus, der sich vor allem die Unter-
werfung und vóllige Romanisierung des westlichen Britanniens
zur Aufgabe gemacht hatte. Diese aber konnte ihm nur dann
im vollen MaBe gelingen, wenn er sich der Insel Mona bemüch-
tigte, von der aus die Druiden immer von neuem die Flamme
des Aufruhrs schürten (Tacit. ann. XIV 29; Dio LXII 7). Zu
diesem Zweck stellte er sich an die Spitze der beiden der Insel
zunächst lagernden Legionen, der /egío XX Val. victr., die in
666 Metellus Meyer,
der Germanicus zuerst geeilt war, thun wiirde: als diese sich
nach der vorläufigen Bewilligung ihrer Forderungen beruhigte,
schwuren auch die Legionen II, XIII und XVI am Oberrhein
ohne Widerstand den Treueid (Tacit. annal. I 81—37): nur die
14. zógerte noch, sich zu unterwerfen, bis ihr aus freien Stücken
Solderhóhung und Verminderung der Dienstjahre angeboten wurde
(Tacit. ann. I 37). An den Zügen des Germanicus, die derselbe
sofort nach Beschwichtigung des Aufstandes unternahm, hat uusere
Legion bedeutenden Antheil, zumal Germanicus wie einst Drusus
das Kastell Mogontiacum zur Basis seiner Operationen machte.
Indessen ist uns die specielle Geschichte der leg. XIV bei den
ersten beiden Zügen des Germanicus nicht überliefert. Auf dem
dritten Zuge gegen die Germanen hatte sich der rómische Ober-
feldherr mit den vier oberrheinischen Legionen von der Rhein-
mündung aus nach der Ems eingeschifft, wo er mit dem nieder-
rheinischen Heer, das unter dem Befehl des Caecina zu FuB
dorthin marschiert war, zusammengetroffen war. Von dort zog
man unter fortwührenden Scharmützeln mit dén Germanen in
getrennten Abtheilungen nach der Stätte der varianischen Nie-
derlage, wo die Ueberreste der gefallenen Soldaten begraben
wurden (Tacit. ann. I 61, 62). Nach kurzer Verfolgung des
Arminius und einem kleinen Reitertreffen mit ihm begannen die
Römer den Rückmarsch, und zwar wurde bestimmt, daß die 14.
Legion mit den übrigen oberrheinischen Legionen unter Germa-
nicus’ Führung sich von der Ems aus nach dem Rhein ein-
schiffen sollte, wührend Caecina den Befehl erhielt, das nieder-
rheinische Heer zu Fuß über die „langen Brücken“ zurückzu-
führen (Tacit. ann. I €3). Indessen bald stellte es sich heraus,
daß die Flotte bei der Herbststürmung wegen des seichten Fahr-
wassers die vier Legionen des Germanicus nicht aufnehmen konnte :
daher wurde unsere Legion und mit ihr die II. Aug. ausgeschifft
und dem P. Vitellius befohlen, sie zu Fufì in ihre Standquar-
tiere zu führen. Aber unbekannt mit den Verhiltnissen von Ebbe
und Fluth wurden die beiden Legionen von einer Springfluth
überrascht, verloren ihr sümmtliches Gepäck und waren selbst
nahe daran, in den Wellen umzukommen. Gliicklicherweise ge-
lang es ihnen noch, einen höheren Punkt zu gewinnen, wo sie
übernachteten; am folgenden Tage stießen sie wieder zum Ger-
manicus und traten mit ihm auf der Flotte die Rückfahrt nach
Geschichte der legio XIV gemina. 667
dem Rhein hin an (Tacit. ann. I 70). — Auf den letzten Zügen
des Germanicus wird nichts Besonderes von der leg. XIV erwähnt;
jedenfalls hat sie an der Schlacht bei Idistaviso theilgenommen
(ef. Tacit. ann. II 8—25; Dio LVII 18) und ist auf der Rück-
fahrt zusammen mit den übrigen oberrheinischen Legionen von
jenem furchtbaren Sturm heimgesucht, dem die ganze Flotte fast
zum Opfer gefallen wire (Tacit. ann. II 28, 24). —
Nach Germanicus’ Abberufung ist das erste bedeutende
Ereigniß, das uns aus der Geschichte der legio XIV bekannt
ist, die Ueberführung derselben nach Britannien, zu dessen Unter-
werfung der Kaiser Claudius sie mit den legg. II Aug., IX Hisp.
und XX Val. victr. ausersehen hatte (a. 43; vgl. oben S. 659).
Von den vielen Auxiliartruppen, die diese Expedition mitmachten,
standen die 8 cohortes Batavorum, wie ausdriicklich bezeugt ist
(Tacit. hist. I 59; cf. I 64, IL 27), in näherem Zusammenhang
mit der leg XIV, so daß sie sogar speciell die auxilia dieser
Legion genannt werden. Auf die Unterwerfung der Insel, den
Sieg über die Sóhne des Cunobellinus und die Eroberung von
Camalodunum brauchen wir hier nicht näher einzugehen, da die
specielle Thitigkeit der leg. XIV hierbei uns nicht bekannt ist.
Daf unsere Legion bis zum Jahre 50 in Camalodunum und
von da ab bis zum Ende ihres britannischen Aufenthalts in
Viroconium stationierte, haben wir schon oben (8. 6, 7) wahr-
scheinlich zu machen gesucht. Ist diese Annahme richtig, so
hat sie jedenfalls an den Kämpfen des Jahres 50 gegen die
Silarer und Ordoviker, in deren Gebiet Viroconium lag, und an
der schlieBlichen Unterwerfung derselben den Hauptantheil ge-
habt (Tacit. ann. XII 32-40). Bis zum Jahre 61 hören wir
dann nichts Besonderes von unserer Legion: dieses Jahr aber
bildet den Glanzpunkt in ihrer Geschichte.
Die britannischen Legionen standen damals unter dem Ober- .
befehl des Suetonius Paulinus, der sich vor allem die Unter-
werfung und véllige Romanisierung des westlichen Britanniens
zur Aufgabe gemacht hatte. Diese aber konnte ihm nur dann
im vollen MaBe gelingen, wenn er sich der Insel Mona bemüch-
tigte, von der aus die Druiden immer von neuem die Flamme
des Aufruhrs schürten (Tacit. ann. XIV 29; Dio LXII 7). Zu
diesem Zweck stellte er sich an die Spitze der beiden der Insel
zunächst lagernden Legionen, der /egío XX Val. victr., die in
668 Metellus Meyer,
Deva, und der legio XIV gem., die in Viroconium stationierte,
und setzte mit ihnen nach der Insel über. Aber während unsere
Legion zusammen mit der 20. hier unter dem Befehle des Le-
gaten im gliicklichen Kampf die Unterwerfung der Insel fast
vollendet hatte (Tacit. ann. XIV 30; Dio LXII 8), brach im
- Osten hinter ihrem Riicken ein furchtbarer Aufstand der Bri-
tannier unter der Leitung der Kónigin Boudica aus. Die ver-
hafite Veteranenkolonie Camalodunum war das erste Ziel der
Empórer: sie wurde in Brand gesteckt und alle dort wohnenden
Rómer hingemordet (Tacit ann. XIV 31, 32, Dio LXII 7).
Die von Calleva her den Bedrüngten zu Hiilfe eilende leg. IX
Hisp. wurde fast vernichtet; der Stellvertreter des Paulinus,
Catus, floh, seiner Pflicht uneingedenk, eiligst nach dem Fest-
lande (Tacit. ann. XIV 32). Auf die Schreckenskunde von der
Empörung brach Paulinus sofort von Mona auf, ließ das Gros
der 20. Legion zur Deckung im Westen zurück und marschierte
selbst an der Spitze der 14. Legion und des Restes der Zwan-
ziger in Eilmürschen:nach Londinium, um dies vor dem Schick-
sal Camalodunums zu bewahren. Vor Londinium angelaugt aber
kehrte Paulinus wieder um, ohne fiir die Stadt irgend etwas
gethan zu haben, da er einsah, daß es ihm doch unmöglich
sei, sie zu retten. So fiel auch Londinium und ebenso Verula-
mium und andere römische Kolonien der Wuth der Empörer
zum Opfer (Tacit. ann. XIV 33)9). In seiner Noth suchte Pau-
linus jetzt die Vereinigung mit dem Legaten der leg. II Aug.,
den er von Isca her zur Hülfe rief. Als dieser nun freilich
feige und unehrenhaft genug war, seinen Oberfeldherrn im Stich
zu lassen und sich zu weigern, dessen Befehle Folge zu leisten
6) Mommsen (Róm. Geschichte Bd. 5 S. 165 Anm.1) findet die-
sen Bericht des Tacitus günzlich unglaubwürdig, da es unverstándlich
würe, weshalb Paulinus erst nach Londinium gegangen sei, wenn er
“ es doch habe aufopfern wollen; er will daher lieber dem Dio (LXII 8)
folgen, nach dessen Bericht der rómische Feldherr schon mitten auf
dem Marsche von Mona nach Londinium zur Schlacht gezwungen
wurde. Indessen ist es sehr wohl möglich, daß Paulinus anfänglich
den Aufstand für nicht so gefäbrlich gehalten und geglaubt habe,
mit der 14. Legion allein die Empörung niederwerfen zu können,
da8 er sich dann aber am Orte des Aufrubrs selbst habe davon über-
zeugen müssen, daß er mit dieser einen Legion und der kleinen
Abtheilung der Zwanziger zu schwach sei, dem Feinde begegnen zu
kónnen, und bis zur erwarteten Verstürkung seines Heeres durch die
leg. II Aug. eine Schlacht vermieden und Londinium dem Feinde
preisgegeben habe.
Geschichte der legio XIV gemina. | 669
(Tacit. ann. XIV 37), da war Paulinus dennoch gezwungen, mit
der 14. Legion und der Vexillation der Zwanziger allein den
Kampf mit dem Feinde aufzunehmen. — Wahrscheinlich in der
Nähe der heutigen Stadt Colchester kam es zur Schlacht; die
Zahl der Feinde war eine ungeheure, wenn auch Dio’s Bericht
(LXII 8), der sie auf 280 000 angiebt, natürlich übertrieben
ist. Auf Seiten der Rómer nahm die 14. Legion mit der kleinen
Abtheilung der Zwanziger die Mitte des Treffens ein, um sie
herum standen die Leichtbewaffneten und auf beiden Flügeln
die Reiterei. Das Terrain hatte Paulinus so günstig wie mög-
lich gewählt; sein Heer stand hinter einem EngpaB, der die
Feinde an der Entfaltung ihrer Truppenmassen hinderte und
zugleich die Rémer vor Umzingelung schützte (Tacit. ann. XIV
34; Dio LXII 8). In diesen EngpaB stürmten nun die Bri-
tannier hinein; immer neue Massen wälzten sich gegen die
tapfere Legion, in deren Mitte schon die Leichen der Feinde
lagen: aber nichts konnte sie zum Weichen bringen, und trotz
ihrer Zahl ermüdeten endlich die Feinde. Jetzt fing die Legion
ihrerseits an, vorzudringen, und nicht lange dauerte es, so befand
sich das zahllose Heer der Britannier in vollständiger Flucht
(Tacit. ann. XIV 37; Dio LXII 12) Viele Tausende von Fein-
den (Tacitus giebt ihre Zahl auf 80000, die der gefallenen
Rômer auf 400 an) deckten das Schlachtfeld; Britannien aber
war durch diesen Sieg der Vierzehner für Rom gerettet, „Glän-
zend und des Kriegsruhms der Ahnen würdig“ nennt Tacitus
(ann. XIV 37) nicht mit Unrecht diesen Tag, und lange noch
blieb es im Gedächtniß der Römer, daß die Vierzehner durch
diese Schlacht die eigentlichen Bezwinger Britanniens, die ,,do-
mitores Britanniae" (Tacit. hist. V 16), geworden waren. Der
Kaiser aber ehrte die Legion zum ewigen Andenken an diesen
Sieg mit den Beinamen „Martia victrix“ (vgl. oben 8. 656 fi), ©
Aufler dem Namen des Oberanfiihrers in der Schlacht bei
Colchester ist uns noch der Name eines Tribunen der 14. Le-
gion bekannt, der sich, wie eine im Jahre 66 p. Chr. gesetzte
Inschrift (Orelli 6767) meldet, im britannischen Krieg rühmlich
hervorgethan und wahrscheinlich auch an dieser Schlacht theil-
genommen hat: es ist M. Vettius Valens, derselbe, auf dessen
Inschrift unsere Legion zuerst die Beinamen ,, Martia victrix führt ^).
7) Ob die uns auf Inschriften genannten Tribunen S. Palpellius.
670 Metellus Meyer,
Welchen Antheil unsere Legion an der weiteren Unter-
driickung des britannischen Aufstandes hatte, ist uns nicht be-
kannt. Sie wird, nachdem das rômisch - britannische Heer bald
nach der eben geschilderten Schlacht durch 20 000 neue Legio-
narier und eine Anzahl Auxiliarkohorten und Reiter verstirkt
war (Tacit. ann. XIV 38), sofort in ihre Standquartiere nach
Viroconium zuriickgefiihrt sein.
Die in der Schlacht bei Colchester bewiesene Tapferkeit
und Unerschrockenheit der Vierzehner gab dem Nero einige
Jahre später Veranlassung, dieselben als die tüchtigsten Soldaten
des römischen Heeres (,,ut potissimos“) zu einem Kriegszug gegen
die Albaner auszuwählen: eine Auszeichnung, die den Ruhm
der Vierzehner noch vermehrte (Tacit. hist. II 11). So verließ
die Legion Ende des Jahres 67 oder Anfang 68 Britannien,
um vorläufig nach Rom und von dort in den Orient zu gehen.
Aber kaum war sie in Gallien angelangt, als dort unter Vindex
und in Spanien unter Galba die Empörung gegen Nero offen
ausbrach, und die Legion nun so schnell wie möglich zum Schutze
des Kaisers nach Italien eilen mußte. Ob sie vorher noch mit
den germanischen Truppen unter Verginius Rufus an der Be-
siegung des Vindex theilgenommen habe, können wir nicht be-
stimmen; auf jeden Fall aber blieb sie auch nach der Schlacht
gegen Vindex dem Nero treu, während die germanischen Le-
gionen sich damals für Galba erklärten. Indessen, so treu auch
die 14. Legion zu dem alten Kaiser hielt, und so gern sie ihm
zu Hülfe gekommen wäre: sie konnte ihre Absicht, nach Italien
durchzubrechen, nicht ausführen, da die ihr voraneilenden bata-
vischen Kohorten, die sich dem Galba zugewandt hatten, sie
daran hinderten, wahrscheinlich indem sie die Alpenpässe besetzten
(vgl. Ritter Bonn. Jahrb. 36 [1864], S. 132). Wenigstens
rühmten die batavischen Kohorten sich, der 14. Legion Schran-
ken gesetzt und dem Nero so Italien entrissen zu haben (Tacit.
hist. II 27; cf. I 59). Durch dieses feindselige Verhalten der
batavischen Kohorten war also die Legion gezwungen, thatenlos
der Entthronung Neros zuzusehen, zumal auch das gesammte
germanische Heer dem neuen Kaiser sich zugewandt hatte, und
Hister (C. I. L. V 85) und T. Marcius (Orelli 6020) erst in Britan-
nien oder schon in Germanien das Tribunat bei unserer Legion be-
kleideten, läßt sich nicht genau bestimmen.
Geschichte der legio XIV gemina. 671
unsere Legion, die gänzlich von den übrigen dem Nero treu ge-
bliebenen Legionen abgeschnitten war, allein gegen dasselbe
nichts ausrichten konnte.
Nach dem Tode Neros schickte Galba die ihm feindlich ge-
sinnte Legion mit der XI Claudia zusammen nach Dalmatien
(vgl. oben S. 660), wo dieselbe ungeduldig auf eine Gelegenheit
wartete, sich an dem Kaiser, den germanischen Legionen und
den batavischen Kohorten zu rächen. Diese Gelegenheit ließ
nicht lange auf sich warten. Schon im Januar des Jahres 69
erhob sich in der Person des Otho ein neuer Kaiser, dem sich
die 14. Legion mit den übrigen illyrischen Legionen und den
Legionen des Orients sofort anschlof (Tacit. Asst. I 76); nun
wurde Galba zwar noch im selben Monat ermordet, aber schon
vorher hatten die Rheinlegionen den Vitellius zum Imperator
ausgerufen, und so war der Kampf zwischen den beiden gewal-
tigen Armeen des Reiches, zwischen der Donau- und der Rhein-
armee, unvermeidlich (Tacit hist. I 74). Bei Bedriacum kam es
im Jahre 69 zur Entscheidungsschlacht. Indessen, wührend die
meisten übrigen illyrischen Legionen, obwohl auch sie nur lang-
sam vorgertickt waren (Tacit. hist. II 11), an der Schlacht theil-
nahmen, war die 14. Legion, die in ihrer Siegesgewibheit glaubte,
noch zu jeder Zeit früh genug zu kommen (Tacit. Ait. II 82),
am Tage der Schlacht nur durch 2000 vorausgesandte Vexilla-
rier im Heere Othos vertreten. Zwar hatte Suetonius Paulinus
dem Kaiser gerathen, die Ankunft der im größten Rufe stehenden
14. Legion abzuwarten (Tacit. hist. II 82): doch dieser hatte,
ohwohl bald gemeldet wurde, die Vierzehner und die misischen
Truppen stünden schon in Aquileia (Tacit. Aist. II 44, 46),
ungeduldig auf die Schlacht gedrungen.
Trotzdem es nun in der Schlacht bei Bedriacum durch die
Feigheit und das Zurückweichen der leg. XIII gem. dahin ge-
kommen war, daß das kleine Vexillum der Vierzehner von der
Uebermacht der Feinde umzingelt und erdrückt wurde (Tacit.
hist. II 43), so war das Verhalten der Soldaten der 14. Legion
nach der Kunde von der Niederlage ihres Kaisers jedenfalls eher
das von Siegern als das von Besiegten. „Nur die Vexillarier“, -
so riefen sie, „wären bei Bedriacum besiegt, der Kern der Le-
gion aber sei noch garnicht zum Schlagen gekommen“ (Tacit,
hist.II 66). Und wie groB noch in den Tagen nach der Schlacht
672 | Metellus Meyer,
die Furcht vor einer Wendung des Kriegsschicksals durch die
Waffen der 14. Legion bei den Vitellianern und den nach der
Schlacht zum "Vitellius übergegangenen Othonianern war, das
zeigt der Schrecken, den die erdichtete Nachricht eines Freige-
lassenen hervorrief: die legio XIV sei unvermuthet angekommen,
habe sich mit den in Brixellum lagernden Truppen vereinigt,
die Sieger geschlagen und das Kriegsglück wieder. dem Otho
zugewandt (Tacit. hist. II 54). Kein Wunder, daB Vitellius,
nachdem ihn Othos voreilige Verzweiflung über Erwarten schnell
zum Kaiserthron hatte gelangen lassen, die gefährliche, ihn von
Grund aus hassende Legion so bald wie möglich aus seiner Nähe
zu schaffen suchte und ihr befahl, in ihre früheren Standquartiere
nach Britannien zurückzukehren ; um sie einigermaßen in Schranken
zu halten, gab er ihr die batavischen Kohorten zur Seite (Tacit.
hist. II 66), mit denen unsere Legion, wie wir wissen, seit Gralbas
Erhebung in bitterster Feindschaft lebte, und die in der Schlacht bei
Bedriacum auf Vitellius! Seite gefochten hatten (Tacit. hist. II 27).
Indessen diese MaBregel schürte nur die Wuth und Erbitte-
rung der Legion, die nur eines kleinen Anlasses bedurfte,
um zum vollen Ausbruch zu kommen; dieser bot sich denn
auch bald. Die Legion mit den batavischen und zwei prätori-
schen Kohorten war auf ihrem Rückmarsch bis Augusta Tau-
rinorum gekommen. Hier trug es sich zu, daß ein Bataver einen
llandwerker, der ihn nach seiner Meinung betrogen hatte, ver-
folgte und ihm hart zusetzte, dieser letztere aber von einem Sol-
daten der 14ten Legion, der sein Gastfreund war, in Schutz ge-
nommen wurde; um beide sammelten sich schnell ihre Kame-
raden, und es wire zum blutigsten Kampfe gekommen, wenn
nicht die beiden prütorischen Kohorten, die als frühere Otho-
nianer den Vierzehnern günstig gesinnt waren, sich auf deren
Seite gestellt hätten. Dies bewog die batavischen Kohorten,
vom Kampf abzustehen, da sie jede Hoffnung, als Sieger aus
demselben ‘hervorzugehen, bei der großen Uebermacht ihrer
Gegner aufgeben mußten (Tacit. hist. II 66). Jetzt hielt Vi-
tellius es für gerathener, die Bataver von der Legion zu trennen
und sie ut fidos zu seinem Heer zn berufen, wührend er den
Vierzehnern befahl, ihren Marsch nach Britannien fortzusetzen.
Bevor jedoch die Legion dem Befehl des Kaisers nachkam und
Taurini verließ, ließ sie ihren Grimm an dieser Stadt aus und
Geschichte der Zegio XIV gemina. 673
steckte einen Theil derselben in Brand. Da man nun ein ähn-
liches Schicksal fiir Vienna fiirchtete (das sich, wie wir wohl
vermuthen diirfen, im Jahre 68, als die Legion vergeblich nach
Italien durchzubrechen suchte, derselben feindlich gezeigt hatte),
so lieB Vitellius sie tiber die graischen Alpen nach Gallien fith-
ren, damit sie Vienna auf ihrem Wege nicht berührte; den-
noch drang ein 'Theil der Legion darauf, auf Vienna loszumar-
schieren, mußte sich aber schließlich der. Mehrzahl, die für den
direkten Weitermarsch sich erklirte, fügen (Tacit. hist. II 66).
— So kam die Legion nach etwa zweijähriger Abwesenheit in
Britannien wieder an.
Aus der kurzen Geschichte des zweiten britannischen Auf-
enthalts der Legion ist uns so gut wie nichts bekannt. Wir
wissen nur, dafi bald nach der Erhebung Vespasians versucht
wurde, die Legion für den neuen Kaiser zu gewinnen (Tacit.
hist. II 86). Indessen konnte sie trotz ihrer alten Feindschaft
gegen den Vitellius bei der Parteinahme der übrigen britanni-
schen wie aller germanischen Legionen für denselben keinen An-
theil an den Kümpfen der Vespasianer und Vitellianer in Italien
nehmen. Aber wie sehr dennoch die Ankunft unserer Legion
auf dem Kriegsschauplatz von Seiten der Vitellianer gefürchtet
wurde, offenbarte sich deutlich bei der Verrütherei des Caecina,
der das germanische Heer dem Feldherrn des Vespasian, dem
Antonius Primus, ohne Kampf übergeben wollte: die Soldaten
schlugen ihn in Fesseln, indem sie riefen: „noch sei nicht ein-
mal die einzige Kraft des othonianischen Heeres, die erste und
vierzehnte Legion, zur Stelle, und da sollten -sie sich wie wehr-
lose Sklaven einem verbannten Antonius ergeben?“ (Tacit. hist.
III 13).
Indessen, wie bemerkt, nach Italien kam die 14te Legion
nicht; wohl aber verließ sie noch im Jahre 70 auf Vespasians
Befehl Britannien (vgl. oben S. 660), um sich mit den nach der
Besiegung des Vitellius in Italien freigewordenen vespasianischen
Legionen in Germanien zur Unterdrückung des batavischen Auf-
standes und zur Unterwerfung des Civilis zu vereinigen. Als
sie von Britannien aufbrach, hatte die Empórung Galliens und
Germaniens gerade ihren Höhepunkt erreicht, und außer Vindo-
nissa gab es damals keine germanische Lagerstadt, die sich nicht
in der Gewalt des Civilis befunden hiitte. Bevor sie in Ger-
Philologus. N. F. Bd. I, 4. 48
674 Metellus Meyer,
manien eintraf, war es dann freilich dem Cerialis, der von Ita-
lien her mit den vespasianischen Truppen herangertickt war,
schon gelungen, Mogontiacum wieder zu erobern und die abge-
fallenen germanischen Legionen zur Treue gegen Rom zurück-
zufiihren; zu ciner Entscheidungsschlacht aber zwischen ihm und
Civilis war es noch nicht gekommen. Nach einigen kleinen,
theils giinstigen, theils ungiinstigen Gefechten hatte sich der Ba-
taverführer nach Vetera zurückgezogen, und hierhin war ihm
Cerialis gefolgt (Tacit. hist. V 14). Inzwischen war die 14te
Legion von Britannien nach Gallien übergesetzt und unter der
Führung ihres Legaten Fabius Priscus durch das Gebiet der
Nervier und 'Tungrer, die sich ohne Widerstand unterwarfen,
vorgerückt, wührend Civilis einen Angriff unserer Legion von
der Seeseite her auf das Land der Bataver befürchtet hatte
(Tacit. hist. IV 79). Bei Vetera vereinigte sich die Legion mit
den Truppen des Cerialis, unter dessen Oberbefehl sie jetzt trat
(Tacit. hist. V 14). Noch am Tage ihrer Ankunft fand ein
kleines Gefecht statt, in dem die Germanen Sieger blieben, da
sie mit dem Terrain mehr vertraut waren als die Rómer (Tacit.
hist. V 15). Am folgenden Tage kam es dann zur eigentlichen
Schlacht, in der auf römischer Seite die Vierzehner mit den
übrigen Legionen im zweiten 'Treffen, die Hülfsreiterei und die
Kohorten an der Spitze standen; den Sieg gewannen nach hei-
Bem Kampf die rómischen Legionen (Tacit. hist. V 17, 18).
Schon am Tage nach der Schlacht verlie die 14te Legion den
eigentlichen Kriegsschauplatz und ging zum oberrheinischen Heer
des Annius Gallus, während Cerialis durch die legio X gem.
Ersatz für sie erhielt (Tacit. hist. V 19). — Daß unsere Le-
gion damals wieder Mogontiacum als Hauptlager zugewiesen er-
halten habe, ist schon oben (S. 660) erwühnt.
Aus der ferneren Regierungszeit des Vespasian und ebenso
aus der des Titus ist uns nichts von der l4ten Legion bekannt.
Unter Domitian im Jahre 88 (cf. Mommsen Róm. Gesch. Bd. 5
S. 187; Schiller Gesch. d. róm. Kaiserzeit S. 524) finden wir
sie zusammen mit den übrigen obergermanischen Legionen VIII,
XI und XXI, wie sie uns auf dem Ziegel von Mirebeau-sur-
Béze überliefert sind, in voller Empórung gegen den Kaiser unter
der Führung des Saturninus, des Statthalters von Obergerma-
Geschichte der legio XIV gemina. 675
nien 5). Allein der Aufstand wurde durch das rasche Ein-
schreiten des Appius Norbanus, der den Saturninus und seine
Legionen gänzlich überrascht haben muB und entscheidend schlug
(cf. Sueton Domit. 6), vollständig niedergeworfen ; um ein neues
Zusammengehen der aufrührerischen Legionen zu verhindern,
ward die 14te Legion von den übrigen getrennt und nach Pan-
nonien hin gesandt.
Ueber die specielle Geschichte der 14ten Legion während
ihres langjährigen pannonischen Aufenthalts lassen uns die Quellen
fast ganz im Dunkeln. Die Namen einiger unter 'Traian bei
der Legion dienenden Officiere melden uns die Inschriften: so
den des Tribunen Sextus Vinicius Faustinus Iulius Sergius Se-
8) Zwar nehmen Renier (cf. Schiller a. a. O. S. 524 Anm. 4) und
Pfitzner (a. a. O. S. 79) an, es seien nur zwei Legionen an dem Auf-
stand betheiligt gewesen (nach Renier die Legionen XI Claud. und
XXI sap., nach Pfitzner VIII Aug. und XIV gem.): indessen scheint
uns schon Ritterling (a. a. O. S. 77) diese Annahme genügend wider-
legt zu haben; zweifellos aber wire jedenfalls die Theilnahme der
leg. XIV gem. am Aufstand, wenn unter dem Doppellager, bei dem
der Aufstand ansgebrochen sein soll (Sueton Domit. 7), das Stand-
quartier unserer Legion, die Lagerstadt Mainz, verstanden werden
müßte. Allerdings hat sich nun eine Stimme erhoben, die das er-
wähnte Doppellager in Vindonissa. und nieht in Mainz, suchen will
(Schiller a. a. O. S. 524 Anm. 6). Indessen kann die Frage, welche
von beiden Lagerstüdten, Mainz oder Vindonissa, den Vorzug eines
Doppellagers gehabt haben soll, unserer Ansicht nach nur zu Gunsten
von Mainz beantwortet werden. Das beweist allein der Umfang des
Mainzer Lagers gegenüber dem von Vindonissa, das beweist noch
mehr die grofe Menge von Ziegeln und Legionsinschriften, die in
Mainz im Gegensatz zu Vindonissa gefunden ist, ganz abgesehen noch
davon, daß dem strategischen Blick der Römer die Bedeutung von
Mainz (vgl. Mommsen a. a. O. SS. 29, 184, 135) gegenüber der von
Vindonissa unmöglich entgangen sein kann, und daß sie schon des-
halb nach Mainz und nicht nach Vindonissa die stürkere Besatzung
gelegt haben werden. Hiergegen kann nicht in die Wagschale fal-
len, daß nach einigen kurzen Andeutungen Martials der Ort der
Schlacht zwischen Saturninus und Appius in der Nühe von Vindo-
nissa und nicht in der Nähe von Mainz gewesen zu sein scheint (vgl.
Schiller a. a. O. S. 524 Aum. 6), da hierüber wie über die Provinz
des Appius bei den überaus spürlichen und kurzen Nachrichten der
Alten sich doch zu keinem sicheren Resultat kommen läßt. Ist aber
unsere Annahme richtig uud der eigentliche Heerd des Aufruhrs in
Mainz zu suchen. so hat auch die l4te Legion, als die gefürchtetste
und gefeiertste der rómischen Legionen, den Hauptantheil an dem-
selben, da sie ja in Mainz ihr Lager hatte, und so ist es auch er-
klürlich, weshalb Domitian nach der Niederwerfung des saturninischen
Aufstandes gerade unsere Legion vom Heerde des Aufruhrs entfernte
und sie an der Donau im Krieg mit den auswürtigen Feinden zu be-
schüftigen suchte.
49*
676 Metellus Meyer,
verus, der unter Hadrian als Legat die Legion befehligte (C. I.
L. III 2830), ferner die des Tribunen Lucius Minicius Natalis
Quadronius Verus Iunior (C. I. L. H 4509 — 4511; Orelli 6498),
des Rufus (C. I. L. X 7587) und des Centurionen Nonius Mar-
cius Plaetorius Celer (C. I. L. X 1202). An den dakischen
Kriegen Traians scheinen, wie aus den ziemlich zahlreich in
Dacien gefundenen Inschriften der 14ten Legion hervorgeht,
Vexillationen derselben theilgenommen zu haben; ebenso sind
Abtheilungen der Legion zum Partherkriege Traians, vielleicht
auch zu dem des Lucius Verus nach dem Orient hin abgesandt:
das bezeugt uns die Inschrift eines eques unserer Legion, der aut
einer parthischen Expedition gefallen ist (C. I. L. III 4480).
Selbstverstindlich ist die Theilnahme unserer Legion an den
Kriegen mit den Donauvólkern seit der Mitte des zweiten Jahr-
hunderts, vor allem am Markomannenkrieg, zumal im Anfang
dieses Krieges Carnuntum, die damalige Lagerstadt der 14ten
Legion, den Ausgangspunkt aller Operationen der Rómer bildete.
Zudem sind uns noch mehrere Inschriften überliefert (C. I. L. V
1968, 2112; VI 1502, 1508), nach denen ein Legat der 14ten
Legion, L. Ragonius Urinatius, von Commodus mit hohen mili-
tärischen Auszeichnungen belohnt ist, die er ohne Zweifel im
markomannischen Krieg sich verdient hat.
An der einige Jahrzehnte später in Carnuntum erfolgten
Erhebung des Septimius Severus zum rómischen Kaiser hat die
14te Legion, in deren Lagerstadt dies Ereigniß stattfand, jeden-
falls großen Antheil gehabt; das beweisen auch die unter die-
sem Kaiser geschlagenen Münzen der Legion (Cohen a. a. O.
III S. 258 Nr. 169, 170 -173; S. 300 Nr. 525). Unter Se-
verus Alexander nahmen Vexillationen der pannonischen Legio-
nen an den Kümpfen gegen die Parther Theil (Herodian hist.
VI 7); derselbe Kaiser hatte schwere Kümpfe an der Donau zu
bestehen, und ebenso auch am Rhein, wohin ihm die pannoni-
schen Legionen folgen mußten. Auf diesem Zuge wurde Ale-
xander ermordet und Maximinus zum Kaiser erhoben; nach ihm
führt die 14te Legion den Beinamen Maximiniana (Archaeolog.-
epigraph. Mittheilungen aus Oesterreich VHI S. 76) und hat als
dem Maximinus ergebene Legion jedenfalls theilgenommen an
dem Sturm, den die pannonischen Legionen auf Aquileia machten,
um ihrem Kaiser den Weg nach Italien zu bahnen (Herodian
Apollo Kitharödos. 685
in allen Kreisen machte, läßt sich an der Hand der nach dem
Jahre 28 schreibenden Lyriker nachweisen; die Gestalt Apollos
nimmt bei verschiedenen derselben eine so typische, sich äh-
nelnde Form an, daß, wer diese Stellen vergleicht, ein ziemlich
genaues Bild von dem Meisterwerke des Skopas zu entwerfen
vermag. Wie weit dasselbe mit unserem im Vatikan erhaltenen
Apollon Kitharödos übereinstimmt, mag die Vergleichung selbst
lehren. Die nächste in Betracht zu ziehende Stelle findet sich
in den ,.Amores“ Ovids, I 8, 59:
ipse deus vatum palla spectabilis aurea
tractat inauratae consona fila lyrae.
sie läßt den Gott in langem, goldgesticktem Gewande
auf goldener, eigentlich ‘vergoldeter’ Lyra spielen.
Eine der bedeutsamsten Anspielungen desselben Dichters
auf das palatinische Apollo-Bild bieten die Metamorphosen (XI
165 u s. w.):
ille caput flavum lauro Parnaside vinctus
verrit humum Tyris saturata murice palla
distinctamque lyram gemmis et dentibus Indis
sustinet a laeva: tenuit manus altera plectrum.
artificis status ipse fuit . tum stamina docto
pollice sollicitat: quorum dulcedine captus
Pana iubet Tmolus citharae submittere cannas.
Auch hier fällt die Erwähnung des langen Gewandes auf,
das ,auf dem Boden schleift", wie es dem Apollo Ki-
tharódos eigen ist. Das Gewand selbst ist purpurfarben, wäh-
rend das Haupthaar des Gottes blond und mit einem Lorbeer-
kranze geschmückt gedacht ist. Die Leier, mit edlem Gestein
und Elfenbein geziert, stützt der Gott mit der Linken, die
Rechte hàált das Plectrum; die ganze Haltung ist die
eines vortragenden Süngers. Der letztere Zusatz ist
ebenso eigenthümlich wie bezeichnend: es klingt wenig groß-
artig und poetisch, wenn der Gott der Lieder und Gesünge
selbst mit einem menschlichen Rhapsoden verglichen wird; das
Umgekehrte würe eher annehmbar, wie z. B. Góthe seinem Be-
wunderer Wieland „wie ein Apoll“ erschien. Bei dem ge-
schmackvollen Ovid ist dieser Vergleich nur verstündlich, wenn
wir berücksichtigen, daß das Meisterwerk des Skopas ihm bei
dieser Schilderung seine Züge geliehen. Waren doch derartige
676 Metellus Meyer,
verus, der unter Hadrian als Legat die Legion befehligte (C. J.
L. III 2830), ferner die des Tribunen Lucius Minicius Natalis
Quadronius Verus Iunior (C. I. L. H 4509 — 4511; Orelli 6498),
des Rufus (C. I. L. X 7587) und des Centurionen Nonius Mar-
cius Plaetorius Celer (C. I. L. X 1202). An den dakischen
Kriegen Traians scheinen, wie aus den ziemlich zahlreich in
Dacien gefundenen Inschriften der 14ten Legion hervorgeht,
Vexillationen derselben theilgenommen zu haben; ebenso sind
Abtheilungen der Legion zum Partherkriege Traians, vielleicht
auch zu dem des Lueius Verus nach dem Orient hin abgesandt:
das bezeugt uns die Inschrift eines eques unserer Legion, der auf
einer parthischen Expedition gefallen ist (C. I. L. III 4480)
Selbstverständlich ist die Theilnahme unserer Legion an den
Kriegen mit den Donauvólkern seit der Mitte des zweiten Jahr-
hunderts, vor allem am Markomannenkrieg, zumal im Anfang
dieses Krieges Carnuntum, die damalige Lagerstadt der 14ten
Legion, den Ausgangspunkt aller Operationen der Rómer bildete.
Zudem sind uns noch mehrere Inschriften überliefert (C. I. L. V
1968, 2112; VI 1502, 1503), nach denen ein Legat der 14ten
Legion, L. Ragonius Urinatius, von Commodus mit hohen mili-
tärischen Auszeichnungen belohnt ist, die er ohne Zweifel im
markomannischen Krieg sich verdient hat.
An der einige Jahrzehnte später in Carnuntum erfolgten
Erhebung des Septimius Severus zum rómischen Kaiser hat die
14te Legion, in deren Lagerstadt dies Ereignif) stattfand, jeden-
falls großen Antheil gehabt; das beweisen auch die unter die-
sem Kaiser geschlagenen Münzen der Legion (Cohen a. a. O.
III S. 253 Nr. 169, 170-173; S. 300 Nr. 525). Unter Se-
verus Alexander nahmen Vexillationen der pannonischen Legio-
nen an den Kümpfen gegen die Parther Theil (Herodian hist.
VI 7); derselbe Kaiser hatte schwere Kümpfe an der Donau zu
bestehen, und ebenso auch am Rhein, wohin ihm die pannoni-
schen Legionen folgen muften. Auf diesem Zuge wurde Ale-
xander ermordet und Maximinus zum Kaiser erhoben; nach ihm
führt die 14te Legion den Beinamen Maximiniana (Archaeolog.-
epigraph. Mittheilungen aus Oesterreich VHI S. 76) und hat als
dem Maximinus ergebene Legion jedenfalls theilgenommen an
dem Sturm, den die pannonischen Legionen auf Aquileia machten,
um ihrem Kaiser den Weg nach Italien zu bahnen (Herodian
Geschichte der legio XIV gemina. 677
VH 8; VIII 2) Daß sie später auf Seiten der Gordiane ge-
standen hat, zeigt uns ihr Beiname Gordiana (C. I. L. III 1911).
Für die Folgezeit wollen wir nur noch erwähnen, daß sie wäh-
rend der Zeit der sogenannten dreißig Tyrannen anfänglich ‘der
Partei des Victorinus angehört haben muß, wie die Münzen
schließen lassen (De Witte a. a. O. 8. 101 Nr. 39, 40), dann
aber zum Gallienus übergetreten ist (Cohen a. a. O. IV Nr.
312, 318).
Brandenburg a. H. Metellus Meyer.
Zu Caesar und Cicero.
Caesar B. G. VII 47, 1: Consecutus id, quod animo pro-
posuerat, Caesar receptui cani iussit legionisque decimae, quacum
erat, cliuom nactus signa constituit. So hat A. Holder nach
der naheliegenden Vermuthung von Heller fiir das handschrift-
liche concionatus oder contionatus geschrieben, während von Goe-
ler continuo vermuthet hatte. Wir nühern uns aber noch mehr
der Ueberlieferung, wenn wir collem nactus schreiben.
Cicero De div. I 9, 15: Mollipedesque boves spectantes lu-
mina caeli. Daß das Rindvieh „weichfüßig‘“ genannt wird, muB
auffülig erscheinen, da diese Eigenschaft der Wirklichkeit nicht .
entspricht. Eine andere Erklärung aber für das Adjektivum
mollipes, welches sonst nicht nachgewiesen ist, giebt es nicht.
Daher muß ich annehmen, daß hier ein schon alter Fehler der
Ueberlieferung vorliegt. Diesen glaube ich zu beseitigen, wenn
ich volvipedes (= etdimodes) schreibe.
Cicero Or. 7, 23: recordor longe omnibus unum anteferre
Demosthenem huiusque uim accommodare ad eam quam sentiam elo-
quentiam cet. So Heerdegen in seiner Ausgabe (1884). Die
Handschriften haben que uim und quem wim für huiusque wim
überliefert. Daher liegt die sinngemäße Aenderung quem we-
lim näher. |
Aurich. | H. Detter.
XXXV.
Apollo Kitharôdos.
Zwei Apollo-Bilder sind es, denen, jedem in seiner Art, der
Preis kiinstlerischer Vollendung gebührt: der Apollo von Belve-
dere und sein friedliches Gegenstück, der Apollo Musagetes oder
Kitharódos. Wenn der Apollo von Belvedere bisher eine allge-
meinere Theilnahme erweckt hat, als der Gott mit der Lyra
aus der Villa des Cassius, so liegt dies einmal an der mehr
blendenden Eigenart der ganzen Conception, und dann vor allem
an dem fesselnden Rithsel, das die Ergünzung der verloren ge-
gangenen Linken und ihres muthmaßlichen Attributes aufgiebt,
einem Rüthsel, von dessen Lósung die Erklürung des gesammten
Bildwerkes selbst abhüngt. Dieses lebhafte Interesse künstleri-
scher Neugier geht dem Apollo Musagetes freilich ab. Während
die lange Gewandung des Rhapsoden von Haus aus an künstle-
rischer Wirkung hinter den herrlichen Formen des mit der kur-
zen Chlamys bekleideten Epheben zurückstehen muf, ist andrer-
seits der Gedanke des Schüpfers unseres Bildes ziemlieh klar,
sofern man nur in ihm, was wohl jetzt allseitig zugegeben wird,
einen Apollo erkennt. Obgleich der linke Arm ebenfalls wie
bei dem Apollo von Belvedere spätere Erginzung zu sein scheint,
so unterliegt es keinem Zweifel, daß die Ergänzung mit der
Lyra die einzig mógliche und daher richtige ist. Die ganze
Tracht und Haltung des Standbildes machen dies zur Gewißheit:
im Gegensatz zu dem bogenbewehrten ‘Fernhintreffer’ tritt uns
in dieser Statue der Gott der Lieder entgegen, wie er im langen
Apollo Kitharédos. | 679
Gewande der Kitharöden begeistert und begeisternd seine Accorde
durch die Saiten rauschen läßt. |
Es sind vor allem gesthichtliche und kunstgeschichtliche
Fragen, die sich an dieses Marmorbild knüpfen und es zu einem
der bedeutsamsten unter den erhaltenen Denkmälern des Alter-
thums machen.
Es ist kein Zufall, daß die hervorragendsten und schönsten
A pollo - Darstellungen nicht auf griechischem sondern auf römi-
schem Boden gefunden sind; es hängt dies zusammen mit der
Vorliebe der ersten Cüsaren gerade für diese Gottheit, deren
Verehrung besonders von Augustus und Nero eifrig gepflegt
worden ist. Wie Caesar selbst die Tempel Roms mit Bildern
seiner Lieblingsgóttin Venus schmiickte, so war der Lieblingsgott
seines Erben Apollo; und zwar weniger der kriegerische, pfeil-
bewehrte arcitenens als der friedliche Gott der musischen Kiinste
und der Dichtung, der Phoebus intonsus, formosus Apollo. Warum
gerade diese Seite der Gottheit von Augustus gefeiert wurde,
ist unschwer zu begreifen; weder als Thron-Prätendent noch als
Kaiser hat Octavian Gelegenheit gehabt, Proben einer kriege-
rischen Tiichtigkeit zu geben, wie sie seinem großen Vorgänger
in hohem Grade eigen war. Die Siege haben ihm seine be-
wührten Führer erkämpft, aber die Früchte der Siege auszu-
beuten hat er verstanden wie kein anderer. Nachdem seine
Heere die grobe Arbeit gethan und den äußeren Widerstand
niedergeworfen hatten, begann seine eigentliche, weitumfassende
Thütigkeit auf dem Gebiete der inneren und Socialpolitik, und
hier war er Erbe nicht nur des Namens und des Glückes, son-
dern auch des staatsmännischen Geschickes seines großen Adoptiv-
vaters. Wie dieser hat er es verstanden, zur rechten Zeit auch
Milde und Versóhnlichkeit walten zu lassen und selbst festge-
wurzelte Vorurtheile zu entwaffnen; er ist der eigentliche Voll-
strecker des politischen Vermüchtnisses seines Vorgüngers: die
Wunden der Bürgerkriege durch eine friedliche und versöhnliche
innere Politik zu heilen und die Interessen der Parteien allmälig
an einen einzigen Mittelpunkt zu fesseln, an die Sache der
Julier. So feiert ihn die Mit- und Nachwelt; vor allem kehrt
dieses sein Verdienst in zahlreichen Lobeserhebungen der zeit-
genéssischen Dichter wieder, z.B. bei Horaz. Od. IV, XV 4.
