-^^■^
Vv;:'?'*^'
f^-^
^-i^
V ■»■'.>:,
y */^ ^'
^" >■■ . *r»"
4- ^:
PHILOLOGÜS
ZEITSCHEIFT
FÜR
DAS CLA8SISCHE ALTERTHUM
BEGRÜNDET
VON F. W. SCHNEIDEWIN und E. v. LEUTSCH
HERAUSGEGEBEN
OTTO CBUSIUS
IN MÜNCHEN
Band LXVIII.
(N. F. Bd. XXII).
LEIPZIG
DIETERICH'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG.
THEODOR WEICHER
INSELSTRASSE 10
1909.
?fl
ö
Druck von H. Laupp jr in Tübingen.
Inhalt des achtundsechzigsten (zweiundzwan-
zigsten) Bandes*).
De Mercurio Aristophaneo. Scr. S. FAtreni .... 344
Zu Lykopbrons Nachleben. Von B. A. Müller 578
Zu Demokritos nspi eu9-u(iiY]g. Von K. LincJce 57o
Zu Thukyd. I, 24, 3. Von Johannes Baunack 446
Der zweite Teil des Logos der Diotima in Piatons Gast-
mahl (cap. 24—29). Von W. Gilbert .... 52
Platonica. Von Constantin Bitter 332
Die politischen Grundanschauungen Piatons. Von C.
Bitter 229
Aristoteles und die Vorsokratiker. Von Otto Gilbert . 368
Ein Bruckstück des Anonymus lamblichi. Von K. Bit-
terauf 501
Da? Verhältnis des Lucretius Carus zur Musik. Von
K. Hartmann 529
Zu Vergils Eclog. I 59, 69. Von Max Schneider 447
Ueber zwei Horazstellen. Von Ä. Buppersberg . . . 523
Zu Martial. Von Gustav Friedrich 88
Zu Martial m 58. Von Otto Frohst 319
Noch einmal De divinatione. Von D. Heeringa . . . 560
Zu Apuleius' Novelle vom Tode der Charite. Von Walter
Anderson 537
Priscianus. Von Ludivig Jeep 1
Glossen aus Cassius Felix. Von 0. Probst .... 550
*) Die Titel der Miscellen sind mit kleinerer Schrift gedruckt.
IV Inhalt des achtundsechzigsten (zweiundzwanzigsten) Bandes.
Bobiensia. Neue Beiträge zu den Bobienser Ciceroscho-
lien. Von Th. Stmujl 71
Erchanberts von Freising Donatcommenfcar. Von M.
Manitiiis 396
Karer und Leleger. Von Wolf Aly 428
Der Koer Kadmos. Von J. Sitsler 321
Zwei attische Dekrete. Von J. Sundwall 569
Die Weltkarte des Agrippa. Von Erich Gleye 318
Die Neujahrsfeier im römischen Kaiserreiche. Von Albert
3Iüller 464
'Pwiiog und Remus. Von W. Soltan 154
Der erste punische Krieg. Von Friedrich Eeuss . . 410
Der Quincunx im römischen Heere zur Zeit der Mauipu-
larstellung. Von Th. Stebnvender 260
Studien zu den Acta Imperator um Romanorum. Von
Odilo Haberleitner 271
Mythographiscbes. Von G. Lippold 152
Herakles am Scheidewege. Von W. Schultz .... 489
Kuba-Kybele. Von Eobert Eisler 118. 161
Zum Pariser Zauberpapyrus der bibl. nat. suppl. gr. 574. Von
K. Preisendanz 575
'Ecpsaca und AeXcptxa ypccixiaata. Von Wolfgang Schultz 210
Astrologisches in der griechisch-orthodoxen Liturgie? Von W.
Weyh 572
Vetulam facere und die dies vetttlae. Von 0. Crusius • - • 579
Spiritus asper und lenis in der Umschreibung hebräischer
Wörter. Von Eb. Nestle 456
Griechischer Sprachbrauch. Von L. Badermacher . . 449
Kurz- und Langzeile in der Auspicianischen Strophe. Von Paul
Maas 157
YtäxTi. Zu dem Schifterlied aus Oxyrhynchos. Von Paul Maas 445
Verzeichnis der Mitarbeiter und ihrer Beiträge ').
Aly, Wolf, Karer und Leieger p.
428.
Anderson, Walter, Zu Apuleius No-
velle vom Tode der Charite p. 537.
Assmann, Ernst, XXI p. 161.
Bammele, Johannes, XXI p. 473; Zu
Thuk. I, 24, 3 p. 446.
Bitterauf, K., Die Bruchstücke des
Anonymus lamblichi p. 500.
BonUffer, Adolf, XXI p. 582.
Borinski, Karl, XXI p. 606.
Brieger, Adolf, XXI p. 279.
Crusius, Otto, XXI p. 612 ; Vetulam
facere und die dies vetulae p.
579.
Domaszewslii, A. v., XXI p. 1.
Eisler, Robert, Kuba-Kybele p. 118;
161.
Eurem, S., De Mercurio Aristopha-
neo p. i3-14.
Friedrich, Gustav, Zu Martial p.
88.
Gilbert, Otto, Aristoteles und die
Vorsokratiker p. 368.
Gilbert, W. , Der zvreite Teil des
Logos der Diotima in Piatos
Gastmahl (cap. 24 — 29 , pag.
204 C— 212 A) p. 52.
Gleye, Carl Erich, Die Weltkarte
des Agrippa p. 318.
Haberleitner, Odilo, Studien zu den
Acta Imperatorum Romanorum
p. 271.
Hagen, Benno v., XXI p. 113; 475.
Hartmann, Karl, Das Verhältnis
des Lucretius Carus zur Musik
p. 529.
Heringa, D., Noch einmal de Divi-
natione p. 560.
Jacobsohn, Hermann, XXI p. 325;
481.
Jeep, Ludwig, XXI p. 12; Priscia-
nus p. 1,
Kornemann, E., XXI p. 321.
Lehnen, G., XXI p. 479.
Linke, K, Zu Demokritos rcspl sü-
9-L)[ii7jg p. 573.
Lippold, G., Mythographisches p.
152.
Maas, Paul, Kurz- und Langzeile
in der Auspicianischen Strophe
p. 157; TSäxT] p. 445.
Manitius, M., Erchanberts von Frei-
j sing Donatkommentar p. 396.
i Meiser, Karl, XXI p. 314.
Müller, Albert, XXI p. 134; 316;
Die Neujahrsfeier im römischen
Kaiserreiche p. 464.
Müller, B. A. , Zu Lykophrons
Nachleben p. 578.
Nestle, Eb., XXI p. 477.
Nestle, W., XXI p. 531 ; 612; Spi-
ritus asper und lenis in der Um-
schreibung hebräischer Wörter
p. 456.
Oldfather, William Abbott, XXI p.
411.
Praechter, Karl, XXI p. 154.
Preisendanz, Karl, XXI p. 68; 474;
Zum Pariser Zauberpapyrus der
bibl. nat. suppl. gr. 574 p. 575.
Probst, Otto, XXI p. 319 ; Zu Mar-
tial III 58, 12 ff. p. 319; Glossen
aus Cassius Felix p. 550.
*) Die Zahlen und Titel beziehen sich auf den laufenden LXVIIL
(N. F. XXII.) Band. Ein Verzeichnis der Mitarbeiter und ihrer Beiträge
findet sich für N. F. Band I— X in Bd. LVI (X) und für Bd. XI— XX
in Bd. LXVI (XX).
VI
Verzeichnis der Mitarbeiter und ihrer Beiträge.
Badennacher, L , Griech. Sprach-
gebrauch p. 449.
mtter, C, XXI p. 311; Die politi-
schen Grundanschauungen Pia-
tons p. 229 ; Platonica p. 332.
Beuss, Friedr., Der erste punische
Krieg p. 410.
Boemer, Ä., XXI p. 288; 366.
Boscher, W. H., XXI p. 158.
Buppersberg , Albert, Ueber zwei
Horazstellen p. 523.
Sauer, Br., XXI p. 804.
Schneider, Max, Zu Vergils Eclog.
I 59. 60 p. 447.
Schöne, A. E., XXI p. 480.
Schultz, Wolfgang, 'Ecp soia und AsX-
cpixä ypä\i.\iixzo(. p. 210; Herakles
am Scheidewege p. 488.
Sitder, J., Der Koer Kadmos p. 321.
Soltau, Wilhelm, '^Pö3|j.og und Re-
mus p. 154.
Stangl, Th., Bobiensia p. 71.
Steiger, Hugo, XXI p. 202.
Steinwender, Th., Der Quincunx im
römischen Heere zur Zeit der
Manipularstellung p. 260.
Sundwall, J., Zwei attische Dekrete
p. 569.
Thielscher, Paul, XXI p. 52.
Weyh, W., Astrologisches in der
griechisch-orthodoxen Liturgie ?
p. 572.
I.
Priscianus.
Beiträge zur Ueberlieferungsgescliichte der
Römischen Literatur.
II.
Nach der Prüfung derjenigen Zitate in Priscian's In-
stitutionen, welche aus der Zeit nach FL Caper sind, wenden
wir uns zu dem weit wichtigeren und bedeutend umfang-
reicheren Teil der Zitate bei Priscian, die über die Lebens-
zeit des Caper, d. h. über das zweite Jahrhundert p. Chr.,
nicht hinausreichen und infolge dessen von diesem Grammatiker
selbst gesammelt sein könnten.
Diese Zitate beginnen mit Stellen aus der Odyssee des
Livius Andronicus, ja sogar zwei Verse aus den 'sententiae'
des Appius Claudius finden wir angeführt, sodaß wir hier ein
Zurückgreifen auf die Anfänge der Römischen Literatur haben.
Zu den bei Priscian angeführten Autoren, welche, der an-
genommenen Zeit des Caper entsprechend, von diesem als letzte
hätten zitiert werden können, gehört zunächst A. Grellius, dessen
'Noctes Atticae' gegen Ende der Regierung des Marc Aurel
(f 180) vollendet wurden.
Prise. GLK. II, 246, 6 finden wir eine Stelle aus dem
verlorenen lib. VIII. Ibid., 259, 23 entspricht nach einer kleinen
Ergänzung durch Hertz genau der aus Noct. Att. angeführten
Stelle. Ibid. 355, 19 'nox etiam a nocte noctium, unde
A. Gellius noctium Atticarum inscripsit' dürfte sich nicht
nur im Allgemeinen auf den von Gellius gebrauchten Titel
beziehen, sondern vielmehr auf praef. § 4 'sed quoniam lon-
ginquis per hiemem noctibus in agro, sicut dixi, terrae Atticae
Philologus LXVIII (N. F. XXII), l. 1
2 LudwigJeep,
commentationes hasce ludere ac facere exorsi sumus, idcirco
eas inscripsimus noctium esse Atticarum', im ausdrücklichen
Gegensatze zu andern damals beliebten, § 6 angeführten Titeln.
Prise. 135, 14 wird bei Besprechung nominaler Weiter-
bildungen auf -ins neben einem 'servus Servius, servilis Servilius'
u. dgl. auch 'agellus Agellius' erwähnt. Hertz scheint auch hier an
'Aulus Gellius' gedacht zu haben, den er mit den Handschriften
in philiströser Weise auch in den angeführten Zitaten 'Agellius'
schreibt. Ich halte das aber für gänzlich ausgeschlossen und
führe jene Ableitung auf das gentile 'Agellius' zurück, welches
CIL. VI, 1. N. 1056, b, 2 Z. 33 für das Jahr 205 p. Chr.
bezeugt ist. Es kann sich a. a. 0. nur um eine Her-
leitung der Art und nicht um einen falsch geschriebenen
Namen handeln.
Apuleius gehört in dieselbe Zeit, wie Gellius. Aus jenes
Schriften haben wir bei Priscian elf Zitate, mit einer Ausnahme
alle aus verlorenen Schriften. Prise. 509, 9 führt 'Apuleius
in dialogo, qui est de deo Socratis' an; ibid. 85,13; 111,2;
279, 13; 528, 24 erscheint 'Apuleius in I Hermagorae' oder
wie 135,16 'Ap. in primo Hermagorae'. Hinter der letzten
Angabe ist aber die eigentliche Stelle, wohl durch Schuld
der TJeberlieferung, verloren gegangen'). Außerdem zitiert
Prise, 250,18 Apuleius 'in epitoma: sed tum sestertius
dipondium semissem, quinarius quinquessis, denarius decussis
valebat', eine Stelle, welche in des Priscian Schrift de fig.
num. GLK. III, 408, 1 in ähnlicher Form folgendermaßen
wiederkehrt 'sestertius quasi semis tertius, de quo Arruntius
haec ait, sestertius olim dupundius et semis, quasi semis
tertius, quo tempore denarius decussis valebat'; ferner III, 482, 2
mit vollständigerem Titel 'in epitomis historiarum: Aeneanica
gens', II, 203,14 in medicinalibus, 511,18 in Phaedone und
ebenso 520,20.
In die Aera des Marc Aurel gehört auch Aemilius Asper,
') Es heißt a. a. 0.: *Apnleius in primo Hermagorae et Pacuvius
in Teucro: Postquam defessus' u. s. w. Nicht ganz sicher erscheint
mir die Anführung 279, 13 'nix nivis — antiqui tarnen etiam ninguis
dicebant, unde Apuleius in I Herrn. : aspera hiems erat, omnia ningue
canebant'. Hier scheint mir vor der Apuleiusstelle ein älterer Beleg
ausgefallen zu sein. Vgl. damit Prise. 528, 21.
Priscianus. 3
der bei Prisciau, 499, 18, 536, 5 und auch in den partitt.
(III, 489, 36) zitiert ist. An erster Stelle tritt er als Ver-
mittler einer Meinung des Varro auf; die zweite Anführung
(Asper tarnen 'pectui') ist ohne Frage identisch mit der dritten -).
Die angegebene Lebenszeit hat kürzlich gegenüber einer älteren
Datierung sorgfältig festgestellt Wessner, Aemilius Asper.
Halle (Progr. der Latina) 1905.
Schon längst hat man nach richtiger Datierung der Lebens-
zeit des Petronius, der von Terentianus Maurus angeführt
wird, die zu späte Ansetzung des letztern durch Lachmann auf-
gegeben und unter sorgfältiger Beobachtung seiner literarischen
und spi-achlichen Beziehungen ihn gleichfalls dem Zeitalter
des Marc Aurel zugewiesen. Viermal finden wir Stellen
bei Priscian zitiert^). Auch der Jurist Gaius, aus dem sich
beim Prise, 282, 8 zwei Stellen finden, lebte noch unter dem-
selben Kaiser.
Von den Juristen kommt hier noch Ulpianus in Frage '^).
Aus lib. XLVI ad edictum liegt bei Prise. 97, 18 ein
Beleg für 'proximior' und aus dem Werke ad Sabinum ibid.,
506, 3 ein solcher für 'fruiturum' vor.
Ulpian ist 228 ermordet, seine Werke ad edictum prae-
toris und ad Masurium Sabinum sind aber in der später
weiter überlieferten Bearbeitung unter Caracalla (211 — 217)
nach dem Tode des Septimius Severus (211) in die Oeff'entlichkeit
gekommen. Daher können wir die Benutzung dieser Werke
durch Caper, wenn wir die angenommene Lebenszeit desselben
festhalten wollen, selbstverständlich ohne weiteres nicht voraus-
setzen.
Diese Frage wird dadurch gelöst, daß sich von beiden
Werken frühere Bearbeitungen nachweisen lassen. Für die
Bücher ad Sabinum ist solch eine frühere Bearbeitung bezeugt.
Vgl. Jörs REW. s. V. Domitius Ulpianus, V, p. 1441 ; für
*) Prise, III, 489, 36 heißt es 'pecto, pexui vel pectui : sie Äsper
de verbo. Entweder muß 536, 5 'plerique pexui. Asper tarnen (etiam)
pectui gelesen werden, wie z. B. 516 'vetustissimi tarnen etiam 'acicidi'
(vgl. 367, 9; 349. 9, 333, 9; 320, 15 u. s. w.), oder es ist 'sie Asp. de
verbo' a. a. O. nur auf pectui zu beziehen.
^) Dazu kommt noch Prise. III, 419, 17 de metr. Ter.; darüber
siehe unten p. 12.
*) Vgl. auch unten p. 28.
1*
4 LudwigJeep,
die Bücher ad edictum praetoris ist sie mit bewundernswertem
Scharfsinn erwiesen worden von demselben Juristen ibid.,
1505 ff. Ob diese frühere Bearbeitung ad edictum wirklich
herausgegeben sei, entweder ganz, oder teilweise, d. h. Buch
1 — 52 — also auch B. 46, das bei Priscian zitiert wird — ,
sei, meint Jörs, eine Frage, auf die man, wenn mau das Gebiet
der bloßen Vermutungen vermeiden wolle, keine Antwort zu
geben v-ermöge. Es liegt aber auch kein Grund vor, weshalb
für ad edictum eine andere Art der Herausgabe anzunehmen
sei, wie für die Bücher ad Sabinum. Und in der Tat urteilt
auch Jörs p. 1507, daß die Herausgabe der frühern Bearbeitung
ad edictum das wahrscheinlichste sei.
Diese erste Bearbeitung von ad edictum fällt nach Jörs'
vortrefflicher Untersuchung vornehmlich in die Zeit der Allein-
herrschaft des Septimius Severus (193 — 198). Wir brauchen
uns daher nicht zu wundern, daß Caper schon am Ende des
zweiten Jahrhunderts das Werk ad edictum praetoris zitieren
konnte. Die erste Bearbeitung des Werkes ad Sabinum ist
aber auch bei Lebzeiten des Severus verfaßt. Vgl. Jörs a. a. 0.
p. 1508. Somit hat Caper das betreffende Zitat daraus gleich-
falls aus der ersten Ausgabe jenes Werkes nehmen können.
Da die Anführung bei Prise. 97,15 übrigens charakteristisch
ist, setze ich dieselbe im größern Zusammeaihange hierher:
'proximus', quod tamen quando pro 'cognato' accipitur, positivi
significationem habet ideoque a legis latoribus etiam comparative
profertur, apud quos saepe invenitur 'proximiores cognati', ut
Ulpianus libro XLVI, ad edictum: si quis proximior cognatus
nasceretur. Vegetius Renatus rei militaris libro primo : sed
latera eorum subducantur ab hostibus, ne possint vulnus accipere,
et proximior dextra sit, quae plagam possit inferre'. nee mirum,
cum apudGraecos quoque inveniuntur huiuscemodi, ut Aristoteles
arcö xoö eaxato? eaxaxwxavog dixit, cum eaxaxos sit super-
lativus'.
Die Anführung aus Ulpian belegt die Aussage, daß bei
den Juristen 'proximior' in bestimmter Bedeutung angewendet
sei. Daß dies in der Tat häufiger geschah, sehen wir aus
Neue Forml. ^ II, 243 f. Die Stelle aus Vegetius hat mit
den Juristen aber nichts zu tun und zeigt dadurch die
Priscianus. 5
spätere Hinzufügung von Priscian selbst, von der wir schon
Abhandig. I Philol. N. F. XXI, 21 (1908) gesprochen haben.
Auch die griechische Bildung einer ähnlichen Form,
welche zur Erörterung hinzugefügt ist, weist auf Priscian, in-
sofern er offenbar seine grammatischen Institutionen zunächst
für griechisch sprechende Leute geschrieben hat, eine Tatsache,
auf die hier im Vorübergehen hingewiesen werden mag, die
aber gelegentlich einer genaueren Auseinandersetzung bedarf.
Eine gleiche Tendenz auch bei Charisius hat eingehender
Tülkiehn nachgewiesen W. f. kl. Phil. XXIV (1907), 1020 ff.
In die Zeit gegen Ende des zweiten Jahrhunderts hat
man auch Arruntius Celsus gesetzt, welcher bei Priscian wieder-
holt, sowohl als Arruntius, wie auch als Celsus angeführt ist.
Allerdings weiß man mit Bestimmtheit nur, daß Arruntius
vor Julius Romanus gelebt hat, da er von letzterem bei
Charisius, beiläufig gesagt auch als Arruntius Celsus, zitiert
ist. Ein terminus post quem ist bisher nicht gefunden worden»
jedoch schien nicht ohne Wahrscheinlichkeit obige Ansetzung
die richtige zu sein.
Zunächst möchte ich zwei Stellen bei Priscian, welche
sich auf Arruntius berufen, vorführen und besprechen.
Prise, 199, 14 — 201, 6 'neutra eiusdem terminationis
{i. e. in a) graeca sunt et addita tis faciunt genetivum, ut
peripetasma huius peripetasmatis, hoc poema huius poematis.
haec tarnen antiquissimi secundum primam declinationem saepe
protulerunt et generis feminini, ut Plautus in Amphitrione ^)
'servili Schema' pro 'schemate' (v. 116 — 117), Valerius in
Phormione (syrmä), Plautus in Persa (schemä), Caecilius
in hypobolimaeo (schemä), Pomponius in satura (diademam),
Laberius in cancro (dogmam), Plautus in milite glorioso
(glaucumam). quidam autem in usu etiam teste Celso huiusmodi
nominum protulerunt nominativos: hoc emblematum huius
emblemati, hoc toreumatum huius toreumati declinantes. unde
frequens usus eorum dativos et ablativos plurales in is terminat:
his et ab his schematis, emblematis, peripetasmatis, toreumatis,
quibus frequenter casibus in Verrinis utitur Cicero'.
*) Cf. Charis. GLK I, 53, 15 und die ganze Partie daselbst.
6 LudwigJeep,
Die Quelle obiger Stelle, teils kürzend, teils vollständiger
wiedergebend, schreibt Prise, 356, 25 'in huiuscemodi tarnen,
id est neutris 'a' finitis, quae sunt graeca, frequenter inve-
nimus antiquos dativum et ablativnm plurales in is productam
proferentes contra regulam tertiae declinationis, quam servant
in ceteris casibus supra dictorum nominum. ut Cicero fre-
quenter in Verrinis toreumatis dicit et peripetasmatis et
emblematis. in libro de signis {§ 28): nunc de peripetasmatis
quemadmodum te expedias non habes. in eodem (§ 37) :
scaphia cum emblematis. idem ad Herennium IV (4, 7) : de
orationibus aut poematis, quamvis neutro genere hoc ubique
profert. si enim, sicut Plautus et alii vetustissimi femininum hoc
protulisset, pares syllabas omni casui servasset absque genetivo
plurali secundum analogiam primae declinationis. est igitur
magis apud Ciceronem et eos, qui similiter in huiuscemodi
proferunt, heterocliton vel, ut Celso videtur, a nominativo hoc
peripetasmatum, hoc emblematum'.
Da die hier abgeschriebene Quelle, wie wir unten (p. 40)
noch zeigen werden, Caper ist, so können wir die Lebenszeit
des Arruntius bis etwa in die Mitte des zweiten Jahrhunderts
zurückrücken ^). Einen 'terminus post quem' aber gibt vielleicht
folgende Erwägung an die Hand, welche ich bei dem Fehlen
sonstiger Anknüpfungspunkte nicht unterdrücken will.
Schon oben (p. 2) habe ich eine Stelle des Apuleius bei
Priscian, 250, 18 mit einer andern ibid. III, 408, 1, die sich
auf Arruntius bezieht, zusammengestellt und auf ihre Aehnlich-
keit hingewiesen. Es sieht die letztere in der Tat wie eine
freie Wiedergabe der erstem aus. Wäre das richtig, so läge
die Zeit der Schriftstellerei des Arruntius zwischen Apuleius
und Caper. An sich würde es auch nicht wunderbar sein,
wenn ein Grarumatikus, welcher zur Zeit eines vielgelesenen
Autors lebte, wie Apuleius einer war, denselben gelegentlich
8) Man kann nicht annehmen, dass die Erwähnung von Celsus an
den beiden Stellen später, etwa von Prise, selbst, hineingebracht sei,
da sie, wie schon oben angedeutet, aus einer Quelle sind und nicht
eine von der andern abhängt. Es zeigt dies klar der Umstand, daß
an der erstem Stelle Plautus u. a. ausgeschrieben, an der andern nur
'Plautus et alii vetustissimi' genannt sind, umgekehrt aber in der letz-
tern Cicero's Verrinen ausgeschrieben werden, an der erstem jedoch
nur 'in Verrinis utitur Cicero' gesagt wird.
Priscianus. 7
ausgeschrieben hätte. Und daß im Fall einer zwischen den
beiden Stellen vorhandenen näheren Beziehung die Stelle des
Arruntius als eine Nachschreibung der Stelle des Apuleius an-
gesehen werden müsste, liegt auf der Hand^).
Beiläufig möchte ich mich auch hier zu dem Arruntius
Claudius bei Diomedes GLK. I, 321, 11 äußern^). Es wird
an dieser Stelle nämlich auf die Autorität eines 'Arruntius
Claudius' die Behauptung aufgestellt, daß die römische drei-
fache Namensetzung aus dem Griechischen herzuleiten sei,
da auch die alten griechischen Helden diese dreifache Be-
nennung gehabt hätten. Es erscheinen dann zur Belegung
Zusammenstellungen, wie Achilles Aeacides Podoces, Pyrrus
Aeacides Neoptolemus, Alexander Dardanius Paris u. dgl. m.
Unbegreiflich ist mir immer gewesen, wie man hier ohne
weiteres einen Schreibfehler für 'Arruntius Celsus' annehmen
wollte. Der Versuch, in jener für uns jetzt lächerlichen
Weise, eine römische Sitte aus dem Griechischen herzuleiten,
führt auf des Claudius Didymus Bestreben, welches ich Aufs. I
(Philol. LXVII, n. F. XXI, 42) besprochen habe. Prise. III,
408, 6 folgt aber dem oben besprochenen Zitat aus Arruntius
unmittelbar eine Berufung auf jenen Didymus gerade im
Sinne der Tendenz desselben, alles Römische aus dem Grie-
chischen herzuleiten. Ibid., 411, 9 finden wir wieder den
Didymus angeführt und hier sogar mit einer längern Stelle. Da
diese aber nach der Einführung 'Didymus autem ea^) confirmet'
beginnt 'xac AtSu|xo5 ev xw nepi zfic, Tiapa TwfjLatot? dvaAGyia?'
etc., so ist dies Zitat offenbar von Priscian nicht unmittelbar
aus Didymus genommen, sondern durch eine Vermittlung,
die wir im Arruntius zu suchen berechtigt sein dürften. Und
so neige ich zu der Annahme, daß bei Diomedes a. a. 0. ein
Irrtum vorliegt, indem — einerlei, durch wessen Schuld —
eine sich auf Claudius Didymus stützende Angabe des Arruntius
über die Herkunft der dreifachen Namensführung bei den
') Man vergleiche Charis. GLK I, 76, 3 ff., welche Stelle ich leider
nicht auf ihre Quelle zurückzuführen vermag; ferner Varro d. 1. 1. V,
169—173, dazu auch Prise. III, 410, 9.
8) Vgl. m. Redeth. p. 126, 1 (dazu p. 60).
*) Es bezieht sich dies auf die Stelle des Varro d. 1. 1. V, 169 bis
174, die unmittelbar vorher abgeschrieben ist.
8 LudwigJeep,
Römern einem 'Arruntius Claudius', der nicht existiert, zuge-
teilt wurde''').
Den obigen Autoren füge ich auch noch diejenigen hinzu,
die zwar unter der Regierung des Hadrian (117 — 138) bezeugt
sind, deren Lebensdauer aber auch noch in die des Caper
gereicht haben kann. Jedenfalls lebten sie unmittelbar vor
dem letztern und ihre Anführung ist daher für die Grenz-
bestimmung der Tätigkeit des Caper gleichfalls von Wert.
Es gehören hierher Terentius Scaurus, der 'divi Hadriani
temporibus grammaticus vel nobilissimus' und Velius Celer,
beide allerdings bei Prise, nur einmal 547, 11 f. notiert betreffs
'ambltus', und 'ambitus', worüber Celer dem Hadrian schrieb.
Vgl. Charis., 209, 12. Auch Caesellius Vindex (so Prise. 229, 10
zitiert, 230, 11 Caesellius in stromateo), hat man mit Recht
in diese Zeit gesetzt, da die von Gellius bezeugte Opposition
des Scaurus gegen ihn nur verständlich erscheint, wenn sie
gegen einen Zeitgenossen stattfand. Die Gegnerschaft des
Sulpicius Apollinaris, Lehrers des Gellius, gegen Caesellius
hat man richtig ebenso aufgefaßt'^). Da aber Gellius nach
Friedländer Sitteng. IIP, 504 zwischen 130 und 134 geboren
wurde, wird des Gellius Lehrer auch noch über die Regierungs-
zeit des Hadrian gelebt haben.
Ich führe ferner den Alfius Avitus hier an, welcher
einige Zeit vor Terentianus lebte und aus dessen 'II excellentium'
in Gemeinschaft mit einer Juvenalstelle (I, 3, 282) eine mehr
oder weniger vollständige Stelle zum Belege für 'spatiandö'
wiederholt zitiert wird (II, 409,19; 426,23; III 233, 21) »2).
Außerdem finden wir bei Prise, II, 591, 14 noch zwei andere
Verse aus demselben Buche, um 'tute' zu belegen.
1") Die Stelle des Diomedes, 321, 11 beginnt 'huius modi autem
Dominum ordinatio, sicut Arruntius Claudius asserit, a Graecis tracta
demonstratur'. Die folgende Auseinandersetzung umfaßt Diom. 321,
12 — 322, 5. In der Vodage krinnte man von Arruntius teste Claudio
(Didymo) voraussetzen. Vgl. Prise. 1. I.
'') Die erregte Parteinahme des Gellius hat man nicht ohne Grund
als Bestätigung aufgefaßt. Man lese Gell. VIT, 2, 1 Turpe erratum of-
fendimus in illis celebratissimis commentariis lectionum antiquarum
Caesellii Vindicia cet., ibid. XVIII, 11, 1 Non hercle idem sentio cum
Caesellio Vindice grammatico, ut mea opinio est, hautquaquam ine-
rudito. Verum hoc tarnen petulanter insciteque, quod Furium veterera
poetam dedecorasse linguam latinam scripsit.
^^) Auch die Juvenalstelle ist verschieden vollständig angegeben.
Priscianus. 9
Von einem Albinus hat uns Prise, II, 304, 20 drei
Hexameter aus 'rerum Romanarum I' erhalten, deren zwei die
jambische Messung von 'cui' beweisen. L. Müller, d. r. m.'-,
318 f. setzt diesen Albinus deswegen in das III. saec. p. Chr.
Dieser Machtspruch ist aber nicht zutreffend, da er die An-
nahme, daß 'inde a III s. in utroque pronomine (cui huic)
voluerunt i communem', durch Beispiele aus Terentianus, der,
wie wir jetzt wissen, schon im II. saec. p. Chr. lebte, erhärten
zu können glaubte. Wir sind daher berechtigt, Albinus ein
Jahrhundert früher zu setzen und ihn an dieser Stelle anzu-
führen.
Schließlich ziehe ich noch Suetonius heran, dessen Leben
sich ja auch bis in die Regierung des Hadrian und vielleicht
noch darüber hinaus erstreckte. Zwei Mal (II, 387, 23 u.
III, 275, 13) ist bei Prise, eine Stelle aus IUI pratorum' an-
geführt, an ersterem Orte genauer wiedergegeben, dann 387, 2
eine Stelle aus 'VIII pratorum; außerdem ist II, 231,8 auf
den 4iber, qui est de institutione officiorum' hingewiesen,
ohne daß etwas daraus mitgeteilt wäre.
Die letzte Stelle ist wegen der Zusammentragung der
Belege seitens des Priscian bemerkenswert. Es handelt sich
um die Belegung von 'puera bei den 'antiquissimi'. Diese
Belege sind aber davon durch 7 — 8 Zeilen anderen Inhalts
getrennt. Erst nach letzteren kommen die zu 'puera' gehörigen
Belege: Livius Ändronicus (puera) (cf. aber Charis., 84,6),
idem (puerarum). Und diesen Belegen schließen sich passend
an Nachweise aus den 'vetustissimi' für 'puerus, puellus, haec
puer': Lucilius (puellus), Caecilius (puere), Afranius (puere),
Plautus (puellus), Lucilius (puellus), Livius in Odyssia (sancta
puer), Naevius (Cereris Proserpina puer), Varro in satura
äXkoc, ouxoc, lipa%kfiq (puellum). Das ist von 'puera' an eine
in sich geschlossene, Avenn auch offenbar nicht mehr voll-
ständige und verwirrte Partie ^^), in welche jene 7 — 8 Zeilen
*3) Die ünvollständigkeit zeigt sich sofort darin, daß auch neben
'puellus' bei den vetustissimi 'puella' angeführt wird (231, 14), ein Be-
leg aus denselben aber fehlt. Die Anordnung ergibt sich von selbst.
Man vgl. übrigens Prise. 110, 17 'puer, puera' antiqui, ex quo puella'
und 562, 8 'licet inveniantur vetustissimi protulisse et haec puera et
hie et haec puer'.
10 LudwigJeep,
hineingezwängt sind, mit dem hierher nicht gehörigen 'puerpera'
und seiner Erklärung, mit der Erklärung von 'puella' ^*)
und der dort gänzlich überflüssigen, durch Ovid. met. V, (400)
belegten Beziehung von 'puerilis' ('puerilibus annis') auf ein
weibliches Wesen, welche nur möglich erscheine, 'nisi etiam
'puera' esset dictum, quod tarnen comprobat etiam Suetonius
diversos ponens usus in libro, qui est de inst, oif.'
Die oben aufgezählte Reihe von Autoren, Gellius, Apuleius,
Asper, Terentianus, Gaius, Ulpianus, Arruntius, Scaurus, Velins
Celer, Vindex, Alfius, Albinus, Suetonius, welche wir als die
letzten bezeichnen müssen, die Fl. Caper möglicher Weise
noch selbst eingesehen haben könnte, bildet so zu sagen den
Strich unter einem auch äußerlich sich sehr hervorragend
geltend machenden Abschnitte in der Grammatik des Priscian.
Nach diesem Abschnitte tritt nämlich hinsichtlich der Be-
nutzung der Literatur in derselben die traurige Oede ein, von
der wir in Aufsatz I bereits gesprochen haben.
Man kann diese Erscheinung nicht aus dem eintretenden
Rückgang der römischen Literatur in jener Zeit erklären.
Es gab noch manches, was die Aufmerksamkeit eines
Grammatikers fesseln konnte und mußte, wenn er die Literatur
nur annähernd mit der Gründlichkeit ausbeutete, wie es vor
dem bezeichneten Abschnitte in Priscian geschehen ist.
Ich weise, um einiges zur Bestätigung hervorzuheben,
auf Marius Maximus hin, den vielgelesenen und auf die da-
malige Historiographie lange hervorragend wirkenden Geschichts-
schreiber, den Fortsetzer des Suetonius, noch unter Alexander
Severus lebend. Er war eine Hauptquelle namentlich der
scriptores historiae Augustae, neben denen übrigens außer-
dem noch eine lange Reihe von Historikern existierte, welche
die Kaisergeschichte behandelt hatten. Es fehlte außerdem
keineswegs immer an Anregung zu literarischen Studien von
Seiten der höchsten Stelle im Staate. Alexander Severus
pflegte griechische und römische Literatur. Er las außer
Plato den Cicero, Horatius, liebte die Beredsamkeit und förderte
die zeitgenössischen Dichter, von denen er Serenus Sammonicus
*■•) Vgl. zu der hier angegebenen Parallelbildung (capella, tenella
cet.) Prise. 110, 16 und 18, ferner 562, 6.
Priscianus. 11
kannte und liebte. Auch Maximinus iunior kümmerte sich
um die Literatur seiner Zeit. Wir sehen ihn für Grammatik,
Jurisprudenz und Rhetorik und deren Vertreter interessiert.
Nicht minder förderten Gordianus I und II die Literatur.
Ersterer war selbst Dichter, letzterer ein Schüler des Dichters
Serenus Sammonicus und diesem gleichfalls befreundet. Später
war noch Gallienus ein Freund der Dichtkunst, in der er sich
auch selbst versuchte. Des Kaisers Tacitus Bemühen, die
Werke des Cornelius Tacitus zu verbreiten und zu erhalten,
ist allbekannt. Auch Numerianus ist in der Literatur tätig
gewesen; ja er trat sogar mit dem Dichter Olympius Nemesianus
in einen Wettstreit. Es fehlte so in verschiedenen Zeiten
zu literarischen Studien nicht die Anregung. Natürlich war
die überschrittene Höhe in der Literatur nicht wieder zu ge-
winnen. Aber außer den schon genannten Autoren haben
wir doch noch einige von anerkennenswertem Range zu nennen
für besondere Fächer, wie für Jurisprudenz den Paulus, für
Landwirtschaft den Gargilius Martialis ^^), für Grammatik den
Julius Romanus, von Charisius abgeschrieben, den Sacerdos,
den Metriker Aphthonius, den Marius Victorinus ausschrieb.
Dies mag genügen, um zu zeigen, daß kein Grund vorlag,
die Sammlung von literarischen Belegen nach dem Tode des
Caper abzubrechen, falls man nur selbst sammeln wollte und
zu sammeln verstand. Die nach der Zeit des Caper eintretende
Leere bei Priscian lehrt uns, daß die Quelle versiegt war, die
bisher in bequemer Weise ausgeschrieben wurde. Die jammer-
vollen Zusammentragungen aus Grammatikern von Donat an,
welche uns allein noch von Priscian aufgetischt werden, be-
weisen uns dasselbe; denn auch in dem vierten Jahrhundert
fehlte es keineswegs an bemerkenswertem Material, jeden-
falls nicht an viel bemerkenswerterem, als z. T. das ist, aus
dem Priscian zusammengeschrieben hat. Ich nenne nur Avienus,
Ausonius, Cl. Claudianus, RutiliusNamatianus, Julius Valerius^*'),
von denen z. T. auch in der erhaltenen grammatischen Ueber-
15) Der Kaiser Clodius Albmus (193—197) war sebr der Landwirt-
schaft kundig 'ita ut etiam Georgica scripserit' (Capitolin. Alb.).
1*) Ich erinnere daran, daß Alexander Severus gern das Leben Ale-
xanders las, 'quem praecipue imitatus est' (Lamprid. Alex. Sev.).
12 LudwigJeep,
lieferung Notiz genommen wird. So von Avienus bei
Serv. Aen. X, 272 u. X, 388, Georg. I, 488; von Ausonius
in der Schrift de dubiis nominibus GLK V, 579 fif. (vgl.
Schenkl, Auson. p. XVIII); von Claudianus ibid., 589, 3 1^);
von Julius Valerius, ohne Nennung seines Namens, in den
Explan. 11 in Donat. GLK. IV, 557,24, unter dem Titel
'historia Alexandri Magni' (cf. Kübl., Jul. Val. p. 3, 18).
Uebrigens möge auch noch auf die Zitierung des Olympius
Nemesianus aufmerksam gemacht werden, bei dem Scholiasten
Statins Theb. V, 389 (Jahnke, p. 282, 12) u. II, 58 (p. 83, 8)
und auf die des Gargilius bei Serv. Verg. Georg., IV, 148.
Demnach kann jenes Zusammentreffen des Aufhörens einer
eingehendem und reichlichem Literaturauführung bei Priscian
mit dem Ende des zweiten Jahrhunderts, d. h. mit dem Tode
des Caper, nicht als etwas Zufälliges betrachtet werden. Es
ergibt sich vielmehr, wie schon gesagt, daß das Ende der
Weisheit des Priscian die Folge von dem Ende seiner Quelle war.
Wir sind wieder zu einem Ruhepunkte gekommen; aber
ehe wir einen neuen Schritt vorwärts zu machen versuchen
werden, wollen wir noch einige Punkte besprechen, die wir
bisher übergangen haben, um nicht den stetigen Gang der
Untersuchung zu stören.
Eine Frage von Wichtigkeit ist für unsere Untersuchung,
ob Keil GL III, 395 mit Recht angenommen hat, Prise,
d. m. Ter. GLK III, 419, 17 habe die dortige Stelle aus
Terentianus 2228 — 2242, direkt aus demselben in seine eben
genannte Schrift übertragen. Da es ganz ausgeschlossen er-
scheint, daß Prise, in seinen grammatischen Institutionen den
Terentian direkt benutzt hat, so ist von vornherein keine
große Wahrscheinlichkeit für eine derartige Benutzung in
einer andern Schrift des Prise. III, 419, 17. Doch sehen wir
die Stelle an. Nachdem der Passus aus Terentian angeführt,
heißt es daselbst Z. 33 weiter : 'vide Terentianum quoque scire,
quod non penitus caruerint hoc Graeci, ut 'sccundo et talibus'
ponerent spondeos vel dactylos, quod ostendit dicendo 'magis
nostri' et 'fere Graecis tenax'. Asmonius etiam idem confirmat
•') Die aus Ausonius, Avienus, Claudianus angeführten Stellen sind
jetzt nicht mehr erhalten.
Priscianus. J3
his verbis' cet. Den dann folgenden Worten des Asmonius
schließen sich zwei Zitate aus dem Metriker Juba an, das
erstere, längere, nur durch den Namen 'Juba' gekennzeichnet,
das andere, weit kürzere, nach einem dem oben mitgeteilten
Passus gleichenden Zwischensätze 'attende Jubam quoque scire
inveniri quosdam iambos, in quibus secundus et quartus
absque observatione ponitur, quos xaxojjtexpouig vocat', mit
'idem in octavo' eingeführt.
lieber diese Jubazitate ist schon öfter gesprochen ; jedoch
woher sie dem Prise, zugeflossen sind, darüber scheint man
sich keine Sorge gemacht zu haben. Es ist ganz ausgeschlossen,
dass Prise, den Juba studiert und ausgeschrieben habe. Wohl
aber können jene Stellen aus der Ars des Asmonius ^^) von
Prise, mit übernommen sein, in welcher auch eingehendere
metrische Erörterungen enthalten sein konnten. Man denke
nur an Diomedes und Sacerdos ^^).
Ich vermute auch, daß die Terentianstelle auf demselben
Wege in die in Frage stehende Schrift des Prise, gekommen
ist. Dieselbe scheint es uns, natürlich unfreiwillig, selbst zu
verraten; denn jenes 'Asmonius etiam idem confirmat his
verbis' scheint nichts anderes zu heißen, als daß 'Asmonius auch
noch dasselbe mit den folgenden Worten erhärtet' oder, um
etwas weitläufiger zu reden, daß Asmonius dasselbe, was er
schon vorher durch Anführung der betreffenden Verse aus
Terentianus dargetan habe, auch noch in anderen Worten,
welche folgen, gleichfalls auseinandersetzte ^°).
Uebrigens hat Cybulla a. a. 0. 60 f. darauf hingewiesen,
daß auch eine Entnahme der Terentianstelle bei Prise, aus
dem Commentarium des Rufinus nicht unmöglich sei. Aller-
dings haben wir keinen Anhalt, die Veröffentlichung desselben
zeitlich festzustellen ; aber auch keinen Grund, diese Ver-
öffentlichung erst nach der Zeit des Prise, anzunehmen. Jeden-
falls sehen wir aus der wiederholten Angabe der betreffenden
18) Vgl. Aufsatz I, 15 und 19.
18) Vgl. m. Redeteile p. 73 f.
-") Man vgl. Prise. GLK III, 45, 25 'quod Censorinus quoque de ac-
centibus approbat' ... 46, 7 'idem Censorinus haec etiam hubiungit'
cet. Vgl. auch Prise. III, 408, 6 und 411, 9 Didymus etiam ea con-
firmet.
14 LudwigJeep,
Terentianstelle, daß dieselbe in der grammatischen Tradition
in jener Weise gesondert weiter getragen wurde, ohne daß
wir bei deren Anführung an ein direktes Studium desTerentianus
zu denken brauchen.
Es mag noch angeführt werden, das Cybulla a. a. 0.
61 f. für die der besprochenen Stelle des Prise, III, 419 f.
folgende Partie (p. 422 u. 423) eine Abhängigkeit, wenn
vielleicht auch keine unmittelbare Abhängigkeit von Caesius
Bassus nachgewiesen hat. Natürlich kann durch diese Quelle
nicht eine Stelle aus Terentianus vermittelt worden sein, wohl
aber durch eine zwischen Caesius Bassus und Prise, stehende
Zwischenquelle, welche auch schon Cybulla p. 63 ins Auge
gefaßt hat und deren Vorhandensein ich für sehr wahrschein-
lich halte. Möglich, daß sie in Asmonius zu sehen ist.
Von besonderer Bedeutung für unsere Untersuchung er-
scheint mir auch Prise, II, 228,13 — 16: 'propria eiusdem
(id est in er terminationis) nomina si sint appellationis similia,
eorum sequuntur regulam, utAsper proprium Aspri, appellativum
asperi et aspri per syncopam ^^) liber proprium et appellativum
liberi, caper similiter capri'^^).
Da die Grammatiker mit Vorliebe in ihren Schriften zu
Beispielen ihre eigenen Namen gebrauchen, so ist anzunehrnen,
daß auch hier in dem 'caper -^) similiter capri' eine An-
spielung auf den Fl. Caper versteckt ist und dadurch auf den
Autor der ausgeschriebeneu Quelle hingewiesen wird. Das
Fehlen von Belegen aus Autoren ist kein Grund dagegen;
denn wir werden weiter unten genug Stellen nachweisen,
welche sicherlich auf Caper zurückgehen, aber durch Prise,
ihrer literarischen Belege beraubt worden sind.
Ferner müssen wir uns hier noch über den öfters bei
Prise, angeführten Censorinus aussprechen. Dieser erscheint
bei Prise. II, 13, 19 als 'doetissimus artis grammaticae',
welcher auch ibid., 13, 9 Varro und Macer, vermutlich Pompeius
Macer, der Ordner der Bibliotheken unter Augustus (Suet.
21) Vgl. Prise. 225, 14.
") Vgl. Cybulla, de Rufini Ant. comm. 1907, 35, 1.
2') Mit Recht hat Hertz hier 'nomen proprium' getilgt; denn 'si-
militer' weist auf das vorhergehende 'liber proprium et appellativum'
und 'nom propr.' ist daher hinter 'caper' sinnlos.
Priscianus. 15
Caes. 56) zitierte. Prise. III, 27, 23 wird sein 'über de
accentibus' angeführt, ebenso ibid. 45, 25 (vgl. 47, 3). Die
grosse ibid. 46, 7 angeführte Stelle aus Censorinus ist, wie
der Zusammenhang lehrt, gleichfalls aus 'de accentibus'.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß obiger Censorinus der-
selbe ist, dessen Büchelchen 'de die natali' wir noch besitzen.
Cassiodorius spricht von ihm in dem Abschnitte 'de musica',
cap. V de artibus et disciplinis liberalium litterarum (Migne,
patrol. lat. 70, 2, 586, D), als dem Verfasser des Buches 'ad
Q, Cerellium de die natali' und am Ende dieses Kapitels
(588, C) fügt er hinzu 'Censorinus quoque de accentibus voci
nostrae adnecessariis subtiliter disputavit, pertinere dicens ad
musicam disciplinam'^*). Sowohl die obigen Erwähnungen des
Censorinus, als auch die Erwähnung desselben ibid. cap. I
(559 C) und GLK VII, 214, 25, unter denen, die 'suis saeculis
honoris decus habuerunt' -^), lassen erkennen, daß unser Cen-
sorinus z. Z. des Cassiodorius hoch angesehen war und demnach
auch zu den Grammatikern gehörte, die man in der Hand
des Priscian voraussetzen könnte, wenn auch Cassiodorius a. a. 0.
schließlich auf den Donat hinweist.
Die Lebenszeit des Censorinus wird durch den 49sten
Geburtstag des Q. Caerellius 238 p. Chr., zu dem jener 'de die
natali' schrieb, wie bekannt ist, in einem Punkte sicher be-
stimmt. Jedoch haben wir keine sichere Handhabe, das Alter
des Censorinus in jenem Jahre näher zu berechnen. Eine
solche Berechnung wäre aber für unsere Zwecke sehr er-
wünscht; denn wenn Censorinus im J. 238 bereits ein alter
Mann, etwa von 60 — 65 Jahren gewesen wäre, so würde
es möglich sein, daß derselbe die Schrift 'de accentibus' zu
einer Zeit veröflentlicht habe, in welcher sie Fl. Caper schon
hätte benutzen können. Wäre dagegen Censorinus in dem
genannten Jahre noch in Jüngern Jahren gewesen, so würde
jene Annahme nicht statthaft sein. Censorinus würde dann
^*) Er fügt dann nocb hinzu 'quem vobis inter ceteros transcrip-
tum reliqui.
^5) Die Stelle lautet im Zusammenhange 'sed quamvis auctores
temporum superiorum de arte grammatica ordine diverso tractaverint
suisque saeculis honoris decus habuerint, ut Palaemon, Phocas, Probus
et Censorinus, nobis tarnen placet in medium Donatum deducere' cet.
16 LudwigJeep,
zu denjenigen gerechnet werden müssen, die Prise, selbst ein-
gesehen hätte. Da wir gehört haben, daß Censorinus z. Z.
des Cassiodorius in Ehren gehalten wurde, so würde er in dem
letztern Falle dem Prise, gegenüber eine Stellung einnehmen,
wie wir sie für Solinus Aufs. I, 49 f. nachgewiesen haben.
Auf diese Frage werden wir später zurückkommen.
Unsere nächste Aufgabe wird es nach obigem Intermezzo
sein, diejenigen Zitate zu prüfen, welche sich bei Priscian
aus der Zeit vor Caper finden.
Vereinzelt steht das schon p. 1 erwähnte Zitat aus den
sententiae des Appius Claudius Prise. II, 384,3-^).
Livius Andronicus erseheint nur mit einer Reihe von
Stellen aus seiner Uebersetzung der Odyssee. Naevius ist
vertreten mit einigen Zitaten aus dem bellum Punicum. Die
Bevorzugung der Komödien des Naevius vor den Tragödien
entspricht der uns bekannten größern Anzahl von Komödien-
titeln und Komödienstellen. Ennius ist im Wesentlichen den
hervorragendsten Seiten seiner dichterischen Tätigkeit ent-
sprechend angeführt. Bei weitem am meisten finden wir daher
die Annalen zitiert. Aus den Tragödien des Ennius sind nur
wenige Belege genommen. Besonders hervorzuheben sind die
beiden Verse aus der Medea desselben (Prise. II, 320, 16),
da sie bei Prise, d. metr. Terent. (GLK. III, 424, 1) nochmals
angeführt werden und zwar, abgesehen von Abweichungen im
zweiten Verse, unter Hinzufügung einer Fortsetzung von sechs
Versen ^'^). Komödien des Ennius sind nicht angeführt. Von
den andern Werken desselben kommen nur noch je einmal die
praeeepta und der Epieharm vor. Wahrscheinlich gehört eine
Stelle (Prise. II, 434, 8) einer Satura des Ennius an. Vgl.
Enn. ed. Vahlen^, p. 210, V u. ed. L. Müller, p. 73,111.
28) Die einzelnen Belege werde ich nicht notieren, da ich voraus-
setzen muß, daß sie gegebenenfalls nach den Indices von Keil GL
aufgesucht werden. Nur bei Auslassungen in denselben oder bei be-
sonderer sonstiger Veranlassung gebe ich einzelne Stellen an. Zu Liv.
Andr. cf. Tolkiehn, Festb. f. Schade, 18i)6 p. '288.
") Gleich nach der Stelle aus Ennii Medea folgt bei Prise, eine
längere Stelle aus Accius und zwar, wie es heißt, aus den 'Argonautae'.
Dieser Titel ist falsch und beruht auf einem Mißverstehen von Cicero
d. n. d. II, 89, wo die Acciusanfülirung, allerdings in größerer Aus-
dehnung und anderer Versanordnung, gleichfalls steht. Demnach ist
diese Stelle aus Cicero genommen und es dürfte hier auch die Stelle
der Medea von Ennius aus der Rhetorik ad Herennium II, 34 stammen
Priscianus. 17
Es bleibt hier noch zu besprechen übrig Prise. 237, 9
(cf. 372, 20), wo wir unter dem handschriftlich überlieferten
Namen 'Gannius' drei Hexameter aus drei verschiedenen
Büchern (I, II, III) desselben lesen. Man hat an dem Namen
viel herumgemodelt ; aber weder C^ Fannius, noch G. Annius
oder Caniiis, noch Granius wollten schließlich passen. Am
besten erschien mir stets der Vorschlag Bergk's, opusc. I,
480,8 'Ennius'^^) zu schreiben. Wir haben es hier jedenfalls
mit Belegen aus einem älteren Dichter zu tun; denn es soll
durch diese bewiesen werden, daß 'apud quosdam veterum'
der Genetiv von 'ador' sowohl 'adöris', als 'adöris' laute. Leider
sind die Herausgeber des Ennius an obiger Vermutung still-
schweigend vorübergegangen.
Sehr reichlich, viel reichlicher als die eben genannten
Dichter ist Plautus und Terenz herangezogen. Jenes Var-
ronianischen Stücke sind alle benutzt, außerdem auch einige
von den andern, Carbonnaria, Commorientes, Frivolaria, Lenones
gemini, Lipargus, Medicus, aber nur mit je einer Stelle.
Von den altern Tragödiendichtern finden wir Pacuvius mit
sieben Tragödien, Accius mit siebzehn, vielfach aber nur ein
Zitat aus je einem Stücke. Von Accius werden auch die
Annalen, die Didascalica und Sotadicorum I angeführt. Julius
Caesar Strabo, der jüngere Zeitgenosse des Accius, wird nicht
als Tragiker benutzt, sondern es wird nur aus seiner Rede
'contra Sulpicium' eine Stelle angeführt-^). Aus der Zeit
des Augustus treten uns die beiden Tragödien Atalante und
Thyest von Gracchus entgegen. Von dem Tragiker Pomponius
Seeundus z. Z. des Tiberius wird aber kein Stück, sondern
nur eine 'epistula ad Thraseam' zitiert. Aus den Tragödien
des Seneca lesen wir Prise. II, 253, 7 zwei Stellen, eine aus
Phaed., v. 710 (Leo) eine aus Agamem. v. 379, letztere jedoch
fälschlich gleichfalls der Phaedra zugeteilt.
Als Vertreter der griechischen Komödie erscheint neben
-*) Ich würde 'Q. Ennius empfehlen. Sonst hat Prise, allerdings
nur 'Ennius' geschrieben; auch ist er immer unter die 'vetustissimi'
gerechnet. Jedoch beides ist ohne Bedeutung. Der Unterschied zwischen
'veteres' und 'vetustissimi' u. dgl. wird bei Prise, nicht immer streng
festgehalten. Vgl. Anm. 64.
28) Vgl. unten p. 21.
Philologus LXYIII (N. F. XXII), 1. 2
\Q LudwigJeep,
Plautus und Terentius noch Caecilius und Turpilius, der in
den Institut, nur einmal angeführt wird, aus dem aber d. m.
Terent. GLK III, 425, 1 f. noch vier andere Zitate gegeben
werden ^°). Bndlich ist auch noch Valerius mit seinem 'Phormio'
einmal angeführt, den Ribb. com. rom. frg. ^ p. 367 mir
wenig glaubhaft zu einem Mimus machen will.
Die togata ist bei Priscian durch Belege aus Afranius,
Titinius und Atta vertreten. Wie wir von Afranius auch
sonst die meisten Titel kennen, so ist er auch bei Prise,
am meisten von jenen drei herangezogen. Wir finden aber
bei Prise, auch Belege aus verschiedenen Atellanen der Haupt-
vertreter dieser Dramengattung Pomponius und Novius und
einen Beleg (p. 546, 17) aus einer nicht genannten Atellane
von 'Mumraius, qui post Noviura et Pomponium diu iacentem
artem Atellaniam suscitavit' (Macrob.). Aus drei Mimen des
Laberius und aus einem des Publilius (p. 532, 25) sind gleich-
falls bei Prise. Belege entnommen ^^).
Wenn wir auf die Autoren, aus denen nach den obigen
Angaben Belege zitiert sind, zurückblicken, so erkennen wir
sofort, daß wir eine wohl bedachte Sammlung vor uns haben,
welche, wenn sie auch wahrscheinlich vielfach lückenhaft bei
Prise, vorliegt, sehen läßt, daß der Verfertiger dieser Sammlung
für seine Zwecke die hauptsächlichsten Werke der altern
römischen Poesie, besonders die dramatischen Werke durch-
forscht und verwertet hat. Von einer zufällig zusammen-
gekommenen Sammlung kann hier keine Rede sein. Um so
weniger kann davon die Rede sein, da obige Annahme bestätigt
wird durch eine gleiche Prüfung auch anderer Zitate bei Prise.
In freier Weise gehe ich zunächst zu einem Teile der
Prosa, nämlich der Geschichte, über.
Der Ausgangspunkt ist Cato mit seinen Origines, daneben
werden aber namentlich seine Reden zitiert, auch vereinzelt
Briefe an seinen Sohn. Der einmal (Prise. 380, 9) angeführte
3") Ich mache darauf aufmerksam^ daß die davon Turpiliuscitate
an die Citate aus Accius anschließen, von denen wir das erste oben
Anm. 27 besprochen haben.
31) Die codd. bieten 'Publius' und einen verderbten Titel des
Stückes. Es ist auch viel geraten worden; das Rätsel scheint mir
aber noch nicht gelöst zu sein.
Priscianus. J9
Fabius Maximus dürfte jetzt mit Recht für den Q. Fabius
Maximus Servilianus gehalten werden, welcher in Schol. Veron.
als historiarum scriptor bezeichnet wird und den Dion. Hai. I, 7
in der Reihe seiner Quellen nennt ^-). Dann wird zu Belegen
herangezogen Cassius Heniina, Calpurnius Piso Frugi, Cn.
Gellius, Gaius Fannius, Caelius Antipater, Sempronius Asellio,
ferner Claudius Quadrigarius, Valerius Antias, Licinius Macer ^^),
daneben Sisenna, Sulla. Von C. Julius Caesar ist mehrfach
'de analogia' und viermal dieselbe Stelle aus dem 'Anticato
prior' herangezogen, 'de hello Gallico' aber nur einmal (p. 352,6)
und auch da ist diese Stelle nicht im richtigen Zusammen-
hange ^*). Auch Cornelius Nepos ist einmal angeführt, jedoch
ist es nicht klar, aus welchem Buche dies Zitat genommen
ist (vergl. Halm Com. Nep. frg. 13 ex libris exemplorum.)
Ueber Asinius Pollio vgl. p. 22.
Sind vorher aus den genannten Autoren öfters nur sehr
wenige Stellen, zuweilen auch nur eine, bei Prise, zitiert, so
ist Sallustius dagegen in allen seinen Schriften reichlicher be-
nutzt worden. Verhältnismässig wenig ist Titus Livius notiert.
Fast ausschliesslich finden wir Zitate aus den auch jetzt noch
erhaltenen Büchern. Aus allen diesen, mit Ausnahme aus
B. H, VI, X, XXVH— XXX, XXXH— XXXHI, XXXVI,
XLII — XLV, sind bei Prise. Belege erhalten.
Es ist wichtig, hier darauf hinzuweisen, daß die Angaben
aus Livius vielfach ganz ungenau gemacht sind. Man vgl.
z. B. die Notizen von Hertz im app. crit., II, 299, 19 ff.,
134,12; in, 72,26; 293,9. Angesichts solcher Stellen ist
es in der Tat auch möglich, Prise. III, 69, 5 'Livius in
XIII privato nos tenuissemus' für eine verdrehte Wiedergabe
von Liv. XXIII, 7 'privato se tenuit' aufzufassen. Bedenklich
ist auch Prise. III, 44, 23 'Cicero in I invectivarum : pridie
^^) nöpxiög TS xal $äß'.os Mägiiiog otal OüaXeptog 'AvTLsüg xal Acackoc,
Mccxsp, ATXioi xs xal FeX^ioi xal Ktx.Xuo'jpvioi' cet.
^3) Prise. II , 52-5, 3 ist ftllschlich 'Aemilius Macer' geschrieben.
Vgl. Diom. GLK I, 369, 15.
^*) Es wird a. a. 0. durch eine Stelle aus des Naevius bell, punic.
'marum' pro 'marium' belegt. Daran schließt sich ohne Vermittlung
'eius ablativum Caesar in V belli Gallici ponit: 'paulo latiores quam
quibus in reliquis utimur maribus'. Ich vermute, daß vor diesem Pas-
sus etwas fehlt.
2*
20 LudwigJeep,
Kalendas Januarias, pridie Nonas, pridie Idus, Livius ab urbe
condita XVIF. Pr. kal. Jan. ist aus Cicero, Catil., I, § 15.
Die beiden folgenden Daten ohne Monatsbezeichnungen sind
nach dem Gebrauch des Prise, offenbar auch auf Cicero zu
beziehen. Man kann daher mit Wahrscheinlichkeit annehmen,
daß vor 'pridie Nonas' ein 'idem' (= Cicero) ausgelassen ist.
Diese Beziehung auf Cicero ist um so näher, als genug Belege
für obige Datierungen in Cicero's Briefen zu finden sind.
Nehmen wir z. B. ad famil., 14,12 (Ende): 'pridie Nonas
Novembris; 14, 23: 'pridie Idus Sextilis'. Die Briefe des
Cicero sind auch anderswo, wenn auch nicht oft, bei Prise,
angeführt. 'Livius' kann mau nicht auf jene Daten beziehen,
und Hertz hat sich geirrt, als er dies zu tun versuchte. Es
ist vielmehr ein Ausfall des eigentlichen Zitats aus Livius
am Ende jenes Paragraphen des Prise, anzunehmen. Bei der
Verlodderung der ganzen Partie ist auf die Buchzahl XVII
auch nicht viel zu geben. Man erinnere sich an die Buch-
verschreibungen bei den Liviuszitaten , die nachgewiesen werden
können Prise. II, 253,6; 208,22; 281,18; 388,1; 299,21.
Außerdem findet sich aus jetzt verlorenen Büchern des
Livius noch je ein Zitat aus LVI (Prise. III, 344, 5) und
aus CXVIII (Prise, II, 477,2); ferner bezeugt 'Livius in
centesimo quarto decimo' bei Prise. 146, 17 den Genetiv
'Bogudis' zu 'Bogud' und außerdem behauptet Prise. 213, 14
"inveni (!) ^^) apud Livium in CXII ab urbe condita in d desinens
barbarum nomen regis Maurorum 'Bogud', cuius genetivum
secundum tertiam declinationem 'Bogudis' protulit'. Endlich
wird auch CXIII der Städtenamen 'Pulpud' bezeugt und der
Accusativ 'Bogudem' im Anschluss an die Belege 213, 14 ff.
Zu der Angabe p. 146, 17 ist eine weitere Anführung nicht
gegeben. Ich möchte vermuten, daß alle jene Angaben über
Bogud auf ein und dasselbe Buch des Livius zurückgehen.
Die Stellen aus Livius, die bei Prise, ohne Buchbezeichnung
angeführt werden, beziehen sich auf Stellen erhaltener Bücher,
sind aber nicht genau mitgeteilt. Vgl. Prise. III, 286, 22 ;
323, 1 ; 365, 9 und Hertz, app. crit. ad 11. 11.
3°) Kein Mensch wird das noch ernstlich auf Priscian selbst be-
ziehen nach unsern Ausführungen Aufs. I. Vgl. daselbst p. 51, ef. Tol-
kiehn a. a. 0., 295.
Priscianus. 21
Neben Livius ist auch Trogus Pompeius vertreten, aller-
dings nur mit zwei Belegen. Vgl. Gutschmid, Jahrb. Suppl.
2 (1856—57) p. 180. Auch aus M. Velleius Paterculus
(Prise. II, 248,4 im Anschluß an Trogus), aus Valerius
Maximus (p. 195, 24) und Fenestella (38(5, 13) wird je eine Stelle
angeführt. Endlich lesen wir Prise. 205, 6 Traianus in
I Dacicorum cet., also ein Zitat aus einem Werke, welches,
da die Dacischen Kriege erst um 106 beendet waren, in den
letzten Jahren jenes Kaisers verfaßt ist.
Die Benutzung der Historiker für die in Frage stehende
Zeit ist demnach bei Prise, ähnlich der Benutzung der drama-
tischen Dichter, wenn auch verschieden in der Häufigkeit
hinsichtlich der Heranziehung der einzelnen Autoren, immerhin
eine solche, daß uns daraus eine gewisse Geschlossenheit ent-
gegentritt, die nicht dem Zufall entsprossen sein kann.
Bei der Benutzung der Redner finden wir nicht dasselbe
Verhältnis. Jedoch man muß in Betracht ziehen, daß der
Glanz des Cicero schon zu seinen Lebzeiten die andern Redner
in den Schatten stellte und sich diese Stellung nach seinem
Tode noch befestigte. Cicero bildet auch bei Prise, mit den
seinen Reden entnommenen Belegen nicht nur den Mittelpunkt
in der Vertretung der Beredsamkeit, sondern fast die alleinige
Quelle für dieselbe. Nur die Reden des alten Cato sind noch
verhältnismäßig zahlreich angeführt (vgl. oben p. 18), sonst
aber sind wenige Reden aus der Zeit vor Cicero und aus
dessen eigener Zeit benutzt.
Es sind von diesen als benutzt zu nennen zunächst
Gaii Gracchi oratio contra Q. Aelium Tuberonem (Prise. II,
88,4), pro se (513,17) und eine nicht näher bestimmte Rede
desselben (386,3), Lucii Crassi legis Serviliae suasio (428, 16),
Aemilii Porcinae oratio, ut lex Aemilia abrogetur (474, 20),
Metelli Numidici oratio, qua apud populum G. Manlio tribuno
plebis respondit (382, 6), Catonis ^^) nepotis or. de actionibus
ad populum, ne lex sua abrogaretur (90, 12), Caesaris Strabonis
or., qua Sulpicio respondet, resp. contra Sulpiciura tribunum
plebis (zwei Mal dieselbe Stelle 170, 21 u. 261, 4). Ausserdem
^^) Filius M. Porcii Catonis Liciniani, Catonis Censorini filii ante
patreni mortui.
22 LudwigJeep,
sind verschiedene Stellen aus Rednern angeführt ohne die
Titel der betreffenden Reden. Hierher gehört Curio pater
(385, 11), Cannutius (381, 12), Hortensius (381, 10), ein Curio
ohne nähere Bezeichnung (384, 13), wohl auch einer aus der
'una familia Curionuro, in qua tres continua serie oratores
exstiterint' (Plin. H, N. VII, 133), jedenfalls dann aber nicht
Curio avus, dessen Reden schon z. Z. des Cicero in der Flut
der neuen Bücher untergingen (Brut. 122), sondern entweder
wieder Curio pater oder Curio nepos^'). Die dem Asinius
Pollio 383, 14 zugeteilte Stelle entstammt, wie die Form zeigt,
sicherlich auch einer Rede; jedoch 386,9 ist aus dessen bellum
civile (cf. Peter bist. rom. p. 265) und das 'Pollioni placet'
in Gemeinschaft mit Probus und Caper (513, 7) bezieht sich
auf grammatische Schriftstellerei, wie Charis, 84, 11. Dazu
kommen noch G. Memmius und Visellius (386, 4 u. 7), nach
meiner Meinung ohne Frage der Brutus § 264 genannte
C. Visellius Varro und nicht der spätere Rhetoriker Visellius
mit seinem opus de figuris, den Quintilian anführt, Quintus
Pompeius 385, 10, auch wohl Aurelius ^^). Das Zitat des
Gaius Fannius: 'haec apiscuntur', in passivem Sinne, hat Peter
a, a. 0. 89 zu den Stellen aus den Annalen des Fannius ge-
stellt, wohl weil die andere Stelle aus dem G. Fannius bei Prise,
III, 8, 15 besonders als 'I annalium' angehörig bezeichnet ist.
Cf. Orat. rom. frg. H. Meyer 2, 201.
Von den näher bezeichneten Reden ist noch Donatianus
in senatu pro se (225, 10) zu nennen. Schon Aufs. I, 19 habe
ich auf die Unsicherheit dieser Person hingewiesen. Ich muß
meine Zweifel wiederholen, daß wir es hier mit dem späteren
Grammatiker zu tun haben. Aber durch eine Veränderung
in 'Domitianus' wird nichts gewonnen. Vgl. H. Meyer, Or.
rom. frg. 2, 606. Demnach wird man besser sich mit Nicht-
wissen trösten.
37) M. Schanz I^ 316.
38) So, ohne andere Bezeichnung, wird obiger Aurelius 381, 8 mit
dieser Stelle angeführt: 'ab his Gallos adortos, ex insidiis plurimos ne-
catos'. Man suchte dafür einen Historiker. Solch eine Wendung kann
aber ebenso gut in einer Rede vorgekommen sein, weshalb ich an einen
der 'Aureliorum Orestarum, qui aliquo in numero oratorum fuerunt,
(Brut. § 94) denke. Lucius war 126 a. Chr. mit M. Aemilius Lepidus
Consul (Brut. 109).
PriscianuB. 23
Mit Recht dürfte man hier aber den Cassius Severus
hinsetzen, welcher als Cassius p. 380, 1 zum Belege passiver
Bedeutung von Deponentien zitiert wird (adulatique erant ab
aniicis et adhortati). Hertz hat bereits diese Meinung ver-
treten, während andere, auch Peter a. a. 0., 74, unter ihm
den Annalisten Lucius Cassius Hemina verstehen wollen. Je-
doch ist dieser bei Prise, meist mit doppeltem Namen Cassius
Hemina genannt, p. 482, 15 L. Cassius Hemina und 294, 5 nur
Hemina, ferner ist überall der Titel der Annalen angegeben.
Die eine von den beiden andern Anführungen eines alleinigen
'Cassius' bei Prise, 333,11 'Cassius ad Maecenatem : gausapo
purpureo salutatus' teilt aber Charisius, 104, 11 dem Cassius
Severus zu. Die andere Stelle 489, 3 'Cassius ad Tiberium II: at
contra Aegyptiis sacrificium, ubi integrum anserem adoleverunt'
hat man gleichfalls auf ihn bezogen. Und in der Tat weist
das 'ad Tiberium' darauf hin, wie oben das 'ad Maecenatem'.
Diese zweite Stelle steht auch Diom., 373, 19 in folgender
Form: 'sed et in sacrificio Accius Cassius ad Tiberium secundo
adolevi dicit sie: est contra Aegyptiis maximum sacrificium'
cet. Daß 'Accius' richtig sei und eine Lücke hinter diesem
Namen anzunehmen sei, weist die Einleitung des Zitates 'in
sacrificio' zurück. Dieselbe bezieht sich offenbar schon auf
den Inhalt des Cassiuszitates. 'Accius' erscheint mir daher als
eine Verschreibung für 'Cassius', die vom Korrektor korrigiert
wurde, dann in den Text drang, ohne daß die Korruptel
ausgemerzt wurde, und ich sehe keinen Grund mehr, weswegen
man diesen 'Cassius' nicht, dem 'Cassius ad Maecenatem' ent-
sprechend, gleichfalls für 'Cassius Severus' halten sollte'''^).
Der Inhalt jener Schriften 'ad Maecenatem' und 'ad Tiberium'
sind außerdem schwerlich einfache Briefe gewesen, sondern
rhetorisch gehaltene Ansprachen an die Genannten, die mög-
licherweise auch einmal vorgetragen waren.
Blicken wir auf die bei Prise, angeführten Redner zurück,
39) Weichert, de Varii et Cassii Parm. vit. 1836, 205 meint 'for-
tasse latet Severus Cassius', sicherlich unrichtig. Höchstens könnte
man annehmen, daß die übergeschriebene oder am Rande stehende
Correktur 'Cassius' fälschlich ein 'Severus' verdrängt hätte. Jedoch
da Prise. 333, 11 auch allein 'Cassius' steht, ziehe ich vor bei Obigem
zu bleiben.
24 LudwigJeep,
so finden wir zunächst durchaus richtig betont, den Cato als
einen der hauptsächlichsten Anfänger und Cicero als Culmen.
Die dazwischen liegenden sind im Verhältnis zu der Zahl der
uns bekannten Redner nicht gerade zahlreich genannt. Es
werden ja manche, die in der Quelle des Prise, genannt waren,
unterdrückt sein, jedoch allzuviele möchte ich als auf diese
Weise verschwunden, nicht annehmen. Man muß aber be-
denken, daß von manclien Rednern der guten Zeit, die Cicero,
gekannt hatte, keine Reden oder sehr wenige herausgegeben
waren ^^) und viele schon früh, schon z. Z. des Cicero, vergessen
wurden und verloren gingen.
Cicero erscheint bei Prise, in weit überlegener Weise mit
Belegen aus seinen Reden. Nicht angeführt sind pro Rose, com.,
Quinetio, Tullio., Fonteio, die Agrarreden, pro Rabirio, Sulla,
Flacco, Arch., die Reden post reditum, pro Scauro, in Vatinium,
de prov. eonsul., pro Balbo, Rabir. post. Die Divinatio in Caeci-
lium und die Reden in Verrem liefern rund etwa die Hafte aller
Belege aus den Reden des Cicero. Von den Verrinen hat
aber wieder die Actio II, 1 ungefähr die Hälfte aller Verrinen-
zitate geliefert. Das kommt daher, weil Prise, III, 257 — 264
in der Syntax eine Unsumme von Belegen für den Gebrauch
des Coniunctivus im Latein mit Vorbedacht aus dieser Rede^^)
beigebracht hat, um die Häufigkeit jenes Modus, worin er eine
Nachahmung der Griechen sieht, nachzuweisen. Cf. 1. e.
p. 264, 16.
Von den Philosophiea des Cicero sind bei Prise, benutzt
Disputationes Tuscul., de nat. deor., de divin., de senect., de
^e publ., Timaeus, Hortensius, von den Rhetorica de invent.,
de orat. , orator, topica. Unter Cicero's Namen geht dann
auch noch die Rhetorik ad Herennium. Einige Belege finden
*°) Cic, orat., 132 Crassi perpauca sunt nee ea iudiciorum, nihil
Antonii, nihil Cottae, nihil Sulpicii (cf. Brut. 205). Brut. 122 Curio
(avus) fuit eiusdem aetatis fere sane illustris orator . . . sunt enim et
aliae et pro Ser. Fulvio de incestu nobilis oratio. Nobis quidem pueris
haec omnium optima putabatur, quae vix iam comparet in hac turba
novorum voluminum. Brut. 129 C. Fimbi-iae oratt. pueri legebamus,
quas iam reperire vix possumus.
*^) Es wird nacheinander von p. 2-57, 11 an benutzt: In Verr. U,
1, 141—157; 90—154; 1—9. Dazu sind öfters kurze griech. Ueberset-
zungen gegeben, um zu zeigen, daß 'in hoc quoque Latini Atticos imi-
tati' (261, 18).
Priscianus. 25
sich ferner noch aus jetzt nicht mehr erhaltenen Briefen —
davon die Stelle aus dem Briefe 'ad Pansam V (Prise. III,
70, 13) aus Nonius übernommen — aus dem Cato, den Aratea,
der cliorographia, dem Oeconomicus und Protagoras. ^^)
Wenn wir auf die Benutzung der Beredsamkeit in den
Belegen bei Prise, zurückblicken, so werden wir schließlich
nicht umhin können, anzuerkennen, daß auch hier die Spur
eines überlegten Planes vorzuliegen scheint, trotzdem wir
oben die Lückenhaftigkeit gebührend hervorgehoben haben-
Es möge, ehe wir weiter gehen, gestattet sein, im An-
schluß an die Zitate aus Cicero's Briefen bei Prise, darauf
aufmerksam zu machen, daß eine Benutzung von Brief-
sammlungen bei Prise, sonst nicht vorliegt. Nur wird, außer
dem Schreiben des Pomponius (ob. p. 17) und des Cassius
Severus (ob. p. 23), noch ein Schreiben des August an
Vergilius augeführt 533, 13 (Caesar ad Vergilium : excucurristi
a Napoli)*^).
Aehnlich, wie bei den Rednern steht es bei Prise, mit
den Belegen aus den Epikern. Das Epos, welches, wie ob.
p. 16 besprochen ist, für die älteste Zeit durch Livius Andro-
nicus, Naevius, Ennius vertreten ist, wird in seinem weitern
Verlaufe durch Hostius (I annalis), Varro Atacinus (bellum
Sequanicum), Cinna (Smyrna) vertreten. Wie Cicero bei Prise,
betreffs der Beredsamkeit am meisten benutzt ist, so ist
Vergilius als Höhepunkt im römischen Epos bei Prise, auch
der meist ausgeschriebene Epiker. Von spätem haben wir
oben p. 9 den Albinus angeführt. Vielleicht haben wir auch
hierher Prise, 546, 21 Cornelius Severus 'de statu suo' zu
ziehen, Lucan und Statins, dessen Silven, außer Thebais
und Achilleis, auch zwei Mal angeführt werden, nehmen mit
ihren zahlreichen Belegen eine besondere Position ein, über die
unten p. 43 ff. gehandelt ist. Aber wenn wir diese auch
ausschalten, so erkennen wir doch auf dem Gebiete des Epos
denselben Zug in der Benutzung, wie bei der Beredsamkeit —
älteste Zeit und klassische Höhe, daneben und dazwischen
*-) Bei Cicero habe ich auf alle Bücher des Prise. Rücksicht ge-
nommen ohne Ausschluß der Syntax.
") Von poetischen Briefen sind die Briefe des Horatius zu nennen.
26 LudwigJeep,
einige Bei- und Nachläufer. Diese Sichtung läßt sich auch
bei der Benutzung der folgenden Literaturzweige erkennen.
Von der didaktischen Poesie sind bei Prise, zitiert die
Didascalica des Accius (ob. p. 17), Cicero's u. Caesar's Aratea
Lucretius' Gedicht, chorographia des Varro Atacinus, am aus-
gedehntesten die Georgica des Vergil, dazu Ovids*^) Meta-
morphosen und Fasten, wie der schon angeführte Lucretius,
verhältnismässig häufig, vereinzelt nur Remedia amoris —
hier bei Prise. 96, 19 eine Verwechslung mit einer Stelle aus
den Fasten — und Ars amatoria.
Die Lyriker sind vertreten durch Laevius hinsichtlich der
altern Lyrik, dann durch Catullus, Licinius Calvus, Propertius,
Ticidas, Caesius Bassus. Bei weitem am meisten ist aber
Horatius herangezogen.
Ennius (ob. p. 16), Lucilius, Varro und Horatius, letzterer
hauptsächlich, geben Belege aus der Satura, daneben Persius
und luvenalis, von denen Juvenalis aber, wie beim Epos Lucan
und Statins, bei der didaktischen Poesie Ovidius (siehe oben),
jedenfalls auch eine besondere Stelle einnimmt. Dem obigen
Kreise dürfen wir auch den Petronius anschließen, welcher
zwei Mal (p. 381,2 u. 567,19) mit demselben Belege an-
geführt ist.
Das Epigramm ist durch (Domitius) Marsus vertreten
und durch Martialis, letzterer durch einige Zitate, die nicht
über lib. III hinausreichen, ersterer durch nur eine Stelle, die
man nicht einmal zu einem Epigramm gehörig ansehen wollte,
in der man aber nach meiner Meinung ohne jegliche Phantasie
der Neuzeit den Rest eines Epigramm's erkennen kann.
Gut gewählt sind auch die benutzten Antiquare, in sach-
licher wie sprachlicher Beziehung. An der Spitze steht natürlich
Varro mit Zitaten aus den antiquitates rerum humanarum
et divinarum, de antiquitate litterarum, de origine linguae
latinae, de lingua latina, de poetis, aus den rhetoricorum libri,
den logistorici, de actionibus scaenicis, de vita populi Romani,
de mensuris.
Neben Varro finden wir Nigidius Figulus, wie auch
") üeber Ovid's Stellung in den Citaten cf. unten p. 44 ff.
Priscianus. 27
Verrius Flaccus, der bei Prise, 212, 15 als Quelle des Caper
erscheint. Ferner ist zu verweisen auf Apuleius (ob. p. 2)
und Suetonius (ob. p. 9).
Die Rhetorik ist mehrfach durch die Rhetorik ad Herennium,
bei Prise, noch unter dem Namen des Cicero segelnd, vertreten
und durch Cicero selbst. Quintilian ist aber nur einmal notiert.
Vgl. Aufs. I, p. 15, 5.
Rein grammatische Belehrung spendet bei Prise. Caesar
(de analogia), Asinius Pollio (ob. p. 22), Staberius (Eros) de
proportione, Macer, dessen Persönlichkeit oben p. 14 besprochen
ist, Remmius Palaemon, Probus Berytius, Nisus, Plinius^^) und
die oben p. 6 ff. besprochenen Grammatiker. Vgl. auch
p. 15 ff. über Censorinus.
Außerdem sind die Schriften einiger Grammatiker zu
Belegen benutzt, so wie die Donats (vgl. Aufs. I, 27). Es ge-
hören hierher Cornificius [Longus] (vgl. REW s. h. v. Nil)
mit einer Stelle aus I de etymis deorum für 'lectus' nach der
vierten Declination, Orbilius mit einem Belege für passives
'consequi', Aufustius*^) mit einem solchen für passives 'argu-
mentari' aus näher bezeichneten Schriften, auch Ateius
philologus — so ohne Frage für 'Alpheus philologus' zu
schreiben — für passives 'adsectari'.
Prise, 382, 1 ist 'Aelius : inpubes libripens esse non potest
neque antestari' angeführt. Mir scheint die Vermutung, es sei
C. Aelius Gallus, unzweifelhaft zu sein. Das angeführte exemplum
scheint mir ausgezeichnet zu einem Werke zu passen, das er
unter dem Titel 'de verborum quae ad ins civile pertinent
significatione' veröffentlicht hatte.
Diesem philologisch angehauchten Juristen dürfen wir
wohl Lucius Caesar (p. 380,3) hinzufügen, der für passives
'augurantur' angeführt ist. In diesem Worte steckt auch
*^) Ich erinnere bei dieser Gelegenheit daran, daß Prise, 594, 25 fälsch-
lich die Stelle des Plinius dem Cicero zuteilt. Vgl. Neumann, de Plin.
dub. serm. p. 39 u. Plin. dub. serm. ed. Beck, 33.
*«) Aufustius ist auch von Usener richtig hergestellt GLK VII, 35, 2
und daraus ergibt sich, daß jener einen 'liber grammaticus ad Asinium
PoUionem' verfaßt hatte.
28 LudwigJeep,
i
seine literarische Tätigkeit; denn, wie Prise, 270,5 bezeugt,
schrieb er 'auguralia' *').
Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß P. Aufidius bei
Prise, 384, 8 der Jurist Aufidius Chius ist, welchen Martialis
V, 61,10 als Aufidius Chius *^) (hoc Chius non erit Aufidius)
anführt. Das ihm von Prise, zugeteilte Zitat 'siquis alio
vocitatur nomine tum cum lis contestatur, atque olim vocitabatur'
tis jedenfalls juristischen Inhalts.
Von andern Fachschriftstellern ist dann endlich auch
noch einmal Varro mit seinem Werke 'de re rustica' zu
nennen. Die Abweichungen von der Lesung unserer Hand-
schriften des Varro sind in einer ganz aufi^allenden Weise
groß und bedürfen einer besondern Erläuterung, die hier
jetzt nicht stattfinden kann.
Wenn wir die obige Literaturübersicht ins Auge fassen,
ferner bedenken, daß, wie wir p. 10 gezeigt haben, bei Prise,
das Aufhören fortlaufender Benutzung der Literatur mit dem
Zeitpunkte zusammenfällt, in welchem das von Caper bei-
gebrachte Material sein Ende erreicht haben muß, auch Caper
von Prise, selbst wiederholt als seine Quelle angegeben ist,
so liegt es sehr nahe, daß auch die z. T. deutlich hervor-
tretende Planmäßigkeit in der Heranziehung der Literatur bis
Caper mit diesem letztern in irgend einer Verbindung steht.
Das erste muß daher sein, nach dieser Seite hin eine genauere
Nachforschung anzustellen. Das Resultat wird sein, daß sich
große Partien von Belegen bei Priscian als auf Caper zurück-
gehend erweisen lassen.
Es versteht sich von selbst, daß diejenigen Stellen die
sichersten sind, welche für Caper bei Prise, ausdrücklich be-
zeugt sind. Ich werde sie zusammentragen mit Angabe des
Standortes, des zu belegenden Wortes und der Autoren der
Belege, denen ich nach Bedarf noch in Klammern die be-
zeugten Wörter und Formen hinzufügen werde.
Prise. II, 188, 22 une — Caper doctissimus antiquitatis perscru-
*') Es ist bekannt, daß von Macrobius I, 16. 29 'Julius Caesar sexto
decinio auspiciorum' citiert wird.
*8) Yg\. Jörs REW s. h. v. II, p. 2291, wo allerdings auf unser Citat
nicht Rücksicht genommen ist.
Priscianus. 29
tator ostendit hoc usum Catullum et Plautum. Vgl. 305, 9.
354, 8 hie, haec memoris, hoc memore — testis est Caper anti-
quitatis doctissimus inqiiisitor. ostendit enim Caecilium
in epiclero sie protulisse (inmemoris). Vergl, 341, 3.
97, 7 veter — quod Capri quoque approbat auctoritas et usus
antiquissimorum : Ennius — veterior: Plautus.
264, 14 veter — quod Capro quoque prudentissime videtur,
cum comparativus 'veterior' et superlativus 'veterrimus'
'veter' desiderent positivum — Accius (veter), Plautus
(veterior) ■^^).
129, 7 Arpinatis — testis eins Caper, qui diversorum de huius-
cemodi nominibus ponit usus auctorum confirmans tarn
in 'is' quam in 'as' huiuscemodi nomina solere proferri:
Cato 3 mal, Titinius.
212, 15 haec allex — quod Caper ostendit de dubiis generibus,
Verrium Flaccum posuisse allecem hanc dicens.
212, 4 hoc lacte — antiquissimi protulisse inveniuntur teste
Capro apud quem exempla invenis: Plautus.
321,25 hie, haec, hoc ops — Accius de Hercule dicens:
'quorum genitor fertur esse ops gentibus' pro 'opem ferens
et auxilium gentibus', sie Caper.
500,6 sapii sapivi (499,17) — Caper utrumque in usu esse
eontendit: Afranius, Plautus^").
508, 27 unum invenitur in 'sco' desinens verbum apud vetus-
tissimos, cuius praeteritum perfeetum in 'xi' protulerunt
teste Capro: 'conquiniseo conquexi'. est autem 'conquinisco'
Caput inclino. Pomponius in vacca.
260, 17 hie, haec, hoc penus, resp. hoc penum — teste Donato^^)
et Capro: Plautus, Lncilius, Horatius, Caesar Strabo,
Afranius (penum).
509, 22ieo in praesente teste Capro, sed Tci in praeterito
perfecto. . . . Cato Censorius, Caelius, Lucretius.
85, 4 vetussissimi 'citer' : Cato. citimus quoque dicebant teste
Capro (cf. 98,5).
*®) Diese Plautusstelle ist identisch mit der unter 97, 7.
50) Offenbar gehört Prise. 500, 2 die Terenzstelle für 'resipisse'
hinter die obige Plautusstelle, so daß auch oben eigentlich noch hinter
'Plautus' der Name 'Terentius' hinzugefügt werden sollte.
61) Vgl. Aufs. I, 26.
30 LudwigJeep,
III, 40,30 citer citerior et citimus teste Capro: Cato.
II, 96, 2 nuperus — ut Capro videtur, dazu: ut 'super siiperus'.
'nuper nuperus': Plautus Livius Andr, (inferus an superus).
Vgl. III, 44, 9 nuperus approbat Caper (ohne Belege).
530, 18 Caper: ut 'sino Situs', sie 'nequeo nequitus' corripit
paenultimam, quod usus ubique approbat : Cicero.
Ohne Belege : 204, 6 Caper tarnen et 'cepicius' et 'cepicium'
veteres dixisse ostendit. 524, 11 repungo repupugi, quod Capro
videtur; 436,7 remedior remediaris teste Capro; 134, 1 siehe
p. 32; 163,22 teste Capro: hoc pecus pecoris; 561,9 haec
omnia inveniuntur perfectorum declinationem habentia in usu
veterum teste Capro : pigeo, taedeo cet. ; 390, 26 vetustissimi
multa sie protulerunt confusa terminatione teste Capro: adiutor
pro adiuto cet.
Hierzu kommen Stellen, in welchen Caper gemeinsam mit
Probus als Quelle angegeben wird. Wir beginnen mit Prise,
171, 14: 'supra dictorum tarnen nominum usus et apud Caprum
et apud Probum de dubiis generibus invenis'.
In obiger Angabe ist der Titel 'de dubiis generibus'
sowohl auf Caper, als auf Probus, unzweifelhaft den Berytier^-)
bezogen worden, nach unserer Kenntnis mit Recht zunächst
nur auf Caper, der uns als Autor eines Werkes 'de dubiis
generibus' durch Prise, selbst (212, 15) bekannt ist. Gottfried
Keil hat daher in seiner Dissertation über Caper p. 8, 1
die Uebertragung jenes Titels auch auf Probus für irrtümlich
erklärt, insofern gewiß richtig, als Probus kein Buch dieses
Titels geschrieben haben dürfte. Andererseits sehen wir aber,
daß Prise, 541, 19 'Probus de dubio perfecto' angeführt wird,
wo zweifellos gleichfalls der Valerius Probus gemeint ist. Vgl.
Aufs. I, 37. Es geht daraus hervor, daß Probus seine Com-
mentationes unter einzelnen Titeln vortrug, und es ist daher
keineswegs unwahrscheinlich, daß ein Titel 'de dubiis generibus'
auch von ihm angewendet worden sei. Dabei ist zwar fest-
zuhalten, daß Prise, der die verschiedenen Probi nicht einmal
unterscheiden konnte (vgl. Aufs. I, 51 u. 31 ff.), den Probus
nur durch Caper kennen lernte, welcher ihn seinerseits aus-
*) Vgl. Aufs. I, 39.
Priscianus. 31
schrieb (ibid., 35,41); aber es ist nicht ausgeschlossen, daß
Caper jenen Titel mit übernahm, so daß die Beziehung a. a. 0.
doch richtig sein könnte.
Worauf aber bezieht sich 'nupra dictorum nominum usus' ?
Die vorhin angeführte Caperstelle Prise, 260, 17 hat eine
Entsprechung in Prise, 170, 13. Es handelt sich hier um
dieselbe Sache (hie, haec, hoc penus; hoc penum), belegt
durch dieselben Belege in derselben Reihenfolge, nur ist für
die Horazstelle eine Stelle aus Plautus gesetzt. Außerdem
sind die Zitate aus Plautus und Afranius vollständiger^^).
Eine einfache Wiederholung der Stelle 170, 13 ff. durch
260, 17 ff. hat demnach nicht stattgefunden. Wohl aber ist
die gemeinsame Quelle nicht zu verkennen ^*). Da diese Caper
ist, wie 260, 18 uns gezeigt hat, so ergiebt sich ganz von
selbst, daß die Beziehung des 'supra dictorum nominum usus'
sich sicherlich auf 170, 13 ff. erstreckt.
Auch die Fortsetzung von 170, 13 ff', (cf. 171, 4) 'hie,
haec, hoc pecus'. 'Ennius in Nemea: Pecudi dare viva
marito' darf dem Caper zugerechnet werden, ganz abgesehen
von dem Alter des Zitats, weil wir bei Prise, 163, 22 das
dreigeschlechtrige 'pecus' mit dem Zusätze 'teste Capro neu-
trum' angeführt finden, woraus wir sehen, daß Caper dies
Wort behandelt hatte. Prise, 171, 7 folgt dann 'hie, haec,
retis et hoc rete, hie, hoc sexus, hie, haec, hoc specus, hie, hoc
sal. Cato (hie sal), Afranius (hoc sal); — hoc sale: Ennius. Da
'sal' mit seinen alten Belegen unmittelbar vor der Quellenangabe
(171,14 f.) steht, so liegt es auf der Hand, daß diese selbst-
verständlich auf Caper zurückzuführen sind. Es bezieht sich
aber offenbar auch Prise, 147, 6 'inveniuntur vetustissimi
^^) An der Stelle 170, 13 hat das erste Plautuscitat aus PseudoL,
179 mehr als die Stelle 260, 17, ebenso in dem Afraniuscitat, wo 260,
17 ff. nur 'in penum herile', 170. 13 tf. aber 'vos quibus cordi est intra
tunicam laeva, dextra intra penum' hat. Diesem Citat des Afranius ist hier
auch 'in talione' hinzugefügt. Ferner stimmt der Titel der Rede von
Strabo an den beiden Stellen nicht ganz überein. — Aehnlich 332, 20
Plautus] 500, 6 Caper: Afranius, Plautus; 544, 26 desitus Cicero (bis)]
530, 18 Caper: Cicero; 805, 8 filie Liv. Andr., fili CatuUns, Teren-
tianus] 188, 22 Caper: 'une' CatuUus, Plautus.
5*j Die Verschiedenheit der obigen Stellen erklärt sich daraus, daß
die Citate bei Caper in vollständigerer Form vorlagen, und auch Horaz
angeführt wrar, Prise, aber nach Willkür auswählte.
32 LudwigJeep,
quidam etiam neutro genere hoc (i. e. sal) protulisse' darauf;
denn die 'vetustissimi' weisen, wie wir unten sehen werden,
auf Caper. Die Quellenangabe kann jedoch auch ohne An-
stand auf die 'retis, sexus, specus' bezogen werden, welche
ohne Belege bei Prise, stehen, da nach jener Angabe (Prise,
171, 14) ebenso gut bei Prise, nicht belegte Wörter in Ver-
bindung mit Caper und Probus und unter ihrer Zeugenschaft
erwartet werden können. Es kann dies hier um so mehr
vorausgesetzt werden, als die Reihe von Wörtern, die von
170, 13 an aufgezählt werden, 'per litteras' aufgezählt sind:
penus, pecus, retis, sexus, specus, sal', eine Anordnung, die
von Caper beliebt war^^). Daß aber wirklich bei Prise, ge-
legentlich die Belege, die Caper gegeben hatte, ausgelassen
wurden, beweist uns 133, 25 'Samnitis, Laurentis, Tiburtis
teste Capro', welche Stelle eine beleglose Wiedergabe der
Stelle 337, 22 — 338, 1 ist. Hier werden jene Formen als dem
'vetustissimorum usus' entsprechend aus Cato und Ennius
nachgewiesen und 129, 7 erfahren wir ihre Herkunft aus
Caper. Derartige Auslassungen bestätigt auch Prise. 393, 13
mit den Worten: 'auctores apud Caprum legant, qui eos scire
desiderant', nachdem mehrere Verbalbildungen ohne Belege
dem Gebrauch der antiquissimi zugeteilt sind. Ibid., 8 schreibt
Prise, gleichfalls im Hinblick auf nicht belegte Verben 'sed
et eorum et superiorum omnium usus apud Caprum, Plinium
et Probum invenies', wo nicht nur Probus, sondern auch Plinius,
den Prise, sicher nicht gelesen hat (cf. Neumann a. a. 0. p. 30),
aus Caper übernommen ist. Es ist daher wohl möglich, daß
die oben aus Prise, 171, 7 angeführten Wörter ohne Belege
doch mit unter der folgenden Quellenangabe inbegriffen sind,
zumal bei Prise, 332, 15 einige Stellen vorliegen, welche sich
auf 'retis' und 'rete' beziehen. Es sind dies Plaut. Rud., 942
für 'hie retis' ^®) und ibid., 984 für 'hoc rete', wo Hertz aller-
dings mit den Handschriften des Prise, 'retem' schreibt^').
55) V^l. Neumann, de Plin. dub. serm. libris 1881, 50 u. bes. 51.
5») Allerdings ist diese Stelle bei Prise, nicht richtig notirt ; denn
es heisst nicht 'uvidum retem' bei Plautus a. a. 0., sondern 'uvidum
rete', wie dies auch richtig Prise. 270, 16 bei Anführung desselben Verses
geschrieben ist. Für unsere obige Folgerung ist das einerlei, soll aber
bemerkt werden.
^'j Die richtige Lesart ist 'rete' mit B., 'retem' haben übrigens
Priscianus. 33
Außerdem ist auch noch a. a. 0. Plaut. Rud., 900 zitiert
für falsches 'retiam' ''^). Diese letztere Stelle wird uns aber
Prise, 500,10^^) als aus Caper genommen bezeichnet.
Prise., 162, 7 wird 'hoc sexus' durch Plaut. Rnd., 107, Prise,
260, 2 'haec specus' aus Ennius und Pacuvius, 'hie specus'
Prise, 259, 21 aus Horaz belegt. Ueber 'hoc specus' und die
Quelle obiger Angaben, den Caper, siehe Aufs. I, 43 f. Auch
dürfte vor Prise, 170,13 noch die Partie 170,6—12 dem
Caper zuzusprechen sein. Hier ist 'hie, hoc iubar' mit Be-
legen aus Ennius und Calvus, 'hie, hoc liquor' und 'hie, hoc
papaver' ohne Nachweise erwähnt. 'Iubar, liquor, papaver'
fügen sich der folgenden alphabetischen Reihe 'penus, pecus
cet., welche eben angeführt ist, vorn an, wie dies schon Neu-
mann a. a. 0. gesehen hat. Auch findet sich GLK. V, 581, 7
de dub. nom. 'iubar splendidus' leider ohne Namen des Ge-
währsmannes. In diesem Traktat hat aber Keil Reste von
Caper nachgewiesen. Ibid., 586, 23 wird 'hie papaver' durch
Varro : 'infricasse papaverem' belegt. Diese Stelle gibt auch
Nonius, 220 für denselben Zweck an, noch den Titel der
Schrift des Varro 'Admirandis' hinzufügend. Um so mehr
dürfen wir also hier gleichfalls an Caper denken. Wir finden
jene Varrostelle aus demselben Grunde, wie oben, auch
Charis., 83, 28. Daselbst ist auch in dieser Sache Plaut.
Trin. 410 angeführt und eine Stelle aus Cato's Origines. Die
Plautusstelle steht aber auch bei Nonius a. a. 0. zum selbigen
Zweck. Da nun Charisius mannigfach auf Caper zurückgeht
wie Nonius '^°), so dürfte auch in jenem Verhältnis der Stellen
eine Hinweisung auf die Behandlung von 'papaver' bei Caper
liegen. Ueber 'liquor' kann ich näheres nicht beibringen;
daß es aber nicht auszuschalten ist, beweist die Einfüsfung
in die alphabetische Reihe.
auch CD.
5*) Hertz schreibt hier unbegreiflicherweise das unrichtige 'retiam'
für 'retia', ohne auf die Verwirrung, die Prise, angerichtet hat, aufklä-
rend hinzuweisen. Zu 'haec retis' sehe man Charis. 33, 20 in consue-
tudine dicimus: in retes meas incidisti', 'retia' enim si dixeris, plura-
lem facis a nominativo 'rete' cet. Gegen 'haec retis' entscheidet Cha-
ris. 61, 15 ff.
^ä) Daß hier nur der erste Vers von der Stelle Prise. 332, 21 an-
gegeben wird, tut nichts zur Sache.
^°) Vgl. Aufs. I, 35, wo meine Meinung über Lindsay's Marcellus.
Philologus LXVIII (N. F. XXII), l. 3
34 LudwigJeep,
Nachdem wir die Beziehungen von Prise, 171,14 'supra
dictorum nomiuum usus' cet. klar gelegt haben, können wir
die vorhin schon angeführte Stelle bei Prise, 393, 8 'sed et
et eorum superiorum omnium usus tarn apud Caprum quam
Plinium et Probum invenies' in ihren Beziehungen leicht
gleichfalls bestimmen.
Zunächst geht jene Angabe natürlich auf die unmittel-
barvorhergehenden, nicht belegten Verben 'amplecto, complecto',
dann aber auch ebenso natürlich auf alle vorhergehenden, auf
die eine Beziehung überhaupt möglich erscheint, namentlich
auf die Verben p. 392, 6 ff., die jetzt ohne Belege sind, und
da diese in Prise, 396,10 ff. offenbar eine Fortsetzung haben^
auch auf die letztern. Wir haben aber schon oben gesagt, daß
weder Probus, noch Plinius anders als durch Caper dem Prise,
zugegangen ist, so daß wir auch hier nur mit Caper als
Quelle zu tun haben. Damit stimmen auch die deutlichen
Spuren alphabetischer Anordnung. Spuren der von Prise-
ausgelassenen Belege werden wir noch bei anderer Gelegenheit
nachweisen. Uebrigens liegt an sich kein Grund vor, die
vereinzelten Belege, welche sich hier finden, von der Beziehung
mit der angegebenen Quelle auszuschließen, falls nicht ganz
besondere Gründe dagegen sprechen. Jedoch breche ich jetzt
diese Erörterungen ab, nachdem ich gezeigt habe, in welcher
Weise derartige Rückblicke bei Prise, benutzt werden können,
dessen Quelle in weiterem Kreise zu erschließen.
Auf Caper ist natürlich auch zurückzuführen Prise. 490, 9
a delino delitum nascitur, quod Probus et Caper comprobant
usu quoque adiuvante : Vergilius, Cicero ad Calvum, Cicero
in Verrem, Accius; nicht minder Prise, 513, 7 nanciscor nactum
facit absque n, ut Probo et Capro et Pollioni et Plinio placet.
Auch Pollio ist nicht von Priscian gelesen, sondern offenbar
aus Caper mit übernommen.
Da Priscian den Valerius Probus nur aus Caper kennt
und nicht selbst gelesen hat, so sind die allein mit jenem
Namen versehenen Belege bei Prise natürlich auch auf Caper
zurückzuführen. Die hierher gehörenden Stellen sind bereits
in Aufs. I, 35 ff. behandelt worden.
Bei den oben p. 28 f. angeführten Caperzitaten tritt uns
Priscianus. 35
fast überall die Bezeiclinung des Altertümlichen entgegen.
In den beiden ersten erscheint Caper als Erforscher des Alter-
tums ^^), in andern wird der Gebrauch der 'antiqiiissimi' oder
•vetustissimi' u. dgl. hervorgehoben, wie p. 97, 7, 212, 4,
508,27, 85,4, 390,26, 204,6 u. 561,9 (veteres). Dasselbe
gilt auch von p. 129,7, 321,25, 96,2; nur finden sich die
Angaben über die 'antiquissimi' cet. nicht unmittelbar neben
der Anführung des Caper und sind daher von mir oben weg-
gelassen worden. Es ist daher auch schon von mir im Vorüber-
gehen (ob. p. 32) bemerkt worden, daß derartige Hinzufügungen
zu den altern Belegen selbst ohne Nennung des Caper uns
auf diese Quelle hinlenken.
BeAviesen wird dies durch die Stelle aus Caper bei Prise,
129, 9 (diese oben p. 29) und ihre Wiederholung 337, 19
nicht unter dem Namen des Caper, sondern niu- als Darlegung
des 'usus vetustissimorum". Allerdings weicht die letztere
Stelle von der ersteren in unwichtigen Dingen ab und geht
in der Anzahl der Belege über sie hinaus ; aber dennnoch liegt
eine Wiederholung vor**^) und die Herkunft aus Caper kann
nicht bezweifelt werden.
Ein ähnliches Beispiel solcher Besprechung haben wir
Prise, 354, 8, welche Stelle oben p. 29 mitgeteilt ist, und
235, 11. An ersterera Orte wird Caper als Quelle genannt;
an dem andern steht dasselbe, nur im Allgemeinen auf die
'vetustissimi' bezogen. Hierzu ist auch zu vergleichen Prise,
341, 2 'antiquissirai hie et haec memoris et hoc memore
^1) P. 3ö4, 7 ist auch noch gesagt, daß es sich um den Gebrauch
'apud antiquos' handele.
^-) Wiederholt sind die drei Catostellen, nur ist die zweite nicht
so vollständig wiederholt, wie sie p. 129, 11 steht, auch wird hier 'hi
populi communiter Tuicalanus' gelesen, p. 337, 22 'populus commu-
iiiter Tusculanus'; endlich setzt p. 129, 11 am Ende 'Rutulus', was
337, 22 fehlt. P. 337, 24 bringt dann vor der Titiniusstelle noch ein
viertes Catocitat, ferner je ein Citat aus Ennius, Naevius, [Lucan], Luci-
lius. Hinter Titinius kommt auch noch ein Citat aus Plautus. Lucan
ist falsche Uebertragung aus Prise, 248. 19. Hier steht auch (249, 7)
dieselbe Beziehung auf Naevius, wie 338, 2. Die Stelle aus Lucilius
ist 338, 7 auch nicht an ihrer Stelle. Das Plautuscitat 338, 11 (für
'infimatis') gehört zu dem Kreis, der 587, 3 berührt wird — nostratis
vestratis, nostrate, vestrate. Hier ist auch dieselbe Plautusstelle, wie
338, 11 angeführt und ganz an ihrem Platze.
36 LudwigJeep,
proferebant'. An den beiden letzten Stellen sind verkehrt von
Hertz Einklammerungen vorgenommen.
Beiläufig bietet p. 235, 11 den Beweis, daß die asyndetisch
angeknüpften Belege wirklich als Angaben Caper's aufgefaßt
werden dürfen, da p. 354, 8 dies ausdrücklich ausgesprochen
wird. Vgl. p. 203,16; 541,18.
Man vergleiche ferner Prise, 96, 2 oben p. 30 mit Prise,
III, 80, 10 'antiqui nuperns nuperior nuperrimus' (cf. auch
Prise. 95, 18). Es ist auch hinzuweisen auf Prise, 170, 6 ff.,
welche Partie wir oben p. 31 f. u. 32 als dem Caper zu-
gehörig erwiesen haben. Audi sie ist dem Kreise der
'vetustissimi' (p. 169, 19) angegliedert. Probus de dubio
perfecto bei Prise, 541, 19 (vgl. Aufs. I, 37), d. h. für uns
nichts anderes, als Caper, hat eine Entsprechung 494^ 14
in dem Zitat aus Naevius zu Diensten der Konjugation von
'aio' und in dem vorhergehenden, dazu gehörigen Passus
klingt die 'prima persona i loco consonantis habens duplicis,
quae et geminabatur a vetustissimis 'aiio' an die ähnliche
Ausdrucksweise p. 542, 6 an.
Wenn daher diejenigen Stellen, an denen Belege aus
'vetustissimi, antiquissimi' u. dgl. angeführt werden, den aus-
drücklich dem Caper zugeteilten Zitaten gleichen, so sind wir
ohne Frage berechtigt, diese auch dem Caper zuzuschreiben ^^).
Wir sind hiermit einen großen Schritt vorwärts gekommen
in der Erkenntnis der Herkunft des von Prise benutzten
literarischen Materials, das bis zum Ende des Caper reicht.
Die Aehnlichkeit aber zwischen den festen Caperstellen
und den 'vetustissimi' cet, werden wir natürlich aus den zu
den Belegen benutzten Autoren herleiten.
In den von uns angeführten Caperstellen sind folgende
Autoren gebraucht Livius Andronicus, Naevius, Ennius, Pacuvius,
Accius, Caesar Strabo, Plautus, Caecilius, Afranius, Titinius,
Pomponius, Cato Censorius, Caelius, Lucilius, Lucretius, Varro,
Cicero, Calvus, Catullus, Vergilius, Horatius, Verrius Flaccus.
Diese Reihe läßt sich wesentlich vermehren, wenn wir die bei
Diomedes auf Probus resp. Caper zurückgehenden Zitate, über
*^) Man vgl. auch Prise. 357, 8 Plautus et alii vetustissimi.
Pi'iscianus. 37
die wir später genauer handeln werden, heranziehen. Da
kommen hinzu Terentius, Gracchus, Brutus, Sallustius, Caesar,
Laberius, Cassius Hemina, Quadrigarius, Titus Livius, Maecenas,
Cornelius Severus, Cassius Severus, Fenestella u. a., welche
uns auch bei Prise, begegnen.
Im Folgenden stelle ich eine Auswahl von den in Frage
stehenden Stellen zusammen, indem ich dabei zunächst nach
derselben Weise verfahre, wie bei den auf Caper bezüglichen
Stellen. Die Stichwörter und Zusätze antiquissimi cet. lasse
ich nach den ersten Angaben der Kürze wegen weg.
Prise, 91,25 beneficissimus et similia, apud vetustissimos :
Cato, Terentius, Accius.
98, 8 dextimus, extimus, antiqui : Varro, Caelius, Sallustius,
Plinius, vgl. 95, 5 Sallust.
168, 15 adeps, forceps, femin., veteres : Varro, Marsus, Novius.
182,1 altera utra, plerus, vetustissimi : Cicero, Cato (bis),
Pacuvius (bis), Asellio.
196,3 antiquissimi . . . proferebant caprigenus, sim.: Pacuvius,
Cicero, Virgilias (bis), Accius.
197,13 huius, huic unae, sim., in usu antiquiore; Cicero, ad
Herennium, Terentius (bis), Caelius.
226,8 altera utra, veteres: Cicero, Cato. Vgl. 182,1.
226,16 uni pro unius, sim., vetustissimi: Cato, Caelius,
G. Licinius, Caesar, Titinius, Afranius (bis), Cato (bis),
Terentius, Plautus, Cato (bis).
Von nun an gebe ich nur noch die Autoren dieser Serie an :
229, 1 Plautus, Naevius ; 229, 1 1 Caecilius, Accius, Plautus,
vgl. 189,5; 242,9 Afranius, Laevius; 254,6 Pacuvius, Accius,
Cato, vgl. 318,4; 257,5 Comificius, Plautus; 266, 3 Titinius,
Afranius, Cato, Plautus, Caelius, Caesar, Cato, G. Licinius, vgl.
226, 16; 268, 16 Accius, Cato, Cinna; 269, 5 Laevius, Gracchus;
271,1 Plautus, Cato; 280,15 Plautus (bis), vgl. 105,19
Plautus; 281,2 Laevius, Ennius; 282, 12 Caecilius, Pomponius;
301,20 Livius Andronicus, Laevius; 303,21 Caesar, Caelius,
vgl 266,16; 308,23 Plautus (ter); 347,2 Valerius Antias,
Cassius Hemina, Claudius (bis); 348,17 Cicero (ter); 350,11
Terentius, Cicero (ter); 351,2 Cicero, Caesar; 433,2 Cato,
Atta; 471,3 Plautus, Vergilius (bis); 473,23 Ennius (bis).
38 LudwigJeep,
Accius. Lucretius, vgl. 445, 7 Ennius, Lucretius ; 474, 19
Aemilius Porcina, Brutus; 475,20 Cato, Lncilius, Sulla;
478,11 Ninnius Crassus, Turpiliiis; 482,3 Ennius, Varro :
ibid., 8 Cato, Livius Andronicus, L. Cassiiis Hemina; 483, 24 ff.
CatulL, Sallust., Caelius, Claud., Laevius, Lucilius; 496, 27 Laevius,
Terentius, Piso, P. Varro ; 500, 19 Ennius, Terentius (bis) ;
512,25 Lucilius, Caecilius; 518,14 Ennius (ter): 528,26
Varro, Lucretius; 536, 16 Laevius, Terentius, vgl. 399, 19
Terentius; 587,5 Cassius Hemina, Cato, Plautus, 338,11,
ob. Anm. 62; Prise. III, 7, 5 — 9, 2 muß besonders hervorgehoben
werden. In diesem Abschnitte ist alles auf die Belege der
vetustissimi gestützt: 7,11 Terentius (ter), Cicero; 7,23
Plautus und 8, 6 Cato, G. Licinius, Caelius (bis), Caesar,
Fannius, Caelius, (vgl. IT, 226, 16) ; 8, 21 Terentius, Plautus.
Die merkwürdigste Stelle aber setze ich an das Ende obiger
Reihe.
Diese Stelle steht Prise, 379, 2, wo eine Reihe von pas-
siven Verbalbildungen aufgezählt wird, welche die 'antiqui' ''*)
in aktiver und in passiver Bedeutung anwendeten. Längst
hat Neumann a. a. 0. auf die hier klar hervortretende alpha-
betische Anordnung hingewiesen, welcher Caper sich zu be-
dienen pflegte. Die dieser Reihe folgenden Belege bestätigen
die Herkunft von Caper, Ich führe die Autoren derselben in
der Reihe au, wie sie 379, 16 ff. sich bei Prise, finden, ohne auf
die zu belegenden Verben Rücksicht zu nehmen : Lucilius,
Cassius, Varro, Lucius Caesar, Vergilius, Cicero, Gaius Fannius,
Fabius Maximus, Verrius, Orbilius, Petronius, Lucilius, Cicero,
Aurelius, Q. Hortensius, Varro, Cannutius, Cicero, Aelius, Cato,
Sallustius, Metellus Numidicus, Cicero ad Nepotem (bis),
Nepos, Ennius, Ateius philologus, Aufustius, Caelius, Verrius,
Asinius, Varro, Appius Caecus, Varro, P. Aufidius, Laberius,
Curio, Staberius, Sisenna, Cicero, Horatius, Quintus Pompeius,
Curio pater, Terentius, Nigidius, Lucius Caelius, Gaius Gracchus,
^*) Man stoße sich niclit an dem Positiv. Die Altersbezeichnungen
sind bei Prise, nicht ohne Sclnvankungen in den Gradbezeichnungen,
wiewohl der Superlativ für hohes Alter das gewöhnlichste ist. Die Be-
lege zu obiger Stelle beweisen, daß jenes 'antiqui' dem Sinne nach
ein vollgültiges 'antiquissimi' bedeutet.
Priscianus. 39
Gaius Memmius, Cicero, "Visellius, Nigidins, Asinius, Accius,
Fenestella, Laberins, Varro, Suetonius, Vergilius, Horatius.
Selbstversfändlicli gehören zu dieser Reihe von Caper-
stellen auch diejenigen Stellen, welche nur einen Autor als
Belea* für den Grebranch der 'vetustissimi' cet. notierten.
Prise. 90, 1 hie et haec senex vetustissimi proferebant.
Poiupilius in epigrammate, quod M. Varro .... refert; 169, 6
vetustissimi .... z. 13 latex: Accius; 189, 2 Ticidas; 215, 7
hilum pro uUum vetustissimi: Lucilius; 230, 17 Cato; 230,22
Cato; 235,11 Caecilius, vgl. 354,9; 239,10 Plautus; 256,2
Plautus; 258,22 Plautus; 262,1 Plautus; 264,2 ff. Sisenna,
81,6 Varro; 148,23 Plautus; 233,7 Accius; 318,4 Gellius,
vgl. 254,6; 362,24 Terentius; 367,22 Cato; 320, 15 Ennius;
377,16 Plautus, vgl. 370,8; 398,20 Titinius, (vgl. 376,24,
Varro, Titinius); 401, 3 Ennius, vgl. 500, 20, 540, 6 u. 438, 23;
432,11 Caelius; 499,7 Lucretius; 504,23 Ennius; 532,16
Ennius; 529,25 Varro; Prise, III, 30,3 Cicero, vgl. 55,25;
77, 7 Pomponius, vgl. Nonius 514.
Schon oben haben wir gelegentlich (z. B. p. 37 Prise,
91, 25 u. 98, 8) gefunden, daß ähnliche Bildungen zusammen-
gefaßt wurden, unter dem Begriff des usus der 'vetustissimi' cet.
Dergleichen haben wir bei Prise, noch mehrfach, so daß
sozusagen kleinere oder grössere Reihen entstehen, deren jede
selbstverständlich als Ganzes dem Caper zugeteilt werden
muß. Es folgt in derselben Weise, wie oben, eine Aus-
wahl von Beispielen, die ich ohne Altersbezeichnung notiere.
Prise, 198, 7 escas Livius Andronicus, Monetas Livius An-
dronicus, Latonas Livius Andronicus, Terras Naevius, fortunas
Naevius, vias Ennius, matres familias Cicero, patres familiae
Marcus Brutus, filii familiarum Sallustius, patribus familiis
Cicero; 199, 16 schemä Plautus, syrmä, Valerius in Phormione,
Schema Plautus ^^), schemä Caecilius, diademam Pomponius,
dogmam Laberius, glaucumam Plautus ; 483, 24 senetCatullus,
senecto corpore Sallustius, custodibus discessis Caelius, multis
interitis Claudius, miserulo obito Laevius, sole occaso Lucilius,
*^) In den codd. Plautinis steht an der hier in Frage kommenden
Stelle Persa 463 'schemä' nicht. Die gr. Ritschi. ed. schreibt mit Priscian,
Schoell und üoetz ed. min. folgen den codd.
40 L u d w i g J e e p ,
decretum et aucfcum Laevius; 567, 13 meditatus Teren-
tius, auxiliatus Luciliiis, amplexus Petronius (vgl. 381, 2),
complexus Cicero, adminiculatus Varro; 523,24 pago Ad
Herennium, taugo, pungo Yarro (bis) Naevius ; 84, 5 Punior
Plautus, ipsissimus Plautus; 152,8 paupera Plautus, pauper
Tereiitius, degener, über Lucretius, Cato ; 206, 22 liomo ho-
monis Ennius, nemo neminis Lucilius , Titinius , Terentius ;
208, 18 liaec carnis Livius Andronicus, Titus Livius, caro
caruncula Varro ; 250,9 huius lapis Ennius, sanguis sanguinis,
veteres hoc sanguen, Ennius (bis) ex Cicerone; 279, 15 haec
supellectis Cato, senex senecis Plautus, vgl. 111, 6 Plautus;
357, 1 toreumatis Cicero ^*^), peripetasmatis Cicero, emblematis
Cicero, poematis Ad Herennium ^^).
Wenn wir uns daran erinnern, daß bei Prise, verschiedenen
Caperanführungen keine Belege beigegeben sind (vgl. oben p.30),
daß aber solche gelegentlich nachweislich weggelassen sind
(vgl. oben p. 32), dürfen wir auch andere Zitate der 'vetustissimi'
u. dgl. 'ohne' Belege auf Caper zurückführen, zumal sich
öfters anderswo eine Bestätigung dafür findet. Derartige
Stellen liefert die folgende Zusammenstellung.
Prise, 23, 2 'antiquissimi etiam 'scindo scicidi' dicebant,
quod iuniores 'scidi' dixerunt, ut in praeterito perfecto verbi
ostendemus'. Die in Aussicht genommene Ausführung lesen
wir 516, 14 'scindo scidi' vetustissimi tarnen etiam 'scicidi'
proferebant. Die dazu gehörigen alten Belege befinden sich
jetzt Prise, 517,3: Afranius, Accius, Naevius, Ennius. Man
vgl. hiermit Gell. N. A. VI (VIT), 9,15 f., wo zum selbigen
Zwecke die bei Prise, angegebeneu Belege aus Accius und
Ennius gleichfalls mitgeteilt sind. 25, 15 antiqui quoque
'amplocti' pro 'amplecti' dicebant. Diom., 384, 7 sagt in dem
auf Probus, resp. Caper zurückgehenden Passus 'vulgo dicimus
amplector, veteres immutaverunt amploctor crebro dictitantes
ut Livius in Odyssea' cet. 312, 11 antiquissimi tarnen et
Graeca in o productam desinentia per lianc declinationem
*^) Ueber die Ungenauigkeiten der Angaben des Prise, a. a. 0.
Vgl. Hertz app. erit. a. h. 1.
*'). Man denke übrigens an schon besprochene Stellen, wie Prise.
170, öff.; 230, 27 ff.; 129, 9 ff.
Priscianus. 41
proferebant , ut Sappho Sapphonis, Dido Didonis. Vgl.
209, 17 lo, Calypso: Accius, Pacuvius, Plautus ; dazu 210,6
quod autem Jovis et Calypsonis et Didonis dicitur, ostendit
hoc etiam Caesellius Vindex in stromateo bis verbis: Caly-
psonem; ita declinatum est apud antiquos; Livius Andr.,
Ennius (Didone), Accius (Tone). Man vgl. auch Cbaris., 63, 20
u. 24''^''). 326,25 'hoc lacte' enim dicebant antiqui. Vgl.
oben p. 29. 355, 13 invenitur tarnen apud veteres eins sin-
gulare 'hie penatis huius penatis'. Vergl. Festus, 253, 9
penatis singulariter Labeo Antistius posse dici putat. 160, 16
multa tarnen .... confudisse genera inveniuntur vetustissimi,
quos non sequimur, ut haec amnis, funis, anguis'. Vgl. Serv.
Aen. IX, 122 hie et haec amnis u. ibid., 467, welche Stelle
sich auf die vorige bezieht, ausserdem Non., 191, der für
'haec amnis' Plaut, merc, 859, Naevius und Accius zitiert. Das
nahe Verhältnis des Servius und Nonius zu Caper ist bekannt.
Daher vgl. man auch zu 'haec funis' Nonius 205 mit Lucr.
II, 1154 und für 'haec anguis' wiederum Non., 191 mit
Plaut. Amph. 1108 u. Varro Atacinus. 419, 11 cerno crevi
apud vetustissimos invenitur. Vgl. 529, 11 cerno crevi ....
Titinius, Plautus. 437, 17 alteriusutrius, qui tamen gene-
tivus vetustissimis fuit in usu. Vgl. 226,8; 182,1 und dazu
oben p. 37. 438, 23 veteres enim et 'pario' qiiavta coniugatione
deelinabant. Vgl, 401, 3 'pario' . . . apud vetustissimos quartae
coniugationis declinationem habebat: Ennius (oben 39); 500,19
(vgl. ob. p. 38) ; 540, 6. 562, 8 licet inveniantur vetustissimi
protulisse et haec puera et hie et haec puer u. 110, 17 puer,
puera antiqui, ex quo puella. Vgl. 230, 27—232, 7. 566, 19
vetustissimi protulisse inveniuntur, ut discessus, interitus, obitus,
oecasus, potus, senectus (dazu 512, 15 veteres .... pransus,
caenatus, plaeitus, meritus, passus, cassus, potus cet. u. 565, 26 ff.).
Vgl. 483,21 ff. 570,3 antiqui tamen et 'sepelitus' dicebant
et sallivi sallitus et salsus. Vgl. 546, 1 — 547, 1 u. Diom.
375, 16. 420, 11 antiquissimi solebant etiam praeteritum
perfectum proferre hoc modo: gaudeo gavisi, audeo ausi. Vgl.
482, 9 ff. 402, 9 'facio' et 'facior', ut ostendimus, vetustissimi
8) Man vergleiche überhaupt Charis. 63 f. mit Prise, 206—210.
42 LudwigJeeio,
proferebant. Vgl. 398, 20 'facio, quamvis vetustissimi etiam
passive hoc protulisse inveniantur: Titinius u. 376,24 quamvis
'facitur' quoque a 'facio' pro 'fit' protulerunt auctores: Varro,
Titinius. 572, 15 quamvis vetustissimi 'novus nuptus' protulisse
inveniantur. Vgl. 377, 15 quamvis antiquissimi etiam activa
significatione 'nubo te' dicebant, unde Plautus in Casina ....
'novum nuptum' u. 370, 8. Außerdem vergleiche man 573, 24
u. 483,21; 357,8 (vgl. oben p. 40) sicut Plautus et alii
vetustissimi. Vgl. 199, 16 f. Ferner beachte 26,25; 24,6
(vgl. 36,17 ff.); 27,10; 29,6; 294,8 ff.
Nach den bisherigen Folgerungen dürfen wir jetzt auch
noch einen Schritt weiter gehen und auch Belege aus dem
Kreise der Autoren, welche wir in den Sammlungen des Caper
vorgefunden haben, selbst wenn sie keine Altersbezeichnungen
führen, als aus jenen genommen ansehen. Auch von diesen
mögen einige Beispiele angeführt werden.
Prise, 90, 12 saepissimus: Cato (vgl. III, 80, 5 f.); 100,15
extimus: Varro Atacinus, Plautus; 152,18 acer u. 153,6:
Naevius, Ennius (bis), (vgl. 230, 2) ; 301, 2 puere : Plautus
(bis); 352,1 marum: Naevius; 377, 10 fitur: Cato (bis); 399, 12
assentior, dissentior: Cicero, Lucilius, Caelius; 469, 16 nexo
nexis: Livius Andr., Accius (vgl. 538,11); 469,6 adplicavi:
Pacuvius, Cicero, Varro ; 488, 22 olui et olevi : Horatius, Lu-
cilius, damit in Verbindung 488, 26 'adolevi' u. 'adolui', simi-
lia: Vergilius, Varro, Cassius, Antias (vgl. Diom. 373,17 u.
oben p. 23 f.); 489,7 obsolevi, sim. : Sallustius, Cicero (ter);
exolevi, sim, : Plautus, Titus Livius, Persius, Cicero ; 502, 20
potitur: Lucilius, Ninnius, 'potiri' semper: Cicero. 510,16
nosco cet. : Terentius, Cicero, Cato, Piso Frugi (vgl. Diom.,
388,3); 511,23 parsurus: Varro in Laterensi (Diom., 368, 10),
Titus Livius; 512,3 seneo: Accius, Pacuvius; 532,24 verri:
Macer, Publilius, Anf. I, 43 ; 533, 2 'cucurri' in compositione :
Vergilius, Titus Livius (bis), Cato, Terentius^ Caesar ad Vergi-
lium, Plautus; 537,7 messui: Cato, Cassius Hemina; 419,13
mandi Livius Andr., 419, 16 stridi: Ennius. Reihen mäßig
sind :
Prise, 278, 12 frux Ennius, frugi Ennius, fallax, lux, vox
nex Cicero. Dies wird fortgesetzt durch 279, 13 antiqui ninguis,
Priscianus. 43
cet., siehe p. 40 (supellectilis , senecis) ''•') ; 444, 17 olo olis
Afranius, Plautus, ölet Terentius, excello et excelleo, Lucretius,
Cicero . . . fulgo fulgis Vergilius, sono sonis Emiius, Lucretius.
Vgl. die ähnliche Reihe in der Perfektbildung 478, 11.
Dem bisher in diesem Teile behandelten Kreise fast durch-
geheuds älterer Belege steht eine ganz andere Reihe von
Zitaten zur Seite. Wir gehen zunächst von einzelnen Stellen
aus, in denen wir diesen Gegensatz auch bei Prise, deutlich
ausgesprochen finden. Prise, 233, 5 'socer', cuius femin.
'socera' esse deberet, 'haec socrus' in usu est: Juvenalis (salvä
socru). vetustissimi tarnen comnmniter 'hie, haec socrus':
Accius; 254,3 'ös' correptum 'ossis' : Ovidius (ex osse),
quidam tamen veterum et 'hoc ossu' et 'hocossum': Pacuvius
(ossuum), Accius (ossis), Cato tamen 'os' protulit fcf. 318,4);
30, 1 finalis m in metro subtrahitur, si a vocali incipit seqaens
dictio: Vergilius; vetustissimi tamen non semper eam sub-
trahebant: Ennius; 301, 20 antiquissimi 'Virgilie' cet.: Livius
Andr., Laevius: iuniores antem gaudentes brevitate 'Virgili'
cet. : Horatius (bis) ; 147, 2 'hie sal' : Terent. Sali. ; inveniuntur
tamen vetustissimi quidam etiam neutro genere hoc protulisse.
Die Belege aus Cato, Afranius, Ennius Prise, 171, 8 (vgl.
oben p. 31); 367, 4 veteres inveniuntur ablativo quintae
declinationis etiam pro genetivo usi, ut Vergilius (die), Sallustius
(acie), id*m (requie). quidam tam in antiquissimorum etiam
similem nominativo genetivum protulerunt eius declinationis'");
529, 18 lino levi: Juvenalis, Terentius; vetustissimi tamen
etiam 'lini' in praeterito protulisse inveniuntur: Varro (ob-
linerunt) ; 516, 15 vetustissimi tamen etiam 'scicidi' proferebant,
quod solum quoque in usu esse putat Asmonius, sed errat;
nam 'scidit' Lucanus, Statius (bis), Martialis, sed more antiquo
'scicidi' Afranius, Accius, Naevius, Ennius. Ueber Asmonius v.
Aufs. I, 15 u. 19; die alten Zitate gehören, wie schon p. 40
gesagt, natürlich zu den vetustissimi, von denen Lucan,
Statius, Martialis sich als eine andere Reihe, die dort ein-
®*) Man übersehe nicht die Reihe 'frux frugi follax lux [vox] nex
supellex senex', die offenbar zusammengehört und noch deutlich alpha-
betische Folge zeigt.
'») Vgl. Chans., 31, 18.
44 L u d w i g J e e p,
geschoben ist. klar abheben'^). Prise. 308.5 genet.
plur. sec. fleclin in -'um' : Vergilius (bis) 'socium, Rutulum',
Terentius 'iniquum, aequum'. Statins 'parvum', Virg. (bis)
'magnanimum', antiqui "meum' sim. : Plautus (ter). Die Ver-
schiedenheit spiegeln auch wider Reihen wie 540, 15 salui
salii: Vergilius (ter), Lucamis, Statius (bis), Ovidius (bis), —
Quadrigarius ; 481, 13 strido stridis, stridi : Vergilius, Lucanus,
Statius, — Accius '-) u. s. w.
Die zweite Reihe von Belegen, auf die wir von Prise,
selbst geführt sind, erscheint nun aber auch selbständig. Wir
sehen das klar aus folgenden Zusammenstellungen, die sich
auf B. m — VI beziehen. Der Kürze wegen nenne ich nur
die Autoren.
Prise. 85,6 Statius, Virgilius; 92.6 Verg. (ter); 101.18
Sallustius. Juvenalis: 113,2 Verg., Juv. (bis); 124, 20 Lucanus
(ter) ; 144. 10 Verg. (bis), Horatius (bis); 149, 10 Verg., Luc,
Verg.: 152, 1 Ovidius. Terentius; 156, 22 Luc, Verg., Luc, Ov.
(Vgl. 316, 16); 157, 14 Verg., Juv., Luc (vgl. 316, 19 u. 342, 18).
SaU., 158, 12 Ter., Verg., Luc, Stat., Ter., 160, 11 Juv., Hör..
162,10 Luc Juv. (bis); 163,11 Verg.. Ter., Hör. (vgl. oben
p. 31); 164, 13 Juv., Ov., Verg. (quater), Juv. ; 165, 11 Verg..
Luc. (bis), Verg., — Luc; 167, 10 Verg., luv.; 176, 16 Verg.,
Stat., Verg. (bis); 188, 4 Ter., Verg.; 201,18 Sali., Luc. (bis),
Verg. (bis). Sali., Luc, dann gleich 202, 20 Stat. (bis), vgl.
286, 26 f.; 203,3 Ov., Hör., Verg.; 208,15 Stat., Juv. (vgl
145,25); 212,10 Martialis, Hör.; 219,14 Luc, Ov., Stat.,
Verg.; 222,6 Hör.. Verg.: 222,12 Ov. (bis), Luc; 233,20
Luc. (bis), (vgl. 295, 2) u. 234, 3 nochmals Luc (bis), (vgl.
150,1 u. 327,18); 237,22 Luc, Ter.; 238,9 Hör., Verg.:
239,16 Verg. (bis); 241,2 Ov., Stat., —Juv., Verg., Hör.
[Probus]; 243,12 Verg., Juv. (bis), vgl. 349,13 ff.; 244,5
Ter. (bis); 257,11 Martialis, Ov.; 259,10 Luc, Juv. (bis);
'*) Man vgl. Prise. 23, 2 antiquisimi etiain 'scindo scicidi' dice-
bant, quod iuniores 'scidi' dixerunt, ut in praeterito perfecto verbi
ostendemus (= p. 516, 15). Man sehe übrigens auch 212, '•' allec : Mar-
tialis, Horatius und dem gegenüber 'inveniuntur tarnen quidatn veterum
etiam 'haec allex' feminino genere protulisse, quod Caper ostendit de
dubiis generibus.
") Vgl. 521, 21 Statius-Accius.
Priscianus. 45
265, 17 Verg., Hör. ; 269, 10 Ter., Verg., Ov., — Verg., Stat.;
273,1 Hör., Verg. (bis), vgl. 295,15; 274,1 Luc, Juv.;
277, 3 Ov., Hör. (bis), Ov., Luc.
Aus den obigen Angaben geht deutlich hervor, daß die
Autoren der zweiten Reihe, soweit wir jetzt sehen können,
Juvenalis, Ovidius, Vergilius, Horatius, Terentius, Sallustius,
Lucanus, Statins und auch Martialis sind.
Leider kann es uns nicht erspart werden, auch die andern
Bücher des Prise, nach dieser Richtung hin zu untersuchen
und es bleibt mir daher nichts übrig, als noch eine Zeit lang bei
dem trübseligen Zusammenstellen von Stellen zu verharren.
In den folgenden Büchern des Prise, steht zunächst die
Sache ebenso. Der Kürze wegen muß ich mich aber öfters
auf Angabe der Seitenzahlen beschränken. So Prise. VII,
285,16; 286,5; 287, 5 (vgl. 290, 9 u. 203, 1) ; 288,3; 288,15;
290,15 (vgl. 349,5); 291,3; 296,9 (vgl. 590,11); 297,13;
298,7 u. 15; 300,11 u. 19; 301,7; 302,7; 304,11 (vgL
298,15); 305,17; 306,14; 308,6; 309,18 Juv., Verg. (bis),
Sali., Ter., Verg.; 310,11; 310,23; 314,9; 315,1 Verg.,
Juv.; 315,16 Ter., Verg., Hör. (vgl. 350,12 u. 361,16);
316,14 Ov., Verg., Juv., Luc, Verg., Ov., Stat. (vgl. 156,16;
157, 15).
Ich füge außerdem noch eine etwas genauere Uebersicht
über einige Partien der Casus und zwar aus der dritten
Deklination im 1. VII hinzu. Dadurch wird unsere Auf-
fassung noch besonders bestätigt.
Prise, 327, 12 — 329, 2 quaedam noraina accusativum 'im'
finientia . . plerumque Graeca . . Luc, Verg. (septies), Luc, Juv.,
Luc (bis); 329,3 — 329,22 praeterea Latina in 'im' terminantia
accusativum, Verg. (quinquies), Ter., Verg. — Plautus (vgl.
ob. p. 44; 330, 1 — 7 quorundam ex eis in 'em' invenitur
accusativus, Luc, Verg., Juv.; 330,20 — 331,10 Graeca, quae
vocativum Graecum servant, Verg. (ter), Ov., Stat.; 334,7
masculina vel communia in 'er' vel in 'is' desinentia, si
faciunt in e neutra, ablativum in i efferunt, 'salubri' Verg.
und dann dazu weiter 335, 6 'celeri' Ter., Verg. (bis), Luc.
(vgl. 360,1 u. 4); 335,21 — 336,5 in i terminant ablativum
omnia, quae in 'im' habent accusativum, A'erg. (bis), Juv. ;
46 LudwigJeep,
336, 6 — 337, 6 quae et in 'im' et in 'em' haec tarn in i quam
in e : puppim et puppem ab liac pnppi et puppe, Verg. (ter)
Luc. (bis), turrim et turrem ab hac turri et turre — Accius (!),
(vgl. ob. 44), Verg.; sitim, siti, Verg. (ter) — Cato (!);
338,15—369,7 mensium nomina in 'is' vel in 'er' desinentia
ablativum per i finiunt, Juv. (bis), simplex 'imber' (!) (\^g].
150,19, 230,15), Stat., Cic. in Verr. (bis); 339,7 bipennis
bipenni, Verg. (vgl. 160,6); 339,11 in e et i indifferenter
desinunt in ablativo omnia, quae sunt communia triura
generum, nt pare vel pari, Verg., Luc. ; vetere vel veteri,
Juv., Cicero pro Murena, Stat. (ter); 340,4 audace vel audaci,
triplice vel triplici, artifice vel artifici, nur die beiden letzten
in 'i' belegt, Verg., Stat. ; 340,11 duplice vel duplici, supplice
vel supplici. Hör., Ter., Luc, Sali.; 340,20 memore vel
memori, Juv., Hör., Ov. (nur Belege für Ablat. in 'i'); 342,2
vigile vel vigili, Juv.. Stat., terete vel tereti, Verg. ") (ter);
342, 13 hebete vel hebeti, Juv. Diese Reihe von Ablativen
wird erst wieder aufgenommen 343, 15. Dazwischen liegt
jetzt eine Partie (342, 11 — 343, 14) über 'bic, baec, hoc hospes
et sospes, resp. bospita et sospita und nur beiläufig 342, 25
wird gefragt, ob die beiden Wörter 'e' und 'i' im Ablat.
haben könnten oder nur 'e'. Letzteres wird gebilligt und
belegt durch Verg. (343, 1). Den communen Gebrauch obiger
Wörter belegt 342. 17 Luc, Stat., Juv., bospita und sospita
343, 6 Verg. (bis), Ov., Cicero pro Murena. Dann gehts im
alten Gang weiter 343, 15 tridens a tridente vel tridenti, Verg.
(nur für tridenti), locuplete vel locupleti, Cicero in Verr. (nur
für locupleti) ; 343, 26 in e et in i faciunt ablativum in 'vis,
guis, ctis, ranis, gnis' terminantia nomina, 344, 3 ff. ave vel
avi. Hör. (avi); nave vel navi, Cic, Ter. (ter) (navi), Verg.
(nave); cive vel civi, Juv. (cive), Cicero in Verr. (civi);
345, 5 S. vecte vel vecti, Ter. (vecti) ; igne vel igni, Verg.
(bis) für igni, Juv., Luc. (igne); amne vel amni, Verg. (bis)
für amni, Luc (amne); 346, 2 ff. angue vel angui, Stat. (angue)i
Hör. (angui); ungue vel ungui, Hör. (ungui) ; minore vel
minori, Juv., Stat. (minori); leviori Juv., maiori Luc
") Vgl. zu dieser Partie p. 316, 10 tf.
Priscianus. 47
Ich glaube hier abbrechen zu sollen, um auch das Vor-
handensein jener zweiten Belegreihe in den folgenden Büchern
des Prise kurz zu zeigen.
Prise, 1. VIII, 369, 10 Verg., Ter. (bis) ; 375, 25 Juv.
(ter); 387,11 Juv., Verg. (bis); 388,17 Verg. (bis), Ter.;
389, 19 Juv., Ter., Verg. ; 393, 22 Verg. (bis), Ter. ; 398, 25
Ov., Juv., Verg., 403, 18 Verg., Luc. ; 404, 2 Juv. (bis), —
Juv., — Sali., Juv.; 430,19 Juv., Verg.
Schon in 1. VIII sind roanche Seiten, auf denen sich gar
keine oder nur vereinzelte Belege notiert finden. Noch mehr ist
das der Fall im Anfange von 1. IX. Mit p. 469 wird dies
aber wieder anders und es treten dann auch wieder Belege
der zweiten Reihe auf, wie Prise, 485, 21 Juv. (bis), Hör., Ter.;
475, 7 Verg., Ter., Verg. (bis), Luc. (vgl. 558, 21). Aus 1. X
notieren wir zur Probe 514, 23 Luc, — Hör. (bis), — Luc,
Verg., Stat.; 516,17 vgl ob. 43; 521,5 Verg., Luc, Juv.,
Her., Stat. (bis); 521,25 Luc, Stat.; 529,21 Juv., Ter.;
530, 23 Verg. (bis), Ov., Ter., Luc. (bis), Verg. ; 540, 15 vgl.
ob. 44; 543,21'*) Verg. (quater), Ov. (bis), Ter., Juv., Verg.,
Luc, cet.
Im 1. XI finden wir 548 — 557 gleichfalls Seiten lang
keine Belege; dann werden sie stellenweise wieder zahlreicher.
Die Spuren der zweiten Reihe treten uns p. 558 f. deutlich
entgegen (vgl. dazu p. 475, 483, 501 u. 502). Sie finden
sich auch 561 (vgl. 375,25; 378,8); 570,22 u. 574,11. Die
Reihe der vetustissimi und antiquissimi tritt immer mehr
zurück. Die meisten der letztern sind nur W^iederholung
früherer Anführungen. Wenn auch in vorhergehenden Büchern
derartige Wiederholungen vorkommen, so wird neben den-
selben stets auch viel Neues geboten. In 1. XI aber ist
567, 15 Ter. = 385, 13 Lucilius = 379, 15, Petronius = 381, 2,
Cicero pro Roscio Am. = 381, 7, Varro = 380, 3. Hier ist
auch am Ende dieser Reihe ausdrücklich auf 379 hingewiesen.
Dazu kommt eine Anzahl von Hinweisen auf die vetustissimi,
wobei die Belege weggelassen. Auch das sind Wieder-
holungen. So 562, 8 licet inveniantur vetustissimi protulisse
*) Vgl. p. 530 u. 531.
48 LudwigJeep,
et liaec puera, et hie et liaec puer, vgl. 231, 1 ff. (oben p. 9)
u. 110, 17; 566, 19 vetustissimi 'discessus, interitus, obitus' cet.,
vgl. 483, 24 ff. (oben p. 38) ; 570, 4 antiqui 'sepelitus', vgl.
546,1; 572 vetustissimi 'novus nuptus', vgl. 377,17, 370,10,
565, 28 (oben p. 39) ; 573, 3 torsus et tortus antique, vgl.
487, 9. Hier ist auch 'torsores' angeführt, wozu man in
diesem Buche 560, 20 'osorem' heranziehen mag. lieber der-
artige nominale Formen, als Verbalformen aufgefaßt, sehe
man m. Redet., 255. Außerdem ist noch 573, 24 anzuführen,
wo nochmals hingewiesen wird auf die vetustissimi, die, wie-
wohl 'neutra', dennoch participia praeteriti bildeten. Das
weist natürlich wieder auf p. 483. Betreffs 571, 25 'apud
antiquiores tamen etiam ab hoc (i. e. 'ruo') compositum producit
paenultimam 'diruo, dirui, dirutum' ist zu weisen auf 504, 25,
wo geschützt durch die vetustissimi 'eruo erüi' u. dgl. an-
gegeben ist, dessen Richtigkeit, wie bekannt, kein geringerer
als Varro d. 1. 1. IX, 104 bestätigt. Aus der altern Reihe
wird neu nur 560, 15 Plautus (osa), Plaut, (osorem), Laevius
(meminens), Plautus (puditum) und 564, 16 Plautus (abiendi)
selbständig geboten.
Buch XII unterscheidet sich nicht viel von dem vorher-
gehenden. Die zweite Reihe der Belege zeigt uns 589, 16
Verg., Juv.; 590,3 Juv., Verg. (bis), Juv. (vgh 296,10 ff.,
298, 15). Von den vetustissimi ist 587, 5 (vgl. ob. Anm. 62)
Cassius Hemina, Cato, Plautus (vgl. 338, 11); 591, 7 Lucretius
(bis), Ennius, Alphius Avitus (vgl. ob. 8), eine Stelle, die
in der Zusammensetzung 305, 9 gleicht, zu nennen. Der
größte Teil von B. XIII ist gleichfalls dürftig ausgestattet.
Von den vetustissimi sind die Terenzstellen GLK. III, 7 Wieder-
holungen aus II, 227,15; 197,18; 198,3. Die große Stelle
8, 5 (vgl. ob. 38) entspricht II, 226, 19, nur ist dort die Vor-
lage etwas anders, z. T. vollständiger, als hier abgeschrieben.
P. III, 9, 14 'ques' belegt aus Pacuvius und Cato findet sich
auch Charis., 91, 17 (vgl. 133, 3), aber länger, so daß die
gemeinsame Quelle sich von selbst ergibt. Sonst finden sich
ein vereinzeltes Zitat aus Ennius 3, 6, einige Belege aus
Plautus , von denen das 7, 25 aus II, 224, 4 wiederholt ist,
die andern 8,22; 9,2 (vetustissimi) und 10, 16 (antiqui). Ob
Priscianus. 49
das 'vetustissimi' 6,25 sich auf die folgenden Terenz-
zitate bezieht, scheint mir nicht sicher. Ein 'vetustissimi'
ohne Belege 11,17 führt auf II, 587,1, ein anderes 5,24
auf 592, 16, wo aber auch keine dementsprechende Belege.
Die zweite Belegreihe tritt klar hervor III, 2, 11 Verg., Ter.;
9. 8 Verg., Ter.; 10, 18 Juv., Stat. (bis) ; 16, 4 Verg., Ter. (ter).
Außer der Wiederholung der Caperstellen III, 4U, 30 u.
44, 9 aus II, 85, 5 u. 96, 2, scheint in 1. XIIII, wenn nicht
auch III, 55, 24 dazu gehört, nichts zu sein, was der Reihe der
vetustissimi mit Sicherheit zugeschrieben werden kann. Reichlich
und unverfälscht treten uns aber dafür die Belege der zweiten
Reihe entgegen. Das letztere gilt auch ebenso von 1. XV
u. XVI. Ich kann mir bei der Augenfälligkeit dieser Tat-
sache jedes Beispiel sparen. Jedoch muß ich noch darauf
hinweisen, daß in lib. XIIII der bemerkenswerte Passus aus
Censorinus steht (vgl. ob. 14) und daß in 1. XV einige alte
Belege aus Nonius Marcellus genommen sind (vgl. Aufs. I, 46).
Von altern Belegen ist vermutlich im 1. XV, 67, 2 die
Plautusstelle doch wohl interpoliert, eine andere 67, 8 ist eine
Wiederholung aus II, 99, 17; III, 77, 7 ist Pomponius noch
auf Nonius, p. 514, 23, trotz der Abweichung, zurückzuführen.
Die sich auf die 'antiqui' berufende Stelle III, 80, 5 (saepior
saepissimus) dürfte sich auf II, 90, 1 1 beziehen '°), wie sich
'nuperus' III, 80, 10 natürlich auf II, 95, 18 f. bezieht. Neu
bleiben von den alten demnach nur im 1. XV die Plautuszitate
III, 75, 12, 19, 22. Die Angabe III, 104, 23 'autem, quod
tamen antiqui solebant etiam praeponere' findet allerdings
GLK. V Cledonius, 74, 12 eine Bestätigung durch die Worte
*autem secundum licentiam antiquorum etiam praeponitur, ut
Plautus 'autem fac' et 'autem haec mulier', kann aber durch
wirklich sichere Belege nicht dargetan werden. Für eine
ursprünglich durch Belege der altern Reihe nachgewiesene
Anführung vermag ich daher, trotz des 'antiqui', jenes nicht
'^) Allerdings heißt es hier 'a saepe adverbio positivum vel com-
parativum uomen non legi, superlativum posuit Cato' cet., jedenfalls
ganz so in der ersten Person aus der Quelle von Prise, hinübergenom-
men ; jedoch ist damit der comparativus keineswegs geleugnet. Cf.
p. 342, 25.
Philologua LXVIII (N. F. XXII), 1. 4
50 L u d w ig Jeep,
zu halten. In 1. XVII findet sich gar nichts von der älteren
Reihe, sondern nur Belege der zweiten Reihe.
Betreffs des Liber I hatten wir schon oben p. 40 — 42
Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß es Teil habe an den
Belegen der altern Reihe. Ich füge hier noch hinzu die An-
führung des Ennius 30, 4 als Vertreters der 'vetustissimi'
gegenüber dem Vergil. ferner weise ich auf die Plautusstellen
31, 19; 38, 2. So finden wir auch in 1. II Zitate aus Plautus
50,7; 62,9; 76,2; 79,18 und aus Varro 81. 6. In beiden
Büchern, namentlich im ersten, sind auch sonst noch Beziehungen
auf die 'antiquissimi. vetustissimi, antiqui' u. dgl., von denen
48, 17 'gnotus' antique. unde 'ignotns, nosco gnosco' auf
510, 16 ff. (vgl. Diora., 383, 17 u. 388, 3) zu weisen scheint.
Die Hauptstelle nehmen aber die Belege der zweiten Reihe
ein. Um dies nachzuweisen, verbinden wir gleich die Be-
handlung der beiden Bücher.
P. 40, 17 werden Belege für griechische Wörter im Latein
angeführt: Stat. (Lampia), Stat. (Langia), Stat. (ArgTa). Verg.
(Typhoea). Die Masculine Achilleus, Alpheus, spondeus folgen
41. 13 ohne Belege, ebenso Chius, dia. aber Lycius wird 41,19
belegt aus Statius.
In 1. II lesen wir in der Besprechung der possessiva 71, 1
ähnliches. Wir stossen da wieder auf die eben angeführten
Bildungen in -eus und 71,16 auch auf dieselben in -lus.
Während die erstere auch hier ohne Belege sind ''®), haben die
letztern solche: 71, 17 Verg. (dla)^'), Verg. (Sperchlus) Hör..
(Chlum). daneben primitivum 'Chius' aus Luc. Stat. (Lycla),
dieselbe Stelle, wie p. 41, 19 ; daneben Lyrclus, gleichfalls aus
Stat. Es folgen darauf von Neuem Belege für Argia und
Langia. P. 72, 15 Stat. (ArgTa), Stat. (Arglan), Stat. (Langia)
letzteres Zitat dasselbe, wie p. 41, aber p. 72 ein Vers mehr.
Zum Schluß dieser Reihe kommt eine Rückkehr zu denen in
-lus mit Arlus aus Luc. Man merke ferner 46, 19 omitto,
Ter., Hör. ; 47, 10 Verg. (reddidit), Ter. (redducere). Hör.
(reducet), Verg. (reduxi) ; 63, 11 abusive etiam a matribus et
regibus sive conditoribus et a fratribus etiam patrouymica
]^) Siehe aber p. 73, 15.
") Vgl. den app. crit. bei Hertz p. 41, 4.
Priscianus. 51
solere formari : Ov. (Iliades = Romulus); Ov. (Coronides
= Aesculapius) ; Maiades = Mercurius ohne Beleg ; ab avis
quoque maternis Ov. (Atlantides = Mercurins) ; Ov. (Inachides
r= Epaphus); a regibus: Verg. (Thesidae), Verg. (Cecropidae),
cet. Aeneadae (bis), Romulidae, Phaethontiades aus Verg. ;
66,17 Verg. (Pelidae), Ov. (Promethidps); 70,12 iligneus
(tarnen et iliceus) Ter.. Stat. ; 76, 26 derivativa a numeris
etiam singularia : Luc. (gurgite septeno), Verg. (centenaque
arbore).
Von einer Zusammenstellung von Belegen, wie sie die
von uns sogenannte zweite Reihe bei Prise, darstellt, haben
sich auch außerhalb des Prise. Spuren erhalten. GLK. VII,
541, 26 ff. ist ein kleines Stück einer ähnlichen Zusammen-
stellung aus einem codex Vindobonensis , früher Bobiensis
saec. VIII — IX herausgegeben. Es ist darin Verschiedenes,
welches sachlich weiter keinen Zusammenhang mit dem In-
halte Priscians hat, angeführt und kurz erklärt. Die heran-
gezogenen Wörter, die erklärt werden, sind aus Terentius,
Vergilius, Horatius, Lucanus, Statins'®), luvenalis, Sallustius.
Wenn auch Virgil der weit meistzitierte ist, Horaz dann erst
mit weniger als der Hälfte von Stellen folgt, Juvenal wieder
weniger und Lucan noch weniger zitiert wird, Sallust nur
mit einem paar Stellen, Statins und Terentius aber nur mit
je einer Stelle vorkommen, so sehen wir doch, daß eine der-
artige Zusammenstellung von Autoren zu grammatischen
Zwecken, wie unsere Reihe eine bietet, auch sonst gebräuchlich
war. Doch wir müssen das, was hier noch zu sagen ist, dem
folgenden Aufsatze überlassen.
Königsberg i. Pr. Ludwig Jeep.
(F. f.)
'*) Es ist sehr merkwürdig, daß K. den Terentius und Statius sowohl
in der Behandlung der Ueberlief'erung VII, 537, als auch im Index
ibid., 676 vergessen hat.
4*
II.
Der zweite Teil des Logos der Diotima in Piatons
Gastmahl (cap. 24—29, pag. 204 C— 212 A).
Nicht die Erwartung, allen Lesern etwas Neues sagen zu
können, hat die folgenden Zeilen bestimmt, die ohne eine um-
fassende Kenntnis der Literatur über Piaton geschrieben sind,
wohl aber die Wahrnehmung , daß die zu Gebote stehenden
bewährten Bücher als Hilfsmittel für den Gedankengang der
so bedeutsamen Kapitel 24 — 29 nicht völlig ausreichen. Diese
Kapitel entwickeln des Eros Wirken (epY«) oder Nutzen (xpsc'a),
des Eros Ziel, nachdem in den vorhergehenden Kapiteln
Eigenschaften und Erscheinung behandelt waren. Es soll hier
(I) ihr Gedankengang skizziert und sodann (II) einiges der
Beleuchtung bedürfende beleuchtet werden.
I.
1. Die weitere B e d e u t u n g ('etvai) und der engere
Gebrauch [v. ocX elo ^ai) des Wortes epws:
cap. 24. 25 (pag. 204 C-207 A).
a) pag. 204 D— 205 A dnov eyw: Für eptac, wird zunächst
die weitere Bedeutung festgestellt, er sei nämlich „das
Verlangen nach dem Besitze des Guten (xwv
dyaö-wv epöc yeveaO-at abzCo) als der Quelle des höch-
sten Glückes (suoat'iJLWV eatat) ".
b) pag. 205 A TauxrjV oe — 205 D eyü), Xeyeiv: Dieser wei-
teren B edeutung, nach welcher epws ein Zustand aller Men-
schen ist (205 A xotvöv . . . Ttavxwv, 205 B eluEp ye Ttavxec)
und ein immerwährender (205 B el'ixep ye . . xac det, und so
gehört gewiß auch 205 A de: zu ßouXeaO-at, nicht zu xdyaö-d
W. Gilbert, Der zweite Teil des Logos der Diotima etc. 53
auTot^ sovac), wird die Tatsache eines nicht so weiten Ge-
brauches des Wortes (cpajxev) gegenübergestellt; erläutert
wird dies an dem analogen Gegensatze zwischen Bedeutung
(etvaO und engerem Gebrauch (xaXeta^a:) von uoiTjat? und
uoirixiic, ^).
c) pag. 205 D xa: Xeyexat [Jtsv — 206 A r^v 5' syci): Bei der
Frage nach diesem £V xt zloo^ ((xopcov), das Liebe nicht nur
sei, sondern auch heiße, wird zunächst mit Bezug auf den
Logos des Aristophanes hervorgehoben, daß es das Verlangen
nach dem Zugehörigen (T^jfiiaeoc; oder öXou) nicht sein
könne, sofern nicht das Gute das sei, was man zugehörig
(oiy.Bl 0 V X a : § a u x o 0) nenne. Ueber diesen Abschnitt
wird noch eingehend zu sprechen sein.
d) pag. 206 A : Ehe nun Diotima einen anderen Inhalt für
den (engeren) Gebrauch von epto; aufstellt, wird in Wie-
deraufnahme von pag. 204 D — 205 E die weitere Bedeu-
tung von 'ipiüc, in der Weise rekapituliert^), daß
noch ein aec hinzugefügt wird, es sei also (bezeichnend
saxcv apa ^i»XX7]ßorjV, nicht etwa xaXstxat) Eros das Verlangen
nach dem ewigen Besitze des Guten (xoO xö aya^öv
auxqi ecvac aet). — Daß eine solche Rekapitulation vorliegt,
wird dadurch besonders deutlich, daß der bereits 204 D und
204 E geraachte Schritt von xwv xaXwv oder xwv dyatiwv zu
yeveafi-ac aoxtj) (zu xat stvat xö aya^öv auxot<;) hier ausdrück-
lich nochmals gemacht wird. Anderseits werden wir den neuen
Schritt, die Hinzunahme eines asi, hier nicht dadurch verun-
^) 205 D TÖ [i£v xscpäXaiöv („im allgemeinen" wie sv xsccaXatcp 196 E)
£OTt TZoLoa 7j Tcöv äya^a-wv iTn&ujiia xal xoö ei)8aL|jL0V£!v ö [ley t. oz o (; xac
SoXepög '^P oi Q Tiavxi ist kritisch viel behandelt teils durch Konjek-
turen für boXspbq, teils durch Zusammenstreichen teils (Hieronymus
Müller und K. Fr. Hermann) durch Versuch neuer Interpungierung.
Mit Unrecht. Es stimmt vielmehr trefflich zu Piatons Gedankengang,
daß hiei' bereits der allgemeineren Bedeutung von ipwc. (vermutlich
einer Dichterstelle entlehnte) Prädikate beigelegt werden, die nur für
den eben noch zu definierenden engeren Gebrauch des Wortes (zunächst
das sinnliche Liebesverlangen) gelten.
^) Besonders mit diesem Verhältnis zwischen p. 206 A und p. 206 B
scheint die Gedankenentwickelung von Gomperz Griechische Denker
{S. 314) und von Steinhart Einleitung zur Uebersetzung des Gastmahls
(S. 248 f.) sowie die Dispositiousskizze in der Ausgabe des Symposion
von Hug^ (S. 126) nebst seiner Anm. zu 206 B 1 (S. 143) nicht verein-
bar. In der Einleitung (S. LVI) giebt Hug- überhaupt kein klares
Bild der dialektischen Entwickelung.