N
680 Otto A. Hoffmann,
— — — Tua, Caesar, aetas
fruges et agris rettulit uberes,
— — — et vacuum duellis
Ianum Quirinum clausit; et ordinem
rectum evaganti frena licentiae
iniecit, emovitque culpas
et veteres revocavit. artes,
13. Per quas Latinum nomen, et Italae
crevere vires...
So begreift es sich, daß Augustus sich und sein Haus unter
den Schutz des Gottes der friedlichen Kiinste stellte, des A pollo
mit der lorbeerumwundenen Lyra, der auch äußerlich schon in
seiner langen Gewandung mehr an die Friedenstage erinnert,
während den Bogenkämpfer Apollo die Chlamys, wie den Krie-
ger das kiirzere Sagum, ziert.
Mit der Einrichtung des Apollo - Kultus auf dem Palatin,
wo Augustus dem Gotte im Jahre 28 v. Chr. einen prachtvollen
Tempel weihte, kniipfte der Kaiser zugleich an die altherge-
brachte Bedeutung des Apollo bei den Rémern an, die in diesem
von jeher den Gott des Heils und des Sieges erblickt hatten,
den Befreier von leiblichen und geistigen Gebrechen im Leben
des Einzelnen wie des: gesammten Volkes. Damit hängt auch
zusammen die weite Verbreitung des Lorbeers bei den Römern,
dieses Heil- und Siegeslaubes; das erste Heiligthum, das dem
Apollo im Jahre 429 geweiht wurde, ward bei Gelegenheit einer
groflen Pest gelobt!) und blieb das einzige bis auf Augustus.
Es ist daher ein erneuter Beweis für den Scharfblick des Herr-
schers, daß er gerade diese Gottheit zu der bevorzugten seines
Hauses und somit gewissermaßen auch des ganzen Volkes machte.
Das Leiden der Bürgerkriege, dieses „häßliche Geschwür am
Leibe Italiens“, sollte ein Ende nehmen; der sühnende und
heilende Lorbeer Apolls sollte jetzt eine neue Zeit des Friedens,
des Wohlstandes, der Künste und Wissenschaften für Rom inau-
gurieren ?. Und hinter dem allen stand doch der Kaiser selbst;
er selbst wurde und wollte unter dem „heilenden“ Apollo ver-
1) Vergl. die Gebetsanrede der heiligen Jungfrauen der Vesta
Apollo Medice! Apollo Paean!
2) Liv. IV 25: Aedis Apollini pro valetudine populi vota
est; cf, ib. XL 51: templum Apollinis Medici.
Apollo Kitharödos. _ 681
standen sein; Augustus hatte nicht nur fiir Schmeicheleien, die
ihn als Sprossen des Apollo feierten, offenes Ohr, er ließ sich
selbst, wie dies ausdrücklich überliefert ist, als Apollo mit dessen
Attributen (cunctis énsignibus; habitu ac statu Apollinis) bildlich
darstellen ; so z. B. in seiner Bibliothek auf dem Palatin?) In
dem Sieg- und Friedensspender Apollo lieB er sich also selbst
als Regenerator des römischen Volkes verehren, und dement-
sprechend war auch das Cultusbild, das er für den groBen
Tempel auf dem Palatin bestimmte, von besonderer Bedeutung
und von besonderem Werthe. Ein Meisterstück des großen
Skopas erwarb der Kaiser fiir sein von Marmor- und Bronce-
schätzen strotzendes Tempelhaus*), und die Stimmen der Mit-
und Nachwelt sind einig in der Bewunderung dieses kostbaren
antiken Bildnisses. Für eine Antike hatte sich Augustus ent
schieden, weil bereits zu seiner Zeit die Liebhaberei für dieselbe
in vollem Schwange war und die Werke der alten Meister ge-
genüber der zeitgenóssischen Kunst hochbegehrt wurden. Darum
bemerkten wir im Eingange, daß unser Apollo Kitharoedos sei-
nem kriegerischen Gegenstück von Belvedere an rein künstleri-
schem Interesse vielleicht nachsteht, daf er jedoch an welt- und
auch kunstgeschichtlicher Bedeutung sich mit ihm messen kann
— vorausgesetzt, daß er den Apoll des Skopas wiedergiebt —
quod erit demonstrandum.
Um eine Anschauung von dem Meisterwerke des Skopas zu
gewinnen sind wir hauptsüchlich auf die Zeugnisse augusteischer
Dichter angewiesen, die desselben mehrfach und zum Theil in
ausführlicher Weise Erwähnung thun, während uns die griechi-
schen Quellen im Stich lassen. Zuerst kommt eine Stelle bei
Properz (III 31) wegen ihres deutlichen Hinweises auf die
Statue selbst in Betracht. Der Dichter spricht von der Ein-
weihung des Apollo-Tempels auf dem Palatin; nachdem er die
aurea porticus mit den Danaiden- Gruppen erwühnt, führt er
V. 5 fort: |
hic equidem Phoebo visus mihi pulchrior ipso
marmoreus tacita carmen hiare lyra.
3) cf. Serv. V ecl. IV 10; Comm. Cruq. Hor. Ep. I 18, 17.
4) cf. Plin. N. H. 36, 25.
682 Otto A.. Hoffmann,
atque aram circum steterant armenta Myronis
quatuor artifices, vivida signa, boves.
tum medium claro surgebat marmore templum,
10. et patria Phoebo carius Ortygia,
in quo Solis erat supra fastigia currus,
et valvae, Libyci nobile dentis opus.
altera deiectos Parnassi vertice Gallos,
altera moerebat funera T'antalidos.
15. deinde inter matrem deus ipse, interque
sororem,
Pythius in longa carmina veste sonat.
Nach den Worten des Properz hat es den Anschein, als habe
neben dem Hauptbilde des Gottes, das durch Vers 15 und 16
bezeichnet wird, noch eine zweite Statue des Apoll innerhalb
des Porticus gestanden; dann müßten aber zwei citherspielende
Apollo - Statuen hinter einander gestanden haben, der eine vor,
der andere in der Cella. Es hat sicher noch mehrere Bilder
des Gottes in dem Tempel gegeben; es ist aber kaum anzuneh-
men, daß, wie dies aus Properz’ Worten hervorgehen michte,
dieselbe Darstellung des Gottes sich an zwei so hervor-
ragenden Stellen, wie auf dem Altar vor und in der Cella,
wiederholt hátte. Dazu kommt, dafi Properz das angeblich vor
der Cella stehende Tempelbild, also das unbedeutendere, mit den
Ausdrücken hichster Bewunderung erwühnen wtirde, wührend
er von dem weltberühmten Hauptbilde, dem Meisterwerke des
Skopas, in gleichgültiger Weise sprüche. Von jenem Apollo
würde er sagen, es sei ihm, obwohl von Marmorstein, schöner
erschienen, als Phóbus selbst, und die Cither ,scheine in seiner
Hand zu leben“; — vom Apollo des Skopas würde er nur
erwähnen, daß er „zwischen seiner Mutter und seiner Schwester
in langem Gewande spiele, bezw. singe‘. Wir sind daher ge-
néthigt, auch Vers 5 und 6 von dem Hauptbilde in der Cella
zu verstehen. Eine Aenderung der Versfolge schafft die Schwie-
rigkeit aus dem Wege: man lasse Vers 5—8 auf Vers 16 folgen,
und Zusammenhang wie Verständniß sind hergestellt. Nachdem
der Dichter in Vers 1—4 von der Porticus und ihren Bild-
werken gesprochen, geht er mit Vers 9 (tum medium claro
surgebat marmore templum) zu dem inneren Tempel über, dessen
Thorkrónung (Vers 11) und Flügelthüren (12— 14) er beschreibt
Apollo Kitharédos. 688
Mit Vers 15 wendet er sich (deinde etc.) zu dem Allerheiligsten,
das ist zu dem Bilde der Gottheit selbst, dessen äußere Gestalt
er zuerst kurz beschreibt (Vers 16: Pythius in longa carmina
veste sonat), wührend er in den zwei darauf folgenden Versen
(nach bisheriger Anordnung 5 und 6) den bezaubernden Ein-
druck schildert, den der herrliche Gott der Lieder auf ihn ge-
macht. Und begeisterter kann dieser Eindruck kaum wieder-
gegeben werden, als wenn Properz sagt, der Gott sei ihm herr-
licher erschienen, als er ihn sich selbst, der Dichter, vorgestellt
habe. Wenn man nun bedenkt, wie sehr der Apollo des Sko-
pas alle anderen Kultusbilder in den Schatten stellte, und wie
auch andere zeitgenössische Dichter von der Schönheit dieses
Apollo Palatinus, wie wir weiter unten sehen werden, schwür-
men, bleibt kaum eine andere Möglichkeit als Vers 5 und 6
als weitere Ausführung von Vers 15/16 auf den Apoll des
Skopas selbst zu beziehen. "Vers 7 und 8 schlieBen sich pas-
send an: nachdem der Dichter die Altarbilder erwühnt und
unter diesen besonders das des Apollo hervorgehoben, fügt er
hinzu, daß um den Altar vier herrliche, lebenathmende Stier-
bilder standen, von Myrons Meisterhand geschaffen. Es ist an-
zunehmen, daf dieser wohl an den vier Ecken der Ara zu den-
kende eigenartige und kostbare Altarschmuck den Hauptaltar
im Inneren des 'lemgels geziert und sich nicht vor demselben
im Porticus befunden hat; das lift wenigstens der unschützbare
Kunstwerth derartiger Myronischer Originalwerke voraussetzen.
Dieselben waren doch zu selten, als daß man sie vor der Thür
aufgestellt und zur Dekoration eines Neben-Altars benutzt hätte-
Was geht nun aus diesen Properz-Versen hervor? Einmal,
daß der Apollo des Skopas ein Marmorbild war, und zwar
von vollendeter, überirdischer Schónheit (pulchrior
ipso); ferner, dab er in langer Gewandung dargestellt war
(in longa veste); endlich, daß er die Lyra führte und dazu
sang (tacita lyra carmen hiare ; carmina sonat).
Zur Vervollständigung des Bildes dienen einige Stellen des
Ovid uud des Tibull Ovid spricht in den Fasten von dem
lorbeertragenden Apollo Palatinus (IV 889: visite lauri-
gero sacrata Palatia Phoebo. È
. Bein Zeugniß bestätigen sowohl die Münzen, wie die son-
stigen Erwühnungen der Dichter. Bekanntlich hat sich ein hef-
684 Otto A. Hoffmann,
tiger Streit tiber die echte Form des ersteren auf Grund der
Augusteischen und Neronischen Miinzen entsponnen, auf den wir
unten zuriickkommen werden; hier sei nur soviel konstatiert,
daB sowohl auf den Miinzen Augusts, wie auf denen Neros ein
auffallend dichter Kranz mit herabwallender Bandschleife
deutlich erkennbar ist °); sogar das Ueberragen der Blätter ober-
halb der Stirn ist unschwer auf beiden Miinzen bemerkbar.
Die nun folgenden Stellen bieten zwar keinen ausdrtick-
lichen Hinweis auf das Bildniß im palatinischen Tempel; sie
schildern, je nach dem órtlichen Zusammenhang, den Gott selbst.
Aber die Art und Weise, wie dies geschieht, läßt erkennen, daß
dem Dichter bei der Erwühnung oder Schilderung des Apollo
kein bloßes Phantasiegebilde vorschwebt, sondern daß die Züge
einem vorhandenen, konkreten Kunstwerke entlehnt sind, dessen
fosselnder Reiz die Phantasie beschäftigte, und das nebenbei
weithin und allgemein bekannt war. Der beriihmte Apoll des
Skopas, aufgestellt vom Kaiser in dem blendenden neuen Tem-
pel des Palatin, muf von bestimmendem Einflusse auch auf die
Vorstellung geworden sein, die man sich in Rom von einem
friedlichen Apollo machte; und diese bestimmte Vorstellung
muB auch in den Schilderungen zeitgenôssischer Dichter auf
irgend eine Weise zum Ausdrucke gelangt sein. Wir haben
beispielsweise, um einen Vergleich aus der Gegenwart anzu-
führen, eine bestimmte Vorstellung vom ,,Vater Rhein“, von der
„Wacht am Rhein", von der „Germania“, von „Herrmann dem
Cherusker*: sehr viele dieser Vorstellungen gehen auf meist
sicher nachzuweisende berühmte Bildwerke zurück, und unsere
Phantasie reproduciert die genannten Gestalten — oft unwill-
kürlich — stets in einer gewissen Form; auch die Phantasie
unsrer Dichter, wenigstens in den Hauptzügen. Dem Sänger,
der die Heldengestalt der siegreichen Germania zum Vorwurf
nimmt, wird die Schöpfung Schillings unwillkürlich vor Augen
stehen, sowie dem Bewohner der Reichshauptstadt zuerst Rauchs
Standbild Friedrichs des GroBen vorschweben wird, wenn er des
großen Königs gedenkt. Dasselbe gilt von der antiken Kunst.
Die Aufstellung jenes Apollobildes durch Augustus war ein her-
vorragendes Ereigniß, und der Eindruck, den das Wunderwerk
5) Vergl. Cohen, Médailles Impériales I p. 86 Nr. 162; yp. 292
Nr. 298.
Apollo Kitharédos. 685
in allen Kreisen machte, läßt sich an der Hand der nach dem
Jahre 28 schreibenden Lyriker nachweisen; die Gestalt Apollos
nimmt bei verschiedenen derselben eine so typische, sich äh-
nelnde Form an, daß, wer diese Stellen vergleicht, ein ziemlich
genaues Bild von dem Meisterwerke des Skopas zu entwerfen
vermag. Wie weit dasselbe mit unserem im Vatikan erhaltenen
Apollon Kitharódos übereinstimmt, mag die Vergleichung selbst
lehren. Die nächste in Betracht zu ziehende Stelle findet sich
in den , Amores“ Ovids, I 8, 59:
ipse deus vatum palla spectabilis aurea
tractat inauratae consona fila lyrae.
sie läßt den Gott in langem, goldgesticktem Gewande
auf goldener, eigentlich ‘vergoldeter’ Lyra spielen.
Eine der bedeutsamsten Anspielungen desselben Dichters
auf das palatinische Apollo-Bild bieten die Metamorphosen (XI
165 u s. w.): |
ille caput flavum lauro Parnaside vinctus
verrit humum Tyris saturata murice palla
distinetamque lyram gemmis et dentibus Indis
sustinet a laeva: tenuit manus altera plectrum.
artificis status ipse fuit . tum stamina docto
pollice sollicitat: quorum dulcedine captus
Pana iubet Tmolus citharae submittere cannas.
Auch hier füllt die Erwühnung des langen Gewandes auf,
das ,auf dem Boden schleift“ wie es dem Apollo Ki-
tharódos eigen ist. Das Gewand selbst ist purpurfarben, wih-
rend das Haupthaar des Gottes blond und mit einem Lorbeer-
kranze geschmückt gedacht ist. Die Leier, mit edlem Gestein
und Elfenbein geziert, stützt der Gott mit der Linken, die
Rechte hält das Plectrum; die ganze Haltung ist die
eines vortragenden Singers. Der letztere Zusatz ist
ebenso eigenthümlich wie bezeichnend: es klingt wenig groB-
artig und poetisch, wenn der Gott der Lieder und Gesünge
selbst mit einem menschlichen Rhapsoden verglichen wird; das
Umgekehrte würe eher annehmbar, wie z. B. Góthe seinem Be-
wunderer Wieland ,,wie ein Apoll* erschien. Bei dem ge-
schmackvollen Ovid ist dieser Vergleich nur verstündlich, wenn
wir berücksichtigen, daß das Meisterwerk des Skopas ihm bei
dieser Schilderung seine Züge geliehen. Waren doch derartige
686 Otto A. Hoffmann,
versteckte Bezugnahmen auf kaiserliche Schöpfungen zugleich
einschmeichelnde Empfehlungen an den Herrscher selbst, die auf
um so beifälligere Aufnahme rechnen konnten, je discreter sie
sich an die Person des Kaisers wandten.
Die lange Haartracht des Skopas- Apollo erwühnt
Ovid an anderen Stellen; so Trist. III 1, 59:
ducor ad intonsi candida templa dei;
A. a. III 141:
alterius crines humero iactantur utroque;
talis es assumta, Phoebe canore, lyra.
Amor. I 1, 11:
crinibus insignem quis acuta cuspide Phoebum
instruat, Aoniam Marte movente lyram?
In Uebereinstimmung hiermit spricht Tibull fast mit
einem stehenden Beiwort von dem intonsus crinis u. s. w. des
Gottes; so I 4, 37:
Solis aeterna est Phoebo Baccchoque iuventa,
nam decet intonsus crinis utrumque deum.
II 8, 11:
pavit et Admeti tauros formosus Apollo,
nec cithara intonsae profueruntve comae
II 5, 121:
— sic tibi sint intonsi, Phoebe, capilli.
IV 4, 2:
huc ades, intonsa Phoebe superbe coma.
Der letzte Vers giebt dem Apollo das Beiwort superbus, of-
fenbar mit Bezug auf die stolze Haltung des citherspielenden
Gottes, wie sie am Apollo Kitharódos so characteristisch hervor-
tritt, und wie wir sie auf den angeführten Münzen des Augustus
und Nero deutlich wiedererkennen. Allerdings folgt die erhobene
Haltung des Hauptes aus der Handlung, da der Gott singt;
gleichwohl macht sie in Verbindung mit der feierlich wallenden
Gewandung und der theatralischen Gesammthaltung, dem status
artificis, den unwillkürlichen Eindruck des Erhabenen, Hoch-
feierlichen, welchen der Ausdruck superbus getreu wiedergiebt.
Ich vermag nicht einzusehen, wie Urlichs®) und mit ihm
Overbeck") aus der Stellung des Apollon Kitharódos den Be-
6) Urlichs ‘Skopas’.
7) Overbeck Griech. Plastik II S. 20.
Apollo Kitharódos. 687
weis dafür beibringen wollen, daf, da eine Statue in dieser Hal-
tung nicht habe Tempelbild sein kénnen, der Apollo des Sko-
pas mit dem Kitharódos, bez. dessen Prototyp nicht identisch
sein kónne. Vor allem mufì es als eine Uebertreibung be-
zeichnet werden, wenn Overbeck die Haltung des Kitharödos
als ein ,, Vorbeistürmen'* bezeichnet; von einem Vorbeistürmen ist
keine Rede; einen Singer mit schwerer Leier, die an breitem
Tragbandelier gehalten wird, und außerdem in langem, schlep-.
pendem Kitharóden- Talar „einherstürmend‘“ darzustellen, kann
auch einem mittelmäßigen Künstler niemals eingefallen sein. Der
Apollon Kitharódos schreitet auch nicht vorwürts, wie angenom-
men worden ist, und wie es bei oberflüchlicher Betrachtung den
Anschein haben mag, sondern es ist die natürliche Bewe-
gung des Körpers beim begeisterten musischen Vortrage, der
künstlerische „Schwung“, der in diesem scheinbaren Vor-
wärtsschreiten auf meisterhafte Weise zum Ausdruck gebracht
ist. Man vergleiche nur die künstlerischen Gepflogenheiten unsrer
Tage: bei leidenschaftlichen Partieen tritt auch bei uns der
Stinger aus der ruhigen Haltung heraus, und der Kérper wirft
sich in getragenen Sewingungen nach vorn, gleichsam um dem
Hörer näher zu treten, wobei das linke Bein, genau wie bei un-
serer Statue, zumeist als Stützbein thätig ist; der Körper folgt
so gewissermaßen auch dem Rythmus des Gesanges ®).
Ich kann mir daher sehr wohl denken, was Overbeck so
bestimmt in Abrede stellt, daB dieser Apollo Mittelfigur einer
Gruppe gewesen sei, wie das vom Apollo Palatinus bezeugt ist?).
Ja wenn Leto und Artemis, wie das anzunehmen ist, mit Apollo
in gleicher Richtung und in den gleichen Größenverhältnissen
ruhig standen, so kann ich mir für die Mittel- und Hauptfigur
keine glücklichere Haltung denken, um sofort das Interesse und
den Blick des Beschauers zu fesseln, als dieses scheinbare Her-
austreten aus der Linie. Durch diese lebensvolle, bewegte Hal-
8) Vergl. hierzu die bewegte Haltung der Citherspielerin in-
mitten lauter ruhig stehender Figuren auf der sog. Aldobrandini-
schen Hochzeit; Müller A. D. Tom. I Fig. 205; desgl. das bekannte
Relief: Apollo mit Artemis und Leto vor einem (Apollo?) Idol sin-
gend: Müller ib. Fig. 46; auch hier erscheint die Haltung des Apollo,
trotzdem er unmittelbar vor der Statue steht und also nicht weiter
schreiten kann, auffallend bewegt gegen die der Góttinnen.
9) Propert. III 29, 15. Plin. N. H. XXXVI 24 u. 32.
688 Otto A. Hoffmann,
tung gegenüber den stummen Begleiterinnen war der Gott sofort
als ,, Herr“ dieses Tempelhauses gekennzeichnet; als derjenige, der
allein in diesen feierlichen Gotteshallen zu reden hatte, während
ales andere andüchtig schwieg. Es ist sogar wahrscheinlich,
daß die Statue des Apollo, um sie noch deutlicher vor den Ne-
benstatuen der Artemis und Leto als das Hauptbild hervor-
treten zu lassen, etwas vor diesen herausgestanden hat, ohne
„durch seine fast heftige Bewegung alle Verbindung aufzuheben“.
Welche Auffassung aber die befriedigendere und wahrscheinlichere
ist: die drei Götter in eintóniger Ruhe neben einander stehend,
oder in der eben von uns bezeichneten Gruppierung, darüber
läßt sich mindestens streiten.
Der andere Grund, den Overbeck gegen die Identität des
skopasischen mit unserem vaticanischen Apollo geltend macht,
daß nämlich die Haltung des letzteren für einen Nemesis- Tempel
zu Rhamnus, wo der Skopas- Apollo vor seiner Ueberführung
nach Rom stand, nicht ernst und würdig genug sei, ist ebenso-
wenig stichhaltig. Wer will wissen, ob das Bildniß von den
Rhamnusiern eigens für ihren Nemesis- Tempel bei Skopas be-
stellt und von diesem gearbeitet gewesen ist, oder ob nicht viel-
mehr sie ihn nur für dasselbe erwarben ? Aus der bloBen That-
sache, daB Apollo in begeisterter Stellung zur Leier singt, kann
doch Niemand im Ernst folgern wollen, daß er nicht im Ne-
mesis-Tempel zu Rhamnus gestanden haben kann! Wir wissen
ja garnicht, wo in demselben, und in welcher Zusammenstel-
lung; wir wissen aber, daß die Tempel im Alterthum vielfach
die Zwecke unserer Museen versahen und in Hülle und Fülle
Kunstwerke enthielten, die mit ihrem Standort oft nichts zu thun
hatten, ja zu dessen Bestimmung hiufig in wunderbarem Ge-
gensatz standen !!) Und das thut unser Apollo ja keineswegs.
Ja sogar wenn er es thüte, würde dies uns noch nicht das Recht
geben, ihn dem Nemesis-Tempel zu Rhamnus abzusprechen.
Ein Hauptkriterium für eine richtige Vorstellung von dem
Skopas- Apollo würden die vorerwähnten Münzen Augusts und
Neros abgeben, welche das Bild des Apollo ‘Actius’, ‘Palatinus’
10) Vergl. das Bild der Scylla im Tempel der Pax, Plin. N. H.
XXXV 109: den Raub der Proserpina im Minerva - Tempel a. d. Ca-
pitol, Plin. XXXV 108; Bacchus im Ceres-Tempel: Plin. XXXV 24;
den geschundenen Marsyas i. Concordia-Tempel, Plin. XXV 66 u. a. m.
Apollo Kitharédos. 689
oder „Nero“ aufweisen. Aber bei näherer Betrachtung erweist
sich die Hoffnung, die man darauf baut, als triigerisch; denn
nicht nur weichen die Miinzen des Augustus und Nero in der
Zeichnung des Apollo von einander ab, sondern die Gestalt des
letzteren bleibt sich auch auf den Miinzen Augusts keineswegs
gleich. Gemeinsam ist allen die lange Gewandung, die Leier,
das lorbeerbekränzte Haar; aber während die Miinzen Neros den
Gott anscheinend schreitend und die Leier spielend aufweisen,
erscheint dieser auf den Miinzen des Augustus bald ruhig ste-
hend (Cohen ib. S. 86 Nr. 162) bald scheinbar schreitend (ib.
S. 110 Nr. 343), in beiden Formen aber jedenfalls
nicht singend, sondern in der ausgestreckten Rechten eine
O pferschale haltend. Die Vergleichung der Augustus-
Münzen lehrt, da& ihnen zwar ein und dasselbe A pollo - BildniB
zu Grunde gelegen, daf sich aber die Münze nicht genau an
diese Vorlage gehalten, sondern dieselbe variiert hat. Während
z. B. auf Nr. 162 (S. 86) Apollo steht und nur das linke
Knie etwas hervorragt und so die Linie der vorn und hinten
senkrecht herabfalenden Falten unterbricht, ist auf Nr. 343
(S. 110) die Stellung offenbar mehr schreitend , und zwar tritt
hier der linke Fuß weit hinter das rechte Stützbein zurück.
Während auf Nr. 162 der rechte Oberarm beinahe senkrecht
abwärts gehalten wird, und der Unterarm sich daher in mäßig
stumpfem Winkel nur wenig nach vorwürts streckt, halt Apollo
auf Nr. 343 die Rechte mit der Opferschale fast wagereclft und
weit vorgestreckt. Auf Nr. 162 trügt der Gott wie unser Ki-
tharódos das characteristische lange Pallium, das ihm auf dem
Rücken herabfallt; auf Nr. 343 fehlt dieses ganz; auch die
Form es Leier ist bei genauer Betrachtung eine verschiedene.
Kurz, das sind so auffallende Abweichungen, daß man deutlich
ersieht, der Münzzeichner hat nur nach einem Leitmotiv ent-
worfen und sich keineswegs streng an das Prototyp gehalten !!).
Die Sache liegt also durchaus nicht so einfach, wie sie nach
Overbeck erscheinen kónnte, der nur von zwei Apollo - Typen
redet, denen auf Augusts und denen auf Neros Münzen, und
wir vermógen ebensowenig zu sagen, welche von den beiden
11) Auch die Opferschale, die auf den meisten augusteischen Mün-
zen erscheint, ist nicht stehend, sie wechselt mit dem Plectrum; vel.
Müller Denkm. d. A. K. I Taf. XXXII Fig. 141b.
Philologus. N. F. B3.I, 4 44
690 Otto A. Hoffmann,
sehr von einander verschiedenen Augustus-Münzen den Skopas-
Apollo: wiedergab, so wenig wie Overbeck im Stande ist, end-
gültig zwischen Nero- und Augustus-Miinzen zu entscheiden; an
und für sich ist Eins so vage wie das Andere: auf jenen beiden
Münzen des Augustus steht die Beischrift: „Apollo Actius“, und
doch weisen sie ganz verschiedene Apollo-Bilder auf. Das Er-
gebniß der Münzen-Vergleichung ist also im Großen und Ganzen
ein negatives, sofern es sich um eine genauere Bestimmung
der muthmaßlichen Form und Haltung des skopasischen Apollo
handelt. Weshalb nun gerade der neronische Apollo, der dem
Kitharódos mehr ähnelt, als die Darstellungen auf den augu-
steischen Münzen, mit dem Skopas-Apollo durchaus nichts zu thun
haben, sondern die Copie eines spüteren Machwerks sein soll, das
den Kaiser als Kitharóden darstellte, vermag ich nicht einzu-
sehen. Es ist allerdings nicht überliefert, daß jene Kitha-
röden-Statue Neros nach dem Apollo des Skopas gearbeitet war;
aber folgt daraus, daß sie es in der That nicht war? Es ist
vielmehr wahrscheinlich, daß der überspannte Cäsar sich diesem
wunderbaren ‘Ideal’ aller singenden Apollo-Bilder móglichst &hnlich
hat darstellen lassen. Auch kann das Fehlen eines besonderen
Hinweises auf diese Aehnlichkeit an den wenigen Stellen, wo
die bloße Thatsache erzählt wird, nicht befremden. So wenig
aber überliefert ist, daß der „Nero Kitharédos“ nach dem Apollo
des Skopas gearbeitet war, so wenig wissen wir, daß der Apollo
auf den Münzen des Augustus der Apollo des Skopas war. Die
letztere Annahme scheint selbstverstündlich zu sein und hat in der
That wohl am meisten dazu beigetragen, dem Apollo Kitharódos die
nühere Verwandtschaft mit dem echten Palatinus abzusprechen —
nach unserer Ueberzeugung sehr mit Unrecht. Es ist eine
unerwiesene und auf reiner Vermuthung beru-
hende Voraussetzung, daß die Münzen des Augu-
stus den Skopas-Apollo wiedergeben, und zwar eine
Voraussetzung, die sich bei näherer Beleuchtung als im hohen
Grade zweifelhaft und bedenklich erweist.
Zunüchst kann man sich wohl mit Recht fragen, ob denn
Augustus in Fragen der Eitelkeit so unendlich hoch über seinem
Nachkömmling Nero stand, daß er nicht imstande gewesen wäre,
sich ebenfalls wie jener auf seine Münzen in Tracht und Hal-
tung des Apollo setzen zu lassen? Durchaus nicht; es ist uns
Apollo Kitharödos. 691
ausdrücklich bezeugt, daf sich der Kaiser als Apollo darstellen
ließ, und zwar cunctis insignibus desselben !?), und daß diese
Statue in der großen Bibliothek auf dem Palatin stand. Es ist
nun von Haus aus höchst wahrscheinlich, daß Augustus dieses
bewufite Doppelspiel mit seiner und des. Apollo Person auch auf
seinen Münzen zum Ausdruck gebracht hat; -den Gott glaubte
man zu sehen, und den Kaiser sah man. Wührend man aber
an Augustus jene kleine Schwäche unerwähnt ließ, zumal es ja
nur ein kleiner Bruchtheil seiner Miinzen war, der dieses Ge-
präge trug, erwähnt es Sueton bei den ,,musischen^ Narr-
heiten Nero’s ausdrücklich , daf er sich als Citherspieler
sogar auf seine Münzen setzen lief. Auch Augustus hütte sich
ganz in der Weise Neros abbilden lassen kónnen, wenn auch
vielleicht nicht singen d, ohne daß man viel Aufhebens davon
gemacht hätte; er trat eben sonst nicht als Sänger auf. Ganz
anders bei Nero; da er es zuerst war, der die kaiserliche Würde
durch sein Auftreten als Volkssünger bloßstellte, so wurde ihm
natürlich auch diese Münz-Schrulle nicht nur als Eitelkeit, son-
dern als ein Narrenstreich besonders vermerkt. Er that schließ-
lich nieht viel mehr, als Augustus; beide trieben, nach heutigen
Begriffen, „mit dem Heiligen Spott“; aber trotzdem besteht ein
bemerkenswerther Unterschied zwischen beiden Cäsaren - Gott-
heiten, der sich auch in jener dem Nero ertheilten Rüge der
Zeitgenossen ausspricht: der Nero-Apollo singt, wüh-
rend der Apollo des Augustus dies nicht thut. Es
ist demnach deutlich ersichtlich, warum von Nero ausdrücklich
erwähnt wird, daß er Münzen mit seinem Bildniß als Kitharóde
habe anfertigen lassen, und andrerseits, warum die Bilder des
augusteischen Apollo fast durchweg eine ruhigere Haltung und
in der rechten Hand des Gottes eine. Opferschale aufweisen.
Augustus fand bei dem alten Vorurtheil der Rómer gegen die
Ausübung der Musik die Haltung des Skopasischen Apollo, von
dem wir wissen, daB er zur Cither sang, für die Darstellung
seiner eigenen maiestas imperatoria unangemessen !?),. und so zei-
gen denn seine Münzen meist die O pferschale in der Rechten,
anstatt des Plectrum, und zugleich natürlich die ruhigere Hal-
12) Suet. Octav. 70; Serv. Verg. Ecl. IV 10.
13) Vergl. Nepos Epam. I: Scimus enim musicen nostris (der
Römer) moribus abesse a principis persona, saltare vero
etiam in vilis poni. :
44*
692 Otto A. Hoffmann,
tung des Stehens. Es ist hierbei gleichgtiltig, ob diese Münz-
typen die Statuen des Kaisers aus der Bibliothek, oder den
modificirten Apollo des Skopas geben; das Eine ist so möglich
wie das Andere. Selbst wenn Augustus den letzteren als Miinz-
bild benutzte, so mußte ihm daran liegen, daß derselbe nicht
singend dargestellt wurde, da er sich ja selbst in diesem
Apollo-Bilde wiedererkannt sehen wollte und stets mit demselben
kokettirte. Wahrscheinlicher aber ist, daß sein Selbstbild-
ni 8 '4) als Apollo jenem Münztypus zu Grunde liegt, und zwar
deßhalb, weil diese Statue zweifellos den Kaiser in einer Pose
gegeben haben wird, die der maiestas imperatoria nach jeder
Richtung entsprach und daher ohne Weiteres für die Münze
brauchbar war. Vielleicht bezieht sich auch jene Servianische
Nachricht (Verg. Ecl. IV 10) auf dieses Münzbild, wenn man
unter cuncta Apollinis insignia Lorbeer, Leier und die Opferschale
des Heilgottes verstehen will Sicher ist, daß jene Statue des
Kaisers in der Bibliothek sich hoher Berühmtheit erfreute,
sodaß man unter dem Apollo ‘Palatinus’ geradezu diese Augu-
stus-Statue verstehen konnte !5).
Unsere Vermuthung, daß die Münzen Augusts weniger auf
den Apollo des Skopas, als auf ein anderes (etwa das in der
Bibliothek befindliche) Apollo-Bild mit den Zügen des Kaisers
zurückgehen, bestätigt eine Münze, die u. a. bei Langl (Griech.
Götter- und Heldengestalten S. 27) vergrößert abgebildet ist;
sie zeigt den Gott ebenfalls in langem Talar und Mantel ste-
hend, in der Linken die Leier, in der ausgestreckten Rechten
die patera haltend ; die Umschrift aber lautet nicht Apollini
Actio oder Palatino, sondern Apollini Augusto. Es war
also das Kaiserbildniß cum Apollinis cunctis insignibus, das Au-
gustus in der Bibliothek sich selbst errichtet hatte, welches auf
seinen Münzen sichtbar ist; diesem ließ er — man weiß nicht ob
man es als Bescheidenheit oder als Cäsaren-Größenwahn auffassen
soll — die Umschrift geben ,,Apollini Actio oder „Palatino“, wüh-
rend meines Wissens nur diese eine Species mit der Aufschrift
Apollini Augusto“, die das wahre Verhältniß anzeigt, existirt.
Anders bei Nero; überspannt und rücksichtslos, wie er
14) In der palatinischen Bibliothek.
15) Vergl. Comm. Cruq. zu Hor. Ep. 1 13, 17: Palatinus Apollo
dictus est a monte Palatino, ubi Caesar in bibliotheca sibi
statuam posuerat habitu ac statu Apollinis.
Apollo Kitharödos. _ 698
war, waren ihm Bedenken, wie wir sie bei Augustus erwlihnten,
vollständig unbekannt; ihm kam es ja gerade darauf an, als
„Meister der Tone“ verherrlicht zu werden; was kümmerte ihn
da der Vorwurf der Infamie! Wir finden daher auf den Mün-
zen dieses Kaisers einen singenden Apollo, genau nach den
Beschreibungen, die uns die zeitgenóssischen Dichter vom Apollo
des Skopas auf dem Palatin geben, und in vollkommener Ue-
bereinstimmung mit dem uns erhaltenen Apollo Kitharödos. Daß
aber Nero, wenn er sich als singenden Apoll darstellen lieB, auf
die Idealform des Skopas zurückgegangen ist und diese müg-
lichst genau zum Muster genommen hat, ist mehr als wahrschein-
lich 15%). Er wird an dem Apollo des großen Meisters, an dem
es nichts zu „verbessern‘‘ gab, nur den Kopf haben ändern und
durch sein eignes — nattirlich entsprechend idealisirtes — Portrait
haben ersetzen lassen, und der herrlichste Kitharóde, den je
Menschenhünde geschaffen, war fertig. Es war nicht nöthig,
daß er diese Restauration an dem Original selbst vornehmen ließ,
obgleich er dazu imstande gewesen wire; die Quellen berichten
ja, daß er sich als Cither-Sänger darstellen ließ, also handelt es
sich jedenfalls um eine Copie. Mit welcher Leichtigkeit übri-
gens und wie gern die Köpfe bertihmter Gótter-Statuen durch
Portraitköpfe ersetzt wurden, ist sattsam bekannt; eines der be-
sten Beispiele sollte ja Neros eigenes Haupt an dem berühmten
Sonnenkoloß abgeben, das späterhin unter Vespasian durch ein
Haupt des Sol ersetzt wurde.
Wenn also nicht alles triigt, so haben wir nicht auf den
augusteischen Miinzen, sondern in dem Bilde des Apollon
Kitharôdos auf den Miinzen Neros die getreue
Wiedergabe des bertihmten Apollo des Skopas,
des Apollo , Palatinus“ zu erkennen. Dazu kommt noch ein
anderes, untrügliches Zeugniß: die schon vorerwähnten Stimmen
der zeitgenössischen Dichtung. Sie sind in unserer Frage aus-
schlaggebend, und im Zusammenhang mit jenen Münztypen Neros
15>) Uebrigens spricht Sueton (Nero cap. 25) ausdrücklich von
mehreren Kitharóden-Portraits, die Nero in seinen Gemüchern auf-
stellte. Selbstverständlich wird es sich dabei nicht um schablonen-
hafte Vervielfältigung einer und derselben Aufnahme, sondern
um verschiedene Sujets gehandelt haben, wie u. a. der sitzende
Nero-Kitharóde im Mus. Pio-Clem. (Clarae mus. de sculpt. V 989,
Nr. 2398) deutlich beweist. Für die Münze benutzte der Kaiser unter
diesen Sujets das des Skopas-Apollo.
694 Otto A. Hoffmann,
machen sie es zur GewiBheit, daß die Miinzbilder N ero's uns
die echte Form des Skopas-Apollon überliefern. Wir haben
diese Zeugnisse noch nicht vervollstindigt; einige der wichtigsten
und ausführlichsten stehen noch aus und sollen den Schluß uns-
rer Abhandlung abgeben; aber soviel mag schon bier gesagt
werden, daB sie mit auffallender Uebereinstimmung einen cither-
spielenden und dazu singenden Apollo ergeben, im
vollkommenen Einklang mit den Münzen Neros. Das genügt,
um darzuthun, daß die Gestalt des Apollo auf den Münzen des
Augustus, wenn sie iiberhaupt mit dem Bilde des
Skopas etwas zu thun hat, eine Variation des letzteren
darstellt und daher erst in zweiter Linie in Betracht kommt.
Die nächste deutliche Anspielung auf den Apollo im Pala-
tinischen Tempel findet sich bei Tibull im 5. Gedicht des
2. Buches, in welchem er den Sohn des Messala bei seiner
Aufnahme in das Collegium der Quindecemviri feiert. Das Ge-
dicht beginnt:
1 Phoebe fave; novus ingreditur tua templa sacerdos;
hue, age, cum cithara carminibusque veni.
nunc te vocales impellere pollice chordas,
nune precor ad laudes flectere verba meas.
5 ipse triumphali devinctus tempora lauro,
dum cumulant aras, ad tua sacra veni;
sed nitidus pulcherque veni; nunc indue
vestem
sepositam, longas nunc bene pecte
comas:
qualem te memorant Saturno rege fugato
10 victori laudes concinuisse Iovi.
tu proeul eventura vides, tibi deditus augur
scit bene, quid fati provida cantet avis . . . . etc.
Auch hier verrüth kein Wort, daf der Dichter von einem Bild-
werke redet, und doch ist es so. Allerdings fállt ja einem auf-
merksamen Leser die Aehnlichkeit des geschilderten A pollo
mit jenen schon angeführten Properz- und Ovidstellen 16) auf,
auch mit dem Aeußeren der Kitharödos-Statue ; zur völligen Ge-
16) Prop. III 81. Fast. IV 389. Amor. I 8, 59. Metam. XI 165.
Trist. INI 1, 59. Ars am. III 141. Amor. I 1, 11. — Vergl. Tib. I 4;
37; II 8, 11; IV 4, 2.
Apollo Kitharódos. | 695
-wiftheit erheben diese Vermuthung aber die Beziehungen des
ganzen Gedichtes selbst. Messalinus feiert seinen festlichen Ein-
tritt in das Collegium, dem die Hut der sibyllinischen Bücher
anvertraut war; es ist aber bekannt, dafì diese quindecemviri
unter Augustus im Tempel des Apollo Palatinus
functionirten !°), in welchen auch die sibyllinischen Bücher über-
führt wurden. Es ist also dieses Apollo-Heiligthum, das Tibull
in Vers 1 mit tua templa bezeichnet, und es ist der Altar des
Apollo Palatinus, der in Vers 6 genannt wird.
Es unterliegt daher keinem Zweifel, daß die auffallende
Aehnlichkeit unsrer Tibull - Stelle mit den oben erwähnten
Apollo-Schilderungen ihren tieferen Grund hat; sie ist keine zu-
fällige, sondern sie resultiert aus ein und derselben An-
schauung des Hauptbildnisses des Apollo von
Skopas’ Hand. Daher die Cither und die Lieder (Vers
2); daher die rauschenden, plectron-geschlagenen Saiten (V. 3);
daher das mit dem Siegeslorbeer gekrönte Haupt (V. 5),
der Glanz und die strahlende Schönheit der Erscheinung
(V. 7; vergl. Prop. III 31, 5: Phoebo pulchrior ipso Die Schil-
derung vervollständigen Vers 7—10: in langem Ge-
wande — vestis — möge der Gott erscheinen, und im Schmuck
des lang herabwallenden Haares, „wie man dich
schildert, daß du dem siegreichen Juppiter
Preishymnen gesungen, nachdem der Herr-
scher Saturn überwunden“. Die letzteren Worte sind
sehr bemerkenswerth; sie erklären die Haltung des Apollo Pa-
latinus und geben uns somit einen Hinweis auf den künstleri-
schen Gedanken, den Skopas in seiner Statue zum Ausdruck
bringen wollte: Apollo, wie er nach der Titanenschlacht begei-
stert dem Zeus seine Siegeslieder ertönen läßt. Mag diese In-
terpretation nun aus der eigenen Phantasie des Dichters ent-
sprungen sein, oder mag sie, was ich meinerseits für höchst
wahrscheinlich halte, die officielle Bedeutung des skopasischen
Apollos wiedergeben, in jedem Falle ist sie für unsere Frage
von größtem Interesse. Es ist, wenn wir die voraufgehenden
Verse hinzunehmen, als habe Tibull vor unserem Apollo Kitha-
rödos gestanden und ihn Zug für Zug geschildert: die begei-
sterte, bewegte Haltung nach dem Getiimmel der Titanenschlacht,
17) Vergl. Preller Rôm. Myth. S. 274 und 275, |
696 O tto A. Hoffmann,
das enthusiastische Empor-Heben des Hauptes vor allen Dingen,
wie in bewunderndem Aufblick zum siegreichen Allherrscher
Zeus, sind dieser Marmorstatue wie abgelesen. Wie gesagt, es,
ist ja möglich, daß Tibull jenen Vergleich des Apollo Palatinus
mit dem jubelsingenden Phébus vor dem Throne des Herrschers
Kronion frei erfunden hat; setzen wir aber den Fall, daß man
im Alterthum die Haltung dieses Skopas- Apollon in der ge-
nannten Weise deutete, so hätte Augustus unter all dem kost-
baren Material, das ihm zu Gebote stand, keinen passenderen
Apollo für sein palatinisches Heiligthum finden kónnen, als den
Sänger des Weltenordners Zeus, des Ueberwinders der Mächte
des Umsturzes. Hoheit des Gedankens und Hoheit der Aus-
führung vereinigten sich bei diesem Prachtwerke in so vollkom-
mener Weise, daß der Künstler geradezu für die Idee des Cä-
sars gearbeitet zu haben schien, von dem Horaz singt:
lanum Quirinum clausit, et ordinem
rectum evaganti frena licentiae
iniecit, emovitque culpas,
et veleres revocabit artes.
Dieser Apollo des Skopas hat eine zweifache Mission zu erfüllen
gehabt: zuerst sang er von der Macht und Herrlichkeit des Him-
melskónigs Zeus, von seinem Sieg und seinem Strafgericht über
die Mächte des Umsturzes; und dann tinte sein liederreicher
Mund vom palatinischen Altar herab das Lob des Augustus,
des Wiederherstellers von Gesetz und Ordnung, des Siegers über
die mit der Barbarei verbündete Sache der Empórung und des
blutigen Bürgerzwistes.