54 W. Gilbert,
deutlichen dürfen, daß wir bereits 205 A del mit ab-zoiq sivac
verbinden (statt mit ßouXeaiV.:).
e) pag. 206B: Abermals wird nun der weiteren Be-
deutung gegenüber (ox£ Syj toutou ö Ipw? eaxcv äzl^)) die
Frage nach dem engeren Gebrauch des Wortes epwc; ge-
stellt (epw; av xocXolzo); wie hierbei der Gegensatz zwischen
elvai und ■/.a.lelox^ot.i an 205 D erinnert, so erinnern im Aus-
druck auch xwv Ttva Tpouov ocw/wOVtcdv an 205 D ol oe xatcc
£V Tc doo;, lovxe; und ■/] aTiouoyj an 205 D eoTrouSaxote?. Die
Antwort wird nicht durch den bisherigen Gedankengang ver-
mittelt, sondern aus der Empirie des (animalischen) Lie-
beslebens entnommen. Als Gegenstand des Ipw? wird also
naturgemäß x qy.o <; aufgestellt, jedoch erhält xcy.oc, schon bei
dieser Aufstellung die Einschränkung e v x a A qj und die zu-
nächst befremdende (deshalb Mavtetac; ozlrai) Erweiterung xac
xaxa oö)[xa xac xaxa '^tuyjfj.
f) pag. 206 C— 206 E Ilavu jjiev o5v, scprj: Die Ein-
schränkung £V xaAw wird dadurch begründet,
daß die menschliche Natur nur im Schönen zu zeugen ver-
mag. — Diese Tatsache selbst wieder zu begründen dient zu-
nächst als Beweis eine kürzere Gedankenreihe y) yap avopo;
xac yuvacxos . . . i] xaXXoviQ eaxt xfj yeveaei. Das yap ihres
ersten Satzes gehört nicht zu diesem, sondern zu der ganzen
Gedankenreihe. Es kann nicht entbehrt werden. Daher ist
es unzulässig, den ersten Satz (i^ yap avSpog xac yuvatXG?
ouvouota xoxoc, saxt'v) zu streichen (so zuerst Ast). Auch ist
er durchaus unanstößig : es ist gewiß berechtigt, daß trotz des
vorausgehenden xat xaxa xb o&\ia, xa: xaxa xy]v 4^uyjjV (außer
206 B auch 206 C) der Beweis sich zunächst auf die leibliche
Zeugung zwischen Mann und Weib beschränkt, wie denn der
geistigen Zeugung bis zu dem neuen Anheben (Cap. 26, p. 207)
überhaupt nicht wieder ausdrücklich gedacht wird ; und daß
Zweck und Wesen der geschlechtlichen Vereinigung nicht sie
selbst, sondern die in ihr erfolgende Zeugung sei, durfte doch
') äsl, das eine Zeile vorher in ganz anderer Beziehung gebraucht
war, mag ein kleiner Schönheitsfehler sein, aber gegen Streichen (so
zuerst Bekker) wird es doch wohl dadurch gesichert, daß es auch 205 A
und 205 B hinzugefügt ist: Tiävxag lä.'fa.^ä. ßo-iXeod-at auxctg sTvai. äel
und einsp ys. nävceg twv aüxcöv sptüO'. vtal ä e (.
Der zweite Teil des Logos der Diotima in Piatons Gastmahl. 55
gewiß gegenüber der entgegengesetzten Auffassung so vieler
ausdrücklich ausgesprochen werden. — An diesen Beweis wird
eine breitere Ausführung angeschlossen. O'.cc laüta, mit dem
sie beginnt, ist zurückweisend „Also"; dem vielgebilligten
Kolon hinter d:a, taüta und der Annahme eines vielmehr das
folgende ankündigenden ota xaüTa (= oicc xaos) widerstrebt
besonders auch der Gedankengang.
g) pag. 206 E xi Sy) oöv zfic, ysvvrjaEw; — 207 A : Die
engere, aus der Empirie entnommene Definition wird
durch Zurückführ ung auf einen epw? dO-ava-
o i oc q , auf ein Verlangen nach Verewigung des Daseins, mit
der weiteren Bedeutung von spot); (pag. 206 A) ver-
knüpft, oder richtiger gesagt, diese Verknüpfung wird ab-
geschlossen. — Durch die Beschränkung iv xaXw zu rcxoc,
war bei der sokratisch- platonischen Identität von '/.ocXoq und
äyaO-o^ die engere Definition (wie mit der ursprünglichen, noch
204 D gegebenen Aufstellung epw; xwv xaAwv) mit dem dya-
^6v der weiteren Bedeutung von sptoc (p. 204 E und 206 A) ver-
knüpft, freilich nach unserem Gefühl etwas locker. Mit dem dsc
der weiteren Bedeutung von ipoic, (p. 206 A) verknüpft die Defi-
nition der Begriff der d i} a v a a c a. Ausgesprochen war dieser
Begriff' schon 206 C, aber da war es (eaxc be xoöio %- eloy xö
7ipay|Jia, y.a.1 xoOxo £V •9'vyjxw övxt xö) I^4)cü d'8-dvaxov eveaxiv,
1^ xurjac^) ein Satz inmitten der oben besprochenen, mit r] yocp
x'jopbi beginnenden Beweiskette. Hier wird diese Verknüpfung
mit der weitereu Bedeutung von ipw; (p. 206 A) in abschließen-
der Zu rückführ ung auf einen epw? d-ö-avaaia^
gegeben : „Warum nun ist die Liebe auf die Zeugung gerich-
tet ? Weil [erste Prämisse der Verknüpfung :] die Zeugung
Verewigung und Unsterblichkeit ist, soweit Sterbliches sie
haben kann. [Zweite Prämisse der Verknüpfung :] Daß man
aber außer nach Gutem auch nach Unsterblichkeit begehre
(seil, damit das Gute und Schöne, das man hat, ewig bestehen
könne), das ist nach dem Vereinbarten (p. 206 A) notwendig,
sofern nämlich (p. 206 A) Liebe auf ewigen Besitz des Guten
gerichtet ist. [Wiederholung der zweiten Prämisse als eines
selbständigen Ergebnisses, das ja nun auch die folgenden Ka-
pitel bestimmt:] Notwendig ist es also nach dieser Begriffs-
56 W. Gilbert,
bestimmung, daß auch auf die Unsterblichkeit die Liebe ge-
richtet sei".
2. Die (relative) irdische Unsterblichkeit als Ge-
genstand des menschlichen Strebens nicht nur in
der materiellen Welt, sondern auch in der Geiste s-
welt: cap. 26. 27 (pag. 207 A— 209 E).
a) Cap. 26, pag. 207 A — 208 B 6 epwc 'dizsiai: der spw;
d \)' a va a c a 5 wird im animalischen 'ipo)(; toxou der
Tiere erwiesen , besonders als einzige Erklärung der Auf-
opferung für die Jungen,
Dabei eingeschaltet pag. 207 D ercsc xat — 208 B aSuvaxov
Ss cüXliQ : der Wert der relativen dO-avaata durch
Sprößlinge wird daran erwiesen, daß ein gleicher Wechsel
auch beim Fortleben desselben Individuums stattfindet,
nicht nur im Körper als Stoffwechsel, sondern auch im Gei-
stigen.
b) pag. 208 B — 208 E tgO yäp dO-avatou kpGioiv: An den
Menschen wird £ p w ; a. {)• a v a. o i oc c. zunächst in dem
£ p (D ; [x V rj [X 7] ; erwiesen , in den Betätigungen der cp : X o-
X c tx '' a.
Dieser Abschnitt ist nur vorbereitend,
obwohl gerade hier in der Darstellung die neue Form be-
ginnt und Diotima von der dialektischen Entwickelung in
Frage und Antwort zum zusammenhängenden Vortrag der dog-
matisch mit Weisheit belehrenden Vortragskünstler (woTiep o:
tIaeo: aocpcaiai) übergeht. Sehr verschieden wertiges
fließt in der [J-VTifirj zusammen: von denen an, die in herrlichen
für immer vorbildlichen Handlungen fortleben (208 E r.dvca
TxotoOacv, öaw dv d[X£cvouc; (Lac, toooutw (jtdXXov) und von den
Dichtern herrlicher Worte an (209 D dildvaxov y.Xioi xal pLvy,-
jjirjv des Homer und Hesiod, bei denen jedoch nicht von einem
ipai;, [jivYj[xrjg gesprochen wird) bis hinunter zu dem Fortleben
eines persönlichen Bildes oder auch nur des Namens im engen
Kreise leiblicher Nachkommen (208 E oia, iza'.ooyovix:; dil-ava-
at'av xac [jLvy]|xy]v -/.cd £uoat[xov:av cog ocovxat . . , 7roptJ^ö[jL£Vo:, wo
die Einschränkung und Anzweifelung w; cilovxac natürlich nur
zu £u5at[i,ovtav zu beziehen ist). In letzterem Falle ist der
Der zweite Teil des Logos der Diotima in Piatons Gastmahl. 57
epws fiVTj[JLr;c; sogar mit leiblichem epw^ löy.ou*) verbunden, wie
umgedreht in dem Falle Homers und Hesiods die |J.vyj(jir/ mit
geistigem epw; tcxod verbunden ist. In anderen Beispielen
dagegen steht |i v yj (ji v] und £ p w ; n v rj [x tj ; weder mit
physischem noch mit geistigem spcoc xöxou
in Beziehung, so gerade in denen, die in Gegensatz zum
Logos des Phaidros von Diotima auf bloße q3'.Xoxt(jLca, auf ipoj?
jxvYjiJiy];, zurückgeführt werden: bei Alkestis und bei Achill.
Denn Piaton erweitert stark den Bereich, in welchem er epw:
fjLvrj[ir;; und somit cpcXoxt[i,ia als Motiv sieht. Aber nicht in
reiner Anerkennung solchen Strebens. Vielmehr blickt er von
der Höhe seiner philosophischen Warte darauf fast wie auf
ein Gehudel der Menschen hinab. Das glauben wir schon zu
empfinden, wenn er bei Beginn der Besprechung das Getriebe
als „an sich" (a eyw dptjxx d (jlyj Ivvos!;) „sonderbar und
widersinnig" (O-aujjia^o:^ av ttj; dXoy'a? Tiepi) bezeichnet. Je-
denfalls aber spiegelt sich p. 208 C D und auch noch 208 E
Ironie über den Gegensatz zwischen dem ausposaunten und
dem wirklichen Werte von '/.Hoc, xai [Jivrj|jirj in der Fülle der
Dichtercitate : xac xXioq elc, zbv ocel yjpbvov aO-avaiov xaxa^e-
af)'at , aO-avaxov (xvYj[jirjv dpsxfj; Tiepi , So^tjc; eOxXeoO? , dz xöv
STiscta }(p6vov T:avxa 7ioptt^6|xevo:.
c) pag. 208 E Ol (jlsv o5v b{v.\j\xovtc, — 209 E: Der eigent-
liche Erweis : Der spwc; dBavaaca- betätigt sich
bei den %-tloi ovxs? und deshalb £yx6[jiov£; xaxa xr^v 4'^X'^'''
als ein spw^ Toy^oxi xaxä (];uyTjV. Der von ihm er-
faßte erzeugt unter Bevorzugung auch schöner Körper in einer
schönen Seele Geisteskinder und zieht sie dann mit heran,
nämlich cppovy^aiv x£ xa: xy]v dXXrjv aptx'fiv (was z. B. auch die
Srjfi'.oupyo: Eupcxtxo: bewirken, d. h. der neue Kunstübung und
also auch neue Kunsterkenntnis erfindende Künstler), beson-
ders aber acocppoauvyjv x£ xai ocxa:oauv-/]v.
*) In dem Beispiele des Kodros 208 D hat die erstrebte |j.vv;ij,yj eine
weitere Ausdehnung. Aber die eigenartige Begründung der Tat (uTsäp
Tf(5 ßaai/lsta; -c w v ii a £ § o) v) dürfte sich wohl gerade dadurch erklären,
daß Piaton neben spwg [ivr;[iY;g hier einen leiblichen spwg xöy.OLt, Auf-
opferung für die Nachkommenschaft, stellen wollte.
58 W. Gilbert,
3. Der Stufeugang im Eros des Lehrers und das
Aufsteigen zur höchsten Weihe: cap. 28.29
(pag. 209 E— 212 B).
Diotima stellt eine höchste Weihe im Eros auf, die So-
krates vielleicht nicht begreifen werde. Der Eros höchster
Weihe wird nachdrücklich als das Ziel bezeichnet, um
dessen willen allein dem edleren Menschen der
Drang nach einem geistigen xöxo? ev xaXw gegeben
sei: p. 210 A ü)v evexa xa: xaOxa (der Drang nach geistigem
x6v.oc, £v xaXcj)) saxiv, sav xt; op^w? [JLsxtT] (betreibt) und p. 210E
cö Srj evcxsv xai ol E|X7tpoa9^£v T^avxeg novo; -^aav. Der durch
den Stufengang bis zur höchsten Weihe führende
(210 A (JLUTji^-cirj; und r(-{r(Zoi.; ö T^youpisvo;, 210 C in! xa^ sttl-
axrj[ia; dyaycLV, 210 E Tipö; xa Ipwxtxä -a'.oaywyvji)"/] , 211 C
livcci y) OTt' ÄAAou ayeaöat) ist die Gottheit oder der dunkle
göttliche Drang im Menschen, der ihn auch zunächst
zu dem Sinnlich- schönen, einem letzten Abglanze des Ewig-
schönen zieht; daß auch in diesem Zug zum Sinnlich-schönen
das Ewig-schöne wirke durch eine Erinnerung der Seele aus
früherem Schauen, wird im Symposion, das ja in der Begriffs-
entwickelung andere Zusammenhänge aufstellt, nicht ausge-
sprochen, wohl aber im Phaidros cap. 30 f.
a) pag. 210 A — 210 C ßsXxiou; xohc, viou:: Der bereits in
cap. 27 behandelte Drang nach geistigem xoxo? svxaXw
(cap. 28 p. 210 A epav xcd evxaöS-a yevvccv Xo^omc, xaXou^) wird
nachträglich in 3 Stufen ausgeführt: a) svö^
acb|JLaxo;. ß) ticcvxwv xwv xaAöv atofxaxwv, worin unausgespro-
chen auch der Fortschritt liegt, daß zwischen den verschie-
denen schönen Jünglingen nach der Schönheit der Seele ent-
schieden werde, y) x6 e; xai; 4^'JXai? v.ocXloc, xifjLiwxepov T^yrj-
aaa^ac xoö ev tw awfxaxt, welche Stufe zwar nicht über den
Geist, wohl aber über den Wortlaut von cap. 27 schon etwas
hinausgeht, indem sie die echt griechische Bedingung der ge-
winnenden Erscheinung fallen läßt (xa: £av . . . a|x:xp6v avöo;
b) pag. 210 C Iva avayxaaöfj — 210 D ev cptXoaocpca acp8-6vq):
Im weiteren Fortschreiten verschlingt sich mit dem
Lehren ein Lernen, mit dem Einsenken in Jüngerer
Der zweite Teil des Logos der Diotima in Piatons Gastmahl. 59
Seelen eigener geistiger Fortschritt, der zugleich völlig über
den Einfluß des Sinnlich-schönen hinaushebt. Der Lehrende
erschaut, durch sein Lehren dazu gezwungen : a) das Schöne
im ethischen H a n d e 1 n (£7ictrjOs6piaa:) und in den sitt-
lichen Anschauungen (vofxocg. auch im Logos des Pau-
sanias wiederholt so gebraucht) ; ß) hiernach auf weiterer Stufe
xö Twv eTicaxrjixwv xaXXog.
c) pag. 210 D £0); av evxaöO-a pcoa9-£is — 211 B: Nun erst
folgt als letzte Stufe die höchste Weihe, die Dio-
tima für Sokrates als vielleicht nicht begreifbar bezeichnet
hatte; besonders kenntlich gemacht wird dies auch dadurch,
daß der sie als das einzige Ziel hervorhebende Relativsatz nach
210 A nochmals mit Nachdruck wiederholt wird (210 E ou Srj
£V£X£V xao ol EfJLT^p&aO-Ev Travx£5 TiövGt -^aav). Diese letzte Stufe
ist das Schauen der ewigen reinen Idee des
Schönen.
d) pag. 211 BC: Der Stufengang wird kurz rekapituliert.
e) pag. 211 D— 212 A : Die H e r r 1 i c h k e i t d e s L e-
bens auf dieser letzten Stufe wird ausgeführt und
die Rede so beschlossen: „Nur auf dieser Stufe wird es dem
Menschen gelingen , das Schöne mit dem Organe (d. i. dem
Geiste statt dem Augs) erschauend, für das es erschaubar ist,
nicht Scheinbilder von Tugend zu erzeugen (d. h. in Jüngerer
Seelen einzusenken), da er ja auch nicht an einem Scheinbilde
haftet, sondern wahre Tugeud, da er an dem Wahren haftet;
und da er wahre Tugend erzeugt und heranzieht, so wird ihm
zu teil , daß er Gottesfreund wird und , wenn irgend ein an-
derer der Menschen, unsterblich auch er".
Wie Goethes Faust, steigt tiefsinnig in dem Stufengang,
den so Diotima bietet, der platonische Eros aus dem leiden-
schaftlichen Drang einer sinnlichen, allen sinnlichen Wirkungen
der Scbönheit ausgesetzten Jugend (für den besonders auch die
Rede des Pausanias die Beleuchtung giebt) zu immer höherer
Läuterung und immer reinerer Vergeistigung auf: zunächst
(p. 210 C D) zu der Hingabe an das in irdischer (relativer)
Vollkommenheit Gute (xö £v xoic, eKixrpt{)\i.oc(Ji xac lolc, vö\iO',q
xaXcv) und Wahre (£7itaxr;|Ji,ü)v xaXXoc) ; schließlich aber verklärt
er sich zu einem Streben nach dem Ewigen (auxö x6 xaXcv) und
60 W. Gilbert,
einem seligen Schauen und Aufgehen im Ewigen (p. 211 D
•ö-sccad-ac \i6vov xa.1 ^uvscvac).
Wohl wird auch auf der letzten Stufe (bei der 'höchsten
Weihe') noch das Einsenken in die Seelen Jünge-
rer (der geistige x oxo ;) als Begründung der
a •8- a V a a c a genannt: 212 A „zu erzeugen (x t % x e i v)
nicht Scheinbilder der Tugend" und „da er wahre Tugend
erzeugt und heranzieht". Aber, wir empfinden es, das ist nur
noch ein Rudiment, nur noch festgehalten wegen der Parallele
mit den früheren Stufen. Die athavaaca ist nicht mehr
(als eine irdische und relative) vermittelt durch den
zo-KOi;. Ausdrücklich ist auch, worüber noch zu sprechen
sein wird, die neue Ve r mittel ung der a^avaaca
daneben eingeschoben: bndpy ei •8' £ o cp c X £ t ^evio^-a.'.
„wird zu teil, daß er Gottesfreund wird". Für die reine
platonische Lehre (im Logos der Diotima des Symposions
eben nur die Andeutungen der 'höchsten Weihe') ist es tat-
sächlich sehr zutreffend, wenn Ed. Zeller die niedrigeren Stu-
fen der Liebe nicht nur als Vorstufen bezeichnet, sondern auch
als Mißverständnisse, als unklare und unreife Versuche, die
Idee in ihren Abbildern zu ergreifen , und wenn er bei
der Begründung betont, daß ja auch die (wirkliche, trans-
scendentale) Unsterblichkeit, der nach Plato
alle, auch die sinnliche, Liebe gelte, nur durch ein philo-
sophisches Leben wirklich zu erlangen sei.
IL
Das Symposion zeigt Piaton im vollen Besitz der Ideen-
lehre, aber es schweigt davon außer in Cap. 29 und den drei
letzten Zeilen von Cap. 28. Es deutet Piatons Glauben an
eine wirkliche, jenseitige, transscendentale Unsterblichkeit der
Seele an, aber ebenfalls nur in Cap. 29 und kaum verständ-
lich: durch das vermittelnde S' £ o cp t X £ i (p. 212 A, die An-
deutung eines göttlichen Urteils, also wohl eines
Gerichtes wie in Phaedr. cap. 29) und außerdem durch das
selige Schauen der ewigen reinen Idee (bes. p. 211 D ^£aaO-a:
[lovov y.7.1 ^uvscvat), das der Piatons kundige Leser, die Worte
des Symposion ergänzend, über das Diesseits auf ein Jenseits
Der zweite Teil des Logos der Diotima in Piatons Gastmahl. 61
ausdehnt. Es ist daher von jeher hergebracht, daß man das
Platonische Symposion durch den Platonischen Phaidros (cap.
24 — 38) ergänzt und die jenseitige Unsterblichkeit der Philo-
sophenseele besonders durch den Anfang von cap. 29 (p. 248 EfF.)
und den Anfang von cap. 37 (p. 256 B) des Phaidros be-
leuchtet.
Der Grrund, weshalb Piaton im Symposion die Ideenlehre
zurücktreten lassen und den Jenseitsglauben verhüllen mußte,
ist jedem bekannt. Piaton, der sonst unbedenklich seine per-
sönlichen Erkenntnisse Sokrates in den Mund legt, mußte ge-
rade im Symposion sich in einer für Sokrates passenden Geistes-
sphäre halten. Denn die Person des Sokrates selbst steht im
Mittelpunkte des Dialoges, so auch unverkennbar durch Dio-
timas Zeichnung von Eigenschaften und Erscheinung des Eros
(cap. 22. 23) und durch des Alkibiades ausgeführte Schilderung
seines großen Lehrers (cap. 30 ff.). Der Eros eines So-
krates ist der eigentliche Gegenstand , der Eros des
großen Lehrers, ein Verlangen nach geistiger
Unsterblichkeit ohne Jenseitsglauben.
Daraus folgte für die Eigenart des Symposion : 1) an die
Stelle transscendentaler Unsterblichkeit der Seele mußte (re-
lative) irdische Unsterblichkeit treten. 2) Der Eros des Phi-
losophen mußte genetisch aus dem Eros des Lehrers hervor-
gehen, vs^enn auch (vgl. den Anfang von Abschnitt I 3 S. 58)
in der Weise, daß dennoch ersterer von Anfang an, ja schon
in dem sinnlichen Zuge zu der schönen Person, als das dem
strebenden Menschen in seinem dunkeln Drange zunächst un-
bewußte eigentliche Ziel seines Strebens zu fassen ist. 3) Die
dialektische, begriffliche Entwickelung konnte nur für einen
epw? ä%'(xvixcsla,c, ohne Jenseitsglauben gegeben werden (durch
Toxo? £v xaXw), für den rein platonischen epo)^ dagegen nicht
zutreffen ; ob auch für diesen der Weg begrifflicher Entwicke-
lung wenigstens angedeutet wird, ist eine hiernach sich er-
hebende Frage.
1. Die (relative) irdische Unsterblichkeit.
Die Unsterblichkeit, die allein im Logos der Diotima
entwickelt wird, ist die irdische. Und genießen müssen wir
62 W. Gilbert,
doch in ihm das, was er sagt, mehr als das, was er verschweigt
oder wenigstens verhüllt. Ja vielleicht ist gerade durch dies
Hinabsteigen und liebevolle Verweilen in einer irdischen Sphäre
Piaton im Symposion der Nachwelt so besonders wert ge-
worden.
Diese relative irdische Unsterbliclikeit ist zunächst die
physische, die Unsterblichkeit in der materiellen Welt.
In tief in die Seele dringender Weise führt Piaton sie aus.
Und er dai'f es. Uns Deutschen ist Schiller typisch für
Geringacbtung des Physischen und des Materiellen und für
das stolze Bewußtsein in der Geisteswelt fortleben und sich
fortpflanzen zu müssen. Aber in den Musenalmanach für 1797
schrieb er nicht nur die stolze Votivtafel 'die verschiedene Be-
stimmung' („Millionen beschäftigen sich, daß die Gattung be-
stehe ; Aber durch wenige nur pflanzet die Menschheit sich
fort", d. h. die menschliche Geisteswelt), sondern ebenso auch
das Epigramm 'Der Vater': „Wirke, so viel du willst, du
stehst doch ewig allein da, Bis an das All die Natur dich,
die gewaltige, knüpft". Es ist ein Nachklang der tief er-
greifenden Gefühle, die ihn bei Erwartung des ersten Kindes
unter dem Ausblicke auf nahen eigenen Tod bewegt hatten:
An Körner 3. Juli 1793 „und aus der anderen [Hälfte meines
Leidens], die mich selbst betrifi"t (der Gefährdung meines Le-
bens), mache ich mir jetzt auch viel weniger. Es ist mir, als
wenn ich die auslöschende Fackel meines Lebens in einem an-
deren wieder angezündet sähe, und ich bin ausgesöhnt
mit meinem Schicksal". So durfte denn auch ein
P 1 a t o n über das (relative) physische Fortleben des Indivi-
dimms in den Kindern bedeutende Gedanken aussprechen. Wie
Piaton (cap. 26) hierauf das Altruistische der Geschöpfe, die
Aufopferung für die Sprößlinge, zurückführt, so ist für die
moderne evolutionistische Ethik, die bei den Menschen alles
Altruistische teils aus Anerziehung teils aus Empflnden des
Fremden als eines Eigenen (auch im Mitleid) ableitet, diese
Zurechnung des Kindes zur eignen Person eine Voraussetzung.
Und wie hebt Piaton den Wert dieses physischen Fortlebens
in Kindern durch den Nachweis (cap. 26 p. 207 D— 208 B),
daß es von dem Fortleben des gleichen Individuums nicht dem
Der zweite Teil des Logos der Diotima in Piatons Gastmahl. 63
Wesen nach verschieden sei, vielmehr auch bei dem gleichen
Individuum dieser Wechsel unausgesetzt stattfinde, nicht nur
im Körper als Stoffwechsel, sondern auch im Geistigen!
Aber denjenigen Seelen, die das Gepräge des göttlichen
Ursprunges tragen (p. 207 B %• zlc c, wv mit scharfem Gegen-
satz zum animalischen physischen Zeugungstrieb), genügt diese
physische Unsterblichkeit nicht, sie verlangen vielmehr nach
einer geistigen irdischen Unsterblichkeit. Die
zweite Hälfte von cap. 27 (p. 209 A — E) des platonischen Sym-
posion ist hierfür der große klassische erste Ausdruck in der
Weltliteratur. In moderner Formung der Gedanken würden
wir hierfür etwa so sagen: Neben und über der körperlichen
Welt, mit dieser durch zahllose Fäden eng verschlungen, viel-
fach von ihr abhängig und anderseits auf sie einwirkend und
sie gestaltend, ist auch auf Erden eine Geisteswelt, die Welt
auf Erden, die allein der Mensch nicht mit dem Tiere teilt.
Gebunden an das menschliche Denken und mit diesem an die
menschliche Sprache , ihren Trägern , setzt sie die Gedanken
früherer Generationen in steter Umformung und unter steten
Neubildungen fort. Der Mensch , der sich der Hoheit des
Menschentums bewußt ist, wurzelt in ihr mehr als in der
materiellen Welt. Wie er von ihr empfängt, entnimmt er von
ihr seine Aufgaben und weiß, daß er in ihr fortzeugen muß
und über sein Erdenleben hinaus fortwirken und fortleben soll,
wenn auch in den meisten Fällen nur in Wellen, die sich in
weiterer Entfernung von diesem Mittelpunkte aus allmählich
immer mehr abflachen.
Eine beabsichtigte Einseitigkeit ist in der platonischen
Darstellung bemerkenswert. Als eine besondere und als eine
besonders hohe Form des Fortlebens von Geisteskindern muß
es uns erscheinen, wenn einzelne Gebilde durch Zuhilfenahme
der materiellen Welt, als Bücher mittels der Schrift, aber auch
als Künstler werke, einmal die Wirkung auf weiteste Kreise
und in fernste Zeiten erhalten und anderseits vor Untergang,
vor Umbildung, vor Verblassen bewahrt werden. Piaton ver-
zichtet auf diese Absonderung, die zu seinem Gedankengange
und zu dem Eros des unmittelbar von Mensch zu Mensch
durch das gesprochene Wort (durch unmittelbaren xixoz) wir-
64 W. Gilbert,
kenden Lehrers nicht paßte. Auch bei Homer und Hesiod
(p. 209 D) und überhaupt allen Dichtern (p. 209 A) sind, wie
sowohl p. 209 A als auch der Gedankengang in p. 209 C D
zeigt, die 'Geisteskinder' (p. 209 D o!a sxyova eauxwv xata-
Xetuouaiv) nicht die in fester Form fortlebenden ganzen Dicht-
werke selbst, sondern die einzelnen ethischen Gedanken, die
diese in Menschenseelen noch jetzt erzeugen. Und an Meister-
werke eines Phidias oder Polygnot als 'fortlebende Geistes-
kinder' denkt Piaton so wenig, daß er p. 209 A als STjfAtoupyo:
nicht die Schöpfer unvergänglicher Meisterwerke nennt, son-
dern die eupextxor, welche neue Gedanken in der Kunsterkennt-
nis (und dadurch auch in der Kunstübung) erzeugen und fort-
pflanzen.
2. Der Uebergang des Eros des Lehrers in den
philosophischen Eros.
Aus dem Eros des Lehrers, dem begeisterten Lehrerdrang,
geht schließlich (p. 210 D ff.) der philosophische Eros hervor,
der Drang nach dem Schauen der ewigen Idee, die letzte Stufe,
die 'höchste Weihe'. Vermittelnd zwischen beiden steht (210 C)
Iva dvayxaaO-^ — 210 D ev cpdoao^cqc acpO-ovw) das Lernen beim
Lehren, der Zwang zu eigenem geistigem Fortschritt in ethi-
scher Betrachtung und in der Herrlichkeit der Wissenschaften.
Mit meisterhafter Darstellungskunst ist dies Mittelglied einge-
fügt: wie an sein Ende in einem Nebensatze (ew; av etc.) der
Uebergang zur 'höchsten Weihe' sich anschließt, so setzt es
an seinem Anfange mit einem Ruck als Nebensatz ein (l'va
avayxaaö"^). Wir empfinden hier tief die tatsächlich unlös-
bare Verschlingung des Lehrens mit einem Lernen : erst, wenn
er zu lehren hat und dafür das einzelne sich voll klar zu
machen und zurechtzulegen sucht, erblickt der Lehrer bisher
nicht geahnte Tiefen und lernt er neue Zusammenhänge und
Herrlichkeiten zu durchdringen und zu verstehen; und, was
anfänglich nur das Mittel für das Lehren war, erhebt sich
allmählich in einer Verschiebung der Bedeutung und des In-
teresses zum Selbstzweck.
Diese Verschiebung aber, das sei nochmals nach-
drücklich betont, sprengt auch die dialektische
Der zweite Teil des Logos der Diotima in Piatons Gastmahl. 65
Grundlage, die Piaton seinem Eros des Lehrers gegeben
hatte : durch Einsenken in die Seelen Jüngerer (durch xoxo?,
durch Ttxxe'.v Aoyou;) nach einer relativen Unsterblichkeit,
nach einem Fortleben in anderen Individuen zu streben. In
der letzten Stufe empfinden -wir Tcxtetv und xexovxc .... xa:
9-p£4»a[i£vw (p. 212 A) nur noch als ein von früher her bei-
behaltenes Rudiment und ahnen wir die Vermittlung einer
Unsterblichkeit, und zwar einer höheren Unsterblichkeit, viel-
mehr in d-eo^iiXei (p. 212 A). Aber auch schon beim Mittel-
glied muß vor seinem Anfange zu xat Tcxtetv Xöyouc, TOtouxou?
ein (zweifellos mit Unrecht ganz oder zur Hälfte athetiertes)
xat t^rjxelv (p. 210 C) treten und wirkt an seinem Ende xtxxr/
(p. 210 D) innerhalb des Zusammenhanges so überraschend,
daß der Leser bei diesem Xöyoug .... xcxxttj xac §:avoYj[Jiaxa
fast versucht wäre, nur eigenes Denken statt Einsenken von
Gedanken in andere Seelen zu verstehen. Besonders aber
überrascht^) an diesem Ende des Mittelglieds ev cpiXoaocpt'a
acp&6v(p (p. 210 D) trotz seiner Notwendigkeit für diese Stufe
und trotz seines Uebereinstimmens mit cpiXoaocpefv in der
Zeichnung des Eros in cap. 23 p. 203 D bis 204 B.
Denn bei der begrifflichen Grundlage für den auf
körperliches oder auf geistiges Zeugen ausgehenden Eros (also
eben auch für den Eros des Lehrers) war die cpcXoaocpca (und
zwar ebenfalls mit Notwendigkeit) ausdrücklich ausgeschlossen
worden : cap. 24 p. 205 D dXX' ol [jlev dXXri xp£7;6|ji£vot txoX-
Xa/^ Iti' auxö (i. e. etic xö £uSac|jLov£Cv) , t) xaxd . . . . Y]
xaxa cp t X 0 a 0 9 t a V , oux' dpäv xaXoüvxac oux' ipaaxac.
3. Die Andeutung für die dialektische Ent-
wickeln ng des Begriffs des philosophischen
(des reinplatonischen) Eros.
Innerhalb des ganzen Platonischen Denkens wird die
Entwickelung des Eros im Logos der Diotima zu einem Beweis
für den platonischen (jenseitigen, transscendentalen) Unsterb-
lichkeitsglauben: Ein Streben (epw?) nach dO-avaata geht durch
°) Beachtet haben diesen Wechsel betreffs der Philosophie und
seine Erklärung, die sich aus der genetischen Umwandlung des Eros
ergiebt, natürlich z, B. auch Schleiermacher (S. 878 der 2. Ausg.) und
Steinhart (S. 189).
Philologus LXVJII (N. F. XXII), 1. 5
66 W. G i 1 b e r t ,
das physische Leben, ja das Tierleben, wie durch den höheren
geistigen Drang des Lehrers. Aber verwirklichen läßt es sich
in dem, worauf es in diesen niederen Stufen gerichtet ist,
nur relativ. Auch hier ist (vgl. den Anfang von Abschnitt I
3 S. 58) alles Vergängliche nur ein Gleichnis ; das Streben
nach Ewigkeit im Vergänglichen, das der physische Liebes-
drang und der Lehrerdrang zeigt, ist nur eine Seitenbahn der
nach dem wirklich Ewigen sich sehnenden Seele (zu verglei-
chen ist vielleicht Symp. p. 192 CD dXA' aXXo xi ßouXo(ji,£vrj
sxaiepou r; ^uyj] StjXtj eotiv, B oO ouvaxa: sct^scv, aXXa [xav-
Tsuetat, 8 ßouXexa'., xa: aJvc'xxexaL und p. 193 C x6 xo6xgu
£YYuxax(D, beide Stellen bezeichnenderweise im Logos des Ari-
stophanes), wird nur erregt durch den Abglanz des Ewig-
schönen (vgl. Phaedr. cap. 30 p. 249 D. 250 B), der noch
im Sinnlich-schönen ist und so die Erinnerung an das einst
geschaute Ewig-schöne weckt. Erst, wenn der Mensch zum
philosophischen Eros, zum Streben nach dem wirklich Ewigen
selbst, gelangt, hat er den wahren Eros,
Geht dieser philosophische Eros, das Streben nach dem
wirklich Ewigen, auch genetisch aus den niederen Stufen
des Eros hervor, so ist doch, wie wir soeben (in Abschnitt II
2 S. 64 f.) sahen, für die dialektische Entwicklung seines
Begriffs der z6-/.oc, das leibliche oder geistige Zeugen,
nicht mehr die Grundlage. Haben wir für die dialektische
Entwicklung auch seines Begriffes im Symposion Andeutungen?
Bestimmen wir zunächst durch die sich bietenden An-
haltepunkte klarer, was am Ziele seiner Entwick-
lung der Begriff des Strebens nach dem Ewigen enthalten
muss. Das Ewige, die reine Idee, heißt p. 211 E auxo xo
^ £ i 0 V xaXöv, der Mensch, der sich nicht mit dem niedrig-
sten Epw; begnügt, trägt dafür den Grund in sich als 0- £ : o c
Ol) V (p. 209 B) ; hiernach ist das Streben nach dem Ewigen
nicht nur das Streben nach dem Göttlichen, sondern zu-
gleich das Streben der Seele nach ihrem Ursprung,
nach dem, wovon sie ausgegangen, nach dem, dem sie in
Wahrheit zugehört. Das Streben verlangt nach einem
d-exa %-a.i x a c ^ u v £ i v a t (p. 211 D und 212 A), das ver-
langte Schauen ist also eine Vereinigung und zwar
Der zweite Teil des Logos der Diotima in Piatons Gastmahl. (57
(nach dem eben Bemerkten) Vereinigung mit dem,
dem sie in Wahrheit zugehört^). Haben wir im
Symposion Andeutungen über den Weg, auf welchem dialek-
tisch zu diesem Ziele der Begriffsentwicklung zu gelangen ist?
Der Anfang der von Piaton für den Begriif der niederen
Formen des Eros gegebenen Entwickelung, die Feststellung
der weiteren Bedeutung eines „Verlangens
nach dem Besitze des Guten" (cap. 24 p. 204 D bis
205 A) und die Frage nach dem unterscheidenden Merkmal
für den engeren Gebrauch des Wortes (cap. 24 p. 205
A— D) ist zugleich Begriffsentwicklung für den philosophischen
Eros. Das ist obne weiteres zweifellos. Ja nur um des
philosophischen Eros willen, oder wenigstens
nur zur Darlegung des Gemeinsamen der beiderlei Formen
des Eros, hat Piaton diese beiden Abschnitte geschrieben.
Hätte Piaton nur das gewollt, für die niederen Formen des
Eros den Begriff zu bestimmen, so brauchte er die ganzen
Umschweife des cap. 24 nicht, weder die Aufstellung einer
weiteren Bedeutung, auf welche sowohl der Begriff des philo-
sophischen Eros Avie der seiner niederen Formen zurückgeht,
noch die Einsetzung von aya^a für xaXd. Er hätte vielmehr
mit cap. 25, also damit, aus der Empirie des tatsächlichen
Liebeslebens spto? als „Verlangen nach Zeugung" zu bestim-
men, die Begriffsentwickelung begonnen, um sodann in
diesem Eros das Verlangen nach Unsterblichkeit nachzu-
^) Zweifelhafter dagegen erscheint die Aufnahme eines a s l als
Eigenschaft dieser Vereinigung. Freilich für die ersehnte Vereini-
gung ergibt sich die {"Eigenschaft einer ewigen Vereinigung ebenso
leicht von selbst wie pag. '106 A für das Verlangen nach dem (ewigen)
Besitze des Guten (vgl. die Skizzierung des Gedankengangs, Abschnitt
1 Id S. 5;5). Auch für die erfüllte Vereinigung ei-giebt sie eigent-
lich der strenge Wortlaut p. "212 A äflaväxqj /cai sxsivcp. Aber auch
Phaedr. c. 20 p. 246 B— D wird das Wort anders von Piaton selbst
interpretiert. Und sodann ist doch beim philosophischen Eros die Ewig-
keit inhärierende Eigenschaft des erstrebten Gegenstandes (der reinen
Idee), während die Vereinigung damit der Ewigkeit im vollsten Sinne
des Wortes entbehren kann. Wird doch nach dem platonischen Glau-
ben an Seelenwanderung und den im Phaidros (cap. 29 und 37) auf-
gestellten Zeiträumen die Erfüllung des Sehnens zwar in ewiger Wie-
derholung, aber doch in jedem einzelnen Falle nur für einen begrenz-
ten Zeitraum von der richtenden Gottheit (vgl. Phaedr. cap. 29 und
Symposion p. 212 A ö-socptXsi) gewährt. — Vgl. den Text zu Anni. 7.
5*
68 W. Gilbert,
weisen und weiterhin ihn vom Physischen auf das Geistige
auszudehnen.
Außer diesen 2 ersten Abschnitten enthält cap. 24 noch
2 Abschnitte. Der letzte Abschnitt (cap. 24 p. 206 A), der
die weitere Bedeutung von spo); rekapituliert, aber so, daß er
sie unter Einfügung eines aec als „Verlangen nach dem ewigen
Besitze des Guten" bestimmt, gehört n u r ^) zu der Begriffs-
entwickelung für die niederen Formen des Eros, die er einleitet.
Denn andernfalls hätte Piaton ein Abändern beim Rekapitu-
lieren vermieden und das det vielmehr schon in dem ersten
Abschnitt (p. 204 D — 205 A) ergänzend in den aufgestellten
Begriff eingefügt.
Der vorletzteAbschnitt von cap. 24 (p. 205 E),
der somit die Stelle ist, wo sich die Wege für die
Begriffe des niederen und des philosophi-
schen Eros trennen, nennt einen ersten Versuch, statt
der weiteren Bedeutung des Wortes durch Aufstellen
des engeren Begriffs den engeren Gebrauch von spco;
zu bestimmen : für dyaö-ov werde aufgestellt (xaS Xeyexa: |X£V
ys xic, 16y°^) ^Is öi"^ Engeres r] [i i o \j sauxöv oder 6X ov .
wofür im weitereu Verlauf oSxstov y. ocl eauxoO eintritt.
Hierin hat man wohl vielfach einen von Platon-Diotima
zurückgewiesenen Irrweg gesehen ; auch von Ed. Zeller
könnte' man dies annehmen, der auch d |i.'/j (xi<; xö {xev dya-
^öv oiv.eiov xals-i v.ixi iauxoö) mit „man müßte denn" über-
setzt und als Anmerkung zu seiner Uebersetzung gibt „wie
dies (das Gute ein Eigenes zu nennen) dem Charmides 163 C f.
zufolge wirklich, vielleicht von Prodikus, geschehen war".
Aber zur Annahme einer Ablehnung nötigt weder der Satz
über das Abschneiden der untüchtig und schlecht (rcovr^pd)
gewordenen eigenen Glieder noch das ei (xy) (es sei denn
daß); auch Hug bemerkt dies richtig zu 205 E 4, nur zieht
er nicht ausreichend die erforderlichen Konsequenzen, vielleicht
beeinflußt durch die schiefe Behandlung bei Schleiermacher
(S. 378 der 2. Aufl.).
Aber überhaupt erwartet man gerade im Symposion nicht
') Vgl. Anm. 6.
Der zweite Teil des Logos der Diotima in Piatons Gastmahl. 69
beiläufige Polemik gegen eine Begriffsbestimmung. Am wenig-
sten aber kann p. 205 E eine solche Polemik sein. Der Ge-
danke ist vielmehr von Piaton klar als ein bedeutungs-
voller und in weiterer Erörterung zu verfol-
gender gekennzeichnet: wie er unverkennbar 'auf
den Logos des Aristophanes (cap. 14 — 16) und sein so einzig
aus tiefsinnigem Ernst und aus sprudelnder Laune gemischtes
Märchen zurückweist, so folgt unmittelbar auf den Logos des
Sokrates (cap. 30 p. 212 C) „sitiovxo? oh xaüxa xoö llmxpdzoö!;
xo'j; |JL£v STiatvecv, xöv oh 'Apcaxocpavyj Xeyscv xc ETit/eipeiv, öxc
£(xvTjay-r] aöxoö Xeywv 6 Swxpdcxvj; uepc xoO Xoyou", nur das
Eindringen des Alkibiades bricht alles weitere ab. Ein solcher
Zug in der Erzählung Piatons kann nicht zwecklos sein (rich-
tig auch Hugs Anm. zu 212 C 5).
Und tatsächlich bietet das „Streben zum Ganzen"
des Logos des Aristophanes (p. 192 E xoö 61 o u oöv x fj
£ 7ü c b' u {X c a y, ocl 6 c u) ^ e t spw; övojjia) in der pag. 205 E
gegebenen Auslegung als Verlangen nach einem oi-
Y. el ov und zwar einem zugleich als xö aycc^-öv
bestimmten oiy.zi ov das, was sich uns soeben (S. G6 f.)
als das Ziel der Begriffsentwickelung für den philosophischen
Eros ergab: Eros ist das Streben nach dem Besitze des (nach
der Vereinigung mit dem) Guten (Göttlichen, der Idee) in der
Verengung, daß dieses als das olv^elo'/ (das Zugehörige, der
Ursprung) der Seele bezeichnet wird. Oder kurz gesagt:
Eros ist das Streben der ihres Ursprungs
sich erinnernden Seele nach der Wiederver-
einigung mit dem Göttlichen,
Die fehlende weitere Erörterung, auf die des Aristophanes
Wort p. 212 C sich bezieht, ersetzt einigermaßen der Schluß
des Logos des Aristophanes, den z. B. auch Steinhart (Ein-
leitung zum Gastmahl S. 235) als eine unverkennbare Ahnung
bezeichnet, daß die höhere Liebe sich über das Irdische zu
der Anschauung des göttlichen Lebens der Ideenwelt erhebe.
Er muß die letzten Zweifel beheben, wenn man ihn losgelöst
vom Märchen und den Blick auf die dargelegten Zusammen-
hänge gerichtet liest: cap. 16 p. 193 D .... "Epwxa, c;
£V xw Tcapovxt fj[i.ä^ Tzlelaza. ovcvTjacv tic, xö oix zl o^
(vgl. schon p. 192 C otxs'.öxrjxc) aywv xa: elc, xö STietxa
iXKioac, [iByiaxac, 7iap£)(£xac, ri\iGiy Tiapsxojjtlvwv Tzpbc, ■9'£0u^
cua£ß£iav (vgl. schon p. 193 A £ija£ß£öv nebst der längeren
Ausführung in 193 B), xaxaaxrjaa; ri\i.äq elc, xr]V dpx*''^«^
cp u a i V xac {aaa[i£vo? [xaxapc'ou; xac £uSa''(i.ovai; (vgL
schon p. 189 D £uoa'.^ovia und p. 193 C EüSatpiov) rzoifiaocL
Fast ohne jede Abänderung des Wortlautes läßt sich dieser
70 W. Gilbert, Der zweite Teil des Logos der Diotima etc.
herrliche Schlußsatz, dadurch gewissermaßen der Schlüssel
zum Rätsel des Märchens, auf die Wirkungen des philo-
sophischen Eros auslegen und mit den einzelnen An-
deutungen, die über diesen Diotima gibt, in Parallele stellen®).
Das OAOv der kizi^-uiiia. xoü oXou ist durch oixelov ersetzt,
wie bei Diotima p. 205 E. Unterschieden werden Wirkungen
für das gegenwärtige Leben in den jetzigen (eben den
irdischen) Menschenleibern und Wirkungen für einen künf-
tigen vollkommeneren Zustand, wie auch in Diotimas , höch-
ster Weihe' (p. 210 D — 212 A) diese beiden Wirkungen trotz
des scheinbaren Zusammenfließens für den nachdenkenden
Leser sich sondern. Das Erreichen des künftigen vollkomme-
neren Zustandes ist nachdrücklich an die £ u a 1 ß e ta geknüpft,
wie bei Diotima p. 212 A die (jenseitige) aO-avaat'a durch
üicapxs' ■8-EocpcXs!: yevea^aL vermittelt wird. Freilich zu
der Wiederherstellung der dpyaia cpuat? und
der dadurch erfolgenden Heilung durfte der
Logos der Diotima die Parallelen nicht bieten, aber hier be-
dürfen wir sie auch nicht ; wohl aber nehmen wir hier auch
das Märchen des Aristophanes selbst zu Hilfe: in der Wie-
derherstellung des früheren vollkommeneren Zustandes, des jen-
seitigen Zustandes, ist der Mensch oder die dem Göttlichen
zustrebende Menschenseele geheilt von all dem sinnlichen
Liebesdrang, von den ,Leiden' der mit einem irdischen Men-
schenleibe verbundenen Menschenseele, die sie im reinen Ge-
nüsse des Göttlichen hemmen. Daß aber diese Wiederher-
stellung des früheren reinen Schauens die höchste e u S a : -
|j, 0 V i a ist, führt Diotima p. 211 E — 212 A aus; und gerade
um deswillen, scheint es, ist auch die erste Feststellung der
dialektischen Begriffsentwicklung, die Bestimmung der weiteren
Bedeutung von ipwc, (cap. 24 p. 204 D — 205 A), durch Fort-
schreiten zu £u5a''[i,ti)v eaz ai erweitert zu „Verlangen
nach dem Besitze des Guten als der Quelle des höch-
sten Glückes".
So hat Piaton (vgl. p. 223 D) auch die Komödiendichtung
für den Ausdruck seiner ernstesten und tiefsten Gedanken
verwendet.
Grimma. W. Gilbert.
®) Vergleichungspunkte in den gewählten Worten bietet allerdings
auch bereits der letzte Teil der Rede desEryximachos.
Jedoch sollen Opfer und Mantik in der Rede des Eryxiraachos
ebenso wie in cap. 23 (p. 202 E. 203 A) unverkennbar eben nur als ein
wohlgemeinter Irrweg zur Gottgeliebtheit erscheinen, wozu
der Platonische Euthyphron verglichen werden kann.
III.
B 0 b i e n s i a.
Neue Beiträge zu den Bobienser Ciceroscholien.
Für die Bobienser Scliolien zu den Ciceroredeu, die von
A. Mai seit 1814 aus einem jetzt teils in der Vatikana teils
in der Ambrosiana aufbewahrten Palimpseste erstmals ver-
öffentlicht und 1833 in Orellis Ciceroausgabe nachgedruckt
wurden, liegt seit kurzem eine T e u b n e r i a n a vor. Wie
bedenklich vom sittlichen Standpunkt aus die Mittel sind, wo-
mit der Berliner Oberlehrer Paul Hildebrandt die Aus-
gabe zuwege brachte, wie unzuverlässig betreffs des hand-
schriftlichen Befundes, der textkritischen Vorarbeiten und der
Testimonia der Apparat sich erweist, wie wenig endlich Hilde-
brandt das Zeug hat zur Feststellung eines spätlateinischen
Textes oder auch nur zur Anfertigung eines genauen Wort-
iudex, das ist von mir dargetan in der Berl. ph. W. 1907
Sp. 1501—4 und 1908 Sp. 38— 49 1), nicht minder von zwei
anderen Mitforschern, nämlich von Bernhard Schilling in der
Wochenschr. f. kl. Ph. 1908 Sp. 158 — 161 und von Corne-
lius Brakman in der Revue de l'instr. publ. en Belgique 1908
S. 35—37.
Hier soll eine allgemeine Frage, die um die Ueberlieferung
sich dreht, uns beschäftigen, im Rhein. Museum 1909 eine
Reihe von Lesarten, die nie oder auch mit Unrecht beanstandet
worden sind.
Die in den Vatikanischen Blättern von der
zweiten Hand angebrachten Nachträge stam-
men aus einer Handschrift.
An rund zwei Dutzend Stellen der ungefähr dem fünften
') Vgl. jetzt noch Berl. ph. W. 1908 Sp. 473-480.
72 Th. Stangl,
Jahrhundert angehörenden Vatikanischen Blätter liest man
zwischen den Zeilen oder am Rande Berichtigungen oder auch
erklärende Zeichen, die eine von L. Traube dem sechsten Jahr-
hundert zugeschriebene Hand in italischer Semiunziale ange-
bracht hat. Wenn diese Einträge ausschließlich in der Mi-
loniana vorkommen, so erklärt sich das vielleicht aus der Tat-
sache, daß diese Rede, die nie gehalten worden ist und vom
verurteilten Milo mit einer derben Bemerkung erwidert wurde,
nicht erst seit Quintilian (4, 2, 25), sondern schon in der Zeit
des Asconius 'mit Recht als die vortrefflichste' galt (p. 42, 3
Clark). Nimmt man einen einzigen Vermerk aus, nämlich den zu
282, 25 Or. (= 71, 11 bez. Praef. p. XV Nr. 18 der Teubner.),
so beziehen sich alle auf den Text der Schollen, nicht der
Lemmata: sie rühren demgemäß nicht aus scholienlosen Hss.
der Ciceroreden her. Die Frage nach der Autorität der Nach-
träge wurde von Mai, dem Orelli sich anschloß, theoretisch
gar nicht aufgeworfen, praktisch aber mit Ausnahme einer
einzigen Stelle (277, 21 = 63, 17) in der Weise durchgeführt,
daß die Vermerke, die überhaupt die eigentliche Textgestalt-
ung unmittelbar berühren, entweder schlechthin als maßge-
bend oder doch als Grundlage für die Emendation betrachtet
wurden. Die Teubneriana verhält sich gegen diese am Text
der ersten Hand vorgenommenen Aenderuugen subjektiv: wo
immer der Herausgeber ohne sie auskommen zu können meint,
lehnt er sie ab. Zufolge Praef. p. XVII sind sie ihm Nichts
als Konjekturen, denen er die der neuzeitlichen Kritiker als
gleichberechtigt gegenüberstellt, z. B. die eigene zu 276, 26
(62, 11).
Woher wird die Berechtigung zu diesem Verfahren ge-
leitet? Erstens aus dem Scholion 282, 18 (71, 3), zweitens
aus 281, 18 (69, 14), wo C- über das n von conititur ein
zweites n setzt, drittens aus 281. 21 (69, 16), wo C- das vom
Scholiasten 'sonst nicht verwendete' tenus einführt. Die Be-
langlosigkeit des zweiten und dritten Argumentes, von denen
das eine die orthographische, das andere die lexikalische
Korrektheit auf die Spitze treibt, liegt auf der Hand, soll aber
weiterhin nichtsdestoweniger beleuchtet werden. Das erste
Beweismittel aber erheischt, zumal es mit Zuversicht als
Bobiensia. 73
durchschlagend hingestellt und bei der Textgestaltung und im
Wortindex verwirklicht wird, eine sorgfältige Prüfung.
1. Es bemerkt also der Scholiast zum Lemma 'At enim
Cn. Pompeius rogatione sua de re et de causa iudicavit' aus
§15 der Miloniana 383, 18: AUerum {Aliud C^) praeiudici-
um discutit, ad utilitatem suam revocaturus ipsam rogationis
Pompeianae lationem. Qua cum vellent accusatores videri prae-
damnatum Milonem, TuUius in respondendo satis vivaciter
argumentatur : cum caedes in confesso teneretur, numquam
laturum fuisse Cn. Pompeium consulem huiusmodi rogationem,
ut de eodem facinore quaereretur, nisi animadverteret aequi-
tatem subesse, quae facile pro reo posset aput iudices op-
tinere. Der Diegesis ist in der Miloniana — so argumentiert
Hildebrandt — nur die Widerlegung von 2 praeiudicia, die
Milos Ankläger ausgebeutet hatten, vorausgeschickt, nämlich
die des allbekannten S.C. und die der rogatio Pompeiana. Den
Senatsbeschluß bespricht der Scholiast von 280, 22 an, den
Volksbeschluß von den oben ausgeschriebenen Worten an:
folglich verstoße Aliud gegen die Latinität ; die Aenderung
aber aus Alterum gehe nicht auf eine handschriftliche Vorlage
zurück, sondern auf einen ungelehrten und eigenmächtigen
Leser.
Was die logische Korrektheit der Pronomina betrifft, so
ist aliud, selbst wenn man nur 2 praeiudicia gelten läßt,
nicht nur im Spätlatein möglich, sondern auch im archaischen,
ja klassischen. Das ersieht man aus dem Thes. 1. L. I 1623,
83; vollends macht man auf den im Thes. I 1735, 7 — 37 be-
legten Ersatz des Genetivs alius durch alterius (anderwärts
durch alienus) schon Anfänger im Lateinischen aufmerksam.
Wer sich an unser Schullatein hielte, müßte ja auch schol.
Bob. 342, 25 anfechten: hier beginnt mit Nunc ad aliud transit
ein Scholion, das auf den zweiten von drei Punkten zurück-
greift, die im zweitvorhergehenden der erhaltenen Lemmata
(bei Orelli unrichtig 345, 9 eingereiht) aufgezählt sind.
Für die Zweigliederung aber der Präjudizien wird als
Zeuge Quintilian aufgerufen, und zwar erstens mit 5; 2, 1 :
praeiudiciorum vis omnis tribus in generibus versatur: (I)
rebus quae aliquando ex paribus causis sunt iudicatae, quae
74 Th. Stang],
cxenipla rectius dicuntur, ut de rescissis patrum testamentis
vel contra filios confirmatis ; (II) iudiciis ad ipsam causam
pertinentibus, unde etiam nomen ductum est, qualia in Oppia-
nicum facta dicuntur et a senatu adversus Müonem ; (III) aut
cum de eadem causa pronuntiatum est, ut in reis deportatis . . .
Zweitens mit 4, 2, 24: hier spricht sich Quintilian über die
Frage „an sit utique narratio prooemio subicienda" mit den
Worten aus : protinus iudex notitia rerum instruendus videtur.
Sed hoc quoque interim (^bisweilen') mutat condicio causarum;
nisi forte M. Tullius in oratione . . . pro Milane . . . male
distulisse narrationem videtur tribus praepositis qnaestionibus ;
(I) aut profuisset exponere quomodo insidias Miloni fecisset
Clodius, si reum, qui a se Jiominem occisum fateretiir, defendi
omnino fas non fuisset, (II) aut si iam praemdicio senatns
damnatus esset Milo, (III) aut si Cn. Pompeius^ qui propter
aliquam gratiam iudicium etiam militibus armatis clauserat,
tamquam adversus ei timeretur. Die Hervorhebung der wich-
tigsten Ausdrücke und die Nummerierung der Gedankenglieder
rührt von mir her; der Leser selbst aber hat sich längst schon
gesagt, was hier zu allem Ueberfluß ausgesprochen wird:
beweiskräftigere Stellen für das schnurgerade Gegenteil der
von Hildebrandt gewollten Zweigliederung gibt es nicht. Nicht
anders dachte R. Volkmanu, der in seiner Rhetorik^ § 17
S. 180 f. Quintilian 5, 2 übersetzt, erläutert und dabei betont,
daß im dritten Falle zwar vor dem gleichen Gerichtshofe be-
reits entschieden sein darf, aber nicht von den gleichen Rich-
tern. Und der Bobienser Scholiast? Wie Quintilian 5, 2, 1,
ist auch er sich klar bewußt, daß einzig die zweite
und dritte Art der praeiudicia eigentliche Yor-
erkenntnisse sind, während die erste Art auf mehr
oder minder ähnliche Beispiele hinausläuft, die nur die Ohren
der Menge füllen, dagegen für den im Denken Geschulten
wiegen der niemals völligen Gleichheit sämtlicher Voraus-
setzungen nichts beweisen.
Daher liest man exemplum 278, 4. 278, 6 ; nur 279, 3
(confirmaturus alio exemplo et iudicato) -) wird an das yevo?
^) Statt des tadellosen et iudicato = et iudicata causa, et praeiu-
dicio wollte L. Ziegler ex i. Aber vgl. die Definition bei Cornificius
Bobiensia. 75
exemplum das etoo; iiidicatum gereiht. Eingeleitet aber wird
die Besprechung des ersten der drei praeiudicia mit den Worten :
Hoc primum adgressus refutare, in omnibus caedibus non
confessiones esse damnandas, sed causas potissimum requi-
rendas. Für das senatorische Vorerkenntnis sind bezeichnend
280, 22. 28. 33 K£xpt[X£Vw utebatur accusator, ex eo videlicet
adseverans vere hanc a senatu caedem praedamnatam, cum
decreverit . ., 281, 17 adversus propositionem partis adversae
facta responsio est tenuiter et anguste. Hoc enim illo decreto
senatus probare conititur, non factum Milonis praedamnatum,
sed generaliter ipsam vim notatam, 281, 30 und 35 ab senatu
nihil contra Milonem statutum. Die Erörterung über das von
Pompeius veraulaßte Plebiszit setzt mit 282, 18 ein, also bei
der Stelle, von der wir ausgegangen sind. Daran schließen
sich 282, 28. 31 Et in hac responsione contra praeiudicium
(ohne Attribut!) multis et fovtibus exemplis inmoratur, 284,
19. 26. 33. Endlich wird 285, 4 zum Lemma aus § 23 be-
merkt: Hoc et re(licum . , . .)^) quam brevissime, quae supra
in illarum quaestionum (also der exempla und der eigentlichen
zwei praeiudicia) refutatione disseruit, ti-ansitum sibi ad narra-
tionem parans, cui hie locus oportunior dabitur. Der Gedanke
des Schlußkolons erinnert an Quintilian 4, 2, 25. Die im
Lemma ausgezogenen Ciceroworte aber, die mittels einer ava-
xscpaXatwa:? der von Cicero widerlegten Vorentscheidungen
zur Aufstellung des xpovojJtevov überleiten und die diesseitige
o'.rjyrjac^ als unmittelbar bevorstehend ankündigen, sind für
die Entscheidung unserer Frage maßgebend ; deshalb folgt
ihr voller Wortlaut: Quare, iudices, ut aliquando ad causam
2, 19 und Mar. Victorinus zu Cic. de inv. 1, 30 p. 238, 17 ludicatum
est ubi res adsensione aut auctoritate aut iudicio alicuius aut aliquo-
rum comprobatur. Andere Stellen, besonders über die 'a iudicato ar-
gumentatio' in Halms Klietores S. 643 und bei Volkmann.
*) Mit et relicum schließt der Scholiast, wie 1894 in den Bobiensia
S. 12 erinnert wurde, fünfmal abgekürzte Lemmata ab. Mit Hoc
et relicum de P. Clodio dicitur beginnt 304, 23 ein Scholion zu
2 Perioden, von denen als erstes Lemma nur 4 Wörter mitgeteilt wer-
den. Wie passend diese Einleitungsformel 285, 4 ist, sieht man daraus,
daß von je 2 Gliedern des Cicerotextes mit neque und et der Scholiast
nur das erste der 2 Glieder mit neque auszieht. Die Hs. hat Hoc et
re -f- reichlich 1 cm -(- volle 4 Kolumnenzeilen (bei 78 Bebst.) freien
Eaumes, nicht mit Orelli Hoc est rep. noch mit der Teubneriana
Hoc et rei.
76 Th. Stangl,
crimenque veniaraus: (§ 7—11: 1) si neque confessio facti
est inusitata, (12 — 14 : II) neque de causa nostra quicquam
aliter ac nos vellemus a scnatu iudicatum est, (15 — 21: III a)
et lator ipse legis (Fompeius), cum esset controversia nuUa
facti, iuris tarnen disceptationem esse voluit, (22: III b) et ei
lecti iudices isque praepositus quaestioni, qui haec iuste sapien-
terque disceptet: reliquum est, iudices, ut nihil iam quaerere
aliud debeatis nisi uter utri insidias fecerit.
Das ist die Stoffgliederung Ciceros. Als Dreigliede-
rung hat sie der einsichtsvollste aller lateinischen Rhetoren
und nicht minder der Scholiast verstanden. Sie bleibt es auch
für uns. Ja mit dieser Dreigliederung wird auch in § 7 die
dvaaxeuif] eingeleitet, nur in der Reihenfolge II III I, vpeil sofort
chiastisch an I als an den schvrächsten Einwand angeknüpft
wird : Sed antequam ad eam orationem venio quae est propria
vestrae quaestionis, videntur ea esse refutanda, (II) quae et
in senatu ab inimicis saepe iactata sunt, (III) et i-n contione ab
inprobis, (I) et paulo ante ab accusatorihus : ut omni errore
sublato rem plane, quae veniat in iudicium, videre possitis
(1). Negant intueri lucem esse fas ei, qui a se lionmiem occisum
esse fatcatur .... (vgl. dazu schol. Bob. 276, 22 ff.). Die Be-
deutung der confessio facti für Ciceros Entschluß, die Ver-
teidigung nicht etwa, wie ihm M. Brutus geraten hatte, xax'
avTfaxaatv, sondern xax' dvxeyxXTjjxa und hiemit in der qualitas
compensativa durchzuführen (276, 16 ff.), erhellt ohne weiteres
und wird überdies vom Scholiasten immer wieder betont und
zwar sowohl für den streitigen Fall wie für die früher ent-
schiedenen: 276, 6 quoniam erat confessa caedes . ., perferri
defensio ista non potuit, 277, 12 in omnibus caedibus non
confessiones esse daninandas, sed causas potissimum requiren-
das, 277, 16 confessum absolvi tamen probata aequitate me-
ruisse, 278, 1 non nuuiquam caedes optimo iure fieri posse,
279, 5. 282, 21. Trotzdem heißt es in der Teubneriaua p. XVI:
Neque enim, quod accusatores negaverant Milonem vivere
posse, quia hominem occiderat, id „praeiudicium" scholiasta
appellare potuit. Wer so etwas drucken läßt, ist sich weder
klar über den Grundgedanken der §^5 7 — 22 noch über das
Wesen der constitutio iuridicialis absoluta. Ueber diesen Ele-
Bobiensia. 77
mentarbegriff der Rhetorik konnte er sich unterrichten aus
Volkmann § 7 ; vortrefflich disponiert aber ist die Miloniana
in Meusbergers Programm von Ried (Oesterreich) 1882 und
in Alb. Clarks Ausg. v. J. 1895 S. LI. An der Dreigliederung
zu rütteln ist weder diesen zwei Gelehrten eingefallen noch
einem anderen Herausgeber seit der Humanistenzeit.
Aus dem Beweise, daß das dritte praeiudicium weder mit
dem zweiten noch mit dem ersten sich deckt, folgt, daß 282, 18
sachlich unanfechtbar ist der von C^ herrührende Wort-
laut Alind praeiudicium discutit, ad utilitatem suam revocaturus
ipsam ('sogar') rogationis Pompeianae lationem. In sprach-
licher Beziehung genügt der Hinweis auf den Thes. I. L. I
1652, 39 ff., wo für alius = diversus, novus, ja für die Pleo-
nasmen alius diversus, a. novus, a. sequens reichlich Beispiele
gesammelt sind, die der ersten Art aus Autoren, bei denen man-
cher sie nicht erwarten mag*).
2. Als zweites Beweismittel, womit sämtliche Vermerke
des Korrektors als nicht autoritär dargetan werden sollen, gilt
der Zusatz von n über der Präposition von conititur 281, 18.
Daß diese Schreibung der vom ersten Schreiber bei coniti
(conectere, conexio) stets befolgten widerspreche, wird p. XVII
der Teubneriana aus Zieglers Aufsatz im Hermes 31 (1896), 48
ausgeschrieben, von diesem aus meinen Bobiensia v. J. 1894
S. 8, beidemal ohne Angabe der Quelle. Gewiß werden wir
connititur trotz C ^ ablehnen, nachdem Ritschi opusc. II 449 ge-
zeigt hat, und zwar aus Inschriften und alten Hss., daß die
Unterdrückung des einen n allein schriftgerecht sei. Aber
deutet es denn auf persönliche Willkür unseres Mannes hin,
wenn er in unserer Miloniana 282, 5 conexio nicht antastete?
Ist ferner jede Möglichkeit ausgeschlossen, daß der Mann, den
Hildebrandt zwischen saec. V und VII/VIII setzt, jenen Kon-
sonanten aus einer Schwesterhs. des Bobienser Palimpsestes
oder geradezu aus einem jüngeren Ableger derselben entnommen
habe? War die Vorlage von einem Romanen geschrieben:
*) Zur Variante als solcher vgl. Gregor Turon. h. Franc. 3, 15 p.
125, 4 unum . . . alium (alterum B c) und, für die Richtigkeit von alium
Bonnet Le Latin de Gregoire de Tours 1890 S. 278 A. 5. Im Romani-
schen wurde alius durch alter verdrängt.
78 Th. Stangl,
konnte dieser nicht ebensogut, wie es C- getan haben soll,
die ihm geläufige volkstümliche Schreibung, welche die roma-
nischen Mundarten beibehalten haben, einführen? Setzen wir
aber, obwohl das 282, 5 von C- nicht angetastete conexio da-
gegen spricht, den Fall, connititur sei eine eigenmächtige
Aenderung: ist mit dieser orthographischen Nichtigkeit auch
schon über die Lückenergänzungen und sonstigen Berichtigungen
abgeurteilt ? ^)
3. p. Milone 13 heißt es: Cuius enim de illo incesto stupro
iudicium decernendi senatui potestas esset erepta, de eius interitu
quis potest credere senatum iudicium novum constituendum
putasse ? Cur igitur incendium curiae, oppugnationem M. Lepidi,
caedem hanc ipsam contra rem p. senatus factam esse decrevit?
Quia nulla vis umquam est in libera civitate suscepta inter
civis non contra rem p. Non enim est illa defensio contra vim
umquam optanda, sed nonnumquam est necessaria; nisi vero aut
ille dies, quo Ti. Gracchus est caesus, aut ille, quo Gaius, aut quo
arma Saturnini, etiamsi e re p. oppressa sunt, rem p. tamen
non vulnerarunt. Zu Quia — contra rem p. bemerkt der
^) Die Schlußfolgerung ist soviel wert wie zwei andere, die in deu
Teubneriana zum besten gegeben werden. Die Silbentrennung
in C steht näher der Regellosigkeit der vor Priscian üblichen als jener,
die dieser Philbellene im Anschluß an die griechischen Theoretiker in
B. II K. 1, 2 lehrt. Deshalb sei C sicher vor Priscian geschrieben. Als
ob der Mauretanier bloß aufzutreten brauchte, um alle Schreiberschulen
und den ganzen Schulbetrieb autokratisch zu behen-schen.
Con s ulibus wird 253, 17. 291, 28. 353, 11 im Ai-gumentum mit
cos. abgekürzt, dagegen im Scholion 269,16 mit cons., sonst aus-
geschrieben. Diese notae können zufolge der Teubneriana p. XXIII
nur aus dem Archetypus stanimen, dieser selbst aber muß eben deshalb
dem Ende des 3. oder höchstens dem Anfang des 4. Jhr.s zugeschrie-
ben werden. Denn: scimus notam 'cos.' post saeculum quartum neque
in titulis neque in manuscriptis (!) inveniri, ipso saeculo quarto perraro,
primo secundo tertio saepissime. Notam 'cons.' vero aetate Diocletiana
ita geminatam esse constat, ut postea 'cons.' imum, 'conss.' duo con-
sules significaret. Sehen wir davon ab, daß der zweite Satz durch
den Thes. 1. L. IV 562, 50 zu 'cons.' tarn numero singulari quam plu-
rali berichtigt wird: was schloße Hildebrandt ans der im Thes. IV"
562, 64 mitgeteilten Beobachtung, daß in der dem Jahi-e ^'rib angehö-
renden Inschrift des CILXIV 2934 pluralisches conss. und coss. sich
findet?
Endlich haben L. Gurlitt und Bernhard Schilling
mühelos den luftigen Bau zerstört, der über die Entstehungsweise und
EntstehungszeitderScholien 1 894 in Hildebrandts Göttinger
Dissertation aufgerichtet worden war. Die Teubneriana findet p. XLIII
keine Gegengründe, sondern bloß ein Nein.
Bobiensia. 79
Scholiast 281,17 Nimium ((xetpcü);) "). Adversus propositio-
nem partis adversae facta responsio est tenuiter et anguste.
Hoc enim probare conititur, illo decreto senatus non factum
Milonis praedamnatura, set generaliter ipsam vim notatam,
quae inter duos evenerat, [281, 20] ut, remota faciendi causa,
fade tenus displicuerit senatui aliquid per vim inter cives esse
commissum, ita tamen ut non ademerit Miloni facultatem red-
dendae rationis, cur ab se facinus illud admissum sit. Et hoc
munit exemplis pluribus eorum, quos ex usu rei p. constabat
occisos. {281, 24] Et nihüominus in hisdem caedibus vis exe-
cranda fuerit, licet pro communi utilitate suscepta. An der
ersten der zwei Stellen, die hier gegen die Teubneriana zu
verteidigen sind, hat die Hs. (die Angabe in Hildebrandts
Apparat ist unrichtig, die in den Addenda p. XLIV richtig)
faciendi causa faciens | (also Zeilenschluß) , während C ^ über
und hinter den zwei letzten Buchstaben der Zeile tenus schrieb.
Von Mai, im Text auch von Orelli und im Archiv f. 1.
L. I 416 und 419 von Wölfflin wurde facie tenus aufgenom-
men; für mich ist bloß die von C- mit tenus vollzogene Be-
richtigung maßgebend '), nicht aber facie, dessen letzter Buch-
stabe ein Rest des ursprünglichen tenus ist wie ns. Was facie
tenus allein bedeutet, zeigt Apul. met. 10, 23 f. t. praetendens
humanitatem. Solin. 51, 11 f. t. hirsuti. Firm. Matern, math.
4, 22, 22 quos f. t. pallor inficiat (Variante : quorum faciem
tenuis p. i.), Rufinus apol. 2, 15 quos ne f. q. nosti, Cassiodor.
psalt. 76, 14 f. t. sciebant eum. Nie aber wurde die Formel
'^) Die 2 lateinischen Adverbia, zu denen ein Synonym von etwa
6 Bebst, zu ergänzen ist, bezieben sieb weder auf die Xdgtg layyyi oder
ä^zX-f^c, der Antwort Cieeros noeb vollends auf den geringen äußern
Umfang, sondern auf den Mangel an Zuversiebt, Kraft und Scbärfe ;
vgl. acuta responsio 267, 27. B60, 7, valida argumentatio 240, 29, v.
ratiocinatio 289, 17. Sie sind also nabe verwandt mit humiliter, timide,
demisse, und als ibre Gegensätze darf man congeste, presse und dgl.
bezeicbnen ; vgl. auch Tbes. 1. L. II 64, 19. Desbalb glaube icb weder
281, 17 an Hildebrandts Nimium (loyy&c,) noch 254, 30 an (l'tXcög Tispi
auToO), sed de C. Mario multo liberius et erectius; ex quo etiam suo
bonori plurimum dedit, de quo aliquanto demissius et verecundius
dixerat, sondern an M s - p i o) c ('A x 6 [i '4' w g, T a t: t v w g) mpi auxo'j. .
Kein Raum wäre in der Iß Bebst, fassenden Lücke für AiSrjjjLdvcos Tispl
aÖTOö. Zur Schreibung xanivög vgl. 294, 16 \ib-oc, xoAa-/.iag.
') 317,30 trägt C (nicht C ') Fannius autem non erat ali ohne
fas vor autem nach.
80 Th. Stangl,
verwendet wie verbo tenus 'auf das bloße Wort beschränkt',
so daß sie im Gegensatz zu re vera bedeutet hätte 'nur zum
Scheine" : das erhellt klar aus der Geschichte von tenus, die
im Archiv I 415 — 426 vorliegt und im Antibarbarus ausge-
zogen ist. Nicht minder läßt die Entwicklungsgeschichte von
facies^), wofür die von Georges genannten, aber nicht ausge-
nützten Nachweise Mützells zu Curtius 3, 11, 22 zu beachten
sind, keinen Zweifel zu, daß facie tenus in einem derartigen
Zusammenhancre, vornehmlich ohne Genetiv, nicht bedeuten
kann 'mit Beschränkung auf den äußern Vorgang'. Dem
entspricht, wenn wir von paläographisch ferner liegenden
Ausdrücken absehen, nur facto tenus, das Orelli im Apparat
empfahl (= quod ad factum ipsum attinet), und ebensogut
facti tenus ^), also die Genetivkonstruktion, die das Spätlatein
mit Catull, Lukrez und vor allem mit Vergil gemeint hat.
Wöllflins Beobachtung, daß tenus gerne mit singularischem
Ablativ und mit pluralischem Genetiv verbunden wird, kann
uns nicht hindern, facti t. dem paläographisch weniger wahr-
scheinlichen facto t. vorzuziehen; schreibt doch schon Livius
26, 24, 11 Corryrae t.
Der Begriff 'nur scheinbar' paßt in unsere Gedankenreihe
gar nicht. Im Senatsbeschluß gegen Clodius' Ermordung sah
Cicero keine Vorentscheidung gegen Milos Tat, er betrachtete
ihn aber auch nicht als eine nicht ernstgemeinte Maßregel zu
gunsten der durch Milo gestörten öffentlichen Ruhe und
Sicherheit. Wie in der Rede, so hatte er — zufolge § 15,
und zwar zufolge einer Aeußerung, die unmittelbar an das
obige Zitat sich anschließt — schon im Senate die Sache als
eine solche gekennzeichnet, bei der Gewalt und Nachstellung
im Spiele war, und hatte eben deshalb die gegen Milo er-
hobene Anschuldigung der gerichtlichen Entscheidung vorbe-
*) Beim Scholiasten kommen in Betracht 279, 8 liberali f. (facile
C) praeditum, :n(t, 28 struraosa f., 322, 14 festa f. (facere C) religiosas
probasse supplicationes, S51, 15 obiecta quadam senatui f. turpitudinis.
») Orelli schon erinnerte an 28ö,2, wo im Lemma die Cicerohss. rich-
tig confessio facti est inusitata haben, unser Palimpsest facie sit. Viele
derbe Angleichungen und Verstümmlungen des Textes, die C unter der
Einwirkung vorhergehender oder auch nachfolgender Wörter unterlaufen
sind, besonders am Zeilenschluß, sind in den ßobiensia v. J. 1894
S. 5 — 8 besprochen.
Bobiensia. gl
halten, um beidemal auf Notwehr zu plaidieren. Dagegen ist
durchaus angemessen der Ausdruck 'mit Beschränkung auf die
Tat als solche', sowohl was die Stellung unmittelbar neben
dem Gegensatze 'ohne Rücksicht auf die Ursache zum Tun' ^^)
anlangt als betreffs der Stellung beider vor dem wenig be-
tonten, weil selbstverständlichen Verbum. Wenn aber Hilde-
brandt tenus ein 'verbum omnino non a scholiasta usurpatum'
nennt, so übersieht er eatenus-quatenus 300, 15, clementior
aliquatenus 269, 17 (= aliquanto 236, 9. 255, 1. 265, 26.
271, 3. 285, 35. 361. 31, ebenso beim Komparativ aliquantum
262, 15. 304, 16), hactenus 330, 7.
Nachdem der Scholiast mit Hoc enim probare conititur —
admissum sit die dialektische Beweisführung Ciceros, mit Et hoc
munit exemplis — occisos die paradigmatische beleuchtet hat —
Ciceros Worte, die den 2. Punkt betreffen, sind im Lemma
nicht berücksichtigt — , schließt er 281, 24 also : 'Und trotz-
dem dürfte bei eben diesen Totschlägen die Gewalttätigkeit,
selbst wenn sie zum Gemeinwohle geübt wurde, verwerflich
gewesen sein'. Es endet also mit occisos der Bericht und es
beginnt mit Et nihilominus, das statt Ac tamen gut lateinisch
ist, die Kritik, und zwar in einem Sinne, daß die Schlußworte
zusammenfallen mit den kritisierenden Adverbien tenuiter et
anguste, mit denen der allererste Satz nachdrücklich endet.
Folglich ist ut nihilominus der Teubneriana unmöglich. Der
Modus der Urbanität wurde nicht bloß in execranda fuerit
verkannt, sondern, wie wir später sehen werden, auch in exi-
stimetur 360, 26. Hildebrandt übersah eben 248, 16 quoniam
plurimae (orationes Ciceronis) consequentur, in quibus paene
(eadem) omnia dicturus est, eximendam numero arbitratns
sum (orationem 'Si eum P. Clodius legibus interrogasset'),
quando rebus nihil depereat : quae sine dubio in aliarura trac-
tatione reddentur, 267, 18 quos (versus) intempestivum sit in
iudiciali disceptatione recitare (wieder in einer Kritik von Ci-
*•) Vgl. Cic. de or. 1, 35 remoto foro contioiie iudiciis senatu sta-
tuisti oratorem in omni genere sermonis et humanitatis esse perfec-
tum, dazu Sorof; ep. 7, 11, 3 remoto ioco tibi hoc praecipio, ut . ., Pseu-
doasconius 99, 5 bis remotis ('mit Beiseitelassung diesei- Punkte') ar-
gumenta sola sequantur iudices, schol. Bob. 285, 13 causas faciendi vali-
disaime instruat.
Philologus LXVIII (N. F. XXII), 1. 6
82 Th. Stangl,
ceros Verfahren). 346, 21 las ich in C und ursprünglich auch
Ziegler: Cetera hie explananda non sint: quae satis in prae-
cedentibus dixiraus; im Hermes 31, 294 hingegen schweigt er
zur Vulgata sunt und eben deshalb auch die Teubneriana
157, 5. Rückhaltsloser urteilt der Scholiast anderwärts, z. B.
in der Miloniana 276, 6 quoniam erat confessa caedes, perferri
defensio ista non potuit, 278, 15 Btacw; auctoritatem XII tabu-
larum ad defendendam confessionem Milonis trahit, 286, 10
'Evapyeta coacervatur plena sine dubio falsae adseverationis.
4. Wenn sich für den umfangreichsten Nachtrag von
C ^ nachweisen läßt, daß die ergänzten Worte vom
eigentlichen librarius infolge eines Homoio-
teleutons übersehen worden waren , so wird wohl
selbst Hildebrandt jeden Widerspruch gegen die Herleitung
der Nachträge aus einer Hs. aufgeben. Dieser Beweis läßt
sich für J276, 23 (62, 10) haarscharf führen. Der Rest des
jetzt verstümmelten Miloniana- Argumentums und die Scholien
zu § 1 — 6 und zum Anfang von § 7 füllten, zufolge A. Mais
Berechnungen, 8 Palimpsestseiten. Das erste der erhaltenen
Scholien bezieht sich auf die Worte in § 7 sed antequam ad
eam orationem venio, quae est propria vestrae quaestionis,
videntur ea esse refutanda, quae et in senatu ab inimicis saepe
iactata sunt et in contione ab inprobis et paulo ante ab ac-
cusatoribus, ut omni errore sublato rem plane, quae veniat in
iudicium, videre possitis. Die Vulgata lautet bei Orelli 276,
22 — 277, 9: quod autem (Tullius 'antequam ad eam oratio-
nem venio, quae est propria ves)trae quaestionis, videntur ea
esse refutanda, quae et in senatu saepe ab inimicis" dixit: iam
detraxit illi decreto auctoritatem, cui potest propter simultates
inesse Studium malevolentiae'. Et quod addidit statim 'iac-
tata sunt', non 'decreta', non 'statuta', non 'iudicata': verbo
usus est efficaciter ad detrahendum pondus illi senatus consulto,
quo reus gravabatur. Post haec etiam significaturus legem
Pompeiam 'et in contione ab inprobis' inquit; molestum
namque fuisset, si 'a populo' adiceret; 'ab inprobis' maluit,
ut ne illud plebiscitum pro gravissimo ducendum sit, quod in-
probi et studentes iniuriae conceperint. Ad extreraum tertio
gradu in hunc exitum desinit: 'et paulo ante ab accusatori-
Bobiensia. 83
bus' ; omne enim quod accusatores coraminiscuntur, non aequi-
tatis iudicio, sed nocendi proposito moliuntur. Haec itaque
vivacitas (C qualitas v) M. Tullio propria est, ut, antequam
argumentationes impleat, victoriam praelibet in ipsis proposi-
tionibus. Der Schlußsatz des Scholions übersetzt die Schluß-
worte Ciceros ersichtlich in die Sprache der Rhetoren. Zieg-
ler empfahl 1896 im Hermes 31, 44: Nam quod (TuUius,
'antequam ad eam orationem, quae est propria ves)trae quae-
stionis, videntur ea esse refutanda, quae et in senatu ab ini-
micis saepe iactata sunt' dixit: iam detraxit illi decreto, cui
potest propter simultates inesse studium malevolentiae, aucto-
ritatem. Sehen wir vom Tonfall der Klauseln ganz ab: eine
so schwerfällige Wortstellung, wie jene, derzufolge dixit durch
23 Wörter von Nam quod Tullius getrennt wird, gibt es im
ganzen Scholiasten nicht. Warum ? Weil er als geborner
Römer nicht so unlateinisch dachte wie die Vorkämpfer unsers
Schullateins. Bis zu völliger Unverständliclikeit verstümmelt
die Teubneriana 62, 9 ff. die Ueberlieferung durch Ableh-
nung der Nachträge von C^.
Das Verdienst, den handschriftlichen Befund erstmals ver-
lässig festgestellt zu haben, und zwar aus dem Facsimile-Exem-
plar der Münchener Staatsbibliothek, gebührt dem geprüften
Gymnasialpraktikanten Jos. H ö f 1 i n g e r. Ihm zufolge hat
C^ die Zeilenschlüsse mit senkrechtem Strich bezeichnet: TRAE
QÜAESTIONISUIDE" | TUREAESSEREFUTANDA | QUAE
ETINSENATÜAB") 1 INIMICISDIXITIAMDE ; TRAXITILL
IDECRETOAUC | TORITATEMMALAEÜO t LENTIAE. Be-
ginnend oberhalb der 3 letzten Buchstaben von senatu, trug
") An der völlig verdunkelten Stelle nach senatu, wo man zufolge
der Buchstabenzahl der umgebenden Zeilen mindestens 2 Buchstaben
erwartet, lasen Ziegler und Hildebrandt AB. Höflinger meinte die
Umrisse von DE zu erkennen, und zwar D verbunden mit dem 2. senk-
rechten Strich von U, Da man nur inimicos oder ab inimicis erwartet,
ließe sich DE nur als Anfang eines Lückenzeichens verstehen, das C^
aus seiner Vorlage oder aus sich selbst hinzugefügt hätte. Indes wüßte
ich für saec. VI nicht die Abkürzung de [e] = deest zu belegen, son-
dern nur solche wie h d (= hie deest): Dieses Zeichen hat C 317, 30
am Rande vor dem Nachtrag Fannius (ohne fas !) autem non erat ali
und an der entsprechenden Stelle zwischen den Zeilen. Eine 2. Mög-
lichkeit wäre, daß ab inimicis von C' als Citat verkannt und wegen
dixit zu de inimicis umgestaltet wurde.
6*
84 ' Th. Stangl,
C^ zwischen den Zeilen und am rechten Rande nach: ab ini-
micis saepe iac, darunter am Rande tata sunt, hierunter als
noch tiefer stehendes Zeilchen nam quod. Vom gleichen Kor-
rektor rührt her der Satz Cui potest propter simultates ] in-
esse stu dium, und zwar sind die ersten 4 Wörter oberhalb
MMALAEUO und am rechten Rande ergänzt, inesse stu und
dium in je einem tiefer stehenden Zeilchen am gleichen Rande.
Durch diesen handschriftlichen Befund wird folgende Form des
Scholions verbürgt, die von allen bisherigen Gestaltungen wesent-
lich abweicht: (. . . 'Sed antequam ad eam orationem venio,
quae est propria ves/trae quaestionis, videntur ea esse refutanda,
quae et in senatu ab immicis saepe iadata sunt'. Nam quod
^ab inimicis' dixit: iam ('ohne weiters') detraxit illi decreto aucto-
ritatem, cui potest propter simultates inesse Studium male-
volentiae. Et quod addidit statim 'iactata sunt' . . .: verbo usus
est efficaciter ad detrahendum pondus illi senatus consulto, quo
reus gravabatur (—-——- mit C - ; die Teubneriana gravatur
mit C). Rhythmus und Wortschatz, Satzbau und Gedanke sind
tadellos; der librarius war von ab inimicis saepe iactata sunt
nam quod zum folgenden ab inimicis abgeirrt.
Es ist klar, daß wir bis jetzt nur den Rumpf des ersten
Scholions wiedergewonnen haben: der Scholiast umschreibt
damit den ersten Teil der ersten Periode von § 7 der Milo-
niana. Den Kopf bildete ein Gedanke, der dem 2. Teile
entsprach, also den Worten ut omni error e suhlato rem plane,
quae veniat in iudicium, videre possitis. Diese Annahme er-
gibt sich mit Bestimmtheit aus dem Schlußsatze des Scholions.
Haec itaque vivacitas (vgl. 276, 28 efficaciter) M. Tullio
propria est, ut, antequam argumentationes impleat, victoriam
praelibet in ipsis propositionihus. Denn es weiß Jeder, dem
die Technik der Bobienser Scholien nicht fremd ist, daß unser
Mann, wenn er rhetorische Kunstgriffe des Autors eingehend
und nachdrücklich aufzeigt, einerseits mit dem Schlußgedanken
gerne zum Gedanken des Eingangs zurückkehrt, andrerseits
im Eingang mit den griechischen Bezeichungen für rhetorische
Begriffe zu prunken liebt, die er hernach lateinisch wiedergibt.
Darnach wäre, wenn man vom Rhythmus, jedoch nicht vom
individuellen Wortschatz und Satzbau absieht, stilgerecht ein
Bobiensia. 85
Eingang wie: Consideremus quanta acpo^poir^TC TuUius ante
argumentationes victoriara praelibet in ipsis propositionibus,
ita dicendo: 'Sed antequam . . . iactata sunt'. Nam quod 'ab
inimicis' dixit: . . . Oder: Animadvertamus quam •öuji.oecoö);
(öpw:) praeiudicia ab adversariis adlata in ipsis propositioni-
bus elevet TuUius, ita dicens: . . . 'Sed antequam . . . iacta-
ta sunt'. . .
Die Anschauung, daß C - ein Konjekturenjäger sei, dürfte
hiermit ein für alleraal widerlegt sein. Nicht eingegangen
wird hier auf jene Stellen, an denen Hildebrandt dem C Laa.
zuschreibt, die zufolge Ziegler von C^ stammen, oder auf
283, 14 (72, 15), wo Ziegler von tarn als einem Nachtrag des
C^ spricht, die Teubneriana aber von einem Zusatz Zieglers.
Noch weniger berühren uns die kleinen Widersprüche des
Teubnerapparates mit der Praef. p. XIV unter Nr. 1 und
p. XV unter der vorletzten Nummer. Dagegen ist für unsern
Zweck von Belang 281, 8—9 (69, 1—2), d. h. jene Stelle, für
die Ziegler (im Hermes 31, 48) und Hildebrandt behaupten,
im Satzgefüge Et erat in vetere consuetudine, ut uon is
<^qui primus interrex, sed)> qui loco secundo crearetur, <(comitia
haberet) seien die in Klammern gesetzten Worte nicht von
C^ nachgetragen, sondern von Mai hinzugefügt, und zwar aus
Asconius. In WirkHchkeit aber war der erste Schreiber
vom ersten qiii zum zweiten abgeirrt und ebenso
hatte er com itia haberet übersehen nach crearetur, so daß wir
zum zweiten Male mindestens ein Versehen des librarius vor
ims haben, das aus einem reinen Homoioteleuton sich erklärt.
Es las nämlicli J. H ö f 1 i n g e r im Münchener Exemplar des
Facsimile auf Quaternio 224 im Text der 1. Kolumne ET
ERATINUETERECO- j SÜETUDINEUTNONIS | QUILOCO
SECÜNDOCREA | RETURNONOBSEQUENS | : nach CREA ist
Schluß der eisten Kolumne. Dagegen las er am rechten
Rande, also zwischen beiden Kolumnen, als Nachtrag von C^
neben der vorletzten Zeile der 1. Kolumne qui, neben der
letzten .... us, tiefer rex, noch tiefer sed. Mai hatte
im Original noch alle Buchstaben zu erkennen geglaubt,
außerdem comitia haberet. Von einem Einweisungszeichen
86 Th. Stangl,
spricht Mai Aveder hier noch anderwärts : heute ist ein
solches nicht mehr zu erkennen; daß Mai hinsichtlich der
Nachtragsstelle einem arj|jielov von C^ folgte, kann weder be-
wiesen noch widerlegt werden ; comitia haberet ließe sich
grammatisch jedenfalls nur nach ut non is unterbringen ^-).
Ziegler und Hildebrandt hatten am linken Rand der 1. Ko-
lumne gesucht und, als sie hier Mais Text nicht fanden, von
Zusätzen Mais gesprochen.
Der Streit über den Wert der Korrekturen zweiter Hand
ist damit für uns erledigt. Bei der zweiten Stelle mit der
durch ein vollkommenes Homoioteleuton hervorgerufenen Lücke
verweilen wir nur deshalb länger, weil der ganze Satz Et
erat in vetere consuetudine, ut non is qui primus interrex,
sed qui loco secundo crearetur, comitia haberet nicht aus der
Urfassung der ßobienser Scholien herzurühren , sondern ein
Nachtrag eines jüngeren Diaskeu asten zu
sein scheint. Darauf deuten die teils fehlenden teils schlech-
ten Rhythmen, darauf die zerstückelte Ueberlieferung im Pa-
limpsest, die man am leichtesten aus einem Nachtrag begrifie,
der in der Vorlage zwischen den Zeilen und am Rande ange-
bracht war. Das entscheidende Bedenken jedoch leitet sich
aus dem Zusammenhange her. Man lese, was zu p. Mil. 13
'Cur igitur incendium curiae, oppugnationem aedium M. Lepidi,
caedem hanc ipsam contra rem p. senatus factam esse decrevit?
43, 3 jBF. Asconius bemerkt: Post biduum medium, cjuam Clo-
dius occisus erat, interrex primus proditus est M. Aemilius
Lepidus. Non fuit autem moris ab eo, qui primus interrex
proditus erat, comitia haheri. Sed Scipionis et Hypsaei factio-
nes, quia recens invidia Milonis erat, cum contra ius postula-
rent, ut interrex ad comitia consulum creandorum descenderet,
idque ipse non faceret, domum eins per omnes interregni dies
. . . quinque obsederunt . . . Post quae supervenit Milonis
'^) Mit einer Umstellurof und mit einer Interpolation lautet der
Text in der Teubneriana 69, 1: ut non is, (qui primus interrex eaaet,
comitia haberet, sed) qui loco secundo crearetur. Aber wie es unmit-
telbar vorher heißt quoniam primus interrex illo tempore esset prodi-
tus (M. Lepidus) und wie Asconius zwischen prodere und creare,
die Kunstausdrücke sind, wechselt, so steht auch interrex crearetur d;i6
xoLvo'j zu primus und zu secundo loco.
Bobiensia. S7
maims, et ipsa postulans comitia: cuius adventus fuit saluti
Lepido ; in se enim ipsae conversae sunt factiones inimicae, at-
que ita oppugnatio domus interregis omissa est. Dieser Bericht
hängt in sich zusammen; dagegen wird durch den fraglichen
Satz unterbrochen die Reihe der Bemerkungen, die zum glei-
chen Lemma ^^) in den Bohienser Scholien 280, 21 ff. zu lesen
sind : KsxpLjjLivw utebatur accusator , ex eo videlicet adseve-
rans vere hanc a senatu caedem praedamnatam, cum decreverit
contra rem p. commissum videri, quod exarsisset curia quod-
que domus M. Lepidi oppugnata esset. Nam M. Aemilius
Lepidus, cum interregno fungeretur et plerique inita conspira-
tione hoc ab eo postularent (conspiraret C), maxime urguenti-
bus Milonis competitoribus, ut haberet ^*) comitia consularia,
respondit civiliter non posse per se comitia haberi, quoniam
primus interrex illo tempore esset proditus biduo post inter-
emptionem P. Clodii. Et erat in vetere consuetudine^ ut non
15, qui primus interrex, sed qiii loco secundo crearetur, comi-
tia haberet. Non obsequens tarnen illi conspiratae multitudini,
quam Plautius Hypsaeus et Metellus Scipio concitaverant, in
periculum deductus est , ut domus eins inpugnaretur et obsi-
dionem dierum quinque pateretur. Cui ad extremum sola
factio Milonis auxilio fuit: qua decertante cum adversaria per-
fectum est, ut exueretur periculo, quo artissime premebatur.
Der Gedanke jenes Satzes ist vorweggenommen in civiliter
('nach bürgerlichem Herkommen' = more maiorum) non posse
per se comitia haberi bis P. Clodii. Den Anlaß zur Erwei-
terung des ursprünglichen Scholions bot der Wunsch, den
schon ausgesprochenen Gedanken unzweideutiger und generell
zu fassen durch die Bezeichnung jedes zweiten interrex als
des zur Vornahme der Konsulwahlen allein Befugten. Der
zweite Diaskeuast meinte noch enger an Asconius sich an-
schließen zu sollen als es der erste schon getan hatte. Der
Nachtrag ist aber mit den alten Bestandteilen des Scholions
nicht zu einem einheitlichen Ganzen zusammengefügt: die Fu-
gen klaffen^ die Ueberarbeitung ist unzulänglich verdeckt.
Würzburg. TJi. Stangl.
*') Daß in C hanc ipsani nicht steht und senatus contra rem p.
gestellt ist, fällt nicht auf; daß der Cicerotext des Scholiasten nainde-
stens hanc hatte und von ihm nicht mißverstanden wurde, bevveist das
Scholion.
") Das darnach überlieferte et läßt sich vielleicht im Sinne von
,au ch' halten.
Zu MartiaS.
1.
Spect. 21:
Quidquid in Orpheo Rhodope spectasse theatro
Dicitur, exliibuit, Caesar, harena tibi.
Repserunt scopuli mirandaque silua cucurrit,
Quäle fuisse uemus creditur Hesperidum.
Adfuit iumixtum pecori genus omne ferarum
Et supra uatera multa pependit auis,
Ipse sed ingrato iacuit laceratus ab urso.
Haec tarnen res est facta ita pictoria.
So lautet V. 8 in HT. Lindsay und Duff schreiben nach
Housman :
Haec tantum res est facta ^ap' loxopiav.
Ilap' loxopiav „gegen den Wortlaut der Sage". Aber laxopia,
kann kaum vom Mythus gebraucht werden: iaxopicc ist im Ge-
gensatz zu dicitur (2), creditur (4) das von Zeugen urkundlich
Dokumentierte; taxopca wird durch xlia, lazopf^oai durch ösaaaa-
•i)ai, u. dgl. geradezu erklärt (z. B. Suid. Phot.). So Bflcheler bei
Friedländer Martial II S. 542. Wenn daher nach Housman's
Konjektur die Zerfleischung des Orpheus des Schauspiels izocp'
tatop^av ist, so sagt die Bücheler's genau das Gegenteil: haec
tarnen, haec res est facta, mS' ioxopiac: tao' laizpia = haec res
facta est. Hiergegen wendet Friedländer mit Recht ein, die
Anwendung einer griechischen Phrase in einem nicht im Kon-
versationstone gehaltenen Gedicht sei bei M. ausgeschlossen.
In der Tat findet sich kein andres Beispiel. Diese Bemerkung
trifft natürlich auch Housman's Konjektur mit. Außerdem ist
Gustav Friedrich, Zu Martial. 39
es unzulässig, wenn dieser das an sich vollständig passende ta-
rnen ohne Aveiteres in tantiim verwandelt.
Im Aroiidellianus (Q) steht: haec tarnen ut res est facta
ita ficta alia. Daraus machte Schneidewin mit Berücksichti-
gung von pictoria HT : haec tarnen, haec res est facta ita, ficta
prior. Die Lesart von Q ist, nur mit Aenderung von ut in
haec, beizubehalten : haec tamen, haec res est facta ita, ficta
alia. Das Wortspiel facta-ficta macht von vornherein den
Eindruck der Echtheit : vgl. z.B. IX 21, 4 Artemidorus amat,
Calliodorus arat; XI 18,25 errasti, Lupe, littera sed una : nam
quo tempore praedium dedisti, mallem tu mihi prandium de-
disses. — Haec tamen, haec res ist ebenso in der Manier des
M. : vgl. VIII 1,4 tu mihi, tu Pallas Caesariana, ueni; X
41, 3 quid, rogo, quid factum est? IX 2, 14 haec erat, haec
cultris mentula digna tuis. — Zu dem ita in res est facta
ita vgl. Liv. 21, 29, wo Livius, nachdem er das erste Gefecht
zwischen den Reitern Hannibals und Scipios geschildert, fort-
fährt: ut re ita gesta ad utrumque ducem sui redierunt. —
Der Sinn unseres Gedichtes ist also : „Dies (das Zerfleischen
des Orpheus durch den Bären) ist Avirklich so geschehen, das
übrige war Schauspiel". Alia ist nämlich = cetera. Durch die
ganze Latinität findet sich alius so gebraucht: Plaut. Trin.
943 Eho, an tu etiam uidisti louem? :^ Alii di isse ad uillara
aiebant ; Caes. b. c. III 94, 5 sed Pompeius ut equitatum su-
um pulsum uidit atque eam partem, cui maxime confidebat,
perterritam animum aduertit, aliis quoque diffisus acie exces-
sit; oft bei Sallust, oft bei Livius, z. B. 21, 11, 3 stationibus
ad custodiam uinearum aliorumque operum dispositis; aus den
Tagen des M. vgl. Tacit. ann. III 42. — Die Entstehung von
pictoria HT aus picta alia erklärt sich leicht. In den Hand-
schriften des M. ist p oft mit f verwechselt worden: vgl.
XII 94, 9 fingere) pingere C^; III 19, 2 fictae) pictae B^.
Aus pictalia machte H das nächste lateinische Wort: vgl. IX
81, 3 curo: nam) coronam T; I 68, 7 accipe, care) acum pe-
core T; XII 48, 6 immo hodie) in medio T,
Es ist richtig, alius findet sich sonst nicht so bei M. Me-
thodisch liegt die Sache in diesem Falle so : in einen Schrift-
steller darf man ein Wort, das sonst nicht bei ihm vorkommt
90 Gustav Friedrich,
oder nicht in der besonderen Bedeutung vorkommt, nicht hinein-
konjizieren; ist es aber überliefert und sonst mit dem zeitge-
nössischen Sprachgebrauch in Einklang, so ist es nicht zu
beseitigen. Und dann sind die Zeiten bei einem Dichter zu
unterscheiden, dessen Produktion sich über einen so langen
Zeitraum erstreckt, wie bei M. Auch Cicero bedient sich in
den philippischen Reden einer ganzen Reihe von Worten und
Wendungen, die er früher vermied. So hat man beobachtet
(Friedländer zu I 26,7), daß Martial meist den Genetiv
der Wörter auf -ius und -ium auf -i (nicht auf -ii) bil-
det. Danach schreibt man ohne weiteres XII 25, 6 exilio
comitem quaeris: agellus eat, obwohl überliefert ist ex illi T
(,exili C^'); obwohl II 24, 4 steht: exulis ibo comes; VII
44, 5 magnus comes exulis isti. XI 2, 1 ist überliefert: triste
supercilium durique seuera Catonis frons et aratoris filia Fa-
bricii. Man schreibt Fabricia, obwohl Catonis den Genetiv
Fabricii verlangt. Cybii XI 27, 3 (uel duo frusta rogat cybii
tenuemue lacertum) und XI 31, 14 (et caudam cybii breues-
que maenas) läßt sich nicht wohl ändern: schön, man ent-
schuldigt den Genetiv damit, daß cybium ein griechisches
Wort ist. Aber exilii, Fabricii sind ebenso richtig wie cybii;
richtig ist auch iudicii (C'^^) XII praef.: accedit his munici-
palium robigo dentium et iudicii loco liuor. Das letzte Bei-
spiel des Genetivs auf -i steht IX 76, 1 (Caraoni). Exilii,
Fabricii, cybii, iudicii fallen in die Zeit der seconda maniera. —
Nun behauptet Lindsay freilich, die Spectacula im Aron-
dellianus beruhten nicht auf guter, alter Ueberlieferung. Aber
sie sind von derselben Hand geschrieben wie die übrigen
Bücher; und vor ihnen steht des Gennadius: Epigrammaton
M. Valerii Julii Martialis Li. Ius incipit. Ego Torquatus Gen-
nadius emendavi etc. Gennadius zog die Spectacula zum ersten
Buche. Und Spect. 21, 8 haec tarnen, haec res est facta ita,
ficta alia, wie Q überliefert, macht durchaus den Eindruck
der Echtheit. Dasselbe gilt von Spect. 19:
") Mit A-\ BA C-f^ bezeichne ich mit und nach Lindsay, soweit ich
derselben Ansicht bin, die mutmaßliche Lesart der Codices archetypi
der drei Familien, wie sie sich aus der Uebereinstimmung der Hand-
schriften ergibt.
Zu Martial. 9X
Qui modo per totam flatumis stimulatus harenam
Susfculerat raptas taurus in astra pilas,
Occubuit tandem, cornuto ardore petitns,
Dum facilem tolli sie elephanta putat.
Q hat cornuto ardore, HT haben cornuto adore. Das ist
auch ardore, nämlich ädore. Das Kompendium ist, wie so
unendlich oft, weggelassen worden: I 43, 10 armato]> amato
T, d. i. äraato; IX 60, 1 aruis) auis T, d. i, äuis. Ardore
petitus steht, es überbietend, im Gegensatz zu flammis stimu-
latus. Cornuto ist zu verstehen von den Zähnen des Elefan-
ten, die von manchen, z. B. von Juba, für Hörner gehalten
wurden: Plin. n. h. VIII 7; Mart. I 72, 4 Indicoque cornu
(Friedländer). Es ist nun an Stellen zu denken wie Ovid met.
10, 550 fulmen habent acres in aduncis dentibus apri ; Mart.
XI 69, 9 f u 1 m i n e o spumantis apri sum deute perempta.
Da sind wir dicht bei unsrem cornuto ardore (= ardore den-
tium). Das blitzschnelle Einschlagen der Aveißen Elefanten-
zähne macht dem M. den Eindruck eines niederfahrenden
Feuers. Ueberhaupt geht der Begriff einer „raschen Bewe-
gung" leicht in den Begriff des „Glänzens, Schimmerns, Strah-
lens" über: vgl. mico .,zittern, zucken", aber auch „schim-
mern, blitzen, funkeln" (sol, ensis) ; eclater (eclat) „bersten,
zerspringen", aber auch „blitzen, glänzen" (Thurab: Indo-
germ. Forsch. 14, 343). Instruktiv für unsre Stelle ist auch
Catull 64, 340 qui persaepe uago uictor certamine cursus
f 1 a m m e a praeuertet celeris uestigia ceruae. — Zu-
gleich soll wohl bei cornuto ardore in ardor noch die Bedeu-
tung „Kampfeseifer" anklingen: vgl. VI 25, 5 cauta sit ut
uirtus, nee te temerarius ardor in medios enses saeuaque tela
ferat.
2.
I 67 schreibt Friedländer nach C^ mit E. Wagner:
Liber homo es nimium. dicis mihi, Ceryie, semper.
In te quis dicit, Ceryie, liber homo es?
Homo es v. 2 hat C-^, während T und B^ bieten homo
est. Das letztere ist also besser bezeugt; es ist allein be-
zeugt. DennC'' ist hierin ohne jede Autorität: vgl. X 83,2
caluae campum temporibus tegis comatis) tegit C-*^; X 32, 5
92 GustavFriedrich,
ars utinam mores animuraque effingere posset!) possis C^;
V 61, 7 'uxoris res agit' inquis 'iste meae'.^ agis C^; VIII
7, 40 0 quantum, Cinna, tacere potes!) potest C^; und so
unaufhörlich. Es fehlt sogar nicht an Fällen wie XIV 107, 2
perfusos domini lambere docta pedes) pedet C^; VI 78, 3
huie Heras medicus) erat C^ ^).
Duff schreibt nach Lindsay :
'Liber homo es nimium' dicis mihi, Ceryle, semper.
In te qui dicit, Ceryle, liber homo est?
Das ergibt aber einen dürftigen Sinn. Es ist zu schrei-
ben:
'Liber homo es nimium' dicis mihi, Ceryle, semper.
In te qui dicit, Ceryle: 'liber homo est'?
Das einhellig überlieferte qui steht für quis : vgl. Plaut.
Amph. 1046 qui me Thebis alter uiuit miserior? Sali. Cat,
44 qui sim, ex eo, quem ad te misi, cognosces; Catull 66, 42
sed qui se ferro postulet esse parem ? Martial selbst hat V
33, 1 carpere causidicus fertur mea carmina: qui sit, nescio.
Qui sit schreiben die Herausgeber in Uebereinstimmung mit
der Ueberlieferung. IX 95 b, 2 si scio , dispeream , qui sit
Athenagoras) quid A"^ qui B^C^: die Herausgeber schreiben
qui; ebenso mit B-^ II 23, 2 qui sit Postumus in meo libello.
IV 3, 7 ist einheUig überliefert: qui siccis lasciuit aquis et
ab aethere ludit? Die Herausgeber schreiben quis. Man be-
merkt: in indirekten Fragen lassen sie substantivisches qui
gelten, in direkten widerstrebt es ihnen. Mit welchem Rechte?
Qui (= quis) ist an unserer Stelle ebenso richtig wie IV 3, 7.
M. hat, wie öfter, einen bekannten Namen der Vergangen-
heit gewählt, um sofort ein deutliches, typisches Bild im Geiste
des Lesers hervorzurufen. Belehrend in dieser Hinsicht ist
III 9: uersiculos in me narratur scribere Cinna: non scribit,
cuius carmina nemo legit. Weshalb man diese Verse nicht
las, begriff der Leser sofort aus dem Namen: er dachte an
Helvius Cinna, dessen Zmyrna wegen ihrer Dunkelheit berüch-
tigt war: X 21, 3 von lectore tuis opus est, sed Apolline lib-
ris: iudice te maior Cinna Marone fuit. So führt hier M. den
2) Hiernach ist X 30, 25 zu schreiben : frni sed istis quando Roma
permittit? Permittit B^., permittis C^'^.
Zu Martial. 93
Cerylus ein, einen Freigelassenen des Vespasian, qui diues ad-
modum ob subterfugiendum quandoque ius fisci ingenuum se et
Lacheteni mutato nomine coeperat ferre (Suet. Vesp. 23). — In
te dicit ist nicht = contra te dicit, sondern te ist Ablativ : in te
„bei dir, in deinem Falle". Vgl. I 10, 4 quid ergo in illa pe-
titur et placet? Tussit. Caes. b. G. VII 21, 1 conclamat omnis
multitudo . ., quod t'acere in e o consuerunt, cuius orationem
approbant. Sali. Cat. 51, 35 atque ego haec non in M. Tul-
lio neque bis temporibus uereor. — Der Sinn ist: „du nimmst
dir zu viel heraus, du bist zu frei", sagst du mir immer, Cery-
Wer, Cerylus, sagt von dir: „ er ist frei " ? Der Witz beruht
auf dem Doppelsinn von liber. Es gibt sehr viele Epigramme
dieser Art: z, B. VII 75 uis futui gratis, cum sis deformis
anusque: res perridicula est: uis dare nee dare uis. — Zur
Gestaltung des Ausdrucks : in te qui dicit, Ceryle : 'liber homo
est'? vgl. VII 99, 5: dicere de nobis ut lector candidus aude:
'Temporibus praestat non nihil iste tuis, nee Marso nimium
minor est doctoque Catullo'. — Der Vorwurf des Cerylus, M.
sei zu ungeniert, geht nicht etwa auf dessen Gedichte, wie
man zunächst denken sollte. Was gemeint ist, zeigt VI 88:
Mane salutaui uero te nomine casu nee dixi dominum, Caeci-
liane, meum. Quanti libertas constat mihi tanta („ eine
so geringe"), requiris? Centum quadrantes abstulit illa mihi.
Um die ganze Bosheit unseres Epigramms zu genießen
und um zu begreifen, wie gründlich Cerylus abgetrumpft wird,
muß man sich an die soziale Lage des Freigelassenen erinnern.
Mochte der Freigelassene (Friedländer, Sittengesch. ^ I 198)
noch so reich sein, es kam nie dahin, daß er dem Freien als
ebenbürtig galt. „An deinem Geburtstag", sagt M. X 27 zu
einem Freigelassenen, „speist der ganze Senat und eine große
Anzahl von Rittern bei dir. Nemo tarnen natum te, Diodore,
putat". Gern nahm daher der Freigelassene einen andern Na-
men an, um sein Herkommen vergessen zu machen: \1 17
Cinnam, Cinname, te iubes uocari. Non est hie rogo, Cinna,
barbarismus? ^). In I 67 liegt noch eine besondere Bosheit
') Die Pointe des Epigramms liegt aber erst in den Schlußzeilen:
tu si Furius ante dictus esses , für ista ratione dicereris. Cinnamus
war ein bekannter Wucherer (IX 92, 8).
94 GustavFriedrich,
darin, daß M. nicht den Namen Ladies wählt, sondern den
früheren, den der Angeredete als unfreier Mann geführt hat.
Von hier aus erhält nun Licht das rätselhafte XI 94, 5 fg. :
Illud me cruciat, Solymis quod natus in ipsis
Paedicas puerum, uerpe poeta, meum.
Ecce negas iurasque mihi per templa Tonantis:
Non credo: iura, uerpe, per Anchialum.
Anchialus ist ein gar nicht seltener Name: IL 5, 608 ev9-'
"ExTwp oüo cpwxe xatexxavev eidoxe y^dpiirjC, slv sv: occppw eovxe,
Mevsa^rjv "Ayx^a^o^ ^^e; Od. 1, 180 Uivz-qc, ''Ayx^dXaio Saf(ppo-
V05 euy^o\).a.i etvat oloc,; vor allem Cic. fam. 13, 45 L. Egnatio
uno equite Romano familiarissime utor. Eins Anchialum
s e r u u m . . tibi commendo (Höfer und Klebs in Pauly-Wis-
sowa's Reallex.). Der Angeredete ist in Rom als freigeborener
Mann aufgetreten und hat dafür gegolten. Da schleudert
ihm plötzlich M. seinen früheren Sklavennamen ins Gesicht:
„Schwöre nicht beim Tempel des Jupiter, schwöre bei dem,
was du früher warst, schwöre bei — Anchialus." Nach römi-
schen Anschauungen war das die furchtbarste Rache, die M.
nehmen konnte. — Trotz seinem griechischen Namen konnte
Anchialus sehr wohl Jude sein. Lucian hat auch einen west-
lichen Namen und ist trotzdem Semit (Jude oder Syrer) : der
jüdische Reporterstil, der semitische Witz sind unverkennbar.
In I 67 und noch mehr III 9 (uersiculos in me narratur
scribere Cinna: non scribit, cuius carmina nemo legit) ist der
Name nicht gleichgültig; er gehört vielmehr notwendig zum
Gedicht, von ihm aus wird es erst ganz verständlich. Einen
solch erklärenden Namen sollte man auch erwarten II 82 :
Abscisa seruum quid figis, Pontice, lingua?
Nescis tu populum, quod tacet ille, loqui?
Aber aus keinem Epigramm, in dem sonst M. von Ponti-
cus redet, ergibt sich, welche Schandtaten ihm vorgeworfen
wurden (Friedländer). Und doch muß es sich hier um eine
wirkliche Person handeln und um notorische Schandtaten: vgl.
V 69, 7 quid prosunt sacrae pretiosa silentia linguae? Inci-
pient omnes pro Cicerone (an Stelle des Cicero) loqui. —
Oefter ist in den codd. des M. a mit ci und ic verwechselt
worden: II praef. dicturus) daturus PQ; VIII 3, 12 ages)
Zu Martial. 95
cites T; IV 75, 2 Latias) latices T, Dies latices ist ent-
standen aus laticis. Wenden wir die Folge Latias: laticis:
latices auf Pontia an, so erhalten wir: Pontia: Pontici: Pon-
tice. Wie leicht Pontice aus Pontia werden konnte, beweist
auch n 34, 6 o mater, qua nee Pontia deterior) pontica B^.
Da haben wir jedenfalls die notorische Verbrecherin. Da ha-
ben wir die Verbrechen, die doch im Schöße der Familie
begangen sein müssen, da die Anzeige eines Sklaven gefürch-
tet wird. Vgl. Juven. 6, 638 sed clamat Pontia 'feci, confi-
teor, puerisque meis aconita paraui'. Dazu der Scholiast:
Pontia, Publi Petroni filia, quem Nero conuictum in crimine
coniurationis danmauit, defuncto marito filios suos ueneno ne-
casse conuicta . . uenis incisis . . extincta est.
3.
IV 25, 5 :
Et tu Ledaco felix Aquileia Timauo,
Hie ubi septenas Cyllarus hausit aquas.
So schreibt man allgemein. Hausit PQ (= B^); haurit
EXA.BF (= C^); aurit T (= A^). Hausit ist also schlech-
ter bezeugt als haurit. Ferner: gerade B-^ setzt oft das Per-
fektum für das Präsens : I praef. sie scribit Catullus) scribit
C"^ scripsit B^; IV 89, 7 iam lector queriturque deficitque)
defecitque B^^; VI 13, 3 Candida non tacita respondet imagine
lygdos) respondit B'^; XII 81, 2 mittebat Umber aliculam
mihi pauper, nunc mittit alicam) misitB^; IV 13, 1 Claudia,
Rufe, meo nubit Peregriua Pudenti) nubit A"^ C^, nupsitB^;
XI 77, 1 in Omnibus Vacerra quod conclauibus consumit ho-
ras) consumit C^, consumpsit B-^. Hausit ist also nicht nur
schlechter bezeugt als haurit, sondern es ist schlecht bezeugt.
Und nun kommt die Grammatik. Gerade in Relativsätzen ist das
Präsens statt eines Präteritums überaus häufig: Hör. sat. I 6, 12
contra Laeuinum, Valeri genus, unde Superbus Tarquinius
regno pulsus fügit, unius assis non umquam pretio pluris
licuisse; Virg. Aen. 9,266 (dabo) cratera antiquum, quem dat
Sidonia Dido; Prop. IV 4, 53 te toga picta decet, non quem
sine matris honore n u t r i t inhumanae dura papilla lupae ;
Stat. silv. I 6, 101 dumque terris quod r e d d i s (= reddidisti)
96 GustavPriedrich,
Capitolium manebit ; und so noch sehr oft. M. selbst hat IX
43, 7 hoc habuit numen Pellaei mensa tyranni, qui cito per-
domito uictor in orbe iacet (= iacuit) ; VII 55, 6 linges non
mihi — nara proba et pusilla est — sed quae de Solymis
uenit perustis damnatam modo mentulam tributis (uenit statt
uenit). Das gut überlieferte haurit ist entschieden richtig, das
schlecht überlieferte hausit ist entschieden falsch. Uebrigens
zweifle ich nicht, daß auch VIII 28, 7 an tua multifidum nu-
merauit lana Timauum, quem pius astrifero Cyllarus ore bi-
bit von M. bibit als Präsens gedacht ist.
4.
IV 58 lautet bei allen Herausgebern:
In tenebris luges amissum, Galla, maritum.
Nam plorare pudet te, puto, Galla, uirum.
Galla kommt bei M. nur in obscönen Gedichten vor: sie
ist ihm der Typus der liederlichen, ja käuflichen Ehebrecherin.
Besonders instruktiv für IV 58 ist IX 78 : funera post septem
nupsit tibi Galla uirorum, Picentine: sec[ui uult, puto, Galla
uiros. Galla hat durch ihr Verhalten wieder einmal einen
Mann unter die Erde gebracht. Sie heuchelt lauten Schmerz,
zeigt sich ganz untröstlich , aber jedermann durchschaut die
Heuchlerin imd ist über ihr Benehmen empört. Dazu paßt
nun in tenebris luges amissum maritum gar nicht. Denn dann
betrauerte sie den Verstorbenen wirklich , dann wäre ihr
Schmerz echt: ille dolet uere, qui sine teste dolet (T 33, 4).
Das kann M. nicht sagen wollen. Es kommt hinzu, daß A"^
iam hat, B"^ und C'^ non: nam ist also ohne jede handschrift-
liche Unterlage. Es ist zu schreiben :
In tenebris luges amissum, Galla. maritum ?
Iam plorare pudet te, puto, Galla, uirum.
„Weil dein öffentliches Wehklagen verstummt ist, sollen
wir wohl glauben, daß du deinen Mann in der Stille, also
ernstlich betrauerst? Nein, du hast nur endlich (iam) be-
griffen." Ganz genau so ist iam gebraucht I 87: Ne grauis
hesterno fragres, Fescennia, uino, pastillos Cosmi luxuriosa
uoras . . Quid quod ölet grauius mixtum diapasmate uirus
atque duplex animae longius exit odor? Notas ergo nimis
Zu Martial. 97
fraudes deprensaque furta i a m t o 1 1 a s et sis ebria simpli-
citer. Man beachte die Interpunktion : longius exit odor ? iam
tollas. Das ist genau unser luges maritum? iam plorare
pudet.
5.
V 24, 11 fg.:
Hermes belligera superbus hasta, 11
Hermes aequoreo minax tridente,
Hermes casside languida timendus,
Hermes gloria Martis uniuersi:
Hermes omnia solus et ter unus. 15
In V. 11 wird Hermes deutlich als veles bezeichnet: Cic.
Brut. 271 ut hastae uelitibus amentatae; Liv. 38, 21, 13 hie
miles (veles) tripedalem parmam habet et in dextera hastas,
quibus eminus utitur. In v. 12 ist Hermes ebenso deutlich
retiarius (Fried). Sittengesch. II 480). Der retiarius entbehrte
des Helmes, wie überhaupt jeder Kopfbedeckung. Es ist nun
ein guter Fortschritt in der Darstellung, wie ein zweckmäßiger
Gegensatz nach dem Sinn des Gedichtes (v. 3 Hermes Om-
nibus eruditus armis), wenn Hermes auch Gladiator mit dem
Helm war: in v. 13 ist also schwerlich mit Reitzenstein (Hel-
lenistische Wundererzählungen S. 126) und DufF casside als an-
fechtbar anzusehen. — Bei Juven. 8, 201 kämpft ein retiarius
mit einem secutor, der einen Helm trug. Hermes hätte dem-
nach bald als retiarius gegen einen secutor, bald als secutor
gegen einen retiarius gekämpft. Noch besser aber denkt man
an einen Samnis, bei dem der Helm ganz besonders ins Auge
fiel: Liv. 9, 40, 3 (Samnitium) galeae cristatae quae speciem
magnitudini corporum adderent. Wenn Hermes als Samnis
durch den Helm ein martialischeres Aussehn bekam, so paßt
dazu vortrefflich timendus, nicht aber languida. Es ist zu
schreiben casside lucida. Das ist sachlich richtig: lucidus
findet sich von Waffen gebraucht bei Virg. Aen. 5, 306 : Gno-
sia bina dabo leuato lucida ferro spicula. Die paläographische
Ableitung aber ist evident. In den codd. des M. sind a und
u oft verwechselt worden: X 5, 5 buccas) bacas T; X 48, 13
Gustus) Gastus B^; XI 100, 6 carnarius) carnunarius ß-^,
Philologus LXVIII (N. F. XXII), 1. 7
98 GustavFriedrich,
na u
d. i. carnurius ; VI 21, 3 nequius) nequiaus B"^, d. i. nequias.
• u
Genau so fand der Schreiber in unserm Falle lacida. Weil
aber ferner in den codd. des M. oft C und G verwechselt wor-
den sind (z. B. III 55, 3 Gellia) cellia B^; IV 82, 4 tetrica)
u u
tetriga C'^; XIII 81, 1 gerat) cerat T), so las er lacida als la-
gida. Er nahm nun wie VI 21, 3 (nequiaus aus nequias) das
u in das Wort hinter g und schob — um des lateinischen Wor-
tes willen — ein n ein : languida. Vgl. VII 64, 9 Siculis)
singulis C^; VII 20, 8 placentae) plangentem B'"^. Auch da
ist, sobald c als g gelesen wurde, ohne weiteres ein n und
zwar vor g eingeschoben worden.
6.
V 38 lautet bei Lindsay wie bei Friedländer:
Calliodorus habet censuui — quis nescit? — equestrem,
Sexte, sed et fratrem Calliodorus habet.
'Quadringenta seca' qui dicit, aöxa [i.zpiZ,ei;
Uno credis equo posse sedere duos?
Quid cum fratre tibi, quid cum Polluce molesto? 5
Non esset FoUux si tibi, Castor eras.
Unus cum sitis, duo, Calliodore, sedetis?
Surge: aoXotxca[xov, Calliodore, facis.
Aut imitare genus Ledae — cum fratre sedere
Non potes — : alternis, Calliodore, sede.
In V. 3 ist zweimal geändert: mit Rutgers das überlieferte
secat in seca und mit Paley [lipi^s in [lepiZ^ei : so sei zu schrei-
ben, da durch die sprichwörtliche Redensart die Aufforderung
zur Teilung des Rittercensus als ungereimt charakterisiert
werden solle, nicht umgekehrt. Aber auch schon durch seca
wird quadringenta als etwas Einheitliches und eine Teilung
als widernatürlich bezeichnet. Denn secare ist nicht „teilen"
schlechthin, sondern „zerschneiden, gewaltsam zerlegen": vgl.
des Quintilian (IV 5, 25) tadelndes: quae natura singularia
sunt, secant. In der Tat ist quadringenta seca so widernatür-
lich wie aüxa [i-Ep^t^e; das letztere ist nur drastischer. Die
beiden Imperative stehen tautologisch neben einander, wie so
Zu Martial. 99
oft gleich liegende Satzglieder bei M. : VIII 75, 5 quid faceret
Gallus, qua se ratione moueret; XI 70, 9 uende senes seruos,
ignoscent, uende paternos: und so noch sehr oft. — Duff
schreibt nach Postgate: 'Quadringenta seca' qui dicis, aöxa
^l£pl^^£. Also zwei Aenderungen der Ueberlieferung ! Zu qui
dicis kann nicht Sextus Subjekt sein (denn dann müßte os
heißen: quadringenta secet), sondern der Bruder Calliodorus.
Der soll sagen : 'quadringenta seca' ? Das soll er ja selbst
tun. — Jedenfalls erfordert aüxa \iipiL,e die Aenderung von
secat in seca, das an dicit leicht angeglichen wurde *) ; sonst
aber ist die Ueberlieferung einwandsfrei. Es ist zu schreiben:
Sexte, sed et fratreni Calliodorus habet, "quadringenta seca'
qui dicit 'aüxa [xip-.Ce'. Uno credis equo posse sedere duos?
Qui dicit bezieht sich auf fratrem, und credis ist an Calliodo-
rus gerichtet, wie sofort: quid cum fratre tibi, quid cum Pol-
luce molesto? Wenn der Bruder so brutal auftritt, erklärt
sich ganz besonders seine Bezeichnung als Pollux molestus:
dann erklärt es sich auch, wie M. dem Calliodorus die harten
Worte zurufen kann : quid cum fratre tibi ? Der Bruder be-
nimmt sich danach! Man muß sich daran erinnern, wie M.
gerade die sich bescheidende Bruderliebe feiert: z. B. XI 10:
Contulit ad saturas ingentia pectora Turnus. Cur non ad Me-
moris carmina ? Frater erat. Und so noch oft. Daß sich
qui dicit über Calliodorus hinweg auf fratrem bezieht, ist
nicht auffallend: vgl. V 3, 5 sors mea quam fratris melior.
cui (auf mea, nicht auf fratris bezüglich) tarn prope fas est
cernere, tarn longe quem colit ille deum. Es ist richtig, das
Distichon v, 3. 4 bildet kein einheitliches Ganzes, aber das
findet sich öfter, z. B. I 31, 3. 4; IX 8, 5. 6.
V. 7. 8 schreiben Duff und Lindsay nach Markland:
Unus cum sitis, duo, Calliodore, sedebis?
Surge: aoAO'.xta[x6v, Calliodore, facis.
Also sedebis statt des überlieferten sedetis. Aber da surge
folgt, ist das Futurum sedebis falsch: denn, wenn er aufstehn
soll, muß er von M. schon sitzend gedacht werden. Duo sedebis
*) Vgl. IX 86, 4 'ipse meum fleui' dixit Apollo 'Linon'.) fleuit B-'^
VIII 43, 1 effert uxores Fabius, Chrestilla maritos . . uictores committe,
Venus) committit B-^.
100 Gustav Friedrich,
soll vermutlich der aoXoixccjxo; sein. Duo gehört aber durch-
aus zu sitis: Caliiodorus und sein Bruder sind eben zwei.
Aber sie steigen zu Pferde, als wären sie einer: im gewöhn-
lichen Lauf der Dinge ist auf dem Rücken eines Pferdes nur
für einen Menschen Platz. Unus gehört mit sedetis zusammen,
und das ist der aoXoix:a[i,cs ; unus, cum sitis duo, Calliodore,
sedetis? Zu der Zusammengehörigkeit des ersten und letzten
Wortes im Vers vgl. VII 35, 3 sed mens, ut de me taceam,
Laecania, seruus.
7.
V 78 lädt M. einen guten Freund, Toranius, mit außer-
ordentlicher Herzlichkeit zu einem einfachen Mahle ein: pone-
tur digitis tenendus ustis nigra coliculus uirens pateJla (6) . ,
mensae munera si uoles secundae, marcentes tibi porrigentur
uuae (12) . . uinum tu facies bonum bibendo (16) . . parua
est cenula (quis potest negare ?), sed finges nihil audiesue Ac-
tum et uultu placidus tuo recumbes (22). Dann kommt plötz-
lich am Schluß v. 31 :
Haec est cenula. Claudiam sequeris,
Quam nobis cupis esse tu priorem.
„Eine ganz unverständliche Stelle", bemerkt Friedländer.
Zu Claudiam ist aus dem Zusammenhang zu denken cenam,
und cenam, quam nobis °) cupis esse tu priorem ist zu ver-
stehn nach Hör. epp. I 5, 27 et nisi cena prior potiorque
puella Sabinum detinet adsumam. Cenam sequi ist =: cenam
captare : vgl. Caesar b. c. I 1, 3 sin Caesarem respiciant atque
eius gratiam sequantur; Hoc. c. IV 11, 26 exemplum graue
praebet ales Pegasus terrenum equitem grauatus Bellerophon-
tem, semper ut te digna sequare. Der Sinn ist also: „Das
ist die Mahlzeit. Klein, reizend. Natürlich — wirst du nach
einer andern (etwa bei Claudius Etruscus) angeln, von der du
wünschest, daß sie vor der meinigen stattfinde". Das ist bru-
tal , aber richtig beobachtet. Genau wie III 68 : Exuimur :
nudos parce uidere uiros. ... Si bene te noui, longum iam
lassa libellum ponebas, totum nunc studiosa legis. — Uebrigens
*) Nobis ist abgekürzte Vergleichung , wie sie sich so oft findet:
XII 44, 3 carinina cum facias soli cedentia fratri (= carminibus fratris).
Zu Martial. 101
ist der Schluß, so verstanden, schon im ersten Vers des Epi-
gramms angekündigt: si tristi domicenio laboras. Vgl. die
sehr ähnliche Einladung XI 52 : Cenabis belle, luli Cerealis,
apud me; condicio est melior si tibi nulla, ueni. Nur kommt
in unsrem Epigramm der Schluß härter und — wahrer heraus.
Und — Winterkohl, in Salpeter gekocht, ist nicht gerade
verlockend; ebenso wenig ein Wein, quod tu facies bonum
bibendo; eine andalusische Tänzerin ist am Ende auch amü-
santer als die dünne Musik der Rohrpfeife. Ich fürchte, gar
viele unter uns würden uns verhalten, wie M. hier von To-
ranius vermutet.
8.
VI 14:
Versus scribere posse te disertos
Affirmas, Laberi: quid ergo non uis?
Versus scribere qui potest disertos,
Non scribat, Laberi : uirum putabo.
Duff bezeichnet non scribat als unecht; Friedländer und
Lindsay schreiben nach Schneidewin conscribat. Aber M. sagt
nie anders als uersus, uersiculos, epigrammata, carmina scri-
bere. Conscribere findet sich bei ihm überhaupt nicht. —
Zu Martials Zeit dichtete alles, alles rezitierte. M. klagt un-
aufhörlich über die ewigen Rezitationen. XIV 10 preist er
einen Dichter als Wohltäter, der unbeschriebene Seiten sendet:
non est, munera quod putes pusilla, cum donat uacuas poeta
Chartas. Unter diesen Umständen ist es natürlicher und wahr-
scheinlicher , daß M. jemanden , der, wenn es ihn dichterte,
diesem Drange nicht nachgab, als ganzen Mann ansah, als
wenn der Betreffende Verse machte. — Freilich ist, wenn
man das überlieferte non scribat beibehält, die Umbiegung am
Schlüsse überraschend, da man nach den beiden ersten Zeilen
allerdings erwartet: conscribat. Man erwartet es, und — da-
rum bringt M. es eben nicht. Hierauf beruht die Wirkung
seines Epigramms; allein darum ist es ein Epigramm. Ganz
genau so verblüffen einige andere Vierzeiler durch ihren Schluß
(wir befinden uns also mit non scribat in einem Mittelpunkt
der Epigrammenkunst des M.), z. B. VI 51:
Quod conuiuaris sine me tarn saepe, Luperce,
102 Gustav Friedrich,
Inueni, noceam qua ratione tibi.
Irascor: licet usque uoces mittasque rogesque —
'Quid facies?', inquis ''). Quid faciam? ueiiiaiu.
Fast noch ähnlicher ist XI 93:
Pierios uatis Theodori flamma penates
Abstulit. Hoc Musis et tibi, Phoebe, placet?
0 scelus, o magnum facinus crimenque deorum,
Non arsit pariter quod domus et dominus.
Man hätte sich vielleicht schon längst mit non scribat
abgefunden, wenn nicht das non wäre, wofür man ne erwar-
tet. Aber non findet sich so Ovid. a. a. 1, 389 aut non temp-
taris aut perfice ; Pont. I 2, 105 non petito, ut bene sit; Hör.
epp. I 18, 72 non ancilla tuum iecur ulceret ulla puerue;
Senec. Phaedr. 946 non cernat ultra lucidum Hippolytus diem;
Juveu. 16, 28 non sollicitemus amicos. Und so noch sehr
oft. M. selbst hat non oft so, z, B. I praef. non intret Cato
theatrum meum aut, si intrauerit, spectet; I 55, 13 non amet
hanc uitam, quisquis me non amat, opto. Man bemerkt: non
intret, non amet — : das ist genau unser non scribat.
y.
VI 58, 1. 2 schreibt man allgemein:
Cernere Parrhasios dum te iuuat, Aule, triones
Cominus et Getici sidera pigra poli.
Pigra B-^, ferre C^^. Es ist zunächst festzustellen, daß
cominus vortrefflich zu cernere gezogen werden kann: gerade
eins der hauptsächlichsten Vorbilder des M., Ovid, hat Pont. I
5, 74 a s p i c i t hirsutos c o m m i n u s Ursa Getas. M. selbst
hat V 3, 5 sors mea quam fratris melior, cui tam prope
fas est cernere, tam longe quem colit ille deum. — Das
erste Wort des Pentameters gehört bei M. unendlich oft zum
Hexameter: sofort (v. 7) kommt:
Si mihi lanificae ducunt non pulla sorores
^) Liudsay schreibt inquit mit A^C-^; B-^ hat inquis. Hierin ist
C^^ ohne Autorität (vgl. S. 91). Es stehen sich nur A^ und B-^ ge-
genüber: der Sinn des Gedichtes entscheidet für inquis. Vgl. einige
andere Fälle dieser Art, wo B-^ gegen A-"^ und C'^ das Richtige bie-
tet: XII 53,6 sed causa . . dirae filius est rapacitatis) es A-^ C-^: est
B^. XII 94,9 quid minus esse potest?) potes A-^ C-^: potest BA.
Zu Martial. 103
Stamina nee surdos uox habet ista deos. —
Ferner ist sidera ferre in der Manier des M. : vgl.
IX 45, 1 :
Miles Hyperboreos modo, Marcelline, triones
Et Getici t nie ras sidera pigra poli.
Aus dem letzten Pentameter ist entweder ferre von C^'^
oder pigra von B'^ in den unsrigen interpoliert worden. Es
versteht sich von selbst, daß ein Schreiber eher das fertige
sidera pigra herübernahm als sidera ferre aus tuleras sidera.
— Man vergl. ferner I 116, 1 hoc nemus aeterno cinerum
sacrauit honori Faenius et culti iugera pulchra soli. lugera
pulchra, das der Sinn des Gedichtes erfordert, haben A-^ C-^,
dagegen B"^ iugera pauca: das stammt aus dem beträchtlich
späteren VI 16, 2 iugera sepositi pauca tuere soli. — XII 33, 1
ut pueros emeret Labienus uendidit hortos. So hat C"^, ß"^
dagegen uendidit agros, weil es IX 21, 1 (von derselben Sache)
heißt: Artemidorus habet puerum, sed uendidit agrum. —
XII 11, 7. 8 quattuor et tantum timidumque breuemque li-
bellum commendet uerbis ,Huuc tua Roma legit'. PQ haben
commenda. Zunächst glaubt man, das sei irrige Angleichung
an v. 6: tradat ut ipse duci carmina nostra roga. Es
stammt aber aus dem ganz gleichartigen IV 82, 1 hos quoque
commenda Veuuleio, Rufe, libellos inputet et nobis otia
parua roga. — V 30, 5 sed lege fumoso non aspernanda
Decembri carmina, mittuntur quae tibi mense suo. B^ hat
suo
mense nouo: dies stammt aus X 41, 1: mense nouo lani
ueterem, Proculeia, maritum deseris. — 1 108,9 ipse salutabo de-
cuma te saepius hora. Te saepius hatC"^, dagegen B"^ uel serius,
und das stammt, wie Lindsay gesehen, aus III 36, 5 lassus
ut in thermas decuma uel serius hora te sequar Agrippae. —
XII 97, 8 sed (seil, mentula) nee uocibus excitata blandis molli
pollice nee rogata surgit. Vocibus excitata blandis hat C"^,
B^ uocibus excitata sentit: dies kuriose sentit stammt aus
XI 60, 7, wo es in verwandtem Zusammenhang steht: at Chione
non sentit opus. — XII 61, 5 in tauros Libyci ruunt leones)
ruunt C-^ mit A^^, dagegen fremunt B"^: das stammt aus VIII
55, 3, wo die Wirkung geschildert wird, die ein Löwe durch
104 Gustav Friedrich,
sein Gebrüll hervorbringt: pallidus attonitos ad Poena mapalia
pastor cum revocat tauros et sine mente pecus : tantus in An-
sonia f r e m u i t modo terror barena. — Die Beispiele können
vermehrt werden. Die Nutzanwendung für unser Gedicht er-
gibt sich von selbst: B-^ bat sidera pigra aus dem späteren
Gedicht interpoliert.
Wir sehen überall den Interpolator der Fam. B eifrig bei
der Arbeit. Er hat auch das Wesen der Philologie sofort rich-
tig erfasst: er macht alles gleich. Es ist hiernach klar, daß I
76, 3 zu lesen ist Pierios differ cantus citharamque sororum.
Cantus citharamque hat C-^, cantusque chorosque B"^: das
stammt aus VII 69, 8 quamuis Pierio sit bene nota choro oder
XII 3, 8 reddita Pierio sunt ubi templa choro. Es kommt hinzu,
daß B'^ noch einmal choros falsch eingesetzt hat: III 63, 6
qui mouet in uarios bracchia uolsa modos)> choros B"^. — I
111 ist zu lesen:
Cum tibi sit sophiae par fama et cura laborum,
Ingenio pietas nee minor ipsa suo.
Cura laborum hat C'^, dagegen B^^ cura deorum: das
stammt aus dem ebenfalls an Regulas gerichteten Gedicht
I 82, 10: quis curam neget esse te deorum. Unser cura deo-
rum ist auch sachlich unrichtig: es kann nur heissen: „Sorge
um die Götter", wäre also so viel wie pietas, die aber sofort
besonders erwähnt wird. Cura laborum fällt zusammen mit
fama sophiae unter den Begriff ingenium. Es kommt hinzu,
daß B^ noch einmal laborum durch ein anderes Wort ersetzt
hat: IV 32, 3 dignum tantorum pretium tulit illa laborum)
laborum (-ri) A'^ C'^: malorum B'^. — Wie der Interpolator
verfuhr, zeigt VII 23. 1 (an Polla, die Witwe Lucan's):
Phoebe, ueni, sed quantus eras cum bella tonanti ipse dares
Latiae plectra secunda lyrae. Bella tonanti hat C"^, und das
wird bestätigt durch VIII 3, 14 aspera uel paribus bella tonare
modis. B^ hat bella canenti: das stammt aus einem andern,
späteren Gedicht an Polla X 64, 4: Pieria caneret cum fera
bella tuba.
Verblüffend ist die Behandlung der Eigennamen. VI
88, 1 mane salutaui uero te nomine casu nee d i x i domi-
num, Caeciliane, meum. Caeciliane haben A"^ C'\ dagegen
Zu Martial. lOf»
B '^ Sosibiane. Das stammt aus I 81, 2 cum d i c i s domi-
num, Sosibiane, patrem. Unter diesen Umständen muß IX
44 als überliefert angesehen werden: Aleiden modo Vindicem
rogabam. Vindicem hat C'^, B"^ uindicis: dies stammt aus
dem Schlußvers des vorhergehenden Gedichtes auf dieselbe
Statuette des Herkules (IX 43, 14): sie noluit docti Vindicis
esse deus. Hier hat B^ uindices. Das ist durch vulffäre
Aussprache entstellt aus Vindicis, was der Interpolator schrieb.
X 33, 5 fg. schreibt man allgemein:
Ut tu, si uiridi tinctos aerugine uersus 5
Forte malus liuor dixerit esse meos,
Ut facis, a nobis abigas, nee scribere quemquam
Talia contendas carmina, qui legitur.
V. 7 hat B"^ scribere, dagegen stringere X, strinxere EA.
fingere F. Dies fingere weist (in der Kapitelschrift wurden
T und F verwechselt) auf stringere: vgl. Catull 66, 49 et qui
principio sub terra quaerere uenas iustitit ac ferri stringere
duritiem) ferris fringere G, ferris fingere 0. C^^ hatte strin-
gere. — M. schrieb (vgl. S. 101) in der Regel uersus, carmina
scribere. Bei seiner nun hinlänglich konstatierten Gleichma-
cherei'^) setzte daher der Interpolator der Fam. B in unserer
Stelle scribere für stringere ein. Genau so machte er es XII 94, 9
epigrammata fingere coepi) fingere coepi A"^; pingere possis C^
(poscis G); aber scribere coepi LQf fingere coepi P, d. h. B"^
fingere suo
hatte scribere coepi (vgl. oben S. 103 mense nouo B^^). So
wenig es hier jemandem einfällt, epigrammata scribere zu
schreiben (freilich ist es auch metrisch unmöglich), so wenig
sollte man an unserer Stelle scribere carmina dem exquisiten
stringere carmina vorziehen. — Ganz gleichartig unserer Stelle
ist VII 12, 5 quid prodest, cupiant cum quidam nostra uideri,
si qua Lycambeo sanguine tela madent. Tela und stringere
gehören derselben Sphäre des bildlichen Ausdrucks an, wie
denn der Vergleich von Wort und Wafi'e den römischen Dich-
tern geläufig war: vgl. Stat. silv. IV 5, 49 est et frequenti
■') Wie weit diese geht, zeigt XII 57, 4 negant uitam ludi magistri
mane, nocte pistores. Ludi magistri A^ C^-, dagegen B-^ ludi magi-
ster, weil dies sonst nur so im Singular bei M. vorkommt: VII 64, 7;
IX 68, 1 ; X 62, 1.
lOQ Gustav Friedrich,
iiox hilaris foro, uenale sed non eloquium tibi ensisque („dein
scharfes Wort" Vollmer) uagina quiescit; stringere ne
iubeant aniici! — Endlich hat Ovid rem. 377: liber in audaces
hostes stringatur iambus; und zwar ist sofort, wie an unserer
Stelle, vom liuor die Rede (v. 389): rumpere, Liuor edax.
Bei dem literarischen Verhältnis des M. zu Ovid fällt das ins
Gewicht^).
10.
VII 73:
Esquiliis domus est, domus est tibi colle Dianae
Et tua patricius culmina uiciis habet;
Hinc viduae Cybeles, illinc sacraria Vestae,
Inde nouum, neterem prospicis inde louem.
Die, ubi conueniam, die, qua te parte requiram:
Quisquis ubique habitat, Maxime, nusquam habitat.
Friedländer bemerkt hierzu nach Jordan: „Das Gedicht
sicher zu erklären, ist unmöglich. Maximus hat drei Wohn-
häuser: auf dem Esquilin, auf dem Aventin (colle Dianae:
vgl. XII 18,3) und im vicus patricius, der von der Subura
nach S. Pudentiana in vico patricio führenden Strasse (Becker,
Top. II 593). Man sollte meinen, drei Aussichten müßten
beschrieben werden: von dem einen Hause (hinc) auf den
Cybele-, von dem andern (illinc) auf den Vestatempel, von
dem dritten auf den alten und neuen Jupiter. Allein
diese letzte ist doppelt (inde — inde) und vielleicht gar
nicht eine Aussicht von demselben Punkte aus. Also drei
Häuser und vier Aussichten? Oder wird von dem einen Hause
die Aussicht gar nicht erwähnt, von den beiden andern eine
doppelte jedes einzelnen beschrieben? Die Entscheidung müßten
die Oertlichkeiten geben: allein nur das kann man sagen, daß
vom Aventin aus das Vestaheiligtum nicht, sehr wahrschein-
lich dagegen das wohl über dem Circus stehende der Magna
*) Bei Doppellesarten pflegt C -^ sonst nicht so gut abzuschneiden.
Besonders auffallend ist I 13, 1 casta suo gladium cum traderet Arria
Paeto, quem de uiaceribua strinxerat ipsa suis) traxerat C^. Arria
zieht das Schwert aus ihrem Leibe, wie aus einer Scheide: non dolet.
Jenes strinxerat gehört zum Großartigsten, was M. gesagt. Man denkt
unwillkürlich an Marsyas, ,,den Apollo aus der Scheide seines Leibes
zog" (Dante).
Zu Maitial. 107
Mater gesehen werden konnte; von dem im Tal laufenden
vicus patricius ebenfalls nicht das Vestaheiligtum, aucli nicht
der Tempel der Magna Mater; und wenn man mit Becker
(Top. A. 1123) in dem novus und uetus Juppiter das Capito-
lium und das Capitolium vetus zu verstehen hat (und das ist
notwendig: vgl. V 22), von allen genannten Tempeln nur das
Capitolium vetus auf dem Quirinal. Das Capitolium konnte
man vom Aventin, das Vestaheiligtum vielleicht vom Esquiliu,
richtiger von den Carinen aus sehen. Damit wird aber eine
auch nur leidliche Klarheit für die Grup})irung der Oertlich-
keiten nicht erzielt".
Die Sache ist äusserst einfach. M. wohnte auf dem Quiri-
nal im Hause „zur Birne" (I 117, 6 ; VI 27, 1). Von dort hat
er natürlich den Maximus zuerst im nahen vicus patricius,
dann auf dem Esquilin gesucht. Als er ihn auch da nicht
antraf, ist er nach dessen Hause auf dem Aventin gegangen.
Es ist nun tatsächlich, wie von drei Häusern, so nur von drei
Aussichten die Rede. Nur geht M. jedes Mal, wie es in seinem
Falle natürlich ist, vom Aventin aus; dort ist gewissermaßen
sein Standort: v. 8 (hinc) vom Aventin aus sieht man den
Tempel der Cybele auf der nach dem Eingange des Circus hin
gelegenen Seite des Palatin, (illinc) vom Esquilin, genauer
von den Carinen aus sieht man das Vestaheiligtum auf dem
Forum, also gei-ade auf der andern Seite des Palatin. Weiter
in chiastischer Folge (M. ist gekommen vicus patricius, Carinen,
Aventin, vergleicht aber in der Folge: Aventin — Carinen;
Aventin — vicus patricius) vergleicht M. v. 4 die Aussicht
vom Aventin aus mit der von dem Hause im vicus patricius:
vom Aventin (inde) sieht man — etwa in derselben Richtung
wie das Heiligtum der Magna Mater, aber natürlich jenseits
desselben — das Capitolium, vom vicus patricius aus (inde)
das Capitolium vetus auf dem Quirinal. Vgl. Varro 1. L.
V 158: cliuus proximus a Flora (Floratempel auf dem Quirinal)
susus uersus Capitolium vetus, quod ibi sacellum louis, lunonis,
Mineruae, et id antiquius quam aedis quae in Capitolio facta.
11.
VIH 51:
Quis labor in phiala? docti Myos anne Myronos?
108 Gustav Friedrich,
Mentoris baec raanus est an, Polyclite, tua?
Liuescit nulla caligine fusca iiec odit
Exploratores nubila massa focos.
Vera minus flauo radiant electra metallo, 5
Et niueum felix pustula uincit ebur.
Materiae uon cedit opus: sie alligat orbem,
Pbarima cum tota lampade luna nitet.
Stat caper Aeolio Thebani uellere Phrixi
Cultus: ab hoc mallet uecta fuisse soror. 10
Terga premit pecudis geminis Amor aureus alis. 13
Friedländer meint, die Schale, die Instantius Rufus dem
M. geschenkt, habe teils (3. 4) aus Elektrum (einer Mischung
von */5 Gold und Vs Silber: Plin. n. h. 9, 131), teils aus
Gold, teils aus Silber bestanden. Nach "W. Gilbert (Pleckeis. Jb.
1887 S. 146) bestand sie aus Silber und Elektrum. — V. 3. 4 be-
weist für das Elektrum nicht. Liuescit nulla caligine fusca heißt:
„sie oxydirt nicht im Dunkeln, in der Feuchtigkeit". Nee odit
exploratores nubila massa focos: „die zur Schale verwendeten
Metalle vertragen die Prüfung ihrer Echtheit durch das Feuer":
vgl. (Otto, Sprichw. S. 170) Cic. fam. 9, 16, 2 ut, quasi aurum
igni, sie beneuolentia fidelis periculo aliquo perspici possit.
— Die phiala bestand aus Silber (et niueum felix pustula
uincit ebur) und zweitens aus Gold: denn v. 13 steht deutlich
da, daß der Amor, der sicli in ihr befand, golden war (Amor
aureus). Ferner wird v. 9 ebenso deutlich gesagt, der Bock,
auf dem Amor saß, habe das Vließ des Widders des Phrixus
ofehabt; dieses Vließ war golden. Endlich heißt es v. 5:
uera minus flauo radiant electra metallo. Flauus ist bei M.
durchaus das Attribut des Goldes, z. B. XII 65, 6 an de moneta
Caesaris decem flauos. Das uera electra steht nicht im Ge-
gensatz zu flauo metallo, so daß dieses die Metallmischung
Elektrum sein müßte, sondern uera steht bei electra, wie im
nächsten Verse niueum bei ebur. Nicht jedes Elfenbein ist
weiß. Weiß wurde und blieb nach dem Glauben der Alten
besonders solches, das sich in Tibur befand (Sil. It. 12,229:
Mart. VIII 28,11). So soll electra im Gegensatz zu der auch
electrura genannten Metallmischung durch das Attribut uera
Zu Martial. 109
deutlich als Bernstein bezeichnet werden. — Die Schale be-
stand aus Silber; darin befand sich in erhabener Arbeit aus
Gold ein Amor auf einem Bock.
Det luimerum cyathis Instanti littera Rufi: 21
Auetor enim tanti muneris ille mihi:
Si Telethusa uenit proraissaque gaudia portat,
Seruabor dominae, Rufe, triente tuo;
Si dubia est, septunce trahar; si fallit amantem, 25
ut iugulem curas, nomen utrumque bibam.
Gesundheiten wurden mit so vielen cyatbi getrunken, als
der Name dessen, dem sie galten, Buchstaben enthielt: I 71
Laeuia sex cyathis, septem lustina bibatur, quinque Lycas,
Lyde quattuor, Ida tribus. Wie man sieht, wurde die Zahl
der Buchstaben sonst durch den Nominativ bestimmt, hier
ausnahmsweise durch den Namen, wie er im Zusammenhang
vorkommt, durch den Genetiv: Instanti Rufi. — Wenn Tele-
thusa kommt, willM. nur vier cyathi trinken: seruabor dominae,
Rufe, triente tuo. Si dubia est, septunce trahar: man er-
wartet, den 8 Buchstaben entsprechend, den bes. Aber M. hat
Istanti gesprochen (Munro). Vgl. aus Britannien CJL. VII
336,404 Istantis. Friedländer meint, dann sei wohl auch
Istanti zu schreiben, und Lindsay und Duff lassen hier und
VIII 73, 1 Istanti drucken, während sie VII 68 und XII 95.
98 mit den codd. Instanti, Instantius schreiben. In der Tat
hat C-^ VIII 73, 1 Stant (B^ Instani). Lindsay glaubt offen-
bar, der Schreiber von C-^ habe gefunden Istanti, habe aber
das i für vulgär gehalten (man findet dies i häufig in den
codd., z. B. im Medicens der ciceronischen Briefsammlungen:
Fam. VII 1,4 exispecto; XVI 12,4 i s t a r e) und habe es aus
diesem Grunde weggelassen. Die Sache verhält sich anders.
C'^ hat nämlich die erste Silbe eines Wortes sehr oft wegge-
lassen: II 57,3 lacernis) cernis: VII 8,2 Odrysio) drisio; III
45,6 boletos) letos; I 76,9 Helicon) licon^). Am ähnlichsten
®) Besonders interessant ist III 50, 7 et quartum recitas et quintnm
denique librum) librum B-^, aber die Familie C hat teils bruma
(EAGB-), teils broma (CX). W. Gilbert will deshalb schreiben ßpc&iJia,
auch Lindsay scheint dem nicht abgeneigt. Bruma, broma hat mit M.
gar nichts zu tan. Vgl, X 17, 5 libellis) bellis C-^. So hat der Schrei-
ber bei librum die erste Silbe weggelassen und schrieb brum. Daraus
WQ GustavFriedrich,
ist I 66,8 inhorruit) horruit C-^. Genau so VIII 73, 1 Instanti)
Stant C"^: der Schreiber hielt Instanti für eine Verbalform:
vgl. VIII 51,21 Instanti) instantis C^: XII 98<5 Instantius)
instantibiis C'^. — Die Ueberlieferung spricht also nicht für
die Schreibung Istanti. Allerdings hat M. dem Cestus zuge-
rufen: Istanti: der konnte somit auch nur mit einem septnnx
aufwarten. Geschrieben aber hat M. Instanti. Wir haben
nämlich noch einen Fall dieser Art: III 78 Minxisti currente
semel. Pauline, carina. Meiere uis iterum? lam Palinurus eris.
Der Witz war sehr dürftig, wenn M. und seine Zeitgenossen
nicht aussprachen: Paline. Und sie haben so ausgesprochen.
In späterer Zeit sprach man bestimmt au wie a aus: Catull
61,86 Aurunculeia) Arunculeia G: Varro r. r. II 4,11 plaustrum)
plastrum codd. Tacit. ann. XI 11 Augustus) agustus M. Mehr
Beispiele bei Schuchardt, Vokalismus des Vulgärlateins II 307
und Birt, Rh. Mus. Suppl. 52 S. 89 fg. Birt führt auch an Juven.
8,21 Paulus) Palus P. Aus M. vgl. IX 22,5 Mauri) mari C^;
IV 13,1 Claudia) Ciadia R; IX 27,10 si draucus) sit raccus
B-^; VII 51,3 Auctum) actum EX i«). Sommer, Handbuch
der lat. Laut- und Formenlehre S. 124 bemerkt, diese Aus-
sprache habe erst spät und nur vor folgendem u stattgefunden.
Das trifft nicht zu. Denn die Spitznamen des Tiberius Clau-
dius Nero (Suet. Tib. 42) Biberius Caldius Mero waren nur
möglich, wenn man Cladius aussprach. M. sprach zweifellos
Paline. Will man das auch in den Text setzen? Die An-
wendung auf Instanti, Istanti ergibt sich von selbst. — Uebri-
gens soll in v. 22 auctor enim tanti muneris ille mihi das
enim tanti wahrscheinlich anklingen an das Instanti des vor-
herorehenden Verses. Die verschiedene Betonung enim tanti
machte der nächste Schreiber ein lateinisches Wort: bruma, das rein
mechanisch (o und u sind in den codd. des M. oft verwechselt worden,
z. B. IX 18, 8 nobis) nubis CA; IX 93, 2 cado) cadu CA; X 10, 9 tu
stas") tostas CA) zu broma wurde. Vgl. VII 32, 4 sophos) phos E, pho-
sus X, Chorus C.
*") Darnach läßt sich die richtige Lesart XIV 4 feststellen: Quin-
quiplices. Caede iuuencorum domini calet area felix. quinquiplici cera
cum datur altus bonos. So Lindsay. Ueberliefert ist altus (haltus).
Aber M hat auctus , und so iht zu schreiben. Aus auctus bonos ent-
stand über actus bonos notwendig altus bonos : denn actus bonos ist
Unsinn. Vgl. zum Verständnis dieses paläographiscben Vorgangs XIV
45. 2 folle minus laxast et minus arta i)ila) alta pila est BA.
Zu Martial. Hl
neben Instant! ist bekanntlich die bei den römischen Dichtern
in solchen Fällen übliche. Jedenfalls wird hierdurch die Schrei-
bung Instanti bestätigt.
12.
IX 61.5 fg.:
Aedibus in mediis totos amplexa penates 5
Stat platanus densis Caesariana comis.
Saepe sub hac madidi luserunt arbore Fauni. 11
Terruit et tacitam fistula sera domum. 12
Dnmque fugit solos nocturnum Pana per agros, 13
Saepe sub hac latuit rustica fronde Dryas. 14
Atque oluere lares comissatore Lyaeo, 15
Creuit et effuso laetior umbra mero;
Bester nisque rubens deiecta est herba coronis,
Atque suas potuit dicere nemo rosas.
Das Gedicht ist verfaßt auf eine in einem Hause zu Cor-
duba von Cäsar gepflanzte Platane. Aedibus in mediis ver-
steht Vollmer (Stat. S. 275) vom Atrium. Es ist eher an
das Cavaedium zu denken : dorthin konnten auch in der Fik-
tion die Dryaden und Faune eher gelangen als in das ge-
schlossenere Atrium; dort ist das Gras (17) mehr am Platze;
dort konnte man an heißen Tagen, in heißen Nächten ein
Gelage abhalten, wie man das so sehr liebte: vgl. Stat. silv.
III 1, 18 fg. Hör. c. II 11, 13 cur nou sub alta uel platano
uel hac pinu iacentes . . potamus uncti?
Munro stellt v. 13. 14 vor v. 11. 12. Friedländer schließt
sich dem an. indem er bemerkt, sonst unterbrächen v, 13. 14
aufs unpassendste die Schilderung der comissatio des Bacchus
und der Faune. Das ist ein großer Irrtuui. M. hat v. 13. 14
zwischen 12 und 15 gestellt, um gerade die comissatio der
Faune von der andern comissatio zu unterscheiden; er will
gerade dem Mißverständnis vorbeugen, in das Munro und
Friedländer verfallen. Lindsay ist mit Recht zu der von P
Q F überlieferten Reihenfolge zurückgekehrt (die Reihenfolge
in den übrigen codd. 11. 14. 13. 12 ist evident falsch und
kommt somit gar nicht in Betracht). V. 15 ist die Rede von
112 Gustav Friedrich,
einem Gelage, das der Hausherr gelegentlich mit Gästen ab-
hält unter der platanus genialis, die geradezu dazu aufzufor-
dern schien. Comissatore Lyaeo ist lediglich metonymisch zu
verstehen wie X 19, 18 seras tutior ibis ad lucernas: haec hora
est tua, cum furit Lyaeus ; IV 82, 5 sed nee post primum legat
haec summumue trientem, sed sua cum medius proelia Bacchus
amat. Nun erklären sich auch ungezwungen v. 17. 18: hester-
nisque rubens deiecta est herba coronis atque suas potuit dicere
nemo rosas. V. 17 wird von Friedländer erklärt: „Von den
Rosenkränzen, welche die Begleiter des Bacchus dort gelassen
hatten, war das Gras niedergebogen und gerötet". Die Rosen
sollen wohl abgefärbt haben ? Wenn antike Dichter die Götter
einführen, sind sie Dekoration. So weit zu gehen, daß sie
etwas dagelassen haben sollen, fällt keinem ein. Besonders
komisch ist es, daß Bacchus und seine Begleiter am nächsten
Tag wiederkommen und sich nach ihren Kränzen umsehen
sollen. Vom Hausherrn ist es um so natürlicher, daß er am
nächsten Tage mit seinen Gästen sich zum Schauplatz ihrer
Festesfreude begibt. Herba deiecta est ist zu verstehen von
den Stellen, wo der Hausherr und seine Gäste gelegen: da
hatte sich das Gras am nächsten Tage noch nicht wieder
aufgerichtet. Vgl. ep. Sapph. 147: cognoui pressas noti mihi
caespitis herbas: de nostro curuum pondere gramen erat. He-
sternis rosis aber gehört nur zu rubens, nicht zu deiecta est.
13.
XH 21:
Municipem rigidi quis te, Marcella, Salonis
Et genitam nostris quis putet esse locis?
Tarn rarum, tam dulce sapis: Palatia dicent,
Audierint si te uel semel, esse suam;
Nulla nee in media certabit nata Subura 5
Nee Capitolini collis alumna tibi.
Nee cito ridebit peregrini gloria partus,
Romanam deceat quam magis esse nurum.
So bei Friedländer und Lindsay. Dutf bezeichnet ridebit
V. 7 als unecht. Ridebit ist richtig : vgl. Hör. c. IV 4, 39
pulcher fugatis ille dies Latio tenebris, qui primus alma risit
Zu Martial. 113
adorea ; Lncr, 3, 22 (sedes deorum) large diffuso lumine rident.
Nee cito ist nach Friedläuder (Ter. Ad. 443;] Cic. Brut. 76, 264)
= non facile. Der Sinn von v. 7 wäre hiernach: „Trotz ihren
vielen Vorzügen wird der Knhm der Marcella nicht leicht er-
strahlen". Aber das Erscheinen der Bücher des M. war stets
ein Ereignis: wenn man in dieser Zeit in einen Buchladen
trat, nahm der Händler ohne weiteres an, der Kunde komme
wegen des eben erschienenen Gedichtbuches des M. und hielt
es ihm unaufgefordert hin (I 117). Ehe solch eine neue Samm-
lung erschien, schrieb man die Epigramme eifrig ab und las
sie im Theater in den Pausen, in Gesellschaften vor (II 6).
Rumpitur inuidia quidam, quod me Roma legit heißt es IX 97.
Manches Jahr früher sagt er schon: sed toto legor orbe fre-
quens V 13,3; hie est quem legis ille, quem requiris, toto notus
in orbe Martialis I 1. Unter diesen Umständen mußte aber
jemand, den M. feierte, gerade leicht und rasch bekannt werden.
In der Tat äußert sich M. auch sonst in diesem Sinne: V 25,5
quem chartis famaeque damus populisque loquendum? VII 17, 9
(an die Bibliothek des Julius Martialis) : at tu munere, delicata,
paruo quae cantaberis orbe nota toto^^). Dann aber sollte
man das Gegenteil von nee cito ridebit gloria erwarten, und
Martial schrieb auch wirklich: Et cito ridebit peregrini gloria
partus. Nee und et sind nämlich auch sonst verwechselt wor-
den: III 27,4 et mihi cor non est et tibi, Galle, pudor) nee
tibi ABC; XIV 92 puneta notis ilex et acuta cuspide clusa)
nee acuta B"^; IV 10,1 dum nouus est nee adhuc rasa mihi
fronte libellus) et adhuc rasa C"^; X 9, 2 et multo sale nee
tarnen proteruo) nee multo C"^; X 2,11 at chartis nee furta
nocent et saeeula prosunt) nee saeeula B"^ C^. An den letzt-
ten Stellen ist nee statt et gesehrieben worden, weil ein nee
") Nur darf man nicht mit Friedländer bei munere paruo an das
Geschenk der sieben ersten Bücher denken, von dem in dem Epigramm
auch die Rede ist. Diese sieben Bücher waren selbstverständlich in
gar mancher Bibliothek, auch von M. selbst geschenkt, ohne daß diese
dadurch orbe toto bekannt wurde; sie wurde das aber, wenn M. sie in
einem Gedicht verherrlichte. „Infolge dieses kleinen, an dich gerich-
teten Gedichtes (munere paruo) wird die ganze Welt dich kennen und
von dir sprechen." Genau so V 15, o gaudet honorato sed multus
nomine lector, cui uictura meo munere fama datur. — Delicata
hat mit munere paruo gar nichts zu tun: die Bibliothek ist delicata,
weil der ganze Landsitz das ist: ruris bibliotheca delicati (v. 1).
Philologus LXVIII (N. F. XXII), 1. 8
114 Gustav Friedrich,
folgte oder vorherging. Ebenso erklärt sich unser nee cito:
der vorhergebende Vers beginnt: nee Capitolini.
Aehnlich liegt die Sache V 82:
Quid promittebos mihi niilia, Gaure, ducenta,
Si dare non poteras milia, Gaure, decem?
An potes et non uis? ßogo, non est turpius istud?
f I, tibi dispereas, Gaure, pusillus homo es.
So schreibt Friedländer, so Lindsay und Duff, nur daß
die beiden letzten das Kreuz vor I weglassen. Dann sollten
sie den Vers auch erklären. Was dasteht, ist Unsinn. Ueber-
liefert ist I tibi dispereas PQEABCF; Si tibi dispereas TRX;
Ve (,al. Sic') G. Dieses ue ist so töricht, daß etwas Richtiges
darin stecken muß. Es weist eher auf ein verschriebenes ni
(nämlich ne), als auf si. Weiter führt XI 90,8 dispeream, ni
scis, mentula quid sapiafc^ nescis Vpr. ; nisi scis ^ ; nisi corr.
si Q. Vgl. ferner V 34,6 uixisset totidem ni minus illa dies)
ne A^^ C'^. Unser Vers ist zu schreiben: ni tu, dispeream,
Gaure, pusillus homo es. Ni war dem Schreiber nicht sehr
bekannt: er verwandelt es in ne, um so eher, da ein Konjunk-
tiv folgte. Diesen Konjunktiv dispeream glich er au das
folgende homo es an, indem er aus dem überflüssigen tu machte
tibi^-): ne tibi dispereas, Gaure, pusillus homo es ^^). Das sah
ganz lateinisch aus. Dann machte ihn das ni der Vorlage
doch bedenklich, und als gewissenhafter Mann schrieb er:
ne tibi dispereas. Das übergeschriebene i sahen spätere Schrei-
ber als Korrektur des Wortes ne an: daher stammt das rätsel-
hafte I tibi dispereas der Handschriften. — Das si tibi dispe-
reas TRX ist gesetzt worden nach v. 2 si dare non poteras.
Vgl. IX 39,1:
Prima Palatino lux est haec orta Tonanti,
Optasset Cybele qua peperisse louem ;
Hac et sancta mei genita est Caesonia Rufi.
'^) Ein solches tibi findet sich z. B. IV 66, 3 Idibus et raris togula
est excussa Kalendis) tibi sumpta Kalendis C-^; I lOo, 7 deque decem
plures semper seruantur oliuae\ tibi nunc B^^ statt semper. Und so
noch öfter.
*^) Daß dergleichen möglich war, zeigt X 39, 3 namque, ut tua sae-
cula narrant, ficta Prometheo diceris esse luto) namque, ut tua saecula
n a r r e s C -^.
Zu Martial. 115
B'^ bat haec et sancta nacli v. 1 lux est haec orta. —
Zur sprachlichen Gestaltung von ni tu. dispeream, Gaure,
pusillus homo es vgl. XI 97,2 si possura, peream, te Telesilla
semel; Catull 92,2 Lesbia nie dispeream nisi amat.
Richtig kann auch nicht sein VIII 30, 7. Ein Verbrecher
muß als Mucius Scaevola die Rechte über einem Becken mit
glühenden Kohlen versengen und verbrennen lassen. Der Ver-
brecher freut sich, wie M. meint, seiner Strafe; er ist stolz
darauf.
Ipse sui spectator adest et nobile dextrae 5
Funus amat: Tuscis^*) pascitur illa sacris;
Quod nisi rapta foret nolenti poena, parabat
Saeuior in lassos ire sinistra focos.
Nolenti kann nicht auf die Linke gehen. Denn diese ist
ja bereit, noch viel grimmiger, noch viel schonungsloser gegen
sich selbst ins Feuer zu gehen. „Die Rechte weidet sich an
ihrer Hinopferung. Und wenn ihr — die das aber gar nicht
will, die sich heftig dagegen sträubt — die Strafe nicht
gewaltsam weggenommen würde, dann würde sich ihr die
Linke mit noch größerem Ungestüm untei'ziehen. " Das ist
aber Unsinn; es muß heißen: „wenn der Rechten die Strafe
weggenommen würde". Es ist zu schreiben: quod si rapta
foret nolenti poena. Si und nisi, ni sind auch sonst vertauscht
worden: XI 90,8 dispeream, ni scis^ nisi corr. si Q; XIV 88, 1
Femiueam nobis cherson si credis inesse)> nisi FQ, insi f, lusi
ni in
L, d. i. si, gelesen als si: im Lucensis ist dann i mit 1 und
n mit u verwechselt worden. — In parabat saeuior in lassos
ire sinistra focos ist lassos natürlich proleptisch zu verstehen.
1*) Ueberliefert ist totis. Ich sclireibe (vgl. Rhein. Mus. 1907 S. 376)
Tuscis sacris (= sacrificiis) : , ein Opfer wie in der Tuskerzeit". Ebenso
XII .^2, 10 ridet et Iliacos audit Menelans amores : ,ein Liebesverhält-
nis wie in der Troerzeit"*; Stat. silv. III 1,157 seu tibi dulce manu
Libycas nodare palaestras : „einen Ringkampf wie einst in Afrika (mit
Antaeus)" Vollmer. Zum üebergange von Tuscis zu totis vgl. X 10, 9
tu stas) tostas C^; IX 17, 6 tuta) tota C^; VII 64, 5 inutilis) inociis
PL, motuä Q. üeberhaupt ist der Tebergang von Tuscis zu totis einer
der leichtesten dieser Art. Man muß nur beobachten, wie die Schreiber
sonst mit Eigennamen umgingen: I 53, 9 Atthide) alite T; XIII 23, 1
Setia) sedula T; III 66, 1 Phariis) fartis (-tus) B^ paruis CA; XII
52,6 Tyndaris\ sinthesis C-^; XII 8,5 Martiumque) maritumque B^;
VII 63, 1 Sili) soli B-^; und so immerfort.
8*
116 Gustav Friedrich,
Vgl. IV 3 ,5 sidus Hyperborei solitns lassare Bootae: Domitian
soll durch seine Standhaftigkeit die nordische Kälte ermüdet
haben. So würde in unserem Falle nach M. das Feuer unter
der Standhaftigkeit der beiden Hände ermüden.
14.
In XII 32, einem in seiner Art bewundernswerten Ge-
dicht, schildert M. den Umzug des Vacerra. V. 11 fg.:
Ibat tripes grabatus et bipes mensa 11
Et cum lucerna corneoque cratere
Matella curto rupta latere meiebat ;
Foco uirenti suberat amphorae ceruix.
Zu cratere bemerkt Friedländer: „Könnte ein Oelgefäß
sein wie Virg. Aen. VI 225, und dann wäre corneo wohl vom
Holz des Kornelkirschenbaumes zu verstehen. Doch vielleicht
schrieb M. corneaque laterna. Vgl. XIV 61 und 62". Die
Alten waren allerdings sehr harthörig. So hat sich M. ge-
leistet XIII 91, 2 ambrosias ornent munera rara dapes: das
ra-ra-ra ist kostbar. Schön ist auch XIII 126, 2 haec tibi
tota dato, das erinnert an Ovids gleich schönes a. a. 2,204
tu male iactato, tu male iacta dato. Aber darüber ginge denn
doch hinaus: et cum lucerna corneaque laterna.
Aber ganz abgesehen davon bringt Friedländer den M.,
wenn er ihm corneoque cratere nimmt, ohne es zu ahnen,
um eine „Schönheit". Der crater ist ans Metall, aber er ist
trotzdem corneus, nämlich „hornfarbig", wegen des Schmutzes,
mit dem er bedeckt ist, genau wie v. 14 der Heerd grün ist,
weil er auch nie gereinigt worden ist und daher mit Grünspan
tiberzogen ist. Corneus „hornfarbig" findet sich in der Zeit
desM. bei Flin. n. h. 37, 89 hoc in Indicis cereum aut corneum
inuenitur, iam circuli albi; 36,61 uitia in iis corneus colos
aut candidus.
Etwas Aehnliches ist Friedländer widerfahren II 14, 11:
Nee Fortunati spernit nee balnea Fausti,
Nee Grylli tenebras Aeoliamque Lupi.
Friedländer bemerkt: „Die Aeolia mag den Namen von
einem Bilde gehabt haben, das die Aeolusinsel aus der Odyssee
darstellte und vielleicht auch als Aushängeschild diente". Das
Zu Martial. 117
Aeoliamque Lupi ist brillant. Das Bad des Gryllus ist finster,
das des Lupus windig, zugig; es ist ein wahres Aeolia: der
Windgott Aeolus selbst scheint dort zu hausen. Dasselbe Bild
hat M. auch VIII 14,5 at mihi cella datur non tota clusa
fenestra, in qua nee Boreas ipse manere uelit.
15.
XIII 65: Perdices.
Ponitur Ausoniis auis haec rarissima mensis :
Hanc in piscina ludere saepe soles.
Grerland, lieber die Perdixsage (Progr. Halle a. S. 1871)
S. 2 meint, hier könne so wenig unter perdix das Rebhuhn
verstanden werden wie XIII 76 (Rusticulae. Rustica sim an
perdix, quid refert, si sapor idem est? Carior est perdix. Sic
sapit illa magis.) und III 58,12: uagatur omnis turba sordidae
choi'tis, argutus anser gemmeique pauones nomenque debet
quae rubentibus pinnis (Flamingo) et picta perdix Nuuiidicaeque
guttatae (Perlhühner) et impiorum phasiana Colchorum (Fasan).
In der Tat paßt picta in der letzten Stelle nicht auf das
Rebhuhn (perdix cinerea: Linne). Vermutlich ist da
wirklich, wie Gerland glaubt, der Birkhahn gemeint. Wenn
er aber annimmt, XIII 65 und 76 könne nur auf das Schnee-
huhn gehn, so irrt er. Er versteht nämlich auis rarissima
als „sehr seltener Vogel". Rarus heißt auch (Belege sind
überflüssig) oft „ausgezeichnet", und wenn M. das Rebhuhn
als ein ausgezeichnetes Gericht bezeichnet, so hat er recht.
Aber man kann auch bei rarus „selten" bleiben. Auch dann
ist das Rebhuhn rarissima auis. Wenigstens ist jetzt das
Rebhuhn auf der Halbinsel Italien ungleich seltener als in
Oberitalien, und hier wieder in demselben Verhältnis seltener
als bei uns. Damit ist im Einklang XIII 76 carior est
perdix; und hier ist um so eher an das Rebhuhn zu denken,
da auch sonst Haselhuhn und Rebhuhn nebeneinander genannt
werden: Plin. n. h. X 111 (aliae aues) currunt ut perdices,
rusticulae (Friedländer).
Hanc in piscina ludere saepe soles. Die Rebhühner fliegen
im Frühling paarweise aus. Sie lassen die Fußgänger ge-
wöhnlich bis ganz dicht herankommen und stoßen dann mit
plötzlichem Choe empor. Dieser Choc und dann die eigen-
tümlichen Geräusche und Töne, mit denen sie wegfliegen, er-
innern nicht wenig an die Art, wie ein Mensch sich benimmt,
dem beim Baden plötzlich Wasser in die Nase oder in die
unrechte Kehle kommt und der sich nun pustend und prustend
hin und her bewegt. — Zu perdicem ludere vgl. Cael. fam.
VIII 9, 1 ciuera bonum ludit.
Schweidnitz. Gustav Friedrich.
V.
Kuba-Kybele.
Vergleichende Forschuiigen zur kleinasiatischen Religionsgeschichte.
Zu den allerbezeichnendsten üeberresten des altheidni-
schen, mekkanischen Rituals gehört die alljährliche Beklei-
dung der Ka'aba mit einem neuen, sciiwarzsanimtenen Ueber-
zug. In goldgestickten Lettern prangt auf diesem kostbaren,
jeweils vom Khalifen aus Stambul übersandten Weihgeschenk
das Glaubensbekenntnis Muhammeds ^). Aber das ist auch
alles, was diese ehrwürdige Festsitte mit dem Islam äußerlich
verbindet: der rein paganistische Ursprung und Charakter des
Gebrauchs ist allgemein anerkannt. Wellhausen ") bemerkt
zur Erklärung dieses Herkommens: „Die Bekleidung mit
Zeugen ist alt ; man könnte denken, es verrate sich darin, wie
bei der Stiftshütte, der Ursprung aus einem Zelt. Indessen
ehrt man die Heiligtümer überhaupt dadurch, daß man sie
bekleidet. Auch Muchtars Bundeslade war auf diese Weise
dekoriert und ebenso das Feldherrnzelt Muavias". Zweifellos
steckt ein richtiger Kern in diesen Anmerkungen, insofern
nämlich die Begriffe des Zeltes und des Umhangs als
Kleidung auf einer gewissen Kulturstufe naturgemäß aufs
engste zusammenhängen ^).
*) Vgl. Eugene Damnas und Ausone de Chancel, Itiueraire d'une
Caravane etc. Paris 1848 p. 127; Vaujany, le Caire etc. p. 844; die
älteste Erwähnung dieses Gebrauchs findet sich m. W. in einem ai-ab.
Ms. der Pariser Nationalbibliothek vom Jahre 1137 cit. bei Giraud,
Origines de la soie p. 67. Die Institution des Umhangsritus selbst —
der sog. Kiswah — wird auf den vorislamitischen himyaritischen Tobbä
Asäd-Abu-Karib zurückgeführt (vgl. ßurckhardt, voy. en Arabie t.
I p. 186 ff.; Caussin de Perceval, Histoire des Arabes t. I p. 94; Bur-
ton, Pilgrimage to Medina and Mekka t. III p. 29 e ff.). Das Aufhängen
der neuen Kiswah wird mit dem Anlegen des „ihram", des besonderen
Pilgerkleides durch die Wallfahrer verglichen.
'') Reste arab. Heidentums^. Berlin 1897 S. 73.
^) Vgl. Echeziel 16, 16: „Du nahmst von deinen Gewändern und
Kobert Eisler, Kuba-Kybele. 119
So läßt sich tatsächlich zwischen der rituellen Ueberzel-
tung und der Einkleidung eines Heiligtums keine scharfe Grenz-
linie ziehen: 11 Kön. 23, 7 weben die Hierodulen „Häuser
für die Ashera" *) im Tempel von Jerusalem, und Paus. HI, 16, 2
heißt es : öcpatvouaiv xax' ixo^ ai yuvacxss xw 'AtcoXXcov: 'xi'^&va.
Xü) £v 'AjxuxXati; xac xö otxr][xa £v8-a ucpatvouatv yixGiVcc xa-
Xo^aiv. Für die Erkenntnis des religiösen Gehaltes jenes
Heiligtums, auf das sich der fragliche Ritus bezieht, macht
es auch recht wenig Unterschied, wofür man sich schließlich
entscheidet. Beides, Ueberzeltung sowohl als auch Einkleidung
des Fetischs hat nur dann eine faßbare, kultische Bedeutung,
wenn der Gebrauch an einem persönlich gedachten Numen,
wie roh auch immer seine bildliche Vergegenwärtigung sein
mag, ausgeübt wird. Gerade das von Wellhausen angezogene
Beispiel der Bundeslade des Muchtar spricht eine deutliche
Sprache für jeden, der einmal einem Judengottesdienst beige-
wohnt, und gesehn hat, wie die Thorarolle in einen gestickten
Umhang gehüllt, mit der in der hl. Schrift für den Hochprie-
ster vorgeschriebenen Krone gekrönt ^), mit Neser, Cic und den
heiligen Riramönim Aarons behängt'') im feierlichen Um-
macbtest daraus genähte Höben(-zelte)". Vgl. dazu den Gebrauch des
altdeutschen „umbihanc" (amictus) für lat. tabernaculum, tentorium
Steinmayer I 489. 46; Mönch von St. Gallen 1, 4; in der deutschen
Genesis (Fundgruben 2, 46, 9) „in sin gezelt er gie, niht unversiiochtes
er da lie, do er da niene vant, do gienc er in siner tohter umbehanch".
Ebenso das spätlateinische Wort „casula" (Isidor origg. „dicta per
diminutionem a casa, quod totum hominem tegat, quasi minor casa").
Die archäologischen Voraussetzungen dieser semasiologischen Beziehungen
hoffe ich in meinem demnächst bei Beck in München erscheinenden
Buch: „Weltenmantel und Himmelszelt" erschöpfend zu behandeln.
Hier kann ich nur flüchtig auf den bezeichnenden Parallelismus mem-
brorum „Gehüllt in Licht, wie in ein Kleid, spreitest du den Himmel
aus, wie einen Zelt Umhang" (Ps. 104, 2); „der die Himmel ausdehnt,
wie einen Schleier, und sie ausspreitet, wie ein Zelt zum Wohnen"
(Jes. 40, 22) „ . . . . diesen Himmel . . einem Haus vergleichbar
. . den sterngestickten Mantel" (Yasht XIII 1) usw. verweisen.
*) Genauer „Zelte" mrxb Q'n2. Der Text ist vollkommen in Ord-
nung. Emendationen aus Unverständnis des Sachlichen , wie sie von
verschiedener Seite vorgeschlagen worden sind, sollten füglich unter-
bleiben. Vgl. unten Anm. 141.
^) Vgl. das berühmte Sprichwort von den drei Kronen, Aboth 4, 19
„Es giebt drei Kronen, die Krone der Thora, die Krone etc."
6) Vgl. Maimuni, Sepher Thora 10. 4 RGA, Peer-ha-Door N 91,
Tur T. Dea 282. Ben Chan. IV (1H61) .379. Leopold Low, Kranz und
Krone (ges. Schriften Szegedin 1893 III. B. S. 437).
120 Robert Eis 1er,
gang einhergetragen und mit Kußfingern begrüßt wird. Daß
solche Vorgänge nur aus einer mystischen Personifikation
der Tliöra — ähnlich den Vorstellungen, die sich in helleni-
stischer Zeit an die Chokma-^ocpia zu knüpfen begannen ^), —
verstanden werden können, liegt auf der Hand. Wenn aber
die Annahme solcher — halblatent gewordener — Voraus-
setzungen noch für eine so späte Zeit unvermeidlich erscheint,
wird man wohl unbedenklich auch den fraglichen alt-mekka-
nischen Ritus auf die Auffassung der Ka'aba als persönliche
Gottheit zurückbeziehen müssen:
Das Wort Ka'aba selbst ist weiblich: birgt sich also — wie
längst erkannt worden ist — eine Göttin hinter dem altehr-
würdigen Aerolithfetisch, dann ist der Umhangritus in seinen
') Sap, Salora. 72 ersehnt der Verfasser die göttliche „Weisheit",
die Paredros des Schöpfers, die „auch der Herr liebt" als „Braut".
Späte, grauenvolle, aber religionspsychologisch höchst interessante .'Aus-
wüchse dieses erotischen, diesmal auf die heilige „Lehre", die „Tora"
gerichteten Mysticismus findet man im Vorspiel zu Jacob Wassermanns
„Juden von Zirndorf" geschildert. Die Samaritaner sollen nach rabbi-
nischer Ueberlieferung die göttliche „Weisheit" in Taubengestalt ver-
ehrt, genauer gesagt, wohl bloß vorgestellt haben (vgl. Chulin Via,
Monumenta talmudica, Wien 19U7. I p. 21 Nr. 94; dazu Morgenstern,
die Verläumdungen der Juden gegen die Samaritaner Berlin, sine anno).
Bei den Juden ist dieselbe Vorstellung von der Oberfläche religiösen
Bewußtseins verdrängt, jedoch ursprünglich sicher ebenfalls vorhan-
den. Der Ausdruck m.iri assyr. tertu selbst wird gewöhnlich von der
j/waräwa, hebr. jarah = [Los] „werfen" abgeleitet und soll demnach
ursprünglich „Losorakel" bedeuten. Einfacher ist es, an ein regelmäßi-
ges femin. von lin tör „Taube" (zu „tertü" vgl. „turtur", alle drei For-
men sind onomatopoetisch) zu denken, genau wie iat. „auspicium", griech.
öpvcj; semit. ~i2l = „Biene" und = „Wort", wörtlich „Lenkung", „Be-
fehl", ebenso ~i)2X = „Schaf" einerseits. „Wort" andrerseits; das letztere
wegen der uralten Extispicin an Schafen; auf den analogen Zusammen-
hang von hebr. ti""; = „Schlange" mit dem Verbum Vm = „wahrsa-
gen" (Gen. 0O27; 44 6, ir,; Lev. 1926, 1 Kön. '20s3) hat schon Bochart,
Hierozoikon I 3 hingewiesen. Dazu Wellhausen a. a. O. 147 1; im Apol-
locult (vgl. unten Anm. 200 über dessen orientalischen Ursprung) scheint
man mit Absicht die semitische Bezeichnung der Orakelschlange „pa-
thän", griech. „tujO-wv" herübergenommen zu haben, um durch Anleh-
nung an TTuvS-ävoiaa'. dieses Verhältnis nachbilden zu können. Ist diese
Erklärung von ,"niri richtig, dann ist „Thorah" ursprünglich die tau-
bengestaltige Istar-Sophia , und das crud-geheimnisvoUe Ritual der
Liebe.svereinigung (Dietericli, Mithraslitui\gie 131 f.) mit dieser weibli-
chen Gottheit in ihrer mystischen Bedeutung ein genaues Gegenstück
zur Theophagie des Logos, über die mein Vortrag „Origins of the Eu-
charist" (s. einstweilen Transactions of the III. Internat. Congr. f. the
Hist. of. Rel. Sect. VllI p. 352 und Beil. der Münchn. Neuest. N. "/lo.
1908 S. 109; Morris Jastrow, The Nation, New-York 1908 Nr. 2257
p. 310) zu vergleichen wäre.
Kuba-Kybele. 121
beiden möglichen Auffassungen wohl verständlich : Ueberzeltung
eines Weibes muß — wie W. Robertson Smith's^) ausgezeichnete
Nachweise zu dem Ausdruck „er baut ein Zelt über ihr" für
die consummatio matrimonii festzustellen erlauben — als Hoch-
zeitsritus aufgefaßt werden. Dann würde die Bekleidung der
Ka'aba ■') sich als Ueberrest von einer alten Feier der im Hei-
dentum aller Völker nachweisbaren Hierogamie der Gottheit
darstellen ^").
Ist jedoch nicht an Ueberzeltung, sondern an Bekleidung
des Fetischs im gewöhnlichen Sinne zu denken, dann sind die
in allen Gülten geübten, jährlichen oder trieterischen, sehr oft
mit Hierogamiefesten verbundenen Bekleidungsceremonien hoch-
verehrter Götterbilder ^') zum Vergleich heranzuziehen ^^).
Allen diesen Schlußfolgerungen wäre auch in Ermanglung
irgend welcher geschiciitlicher Ueberlieferungen über die Gott-
heit, die sich hinter den durch den Islam verdunkelten Vor-
stellungen vom Wesen der Ka'aba verbirgt, nicht auszuweichen.
Nun haben jedoch schon Lenormant ^ ^) und neuerdings Blo-
chet ^'^) eine Reihe vorislamitischer Zeugnisse aus griechischen
8) Kinsiiip und Marriacfe in aiicient Arabia. Cambridge 1S85 S.
1679 cf. ZDMG VI 215, XXII 153.
'•') Der Teil des Umhangs, der die Thür bedeckt, wird „bm-kah"
geuannt, genau so wie der Schleier, den die Araberinnen vor dem Ge-
sicht tragen (Burton, tome III p. 295).
'") Tatsächlich vergleichen arabische Mystiker die Ka'aba einer
Jungfrau im Schmuck ihrer schönsten Brautkleider; vgl. den bei
Lenormant am unten angegebenen Ort p. 154 citierten Vers des Abd
-er-Rahin el Buray „und die Ka'aba, die Braut von Mekka prangt
neugeschmückt mit (Wunder)zeichen''. Wem die Hierogamie des hl.
Steines zu unwahrscheinlich vorkommen sollte, der erinnere sich etwa
au die von Heliogabal gefeierte Vermählung der Coelestis von Karthago
mit dem ßaalsstein von Emesa (Herodian V 35, Dio. Cass. 79 12, Domas-
zewsky, Arch. f. Rel.-Wiss. 1908 S. 226).
") Vieles der Art vgl. man einstweilen in Frazers Pausaniasaus-
gabe vol. II p. 592.
*^) Die Ezech, lös erwähnte Bedeckung der Braut mit einem „Aba*
genannten Mantel, wozu der Bräutigam die rituellen Worte spricht
„niemand soll Dich bedecken als ich", ist noch heute bei den Beduinen
die Hauptceremonie ihrer hochaltertümlichen ßaubehe. (Theoph. Löbel,
Hochzeitsbräuche in der Türkei. Amsterdam 1897 S. 41, nach Burck-
hardt, notes on the Beduins and Wahabys, London 1830).
13) Lettres assyriologiques, Tome 11 (1872) p. 111—340 „sur le culte
payen de la Ka'aba anterieurement ä 1' Islamisuie.
") Le culte d'Aphrodite Anahita chez les Arabes du paganisme,
Revue de linguistique XXXV. B. 1902 S. 5 ff. Ergänzend vgl. Roesch,
Astarte-Maria, ZDMG XXXVIII (1884) S. 643—654. Vorher sind die
122 Robert Eisler,
und orientalischen Quellen zusammengestellt^^), aus denen mit
Sieberiieit hervorgebt, daß die heidnischen Araber die große ma-
Stellen über die Venus Xaßap der Araber von Gerhard Voß, de origine
et processu idolatriae p. 467. Lobeck, Aglaopham. p. 1227; Movers,
die Phönizier t. I p. 602 und Melchior de Vogue, Syrie centrale, In-
seriptions semitiques p. 131 behandelt worden.
1=) Niketas Choniatas, Migne PG GXL c. 105 und c. 132, Nik.
Byz., refut. Moh , Migne PG CV c. 7D6 und c. 797, Glycas ed. Bonn p. 514
etc. Dazu kommt eine wichtige Hauptstelle, deren Kenntnis ich der
Erwähnung von Gruppe, Hdb. 16132 verdanke, bei Epiphan. (Oeliler
corp. haeresiolog. vol. II, 3 p. 633 add.). Der Kirchenvater bespricht die
von Usener in seinem „Weihnachtsfest" behandelte Geburtsfeier des
Aion aus der Köre in Alexandria und fährt dann fort: Toöio Se xal
£V n e T p q: tTj ttcXsi, ([iy]Tp6TzoXig 5s äaxiv xfjg 'Apaßiac; r^zi^ daxLv 'ESö|jl iv
xaig rpacpatg YsypaiipiEVTi) sv xcp exslas siScoXitp ouxdig yivExat xal 'A p a-
ßix'^ SiaXixTcp 4^uiJtvouai,v TT^vTxäp^evovxaXoövxsgauxYjv
'Apaßiaxl XaaßoO xouxsoxiv KöpYj y] y' o5v üäp'ö-svoc; xal
xöv sg ai)xf;s ysYsvvYji^ievov Aouaäpyjv xoOtsaxiv Movoysv^ xoö Aeotxöxou". Dazu
vgl. noch Schol. Gregor. Bodley. p. 43: „xa'Jxvjv lopxYjv" (sc. die von
den Griechen mit dem Ruf ^-ri ndp^-svoc, xsxoxsv, aijget. cpög" begangene
Wintersonnwende) „&c, 'Eutcfdcviog ypdcpei, "^yov y.a.1 I^apaxTjvöl TxäXat, xtjv
Txap' aüxoig osßo|i.svTjv 'AcppoSixrjv r;v Syj Xaßxpa x^ aüzrj TxpogayopsiJouaLV
yXwaaif/. Usener hat sich durch die Erwähnung von Kreuzeszeichen
auf dem Götterbild des Aion und durch das Datum ("./is.) verleiten
lassen, bei der alexandrinischen Feier an ein von Anfang an christliches
(gnostisches) Fest zu denken. Aber das Kreuz (Thav) ist ein vorchrist-
lich-heidnisches Symbol und die Wintersonnenwende war „natalis solis*
schon bei den alten Babyloniern (vgl. Hommel , der Geburtstag des
Tammuz, Münchn. N. Nachr. LVII 1!:'04 Nr. 597). Höchst wahrschein-
lich ist der Cult des Alcov -abl7, ähnliche etwa, wie der des syrophöni-
zischen Resef, den die Aegypter als "Respu" übernahmen, schon in vor-
christlicher Zeit durch die tyrischen Kolonisten in Alexandria eingeführt
worden. Die Erwähnung eines Sohnes der Xaaßoö setzt natürlich eine
Hierogamie voraus, was zu den oben gemachten Annahmen gut stimmt.
Ueberdies heißt es bei Niketas Choniatas, Thesaur. orthodox, ex Ms.
bei Lenormant 126 1 nach dem sehr gut unterrichteten, des Arabischen
kundigen Euthymius von Zygabene: „ dvaS-s^iaxt^cü . . . xöv (sc. iv Mex-jj
o'ixqj TxpoasuxY;? övxa) Xid-ov |isyav £xx'J7LCüp.a xTjg 'AcppoSixyjg exovxa; v.[ia,a-
%(x.i (cpaa'c) §£ xo'jxov (I)g eTiävcüO-sv auxoOx>5"Ayap öfiiXT^oav-
z 0 c, xoö 'AßpaäiJL, ri wg aöxcp xtjv >td[JLyjXov TxpogSiQaavxos öxe xöv
'loaäx iusX/ls O-üsiv." Die biblische, auf die Hanifen und Mohammed
zurückgehende Uebertünchung dieses Berichtes ist leicht zu entfernen.
„Ab-räm" „Vater des Erhabenen" ist eine alte Epiklese des männlichen
Paredros der mütterlichen Göttin, „Hagar" — in der Bibel offenbar
nach ass. agru, agarru = Sklave gedeutet im Gegensatz zu Sara =
„Herrin" (vgl. den Gottesnamen 'Öbed = „Knecht") — heißt arabisch
einfach „Stein"; vgl. Galaterbrief 425: „xö Ss "Ayap Sivöc ö p 0 5" — die
übliche Gleichsetzung von hl. Berg und hl. Stein — eaxiv iv x^ 'Apaßiqc
Quazoiy^el be zrj vöv 'IspouaaXTip." ; das letztere weil „hagar" mit dem
schwächeren Hauchlaut südarabisch und aethiopisch „Stadt" bedeutet
(vgl. Hommel, Griindr. 163 3; zur richtigen Würdigung der Deutung
des Namens aus dem arabischen bedenke man, daß „Hagar ham-Mis-
rith" Gen. 16 1 nach Winckler's glänzender Entdeckung des Landes
Musri in Nordarabien nicht mehr „H. die Aegypterin", sondern „H.
Kuba-Kybele. 123
triarcbale Göttin der Semiten unter einer Reihe von Namen verehrt
haben, die lautlich aufs engste mit „Ka'aba" zusammenhängen.
Ueberliefert sind und zwar in einer durch die beigefügten Deu-
tungen ziemlich gesicherten Schreibung, die Formen Xa[xap,
"Ka^dp, Xoußap, KaßYjp, XaaßoO ^'^). Trotz des Interesses,
das sich an die Ka'aba als das Centralheiligtum des Islam
knüpft^'), wäre diese Reihe von Epiklesen für die antike
Religionsgeschichte von sehr untergeordneter Bedeutung, wenn
es sich wirklich nur um arabische Namen der Göttin von be-
schränkter localer Geltung handelte. Das ist jedoch keineswegs
der Fall. Zweck dieser Zeilen ist vielmehr, zu zeigen, daß
diese Cultnamen einst durch den ganzen Geltungsbereich west-
semitischer Cultur verbreitet gewesen sein müssen und den
Schlüssel zum Verständnis des Namens sowohl, als auch des
ursprünglichen Wesens der großen Göttermutter von Klein-
asien enthalten, deren Cult schon im 6. Jhdt. von den Grie-
chen und — als erste unter allen morgenländischen Super-
die MuQriterin" (= Araberin) übersetzt werden muß"). Hagar, die
mythische Stammmutter der 'Agarener ist also einfach die mit dem
Vatergott Ab-r am (nach Jakut s.v. Hagar und 'Ain Muhallim dagegen
mit dem F 1 u ß gott — dazu unten Anm. 60 — , von Bahrain namens
Muhallim) vermählte Göttin des heiligen Steines selbst. (Das An-
binden des Kamels ist natürlich ein Anbinden des Opfertiers, wozu
der berühmte, von Robertson Smith erörterte arabische oia.oTta.'j^öq
eines Kamels zu Ehren des Morgensterns in der Vita des hl.
Nilus zu vgl. wäre). Endlich ist die Legende, daß die beiden Steini-
dole Asaph und Nailä unweit der Ka'aba die Leiber eines Frevlerpaares
seien, das durch den Zorn der Gottheit wegen einer im Tempel selbst
vollzogenen \i.lz'-Z iui Actus selbst versteinert worden wäre (Kazwini und
Jakut bei Lenormant a. a. O. 235) nur ein weiteres Zeugnis dafür, daß
eine solche Ceremonie an den Steinidolen der Ka'aba gefeiert wurde.
Dieselbe Versteinerungslegende wird (Lenormant a. a. 0.) auch von den
beiden Bergen Adjä und Selmä im Nedjd erzählt, sodaß wieder die
Entsprechung von Berg- und Steinfetisch zu Tage tritt.
>*) Der arabische Stadtname Chabuata, Ptolem. 6, 7 p. 409 28 muß
aus dem besprochenen Xaaßoö -j- dem u. a. für Palinyra vielfach be-
zeugten "nr(„Ati'' Göttin von Adiabene, Pseudomeliton Corp. Apol.
Christ. Otto IX 505; 426; verschleierte Göttin auf dem Löwen mit der
aramäischen Beischrift TS? auf den kleina.siatischen Münzen bei Head,
bist. numm. 616) zusammengesetzt sein. (Während der Correctur teilt
mir Hommel freundlichst mit. daß er Chabuata vielmehr mit '^Sabwat
identifiziert; dann würde das Zeugnis des Namens für den erörterten
Synkretismus entfallen).
") In diesem Sinne haben sich Lenormant und Blochet mit der
Frage beschäftigt.
124 Robert Eis 1er,
stitionen — auch von den Römern im Jahr 204 v. Chr. über-
nommen worden ist ^^).
Die Uebereinstimmungen sind zu zahlreich und verschie-
denartig, als daß der Zufall dabei eine Rolle spielen könnte:
Die Dinge liegen vielmehr so, daß eine Reihe von Epiklesen
der kleinasiatischen Gröttiu, die griechisch unverbunden und ohne
ersichtlichen Grund neben einander liegen, im westsemitischen
Sprachschatz durch das Band des Gleichklangs und der Buch-
stabengleichheit, die Basis aller morgenländischen Wortmy-
stik ^^) und religiösen Begriflfsbildung, sinnenfällig verbunden
sind. Sich über diese Tatsachen, wenn sie einmal beobachtet
worden sind, hinwegzusetzen, und nach wie vor selbständige
Etymologien der kleinasiatischen, bloß übertragenen Götterna-
men einzeln aus dem Aermel zu schütteln , wird in Zukunft
wohl nicht mehr angehn. Ich gebe hier kurz und hoffentlich
übersichtlich das wesentliche zur selbständigen Beurteilung der
Frage erforderliche Material. Man vergleiche:
I. zu avab. „ka'ab" = „Würfel", wörtl. „Knöchel", griech.
„xußos" = „Wirbelknochen", „ Würfel "^o), lat. „cubus". Beide
Ausdrücke dürfen wohl als Lehnworte, aus Kleinasien nach Grie-
chenland, und über Unteritalien nach Rom eingeschleppt durch
die alt-pythagoräische Philosophie der Jonier gelten. Der Name
„Kybele", in phrygischen Inschriften-^) „Matar Kubile", also
^^) Vgl. darüber zuletzt Fr. Cumont, les religions orientales dans
le paganisme romain. Paris 1907 S. 57 ff.
**) Die Ausdrücke „Wortspiel" und „Volksetymologie" vermeide
ich absichtlich, da die Semiten, die für „Wort" und „Sache" denselben
Ausdruck "13T gebraueben, nur allzu geneigt sind, Gleichungen und
Deutungen dieser Art blutig ernst zu nehmen. In einzelnen Fällen hat
schon Lenormant (a. a. 0. 232 u. 256) das Prinzip anerkannt („la pos-
sibilite d' une etymologie multiple a souvent e'te voulue et recherchee
dans les noms religieux et niythologiques des peuples de l'antiquite").
Der einfachste, solchen Speculationen am häufigsten zugrundeliegende
Tatbestand sind zufiiUige oder in pi-ähistorischer Semasiologie begrün-
dete Homonymien. Dazu kommt noch willkürliche oder systematische
(nach den Prinzipien des Atbas und dergl.) vorgenommene Aenderung
eines Buchstabens, die „temura" der Kabbalisten. Mystische Er-
klärungen von der im Text besprochenen Art nennen die Rabbinen mit
einem küchenlateinisch-griecliischen Ausdruck „Notarikon" von „notare"
■= „buchstabieren".
20) Vgl die bei Leo Meyer Hdb. der griech. Etymologie, Leipzig
1901 n. B. S. 269 gesammelten Stellen, bes. Rbian bei Pollux II 180.
^^) Kretschmer, aus der Anomia 20, 1.
Kuba-Kybele. 125
sprachlich den Formen xu^oc-cubus genau entsprechend, wird
tatsächlich von den Alten ^^) areö xoö xußtxoü o/Vjfxaxog ab-
geleitet, eine Etymologie, die viel von ihrer barocken Komik
verliert, wenn man sich vergegenwärtigt , daß ihr natürlich
die Form des altberühmten Fetischs der Göttin zu Grunde
liegt. Für den pessinuntischen Stein ist nun allerdings die
Würfelform nicht ausdrücklich überliefert. Allein dafür ist im
arabischen Petra (Sela, Zur, Rekem?)^^), das seinen Namen doch
zweifellos von dem dortigen heiligen Stein führt, und wo sich
nach Epiphanius ein berühmter Cult der Xaaßoö befand, aus-
drücklich die Verehrung des Xt'^os (J-eXa^ TeTpaywvoi; äxutiw-
toc -*) bezeugt. Ebenso wie der schwarze Stein der Ka'aba
von Mekka ist auch der kleinasiatische Fetisch ein Aerolith ^^).
Zu allem Ueberflusse aber liegt es auf der Hand, daß der
Name des Hauptheiligtums der Göttermutter „Pessinunt"
mit Hilfe des spezifisch kleinasiatischen , von Kretzschmer ^^)
zuerst in seiner vollen Bedeutsamkeit erkannten Suffixes
■^^) Vergl. Laur. Lydus III., 34; myth. Vatic. III. 22. Dazu Cornu-
tus, nat. deor. ed. Osann p. 245 und 280 mit den Anmerkungen von
Villoison zu der Stelle.
■'^) IldTpa =^ Rekem bieten die Onomastica Sacra des Euseb und
Hieronymus ed. Lagarde 145, und p. 286 71 ; cf. Joseph. Antiqq. 4?, 7i;
dagegen verwenden die griechischen Versionen des AT Ilsxpa ständig
für Selah (Fels) des Grundtextes. „Zur" := Fels, altlat. Sarra endlich
ist bekanntlich die semitische Originalforra des phönizischen Stadtna-
mens Tyrus. Inschriftlich ist die semitische Benennung von Petra bis
jetzt nicht überliefert. Ueber die dortigen Culte siehe bisher Brünnovr-
Domaszewsky, die Provincia Arabia I 191.
^*) Suidas s. v. %-ebc, "Ap7]s. Max. Tyr. Diss. VIII 8. Der fragliche
Stein ^ wurde zu Ehren des Dusares — Aouaapyjg = Du' sarä = Besitzer
des Sarä-Gebirges (Seir = Edom) d. h. des ßa'al von Arabia Peträa — ,
also vrohl bei dem durch Epiphanius bezeugten Fest seiner Geburt
aus der Xaaßoü mit Blut beschmiert. Für solche parallellepipedische
oder -würfelige Steine ist arab. „nusb" plur. „angab" terminus technicus.
'*) Gruppe Hdb. 773, 5. Lenormant a. a. 0. 118. Mit Rücksicht
darauf wollte man den Stadtnamen „Pessinunt" von Trsaslv ableiten,
■was wohl nur mittelbar (s. u. Anm. 28) das richtige trifft. Ueber den
Fall des Steines vgl. Marmor Parium Z. 18; Liv. 29, 11; Appian VII
56; Herodian I Ui; Ammian. Marc, 22,22; Diod. und Dion. bei Tzet-
zes Lykophr. 855. Einen Meteorstein, den Pindar fallen sieht, widmet
er der Göttermutter (Schol. Pyth. III 137). Ebenso waren das älteste
Bild der Athene in Athen (Paus. I 26 6 vgl. dazu unten Anm. 149), die Sta-
tue der Artemis in Tauris (Eur. Iph. Taur. 977) und die der Artemis
von Ephesus (Act. Apost. 19 36) StoTCötsig XL%-oi.
2^) Einl. in die Gesch. der griech. Sprache, Göttingen 1896 S. 402 f.
nach dem Vorgang von Pott, Personennamen (1853) S. 451.
126 Robert Eisler,
-nt -') aus Tisaacc bzw. Tieaadv „Spielstein"-*), „Würfel" ^^)
abjjeleitet ist.
") Derselbe Suffix findet sich bezeichnenderweise auch in dem
Cultnamen der Göttin BspsxüvS-ta (raater und dergl., Gruppe Hdb. 15283).
Den Volksstamm der Bspey.uvS-ai (=^ Phiyger) hat Hommel Grundr. 32,
in der verdumpften Form ^Buru'gumzi" (dazu vgl. viell. einerseits die
wahrscheinlich aus Kleinasien in ihre ältesten, nafhweisbaren Sitze
zwischen Oder und Weichsel eingewanderten Burgundiones, andrerseits
den Ortsnamen Bur-un-da aus *Bur-'gunda im Gebiet der 8uti-Nomaden
in Mesopotamien III Rawl. (56 Col. V37 und, wie ich hinzufüge, die
Bpuy.o'Jvxioi von BpuxoOs auf der Insel Karpathos) keilinschriftlich nach-
gewiesen. Uebersehen wurde bisher, daß das allgemein als echt phrygisch
angesehene Wort Bspsx'jc; (Kretschmer Einl. S. 186) offenbar eine aufge-
rauhte Nebenform von KzXzv.'):; == „Doppelaxt", dem bekannten hethitisch
kleinasiatisch-kretischen Cultsymbol ist; vgl. die Formen skr. paracju,
sumer. *bal[ag], babyl.-assyr. pilakku ^ „Beil", die schon Hommel, Vir-
chow's Arch. f. Anthropol. XV 188.5 Suppl. S. 165 a zu griech. tz. ge-
stellt hat. Die „Berekynthia" ist also wie Dionysos Pelekys, (Theopomp,
fr, 389) und der indische Para9u-Rania, wie Sangarios und die layapig
vi)|i--fvi, wie Phorkys-Pherekys, wie Zeus Labrandeus, vor allem aber wie
der Käßsip (s. u. Abschn. IV) Axieros und Axiokersos (A. B. Cook
Trans. III. Intern. Congr. Hist. Relig. Oxford 1908 p. Ui4) und wie
Dionysos „Axios Tauros" (Reinach) nach ihrer „bipennis", der Natio-
nalwaffe der Berekynten oder Phryger und der Pelag-sker (über
nsXaayci aus neAcy-oxo'. s. Fick, vorgriech. Ortsn. Gott. 1905 S. 19;
vgl. auch $ 141 den Heros Pelegon, Sohn des Klußgotts Axios
= Peleg in der Völkertafel Gen. 10 25) oder P e 1 a gonen überhaupt,
vielleicht auch der Perser (Wortspiel: „ Prithu-Par9avah „Axtführende
Parther" Rig Veda 7, 88), deren Priester nach Plin. N. H. 30i4 06142
die Axinomantie ausübten, benannt. („Bpiv-iaiAata • op/Yjaig ^puyi-axr;''
[Hesych] ist der Waffentanz der beilbewehrten Kureten [vgl. die
Kuretennamen AdcßpavSoc: und näXay.-aos Etym. Magn. s. v. EOSaivog
389 57], wodurch sich Fick's. vorgriech. ON 17 vorgeschlagene Deu-
tung des Namens Bherekunth ebenso erledigt wie die ibid. 42 ver-
tretene Deutung von Bryküs durch ßpuxög „Heuschrecke"). Dazu
möchte ich nur auf die Glosse xußeJiaai = 7i£/lsxr,aa'. bei Photius,
cf. Etym. Magn. 5424? ^vJ/^rp.t.c,- 6 liävxixog TisÄsx'jg" und die Bezeich-
nung eines Beiles als xußvjXig (Kratin. fr. 345) verweisen, die deut-
lich zeigt, wie man sich damit vergnügte, durch Metathese der Buch-
staben Tt-i-x fVi xß-Ä den Namen der Kybele, mit dem hl. Doppelbeil
in mystische Beziehung zu bringen. (Andere Beispiele für solche
metathetische Buchstabenspiele in der altorientalischen Theologie wä-
ren etwa, wenn „Reseph" [=: „Blitz"], der altkananäische Feuer-
gott [CIS I 38] als Säraph, der „Brenner" oder der „Kerub", der Wa-
gen [„raerkaba"] der Gottheit [Ps. 18, 11 etc.] als Umkehrung von
„Rekub" der göttliclie Wagenlenker (Zeitschr. f. Assyr. 1896 p. 252;
Sachau, Aram. Inschr. Sitz. Berl. Ak. Wiss. 1896 S. 41) volksetymolo-
gisch erklärt wird.) Vgl. dazu unten über die mit der Göttin selbst
gleichnamigen Cultgeräte x-'jßßa x'j|j,ßaÄa, ferner die bei den Lexikogra-
phen erhaltene Bezeichnung des Bienenstocks als x'Jߣi)-pov — wie Xsi-
ßsö-pov — wozu die Nachrichten (Didym. bei Lact. inst. I 22; Alex ab.
Alex. gen. dier. II 8) über die [isXiaaat der Magna Mater und die jjls-
X'.aaovöiJioi und scar^vög der ephesischen Artemis (Paus. VIH p. 776 ;
Aesch. fr. 361; Aristophan. Ran. v. 1273 etc.) zu vergleichen wären; -ö
xußäXtov, das schwarze Veilchen (Dioskur.) heißt natürlich so wegen
Kuba-Kybele. 127
II. Epiphaniiis übersetzt den arabischen Namen der Göt-
tin Xaaßoö mit griech. Koprj oder IlapO-lvo; ; ohne Zweifel im
Hinblick auf eine ganze Reihe bekannter, von der Wurzel
„ka'aba" = „entwickelte Brüste haben" ^°) abgeleiteter Worte,
als da sind „ku'ub" = „Busen", „ka'ab" = „Mädchen mit vol-
ler (reifer) Brust", „ku'ba" = „Jungfräulichkeit". Nun
ist aber nicht nur der besondere Culttitel Ilapöivo; für die
klein asiatische, sonst als MrjXTjp '^^) bezeichnete Göttin ausdrück-
lich bezeugt ^-), sondern auch der Vorstellungsgehalt dieses
besonderen semitischen Wortes in Kleinasien a) durch die he-
thitische Hieroglyphe der zwei Brüste <| O für die weibliche
Hauptgottheit des Landes ^^), b) durch das ephesische Idol der
vielbrüstigen Göttin ^*), c) durch den von der gleichbedeutenden
Wurzel „nahada" = „vollbrüstig sein" abgeleiteten Namen
seiner Verwendung im Kybelecult ; nach Arnob 5 71,4, Ovid fasti V 227
entstehen die Veilchen aus den abgetrennten Schamteilen des Attis.
Den Beinamen der Kybele als A&ßpivy) (Gruppe Hdb. I52I3, 1541i, 15506,
auch als Bergname bei Kyzikos ib. .3l8ol wird man demgemäß zu Xa.Sp'Jg
= Doppelaxt zu stellen haben. Auch die nXay.'.ocv-/j (Selling. Athen.
Mitt. VII 151 ff.) und die K. s-/. nXaxias CIG 3657 dürften zu * balag.
tAIsy-oc, (vgl. oben llaXay.-oog) gehören. Vgl. noch Tibull I 647 über
das Doppelbeil der Mah-Bellonapriesterin. und Quint. Smyrn. I 597
über die TtsXsx'Jg als Waffe der 'A-|j.ä^ov£c;, der am Busen verstümmelten
Priesterinnen der vielbrüstigen Göttin (cf. , Weltenmantel " S. 150 ff ),
Nach ihrer Ast heißen natürlich diese Tempel d i r n e n -y.XXc/.YJ.bsc,
(TtäXXaSs?) phoen.-hebr. ^pileges"'.
-*) Die Verwendung des Ausdruckes Tisaaci; für den viereckigen
Untersatz unter den Stützen der Schwibbogen bei Strabo u. a. beweist,
daß auch die tzzogoI würfelig waren.
-^) Vgl. Sophocl. fr. 438 N rcssacjs -/.ußoüs xs y.zX.
3") Lane, arab.-engl. Dictionary p. 2615.
^1) Die Titel Mvixyjp und üapö^svoc; hängen mit der Hierogamie der
Gottheit zusammen. Vor dem Fest (vgl. oben Anm. 10, 12, 14) ist das
Numen Jungfrau, beim Fest Braut (vgl. etwa die Doppelgängerin der
Kybele, die Sayaplg v 'j |j, :p vj) nachher Mutter.
^-) Julian or. 166 b. ; über den Hap&svcöv der Kybele s. Athen. Mitth.
VII 1882 1556. Vgl. dagegen das sonst bezeugte, als athenisches Staats-
archiv bekannte [lyjTpwov. Ferner v. 1 des orphischen Demeterhymnus,
Diels. Fr. Vorsokr. ^ p. 481 Z. 16 Ttpaxoyövq) Vq [laxpl s^rj Kuße-
Xv^ta Köppa xtX.
^^) Hommel, Grundr. 522.
^*) Blochet a. a. 0. verweist auf die zahlreichen sogenannten Astar-
tenidole, die ihre Brüste mit den Händen pressen. Der Name „Arte-
mis" für die ephesische Göttin ist nach v. Wilamowitz' richtiger Deu-
tung fem. zu apTajiog „Schlächter" und bezeichnet, ähnlich wie „Per-
sephoneia" die nefaste, winterliche, alles tötende, jungfräuliche Incar-
nation der Göttin Istar, im Gegensatz zur mütterlichen, lebenspenden-
den Sommergöttin. Vgl. die berühmten Verse im „Mercator" des Plau-
tus: „Diva Astarte, hominum deorumque vis, vita, salus, rursus eadem
quae es pernicies, mors, interitus". Vgl. jedoch Anm. 174.
128 Robert Eisler,
der kleinasiatisch-pevsischen Göttin Anahita^^) d) dnrcli die ent-
sprechenden griechischen Epiklesen der kleinasiatischen „Deme-
ter" MeyaXofia^o; ^'^) und Acxafxal^os ") sicher zu belegen.
III, Bei Pollux ^^) heißt es: otüßo; auxo xb ßaXXGptevov xa-
Xzixa: y^cd -^ ^v auxw ■aoiXözTjq. Derselbe Begriff der Höh-
lung^^) oder des Hohlraums geht aus der Verwendung des Be-
griffes x6ßo5 zur Bezeichnung der „vor der Hüfte gelegenen
Höhlung" beim Vieh ^^) hervor. Zu dieser Bedeutung von xu-
ßo? gehören dann als Deminutiva xußsXov = Höhle, Gremach *^)
und xußtoXov = Ellbogen ^^) , wörtlich möglicherweise das
35) Blochet a. a. 0.; Hoinmel Grnndr. 200 1. Vgl. den Istar-Bei-
namen 'A^ltar von 'a^tar .üppig sein* ibid. 89 u. Anm. 1 224 , Maria"
die ^ Dicke". Ueber die Identifiljation von Kybele und Anahita in In-
schriften s. Gruppe Hdb. 1594 1, 1584 1.
^®) Gruppe Hdb. 84 2. Wahrscheinlich ist auch die Hesiodeische
yaia söpüa-cepvog (Theog. 117) hierher zu ziehen.
") Gruppe Hdb. 11787.
38\ 9 195
^^) Gemeint ist das Loch im Wirbelknochen, durch das der Rücken-
markstrang hindurchläuft.
*») Athenäus IX 399 B.
*') K'JßsXa, av-pa v.al %-y.AOi\i.oi Hesych.
*-) Pollux 2, 141 wie si5o)Aov zu slooc,. Daneben -/.Oßt-iov (wie äXcpixov)
lat. cubitus = Elle. Dazu macht mich mein Freund Wolfg. Schultz
auf die Möglichkeit aufmerksam, daß man die Seitenlänge des heiligen
Würfels als Maßeinheit genommen haben könnte. Die Vermutung be-
sticht deshalb, weil „Elle", hebr. 'ammä HCN bab. ammatu heißt und ge-
nau dieser Name ''A[JL(ia — natürlich zunächst in der Bedeutung „Mut-
ter", Kretschmer Einl. 355 — als Culttitel der Kybele-Rheia überliefert
ist. (Vgl. dazu die karthagische Inschrift, Euting, punische Steintaf.
XXII Nr. 215 „«JSSb nZ"ib" „der Herrin 'Amma-'.) Bekanntlich ist
nun diese Rheia- Kybele -'Amma die Mutter — der Dactylen, was
seinerseits dem Verhältnis der Elle-'Amma zur kleineren Maßeinheit
'esba'-oay.TuÄog (vgl, die hebr. Maßtafel des Byzantiners Julianos von
Askalon, Hultsch, Metr scr. I 200 f.) gut entsprechen würde. (Vgl. übri-
gens unten Anm. 182 über die „Hand" — deren Kinder dann naturgemäß
die „Finger" sind — als Istarsymbol.) Dazu kommt eme weitere Pa-
rallelle: Hommel (Grundr. 51 3 cf. 126«) hat daraufhingewiesen, daß
ein Schuh in den hethitischen Inschriften als Gottesdeterminativ ge-
setzt zu sein scheint. Daraus habe ich (Weltenmantel 166.s) geschlossen,
daß die in Kleinasien, Sparta und Sardinien in Ortsnamen vorkommende
Bezeichnung des heiligen Schuhes oavdccXtov (Schuh des Hermes, der 0 m -
pha 1 e etc.) auf den Gottesnamen *2]äv5aAo$, Deminut. (= lat. Caligula !)
zu dem in Kleinasien und Sardinien nachweisbaren Sandan, Sardan, Zäp-
doQ oder Sardopator, phoen. p~,ii» ~i< (das Belegmaterial im ganzen Um-
fang a. a. 0.1 zurückgeht. Nun heißt „Sard", die Vollform, persisch „Jahr";
nach Job. Lyd. 39 aber ist SAPAIN lydlsch = iviau-ög ;Ramsay, Hist.
Geogr. of Asia Minor p. 121) und der Zahlenwert dieses unverkennbar
als aramäische Pluralbildung von TiU? vocalisierten Wortes beträgt
— wie der Byzantiner auch hervorhebt — 365. Nun haben die Baby-
lonier nach einer von Zimmern in den Berichten der sächs. Akad. 1901
Kuba-Kybele. 129
Grübchen am ausgestreckten Ellbogen *^). Besonders wich-
tig ist in diesem Zusammenhang die Hesychglosse KujBßa-
xujjißT] = TtOTYjp'.ov, offenbar = „Hohlgefäß, runde Schale",
wozu als Deminutiv xurcsXXov, dSoc. iroxyjpcoi) (Hesych)**), fefner
xoöiia Weingefäß bei Heron , spätlat. cupa, copa, cubba =
Weingefäß bei Ekkehard ^^), cuba = labrum, cubela = Tauf-
becken ^^), franz. coüpe, ital. coppa = Schale, Becher, deutsch
ausführlich besprochenen Nachricht des Sextns Empiricus mit Hilfe der
Wasseruhr den scheinbaren Durchmesser der Sonnenscheibe aus der
Zeit, die zwischen ihi-em ersten Aufblitzen und der vollen Sichtbarkeit
beim Aufcrehen verfließt zu bestimmen versucht und das bei dieser,
wenn auch sinnreichen , so doch unzulänglichen Methode etwas dehn-
bare Resultat aus systematischen Erwägungen auf 2 Zeitminuten = V720
der ganzen, 360" bzw. 1440 Zeitminuten betragenden Kreisbahn abge-
rundet. Dieses Ergebnis hat Thaies übernommen (Diels FVS'^ 1 p. 3
Z. 26). Heraklit drückt — wenn ich recht vermute — das gleiche in
dem als kindisch verrufenen fragm. 3 ,s5pos (yj?.iou) rcoSöc; & v 9- p w -
Ttsiou" aus. Sandan-Herakles, der Jah r esgott (vgl. Xuxa-ßas =^ „Licht-
wanderer"? griech = „Jahr", wie semit. jareah = „Wanderer :=:
„Mond") dessen Kämpfe mit den Tierkreiszeichen auf dem Jahreslauf
durch die Ekliptik die Griechen, — wie Dupuys trotz allem mit
Eecht behauptet hat — als Acü5sxa9-Xov '^HpaxXsous erzählen , durch-
mißt im Mythus mit seiner geflügelten Sandale, dem Siebenmeilen-
stiefel des Daum lings — Herakles ist ja einer der Dactylen (Cedren
p. 62 u. a.) — die Ekliptik, den Xuxaßa?;. in 360 Tagen. In Wirk-
lichkeit, wird Heraklit gemeint haben , ist die Sonne nur halb so
breit, wie dieser fabelhafte göttliche Riesenschuh sopog notbc. ävO-pw-
71 s c o u , nicht ^/seo sondern nur V's« der Ekliptik. Bedenkt man fer-
ner, daß die 20 lösenden und 32 bindenden Dactylen des Pherekydes
(Sturz p. 146) zusammen die Znhl der 52 Wochen des Jahres ergeben,
daß andre von 5 Dactylen (entsprechend der alten Fünferwoehe — hamu-
stu) sprechen, daß babylonische Ringsteine (Weltenmantel oOBs) die
göttliche Hand mit 7 Fingern zeigen, so wird man kaum bezweifeln
können, daß die altorientalischen Kosmologen auch den Himmel mit
— göttlichen — „Füßen" oder „Schuhen", Finger- und Handbreiten zu
vermessen pflegten („Handbreiten" [su] als Maß für Sterndistanzen am
Himmel zeigt tatsächlich die eben von Hommel, Wiss. Beilage der
Münchn. N N. -'/s. 1908 Nr. 49 S. 459 a nach einer Abschrift Hilprechts
veröffentlichte und scharfsinnig erklärte astronomische Tafel aus der
Tempelbibliothek von Nippur) und sich vielleicht auch die vorgetragene
anscheinend sehr kühne Erklärung von x'jßi-ov-cubitus gefallen lassen.
■*^) Denkbar wäre allerdings auch die Bedeutung „Knöchelchen*
schlechthin. Allein auch dann wäre der Begriff des Hohlen nicht aus-
geschaltet, da y.üßog-kaab^ „Wirbelknochen" anscheinend den Wirbel
als durchlöcherten hohlen Knochen bezeichnet. Am wahrscheinlich-
sten gilt die in der vorigen Anmerkung für y-6ßixov-cubitus vorgeschla-
gene Ableitung auch für x'JßcüÄov.
■**) Vgl. „Sx y.ojjißäXou 7i£7t0jxa" in der liturgischen Bekenntnisfojmel
des Attismysten (Zeugnisse bei Dieterich Mithraslit. S. 216 XIH).
*^) MGSS II 106 15.
*^) Ducange, Gloss. s. vv.
Philologus LXVIII (N. F. XXII), 1. 9
130 Robert Eisler,
Kufe und Küfer zu vergleichen ist. Daß die „xu^ßaXa"
(Schallbecken) der kleinasiatischen Göttin Deminutivbildungen
zu xußßa = xufjißr] (sanskr. kumba, deutsch Kübel) darstellen,
ist •ebenfalls nicht zu übersehen. „KuTiat etSog xt vews" (vgl.
K6[xßr] = Kahn) bei Hesych und die Gleichung im Gloss. lat.
graec. bei Ducange s. v. Cupa'^ „Cupa" = ßouttts (xeyaXr] t^v
tives yaöXov (navigii speciem) xaXoöoLV, ebenso v^ie „Cuba",
spätlat. = Schiifshinterteil ^'^) gehören natürlich in den glei-
chen Zusammenhang, Für den sprachfremden Charakter des
Wortes ist die Genusschwankung besonders bezeichnend: neben
xußßa-xujjtßyj kommt 6 xujxjjog = Schüssel, Becken*^) und
x6 x6[jißo5 vor. Spätlateinisch kommt dann „Cupa, cuba,
cumba" geradezu in der Bedeutung, „Grabgev^Ölbe" etwa :=
arcosolium, columbarium bzw. crypta vor *^). Auch diese Be-
deutung des Lehnwortes muß ihre semitische Analogie haben,
nach der man auch tatsächlich nicht lange zu suchen braucht :
schon Lewy ^°) hat seinerzeit zu Kybele „kubbali" = „Wöl-
bung, gewölbter Raum " ^^) gestellt. Dazu vergl. man den Eigen-
namen des jedem Italienfahrer bekannten gewölbten Saraze-
nenbaues in Palermo „la Cuba" mit dem für eine ähnliche
kleinere Ruine ^^) gebräuchlichen Deminutiv „la Cubola" oder
„la Cubula" und das spanisch °^) vermittelte maurische Lehn-
wort „Al-koven" ^*).
") Glossar. Cambron. bei Ducange s. v. Cuba u. vgl. die Stellen
ibid. s. V. cumba. Dazu vgl. mit Berücksichtigung der unten folgen-
den Ausführungen über die Synonymität von Kuba und Kamara die
Bezeichnung der Admiralskajüte auf einem Schifl' als »camera" bei
Sueton Nero 34.
*») Nie. Ther. 526; Hesych. s. v.
*^) Ducange s. v. Cupa 5 citiert eine Inschrift nach Ughelli Italia
Sacra II 247 (,,Inhac cupamateret filius positi sunt") und s. v. Cuba 3
eine Rufinusstelle „in alia cuba iuxta orientem sepulchrum SS. Victoris
Domnini etc." Vgl. die Stellen ibid. s. v. cumba 4. Dazu 6 xüßag, der
Sarg bei Hesych.
*») Semit. Fremdw. S. 249.
51) n3p; arab. kubbat, typische Bezeichnung für moslemische »Ka-
pellen", Vgl. unten Anm. 228 „Kubbet-es-Sachra".
52) Mauceri-Agati, Cicerone di Sicilia p. 103. Zu „Cubola" steht
das von den Sarazenen in Unteritalien übernommene ital. Lehnwort
Cupola (p = 3, in andern, gleichwertigen Bildungen, wie man sieht
durch ßß oder [iß wiedergegeben) französ. coupöle, deutsch Kuppel. Den
hellen Vocal hat ital. capella, deutsch Kapelle bewahrt.
^') Vgl. „alcoba", „alcobilla" Schhifgemach.
°*) Man beachte die weitgehende Abschwächung des Labiallautes
Kuba-Kybele. 131
Der religionsgescliichtliche Hintergrund des Namens in
dieser Bedeutung ist leicht zu erkennen. Schon Wellhausen ■'^]
hat in seiner Besprechung des mekkanischen Heiligtums darauf
hingewiesen, daß „ka'aba" nicht nur den heiligen Stein, son-
dern auch das cubische Gebäude ^^') der Kaaba als ganzes
bezeichnet, ebenso wie bei „Beth-El" und „Masgid" ("iJD2, Mo-
schee) die Begriffe „heiliger Stein" und „heiliges Haus" ineinan-
derfließen. Religionspsychologisch merkwürdig ist dabei nicht
sowohl die seraasiologische Beziehung „Stein" = „Haus", als
vielmehr die Auffassung des Hauses als einer weiblichen Gottheit,
bzw. die Bezeichnung einer weiblichen Gottheit') als Behausung,
Wohnung (sc. eines männlichen Gottes). Hommel^^) hat diese
Bedeutungsentwicklung an der Göttin Athirät, a. t. Ashera,
bab. Asirtu zuerst beobachtet und aus einem astralmysti-
schen Gedankengang zu deuten versucht ^^). Diese Erklä-
rung ist sicher zutreffend und gerade auf die Ka'aba ohne
weiters anwendbar, da ja in ihrem Innern der heilige Stein
des Mondgottes Hobal ^°) aufgestellt war , so daß das ,, Wür-
in diesen Lehnworten, die einen etwaigen Einwand gegen die Zusam-
menstellung von kubbah mit x'jßog von vornherein entkräften.
'°°) Reste^ S. 74.
^^) Das cubische Heiligtum ist typisch für diese Culte. Vgl. den
Tempel von Tebala in Temen (Pococke, spec. 106; Caussin de Perce-
val I 110; 113), den von Sendäd am Euphrat, der durch den Namen
Du-'l-ka'abat des Ortsgottes bezeugt ist (Caussin I 269; Oslander
ZDMG VII 502.) Eine Knr^"", (r b'- t' = „Geviert") ein quadratisches
Gebäude wird dem Dusares in der bilinguen, griech.-nabat. Inschr.
von Saida (de Vogue, Syrie centrale, text. nabat. Nr. 7 a) gewidmet.
°') Betylos als männlicher Gott bei Philo von Byblos (Euseb,
praep. ev. 1. lO.is H. ; über Baiti-ilim vgl. Hommel Grundr. I6I2 (per-
sisch entspricht Bag-istana ibid. 199 2) ist Mißverständnis oder eher
spätere, patriarchale ümdeutung der Mattergöttin, ganz wie bei dem
ursprünglich weiblich, später männlich gedachten EA (= Haus) der
Babylonier. Vgl. über diesen religionsgeschichtlich sehr wichtigen Vor-
gang allgemein George A. Barton, a sketch of semitic origins, Mac-
millan 1902 bes. p. 192.
°8) Grundr. 8.53; vgl. Aufs, und Abhandl. 24428, 264, 272, 435.
**) „Diese Göttin ist die weibliche Personifikation des allgemeinen
Begriffes Mondstation (bab. asirtu, esirtu) ; da der Mond jede Nacht bei
ihr Einkehr hält, so wurde die „ Mondstation " xax' l^ox^/v zu seiner Ge-
mahlin gemacht."
^°) Der Name Hobal, r>zn in himyaritischen Inschriften, ist von
Winckler, arabisch, semit. Orient., Mitt. der Vorderas. Gesellsch. 1905 5
S. nie, ohne Ancrabe von Gründen und zweifelnd, aber sicher richtig
mit dem biblischen Abel-Hebhel verglichen worden. M. E. ist er vor
allem als Derivat der |/bäla, jabülu, =: „pissen", übertr. „regnen" auf-
gefaßt worden (cf. bul, mabbul = „Flut" bab. bubbulu aus wubbulu
9*
132 Robert Eisler,
[Meißner], arab. „wabl" Regenguss und, nach Hommel Aufs, und Abb.
47o „bäla suhail" = „Sfcernenurin' = Regen; endlich „bul" als Be-
zeichnung des achten, bab. „Fluch des Regens" genannten Monats 1 Kön.
638 und auf kyprisch-phoenizischen Inschriften ClS I 86 a). Hobal, der
^Pisser" würde den Mondgott (vgl. die Zischlautaussjjrache von Sin =
Mond, als ^Sin = „Urin" in den Neräbinschriften, als Buchstabe "iT = ([
durch das abnehmende Mondsichelzeichen ausgedrückt, Hommel Grundr.
100) als Beherrscher von Wasser, Regen und Flut bedeuten. „Hebbel"
(73n) im masoretischen Bibeltext bedeutet „Hauch", „Nichtigkeit" (vgl.
Ps. oQb/t) und kann daher unmöglich der richtige Namen des Legenden-
helden sein. Der Ausdruck kommt jedoch vielfach als, anscheinend
appellativische, verächtliche Bezeichnung für Heidengötzen vor (vgl.
den Artikel „opprobrious terms for idols" Encj'cl. Bibl. 2148). Daß an
allen diesen Stellen ursprünglich nicht h^T^ bezw. dem Aßs?. des griech.
entsprechend v'^n gelesen wurde, sondern '^^^, ergibt sich aus dem Ver-
gleich zweier Stellen bei Jeremias: 1422 (Wort Jahve's betreffend die
Dürre) heißt es: „D^rri 13n' D'J^m-DXI D'Ü'i'Jia a'Un "bsnr U"n" „Giebt
es unter den Ho b al im ( = Pisser[steine]n, nicht Hebelim = Nichtigkeiten)
der Heiden einen Regenspender oder sendet der [Ba'al] "Samaim
(nicht apell. .,der Himmel") Regenschauer? Bist Du es nicht, Jahve,
auf den wir harren müssen?" ibid. 25: ,,Was haben Eure Väter Un-
rechtes an mir gefunden, daß sie sich von mir entfernten, und nach-
gegangen sind hinter dem «Pisser» (b^hn "^nx nicht „hinter der Nichtig-
keit" ''inn) und (selber) zuniclitegeworden sind (ibsn'i)". Wenn man,
dem Abscheu der Masoreten vor dem Götzennamen folgend, ,, Hebbel"
liest, geht der Witz des Wortspiels mit dem Wort bsn in seinen zwei
möglichen Lesungen in eine glatte Tautologie über. Die Häufigkeit
solcher ,, Regensteine" oder „Pißmännchen" erklärt am besten die häufigen
Erwähnungen der □''bsn im AT. Als Amr b. Lohai um 287/8 n. Chr.
in Balqä die bärtige, aus rotem Stein ('akik) gefertigte Statue des
Hobal mit ihrer goldenen Hand und den darin ruhenden 7 Lospfeilen
erwarb, die zu Mohammeds Zeit ,, Abraham" (s. oben Anm. 15; Belege
bei Lenormant 155 ff.) hieß und zerschlagen wurde, versicherten ihn die
Leute, dieser Gott werde zur Zeit der Düri-e angerufen und sende
reic hen Re gen". (Schahrestani trad. Haarbrücker II 335. Abulfeda,
bist, anteislam. trad. Fleischer p. 136). Damals wurde die Statue über
der als Schatzhöhle dienenden Cisterne aufgestellt. Ursprünglich
ist der Gott an dieser Stelle entweder durch den jetzt in der Ka'aba-
wand eingemauerten Stein (al Mustadjab) oder durch den Stein ,,Maqam
Ibrahim" mit den „Fußspuren Abrahams" vertreten gewesen. Zu diesen
„Fußspuren" vgl. oben Anm. 42 über den Schuh oder Fuß als Symbol des
Paredros der Kybele, Sandan, Exod. 17 6, wo Jahve Moses verheißt, er
würde auf den Wunderfelsen am Horeb „treten", dann werde Wasser
hervorsprudeln „KccSijlou 71065" [Hlut] fluv. 21 1 Hermes mit der Sohle
eine Quelle hervorstampfeud, paraphr. Tzetz. Lykophr. 835. Die Deu-
tung Hobal =,, Pisser" wird bestätigt durch dieUeberlieferung eines gleich-
bedeutenden Gottesnamens Kuzah (nabat. Inschr. ZDMG III 200; vgl. den
idumäischen Gott Ko^s und den syrischen, regenspendenden Zeus Kdtotog),
nach dem der heilige Berg Kuzah bei Mekka genannt war (Wellhausen,
Reste '^ S. 81 f.) und den schon Goldzieher, Myth. b. d. Hebr. Leipz. 1867
S. 89 mit ,, Pisser" übersetzt hat. Wie Hobal die Pfeile, führt sein Dop-
pelgänger Kuzah den Bogen und wird daher selbst auch Kaus = Bogen
genannt. Pfeile und Bogen des Kuzah (Kosegarten, arab. Chrestomath.
p. 16:-!) sind astral auf den Pfeilstern (mul tartabu) und den Bogen-
stern (kakkab kasti) zu deuten, die Waffen des Orion ('Oupicov = ,, Pisser"
SchoL II. 18246, Maaß, Anal. Erat. S. 6 ; Eustath II. 153547; Isid., origg.
Kuba-Kybele. 133
felhaus" , mystisch die Göttin Ka'aba, die „reife Jungfrau"
buchstäblich als „Haus", astrologisch „mansio" oder „statio"
des Mondgottes erscheint. Nur möchte ich bemerken , daß
hinter dieser abstracten astral-religiösen Begriffsbildung höchst
wahrscheinlich sehr viel primitivere Vorstellungen stecken.
Ausdrücke wie das alttestamentarische „eingehen zum Weibe"
legen den Gedanken sehr nahe, daß ursprünglich die Leibes-
höhle der Vulva als „Haus" oder „Wohnung" des Phallos
galt: die ka'aba, der xetpaywvos "ki^'oc, ''^) als Haus des koni-
III 70 und sonst oft) , der in alten magyarischen Bibelübersetzungen
(Wlislocki, Volksgl. der Magyaren S. ö9) ,,Kasza-hugy" genannt wird, wo-
bei „Kasza" (volksetyinologisch = Kaszäzok = ,, Mäher", vgl. den slavi-
schen Populärnamen des Orion „Kosi" = Sense, Andree, ethnogr. Parall.
1 109, aber auch schon semitisch iip = „Mäher' zu Kaus-Knzah) dem
alten Namen Kuzah entspricht und „-hugy" erklärend (vgl. Bildungen
wie deutsch „Lintwurm") ^ürin" bedeutet. Haraasa Nr. 297$ „alle blick-
ten auf nach dem Mond (Kamar) dorthin, wo aufhängte seinen Bogen
der Gott Kuzah" wird auch dieser „Pisser" auf den regenbringenden
Mond gedeutet; auf den regenbringenden Planeten Saturn (Nonn. Dion.
VI 85 cf. 186 Kpdvoc &|j.ßpÖTOxos, ciJißpov IdXXcov), den Cedren p. 28 mit
Orion gleichsetzt, haben diejenigen den Hobal-Kuzah bezogen, die die
Ka'aba als altes Saturnheiligtum bezeichnen (s. die Zeugnisse bei Le-
normant 124 ff.). Das Symbol der Lospfeile bezeichnet Hobal als Orakel-
gott, wozu Lenormant a. a. 0. 161 mit Recht auf die Bedeutung der
\/^h-T\ in den semitischen Sprachen verweist. Dieser Auffassung
nach — die wegen des abweichenden Hauchlauts gewiss sekundär ist
— ist der Gott das personifizierte „Los". Vgl. den Titel Sa'd (bab.
sedu) = Glücksgottheit = Tüxv) für die weibliche Gottheit in Dschedda.
Arabische Grammatiker vgl. Hobal mit hibil „crassus" „annosus", eine
Vorstellung, die vielleicht der Abbildung des Gottes als bärtiger, älterer
Mann zugrundeliegt. „Beit al'atik" als Namen der Ka'aba, meint Le-
normant daher nicht mit „altes Haus" sondern als „Haus des Alten"
übersetzen zu sollen. Endlich erklärt die allgemein als bloße Variante
von „Abel" h-T] anerkannte biblische Form „Jabal" das Symbol der
Widderhörner in der Ka'aba (Azraqi und Kazwini bei Lenormant
311), denn h'Z' ist pboenizisch, ^DV hebr. in der Bedeutung „Widder" ge-
sichert und Ss' (Jubel) heisst Exod. 19 13 geradezu „Widderhorn". Vgl.
den karthagischen Gott „Jubal" Lactant. instit. I 15 („Juba" bei Minuc.
Fei. Octav, p. 351 ed Herald. I&ßvjs, Sohn des Herakles und der Certha =
mD Apollod. II, 7, 8). Eine Variante von Ilobal-Jabal ist thatsäch-
lich „Ghanam" = „Schafe". (Freundl. Mitteil. Hommels). 'AßsX im grie-
chischen Text ist wahrscheinlich mit Rücksicht auf assyr. ablü = S 0 h n
(vgl. die Bezeichnung des schon von Sayce und Lenormant mit Abel
verglichenen Tamuz als „abal napisti" „Sohn des Lebens" so vocalisiert.
^'^) Das Rautenviereck <3> ist ein weitverbreitetes, noch heute in
obscönen Graffiti an Kasernen- und Abtrittwänden häufig zu findendes
Vulvasymbol, das schon auf den geritzten Renntierknochen der Dor-
dogne (Hörnes, Urgesch. der Kunst S. 15, Fig. 1) vorkommt; cf. Procl.
in Euch I 17o Fr. „6 <i?ikö'ka.QC, xr;v toO xsxpaYWVOu ywviav 'P e ag xal
'Eoxias äLizov.aXzV . Dasselbe bei Plut. de Isid. 30; Damasc. II 127 is
Euelle.
134 Robert Eisler,
sehen Phallossteines ''^), der 7i6pafj.t; oder des Obelisken ^^).
Der bereits oben erwälinte, bei Niketas Choniatas über-
®-) Mit Rücksicht auf die oben Anm. 15 besprochene Gleichsetzung
des heiligen Steines mit dem Götterberg kann hier darauf verwie-
sen werden, dass nach Hommel Grundriß 124i der Götterberg auch
als Phallus gegolten zu haben scheint. Zur babyl. Benennung des heiligen
Berges „Ar all u" vergleicht Hommel nämlich westsem. S-^y „unbeschnit-
tener Phallus". Vgl. Anm. 95.
®^) Die Bezeichnungen 6^Blio-/.o<;, und itupoiiiic, sind sicher ungriecbisch
und dürften ursprünglich Bezeichnungen solcher kegelförmiger Stein-
dole gewesen sein. 'Oßs^iaHo; ist Demin. von ößsXög, oder wie man
aus der Bezeichnung der Münze mit dem aufgeprägten ößsXdg (ursprüng-
lich der ehernen Speerspitze als Zahlungsmittel, vgl. die bekannten
Aexte und die lateinischen „Asse") schliessen kann, von ursprünglichem
cßoXög; das entspricht aber gewiß nicht zufällig lautlich und sachlich
dem eben besprochenen Namen „Hobal" für den kegelförmigen Regen-
stein. (Vgl dazu unten Anm. 200). Appellativischer Gebrauch der Be-
zeichnung „hobalim" = „Fetischsteine" konnte oben auch im AT nach-
gewiesen werden. Die Hypothese wird durch eine genau analoge Er-
klärung von ü'jpaijiig bestätigt. Genau wie I,z\iipy.\i.'.i; sem. Sem-Ram
„Namen des Erliabenen" bedeutet (W. Robertson Smith , English
historical Review la 1887 p. 805) muss ■Kupa.ixic,, als mythischer Namen
n'Jpx[jLo; „Pi" bzw. „Fü-Ram" „Mund des Erhabenen" translitteriert wer-
den. Diese Bezeichnung kann m. E. nur auf den Gott des Planeten
Mars, Nin-ib, den „Herrn des geöÖneten Mundes", den Mundgott"
(Hommel, Grundr. 102) bezogen werden. Durch den Flußnamen Pyra-
mos (bei Mallos, wo sich ein berühmtes Orakel, offenbar des „göttlichen
Mundes", befand, Strabo S. (575) ist sein Galt für Kleinasien gesichert. Die
weibliche Paredros des Gottes, „Thisbe" ist, wie bereits Hommel Grundr.
41 1 gesehen hat, ein Femininum zu dem in den Vaninschriften Te-i'sba-s
geschriebenen, in Kleinasien Te'issupas, in Babylon Tispak gesprochenen
Gottes. Hommel hat richtig gesehen, daß Te-isba-s ein Kompositum von
„Te" = Herr und „isba" darstellt, ohne aber die Bedeutung des letzteren
Bestandteils, über den die griechische Ueberlieferung keinen Zweifel läßt,
zu bemerken : ,,isba" ist einfach yzi'X „'esbä'" = „Finger" (als M a ß [vgl.
oben Anm. 42 über "Ap-iJia-xOßixov = „Elle" als i\lutter der Dactylen] bei
Jerem. 52 21), Te-isba-s der „Herr des Fingers" oder besser „Herr Fin-
ger" = Dactylos. Dieser Te'isbas-Tispak ist aber seinerseits zweifellos
mit Ninib, dem „Mundgott" identifiziert worden (Hommel a. a. O.) Vgl.
unten über die Gemahlin Ninib's Gula, sumer. Bau als ;^Su-anna" „Hand
des Himmels"; (Hommel 101). Da Istar auch einen Löwen zum
Geliebten hat, (Gilgamesepos T. VI) denselben Löwen also, der die Tisbe
verscheucht und da die kleinasiatische Göttin regelmäßig mit diesem
Löwen abgebildet wird, so hilft das Verständnis des Namens Te-isba-s
nun auch zur Erklärung des kleinasiatischen Städtenamens Arisba (Troas,
Lesbos u. Boeotien), deren Eponym Ari-isba-s „Löwe des Fingers", d. h.
der löwengestaltige, später bloß in das Löwenfell gekleidete Dactyl
Herakles, dessen Sohn (Hesiod fr. 155; Paus. IX 36o) Molüros (vgl.
„IJLÖXov "Apsog" B 401 und Hesych iicoXeü) = jjLay^ojia-J d. h. Ares-Ninib
heißt. Arisba als Heroine gilt als Tochter des Teukros-Turk (Steph.
Byz. s. V. 'Apöaßa), bei dem Interp. Serv. Virg. Aen. IX 264 als Tochter
des Makareus von Lesbos. Der lesbische Makareus, der Schol. Eu-
rip, Phon. 26 als Gemahl der Sphinx, der L ö we n jungfi-au, gilt, nennt
sich selbst bei Diodor 5 s^ „Löwe", was die beste Gegenprobe auf
Kuba-Kybele. 135
lieferte i.'Jixde[iomo[LÖc, für den Uebertritt bekehrter Moslems
zur griechischen Kirche, also eine fast urkundliche Ueberliefe-
rung, spricht von dem Steinfetisch der Ka'aba als Xc^ov exxu-
7r(i)|JLa Tfj? 'Acppootxrj; excivta. Nun ist nichts sicherer, als daß
der hochheilige schwarze Stein ein vollständig unberührter,
durchaus anikonischer Aerolith ist. Ein exTUTiwfJta im Sinn
eines „Bildes" der Göttin hätte also nur in der religiös über-
hitzten Phantasie der Hadji's existieren können, wie denn tat-
sächlich erst durch Burtons genaue Untersuchungen eine Reihe
von Pilgererzählungen über ein „Gesicht" in dem Schwarz-
stein, die selbst in die wissenschaftliche Litteratur ^^) überge-
gangen waren, endgiltig widerlegt wurden*^*"). Die richtige
Bedeutung von ixx6-(i)[Aa ergibt sich vielmehr bezeichnender-
weise durch den Vergleich einer schon von Falconet ^^) scharf-
sinnig erklärten Nachricht über den im heiligen „Doppelbeil-
fluß" Sangarios gefundenen Wunderstein der kleinasiatischen
Göttermutter : euptaxetac yccp xexuTcwjJLSVTfjv e/wv xyjV Mrjxepa
Xü)v Seibv ^^), die der genannte sehr glücklich auf ein Exem-
plar jener unter den Meteorsteinen ziemlich häufigen, von
Kennern als „ Hysterolithen " bezeichneten, dem Aussehen nach
an die [ATjXpa erinnernden Form bezieht. Tatsächlich sagt
Herodian (V 3) vom heiligen Stein des „Gottfelsens" Ela-gabal
in Emesa: iE,oyjx;, x£ xivxq ßpa/^eiac; xac xutiou; Ssizvuatv. Die
authentische Auslegung dieser Naturspiele des emesenischen
Steines aber bietet der berühmte aureus des Uranius Anto-
ninus ^"), wo das konische Baithyll an der Basis sehr deutlich
mit dem Symbol der Vulva ausgezeichnet erscheint. Dazu hat
die vorgeschlagene Deutung bildet. Besonders bezeichnend neben Ar-
isba aber ist Nap-iaßa ^Fluß des Fingers", ein durch attische Tributlisten
bezeugter karischer Ortsnamen (Fick, vorgriech. ON 68). Ae^ßog, schon
von Fick a. a. 0. zu Arisba und Narisba gestellt, könnte l?32ix'7, Dativ
der Weihung = „Tß Aay.x'jAtp", nach Analogie entsprechender Bildungen
mit dem Genitiv posses. im Gi'iechischen sein.
^*) Auf Grund ganz entschiedener Aussagen mehrerer Pilger hat
Fresnel, Journal Asiatique 1838 p. 205 angenommen, daß eich auf dem
Ka'abastein noch Spuren einer solchen alten Sculptur unterscheiden
ließen.
«*^) Vgl. Burton a. a. 0. III 161.
65) Memoires de l'Acad. des Inscr. etc. XXIII 213 ff.
66) Pseudo-Plutarch, de fluminibus p. 756 ed. Reiske.
^') Ch. Lenormant, Revue numismatique 1843 p. 273 ff. cf. Taf. XI
Nr. 1.
136 Robert Eis 1er,
schon Lenormant®^) die Tatsache gestellt, daß auch der Schwarz-
stein der Ka'aba, selbst in seinem gegenwärtigen, durch zahl-
lose Küsse abgescheuerten Zustand, wie Ali Bey ^^) sich wört-
lich aasdrückt, „muskelförmige", d. h. im angeführten Sinn
deutbare Erhebungen ^°) deutlich erkennen läßt. Es ist dem-
nach höchst wahrscheinlich, daß ebenso wie der „Ela-gabal"
in Emesa auch einerseits der Ka'abastein von Mekka, andrer-
seits das hochheilige kleinasiatische Idol als Abbild der gött-
lichen Vulva ^^), als „Mutterstein" oder, wie es in mithräischen
«8) Lettres Ass. I 128.
®ä) S. die Abb. des Steines im „Atlas des voyages d'Ali Bey" t. 55.
'") Wenn der am Kalif'enhofe aufgewachsene und kaum ein Jahr-
hundert nach der Hedschra lebende S. Johannes Damascenus (de haeres.
p. 11 o ed. Lequien) die unbestimmten Erhabenheiten auf dem Stein
als Gesicht deutet (,. . ouxoc, Sä, äv cpxoi äl{)-ov, x s cp a A yj xf^g 'Acppo-
SixTjg saxlv r,v upoc;sx'Jvc«uv, r/v Xaßlp 7ip.og7jY&psuov, Icp' ov xal \xi-X9^ '^'3'' ^T'
flDxiboc, äTcoaxiacjjiy. zoZq dcxpißffjg xaiavooOaiv cpatvsxxi") , so liegt eine
veredelte Auffassung dieser verschwommenen Spuren vor, die nicht auf
das mekkanische Heiligtum beschränkt ist: denn in Rom wurde der
heilige Stein der Kybele mit dem anstößigen „typus Matris deum" (s. u.)
in einen silbernen Kopf eingeschlossen (^Prudent. perist. X 156 f., cf.
Arnob. XII 49; vgl. Etym. Magn. "14322: „xußTi" xecfaXyj"") und das gleiche
dürfte mit dem unten besprochenen Hysterolith der Tanit von Karthago
geschehen sein, da diese Gottheit inschriftlich Pene-Baal „Antlitz des
Herrn", kanan. Penü-el, phoeniz. Osou upögwTiov genannt wurde. Die
Umdeutung entspricht genau der Bezeichnung des alten Phallossteines,
des 'Oße/ltaxöc; oder „Pissmännchens", (oben Anm. 63 unten 200) als Ilüpa-
[iog = „Mund des Krhabenen" und hängt mit den durch die Logoslehre
veränderten Vorstellungen über die Hierogamie (*Weltenmantel S. I9O2)
zusammen. Vgl. unten Anmerk. 224 über den '^dixoc, des Mundgottes,
dem als Sohn der 'Amr = Adyos des Gottes als Lamm bezw. sein hl.
,, Geist" (luhm) in Fischesgestalt entspi'iesst.
") Die Hieroglyphe der Vulva mit dem Gottesdeterminativ findet
sich schon in hethitischen Inschriften (Homrael Grundr. 49 r>) neben
dem Phallus. Eine Terracotta, die Göttin * „Vulva" personifiziert dar-
stellend, ist in Priene ausgegraben worden ; Diels hat sie in der Fest-
schrift für Salinas richtig als Baubo besprochen ohne doch den Zu-
sammenhang von Wort und Bild ganz zu durchschauen: m. E. steht
die Sache so: der Schwur des Sokrates vai \i% xöv -/,'jvx hat mit dem
Hund unmittelbar nichts zu tun, sondern bezieht sich auf den xüwv im
obscönen Sinn (lat. cunnus. frz. cön) und ist gleichbedeutend mit spau.
cofio!, Gegenstück: „carajo!", zwei sehr bekannten volkstümlichen Flü-
chen ; allerdings muß man annehmen, daß der Doppelsinn von K'Jcov =
„Hund" und „Vulva" hier religionsgeschichtlich begriffsbildend gewirkt
hat. Denn der Name der Baußw, in deren Mythus die Vulva eine so
überragende Bedeutung beansprucht, ist offenbar nichts andres als das
auch bei uns zur Benennung eines kinderschreckenden Gespenstes ver-
wendete „Wauwau" des Hundes (vgl. griech. ßaO^stv = bellen, und die
Bezeichnung der Hekate als Küwv iieXa'.va). Ein zweiter Namen der
gleichen Gottheit ist "Hßv), ursprünglich wörtlich == „pubes". Ein drit-
ter ergibt sich aus folgender Nachricht: Auf der Larisa von Argos
Kuba-Kybele. 137
Inschriften^-) heißt, als „petra genitrix" im anschaulichsten
Wortsinn aufgefaßt wurde.
Das £xxu7iü)[Jia 'Acppootirj^ bzw. „Mrjxpos oder wie sich
Anna Comnena ^^) in einer gezierten Paraphrase der Stelle
ausdrückt, ihr „xutio;" an dem Aerolithen ist ganz wörtlich
in der Art zu übersetzen, wie heute noch ein Formgiesser
oder Stempelschneider die vertiefte Form, das exxüviwjjia als
„ Matritze " bezeichnet.
In diesem Sinn bedeutet aber das euphemistische Wort
offenbar dasselbe wie der andre bis heute unei'klärte Mysterien-
ausdruck acfpayu. Ueberliefert ist er genau im gleichen Zu-
sammenhang wie die hier besprochene Vorstellung : der phry-
gische Myste Aberkios, der nach Dieterich's trefflicher Erklä-
rung zur Hochzeit des Steins von Emesa mit dem Idol der
Virgo oder Juno Caelestis von Karthago, dem Ruf Kaiser He-
liogabals folgend nach Rom gewandert ist, um dort die xpuao-
TtsScXo; ^'^), xpuaoaxoXoi; ßaatXoaaa — d. h. die punische Him-
melskönigin — zu sehen, erblickt beseligt auf dem heiligen
Stein der Göttin die schimmernde acppayc; "), die Verheißung
ewiger Fruchtbarkeit und unendlicher Widergeburt des Lebens
— die vulvenförmige Eintiefung des himmlischen, offenbar
auch in Karthago göttlich verehrten Hysterolithen.
Der so nachgewiesene urtümlich rohe Kult der vom Him-
wurde dem Pausanias (2. 21, 1) neben dem Heiligtum der Demeter
Pelag-sgis (d. h. also der vorgriechischen „Berek-ynthia Meter") ein Ort
namens As^^xa gezeigt, Iqs' oKp Ss, sagt er, ob yäp [loi xö, Xcyöiisva Yjpea-
xsv, sxwv Tiapiyjjio. Fick, vorgriech. ON 14(3 hat richtig gesehen, daß
hier biXxoL = vulva (y) ist wie Aristoph. Lys. 151 liXzix uapaT£xi.AiJ,evai.
Dazu bemerke ich auch, daß S£Xta = „daleth" ursprünglich ^Thür"
heißt, was wegen des Ausdrucks „eingehen" erwähnenswert ist. S. hiezu
H. Clay Trumbull, threshold covenant New-York 1896 S. 200:^,3 und
252 „woman as a door".
^•^) CIL 4424; suppl. 4543; 8679; 14:J54 3o etc. Natürlich ist diese
„petra genitrix" gemeint, wenn es bei Arnob. V 5 heißt, daß Zeus bei
seiner brünstigen Jagd nach der Göttermutter seinen Samen an einem
, Felsen" verspritzt. Es ist kaum nötig hervorzuheben, daß der schmutzige
Mythus einer an dem Steinfetisch einst wirklich vollzogenen Befruch-
tungsceremonie (oben Anm. 15) entsprechen muß.
") Alexiad. X p. 2^4.
'*) S. oben Anm. 42 über den Schuh als Gottesdeterminativ, wozu
mich Hommel aufmerksam macht, daß schon Jensen das Schuhsymbol
,Te" = „Herr" gelesen hat.
") Aberkiosinschr. Z. 9: „Aaov 5' s!5ov exsl Xa|iupäv acpaytSa
sxovxa". Die Deutung auf den Stein der Urania bei Dieterich, Aber-
kiosinschrift S. 32, wo jedoch ocppayi^ unerklärt bleibt.
138 Robert Eisler,
mel gefallenen {xyjXpa läßt nun auch Ursprung und Beziehung
der folgenden hei Hippolytus ^*') als „orphisch" und gnostisch-
„sethianisch" überlieferten Kosmogonie erkennen.
„Aus axoTOC, cpwg und dem zwischen ihnen wehenden
Tiveöp-a entsteht in Gestalt einer ungeheuren acppaycg Himmel
und Erde" — die einander, so wird mau Avohl nach orienta-
lischer Entsprechungslehre ergänzen müssen, wie Siegel und
Abdruck entsprechen. „Himmel und Erde gleichen aber auch
der Gestalt nach einer riesigen [i-vjxpa, in deren Mitte sich der
6[icpaX6(; befindet. Wenn einer, sagen die Sethianer, sich all
das anschaulich vorführen will, so erforsche er kunstgerecht
die befruchtete Gebärmutter eines beliebigen Tieres und er
wird darin das Abbild des Himmels und der Erde finden. "
Nichts könnte lehrreicher sein als diese alte kleinasia-
tische Tradition: sie führt mit'ten hinein in jene seltsam phan-
tastische, aus der mantischen Extispicin des babylonischen
Priestertums erwachsene Mikro- und Makrokosmostheorie, die
uns Körte ^ ') in der etruskischen Bronzeleber von Piacenza
und neuerlich Jastrow ^®) in der babylonischen Bezeichnung
LU-BAT = „geschlachtetes" d. h. „Opferschaf" für die Pla-
neten erkennen gelehrt hat, jene Anschauung, die das alttesta-
mentliche Schrifttum mit all seiner Abneigung gegen die heid-
nische Mantik dazu verführt hat, die Herrlichkeit der Himmel
(„So^a oupavca") mit dem der babylonischen Hepatoscopie
entlehnten Namen „Kabod" = „Leber Jahve's '^^) zu be-
zeichnen.
Hier kommt natürlich vor allem die mystische Beziehung
zwischen [xrjxpa und öfJicpaXöi; und die kosmische Auffassung des
letzten Symboles in Betracht. Max Müller, Beiträge I 253 hat die
Vorstellung von einem Nabel des Himmels im finnischen Glau-
ben nachgewiesen. Bei dem auch sonst vielfach hervortreten-
'S) Refut. V 19, 20 p. 202, cf. 208 Duncker-Sclineidewin.
") Rom. Mitth. XX 1905 S. 348 ff.
'*) The Siwn and Name for Planet in Babylonia, Proceedings
Amer. Philos. Society in Philadelphia vol. XLVII lÜÜS Nr. 189 S. 141 ff.
'9) Vgl. K. Völlers, Arch. für Rel.-Wiss. 1906 S. 178, wo jedoch
keine Erklärung des seltsamen, bei Völlers solar gedeuteten Ausdrucks
im eben angedeuteten Sinn versucht wird. NB. Personennamen wie
die Mutter Mosis, masoretiscli ,,Jochebed", lies Jä-kabod „Jah ist die
Leber" und das verwandte J-kabod 1 Sam. 4 21 (•X=I = „Ai",) „der
Mondgott ist die Leber".
Kuba-Kybele. 139
den Zusammenhang zwischen der sumerischen und der Religion
der Tui-kvölker spricht das für sumerischen Ursprung des
ganzen Systems kosmologischer Divination — eine Annahme,
die auch sonst die wahrscheinlichste ist. Denn es liegt nun
wohl auf der Hand, daß die Bezeichnung des heiligen Steines
als „Nabel" nur aus dieser mantischen Makro- und Mikro-
kosmostheorie zu verstehen ist. Für Kleinasien ist die Be-
nennung des Aerolithfetischs als ojjicpaXö? durch die Kybeleepi-
klese „Oraphale" gesichert, — denn die lydische Göttin mit dem
Löwenfell und der Männertracht des Herakles kann nur die
doppelgeschlechtige, auf Löwen thronende, Löwen liebende
Göttermutter sein — , in Phleius, wo sich alte Mysterien der
großen vorhellenischen Muttergöttin erhalten hatten, stand ein
OjjtcppaXöc; neben einem Apollontempel ^^) ; an die bezeichnen-
derweise neben dem yjko^ot. aufgestellten ^^) Nabelsteine des klein-
asiatischen Gottes Apollon ^-) selbst, in Delphi, Delos, Sinope ^^)
braucht kaum erinnert zu werden. Hier kommt vor allem die
Bezeichnung Tfiq, öjxcpaXos ^*) für das Heiligtum von Paphos,
den Ausgangspunkt aller griechischen Aphroditenculte, d. h.
aber für den heiligen Stein der „Kubrä"-Kypris (s. u.) von
Cypern, und der ö[icpaX6c iioXewc von Antiocheia ^^) in Betracht.
Entscheidend aber ist im vorliegenden Zusammenhang w^ieder
eine schlagende südarabische Parallele. Bekanntlich befindet
sich nach der Tradition des Islam in Dschedda das hochheilige
Grab der „Eva% der „Mutter alles Lebens" fr'^? ö« Gen. 3, 20;
80) Paus. II 13, 7.
8') Vgl. Gruppe 1634; zum delphischen xäa;j,oc vgl. den Schlund im
Heiligtum von Bambyke. Die oben mitgeteilte Kosmogonie, an deren
Anfang die kosmische [ivitpa steht, berechtigt nun auch das urzeugende
fß-oc, bei Hesiod, orphisch xäo(i(x ueXcüp'.ov, als deifizierte Vulva zu
verstehen. Vgl. unten über tar-'atä = x'^'^l^'^ ^Is Epiklese der Atargatis.
*'2) S. unten Anm. 200.
8=«) Gruppe Hdb 326 le.
8*) Hesych s. v.
85) Malalas X 233 Dindorf. Vgl. auch das Omphalion in Thessa-
lien (Steph. Byz. s. v. 493 n) und die omphalische Ebene in Kreta
(Kallim. hymn. I 45; Diod. Sto). Odyss. a 50 heißt die Lichtlandsinsel
der entrückenden Kalypso ö[j.cpaXög ^aXdaavjc;, eine Vorstellung, mit der
die Bezeichnung der heiligen, ursprünglich wie Delos, die „caxirj Ko-
xXäSwv" (Kallim. hymn. IV 325) schwimmend gedachten Insel Usu-Pa-
lätyros als Tiexpa uYpoTiöpoc [isaö|j,cpaXos bei Nonn. Dion. 40 71 zu ver-
gleichen wäre. Dazu vgl. unten Anm. 122 über indo iranisch „apäm
napät" „Nabel der Wasser".
140 Robert Eisler,
Symmach. Zo)oy6v&?), die nach Ausweis des Namens ^^) ur-
sprünglich schlangengestaltig gedacht ist, und als „Adamah"
(= Erde), wie die Adamsgattin auch geheißen haben muß,
eine „Mutter*") Erde" darstellt, alles in allem ein genaues
Gegenstück zur schlangenleibigen Gaia und Rheia ^^) der Grie-
chen. Der erste europäische Besucher dieser Wallfahrtsstätte,
Burton, beschreibt das Heiligtum folgendermaßen ^^) : „ White-
washed and conspicuous to the traveller from afar, is a di-
minutive dorne" (also eine „Kubbat" oder „cubola") with an
opening to the west" ( — weil die Seele das Grab in der Rich-
tung zum Sonnenuntergang verläßt — ) „under it and in the
centre is a Square stone " (der xußo;) „ planted upright
and fancifully carved to represent the omphalic
region of the human frame. This aswellas
the dorne iscalled «El Surrah» or «the navel».
The Cicerone directed me to kiss this manner of hieroglyph."
Der Bericht spricht für sich; das kuppeiförmige Kapell-
^^) Nöldecke ZDMG 42, 487 vgl. Aram. N'Vn sss. hammu = Schlange
(ebenso schon Midrasch bereschith rabba §21 zu üenes. 3 20); dieselbe
Erklärung Wellhausen, Reste'- 154. Natürlich ist keine Rede davon,
daß der Cult von Dschedda banifische Einrichtung mit Rücksicht auf
die biblische Tradition sein könnte, sondern im Gegenteil wurzelt die
Genesislegende in allen westsemitischen Cultvorstellungen. «Vgl. Hom-
mel bei Trumbull a. a. 0. 335 über die eng verwandten Worte „ne-
chustan" „hl. Schlange" und ri'Z^m „vulva".
*'^) W. Robertson Smith, Kinship S. 177 übersetzt Chawa mit Rück-
sicht auf 1 Sam. 18,8 mit ,,motherkinship"; dementsprechend gilt der
Cult der pei-sonifizierten mütterlichen Stammeseinheit. Die Deutung
des Heiligtums als Grab der Göttin zeigt, ebenso wie ihre Schlangen-
gestalt, daß es sich um einen alten Ahnenkult handelt. Die nächste
Parallele bietet das im Codex Hamurabbi II 26 erwähnte Grab der
Ai-(lstar) in Sippar. Wenn Lenormant's Vermutung (p. 308) richtig
ist, daß dieses „Grab der Eva", das die Arabischen Führer Burton's
„Sachra Tawilah" „langer Stein" nannten, identisch ist mit der von
Jakut erwähnten „manhirat tawilat" der Gottheit Sa'd (= „Glück",
Epiklese des klückbringenden Venusgestirns? astrol. im Caper und
Aquarius localisiert [Hommel], vgl. unten über Mul Gula) am Ufer von
Dschedda, dann hat die Muttergöttin hier dieselbe Benennung gehabt,
die die classiscben Völker bei der S3'rischen und punischen Urania mit
luxri und Fortuna übersetzten. Die Epiklese „tawilat" die „oblonge",
„lange" kehrt in Kleinasien und gewissen vorhellenisch beeinflußten
Gebieten Griechenlands als \oXc/j] bezw. Maxpig wieder, einem Epithe-
ton für die rechteckig d. h. oblong gedachte „Erde"; danach heiüt der
männliche Paredros der Göttin dann Dolichenus.
'*^) Vgl. unten Anm. 164 über 0 p h i a s -Kombe. Dazu beachte
man den delphischen öjicfaX-bg F^g als Grabmahl der Python-Schlange
(die Zeugnisse bei Rohde, Psyche I 132 12).
89) Pilgrimage III 387.
Kuba-Kybele. 141
eben und der heilige Kubusstein, mit einem gemeinsamen Na-
men als „der Nabel" bezeichnet, ist überdies ohne Zweifel
kosmisch gedeutet worden. Denn „hagr", arabischer Terminus
technicns der Astrologie für „Culminationspunkt" oder Zenith
entspricht mystisch ohne Zweifel der oben besprochenen Be-
zeichnung „Hagar" = heiliger Stein und überdies sagt Al-
biruni"^*) ausdrücklich: „the midst of the inhabitable world,
of its longitudinal extension from east to west on the equator
is by the astronomers of the Muslim called the c u p o 1 a
(kubbat) o f the e a r t h and the great circle which passes
through the pole and this point of the equator is called
the meridian of the cupola". Man sieht, wie trefflich zu
dieser kosmischen Localisierung die Schlangengestalt der Na-
belgottheit passt, wenn man bedenkt, dass die altorientalische
Astrothesie tatsächlich um den Himmelspol herum einen Spa-
y.cDv iXiY.otiörii zu sehen glaubte®^''). Wie also in der bei
Hippolytos erhaltenen phrygischen Kosmogonie im Mittelpunkt
der kosmischen, Himmel und Erde umfassenden [JiyjTpa der
öficpaXö; liegt, so denken sich die Araber „el Surrah" „den
Nabel" ^^''), die „himmlische Kaaba" ^'') über ihrem irdischen,
im Mittelpunkt der Erde gelegenen Abbild, den „hagr" über
dem Stein der Stammmutter „Hagar" im Himmel schwebend.
Dementsprechend lehrt die Theologie des Islam, daß das
Vorbild, der „Typus" der Ka'aba im Himmel, vor der Welt-
^*a) Albiruni, India trad. E. C. Sachau, Trübner, Oriental Series,
London 1883 p. 306 c. XXX. Daß A. den ursprünglichen Beweggrund
des Namens „kubbat der Erde" nicht mehr kannte, ergibt sich aus
seinen kritischen Bemerkungen: „We must, however, observe, that,
whatever may be the natural form of the earth, there is no place on
it, which to the exclusion of others deserves the name of «cupola» . ."
Vgl. die feine Polemik des Epimenides FVS'^ 496 20 gegen die delische
Omphalossage: „oiiSe yäp •^v ysivjj [Jidaog ö[icpaXög oüäs •9-aXäaayjS | el Ss
Tig sau, %-solc, AHA02, S-vy^toiaiv 8' axavioj".
^'i') Fast alle, mit Sternbildern geschmückten babylonischen Grenz-
steine zeigen diesen Polardrachen mit dem geringelten Schlangenleib.
Vgl. dazu Boll, Sphära Tafel I und V, die Texte S. 96, 300, 468. Zwi-
schen den Windungen der Polarschlange steht der kleine Bär, der
unten Anm. 109 als Verstirnung der am Pol wohnenden Göttermutter
besprochen wird und auf den der Namen der Schlangengöttin Helike
übergangen ist. Als „Amme des Zeus" und des Hermes ist die „Helike"
eine Doppelgängerin der Göttermutter.
*"<:) Nach dem „Nabel" (surrah) heißt das Apollonheiligtam Sura
in Kleinasien und die Insel Syra o9-i x p 0 u a l TjsXioio (0. 404).
«") Zum folg. s. Tabari p. 180 trad. Dubois ; Pococke, Spec. p. 121;
Burckbardt a. a. 0. 1217; Caussin I 170 ff. ; Lenormant p. 140.
142 Eobert Eisler,
Schöpfung erbaut worden sei. Allah habe die Engel ange-
wiesen, dem kosmischen Heiligtum durch die heute noch von
den Pilgern zu vollziehende Ceremonie des ,,tawäf"', den
siebenmaligen Kreisumlauf ihre Verehrung
zu bezeugen. Und genau unter diesem himmlischen
Heiligtum habe Adam — lies Edom, der ,,Rothe", der Epo-
nym der Edomiter oder „idumäischen" Araber^"'') — die ir-
dische Ka'aba errichtet.
Der astrologische Charakter der sieben Umläufe um den
heiligen Stein — der nicht nur in Mekka, sondern bei vielen
ähnlichen arabischen Heiligtümern nachweisbar ist ^^) — ist
längst erkannt ^'^) : das Kreisen der Engel, d. h. der heidnischen
Planetengötter um den mystischen Stein als Weltmittelpunkt
wird in eigentümlicher Weise ^^) nachgebildet. Die zugrunde-
liegende kosmologische Theorie ist unschwer kenntlich und
auch aus neubabylonischen Diagrammen ^*) tatsächlich zu be-
^"a) Assyr. ^.ssädu" bedeutet _rot sein" ,rot glühen" und wird
vom rotglühenden Stern Betelgeuze im Orion gebraucht. Ein gleich-
lautendes Wort heißt ,,jagen", was trefflich zu dem „Pfeilstern" — so
heißt der Betelgeuze — des himmlischen Jägers paßt (Jensen, Gilgames-
epos p. 842). Deshalb heißt „ Sid" „der Jäger", der Eponym von Si-
don, auch der ,Rote", griech. $oivi^ , der Gott der „Phönizier" sem.
„Edom", der „Rote", Gen. 25^7 als „Jäger" geschildert und von den
Phöniziern nach dem Zeugnis der Namen 'Obed-Edom und Malach-Edom
eis I Nr. "295 und 365 tatsächlich verehrt. 'PoLwiy.sz ist also die genaue
üebersetzung von „B'ne Edom"-ldumäer, vfozu die phönizische Tradition
einer Einwanderung aus Ostarabien (Herodot 1, 1 cf. 7, 89) trefflich
stimmt. (August Fick's Erklärung der it&Lviy.Eg als „Rothäute", die
sein treffliches Buch über vorgriechische Ortsnamen nicht weniger ent-
stellt, als die darauf gestützten Folgerungen gegen eine wirklich phö-
nizische Besiedelung griechischen Gebietes, ist natürlich unhaltbar;
cpoivig der Vogel und der Baum gehen auf ein ursemitisches Wort „bnh"
zurück; Hommel Grundr. 83 e). Deshalb ist Phoenix im griechischen
Mythus ein kalydonischer Jäger, Vater des mit ihm wesensgleichen
„Adonia", und wird geblendet wie Orion, deshalb muß (oben
Anm. 60) die Statue des Hobal mit den Pfeilen aus rotem Stein
sein. „Adam" in der Ka'abalegende ist also hanitische Umdeutung
für den alten Stammesgott Edom.
»') Caussin de Perceval I 270 ; Muir, life of Mohammed I, p. CCXCII.
^-) Sprenger, life of Mohammed p. 6.
^') Niketas Choniatas a. a. 0. (oben Anm. 15) „loög Ss slg npogsuxV
evcsl ÄTiioviag [lev [itav aüxmv y^el p a Ttpög xöv Xi9-ov ixxsivstv, tq Ss Ixepqc
TÖ oög y.aTSX£-v xö iS'.ov xai cjxcü xuxÄoxspcög kauzobc, Ttspicpepeiv. Zum zu-
gehaltenen Ohr vergleiche eine Parallele im Hei'mescult Korn. 16 S. 67 Os.
^*) Vgl. *„ Weltenmantel" Cap. IV, gegen Schluß, über die Kosmo-
gramme des Mar Aba von Nisibis in den Handschriften des Kosmas
Indikoplenstes, wo man selbst die sternbewegenden im Kreise fliegen-
den Engel abgebildet findet. Infolge dieser Vorstellungen vom himm-
Kuba-Kybele. 143
legen : man milim an, daß Sonne, Mond und Sterne um den
Gipfel eines im Norden der bewohnten Welt aufragenden him-
melhohen Berges in regelmäßigen Schraubenlinien — daher
der griechische Namen Helikon für diesen Weltachsenberg —
kreisen. Mit diesem heiligen Berg, dem „Ijagr" oder Culmi-
nationspunkt ist der heilige Stein „hagar" durch mystische
Gleichsetzung eins ^^), dem tawäf der sieben Sterngötter um
den Nabel des Himmels entspricht der jährliche Umlauf der
Hadjis um die Ka'aba.
Genau dieselbe Vorstellung knüpft sich nun bezeichnen-
derweise auch an das kleinasiatische Gegenbild der Ka'aba, die
Kybele 'Opetr] als Göttin des heiligen Berges und als mysti-
scher Nabelstein '0(JicpaA-ifj.
'A^avaxwv ■9'£6tc|ji£ ^ewv fJtfjxep, xpocps ticcvxwv
wird sie im orphischen Hymnenbuch angerufen,
axyjTCTOöxe xXsovoio tcoXou,
Stabträgerin des hehren Himmelshutes ^^)
Yj xax£}(£cs xoafioto [lioov -ö'pövov, ouvsxsv auiiQ
yaiav ix^^i • ■ • 'I <j x c rj ai)5a)(^£iaa "'').
Der Nachdruck bei der Erklärung dieser Vorstellungen
muß natürlich auf die Bezeichnung der Göttermutter als Welt-
mittelpunkt und saxta gelegt werden: es gibt keinen Leser
dieser Zeitschrift, dem dieser Namen nicht unmittelbar die
herrliche, zweifellos orphisch beeinflußte Schilderung im pla-
tonischen Phädros (XXVI S. 247 a) ins Gedächtnis riefe, von
lischen Rundtanz der Sterngötter, heißt der Himmel „marqod'' = Tanz-
platz" und das oberste Gestirn , ursprünglicli der Mond , später die
Sonne „Ba'ai Marqod" ,Herr des Tanzplatze s" , orphisch Dionysos
äoxpcov yp^oL'^oc, oder öp^aiiog xöa[j.ou.
^°) Den Zusammenhang des hl. Steines mit dem hl. Berg, als dessen
Abbild und Stellvertreter er gilt, hat m. W. zuerst Melchior de Vogue
Syrie centrale, inscriptions semitiques p. 104 klar erkannt und ausge-
sprochen : ,,le culte de la pierre, et surtout de la pierre conique se
relie ä celui de la montagne isolee, du lieu haut considere d'abord
comme le sejour de la divinite, puis comme identique ä la divinite
elle-meme".
96) Ygi *^ Weltenmantel " S. 64 über die auf Mithrasstelen (Cumont
mon. 1(33 a, 251 e, 190, 228 bis, c, 295 Fig. 490, p. 52.3 Textb. vol. I
p. 197) mehrfach bezeugte Vorstellung des Himmelshuts (uöXog, tiiXCov)
auf der Stange, dem Stab, oder dem Wipfel des Baumes, der als Welt-
achse gedacht, vom höchsten Punkt der Erde aus emporragt.
9') Abel, fragm. orph. p. 73 v. 4,5,9. Vgl. dazu Sophocl.fr. 558 N 2,
Myth. Vatic. HI, 26; Schol. Stat. Theb. 4«6.
144 Robert Eisler,
dem erhabenen „tawäf" im hellenischen Himmel, dem Reigen
der unsterblichen, unter Führung des Zeus auf ihren Flügel-
wagen das Firmament umkreisenden Götter, bei dem „Hestia"
allein „im Hause der Götter" zurückbleibt ^^). Diese xo:vy)
eaica, die in Delphi (JLea6[xcpaXo^ genannt wird ^^) und sinnge-
mäß als Mittelpunkt der Welt gilt ^^''), wird von den Orphi-
kern selbst oly.o:; Scwv ^°^) d. h. ßaixuXo? ^°2) genannt. Das
erklärt sich einfach genug: der heilige Stein, das Haus der
Gottheit, selber göttlich, ist auch der ursprünglichste „Altar",
er wird mit Oel gesalbt — darum heißen Hestias Haare (Hymn.
hom. 24,3) „fetttriefend" — und mit Blut begossen, auf ihm wird
das Feuer entzündet, das der Gottheit Stelle beim Verzehren
der Opferspeise vertritt. Haus und Herd sind eins als Heim
der Gottheit; liegt das Haus der Gottheit, ihr heiliger Stein
und heiliger Berg als Nabel der Welt im Mittelpunkt der Erde,
dann muß dort vom höchsten Gipfel aus auch das heilige
Feuer der Götter auf ihrem Herde zum Himmel flammen. Der
Tempelberg von Jerusalem, das nach der einstimmigen rabbi-
nischen und patristischen Ueberlieferung als Nabel der
Erde gilt ^"2="), heisst bei Isaias „Uriel" = „Feuer Gottes"
^*) Vgl. Hom. hymn. IV 29. wo Zeus der Hestia verliehen hat, in
der Mitte des Hauses zu wohnen, dazu Korn. c. 28 S. 159 Osiander.
^®) Vgl. Eurip. IßN 456 ff.: ,5 jid-xaipa Ntxa, iJ.ö}.e n-j'S-i.ov oly-o^^ . .
<I>0[,ßrjtog svS-a yäg |j,saö[icpaXog laxta . . jiavTsüiiata xpaivei".
'«») Euripid.'fr. 944 cf. Pseudo-Aristot. uspl xöoiiou 2 S. 391 bl4;
Korn. 28 S. 156 Os.; Dion. Halik. apx. 266: Ovid Fasti, 6267; Lact. 26;
Osann zu Korn. S. 333 und 338; Preuner, Vesta und Hestia 159.
"^J Hymn. 84 b.
^•'^) So wird andrerseits der delphische Nabelstein bei Hesych und
im Etymologicum Gudianum 10247 bezeichnet.
102 a) Vgl. (irünbaum ZDMG XXXI, 1877, S. 199; Joma 54 b (Mon.
talm. I 237 Nr. 791 Z. 10 f.) Midrasch Tanchuma (ibid. Nr. 792 Z. 40)
Sancherib 37 a (ibid. Nr. 793 p. 288 Z. 4) Sohar Num. (ibid. Nr. 794
Z. 24), wo überall Jerusalem als „Nabel der Erde" (wegen F'zech 38 12.
„tabbur ha'arez" combiniert mit Se „Jerusalem in der Mitte der
Völker, rings im Kreis die Länder" bezeichnet wird. (Der Name des
Berges Atabyrion-Itabyrion, der ausserhalb von Galilea noch bei Agri-
gent und auf Rhodos vorkommt, ans dem Semitischen nicht zu ver-
stehen ist, und wohl mit Fick als hethitisch zu betrachten sein wird,
verdankt seine biblische Form „Thabor" wahrscheinlich der durch seine
Kuppelform [„mira rotunditate" Hieron. OS.] veranlassten volksety-
mologischen Angleichung an „tabbur" = „Nabel" bezw. „Hügel").
Christliche Zeugen für die Lokalisierung von Jerusalem im Nabel der
Erde sind Clemens von Alexandria (unten Anm. 102 b) Cyrill. Jerus.,
Eutych. bis auf Dante Purg. II 1 tf. und Fazio degli überti, Dittamo-
Kuba-Kybele. 145
und „Arial" ,, Opferheld'' , wo Jahwe ,,ein Feuer und eine
Brandstätte hat" ^"^b)
Es ist überaus lehrreich, zu verfolgen, wie diese Vorstel-
lung der mystischen kleinasiatischen Theologie in der jonischen
Philosophie nachwirkt. Dieselben Pyfchagoräer, die das Welt-
centrum iaxioc Toö Tiaviog xac Aiö; oixov nennen '°^), bezeich-
nen es gleichzeitig, doch offenbar mit Beziehung auf Kybele
als „ G ö 1 1 e r m u t te r " .
Am besten aber lernt man die dabei zucfrundeliegende
ndo 1. VI c. VII. „il monte Sion, che in mezzo al mundo appunto
si divisa".
102 b) Die schwierige Stelle 29 1.2. 7 (s) muss so punktiert werden,
dass in dem fünfmal wiederholten "^K"""!« das Wortspiel mit allen mög-
lichen Deutungen voll zum Ausdruck kommt: „*Weh Uri-el (Gottes-
feuei"), weh Urü-el, du Stadt wo David Lager schlug". . ^so will ich
Ari-el (den Gottes 1 Owen) bedrängen, dass Webklage und Jammer
entsteht; und sie (die Stadt) soll mir wie Arial (Opferherd) wer-
den ... ^Von Jahwe her soll Heimsuchung erfolgen . . . mit der
Flamme verzehrenden Feuers .. [sc. gegen die] „Völker, die
wieder Ariel (Gottes Löwen) zu Felde liegen . .". Zu Uri-el „Gottes
Feuer" vgl. Isaias 31 9: „(Jahwe), der sein Feuer ('ür) in Zion und
seine Feuerstatt zu Jerusalem bat". „Uru-el'- = „tsjjlsvos", sem. harära
Gottes" ist der alte Name von Jerusalem (Uru-salim in den Amarna-
briefen), dabei steht das allgemeine El an Stelle des Gottesnamens Salm
(= „Zwilling" [s. u. A. 152]; bezieht sich auf den zweigipfligen Berg; Salem
ist temura, vgl. Winckler, Gesch. Isr. II 229 3; Ex Oriente lux II 107 20)
Ari-el „Gott(es) Löwe" ist nach Genes. 49 9 f. („Löwe und Löwin" s.
u. Anm. 147 den löwengestaltigen Zwillingsgott und die Löwen der Gro-
ßen Göttin) Bezeichnung für J u d a. Die mystische Beziehung zwi-
schen dem „Gott Feuer" und dem „Gott Löwen" besteht darin, dass
im Stierzeitalter die Sonnenwende mit den Sonnwendfeuern und dem
„Feuerfall" Arad-Gibil in das Sternbild des Löwen fällt, so daß der
Culminationspunkt (s. oben Anm. 15 über hagr) der Sonne, der „Horeb"
oder Berg „der Gluthitze" (Winckler) auch als feuerspeiender Löwe ge-
dacht wird. Vgl. zu dem feuerspeienden leontokephalen Gott Xpö^oq
in den Mithräen den von dem Löwengott von Heliopolis ausgehenden
Feuerfall bei Damask. Vita Isid. ap. Phot. Bibl. cod CCXLII p. 348.
Diesem feuerspeienden Löwengott ist bei Isaias das Feuergericht von
Jahwe her entgegengestellt. „Arial" = „Altarherd" ist durch die Me-
shainschrift und die Tempelbeschreibung im griechischen Ezechiel 43
10 f. (aptyjX Glosse: „cpw g jxou ■S-scg * rizoi öpoc, ^•zoü'blc, xb O-uoiaaxYjpiov
oöTtüg IxäXsoev" ; cf arab. „irat""" = ,,Herd", Encycl. Bibl. 298) gesichert.
Dementsprechend heisst bei Philo, Vit. Mos. II (III) 101; Joseph, antiqq.
III 77; Clem. Alex, ström. V 6, 33 S. 665 P das Suiita-cvipiov des Tem-
pels „aüfißoXov x%c, iv [isatp xw y.öoiJKp löiSe x£'.[Ji£vrj; y'^S"- Vgl. Anm. 62
über den Götterberg als Phallos S-iy 'arallu.
103) Philolaos bei Stobäos ecl. phys. I 22 S. 488 = 134 20 M. c>o
Diels FVS "^ p. 237 u: „<I>. nOp sv (Jisaq) zispl 10 v.tnpo^ öuep «sotiav
toü TzavTÖg» naXsl" (cf. p. 242io fr. 6) xat « Aiög oTxov» xai «MvjTspa 9-2tüv>
«ß(!)JlÖV> T£ -/ccX".
Philologus LXVIII (X. F. XXII), 1. 10
146 Robert Eisler,
Vorstellung aus einem Fragment des Heraklit ^°*) kennen, das
Diels im ersten Band mit einem Fragezeichen unerklärt ent-
lassen mußte, was meinen Freund Wolfgang Schultz ^°^) leider
zur Verschwendung zweier enggedruckter Seiten künstlichster
Argumentation an eine ganz überflüssige Textverböserung ver-
leitet hat: dort heißt es: ,,rjoöc xac saTiepa; zip[ioi.X(x y] apxTo;
xa: dvTiov xfj; apxtou o5po^ aid'piou zlto?", „Morgen- und
Abendgrenze ^'^'') sind «die Bärin > (am Himmel) und genau
gegenüber (diesem Nordpol des Himmels auf der Erde) der
(Nord-)Berg des strahlenden Zeus."
Die Nacht hindurch schwingt sich die Sonne hinter dem
Berg vorüber ^*"^), aber die beiden Hälften der Nacht, Abend
und Morgen, sind nach Heraklit nur durch die ideale Ver-
bindungslinie (TEpjxaxa) der gegenüberliegenden Kuppen von
Erde und Himmel getrennt, die die Sonne um Mitternacht
passiert, keineswegs ^"^j wie Hesiod — und Parmenides —
lehren, durch ein gewaltiges Thor mit eherner Schwelle. Des-
"*) Nr. 120 Diels FVS - p. 78.
"'°) Pyfcbagoras und Heraklit Wien 1905 S. 110 ff. und neuerlich
wiederholt in einem eben erscheinenden besonderen Aufsatz über He-
raklit fr. 67 im Arch. f. Gesch. der Fhilos. 1909, 200:. Bei Diels^ 11
665 unten ist ein Teil der richtigen Deutung (=oupoe Zeusberg jonisch
für öpos) schon, wenn auch zweifelnd ausgesprochen. Der kosmische
Berg der Mitte heißt ,, Bärenberg" (localisiert bei Kyzikos Schob Apol-
lon. Rhod. I 936), weil er „gerade unter dem Bärengestirn" liegt, und
„Helikon" wegen der gleichen Beziehung zur Polschlange Helike.
*"*) Hesiod Theog. 748 ff. ,,5&i Nü^ xe xal 'HiJtepvj äaaov loöoai. äXXrj-
Xa5 TipogsetTtov, ä|jistßö|j,cva'. [isyav oOSov x.äX>i£Ov" xiX. Vgl. Parmenides
fr. In Diels FVS" 114: „£v9a roJXat NuxTÖg xs y.al 'HiJiaxög elot xsXeü-
S-o)v, y.at ocpäg ÖTispO-upov djicplg ix-^ '^'^' ^^^''■'"^os o'^jbo g". Der Nordberg
(vgl. zum babyl. Bei sadu rabbu = „Bei der große Berg" den kana-
näischen Baal Zephön ,,Ba'al des Nordens", Baethgen, Beitr. 23, 261) auf
dem (Isaias 14i3) die Elohim wohnen, hat zwei Gipfel (vgl. 4
Rawl. 27 2 [Hommel's freundl. Mitth.] Z. 17 : „sa zi-sa-a-su (Dual)
sa-ma-mi sa-an-na" ,, dessen" (sc. des Götterbergs Im-'gur-sag) „beide
Gipfel den Himmel erreichen"). Dazwischen befindet sich das (Gilpa-
mesepos Taf. VII Z. 44 f. erwähnte) 72 Ellen hohe Thor am Nordpunkt
des Himmels , dessen Schwellstein (Xai'vog oüSög bei Parmenides) den
Mittelpunkt der Welt bezeichnet. Folgerichtig ist auch die Schwelle
— über deren Cult anderswo ausführlich zu sprechen sein wird —
der Hestia heilig (Varro, Myth. Vatic. KI 122 cf. III 4 4.
"') Vgb Anaxinander Diels FVS" I 17 ss : »Kivtlad-ai 5k xä äaxpa oO^
ÖTTÖ yfjv dXXä uspl yYjv".
108J Vgl. Herakl. fr. 57 Diels p. 70, das mit 120, seiner Begründung
zusammenzuziehen ist. („5t5äaxaXo5 Ss tiXs'.oxcüv 'HaioSog' lO'jrow iTziaxav-
xat TT;X£laxa slSdvai, Scxig :^|iepYjv xal eü^p&VYjv ouk iyiy^iüaxB'^ (oben Anm.
106). eaxt y*P ^^)'
Kuba-Kybele. 147
halb — weil es keine materielle Schranke zwischen den in ein-
ander übergehenden Hälften des vu/^{)Yj(ji£pov, Morgen und Abend
gibt — sind Tag und Nacht im Gegensatz doch eins.
Dem Götterberg mit dem Centralfeuer und dem olv.o;,
A'.o; — dem zeugenden /aaiJia zwischen den beiden Gipfeln
— der Kybele - Omphale -'Opetr] - Myjirjp unten, entspricht
das Circumpolargestirn der ., Bärin", der kleinen apxxos, ^
TüXsouaiv OoiviXcS ^^^), dessen Benennung — keilinschriftlich
nicht nachzuweisen — Kallimachus "") auf Thaies zurückführt,
oben am Himmel. Die ratio dieses Katasterismus ist nun klar:
denn die „Bärin" ist die große Göttermutter selbst, der die
Bären heilig waren ^^^), und die selbst als „ursa mansueta,
quae cultu matronali sella vehebatur" ^^-) verehrt wurde.
Zu allen diesen Entsprechungen in der Auffassung des
kleinasiatischen Mutter-, Nabel- und Herdsteins mit seinem
arabischen Gegenbild kommen noch eine Reihe unmittelbarer
und nicht zu übersehender Beziehungen hinzu. Wenn die
Neupythagoreer ihr Centralfeuer ^^^) saita — statt Aw? ocxo;
*"') Diog. Laert. I 23. Glaubwürdig ist die Nachricht deshalb nicht,
weil nur der semitische und nicht der griechische Name des Bären die
für ein Circumpolargestirn bezeichnende Vorstellungsgrundlage der
, Trägheit" bzw. „langsamen Bewegung" bietet. Denn es ist doch
zweifellos, daß bei der Auswahl des Namens an den zahmen, an Ort
tanzenden Bären, die ,ursa mansueta", gedacht worden ist.
■1») Fr. 94 Diels FVS^ p. 3 15.
"') Lucian dea Syria 41.
"^) Apul. 11 8. Die Fahrt auf dem Wagen entspricht der bekannten
Lagebeziehung zwischen dem Polarstern und dem „großen Wagen"
bezw. „Bären" {Z 427).
"^) Nur nebenbei bemerke ich, daß die als phantastisch verrufene
Lehre vom Centralfeuer und der Gegenerde einfach darin besteht, daß
die Pythagoreer, wenn man so sagen darf, aus Symmetriebedürfnis
und speculativer Vorliebe für die vollkommene Kreisform der Welt,
den Nordberg in die Mitte der — bei den Babyloniern rechteckigen —
Erdscheibe rückten und so „hinterm Berg" eine jenseitige ,,hyperbo-
reische" Erde annahmen. Uebrigens geht aus der Terminologie der
jonischen Schule (x u jjm a v 0 eiS^ ttjv yfjv) deutlich hervor, daß auch
in diesem Punkt die Theologie der kleinasiatischen Culte nicht ohne
Einfluß geblieben sein dürfte. Vgl. Varro bei August, de civ. Dei VII
2ö „tympanon (magnae Matris) significare orbem terrae" und Servius
zu Virgil Aeneis IV 64, wo die beiden Kymbala der Göttin auf die
Himmel shemisphären gedeutet werden „quibus cingitur terra, quae est
mater deorum". Dazu vgl. man die ,,kuppel"förmige Gestalt des ,,0m-
phalos" in Delphi, ferner das sternengeschmückte Tympanon auf der
Münze von Pessinunt, Imhoof Blumer, griech. Münzen, (Abb. bayr.
Ak. XVIII 751 Nr. 7.50).
10*
148 Robert Eisler,
— Zavös Tiupyos ^^*) nennen, so ist das sprachliche und sach-
liche Anlehnung an die orientalischen Bezeichnungen des Him-
mels- bzw. Götterhauses, babyl. „parakku'" (Zelt), arab. „al-bu-
rug", griech. Tiupyo: "^); heute noch bezeichnet „Batll" im Ara-
bischen einen jener hohen viereckigen, astrologisch orientierten
Warttürme, die zwar in historischer Zeit nicht mehr dem Cult
dienten, aber einst sicher zu diesem Zweck benützt wurden ^^^).
Entscheidend für den orientalischen Ursprung des ganzen
Vorstellungscomplexes aber scheinen mir die beiden Benen-
nungen des Brandopferaltars saxca und ioy^dpx.
Gruppe ^^^) hat richtig hervorgehoben, daß die appellati-
vische Bedeutung von iaxla, secundär aus dem Namen der
Göttin hervorgegangen zu sein scheint, nicht umgekehrt. Der
Etymologie nach aber erklärt er feo - xt'a - Vesta aus d{i'^i-
./eavup-c „die Verhüllte'' und vergleicht als Parallelen die beim
„Nabel des Meeres" wohnende gleichbedeutende KaXudjü) und
phoen.* "["13 = Kirke. Es ist kaum mehr nötig zur fehlen-
den Erklärung dieser sicher zutreffenden Namensdeutung auf
den ausführlich besprochenen Umhangsritus der Ka'aba, auf
die verhüllte Istar von Ras el 'ain und auf die zahlreichen an-
derswo ^^^) gesammelten kleinasiatischen Parallelen hinzuweisen,
von denen hier nur die auch in Sizilien und Attika nachweis-
bare Artemis XcTwvr] = n:riD genannt sei. Der Umhangsritus
ist der ursprünglichste, sinnenfällige Ausdruck für die Per-
sonification und Deification des Steines; nur die Umhüllung,
das Kleid unterscheidet den heiligen vom profanen Stein. Die
Jeaxioc (Xt>o$ oder Ttetpa) ist der heilige Stein schlechthin.
"*) Nikom. Geras, bei Phot. bibl. 143 a 32; Prokl. Tim. I (zu S. 27 b)
61c; III (zu 34 b) 172 a; iV (zu 40 c) 282 e. Zur Bezeichnung Zavög
cpuXaxä ebenda III 172 a vgl. die anderswo zu erklärende Wiedergabe
des Wortes „Zur" (Gott-Fels) in der Septuaginta mit cpüXag. Zu Z. u-jp-
yog ist natürlich die 7:upyocf.dpos KußeXrj (Synes ep. o S. 639 ff.) zu
vergleichen.
"*) "Vgl. über diese tatsächlich in der astrologischen Litteratur mit
,,betü'' und „isreti" uequivalenten Ausdrücke Hommel ZDMG 45, 607j.
116) Wellhausen a. a. O. 103. Vgl. den Ortsnamen Ba'al-Zaphon
,,Ba'al Wachtturm" in Goshen, Encycl. ßibl. p. 4092.
"') Handb. 1402.
ii8j Weltenmantel S. 165 ff. Vgl. unten Anm. 213 a über den Um-
hang der Sachra. Der Gebrauch ist auf den christlichen Altarstein
mit seiner nie fehlenden Altardecke übergegangen.
Kuba-Kybele. 149
Noch vielsagender ist das ursprünglich genau so wie
Tcupajxcc - nupa|j,05 und ö^oXöc, - c^iXt.o-i(.oi ^^^) einen Götter-
namen darstellende ea/^apa — im Griechischen anerkannter-
maßen ohne Etymon — , das lautlich und dem Sinn nach dem
besonders in Ninive, aber auch in Kleinasien sicher bezeugten
Namen Is-chara ^-^) für die Bellt Nin-gur-sag die „Herrindes
Götterberges " entspricht. „Is-charra" = „Haus + Berg", ganz
ähnlich wie der bekannte Tempelnamen „E-kur" ist wohl das
vollkommenste Gegenstück zur Kybele 'Ope^vj, zur iatia als
oly,oc, A:6c auf der Hohe des Götterberges, das man nur er-
warten könnte: selbst die verschwindende LautdifFerenz zwischen
*'Ea/^apa und Ischara bestätigt nur die vorausgesetzte Glei-
chung, denn volksetymologische Angleichung an „'es" = Feuer^
*'Eaxapa = „ Feuer des Berges'" liegt auf der Hand^^" ^). Damit
ist dann aber auch der kleinasiatische Ursprung der offenbar
prähellenischen, an iaita, ec/^apa. öji'^aXoc, Tcjpyog, oiY,oc. Acöc;
— der babylonische Tempel, das „Berghaus'' E-kur, ist be-
kanntlich ein Stufenturm, ein künstlicher „ Höhenort ", eine
'■'^T bähmä, griech. ßü)[Ji6(; ^^^) — anknüpfenden Weltvorstel-
lungen und Kosmologien, die naturgemäß in sog. „orphisch-
pythagor ei scher" Lehre, d. h. aber in jonischer Ueberliefe-
rung am deutlichsten bewahrt geblieben sind, unzweifelhaft
nachgewiesen.
Für die Auffassung der hier untersuchten Gottheit aber
ergibt sich aus den engen Beziehungen von Nabel und Herd.
i"-9) Oben Anm. 63.
*-") Das Ideogramm der Göttin Isharra ist auch Ideogramm für
Ninua-Ninive (Hommel Grundr. SdO). In Kilikien ist sie gesieherst
a) durch den Xeftonamen Ishr (ibid. 116 3) b) durch den in Kilikien
gefundenen Siegelcylinder mit ihrem Namen (ib. 5U).
120a) Vgl. dazu oben Anm. 102 a die genau entsprechende Reihe
„har-El" (Gott- Berg, zu Is-charra) äp-.YjX-arial = S-uaiaatVipiov (zu iaj^äpa
im griechischen) und uri-el ^ Feuer Gottes" (zu 'es-charra).
1-1) M. E. kann nicht daran gezweifelt werden, daß auch ßto|j.ös sa-
crales, von der vorgriechischen, kleinasiatischen, im Cult durch und
durch semitisierten Bevölkerung übernommenes Lehnwort (= hebr.
bämä, assyr. „bamäti sa sade" =^ Bergeshöhen, Delitzsch Hdw. Ib.
177 h) ist. Auch der wärmste Bewunderer Ulrichs von Wilamowitz
wird sich heute eingestehen müssen, daß es verlorene Mühe bedeutet.-
diese unabweisliche Erkenntnis ,,wi8sensch-iftlicheri Phiiosemitisnaus''
zu schelten. Die Theorie von .J. D. Michaelis, dab im Gegenteil bamä
ein indogermanisches Lelinwort sei, ist einfach indiscutabel (vgl. G. F.
Moore, Encycl. Bibl. 2064 3). Vgl. S. 145 103.
150 Robert Eisler,
die — offenbar als babylonisches Lehngut — auch in Indien
nachweisbar sind ^^^), durch die Entsprechung von {JLTjtpa und
otxos, von Tür und Antlitz ^^^) ein ganz eigentümlicher, mehr-
»22) Der Opferherd heißt Nabel der Erde, der Welt, des Alls näb-
hih prthivyäh , bhuvanasya, vi9vasya). So wie auf der iJisaö[icpaXoc
^XpoTzöpoz vYjoog von Palaityrus ^oben Anm. 85) der f euer umlohte
Lichtbaum steht, so heißt indisch der F e u e r gott Agni „apsäm
napät" (Oldenburg, Rel. der Ved. 109 tt'.)- Dieser bezeichnenderweise
auch im Avesta vorkommende „apäm napät" „der Gewässer Nabel",
armenisch als Bergnamen Npat-Nr-pdxYj? (Hommel, Grundr. 209 o) aber
ist nach parsischer Erklärung (Spiesi-e], ZDMG 41 S. 288) „das Gebirge,
von dem der Tigris herabkommt", d. h. der mythische Nordberg.
128) Yg^_ oben Anm. 9 den „Gesichtsschleier" (,,burkah") über der
Thür der Ka'aba und unten über den Cult des „pinah"-steins auf Zion.
Endlich bemerke ich, daß die seltsame, wie immer man sie erklären
mag, nicht abzuleugnende Beziehung zwischen .lanus, janua = Thor
und Jana = Mond (Varro, re rust. I 37. 3) vielleicht durch die Vor-
stellungsbrücke „Gesicht" (für den Mond an sich naheliegend, vgl. die
„facies in orbe lunae") für ,,Thür" (vgl. die ßedeutungsentwicklung
08 -ostium) vermittelt ist. Ich erwähne es, weil die Darstellungen des
Janus mit dem Doppelkopf auf den römischen Libralassen ebenso wie
die ähnliche eherne Statue des Gottes im Janusbogen unwillkürlich
an den kleinasiatischen Mtjv Ai5'j[ios oder TiaiioO (s. unten Anm. 197)
erinnern und ein römischer Di-ianus (^= .Doppelthür" = Janus ge-
minus) anscheinend ganz wohl einem kleinasiatischen A'.9-'jpaiJißog ^^'.^
TiuXog (*At-TruXos) entsprechen könnte. Die Finger an der Hand seines
Culfcbildes, die die Zahl 36ö, ursprünglich 3.b5 (Plin. N. H. 34i6 cf.
Macrob. Sat. I 9) bilden, reihen sich in die unten zu besprechende
kleinasiatische Dactylensynibolik noch am ehesten ein. Endlich stellt
die an die kleinasiatische Form ,,Aperla" anknüpfende Theologenety-
mologie Apollo = ,,Aperta" von „aperire" eine gewiß nicht unbeab-
sichtigte Verbindung zwischen dem eröffnenden (und schließenden,
Clusius — Patulcius , zu- und abnehmender Mond) Janus und Apollo,
dem kleinasiatischen Didyraaios her. Als ,,divom deus" und „creator"
(„duonus cerus"). wie im Salierlied kann man wohl den doppelgesichtigen
Urvater Mond, aber niiht einen deificierten Thorbogen, wie Wissowa
meint, anrufen. Der Cult müßte dann ein etruskischer sein, wozu
nicht nur die etruskischen Münzen mit dem Doppelkopf, der zweige-
sichtige Jünglingsgott mit etruskischer Inschrift in Cortona, das vier-
gesichtige Cultbild von Falerii u. a., sondern auch der Umstand spre-
chen würde, dalJ janus = Thor keine Analogie im Indogermanischen
hat (Frazer). Die enge Cultverbindung mit der oben als ursprünglich
kleinasiatisch vorausgesetzten Vesta (und mit Föns, wozu unten über
die Auffassung des Mondes als Quellfelsen) würde sich gut zu dieser
Annahme fügen, die sich heute, wo die lateinischen ,,recidiva voca-
bula Troiae" (Tark , Trok — Tarquinius; Motala, Mutallu, MöxuXoc:
— Metellus; Tiberis — 60|jißpio;, To'jßsptg, Toßoßopo; ; Mamalos — Ma-
milius, Manlius — MdvXog; gens Pinaria — Pinaros etc. Hommel Grundr.
65) neue Bedeutung gewonnen haben, vielleicht eher hervorwagen darf.
(Vgl. u. über Cuba und Cupra bei den Etriiskern). Folgerichtig müßte
man natürlich auch in Griechenland neben 'Eoxia-"HßY) 'OixcfdXv) Reste
dieses Janus gestaltigen Gottes finden. Tatsächlich bietet Sparta, wo
auch sonst ,,orphische8" d. h. praehellenisch-kleinasiatisches zum Vor-
schein kommt, einen zwitterhaften, mit Amykläe (Cult des leeren
Kuba-Kybele. 151
fach zusammengesetzter Vorstellungsinhalt, aus dem sich die
ursprüngliche Wesenseinheit des Hauses der Gottheit mit ihrem
menschlich gedachten Leib, dem vaö^ xoO aw^axos ^-*), um
einen neutestamentlichen Ausdruck zu gebrauchen, ohne wei-
teres ergibt.
München. Bobert Eisler.
(F. f.)
Thrones!) zusammenbängenden Apollon texpdxsip und xeTpdcwtog (Sosib.
FHb II (527 11 ; Anecd. Studemund I 267; Hesycb s. v. HouptSiov) d. h.
also einen griecbischen Didymaios neben der bekannten Darstellung
,,der" Zwillinge in Gestalt zweier durch einen Querbalken verbundener
Pfähle, d. h. aber in Gestalt eines echten „Janus geminus".
'-*) De Vo^'ue Syrie centrale Inscr. seniit. p. 121 hat zuerst die
innere Beziehung der cubiachen Steinidole zu den cubischen Heilig-
tümern in denen sie eingeschlossen sind, erkannt. Ebenso entspricht
die altorientalische Kuppelcapelle (die n2|P im eigentlichen Sinn) genau
dem halbkugeligen Omphalosstein ; wie denn kein Einsichtiger bezwei-
feln wird , daß der Ursprung des altorientalischen Wölbebaus die Ab-
sicht wai% im kosmischen Heiligtum die Himmelswölbung nachzubilden.
Vgl. unten über den Götternamen Kajiäpa, dazu Serv. Verg. Aen. I
505 s. V. testudine: „camera iucurva vel fornicata, quae secundum
eos, qui scripserunt de ratione templorum" (bezieht sich auf hellenisti-
sche Litteratur) „ideo sie fit, ut caeli imaginem reddat".
IVliscelien.
1. Mythographisches.
R. Reitzenstein hat im Hermes 35, S. 73 ff. den Versuch
gemacht, die Traditionen über die Hochzeit des Peleus zu
sondern. Dabei hat er ein schon früher ^) von ihm behan-
deltes Fragment aus den herculanensischen Rollen (Coli. alt.
Vni 105) herangezogen, worin für diese Geschichte Hesiod
zitiert wird. »Der herculanensische Mythograph gibt uns
Kunde von einem Gedichte Hesiods, welches mit keinem der
besprochenen identisch war, aber denselben Stoff behandelte.
(Ein weiterer Bearbeiter des Stoffes wird eingeführt, dessen
Abweichungen im einzelnen anzuführen nicht lohnte oder zu
schwer erschien.)" (S. 78.)
Zunächst ist zu beachten, daß der „Mythograph" inhalt-
lich nicht mehr bietet als Apollodor, wie man bei einer Gegen-
überstellung beider Berichte erkennt:
Apollodor HI 168.
a) au{>t; Se yaixec [IlrjXeus]
ÖEtcv TYjV Nrjpew?, Txspc YjC: TOÖ
Ya(j,ou Zeus y.od HoaecSöv 7]pc-
eaeaO-a'. xöv ex xautrj; yevvrj-
^evta xpemova toö naxpoc,
&7r£aj(Ovxo.
b) "E V t C3 1 de cpac Ato;
op^tövxo; ekI xTjV xauxrj? auvou-
acav sfpyjxevai Hpopt.yj'ö-Ia
xöv ex xauxT]? aöxcp ye'^vyid'kvxoi.
oOpavoö Suvaaxeustv.
c) X t V £ ? Se Xeyouat 61-
XIV \iri ßouXigd-^vat Au auvcX-
•8'£LV 6ic, unb "Hpac; xpacpefaav.
Aca bk opytaO-evxa ■Q-vtjxü)
■8'eXstv auxy^v auvocxfaat.
Herculan.
oe xa[t auvocx''a]a: xwo
n[7]X£t]
£v n]po[xrj^[£l §£ xö:] Xuö-
(X£[v](jd[c ©£x?J t5o; e
6 0£ x]a K67i;[pta TCOtrjaag
"H[pat xap[c(^o[Ji£vrj]v cpeuyEtv
au[xoö xöv ya|Jiov
A[ia S' 6][ji6aat x°'^^[^^'^~]'^
ScoxL 9-vy3[x(i)t aujvocxcaau
Da die Versionen b und c übereinstimmen, wird man es
auch für a annehmen müssen. Apollodors Haupterzählung
fußt in diesem Abschnitte, wie vielfach, in letzter Linie auf
Hesiod (Ap. 157, 158: Hes. fr. 76. 163—167: fr. 83, 78, 79) 2).
Auch hier spricht nichts dagegen, wenn wir das im Hercula-
nensis folgende ins Auge fassen. Ich lese hier:
1) Index lectionum Rostock 1891—92.
2) Vgl. Friedländer Herakles S. 15 f. Ich halte es für nicht wahr-
scheinlich, daß die Geschichte in den MsYcc^.ai 'HoTai stand.
Miscellen. 153
a]uvo:y.Laac* xa[: na.-
p' 'H]a:öS(i) Ss xs[txa'..
15 x]6 7rapaTcXyja[cGv
6][l£caavopoc[ . , .
ujspt KXu[Jievrj; \6z:
a]uv£paa8£v| xwv
Z. 17 f. liest Reitzenstein vj; "HacJov epaai)£v[Ta ^), wofür
der Raum nicht ausreicht. Daß raan rh TiapaTrXyj'jLOV zum
folgenden ziehen kann, giebt R. selbst S. 78^ zu. Bei dieser
Annahme erhalten wir eine gute Verknüpfung der beiden Bei-
spiele. Die Parallele mit der Thetisgeschichte scheint darin be-
standen zu haben, daß auch um Klymene sich zwei Götter stritten
(Z. 18). Welche Version der Klymenesage diesem — sonst nicht
bezeugten — Zug zu Grunde lag, läßt sich nicht entscheiden *).
Das Hesiodzitat sagt uns nur, daß auch Hesiod den Streit
um Thetis bezeugte. Dabei konnte sein Bericht mit der Haupt-
version des Herculanensis sehr wohl identisch sein. Denn wir
können nach dessen Uebereinstimmung mit Apollodor nicht
bezweifeln, daß beide aus demselben mythologischen Hand-
buch schöpften. Für Philodems Ti£pc £ua£ß£:a$ hat Dietze
(Neue Jahrb. 1896, 2, 19) solche Berührungen aufgezeigt.
Nun wissen wir aber soviel von jenem Handbuch, um zu er-
kennen, daß es für die Hauptversion im allgemeinen keinen
Autor anzugeben pflegte. War in unserem Falle diese Haupt-
version Hesiod, so konnte ein späterer Bearbeiter von neuem
aus seiner Lektüre^) das Vorkommen der Geschichte bei Hesiod
notieren. Dazu stimmt, daß im Herculanensis sich das Hesiod-
zitat deutlich als Zusatz zu erkennen giebt.
Aus unserem Fragment ergiebt sich schon, daß wir im Hercu-
lanensis keinen Mythographen im eigentlichen Sinn vor uns haben.
Es werden Beispiele verwandter Art aneinander gereiht, offenbar
in bestimmter Absicht. Das wird noch klarer aus fr. VI 13 ff.:
Twv uX£tax[ü)v
•9-£]wv ixaT£pa[
ccöxou; 5£o[£a
•9-at iJxEpo'j; Ö£o[u<;.
In Z. 13 läßt sich aus yEXoxtxa- mit leichter Aenderung
Y£Xo:6Tax[ov gewinnen. Wenn auch die nähere Beziehung der
Stelle (auf Kronos oder Zeus) unklar bleibt ^), erkennen wir
^) Im Anfang der Zeile ist zweifelhaft ob o oder o dagestanden hat.
*) Vgl. Philodem Tispi suGaßsiocc; S. 49, 12S, 10 Gomp. ep'.y.Ä'Jiis, doch
ist auch hier der Zusammenhang nicht zu verstehen.
^) Die Papyri zeigen, v/ie lange die Kataloge gelesen wurden.
") Zu vergleichen ist Philodeni tl. eücsßsia.; S. 41. 9U Gomp., wo die
Fesselung des Zeus (unmittelbar nach der Thetisgeschichte) erwähnt wird.
154 Miscellen.
doch, daß die Verkehrtheiten der überlieferten Göttergeschichte
verspottet werden. Damit ist sicher, daß wir im Herculanensis
Fragmente einer (epikureischen) Tendenzschrift besitzen. Die
Aehnlichkeit mit Philodem Tcept suaeßsta; ist offenbar. Ob die
Fragmente tatsächlich dieser Schrift angehören, wie Höfer ^) an-
nehmen möchte, ist nicht zu entscheiden. Auf einen Streit unter
Göttern scheint sich auch zu beziehen fr. 1 : Z. 12 usjp: xaXXou?
15 npoy.p'.di.G[d-ixi 19 5c' o(.loyi)[^nfj? Man könnte an das Paris-
nrteil denken, doch läßt sich kein Zusammenhang herstellen.
Ferner scheint die Perseussage vox'gekommen zu sein:
fr. VII 14 ff. nepa[£u; . . . .] xrjV xecpaX[rjv ...].. ifiq Top-
[ycvos] eowxev, vgl. IV 15 Kr^tw ; Aveniger sicher VI 11, wo
Höfer ö]vrj'C'?j Toplyöyoiv herstellen will.
Allzuviel darf man aus unsern Fragmenten nicht zu er-
schließen hoffen. Sie sind von Franc. Casanova abgeschrieben,
den Crönert^) vielfacher Fälschungen überführt hat. Vgl. IV 7
= VI 6 u xac [jir]. Die Fragmente sind verloren bis auf VIP),
das nachzuprüfen wäre.
Trotz alledem behalten diese Bruchstücke ihren Wert als
ein neuer Beleg für epikureische Polemik gegen die mytholo-
gische Tradition und für die Geltung des „mythologischen
Handbuchs". Hier wie bei Philodem nepl euaeßeia? finden
wir einen Gegensatz zu Apollodor, der sich aus dem verschiedenen
Zweck, den die Schriftsteller verfolgen, erklärt. Der Mythograph
will erzählen, er bringt möglichst viel Varianten; der Epikureer
häuft die Autoren, um die Verbreitung und das Schwanken
der Irrlehren darzutun. Das zugrundeliegende Handbuch muß
beides, Varianten und Autoren, reichlich enthalten haben.
München. G. Lippold.
2. Tö)|jLo? und Remus.
In dem Aufsatz „Remus und Romulus" (,Glotta" I, 288 f.)
hat Kretschmer richtig erkannt, daß das Problem, wie neben
den seit Jahrhunderten bekannten und bei Griechen überall
vorkommenden Brüdern (nicht Zwillingen !) Twno; und
T(jo|j.uAoc in Rom nur Remus und Romulus genannt
werden, zu oft ignoriert oder in ungründlicher Weise wegin-
terpretiert worden sei.
Auf drei Wegen ist versucht worden, diese Schwierig-
keit zu heben:
') Röscher III 2623. Dagegen sprechen die Anna. 6 erwähnten Pa-
rallelen.
«) Rh. Mus. 53, 585 ff.
^) Vgl. den Index zu den Vol. Herc. Crönert a. a. 0. 588.
Miscellen. 155
1) durch sprachliche Erklärungsversuche, indem man die
Verwandtschaft von Remus und Kömos nachzuweisen suchte;
2) durch Annahme einer Umbildung, welche die
Gründungssage, trotz der Identität beider Per-
sonennamen, bei ihrer Uebertragung aus Griechenland und
ihrer Einbürgerung in Rom erfahren haben müßte, und
3) durch die geschichtliche Differenzierung
von 'P(I)[j.o; und Remus.
Der erste Weg ist längst als unfahrbar erkannt, der zweite
ist von Kretschmer betreten worden. Aber Kretschmer bietet
in seiner Erklärung (Glotta I, 298) nur eine Möglich-
keit dar, die jedoch noch des sachlichen Beweises bedarf,
dass und welche Umstände zur Ersetzung von 'Pwfio; durch Remus
geführt haben könnten. Die Erklärung befriedigt aber schon
deshalb nicht, weil sie Remus vor dem seit langem bei grie-
chischen Historikern (z. B. nach Dionys. 1, 72 bei Kephalon)
gebräuchlichen Romulus aufkommen läßt.
Hier soll der dritte Weg eingeschlagen werden.
Auszugehen ist hier also nicht von der Identität
von 'Pwjxo; und Remus, sondern es ist zu untersuchen, ob
nicht eventuell ihre Verschiedenheit festzustellen ist.