Es ist unnóthig, zur Motivierung der bewegten Haltung unsres
Bildwerkes in Anschlag zu bringen, daß dieselbe einem grie
chischen Sünger, also einem Südlünder abgelauscht ist,
und daß es zudem ein Jüngling ist, wenn auch ein göttlicher
Jüngling, der von Kampf und Sieg und Vergeltung singt, kein
nordischer, weißbärtiger Barde.
Noch einer Dichterstelle müssen wir Erwühnung thun, weil
sie einerseits das Bild des Skopas-Apollon vervollstindigt, und
andrerseits eine Vermuthung stützen hilft, die wir uns für den
SchluB dieser Abhandlung aufgespart haben. Es ist die aus-
führliehste der in Betracht kommenden Stellen und findet sich
Apollo Kitharüdos. 697
im 4. Gedicht des IIT. Buches der tibullianischen Samm-
ung; sie geht also nicht auf Tibull selbst zurtick, sondern auf
den Anonymus Lygdamus, nach Fr. Haase eben jenen Valerius
Messalinus, dem Tibull bei dessen Weihe zum Quindecemvir
des palatinischen Apollo das 5. Gedicht seines 2. Buches widmet.
Das Gedicht an und fiir sich ist ein reines Liebesgedicht,
und zwar keines, dem sich Genialität nachrühmen ließe. Nach
einer Einleitung von 15 Versen, die sich über das Eintreffen
und Nichteintreffen nächtlicher Zukunftsbilder und Triume ver-
breitet, erzählt der Dichter, daß ihm der Gott der Weissagung
und Orakel erschienen sei, um ihm zu melden, daß die Ge-
liebte Neaera alterius mavult esse viri (V. 58); der Dichter möge
aber nur getrost fortfahren blandas adhibere querelas (V. 75) und
möge der Geliebten in seinem — des Gottes Namen — ver-
künden: „dieses Ehebündniß verspricht dir der Delier selbst;
glücklich in ihm, laß’ ab, dich nach einem anderen Gatten zu
sehnen“. (V. 79 und 80).
Um also die leichtfertige Geliebte für den armen, liebe-
seufzenden Dichter umzustimmen, muß der Gott der Orakel und
Weissagung selbst ihr eine Standrede halten; denn Bacchus und
die Musen, die sonst wohl den Dichtern geneigte Beschützer sind,
vermögen nicht zu sagen quid ferat hora sequens (V. 46). Um
die in Vers 80 erwühnte, eigentlich sehr kurze Bestellung an
. Neaera auszusprechen, muß der Gott in feierlicher Tracht an
das Nachtlager des Dichters treten, der in vollen 20 Ver-
sen (von 23—42) folgendes getreues Bild des Apollo entwirft:
hic iuvenis, casta redimitus tempora laur o,
est visus nostra ponere sede pedem.
25 non illo quicquam formosius ulla priorum
aetas, humanum nec videt illud opus.
intonsi crines longa cervice fluebant,
stillabat Syrio myrtea rore coma.
candor erat, qualem praefert Latonia Luna,
90 et color in niveo corpore purpureus,
ut iuveni primum virgo deducta marito
inficitur teneras ore rubente genas:
et cum contexunt amarantis alba puellae
lilia, et autumno candida mala rubent.
35 ima videbatur talis inludere palla,
698 Otto A. Hoffmann,
namque haec in nitido corpore vestis erat.
artis opus rarae, fulgens testudine et auro,
pendebat laeva garrula parte ly ra. '
hanc primum veniens plectro modulatus eburno
40 felices cantus ore sonante dedit;
sed postquam fuerant digiti cum voce locuti,
edidit haec dulci tristia verba modo etc.
Man thut dem Dichter kaum Unrecht, wenn man diese schüne,
aber weitschweifige Schilderung des Apollo in Anbetracht
des unbedeutenden Motivs der Elegie für an den Haaren her-
beigezogen erklürt; sie ist überhaupt nur verständlich, wenn
man sie mit dem Bildniß des A pollon Palatinus in Zu-
sammenhang bringt: die gedachte Schilderung ist unerkennbar
unter dem Eindrucke geschrieben, den der Anblick jenes Mar-
morwerkes auf den Dichter machte. Wohl möglich, daß dem
Lygdamus der Gott des Skopas im Traume erschienen ist; die
Worte, die er ihn reden lüft, passen jedenfalls nicht zur &u-
ßeren Erscheinung des Apollo; denn während derselbe gekom-
men ist, um dem Dichter Muth einzusprechen, tritt er mit
rauschender Leier und singend auf. Diesen Widerspruch hat
der Verfasser des Gedichtes wohl selbst herausgefühlt, denn er
bemerkt Vers 41, da8 der Gott, erst nachdem er — fast
in der Weise eines Vorspiels — zur Cither gesungen,
seine Rede begonnen habe. Wozu dieses Vorspiel, ist unver-
ständlich ; dem Dichter war es gleichwohl unentbehrlich, weil es
der Apollo Palatinus war, von dem er trüumte, und weil dieser
ja zur Cither sang. Er mufte also den Gott der Lieder erst
zu Ende singen lassen, ehe er ihn redend einführen und für
seinen Zweck verwenden konnte.
Obwohl schon von andrer Seite diese unsre Pseudo -'Ti-
bullstelle für den Apollo des Skopas angesprochen wor-
den ist!*), so glaubten wir dennoch speciell auf den er-
wühnten Punkt aufmerksam machen zu müssen, weil er unsres
Wissens noch nicht berücksichtigt und als Beweis für die Rich-
tigkeit jener Vermuthung verwerthet worden ist. Abgesehen
davon springt die Aehnlichkeit dieses Apollo-'Traumbildes mit
den vorerwähnten Dichterstellen und vor allem mit unsrem
18) So von Herrn Prof. Studemund in seinen Vorlesungen
über Tibull. Vergl. Baumeister ,,Denkm. des klass. Alterthums' 8.98,
- Apollo Kitharódos. 699
Apollon Kitharédos auch einem fliichtigen Leser in’s Auge:
die jugendliche Gestalt, die reine, lorbeerumkränzte Stirn (28),
die unvergleichliche, strahlende Schénheit des
Antlitzes (25/26); das lang herabwallende Haar (27), das
lange Gewand, dessen Falten unten auf dem Fuße und Boden
sich brechen und daher „um die Knöchel zu spielen schienen“
(85); gleichsam anmerkungsweise und nach Cicorone- Árt wird
in Vers 36 hinzugefügt: namque haec in nitido corpore ve-
stis erat. Dazu kommt die kunstvoll gearbeitete, aus Schild-
krot und Gold gezimmerte Leier, die ihm an der Linken hängt,
pendebat, und die er mit elfenbeinernem Plectron rührt (V. 89).
Die Gesänge, die der göttliche Citherspieler ertönen läßt, sind
bezeichnender Weise fröhlicher Natur; es sind j,,selige
Weisen“, felices cantus, die seinem Munde entströmen (40).
Sobald er jedoch zu singen aufgehört und zu reden begonnen,
werden seine Worte „traurig“: haec tristia" verba (42).
Der letztere Umstand schließt jeden Zweifel daran aus, daß auch
dieses Traumbild des Lygdamus nichts anderes ist, als
der wahre und leibhaftige Apollo Palatinus,
dem künstlerischen Gedanken des Skopas entsprungen und von
seiner Meisterhand geschaffen. Die Stelle ist also abermals ein
redender Beleg für die mehr oder weniger geschmackvolle Art
und Weise, in welcher die augusteische Dichtung bertihmte
Werke der Kunst. zu verwerthen pflegte, besonders wenn die
letzteren officielles‘ Interesse hatten.
Die angeführten Verse sind aber noch von einem anderen
Gesichtspunkte aus bemerkenswerth. Wenn man uns einräumt,
daß unter jenem Traumgesicht des Apollo dessen Statue auf dem
Palatin beschrieben wird, so gehen wir einen Schritt weiter und
behaupten, daß diese Statue des Apollo von Skopas’ Hand po-
lychrom behandelt war.
Soviel ist sicher, daß Edelmetall, Elfenbein und Schildkrot
an der Leier verwandt war, deren kunstvolle Arbeit ausdriick-
lich hervorgehoben wird; so
Tib. III 4 37:
artis opus rarae, fulgens testudine et Auro,
. pendebat laeva garrula parte lyra;
vergl. Ovid. Amor. I 8, 59:
ipse deus vatum palla spectabilis aurea
700 Otto A. Hoffmann,
tractat inauratae consona fila lyrae;
und Metam. XI 167 sqq.:
distinctamque lyram gemmis et dentibus
Indis
sustinet a laeva: tenuit manus altera plectrum.
Selbst wenn die genannten Stellen nicht darauf führten, wiire
anzunehinen gewesen, dali die Leier nicht ebenfalls aus Marmor
sondern aus edleren Stoffen gearbeitet war. Wenn wir fiir die
Form der letzteren nicht die an dem Apollon Kitharidos er-
hultene und nachergänzte, sondern die auf den Miinzen beglau-
bigte Leier zu Rathe ziehen, so scheint es, als habe der Rah-
men derselben aus zwei Elefantenzühnen bestanden (vergl Me-
tam. XI 167: dentibus Indie) Dieselben hat man sich jeden-
falls uufs Kunstreichste geschnitzt und mit eingelegter Arbeit in
(old, vielleicht auch edlem Gestein zu denken (ib.: distinctam
gemmis. Der Resonanzboden, welcher auf den Münzen
ebenfalls deutlich hervortritt, mag entsprechend gearbeitet ge-
wesen sein (Lib. III 8, 37: fulgens testudine et auro). Die
Schnitzereien und Schildereien an der Leier haben ohne
Frage die Thaten des Gottes zum Ausdruck gebracht, und so
weist denn auch die jetzt an der Marmorstatue erhaltene Leier
an dem äußeren Rahmen den geschundenen Marsyas auf. Die
Suiten und vielleicht auch der Querbalken waren aus
(told oder wenigstens stark vergoldet.
Dies zur Einleitung, um den Schluß gerechtfertigt erschei-
nen zu lassen, daß eine in so vielfachen Stoffen schillernde
Leier sich nicht an ein kaltes, farbloses Marmorbild gelehnt
haben wird, sondern daß dieses letztere jedenfalls auch mannig-
fachen Gold- oder Farbenschmuck aufgewiesen hat. Wir wissen,
daß das Bemalen der Statuen außerordentlich häufig war, und
daß besonders die römische Kunstwelt große Vorliebe für far-
benprächtige Standbilder hegte. Wenn daher Lygdamus von
dem purpurnen Glanze (color purpureus) spricht, der über dem
schneeigen Körper ausgegossen lag, und den er dreifach mit den
erröthenden Wangen schamhafter Jungfrauen, mit Amaranth zu
Lilien gesellt, und mit dem Roth reifender Aepfel vergleicht,
so dürfen wir unbedenklich annehmen, daß Purpurroth an dem
Bilde verwandt worden war. Man entschließt sich zögernd zu
einer derartigen Annahme, besonders da es sich um ein Mar-
Apollo Kitharédos. ^ = 701
morwerk ersten Ranges handelt; wenn man aber bedenkt, daß
die Behandlung des Marmors mit Farbe auch in den besten
Zeiten der griechischen Plastik gang und gebe war, ja daß
Praxiteles selbst diejenigen seiner Meisterwerke für die gelun-
gensten erklärt haben soll, welche der Maler Nikias tibermalt
hatte, so wird man auch für dieses Tempelbild ein Gleiches vor-
aussetzen dürfen. Es fragt sich nur, in welcher Weise wir uns
die circumlitio ausgeführt zu denken haben, und was vor allem
an der Statue roth gemalt war; ob das Roth etwa von der
Farbe der Wangen, oder von dem Purpur der Gewandung zu
verstehen ist. Das letztere ist wohl in erster Linie in Betracht
zu ziehen; wenigstens scheinen die tiefen Farbentöne in der ge-
nannten Lygdamus-Stelle (III 4, 30 ete.: dunkles Erröthen,
Amaranth — zu verstehen ist der roth blühende am. me-
lancholicus, der ein tiefes, sattes Roth aufweist —) eher auf die
Gewandung, als auf das zarte Inkarnat zu gehen. Zudem war
Purpur die Farbe des Festgewandes der Kitharöden.
Zu vermuthen ist also, daß die longa vestis an der Statue
in Purpur gemalt und vielleicht mit Goldmalerei an den Säu-
men verziert war, sodaß das niveum corpus in Vers 80 nur von
den nackten Körpertheilen zu verstehen ist. Dazu stimmt jene
Schilderung des Gottes in den Metamorphosen (XI 165), wo der-
selbe „in der Haltung eines Künstlers" zum Wettgesange auf-
tritt und zwar Tyrio saturata murice palla, also in langem, auf
dem Boden schleppenden (Frauen-)Gewande, das mit tiefrothem,
tyrischem Purpur ,gesüttigt^ war!" Das Haar war mög-
licherweise ebenfalls gefärbt, wie jedenfalls auch an dem Hermes
des Praxiteles, und zwar blond, wie das Haar des Apollo fast
stets gedacht wurde. So giebt es auch jene eben angeführte
Ovidstelle : ille caput flavum lauro Parnaside vinctus etc. — Soweit,
die Anhaltspunkte für die circumlitio der Statue. Es ist anzu-
nehmen, daf sich dieselbe auch auf das Riemenwerk an Leier
und Sandalen — wie bei dem Hermes — sowie auf den dem
pythischen Apollo eigenen, chlamysartigen Mantel ?") erstreckt
hat. Der letztere ist wohl, wenn auch vielleicht ebenfalls gold-
bordiert, als priesterlichss Sacralgewand weiß zu denken.
19) Der tyrische Purpur gab das leuchtendste, schónste Roth und
war daher der theuerste. (Das Pfund Wolle kostete tiber 1000 Denare
oder 870 Mark). Die kostbarsten Stoffe pflegten doppelt gefärbt
zu sein, daher wohl oben der Ausdruck saturata.
20) Vergl. K. O. Müller Handbuch d. Arch. d. Kunst § 339, 4,
702 Otto A. Hoffmann, Apollo Kitharödos.
Die vorstehenden Erwägungen über die muthmaßliche Be-
malung des Apollo Palatinus beanspruchen keineswegs den Cha-
racter der Endgültigkeit; dem Urtheil des Lesers bleibt es über-
lassen, inwieweit er den Wahrscheinlichkeitsbeweis für erbracht
erachten will. Es ist möglich, daß die angezogenen Stellen auf
dichterischer Erfindung beruhen; da sich aber gerade betreffs
unsrer Statue so manches, was an und für sich den Anschein
reinster dichterischer Phantasie trägt, bei genauerer Prüfung als
Niederschlag konkreter Anschauung erwiesen hat,
da ferner diese Anschauung des Skopas - Apollo für die Haupt-
stelle, aus der wir unsre Vermuthung herleiteten (Lydamus III
4, nachgewiesen ist, so wird uns Niemand den Vorwurf machen
dürfen, daß unsre Behauptung. das Meisterwerk des Skopas habe
Farbenschmuck getragen, aus der Luft gegriffen sei. Es kam
uns hauptsächlich darauf an daran zu erinnern, daß die Dichter,
wenn sie auch viel fabulieren, uns doch diesmal die rich tige
Anschauung eines erhabenen Kunstwerkes vermitteln, dessen Ab-
bild wir in dem Apollon Kitharödos bewundern. Der letztere,
die Münzen Neros und die übereinstimmenden Schilderungen der
augusteischen Dichter bilden ein Ganzes: sie geben uns ein
Bild: den wahren Apollon Rhamnusios des Sko-
pas den hochgefeierten Apollo Paiatinus.
Metz. Otto A. Hoffmann.
Zu Porphyrio.
Der Scholiast des Craquius bemerkt ru Horat Sat. I 6, 30
(— & quo acgrotet quo morbo Barrus - : Barrus moechus fuit
propter incestum rirginis Vestalis condemwatus; so auch Schol,
Porphyr: Hie Barrus cilissimae libidinis fuit. adeo ui Aemiliam
Virg. Vestal. tncestasse dictus sit, certe adulierns sincerissima
cupiditate sectabatur. Line stacerissima cupiditas! Nein, sondern zwei-
fellas schrieb der Scholiast certe adulter cas incestissima cu-
piditate sectabatur” : er will es augenscheinlich unentschieden las-
sen. ob Barras das Incest wirklich be gangen oder nur das
Verlangen darnach getragen habe: letzteres wenigstens (meint
der Schol ist sicher. das erstere wurde von ihm behauptet
(dictus sit ist also nicht ganz sicher.
Basel. J. Mähly.
* "In dem Handexemplare Eckstein's fnàe ich die ähnliche Cor
rectur adudteras tnoretisermas eingetragen. ©. Cri
ee — nn
XXXVI.
Die sogen. Pharmakiden des Kypseloskastens.
| a
In einem zwar anregenden, aber doch, wie ich beweisen zu
kónnen glaube, sein Ziel verfehlenden Aufsatze (Jahrb. d. Arch.
Inst. III (1888) S. 234 ff) hat kürzlich O. Kern eine Deutung
der beiden bisher so rüthselhaften „Zauberinnen “ der Kypselos-
lade zu geben versucht. Die für uns allein maßgebende Be-
schreibung des Pausanias (5, 18, 2) lautet: duo dé &22ag yv-
vaixag ig 0oÀp ovg x«Juxvovutveg unéQovc, yapmaxa elderas
opis vouíLovow, êmei aAAwg ye ovdèv dg avidg dou» EnlyQappa.
GewiB mit Recht bemerkt Kern, daß an zwei berühmte Zau-
berinnen der Sage kaum gedacht werden könne, weil man als-
dann eine erklürende Beischrift schwer vermissen würde. Es
seien nur zwei Möglichkeiten vorhanden: entweder seien die bei-
den in Mörsern stampfenden Frauen ein Genrebild, etwa Brot-
bereiterinnen (vgl. Klein Ber. d. Wiener Akad. 1884 S. 79),
oder es kónne irgend eine Sage gemeint sein, welche so leicht
verständlich war, daB sie eines erklürenden Epigramms oder
einer Beischrift nicht bedurfte. Das Erstere sei aber unwahr-
scheinlich , denn wir hätten so die einzige Genredarstellüng auf
dem Kypseloskasten zu konstatieren. Folglich bleibe nur das
Zweite. Und zwar sei es möglich die r&thselhafte Gruppe durch
eine Betrachtung der benachbarten Darstellungen zu deuten, so
daB eine Beischrift dem Künstler unnóthig erscheinen konnte.
Bekanntlieh begann der in Rede stehende Bildstreifen mit.
einer Darstellung der auf ihren Armen Hypnos und Thanatos
tragenden Nyx, darauf folgte die Gruppe der Dike und Adikia
und darauf wieder die Darstellung der beiden ,,Pharmakiden“.
Die Forderung Kerns, daf diese letzteren in einem sehr engen
704 W. H. Roscher,
Zusammenhange mit den unmittelbar daneben abgebildeten my-
thisch - allegorischen Figuren gestanden und hauptsächlich aus
diesem Zusammenhang Deutung und Verständniß erhalten ha-
ben müssen, so daß sie der Beischrift entbehren konnten, un-
terschreibe auch ich aus vollster Ueberzeugung. Um so ent-
schiedener muß ich mich aber gegen die Deutung der beiden
Pharmakiden als Adrasteia und Eide erklären, welche Kern
auf drei Bruchstücke der orphischen Theogonie gegründet hat
(vgl. Lobeck Aglaoph. S. 514 ff. und Abel Orphica Frgm. 109
—111). Das fiir uns wichtigste dieser drei Fragmente findet
sich bei Hermias in Plat. Phaedr. S. 148 und wird von diesem
Commentator folgendermaßen eingeleitet: did [7 ° Adgucresn] xai
100 100 ürrQov 175 Nuxıög nyeiv Myeras*
en malueuzor dè yadxex onrou
duwxer ° Adouorsia [xoi tuunava iyneria.] ').
Als Subjekt zu dœxer ist nach Apollodors Bericht ?) höchst
wahrscheinlich Rhea zu denken, welche nach der in der Höhle
der Nacht erfolgten Geburt des Zeus die Adrasteia vor die
Höhle postirt, um dort Wache zu halten (ooovvsir; vgl. Frgm.
111), und ihr gleichzeitig die duonıo« und rvuruva übergibt, wo-
mit diese solchen Lärm macht, wore mavrac êmorgépesr sig uv-
tv rovc Jeovc (Frgm. 111).
Um nun in den beiden Pharmakiden die beiden Schwestern
der orphischen Theogonie Adrasteia und Eide (Ide) wieder-
finden zu können, erklärt Kern unbedenklich die yc4xe« $omiga
der Adrasteia als eherne Keulen d. i. Mörserkeulen ($0naAa,
vnegoı) die rvurnara iyferra aber als Handpauken und nennt
es „eine gewaltige Erfindung des orphischen Dichters“, daß das
Tympanon, welches die Götter zu ihrem künftigen König ruft,
durch die Keulen erschalle und einen schönen Gedanken des
Korinthischen Künstlers, daß er Eide und Adrasteia in Mör-
sern, die ihre nächste Analogie in den homerischen Pithoi haben,
mit Keulen Menschenglück und Menschenleid bereiten lasse.
Wir können dieser Erklärung durchaus nicht beistimmen
und zwar aus folgenden Gründen:
1) Die in Klammern hinzugefügten Worte stammen aus Frgm.
111: yalxsa dontoa AaBovon xai tU u1ava nynevia.
2) Apollod. 1, 1, 7: 9 ‘Péa tóv dia didwos roéqea9es Kovorci ve zei
tais Melioséws nasoi vougass Adoaarelg te xai Ty abtas pèv toy
naida Ergeyov x. r. À. Vgl. Lobeck Aglaoph. S. 515.
Die sogen. Pharmakiden des Kypseloskastens. 705
1) Können die yadxea Gonrou 3) der Adrasteia deshalb un-
möglich eherne Keulen oder Schlägel sein, weil Hermias a. a. O.
zum Verständniß dieser éonztge ausdrücklich bemerkt: &v toig
nmoo9ugoiG yug tov avtgov tijg Nuxtog nyeiv Myers roi; xvp-
Bahosc, iva navıa tu avınz rv ropuwr xatmxou yérqrus. Diese
Erklärung erscheint um so zweifelloser, als das mit fo#rgor ety-
mologisch nahe verwandte und gleichbedeutende doufos von
Pindar Fr. 48 Bóckh geradezu mit xvufadwy verbunden wird.
Das Motiv stammt offenbar aus dem Kulte der mit Adrasteia
schon sehr frühzeitig verbundenen, ja sogar hie und.da mit ihr
identificirten Rhea-Kybele *), welcher Góttin, wie namentlich die
Bildwerke lehren ?), die gonrou (xvufuda) und rvurmava von
Haus aus angehóren und aus deren Hand, wie wir oben sahen,
nach der orphischen Theogonie wahrscheinlich Adrasteia eben
jene musikalischen Instrumente empfing (vgl. Apoll. Rh. 1, 1139:
do n B o9) xai zv avec Pelnr Dovyes tAnoxovras).
2) Ist es nicht eine „gewaltige“ sondern vielmehr eine un-
geheuerliche Vorstellung, die selbst dem Dichter der orphischen
Theogonie kaum zuzutrauen sein dürfte, sich die Adrasteia mit
großen ehernen Mörserkeulen ") das verhältnißmäßig leichte und
schwache Tympanon (Anthol Pal. 6, 165; s. ob. Ánm. 8)
bearbeitend zu denken. Daher wire es zwar gewif als ein
hóchst glücklicher Gedanke des korinthischen Künstlers zu be-
zeichnen, wenn er aus den zu den ehernen Mörserkeulen nicht
wohl passenden zvunuva Mirser gemacht hätte, aber es ist im
höchsten Maße unwahrscheinlich, daß die Beschauer des Kunst-
3) Ebenso wie in dem angeführten Fragmente der orphischen
Theogonie dorzo@ und róuza»« verbunden erscheinen, heißt es bei
Heliod. 9, 17: go uBoic de xai 1vunavoss tà». Aldı0nwv yy payyy
énsonuasvevtwy. Vgl. auch Phot. S. 491, 10: 6óufoc, 0 Eyovow oi
imderabovies dc tiunavoyv: oviws Kinolss, Anthol. Pal. 6, 165 wer-
den neben einander erwähnt: 66 uoc, xopvBarteiwr laynuara y d i-
xe don10wr und xovgoso Bag; una vov foouoc.
4) Vgl. Roschers Lexikon d. gr. u. róm. Mythol. unter Adrasteia.
Welcker Gr. Gótterl. 2, 232. Preller gr. M? 1, 419 f. Overbeck K.
M. Zeus S. 329. Dict. des antiq. ed. Daremberg et Saglio S. 1682
Anm. 132 a. 145.
5) Müller Hdb. d. Arch. 395, 3. Baumeister Denkm. S. 801.
Müller - Wieseler D. a. K. II 811 ff. Vgl. auch Pind. Fr. 48 B. Lo-
beck Aglaoph. S. 630. 652. Lucian Tragodopod. V. 36 etc.
6) Vgl. Schol. a. a. O. Dotyss xvuBálosc xai sound vosc mv
‘P éav ildoxovtat. GouBos, Tpoyioxos ov oroéqovow ludos TóntorTeg, xai
ot'tws xrónov anotelovos x. T. À
7) Vgl. Hesiod. &pye 423: bnepov 1o énmy vv. "Xneoa odyoa wer-
den erwähnt b. Diog. L. 9, 10, 59. Poll. 7, 107. Luc. Hermot. 79.
Philologus. N. F. Bd. I, 4. 45
706 W. H. Roscher,
werks bei so starker Veränderung des von Kern vorausgesetzten
urspriinglich orphischen Motivs in den beiden Frauen noch Adrasteia
und Hide ohne erklürende Beischrift zu erkennen vermochten.
8) Lassen sich in den Darstellungen des Kypseloskastens
wohl einzelne hesiodische Einfliisse und Ankliinge nachweisen
(Robert im Hermes 28 S. 440. Kern a. a. O. 8. 235 Anm. 3),
nicht aber solche, welche dem Bereich der orphischen Poesie
entstammen. Selbst wenn wir mit Kern (S. 235) als sicher an-
nehmen wollten, daß die orphische Theogonie „bereits im 7. und
6. Jahrhundert auf ganz (?) Hellas einen gewaltigen (?) Ein-
fluB ausübte", würde das doch nicht ausreichen, die Darstel-
lung (schon stark modificirter) orphischer Ideen auf dem bereits
im 8. Jahrhundert (Overbeck Plastik® I S. 56) gefertigten
Kypseloskasten wahrscheinlich zu machen.
4) Auch das spricht gegen Kerns Deutung der beiden Phar-
makiden, daß nach dem Wortlaut der orphischen Fragmente nur
der Adrasteia, nicht aber der Ide yaAxea $ozrga und rSumara zu-
geschrieben werden, so daß wir, selbst vorausgesetzt, daß Kerns
Deutung der 60a79« richtig wäre, doch nur zu dem Verständniß der
einen Pharmakis, nicht aber zu dem der zweiten gelangen würden.
Haben wir somit die Unhaltbarkeit der Kernschen Deutung
der beiden Pharmakiden klar erkannt, so fragt es sich, ob sich
nieht andere in den Kreis der Nyx und der Dike gehórende my-
thisch-allegorische Gestalten nachweisen lassen, auf welche das so
charakteristische Attribut des Mórsers und der Mórserkeule besser
pabt als auf Adrasteia und Eide. Um es gleich herauszusagen:
ich glaube in den beiden fraglichen Figuren zwei Moiren erken-
nen zu dürfen, die, als Pharmakiden gefaBt, in ihren
Mórsern dem Menschen Heil und Unheil berei-
ten. Es sei mir verstattet den Beweis für die hohe Wahrschein-
lichkeit meiner Deutung kurz in den folgenden drei Sätzen darzulegen.
1) DaB das wichtigste und für die beiden Pharmakiden am
meisten charakteristische Attribut, die cherne Mórserkeule,
den Moiren zukommt, erfahren wir aus dem apollodorischen Be-
richte von der Gigantenschlacht Apd. 1, 6, 2: Moïgus dì "Ayosov
xxi Voura yadxéoss donadois mayousvar®) [Gn£xreivay]
8) Zwei der besten Hss. (vgl. Westermann Mythogr. praef. V),
nemlich P und D bieten uayouevas, die übrigen codices dagegen ua-
xopévovs. Schon Heyne, dem alle neueren Herausgeber mit Ausnahme
von C. Miiller gesetzt sind, hat daraus richtig uayoueras hergestellt,
welche Lesart durch unsere Darlegung nicht unwesentlich unterstütst
Die sogen. Pharmakiden des Kypseloskastens. 707
Daß unter diesen dorul« Mörserkeulen zu verstehen sind, ist
aus zwei Gründen hóchst wahrscheinlich (s. Anm. 14), einerseits weil
gewöhnliche Keulen (xogvra:), wie sie männliche Krieger
und Jäger, z. B. Herakles”) u. A., führen, sich in den Hän-
den weiblicher Gestalten sonderbar ausnehmen würden, ander-
seits weil auch sonst öfters Mörserkeulen als Nothwaffen von
Frauen geschwungen werden. Man denke z. B. an die Mörser-
keule in den Händen der Andromache auf Vasen mit der Dar-
stellung der Iliupersis (Heydemann lliupersis S. 24, 2 ff O.
Jahn Sächs. Ber. 19 S. 87. Heydemann Vasensammlung des
Museo Nazionale zu Neapel Nr. 2422 S. 301 f) und in den
Händen der Thrakerin auf einer die Ermordung des Orpheus
darstellenden Vase (Heydemann a.a. O. und Arch. Ztg. 26 S. 4).
Wie wir uns in diesen beiden Fallen die betreffenden Frauen in
dem der dargestellten Scene unmittelbar vorausgehenden Momente
ohne Zweifel nach ältester Frauensitte Getreidekörner stampfend
vorzustellen haben (Blümner T. 1, 21, 6), so setzt auch die Vor-
stellung von den mit Keulen gegen die Giganten kämpfenden
Moiren wohl unzweifelhaft voraus, daß dieselben in dem der
Gigantenschlacht vorausgehenden Momente als in Mörsern stam-
pfend gedacht waren. Es fragt sich nur, was dieses Stampfen
in Mörsern bei den Moiren bedeutet. Nach meiner Meinung
hat schon Welcker (Kl. Schr. 3, 25) so ziemlich das Richtige
gesehen !°), wenn er annimmt, daß „die eine der beiden Phar-
makiden die Göttin der wohlthütigen Heilkunde, die andere die
Göttin der Gifte und schädlichen Zaubereien, oder die eine die
der Gifte, die andere die der Gegengifte* bedeute (vgl. Od. 4,
230: puguaxa molla piv OFAN usuiyuéra, noààa dé Avyoa),
so daf) also Pausanias oder sein Gewührsmann auf ganz rich-
tigem Wege war, wenn er die beiden Gestalten eben für Phar-
makiden erklärte. Denn daß es durchaus irrig ist, wenn Kern
a. a. O. S. 234 behauptet: „daß es Zauberinnen sind, welche
Giftmittel bereiten; scheint unmöglich, denn schwerlich sind im
Alterthum und überhaupt irgendwo (!?) Zaubermittel mit Keulen
n Mörsern bereitet worden“, läßt sich leicht nachweisen. Ich
wird. Uebrigens deuten die ehernen Keulen auf eine sehr frühe
Zeit, da man sich später eiserner üönsg« bediente; s. ob. Anm. 7 und
Blümner Technol. 4, 40 ff u. 321 f.
9) Vgl. Furtwáugler in Roschers Lexikon d. gr. u. róm Myth. I
Sp. 2138 f. Arch. Z. 6, 260. Daremberg Dict. d. antiq. s. v. clava.
10) Vgl. Denselben in Ztschr. f. Gesch. u. Ausleg. d. a. Kunst S. 541.
45*
708 W. H. Roscher,
erinnere hier nicht nur an die von jeher und noch heutzutage
in allen Apotheken gebrauchten Môrser, sondern berufe mich
auch auf folgende Stellen: Plat. Euthyd. S. 299 B: xalwç ...
eu dar 115 «UT telpas éyxequor 2lleßogov apu£ur; id. Phaedo
117 B: 716 quguexov ....tetguuptvov. Daß das rgíffew
der quyuuxx in Mórsern (öAuoı, Alydos, Justus) stattfand, be-
zeugt ausdrücklich Hesych. s. v. óÀuogc* megegegic AlFos, pag-
wagoc, i» © zus Boruvag zr oí(flovas Vgl. auch Aristoph.
Plut. 718 f. esr’ pia | èv th Fvela ouunegamiyrowr Onor |
xul ayiror. Unter jenen forura sind natürlich q«guoxa zu
verstehen; vgl. Hesych. s. v. paguuxa, Borivas; vgl. außerdem
noch folgende aus Nikanders Theriaka entnommene Beweisstel-
len: Ther. 506. 527. 589. 618. 644 und Scholien zu 951 etc.
Ja des Bereiten der q«ouaxa in Mörsern war so allgemein üb-
lich, daß die yupuuxonwiu davon häufig quguuxo 1 0 ( B as oder
-10Íínr«. genannt wurden ''). Wir erkennen demnach, daß man
sich im hohen Alterthume die Moiren nicht bloB als Spinnerinnen
sondern auch als Zauberinnen dachte, welche Glück und Leid
der Menschen, ebenso wie die Pharmakiden ihre yapunxu de94d
und Avyo«, in Mörsern bereiten *). Eine weitere Spur von der
Auffassung der Moiren als Pharmakiden findet sich in
dem Mythus von der Geburt des Herakles. Nikandros b. Anton.
Lib. 29 erzählt, daß die Moiren und Eileithyia im Auftrag
der Hera die Geburt des Herakles verhindert hätten, während
die von Pausanias (9, 11, 3) berichtete thebanische Lokalsage
von paguaxtdes redet, worunter unzweifelhaft die Moiren
und Fileithyia zu verstehen sind. Uebrigens würe es nicht un-
möglich, daß die Moiren auch sonst noch mit dem Attribut der
Mórserkeulen vorkiimen. Ist vielleicht der rüthselhafte ‘Stab’,
welchen die eine Moira auf dem Arch. Ztg. 5, 1* und bei Müller
IHdb. d. Arch. § 398, 1 erwähnten Steine ‘auf der Schulter
trägt, ein Unegos? Vgl. auch Matz-Duhn Roms ant. Bildw. 3088.
2) An der Zweizahl der Moiren des Kypseloskastens ist
durchaus kein AnstoB zu nehmen, da dieselbe auch sonst, na-
mentlich für das mit Korinth seit ältester Zeit in Verbindung
stehende Delphi wohl bezeugt ist: vgl. Paus. 10, 24, 4; Em-
11) Vgl. cderosBavov = Môrserkeule. Blümner Techn. 1, 21.
*) [In diesem Zusammenhange ist eine Fabel des Babrius (165
Ebh. = Aes. H. 136) von Interesse, wo Hermes als Pharmakurg den
Menschen ein qaounxar viódove toipas kredenzt; am meisten bekom-
men schließlich die oxvriç (nach attischer Vorstellung?). — Cr.].
Die sogen. Pharmakiden des Kypseloskastens. | .. 709
pedokles b. Plut. de trang. an. 15; de ei ap. Delph. 2, . sowie
den Hymnus bei Stobaeus ecl. 1 S. 172 H. Auch Apollodor
1, 6, 2 scheint nur zwei Moiren anzuerkennen, da er ihnen nur
zwei Gegner (Agrios und Thoon) im Gigantenkampf gegenüber-
stehen läßt (vgl. A. Mommsen Delphika S. 101). Auf diese
Weise erhalten wir zugleich eine weitere treffende Parallele zu
dem die beiden benachbarten Bilder des Kypseloskastens be-
herrschenden Dualismus, und zu Hypnos und Thanatos, Dike
und Adikia gesellen sich nunmehr die beiden Moiren des Glücks
und Unglücks (vgl. Hesiod Theog. 218 —219 = 904—905: [ Mot-
gac ], alte Boorotos yesvouévosoi dedovasy Eyes KY a 9.ó» Tex ex 0 v TE).
9) Die nahe Verwandtschaft der Moiren mit N yx und der
ebenfalls bisweilen mit einer Keule ($ózroov !?) oder einem Prügel
ausgerüsteten Dike (Eur. Hippol V. 1161 K.) erhellt einer-
seits aus der schon von Hesiod Theog. 217 (vgl Hygin f. S.
26 Bunte) gegebenen Genealogie, wonach sie Schwestern des
Hypnos und Thanatos sowie der Keren und T'óchter der Nyx
sind (vgl. auch Stob. ecl. a. a. O. KiwIw Aayeoss v! evojAevos |
xovga, Nuxtos x. t. À.), anderseits aus Hesiods Theog. 902 f.
und Apollodor 1, 3, 1, wo Dike ihre Schwester heißt, endlich
aus dem Hymnus bei Stobaeus a. a. O., wo Klotho und La-
chesis angefleht werden, Dike und Eirene zu den Menschen zu
senden. Es scheint demnach, daß der Künstler des Kypselos-
kastens einer theilweise mit Hesiod übereinstimmenden "T'radition
gefolgt ist, nach welcher die Moiren und Dike (vielleicht auch
Adikia) Tóchter der Nyx waren.
Zum Schluf spreche ich den Wunsch und die Hoffnung aus,
daB über kurz oder lang ein Bildwerk gefunden oder nachge-
wiesen werde, welches die Moiren mit dem deutlichen Attribute
der Mörser und Mörserkeulen darstellt **).
12) Es muß einstweilen unentschieden bleiben, ob das óósnrpor
der Dike (vgl. Hesych. s. v. öönıgov' Gonaloy) eine von den Moiren
entlehnte Mórserkeule oder eine gewóhnliche Keule oder Prügel ist,
dem Stabe oder dem Hammer entsprechend , mit welchem Dike die
Adikia schlágt (Paus. 5, 18, 2. Roschers Lex. d. gr. u. róm. Myth.
unter Dike). Mir ist für jetzt das Zweite wahrscheinlicher.
**) Nachtrag zu S. 707 oben. Daß die Mörserkeule (önsgov, doi-
dvi = alsıgißavov (Schol. Ar. pac. 259), namentlich wenn sie als Waffe
gebraucht wurde, auch 6onalo»r oder exvt1d às (axósalorv) genannt werden
konnte, ersieht man aus der Gleichsetzung von Unspoov und oxvraln (Plat.
Theaet. 209 D), von doidvé und xovrdin (= dxvrdAg; Schol. Ar. eq. 984),
von oxutcédn (oxdtadov) u. donadoy (Pollux 5, 18. 10,142. Suet. s. v. cxvralor),
Wurzen. W. H. Roscher.
XXXVII.
Beiträge zur Geschichte römischer Dichter
im Mittelalter.
Mit Nachstehendem eröffne ich eine Reihe von Aufsätzen,
welche sich mit dem Fortleben römischer Dichter im Mittelalter
beschäftigen sollen. Da die Geschichte der Philologie in ihrem
weitesten Umfange immer mehr berechtigten Anspruch auf Dar-
stellung gewinnt, so scheint es angebracht, Beiträge zur Ge-
schichte der einzelnen römischen Dichter in einem etwas weiteren
Rahmen zu geben, als dies bis jetzt meist geschehen. Selbstver-
ständlich kann ich hierbei nicht ausschließlich neues bieten. In-
deß wird der sachkundige Beurtheiler erkennen, daß ich in vie-
len Puncten die Untersuchung erst begonnen oder doch weiter
geführt habe.
Es wird kaum nöthig sein, zu versichern, daß ich auf wirk-
liche Vollständigkeit keinen Anspruch erhebe, die große Masse
des Stoffes schließt das von selbst aus. Ich werde daher die
sich ergebenden Nachträge an möglichst passender Stelle unter-
zubringen suchen. In der Hauptsache habe ich bisher die deut-
sche und englische Geschichtschreibung, theilweise die Philosophie
und Epistolographie durchgesehen; dagegen sind aus der fran-
zösischen, italienischen und spanischen Literatur erst kleine Theile
untersucht worden. Vielfache Unterstützung boten mir die guten
Ausgaben der Monumenta Germaniae historica und der Chronicles
and Memorials of Great Britain and Ireland during the middle age. |
Ganz ausgeschlossen von der Untersuchung bleiben Vergil
und Horaz. Denn fiir Vergil besitzen wir die hervorragende Ar-
beit von Comparetti und den Index von W. Ribbeck. Höchstens
werde ich gelegentlich auf grófere oder für die Textkritik zu
verwerthende Citate aus Vergil aufmerksam machen. Ueber Ho-
raz im Mittelalter werde ich dagegen an anderem Orte ganz aus-
Beitrige zur Geschichte rim. Dichter im Mittelalter. 711
fübrlich zu handeln haben, nachdem Geh. Rath M. Hertz die
Giite gehabt, mich zur Fortsetzung seiner Analecta aufzufordern
und mir zu diesem Zwecke seine Sammlungen zur Verfiigung zu
stellen. Sonst denke ich die rimischen Dichter nach und nach
insgesammt vorzufiihren mit Ausnahme derjenigen, die nur in
Fragmenten erhalten sind und deren Fortleben im Mittelalter auf
die Grammatiker u. A. zurückzuführen ist. Als zeitliche Grenze
der für die klassische Philologie interessanten Dichter kónnte viel-
leicht diejenige gelten, welche Teuffel in seiner Literaturgeschichte
eingehalten hat; doch werde ich mich fürs erste an die ältere
Zeit, als die wichtigste halten und die eigentlich christlichen
Dichter wahrscheinlich in den Wiener S. B. behandeln. Gleich
hier wil ich bemerken, daß ich den Begriff Mittelalter etwas
weit fasse und zuweilen Citate bringen werde, die noch früheren
Schriftstellern angehóren. Auf die Indices auctorum et imitatorum
der neueren Ausgaben, besonders der Grammatici Latini werde
ich meistens nur hinweisen, da sich ja dort das einschlügige
Material in übersichtlicher Anordnung vorfindet. Als Citate be-
trachte ich solche Stellen, welche sowohl mit als auch ohne Nen-
nung des Autorennamens angeführt werden, desgleichen die Hin-
tibernahme von Versen und Verstheilen, die in Prosa umgestellt
sind, wo eine zufällige Uebereinstimmung ausgeschlossen erscheint.
1. Persius.
Die groBe Anzahl der uns überlieferten Handschriften des
Persius legt am besten Zeugniß dafür ab, wieviel man sich im
Mittelalter mit diesem Dichter beschüftigt hat, cf. O. Jahns Ausg.
1848 S. CLXXIII. Hierzu kommen die zahlreichen Erwühnun-
gen von Persiushandschriften in alten Bibliothekskatalogen, cf.
Catalogi bibliothecarum antiqui ed. G. Becker S. 820. Seit dem
10. Jahrhundert erscheint hier Persius, vielfach in Verbindung
mit Juvenal, als in den meisten größeren Bibliotheken anwesend.
Er findet sich als sicher beglaubigt saec. IX in S. Gallen, s. X
zweimal in Bobbio, zweimal von Froumund von 'legernsee ge-
liehen und wahrscheinlich für das Kloster abgeschrieben !), in der
Bibliothek Kaiser Ottos III, in einer Bibl. incognita (Becker 45,
17) s. XI ohne Ueberschrift in Hamersleven, dreimal in Toul,
zweimal in Weihenstephan, s. XII dreimal in St. Bertin, in
Corbie, zweimal in Michelsberg (Bamberg), in Pfüffers, in Whitby,
zweimal in Wessobrunn, in St. Amand, in St. Peter (Salzburg),
zweimal in Durham, sechsmal in St. Anchin, in Muri, im Monast.
S. Petri Resbacense. Daß Persius an einer ganzen Anzahl von
1) Hierzu kommt eine Erwühnung aus dem Ende von saec. X in
Tegernsee, wo Persius neben Statius und Hora, unter dem Abte Gop-
pert abgeschrieben wurde, s. Wattenbach Deutschlands Geschichts-
quellen I 372.
712 M. Manitius,
Orten mehrmals vorhanden ist, zeugt von fleißiger Benutzung.
Ob die Satiren freilich als gewóhnliches Schulbuch gebraucht
wurden, habe ich an den mir bekannten Stellen nicht entdecken
können. Es ist auch insofern wenig wahrscheinlich, als sich bei
den mittelalterlichen Autoren dieselben Verse aus Persius nur
selten citiert finden, während dieselben Stellen aus den eigent-
lichen Schulbiichern sehr oft wiederkehren, wie das z. B. bei
Juvenal und Lucan der Fall ist.
Nächst den bei Keil G. L. VII 610 f. gesammelten Stellen
sind aus der ülteren Zeit zu erwühnen: Lactantius giebt in
der instit. div. einige Citate; II 2 Persianum illud proclamare:
II 61 (terras); II 4 non placebat Persio quod aurea vasa templis
inferantur . . : II 73 f., III 16 Quod irridens Persius: VI 38 f.