Bis auf Timaios hat keine der zahlreichen Gründungs-
sagen Roms Gründung später als in das 12. Jalirhundert
V. Chr. gesetzt. Entweder wurde dieselbe auf Söhne bzw.
Enkel des Aeneas zurückgeführt oder auf eine Troerin Rome.
und auch die wenigen anderen, die von einem Nachkommen
des Odysseus fabeln, führen auf die gleiche Zeit. Dieser
chronologische Satz war auch in Rom durchaus herrschend, wie
das die von Dionys 1,73 angeführten Versionen beweisen, welche
samt und sonders in Rom selbst gläubige Anhänger hatten. Auch
Ennius hielt Romulus noch für einen Enkel des Aeneas^).
Bald aber ward man in Rom wissenschaftlicher und ge-
scheiter. Man nahm eine doppelte Gründung Roms
an: Dionys 1,73: {äXXoi oh XeyouoLV . . 'PwfjLr^v) xpövoD^ xtva;
£pr^[ji(i)9-£caav sispa; aöötc eld-oüay];, dA:otxia?, r)v "AAßavo: eaxs:-
Xav fiyo\)\iivou 'Pü)(j.6Xou xal 'Pwfiou, tt,v di.gya.lca xx:a:v ct.7zo-
Xaßetv waxs oixxac, £:vac ttj; 'Pü)[j,v]; xd? xxiozic,' xyjv |Ji£V öXc-
yov uax£pov xwv Tpcotxwv y£VO[Ji£vr^v, xr^v ot -£vx£xaco£"/.a Y£V£ai5
uoxcpoöaav X"^^ Tipoxspac.
Nun konnte man allerdings mit Rücksicht auf die lange
albanische Königsliste und auf die in Rom damals geglaubte
Siebenzahl der Könige neben einer zweiten ßesiedelung
Roms auch einen zweiten Romulus 2) annehmen. Es wäre
») Serv. in Aen. 1. 278.
-) Zumal der erste Romulus in der römischen Annalistik später
eliminiert ist.
156 Miscellen.
dagegen abgeschmackt gewesen, alle die Einzelheiten des alten
Gründungsmythus noch einmal wieder erstehen und sich repi-
tieren zn lassen, einen zweiten Aeneas, eine zweite Rome, oder
einen zweiten Romos im 8. Jahrhundert v. Chr. zu erfinden.
Der damals lebende Romulus mußte als ein Enkel eines
Albaner-Königs hingestellt werden. Seine Mutter konnte nicht
mehr liia, d. h. eine Troerin, gewesen sein. Sie wurde zur
schuldbeladenen (rea) Silvia. Auch der uralte Romos der
griechischen Mythographen, der die Tipwtr] xiioi^ Roms und
noch dazu diejenige zahlreicher anderer Städte, wie Capua-
(Dionys 1,72 — 73), veranlaßt haben sollte, durfte keinen
gleichnamigen Doppelgänger im 8. Jahrhundert haben. Da
nun seit 296 v. Chr. die lupa mit den „infantes conditores"
beim lupercal stand und jedermann an die Zweizahl der
Gründer erinnerte, so musste dem Romulus ein anderer Zwil-
lingsbruder an die Seite gestellt werden. Sicherlich hat Nae-
vius in seinem Drama „Alimonia Remi et Romuli" an die
Stelle des 'Pü)[jioc: der griechischen Mythographen den Remus
gesetzt, auf den auch einige Lokalitäten in Rom, wie z. B. Re-
mona, Remoria, hinwiesen. Es ist sogar nicht undenkbar, daß
er zuerst es war, der hier der Sage, welche er auch im
Uebrigen frei ausgestaltet hat^), künstlich nachgeholfen hat.
Für die Entfernung des Namens Römos als Heros eponymos
von Roma kam noch ein anderer gewichtiger Grund in Betracht.
Als man die Wölfin mit 'Pwijlo? und 'Pw[x6Xgc; aufstellte,
da legte man Wert darauf, daß 'Pö)[Jio? zugleich Rom, Capua
und andere verbündete Städte gegründet habe. Das stolze
Rom des 2. punischen Krieges schämte sich dieser Verbindung.
Es ließ den Pö)|jlOi; fallen und wählte sich den 'PcofjtuXoc: als
Gründer der Stadt, dem es dann natürlich einen neuen Zwil-
lingsbruder substituieren mußte, der aber ebenso rasch wieder
zu verschwinden hatte, wie er gekommen war.
Remus ist weder eine sprachliche noch eine (infolge
der weiteren Ausbildung der Sagen entstandene) willkürliche
Differenzierung des 'Pö)[Jicc;. W^ie der ältere Romulus den
Römos, so hat der jüngere Romulus den Remus zum Bruder
erhalten. Die griechischen Schriftsteller, welchen diese Unter-
scheidung zu subtil war, bliel)en bei ihrem 'Pwjxo? xa: 'P(i)|JiuXos*),
^) Vgl. meinen Aufsatz die Romuluslegende im Archiv für Reli-
gionswissenschaft 1909, S. 101 f. 120 f. und mein Buch ,,Die Anfänge
der römischen Geschichtschreibuncr" (Leipzig 1909) S. 28. Naevius hatte
die Romulusfabel nach dem Muster von Sophocles Tyro frei erfunden.
*j Die ältere Fabel bot:
Rome
Romos Romulus I um 1200 v. Chr.
Die jüngere Legende: Silvia um SOO v. Chr.
Remus Romulus IL
Miscellen. 157
Hingegen von Naevius durfte der von den Römern besei-
tigte Romos nicht mehr verwandt werden, und der Dichter mußte
daher einen neuen Namen für den Zwillingsbruder auswählen.
Zabern. Wilhelm Soltcm.
3. Kurz- und Langzeile in der Auspicianischen
Strophe.
Als Auspicianisch bezeichne ich jene bekannte
Strophe von vier quantitätslosen alternierenden proparoxy toni-
schen Achtsilbern, das Metrum sehr vieler mittellateinischer
Kirchenlieder-). Sie unterscheidet sich von der noch belieb-
teren Ambrosianischeu Strophe -) durch ihre Quantitäts-
losigkeit ; von den insularen Achtsilbern der Iren und
Angelsachsen^) durch die Regulierung des Wortakzents im
Innern*), meist auch durch Verschiedenheit in Strophik und
Reimverwendung. Ich habe die Strophe nach ihrem ältesten
Vertreter benannt, dessen Namen wir kennen, nach dem Bi-
schof Auspicius von Toul (um 475)'').
Die vier Achtsilber der Auspicianischen Strophe sind
regelmäßig so gruppiert, daß hinter den zweiten die stärkste
Sinnespause fällt *^). Das Gedicht des Auspicius ist demgemäß
in Langzeilen überliefert; und der Hymnus Audi redemptor '^)
hat eine Akrostichis, die nur die Initialen der Langzeilen verbindet.
Diesen Beobachtungen syntaktischer und palaeographischer
Natur füge ich eine metrische hinzu, die gleichzeitig für die
Textkritik und Prosodie von Bedeutung ist: in mehreren Hym-
nen wild die 1. und die 3. Kurzzeile metrisch freier behandelt
als die 2. und die 4. Diese Stücke sind folgende: Hex aeter-
') Die älteren davon, auf die es hier vor allem ankommt, sind ver-
streut in den Bänden 11 (1887), XIV (1893), XXVII (1897), LI (1908)
der von Dreves und Blume herausgegebenen Analecta hymnica medii
aevi.
") Dreves und Blume 1. c. und Band L (1907).
^) Antiphonar von Bangor und Mon. Germ. Hist. Epist. 111 210 sqq.
425 sqq.; vgl. Wilhelm Meyer, Gesamm. Abh. zur mittellatein. Ryth-
mik 1 220 ff., Nummer VIII 13. 15—26.
*) Die Regel, daß Vollton auf der 1. oder der 3. Silbe nur bei
Disyllabis erlaubt ist (Byz. Zeitschr. XVII 589), ist bis zum X. Jahrh.
nur in insularen Achtsilbern nicht gewahrt.
^) Vgl. W. Brandes, Des Auspicius von Toul rhythmische Epistel
an Arbogastes von Trier, Programm, Wolfenbüttel 1905 und Rhein.
Mus. LXIV 1909 58—97; Wilhelm Meyer (aus Speyer), Die rythmischen
Jamben des Auspicius, Götting. Nachr. 1906, 192—229.
«) Wilhelm Meyer, Götting. Nachr. 1906, 198; vgl. Gesamm, Ab-
handl. II 119 Note.
') Anal. hymn. XIV Nr. 11.
158
Miscellen.
ne^), Mediae noctis^), Christe coeW^^), (Nunc) Tibi virgo^^)^
Christe redemptor ^^). Die beiden ersten sind schon von Cae-
sarius von Arles (f 542) zitiert; das dritte ist in Hss des
VIII. — IX. Jahrh. überliefert, aber umgeben von lauter alten
Stücken, sodaß es Cl. Blume ^^) mit großer Wahrscheinlich-
keit der Zeit vor 530 zuschreibt: für die Hymnen (Nunc) Tibi
virgo und Christe redemptor liefern die Hss als Spätgrenze
das X. Jahrb., doch können beide Stücke viel älter sein.
Das Häufigkeitsverhältnis der metrischen Licenzen läßt
sich einfach in einer Tabelle veranschaulichen.
Unregelmässigkeiten
in Silbenzahl und Schlussakzent
Lied
und
Strophenzahl
In der 1. und
3. Kxirzzeile
In der 2.
Siebensilber Neunsilber
Paroxyt.
SchluBS-
akzent
Zahl der
unregelm.
Verse
und
4. Kurzzeile
Rex aeterne
(17 Str.)
8
(17,1
fraglich)
3
10
—
Mediae noctis
(14 Str.)
1
(9,lfraglich)
2
8
11
1
(12, 2)
Christe coeli
(12 Str.)
3
undl Sechs-
silber
5
15
19
3
(9,2. 4; 10,2)
Tibi virgo
(7 Str.)
3
—
3
—
Christe redemptor
(7 Str.)
—
—
9
9
—
Zusammen
(57 Str.)
16
7
35
52
4
Zur Textkritik und Prosodie ist folgendes zu bemerken.
Rex aeterne Str. 1
Rex aeterne domine, rerura creator omnium,
qui es ante saecula semper cum patre filius.
Statt es haben 4 Hss (unter 16) eras. Das ist eine metrische
Korrektur; umgekehrt ließe sich die Variaute nicht erklären.
Der Gebrauch der Praesens in diesem Zusammenhang ist ganz
gewöhnlich: Hymnus Verhiim sahdis^^) 5 qui meinet ante
saecula semper cum patre filius ; Benignitatis ^^) 6 qui cuncta
volvit tempora et regnat ante saectda; Hilarius^^) 1,1 Ante
saectda qui manens.
8) ebenda LI Nr. 2. »j ebenda LI Nr. 1. ♦") ebenda LI Nr. 10.
") ebenda XIV Nr. 105. ^'') ebenda LI Nr. 50.
>ä) Hymnologische Beiträge III (1908) 118.
'*) Anal. hymn. XIV Nr. 2. '^) ebenda XXVII Nr. 10.
'6) ebenda L Nr. 1.
Miscellen. 159
Str. 15. Tu es certo tempore datarus finem saeculi,
tu cunctorum meritis iustus remunerator es.
Die 4 Hss, in denen diese Strophe steht, fügen sämtlich nach
dem ersten es ein qui ein, das die Syntax zerstört, aber offen-
bar dem Metrum dienen soll.
Str. 17. Die Doxologie mit dem Siebensilber Gloria tihipater
steht nur in einer Hs (saec. VII — VIII.) ; sie abundiert hinter Str. 16.
Die Verse 3, 1 Quem diaholiis deceperat^ 9, 4 vexillum
fidei fcrimns, 13, 1 quia tu testis et mdex es möchte ich nicht
neunsilbig lesen, sondern mit Synizese (zu diaholiis vgl. Zabu-
lus) ; sichere Neunsilber sind in Bex actcrne nicht überliefert.
— 6, 1 haptismum am Versschluß ist proparoxy tonisch ^'^).
Mediae noctis Str. 9
Stultae vero remanent, quae exstinctas habent lampades
frustra pulsantes ianuam clausa iam regni regia.
Die Lesart At stidtae vero in 4 Hss (unter 8) ist natürlich
metrische Korrektur. Da kein anderer Siebensilber in dem
Gedicht steht, muß man mit der Möglichkeit rechnen, daß
stidtae dreisilbig zu lesen sei {^ stidtae)^ was Blume früher vor-
zog ^^). Dieser Vokal Vorschlag ist zwar in Gedichten des V.
bis VI. Jahrh, noch nicht als metrisch wirksam erwiesen, aber
jedenfalls schon viel früher tatsächlich vorhanden gewesen ^^).
— quae ist mit exstinctas zu verschleifen. — Die beiden Neun-
silber des Gedichtes, 10, 1 Quare vigilenms sohrie und 11, 1
Noctisqne mediae tempore waren wohl ursprünglich quauti-
tierende Verse mit Auflösungen.
Christe coeli 8, 1. Der Sechssilber Sanctus sanctus sanc-
tus steht in einem wörtlichen Zitat aus dem Te deuni. —
Der Zehnsilber 9, 4 venisti de excelsis domine ist kaum kor-
rupt. — Die Neunsilber dieses Gedichtes schließen alle paroxy-
tonisch. — In einer Hs (Vat. Reg. 11) sind die Siebensilber
von zweiter Hand durch Füllwörter ausgeglichen.
(Nunc) Tibi virgo Str. 1
Tibi virgo virginum laudes ferimus carminum,
teque coeli dominam resultat haec plebecula.
Das in allen 11 Hss vor Tibi überlieferte Nunc gibt keinen
Sinn, da kein zeitlicher Gegensatz vorhanden ist, und keine
Aufforderung folgt; es zerstört auch die Anapher, die in den
folgenden Strophen fortgesetzt ist. Offenbar waren hier wie
in Hex aeterne und Christe coeli die 1. und 3. Kurzzeile der
ersten Strophe siebensilbig.
") Gramm. Lat. ed. Keil Suppl. p. 176.
»f) Anal. hymn. XXVIl Nr. 80, vgl. S. 54 ; Byz. Zeitschr. XVII 589 ; vgl.
die Siebensilber in Augustins Psalm gegen die Donatisten, v. 17. 25. 109.
'^) Der Gebrauch von abs vor s impurum, der auf diesen Vorschlag
hinweist, geht nach Woelfilin, Thes. ling. lat. 1 3, 10 bis ins II. Jahrh. zurück.
160 Mscellen.
Christe redemptor. 6, 2 sumus sanguine mit mehreren Hss.
Durch die Beschränkung auf die 1. und 3. Kurzzeile
werden die genannten Freiheiten in diesen Liedern gegen den
Verdacht der Korruptel gesichert, soweit sie das noch nötig
haben : in den meisten Fällen hat schon Blume auf Grund
der Ueberlieferung die Unantastbarkeit der regelwidrigen Verse
festgestellt. Silbenzusatz und paroxytonischer Schlußakzent
können durch das Vorbild quantitierender Verse einfach er-
klärt werden: aber höchst merkwürdig bleibt die Tatsache,
daß auch Siebensilber gestattet sind, sogar schon in dem sehr
alten Hymnus JRex aeterne domrne, und gleich im ersten Vers,
der durch zwei Zitate des VI. Jahrh. über jeden Zweifel er-
hoben ist. Man erkennt daran, wie früh sich einzelne Pro-
dukte der mittelalterlichen Metrik von den quantitierenden
Vorbildern vollständig emanzipieren, und wird dadurch von
neuem gewarnt, gewisse durchgehende Akzentgesetze (oben
S. Ibl"^) ausschließlich auf die mechanische Nachahmung jener
Vorbilder zurückzuführen.
Für die Erscheinung, daß in einer aus gleichen Elemen-
ten bestehenden Strophe einige bestimmte dieser Elemente
freier behandelt werden als die übrigen — die Erklärung
liegt in dem Wesen der Langzeile — , fand ich in der raittel-
lateinischen Metrik keine Parallele, dagegen mehrere in der mittel-
griechischen. Ein früh byzantinisches Gedicht, das aus vier ,,Au-
spicianischen" Strophen besteht, und folgendermaßen beginnt:
■le^ai cpwva; oOpavoe xpiadyis acoiY^p r^jjiwv
urco T^ixwv Twv £Tct yiQj eaTwtcov y,a.'. 6|xvo6vxü)v ae.
X(p dxoiiJLriTü) ö[Ji^axc STCt'ßXefjiov cpcAdv9'pwä£
£i; xr/V fi[i6iv daO-ivetav y,a: oö; vjijliv xaxdvu^iv . . . '^'^),
weist 3 mal oxytonischen Versschluß auf, aber nur am Langzeilen-
schluß. Unter den Akklamationen, die Konstantinos Porphyro-
gennetos mitteilt, finden sich drei, die aus paroxytonischen Acht-
silbern bestehen-^); je 2 Achtsilber bilden die Langzeile, je 2
Langzeilen die Strophe (je 4 Strophen das Gedicht): z. B.
Xacpet 6 v.öo[ioc, öp6i'^ ae ot.\)Xov.pdiTopci SeaTioxr^v,
>tat y) noXiq aou XEpTtsxat ^eoaxsTixs Kwvaxavxivs.
6)pot.%exo!.'. -^ xä^ic, oe ßXsTiouaa xa^tdpxrjv,
xai sOxuxo'jo'. xa axrjTtxpa as axyjTcxouxov xsxxr^iJieva . . .
Von den 22 erhaltenen Langzeilen haben 8 in der ersten
Hälfte proparoxytonischen Schluß, in der zweiten keine.
München. Faul Maas.
=">) Byz. Zeitschr. XVIII Heft 3 u. 4.
-1) De Caerim. (ed. Bonn.) 294, 1 'Ev Taig x^pa^ oou ay,(jLepov, 279, 13
= 282,3 Xatpsi ö xöo|iog, 380, 10 At' rjiiäs ijis-piaoas.
November 190S — Febraar 1909.
VI.
Kuba-Kybele.
Vergleichende Forschungen zur kleinasiatischen Religionsgeschichte.
(Fortsetzung,)
Soweit Arabien, Syrien und die Euphratländer in Be-
tracht kommen, sind eine Reihe unmittelbarer Zeugnisse für
den selbständigen Cult des heiligen Hauses der oben bespro-
chenen Hommel'scben Deutung von 'Aaiapirj = Asirtu =
„Haus, Tempel, Wohnung" an die Seite zu stellen, von denen
einige bereits durch Lenormant herangezogen worden sind.
So heißt es in einer Avifzähiung heidnisch - arabischer Culte
bei Abu l'Farad ^-^) : „Die Himyariten verehrten Sams, die
Sonne, die Beni Kinanah den Mond, die Stämme Tasm den
Stern AI Debaran, die Lakhm und Dschorhom den Planeten
Jupiter, die Tay den Kanobos-, die Kays den Siriusstern, die
Asad den Mercur, und die Takif einen kleinen Tempel im
obern Teil von Mahlak, den man Allät nennt." Der Ausdruck
ist ganz unzweideutig und besagt mit klaren Worten, daß das
Stammestempelchen, das „baitan" selber „al-Lät" „die Göttin"
genannt wurde (.,baitä la-pä jukälu al-Lät"). Die schon von
Lenormant gezogene Schlußfolgerung, daß auch der heutige
Name „Bait-Allah" der Ka'aba nur Islamisierung eines alten
„Bait- Allät" sei, liegt auf der Hand. Die Bedeutung dieses
Namens wird man aber von nun an — natürlich auch bei
Beth-el, phoeniz. Baiti-ilim ^^^) — nicht nur mit „Haus der
Gottheit" sondern auch mit „Gott-Haus" wiederzugeben haben.
Die nächste Parallele bietet der arabische Gott Ad-däru =
1^^) Histor. dynast. p. 160; Pococke, Spec. hist. Arab. p. 4; Lenor-
mant p. 151.
1^*) Kuj. Texts 3500. Münzen von Edessa bei Lenormant, Compte
rendu AIBL 1868 319; Gen. 28i7. Lenormant a. oben S. 121 is a. 0. p. 152,
Philologus LXVIII (N. F. XXU), 2. 11
162 Robert Eisler,
„Tempel", „Haus", nach dem ein Koreischite, der Bruder eines
'Abd-Manaf und eines 'Abd-el-Uzza „'Abd-ad-däri" hieß ^^'^).
Eine griechische in der Nähe von Damaskus gefundene In-
schrift 128) erwähnt den %-£bq 'AEIXAAAS = „Tempel" {^'?Tr^
hekäla) ^^^), offenbar eine synonyme Gottheit mit dem durch
den jüdischen Priesterhaß eines Schreibers zu Beel-Zebub („Herr
des Ungeziefers") entstellten „Ba'al-Zebul" i^°), „Herr des hohen
oder Himmelshauses" von Ekron und dem gleichbedeutenden
Ba'al-Ma'ön „Herr des Hochhauses" von Moab i^^). Für Ba-
bylon hat Hommel ^^^) zu Beth-El den uralten, ursprünglich
wahrscheinlich weiblich gedachten Gott EA = Haus ver-
glichen. Bezeichnender noch kommt das mit der oben bespro-
chenen Gottheit Is-charra (Haus + Berg) fast synonyme „E-
kurru" =: „Berghaus" (Jensen) auch in der Bedeutung „ilu"
„Gott" vor 1^^). Dazu stimmt vortrefflich, daß in einer man-
däischen Aufzählung und Execration heidnischer „Dämonen" i^*)
auch die „Ekurru's" xmaiu und „Parakku's" x^ans („Götter-
>") Oslander ZDMG VII 500. Lenormant 152.
*28j Waddington, Inscriptions grecques et latines de la Syrie Nr.
2562 g ; Lenormant ibid.
*29) Sohar zu Gen. ed. Wilna I 82 ff. werden die Himmelshäuser
mit dem Namen „Hekaloth" (feminin !) bezeichnet.
130) Vgl.T. K.Cheyne, Enc. Bibl. 408. Beel-Zebub-&7io[iuio5 könnte nur
ein untergeordneter Dämon sein , zu dessen Orakel nie ein fremder
König (Achazias II Reg. l2f; 6, 16;) Boten gesandt hä,tte. Zu „Zebul"
vgl. die Bezeichnung des salomonischen Tempels als „Beth Zebul" ,,Haus
der Wohnung" (Jahves) 1 Kön. 813; Jes. 63 ib: „Schau vom Himmel
herab, von Deinem Zebul der Heiligkeit und des Glanzes". Hab. 3ii
wird der ,, Zebul" (astrologisch das „Himmelshaus") des Mondes und
der Sonne erwähnt. Vgl. endlich die Eigennamen Jezebel lies Ai oder
Jä-zebul, Zebul und Zebul-on ferner Sem-Zebul in der Inschrift aus
Kition (v. Landau Nr. 93).
i'i) Die Rabbinen nennen den vierten Himmel „Zebul", den fünf-
ten mit dem ganz gleichbedeutenden Wort „ma'ön" (Chagiga XII b.
Mon. talm. I 193 Nr. 684); vgl. Deut. 26 is „Schau herab von deinem
heiligen ma'on (Haus), vom Himmel", cf. Ps. 686. Nim bietet Z. 9
der berühmten Meshainschrift (Facsim., Transscript, u. Uebers. Encycl.
Bibl. 3044 f.) „jyöbua-nN-pt<" „ich erbaute Ba'al Ma'ön" (defectiv ge-
schrieben) d. h. den Baal „Wohnung". In der Panammu Inschrift von
Sendjirli Z. 22 führt der Gott „Lenker" Rakubel den Titel rT"D hv^
„Herr (des) Haus(es)". Die karthagische Inschrift CIS I 177 erwähnt eine
nmnn nbuS d. h. „Herrin des vaög".
*='2) Grundr. 161 3.
133) Delitzsch, Handwörterbuch p. 7181». Gemeint ist Bei, der
Götterberg (vgl. oben Anm. 106).
"*) Genza rechts 279 ff. , erklärt von Marc Lidzbarsky, Nöldeke-
Festschrift p. 5412.
Kuba-Kybele. 163
zelte") als persönliche Mächte .erwähnt und verwünsclit werden.
Die so bezeugte Vergöttlichung der Zeltheiligtümer ist be-
sonders wichtig, weil '"^^i? „Kubbah" Numeri 25 8 — so wie
heute noch die Weiberabteilung im Beduiuenzelt „mahram"
oder „kubbat" genannt wird — noch in der Bedeutung „Zelt"
vorkommt, die aus kulturgeschichtlichen Gründen für sehr alt
gehalten werden muß ^^^). An einen solch göttlich verehrten
Zeltfetisch wird man zu denken haben, wenn in der aramäischen
Taima-inschrift ^^®) das eben als appellativisches Synonym von
„kubbat" im Arabischen erwähnte Wort „Mahram" als Gottes-
namen gebraucht wird, ebenso vielleicht an zwei gemeinhin
auf den Cult des babylonischen Sakkut (Saturn) bezogenen
Bibelstellen ^^^) , wenn man nach Anleitung der Versionen
oxrjVYj und aTcoaxtaa[ia beidemal „Sukkath* = Zelt punk-
tieren dürfte ^^^).
Allein selbst wenn diese letzten Zeugnisse verworfen wer-
den müßten , bleibt doch der sicher bezeugte assyrische Ge-
brauch, kleine, zu mantischen Zwecken dienende, tragbare hei-
lige Zelte (parakku) auf den Feldzügen mitzuführen ^^^), eine
vielsagende Parallele zu dem von Israel auf der Wanderschaft
mitgeführten, ursprünglich leeren Offenbarungszelt. Daß
die „Leber" (kabod) Jahves den Raum des Zeltes erfüllt, ist
späte Priesterdeutung: ein Heim für den übernatürlichen, un-
sichtbaren, allgegenwärtigen Gott der späteren Theologie durch
die Wüste zu schleppen, ist ein Widersinn, den man der mo-
"5) Aehnlich wird bayith Gen. 27 15 33»: (J) für „Zelt" gebraucht;
vgl. Hesycli ßaixyj = Zelt aus Fellen.
13^) Hommel, Grundr. 88. Vgl. die in den hadramautischen In-
schriften (Os. 29; Hommel Aufs. Abh. 334; Grundr. 863) vorkommende
Bezeichnung des Mahram (Zeltheiligtum) als „ilum" gemeinsemit. =
Gott („mahrami-su ilim").
lä') 2 Kön. 17 30. „Die (in Samaria angesiedelten) Leute von Babel
machten sich (als Gott) „Sukkath" = „Zelt". Das mit Sukkoth ver-
bundene „benoth" (rilOS) ist auf jeden Fall mit Aenderung eines ein-
zigen Buchstabens mai „Höhenorte'' zu lesen und als triviale alte
Gloße — vgl. v. 29 — auszuschalten, auch wenn man „Sakkut" punktiert.
Arnos 026 würde ich lesen: „Ihr tragt (in Procession) das «Zelt> euren
Melech und Kewan den Stern, euren Gott, die Bilder, die Ihr Euch
gemacht habt".
138) Ygi i Chron. 2i8 den Gentilnamen „Jerioth" = „Zeltumhang".
*^^) Schwally, semit. Kriegsaltertümer I 13; W. Roberts. Smith,
Rel. Sem. 2 37. Vgl. die vaocpopot in den ephesischen Processionen der
Artemis bei Ign. ad Eph. 9 und die Pastophoren (Baldachinträger) der Isis.
11*
164 Robert Eisler,
dernen Religiousgeschichte nicht mehr zumuten kann. Ur-
sprünglich ist natürlich das leere Zelt, das gemeinsame „Haus"
des Stammes, das eigentliche Heiligtum, die Gottheit der Nation,
der tragbare Tempel der Leib des Nationalgottes ^**'), und
der einmal im Jahr, beim Fest der „Eröffnung" (Tasrit)
durch den Hochpriester vollzogene Ritus des „Eingehens" ins
Allerheiligste eine symbolische Hierogamie ^*^).
Diese zugleich primitiv fetischistische und — wegen der
kosmischen Ausdeutung des „Hauses" — weltumfassend pan-
**") Vgl. die eigentümliche Auffassung der göttlichen Parusie im
Prolog des Johannesevangeliums (I 14 ,,xal 6 Aoyog a i p g i'^evezo xai
iaxr;v CO osv iv ■^[ilv xal s&eaoäiJis&a -ri/V 5 6gav aöxou xxX.) wo der Leib
des Herrn mit der a. t. Stiftshütte und der in ihr weilenden Kabod
(Leber) in dieselbe Beziehung gesetzt wird, wie in c. 2 21 zum Tempel
von Jerusalem.
"•) Sehr bezeichnend für diese Auffassung ist einerseits die strenge
cultische Reinheit und die Bäder vor dem Eintritt, andrerseits aber
die immer wieder bezeugte Furcht des Volkes und des Hochpriesters,
der Offiziant könnte von der Gottheit getötet werden. Das ist natür-
lich die altheidnische Vorstellung vom todbringenden Liebesbund mit
der Gottheit. So erklärt sich, daß „Jahve" den vom heiligen Berg
Horeb zurückkehrenden Moses überfällt und töten will. Erst als Mo-
ses zum „ Blutbräutigam * geweiht ist, läßt Jahve ab von ihm. (Exod.
4 J4 ff.). Dazu kommt noch, daß auf dem Vorhang des AUerheiligsten
im Tempel , der mit demselben Wort, wie die mantischen Zeltheilig-
tümer der Assyrer („parakku") „paroketh" genannt wurde, also an
einer Stelle, wo man am allerwenigsten eine Uebertretung des mosai-
schen Bilderverbots erwarten würde, wirklich ein erotisches Symplegma,
offenbar die Darstellung der mystischen Hierogamie, eingewebt war.
Vgl. Talm. Bab. Joma 54 a: „Rab Ketina sagte; wenn Israel zur Wall-
fahrt (nach Jerusalem) kam, entrollte man vor ihnen den Vorhang und
zeigte ihnen die Kerubim darauf, die ineinander ver-
wickelt waren und sagte zu ihnen «sehet, Gott liebt Euch so,
wie Mann und Weib einander lieben»". (Vgl. dazu die bei Dieterich,
Mithraslit. 121 ff. gesammelten Formeln über die Liebesvereinigung
des Mysten mit der Gottheit.) Raschi's Commentar zur Stelle: „die
Kerubim umfaßten einander und umarmten sich, wie ein Mann ein
Weib umarmt". Unmittelbar vorher bietet der Talmudtext die Stelle:
„Die Stangen (der Bundeslade) waren lang und es wurden die Köpfe
der Stangen gesehen; wieso? durchlöcherten sie den Vorhang? 0 nein;
sie wurden wie die Brüste eines Weibes gesehen, indem
sie den Vorhang ausbauschten, so wie die Schrift (Höh. Lied I 13)
sagt: «ein Myrthenbündel ist mein Geliebter, zwischen mein Brüsten
nächtigt er». Deutlicher als in diesen wichtigen Texten, die ich durch
freundliche Vermittlung Wolfg. Schultz's der Güte des Herausgebers
der Monumenta talmudica Dr. D. Feuchtwang verdanke, kann die ero-
tische Symbolik im Cult des heiligen Zelts nicht ausgesprochen werden.
Der Tempelvorhang ist eben allezeit geblieben , was er in der halb-
heidnischen Köuigszeit (2 Kön. 23 7) war — das Zelt (n2) , das die
Tempeldirnen für die Ashera = „die Wohnung" bezw. Gattin des
Gottes alljährlich zu weben hatten. (Vgl. die Zeugnisse „Weltenman-
tel" S. 191 ff'.)
Kuba-Kybele. 165
theistische Vorstellung, in ihrer abstrakten Unanschaulichkeit
typisch und im geraden Gegensatz zum prachtvoll sinnlichen,
rein menschlichen Götterbild der Griechen entwickelt ^^^), ist
auch in Kleinasien unter ganz entsprechenden Formen nach-
weisbar. Wenn Kubbat-Kubbä bei den seßhaften, hochkulti-
vierten Südarabern einen Kuppelbau, unter den Nomaden der
arabischen und syrischen Wüste aber ein Zelt bedeutet, so
bezeichnet das Deminutivum otußeXov in Kleinasien (s. oben)
avxpa %ac ^cxXoc\i.oi ^*^), d. h. aber die typischen phrygischen
Felsenheiligtümer der kleinasiatischen Höhlenbewohner der
Urzeit. Demgemäß werden die Cultbilder der „Kybele", dort
wo die heilige Höhle — Mutter und Geburtsstätte des Gott-
kindes zugleich — der religiösen Phantasie der eingewanderten
Arier nicht mehr genügt, in seltsamer Weise aus dem Felsen
selbst herausgehauen ^**), sodaß die Göttin — sie, die selbst der
„Berg" oder „Felsen", das „Haus des Berges" und die „Höhle"
ist — zwischen den ebenfalls aus dem Felsen gehauenen Flügel-
türen der Höhle sichtbar wird. Das ursprüngliche ist gewiß
die anikonische Vorstellung der leeren, mit Flügeltüren ge-
schlossenen Felshöhle, der At{>upa[i,ßos oder S-'-tcuXos Tiixpa ^^^)
"-) Zum letztenmal sind diese Gegensätze bekanntlich in den
byzantinischen Bilderstreitigkeiten aufeinandergeprallt. Die neutrale
AuiFassung der germanischen Völker, — das „imagines nee frangimus,
nee adoramus" der Libri Carolini — beherrscht das Mittelalter. Die
Renaissance sieht den unter der Oberfläche glimmenden Funken des
Hellenismus wieder aufflammen und zeitigt den zweiten Bildersturm der
Reformation. Seither wird wieder in weiten Ländern ein unvorstell-
bares Wesen in leeren „Gotteshäusern" verehrt.
1") Da gerade in der Nähe von Petra, dem Cultort der Xaaßoü
arabische Wohnhöhlenanlagen nachgewiesen worden sind, (Nowack,
Lehrb. der hebr. Archäol. 1894 I 135 f.) so läge es sehr nahe, daß
^kubbat" auch arab. ursprünglich „Höhle" geheißen hätte. Tatsächlich
wird Judith 44 cf. lös ein Ort XÖBA in Palästina, — Coabis in der Tab.
Peutinger. erwähnt, den Conder, Pal. Expl. Fund Mem. II 231 mit der
heute %Arak el Khubby" genannten Höhle in Verbindung bringt.
'") Schlechte Abbildung der Kybelefelsensculptur in der Bergwand
über dem kleinen See bei Magnesia am Sipylos nach Perrot's Zeich-
nung bei Springer-Michaelis' Kunstgesch. Fig. 159; Ueber die Felsen-
sculptur von Arslan-Kaya vgl. Ramsay, Journ. Hell. Studies X 156 fif.
"=) Vielleicht ist es nicht überflüssig daran zu erinnern, daß sich
in Delphi, an der Stätte des alten ö^icfaXog- und xäap.a-Cultes, unterhalb
der modernen Straße auch ein in die Felsenwand gehauenes doppel-
türiges Scheinthor vorfindet, wozu die bei Macrob. Sat. I 9, 6 überlie-
ferte Bezeichnung Apollo ©upatoj zu vergleichen ist. SitcuXoc steht zu
ACtcuXos wie Siduixa, der Fluß des Chimairathales in Lykien, zu AiSu[ia.
166 Robert Eisler,
und es ist bezeichnend genug, daß auch die spätere Kunst
den menschlich-griechischen, alles phantastischen Beiwerks,
wie der zahllosen Brüste, des Hermenleibes, der Zwiegeschlech-
tigkeit etc. entkleideten Typus der thronenden Gröttin nicht von
ihrer symbolischen Darstellung, dem doppeltürigen vataxo?
abzutrennen gewagt hat ^**^), Am lehrreichsten aber ist der
Vergleich der phrygischen Skulpturen am Arslan-Tasch ^*')
mit der oben besprochenen Abbildung des „Gott- Felsens" Ela-
gabal auf der Goldmedaille des Uranius. Wie dort an der
Basis der phallischen Spitzsäule das Symbol der Vulva kennt-
lich ist, so erhebt sich an der phrygischen Felsfassade die
von Löwen flankierte, aus Mykene bekannte, symbolische Säule
über dem dunkel gähnenden Eingang in die Höhle des „kreis-
senden" Berges ^^®). Deutlicher kann die Vorstellung des
doppelgeschlechtigen Wesens der Kybele und der Doppelsinn
ihres „ 7iap6-£Vü)v " ^^^) (s. o. S. 133 ff.) nicht ausgedrückt werden.
"") lieber den Typus der Kybele im doppeltiirigen väiaxos s. Conze,
arch. Zeit. XXI 1863, 76 s; H. Schrader, athen. Mitt. XXI 1896 278 ff.
Derselbe Typus ist für die Artemis von Ephesus (s. unten Anm. 175)
durch Act. Apost. 1924; Ignat. ep. ad Ephes. 9-2 (Ramsay, Church in
the Roman Empire 123 ff.) bezeugt.
"') Deutsch „ Löwenfelsen " bei Hairan Veli, Abb. nach Perrot-Chi-
piez bei Springer- Michaelis ' fig. 157.
"^) Vgl. dazu den babylonischen Siegelcylinder (British Mus. 89110,
Abb. bei Hommel, Memnon I p. 208 Taf. I Fig. 3 CND Jeremias ATAO^
S. 21 Abb. IIcxdL. W. King Babyl. Relig. p. 32 ro Gh. J. Ball, Light
from the East p. 151): Rechts und links vom zweigipfligen Götterberg,
dem der Sonnengott entsteigt, zwei Torflügel — also wieder die 5id-6-
paiißog TTsxpa, — auf jedem ein Löwe. Natürlich war auch in Arslan-Tasch
die Höhle mit Thürflügeln — aus Holz oder Bronze — verschließbar.
Die beiden Löwen — hier wie in Mykene — sind entweder Symbol
des Bei und der Belit (Hilprecht, Explor. p. 5285) oder aber, sie ver-
treten, wie auf den babylonischen Grenzsteinen, wo zwei Löwenköpfe,
flankieren, die Zwillingsgottheit, mit der die Göttin gepaart ist. (S.
auf einem Drachenhals aufsitzend, die Mondscheibe auf einer Stange,
dazu unten Anm. 197 — 200).
1**) Gewiß ist es kein Zufall, daß der eigenartige griechische
Tempelname Ilap^evcöv gerade nur im Oult der Göttermutter einerseits
der Athene andrerseits auftritt. Seit Kretschmer, Einl. S. 405 die
attischen Lokalnamen Tiietxog, BpiXeixog, rapystxog, 2u;:aXen;os, Scpexxog,
'IXiaaoj, Ks'^iaaog als spezifisch kleinasiatische Bildungen in Anspruch
genommen hat, (Fick, vorgriech. ON 129 hebt mit Recht hervor, dass
die prähellenischen Ortsnamen nirgends so dicht gesät sind, wie in
Attika) ist die Erwägung, daß Attika seinen Namen einem prä-
historischen Attiscult verdanken könnte, sehr nahe gerückt.
Die merkwürdigen Schwankungen in der Schreibung und Bildung der
offenbar zusammengehörigen Namen 'Axxixy/ und "Ax\)ts, 'Ad-y^vai und 'Ax-
*t3Ej kehren bei Attis, Atys, Atthis (CIL II 3706) "Axxyjs sämtlich wieder,
Kuba-Kybele. 167
Natürlich ist es von vornherein wahrscheinlich, daß diese
besondere, in den Denkmälern so deutlich sichtbare Form reli-
giöser Begritfsbildung gewisse Spuren auch in der Namens-
gebung der Göttin hinterlassen haben wird. Tatsächlich lassen
sich der hier vorausgesetzten Identität des Gottesnamens Kybele
mit dem durch die Neutralendung entpersonifizierten „xußeXov*-
„ Höhle" eine Reihe vielsagender Parallelen an die Seite stellen.
W. Robertson Smith ^^°) hat längst erkannt, daß der semi-
tische Ausdruck für Höhle, hebr. ^"^V^ ma'arah, ai-ab. magarat"""
mit der althieratischen Bezeichnung „[jtdyapov" (Photios) - (ie-
yapov für die unterirdischen O-aXafiOt oder nxaxdbBC, der Demeter
aufs engste zusammenhängt, eine Tatsache, die sich durch die
auch von den Alten nie vergessene prähellenische — sog.
, karische" oder „pelasgische" — Herkunft ihres Cultes ^^^)
sowohl was den itacistischen Wechsel im zweiten Vokal, als auch was
den unbestimmbaren T-laut anlangt. Alles das erklärt sich am besten,
wenn die fraglichen Namen sämtlich als Transcriptionen von fremdem
•ni'' aufzufassen sind. Betrachtet man die von dem vorgriechischen TlU
abgeleiteten Ethnica 'Axxi-xög und *'AS-yj-v6g (cf. Homer, Od. 7, 80,
söpuayutav 'Ai)-7jvvjv) als das ursprüngliche, dann braucht man Athene
gar nicht unmittelbar mit der auf gewissen kleinasiatischen Münzen
mit aramäischer Inschrift vorkommenden Göttin 'Athe zu identifizieren.
Sie kann eine rein griechische üap&svog und (nach v. Prott) auch Migxvjp
sein, und bloß mit dem althergebrachten Namen ihres Cultortes 'Aö^yjvyj
(KdpTj oder ndpdsvog) genannt worden sein. Als man das Ethnikon
nicht mehr verstand, wurde der n-Laut als stammhaft empfunden und
'A^Ylvä-tos, 'A{)-r;v*i-(,a contrah. (Leo Meyer Hdb. I, 164) = 'A&r)va weiter-
gebildet. (Die gebräuchlichen Etymologien von „Athene", die man bei
Gruppe nachlesen mag, sind ebenso haltlos wie die übliche Deutung
von 'Axxtxvj als „äxxixy; ^cöpa" := „Küstenland")- Für einen solchen prä-
historischen Tü-Cult könnten noch mindestens zwei weitere griechische
Zeugen ins Treffen geführt werden : erstens das Vorgebirge Athos,
zweitens aber Mar-athon in Attika, das allzu auffallend dem phönizi-
schen Marathus (jetzt 'Amrit) entspricht , um nicht die Deutung auf
*ny "la nahezulegen , zumal nö als Titel eines Gottes (vgl. ,,Mar-na8"
„unser Herr" in Gaza und ,,Martu" in Cölesyrien) bezeugt ist und Mar-
.\thu an Bildungen wie Bel-Mar (GIS I p. 111 „^sw BsTjXiiapl") ein gu-
tes Analogen fände. Mapad-cov = griech. „Fenchelfeld" (Strabo 3, 4, 9)
ist nicht nur wegen der phönizischen Parallele unwahrscheinlich, son-
dern auch deshalb . weil die drei andern Städte der Tetrapolis (Fick,
vorgr. ON 129) barbarische Namen haben und „Fenchelfeld" höchstens
ein Flurname sein könnte. Zum Namen des Athosgebirges vgl. noch
AuoMpov in der Ghalkidike, das ebenso wahrscheinlich zu Du sara ge-
hört, wie das benachbarte 'Acar^pa zu Asera-Asirtu und 'Aaawpov öpo^ auf
Samos zu Asur.
'"">) Rel. der Semiten, Tübingen 1899. S. 152.
'51) „Kar" soll ihren Dienst begründet haben: Steph. Byz. s. v.
Köpva, Paus I 39 6 ; 406.
168 Robert Eisler,
sehr einfach erklärt. Unter diesen Umständen ist es gewiß
bezeichnend genug, daß [xeyapov genau so wie xußeXov als
Stadt- und Personennamen mit persönlicher Genusendung vor-
kommt. Was den Namen der isthmischen Stadt anlangt, so
darf er als kleinasiatisch ohne weiteres schon deshalb in An-
spruch genommen werden, weil der Burgberg, d. h. aber die
Altstadt von Megara bekanntlich „Karia" hieß. Megara, die
Heroine aber ist durch die Ueberlieferung, die sie zur Gattin
des Herakles macht, als Gegenstück zu der in der gleichen
Cultverbindung stehenden Omphale gesichert; „Megaros" steht
sekundär zu Megara wie Kybelos zu Kybele. Ganz in der-
selben Weise sind von der durch Usener wieder aufgefundenen
Bezeichnung der heiligen Höhle als l'Xtov, f'ikiov die Cultnamen
"IXtag (der Athe-ne) und "IXtog - "IXceuc, 'OtXeu? abgeleitet, die
durch den Ortsnamen Ilion und die Verbindung von Oileus
und dem zweifellos kleinasiatischen Gottesnamen Alfac, (Ajax,
Aiakos) ^^^) mit dem hier behandelten Culturkreis verwachsen
152) Nach Strabo XIV 5, 10 p. 672 führten die Priesterkönige von
Olba in Kilikien abwechselnd die Namen Aiax und Teukros. Vgl. den
Hochpriester Aiax, Sohn des Teukros auf den Münzen Head, bist. numm.
p. 609. Teukros ist die uralte, jedenfalls vorhomerische Gräcisierung von
kleinas. Tark oder Trok, oder Tpwg (dazu Troia, Tragasai in Troas und
Trachis), wie denn in kilikischen Inschriften (Heberdey-Wilhelm pp. 53,
88) noch ein Teukros, Sohn des Tarkuaris vorkommt. Die Bedeutung
dieses hethitischen Namens scheint „Schöpfer, 5r;[iioupYÖs'' oder dgl.
gewesen zusein (vgl. Hesych Tsuxpov TiotTjxrjv). "AifOLc, da.gegen ist ge-
radezu eine Nebenform für bab. EA = Haus. In den Tell-el-Amarna-
briefen wird nämlich an fünfter Stelle unter den Götternamen des
„Midas "reiches Mitanni regelmäßig Ea-sarri „Ea ist König" genannt
(Hommel Grundr. 41). Dieser Gottesname aber findet sich bei den
Elamiten, wo ebenfalls alarodische Bevölkerungsschichten gesichert sind,
in der Form A-ip-a-sarru ,Aiva ist König" (Hommel ibid., ohne den
griech. Namen Al/ag heranzuziehen). Da Ea seinerseits der Schöpfer-
gott ist (vgl. Ea-bani = „Ea Schöpfer" im Gilgamesepos), sind die
Namen Aiva und Trok eng zusammengehörig, genau so wie die wech-
selnden Namen der Kassitenkönige „Turgu" (= Tark) und „Bei" (Hom-
mel 44.3) und der Könige von Pergamon Attalos (demin. von Attis)
und Eumenes (cf. Hesych. EöiiEvr^g' Acppd[St.xog]). Die Aivaciden auf der
Insel Salamis und die Teukriden von Salamis heißen also nach zwei
Epiklesen derselben Gottheit „Salm" = „Zwillingsbild" (erwähnt in der
aramäischen Taimainschrift, CIÄr 113 ; s. oben S. 145io2bu. 0. S. 150 123 über
Janus geminus, und u. Anm. 197 ff. über Didymaios-Tiaiioü ; dazu die kana-
näischen Berge namens 3iö'p2i Salmon, demin. von Salm, die ganz genau
dem Masu- oder Zwillingsberg im Gilgamesepos und dem kleinasiati-
schen A(v5u|j,ov öpog, also dem ,, zweigipfligen Berg" (Usener, Rhein. Mus.
LVIII 1903 S. 344 2) der Götter entsprechen. Rieht. Q^s; Ps. 68 u. Dazu
den Ort Salmona Numeri 33 41 f., und die Personennamen Salmon und
Kuba-Kybele. 169
sind. Endlich wird man auch den Gebrauch von xb uspyafiov
(zu uupyog Burg) als weiblichen Eigennamen i] IlepYa\i(jc. und
die ON Pergama auf die als Zavö? nüpyoc, bezeichnete, mit
der Tcupyo; gekrönte Göttin beziehen müssen. Gleichbedeutend
ist noch aller Wahrscheinlichkeit nach der im Volksnamen
der Tyrsener oder Turs^^"'') enthaltene kleinasiatische Name
der Göttin *T6pac5 (zu lat. turris) „Turm" oder „Burg" ^^'*^).
Daß die urtümlichen heiligen Höhlen der Gottheit schon
in vorgriechischer Zeit durch Tempel von Menschenhand er-
setzt worden sind, beweist erstens der homerische Gebrauch
von [ieyapov für einen Saalbau, zweitens aber der überaus
wichtige Umstand, daß in Attika der prähistorisch-kleinasia-
tische Cult des aus den syrischen Inschriften bekannten, göttlich
verehrten „Tempels" „Hekal" in der Legendengestalt der greisen
„Hekale" ^^^) und der am „Tempelweihfest" der Hekalesia für
Zeus „Hekaleios" gefeierten Theoxenie in die helle geschicht-
liche Zeit hineinragen. Genau so wie der seltsame Zeus „He-
kaleios" dürften auch die Epiklesen des Apollon Ofxtaxr]? und
A(])\i.<xxixy]c, entstanden sein ; Anzeichen sind genug vorhanden,
daß der Gott in Delphi ursprünglich mit seiner xaXußvj ^^^^) und
besonders mit seinem geflügelten Tempel ^^^) wesenseins war.
Endlich erklären aber alle diese Erwägungen auch den
sonst so rätselhaften altertümlichen Namen A(j()-[JLair]p, den
schon Fick PN 439 zweifelnd als „Hausmutter" gedeutet hat;
Salmuna, ferner die Orte Salmonion auf Kreta, Salmona in Elis, vor
allem aber die „Zwitter"quelle ^äXiaax-.g bei Halikarnaß, deren Nymphe
der bekannte Mythus mit dem gleichbedeutenden Hermaphroditos ver-
knüpft. S. auch unten Anm. 213 a über die Quelle Siloam.
152a) Ueber die Turs-sci-Tuposvot , in ägyptischen Inschriften Turs,
Gen. IO2 nach W. Max Müller Clin s. Hommel Grundr. 64 5-
152b) Fick, vorgriech. ON 19 hat die Tyrsener richtig zu „züpoig"
= ,,Burg" gestellt und dieses als ungriechisches Lehnwort gekennzeich-
net. Mit der für die Transcription von H (oben, S. 157 149), bezeich-
nenden Schwankung zwischen 1 und %■ steht neben xöpoig — d-üpao^,
d. h. neben der Kybele als „Burg" ihre dendritische Incarnation als
,, Fichte". Ueber die „sacra pinus" der Kybele vgl. die Zeugnisse bei
Gruppe Hdb. 15302. Zum göttlichen „Turm" vgl. o. S. llSne „Ba'al
Zaphön".
»63) Gruppe Hdb. 601 2.
iö3a) phiiostr. Vit. Apoll, p. 110; Cedren I p. 582 ed. Bonn.
1") Strabo IX p. 421. Nach Paus. X p. 618 10 von „Bienen" (0.
S. I2O7 12627 19422oa) aus Wachs und Flügeln erbaut, von Apollon zu
den Hyperboräern entrückt. Vgl. u. S. ITOisea das hl. „Haus" von
Loretto u. Bratke, Relig. Gespr. 18 3 cf. S. 165 das „Siotisty)? [spöv" der
Hera Pege (u. S. 197231 199239).
170 Robert Eisler,
natürlich ist dabei nicht an „Hausmutter" im Sinn von „ Familien-
mutter ", sondern an den göttlichen, als „ Haus " (Aw) und „ Mutter *
zugleich gefaßten Stein — in Eleusis z. B. das alte Idol der
ayeXaaxo; Tzkxpoc am TiapO-evLov cppeap ^^°) — zu denken.
Der Schwierigkeit, die persönliche Vorstellung der Gott-
heit mit der Anschauung des Stein-, Höhlen- oder Hausfetischs
zu verschmelzen, sind die Versteinerungssagen entsprungen, die
sich in Kleinasien genau so wie in Mekka ^^^'') und anderswo an
derartige Cultstätten knüpfen. Lehrreicher als die an ver-
schiedenen Kybelefelsen haftenden lydischen und kilikischen
Niobesagen ist eine weit verschlagene, aber hochaltertümliche
und inhaltsreiche Versteinerungssage, die an einem bekannten
Tiroler Felsen haftet und wahrscheinlich auf die keltische,
einst in Kleinasien gesessene Urbevölkerung unserer Alpen-
länder zurückgeht: eine reiche, aber hartherzige Frau —
offenbar die winterliche, unerbittliche, „brotlose". Hungersnot
verhängende Göttin ('A[xa^(i)v) i^^), das Gegenstück zur gast-
lich labenden „ Hekale " — reitet hoch zu Roß an einer
Bettlerin vorüber, die sie um einen Bissen Brot anfleht. Listig
oder höhnisch reicht ihr die Geizige einen runden Stein zum
essen — natürlich das Rheia-Kronosmotiv. Da erhebt sich
ein Unwetter und die harte Herrin erstarrt zu Stein. Der
Felsen aber heißt bis auf den heutigen Tag „Frau-Hütt" i^^*).
^5») Hymn. Hom. V 99. '='=') Vgl. oben Anm. 15 gegen Schluß.
15«) Vgl. „Wpltenmantel" S. 150 ff.
156 a) Auf das Fortleben derartig Vorstellungen innerhalb des Christen-
tums, in Heiligengestalten, wie St. „Waldburg " (= 'I5ala Mr^xYjp und
*T'jpa'.?) oder ,St. Magdalena" — von „niigdol" = „Turm" — der
,, großen Dirne" (= Kybele Agdestis = „Istar gadistu ilani" „I. die
Dirne der Götter', Athene- 'm'-Pallas = TtaUaxig; vgl. o. S. 127 2-
und S. 157 14») oder in dem illyrischen Cult des aus Dalmatien nach
Loretto hinübergeflogenen „heiligen Hauses" der Madonna, dem ge-
nauen Gegenstück des sagenhaften geflügelten Apollontempels kann
hier nicht eingegangen werden. Nur der Vollständigkeit halber
verweise ich auf die altkirchenslavischen Epiklesen der Madonna als
„erlesener Stein" „Berg des Herrn" „thalamus Salomonis" (vgl.
Anm. 152 und als S-uatotcxr/pLov (s. Anm. 102 1') bei Andreas Cretensis
(cf. Wesselowsky, Arch. f. slav. Philol. VI 1882 S. 48f.), als ,tympa-
nistria", „ostium et janua" „turris" „castellum" „parens et puella''
„templum" „vas" (s. Anm. 236 ißf., 246) „sacrarium" „porta clausa" „fons
signatus" (= „Tir^yv) lacf payioiiew) " cf. Bratke Relig. Gespr. 89i aus Ps.
Damascenus; s. Anm. 231 und o. S. 137:6) „ferax tellus" (= Tf/ cpspsoßcos)
„piscina" (Anm. 239) „thalamus" „navis" (Anm 239) „Luna" „urna"
(Anm. 236, 246) „cella" (Anm. 131) „domus" „civitas" (Anm. 15 „hagar")
„Stella" „columba" (Anm. 184 — 186) „patris mater et filia" in dem
Kuba-Kybele. 171
Ein letztes, sehr merkwürdiges Zeugnis für die kleinasia-
tische Anschauung der Gottheit im Bild eines Hauses bietet
Heraklit von Ephesos. Es ist auflFallend genug, wie heftig
die jonischen Philosophen von Anfang an gegen die anthro-
pomorphen Idole der Griechen zu Gunsten der kosmisch-pan-
theistischen Göttervorstellungen der orientalischen d. h. für
sie kleinasiatischen Theologie auftreten ^^'). Daß sie trotz
aller von dort empfangener Anregungen nicht blind waren
gegen den Rest von gröbstem Fetischismus in dieser kosmi-
schen Symbolik beweist das fünfte, deutlich gegen die Riten
der ephesischen Göttermutter, der „ Schlächterin " Artamis, ge-
richtete Fragment ^^^) des großen Feuergeistes : wahnsinnig
scheint ihm, wer in der Taurobolie der Großen Göttin, über-
strömt vom ekelhaften Blut des Opfertieres die Reinigung von
andrer Befleckung erwartet. Und die, die zu Bildern beten,
haben grade so wenig eine Ahnung vom wahren Wesen der
Götter und Heroen, wie die die mit „Häusern" Zwiesprache
halten ^^'■').
Nach all diesen, der Seltsamkeit des Doppelsinnes wegen
etwas breiter ausgesponnenen Erwägungen wird man die Be-
von einem unbekannten Zeitgenossen des Adam von St. Vict. verfassten,
in einer Hs. saec. XII überlieferten Gedicht ^ de nominibus beatae Ma-
riae virginis" (Pitra, Spie. Solesm. III p. 451). Hiezu vgl. die Klagen
des Isidor von Pelusium, daß die Heiden Maria als „vsa Kußi/'-vj" ver-
spotten, bei Geltzer, Africanus I 19.
157) Vgl. etwa Xenophanes fr. 15, 16, 23 Diels FVS^ p. 49 f.
*'*) Diels FVS- p. 62 Z. 14: „xad'aipovxat d' äXXwg od\i.'xxi \s.<.ixwö\iZ'jo:
olo'j sT v.c, TtTjXöv £p.ßäg Tir^Xö dT^ovi^oiTO. [laivsoO-a'. S' äv Soxoiy], sT iig
aOxöv dvö-pcüKMv iKv^pioMzo ouxö) rtoteovxa. otal xolg ayäX|jiaaLV 5s xouxsoiatv
£'j}(ovxxi cy.oloy sl xi; 8ö\i.0'.ai Xsaxvjvsüoixo oü xt yiyoiiy.m'^ ^soüg
0Ö8' fjpcoag oi'xivs; slat."
*°^) „ Sxoiov £L X15 xxX. " verstehe ich etwa so: wenn jemand (weil er
das für tiefsinniger oder fi-ömmer hält) mit , Häusern" Zwiesprach
pflegen wollte, d. h. hellenischer Weise die asiatische Anbetung leerer
Höhlen und „Häuser" vorziehen wollte. Mir ist keine Fabel oder Pa-
rabel in griechischer Sprache bekannt, wo einer mit einem „Hause"
spräche. Vgl. dagegen Gilgamesepos Taf. XI, wo der Gott EA — selbst
„das Haus" — den Ratschluß der Götter einem (aus Lehm und Schilf
gebauten) „Rohrhaus" ausplaudert mit den Worten: „Rohrhaus! Rohr-
haus! Wand, Wand! Rohrhaus höre und Wand verstehe!" (Keilin-
schr. Bibl. VI, 1 p. 2.31 Z. 19 ff.) Das „Haus" sagt dann im Traum
(ibid. p. 242 Z. 196) dem an der Wand incnbierenden Xisuthros das
Flutgeheimnis weiter. In der moskisch-phrygischen Midasfabel, wo das
verräterische Flüstern des Schilfrohrs wiederkehrt, raunt der Barbier
des Königs sein Geheimnis keinem „Haus", sondern einer „Grube",
d.h. aber wieder der „Kuba" in der unten Anm. 227 belegten Bedeu-
tung zu.
172 Robert Eisler,
nennung einer weiblichen Gröttin mit den Homonymen ku'ba
= Jungfräulicbkeit im Sinn von griech. "Hßrj ^^^) (cf. Ilap-
d-hoQ und Köpfj = Xaaßoü bei Epipbanius) und „ kubbah " =
„gewölbtes, hohles Haus" wohl nicht mehr unverständlich, ge-
schweige denn unwahrscheinlich finden.
Tatsächlich überliefert ist dieser Göttername in der Form
Chuba-Chumba in elamitischen Inschriften ^'^^), in dem Namen
der mittellykischen Stadt K6[Jißa ^^^), in der Epiklese der ly-
160^ Vgl. lat. „pubes". — Ich zweifle, nebenbei bemerkt, nicht daran,
daß die von der griechischen Kunst zu einer so lieblichen Personifi-
cation jugendlicher Anmut vergeistigte Hebe im Cult (die Zeugnisse
bei Gruppe) nur in der groben Urbedeutung des Namens (yjßvj = vulva)
wurzelt. „Gany-meda", ,,die die [iVjSea erfreut" (Laistner), ist eine viel-
sagende Epiklese der Göttin. Vgl. unten Anm. 234 über die Namen
Hebe und Ganymed für das Sternbild des Wassermanns.
16») Vgl. P. Jensen, Wiener Zeitschr. f. Kunde des Morgenl. VI 56 ff.
Keilinschi-. Bibl. VI 1,437 Z. 7. Gilgamesepos S. 13 1. Der Zusammen-
hang mit der hier in Rede stehenden Gottheit scheint mir durch die
Nebenformen gesichert. Denn neben Ghuba, Ohumba (wie griech.
*K'Jß7j, Kujißvj) stehen die wohl auf semitischer Volksetymologie be-
ruhenden Namen Chum-ban .,Chum ist Schöpfer" (vgl. oben Anm. 152 die
Version Tsüxpog . tioiyjxvjs) und Chum-baba ,,Chum ist Vater" (vgl. klein-
asiatisch Zs'jg Ilajräg, Gruppe 15486) wobei „Chum" nach Hommel
Grundr. 42 1 als elamitische Dialectaussprache des semitischen Namens
'Amm (patruus) für den Mondgott bezw. nach ibid. 2493 als Kurzform
von Achum („Bruder") gegolten haben dürfte. Der Gott üu Chum-
baba im Gilgamesepos Taf. II col. VI Z. 7 bewacht den heiligen Cedern-
hain auf dem Götterberg und die Cedern-lstar ..Irnina", wozu einer-
seits die heiligen Fichten der Kybele (Gruppe 15302) und die "Apxe-
jiig Ke5pEäxt.g (Gruppe 786 i), andrerseits Ko|jißaßög, der Wächter der Stra-
tonike (= Astartanikku) Lucian, dea Syria 19 ff., der verschnittene
Ahnherr der Gallen zu vergleichen wären. Chumbaba's Brüllen (ibid.)
verbindet ihn mit Tukultu-Ninib, dem „brüllenden" Mundgott. Als
wilder Riese Agdestis (= assyr. gadistu ;= Geweihter = V^erschnittener,
vgl. d. kretischen Ortsnamen ,,Kadistos",) erscheint ja auch die Kybele
bei Strabo X 3 12 p. 469 und Hesych ^AybiaiK;, zweigeschlechtig geboren,
der männlichen Organe später beraubt (Paus. VII 17 10; Steph. Byz. s. v.
räXXo? 198?; Arnob. V s ; dazu die Ueberlieferung von einem phry-
gischen Heros Kybelos, einer männlichen Incarnation der Göttin, Interp.
Serv. Virg. Aen. X 220 Phot. s. v. K.). Auch als Personennamen ist
Chubaba, u. zw. ebenfalls in Elam zu Tage getreten (P. Scheil, textes
elamites-semitiques IL serie p. 177 Z. 8). Die aus diesem Namen zu
erschließende Göttin * Chubaba ist aber ganz offenbar identisch mit
der bei Herodot V 102 erwähnten Göttin KoßVjßyj von Sardis (cf. Phot.
lex. 8. V. KußvjXo? . . „Xäpo3v 8k ö Aa\x<\)0(.y.riw6(; (FHG IV 627 b) iw zrj upcoir;
lYjv 'AppoSCxYjv uTio ^puyöv xai Au5(Bv Kußr^ßYjv Xsyeo&a'."; dazu Hesych
KußT/ßrj und die übrigen bei Gruppe 1528 0 gesammelten Stellen. Ein
Gott Gu-ba-ba wird III Rawl. 66 Obv. Z. 7 erwähnt. Dazu vgl. Phot.
lex. s. V. xußYjßö? • ö xaxex&iisvog xfj Mvjxpl xö)v 9-swv • 9-£0(f öpvjxog." cf.
Eustatb. ß 16 143146; cf. Simonides fr. 36; Kratin. fr. 82.
»«-) Ptolem. 5, 3, 5.
Kuba-Kybele. 173
kischen Artemis Ko{xß:xYj ^''^) und im griechischen Namen
K6{ißr] für die Mutter der Korybanten ^'^*) ; endlich an einer
Stelle, wo man ihn kaum erwarten würde. Ein Fragment
aus Varros Logistoricus „Catus" oder dem 14. Buch seiner
Altertümer ^^°), nennt eine diva „Cuba", die das , Liegen" der
kleinen Kinder beschützt ^*'*^) ; ein Wirkungskreis , der zum
Wesen der großen kleinasiatischen Muttergöttin trefflich paßt^^').
Höchstwahrscheinlich ist der Name von den kleinasiatischen
"^) Arch.-epigr. Mitt. aus Oesterr. VII (1883) 124; Bull. corr. hell.
XXIIl (1900) 3356. Zu Ko[ißix7i gehört offenbar Kußrjxvj bei Hesych s.
V. und ebenda ,xi)ßyjxog ■ 6 >cax£)(ö|jL£vos "^V ^i^tpi iJ-ewv".
"*) Als Eponyme von Chalkis, üiels, Hermes XXII 1887 442 wahr-
scheinlich aus Kreta dorthin übertragen, von Sokos oder Swxög (Hesych.
8. V. K&[ißyj und Iim^oc,: Nonn. üionys. iSisefi.) Mutter der Korybanten.
Die Korybanten, bezw. der Korybas oder Kyrbas — griechisch ist der
Name unerklärlich, -vx ist kleinasiatische Endung — von den Alten den
Kabeiren (man beachte die Metathesis, dazu oben S. 126 2 7) gleichgesetzt,
sind ebenso wie diese orientalische Gestalten. Köpußag ist assyr. kurubu,
karubu „mächtig" (Deutsch, Handwörterbuch 352) hebr. 31~i3 Kerub,
also dem Titel „Kaßecp" ganz analog. Die Inschrift von Imbros, Keil,
Philol. II 589 ff. bietet nebeneinander die Uebersetzung von ,,kabirim"
und ,,karubim", ,,9-sol laeyaXoi, ^aoi Suvaxol lax'jpoi". Vgl. ferner zu
den von Kdpußag, Kupßa? abgeleiteten kleinasiatischen Ortsnamen Küpßyj
in Kreta, Pamphylien, Rhodos, Küpßaaa in Karien, Koponlaooc, in Isau-
rien u. den Ezra 2b9 erwähnten Ort 31"i3 in Babylonien. Der rätselhafte
Sokos ist wahrscheinlich mit dem phönizischen Götternamen fSD Sak-
kun bzw. Säyxouv zusammenzustellen (vgl. Berger, Melanges Graux
II 618 f.) wobei -un = P" (wie in 'EXioQlv) Deminutivsuffix wäre. Bei
Ovid Metam. 7 382 wird diese Kombe ,,Ophias" genannt, wozu der bei
Hippolyt. philos. V19 überlieferte Attishymnus „"Axxt ae xa/loGiaiv . .
(Liste barbarischer Namen) . . "EXXr^vsc; S' 'Ocpiav" ferner die schlangen-
gestaltige Rheia der orphischen Theogonie (Abel fr. orph. Nr. 41p. 164)
und oben S. 140 se, s8 die arabische Göttin Ghawwa {== Schlange) El Surrah
(^Omphale) zu vergleichen ist. Hesych: ,,K6[ißa* xopwvTj noXup|5>ivioi",
beweist, daß man in Kreta die Krähe als heiligen Vogel der Komba
betrachtete. Kopovtg ist aber in Delphi mit ApoUon gepaart, wie in
Kleinasien die Didymene mit dem Didymaios (unten Anm. 200).
1«°) cf. Peter bei Röscher ML II, 1 e. 142, 19 ff.
^*^) Donat. Ter. Phorm. I, 1,15 (v. 49) „legitur apud Varronem,
initiari pueros Eduliae et Poticae et Cubae divis edendi et potandi et
cubandi, ubi primum a lacte et a cunis transierunt." Die gelehrte
Ableitung Cuba v. cubare geht wohl auf die Theologie der Indigita-
menta zurück; man sieht auf den ersten Blick, daß Cuba sich durch
das Fehlen der bei „Potica" und „Edulia" in die Augen springenden
Ableitungssuffixe von diesen Bildungen unterscheidet; wären alle drei
gleichwertig, so würde es wohl auch Cubica oder dergl. heißen.
Oö'enbar ist also hier eine überkommene Gottheit in das an solchen
Bildungen sehr reiche Schema der Indigitamenta eingereiht.
'^') Besondere Fürsorge für das Gedeihen der Kinder ist für Kybele
bei Diodor bibl. III 58 ausdrücklich überliefert. Auch auf die ■^äXoi.y.zoQ
xpocpyj der Kybelemysten, durch die der Verehrer der Göttin zu ihrem
Säugling geweiht wird (Gruppe 1542 0) wäre hier zu verweisen.
174 Robert Eisler,
Etruskern ^^^) nach Italien mitgebracht und dort von den ita-
lischen Stämmen übernommen worden.
Zu diesem ursprünglich westsemitischen Namen Kuba
steht dann aber Kubile-Kybele als eine, durch die oben be-
sprochenen Appellativa xüßeXov und xüßwXov, vgl. sizilisch-sara-
zenisch Cuba-Cubola, spanisch „al-coba" „al-cobilla", durchaus
in den Bereich des sprachlich Möglichen und Wahrscheinlichen
gerückte phrygische Deminutivbildung ^^^) in engster Verwandt-
schaft.
Kybele wäre nicht mehr und nicht weniger, als die ju-
gendliche Kuba-Kybe, die Uocp^hoc, im Gegensatz zur Myjttjp,
0exXa die „kleine" jugendliche Göttin ^^°) im Vergleich zur
'®^) 8. u. Anm. 178 über die Kubrä-Kypris-Cupra und oben S. 150 las
über den Janus geminus-Mrjv Ai8u|iog-AL9-upa[ißog.
*®^) Deminutivbildungen von Götternamen zuerst erkannt zu haben,
bleibt das unsterbliche Verdienst Hermann Useners. (Sintüiitsagen 57 — 74).
Zu den dort gegebenen Beispielen (^Hpa-xXrjg, 'Hpü-xaXog, Hercules von
Tjpws, dazu fem. -^pa) Aeü-xaXog Zeusknäblein zu AeO? = Zeu? Aio-xXog,
Aioj-xdpLv^oc; und OTvog-OIvovtXog (Dionysosknäblein), IläxpoxXog zu üati^p,
bulgarisch „Bozic" ^Gottchen" von „Bog'' = „Gott" lassen sich als römische
Paralellen Ju-lus als Deminutiv von Ju-piter (Aurelius Victor origo gent.
Eom. 15) und Ve-jovis der kleine (cf. vescus, vegrandis) Diovis (Frazer,
lectures on kingship p. 202) stellen. Eine Trias wie 'Hpw? 'Hpa-xX^s
"Hpa erklärt Namensgruppen wie Romos (Nebenform das gebräuchliche
Remus) Eomylos (so bei Kleinias Intp. Serv. Virg. Aen. I 273; Fest.
269 a 3o) und Roma, ein Gedanke, den mir Kretzschmer in seinem sonst
so anregenden Aufsatz über diese Namen („Glotta" 1908 I 288 ff.) zum
»Schaden der Sache vernachlässigt zu haben scheint. Aus Namen vde
Janiculum (das selbstverständlich mit „collis" „Hügel" nichts zu tun hat),
ist zu Janus-Jana ein Deuiinutivgott *Janiculus zu erschließen, ebenso
aus Tusculum ein Heros *Tiisculus, Demin. zu Tuscus, dem Eponym
der Tusker, der italisierten Form des etruskischen Turq-us oder Tarq-on
(kleinasiatis h Tark, Trok, TsOxpoc). Eine weitere Deminutivbildung
von einem kleinasiatischen Gottesnamen wäre der pergamenische theo-
phore Königsnamen Attalos zu Attis (vgl. 'Axug Sohn des Kroisos bei
Herodot). Aus rein semitischem Sprachgebiet ist der alttestamentliche
bamsön (als Deminutiv erklärt von Nöldeke „names" Encycl. Bibl. 3302),
zu >amas (Sonne), Dagön von Asdod zu „Dag" = „Fisch„ wie „Nahson"
„Schlänglein " zur heiligen Schlange „Nahas" oder ^Sidön" zu „Sid" =
„Fischer" anzuführen.
*'") Der heidnische Hintergrund der Legende von der heiligen Thekla
im isaurischen Seleucia (s. Hennecke, Hdb. zu den Apokryphen des
NT S. 379), die durch göttliche Fügung lebendig in den Fels entrückt
wurde und deren Gedenktag (24. -9) auf die Herbstsonnenwende fällt,
ist unverkennbar die überall nachweisbare Niederfahrt der jungfräu-
lichen Göttin. Dann erklärt sich der Name sehr einfach als bloßes
Deminutiv der namenlosen großen Göttin Kleinasiens, der ösä.
Kuba-Kybele. 175
großen Göttermutter selbst, der Osa schlechthiu, wie sie u. a.
in Eleusis genannt wurde ^"^).
IV. Kommen die mit p auslautenden Transcriptionen
des fraglichen Namens in Betracht und zw. Xaßap, Xoußap,
Koußap, Kaßep, Xaßep, zu denen mehrfach die Version MeyaX'r]
überliefert ist ^^-). Zu Grunde liegt diesen Bildungen offenbar
eine bewußte Angleichung von Kuba-Ka'aba an die Derivate
der Wurzel „kabara" =: groß sein ^^^). Ein in diesem Sinn
»") Gruppe Hdb. 52 4.
*'-) Vgl. Const. Porphyrogen., de administr. imp. 14: „npossüxovxat
de xal eis zb xr\c, 'AcppodixvjS dcaxpov, o xaXoöaiv Koußäp. " Euthymius
von Zigabene bei Sylburg, Saracenica p. 71: „ol Sapaityjvol jiexpl x6v
'HpaxXeL-co'j xotj ßaaiXswg y^pöwo^ ei5ü)XoXäxpouv upojxuvoövxsg tu) Sü)gcp6p(p
dcaxpcp xal x'^ 'AcppoStxij, y)v Se xal Xaßäp x'^ lauxwv iTiovoiiöc^ouaiv yXMaaig.
öYjXol 5a yj XdEig aüxr; xr^v MsydcXr^v." St. Johannes Damascenus de baeres. p.
111 ed Lequien: „ouzoi p.sv o5v elSwXoXaxprjaavxss xal Tiposx'jvr^aavxag zip
icüocpöpqj dcoxptp xal x^ 'AcppoSixr;, ^v Srj xal Xaßäp xTj lauxöv iTttüvö|j,aoav
yXcüoaiQ, ÖTtsp aYjiiatvec Meyä^Y)." Cf. ibid. p. ll-S (oben Anm. 70). Ebenso
Cedren I 425 (ed. Par.) . . „xö 5s Koußäp MeyäXrj. ." und Glycas p. 514
ed. Bonn.: „. . xv]v 'AcppoStxvjv xexp'jji|jiev(o; asßovxai . , . Koußäp . . xo'jx'laxiv
. . MeyäXvj." Die Quelle für alle diese Behauptungen sind die alten
Execrationsformeln, die die zur griechischen Kirche übertretenden Mo-
bammedaner beim Abschwören ihres Glaubens nachzusprechen hatten
(Sylburg Saracen. p. 113; OO Niketas Choniatas ^vjaaupös öpd-oSogiag ex
Ms. bei Lenormant 127o und 134): „ävaS-sjjiaxi^cü xo-jg xcp TipwlvtT) Ttpog-
xuvoövxa? öcoxpcp xw 'Ecüacpöpct) xal x-^ 'Acppo5ixi;j {= Ahtar und Istar, der
Stern gilt als zweigescblechtig) , r^v xaxä xtjv 'Apäßwv yXcöaaav Xaßäp
övoiiä^ouoiv xoöx' iaxiv MsydcXr/v)." Die Berichte lassen deutlich erkennen,
daß sich die Bezeichnung „groß" ursprünglich auf das durch den
heiligen Stein vertretene Gestirn (vgl. unten Anm. 175 und 177) bezieht.
Demgemäß ist das mit ku'ba synonyme „nahid" „die Vollbrüstige" bei
den Persern Bezeichnung des Venussterns geworden. Vgl. die Planeten-
liste im sog. 'Oulema-i-lslaui, Blochet, Rev. bist, relig. 1898,44. Ueber
Anahita als Venusgestirn vgl. noch Berossos FHG II 498-2 509 le; Jamb-
lich bei Phot. Bibl. XCIV S. 75 p. 15; Agatharch bist. 2,24 S. 117 19
ed. Bonn. cf. Jackson, Zoroaster 249 und Hesych s. v. Ilspai&sa.
1") Genes. 64 heißen die ,, Riesen" („yiyaviss" LXX) ,,gibborim"
(vgl. arab. „gabbar"). Daraus darf wohl erschlossen werden, daß „kabara"
,groß sein" nur Verhärtung eines ursprünglichen *gabbara ist. Der
Gebrauch von "i*: (gebher) für , Mensch" im allgemeinen ist sicbtbarlich
aus einer engeren Bedeutung (vgl. etwa deutsch , Recken") hervorge-
gangen. Unter dieser Voraussetzung ist dann aber mit Koußäp auch
die , Göttin des Westlandes" Gubarra (bei Hommel, Grundr. 245,
mit dem Stadtnamen „Gubrum", 0. „am Ufer des Flusses von Edinna"
und 0. in der Umgebung von Sirgulla oder Lagas zusammengestellt)
als „die Große" zu verbinden und mit Kuba-Kybele zu identifizieren.
Das Ma.scul. „Gabbar" = „Riese" ist eine bekannte arabische Bezeich-
nung des Orionsternbilds (Winckler, altor. Forsch. II 374), wozu die
Genes. 10 9a überlieferte Benennung T^ "I2J „gibbör sayid" „Riese
Jäger" für den nach persisch-neubabylonisch-nestorianischer Ueber-
lieferung (Chronic. Pasch, ed. Dind. p. 64) mit dem Orion identifizier-
ten Nimrod zu vergleichen ist. Der edomitische Namen Kaus-gabr
176 Robert Eisler,
zu deutender Cultname * Kubar würde genau der kleinasiatischen
Epiklese der Kybele als Magna (Mater Idäa), Tea oder
Artamis MeyaXrj i^^) (MTjxr^p xxX.) entsprechen und diesen, wenn
(Keilinschr. Bibl. II 239) = KooYaSapög (?bei Joseph. Antiqq. XV 7,9
Schwager Herodes des Idumäers, verschrieben Koataiüapog, so Schrader
KAT^ 150; oder ist „Kaiis tabbür" „Kaus ist der Nabel" zu lesen?
vgl. noch Kaus-malak iaei Schrader a. a. 0.; Kos-nathan Kuting, nabat.
Inscr. n. 12 1 und die zahlreichen semitischen Namen aus ägyptischen
Inschriften mit diesem Bestandteil, Rev. arch. Febr. 1870 p. 109 ff. end-
lich die b'ne Barkos, Ezra 2 68) beweist, daß die Araber auch ihren
mit Pfeil und Bogen bewaffneten, als Sa'ad (= Jäger) mit ,,06piü)v"
identifizierten (oben Anm. 60) Gott Kaus-Kuzah den „Bogen"- oder
,,Fisser"gott, mithin also auch den gleichbedeutenden Hobal der
Ka'aba „Gabbar" nannten. Tatsächlich kommt der Hobal ^Gabbar"
auch, leicht übertüncht, als „Engel Gabri-el" in der mohammeda-
nisierten Legende der Ka'aba vor: er soll den schwarzen Stein „auf
Geheiß Allah's" aus dem Himmel gebracht haben (Tabari trad, Du-
beux 180 ff. ; Pococke Spec. bist. Arab. p. 121; Burckhardt I 217;
Caussin I 170 ff.) Endlich teilt mir Hommel freundlichst mit, daß er
Spuren der Göttin l^J in den Ortsnamen ,,'E§ion-gebei'" = ,,ad Dia-
nam" bei Ailat-'Akaba und Beth-gibrin = Batxoyaßpa Ptolm. V löe
= Eleutheropolis bei Askalon zu finden glaubt; vgl. dazu den Fluß
Eleutheros = Nähr al Kabir 1 Makk. 11?; Betogubri in der Tabula
Peutingeriana, By]xa[Ya]ßpiv Joseph, bell. jud. IV8i. Zur Uebers. Eleu-
theropolis vgl. Artemidor. 235: "Apxs[jiis 'EXsüO-spa; über das Vorkommen
des Titels in Kleinasien, Myra und Sura s. Petersen-Luscban Reisen II
61 21. Ueber Aphrodite Eleutheria in Karlen (Aphrodisias) s. Franz GIG
III S. 1140 zu 4303 h*.
*'*) 'Pea MsydcXv) im Attishymnos bei Hippolyt Philos. V19 p. 168
Schneidewin. MVjxyjp MsydcXYj Pind. fr. 95 f.; Eurip. Bakch. 78; Diod.
857; Poet. Lyr. Graeci ed. Bergk III "^ 725 115 a; Liv. 2937,2; 8818,9;
mater magna Idaea Liv. Söses; CIL VI 499; in Pergamon Fränkel
Inschr. v. Pergamon 86; in Pessinunt Plut. Mar. 17. Ihre Heiligtümer
(in Pergamon Varro ling. Lat. 615) und Feste (in Rom Varro ibid. ; Pru-
dent. c. Symm. I629 etc.) heißen Megalesia. MsyäXyj %-e6Q (beachte die
Incongruenz!) Pind. fr. 96 oder %-söz Msyä^vj (Strabo X 3,12 p. 469)
ist immer die kleinasiatische Göttin, die diese Bezeichnung ständiger
führt, als alle andern Epiklesen. Vgl. die Bezeichnung der sog. Dea
Syria als Megale Meter in Delos (bull. corr. hell. VI 1882 502 Nr. 25
vgl. S. 488 f.). Hesych. s. v. [isyäXYj %-zbc, bezeichnet so die Eponyme
von Lemnos. MsyccXv) "Apxsiiig öspixia auf Mytilene bull. corr. hell. IV
1880 p. 480; vgl. CIG 2963 {xfiQ ixsydcXyjg ^sag 'ApxsiJLidoc; Artemis Ms-
yäXyj in Ephesos. Act. Apost. 19 si (vgl. oben Anm. 146 uad 25 über
die vataxoi und den hl. Meteorstein der Göttin); 'A. [isyäXy) in einer
Inschrift von den Aciivai (jetzt Egirdir Geul und Hoiran Geul) wo die
A. Ai.[ivaia verehrt wurde (Ramsay, bist. Geogi\ of Asia Minor 410).
Vgl. Xen. Eph. I 11: „ö[iv6o) xe 00t, xyjv Txäxptov Yj[iiv •S-söv, xrjv [leydXyjv
'Ecpeaiwv "Apisixtv". Nach Lajard, recherches sur le culte etc. de Venus,
Paris 1837 S. 107; Claus, de Dianae antiquiss. ap. Graec. nat., Breslauer
Diss. 1880 S. 10 u. a., die Arta-myti-Artamis mit dem persischen, in
Eigennamen so häufigen „Arta" = „groß" zusammenbringen und noch
nach E. Hoffmann, Rhein. Mus. II 1897 p. 102, der 'Apx-a[i-is als „Große
Mutter" deutet, wäre 'Apxsjjng MeyäXr) geradezu eine Tautologie. Ich
zweifle nicht daran, daß die iranischen Kleinasiaten den Namen der
Kuba-Kybele. 177
auch an sich nicht vereinzelten, doch sonst niemals mit solchem
Gewicht ^'^) auftretenden Titel aufs beste erklären. Arabisch
Göttin als „Arta Mätä" „große Mutter" verstanden, sehe aber einst-
weilen keine Nötigung, den Namen gegen Robert, Bazin, v. Wilanio-
witz, Kretschmer, Studnizka, Wolters (vgl. Gruppe Hdb. 12672) für
ungriecliisch zu halten. Ist aber Artaniita oder 'Apxä[iLTa wirklich
barbarisch, dann ist der zweite Bestandteil Mita-MtSa^, die „ Quell "gott-
heit (vgl. unten Anm. 225 a b c d) der arischen Mitanni oder Mosker.
Demeter MsyäXr] in Smyrna CIG 3194; in Megalopolis Paus. VIII 31, 1
cf. Kallimach. hymn, 6121. Tri ['■^'^«.Xri l3ei den vorgriechischen Mysterien
von Phlya Paus. I 31 4. Die semitische Urform ist bewahrt bei Demeter
Kaßsipta Paus. IX 25, 5 bei Theben ; Kaßsipw Tochter des Proteus, Fhere-
kyd. bei Strabo X 3, 21 S. 479. In der alten arabischen Uebersetzung
des Neuen Testaments (cit. Lenormant 136) ist bezeichnenderweise im
19. Capitel der Apostelakten " Apxs.\i.<.c, immer durch „Zuharat" (Venus-
stern), MsYä?.vj aber durch ,,kabirat" wiedergegeben, während die syri-
schen u. a. Versionen die Worte einfach transscribieren.
*'^) Nichts ist bezeichnender für die cultische Bedeutung des
Namens (der „liöyaXsio-cYjg") als das in der bekannten Szene Apostel-
gesch. 1929 und 35 doppelt bezeugte, stundenlange Geschrei der gläubigen
Menge in Ephesus „Msyä^vj v] "Apxeing 'Ecpsatwv". Genau derselbe Be-
kenntnisruf der Msya^cüvuiiog (Orph. hymn. 36 2) ist aber im arabischen
Heidentum nachweisbar u. zw. im sog. ,,tekbir" (genau = der griech.
[j.£yaX£tö-cvjg Act. Apost. 1927), dem Stoßgebet Allah akbär ,, Allah ist
groß" ursprünglich wohl genauer „der Große", das als Einleitung zum
Morgengebet und als besonders zauberkräftige Interjection jedem Mos-
lem ständig auf den Lippen schwebt. Aus den — bereits von Lenor-
mant p. 182 erörterten - byzantinischen Execrationsformeln geht näm-
lich mit Sicherheit hervor, daü die heidnische Urform des Rufes ,, Allah
wa Kubar" = ,, Allah und die Große" (wie das moderne ,, Jesus Maria!")
gewesen ist (vgl. Gonst. Porphyrogen a. a. O. (oben Anm. 172): ,,avaiy(i)-
vo'jo'.v SV xrj 7ipog£U}C^ aÜTWv oiixtog «'AXXä ouä Koußäp», 6 soxiv «6 Bsög xat
'AcppoSixvj». Töv yäp ^•söv «'AXXa» 7xposovop,äL;oauiv xö Se «ouä» dcvxc xo'j «%al»
auvSeofiou xtS-saaiv, xai xö «xouß äp » HaXoüaiv xö aaxpov, xai Xeyouaiv
o'jxcog (d. h. auch in der gewöhnlichen Rede) «'AXXä oü« Koußap»." Cedren
und Glykas a. a. 0. haben eine erweiterte Form dieses tekbir „'AXXä
"AXXä oüdc Koußäp 'AXXa." Das kann willkürliche Ausschmückung der
einfacheren Form durch den Byzantiner sein. Wahrscheinlicher ist mir,
da auch andre Spuren auf dumme Wiedergabe einer ausführlicheren,
nicht verstandenen Quelle hinweisen, (s. unten .über das Hermeneu-
omenon oeXy/vt]; das ouä soll [Jisi^wv bedeuten!) daß hier Spuren eines
alten längeren Bekenntnisrufes vorliegen, den das mohammedanische
Credo „La iläh illä wa Mohammed rasul Allah" verdrängt hat, und
der sehr wohl „La iläh illä wa Kubär Allät" oder mit etwas stärkerer
Aenderung „Allah akbär wa Kubar Allät", ,,der Gott ist groß und
die Große ist die Göttin" gelautet haben könnte ; das p-st^wv würde
sich dann als Rest einer griechischen Erläuterung mit dem Sinn, es ist
kein Gott größer als Allah und die Kubär gut verstehen lassen.
Aber auch ganz abgesehen von dieser hypothetischen Restitution eines
,, großen tekbir" genügt die moderne Formel an und für sich zum Be-
weis , daß auch der Gatte der Al-lät Hobal, Kaus, Kuzah, Sa'ad und
wie er noch geheißen haben mag, den Titel „Gabbar" oder „Kabar"
führte. Da kabir in den minäischen Inschriften allgemeiner Würdentitel
der Priester ist (Hommel, Grundr. 235), — ebenso wie auf der Insel
Philologus LXVIII (N.F. XXII), 2. 12
178 Robert Eisler,
kubrät = die „Größte", offenbar also die in der phönizischen
Theogonie des Sanchuniathon bei Philo von Byblos ^'^) er-
wähnte Astarte MeyiaiTj ^"), dürfte demgemäß hinter „K6-
Paros, die einst Kabarnis hieß, die Demeterpriester den Titel Kaßap-voi
führten (Steph. Bjz. s. v. Uäpoc) — so darf ohne weiteres angenom-
men werden, daß auch der mit dem Vater wesensgleiche Gottsohn
des Paares — Dusares (oben Anm. 24) der „GroPe" genannt wurde.
Das entspricht dann aber genau der kleinasiatischen und samothra-
kischen Dreiheit von Kabiren 'Agtovtspaog und 'Agtoxäpaa (Axt-hauer
und Axt-hauerin; A. B. Cook) and Axieros (beilige Axt schlechthin),
Zeus UoLTidq, "Axxig und Kybele, — Aiva, Turk-Tei'sbas und 'Pö.
Endlich bemerke ich, daß die Verbindung „Allah wa Kubar" statt
„Kabir und Kabarä" oder „Allah und Allät", der von Usener auf-
gestellten Regel für die Namensbildung von Götterpaaren genau ent-
spricht. Die Umformung von „Allah wa Kubar" in ,, Allah akbar"
scheint ein christliches Gegenstück in dem von Paulus gebrauchten
Fluch oder Schwur „Maranatha" 1. Cor. 16 23, Didache lue (als Zu-
lassungsformel zum Abendmahl) zu haben. Es ist klar, daß eine
Schwurformel nicht von den Jüngern desjenigen neu geschaflen worden
sein wird, der alles Schwören so streng verwarf (Matth. 5 ss— s?), wenn
auch schon Paulus (2. Kor. 1 s) das Gebot seltsam trotzig übertritt.
Der Fluch ist vielmehr heidnisch und durch eine typische ,,Temura"
(oben Anm. 19) mühsam purifiziert. Ps.-Lucian nennt die große Göttin
von Bambyke eigentümlicherweise Z^vjpislov = ,, Zeichen"; das kann nur
ein Geheimnamen ''ilK 'atbi = „Zeichen" für Til? = 'Abte, die Göttin
sein, hergestellt durch Veränderung des damals schon stimmlosen
Anlautes. Ich schließe daraus, daß dem in Verbindung mit dem Bruder-
kuß (1. Cor. V. 20 zu 22) gebrauchten Erkennungswort KnK pü := „5
xüpicg -^iiwv 10 aYj[isIov" (diese Deutung Klostermann, Probl. im Apostel-
text 1883 p. 220—46; andre mit gleichem Recht, da die vox mystica
möglichst vielseitig sein muß „märanä thä" „komm, unser Herr!" und
.,märan ethä" , .unser Herr ist gekommen") einem altheidnischen, außer
Gebrauch gesetzten liturgischen Kn^' 'pü = ..unser Herr ist xny" =
Attis (Zur Aussprache üt^V vgl. "A*ag %-bo^ bei Philo Bybl. ap. Steph.
Byz. s. V. 'Pajjidv^as) bzw. „Herr (Attis) komm!" (Formel der ^rizrioic,
bzw. iuLHA-zjaig) und „Unser Herr ist gekommen" (eyspais bzw. ävdcaxaais)
entspricht.
"0) Fragm. 224.
"') Auf den Morgenstern als größtes und hellstes Gestirn bezogen,
ist MsytotTj natürlich mit dem absolut gebrauchten MeyäXvj gleichwertig
(vgl. Aphrodite ^le^dAYi Foucart, bull. corr. hell. XHI 1889 156 ff.), wozu
ich noch bemerken möchte, daß das griechische aaxryp = Stern m. E.
ebenso wie «ißsXiaxog, uupaiiig, lax.äpa und laxia ein alter Gottesnamen
u. zw. ,,Istar" der „Stern" schlechthin (vgl. Kaukkabtu = „Sternin" da-
zu den lykischen Gott Kakasbos(-eus) = kakkab = „Stern") sein muß.
Bei Sanchuniathon ist die MsylazT) mit Adad ('AScüScg) 'gepaart, der
seinerseits ganz dem Ninib-Ares-Pyramos, dem Gatten der Thisbe-Teisba
entspricht, ebenso steht orph. fr. 130 (Proklos) p. 205 f. Abel Tea MeyiaxT]
neben Zsüs Msyioxo?. Adad-Ramman, der „Donnerer" heißt tatsächlich in
der Inschrift von Et. Tayibe (Lidzbarsky Hdb. 477), wo er mit Baal-"Samin
(= Oupavö?) identifiziert wird „Zeug [i d y i a x 0 g xepa'jviog". Dazu vgl.
Zsü? M^Ytoxog in der Inschrift von Prymnessos, Ramsay, Athen.
Mitth. VII 1882 134 „Aiög Aaßpaüvdou xal Aiög lieyiaaxou" (gef. zwisch.
Aphrodisias und Hierapolis, R. Chandler, Marmora Oxoniensia II Fig.
Kuba-Kybele. 179
:ipts" ^'^) dem Culttitel der papliischen Muttergöttin und dem
Namen der etruskisclien Göttin „Cupra" stecken. Eine solche
Göttin mit dem Titel die „Große'' kennen auch die Babylonier
— abgesehen von der bereits besprochenen Gubarra — in ihrer
„Gula", sumerisch Bau ^'"), der Gattin des oben mitTe-isba-s-
Pyramos, dem Gatten der ©taßy] identifizierten Ninib ^^°), d.h.
12) und Zeus ^Msytaxog Kepaüviog" in Palmyra CIG 4501; Apollon, der
ebenfalls als Paredros der kleinasiatischen Göttin erscheint, heißt Ms-
yag in Lermenos (Msyas 'AuöXXtov AspiiVjvög Journ. Hell. Stud. 1889
p. 216). Endlich steht ein Kabir (6e6$ Meyas) neben der Eleutheria
(=: Gubar vgl. oben Anm. 173) in einer Inschrift von Kyaneai Franz
a. a. 0. Ob der Jupiter 0 p t i m u s Maxiraus als etruskisch aufgefaßt
und mit dem Miyiaxog verglichen werden kann, bleibe dahingestellt.
,, Cupra" soll etruskisch = Bona sein (Wissowa RE s. v.) und das würde
dann eine Brücke vom Maximus zum sonst ganz vereinzelten Titel
Optimus bilden.
>'^) Kypros als Inselname braucht nicht theophor zu sein, da ja
Cypern tatsächlich die „größte" Insel im östlichen Mittelmeer ist. Da-
gegen stimmen die Cultformen der Göttin (vgl. oben S. 139 84 über das
kyprische Omphalosbaithyll) genau zu dieser Annahme. Das n in
,,Kypris" statt des 2 in Kubrat erklärt sich sehr einfach daraus, daß
das kyprische Alphabet nur mutae enthält. (Vgl. unten Anm. 200 über
Hobal-Apollon.) Endlich erinnere ich daran, daß gerade in Kypros
die zahllosen Tonfiguren der Göttin, die ihre Brüste preßt, also der
Ku'ba-Anahita, gefunden worden sind; andre kyprische Terracotten
zeigen die Göttin als xoupotpöcfog mit dem Gottkind, d. h. als Beltu-
muwallidät iläni (Göttergebärerin = griech. ösöxoxoc: translitt. bei Herodot
MuXixxa; vgl. Anm. 184 a). Eine solche Darstellung der säugenden XaaßoO
mit dem Dusareskind aber hat Mohammed — nicht ohne Grund, vgl. o.
S. 122 16 u. Anm. 156 a — für Isus und Marjam gehalten und daher
allein von allen Wandgemälden in der Ka'aba durch Darüberbreiten
seiner Hände — natürlich ist das der Ritus der Handauflegung, vgl. oben
S. 142 ?3 über das Handanlegen beim Tawäf u. unten Anm. 182 f., 186 —
vor der Zerstörung gerettet. (Burckhardt I 221 ; Caussin I 198 : Wüsten-
feld, Gesch. der Stadt Mekka p. 105.) Longperrier hat Bull. arch. de
l'Athen. franc. 1885 (planche II Nr. 3) eine solche Terracotta veröffentlicht,
wo die Göttin ihr Kind in Gestalt eines Kälbchens säugt. Das stimmt zu
ihrem stiergestaltigen Gatten Zeus-Adad. Wo der Vatergott als Widder
(Kapvslog, Ghanam oder hz' vgl. Anm. 60 u. 200) galt, ist natürlich der
göttliche Säugling ötiö xdXuq) ^säg ein spccpoc; (cf. Hesych 'AScüviaxrj^ • iptcpog).
"^) III Rawl. 55,49 heißt es, daß Ba-ü beim „Morgengrauen"
verehrt wird. Dazu vgl. das ,,tekbir" als Morgengebet und die Tipogxu-
vr^aig xqj npwl'vq) «axpco im Kult der Ka'aba-Koußäp.
180) Bei dem Sanchunjathon des Philon von Byblos FHG III 500 ist
Baoü bibl. Bohu mit dem di'js\i.0(; KoXnioc gepaart. Köl-pi-Jah = „Stimme
des Mundes des Jah" (westsem. Mondgott, Hommel 178) ist natürlich
Tukültu-Ninib III Rawl. 67,68, der „Nin-ib" (Mundgott) des „Rufens"
(vgl. zu kültu Ninib und xoX-ut-ja av£|iog" die H' ^V „Stimme Jahve's"
im Meer es winde Gen. Ss [1. b'^ruah jäm, nicht jöm „Tageswind"]
Zu ävsp,os vgl. ferner die Punktierung Hebbel = „Windhauch" für
Habhel-Hobal, den Gatten der Kaaba.
12*
180 Robert Eisler,
aber in der babylonischen Urform der kleinasiatischen 0taßyj ^^^).
Die Bedeutung dieser babylonischen Parallele im vorliegenden
Zusammenhang liegt vor allem darin, daß diese Göttin Gula,
die „Große" Su-anna „Hand des Himmels" genannt wird,
wozu bereits Hommel ^^^) das Handsymbol auf den Stelen der
punischen Muttergöttin Tanit^^^"^) und das Handsymbol im mi-
näischen Tempel des Venussterns (Ahtar) verglichen hat. Es
ist klar, daß diese Auffassung der Istar als „Hand" ^^^) einer-
*®') S. oben über öiaßv) — kleinas. Te-isba; davon die boeotische
Stadt Öioßvj mit einem blühenden Aphroditencult (Nonn. 13 62 „. . Otaßvjv
slg 8p(iov süxpiQpwva ■a-aXaaaaiyjg 'AcfipoSixYjc;'').
^*^) Grundr. S. 101. Vgl. dazu das heute noch in der ganzen Le-
vante so beliebte, von den Arabern ,,Hand der Fatma" — der Schwester
des Propheten! — genannte. Amulett. Daneben kommt die Bezeichnung
„Hand des Propheten" bei den Moslim, „Hand der Macht" „Hand des
Moses" bei den sephardischen Juden, „Keph Mirjam" „Hand der Jung-
frau Maria" (vgl. jedoch über Marjam unten Anm. 239) bei den
syrischen Christen vor. S. oben Anm. 60 über die goldene Hand
des Hobal. Vgl. über das apotropäische Handsymbol H. Clay
Trumbull, the threshold covenant, New- York 1896 S. 74 ff. ; Meissner,
Zeitschr. für Assyr. 1894 S. 295 ff. ; Berichte der sächs. Gesellsch. 1855
S. 28; Andree, ethnogr. Parallellen S. 37; G. A. Wilken, Bydr. tot d.
Land en Volkenk. v. Nederl. Indie 1866 S. 197—204.
182 a^ Ein schönes, leicht zugängliches Beispiel ist die Stele CI Sem.
pl. XLV Nr. 183 in der Bibliotheque Nationale in Paris. Im Giebel,
SV dixptp xoö oOpavoö (Ps. 18 7 LXX) sieht man die „Hand des Himmels"
darunter der flache Boden des himmlischen Söllers (Ps. 104 3), darunter
die aus einzelnen Steinen zusammengefügte Wölbung des Himmels
(xa[iäpa, unten Anm. 190), darunter steht die Göttin, Halbmond und
Vollmond in den Händen. Unter der Inschrift folgt der konische
Phallosstein, darüber im quadratischen Feld des x ü ß o g der ö ijl cp a -
X 6 s , rechts und links die zwei Tauben, oder sonstigen Vögel, durch
deren Flug im Mythus die Lage des Omphalos bestimmt wird.
*^^) Es ist überaus wahrscheinlich, daß zwischen den Symbolen der
Hand in einer gewissen Haltung und dem oben besprochenen der Vulva
ein eben so enger Zusammenhang besteht, wie nach Kaibels richtiger
Beobachtung zwischen Phallus und Dactylos. Wenigstens wird das
niemand bestreiten, der sich an einen in Süditalien sehr beliebten Ab-
wehrgestus gegen den bösen Blick erinnert. Das wirft ein merkwür-
diges Licht auf den Ursprung der Sitte, beim Gebet, d. h. ursprünglich
bei der Beschwörung, die Hände bzw. einen Finger oder zwei Pinger
(sog. latein. und griechischer Segengestus) zum Himmel zu heben.
(Ueber die Zauberkraft des ausgereckten Fingers vgl. Goldzieher in der
Nöldekefestschr. 320 ff., der jedoch den Sinn des Zauberbrauchs und
deshalb auch den Grund der fanatischen islamischen Opposition dagegen
nicht erkannt hat.) Daß ursprünglich eine symbolische „Ostentatio
pudendorum" beabsichtigt wird, zeigt sich ziemlich klar durch den
Vergleich der bei Goldzieher 321 mitgeteilten Mahnung des Propheten:
,,was hebt ihr beim Gebet die Hände, wie Schwänze aufspringender
Pferde? Steht ruhig beim Gebet!" mit der Gottesanrufung des ein-
fältigen Teminiten (ibid. 328) „Schämst Du Dich denn nicht vor mir,
Kuba-Kybele. 181
seits den Schlüssel für die seltsame klein asiatische Ueberlieferung
bietet, die Rheia-Kybele zur Mutter der „Finger" (AaxxuXot)
zur Te-isba oder „Herrin der Finger" '^^*) macht, andrerseits
Ursprung und Bedeutung des pythagoreischen Symbolum:
., apxxoiTea? xsips;"^^^*') deutlich erkennen läßt: die Circum-
polargestirne der beiden Bären gelten als die Hände, mit denen
die am Nabel der Welt stehende Göttin der geringelten Pol-
schlange, die „Helike", die Weltachse und damit das All in
quirlende Bewegung versetzt ^'^^'^). Das Ursprüngliche ist offen-
wenn ich hier nackt vor dir stehe und Dich anrufe, o Gott der Du
doch edel bist"?, mit dem Haditspruch über das Händeaufheben: „Gott
ist schamhaftig, . . er würde sich vor seinem Diener schämen", und
mit einer bei Lenormant 326 cit. Stelle des Moses Maimuni (Epist. ad
proselyt. relig. : ,,Der Cult des Ba'al Peor bestand darin, sich vor ihm
auszukleiden und sich mit erhobenen Schamteilen zu Boden zu werfen,
in der Stellung, die die Ismaeliten heute noch beim Gebet einnehmen"),
zu der noch zu bemerken ist, daß Peor „Kluft" genau = griech. Xäojia ist
und demnach der heilige Peorberg Nu. 23 28 mit den oben besprochenen
Vulvabei-gen und -Steinen in eine Reihe gehört. Den Vorwurf solcher
Gebete konnten die Moslems den Juden leicht zurückgeben (Goldzieher
321, mohammed. Opponent gegen das Händeheben: ,,tue das nicht, so
tun nur die Juden"), wie das Händeaufheben Mosis in der Amalekiter
Schlacht (Ex. 17 n f.) und der Segengestus der Kohanim (Kahan =
ursprünglich „Zauberer") zur Genüge beweist. Besonders gut erklärt
sich aus diesem Gesichtspunkte die goldene Hand Hobais, des Regen-
gottes aus der beim Regenzauber — (Istiska) — Ritus angewandten
Phrase „Noch hatte er seine Hände nicht herabgelassen , als es schon
regnete", lieber erotische Gebetsgesten („gyranastique corporelle pour
produire une sorte de cohabitation . . avec les spheres superieures) bei
den Chassidim s. Karppe, Zohar Paris 1901, 434 1.
183a) Vgl. andrerseits Jensen, Keilinschr. Bibl. VI 1, 577: „endlich
ist der Vergleich steiler Berge mit „Fingern" dem Assyrer geläufig".
Also sind die „Finger", als Kinder der „Hand" auch die Berge als
Sprossen der „Mt^xyjp 'Opsirj". Natürlich kann es kein Zufall sein, daß
Paus. VIII 34, 1 gerade in der Nähe der nach der „Großen Göttin"
benannten Stadt Megalopolis den großen steinernen „Finger" erwähnt.
183b) s. Diels FVS-' I p. 279 Z. 23.
183c) Die Vorstellungen, die hier anknüpfen, lassen sich auf be-
schränktem Raum nur andeuten. Die Göttin des Weltenbergs ist die
, axvjTiToöxog xXsivoTo tiöXo'j". Das hier gemeinte Polscepter ist von dem
„Spocxcüv §Xixo£i5r;5" bezw. von den „Späxovtsg oüo e^ov-csg auväcpeiav itpbz
äXXT^Xo'jc;" (als Sternbild bei BoU 257) dem sog. herakleotischen Knoten
der Rheia (fr. orph. Nr. 41) umringelt, d. h. aber, der „ÖTidTixspog ägwv"
der Welt (Hippol. ref. IV 49 p. 1225 ff.) ist der auf phönizischen Stelen
so häufige, zuerst auf einer altchaldäischen Vase abgebildete „cadu-
ceus" des Hermes. Es war eine der genialsten, damals freilich noch
nicht voll zu beweisenden Intuitionen Adalbert Kuhn's (Herabk. des
Feuers 238 ff.), da er den „caduceus" als den mit einem Riemen um-
wundenen und angetriebenen (i 38.5 f.), zum Feuerreiben benützten Drill-
bohrer (Sophocl. fr. 649 bei Hesych.) zu erklären versuchte. Kosmisch
gedeutet ist diese Himmelsachse das „xpünavov", die um den Pol ge-
ringelte „Helike" der Drillriemen, so daß wirklich auch Kuhn's Ver-
282 Robert Eisler,
bar, daß dabei nur eine Hand der Gottheit, eben die baby-
lonische „Su-anna" beschäftigt und in dem auch sonst als
gleich zwischen dem „caduceus" und dem schlangenumringelten Welt-
banm (oben 143 ige) zurecht besteht. Dieses kosmische Trypanon
steht auf der Spitze des Weltberges auf und entzündet, durch die
„Hand des Himmels" bewegt, das göttliche Centralfeuer der 'EoTia;
— der Unterteil dieses archaischen Feuerzeugs aber heißt — I c x ä p a
und wurde als Vulva gebildet (Kuhn 45, 70, 100), so wie das xpünavov
als Phallus (vgl. semit. /arial" = „Herd", „'aral" = Phallus, o. B.
145 102 b, 13462). Tatsächlich ist die Erbohrung des heiligen Feuers, die im
vedischen Ritual eine solche Rolle spielt, und zur Personification des
weiblichen und männlichen Teiles am Feuerzeug (Purüravas und Ur-
vapi, Kuhn 78 ff.) geführt hat, im römischen Cult der S. 148 f. mit *'Ea-
Xäpa -'Eaxto identifizierten Vesta erhalten (vgl. Fest. ep. 106 s; dazu
über das alSoIov ävöpög auf der saxia des Tarquinins, Dion. Hai. antiqq.
Rom. 42; Plnt. fort. Rom. 10 ; Ovid Fasti Gesi; Plin. N. H. 86204; über
den „deus Fascinus" d. h. den Phallos im Cult der Vestalinnen vgl,
Plin. 2839; über Hestia und Phallos, Bötticher, Tectonik der Hellenen
1852, IV S. 334 f.), während andrerseits (Gruppe 1551 n) auf Kunstdenk-
mälern eine Gestalt mit dem Caduceus ueben Kybele steht und nach
Jul. or. 5 ]5. 179 c Hermes „'ETiaqjpöSaos", d. h. der auf dem weiblichen
Reibholz aufruhende ityphallische , die Kybeleia Köre vergewaltigende
Gott (Gruppe 1322 1) den Attismysten die Packeln entzündet.
(Vgl. auch Cicero, deor. nat. 23 eo, wo aus der Verbindung der Artemis
und des Hermes Eros, der brennende geboren wird). Das erklärt
denn auch vollkommen den Namen des feuerbohrenden Caduceusgottes.
Die auf den Gräbern aufgestellten Steine heißen hebr. (1 Sam. 15 12
Jes. 565 cf. Encycl. Bibl. 1951) 1' „jad" = „Arm" d. h. mit einem
wohlbekannten semitischen Euphemismus „Phallos". Gemeint sind also
die ^uch in Phrygien so häufigen phallischen Grabhermen (vgl. die
phänischen „Grenzsteine" in Babylon). Nun hat Hommel gezeigt
(Grundr. 101), daß der „Arm" („jäd") das Symbol des Plauetengottes
Nebo ist, den die Griechen eben mit Hermes übersetzten und der als
„Nusku" der F 0 u e r bringer ist. Ibid. p. 53 cf. 43 hat Hommel sehr
glücklich angenommen, daß in den hethitischen Inschriften das Symbol
des „Armes" dem in Pei'sonennamen wie „Putu-chirpa", „Charpa-ruda"
so häufigen theophoren Be.standteil „Chirpa", „Charpa" entspricht, den
die lykischen Inschriften (Kretschmer, Einl. S. 361) als „'Epixa"- oder
„'Apjjia" bieten. Entgangen ist ihm aber, daß dieses 'Ap|Jia auch in dem
persischen, doppelt theophoren Eigennamen Armaraithras (Cumont
TMCM II 76 Nr. 5 00 82 Nr. 97) vorkommt und von Cumont ganz
richtig durch den Hinweis auf iranisch „arema" (Zend) „arma" (alt-
pers.) = deutsch „Arm" erklärt worden ist. Hermes ist also der
Vollstrecker des Götterwillens, er i s t der „Arm" und ist „Jäd", der
phallische Feuerbohrer , Nebo , der Feuer gott Nusku. Sein
Namen „Arma" gehört einem der iranischen Idiome Kleinasiens an,
die von den Griechen übernommene Aspiration des Anlauts hat die
rauhe Zunge der Hethiter verschuldet. Die mit ihm gepaarte Götter-
mutter „Tasmet" die „Verhüllte" (vgl. „Weltenmantel" 178?; ^saiia-
Vesta) die Gattin Nebo's, ist die bezeichnenderweise in Delphi, an der
Stätte des xäaiia- und Omphaloscultes verehrte Aphrodite "Apiia (Plut.
erot. 23). Es ist klar, daß diese Epiklese der Göttin die Umnennung
ihrer heiligen Gestirne, der „Bären" in einen kleinen und großen
„Wagen" veranlaßt hat. (Vgl. oben S. 147 112.) Hermes 'Apiiaisög in
Kuba-Kybele. 183
Sternbild der Göttermutter bezeugten kleinen Bären verstirnt
gedacht wird^^^'^).
Das gewöhnliche Symbol der semitischen Muttergöttiu ist
bekanntlich die Taube, izzp'.^xtpd (perah Istar = Istarvogel,
Assmaun) ; sie findet sich demgemäß, aus Olivenholz gefertigt,
im Heiligtum der Ka'aba, in deren ganzem Umkreis die Tauben
bis auf den heutigen Tag als unverletzlich gelten ^^*), in Paphos
im Heiligtum der Kubrät, in Delos, wo die Allät unter ihrem
graecisierten Namen Ay]Tü)-Lätü, lat, Latona^^*'') verehrt wurde,
Erythrä (Dittenb. Syll. II ' 370 = II - 600 142) ist secundär (vgl. Rekub-
el?). Die tanagräischen Orts- bezw. Personennamen "Ap[ia und 'Ap|j.a-
T'va (CIGS 831) sind natürlich prähellenisch und auf diese Gottheit zu
beziehen. Endlich wird man Heraklit fr. 90 („Umsatz des Alls gegen
das Feuer und des Feuers gegen das All, wie des Goldes gegen
Waren und der Waren gegen Gold") besser vorstehen , wenn
man sich an die Beziehung des Gentralfeuers zum Handels gott
Hermes in der kleinasiatischen Theologie erinnert.
183 d) Vgl. diese astralmystische Lehre in den Zauberpapyri, Wes-
sely, XII Progr. Franz- Josephs Gymn. Wien 1886 p. IT) Nr. 46 „S.px-
■z 0 z 7] T£xaY!i£vyj knl 10 axpscp siv töv tspöv ucXov"; ders. griech. Zauber-
pap. Par. Lond. 1888 p. 52—54 00 36. B. Denkschr. d. Wien. Akad.
phil. bist. Gl. S. 76 ff. fol. 14i275ff.: „Apxxiy. rj uävta 71 0 i 0 i5 a a , Itii-
y.aXo'jfiat oe -yjv [j, s y i a x yj v 56va|j,iv xyjv iv äpx xcp utiö y.upiou 9-eoö
xexaY^evrjv sui xö3 axpscpetv xpaxata y^zipl x6v cspöv uöXov . . .
äpxxs %-zä. . . ßaacXsüouaa toXou uavcpsYY^iS ftp[J.wvi(x xcöv oXojv", wozu über
^Harmonia" und Arma-Hermes (vor. Anm.) Crusius in Roschers ML I
1331 59 ff. und * „Weltenmantel'' 163 3 ff., zu äpiiMvia aber die orphische
(Abel fr. 3 p. 144) und sethianische Lehre „mpl x^g Mxpas" (oben
S. 138) und über den „ö (x cp a X ö 5 , öKsp laxlv f; äpiiwvia" (Hippol. ref.
V. 20 p. 208 4 Duncker-Schneidewin) zu vergleichen wären. Den Hin-
weis auf die Zauberpapyri verdanke ich Schultz.
'ä*) üeber die Tauben bei der Ka'aba vgl. de Sacy, chrestom.
arabe Paris 1806 III p. 76. Die Holztaube ließ Mohammed nach der
Eroberung von Mekka zerstören (Pococke, Spec. p. 100; Caussin III
231).
i**a) Zur lateinischen Form Latona vgl. den Stadtnamen Latos oder
Lato auf Kreta (Steph. Byz. s. v. Käp.apa; Head, bist. numm. 399) und
den Berg Leto oder Latoreia (= Aaxcö 'Opsla) bei Ephesus (Alkiphr. bei
Athen. I 57 S. 31 d). Hommel (briefl.) vermutet, daß nicht die nord-
arabische, von Robertson Smith (Americ. Journ. archeol. III 1887 349
und bei Ramsay, bist. Phryg. I 90) verglichene n 0 r d arabische Form Al-
lät zu Leto zu stellen ist, sondern die südarabische Form Lät-an
mit dem angehängten Artikel. Seine sehr einleuchtenden Gründe
sind, daß einerseits auf Delos soeben eine bilingue minäische In-
schrift zu Tage getreten ist (Clermont-Ganneau , Compte-Rendus AIBL
1908. Bull. d'Octobre p. 546—560), deren griechischer Text zu dem
etwa ins 6. Jhdt. fallenden Original um 130 v. Chr. hinzugefügt ist,
andrerseits in den kleinasiatiscben Orten 'ASpa[i'jxiov (lydische Insel;
Stadt in der Troas: A. bei Astyra) alte Niederlassungen der südara-
bischen, in ganz Vorderasien mit Weihrauch handelnden Hadramauter
vorliegen. Dazukommt, daß die arabische ,,Lät^ genau wie die baby-
184 Robert Eisler,
und zwar da in solchen Massen, daß der Verkauf des Tauben-
mistes vom Heiligtum in schriftlich verrechnet erscheint; end-
lich aber auch als heiliges Tier der „Fingerherrin" und
„Handgöttin" Thisbe ^®^) in Boeotien; demgemäß verbinden
auch schon die hethitischen Bilderschriften die Ideogramme
der Göttermutter (y = Vulva, <] [> = Brüste) mit dem Tau-
bensymbol ^^®).
V. ist in zwei byzantinischen Quellen ^®') die Schreibung
Ionische „Beltu muwallidät iläni" (MuXixxa bei Herodot), wie die Kybele
in Kleinasien und ebendort auch die Ayjtü) (Perge in Pamphylien ^iMvj-cpl
ArjToi", Dionysopolis ^EoxapioxGi MvjTpl Ayjxoi" Gruppe 1248, Anm. 826,27)
, Mutter der Götter" heißt. Vgl. Wellhausen, Keste^ 32; de Vogue,
Nab. 8 cxD eis II (nabat.) 185 Z. 5 f.: „K-n':?K DK nbxb" („li-Ilät 'urum
'ilähaje" = „der Hat, der Mutter der Götter"). Leto 'Aiicpiysvsia
Kurzf. * 'AjicfLyta, 'Aticpicoa (Gruppe 7434) gehört als „Zwittergeburt " zu
der unten Anm. 201 besprochenen Ai5uiif/vy;.
»8=) Vgl. die „taubenreiche" Stadt Thisbe Ilias B 502 ; Ovid Metam.
11 300 Steph. Byz. e-aßTj 314 15.
'*^) Brüste und Taube in Inschriften von Karkemish und Bulgar-
ma'den und auf dem Siegelcyl. Rev. Wai-d; auf einem hethit. Siegel
aus Ninive, und in der Inschrift von Karaburna am Halys. Taube und
Dreieck in Dogbanlü; die Taube allein in Niobe und Karabel; sämt-
liche Denkmäler bespr. bei Hommel, Grundr. 53. Aus der Aequivalenz
von Hand- und Taubensymbol erklärt sich, wieso in den wahrscheinlich
in Syrien concipierten ältesten Bibelillustrationen — den sog. Octa-
teuchen — der über den Waspern schwebende „Geist Gottes" Gen. l:
nicht nach der gewöhnlichen Vorstellung als Taube, sondern als Hand
dargestellt ist. Wenn die oben vorausgesetzte Erklärung „Taube" für
„torah" und „tertu" (turtur) richtig ist, dann gehört auch das gewöhn-
liche Ideogramm für tertu ,,id-agga" = „Armausstreckung" in diesen
Zusammenhang; jedenfalls aber die apostolische G e i s t e s mitteilung
durch Hand auflegen, wozu der, Ex. 2841 29 9 Lev. 21 10 (Ez. 43 le wird
der Ausdruck sogar von der Weihe des Altars gebraucht) Rieht. 17 5
für die Priesterweihe gebrauchte Ausdruck T S'7b ,,die Hand füllen"
41 assyr. „kätü mullü" Delitzsch Hwb. 409 p zu vergleichen wäre.
Welches Bild zugrundeliegt, sieht man vielleicht an der heute noch
in der katholischen Meßliturgie gebräuchlichen Bezeichnung des ,, Spi-
ritus sanctus ' als ,,digitus dexterae patris''. Endlich glaube ich,
daß die vielumstrittene biblische Bezeichnung ,,Kaphtor" für die Ur-
heimat der Philister (gewöhnlich auf Kreta gedeutet; W. M. Müller,
ohne Erklärung für das auslautende r, wie T. K. Gheyne richtig be-
merkt, = Kefto = Cilicien der ägyptischen Quellen) einfach ein zwei-
gliedriger Namen (vgl. Esmun-Astart, Sid-Tanit, Sid-Melkart, Esmun-
melkart etc.) der Großen Göttin mit der Bedeutung „Hand -f- Taube",
„Kaph -)- Tor" ist. Das stimmt sowohl zu der Schreibung des Namens,
als auch zum gleichzeitigen Vorkommen der nackten Taubengöttin und
der von Milani „una bibbia prebabbelica" Studi religiosi , rivista cri-
tica etc. VI 1906 fasc. I mit so viel Phantasie behandelten „dactyli-
schen" Symbole in der minoischen Culturschicht. Endlich sind natür-
lich die B'ne Jämin die „Söhne" = „Anbeter der (rechten) Hand".
18') Niketas Choniatas, Migne PG vol. CXL c. 105 hat irrtümlich,
wohl durch flüchtiges Exzerpieren einer alle oder mehrere Varianten
Kuba-Kybele. 185
X<x[idp überliefert, zu der schon Blochet a. a. 0. richtig Ijamar
= Mond verglichen hat. Tatsächlich haben auch Cedren und
Glykas in ihren confusen Auszügen ^^^) das zugehörige Her-
meneuomenou ^jsXyjvyj. Zu kaniar = Mond ^^^) wäre aber * ka-
mara eine vollkommen regelmäßige semitische Femininbil-
dung, etwa wie röm. Jana zu Janus, griech. MY]vr] zu MyjV.
Kann es da nach allem bisher Besprochenen als Zufall be-
trachtet werden, wenn im Griechischen und Lateinischen die
Lehnwörter xa[jiapa-camera ^^") in der Bedeutung „Wölbung"
„gewölbter Raum", also als genaue Synonyme zu*Kubba, der
Gattin bzw. dem Haus des Mondgottes überliefert sind ^^').
des Namens enthaltenden Quelle, die Version Me-xälri zu der hier erst zu
besprechenden Form Xaiiäp gestellt. Daß kein bloßer Schreibfehler vor-
liegt, ergibt sich aus Bartholom. Edess. Confut. Hagaren. p. 306: ,,Sv
ol "Apaßeg Soxi|j.ä^o'jaLv tö ecogcpöpov dcaxpov Zeßcö, 'AcppoSiTiQV, Kpövov y.al
X a [1 ä p XsYSTs," dessen Bericht für sich genommen allerdings noch
konfuser ist. Kpövov bezieht sich natürlich auf Hobal (oben Anm. 60);
Zsßtü dagegen ist offenbar zu XiD (davon Sabier, Sabäer = Araber) zu
stellen; s. dazu die thronende Göttin Siduri Sabitu im Gilgamesepos (=
Sternbild der Cassiopea, ßaaiXiooa im 0-pdvou xa9-s^o|isvyj [Teukros, Boll.
107] = 6povLY], die Tochter des B-^Xog und Mutter des "A p a ß o g , bei
Hesiod fr. 45 Rz. Großmutter der Kassiopea; zur weisen rätselkundigen
„Königin von Saba" vgl. Siduri, die Surpu T. II Z. 172 „Istar der Weis-
heit" genannt wird), den babylonischen Götterberg Säbu (Berg des Bei
II Rawl. 51 Z. 1 und den Stein namens Säbu (I Rawl. 44, 83, vielleicht
= Sebö Exod. 28 19, wie das sabäische K-D in der Bibel zu ü^t' wird,
beide Formen nebeneinander Ps. 72 lo). Der Zusammenhang dieser Säbu
mit der ,, Großen Göttin" scheint mir durch die Namen E-sa-be (Bit-
Sa-bi-i) für den babylonischen Tempel der ,,Gula" (Hommel Grundr.
313, 8820 gesichert.
*''^) Cedren. a. a. 0. (vgl. oben Anm 172.): . . „xö Ss Kooßdp Msyä^y]
TjToi 0 £ X r/ V y) y.ai 'Acf poSitYj" ; Glykas a. a. 0. : ,,. . ■fj MsfäXir], yjxoi
osXi^vY), 'ATpod^xv) ^sög". Dazu vgl. man die persische lieber] ieferung
(Dabistan I p. 49 der englischen Uebersetz.), daß sich in Mekka eine
prachtvolle Statue der Mondgöttin (Mab) befunden habe, weshalb
der Ort Mah-gah (volksetyrn. für Mekka) ,,Ort des Mondes" hieß.
189-) Yg]_ jjj kleinasiatischen Inschriften (Münzen von Nysa) Mtjv
Kajiapsix-^g, den schon Röscher, Selene 129 zu semit. kamar gestellt hat.
Sein Cult in Gestalt eines Steinfetischs ergibt sich aus der parallelen
Bezeichnung Myjv IIcxpastxT]!; in Gordos, Lebas, Asie mineure 678.
"") Diese bautechnischen Bezeichnungen sind offenbar zugleich mit
dem Wölbungsbau in hellenistischer Zeit in griechischen, und durch
die Etrnsker in den lateinischen Sprachgebrauch übergegangen. Vgl.
gegen die von Cnrtius, Etym, ° 140 vorgeschlagene griechische Etymo-
logie von Kapidpa E. Assmann in Pauly-Wissowa RE s. v. camarae und
die dort zusammengestellten Belege für die Anwendung des Wortes
xaixdpat auf echt babylonische überwölbte Dinge. (Herod. I 199; Ai-rian,
anab. VIT 25; Diod.II 9; XVIII 26; Strabo XVI 738.)
^^*) Vgl. die beiden Ausdrücke nebeneinander bei Hesycb:
„xouTfi^l'ov xajidpa i} I:t:1 xcov djxagwv Y^^op-evT]". Wer in Kleinasien
186 Robert Eisler,
Oder wird man nicht doch viehnehr * kamara = „Mondin" i^^j?
Mondhaus, Wölbung (des Himmels) ^^^*), genau so wie say^dpa,
taxia , uupa[xts , ößsXö? als ursprünglichen westsemitischen
Gottesnamen zu führen haben? Die Antwort auf diese Frage
gibt m. E. mit aller wünschenswerten Schlagkraft die Doppel-
benennung einer kretischen Stadt mit den nach dieser Voraus-
setzung gleichwertigen Namen „Lato" und „ Kamara ''^^^'').
VI. Jedenfalls erscheint, genau so, wie sich im Innern der
Eaaba der heilige Stein des Mondgottes Hobal befand — der
nach dem oben gesagten als Gatte der „ schwellbrüstigen "
Xaaßoü gegolten haben muß — die kleinasiatische, in der
Kunst ^^^) häufig mit Mondsymbolen dargestellte Göttin „mit
den reifen Brüsten" Anahita ^^*) (== Ku'ba, Kybele = Mah,
pers. „Mond") gepaart mit dem Mondgott Myjv Tca[jioö.
gereist ist, kennt diese heute noch dort gebräuchlichen Wagen mit dem
festen halbtonnenförmigen Dach. Nebenbei bemerkt, lebt das Wort
xouTirjl'ov möglicherweise in der sicher nicht von „couper " abzuleitenden
französischen Benennung "Coupe" für einen geschlossenen Wagen fort.
i92j Vgl. die augenscheinlich von "ibp abgeleiteten punischen Orts-
namen „Camerata" in Numidien, „Camarata" in Mauretanien „Cama-
rica" in Hispanien, die arabische Insel „Camari" im roten Meer, sowie
die bei Steph. Byz. nach Hekatäus erwähnten Kajjiapyjvoi. Dazu Kama-
rina in Epirus, Kamarina in Sizilien, Kamara und Kamiros auf Kreta,
Kamiros auf Rhodos und — wohl durch etruskische Vermittlung (vgl.
„Camars", den alten Namen für Clusium) — Cameria in Latium, und
Camerinum in Umbrien. (Belege bei Pauly-Wissowa RE.)
i92aj Hie2u vgl. man die Kosmogramme des Mar Aba von Nisibis
bei Cosmas Indikopleustes, reproduc. in den Ausgaben der XP''^'^- "^oTioy^.
von Montfaucon, Migne und in der engl. Uebers. von Mc Crindle Lon-
don 1897 mit der zugehörigen Beschreibung Montf. S. 186 f., wonach
die Welt in zwei Abteilungen zerfällt, den „xöo[iog oSxog" („'olam hase"
bei den Rabbinen) und den v.öa\ioq, [izX/mw ('olam habah), die ßaaiXsta
Tö)v oupav(7)v, bab. sarrut same, das Himmelreich im Gegensatz zum Erd-
kreis. Die irdische Welt hat die Form eines x ü ß o g , die himmlische
die eines Tonnengewölbes (xa|ji5cpa). K'jßo? und xa[j.äpa zusammen
bilden das kosmische Haus des Weltalls. Das nähere hiezu * Welten-
mantel Cap. IV „Bau des Himmelszeltes".
i«2b) Steph. Byz. s. v. Ka|jiäpa 3512.
'^3) Archaeol. epigraph. Mitt. aus Oesterr.-Ung. I 1877, 14; Röscher,
Selene und Verwandtes 125. Der scheinbare Widerspruch zwischen
der Deutung auf den Morgenstern, die übrigens in Kleinasien nicht
merkbar ist, und der Auflassung der K. als Mondgöttin (vgl. o. Anm.
182 a über den Mond als Attribut der „Hand"göttin in Karthago) be-
weist nur, daß der astrale Firniss erst nachträglich über diese Gestalt
gebreitet worden ist und findet überdies auch entsprechende Analogien
bei Hobal (vgl. oben Anm. 60). Halbmond und Stern ist das alte
Feldzeichen des Islam und infolge einer historischen Coincidenz auch
schon das Wappen des griechischen Byzanz (s. Münzen).
^^*) Nur nebenbei bemerke ich, daß die nun nachgewiesene Identität
der Namen ka'aba {— Kybele) und Anahita die bisherige Annahme
Kuba-Kybele. 187
Diese bisher m. W. unerklärte Epiklese Tta|jioö gehört nun
höchst wahrscheinlich zu der 1/ Dxn und ihren Derivaten töäm,
teüm, arab. = taw'am „Zwilling", wozu Böklen in seinem,
sonst fast unbrauchbaren, mondsüchtigen Buch „Adam und
Qain" ^^^) vielleicht mit Recht bab. Tiämät (=: Zwitterweib?)
gestellt hat^^'^). Jedenfalls entspräche Mrjv Ttafxoö bei dieser
Erklärung genau dem bab. Sin-ellame = „Mond als Zwilling",
genauer „Zwitter" '^'). Gräzisiert müßte das semitische Ttafioö
von einer Neueinführung des Anaitiscultes durch Artaxerxes II voll-
kommen gegenstandslos macht. Anahita und Kybele sind Synonyma,
wahrscheinlich von ganz gleichem Alter.
»95) Mythol. Bibl. I 2.13. p. 11 Leipzig 1907.
*8*) Es fällt mir nicht ein, die gebräuchliche Zusammenstellung
von „Tiamät" und bibl. „Tehöm" beiseite zu schieben. Aber als No-
tarikon ist die Parallele mit cnn brauchbar. Ganz ähnlich bieten die
Onomastica sacra für den Namen „öwiiöcs" (s. unten Anm. 73a) sowohl
die Uebersetzung 5i§u|jLos als auch die Deutung aßöaaog, äxaxäXyjnxog
ßa&üxYjg (= hebr. Dlnri „tehöm", pal.-syr. tümä).
1«') KAT'* .363. Vgl. o. Anm. 152 „Salm" u. moabitisch Kemos aus
Aku-masu = „Aku der Zwillingsgott", Hommel 117 i. „Aku", Weiter-
bildung von Ai = Mond ibid. 233 Nachtr. zu S. 96 3. (Davon vielleicht
der phönizische Stadtnamen Akkön 1317). Nach Lekach Tob zu Num. 21
29 ist dieser Kemos (d. h. aber Aku masu = Myjv AiSuiiog) tatsächlich
identisch mit dem Steinfetisch in der Ka'aba. Die Doppelgeschlechtig-
keit des Mondes ist auch sonst mehrfach bezeugt. Vgl. die Stellen bei
Böklen a. a. 0. Ergänzend bemerke ich, daß der homonyme Name
,Agü" den Mond als „Göttertiara" oder „Himmelsmütze" bezeichnet.
Ein häufiges Synomym von „Agü" ist „mudrü" (graeco-eranisch [i(xpa).
die hieratische Bezeichnung des Götterornats und heiligen Kleides über-
haupt, von der der Göttername „Mithras" abgeleitet ist (cf. * „Welten-
mantel" S. 176 ff.). Brünnow 131U bietet aber als Synonym für (mudrü)-
musir den Ausdruck „karrü". Das erklärt seinerseits die häufige Be-
zeichnung My]v Kapou in kleinasiatischen Inschriften. Was die andern,
samt den Belegstellen bei Gruppe 1535 o gesammelten Namen des Mr/v
anlangt, so ist Myjv <I>apv-äxou eine iranisierte, hybride Nebenform zu
Agü(<l>apv = pers.hvarenö, „Glanz", „Nimbus" vgl. DarmesteterbeiCumont
TMCM I 233i). My]v MoTuXetxYjs (vgl. Mutallu in Gurgum und Comma-
gene, Motäla, Motlis MoxäXYjg in Lycien, Karlen, Kilikien, wozu Hommel
Gr. 65 etrusk. Matulna, lat. Metellus vergleicht) erklärt sich durch den
Vergleich mit dem bei Philo von Byblos (fr. 2 24) erwähnten phönizi-
schen Totengott nitt Möt(hebr. niö = „Tod" und „Totenland" wie Hades).
Davon ist reguläre kleinas. Deminutivform Motylos, der Gründer von
Samylia in Kariens, der Paris und Helena bewirtet (Stejib. Byz. s. v.
2a[i»JXt,a) — natürlich in seiner Eigenschaft als „freundlicher Wirt" =
Hades HoXuSixxvjs. Von Motylos ist dann Motyleites wie KaiJiapsiTr]?
von kamar gebildet. Myjv KauaXvjvo? (Stadt KaudXa in Großphrygien
vgl. das moderne Kavalla in Macedonien) dürfte zu caballus ,, Pferd"
gehören und phrygische Benennung des reitenden, gerade in Klein-
asien bezeugten Mondgottes sein. Mvjv 'Aay.aY]v6; in Aphrodisias, Eu-
meneia oder 'Aaxatog in Pisidien entspricht dem phönizischen Götter-
namen Eskün mcü der Piräusinschrift CIS 118. Myjv Tüpawog ist der
188 Robert Eisler,
also A''5u|xo5 bzw. A'.SujAaios heißen ^^^), ein Göttername, der klein-
asiatisch, und thrakisch tatsächlich durch Ortsnamen ^^^) belegt
und hauptsächlich als Culttitel des Apollon -'^°) beim Heiligtum
Mondgott mit dem oben besprochenen Titel Gabbar := „Gewaltmensch,
Riese". Myjv 'Apxalog ist Arku(kananäisch Arku-Reseph in der Inschrift
der Hadastatue von SendjirU Z. 11, vgl. die phöniz. Stadt 'Arka und
den Stamm der "pirTi Genes. 10 7). Da die Bewohner von Arka Genes.
10 Sinim genannt werden, das ebensowenig wie Sin (Exod. 16 1) und
Sin-ai von babyl. Sin = Mond getrennt werden kann, ist auch Arku
gewiß ein Mondgott. Myjv 'A^ioxitjvös möchte ich zu 'A^a {',v arab. „'anz"
bab. enzu „Ziege" (vgl. Steph. Byz. s. v. "A^coxog) stellen und auf die
Abbildung des auf dem Bock reitenden Mrjv von Magnesia (Perdrizet,
Bull. corr. hell. XX 1896 82 f.) verweisen, zumal babyl. EN-ZÜ ein be-
kanntes Ideogramm für den Mondgott Sin ist. Agiöxxyjvog neben "A^tdtyjvos
wie A'jgyjoia neben 'A^saia dürfte sich volksetymologisch an die mit "A^iog
zusammengesetzten Namen der Doppel axtgötter (oben Anm. 27) anlehnen.
iP8^ Vgl. „0ü)[jiäs 6 X£Y&[jL£vog AiSuiiog" (Ev. Job. 11 te, 20 24, 21 2, 14 6,
20 26). Die Nestorianer- vocalisieren diesen sicher theophoren Namen
(lat. Geminus) The'ömä wie thg'ämä „Zwilling". Vgl Eb. Nestle, Encycl.
Bibl. 5058°. Synonym mit Didymos ist Amphion = ''A[icpLY^'''''iS „Zwil-
ling"; (Fick, vorgr. ON 141) der Gemahl der Niobe, wie die Kybele am
Sipylos und im vorgriechischen Boeotien geheißen haben muß. Vgl.
oben Anm. 184 a über L e t ö Amphigeneia.
"^) Belege bei Gruppe Hdb. 1250 2,3. Vgl. das thessalische Didyma
mit dem Dindymon bei Kyzikos und bei Pessinunt und dem milesischen
Ai§u|xaIov.
-*"') Bei den Griechen hat der Apollonbeiname AiSi)[ios oder AtSuiiaio;
zweifellos keine Beziehung mehr auf eine Zweigeschlechtigkeit des
Gottes, — wenn auch in Sparta ein „doppelter" janusartiger Apollon
mit vier Ohren, d. h. zwei Gesichter, und vier Händen, d. h. zwei Vorder-
seiten verehrt wurde (oben S. 150 123) — sondern bezieht sich auf Apol-
lon als Zwillingsbruder der Artemis (Gruppe 287 s). Auch das braucht
nicht ohne Anhaltspunkt in einer orientalischen Kosmogonie zu sein.
Das ägyptische Tierkreisbild der Zwillinge, ebenso eine Reihe ma.
abendländischer Darstellungen, aufgezählt bei Boll, Sphära 285 (dazu
als ältestes Beispiel die Miniatur im Missale Milstatense s. XII bei Eisler,
Beschr. Verz. der illum. ma. Bss. von Kärnten, Leipzig 1907. S. 41 Fig.
13) zeigen als Zwillinge ein Paar verschiedenen Geschlechts und
nach einer von Hommel vorgetragenen Interpretation des Nazimarattas-
kudurru würde auch dort die zum Zwilliwgssymbol gehörige Inschrift
eine weibliche Gottheit nennen. Uebrigens hat auch Ninib-Mars,
der als Teisbas mit der kleinasiatischen Göttin gepaart erscheint, als
■'" MPisu = Zwillingsgott gegolten (Hommel 3692). Meines Freundes
Dr. Wolfgang Schultz' Hypothesen über eine Beziehung des Kulttitels
Didymaios auf das Symbol des Ziegenfisches (Memnon 11 S. 6 ff.) kann
ich mir nicht zu eigen machen. Solche Dinge lassen sich einfach
nicht durch Addition der Zeugnisse erledigen. Weil es einen Apollon
Didymaios. einen A. Tragios (vgl. oben Anm. 197 über Mv;v 'A^ioxvög) und
einen A. Delphinios gibt, ist noch kein Anlaß, an einen Ziegenfisch-
zwitter-Apollon zu denken, von dem nirgends ein Sterbenswort ver-
lautet. Schultz' Haupttext — auch der bezieht sich weder auf den
Ziegenfisch noch auf Apollon — ein Porphyriusfragment aus einer
Oxforder Hs., ed. Bentley opusc. philol. Leipzig 1781 p. 494 (epist. ad
Miliin.) ist dem Verfasser leider nur als Citat bei Migne ohne Quellen-
Kuba-Kybele. 189
der Branchiden in Jeronda bekannt ist. Als Gattin des Mijv
angäbe in sinnstörend entstellter Form vorgelegen, worauf ich anderswo
zurückkommen werde. Dagegen scheint es mir an der Zeit, nicht zu-
letzt wegen der zweifellosen Identität des Didymaios (vgl. oben Anm. 197)
mit Mi^v Ttaiioö, dem Paredros der Kuba — zur Ulnaren Urbedeutung vgl.
Apollon Noumenios, Hebdomaios, Eikadios und das bei Plutarch Dion.
23 erwähnte ApoUonfest am 15. eines Monats — den unerklärten, von
den Griechen sicher aus Kleinasien (vgl. von Wilamowitz „Apollon"
im „Hermes" 1903, 575 — 586; Hommel, Grundr. 582, 65 2) übernom-
menen Namen des Apoll-on mit dem westsemitischen Hobal, Abal zu-
sammenzustellen. Versucht man nämlich, die griechische Deminutiv-
bildung 'OßsXiaxog, die, wenn anders die oben Anm. 63 vorgebrachte Zu-
sammenstellung mit Hobal-Abal die Probe besteht, nur in Kleinnsien
entstanden sein kann, miti-ein semitischen Sprachmitteln nachzubilden,
so ergiebt sich genau das für „Apollon" vorauszusetzende Wortvorbild
p'psn Hobal-ön oder mit der an „ablu" „Sohn" angelehnten Vocalisie-
rung (oben Anm. 60) Habal-on. Der Abfall der Aspiration ist bei der
Translitteration ins griechische Alphabet regelmäßig. (Vgl. "AßeX
oder "Eua für Chawwa in der LXX ; von kleinas. Beispielen e. g.
Chattu ;= "Axxtg); das tz an Stelle des semitischen 3 (vgl. die von
Ernst Assmann im vorletzten Heft dieser Zeitschrift aufgestellte, sicher
richtige Gleichung von griech. IToasiScüv mit corruptem Bo-sidon aus
semit. Ba'al-Sidon, wozu ich noch auf die in Palmyra tatsächlich be-
zeugte verdumpfte Aussprache von Ba'al als bi; Böl cf. BcoXoc^-yjv Da-
masc. ap. Plut. Bibl. 242 p. 343 Bekker vei-weisen möchte) würde sich
sehr einfach erklären, wenn die Entlehnung in Kypros stattgefunden
hätte, da das kyprische Alphabet, offenbar entsprechend der Härte
dortiger Aussprache nur mutae enthält. (Vgl. Wilh. Deecke in Her-
mann CoUitz. griech. Dial. Inschr. I 1 — 80 z. B. „pa-si-le-u-se" für
ßaaiXs'jg etc. ; ich hoffe anderswo zu zeigen, daß auch das 8 im Namen des
semitischen Gottes Sidon in verhärteter Schreibung (Sitwv) vorkommt).
In der vielsagenden Zusammenstellung mit dem kleinasiatischen Gottes-
namen Sandan oder Sardan findet sich tatsächlich die Form Sardan-
apa 1 a noch mit dem A-laut in der vorletzten Silbe und ohne Deminutiv,
suffix, ebenso in der Münzlegende HPAKA' AIIAAA, Eckhel, Syll. num-
vet. Tab. VI 1 (Laodicea), die die regelmäßige Gleichung Sandan-Herakles
voraussetzt. Das 0 in Apollon ist eine Verdumpfung, die durch volks-
etymologische Anlehnung (dcTtoXX'Jwv in der Joh.-Apokal.) begünstigt
worden sein dürfte. Assmanns Vergleich des Namens des Orakelgottes
Apollon mit assyr. „apalu" = „antworten" kommt nur als Notarikon
in Betracht, etwa wie bab. „abullu" „Stadttor" zu A. öüpaio- (oben
S. 156145), griech. 'AtcoXXüoov „Verderber" oder 'ATistXXcüv „Hirt" (vgl,
übrigens zu (XTieXÄv) „Hürde" sem. "^SX „Trift" „Aue"), entspricht
übrigens genau der oben Anm. 60 besprochenen Deutung des Hobal als
„Schicksalsgott" auf der Basis der V-^^. Das Pfeilorakel des Hobal
stimmt seinerseits gut zu den Pfeilen des Orakel gottes Apollon. Der
Bogen, den Hobal als „ Bogen "gott Kaus führt, seheint der Insel Kwg
ihren gewiß ungriechischen Namen gegeben zu haben, und kehrt jeden-
falls bei Apollon wieder. Daß der Smintheus als Pestgott nur aus se-
mitischen Vorstellungen (I Sam. 6, 4) verständlich wird , hat Drerup
(Nöldekefestschr. 865 ff.) ausführlich gezeigt. — Der Apollon xpdcYiog ent-
spricht dem barbarischen My]v 'A^iöxxyjvog, der Karneios dem Hobal in
Widdergestalt als h^'. Aram. habbälä „Hirt" (Payne-Smith, thes. sy-
riacus s. v. ; ganz gewöhnliches Wort) erklärt die Function A.s als
Herdengott (vö(iiog, Tiotuvio?, vaTiaiog). Wie Jabal, der Doppelgänger des
190 Robert Eisler,
„Didymos" aber führt offenbar Kybele ihren ständigen Beina^
men At(v)Su((x)|jiYjvr] ^oi)^ Zu Didymene ^°^) bieten aber
VII. die Inschriften ^°^) die höchst beachtenswerte Variante
Zil^t^(fi)7]v*/]. Daß dieser Lautbestand ganz einfach durch einen
oft belegten thrako-phrygischen Lautwandel ^°*) aus der Urform
ÄtvoujjLYjvrj entstanden sein kann, ist Kjetschmer ^^°) ohneweiters
zuzugeben. Die Frage ist nur, ob nicht mit dieser Sonderform
Hobal in der Bibel, der Hirt, die kinnör und ugäb, Zither und Flöte
erfindet, erfindet Apollon Lyra und Flöte (Alkm fr. 102; Plut. mus. 14).
Vor allem aber wird der kyprische Apollon Amyklos („diJ.üxXat'' heißt
bezeichnenderweise „Pfeilspitzen" [Hesych] und [Theoer. 10 ''^ cf.
Pollux „dc|j,uxAaiSEj] „Schuhe") noch um Regen angefleht
(Meister, griech. Dial. II 149; Ohnefalsch-Richter, Kypros etc. 233***),
woraus sich m. E. die ursprüngliche Identität des Apollon von Amy-
klä mit dem dort verehrten Heros Hyakinthos (beachte die Endung
-v9-; die Identität von Apollon und H. ist für Tarent bezeugt durch
Polyb. VIII 30,2 H.) ohne weiteres ergibt. Die griechische Theologie,
der die Vorstellung von Tod und Leiden der Götter widerstiebte, hat
die Steinigung, die Hobal ursprünglich selbst erleidet (zu Gen. 4 s vgl.
die syrischen Illustrationen zum Octateuch, dazu Weil, bibl. Legend,
der Mohammedaner S. 39; ZDMG 1861 XV 86; in Mekka wird die
Steinigung des Hobal heute noch durch die symbolischen 7 bezw. 70
Steinwürfe der Pilger gegen die ursprünglich sieben Steinstelen im Tal
Mina [Burckhardt I 380 ff.; Burton III 280 ff.; Lenormant 325] drama-
tisch dargestellt) von Apollon auf den Heros „Regenstein* (uäxivO-og ist
bekanntlich ein roter Edelstein, sowie die Hobalstatue aus rotem
Stein (oben Anm. 60) gefertigt war) übertragen. Daß Apollon ursprüng-
lich in Gestalt einer Spitzsäule als 'Ayoieüg vorgestellt wurde (vgl.
Paus. 1442 den Pyramidenstein des Apollon Kaplvog in Megara), daß
in Delphi der heilige Nabelstein der Omphale und ein zweiter in Win-
deln gewickelter Stein „Ab-addir" sem. = „ehrwürdiger Vater" (Gruppe
7754) verehrt wurde, daß seine Mutter Ar^tco die Al-lät bezw. Lät-an ist
(oben Anm. 184 a), daß sein delischer Altar wie ein semitischer „ Hörner "
hat u. dgl. mehr, würde sich so alles mit einem Schlag verstehen lassen.
^öi) Die Stellen bei Gruppe Hdb. 12502. Das zweite jj,, wichtig we-
gen der Ableitung des Namens Ai§u|jLrjvYj von AiSu|j.cj und M7]v[yj] ist aus
Zi^tlJLjirjvT) zu erschließen.
-02) Die antike Etymologie, die Dindymon etc. zu Siduiio^ stellt,
billigt Usener Rh. Mus. LVIII 1903, 344 2. Kretschmer Einl. 194 vgl.
dagegen air. „dind" „dinu" aus „dindu" — Höhe, Hügel, altnord. „tindr",
,, Felsspitze " Zacke anges. „sind" ahd. „zint." Dann wäre die Dindyme ur-
sprünglich die öpsiTj Mv^TVjp und nur durch wortmystische Umformung
und Ausdeutung zum Ai5u|ios Mtqv in Beziehung gebracht. Diese An-
nahme wird wohl der Wahrheit am nächsten kommen. Vgl. im übrigen
oben Anm. 102b, 106, 152 über den zweigipfligen Götterberg, den
„Zwillings''berg ..Salm" oder — im Gilgamesopos — „Mäsu".
-»3) Athen. Mitt. XIII 1888, 237 (aus Laodicea in Lykaonien) cf.
Cronin, Journ. Hell. Stud. XXH 1902, 341 ff.
204) Vgl. etwa die keilinschr. Bur'ugumzi mit gr. BepexuvSat =
Burgundiones oben S. 126 27; oben S. 165 Si-nuXos zu Ai-uuXog, ibid..
Anm. 145 2(Su|j,a zu A'.5u|jia.
205) Einl. S. 196.
Kuba-Kybele. 191
auch ein besonderer Sinn, etwa durch Anlehnung an einen alten
barbarischen Namen, verbunden war.
Da nun einmal die Aufmerksamkeit so nachdrücklich auf
die mekkanische Ka'aba hingelenkt ist, verdient tatsächlich die
Möglichkeit wenigstens in Erwägung gezogen zu werden, daß
der Name des heiligen Brunnens „Zemzem" -°^), der in so auf-
fälliger Weise an die kleinasiatische Epiklese der Kuba-Kybele
„ Zct^i{jL(^)r]vyj " anklingt, unerklärt und unverständlich wie er ist
und bleibt, wirklich mit diesem barbarischen Namen unbe-
kannten (hethitischen ?) Ursprungs zusammenfällt.
So wenig Gewicht ich auf diesen möglicherweise ganz zu-
fälligen Gleichklang lege, so wichtig scheint mir eine an die
Vorstellung des heiligen Brunnens anschließende sachliche
Uebereinstimmung. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, daß
nicht nur der Regensteingott Hobal, sondern auch die „Kuba"
den Arabern eine wasserspendende Göttin, ein „Brunnen des
Heils" gewesen ist. Der Quell lebendigen Wassers, an dem
die mythische Felsengöttin „Hagar" ihr aus Verzweiflung „einen
Bogenschuß weit" (Gen. 21 ic) weggelegtes Kind, den
,Boge n schützen" (ibid. v. 20) Ismael durch die Gnade des
El Roi^"'') tränken konnte, brach nach der arabischen Le-
gende 2"^) unter der Schwelle des heiligen Würfelhauses der
Ka'aba hervor.
Da sich die Bedeutung „ Brunnen " für „ Kuba " zufälliger-
^o®) Der Name — die arabischen Grammatiker halten ihn, ganz
unwahrscheinlich, für onomatopoetische Nachbildung des Klanges ge-
wisser, als Weihgeschenk hineingeworfener Schellen — haftet jetzt nicht
an dem — seit langer Zeit versiegten — Quell im Innern der Ka'aba,
sondern an einem außerhalb gelegenen Brunnen. Das erklärt sich ganz
gut aus der islamischen Legende, der heilige Zemzem sei verschüttet
gewesen und von Muhammeds Gi-oßvater Abd-el-Mutallib wieder auf-
gegraben worden. Verschüttete oder durch geologische Zufälle versiegte
Brunnen gräbt man aber meist nicht an Ort und Stelle wieder aus,
sondern man ersetzt sie gelegentlich durch eine Grabung in der Nähe
des alten Brunnens. So wird es wohl auch hier gewesen sein.
-"') Ich verzichte darauf, aus dem Klang dieses dunkeln Namens die
allerdings verlockenden Schlüsse zu ziehen und den durch die semiti-
sche Volksetymologie „Gott des Schauens" gewiß nicht aufgeklärten
El Roi zu hethitisch 'Pw (unten Anm. 224) zu stellen, wie das ebenso
dunkle Zemzem zu Zt^ip.fjVYj. Da Hethiter erwiesenermaßen zur Tell-
el-Amarna-Zeit in Palästina geherrscht haben, kann ihr Einfluß sich
leicht auch bis auf das nordarabische Mu^ri, die Heimat der Hagar-
legende erstreckt haben.
-"*) Vgl. die Zeugnisse bei Hughes, Dictionary of Islam s. v. Hagar,
192 Robert Eisler,
weise appellativiscli tatsächlich belegen läßt ^°^), liegt es nahe
genug, den durch Weihgeschenke verehrten heiligen Brunnen
zu Füßen des wasserspendenden, flutbeherrschenden ^°^'') Mond-
gottes Hobal, der von jeher einen integrierenden Bestandteil
des Heiligtums der Ka'aba in Mekka gebildet hat, als eine
Erscheinungsform der Göttin selbst zu betrachten.
Wie diese Vorstelluug mit dem bisher entwickelten Be-
griff der Gottheit zusammenhängt, läßt sich am besten in
syrischer Ueberlieferung erkennen. Der babylonische Tal-
mud ^^°) bietet zu dem bekannten Namen Atargatis („'Atar-
'athe" Nnüinu) der Großen Göttin die gewiß wortmystisch zu
verstehende Umformung Tar'ate «nrin, die ohne Zweifel —
mit dem für Kleinasien bei Fick so oft erörterten Wechsel
zwischen {)• und o — der griechischen Transcription „ Aepxrjtü) "
zugrundeliegt. „Tar'atä" aber entspricht syrisch ^^^) ganz ge-
nau dem griechischen ydoc, bzw. yaojxa und kann also nicht
leicht etwas andres bezeichnet haben, als den durch Ps. Lu-
cian ^^^■') für Mabbug^'^") bezeugten Schlund unter dem Tempel
der Göttin, durch den nach syrischer Sage die Erde, d. h. aber
Atargatis ^^^) selbst „aus ihrem Schoß" die Sintflut des Deu-
kalion Sisitheus heraufgesandt und wieder eingeschluckt
hatte -^^). Das yjxo\ia. selbst, mit dem bezeichneten Ritus der
jährlichen Hydrophorie lebendigen Wassers kehrt bezeichnen-
2"») Set. Hieronymus Presb. Strym. Vita S. Pauli erem. cap. 5. „In
cisterna veteri, quam gentili sermone Syri ^.cubam" vo-
c a nt , quinque caricis per singulos dies sustentabatur". Die Bedeutung
„Brunnen" ist offenbar aus dem Begriff „Höhle" abzuleiten, wenn nicht
etwa aus dem der Wölbung (Vgl. die nordafrikanische Station „Föns
camerata" in der Tabula Peutingeriana oder die römische Benennung
„tuUianum" [cf. 9-6Xos] für die bekannten unterirdisch gewölbten Brun-
nenhäuser).
•-'09a) Vgl. oben S. 123i5 den Flußgott 'Ain Muhallim als Gatten
der Felsengöttiu Hagar.
210) Abodah Zarah fol. IIb.
2") Assemani, bibl. Orient. I 327 ff. ; cf. Castel-Michaelis, lexic.
syriac. p. 975. "i a) Dea Syria 13.
211 b) Syr. für Hierapolis-Baubyke. Nach v. Baudissin bei Herzog-
Hauck Pr. RE II 177 26 = IJ^Ö , Quelle". W. Robertson Smith, Engl.
Hist. Rev. IIa 1887 p. 315 erklärt „Mabbög" als „place of emerging",
natürlich auch mit Beziehung auf das Wasser der Tar' ataquelle.
212) Cf. Macrob. Sat. I 23, 18: . . „Atargatin . . . terram intellegentes".
2iä) Diese Vorstellung erklärt wohl, wie die jonischen Philosophen
(Pherekydes von Syros bei Achilles Tatius Isagog. 3, 123 ; fehlt in bei-
den Auflagen von Diels FVS) dazukommen , x^o? (= X^aiia vgl. oben
Anm. 81) von „xe^a^ai xö üSwp" abzuleiten.
Kuba-Kybele. 193
derweise in Jerusalem '-^^*), im Didyuiaeon von Milef'^'M, beim
Heiligtum der Ge Olympia in Athen ^*^) mid in Delphi'^'«)
wieder — an den beiden zuletzt erwähnten Orten sogar mit
derselben Sintflutsage verbunden. Die Vorstellungsverbindung
zwischen der als rjßr], jJLi'jXpa und ön'^aXiq gedachten Göttin
und den „Strömen lebendigen Wassers" ist natürlich ganz die-
selbe, die bei dem phallischeu Steinidol des Hobal nachge-
wiesen werden konnte. Ausdrücklich bezeugt ist sie in einem
auch sonst beachtenswerten Fragment des samaritanischen
Gnostikers Simon Magos-^'): . . ei TxAaaaet 6 iJeo; iv |J,r|tpa
liYjxpö; Tov ävO-pwTiov, Touxsaxcv iv -ccpaosiito ^^^) . . . saxto
r.ocpddeioQC, ■^ [jnfjXpa ... r^Gi cc[i.b c. o k exnopeuojjisvo;
£^ 'EoEjx Txoxf^eiv xöv TiapäSecaov 6 b \i <^ a.X6 <;■ ouxwc;, <frpiv^
dcpopit^exat, 6 ö[ji,cpaAö^ sie; xioooipai ix.pydc, ixaxepwö'sv yäp xoö
öjJicpaXoü o6o sialv apxrjpfa: Txepaxexaixevat , ö/^exoc 7iV£U|xaxo$,
X3c: büo cpAsßes, öyjTol ar|i,axoi; xxX. "
Genau so wie allen diesen Heiligtümern der Omphalos- bzw.
213a) Jcii behalte mir vor über den wasserspendenden Gottfelsen ^Zur"
und seine Verkörperuncr im Grund- oder Schwellstein des Tempels von
Jerusalem, dem heute noch von Juden, Christen und Mohammedanern
hoch verehrten, wie die Ka'aba mit einem Ueberzug verhüllten Felsen
in der „Kubbet-es-Sachra", dem ,, Felsendom", in einer besonderen Ar-
beit zu handeln. Hier bemerke ich nur, daß über diesem als Weltna-
bel (oben Anm. 102 a b) betrachteten Felsen der Brand opferaltar des
Tempels — die [isadji-^aXoi; laxia — errichtet war. Unter ihm befand
sich eine Cisterne, die mit einem unterirdischen Abfluß in Verbinduncj
stand. In dieses xa^lJ-^* wurde alljährlich am letzten Tag des Laub-
hüttenfestes, dessen traditioneller Namen (^simchas tora") „Freude der
Tora" nach der oben Anm. 7 gegebenen Ableitung ursprünglich die
Hierogamie der Tauben gottheit (,g a u d i a matris magnae" in Rom),
— nicht, wie die rabbinische Auslegung meint, die „Freude des Ge-
setzes" — bezeichnet, eingestandenermaßen als Regenzaubei-, leben-
des Wasser von der iSiloarnquelle (,S-l-m" ist nach Winckler, Ex
or. lux II 107 20 = Salm; vgl. die Palmakis- oder „Zwitter "-Quelle bei
Halikarnass) aus einem goldenen Eimer durch die beim „Wasser-
t o r" des Tempels eingezogenen Priester eingegossen. (Rosh ha-shanäh
16 a unten; cf. Ta'anith 2a; Frazer GB- I 81 ff. II 121 ff.).