(postquam — venit); VI 2 Merito ergo Persius huiusce modi super-
stitiones suo more deridet: II 29 f. (qua — unctis). Hiero-
nymi epist. 22 (Migne 22) 402 et super humeros hyacinthina
laena (I 32); ib. 415 nec delumbem matronarum salivam (I 104);
40, 474 iam tibi cum Persio cantabo: H 87 f. (Optent te — Te
rapiant — calcaveris hoc i. r. f.); 48, 506 et iuxta Persium noctem
flumine purgant (II 16); 54, 552 (I 32 f 35 Hic aliqua — Per-
strepit ac tenero s. v. p.); 58, 584 (III 30 ego — novi); 125,
1081 intra se nescio quid cornicantes stupentibusque in terram oculis
tumentia verba trutinantur (V 12. III 80. 82); ib. 1082 aut ci-
coniarum deprehendes post te colla curvari aut manu auriculas agi-
tari asini aut aestuantem canis protendi linguam (I 58— 60); 129,
1104 (III 30). — Augustin citiert civ. Dei II 6 die Verse
III 66—72; II 7 ferventi tincta veneno (III 37). Johannes
Cassianus (ed. Petschenig I 336) citiert contra Nestorium
VI 9, 2 quod ipse scilicet, ut quidam ait, non sani esse hominis,
non sanus iuret Orestes: III 117 f. Sidonius Apollinaris
benutzt nach Geisler (cf. Sid. opp. ed. Luetjohann 358 ff) Sa-
tire I und III und den Prolog. In den schol. Veronens.
Vergil. wird zu Aen. V 95 citiert I 112 f. (veto — locus), Mai
class. auct. VII 288. Viele Citate bringt Isidor; er führt an
origg. XII 4, 1: I 118 (Pinge — locus); VY 11, 4: III 10; I
97, 9: IIL 11; I 8, 7: III 56 f.; I 36, 17: III 84; XVII 9,
71: IV 2; I 24, 1: IV 13; I 36, 17: V 79—81; XX 10,
2: V 181 (ut Iuvenalis). Außerdem wird Persius erwähnt in
den Gedichten, welehe dem Isidor beigelegt werden; Migne 88,
1109 C. IX 1 Si Maro, si Flaccus, si Naso et Persius horret.
Die übrigen Schriften ergeben nichts, Sat. II und VI sind über-
haupt nicht benutzt. In der Árs grammatica des Cod. Ber-
nensis 207 (Hagen anecd. Helv. p COX XXVIII 8 ff.) die von Julia-
nus von Toledo excerpiert worden ist, wird citiert Pers. III 84
(Ex nihilo nihilum ad nihilum posse reverti (und V 79. 81 (ob
aus Isidor?) Bei Eugenius Toletanus (Migne 87) ist zu
vergleichen praef. carminum 3—5 mit Pers. V 91. — Sedu-
Beitrige zur Geschichte rim. Dichter im Mittelalter. 713
lius C. Pasch. I 332 (Huemer) und der gallische Dichter C y-
prian (cf. über diesen Peiper in Alcimi Aviti opp. p. LILI ff.)
in genesin 537 (Migne 19) benutzen beide Pers. III 87 und
zwar unabhingig von einander, da Cyprian später als Sedulius
schreibt und das Citat aus Persius vollständiger bietet.
Friihzeitig ist Persius neben anderen Dichtern zu den An-
gelsachsen *) gelangt, seit Aldhelm wird er in Grofbritannien .
vielfach erwähnt. Aldhelm citiert S. 239 (Giles) Sat. V 19 f.;
S. 291: H 75 (admoveam — litabo), cf. Wiener S. B. CXII 565.
Baeda führt an de computo (Migne 90) 650 Sat. II 1. Diese
Citate müssen auf eigener Kenntniß des Persius beruhen, da
sich die drei Stellen bei den von Aldhelm und Baeda so reich-
lich benutzten Grammatikern nicht finden. Außerdem cf. Baeda
de mirac. S. Cuthberti XIV 19 (XXI 2) mit Sat. IV 50. Auch
in den Gedichten des Alcuin findet sich Benutzung von Per-
sius: Ale. Carm. 1X 110 (Poetae latini aevi Carolini I 231) mur-
mura clausa ciet (V 11); ib. 141 bibulas meritis caelestibus | aures
(IV 50). Allerdings fehlt Persius in der so ausführlichen Schil-
derung Alcuins von! der Bibliothek zu York, wo Alcuin seit
766 die Domschule selbst leitete.
Wahrscheinlich durch die Angelsachsen oder die durch
Karl an den Fränkischen Hof berufenen Italiener ist dann das
Frankenreich in den Besitz des Persius gelangt. In der älteren
karolingischen Zeit zeigen sich freilich nur wenig Spuren von
Benutzung: Pauli Diac. C. XIV 53 (Poetae latini aevi Curol.
I 52) Littera quae ternis consurgit in ardua ramis (III 56);
Theodulfi C. XXVIII 9 (ib. p. 494) Si mihi mille forent cen-
teno in gutture linguae V 1 f. 6). Größere Ausbeute liefert H r a-
banus Maurus. Trotzdem Hraban seine Zxcerptio de arte
grammatica dem Priscian verdankt und sein Werk de universo
fast ganz aus Isidor abgeschrieben und dabei eine Menge Citate
seinen Vorlagen unmittelbar entlehnt hat, so ist doch Persius
von ihm auch direct benutzt worden. Die Citate sind folgende: de
universo (Migne 111) VIII 3 S. 228: I 118 (vielleicht aus Isid.
XII 4, 1); XIX 6: I 42 (et — locutus); XXII 4: II, 52 (Sé
— argenti); XXII 10: V 181; grummat. ib. p. 658: I 56 f.
(nugaris — exstet); S. 649: II 71 f.; S. 657: IV 9; in Eccle-
stast. X 31 (Migne 109, 1122): 1II 56?) f. Die Citate aus Per-
2) Bei dem ältesten britischen Geschichtschreiber Gildas (ed. Ste-
venson Lond. 1838 S. 33) findet sich von den alten Dichtern nur Ver-
gil benutzt «t dicitur : innumeris onerantes aethera votis Aen. 1X 24.
3) Ob aus dieser Stelle oder aus Ausonius XII 124 (Peiper) oder
aus der Verschmelzung beider die im Mittelalter háufige Redensart
ad Pythagoricae litterae bivium pervenire hervorgegangen ist, dürfte
schwer zu entscheiden sein. Die Worte finden sich z. B. in den An-
nal. Quedlinburgenses (SS. III 22 ff.) a. 999, in der Chronik des Thiet-
mar (SS. III 723 ff.) II c. 2, in Sigiberti V. Deoderici (SS. IV'461 ff.)
c. 1, ähnlich bei Bruno de bello Saxonico c. 1 (edit. Hannov. 1880) p.
714 M. Manitius,
sius bei Ermenricus epist. ad Grimold. (ed. Diimmler) p. 16:
I 118 f. (Pinge — Meite) und p. 16: 1112 gehen auf Priscian,
die Quelle Ermenrichs, zurtick.
In der Orthographia Bernensis II (Hagen anecd. Helv. p.
296, 13) wird citiert Pers. V 88 (aus Priscian ?).
In den Gesta Apolloni Vs. 67 (Poetae latini aevi Carol. II
486) geht das Wort Trossulus vielleicht auf Persius zurück
(1 82).
A. In Deutschland findet sich Persius bis zum
14. Jahrhundert bei folgenden Autoren:
Sae. X. Heriger von Lobbes citiert in seinen Gesta
epp. Leodiensium (Mon. Germ. hist. SS. VII 164 ff) c. 29 «sulco
terentem Quintium Seranum trepida ante boves — tulit (I 73 ff).
Aus der Erwähnung von ‘Seranus’ ergiebt sich, daß Heriger
auch die Scholien benutzt hat.
Ruotger erzühlt in der Vita Brunonis (c. 6 p. 9 ed. Han-
nov. 1841) von dessen Thätigkeit in Cóln: Non enim examen im-
probum in illa castigavit trutina nec se quaesivit. extra (I 6 f.).
In der Ecbasis Captivi (ed. Voigt p.81) Vs. 176 findet sich
das Citat Rugosum piper V 55
Viel benutzt wird Persius von Walther von Speier in
der Vita et Passio Christoph. mart. ed. Harster, wozu die Noten zu
vergleichen sind. Außerdem cf. p. 21 vs. 97 Persius emuncto
suspendit ludicra naso.
saec. XI. Die Lebensbeschreibung des h. Adalbert von Brun
von Querfurt bietet uns in einem additamentum cod. 3 zu c.
32 (Mon. Germ. SS. IV 611 1. 52) den Vers Pers. I 1).
In der Chronik Thietmars von Merseburg (Mon.
Germ. III 723 ff.) finden sich einige Citate. So diirfte Thietm.
IV 51 nulli. . parcens glutto auf Pers. V 112 zurückgehen ;
VI 1 clarum mane illuxit seculo und VI 27 iam clarum diem fe-
nestras intrare vidi sind zweifellos aus III 1 f. entnommen. Des-
gleichen ist in VI 61 Vs. 14 Ista dies pulchro signatur clara la-
pillo Pers. II 1 zu erkennen.
Der satirische Dichter Amarcius der um 1044 über seine
Zeit schrieb, hat sich in seinem Epos mehrfach dem Persius an-
geschlossen, wie ich in meiner unlängst erschienenen Ausgabe
nachgewiesen habe (Lips. Teubn. 1888).
Wipo verwendet im Tetralogus (ed. Pertz Hannov. 1858
p. 14) den Vers V 90: Tetral. 151 Quis Caesar melius, si quid
rubrica vetavit? Daher wird Vita Chuonradi c. 1 (ib. p. 28) in
voto imperium periclitari erat auf III 49 zurückzuführen sein.
2. Wahrscheinlich hat auch Isidor orig. I 3, 7 zur Entstehung dieser
Formel beigetragen.
Beiträge zur Geschichte rim. Dichter im Mittelalter. 715
Meinhardus Babenbergensis sagt in einem Briefe |
(Giesebrecht Gesch. d. deutschen Kaiserzeit IIT 1241 4. Aufl)
‘Nam’ ut ille ait ‘per me sint omnia protinus alba’: I 110.
Wolfhere citiert im Prolog zur Vita Godehardi prior (M.
G. SS. XI 169) die Verse Pers. I 106. 62 und III 56.
Adam von Bremen führt in seinen Gesta Hammaburg.
eccl. pontificum III 61 (ed. Waitz Hannov. 1876 p. 140) an
quae ut' aestimo non sani hominis non sanus iuret Orestes. Diese
Worte sind Pers. III 118.
Die Jugendarbeit Sigeberts von Gembloux (M. G.
SS. IV 461 ff.) die Vita Deoderici gewährt uns ein Citat aus
IV 18, da es am Ende der epist. de vita S. Deoderici heißt:
mortiferum praefigite theta.
In der Vita Lietberti ep. Cameracensis c. 1 (d’Achery spicil.
II 141) tam sanctum mane fenestras intrabat wird III 1 benutzt.
Thiofrid benutzt in der Vita Willibrorai (ed. Roßberg
1883) den Persius mehrfach; II 199 Scintillant oculi: III 117;
202 Insanos homines insanus turet Orestes: III 118; II 715 Me
tibi supposui : V 36.
» Saec. XII. Wenn es bei Rupert von Deutz (chron. S.
Laurentii Leodiens. M. G. SS. VIII 261 ff) c. 29 heißt incerta
belli alea decoxit exercitum, so ist dies sicher auf Pers. V 57 zu-
rückzuführen. |
In der Chronik des Vincenz von Prag (M. G. SS.
XVII 671) steht astutam vulpem sub pectore servant = Pers. V 117.
In der Historia Peregrinorum (Canisius lect. ant. ed. Basnage
III 2, 499) heißt es im Anschluß an Pers. prol. 2 in der Vor-
rede licet forte ironice me somniasse dicant aliqui in Parnaso.
Im Ligurinus X 618 erinnern die Worte naso subsannet |
adunco an Pers. V 91. X 621 f. vgl. mit Pers. I 2 f.
In Herimanni liber de restaurat, S. Mart. Tornacens. (M.
G. SS. XIV 306) c. 68 wird mit den Worten et etiam secularis
illius poete versiculum recolens Pers. II 69 eingefiihrt.
Die Worte im Phagifacetus (ed. Habich p. 8) Vs. 148
quam turpe genas extendere stloppo gehen jedenfalls auf V 13
zuriick.
Die Annales Cameracenses bieten zu dem Jahre 1169 (M.G.
SS. XVI 550) das Citat Pers. I 1 f.
In der Elegie des Henricus Septimellensis de di-
vers. fortunae 13 (Leyser hist. poett. et poematt. med. aevi p.
454) wird Pers. I 58 ff. benutzt Concutit a tergo mihi multa ci-
conia rostrum | Hic aures asini fingit et ille canem.
Sae. XIII. In der Vita Adalberonis Wirceburg.
wird c. 12 (SS. XII 1 Pers. I 110 citiert.
Albert von Stade führt im Troilus IV, 627 (S. 122 ed.
716 M. Manitius,
Merzdorf) aus III 87 an Ingeminant blaesos naso crispante ca-
chinnos; IV 584 cut dat nitidum littera nigra librum: IV 13.
Von dem Abte Frithericus heißt es in den Gesta abb. Horti
S. Mariae c. 17 (SS. XXIII 583) Persium .. et sciebat et legebai.
Wenn in Menkonis chron. (SS. XXIII 424 1. 39) gesagt
wird unde contigit ut omnes auctores videlicet ethicos Ovidianos Vir-
gilianos satiricos et alia opera poetarum . . . plene conscriberet.
Quos omnes ipsi ambo Parisius Aurelianis et Oronie audterfint et ex
ore magistrorum glosaverunt, so werden unter den satérici neben
Horaz wohl auch Persius und Juvenal zu verstehen sein.
Einige Cicate aus Persius bringt Conrad von Mure in
seinem noch sehr wenig benutzten repertorium vocabulorum exqui-
sitorum ^) aus dem Jahre 1273: Conrad S. 104 (ed. Basileae):
Prol. 1; S. 245: I 5 (Non mihi Polydamas); S. 171: I 116 f.;
S. 255: III 25 (purum — salinum; S. 106: III 49 f. (damnosa
— Roderet); 8. 69: IV 1 f. (haec om.; dura); dieselben Verse
S. 267 (dira).
Hugo von Trimberg sagt im Registrum mult. auct. 136
(ed. J. Huemer p. 21) Sequitur hunc Persius cultor honestatis
Reprehensor vitii, lima pravitatis, es folgt prol 1 f. und I 1 f.
(min tu illud ais).
Saec, XIV. Johann von Victring (Böhmer fontes rer.
Germ. I 284) citiert iurta illud Persii; V 53; ib. III 4 S. 341
O quam digne versibus Persii videtur hic pontifer feriendus: V
116 f. (retinens sub fronte. rapido servans).
Stüeke aus Persius finden sich auBerdem in dem cod. Berol.
ms. Diez. B. Santen. 60 fol. 33° cf. Aulularia ed. Peiper p.
XV adn.
B. Persiuseitate bei französischen Sehrift-
stellern.
Saee. IX— X. Remigius von Auxerre giebt in dem
Comment. Einsidl. in Donatum einige Citate aus Persius; Hagen
anecd. Helv. 240, 10 adn. vel a Numa Pompilio rege Romanorum
antequam ipsi Romani expertes erant numerandi sed lapillis compu-
tabant, omnia prospera quidem candidis adversa vero nigris, unde
Persius: II 1: ib. p. 205, 33 unde et Persius: I 27 (derselbe
Vers S. 250, 23 f.); ib. 271, 13 pinsere autem dici Persius pro-
bat ut: I 58.
Sace. X. Von Gerbert, dem nachmaligen Papste Silve-
ster II, erzühlt Richer von S. Remi (III 47 ed. Waitz 1877
4) Von diesem Werke konnte ich leider nur einen Druck aus
dem 15. Jahrhundert (Bertold in Basel s. a.) benutzen, cf. (Denisii-)
Panzer annales typographici Y 191.
Beitrüge zur Geschichte rim. Dichter im Mittelalter. 717
S. 101), daß er neben anderen römischen Dichtern auch den
Persius in der Reimser Schule ausgelegt habe.
Abbo von Fleury citiert in seinen quaestiones gramma-
ticae (Mai class. auct. V p. 335) den Vers Pers. V 12 (aus
Priscian ?).
Saec. XI. In der Normannengeschichte des Dudo von
St. Quentin (Mon. Germ. SS. IV 101 Vs. 22) deuten die
Worte Incubabis ridiculaeque sannae auf Kenntniß von Pers. V
91 hin.
Saec. XI— XII Mehrfach zeigt sich Persius in den kürz-
lich ‘von W. Harster herausgegebenen Novem vitae ‘Sanctorum me-
tricae, deren Datierung allerdings einige Schwierigkeiten bereitet,
cf. Neues Archiv d. Ges. f. #lt. deutsche Geschichtskunde XIII 686 ff,
Die Citate sind von Harster S. 182 zusammengestellt. Benutzt
worden sind Sat. III. IV. V; unwahrscheinlich ist die Benutzung
VII 1028 (III 104).
Saec, XII. Abaelard citiert in seinen Werken (ed. Cou-
sin) I 118 den Vers I 7 (ne te — extra). Im Anhange zu die-
ser Ausgabe findet sich der Apologeticus eines Berengarius
Seholasticus. Dieser bringt einige Verse aus Persius : (Abae-
lardi opp. IL) p. 773: I 30 f. (inter p. q. | Pontifices 8. — nar-
rent); p. 774: III 82 (Hie exporrectis ampullat verba labellis) und
V 56 (Hic satur exiguo — sommo).
In der Moralis philosophia des Hildebert von Le Mans
finden sich auch einige Citate: (Migne 171) 1037: III 21—24
(Contemnere — rota); 1035: V 32 f.; 1026: V 66—69 (66 Aoc
om.; 68 consumimus).
Hugo von St. Victor citiert in seinen Werken (Migne
176) 746 den Vers III 84.
Im Graecismus des Eberhard von Béthune hat Wro-
bel in seiner Ausgabe (Breslau 1887) I 98: Pers. III 84 und
XXIV 50: Pers. I 23 (cute — ohe eingeführt mit den Worten
Persius at postponit eam) nachgewiesen. :
Im Laborintus III 29 (Leyser hist. poett. et poematt. med.
aevi p. 827) heißt es: Versutiis animi non parcit Persius altis In-
genii, quamvis sit brevitatis amans.
Eine deutliche Hinweisung auf prol. 2 giebt Petrus von
Cluny in einem seiner Briefe (bibliotheca Cluniacensis ed, Mar-
rier p. 862) IV 32 triceps namque Parnassus noster, non tam bi»
ceps sicul olim locut sunt poetae priores.
Aegidius benutzt in seinem Gedichte de virtutibus compo-
sitorum medicam. prol. 30 (Leyser hist. poet. etc. p. 506) Parnassi
biiugo nutrita cacumine montis: Pers. prol. 2; vs. 81 ib. p. 508
subridens subsannat nasibus uncis: V 91.
In den Gesta consulum Andegavensium XI 11 (d'Achery spi-
718 M. Manitius,
cil. III 261) wird V 53 citiert. Derselbe Vers wird angeführt
im Liber de castro AmbasiaeV 1 (d'Achery ib. III 278).
Erwühnt wird Persius in der hist. ecclesiastica des Orde-
ricus Vitalis Mon. Germ. SS. XXVI 23 Si Persius . . ali-
que mordaces satirici nunc adessent . . . immensam reprehendendi
mäteriam . . reperirent ?).
Desgleichen wird des Persius neben anderen alten Dichtern
gedacht von Rutebeuf in der Bataille de VII ars (ed. Tubinal
II 426): mesire Perse | Dant Juvénal etc.
C. Persius in Großbritannien.
Sae. IX. Bei Sedulius Scottus findet sich in den
Gedichten nur .eine einzige Reminiscenz aus Persius Carm. II,
XXXIV 5 (XLI 37 p. 205) ( Poetae lat. aevi Carol. III 200)
quod non mihi cornea fibra | sit, cf. 1 47. Dagegen ist Persius
seit dem 12. Jahrhundert vielfach gekannt und benutzt.
Saee. XII. Wilhelm von Malmesbury bringt ein Ci-
tat in den Gesta reg. Anglorum c. 306 (II p. 488 ed. Hardy) wu
Persius ait: crimina rasis | Librans in antithetis cf. I 85 f.
Eine große Anzahl von Stellen liefert Johannes Sares-
beriensis, wie schon Schaarschmidt (Joh. Saresber. nach Le-
ben und Studien etc. S. 100 und adn. 2) bemerkt hat. Die Stel-
len sind folgende: Joh. III S. 169 (Giles): I 22 (auriculis —
escas); III 178: I 53 f. (calidum — lacerna); IV 10: I 74 f£.
(Quem — tulit), V 159: 1 96 f. (nonne — coctum) ; LI 14 (216):
I 116 f.; II 331: II 71 f.; IV 160: III 20 ff. (tibi — dimo);
II 232: III 60 f: III 165: III 66—72; IV 44: IV 4 f;
IV 44: IV 13; IV 14: IV 20 ff; V, 7: IV 28 f.; III 49:
V 47—51; IV 159: V 60 £; III 172: V 79—81 (papae —
tabellas): IV 80: V 102 ff. (Narem — rebus); IV 180: V 106;
IV 169: V 117; III 164: V 120 £ (nullo — recti); IV 159:
V 191 (curto — licetur;; IV 49: VI 18 £ (geminos — genio).
Letzteres Citat ist das einzige aus Sat. VI, welches ich außer
im Glossarium Osberni bisher im Mittelalter gefunden.
Auch Petrus Blesensis führt den Persius häufig an:
Petri Bles opp. ed. Giles I 85: I 1; I 256: I 56 f.; I 46:
H 50 f.: I 220: III 23 f. (Udum — rota): II p. LXXXIV:
III 30 (ego — novi): I 137: IV 23 f.: 1339; IV 52; I 258:
V 58—61 sed — relictam): I 8: V 92.
Dem Walter Ma p ist Persius gleichfalls bekannt, wie
5) Eine gelegentliche Erwühnung anderer Art findet sich in der
hist. Romana des Landolfus Sagax (ed Drorsen M. G. auct. antiq. II
302) huius temporibus pollebant Rome pocte . . . satirici Iuvenalis et
Persius; s. auch Conrad v. Mure S. 240 s. v. philosophus, wo nur der
Name erwähnt wird.
Beiträge zur Geschichte rim. Dichter im Mittelalter. 719
schon aus den Worten (Poems of W. Mapes ed. Th. Wright
1841) S. 4 Vs. 48 Nudanterm satyros dicaces Persium hervorgeht,
Außerdem werden angeführt ib. p. 153 vs. 12: prol. 1; p. 121
vs. 505 Dio quaeso psittacum quis ‘chaere’ docuit? | Magister sto-
machus qui voces tribuit (cf. p. 166 vs. 119 expedies frustra tuum
chaere): prol. 8. 10 f.
Nicht weniger als 155 Citate aus Persius bringt das Glos-
sarium Osberni ed. Mai class. auct. VIII. 637. Die Stellen
sind aus allen Satiren und dem Prologe genommen und bieten
meist einen guten Text. Von Abweichungen habe ich aus A—C
notiert; p. 118: I 52 et quidquid; p. 71: I 100 Et vitulo;
p. 64: IV 37 Tune cum balanatum ; p. 115: V 12 quid corni-
caris inepte; p. 85: V 71 cantum; p. 35: V 76 Vapalipus; p.
86: V 147 Coena fit; p. 98: V 178 floraria; p. 117: V 189
Dixerit ; p. 9: VI 50 convives.
In den Political songs (ed. Th. Wright) wird Persius zwei-
mal citiert: p. 28 (contra avaros) vs. 8: I 1; ib. vs. 12: V 52.
Saec. XIII. In den Memorials etc, cf. Richard I ed,
Stubbs I 170 wird angeführt Sat. V 117.
Matthaeus von Paris citiert in seinen chronica maiora
(ed. Luard IV 503) Sat. IV 24 mit den Worten secundum illud
Persii proverbium : melius spectatur mantica tergo.
Bei Roger Baco wird im compend. studii philos. (ed. Bre-
wer) p. 461 erwähnt I 32 (Et Persius: Hic aliquis cui cir-
cum — est).
In dem Ypodigma Neustriae des Thomas Walsingham
begegnet uns Persius (ed. Riley) p. 465 et ut ita fatear: Tur-
gescit in eis vitrea bilis; III 8; p. 456: V 117 (v. gestans sub).
Bei Ricardus Divisiensis de reb. gest. Ricardi I ed.
Howlett p. 414 ist zu ud psittaci: chere basileos prol. 8 zu
vergleichen.
D. Persius in Italien.
Saec. IX —X. Der Mythographus Vaticanus TII (Mai class.
auct. IIT) p. 200 citiert Ut Persius: Pinge duos angues (I 113).
Sae. X. Rather von Verona sagt an einer Stelle sei-
ner Werke (Migne 136) S. 291 qui melius ‘damnosa canicula
quantum rodat’ quam norunt . . . Er nimmt also Bezng auf Sat.
III 49. Auferdem führt er an S. 218 lapidosa chiragra | Iam
facit articulos v. r. f.: V 58 f.; p. 291 sessilis quibus depingitur
obba, cf. V 148. In den Praeloquia I ( Martene et Durand
ampl. coll. IX 808) cum quo mihi sermo est . . ne te quaesiveria
extra: I 7; ib. p. 816 satis lepide cecinit illud poetae: I 26 f,
(usque — alter).
720 M. Manitius, Beiträge zur Geschichte rim. Dichter u.s.w.
Vielfach citiert der gelehrte Gunzo von Novara den
Persius in seiner epistula ad fratres Augienses (Migne 136) p.
1284: V 117; 1286: I 20 f. (cum — versu); ib. I 98—101
(Quidnam — Bassaris); 1287: 1 45 f. (Non ego laudari metuam
ei); I 106. III 29 (censorem; quid); 1291: V 106 (qua sub
arato); 1296: I 56 f. (Nugaris — propenso — exstat); 1300: V
52; 1301: III 63 f. (occurrere). .
Auch die Werke Liutprands von Cremona verrs-
then die KenntniB des Persius: Liutprandi (opp. ed. Diimmler
Hann. 1877) Antapodosis I 26 vs. 9 f. torta . . | Cannabe: V
146; ib. I 41 cum Arcadiae pecuaribus: INI 9; ib. II 13 snsanos
capite non sanus iuraret Orestes: III 118; Legatio c. 63 facit hoc
asper nummus : III 69 f.
Humbertus Cardinalis citiert contra Graecorum ca-
lumnias (Canisius lect. antig. ed. Basnage III 1, 293 In secula-
ribus quoque litteris satyricus . . ait: 1 24 f. (Quid didicisse —
quo semel — caprificus).
In Guarini Veronensis epist. 2 (Martene et Durand
ampl. coll. III 862) wird I 58—60 in Prosa aufgelôst.
Johannes de Monasteriolo citiert in epist. 42 (Mar-
tene et Durand ampliss. collectio II 1405) ab illo poeta .. dictum
est: I 1 (hominum et).
Bei dem mittelalterlichen Dichter Eupolemius, den ich
nächstens herauszugeben gedenke, aber bis jetzt weder zeitlich noch
örtlich unterzubringen weiß, deuten die Worte I 519 (cod. Dresd.
De fol. 171%) ventremque ingurgitat album auf Benutzung von
Sat. III 98.
Benutzung der Vita Persii (ed. Jahn (1868) p. 36, 35) und zwar
derselben Stelle ergiebt sich aus Johannes Saresberiensis III p.
201 Auriculas asini Midas habet und Petrus Blesensis I p. 176
Auriculas asini Mida rex habet. Vielleicht hat Petrus hier den
Johannes abgeschrieben , wie dies kürzlich für eine viel wichti-
gere Stelle E. Cornelius ( Quomodo Tacitus . . in hominum me-
moria versatus sit. .. Marpurgi Catt. 1888 p. 41) erwiesen hat.
Handschriften der Scholien des Cornutus werden in alten
Katalogen an zwei Stellen erwähnt nämlich s. XII zu Corbie
in zwei Exemplaren und in Priifening, cf. Becker 1. 1. p. 309.
Oberlófinitz b. Dresden. M. Manitius.
——— — ——
- - -
XXXVIII.
Die neueren Arbeiten über Tracht und Bewaffnung des
romischen Heeres in der Kaiserzeit.
(Fortsetzung).
27. Otto Benndorf Antike Gesichtshelme und Sepulcral-
masken. Wien 1878. (Aus dem 28. Bande der Denkschriften
der philos.-hist. Classe der kais. Akademie der Wissenschaften).
28. E. Hübner Rómische Schildbuckel. Archäolog.-epigr.
Mittheilungen aus Oesterreich. II S. 105—119. Wien 1878.
29. Ludwig Lindenschmit Bemerkungen über das Pilum.
Alterthümer unsrer heidnischen Vorzeit, Bd. III, Hft. 6, Taf. 7.
30. Carolus Zangemeister Glandes plumbeae. Ephemeris
epigraphica. Vol. VI. Romae et Berolini 1885.
O. Benndorf hat in seiner Schrift über Gesichtshelme und
Sepuleralmasken (27), welche sich nicht weniger durch Gelehr-
samkeit, als durch treffliche Darstellung auszeichnet, den Nach-
weis geliefert, daf der Gebrauch der Maske zu sepulcralen
Zwecken, indem man dieselbe einerseits zum Schutze des Ge-
sichtes der Leichen verwandte, andrerseits dem Todten einfach
ins Grab mitgab, über die ganze antike Welt verbreitet gewesen
ist. Dieser Gebrauch erklärt sich daraus, daß die Maske ver-
möge ihrer prophylaktischen Bedeutung den Todten vor widri-
gen Einflüssen behüten, sowie seine Ruhe sichern sollte. Als
ein ebenso sicheres Ergebniß der Untersuchungen des Verfassers
läßt sich der Nachweis bezeichnen, daß die imagines der Römer
ursprünglich Abgiisse derjenigen Masken waren, welche wührend
der sieben Tage dauernden collocatio das Gesicht der Todten
bedeckten. | |
Philologns. N.F. Bd. I, 4. 46
722 A. Miiller,
Wir miissen es uns versagen, den interessanten Ausfüh-
rungen des Verfassers, so weit sie diese Punkte beriihren , hier
weiter zu folgen, da dieselben unserem Gebiete fern liegen, da-
hingegen haben wir uns mit dem zu beschiftigen, was derselbe
über die Gesichtshelme beigebracht hat. Es handelt sich hier
um eine nicht eben große Anzahl von Helmen, welche mit ei-
nem die Form des menschlichen Gesichtes nachahmenden Visier
versehen sind; es kommen aber auch Helmhauben in Betracht,
welche aus irgend einem Grunde auf das einstmalige Vorhan-
densein eines Maskenvisiers schließen lassen, so wie Maskenvi-
siere, deren einstmalige Zugehörigkeit zu einem Helme aus ir-
gend welchen Spuren erwiesen wird. Bei unbefangener Betrach-
tung liegt die Vermuthung nahe, daß diese Waffenstücke zu
Kampfeszwecken gedient haben, zumal auch im Mittelalter nicht
selten dem Visier Gesichtsform gegeben wurde. Von den be-
kannten Visierhelmen der Gladiatoren (vgl. Weiß Costümkunde
I S. 535 Fig. 419 a.b. Weißer Lebensbilder Taf. XXII) wei-
chen die hier in Betracht kommenden Helme so erheblich ab,
daß ihr etwaiger Gebrauch in der Arena von vornherein ausge-
schlossen ist. Die kriegerische Verwendung derselben hat aber
Benndorf entschieden abgelehnt und unter dem Einflusse seiner
bezüglich der sepulcralen Bedeutung der Masken gefundenen
Resultate für die Gesichtshelme einen anderweitigen Gebrauch
nachzuweisen versucht.
Der Verfasser geht davon aus, daß sich schon früh den
Nutzwaffen eine eigne Gattung von Zierwaffen an die Seite stellte.
Solehe wurden den Statuen der Kriegs- und Schutzgottheiten als
Attribute beigegeben, oder als Weihgeschenke in und an den
Tempeln aufgehängt. Besonders aber, meint er, mußte das
Wohlgefallen des Südlünders an feierlicher Erscheinung bei
Cultusprocessionen die Zierwaffe als ein stehendes Requisit des
öffentlichen Lebens einbürgern. Diese Sätze sind nicht ohne
Belege. Unter den in der Hoplothek der Akropolis befindlichen
Gegenständen werden dozidia noumx« erwähnt (Michaelis Par-
thenon S. 307). Herodian (VII 11, 7) sagt bei Gelegenheit des
Kampfes der Prätorianer mit dem Volke bei Ernennnng des
dritten Gordian rg te yao dnuootas anoFnxug 10r Oniwr, &
n»tg N009 ngóc noum$v miAlor n uéynr enindeot, Aragofftas
tovg OyAovc mecs 10 Te Owpu Exacior qgantoJus wg olog 1€
jv. Dionys von Halicarnaß (De admir. vi dicendi in Demosth.
32) vergleicht die woleusorngsn Sada mit den srourevingiu. Da-
nach will Benndorf im Allgemeinen die Gesichtshelme als Pa-
radestiicke bezeichnen. Es ist indessen schon von Marquardt
Jenaer Literaturzeitung 1879 S. 29 darauf hingewiesen, daß
Paradewaffen doch Nachahmungen der Kriegswaffen gewesen
sein müßten, was sich von den Gesichtshelmen nicht sagen läßt,
Benndorf geht dann noch weiter. Der Umstand, daß ein Ex-
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 728
emplar in einem Grabe auf dem Schidel eines Skeletts gefunden
ist, und daß ein anderes Exemplar ein weibliches Gesicht dar-
stellt, beide also schwerlich als Paradewaffen gedient haben, hat :
ihn zu der Annahme geführt, daB die Gesichtshelme sepulcrale
Bestimmung hatten, entweder um auf dem Paradebett bei der
collocatio den Kopf des Todten zu schmücken, oder beim Lei-
chenzuge von Jemandem getragen zu werden, der den Verstor-
benen darstellte. Dabei schwebte ihm die Sitte vor, welche Sue-
ton (Vespas. 19) als üblich bezeichnet, wo er erzühlt, bei der
Bestattung Vespasians sei ein Schauspieler mit der Maske des-
selben im Leichenzuge gegangen imitans facta ac dicta viri. In
diesem Falle habe derselbe die Procuratoren gefragt, wie viel
das Leichenbegüngnif koste, und als er erfahren, daß sich die
Kosten auf 10 Mill. Sestertien beliefen, habe er mit bitterer An-
spielung auf Vespasians Geiz ausgerufen, sie móchten ihm 10000
Sestertien geben und seine Leiche nur immerhin in die Tiber
werfen. Hübner (Bonner Jahrbücher LXVI S. 26 ff) hat sich
der Argumentation Benndorf's im Wesentlichen angeschlossen und
erklärt, es unterliege ihm keinem Zweifel, daß diese Helme
künstliche Umhüllungen des ganzen Kopfes des Todten gewesen
seien, also in die Kategorie der Todtenmasken gehörten. Ueber
den Gebrauch bei Leichenprocessionen hat er seine Meinung
nicht ausgesprochen.
Es liegt auf der Hand, daß unser Urtheil über diese Dar-
legung wesentlich von der Beantwortung der Frage abhängt, ob
im römischen Heere Visierhelme überhaupt und insbesondere
Maskenhelme vorgekommen sind oder nicht. Diese Frage ist oft
ventiliert und auf Grund der schriftlichen Quellen verschieden
beantwortet; Benndorf verneint sie, hat aber den entschiedenen
‘ Widerspruch Lindenschmit’s erregt, der in der Beilage zum 11.
Hefte des III. Bandes der ‘Alterth. u. h. Vorzeit’ sehr gewich-
tige Gründe geltend macht. Dieselben sind im Folgenden ge-
bührend berücksichtigt. Zunächst kommen mehrere Dichterstellen
in Betracht, wie Statius Theb. IV 2; XI 372; Silius Italic. Pun.
XIV 636; XIV 158, auf .deren Besprechung ich hier jedoch
verzichte, da man Benndorf zugeben muß, daß sie auf Visier-
helme bezogen werden können, falls deren Vorkommen ander-
weitig feststeht, dasselbe aber nicht beweisen, da die Dichter
sich ebensogut den korinthischen Helm oder den attischen mit
breiten Backenklappen yorgestellt haben können, denn bei bei-
den blieb vom Gesichte nur wenig zu sehen. Von Bedeutung
für römischen Gebrauch dagegen ist Arrian Tactica 34, 2, wo
die Ausrüstung der Reiter bei ihren Uebungen beschrieben wird;
es heißt da ausdrücklich, daß die Helme nicht wie die in der
Schlacht getragenen lediglich den Kopf und die Wangen be-
deckten, sondern auch ein Visier hatten, welches am Sehen nicht
hinderte, aber das Gesicht schützte. Als feststehend läßt sich
46*
724 A. Miller,
also bezeichnen, daß bei den Uebungen der Reiterei in Hadrian’s
Zeit Visierhelme tiblich waren; indessen ist es nicht glaublich,
daß diese Visiere die Form eines Gesichts hatten, vielmehr läßt
die Beschreibung darauf schlieBen, daB sie denjenigen der Gla-
diatorenhelme ähnlich waren. Die weiteren Zeugnisse beziehen
sich auf die unter dem Namen catafractarii bekannten Panzer-
reiter, welche in der Kaiserzeit in das Heer aufgenommen wur-
den. Diese Waffe ist persisch - parthischen Ursprungs. Zuerst
erscheinen die catafractarii unter Trajan im Dacischen Kriege
als Bundesgenossen der Römer; unter Severus Alexander (222
—235) wurden sie förmlich in das Heer eingereiht und bilden
von da an die eigentliche schwere Cavallerie desselben. Ihre
Rüstung ist uns durch die Darstellungen auf der Trajanssäule
wohl bekannt; Roß und Reiter sind völlig mit dem Schuppen-
panzer bekleidet, und wenn auch auf diesen Darstellungen ein
Visierhelm nicht erscheint, so dürfen wir denselben doch nach
ganz bestimmten Zeugnissen für sie in Anspruch nehmen, und
zwar — was hier besonders interessiert — in der Gestalt eines
Maskenhelms. Ammianus Marcell. XXV, 1, 12 sagt: humanorum
vultuum simulacra ita capitibus diligenter apta, ut imbractealis cor-
poribus solidis ibi tantum incidentia tela possint. haerere, qua per
cavernas minutas et orbibus oculorum affiras parcius visitur, vel per
supremitates narium angusti spiritus emittuntur. Heliodor Aethiop.
IX 15 spricht von einem xg«roc — cvuqvuég; Te x«l porjdarov
xui Cyur órdgoc sic axolpany onto Th ngoGwnsin CopsCoperor.
Aehnliches berichtet auch Kaiser Julian Orat. I in Constantii
laudem p. 46, 16 ed. Hertlein; II p. 72, 15.
Es ist auffallend, dals Benndorf das Gewicht dieser Zeug-
nisse abzuschwiichen versucht. Er giebt allerdings zu, da8 die-
selben möglicher Weise den Gebrauch des Maskenhelms be-
weisen können, macht aber darauf aufmerksam, daß das porr-
Auto» des Heliodor auch von dem korinthischen Helme verstan-
den werden kónne, und legt besonderes Gewicht darauf, daB sich
auf den persischen Denkmälern der Sassanidenzeit (226 —641)
kein Reiterbild findet, welches sich mit jenen Schilderungen deckt.
Dagegen ist geltend zu machen, daß jenes uorrA«ror wahrschein-
lich doch nur bedeutet, daB Maske und Kopfstück aus einem
Stück gearbeitet sind, und daß auch sonst schriftliche und bild-
liche Zeugnisse sich nicht entsprechen. Wenn gesagt wird, die
schwierige Aufgabe, auf Reliefs und sonst ein eng anschlieBendes
Maskenvisier wiederzngeben, hätte eine entsprechende kiinstle-
rische Lósung finden müssen, so ist vielmehr die Darstellung
des Maskenhelms oder gar die Unterscheidung der Visiermaske
von dem unbedeckten Antlitz für die Arbeit im Stein eine gera-
dezu unlósbare Aufgabe. Ein aus horizontalen Schienen beste-
hendes Visier erinnere ich mich an der Figur des Geryones auf
einem im Museum zu Mantua befindlichen Sarkophage mit den
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 725
Arbeiten des Herakles gesehen zu haben. Daf auf der Tra-
janssäule die catafractari? ohne Visier dargestellt sind, kann den
bestimmten Zeugnissen der Schriftsteller gegeniiber nicht ins
Gewicht fallen.
Während so von derjenigen Truppengattung, fiir welche
wir den Maskenhelm vorzugsweise in Anspruch nehmen môchten,
die Monumente fehlen, finden wir andrerseits ein solches fiir ei-
nen rómischen Legionar, wo wir es am wenigsten vermuthen.
Auf dem in Mainz befindlichen, aus dem Ende des I. Jahrh. v.
Chr. stammenden Steine des Q. Luccius, signifer leg. XIV gem.
M. V. (A. u. h. V. 14, 6, 2. Benndorf S. 59 Fig. 6), er-
scheint auf der linken Schulter ruhend ein Helm, der von Lin-
denschmit schon vorlüngst als Maskenhelm bezeichnet ist. Benn-
dorf dagegen, der dies entschieden leugnet, vermiBt jede deut-
liche Charakteristik eines Maskenvisiers und behauptet, es handle
sich hier vielmehr um die Darstellung jener bekannten Kopfbe-
deckung der signiferi und Musiker, welche nach der durch zahl-
reiche Darstellungen bestütigten Notiz des Vegetius (II 16) ein
Thierfell trugen; die Anbringung des Helmes auf der Schulter
bleibt ihm jedoch räthselhaft. Hiegegen hat Lindenschmit ver-
schiedene Einwendungen gemacht, von denen wir nur die wich-
tigsten hervorheben. Ein Thierfell hált er geradezu für ausge-
schlossen durch den oberhalb der Augen über die ganze Breite
des Helmes laufenden diademartigen Schirm, wie er sich auch
an erhaltenen Helmen in ganz gleicher Weise findet, aber überall
fehlt, wo ein Thierfell dargestellt ist. Wäre der fragliche Helm
ein Thierhaupt, so würde dies nur in der Weise aufgesetzt wer-
den können, daß der Oberkiefer auf der Stirn ruhte, dann aber
wire der Schirm gänzlich unnütz, denn er fiele mit .der Spitze
nach rückwärts und bedeckte den hinteren Theil des Schüdels.
Diese Bemerkung, die sich mir vor dem Original bestätigt hat,
ist für die Richtigkeit der Lindenschmitschen Ansicht entschei-
dend. Die eigenthümliche Anbringung des Helmes auf der lin-
ken Schulter, welche sich übrigens auch bei mittelalterlichen
Topfhelmen findet, erklärt sich daraus, daß die Maske die Ge-
sichtszüge des Verstorbenen verdeckt haben würde. Wenn wir
demnach nicht daran zu zweifeln haben, daß es sich hier um
einen Maskenhelm handelt, so ist andrerseits das Vorkommen
desselben bei einem Legionar durchaus vereinzelt und im höch-
sten Grade auffallend.
Benndorf macht gegen den Gebrauch von Visierhelmen fer-
ner die Gründe militärischer Zucht und Praxis geltend; indessen
scheint es doch, als ob die langjährige Dienstzeit der römischen
Soldaten und die Strenge der Disciplin auch beim Gebrauch ei-
nes Waffenstiicks, das den Träger zeitweilig unkenntlich macht,
für gute Zucht die hinreichende Garantie geboten hätte. Auch
weist er darauf hin, daß unter den Waffendarstellungen, welche
726 A. Miiller,
die Notitia dignitatum (Or. XI S. 31; Occ. IX S. 144 S.) als
Insignia des Vir illustris Magistri officiorum, dem die Waffenfabriken
unterstanden, in deutlicher Zeichnung aufführt, kein Visierhelm
erscheint, obwohl sich dort sieben Helmformen finden. Aber das
kann doch nur beweisen, daB in nachconstantinischer Zeit, in
der iiberhaupt viele schwere Riistungsstiicke weggefallen waren,
der Visierhelm nicht mehr in Gebrauch war.
Es giebt aber auch positive Zeugnisse fiir den Gebrauch
von Visierhelmen. Es existiert eine in Emerita Augusta in Lu-
sitanien —- jetzt Merida in Estremadura — von P. Carisius, der
von 25—22 v. Chr. Proprätor in Spanien war, geprägte Miinze,
welche sich auf den Cantabrischen Krieg bezieht und auf dem
Revers innerhalb der Umschrift P. Carisius leg. pro praet. ein
kurzes Schwert, eine Doppelaxt und zwischen beiden einen Helm
mit Maskenvisier und einem geweihartigen Aufsatz zeigt. (Co-
hen Méd. cons. pl. 14. Benndorf S. 61 Fig. 10). Da wir hier
nicht rómische, sondern spanische Nationalwaffen zu erkennen
haben, so wird durch diese Münze der Gebruuch des Visier-
helmes bei den Lusitaniern in Augusteischer Zeit erwiesen; und
danach ist die Méglichkeit nicht ausgeschlossen, daf die spani-
schen Auxiliaren der Rómer auch später den Visierhelm, insbe-
sondere den Maskenhelm getragen haben. Einen diesem Lusi-
tanischen sehr ühnlichen Helm hat ein Gallier auf dem Triumph-
bogen zu Orange (Caristie XXI 6); allerdings soll derselbe auf
einer andern Abbildung (Laborde Monuments de la France I
pl 49) ein anderes Aussehen haben.