•-'") Schob Apoll. Rhod. II 279 die Hydrophorie. Ueber das xäoiJitx
s. Rayet-Thomas, Milet etc. II 61 ff.
'•'15) Paus. I 18;. Etym. Magn. s. v. ö5pocpopia 77456; Plut. SuU. 14;
Theopomp. FHG I 332342; Mommsen Heortol. 346 f. ; 36ö; Gruppe
Hdb. 32 6.7.
^'^) Gruppe Hdb. 948.
'-") Hippolyt. ref. VI 14 p. 244 te Dnncker-Schneidewin. Ich ver-
danke die Stelle einem freundlichen Hinweis von Wolfgarg Schultz.
'-'**) Verschmelzung der Bibelstelle „hat nicht Einer im Mutter-
leib uns gebildet" (Hieb Slis) mit Gen. lyeff.; 2?.
Philologus LXYIII (N. F. XXII), -2. 13
194 Robert Eisler,
Phallosstein und das y(i.Q\i<x^ bezw. die Quelle eng zusammen-
gehören'^^^), gehört bei jedem arabischen Heiligtum zu dem
aufgerichteten Stein, dem „nüsb" die davor befindliche Cisterne
„ghabgab" = „Höhle'' „Brunnen" 22 o). Heißt der Stein Hobal,
so heißt folgerichtig der Brunnen zu seinen Füssen Ku'ba"^^"*).
Dazu stimmt dann vorzüglich, daß die letzte, noch nicht
aufgeklärte Epiklese der kleinasiatischen Göttermutter 'Pefa
von den Alten einstimmig zu ^ecv = fließen gestellt und von
Gruppe ^2^) als alte Bezeichnung des Pessinuntischen Stein-
^1") Pindar, der mit der mystischen Theologie der Kybele (oben
Anm. 25, und orphischen Vorstellungen gleich vertraut war — sein
eigener Namen ist, wie Fick gezeigt hat, karisch — wendet Pyth.
6, 4 („ö|jicfaXöv Äsvaov 7ipQc,o:y^i\i.z^oc,"-) auf den Omphalos in Delphi
das entscheidende Epithetou des Quellfelsens an. Ich schließe daraus,
daß Apollons TivjYi] XaXoöaa (Cedren I p. 532 ed. Bonn) mit dem ö|jl-
cpaXög in ebenso enger Beziehung gedacht wurde, wie der Brunnen in
der Ka'aba mit dem „Pisserstein" Hobal. Dazu paßt dann vortrefflich,
daß im Eid der Pythagoreer „oü p.ä xäv fttisxepqc ysvs^ TzapaSövca x s-
Tpay.xüv Tiayäv&sväou (fbco(^ p{^fO(iä t' s^oucav" (überlief, u.
a. theol. arithm. p. 18 Ast) die bei Jamblich. Vita Pythag. 82 mit dem
§v AsXcpoIg iiavTstov identifizierte mystische Tetractys ebenfalls als ewig-
fließender Lebensquell bezeichnet wird.
2-0) Wellhausen Reste 2 S. 103 f.; Horamel vgl. ghäb „Höhle"
„Schlucht".
220a) Aug dieser Auffassung der Göttin als Quelle erklärt sich dann
auch ihre Bezeichnung als „Oase", wörtlich — unter Zugrundelegung
des bekannten Vergleichs vom „Sandmeer" — „Ufer der Wüste" Gu-
barra(=kisad seri, Hommel245i). Eine zweite mystische Deutung
von Kubar ist Kü-barra (Name einer Göttin, Hommel 267 1) ,, Honig der
Wüste"; die Erklärung bietet Deut. 32 13 ,, Honig saugen aus dem Fe 1-
sen" (mi-zelah) und Ps. 81 le (mi-Zur), wobei natürlich der hoble, von
Bienen, den bekannten Seelentieren, belebte Felsen der heilige Felsen
ist, so wie der hohle, Bienen bergende ,, Baum der Debora" der heilige
Baum schlechthin ist. Daher ist die kretische Höhle, wo Rheia den
Zeus gebiert, d. h. das yä.o^% der ,,petra genitrix", den Bienen heilig
(Boios bei Anton. Liberal. 19), deshalb heißen die Priesterinnen der
Magna Mater [leXiaaat (Lact. div. inst. I 22), die Priester der Ephesischen
Göttin |ji.sX'.aaovc[ioi und soavjvsg (oben S. 126 27), deshalb wird die Götter-
mutter „Muwalidat"-MuXhm in Rhodos (Goldschmuck, arcli. Zeit. XXVII
p. 111) mit dem Unterleib einer Biene als MäXtxia dargestellt, des-
halb sitzt eine Biene auf dem Cultbild der Göttin von Ephesus. Der
Sohn oder Gatte der Göttin, Bei 'Aaxpox,iTü)v, wie er in Tyrus hieß (babyl.
Ku-anna ,, Kleid des Himmels", Weitenmantel S. 172 cf. 93) wird dem-
gemäß Kü-anna ,, Honig des Himmels" (griech. Melqart als „MEXi-xspxyj;"
[Simonid. bei Suidas s. v. „Siä x6 ^^jS-j"] gedeutet; s. Kenyon, Greek pap.
1893 S. 665: „Zö'j "HXis . . dvixvjxe [isAioü^s, [leXtxepxa, |i s X t ysvsxcop ")
genannt.
"1) Hdb. 15248. Crusius, Beitr. z. griech. Myth. Leipz. Progr, 1886
p. 264 stellt den Namen zu ('O)psla. Wortmystische Zusammenstellung
beider Namen hat gewiß früh stattgefunden.
Kuba-Kybele. 195
fetisch's '{pifjcc r.expa etwa wie „lapis manalis*) ---) aufge-
faßt wird. Alle die antiken — stoischen und neuplato-
nischen ^-^) — Etymologien dieser Art gehen m. E. auf eine
altorphische -^*) d. h,, wie ich anderswo zu zeigen hoffe, klein-
asiatische Ueberlieferung zurück, die die Rheia als J^woyovo;
T^rjYYj bezeichnete --**). Wer sich Dieterich's schöne Ermittlungen
gegenwärtig hält über die Felshöhlen, Lebensteiche und Quellen,
aus denen die Seelen der im Schoß der Erde Begrabenen von
der großen Mutter heraufgesandt werden ^^^), wird nicht zweifeln,
daß in diesem Cultnamen der kleinasiatischen Mrjiyjp ebenso
altes Gut volkstümlicher Mystik vorliegt, wie in den py-
thagoreischen Speculationen über den (j^u/oyovtxö; xußo?, und
dem auf mithräischen Inschriften bloß angedeuteten, oben
■222) Der j, Regenstein " heißt türkisch „Yada tasi", pars, ^san^i Yada"
^ Stein des oder der Yada", wobei Y. vielleicht zu der araiu. Form XT
für „jad" = ^Hand" (oben Anm. 182 f.) gehört. Der Aberglauben ist
bei den Turkvölkern, deren Religion typische Uebereinstimmungen mit
der sumerischen aufweist, von altersher sehr verbreitet (vgl. KazwrnT
II 347; 3483; 39Ü16; die Beschreibung des GardezT in der Bearbeitung
des Grafen Kuun (I3ndapest 1903) S. 2; bei den Arabeim in Spanien
(Abu Hamid t 1169 bei Kazwini II 164; 193) wurde ein außerhalb von
Ardabil befindlicher groiJer Stein bei Regenmangel in feierlichem Auf-
zug eingeholt. Für Nordafrika vgl. Alfred Bei, Recueil etc. XIX. Congr.
Orient. Alger 1905 „quelques rites pour obtenir la pluie . . chez les
musulmans maghrebins; über Regenzauber mit Steinen in Fez s. den
Aufsatz ,.Au MaroC Beil. Journ. d. Debats 3. Juli 1903.
-^3) Chrysipp, Etym. Magn. 701 is ; Schol. Hes. Theog. 135. Die
Neuplatoniker mit Berufung auf Plato Kratyl. 19 402 a und b, eine
Stelle die deutlich herakliteische Anknüpfungspunkte verrät.
■"*) Abel fr. 305 (Proklos) : „uspl §s z%c, ^qjoyövou Tcvjyvis Tsag . .
o'JTCüg cpaa'.v xä Xdyia' «'PsL-q toi vospwv |Jiocxäpcüv 71 v] y 7] xs porj xs | (zu
poT/ Vgl. den theophoren Bestandteil Tco- in kilikischen Personennamen
Hommel Grundr. 33) Tidvxtov väp Txpwxy] 0'jväp.s'. -/.oXizoi^lv äcppäaxcis (vgl.
0. S. 127 über die Brüste der Göttin) Ss^ajisv/j "fzwsriw §ixl uöcv Kpo^^z'.
xpoy^äouaav»". (Die ysvsä xpox.äouaa kann sich wohl nur auf die von
Aristophanes im platonischen Symposion erwähnten radförmigen, auf
babylonischen Cylindern oft dargestellten Urwesen beziehen.) cf. 38
(Apion) „'Psav x6 piow xr^g 'jypöcs ouaiag".
224a) Kybele selbst als „Quelle" bei Julian or. V 166a: „tis o5v -^
MvjiTjp xwv ■9-3WV; rj xcBv x'jßspvtövxwv xoüs sji-^Javsls v^spwv xal 8'/i|J.'.0'jpYi>tö)v
&SWV T:r, -i"/]." Die Vorstellung ist sicher alt. Die Felsensculpturen von
Arslan Kaja und Arslan Tas habe ich selber nicht gesehen, und aus
den Abb. ist die Situation nicht ersichtlich. Aber die Kybele am Si-
pylos, die sog. Niobe, ist buchstäblich in den „Schoß" der Felsenwand
gehauen, sodaß das Gesteinswasser zu ihren Füßen hervorquillt ; am
Fuß des Felsabhangs bildet dieser Wasserfaden dann einen kleinen
See. (Vgl. auch die Beschreibung in Bädekers Kleinasien.) üeber
'Pia TiYjYvi in den Orac. chald. s. Kroll S. 19. 27—30. 69.
225) Yg] (Jas „Tiaigoyövov üScop" in Thespiae, Athen. II 15 S. 41 f. Gula,
die „Große" heißt „muwallidät miti" „Gebärerin der Toten" (Kugler 262).
13*
196 Robert Eisler,
ausführlich besprochenen, Mysteriendogma von der Entstehung
des Mithras Petragenes aus der mütterlichen „Petra genitrix",
dem Hysterolithen oder Nabelstein, der Magna Mater, aus
dessen ydG\icc man sich Lebenshauch und Lebenswasser her-
vorquellend dachte.
Fehlt es doch auch sonst keineswegs an Zeugnissen für
den Cult der „heiligen Quelle" gerade in den hier in Betracht
kommenden Gegenden. Der Namen der auch im vorgeschicht-
lichen Griechenland verehrten Hauptgottheit der Phryger, des
„Midas" der Sage, bzw. seiner „Mutter", der „dea Mida" --^''),
nach der das ganze Volk keilinschriftlich „Mitanni", ihr be-
deutendster König„ Mitä" heißt ^-^^), und die ohne Zweifel mit
der Göttermutter wesenseins ist^^^"), wird sehr einleuchtend
von einer lX„mad" =: „triefen" abgeleitet -^^'') und bezeichnet
dann eben wortwörtlich dasselbe wie „ps/ja TiEtpa" oder „lapis
manalis". Anahita, die mit der Ku'ba synonyme „schwell-
brüstige" Göttin der Perser wird in dem ihr gewidmeten
Yasht '^-") mit dem Namen der himmlischen, auf dem Gipfel
des Weltenbergs entspringenden, alle Flüsse speisenden Quelle
Ardvi90ura ■2^^'') angerufen, in mithräischen Inschriften --') steht
neben der „petra genitrix" die „fons perennis" (== äevao;
Tir^y/j), in Armenien wird in der heiligen Höhle das heilige
Feuer und die heilige Quelle — entsprechend der doppelten
225a) ^Mida dea" auf einer Münze von Kremna, Drexler, Pliilologus
LH 1893, 583. Ueber ihren Cult in Midaion vgl. Körte, athen. Mitth.
XXII 1897, 41. Vgl. dazu die Ortsnamen Mideia bei Arges und in
Boeotien und die wie Megara („Höhle") und Omphale (., Nabelstein ")
mit Herakles gepaarte Heroine Mida oder Mideia bei Paus. 15 2;
X lOi. Vgl. oben Anm. 174 über *Artamida , große Quelle".
225 b) Vgl, Winckler, altor. Forsch. IX (II 1 3) 13(5; A. Koerte, Gord.
10 cf. 18.
-'^^<') Midas heißt Sohn der Göttermutter bei Hygin fab. 191; 274:
cf. Plut. Caes. 9. Er soll den pessinuntischen Tempel gegründet haben
(Diod. 859; Arnob. 5 7), was sonst von dem Phryger Kybelos behauptet
wird.
2"d) Tomaschek, Sitz.-Ber. Wiener Akad. Wiss. phil. bist. Ol. CXXX
1894 S. 94. Gebilligt von Kretschmer, Einl. 199; Kuhnert, Roscher's
ML n 296146.
226) Y. V, Sacred Books of the East XXIII 52 ff.
226a) Vgl. Spiegel, Eran. Altertumskunde I 191.
-2') Cumont TMCM Inscr. 331 (aus einem pannonischen Mithräum)
jfonti perenni". Die Beziehung auf Anahita als Quelle Ardvi^oura
liegt auf der Hand. CIL III 99u ,,fons Aeterni" ist nicht sicher einzu-
i'nhen, allein ^aeternus" ist jedenfalls eine asiatische Gottheit.
Kuba-Kybele. 197
Auffassung des 6\i:ßxl6c als biiT] und als asvao; ^>;Y^i —
nebeneinander verehrt -^^), im sog. „Religionsgespräcli am
Sassanidenliofe'" '--^), in der Aberkiosinschrift -^'') und in einer
Hesychglosse "-^') ist von dieser vorderasiatischen Göttin
2.18^ Vgl. Moses Khoren. Oeuvres p. 301 ^l'adoration du feu . . et
de la source . . se pratiquait dans une cavorne ä l'endroit appele Bouth".
Geraeint ist der aus mithräischen Inschriften bekannte Cult von ,ignis
aeternus" (Ahtar) und .fons perennis" (Ardvi(;-oura).
-'") ed. Wirtb. p. IUI, 18: n'^i^T'') Y^p üSaxo; urjyiiv Tiv£Ü|j.aTOS äsv-
vail^s'.". !S. llisfl'. Bratke. Dieses und die folgenden Zeugnisse sind
zuerst von Usener, Weihnachtsfest, relig.-gesch. Untersuch. Bonn 1889
S. 84 ff. besprochen worden.
2^°) cf. Harnack, Aberkiosinschrift p. 15 und 23.
^3') Die bei Usener noch im einzelnen unerklärte Hesychglosse lautet
'ASä* fj3ovYj Tiriyrj y.ai "Hpa uto xojv BaßuXwvicüv. Ich würde einen einzigen
Buchstaben ändern und lesen : ,,'A8ä r] AoSy]. TiYjyi) xac "Hpa uuö ~Sr/
BaßuXtov'Cüv. Der Name Dode (Dodah =: Geliebte vgl. die punische
Göttin Dido) ist ein Culttitel der semitischen Muttergottheit, wie Död
= Geliebter (cf. „David") einer ihres »amasius" oder iiscpäy.oov, des Tamuz
ist. (Vgl. Cheyne bei Frazer GB^ IV 17i; A. H. Sayce, Lectures on
the Relig. of Bab. 56 ff.). 'A5ä oder vielleicht 'ASäv könnte andrerseits
eine mystische Variante zu 'Athe darstellen, mit Anlehnung an "adan"
(cf. das bibl. Eden) = „Lust", worauf mich Prof. Hommel aufmerksam
macht. Auch das von älteren Gelehrten zur Erklärung von ,,Atarga-
tis" herangezogene "n>< = „Glück" transcrib. 'A3ap könnte in Betracht
gezogen werden. Dann bliebe yjSovY] erhalten, was sich vielleicht auch
wegen der Stelle ,,Tid.X<x,i \i.b/ slSwXoXaxpoövxss (iapav.Tjvol) tyjv räp' "EÄ-
Xr,ai,v 'A'4:po8i-cr]v Xsyo[i£VV)v toutsoxiv xtjv yj S o v ■/] v (Anonym, bei Sylburg
Saracenica p. 70) empfiehlt. Es ist tatsächlich sehr gut möglich,
daß es ebenso wie einen ,Gan (Garten) Eden" auch einen „ed (^
„Quelle" cf. Genes. 2, 6) Eden" „Quelle der Lust" „nr(YYj fjSovrj" gegeben
hat; der Gleichklang der Worte würde sehr dafür sprechen. Jedenfalls
handelt es sich um eine Epiklese der ^iy. cf. Procl. in Plat. Tim. V
315 d : „oi [isv ßäpßapot xtjv ^(poyovrxYiv xaüxYjv alxiav irvjyaiav 4't^X^/'''
dTtoxaXo'joi . . 6 §s S-soXöyoj 6 uap' "EXXvjOiv "H p a v auxrjv upogsiprixäv".
— Wenn man BrjpwTj (vgl. ßYjpoüO-, die Schwester des Elioun
bei Sanchuniathon Eus. praep. I 10,11 H) mit „beroth" = „Quel-
len" zusammenstellen darf (so Gruppe 1151 e), dann gehört auch
die griechisch als Okeanide gezählte Eponymgottheit von Bery-
tos in Syrien und Beroia in Makedonien in den Kreis dieser
Quellgottheit. — Bei Usener a. a. 0. sind ferner die leicht zu
vermehrenden Stellen angeführt, wo die Epiklese Uriy-Q (ti. uvs'Jiiaxo;,
71. dsvaog etc.) , offenbar unter orphisch-kleinasiatischem Einfluß auf
Maria übertragen ist. (Hilgenfeld NT extra canon. 4/15: das Hebr.-
Evang., cit. bei Hieronym., hat in der Tauferzählung statt der Epi-
phanie der Taube die AVorte : „descendit fons omnis spiritus sancti"
(= griech. Ttvjyv] Tivsüiiaxog [oben Anm. 229]), vgl. [Gregor, thaumat.] hom.
II in advent. Migne PG X 1160 C: „a'jxrj r.riyr} äivao; sv f/ x6 ^wv
'j5ü)p EßXxaxs xYjv svaapy.ov xoO Y.upioD Tiapouciav." Ephrem. Syr. II p. 275
ed. Assemanni : ,,£Yiv3xo yoüw yj Mapia . . . xot? ävO-pcüJ^otg izfiyri tcvsü-
{i'xxot; alcüvio'j xal ä'^pfrapaias dvaxoX'/^. [Gregor, thaumat.] p. 149 c, 1152 b
und bei Pitra, Anal, sacra IV p. 407; [Epiphan.] 1. IV 2 p. 49, 32
Dind. Weihnachtsliturgie, Cuthun p. 206 ,,ä9-fxvaaia5 Siauy^ §TC'.axä[j.£9-a
-r,YT)v q'z. S-söxoxs'"; „^cooSö/o; nr^yf;" Andreas Cretensis, Bratke, Relig.
198 Robert Eis 1er,
„Quelle" der Aphrodite 'Acpaxtit? vom Libanon ^^^j ^jg Rede.
Der Ursprung dieser Vorstellungen ist vollständig klar,
seit P. Kugler -^') rechnungsmäßig erwiesen hat, daß das Ge-
stirn der „Großen Göttin" ('^^' Gu-la = beltu rabitu = „große
Herrin") zum Wassermann gehört ^^^), daß also die bis in
die späteste Zeit in Babylon hochverehrte Göttin Gubarra-
sespr. ~230^ Wenn Philon de fuga 32 flf. (I 537 Me. c. 36 ro
§ 198 Wendland) nach Jerera. 2 13 seinen Grott „upsoßu-cäxv] TiyjYV) toö i^f^v
äsvaog" nennt, so ist allerdings dieselbe Vorstellung maßgebend, jedoch
auf Grund der israelitischen Vorstellungen von Gott als dem Quellfelsen
..Zur", dem später von Juden, Christen und Moslems in gleicher Ver-
ehrung gehaltenen Felsen ,,Sachra" von Jerusalem, dem mystischen
„Eben Shatya" oder Schwellstein, über den ich in einer besonderen
Abhandlung ausführlicher sprechen werde.
*3-) Aphrodite 'Accaxlxie Zosim. I 58. Das Heiligtum, von zahllosen
Tempeldirnen umlagert, wurde erst unter Constantin aufgehoben. Die
Göttin beißt dort einerseits „Quelle" syr. „äp'ieka, andrerseits hörte
man aus dem Namen 'ephäk „amplexari" heraus. Vgl. Etym. Magn.
„'Äcfäv-a, 2]i)po3v |jl£v sotiv rj AeE,ic,- S'Jvaxai ok >ta9-' '^EXXäSa yXöaaav, s.1
Ssi zb §r/p.o)5£g sIttsIv pfj|ix «zepiXrjiip-a», nsptXäßouoy]? sxsl xriq 'AcppoSixrjg
TÖv "AScüviv". Vgl. oben S. 19ii;iib über „Mabbuah" „Quelle" und
Gruppe Hdb. 313 9 „fons cupidinis" in Kyzikos, „u-^yy) <J)iÄÖTVjg" in Eleusis.
233) Sternkunde und Sterndienst in Babylon I (Münster 1907) _S. 2i;i
bis 63. ni Rawl, 53 Rucks. Z. 24 ff. wird ein zweites Gula-Gestirn im
Kislimu erwähnt und von Kugler mit dem „Schützen" identifiziert. Offen-
bar hat also auch in Babylon der mit Pfeil und Bogen ausgerüstete,
durch den Pieilstern im Orion und den Bogenstern (Sirius), ebenso aber
auch durch den Gegenstern (rakib) der beiden, den Schützen vertretene
Gott als der „Grolie", der Kabir, gegolten. Dazu beachte man, daß
,,ab Orionis pede", d. h. aber vom O-jpicov-Kuzah-Bul aus der Eridanos-
flu(j abströmt, während sich unter dem Schützen ebenfalls ein Wasser-
sternbild r.eXayos (Boll 138) befindet und vom Wassermann der zweite
Himmelsstrom (das üSwp) ausgeht (Boll 135). Beide „Mul Gula" sind
also als himmlische „Quellen" gedacht. Endlich wird (Boll 131) von
den Astrologen der Schütz als Kentaur Cheiron aufgefaßt, was man
erst aus der Verbindung der zwei Gulagestirne oder Kabiren versteht.
Die Göttin Gula ist Su-anna, die ,,Hand" des Himmels: der Paredros
der göttlichen Xsip ist Xeipwv, wie (iula als Herrin des Lebenswassers
die „große Aerztin" („asitu gallatu"), ist Xsipwv der Arzt. Zu seiner Ken-
taurengestalt vgl. das Roß als Geliebten der Istar (auch in Denieter-
mytheii cf. * Weltenmantel S. 153). Die Höhle des Chiron ist der
„hnrru" oder Höhlenstern neben dem Schützen,
-3*) Vgl. die bei Boll Sphära 282 angeführte Gemme, Visconti
Museo Worsleyano Mailand 1834 tav. XXVII nr. 21 mit einem Tier-
kreis, in dem der Wassermann durch eine weibliche Gestalt vertreten
ist. Boll identifiziert sie, gewiß richtig, mit dem Sternbild "Hßvj des
Teukrostextes, einem Namen, der wie die Parallele Ganymeda zeigt,
im wörtlichen, oben S. 136;i besprochenen Sinn zu nehmen ist. Mann-
weiblich erscheint das Sternbild in der ägyptischen Sphäre (Boll 235).
Die Deutung des Wassermanns als männlicher ,,Ganymedes" entspricht
der Auflassung des ursprünglich weiblichen Gottes Ea = „Haus" (s. oben
S. 133 über „Haus" = „Vulva"), dem diese Himmelsregion heilig ist,
als männliche Gottheit in historischer Zeit.
Kubu-Kybele. 199
Gula eine Wasserspenderiu gewesen ist. Dazu paßt dann vor-
trefflich, daß das überlieferte Xoußap, die „Große" mit der
Vocalisierung Chabnr '-^^) (vgl. oben XaaßoO) die Bedeutung
„Gefäß des Himmelsoceans" -^") bezw. „des Fisches" ergiebt.
Unter diesem „Gefäß" ist natürlich die x6[xßYj oder y.6ßßrj
(oben S. 12944 ff. = TioxYjptov) die „urna" „xocXtit]" uop'!a -^"),
der „Eimer" (mandäisch) oder wie das Sternbild „amphora" oder
,aquarius" sonst genannt wurde zu verstehen. „Gefäß des
Fisches " '-^®) erklärt sich durch einen Blick auf die Sternkarte,
wo tatsächlich der große südliche Fisch (Fomalhaut) babylo-
nisch „Fisch des Ea" genannt, unmittelbar unter der Mün-
dung der Hydria steht -^"). Nicht genug damit, wird EA selbst
-^5) Cha-bur oder Chu-bur ist überliefert als Namen eines mytho-
logischen und einiger irdischer Flüsse (griech. Xaßcüpag, 'Aßoüpag oder
'Aßdppas vgl. "1:^3 XOBAP Ezech. 1 1; li^n AB2P 2 Kön. ITe und
XAB2P 1 Chron. 5 26 ; n. b. den wechselnden Anlaut). Vgl. Keilscbr.
Bibl. I 39 I 97 loi, Jensen, Keilschr. Bibl. VI 1 o07 f., Hommel Grundr.
•266 und 274 4.
~^^) Ueber die Bedevitungsmöglichkeiten von Chabur vgl. Delitzsch
Handw. 2o8 ; Muß-Arnolt Handw. 303, Hommel 266. Das nächstliegende
ist natürlich ,, großer Strom" Delitzsch Paradies 169. Bei der Deutung
, Gefäß des Himmelsoceans" (Hommel) ist „bur" in der gewöhnlichen
Bedeutung ,, Gefäß", „'ha" sumerisch = „Fisch" ^= nünü und Nun =:
Himmelsocean (Hommel 114 2) verstanden.
-'") Boll, Sphära 132.
238j Ygl. den Euphratnamen Bur-nun Hommel 2ö6.
'^^^j Dazu vgl. man nun — gleichsam als Probe auf die Richtig-
keit der vorgebrachten Deutungen, was in der 'Egrjyyjoig xööv iv üspoiSt
Tcprxxö-sviwv (oben Anm. 229 ; Bratke in Harnack TU XIX 2 S. 12 5 ff.) von der
babylonischen Rera, li-qyri gesagt ist: „a>jjx°'-lps. ifj "Hpq;, ott t^iXrj'd-fi . .
6 iieyas vap "HXi og i-^iiXyjoev auxT^v . . . llYjyr; sauv tj cptXvj&sIoa ' \iri
ydcp Yj "Hpa lEvtxova sjj.vvj jXEÜaaxo ; . . . TCYjyil Sty-aicog eipr^xai . . , Mapia
de a'jxfjS x6 ovo^a, rjxig sv [ifjxpcj;, (bg 4v TcsXäysi iJLupiayWYÖv oXv-dda.
cfepsi. . .IlYiYY) 'fä.p iiSaxog 7:vjy/;v Tivsöiiaxog äsvat^si sva [idvov l)(5i)v s/ouaa,
x(p xfjg ö-söxY/XOg üy/daTpui Äaiißav&[i£vov, x6v udvxa xöa[iov ü)g 6v xS-aikdoo-Q
S'.aYtvöpisvov loix aapxl xps^wv." Diese gewöhnlich aus christlich-
gnostischem Stoff erklärte Stelle, ist der reinheidnische izpbg •(ä.iioq
der babylonischen Hera Ur^fri (Gulä) mit "HXiog (Ninib) am Neujahrs-
tag. Verlobt ist ,,die Quelle" mit dem xexxmv d. h. wörtlich = bab.
nangaru, einem bekannten Culttitel des Ea, in der Tamuzlegende bei
Ps.-Melito Corp. Apol. ed. Otto IX -126 mit "Hcfaiaxog übersetzt. Seine
Gattin ,, Haiti", d. h. eben die ,, Aphrodite" 'AcpaxlxLg (Zosim. 1 ss) d.h.
„Quelle'- (syr. äpi^eka := Quelle) „ante Thammuz amavit Arem" (= Ni-
nib) „et moechata est cum eo" (der Mythus des Demodokosliedes in
seiner Orient. Urform !). Also genau wie in der 'Egy,YrjGis : die ,, Quelle",
die dem xsxxojv (naggar) Ea, dem Schmied oder Zimmermann oder ,, Haus-
bauer" in der Wassertiefe angetraut ist, buhlt („icfi,Xr,9-7j" „moechata
est") mit Helios (d. h. dem Sonnengott Ninib-Ares). „Gula" die „Große",
die „Riesin" heißt ,, Maria" :=; die ,, Dicke" (von K~ib = ,,dick sein,
s. Bardenhewer, der Name Maria, Bibl. Stud. I 1895) und := ,, Herrin
200 Robert Eis 1er,
noch ausdrücklich „Gott des „Ka-bur-Kriiges" -^'') d. h. aber
des Sternbilds „araphora", des „großen" (kabur) Gestirnes, des
„raiil Gula" genannt. Wenn wirklich — worauf vieles deutet
— der babylonische EA (= Haus, also = ßr^x^uXo; Raiti-elim,
vgl. weibl. Atirät, Asirtu, Asera, Beth-El und Kuba) ur-
sprünglich mit der später als seine Mutter bezeichneten Bau-
Gula als ein zweigeschlechtiger, nochmals erst zu einer Syzygie
gespaltener Gott identisch war, dann wäre diese in der Wasser-
region des Himmels und den Tiefen des Erdberges localisierte
Gottheit des lebenspendenden Wassers als Urbild der in der
altertümlichen Mischreligion Kleinasiens unverändert fort-
lebenden Kuba - 'Ps'ia - rir^i'Yi zu betrachten.
Der strenge Beweis für die Richtigkeit dieser Annahme
läßt sich unschwer durch eine Reihe weiterer Uebereinstim-
mungen erbringen. Derselben Göttin Bau „Gula", der „Großen",
die als Gestirn des „ großen Kruges " im Aquarius der Quellgott-
des Meeres" (D^ "i^) zugleich, weil ihre iir/tpa in ungeheurer Weite, wie
ein TOÄaYog, das Schiff trägt, in dem der an der Angel gefangene, d.
h. von ihr mystisch empfangene — über das Bild wird anderswo zu
reden sein — „I/.^OQ iJiovoyevyjc; (oben Anm. 15 über Dusares = „|Jiovo-
YsvYjS ~oü AsaTiötou") zä; 6 y.ia\i.oq (=: 'Oläm-A'icüv) o)j t/ ii-a.Xa.oori SLay'--
vö|j.£voc'' (= „Nun", babyl. , Fisch" und „Hiramelsozean") ruht (vgl. Pro-
clos Migne PG Hö, 709 b ,,va'js T:ovTOT:op2'Jaaaa äXis'Joaaa tov Tiptoxö^xXaoTov ;
ApoUon als Fisch im Schiff liegend und übers Meer fahrend im Hymn.
hom. Apoll, V. 216 OJ 394 ff.). Das Lastschiff (öXv.äg), auf dem der
Fisch in der |j.v;xpa schwimmt, ist natürlich wieder nur ein weiteres Bild
für die Göttin selbst; wie die oben Anm. 47 besprochenen Appellativa
cuba-kymbe für ,, Lastschiff" einerseits, für ein slSoc; rLOxr,oiou oder eine
„Kufe" andrerseits beweisen, ist einfach die „amphora" ,,Cha-bur" das
,, Gefäß des Fisches" (vgl. den Fisch in der indischen Flutsage (Usener
25 f.^ der erst in einer „Schüssel" Platz hat, zuletzt aber ins Meer ge-
setzt wird), als über den Himmel hinfahrendes ,, Schiff" gemeint, genau
wie der von Usener so glänzend behandelte Becher des Sonnengottes,
den Euphoiüon fr. S2 äxaTog = Harke nennt (vgl. deutsch ,, Schaft' —
Schiff", griech. ay.ä.-^0!^, oxOcfo;). ,,nyiYr( uSaxog tiyjyTjV 7xv£'j|JLaT0c; äsvat^s'."
ist ebenfalls nur aus dem Semitischen zu verstehen, denn ,,luchm'', wie
der mystische HimmelsKsch genannt wurde, bedeutet nicht nur ,, Fisch",
sondern auch ,,Wind'' = TxvsOna (vgl. Houtsma, ZATW 22, :i29 ff. ; dazu
meinen oben S. 120? erwälinten Vortrag-). Man sieht, christlich ist
nichts an dieser gigantisch verblasenen Mystik; aber alle Vorstellungen
— die kosmische [jLvixpa mit dem ganzen niXxyog und dem Becherschiff
darin, die ,, Dicke" (Marjä) ,, Riesin" „Gula", die .,Mar Jäm" „Herrin
des Meeres" (= 'AcfpoSix-/) risXäYia) ihr einziger Sohn Lachmü (= 'Ix^"'*;,
Sohn der Derketo-Atargatis, Xanthos FH b I 36 xt). ihr Gatte, der
TsxTwv (Ea naggar), ihr Buhle, der MIy«? "HX:os Ninib , alles paßt zu
der Göttin Xo'j,3ap, der , .Großen" — „Cha-bur", dem ,, Gefäß des Fisches".
-■»") Hommel, Grundr. 12U i.
Kuba-Kybele. 201
heit Rheia entspricht, wird in babylonischen Ritualtexten -*^)
und in den Inschriften des Nazimaratäs-Kudurru -^^) „masabbu"
das „ Räucherbecken " als Symbol zugeschrieben. Wie alle auf
diesen Grenzsteinen vorkommenden Figuren ist auch das
, Räucherbecken " zweifellos ein Sternbild, wohl bekannt als
das „^u|JL:aiY,p'.ov" der griechischen Ueberlieferung, das alle
Texte und Sphärenbilder einstimmig genau unter dem „Scor-
pion" stellen -^^). Kann es ein Zufall sein, daß das Ideo-
gramm des Skorpions GIR-TAB als Götternamen selbst „Is-
charra*", — also nach der oben vorgebrachten Gleichsetzung
„sax^px" griech. „Herd" „Altar" — gelesen wird ^**), wäh-
rend ßw[Jic: (= sem. „bahma" =: Höhenort) lat. ara als
Nebenbezeichnungen des „i^ufjuax/^ptov" -^^) vorkommt? Ich
glaube vielmehr mit Zuversicht, daß in diesem präcisen Zu-
sammenstimmen der verschiedenartigsten Ueberlieferungsreihen
wieder nur die doppelte Auffassung der Nabelgöttin des Wel-
tenbergs als öjJL^aXö; aivao; und als [x£a6|JicfaXo; iixiot. zu Tage
tritt. Als Herrin des „großen Kruges", des Fasses der Ge
Pandora, des orphischen ayyscov der Vi] M'/^xr^p '^^), des „mun-
dus Cereris" ist die „Große" Göttin die Quelle. Aber unter
dem „xöc;|Jioto \i.iooc, •8pövo;". auf dem sie, wie der oben be-
sprochene orphische Hymnus, so auch die babylonischen Grenz-
steine thronen lassen — mit erhobenen Händen, den astral
gedeuteten „'Peia; yslpe;", begleitet von dem bellenden Hund
der "Apteij.:; axuXaxixc; '^^'')^ dem symbolischen X'jwv -*'''') der grie-
chischen Baubo — entspringt nicht nur die Quelle aller
Ströme, sondern dort brennt auch, schwimmend über dem
-*') Zimmern, Beiträge zur Kenntnis der babyl. Relig. Leipzig 1901
Nr. 24 Rev. 6.
■-*^) Derselbe, Leipz. semit. Stud. II 2, 1906 S. 40 ff. üeber hypo-
thetische Abbildungen des Symbols s. ibid. 41 2 zu Hommel, Aufs,
u. Abh. 444.
2") Boll, Sphära 143; vgl. die Abb. ibid. Taf. I.
2") K. Frank, Bilder und Symbole bab.-assyr. Götter Leipz. I9ö6
S. 22.
2«) Boll a. a. 0. Vgl. oben S. 145. 03.
2«) Abel fr. orph. Nr. 165 p. 218: ^xr^'i oz yri'/ w^tzs? ü.'('{zlö-^
Tt xwv ccoop,ivcov 'jTioAajjLßivovxa; tiyjxipa r.pozoLyopz'JOXi' "/.-?..
"')' Orph. hymn. 36 12.
247a) Yg] oben 136 Ti, wozu noch nachzutragen wäre, daß die
Deutung y.'Jcüv = yi-j^/m bei Hippolyt. philos. V 2, 16 überliefert ist.
202 Robert Eisler,
heiligen Quellsee, das Zentralfeuer der Welt^*^): wie die
schwimmenden Inseln Delos die „eoxca KuxXaSwv" oder Palai-
tyrus, die {isacfxcpaXos uypouöpo? nixpcc den Feuerbaum trägt,
wie der öficpaXo; ^aXaaarj? der Kalypso-Zeatia, wie das indische
Opferfeuer Agni „apäm näpät" als „Nabel der Gewässer" gilt,
so beschreibt Pseudolucian '^*^) das heilige Feuer der Göttin
von Bambyke, das auf einem scheinbar in der Mitte des
heiligen, fabelhaft tiefen Sees schwimmenden Altar brannte:
„Is-charra tamtl" = * Ea^apa •8'aXaaarji; ist der ständige Titel
der Göttin im babylonischen Ritual : „ao: :i o x a [lol xpocxioy-
Tcci de: '/.ocl Träaa i)' oc X a a a a , 'loxlri aüSaxö-etoa" ruft der
orphische Hymnus '^*^'') der Göttermutter zu.
Dazu kommt noch, daß neben der rotacistischen, auf bab.
,,char" hebr. "in, iranisch „hara" (slav. gora) griech. bpo;, hin-
weisenden, in phonetischer Schreibung zuverlässigen überliefer-
2*8^ Vgl. oben Anm. 102 b. Den Herd (arial) Jahwe's über dem
Quellfelsen (Anm. 21B) von Zion ; ferner Anm. 156 a über die Bezeich-
nung der Madonna als „SusiaatT^pLov", zu der das bekannte Mariensym-
bol des Gefässes mit der lodernden Flamme in byzantinischen Minia-
turen — also genau das „masab rubati" = „turribulum maiestatis" —
zu stellen ist. Hiezu das „x.°^'^P'°' '^^y^iP^Z Tiupöe" in Karthago, Diod.
20i4 nach Duris von Samos; cf. Eurip. Iph. Taur. 682 „TiOp Espöv svSov
XO'.ajia x' sOpcojicv Tietpag" der Artemis Tanropolos. In dem arab. Fragment
des Hippolytos zum Targum Genes. VII 6 (übers. Bonwetsch-Achelis Bd. I
griech. cbristl. Schriftst. preuss. Akad.) weist mir Schultz die Legende nach,
daß die Ströme der noachischen Sintflut aus einem Backofen hervor-
gebrochen seien. Das erkläre ich daraus , daß der Backofen ein
uraltes Symbol für Vulva bezw. Matrix ist. Wenn eine Frau nieder-
kommt, heißt es, der Backofen ist eingebrochen (Wander, Sprichw.
Lexik. III 1119 Nr. 111—113, 101, 145; Zingerle, tirol. Sagen S. 454
Nr. 999; dess. „Sitten" S. 26 Nr. 152). Im „Nachtbüchlein" dgn. Hub,
kom. u. humorist. Litt, deutsch. Pros. 16. Jhdts. S. 355) heißt es von
einem brünstigen Pfafifen „er wolle immerfort den Backofen besteigen".
In Tiergestalten Verzauberte erhalten im Backofen (Wiedergeburt!) ihre
menschliche Gestalt zurück (Müllenhoff, Sagen etc. v. Schleswig-Holstein
etc. S. 230 Nr. 216). Vgl. hiezu fornix (= xaiidcpa!) und „fornax"
„Backofen" zu „fornicari". Die „Brandstätte" Jahve's auf dem Nabel
der Erde, wie ich o. S. 144 f. die Stelle Jes. 31 9 frei übersetzt habe, heißt
wörtlich „tannür" „Backofen". Vgl. S. 182 iss. über den weiblich ge-
dachten Unterteil des Feuerzeugs. Ebenso gilt im Indischen der Altar
(vedi) als weiblich, das Feuer (agni) als männlich; „yoni" (Vulva) ist
synonym mit Altarherd (^atapatha Brahmäna Sacr. Books of the East
XII 62 f.; XXVI 113; XH 74, 257, 262, 277; XXVI 61, 211—214; cf.
Trumbull a. a. 0. S. 198.
-*^) Dea Syria 46; Zosimos Iss scheint ein ähnliches mystisches
Feuer auf dem See von Aphaka zu bezeugen. Vgl. oben Anm. 228.
-'49a) XII 8 ff'. Abel p. 73. Vgl. den Namen eines Meerbusens
xöXnos Taag bei Aesch. Prom. 837.
Kuba-Kybele. 203
ten Form „Is-cbarra" =^ „Haus des Berges" (E-kur) noch die
ursprünglichere Form Is-channa = „Haus des Fisches" — ana-
log wie oben Cha-bur „Gefäß des Fisches" — erhalten ist'-^^'').
Das Ideogramm, das auch zur Beziehung der nach Ninib, dem
Gemahl der Is-channa benannten, ihr geheiligten Stadt Ninive
verwendet wird, besteht aus den zwei Zeichen für „Haus'" und
„Fisch". In der aufgerichteten altbabylonischen Form zeigt
das Bild einen schematischen Berg oder Tempelhügel, auf dem
die eigentliche, mit dem Stern der Göttin bekrönte Tempel-
cella steht; im Innern des Berges der heilige Fisch '^^*'). In
anthropomorpher, griechischer Auffassung besser angepaßter
Gestalt zeigt die gleiche Göttin eine hocharchaische bÖotische,
von Wolters '-^^) veröffentlichte Vase des Nationalmuseums von
Athen (Nr. 220) : sie steht zwischen ihren zwei Löwen in der
bekannten wappenartig symmetrischen Stellung, auf den Hän-
den je einen Vogel — seien es nun Tauben, seien es, wie die
streng stilisierte Zeichnung eher anzudeuten scheint, die
Pfauen der Himmelskönigin ; auf dem Unterkörper
aber, wie um zeichnerisch auszudrücken „im Leibe" der
Göttin, die das „Haus" oder „Gefäß" des Fisclies ist, sieht
man wirklich den göttlichen Tx^-us, den Sohn der Is-channa-
^äi9~b)^HoiTrmel Grundr. 50.
'-°") Freundliche Mitteilung Hommels. — In Armenien (o. S. 1972:8)
hat sich Cult und Mythus der Is-charra-Is-clianna bis auf den heutigen
Tag erhalten. Beim Dorfe Lesg unweit von Van befindet sich eine von
Armeniern, Türken, Jessiden und Kurden hochverehrte hl. Quelle in Form
eines Feuerherdes , die vom Volk der „hl. Herd" (= ioxäpa!) ge-
nannt wird. In der Mitte befindet sich nur ein Fisch (o. 8. 200 239
l'ji^bc, [lovoysv/^g !) der mit einem silbernen Ring geschmückt ist (vgl. die
goldgeschmückten Fische der Dea Syria!). Der Fisch soll einst eine
Pfarrers- (d. h. Priesters-)Frau von unbeschreiblicher Schönheit (= K a 1-
listo, die in die Bärin verwandelte Göttin des hl. Berges, 0 S. 147,
149!) gewesen sein. Als sie am Herde saß und Brot buk (oben Anm.
248; vgl. die zu Ehren der Himmelskönigin gebackenen Kuchen Jerem.
7i9 44i9; Kuchen für Al'Uzza, Wellhausen, Riste^ S. 41 f.; Epiphan.
haeres. 7823 79i,i9 über die y.oXXupiSsg, welche die christlichen Araberinnen
für die XaaßoO Maria buken), kam ein Bettler, den sie auf seine Bitte
labte und speiste. Bezaubert von ihrer Schönheit, bittet er, sie küssen
zu dürfen. Sie meint, einem Armen dürfe man nichts abschlagen (sac-
rale Prostitution an den Fremden!). Bei dieser zärtlichen Szene von
ihrem Gatten überrascht (s. 0. S. 199239 das Ehebruchsmotiv!) stürzt sie
sich ins Feuer, wird jedoch durch göttliche Gnade in einen Fisch ver-
wandelt (wie die .'iyriscbe Derketo!). Der Herd aber wird zur Quelle,
in der der Fisch seine Wohnung (Is-channa ,Haus des Fisches!^)
nimmt. Vgl. den Mythus bei Griskos Chalatianz, armen. Bibl. IV
p. XXVII f. Auch für diese Stelle bin ich Schultz zu Dank verpflichtet.
-"') 'Eqjvjiispij äp^aioX. 1892 Tiiv. i.
204 Robert Eisler,
Aspxsxü). Links von der Göttin "^-j ist der Grund mit dem
Stierkopf des Adad, des Miycatos als Gatten der Meyioirj-Kubrät
ausgefüllt, rechts sieht man den „Arm" des Nebo-Hermes-Arma
mit dem Blitzfeuersymbol -^-*) des Hakenkreuzes.
Ein sprechenderes Zeugnis für Wesensart und Herkunft
der prähellenischen Cultur wird sich nicht leicht finden lassen.
Gewiß, die Anbeter dieser barbarischen Gottheit waren keine
Babylonier, keine Syrer oder Aramäer und sicher nicht die
früher in ihrer Bedeutung für die mediterrane Culturent-
wicklung so sehr überschätzten Phöniker; damals als diese
„böotische" Vase den Töpferofen verließ, war sogar die durch
die vorgriechischen Ortsnamen sicher bezeugte hethitisch-klein-
asiatische, auf der Balkanhalbinsel vielleicht geradeso wie in
Kleinasien autochthone Bevölkerungsschicht sprachlich wohl
schon im Griechentum aufgegangen. Allein wer aus allen Irr-
gängen, die die Religionsgeschichte bis auf den heutigen Tag
schon gewandelt ist, die eine Grundwahrheit einsehen
gelernt hat, daß Entwicklung und Verbreitung
der Culte mit den Grenzen des Volksturas und
der Rasse fast nichts zu tun haben, wer sich
vergegenwärtigt, daß im 15. Jahrhundert vor Christus das
Babylonische, spätestens vom 8. Jhdt. an das Aramäische
als lingua franca an allen Küsten des Mittelmeers und
in ganz Vorderasien die Verkehrssprache war^^^), wer be-
•262) Vgl. dazu Paus. VIII 42 1 die „Demeter" von Phigalia mit der
himmlischen Polschlange am Kopf, in den Händen Fisch und Taube.
Die asiatischen Analogien zum Pferdekopf der Göttin siehe ,Welten-
mantel" 152 ff. mit den Nachträgen.
«-•a) Ygi. den Feuergott als Personification des Blitzstrahls, Tall-
quist, Serie Maqlu 28.
2"3) „ Archeological evidence deraonstrates, that as far back as the
8th Century B.C. Aramaic had become the lingua franca of Western
Asia". So Cowley, Einleit. zu Sayce' u. Cowley's Ausg. der aramäischen
Papyri von Syene p. 20. Als unzweifelhaftes Beispiel einer aramäischen
Benennung einer kleinasiatischen Oertlichkeit vgl. man den Fluß ^o-^o^;,
den die Griechen Kctpavo; nannten (Fick, vorgriech. ON 43). Das Be-
zeichnendste aber ist, duß schon in vorhomerischer Zeit die Lykier
(Lukki) unter Herrschern standen, die den Griechen unter ihrem aram.
Titel ,Sar paddan' = I.apT.rß(bv = „Fürst des Landes" bekannt waren.
Wie Daniel 8m ^Sar* als Titel Jahve's erscheint, so heißt auch bei
den Lykiern Hobalön-'A-ö?.Xwv ,Sar Paddäu"-Iap-rj5dv'.og (Gruppe Hdb.
327 7). Vgl. den Cult des ,Sar Paddan "-lap-y^Scüv, des göttlichen ,Me-
lech" oder ,Ba'al des Landes" in Xanthus Appian. bell. civ. 4 78.
Kuba-Kybele. 205
denkt, daß z. B. die iranische Priesterscliaft Kleinasiens das
Aramäische ebenso hartnäckig und grundsätzlich als Cult-
sprache verwendet hat, wie die katholische Kirche in Europa
das lateinische, der Avird sich dem hier vertretenen Standpunkt
gegenüber gewiß nicht von vornherein ablehnend gegenüber-
stellen können.
Wie immer man sich aber zu diesem allgemeineren Pro-
blem der vorgriechischen Cultur in Hellas verhalten mag,
zwischen dem kleinasiatischen Kybele- und dem arabischen
Ka'abacult sind nun genügend Uebereinstimmungen aufgewiesen
worden, um den Anteil des semitischen Elements an der klein-
asiatischen Mischcultur, die man nun hoffentlich bald aus dem
Archiv von Boghazkiöj besser kennen lernen wird, in ein ganz
neues Licht zu rücken. Am Anfang der antiken Religionsge-
.schichte steht, wie man jetzt zu ahnen beginnt, ein uralter,
höchst complicierter Synkretismus , nicht unähnlich jenem
zweiten, heute noch fortlebenden, in den das alte Heidentum
ausmündet. Erst wenn dieser panethnische Untergrund mit
seinen griechischen, eranischen, thrako-phrygischen, semitischen
und ,,hethitisch-alarodischen" Elementen besser bekannt sein
wird, werden die jetzt noch übrigen unerklärten Götternamen,
diese cruces religionsgeschichtlicher Forschung endgiltig erle-
digt werden können. Einstweilen wird man aus den vorge-
legten Beispielen künstlicher, zum Teil sogar hybrider Na-
mensbildungen einsehen lernen , daß diese Probleme nicht
aus lautgesetzlichen und sprachgeschichtlichen Gesichtspunkten
allein zu lösen sind. Steht auch nur hinter einem solchen
Namen die ganze Fülle spielerischer orientalischer Wortmystik,
dann können auch andere Namen künstlich in den verschie-
densten Richtungen umgemodelt worden sein. Der weite Umkreis
von Beziehungen, die sich aus zufälligen Assonanzen ergeben,
wird dadurch der Erwähnung näher gerückt. Damit scheint
nun freilich dilettantischer Worterklärung wieder Thür und
Thor geöffnet: aber in Wirklichkeit ist damit eben nur die
Etymologie aus ihrer angemaßten Führerrolle in die ihr wirk-
lich zukommende, untergeordnete Bedeutung einer notwendi-
gen Hilfswissenschaft der Religionsgeschichte zurückverwiesen.
Gewiß ist auch heute noch, nachdem F. Max MüUer's
206 Robert Eisler,
Grundsatz „nuraina nomina" von seinen letzten Anhängern
aufgegeben ist, das Verständnis der Götter n a m e n — etwa
im Sinne Hermann Usener's — Anfang und Ende religions-
gescbichtlichen Verständnisses. Aber wer, alles vernach-
lässigend, was zwischen diesem Anfang und diesem Ende in
der weitbingedehnten Mitte liegt, dem Problem nur mit lin-
guistischen Waffen gegenübertreten wollte, dem wird die Er-
fahrung des platonischen Sokrates mit den Herakliteern, den
würdigen Schülern des abgedankten Bienenkönigs der Großen
Mutter, an jeder einzelnen seiner Quellen nicht erspart bleiben;
auch ihn warnt Piaton (Theait. p. 180) „w^Tiep iv. cpapetpa:
^Tjfiaxiaxca aüvLyfxaiwoy] ÄvaaTcwvxe? ÄTioTo^suouat, xav
TouTGU LXiijjC, Aoyov Xaßstv xi sl'pr^xsv, sTspw uen'Xri^e'. x a i v w ;
(jL£XO)vo[Aaa[jievq)".
München im Herbst 1908. Bohert Eisler.
Nachträge und Berichtigungen.
Zu S. 120 7 vorletzte Zeile: Münchn. Neuest. Nachr. ^»/lo. 1908.
S. 183 das Referat von Dr. Max Maas.
Zu S. 123 15: Zu dem Kamelopfer auf dem hl. Stein beachte man,
daß „ibil" „Kamel" „habbäl" ^Kamelhirte" heißt und vgl. 133 eo
über den Gott H 0 b a 1. In Südarabien werden Kamele regelmäßig dem
„Himmelsherrn" (^du' Samäwij), d. h. aber dem Ab-Räm oder Ibrahim
der Ka'aba von Mekku, geopfert.
Zu S. 124 19 vgl. Karppe, Zohar p. 74 f. über die wortmystischen
Interpretationsmethoden des Notarikon (Äkrologie) und des Ziruf (Per-
mutation).
Zu S. 125 25 vgl. Grünbaum ZDMG XXXI 1877 251 über die tal-
mudischen Ueberlieferungen vom Stein der Lilith (bab. lilitü = „Buhlge-
spenst", Verdrehung für Hat), der in Gestalt eines Pfeiles mit dem
Blitz auf die Erde fällt.
Zu S. 12627: Die Gleichsetzung des kleinasiatischen F 1 u ß gottes
Axios mit dem biblischen J"?? („Axt") stützt sich auf die Bedeutung
„Fluß" für hebr. „peleg" Ps. 464 [5] 65 9Lio]. Vgl. ferner die Analogien
zu dieser Aequivocation * „Weltenmantel" S. 153 7 1838.
S. 12835 lies Attar statt Altar und vgl. „awjia xpucfspiv" der Maria,
Relig.-Gespr. am Sassanidenliof 17 22 Bratke.
Zu S. 12942 finde ich nachträglich in dem mystischen Tractat
„Schiur Koma" = „Maß der Höhe" — geschrieben vor dem IX. Jhdt.
V. Chr. — bzw. in dem R. Akiba zugeschriebenen „Alphabet" (Karppe,
Zohar, 93 und 111) wichtige Ueberlieferungen über die Maße des Kör-
pers (bzw. der sog. Schechina) Gottes, und über das Größenverhältnis
irdischer und himmlischer Parasangen (!), Ellen und Spannen. Midras
beresith rabba sect. 34 verspricht Jahve dem Moses, in der Stiftshütte
seine Schechina auf den Raum einer Kubik-Elle (N)2N '7L'' KÖK lirs)
zu konzentrieren. Vgl. auch die Lehre des Hischam bei Schahrastani
Kuba-Kybele. 207
trad. Haarbrücker I 212. Feiner macht micb Schultz auf Gellius,
Noctes Atticae I 1 aufmerksam, wonach der Fuß des Herakles —
natürlich kann da nur H.-Sandan gemeint sein — um '/i-' größer war,
als der als Maßeinheit dem griechischen Stadion zugrundegelegte. Dieses
neue Maß soll Pythagoras den Speculationen über die Körpermaße des
Herakles zugrundegelegt haben. Die Discussion dieser Nachrichten kann
hier auf beschränktem Raum nicht nachgeholt werden.
Zu S. 133: „Vulva als Haus" vgl. Middä, Mischna § 2,5 wo als
Teile der Matrix „Vorhaus" , Kammer" und „Oberstübchen" aufgezählt
werden.
Zu S. 136 71 finde ich nachträglich in den Zusätzen bei Gruppe
Hdb. 718 6 406, i: Hesych. „y-ücov . . Svj/loi Si xai tö ävSpsTov |j,öptov"; nach
Eusth. p 302 1821 63 wird -/.ücov auch In'o [lopiou ^y^Xsos gebraucht. Lat.
cunnus hat schon 0. Jahn , arch. Beitr. 148 verglichen. Bei Piaton,
Phaon (I 645 fr. 174 ig Ko.) werden „Hunde" zusammen mit Dämonen
des Beischlafes genannt. Im gleichen Sinn faßt Kaibel, Gott. gel. Nachr.
1901, 505 die „Hunde" der Inschrift vom Piräus Iq;. dp7_. III 1885 S. 88.
Daher dürfte „val [lä x ö v xüva-" — wie mich D. E. Oppenheim freund-
lichst aufmerksam macht — nicht spanischem cono! sondern dem
Gegenstück carajo! entsprechen, da sonst vai [idc xyjv -xüva zu erwar-
ten wäre. Zum Schwur beim Phallos verweist 0. auf Gen. 24 2.
Die Peratitischen Gnostiker (Bouche-Leclerq, astrol. grecque, Paris 1899
S. 609 1) verwenden die Deutung xütüv = yswtov für den Hundsstern
Sirius, der den Babyloniern (Kugler, Sternk. 244) als Catasterismus der
Götter dirne Istar galt. Deut. 23 is ist von Tempelprostituierten bei-
der Geschlechter die Rede. Im entsprechenden v. 19 steht „Hurenlohn"
und „Hundegeld" parallel. Daraus ergibt sich, daß die männlichen
Kedesbim (TiopvsOwv LXX sodomita Vulg.) der Tempel bezeichnender-
weise „Hunde" genannt wurden. Das erklärt die 22^3 („Hunde") im
Tempel der Ashthoret in Idalium auf Cypern CIS I n. 86 B 1. 10, cf.
Robertson Smith, Rel.-' 292. „Kalabu" als assyr. Priestertitel kann
wegen kalbu = Löwe auch eine den Xsovxs?; der Mithriasten entspre-
chende Würde gewesen sein. Vgl. aber oben S. 201 den Hund der Gula.
Zu S. 137:2: Zum megarisclien Heiligtum AeXxa (deleth = Thür)
bemerke ich, daß die neugefundene S. 183 is-i a besprochene minäische
Inschrift von Delos den schon von U. v. Wilamowitz als ungriech. er-
kannten Namen AyjXois-AäXog mit rh~\ = Thür wiedergibt, wozu S. 165 145
das Felsentor von Delphi und Apollon öupaToj , S. 189 200 aber bab.
,abullu" „Stadttor" zu vergl. ist. Zu Ai-9'upa[ißo5 vgl. Olympiod. in
vit. Plat. p. 384 Westerm., Dionysos aus der ■9'upä der Semele (^sijlsXw
phryg. „Erde" Kretschmer) hervorgehend. Zum lat. Ausdruck „vulva"
vgl. Isid. Hisp. Orig. 1,137: „vulva vocata, quasi valva, i. e. ianua
ventris". Janus als Schöpfer" (cerus) und demgemäß Jana-Janua „Thür"
als „Ceres" würden sich am besten aus diesem Gedankengang ver-
stehen lassen.
Zu S. 137 „l%xÜ7itü|jLa" verweist mich Oppenheim auf die volkstüm-
lichen Ausdrücke griech. xüntsiv, deutsch „stempeln", zu ocppayis auf
deutsch „Ring" oder „Ringl* für Vulva, wozu mau den Euphemismus
My.zuXoz für cpaXXc? vergleiche; endlich auf Gantic. Cant. Se: „Lege
mich wie einen Siegelring . . an deinen Arm", wozu oben S. 182 133c
über „Arm" als Euphemismus für „Phallos".
Zu S. 138 „sethianisch" verweise ich auf Kuhn, Festgr. an Roth
Stuttg. 1893 S. 218 fF. wonach unter „Seth" in der pseudepigraphen
Litteratur ausschließlich Zoroaster zu verstehen und der Sethianismus
als christlich-p a r s i s t is c h e r Synkretismus zu betrachten ist. Zur
kosmischen [iv^xpa vgl. die „matrix mundi" der jüdischen Kabbalisten.
Karppe, Etudes sur les origines et la nature du Zohar, Paris 1901
208 Robert Eisler,
p. 428, endlich Rhea als »[ir^xpa ouvexouoa lä uävia" in den Orac. Cbald.
Kroll S. 19,27—30; 69.
Zu S. 140: Zum Grab der Nabelgöttin in Dscbedda vgl. das Grab
der Aphrodite in Kypros (Clem. Rom. V 23 II 1920 Migne) und das
Grab der Ai (Istar als Mondgöttin) in Sippar (Cod. Hamurabbi II 2b).
Zu S. 141 hagr , Mittag" ^Culminationspunkt" vgl. Winckler Enc.
Bibl. 4643.
Zu S. 144 99 öiJL'4:aXöc; . . [j, a V X E ü [j. a X a xpaivät und 194 219 „öiicfaXö;
äevaog" und „Tivjyy) XaXoüoa" ist auf das homerische &[jicp7j 9-siyj „Götter-
stimnie* zu vervreisen.
Zu S. 146 16 : Zwei Berge als Sonnenaufgangspforte sind griechisch
bei Apoll. Rhod. III 161 cF. Schol. (Ibyk. fr. 80) bezeugt.
s. 148 lies n:n3 statt n:nD (x™>^vj).
Zu S. Irj0 22: Mit .apäm napat" armen. Npat-Niqsäxvjg ist mehrfach
lat. ^Neptunus" verglichen worden.
Zu S. 164 140 eoxy^vcoGöv vgl. noch den Vorschlag der Jünger Mark.
9 s u. Parall. axr^väg ■Jio'.rpwp.v/ xpsi;, ool [jiiav, Mcoasi (jiiav xal 'HXia jiiav*.
Unter dem Eindruck der Wundererscheinung schlägt Petrus — ganz
verwirrt, wie der Bericht entschuldigend beifügt — die Vollziehung
des alten, Ezech. 16 16,24 bekämpften Höhencultritus, Erbauung eines
improvisierten Zeltes (oben S. 118 3 u. S. 163 „Sukkoth") oder einer
, Wölbung" (*a) für die neu offenbarte Gottheit vor. Die Erzählung
ist ein frühchristlicher Rechtfertigungsversuch für den fortdauernden
Cult der drei ^.tabernacula" auf dem Tabor (Encycl. Bibl. 4884), die
ursprünglich ofi'enbar die drei „ Stiftshütten " oder Stammesheiligtümer
(0. S. 164) von Issachar, Sebulon und Naphtali waren, deren Grenzen
am Tabor aneinanderstießen (a. a. 0. 4882). Vgl. ferner Chwolson,
Ssabier II 33 : „Am 4. Kanun (Dezember) schlagen sie (die hauranischen
Syrer) ein gewölbtes Zelt auf, das sie El Chidr (das Frauenge-
mach) nennen, für Baalti; diese ist die Venus, die Göttin Barqaja, die
, Funkelnde".
Zu S. 164 141 vgl. Trumbull a. a. 0. S. 193 IF. über die primitive
Gedankenverbindung zwischen dem , Eingehen" ins Haus und der Sca-
y.öpeua-.g im Ritual. Zur Vorstellung einer kosmischen Hierogamie bei
den Juden vgl. Genesis Rabba 11, wo die E rde mit Beziehung auf Jes.
55 10 „Braut" oder „Jungfrau Gottes" genannt wird.
Zu S. 164 144 cf. Paus. III 22, 4; Humann, Athen. Mitth. XIII 1888
S. 28 Taf. I.
Zu S. 166 „kreissender Berg" denke ich natürlich an das geflügelte
Wort „parturiunt montes, nascetur ridiculus mus", das sich höchst
wahrscheinlich auf die Geburt der mausgestaltigen Zwillinge ApoUon
Smintheus und Artemis Mysia (Wide, lak. Culte 118) aus dem Felsen-
schoß der Aax(b 'Opeia (S. 183 1 84 a) bezieht.
Zu S. 166 149 vgl. die Doppelaxt (ueXexug) der Athene Procl.
hymn. VII v. 16 Abel orph. S. 282. Proklos, dem auch die Nachrichten
über die mystische n-qYri {S. 195 224 197 231) verdankt werden, istLykier
von Geburt (Hymn. V 13; cf. Marin, vit. Procl. 6; Zeller, Phil. Griech.
III b-* 835i).
Zu S. 167 149. Zur Deutung von Auawpov, 'Aaaöpov und 'Aaar;pa vgl.
den Dionysos BaXetog (^ Ba'al) in Thracien (Etym. Magn. s. v.), dazu
den Zeus BdcXr^og in Bithynien (athen. Mitth. 1894, 373).
S. 168ii-,2 „Teukriden von Salamis" — natürlich auf Cypern.
Zu S. 169 152 a. Zu 9-6poog-xüpa'.5 verhält sich der Ba'al Tars (auf
.Münzen von Tarsos mit Tll? gepaart) wahrscheinlich wie Turk, Turgu
zu Tark, Tarkuaris, Täp/mv; xapoög heißt bezeichnenderweise „Fuß-
sohle" (vgl. S. 12842 über Sandan). Tarsos soll nach der Fußsohli
des Perseus benannt sein (Dion. Thrax FHG III 189).
Kuba-Kybele. 209
Zu 169 164 vgl. das von Bienen erbaute Schloß Grimm KHM^-
Nr. 107 p. 355. Bei Caes. v. Heisterbach clial. mirac. ed. Strange dist.
IX c. 8 bauen „Bienen" einen Tempel Christi.
Zu S. 177 144 vgl. noch ßpojidaSrjg als %-söi [isyac; Plut. "Vit. Artax.
29; ad princ. iner. 30; übereinstimmend mit den Keilinschriften der
Achaemeniden. ß. iisyiaTog Stob. Anthol. 11 33 cf. Xenoph. Cyrop. 5, 1, 29
„Zsö lidytaie" Pseiido-Callisth. 1 40 : ,Aia töv MeyiaTOv".
Zu S. 179 180 vgl. den Engel Metatron als personifizierte „Stimme"
und als „Finger" Gottes, Karppe a. a. 0. S. 55.
Zu S. 1&>1 issc vgl. die Erfindung des Feuerzeugs durch Hermes im
homerischen Hermeshymnus v. 108 ff. recens. Ludwich, hom. Hymnen-
bau, Leipzig lim S. 50, cf. 93:
jO'jv 0 ecpöps'. g'JXa -oXXä,, 71 u p ö g 6' kv.z'^'xis-o "isy^v'i^j"
„SdcqJVYjs dyXaöv ö^ov IXtbv iviaXXs aiSVjpcp"
„dpiJisvov SV 7T:aXäp.ifl • äjüxvuxo 80 %-Bp\i.bc, ävt[j,rj."
Zu S. Irt3i84a; Milet, von den Griechen nur unbefriedigend von
oiiiXag-iiiXag „Eibe" abgeleitet, erklärt Horamel (briefl.) Mi 'lät „Lät-ort"
„Cultstätte der Lät". Vgl. auch das Lat-mosgebirge mit dem hl. Fich-
tenhain der Kybele*, Weltenmantel 172-. Zur hl. Palme der Lato in
Ephesus (Spanheim zu Callim. hymn. Del. 210) vgl. Lenormant a. a. 0.
335 über die Palme der Al-Lät, dazu die Palmenistar (Ba'alat Tamar)
in Kanaan.
Zu S. 192 „tar'ata-xäaiia vgl. S. 140 S7 „manhirat tawilät", da arab.
„manhar" = t'issura, seu canalis, c aste 11 um penetrans per quem
fluit aqua" und „raauharat" etwa „Abfallgrube" (spatium inter domos
tribus quo abiciunt quisquilias) bedeutet.
Zu S 193 vgl. Proverb. 5 15 den figürlichen Gebrauch von „Brun-
nen" (be'er) und „Cisterue" (bör) für „Weib" bezw. weibliches Genital.
Zu S. 195 224 vgl. noch Procl. Hymn. H 2 f. Abel orph. p. 278
„ ' Acfpoysvsiris . . . tit] y ri^ [isyäÄvjv ßaaiXfj'.ov, fjC, auö Tiävtsg ÄS-ävaTCt
utepöEviss dvsßXäaxrjOxv spwxTjg", dazu S. 198 232 über 'A. 'Acpay.lxcg.
Zu S. 195225 vgl. Jesaias 51 if: „Blickt auf den Felsen hin, aus
dem ihr gehauen seid, und auf die Höhlung des Brunne ns, aus der
ihr ausgegraben seid. Blickt auf Abraham, Euren Ahnherrn und
auf Sara, die Euch gebar". Hiezu S. I22i5.
Zu S. 197 231. Die hier mitgeteilte Proklosstelle (Abel orph.
p, 206 Nr. 131) widerlegt die Annahme von Bratke, Relig. gespr. 191
und Harnack, Abercius S. 24 A, daß die Gleichung "Hpfx-nYjyy; erst bei
Hesych vorkommt, der sie aus dem Relig.gespr. entnommen hätte.
Die Wendung des Proclos „. . . uvjyaiav ']>fiyjiy äTioxccXo'jai ^isxä xv); Tf/j-
yaiaj äpiXTjc; äva-^avstaav duö xc5v Xayövwv xyjj SXt); ^cpoyövou •9-äG-
xYjxos" beweist, daß seine Quelle die orphischen Verse (Lobeck I p. 225 f.;
Abel 2681) Axi-^5 SV Xayöaiv y.oLvriC; dpsxYJs tisXs Tüvjyv^, vcöxois 5' ä[jLq:i
S-säg cfüaic; äviXsxos -/icöprjxai" waren; die Paraphrase des Proclos zeigt, daß
sie sich auf Hera beziehen. Sie dürften zu einem Hymnus gehört haben,
der von Hera eine ähnliche Schilderung entwarf, wie der bekannte
Zeushyranus Abel p. 203 Nr. l2o, wo es v. 30 heißt „liiaarj Ss ^cüv/j
ßapuY]-^£0£ otcjia ö'aXäaa-zjc".
Zu S. 198232 vgl. hebr. 'äphili p-£K „Quelle" „Rinnsal" Ps. 422 etc.
Philologus LXVIII (N. F. XXII), 2.
14
VII.
'E^sata und AsX^txa "^pdii^kaza.
W. H. Roseber hat in seinem Aufsatz „Weiteres über die
Bedeutung des E zu Delphi und die übrigen Ypdi\i\ia,-x AsXcpixa"
(Philologus LX [1901] S. 81 ff.) S. 88 f. zuerst darauf hin-
gewiesen, daß zwischen den AsXcptxa ypafijjLaxa und den alten
'Ecpeata Ypa[i[i,ata, „auch ganz abgesehen von der in die
Augen springenden Gleichartigkeit ihrer Bezeichnung^), ein
*) Jedenfalls besteht diese Gleichartigkeit der Bezeichnung nur
unter der Voraussetzung, daß man den Namen der 'Ecpeaia ypdi.\x\xazoi. von
der Stadt "Ewzaoc, (und nicht in Hinblick auf die späteren Zauberworte
gleichen Namens direckt von i'^iivai) herleitet. Dies ist aber bloß in einem
gewissen Sinne richtig, da, von anderen Gründen abgesehen, auch noch
weiter zu fragen ist, woher die Stadt "Ecpeaog ihren Namen hat, respektive
welche Deutung demselben in der ältesten lokalen Tradition (vgl. das
Paar "Ecpsoo? und Kopeaog) zukam. — Was die späteren Quellen [z. B.
Plut. Symp. VII 5,4 p. 706 E zobc, 5aiiJiovt^o|j,evou5 y.sXzbo'joi (sc. ol iJ-äyot)
TÖc Icpeoia YpäfijjLaxa Ttpög aOxcjf; Xiyeiw xai xaiovojid^siv, id. quomodo quis
suos in virtute sentiat profectus 15 p. 85 B oc ky.\3.z\i(x%-fiv.6xzq tä -cwv
'ISatcöv öv6p.aTa Aaya'JXwv xpöJvxat, upög xo'Jc; qjößoug auxoXQ (bg aXsgixäxoig
uzp e\i.a xaxaXsyovTSc; sxaaxov, Menander TcaiSiov fr. II ap. Suid. s. v.
dXEgicpäp[j.a-/ia und Anaxilas AupoTioids I ap. Athen. XII p, 548 C (cf. VII
287 F), Photius s. v. dcpeaia cc?.sgtq:äppiaxa, Suid. s. v. 'Avpixavög, Apostol.
IX 39] zum Thema berichten, hat, außer Eustath. in Od. I 247 p. 1864, 12,
keine Beziehung zu "Ecfsaog, sondern nur eine solche zu den zahlreichen
Zauberworten der Gemmen, Defixionstäfelchen und Zauberpapyri (von
K. Wessely im XII Jahresbericht des Franz-Josef-Gymu. in Wien 1885/6
unter dem Titel „Ephesia grammata" zusammengestellt), welche zum
größten Teile sich auch nicht einmal mehr als „Daktylennamen" auffas-
sen lassen, sondern überwuchernder Freude an unaussprechbaren Buch-
stabenzusammenstellungen und fremdartigen Namen ihren Ursprung
verdanken. Diese ebenfalls allgemein als dcpioia ypä|jiiiaxa bezeich-
neten Zauberworte haben mit jenen, durch die Nachricht des Eusta-
thios (in Hinblick auf den Siebenweisenroman?) mittelst der Person
des Kroisos zu "Ecpeaog bezogenen Worten, die auf dem Kultbilde der
ephesischen Göttin inschriftlich angebracht waren, wie es scheint, bloß
den Namen Aa[iva[isv£'jg (s. u. „Gnostische" Gemmen stellen in der Krüm-
mung eines Schlangendämons, der als Aa[iva[j.iv='jg angerufen wii'd, das
bekannte Bild der ephesischen Artemis dar, z. B. de la Turbie's Gemme
bei Visconti, opere varie III 433 Nr. 214, vgl. Kopp, Palaeogr. er. IV
Wolfgang Schultz, 'E v'Jaia und AsXcf-.xä YP^jJ-liaxa. 211
merkwürdiger Parallelismus besteht, aus dem sich einige, für
das Verständnis beider nicht unwichtige Schlüsse ziehen lassen."
Diesen Parallelismus ersieht Röscher
1. in der Uebereinstimmung der traditionellen Bezeich-
nung,
2. in ihrem inschriftlichen Charakter,
3. in der religiös bedeutungsvollen Anzahl der Worte,
resp. Sprüche,
4. in der hexametrischen Form,
5. in der asyndetischen Anordnung,
6. in den Sagen über den Ursprung.
Die Frage, „welcher von beiden Spruchreihen die histo-
rische Priorität zuzuerkennen sei", entscheidet Röscher a. a. 0.
S. 93 zu Gunsten der 'E^eaia ypd[i[).axa. „Dieselben scheinen
nicht nur einer weit primitiveren und somit älteren Religions-
epoche, die noch hauptsächlich mit magischen ercwoac operiert,
anzugehören (während die AsXcp^xa yp. als rein ethische Sprüche
eine viel entwickeltere Religionsstufe voraussetzen), sondern
werden auch von der Tradition rein mythischen Wesen,
nämlich den idäischen Daktylen -), zugeschrieben, wogegen als
208) gemein. Da aber Eustathios kein einziges Ypäjiiia namentlich an-
führt, wüßten wir nicht einmal, ob die ypä^iia-a, von denen er spricht,
eine Beziehung zu unseren sechs daktylischen Worten haben, wenn nicht
1. der daktylische Charakter dieser und nur dieser Worte aus ihrer
Struktur hervorgienge , 2. ihre von Clem. und Hesych. anerkannte
Geltung als ix. ypäiJifiaia xa-:' sgox'/.v, 3. ihre altertümliche Eigenart,
4. ihre Ueberlieferung und Besprechung durch die echte Schrift des
Androkydes uspL IIu^-ocYop'.y.öv ao\i'^iX(üv, 5. die hier später dargetane
Beziehung zur heraklitischen Philosophie, 6. die zahlensymbolische und
Wortbedeutung der yp^^iiuata, ihre Zugehörigkeit zu Ephesos dartäten.
Die STü-ä 'Ecpeaccov noadsg {'lot.ii'^Xv^oc,, 'Egay.ouaxo'jSiavös , Map-ctvog , 'Avxcü-
vio;, 'IwävvTjg, Mag'.ii'.J.iavöc, AiovJa'.oj) des Par. graec. 2316 zu Ps. 127 (vgl.
Reitzenstein, Poimandres S. 302), welche mit den ephesischen Sieben-
schläfern in der frühen (vgl. Röscher, die Sieben- und Neunzahl in Kul-
tus und Mythus d. Gr. in Abh. d. phil.-hist. Kl. der Kgl. sächs. Ges. d.
Wissensch. 1904 Bd. XXIV, 51.) und den Vokalgöttern der Wochentage
in der späteren (vgl. namentlich für Milet A. Dieterich, Mithrasliturgie
5. 32 f.) Ueberlieferung zusammenzuhängen scheinen, machen es auch
fraglich, ob selbst rein vokalische Buchstabenkomplexe wie z. B. die
scpsa'.« (sc. YpäiiiiaTcc) bei Apuleius met. XI 17 (vgl. A. Dieterich, a. a. 0.
S. 38 u. 216 XII, wo ich übrigens ite statt ita in Analogie zu üe, missa
est emendieren möchte) jeder historischen Beziehnung zur Stadt Ephe-
sos entbehren.
'^) Clem. Alex. Strom. L lö, 73 p. 60, 20 Bind, xiveg 8s jjiu&ixcöxEpov
xiüv 'ISaicDv xaXouiievcüv AaxxüXcöv oocpouc xivag ixpcöxouc; feyio^-a.i XeyouaLv,
slg oug 'q xs xcöv 'Eqjeoicüv Aeyciievcüv Ypati|J.äxü)v xai i] xöv xaxä iiouotxYjv
14*
212 Wolfgang Schultz,
die Verfasser der delphischen Sprüche nach der bei weitem
bestbeglaubigten Ueberlieferung rein historische Perso-
nen [die sieben Weisen]^) genannt werden.*'
Es ist nicht meine Absicht, den zum Teile verwickelten
Fragen nachzugehen, welche gelegentlich einer eingehenden
Diskussion der von Röscher präzisierten Thesen ihre Erledi-
gung zu finden hätten ^), sondern ich will, indem ich mir eine
solche Arbeit für eine spätere Gelegenheit vorbehalte, in dieser
Mitteilung zu den meines Erachtens vollinhaltlich richtigen
Thesen Roschers drei weitere zusammen mit den zugehörigen
Beweisen beisteuern. Meine Untersuchungen über Buchstaben-
und Zahlensymbole bei den Alten ^) haben mich nämlich zu dem
Ergebnisse geführt, daß zwischen den 'Ecpsaca und AsXfptxa
Ypä[ji{JiaTa auch noch ein Aveiterer Parallelismus
7. in der Buchstabenanzahl der Worte und Verse,
8. in der inneren Symmetrie der Anordnung, auf die sie
berechnet sind,
9. in der zahlensymbolischen Verwendung und Gliede-
rung ihrer Bestandteile
besteht: insgesamt Analogien, die ich im Nachfolgenden aus-
einanderzusetzen mir gestatten werde.
Zunächst wende ich mich nochmals den Ergebnissen der
eöpsats (5u9-[iti)v dvacp spsxat " 5i' r^v altiav oi rapä zoZc, liouoixolg SoixxuXo!,
TV]v Tipoayjyopiav elXrf^aöi. ^püyez Ss '^aav xal ßtxpßapot. oi 'ISaCoi AdcxxuXoi.
Vgl. Memnon II 1 S. 247 f.
^) Als rein historisch können die 7 Weisen allerdings wohl umso
weniger angesehen werden, als einerseits die romanhaften Nachrichten
über sie als Kollegium (vgl. die 7 Sonnensöhne bei Find. Ol. VII 181
und Röscher, Abhandlung II, S. 20) und anderseits die legendären
Berichte über jeden einzelnen von ihnen deutlich zeigen, wie mächtig
auch hier mythische und mystische Traditionen hereinspielen.
*) Trotzdem möge hier wenigstens angedeutet sein, daß das Haupt-
gewicht auf Punkt 6, also auf die Untersuchung der anknüpfenden
mythologischen Tradition, zu legen wäi*e.
^) Vgl. unten S. 223, Anm. 22. Leider erhalte ich erat während
der Drucklegung dieses Aufsatzes von Arthur Ludwichs Homerischem
Hymnenbau und seinen Aeschylea (Acad. Alb. Regiment. 1909 II) durch
W. H. Roschers Güte Kenntnis und sehe, daß meine Auffassung von
Zweck, Umfang und Zielen der Zahlenforschung hier wieder eine neue
Bestätigung gefunden hat, die um so erfreulicher ist, als sie ganz un-
abhängig von Roschei-s und meinen Arbeiten sich einstellt. Die metri-
sche und gleichzeitig buchstaben- und zahlenmäßige Struktur der del-
phischen und ephesischen Worte ist geradezu eine Rechenprobe für
Ludwichs Exempel.
'Ecfsjicc und lzX-^:v.x Ypä[i.iJ.aTa. 213
Roschersclien Untersuchung über die AsXcpcxa Ypafj.[i.aTa zu,
wobei ich bitte, Roschers eingehende Darlegungen zu jedem
einzelnen der Sprüche, seine Begründung der gewählten Reihen-
folge und seine Bemerkungen über das Alter der ypa(X|j,axa
an den zitierten Stellen nachzulesen, während ich mich hier
nur auf das beschränken will, worin ich von seinem Stand-
punkte abweiche.
Röscher rekonstruiert auch noch in seiner Abhandlung
Ueber die Sieben- und Neunzahl etc. S. 114 den Doppelhexa-
meter der delphischen Sprüche wie folgt:
EL 0£(p -^pa. NöjJLOCg Tüe^'^su. Ostoeu ab xp^vo'.o
Fvwö-c aeautov. Mr^osv ayav. 'Eyyua, Tiapa o' airj.
Hierbei setzt er für den ersten Hexameter das E seinem alten
Lautwerte nach voraus, während er alle übrigen Sprüche im
Sinne der späteren Orthographie der literarischen Ueberliefe-
rung redigiert wiedergibt. Offenbar war für ihn hierbei das
Bestreben maßgebend, den ersten Vers hexametrisch zu ge-
stalten. Nun sprechen aber gewichtige Gründe dagegen, daß
das E in den metrischen Bestand der übrigen Sprüche je hin-
eingehört habe; denn es ist ausdrücklich bezeugt, daß das E
an besonders prägnanter Stelle über dem Tempeleingang und
sogar in anderer Letterngröße angebracht war, und daß nur
das E, nicht aber auch die übrigen Sprüche, ein xoivöv dva-
%-q\icx. Txavtcüv aocpwv (Plut. de E delph. 3 p. 386 A) gewesen
sei. Gerade Plutarchs Nachrichten haben ja sonst in dieser
Sache die beste Gewähr und müssen also auch in diesem
Falle entsprechend gewürdigt werden. Die metrische Schwie-
rigkeit aber, welche in einem -ösw rjpcc liegt, wird auf ein
erträgliches Maß reduziert, wenn nicht gar — zu mindest für
das metrische Gewissen jener Zeit — behoben ^*), sobald man
°^) Auf eine Anfrage betreffend die metrische Struktur der beiden
Verse hatte Prof. Ludwichs in Königsberg die Güte, mir seine diesbe-
zügliche Ansicht mitzuteilen, wofür ich ihm auch hier bestens danke.
Er schrieb mir wörtlich : ,Beide Hexameter leiden an ungewöhnlichen
Verstößen gegen die Metrik. Daß ihsojr vo[iolz gemessen sein sollte,
halte ich für unmöglich , weil mir kein Beispiel eines so gemessenen
stummen i bekannt ist. Denkbar wäre allenfalls, daß der Ver-
fasser vö[xii.oic, sprach, weil die Liquiden im Griechischen eine Neigung
zur Verdoppelung zeigen. Im nächsten Verse müßte e^yüct. Synizesis
erleiden und zweisilbig gelesen werden ; vielleicht gehört auch das zu
den Idiotismen der Aussprache des 'Dichters'. Singular scheint es je-
214 Wolfgang Schultz,
YJpa i)£(p liest. Ferner scheint mir Roschers Vorschlag (Her-
mes XXXVI, 489), au statt t£ des Asyndetons wegen zu lesen,
e'Denfalls nicht überzeugend, Haben wir docli auch in o' dxyj
eine Durchbrechung des asyndetischen Prinzipes an der ana-
logen Stelle des zweiten Verses zu verzeichnen ^). Dagegen
ist asauTÖv statt aauiov durch den Stein von Thera ^) inschrift-
lich bereits für das 4. Jahrh. v. Chr. gesichert.
Da nun Röscher mit m. E, überzeugenden Gründen (Philol.
LX, 84) nachgewiesen hat, daß das E ursprünglich auf Holz
geschrieben war, sich unmittelbar über dem Tempeleingang
befand und mindestens dem 6., wenn nicht 7. Jahrhundert zu-
zuteilen ist, und da ferner eine metrische Zugehörigkeit des E
zu den sechs übrigen Sprüchen aus den obigen Gründen nicht
vermutet werden darf, scheint es mir klar, daß nicbts uns
zwingt, das E für gleich alt zu halten wie die übrigen sechs
Sprüche. Vielmehr spricht die fernere Nachricht des Plutarch
(de garrul. 17 p. 511 B vgl. Pausanias X 24, 1), daß die
ypa[ji[xaTy. von den Amphiktyonen angebracht worden seien,
dafür, daß sie eben jünger sind als das E. Dann fallen aber
alle Argumente weg, mit deren Hilfe Röscher versuchte, unter
der Voraussetzung der archaischen Schreibung E für EI, welche
er der Erklärung des E mit Recht zu Grunde legte, auch den
übrigen Buchstabenbestand der Sprüche nach einer mutmaß-
lichen Orthographie des 6. oder 7. Jahrhunderts zu redigieren.
Durch diese Erwägungen hoffe ich zwar der Neigung, die
Sprüche für all zu alt zu halten, mit einigen Gründen entge-
gengetreten zu sein, möchte aber nicht in den umgekehrten
Fehler verfallen, sie wieder für all zu jung zu erklären. Viel-
mehr glaube ich, daß Paul Perdrizet '*) durch den Nach-
doch gleichfalls zu sein. Gute Verskünstler sind freilich die delphischen
Priester nie gewesen".
^) Die Vorstellung, daß jeder dieser Sprüche von einer anderen
Person stamme, und nicht vielmehr bloß im Geiste des Erfinders oder
Redaktors je einer Person zugeteilt war. hat ohnedies in Anbetracht
der metrischen Struktur beider Reihen wenig für sich, da ja nur ein
besonderer Zufall es hätte fügen köunf-n , daß die unabhängig von
einander gethanen Aussprüche einen Doppelvers ergaben. Dagegen
konnte man später gerne ein solches wunderbares Zusammentreifen
als Argument für den göttlichen Geist der Sprüche erfinden.
7) CI Ins. in 1020.
^a) Paul Perdrizet, „Labys" und „Encore Labys'' in Rev. des etud.
gr. 1898 XI 24-2 und l6i»9 Mi, 41.
'Ecpiota und Aö^wCf.xä yp^tiiia-ca. 215
weis einer auf Hermippos zurückgehenden Tradition (Bekker,
Anecdota p. 233 und Scliol. in Plat. Phileb. 48 B), Avelche
nicht Chilon, sondern Aaßuc, einen Eunuchen und Vcwv.opo;
des pythischen Gottes, als Erfinder des FvöO-i aauxov bezeich-
net, in der Tat einen wichtigen Anhaltspunkt für die Ent-
stehung der sechs ^) übrigen, im Verhältnisse zum E jüngeren
Sprüche gefunden hat. Schon Perdrizet dachte bei diesem
„Eunuchen" Labys an das delphische Geschlecht der Labyaden
und an die ephesischen Megabyzoi. Beide Zusammenhänge
sind deshalb von außerordentlicher Wichtigkeit, weil es einer-
seits sehr wahrscheinlich ist, daß Labys von Hermippos oder
seiner Quelle ohne irgend einen Hinweis auf seinen Konkur-
renten Chilon nicht nur als Erfinder des yvwö". aauxov sondern
eben damit als der sämtlicher Sprüche gekennzeichnet werden
sollte, so daß also Chilons Name wohl erst später, als man
den Gegensatz stärker empfand, in die Stelle hineinkam, und
weil anderseits ein E u n u c h ^) Labys aus dem Geschlechte
der Labyaden ein Bindeglied zwischen Ephesos und Delphi
abzugeben geeignet ist, welches die Aehnlichkeit der ypafjifiaxa
beider Kultstätten auch historisch aufklären könnte.
Will man die soeben genauer formulierte, aber eigentlich
schon von Perdrizet angedeutete Hypothese sich zu eigen ma-
chen, dann wird man wohl nicht übersehen dürfen, daß ein
Eunuche Labys (aus dem Geschlechte der Labyaden) als Ver-
fasser von Sprüchen , welche mit den sieben Weisen in Zu-
^) Die Sechszabl paßt auch aus sonstigen stilistischen Gründen,
vor allem, da sie in zwei je sechsfüßigen Versen niedergelegt ist und
auch der Amphiktyonen zwölf (2 >< 6) mit 24 (i >< 6) Stimmen waren,
gut herein, und ihr Ausgleich mit dem E als siebentem Spruch ist
zahlensymbolisch durchwegs verständlich.
«) Freilich will Perdrizet daraus, daß Labys als Neokore nicht
verschnitten sein konnte, folgern, Labys sei nicht Eunuch gewesen und
diese Nachricht über ihn beruhe auf einem Misverständnis. Aber ich
sehe nicht, weshalb man nicht auch umgekehrt schließen sollte, Labys
könne als Eunuch nicht Neokore gewesen sein und die Nachricht, daß
er es gewesen sei, beruhe auf einem Mißverständnis. Ja die zweite
Schlußfolgerung wird sogar zutreffen, wenn man angeben kann, wieso
dieses Mißverständnis entstand: Offenbar daraus, daß man dachte, nur
eine nahe mit dem Heiligtum verknüpfte Person könne die Sprüclie
erfunden haben. Auch bieten ja die Anekdota bei Bekker zwar den
Namen des Hermippos , nicht aber die Bezeichnung des Eunuchen als
Neokoren, während das Platonscholion den Namen Hermippos nicht
mehr hat, jedoch den Eunuchen zum Neokoren macht.
216 Wolf gang Schultz,
sammenhang gebracht wurden, wohl überhaupt mir in der Zeit
denkbar ist, in welcher jene nahen Beziehungen zwischen
Delphi und Kleinasien, insbesondere aber Lydien, bestanden,
deren vielfach legendär veränderter Niederschlag in dem halb-
historischen Kroisosroman uns noch erhalten ist. Die Abfas-
sung, resp. Redaktion der Sprüche rückt damit in eine Zeit
herab, zu welcher wir schon den Gebrauch des H, namentlich
bei der gebildeten Priesterschaft, voraussetzen und ein EI
neben E annehmen dürfen und wegen des unter solchen Be-
gleitumständen selbstverständlichen, mächtigen jonischen Ein-
flusses gerade bei dem dem Thaies traditionell zugeteilten
Spruche wohl auch axrj statt axa vermuten müssen, während
der Gebrauch des Q für diese Zeit noch durchweg unwahr-
scheinlich ist.
Mithin glaube ich die delphischen Sprüche, abgesehen von
dem E, in folgender Form voraussetzen zu dürfen:
HPA BEOI NOMOIi: riEieET OEIAET TE XPONOIO
PNOei SEATTON MHÄEN APAN EPPIA IIAPA A ATH
Röscher bemühte sich auch, die inschriftliche Verteilung
dieser 7 Sprüche auf die sechs Säulen der Vorhalle und den
Thüreingaug des Apolloheiligtumes in Delphi zu finden, zog
aber ohne ersichtlichen Grund die beiden Sprüche: NOMOIS
BEieEI OEIAET TE XPONOIO zusammen und mußte in-
folge dessen das E selbst auf eine Säule, die sonst frei ge-
blieben wäre, setzen. Aber offenbar sind doch die übrigen
sechs Sprüche zu je drei symmetrisch um das E als siebenten
in der Mitte zu verteilen, woraus sich folgende berichtigte An-
ordnung ergibt:
raTiaAiaOrSIOMOiNLrAPH 17 PNOei^:-] MHAENn EPriAn-j
LxpONOio LnEieEiLeaoiCMOTrAaJ mataJ htaaas:a J
1 2 3 4 5 6 7
Das E selbst war vielleicht in Form der Wage als m oder
uj , zur Wahrung der inschriftlichen Symmetrie nach beiden
Seiten hin, angebracht^"). Zum mindesten könnte man dies
'") Vgl. Diels FV. I 520 Noten. Mit Diels an einen ßäXavo;-Schlüssel
zu denken , ist mir schon deshalb unmöglich, da sich m. E. auch die
y.XyjiSsg ftjjio'.ßoi bei Parmenides anders erledigen. Vgl. STUD 11 u. III,
215, 14.
'Ecfsoia und AsXcf.y.ä Ypä|ji(iaTÄ. 217
wegen des bekannten pythagoreisclien Symboles der Wage ^^)
vermuten.
Zählt man die Buchstaben , welche demnach links und
rechts vom E standen, so erkennt man, daß zu beiden Seiten
je 34 Buchstaben waren und daß man, wenn man das E so-
wohl zu dieser wie zu jener Seite bezieht, auf beiden je
35 = 5 X 7 Buchstaben vor sich hat; hierin ist 7 sowohl die
heilige Zahl des Apollon als auch die der Sprüche selbst und
E = 5 ebenso als Wort wie als Zahlzeichen in die Mitte der
Inschrift gesetzt — ein Ergebnis, welches mir im übrigen ge-
eignet scheint, die Ansicht, daß das planvolle Werk einer
Zahlensymbolik vorliegt, welche das vorhandene E als symbo-
lisch bedeutsames Zentrum dazu ausnützte, die neuen sechs
Sprüche um diesen siebenten herum symmetrisch zu gruppieren,
ganz außerordentlich zu befestigen.
Für die 'Ecpijca ypa|ji[j.aTa hat Röscher unter Benützung
der bekannten Stelle des Clemens Alexandrinus ^-) und des von
-1) Porpli. V. Pyth. 42 über ^uyöv [iy] uuspßaiveiv im Sinne von „sich
nicht bereichern". Die Theol. arithm. p. 80 f. Ast deuten die Wage
auf SixatoaüvT], der für Pythagoras die 5 zugehört habe. E ist der fünfte
Buchstabe. VgL meine STUD[ien zur antiken Kultur, Heft] 1: Pytha-
goras und Heraklit S, 91 zu 15, Ö.
'-) Strom. V 8, 45 [III, 35 Dind.] 'AvgpoxüSr;:; •^o^j'j ö fluSayopixös
xä 'E(f saia xaXoü|i£va Ypd[j.[jLaxa, dv noXXolg 8'q iroXuii-püXyjTa Svxa, ouiißoAwv
E/^ELV, cpvjot, xdgiv • OTjuaivstv Ss "Aaxiov |j.£v x6 ay.6zoc,- \s.rj ydi-p äx^^v xoöxo
oxiäv, cftö; §£ Kaidoxiov, inti "/taxaöyd^si xtjv oxiäv, Aig Sä saxiv rj yy)
y.ax' äpy^/xLct.'^ STiwvuiiiav, y.al Tsxpag ö Iviauxöj Stä xäg "ßpag, Äap.vaiJi£V£i)i;
Se 6 rjXtoc, 6 5a[jid^(üv, xd Aloid xe V) dXyj^-Tjg cpcüvfj ■ ar][iaiv£i x' dpa x6
oüfJLßo/l&v, ü)g y.£y.ca[ir(Xat xd •9-Ela, olov oy.oxog upög cpwg xal ■YJXt.og upog
Eviautöv y.al y'^ "P^S Txavxoiav 9'ja£wg Y^"^^'^'-''- Clemens berichtet nach
'AvSpoxü5-)is üspi n'jbaYopixwv GU|j.ßöXü)v u. z. aus der nicht gefälschten
Schrift dieses Leibarztes Alexanders des Großen, welche sich mit der
Deutung mathematisch-kosmologischer Symbole beschäftigte, während
eine andere, gefälschte Schrift gleichen Titels ethische Symbole be-
handelte. Diese Unterscheidung zwischen einer echten Schrift des An-
drokydes, der wir unsere Nachrichten über die 'Ecpäaia Ypdiijjiaxa vei'-
danken, und einer gefälschten, ergibt sich aus einer Bemerkung C. Hölks,
de acusmatis sive symbolis Pi/thagoricis Diss. Kiliae 18li4, wonach Cle-
mens Alexandrinus, wo er ethische Symbole der Pythagoreer bringt,
von Androkydes und jenen Sammlungen, die von anderen Schriftstellern
unter diesem Namen benützt wurden, nichts weiß, während er an un-
serer Stelle ihn ausdrücklich erwähnt. Mitbin sind auch Nicom. Geras,
introd. arithm. I 3 p. 6 Hoche (cf. Comm. Philop. ad. I libr. Nicom.
arithm. introd. p. 718 Hoche) und Theolog. arithm. ed. Asfc p. 40 auf
diesen ächten Androkydes zu beziehen, und hiernach ist Diels- FV I
2&1, 21 einschränkend zu berichtigen.
218 Wolfgau g Schultz,
E. Ziebarth ^^) veröffentlichten und von Wünsch ^'*) rekonstruier-
ten Kretensischen Bleitäfelchens des vierten, vorchristlichen
Jahrhunderts, auf dem uns die Ypdi\i[iaxo(, gerade in der um-
gekehrten Reihenfolge wie bei Clemens entgegentreten, ange-
nommen, daß sie infolge der archaischen linksläufigen Schrift-
richtung das eine Mal in dieser Richtung, das andere Mal aber
im Sinne der rechtsläufigen Schrift Wort für Wort gelesen
werden konnten. So stellte er ^^) folgende hexametrische Anord-
nung fest:
AISIA AAMNAMENEYi: TETPAS AIS ASKI KATASKI
Faßt man die Anzahl der Buchstaben ins Auge, so findet man
ihrer 36 = 6 X 6, so daß sie also sowohl ein Vielfaches der
Zahl der Worte als auch der der Artemis heiligen Sechs-
zahl ist ^^).
Die sich hieraus ergebende Parallele im Sinne des obigen
Punktes 7 fasse ich also dahin zusammen, daß die B u c h -
stabenanzahl in beiden Spruch reihen ein
Vielfaches der Anzahl ihrer Spruchglieder
und der der betreffenden Gottheit heiligen
Zahl ist.
Da die symmetrische Anordnung der AeXcptTca ypajxfjtaxa
durch Roschers Arbeiten schon vorliegt, wende ich mich sogleich
der Frage nach der inschriftlichen Anordnung der'Ecpeaoa ypaiJL-
|j.axa zu. Drei Formen inschriftlicher Buchstabenanordnung er-
") Nene attische Fluchtafeln in den Nachrichten der kgl. Ges. d.
Wiss. zu Göttingen, phil.-hist. Kl. 1899 S. 105 fF.
") Neue Fluchtafeln, Rhein. Mus. LV, 85 [1900].
15) Konrad Schmidt, das Geheimnis der griechischen Mythologie und
der Stein von Lemnos, Gleiwitz 1908 erwähnt S. 72 die daktylische
Struktur der Worte, ohne Röscher zu nennen, und sucht dieselben als
hellenische Niederschrift einer in pelasgisch-semitischem (hebräischem)
Iiiiom verfaßten Lebensregel (des Inhaltes: ^Rege dich, Mensch; nichts-
würdig ist der Faule; wer mich bearbeitet, zerbricht meine Fessel") zu
erweisen, freilich indem er nicht nur die überlieferten Wortgrenzen
misachtet, sondern hier, wie auch sonst, semitische Etymologien helle-
nischer Worte sorglos in die Welt setzt. Es wäre wohl kaum der
Mühe wert, daß ich hier auf meine demnächst in den Mittheilungen
der anthropologischen Ges. in Wien erscheinende Besprechung dieses
Buches verweise, wenn es nicht leider immer häufiger vorkäme, daß
auch von Unberufenen semitische und arische Sprachen in krauser Art
verglichen werden.
18) Vgl. Röscher, Philol. LX, 91.
'EcpEOia und AsXcixä ypo-iia-x-zo:.. 219
wähnen die Grammatiker: xiovrjSov, TtXivOi^Sov, cT.'jpioiy ^'').
Die erste Art ist für die'E'^sata ypafxjjiaTa, die durch nichts Aehn-
liches wie die AsX'^Jcxa ypscfifiata zur Anpassung an die Säulen-
form gezwungen waren, wohl ausgeschlossen, die zweite an sich
unwahrscheinlich, wo hingegen die dritte, kor bartige, sich
sofort empfiehlt. Das Artemisheiligtum wurde selbst mit
einem Bienenkörbe^^) verglichen, die Göttin als Biene verehrt.
Auch sind unsere Worte ungleich lang und wir erwarten eine
symmetrische Anordnung um eine noch zu findende Achse.
Sobald wir nach dieser suchen, machen wir aber eine belang-
reiche Entdeckung. Das erste Wort, das wir anzuschreiben
haben, ist AISIA — ein Palindrom! Hierdurch angeregt be-
ginnen wir, uns nach ferneren symmetrischen Buchstabengrup-
pen in den 'E'^jsaca ypafjLjjLaTa umzusehen. Da wir, wie uns
schon die AsXcfcy.a ypajiiJLaTa lehren, beide möglichen Schrift-
richtungen ins Auge fassen müssen, richtet sich unsere Auf-
merksamkeit auch auf den Gleichlaut aaxc xataav.L, in welchem
wir durch die Anordnung I^IS^AtcAtASKI wieder zu symmetri-
schen Komplexen gelangen. In der Mitte des Verses springt
TET in die Augen, und die Anordnung EtÄTETpaE führt
wieder zu teilweiser Symmetrie. Am sprödesten ist das
Wort oa[jiva{JL£ve'j:. Und doch ist auch in ihm, wenn man
ca-jLNaMsXsu; schreibt, ein symmetrischer Kern zu finden.
Diese Bemerkungen zeigen, daß die Inschrift neben einem
symmetrischen Kern auch asymmetrische Bestandteile in sich
vereinigt haben muß. Wir wenden uns nun der weiteren
Frage nach der Zeilenzahl zu. Die Zusammenfassung des Ge-
fundenen ergibt folgende approximative Anordnung.
") Bekk. Anecd. p. 786 f. Vgl. J. Müllers Handbuch d. klass.
Altertumswissensch. I, 409.
1«) Vgl. Robert Eisler, Philol. LXVIII, 126 27. Auch der delphische
Tempel galt in einem seiner mythischen Vorstadien als Bienenhaus.
Nach Paus. X 5, 11 bestand der erste Tempel aus den Zweigen der
Daphne (La,ubhütte; ähnlich das erste Artemision in Ephesos unter
einem Baume), der zweite war von Bienen erbaut worden, der dritte
stammte aus der Werkstatt des Hephaistos und war aus Erz, der vierte
der in historischer Zeit abbrannte, hingegen aus Stein (Holz ? vgl. das
ä7iÖ3äeyiJ.a des Pittakos xij ö(.pyT, [isyiaxv; ; -q zoü -oiv.O.O'j £.\}AO'j bei
Diog. L. I 78).
220 Wolfgang Schultz,
AISIA
0 a. '^ N.aM£N e u c,
E i X TET p a E
i>i:ta X a X a3:ki
so daß wir nur 4 Zeilen und nicht, wie alle Wahrscheinlich-
keit dafür spricht, 6 vor uns haben. Wenn wir aber erwägen,
daß wir durch eine besondere inschriftliche Anordnung das E in
Delphi zweimal lesen mußten, obgleich es nur einmal sich ge-
schrieben fand, um statt auf 3 X 23 = 69 = 34 + 1 + 34 auf
70 = 2 X 35 zu kommen, so drängt sich unwillkürlich der
Gedanke auf, ob nicht auch in Ephesos die Lesung zwar
auf 36, die i n s c h r i f 1 11 c h e Anordnung aber auf 35
Buchstaben führte, ob also nicht zugleich mit der Symbolik
durch 6 X 6 = 36 auch die durch 5x7 = 35, wie in Del-
phi, beabsichtigt war. Räumt man eine Zeile dem K, eine
andere dem T ein, so kommt man unter Beachtung des arcbi-
T
tektonischen Aufbaues mn'rn zu sechs Zeilen, von denen vor-
läufig nur die letzten drei ersichtlich gemacht seien :
T
I3S A A IKl
K
Hiermit ist die in schriftliche Buchstabenzahl zu 35 geworden
und in diesem Teile vollständige Symmetrie erreicht. AISIA
hat 5, ASKffiATA^Kl in obiger Anordnung 2x5 Buch-
staben. Beide Komplexe rahmen alles Uebrige ein und sind
die rein symmetrischen Bestandteile. Auch in ScXTETpaE sind
der symmetrischen Buchstaben 5. Sollten da nicht etwa ur-
sprünglich, wie das E in Mitten der ganzen Anordnung, ähn-
lich dem E in Delphi, als fünfter Buchstabe mit seinem
Zahlenwerthe fünf förmlich befiehlt^ 25 = 5 X 5 sym-
metrische Buchstaben vorhanden gewesen sein? Sollte sich
T T
nicht die Anordnung rpj^m in der nächsten Zeile TET, also
^^^ EME
T F
analog dem m m auch ^ p, fortgesetzt haben? Dann Aväre
das überlieferte AAMNAMENEY^ in oa|xNEMEN£u? zu ändern.
Die Form Aafivafxeveus ist durch die Uebereinstimmung
'Ecpsaioc und A^X-^ixä YP^P^l^stTa. 221
aller Quellen so gut belegt, daß wir, bevor wir den An-
trieben zur symmetrischen Umgestaltung des überlieferten a
in £ nachgeben, doch noch dieses eigentümliche Wort näher
beleuchten müssen. Es soll die Sonne bedeuten, sagen Clemens
und Hesych. Aber als Wort ist es jedenfalls eine monströse
Form. Schon Androkydes leitete es von Ba|jLaJ^w ab, avozu die
Nebenform oa{jLV(jD besteht, die uns wieder zu oa|j.väa) als der
regulären Form zurückführt. Ziebarths Zaubertäfelchen urgiert
mit Z, 16 Aaf.iva|Ji£V£ü 5d|j.aaov ok xaxw? a,e-/.ovxac, dydYY.ce. in
etymologischem Spiel die Ableitung von oa[xvy]|j.c, ähnlich aber
die von 6a(jivü) der lallende Hexameter ^^) Saji-vo) 6a[Ji,vo[X£V£ca
[1. Aa[jLVO{X£V£u] 6a[xaaav5pa Sa{xvo§a[i,ta der Zauberpapyri. Ver-
gegenwärtigt man sich noch die bei Strabo X p. m. 538 neben
Aa{jiva[ji£V£u; S. 463 vorkommende Form Aa[jLvav£a, wo früher
handschriftlich Aafivla stand, — ein Name, den Nonnos Dionys.
XIII, 144 einem Korybanten gibt — , und die auf einer Münze
des Antoninus Pius (Seguin p. 17) vorkommende Bildung Aa-
tJL£6c, so sieht man, daß das undeutliche Lallen der Zauberworte
der Zuverlässigkeit ihrer Ueberlieferung nicht gerade zu statten
gekommen ist-^). Die Ableitung eines Wortes AajJLEu^ von Sa[xaa)
ist sehr einleuchtend, der Name Aa|j,£us als solcher sinnvoll,
und es ist sehr zu beachten, daß er in dem 'EcpEaiov Ypa[ji|jia
Aa{JLV£(jL£V£6;, für das eine sprachliche Erklärung so wenig wie
für Aa[j.va[ji£V£6$ zu geben ist, übrig bleibt, wenn man den für
die Symmetrie beanspruchten, mittleren Bestandteil v£{ji£v ^^)
»9) Nr. 343 bei Wessely a. a. 0.
^°) Als weitere Varianten des Namens sind nach einer freundlichen
Mitteilung von Dr. Karl Preisendanz noch hervorzuheben Aajxaxaiisvsus
CIL VIII Suppl. 12511 und Aaji, v a v a v oiou (y.al 'AScüvaiou) bei Crusius,
Keschers Lex. niyth. 1 2, 946 Z. 11 ff. Hierbei ist insbesondere wieder
der symmetrische Innenkomplex NANAN des Wortes auffällig.
^') Symbolik der Buchstabenanordnung im Sinne von Palindromie
ist mir auch bei dem Namen des Vaters der Daktylen wahrscheinlich,
welcher bald als Zöxos (Zonar. p. 1702), Zcüxög (id. p. 1202), Swx«^*
Hesych. s. v. überliefert wird und urspr., vor Einführung der Zeichen
$ — ß, wohl palindromisch Z0X02 mit dem Zahlenwerte 88 zu schreiben
war. KOMBH = 46 = 2 X 23 (vgl. PEA = 23), AAMEm = 60
(AKMQN ebenfalls gleich 60 dürfte, da die Symbolik erst durch ß zu
stände kommt, später hinzugekommen sein, ebenso der aus der Reihe
fallende KEAMIi; = 65), ferner ANXIAAH == 64 = 8^ und OIASIS
(sc. yr,) = 66 bei Apoll. Rh. Arg. I 1129 (und Schol.) beweisen, daß
auch zahlensymbolische Spekulationen parallel liefen. Dabei ist die
Verwendung der 11 als Grundzahl in Hinblick auf 11 = 6 -[- 5 (mann-
222 Wolfgang Schultz,
wegläßt. Hierzu kommt, daß die inschriftlichen wie hand-
schriftlichen Belege für AafJtvapisveus nicht über jene Zeit zu-
rückreichen, zu welcher die alte Inschrift zerstört und die
genauere Kenntnis von den symbolischen Beziehungen in ihr
zusamt dem Tempelarchiv in Ephesos ein Raub der Flammen
wurde. Ziebarths Bleitafel, das älteste Zeugnis für Aa(i,va[x£V£6e,
zeigt ja, wie das natürlich nicht mehr verstandene Ypa|jL[i.a
volksetymologisch gedeutet und dabei den üblichen Verbalfor-
men phonetisch angenähert wurde.
Hält man an der Form SajJiNEMENeu; fest, so hat man
die definitive symmetrische Anordnung der 'Ecpeata Ypd[i\iaT(x.:
AISIA
A A II N E M E N E r 2
H I A TET p aS
T
ms A A SKI
K
Die sich hieraus im Sinne des obigen Punktes 8 zwischen
den 'Ecpeaia und den AsXcpixa ypd\i[).a.xa, ergebende Parallele fasse
liehe und weibliche) Daktylen bei Schol. Apoll. Rh. I 1125 [FHG I 71
fr. 7 Pherekydes nimmt 20 und 32. also im Ganzen 52 (wohl kaum
auf die Symbolik von 52 Jahreswochen von 364 Tagen zu beziehen, da
Daktylen, Kureten und Korybanten eher 9 tägige als 7 tägige Wochen
darzustellen scheinen, so daß eine Beziehung zu Sonne und Planeten
ihnen fremd wäre) an, woferne nicht, wie mir wahrscheinlich ist, statt
AB besser AE zu lesen ist, wodurch man 55 = 20 + 35 erhielte] von
um so größerer Bedeutung, als nach Serv. in Georg. I 38 Aegyplii duo-
decim esse adserunt signa {Thierkveiszeichen), Chaldaei vero undecim,
wozu man Boll, Sphaera 187 A: „Gewiß haben die Griechen bei den
Chaldäern den Thierkreis mit nicht mehr als 11 Zeichen gefunden'',
und die 11 Manubien der Etrusker vergleiche. Abgesehen von dieser
Zahlensymbolik der Daktylennamen, auf welche auch noch der Schuh
des Daktylen Herakles in seinem Verhältnis zum Thierkreis (cf. Hera-
klit fr. 3 und Gell. Noct. Att. I, 1 zu beziehen ist, ergibt sich durch
"Idvj als Daktylenmutter (IAH = 22 im m i 1 e s i s c h e n System, sonst
20, durch Gegensatzsymbolik den 20 männlichen Daktylen bei
Pherekydes entsprechend?) in dem sonst nicht hierher gehörenden
'I5o[i£V£'Jg eine Analogie zu unserem \'x\i\y o \i.zv\z'ic, der Zauberpapyri,
so daß also 'ISsög und AaptvcOc, 'ISo|jisv£'Jg und Aa[iv o [isvsüg sprachlich
auf gleicher Stufe stünden. Ist diese Bemerkung richtig, dann erweist
sie neuerlich, daß das A7.iivap,£v£ijs der übrigen Ueberlieferung nicht
ausschließliche Geltung beanspruchen darf und also, namentlich in
Hinblick auf die in unserem Gebiete überall vorherrschende Buchstaben -
und Zahlensymbolik dieselbe auch gewiß nicht besessen hat.
'Ecpeota und AsXqrtxoc Ypä[i[jLaxa. 223
ich also dahin zusammen, daß die i n s c h r if 1 1 ic h e An-
ordnunof beider Spruchreihen einem nach zah-
lensymbolischen Prinzipien ausgebauten streng
symmetrischen Plane entsprach.
Diese nunmehr gefundene Anordnung ist aber nur das
Tor, das einlädt, in das eigentliche Verständnis der Inschrift
einzutreten, Sie besteht aus 5x7 Buchstaben, von denen
5X5 symmetrisch angeordnet sind und wieder in Komplexe
zu je fünf zerfallen. E selbst in Mitten der Anordnung bedeutet
als Zahl wiederum 5 und mit K = 10 wird die Inschrift be-
schlossen. So belehrt sie selbst uns über das Zahlensystem,
nach dem ihre Buchstaben zu verstehen sind. K als zehnter
Buchstabe des Alphabetes hat eben nur dann die schon be-
merkte und so nahe liegende Bezieliung zu dem fünften Buch-
staben E, wenn es nicht im Sinne des milesischen Zahlensy-
stemes als 20 sondern bloß seinem Stellenwerte im gemeinhel-
lenischen Alphabete nach als 10 betrachtet wird -'-). Da in den
'Ecpsaia ypaptiJiata die relativ jungen Buchstaben O, X, W, Q
eben so wenig vorkommen wie H, das demnach, ähnlich wie
in den lokrischen Alphabeten, durch F ersetzt sein konnte,
ist bloß ein von A — Y reichendes Alphabet von 20 Buchstaben
vorauszusetzen, so daß also die Inschrift bis in die älteste Zeit
zurückdatiert werden kann.
Verwendet man das sich derart in Analogie zur üblichen
Zählung der homerischen Gesänge ^^) ergebende Zahlensystem,
^'^) Ueber die Methode dieser Art der Zahlenrechnung vergleiche
meinen Aufsatz nreArOPA2 im Archiv f. Gesch. der Philosophie 1908,
XXI, 240. Weitere Beispiele von Zahlensymbolen gab ich ibid. 1909
Bd. XXII, 196—229 „Die Kosmologie des Rauchopfers nach Heraklit
fr. 67". Einzelnes zur Buchstabensymbolik ist auch aus meinen „ana-
krumatischen Worten" Memnon II 1 S. 36 — 8i und eine zusammenfas-
sende Darstellung des Gesammtgebietes aus meinem , Bericht über den
gegenwärtigen Stand der Zahlenforschung" Memnon II 2 S. 240 — 249 zu
entnehmen. Auf Grund dieser von mir erschlossenen Forschungsme-
tboden und Ergebnisse hat endlich Robert Eisler, in seinem im Er-
scheinen begriffenen Buche Weltenmantel und Himmelszelt S. 334 ff.
zahlreiche Zahlensymbole im Texte des Pherekydes von Syros und der
Orphica erläutert.
-^) Vgl. S. 212 Anm. 5 und den Hinweis auf Ludwichs Forschungen.
Auf die foi-male Analogie der 'Ecfsaioc yp±\i<^(x.z'x zu den, allerdings un-
gleich plumperen carmina figurata der Späteren (vgl. Anth. Pal. XV),
welche aber offenbar z. T. noch alte Schemen mystischer Buchstaben-
anordnung vor Augen haben (a'jpiyg [Nr. 21], ■F.iXz'/Mc, [Nr. 22], wöv
224 Wolfgang Schultz,
so entspricht der Gesamtheit der inschriftlich anzunehmenden
Buchstaben der 'Ecpsaca ypa[A[Aata die Zahl 360, d. h, das Zehn-
fache der bei der Aussprache erforderlichen Buchstaben, und
die Zahl der Tage des babylonischen alten Sonnenjahres; denn
es ist AISIA seiner Buclistabensumme nach gleich 38, N.EMEX
gleich 48, STETS gleich 71, I:SSa|a2KI gleich 105,
AAj\IErS gleich 60 und lA PA gleich 38, also alles zusam-
men 360 2^).
Wir wenden uns nunmehr den AsXcf^xa ypajxfjtaxa zu und
/£Ai5&voj [Nr. 27]; dagegen wohl jüngere Schemen: TixspoYsg "Eptü-.o^
[Nr. 24] und ßwiiöc; [Nr. 25, 26], jedoch allemal Formen von theolo-
gisch mystischer Bedeutung) und aus ihrem mangelhaften, bloß äuße-
ren Verständnisse heraus nachahmen wollen, brauche ich wohl kaum
noch besonders hinzuweisen.
^*) Daß dieser errechnete Zahlenwert auch im Sinne der Ueber-
lieferung sachlich zutrifft und daß die 'Ezsaioc ypäiijia-a in der Tat
einen Jahrespsepbos darstellen, ist zu allem üeberflusse auch noch fast
geradezu bezeugt. Der Lond. Pap. CXXI Z. 459 (bei Wessely, neue gr.
Zaubertexte 1893 S. 35) bietet: ^- xov opcpalV.ov aoy. ei xaxaay. si
Xsy(iy> y.ai Äaßcüv [iixov ]is/.ava (man vgl. de» Initiationsritus, dem sich
Pjthagoras nach Porph. V. Pyth. 15 unterwerfen mußte, um in die My-
sterien der Idäischen Daktylen initiiert zu werden) ßaXs ajiiJLaxa xgs y.a-.
£acü9-£v TZEpiSyjaov ^ TtaXiv xov auxov Xoyov "xai oxi SLaxyjpr,aov xov itaxo^ov
r, y.axaSsaiiov. Die Zahl 365 statt 360 ist hier wie auch sonst unter
dem Einflüsse späterer chronologischer Doktrin eingedrungen (vgl.
MiePÄS = 360 aber MEIOPÄS = 365, KlAÜS = 360 aber NEIAOi: =
365 u. s. w.), ein Vorgang , der vielleicht durch ägyptische Vorstel-
lungen noch unterstützt wurde. Hierauf würde zu mindest hindeuten,
dab auch sonst die Zauberpapyri 365 Knoten im Zusammenhang mit
der vok mystica ABPA2AZ empfehlen, so der Pap. Par. 2391 f. 5' Z. 330
ouvSvjoag xo TZBioLXoy xoic, CtoSioig [nxw a-o lgxou 71017^0«; ajiiiaxa xgs AsycDv
ü)g c'.5a$ aßpaoag "xa-ao^ec, und daß schon König Amasis einen kunst-
voll gewebten Panzer, dessen Fäden sich immer aus je 3<)5 Einzelfäden
zusammensetzten, als Weihegeschenk nach Rhodos widmete. Plin. bist,
nat. XIX 1, 2. Doch auch für Aa-ivaiievsOg ist die Beziehung zum Jahres-
psepbos durch einen Blutjaspis Ijei Chabouillet Nr. 2250 gesichert,
welcher einen Skarabacus, umgeben von einer Schlange, die sich in
den Schwanz beißt, darstellt und die Legende trägt : ABPASAXS AAil-
NAMEXErZ lAß. Der Zahlenwert von ABPASAS ist bekannt und über
die mystische Bedeutung von lAi2 vgl. man den locus classicus, näm-
lich das Orakel des Apollon Clarius bei Macrob. Sat. I IS und etwa
den Lond. Pap. XLVI Z. 26 (Greeck Pap. in the Brith. Mus. by Ke-
nyon, London 1893 p. 66) xö law yf^ dspi o'jpavqj. Man darf also wohl
schließen, daß ein mystischer Name, welchei-, wie hier Aa[ivx[i£v£'jj, von
zwei anderen umrahmt wird, die so offenkundig auf das Jahr und die
damit zusammenhängenden kosmologischen Spekulationen hinweisen,
auch selbst verwandter Art sein wird. Drückt doch die Darstellung
unserer Gemme auch in ihrer Sprache aus, öj; y.£xöo|iTjxat xä rävxa, wie
Androkydes etwa sagen würde.
'Ecpdota und AzX'^iy.öt, Ypa|J.[iaxa. 225
unterwerfen dieselben ganz dem nämlichen Verfahren. Hierbei
erhalten wir folgende Rechnung:
HPA eEOI = 62][5=3lE=5][139= TNOei SEAYTON
NOMOIS HEieET = 145
OEIAEr TE XPONOIO= 194
401 + 5
59 = MHAEN AFAN
_98 = ErrrA dapa a ath
5 + 296
406 + 301
707
Der Zahlenwert 707 (sTixaxoata iäxa) ^^) ist wieder auf der
dem Apollon heiligen Siebenzahl ähnlich aufgebaut wie bei
den 'Ecpsaca YpajJifJiaia der Zahlenwert 360 auf der der Arte-
mis heiligen Sechszahl ^'^].
Aber auch noch andere Zahlenwerte dieser Tabelle sind
zu beachten. So erhält man, wenn man den Zahlen wert des
ersten und letzten, die beiden Werte der mittleren Sprüche
und endlich die des letzten und ersten zusammenaddiert, nach-
folgende Ergebnisse:
^*) Wenn man Zahlen nicht anzuschreiben sondern auszu-
sprechen hatte, mußte man sich des in der hellenischen wie über-
haupt in allen arischen und auch in den semitischen Sprachen der
Reihe der Zahl w o r t e zu Grunde liegenden dekadischen Systemes
bedienen (vgl. meinen „Bericht über den gegenwärtigen Stand der
Zahlenforschung " Memnon II 2 S. 241 links). Eben hiermit ist es aber
auch gerechtfertigt, in symmetrischen und hierdurch auffälligen An-
ordnungen dekadischer Einheiten, wie z. B. in unserer Zahl 707,
Symbole zu erkennen, obgleich deren systematische Struktur nur in der
Aussprache, nicht aber auch in irgend einer (zahlen- oder) ziffernmäßi-
gen Anschreibung zum Ausdrucke kommen konnte. Vgl. auch Arch. f.
Gesch. d. Philos. XXI, 2436.
'^^) Die Zahl 707 gibt übrigens noch zu weiterer Deutung Anlaß.
Ohne derselben vorzugreifen, sei hervorgehoben, daß sie, vermindert
um 7^ = 343, den Rest 364, also einen Jahrespsephos (vgl. oben 52 X 7
= 364), zurückläßt. 343 als (fortrollendes) Planetenjahr führt, um 11
erhöht, zu 354, dem üblichen Mondjahr und, um 10 erhöht, zu 364,
das hier vorausgesetzt zu sein scheint, resp. um 11 erhöht, zu 365. Hiezu
vgl. oben Anm. 10 über die Häufigkeit der 11 in den Daktylenüberliefe-
rungen und Röscher, die Sieben- und Neunzahl etc. Abh. d. phil. bist. Kl.
d. Kgl. Sachs. Ges. d. Wissenscb. Bd. XXIV, Nr. 1 S. 42 Anm. 103 über
Herakles und die Thespiaden, da aus diesem Mythos (Herakles wohnt
in 49 Nächten je 7 Mädchen oder in 7 Nächten je 49 Mädchen, in ver-
blaßten Ueberlieferungen auch überhaupt bloß 49 Mädchen, bei) ein
Jahr von 343 =7^ Tagen, das auf der Planetenzahl aufgebaut sein
mußte, zu erschließen ist. Auch die 49 (bald auf 48 und 50 ausge-
glichenen) Danaiden sind nach Röscher, die Hebdomadenlehren der gr.
Philosophen und Aerzte etc. ibid. Bd. XXIV, Nr. 6, S. 216 und Anm. 302
zu vergleichen.
Philologus LXVIII (N. F. XXII), 2. 15
226 Wolf gang Schultz ,
62 + 98 = 160 = 4 X 10 X 4
145 + 59 = 204 = 6 X 34
194 + 139 = = 333
Die erste und letzte dieser Zahlen bedarf keiner Erläuterung.
In der mittleren ist 34 die Anzahl der Buchstaben auf jeder
Seite des E ^^). Der Nachweis dieser zahlensymbolischen
Struktur der AsXcpixa ypd\i.iiOixa hat aber auch historischen
und nicht nur systematischen, auf den Gedankeninhalt der
Sprüche bezüglichen Wert; denn wenn er sich bei der aus
den im Vorangehenden angestellten Erwägungen abgeleiteten
Schreibung in Uebereinstimmung mit der ebenfalls auf solche
Erwägungen gestützten Ermittlung der Buchstabenanzahl er-
gab , dann bestätigt er eben seinerseits das Zutreffen dieser
Erwägungen und bedeutet gewissermaaßen eine Probe auf das
Exempel. Auch ist noch schließlich hervorzuheben, daß eine
Buchstabensymbolik von der Art der vorliegenden nach dem
5. Jahrhundert gemäß meinen bisherigen, in den unten ange-
gebenen Publikationen (s. S. 223 Anm. 22), dargelegten Er-
fahrungen auf diesem von mir entdeckten Gebiete, durchwegs
unwahrscheinlich ist und bisher durch keine Analogie zu stützen
wäre.
Die sich hieraus ergebende Parallele im Sinne des obigen
Punktes 9 fasse ich also dahin zusammen, daß die zahlen-
symbolische Bedeutsamkeit der AsXcpcxa ypafji-
(jiaxa sich bloß auf die dem Apollo n heilige
Siebenzahl, die der'Ecpeata Ypa[x[xaTa aber außer
auf die der Artemis heilige Sechszahl auch
noch auf die kosmologische Bedeutung des
Jahreskreises bezog.
Diesen Ergebnissen, welche wohl auch, ohne daß ich dies
besonders auseinanderzusetzen brauche, Roschers ursprüngliche
Stellungnahme neuerlich und von unerwarteten Gesichtspunkten
aus gerechtfertigt erscheinen lassen, wird, glaube ich, eine
immer tiefere Bedeutsamkeit zuerkannt werden, je mehr man
^') Unter den Zahlenwerten der einzelnen Sprüche scheint 139 (auf-
gebaut aus 3", 3S 3-) selbst apollinisch zu sein (vgl. Ludwich a. a. O.
S. 6 unten) und auch durch seinen Inhalt dem Wesen der Gottheit am
nächsten zu stehen.
'Ecpeaia und AsXcpiy.ä fpa^iiia-ix. 22?
die kulturhistorischen Voraussetzungen zu verstehen trachtet,
die so komplizierte Symbolgebilde wie diese Ypd\x[ioc~o(, zeitigen
konnten. Aber kennen wir überhaupt Gedankenzusammenhänge,
in welche sich die 'Ecpeaia ypajxjjLaxa eingliedern? So abson-
derlich derlei Gebilde uns auf den ersten Blick erscheinen, so
wenig sind sie für uns isolierte Phänomene. Nur eines
dieser Art sei hier noch hervorgehoben.
Die Philosophie des Herakleitos von Ephesos ist, wie ich in
meiner Studie über „Pythagoras und Heraklit" gezeigt habe,
ihrem sogenannten physikalischen Teile nach geradezu ein er-
weiternder Kommentar zu dem nach der Deutung des Androkydes
in den 'Ecpsota Ypa[i,[iaxa ausgesprochenen Gedanken, daß die
feurige Sonne das All bezwingend (AAMNEMENEIS), in
der Vierheit der Jahreszeiten (TETPAS) auf der Erde
(AE) den Wechsel von Nacht (ASKI) und Tag (KA-
TA^KI) hervorruft; denn dies ist wahr (AKIA)^«). Da
ich am angegebenen Orte diesen Zusammenhang eingehend aus-
einandergesetzt habe, führe ich hier nur die wichtigsten Punkte
der Uebereinstimmung an. 1. „Schattenlos" für Nacht und
„Beschattet" für Tag ist im Sinne der bei Heraklit in fr. 48 DFV.
sogar prägnant hervorgehobenen Etymologie des lucus a non
lucendo verwendet. 2. Die Grundansicht, daß sich in Worten
und Zeichen das Wesen der Dinge offenbare, liegt der Sprach-
philosophie des Heraklit als solcher zu Grunde. 3. Die Hören
als Trennende (wpai — opc^ouaat) und das Jahr als in sich
zurückkehrender Kreislauf (sviauio;, sxo; — xö ev eauxw exa-
^ov) beziehen sich in Piatons Kratylos auf Heraklit. 4. Die
Rechnung mit einem Sonnenjahr von 360 Tagen liegt dem
Welten jähre Heraklits von 10800 Sonnenjahren (d. h. 30 Jahre
der ysvea, der Zeit, in der ein Mann Großvater werden kann,
-^) Zu dieser meiner a. a. 0. gegebenen Deutung vgl. die Zustim-
mung von Jane E. Harrison, Helios-Hades in The Classical Review
XXII (1908), 16. Mein Versprechen, die Bedeutung der 'Eq:. yp. voll-
ständig darzulegen, auf welches die verehrte Verfasserin anspielt,
habe ich allerdings auch hier (s. oben S. 212 Anm. 5) nur erst teil-
weise eingelöst, da sowohl die Untersuchung aller anknüpfenden my-
thischen Traditionen als auch die Darlegung aller in unseren Worten
gelegenen Zahlenbeziehungen sowie endlich die Besprechung der ein-
zelnen, z. Th. offenbar einem prähellenischen Idiom angehörenden Worte
und ihrer astronomischen und kultischen Bedeutung hier zu weit führen
würde.
15*
228 Wolfgang Schultz, 'Eiy sota und AsXcf ixä ypöi.\i.\i(x.xoi..
SO daß der Kreis der Geburt sich schließt, multipliziert mit
der Zahl der Jahrestage) zu Grunde ^9), und die Zahl 10 800 ist
im milesischen Zahlensysteme Aß^°). 5. Bei Heraklit finden wir
die sechsfache Gliederung des Weges aufwärts und abwärts.
6. Die Sonne, die von altersher als feuriges Prinzip gedacht
wurde, wird bei Heraklit durch den Grundstoff des Feuers ver-
treten.
Unser Hauptzeuge, Clemens, sagt von den 'Ecpsaia ypap.-
(xata, jener Pythagoreer Androkydes habe in ihnen dargestellt
gesehen, &c, X£x6a|xr]Tat xa ndvxoc. Demnach sind die 'Ecpeata
Ypa|Ji|jiaTa, zusammen mit den ihnen analogen AeXcptxa ypa[x-
[xaxa, nicht nur deshalb interessant, weil sie uns vergegen-
wärtigen, wie an höchste kosmologische Symbolik in der Ge-
stalt der späteren Ypa[ji[jiata niederes und niedrigstes Zauber-
wesen anknüpft, sondern auch weil in ihnen die sinnvolle Ver-
wendung von Buchstaben, die rätselhafte Anordnung derselben
zu Zahlen und gleichzeitig die anschauliche Nachbildung des
Weltalls in symmetrisch-kosmologisch verteilten, bedeutsamen
Worten erstrebt ist.
Wien. Wolfgang Schultz.
29) Die von mir im Arch. f. Gesch. d. Philos. XXII, 209 ff. darge-
tane Uebereinstimmung zvnschen den symbolischen Zahlen des bera-
klitischen und biblischen Xo^oc, vom Weltgeschehen läßt sich auch noch,
•wie ich einer freundlichen Andeutung W. H. Roschers entnehme, durch
eine parallele Uebereinstimmung zwischen heraklitischer und „babylo-
nischer" Weltenjahrrechnung unserem Verständnisse näher rücken. Nach
Berossos fr. 4 herrschten die 10 ältesten, vor der Flut regierenden
Könige zusammen 120 Sare, d. h. 120 X 360 = 432 000 Jahr = 10800
yevsai zu je 40 Jahren. 40 periodische Monate zu 27 Tagen sind 1080
Tage, d. h. 3 Rundjahre zu 350 Tagen. Ginzel in Klio I (1908) S. 352 f.
A. 5. — Auch das Weltjahr der Inder betrug 432000 Jahre.
3") Vgl. Archiv f. Gesch. d. Philos. XXII, 205.
viir.
Die politischen Grundanschauungen Piatons,
dargestellt im Anschluss an die Poiiteia.
Zuerst möchte ich in knappem Umriß die Darstellung
nachzeichnen, die Piaton von der Entstehung und Entwicklung
eines dem Zufall überlassenen Staatengebildes und dann im
Gegensatz dazu von seinem durch wohl überlegte Anord-
nungen zur idealen Verfassung geführten Staate gibt. Indem
ich mich dabei durchaus auf die leitenden Hauptgedanken be-
schränke, diesen aber vielfach eine von mir frei gewählte An-
ordnung gebe, möchte ich erreichen, daß ihr innerer Zusam-
menhang schärfer hervortrete als in der durch andere Ge-
dankengänge vielfach durchkreuzten und durch so viele Neben-
betrachtungen erweiterten platonischen Darstellung selbst.
Dann aber möchte ich die Punkte bezeichnen und zum
Teil auch eingehender besprechen, die eine Eigentümlichkeit
des platonischen Idealstaates ausmachen. Und daran liegt mir
besonders viel. Denn ich bin der Ansicht, daß über den
augenfälligsten derselben, die Piaton selbst besonders hervorhebt,
einige andere ebenfalls wichtige Züge bisher so gut wie ganz
übersehen worden sind.
I. Der Bestand der Staaten erklärt sich aus der mensch-
lichen Natur. Ihre Entstehung ist eine Folge davon, daß der
einzelne Mensch für sich kaum alles zum Leben Notwendige
sich verschaffen kann. So vereinigen sich mehrere zu gegen-
seitiger Unterstützung. Da sie übrigens nach ihrer Anlage
unter sich verschieden sind, und da außerdem mehr dabei
herauskommt, wenn jeder nur gleichartige Dinge herzustellen
hat, für deren Herstellung er durch Uebung eine besondere
230 C. Ritter,
Geschicklichkeit gewinnt, als wenn jeder allerlei machen muß,
so teilen sie sich zweckmäßig in die Aufgaben und tauschen
ihre Erzeugnisse gegen einander aus. Wenn so in der Gremein-
schaft, die sie mit einander bilden, die einfachsten Lebensbe-
dürfnisse befriedigt werden können, haben wir schon einen
Staat, freilich nur einen Notdurftsstaat, die dvayy.aiOTaxy]
uöXk;^). — Den Kynikern mochte ein solcher einfacher Na-
turstaat als der allein vernünftige und berechtigte erscheinen.
Glaukon bezeichnet ihn als menschenunwürdig, als Schweine-
staat uwv nÖAiq 2).
Die Weiterentwicklung wird sich so vollziehen, daß die
Arbeitsteilung, die mit der Gründung des Staates schon ge-
geben ist, fortschreitet, indem die Sonderung der Berufe immer
mehr ins einzelne geht. Erst damit wird eine höhere Kultur
möglich. Aber eben diese höhere Kultur hat auch ihre Ge-
fahren. Während bisher Geschlecht für Geschlecht gleich-
mäßig und ohne Geschichte in den Tag hineinlebte, anspruchs-
los, harmlos und gesund (ohne Besitzanhäufungen und ohne
Streit und Krieg), wird das anders, wenn gesteigerte Ansprüche
einen feineren Lebensgenuß als Bedürfnis erscheinen lassen.
Bleibt dabei das Augenmerk, so wie es anfangs die Not mit
sich brachte, ganz auf die äußerlich sinnlichen iTzi%-\)[i.iai be-
schränkt oder wenigstens vorwiegend auf diese gerichtet, wäh-
rend sie selbst mit der reicheren und bequemeren Befriedigung
ihres Verlangens immer höher wachsen, so erzeugt die äußere
Kultur nur sittliche Fäulnis. Die Tpu'fcbaa oder cpXsY[xacvouaa
'TioXic, ist an Stelle der avayxata getreten. Sie geht zwar weit
über den noch halb tierischen Naturstand hinaus, aber sie ist
nicht besser, sondern vielleicht schlechter als er.
Nur richtige Erziehung [rM'.aeia) und Leitung
auf ein anderes, besseres Ziel hin kann die späteren Geschlech-
ter vor der Gefahr der Entartung bewahren und auch einem
*) 369 d: Der Ausdruck bezeichnet eben das beides: daß der Zu-
sammenschluß zu gemeinsamem Tun durch das dringendste Naturbe-
dürfnis erzwungen sei und anderseits daß nur eben der äußersten Not-
durft damit Genüp;e geschehe.
^) 372 d: Wobei man sich daran erinnern mag, daß die ug nicht
etwa, wie bei uns, in erster Linie Sinnbild der Unreinlichkeit, sondern
der geistigen Stumpfheit und Trägheit ist cf. UoX. VII, 535eAax. 196 d.
Die politischen Grundanscbauungen Piatons. 231
schon beginnendeu Verfall wohl noch wehreu ^). Sie aber
muß ruhen auf der Einsicht, daß es ein höheres Ziel gibt,
um dem Streben nach diesem alles das unterzuordnen, was
über die bloße Notdurft der Lebenserhaltung hinausliegt, und
auf der Erkenntnis dieses höheren menschlichen Lebensziels.
Voraussetzung dafür ist wieder , daß man wisse,
worin die menschliche Vollkommenheit, die apexy],
besteht oder was die rühmlichsten Eigenschaften des Men-
schen sind. Nun gilt der Grundsatz: schön ist was frommt *)
(und häßlich ist was schadet). Also wird die menschliche
äpexT] zugleich das sein, was ihm am meisten frommt, d. h.
was seine Glückseligkeit am sichersten begründet. Im übrigen
erweist sich jedes Dinges apcf/j als der Zustand, in dem es
am besten der ihm eigentümlichen Aufgabe gerecht wird, sein
£pyov am besten erfüllt. Die eigentümliche Aufgabe eines
Dinges aber ist das, was das Betreffende entweder allein leisten
kann oder was es besser leisten kann, als irgend ein anderes
Ding das vermöchte ^). Die Aufgabe des Menschen nun ist
gewiß: die Denkkraft, die ihn auszeichnet, zu betätigen und
dadurch weise zu sein. Denn bei allem, was man außer der
Weisheit als rühmlich und als ein Stück seiner apexY] an dem
Menschen loben mag, stellt sich heraus, daß es eben nur da-
durch rühmlich ist, daß Weisheit mit ihm verbunden ist; und
bei jedem Besitz, den man als guten und schätzenswerten preist,
zeigt sich, daß er nur durch vernünftigen, von Einsicht ge-
leiteten Gebrauch seinen Wert hat, ohne Einsicht sogar schäd-
lich sein kann. (Auch Thrasymachos, der die äor/doc für gut
und schön erklären will, sieht es als selbstverständlich an '^),
daß mit ihr Klugheit verbunden sein müßte). Sie ist der
Kern der menschlichen Vollkommenheit, das eigentliche We-
sen jeder d p s t Vj. Auf Erziehung zur Weisheit also,
auf Erkenntnis muß die izaibaicc abzwecken.
Dasselbe ergibt sich noch aus einer Analyse der Grund-
kräfte oder Grundbestandteile der mensch-
lichen Seele ^). Es gibt derselben 3: Sinnlichkeit, affekt-
3) 399 e. 425 äff. (401 c ff. 416 b. 423 e f.).
*) 452 e. 457 b. ^)3h2eS. ^) 3iS e {ibl a).
') IV c. 12 tf.
232 C. Ritter,
volle Erregbarkeit und Vernunft. Sie sind alle drei notwendig
und müssen mit einander zusammen im Leben sich betätigen,
keine einzige kann völlig entbehrt oder ausgeschaltet werden :
aber sie sind von sehr verschiedenem Werte ; und da sie mit
einander streiten können und sich verwirren, ist es wichtig,
daß sie in das riclitige Verhältnis zu einan-
der gesetzt werden, in das Verhältnis, das eben ihrem
wirklichen Werte entspricht. Der Wert wird gemessen durch
das Gefühl der Befriedigung, die fjSov/j. Nun hat aber jeder
Seelenteil seine besonderen Triebe und Begierden, und deren
Befriedigung begründet auch 3 besondere Gattungen der
T^oovYj ^). Die einzelnen Menschen sind ihrer Naturbeschaffen-
heit nach insofern verschieden, als jene seelischen Grundkräfte
bei ihnen in verschiedener Stärke angelegt sind. Man kann
sie demgemäß in Sinnesmenschen, Ehrsüchtige und Wißbe-
gierige (oder Philosophen) einteilen ^). Jeder Mensch aber
wird die Art der Lust am meisten preisen, die aus Befriedi-
gung der in ihm am kräftigsten angelegten Triebe entspringt.
So widerstreiten sich die Ansichten. Wer hat dabei Recht?
Offenbar der, welcher alle die ^verschiedenen Arten der ridovii
aus eigener Erfahrung kennt. Das ist allein der Philosoph ^°)-
Die geistige Befriedigung, die aus dem Erfahrungskreis der
anderen ganz ausfällt, ist die höchste und wertvollste. Darum
ist die Ve r nu nft, die Kraft des denkenden Geistes, zur
Herrschaft in der Seele berufen. Es läßt sich
auch zeigen, daß die Triebe des sinnlichen und des im Affekt
aufbrausenden Seelenteiles nur dadurch die höchste ihnen ent-
sprechende Befriedigung erreichen können, daß sie ohne Wider-
streben der Leitung des vernünftigen oder philosophischen
Teiles sich hingeben ^^) ; außerdem, daß die Lust dieses ver-
nünftigen Teiles die reinste und echteste ist, frei von allen
Beimischungen von Schmerz, während namentlich die heftigen
Lusterregungen der beiden anderen Teile nur durch den Kon-
trast ebenfalls heftigen Schmerzes hervorgerufen werden. Das
nach diesen Wertabschätzungen richtige Verhältnis der Seele,
das in der Unterordnung der Sinnlichkeit sowie der Ehrsucht
8) 580 d ff. 9) 435 e f.
") 582 d. ") 586 d.
Die politischen Grundanschauungen Piatons. 233
und Leidenschaft unter die Vernunft besteht, ist zugleich das
sittlich vollkommene: denn ein Gesetz des sittlichen Verhal-
tens, dessen Erfüllung dem Menschen nicht auch die tiefste
Befriedigung seiner natürlichen Triebe brächte, wäre wider-
vernünftig ^^j. Es macht die oixacoauvyj des Menschen
aus *^).
Für den Staat ergibt sich , daß er , um sich in gutem
Stand zu erhalten , dafür Sorge tragen muß, daß seine Bür-
ger sittlich tüchtig seien. Nur wenigen würde es gelingen,
durch eigenes Nachdenken Einsicht über das, was für sie selbst
wahrhaft vorteilhaft ist, zu gewinnen, und damit das richtige
innere Verhältnis in ihrer Seele herzustellen. Die anderen
würden damit, daß die starker in ihnen angelegten siimlichen
Begierden die Herrschaft der Seele an sich rissen oder daß
leidenschaftliche Ehrsucht sie beherrschte, nicht bloß der Un-
sittliclikeit verfallen, sondern sich auch unglücklich machen —
und zwar um so sicherer und gründlicher, je mehr der Staat
in äußerer Kulturentwicklung fortgeschritten ist. Der Weg,
den sie selbst nicht finden könnten, muß ihnen gezeigt, sie
müssen auf ihn gestellt und darauf festgehalten werden durch
richtige Erziehung. Unerläßliche Bedingung hiefür ist, daß
diejenigen die Regierung des Staates in Händen haben, die
imstande sind, für sich und andere den richtigen Weg selbst
herauszufinden. So muß also die Unterscheidung natürlicher
Berufsstände, mit der schon die Einrichtung des Notdurft-
staates begann, bei fortschreitender Entwicklung hauptsächlich
darin durchgesetzt werden, daß die wichtigste und höchste
Aufgabe, die der Regierung und der Fürsorge für die
Jugenderziehung, ausschließlich denen an-
vertraut wird, die zum Höchsten begabt und
entsprechend ausgebildet sind -*).
Da die Begabung zur höchsten Aufgabe nur in langer
Bilduugs- und Prüfungszeit bewährt werden kann, wird üb-
rigens der Stand der Regierenden, die erst in höherem Alter
ausgewählt werden können ^^), eng zusammenhängen mit dem
ihm nächst stehenden der Gehilfen, denen namentlich die be-
12) S. Nofi. II c. 7 (UoX. n, 379 b. V, 457 b). '^) 441 e.
»*) 412 elf. 4S4bff. 15) 508 e. 54Ü a (412 d. 413 e).
234 C. Ritter,
waffnete Verteidigung des Staates und seiner Ordnung obliegt.
So bekommen wir 2 von der Masse des Volkes ausgesonderte
Stände und damit eine Dreiteilung der gesamten
Bürgerschaft, die auf demselben psychologischen Grunde
ruht, wie die vorher durchgeführte Klasseneinteilung der Men-
schen überhaupt. Die philosophischen Naturen sind zur Re-
gierung bestimmt, die ehrsüchtigen, affektvollen zu ihrer Un-
terstützung als „Wächter" der bestehenden Ordnung, den sinn-
lichen ist der Ackerbau und der Erwerbsbetrieb im Staate
übergeben. Die militärisch körperliche Erziehung,
die für den Berufsstand der Wächter und Landesverteidiger
imentbehrlich ist, hat ihre große Bedeutung auch für die
künftigen Regierungsbeamten als Gegengewicht gegen
ihre geistige Ausbildung. Der rechte Mann muß
überhaupt körperlich und geistig tüchtig sein ^^). Sonst wäre
die militärische Ausbildung der Regierenden nicht eben wich-
tig. Denn die Gefahr eines Aufstands gegen die Regierung
ist gering ^'^'■j. Die Untertanen werden sich leicht über-
zeugen, daß sie es gar nicht besser haben könnten
als unter einer philosophischen Regierung ^'), und beneiden
werden sie die 2 oberen Stände kaum. Den Vorrechten, die
jene genießen, halten Pflichten die Wagschale, die eben auch
nur für sie (ihrer Anlage nach) leicht zu ertragen sind (so
wie nur sie jene Vorrechte richtig ausüben können): vor allem
die Pflicht des völligen Verzichts auf Eigenbesitz, der so weit
geht, daß auch das eigene Hauswesen, eine abgeschlossene
Hausgemeinschaft in eigener Familie, ihnen verwehrt ist. In-
dem sie nur beanspruchen, was zu mäßigem Leben für sie
selbst und ihre Kinder'^), die auf denselben Beruf des Wach-
und Regierungsdienstes für die Allgemeinlieit sich vorbereiten,
eben genügt, lassen sie so den Untertanen, denen der unge-
störte und gesicherte Genuß materieller Güter besonders wich-
tig ist, diese zu freier Benützung und Verteilung unter ein-
ander. Daß aber die Regierenden selbst unter solchen
1«) 535 d (410 b ff. 411 e).
16'') Ganz anders urteilt freilich Zeller II, 1* S. 904, wogegen aber
außer 463 a f. (465 b); 500 e, auch 417 ab. 499 d ff. 502 b in Erinnerung
zu bringen ist.
1'} 520 d ff. 586 d. 590 d, '^) 416 d ff. 465 d.
Die politischen Grundanschauungen Piatons. 235
Umständen sich benachteiligt glauben sollten, ist auch nicht
zu befürchten. Sie werden es mit Dank gegen den
S t a a t ^^) erkennen, daß er durch seine ganze Ordnung sie
vor den Versuchungen der Sinnlichkeit und niedrigen Ehr-
geizes bewahrt hat, denen in anderen Staaten auch die best
Veranlagten zumeist unterliegen, und daß er durch die Schu-
lung und Ausbildung ihrer edelsten geistigen Kräfte sie zu
der höchsten Vollkommenheit geführt hat,
deren Besitz ihnen das höchste für Menschen er-
reichbare Glück sichert. Unter diesen Umständen wird
der wohl eingerichtete Staat, wenn er einmal besteht, von
dauerhaftem Bestände sein.
Zu erwähnen ist noch, daß die Frauen in ihm ganz
gleich behandelt werden, wie d i e M ä n n e r. Die
natürlichen Unterschiede der beiden Geschlechter, meint Piaton,
sind nicht so anzusehen, als ob die Frauen zu irgend einem
bestimmten Beruf im Staate untauglich wären -^). Jeder ein-
zelne muß aber dem Staat dienen so viel er kann d. h. an
der Stelle, die für ihn nach seiner Befähigung am besten
paßt. Auch die leitenden Berufe dürfen den Frauen nicht
verschlossen sein. Und da es für die Angehörigen derselben
kein Familienleben gibt, werden die Frauen, von den kleinen
häuslichen Pflichten und Sorgen ziemlich befreit -^), den öffent-
lichen Angelegenheiten sich nahezu ebenso widmen können
und müssen und wollen wie die Männer.
IL Als Eigentümlichkeiten des hiemit nachge-
zeichneten platonisch en Staatsentwurfs rechne
ich folgende:
1) das Wichtigste, das unter allen Umständen erfüllt sein
muß: die Herrschaft der Philosophen im Staat
oder das Zusammenfallen von wissenschaftlich philosophischer
Bildung und politischer Macht. — Nur ein anderer Ausdruck
desselben Gedankens ist der Satz, daß das Ziel die Begrün-
dung einer Vernunftherrschaft sein müsse. Ein Nebenergeb-
nis ist, daß kein beschriebenes Gesetz den Herrscher binden
soll ^-), daß ihm und seinen Nachfolgern überlassen sein soll,
»«) 465 d. 497 a. 499 b. 520 a f. (421c).
-«) 451 d ff. 4.54dff. 21-) 4goa. 22) 4236. 425 äff.
236 C. Ritter,
nach Bedürfnis Verordnungen zu erlassen und erlassene Ver-
ordnungen, die sich in der Erfahrung nicht ganz bewähren,
durch bessere zu ersetzen. Ein anderes Nebenergebnis, daß
die Zahl der Regierenden ziemlich gleicbgiltig ist: der Ideal-
staat kann ebenso gut eine Monarchie sein (ßaacXs^'a) als eine
Aristokratie ^^) — aber allerdings keine Demokratie, weil es
gegen alle Erfahrung ist, daß eine größere Anzahl von Men-
schen ganz gleich begabt und tüchtig wären ^*) — und nur
eben den Allertüchtigsten soll die Regierung zukommen;
2) jene Berufsstände mit streng abgestuf-
ten Pflichten und Rechten. Das hängt mit Nr. 1
untrennbar zusammen. Denn, wie wir schon gesehen haben,
der eigentliche Regierungsberuf erfordert einen vorbereiten-
den Stand;
3) Besitzlosigkeit der 2 ersten Klassen,
die ihren Unterhalt von den übrigen Bürgern empfangen;
4) Gleichstellung von Mann und Weib in
Rechten und Pflichten;
5) Pamilienlosigkeit oder Weiber- und Kinder-
gemeinschaft für die cpuXaxsc.
Diese 5 Punkte sind unbestritten. Doch sei es mir ge-
stattet, ehe ich weiter zähle, noch einige Anmerkungen
und Erinnerungen dazu zu geben.
Daß die Weiber den Männern gleich behandelt werden
und an der ganzen naibdcx, der Männer in Gymnastik und
Musik teilnehmen sollen, das ist eine Forderung, die Piaton
selbst nur mit großer Schüchternheit ^^) nach längerer Vorbe-
reitung einführt. Fiele sie, so ließe sich natürlich auch die
Einrichtung der Weiber- und Kindergemeinschaft für die cpu-
Äaxe^ nicht mehr aufrecht halten. Als ideal sind diese bei-
den Grundsätze Piaton übrigens auch später, als er an ihrer
Durchführbarkeit verzweifelte, noch erschienen, wie wir aus
der Einleitung zum Timaios sehen und dem Rückblick, der in
deu Nomoi auf die Verfassung der Politeia geworfen wird. —
Was die berufliche Gliederung betrifft, so wird oft
übersehen, daß die 2 oberen Stände von den übrigen, um die
") 445 d. 2-*) 494 a.
■■'^) Anfang von Buch Y. Siehe besonders 451 a.
Die politischen Grundanschauungen Piatons, 237
sich die Politeia sehr wenig kümmert, nicht kastenartig
abgeschlossen sind. Zweimal wird eingeschärft, die Regie-
renden düiften es nicht iinbeachtefc lassen, wenn aus der Ehe
eines Bauern oder Handwerkers Kinder hervorgehen, die ihrer
Begabung nach eine höhere Stellung als ihr Vater verdienen
und Kinder der cpuXaxü«; von unzureichender Begabung müßten
sie unbarmherzig zum Handwerk besiimmen — auch dem schon
halb Erwachsenen kann es noch begegnen, daß er aus dem
2. Stand in die Menge zurückgestoßen w'rd — wenn er z. B.
im Krieg sich der Feigheit schuldig machte-^). Zieht man
aus diesen Bestimmungen auch nur die nächstliegenden Fol-
gerungen, so wird man zu der Annahme kommen, daß in
frühester Jugend entweder alle Kinder eine Zeit lang gemein-
sam erzogen werden^') oder — was allerdings wahrscheinlicher
ist — daß wenigstens auch auf die Erziehung der Kinder des
Gewerbe- und Bauernstandes die Regierenden ein stets wach-
sames Auge haben, um jedes Kind, an dem sie etwa auffallende
Begabung bemerken, früh unter die Kinder der cpuXaxss auf-
zunehmen. —
Ich zweifle nicht im geringsten daran, daß es zum größten
Heil eines Staatswesens wäre, wenn jener erste und oberste
platonische Grundsatz dauernd in ihm beobachtet würde.
Freilich man muß unter den zur Regierung berufenen „Phil o-
sophen" genau das verstehen, was Piaton nach seinen deut-
lichen Erklärungen darunter verstanden hat, nicht Leute, die
ein paar Jahre Philosophie oder irgend welche wissenschaft-
lichen Fächer studiert haben. Man muß insbesondere beachten,
daß lange Bewährung auch in Charakterfestigkeit, Furchtlosig-
keit und überhaupt sittlicher Tüchtigkeit vorausgehen und die
Bedingung dafür bilden soll, daß einer aus den q;uXax£S unter
die äpyovxec, könne aufgenommen werden, Ed, Zeller findet
bei Beurteilung des platonischen Musterstaats S. 921 f., daß
in ihm „manche Bestrebungen und Einrichtungen der Zukunft
mit kühnem Griffe vorweggenommen" worden seien und weist
daraufhin, daß „so wenig auch Plato seine Wächter in unseren
stehenden Heeren oder seine regierenden Philosophen in un-
26) 468 a.
2') Vgl. die entsprechende Anordnung der Nomoi, unten S. 246.
238 C. Ritter,
serem Beamtenstand wiedererkennen würde : die Aussonderuncr
eines eigenen, fün diesen Beruf erzogenen Kriegerstandes aus
den alten Volksheeren und die Forderung einer wissenschaft-
lichen Vorbildung für die Beamten doch im Prinzip mit seinen
Idealen zusammentreffe". Das ist im ganzen gewiß richtig.
Auch die Prüfungen, durch die unseren Beamten der Zutritt
zum Amt eröffnet wird, kanii man den von Piaton eingeführten
vergleichen. Aber man wird dann finden, daß diese bei uns
viel weniger gründlich sind und daß sie sich namentlich auf
das nicht erstrecken, was Piaton für das Wichtigste hält und
am strengsten geprüft wissen will : die sittliche Haltung. Die
meisten unserer Beamten — auch der höheren, die allein den
äpyo'nzc, der Politeia äußerlich entsprechen — würde Piaton
sicherlich nicht als Philosophen oder als wirklich Gebildete
anerkennen, sondern sie wären ihm ßavauao: xa: y^eipoxi'/ya:.
so gewiß wie ihm unsere Staaten nur GxaaiwcEiat wären und
kein einziger darunter als echte, richtige noAaeia, von ihm an-
erkannt würde.
Man könnte sagen: auch der 3. Grundsatz sei in unseren
Staaten zu einiger Geltung gekommen mit Uebernahme eines
großen Teils der Schul- und Unterrichtslasten auf den Staat,
Errichtung von Lehrerseminarien usw., mit der Ausrüstung und
Unterhaltung des Heeres auf Staatskosten und der dem per-
sönlichen Bedürfnis genügenden, aber doch ziemlich knapp be-
messenen Beamtenbesoldung.
Ich gehe nach diesen Bemerkungen weiter zu einem neuen
Punkte. Diesen habe ich freilich nicht bloß zu bezeichnen,
sondern den Satz, der hier stehen soll, habe ich erst gegen die
herrschende Ansicht zu erweisen. Ich behaupte aber, es sei
6) im platonischen Idealstaat die Skla-
verei grundsätzlich aufgehoben.
Ich habe schon 1896 im Kommentar zu den Nomoi
p. 777b meiner Ueberzeugung Ausdruck gegeben, „daß Plato
jedes Verhältnis, das man ohne gröblichen Mißbrauch des
Wortes noch als Sklaverei benennen dürfte, grundsätzlich ver-
worfen und für verkehrt gehalten" habe und kann auf das
dort S. 173 — 176 Gesagte verweisen. Es war aber nicht ein-
gehend genug, und Zeller hat in seiner Besprechung (Arch. f.
Die politischen Grundanschauungen Piatons. 239
G. d. Phil. 1899 S. 293) ironisch bemerkt, er sei begierig auf
meinen Kommentar zur Republik. Die Sache scheint mir wirk-
lich am Tage zu liegen, sobald man die Augen aufmacht.
Man muß nur verschiedene Stellen mit einander in Zusammen-
hang bringen.
Ich gehe aus von V. 463 a wo es heißt: der Unterschied
von Regierung und Volk besteht naturgemäß in jedem Staate,
obgleich alle die zum Staat gehören einander als Mitbürger
bezeichnen werden. Aber in unserem Staat liegt in diesem
Unterschied kein Gegensatz und entwickelt sich daraus keine
Entfremdung oder gar Feindschaft. Bei uns wird das Volk
die Regierenden als seine Beschützer und Helfer (atoxfjpa? xat
£-txoupou;) betrachten und bezeichnen und die Regierenden
werden in der Masse der Bürger ihre Soldgeber und Ernährer
([jicC'9'oScTa<; xa: tpocpea?) sehen, während in den meisten Staaten
(von der Demokratie ^^) abgesehen) die Regierenden von dem
Volk als die Herren, osaTiotat, bezeichnet werden. SsaTioirjS
ist der Ausdruck zur Bezeichnung eines Herrschaftsverhält-
nisses im strengsten Sinne, dem, wenn man dieses Verhältnis
von der anderen Seite aus ansieht, der Ausdruck ocöXo; ent-
spricht. Also in den meisten Staaten kann die Menge des
Volks als Knechte, coöXo'., bezeichnet werden. Das wird be-
stätigt durch die Beschreibung VHI c. 3 vom Uebergang des
Idealstaates in die ihm nächst liegende Entartungsform, die
Timokratie. Hier heißt es, im Widerstreit der edleren und
schlechteren Naturen komme ein Vergleich zustande, nach dem
beide Land und Häuser unter sich teilen und ihre Ernährer,
die sie bisher auf gleichem Fuß als Freunde behandelt und
beschützt haben, sich unterwerfen und zu Periöken und Sklaven
machen (447 c xoO; Txptv c uXaxxo[JL£vou5 uti' a-jxwv w; iXsuO-lpouc
(fiilouz x£ %o(.l xpocpia; oouXcoaa[i,£voc xoxs Txspioi'xou? xs xa:
c'.y,kxo(.c, s/ovxe; . .). Als Vorbild, nach dem die Timokratie
gezeichnet ist, hat (wie uns 544 c ausdrücklich gesagt wird)
der Staat von Lakedaimou und Kreta gedient. Die clxiza,'.
muß man sich also (neben den 7zep'.oiv.o'.) in ähnlicher Stellung
denken wie die spartanischen Heloten d. h. im allerhärtesten
^*) Die ja nach der ganzen von ihr entworfenen Schilderung an
Anarchie grenzt.