Schwer ins Gewicht fällt ein anderes vor kurzem ent-
decktes Monument. Auf einem der in Berlin befindlichen per-
gamenischen Waffenreliefs, welche neuerdings im zweiten Bande
der Alterthümer von Pergamon veróffentlicht und von Hans
Droysen commentiert sind, ist (Taf. 43. Baumeister Denkm. d.
class. Alterth. S. 1281) ein Maskenhelm dargestellt, ein bürtiges
Gesicht mit Augenlöchern und geöffnetem Munde, bedeckt von
einem konischen Helme mit Stirnbügel und Krönung. Au-
genscheinlich ist das Vorderstück als aus einem Stücke gear-
. beitet zu denken. Das Hinterstück ist infolge der Lage des
Helmes nicht zur Darstellung gelangt. Das Original desselben
war, wie das Vorkommen unter lauter Kriegswaffen lehrt, jeden-
falls ein im Kampfe getragenes oder doch zum Gebrauch im
Kampfe bestimmtes Waffenstiick. Unklar bleibt, ob dasselbe ein
einzigartiges Exemplar oder eins von vielen gleichartigen war,
ob es zu den Ausrüstungsstücken des pergamenischen Heeres
oder zu einer Beute und zu welcher gehört. Da bei den Grie-
chen ein sicherer Beleg für den Gebrauch von Maskenhelmen
fehlt, so fühlt man sich versucht, den Helm für barbarisch. zu
erklären, mag er auch von einem griechischen Waffenschmied
angefertigt sein.
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 727
Unter allen Umständen liegt hier ein bestimmtes Zeugniß
dafür vor, daß im 2. Jahrh. v. Chr. irgend wo Visier- bezw.
Maskenhelme vorgekommen sind. Wenn nun Waffenstücke, wel-
che sich in jenem Jahrhundert im praktischen Gebrauch befun-
den haben, für die Kaiserzeit nicht ohne weiteres zurückgewiesen
werden kónnen, sobald andere T'hatsachen für dieselben sprechen,
so folgt, daß Benndorf mit seiner Verwerfung zu weit gegangen
ist. Es ist also immerhin möglich, daß im römischen Heere bei
einzelnen Truppentheilen Visier- bezw. Maskenhelme vorgekom-
men sind. Das Nühere bleibt allerdings jetzt noch dunkel; ich
denke jedoch zunächst an die spanischen und gallischen Auxi-
liarcohorten und an die Panzerreiter. Aufklärung dürfen wir
vielleicht von neuen Funden erwarten.
Was nun die erhaltenen Exemplare anbetrifft, so nehme ich
für einige derselben militärische Bestimmung in Anspruch und
weise andere ebenso bestimmt dem sepulcralen Gebiete zu, wäh-
rend ich in Betreff einer dritten Classe mein Urtheil zurück-
halten zu sollen glaube.
Zu der ersten Kategorie rechne ich einen im Antiquarium
zu Stuttgart befindlichen Helm aus versilberter Bronze (Taf. VII
VIII. XV 2. Lindenschmit Tracht und Bew. Taf. X 1*bc),
Derselbe besteht aus Kopf- und Vorderstiick und besitzt bei ei-
ner Höhe von 23 Centim. die hinreichende Größe, um einen
Männerkopf zu bedecken. Im Gesichtsstück ist ein blattförmiges
Visier ausgeschnitten, welches Augen, Nase und Mund umfaßt,
und sich in einem am Kinn angebrachten Charnier bewegt, so
daB es nach auBen herabgeschlagen werden konnte. Zum An-
schluB desselben dient ein an der Stirn haftender beweglicher
Reiber, der in eine Oese des Visiers einpaßt. Lippenspalte, Aug-
äpfel und Nasenlöcher sind durchbrochen. Das Ganze ist reich
mit Ornamenten verziert. Daß der Helm getragen werden sollte,
zeigt die Beschaffenheit der unteren Ränder, welche, um nicht
einzuschneiden, am Nacken ausgebogen, unter den Backen aber
wie ein Saum umgelegt sind. Entscheidend ist für mich die
Einrichtung des Visiers, welche offenbar dazu dienen soll, dem
Träger momentan eine Erquickung durch Oeffnen zu verschaffen,
aber gar keinen Sinn hätte, wenn der Helm als Kopfbedeckung
einer Leiche hätte dienen sollen.
Auf einen ähnlichen Helm läßt ein Augen, Nase und Mund
umfassender Visiertheil aus Bronze schließen, welcher bei Weis-
senburg in Mittelfranken gefunden ist und im Museum zu Ans-
bach aufbewahrt wird (Taf. VI 1).
Umgekehrt giebt es auch Helmhauben, an denen das Ge-
sicht in solcher Form ausgeschnitten ist, daß man die einstige
Existenz eines den vorigen ähnlichen Visieres vermuthen darf.
So befindet sich im Archivmuseum zu Frankfurt a M. ein in
Heddernheim gefundenes Exemplar aus Eisen; leider erinnere
728 A. Miller,
ich mich nicht, ob Reste eines Charniers zur Befestigung der
Maske vorhanden sind; bei Benndorf wird dieses Exemplar nicht
erwähnt. Hieher gehört auch der im Moore bei Thorsberg ge-
fundene Silberhelm des Kieler Museums, dessen Helmkappe nur
aus einem System von Bügeln besteht (Taf. XV 3*>) und viel-
leicht, da sie erheblich kleiner ist, als der Gesichtstheil, nicht
einmal mit Recht mit dem letzteren in Verbindung gebracht ist.
Frl. Mestorf hat jedoch die Zusammengehörigkeit beider Theile
angenommen und in ihrem Buche über die Vaterländischen Alter-
thümer Schleswig - Holsteins dem von ihr reconstruierten Bilde
eines germanischen Anführers diesen Helm gegeben, jedoch ohne
ein Visier hinzuzufügen (s. Demmin Kriegswaffen S. 257 Fig. 1).
Es ist übrigens zweifelhaft, ob dies Kieler Monument überhaupt
in die Serie der hier in Betracht kommenden Denkmäler gehört,
da es vielleicht gar nicht römischen Ursprungs ist. Ein ähnlicher
Bügelhelm aus Eisenrippen hat sich in einem Grabhiigel in
Derbyshire gefunden (s. Beck Gesch. d. Eisens I S. 728 u. 724
Fig. 249).
Gegenüber den im Vorstehenden genannten Exemplaren
scheinen die beiden folgenden in das sepulcrale Gebiet zu ge-
hóren. Zunächst eine Bronzemaske des britischen Museums, an
der sich eine zurückgeschobene Helmkappe befindet (Taf. II),
welche in ihrem gegenwürtigen Zustande nicht bis in den Nacken
. hinabreicht, sondern in der Mitte des Hinterkopfes in einen
glatten Rand endigt. Wahrscheinlich bildete dieser die Ansatz-
fliche eines besonders gearbeiteten, jetzt fehlenden Nackenstiickes.
Entscheidend für unser Urtheil ist, daß dies Denkmal in einem
Grabe bei Nola auf dem Schädel eines Todten gefunden wor-
den ist.
Ebenso bestimmt wird man eine im Wiener Museum für
Kunst und Industrie aufbewahrte, im Oltflusse in Rumänien ge-
fundene Bronzemaske dem sepulcralen Gebiete zuweisen müssen.
Auf einen zugehörigen Helm lassen die Reste einer Charnier-
vorrichtung schließen, welche sich am oberen Rande der Maske
befindet (Taf. X. Lindenschmit A. u. h. V. III 11, 2, 1). Der
Umstand, daß ein schönes weibliches Gesicht dargestellt ist,
würde allein noch nicht hinreichen, dies Exemplar aus der Zahl
der zu militirischem Gebrauche bestimmten auszuscheiden; denn
nicht nur einer verzerrten, sondern auch einer schónen weibli-
chen Maske eignet das Schreckhafte, welches wir überhaupt für
die Maskenhelme voraussetzen müssen. Es ist hier vielmehr
entscheidend, daß das fragliche Exemplar zwei mit dem Punktier-
griffel eingeschlagene Inschriften trägt, von denen die eine, (st)
Pii Prisci lautend, ohne Zweifel den Verfertiger, die andere,
welche Vitalis, Titi) Crispini lautet, sich nur auf das Porträt
der Maske beziehen kann. Vitalis ist als Frauenname selten,
aber doch inschriftlich (CIL III 1835) nachzuweisen. 7. Cris-
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 729
pinus ist der Name des Gatten. Diese Bezeichnung des Porträts
wird bei kriegerischer Bestimmung des Helmes durchaus uner-
klarbar sein.
Hinsichtlich der folgenden Stücke möchte ich mein Urtheil
zurückhalten. Das unter dem Namen ,,der Helm von Ribchester“
bekannte Prachtstück des britischen Museums (Taf. IV, V, VI 3,
Lindenschm. A. u. h. V. III 7, 4, 1 u. 2), dessen Vorder-
stück mit dem Kopfstiick durch ein auf der Hôhe des Scheitels
angebrachtes Charnier zusammenhängt, hat nur eine Hohe von
20 Centimeter, und diese scheint für praktischen Gebrauch im
Kampfe zu gering zu sein. Die außerordentlich reiche Verzie-
rung, namentlich die auf der Helmhaube befindlichen Kampfes-
darstellungen deuten dagegen auf eine militürische Bestimmung hin.
Das in Belgrad befindliche, in der Nühe von Semendria
gefundene Exemplar (Taf. I 18% >») hat allerdings eine aus-
reichende Hóhe, indessen unterscheidet es sich von allen übrigen
dadurch, daß Vordertheil und Kopfstück aus einem Stück ge-
arbeitet sind, so dal es gewissermaßen das Ansehen einer Kappe
mit Visier erhült. Zwar erlaubt die weite Oeffnung des Halses -
ein bequemes Aufsetzen und Abnehmen und zum Schutze des
Halses ist der untere Rand saumartig umgebogen, aber es bleibt
mir doch fraglich, ob die ganze Form einen praktischen Ge-
brauch gestattete.
Eine im K. K. Miinz- und Antikencabinette zu Wien auf-
bewahrte, bei Nicopoli in Bulgarien gefundene Helmhaube aus
vergoldeter Bronze (Taf. XII 34-°), welche sich durch reiche
Ornamentik auszeichnet, entbehrt leider des Visiers. Da sich
jedoch an der Unterfliche des auf der Stirn ruhenden sehr brei-
ten Stirnschildes ein Charnier befindet, darf ein solches voraus-
gesetzt werden. Da dasselbe sich nicht erhalten hat, so ist es
unmöglich darüber, ob der Helm praktischen Gebrauch gestattete,
zu urtheilen. .
Ebensowenig läßt sich hinsichtlich einiger Masken, für welche
erhaltener Charniere wegen auf eine Helmhaube geschlossen
wird, eine bestimmte Ansicht aussprechen.
Nach diesen Ergebnissen scheint Benndorf zu weit gegan-
gen zu sein, wenn er simmtliche Gesichtshelme dem sepulcralen
Gebiete zugewiesen hat, ganz abgesehen davon, daß die von ihm
angenommene Verwendung solcher Helme bei Leichenprocessionen
durch keinerlei Nachrichten bezeugt wird. Zu weit gegangen
ist er auch darin, daB er für seine Ansicht den Umstand gel-
tend gemacht hat, daß von den Visierhelmen einige in Gräbern
gefunden seien, da diese Provenienz nur für einen einzigen
Helm, den auch wir dem sepulcralen Gebiete zugewiesen haben,
unbedingt feststeht.
Auch die von Benndorf gegen den praktischen Gebrauch
der aufgeführten Fundstücke geltend gemachten Bedenken sind
730 A. Miiller,
nicht ohne den Widerspruch Lindenschmits geblieben. Die zu-
nächst hervorgehobene geringe Metallstärke ist in der That auf-
fallend, aber wire dieselbe ein Hinderni für kriegerischen Ge
brauch, so miiBten bekannte, z. T. in Castellen gefundene, Helme,
wie die Bronzehelme von Friedberg und Nydam, und die Eisen-
helm evon Neuwied und Osterburken ebenfalls nur Zierwaffen sein,
Alle rómischen Schutzwaffen zeigen im Vergleich mit den mittel-
alterlichen Waffen eine äußerst geringe Metallstärke; doch hat
man zu beachten, daß stets ein Futter vorhanden war, beim
Helm eine Haube, beim Schilde eine mit Thierhaut überzogene
Holzwand. Außerdem wurde der Helm durch aufgelegte oder
meist auf die Kante gestellte, sich auf dem Scheitel kreuzende
Spangen verstürkt; in gleicher Weise wirkten die diademartigen
Schirme und die die Ohren deckenden Beschlige. Von bedeu-
tender Wirkung endlich war der Reliefschmuck. Derselbe war
ein Mittel zur Herstellung der größten Rigidität des Metalls,
welche durch Corrugation oder Runzelung der Flüche vermittelst
der getriebenen Ornamente erreicht wurde. Am einfachsten
geschah dies, wenn das Haar nachgebildet wurde, wie das an
mehreren Reiterhelmen auf Grabsteinen zu bemerken ist. Vgl
die Steine des C. Romanius A. u. h. V. III 8. 14; des M. Ae-
milius Durises Bonn. Jahrbb. LXX XI Taf. III 1; des T. Flavius
Bassus ibid. LXXXI T. IV.
Sodann hat Benndorf auf die Zerschneidung des Helmes in
zwei oder drei Stücke und die umstündliche Art der Verbindung
derselben hingewiesen. Dagegen ist geltend gemacht, daß schon
der einfache Legionshelm, wie er sieh in mehreren Exemplaren
erhalten hat, aus drei Stücken, der Helmhaube und den beiden
Backenlaschen, bestand. Der Visierhelm mit fester Maske hatte
nur zwei Theile, welche durch Charniere verbunden waren, beim
Aufsetzen auseinandergeschoben und nach demselben unter dem
Kinn mit Knopfbiündern befestigt wurden. Hatte der Helm ein
verstellbares Visier, so stieg die Zahl der Bestandtheile auf drei,
erreichte also bei weitem nieht die complicierte Construction von
Helmen aus dem XVI. und XVII. Jahrhundert, welche mitunter
aus vier oder fünf Theilen bestanden.
Wenn weiter an der reichen Verzierung mit Gold und Sil-
ber AnstoB genommen wird, so ist dagegen zu sagen, daB in
der Kaiserzeit beim Militàr der Luxus stark eingerissen war,
wie aus Nachriehten der Schriftsteller sowie daraus hervorgeht,
daß sich in den Castellen des limes vergoldete und versilberte,
mit Schmelzwerk und Tauschierung verzierte Bestandtheile der
Rüstungen gefunden haben. Möglich ist, daß die mit Gold ver-
zierten IHelme Ehrengaben höherer Officiere waren, zu beachten
ist aber, daB in den Waffenfabriken des Staates, in denen doch
nur Kriegswaffen angefertigt wurden, eigene Arbeiter zur Ver-
goldung und Versilberung der Helme vorhanden waren, welche
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 781
barbaricarii hießen. Im Cod. Theodosian. (X 22, 1) wird in einer
Verfügung aus dem Jahre 374 darüber geklagt, daß die barba-
ricarit in der Fabrik zu Constantinopel bei der Vergoldung und
Versilberung von Helmen und Backenlaschen erheblich weniger
leisteten, als die in Antiochia, und wird die Zahl bestimmt,
welche in Constantinopel monatlich fertiggestellt werden soll.
Es geht daraus hervor, daß die Verzierung der Helme mit edlen
Metallen selbst noch in dem letzten Viertel des 4. Jahrhunderts
durchaus üblich war. Vgl. Lindenschmit A. u. h. V. III 9, 6
Beilage.
Schließlich wird als entscheidend geltend gemacht, daß für
das Gehör meist gar nicht, für das Sehen und Athmen durch-
güngig ungenügend gesorgt sei. Dem gegenüber darf man be-
haupten, daß der geringe Umfang der Augen-, Mund- und Nasen-
öffnungen ausreichend ist, da sich das Visier unmittelbar an das
Gesicht anschloli. Die betreffenden Oeffnungen der Maskenvisiere
sind nicht kleiner als die an den heutigen Tags bei Masken-
bällen gebräuchlichen Larven, welche doch das Tanzen gestatten.
Besondere Vorkehrungen für das Gehór waren bei der geringen
Metallstárke wohl kaum erforderlich.
Machen wir schließlich den Versuch die Entstehung der
beiden, zu verschiedenem Gebrauche bestimmten, in ihrer schließ-
lichen Erscheinung einander sehr ähnlichen, Helmarten zu erklä-
ren, so ist eseinleuchtend, daß die Sepulcralhelme auf die uralte
Sitte, das Gesicht des Todten mit einer Maske zu bedecken, zu-
rückzuführen sind, indem man die Bedeckung allmühlich auch
auf den Kopf ausdehnte.
Die zum kriegerischen Gebrauche bestimmten Maskenhelme
haben eine andere Geschichte. Bekanntlich bedeckte der korin-
thische Helm mit seinen breiten Backenstücken und dem schma-
len Nasenschutze das Gesicht fast vollständig. Das Streben die-
sen Helm durch Nachahmung von Theilen des menschlichen
Kopfes zu verzieren, findet sich schon auf Vasengemälden des V.
Jahrhunderts. Auf einer Schale des Berliner Museums (Gerhard
Griech. u. etrusk. Trinkschalen Taf. IX 1) mit der Darstellung
der onionocta übergibt Hephaestos der Thetis einen korinthischen
Helm, an der die Partie oberhalb der Augen durch eine Reihe
von Haarlocken ausgezeichnet ist. Auf einer der Metopen von
Selinunt (Wies. D. d. a. K. I, Taf. 5, 27°) finden sich auf dem
Helme eines Giganten über den Augenhóhlen eigenthümlich nach
beiden Seiten geschwungene Linien, in denen Nachahmungen der
Stirnfalten zu erkennen sind, welche das maskenartige Ab-
schreckende der das Gesicht bedeckenden Helmtheile, wenn die-
ser herabgelassen war, verstirken sollten. Mehrfach findet sich
auch bei Statuetten und Büsten, welche den korinthischen Helm
über den Kopf zurückgeschoben tragen, daß an die Stelle des
Nasenschutzes und der Backenstücke geradezu ein menschliches
732 A. Miiller,
Gesicht tritt (Dilthey Bonner Jahrbb. LIII, Taf. IX, Aresfigur
aus Wien; ibid. Taf. I—IV Bronzebüsten des Ares).
Auch der attische, nur die Stirn bedeckende und mit be-
weglichen Backenlaschen versehene, Helm ist mitunter in ähn-
licher Weise verziert. So sah ich im-Museo Gregoriano einen
allerdings etruskischen, aber in der Form attischen Helm, dessen
Haube mit Haarschmuck versehen und wie ein Gesicht behan-
delt ist; von einem ähnlichen, jedoch der Haare entbehrenden
Exemplare ist eine Zeichnung im Apparate des archüologischen
Instituts vorhanden. Wichtiger als die Helmhaube sind hier
jedoch die Backenlaschen, insofern deren Verzierung bisweilen
die menschliche Wange nachahmt. So sind neuerdings in Do-
dona eine große Anzahl von bronzenen neouyrvad(dec gefunden
(Carapanos Dodone etc. S.234 u. Taf. LV 2. Benndorf Taf. XIV
4), welche deutlich die Form des Mundes zeigen und mit Backen-
und Schnurrbart versehen sind. Wie es von hier aus nur noch
ein Schritt war, ein vollstindiges Maskenvisier zu bilden, so
konnte man zu diesem auch auf andere Weise gelangen. Im
Museo Gregoriano existiert, gegenwürtig mit einer etruskischen
Sturmhaube fülschlich in Verbindung gebracht, eine. Halbmaske
aus Bronze, welche die untere Hülfte eines bürtigen Gresichtes
von den Backenkiefern bis in die Mitte der Nase darstellt. Die
beiden in senkrechter Linie zusammenstoßenden Theile desselben
sind auf der unteren Seite durch ein Charnier verbunden und
lassen sich naeh auBen aufklappen. Eine Vorrichtung zum Be-
festigen läßt sich in dem gegenwärtigen Zustande nicht erkennen.
Daß die Lippenspalte nicht durchbrochen ist, dürfte kaum Ver-
anlassung sein, diesem Monumente die praktische Brauchbarkeit
für den Krieg abzusprechen, da der erwähnte Mangel nur dann
unbequem gewesen sein würde, wenn das Visierstück ganz dicht
am Gesichte getragen worden wäre. Benndorf vergleicht passend
das in der Renaissance übliche Kinnreff (mentonnidre, bavière),
wovon bei Demmin S. 390 u. 391 Beispiele gegeben sind.
In den Archäologisch-epigraphischen Mittheilungen aus Oester-
reich II S. 105—119 behandelt Hübner eine andere Reihe von
Denkmälern im Zusammenhange, nämlich römische Schild-
buckel (28). Der mit großer Sachkunde geschriebene und,
weil diese Monumente anderweitig eine eingehende Besprechung
nicht erfahren haben, höchst willkommene Aufsatz beschränkt
sich auf dieses Material als das nächstliegende und verweist in
Betreff sonstiger antiker Schildbuckel außer auf Lindenschmit’s
Alterth. u. h. V. auf Gaedechens’ Abhandlung über das Medu-
senhaupt von Blariacum (Bonner Winckelmanns-Programm 1874)
und Stark’s Aufsatz iiber drei Metallmedaillons rheinischen Fund-
orts (Bonner Jahrbb. LVII S. 1—56). Veranlaßt zu dieser
Arbeit wurde Hübner durch die Aufforderung O. Hirschfeld’s
und O. Benndorf's, einen im Jahre 1855 bei Halmágy in Sie-
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 733
benbürgen gefundenen und gegenwärtig im Bruckenthal’schen
Museum zu Hermannstadt aufbewahrten Buckel aus Erzblech in
den ,,Mittheilungen“ zu publicieren und mit einigen Bemerkun-
gen zu begleiten. Mit demselben werden fiinf andere Exemplare
zusammengestellt. |
Nro. 1, im J. 1867 bei South-Shields im Flusse Tyne ge-
funden, ist bei Bruce Lapidarium septentrionale S. 158 Nro 106
und Lindenschmit A. u. h. V. III 4, 3 publiciert und von letz-
terem in galvanoplastischer Nachbildung zur Herstellung des
Modells eines scutum verwandt (vgl. oben S. 545). Auf einer:
oblongen, schwach gewölbten, dünnen Erzplatte von 60 cm. Höhe
und 26 cm. Breite erhebt sich in der Mitte der kreisrunde umbdo,
auf dem, umgeben von concentrischen Kreis- und Wellenlinien
sowie von einem Lorbeerkranze, der Legionsadler mit ausgebrei-
teten Flügeln, im Schnabel einen Zweig haltend, dargestellt ist,
Die theils in feinen zusammenhangenden, theils in punktierten
Linien eingravierten Verzierungen heben sich in blankem Erz
gegen den versilberten Hintergrund ab. Die oblonge Fläche
zerfallt in einen oberen und einen unteren Streifen mit je drei
Darstellungen in viereckigen Feldern. Im mittleren Felde oben
erblickt man den Mars, nackt bis auf eine shawlartig flatternde
Chlamys, jedoch mit Helm, Schild und Speer bewaffnet und
lebhaft nach rechts ausschreitend. Hinter ihm befindet sich eine
Draperie. Im mittleren Felde unten entspricht ihm ein rechts-
hin gewandter Stier unter einer Draperie und einer Mondsichel.
In den vier Eckfeldern erscheinen Darstellungen der vier Jahres-
zeiten: oben links der Frühling, ein nackter Knabe in der
flatternden Chlamys, ein gleichfalls flatterndes Band über dem
Haupte haltend; oben rechts ein gleich gekleideter Knabe mit
der Sense, den Sommer darstellend ; unten links der Herbst in
der Gestalt eines Knaben, welcher eine große Traube und einen
Korb in der Hand halt; rechts unten der Winter, eine Gestalt
in verziertem Chiton und engen Hosen, ein flatterndes Band über
dem Kopfe haltend. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die
Mondsichel und der Stier als Apotropäa anzusehen sind. Rechts
und links neben dem eigentlichen wmbo mit dem Adler sind zwei
Manipelzeichen dargestellt; und darüber die Inschrift LEG. VIII
AVG. Der Schild gehórte also einem Soldaten dieser Legion,
welche nach der Inschrift Henzen 5456 von ihrem Standquartier
am Rhein zur britannischen Expedition des Hadrian eine veail-
latio miliaria entsandte. Vgl. Hübner CIL VII S. 100 und
Urlichs Bonner Jahrbb. LX S. 53 ff. Dieser umbo ist der ein-
zige, weleher oblonge, nicht, wie die übrigen, kreisrunde Form
hat. Zu beachten ist, daß auf dem Wiesbadener Steine des C.
Valerius Crispus (CIR 1515, Lind. A. u. h. V. III 6, 5), wel-
cher derselben Legion angehórte, der Schild ebenfalls einen ob-
longen Buckel zeigt. Eine in punktierten Buchstaben auf dem
734 A. Müller,
äußersten Rande links angebrachte Inschrift 9 IVL MAAGNI
IVNI DVBITATI lehrt, daß der Besitzer Iunius Dubitatus hieß
und zur Centurie des Iulius Magnus gehórte (Vgl. zum Vor-
stehenden Stark Bonner Jahrbb. LVIII S. 43).
Nro 2, im Museum von Wiesbaden aufbewahrt, ist in den
A. u. hb. V. 15, 5, 1 u. 2 in halber Größe publiciert. Dieses
Exemplar ist mit zwei andern ebenfalls versilberten, aber nicht
verzierten Umbonen aus Erz in der Umgegend von Mainz ge-
funden (vgl. die schwerlich richtige Angabe von Stark I. 1. S. 42);
dasselbe ist kreisrund und hat einen Durchmesser von 20 em.
Oben auf der Erhóhung erscheint auch hier der Adler mit aus-
gebreiteten Flügeln, auf einem Oval oder perspectivisch gezeich-
neten Kreise stehend, mit einem Kranze im Schnabel. Es folgen
fünf concentrische Kreise mit Ornamenten, von denen zwei dem
erhöhten Buckel, drei dem flach aufliegenden Ringe angehören.
Auf dem mittleren dieser letzteren sieht man rechts und links
je eine Doppelaxt und einen Amazonenschild; oben und unten
je einen weiblichen Kopf, dazwischen Blumenkérbe, Krünze und
Rosetten sowie eine schwer lesbare Inschrift, welche Hübner
etwa so herstellt: N(umeri) oder M(arci) Iuli Firm(iani) o(cen-
turia) Mar(ii) M(agni).
Nro 3, ein ebenfalls runder umdo, ist bei Garstang in Lan-
cashire an der römischen Straße nach Lancaster (Longovicium)
gefunden und befindet sich im britischen Museum. Eine flüch-
tige und ungenaue Abbildung giebt Th. D. Whitaker History of
Richmondshire (London 1800) Bd. II, Taf. zu S. 457; Hübner
stützt sich daher wesentlich auf eine ihm von befreundeter Hand
zugegangene genaue Beschreibung. In der Form fast ganz mit
Nro 2 tibereinstimmend, hat er einen Durchmesser von 8 engl
Zoll, wovon auf den erhöhten umbo 4 Zoll entfallen. Auf dem von
einem Lorbeerkranze umgebenen Knopfe erscheint ein auf einem
Würfel sitzender bärtiger, völlig gerüsteter Mars, in der erho-
benen Rechten ein Scepter, in der ausgestreckten Linken ein
Feldzeichen mit einem Schwane haltend. Auf dem horizontalen
Rande sind links und rechts zwei bis auf die Chlamys nackte
Knaben, der cine mit einem Thyrsos, der andere mit einem lan-
gen Stabe, dargestellt, in denen Hübner Jahreszeiten vermuthet ;
oberhalb und unterhalb beider befindet sich eine Gruppe von
Waffen. Die Darstellungen am oberen und unteren Rande sind
sehr zerstórt; oben ist wahrscheinlich eine Roma oder Britannia,
die Rechte über einen Altar ausstreckend, zu erkennen; unten
erscheint eine große Gruppe: rechts und links von je einem
Adler, vor dem eine Kugel liegt, eingerahmt, ist eine Victoria
abgebildet, welche in der rechten Hand einen Kranz hält; an
ihrer Seite lehnt ein Sehild, und vor ihr steht ein Altar. Eine
Inschrift ist nicht zu bemerken.
Nro 4. Ein Exemplar von ganz ähulicher Form, gefunden
Die neueren Arbeiten über Tracht u.' Bewaffnung u. s. w. 785
bei Matfew in Northumberland, der siebenten Station des Hadrians-
walls, befindet sich im Privatbesitz zu Newcastle - upon - Tyne:
Eingravierte Ornamente fehlen. Zwischen den einfachen concen-
trischen Kreisen des horizontalen Randes steht die Inschrift CIL
VII 570, welche vielleicht o(centuria) Avidi Quinct(iani) zu lesen _
ist. Wenn hier nur der Namen des Centurio gegeben ist, so
muß man annehmen, daß der des Besitzers auf einer anderen
Stelle des Schildbeschlages angebracht war.
Nro 5. Bei Thorsberg im Schleswigschen sind im Moore 6
bronzene Schildbuckel von ühnlicher Form, wie Nro 2—4 gefunden.
Der größte derselben hat einen Durchmesser von 18,5 cm und
trigt auf dem horizontalen Rande die punktierte Inschrift Ael(ius)
Aelianus. Es ist hier nur der Namen des Fabrikanten gegeben,
da der Buckel nicht zum dienstlichen Gebrauche in einem rômi-
schen Truppentheile, sondern zum Export bestimmt war. 70
Buckel aus dem Moorfunde von Nydam haben gar keine Inschrift.
Nro 6. Das Hermannstidter Exemplar endlich, von dem eine
genaue Zeichnung beigegeben ist, entspricht in der Form genau
Nro 2 und 3. Auf der Mitte des Knopfes sitzt der Adler mit
ausgebreiteten Flügeln, im Schnabel einen Lorbeerkranz mit
Tänien und in den Fängen den Donnerkeil haltend. Die ab-
fallende Fläche des eigentlichen Buckels zerfällt irf vier Felder,
welche durch Ornamentstreifen in Kreuzesform getrennt sind,
Auf diesen Feldern erscheinen vier nackte geflügelte Knaben
mit flatternder Chlamys ohne Attribute, aber doch wohl die Jah-
reszeiten darstellend. Die vier Ornamentpartieen, welche den
horizontalen Rand ebenfalls in vier Felder theilen, schlieBen in
zierlichster Weise die vier Nägellôcher ein. In den vier Feldern
sind oben und unten je ein Delphin, rechts und links je eine
im übrigen den vorher erwähnten entsprechende, nur größere
Knabengestalt dargestellt. Ueber dem Knaben links steht die
Inschrift CIL III, 1640, 2, deren erste Zeichen sicher L(eg) XV
bedeuten, wodurch der Schild einem Soldaten der leg. XV Apol-
linaris zugewiesen wird, welche seit 71 ihr Standquartier in
Carnuntum im oberen Pannonien hatte, von Hadrian jedoch nach
Cappadocien verlegt wurde (vgl. Mommsen CIL III S. 482).
Es ist eine ansprechende Vermuthung Hübner's, daB der Schild-
buckel auf dem Marsche der Legion in den Orient verloren ge-
gangen sei. Die übrigen Zeichen der Inschrift sind schwer zu
entziffern, Mommsen vermuthet Ius(tii oder tinii) Eleni, Hübner
stellt etwa Folgendes her: l(egio) XV, Ius(ti) Eliani, o(centuria)
illius |.
Die im Vorstehenden betrachteten Denkmäler zeigen eine
Gleichmäkigkeit in Größe, Form und Ornamenten, welche auf
gemeinsame altüberlieferte Vorbilder und langgeübte, fast ordon-
nanzmäßige Praxis hinweisen. Außerdem bestätigen sie die von
Dio Cass. LXVII 10, 1 gebrachte Nachricht, der zufolge Julig-
796 A. Müller,
nus, ein Legat des Domitian im dacischen Kriege, rovc organw-
zac 146 1€ Euviwy Ovouuta xal ta TOY» Éxavovic Qyceov. ini 106
aonlduc imyguwos èxflevoer, Tra Expurkoregos of mn dyudòv avro»
| xuxoy nosodvtes yérwvrm. Der für diese Maßregel angeführte
Grund ist, wie Hiibner treffend ausftihrt, nicht recht ein-
leuchtend ; es ist also möglich, daß in der ausführlicheren Dar-
stellung, aus der nur ein Auszug auf uns gekommen ist, die
Sache deutlicher dargelegt war. Etwas anders, jedoch die Dauer
des von Julian eingeführten Brauchs bestitigend , sagt Vegetius |
II 18 (S. 50, 6 L.): praeterea in averso scuto uniuscuiusque militis
litteris erat nomen adscriptum, addito et ex qua esset cohorte quave
centuria. Was die Frage anbetrifft, ob jeder Soldat einen Schild
mit so fein verziertem Buckel gefiihrt habe, so ist dies allerdings
nicht wahrscheinlich. Hiibner meint, es habe den Soldaten viel-
leicht frei gestanden, sich einen besonders verzierten Galaschild
anzuschaffen, daneben müfite er denn noch einen einfachen ordon-
nanzmäßigen Schild gehabt haben, den er aber nach Tac. Annal
I 17, wo die Truppen darüber klagen, daB sie sich die Waffen
selbst anschaffen müssen, ebenfalls bezahlt haben wird. Leider
sind die Nachrichten über diese Verhültnisse im rómischen Heere
nur dürftig, so daß zur Klarheit nicht zu gelangen ist.
Ueber den (29) das Pilum betreffenden Aufsatz Linden-
schmits (Alterth. u. heidn. Vorzeit III 6 zu Taf. 7) kónnen wir
uns kürzer fassen, da wir Philol. XXXIII S. 669 ff. eingehend
über die diese Waffe behandelnden Schriften berichtet haben.
Bekanntlich war es Lindenschmit in seinen Ausführungen in den
,Alterthümern der hohenzollernschen Sammlung zu Sigmaringen“
S. 22 nicht gelungen die Stelle des Polybius VI 23, 9—11:
ıwv 0° voowr slow oi mer nayeic, ol dé Aenio(*. 10v dì Orepew-
1égwy oi piv o1goyyvÀot nalucrıular Eyovos ziv diapergor, oi
dé TETQUY WYO ti» mhevgiiv of ye pny Asnıol aBuvlos folxacs
ovp MÉTOOL, ove yogodas uera Tay ngossonuerwr. andriwv di zov-
twv tov Evdow 10 unxos donr we rete nüyetc » nQocneuogiu d°
Exucrotg BéAog oiônvodr dymoiquivr, Too» Eyor 10 pijxog roig
Evdos® ov ij» Erden xui inv x oe(a v (Kóchly ouréyesar) obrug
aopuliGorins PePalwos, Ews uéowr ıwv Evdwwv évdéovies xai nuxvaic
weis Außicı RAINE, OVWITEC, WOE ui NOCTEQOY TOY deouòr ev rai
xgeluug dragalac9 ras, j tov siönger Fouvedtut, xulneg orta ıd
muyog Er 10 nvduévi xoi 17 ngóg 10 Evdor Ovragy, Tutwr nus-
daxivilwr* ini rocovt0oy xai Todewıny nuovoiny mOLOUVIGI TIE
èrdtosw: vollkommen zu erklären, und wir muften a. a. O. erheb-
liche Bedenken gegen die Bestimmungen der Maße aussprechen.
Durch diese neuen Untersuchungen hat nun der unermüdliche
Forscher die Sache aufs Reine gebracht.
Das Pilum stammt, wie etruskische Griberfunde, z. B. das
Pilum aus einem Grabe zu Vulci, Taf. 7 Nro 1, beweisen, aus
Etrurien, Die Rümer gaben ihm die eigenthümliche Schiftung,
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 737
welche urspriinglich stämpfelartig geformt war und der Waffe
den Namen gab. Diese fehlte bei Lindenschmit’s älterem Recon-
structionsversuche (Taf. 7, Nr. 7), es beziehen sich daher die
von ihm später vorgenommenen Aenderungen auf die Schäftung,
und zwar auf den oberen Theil derselben, wo die Klinge in
dem Holze befestigt war. Der untere Theil der Schaftstange
mußte nothwendig rund hergestellt werden, theils nach der Be-
schreibung, welche Livius XXI 8 (phalarica erat Saguntinis mis-
sile telum hastili abiegno et cetera tereti praeterquam ad extremum,
unde ferrum exstabat) von der mit dem leichten Pilum identischen
phalarica giebt, theils nach der Schaftbildung des schweren Pi-
lums vom Julierdenkmale zu St. Remy (Mém. de la société des
antiquaires de France, Vol. XXIX, pl. 6 u. A. u. h. V. 1 1.
Taf. 5 Nr. 3) und vom Grabsteine des Valerius Crispus (A. u.
h. V. III 6, 5, 1).
Von diesen Voraussetzungen ausgehend, wendet sich Linden-
schmit von neuem der Erklürung der polybianischen Stelle zu.
Es werden dort zwei Maße angegeben, nämlich 3 halbe digiti
== 27 mm für das Eisen am Fuße der Speerklinge, d.h. für
die Kappe, welche die Verbindung des Eisens mit dem Schafte
deckte; ferner 1 palmus = 73 mm für eine nicht näher be-
zeichnete Stelle. Es erhellt aber, daß diese Stelle weiter nach
unten, nach der Mitte der ganzen Speerlünge zu, liegen muf.
Dies beweisen die pyramidalen Tiillen oder Kappen der Mainzer
leichten Pilen, welche oben nach jeder Seite eine Breite von
20 mm, unten eine solehe von 30 mm haben. Eine solche in
natürlicher GróBe giebt Taf. 7, Nr. 14*; es befindet sich in
derselben noch ein Rest der Klingenzunge, welche im Schafte
befestigt gewesen war. Dieselbe läßt deutlich das Breiterwerden
nach unten zu erkennen. Bei den schweren Pilen — denn nur
auf diese beziehen sich die Maße des Polybius — beträgt also
die obere Seitenbreite der pyramidalen Kappe 27 mm, die Basis
muß entsprechend breiter gewesen sein, wie auch die Klingen-
zunge sich nach unten zu verbreitert haben muß, bis sie die
Breite von einem palmus = 73 mm erreichte. Die von Linden-
schmit Taf. 7, Fig. 14* abgebildete Zunge eines leichten Pilums
erreichte nun, wie das Fig. 14^ nach Maßgabe der Reste darge-
stellt ist, in einer Entfernung von wenig über 3 palmi = 219 mm
vom unteren Ende der Klinge eine Breite von nahezu 3/4 pal-
mus = ungeführ 54 mm; dem entsprechend würde die Schäf-
tung eines schweren Pilums, welche am unteren Ende der Klinge
27 mm mißt, bei gleicher Entfernung nach unten zu eine Breite
von 73 mm = 1 palmus erreichen. Damit ist denn endlich
die Stelle gefunden, welcher Polybius die mudusonaiu duiuerooc
zuweist. Unterscheidet er aber runde und viereckige Pila, so
führt das nach dem Vorstehenden auf eine doppelte Art der
Schiftung, nämlich eine kegelfórmige und eine pyramidale (vgl.
Philologus. N. F. Bd.l, 4. 47
738 A. Miiller,
Taf. 7, Fig. 15 und 16). Eine von diesen — es ist nicht zu
bestimmen, welche — erscheint auf dem Grabsteine des Valerius
Crispus. Eine davon verschiedene Art der Schiftung findet sich
auf dem Julierdenkmale von St. Remy, nämlich in der Form
eines Langwürfels (Taf. 7, Fig. 17). Diese Form hat Quicherat
veranlaßt, in einem Aufsatze in den Mémoires de la société des
antiquaires de France Vol. XXIX verschiedene Modelle zu con-
struieren, welche von Lindenschmit Taf. 7 wiedergegeben wer-
den. Das dort unter Nr. 2 dargestellte hat einen Langwiirfel
von 12 palmi Hóhe und 1 palmus Seitenbreite sowie eine Ge-
sammtlänge von 9 Fuß. Lindenschmit weist nun nach, daß
darin bezüglich der Lange gegen Polybius’ Angaben ein Fehler
steckt und dafì diese Waffe, am unteren Ende angefaBt, einen
sicheren Kernwurf nicht gestattete. Das Uebergewicht der bei-
den oberen Drittel würe um so gewaltiger gewesen, als die
Breite des in dem Schafte befestigten Eisens in dem 2 cubiti
— 3 FuB langen Mittelstiicke durchgehend zu einem palmus
angenommen ist. Günstiger sind zwei andere Constructionen
Quicherat's (Taf. 7, Nr. 3 u. 4), bei denen der Langwürfel nur
8 bezw. 6 palmi lang ist. Aber die Probe mit einem wirklich
ausgeführten Exemplare nach Nr. 3 ergab, daß eine Waffe mit
einem Langwürfel von 8 palmi Hóhe und 1 palmus Seitenbreite
bei weitem zu schwer ist. Man darf also unbedenklich annehmen,
daß die Waffe auf dem Julierdenkmal zur Reconstruction des
schweren Pilums nicht zu verwenden ist, und daß bei der Schäf-
tung dieses in der Form eines Langwürfels der letztere die
Länge des obenerwühnten Stümpfels (etwa 3 palmi) = 219mm
nicht übersteigen darf. Da Polybius in Betreff des leichten
Pilums bestimmte Maße nicht angiebt, so ist die Vermuthung
nicht ausgeschlossen, daß die auf dem Julierdenkmale erschei-
nende Schiftung auf das leichte Pilum zu beziehen ist.
Uebrigens gab es noch andere Arten der Schiftung, wie
solche Taf. 7, Nr. 5 und 6 dargestellt sind. Ein Pritorianer
der sechsten Cohorte (CIL VI 2602) trügt auf seinem Grabsteine
im Museo Capitolino ein pilum, an dem die Commissur zwischen
Schaft und Speereisen durch eine Kugel gedeckt ist (vgl. Phi-
lolog. XL S. 231; wahrscheinlich hat Quicherat diese Darstellung
gemeint; bei Lindenschmit steht ,,7. Cohorte“). Indessen folgt
Quicherat auf der bei Lindenschm. Taf. 7, 5 wiedergegebenen
Darstellung augenscheinlich der ungenauen Abbildung bei Gruter
I 529 (ed. Amstel); auf dem Original ist das Speereisen als
ganz dünne Stange ohne Verjüngung dargestellt, wührend bei
Gruter die Verjüngung sehr ins Auge fallt. Dieselbe Schiftung
ist wahrscheinlich gemeint auf der offenbar unzuverlüssigen Dar-
stellung der Figur zu CIL VI 2742 bei Gruter I 540 (ed.
Amst.. DaB indessen Lindenschmit mit seiner älteren Recon-
struction, welche die Verstürkung des Schaftes an der Commissur
Die neueren Arbeiten tiber Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 789
entbehrt und welche Taf. 7 Nr. 7 wiederholt ist, nicht unrecht
hat, zeigt der Stein A. u. h. V. I 8, 6, 2 = Hettner Bonner
Katalog Nr. 227. Wir haben hier natiirlich das leichte Pilum
zu erkennen.
Die Maße der Waffe, das Längenverhältniß des Schaftes
zum Eisen, die Herstellung des Knaufes etc. erlitten mancherlei
Veränderungen je nach den Heeresabtheilungen; bei Organisa-
tionen wurden vielleicht auch ältere Formen wiederhergestellt.
Eine Geschichte des Pilums nach den Nachrichten tiber Details
— vgl über Köchly’s Versuch Philol. XXXIII S. 673 ff. —
wird sich nicht geben lassen. Solche Nachrichten haben bei der
allmählich immer ungleichmäßiger werdenden Organisation der
einzelnen Armeen nur theilweise Geltung. Am Rheine hielt
sich das schwere Pilum bis zum Ende der Römerherrschaft ;
seine Eigenthümlichkeiten sind: große Länge des Speereisens,
verdoppelte Stärke der kurzen Spitze, Verstärkung des oberen
Schaftendes durch einen Knauf. Der Unterschied des schweren
und leichten Pilums ist wesentlich in das verschiedene Gewicht
des Schaftes zu setzen; denn die Stürke des Eisens durfte nie
so weit vermehrt werden, daB sie die Biegsamkeit der Klinge
aufhob. Widerhaken an der Spitze finden sich nicht überall;
sie fehlen an dem etruskischen Exemplare sowie an dem auf dem
Julierdenkmale; auf Grabsteinen der Kaiserzeit sind sie sehr
schwach angedeutet; sehr stark ausgebildet erscheinen sie an
den leichten Pilen mit kurzer Eisenstange aus dem Nydamer
Moor (3. Jahrh.); bei den Pilen rheinischen Fundorts sind sie
so schwach, daß sie sich beim Gebrauch an die Klinge legten
und leicht durch den Rost verzehrt wurden. Die Wirksamkeit
der eigenthümlichen Klinge beruhte auf der Verdoppelung der
Metallstärke der Spitze und. deren Stählung. Der Prätorianer-
speer CIL VI 2602 muß, weil ihm die verstärkte Spitze fehlt,
ganz aus Stahl bestanden haben; ein allgemeiner Gebrauch die-
ser Árt kann kaum angenommen werden. Von untergeordneter
Bedeutung ist die Art der Verbindung des Eisens mit dem Holze,
ob Zunge oder 'Tülle; erstere scheint vorherrschend gewesen zu
sein; letztere erscheint bei dem etruskischen Exemplare in frü-
hester Zeit und dann wieder bei den Pilen aus den rheinischen
Castellen. |
Mit Vorstehendem ist auch dasjenige erledigt, was Linden-
schmit in seiner Schrift über Tracht und Bewaffnung S. 12—
14 sagt.