240 C. Ritter,
Verhältnis der Sklaverei. Die Herren von der Regierung fallen
offenbar mit den Vollbürgern des lakedaimonischen Staats, den
Spartiaten, zusammen. Im Idealstaat aber stehen an ihrer
Stelle die cpuXaxai; und mit den Tzs.pioiy.oi xe %ac oixexaL decken
sich die Handwerker (Schiffer, Händler) und Bauern dessel-
ben ^'). An Sklaven der Periöken und Heloten ist nicht zu
denken. Und so bleibt nach jener Parallele auch für Sklaven
der Volksmasse in der Politeia nichts übrig, wenigstens wenn
man das Wort in seinem strengen und gehässigen Sinne ^°)
nimmt. Aber freilich Piaton braucht es oft in der abge-
schwächten Bedeutung, daß es die Unterordnung
und das Abhängigkeitsverhältnis bezeichnet, das überall be-
stehen muß, wo wir einen Unterschied von Befehlenden und
Gehorchenden, Leitenden und Ausführenden haben, irgend eine
Abstufung und Abmessung der Rechte und Aufgaben im
Unterschied von der abstrakten Gleichheit aller Personen in
allen Stücken, In diesem Sinne ist die oouXeia eine
Grundbedingung des Bestehens jedes Staates
und die volle loovo\iiix als ihr Gegenstück macht die Anarchie
aus^^)! So verstanden werden wir oouXou; natürlich auch im
Idealstaat finden; und dies ist deutlich ausgesprochen VIII
cap. 13. Hier wird unter anderen tadelnswerten seelischen
Zuständen die Gesinnung des engherzigen und niedrig denken-
29) Vgl. Zeller S. 916. Wenn Piaton seinen Wächtern Landbau und
Gewerbe untersagt, so war beides auch in Sparta Periöken und Heloten
überlassen. — Das Zahlenverhältnis zwischen den 2 führenden Ständen
seines Staats und der Masse des von der Regierung ausgeschlossenen
Volkes mag sich Piaton auch ähnlich gedacht haben wie das, in dem
die Spartiaten zur Uiitertanenbevölkerung standen, da er von etwa
lOüO wehrhaften Männern spricht (423 a rj TiöXig . . xal §äv |j,övov ■§
X'.Xiüiv Töv 7:po:ioXä|j.O'V/Tü)v.
2°) In jenem bitteren Sinne steht ooOXog und SouXeüü) z. B. noch
577 c. d. 7id?av . . So'JXvjv ty-jV xupavvouiisvvjv epslg . . 6p& zb äTiisixeaiaxov
äxijiwg T£ v.rx.1 a9-Xiü)g SoöXov, Ebenso gilt von dem Tupavvixds: noXXfjZ
IJiäv SouXsJag v.al äveXsuS-spiag ysiisiv xtjv tj'^yji'^ aüxoü xai xaöxa aöx'^s xa
|j.epyj So'jXs'Jscv änsp vjv §7ii£t,x£3xaxa, aiity.pöv 5s xa.1 xö [iox^T)pöxaxov xal
[iavixcüxaxov Ssouö^siv und, wie jene Stadt, so wird auch er am aller-
wenigsten imstande sein zu tun a ßoüXsxat. 579 d iaxiv apa x-^ dXr)9-ciqc,
xav ei iJLTj xcp SoxeT, ö xöj ovxi xüpavvog xtp övxt doüXoi; xdg \i.z~fioxc(.c, d'WTieiag
xal goüAsiag xal xöXag xwv TLOvvjpoxäxcüv. Noji. 756 e f. Der Staat soll eine
Verfassung haben die die Mitte hält zwischen Monarchie und Demo-
kratie: SoöXoi yc(,p äv xal oeoTcöxai oOx äv uoxs yiwoiwzo aiXoi, oütk iv
laaig Ti|iaT$ §iaYop£Ucixsvoi cfaOXoi xai oTiouSaioi,
31) 558 c; vgl. 561 e.
Die politischen Grundanschauungen Piatons. 241
den Philisters, die ßavauac'a, geschildert, die darin ihren Grund
hat, daß die schwache, zu selbständigem Nachdenken unzu-
reichende geistige Kraft in den Dienst der niedereren Kräfte
der Seele gestellt ist. Dann folgt der Satz 590 c. d ouxoüv
Iva 7.a: b xoioüTo; uttö 6{io:oi» ap/^yjicct olounzp 6 ßeXxcaxo;,
6 0 ö X 0 V auTov cpafjiev oeiv zlvcci exs^vou x o 0 ßeXTcaxou, e / o v-
xo? ^v auxcp xö •9-eiov apxov, (oux eu: ßXaßvj x^ xoO
So'jXou otd{jL£voi Osöv apxso^ac ocuxgv, waTcep ©paaufia/o? wexo
xo'js dpxojxevou;, äXX') wi; ajjteivov ov Tcavxt utiö ö-ecou xa: cppov^
^01» ap/eaö'at, [xaXtaxa (Jtev oixsiov exovxos ev auxcö, d be [xyj,
ecw-ö-sv icpeaxwxo; (tva elc, 5uva[itv Travxs? S|xotoc wfisv xa: cpiXcL
xw auxö) xuߣpVü)[X£Voc). Demnach wären die Bauern und Hand-
werker offenbar — was im strengen Sinn des Wortes mit
kontrastierendem Hinweis auf den in den gewöhnlichen Staaten
bestehenden Gegensatz von Ssaiccxat und oaüloi von ihnen eben
geleugnet wird — oo\)Xo'. der 2 regierenden Stände. Von
diesen selbst aber dürfte man sagen, sie seien ooOXoc der Ver-
nunft. — An Stelle der Vernunftherrsehaft tritt in den Nomoi
die Herrschaft des von dem Einsichtigsten gegebenen Gesetzes.
Und so werden dann dort 715 d die ap^ovxei; als ooüXqi xoö
v6\iOD bezeichnet. In demselben Sinne könnte man alle Ler-
nenden und Unmündigen als die öCjöXoi ihrer Meister oder
Lehrer und ihrer Vormünder bezeichnen, was auch 590 e, an-
schließend an die soeben ausgeschriebene Stelle, angedeutet ist
(vgl. auch den Satz der Nomoi 791 d, wo gewarnt wird vor
der acpoopa xa: aypta oouXtoa:? der Kinder).
Daß aber die Sklaverei in dem Sinne, den wir mit dem
Worte verbinden, im Idealstaat wirklich keinen Platz habe,
darauf führt noch eine andere Erwägung. Von den Hand-
werkern und Bauern soll doch jeder selbst sei-
nen Beruf auszuüben haben. Faulenzerei soll nie-
mand im Staat gestattet sein ( — nicht einmal so weit, daß
der Reiche, der das Geld hätte, die Ausgaben zu bestreiten,
eine langwierige Kur in aller Ruhe durchmachen dürfte, für
nichts anderes als seine Gesundheit lebend). Es wäre, heißt
es 420 d/e, für die Bauern ja ganz angenehm, wenn sie Feier-
kleider anziehen dürften und nur eben den Acker bebauen,
soweit es ihnen Spaß macht und Unterhaltung gewährt, oder
Phüologua LXVIII (N. F. XXII), 2. 16
242 C. Ritter,
für die Töpfer, daß sie sich aufs Sopha legen dürften und die
Töpferscheibe daneben stellen, um sie nur gelegentlich auch
wieder zur Hand zu nehmen, so lang sie eben Lust dazu
hätten. Jedoch bei uns sollen die Bauern wirklich Bauern sein
und nichts anderes dazu, und die Töpfer Töpfer ^-): jeder über-
haupt soll mit Ernst und ohne sich um anderes zu kümmern
ta eauToö TtpaTxetv. Darin besteht ja ihre otxacoaüvyj ^^).
Dazu kommt, daß, obwohl ihnen der ruhige Genuß ihrer erar-
beiteten Güter gesichert sein soll, doch Ueppigkeit ganz gegen
den Sinn der Regierenden sein wird, deren Weisungen die
Menge folgen soll. Durch Ueppigkeit würde ja doch immer
das richtige Verhältnis der Seelenteile gestört, das auch bei
ihnen in Unterordnung der Sinnlichkeit und des Affekts unter
vernünftige Grundsätze besteht — nur daß diese Grundsätze
nicht von ihnen selbst aufzustellen, sondern als eine 5c^a öpd-q
von den Regierenden zu übernehmen sind. Wenn nun auch
von ihnen nicht Ueppigkeit, Faulenzerei und Zerstreuung in
7i:oXuTupa7p.oa6vrj gesucht wird, so ist nicht einzusehen,
wozu man Sklaven überhaupt brauchen sollte.
— Endlich auch jenes M ä r 1 e i n , das die Ueberzeugung von
der Naturbegründung der verschiedenen Be-
rufsstände pflanzen soll, scheint mir den Gedanken an
Sklaverei auszuschließen (III, c. 21): Gold, Silber, Kupfer und
Eisen ist nach ihm den Menschen von ihrer Mutter Erde bei-
gemischt worden und diese Beimischung entscheidet über ihre
Anlage und damit über ihren Beruf. Es ist kein Zweifel, daß
mit denen die Kupfer und Eisen in sich haben die Handwerker
und Bauern gemeint sind, nicht etwa freie Handarbeiter und
Sklaven.
Aber man wird einwenden : wenn es wirklich Piatons
Meinung gewesen wäre, die Sklaverei sei eine unnatürliche,
eine unberechtigte und verwerfliche Einrichtung, die im Ideal-
staat nicht bestehen könne, dann hätte er dies bestimmt und
klar ausgesprochen. Er hätte es aussprechen müssen und
konnte es nicht dem Leser überlassen, eine Lehre durch Fol-
gerungen zu erschließen, die zu der allgemein herrschenden
») 421 a s. u. S. 258. »») 433 b. d. 441 e.
Die politischen Grundanschauungen Piatons. 243
Üeberzeugung im schroffsten Gegensatz sich befand. Man wird
sich auch darauf berufen, daß Piaton nicht selten, und auch in
der Politeia einigemale, von Sklaven im Gegensatz zu Freien
in einer Weise redet, die nicht im geringsten ahnen läßt, daß
ihm das erwähnte Verhältnis irgendwie anstößig scheine. Eine
solche Stelle haben wir im 4. Buch, wo untersucht wird, was
die Scxacoauvr] des wohl eingerichteten Staates ausmache. Seine
aocp:a, dvopeta und awcppoa'jv/] ist schon bestimmt und die noch
gesuchte 4. äpsxY] wird nach cap. 10 das sein, was die 3
anderen Vorzüge überhaupt möglich macht, als eine Grund-
überzeuguug, die allgemein verbreitet sein muß xa: ev Tiaio:
y.yX £v yuvatx: x a J 5 o 6 X to xa: eXeuS-epw xat oyjixcoupyw xal
apxovTt xa: äp/o[JLEvq.) 433 d. Dann im 8. Buch cap. 5 in
der Charakterschilderung des Menschen, dessen innere Ver-
fassung der Timarchie entspricht — wir dürfen an einen
richtigen Spartaner denken — , heißt es, er sei wohl grausam
gegen Sklaven, während der wirklich edel gebildete Mann vor-
nehm auf solche herabsehe (xat oouXot; . . v.c, av aypcos el'r]
6 xowOtoi;, 00 xaxacppovwv SouXwv, waTiep 6 txavws rcsTraiOEU^ie-
voc; 549 a). Als ein Kennzeichen mangelnder Ordnung in der
ausartenden Demokratie wird 563 c auch angegeben, daß die
gekauften Sklaven und Sklavinnen so ziemlich gleiche Rechte
sich anmaßen wie ihre Herren. Ferner, wenn Piaton den
Hellenen ausdrücklich verbieten will, Stammesgenossen zu
Sklaven zu machen oder in Sklaverei zu halten (469 c. 471 a),
indem er den Kampf auch zwischen verschiedenen hellenischen
Städten als Bürgerzwist kennzeichnet, dabei aber bemerkt, daß
zwischen Hellenen und Barbaren naturgemäß Kriegszustand
herrsche, so wird man daraus schließen, daß für ihn die Skla-
verei von Barbaren eben nichts Anstößiges hatte.
Indes soweit sich die angeführten Sätze daraus erklären
lassen, daß Piaton eben von tatsächlich in den historischen Staa-
ten bestehenden Verhältnissen spricht, kommt ihnen überhaupt
für unsere Frage gar keine Bedeutung zu. Im übrigen — und
das ist die Hauptsache — wird verkannt, daß, wie aus den
kurz vorher gegebenen Nachweisungen ersichtlich ist, auf das
Wort „Sklaverei" rein gar nichts ankommt, sondern nur auf
den Sinn, der sich damit verbindet. Wenn nur ein Verhält-
16*
244 C. Ritter,
nis strenger Unterordnung der geistig Unmündigen unter die
geistig Mündigen darunter verstanden wird, dann sieht Piaton
dieses ja in der Tat als durchaus naturgemäß an und als eine
Wohltat für die, die sich dabei unterordnen müssen. Er ist
wohl auch überzeugt, daß viele Barbarenvölker durch ihre
durchschnittliche Anlage zur Unmündigkeit verurteilt sind.
Er hätte gar nichts zu erinnern gegen die aristotelische Er-
klärung, die dem Sinne nach auf ihn zurückgeht, daß die
meisten Menschen geborene Sklaven (cpuaec SoöXot) sind.
Und sie ist ja auch durchaus unverfänglich — so lange man
das Wort in jener abgeschwächten Bedeutung des geistiger
Selbständigkeit Ermangelnden nimmt. Alle Erfahrung be-
stätigt es und kein Menschenkenner wird dagegen etwas ein-
zuwenden haben. Man frage doch Leute, die draußen gewesen
sind und mit offenen Augen die heutigen „Barbaren Völker"
Afrikas oder der Südsee sich angesehen haben, man frage vor
allem u r t e i 1 s fähige und ehrlich unbefangene Missionare.
Es kommt mir nichts gedankenloser vor , als wenn man
dem Piaton von christlich-modernem Stand-
punkt aus Vorwürfe machen will wegen seines Ur-
teils über die Sklaverei und seines Verhaltens ihr gegenüber.
Was wollen denn wir Christen anders, wenn wir zurückge-
bliebenen Naturvölkern unsere Missionare senden, als diese
geistig von uns abhängig machen — in der Ueberzeugung, daß
sie damit auf eine höhere Stufe der Sittlichkeit und der Glück-
seligkeit erhoben werden können? Genau das müßte nach
Piatons Meinung für einen zu eigener Mündigkeit und auf Nach-
denken gegründeten Sittlichkeit nicht veranlagten Barbaren die
Folge sein, falls es ihm vergönnt wäre, in den Kulturkreis
seines Idealstaates einzutreten ^'^).
Wenn Piaton in der Politeia den Gegensatz seiner Auf-
fassung der Sklaverei von der in Griechenland damals herr-
schenden nicht schärfer bezeichnet hat als er es in der Tat
tut^^), so wird das schon daraus sich erklären, daß seine Auf-
3*) Wenn ein solcher überhaupt Aufnahme fände im platonischen
Staat, so würde er dort genau die Stelle erhalten, die ihm nach seiner
geistigen und sittlichen Begabung zukäme und in der er die höchste
für ihn erreichbare sC>Sat.[iovia fände.
35) Wiewohl schon in der Erklärung der Aufgabe jedes äpxwv im
Die politischen Grundanscbauungen Piatons. 245
merksamkeit vor allem den beiden oberen Beriifsständen zuge-
wandt ist, deren richtige Erziehung er schildern will, als die
Hauptsache. Fast alles was die Masse des Volkes betrifft stellt
erden nach seinen Grundsätzen herangebildeten zukünftigen Herr-
schern zu eigener Regelung anheim. Und ich glaube mit sehr
gutem Grund. Denn wirklich, wenn dafür gesorgt wird, daß
durch planmäßige Erziehung und Studienleitung immer die best
Begabten aufs vorzüglichste ausgebildet werden und daß nur
den best Bewährten unter ihnen die fernere Leitung des Staates
übertragen wird, so werden diese imstande sein, alle nötigen
Einzelbestimmungen, die noch fehlen, in zweckmäßigster Weise
selbst zu erlassen. So gut aber wie die nach den Grundsätzen
und Vorschriften der Politeia philosophisch gebildeten Regenten
der Zukunft, müssen auch die philosophisch gebildeten Leser
dieser Grundsätze imstande sein, aus ihnen heraus für unter-
geordnete und nicht besonders behandelte Fragen ihre Fol-
gerungen zu ziehen. So sind wir auf Ergänzungen
und folgernde Entwicklungen geradezu hinge-
wiesen. Wie wir nur mittels solcher eine freilich nicht
ganz sichere Vorstellung von der Erziehung der Kinder des
Untertanenstandes uns bilden konnten, so gilt dasselbe für die
Sklaverei.
Uebrigens ist was wir betreffs ihrer durch folgernde Ent-
Avicklung als P 1 a t o n s Ansicht gewonnen haben doch
nicht von so ganz überraschender Einzig-
artigkeit, daß wir um dessetwillen eine ausdrückliche
Erklärung darüber hätten erwarten müssen. Der Sophist Alki-
damas, den man kaum für einen selbständigen Denker halten
wird, hat bekanntlich in einem zu Gunsten der Messenier verfaß-
ten 'koyoc, den Satz ausgesprochen, sXeuxJ'spou? dcpfjxe uavxac; d-ecc,
oüSeva ^oülow f^ füoiq, usTcotYjxsv. Bei Euripides, der in seinen
Betrachtungen alles hin und her wendet, finden sich manche
Sprüche, welche die sittliche Berechtigung der Sklaverei an-
weitesten Sinne, worin z. B. die Hirten einer Herde eingeschlossen sind
(342 e. 345 c. 346 e) eine ziemlich schroffe Entgegensetzung gegen herr-
schende Auffassungen liegt : nämlich daß sie nicht auf ihren eigenen
Vorteü sehen sollen, sondern auf das Wohl der ihrer Obhut Anvertrau-
ten; weshalb ja die üebernahme der 6i.p'/ri Entsagung verlangt, sofern
dafür keine besondere Vergütung gewährt wird (345 e. 347 a. 499 b.
517 c. 519 c. 520 d).
246 C. Ritter,
fechten ^^^). Die tatsächliche Stellung der Sklaven in Athen
war zum Teil sehr frei: namentlich derer die in reichen und
vornehmen Häusern zu wichtigeren Dienstleistungen gehalten
wurden und dann der im Staatsdienst stehenden (wozu die
skythischen Polizeisoldaten und die Gefängniswärter gehör-
ten). Solche Sklaven unterschieden sich von ärmeren Freien
kaum in anderem als darin, daß sie an politischen Rechten
keinen Anteil hatten. Mit Recht hat darum Schömann be-
merkt ^^) : es bleibe bei Besprechung der antiken Sklaverei in
der Regel unter anderen kitzlichen Fragen auch die unberührt
„wie viel denn eigentlich die arbeitenden Klassen dadurch, daß
sie aufgehört haben Sklaven zu sein, in der Wirklichkeit ge-
wonnen haben".
In den N o m o i ist freilich der Sklavenstand gesetzlich
sanktioniert. Aber dort bequemt sich eben Piaton den be-
stehenden Verhältnissen an und verzichtet auf die Durchfüh-
rung des Ideals. Dort haben wir keine Absonderung eines
von der Arbeit des bürgerlichen Nähr- und Handwerkerstandes
lebenden Wehrstandes, sondern alle Bürger stehen sich im
wesentlichen gleich und insgesamt sind sie von gröberen Ar-
beiten befreit. Aller Handwerksbetrieb ist Fremden überlassen
und das Feld wird von Sklaven bebaut, die auch die landwirt-
schaftlichen Roherzeugnisse für den Markt herrichten. Die
Behandlung der Sklaven aber ist sehr mild und menschen-
freundlich. Ich will zum Beweise wenige Einzelbestimmungen
mitteilen: Die Herrschaft muß in der Morgenfrühe vor dem
Gesinde aufstehen. Im Essen und Trinken werden die Sklaven
ebenso gehalten wie die Freien. Vergreifen an fremdem Eigen-
tum wird im allgemeinen bei ihnen leichter gestraft als bei
Freien; dagegen freilich Verbrechen gegen die Person härter,
namentlich ein Angriff auf das Leben des eigenen Herren
ähnlich wie wenn Kinder dieses Verbrechen gegen ihre Eltern
begangen haben. Die vorsätzliche Ermordung eines Sklaven
wird ganz wie die eines Freien geahndet. Alle Sklavenkinder
besuchen eine Zeit lang (mindestens vom 3. bis 6. Jahre) die-
selben Spielplätze und Schulen wie die Kinder der Freien.
35a) Vgl. W. Nestle Euripides S. 355 ff.
"J Griech. Altertümer I, 110.
Die politischen Grundanschauungen Piatons. 247
Wenn eine Sklavin ihrem eigenen Herrn Kinder geboren hat
oder eine Herrin infolge des Umgangs mit ihrem eigenen Skla-
ven Mutter geworden ist, so sind die Kinder frei und folgen
nicht, wie es sonst als Recht galt, der schlechteren Hand:
ja sie machen auch die Sklavin die sie geboren hat oder den
Sklaven von dem sie stammen frei — nur müssen sie mit
diesen das Land verlassen. — Die Nachweise sind aus dem
Register meiner Inhaltsdarstellung sehr leicht zu holen. Be-
sonders lehrreich ist aber das ganze Kap. 19 des VI. Buchs,
das ich wörtlich jener Darstellung (S. 55 f.) entnehmen will:
„Vorschriften, wie man mit seinem Besitz umgehen soll, er-
scheinen zwar im ganzen als überflüssig, nicht aber was die
Sklaven betrifft. Insbesondere besteht der lebhafteste Streit
der Meinungen über das Verhalten der Spartaner zu ihren
Heloten (in geringerem Maße auch der Herakleoten und Thes-
saler zu den Mariandynen und Penesten). Daß bei derartigen
Zuständen nicht alles in Ordnung ist, beweisen die häufigen
Helotenaufstände oder auch die Beunruhigung Unteritaliens
durch die Peridinen. Nun könnte man ähnlichen Erhebungen
dadurch vorbeugen, daß man sich hütet, an einem Ort eine
größere Anzahl von Sklaven derselben Herkunft, die gegen-
seitig ihre Sprache verstehen, zusammenkommen zu lassen.
Ein anderes Mittel aber ist, daß man die Sklaven eben richtig
behandle. 'Diese richtige Behandlung aber wird darin bestehen,
daß wir nicht in irgend einer Weise Frevel und Uebermut
gegen unser Gesinde begehen, sondern im Gegenteil womöglich
uns vor Unrecht gegen sie noch mehr hüten, als gegen unsers-
gleichen'. Das soll nun der Herr schon um seiner selbst
willen, nicht bloß aus Rücksicht auf den Sklaven, sich zum
Grundsatz machen, um dadurch sittliche Selbsterziehung zu
üben. 'Denn in nichts bewährt sich so deutlich, ob jemand
im Grund seines Wesens das Recht liebt und das Unrecht
haßt, als in seinem Verhalten gegen solche, bei denen es keine
Gefahr hat, ihnen Unrecht zu tun'. Andererseits freilich muß
ein deutlicher Unterschied zwischen Herr und Sklave bleiben.
Das Wort des Herrn an jenen muß immer Befehl sein. Scherz
und kameradschaftliches Verhalten des Herrn zerstört dessen
Autorität und erschwert auch dem Sklaven seinen Dienst. Bei
248 C. Ritter,
Beachtung dieser Mahnungen aber wird der Sklave, was doch
jeder Herr im Grunde von ihm will , ein treuer und brauch-
barer Diener sein".
Daß Piaton in seinem eigenen Haus Sklaven hielt, kann
selbstverständlich ebensowenig wie die Anerkennung der Skla-
verei in den Nomoi als Gegeninstanz gegen die für den Ideal-
staat gewonnenen Folgerungen verwertet werden ^").
Eine Stelle aus dem P o 1 i t i k o s , die man anführt,
ebensowenig. Dort wird der Staatsmann gewarnt vor dem
aussichtslosen Beginnen, die schlechten Menschen zusammen
mit den guten zu einem dauernden Staatsverband zusammen-
fügen zu wollen. Wie der tüchtige Weber wegwirft was er
zu seinem Gewebe nicht entweder als straffen, festen Zettel
oder als weichen, geschmeidigen Einschlag brauchen kann, so
muß der Staatsleiter auch verfahren. Die tüchtigen Menschen
derberen, feurigeren und sanfteren, ruhigeren Temperaments
muß er miteinander durch die festesten Verknüpfungen verbin-
den, aber wer immer durch seine xaxrj cp6a:; zur Gottlosigkeit,
Zuchtlosigkeit und Ungerechtigkeit getrieben wird, den soll er
unbarmherzig durch Hinrichtung oder Verbannung beseitigen
oder sonst unschädlich machen (309 a). Und, heißt es weiter,
xobq §v dfjia'ö'ta x' aö xa: xaTietvoTTjXt -noXAri xuX:voou|JLevous £i;
tö SouXcxöv UTio^suyvuai yhoc. Diese Weisung ist ein Ersatz
für die in der Politeia verlangte Maßregel, daß, ehe mit der
Einrichtung des Staats begonnen werde, alle mehr als 10-
jährigen aus der Stadt entfernt werden sollen. Ob das oo\j-
Aoxov ysvoi; den wirklichen Sklavenstand der Nomoi meint oder
das von der Regierung ausgeschlossene Volk der Politeia, das
möchte schwer zu entscheiden sein.
Wenn es sich um eine Rechtfertigung der Sklaverei han-
delte, so konnte diese entweder in äußerlicher Weise damit
gegeben werden, daß der Sieger, der seinen Gegner im Kampfe
^') Ich will damit gewiß nicht sagen, es möge auch bei PJaton wie
bei so manchem großen Theoretiker die Praxis seines Lebens der Theorie,
die er lehrend mitteilte, nicht entsprochen haben. Nein, was uns anek-
dotenhaft überliefert ist läßt Platou als einen sehr humanen Herrn seiner
Sklaven erscheinen. Aber da er nicht im Idealstaat lebte und niemand
ihm [AioO-öv v.oii xpo^y^v dafür reichte, daß er sein Denken in den Dienst
der Allgemeinheit stellte, mußte er seine Sklaven die Handarbeit lür
sich besorgen lassen.
Die politischen Grundanschauungen Piatons. 249
überwand, mit der Macht über ihn auch das Recht zu seiner
bedingungslosen Unterwerfung gewonnen habe, oder mit Ein-
schränkung auf die zu Sklaven gemachten Barbaren in tiefer-
gehender Begründung damit, daß die Angehörigen einer nie-
deren Rasse zum Dienst der Menschen vornehmerer Ordnung
bestimmt seien. Das bloße Recht des Stärkeren, das z. B.
Kallikles im Gorgias so rücksichtslos und eindringlich pre-
digt ^^), hat Piaton immer und überall als einen unsittlichen
Anspruch angefochten: es fragt sich noch, wie er über
die Barbaren urteilte und ob er sie als die natürlichen
Knechte der Hellenen ansehen konnte. Es zeigt sich auch
hier — und ich sehe darin eine nochmalige Bestätigung meiner
Auffassung — daß er frei war von d e r E n g h e r z i g k e i t
und Blickbeschränktheit seiner Zeitgenossen. Er spricht wohl
gelegentlich in der Politeia (III c. 11) den Hellenen verglichen
mit anderen Völkern den Vorzug lebhafteren Erkenntniseifers
oder größerer intellektueller Begabung zu : damit sind sie durch-
schnittlich höher gestellt als die nordischen Barbaren, bei denen
er den stürmischen Mut vorzugsweise entwickelt findet, und
als die Aegypter und Phönikier, bei denen das Streben nach
Gelderwerb am stärksten hervortritt. Allein in den Nomoi hält
er einmal gerade die Aegypter seinen Landsleuten als Muster
im Lernen vor : sie müßten alle vor ihnen sich schämen wegen
ihrer kläglichen Unkenntnis der Zahlen- und Raumverhält-
nisse, die in Aegypten jedes Kind zugleich mit dem Lesen und
Schreiben kennen lerne (819 a. b), und eine im 5. Buch c. 16
(147 b. c) gegebene Mahnung macht es mindestens zweifelhaft,
ob jener auch hier wieder an den Aegyptern und Phönikiern
getadelte Krämersinn ihm nicht die bloße Folge einer einseitig
den praktisch äußerlichen Lebenszwecken dienenden Bildung
zu sein scheine, die durch eine richtigere izocibeia sofort auch
bei ihnen ausgeglichen werden könnte. Als einen wichtigen
Vorzug der ägyptischen Kultur sieht er übrigens die starre
Unbeugsamkeit ihrer Kunstgesetze an, die eine beneidenswerte
Stetigkeit auch auf anderen Gebieten zur Folge habe (II c. 3).
Auch im Timaios legt er große Achtung vor der alten Erb-
Siehe bes. Topy. 483 d.
250 ^- Ritter,
Weisheit der Aegypter an den Tag: „Ihr Hellenen alle seid
Kinder und es gibt unter euch keinen alten Mann. Noch
kindlich unentwickelt ist bei euch allen der Geist; denn es
fehlt euch jede durch alte Ueberlieferung eingewurzelte Ueber-
zeugung, jedes altersgraue Wissen", so läßt er 22 b den alten
Priester von Sais sprechen. Und nach der Erzählung, die er
ihm in den Mund legt, wären die der ältesten Urgeschichte
angehörigen Bewohner von Sais und von Athen einander sehr
ähnlich gewesen und auf der gleichen vorbildlichen Höhe der
Kulturentwicklung gestanden. Auch wenn sonst bei Piaton von
Nichthellenen oder außerhellenischen Einrichtungen die Rede
ist, werden sie ganz in derselben Weise wie hellenische er-
wähnt. So wird z. B. No[x. 674 a. b mit Anerkennung eines
karchedonischen Gesetzes gedacht, das den Weingenuß ein-
schränkte. — Die eindrucksvolle Predigt, mit der die Politeia
abschließt, wird als Bericht eines Pamphyliers gegeben ^*).
Schon wenn wir nur das alles zusammennehmen, müssen
wir sagen: der gewöhnliche Hellenenstolz und die Verachtung
barbarischen Wesens lag Piaton offenbar ferne. Bedeutsamer
aber ist folgendes : Piaton hält es für möglich, daß die ideale
Staatsordnung, von der er bei den Hellenen keine Spur finden
kann, irgendwo in einem entlegenen Erdenwinkel bei einem
Barbarenvolke verwirklicht sei *°). Ein stärkeres Zeugnis da-
für, daß er die Barbaren im ganzen den Helle-
nen als vernunftbegabte Menschen gleich
geschätzt habe, hätte er überhaupt nicht ablegen können.
Und dieses Zeugnis wird durch Aeußerungen mehrerer anderer
Dialoge noch bekräftigt. Im Phaidon cap. 24 fühlen sich
Simmias und Kebes durch die Beweise, die Sokrates für die
Unzerstörbarkeit der Seele vorgebracht hat, noch nicht völlig
39) Wobei man sich der Worte des Pliaidros erinnern darf: w Zw-
xpaxsf, paStwg ab Alyuu-coug xaL cnoSanoüg &v eSeXi[}g Xoyoug noisig ^Sp,
275 b.
*") 499 c El xoivuv äxpoigelg cptXococpiav noXsthc, xig dvdcYHV]
STOus/vYj&fjvai y] Ysyovcv iv xS) ärcsiptp tw TiapsXrjXuO-dxt yipöw(a vj xal v ö v
i o -c i V e V X t, V i ß a p ß a p i -/t 0) x d tx w Txöpp« txou sv.xög övii xrjg ■fjiisxspas
iTidtJ'scog, (y] v.ai ensixa y^vr^asiai) trotz V, 470 e xt Se Sr;; e'^Yjv, yjv a-j
TidÄiv olxigsig o'jy^ ^E?.XY,vt5 iaxai; Asi y' aOxr/v, scpvj. — Vielleicht haben
ihm gerade Wahrnehmungen, die er in Sais machen konnte, wo die
historische Kasteneinteüung der von ihm geforderten Berufsgliederung
ähnlich sah, dies als möglich erscheinen lassen.
Die politischen Grundanschauungen Piatons, 251
beruhigt. Sokrates hat ihre Furcht als knabenhaft bezeichnet.
Und Kebes nimmt dieses Wort auf: „Ja, vielleicht steckt ein
furchtsamer Knabe in uns und nach deinem Hingang wird es
schwer sein den Beschwörer zu finden, dessen Sprüche seine
Angst bannen könnten. Wo soll man ihn suchen?" Sokrates
gibt darauf die Antwort (78 a): tcoXXt] [isv t^ 'EXXcc?, w Keßr^:,
ev fi evecai tüou aya^ö-ol dcvopec, noXla Ss xac xa xwv ßapßaptov
y£V7], ou; Tcavxag y^pr) 5:£p£uvaa{)'at I^yjtoüvtag xotoöiov et^coocv,
{xifixs XP^P^'^^wv (fi£too[JL£Voos |i.y]X£ Tcovwv, w; oux iaxLV sie, 6v.
av eöxatpoxEpov avaXtaxoixe y^pYjpiaxa, (Ci^jX£:v os ypr] xac
auxoü? [i£x' dXArjXwv). Mit dieser Stelle berührt sich eine in
den Nomoi, XII c. 5 und 6. Hier wird bestimmt, daß zwar
im allgemeinen der Verkehr mit dem Ausland eingeschränkt
und staatlich überwacht werden soll, weil sittlich nachteilige
Einwirkungen aus der Fremde zu befürchten seien. Aber dem
älteren Mann, der sich in allen Stücken tüchtig erwiesen hat,
soll, wenn er dazu Lust hat, eine wissenschaftliche Reise ins
Ausland nicht verwehrt sein. Der ganze Staat könne aus
einer solchen Nutzen ziehen. „Denn", heißt es 951 b, „ein
Staat, der bei mangelndem Verkehre gute und schlechte Men-
schen nicht vergleichen lernte, vermöchte wohl nie in zu-
nehmender Vervollkommnung zu wahrer Humanität zu ge-
langen und auch seine eigenen Gesetze nicht recht zu erhalten,
die seine Bürger nicht mit wirklichem Verständnis, sondern
bloß als herkömmliches Recht aufnehmen könnten. Es gibt
unter der Masse immer einige gottbegnadete Menschen (eiat
ydp äv xol; TzoXXolq Ävö'pwTio'. ds: ^j^tioi xtvs?), allerdings nicht
viele, mit denen bekannt zu werden von höchstem Wert ist,
und sie gedeihen ebenso gut in schlecht geordneten wie in gut
geordneten Staaten. Wer daher in einem gut geordneten
Staate zu Hause ist, tut wohl, sobald er sich nur selbst vor
Verführung durch fremde Einflüsse sicher weiß, auszuziehen
über Land und Meer und die Spur solcher Menschen zu suchen,
teils um was gut ist an den Einrichtungen des Vaterlandes zu
befestigen, teils um was daran mangelhaft ist verbessern zu
lernen". Man wird nicht bezweifeln, daß auch hier an ßar-
barenländer so gut wie an hellenisches Ausland gedacht ist.
Noch deutlicher ist übrisfens der Politikos. Nachdem dort
252 C. Ritter,
die lebenden Geschöpfe in Menschen und Tiere eingeteilt wor-
den sind, wird diese Begriffseinteilung wieder zurückgenommen.
Sie sei, heißt es 262 c. ff. , ebenso fehlerhaft, als die freilich
gleichfalls übliche Scheidung der Menschen selbst in Hellenen
und Barbaren, die dazu führe, daß man sich alle nicht grie-
chisch redenden Völker, trotz der großen Verschiedenheiten,
die zwischen ihnen bestehen, als wesentlich gleichartig vor-
stelle und als grundverschieden von den bevorzugten Hellenen.
Mit demselben Rechte könnte man einen solchen Vorzug für
jeden beliebigen anderen Stamm, etAva die Lyder oder Phryger,
beanspruchen: und immer wäre es um nichts vernünftiger, als
v,enn man etwa innerhalb der Zahlen der ersten Myriade eine
eigenartige Bedeutung und Sonderstellung zugestehen wollte.
Wer sich so ausläßt, darf nicht als Anhänger jener Durch-
schnittsmeinung über das Recht der Sklaverei angesehen wer-
den, die dasselbe aus naturgegebener Minderwertigkeit der
Barbarenvölker herleitet.
Während ich überzeugt bin, bisher mich auf einem Boden
gehalten zu haben, der strenger Beweisführung zugänglich ist,
möchte ich anhangsweise auch noch einige Vermutungen
wagen, die unsicher bleiben.
Piaton denkt nicht bloß an seine Heimat,
er denkt nicht einmal bloß an die Hellenenwelt, wie er sein
Staatsideal entwirft. Es soll was er zu lehren hat der ganzen
Menschheit zu gut kommen. eav (Jirj . . ei? Tauxov ^up,Ti£a-(j
c(}voi.\xic, X£ ■KoXixi'/.y] xa: rf'.Xoao'^ia. , ,, oüx eatc, sagt er, xaxwv
Tzxüla. . . xal; TcoXeai, ooxd) 5' ouSe tö av^pwTütvo) yevec.
Das bildet den noch beweisbaren, festen Ausgangspunkt für
die Frage: wie mochte sich Piaton wohl die weitere Ausbreitung
der Vernunftherrschaft denken, wenn es wirklich irgendwo
gelang, sie in einer Polis zu begründen? — Der Bezirk des
Staates soll, nach bestimmt gegebener Anordnung (423 c), immer
mäßig und übersehbar bleiben. Aber das Wort (424 a) xa:
^TjV TioXixeta, savTiep ccTza^ opp'/jay) eü, epyzxai lörsnep x'jxao?
a0^avo|jL£vy] gilt gewiß auch in dem Sinne, daß die eingeleitete
Bewegung über die engen staatlichen Grenzen hinüber sich
fortpflanzen wird. Die Nachbarn müßten ja erkennen, daß
mit der idealen Ordnung auch die Versöhnung der Stände und
Die politischen Grundanschauungen Piatons. 253
die volle Zufriedenheit der einzelnen Bürger hergestellt ist:
so muß das gegebene Vorbild sie zur Nachahmung reizen.
Da keiner der so einander ähnlich werdenden Staaten in sich
den Antrieb zur Vergrößerung und zum Angriff hat, wird ein
freundschaftliches Verhältnis sich zwischen ihnen herstellen
und ein auf voller Gleichstellung der Glieder beruhender
freier Staatenbund*') wäre die natürliche Folge dieser
Entwicklung, so lang sie etwa von einer hellenischen Stadt
ausgehend innerhalb der hellenischen Welt verliefe. Denken
wir sie aber weiter fortschreitend bis zu solchen Barbaren-
stämmen, die geistig den Hellenen nicht ebenbürtig sind: Wenn
unter ihnen nicht einmal einzelne Männer imstand sein werden,
zu philosophischer Erkenntnis zu gelangen *-) und dann als
ideale Könige zu regieren, so ist doch nicht zu bezweifeln,
daß sie angesichts des beneidenswerten Vorbildes, das ihnen
gegeben ist, die Regierungsgrundsätze der unter philosophischen
Leitern stehenden Staaten sich aneignen werden als eine öp9rj
o6E,(X, und Tziaxiq, indem sie namentlich was dort als ungeschrie-
benes Recht in Geltung ist bei sich zum aufgezeichneten Gesetz
machen. Sie würden sich damit in geistige Abhängigkeit von
den idealen Staaten und ihren Leitern begeben und würden ooülo:
ToO vc{jiGu, wie es die Bürger des Staates der Nomoi insgesamt sind.
Vielleicht würden sie sich auch jenen Staaten in einem freiwilli-
gen Vasallenverhältnis unterordnen oder würden sie etwa bitten,
ihnen einen König zu setzen. Aber ein Verhältnis eigentlicher
Sklaverei würde nie und nimmer daraus folgen. Insbesondere
würde ja bei den philosophischen Regenten des ideal einge-
richteten Staates jede Absicht der Unterjochung von Aus-
ländern fehlen. Dagegen glaube ich, daß allerdings der Ge-
danke , auch bei Barbaren durch eine Art Mis-
sion für freiwillige Annahme der Vernunftverfassung oder
freiwillige Angliederung an das Vernunftreich zu wirken,
") Vgl. -Eraax. YIII 357 ab. III .319 cd.
*^) Nach der Art, wie des Anacharsis Hol. X. 600 a in einem Atem
mit Thaies gedacht wird (s. unten S. 255 nebst A. 44 a), scheint übri-
gens Piaton dies z. B. den Skythen doch zuzutrauen und bezüglich der
Aegypter wird man noch weniger Zweifel hegen : jene aber gehören
zum O-uiioeiSsj oder cftXöiijiov, diese zum i7it'9-u|jiY]XLxöv oder cf'.Xoxprj[iixxov
Ysvcg &v9-pcü7icüv.
254 C. Ritter,
bei den Bürgern dieses Vernunftreichs aufkommen möchte.
Der philosophische Eros, der unter ihnen rege sein wird, ist
ja im Grunde nichts anderes als das Verlangen, den Wahr-
heitsgedanken, die das eigene Herz erwärmen, möglichste Aus-
breitung zu verschaffen.
Es gehört noch etwas in diesen Zusammenhang: die
Schätzung der Handarbeit bei Piaton. Es soll das der letzte
Punkt unserer Betrachtung sein und ich fasse meine Ansicht
darüber zusammen in dem Satze: Piaton unterschätzt
die Handarbeit nicht so sehr als raan gewöhn-
lich annimmt. Zeller, dem ich hier auf Schritt und Tritt
widersprechen muß, behauptet a. a. 0. S. 889 „Die griechische
Geringschätzung der materiellen Arbeit wird von Plato nicht
bloß beibehalten, sondern noch gesteigert. . . Jene Beschäf-
tigungen, welche der Grieche so vornehm als 'banausisch' zu
brandmarken pflegte, müssen unserem Philosophen schon des-
halb als erniedrigend und des Freien unwürdig erscheinen,
weil sie den Sinn an das Körperliche fesseln, statt ihn von
demselben hinweg- und dem Höheren zuzulenken. . ." Da-
gegen finde ich, daß nicht nur in den Nomoi, für die Zeller
selbst einige Zugeständnisse macht *^), sondern gerade auch in
der Politeia die körperliche Arbeit in Ehren stehe: ein jeder
der xa eautoO izpdxxöi an dem Platze der ihm zukommt ver-
dient Anerkennung, und die Angehörigen der regierenden
Stände werden die Leute vom gemeinen Volk, die Ackerbau
und Gewerbe Treibenden, nicht bloß als ihre Mitbürger gelten
lassen, sondern als cpc'Xous werden sie sie betrachten, als ihre
Ernährer. Freilich der wissenschaftlichen Arbeit wird die
Handarbeit von Piaton nicht gleichgestellt. Ich glaube jedoch,
daß es auch Zeller persönlich gar nicht eingefallen ist, beide
als gleichwertig zu schätzen. Und gewiß hätte er auch das
eigentlich zugeben müssen, daß das angestrengte und lang-
jährige Studium, das Piaton jedem geistig begabten Menschen
zumutet, sich mit berufsmäßiger körperlicher Arbeit nicht ver-
einigen lasse, weil auch diese, um Tüchtiges zustande zu
bringen, ihren Mann ganz erfordert.
3) Phil. d. Gr. II, 1* S. 969 A.
Die politischen Grundanschauungen Piatons. 255
Besonders beachtenswert scheint mir ein kleines Sätzchen aus
dem 6. Buch der Politeia, 496 b. Der Zusammenhang ist folgen-
der : Die Vorzüge einer philosophischen Anlage bringen im ge-
Avöhnlichen Staate große Gefahren mit sich. Nur ganz wenige,
welche in sich den Beruf hatten zu wissenschaftlichem Forschen
und durch wissenschaftliche Erkenntnis geordnetem Leben, er-
reichen ihre wahre Bestimmung, weil etwa zufällige günstige Um-
stände sie schützten. Als Beispiele solcher werden zunächst an-
geführt: Verbannung aus der Umgebung der Versucher und po-
litische Bedeutungslosigkeit der Heimatstadt. Dann heißt es wei-
ter ^pocyjj oi 710'j Tt zac ätl' aXXrj^ xe/^vr]; ocxa-'w; axcjjtaaav sucpues
ETi' auxTjv av £a8-o'.. Damit ist zwar ausgesprochen, daß die
Handarbeit für philosophisch oder wissenschaftlich begabte
Naturen ein ihrer unwürdiger Lebensberuf sei — und das wird
auch unsere Ueberzeugung sein ^^) — , zugleich aber liegt darin
das ausdrückliche Zugeständnis, auch wer von Jugend auf
längere Zeit einen „banausischen" Beruf habe treiben müssen,
sei damit noch nicht notwendig für Höheres verdorben.
Zu denken gibt auch was Piaton im 10. Buch der Politeia
c. 3 an Homer aussetzt: keine Stadt fühi't auf ihn ihre Gre-
setze zurück, kein Krieg ist unter seiner Leitung oder nach
seinem Plan glücklich geführt worden; auch keine technisch
wertvolle Erfindung hat er gemacht (600 a) : oloc Sr] de, xcc
ipya aocpoO dvSpog TioXXac iKivoion xal £'j[XT|Xavo: eIc, xs/^va; r]
x'.vas aXXas upä.^eic, Xeyovxac, warcep au SäXeio xe nepi xoö
McXr^oicu y.al 'Avaxapa'.o; xoö ^xu-ö-ou**"). Wie diese Stelle, so
zeigen die geschichtsphilosophischen Betrachtungen der Nomoi
(besonders zu Anfang des 3. Buchs), daß Piaton die technischen
Erfindungen, Verbesserung von Werkzeugen u. dgl., hoch an-
schlug, weil er einsah, daß sie dazu beitrugen, den Menschen
unabhängiger zu machen und ihm allmählig die Muße zu ver-
schaffen, die Voraussetzung höherer Kultur ist. Als unent-
behrliche Grundlage für die freie geistige Betätigung, die allein
**) Es wäre doch gewiß schade, wenn ein Kopernikus oder Goethe
von ihrer Hände Arbeit sich hätten ernähren müssen.
**=>) Thaies soll nach einer von Herodot (I 75) angezweifelten Ueber-
lieferung den Halys durch Ableitung für das Heer des Kroisos über-
schreitbar gemacht haben; Anacharsis soll den Blasebalg und den zwei-
seitigen Anker erfunden haben.
256 C. Ritter,
uns die höchsten Kulturwerte schaffen und erhalten kann, hat
er aber auch die körperliche Arbeit stets gewürdigt im Unter-
schied von den unnützen und brotlosen Künsten, wie z. B. dem
bloßen Virtuosentum der Musiker *^) oder der Athletik, die er
wirklich verachtet, weil ihre überraschenden und blendenden
Gipfelleistungen eben keinem höheren Zweck dienen, oder wie
die y)5uvxt%yj des Kochkünstlers,
Wenn Zeller Piaton als den gegen die Menge und ihr
Wohlergehen vollständig gleichgiltigen, ihre Meinungen ge-
ringschätzenden Vollblutaristokrateu zeichnet, so bitte ich hie-
gegen folgende Sätze der Politeia in Anschlag zu bringen:
499 d ff . d) [iaxapte, fjv 6' lyw, [xv] ticcvu outw xwv tioXXwv y.axr,-
yopsi • dXXocav zoi oc^av £^oua:v, eav abzolq [jly] cpcXovsLOcwv
äXXcc Tcapa{xu9'OU|Ji£V05 (xac a,noX\jö\xeyoc, xtjv ttjs cpcXo(jLa'9-ia;
S:aßoXY)v) evSecxvuTfj ou^ Xeyets xohq ^cXoaocpou^, y.ot.l ocopit^irj
wajrsp apt: Tyjv xe cpuaLV auxwv xa: xy]v iTxtxrjSeuatv, l'va [jitj
yjywvxa: ae Xeyecv 0O5 auxot ol'ovxac. v] vca: eav oüxü) ■O-ewvxac,
dXXocav x£ 'f'/jas'.i; auxou? oo^av Xyjfl^eaO-ai %ac dXka di'Kov.pi'^s.iod-oci;
y) oh: xtvd /^aXsTcaLvetv x^ p.Yj x^XeTici) r; cpä-oveöv xq) jjlyj cpS'Ovspw,
acp9'Ov6v x£ xac upaov ovxa; eyw |ji£V ydp ae upocp-ö-daag Xeyw,
öxi £V oX'Iyoc; xtalv T^yoö[xac dXX' oux £V xw :tXfj-9'£t x^'^^^V''
OÜXÜ) cpuacv yiyveaOa'.. Das heißt doch mit anderen Worten:
Die Masse ist gar nicht so schlecht und unverständig, wenn
man sie nicht verhetzt und beschAvindelt. Wer ehrlich mit den
Leuten redet und auf sie eingeht, wird sie für alle vernünftigen
Anordnungen gewinnen können. Ja, heißt es nachher 500 e, sie
werden gegen die Herrschaft der Philosophen gar nichts ein-
zuwenden haben, wenn sie wirkliche Philosophen erst kennen
gelernt haben. — Ferner der Staat soll jegliche dpexiQ zur
vollendeten Darstellung bringen, auch die owcppoauvrj und
ScxaioauvT], an der doch (nach ihren bekannten Begriffsbestim-
mungen) die Untertanen ebenso viel Anteil haben als die Re-
gierenden. Wie sollte aber diese SrjixoxtXYj apsiri erreicht wer-
den, wenn der Herrscher, dessen Aufgabe es ist, sie herzu-
stellen (s. 500 d) sich um die Masse des Volkes nichts kümmern
wollte? — Ferner V c. 10 f.: das höchste und wichtigste Ziel
") S. Noii. 654 c f. 669 e f. verglichen mit Hol. 395 c ff. 397 a ff.
(605 a).
Die politischen Grundanschauungen Piatons. 257
das der Gesetzgeber iiii Auge haben muß ist die Einheit des
Staats. Es muß "j^Sovfj; xs xa: XuTcyj; xocvwvca wo möglich für
alle hergestellt werden, sodaß der Staat einem lebendigen Leibe
gleich ist usw. — Auch Fopy. c. 68 ist zu beachten: Vorher,
in c. 45, hat Sokrates auf das Beispiel der Aerzte, der Schnei-
der, Schuster und Bauern verwiesen, von denen man als Sach-
verständigen in einem besonderen Gebiet lernen könne wie
überhaupt Sachkunde sich bewähre. Kallikles hat mit Wider-
willen diese Beispiele aus niedriger Sphäre abgewiesen, die ihm
nicht anwendbar dünken auf das Leben des Politikers, das ihm
als erstrebenswertes Ziel erscheint. Als Hauptvorteil der
politischen Betätigung bezeichnet er die Macht, die man sich
damit sichere, um sich und seinen Freunden das von Gegnern
bedrohte Leben zu erhalten. — Wenn das der höchste und
entscheidende Gesichtspunkt ist, läßt Piaton nun den Sokrates
sagen, dann ist der einfachste Steuermann, der uns ungefährdet
über das Meer bringt, ebenso viel wert wie der einflußreiche
Politiker, und mehr wert als beide der Ingenieur, der Ver-
teidigungsmaschinen konstruiert. dXlcc ob ouSsv t^tiov auxoü
xaxacfpovel; xac x^? i^X^yjC, xr]? exsovou xac ws ev övddei aizo-
xaXeaats av (jLy])(avoTiot6v , xcd xtp utel auxoO oux' av Soüvac
•ö-uyaxepa eO-eAocs oux' av aüxbq x(p aauxou Xaßstv xy]v exsivou.
xaixoc iE, (I)v xa aauxoO inaiysli, xtvt 5(xactp Xoycp xoö
{jirjxavouocoü xaxacppovet? xac xwv aXXwv wv vOv oy]
sXeyov; olo' öxi ^airic, otv ßsXxcwv ecvac xac ex ßeXxcovwv. xö 0£
ßsXxoov £c [xrj eaxcv b iftb Xi^d), äXX' auxo xoOx' eaxc'v, apsxrj,
xö owJ^etv auxöv xa: xa iauxoü övxa otiolos xc^ exu^e, x a x a-
yeXaaxoi; a o i b ^oyoc, yiyvsxac xa: ^r])(avoTtotoö
xat laxpoö xac xwv äXXayy xs/^vwv, oaac xoö aw^scv
svcxa TCSTiocrjvxac. Es ist zwar richtig, daß Piaton vornehm
herabsieht auf Sklaven und Handwerker, aber eben so vor-
nehm sieht er auf die Rhetoren und Politiker herab — auf
alle, die für das Höchste keinen Sinn haben.
Ich halte auch für ganz falsch was Zeller über verächt-
liche Behandlung der Gewerbetreibenden und Landbauern S. 890
und 906 ff. ausführt. Sätze wie den: „der Philosoph findet es
nicht einmal der Mühe wert, sich ihrer Erziehung anzunehmen,
denn an ihnen brauche dem Staat nicht viel zu liegen" (890)
Philologus LXVIII (N. F. XXII), 2. 17
258 C. Ritter,
oder ihm „auf seinem aristokratischen Standpunkt" erscheine
die Beschaffenheit der Volksmasse „gleichgiltig für das Ge-
meinwesen" (907) kann ich nur als Verdrehung des Sinnes ^^)
der zum Beleg angeführten Stelle bezeichnen. Sie lautet Hol. III,
421a: alX r}\i'xc, [j,y] oütw vouQ'Stsi • w;, av ooi 7ceo9ü)|Ji£Ö-a,
ijÜxs. 6 yewpyo^ y^^PY^^i eatac oux£ 6 x£pa|j,£u; x£pa|ji.£u; oui£
dXXo;, obbelc, obdv^ e/wv a/fj{xa, £^ (I)V Tioliq y^yvExat. dXXoc xwv
[ji£v aXXwv £Aaxxü)v Xoyo; • v£upoppa-f oc yap cpaOXot y£v6fi£vot
xa: otacpö-apevxEi; xac Tcpo^TiocrjaafJiEvo: Eivat [xf; övx£; TioXst
ouOEV OEovov • cpuXaxs; G£ VGjjLwv X£ v.(x.l tioAeü)? [iTj övx£; aXXoc
Soxoövx£5 opäg oxt vioLoccj apoy]v TcoXiV dTioXXuaat, — iXdxxcov
Xoyos ist doch nicht zu verwechseln mit oüoe!: Xoyoc. Und
daß es in der Tat für den Staat recht unwesentlich ist, wenn
die Schuhflicker — oder Seifensieder oder Handschuhmacher
— nichts taugen: wer will es im Ernst leugnen?
Ich habe kaum mehr nötig zu sagen, daß ich in dem
Streit, den Zeller in den Anmerkungen von S. 906 f. führt,
mich auf Seiten seiner Gegner befinde. Er schreibt z. B. : es
„wird 421c — 422a zwar bemerkt: wenn ein Handwerker zu
reich werde, pflege er sein Geschäft zu vernachlässigen, und
Avenn er in Armut gerate, fehlen ihm die Mittel für seineu
Betrieb; aber von dem was Nohle (Plat. Staatsl. 141) in dieser
Stelle findet^ daß die Regierenden das Vermögen der Gewerbe-
treibenden auf einem gewissen Mittelmaß erhalten müssen,
steht hier kein Wort, und ebensowenig läßt sich eine der-
artige, auf den platonischen Staat bezügliche Vorschrift aus
VIII, 556 a f. herauslesen; daß die Masse des Volks die übliche
Lebensweise führe, wird auch III Schi. IV Anf. vorausgesetzt,
Avas Praetorius de leg. Plat. (Bonn 1883) S. 8 mit Unrecht
bestreitet." — 421c steht lohq £7itxo6pou; xouxou; xa: xoü;
'.p'jXaxa; dvayxaax£Ov izo izlv xa: tüeioxeov, ötiw;
oxt dptaxoc 57][Jicoupyot xoöEauxövEpyoueaov-
*^) Auch die Ausführungen Zellers S. 'j08 f. muß ich zum Teil als
irreführend bezeichnen; so den Ausdruck , Herabwürdigung der Ehe zu
einer volkswirtschaftlichen Menschenzüchtuug'' : daß der Zweck dieser
Menschenzüchtung die sittliche Vervollkommnung ist, kann man aus
diesen Worten nicht heraushören. Mit , volkswirtschaftlich" meint mau
etwas rein Aeußerliches. Es entspricht dem x.P>iHaT'.aTi>:öv Piatons; und
was dieser an den athenischen Staatsmännern tadelt, ist, daß volks-
wirtschaftliche Gesichtspunkte bei ihnen vorherrschten.
Die politischen Grundanschauungen Piatons. 259
T a : , X a : x ob c, a X X o u ^ ä ti a v x a ; (bcauTw; . . , xo'j^
aXXcu? scu oyjixioupyou; gxctzs: si xaSs SiacpO-si'pec, w^xe xa:
xzxGu; yoyvsaOa'., . . -Xoöxo; . . y.od Tisv'a. Dann werden die
von Zeller bezeichneten schlimmen Folgen an Beispielen ge-
schildert. 556 a f. aber ist gesagt, es sei am besten, wenn
gesetzliche Vorschriften die Besitz Veräußerung verhindern; an-
dernfalls solle wenigstens der wucherischen Ausbeutung der
Not dadurch gesteuert werden, daß niemand ein Darlehen ein-
klagen dürfe. Es scheint mir ganz selbstverständlich, daß die
ap/ovxs; des Idealstaats bei Erlassung der ihnen anheimge-
stellten Einzelvorschriften sich nach diesen Sätzen richten
werden.
Zum Schlüsse wäre vielleicht manchem Leser eine Ver-
gleichung mit den politischen Sätzen anderer platonischer
Schriften nicht unerwünscht. Diese kann sich aber wenigstens
für die späteren derselben jedermann sehr einfach herstellen,
indem er meine Inhaltsdarstellungen zur Hand nimmt und dort
im Register unter dem Stichwort „Staat" nachsieht*'),
Tübingen. C. Ritter.
*') Auch auf das Register meiner zwischen Abfassung und Druck-
legung dieses Aufsatzes erschienene Darstellung der Politeia selber
(Stuttgart 1909 bei Kohlhammer) darf ich verweisen.
17
IX.
Der Quincunx im römischen Heere zur Zeit der
Manipularstellung.
Die Schlachtordnung der Manipularlegion beruht auf ihrer
Gliederung in drei Treffen von je zehn Manipeln, deren Längs-
und Querintervallen sowie der Stellung des zweiten Treffens
auf die Lücken. So erinnert jede Gruppe von zwei benach-
barten Schlachthaufen der gleichen Nummer im ersten und
dritten Treffen mit dem dazwischen stehenden des zweiten an
das für den Maßwert ^/i2 (quinque unciae = quincunx) übliche
Zeichen |.| , das im Bilde der fünf Augen auf dem Würfel
wiederkehrt. Trotzdem hat man sie im Altertum wahrschein-
lich nicht danach benannt, vielleicht weil die Tretfenintervalle
größer waren als der Zwischenraum, welcher die Manipel von
einander trennte, die Verbindungslinien der je fünf Schlacht-
haufen sich also nicht unter einem rechten, sondern spitzen,
beziehungsweise stumpfen Winkel schnitten. Denn die Ma-
nipelintervalle waren gewiß frontbreit ^), und die Vermutung,
daß der Treffenabstand doppelt so tief gewesen sei, liegt w^e-
nigstens nahe. Daß man sich aber den Quincunx rechtwink-
lig dachte, darf aus Quinctilian 8: »quid illo quincunce spe-
ciosius, qui, in quamcunque partem spectaveris, rectus erit"
und Columella III 13: „Nonnulli omnem vitem per denos pe-
des in quincuncem disponunt, ut more novalium terra trans-
versis aversisque sulcis proscindatur" gefolgert werden.
Nur eine Schriftstelle scheint den Ausdruck, wenn sie in
*) So urteilte schon Guischardt ^Memoires militaires sur las Grecs
et les Romains" I p. 85 und öfters, nach ihm Nast und Roesch „Rö-
mische Kriegsaltertümer" p. 66 sowie andere. Dagegen hat mich die
von ihnen angenommene Bestimmung, wonach für das Einrücken der
auf Lücke stehenden Prinziper Raum geschaffen werden sollte, nicht
überzeugt. Der Zweck war, wie sich später zeigen wird, ein anderer.
Th. Steinwender, Der Qnincunx im römischen Heere. 26 1
Wirklichkeit ihn auch nicht erwähnt, implicite auf die Schlacht-
ordnung des römischen Heeres zu beziehen, die Verse 277 — 84
des zweiten Buchs von Virgils Georgicon, wo der Dichter die
Baumschule eines Gartens mit ihr vergleicht; denn die Bäume
wurden gewöhnlich „in quincuncem" gepflanzt. Sieht man
sich aber die Stelle genauer an, so erhellt, daß Plantage wie
Heer von rechtwinklig laufenden Gängen und Quergängen
durchschnitten werden, was doch nicht möglich ist, wenn man
die Wege sich durch Stellung auf Lücke verbaut. Uebrigens
sind hier, wie schon Salmasius vermutet"), unter den „viae"
gar nicht die Intervalle der Schlachthaufen, sondera Rotten-
und Gliederabstand der einzelnen Krieger gemeint. Auch sie
können also nicht in quincuncem, sondern, bevor das Getüm-
mel des Kampfes — necdura horrida miscent proelia — die
ursprüngliche Ordnung zum Teil verschob , nur in ganzen
Reihen hintereinander, also „agmine quadrato" gestanden ha-
ben^), worauf das die Baumpflanzung betrefi'ende „quadrat" im
Verse 278 vielleicht schon hinweist. Erst Lipsius hat, soweit ich
sehe, den Ausdruck auf die Schlachtordnung bezogen*), und
spätere Forscher sind ihm darin gefolgt.
Mag dem aber sein, wie es wolle, daß die Römer zur Zeit
des Manipularsystems ihre Schlachthaufen tatsächlich in quin-
cuncem, wenn auch nicht mit rechtwinklig sich schneidenden
Verbindungslinien aufgestellt haben, ist gewiß. Dafür zeugt,
abgesehen von sachlichen Gründen, insbesondere, was Folybius
über die Dispositionen Scipios zur Schlacht bei Zama^) be-
richtet: Tipwxov [AEV T0Ü5 dataxous xac lac, touxodv arj[iacai; ev
Staaxrjfiacc, etic Se xodxoiq lobc, Tip^yxoTias xc^eJ^ xoc^ aiisipas
00 [AiXa xö xwv Tipwxcov arj[Jiaiö)v Scaaxrj|xa, xaO-aTcep lO-o? eax:
xoLs P(i)|jLa:'oi5 , dXXa v.azcd.l-qXouc, ev aTcoaxaaec biac x6 izlfi^oc,
xwv Tzccpoc lolq £vavxiot5 eXscpavxtov; xeXeuxacou? 6' eTisaxyjoe
xou; xptapc'ou;.
^) Salmasius ,Dere militari Romanorum" Lugdun. Bat. 1657 c. VII
p. 74.
3) S. meine Schrift: „Die Marschordnung des römischen Heeres zur
Zeit der Manipularstellung". Danzig 1907 p. 33 ff.
■•) Lipsius „De militia romana". Antwerpen 1598 p. 153: „In quin-
cuncem igitur dispositio ista manipulorum fuit".
5) Pol. XV 9.
262 T h. S t e i n w e n d e r ,
Die Frage ist nur, ob der Quincunx aucli die taktische
Grundlage für das Gefecht war , mit anderen Worten , ob
während des Handgemenges die Intervalle geöffnet blieben.
Was zunächst den Treffenabstand anlangt, so unterliegt es
keinem Zweifei ; im ersten Stadium des Kampfes wenigstens
hat man ihn gewiß nicht geschlossen. Anders verhält es
sich mit dem Manipelintervall , da beherzte Gegner ein-
brechen und den benachbarten Schlachthaufen die Flanke ab-
gewinnen konnten ^). Auf die leichtbewaffneten und wenig
kriegserfahrenen Veliten war dann kein Verlaß, und das zweite
Treffen stand nicht nahe genug, um die Gefahr abzuwenden.
Mit dem Schwert hätte es den Gegner nicht erreicht, und das
Pilum konnte, falls die Entfernung den Wurf noch gestattete,
ebensowohl den Freund wie den Feind treffen. Indirekt Avird
die ungebrochene Gefechtslinie auch bezeugt; denn ohne sie
wäre beispielsweise der gelegentlich an Tribunen und Centu-
rionen ergangene Befehl, für eine Reiterattacke die Front zu
öffnen '^), unverständlich, desgleichen die Nachricht, daß man
aus demselben Grunde einmal die Manipelintervalle offen ge-
lassen habe ^). Für die ungebrochene Linie tritt auch Vegetius
ein, wenn er auf 1000 Doppelschritte bei Abständen von drei
Fuß 1666 Mann rechnet''), wenn er die Schlachtordnung mit
einer Mauer vergleicht ^^) und von der Front als einer geraden
spricht, auf welcher die Krieger „aequali et legitimo spatio"
neben einander stehen ^^).
Trotzdem hat man bis vor kurzem am Quincunx als Ge-
fechtsformation im allgemeinen festgehalten ; ja, Folard äußert
in den Anmerkungen zur Schlacht bei Zama, es gehöre eben
nicht viel Einsicht dazu, um zu begreifen, daß der eindringende
Gegner sich den schwersten Verlusten ausgesetzt hätte ^^). Noch
Koechly und Ruestow fanden sich mit dem fi-ontalen Gefechts-
intervall ab und erklärten es, merkwürdig genug, aus der Ab-
sicht, etwa einreißende Verwirrung zu lokalisieren sowie dem
8) Vgl. Nast und Roesch a. a. 0. p. 68.
') Liv. X 41. 8) Liv. X ü.
9) Veget. III 14. '») Veget. I 20; II 17.
") Veget. I 26.
^^) Aebnlicli noch Rüstow , Geschichte der Infanterie" p. 38; «Heer-
wesen und Kriegführung Cäsars" p. 54; vgl. Veith „Geschichte der
Feldzüge C. Jul. Cäsars" Wien 1907 p. 49 und 483 ff.
Der Quincinix im römischen Heere z. Zeit d. Manipularstellung. 263
zweiten Treffen das rechtzeitige Eingreifen zu ermöglichen ^^).
Und doch hatte schon mehr als 200 Jahre vor ihnen Salma-
sius das Verhältnis richtig erkannt. In seinem postumen Werke
„De re militari Romanorum" äußert er sich, nachdem die von
der Manipularlegion handelnde Stelle bei Livius VIII 8 bespro-
chen TPorden, darüber also^^): „verisimile tarnen est iramo et
verum, primos hastatorum manipulos juncto agmine pugnasse.
Quo enim in illis intervalla et vias, qui nullos intra se recep-
turi erant?" Und wie die Manipel der ersten Treffens schlös-
sen, bevor der Kampf begann, ihre Intervalle diejenigen des
zweiten ^^): „Quo facto secundae aciei ordines hostem procede-
bant clausis intervallis, quae patuerant retrocedentibus aciei
primae manipulis". Und ein Jahrhundert später deutete Gui-
schardt ^'^) wenigstens den richtigen Weg an, insofern er den Vor-
zug der schachbrettartigen Stellung darin erblickte, daß sie den
Feldherrn befähigt habe, eine den Umständen angemessene
Schlachtlinie zu bilden. Schon er unterscheidet zwischen der „ dis-
position primitive" und einer nachherigen Aufstellung, „que l'on
jugerait ä propos selon la disposition de l'ennemi, selon le
terrain et selon les armes dont on voulait faire usage". Ueber-
einstimmend damit rühmt Guischardt an der Formation die
„facilite qu'elle donnait de changer l'ordre de bataille
soit pour combattre en ligne pleine on en ligne tant pleine
que vide on en colonne". Ja, im ausgesprochenen Gegensatze zu
Folard, dessen Steckenpferd die Kolonne war, ist er überzeugt,
daß „dans les batailles les plus opiniätrement disputees les
armees etaient rangees sur des lignes pleines". Danach waren
die Manipelintervalle für ihn kein unentbehrlicher Bestandteil
der römischen Schlachtordnung während des Gefechts, w^enn
er ihre Existenz auch nicht gänzlich in Abrede stellte. Diese
Konsequenz haben neuerdings erst "wieder Soltau und Del-
brück^'') gezogen. Weniger glücklich war der letztere in Avei-
*2) Koechly und Rüstow „Griechische Kriegsschriftsteller " II 1
p. 48 if.
") Salmasius: a. a. 0. o. 3 p. 20—21.
^5) Salmasius a. a. 0. p. 19.
^®) Guischardt a. a. 0. p. 85; vgl. p. 41 und 113.
") Zuerst in der histor. Zeitschritt LI 1883, zuletzt in seinem
Werke „Geschichte der Kriegskunst etc." Berlin 1900 I p. 237 ft.
264 Tb. Steinwender,
teren SchlußfolgernngeD. Seine Annahme beispielsweise, daß
die Lücken überhaupt nur schmal gewesen und während des
Kampfes entweder von selbst zugingen oder durch Einrücken
der hinteren Treffen je nach Bedarf geschlossen wurden, steht
mit dem ersten und wichtigsten Gesetz der römischen Taktik,
dem „signa sequi et ordines servare" in offenbarem Widerspruch.
Das Verfahren wäre auch insofern unzweckmäßig gewesen, als
man weder abwarten konnte, bis die Lücke breit genug war,
um ganze Manipel oder Centurien aufzunehmen, noch durch
die Abzweigung einzelner Rotten alle Schlachthaufen zerreißen
und durcheinander werfen durfte, Was man noch heute grund-
sätzlich vermeidet, kann bei den Römern eine taktische Regel
schon darum nicht gewesen sein, weil Vegetius ausdrücklich
davor warnt: »Observandum quoque, ne sub tempore, quo jam
committitur pugna, velis ordines commutare aut de locis suis
aliquos numeros ad alia transferre"^^). Nur was die unge-
brochene Gefechtslinie als solche anlangt, sind die neuesten
Bearbeiter des Gegenstandes beinahe ausnahmslos Delbrück
gefolgt, unter anderen R. Sclineider, welcher auf Grund ein-
gehender Studien zu der Ueberzeugung gelangte, daß auch in
den Kriegen der neueren Zeit die schachbrettartige Stellung
während des Gefechts nur in äußerst beschränktem Maße an-
gewandt wurde. Lediglich beim Rückzuge habe man sich ihrer
bedient und erfolgreich auch dann nur mit vorzüglich ge-
schulten Leuten, die angesichts der Gefahr Ruhe und Ordnung
zu bewahren und den Feind durch wohlgenährtes Gewehrfeuer
in angemessener Entfernung zu halten gewußt. Andernfalls
wäre selbst der Rückzug eu echiquier unausführbar ^^).
Lassen wir also die Manipelintervalle als Bestandteil der
Gefechtsformatiou fallen , so können sie nur einem Rahmen
angehört haben , aus welchem die Schlachtordnung engeren
Sinnes erst entwickelt wurde. Und einen solchen brauchte
man unbedingt, da die Legionare weder aus der gewöhnlichen
jNIarschkolonne noch aus dem La^er unmittelbar zum Augriff
übergehen konnten. So wären sie auch bei der vorzüglichsten
*») Veget III 19.
^*) Rud. Schneider , Phalanx und Manipularlegion - p. 135. Da-
gegen Yeith a. a. 0. p. 49 und 483 ff.
Der Quincunx im römischen Heere z. Zeit d. Manipularstellung. 265
Ausbildung niemals imstande gewesen, eine brauchbare Ge-
fechtslinie 7A\ bilden. Wie ist es damit heute ? Die Bataillone
nähern sich in möglichst aufgeschlossener Sektionskolonne oder,
wenn die räumlichen Verhältnisse es gestatten, in Halbzügen
dem mutmaßlichen Schlachtfelde. Angesichts des Feindes wird
in entsprechenden Abständen aufmarschiert, und erst aus dieser
Formation entwickeln sie sich, bisweilen nach längerem War-
ten in gedeckter Stellung zur Gefechtslinie. Jedenfalls unter-
scheidet man noch gegenwärtig den Rahmen^") von der Schlacht-
ordnung engeren Sinnes. So war es auch in Rom. Livius
aber hat den Gegensatz verkannt oder doch nicht cpenügend
hervorgehoben und hiedurch sowie mit anderen Unstimmiff-
keiten in seiner Beschreibung des Gefechts der Manipulare ^^)
den Forschern Rätsel aufgegeben, die trotz aller darauf ver-
wendeten Mühe ihrer Lösung ziuu Teil noch harren.
Auf die einzelne Legion bezogen , gewährte der Rahmen
nun folgendes Bild: Im ersten Treffen standen, durch Zwi-
schenräume von der Breite ihrer Front, das heißt regulär
Avahrscheinlich 30 Schritt ^^) getrennt, die 10 Manipel der
Hastaten. Die Lücken schlössen, „ne interluceret acies"^^), in
einem Abstände von wahrscheinlich 60 Schritt die ebenso zahl-
reichen Schlachthaufen der Prinziper, und wiederum 60 Schritt
rückwärts hielten, auf das erste Treffen gerichtet, die 10 Ma-
nipel der Triarier. Hinsichtlich ihrer Stärke sei daran erin-
nert, daß in der Legion von 4200 Mann im Fußvolk, welche
Polybius für normal hält, und die wir unserer Berechnung
daher zu Grunde legen, die Schlachthaufen der beiden vorde-
ren Treffen je 120, diejenigen des dritten aber nur 60 schwer-
gerüstete Krieger zählten. Es können ferner, vorausgesetzt
daß die achtgliedrige Aufstellung der alten Phalanx gewahrt
blieb ^*) , in den ersteren nur je 4 Glieder gestanden haben,
^'') Der Ausdruck jBereitschaftsstellung", den andere gewählt haben,
ist hier mit Absicht vermieden worden, weil man darunter auch etwas
wesentlich anderes verstehen kann.
-1) Liv. VIII 8.
^-) Ueber die Gründe, welche für diese Distanzierung sprechen,
s. meine Schrift „Ursprung und Entwickelung des Manipularsystems"
Danzig 1908 p. 2t ff. und die Skizze zu p. 47.
-3) Frontin. II 3; Veget. I 26; vgl. III 14.
^*) S. meine Abhandlung „Die Entwickelung des Manipularwesens"
in der Zeitschr. für das Gymnasialwesen XXXII p. 716 ff.
266 Th. Steiuwender,
wozu mit 2 weiteren die Triarier kamen. Es gab also in den
drei Schlachthaufen der gleichen Nummer stets 10 Glieder zu
30 Rotten ; so viele treffen wir noch in den Kohorten des
Marius, wie beispielsweise die Schlachtordnung der Pompejaner
bei Pharsalus-^) lehrt. Wurde nun durch Eindoppeln aus der
Tiefe ^^) (duplicatio) die Zahl der Glieder gemindert , so kam
es darauf an, ob die Triarier an dem Manöver teilnahmen oder
nicht. Im ersteren Falle schrumpfte die Schlachtordnung auf
5 Glieder zusammen , und so ist vielleicht die Beschreibung
der Testudo bei Livius ^^) zu verstehen, wo zwischen den primi,
secundi, tertii, quarti und postremi unterschieden wird. Ohne
die Triarier dagegen waren es nur 4, eine Zahl, welche die
Verschilduug auf den Säulen des Trajan und Marc Aurel ver-
anschaulicht. Auch die 4 Glieder des ersten und zweiten Tref-
fens sind bezeugt, so namentlich bei Appian ^^) für das Jahr
360 und durch das von Servius zu Virgils Georgicon II 417
angeführte Katofragment: „Pedites quatuor agminibus, equites
duabus antibus ducas"-^). Genau so, das heißt die Fußgänger
in Kolonnen zu 4 Mann, die Reiter in Schwadronen zu 2 Pfer-
den marschiert das römische Heer noch bei Arrian^°). Seine
Schlachtordnung bestand aus 2x2 = 4 Gliedern; davon führ-
ten die vorn stehenden das Pilum, die anderen leichte Wurf-
spieße, um sie während des Kampfes über die Köpfe der er-
steren hinwegzuschleudern.
Daß freilich die Schlachthaufen der Hastaten und Prin-
ziper an Schwergerüsteten auch 5 und 6 Glieder gezählt haben
und somit, da die Triarier an der Aenderung nicht teilnahmen ^^).
insgesamt 12 und 14 vorhanden waren, ist denkbar, ja wahr-
scheinlich als Folge vermehrten Ersatzes, welcher die Legion
im Fußvolk von rund 4000 auf 5000 und 6000 Krieger zu
bringen gestattete ^^). Dann wurde wohl nur die Tiefe ent-
^5) Frontin. II 3, 22. -ß) Veget. I 26.
2') Liv. XLIV 9.
-^) App. Kelt. 1. Vgl. Fröhlich „Kriegswesen Cäsars" p. 146. Da-
gegen Delbrück a. a. 0. I p. 245.
-"j Eingehend besprochen und erklärt in meiner Schrift ^.Die
Marschordnung des römischen etc." a. a 0. p. 21 ff.
3") Arrian „Schlachtordnung gegen die Alanen'' 15.
31) Pol. VI 21: ToOi&'JS äz': lobc, lOGug".
3') Marquardt „Handbuch der röm. Staatsaltertümer " V 2 p. 335 tf.
Der Quincunx im römischen Heere z. Zeit d. Manipularstellung. 267
sprechend verstärkt, da bei Verlängerung der Front die Linie
der Triarier unstimmig geworden wäre, und man sich die Ge-
fechtsleitung unnütz erschwert hätte. Mehr als 6 Glieder aber
können die Manipel schon darum nicht gehabt haben, weil in
Reihen marschiert wurde, und für stärkere Kolonnen die Wege
nicht breit genug waren ^^).
Die Verteilung der 1200 Leichtbewaffneten (velites) auf
die drei Treffen war zu der Zeit, welche der Darstellung des
Polybius zu Grunde liegt, eine gleichmäßige ^*). Früher hatte
man sie in Gruppen von je 20 nur den Schlachthaufen der
Hastaten beigesellt, während das Gros, in die beiden Klassen
der rorarii und accensi geteilt, hinter den Triariern stand ^^).
Später dürften sie im Rahmen überall 2 Glieder und zwar die
letzten ihres Manipels gebildet haben, wenn freilich auch mit
einer je nach dem Stärkeverhältnis wechselnden Zahl blinder
Rotten. Nur in der Legion von 6000 Kombattanten zu Fuß
gab es deren nicht, insofern die drei Schlachthaufen gleicher
Nummer dann 8 + 8 + 4 = 20 Glieder zu 30 Rotten bilde-
ten. Ihre Verteilung auf die Treffen veranschaulicht demnach
folgendes Schema:
I 180 -1- 60 = 240
11 180 + 60 = 240
III 60 + 60 = 120
420 + 180 = 600
Eine andere Art des Quincunx betrifft die Stellung der
einzelnen Männer innerhalb ihres Sclilachthaufens. Obwohl
unbezeugt, wird sie von R. Schneider ^'^) befürwortet, der in
gibt nach Nast und Roesch a. a. 0. § 59 auch schon dem unverstärk-
ten Hostaten- und Prinzipermaniel 6 Glieder, mit Einrechnung der
Veliten sogar 8 bei 20 Rotten, augenscheinlich weil die Leichtbewaif-
neten -sich dann ohne Lücken darauf verteilen lassen.
^^) S. „Die Marschordnung des röm. Heeres etc." a. a. 0. p. 11
und 17.
3^) Pol. VI 24. ^'s) Liv. Vni 8.
3«) In der „Berliner Philologischen Wochenschrift" vom 15. Mai
1886, Dafür haben sich ferner ausgesprochen Fröhlich „Heerwesen
Cäsars" p. 144, Delbrück a a. 0. I p. 260, Giesing in den Jahrbüchern
für klassische Philologie 1889 p. 161 ff., welch letzterer sein Urteil, wie
folgt, begründet: „Die Leute des zweiten Gliedes standen im Kampf
naturgemäßer Weise auf den Interwallen des ersten, die zur bequemen
Handhabung der Waffen nötig waren. Das zweite Glied sekundiert,
so zu sagen, dem ersten. Wie einfach war es also, daß ein Mann aus
268 Th. Steinwender,
ihr den Schlüssel zur Lösung des Rätsels vermutet, weshalb
Vegetius zwar den Rottenabstand auf 3 , den Gliederabstand
dagegen auf 6 Fuß angibt. Im Grunde nämlich wären das
auch nur 3 gewesen ; wenn man aber, wie bei einer in quin-
cuncem gestellten Truppe geschehen müsse, vom ersten Gliede
zum dritten, vom zweiten zum vierten und so ferner zähle,
dann würden daraus 6. Gewiß ! Ueberdies liegt die Annahme,
daß hier im Kleinen wiederkehren möchte, was im Gi'oßen er-
wiesen ist, nahe, zumal da die Warnung „ne interluceret acies"
bei Frontin und Vegetius sie zu stützen scheint. Trotzdem er-
heben sich dagegen schwerwiegende Bedenken:
1. Polybius hätte, wo er die römische Gefechtsstellung
beschreibt ^^) , nicht von Vorder- und Hintermann sprechen
können. Auch wären seine Abstände hinfällig, da sie in Wahr-
heit nicht den Zwischenraum von Glied zu Glied, sondern von
Mann zu Mann ausdrücken.
2. Vegetius ^^) verlangt , daß beim Ueben der Gefechts-
stellung den Rekruten eingeschärft werde, sich stets genau auf
den Vordermann auszurichten.
3. Daß die Richtung unnütz erschwert worden, und auf
den Flügeln hier eine halbe Rotte zu wenig, dort eine solche
überfällig gewesen wäre , muß gleichfalls Bedenken erregen.
Die Unstimmigkeit ließ sich zwar vermeiden, sofern man die
geraden Glieder um eine Rotte schwächte ; dann hätte sie doch
aber während des Gefechts, wo jeder Mann gebraucht wurde,
gefehlt, und bei jedem zweiten Gefechtswechsel (pedatus) wäre
jenem in dieses einsprang und die Sache seines ermatteten oder ge-
fallenen Vordermanns übernahm." Dagegen ist zu bemerken, daß, um
den Vordermann zu ersetzen, die Stellung auf Lücke keineswegs er-
forderlich war, und ein Sekundieren des zweiten Gliedes, obwohl auch
schon Rüstow dafür eintrat, in Wirklichkeit kaum möglich ist. An-
deren Falles hätte der direkte Hintermann es ebenso gut, ja sogar
besser ausführen können, als ein in weiterer Entfernung und schräg
rückwärts stehender. Ueberdies würde ein derartiges Verfahren dem
vom Autor p. 860 mit Recht gebilligten Grundsatz, daß man die Re-
serve möglichst schonen soll, widersprochen haben. Gegen die An-
sicht Schneiders haben sich, soweit mir bekannt geworden, bisher nur
Lammert „Polybius und die römische Taktik" Programm des Kgl.
Gymnas. in Leipzig p. 11 A 4 und Kromayer „Vergleichende Studien
des griechischen und römischen Kriegswesens" im Hermes XV p. 233 ff.
ausgesprochen.
3'j Pol. XVHI 30. 38) Veg. I 26.
Der Quincunx im römischen Heere z. Zeit d. Manipularstellung. 269
auf allen Manipelflügeln in der Front eine klaffende Lücke von
4 Schritt entstanden.
4. Die unerläßliche und von Schneider selbst zugegebene
Ablösung im Gefecht wäre ohne Reibung und Getümmel nicht
ausführbar gewesen , wenn man sich die Rottenabstände ver-
baute. So hätte man beim Vorgehen und Zurücktreten nur
noch in der unbequemen Zickzacklinie sich bewegen können.
5. Die gedachte Stellung würde auch nicht den gering-
sten Zweck gehabt haben. Denn daß der auf Lücke stehende
Mann des zweiten Gliedes dem vor ihm halb links und halb
rechts im Kampfe begriffenen Waffengenossen sekundiert ha-
ben sollte, ist, abgesehen von seltenen Ausnahmefällen, un-
denkbar. Er hätte, angenommen daß für ein solches Ein-
greifen mit dem Schwert, denn nur darum könnte es sich hau-
dein, da die Pilen bei Beginn des Treffens bereits verschleu-
dert worden, genügend Raum vorhanden gewesen wäre, dem
zu unterstützenden Vordermann, insofern er ihn der Ellen-
bogenfreiheit beraubt, eher geschadet als genützt. Ueberdies
ist doch klar, daß einen derartigen Sekundantendienst im Not-
fall zu leisten, der direkte Hintermann eher in der Lage war,
da er näher stand, und sein Augenmerk sich nur auf einen
Vordermann richtete, indessen der im Quincunx schräg rück-
wärts haltende auf zwei zu achten hatte, seine Aufmerksam-
keit mithin geteilt war.
6. Es kann auch nicht in Abrede gestellt werden, daß
man so den feindlichen Geschossen ein unfehlbares Ziel ge-
schaffen und die Leute des zweiten Gliedes unnütz beunruhigt
sowie durch Hochhalten des Schildes ermüdet hätte, bevor sie
an der Reihe waren, ihre Kraft einzusetzen.
7. Die oben besprochene Stelle in Virgils Georgicon setzt
nicht den Quincunx voraus, sondern die acies quadrata.
Gegen die Stellung des einzelnen Mannes innerhalb seines
Schlachthaufens auf Lücke sprechen in der Tat so zahlreiche
und triftige Gründe, daß wir nicht anstehen, sie ins Reich der
Fabel zu verweisen. In der Taktik gilt nur das Einfache und
Notwendige; jede Künstelei, jedes nutzlose Manöver ist da vom
270 T li. S t ei n we n d e r , Der Quincunx im römischen Heere.
Uebel. Wenn trotzdem auch Delbrück ^^) den Quincunx enge-
ren Sinnes für wahrscheinlich hält, dann sollte er wenigstens
seine Lehre vom Chok der Manipulare preisgeben, die sich
damit schlechterdings nicht verträgt ; denn auf Lücke gestellte
Kombattanten üben auf ihre Vorderleute keinen Druck aus^").
Man könnte dagegen einwenden, daß es ihnen freistand, beim
Zusammenstoß in deren lichten Zwischenraum einzurücken.
Gewiß! Dann mußte der letztere aber groß genug sein, um
mit Schwert und 2^2 Fuß breitem Schilde bewaffnete Krieger
aufzunehmen. Der von Delbrück in dem Sinne von Mann und
lichtem Intervall auf 3 Fuß angenommene Rottenabstand reichte
dazu begreiflicherweise nicht aus.
Wir bleiben dabei, daß es zwar einen Quincunx der
Schlachthaufen in gewissen Grenzen gegeben hat, einen Quin-
cunx der Manipulare aber nicht.
Danzig, Th. Steinwender.
^8) Delbrück a. a. 0. I p. 260; vgl. Kromayer a. a. 0.
*") Deshalb erklärt sich dagegen, wie gesagt, Lammert a. a. 0.
X.
Studien zu üen Acta Imperatorum Romanorum.
I. Teil.
Die Formeln in den Edikten und Briefen der
Kaiser A u g u s t n s bis H a d r i a n.
Einleitung.
In der Geschichte des Altertums begegnet uns eine eigen-
tümliche Vererbung von Ideen auf den verschiedensten Gebieten.
Nicht nur Wissenschaft und Kunst, sondern auch Staatsformen
pflanzen sich im Wechsel der Zeit stetig fort. Das Reich,
das Alexander der Große begründet und das seine Nachfolorer
unter sich geteilt haben, erscheint zu Beginn unserer Zeitrech-
nung wieder geeint.
Augustus hat sich enge an das angeschlossen, was seine
Vorgänger ihm hinterlassen hatten, er übernimmt griechische
Reichsverwaltung und griechischen Geschäftsstil für die öst-
lichen Provinzen. Anfangs bleibt allerdings das römische Ele-
ment noch im Vordergrund, doch allmählich steigert sich grie-
chisch-orientalischer Einfluß derart, daß er das römische Ele-
ment überwiegt und in der absoluten Monarchie Diokletians^)
den Sieg über dasselbe erringt.
Die Anerkennung des Griechischen als zweite Staatsspra-
che, in welcher die meisten Urkunden, die für die östlichen Pro-
vinzen aus der kaiserlichen Kanzlei hervorgingen-), ausgefertigt
') Kaerst, Studien z. Entwicklung u. theor. Begründung der Mou-
archie im Altertum, München 1898 S. 80.
-) Man hat aber auch schon zur Zeit der Republik diese Urkunden
griechisch abgefaßt. Wilamowitz, in Hinniibergs „Kultur der Gegen-
wart" I/VIII. S. 152 f. vgl. Viereck Sermo Graecus n. I — V.
272 Odilo Haberleitner,
sind, beweist die Pflege des Philhellenismus ^). Orientalische Züge
aber finden wir — um nur ein Beispiel zu erwähnen, auf die übri-
gen sei später eingegangen*) — in dem Prunk der Titel und
in der Auffassung von der Gottheit der Herrscher^).
Lernten nun die Römer einerseits von den Griechen, so
ließen sie andererseits in ihrer staatsmännischen Klugheit auch
das meiste der hellenischen Einrichtungen bestehen. Man weist
mit Recht darauf hin, daß z. B. „eine geordnete Verwaltung
ohne Zuhilfenahme der bereits bestehenden Lokalbehörden" (in
der städtischen und auch Provinzialverfassung) — „undurch-
führbar gewesen wäre"'').
Im nachstehenden ersten Teile der „Studien" sei nun ein
Versuch geboten, aus den Urkunden der römischen Kaiser
neben anderem auch den hellenisch-orientalischen
Einfluß klarzulegen, der sich in vielen Kundgebungen der
Kaiser bemerkbar macht.
Man geht dabei am besten von folgenden Gesichtspunkten
aus : Vorerst wird es nötig sein, die Kaiserurkunden als solche,
sowohl nach ihrem rechtlichen als formellen Wert zu prüfen,
dann soll sich die Untersuchung mit den Formeln der zwei
wichtigsten Arten von Kaiserurkunden, den Edikten und öffent-
lichen Briefen, — und zwar nur derjenigen, die uns inschrift-
lich oder auf Papyri erhalten sind, beschäftigen. Soweit es
möglich ist, soll die Herübernahme hellenischer und orienta-
lischer Formen betont werden. xVnschließend daran werden in
einem zweiten Teile zu behandeln sein: 1) die noch übrigen
Urkundenarten , 2) wird zu sprechen sein über die Echtheit
oder Unechtheit der bei Schriftstellern überlieferten Urkunden.
Endlich 3) soll ein kurzer Ueberblick über die Kanzleigeschichte
die Untersuchung beenden.
Der Verfasser dieses Aufsatzes versuchte, um ein einheit-
liches, geschichtliches Material zur Hand zu haben, die sämt-
lichen Urkunden der römischen Kaiser zu sammeln. Der erste
Teil dieser Sammlung wird im Druck bei B. G. Teubner
^) Mommsen, Rom. Gesch. V. S. 252. Janell, Ausgewählte In-
schriften S. 71 f.
') Siehe unten S. 298 f. ") Janell a. a. 0. S. 77.
«) Mitteis, Reichsrecht und Volksrecht S. 85. Besonders gilt dieser
Satz für Aegj'pten.
Studien zu den Acta Imperatorum Romanorum. 273
in Leipzig erscheinen. Der Titel lautet : Imperatorum
R 0 m a n 0 r u m acta. Pars prior: Inde ah anno irice-
simo primo a. Chr. n. usque ad anmim centesimum duode-
quadragesimum p. Chr. n.''). Mit dem Tode Hadrians abzu-
schließen, dafür gab es einen wichtigen Grund. Abgesehen
von der Fülle von Urkunden dieses Zeitraumes, bildet gerade
Kaiser Hadrians Regierung einen Einschnitt in die Geschichte
Roms. Sie bildet „eine bemerkenswerte Epoche in der Entwick-
lung der monarchischen Ideen" ^), weiters ist Hadrian der erste
Kaiser, dessen Regierungstätigkeit uns so klar aus den Ur-
kunden seiner Zeit hervortritt , endlich beginnt mit Hadrian
die unerschöpfliche Reihe der „Reskripte"^), die uns durch
Justinians Corpus aufbewahrt sind. Hadrian gestaltet auch
die Verwaltung um und verwandelt das frühere Hausamt des
Sekretariats und der Bittschriften in ein Staatsamt.
Da in der Sammlung sich nicht allein Urkunden öffent-
licher Natur {Edikte, Epistulae, Orationes etc.) finden, sondern
auch solche, die sich auf das Privatleben der Kaiser beziehen,
wurde der Name Acta gewählt. Wie in der Kaiserzeit schon
solche Sammlungen bestanden haben ^^), die öffentliche und
private Urkunden in sich schlössen, so geht auch der Verfasser
von diesem Gesichtspunkte aus. Auch die Terminologie für
das Urkundenwesen des Mittelalters bedient sich dieses Aus-
druckes ^^). Das Urkundenwesen des Mittelalters soll auch die
') Im Nachstehenden wird für die Imp. Rom. acta die Kürzung
„IRA" gebraucht, doch werden auch, da der Druck sich in die Länge
ziehen wird, die wiclitigsten Fundstellen angegeben, z. B. Dittenberger
Sylloge etc.
*) Kaerst, Studien S. 93. Kornemann, Hadrian S. 1 fi".
») Kariowa, N. Heidelberg. Jahrbücher VI (1896) S. 211. „Seit
Hadrian erlangen die Reskripte erst wahre Bedeutung".
'") Tacitus Dial. c. 37 führt die Acta eines Mucianus, Vopiscus
(Aurel. 12, 4) die eines Acholius an. Vgl. Peter, Gesch. Literatur I.
S. 253 f. „Acta" ist ein ziemlich weiter Begriff, der nicht nur alle
Amtshandlungen der Kaiser umfast, sondern überhaupt die ganze Re-
gierungstätigkeit auch auf privatem Gebiete. Ich fasse, um einen ein-
heitlichen Terminus zu gewinnen, nur die schriftlichen Aeußerungen
der Kaiser im folgenden als ,Acta" auf. Vgl. Kubitschek in Pauly
Wissowa RE. I. c. 295 — 298 unter Acta (p r i n c i p i s) und v, Sickel
in der Einleitung zu den Acta regum et imperatorum Karolinorum 1.
S. If.
*') Bresslau, Handb. d. ürkundenlehre I. S. 2 f. vgl. v. Sickel, Acta
Karolinorum.
Philologus LXTIII (N. F. XXII), 2. 18
274 Odilo Haberleitner,
leitenden Bahnen weisen, auf denen sich vorliegende Unter-
suchung bewegen soll.
1. Kapitel.
Ueber liefer ung der acta imperatorum
R o m a n 0 r u m ^").
Zwei Fragen drängen sich bei Besprechung der Urkunden
auf. Erstens handelt es sich darum , auf welche Weise die
Urkunden auf uns gekommen sind.
Sie sind teils inschriftlicher Art (Stein, Metall), teils hand-
schriftlicher Art (Pajjyri), teils durch die Werke der Schrift-
steller, teils durch die Gesetzessammlungen Justinians und seiner
Vorgänger uns erhalten.
Die zweite wichtige Frage ist die nach der Originalität
der Urkunden.
Originale (Autographa der altrömischen Terminologie) nennt
man „die Ausfertigungen einer Urkunde, welche auf die An-
ordnung oder mit Genehmigung des Ausstellers entstanden und
bestimmt sind, dem Empfänger als Zeugnisse über die beur-
kundete Handlung zu dienen" ^^). Sind Urkunden wörtlich
gleichlautend mit dem Originale wiedergegeben und es fehlt
eines jener inneren oder äußeren Merkmale, über die noch
' gesprochen werden wird, dann nennt man sie Abschriften oder
Kopien ^'^).
Befaßt sich die mittelalterliche Diplomatik nur in den
dringendsten Fällen mit Kopien — da meist genügend Origi-
nale zur Hand sind — , so ist das Altertum fast ausschließlich
auf Kopien angewiesen. Zur Betrachtung kommen zuvörderst
*2) Bereits nach Abgang vorliegenden Aufsatzes für den Druck
erschien im zweiten Hefte des „Archivs für ürkundenforschung" I. Jhg.
herausgegeben von Brandi. Bresslau und Tangl, ein Aufsatz von B. Faass,
den ich leider diesem Kapitel nicht mehr zugrunde legen konnte. Je-
doch wird an verschiedenen Stellen noch darauf hingewiesen werden.
Der Aufsatz führt den Titel: „Studien zur Ueber] ieferungsgeschichte
der römischen Kaiserurkunde von Augustus bis Justinian".
'3) Bresslau Urkundenlehre I. S. 78. Vgl. dazu den erwähnten Auf-
satz von B. Faass S. 186—200.
") Faass hat geschieden zwischen „offiziellen und anderen Kopien".
Unter offiziellen Kopien versteht er Kopien, die nach einem Original
angefertigt werden, wie z. B. die Vorlagen für die Militärprivilegien.
Die „übrigen uns erhaltenen Kaiserm-kunden gehören der einfacheir Kopie
an".' Vgl. den Aufsatz von Faass S. 200-(219)-2J2.
Studien zu den Acta Imperatoium Romanorum. 275
die uns iuschriftlicli odei* auf Papyrus erhaltenen Urkunden.
Bei den Papyrusurkunden wäre eine Originalität im obigen Sinne
nicht ausgeschlossen. Die Inschriften hingegen kann man nicht
als Originale, sondern vielmehr als beglaubigte Abschriften an-
sehen ^^). Denn es fehlen bei den inschriftlich erhaltenen Ur-
kunden die äusseren Merkmale, die die Beurteilung der Echt-
heit zulassen, nämlich Schriftcharakter (Kanzleischreiber, eigen-
händige Unterschrift des ivaisers) und die Besiegelung^^). Man
ist heutzutage nur auf den Inhalt und die inneren Merkmale
angewiesen : die Formeln , die Datierung und in nachhadria-
nischer Zeit auf die Subscriptionszeile des Kaisers ^^).
Was die Papyri anlangt, so sind wir — weitere Funde
dürften uns eines Besseren belehren — auch hier für die erste
Kaiserzeit vollständig im Stiche gelassen worden. Denn von
den uns überlieferten Papyrusurkunden aus der Zeit bis Hadrian
sind einige überschrieben mit 'Avttypacpov (exemplum), andere
nur teilweise erhalten, und auch diese sind sicherlich Kopien.
Was endlich die dritte und vierte Ueberlieferungsart be-
trijfft, Schriftsteller und Gesetzessammlungen, so können wir
wohl nur von letzteren mit Bestimmtheit sagen, daß in ihnen
die Acta teils wörtlich teils als inhaltlich genaue Auszüge
(Regesten) wiedergegeben sind ^^). Die schriftstellerisch über-
lieferten Urkunden sind, wie dies in der Folge gezeigt werden
wird, auf ihre Echtheit genau zu untersuchen, doch läßt sich
jetzt schon feststellen, daß sie sich teilweise als Regesten, teil-
weise aber — was noch schlimmer ist — als gefälschte Ur-
'^) Wenn Fflugk Harttung, (Papsturkunden auf Marmor, in Quellen
und Forschungen aus ital. Archiven Bd. IV S. 167 — 183) einige Papst-
urkunden auf Marmor als Originale autfaßt, so meint er damit sicher
nicht die Originalausfertigung, sondern nur eine genaue Abschrift
nach dem Original. Vgl. Schmitz-Kallenberg im HJB. (Histor. Jahrbuch
der Görres-Ge'sellsch.) 1905, XXVI S. 588 ff. Das älteste Original auf
Papyrus ist anscheinend der Papyrus Leidensis Z. Vgl. Faass S. 189 tf.
'^) Daß auch die röm. Urkunden der Besieglung nicht entbehrt
haben, beweisen einerseits die Militärdiplome, andererseits Nachrichten
von Schriftstellern, z.B. fürAugustus: Gassius Dio (ed. ßoissevain) LI.,
3, 6, 7. Sueton (ed. Ihm) Aug. c. 50 u. BGU. I. 183 e.
") Vgl. CIL. VIII. n. 10.570 ein Brief des Kaisers Gommodus, wo-
selbst der Steinmetz vor dem: Scrijjsi, recognovi, hinzufügt: ET ALI A
MANV; so auch anderwärts. Vgl. dazu Brandi, „Der byzant. Kaisei'-
brief im Archiv f. ürkundenforschung I/i S. 88.
") Vgl. Faass S. 26(J ff. Statt der Ausgabe Corpus iur. civilis 1872
(1877) wäre dort heranzuziehen die Ausgabe Berlin Weidmann 1902.
18'
276 Odilo Haber leitner,
künden darstellen, welch letztere oft genau in die Form der
echten Briefe und Urkunden hineingezwängt sind.
Es sind uns eben jene Einrichtungen der kaiserlichen Ver-
waltung spurlos verloren gegangen , die einen Blick in das
Urkundenwesen antiker Zeit gestatten, Einrichtungen, denen
die mittelalterliche Diplomatik, besonders die der Päpste, so-
viel zu danken hat : Die Archive, Kanzleivermerke, Register-
bücher.
Wir haben eine große Anzahl von Verweisen bei Schrift-
stellern, die von den Archiven usw. sprechen ^^). Doch all das
wiegt nicht den Verlust auf, den wir durch die Unauffindbar-
keit dieser Einrichtungen erlitten.
Die Beglaubigung der Urkunden kann also auch dadurch
nicht geprüft werden. So kommen wir auf das zurück , daß
uns eben nur innere Merkmale zur Verfügung stehen, aus deren
Beurteilung man die echten von den unechten Acta scheiden
kann. Allerdings kann man sagen , daß die inschriftlich er-
haltenen Urkunden doch eine gewisse Bürgschaft für beglau-
bigte Abschriften geben. Denn Stein und Erz sind das eigent-
liche Material, worauf die antiken Völker ihre Staatsverträge,
Volksbeschlüsse und anderweitige Urkunden verzeichneten-").
Doch man kann heute nicht genug skeptisch sein und muß
vorsichtig zu Werke gehen. Anhaltspunkte geben immer und
immer wieder die Formeln, die sowohl in lateinischen als grie-
chischen Urkunden der Kaiserzeit fast gleiches Gepräge tra-
gen ^^).
>«) Plinius epist. (ed. Keil 1870) IV, 6, 2; V, 5, 5; VII, 27, 14; VIII
5, 7; adTraian. 65, 3. Sueton: Tib. 51, Cal. 49, Nero 47. Vopiscus :
Scr. bist. Aug. ed. Peter 2; Prob. 2, 1. Frontin, de aquis c. 98, 99,
ferner CIL. X 7852; Bresslau, Urkundenlehre I S. 91 f. Derselbe: Zeit-
schr. f. Rechtsgesch. (Savignystiftung) rom. Abt. VI. Memelsdorff „De
archivis ..." Halle 1880. Wenn städtische Gemeinwesen ihr Archiv
besaßen, wie aus dem Briefe des Augustus IRA. n. 33 = Ditfc. Syll. ''
356 erhellt, umwieviel mehr der kaiserliche Hofhalt. Auch Bibliothe-
ken wurden als Archive benützt. Vgl. Dziatzko in Pauly-Wissowa 11
und III unter Archiv u. Bibliotheken, ferner Clark, The care of books,
Cambridge 1902. Steinacker, Wien. Stadien XXIV. S. 301 ff.
^"j Die wenigen uns sowohl inschriftlich als handschriftlich er-
haltenen röm. Kaiserurkunden zeigen, daß „die inschriftliche Ueber-
lieferung . . Anspruch auf sachliche und förmliche Vollständigkeit
erhebt"; dagegen ist die handschriftliche Ueberlieferung oft sehr dürftig.
Faass S. 254 ff.
^*) Dabei ist wohl zu merken, daü griechische Urkunden nicht
Studien zu den Acta Imperatorum Romanorum. 277
Allerdings sind auch im Altertum grobe Inschriften- und
Urkundenfälschungen vorgekommen. Wir haben Beweise schon
aus alter ägyptischer Zeit. Ramses IL hat seine Bedeutung,
die er lange in den Augen der Geschichtsforscher hatte, ein-
gebüßt, seitdem man nachweisen kann, daß er inschriftlich
verherrlichte Taten seiner Vorfahren durch Auskratzen des
Namens des tatsächlichen Siegers zu seinen eigenen umschuf ^^).
So mag es wohl auch bei den Griechen gewesen sein.
In der republikanischen Zeit Roms achtete man wenig auf
Urkunden-^), erst in der Kaisei'zeit begann man Fälschungen
strenge zu ahnden. Man erfand damals zuerst — so erzählt
Sueton^*) — das Sicherheitsmittel gegen Urkundenfälscher, in-
dem man die Tafeln mit Löchern versah und durch diese einen
dreifachen Faden zog und dann das Siegel aufsetzte '^).
Es kann endlich auch bei Inschriften der Fall eintreten,
daß der Steinmetz oder Graveur absichtlich, sei es aus Bequem-
lichkeit, sei es aus irgend einem anderen guten Grunde (Ma-
terialmangel) gekürzt habe. Ein gewissenhafter Kopist setzt
allfällige Auslassungen nachträglich an den Rand oder in klei-
nerer Schrift in den Text^'^). Nicht selten kommt es aber
auch vor, daß man alles überflüssig Erscheinende wegläßt oder
kürzt'"). Doch haben wir, wie wir noch sehen werden, einige
vollständig erhaltene, zweifellos echte Kaiserurkunden auf Stein,
die uns Aufschluß über Formeln und Stützpunkte geben, ge-
kürzte oder heutzutage verstümmelte Inschriften wiederherzu-
stellen. Denn es darf nicht außeracht gelassen werden , daß
die Herstellung dieser Inschriften einer behördlichen Kontrolle
unterlag, daß das Original im Archiv der Stadt oder der Ge-
meinde aufbewahrt wurde, endlich daß die Stein- und Metall-
immer lateinischen Text zur Grundlage haben müssen. Viereck, Berliner
philol. Wochenschrift li^OS, Sp. 145.
^^) Vgl. V. Bissing, Gesch. Aegyptens S. 64.
23) Peter, Gesch. Literatur I S. '238 f.
'■^■*) Sueton Nero 17. Adversus falsarios tunc primum repertum, ne
tabulae nisi pertusae ac ter lino per foramina traiecto obsignarentur.
'-'^) Plinius ersucht Traian, um Abschriften von Urkunden, die im
kaiserlichen Archive liegen, da die in seinen Händen befindlichen ihm
verdächtig erscheinen: ep. 65, 3.
-®) Ein gutes Beispiel hiefür IRA. 519 (Fränkel, Inschriften v.
Perg. VIIl/2 n. 274).
2') Vgl. IRA. 284 = CIGr. III add. 3831 a'«.
278 Odilo 11 aber leitner,
kopien öffentlich aufgestellt, jederzeit mit den Originalen ver-
glichen werden konnten.
Bezüglich des Schriftcharakters kann man bei einigen In-
schriften — sowohl ans der Schrift, wie auch aus stehenden
Kürzungen heraus — entnehmen, ob sie einem Steinmetz zu-
zuschreiben sind oder mehreren. Auf den Inschriften begegnet
uns meist der Lapidarstil -^), während Papyri meist die alt-
römische, beziehungsweise griechische Kursive zeigen, und zwar
meistens die von den Römern hauptsächlich angewendete Maius-
kelkursive-^).
II. Kapitel.
Hauptgattungen der acta Imperator um
R 0 m a n o r u m.
Die acta imperatorum können nach verschiedenen Gesichts-
punkten eingeteilt werden. Wir teilen sie nach dem Inhalte
ein : 1) in P r i v a t b r i e f e , die sich auf das kaiserliche Pri-
vat- und Familienleben beziehen. 2) in öffentliche Kund-
gebungen der Kaiser. Die Privatbriefe sind uns meistens
durch die Schriftsteller erhalten, die öffentlichen Kundgebungen
aber in den im vorhergehenden Kapitel angeführten 4 Ueber-
lieferungsarten. Die öffentlichen Kundgebungen der Kaiser
nennt man constitutiones, dazu treten noch die niandata, leges
datae und die in zwei Hauptformen uns überlieferten Militär-
privilegien.
Die zweite Hauptgattung, die Constitutione s lassen sich
inhaltlich und formell in verschiedenen Gruppen zusammen-
fassen.
Bevor wir aber darauf ausgehen, die Urkunden inhaltlich,
d. h. nach Rechtsgrundsätzen zu gliedern, ist es notwendig,
die Rechtsgültigkeit der kaiserlichen constitidiones kurz zu be-
leuchten.
Die Worte der Rechtsgelehrten Gaius und Ulpian ^°) geben
uns klaren Aufschluß über die rechtliche Stellung der consti-
tutiones: Der Kaiser empfängt selbst durch das Gesetz die
28) Larfeld, Griech. Epigraphik 1 S. 225 ff. u. 234 ff.
29) Bresslau, ürkundeniehre I S. 90(3.
^°) Gaius, inst. comm. I, 2 § 5. Ulpian libro primo inst. = Dig. I.
4, 1, 1.
Studien zu den Acta Imperatorum Romanorum. 279
Herrschaft, daraus erwächst auch für seine Festsetzungen Ge-
setzeskraft und es erhellt, daß sie vom Augenblicke der Ver-
öffentlichung rechtlich in Kraft treten. Die Constitutionen er-
strecken sich „auf die Rechtsanwendung und das öffentliche
Recht" ^^). Ulpian gibt aber noch eine weitere Definition für
die Rechtsverbindlichkeit, indem er sagt, die Constitutionen
gelten an allen Orten ■'-) ; folglich überwiegt die Constltutio
lokales Recht und kann es aufheben. Für die Rechtsgültig-
keit der Festsetzungen des Augustus und seiner Nachfolger
nahm man eine eigene Klausel in das Gesetz über das Impe-
rium auf ^^). Aus dieser Rechtsstellung der kaiserlichen Con-
stitutiones erklärt es sich auch, daß in ihnen die bedeutend-
sten Rechtsquellen der Kaiserzeit gesehen wurden ^*) und in
ihnen bewegt sich „die eigentliche Regierungstätigkeit des
Kaisers" ^^).
Die Einteilung, die die beiden erwähnten Rechtsgelehrten
geben , ist nach rechtlichen Grundsätzen getroffen worden.
Gaius nennt Dekrete, Edikte, Epistulae ; Ulpian Epistulae und
Subscriptiones, Dekrete, Orationes (Edikte). Ihnen gegenüber
steht Suetons Einteilung in Epistulae, Orationes und Edikte'^).
Betrachten wir nun die Rechtstellung der einzelnen Haupt-
gattungeu.
Die wichtigsten Entscheidungen öffentlicher Natur traf
der Kaiser durch die Edikte. Die Rechtsgültigkeit bezieht
sich entweder auf das ganze Reich, doch können auch nur
kleinere Kreise in Betracht kommen^"). Die Rechtsgültigkeit
der Edikte erstreckte sich meist auf die Regierungsdauer des
") Mitteis, Reichsrecht S. 120.
"-') Ulpian Dig. XLVII, r2, S, 5 : , et oportet imperialia statuta suam
vim obtinere et in omni loco valere".
33) Lex de imperio. Vgl. Kariowa, Rom. RRG. I. S. 498, unter 10.
Die Klausel in der lex de imperio Vespasiani lautet: Uti quaecumque
ex usu reipublicae maiestate divinarum humanarum publicarum pri-
\atarumque rerum esse censebit, ei agere facere ius potestasque sit
ita, uti divo Aug. Tiberioque Julio Caesari Aug., Tiberioque Claudio
Caesari Aug. Gennanico fuit (nach Kariowa a. a. 0.)
3*) Kariowa a. a. 0. S. 646 f.
35) Mommsen, StR. II ^ S. 86S, Jörs in Pauly-Wiss. RE. IV/i c. 1 106
bis 1109.
38) Sueton, Tit. 6; Dom. 20. Ueber Sueton siehe Peter, Gesch.
Lit. I. S. 353.
") Kariowa a. a. 0. S. 646 f.
280 Odilo Haberleitner,
Herrschers ^'^). Bestätigungen durch den Naclifolger kamen
öfters vor^^). Durch Veröffentlichung eines Ediktes macht
der Kaiser Gebrauch von dem „ins edicendi"**^) und er schließt
sich häufig an hergebrachte Volks- und Stadtrechte an^^).
Die Edikte sind an die Gesamtheit der Untertanen gerich-
tet und die Formel: „Imperator . . . dicit" zeigt, daß es sich
um einen strikten Befehl handelt.
Eine Abart des Edikts ist die Oratio. Hier spricht der
Kaiser zum Senat. Die Oratio wird entweder vom Kaiser
selbst oder von einem dazu Beauftragten^-) abgelesen, enthält
Berichte und Anträge, selten Befehle. Doch ist es natürlich
im Belieben des Kaisers gelegen, per orationem Befehle an
den Senat gelangen zu lassen. Die Oratio wurde in die acta
senatus^ von hier aus in die acta nrhis aufgenommen und so
veröffentlicht'*^). Eine Zwischenstellung zwischen Edikt und
Oratio nimmt die A d 1 o c u t i o ein. Es sind dies Ansprachen
an das Heer (Armeebefehle) u. dgl.**).
Diese drei Arten, Edikt, oratio und adlocutio sind unbe-
dingt für die Oeffentlichkeit bestimmt. Nicht unbedingt offi-
ziell Verlautbarte constitutiones sind dagegen die Epistulae
und Subscriptiones, die Rescripte und die D e-
c r e t a.
Wenden wir uns der wichtigsten Gattung aller Verfü-
gungen der Kaiser zu : Der E p i s t u 1 a , dem Briefe. Für
.,Brief" haben wir folgende Ausdrücke : griech. ypd\x\iO!.~oc, SeX-
xo?, ceXtiov, sKLaioX-/], lat. litterae, charta, tabula, libellus, co-
dicillus, epistula ■*^).
^®) Auch konnte das Edikt unbestimmte Gültigkeit haben z. J3.
IRÄ. 80 = CIL. X 4842 : De aquaeductu Venafrano.
") Kariowa RRG. I S. 64('. f. Gr. Pap. Brit. Mus. III. p. 217 n. 1178.
*") Krueger, Gesch. der Quellen in Bindings syst. Hdb. I/2 S. 93-
■'^j Mitteis Reichsrecht S. 12. Besonders in den östl. Provinzen.
*^) Gewöhnlich tat es der Quaestor; tür Vespasian las Titus die ora-
tiones im Senate ab. Sueton: Tit. c. 6.
*^) Peter, Gesch. Literatur 1 S. 357. Aus den acta senatus hat
auch Tacitus wahrscheinlich Kenntnis von der oratio Claudii de iure
hon. Gallis dando. Vgl. Stein, die Protokolle des röm. Senats und ihre
Bedeutung für Tacitus. R. Programm Prag 1904. S. 13 n. 8. Vgl.
Nipperdey's Tacitus-Ausgabe u. CIL. XIII l(3tiS = IRA. 236.
**) Vgl. Hadrians Adlocutio Lambaesitana IRA. 546 = CIL. VlII/i
n. 2532.
^") Dziatzko in Pauly-Wissowa KE. III/i, c. 880 und Brassloft' in
Pauly-Wissowa RE. VI/i c. 204—210 unter: epistula.
Studien zu den Acta Imperatorum Romanorum. 281
„Briefe" sind die in Briefform ergangenen Erlässe der
Kaiser, und zwar an eine Person oder Gemeinde oder einen
Volksstamm gerichtet, daher nicht allgemein gültig; in den
Briefen finden wir meist Anlehnung an hergebrachtes Recht.
Die Form der Briefe ist gänzlich verschieden von der der
Edikte. „Auch für den amtlichen Brief war strenge Kunst-
mäßigkeit der Form Regel" ^'''), wie für die literarische Epistel.
Wenn sie trotzdem Plinius als „inliteratissimas litteras^ ^'')
bezeichnet, so will er sie wohl nur von den Privat- und lite-
rarischen Briefen scheiden. Daß man auf gute stilistische
Form und auch auf rhetorische Ausschmückung der Briefe
großes Gewicht legte , beweisen die feingebildeten Sekretäre
{cib episttdis), die die Kaiser in ihre Kanzlei und damit zu
einem der einflußreichsten Haus-, später Staatsämter beriefen*^).
Außer der rhetorisch-stilistischen Ausschmückung der amtlichen
Briefe trifft man hier auf ein entwickeltes Formelwesen, das
allmählich zur Schablone und traditionell in der Kanzlei
wird ^9).
Die häufigste Form des Briefes ist das Reskript. Dar-
unter verstehen wir kurzweg ein Antwortschreiben, das haupt-
sächlich Rechtsstreitigkeiten und Rechtsentscheidungen für be-
sondere Fälle zum Inhalt hat. Während wir aus vorhadria-
nischer Zeit nur wenig wirkliche Reskripte besitzen — als
Reskripte könnte man ja auch Dankschreiben, Berichte über
die am kaiserlichen Hofe anlangenden Gesandtschaften auf-
fassen — , so erlangen sie seit Hadrian größere Bedeutung^").
Die Reskripte werden in mehreren Exemplaren ausgefertigt
und haben Gültigkeit, wenn sie in den Archiven der Behörden
— natürlich nach vorhergegangener Publikation — niederge-
legt wurden ^^). Die Gesetzessammlungen bieten eine große
") Kukula i. d. Einleitung zu den Briefen des jüngeren Plinius
S. XXIII. Peter, der Brief S.'l9S.
") Plinius ep. (ed. Keil) I, 10, 9.
«) Interessantes Material bietet Peter, Gesch. Lit. I S. 329 ff. im
Kapitel „über die kaiserlichen Kanzleien und literar. Hausämter ' vgl.
dazu: Rostowzew, Paulv-WissowaRE. VI/i, c. 210—215 unter: ah cpistuUs.
Hirschfeld, Yeiw. b.^ 318 ff. *«) Kukula a. a. 0. S. XXIV.
=0) Kariowa RKG. I S. 630 u. 650. Neue Heidelbg. Jahrbücher VI
(1896) S. 211. Vgl. oben Anm. 9.
^1) ebders. in N. Heidelbg. Jahrb. a. a. 0. daselbst Verweis auf
Mommsen: Kgl. Sachs. Gesellsch. der Wissensch. phil. bist. Klasse III
(1851) S. 379.
282 Odilo Haberleitner,
Meuge von Reskripten, die nunmehr seit der Redaktion durch
Justinian — sofern sie nicht noch anderweitig z. B. in erhal-
tenen Schriften der Rechtsgelehrten aufgezeichnet und daselbst
schon gekürzt waren — in ihrer großen Mehrzahl als Regesten
auf uns gekommen sind. Seit der Ausgabe des Edidum per-
petuum unter Hadrian werden die Reskripte auch „über die
Regierungszeit der Kaiser hinaus verbindlich"^-).
Eine Abart der Epistula bzw. des Reskriptes sind die
Subscriptiones: Erledigungen der Kaiser, auf die ein-
gesandten Bittschriften selbst gesetzt ^^). Diese Subscriptiones
werden ebenso wie die heutigen amtlichen Entscheidungen nur
ganz kurz gefaßt worden sein.
Eine weitere Art kaiserlicher Verfügungen sind die D e-
c r e t a (interlocutiones). Sie gehören zu den Constitutiones
und werden getroffen, wenn der Kaiser persönlich zu Gericht
sitzt, oder eine Rechtsentscheidung „im Wege der Appellation
an den Kaiser gelangte". Interlocutiones sind Zwischen-
verfügungen, die Rechtsfälle betreffen, die vor dem Endurteil
vorgebracht wurden. Auch diese sind meist rechtsverbind-
lich ^^).
Instruktionen für die Statthalter und untergeordneten Be-
amten sind in den man data principis erhalten ^'').
^2) Schanz, Rom. Liter. G. III 2 S. 193. Vgl. auch Kariowa RRG. I
S. 630.
5^) Kariowa a. a. 0. S. 650. Ueber rescriptum u. subscriptio
vgl. noch Brassloff, Pauly-W. RE. VI/i c. 204—210. Faass lehnt
die Bezeichnung subscriptio für eine Abart der kaiserlichen Briefe
ab (S. 227 ff.;. Subscriptio sei nicht die Entscheidung des Kaisers
selbst, sondern nur die Unterschrift desselben. Die Gründe, die Faass
für die Ablehnung ani^ibt, sind m. E. nicht vollständig zutreffend.
Demgegenüber halte ich daran fest, daß die Kanzlei die Genehmigungs-
formel oder den abschlägigen Bescheid auf den libellus setzt, worauf
der Kaiser diese Kanzleierledigung eigenhändig unterfertigt. Die ganze
Erledigung, nicht nur die Unterschrift allein, ist dann als subscriptio
zu bezeichnen, und kann mit Fug und Recht als kaiserliches Actum
angesehen werden.
"*) Hesky in P.W. RE. IV/, c. 2290 f. und Kariowa RRG. I S. 6-19.
Wenn Monniisen Staatsrecht II ^ S. 870 sagt, diese zwei Gruppen, näm-
lich epistulae und subscri])tiones einerseits, decreta und interlocutiones
andererseits seien einer strengen Scheidung weder bedürftig noch fähig,
denn es mache keinen rechtlichen Unterschied, in welcher äußeren
Gestalt die kaiserliche Willensmeinung sich kundgebe, so gilt der erste
Teil: , bedürftig" nur für die rechtliche Seite. Formell können sie,
wie wir noch sehen werden, ganz gut geschieden werden.
^°) Krüger, Quellen, in Bindings Hdb. I/> S. 99. Kariowa RRG. I
Studien zu den Acta Imperatorum Romanorum. 283
In keine der bisher angeführten Arten von kaiserlichen
Verfügungen lassen sich die privilegia militum de
civitate et conubio aufnehmen. Diese Privilegien schließen
sich an an die leges datae, welche Form von den Kaisern
meistens bei Verleihung von Stadt- und Bürgerrechten ver-
wendet wurde ^''). Für die privilegia militum de c. et con.
kennen wir zwei Fassungen : die eine findet sich iu Privilegien
solcher Veteranen, die bereits das röm. Bürgerrecht besitzen
und nur das conubium mit latinischen oder fremden Frauen
erhalten : die zweite Form gilt für alle milites peregrini, die
durch die Tabula sowohl Bürgerrecht als conubium erhalten.
Fassen wir kurz die einzelnen Arten der Acta imperato-
rum Romanorum zusammen, so erhalten wir folgendes Schema :
I. Privatbriefe
c [ II. a) Edikte, b) Orationes, c) Adlocutiones
•^ j III. a) Epistulae (öffentl. Natur), b) Reskripte, c) Sub-
^ I scriptiones
s IV. a) Dekreta, b) Interlocutiones
^ V. Mandata
VI. Leges datae
VII. Privilegia militum veteranorumque de civitate et
conubio.
IIT. Kapitel.
Veröffentlichung und Sammlungen der acta.
Edikte, Reden und Ansprachen werden meist auf kürzere
oder längere Zeit öffentlich kundgetan , in einer Stadt allein,
z. B. am Ausstellungsorte, oder an dem vom Edikte betroffe-
nen Orten ^'). Es werden die zuständigen Behörden aufgefor-
S. 652 bezweifelt — neben anderen — ob die mandata zu den con-
stitutiones zu rechnen seien oder nicht. Er führt die Literatur über
die ganze Streitfrage an. Die mandata gehören m. E. nach nicht zu
den constitutiones, sondern überhaujit zu den acta.
=6) Kariowa RRa. I S. 624. Vgl. IRA. 387 = CIL. II 1963 : exve
hac lege edicto . . . (bietet auch ein Beispiel für Bestätigung des Ge-
setzes durch Vespasians Söhne und Nachfolger).
5^) Z. B. das Edikt des Claudius über die Juden: IRA. 210 =
Joseph. Antiq. XIX 286—291 (Naber) soll durch 30 Tage in allen Stadt-
gemeinden Italiens und auL-erhalb desselben, von den Magistraten und
verbündeten Fürsten publiziert werden : ^touxö [iou zb S'.dxaYiia Toug
äp}^ov-as "^ö'' köXswv xal tcBv xoXwviwv xai [jiouvi/.iTricüv tcöv iv x'^ 'IxaÄiof
284 Odilo Haber leitner,
dert, die Edikte zu veröffentliclien, auch das Material wird an-
gegeben, in welches die Urkunde eingeschrieben werden soll ^^).
Von veröffentlichten Orationes besitzen wir — um nur ein
Beispiel zu erwähnen — die oratio Claiidii de iure honorum
Gallis dando^^), von adlocutiones u. a. die Anspraclie Ua-
drians an die Soldaten zu Lambaesis ^'^) .
Daß auch Briefe und Reskripte öffentlich aufgestellt wur-
den, beweisen die zahlreichen Fände von solchen Verfügungen
auf Marmor. Allerdings liegt das Publizieren der Briefe we-
niger im Interesse des Kaisers als in dem der Empfänger.
Subscriptiones, Dekrete und Mandate wurden m. E. kaum der-
gestalt veröffentlicht, daß man daran ging, sie in Stein oder
Erz zu schreiben , da gerade diese Arten der Acta mehr das
Einzelindividuum betreffen als die Gesamtheit.
Die leges datae wurden ähnlich wie die Comitialgesetze
in Kupfertafeln eingegraben und an Öffentlichen Gebäuden be-
festigt«!).
Die Militärprivilegien, wie sie uns überliefert sind, bringen
am Schlüsse vor der Zeugenreihe folgende Formel:
Descriptum et recognitum ex tabula aenea^ qiiae fixa est
Bomae in ^^),
Die Kanzleiausfertigungen waren also zu Rom öffentlich
aufgestellt, die uns überlieferten Privilegien sind beglaubigte
Abschriften {descriptum et recognitum). Diese Tabulae bringen
oft auch, um das Aufsuchen zu erleichtern, neben Aufstellungs-
ort auch Nummer, Kolumne oder Pagina und Kapitel ^^).
xai Tcüv ixTÖs, ßaaiAstg xe ^ai ouväa-cag h-^-^pöiii'XQ^'xi ßo'JXojJia!.,
iy.xsijisvöv x£ oOy. sAat-cov TjiJLeoöv xp'.äxovxa. . /!/". Daß das Edikt des
Claudius De civit. Anaun. IRA. 220 = CIL. V 50^)0 öffentlich aufge-
stellt war, beweisen die Worte: propositum fuit Bais in praetorio.
=8) Cod. Theod. II 27 1, 6; XIV 4, 4.
°8) IRA. 236 = CIL. XIII 166S; vgl. Cassius Dio LX, 10, 2, für
Aug. und Tiber. LXI, 3, 1 für Nero.
«») IRA. 54G = CIL. VIII/i 2-532. Vgl. dazu S. Dehner. Hadriani
reliquiae v. I. Diss. Bonn. 1883. A. Müller, Manöverkritik; Kaiser Ha-
drians Leipzig 1900. Heron de Villefosse, Festschr. f. Hirschfeld Berlin
1903 S. 192 ff.
«0 IRA. 387 = CIL. II 1968 die tabulae .Malac. Kariowa RRG. I
S. 624.
'-') Der Ort ist anfan^'s verschieden. Seit Domitian: in muro post
templuDi divi Augusti ad Minervam.
«3) IRA. 292 = CIL. III S. I S. 19:.8. Vgl. Faass unter offizielle
Kopien S. 20iJ— 219.
Studien zu den Acta Imperatorum Romanorum. 285
Es kommt nicht selten vor, daß man gewisse Verfügungen
der Kaiser anderen Urkunden, z, B. Volksbeschlüssen etc. an-
hängte. So haben wir uns zu erklären die am Heroon zu
Rhodiapolis erhaltenen Opramoasurkunden des Kaisers Anto-
ninus Pius ''^). Besonders bei Edikten treffen wir dies häufig
an und zwar sind sie entweder magistratlichen Edikten vor-
ausgeschickt: antelata cdido oder angehängt proposita suh
edido.
Sammlungen von kaiserlichen Acta sind in der verschie-
densten Weise im Altei'tum angelegt worden. Abgesehen von
den Acta in Archiven und Bibliotheken *^^) gab es zu Rom eine
Menge von öffentlichen Plätzen , woselbst man gewisse Acta auf-
stellte. So verbrannten bei der Einäscherung desKapitols im J. 69
n. Chr. 3000 Urkunden: iustrnmentum imperii pulcherrimum
ac vektstissimum , und Vespasian suchte durch gute Kopien,
die er in allen Teilen des Reiches sammeln ließ, den Schaden
wieder gut zumachen®*^). Ferner besaß man commentarii epi-
stidarum und der Lihelli und Reskripte ''').
IV. Kapitel.
Innere Merkmale der acta imperatorum.
Sind für die Urkunden der römischen Kaiser wenige oder
gar keine äußeren Merkmale vorhanden, die die Echtheit oder
Unechtheit erweisen sollen, so bleibt nur ein Ausweg, um die
Urkunden zu prüfen , übrig : Die inneren Merkmale. Diese
geben aber auch noch weitere Vergleichungspvinkte. Sie lassen
oft sehr deutlich erkennen, inwieweit in den Kaiserurkunden
Roms eine Herübernahme fremder Einflüsse stattgefunden habe,
was die kaiserliche Kanzlei an dem Hergebrachten veränderte,
was endlich sie dem Mittelalter übermittelte.
Das formale Gepräge der einzelnen Urkundenarten soll
nun in Kürze hier festgestellt werden *^^).
**) Opramoas, Inschriften vom Heroon zu Rhodiapolis hsf. von
Heberdey. Wien 1897; u. a. noch IRA. 33 = IG. XII/s n. 174. ^
®5) Die besonderer Behandlung bedürfen.
««) Sueton Vesp. c. 8. Peter, Gesch. Lit. I. 218 f.
«') Vgl. V. Premerstein in Pauly-Wiss. RE. IV/i c. 739 f.
"*) Es werden zunächst nur die inschriftlich und auf Papyren er-
haltenen Edikte und öfFentl. Epistulae behandelt. Die übrigen Arten
der Constit. und Acta erhalten im II. Teile eine genaue Bebandlung.
286 Odilo Haberleitner,
Die Privatbriefe der Kaiser, die uns meist schriftstelle-
risch überliefert sind, haben unter der Hand der Autoren der-
art gelitten ''^) , daß man ihre Formeln erst dann erkennen
kann , wenn man des Schriftstellers stilistische Eigentümlich-
keiten abstrahiert hat. Vorerst ist es aber notwendig, die
Formeln in den zwei wichtigsten Gattungen der kaiserlichen
Constitutiones festzustellen , in dem Edikte und dem öffent-
lichen Brief.
L Das Edikt.
Das Edikt ist vornehmlich charakterisiert durch die For-
mel: Imperator .... dicit, Auxoxpdxwp . . . XeyEc, worauf der
meist mit cum eingeleitete Tenor des Ediktes folgt '").
Die Einleitung des Ediktes durch dicit — Aeyei scheint
für diese Form von Kundmachungen erst bei den Römern auf-
gekommen zu sein. Wohl kennt man aus viel früherer Zeit
schon solche Einleitungen, wie z. B. das Schreiben des Darius
an Gadatas mit den Worten beginnt: BaatXsu? ßaatXswv Aa-
peios 6 TaxaaTieü) raoaiat Sou^^w: taoe Xeyec: . . . '^). Dies ist
aber ein Brief, kein Edikt des Großkönigs. Erstens wird die
Adresse wie zweitens das laoe schon das Kennzeichen für den
Brief sein. Auch andere Briefformeln kommen daselbst noch
vor'^). Wie die Briefe der hellenistischen Könige die Vor-
bilder und Typen gewesen sind, nach denen die kaiserliche
Kanzlei ihre Briefformeln ausführte, so bildet dieser Brief des
Darius gleichsam eine Brücke von dem Briefwesen der Perser
zu dem der Griechen. Auch er zeigt uns, daß es orientalischer
Gebrauch war, den Brief zu beginnen mit: ^Folgendes sagt er
dir .... xaoe Xeyet: . . . ''^).
Das Hysi-dicit wird von der Kaiserzeit an ausschließ-
Ebenso werden daselbi?t auch die von Schriftstellern und den Gesetzes-
sammlungen überlieferten Acta besprochen. Grund für die Verschiebung
liegt darin, daß die Sammlung der Acta nocli nicht vorliegt.
^^) Abgesehen von den Traian-Plinius-Briefen.
">) IRA. 220 = CIL. V 5050. IKA. 240 = CIL. III S. 7251.
'>) Ditt. Syll. - I n. 2.
'-) Könnte nicht die spätere Zeit — da die uns vorliegende Fassung
des Briefes aus dem Anfang unserer Zeitrechnung stammt — (Ditt.
Syll. a. a. 0. Anm.) — ihrem Geschmacke und ihren Formeln zuliebe
das Schreiben geändert haben? Vgl. Dittenberger Hermes XXXI. S. 643 ff.
") Vgl. Gerhards Abhandlung über die „Anfangsformel des griech.
Briefes" SA. S. 29 ff'. (Philologus 1905).
Studien zu den Acta Imperatorum Romanorum. 287
lieh in den Edikten verwendet. Auch Amtspersonen und Statt-
halter edizieren auf diese Weise'*). Aus der republikanischen
Zeit sind Edikte erhalten , die formell ganz anders gestaltet
sind^^).
Von den Edikten des Augustus ist das über den aquae-
ductus zu Venafrum "") eingeleitet mit: Edidum hu [p. Cae-
saris Augusti].. Dann fehlen 6 Zeilen. Dies führt zur An-
nahme, daß die angegebenen, einleitenden Worte nur den „Kopf"
des Ediktes bildeten, während die übliche Imperator- . . dicit-
Formel und die Datierung in einigen von den 6 Zeilen ge-
standen haben. Ein ähnliches Beispiel gibt uns das bekannte
Edikt des Claudius über die Anauner "'). Auch hier ist die
Datierung als IJeberschrift mit dem Vermerke: edidum Ti
Claudii Caesaris Aug. Germ. . . propositum fmt^ gegeben.
Die griechische Form Xsys'. findet sich außer bei den
Edikten des Claudius IRA. 225 = IG IV 908 und dem Neros
IRA. 279 = IG VII 2713 noch bei den von Flavius Josephus
uns überlieferten Edikten des Augustus (Antiq. XVI 6, 2
(162—166, Naber), des Claudias (Ant. XIX 5,2 u. 5,3 (280—86,
287—92). Die Echtheit der überlieferten Edikte und ihre For-
meln bei Josephus zu untersuchen, ist eine Aufgabe, der wir
später gerecht zu werden suchen.
Auf das dicit-liyei folgt sofort der Sachverhalt. Claudius
liebt es, geschichtliche Reminiszenzen dem Kern des Ediktes
einzuflechten.
Ständige Formeln innerhalb des Textes der einzelnen Edikte
nachzuweisen, ist bisher noch nicht gelungen. Ursache hievon
dürfte sein, daß die wenigen, uns erhaltenen Edikte meist nur
unvollständig — besonders gegen den Schluß hin — auf uns
gekommen sind. Auch dürfte man zu behaupten wagen, daß
'*) Vgl. auch das Edikt Acrrippas II (50—95 p. Chr.) = Ditt. Or.
Gr. I n. 424, ferner CIGr. III '49.3t;— 7. Pap. Oxyrh. II 237 col. VIII
V. 28. (S. 163) Viereck S. Gr. VII. Josephus Ant. XIX 303—311 (Naber).
'^) Vgl. das Senatus consultum de Bacchanalibus: Dessau Inscr.
Lat. sei. I, 18, p. 5, das Edikt der XVviri s. f. Dieses allerdings schon
aus Augusteischer Zeit. CIL. VI. 32 323. Im senatus consultum De
Bacchanalibus lautet die Aufangsformel . (2) De Bacanalihus,
quei foideratei essent , it a ex dei c endum censu er e . . . . Das :
Ait Praetor gehört, wie Kipp, Pauly Wiss. RE. V/o c. 1941 bemerkt, nicht
in diesen Zusammenhang.
->■'') IPtA. 80 = CIL.\X n. 4842. ") IRA. 220 = CIL. V n. 5050.
288 Odilo Haberleitner,
das Edikt nicht geeignet sei, sich starrem Formelwesen anzu-
passen, denn die rechtlichen Bescheide, die es birgt, sind meist
solcher Natur, daß man sie nicht anders als in ihrer einfach-
sten Form abfassen soll und muß.
Die Datierung in den Edikten erfolgt auf verschiedene
Art und Weise. Vorerst geben die Titel der Herrscher chro-
nologische Anhaltspunkte. Manchmal tritt noch eine beson-
dere Datierung hinzu, nach Consulen und die Tag- und Mo-
natsangabe''^). Doch darf nicht außeracht gelassen werden,
daß solche Datierungen, die die Ueberschrift des Ediktes bil-
den, nicht in den Kontext der Urkunde hineingehören.
Durch das dicit-liyei wird der Kaiser sprechend einge-
führt und die auf den Kaiser (den Edizierenden) bezüglichen
Wortformen stehen sämtlich in der ersten Person.
Selten wurde ein Edikt vorgelesen, meistens auf weißen
Holztafeln {in alhö) aufgeschrieben und derart veröffentlicht.
Neros Edikt „üeber die Befreiung Griechenlands"
ist gesprochen worden, doch behält diese Rede die Form des
Ediktes bei^^). Als seit Hadrian das kaiserliche Reskript mehr
und mehr die Stelle des Ediktes einnahm, änderte sich die
formelle Gestaltung des Ediktes und Reskriptes insoweit, daß
auch das Edikt in der Form des Reskriptes abgefaßt sein
kann ^°).
n. Die öffentlichen Briefe.
Literatur: Leon Lafoscade, De epistulis imperatorum
I n s u 1 i 8 1902. P. Viereck, Sermo Graeciis Göttinnen
1888. L. Hahn, Rom und Bomanismus bis auf die Zeit Hadrians
Leipzig 1906.
Um die Foi'meln in den Briefen der Kaiser richtig zu er-
kennen, muß von der mittelalterlichen Diplomatik ausgegangen
werden, d. h. es werden im folgenden die Kunstausdrücke dieser
bedeutendsten historischen Hilfswissenschaft angewendet wer-
den. Die reiche formale Gliederung der mittelalterlichen Ur-
kunden ist durch bedeutende Forschungen festgestellt und ver-
wertet worden ^^).
'«) IRA. 220 = CIL. V n. 5050.
'®) Allerdings, wie es erscheint, gekürzt.
^"j Ausnahmen gibt es auch hier, besonders für allgeraein gültige
Entscheidungen z. B. Diokletians Preisedikt CIL. III S. 801 ff".
8*) Maßgebend sind hier die zusammenfassenden Werke von Bress-
Studien zu den Acta Imperatorum Romanorum. 289
Das mittelalterliche Kanzleiwesen hat die Privilegien der
Kaiser und Könige, die Bullen der Päpste, der Hauptsache
nach in folgende zwölf Formeln gekleidet:
I. Eingansprotokoll (Protokoll).
a) Invocatio (Anrufung Gottes).
b) Intitulatio und Inscriptio (Name und Titel des Aus-
stellers mit der Salutatio, der Grußformel, öfters ver-
bunden).
IL Text (Kontext).
a) Arenga (allgemeine Begründung der folgenden Rechts-
handlung, besonders nach religiösen Gesichtspunkten).
b) Publicatio-Promulgatio (Verkündigungsformel).
c) Narratio (Bericht über die Vorgeschichte des Rechts-
aktes. Oefter werden hier die Zwischenträger nam-
haft gemacht).
Sie ist enge verknüpft mit der
d) Petitio (Bitte des Empfängers).
e) Dispositio (der Hauptteil der Urkunde , Erklärung,
daß der Rechtsakt vollgültig vollzogen werden kann ;
die Pertinenzformel gibt die Ausdehnung des Rechts-
aktes an).
f) Sanctio (Poenformel), (Strafandrohung für die der Ur-
kunde Zuwiderhandelnden).
g) Corroboratio (Vollziehung und Beglaubigung der Ur-
kunde).
in. Schlußprotokoll (Eschatokoll).
a) Subscriptionen (des Ausstellers, Kanzleibeamten, der
Zeugen).
b) Datierung nach Ort und Zeit.
lau Handb. der ürkundenlelire I, das im Jahre 1907 erschienene Buch
von W. Erben, Urkundenlehre I, Kaiser- und Kgsurkd. des Mittelalters.
(Handbuch der mittelalt. u. neueren Geschichte IV/I her. v. Below u.
Meinecke). Ferner einzelne Abschnitte in Meisters Grundriß der Gesch.
Wissenschaft I/i und die neue Zeitschrift, Archiv f. Urkundenforschung.
Besonders der Aufsatz von Faaß. Für die römische Kaiserzeit kommen
außer den zu Beginn des Abschnittes genannten Werken noch in Be-
tracht das alte Werk von Brissonius. De formuüs et sollemnibus p. R.
verbis libri VIII, Frankfurt 1592 (bes. das III. Buch) und der Aufsatz
von Brehier, Le protocole imperial in Comptes rendus de TAcademie
des inscriptions et helles lettres 1905. T. 1, der sich mehr auf die
Anfangsformeln in der byzant. Kanzlei beschränkt. S. 177 — 182.
Philologus LXVIII (N. F. XXII), 2. 19
290 Odilo Haber leitner,
c) Apprecatio (Schlußwünsche). (Erben S. 303 f.).
Vorerst sollen nun die Urkunden der römischen Kaiser
nach ihren Formeln und deren Gestaltung untersucht werden.
Am Schlüsse sollen Vergleiche mit früheren Urkunden der
hellenistischen Zeit und der mittelalterlichen Kanzleien das
Herüber- und Hinüberfließen der wichtigsten urkundlichen Ele-
mente veranschaulichen.
Das Eingangsprotokoll,
a) Die Intitulatio, Adresse und Gruß.
Der Brief beginnt mit dem Namen des Kaisers, seinen
Bei- und Ehrennamen und mit seinen Titeln, denen meist die
Iterativzahl beigefügt ist. Die Titel geben gewöhnlich auch
die Datierung, da selten eine genaue Orts- und Tagesangabe
der Beurkundung beigefügt ist.
Mit der Adresse und dem Gruße bildet die Intitulatio
die erste Formel des Briefes. Obgleich Titel und Gruß un-
trennbar mit einander verbunden sind, bedürfen sie doch ob
ihrer Mannigfaltigkeit getrennter Behandlung.
In der Intitulatio sind drei Gruppen von Titeln strenge
zu scheiden.
1. Der eigentliche Name des Kaisers, meist bestehend aus
Prae- und Cognomen und dem Grad der Verwandtschaft
mit den Vorgängern. (Eine Ausnahme bilden das clau-
dische Geschlecht und Vitellius).
2. Die Namen der Aemter, die der Kaiser bekleidet.
3. Die ihm erteilten Ehrennamen.
Für Kaiser Augustus kann man folgende Namenreihe
aus den uns erhaltenen Acta aufstellend^).
Caesar divi filius Augustus — Kalaap O-soü ulbq Seßaoxo;.
Wahrscheinlich bis in das Jahr 727 a. u. c. nennt sich Augu-
stus divi Jidi f. — ^£oö 'louXiou utö«;. Den Namen Äugustus-
SeßaaTos erhält er im Jahre 27 v. Chr.
Aus der imperatorischen Gewalt ist der Beiname Ini^ye-
ra^or-AuTOxpaxwp entstanden. Während Caesar diesen Namen
«2) Zur Vereinfacbung und um der Gefahr der Wiederholung vor-
zubeugen, benütze ich bei der Besprechung der Intitulatio sämtl. Acta,
auch die Militärprivilegien.
Studien zu den Acta Imperatorum Romanorum. 291
lediglich als Titel führt, um seine imperatoria potestas damit
zu bezeichnen, nimmt Augustus ihn als Beinamen auf^^) und
stellt ihn vor seinen eigentlichen Namen. Allerdings treffen
wir auf die Bedeutung dieses Titels wieder ^*).
Feststehend ist diese Reihenfolge der Namen im Titel
noch nicht. Erst mit Vespasian tritt Imi^erator-Auxoxpdztop
ständig an die Spitze.
Von den Amtstiteln führt Augustus folgende: consiil =
uKccxoc, (mit Iterativzahl), trib. pot. = Srjjxapxtx^S e^ouaca;
(mit Iterativzahl), ponüfex maximus = apxtspeug, imperator =
auxoxpaxwp (mit Iterativzahl). Die Angabe des Konsulates er-
schien dem ersten Kaiser unerläßlich, da er sich dadurch als
höchste Amtsperson darstellte, welche auch eponym ist. Au-
gustus führt auch genau an, ob er bereits im Amte oder nur
designierter Consul sei.
Die tribunizische Gewalt, die Augustus im Jahre 731 a.
u. c. übertragen worden war, durch die er eigentlich die un-
verletzliche Majestät erlangte, wird durch trib. ^o^.-Sr][xapx'.%fi;
i^Quolac, und der Iterativzahl angegeben. Diese Angabe bietet,
wie wir in der Folge noch sehen werden, die beste Möglich-
keit, die Abfassungszeit zu bestimmen ; dadurch, daß das Kai-
serjahr nach der trib. pot. gerechnet wurde, wird dieser Titel
eponymisch ^^).
Ferner nennt sich der Kaiser oL^yieptü^-pontifex maximus.
Augustus nahm diesen Titel aus der republikanischen Zeit her-
über und setzte ihn an erste Stelle unter den Amtstiteln, an-
schließend an Augustns-^z^oi.axbc,.
Endlich tritt noch hinzu der Titel i7nperator-(xuxov.pixT(jip
(neben dem an der Spitze stehenden Ehrenbeinamen Imperator).
Dieser Titel gehört in die Aemterreihe, wurde mit Iterativzahl
versehen, jedoch nicht ständig geführt ^'^).
Die vollständige Intitulatio des Augustus gestaltet sich
demnach folgendermaßen:
8=*) Cassius Dio LH, 41, 3—4. Mommsen, Staatsrecht H ^ 743.
^*) Siehe weiter unten u. n. 86.
«°) Mommsen, Staatsrecht II ^ S. 7.53 u. 771 ff.
*^) Mommsen, Staatsrecht II ^ 757 f. gibt der Meinung Ausdruck,
daß der Amtstitel : imperator mit der Iterativzahl den „Sieger* und die
Zahl der Siege bedeute.
19*
292 Odilo Haber leitner,
a) Imxjerator Caesar divi f. ÄugusUis, pont. max. cos.-
trib. pot.-imp.
b) AuxoxpaTwp Kaöaap 9-eoü ulöc, Seßaaio?, äpyj.tpEuq ürca-
■zog xb . . (dTtooeSeLYlxevos) 57][jLapxixfj; e^ouata; xc . . .
{auioxpcicxwp iby^'').
Von anderen Beinamen wurden Augustus angetragen die
Ehrennamen Dominus (xupcoc) und x^^^i^^' patriae (TiaxT^p Tcaxpc-
oos). Den ersten Namen schlug er rundweg ab, den zweiten
nahm er zwar an ^^), doch führte er ihn nicht in seinen Titeln.
Für die Herrscher aus der julisch-claudischen Dynastie
läßt sich ein festes Anordnungsprinzip nicht konstatieren.
Bereits unter des Augustus Nachfolger Tiberius ist eine
starke Aenderung in der Intitulatio zu erkennen. Abgesehen da-
von, daß er sich — wie natürlich ist — „Sohn des Augustus"
nennt — Augiisti oder divi Aug. filius-ulcq Seßaaxoü — , ist die
wichtigste Veränderung die, daß er den Ehrentitel Imperator-
AOxo'xpaxwp, der bei Augustus an erster Stelle zu stehen
pflegte, wegläßt ^^). Was den Amtstitel des Consulats und
des Oberpontifikats anlangt, so kann man — da der einzige
uns inschriftlich erhaltene Brief diese Titel nicht aufweist —
nicht genau feststellen, ob er sie geführt habe oder nicht.
Wohl führt er die trib. pot. und die Angabe des Imperiums.
Der Titel des Tiberius lautet also:
a) Tiberius Caesar divi Aug. f. Augustus trib. pot.-imp.
b) Tcßepto; Kaiaap ■Ö-eoO Ue'^y.axox) ucc; Scßaaxd?, Sy^ij..
e^oua. xö . . auxoxpaxwp xö . . .
Gaius Caligula stellt wieder den Ehrennamen Im-
pera^or-Auxoxpaxwp an die Spitze, setzt an die zweite Stelle
den Namen Augustus-^z^ocoxoc., an dritte Caesar-Koiloccp; dann
8') IRA. 33 = IG. Xll/s n. 174. Die mit (. . ) versehenen Ausdrücke
stehen nicht in der zitierten Urkunde, doch werden sie der Vollständig-
keit halber hinzugefügt. Runde Klammern (. . .) bedeuten, daß die
mit ihnen versehenen Ausdrücke zwar in der Urkunde stehen, für die
lutitulatio aber unwesentlich sind. Iterativzahlen werden, da für die
Untersuchung des Titels entbehrlich, nicht angeführt.
**) Sueton. Aug. c. 53 und 58.
89) IRA. 115 = Lafoscade De ep. n. 5. Sueton Tiber c. 26: ac
ne Augusti quidem nomen, quamquam hereditarium, nullis nisi ad
reges ac dynastas epistulia adiecit. Hier scheint Sueton ungenau unter-
richtet zu sein, denn IRA. 115 an die Bewohner von Kos trägt in der
Intitulatio den Namen Ssßaoxös.
Studien zu den Acta Imperatorum Romanorum. 293
folgen die Verwandtscbaftsgrade mit Augustus und Tiberius,
endlich die Amtstitel (anscheinend ohne die imper. potestas) :
a) Imperator Augustiis Caesar^ divi Angusti pronepos,
Tiherii Caesaris nepos, pont. max. trib. pot. cos.
b) AüToxpaxwp Z]eßaax6^ Kalaap, -ö-soö Zlsßaaxoü eyyovoc,
Ttßspiou Kataapo; uiwvoc, äpyjiepzvq or^ix. e^. xö . . üna-
xo; xö . . ^°).
Etwas verworren und nicht klar festzulegen ist die Inti-
tulatio des Kaisers Claudius.
Das allerdings ist festzuhalten, daß auch er den ehrenden
Beinamen eines Imperators verschmäht, doch führt er als
erster unter den Kaisern einen Siegernamen : er nennt sich
Germanicus (als Sohn des Germanicus). Bei Claudius ist es
auffallend, daß er sein Gentilicium anführt und das C o g-
n 0 m e n abwirft.
Seine Deszendenz gibt er nicht an, doch schmückt er seine
Intitulatio mit allen Aratstiteln und dem Ehrennamen ^;a^er
patriae.
Die vollständige Intitulatio des Claudius erhält demnach
folgendes Gepräge:
a) Tiberius Claudius Caesar Augiistus Germanicus pont.
max. trib. pot. . . imp. . . pater patriae., censor., cos. . . .^^).
b) Tl. KXauSto? Kaiaap Ilsßaaxde r£p[j.avix6c , dp/jspeu;
(jieY'.axos 6r^[ji. e^. xö . . . auxoxpaxwp xö . , . ÜTiaxoc {<xko-
5£0£cy[i.£Vo?) xö . . Tiaxrjp Tiaxp'!5o; '•'^).
Vergleicht man diese beiden Intitulationen , so erkennt
man, daß sie mehrfach von einander abweichen, nicht nur,
daß er im griechischen sich ap/tspsu; [xeytaxo; — dieser
Pleonasmus wird von da an beibehalten — nennt, die ganze
Stellung der Amtstitel und des Ehrennamens „ Vater des Vater-
landes" ist ungleich, auch fehlt im Griechischen der Titel
y.svawp = censor^^).
Bei Nero finden wir ein Zurückgehen auf die augustei-
schen Formen der Intitulatio , doch auch hier ist noch kein
Prinzip in der Anordnung der Titel eingehalten.
90) IRA. 180 = ICt. VII 2711.
91) IRA. 242 = CIL. III/2 S. 844. Mü. D. I.
9-^) IRA. 225 = IG. IV n. 908.
*^) Im Jahre 47 wird Claudius censor.
294 Odilo Haber leitner,
So nennt sich Nero beispielsweise Imperator Nero, aber
auch Nero . . . Imperator (hier nur Amtstitel) ^*).
Auch er behält den Gentilnamen bei. Das Geschlechts-
cognomen Nero wird bei ihm zum Praenomen und er führt
auch den Ehrenbeinamen Germanicus^'^).
Neros Intitulatio läßt sich demnach folgendermaßen wie-
derherstellen :
a) Nero Claudius divi Claudii f. Germanici Caesaris ne-
pos Ti. Caesaris Augusti pronepos divi Augusti ah-
nepos Caesar Augustus Germanicus, pont. max. trib.
pot. . . imp. . . . cos. ^^').
b) Nepwv KXauScos ■ö-eoö KXauo^'ou ucog, Ttßepcou Kacaapos
Seßaaxoü xac Fspixavcxou Kacaapo; h^yo'ioz, , -ö-soö Z^e-
ßaaxoü drcoyovo:, Kataap Ssßaaiöi; Vs.p\i.O!.viv.öc, , ap)(C£-
peus Syj[JL. £^. t6 . . auxoxpaxwp xo . . (J)iioLZOi) ^^).
Von den drei Kaisern des Jahres 68/69 (Juni — Juli) kön-
nen wir nur für G a 1 b a die Intitulatio aus einem Militär-
privilegium feststellen.
Ser. Galha imp. Caesar Augustus i)ont. max. trib. pot.
cos. des.^^).
Für 0 1 h o kann man — da ein Actum mit einer In-
titulatio dieses Kaisers nicht vorhanden ist — keine Norm auf-
stellen. Doch führte auch er den Titel Caesar Augustus und
wie Sueton berichtet, auch den Namen Nero^^).
V i t e 1 1 i u s scheint den Titel Caesar zurückgewiesen zu
haben und lehnte den Namen Augustus vorläufig ab. Der
Name Vitellius ist Geschlechtsname ; das Geschlecht der Vi-
tellier führt kein Cognomen. Praenomen ist Atdus ^°'').
Seit Vespasian scheint sich der Gebrauch eingebür-
gert zu haben, den Titel Caesar hinter Imperator an zweite
Stelle zu setzen ^°'). Caesar ist seit 68 nicht mehr Name,
®*) Die zweite Form kommt am häufigsten vor.
35) Mommsen, Staatsrecht II-' 741 A. 2. 7i6 A. 1.
»«) IRA. 266 = CIL. III/o S. 845 Mil D. II.
»') IRA. 257 = Ditt. Syll^ n. 373.
8«) IRA. 292 = CIL. III S. I S. 1958. s»») Sueton Otho c. 7.
"«) Sueton. Vitell. c. 8; dagecren CIL. X 8016. Hier ist in der
zweiten Zeile : im P. A. VITELLIVS • C/// das C doch sicher zu C[aesar]
zu ergänzen. Vgl. Mommsen, Staatsrecht 11- 741 f.
"') Ausnahmen bilden die Urkunden des Titus und Nerva. IRA-
Studien zu den Acta Imperatorum Romanorum. 295
sondern wird von dieser Zeit an Titel und bezeichnet als sol-
cher: „Kaiser'^. Später erhielt „Caesar" auch die Bedeu-
tung des Kronprinzentitels.
Die ersten zwei Kaiser der flavischen Dynastie beschrän-
ken sich in ihrer Intitulatio auf die hergebrachten, von ihren
Vorgängern übernommenen Namen und Titel, lassen aber auch
den Gentilnamen weg.
D o m i t i a n hingegen führt einen prunkvollen Titel, in
dem selbstverständlich die göttliche Verehrung, die dem Kaiser
bei Lebzeiten zuzuweisen sei, nicht fehlen darf; er nennt sich
außerdem tscjxvjxrjs oca ßoou ^°2) = censor perpetuus.
Bei den Flaviern beginnt auch eine regelmäßige Stellung
der Amtstitel : Es erscheint 2^ont max. = apxtepeu; laeytaio?
an erster Stelle, dann folgt die Angabe der trib. pot., ferner
die des iniperiums und des Ehrennamens, pater patriae, end-
lich die des Consulats.
Vespasians Intitulatio lautet demnach :
a) Imp. Caesar Vespasianus Äug. pont. max. trib. pot.
imp. . . pp. COS. ^°^).
b) Autoxpatwp Kaiaap OueaTiaacavo? Seßaoxci;, (xpyj.Bpzui;
[Leyiaxo;, orjfA. iq. xb . auxoxpaxwp xö , . <(7Taxrjp noixpl-
Boq), u7iaxog^°*).
Kaiser T i t u s führt die ähnliche Intitulatio, nur mit dem
oben erwähnten Unterschiede ^°^), daß er Caesar erst an die
dritte Stelle setzt, an die zweite Stelle seinen Namen Titus.
Natürlich fügt er hinzu divi Vespasiani filius — ■ö-eoö Oöe-
OTzccoiccvoxJ utoc, anschließend an Caesar, worauf die übrige In-
titulatio folgt.
Seit D 0 m i t i a n wird es Gebrauch, den Ehrentitel ^jaifer
patriae an den Schluß zu setzen.
Domitians Intitulatio :
a) Imp. Caesar divi Vespasiani f. Domitianus Äugusfus
347 = CIL. III/2 p. 854 n. XI und IRA. 388 = CIL. III/2 p. 861 n.
XVIII, in denen der Name Caesar an dritter Stelle nach Titus bezw.
Nerva steht.
'*-) IRA. 866 = Lafoscade de ep. n. 11; für göttliche Verehrung
vgl. Sueton Domit c. LS.
"3) IRA. 323 = CIL. Ill/i p. 850 n. VI.
»«*) IRA. 335 = CIGr. 1305.
"=) Siehe Note 101.
296 Odilo Haberleitner,
Germanicus pont. max. trib. pot. imp. cos. censoria
pot. 2)p.^°^).
b) AÜTOxpatwp Kaiaap d-soü Oöeareaatavoö o'.og, Ao(X£Xiav6;
Ssj^aaxo; {FepiJLavixGc) äpy'.zptb;, |jL£yiatoc, Br]\L. ef. xö
aüxoxpaxwp xo . . x£t[jirjxrj? 5ta ßtou, ti. ■ti. ^''^).
Nfirva bedient sich einer einfachen Intitulatio und nimmt
von den ihm angetragenen Ehrennamen nur den des pater pa-
triae auf.
Imp. Nerva Caesar Augustus pont. max. trib. pot. cos.
pp. 108).
Traian ist der erste Kaiser, den man mit einer großen
Menge von Titeln überhäuft hat und der dieselben angenom-
men und geführt hat; nichtsdestoweniger ist die Anordnung
derselben regelmäßig.
Versuchen wir vorerst die einzelnen Titel des Kaisers, die
ihm, meist auf Senatsbeschluß, zuteil geworden, zeitlich fest-
zustellen ; denn sie bieten eine feste Stütze bei chronologischer
Bestimmung der Urkunden Traians.
97 erhält er den Beinamen Germanicus =: rep^iavixc?^^^)
99 „ „ „ „ pater ijatriae =^ 7za.zr^p Tza.zgihoi;.'^'^^)
103 „ „ „ „ Dacicus = Aar-cxö? ^^^)
114 „ „ „ „ Op^iwms = "Apcaxo^ 11-)
116 „ „ „ „ Parfhicus = Uapö-cxö; n^).
Traians Intitulatio ergibt für das Ende seiner Regierung
folgenden Wortlaut :
a) Imp. Caesar divi Nervae f. Nerva Traianus Optimns
Augustus Germanicus Badens Parthicus, pont. max.
trib. pot. imp. proc. cos. pp. n*).
b) Auxoxpaxtop Kataap ^soö Nepoua ulöc, Nepoua^ Tpaia-
v6; "Apcaxog Ssßaaxos Fspjjiavtxo; Aaxixo; Xlapa-ixo;,
apx'.epeuc [xe^taxo?, Sy^^. it,. xö . . , auxoxpaxwp xö . .
{dv'ö'UTiaxo;)) \)~c(.xoq, xö . ^ Tiaxyjp Txaxpc'ooc n^).
»o") IRA. 361 = CIL. III/2 p. 855 n. XII, IRA. 353 = CIL. IX 5420.
»«") IRA. 366 = Laf. n. 11.
»•8) IRA. 388 = CIL. III/2 p. 86 1 u. XVIIL
»0») Plin. Paneg. c. 9. "») ebda c. 21.
"') Cassius Dio LXVIII, 10.
'»^) IRA. 427 = CIL. III/2 p. 869 n. XXVL
113) Cassius Dio LXVIII 28.
»") IRA. 432 = CIL. III/2 p. 870 n. XXVIL
"5) IRA. 435 = CIL. III Sp. 7086.
Studien zu den Acta Imperatorum Homanorum. 297
Traians Nachfolger, Kaiser H a d r i a n behält in der Ti-
tulatur das vom Vorgänger gebrauchte Schema bei: Er nennt
sich des „hochseligen Traian, des Parthersiegers, Sohn", nimmt
aber keine Siegerbeinamen auf. Gewiß nicht ohne Berechti-
gung. Seit 128 führt er auch den Ehrennamen eines pater
patriae, Ausnahmefälle, in denen das Intitulationsschema nicht
genau eingehalten wurde, lassen sich beobachten. Manchmal
tritt ÜTiaxoc an erste Stelle unter den Amtstiteln und der Titel
des .,Großpriesters" wird an dritte Stelle gesetzt"*'). Selten
findet sich in den Acta Hadrians der Titel Imperator = aÜTO-
xpaxcüp. Gewöhnlich ist folgendes Schema.
a) Imp. Caesar divi Traiani Parthici f. divi Nervae ne-
pos Traianus Hadrianus Augustus, pont. max. trib.
pot. COS. pp.'^^"').
b) Auxcxpaiwp Kaiaap {)£oO Tpa^avoO Ilapö'txoü utor, ■ö-eoü
Nepoua ucwvo? Tpatavö; 'ASpcavGg Seßaaio;, apxtepe'-';
jisyiaio; orj|Ji. ec. xo . . uTxaxo? tö . . TcaiY^p Tiaxpcoo;"^).
Wenn wir kurz das Wichtigste über die Intitulatio bei
den römischen Kaisern zusammenfassen, kommen wir zu dem
Ergebnis, daß
1) zum Unterschiede von der Zeit der Republik der Titel
Imperator Auxoxpdcxwp neben der ursprünglichen Be-
deutung auch Ehrenname wird und als solcher die
erste Stelle einnimmt "'■').
2) daß seit dem Aussterben des julisch claudischen Hauses
der Name Caesar Kacaap zum Titel wird.
3) daß erst seit der Zeit Traians ein festes Schema in der
Titelstelluug sich darbietet.
Untrennbar ist die Intitulatio mit der Adresse (Inscrip-
tio) imd dem Gruße (S a 1 u t a t i o) verbunden.
Auch hier sind mehrere Arten von Adressierung zu unter-
scheiden: Schreibt ein Kaiser an eine Stadt oder an einen
Fürsten, eine Vereinigung mehrerer oder an einen Einzelnen,
1'") IRA. 579 = IG. (CIA) IIl/i n. 31 hier fehlt auch Tpaiavd;.
"') IRA. 547 = CIL. III/2 p. 875 n. XXXII.
"«) IRA. 549 = IG. XII/2 177. Die gleiche Intitulatio bietet ein
mir von Prof. v. Premerstein gütigst mitgeteilter Brief Hadrians, der
noch unediert ist.
"^j Ausnahmen bei Tiberius, Claudius, (Nero), Galba.
298 Odilo Haberleitner,
SO lautet die Adresse xö) [x-^] Seivc, Bei Eigennamen fehlt
selbstverständlich der Artikel.
Anders ist es, wenn das Actum — der Brief — des Kai-
sers an ein Gemeinwesen und dessen Behörden und Volk ge-
richtet ist.
Für die formale Entwicklung war der Artikel hier von
größter Bedeutung.
Die Kaiser des julisch claudischen Hauses von Augustus
bis Nero schreiben z. B. Auxoxpaxwp xxX. ap-/ouac ßouX'^ 5yj[iq)
yaipeiv. Dann ist ein Schwanken zu konstatieren, indem man
apxoooL ohne Artikel, ßouXTj, orjjjiw mit Artikel schreibt, bis
sich endlich unter Hadrian die Form xolc. ap^ouac v-oci xr) ßouXfj
xa: x(p 6yj[jiü) durchringt ^^°). Als Grußformel im Brief
gebrauchen die Kaiser stets: salidem dicü — /ai'pecv, ^'^^). Ein
näheres Eingehen erscheint unnotwendig, da G. A. Gerhard
eine meines Erachtens hiefür grundlegende Studie veröffent-
licht hat, der es an Beweiskraft nicht fehlt ^^^).
Betrachten wir nun die Entwicklung der ganzen Formel I,
bestehend aus a. Intitulatio, b. Adresse und Gruß.
Für die Intitulatio läßt sich folgendes sagen: Gegenüber
den Titeln der Perserkönige, — soweit wir sie kennen — die
sich auf die Abstammung von der Gottheit und auf der Groß-
könige Machtfülle beziehen, gegenüber den Titeln der helle-
nistischen Könige, die das Beispiel der Orientalen nachahmen,
stellt sich die Intitulatio der Herrscher Roms dar als eine An-
gabe der ihnen tatsächlich übertragenen Aemter, der Ehren-
namen und der Abstammung vom divus Pater. Dieser letzte
Punkt, die Divinatio und das Führen der göttlichen Abstam-
mung im Titel scheint auf orientalischen Einfluß zurückzu-
120-) \Y^ij. gin(j ]jjej. natürlich nur auf griechische Briefe angewiesen.
Lateinische Briefe zeigen einfach den Dativ mit sahitem dicü. Bei-
spiele f. d. griech. Briefform ohne Artikel z. B. IRA. 1 = Ditt. Syll. ^
350, für teilweise Setzung IRA. 528 = Ditt. Syll. '^ B85, für vollständige,
dreimalige Setzung IRA. 549 == IG. XII/2 177.
'-*) Traian u. Hadrian in den Briefen an die fratres Arval. Hier
fehlt das dicü z. B. IRA. 410 = CIL. VI/i S. 530
'--) Untersuchungen zur Gesch. d. griech. Briefes I. Anfangsformel,
Philologus 1905, S. 27 — 65. Es ist nur zu bedauern, daß die Fortsetzung
dieser anregenden Arbeit noch nicht erschienen ist.
Studien zu den Acta Imperatorum Romanonim. 299
gehen, während die Angabe der Aemter ausgesprochen römisch
ist '-').
Diese Intitulatio wird immer ausgedehnter, je mehr wir in
die Zeit um 300 hinaufrücken. Die byzantinischen Kaiser be-
sonders sind es, deren Intitulatio aus den verschiedensten kai-
serlichen Beinamen zusammengesetzt ist ^^*). Dagegen begeg-
net uns in den merowingischen Urkunden und denen der Kaiser
des römisch-deutschen Imperiurus ein ganz einfacher Titel wie
z. B. Childericus rex franconini, vir illuster ^^'^) und: Caro-
lus gratia dei rex Francorum et Longohardorum ac patricius
Momanorum ^^").
Die normannisch sizilischen Königsurkunden aber zeigen
eine Mischung, indem die lateinischen ziemlich einfach, die
nach byzantinischem Muster pompöser, die nach orientalischem
(arabischem) Muster noch reichhaltiger sich gestalten ^'').
Für die Adresse kommen wir zu folgendem Ergebnis :
Soweit es möglich war, Vergleiche mit inschriftlich er-
haltenen Briefen hellenistischer Könige anzustellen, ergab sich,
daß die Adresse an Behörden und Volk — mit Ausschaltung
des äpyoMQi — stets lautet: ifj ßouXrj xac xw otjjxü) ^-^). Diese
Art der Formel gebrauchen auch die römischen Magistrats-
personen der Republik, doch nur bis in die Zeit der Trium-
virn ^-^). M. Antonius verwendet den Artikel nicht mehr,
nimmt aber dafür apxouac auf ^^^). Diese Formel bleibt be-
stehen bis in die Zeit Traians, der die hellenistische Form x^
ßou/l'7| v.cd xw orj|jicü wieder aufnimmt. Erst Hadrian verleiht
der Adresse ihr volles Gepräge mit der Formel xoi^ ap^ouac
xa: X'Ä ßouX-^ xa: xö 5rj[JLq). Seit dem Ende des zweiten nach-
christlichen Jahrhunderts tritt insoweit in Adresse und Gruß
^^') Vgl- Briefe der röm. Magistrate a. d. Z. d. Republik z. B.
Viereck S. Gr. III, V.
12*) Vgl, die Intitulatio, die Brandi, Archiv f. Urkuud. Forschung
I/i S. .34 vei'zeichnet. Bei den Byzantinern fehlt die Amtsangabe.
125) Mon. Germ. Dipl. I (fo.) n. 31.
126) Mon. G. DD Karol. I. n. 151.
1") Kehr K. A. Urkd. d. norm, sizil. Kge. Innsbruck 1902 p. 247,
2.53 u. im Anhang. Z. B. n. 5 (allerdings nur Abschrift; doch „die
formelhaften Teile sind echt"). Man beachte die Anführung des Vaters
in der Intitulatio: ,Rogerii primi comitis heres et filius".
12«) Ditt. Or. Gr. S VI, 12, 13, 214 u. a.
129) Viereck Sermo Graecus II. III. '3°) ebda V.
300 Odilo Haber leitner,
— besonders in lateinischen Briefen — eine Veränderung ein,
als das salidem dicit — yaiptiv wegfällt und nur der Name des
Empfängers im Dativ bleibt. Diese Form pflanzt sich auch
in das Mittelalter fort. Allerdings hat es den Anschein, als
sei diese Formel der römischen Kanzlei verschwunden, da sie
nicht mehr enge mit der Intitulatio verbunden ist. Dem ist
jedoch nicht so. Es tritt nur die, erst den christlichen Reichen
eigentümliche Arenga zwischen die Intitulatio und die die
Stelle der alten Adresse und Grußformel einnehmende Publi-
catio oder Promulgatio, doch fehlt auch hier meist der Gruss;
nur die Papstbriefe bilden eine Ausnahme: Sie halten sich hier
an die Form der römischen Kaiserurkunden und bringen in
der der Intitulatio meist unmittelbar folgenden Inscriptio und
Salutatio den Namen des Empfängers im Dativ und setzen
als Gruß hinzu salutem et apostolicam henedictionem ^^^).
Von den Urkunden der deutschen Kaiser weisen die wenigsten
diese Formel auf, erst die in deutscher Sprache abgefaßten
Urkunden (mit dem XIII. Jh.) haben im Protokoll wieder die
Grußformel: „embieten dem N unser huld und alles gut" ^^^).
Mit Intitulatio und Grußformel ist das Eingangsprotokoll
der römischen Urkunde abgeschlossen. Eine Invocatio
fehlt, wenn man von dem für unsere Zeit nur zweimal vor-
kommenden 'AyaÖTj löyri absieht ^^^).
Eine Formel aber, die die Kaiserzeit nicht mit herüber
genommen hat, teils aus der republikanischen Zeit, teils aus
den Briefen der hellenistischen Könige, fehlt noch, um das
Eingangsprotokoll zu vervollständigen. Es ist die Formel:
Si vales hene est, ego valeo = El Ippwaö-e, xaXw? av zyoi,
öytaivü) §£ y.od auto; [istoc xoO OTpaTeuixaTO?. Die griechische
Fassung der Formel trifft man sehr häufig in Briefen helle-
nistischer Könige an, ein Beweis, daß viele der königlichen
Erlässe in Form von Privatschreiben abgefaßt waren ^^*).
^^*) Pflugk Harttung Acta pont. Rom ined. I n. 45.
132) Erben ürkundenlebre I. S. 345 f.
133) IRA. 519, 5til = Ditt. Syll.=^ 384 u. IG. XIV 1054. Für spä-
tere Zeit IG. XIV 1055.
"*) Gerhard Untersuchungen SA. S. 32. v. Wilamowitz, Reden
S. 235. . . .,Die Form des hellenischen Privatbriefes durchdringt die
ganze Kgl. Verwaltung".
Studien zu den Acta Imperatorum Romanorum. 301
Aus der Zeit von Alexanders Tod bis Augustus finden wir
in Briefen hellenistischer Könige und römischer Magistrate
folgende, wichtige Arten der Formeln:
1. 'Ep^6i[ied-a, ei 5' eppwaac v.od xaXXa xaxa Xo^ov eaitv,
£cy] av, (b; ßouXofxeO-a ^^^).
2. Et eppwaai, ei'y] av w^ ßouXo^cO-a, xa: auioi 0£ uyLat-
vofAsvxac .... ^^^).
3. £1 ippwaac, £u av 'iyoi, üyt'atvov 0£ xayw^^^).
4. £1 £pptoa^£ £Ö av ex^c, uycatvwOE xac auiö; |Ji£ta xoö
üxpaxEufjiaTOi; ^^®).
Diese Formel findet sich, soweit es sich um öffentliche
Briefe in griechischer Sprache handelt, nur in einem Briefe
des Kaisers Augustus an Mylasa aus einer Zeit, da Antonius
allerdings schon besiegt war, jedoch die Republik eigentlich
noch bestand : aus dem Jahre 31 v. Chr. nach September.
Die Formel lautet: d ippwa^E, xaXw; av £Xoc, xa: auxoc
Se (lExa xoö axpaxEUjxaxoi; uytatvov ^^^).
Dies ist das letzte Auftreten der Formel, das einzige in
den Kaiserbriefen. Es ist gleichsam ein Bruch mit der Ver-
gangenheit, denn nicht nur in griechischen, sondern auch in
lateinischen Briefen fehlt die Formel.
Der Kontext.
Betrachten wir nun den Kontext.
Hier ist vor allem zu bemerken, daß die Arenga, die
gewöhnlich in mittelalterlichen Urkunden an Stelle III steht,
in den Urkunden der römischen Kaiser bis ins IV. Jahrhundert
hinein vollständig fehlt. Die Arenga ist eigentlich erst aus
dem Christentum heraus entstanden, ist aber doch für die
Urkunde meist Schmuck^*"). Entbehren die Urkunden der
römischen Kaiser zwar der Arenga, so doch nicht der folgen-
den Formeln:
h. Narratio, c. Petitio, d. Dispositio.
Diese drei Teile in einem Abschnitte zu behandeln, ist
wohl möglich, denn nur die Narratio hat formales G-epräge,
135) Ditt. Ol- Gr. 168. III.
1^«) ebda 2.57. »") ebda 315, IV, V.
>3») Viereck S. Gr. V. i'^) IRA. 1 = Ditt. Syll.- n. 350.
1*0) Erben Urkundenlehre I. S. 339.
302 Odilo Haberleitner,
während für die zwei anderen Urkundenteile ein Einpassen in
eine strenge Formel nicht möglich ist.
Die N a r r a t i o behandelt die Vorgeschichte des Rechts-
aktes und führt öfters auch die Namen der Intervenienten in
sich^^^). Für die römischen Urkunden gilt das ähnlich. Der
Kaiser berichtet von dem Erscheinen von Gesandten am kaiser-
lichen Hofe, welche das Psephisma oder irgend einen recht-
lichen Akt vor den Kaiser bringen. Der Kaiser berichtet über
die Abgabe des Aktes durch die Gesandten; auch der Inhalt
einer Vorentscheidung kann sich in dieser Formel finden.
Diese Formel ist längst bekannt, wenn auch nie ein festes
Schema für sie gebildet wurde. Es kommen starke Aende-
rungen vor, doch sehließt man sich auch hier an die helle-
nistische Zeit an.
Für das Erscheinen der Gesandten am Hoflager bedient
man sich der Verba : Tiapayc'yveaO-a^ evxuyy^aveov, Ip^ea^-ac; für
das Abgeben der Briefe usw. auoSiSovac; für das ,zur Kennt-
nis nehmen", „erfahren", „gehört haben" TiuvxJ-aveaiJat, im-,
dvaycyvwaxstv, Ytyvwaxecv, [xavödvstv. Hatten die Gesandten
außer der schriftlichen Botschaft noch einen mündlichen Be-
scheid dem Kaiser zu entrichten, dann wurde dies urkundlich
ausgedrückt durch orjXouv.
Es folgen an das Vorhergegangene anschließend nun die
wichtigsten Formeln:
1. ol upsa^eic, 0|xü)v evsxuxov Iv Toiixifj \).oi xaJ xö '^ri^ia\i.a,
a.KobovxcC, .... ^*-).
2. dTcoSovxwv [loi xwv ufxexspwv Tipeaßlwv xö ck. t|;f;cpca{xa
U[I,ö)V ^^^).
3. dvayvoüs "cö So'O'ev pioc bno xwv ufxsxepwv Tipeaßeuxwv
4jYj(^ta{ia eyvtov . . . ^**).
4. ol Tcpsaßets ujxöv &u$ .... Tipo? [le eKi[i.f\)xxs. v.cd xö
(j'YjcptaiJLa (XTieSoaav xa: .... eoyjXwaav, öaa . . . ^^^).
5. 'Erayvoug ex xe xwv ypa|ji[xdxwv %a\ oioi. xoü Tipsaßeuov-
xos . . . ^^^).
1*1) Erben a. a. 0. S. 347 f. '^'-) IRA. 33 = IG. XII/3 174.
1") IRA. 11.5 = Lafosc. n. 5. »") IRA. 180 == IG. VII, 2711.
'«) IRA. 257 = Ditt. Syll.« 373.
"^) IRA. 519 = Ditt. Syll.2 384. Vgl. bes. für svxuyxävsiv noch
Laqueur, Quaestiones . . . Straßburg 1904. S. 17—19 u. S. 29 f.
Studien zu den Acta Imperatorum Romanorum. 303
Oefters kommt noch der Vermerk hinzu: „Die Gesandt-
schaft führte N. iV." 'ETipf.aßeuev, v.pdxiaxa enpsaßsuev, upza-
ßeuwv ri'/ ^'*'). Dieser Vermerk steht, wenn nicht in der Haupt-
formel bereits die Gesandten angeführt worden sind, meist
gegen Schluß der Urkunde.
Sehen Avir näher zu, so erkennen wir aus der Vergleichung
mit Briefen hellenistischer Könige eine Herübernahme einer
griechischen Formel, ein Herübergreifen, das schon in repu-
blikanischer Zeit, seit der Unterwerfung Griechenlands, statt-
gefunden hatte. Nicht nur Formeln der Königsurkunden
wie z. B. Tiapsyevovxo rcpo; "fiiiotc, Tcpeaßsuia: xo xe 4^yjcpia[JLa
diisSoaav ^^^), sondern auch solche Urkunden, die den römischen
Magistraten der Republik zugehören, sind uns Beweis dafür.
Ein Beispiel bietet der Brief des Consuls C. Maiilins Volso
^''7i89') Dieser Brief weist die Formel auf. 'Evexu/f^v ■^fjirv
ol Txap' ujjilv upeaßeis, 6i x6 xe (jJYjcptajjia dueSwxav >tac auxo:
S'.eXeyyjaav ^*^), Die Formel, die in kurzem dargelegt wurde,
steht an zweiter Stelle im römischen Kaiserbrief, nur einmal
schiebt sich zwischen den Gruß und diese Formel die Höflich-
keitsphrase ein: Si valetis usw. ^^°). Die nun kurz skizzierte
Formel der Narratio ist nur in griechischen Briefen zu finden,
obwohl eine Narratio auch in lateinischen Urkunden, jedoch
in keine Formel eingekleidet, zu finden ist ^^^).
Auch der Vermerk eTtpeaßeuev findet sich in lateinischem
Gewände: Egerimt legati . . ., oder Decretum vestrum accepi
.... legatos dimisi .... ^^^).
Seit Traian scheint in den römischen Kaiserbrief auf-
genommen worden zu sein die Formel: 'ETtpsaßsusv 6 Ssiva,
Co x6 ecpoStov ooö-yjxw, d [xt] Tipocxa uTieaxexac, oder vollständiger
6 Tipsaßeuwv '^v, w x6 scpoScov So^O^/ixü), d ys [irj Tzpoly-ot, uTieaxexo,
XT]V Tcpsaßstav UTro/la[Jißdv£:v ^^^]. In hellenistischen Briefen
>") IRA. 534 = Ditt. Syll.^ 386: IRA. 543 = Lafoscade n. 24,
IRA. 584 = IG. (CIA) III, 36.
"8) Ditt. Or. Gr. 8, VI, 12 u. a, m.
"ä) Viereck S. Gr. III. 'so) jra. ] = Ditt. Syll.^ 350.
15») ü. a. z. B. IRA. 329 = CIL. X n. 8038, IRA. 336 = CIL. II
n. 1423. IRA. 353 = CIL. IX, 5420.
''-) IRA. 329 u. 336. Siehe Anm. 151.
1«) IRA. 534, 544, 582 (Ditt. Syll. ^ 386, Lafoscade 23, Waddington
Voyage II Texte p. 128 n. 243 d) vgl. dazu Lafoscade De ep. S. 65 und
Anm. 3. Vgl. Bourguet, De rebus delphicis, S. 70, Z. 8 u. 18.
304 Odilo Haberleitner,
scheint diese Formel nicht vorzukommen. In der Folgezeit
erhält auch sie ein anderes Gepräge, bis sie in dem VII. bis
VIII. Jh. fast vollständig verschwindet. Allerdings treffen wir
in der Narratio mittelalterlicher Urkunden noch auf Analogien
der erstgenannten Formel. So heißt es in einem Papstbrief:
Pervenit ad aures nostras, quod . . . ^^^) oder in einer Urkunde
Karls des Großen (779 — 83). Notum sit . . . qiialiter veniens
Helmericus ahba in presentiam nostram nobis innotuit . . ^^^).
Ueber P e t i t i o und Dispositio läßt sich betreff
ihrer Formulierung keine Norm aufstellen. Die Petitio ent-
hält die Bitte des Empfängers, die Dispositio die Entschei-
dung des Kaisers.
Die S a n c t i o und die Co rrobo ratio findet sich
in den Urkunden der römischen Kaiser bis auf Hadrian nicht.
Das Schlußprotokoll,
e. Die Datierung.
Die Datierung zählt zu den wichtigsten inneren Merk-
malen der Urkunden ^^^). Sie ist meist das einzige Mittel, die
Urkunden chronologisch zu ordnen (obwohl hie und da auch
der Inhalt Stützpunkte gibt für zeitliche Einordnung).
Die Datierung der römischen Kaiserbriefe nimmt bezüg-
lich ihres Wertes eine Mittelstellung ein. Die Urkunden
der hellenistischen Zeit sind bei weitem ungenauer datiert, als
die der Kaiserzeit, hingegen müssen diese weit zurückstehen
hinter der Datierung mittelalterlicher Urkunden, besonders seit
dem Ende des XIL Jahrhunderts.
Die Datierung in den römischen Kaiserurkunden erfolgt auf
zweifache Art. Entweder ist nur das Amtsjahr {Jahr der trih.
pot., des Consulats oder des imperiums) gegeben und zwar im
Titel enthalten. Auch können Ehrennamen (wie pater Patriae)
und Siegernamen {Germanicus^ Dacicus) eine chronologische
Einordnung erleichtern. Oder es kann die Datierung genauer
sein, die Angabe des Jahres im Titel und gegen den Schluß
*") Pflugk Harttung Acta pont. Rom. ined. I, 45, ähnl. 47.
155) Mon. Germ. DD Karol. I. n. 151.
»5«) Erben Urkundenlehre I. S. 324.
Studien zu den Acta Imperatorum Romanorum. 305
hin die genauere Datierung nach Ausstellort, Tag und Monat
der Ausstellung.
Hie und da, besonders in den Militärprivilegien wird auch
die Konsulardatierung verwendet ^^').
Bei einigen Briefen sind auch Vermerke der Empfänger
oder der Kaiser vorhanden, welche die Datierung erleichtern.
Für letztere gibt ein gutes Beispiel: IRA. 366 = CIL. IL
1423: ^^Decretum vestrum accepi VIII. J:a. August, legatos
dimisi IUI. Jca easdem^^. Für den V^ermerk seitens des Em-
pfängers :
IRA. 542 = BCH. XI. 1887 S. 109 ff. 'ÄTzoXXwvtoc
^iX'.Tzizou äTisowxa xr^v eTciaioXr^v AoXXcw Tcuaiixö äpyovx:
z-Q Tzpb a Loöüv Macwv ev £y.x/.7]c;:a ähnlich IRA. 534, 544
(BCH. a. a. 0.).
Für die Kaiserbriefe erscheint es von Wichtigkeit, die
Titel der einzehien Kaiser chronologisch an Hand einer Tabelle
festzustellen. Die Tabelle, die sich am Schlüsse dieses Auf-
satzes befindet, ist zusammengestellt nach Urkunden, schrift-
stellerischen Zeugnissen und an Hand von Clinton, Fasti
Hellenici Bd. II und Fasti Homani Bd. I (für Augustus vgl.
die Tabelle bei G a r d t h a u s e n : Kaiser Augitstus, Bd. I/3
am Schlüsse). (Vgl. die im Anhang angeführte Litei-atur).
Die Tabelle schließt jedoch die Kaiser Galba, Otho und
Vitellius aus , da diese nur wenige Monate regiert und
von ihnen — mit Ausnahme einiger Militärprivilegien Galbas —
keine inschriftiich erhaltenen Urkunden auf uns gekommen sind.
Die Datierungsformel ist im Lateinischen eingeleitet mit
Datum ^^^), während in griechischen Briefen das entsprechende
Verbiim 'EoöO'rj selten gesetzt wird ^^°).
Selten findet sich die den Griechen eigentümliche lokale
Datierung ^'^°). Die gewöhnliche Art, Briefe zu datieren, ist
auch für die griechischen die der Römer u. zw. werden sowohl
15') Die Militärprivilegien können überhaupt als Muster für genaue
Datierung angesehen werden. Konsalardatierung z. B. bei IRA. 329 =
CIL. X n. 8038.
ifisj jjyj. ^jg Militärprivilegien sind ausgenommen.
159) Unter den Kaiserbriefen bis Hadrian führt nur der Brief Cali-
gulas das 'EooxVyj IRA. 18u = IG. VII 2711. Vgl. auch Lafoscade de
ep. n. 10.5. Aus der Opramoasinschrift.
1«») IRA. 33 = IG. XII/3 174.
Fhilologus LXVIII (N. F. XXII), 2. 20
306 Odilo Haber leitner,
die Datierungsart wie auch die termini dem römischen Kalender
entlehnt, indem man die lateinischen Monatsnamen und die
feststehenden Tagesbezeichnungen einfach griechisch schreibt,
und mit upö und der Zahl die Stellung des Tages im Monate
festlegt.
In unseren Kaiserbriefen sind an griechisch geschriebenen,
dem Sprachgebrauch nach lateinischen, Monatsnamen zu ver-
zeichnen: der Februar, März, Mai, August, September, Ok-
tober, November. An Tagesbenennung die Kaienden, Nonen
und Iden. Für den August haben wir in einem Falle auch
eine Gleichstellung mit dem Monate Mcaoprj festzustellen^®^).
Während das Tzpb eine Uebersetzung des lateinischen ante
darstellt, werden andere auf die Datierung bezügliche Worte
nur griechisch geschrieben, wie z. B. Txpiois = pridie und iv
7ipivx£Trtoi5 = in prindpns^'^^).
Notwendigerweise sollte bei jeder Urkunde auch der Aus-
stellungsort — eine wichtige Ergänzung der Datierung —
angeführt sein. Allerdings fehlt uns meistens der Schluß,
wohin eben die Datierung zu stehen kommt; aber nicht selten
ist der Ausstellungsort — auch bei erhaltener Datierung —
überhaupt nicht genannt. Die Ortsaugabe steht mit 'Atxö mit
dem Genetiv regelmäßig am Schluß. Seltener kommt 'Ev mit
dem Dativ vor ^"^).
Während uns für die Kaiser Augustus bis Traian in-
clusive eine Datierung nicht schwer fällt, ist sie bei Hadrian
etwas schwieriger. Denn Hadrian bekleidete das Consulat nur
dreimal und nennt sich von 120 an stets consul III. uKoaoc,
Auch die imperatoria potestas gibt er selten an, so bleibt
uns nur die trib. potestas zur Einordnung in richtiger, chrono-
logischer Folge.
Die hellenistischen Könige datieren nach dem örtlichen
Kalender, teils nach attischen, teils ägyptischen u. a., Monats-
'«•) IRA. 530 = BGU. I. n. 140.
i62\ eb(ja.
"») IRA."l80 = IG. VII 2711. 'Ev steht in Verbindung mit 'ESö^vj.
Bei 'Atcö war das 'ESdO-vj vielleicht überflüssig. In lateinischen Ur-
kunden finden wir: in. (IRA. 358 = CIL. IX 5420).
Studien zu den Acta Imperatorum Romanorum. 307
und Tagesnamen und sie führen gewöhnlich das Regierungs-
jahr exouc, Sigle | , mit IterativzahP "*) an.
Für die römische Kaiserzeit finden wir diesen Gebrauch
nur in Urkunden von Beamten und in Privaturkunden ^''^).
Die Kanzlei der Kaiser von Byzanz, der Päpste und auch der
römisch-deutschen Kaiser ahmten letzteren Gebrauch nach,
indem auch sie nach der Regierungszeit der Herrscher die
Urkunden datierten ^'^'').
f. Der Schliisswimscli.
Die Urkunden der Päpste bis auf Leo IX. (1049 — 1054)
weisen einen, an die Unterschrift des Papstes angehängten
Schluß w u n s c h auf, der aus den Worten : Bene vcdete
besteht. Seltener sind Fälle mit anderen, herzlicheren Worten
wie: Dens te in columen cnsfodiat^'^'').
Das Sene valete ist formelhaft und tritt uns auch schon
(meist mit Weglassen des Bene) in den Urkunden der römischen
Kaiser entgegen. Während in lateinischen Urkunden Valete (in
späterer Zeit: Bene valere cup'mius) ^^^) gebraucht wird, gibt
es für die griechischen Briefe zwei Formen, entweder das
Euxu/söv oder "EpptoaS'ac. Das letztere tritt uns seltener ent-
gegen, hie und da in der erweiterten Form sppwaö'ac ö[Aac
£Uxo|Jiat. Besonders Hadrian gebraucht in seinen Briefen das
suxuxstxe, auch Caligula in dem einen uns erhaltenen Brief an
das xoivhv xwv 'Aya-wv xxX. Von 21 Briefen, die die Gruß-
formel aufweisen, haben 14 das euxu^etie. Das E\}x\jyzlxt ist
in hellenistischer Zeit meist der Gruß der Untertanen, die
nicht sppwaös gebrauchen ^^''■^).
In der Kaiserzeit scheint dieser feine Unterschied verloren
gegangen zu sein, denn man gebraucht die beiden Ausdrücke
beliebig. Doch scheinen der „Graeculus" Hadrian und seine
Nachfolger, die Antonine, das sOiuyscxs vorgezogen zu haben ^^°j.
'°'^) Vgl. Ditt. Or. Gr. 137.
»ß") Vgl. LafoBcade De ep. 127, 128 = BGÜ. I n. 19 col II. BGU.
III 747 verso.
'««) Vgl. Brandi Archiv f. Ukdenforsch. I/i S. 42 ff.
"') Schmitz Kallenberg in Meisters Grdriß der Geschichtsw. I,'i
S. 184. Brandi a. a 0. 37 f. u. 42.
i«8) lüA. 336 = CIL. II 1423, IRA. 353 = CIL. IX 5420.
169-) y^ Wilamowitz Reden S. 235 Anm. 3.
"") Lafoscade De ep. S. 64 und Note 8. Diese Grußformel ist
20='^
308 Odilo Haber leitner,
Der Spracligebrauch in den Briefen der
Kaiser.
Gleichsam als Anhang zu vorliegender Studie sollen in
folgenden Zeilen die Ausdrücke zusammengestellt werden, die
in griechischen Kaiserbriefen vorkommen und entweder vom
Lateinischen ins Griechische übersetzt oder von denen latei-
nische Worte nur in griechische Form gekleidet sind.
Die Uebertragung des Kalenders mit Beibehaltung der
Ausdrücke in griechische Buchstabenform ist bereits erwähnt
worden ^"^).
Von Uebersetzungen ins Griechische fällt u. a. auf Ilapepi-
ßoXrj xfic, -/^ei\iO(.oiac, Xeycwvo; = castra hiberna legionis ^^^).
Weitere bemerkenswerte Uebersetzungen kommen in der
Intitulatio vor. AüxoxpaTwp = Imperator, Seßaaxös = Äu-
gustus, 'Apiaio; = Optimus, dpxtepe'J^ (Jisytaxog = pontifex
maximus, ün;axo$ =: consuh uti. aTcoo£oeoy[ji.£vo; = consiil desig-
natus, avö'UTiatos = proconsul, nccxrip TcatpiSo^ = pater pa-
triae u. V. a., T£C[jirjxyj; oioc ßioo = censor perpetuiis. Direkte
Verkleidungen in griechische Form sind u. a. v.viO(xip = censor,
£v Tzpivz-enioic, = in principiis u. m. a.
Das 'Ayaö'^ "^^yCQ ist direkt den griechischen Urkunden
entnommen.
Vergleichen wir im Zusammenhange nochmals die Urkun-
denteile der römischen Kanzlei mit denen des Mittelalters, so
müssen wir feststellen , daß von den inneren Merkmalen , die
der Urkunde zukommen, bei den römischen Urkunden vor-
handen sind:
1. Intitulatio, Inscriptio und Salutatio
gleich der mittelalterlichen Intitulatio (Inscriptio) und
Pronuntiatio, (Enger schließen sich die Papstbullen an
diese alte römische Form an.)
meistens vom Kaiser selbst ausgefertigt worden und in vielen Fällen
als Subscriptio (im eigentl. Sinne) zu betrachten.
"•) Siehe oben S. 306.
"2) IRA. 530 = BGU. I. 140. Dieses Aktenstück stellt sich über-
haupt als Uebersetzung aus dem Lateinischen dar. Vgl. dazu den Auf-
satz von U. Wilcken im Hermes XXXVH (1902) S. 84—90 und die
daselbst angeführte Literatur.
Studien zu den Acta Imperatorum Romanorum. 309
2. die Narratio,
3. die Petitio,
4. die Dispositio : 2 — 4 entsprechen den mittelalterlichen For-
men.
5. die Datierung,
Aus Hadrianischer Zeit läßt sich ein Ansatz für eine In-
vocatio feststellen.
Die Arenga, Poenformel, Corroboratio und die Subscrip-
tiones fehlen für die Zeit von 31 v. Ch. bis 137 n. Ch. gänzlich.
In späterer Zeit treten erst die Unterschriften des Kaisers und
seines Beamten auf ^'^).
Die Urkunden der römischen Kaiser bilden in ihrer Ent-
wicklung eine Stufe der Vermittlung zwischen Orient und
Occident.
Es ist nicht eine rein mechanische Entwicklung, die
wir vor uns sehen, nicht eine bloße Herübernahme fremder
Einflüsse, es ist vielmehr eine organische. Das römische
Wesen drückt auch den Urkunden der Kaiser seinen Stempel
auf. Diese organische Entwicklung bleibt aber nicht stehen.
Es tritt ein neuer, mächtiger Kulturfaktor hinzu, das Christen-
tum. Dieses läßt die alten Einrichtungen bestehen, wandelt
nur das um, was unbedingt umgeschaffen werden muß und
fügt Neues hinzu. Unter diesem Gesichtspunkte betrachten
wir auch die Weiterentwicklung in den Urkunden. Die großen
Kanzleien des Mittelalters, die von Byzanz im Osten, der
deutschen und französischen Könige im Westen, die der Päpste
und des normannisch-sizilischen Reiches haben direkt oder
indirekt von den Römern gelernt. Nicht allein verschiedene
Einrichtungen der römischen Kanzlei, wie das Archiv und
Registerwesen haben sie übernommen, in den Urkunden aller
genannten Kanzleien schimmert unter der Decke christlicher
Neuerungen das Kleid der alten römischen Kaiserurkunde
hindurch.
'") Vgl. CIL. YIII 10570. Cuq in Memoires presentes ä l'acad. d.
inscr. et heiles lettres 1884. S. 368.
Chronologische Tabellen. (Siehe Text S. 305).
Außer den im Texte erwähnten Werken wurden noch herangezogen:
Asbach, Rom. Kaisertum und Verfassung. Köln 18'J6. Von demselben Aufsätze
im Bhein. Museum XXXV. S. 174 ff. und in den Bomier Jahrbüchern LXXIX.
S. 105 ff. : Chambahi A., De magistratibus Flaviorum. Bonn 1882. Die Artikel
von V. BoMen, Aelius Hadrianus; Groag, Claudius; Stein, C o c -
ceius Nerva in Pauly Wiss. RE. I/i c. 493 ff.; III/2 c. 256 ff. IV/i c. 113 ff.
Die Frosopographia imperii Bomani I— III. und Weber, H a d r i a n S. 277 ff.
1. C. Caesar Octavianus Augustus.
31 a. Chr. Sept. 2.-14 n. Chr. Aug.
19/
Jahr
Trib. pot.
Con-
sulat
impera-
toria
potestas
pater
patriae
Andere
Beinamen
Bemerkungen
T.Chr.
31
30
29
28
27
26
25
24
23
22
II
21
III
20
IV
19
V
18
VI
17
VII
16
VIII
15
IX
14
X
in
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
VI
VII
VIII
IX
X?
Schlacht bei Actium;
nach Casaiua Dio LI. 1.
Uebernahme des Prin-
zipats (2. Sept.)
princ. Senat.
Augustus. 'Uebernahme des Prin-
(Jänner 16.) zipats. Vgl. Mommsen
Staatsrecht IP p. 724
u. Anm. 3.
Die tri bunizischen Jahre
zählen von Anfang Juli
d. einen bis Ende Juni
des anderen Jahres.
Auch von hier an (23
V. Ohr ) zählte man die
Kaiserjahre.
IFür die imp. pot. sind
nur teilwei.se die Zahlen
Ifestzustellen. Imp. pot.
jl — V in den Jahren a.
Chr. n. 43, 40, ''»/a:, 87.,
1 34—83.
0. Haberleitner, Studien z. d. Acta Impevatorum Romanorum. 311
Jahr
Trib. pot.
Cou-
sulat
impera-
toria
potestas
pater Andere
patriae Beinamen
Bemerkungen
T. Chr.
13
XI
dpXispsüs =
12
XII
} X.
} XII
pont. max.
11
XIII
10
XIV
9
XV
XIII
8
XVI
XIV
7
XVII
6
XVIII
5
XIX
XII
XIV?
4
XX
3
XXI
2
XXII
XIII
seit. 5. IL
Der Ehrenname pater
patriae bleibt bis zum
Lebensende.
1
XXIII
n. Chr.
1
XXIV
2
XXV
XV
3
XXVI
4
5
XXVII
XXVIII
} XVI?
6
XXIX
XVII
7
XXX
8
XXXI
X XVIII?
/ XIX
9
XXXII
10
XXXIII
XX
11
XXXIV
12
XXXV
13
XXXVI
14
XXXVII
XXI
Augustus stirbt zu Noia
n. Chr. 14. Aug ■»/s-o.
NB. nach Gardthausen Kaiser Augustus I/3 S. 1352 ff. u. CIL. P/i p. 160—181.
2. Tiberiiis (Julius) Caesar Augustus. 14 n. Clir. Aug. 20.— 87
März 16.
Jahrj Trib. pot.
1
Con- ^^P^.'-'^-
1 , toria
potestas
pater
patriae
Andere
Beinamen
Bemerkungen
15
16
17
XVII
XVIII
XIX
VII
Augustus.
pontifex ma-
ximus. &p'/j.s-
peüg.
Die erste trib. pot. führte
Tiberius a. Chr. n. 6 auf
5 Jahre.
Das Consulat bekleidete
er zum erstenmal
13 V. Chr.
312
Odilo Haberleitnei",
Jahr
Trib. pot.
Con-
sulat
impera-
toria
potestas
pater
patriae
Andere
Beinamen
Bemerkungen
18
XX
III
19
XXI
•20
XXII
VIII
21
XXIII
IV
22
XXIV
23
XXV
24
XXVI
25
XXVII
26
XXVIII
27
XXIX
28
XXX
29
XXXI
30
XXXII
31
XXXIII
V
VIII
Tiberius führte nur 8
mal die imp. pot. Das
5. Consulat übernahm
er mit Seian auf 5 Jahre.
32
XXXIV
33
XXXV
34
XXXVI
35
XXXVII
36
XXXVIII
37
—
Stirbt am Kap Misenum
am 16. März.
3. Caius Caesar Caligula. 37 März 16. — 41 Jänner 24.
m -n i. Con- ^™P .'' ' pater
Irib. pot. , , tona ^, -^
Jahr
Andere
Beinamen
Beul erkun gen
37
38
39
40
41
II
III
IV
II
III
IV
seit Regie-
rungsan-
tritt.
(Germanicus), Caligula war 37 im Juli
Augustus. I consul suffectus.
pont. max.
Ermordet zu Rom am
24. Jänner.
4. Ti. Claudius (Nero) Caesar Augustus. 41 Jänn 25.-54 Okt. 13.
Jahr
Trib. pot.
Con-
sulat
impera-
toria
potestas
pater
patriae
Andere
Beinamen
Bemerkungen.
41
1 (II?) seit 41.
Augustus ! Claudius rechnet die
Germanicus. trib. pot. von Ende
pont. max. | Jänner an.
Studien zu den Acta Imperatorum Romanoruui.
313
Jahr
Trib. pot.
Con-
sulat
impera-
toria
potestas
pater
patriae
Andere
Beinamen
Bemerkungen
42
II
n
III
Consul I war er mit
Caligula i. J. 39.
43
III
III
sehr
fraglich
es findet
sich III,
IV, V u.
VIII.
44
IV
VIII
Die imperatoria potes-
tas ist ungleich ange-
führt. Vgl. Groag in
Pauly-Wiss. RE. III/2
c. 2778 (sub 256)— 2836.
45
V
X?XI?
46
VI
XI u. XII
Censor.
47
VII
IV
XIV?
XV?
Vgl. Groag a. a. 0.
c. 2802 f.
48
VIII
XVI
49
IX
XVI?
1
XVII u.
XVIII?
50
X
XVIII?
XIX, XX,
1
1
XXI?
51
XI
V
XXil.
XXIV,
XXV?
52
XII
XXVI
53
XIII
XXVII
54
XIV
Ermordet zu Rom Okto-
ber 13.
5. Nero Claudius Caesar Auffustus. 54 Okt. 13.— 68 Juni 9.
Jahr Trib. pot.
Con-
sulat
impera-
toria
potestas
pater
patriae
Andere
Beinamen
Bemerkungen
54
I
I
seit Regie-
rungsan-
tritt.
pont. max.
Die trib. pot. rechnet
von 13, Okt. an.
55
II
I
56
III
II
57
IV
II
58
V
III
III
59
VI
IV
60
VII
IV
V
61
VIII
VI
314
Odilo Haber leitner,
1
Jahr Trib. pot.
Con-
sulat
impera-
toria
potestas
pater
patriae
Andere
Beinamen
Bemerkungen
62
IX
'
VII
63
X
VIII
64
XI
IX
65
XII
X
66
XIII
XI
67
XIV
68
XV
V
Ließ sich in den servi-
lianischen Gärten zu
Rom ermorden am 9.
Juni.
6. Galba, 7. Otho u. 8. Vitellius werden ob ihrer allzu kurzen Regierungs-
zeit nicht weiter skizziert.
9. T. Flavius Yespasianus. 69 Juli 1.— 79 Juni 23.
Jahrj Trib. pot.
Con-
sulat
69 I I
70
71
72
73
74
75
76
77
78
79
II
III
IV
V
VI
VII
vin
IX
X
XI
im per a-
toria
potestas
pater
patriae
Andere
Beinamen
Bemerkungen.
II
1
III
VI
IV
V
XIII
VI
XIV?
vn
XVIII
vm
XVIII?
XIX
IX
seit Regie-
rungsan-
tritt.
pont.
Cos. I (suffectus) war
Vespasian a.D. 51. Die
trib. pot. von 1. Juli an.
Die imperatoria potes-
tas kann auch hier nicht
genau festgestellt wer-
den.
Stirbt auf dem sabini-
schen Landgute am 23.
(24) Juni.
10. Titus Flavius Tespasiamis
79 Juni
14.— 81 Sept. 13.
Jahr
T"b- !-*• s^uTai
impera- ,
tiria i ^f''
potestas i P^t"^«
Andere Bemerkungen
Bemamen °
79
80
81
IX
X
XI
VII
vm
XIV
XV
Seit 79.
censor. u.
pont, max.
Die trib. pot. zählt von
1. Juli an. Cos. I mit
Vespasian i. J. 70.
Stirbt auf demselben
Landgute ('wie sein Va-
ter) am 13. Sept.
Stadien zu den Acta Imperatorum Romanorun).
3i;
11. T. Fliivius Domitiaims. 81 Sept. 13.-96 Sept. 18.
Jahr
Trib. pot.
Con-
sulat
impera-
toria
potestas
pater
patriae
Andere
Beinamen
Bemerkungen
81
I
VII
I
Seit Be-
ginn der
Regierung
TSlflYJXTJS 8l&-
ßiou censor.
Cos. I war Domitian 72.
(suffectus f. Titus.) Die
trib. jiot. V. 13. Sept. an.
82
II
VIII
II
dominus. Die übrigen Beinamen
pont. max.
sind chronologisch nicht
einzuordnen, wie auch
die imper. pot. Schwie-
rigkeiten betreifs der
Einordnung bereitet.
83
III
IX
84
IV
X
V?
85
V
XI
86
VI
XII
87
VII
XIII
88
VIII
XIV
89
IX
90
X
XV
XXI?
91
XI
92
XII
XVI
XXII
93
XIII
94
XIV
95
XV
XVII
96
XVI
Ermordet zu Rom am
17. Sept.
12. M. Cocceius Nerva. 96 Sept. 18.— 98 Jan. 25.
Jahr Trib. pot.
Con-
sulat
impera- .
toria I P^
potestas I P^^"^^
Andere
Beinamen
Bemerkungen
96
97
98
II
III
III
IV
seit Regie-
rungsan-
tritt.
pont. max.
trib. pot. V. 18. Sept. an.
Cos. I war Nerva 71 mit
Vespasian, cos. II im
Jahre 90 mit Domitian.
Stirbt zu Rom am 25.
Jänner.
316
Odilo Haber leitner
13. (ülpius) Nerya Traianus. 98 Jan. 25.— 117 Aug. 11.
Jahr
Trib.pot.
Con-
sulat
impera-
toria
potestas
pater
patriae
Andere
Beinamen
Bemerkungen
98
II
II
97 Beinamen
Germanicus
u. imp. III.
pont. max.
trib. pot. I u. COS. I seit
der Adoption a. D. 97.
trib. pot. zählt ab
Oktober.
99
III
seit 99.
100
IV
III
101
V
IV
102
VI
III
103
VII
V
104
VIII
IV
103 Dacicus.
105
IX
106
X
V
107
XI
108
XII
VI
109
XIII
110
XIV
111
XV
112
XVI
VI
113
XVII
114
XVIII
VII
115
XIX
VIII
116
XX
114 Optimus.
117
116 Parthi-
cus.
Stirbt in Selinus in Ki-
likien am 11. Aug.
14. P. Aelius Traianus Hadrianus. 117 Aug. 11.— 138 Juli 11.
Jahr
Trib. pot.
Con-
sulat
impera-
toria
potestas
pater
patriae
Andere
Beinamen
Bemerkungen
117
1
I
pont. max.
trib. pot. seit. August.
118
11
II
Hadrian führt von 120
an ständig im Titel
cos. III.
119
III
III
120
IV
121
V
122
VI
123
VII
124
VIII
Studien zu den Acta Imperatorum Romanorum.
317
Jahr Trib, pot.
ry impera-
^7; toria
^"^^^ potestas
pater Andere
patriae Beinamen
Bemerkungen
125
IX
126
X
127
XI
128
XII
pater
patriae
Vgl. dazu V. Rohden in
Pauly-Wiss. RE. I/i c.
493 (sub 64) — 521 be-
sonders c. 508.
129
XIII
130
XIV
131
XV
132
XVI
133
XVII
134
XVIII
135
XIX
II
lieber die imp. pot. I.
sind wir nicht genau
untei-richtet; wahr-
scbeinlicli ist sie in das
Jahr 107 zu setzen, als
er in Pannon. inf. weilte.
136
XX
137
XXI
138
XXII
Stirbt zuBaiae 11.(10.)
Juli.
Innsbruck.
Odüo Haberleitner.
Misceilen.
4. Die Weltkarte des Agrippa.
Ich erlaube, daß die bekannte Pliniusstelle (NH 3, 17),
nach der Augustns eine Weltkarte ex destinatione et commen-
tariis M. Agrippae habe darstellen lassen , noch immer nicht
genügend erklärt worden ist. E. Schweder, der auch in dieser
Zeitschrift (54, 319 ff. und 528 ff.) über dieses Thema geschrie-
ben hat — seine Ausführungen haben in vielen Punkten, so-
viel ich weiß, keine Zustimmung gefunden — übersetzt (S. 320)
die Worte ex destinatione et commentariis „nach dem Ent-
würfe und den Kommentarien" des Agrippa lind sagt (S. 529),
daß man unter den Kommentarien eine Schrift des Agrippa
verstehen müsse ^), nicht aber, wie einige angenommen hätten,
die testamentarischen Bestimmungen des Agrippa ^). In diesem
Punkte wird man Schweder beistimmen müssen, da ja Fron-
tin (De aquaed. 101) eine Schrift des Agrippa unter dem Titel
Commentarii zitiert, in der von den Wasserleitungen der Stadt
Rom gehandelt wird. Und auf diese Schrift nehme auch Pli-
nius (a. a. 0.) Bezug. Dann müsse aber auch das Wort desti-
natio einen verwandten Begriff bezeichnen und mag etwa
unserem , Entwurf entsprechen. Diese Forderung ist freilich
richtig, aber diese Bedeutung hat das Wort destinatio docli
sonst nicht. Und wir brauchen allerdings an dieser Stelle ein
Wort, das soviel wie Entwurf bedeutet, im zeichnerischen,
kartographischen Sinne, denn für die Darstellung der Weltkarte
am Porticus war doch das graphische Moment die Hauptsache.
Und das kommt im Worte destinatio nicht zum Ausdruck.
Wäre es wohl zu kühn, für ex destinatione zu schreiben
ex delineatione? Dieses Wort entspricht dem Sinne, den der
Zusammenhang fordert. Plinius braucht das Wort zwar sonst
nicht, und die Wörterbücher führen bloß eine Stelle an : Ter-
tuUian. adv. Valentin. 27. In delineationem superioris Christi,
aber wenn Plinius 35 von Apelles sagt : Arrepto carbone ex-
tineto e foculo imagineni in jmriete delineavit, so mag
Plinius auch schon das Wort delineatio gekannt haben.
Dresden. Carl Erich Gleye.
') Das war auch die Ansicht Alfred von Gutschmids.
-) Detlefsen (Ursprung, Entwickelung und Bedeutung der Erd-
karte Agrippas, Berlin 1906 S. 3) will nur die Worte ex destinatione
auf die testamentarischen Bestimmungen beziehen, commentarii wären
schriftliche Ausarbeitungen, Zeichnungen, Maaßangaben etc.
Miscellen.
319
5. Zu Martial III 58, 12 ff.
Vagatnr oiiinis turba sordidae chortis,
Argutus anser gemmeique pavones
Nomeuque debet quae rubentibus pinnis
Et picta perdix Numidicaeque guttatae
Et impiorura phasiana Colchorum ;
Rhodias supevbi feminas premuiit galli.
Diese Verse geben bekanntlich ein Bild des Hiihnerhofes,
Avie ihn sich Fanstinus auf seinem ertragreichen Landgute
bei Bajae hielt (über die Absicht des Dichters vgl. in E'ried-
läuders Ausgabe die Anmerkung zu III 47). Wenn nun G.
Friedrich auf S. 117 dieser Zeitschrift mit Gerland an-
nimmt, daß an dieser Stelle mit picta perdix der Birkhahn
gemeint sei, weil „in der Tat picta nicht auf das Rebhuhn
(perdix cinerea: Linne) passe", so ist das eben eine Vermutung.
Bei der Lektüre obiger Verse muß vor allem zweierlei auffal-
len: Fürs erste, daß es sich nur um zahme oder gezähmte,
zum größten Teile nach Italien eingeführte Hühner handelt,
die zum Zwecke der Mast auf den Gütern reicher Leute anzu-
treffen sind, und dann daß Martial in seinen Xenien (epigr.
lib. XIII) fast all dieses Geflügel unter den Delikatessen auf-
führt wie Martial ja stark zur Selbstwiederholung neigt (Fried-
länders S. 20)
III 58, 12 ff.
vagatur omnis turba sordidae
chortis
arffutus anser
gemmeique pavones
nomenque debet quae ruben-
tibus pinnis
Numidicaeoue guttatae
et impiorum phasiana Colcho-
rum.
XIII 45 Pulli gallinacei.
at nunc accipe chortis aves.
XIII 74 Anseres.
Haec servavit avis Tarpeia
templa Tonantis.
XIII 70 Pavones.
Miraris , quotiens gemmantes
explicat alas
XIII 71 Phoenicopteri.
Dat mihi pinna rubens nomen,
sed lingua gulosis
Nostra sapit.
XIII 73 Numidicae.
Ansere Romano quamvis satur
Hannibal esset,
Ipse suas numquam barbarus
edit aves.
XIII 72 Phasiani.
Argoa primum sum trauspor-
tata carina:
Ante mihi notum nil nisi Pha-
sis erat.
320 Miscellen.
In dieser Gegenüberstellung fehlt absichtlich das Pendant
zu pieta perdix, weil ohne genauere Prüfung drei Stellen in
Betracht kommen könnten, nämlich :
XIII 61 Attagenae. Inter sapores fertur alitum primus
lonicarum gustus attagenarum.
XIII 65 Perdices. Ponitur Ausoniis avis haec rarissima mensis :
Hanc in piscina ludere saepe soles ^).
XIII 76 Rusticulae. Rustica sim an perdix, quid refert, si sa-
por idem est ?
Carior est perdix. Sic sapit illa magis.
Mit Rücksicht aber darauf, daß nur ein buntfarbiges, in
Tiergärten und Geflügelhöfen häufiger gezüchtetes, in Italien
nicht bodenständiges — denn das geht aus der ganzen Auf-
zählung bei Martial hervor — Huhn in Betracht kommt,
dessen Fleisch wegen seiner Vortreff 1 ich keit von den Alten
sehr geschätzt ward, kann vom gewöhnlichen Rebhuhn (per-
dix) und Haselhuhn (rustica) nicht die Rede sein. Es dürfte
außerdem große Schwierigkeiten haben nachzuweisen, daß Reb-
hühner im allgemeinen zur Aufzucht sich eignen. Nur vom
A t t a g e n (Frankolinhuhn), einem Mittelgliede zwischen Fa-
sanen und Feldhühnern ist uns dies aus dem Alterturae be-
kannt -) und nur ihm kommen alle die Eigenschaften zu, die
nach dem vorstehenden die picta perdix haben muß.
München. Otto Frohst.
^) Die Erklärung dieses Verses, wie sie Friedrich a. a. 0. gibt, hat
viel für sich. Vielleicht aber ist eine Anspielung auf Tispcsiv, wovon
7rsp5i£ vielfach abgeleitet wird (vgl. Ziiumermann, Archiv f. lat. Lexi-
cogr. 12 [1902] S. 58H)> dem oft boshaften Witze Martials eher zuzu-
trauen. Oder wollte der Dichter jener Sorte von Lüstlingen einen Hieb
versetzen, die in ihrer Geschlechtsbefriedigung der perdix ähneln, von
der es Isid. orig. 12, 7, 6o heißt: perdix de voce nonien habet, avis dolosa
atque imniunda. nam masculus in masculum insurgit et
obliviscitur sexum lilndo praeceps?
^) Näheres hierüber bei Marx in Pauly-Wissowas Real-Enzyklopädie
II 2153 f. Die Streitfrage, ob attagen Haselhuhn oder Frankolinhuhn
bedeute, scheint mir müßig zu sein; denn offenbar bezeichneten die
Römer mit attagen ein von der rustica verschiedenes Huhn, das, wie
die Beibehaltung des gr. Namens besagt, ursprünglich in Italien nicht
heimisch war. Die Heimat des Frankolinhuhnes aber ist in Klein-
asien, Griechenland etc. und von dort aus trat es seine Wanderung
nach den Mittelmeerländern an. Wenn Blümner „der Maximaltarif des
Diocletian" zu IV 30 S. 77 bemerkt, der attagen habe nie gefüttert
also nie Haushuhn werden können, so sprechen die im Thes. ling. lat.
s. v. attagen gebrachten Beispiele besonders Plin. nat. 10, 133 eher
gegen als für diese Ansicht.
XL
Der Koer Kadmos.
Herodot VII 163 f. berichtet, daß Gelon, der Tyrann von
Syrakus, auf die Kunde von der Uebersclireitung des Hellesponfc
durch die Perser Kao[iov tgv Sxüö-sü) avopa K(bov mit einer
großen Geklsumme und der Ermächtigung zu Unterhandlungen
nach Delphi gesandt habe, damit er, wenn Xerxes siege, ihm
das Geld gebe und Gelons Unterwerfung anbiete, andernfalls
mit dem Gelde wieder zu ihm zurückkehre. Dann fährt der
Geschichtschreiber fort: 6 5s Kao[xo; outoc, Ttpoxepov touxwv
Ttapaos^ajxevo; uapa Tiaxpc; xupavvcSa K(|)a)v so ßsßrjxuLav exwv
xe elvai xat Secvoö Itciövzoc, ouSsvo?, äXXx bnb ocxatoauvrjs ic,
[jiiaov Kwotai xaxa^stg xtjv ap/jjv olyexo ic, SixsXtrjv, e-jd-7.
Tiixpa. (die Hskl. a) oder [isxa (ß) ^afifwv ia/e xe xa: xaxorxrjae
TiöAiv ZayxXyjv X7]v £^ MsaarjVYjV {isxaßaAoüaav x6 oüvo{i.a. Hero-
dot fügt bei, Gelon habe dies getan, weil er Kadmos als ge-
rechten Mann kannte, und Kadmos habe Gelons Vertrauen
auch gerechtfertigt; denn er sei nach dem Siege der Griechen
bei Salamis mit dem Gelde nach Syrakus zurückgekehrt. Nimmt
man dazu noch die Notiz des Suidas s. v. 'ETrcy^apjiog : xcvsg ok
aüxov (sc. 'ETti/ap^xov) Kwcv avsypa'jiav xwv |ji£xa Ka§[xou de,
HixeXcav [xexoixTraavxwv, so hat man damit alles, was uns die
Alten über diesen Kadmos überliefert haben.
Kadmos ist nach Herodot der Sohn des Skythes, und einen
Skythes erwähnt derselbe Historiker auch VI 22 f. Nach der
Seeschlacht bei Lade laden die Zankläer die Samier, die sich
der Perserherrschaft nicht fügen, sondern eine Kolonie gründen
wollten, durch Boten ein, in Kaie Akte in Sizilien sich anzu-
siedeln. Die Samier nahmen die Einladung an, und zu ihnen
Philologus LXVIII (N. F. XXII), 3. 21
322 J- Sit zier,
gesellten sich auch einige vertriebene Milesier. Als sie aber
nach Lokri in Unteritalien kamen, überredete sie der mit Zankle
verfeindete Anaxilas, der seit 494 Tyrann von Rhegium war,
sich lieber der Stadt Zankle zu bemächtigen, indem er darauf
hinwies, daß sie dies leicht tun könnten, da die Zankläer mit
ihrem König Skythes zur Eroberung einer sikelischen Stadt
ausgezogen seien. Die Samier gingen auf den Vorschlag ein.
Die ihrer Stadt beraubten Zankläer riefen Hippokrates, den
Tyrann von Gela, der ihr Bundesgenosse war, zu Hilfe. Dieser
ließ den Skythes, den Alleinherrscher ((Jtouvapxov) von Zankle,
nebst seinem Bruder Pythogenes gefesselt nach Inykon bringen,
die Stadt aber überließ er den Samiern, mit denen er einen
Vertrag abschloß, während er den größten Teil der früheren
Bewohner als Sklaven mit sich wegführte; von der Habe in
der Stadt erhielt er die Hälfte, die auf dem Lande vollständig.
Dem Skythes aber gelang es, aus Inykon nach Himera und
von da zu Dareios zu entfliehen. Koä (jl:v ^vöfxcaE Aapeioc,
fährt Herodot fort, Tcavtwv dvSpwv OLxacÖTaxov elvat, baoi iv.
xfii 'EXXdooc, ■Kap'' iwuxov dveßrjaav. xal yccp 7iapaayjaa[jL£vo;
ßaoiXea kq SLy.cXcTjV aTitxexo xa: auxt^ ex xfj; I^txsXcy]; OTXcaci)
Trapa ßaa:Xea, ec, 8 yripat [xeya öXßco; ewv ixeXeuxyjae ev IlipaYjat.
Die letzte Geschichte berichtet aus Herodot anch Aelian v. h.
Vin 17, der den Skythes wegen seiner Gefangenhaltung in
Inykon Tvuxlvo? nennt.
In diesem Bericht des Herodot wird Skythes einmal ßaa:-
Xeuc und zweimal (iouvapyog xwv Zayy.Xatcov genannt, Benen-
nungen, die für die Selbständigkeit des Skythes in Zankle
sprechen. Damit stimmt überein, daß das Verhältnis, in dem
er zu Hippokrates steht, als aufxfjtaxta bezeichnet wird, und
dasselbe folgt auch aus dem, was wir über sein Auftreten
hören; er faßt den Plan, in Kaie Akte eine Kolonie der Jonier
zu gründen, er lädt die Samier dazu ein, er führt Krieg mit
einer sikelischen Stadt, er ruft den Hippokrates zu Hilfe, kurz,
überall handelt er selbständig. Ich halte daher die, wie es
scheint, jetzt unter den Gelehrten allgemein herrschende An-
sicht, Skythes sei unter der Oberherrschaft des Hippolcrates
gestanden, für unrichtig. Hätte Zankle dem Hippokrates ge-
hört, so wäre Anaxilas nicht als Feind der Zankläer, sondern
Der Koer Kadmos. 323
des Hippokrates bezeichnet, so wäre Hippokrates nicht zu Hilfe
gerufen worden, sondern selbst herbeigeeilt, so wäre er nach
seinem Erscheinen vor der Stadt anders aufgetreten. So aber
handelte es sich für ihn nur darum, den Schlag, durch den
Anaxilas Zankle von Gela trennen und mit Rhegium vereinigen
wollte, zu parieren und die Bundesgenossenschaft mit Zankle
aufrecht zu erhalten; aus dem Bestreben, dies auf die leich-
teste Art zu erreichen, erklärt sich seine Handlungsweise gegen
die Samier und gegen die Zankläer.
Hätte sich Hippokrates auf die Seite seiner bisherigen
Bundesgenossen, der Zankläer, gestellt, um im Verein mit ihnen
den Samiern die Stadt, in deren Besitz sie waren, wieder zu
entreißen, so hätte dies mindestens zu einer längeren Belage-
rung geführt, in die sicherlich auch Anaxilas, der ja eine starke
Flotte hatte, eingegriffen hätte. Dies wollte Hippokrates ver-
meiden, und daher griff er zur diplomatischen Kunst, die ihn
auch rasch zum Ziele führte. Er bot den Samiern die Stadt
unter der Bedingung an, daß sie ein Bündnis mit ihm schlös-
sen ; die Samier , die sich vor einen schweren Krieg g-estellt
sahen, gingen gerne darauf ein und hielten an der Abmachung
auch treu fest, wie sich daraus ergibt, daß sie nach Thuk.
VI 4, 6 bald darauf von Anaxilas, der sich in seiner Berech-
nung getäuscht sah , angegriffen und aus Zankle vertrieben
wurden. Nach Abschluß des Vertrags mit den Samiern mußte
Hippokrates aber auch dafür sorgen, daß die Ruhe in Zankle
migestört blieb. Dies konnte er nur erreichen, wenn er die
Zankläer unschädlich machte. Daher trennte er zunächst Füh-
rer und Heer. Unter Ausnützimg der Erbitterung der Bürger
beschuldigte er den Skythes, daß durch seine Schuld die Stadt
verloren gegangen sei, und sandte ihn und seinen Bruder ge-
fesselt in die Gefangenschaft nach Inykon ; die führerlose Menge
schleppte er dann in die Sklaverei, während er 300 Vornehme
den Samiern zur Hinrichtung übergab, die diese allerdings nicht
vollzogen.
Man sieht aus dieser Darlegung, daß man auch die Be-
handlung des Skythes durch Hippokrates nicht, wie es ge-
wöhnlich geschieht, als Beweis für seine abhängige Stellung
anführen darf. Ebensowenig folgt diese aber aus Herodot VH
21*
324 J- Sitzler,
154, wo erzählt wird, daß sich Gelon bei der Belagerung von
Kallipolis, Naxos, Zankle, Leontini, Syrakus und vieler Städte
der Sikeler durch Hippokrates durch Tapferkeit ausgezeichnet
habe, und daß keine der genannten Städte SouXoauvr^v Tzpbc,
'iTTTcoxpaxeo; aTiEcpuys außer Syrakus , das die Korinthier und
Kerkyräer nach der Niederlage am Heloros (492) gerettet
hätten. Zunächst ist soviel klar, daß die hier erwähnte Be-
lagerung von Zankle nicht der oben besprochene Hilfezug des
Hippokrates sein kann ; denn dabei fand keine Belagerung statt
und war überhaupt keine Grelegenheit, bei der sich Gelon durch
Tapferkeit hätte hervortun können. Auch für die Folgezeit
läßt sich eine solche nicht annehmen ; sie muß daher in die
frühere Zeit fallen und ist wahrscheinlich jene Belagerung,
durch die Zankle zum Abschluß eines Bündnisses mit Hippo-
krates gezwungen wurde. Dieses Verhältnis zwischen Gela und
Zankle würde dann Herodot mit SouAoauv/j bezeichnen, und
ähnlich müßte auch das Verhältnis des Hippokrates zu den
andern an unserer Stelle erwähnten Städte gewesen sein, über
das wir leider nichts erfahren.
Es erhebt sich nun die Frage, ob dieser Skythes, der Al-
leinherrscher von Zankle, der im Bundesverhältnis zu Hippo-
krates steht, ein und dieselbe Person mit Skythes, dem Vater
des Kadmos von Kos, ist. Bei Herodot findet sich keine dar-
auf hinweisende Bemerkung ; aber daraus läßt sich nicht
schließen, daß er beide für verschiedene Personen hielt; denn
derartige Hinweise fehlen auch sonst bei ihm, vgl. z. B. 6, 92
mit 9, 75, wo ohne Verweisung beidemal von demselben So-
phanes die Rede ist. Es rührt dies von dem nicht ganz fer-
tigen Zustande her, in dem das Werk auf uns gekommen ist;
man vergleiche darüber auch R. W. M a c an , H e r o d o t u s.
The s e V e n t h , e i g h t h and n i n t h b o o k s. 1908. vol.
I part 1 p. LHI f. Von den neueren Gelehrten lassen manche
die Frage unentschieden. Andere weisen die Identität der bei-
den Skythes zurück, darunter auch Holm, F r e e m a n und
E.Meyer. Sie stützen sich dabei besonders auf Herodot
VIT 164, eine unsicher überlieferte Stelle, die sie irrtümlicher-
weise so auffassen, als ob Kadmos die Samier nach Sizilien
begleitet hätte, sowie darauf, daß kein Beweis für eine so
Der Koer Kadmos. 325
frühzeitige Unterwerfung der Insel Kos durch die Perser vor-
liege. Ebensowenig liegt aber auch einer dagegen vor. Für
die Gleichheit der Person der beiden Skythes trat schon K.
0. Müller, Dorier P S. 171 ein, und von neueren Gelehr-
ten schließen sich ihm Paton and Hicks, The inscrip-
tions of Cos p. XXI f., Macan in seiner Ausgabe, Cru-
sius, Untersuchungen zu Herondas S. 36 und auch Busolt
II- S. 782 Anm. 2 an, der mit Recht bemerkt, daß mancher-
lei für die Identität spreche.
Zunächst ist dies der Name, der, worauf Paton und
Hicks aufmerksam machen, ungewöhnlich und selten ist, so
daß es auffallend wäre, zu ein und derselben Zeit zwei bedeu-
tende Männer mit diesem Namen zu finden. Dazu kommt,
daß Skythes, der Alleinherrscher von Zankle, und Kadmos, der
Sohn des Skythes von Kos, beide gleichmäßig von Herodot
wegen ihrer Gerechtigkeit gelobt werden. Liegt es nicht am
nächsten, hierbei an eine Vererbung dieser Eigenschaft vom
Vater auf den Sohn zu denken, statt anzunehmen, diese da-
mals so seltene Tugend sei fast gleichzeitig bei Mitgliedern
zweier verschiedener Familien vorgekommen? Weiter hören
wir, daß sich Kadmos demselben Zankle zuwendet, das Skythes
leitete, mit denselben Samiern in Verbindung tritt, die Skythes
einlud, und demselben Anaxilas schadet, der das Unglück des
Skythes verursacht hatte. So hat es ganz den Anschein, als
ob der Sohn als Rächer seines Vaters auftreten wollte. End-
lich geht Skythes nach seiner Absetzung zu dem Perserkönig,
bei dem er aufs freundlichste aufgenommen wird. Deutet dies
nicht darauf hin, daß er ihm schon von früher bekannt war?
Woraus ließe sich aber eine Bekanntschaft leichter erklären,
als wenn Skythes Tyrann von Kos war? War er ein Sizilier,
so konnte sein Name kaum nach Persien gelangen ; so groß
war seine Bedeutung und sein Ruf nicht. Faßt man alle
diese Momente zusammen, so wird man kaum in Abrede stel-
len können, daß der Sizilier Skythes auch der Tyrann von
Kos war.
Nimmt man danach nur einen Skythes an , so erhebt
sich sofort die Frage nach der chronologischen Reihenfolge,
in der man sich seine Tätigkeit in Sizilien und Kos zu denken
326 - J. Sit zier,
hat. Die Gelehrten sind darüber geteilter Ansicht ; die einen
lassen seinen Aufenthalt in Sizilien der Tyrannis in Kos vor-
ausgehen, die andern ihr nachfolgen. Daß ich mich den letz-
teren anschließe, habe ich im Vorhergehenden schon angedeu-
tet; es bleibt also nur übrig, die Gründe anzugeben, die mich
dazu bestimmen.
Die Samier, die sich der Stadt Zankle bemächtigten, wur-
den, wie wir oben sahen, von vertriebenen Milesiern begleitet.
Damit stimmt die Nachricht, daß sie unter der Regierung des
Anaxilas, der 494 Tyrann von Rhegium wurde, nach Unter-
italien gekommen seien. Da sie vermutlich sobald als mög-
lich Jonien verlassen haben, wird man die Eroberung Zankles
durch sie in das Jahr 493 setzen dürfen. In ebendemselben
Jahre floh dann Skythes zu König Dareios. Wer nun der
Ansicht ist, daß Skythes erst nach dieser Zeit Herrscher von
Kos wurde, der muß in die Jahre 492—485, das Todesjahr
des Dareios, den Aufenthalt des Skythes in Susa, die feste
Begründung der Herrschaft von Kos und deren üebergabe an
Kadmos, die Reise nach Sizilien und die Rückkehr nach Susa,
sowie endlich den weiteren Aufenthalt in dieser Stadt zusam-
mendrängen, gewiß viel für die kurze Zeit, und dazu kommt
außerdem noch, daß Herodot, der sich hierin so unterrichtet
zeigt, kein Wort von der Tyrannis in Kos hier einfügt, trotz-
dem die Erwähnung der Freundlichkeit des Dareios gegen
Skythes die beste Gelegenheit dazu geboten hätte.
Dieses Ergebnis wird durch eine Betrachtung der Nach-
richten über Kadmos bestätigt. Dabei handelt es sich um die
Erklärung der schon oben angeführten Stelle des Herodot VH
164. Aus dieser läßt sich auf keinen Fall schließen, daß Kad-
mos gleichzeitig mit seinem Vater in Sizilien war, wie manche
Gelehrte wollen; denn auf Seiten seines Vaters kann er nach
dem Wortlaut unserer Stelle bei dem Anschlag der Samier auf
Zankle nicht gestanden sein. Dies ergibt sich auch daraus,
daß er nicht wie sein Vater Skythes und sein Oheim Pytho-
genes von Hippokrates in die Gefangenschaft geschleppt wurde,
was doch sicherlich geschehen wäre, wenn er zugegen gewesen
wäre. So bliebe nur die Annahme übrig, daß er mit den Sa-
miern gemeinschaftliche Sache gegen seinen Vater gemacht
Der Koer Kadmoa. 327
hätte, und so müssen diejenigen die Stelle auffassen, die mit
der Hs-Klasse ß [iexa xwv 2a{X'!ü)v lesen ; aber dagegen spricht,
was wir sonst über den Charakter des Kadmos und sein Ver-
hältnis zu seinem Vater hören. Offenbar hätte auch Herodot
weder den einen noch den andern dieser Fälle, wenn er vor-
gekommen wäre, unerwähnt gelassen ; denn daß die Sache ihm
unbekannt geblieben wäre, ist nach der ganzen Art seines Be-
richtes über diese Vorgänge und Familie unglaublich.
Demnach kann Kadmos erst nach der Flucht des Skythes
aus Sizilien nach Zankle gekommen sein. Bei Paton and
H i c k s a. a. 0. wird nun die Vermutung ausgesprochen, daß
Kadmos später mit andern, die die persische Knechtschaft nicht
ertragen wollten, darunter mit dem Vater des Epicharmos, den
Samiern nach Sizilien gefolgt sei. Aber diese Erklärung tut
den Worten Herodots Gewalt an, die — die Lesart [lezd an-
genommen — ausdrücklich besagen: ev'&cx, {Jisra Sa[Aowv Sa/£
~z y.y.1 '/.cizoiy.rios. rcÖAiv; keinesfalls können diese, wenn Kad-
mos später kam, die erste Besetzung Zankles durch die Samier
bezeichnen. Liest man aber mit der Hs-Klasse a -apa Za-
[Ji:'ü)v, so wird damit ebenfalls auf eine spätere Zeit hingewie-
sen, mag mau nun annehmen, daß die Samier ihre Stadt frei-
willig dem Kadmos übergeben haben, oder daß dieser sie mit
Gewalt genommen hat. Im letzteren Falle könnte er nur, wie
Stein u. a. glauben, im Auftrag und mit Unterstützung des
Anaxilas gehandelt haben, dem sonst die Vertreibung der
Samier aus Zankle zugeschrieben wird. Erscheint dies aber
wahrscheinlich, Avenu man bedenkt, wie sein Vater von An-
axilas behandelt wurde, und daß er selbst der Vertrauensmann
des Gelon, des Feindes des Anaxilas, war? Ich halte demnach
die Lesart "apa für unrichtig.
Aber noch ein anderer umstand spricht dafür, daß Kad-
mos erst nach der Entfernung des Skythes nach Zankle ge-
laugte; Herodot fügt zu Zankle die Worte ty]v sc 'MzaariYr;'^
[xsxaßaXoüaav xo cuvo[Jia hinzu. Daraus folgt für jeden , der
die Stelle ohne Voreingenommenheit liest, daß Zankle zu der
Zeit, als Kadmos dahin kam, schon den Namen Messene hatte.
Aus Thukydides VI, 4, 5 f. wissen wir, daß Anaxilas die TJm-
nennung nach seiner Vaterstadt vornahm, nachdem er die Sa-
328 J- Sitzler,
mier nicht lange nach der Eroberung wieder aus Zankle ver-
trieben und die Stadt mit einer buntgemischten Bevölkerung
besiedelt hatte. Wir sehen also, daß auch von diesem Ge-
sichtspunkt aus die Lesart izccpcc SajJiiwv sich nicht halten läßt.
Nun fehlt es aber nicht an Gelehrten, die den Thukydi-
des des Irrtums zeihen ; zu diesen gehört auch B u s o 1 1 , der
Griech. Geschichte 11^ S. 782 sagt, die Samier hätten Zankle
zu Ehren des Anaxilas in Messene umgetauft. Dies ist nach
dem oben geschilderten Verlauf der Einnahme Zankles durch
die Samier unwahrscheinlich und wird auch dadurch widerlegt,
daß die Samier tatsächlich c5 r.o)jM Oa-epov, w^ie es bei Thu-
kydides heißt, von Anaxilas vertrieben wurden; das Verhältnis
zwischen den beiden war also jedenfalls kein freundliches.
Kein Schriftsteller spricht von einer Umnennung Zankles durch
die Samier; denn die Stelle Herodots kann, wie wir gesehen
haben, nicht so aufgefaßt werden. Busolt kann sich nur
auf Münzen der Stadt mit den samischen Typen und der Le-
gende Meaayjvc'wv stützen, vgl. Head, bist. uum. p. 134; aber
ein solcher Beweis kann gegen das ausdrückliche Zeugnis des
Thukydides, der sich gerade hier besonders gut miterrichtet
zeigt, nicht aufkommen. Man muß vielmehr sehen , ol) man
die Münzen nicht in Uebereinstimmung mit den historischen
Nachrichten unterbringen kann, und dies ist hier, wie sich
zeigen wird, wohl möglich.
Andere Gelehrte fassen die Herodotstelle anders auf, um
nicht annehmen zu müssen, daß Kadmos erst nach der Um-
nennung Zankles in Messene dahin gekommen sei. Sie lösen
nämlich die Worte xrjV s; MsaarjVyjv |jLcTaßaAOöaav xö ouvojjia
ans ihrer Verbindung mit laye x£ xy.l v.axoixriaz tioXiv Zi^(vXi]v
los und lassen sie nur vorfi Standpunkt Herodots aus beigefügt
sein : „er nahm Zankle, das seinen Namen in Messene änderte".
Hätte Herodot dies sagen wollen, so hätte er sich klarer aus-
gedrückt, zumal es durch Beifügung von üaxspov oder liaxepov
Touxwv so leicht gewesen wäre. Um diese Erklärung zu stüt-
zen, weist M a c a n in seiner Anmerkung zu der Stelle noch
darauf hin, daß es doch wohl Tztlvj Msaayjvrjv xyjv iE (sie) Zay-
y.XyjS [xexaßaXoüaav (oder jJiexaßeßXr/.ucav) x6 cüvopia lauten
müßte, wenn die Stadt schon vor der Ankunft des Kadmos
Der Koer Kadmos. 329
den Namen Messene gehabt hätte. Dieser scharfsinnige und
an sich richtige Einwand übersieht nur, daß der ungenaue
Ausdruck Herodots hier, wie an andern Stellen, aus der Quelle
des Geschichtschreibers herrühren kann ; hatte diese erzählt
wie sich die Samier Zankles bemächtigten , dann aber bald
darauf von Anaxilas vertrieben wurden, der den Namen der
Stadt in Messene umänderte, so kann es nicht auffallen, wenn
sie fortfuhr, daß Kadmos mit den Samiern Zankle, das den
Namen in Messene geändert hatte, wieder einnahm.
Nach alledem muß man an der Ueberlieferung Herodots
und Thukydides' festhalten und annehmen, daß Kadmos erst
nach der Umnennung Zankles in Messene durch Anaxilas die
Stadt mit den Samiern eroberte. Wann nahm nun Anaxilas
die Umnennung vor? Die Samier bemächtigten sich, wie wir
oben sahen, um 493 Zankles; nach Thukydides wurden sie cö
TioXXw üaTcpov von Anaxilas vertrieben. Ich möchte diese Ver-
treibung und damit die Umnennung der Stadt in das Jahr
491, das Todesjahr des Hippokrates, des Verbündeten der Sa-
mier, setzen , da ich glaube , daß dies für ihn der günstigste
Zeitpunkt war; denn aus Herodot VII 155 wissen wir, daß
sich die Geloer beim Tode des Hippokrates gegen seine Söhne
Eukleidas und Kleandros empörten, um ihre Freiheit wieder
zu erlangen. Diese konnten also den Samiern nicht zu Hilfe
kommen; aber die Samier wollten ihre Stadt wieder haben und
setzten den Kampf fort. Kadmos stellte sich an ihre Spitze
und gewann auch wirklich die Stadt wieder zurück. Dabei
Avird er von Gelon, der sich mittlerweile zum Herrn von Gela
aufgeschwungen hatte, unterstützt worden sein; wenigstens
finden wir ihn später wieder als Vertrauensmann des Gelon.
Man wird daraus schließen dürfen, daß er treu zu Gelon hielt
und daß darin eben die o:7.a:oa6vr; bestand, die Gelon an ihm
kenneu imd schätzen lernte. Die Eroberung Zankles durch
Kadmos kann nicht lange nach der Vertreibung der Samier
durch Anaxilas stattgefunden haben. Setzt man sie etwa in
das Jahr 490. so ergibt sich zwischen der Abreise des Skythes
und der Anwesenheit des Kadmos in Sizilien ein Zeitraum von
3 — 4 Jahren, der die Verlegung der Tyrannis des Skythes in
830 J. Sit zier,
Kos in die Zeit nach seinem Aufenthalt in Sizilien gewiß un-
möglich macht.
Skythes war also vor seiner Ankunft in Sizilien Allein-
herrscher von Kos. Um nun die Zeit seiner Tyrannis genauer
zu bestimmen, muß man zunächst seinen Aufenthalt in Sizilien
ins Auge fassen. Er war, wie ich oben gezeigt habe, im J.
493, als die Samier Zankle eroberten, Herrscher dieser Stadt.
Der Bericht Herodots darüber macht den Eindruck, daß Sky-
thes diese Stelle schon längere Zeit einnahm. Wann er nach
Sizilien kam, läßt sich nicht angeben; ich glaube, daß dies
schon vor Ausbruch des Jonischen Aufstandes geschehen ist.
Ebensowenig kennen wir den Grund, der ihn zur Aufgabe
seiner Herrschaft in Kos und zur Abreise nach Sizilien ver-
anlaßte : nur soviel steht fest, daß es nicht zu Feindseligkeiten
zwischen ihm und dem Perserkönig kam ; denn von Sizilien
kehrte er zu diesem zurück und wurde freundlich aufgenom-
men. Die Tyrannis in Kos muß Skythes lange bekleidet ha-
ben, da er sie eu ^eßr^xulav, Avie Herodot sagt, seinem Sohne
übergeben hat ; erlangt wird er sie nach dem Regierungsantritt
des Dareios haben, als auch in anderen Städten angesehene
Bürger mit Unterstützung der Perser an die Spitze der Re-
gierung traten, die ebenfalls von den Griechen Tyrannen ge-
nannt wurden.
Vor seinem Weggang nach Sizilien übergab Skythes die
Herrschaft über Kos seinem Sohne Kadmos. Wie lange sie
dieser weiter führte, wissen wir nicht. Herodot sagt, er habe
sie dann freiwillig, ohne daß ihm irgend eine Gefahr drohte,
aus Gerechtigkeitsliebe zugunsten der Koer niedergelegt. Dies
wird um die Zeit des Ausbruchs des Jonischen Aufstandes ge-
wesen sein , als der Freiheitsdrang der Griechen auch in an-
dern Städten die Tyrannen beseitigte; auch Aristagoras in
Milet legte damals seine Herrschaft nieder. Jetzt war Kos
eine Republik, und in diese Zeit scheinen die Münzen zu fal-
len, die He ad, bist. num. S. 535 vor das Jahr 480 setzt,
vgh auch Paten and Hicks a. a. 0. Ob sich Kos nach
der Einäscherung von Sardes, wie die meisten karischen Städte,
an dem Aufstand gegen die Perser beteiligte, ist nicht über-
liefert; ich glaube es nicht, weil ich annehme, was bei Hero-
Der Koer Kadmos. 331
dot allerdings nicht zum Ausdruck gebracht ist, daß Kadmos
auch nach der Niederlegung der Tyrannis unter seinen Mit-
bürgern weiter lebte. Hätten nun diese gegen die Perser ge-
kämpft, so hätte sich auch Kadmos bei der Stellung, die er
unter seinen Mitbürgern einnahm, nicht fernhalten können;
dies hätte ihn aber mit dem Großkönig verfeindet und unge-
eignet dazu gemacht, als Unterhändler des Gelon im J. 480
nach Delphi zu gehen. Als aber nach dem Fall von Milet
und der Wiedereroberung Joniens die Perser auch Kos mit der
Unterwerfung bedrohten, zog Kadmos mit andern freiheitslie-
benden Bürgern nach Sizilien , wo sein Vater eben Unglück
gehabt hatte. Kos wurde von dem Großkönig dem Herrscher
von Halikarnass zugeteilt, und als dieser starb, verwaltete es
seine Gemahlin Artemisia, vgl. Herod. VII 99.
In Sizilien gelang es dem Kadmos, die von Anaxilas aus
Zankle vertriebenen Samier wieder zurückzuführen und im An-
schluß an Gelon die Stadt zu leiten, wie schon oben bemerkt
wurde. In diese Zeit gehören die Münzen Zankles mit sami-
schem Gepräge und der Inschrift Meaar^/'fwv , und in dieselbe
Zeit fällt auch der Herod. VI 24 erwähnte Besuch des Skythes
in Sizilien, der ohne Zweifel seinem Sohne galt. Anders ur-
teilt darüber allerdings M a c a n in seiner Ausgabe ; er hält
alles, was wir von Skythes' Aufenthalt in Sizilien hören, für
eine Episode seiner Reise. Aber eine solche Auffassung ver-
trägt sich mit dem Wortlaut des Herodotischen Berichtes nicht
und ist auch an sich unwahrscheinlich; denn wer wird sich
auf einer Reise in solche Unternehmungen einlassen? Außer-
dem vermißt man bei dieser Annahme den Grund, warum Sky-
thes, der in diesem Fall nach Niederlegung seiner Herrschaft
in Kos an den Hof nach Susa gegangen wäre, eine Reise von
hier nach Sizilien machen wollte. Endlich würde Herodot,
wenn man M a c a n s Erklärung folgte, die Rückkehr des Sky-
thes zu Dareios mit Unrecht als Beweis seiner ocxaLoauvr] an-
führen, da Skythes ja nicht freiwillig und aus eigener Wahl,
sondern nur notgedrungen gegen seine Absicht an den persi-
schen Hof zurückgekehrt wäre.
Wie lange Kadmos Zankle-Messana behauptete, wissen wir
nicht; später ist Anaxilas wieder Herr der Stadt. Kadmos
befindet sich bei Gelon , der ihn im J. 480 , wie oben schon
bemerkt, nach Delphi sandte, einmal weil er ihn als gerechten
Mann kennen gelernt hatte, und dann weil er als Sohn des
Skythes dem Perserkönig bekannt war. Von Delphi kehrte
Kadmos wieder zu Gelon zurück, ohne daß wir über seine
weiteren Schicksale etwas hören. Sein Vater Skythes starb
als Greis in Susa, jedenfalls vor 480, dem Zug des Xerxes.
Freiburo- i. Br. J. Sitder.
XII.
Platonjca.
1. Meine Studien über Piatons Leben und Schriften haben
mich veranlaßt, die angeblichen platonischen Briefe einmal
anzusehen. Eine größere Abhandlung, die ihnen (mitsamt den
angeblichen Speusipposbriefen) gewidmet ist, wird demnächst
unter meinen „Neuen Untersuchungen über Piaton" bei C. H.
Beck in München erscheinen. Aber einige Nebenbetrachtungen,
die ich dort übergangen, mögen hier mitgeteilt werden. Die
alten Beweise dafür, daß Plato Ep. XIII unecht ist, glaube
ich für alle Zukunft vollends hinlänglich verstärkt zu haben.
Aber ganz in allen Teilen windig und nichtig kann der Inhalt
dieses Briefes doch nicht sein. Daß sein Verfasser einige
Kenntnis der wirklichen Verhältnisse besaß, zeigt nicht nur
die in 6; tote sKOAtavojxst 363 c steckende gute Amtsbezeich-
nung. Ich meine aber, das Zuverlässigste, was er mitzuteilen
hat, dürfte die Zahl und das Alter der dSeX^cSwv •9-uyaxsps;
Piatons in 861 cd sein. Es heißt von ihnen eloi (jloc aosXcp'.-
S(Ji)V •9'uyaTcpE; xwv aTzoöavouawv . . Tsttaps^, ■}] fisv vüv eizlya-
[10?, ii dz dxxaetcc, r] oe a|icxpcv npoc ipiolv eteaiv, ij os oützw
evcauat'a. Tocüxaq exooieov £{xoc eaicv . . . v.al xa; {jtvjxepa; 5s
aOxwv syw e^eoioxa . . rj jiev oüv UTisuaiTCTrw ya[xeixat,, doEX^f];
cOja auxö) ■öuydxrjp. Was darum und daran hängt, mag ge-
fabelt und zusammengeklügelt sein. Aber daß Piaton wirk-
lich einige seiner Nichten, darunter eine Tochter der Potone
und Schwester des Speusi2)pos, mit Heiratsgut ausstattete,
wahrscheinlich weil die Väter der Mädchen vor der Zeit ge-
storben waren, und daß er später auch um die Töchter dieser
Nichten sich wieder fürsorglich annahm, das dürfte geschicht-
lich sein. Es scheint mir unzweifelhaft, daß man den nächsten
C. Ritter, Platonica. 333
Verwandten Piatons nicht bloß in der Akademie, sondern, als
die Akademie eine anerkannte geistige Großmacht geworden
war, auch außerhalb ihr in Athen Beachtung schenkte. Eben
darum, meine ich, konnte ein Briefschreiber, der Piatons Maske
annahm, nicht einfach darauf los schwindeln über seine Nich-
ten und ihre Töchter : diese lebten wahrscheinlich zum Teil
noch in Athen zur Zeit, da der Brief entstand. Es scheint
mir aber, daß die weiblichen Verwandten des Philosophen, der
selbst keine eigene Familie gründete, in dessen Leben eine ge-
wisse, wenn auch recht bescheidene, Rolle gespielt haben. Und
ich wage in dieser Annahme eine kühne Vermutung. Die
Berichte über Piatons Tod lauten bei Diogenes L. III, 2 f. :
TcXsuxä S', w? cprjoov "EpfxcrcTio;, ev yajjio:; CcCTtVwv, xw Tcpwxq)
£X£!, xfj^ öyoÖTj; xa: sxatoax'^g ÖAu[Jt7xta6oc, ßccu^ sxo, £V TzpoQ
10'.:; GYGOY/.ovxa. Nsav-Q-v]; ce cpyjaiv auxov xstxapwv %al oydor]-
■K0V1CX. xeXsuxf^aac sxwv. Die übrigen Berichte sind mit diesen
am bec|uemsteu zusammengestellt von S. Mekler in seiner Aus-
gabe des Index Herculanensis p. 20 f. als Anmerkung zu dem
von dem herkulanensischen Papyrus selbst Col. II 33 ff. ge-
gebenen Texte: xexsXeuxYjXsva: S' ini ©eocpi'Xcu . . auxöv ßcw-
aavx' exTj Suo xac oySorjXovxa. Ich hebe nur noch den bei
Suidas erhaltenen heraus : sßi'ü» ezr] ß' xac ti'. xsXsuxcc Se en:
xf^c, pr/ dXviiTiidooc, . . . euii)-/ri%-ri 6' ev iopx^j xac utivwv aTxsßfo).
Hermippos ist, wie bekannt, ein recht unzuverlässiger Gewährs-
mann. Trotzdem könnte hier seine Angabe vollständig richtig
sein. Suidas mit seinem eüw^Yj-ö-rj ev eopx-^ scheint dasselbe
zu meinen, was bei Hermippos bestimmter ev yä^iw oecTxvwv
heißt. Eine genauere Schilderung der letzten Augenblicke des
sterbenden Philosophen liegt wahrscheinlich im Index Hercu-
lanensis Col. V vor, allerdings schwer verstümmelt. Mekler
p. 13 schreibt darüber: „quae sequuntur quin ad ultimam
Piatonis noctem sind referenda non dubito, Wilamowitzi po-
tissimum commento columnae quintae argumentum prementis
fidem habens." Ich gebe den Text, soweit er ordentlich zu-
sammenhängt, mit den von Mekler aufgenommenen, zum Teil
freilich noch recht unsicheren') Ergänzungen und Korrekturen:
^) Die zweifelhaftesten sind von mir durch beigesetztes (?) gekenn-
zeichnet.
334 C. Ritter,
. . o' UTzb öpatTY]; ey ys [i£Ao; y^pjjioTxe oaxxuXov evocooij? (?)
^u9'{j,6v (?) • auxGtlt S' w? Tcapa^povocTj xs cpcoveiv xöv ÜXaxwva
y.ac ETtspwx'^aa:, xoO 5' zItzqvto^ ' 'Evvosi; ü); TxavxT] x6 ßapßa-
pov a[jia^£C • ax£ ye Ttapa pu^[Ji6v cp6a:; (?) ßapßapo; cpipouaa
xä^ (?) TiVGta? (?) aouvaxst {iaäscv • i^aöfjvat {jisyccXw; xat iv
£u5ia {xsyaXyj xöv avopa -OTiTiu^ECV (?) £7i£t (?) xa: (?) xaöx' ird
voöv Tjpx^'c' auxüi y.at (?) . . laoyEt oia^-Epfxav-ö-ivxog bk [xäXXov
(?) £7. . . Tvjoq 2) £y£pa£to; vuxxwp . . Was wir ziemlich sicher
erkennen mögen, ist, daß eine thrakische Sklavin mit der Flöte
aufspielt und daß Piaton dem Lied sehr heiteren Gemütes zu-
hört. Aus dem Testament Piatons bei Diogenes L. III 42 er-
sehen wir, daß Piaton außer 4 Sklaven auch eine Sklavin
hinterließ, die nach seinem letzten Willen die Freiheit erhalten
sollte. Sie hieß "ApX£[jicc, nicht ©paxxa. Ich schließe daraus,
daß die hier geschilderte Szene nicht in sein eigenes Hans zu
verlesen ist. Weiter aber möchte ich verwerten, was Mekler
S. 15 oben beifügt : in jiaginae calce scholium exstat sive
additamentum litteris minutioribus scriptum. Die erste Zeile
entzifferte Crönert als 7jßouX£xo N£avi)7;C, in der zweiten ist
. . 'o £x' (oder . . o' eti') ÄOcXcpco .... deutlich. Mekler meint
dazu „de philosophi stirpe Neanthem egisse in libro de viris
illustribus consentaneum". Ich aber lasse der Phantasie die
Zügel und stelle den Zusammenhang her: die Flötenspielerin,
der Piaton zuhört, habe zur Hochzeitsfeier einer jener in Ep.
XIII aufgezählten dSEX^iowv Ouyaxdpcc aufgespielt; Piaton, der
die Braut ausstattete, habe am Festschmause teilgenommen als
heiterer Gast voll Befriedigung, knzl xac xaOx' im voöv fipy^zx'
auxcp. — Die jüngste der 4 Mädchen des 18. Briefes, die im
Herbst 366 o\jtm £vtaua:a war, ist jedenfalls zur Zeit von
Piatons Tod tKlya-iioc, gewesen. Die beiden Angaben des Dio-
genes Laertios und des Snidas xeXeuxä ev yafjiot; und £ütoyj|97]
o' £v £opxrj y.a.1 urcvwv äm^iü) scheinen mir zu den Spuren des
Herkulanensischen Textes zu passen.
2. Die viel besprochene Schilderung der strengen Mienen
Piatons durch den Komiker Amphis bei Diogenes L. III 28
hat mich oft in Gedanken beschäftigt. Die Worte lauten in
2) Tivos von W. Crönert festgestellt im Hermes 38 (1P03) S. 381.
Platonica. 335
unserer Ueberlieferung : w IlXaxwv
(b; oüSsv f^aö'a ttXyjv axuöpcona^scv {jiovov
(jjaTisp xoyXia.;, Ccjjivü)^ eTür^pxw; xä; öcppöc.
Die Vergleichnng mit dem y.oyV.xz, hat noch niemand recht
begreiflich machen können. Ich glaubte einmal die Lösung
gefunden zu haben, da ich mir eine Tigermuschel (Cj^praea
tigris) betrachtete, denn die Aehnlichkeit der geschweiften und
grob eingekerbten Mittelspalte ibrer Schale mit einer finster
gerunzelten (und emporgezogenen) Augenbraue fiel mir auf.
Aber ich ließ mich von einem Zoologen belehren, daß die bei
uns früher so häufig verbreitete Ziermuschel aus dem Indischen
Ozean stamme und darum den Alten vielleicht kaum bekannt
gewesen sei. Bei Aristoteles, der freilich die Muscheltiere sehr
wenig eingehend behandelt, sucht man ihre Schilderung ver-
gebens. Auch konnte ich keine Stelle finden, worin eine
Muschel ähnlicher Bildung wie jene Porzellanscbnecke als xo/-
X''a? und die Schalenspalte einer Muschel als o'fpu; bezeichnet
wäre. So mußte ich mein Fundstück als Lausegold verwerfen
und mich Heibig anschließen, der die Stelle für verdorben er-
klärt, weil die Schnecke keine Augenbrauen habe. Nun be-
merke ich zwar, daß S. Reinach eine Erklärung aufgestellt
hat, recht ähnlich der, die ich mir zu eigen machen wollte.
Er bemerkt (bei Bernouilli, Griech. Ikonogr. II S. 19 A. 3)
„daß der Vergleich nicht zwischen Plato und der Schnecke,
sondern zwischen den zusammengezogenen Brauen und der
Spirale eines Schneckenhauses gemacht werde''. Das hätte
mich fast ermutigt, zu meinem alten Erklärungsversuch zu-
rückzukehren, zumal da die kleineren Cypräen, von denen
verschiedene Arten das Mittelmeer bevölkern, eine recht ähn-
liche Form der Schalenspalte aufweisen. Und, sagte ich mir,
die nahe liegende Uebertragung des Wortes ocppu; mochte sich
ein Komiker ohne weiteres erlauben. Allein die gelegentliche
Beschäftigung mit den Epistolographen brachte mich auf eine
andere Spur: Es gibt einen Brief des Alkipbron, dem eben
unsere Schilderung des Philosophen zum Vorbild gedient zu
haben scheint, (IV, 7 Schepers) Thais an Euthydemos. Sein
Anfang lautet: 'E^ oo cpoXoaocpscv eTisvoVjaa;, cs[xv6; xt? h(k^O'd
xa: xa? ocppö; uTcep xou; xpoxcx^ou; sTif] pac. etxa axfjpia s/wv
336 C. Ritter,
y-ocl ßcßXtScov [Jista '/Xipocc dq tyjv axaSr][X£cav ao^elq, xr^v Ss
yj(ji£Tspav otvccav w; ouSe towv Tipotepov Trapep/^Tj. ejxavT]?,
Eu^uSyjfAS • ■i^ oux o!a»9-a ocos ^ativ 6 aocpcatVjS ouiog 6 saxuO'pw-
Tcaxw? xoct Tous ■9-au(i,aaxoüä toutoo^ oie^'.wv Tipo? b[i7.c, Xoyouc.
W. Sclimid macht mir unter anderem den Einwand, daß axu-
■ö-pcoTia^ctv und ai'pstv xccq öcppö; später fast stehend sei bei der
Schilderung des anspruchsvoll mürrischen Philosophen. (Eine
Stelle, die mir selbst aufgestoßen ist, findet sich Plat. Mor.
59 b d. adul. et am. c. 17: £i; öqjpuv al'pouacv fßri xb 7rpay|Jia
y.ac xoXaxcUOuacv eaxu'O'pwTTraxoxs;). Indes das örcep xoug xpo-
xacpou; bei Alkiphron ist eigenartig und beim Zusammentreffen
von axu8'p(i)7ca!^£LV, a£[ji,vö)c, £;raip£tv (nicht einfach alpEiv) xccc,
öcppö^ von hüben und drüben die Aehnlichkeit mit dem be-
denklichen waTtsp %oy}.ia,;, immerhin so auffallend, daß ich an-
nehmen möchte, es werde aus leichter Entstellung von Ö7i£p
xpoxdcpoug durch unglückliches Raten eines Abschreibers unser
(joaTtsp -/.oyXiocg erst entstanden sein. Wenigstens wem die
Vergleichung so wie sie da steht zu stumpf oder auch zu kühn
ist, dem mag mein Vorschlag empfohlen sein, bei Amphis
urc£p xpoxäcpou^ einzusetzen.
3. lieber die Porträtbüsten Piatons, die von den Archäo-
logen mit der Berliner Herme Castellaui zusammengenommen
und zufolge der Inschrift dieser Hernie auf Piaton gedeutet
werden, hat 0. Benndorf 1899 (J. H. d. Oesterr. Arch. Inst.
II S. 251) das Urteil gesprochen: „Alle jene Köpfe, selbst
der beste im Vatikan, dem ein gewisser Anflug von Eleganz
nicht abzusprechen ist, sind mehr oder weniger geringe Dutzend-
arbeiten der römischen Zeit und trotz ihrer unzweifelhaften
Zusammengehörigkeit so verschiedenartig im Ausdruck, daß
man mehr eine Summe einzelner Merkmale als ein festes Bild
erhält. Es ist, als wenn man die Züge von Schiller und Goethe
lediglich in der Marktware unserer kleinen Gips- oder Bis-
quitbüsten besäße. Man wird geduldig weiter beobachten und
suchen müssen, bis einmal ein Glücksfund wie der Sophokles
des Lateran ein durchschlagendes Kunstwerk schenkt, das den
Typus eindrücklich und für immer feststellt". Zu den 9 Dar-
stellungen, die Benndorf im Auge hatte, ist inzwischen noch
eine zehnte (Kopf im Museum von Aix) hinzugekommen. Das
Platonica. 337
Urteil Benndorfs wird aber heute noch gelten. Ich glaube
namentlich, daß das Bild der vatikanischen, mit der Inschrift
Zenon versehenen Herme, das z. B. dem Piaton Windelbands
(Frommanns Klassiker der Philosophie IX) vorgesetzt ist, uns
einen recht falschen Eindruck gibt. Bernoulli (Griech. Ikono-
graphie II S. 30 f.) äußert sich bei Vergleichung dieser Herme
mit der Berliner dahin: ihr um einige Jahrhunderte höheres
Alter ^) und der Umstand, daß eine größere Anzahl nahe ver-
Avandter Darstellungen sie unterstützen, verleihe ihr das größere
Gewicht. „Die Berliner Hei-me erschiene danach, obgleich
gerade auf ihr der Nachweis des Platobildnisses beruht, als
die am wenigsten treue Kopie. Indes in einem Punkte dürfte
sie trotzdem dem Original näher kommen als der Zeno. Die
Breite der Stirn wird so ausdrücklich als Charakteristikum des
Plato überliefert, daß man erwarten muß, sie auch in seinem
Bildnis stark betont zu sehen. Bei den römischen Repliken
wird man in dieser Beziehung eher enttäuscht". . . „Wenn
wir also geneigt sind, die Schädelbildung der Berliner Herme
für ikonisch authentischer zu halten als die sog. Zeno, so muß
man es fast bedauern, daß nicht auch noch ihre anderen Ab-
weichungen als Züge des Originals betrachtet werden können.
Namentlich der ruhige, von keinem Unmut oder Schmerz ge-
trübte Ausdruck derselben stimmt so viel besser zu unserer
Vorstellung von dem 'göttlichen Plato', daß wir ihm gerne den
Vorzug geben vor dem mürrischen, unzufriedenen des Zeno.
Aber es scheint, daß an dieser Morosität nicht gerüttelt wer-
den kann, da schon die Komiker darauf anspielen und die neu
entdeckten Wiederholungen sie jeweilen bestätigt haben. —
Auch die majestätische Breite des Bartes und seine Gliederung
in Strähne, obschon sie an und für sich mindestens ebenso
platonisch anmuten, wie der Keilbart der anderen Hermen,
stehen zu allein, um für das Ursprüngliche angesehen werden
zu können. Was den Verfertiger des Berliner Kopfes zu der
Umgestaltung bewogen, lassen wir dahingestellt. . . Die
Herme macht trotz dem gelockten Barte einen durchaus ehr-
würdigen Eindruck". Also auch Bernoulli hat das sehr be-
') Sie ist nach Winter um die Mitte des 1. Jahrh. v. Chr. gear-
beitet, die Berliner Herme setzt Robert ins 2. oder 3. Jahrh. v. Chr.
Philologus LXVIII (N. F. XXII), 3. 22
338 C. Ritter,
stimmte Gefühl, daß der Gesicbtsausdruck der vatikanischen
Büste verfehlt sein müsse, — nur beschwichtigt er die Mah-
nung zur Vorsicht, die sich daraus ergibt, durch die Erinner-
ung an „die Komiker". Was er dabei meint, ist nichts anderes
als jene oben behandelte eine Stelle des Amphis. Merkwürdig,
daß gerade auf sie einst auch Visconti (Ikonogr. Gr. I 233)
sich berief, um eine in den charakteristischen Zügen von jenem
Zenon-Platon außerordentlich verschiedene kleine Büste als
echtes Bild des Philosophen Piaton zu erweisen, indem er be-
hauptete, es sei „d'apres la description que les anciens nous
ont laissee de ses traits et de ses Images, impossible de ne
pas le reconnaitre". Demnach ist das Komikerfragment offen-
bar nicht ganz eindeutig. Vor allem dürfte es jedoch nütz-
lich sein, daß man sich klar mache (was ich anderswo näher
auszuführen im Begriff bin), jene Verse haben vielleicht gar
nicht dazu dienen sollen, die gewöhnliche Miene des Philo-
sophen zu kennzeichnen; es sei ganz wohl denkbar, daß sie
nur den vorwurfsvollen Ausdruck beschreiben, den sein Gesicht
in einem bestimmten Falle annahm. Wir kennen ja den Zu-
sammenhang nicht, aus dem sie herausgerissen sind. Dann
aber weiter: Wenn die Berliner Herme erstens die äußeren
Umrisse der Kopfbildung wohl am richtigsten widergibt, wenn
sie zweitens (wie Bernoulli S. 31 auch zeigt) allein geeignet
ist die Brücke zu bilden zwischen dem übertrieben breitstir-
nigen Pariser Kopf, den ßeinach für das echteste Abbild er-
klärt, und den viel schmäleren Köpfen der römischen Samm-
lungen, außerdem aber drittens ihr Ausdruck am ehesten be-
friedigt, — ist es dann nicht der natürlichste Schluß, daß wir
diesen Ausdruck als den am ehesten zutreffenden anerkennen
müssen? Ich bin überzeugt, es wäre z. B. Windelband (oder
seinem Verleger?) nicht eingefallen, den vatikanischen Kopf,
der uns so verdrießlich anblickt, diese „nicht gerade intelli-
gente philisterhafte Physiognomie, welche gegen einen Philo-
sophen zu sprechen scheint" *), seiner auf ein größeres Publi-
kum berechneten Darstellung Piatons vorzusetzen, sondern er
hätte sicherlich eher die Berliner Herme gewählt, wenn nicht
*) Diese Charakterisienuig hat Heydemann davon gegeben, als der
Kopf noch nicht auf Piaton gedeutet wurde.
Platonica. 339
deren Arbeit so roh wäre, daß der gewöhnliche Beschauer an
ihr wirklich keine Freude haben kann, während die glatte
Eleganz der vatikanischen Büste auf dem Titelbilde wenigstens
besticht. Um ihr mehr als bestechenden Schein zuschreiben
zu können, müßte ich zuvor darüber Belehrung erhalten, wie
es denn zu erklären sei, daß die rohe und späte Berliner Kopie
so überzeugend wertvolle Züge enthalte, wenn sie nicht eben
nach einem Originale von großem Wert und eigenartiger Be-
deutung gefertigt wäre. Ich wage auch die Frage zu stellen,
ob denn wirklich ganz ausgemacht ist, daß die 10 Köpfe alle
eine und dieselbe Person darstellen sollen. Ich glaube es immer
noch nicht, weiß allerdings wohl, daß darüber mit Anspruch
auf Beachtung zu urteilen mir schon deshalb nicht zusteht,
weil ich nicht in der Lage war, die Köpfe wirklich zu be-
trachten und so zu vergleichen, ja nicht einmal von allen zu-
reichende Abbildungen gesehen habe. Leider enthält ja auch
das neueste Werk von Bernoulli nur eine Auswahl von sol-
chen, und wenn ich diese mit dem im Jahrbuch des D. Arch.
Instituts und in den Jahresheften des Oesterr. Arch. Instituts
Gegebenen zusammenhalte, so fehlt immer noch Wichtiges.
Die Versicherung Bernoullis aber (S. 30) „wenn man sämtliche
Köpfe, die Berliner Herme eingeschlossen, in eine fortlaufende
Reihe mit jeweilen flacher und breiter werdendem Schädel
ordnet ^), wobei der Pariser ans Ende zu stehen kommt, so
ist der Unterschied zwischen den unmittelbar auf einander
folgenden kaum merkbar. In Bezug auf den Ausdruck sind
die Abweichungen noch geringer. Einzig der in Strähne ge-
gliederte Bart der Berliner Herme verrät eine künstlerische
Absichtlichkeit, welche über die gewöhnliche Kopistenlicenz
hinauszugehen scheint" genügt mir nicht ganz und ich kann
mich auch nicht völlig beruhigen bei der (S. 33) von ihm ab-
gegebenen Erklärung über die Unechtheit des Namens Zenon
auf der vatikanischen Herme: „Derselbe ist schon vor der
Entdeckung der Berliner Herme als höchst verdächtig bezeich-
^) Ich würde es mit herzlichem Dank anerkennen, wenn ein Ar-
chäologe sich entschlöße, eine Zusammenstellung sämtlicher Köpfe in
guten Stirn- und Seitenansichten zu geben, zusamt den Abbildungen
von Gemmen u. s. w., die in Betracht kommen können.
22*
340 C. Ritter,
net worden [Visconti Ikon, Gr. I 207 An. Nur Heydemann
äußerte nocli: An der Echtheit der Inschrift zu zweifehl finde
ich keinen Anhalt, Jen. Litt. Ztg. 1876 p. 477]. Er ist
flüchtig und nachlässig auf eine wahrscheinlich viel früher ver-
fertigte Herme eingeritzt und muß im Konflikt mit der Ber-
liner Platoaufschrift, welche zeitlich mit der Arbeit ihrer Herme
übereinstimmt, notwendig den Kürzeren ziehen". Ob wirklich
die beiden Inschriften mit einander „im Konflikt" stehen?
Das wäre erst sicher, wenn uns ein hinlänglich beglaubigtes
Bildnis des Stifters der Stoischen Schule nachgewiesen wäre,
dessen Verschiedenheit von dem angeblichen Zenon der vati-
kanischen Sammlung in die Augen fiele. Einstweilen, so-
lange sich z. B. der Einwand hören läßt, die Farnesinische
als Zenon bezeichnete Herme dürfte den Epikureer dieses
Namens darstellen (vgl. Bernoulli II S. 137), kann man
zweifelnd fragen: warum sollte der Stoiker Zenon dem Piaton
nicht soweit ähnlich gewesen sein, wie die vatikanische Herme
der Berliner ähnelt? Ich gebe ohne weiteres zu, daß die
Wahrscheinlichkeit nicht eben groß ist und daß insbesondere
die Schmalheit des Kopfes jener Farnesiuischen Herme als ge-
wichtiges Anzeichen in die Wagschale fällt für den Begründer
der Stoa, der nach dem Zeugnis des Apollonios von Tyros (bei
Diog. VII, 1) ioyybc, rjv UTTOfJiyjxyjc. Was wir über seinen Ge-
sichtsausdruck hören, stimmt sowohl für den Farnesinischen
als für den vatikanischen Kopf: axuyvöv xe elvai xa: ucxpcv
xac x6 TipoawTiov auv£aTiaa{X£vov (Diog. VII, 16). Wären meine
Bedenken über die Zusammengehörigkeit der 10 Köpfe gründ-
lich zerstreut, dann bliebe damit immer noch der Wert der
vatikanischen Herme sehr anfechtbar. Der Kopf im Museum
von Aix z. B. stellt, so weit ich aus der Abbildung bei Ber-
noulli ersehen kann, für mich in viel annehmbarerer Weise
als jener einen Piaton dar. Daß der vatikanische Kopf ein
gelungenes Porträt Piatons sei, werde ich glauben, wenn mich
erst die Schüler Christs von der Echtheit des 13. und 2. Pla-
tonischen Briefes überzeugt haben werden: zu ihnen paßt dieser
Ausdruck.
Schon W. Heibig hat im Jahrbuch des D. Arch. Inst.
(S. 75 ff.) versucht, einen zweiten Typus der Piatonporträts
Platonica. 341
nachzuweisen, der den Philosophen als Greis darstellt. Der
Kopf einer bei Chiusi gefundenen Berliner Doppelherme „mit
kahler Stirn und welkem Fleisch" soll ihn vertreten; das
Gegenstück ist Sokrates. Außerdem hat Heibig (S. 72 und
77 f.) auf eine athenische Doppelherme aus dem 3. Jahrh. n.
Chr. aufmerksam gemacht, die zwei bärtige Köpfe einander
ijeffenüberstellt, von denen der eine mit hoher Wahrscheinlich-
keit als Piaton in Anspruch zu nehmen sei. In dem anderen
will Heibig ein Phantasiebildnis von Pythagoras sehen (Sokra-
tes kann es nicht sein), da die Zusammenstellung Pytliagoras-
Platon bei der „geistigen Richtung der damaligen Generatio-
nen" ohne weiteres verständlich wäre. lieber die erste dieser
Doppelhermen bemerkt dann Benndorf (S. 253) folgendes:
„Eine Doppelhernie des kön. Museums in Berlin [Beschreib,
d. ant. Skulpt. n. 299] vereinigt mit einem Bildnisse des So-
krates nach Heibig ein solches des greisen Piaton. Der Ber-
liner Katalog scheint diese Auffassung abzulehnen und die
Skizze, die er mitteilt, verstattet als solche kein eigenes Ur-
teil". Bernoulli sagt von ihr (H S. 23), sie sei „von einer
gewissen allgemeinen Verwandtschaft mit der Kastellanischen
Herme, aber der Scheitel völlig kahl; vielfach verletzt und
von unbedeutender Arbeit (18 cm hoch)" und (S. 26) sie sei
„zu schlecht erhalten und nach Maßstab und Arbeit zu unbe-
deutend, um einen größeren Einfluß auf die Frage ausüben
oder sie gar entscheiden zu können". Von der athenischen
Doppelherme gibt Benndorf (Fig. 138 auf S. 254) eine Ab-
bildung nach einem Gipsabguß der Wiener Sammlung. Sie
unterscheidet sich von dem bekannten bisher durch 10 Num-
mern vertretenen Typus nach Bernoullis Kennzeichnung (II
S. 29) durch eine schmalere, höhere Stirn, durch einen kür-
zeren Bart, durch anders angelegtes Haar und eine andere
Bildung der Nasenwurzel". Bernoulli zählt sie eben deshalb
(als Nr. 12) unter den zweifelhaften Darstellungen auf. Sollte
die Benennung Piaton für den einen der beiden Köpfe zu-
treffen, so wäre die Benennung Pythagoras für den andern
trotz dem was Heibig dafür beibringt kaum annehmbar. Es
spricht gegen sie nicht nur der von jenem erwähnte Umstand,
daß die Münzstempel, auf denen Pythagoras vorkommt, ein
342 C. Ritter,
anderes Bild zeigen, sondern namentlicli auch der, daß der
fragliche Kopf wie sein Gegenstück Porträtzüge trägt. Heibig
schreibt zwar: „fragen wir, welcher andere Philosoph*') in
solcher Weise mit Plato zusammengestellt werden konnte, so
bleibt nur die Möglichkeit an Pythagoras zu denken". Aber
das ist nicht richtig. Warum sollte nicht an irgend ein spä-
teres Schulhaupt der Akademie gedacht werden, mit dem der
Stifter der Schule eben so gut zusammengestellt werden konnte,
wie z. B. Metrodoros mit Epikuros oder auch wie Piaton sel-
ber mit Sokrates? Außerdem mag man an Piaton- Archytas
denken. Bei der engen persönlichen Freundschaft, die die
beiden großen Männer verband, mußte der Gedanke, sie in
plastischer Darstellung zu vereinigen, den Zeitgenossen nahe
liegen. Und die Herme kann ja wohl Nachbildung eines alten
Originals sein. Von Archytas ist (nach Bernoulli) bis jetzt
kein Bild, sondern nur die zu einem solchen gehörige Basis
bekannt.
Besondere Wichtigkeit hat Benndorf einem für die Wiener
Sammlung erworbenen leider stark beschädigten Marmorkopfe
(15 cm hoch) beigemessen, den er (Tafel IV von vorn, Fig.
137 S. 252 von der Seite) zur Abbildung bringt. Er findet
„die Form des sehr großen und auffällig langen Schädels mit
den bisherigen Bildnissen" (d. h. denen des anderen Typus)
„voll übereinstimmend" und erklärt die Abweichungen größten-
teils aus der „höheren Altersstufe, die zur Darstellung gebracht
ist". Auffällig ist, wie er bemerkt, „die abnorme Große beider
Ohren". „Man wird", meint er, „hierin ein Anzeichen von
Treue erblicken dürfen und damit den Gesamteindruck beglau-
bigt finden, in dem sich eine gewisse müde Milde mit schwer-
stem Ernste paart, und der an sich einheitlicher und natür-
licher wirkt, als was andere Köpfe in Verzerrung bieten". „In
Stirn- und Haarbildung" stehe diesem Wiener Kopfe der der
Athenischen Doppelherme am nächsten, dem übrigens ein
zweiter im Athenischen Nationalmuseum aufbewahrter Kopf
sehr ähnlich sein soll. Bernoulli äußert sich über den Wiener
Kopf, der ihm so zweifelhaft ist wie die mit ihm verwandten
") Nämlich außer Sokrates.
Platonica. 343
Athenischen, sehr vorsichtig: „Trotz der allgemeinen Aehn-
lichkeit ') ist der Eindruck nicht der der Identität. Nament-
lich fehlt die charakteristische Haaranlage über der Stirn ; das
Haar ist hier dünn und tritt in zwei Winkeln zurück".
Ich kann nur so viel sagen, daß es mich außerordentlich
freuen würde, wenn der von Heibig mit schüchterner Zurück-
haltung eingeführte, von Benndorf anerkannte zweite Typus
Platonischer Porträtdarstellungen sich als haltbar bewähren,
wenn neuere Untersuchungen den Zweifeln und Bedenken, die
seiner allgemeinen Anerkennung im Wege stehen, ein Ende
machen würden. Denn so etwa, wie uns der Wiener Kopf
und die Athenische Doppelherme sein Bild mehr nur andeuten
als zeigen, möchte ich mir Piaton vorstellen dürfen. Freilich
auf Gefühlen ruhende Vorurteile und Wünsche entscheiden
hier nicht. Aber so viel ist sicher: über die Vermutungen
sind wir immer noch nicht hinaus; wir wissen heute noch nicht,
wie Piaton wirklich aussah.
Tübingen. C. Ritter.
Nämlich mit den Büsten des andern Typus.
XIII
De Mercurio Arislophaneo.
I.
Sequentibus paginis de Mercurio ab Aristophane depicto
disputabo. Magni enim est momenti ad naturam dei ipsam
cognoscendara docuraentuin religionis Atticae tarn grave atque
verba comici nostri singula recte intellegi. Et primum quidem
ad Pluti fabulam nos convertamus, ubi inde a v. 1099
Mercurius in scena versatur.
V. 1098: ouoelq eotxev • aXXa SYjxa t6 dvpioy
cpO'eyyofievov aXXws xXauacä
xXauocäv eodem modo a 7«Xaua(£iü), — exat) conformatum ac
Xl^-iöcv, vu[JLcptav cet., i. e. janua morbo quodam afifecta semper
in 60 est ut ploret — jam Cario januara sine causa lamen-
tantem est clausurus quum ipse deus subito apparet speciem
sine dubio lamentabilem prae se ferens neque ab ea rerum
condicione caelestium quae in Olympo jam regnat lamentatione
digna abhorrentem. Jam velim ante oculos ponas et ipsam
januam quae plorantis in modum cardinibus vertitur et deum
januae praesidera, xöv axpocpatov, axpocpea, tio-
Xuaxpocpov, axpocpcoü^ov, qui, genius quidam januae, Stridoren!
cardinum moleste vertentium effecit: nullus dubites quin deus
jam primum appareat neque, ut vulgo interpretantur editores,
jam antea janua pulsata a conspectu Carionis se abdiderit.
Deus enim ac janua fere idem valent (nolocioq, TipoTcuXaio;,
■npbc, x-^ uuXcSc, TxuXr]56xo;), signa vero dei Athenis sicut tota
Attica usitatissima, hermas dico, ante portas et urbis et aedi-
ficiorum civium positos, ubicunque conspiciebantur (v. Prel-
ler-Robert Gr. Myth. I 402). Quam ob rem equidem
sentio Mercurium re vera januam omnino non attigisse (quam-
S. E i t r e m , De Mercurio Aristophaneo. 345
quam alias deus joci plenus est mendacissimus), sed januam
tamquam indicium dei miseri jam affiituri rerumque divinarum
lamentatione dignarum ploratum edidisse. Recte igitur schol.
P, [laxTjV xa Xüjv xXatovxwv (xi^eixac.
V. 1118.
xa: xü)v [X£v aXXwv [xoc d-züiv yjxxov [jleXsc,
eyü) 5' dcTiöXwXa xä7i:x£tp'.(X[j.at. (Kor. ) Hwcppovei?.
Rebus domiui afflictis servus sui semper curiosus sibique
soli consulens transfugium meditatur, ejus igitur criminis re-
vera v. 1150 arguitur: xauxo|JioX£iv aaxsiov elvac aoc ooxe:. Le-
pidissimum sane inventum comici nostri hie babemus neque
tarnen Aristophanis proprium est. Eodem enim modo apud
Aescbyium Prometh. v. 974 ratioHes suas causae Olympioriim
anteponit cavens ne in numerum ceterorum deorum ab adver-
sario vexatorum referatur :
(Prüm.) x^iow; xXcowvxa; übe xou; sjjiou; eyü)
£X8'pou; loot|JLC' xac ae o' ev xouxoi; Xeyü).
(Herm.) r] v. ä [ik yap x: oujjicpopac; eTZMX'.ä. ;
Versibus proximis igitur suum tantum damnum lamentatur
servorum omnium exemplar, superiorum deorum infimus, ma-
lorum pessimus, miserorum miserrimus. Eundeui in modum
Mercurius Aeschyleus Olympicorum partibus quamqiiam pueri-
liter melius carte fungitur. Qui deus in ectypo quo templum
Minervae in arce Atheniensium extructum Phidias adornavit
totius Olympiorum consessus extremus sedet, vere mortalibus
humana atque fere servili indole proximus accedit, nunc certe
— ut apud comicuni nostrum legimus — res humanas cae-
lestibus anteponeus m o r t a li s fieri vult servus!
V. 1122 öa' sixos saxcv "E p [j, ■:^ v eaö-istv — se ipsum
nomine commemorat, ad h e r m a s simul, ut suspicor, referens
qui ad januas institorum m a n e apertas (cf. Liban. Or. X
p. 294, Blaydes) frequentes exstabant, quorum magnus nume-
rus in ipso Atheniensium foro erat, ubi potissimum oi xaxcrjXcc
secundum Piaton. ßep. 371 d sedebant: et se miserum prae-
dicat et blanditias voluptatesque praeteritas amplexatur —
pueriliter sane et ut misericordiara commoveat. Olim us-
que a primo diluculo etiam a sordidissimis colebatur religio-
sissime.
346 S. Eitrem,
V. 1 1 23 vuvc CS 7X £ c V ö) V a V a jj a 0 7] V a v a r: a 6 o [jl a t.
Otium sibi molestissimum quod sacrificia, i. e. bellaria omnis
generis, oraissa iiuntio deorum velocissimo itineris semper stu-
dioso creaverunt commiseratur : e a m ob causam Mercurius
semper in itinere est! ut ipse scilicet dapibus fruatur! Contra
cena carenti domi remanendum est.
Divinum mebercule muuus servoque neque Olympico nun-
tio dignissimum. — Ceterum animus fert ut d v a ß d o r] v
cum scholiis nonnullis sie interpreter: dvw e/tov xov Tiooa e;
TÖv äWov. Talem fere in ectypo supra commemorato si nou
Mercurium, at certe Hartem sedentem mortalesque deorum
conventui appropinquantes observantem finxit Phidias. Digito
igitur porrecto oculos vel potius animos spectatorum ad ima-
ginem notissimam is qui partes dei egit convertere potuit.
V. 1127 e tragoedia aliqua desumptum olim fortasse Mer-
curius nuntins Jovis ipse protulit: sie carte cavillatio ludicre
augetur (schol. tantum: utco t'.vo^ aldepia; cpwvf]; r^y.oujs.).
V. 1129. Vulgo vox daxiüXcd^siv , ubi praecedens xwXtj
ludicre repetitur, ad Mercurium „trepidantem et tripudiantem "
(van Leeuwen) refertur, utpote qui fame conficiatur. Quae
notio versui 1131 oouvyj ae izepl xd cnXdyyyix 'ioiy.i xt, axps-
cp£tv inesse videtur. Tarnen mea quidem sententia äay.iü'kid^zv^
ad Mercurium alatum, pennis et petaso et pedibus affixis (cf.
Av. 578) ornatum, est referendum : identidem e terra alternis
pedibus paululum evolans domum humanam neque jam caeles-
tem (cf. aföpiav quod sine dubio liie plus quam simplex illud
£v £u5:'a, siih clivo, valet) quo volando pervenitur, intrare fru-
stra conatur. Conferas velim Eubul. fr. 8 ubi totum jocum
bujuscemodi saltationis elodlleixloii atque xaxappcüv continere
apparet.
Ceterum fieri potest ut poeta hie non solum rusticum
illum xü)V 'Aoy.wXcwv ludum sed rem quandam ad eultum
Mercurii pertinentem significet; memor enim sis velim histo-
riae illius Apemosynae a Mercurio vitiatae, de qua Apollodo-
rus II 2, 1, 4 sie tradit: ""Epjjifj; auxTj; spaaSs:; w; cpEoyouaav
auxTjv y.axaXaßsÖv oux yjoovaxo (:r£ptrjv ydp auxoü xö xd/£'.
xwv Tzooüy), xazci xf;^ öooö ^ ü p a a q uTtEaxptüOE VEOodp-
xouc, £cp' d; öXtail&öGa f^vixa driö xf^; xpYjVTj; et^ävyje: cpösi-
De Mercurio Aristophaneo. 347
pexac. Quae coria veicotpxa, lubrica quae vestigium viatorum
non recipinnt atque iit cadant efficiunt, pertinere videntur ad
^ivou; hymn. in Mercur. v. 124 commemoratos (vide quae ex-
posui Philol. V. LXV 260) ; denique suspicor equidem et xtr-
p'jy.ov (vgl. Merc. KwpuxtwTr^S) et aaxov (cf. Gruppe Gr-
Myth. 327, 750) eundem ad cultum Mercurii referundos esse.
V. 1131 aperte mea quidem sententia Mercurium signi-
ficat axpocpaöov (aliter ludit poeta v. 1154). Olim autem
deus januam cardinibus, nepl xoug aTpocpLyya;, vertit, nunc vero
se ipsum visceribus, tz £ pl xa ouX öcy X"^ °^i torquet ! Am-
bigue vero dictum est et illud uepl xa QTuA^c/ycx. , sc. „quod
ad viscera attinet a te jam commemorata" et „circum vis-
cera" neque dnbitationis locus relinquitur, modo animo tibi
fingas deum ipsum prope fores stantem atque seuiper aedes
intrare conantem.
De V. 1132 plura infra disputabo (Pac. v. 433).
Tunc -f] Tiopof] V. 1133 insequitur quae vini fungatur vice
sitienti (Hemsterhuisius) ; e7:tT::wv „adbibens" unum illud dicit
„inter cenam (TiXaxoövxa, xioylvjv, onXdyyva) bibendi esse tem-
pus" (quod propter van Leeuwenium moneo, contra recte fere
Blaydesius). Nimirum Cario cibo vinoque exsatiatus (cf. v.
699) suo modo patronum divinum eo condonat quo condonari
vult. Hie vero dubium esse non potest quin poeta comicus
epici poetae et ipsius omnes Mercurii partes ridicule trac-
tantis vestigia premat, dico hymn. in Merc. 294 sqq.
t6x£ 6y] xpaxü^ "Apyetcpovxrj?
0 i (1) V ö V Tiposr^xev, äeip6\}.zyoc, [JLSxa X^P^-i
xXrjixova y a a x p ö $ epiö-ov, axaaO-aXov d y y £ X c co x T; v.
Neque multum differt Mercurius ille domum reversus at-
que antrum intrans:
aüpy] ÖTccDpiv^ EvaXiyx'.o? rjiix' b[ii-/Xr]
(cf. Philol. 1. 1. 260, n. 17). Mercurius quod alias aliis con-
donat nunc ipse contra accipit. Equidem vero opinor rem de
qua hie agitur latius patere: perlegas velim quae 0. Jahn
Sachs. Ber. VII— VIII p. 48 ad tales crepitus ventris quos
„pro numinibus habuerunt" (Clem. Recogn. V 20) illustrandos
adnotavit neque dubites quin tales ayysXco (dyyeX^wxai) pro-
digia quaedam Mercurii propria habita sint. Fuit enim deus
348 S. Eitrem,
KXer]S6v:o?. Mercurius itaque et pedendo et sternuendo ominis
auctor fit (v. Philol. LXV 270 sq. ; afferre fortasse licet etiam
Plut. De Iside et Os. c. 14 de more Aegyptiorum). Facitne
huc xuxewv ßXyjxwvcas Av. Pac. v. 712, sc. qui ventrem inflat
atque ut crepitet facit?
Carlo vero etiam ad nuntium deorum celerrimum, et olvo-
yoov (Athen. X 425 c, cf. infra) et ayyEXov, xpox^v Aioq
(Aesch. Prom. 491) alludit: aTzoxpiy^oiv xauTyjv oOx av
cpö-avotc, partesque fere easdem servus hie atque divinus ille
infans Homericus agit (v. quae Philol. vol. LXV 270 adno-
tavi). Post V. 1133 Carlo, qui simul cum t^ iiopbji se con-
vertlt, jam in eo est ut domum intret: retlnet eum deus nihil
Indlgnatus, fleblll voce jam supplex f actus.
Tum V. 1134 ap' wcpeXfjaac; av xc xöv aauioö cpi'Xov plena
atque propria vis verbo cp c X o v asserenda: prae ceterls enlm
deis Mercurlum a m 1 c u m mortalium appellabant. Jam II.
XXIV 373 sie eum appellat Priamus senex cptXov texvov, iti-
dem Calypso Od. V 88 aiSoio; xe cpcXog xe, tum v. Hymn. in
Merc. 525, Hippon. fr. 16 B, Aesch. Ag. 493 cpiXov XYjpuxa,
Phryn. fr. 58 K. & cpcXxaö-' 'Ep|jL^, Ar. Nub 1478, Pac. 416,
718, 393 cp:XavöpQ;T:ü)xaxo?; Orph. h. 28, 4 cpcXavope, 9 cptXe
d-yriXQlc, £v dvccy-zcat?, Luc. Char. 1 w cptXxaxov 'Ep[Jiao:ov, He-
liod. V 15 Y.d(.XXi(3Xoq xac dyatJ-wxaxo^ xwv -Osöjv, Plaut. Cas.
238 homis.
Per totam auteni haue scenam coquum deorum, cujus
in animo epulae dapesque solae sunt, atque mortalis domini
cocjuum ^), imaginem illius divini expressam (cf. v. 190 sqq.),
inter sese colloqui animo est retinendum (v. schol. ad v. 1134
Dübn.). Jam v. 1107 Jovem totum mundum in unum confusurum
cum coquo una in lance omnia commiscente contendit Mer-
curius.
V. 1187 autem 6 \idyeipoc, amicus Carionis et quidem
praecipuus audire vult : deus qui semper carnis cupiditate uri-
tur et jam hymn. Homer, v. 64 xpetwv epaxi^wv dXxo
xaxd oxoTziri'^ nunc adulescens factus zpea; veavcxov
') In V. 1105 adnotatione dignum videtur Carionem sie irrederi
Uta ceteris •9-epä7couat sejungatur bestiarumque in numerum
referatur.
De Mercurio Aristophaneo. 349
desiderat (v. 1137). Qiii olim bellaria omnis generis devora-
bat, nunc fame confectus simplici pane carneque contentus est.
Famem enim ferre omnino non valet, unnm illud x a t a cpa-
yEtv in animo est. Neque mirnm: Mercurius enim primus
ignem e lignis contritis elicuit, tum primus deis sacrificavit
divinaeque rei operatus ipse culinae Olympicae praefectus est.
Fabulae ritusque veterum Indorum eundem transgressum illu-
strant. Eandem divini sacerdotis sive coqui naturam leviter
jam Homerus quoque perstrinxit Od. V 101 sq. ubi longioris
itineris Mercurium valde pertaesum est: nullam mortalium
urbem se vidisse, ouSe Tic, ayxt ßpoxwv nöXic, oixe %-BolaiV \ tspa
TS ps^ouao y.od s^atxou; IxaTo^ißac. Quin quod ab Antolyco
praecipue cultus est (Od. XIX 397): xw yap y.zxc(,pio[xeva.
(X Tj p c a xal£v / äpy&y r]o' ept'cpwv • o bi ol Tipöcppwv a[x' ömjost).
Neque sine veritatis specie conjicere licet etiam alios poetas
comicos ante vel post nostrum Aristophanem studiose non
modo servum sed coquum deorum descripsisse. Apud Lucianum
quidem multa deprendere mihi videor quae eodem spectant.
Jam Prom. c. 10 deum, ut mihi videtur, a Prometheo irrisum
huc revocare libet: exetvcov (sc. xwv av^pwnwv) oOx eaxcv
öaxi:; xtp (layetpü) axaupoö av xt^ifjOacxo, et xa xpsa ediwv xa-
d-elc, xöv SaxxuXov xoö J^(ji)[jioü xi T^epceXcxtJLrjaaxo t/ 6v:x(ji[iiv(üv
dTcoa7T:aaa; xt y.axs^po'/ß-iovj , dXXa auyyvwiJLr^v dTiovE[jtouacv ky.ei-
vcic,' et 0£ xa: r.dv\j opyiaO-slev v) xovouXoug Ivexpicpavxo V] xaxd
xcppyjs ETidxa^av, dv£axoXo7r:a-9'7] 6s ouo£:i; Tcap' aoxoc? xwv xyj-
/"axouxwv £V£xa, Tales enim v.o\if\)£ia; qualium Prometheus
numerum convivarum arguit commisit et ipse Mercurius, quin
in xpewv 5:avo[i'^, in partibus singulis victimarum rite divi-
dundis, similis furti crimine tenebatur, quod testatur hymn. Ho-
mer, in Merc. 129 (v. Philol. 1. 1. p. 257, 259). Neque multo
post Prometheus, verbis owxyjp idwv usus, (c. 18), tecte et
deos omnes et qui accusatoris partes agit, Mercurium ipsum,
significat (cf. Hom. hymn. XVIII 12, XXIX 8, Od. VIII 335).
V. 1140 £yü) a' av Xav^dv£:v ettolouv d£:. Idem enim hie
deus ac filius Antolycus, qui secundum Hes. fr. 112 Rz, oxx:
X£ X^p'^- '^d'^^oY.z'j , d£:S£Xa Tidvxa x:'9-£ax£V, valet, cf. Pherec.
fr. 63 (schol. Od. XIX 395) dyz ydp xaüxrjv xr]v zky^riv r.apoc xoö
Tcaxpoi;, wax£ zohc, dv{)-pd)Ti;ou;, Sx£ xXstixo: x:, Xavx^dvstv.
350 S. Eitrem,
V. 1147: jam uuus e servis fieri vult deus. Certior enim
factus nihil cibi esse domo efFerendum (oüx sxcpopa, v. 1138)
unum illud relictum sibi esse videt se ipsum in aedes tamquam
servnm intromitti, ut ßcoToov sibi inveniat (v. 1165).
Mercurius qui aliis auxilium ferre seiet (Iptouvto? = jxsya-
XcücpcXY]; Corn. 16, cf. £ij£p|Ji:a, 'Ep{xara döoig) jam ipse anxilio
indiget ((bcpeXetv v. 1135): 6 xleTzz-rjc,, Xrjtaxrjp, cprjXrjxrjs
nunc graviore epitbeto ornatur, sc. x o ly^w p üy^o c, (v. 1141)
neque alio ascendit gradu poeta v. 565 : uavu yoöv %Xe7üX£LV
xcajjitov eaitv xal xou; xoiyouc, Siopuxxecv. Pervulgatum enim
dei dictum xotvog 6 'Epixfje, xoovöv xö "Ep|Jiatüv ad patellas, non
ad piagas pertinet (1141)! Iratum ut consoletur, in cpcXav-
^pwTiov (Ar. Pac. 393), cp^avSpov (Orph. h. XXVIII 4), eO-
vouaxaxov (Ar. Pac. 602) se convertit deus : [xyj [ivr^ao y. a % yj -
c^c, — obliviscatur igitur oportet Cario xoö xazoö, injuriae et
a collega divino et mebercule a domino ipso plagarum auctore
illatae !
Neque aliter v. 1147 duplex notio verbo ^6 v 01x05
inest: nam custos januae deus TipoTiuXato? seniper domi rema-
net. Jusjurandum vero Mercurii, dei perfidi perjurique
(cf. Od. XIX 395, hymn. in Merc. 274, 383 sqq. quaeque
Philol, V. LXV 269 sq. scripsi) nibili est. Stupefactus igitur
Cario v. 1148 interrogat sitne revera relicturus deos per quos
jam juravit. Per p a t r e m autem Jovem et quidem domi-
num juravit adulescens quod jusjurandum Cario v. 1116 irri-
sionis causa repetivit.
Sequentibus versibus Mercurius x u v s c v xe vöov -/.od bkI-
xXoTxov i]d-oc, prae se fert — talia enim Pandorae apud Hes.
Opp. 67, 77 sqq. donavit — neque multum differt imago a
poeta comico depicta ab illa Aeschylea celeberrima: utrique
enim indoles servilis atque canina innata est, cui unum
illud valet : ibi remanendum ubi optime vivatur i. e. cenetur
(cf. 1118 sq.). Jam pridem Mercurius ille hymni Horaerici
sacrificans, omnia commodis suis i. e. ventre suo mensus,
utilitati ceterorum deorum nihil servit. Ibidem infans in cunis
recubans quanti xa Swpa hominum faciat primum aperte de-
claravit (v. 168):
De Mercurio Aristophaneo. 351
vöäc |JL£x' ai)-avaxccac dSwpr^xoc xa: cHiaxoi
auxoö X'^Se [xevovxe; avE^ofieO-'.
Nimirnm oaixö; exacpo? illic fieri vult (v. 436). — Suspicor
vero etiani nostrae fabulae v. 1114 sv. vocibns oO XLßavwxov
ou Sacpvyjv, oü (|;aiax6v se ipsum honore defraudatum prae ce-
teris commiserari (ture certe saepius Mercurio sacrificatur, cf.
e. q. G e r h a r d Ges. akad. Abh. T. 67, 1).
V. 1153 sqq. seriem cognominum a vilissimo (axpocpato?) 2)
usque ad nobilissima (T^yspidvco;, evaywvio?) pertinentem deus
ipse, jam vero Tistacvou?, (Preller-Robert Gr. Myth.
I 418, 4), qiii olim ipsum Apollinem ira incensum mollire et
sibi amicum conciliare potuit, praeter spem repulsis acceptis
animosior factus persequitur. Incipit a re proxima, a janua
propter quam jam diu stat, per quam (xa Txp6\)upa) coram
Jove liymn. Homer. III 384 jurat. Neque poeta mores jam
simplices, aKXobc, xpcnou; (v. 1158) praedicare potuit nisi di-
vini illius infantis memor qualis bymn. III 13, 439 tc o X 6 -
X p 0 n 0 c, fingitur. 'Hy £ [x 6 v c o ? vero Mercurius quamquam
euaxoTios (bymn. Homer. II 22, III 73, IV 262, II. XXIV 24)
vulgo audit, non quo caecos recta via ducat, sed quia
errantes vel viae nescios vel in teuebris versantes ad itineris
finem perducit (Aristopbanem poestea imitatus est Lucianus
in dial. qui Timon inscribitur). A t h e n i s vero splendido
hoc epitbeto ornatus a praetoribus verno tempore celebratus
est : Atbeniensium igitur Yjy£(x6va ipsum Cario
extenuat detrectatque.
Ea tandem condicione intrare licet deo ut omnium uno
vilissimo munere, sc. diaconi, fungatur, cf. Od. XV 319
(cum schol.):
Tiöp x' £5 vrjfjaac oia x£ ^üXx Sava X£aaaat
Satxp£Oaac xe xa: ÖTixfjoac xac otvo)(ofjaac
oloi X£ xoi; ayaO'Ocac TiapaSpwwac ^EpyjE?.
Qnarum rerum peritiam Ulixes ad auctorem divinum et quidem
Mercurium refert: 'Ep[JL£'Lao Exr^xt otaxxcpou o; pä x£ uavxwv
j av^'pwTztüV Epyocat /dpcv xa: xöSo; ÖTzd^ei. Itaque usque ab
Homeri temporibus servum Olympiorum omnibus mortalibus
naXiyxäTi-^Xos tarn est sordidae condicioiiis ac (xi ■/.a.Tzr^}d5sc, v. 1120.
852 S. Eitrem,
servis in singuHs quoque rebus antecellentem finxerunt sibi
Graeci, coliierunt certe servi ipsi ^).
Quod vero sie intromittitur deus oKAdy/yDiv cupidus (v.
1130) ut statim ventriculos lavet (1168), qui sine dubio ipsi
deorum niinistro saepenumero obvenerunt (cf. Pac. fin.), Xouxpcc
Mercurii (e. g. Pausan. VIII 16, 1, cf, hymn. in Mercur. v. 241
veöllouxoc, et v. 268 atque quae Philo). 1. c. p. 267 exposui)
in animum revoco, Nimirum lavatum mittitur qui et ipse la-
vationi studet. Quantum vero differt hie Mercurius ab illo
puero lautitiarum studioso qualera se ipse principio colloquii
V. 1120 sqq. perhibuit ! Qui demisso animo a TiuXacü) ince-
pit, tune repulsis exagitatus pro y]yeixov'M se vendere vult, jam
in servorum infimorum numerum redactus est. Per totam
igitur scenam deus, cujus persona tragoediarum scriptores sae-
penumero usi sunt, a servo niortali, omnes partes fugitivi illius
divini servi, alias Atheniensibus notissimas, atque etiam epi-
theta Sacra in ridiculum trahente, irridetur, sieut ipse Mercu-
rius hymni Homeriei olim fratrem Apollinem aemulum et
auctoritate et natu majorem ir.iziiiivoc, avaocsirjv (v. 156) irri-
dens ludibrio habuit. Quin quod Cai'io exadversum servum
^) Litteras perlustrana nonnulla huc pertinentia inveni quae satis
clare ostendunt quantum valuerit illa imago Homerica apud scriptores
sequentes: Aesch. Prom. 941 xöv toö lupdcvvou Sidxovov. Similiter
scholiai5ta quoque Aristophaneus ad v. 1153. Eodem judico etiam
Anaxandr. fr. 57 (II 160 Kock), ubi potenti dotnino servus gloriatur,
pertinere :
t6 vexiap iaO-iü) uävu
lidiKüv SiaKÖvü) x' dp.ßpo:jiav y.ai x öj Att
ö t a X 0 V ö xal osiivög si|i,' sxia-coxe
"Hpq: XaXcöv xai K'JTtp'.St uapaxa&v^iisvoj.
Eadem in re exquisite describenda multus est Luc. D. d. XXIV
1 : E ü) ^ £ V egavaatavxa oaipEiv xöauji^iöoiov bsl xal S'.aaxpwaavxa
xyjv xXioiav süO-Exioavxä xe sxaoxa Trapsoxävat xcp Ail . . . >cal suavsX&övxa
ixi x£xcivi[i£vov Tcapaxi'S-evai xy)v diißpoaiav' Ttplv 5e xov ViWVTj-
xov xoOxov ohoyoo^ t/XcLv, xal xö vixxap iycb k^ky^zov . . . (§ 2) 5 i a -
X 0 V 0 ö [i a i (xotg 'AXx|iYjvv]g xal Z£[isX7]g) . . el yoöv Suvaxöv rjv , vj^icog
dv Tjgtcoca TXSTipdoO-ai woTitp oi i v y ^ x a x w g S o u X e 0 o v x s 5
.... (Maia:) oößei ic, "A^-{og . . [itj xal TrXvjyds ßpa5'jvo)v Xdßigg. — Cha-
ron 2: xoüxtov xö 7cpäy[ia T^Xvjywv atxtov xaxaaxr^asxai |iot. . . . oOx dxov-
SuXov.
Similiter iu Orco quoque apud Charonta Mercurius potius servi
quam adjutoris partes austinet, v. Luc. mort. dial. 4 et 10 ubi curat
ne scapham intrantes nimium onerent naviculum. Catapl. 4 custodi
ergastuli vel lorario haud dissimilis est; Charon 1 olvox.ö(i)V, Sacr. 8
ÖTiripsxTis xal dyysXtacpöpo;. Denique C e r e r i et Proserpinae servit
Kai bei Epigr. 785, Proserpinae dii'^cTioXoj Orpb. h. 57.
De Mercurio Aristophaneo. 353
tarn flebilem se ipse pro domino gerit v. 115G: xi ouv 'Epjjifjv
TtaXtyxaTirjXov yj [x ä 5 osi xpecpsiv atque alias saepe (cf. v. 1168):
ad servitium revera mortale vel eo demissius cadit minister
divinus! Tantam igitur sibi sumit arrogantiam servus Athe-
niensis quantam alias, e. g. Pacis in fabula quam jamjam per-
scrutabimur, Mercurins ipse.
IL
Jam multis annis ante quam Pluti fabula data est, Ari-
stophanes Mercurium ita loquentem atque agentem induxerat
qualem et pii Athenienses colebant et poetae celebraverant,
scilicet in Pacis fabula, v. 180 sqq. Ibi quoque mea sen-
tentia multa accuratius definire licet quam interpretibus vide-
tur, dummodo cultum dei Atheniensem ante oculos ponas.
V. 150 7zi%-VJ ßpoToö [JL£ TxpoaeßaX' — öa[jifj vel cpwv/j
supplenda secundum scholiastas. Recte sane : nempe c o q u u s
divinus odorandi epularum nidoris sagacissimus est indagator^).
Verba vero antecedentia xiq ev Acö; {)upaiacv, in quibus tragici
quid inveuit editor van Leeuwen, aperte xov xcpoTiuXacov •8'eov
vel potius xöv -ö-upaöov (Inschr, aus Pergamon II 325, cf. 322,
I 244), xöv ev TipoO'upo:^ (Preger Inscript. metr. n. 119), per
quae TipoQupa hymn. in Merc. 384 jurat (cf, etiam v. 158, 271)
significat: janitor ^) igitur coeli (v. 195 xiXzoöv [loi xov Af,
cf. Plut. 1131 et Philol. vol. LXV 251) et quidem impuden-
tissimus qui omnia ex advenis percontatur neque conviciorum
ullum novit modum liic inducitur Mercurius.
V. 180. Per Herculem jurat is qui alterum deum palae-
strae saepissime sibi arae sociuni adiunxit. Neque tarnen se
fortem praestat auctor ille omnium palaestrae virtutum.
V. 188 autem ridicule per terram jurat is qui coelum
habitat, ad Mercurium vero libenter jurantem et pejerantem
conferas velim quae ad Pluti v. 1147 adnotavi. Ceterum lec-
tores ad statuam Mercurii in Areopago erectara atque inter
*) Vehementissime nidore tentatur, hymn. in Merc. 131 ö § p. tj yäp
p.iv exsLps xocl äB-ävaxöv usp lovta yjSsIa (aliter neque recte quod
videam Robertus verba accipit facetiarum plena, Hermes XLI ^^94:).
De antro odoris pleno ib. 281 narratur: öS[i7j £[isp6eaaa bC oöpeos *?jY3c-
^BOi.0 xiSvaxo, cf. v. 65.
'°) Talis primum apparet H. XXIV 446 sqq. ä--fap 5' wigs u'jXag xal
är^öasv ö-/r,'x<;, cf. Lucian. quoque D. d. IX 1 [verba NeptuniJ upooccy-
YeiXov aüxö).
Philologus LXVIII (N. F. XXII), 3. 23
354 S. E i t r e m ,
Plutonem et T e r r a m collocatam (Paus. I 28, 6) provoco
(cf. Aesch. Pers. 628 yß-övioi oai|xov£; äyvoi, Vi] xs, tlocI 'Ep-
R . . .)•
V. 188. Facile deus mortem minatur m o r t a 1 i ipse
quidem mortuorum dux atqne mortis expers.
V. ISO vinitor sollers laudatur is qui e Tpu^, xpay-ifj nomen
traxit Trygaeus , sie M e r c u r i i animum captans qui alias
pacifer litium amans, spaatrjS TrpayiJLaTüJv, non fuit. Neque
vero deus ipse a vinetorum studio abborruit quod statua Mi-
tylenis erecta atque carmine iuscripta satis demonstratur (CIGr
II 476, V. infra). Accedit oz^'.o;, , peritissimus enim omnium
rerum opifex laudatur deus, e. g. Od. XV 318 (v. supra).
V. 192 iterum xa xpea vebementissime coqui nares mo-
vent (cf. Plut. 1134, Hymn. in Merc. 131 oojjiy] yap (xtv eiecps),
alias xa axsuapia divina (Plut. 1139) asservantis, i. e. surri-
pientis (van Herwerden). Neque multum differt Mercurius ille
e7ic9-aXa[Jitxyj; cujus mentionem fecit Hesychius s. v., v. Pbilol.
1. 1. 267. Ceterum xa x'^'i^P^'^^cc v. 202 sine dubio ad ter-
tium Anthesteriorum diem (a Dionysiis, cum agitur fabula,
haud longo intervallo separatum), qui x »J "^ P o ^ dictus M e r -
curio /{J-oviü) sacer erat, referenda sunt. Illo enim die
ollae leguminum plenae mortuis offerebantur quas Mercurius
in usum suum convertisse hie insimulatur. Ita enim explicat
schob Acbarn. 1076 : xat ■9-6£:v xol; x^'^^^'-* 'EpM'Ti X^^^'^^'v ' 't^'^i*
§£ yüxpac, Oöbivoc ysuaaaO-a: • xoüzo oe uot7]aao xobc, Tzepicsoid-iy-
xac, iXaaxo[X£VOus xöv 'EpjJiTJv xod Tzepi xwv a7iO'9-av6v-
x(i)V. In eodem verbo ludit poeta v. 922: xc'6' äXXo y' tj xau-
xy]V yßxpMc, tSpuxEov; (Chor) x'^'^P^'^'^^^ &an£p |i,£(Jicp6|Ji£vov 'Ep-
{jiiSlov; Neque tamen nego sie quoque risum captare poetam
comicum ut deminutivis totum caeli suppellectile splendidum
nihili esse ludicre fingat. Tum a[Jicpop£:'Sca quoque, si cum
schob ad V. |JL£xpa interpreteris , in Mercurium quadrant: is
enim %at [Jiexpa %ac axaxJ-fxa invenisse dicitur (Diod. V 75).
V. 195 xdX£a6v [ioi xöv Af: nuntii, dyyiXou, vice fungi-
tur Mercurius (cf. Luc. D. d. IX 1).
V. 206 sqq. eo modo accipere licet ut digito deus ad arcem
atque templum Minervae oculos spectatorum convertat: ibi
enim dei vere remotissimi altissimo loco, quem xOxxapov (v.
De Mercurio Aristopbaneo. 355
199) (i. e. TÖ }co:X6xaTov xa: [i.u/acxaxov, scliol.) appellare li-
cuit poetae, sedebant :
tva [XY] ßXsTiotev [Aa/ofxevou^ u|xa? Itc
|xrjo' dvTißoXouvTtüv ijlTjOs £v aüaöavoi'aio.
V. 211: facillime sie consiliuni deorum interpretatur Mer-
curius y-fipnl, ayyeXoc:, euvofx^ac; dioioc, cpuXa^ (S.-Btr.
Akad. Berol, 188,40 in inscriptione P e r g a m i reperta) qui
ipse interpretis divini vice fungitur et belli declarandi
et p a c i s faciendae peritissimus habebatur. Jam in hynm. in
Merc. 312 liteni ad Jovem judicem rejecerat: ob; oi oiy.ri'^
v.cd bi^o Tcapa Zrjv: Kpovcwvt. Quare postea optime a poeta
nostro is, qui ex omniura hominum sententia bellicosos sicut
Pisandrum illum v. 395 aspeniatur Martemque odit (457), ad-
jutor Pacis cujus naturam paciferam praedicat v.
533 (oö ydp T^Sexac | aüxrj noifjx^ prjfxaxcwv ocxavixwv) in lucem
protrahendae perhibetur. Rectissime igitur scholiasta ad
V. 450 adnotavit quod huc quidem pertinet: dixximc, Tcpo-
sxa^c xöv 'EpjifjV d)g al'x'.ov x-qc, dvaywy^s ttj^ Eipyjvrjs. Affero
etiam Orph, h. XXVIII 28 ubi caduceus etpyjvvjg otxXov d[ji£[x-
cfs; vocatur, Aen. Sophist. 7 xpaxfjpa axfjaavxsi; olov ev eilpfjVTrj
Gr,ovodi.c, 7:otT]aü)[Ji£9'a ■Oecöv [lev 'EpfX'^ . . . ol ty]v axdatv T^[jiiv
{jt-iXi; oieXoaav, tum Plaut. Amph. 82 :
propterea pace advenio et pacem ad vos fero,
itidem Ov. M. XIV 291 pacifer , Ov. F. V 565 sq. arhiter
pacis et armorum. STiovooffopoi; igitur unusquisque est
nuntius pacis condiciones afferens, cf. Arist. Ach. 211 coUe-
giaque complura sacra quibus auctoribus indutiae per dies
festos Omnibus indicantur (e. g. Thuc V 49, Xen. Hell. IV
7, 2). Sic tandem intelligimus quomodo fieri posset ut isto
ipso tempore Mercurius multo majore cura quam olim a pacis
cupidissimis (v. 401) coleretur. Neque aliter dei pacem dant
(cf. schol. ad v. 212), Mercurius vero pacem fert pa-
cisque amator Bellum tumultuantem perter-
ritus ignaviaque motus fugit v. 233. Quare ignaviae
crimine nunc arguitur idemque postquam Polemus scenam
reliquit — servili sane ingenio — reversus alte spirat saper-
bitque. — Ceterum animadvertendum est in eodera versu
adventum novae personae in scenam prodeuntis eundem in mo-
23*
356 S. Eitrem,
dum ac in tragoediis frequentissime significari (Oed. regis
eaeci facti, Ajantis Sophoclei al.).