C. Zangemeister (30) hat im VI. Bande der Ephemeris epi-
graphiea eine mustergültige Publication der erhaltenen rómischen
Schleuderbleie geliefert, welche um so dankenswerther ist,
als einerseits eine zuverlässige Bearbeitung des umfangreichen
Materials noch nicht vorhanden war, andrerseits gerade in dem
letzten Jahrzehnt an den 'Tag getreten ist, in welchem Umfange
47*
N
740 A. Miiller,
auf diesem Gebiete Falschung geübt worden war. Den Gebrauch
der Schleuderbleie, kleiner Geschosse von oblonger, in zwei
Spitzen auslaufender Form, welche theils glatt, theils mit In-
schriften oder bildlichen Darstellungen versehen sind, haben die
Rómer von den Griechen übernommen; in ülterer Zeit scheint je-
doch die Schleuder nur wenig verwandt zu sein. Die funditores
werden im rómischen Heere zuerst im J. 206 v. Chr. erwühnt,
wo König Hiero nach Livius XXII 37 mille sagittariorum ac
funditorum, aptam manum adversus Baliares ac Mauros pugnacesque
alias missili telo gentes (vgl. XXI 21) den Rómern sendet. Im
Jahre 189 bedienten sich diese bei der Belagerung von Same
auf Cephallenia achäischer Schleuderer aus Aegium, Patrae und
Dymae, welche sich vor den balearischen auszeichneten (Liv.
XXXVIII 29). In der Folge verwandte man Schleuderer be-
sonders bei Belagerungen, so bei der von Zama (Sall Iug. 57),
Athen (Appian. Mithr. 32. 33), Ategna (Bell. Hispan. 18. 18).
Zuletzt werden sie erwühnt bei dem Angriffe auf armenische Ca-
stelle (Tac. Ann. XIII 39). Diese Notizen beziehen sich jedoch
nur auf Schleuderbleie, denn auch noch spüter dienten Schleu-
derer im rómischen Heere, aber sie warfen nur Steine. Vel.
die Abbildungen der Trajanssäule pl. 91, 145 f. Fróhn. CIL
VIII 2532 werden die Reiter der Coh. VI Commagenorum von
Hadrian belobt, weil sie /apides fundis geschleudert haben. Vel.
Veget. III 14 (S. 98, 4 L): funditores sunt, qui fundis lino vel
saetis facitis — has enim dicunt esse meliores — contorto circa caput
bracchio dirigunt sara. Auch der Gebrauch die glandes mit In-
schriften zu versehen stammt von den Griechen. Sie wurden in
Formen aus gebranntem Thon gegossen; eine solche hat sich
bei Phanagoria gefunden und befindet sich jetzt in der Eremi-
tage zu St. Petersburg. Zangemeister giebt S. XI eine Abbil-
dung und Beschreibung derselben. Die griechischen Schleuder-
bleie sind meist klein und von eleganter Form, auf beiden Seiten
gut zugespitzt; ein Schnitt durch ihre kleine Axe ergibt bei den
meisten einen Kreis oder ein Oval. Von den römischen .stehen
ihnen am nächsten die in Sicilien bei Enna gefundenen, die von
Perusia gleichen einem Mandelkern, die von Asculum einer
Pflaume. Außerdem kommen im Einzelnen manche abweichende
Formen vor. Ueber die grofe Brauchbarkeit der Form haben
Semper in der Schrift „Ueber die bleiernen Schleudergeschosse
der Alten und über zweckmäßige Gestaltung der Wurfkórper im.
Allgemeinen“ Frankfurt a. M. 1859 und Kerviler Des projectiles
cylindro-coniques ou en olive depuis l'antiquité jusqu'à nos jours in
der Revue archéol. 1883 II p. 281 ff. gehandelt. Was das Ge-
wicht anbetrifft, so sind die Sicilischen, welche zwischen 34 und
46 Gr. wiegen, die leichtesten, die von Asculum mit einem
Durchschnittsgewichte von 47,13 Gr. die schwersten, die von
Perusia stehen in der Mitte. Bei weitem die meisten glandes
Die neucren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 741
waren nicht mit Inschriften versehen. Dies steht besonders hin-
sichtlich der bei Asculum gefundenen fest; hinsichtlich der von
andern Orten stammenden kann dies nur vermuthet werden, da
meistens nur die beschriebenen Exemplare beachtet und gesam-
melt werden. Die Buchstaben sind mit wenigen Ausnahmen
simmtlich erhaben, waren also schon in der Form vorhanden.
Die Schrift läuft bei fast allen Exemplaren von links nach
rechts; einige Inschriften, welche drei oder vier Zeilen enthalten,
sind Bovoroogydor zu lesen; sehr oft sind beide Seiten beschrie-
ben. Bei sehr wenigen Exemplaren ist die Inschrift erst in das
fertige Stück eingeritzt und zwar in Cursivschrift; niemals aber
sind bei echten Exemplaren die erhabenen Inschriften durch
Stempelung hervorgebracht.
Wie schon angedeutet, stammt die Masse der echten Ex-
emplare von Belagerungen her und zwar zunächst von der der
Stadt Enna, welche im Jahre 132 im Sklavenkriege vom Consul
P. Rupilius eingenommen wurde; indessen beweisen die glandes,
da sie den Namen des L. Piso L. f, der 183 Consul war, tra-
gen, daß schon dieser die Belagerung begonnen hatte. Beson-
ders zahlreiche Bleie hat die Belagerung von Asculum geliefert,
welche im Bundesgenossenkriege unter Cn. Pompeius Strabo,
dem Consul des Jahres 89, stattfand und gegen Ende des Jahres
zur Einnahme der Stadt führte. Die dritte Hauptgruppe stammt
aus dem Perusinischen Kriege der Jahre 41 und 40. Appian.
B. Civ. V 36 erzühlt ausdrücklich, daß bei der Belagerung von
Perusia Schleuderbleie verwandt worden seien. Einige wenige
Bleie sind in Spanien gefunden, aus dem Kriege des Jahres 45
stammend, sowie am Vorgebirge Leucopetra hei Rhegium mit dem
Namen des Q. Sal(vidienus), welchen Octavian im J. 42 gegen
den von Sicilien aus Italien bedrohenden Sextus Pompeius sandte
(Dio Cass. XLVIII 18. Appian. B. Civ. IV 85).
Die erhaltenen glandes wurden zuerst gesammelt von de
Minicis Sulle antiche ghiande missili e sulle loro iscrizioni (Disserta-
zione letta alla pontificia accademia romana di archeologia 3. Nov.
1839, Rom 1844; auch in den Dissertazioni della pontif. accad.
rom. di arch. Tom. XI. Roma 1852 p. 187—256). Der Ver-
fasser hatte jedoch die meisten Exemplare nicht selbst gesehen,
auch ging ihm das richtige Urtheil ab, so daß er viele falsche
Lesarten bringt und trotz der Warnungen Borghesi’s viele ge-
fälschte Stücke für echt ausieht, überhaupt es an der gehörigen
Akribie vielfach fehlen läßt. Sodann hat Mommsen im ersten
Bande des Corpus p. 189 bis 194 und p. 559 f, um lieber Ei-
niges zu geben, als die Schleuderbleie ganz zu übergehen, mit
ganz geringer Ausnahme nur die von andern bereits erklärten
Bleie gesammelt, geprüft und wissenschaftlich behandelt. Er
hat im wesentlichen über die in der Lesung der Inschriften vor-
gekommenen Fehler und die Fälschungen richtig geurtheilt.
742 A. Miller,
Auch Ritschl hat in den Priscae Latinitatis monumenta epigra-
phica Taf. VIII u. IX die meisten Stücke aus andern Wer-
ken übernommen und nur wenige nach neuen Zeichnungen
ediert. Beide Gelehrte haben sich jedoch nicht verhehlt, daß
eine weitere Bearbeitung dieses Materials erforderlich sei. Da
eine solche besonders seit dem Jahre 1874, wo eine große Menge
falscher Exemplare plötzlich auftauchte, nothwendig erschien,
ertheilte die Akademie Zangemeister den Auftrag das gesammte
Gebiet für die Ephemeris ausführlich zu bearbeiten. Derselbe
hat infolge dessen die öffentlichen und privaten Museen Deutsch-
lands und Italiens sowie das Britische Museum durchforscht, und
aus vielen Museen Frankreichs, Spaniens, Dänemarks und der
bereits genannten Länder Abschriften und Abdrücke zugesandt
erhalten, so daß er durch ein ganz vortreffliches Material in die
. Lage versetzt wurde, der durch die zahlreichen Fälschungen na-
mentlich der letzten Jahrzehnte eingerissenen Verwirrung zu
steuern.
Ueber diese Fälschungen haben wir eingehender zu be-
richteu. Die ersten falschen Exemplare kamen zum Vorschein,
als de Minicis seine umfassende Bearbeitung vorbereitete. Daß
er sich täuschen ließ, ist bereits bemerkt worden, wir fügen
hinzu, daß diese gefälschten Stücke zum großen Theile bis in
neuere Zeit hinein für echt gehalten wurden. Dieselben (Nr. 1*
—19*) befinden sich im Museo Kircheriano zu Rom. Schon
Mommsen hat diejenigen Exemplare, deren Inschriften sich auf
Legionen beziehen, für falsch erklärt, und Zangemeister hat ihre
Unechtheit mit schlagenden Gründen erwiesen. Verdüchtig ist
außer der Patina und der Form der Buchstaben schon, daß die
Inschriften mit dem Messer hergestellt sind ; entscheidend aber
sind die Inschriften selbst, welche theils mit Unverstand echten
nachgebildet sind (so ROMA statt POMP), theils Truppenkörper
nennen, welche nie existiert haben (wie leg. XVIII firma), oder
solche, die erst in später Kaiserzeit vorkommen (wie leg. XXX
U(lpia) v(ictrix)), während die jüngsten echten Schleuderbleie dem
perusinischen Kriege angehören. Der Umstand, daß die Bleie
von bedeutenden Forschern, wie Ritschl, für echt gehalten wur-
den, ist verhängnißvoll geworden, da der später zu erwähnende
Fälscher Vincenzini die Minicischen Inschriften wiederholte, und
da diese für echt galten, kein Grund vorlag jene zu beanstan-
den. Sogar ein so ausgezeichneter Gelehrter wie Bergk ließ
sich täuschen.
Eine zweite Classe (Nr. 20*-. 63*), zum Theil im Museo
Kircheriano, größtentheils aber mit dem Museo Campana ins
Louvre gelangt, zeigt nur einzelne sinnlose Buchstaben von nicht
antiker Form; daher ist ihre Unechtheit schon vorlängst von
mehreren Gelehrten erkannt.
Mit der dritten Classe Nr. 64*—81*) hat es insofern eine
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 748
besondere Bewandniß, als die glandes selbst echt und nur die
Inschriften gefälscht sind. Die ersten Exemplare gelangten ums
Jahr 1860 in den Handel, und zwar solche, welche Inschriften
aus de Minicis’ Werk in ausgezeichneter Arbeit wiederholten.
Da sie fiir echt gehalten wurden, dienten sie nur dazu die
Glaubwürdigkeit der falschen Stücke bei de Minicis zu erhöhen.
Eine sehr große Anzahl angeblich bei Asculum gefundener Stücke
kam jedoch seit 1874 zum Vorschein. Zuerst publicierte Des-
jardins in mehreren Heften seiner Desiderata du Corp. Inscr. Lat.
de l'académie de Berlin, Paris 1874—76 mehr als 600 Stücke;
Bergk gab in den Bonner Jahrbüchern Heft LV (1875) S. 1 ff.
108 Exemplare heraus, die er für echt hielt, wührend er die
von Desjardins edierten verwarf.
Zangemeister selbst ließ sich anfänglich täuschen und hatte
nur gegen einige wenige Typen Bedenken; als er aber eine
neue Serie mit schon kühner gefülschten Inschriften aus Paris
erhalten hatte, erkannte er, da8 alle Typen Desjardins' und
Bergk's gefülscht seien. Dies Urtheil wurde aber von jenen Ge-
lehrten nieht anerkannt; Desjardins fuhr fort gefülschte Stücke
zu edieren und seine Ansicht zu vertheidigen; auch Bergk wie-
derholte seine Meinung in einer umfassenderen Schrift: „In-
schriften rómischer Schleudergeschosse". Leipzig 1876. Zange-
meister hatte mit beiden Gelehrten einen unangenehmen Streit
zu bestehen, über den das Einzelne S. 92 nachzulesen ist.
Da die Frage nur dann gelóst werden konnte, wenn der
Ursprung der fraglichen Bleie aufgedeckt wurde, begab sich Zan-
gemeister im Jahre 1877 nach Ascoli, und untersuchte zuerst
genau, von welcher Art die Bleie waren, welche im Bette des
Flusses Castellano, der angeblichen F'undstütte, gefunden zu wer-
den pflegten; sodann bestrebte er sich den Fälscher und dessen
Helfershelfer so wie die Fabrikationsmethode zu ermitteln. Seine
Bemühungen waren erfolgreich. Als Fälscher stellte sich ein
gewisser Giuseppe Vincenzini heraus. Ein Ascolaner hatte ihn
bei der Arbeit gesehen und mit ihm darüber gesprochen. Ein
dortiger Canonicus erzählte, Vincenzini habe Desjardins’ erste
Arbeit gelesen und sich darüber gewundert, welche Kosten und
welche Gelehrsamkeit auf die Herausgabe seiner Fülschungen ver-
wandt seien; er habe daher beschlossen an Desjardins dartiber
zu schreiben, er (der Canonicus) habe ihn aber aus Mitleid mit
Desjardins davon wieder abgebracht. Zangemeister erforschte
auch, welche Bücher Vincenzini von der Stadtbibliothek zu As-
coli entliehen hatte und fand dadurch seine sonstigen Ergebnisse
bestätigt Schließlich legte dieser vor zwei Zeugen ein offenes
Gestündnif ab. Vincenzini, der auch vortrefflich antike und
moderne Münzen nachzuahmen verstand, hatte so ausgezeichnet
gearbeitet, daß er einst selbst durch seine Fälschungen getäuscht
worden war.
744 A. Müller,
Sein Verfahren war folgendes. Ein Stiick sehr hartes Holz
wurde der Länge nach in zwei Theile zerschnitten, in jeder In-
nenseite eine der Hälfte des zu behandelnden antiken Schleu-
derbleis entsprechende Héhlung hergestellt, in diese die Inschrift
beider bezw. nur einer Seite eingeschnitten, dann das nicht be-
schriebene Blei hineingelegt, die Form geschlossen und stark
mit dem Hammer bearbeitet. Die Patina wurde nachtrüglich
durch eine ützende Flüssigkeit hergestellt, oder auch das Blei
in dieser Beziehung nicht weiter behandelt, da die echten ascu-
lanischen Exemplare theils nicht viel Patina haben, theils eine
so starke, daß sie durch die Bearbeitung nicht leidet. Wenn
ein Blei nicht nach Wunsch ausgefallen war, so hämmerte Vin-
cenzini es in derselben oder in einer andern Form noch einmal.
Die so entstandenen, mit Palimpsesten zu vergleichenden, Exem-
plare hielt Desjardins für echt und war auf ihre Entdeckung
stolz. Mommsen und Zangemeister dagegen erkannten die Fäl-
schung schon früh.
Während wir über die äußeren Indicien der Unechtheit
unsere Leser auf S. 94 verweisen, wollen wir hier in der Kürze
das andeuten, was Zangemeister über die Inschriften S. 95 ff,
im Allgemeinen ausgeführt hat. Zunächst hat Vincenzini In-
schriften aus de Minicis’ Buch wiederholt, und zwar einerseits
echte, andrerseits gefülschte, oder endlich falsch gelesene. So-
dann hat er sonst bekannte Inschriften mit Absicht oder aus
Irrthum geändert; einige echte Inschriften von Exemplaren aus
dem Museum zu Ascoli hat er falsch gelesen. Andere Inschriften
hat er, als er selbst kühner geworden war und von seinen Ge-
nossen ermahnt wurde, nicht immer dieselben Inschriften zu wie-
derholen, auf eigne Hand erfunden. Als Vorlagen hat er dabei
Inschriften von oskischen und römischen Münzen, selbst von sol-
chen des 4. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung benutzt, oder
auch einfach Namen berühmter Minner von Coriolanus an bis
zur Schlacht bei Actium wiedergegeben, wobei ihm natürlich
mancherlei Irrthümer untergelaufen sind. Schließlich scheute er
sich auch nicht Inschriften in andern Gegenden ltaliens, in Si-
cilien, sogar in Athen gefundener Bleie wiederzugeben und für
asculanische zu erklären; einige Male hat er schließlich eine
asculanische Inschrift mit einer perusinischen oder eine italische
mit einer römischen verbunden. Allerdings wurden damals bei
Ascoli außerordentlich viele, aber unbeschriebene, Bleie gefunden,
indessen es konnte doch auffallen, daß zu der nämlichen Zeit
eine so bedeutende Anzahl von beschriebenen Exemplaren an
derselben Stelle zu Tage kam. Um dies .zu vermeiden wurde
von den Verkäufern erzählt, es seien neuerdings im FluBbett des
Castellano Ausgrabungen veranstaltet, oder ein Graf Arpini habe
seine seit vielen Jahren gesammelten Exemplare verkauft; be-
sagter Graf hatte aber in der That eine solche Sammlung nie
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 745
besessen. Bisweilen wurde auch ein falscher Fundort erdichtet.
Da der Handel mit diesen Fälschungen eine geradezu unglaub-
liche Ausdehnung gewonnen hatte, so sind alle Inschriften, wel-
che nicht von einem Kundigen gepriift sind, verdächtig, ebenso
muß jeder Typus, von dem auch nur ein Exemplar als falsch
nachgewiesen ist, bedenklich erscheinen, bis durch genaue Unter-
suchung die Echtheit ausdriicklich von competenter Seite fest-
gestellt ist.
Ganz erheblich wird dieses Geschäft: nun durch Zange-
meister’s Publication erleichtert, zu deren nüherer Beschreibung
wir jetzt übergehen. Auf die lehrreiche und orientierende Prae-
fatio (p. VII—XVIII) folgt ein Verzeichniß der Fundstiitten (8.
XVII—XXIV), eine Uebersicht über die Museen, in denen
Schleuderbleie aufbewahrt werden (8. XXIV—XXXT) und über
die Schriften, welche sich mit diesem Gegenstande beschifti-
gen (S XXXII—XLIII), ein Verzeichni8 der auf den beige-
gebenen 13 Tafeln abgebildeten glandes (S. XLIII —XLIV), end-
lieh ein Index (8S. XLV—XLVI) nach folgenden Abtheilungen:
I. Nomina, II. Cognomina, III Ethnica, IV. Notabilia, V. Vo-
cabula. In der dann folgenden eigentlichen Publication sind
unter laufenden Nummern die einzelnen Typen verzeichnet, und
unter jedem die bekannten Exemplare mit genauer Bezeichnung
des Fund- und Aufbewahrungsortes sowie der Katalognummer
des betreffenden Museums aufgeführt. AuBerdem sind wie im
Corpus Litteraturnachweise und bei schwer lesbaren Inschriften
Holzschnitte beigegeben. Abschnitt I (S. 1—4), giebt die Sici-
lischen glandes, 2 Typen (1—2): Abschnitt II (S. 5—47), die
glandes Asculanae et reliquae Picenae umfassend, dem eine längere
Einleitung vorausgeschickt ist, bringt die Typen 8—48, welche
in mehrere Classen zerfallen, je nachdem die Inschriften 1) das
kriegführende Volk (Ital), 2) denjenigen, der die glans hat an-
fertigen lassen (z. B. T. Larf(enius) pr(aetor)), 3) eine Legion (wie
leg. XI, leg. XV) oder die Bezeichnung der Schleuderer (wie
Fir(mani), Gal(li)), 4) verschiedene Zurufe (wie feri Pomp(eium
Strabonem); fer, sal(utem) Pom(peio) fer (?); fugitivi peristis; em
tibi malum malo u. a. m.) nennen, oder endlich 5) eine bildliche
Darstellung (wie einen Doleh, einen Helm), der mitunter auch
eine Inschrift beigegeben ist (wie Itali oder Galli) oder leg. XV),
zeigen. Die asculanischen Fundstücke sind genau wie hier im
CIL IX 6068, I—XLVIII wiederholt. Abschnitt III (S. 48—
49) führt die glandes in Hispania repertae auf (Nr. 49—50), von
denen Nr. 49 die Legende Cn. Mag(nus) imp(erator), Nr. 50
wahrscheinlich ac[c]ipe und den geflügelten Blitz zeigt. Ueber
den Abschnitt IV (S. 50—51) gegebenen bei Leucopetra gefun-
denen Typus ist bereits oben gesprochen. Von den S. 52—78
im V. Abschnitt folgenden perusinischen Typen (Nr. 52— 106)
ist eine nicht geringe Anzahl unleserlich; unter den lesbaren
746 A. Miiller,
sind folgende Classen zu unterscheiden: 1) der Name des Com-
mandanten, wie Caes(ar) imp(erator); Rufus imp(erator), auf Sal-
vidienus Rufus, welcher mit Agrippa die Belagerung begann, zu
beziehen ; M. Fer[?]d|?u]s tr(ibunus) mil(itum) Uegionis) XI; T. Etri
pr. pil. leg. IIII; 2) Bezeichnung der Legion; es erscheinen leg.
IIII, VI, XI, XII; 3) verschiedene Ausrufe, wie L. A(ntoni)
calve (et) Fulvia culum pan(dite), oder L. Antoni calve, peristi C.
Caesarus (sic) victoria, oder das obscóne Octavi lare — sede, dem
ein phallus beigegeben ist. Auf 13 Exemplaren, welche ‘heils
sicher, theils wahrscheinlich den Cäsarianern angehörten, ist der
Blitz dargestellt; den Antonianern sind mit Sicherheit 5 Typen
zuzuschreiben. Nachdem sodann S. 73—80 im VI. Abschnitt
zwei bei Cumae (Nr 107. 108) und S. 81 im VII. Abschnitt
zwei im Dorfe Ossero auf der Liburnischen Insel Crexi (Nr. 109.
110) gefundene Stücke mitgetheilt sind, folgen S. 82—87 im
VIII. Abschnitt (Nr. 111—124) die Bleie ungewissen Ursprungs.
S. 88 wendet sich der Verfasser sodann zu den falschen Stücken,
welche mit gleicher Sorgfalt behandelt sind, wie die echten;
jedoch ist beim Druck insofern ein einfacheres Verfahren ein-
geschlagen, als bei den einzelnen Exemplaren die Inschriften
nicht besonders gegeben sind, sondern auf die Nummern des
Index glandium spuriarum (S. 127—140) verwiesen wird. Die
Irrthümer früherer Herausgeber, namentlich diejenigen Desjardins’,
sind nicht angeführt. Auf den beigegebenen Tafeln sind von
den gefülschten Exemplaren so viele mitgetheilt, als genügt, um
den Unterschied zwischen gegossenen und gehümmerten Inschriften
klar zu stellen.
A. von Domaszewski hat mit seiner Abhandlung über die
Fahnen im rómischen Heere (14) einem oft gefühlten Mangel ab-
geholfen. Der erste Abschnitt dieser im hohen Grade lehrreichen
Schrift (S. 1 — 12) erörtert die taktische Bedeutung der signa
und zeigt, daß dieselben die Bewegungen der Truppen leiten
und im Nahkampfe, we die Ordnung der Schlachtreihe leicht ge-
stórt wurde, den kleineren Abtheilungen als Stützpunkte dienen
sollten. Bewiesen wird dies dadurch, daß die Römer die Bewe-
gungen der Truppen durch die entsprechenden Bewegungen der
signa zu bezeichnen pflegten. S. 5 wird eine interessante Ue-
bersicht über die Wendungen gegeben, welche durch Zusammen-
stellung von Verben mit dem Object signa gebildet sind, und
mit Recht geschlossen, daß man dieselben auf die Commando-
sprache des rómischen Militürs zurückzuführen hat. Da aber in
der Schlacht an die Stelle des Commandowortes oftmals das ge-
blasene Signal treten mußte, so giebt dies Veranlassung zu ei-
nem Excurse über die tubicines, cornicines und bucinatores und
ihre Obliegenheiten. Der Verfasser sucht sodann zu zeigen, daß
die signa ihren Platz im ersten Gliede hatten und bemerkt, wenn
zur Zeit der Manipularschlachtordnung bei Livius IX 89, 7
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 747
und sonst die Aastati als antesignani bezeichnet wurden, so lasse
das darauf schließen, daß neben den Manipelsigna noch eine
zweite Gattung von Feldzeichen existiert habe, welche hinter
dem ersten Treffen gestanden hütten. Diese signa seien in den
bei Plin. N. H. X 16: Homanis eam (aquilam) legionibus Gaius
Marius in secundo consulatu suo proprie dicavit . erat et antea
prima cum quattuor aliis: lupi, minotauri, equi aprique singulos or-
dines anteibant . paucis ante annis sola in aciem portari coepta erat,
reliqua in castris relinquebantur erwähnten Thierbildern zu er-
kennen, deren Bedeutung allerdings nur zum Theil klar sei.
Dieselben müßten zur Zeit des zweiten punischen Krieges noch
in der Schlacht verwandt worden sein, wie denn auch Polybius
VI 24, 6 ausdrücklich bezeuge, daf es in jedem Manipel zwei
signiferi gegeben habe, wührend doch nur ein Manipelsignum ge-
führt worden sei. J. Schmidt in seiner Besprechung der vorlie-
genden Schrift Deutsche Litteraturzeitung 1886 S. 12 sieht in
den Thierbildern Stütz- und Sammelpunkte für die ganze Le-
gion, wührend ihnen von Domaszewski die taktische Bedeutung
abspricht. Diesen über einen außerordentlich dunkeln Gegen-
stand ausgesprochenen Vermuthungen gegenüber hat Mommsen
in seiner Recension Archäol.-epigr. Mitth. aus Oesterr. X 8. 1
—11 ausgeführt, daß die Feldzeichen während des Gefechtes
ihren Platz nicht im ersten Gliede, sondern hinter der Abthei-
lung gehabt hätten; auf dem Marsche freilich und beim Vor-
marsche gegen den Feind seien die signa vorausgetragen ; ante-
signani würden diejenigen Soldaten genannt, welche keine Feld-
zeichen mehr vor sich hätten und dem Feinde unmittelbar ge-
genüberständen. Die Nachricht, der zufolge die römische Le-
gion bis in die Mitte des siebenten Jahrhunderts fünf Feldzei-
chen geführt habe, sei so zu deuten, daß der Adler von jeher
die ganze Legion repräsentierte, die übrigen Zeichen aber den
hastati, principes, triarii und velites zukamen. In der Mitte des
siebenten Jahrhunderts seien mit der Beseitigung der vier Ord-
nungen der Legionen jene vier Zeichen verschwunden. Diese
Annahme erklärt J. Schmidt Deutsche Litteraturzeitung 1887
S. 304 nur für eine Vermuthung.
Der zweite Abschnitt (S. 12— 28) behandelt die signa im
Zusammenhange mit der Organisation. Historische Nachrichten
über die signa beginnen erst in der Zeit der Manipularordnung,
bei der jeder Manipel der Legion ein signum führt. Die Frage
nach dem Verhältniß der velites zu den Manipeln und deren
signa scheint durch das vom Verfasser Beigebrachte nicht gelóst.
Die Cohorten und turmae der Bundesgenossen führten als Ein-
heit je ein signum ; von Unterabtheilungen der Cohorten, welche
besondere signa gehabt hätten , ist nichts nachzuweisen. Die
darauf vom Verfasser behandelte Frage nach der Entstehung der
Legionscohorte lassen wir, als dem hier zu besprechenden Ge-
748 A. Müller,
biete ferner liegend, bei Scite, schlieBen uns demselben aber an,
wenn er behauptet, in der neueren Legion hätten nicht die Cen-
turien, sondern nur die Manipeln Feldzeichen gehabt. Caesar
B.Gall. II 25, 2; VI 34, 6; 40,1 erwühnt den Manipel in Ver-
bindung mit den signa, und zwar in der Weise, daß er noth-
wendig die Centurie hitte nennen müssen, wenn diese ein signum
gehabt hitte. Dasselbe gilt von Tacit. Hist. III 21 vgl. mit
22; IV 77 vgl mit 78. Auch Dio Cass. XLVIII 42, 2 läßt
sich als Zeugniß für die Manipelzeichen anführen. Die 60 signa,
welche 22 bis zur Vernichtung geschlagene Cohorten bei Cic.
Fam. X 30 verlieren, und die 32 signa, welche den 83 Cohorten
Cäsars (B.Civ. III 67. 71) verloren gehen, kónnen, wie das Zah-
lenverhältniß beweist, nur Manipelsigna gewesen sein. Zwei Mün-
zen aus den Jahren 83 bezw. 49 v. Chr. (Fig. 34. 35) zeigen
einen Adler zwischen zwei signa, welche auf einem an der Fah-
nenstange befestigten vexillum die Buchstaben H(astati) and PYrin-
cipes) tragen. Da nun aber schon bei Cäsar als eigentliche Un-
terabtheilung der Cohorte nicht der Manipel, sondern die Cen-
turie erscheint (B.Civ. I 64, 5; 76, 3) und in der Kaiserzeit
die Listen der Soldaten nach Cohorten und Centurien geführt
werden, auch die Grabschriften nie den Manipel nennen, so wird
man anzunehmen haben, daf die Centurie damals die admini-
strative Einheit bildete, wührend der Manipel nur als taktische
Formation, zu welcher zwei Centurien unter einem signum ver-
einigt waren, in Geltung blieb. Im Laufe der Kaiserzeit ver-
schwand der Manipel aus der römischen Heeresorganisation völ-
lig. Im dritten Jahrhundert hatte die erste Cohorte nach Ephem.
epigr. V 709 nur fünf Centurien; die übrigen Cohorten um-
falten dagegen noch sechs Centurien, vgl. Ephem. epigr. V 10
und p. 260. Es ist also móglich, daf die Angabe des Vegetius
II 13 (S. 45, 5 L.), nach der jede Centurie ein signum hatte,
für die spiitere Zeit richtig ist.
Für die Entscheidung der Frage, ob Cohortenfahnen exi-
stierten, kommt Caes. B. G. II 25, 1: quartae cohortis omnibus
centurionibus occisis signifereque interfecto, signo amisso in Betracht.
Diese Stelle kann von einer Cohortenfahne verstanden werden,
wenn die Existenz derselben anderweitig feststände; existierten
aber nur Manipelfahnen, so würde Cüsar von seinen Lesern wohl
nicht mißverstanden sein. Andere Gründe sprechen dafür, daß
es Cohortenzeichen nicht gab. Einmal kennen die Inschriften in
der Legion nur einen signifer ohne weiteren Zusatz ; hätte es
zwei Gattungen von signiferi gegeben, so hätte dieser Unter-
schied doch in irgend einer Weise ausgedrückt werden müssen.
Sodann zeigen die Bildwerke nur eine Form des Legionssignums
und endlich ist der Zweck des Cohortensignums neben den drei
Manipelzeichen durchaus unerfindlich. Man vgl. auch Tac. Ann.
IlI 20: pulsa cohorte — increpat signiferos.
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u.s. w. 749
Der Adler, den die Legion seit Marius führte (vgl. Plin.
N. H. X 16) soll nach der Meinung des Verfassers nicht eine
taktische, sondern nur eine symbolische Bedeutung gehabt haben,
insofern er der Ausdruck der Zusammengehörigkeit des Trup-
penkórpers war. Dem gegenüber hat Mommsen L |. geltend ge-
macht, es sei für Meldungen an den Befehlshaber von Wichtig-
keit gewesen, wenn die Ordonnanzen sicher waren, ihn dort.zu
finden, wo der Adlertrüger stand. Ueberhaupt habe jeder Füh-
rer einer Einheit ein Feldzeichen gehabt. Daher gebe es auch
keine Cohortenzeichen in der Legion, weil die Legionscohorte
ohne eignen Commandanten gewesen sei. Dagegen hütten die
republikanischen Auxiliarcohorten, die Alen der Kaiserzeit Ge-
sammtfeldzeichen; für die Auxiliarcohorten der Kaiserzeit, bei
welchen sich allerdings solche nicht nachweisen lassen, seien
vielleicht die imaginiferi eingetreten. Die ganze Armee als solche
habe keine Fahne gehabt. ° |
Wurde eine Abtheilung zu irgend einem Zwecke von dem
Stamme der Legion abgetrennt, so erhielt sie als Symbol ihrer
vorübergehenden Zusammengehörigkeit ein vexillum, d. h. ein
Banner aus Zeugstoff. Wurden mehrere solcher Abtheilungen
aus verschiedenen Legionen unter einem Commando und einem
vexillum vereinigt, so führte doch jede ihr besonderes vexillum.
Größere Abtheilungen, welche aus ungetheilten Verbänden ge-
bildet wurden, z. B. Cohorten, behielten natiirlich ihre ihnen
eigenthiimlichen signa. Bei kleineren Abtheilungen, denen ur-
spriinglich kein signum zugekommen war, z. B. Centurien, soll
das vexillum, dem sie unterstellt wurden, auch dem taktischen
Zwecke gedient haben. Auch die Veteranen, welche bereits die
missio erhalten hatten, aber noch bei dem Heere blieben, waren
unter einem vexillum vereinigt.
Bei der Legionsreiterei, der Reiterei der cohortes equitatae
und wahrscheinlich auch den Reitern der cohortes praetoriae hatte
vermuthlich jede turma ein vexillum. Ein Relief in Pettau (Fig.
95) stellt einen vexillarius der equites legionis dar, sein vexillum
trägt die Inschrift vez. eg. Bei den alae und den equites singu-
lares der Kaiser finden sich sowohl signiferi als vexillari. Daß
die Verschiedenheit der Bezeichnung in der verschiedenen Form
der Fahnen begründet sein muß, ist an sich klar und wird be-
stätigt durch das Relief des signifer einer ala, an dessen signum
das vexillum fehlt (Li. A. u. h. V. 18, 7, 1 — v. Doma-
szewski Fig. 88, der aber den nach Weckerling Paulus-Museum
I S. 61 in Worms befindlichen Stein fälschlich nach Trier ver-
setzt). Ueber das Verhältniß der vexillarii zu den signiferi sind
wir nicht unterrichtet. Von den signiferi wissen wir, daB jeder
turma einer zugetheilt war (CIL VIII 2094); auch bei den equites
singulares ist dasselbe wahrscheinlich (CIL VI 225).
Die Prätorianercohorten waren in manipuli eingetheilt, sie
750 A. Miller,
hatten daher Manipelsigna; wahrscheinlich bekamen, als die Ma-
nipeln in der Legion aufgehoben wurden, auch bei den Präto-
rianern die Centurien Feldzeichen. CIL II 2610, eine Inschrift,
welche vor Septimius Severus gesetzt werden muß, bezeugt ei-
nen signifer in centuria. Die fragliche Aenderung fiel möglicher
Weise mit den Reformen Hadrians zusammen. Wenn Mommsen
auch für die Gesammtheit einer Prätorianercohorte ein Feldzei-
chen annimmt, so ist ein solches bis jetzt noch nicht nachge-
wiesen.
Der dritte Abschnitt (S. 28--80) beschäftigt sich mit der
Form der Fahnen. Als Quellen dienen hier die Grabsteine von
Fahnentrügern, die Darstellungen von Fahnen auf den Sieges-
säulen und 'lriumphbógen und endlich Münzbilder. Zunächst
wird der Legionsadler behandelt. Aus den 9 beigegebenen Ab-
bildungen erhellt Folgendes. Der auf einer ziemlich starken
Fahnenstange befindliche Adler hat entweder in den Fängen ein
Blitzbündel oder sitzt auf einem Postamente; die Flügel sind
entweder ausgebreitet oder aufgerichtet. Letzterer Form wird
der Gedanke zu Grunde liegen, daß der Adler gleich einem
glückverheilfenden Augurium der Legion vorschweben soll (vgl.
Tac. Ann. II 17; Hist. I 62). Die Fahnenstange ist einmal
(Lindenschm. A. u. h. V. I 4, 6, 1 = v. D. Fig 3) mit einem
Griff zum Herausziehen des Feldzeichens versehen, mehrmals
findet sich unten an derselben ein Querholz, um das Einsinken
zu verhindern und meistens ein Schuh zum EinstoBen in den
Boden. Li. A. u. h. V. I 4, 6, 1 und Zoéga Bassir. I 16 (Or.
3509) ist der Adler mit einem, an letzter Stelle vom Verfasser
fülschlich anders gedeuteten, Kranze, und auf zwei Darstellun-
gen von der Trajanssäule (Fröhner pl. 33 u. 77 = v. D. Fig.
9 und 11) mit der Mauerkrone geschmückt. Zur Erklärung die-
ser Erscheinung ist von Zonaras VII 21: ov xur &rdpa puoror
aororevourta Tuvia Èdidoro, wu xai Aoyowc xai Giguromédoig
04066 ugelyero auszugehen, einer Stelle, welche lehrt, daß die
militärischen Ehrenzeichen auch an ganze Truppenkôrper ver-
lichen wurden, wo man sie dann naturgemäß an den Fahnen
anbrachte.
Für die Manipelsigna der Legion werden 41 Abbildungen
beigebracht. Aus denselben ergiebt sich, daß die Fahnenstange
eine Lanze ist, welche unten in einen Schuh zum EinstoBen
endet Eine kurze Querstange über dem Schuh verhindert das
zu tiefe Einsinken, wührend eine ziemlich tief angebrachte Hand-
habe das Auszichen des signum erleichtern soll Die Fahnen-
stange war mit Silber bekleidet; vgl. Dexippi Frgm. 24, Müller
Fr. hist. Gr. UI p. 682: x«10mv dèi Baoséws rà chuata mr tic
lméxiov stoumiacg? LR O€ elow dsroi yovGot xai elxovec Buclhesos
xai crguronédwr xurthoyor yoriumaci yovooig dnlovuevoy a di
Cipmavia uvarsrapira ngovpulrero ri Evorwy ijgyvgupuevun,
Die neueren Arbeiten über Tracht u. Bewaffnung u. s. w. 161°
Oben an der Fahnenstange ist ein Querholz befestigt, welches
an beiden Enden in Ringen purpurne Bander trägt (Vit..Gord.
8); an den Enden dieser hangen silberne Efeublätter. Dies
Querholz zeigt auf der Trajanssäule eine vertiefte von einem
Rahmen eingeschlossene Fläche (v. Dom. Fig. 24. 29), auf der
wahrscheinlich die Bezeichnung des Truppenkérpers ihren Platz
fand. Dieselbe wiirde in der Kaiserzeit beispielsweise gelautet
haben: LEG. XIIII, GEM. M. V. COH. Vi. H. wozu denn bei
einer Centurienfahne noch PR oder P getreten sein würde. Un-
ter dem Querholze sind an der Stange regelmäßig mehrere in
der Mitte gebuckelte und mit aufgetriebenem Rande versehene
Scheiben befestigt. Dieselben stimmen in ihrer Form mit den
phalerae (vgl. Philol. XXXIII S. 656 ff), soweit diese nicht mit
Reliefs geschmückt sind, überein. Man hat im Anschluß an die
erwähnte Sitte, ganzen 'Truppenkörpern militärische Ehrenzeichen
zu verleihen, hier eben die phalerae zu erkennen, und, da die
Zahl dieser Scheiben an den einzelnen signa verschieden ist,
anzunehmen, daß die Zahl der Verleihungen für die einzelnen
Manipeln nicht die nämliche war. Uebrigens scheinen die pha-
lerae nur 'Truppenkórpern der Infanterie verliehen zu sein, wüh-
rend die alae die torques erhielten; dies geht aus der Erwüh-
nung einer ala torquata CIL VI 3538 und III S. 1146 sowie
einer ala bis torquata Or. 516 und Eph. ep. V 41 hervor. Die
phalerae an den signa waren wahrscheinlich von Silber und wur-
den vermittelst eines an ihrer Riickseite befindlichen Ringes auf
die Fahnenstange geschoben. Die Reihe dieser Ornamente wird
sehr häufig unten durch einen Halbmond abgeschlossen, dessen
Charakter als Apotropäon nicht zu verkennen ist. Wenn sich
über dem Querholz noch eine corona und ein vexillum finden, so
sind diese auch als Auszeichnungen verliehen. Mitunter wird
dort auch ein kleiner Schild bemerkt, der ebenso zu erklären
sein wird. Eine aufgerichtete Hand auf der Stange ist eben-
falls als ehrende Auszeichnung, und zwar als Symbol der Treue
zu fassen. Zum Schluß des Abschnittes über die Legionssigna
handelt der Verfasser noch über die Thierfiguren, welche an den
Fahnenstangen vorkommen und bemerkt, keinenfalls seien die
Fahnen der einzelnen Unterabtheilungen durch die Fahnenthiere
unterschieden, im Gegentheil sei anzunehmen, daß jeder Legion
nur ein Thier als charakteristisches Symbol verliehen sei. Daf
in denselben Apotropäa zu erkennen sind, scheint festzustehen.
AuBer auf die vorliegende Abhandlung verweise ich in Betreff
dieses Punktes auf meine Ausführungen Philol. XX XIII S. 678 ff.
Zu den Prütorianersigna sind sodann 27 Abbildungen bei-
gebracht. S. 67 ff. werden die Resultate der Untersuchung fol-
gendermaßen zusammengefaßt. Für die trajanische Zeit läßt sich
folgender Typus feststellen. An der Fahnenstange, welche auch
hier von einer Lanze gebildet wird, ist oben ein Querholz be-
752 A. Müller,
festigt, von dessen Enden mit Efeublättern geschmtickte Bän-
der niederhangen; über dem Querholz sitzt ein Adler; an der
Stange befinden sich theils die imagines, theils coronae aureae,
murales, classicae und vallares. Meist sind zwei imagines, welche
in der Mitte der Stange befestigt sind, durch eine oder zwei
coronae getrennt. Zwischen einer den unteren Abschluß sämmt-
licher Ornamente bildenden Quaste und der unteren imago, so-
wie zwischen der oberen imago und dem Querholz sind ebenfalls
eine oder zwei coronae eingeschoben. Indessen haben die ehren-
volleren coronae, die muralis, classica und vallaris, wenn nur je
eine vorhanden ist, ihren Platz zwischen den smagines. Die
vexilla und kleinen Schildchen haben ihre Stelle an der Spitze
des signum und sind von dem Adler gewöhnlich durch eine co-
rona aurea getrennt. Eine solche wird man auch zu erkennen
haben in dem aufrecht stehenden Kranze, welcher den Adler
umgiebt. In einem Falle (Fig. 58) ist ein kleines Gôtterbild
(Victoria ?) auf der Spitze des signum befestigt. Ziemlich er-
heblich verschieden ist die Form des signum auf dem Bogen des
Claudius (Fig. 79 a und b) Der Verfasser vermuthet, daß
Vespasian bei der Reconstruction des Prätoriums die trajanische
Form eingeführt habe. Später scheint auch Septimius Severus
bei seiner Neubildung der prätorischen Cohorten eine Aenderung
vorgenommen zu haben, welche wir aus dem Reliefs am Bogen
der argentarü kennen (Fig. 80). Von einigen andern vom Ver-
fasser sorgfültig angeführten Einzelheiten sehen wir ab und be-
merken nur noch, daß von den imagines eine nothwendig als das
Bild des regierenden Kaisers anzusehen ist; wen die andere oder
die andern darstellen, ist nicht immer mit Bestimmtheit zu sa-
gen. Alle Bestandtheile des Prütorianersignums mit Ausnahme
der Binder und Quasten werden von Gold gewesen sein.
Was sodann die imagines und imaginiferi anbetrifft, so findet
sich an den Legionssigna und den Fahnen der Auxiliarcohorten
nie eine imago des Kaisers; dahingegen scheint bei diesen Trup-
penkórpern das Kaiserbild an einer besondern Fahnenstange ge-
tragen zu sein, wie denn auch inschriftlich für beide imaginiferi
bekannt sind (vgl. Cauer Eph. epigr. IV p. 372, III Nr. 1—24).
In der Legion stand der imaginifer in der ersten Cohorte, in den
cohortes equitatae bei den Reitern. Bei den alae gab es außer
den signa der einzelnen turmae noch ein signum des ganzen Trup-
penkórpers, und zwar galt als solches die zmago des Kaisers.
Dies beweist der Verfasser durch einen Fig. 85 wiedergegebenen
Grabstein eines signifer alae Petrianae (leider ist die Quelle nicht
angeführt), dessen signum als alleinigen Schmuck das Kaiser-
bildniß trägt, sowie aus einer Analyse der Erzählung über den
Einmarsch des Vitellius in Rom bei Tac. Hist. II 89. Bei die-
sem führten den Zug die signa, welche ganzen Truppenkérpern
angehörten, nämlich 4 Legionsadler, 4 vexilla für Legionsdetache-
Die neueren Arbeiten über Tracht u. s. w. 753
ments, 12 signa von alae. Da nun selbstverständlich die tak-
tischen Zeichen der Manipeln und Turmen bei ihren Abthei-
lungen befindlich waren, so folgt, daß jene Reitersigna den gan-
zen alae zukamen. Ebenso folgt aus dieser Stelle aber auch,
daß die Auxiliarcohorte keine Gesammtfahne hatte, denn eine
solehe wird neben den genannten nicht aufgeführt. Auch bei
den cohortes urbanae und den vigiles finden sich imaginiferi, bei
den equites singulares wird das signum jeder turma das Kaiserbild
getragen haben. Die equites singulares waren eben die Garde der
Auxiliaren, wie die Pritorianer die der rómischen Biirger-
soldaten.
Die signa der Auxiliarcohorten, zu denen nur zwei Abbil-
dungen beigebracht werden, sind im wesentlichen den Manipel-
signa der Legionen nachgebildet. Das Fig. 88 dargestellte
signum eines signifer alae Hispanorum, an dessen Querholz anstatt
des vexillum Efeublütter befestigt sind, ist bereits oben erwühnt.
Fig. 89 nnd 90 geben Thierfiguren, welche auf einer Stange
getragen werden, und zwar bezw. einen Widder (von der Tra-
janssäule pl. 72) und einen Stier (Bruce Lapid. septentr. Nr.
930) Unter Berufung auf Tac. Hist. IV 22 erkennt der Ver-
fasser hier signa der mumeri, welche auf nationaler Grundlage
zusammengesetzt und organisiert waren (vgl Mommsen Hermes
XIX S. 219 ff). Eine andere Deutung habe ich versucht
Philol. XXXIII S. 681. Auch für die speculatores, über welche
zu vgl. Marquardt Rum. Staatsverw. II? S. 547 ff., kommen
eigne Feldzeichen auf Münzen des Antonius, Galba und Vespa-
sianus vor (Fig. 91—93); sie sind den Manipelzeichen ähnlich,
haben aber nur je eine phalera an der Stange und außerdem
auffallender Weise ein Schiffsvordertheil.
Die Form des vexillum bei Reitern und Fußgängern zeigt '
keinen wesentlichen Unterschied. Der Verfasser gibt Fig. 94
das vexillum einer vexillatio der leg. IT Aug. nach einer Relief-
platte des britischen Museums, Fig. 95 das bereits erwühnte
vexillum der Legionsreiter und Fig. 96—100 mehrere Darstel-
lungen von Triumphaldenkmälern. Im Einzelnen treten Ver-
schiedenheiten auf, je nachdem das Querholz mit den beiden
Bändern fehlt oder vorhanden ist, und der untere Rand Franzen
hat oder nicht.
Flensburg. Albert Müller.
Philologus. N. F. Bd. I, 4. 48
Miscellen.
27. Ad inscriptiones Phrygias.
Versuum popularium et vere barbarorum vestigia in in-
scriptionibus Graeco-Phrygiis quas ego in ‘Zft. f. vergl. Sprachf.'
1887 edidi acute indagavit Crusius in Philologo huius anni
p. 44 sqq. Quum tamen pro eo quod ego scripsi zéxru awou
érru[youro], ile réxre &woa [Aínovro] proposuit, et literarum
ab Hamiltono descriptarum consecutionem AWP.4 ENTY omnino
non respexit, et usitatiorem verborum significationem neglexit
vir doctissimus, Graecae linguae quam Phrygiae Graecitatis pe-
ritior. Scilicet inter exsecrationes in Phrygiis monumentis in-
scriptas vulgo admittuntur duae formulae: aut pater ipse prae-
mature moriatur, 0ogura 1éxra Afmowo (sic), yiyor Blor, olxov
Zgnuor, aut eius liberi ante aetatis florem pereant, réxve awoa
ngoYoiro et huiusmodi alia. Hae significatione versum dum volt
facere, pessime deformavit homo barbarus pro eo quod in ex-
emplari stetit «wou 19yowo scribens «wg érzvyovro. Phryga,
Graece ut fit minime peritum, ita dixisse non negarim, neque
adfirmarim utrum «woa nominativum („liberi ei contingant")
an accusativum (,,liberos inveniat“) dicere voluerit; hoc au-
tem haud scio an verisimilius sit. Enimvero magnam per par-
tem Phrygiae et Lycaoniae barbaros, lingua sua plerumque usos,
Graecae aut minus peritos aut prorsus expertes atque ignaros
tertio saeculo fuisse, et inter rusticos linguam (Graecam nonnisi
Christianismi impulsu divolgatam esse, persuasum mihi habeo
et compluribus locis subtilius edisserui.
At tertium genus imprecationis, réxva awoa Afmouro, ,,liberos
nondum adultos moriens relinquat", concinnavit Crusius, vocem
&090« ex secundo genere prioris significatione usurpans. At
hane vocis @wgos significationem in Phrygiis inscriptionibus haud
Miscellen. 755
facile invenias; nam awovig meginíGou0 cvugpognis (C. I. G.
3883) in filii morte praematura rupti sepulcro inscriptum, idem
valet ac tuig avraig megentoosto Ovugyogais (3843, collato et
téxrwy culpww HEQUTÉCOUTO Gvuqoguic).
Nec iure dubitabis de verbi évruyouro flexu; Phrygas enim
pro optativo activae mediam vocem libenter usurpare cum ibidem
in adnotatione iam dixerim nunc exemplis infra scriptis con-
firmo: 10 «gag doéravov slg tag olxnaec elotàFosro xai undérav
(sic) èrxatadelpero (i. e. -parto): dopava tÉxva: Alnoso: Fewv
Iodıxwv xeyolwuérwy tUyorov (sic): téxvwy awowy 718010800110
Cuugpognic.
Quod nomen repperit Crusius ’Aouelvn, quamvis exemplari
typis expresso (20MNHK 4CMEINH) commendari videtur, non
est admittendum: quippe per neglegentiam typographorum et
meam ante KAC excidit K littera schedis manu scriptis, unde
xè Kuouelvn transscripsi, probe servata.
Aberdeen. W. M. Ramsay.
28. Zu Aristophanes.
(Vgl S. 870).
9. Es sei gestattet hier in Kürze auf eine Stelle zurückzu-
kommen, dureh deren Behandlung in meinen Coniecturae Aristo-
phaneae (Gotting. 1878 p. 52 — 58; vgl p. 154 sq.) ich mir
zum Theil den Tadel meines Recensenten Wecklein (Philol. Anz.
X 1879 n. 3 S. 167) zugezogen habe. Lysistrata klagt über
die Sinnlichkeit der Frauen, die trotz ihres Eides zu den Männern
zurückbegehren und auf pfiffige Weise aus der Burg zu entschlüpfen
versuchen. Sie schildert diese Versuche V. 720—725: ın» uév ye
nou rv (ngmnr?) diadéyovoav tiv onnv | xuréiaBov 7 tov [lavoc
ior, ıavAlor, | zv d° 2x rgoyuèlac (toogràziug Herwerden) xaz&-
Avonmwuérnr, | 10v d° aviopodovouv, rjv d' imi cigoudou pilav |
non néreodar duvoovuérgy xatw | el; "Ogodoyou "XI: tw ıgıyWv
xurésrucux. Wenn dies vier verschiedene Versuche sein sollen,
so fehlt bei der Schilderung des dritten gerade das Charakteri-
stische desselben, denn das «vrowodsiv ist allen gemeinsam, ver-
schieden ist nur die Art und Weise des Versuches. Das hat
schon Herwerden stud. crit. in poetas scen. p. 54 gefühlt, ohne
auffallender Weise ein Heilmittel gefunden zu haben; ich selbst
ging der Stelle a. a. O. S. 56 ferro et igni zu Leibe, O. Schnei-
der dagegen (J. f. Phil. 121 1880 S. 176 sq.) mit einem sehr
gelinden Mittel, indem er 723 das erste zi» d° in r7d hac via
verwandelte und die Worte 27d’ avrouoAovcav zu dem vorher-
48 *
756 Miscellen.
è
gehenden Satze zog — nach meinem Gefiihl eine sehr steife,
prosaische Wendung. Richtiger scheint es mir zu sein, wenn
man mit den Worten rjv 6° «vrouodovouv die Schilderung des
dritten und letzten Versuches beginnen läßt und für- das zweite
ij» 0 etwa vn At’ schreibt: zi» d° «vrouodoveur vn Ai’ ini
0100.90» — wodurch, wie z. B. Pl. 165, eine gewisse Steigerung
in die Aufzählung kommt. Die Verbindung der Worte émi
OrgovJov mit avrouodovour halte ich nicht für anstößig, da der
Begriff des Gehens in «vrouoAeir wohl kaum noch recht em-
pfunden wird, sonst kónnte das Wort hier überhaupt nicht ste-
hen, da es sich um ein einfaches Davong ehen auf keinen Fall
handelt. Das Particip dearoovuévyr ist dem Particip aÿrouo-
Aovour untergeordnet, beide aber abhängig nicht mehr von xa-
rTÉéAnfov 721, sondern von x«ríonaca 725, so daß hinter xazs-
Avonwuérnr 722 besser ein Kolon zu setzen ist. Ueber yufay
728 denke ich noch wie früher (a. a. O. S. 56 sqq.), bin aber
bisher zu keinem befriedigenden Resultate gekommen; sollte Ar.
etwa ini orgov&ıdlow geschrieben haben ?
6. In einem ungemein gelehrten Aufsatze hat H. Usener
Rh. Mus. 23 (1868) S. 316 sqq. die Existenz einer Hecate-Kal-
lone zu erweisen gesucht und ihren Namen an zwei Ar.-Stellen,
P. 278 und Av. 63, zu finden geglaubt. Die Sache scheint mir
zwar noch etwas problematisch (zustimmend hat sich kürzlich
K. Tümpel J. f. Phil. 135 1887 S. 104 geäußert *), doch ließe
sich die Conjectur Useners zu P. 278 vielleicht noch verein-
fachen und dadurch empfehlenswerther machen. Die Hss. bieten
(ueuvnuéroc,) vor gor evenodu. xvdov — Usener schlägt vor
sur éEuoG09e Kuddovn, indem er daran verzweifelt evyeoPus in
den Vers zu bringen: das ist aber dennoch móglich, wenn man
schreibt: vor ev x1é' cri Kadlorn. Vgl. Budicré ’êcréy Ach.
394. èurogevita Ach. 480. ov waddaxaré’, alia negixudonita
N 727. iov — nhsvoréx L. 411. 209° nımıea L. 450. ovrex-
noté” tori Pl. 1085. add’ elosré” slow PI. 1088 (so Stanger, eto-
19° codd.).
7. Av. 1437: Zum Peithetairos kommt ein Sykophant
und bittet um Befliigelung, um sein Gewerbe schwunghafter be-
treiben zu können; Peithetairos will ihn auf den richtigen Weg
und zu einem ehrlichen Beruf weisen, aber der Sykophant ent-
gegnet 1436: w dwörs, un vovdétes u al nrégou. Darauf
erwidert Peithetairos 1437: vvv tos dé; wr nreow os In dem Ge-
fühl, daß das versichernde vi» 10, hier nicht recht am Platze sei,
hat Bergk an vert gedacht: ich glaube, das Gespräch gewinnt an
*) (Vgl. jetzt die weiter ausholenden Bemerkungen desselben Ge-
lehrten ‘Die Aîthiopenländer des Andromedamythos’, XVI. Supplbd.
der Jahrbb., S. 159 ff. 176 ff. 197 f., sowie die beifülligen AeuBerun-
gen O. Gruppe’s oben S. 93 ff. Cr.].
Miscellen. 157
Lebhaftigkeit und an charakteristischer Färbung, wenn wir die
Worte als Frage des Unwillens und der Verwunderung auffassen
und schreiben: vor d’où A£ywr nreow os; worauf die in demselben
Tone gehaltene Gegenfrage des Sykophanten: xai muc av Adyoss |
dvdou ntegwosug ov; trefflich paßt. Vgl. PL.120: (6 Zeug
Enıolpe we). X. viv d’où rovro ded, | Sos of mgocntalorta
BEQsvoorety EG;
8. Der Mathematiker Meton ist in die eben gegriindete
Stadt Wolkenkukuksheim gekommen und macht sich durch seine
Aufdringlichkeit lästig. Peithetairos sucht ihn zu verscheuchen
1010 sqq.: 1039? or) ids 0° Erw, | x&poi meFopevog vaanoxlves
tng odov. | M. 16 d' doii dewov; I. wonso dv Auxedulpors | Es-
ynhureitus (Seger, Haupt; Eevyiatourzas codd., Sevndaroves Elms-
ley, §evnAutovmer Dindorf — was die Verderbniß leichter er-
klärt: die Endung -rre des folgenden Verbum verdrüngte die
Endung - uev des vorhergehenden) xui xexlwavral veg | nÂnyui
Ovyvui xar' uorv. M. uwv craters; Schnee S. 12 findet es
auffällig, daß Meton, nachdem er gehört hat, die Fremden wür-
den ausgetrieben, noch fragt: uw» oracstexe; und nicht sofort
sagt undyosul ray av. Er will daher EergAareize schreiben und
die Worte als Frage dem Meton geben: rf d’ dori desvor; done
& Aaxeduluovi | Eevndateize; I. xai. xexlymvrul tiveç nÂnyai cuyvai
xai aoıw. M. uv otaowubere; Aber dann müßte es in der
Antwort xui xexivnvtat ye heißen: vgl. Ach. 317. N. 355. V.
422. 1003. P. 875. Av. 825. 500. Th. 741 (vgl. Fritzsche,
Blaydes) R. 49. 68. 1074. Pl. 103. 473. Da Schnee über die
Stelle nichts weiter bemerkt, so scheint er die Bedenken, welche
Kock gegen die Redensart xsveiv màÀgyág und die Verbindung
Té; — ovyval erhoben hat (exercitt. critt. p. 8), nicht zu theilen.
Kock meint, daß xsvsty nAnyas excitare verbera, so ungewöhnlich
es klinge, doch vielleicht in der Tragödie habe gesagt werden
können, nicht aber, wie hier, in einer ganz schlichten Erzäh-
lung: aber dann paßt x«i xsxlvnvrus moéves, wie er schreibt,
auch nicht, denn das klingt entschieden tragisch: vgl. Av. 1238:
un Fewv xlver goévac. R. 899: ovd! axlunros qoévec. Eq. 1287:
ws puoù yonouds ünısıu œoerwvr. Gegen Kocks Behauptung,
molÀÀovc mnvac Giourswiuç habe auf keinen Fall gesagt werden
kónnen, habe ich Conjj. Ar. S. 71 drei Stellen aus Plato ange-
führt: Pl. Protag. 315 d (vgl. dort Sauppe) Legg. III 678 d:
naunoAluc uolr (ysrtaig) 682 b: è» moddoîs us yoovoss. In-
dessen gebe ich jetzt zu, daß an der vorliegenden Stelle ein ab-
schwächender Zusatz zu cvyvaí wenig passend ist, da Meton ja
geüngstigt werden soll. Vielleicht läßt sich der Anstoß durch
eine ganz geringe Aenderung beseitigen, indem wir schreiben:
xi xexlvnvial tive | nAnyal Guyvai xai Gorv — 80 dab mit n».
andeutungsweise Meton gemeint ist: vgl. R. 352: xaxó» Axis uf.
554: dwos ng díxy. Pl 382: ogw nv imi roù fnparos xa-
758 Miscellen.
Fedovuevov. R. 664: Haynoty ng. R. 628: ayogedw revi | eu’
un Bacavitev. Will man Schnees Vertheilung der Worte an-
nehmen, so müßte man schreiben: xai xexlonviul yé s — wie
es R. 606 heißt: 7xe tw xaxov.
Frankfurt a. O. O. Bachmann.
29. Dionys von Halikarnaß über die Laut-
bildung (de comp. verb. 14).
Das interessanteste Kapitel von Dionys' unschützbarem Es-
say tiber die Wortfiigung — die Lautphysiologie — ist bis jetzt
das einzige, das uns in einer wiirdigen Textgestaltung vorliegt,
durch Useners Bearbeitung im Bonner Sommerkatalog 1878. Die
Auseinandersetzungen des Dionys sind durchweg klar und ver-
stindlich, bis auf einen Punkt, in dem meiner Meinung nach
auch Usener nicht das Rechte gesehen hat, das ist die an 3
Stellen erwähnte Mitwirkung der «9:nof@ bei der Lautbildung.
Es heißt zunächst (S. 74 Rske = 160 Schfr.) von der Bildung
der Vocale: "Expwveita, tutta navia tig dorgo(ag Ovseyovong 10
nvebuu xai TOÙ Oromarog ande oynuansoIErıog TG TE yAwoons
oùdèr nonyuarevouévnc &AÀ iosuovons. So in den bisherigen
Ausgaben. Der Scholiast des Hermogenes dagegen, der sich
durch eine Fülle der besten Lesarten der sonstigen Ueberliefe-
rung gegenüber auszeichnet, bietet: rc dGornolas Gurnyouonç 19
nvsvuwun. Usener verwirft beides und schreibt: ovveyéc avadı-
dovons 10 nrevuu. Allein, was uns der Usenersche Text be-
schreibt, ist nicht die Bildung eines Vocales, sondern lediglich
die Thätigkeit des Ausathmens. Die Hauptsache fehlt, daß
nümlich der Luftstrom den Kehlkopf nicht ger&uschlos passiert,
wie z. B. bei der Bildung der Mutae, sondern in demselben den
Stimmton hervorbringt. Nun war zwar den Alten die Function
der Stimmbänder noch zu Galens Zeit unbekannt (s. Steinthal
Gesch. der Sprachw, S. 285), daß aber der den tönenden Lauten
eigene Stimmton in der Kehle entsteht, mußten sie fühlen und
haben es auch ausgesprochen. Nach Galen de Hipp. et Pl. H
4 p. 238 (Steinthal a. a. O.) wird die èxpvonoss dadurch zur
ywrn, daß sie von den Kehlkopfknorpeln wie von einem plectrum
geschlagen wird. Diese Anschauung bezeichnet schon einen
Fortschritt gegenüber der des Aristoteles, der (de anima H 8,
420 B, Steinthal S. 247) die Luftróhre selbst bei der Bildung
des Tones betheiligt sein läßt. Die eingeathmete Luft „schlägt“
nach ihm, ,,die in der Luftróhre befindliche Luft gegen diese
Röhre“: 7 nAnyn tov àvaavtoufvov aégoc . . . . 7006 thy xaÀew-
pévny agrnolav ywvn gory, und später puri == wopog... os
Miscellen. 759
rov avanveoutvou uéoos wonso 7 BE, «AG rovi Tunes 10v dv
Th aortnole moóc «ùrnr. Wer den Vorgang so ansah, der konnte
mit demselben Recht sagen, dali 7 «ommola Gurnyei tw nrevunu.
Es ist also an der Lesart des Hermogenesscholiasten, die nur
die aristotelische Anschauung wiedergibt, um so weniger Anstoß
zu nehmen, als dieselbe den wesentlichsten Theil der Vocalbil-
dung beschreibt, der in Useners. Lesung vermißt wird.
Der Stimmton kommt den Vocalen nicht allein zu; es ist
daher ganz sachgemäß, wenn Dionys auch bei der Bildung des
A (S. 78 R = 168 S) die mittönende Luftröhre erwähnt. Die
älteren Ausgaben bieten auch hier ovveyovong 10 nvevua, die bes-
seren Handschriften übereinstimmend mit dem Hermog. schol.
Gurnyovonc, wozu nur der Marcianus 70 avevuc fügt. Schon Göl-
ler nahm ovrnyovens auf und strich to avevua; Usener thut
dasselbe, indem er an dieser Stelle das ov»nyeiv nicht bean-
standet,
Ausgeschlossen vom Stimmton sind natürlich die Explosiv-
laute; um so mehr muf es überraschen, wenn wir bei der Bil-
dung der K-laute (8. 84 R. = 176 8.) wiederum auf die mit-
tónende Luftröhre stoßen. Allein glücklicherweise leidet die
Stelle noch an einem zweiten schweren Bedenken, so daß wir uns
nicht sowohl um eine andre Deutung der avrgyovo« ägrnofu, als
vielmehr um eine Emendation der Stelle zu bemühen haben,
Dionys beschreibt die Bildung der drei Gattungen der Mutae,
indem er jedesmal genau die 2 Stadien derselben scheidet, die
Bildung des Verschlusses und die Bildung des Lautes durch Auf-
hebung des Verschlusses. Er strebt dabei sichtlich nach Ele-
ganz und Abwechslung im Ausdruck. Die P-laute entstehen
ihm, oiov, tov GIOUUTOG i663 érroc, 16 MooBudiousvoy Ex TG aQ-
tngiug metus Avon 10v décuor aviov. Die T-laute zus yAwrenç
&x90 1H OroMnte moocegéidouérgc KATH TOUG pereagovs Odovrag,
End V7 rov mrevuaroç aroggimtouern: xai thy ditEodov avid
xutw mJtgi 1009 dddrtug tnodidovons. Die K-laute nun, heißt es,
entstehen ro yAwting aviciauerag mods tov obguvòv èyyùs 1nc
puovyyoc x«i ıng aemolac bmngovons to mrevuau. Hier ist er-
stens das Mittönen der Luftrôhre' unerklàrlich, zweitens wird
nur die Vorbereitung des K-lautes beschrieben, aber die Haupt-
sache nicht erwähnt, d. i. die Aufhebung des Verschlusses, wel-
che die Entstehung des Lautes erst ermöglicht. Beide Schwie-
rigkeiten sind gehoben, wenn wir schreiben: #75 yAwrrng àvicru-
uérns 7005 Tov ougaror Eyydg Tho qugvyyoc x&v vToLwoovong
7H nrevuun, und die Worte 176 «oinglac streichen, da sie erst
dem falschen vnnyovong ihr Dasein verdanken, ebenso wie an der
oben genannten Stelle ro avevua dem falschen cuveyovons.
Marburg i. H. Ernst Graf.
760 Miscellen,
30. Zu Antoninus Liberalis.
S. 202, 7 (ed. West.): yulenws . . diate3sica] vielleicht ist
zu schreiben xaxwo . . . diatedeion.
S 203, 12: ui dé avrov naga 16 cquu èIonrovv] richtiger
dürfte man schreiben at dé avròv nuon 3. o. & den Accusativ
avtov [sc. Meiéaygor] von è3gnvorv abhängig machend.
S. 203, 15: af dé «you vor Fu] der Sprachgebrauch erfor-
dert bloß aygerv» (cf. 202, 13; 205, 22; 223, 32: 225, 9;
225, 31; 228, 28; 233, 2).
S. 208, 29: érofnoer ogndu, 0c Oromuleraı viv tégak. Viel-
leicht ist vor vov das Wortchen £u ausgefallen ; ebenso ist S. 236,
10 so zu schreiben: 09sneg 30r. «Er viv adıng To iegov.
S. 205, 18: ore rag Tuovorov Bovg cuveddories dpeléo das]
ein Unbekannter hat auf den Rand einer editio princeps des Ant.
Lib., die ich besitze geschrieben: ‘vide ne rectius scribas Ore ....
ouvndelov dqtAéG9 uw.
S. 206, 14: 6 dè yrovg olov Foyov tungarioazo Neopouwv én’
avidi xai dg 10v ovgavòv àvafAtyac quEaro . . .] xal ist hier
als überflüssig zu streichen.
S. 208, 1: Avrovovv pèv elg tov Oxvov, Om avrov O mario
wxvnoey areAucaı tag Vnzovc] Daß der durch on eingeleitete
Causalsatz nicht in Ordnung sei, haben Kuhn und Jacobs rich-
tig erkannt. Ersterer verbesserte: 614 "drdov 0 muro .., letz
terer dti Ardov wv nung . . . . Ich meinestheils glaube, daß
die Worte «vrov resp. "Ardov 0 nutno als eine in den Text
hineingeschleppte Randglosse zu streichen sind.
S. 208, 21: xai avrò Auufav, of dà Svfaow wropuator).
Nach den Worten xei «$10 ist offenbar das dem of dé corres-
pondierende of ur» ausgefallen.
S. 210, 5: 6 dA4to6rvoos arti xogng éyévero tavoog]. Die
Worte avti x00ng sind zu streichen.
S. 211, 3: xai dnsıdn Faocov n 'Andav row icror 2Evpaner
— 6 MoXvregros agflxsro 905 llavdugswv]. Zweifelsohne ist
statt des durchaus unangemessenen Imperf., der Aorist (è5Ugnver)
zu schreiben.
S. 211, 22: uerediwéev avrüg ayers mods tov naréga] Statt
&yoic 006 . . . ist ayge moog... . zu korrigieren: denn An-
toninus Lib. setzt, mit Ausnahme von dieser Stelle stets vor
Wörtern, die mit einem Consonanten beginnen, aya: (resp. w£yes)
cf. 210, 3; 208, 15; 210, 24; 212, 3; 218, 23; 218, 17
und oft.
S. 212, 10: atosos xai mAfovos xci ini yüs pavelc]. Diese
Stelle ist meines Erachtens verderbt und so zu corrigieren: af.
x«l nifovor xai <Tois> éni y!g qavt(g oder: al. xoi «roig? mi.
Miscellen. mE 761
(cf. S. 212, 7: roig whéovosy of der. alovos pulvortas) xal «oig»
È. y...
S. 212, 18: ovrog 7v edoyijuwv ınv Oysr, 10 dà AFog üyagisc].
Vielleicht ist nach dem Artikel av die Partikel ui ausgefallen.
Cf. 217, 1: [olvon] ro uiv eldog o? peprti, ay. dà tò dos.
S. 214, 10: ng Zrexe Melstéu row Èv 17 ddp naida | Diese
Worte sind als Glossem zu streichen.
S. 215, 18: ànd dì above ini zv ayewy vuxtog Eneddoviss
Anocui ovreluußuvor, of dà ix twv nuoywv ÈBalov — où yàg ı0av
avrois loouayos — mug èvéBalov oí xAdmeg ely td oixla]. An
diesen Worten haben alle Herausgeber des Ant. Lib. keinen An-
stoB genommen, obwohl sie mir verderbt zu sein scheinen! Für
oí dà — èBudov ist zu schreiben: of dè sig rovg nupyous Épuyor.
So hat der parenthetische Satz bedeutend mehr Sinn: als Räu-
ber... . sie gefangen nehmen wollten und sie in die Thürme
flohen — denn sie waren ihnen nicht gewachsen —, warfen....
S. 216, 7: e uiv ? MO qv ric Leg noswy Èxadece ..., ant-
Aeye . .. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist statt dxadeoe zu
schreiben: xuloïer. Cf. 216, 10: ed dé xudoîsy magd iv Aog-
teme, . . . Edeye.
S. 218, 6: raving Être ufuynvims ing peraBorfg (cf. 218, 5:
ueréBale tiv quow tie nudos els xógov) Dulouor xoi Fvovos
Durin Antoi, nus Epvoe undea Tijxoon.] quc x0gn ist ein Zusatz
aus fremder Hand: denn er enthilt schon kurz vorher Ge-
sagtes, nämlich: ue iéfals ziv puo ris nudòs elc x0gov.
S. 218, 15: o neig Boronc édalcaro Tov éyxigaloy paddy
dì 10 yeyoroç Evunkos 1000€x00v0€ xar dern? n005 THY xepadiv
avrov]. Statt «vrov ist zu schreiben rov naudoc.
S. 219, 30: joav dì uvt@ naîdes Avxios xal . . . xul . ..
xai Juyatno Aoteulyn, naides ix pnioòs "Aonns]. Fontein. cor-
rigiert das zweite anstößige maîdes in masres. Ich meinestheils
glaube, daß das zweite maîdes zu streichen ist, da es durch das
erste veranlaßt sein wird.
S. 224, 10: o dè èyévero aoxalußog . . . . 0 d° anoxrelrus
xeyaoiouéros ylveras Ajunre]. Nach den Worten 6 d’ aa. scheint
das Pronomen uvıov ausgefallen zu sein.
S. 224, 21: xai avroîg einev 0 Feog Maccacdas:]. Lieb:
xai uvroig avetdev 6 Heo Î..
S. 228, 25: x«i esti» qAaEav an’ avSounwy eig dalpova].
Die Worte «x avFownov sind zu tilgen.
S. 228, 26: xai wrduacuy ‘ Auudovada vougnv Bußilda xai
nosınoavıo ovrvdlaitov érargfda}. Das Wort ovrdiaor ist zu
streichen als Glossem (von ézusgtda), welches sich in den Text
gedrängt hat. Cf. 8.280, 3: [“ Auadgvades vvugos] . . Imouf=
Gavio GvunalxrQuav.
762 Miscellen.
S. 229, 10: xai Eyévero ravta mold nod tic Houxleovc
Oreatefac|. Dieser Zusatz stammt wohl aus der Hand des ge-
lehrten Grammatikers, der die Ueberschriften gefertigt hat, und
ist als unecht zu tilgen.
S. 230, 2: ënei dé adriv qyunnoar unsopuws © Auadovadeg
vuupus xai Èrmoufouvio Ovunalsıgıav Éuvrdr, Edldatav vuvety
Feovs xai yooevew ] Ich schreibe: éasi de autny qyanyoav
unsopuas ‘Auudovudes viupar, xai Èrmoujouvio suptalxtorery
Éaurwr «xai» edfdakav . . ..
S. 231, 22: dewòs yao adrnr Eows eeunvevy éni rH narel
. êmei dì To mados avınv noonyev, Esine rmoòs ‘Innodvrny
THY igoqóv: 5j dà nugudwosy avi) axog tov magaudoyou wa Fovg].
Offenbar liegen hier zwei Schreihfehler vor; 1) ist èsì dà 6 n09og
und 2) &xog rov magadoyov moFov zu schreiben.
S. 232, 4: @elavtu dì nó9og EluBer exuuteiv, ug nv q
xvovoa] n xvovou ist unpassend. Jacobs vermuthet / rxouca.
Vielleicht ist 7 guoëox zu schreiben. Cf. Ovid. Met, Lib. X 477:
[Theias] . . . avidus cognoscere amantem . . . . vidit.
S. 233, 17: [Turrakor] dé, . . . . xareBads xai moi aù-
Tov vnig xeqahic 10v Xímviov] Melber (Mnem. Nov. Series Vol.
VI Ps. IV p. 404) nimmt Anstoß an dieser Stelle und corri-
giert: . . . xai ggeper adiov unig xepudrjc. Vielleicht ist je-
doch das éyg:wey wegzulassen und zu schreiben: . . xuréBude
x«i œuroù v3ig xegurng 10v Nirvdov (scil. xaréBudev).
S. 284, 8: éxeBouhevouy "Dàvowoi BugBagor xata pPovov
QVIQY TiC vic]. Statt IAT ct pIFovov ist xate nodov zu schrei-
ben. Cf. S. 228, 12: 6 Mivws xura nodor Evegelosi PuatecdTus
S. 235, 1: xai » alin svdatuovla mAsioıov vnsgnverxer].
Statt nàeicrov dürfte wAsfoıwv zu schreiben sein.
S. 238, 3: nage Bios . . . ro xvv(]. Ließ: È. Bavas ..
«cvv» 19 xv. Cf. S. 237, 22: Bros cà» 19 xv.
Dresden. H. Martini.
31, Noch einmal Cic. de imp. Cn. Pompei $ 24.
Philol. 41, S. 53 hat der nun verewigte E. v. Leutsch die
von mir früher (Philol. 38, S. 574) behandelte Stelle aufs neue
einer genaueren Betrachtung unterzogen und ist nach Verwer-
fung meiner Conjectur (confirmarat ex eo numero, qui se ex ipsius
regno collegerant) zu dem Resultat gekommen, daf die Lesart in
Ch als die einzig richtige anzusehen sei: confirmarat opera eorum,
qui ad eum ex ipsius regno concesserant (etwa mit Aenderung des
Miscellen. 168
letzten Worts in confluzerant). Auch ich bin nach wiederholter
Erwägung jetzt geneigt, meine Conjectur, wennschon sie mehr :
fach Beifall gefunden hat und z. B. von O. Heine in seiner
Ausgabe- von Cic. oratt. selectae sedecim, Halis 1888, in den Text -
gesetzt ist, zu Gunsten der früher von mir mit Benecke und
Halm als manifesta interpolatio angesehenen Lesart des Colo-
niensis zurückzuziehen, freilich aus anderen Gründen, als sie E.
v. Leutsch vorgebracht hat. Daß zunächst der Sinn der von
Halm u. a. eingeklammerten Worte der Vulg.: et eorum qui se
ex ipsius regno collegerant durch den folgenden Satz mazimegue
eorum . . . . qui vivunt in regno (= qui se... collegerant) ver-
langt wird, móchte ich bestreiten; Cicero will meines Erachtens
in den Worten nam hoc fere sic fieri solere accepimus .... die
auffallende Thatsache erklären, daß Mithridates ungeachtet seiner
bedrüngten Lage adventicia aurilia multorum regum et nationum
gefunden habe: „entthronten Fürsten gegenüber fühlen sich ge-
meiniglich Monarchen und monarchisch Regierte (qui aut
reges sunt aut vivunt in regno) zum Mitleid gestimmt“. — Ferner
möchte ich nicht ohne Weiteres zugeben, daß die von mir vor-
geschlagene Lesart confirmarat ex eo numero qui . . . deshalb ei-
nen unpassenden Sinn giebt, „weil man (wie v. Leutsch sagt) in
solcher Lage, wie Mithridates war, aus dem Zuzug nicht aus-
sucht, sondern nimmt, was man bekommen kann“. Die That-
sachen hatten, wie Mommsen (rim. Gesch. III S. 66?) darlegt,
Mithridates gezeigt, „daß das bloße Zusammentreiben ungeheurer
Heerhaufen nicht allein fruchtlos war, sondern durch die Ein-
fügung in dieselben selbst die wirklich marschier- und schlag-
fihigen Scharen unbrauchbar gemacht und in das allgemeine
Verderben mit verwickelt wurden. Mithridates suchte daher vor
allem die Waffe auszubilden, die zugleich die schwichste der
Occidentalen und die stärkste der Asiaten war: die Reiterei . .
Für den Dienst zu Fufì las er aus der Masse der aufgebo-
tenen oder freiwillig sich meldenden Rekruten die
dienstfáhigen Leute sorgfältig aus“... Dieser Darlegung
Mommsens würde die Lesart suam manum confirmarat ex eo nu-
mero, qui . . . se collegerant an unserer Stelle genau entsprechen.
Trotzdem halte ich sie, wie oben gesagt, nicht mehr für richtig,
und zwar vor allem im Hinblick auf eine Stelle des Áppian, auf
die mich H. Sauppe in einer brieflichen Mittheilung bald nach
Veróffentlichung meiner Conjectur zuerst aufmerksam gemacht hat.
Appian berichtet nümlich über die Vorkehrungen des Mithridates
um diese Zeit (Mithr. 87): ... 6 Mi99gidd tq; Onda te sloyubero
xara n0Àw ÉxdcorQ» xol Écrgatoloyes oyedóv awavtag ° Mopevtove.
°EndeZduevos d' ovzGv 1006 Gotorovs, ig Entaxisuuolove nebouc
xni innéas nulosas, 109 c uiv Giove aneAvoe, rovg 0 ig Mas ss
xai oneloas üyyorauto zig Iralixg ouvtakews xuraléywr Mortes
xoig avdodcı yuvuvalsıy nagedidov. Das neugesam-
764 Miscellen..
melte Heer (die manus) des Mithridates bestand also vorwiegend
aus Armeniern; unter diesen traf er seine Auswahl, ordnete die
Gewählten nach rómischer Weise und lief) sie durch pontische
Offiziere einschulen und fiir den Kampf tiichtig machen. Mit
dieser Angabe Appians stimmt die Lesart in Ch an unserer Ci-
cero-Stelle aufs genauste: confirmarat opera eorum, qui ad eum
ex ipsius regno concesserant, d. h. ,,er hatte sie mit Hiilfe derer,
die aus Pontus zu ihm gekommen waren, stark, kriegstiichtig
gemacht“, und die Behauptung Beneckes (in der Ausg. von Cic.
de imp. Cn. Pomp., Lips. 1834, S. 179): hane Mittorpianî scrip-
turam quominus quis genuinam putet, ipsum vocabulum opera ob-
stat, quod vel maxume manum interpolatricem redoleat fällt in sich
zusammen.
Die Lesart der anderen Handschriften ist wohl, wie Sauppe
derzeit äuBerte, entstanden, weil man die richtige ohne Kennt-
niß der Stelle des Appian sich nicht zu erklären wußte. Die
Bedenken, welche v. Leutsch gegen den Gebrauch des Ausdrucks
concesserant in dem geforderten Sinne bei Cic. hat, vermag ich
nicht zu theilen. Cfr. in Catil I $ 17: si te parentes timerent
atque odissent, ... ab eorum oculis aliquo concederes, de div. II 20
coeli distributio docet, unde fulmen venerit, quo concesserit. Weit
bedenklicher ist die in der Vulg. befindliche, durch die Lesart
des Col. beseitigte Ausdrucksweise qui se .. . collegerant, an der
schon Benecke l. l. AnstoB genommen hat und die schwerlich
durch eine treffende Parallelstelle zu belegen sein wird.
Kiel. C. Fr. Müller.
32. Anthol. Lat. I n. 37 R.
(Additamentum ad vol. XLVI p. 635)
Quod in disputatiuncula ad interpretandum epigramma,
quod Luxorii amicus aliquis de titulo Luxor cum versibus com-
posuit, scripta etin Philologi volumine superiore edita suspicatus
eram, indicasse epigrammatis auctorem picturam tituli, in qua
duae Victoriae repraesentatae fuerint clipeum vel tabulam, cui
Luxorii nomen inscriptum erat, gestantes, hoc nune novo argu-
mento eoque tam luculento et locupleti confirmari ae demonstrari
potest, ut, si quae esse potuerit dubitatio, ea omnis tollatur oporteat;
quod argumentum quamquam tum invenire potuissem, tamen me
fugerat, sicuti fugit ceteros omnes, qui typum illum obvium com-
memorarunt; neque vero nimis me piget eius non revocasse me-
moriam, cum nunc primum genuina forma sit editum; nec saltem
ei, quibus illud ipsum innotuit, nostri epigrammatis mentionem
fecerunt,
Miscellen. 765
Accuratissima enim et splendidissima editione nuper Berolini
apud G. Reimerum I. Strzygowski publici iuris fecit picturas eas,
quibus codices ornati erant, qui exhibent Chronographum anni
354 qui dicitur. Cuius laterculi pagina prima, quam descriptam
habes in Corporis Inscriptionum Latinarum voluminis primi pa-
gina trecentesima tricesima altera, nunc primum sine interpola-
tionibus ex codice Barberiniano — exstat etiam in Bruxellensi
et Vindobonensi — in libri, quem modo laudavi, tabula tertia
expressam accepimus, figurarum compositionem ostentat ei, quam
in Anthologiae epigrammate significari opinor, simillimam. Nam
Genii vel Cupidines duo alati tabulam quadratam tenent, qua
libri huius cotidiano usu destinati dedicatio legitur, cum librarii
seu potius scriptoris calligraphi nomen (Fu|rius | Dions|sius || Flo |
calus | titu | lavit || cf. Strzygowski p. 28 sq.) in triangulis duabus
ansis exstet, quae lateribus sunt affixae. Summa igitur huius
pieturae medio fere saeculo quarto (cf. l. l. p. 99), quo percre-
bruisse typum illum demonstravi (cf. vol. XLVI p. 684 ed.
Strzygowski p. 102), compositae cum Luxoriani codicis titulo,
qualem ego interpretatus sum, ita consentit, ut si pro maribus
feminas ponas et inscriptionis ipsius verba commutes, hunc ipsum
titulum ab epigrammatis auctore descriptum esse fingere possis.
Gothae. R. Ehwald.
33. Flaviana.
V. Historische Kleinigkeiten.
6. Die Consulatsdesignationen der Flavier.
Abgesehen von den J. 69 und 70 wurde Vespasian stets
in den Frühjahrskomitien der den Consulaten unmittelbar vor-
angehendem Jahre designirt. Dies lehrt für d. J. 71, 74, 75,
76 also für die Jahre, wo die Designation in die Zeit des un-
mittelbar vorangehenden Consulates fiel, ein Blick auf die De
mag. Flav. S. 21 ff. zusammengestellten inschriftlichen Denkmäler.
Im J. 72 war Vespasian noch als designirter Censor, also im
November " nur cos. III ?). Da er aber vor dem 1. Juli 78
als cos. IIII design. V erscheint, füllt die Designation in den
Marz d. J. 73. Im J. 77 ist Vespasian noch am 29. Juli nur
consul VIII?), als cos. [VIII des.] VII[II] erscheint er nach
1) D. mag. Flav. S. 19.
2) Ebenda S. 22, worauf auch fürs Folgende verwiesen wird.
3) CIL II 1428.
766 Miscellen.
einer durch den Raum gebotenen Ergünzung auf dem Meilen-
steine im CIL V 7987 nach dem 1. Juli 78 und wenn auf den
stadtrômischen Denkstein der Titischen Briiderschaft bei Gruter
(S. 243, 5) Verlals ist, auch vor dem 1. Juli d. J. 78. Die In-
schrift im CIL VI 934, die dem Gruterschen Steine entsprechen
soll: [imp. caesari] | Vespasiano Augusto | pontifici maxim[o]
tribunic. potestate VILII] | imp. XVII. p. p. | cos. VIII. de-
sign. VIIII. censori | hat eine falsche Nummer der Imperator-
akklamationen?. — CIL X 3829 ist wohl Z. 5 cos. VIII |
[des. IX ce]n[s]or zu ergänzen.
Titus war i. J. 73 vor dem 1. Juli schon designirt für
den 1. Januar 74°), als cos. IV desig. V erscheint er i. J. 75
schon im ersten Halbjahre 9).
Auch Domitian ist zu seinen ordentlichen Consulaten in
den Frühjahrskomitien der den Consulaten unmittelbar voraufge-
hendem Jahre bestimmt worden ") Auch zum vierten Consulate
wurde er wahrscheinlich schon im Frühjahre d. J. 75 designirt.
Denn würe er erst nach dem 3. November bestimmt worden, so
würde die Kunde davon schwerlich vor Ablauf des Jahres bis
nach Tiflis im Kaukasus gedrungen sein. Eine zwischen Tiflis
und Metskhéta, 6 Kilometer von letzterer Stadt gefundene grie-
chische Inschrift ) führt aber Domitian als cos. III des. III
auf neben Vespasian tr. pot. VII imp. XIV cos. VI des. VII
Titus tr. pot. V cos. IV des. V (a. 75 Juli — December) Do-
mitian wird also mit Vater und Bruder im März d. J. 75 de-
signirt worden sein.
7. Die vermeintliche neunte Consulats-
designation des Titus.
Wie bei Vespasian auf einer helvetischen Soldateninschrift
nachflavischer Zit ®) cin zehntes Consulat erscheint, so führen
mehrere Münzen une cine Inschrift anscheinend auf ein neuntes
Consulat des Titus. Nicht in Betracht kommt die subärate
Münze des Pariser Münzkabinets, von der Cohen S, 454 (z. T.
303) spricht ?). Dagegen scheinen die beiden Großerze !‘), wel-
che ein neuntes Consulat des Titus verzeichnen, nicht unecht zu
sein. Doch stimmt bei T. 329 das cos. VIIII des. des Reverses
nicht zu dem cos. VIIII des Averses. Indes kónnte man diesen
4) D. mag. Flav. S. 23.
5) T. imp. Caes. A[u]g. f. imp. IV cos. II | desig. III | Domitiano
Caes. Aug. f. cos. [II] vgl. D. mag. Flav. S. 22.
6) CIL VI 1232.
7) lournal Asiatique Ser VI. t. 13 (1869) S. 96.
8) Wilm. exempl. inser. lat. 1584.
9) Tr. p. IX. imp, XV. cos. VIII. p. p.
10) T. 329: Imp. T. Caes. Vesp. Aug. p. m. tr. p. p. p. cos. VIIIT|
tr. pot. If. cos. VIIII. des. p. p. s. c.
ni
| Miscellen - | (°° ie
Widerspruch durch den Hinweis zu lósen suchen, dai der Re
vers nach Inschrift und Bild — die Pallas ist auf Domitians-.
münzen ganz gewöhnlich — dem Domitian anzugehören scheint
(vgl. D. 608, 604), da& also, wie mehrfach, nicht zusammenge- .
hórige Stempel verwandt worden seien. Doch liegt schon hierin
eingeschlossen, daß T. 329 frühestens in der Zeit Domitians ge-
prägt worden ist. Was die Münze der jüngeren Domitilla an-
geht so ist der Revers derselben genau gleich dem Reverse der
anderen Münzen mit dem 8. Consulate !!), so daß das VIIII Irr-
thum des Münzmeister (oder auch nur Cohens) zu sein scheint,
Die beiden Münzen erwecken also kein großes Vertrauen, doch
erinnert sich vielleicht der Leser der cyprischen Inschrift mit
der neunten Designation des Titus !?. Ich habe nun zwar schon
oben erklärt '*), wie eine solche falsche Annahme auf Cypern
leicht entstehen konnte. - Indes will ich zum Beweise daß es
wirklich ein Irrthum ist hier die Momente kurz zusammenstellen,
welche gegen ein neuntes Consulat des Titus und gegen eine
erneuerte Designation desselben sprechen.
Ich brauche wohl nicht daran zu erinnern, daß die Fasten
keine Spur bieten '*), und daß Sueton in seinen Nachrichten
über die Consulate der Flavier von einem neuhten Consulate des
Titus nichts weiß. Ich will auch nicht anführen daß neben der
zehnten tribunizischen Gewalt (1. Juli 80—81) nur cos. VIII
erscheint !°), denn man könnte einwerfen daß Titus ausnahms-
weise im November d. J. 80 für 81 oder im Januar 81 für 82
designirt werden sei. Entscheidend sind die Münzen selbst. Es
ist undenkbar, daß von den über 170 Nummern, welche Cohen
aus der eigenen Regierung des Titus anführt, nicht wenigstens
einige der Zeit vom November 80 bis 13. September 81 ange-
hören. Diese Münzen müßten, da Titus seine achte Designation
im November und Dezember d. J. 79 auf Münzen erwähnt 19),
die vermeintliche neunte Designation oder. das vermeintliche
neunte Consulat ebenfalls nachweisen. Es findet sich aber nichts
derartiges weder auf Münzen noch auch auf Inschriften. Von
einem neunten Consulate des Titus i. J. 81 oder einer neunten
Designation desselben für 82 ist also Abstand zu nehmen. Al-
lerdings ist merkwürdig, daß Titus in seiner eignen Regierung
die Tendenz seines Vaters die Eponymie des Kaiserjahres ans
Consulat zu knüpfen aufgiebt, und daß sie erst- Domitian wie-
der aufnimmt. Aber dies stimmt ganz gut zu dem Charakter
11) Domit. jeune 2: ve ee Domitilae s. p. q. s. | Imp. T. Caes.
Divi Vesp. f. Aug. p. m. tr. p. p. p. cos. VIIII. Domit. jeune 1.
12) Bullétin de correspond. hellén. III 1879 S. 171 diese Zeit-
schrift XLIV. Bd. S. 118.
13) A. a. O. S. 118.
14) Klein Fasti consul. a. d. J.
15) D. mag. Flav. 8. 24.
16) Ebenda S. 17.
764 Excerpte und Mittheilungen.
des Titus, der als Kaiser sich vielfach humaner zeigte als er
unter »inem Vater gewesen war. Und daß die Freigabe des
Consulates ein Akt des Entgegenkommens gegen die vornehmen
Rinner war, braucht bei dem überwiegenden Ansehen des Con-
sulats auch noch in dieser Zeit nicht erst bewiesen zu werden.
Bemerken will ich nur noch, daB der Beiname ‘Liebe und Wonne
des Menschengeschlechts’ dem Titus wohl nur deshalb zu Theil
geworden ist, weil er, von dem man nach seinem Verhalten
unter der Regierung Vespasians das Schlimmste gefiirchtet hatte,
als Kaiser sich bemühte, den Menschenfreund zu spielen.
Koln. A. Chambalu.
Excerpte und Mittheilungen.
Ein neuer Katalog der Athos- Handschriften, Endlich veröf-
fentlicht Sp. Lambros seinen lang erwarteten Katalog der Kloster-
Bibliotheken vom heiligen Berge ; doch ist der vorliegende erste
Theil (I 1 Athen Pappageorgios 1888) nur eine Abschlagszah-
lung, deren Fortsetzung in Frage gestellt würde, av dev evge-
Docu cogakuc rie péru ngog Erdoosw 100 01ov — was sehr zu
bedauern wäre Der auf die klassische Zeit gerichtete Philo-
loge wird sich freilich hier ähnlich enttäuscht sehen, wie Rühl
in den sieilischen Bibliotheken; die wenigen einschlagenden Num-
mern (v. B. 232, 8 Lucian; 331, 8. 552, 3 Homer; 590 Plu-
tarchen), haben schwerlich selbständigen Werth. Eine genaue
Untersuchung verdienen die Gmomensammlungen (480, 2. 645,
2,654. 777, 17), sowie die Excerpte aus lexikalischen und
grammatischen Schriften (z. B. 512. 627, 10. 660 f. 776, 12.
80 ['Ryrill] 787) Der Lówenantheil entfällt auf die kirch-
liche und profane Litteratur der Byzantiner; werthvoll erschei-
nen zB. die Sprichwiirter- und Räthselsammlungen (578, 24) und
sonstigen Beiträge zur byzantinischen Folk- lore (2, 10—12; 9,
27; 776, 3), Sammlungen von Martyrien, Legenden, die m. W.
noch ungedruckte Augustinübersetzung des Planudes (561. 726.
769: vgl Gudemann de Ovid. Heroid. cod. Plan, p. 1!) u. A Cr.
The Academy 1888, 28 August. 4. Cunningham: The Indo-
Greek kings Straton and Hippostratus, Bedenken gegen die An-
nahme des Dr. Hirnle ( Proceedings of the Asiatic Society af
Bengal ISSS\, daß die indische Namensform ZÀratasa und Hip-
pothrata gewesen. sei.
Anzeiger für Schweizerische Alterihumskunde, 1838. Nr. 1.
Januar. Gresat: Funde in einem Dolmen in der Nähe von
Sion oder Sitten , Wallis: Steinwerkzeuge, wie sie bei den Opfern
gebraucht wurden, Axt, Keile, Messer. — — Heierli: Vorrimische .
Gräber im Canton Zürich Fortsetzung‘.
Register.
I.
Aegrit. Perdic. v. 251
Aeschyl. Suppl. 55
55
Alcae. fr. 41 (31) ed. Bergk
Anacr. c. 21-32
Anthol. Lat. 1 n.37 ed. Riese
Anton. Lib. S. 202, 7 ed. West.
LLL LL EEE NT
203,
203,
203,
205,
206,
208, 1
208,
210, 5
211, 3
211,
212,
212,
214,
215,
216, 7
218, 6
218,
219,
221,
224,
228,
228,
229,
230, 2
281,
232, 4
233,
234, 3
235, 1
Philologus.
N. F. Ba. I, 1
162
234
Stellenverzeichnis.
Anton. Lib. 8. 288, 3 762
Appian. b. c. 2, 121 169 170
— — 2, 126 169
— — 2, 147 169
Apul. Apol. 2 p.4, 6ed. Krüger 290
— — 21 p. 29, 18 819.
— — 22 p. 30, 17 819
— — 55 p. 64, 27 819 :
— — 74 p. 85, 2 $27
— — 88 425
— Met. 1, 18 448
— -- 9, 26 448
— — 11, 9 p. 210, 18 ed.
Eysse enh. 278
Aristid. or. 3 p.858 D. (39.Canter.) 875
— Tp. 71 ( 876
— 8 p. 93 (97) 876
— 13 p. 269 ety 876
— 14 p. 330 (354 976
— 15 p. 878 (402) 871
— 17 p. 405 (438) 877
— 19 p. 428 (455 877
— 21 p. 488 (471 877
— 22 p. 440 (478) 877
— 23 p. 450 87) 877
— 24 p. 481 (537 877
— 25 p. 488 (547 977
— 26 p. 505 (578 877
— 27 p. 535 (619) 877
— 29 p. 559 (13) 877
— 80 p. 588 (16) 877
— 31 p. 595 (7) 878
— 83 p. 611 (87 878
— 34 p. 642 (124 878
— 88 p. 723 (903) 878
— 42 p. 772 (808) 878
49
770
Aristid. or. 48 p. 800 (344)
45 p. 2 (5
46 p
159 (195)
Aristoph. Av. 375
0
——1
Cues. bell. Gall. 7, 47, 1
Capitol. v. Maxim. duo 35
1080
1212
1437
1579
Lysistr. 720—725
— fr. 523 p. 525 K.
Avian, 28, 7
Babr.
— syll. II 36. 41
54, 8
Call 68, 19
Cicer.
Petree rti LE HE ddd ad
iti bert dary g g gl lg
—
de invent. 160
164
167
Part. orat. 3
38—-39
— 40.44—46
I Stellenverzeichnis.
378 | Cicer. Part. orat. 96
433 | — — 98
483 | — — 99
371|— — 101
757 | — — 102
343| — — 104
370| — — 105
756| — — 106
372 | — — 107
755| — — 111
207 | — — 113
399: —.— 116
396| — — 117
393: — — 120
677! — — 194
559 — — 126
241 — — 130
171.— — 182
171; — — 133
171 — — 134
171! — — 137
991. — — 140
299 — de divinat. 1, 9, 15
292: — de imp. Cn. Pomp. 24
292 | — pro Ligar. 1
293 Cornif. ad Heren. 3, 3
— 3,4
295 Cratin. Archil. fr. 4 p. 12 K.
296 — — fr. 5
296 — — fr. 18 p. 18
296 — — fr. 60
296 — Chiron. fr. 245 p. 88
297 — Eunid. fr. 32
298 — Hor. fr. 252 p. 89.
299 — Malthac. fr. 102 p. 46
300; — Nom. fr. 128 p. 58
300: — Odyss. fr. 146
301: — Panopt. fr. 151 p. 60
301 — — fr. 153
301 | — Pylaeae fr. 176 p. 67
302, - Pytin. fr. 183
302: — — fr. 195 p. 72
302| — — fr. 196 p. 72
303 — Thraess. fr. 80 p. 37
303 | — Inc. fr. 279 p. 95
304 | — — fr. 290 p. 97
304: — — fr. 294 p. 98
304 | — -- fr. 298
304 ' — — fr. 805 p. 101
305 — — fr. 349
305 | — — fr. 442
305 ; — — fr. dub. 460
905 : Cratis Ther. fr. 14 p. 193
305 | — — fr. 29, 3
305! Demosth. de coron. 2
305 , — — 12
306 — — 18
I.
Demosth. de coron. 19. 22
— — 25. 28 432
Dio Cass. 44, 10 169
— — 44, 50 169
— — 45, 6 169
Dio Chrysost. or. II p. 19, 25
ed. Dind. 24
— — p. 22,2 24
— — p. 28, 32 24
— — III p. 48, 1 24
— — p. 51,7 24
— — p. 62, 18 24
— — IV p. 82,5 24
— — Vp. 91,5 24
— — VI p. 96, 17 24
— — XII p. 225, 6 24
— — XVI p. 270, 5 24
— — XX p. 290, 27 24
— — XXI p. 301, 3 24
— — XXII p. 306, 19 24
— — XXXI p. 393, 30 24
— — XXXV p. 45, 16 24
— — XLV p. 118, 4 52
— — XLVI p. 127, 27 52
— XLVII p. 185, 31
— LXXIX p. 286, 22 52
Heracl. fr. 1 B 599
— fr. 4 B. 230
— fr. 38 B. 226
— fr. 65 B 210
— fr. 81 B. 417
Hom. hym. (4) és ‘Agpoodimy
. 11-13 14
— — v. 30 15
— — v, 90—91 16
— — v. 104 17
— — v. 126—130 17. 18
— — v. 137. 237 19
— — v. 276 _20
— hym. (7) sic 4ióvvoov v. 28 20
— — v. 55-57 21
— — (11) eig ‘49nvàv 15
— — XXIX. XXX. XXXI 208
— — v.l 22
— — v. 17-19 22
— hym. (82) eis Zeinvnv v. 10 23
Hygin. fab. 152 329
Iustin. 2, 9, 15 643
— 37, 3, 7 643
Iuvenal. 1, 115 321
— 2, 108 325
— 3, 46 327
— 5, 84 323
— 5, 108 325
— 5, 115 323
— 5, 146—148 176
— 6, 237 826
LA— ———————————————————————————M M ——— M vs — M —— A — M —
Stellenverzeichnis.
481 | Juvenal. 7, 41
— 13, 40
— 18, 180
Laert. Diog. 2, 22
— — 9, 12
Lamprid. v. Comm. Ant. 13
— v. Anton. Heligab. 11, 2
Liv. 7, 2, 4
— 7, 30, 11
Manil. 5, 546
Mela 1, 22. 23
— 1, 43—48
— 3, 103
Orphica fr. 109 ff.
Pherecratis Chiron. fr. 145, 4
— fr. 153 p. 193
— Coriann. fr. 79 p. 166
— Petal. fr. 140 p. 186
Tyrann. fr. 144 p. 187
Inc. fr. 166 p. 196
— fr. 174
fr. dub. 249
— 250
Photius II 55 N.
Pindar. Olymp. VI
Plin. N. H. 5, 43 — 46
Plutarch. Brut. 20
Sappho. fr. 1 ed. Bergk
Senec. Controv. 2, 1 (9) 10
p. 157, 19
— — 2,
2, 1 (9
— 2,
— 2,
17 p. 161, 17
19 p. 162, 14
22 p. 165, 1
— — 2, 27 p. 167, 1
2, 1 (9), 37 p. 172, 2
‚3 (11), 20 p. 192, 6
4 (12), 9 p. 199, 8
9 (13) p. 211, 16
7 praef. 3 p. 294, 11
7, 1(16), 10 p.308, 12
7, 6 (21), 9 p. 315, 15
10, 2 (31), 16 p. 482, 14
10, 2 (31), 18 p | 483, 3
10, 4 (33) p. 501, 22
10, 34 p. 514, 3
— Excerpt. Controv. Hp. 246,4
Spartian. v. Anton. Caracall.
ee
BO 99 po
Suet. Iul. 5
— — 52
— — 85
Terent. Adelph. 643
Theocrit. Idyll. 17
Theophr. Char. 7
— — 28
Tibull. 2, 4, 5
49 *
1(9)12p.159,5 178.
772 IL.
Tibull. 2, 4, 12 318
— 2, 4, 27—81 379
— 2, 4, 35—38 381
Tibull. 2, 4, 43
Tyrtaei fr. 11, 37 ed. Bergk 598
Valer. Mazim. 9, 9, 1
Sprachliehes und Sachliches.
882
169
II. Sachliches und Sprachliches.
Abydos (Aegypten) p. 350.
Accent-Choliamben ? 387.
Achmin 349.
Aemilius Macer: Rob. Unger, Ae-
milii Macri Theriaeon fr. duo 555.
aeolipilae 49.
Aeschylos: C. Haeberlin, Zu Ae-
schylos 234.
Ayon 27- 31. 35.
Aithiopenmythen 92, 328, 575.
Alcaeus: R. Ellis, Ad Alcaeum
(fr. 41 ed. Bergk) 91.
Alexander Polyhistor: G. F. Un-
ger, Die Bliithezeit des Alex.
Polyb. 177.
Alexandrien 344.
Alterthiimer: H. C. Maué, Die
hastiferi von Castellam Mattiaco-
rum p. 487. — Metellus Meyer,
Geschichte der legio XIV gemina
p. 653; Entstehung ders., ihre
Beinamen u. ihre Insigne p. 653;
Die verschiedenen Stationen ders.
und die Dauer ihres Aufenthal-
tes in derselben p. 658; Thaten
und Schicksale der legio von
Augustus bis auf Diocletian p.665.
— A. Mommsen, Die zehn Epo-
nymen und die Reihenfolge der
nach ihnen benannten Phylen
Athens p. 449. — A. Müller,
Die neueren Arbeiten über Tracht
und Bewaffnung des rém. Heeres
in der Kaiserzeit p. 514, 721:
L. Beck, Die Geschichte des Ei-
sens in technischer u. kulturge-
schichtlicher Bedeutung p. 514;
Jac. Becker, Die rôm. Inschriften
und Steinsculpturen des Mu-
seums der Stadt Mainz p. 515;
O. Benndorf, Antike Gesichts-
helme u. Sepulcralmasken p. 721;
Bruce, Lapidarium septentrionale,
or a description of the monu-
ments of man rule in the
.
n———————————————————————————————X————'!ÁÉÉ <<
Nord of England p. 514; dl
Conze, Röm. Bildwerke einhei-
mischen Fundorts in Oesterreich
p. 514; Aug. Demmin, Die Kriegs-
waffen in ihrer historischen Ent-
wickelung p. 514; E. Desjardins,
Monuments epigraphiques : du
musée national Hongrois p. 515;
Alf. *. Domaszewski, Die Fahnen
im römischen Heere; ders. Grab-
stein eines Centurio aus Carnun-
tum p. 515; H. Düntzer, Ver-
zeichniß der róm. Alterthümer
des Museums Wallraf- Richartz
in Kóln p. 515; F. Haug, Die
róm. Denksteine des Großherzog-
lichen Antiquariums in Mann-
heim p. 515; Feliz Hetiner, Ka-
talog des Königl. Rhein. Mu-
seums vaterlindischer Alterthü-
mer in Bonn p. 515; E. Hübner,
Zur Bewaffnung der róm. Legio-
nare p. 515; ders. Die Beinschie-
nen der róm. Legionare p 516;
ders. Róm. Schildbuckel p 721;
Maz Jühns, Handbuch einer Ge-
schichte des Kriegswesens p. 514;
Fr. Kenner, Róm. Grabstein aus
Carnuntum p. 515; O. Kohl, Die
röm. Inschriften und Steinsculp-
turen der Stadt Kreuznach p.515;
L. Lindenschmit, Die Alterthü-
mer unserer heidnischen Vorzeit
p. 915; ders. Tracht und Bewaff-
nung des róm. Heeres wührend
der Kaiserzeit p. 515; ders. Be-
merkungen überdas Pilum p.721;
Joachim Marquardt, Das Militär-
wesen p. 514; A. Müller, Sepul-
cralmonumente röm. Krieger
p. 915; ders. Studien zur Lehre
von der Bewaffnung der rdm.
Legionen p. 516; Aug. Weoker-
ling, Die róm. Abtheilung des
Paulus-Museumsder Stadt Worms
II. Sprachliches
p. 515; H. Weiß, Costümkunde
p. 514; C. Zangemeister, Glan-
des plumbeae p. 721. — W.
Schmid, Das steinerne Dionysos-
theater in Athen p. 578.
Anakreon: O. Crusius, Zu den Ana-
kreonteen p. 235: 1) Die Schluß-
linge im Anakleomenos u. Ana-
kr. 2250 p. 235; 2) Entstehungs-
zeit von Anakr. 21—82 p. 236.
Andromedasaye y. 92.
Annona und Ceres August. p. 570.
antelogium yp. 47.
Anthol. Lat.: R. Ehwald, Anth.
Lat. 1, n. 87 ed. Riese p. 764.
Antoninus Liberalis: H. Martini,
Zu Antonin. Liberal. p. 760.
apiacus p. 48.
Apollo Kitharódos vergl. Archaeo-
logie.
Apuleius: O. Crusius, Vorlagen der
Apulejanischen Metamorphosen
p. 448; ders. Entstehungszeit u.
Verfasser von Ps.- Apuleius de
orthographia p. 434. — M. Pet-
schenig, Zu Apuleius p. 278;
290; 319; 327; 428.
Archaeologie: O. Crusius, Thier-
fabeln auf antiken Bildwerken
p. 185; Otto A. Hofmann, Apollo
Kitharódos p. 678; W. A. Ro-
scher, Die sogen. Pharmakiden
des Kypseloskasten p. 703; W.
Schmid, Das steinerne Dionysos-
theater in Athen p. 573.
archisacerdos p. 51.
Aristides, W. Schmid, Emendatio-
num ad Aristidem specimen
p.375; alterum specimen p. 438.
Aristophanes: O. Bachmann, Zu
Aristoph. p. 343; 370; 755. —
Th. Zielinski, Eine Reform des
Aristoph. p. 25.
Assuan p. 355.
astrolapsus u. astrolapsum p. 50.
Augusteus p. 50.
Aviunus: Crusius, Av.28, 7 p. 899.
Babrius: Th. Bergk, Babriana p. 885.
B. u. Anakr. p. 239.
Bachmann, O., vergl. Aristophanes,
Grammatik.
Baran, vergl. Geschichte.
Bauer, A., vergl. Geschichte, Por |
seidonios, Plutarch.
Beck, L., vergl. Alterthum.
Becker, J. vergl. Alterthum.
Belling, H., vergl. Tibull.
—
cryptoporticus p. 50.
Darmatetier, vergl.
| Deiter, H., vergl. Caesar, Cicero.
und Sachliches. 178
Beloch, vergl. Geschichte: —
Benndorf, O., vergl. Altertham.
Bethe, E., vergl. Porphyrios. —
betizare p. 49.
Bibliothek: Fr. Rühl, Bemerkun-
gen über einige Bibliotheken
von Sicilien p. 577; su Messina
p. 577; zu tania p. 588; zu
Syrakus p. 585.
bschnsum p. 47.
Blaf, vergl. Geschichte.
Boeckh, A., vergl. Geschichte.
Bornemann, L., vergl. Pindar.
Bruce, vergl. Alterthum.
Brunet, vergl. Geschichte.
Bünger, vergl. Geschichte.
Busolt, vergl. Geschichte.
Caelius Rhodiginus p. 448 ff.
Caesar : H. Dinter, Zu Caesar p. 677.
cerebrismus p. 51.
Ceres August. p. 570.
Chambaiu, A., vergl. Geschichte.
Chattenzug des Domitian p. 871.
Choliamben p. 381.
Christiansen, vergl. Geschichte.
Cicero : H. Dinter, Zu Cicero p. 677 ;
W. Friedrich, Zu Ciceros Parti-
tiones oratoriae p. 291; C. Fr.
Müller, Noch einmal Cic. de
imp. Cn. Pompei $ 24 p. 762;
Ed. Stroebel, Zu Cic. de inven-
tione p. 170; 172; C. Wagener,
Zu Cio. pro Ligar. § 1 p. 551.
Cinna: L. Schwabe, Der Tod des
Dichters Helvius Cinna p. 169.
collicrepida p. 46.
Comoedia: O. Crusius, Coniect. ad
comoediae antiquae fragm. p. 88.
computista p. 51.
concellita p. 51.
congiarium p. 570.
consistere 491.
Constantin: E.Klebs, Das Valesische
Bruchstück zur Gesch. C.'s p. 58
Conze, A., vergl. Alterthum.
Cornelius Neposim Mittelalter p.567.
Cornificius: Ed. Stroebel, Zu Cor-
nificius ad Herennium p. 171.
Cron, Chr., vergl. Heraklit.
cruricrepida p. 46.
Crusius, O., vergl. Anakreon, Apu-
leius, Archaeologie, Avianus, co-
moedia, #floc, Homer, Inschrif-
ten, Sprichwörter.
Geschichte.
774
Ahlsos xolvufinnis scrips. O. Cru-'
sius p. 382.
Demmin, A., vergl. Alterthum.
Demosthenes: W. Schmid, Zur Kri- :
tik u. Exegese der Kranzrede!
p. 426.
denarismus p. 51.
Denderah p. 350.
dentharpaga p. 49.
Derketosage p. 93—95.
Desjardins, verg). Alterthum.
dextrocherium p. 50.
Domaszewski, A.v., vgl. Alterthum.
Domitian,
Chattenzug desselben
. 571.
Dio Chrysostomus: W. Schmid,
specimen I p. 24 et specimen
Emendationum ad Dionem Chr. |
IL p. 52.
Dionys v. Halicarna8: E. Graf, |
Dionys. v. Halic. über die Laut-
bildung (V 14) p. 758.
Dionysostheater in Athen p. 573
Dubois, vergl. Geschichte,
dulice p. 46.
Duncker, M., vergl. Geschichte.
Düntzer, H., vergl. Alterthum.
Edfu p. 355.
Egelhauf, vergl. Geschichte.
Ehwald, R., vergl. Anthol. Lat.
Ellis, R., vergl. Alcaeus.
Emminger, vergl. Geschichte.
Ephemeris epigraph. vgl. Alterthum.
Esneh p. 355.
Etymologie: J. Mühly, omen p. 568.
euroaquilo p. 51.
euroauster p. 51.
eurocircias p. 49.
Eufiner, A., vergl. Aegritudo Per-
diccae, Livius.
Fubein, vgl. Thierfabeln.
facteon p. 48.
ferritribaz p. 47.
flagritriba p. 47.
Focke, vergl. Geschichte.
Frünkel, A., vergl. Geschichte.
Jratrissa p. 52.
Friedrich, W., vergl. Cicero.
Geiger, vergl. Geschichte.
Gehlert, vergl. Geschichte.
Geschichte: A. Chambalu, Flaviana
P 569 u. 765: 1) Spanien im
ahre 70 p. 569; 2) Annona u.
Ceres August. p. 570; 8) Con-
giarium p. 570; 4) Konsekration
es Vespasian Anfangs des Jah-
res 80 p. 571; 5) In welchem
IL Sprachliches und Sachliches.
Jahre unternahm Domitian sei-
nen Chattenzug ? p. 571; 6) Die
Consulatsdesignationen der Fla-
vier p. 765; 7) Die vermeintliche
neunte Consulatsdesignation des
Titus p. 766. — E. Klebs, Das
Valesische Brucbstück zur Ge-
schichte Constantins p. 53. —
G. F. Unger, Die Blüthezeit des
Alexander Polyhistor p. 177;
ders. Die Regierungszeit des Hie-
ronymus v. Syrakus p. 183; ders.
Die Großthat des Aristophon
p. 644. — A. Wiedemann, Die
Ehe des Ptolemaeus Philadelphus
mit Arsinoe I[ p. 81; ders. Die
Forschungen über den Orient
p. 944: 3) Geschichte a) Chro-
nologie p. 357; b) Politische Ge-
schichte p. 359; c) Kulturge-
schichte p. 364; d) Kunstge-
schichte p. 366; e) Religion p.
367. — H. Landwehr, Die For-
schungen über die griech. Ge-
schichte p. 108: Das Perikleische
Zeitalter p. 108; Der Pelopon-
nesische Krieg p. 123; Chrono-
logische Uebersicht der Jahre
410—404 p. 140; Die Zeit des
nationalen Niederganges p. 141;
Alexander der Große p. 152;
Der Hellenismus p. 157: Baran,
Zur Chronologie des euboeischen
Krieges p.142; Bauer, Die Hine
richtung der 1000 Mitylinaeer
p. 124; Beloch, Zur Finanzge-
schichte Athens p. 109; ders.
Die bevölkerung der griech.-rö-
mischen Welt p. 109; ders. Die
attische Politik seit Perikles
p. 123; ders. Zur Chronologie
der letzten zehn Jahre des pelo-
ponnesischen Krieges p. 123;
ders. Das Volksvermógen Athens
p. 142; ders. Die Errichtung der
Phyle Ptolemais p. 157; 2/49,
Die sozialen Zustánde Athens im
vierten Jahrh. p. 142; Boeckh,
Die Staatshaushaltung der Athe-
ner p. 109; Brunet, Narration
fabuleuse de la vie d'Alexandre
le Grand p. 137; Bünger, Zu
Xenophons Anabasis p. 142; Bue
solt, Zum Perikleischen Plane
einer hellenischen Nationalver-
sammlung p. 108; ders. Die
Kosten des Samischen Krieges
IL. Sprachliches und Sachliches.
p. 108; Christiansen, Beiträge
zur Alexandersage p. 157; Darm-
stetter , La légende d'Alexandre
chez les Parses p. 157; Dubois,
Les ligues étolienne et achéenne,
leur histoire et leurs institutions
p. 158; Duncker, Ein angebliches
Gesetz des Perikles p. 108; ders.
Der sogen. kimonische Friede
p. 108; ders. Des Perikles Fahrt
in den Pontos p.109; Egelhaaf,
Die kriegerischen Leistungen des
Perikles p. 109; ders. Die Schlacht
bei Chaeronea p. 142; Emmin-
ger, Der Athener Kleon p. 123;
Fokke, Rettungen des Alkibia-
des: I Die sizilische Expedition,
II Der Aufenthalt des Alkibiades
in Sparta p. 123; Fränkel, Zur
Geschichte der attischen Finanz-
verwaltung p. 141; Geiger, Alex-
anders Feldziige in Sogdiana
p. 152; Gehlert, De Cleomene III
Lacedaemoniorum rege p. 157;
. Gregorovius, Hat Alarich die Na-
tionalgötter Griechenlands zer-
stört? p. 158; Gruviere, Les cam-
pagnes d'Alexandre p. 152; Gui-
raud, De la condition des alliés
pendant la première confédéra-
tion athénienne p 108; Hanssen,
Ueber die Bevölkerungsdichtig-
keit Attikas u. ihre politische
Bedeutung im Alterthume p. 109;
A. ‘Id ou uevoc, 'H dien tov lv
Agyivovocis otoatgyuv p. 124;
Hill, Der achaeische Bund seit
168 v. Chr. 157; Hack,
Zur Geschichte des zweiten athe-
nischen Bundes p. 141; Holm,
Das alte Syrakus p. 124; Klatt,
Chronologische Beitrüge zur Ge-
schichte des achaeischen Bundes
p. 157; Koepp, Ueber die syri-
echen Kriege der ersten Ptole-
maier und den Bruderkrieg des
Seleukos Kallinikos u. Antiochus
Hierax p. 158; ders. Die Gala-
terkriege der Attaliden p. 158;
Laroque, La Grece au sciecle
de Periclès p. 108; Levi, La lé-
gende d’Alexandre dans les Tal-
mud et le Midrasch p. 157; '
Liibke, Observationes criticae in |
historiam veteris Graecorum co-
moediae p. 108; Malden, Alex-
ander in Afghanistan p. 153; :
775
Mangelsdorff, Za Xenophons Be-
richt über die Schlacht bei Ku-
naxa p. 142; Müller - Strübing,
Das erste Jahr des peloponnesi-
schen Krieges p. 123; Neumeyer,
Aratus v. Sikyon p. 158; Pflugk-
Hartung, Perikles und der sa-
mische Krieg p. 108; ders. Pe-
rikles als Feldberr p. 109; Phi-
lippi, Alkibiades, Sokrates, Iso-
krates p. 124; Pohlmann, Recens.
von Pflugk-Hartung, Perikles als
Feldherr p. 109; Reinach , Ob-
servations sur la chronologie de
quelques archontes athéniens po-
stérieure è la CXXII olympiade
p. 157; Rauf, Zu Xenophons
Anabasis p. 141; dhl, Der letzte
Kampf der Achaeer gegen Nabis
p. 157; Schaefer, A., Demosthe-
nes u. seine Zeit p. 1429; ders.
Das makedonische Königthum
p. 152; Schenkl, Zur Geschichte
des attiechen Bürgerrechts p. 109 ;
K. Schneider, Olympias die Mut-
ter Alexanders des Großen p.158;
Schuffert, Alexanders des Grofen
indischer Feldzug p. 153; Seibt,
Beurtbeilung der Politik, welche
die Athener wührend des the-
banisch - spartanischen Krieges
befolgt haben p. 142; Spangen-
berg, De Atheniensium publicis
institutis aetate Macedonum com-
mutatis p. 157; Stahl, Eine an-
gebliche Amnestie der Athener
p. 124; v. Stein, Geschichte der
spartanischen und thebanischen
Hegemonie vom Kônigsfrieden
bis zur Schlacht bei Mantinea
p. 141; Szanto, Plataeae und
Athen p. 123; Unger, Pyrrhus
und die Akarnanen p. 157;
Wachsmuth, Zur Geschichte des
attischen Bürgerrechtes p. 109;
ders. Oeffentlicher Credit in der
hellenischen Welt wührend der
Diadochenzeit p. 158.
glandionida p. 46.
Graf,vergl. Dionys von Halicarnaß,
Grammatik : O. Bachmann, ôvrwç
in der Komódie p. 187. — Fr.
Hanssen, Die Aktivbildung der
Adjektiva auf -bilis im archai-
schen Latein p. 274: 1) Adjek-
tiva auf -bilis mitechter Passiv-
bedeutung p. 274; 2) Adjektiva
776 II. Sprachliches und Sachliches.
auf -bilis, die sich der Aktiv-| venal p.176. — J. Jessen, Witz
bildung nähern p. 279. — O.| und Humor im Iuvenal p. 320.
Weise, Ein Beitrag zum Vulgir- | Kenner, Fr., vergl. Alterthum.
latein p. 45; Eigennamen mit | Klatt, vergl. Geschichte.
dem griech. patronymischen Suf- | K/ebs, E., Das Valesische Bruch-
fix p. 46; Wortzusammensetzun- | stück zur Geschichte Constantins
gen p. 46; 47; Griech. Suffixe| p. 53; vergl. Petronius; Scrip-
bei rein latein. Ausdrücken p.47; | tores Historiae Augustae.
Wörter auf -ismus p. 48; auf Koepp, vergl. Geschichte.
-ista p. 48 ; auf-issa p. 49; auf-icus | Kohl, O., vergl. Alterthum.
p. 49; Verba auf-izou.-isso p.49. | Kypria: R. Peppmiiller, Zu den
granomastiz p 50. Kypria p. 552.
Graviére, vergl. Geschichte. | Laroque, vergl. Geschichte.
Gregorovius, vergl. Geschichte. : Lasos von Hermione: Makedoni-
Gruppe, O., vergl. Mythologie. i sches bei Lasos von Hermione?
Guiraud, vergl. Geschichte. ‘Von y p. 186.
Haeberlin, C., vergl. Aeschylos, ZLegin XIV gemina vergl. Alterthum.
Tyrtaeus, Sappho, Vergil. | Leukotheasage p. 96.
Hickermann, A., vergl. Juvenal. | Lévi, vergl. Geschichte.
Hamann 423. Lexikographen, gr., p. 205.
hamiota p. 46. | lienicus p. 52.
Hanssen, v. Geschichte, Grammatik. : /imstrophus p. 51.
hastiferi 483 ff. : Linde, S., vergl. Seneca.
Haug, Fr., vergl. Alterthum. | Lindenschmit, L., vergl. Alterthum.
Heliopolis p. 345. | Livius: A. Eufiner, Zu Livius p.635.
Heraklit: Ch. Cron, Zu Heraklit | Lübke, vergl. Geschichte.
p. 209, 400, 599. lunaticus p. 52.
Hettner, F., vergl. Altertbum. lymphaticus p. 52.
‘Idow usvos, ’A., vergl. Geschichte. | Macer : Rob. Unger, Aemilii Ma-
Hieronymus v. Syrakus: G. F.: cri Theriacon fragm. duo p. 555.
Unger, Die Regierungszeit des | Machly, J., vergl. Etymologie, Por-
Hieronymus v. Syrakus p. 183.| phyrio.
Hill. vergl. Geschichte. Makedonisches bei Lasos von Her-
Hoeck, vergl. Geschichte. mione? p. 186.
Hoerschelmann, W., vergl. Metrik. | Malden, vergl. Geschichte.
Hoffmann, O.A., vgl. Archaeologie. | Mangelsdorff, vergl. Geschichte.
Holm, vergl. Geschichte. Manilius: Rob. Unger, Manilius 5,
holoverus p. 51. 546 p. 8U.
holovitreus p. 51. Manius, M., Beiträge zur Ge-
Holzapfel, L., vergl. Thukydides.| schichte róm. Prosaiker im Mit-
Homer: O. Crusius, Zu den home- telalter p. 562; Beiträge zur
rischen Hymnen p. 208; A. Pepp- | Geschichte röm. Dichter im Mit-
miiller, Zu den homerischen Hym- | telalter p. 570.
nen p. 13: I) Zum Hymnus auf | manticinari p. 47.
Aphrodite p. 13; Il) Zu den | Marquardt, J., vergl. Alterthum.
kleineren Hymnen p. 20. Martini, H., vergl. Antoninus Li-
Hübner, E., vergl. Alterthum. beralis.
Jühns, M., vergl. Alterthum. Maué, H. C., vergl. Alterthum.
Jessen, J., vergl. Iuvenal. Mela: E. Schweder, Die Angaben
Inschriften: R. Peppmüller, Me- über die Vólker von Innerafrika
trische Inschrift von Metapont| p. 636.
p. 163; O. Crusius und W. M. | melloproximus p. 51.
Ramsay, Ad inscriptiones Phry- | Memphis p. 346.
gias p. 44 u. 754. mentagra p. 50.
Jonalegende y. 93. 94. Metrik: W. Hoerschelmann, Zur
Justin: Th. Stang/, Zu Iustinus p. 643. Geschichte der antiken Metrik
Juvenal: A. Hickermann, Zu lu-' p. 1: diagopal des Hexameters
II.
p. 1; xatevónliov , Zangıxov, n6-
ouodixiv, ónogovOuov, Bovxolixóv,
nubenes , Tostouogiov p. 2, 4, 5;
Téhesov, nolsnxóv, xliuoxoóv, lu-
negiBodov p. 5, 6, 7. — R. Pepp-
miiller, Metrische Inschrift von
Metapont p. 163. — Schlußlänge
im Anaklomenos 235.
Meyer, Metellus, vergl. Alterthum.
Moiren als Pharmakiden p. 705.
Mirserkeule ihr Attribut p. 706.
Mommsen, A., vergl. Alterthum.
Müller, A., vergl. Alterthum.
Müller, C. Fr., vergl. Cicero.
Mäller-Strübing, vergl. Geschichte.
myobarbum p. 50.
Mythologie: O. Gruppe, Aithio-
penmythen: 1) Der phoinikische
Urtext d. Kassiopeialegende p. 92;
Jonalegende p. 93; Derketosage
p. 93; Leukotheasage p. 96;
Andromedasage p.92; Phaethon-
legende p. 98; Sintfluth p. 99;
2) Die Erzählung des Hygin
p. 328. — A. Socin, Zu den Ai-
thiopenmythen p. 575.
nauta, navita p. 46.
Neumeyer, vergl. Geschichte.
omen p. 568.
Peppmiiller, R., vergl. Homer, In-
schriften, Kypria, Metrik.
pernonida p. 46.
Persius im Mittelalter von M. Ma-
nitius p.711: a) in Deutschland
p. 714; b) Persiuscitate bei fran-
Sprachliches und Sachliches.
777
Plinius : Schweder, D. Angaben über
die Völker von Innerafrika p. 636.
Plinius d. J. im Mittelalter p. 566.
Plutarch: A. Bauer, Poseidonios
und Plutarch über die rómischen
Eigennamen p.242. — M. Treu,
Zur Ueberlieferung der apoph-
thegmata Laconica p. 616.
Pôühlmann, vergl. Geschichte.
Polymnestos p. 40.
Porphyrio : J. Mähly, Zu P. p. 702.
Porphyrius : E. Bethe, Handschrif-
liches zu Porphyrius, De antro
Nympharum p. 554.
Poseidonios : A. Bauer, Poseido-
nios und Plutarch über die ré-
mischen Eigennamen p. 242.
Priapus bei Petron p. 629.
Pseudocata p. 49.
pseudocomitatensis p. 51.
pseudoflavus p. 51.
pseudoforum p. 51.
pseudoliquidus p. 51.
pseudothyrum yp. 51.
pseudourbanus p. 49.
pugilice p. 46.
pultiphagus p. 47.
Ramsay, W. R., Ad inseriptiones
Phrygias p. 754.
rapacida p. 46.
Retnach, vergl. Geschichte.
Reuß, vergl. Geschichte.
Roscher, W., vergl. Archaeologie.
Rühl, Fr., vergl. Bibliotheken, Be.
schichte.
züsischen Schriftstellern p. 716; | sacerdotissa p. 52.
c) Persius in
p. 718; d) in Italien p. 719.
Petronius; .E. Klebs, Zur Kompo-
sition von Petronius Satirae p.628.
Petschenig, M., vergl. Apuleius.
Pflugk- Hartung, vergl. Geschichte.
Phaetonlegende p. 98.
phalerae p. 525.
phallovitrobulum p. 50.
Pharmakiden des Kypseloskasten
vergl. Archaeologie.
Philippi, vergl. Geschichte.
Pindar: L. Bornemann, Pindars
6. olymp. Ode p. 589.
plagipatida p. 46.
Plautus: Griechische Sütze, Re-
densarten u. Wôrter p. 45; Ei-
gennamen mit dem griechischen
patronymischen Suffix p. 46; | scutriscum
Wortzusammensetzungen p. 46,
41.
Großbritannien | sayochlamys p. 50.
Sappho : C. Haeberlin, Za Sappho
p. 598.
satirographus p. 50.
scenofactorius p. 50.
Schadius, Schuchorius 99.
Schaefer, A., vergl. Geschichte.
Schenkl, vergl. Geschichte.
Schmid, W., vergl. Alterthum, Ari-
stides, Demosthenes, Dio Chry-
sostomus
Schneider, vergi. Geschichte.
Schuffert, vergl. Geschichte.
Schwabe, L., vergl. Cinna.
Schweder, E., vergl. Mela, Plinius.
Scriptores Historiae Augustae: E.
Klebs, Zu den Scriptor. Histor.
August. p. 559.
p. 47.
Scytalosagittipelliger p. 50.
Seibt, vergl. Geschichte,
778
II. Sprachliches und Sachliches.
Seneca: S. Linde, In Senecam | tramosericus p. 50.
Rbetorem p. 173. 384.
Sintfluth p. 99.
Socin, A., vergt. Mythologie.
Solin im Mittelalter p. 562.
Spangenberg, vergl. Geschichte.
Treu, M., Excerptorum Palatino-
rum specimen p. 622; vgl. Plu-
tarch, Sprichwórter.
triclinium p. 47.
tussicus p. 52.
Spanien im Jahre 70 n. Chr. p.569. | Tyrtaeus; C. Haeberlin, Zu Tyr-
Sprichwörter : Griech. Sprichwör-
ter besprochen von O. Crustus
p.39 ff. 202, von M. Treu p. 193.
Stahl, vergl. Geschichte.
Stangl, Th., vergl. Iustin.
Stein, v., vergl. Geschichte.
Strübel, Ed., vergl. Cicero, Cornifi-
cius ad Herennium.
strumaticus p. 52.
Szanto, vergl. Geschichte.
tablista p. 51.
Tacitus im Mittelalter p. 565.
Theben in Aegypten p. 351.
Theophrast : G. F. Unger, Zu Theo-
phrast p. 374.
Thierfabeln auf antiken Bildwerken,
von O. Crusius 185.
Thukydides: L. Holzapfel, Die ur-
sprüngliche Stelle der Pentekon-
taetie im thukydideischen Ge-
schichtswerk p. 165.
Tibull: H. Belling, Ad Tibulli
elegiam 2, 4 p. 378.
tractogalatus p. 50.
tractomelitus p. 50.
dgQu» = duvyros p. 36.
Bouxdlos, Bovxolsiv p. 34. 513.
Bovxolixóv, vergl. Metrik.
yrousduxms p. 26.
dsagogei, vergl. Metrik.
diloyyos p. 36. |
lunsgiolor, vergl. Metrik.
quisnes, vergl. Metrik.
xatevonisor, vergl. Metrik.
xdiuaxotiv, vergl. Metrik.
Aaxsadas Po
Àóyoc p. .
Borg p. 187.
taeus p. 598.
ulmstriba p. 47.
Unger, G. F., vergl. Alexander
Polyhistor, Geschichte, Hierony-
mus von Syrakus, Theophrast.
Unger, Rob., vergl. Aemilius Ma-
cer, Manilius.
Valesisches Bruchstück zur Ge-
schichte Constantins von E. Klebs
p. 53; Spracheigenthiimlichkei-
ten p. 73.
Vergil: C. Haeberlin, Quaestiones
Vergilianae p. 310.
Vespasian, Konsekration desselben
. 571.
Wachsmuth, C., vergl. Geschichte.
Wagener, C., vergl. Cicero.
Weckerling, A., vergl. Alterthum.
Weise, O., Ein Beitrag zum Vul:
girlatein p. 45.
Weiß, vergl. Alterthum.
Wiedemann, A., vergl. Geschichte
Zangemeister, C., vergl. Alterthum
zelivira p. 51.
Zielinski, Th., vergl. Aristophanes
ola tani Xagıkevns p. 38.
ovtwe in Photiusglossen p. 41.
navGwroucs? 232.
négds— opovcor p. 207.
negsodexoy, vergl. Metrik.
nolstexov, vergl. Metrik.
donter, ponala, Goufos p. 705.
Zangıxör, vergl. Metrik.
télavta (Zunvoov) p. 207.
telsıov, vergl. Metrik.:
zgstouögsov, vergl. Metrik.
ónoAsnioloyog p. 27.
önöppv9uor, vergl. Metrik.