V, 362 denuo Mercurius e porta aedinm caelestium prodit,
utpote qui d-upcäo;, ad januam tarn quam alter Cerbe-
r u s (v. 313) semper vigilet omnique clamore excitetur (v.
supra). Iterum Mercurius yß-ovioc, mortem audaci minatur, quod
ansam dat Trygaeo cavillandi Mercurium sortium praesidem
V. 365 appellanti. Nihil tarnen nisi risura captat impius: nam
alias 'EpiJioQ xXf^po^ in sortitione (XdyrjOi;,) primum et quidem
felicissimum indicat cui praecipue favit 'EpfJtfjs T 6 / w v
vel 5a([xwv dyaö-og — liic vero longe aliter mortis condemnatum,
cui p r i m o ingredienda est via luctuosa ad Orcum ducens
(cf. schol.), significat, eum igitur qui adversa fortuna, i. e. ut
vult Trygaeus adverso Mercurio, ouaepiaia, ipse
xaxoSaijjiwv utitur.
V. 367 contra ad deum alludit mercaturae patronura
mercatorumque fautorem, i \in oAoclov, xepoefiTTopov,
ayopatov, twv y-aTirjX'lowv patronum (Plut. 1120, ubi po-
stea convicio 7raXcyxa7iY|Xou oneratur 1156 haud se-
cus ac 6 '/.li-KTTiq v. 1141 in xoiywpüyov calumniandi scilicet
causa, in sensum deteriorem, detorquetur — id convicium re-
vera, tanquam epitlieton dei sacrum, a nonnullis ceteris dei or-
namentis ascribitur !) qui deis Olympicis frumentum Lesbicum
Eresi pecunia comparat (Arctestr. Hedyp. fr. 4, 7) atque in
Orco quoque apud Charonta eodem officio fungitur, Luc. d.
mort. IV 1. Irridet igitur Trygaeus Mercurium forcnsem ver-
bis aTT 6 XwXa;, r][x7T: 6 Ayjxa, arc o Xo6[j,£vo^ similiter sonantibus
insulse ludens: is demum qui quo . . . emat possidet, perire
— et vendere [y.KZ\xv:o\öLv) \ — potest: tw 'E[JL~oAa:(p soli
divites mercatores omnia debent, v. Plut. 1155 (Plaut. Am-
phitr. 1 sqq.). Tali modo etiam verba i; t:v' -/jjjiepav de mer-
cimoniis stato die vendundis plenam vim accipiunt.
Ab eodem deo divitiarum auctore ipsoque igitur divite
atque patrono xwv xpaTtet^txcov tres drachmas v. 374
mutuari vult: si hie quoque sicut supra v. 278 (ubi ö [iuiTw-
t6; mysteriorum commemorandorum ansam praebuisse videtur)
Samothracica mysteria dicere vult poeta, tum jocus hilarior
exit: illa enim in insula IMercurius vel Casmilus, quartus
De Mercurio Aristophaneo. 357
Cabirus, particeps fuit vastoruin donorum omnium. Hie lecto-
res ad vasculum pictura rubra ornatum provoco ubi Mercurius
pro sue canem fallaciter sacrificat, quod vasculum a Studniczka
Arch. Jahrb. VI (1891) 258 sqq. (cf. vol. VII 144 sqq.) pub-
lic! juris factum atque lianc in sententiam explicatum est.
Itaque si Mercurium ipsum pecuniam praebere oportet ut vic-
tima ipsi offerenda ematur, tunc deus xspowo^ plane decipitur.
Quae explicatio v. 386 sqq. confirmari videtur : d xi xzxocpia-
[Asv&v x'^iploiov oIg^'Oc Ttap' sfxoö ys xaxeSvjSoxto^ : ut Gallorum
more dicam ä fourhe foiirhe et demi! — Tarnen equidem aliam
quoque viam praeterire nolim qua ad rectum verborum sen-
sum perducamur: potestne fieri ut in versu insequenti 369
(Herrn.) xac {jiyjv £TC'.x£xpt^|^a: ye. (Tr.) xaxa xw xpoTicp
oux r^o^-bixriv dyai^öv xoaouxov: Xaßwv;
de corpore post balneum unguentis perfricando verba dei acci-
piat Trygaeus? Huc igitur dixo X o 6 [x £ v o s, haud longe ab
dTüo/lou6|ji£vo^ distans, duxisse cavillationis plenum videtur. Ef-
fecitne deus, qui, ut vulgo constat, occultare potest qui id orat
(Plut. V. 1140), ut hie quoque tan tum „bonum" latuerit for-
tunatum ?
V. 376, cf. 3S0 sq. S e r v i est omnia domino indieare,
Mercurii omnia Jovi balbutire — silere enim nequit: in suum
igitur usum vertit poeta cognomen Aoycoc, xf^pu^, rjTzspoTCEu-
X fj ; hymn. H o m. 282, cf. Luc. Prom. 4 axwfjiuXos £c
•/.od SixavLxo^ (et olim quidem o^xatog!), 5 Ttpö; Xo^'oc; xolc,
Sixavcxoc? Pj'^wp, D. d. XXIV 1 £v xalc, ex^Xrioiaic, xyjpuxxeiv
xal pfjxopaj £x5oodax£cv; Orph, h. XXVIII 10 yXwaar]; ostvov
öizXov xö a£ßda[jnov dv{)'pa)TT:oi,ac (cf. v. 12), v. 4 ib. Xoyou ■9'vr^-
xolai TTpocp-^xa, Nonn. Dion. XXVI 283 sq. yXwaayj; -/^yeiJLOvfja
oocp'^S, Theod. Prodr. Carm. astr. 301 sq. (Bruch mann
Epith. deor. 109) axwiJLoXo; et IdXoq; dator sermonis Carm.
Epigr. Buch. 1528 a = CIL VI 520, facundus Hör. Carm. I
10, 1, Martial VII 74, l, Ov. F. V 668. Denique nemo neseit
Mercurium, Sewv xfjpuxa, Pandorae vocem dedisse (Hes.
Op. 79). Jam vero dominum trueulentum, scilicet Jo-
vem tonantem, cui domino poteutissimo serviens ipse revera
gloriatur, invocat (sicut apud Aesch. Prom. 1017 et 1062
Weil) — ipse enim servus ridiculus irrisusque nihil apud
358 ^- Eitrem,
Trygaeum minis assequitur (nunc quoque ut supra v. 188 ad
extrema descendit mortem minans). Jam vero Mercurius,
vanorum omnium mancipiornm exemplar, 5 k a tiotcx, ipse blan-
diter appellatus v. 377 paululum ut apparet delenitur ''). Blan-
ditiis enim alios aggreditur, blanditiis et ipse, sicut natura
adulatorum secum fert, facillime aditur , cf. Plaut. Amph.
992 sqq.:
ut filium bonum patri esse oportet, itidem ego sum patri :
amanti su bparasitor, bortor, adsto etc.
Eundeni in modum accipiendum est v. 385 Co bianod-'' 'EpfJf^
(v. 648, 711) sicut ille Bourgeois gentühomme poetae comici
Gallicani supercilium grande affectans blandidissimis adulatoris
verbis superbit fastiditque. Cumnlus vero assentationi v. 389
accedit: oux dxoüeic, olot, -S'WTteuouat g\ d ava^ 5 e a 7t o x a ^).
Neque aliter Cretensium in insula diebus festis servi domino-
rum partes agebant, v. Atben. XIV p. 639 b: euwxoujjiivwv
yap xwv oix£tG)v oi oeaTioiac ÜT^r^psxoöa'.v npbc, xac S^axov^'a;.
Uterque igitur servus vel ococov, ut Graecorum more dicam,
„ adulatur" : sie Mercurius quae ipse possidet dono dedit Pan-
dorae (Hes. Op. 78):
'vjJEUOsa {)•' al\s.\iXio\)c, x£ A 6 y ou c, *xa: eticxXotcov fj8oc.
Adulationem vero Trygaei irrisione quadam misceri patet
V. 382 [iYj vuv X a X rj a TTj s , Ataaopiac o\ w 'E p [jnfj S t o v : et
vox Xaxelv vel Xaxrjoofjiac, quae est sublimioris, nempe epicae,
dictionis, repetita et deminutivuni 'EpfJiyjS^ov hoc ostendunt (cf.
Luc. Charon 1 Ttpö; xoö uaxpoc, o) _cp{Xxaxov 'Ep[Jiao:ov). Ridi-
cule enim Mercurius eodem noraine appellatur ac signum ejus
usitatissimum quod vulgo ante portas demorum, in foro, in
viis, ante templa vel templorum aditus (e. g. in Propylaeis
Atbeniensibus), ante portas urbis ubique conspicere licuit, sci-
licet h e r m a p a r v u 1 u s. Sic v. 924 miseri bermulae vel
Mercurioli (utrumque enim intelligere licet et intelligendum
est) meutionem facit Xantbias : ^uxpataiv w airsp (Ji£[xcp6{Aevov
'EpjJifjOLov (sc. copuxeov xyjv Eüprjvyjv).
Denique ut Mercurium loquacem illustrem, addo historiam
*) Alio modo Ssanötyjc appellatur Luc. d. d. XX 7, cf. ävag Samo-
thraciae celebratum.
') Talern Apollinem appellat Bdelycleon Vesp. 875, Aesculapium
inulier Plut. 748 (schol. = ßaoiXsO 'AaxXr/Tc.d).
De Mercurio Aristophaneo. 359
illam veterem de B a 1 1 o narratam omnia cuivis garriente :
ipsum enim Baxxov nihil a Mercurio ipso abhorrere judico
(ßaTToXoyeiv, ßaxxapi^ecv onomatopoeetice formata sunt). Neque
abhorret Mercurius loquax Lucianeus Charon c. 1 : el xivcc XaXov
vexpov eupoos, sxecvo) uap' oXov xov tcXoüv otaXsyirj. Eodem modo
jam in hymno Homerico v. 170 xö öaptl^etv plurimi fecit prae-
cipuum atque singulare commodum deorum habens. — Ad v.
389 ubi deus animum ostendit timore poenae semper anxium,
affero Od. V 99: Zebc, e\ii y' Yjvwyst Seöp' eJ.'ö-qji.ev oux ed-i-
Xovxa, Luc. D. d. XXIV eaxi yap xic,, tb [X'^xep, ev cupavtii
^so; a,d-Xi(hxspoc, e[xoö, de, xoaaOxa upayii-axa exw [iovoc, xa{xvwv
xat Tipbq xoaauzocc, uTtr^peaia? Scaajxwpi-evoi; etc. Oboedire etiam
refraganteni necesse est.
V. 405 : law? yäp av ti e t a a t g sfxe dictionis ornatae
TiapaxpaYwSoOvxt convenientis est secundum editorem van Leeu-
wen neque miruiii quia Mercurius ipse üecatvoui; est (Cnidi
sc, V. Newton Halicarn. Inscr. n. 30), cf. mid-ooiY.ccioawoq
(Wessely Denkschr. Wien. Ak. 1893, 2, 13) eidemque con-
tra ab aliis disertis persuaderi potest. Jam vero oeauoxTjs
V e r u s videri vult servus si verba ejus magnifica animadver-
tas, cf. Carionem fabulae Pluti et Anaxandr. fr. 57. — Cete-
rum observes velim quibus gradibus Trygaeus ut animum dei
sibi conciliet ascendat: jam vero postquam et preces et vota
parum valuerunt, Mercurium ayyeXov appellat cui magnum
uuntiare summo est honori. Aliter vero ac Trygaeus sentit
Mercurius ventris solum studiosus.
V. 406 sqq. Quae res hie indicatur, in memoriam lecto-
ribus attentioribus illud vetus consilium quod in Aeschyl. Prom.
nobis traditur revocat. Et tunc regnum deorum infestatum
est et nunc iterum a liberis Titanidos illius antiquae Theae
(Hes. Theog. 135, 371) in discrimen vocatur.
V. 414. Fugisse videntur interpretes fabulae verba Mer-
curii, xoö [xayecpou (quod cognomen aemulo certe Apollini
additur), e furura et quidem coquorum loquendi more re-
petita. Sol Lunaque dies suffurantur orbesque maligne arro-
dunt eadem ratione ac condus promus ipse caelestium aedium
omnia eodem more ligurrit. Placentae vero et ad lunae rotae-
que speciem formabantur (aeXf^vac, d[JLa^toes, v. Lob eck,
360 S. E i t r e m ,
Aglaoph. p. 1006, 1074, cf. etiam xp&x6;, Tpo/taxo;, xuzXos)
et ipsi Mercurio, a quo placentae quoque certae nomen
tenebant (v. Lobeck 1. 1.), offerebantur (CIA II 1651, Ar. Plut.
1126 TiXaxoOvTo; ToO 'v xexpdoi 7i;£7i£|ji[X£Vou, ib. v. 1121 oüvoöttoc,
1136 äpxoQ). Videntur igitur conjurati imprimis deorum coquo
placentarum amatore detrimentum intulisse. Similiter loquitur
V. 564 sq. qui versus uni Mercurio proprii sunt. Neque ab-
horrent a tali coqui ingenio v. 608 sqq. : talia enim facillime
Mercurio, flamini caelesti, obversari potuerunt (s^lcpXsgs ty]v
noXiv I £[jLßaXtov arccV'O-fjpa [itxpöv M£yapiyvO0 ^ri^iö\ia,xoQ \ xoci
^^£cpua7]a£V xoaoöTov tc6X£(jlov etc.). Idee nescio an re vera
ap \i <xx lüXi a q v. 415, a van Leeuwenio quoque notatum,
genuina sit lectio. Nam Erythris IIuXios ä p [locx ex) q Mer-
curius colebatur (Rev. arch. 1877, 1, 119) atque IL XXIV 440
equos regit, 690 equos ad currum jungit.
Eadem Mercurii natura, dei qui o m n i a ad s u a m u t i-
litatem refert, proxinns quoque versibus magis elucet:
in illo Homerico hymno infans divinus omnibus artibus, ut
honores vere Olympicos assequatur, utitur, sacrificans vero
omnes deos se uno excepto sollemnibus partibus defraudat (v.
quae Philol. v. LXV 258 sq. scripsi) — at nunc aliter! Omnes
honores qui ceterorum deorum proprii sunt ultro offer t deo
parum divino adulator neque jam indignatur Mercurius con-
juratione quae deos omni honore orbabit: ipse enim idem stu-
det ac conjurati! Aliter enim moratum sibi non fingit deum
Trygaeus, ac ipse poeta hymni Homerici puerum parum pu-
dentem sibi finxit. Vestigium fortasse expressum illius poetae
etiam hie deprehendere licet si veterem illum aemulum Mer-
curii, fratrem scilicet Apollinem, äXe^ixav-ov v. 422 intellegas.
Omni enim Graecia Apollo colebatur, aemulus fratris minoris.
Avarus utique deus, et für et sacrilegus qui in Pluti fabula
ad mortales transfugit, aliter XP^^^PP'^'^^ii ^- ^25 apparet.
Quin idem et aurum et argentum mortalibus dat. cf. Luc.
Tim. 41 : w Zeö xepdaxiz -/.at (fiXoi Kopußavx£5 y.ccl 'E p [x ■^
x£po w£ Tc6ö-£V xoaoüxov /puaiov, hymn. Homer, in Merc. 180
Tiop^Yjaw xac y^pu a bv äXiq x' al'^-wva awrjpov, v. 249 TioXXo;
5s yjp^JOOQ XE y.al apyupo? evoöv 'ixeixo , Aesch. Eum. 946.
Xpuati; vero etiam nympharum nomen saepius invenitur:
De Mercurio Aristoplianeo. 361
ad talem quandam fortasse spectat Mercurius nympharum ama-
tor?*^) An ad auriim deis inferis gratum (v. Norden ad
Verg. Aen. VI 169, 3, E. R i e s s Rh. Mus. XLIX 189 sq.,
qui Artemid. I 77 aifert)?
Ita neque Mercurio xw cpcXw mortalium neque servo do-
mini partes agenti neque deo ayyeXw persuadere potuit sup-
plex Trygaeus: donum demura praesens et aurum refulgens
cunctantem vincit.
V. 429: ut opem sibi praestet lapides removentibus orant
choreutae. Id vero SrjfJLCOupytxw? facere potest quia Ttavxwv
av^pci)Ttwv epyo'.ac X^P-'^ '^^'■^ vJöooq ÖTcat^et (Od. XV 320; Orpb.
h. XXVIII 9 spyaacats ETiapwye, similiter v. 12).
Tum pincernae Olympici officio fungitur deus v. 433
sq. recte a van Leeuwen illustratis. Complura vero testimonia
praeter Alcaenm Sapphoque ab hoc editore praeterita addere
possum (cf. Cic. De div. I 46 ubi ausvowv in somnio apparet
matri Phalaridis tyranni et Blaydes quoque ad Plut. v. 1132)
et primum quidem Anaxandr. fr. 57 (II 160 Kock), tum Strat-
tidis fr. 22 (I 717 Kock):
'Epjifj? öv eXxoua' ol [xsv ex r.poyoioio'o^
ol o' iv. xaotaxou y' l' a o v l' a w x £ x p a |x £ v o v ,
Phot. (Hes.) 'EpjJi^s • Tcoaew^ doöc,^ wg dya^S-oü oai'ixGVo? xat Acc?
atox'^po;. Itaque huc quidem revocandus est Plut. v. 1132:
ol'[JLOt oe xuXtxos l'aov t a co x £x p.a|Ji, £ v r^ S,
ubi schol. : . . . zolc, jxev akXoic, Sc'Soxat axpaxo^ aTTOvSi^, xw 0£
'EpfiTj xexpa{X£vy], alius vero schoh: caov l'aq) uSwp &i.'vw. Cf.
Luc. Charon 1 ubi Mercurius, ne ideni sibi oivo)(ooüvx: ac Vol-
cano accidat, timore commovetur. Imprimis mentione dignus
est Longus IV 34 , 2 : 6 xpaxrjp e^ o5 auEVOouacv °Ep[Jifj
(nocte sc).
Apud Kaibel Epigr. 815 Cretense (CIG 2569) Eriunio
OTiovorj quotannis consecratur, Mercurium vero [vini] vineto-
rumque tutorem Lesbi in insula cultum invenio IGI II 476
(supra ad v. 190 laud.). Denique dies festi Coi celebrati,
'EpiJLOö aTTOvSac, huc sunt revocandi (Ant. Lib. 15). Etiam
^) In hydria celeberrima a Miclia pictore adornata prope Venerem
XpuoEtg invenitur, in parte contraria X p u a i g cum Demophonte collo-
quitur (Furtwängler-Reichholdt Gr. Vasenmalerei T. 8 sq.).
362 S. Eitrem,
ectypa compluribus Graeciae Asiaeque minoris locis reperta
atque Cybeles nomine vulgo nota ubi Mercurius oi^oxöoc, re-
praesentatur, liic commemoranda sunt. Mercurium Baccho
olvoyooxi'na. vel potius cantharum praebentem ut equidem inter-
pretor (non recte Pernice) vides in hydria delineatum Arch.
Jahrb. XXI (1906) 142 sqq., T. 1.
Hie vez'o si hymu. in Merc. v. 130 sqq. recorderis eaque
quae Philol. 1. 1. p. 258 scripsi in mentem revoces, nuUus du-
bites quin deorum olvoxooc, bic t o t a m aTiovorjV — ipse aTiev-
5(DV — ipse ebibat! Neque aliter agit v. 456.
V. 432 epycp 'cpcaXoO[x£V in mentem illum 'Ei^taXxrjV, dae-
monem salacissimum (= Panem, Inciihonem) spectatoribus
revocat neque aliter in eodem verbo v. 1348 ludit.poeta: wv
d'vex' omb'bQZ '^<p Tieet xwS: ^(aptv | aXX' oux arcoSwaet? o\jo
ecpcaXeig olo oxi (cf. v. 471 £7I£[X7h'tctü)). "Epyw vero de
venere quoque intelligendum, cf. II. V 429 [xstepxso spya ya-
[xoio, Solon. ap. Plut. Sol. 31 epyov al. Eandem in sententiam
si non uT:oupy£:v (v. 430 = 67i'/]p£T£tv), at certe axaX£U£iv (v.
440 = auvouacaaac) accipiendum mihi videtur, quae proxima
vox apud coquum qui igni foci praesidet (cf. Callim. h. III 691
no^ifi x£XPi[Ji£Vog od%-Xi) e axaXaö-öpac (van Leeuwen) in axaX£U£cv
av^paxas convertitur. Mercurium vero amori libidinique prae
ceteris deis indulgere inter omnes constat, cf. v. 456
"EpiiTj Xapta:v "Qpaiatv 'AcppoStirj Ilo^to, Lucian. D. d. 15,
1: TW 'Hcpacaxtp cpO-ovöJ (o:a xov ipwxa xfjs 'Acppooc'xrjc), ib. 17,
2, Anaxandr. fr. 57 K: KuTtpiS: 7iapaxa^Yj|i£V05. Ejusdem rei
argumento est Phot. s. v. xpiy.i'-pa'Xoq, quem hermam secundum
Philochorum Proclides erexit 'l7i7rap)(ou £ p a a x f; $.
V. 447 sq. sie demum, ut mea quidem sententia fert, in-
telliguntur si patronum ipsum institorum (xwv xaiurjXwv) hie
adesse memineris. Qui tres versus Mercurio dandi mihi vi-
dentur (jam antea eundem in modum se ipse aliorum pertae-
sus xXOTxyjg irrisit, v. 402). V. 454 tandem unus deorum ser-
vus ignavus verbera semper timens belluraque perosus recte
proferre potest. Quin quod v. 450 sqq. Mercurium et hujus
operis adjutorem et servum deorum teete significant. Sic enim
intelligi potest quomodo a praetore ad mancipium repente des-
cendat poeta, perpetuo igitur Mercurius, qui re vera Plut. 1150
De Mercurio Aristophaneo. 363
r^uTOptoXr^ae , irridetur (apud Lvician. Char. 2 crimen transfu-
giendi lioi*ret: 'Acc%-dnep dTioopavxa uKb xoö A:6s). Nihil vero
obstat quominus praetores quoqne Athenienses belli duces ig-
naviae arguat Äristoplianes. Chorum certe efficiunt non servi,
sed avSpec 'Axxcxo: yswpyoi (v. Avgum. fabulaej.
V. 457 'Apec be [J.fj . . . [xrjo' 'EvuaXuo ye sine dubio a
Mercurio, poena servili jam commemorata anxius factus. pro-
nuntiatur, odit enim pacifer deus belli studiosun], cf. Corinnae
frg. 11, qiiae pugnam Mercurii Martisque secundum fabulam
Tanagrae, ut judico, populärem narravit. Neque tarnen nudo
Martis nomine aequiescifc puer, sed ridicule anxius 'EvuaXLOv
quoque, vocem tumultus militaris memoriae epicae plenam, e
Serie numinum pacis fautorum removere sedulo studet. — Se-
quentibus versibus Aristophanes Mercurium, deam Pacem e
spelunca protrahentem, nobis ostendit: jam velim in memoriam
tibi revoces quam saepe vasorum pictores nobis Mercurium
diu)(07io[Ji7T;6v Proserpinam, ad superos reducem, comitantem de-
lineaverint neque reginam inferorum solam, sed Herculem
alios quoque (cf. e. g. Harrison Prolegom. 277, 602 sq.).
Sine dubio quod Aristophanes in scena repraesentavit, Athe-
niensibus spectantibus nihil novi vel miri praebuit.
V. 496 xcxxöivxes zfic, EipyjVyjs cjTräx' avopsctü;: aperte vis
obscoena Omnibus bis verbis inest, fortasse etiam verbo iTze\i-
Tttuxetv et xoupyov v. 471 sq., verisimiliter v. 502 quoque eun-
dem in modum accipiendus: TzpGixoi yap auxYjV xolc, axopo-
Boic, YjXeJ4>ax£ „ perfricuistis alliis neque, ut par erat, un-
guentis suavissimis" vel ut cum Homero Od. XVIII 133 loquar:
xaXXst, . . . a(j.ßpoac(i) oowTiep euaxecpavoe Ku9-£p£ca xp^exai. A 1-
I i u m vero [Megaricum] idem valet ac membrum virile ^), cf.
Hes. axopoSow • auvouaoa^^w, de Pane allio caedendo Theoer. VII
106, de pharmaco eodem modo tractando Hippon. fr. 5 (= Tz.
Chil. 23, 726 — 56, cf. J. Harrison Prol. 97, 5: enxdxiq para-
aavxej exeövo^ eic, xb nioq ax c X X a t c; etc.), omnino de vi allio-
rum purgatoria Cratin. fr. 232 et Diphili fr. 126 Keck (v.
Gruppe Gr. Myth. p. S89). Eundem in modum historiam
quam apud Athenaeum IX 372 a de Latona ventrem ferente
legimus interpretor: ioxopoxJai xtjv Ayjxto xuouaav x6v 'AtiöX-
*j Estne sie liexdpxiov quoque v. 568 (Spx'.g testiculus) intelligendum ?
364 S. E i t r e m ,
Xwva X t X X fj a a t yri^uXXiooc, • oib oyj xy]c, XL[i.f;; [sc. Theoxeniis
Delphis agendis] x£xu/7;yw£vat xauxr^s neque verba Xenarchi
apud Athen. II p. 63 /ly}o\} i; a üv o ixo q yrijevri:; ^oX'^oq
aliter intelligenda sunt. Ad nostri veio poetae verba proxime
accedit populus ille fabulosus cujus mentio fit apud Lucian.
V. h, I 13: Sxopooo[xaxoi, si axöpooov ideni ac izioq^ [xaxxctv
vero idem ac aXeccpecv (cf. Lexicograph.) valent. Denique lec-
tores talium verum studiosos ad Liebrechti librum utilissimum
Zur Volkskunde p. 139 refero (= Hieronymi Martmi Novell,
etc. p. 158 sqq. quocum conferenda sunt Aristoph. Nub. 1083
et verba Catulliana XV 18 sq.: quem attractis pedibus patente
porta I percurrent raphanique raugilesque — de poena m o e-
c h o r u m , v. etiam Juv. X 317) ubi facetiae narratiunculae
illius obscoenae eadem in vi uUii vertuntur. Nostro igitur
loco „allium Megaricum" Pacem deam fastidiosam eandemque
nitidam puellam exacerbavit {iGy.opödiaz ^ van Leeuwen), i. e.
Pacem vitiavit, i. e. Martern, xfjs xpo[j,{i,uo^uepuYjj,ca^
(conj. Blaydes v. 529) amantem, excitavit.
V. 522 ou yap ecxov oiy.od-ev: „ omnia quaecunque ad
amphoras vel vinum pertinent, domi desunt", una cum vino
et ipsa epitheta deae, quae vinum mortalibus condonat, eva-
nuerunt.
V. 548. Animadvertendum est hie quoque magnum Mer-
curii de pace restituta gaudium, cf. supra ad v. 211. Sagaci-
tas vero dei in artibus artifici cuique assignandis ad eundem
Mercurium Xc/vtxyjv vel ovjpLioOpyov referenda qualem jam v. 429
vidimus.
V. 603 sqq. Mercurius ooXioc,, mendax, fallax (Poet.
Lat. min. III 291 ; rectissime van Leeuwen v. 605 sqq. expli-
cat) totum belli statum agricolis, clientibus suis aocpwxaxots,
i. e. stultissimis , ut coqui ingenium decet, describit: inde
fumi similitudo coquo notissimi atque omnino deis universis
desiderati (Luc. Prom. 19). V. 648 sqq. X'ö'ovto? ((|)uxo7iO[X7i6c,
xafxoas xöv dioxwv apud Pytbagoreos^°) fingitur, 'Ep[xrjV£Ws
autem, interpretis (Verg. Aen. IV 356, 378), vice v. 661 sqq.
fungitur. Neque mirum xov Wc'O-upcaxTjV, cujus nomine
^'') Vere nunc, neque irrisionis causa ut ante SiajiöxYjg, v. 648 (711)
audit. Fax et ;xdxvia (657j et Ssanoivoc (7U5) appellatur.
De Mercurio Aristophaneo. 365
cnm Venere «j^t^upw Amoreque in ipsa Atheniensium urbe
colebatur (Harpocr. s. v. , cf. c u 1 1 u m P h a r i s c e 1 e -
berrimum, Paus. VII 22, 2 sqq., Eust. Od. p. 1881, 1,
vasa picta nonmilla ubi hermae delineati exstant, Ger-
hard Abhandl. II 129) ciijusque in aures, pudore moti, su-
surraverunt multi auxilio, praesertim in anioribus, egentes, nunc
et ipsum verba susurrantis deae accipere eaderaque auditoribus
officiose proferre. Sicut Pharis (Paus. 1. 1.) is qui deum pre-
cibus adit clam omnibus mortalibus in aurem Mercurii,
hermae signo repraesentati, quaestionem insusurrat, responsum
vero foro abiens voce fortuito oblata accipit (epwta Tzpbc, xö
oug TÖv •9-eöv öTzolov xc xai sxaaxo) xo epwxr^jxa eaxt. xö diib
xouxou Se aTiecatv ex xf]5 dyopätc, £TOcppa^a|JL£Vos xa wxa • npo-
eXd-wv 5e ec, xö Ixxös xa^ X^'-P'^-i Äixsaxev aTiö xwv wxwv xac
:^axcvo5 av £7caxouayj cpwv^;, [xavx£U|Jia T^yEtxac — confert Pau-
sanias oraculum Apidis Aegjptiuni) — sie Mercurius boni
consihi auctor N u b. v. 1478 sqq. aures praebet Strepsiadi
quid moliatur incerto, nostro autem loco ille non tarn minister
precnm (Carm. epigr. 1528 B Büchel.) quam minister vocum,
deae vel mortalium, ayyEXcs, eodem modo susurranti deae, in-
quirentibus vel respondentibus (693 sqq.) mortalibus operam dat.
Denique dubium esse non potest quin v. 706 sqq. Mer-
curius 0 p o r a m et T h e o r i a m , £ x a t p a 5 vel Tiopvai;, ut
vult scholiasta, adducens mortalibusque in matrimonium dans
munere vujJicpaycbyou perfungatur:
wax' oOoETiox', (I) OEarcocva, dcfTjaG[x£a'9-a aou.
(Herm.) 'i%'i vöv, i-id xox>xoic, xt]v 'Ouwpav Xocjjißave
yuvacxa aauxco xrjvo£ xax' £v xol? aypoc;
xauxif] ^uvoLxwv £X7io:oO aauxw ßoxpus.
Mercurius enim omnis fertilitatis, et hominum et animalium et
agrorum, auctor, nympharum dearumque amator (Röscher
Hermes 76 sqq.), cujus signum proprium, berma, membro vi-
rili ornatum ubicunque conspiciebatur, hie tamquam matri-
m o n i i patronus a poeta fingitur ; neque tamen vana fictio
est huie scaenae adaptata. Latius enim hoc Mercurii offi-
cium patet: talis dux et Venerem Anchisae — deum mor-
tali — et Eurydicen reducem Orpheo — mortuam vivo —
et Alcumenam Rhadamanthyi — mortuam principi judicique
366 S. Eitrem,
beatorum (Ant. Lib. 33) — condonat, talis Herculem Oui-
plialae comrnercatur (ApoUod. II 6, 3, 1) , talis in Paridis ju-
dicio deis certantibus viam monstrat, talis fortasse nympbarum
quoque chorum ducit. Qua in re lectores ad ea quae alibi
brevi sum propositurus refero (v. S. R e i n a c h Rep. des vases
peints s. V. Noce, impr. I 234, 521 [= Mus. It. II T. 1], II
152 — 4, 161, 224) ^^). Neque abborret quartus mensis dies et
nuptiis et Mercurio et Veneri (cf. Pbilol. 1. 1. 282) assignatus
{Hes. Opp. 800, hymn. in Mercur. 19, Plut. Symp. IX 3, 2).
Jocose verba solita stc' apoxto 7ca:'S(i)v yvrjaLtov, jam per se agri-
colae vufjtcpcü) accomodata, in forraulam vinitori convenientiorem
redigit: extcocoö ßoxpu?. Vis vero propria verbis illis ev
zolc, dypoic, za.ÜT'Q ^uvotxwv inest: sine dubio ad nuptias
sacras, tepöv yajjiov, Cereris Jasionisque celeberriraas quae in
agris a religiosis agricolis ut suspicor efficiebantm* (v. Od. V
125, Hes. Tb. 969), spectat poeta. 'OTiwpav, Pomonam, igitur
Mercurius Tpuyatq), vinitori, in matrimonium dat et ipse vine-
torum Studiosus (Kaib. Epigr. 812 quod Bacchus quidam de-
dicavit: öninq paocvYj ota Tiocvxbc, j ä[iT:eXQC, wpaöov xapTiov iyri
ß 0 T p u (1) v) : cultum tarn sacrum quam rusticum tangit vitae
rusticae amator, certe laudator, Aristopbanes, atque mea qui-
dem sententia bene sciens ipsum Mercuriuni buc induxit. Talis
enim deus non ab eo abborret Cabiro quem C r u s i u s Beitr.
zur gr. Myth. 14 sq., 18 sq. delineavit.
Quin quod Merciirii medici (vel mysteriorum pai'ticipis?
cf. bymn. in Cerer. 209) ceterum sane satis ignoti y. 710 sqq.
vestigium deprehendere mihi videor memor bymn. mag. ßr.
Mus. Papyr. XL VI 10 (427): taaat xa ^poxQiV äly-fpccix aoixc,
■O-epauetats (Gruppe Gr. Myth. 1337). Medicus autem fuisse
videtur deus, alias ubertatis auctor juventutisque fautor, in re
veneria sola, pubertatem restituens atque adimens (cf. Petron.
Sat. 140 Buch.) ^-). Nisi huc Mercurium quoque Lucianeum Jovi
Bacchum enixo opitulantem (D. d. IX 2: a7i£i[ji: o' ouv üowp
auxcT) Ttpo^ x6 xpau{jia ol'awv xat xa aXXa Txotrjawv a vofxtt^exat
waTiep Xsxoc) revocare vis. Ibidem Luc. Charon 7 carmine ex
Homero repetito tamquam etiwo^ aciem oculorum Charonti
") Cf. Lucian. Philopatr. 7: tqv dasXyo|jiavoüvta eul loi; lioi^ixotg.
^'') Cf. Rhein. Mus. LXVI 334.
De Mercurio Aristophaneo.
367
debilitatam in immensum äuget (Alias quoque Danai post
sponsos trucidatos cum Minerva purgat, Apollod. II 1, 5, 11).
Quae supra disputavi eo spectant ut viri docti sibi per-
suadeant Aristophanem in Mercurio delineando Atheniensibus-
que exhibendo divinam dei indolem etiam in singulis rebus
expressisse, epitheta sacra oecasione data in usum suum con-
vertisse atque omnino Mercurium taleni qualem sibi Atbenien-
ses prae aliis dei studiosissimi (v. van Leeuwen ad Pac. 924)
ministrum Olympiorum fingebant delineasse. Nonmüla quoque
et ab Aeschylo et auctore hymni Homerici mutuatus est, ve-
stigia vero comoediae, jam ante Aristophanem servo divino
delectatae, nobis jam non dispicienda arbitror poetam legere
potuisse.
Christiania. S. Eurem.
Mercurius dÖYYs;io5 p. 357.
„ äyopalog sim. 356, 362.
„ (xp[iaxeös 360.
, Siaxovos 351 sq.
SöXwg 364.
„ rjXep.ü)v 850.
„ xep5(j)0g 356 sq., 360.
, xXsuxYjs sim. 349 sq.
„ \s.dYs.ipoz 348 sq., 351,
353 sq., 359.
n olvo)(6os 361.
„ usiaivoug 351, 359.
„ TtuXalog sim. 345, 356.
Mercurius axpocpaio? sim. 845, 347.
., xü^wv 356.
cpiXos 348, 350.
„ yß-oviog 854.
„ cjjt,&up'.axrj5 364.
libidinosus 346 sq., 362.
„ facundus 357.
„ medicus 366.
„ ominis auctor 347 sq.
„ pacifer 354, 355.
„ pavasitus 358.
„ perjuius 350, 353.
servus deorum 350.
XIV.
Aristoteles und die Vorsoi<ratiker.
Aristoteles nimmt im Verlaufe seiner physikalischen und
metaphysischen Untersuchungen über Sein und Werden der
Dinge stete Rücksicht auf seine Vorgänger, indem er entweder
deren Uebereinstimmung mit seiner eigenen Meinung hervor-
hebt, oder ihre abweichende Auffassung auseinander setzt. In
diesen Rückblicken erscheinen ol äpy^cdoi, ol Tcpoxepov, ol Tipw-
xo: u. ä. teils in ihrer Gesamtheit oder in ihrer Mehrzahl als
TiavTsg, Tzkeiaxoi etc. citiert; teils sind es einzelne Gruppen oder
Schulen, als Ivioi, xiveQ, deren besondere oö^ao mitgeteilt wer-
den. Soweit diese Referate und Urteile des Aristoteles an
bestimmte Namen einzelner Philosophen anknüpfen, finden sich
dieselben in Diels' Fragmenten der Vorsokratiker wiedergege-
ben: die allgemein gehaltenen Besprechungen älterer Lehr-
meinungen dagegen sind von Diels — dem Plane seines Buchs
entsprechend — nicht aufgenommen. Dieselben enthalten aber
nicht unwichtige Beiträge zum Verständniß der voraristoteli-
schen Philosophie. Und es ist wichtig zu constatieren , daß
Aristoteles den Zweck verfolgt, die einzelnen Schulen nach den
ihnen eigentümlichen Lehren scharf zu characterisieren und so
die verschiedenen Theorien neben einander zu stellen. So er-
scheinen die lonier, die Eleaten , die Pythagoreer, die Ato-
misten, die Platoniker als geschlossene Schulen; aber auch
Empedokles und Anaxagoras treten durchaus als die Häupter
zweier Schulen auf, daher genauer von oc uepc 'Ava^ayGpav
und ol Tcep: 'E[i,7t£6o7vXea die Rede ist. Ich will im folgenden
diese allgemeinen Urteile des Aristoteles über die älteren
Schulen zusammenstellen. Ich lege mir dabei aber eine dop-
pelte Beschränkung auf, indem ich einmal nur die Vorsokra-
Otto Gilbert, Aristoteles und die Vorsokratiker. 369
tiker berücksichtige, sodaun nur diejenigen Lehren wiedergebe,
die der prinzipiellen Begründung ihrer Weltanschauung und
Naturaufifassung gelten^).
Die Einheitlichkeit der gesamten älteren Speculation kommt
darin zum Ausdruck, daß die letztere von festen Prinzipien,
apxa: xa: aüxiao, ausgeht, von denen sie die Welt in ihrem
Sein und Werden beherrscht sein läßt. Diese Prinzipien stellt
Aristoteles wiederholt zusammen (vgl. 194a 21 ff.; 194b 16
—33, identisch mit 1013a 24—34; 198a 23; 715a 4; 983a
24 ff.) und definiert dieselben als 1) xb iE, ou yovcxac xi evuTtap-
XovToq, kurz 17 üXrj oder tö üTwGX£C[X£vov ; 2) od-ev Yj dpyji ifj?
[iexaßoX-^?, kurz yj apx^j xf^s xtvi^aewc, oder x6 xivfjaav; 3) xö
£t5o5 xa: xö TiapaSetytxa, oder 6 ^^öyoc, 6 xoü x: ryv ehoci, kurz
xö scoog, oder 6 loyoc, x"^; ouaiocc,, oder i^ ouata; 4) xö xeXo^,
oder xö ou evexa. Und daß tatsächlich diese Prinzipien , die
für Aristoteles den Kern und Mittelpunkt aller Welterklärung
bilden, auch für die Vorsokratik den Inhalt aller Speculation
ausgemacht haben, das hebt Aristoteles im Rückblick auf seine
Darstellung der älteren philosophischen Forschung in den Wor-
ten hervor 988 a 21 öxi xwv Xeyovxwv Tispc apjc^; xac acxc'ag
O'obeli; e^w xwv ev xolc, izepi cp'jaewQ i^jicv oiwpLafjisvwv el'prjxsv,
dXXa uavx£5 djxuSpö); {xev execvwv Be tküc, cpocivovxat O-cYydvovxsg.
Und dieses Urteil bekräftigt er noch einmal 993a 11 ff. und
setzt ausdrücklich 1000 b 32 hinzu ex: de ouo' eyxexecpr^xev
o'jO£Ci; Bxipac, Xiyziv, äXXd xa? aOxd? drcdvxwv Hyouaiv o(,pydc,.
Daher er auch 981 b 28 sagt : xtjV övo[Jia^G[ji£vrjV oo'-{iiav Tcspt
xd 7ip(I)xa al'xca xa: xd? dp/dg uuoXaixpdvoija: Tidvxej; und 983 b
3 5f]Xov yap ox: xdxeüvo: (näml. 0: 7T;pGX£pov r^fjiwv £:; £7T;:ax£(];:v
xöv ovxwv eX^ovxc? xa: 9:Xoao'>pfjaavx£? Trep: xfic, dXryO-£:ag) Xe-
youaiv dp/dg xcvag xa: a:x:a;. Es handelt sich also bei der
gesamten älteren Speculation stets um feste Prinzipien, und
') Dem im Text Gesagten entsprechend führe ich nur Stellen an,
die in Diels' Fragmente der Vorsokratiker nicht aufgenummeu sind.
Wo ich ausnahmsweise mich auf Angaben beziehe, die sich auch in
der Diels'schen Sammlung finden, eitlere ich diese nach den Ziffern
von Kapitel und Referat der letzteren. Betreffs der Pythagoreer ver-
weise ich auf meine Abhandlung im Archiv f. Gesch. d. Philos. 22, 28ft'. ;
145 ff. ; dieselben sind im folgenden nur gelegentlich berücksichtigt.
Ebenso sind Urteile über Plato nur zur Vergleichung liier und da
herangezogen.
PhJlologus LXVIII (N. F. XXII), 3. 24
370 Otto Gilbert,
zwar um dieselben, deren Erforschung auch die Aristotelischen
Untersuchungen gelten. Sehen wir daher zunächst, wie sich
die einzelnen Schulen dem von Aristoteles an erster Stelle ge-
nannten Prinzip der uXfj oder des üuox£C{X£Vov gegenüberstellen.
Hierfür ist von hohem Interesse die Charakteristik 184 b
15 ff., die in lapidarer, aber völlig erschöpfender Kürze sämt-
liche vorsokratische Schulen zeichnet: alle späteren Aeuße-
rungen des Aristoteles sind nur Kommentare zu diesem Texte.
Die Worte lauten: dvayxr] o rjioi, (xtav £ivao tyjv apx^jv y)
uXbiouc, [of-pyj] hier in spezieller Fassung als uXr^), v.cd ei jjiiav,
riToi dxivyjxov — t) xtvoufxsvrjV — ' oi ok uXecou?, 9} TiSTiepaa-
\iiyac, 9] äneipou^, '/.al ei Tzeuepccoiivjcc. 'fj ouo v) xpetg ij zixxapec,
ri äXXov Tivd dpi^-ixov, xac d dTiecpou^, 7^ — xo yivoc, ev, o'/j]-
[xaxt 5e 7^ dozi Siacpepouaa? , 7^ xa: i^ccvriaq. Wir haben da-
nach die gesamte Vorsokratik in zwei Kategorien zu scheiden,
je nachdem angenommen wird
L [xca dpXTj (d. h. die uXr; einheitlich), und zwar entweder
1) %:vou{JL£vyj, oder 2) äv.ivr]ioq; oder
IL TiXetou; dpxac (d. h. die ulrj von Haus aus, xaxd cpu-
aiv, geschieden), und zwar entweder 1) in begrenzter Zahl (2,
3, 4); oder 2) in unbegrenzter Zahl (äneipoi) ; und diese letz-
teren {äneipoi) wieder entweder a) xo ysvog ev, oder b) svavxcai.
Scheiden sich hier die Vertreter der Lehre von der \ii(x.
uXt] in solche, welche die letztere xcvoujxsvvj , und in solche,
welche dieselbe als ocxivrizoc, auffassen, so Averden damit lonier
und Eleaten in charakteristischer Weise gezeichnet und unter-
schieden. Daß die ersteren tatsächlich die lonier sind, deutet
Aristoteles selbst an, indem er die jJLta uXr] xtvou[Ji£vyj als die
Lehre der cpuat,xoc bezeichnet: ol [xev d£pa cpdaxovx£S £cvat ol
0 uowp XYjV Tcpwxrjv v.pyjjv. Daß hier Anaximenes und Thaies
gemeint sind, kann nicht bezweifelt werden: damit ist aber
nicht gesagt, daß Aristoteles nur diese beiden Philosophen der
ionischen Schule zugerechnet wissen will. In der Parallelstelle
328 b 33 nennt er neben der Luft das Feuer und (Jiexa^u xi,
womit Heraklit und Anaximander gemeint sind. Daß ferner
Hippon und Hippasus, sowie Diogenes v. Apollonia hierher
gehören, ersieht man aus 984 a 3 ff. Genau dieselben Männer
zählt auch Simplicius cpua. 23, 21—25, 12 auf. Alle diese
Aristoteles und die Vovsokratiker. 371
Männer werden damit als eine zusammengehörit^e Schule er-
wiesen und daß dieses tatsächlich die Ansicht des Aristoteles
gewesen, zeigen die zahlreichen Bezugnahmen, welche immer
wieder das ev als die Lehre der dieser Schule Angehörenden
hervorheben. Es ist das £V, die [liv. ap/jj, die \i.l(x. cpuat;, das
£v U7tox£i[j,£Vov , aus dem alle Dinge der Welt hervorgeben.
Ich führe die Hauptstellen hier an: 184 b 16 [xca apxrj —
TipwTT] üXri; 186a l9 x6 £^ cö (sv ov); 187a 12 £V xb ov awfxa
TÖ ü7iox£C[i£Vov, aus dem sie TöcXXa. yEWwaiv (2 A 16); 189 b 2
Ol [itav xcva cpuaov zhai XeYovxtq xb ttäv; 193 a 21 ol [jlev yfjV,
Ol 5£ Tiüp, Ol 6' dlpa cpaa:v, oi Be üSwp — xr]V cpuacv zlvai tt]v
tG)V övtwv; 298 b 30 £v xc (xövov, e^ o\> xaöxa uavxa [Ji£xa-
axrj[jtax:J^£a^at 7r£cpux£v; 303 b 9 zvioi yap £v {jlovov (axo'.X£Lov)
ünoxid-evTcci^ xac xoOxo oc [X£V üocop, oc S' aipa, oc oe Tiöp, o[ S'
— duEcpov (50); 314 a 8 oaoo sv xc x6 uav Xdyouacv £!vaL xat
Tiavxa £^ £vög y£vvwaLV; 314 b 3 xö ü;iOX£c[ji£Vov xauxö xal £v;
328 b 34 xrjv 67rox£:[j,£VYjv (jXtjv o[ [xiv cpaatv £!vat [icav; 332 a
4 xwv Tuatxwv aw[xaxü)v uXr^, waTC£p xat oox£ö £Vool?, üowp xal
drjp xac xa xotaüxa; 983 b 8 £^ ou soxiv djiavxa xd övxa xac
£^ ou ytyvExat Tipwxou xac £15 8 cp'ö-EcpExac X£X£uxaiov — axoc/slov
xac dp/jjv; 996 a 8 oöaca xwv ovxcov — x6 u7rox£C{Ji£Vov — TiOp,
6 0£ uSwp, 6 oh depo. ; 1001 a 15 xö £V xoüxo xac x6 ov, £^ oö
xd övxa £cvac x£ xac y£yov£vac; 1014b 32; 1053b 16 xö ev;
1066 b 35 £V — £^ oö yEvvwac xaOxa (xd axocX£ca).
Ich habe absichtlich die Hauptstellen einzeln angeführt,
um zu zeigen, daß wir es hier tatsächlich mit einer festen,
innerlich geschlossenen Lehrmeinung, einer Schule, zu tun ha-
ben , deren Charakteristisches die Einheit des Stoffs ist. Die
Angehörigen dieser Schule unterscheiden sich nur dadurch
unter einander, daß die einen vom Wasser, die andern von der
Luft, wieder andere vom Feuer oder von einem noch unge-
schiedenen Urstoife die kosmische Entwicklung ausgehen lassen.
Nach dem Ausspruche 989 a 5 (988b 30) ooO'Ecg yoüv xwv
üoxepoy Tj^cwoE xac Sv XEyovxwv yfjv Ecvac axocX£^ov — xwv Bh
xpcwv (Wasser, Luft, Feuer) axocXECwv Exaaxov EcXrjcpE xpcxr^v
xcva sollte man annehmen, keiner habe die Erde als die (xca
und Tipwxrj uXyj gelehrt. Aber es ist zu beachten, daß Aristo-
teles ausdrücklich ou9-£cs xwv uaxEpov sagt : wir wissen , daß
24*
372 Otto Gilbert,
sowohl Pherekydes (71 A 8. 10), wie Xenophanes (11 B 27)
die Erde als die TipwtT] üXrj faßten, daher Aristoteles' Aus-
sprüche 193a 21; 1014b 33 keinen Widerspruch enthalten,
wie er auch 989a 9 die Annahme uavxa elvac y^v nicht nur als
die Meinung der TzoXXoi, sondern auch des Hesiod bezeichnet.
So erklärt sich auch das Urteil des Verf. der Schrift tt. cpuato;
av^pwTCOu (Littre 6, 32) über die welche xb sv xa: xö ttccv als
apxrj setzten : Xsyec 5' aurewv 6 [X£v xic, cpaaxwv alpa ecvat zoüxo
— 6 o£ Tiöp, 6 oe uowp, 6 os y^v; er wird hier vor allen Xeno-
phanes im Auge haben.
Eine besondere Erwähnung verlangt das aTtscpov Anaxi-
manders. Ueber das aTiSLpov als solches handelt Aristoteles
cpua. Y 4 — 8: hier werden aber von späterem Standpunkte aus
verschiedene Begriffe koufundiert. Wird das aTietpov hiernach
(187 b 8) xaxoc (üLsye^os, xaxa nlfid-oc, und xax' ewos definiert,
so ist die Beziehung xaxa TzXfi^-oq erst durch Zeno's Specula-
tionen hineingetragen worden. Das Anaximandersche aueipov
wird durch die Definition 207 b 35 charakterisiert : cpavepov
oxc WS üXrj x6 ciTzeipov eaziv al'xcov, xat öxt xö {Jiev stvac aOxö)
axsprjaos, x6 be y.a%-^ auxo uTcoyw£''p,£v&v x6 auvs/es xa: xö ata\)-r]-
xov. Hiernach ist es die Materie schlechthin (üXtj — uuoxsi-
[jtevov — acaxj-yjxov) und zwar die sowohl quantitativ (auvsx^?),
wie qualitativ (axeprjati;) noch ungeschiedene. Daher das Ur-
teil 200 b 17 xö äneipov £[xcpacv£xac Tipwxov £v xco auve/s^ * oib
xocl xolc, bp'.L,o\iiyoic, xb auv£X£S au|jLßacv£: Trpo^xp'^j^aa^ac uoX-
Xaxis xw Xoyw xw xoO äizeipoo, d. h. es findet oft eine Ver-
wechselung des auv£Xes mit dem aTiEtpov statt. Das gilt auch
von Anaximander, der seinen Urstoff aber nicht allein als
auv£X£S, sondern zugleich als dopiaxov, d. h. qualitativ unge-
schieden, faßte.
Dem Anaximanderschen a7C£cpov gilt die Charakteristik
203b 6 — 15 (2 A 15). Der hier gebrauchte Ausdruck aTOcpov
— 7r£pi£X£tv a7i:avxa wird in wenig veränderter Fassung 303 b
12 nzpiey^eiy cpaa: Tiavxag xobc, oopavous ämipov öv wiederholt
(ebenso auch 332 a 25 xö ämipov xat xö 7i£pL£Xovj, so daß kein
Zweifel sein kann, auch hier sei Anaximander gemeint. Dieses
aTi£Lpov wird hier aber zugleich als üoaxoc, X£7ix6x£pov aepoc;
Tiaxuxspov, oder 203 a 18; 205 a 27; 332 a 21 als ein pi£aov
Aristoteles und die Vorsokratiker. 373
zwischen Wasser und Luft gezeichnet, während 187 a 12; 332 a
21; 988a 30 von einem £v die Rede ist, welches Tiupo? [Jiev
Tcuxvoxepov, dspo^ ok iBizxozepov sei, oder welches ein (xera^u
von Luft und Feuer sei 328 b 35. Zeller hatte alle diese An-
gaben (Philos. d. Gr. 1 ^, 258) auf einen Idaios bezogen und
Diels ist ihm darin gefolgt, indem er die Stellen 988a 23 ff. :
30ob 10 fF.; 187a 12 unter Idaios (50) vereinigt. Die einzige
Notiz, die wir über diesen letzteren haben (Sext. math. 9, 360)
bezeichnet aber ausdrücklich als Lehre desselben aepa Tiavxwv
e!vac apx^v xac OTOiy^elov. Danach war dieser sonst unbekannte
Philosoph ein Anhänger der Lehre des Anaximenes und die
Beziehung jener Stellen auf ihn ist ausgeschlossen. Jene
Charakteristika können also nur auf Anaximander bezogen
werden. Das erkennen auch die Kommentatoren Alexander
und Simplicius ('fua. 149, 5 if.) an; die Beziehung des |JL£ia^6
durch Nikolaus v. Damaskus und Porphyrius (das.) auf Dio-
genes V. Apollonia dagegen ist notorisch falsch , da wir die
diese Beziehung widerlegenden Angaben des letzteren noch vor
uns haben. Nun haben wir noch eine andere Erwähnung des
Anaximanderschen auecpov bei Aristoteles 204 b 22 — 35; 205a
4 f. Hier heißt es tog Xeyouai xive; xö Tuapa xcc axoiyzla iE,
05 xaüxa y^vvöaiv — • siac yap X'.vs^ oi xoüxo uoiouai xö arcst-
pov, äXk' oux aipa 9} uowp — vOv o exspov zlvoci cpaacv e^ ou
xaöxa (näml. xa axoc/el/x). Und zwar wird dieses anscpov hier
ausdrücklich als ocnXöi^, nicht prädikativ (wie Anaximenes' drjp
aTtStpo?) gedacht, definiert. Hier ist jeder Zweifel, es sei nicht
von Anaximander die Rede , beseitigt : auch Simplicius 479,
30 ff. nimmt als selbstverständlich Anaximander geraeint an.
Diels hat die Stelle nicht aufgenommen, aber sie ist sehr wich-
tig. Der allgemeine Ausdruck xö Tiapd xd axaiy^ela, läßt auch
hier darauf schließen , daß Anaximander sein äneipov nur als
ein Tcpoxepov oder [izxccEp der axaiyeicc bezeichnet hatte. Ari-
stoteles' Definitionen desselben einmal als ixupöi; Tiuxvoxepov,
dspo^ XsTixoxepov, ein andermal als tioaxo; XsTixoxspov, depo^
Tcuxvöxspov; oder allgemein als |xty[Aa 187 a 23; 1069 b 22;
wie die wechselnden Ausdrücke kxxp'.yziv 187 a 21 (2, 9 Diels)
und Y£vvav 204 b 24 sind nichts als Schlüsse und Kombina-
tionen aus dem qualitätslosen dTretpov.
374 Otto Gilbert,
Nach Aristoteles' Angabe haben alle Physiker über das
äKE'.pov gehandelt und dasselbe als apXYjV x'.va gesetzt 203 a 1 ff .
(45 B 28); 16 ff.; 203b 4; 208a 2 cpai'vovtsci Se Tiivies xat oi
äXXoi d)s üXt[j xP^!^^"^°^ '^V auscpcp ; richtiger 271b 2 auf ol
Tzlelaxoi Twv dp}(atwv cptXoaocpwv beschränkt. Denn so absolut
ist das uavxes jedenfalls falsch: die Angabe stimmt nur für
Anaximander und Anaximenes, für die Pythagoreer und Plato,
für Anaxagoras und die Atomisten ; von den Eleaten hat nur
Melissus sein sv als aTieipov gefaßt. Auffallend ist die Angabe
205 a 25 xac oio: toüto ouoelc, xo ev v.al aixeipov Ttüp ETCocrjasv
oüSe y^v Töiv cpuaLoXoywv, aXX' r; üocop V] aepa (Anaximenes)
t) tö [xeaov autwv (Anaximander) : einen Physiker, der das uSwp
als dcTieipov faßte, kennen wir nicht. Vielleicht hat Hippon
diese Lehre vertreten: denn von Thaies wird bestimmt berich-
tet, daß er den Kosmos und damit die Materie als ein £v
UETiepaafiEvov faßte.
Auf Anaximenes beziehe ich 332 b 10 ff. Aristoteles will
hier nachweisen, daß auch ein (jiaov als ev und Urstoff nicht
in Betracht kommen könne und sagt in Bezug darauf waiiep
Soxer xialv ir^p [Jiev xat elq uöp laexaßaXXecv xal zic, üSwp, üowp
Se xal dq depa xal eü^ yyjv • xd 5' ioyjxxy. ouxext stg dXXriXcc.
Das ist genau das, was vom dr^p des Anaximenes berichtet
wird, der dpatou|JL£VO? in Feuer sich wandelt, uux,vo6[j.evo^ zu-
nächst in Wasser, sodann in Erde. Der Kern des Aristote-
lischen Referats besteht darin, daß die eaxaxa, also Feuer
einer-, Erde anderseits, keine Verwandlung zic, dAXrjXa vorneh-
men können. Es hat demnach das Feuer nicht die Fähigkeit,
ohne weiteres in Erde überzugehen — wie Aristoteles den
elementaren Wandlungsprozeß faßt — , sondern muß, um in
Wasser und Erde überzugehen, zunächst wieder in Luft sich
rückverwandeln. Der hier gezeichnete elementare Prozeß ent-
spricht also der Heraklit'schen d'vw und xdxw 6S6?; es scheint
also, daß diese schon von Anaximenes gelehrt wurde. Aristo-
teles selbst dagegen vertritt den xuxXo? der axaiy^ela^ daher
Philoponus z. d. St. 247, 27 (ed. Vitelli) das xuxXw jener
Lehre gegenüber betont. Im all gem. vgl. hiezu meine meteo-
rol. Theorien 59 ff.
Der ionischen [xia äpyji x:vou|JL£vyj tritt die eleatische {j-ia
Aristoteles und die Vorsokratiker. 375
äp/j] ay.i'vrjxo^ gegenüber. Daß Aristoteles dieses £V der Elea-
teii in Beziehung zum Kosmos selbst, also in physikalischem
Sinne, auffaßt, zeigt schon die Stellung, die er jenen neben
den übrigen physikalischen Schulen gibt cpua. a 2. Aristoteles
hebt es aber auch ausdrücklich 298 b 21 hervor, daß die Elea-
ten {iTjSsv ccaXo uapa ttjV tö)V aiad-r^xihv ouao'av u7ioXa[i,ßavouacv
elvai, daher nach eleatischer Lehre 1001 a 32 auavxa xa ovxa e'v
und 186 a 19 sv ecSei. Vgl. dazu noch 1010 a 1 ff. (18 A 24).
Das eleatische ev ist daher nur — wie ich an anderem Orte
gezeigt habe — als die dem Kosmos immanente materielle
Grundsubstanz zu verstehen.
Gegenüber den loniern und Eleaten erscheinen alle üb-
rigen physikalischen Schulen insofern verbunden , als für sie
der Stoff in TiAsiou; ap/a: zerfällt. Wie 184 b 15 ff., so hebt
Aristoteles auch sonst oft (vgl. 314 a 8; 330 b 7; 1001a 16;
1014b 32; 1028 b 4) diesen Gegensatz hervor. Dasselbedrückt
die Scheidung 322b 6 in Tiavxsg oi xe xa axof/ela ysvvwvxei;,
xa: ol XX sx xwv oxoiyeiwy (yevvwvxei;) aus : die ersteren lassen
die Einzelelemeute aus dem sv, als der Tipcoxvj ap/^r), hervor-
gehen, die letzteren dagegen fassen die Elemente als die ur-
sprüngliche und natürliche Scheidung der Materie und lassen
aus ihnen die Einzeldinge entstehen. Hier erscheinen also die
Elemente selbst als die gemeinsame Lehre Aller: es ist nur
der Unterschied, daß sie für die einen eine secundäre, für die
andern eine primäre Bildung sind. Daher das Urteil 302 a 18
im Anschluß an die Definition des oxoiy^elov als desjenigen sie,
0 xaXXa aü){ji,axa ooacpscxac evuTcap/^ov Suvajjieo v^ evspysca: xoi-
oüxo'/ Y^-P "^^ "^^ axo'.yzlo'/ änocvxzc, -xa: £v änaai ßouXovxac Xs-
yscv; und 1059b 23 in Bezug auf xa xaXou[X£va bno xtvwv
axoc/el(x: xaOxa Tiavxei; £vuT:ap;(ovxa xolc, au^%-ixoic, x'.d-kaaiy.
Das 6ti6 xcvcdv bezieht sich nur auf die Benennung der
Elemente als axo'.yßoc (erst Plato gebrauchte . diesen Namen),
nicht auf die Elemente selbst. Es ist aber wohl zu beachten,
daß die von Allen angenommene Vierzahl der Elemente keines-
wegs einen verschiedenen Ranoj der einzelnen ausschließt: hier-
aus erklärt sich die verschiedene Setzung von zwei, drei oder
vier Elementen. Für die gesamte Specuhition steht es nämlich
fest, daß Feuer und Erde die beiden Hauptelemente sind.
376 Otto Gilbert,
Dieser üeberzeugung gibt schon Parmenides — in seiner Schein-
lelire — Ausdruck, indem er 330b 18 nur diese beiden als
die Grundstoffe annahm, während er Luft und Wasser als ans
der Mischung von Feuer und Erde hervorgegangen ansah (18
A 35), ihnen also keine selbständige Bedeutung zuerkannte.
So kann Aristoteles, obgleich ihm die Yierzahl der Elemente
feststeht, dennoch wie selbstverständlich nzpl xofv cuotv eSt^siv
298b 7: Feuer und Erde bilden eben nicht nur räumlich die
Pole des Kosmos, sondern auch die evavTia alles kosmischen
Werdens. Alle evavtca verlangen aber, wie wir noch sehen
werden, ein jisia^u, und so hat die Natur zwischen jene Pole
ein |j.£xa^u eingeschoben, welches räumlich und genetisch der
Vermittlung jener beiden Grundelemente dient. In diesem
Sinne kann Aristoteles auch von drei Elementen sprechen 276 b
1; 277b 13. Dieser mittlere Stoff muß sich dann aber wieder,
um die vollkommene Verbindung zwischen Feuer und Erde
herzustellen, in zwei Massen scheiden, deren eine mehr nach
der Erde, deren andere mehr nach dem Feuer gravitiert oüp.
ß 3. Auf diese Weise macht sich Aristoteles die Notwendig-
keit der Vierzahl der Elemente klar, indem er zugleich oup.
0 4 — 6 die Begriffe des ßapu und y.oOcpov, wie der avw und
xaTW X''vyjai5, als durch die Natur selbst gegeben, mit den-
selben verbindet. Diese begriffliche Begründung haben seine
Vorgänger nicht: oi akXoi, sagt er 329 b 4, bno^i[ieyoi ypöiv-
xao, xod ouoev Aeyö'jacv S'.a xi auxat xod xcaaüza: (näml. at
dp^aL = axaiyjclcc). Sie nehmen eben die vier Elemente als
durch die Erfahrung gegeben hin. Und hat nach Aristoteles
jedes der vier Elemente seinen xoTzoq oder seine o'fcdpcn, (oup.
0 3; ß 4), so schließt er sich auch darin den älteren Philo-
sophen an. Denn der Ausspruch 310 b 1 sAsyov oi apy^aioi
OTc xö oii^oiov cpspoixs TTpös xö o|xocov soll offenbar, darauf weist
der Zusammenhang, erklären, weshalb der Erdkörper, die
Wassersphäre, die Atmosphäre, endlich die himmlische Feuer-
sphäre in sich abgeschlossene und stofflich einheitliche Gebiete
sind. Hiermit hängt auch, ö xivec, dTiopoüat, zusammen 337a
8, Std xi i'/Ä'^xoM xwv awjxdxüjv dq xr]v oix£''av cp£p&[ji£vou yüpfx^
£V xö) dTidpw XP^^'P °'^ oi£axäai xd awfxaxa.
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die verschiedene Auf-
Aristoteles und die Vorsokratiker. 377
fassung der Zahl der Elemente als zwei, drei oder vier nur
eine formale Bedeutung hat. So kann Aristoteles 380 b 17
sagen xac a/^eSc-v xauta Xeyooatv oi xt 56o y.a: ol ipicc tcoioöv-
T£(; • uXyjv Ol [i£v T£|xvoua:v de, ouo to [Jieaov, ot 5' sv [xovov
Tioioöacv. Was Aristoteles hier sagen will, ist klar; es ist mir
aber wahrscheinlich, daß er oi xe xpicc xo(.l ol xexTapa izoioüvTec,
schreiben wollte. Die Vertreter der Drei-Elemente-Theorie
deutet Aristoteles 329 a 1 ol |.i£v TcOp xac yfjv, ol ob xaüxa xe
xac depa xptxov nur an; wahrscheinlich ist hier, wie auch Plato
Soph. 242 C D, Ion gemeint, den wir auch sonst als Vertre-
ter der Lehre von drei Elementen kennen; nach 330b 16 ver-
trat auch Plato £V xacg Scatplasacv die Lehre von den drei
Elementen.
Vier Elemente lehrte bekanntlich Empedokles. Während
also seine Vorgänger einem oder zweien der Elemente den
Vorrang gaben, sodaß die andern als sekundäre Bildungen er-
schienen, stellte Empedokles die vier Grundstoffe als xaxa
cpuatv gleichwertig auf. Darauf beziehen sich die Worte 333 a
16 ■8-au{j,aa£C£ 6' av xic, xwv XEyovxwv tcX£C{i) zvbg xa oxoiy^Bia
xwv awfj-axwv wax£ |jly] ji£xaßaXX£LV £1? dAXvjAa, xa^-dTcep 'E[X7C£-
SoxXfjs 9^cjc, TiGiq evöix^xai XlyEiv axjxolc, elvoci a6[xßXy]xa xa
axoc/eloc. 'Aaixoi XdyEt ouxw ■ xaöxcc yap lad xe iidvxa. Die
letzten Worte sind die eigenen Worte des Empedokles, der
Fr. 17, 27 von den axocX£^a sagt
xaöxa yap lad x£ uavxa xat fjXixa jewccv £aa:,
sie also gleich an Kraft und Bedeutung, wie an Alter, d. h.
als gleich ursprünglich (f/Xc^ schon Od. a 373) bezeichnet :
Aristoteles will die Gleichheit der vier Elemente nicht aner-
kennen, da ihm Feuer und Erde, wie wir sahen, die Avich-
tigsten GXOiy^Elcc sind. Auf die Struktur der Empedokleischen
Elemente dagegen beziehen sich die Worte 305 a 1 d oh
axYja£xac nou /; oidX'jaic,, rjxoi axo|JLOv £axac xö awfxa £V (j) l'axa-
xac, Yj o:a:pcXov [jl£v ou \xeyxoi 5cacp£{>rja6pL£Vov ou5£7rox£, v.7.%-d-
7i£p £0'.x£v 'EfXTCcOoxXfj^ ßouX£xa: X£y£:v : Empedokles faßte da-
nach die •9'paua[xaxa eXdyiaxa, aus denen er das einzelne Ele-
ment sich aufbauen ließ, zwar nicht als äxo[ioc, aber als so
kleiu, daß praktisch eine weitere Teilung derselben nicht mög-
lich war. Vgl. dazu noch 325b 5. 20 ff.; 327a 11 ff.
378 Otto Gilbert,
Den Vertretern einer begrenzten Zahl von apxat' treten
endlich 184 b 20 diejenigen gegenüber, welche dntipoi a.pX'^^
statuieren. Aber auch hier macht Aristoteles noch eine Schei-
dung: die einen, die Atomisten, fassen diese dp/^a: dcTietpoL als
TÖ ylvos £V, die andern als ivavTcac, Unter den letzteren kann
nur Anaxagoras und seine Schule verstanden werden. Denn
die Atomisten fassen ihre Atome nur als a/j^fxaac, d. h. äußer-
lich, unterschieden auf; Anaxagoras dagegen läßt die Atome,
d. h. seine b^oio^tgr], schon von Natur, d. h. wesentlich und
innerlich, verschieden sein. Es gibt keinen Ausspruch,
der so scharf wie dieser den Gegensatz der Lehre des Anaxa-
goras gegen diejenige der Atomisten zum Ausdruck bringt.
Damit haben wir die üebereinstimraung und die Unter-
schiede der vorsokratischen Lehren über die Materie kennen
gelernt. Die Uebereinstimmung wird nun noch dadurch er-
höht, daß für Alle die Ewigkeit der Materie feststeht: das
wird als xotvT] 66^a xwv cpuatxwv wiederholt und sehr bestimmt
hervorgehoben 187a 27.34; 317b 29; 984a 32; 1062b 24.
Es wird dieses auch schon durch die dp/j; bezw. dp/ai aus-
gedrückt, welche alle annehmen. Denn Aristoteles sagt 788 a
14 xox)XO ydp eaxc xö dp/jf/ eivai, xö auxrjv [jiev aixiav elva:
tigXXwv, xauxTj; o aXXo dvwi^ev [i-r^ö-sv. In dem Begriffe dp/jj,
wie ihn Anaximander zuerst geprägt hatte, liegt schon ent-
halten, daß ihr nichts voraufgeht, sie selbst also das erste ist.
Anderseits aber verlangt dieser Begriff, daß aus ihr alles an-
dere entsteht. Denn eine dp/jj setzt eine Fortsetzung voraus,
daher die Worte 185 a 4 r; ydp dp^i] xcvo? r; xtvwv. Der Wel-
tenstoff als dpyjj trägt im Keime die Entwicklung zum Kos-
mos und zu den Einzeldingen in sich.
Die übergewichtliche Betonung des materiellen Prinzips,
Avelche die gesamte Vorsokratik charakterisiert, rechtfertigt
Aristoteles' Urteil über xwv Tipwxwv cpcXoaocpryadvxwv ol TzktLoxoi
983 b 7: xdg ev uXrjs ^^os.i [idvag M-i^^rfiOLV dp/^a? stvai Trdvxwv;
ähnlich 984 a 16. Daher die Würdigung des zweiten Prinzips
5ö'£v 77 dp/jj xfj; xiv/jaew; 984 a 18 als ein Fortschritt der
Speculation dargestellt wird. Wenn aber die Fassung der
Worte TipoVovxwv 0' oüxw; aOxö xö TipÄyfjia wSercoirjaev auxoi^
7.a: auavdyxaae "Qffitlv den Schein erweckt, die älteren Schulen
Aristoteles und die V^orsokratiker. 379
hätten überhaupt der Frage nach der xcvr^ais keine Beachtung
geschenkt, so ist das falsch. Es heißt 250 b 15 ausdrücklich
siva: [JLev guv x'.vrp'.v nivzzz, cpaaJv oE uep: cpuaswi; t£ Xlyovxsc
und daß gerade die lonier der Bewegung eine große Bedeu-
tung beilegten, zeigt schon ihr Grunddogma von der apx^] (d.
i. uXyj) xcvou|X£vrj; daher 333 b 16 ol o autYjv tr^v uXr^v (näml.
als atxtov Ysvlacü); v.y.1 cpO'cpä:) • dTiö tauiY]; yap eova: xtjv %''-
vrjatv. Das Urteil über die lonier 984a 29 ouO-sv souax^pavov
sauTGi^ kann also nur heißen: sie machten sich die Beant-
wortung der Frage 6^£V -f] ap/i] iric, v-'M^aEtac, leicht. Sie
ließen eben ihr ev und die aus demselben hervorgegangenen
Bildungen als lebendige Wesen sich aus sich selbst bewegen
und entwickeln. So haben sie gerade in der Annahme einer
unausgesetzten Bewegung aller Dinge die hohe Bedeutung der
letzteren anerkannt und die wiederholten Polemiken gegen die
(puacoXoyot, welche behaupten uavta xa a-'a'O-rjxa xiveca-ö-at aec
253 b 6; 265 a 30; 201a 25 gelten den loniern, als deren
charakteristischster Vertreter dann speziell Heraklit erscheint
(265 a 6 p£iv yap cpaaiv ds: xocl cp^cv£iv).
Den schroffsten Gegensatz gegen die lonier bilden die
Eleaten mit ihrer Lehre von der Äpyji oder üXr; dx^'vyjxoc.
Ueber sie sagt Aristoteles 984a 29 ev.oi yE xwv ev X£y6vxü)v,
wcTiEp f;XXYj^£VX£; uTüo xauxTj? xfjg ^r^xrjcjEü)^ (näml. nach dem
Urspriinge der xtvrjacs), xö £v dxcvrjxöv cpaacv £cva'. xa: xrjv cp6-
a:v SXr/^ — . Da für die aristotelische Forschung die Bewe-
gung in der Natur die selbstverständliche Voraussetzung ist
(185 a 12 igficv 5' bKOV.eiad'iJi xd cp6a£c 7] udvxa y) £vca xcvo6jj,£va
elvac), so sind die scharfen Urteile über die eleatische Lehre
erklärlich. Er bezeichnet dieselbe als dppwaxia z'.c, o:y.voiy.;,
253 a 32; als geradezu unphysikalisch 184 b 25; und begrün-
det dieses sein Urteil cpua. a 2. 3. 4. 8; 325 a 2 — 23 eingehend.
Die letztere sehr wichtige Polemik bat Diels nicht richtig ge-
ordnet, indem er die Zeilen 2 — 16 unter Melissas (20 A 8),
13 — 19 unter Parmenides (18 A 25) anführt. Die Hervor-
hebung des är.eipov (Zeile 15) zeigt, daß hier gerade Melissas
gemeint ist, dessen Lehre von der des Parmenides sich da-
durch unterschied, daß er das £V d7i£cpov, der letztere dagegen
7t£7i£paa{JL£vov faßte. Es ist also vielmehr 2 — 13 die allgemeine
380 Otto Gilbert,
eleatische Lehre, während 13 — 16 speziell Melissus betrifft.
Und ebenso ist der Ausspruch 254 a 25 v.y.d-a.Tzep cpaat ttveg
ecvac TÖ &v aus'.pov %ocl txyj.yrjxoy ausschließlich auf Melissus ge-
münzt. So kann Aristoteles 984 b 1 sein Urteil über lonier
und Eleaten dahin zusammenfassen: oOö-ev: auveßrj xyjv xoiauxTjv
auvtoetv alziocv, d. h. keiner von ihnen hat die wahre Ursache
der kosmischen Bewegung erkannt.
Einen Fortschritt der Speculation zeigen diejenigen Phy-
siker, welche die Materie nicht als ev, sondern als uXecw, d. h.
wenigstens als ouo, faßten 984 b 3 ff. Denn damit ist die
Möglichkeit der Setzung zweier ochlca gegeben, der unbeweg-
ten Materie und eines bewegenden atxiov, daher über sie das
Urteil: x.pöivzixi yap 6)c, xtvr^xczr^v exovxt xw Tiup: xyjv cpuatv,
uSaxt Se xac y^ xocl lolc, xooo6xot; xo\)Vccnlov. Aber während
diese Physiker — es sind vor allen Parmenides in seiner Schein-
lehre und die Pythagoreer gemeint — das bewegende Prinzip
noch in der Materie selbst, wenn auch einem besonderen Teile
derselben, suchen, gehen Empedokles, Anaxagoras, Leukipp
und Demokrit über diese hinaus, daher 984 b 8 ff. diese Män-
ner, gleichsam öti' aüxr^c x*^;; aXrjö-eia? avayxa^oiaevo'., sich der
Erfassung der wahren Ursache der Bewegung nähern. Denn
für Aristoteles ist das Entscheidende, daß die kosmische xcvrj-
oic, auf ein überkosmisches Prinzip zurückgeht, welches selbst
dxtvrjxov ist; und dieses Tipwxov zcvoüv kann man ebensowohl
in den Empedokleischen veixo? und cpcXia, wie in dem voö? des
Anaxagoras, wie in der vom Stoffe selbst getrennten ewigen
xtvrjat? der Atomisten erkennen. Das wird auch 265 b 17 ff.
ausgesprochen, wo Avieder die drei Lehrmeinungen des Empe-
dokles, des Anaxagoras, der Atomisten zusammen erscheinen,
und ihnen sodann die ionische Lehre von der Bewegung, so-
wie Piatos Lehre gegenübergestellt wird. Diels hat aus diesem
allgemeinen Referate nur das Urteil über die Atomisten (55
A 58) herausgenommen: aber gerade die Zusammenstellung
aller Lehrmeinungen über diese Frage ist sehr instructiv. Und
ebenso heißt es 1072 a 4 oxt o' svepysta upoxepov , (Jiapx'jpsc
'Ava^ayopa^ (ö yap voO? svepyeLa), y.cd 'EjjlttsoöxX'^; cp^Xtav xat
velxog, xat ol de: Xeyovxe? xivr^atv etva:, w^Tiep Asuxititio^. Als
xtvoOvxa im Empedokleischen Sinne erscheinen vsixo^ und cpcXca
Aristoteles und die Vorsokratiker. 381
auch 314 a 17: aber Empedoldes hatte sich mit der Aufstel-
lung dieses Bewegungsprinzips im allgemeinen begnügt, ohne
seine Wirkungen im einzelnen auszuführen, wie 333b 22 ff.
hervorgehoben wird.
In die Lehre von der ylvrpiq gehören auch die Fragen
nach der tu^^J und dem auxojxaTov, wie Aristoteles 198 a 1 ff,
darlegt. Während dieser die Wirksamkeit dieser Begriffe —
wenn auch nur xaxa au{i,[3eßrjX,6(; ■ — im Naturleben anerkennt,
verhalten sich alle Vorsokratiker denselben gegenüber ableh-
nend 198 b 12. Daher in der Auffassung dieser alles £^ Ävay-
xyjs iazl xa: ycvexat — ouoev movzo ouo' exetvo: sövai dviö xux'/jS-
Die ganze kosmische Stoffbewegung steht danach unter dem
eisernen Zwange der Notwendigkeit. Doch weist Aristoteles
196a 15 ff. auf die Widersprüche hin, deren sich seine Vor-
gänger in dieser Beziehung schuldig gemacht haben.
Die wichtigste Wirkung der xtvyja:?, des Bewegungsprin-
zips, ist nun die, daß durch sie die Materie in evavxta ge-
schieden wird. Diese Lehre wird wieder als die gemeinsame
aller Voraristoteliker bezeichnet und sie ist zugleich der Angel-
punkt der Aristotelischen Lehre selbst, Ilavxsi; or\ xävavxia
o.gya.(; Tiolouacv (apxac hier in weiterem Sinne), heißt es 188 a
19; und wieder 188 b 27 Tidvxe? ydp xd csxov/ßoL xcd xd^ uti'
auxwv xaAoujJteva^ dp/^dg, xaiTiep dveu Xoyou XL'O-evxes, ö(iW5
xdvavxca Xeyouaiv, w;7r£p utc' a,V)-r\c, xf\c, akri%-sioi.c, dvayxaa'ö-ev-
xs;; ähnlich noch 189 b 8 ff. ; 1004b 29 ff.; 1075 a 25 ff. ;
1087 a 30 ff. Allgemein charakterisiert Aristoteles diese evav-
xta 189 b 10 als üTispox'^ xac 'iXXtv^^i:;, als ein [xaXXov xa: fyxxov
und sagt von dieser Lehre loixt TtaXaid ecvac xolI caixri r} 66^a,
6x: x6 £v xocl uTiepox^ xaJ sXXsup^s dpx«: xwv övxcov eloi. Ari-
stoteles scheidet aber die Vertreter dieser Lehre in zwei xpo-
noi: oc [xev dpy^odoi xd ouo |ji£v Koiely xö 6' £v ndaysiv, xwv o'
uaxEpov x:v£5 xouvavxcov x6 [X£v £V tioc£iv, xd 0£ ouo TidaxE^v
cpaac [iaXXov. Daß unter den letzteren vor allem Plato zu
verstehen ist, sagt Aristoteles 187 a 17 direkt: (ö^mp x6 |j.£ya
cpr^ai IlXdxwv xac xö [icxpov, -Xt^v oxt ö {jlev xaöxa 7vO:£C üXrjv
xö 0£ £V XÖ eloo^, OL §£ XÖ [Jt£V £V XÖ 6uOX£t[JL£VOV uXtJV , xd S'
evavxca otacpopdg xac ä'^yj. Hiernach fassen also die Vorsokra-
tiker die üXrj als leidendes Prinzip, während die £vavxia das
382 Otto Gilbert,
eigentliche uotyjXLXOV sind. Das ist falsch. In Wirklichkeit
liegen für die Vorsokratiker die evavxcotrjTS? in der uXrj selbst,
welche letztere sich nur dadurch unterscheidet, daß sie sich
entweder selbst dynamisch , vitalistisch entwickelt , oder zu
ihrer Entwicklung in die evaviia des Anstoßes von außen
bedarf.
Daß die Materie in ihrer leichteren oder schwereren, in
ihrer loseren oder festeren Struktur Gegensätze aufweist, ist
die einstimmige Lehre aller philosophischen Schulen. Für
Aristoteles steht es deshalb fest, daß ein acTiov -Kiyoüv, welches
in letzter Linie auf das göttliche dxovyjxov zurückgeht, diese
wechselnde Gestaltung der uXtj vornimmt und daß demnach
diesen svavxta, d. h. den wechselnden Erscheinungsformen der
Materie, ein Zustand der letzteren zu Grunde liegt, in dem
dieselbe noch unentwickelt, als Tcpwxrj üXvj, unbewegt ruht. In
diesem Zustande ist die üXy] für Aristoteles ein [xiaüv 332 a 35,
7ra{}-y]xtx6v 324 b 18, osxxcxgv 320 a 2; sie ist ein äeidec. und
a[JLOpcpov 306b 17, ein äöpioTov 209b 9 mid ayvwaxov 1036a
8 , ja ein dvaca{)"V]xov und doch dy^wpiaxov 332 a 35. Damit
tritt diese Urhyle in engste Beziehung zum änzipov Anaxi-
manders, welches gleichfalls 207 a 26 deibec, und dyvwaxov und
dopcaxov ist. Mit dem Urteile, welches Aristoteles über das
ämipov 204 b 29 fällt douvaxov o' elvai xoooOxov — oxi ou%
laxe TOioüTov aü)[JLa alad-qxbv Tcapa xd GzoiX^lx %aAou(X£Va —
cpatvexat ouoev hat Aristoteles sich selbst das Urteil gesprochen:
seine Hyle in der eben charakterisierten Form existiert nicht,
sie ist eine reine Fiction.
Diese Lehre des Aristoteles gibt aber den Gedanken wie-
der, von dem die gesamte Speculation beherrscht wird. Den
wechselnden Formen der Hyle , in denen dieselbe bald fester
bald aufgelöster erscheint, muß ein Zustand vorauf gehen oder
zu Grunde liegen, der als ein \i.eaoy, ein (Jisxa^u, ein upoxspov
die Entwicklung nach entgegengesetzten Richtungen erklärt.
Aus dieser Forderung, daß den evavxta eine exepa cpuac? zu
Grunde liegen muß, die als solche ein Tipoxepov gegenüber dem
xaxrjYOpou[X£VOV der gegensätzlichen Qualitäten bildet, und wel-
ches demnach als uuoxei'iJievov ysvet und dpc^{JLW ev, dagegen
dö£c ouo, nämlich ein upoxepov und üaxepov, bildet 189 b 24 ;
Aristoteles und die Vorsokratiker. 383
190 b 24, ist Aristoteles' Theorie von axeprjats und dooc, von
ouva[jics und evsp^eca hervorgegangen, die hier nicht näher dar-
zulegen ist. Wohl aber müssen wir den Theorien der Vor-
sokratiker selbst noch eine kurze Betrachtung widmen.
Von den loniern heißt es 187 a 12 (2 A 16) ol jjisv
yap £V TiotYjaavxsi; x6 ov awfxa xo OTioxsLfxevov — t&aXoc yev-
vwat Tiuxvoxrjxt xac [xavoxrjxt, tioXIoc TrotoOvxss • xaöxa o eaxcv
xavavxca; und diese Charakteristik der ionischen Lehre wird so
oft wiederholt (188a 22; 265 b 30; 303 b 15; 330 b 9), daß
kein Zweifel sein kann, wir haben es hier mit einem allge-
mein ionischen Dogma zu tun. Aristoteles vermag sich aber
nicht — trotzdem er in Wirklichkeit sich aufs engste mit der
ionischen Lehre berührt — zu einem unbefangenen Urteile
über diese Lehre zu erheben. Und so gelangt er zu völlig
widersprechenden Aeußerungen über dieselbe. Er erklärt aus-
drücklich 189b 2 fiP., daß ein [xsxa^u oder sxepov (xwv axocX£^'wv),
d. h. also das aTis'.pov, am besten der Wirklichkeit entspreche,
da sich aus ihm am leichtesten die Entwicklung in die evavxia
erklären lasse, während die Elemente selbst, Feuer und Erde,
Luft und Wasser, schon an sich (Jtsx' evavxcoxi^xtov aujjLTCSTCXEy-
(jLSva seien und so auf ein Tcpoxepov oder [jcexa^u hinweisen, aus
dem sie sich entwickeln können; er erklärt aber umgekehrt
303 b 10 ff. gerade das Feuer als den geeignetsten Ausgangs-
punkt der Stoffentwicklung und das [xeaov als das ungeeig-
netste hierfür. Und er preist ferner einerseits die ionische
Lehre von dem ev in den Worten 322 b 12 eE, hbq dvayocTj
Asyetv xy]v -nolrioi'^ (51 A 7), während er anderseits die Unmög-
lichkeit dieses ev nachzuweisen sucht (1067 a 2 ff . = 205 a 4 ff.),
weil dasselbe keine svavxca zulasse.
Dieselbe Inconsequenz zeigt Aristoteles auch in der Kritik
der Gegensatzlehre der andern Schulen. Denn wenn er dem
Empedokles 188 b 34 vtly.oc, und cptXca als evavxta gibt, so ist
in Wirklichkeit, wie Simplicius 154, 7 hervorhebt, dieser Ge-
gensatz als das ev ttocoüv zu fassen und die evavxta des Stoffs
liegen in dem Gegensatze des Tiup gegenüber den andern Ele-
menten 330b 19 (21 A 36). Und ebenso ist für Anaxagoras
nicht der Gegensatz des ev und der noXld 187 a 21 das Ent-
scheidende, sondern dieser Gegensatz liegt in den dpxac duec-
384 Otto Gilbert,
pot evavxta: 184 b 22. In atom istischem Sinne ist xb atspeöv
Tta: xivov 188 a 22 (55 A 45) die evavxioxrjs; in pythagorei-
schem 188 b 34 x6 uepLxxöv vm äpxiov. Die letztere gehört
aber schon einer späteren Entwicklungsphase der pythagorei-
schen Lehre an. Dürfen wir aus dem [leya. xat [Jttxpov Piatos
einen Schluß ziehen, so war in älterer Fassung der Gegensatz
schon in dem öiizeipov selbst enthalten. Es ist mir nicht un-
wahrscheinlich, daß gei'ade diese nach allgemeiner Ueberzeu-
gung die Entwicklung der Materie beherrschende svavxioxyjs
den Pythagoreern den Gedanken eingegeben hat, die Materie
selbst als Suag zu bezeichnen.
Aristoteles schließt sein Referat über die älteren Lehren
von den evavxta mit der Bemerkung 188 b 30 Scacpepouac 5'
äXXrikMV xw xobc, \iev Tipoxspa xobq 6' uaxepa Xajjtßavsiv xac xoug
|j.£V yvwpifxtbxepa xaxx xov Xoyov, xobc, Ss -/.ccxcc xyjv ai'a^rjaiv.
Aristoteles will die Begriffe des p-sya xat [Aixpov 189 a 8 als
die höheren und vorzuziehenden gefaßt wissen, während er die
rein sinnlichen Merkmale uuxvov [Jiavov, •ö-epjxov f\)\}Xpöv u. a.
als secundär und minder bezeichnend faßt. Das ist aber eine
unberechtigte Diftelei. Denn da es sich für alle Vorsokratiker
ausschließlich um die Gestaltung des Stoffs handelt, so ist die
jxavoxyjs und uuxvoxrj^ tatsächlich die eigentlich charakteristi-
sche havxioxTjC,, die von allen, wenn auch in verschiedener
Weise, und ebenso von Aristoteles selbst zum Ausdruck ge-
bracht wird. In Wirklichkeit lösen sich denn auch, wie Ari-
stoteles ausdrücklich hervorhebt 188 b 35, die scheinbaren
Widersprüche der verschiedenen Schulen auf w^xs xauxa Xe-
yetv 7iw; xat exspa, exspa [xsv w^Tiep v.od Soxsc xolq nXsicjxoic,,
xaüxa 0£ fi avaXoyov.
"Ox: Yj X7,xcc xoKOV cpopa npüxrj xi];, xtVTgaeü)?, [xapxupoOao
Tzdvxec,, sagt Aristoteles 265 b 17. Diese Raumbewegung löst
aber zugleich alle Stoffveränderung aus, welche letztere ein
Werden der Substanz, ysveat^ und cpO-opa, einen Wandel der
Qualität, äXXotwatc;, und eine quantitative Mehrung und Min-
derung, aügrjacs [le'MOiq, nach sich zieht. Zwar heißt es 1075 b
16 5ta xi dsl eaxoci yivBaic, xat xb amov yeveaews oöSe:? Xeyet,
aber mit dem Stoffwandel selbst hatten sich alle Forscher be-
schäftigt. Aristoteles legt wiederholt die Gegensätze dar, von
Aristoteles und die Vorsokratiker. 385
deuen die ältere Forschung beherrscht wird. So werden 298 b
12 ff. die Lehrmeinungen der Eleaten, welche jede yeveac^ ver-
neinen, 14—24 (14—20 bei Diels 18A25); sodann die der
•O-eoXoyot, unter denen besonders Hesiod und Pherekydes zu
nennen sind, 24 — 29; weiter die der lonier 29 — 33, denen
alles nur ein (jLeTaaxr^IxaxtCsa^ac des £v ist; endlich die der
Pythagoreer und Piatos 33 ff. wiedergegeben. Demselben
Zwecke dient 314a 6 ff.: allgemein werden die äpxaio'. in zwei
Kategorien geschieden, deren eine ysvEa'.?; und dXko'nüoic, iden-
tificiert, deren andere die beiden Prozesse verschieden faßt.
Daß die ersteren die lonier sind, wird 8 ff. dargelegt: ihnen
als den Vitalisten werden die Mechanisten 11 ff. gegenüber-
gestellt. Daß diese Verschiedenheit der Auffassung des Wer-
dens aus ihrer Grundlehre folgt, wird sodann 314 b 1 ff. dar-
gelegt. Auch 322 b 6 ff. werden die lonier denen , welche
tzXe'm axoiyjc.i<x als durch die Natur gegeben annehmen, ent-
gegengesetzt; denn für jene ist alles Werden nur ein dXXcc-
oOa^-a: des ev, für die letzteren ist die Möglichkeit einer wirk-
lichen yevsais gegeben. Vitalisten und Mechanisten werden
auch 334a 16 ff. einander gegenüber gestellt: Sactg [jlsv oo-
y.tl u sivat v.o'.ycv (das ionische £v) ■>) [xeTaj^aAXscv (näml. die
axoixeta) elq äXXrika (wie Aristoteles selbst), dvdyy.ri tl -O-atspov
TO'JTWV, xal ■O-axepov au|Ji[jaiv£:v oisoic, Se [xyj uotoOaov e^ aXXri-
Xwv yeveaiv — tcXyjv de, ix xoiyo^^ tOIv^-oxjc, — , als deren Ver-
treter 26 Empedokles erscheint: hier bleiben die axoiyelcn. aw-
^6{JL£va und y.axa {xcxpa uap' oiXXriXa auyx£''[i£va. Auf Empe-
dokles wird sich auch 327 a 11 — 16 beziehen [ü^nep cpaac
xtv£$) ; hier erscheint der elementare Stoff zwar als axjyzyiq,
aber doch so, daß er xaxa xa; Äcpa^ sich an einander schließt
und in diesen Fugen gebrochen werden kann. Auch das ist
nur eine mechanische Auffassung des Stoffwandels, welche eine
äXXoliüoi:; ausschließt. Daher auch 989 a 19—30; 329 b 1 die
Polemik gegen Empedokles. Am consequentesten aber wenden
die Atomisten den Mechanismus der Stoffzusammensetzung an :
ihnen gilt besonders Y£v. a 2. Scheiden sie nominell zwischen
y£V£aLi; und iXXoib)o:q, so ist in Wirklichkeit jene nur eine
auyxpcat? und S'.axpcatc, diese eine hexccO-ecjc? der Atome (54 A
Philologus LXVIII (X. F. XXII), 3. 25
386 Otto Gilbert,
9). Im allgem. verweise ich hierfür auf meine meteorolog.
Theorien 253 ff.
Im kosmischen Werden sind nun aber zwei Momente zu
unterscheiden: die Entstehung des Kosmos als solchen und
die stete Neubildung der Einzeldinge im Naturprocesse. Denn
ist auch der Stoff in seiner Gesamtheit ewig, der Kosmos
selbst ist geworden: 279b 12 Ycv6[X£vov (xev ouv aTravxe? ehxi
tpaacv (xöv oOpavov). Daher ndvxec, ol usp: cpuasw^ tc Xiyoyxec,
die xcvrjai? in Beziehung zum y.OG\iono'.el^ und zur yevea:?
(der ovta) setzen 250 b 15. Und ebenso wird 640 b 4 — 17 als
die gemeinsame Lehre aller apxo^'^oi die xoajxoTiou'a und die
Erzeugung der ^wa und cpuxa aus der blf] durch Einwirkung
eines xcvoüv dargelegt ; vgl. auch 986 b 8 ff. Eine kurze Prü-
fung aller Lehren über die Kosmosbildung findet sich 250b 11 ff.
Gegen die welche dr^eipouc, xoapious statuieren (Anaximander,
Anaximenes, die Atomisten) richtet sich die Polemik 250 b
18—21 (vgL 276 b 21); gegen die welche nur £va x6a[Jioy an-
nehmen 21 ff. Die letzteren werden unterschieden, je nach-
dem sie, wie Anaxagoras, den Stoff eine unendliche Zeit ruhen
lassen, um ihn dann für eine unendliche Zeit zum Kosmos
sich bilden zu lassen 250 b 24 ff. ; 252 a 10 ff. : 279 b 10—280 a
11; 301 a 11 ff. ; oder, wie Empedokles, die Perioden des Ruhens
und der Bewegung sich abwechseln lassen 251b 28 — 252 a 5;
289 a 4 ff. Es lassen alle den Kosmos aus einem ev hervor-
gehen: die lonier erreichen dieses durch die Einheit des Stoffs;
Empedokles, Anaxagoras und die Atomisten durch das |i.ry|Jta,
in dem die Elemente oder Atome von Haus aus vereinigt
waren. Daher die letzteren drei Schulen öfter zusammen ge-
nannt werden: veüxo; voO? aut6[aatGV 640b 7; 1069b 21 heben
das charakteristische Moment der Kosmosbildung in der ver-
schiedenen Auffassung dersell)en hervor. Zu Empedokles vgl.
noch 284 a 24 ; 295 a 7 ff\; 800 b 1 ff. ; 1068 b 22; zu Anaxa-
goras 288 b 22 ff.; zu den Atomisten 196 a 24 ff. (55 A 69);
300 b 31—301 all; 641 b 15. Auf Einzelheiten der Kosmos-
bildunj? ist hier nicht einzucrehen : nur einiges Gemeinsame sei
hervorgehoben. Interessant ist die Angabe 291 a 18, &c,nep
Travtes cpaai'v, daß die Gestirne elx' sv ocipoc, Tzlr^d-ei x£xu[ji£vcp
xaxa xö Tiav el'xE Tiupo; getragen werden : vgl. dazu meine
Aristoteles und die Vorsokratiker. 387
nieteorolog. Theorien 677 fF. Auch die Lehre, daß die Sterne
Kugelgestalt haben, soll von allen vertreten sein 290a 7.
Ferner mag auf o cfoßoövxa'. oi uspc cfuaewi; 1050 a 22 ff. hin-
gewiesen werden, daß Sonne. Sterne und der ganze Himmel
einmal zum Stillstand kommen. Daß der Himmel Feuer, wird
zwar nur als die Meinung einiger 269 b 11; 289 a 16 {oi nü-
ptva cpaaxovTSs) und speziell des Anaxagoras 270 b 24 (46 A 73)
angegeben, ist aber in Wirklichkeit die Lehre fast der ge->
samten Vorsokratiker.
Wir wenden uns jetzt der Betrachtung der dritten dp/rj
xa: ahioc zu, der Frage nach der Guata. Es ist hier nicht
der Ort, die Aristotelische ouaia einer Untersuchung zu unter-
ziehen : Avir müssen uns auf die Tatsache beschränken, daß
die ooata für Aristoteles aus zwei Factoren sich bildet, deren
einer der Stoff, deren anderer die Form ist. Wie die letztere
mit dem ersteren sich verbindet, ihn bildet und gestaltet,
bleibt der Erkenntnis mehr oder weniger verborgen: nur das
Resultat dieses Processes kommt in den övia selbst zum Aus-
druck, die, jedes in seiner individuellen Eigenheit, ein auvoAov
von Stoff und Form darstellen. Geht Aristoteles unzählige
Male auf das Wechselverhältniß von uXrj einerseits, von elooc,
oder [iopcpi^ anderseits ein, so deutet er doch immer an, die
Form sei das wesentlichere. Sehen wir nun, was die einzel-
nen Schulen der Vorsokratiker hierüber gelehrt haben.
Aristoteles bezeichnet die Frage xt xo öv, d. h. tIq ij
ouaia als xö rcaXai xe y.v.1 vOv xa: de: ^r^xo6|ji£Vov xac dTüopoulJievov
1028 b 3. Tatsächlich haben denn auch schon die lonier diese
Frage zu lösen gesucht. Ueber sie sagt Aristoteles 298 b 29
Ol Se xd |ji,£v dXÄa Tiavxa ycvsa^ac xe cpaac xal peiv , ecvac oe
Tcayiws ouOsv , ev oi u |jl6vov ü;i;o|.i£V£iv , iE, ou xaOxa Tidvxa
\iex(xaX'f][i'(x.zlL,ea%'ai Tiecpuxsv ' OTcep ioixaai ßQuAea-B-at Jiyeiv dX-
loi xe Tzollol xo(.l "HpdxXecxog. Und in gleichem Sinne wird
983 b 6 als Inhalt der ionischen Lehre angegeben, daß ein ev,
eine [Ata cpuacg in allem Wandel des Stoffs erhalten bleibt, xfj;
{xev O'jo'.occ, "jTiGixevouarj?, xot; oe TiaO-ea: [xexaßaXXouarjs. Hierzu
sind noch 193 a 18 0'.; 194 a 19; 996 a 7 ff . u. a. St. zu ver-
gleichen. Falsch ist es, wenn Aristoteles 1001 b 32 ff. den
elementaren Grundstoff nur nach seiner Qualität anerkannt
25*
388 Otto Gilbert,
wissen will: sagt er doch selbst 1002 a 2 xö awjjia xb xaöxa
uenovd'bc, jxovov utuo[X£V£c uic, ovxc xa: obo'.cc xti; o5aa. Für die
lonier war also die ganze kosmische Entwicklung der Wandel
eines einzigen Grundstoffs, der als ouoicc, als der substanzielle
Kern, in allen Einzeldingen sich erhielt. Es heißt daher
richtig 1002 a 8 O'.omp ol [jlev tzoXXoI xal ot Tipoxepov xyjv oOatav
xai xb Sv c[)ovxo xö aw[ia £:vac, xa Ss aXXa xouxou 7T;a'9'rj, oiaxs
xao xa? apx^G xa$ xwv a(D[xax(i)v xwv Svxwv £:vac apxsc?. Für
die lonier gab es also nur eine ouac'a alod-fjxri : die Form ord-
nete sich für sie durchaus dem Stoffe unter. Daher 193 b
28 ff. von den Tcspc cpuaew? lijovTeq wohl gesagt wird, daß sie
TCEpc axrwiocxoc, der einzelnen Dinge reden, diese Formen sind
ihnen aber nur die Wirkungen der £vavxia 189 b 8 ff. ; 187 a
14; 1004 b 29, die sich aus dem einheitlichen Stoffe ausschei-
den und an seiner Gestaltung tätig sind. Der Tadel des Ari-
stoteles 185 a 6 ff. ; 335 a 24 ff. ist daher berechtigt: wenn
alles nur die Umbildung eines £V ist, hört jede Individualität
auf, daher 385 b 35 die Worte E^atpoOa: x6 xi fiv ehcci xccl xy]v
|xopcpr|V.
Dasselbe Urteil gilt auch für die späteren Schulen: die
Substanz bleibt eine stoffliche, die Form als solche tritt zurück.
Daher die allgemeinen Urteile 1069 a 25 ff. über die dpxatoc,
die in ihrem Suchen nach der ouaia die [xca aüa^rjXYj, die doch
nur cp'9'apxYj, anerkennen ("/jv ttccvxe? oixoXoyoöacv, heißt es: vgl.
dazu 997 a 34; 1028 b 18; 1029 a 33), während sie die Form
als untergeordnet auffassen , daher 642 a 24 der Tadel und
1060 a 24 t^yjXEtxac g/eSöv utio xwv y^ocpitaxdxti)^ 6ic, o6ad xic, äpxri
xcd ouac'a xocauxyj (näml. xö elBoc, xa: "q [xopcpyj).
Für diejenigen Physiker, welche mehr als einen Grund-
stoff annahmen, mußte sich dann die ouac'a auch vielseitiger
gestalten: Aristoteles erklärt bestimmt 1028b 4, daß den Ele-
menten oder Atomen entsprechend die ouac'a verschieden de-
finiert wurde; 1001 a 17 ff.
Erst mit Empedokles begann — wenn wir die Pythago-
reer hier vorläufig bei Seite lassen — die Forschung sich der
Frage nach der Form und damit zugleich nach der ouac'a der
Dinge zuzuwenden. Es heißt 194 a 18 etic {jccxpöv yap xc [iipoc,
'E[X7ce5oxXfi(; xac Arjjxoxpcxo? xoO ecSou? xac xoö xc r^v £cvac
Aristoteles und die Vorsokratiker. 389
f/];avTo; vgl. auch 642 a 18 (21 A 78). Wenn aber Aristoteles
geneigt ist, mit dem iJLcyfia aller Stoffe als dem iv ov 1001 a
12; 996 a 7 den Begriff der cfcXia sowolil wie der ouaca zu
verbinden, so ist das töricht: es ist wahrscheinlich, daß Em-
pedokles, indem er dem Feuer eine Sonderstellung gegenüber
den andern Elementen gab, ihm damit zugleich eine formende
Tätigkeit zuwies : die Stellen 984 b 3 ff . ; 335 a 14 ff.; 1070 b
12 deuten diese formende Kraft des Feuers bestimmt an. Aber
indem Empedokles vom materialistischen Standpunkte aus die
cppovrjatg der aio%'y]aic, gleichsetzte und die letztere als das Re-
sultat stofflicher Mischung ebenso wie die Dinge selbst einer
steten Veränderung unterworfen sein ließ , nahm er sich die
Möglichkeit den Einzeldingen eine bleibende ouata zu geben,
und den Sinnen zugleich die Fähigkeit, eine solche zu erken-
nen 1009 b 15 (21 B 106).
Derselbe Tadel trifft auch die Atomisten : avatpoOac ooatav
xac TÖ xc r^v ecvac, heißt es von ihnen allgemein 1007 a 20;
1010 b 26, was 1005 b 35 ff. ; 1009 b 11 ff. bestätigt wird.
Doch heißt es anderseits auch von Demokrit 194 a 20 eni jxc-
xpöv [lipoc, xoü doouc, xac xoO xi ryv ehai rjtpaxo. Jedenfalls
hat er den Formen insofern seine besondere Aufmerksamkeit
gewidmet, als seine arcetpa äxo\ix auch arcscpa axirjiJtaxa waren
303 a 10 ff. ; daher Aristoteles 184 b 21 als das Characteristi-
sche seiner Lehre die apxas dTzeipooc, ax%axc yj doei Scacpspou-
cac, angibt. Da aber diese verschiedenen Formen mechanisch
mit dem Stoffe, d. h. mit den Atomen, verbunden waren, so
blieb auch für die Atomisten die üXt] das eigentlich Bleibende,
die ouaca 1042 b 11.
Dem Anaxagoras gilt noch der besondere Tadel, daß er
die Gegensätze, in ihrer allgemeinsten Form als öv und [xyj öv
ausgedrückt, im Stoffe selbst gegeben sein ließ. Da nun nach
Anaxagoreischer Lehre in allen Dingen von allem etwas vor-
handen war, so ließ er damit das Wesen der Dinge sich selbst
aufheben und es gilt daher auch ihm das Wort, daß er die
ouaca aufhebt, indem er 1006a 1 xö auxo ecvac xac [xt] ecvac
UTcoXaiißavec. Vgl. dazu 1007 b 25; 1009 a 25 ff. ; 1063 b 24.
Haben alle diese Denker die Form unmittelbar mit der
uXyj verknüpft, sie dieser untergeordnet und aus ihr sich ent-
390 Otto Gilbert,
wickeln lassen, so gebührt den Pythagoreern das Verdienst,
dem Stoffprinzip das Formprinzip selbständig gegenübergestellt
zu haben. Die Materie ist für sie die gestalt- und formlose
Masse, die erst durch die von außen an sie herantretende und
nun integrierend mit ihr sich vereinigende Form in die Ein-
zeldinge übergeführt wird. In der consequenten Ausgestaltung
dieser Lehre sind die Pythagoreer soweit gegangen, die Ele-
mente, welche seit Alters ausschließlich dem Stoffe als solchem
nach seinen Scheidungen galten, gleichfalls in Formen umzu-
ändern, die demnach nur äußerlich, in den Oberflächen der
Dinge, mit diesen letzteren sich verbinden, während das Innere
derselben, als die ungeformte Stoffmasse, von ihnen unberührt
bleibt. So kann Aristoteles 1002 a 8 ff. den npoxtpov, welche
TY]v ouatav xa: xö ov movzo tö awjxa ecvac die uaxepov v.al ao-
cpwiepot gegenüberstellen, welche die ouaia in den apc^|xo:,
d. i. eben in den äußeren Formen , erkannten (45 B 8). Er
hebt aber anderseits bestimmt hervor, daß die pythagoreischen
Speculationen über xö xi eaxcv oder die ouata nur ein etzcuo-
'ka.'nüc, opi^Bo^ai gewesen seien 987 a 19 ff.
Das Bedenkliche dieser Theorie des Formprinzips liegt in
der äußerlichen Auffassung desselben. Die Formen sind hier
nur als die eTir-pavscat der Dinge gefaßt: der Stoff als solcher
bleibt von ihnen unberührt. So bedeutet die Aristotelische
Lehre zweifellos einen außerordentlichen Fortschritt. Die Form
als solche, xö eoSoc; oder i] jxopcp-)^, tritt für ihn nicht von außen
an die Dinge heran, sie gestaltet diese von innen heraus. Ist
es zumeist der Inhalt selbst, welcher die Form bildet und be-
seelt, so hat auch Aristoteles den formgebenden Factor als
Energie mit dem Stoffe selbst organisch verbunden. In dieser
seiner Eigenschaft als das den Stoff gestaltende Prinzip steht
dasselbe unter der Einwirkung eines dritten Factors. Hierüber
heißt es 335 b 5 ff. oCo xa: 6)c, [xsv üXrj x&üx' laxcv odxiov xot;
yevqxolq , 6)c, oe xö ou svexsv t^ [xopcpyj xa: xö doog ' xoOxo o'
£ax:v 6 löyoc, 6 xfic, exaaxou ouatai;. öet dk Tipo^efvac xa: xrjv
xp:xrjv, y)v äizxvxeq [liv ovetpwxxoua:, Xsys: S' cuoe:?. Und nun
folgt 335 b 9 ff. die Darlegung, daß weder die Ideenlehre den
Tatsachen gerecht zu werden vermag, noch die Auffassung der
Materialisten: ouSexepoc oe Xeyooa: xcxX&i;, weil sie den eigent-
Aristoteles und die Vorsokratiker. 391
liehen Anstoß zu dem {Jtexaaxrjpiaxi^sa^ai, der uXrj in die [iopcpi^
nicht zu erklären vermögen. Denn xb xiveüv xa: Tiocetv gehört
einer exepa düva[Lic, und diese ouvafxcg glaubt Aristoteles in der
engen Verbindung aller energetischen Tätigkeit mit der Got-
tessubstanz gefunden zu haben, die selbst ein axcvrjxov dennoch
die Quelle aller kosmischen Bewegung ist.
Mit diesem göttlichen axtvrjtov verbindet nun Aristoteles
die vierte und letzte ocpyri xac ahioc des Weltgeschehens, näm-
lich den Zweckbegriff. Tb ou £V£xa, heißt es 1072 b 1, ist
ev xolq axtvTjto?; 996 a 22. Dieses dxcvrjxov und selbst npG)-
xov xcvoöv ist zugleich xb apcaxov, x6 dyccd-o^, welches, ohne
a[iapxr][Jia und ccacpS-opa, Ursprung und Quell alles Guten in
der Welt ist 1051 a 20; 1075 a 11. Denn die cpuacs, d. h. die
bewegte Materie, steht unter der unausgesetzten Einwirkung
jenes selbst unbewegten, aber alle Bewegung bedingenden ver-
nünftigen Prinzips, und ihre spya müssen deshalb gleichfalls
ein aya-B-ov und xaXov, ein dpcaxov und ßeXxiaxov zum Aus-
druck bringen 415 b 15; 1252 b 34; 639 b 19. Dieses Gute
und Schöne zu bewirken ist eben der Zweck, der als das
höchste Weltprinzip in letzter Linie auf die Gottesvernunft
zurückgeht: alle Bewegung ist erst die Folge jenes 639 b 14.
Sonach ist der Zweckbegriff unmittelbar mit dem höchsten
Gottesbegriff, der göttlichen Vernunft zusammenfallend, welche
letztere durch die von ihr ausgehende Bewegung jenen Zweck-
begriff an und in der uXv] verwirklicht. Dieses Zweckprinzip,
xö xsXoi; oder x6 ou evexa, offenbart sich sowohl im allgemei-
nen in der Ordnung und Schönheit der Welt 1075 b 24, wie
in den stets von neuem sich bildenden Formen der Dinge: die
letzteren stellen den eigentlichen Zweck und damit das bezweckte
dya^ov dar 996 a 22 ff. ; 996 b 12. Die unter der Einwirkung
der von der Gottheit ausgehenden Bewegung stehende cpuac?
kann so selbst mit dem xiXoc, und dem ou evexa identifiziert
werden 194 a 28; 198 b 4; 196 b 21 ; 199 a 7 ; 199 b 15. Es
ist aber dabei festzuhalten, daß nicht die Materie als solche
diesen Zweckbegriff in sich trägt, sondern daß derselbe ihr
erst von oben zugebracht wird : so wird 200 a 32 nicht die
Materie ai'xcov des xeXo?, sondern dieses letztere wird al'xiov der
Materie, die sich erst unter der Einwirkung des xiXoc, zur
392 Otto Gilbert,
Form entwickelt. In der Materie selbst ist immer ein wider-
strebendes, ja ein xaxoTiocov Element, welches erst durch das
wirkende Zweckprinzip gleichsam überwunden und bezwungen
werden muß, um so in die Form, und damit zu seinem eigent-
lichen layjxxov und dya^ov und xeXoc, überführt zu werden :
övios yap xcvos, heißt es 192 a 16, %-eioD xa: ayot.d'Oü v.cd ecpe-
Toü, xb |JL£V ivavToov auxw cpajjtev scvac, xb Se ö 7t£(f)uxev k^>i-
zad-cci xac öpiyead-o(.i auxcö xaia xrjv eaux&ü cpuacv. So fallen
für Aristoteles 198 a 24 Bewegung, Form und Zweck im we-
sentlichen zusammen. Die Materie ist nur dazu da, in Be-
wegung gesetzt und so in bestimmte Formen, eben ihren
Zweck, überführt zu werden, welcher letztere eben dem aya-
•O-ov entspricht.
Wie verhalten sich nun die vorsokratischen Schulen die-
sem Zweckbegriffe gegenüber? Aristoteles stellt dem Zweck-
begriff das Kausalprinzip gegenüber und bezeugt, daß die
älteren Denker in der Hauptsache nur das letztere anerkennen.
Das führt er cpua. ß 8. 9 (vgl. 642 a 2. 31 ff.) des näheren aus.
Dem ou evexa steht das avayxaiov entgegen und von dem
letzteren heißt es: eic, xauxr^v xrjv ahiay dvayouac Ttdvxeg.
Während also Aristoteles das dvayxaiov in der Natur seinem
höheren Zweckbegriffe untergeordnet wissen will, ist für die
älteren Schulen das dvayxatov und damit die Frage nach Ur-
sache und Wirkung an erster Stelle stehend. Ist 200 a 14
iv xYj uXv] xb dvayxalov, x6 o' ou evsxa ev xw Xoyw, so ist es
erklärlich, daß die älteren Schulen, die das Hauptgewicht auf
die uXt] legten, damit zugleich das dvayxatov und den Kausal-
begriff an die erste Stelle rückten. Aber Aristoteles sucht zu
zeigen, daß die Annahme der üXt] als dp^rj eine höhere dpxr]
voraussetze: scxe [xtj eaxac, heißt es 1075 b 24, Tzapcc xd aüa-
■ö-yjxd dXAa, oux eaxac dpxrj xcci xd^ic, -Kai ysveac? xac xd oüpd-
vta, alX de: xfjs dpx'^? ^pXY], üc,mp xoi<; ^eoXoyois xa: xoic,
cpuacxoc? Tcäacv; 1091a 33 ff. Und ebenso genügt auch die
Setzung zweier einander gleichwertiger Prinzipien nicht, da
diese eine dritte xuptwxepa dp/^Yj verlangen 1075b 17; 1071b
28: Tcwi; ydp xivr^^Yjaexat, eü [xrj^ev eaxa: evepyeta al'xLov; Diese
Fi-age beantwortet sich nur vom aristotelischen Standpunkte
aus 1072 a 19 ff.
Aristoteles und die Vorsokratiker. 393
So kann das allgemeine Urteil des Aristoteles über die
Vorsokratiker 988 b 6 ff. dahin lauten : xo o' o5 svsxa al Tcpa-
^ets v.cd a.1 jjL£Taßo).ac xac ai x^vr^asts, xpoTiov (jlsv icva Xeyouacv
aÜTtov, ouxü) 0£ (d. h. als eigentlichen Zweck) ou Xeyouacv, ou
S' öv Tcsp 7t£',f'j"/.£V. Und von den loniern speziell heißt es
988 b 11 ff . oi TÖ £V Yj To ov cpaaxovTE? £:va(, tyjv Tocauxrjv cpuacv,
T'^S [i£V ouaca^ al'xoov cp aacv £!vac , ou (xrjv xouxou ye £V£xa t)
thai 7iYcyv£a9-at. (j5(;x£ A£y£tv x£ xal jjiyj Aiyecv uw? au|j,ßaov£i
a'jxo:^ xaya9-öv acxtov * ou yap (xnXGic, äXXcc y.y.xy. ouii'^efirfAbc,
Xeyouatv. Das Gute erscheint hier also nicht als Zweck der
Bewegung und als gewolltes Ziel des Werdens, sondern nur
als accidentell, ohne prinzipielle Bedeutung. An und für sich
hätte gerade die Lehre von den ivavxta, welche die lonier ver-
treten und nach der das eine £vavxcov zum xaxov wird, sehr
wohl mit dem Zweckbegriffe sich vereinen lassen 1075 a 28 ff.,
wenn jene materiellen Evavxca eben einer höheren <x,pX^l unter-
geordnet wären; aber Aristoteles bemerkt 1075b 11: 7ravx£S
oi zivyyxioc Xiyoyzec, ou XP^Jövxat xoc^ iyavxioic,, e%v jjir] puS'jJii'ar]
xic, (Alexander will dafür 717, 33 pcx-d-uiiip-Q lesen) d. h. wenn
man nicht willkürlich und gegen ihre eigenen Absichten ihre
Lehre modeln will. Und eben weil sie von den ivavxta keinen
rechten Gebrauch machen können, schalten sie den Zweckbe-
griff als solchen tatsächlich aus.
Von den Eleaten heißt es 1091 b 13 ff. xwv §£ xa^ axcvrj-
XGOc, ouaiaq £cvac XEyovxwv oi [i£V cpaaiv aüxö xb £V x6 Äya'ö'öv
auxö £cvat * ouoiocv \ievxoi xb £v auxoü &>ovxo elvM [xaXcaxa. Die
göttliche Weltsubstanz der Eleaten war also das absolut Gute.
Aber indem die Eleaten diese Substanz von der Erscheinungs-
oder Wirklichkeitswelt völlig lostrennten, haben sie auch nicht
vermocht, dem Zweckbegriff und dem dyaö-ov seinen rechten
Platz zu geben.
Den Pythagoreern gilt das Wort 1075 a 32 ol Be xb £X£-
pov xwv £vavxcü)v uXrjv tcocoüciv, w^uEp ol xb avcaov xw i'aco v)
xCo £v: xa noXXä. Vgl. dazu 201 b 19 ff. Zf^o^i Se axoTioüaiv
wg xt^Eaatv aOxTjV (näml. xtjv xivTjatv) EVtot, EXEpoxr^xa xaS dvt-
aoxr^xa xal xö [xi] ov cpdaxovxe? ecvao xtjV xivrjacv; und Simplic.
z. d. St. 428, 16 ff. Das dTistpov erscheint hier als das inhalt-
lich doptaxov und zugleich dopiaxw^ xivou|jievov (201 b 24 f.),
394 Otto Gilbert,
an das nun das nipac, als l'aov und fipe\iiZ,ov herantritt. Da
dieses formende Prinzip — wenigstens in späterer Auffas-
sung — als das dya^ov characterisiert wird, so erscheinen die
Pythagoreer tatsächlich als Vertreter eines ZweckbegrifFs. Denn
die Form tritt als dya^ov und damit zugleich als den Stoff
zweckmäßig gestaltend an den letzteren selbst heran. Vgl.
noch 1087 b 5; 1091b 31; 1091a 24; 1093 b 12 ff. Indem aber
die Pythagoreer das äntipoy oder äyiao^ zugleich mit dem xaxov
identifizierten 1075 a 34 — 36, ließen sie alle Dinge am xaxov
teilhaben und hoben so selbst das dya^ov, welches im Tcspa?
sich mit ihnen vereint, wieder auf; daher 1091 b 35 ff. die
Worte ol §e Xsyouac xo dvcaov ttjv toO xaxou cpuaiv ' au[ißacv£C
Sy) Tidvxa xd övxa [jisxexetv xoO xaxoö e^w ivbq auxou xoö Ivos.
Diesen Gesichtspunkt hebt auch Alexander (der freilich die
Worte 1075 a 33 x6 civiaov xw law speziell auf Plato bezieht)
717, 16 ff. (ed. Hayduck) hervor, und bemerkt zugleich (820,
8 ff.), daß so die Begriffe xaxov und dya^Q-ov zu Oaxepoyev^
werden, in dem dieselben erst secundär den Hauptbegriffen
£V und Suo (rcepa? und dTietpov) hinzutreten. Auch in dieser
Fassung gelangt also das dya^ov als der eigentliche Zweck-
begriff nicht zu seinem Rechte.
Dem Empedokles und Anaxagoras ist Aristoteles bereit
ein größeres Verständnis für den Zweckbegriff zuzugestehen.
Auf sie bezieht sich 1075 a 38 ff. : ol 5s xoOxo [xsv op^w^ oxt
dpxV (näml. x6 dya^ö-ov), oiXXx uwe xö dya^ov dp/vj ou Xeyou-
acv, Tioxspov d)? xiXoc, 9] ws xcv^aav r] wg tltoz,:, und 988b 8 ff .
ol [X£v ydp voöv Xeyovxe^ 7^ <:pi'kiocy w; dya-S-öv (xev xc xauxa^
Tccc, ccixiac, xc^Q-saaiv , ou {jLr]v wg evexd ys xouxtov yj ov t^ yty-
v6[j.ev6v xc xwv ovxwv, dXX' w; dTio xouxwv xdg xtv/jaEcs oOaag
Xeyouatv. Obgleich Aristoteles hier also anerkennt, daß Em-
pedokles und Anaxagoras durch Setzung des dya^ov als dpxi^
einen Fortschritt der Forschung indicieren, so schränkt er
diese Anerkennung doch wieder durch den Vorwurf ein, der
Zweckbegriff sei von ihnen nicht in seiner wahren Bedeutung
erkannt; er sei, wie sie ihn anwenden, nur ein anderer Aus-
druck des Bewegungsprinzips (x6 xtvfjaav). Speziell dem Empe-
dokles gelten dann die Worte 1075 b 1 ff. dxoTiwg Ss xac 'E{ji-
TrsSoxX-^S • XTjV ydp cpcXc'av Tzoiel xö dya^O-öv • aüxT] 5' dpx>j xac
Aristoteles und die Vorsokratiker. 395
w? xivoöaa (auvaysL yap) y.a: <hc, OXyj • [lopcov yap toO (jttyjjLaxo;,
et OYj xa: xm auxw auiaßllBr^xev tb? üXyj xac apxTi ^-"^^^ ^^^ f^g
■xtvoöv Tc, aXXa tö y' scvac ou Tauto. xata Tiotepov ouv cpcXta;
atoTtov 6s xat xö^ acpO-apxov etvac xö verxo? * xoOxo 5' saxcv auxö
^ xoö xaxoD cpuats. Vgl. noch 988a 14 ff.; 1091b 11; 985a
3; 1000 a 24 ff. Die Identification der Empedokleisclien cpcXt'a
mit der uXvj bezw. einem Teile dieser ist falsch ; jene ist nur
als bewegende Kraft zu verstehen. Dadurch aber, daß Empe-
dokles mit dieser vereinigenden Kraft den Begriff des dya^ov
verband, ist er dem Aristotelischen Zweckbegriff des Äya^ov
wenigstens näher gekommen. Anderseits hat er aber durch
gleichzeitige Setzung des xaxov als o^pyj] die alleinige Geltung
des dya^dv als des Zwecks aufgehoben. Auch die Kommen-
tatoren z. d. St. Asklepius (32, 26 ed. Hayduck), Alexander
(33, 12 ff. ed. Hayduck) heben hervor, daß Empedokles dcya^ov
und xaxGV als zwei cchicci eingeführt habe; sie betonen aber
gleichzeitig, daß die Dinge durch Teilhaben am vsixo; auch
des xaxov teilhaftig werden; so Syrian (184, 30 ff. ed. Kroll),
Alexander (823, 17).
Dem Anaxagoras gelten gleichfalls die schon oben ange-
führten Worte 988 b 8 ff. Dazu ist zu vergleichen 1075 b 8
'Ava^ayopa; oe 6)c, xcvoöv xö dyaO-ov dpxxjV • 6 ydp voüc, XLVst,
aXloc xtv£L £V£xd x'.vog, w^xe 'ixzpov; vgl. dazu noch 988 a 14 ff. ;
1091b 11 f.; 984 b 15 ff. (46 A .58). Auch den voO; des Ana-
xagoras will also Aristoteles nicht als den Zweckbeo^riff voll
und rein zum Ausdruck bringend anerkennen.
So kann Alexander Aphrod. (in seinem Kommentare zur
Metaph. 63, 1 ff.) sagen, daß vor Aristoteles niemand richtig
über den Zweck gehandelt habe. Denn für Aristoteles steht
es fest, daß der Zweckbegriff, dem, als dem höchsten Prinzipe
alles kosmische Werden sich unterordnet, nur aus der Schei-
dung einer vergänglichen und unvergänglichen Welt sich er-
klären läßt. Und die Nichtunterscheidung dieser beiden Wel-
ten ist der schwere Irrtum, an dem nach Aristoteles Urteil die
gesamte Vorsokratik leidet. Daher 1075b 13 die Worte: o:x xc xd
[Asv cp'O-apxd xd S' dcp'9-apxa oOosc^ Xeye: Midvxa ydp xd ovxa koioü-
acv £x xwv auxwv dpxwv, was 1000 a 5 ff. näher ausgeführt wird.
Halle a. S. Otto Gilbert.
XV.
Erchanberts von Freising Donatkommentar.
TJeber das grammatische Werk des Preisinger Lehrers
und späteren Bischofs Erchanbert, das s. IX — X ziemlich
verbreitet gewesen ist, sind bisher nur wenige Notizen veröf-
fentlicht. Wenn sich nun auch keine neuen grammatischen
Quellen daraus erschließen, so ist das umfängliche Werk, das
die Ars minor und maior behandelt, sowohl wegen des Be-
triebes der grammatischen Studien im Süden von Ostfranken
als auch wegen der Behandlung der Quellen wert, etwas näher
betrachtet zu werden. Es ist nämlich noch nicht ausgemacht,
ob die Grammatik Hrabans früher fällt, als Erchanberts Do-
natkommentar; es scheint sogar, als ob letzterem die Priorität
zukomme ^). So würde eigentlich Erchanbert in gewissem
Maße als der Begründer der grammatischen Studien in Ost-
franken in ihrer literarischen Porm auszusetzen sein. Ja es
stand ihm zweifellos auch ein größeres Quellenmaterial zu
Gebote, als dem Hraban, dessen Grammatik hauptsächlich auf
Priscian, Diomedes und Beda fußt.
Ich benutze zu den folgenden Notizen den Monac. 14846
aus dem Anfang des 10. Jahrhunderts, der im ältesten Regens-
burger Kataloge (Becker, Catal. bibl. ant. N. 42 p. 128) je-
denfalls unter den Erchanperti III (N. 420 ff.) mitgezählt ist,
während er im Katalog von 1B47 (von mir hrsg. im Cen-
tralbl. f. Bibl. wesen 20, 5 ff.) wie die meisten den Artes libe-
*) Erchanbert ist 835—853 Bischof gewesen, seinen Kommentar
aber hat er früher geschrieben, da sowohl Monac. 6414 wie 6031 in
der Aufschrift Erchanbert! magistri haben, wie der alte Salisburgensis,
s. Becker, Catal, bibl. ant. 115, 57. Hrabans Grammatik ist aber mög-
licherweise erst nach 842 entstanden, vgl. E, Dümmler, Berliner S.-B.
1898 S. 34.
M. Manitiu3, Ercbanberts von Freising Donatkommentar. 397
rales angehörigen Bücher fehlt. Die Handschrift trägt außen
auf dem Einbanddeckel den Vermerk Dieta super Donatum
und die Signatur Y 4. Innen hat eine Hand saec. XVI ein-
getragen Glossa in utramque editionem Donati Pauli Pisani
(beide Worte ausgestrichen) vel Albini vel Strabouis. Auf
fol. 1 a stehen zunächst ohne Ueberschrift zwei Distichen von
Hand saec. X:
Etharti-) tumulus hie fulget cespite pulcro,
Conditus et magni nobilis ingenii,
Gloria quem tollet per longa pristina vit§
Mens intenta fuit auxit^) et ad dominum.
Darunter steht von Hand saec. XV Dicta super Dona-
tum. Während der Verfasser des ältesten Katalogs noch
wußte, von wem der Kommentar verfaßt war, haben spätere
Bibliothekare hiervon keine Kenntnis mehr gehabt, denn
fol. 1 b beginnt der Kommentar ohne Aufschrift — nur eine
Zeile ist dafür leer gelassen — und er endet fol. 105 b ohne
Explicit oder sonstige Andeutung, und zwar mitten in der
Materie, so daß das eigentliche Ende fehlt. Das letzte Blatt
der Handschrift bringt wieder ein Gedicht von Hand saec. X :
0 pie magne potens defensor et inclite rector,
Plebis amor, patrie pater et pietatis amator,
Civis in orbe manes, vox regum, lingua salutis,
Karus ubique petis nobis dulcisque manebis,
Stella micas lucida mundo ceu sidus in alto,
Atque nites placido semper vultuque sereno,
Formosus facie, nimium formosior ecce
Moribus et factis dictis quis factura micis^).
Auf der Rückseite fol. 122b steht eine Federprobe: ene
fidelis prima credendi, genommen aus Prudentius Psychom.
praef. 1. Das Gedicht bezieht sich wohl nach Vs. 1 und 2
auf einen Bischof und ist Abschrift.
Um Erchanbert selbst zu Worte kommen zu lassen, gebe
ich zuerst seine Einleitung zur Ars minor und bemerke, daß
die Handschrift anfänglich gut geschrieben ist, während in
^) Es ist vielleicht Echarti zu lesen.
^) Muß wohl vexit heißen.
*) Muß wohl heißen quoque f actus amicis.
398 M. Manitius,
den späteren Partien eine Menge Flüchtigkeiten unterlaufen.
Fehler und Versehen sind im Anfange vom gleichzeitigen
Korrektor berichtigt worden, später sind viele stehen ge-
blieben. Außer dem Korrektor haben noch andere Hände
kleine Aenderungen gemacht, und daß der Text noch in spä-
teren Zeiten benutzt wurde, ergibt sich aus Randbemerkungen
von einer Hand saec. XIH — XIV, die z. B. f. 5 b, 18 b und
19 a eingetragen sind. Die Einleitung zur Ars minor hat
folgenden Wortlaut:
„Inter omnes artes liberales grammaticam raerito dignitatis
principalitatem tenere nullus ignorat, qui aliqando studiosus
in his singulis aliquam scientiara scrutando cognovit°). Quippe
quae reliquas aetate atque utilitate longe precedit. Nam origo
ac^) fundamentum haec eadem dicitur esse artium liberalium^).
Quid, rogo. in omni aedificatione suo fundamento vetustius est?
Utilitas autem eiusdem artis etiam minus doctis patet. Sed
quoniam artis feci mentionem, dicendum primo quid sit ars
vel unde dicatur. Ars est comprehensio preceptorum ad uti-
litatem usui accommodata per artificis sui exercitationem ^).
Sive, ut alii, ars est uniuscuiusque rei scientia^). Dicitur
autem ars a greca ethimologia AIIOTECAPHTES id est a vir-
tute^°). Alii volunt artem dictam esse ab artando veP^) a con-
stringendo ^^) eo quod artis preceptis cuncta concludit ^'). Queri-
tur a nonnullis persona locus tempus et causa istius scrip-
tionis, per quas quattuor species haud facile liber quilibet
commendabitur. Ad quod dicendum, quia scriptor fuit Donatus,
conscripcionis locus Roma, causa autem scribendi hec fuit ut
puerorum vel adolescentiorum ingenia per interrogationes et
responsiones accenderet atque ad altiora provocaret investi-
ganda, Studuit autem memoratus scriptor tempore Constantis
et Constantii filiorum Constantini imperatoris. Eodem quoque
tempore, prout tradente magistro percepi, floruit Victorinus
') Cognoscit gibt Monac. 6414 nach Keil. De grammaticis quibus-
dam etc. (Erlangen 1868) p. 23.
^) et Monac. 6414. ') Aus Isidor Etym. 1, 5, 1.
®) Aus Asper bei Keil G. L. 5, 547, 5 f.
8) Aus Pompeius G. L. 6, 95, 4.
1») Aus Isidor Etym. 1, 5, 2.
") artiendo id e ursprünglich, korrigiert.
'-) Aus Cassiodor G. L. 7, 213, 15. ^^) Aus Pompeius p. 95. 8..
Erchanberts von Freising Donatkommentar, 399
rethor Rom?'*). Titulus vero ipse iuxta qnedam exemplaria
talis est : Incipit prima edicio Donati grammatici urbis Romae.
Cuius intellectus hie est: Incipit, subauditur legi sive doceri
vel scribi aut amari vel tale aliquid huiusmodi. Quae ideo
prima dicitur, quia de eadem arte in secunda edicione plenius
atque utilius disputat. Editio est explanatio vel conditio sive
creatio et dirivatur a verbo edo, quod significat creo vel pro-
fero vel condo, a genetivo enim '^) participii id est editus
editi, addita o fit eadem particula id est editio. Donati, hie
persona scribentis ostenditur. Grammatici nomen est officii
vel professionis. Urbis, urbs vocatur ab orbe, quod antiquae
civitates in orbem id est in modum circuli fiebant, sive ab
urbo parte aratri, quo muri designantur, unde est illud : Op-
tavitque locum regno et concludere sulco '"). Rom§ a Romulo '')
suo conditore nomen sortita est. Hinc iam sciendum quid sit
grammatica vel unde dicatur quidve habeat officii vel quibus
modis constet. Est autem grammatica litteralis scientia et hoc
secundum substantiam qualitatis ; secundum superficiem vero
soni'®) a gramma grammatica nomen accepit. Gramma quidem
grec? quod latin§ littera sonat, inde grammaticus literator^^)
vel literalis sive literatus dici potest. Officia ^°) artis gramma-
tica sunt quattuor, leccio, enarratio, emendatio iudicium. Leccio
est secundum accentus ad sensuum necessitatem propria pro-
nunciatio. Enarratio est secundum poetae voluntatem unius-
cuiusque discretionis explanatio. Emendatio est errorum apud
poetas et figmentorum reprehensio. Iudicium est bene dicto-
rum comprobatio.
Constat autem grammatica ars modis tribus, natura auc-
toritate et consuetudine-'). Natura, ut illud, quod masculinum
") Aus Hieron. chron. ad annum 2373 (Eusebius ed. Schöne 2, 19.^).
^=) Hier wie öfters steht die irische Kürzung H für enim. Die Worte
id est editus — particula stehen am Unterrand von fol. 3 ".
'^) Urbs — sulco aus Isidor Etym. 15, 2, 3.
") Ursprünglich romalo.
18) Vgl. Kubisca 22 (Hisperica famina ed. Jenkinson p. 56).
19) Aus Sergius G. L. 4, 487, 2.
-'') Officia — comprobatio aus Maximus Victorinus G. L. 6, 1S8,
6 — 12. Die Lesarten ad und discretionis ergeben engsten Anschluß an
Sangall. 877 s. IX — X, der somit Kopie des von Erchanbert benutzten
Exemplars sein dürfte.
■') Vgl. Augustin bei Keil G. L. 5, 494, 4 und Maximus Victorinus
G. L. 6, lt^9, 3.
400 M. Man itius,
sit, alio genere nequaquam pronuncias. Auctoritate, auctores
latinitatis in generibus nominum vel verborum dissonantes
scripta sua ediderunt et quia nullius illorum persona contemp-
nitur, nullius dicta respuuntur. Consuetudine, hoc est in dubiis
latinis seu barbaris verbis secundum diversitatem locorum usu
in gente fit diversitas accentuum. Adiciunt quidam et quartum
id est rationem, sed ut mihi videtur in hac arte idem ratio
quod natura.
Sed ne te, o lector ^-), diucius suspensum teneam, dicam
que sit inter substantiam qualitatis et superficiem soni diffe-
rentia. Ubicumque invenitur in diffinitione verbum substan-
tivum est, diffinitio substanti^ intelligitur, sicuti dicimus litera
est pars minima vocis articulatae ^^), item pes est sillabarum
et temporum certa dinumeratio ^^), simili mod onomen est pars
orationis -^) et reliqua. Ubi vero reppereris dicitur vel dictus
dicta dictum, diffinicionem soni intellegetur. Verbi gratia:
Littera dicta quasi legitera, pedes dicti quod ipsis lege metro-
rum incedimus et alia huiusmodi.
Exhinc denique fit questio, qua ratione Donatus partium
orationis textum non a litera vel voce ut plures sed a nomine
incipere vellet. Manifestum etenini est unumquodque nomen
literis constare. Sed li§c interrogatio solvitur hoc modo. Quo-
niam noverat ipsam literam vel vocem nomen esse, ideo a
nomine maluit inchoare. Queritur quoque a nonnullis quare
haec pars id est nomen primum inter ceteras locum sorciatur.
Quibus respondendum est, quia merito primum locum sibi
defendit qu§ et principalis est et plus ceteris necessaria. Nam
uniuscuinsque rei notitia a suo nomine revelabitur, nisi enim
nomen scias, rerum cognitio perit -^). Nominibus enim solum-
modo iunctis plerumque plenus intellectus repperitur, ut illud :
Inicium sapenti§ timor domini, "
Aus dieser Vorrede ergibt sich die Abhängigkeit Erchan-
berts von seinen Quellen, zu denen also auch Maximus Vic-
torinus zählt, der in karolingischer Zeit mehrfach verwendet
^^) neteolecter, o übergeschrieben.
") In der Hs. steht • u • a., vgl. Donat bei Keil G. L. 4, 367, 9.
•") In der Hs. steht -ed., vgl. Donat p. 369, 17.
") Donat p. 372, 2. -^) Isidor Etym. 1, 7, 1.
Erchanberts von Freising Donatkonunentar. 401
wird und gewöhnlich Maximianus heißt, vgl. Hagen, Anecd.
Helv. p. CCLI f.; Clemens Scottus im Bern. 123 f. la und
8 a und Cruindmelus ed. Huemer 13, 34. Dieselbe Abhängig-
keit erweist sich im Kommentar zur Ars minor, in dem Pris-
eian und die Donaterklärung des Pompeius als Hauptquellen,
hervortreten, ohne daß sie öfter genannt werden'-'). Einzeln
werden Augustin (fol. 10 b) und Isidor (fol. 16 b = Etym. 3, 3, 2)
angeführt. Die späteste bekannte Quelle, die benutzt ist, ist
der Auszug des Paulus aus Festus. Es ist nicht ohne In-
teresse, zu sehen, wie hier alte echte Gelehrsamkeit mit neue-
ren entsetzlichen Etymologien in Verbindung gebracht wird.
So heißt es fol. 40 b : dius fidius videtur significare Jovis
filius. Jovis enim grece Dius dicitur, fidius pro filius accipi-
tur, quia sepe antiqui pro 1 litera d utebautur dicentes fidius
pro filius, sedda pro sella. Vel aliter: medius fidius 'i- medi-
cator fidelis quod significat Mercurium qui credebatur apud
gentiles nuntius esse inter deos et homines. Hier ist Paulus'
Auszug (ed. Thewrewk de Ponor p. 131, 4 ff.) wahrscheinlich
mit Scaurus (Keil G. L. 7, 13, 14 oder 23, 17) verbunden,
während der medicator fidelis nach karolingischer Erfindung
schmeckt. Und fol. 55 a Dicitur augurium quasi avium garri-
tus kommt von Paulus p. 2, 7 -^). An zwei Stellen führt
Erchanbert auch seinen Lehrer, leider ohne Namen, als Auto-
rität an, nämlich fol. 2 b Eodem quoque tempore, prout tra-
dente magistro percepi, floruit Victorinus rethor Rom§ und
fol. 40 b nt edepol castor et reliqua. Ut ego instruente ma-
gistro didici, istud fuit iuramentum gentilium Romanorum
et ut rustice apud eos -^) usualiter dicebatur. Diese Stellen
gehen ohne Zweifel auf Niederschrift eines vom Lehrer ge-
haltenen Vortrags zurück.
Wenig tritt im Kommentar zur Ars minor das Prunken
mit griechischen Kenntnissen hervor, das sich im 9. Jahr-
^^) So gleich im Beginn bei der Erklärung von nomen fol. 6 °, wo
Priscian (G. L. 2, 57, 1 — 4) abgeschrieben wird. Ebenso fol. 1) * sicut
dicimus arhitmetica Nichomachi, gramniatica Aristarchi (p. 57, 6 f).
Genannt wird Priscian fol. 11 a. U a. 22 a. 23 ^ u. a. , Pompeius 14 a
und 18 a.
^^) Der Schluß dieses Abschnitts heißt auguria consuluntur, auspicia
autem ultro veniunt stammt aus Isidor Dift'erentiae 6.
^^) Ursprünglich nos.
Philologus LXVIII (N. F. XXII), 3. 26
402 M. Manitius,
hundert häufig kundgibt und sowohl auf die nicht selten von
alten Grammatikern gebrauchten und erklärten griechischen
Worte als auch auf die tatsächliche Kenntnis dieser Sprache
zurückgeht, die eine Anzahl karolingische Gelehrte besaßen.
Doch ist eine Stelle recht bezeichnend für die Unerfahrenheit
Erclianberts, der es auch hier nicht unterlassen kann, eine
krasse Etymologie mit einzuflechten, obwohl ihm der Sinn
des betreffenden Wortes klar gewesen sein muß. Er schreibt
fol, 14 b Et est compositum nomen sacerdos sacrum ^°) dans ^^).
Est epicenon'i'promiscuum^^). Omnia dubia in sexu EPICENA
(übergeschrieben von Hand saec. XI erisena) dicuntur. Non^^)
enim in sua natura sed in nostra ratione permulta animalia
mixta sunt quia a nobis non discernuntur in sexu ut est
aquila anguilla et alia multa. Alii dicunt non per p sed per
n debere scribi illud nomen "i^epicenon (wieder übergeschrieben
erisen) et esse compositum ex greco et latino; grece enim eut
super latine, cenon vero lutum dicitur. Qu§ compositio sie
intelligitur epicenon id est snpermixtum. So gebrach es hier
völlig an der Sicherheit im Verständnis.
Von Interesse ist eine Erweiterung zu Priscian. Es heißt
nämlich fol. 26 a : quod possunt equidem etiam hominum inve-
niri nomina neutri generis ut in maribus hoc busion ^^) hoc
eliconion quomodo etiam in feminis glicerium dorcium ^^). Die
Grundlage hierzu bildet Prise. G. L. 2, 587, 21 f., die Quelle
für die Erweiterung ist Prise. 2, 148, 16. Und zwar ist Priscian
in einer dem Sangall. 904 nahestehenden Ueberlieferung be-
nutzt. Die übergeschriebene Glosse bocha liängt wohl mit
bueea zusammen.
Erchanbert hat aber auch die Ars maior erklärt. Er be-
reitet in der Ars minor darauf vor fol. 37 b fervesco calesco
fervere calere incipio; de his formis in maiore editione cum
ad has perventum fuerit favente Christo latius disseremus.
Und an drei Stellen der Erklärung zur Ars maior bezieht er
^°) Ursprünglich sacro.
3») Nach Isidor Etym. 7, 12, 17. _
32) Wie im Kommentar zur Ars maior im Bern. 522 bei Hagen
XL, 12 f.
33) Hagen p. XL, 13 ft. 34) Uebergeschrieben bocha.
^^) Uebergeschrieben sophroniü.
Erchanberts von Freising Donatkonimentar. 403
sich auf sein frülieros Werk. Nämlich fol. 64 b In minore
editione quoniam de comparatione satis me dixisse existimo
minus hie laborandum est; fol. 71a Figurae nominibus acci-
dunt duae figurate^*') dictiones ut in minore editione demon-
stravi. Und fol. 83 b Quoniam in priore editione me de hac
parte satis dixisse arbitror, plura nunc de hac eadem scribere
non opus esse videtur. In der Handschrift steht daher auch
zwischen den beiden Artes fol. 58 b nur Explicit editio I in-
cipit secunda. Hierauf folgt die Einleitung, deren Wortlaut ist :
Notandum in primis quod has partes maiores raaioribus
et intellectu fortiovibus Donatus conscripsit. Quem ad modum
enim minorem edictionem minus intellegentibus'i'pueris quasi
per interrogationem pueri et responsionem magistri ordinavit,
ita hanc acutioribus doctoribus sine ulla iam interrogatione
vel responsioue composuit, qui quasi roborato iam ingenio non
indigentes interrogatione per se quae volunt legere et intelle-
gere possunt, Hanc etiam decorando suis circumdedit orna-
mentis ab human§ scilicet vit§ qualitate ^^) illam conformans.
Debet autem in hac arte secunda, ut quidam^^) contendunt,
hie ordo teneri ut ante partes in capite vox littera atque
syllaba ponatur, in fine autem illarum pedes toni barbarismus
soloecismus metaplasmus et Schemata collocentur ^^). Infans
etiam cum nascitur primo vocem sine sensu emittit, postea
cum etiam aliquid discernere novit, litteras et syllabas iubetur
cognoscere, deinde partes componere illarumque compositionum
habere peritiam, quibus cognitis naturas syllabarum et accen-
tuura regulas oportet sedulus discat. In quo cum iam ali-
quanto imbuitur, latinitatis amore captus vel loqui aliquid
latine vel dictare gaudet. Sed quia necdum est in arte per-
fectus, incurrit in barbarismura, id est in dictando et loquendo
Vitium facit. Quorum dedecus cum iam cautiore oculo nove-
rit declinare securus abhinc elegantioribus verbis su§ dictatio-
nis sententias ornat *°). Sed ego predicfco ordiue ad presens
neglecto de partibus quam brevissime possum narrare incipiam.
Ex his due sunt principales partes orationis. Principales par-
^*) Ursprünglich figurae. ^^) qualitate Handschrift.
3*) quidem Handschrift. ^^) collocetur Handschrift.
*"} ornat' Handschrift.
26*
404 ^- M anitius ,
tes merito dicende sunt nomen et veibum*^), quia in liis tota
nostra locutio consistit. Hinc qnidam haut futilis huius artis
auctor harum duarum partium sentiens principalitatem sie
ait*^): Omne enim quod mente concupimus nomine et verbo
explicamus. Nam Donatus VIII partes difinivit sed cetere VI
ad liaec duo revertuntur • i • ad nomen et verbum. Nam *^)
pronomen a nomine nasci videtur cuius semper officio fungi-
.tur. Adverbium enim verbo semper adheret et maxima parte
de nomine oritur. Participium a nomine et verbo nascitur
quoniam de utroque participat. Coniunctio autem et prepo-
sitio et interiectio in contextum **) istarum cadunt.
Die Erklärung zur Ars maior hält sich in etwas engeren
Grenzen als die frühere, außerdem bricht das Werk fol. 105 b
in dem Abschnitt De pedibus ab und die letzten Kapitel über
Toni, Barbarismus, Soloecismus, Metaplasmus und Schemata,
die in der Vorrede angekündigt werden, sind nicht erhalten ^°).
Auch für diese Erklärung sind Priscian *'^), Pompeius ^'^) und
Isidor *^) Hauptquellen, denen Erchanbert das meiste verdankt,
ohne daß er sie aber gebührend anführt.
Hierzu kommt zunächst Macrobius, aus dessen Saturn. 1,
15, 10. 12 er folgendes excerpiert: fol. 69 b Kaiende a greca
origine nomen traxerunt, quia kalo verbum grecum est • i • voco.
Priscis enim temporibus minor pontifex kalata • i • vocata in
capitolium plebe, quot numero dies a Kalendis ad Nonas
superessent, repetito verbo kalo pronuntiabat. Nam oportebat
Nonarum die populäres, qui in agris essent, in urbem con-
fluere scituros quid esset eo mense faciendum.
Sodann Servius' Kommentar zu Vergil. Erchanbert sagt
") Aus Consentius G. L. 5, 338, 6 f.
^2) Consentius G. L. 5, 338, 7.
*3) Natu — cadunt aus Isidor Etym. 1, 6, 2.
**) complexum Isidor.
*^) Auch der Anfang der Hs. ist nicht erhalten, da am Unterrande
von fol. 16^ die Quaternion VII steht; so fehlt Quaternio 1—5, deren
Inhalt sich aus dem ältesten Regensburger Kataloge nicht ergibt.
*") Angeführt z. B. fol. IT': 83b. 85b. 96 ^, benutzt außerdem z. B. fol.
60b (syncategoremata). 68 b (das Citat aus ]\Iartial 1, 65).
*') Angeführt fol. 61 * 88 b, benutzt außerdem z. B. 62 * (Dimi-
nutiva).
*8) Benutzt in der Einleitung (s. oben), fol. 102 a (Etym. 1, 15, 5)
und fol. 103 a— 105 b.
Erclianberts von Freising Donatkommentar. 405
fol. 82 a Iiide Virgilius in biicolicon *^ : *Dic mihi, Danieta,
cuium pecus ? an Moelibei? Hunc versum Servius haud vilis
aiictor bis verbis exponit. Cuium antiqui, ait, vitans omoeo-
teleuton ne diceret cuius pecus; quod modo trium est gene-
rum antiqui dicebant sie meus niea meum, cuius cuia cuium.
Ferner Pbocas, der scbon Aldbelm und Älcbvine bekannt
war und sich im 9. Jahrhundert in Lorsch und in Murbach
befand. Erchanbert nennt ihn fol. 86 b Vescor secundum
Focam ^°) grammaticum pastus sum facit, fero pro feris ferit^^)
fers fert facit. Die Stelle steht bei Keil G. L. 5, 438, 16 f.
Das Werk von Beda de metrica ratione wird in karo-
lingischer Zeit stark benutzt. Erchanbert polemisiert unter
Anerkennung von Bedas Verdiensten gegen eine Stelle fol. 96 a
Extra quam formam u littera i. n. u. o. h. (Donat bei Keil
G. L. 4, 367, 15) hanc rationem quamquam Beda, magnum
sanctae ecclesiae membrum, infirmare temptaret, a Prisciano
tamen aliisque quam plurimis vera esse firmatur, s. Keil G.
L. 7, 221, 28 f. Also eine ähnliche Polemik gegen einen
von Priscians Lehre abweichenden Grammatiker, wie fol. 88 b,
wo sich Erchanbert gegen Pompeius wendet: Negant non-
nuUi et maxime ille falsiloquus Pompeius indulgens non esse
participium nee ab eo nasci adverbium posse, sed illos Pris-
ciani semper invicta re vincit auctoritas; vgl. fol. 77 a lüde
Priscianus huius artis eminens auctor dicit.
Ueber die Einführung von y und z ins römische Alphabet
bemerkt Erchanbert fol. 100b: Hanc questionem ita solvunt
scolastici Romanorum. Deridebantur a Grecis quasi non pos-
sent ob difficultatem ^^) propriae [lingnae] sonare suas litteras.
Idcirco Romani ad expellendas a se huiusmodi inrisiones
duas litteras y videlicet et z ceteris Grecorum litteris dificil-
lius sonantes sibimet adduxerunt in grecis tantummodo nomi-
nibus illas scribentes^^). Hier begibt sich der Autor auf ein
gefährliches Gebiet, wie zumeist, wenn er auf Griechisch zu
sprechen kommt. Hierzu ist besonders die Etymologie von
") Ecl. 3, 1. 50) focum Handschrift.
5») fert Handschrift.
52) Obtificultate Handschrift. Entweder ist proprie zu schreiben
oder linguae zu ergänzen.
°') scripentes Handschrift.
406 ^^' M a n i t i u s ,
syllaba zu vergleichen, wo zu Isidor Etym. 1, 15, 1 noch ein
Zusatz kommt, der zur Erklärung Isidors eine andere hinzu-
fügt, die auf den schon im früheren Werke genannten Lehrer
Erchanberts zurückgeht, von diesem selbst aber mit gerechtem
Mißtrauen betrachtet wird. Es heißt fol. 100 b Syllaba grece
latin§ conceptio sive complexio dicitur. Syllabae nomen com-
postum ex tribus, si non me tradicio magistri fefellit, id est ex
si et lempsis et pannitou. Si ponitur sepe pro con sicut di-
cimus sinagoga congregatio, syneresis conglutinacio ; lempsis
preensio, baniton ^*) litterarum interpretatio. Dicta autem
syllaba apo toy syllabanita grammaton, id est concepcione
literarum. Syllabanin grece concipere dicitur latin?, unde vere
est illa syllaba, qu§ ex pluribus nascitur litteris.
Endlich ist noch einiges über den Schlußabschnitt De
pedibus zu bemerken. Die einzelnen Versfüße werden hier
mit besonderer Rücksicht auf die Bedeutung ihrer griechischen
Namen behandelt und der ganze Abschnitt dem Isidor entlehnt.
Freilich finden sich Zusätze, die teilweise mit dem stimmen,
was bei Julian von Toledo im Abschnitt De pedibus über
Isidor hinausgeht, den oder dessen Quelle Julian ja auch hier
benutzt hat. Die Benutzung Julians ist natürlich möglich^-''),
da er sich im 9. Jahrhundert in Fulda und Lorsch (und in
St. Riquier) befand. Erchanbert müßte dann zu Isidor jene
Zusätze aus Julian genommen und andere damit verbunden
haben, die entweder auf seinen Lehrer zurückgehen, oder von
ihm selbst erdacht wurden. Daß das letztere stattgefunden
hat, ergibt sich ohne weiteres aus der Bemerkung fol. 61b
Et Carolus Saxonicus, quia Saxoniam^'') viriliter regno Fran-
corum subegit; dieser Beiname ist nämlich sonst nirgends be-
zeugt und nur der römischen Sitte nachgebildet. Dies ganze
Verhältnis ist aber wenig wahrscheinlich, da Erchanberts Text
mehrfach mit Julian übereinstimmt, während er sonst zu Isi-
dor neigt. Allerdings ist den Isidorausgaben nicht zu trauen,
°*) Sollte hier ein Zusammenhang mit dem von den Iren gebrauch-
ten Wort bannita = Silbe stattfinden?
55) Vgl. hierzu auch fol. 66^ Tarn bonus, ut aiunt quidam, melior
accipitnr, tam malus pro peior mit Julian bei Hagen, Anecd. Helv.
p. CCXXI, 18.
5^) saxonicam Handschrift.
Erchanberts von Freising Donatkommentar. 407
und da infolge dieser Umstände die Quellenfrage nicht ohne
weiteres gelöst werden kann, so setze ich den Abschnitt
Erchanberts hierher und zwar so, daß alle Konvergenzen mit
Julian am Eande namhaft gemacht werden, und alle auf Julian
oder auf Erchanbert oder dessen Lehrer zurückgehenden Zu-
sätze cursiv gedruckt sind.
Fol. 103 a Pirrichius ■") dictus est quia hie assidue vel
in certamine vel in ludo puerili sepius frequentabantur.
Pirrichius quasi ignitus dicitur, nam pyr grece ignis dicitur ^^).
Sicut enim ftanima ignis nunc elevatur nunc äepromitur, sie in
pyrrichio fit elevatio et positio ut fuga^ honus. Vel ab Pyrro
Achillis filio qui ioco saltandi aptum genus carmini per hunc
pedem canendum primus invenit^'').
Spondeus ^°) tractus vel sacrificalis dicitur, spondeon enim
grece protraliere vel sacrificare sonat. Nam sponde tractus
quidam dicitur, id est sonis, qui fundebatur circa aures sacri-
ficantium. Unde et hi qui tybiis canebant in sacris gentilium
spondiales nominabantur. Spondeus in comparatione pyrrichii
longus tractus est.
Jambus ^^) detractor vel detrahens, iambozin grece detra-
here dicitur. Per hoc genus mctri pravq inventiones vel detrac-
tiones vel convicia maxime canehantur.
Trocheus ^^) rota vel rotahilis, trochos enim grece rota
dicitur. Qui inde hoc nomen accepit quia celerem conversio-
nem facit cantilen^ et quasi rota velociter currit in metris.
Tribrachus "^^j quia sit ex tribus brevibus nomen accepit,
brachos enim grece hrevis dicitur.
Molosus ^'^) dictus a saltatione Molosorum quam exercue-
runt armati. Mola nomen est insule in qua pes iste primum
inventus est et ex ea sihi vocahuluni traxit. Insula ^^) dicitur
quasi inter soJum vel quia est in salo id est in mari.
") Isid. Etym. 1, 17, 2.
^^) Hierzu vgl. Isidor ed. Migne 82, 89 Anm. h und ed. J. du
Breul p. 7.
59) Juliani ars bei Keil Q. L. 5, 322, 14 f.
60) Isidor ], 17, 2.
") Isidor 1, 17, 4. Die Reihenfolge ist hier wie bei Julian, der
ebenfalls den Jambus vor den Trochäus setzt.
«2) Isidor 1, 17, 3. ^^) Isidor 1, 17, 5,
«*) Isidor 1, 17, 6. ß») Isidor 14, 6, 1.
408 ^^- M a n i t i u s ,
Anapestus repercussor vel repercussio, quasi longa syllaba
duas breves repercutiat^^).
Dactilus^') a digito dictus quia a longiore nodo inclioaiis
desinit in duas '''^) breves. Sic et ipse pes*^'') dactilus iunctu-
ram unam habet longara et duas breves, unde et manus obpansa
palma dicitur et pendentes digiti dactili.
Ampbibrachus '^^) ciramibrevis, quod in utraque parte
habeat brevem syllabam longa in medio interiacente ; bracliis
enim grece brevis dicitur.
Amphimacrus ''^) circumlongns, quod due liinc inde long^,
habeat in medio brevem inclusam. Macros autem longus
dicitur.
Bachius ''-) hachans vel insaniens a Bacho äeo vini qui et
Liter pater, eo quod eo pede Bachia '^) • i • Liberi sacra cele-
brabantur.
Antibachius '*) quod sit bachio contrarius.
Procelenmaticus '^) quod sit ad celeumam caneutibus ap-
tus et potest interpretari prqnavalis. Ä trihus partihus istud
nomen compositimi est, a prqposifioue, a celeos ' i ' nave, ah uma
• i ' cantico vel carmine nautis convenienti.
Dispondeus ^^) et ditrocheus et diiambus dicuntur quod
geminis constant.
Antispastus '"^) quod sit ex contrariis sillabis, ex brevi et
longa et brevi.
Choriambus ^^) qtiasi chorialis quia ex hoc pede compo-
situm Carmen choris aptissimum est.
Jonici '^) sane propter numerorum inequalem sonum dicti,
habent enim binas longas syllabas binasque correptas, vel ut
alii ah auctore vocantiir. Minor dicitur quia ah eo quod minus
««) Vgl. Isidor^l, 17, 7 und col. 91 Anm. a.
•') Isidor 1. 17, 8.
***) So Julian p. ;-i2o, 15 ; Isidor hat duos.
"'•') So Julian p. 323, 15; Isidor hat iste. Somit steht der Ab-
schnitt Julian näher.
'0) Isidor 1, 17, 9. ") Isidor 1, 17, 10.
'-) Isidor 1, 17, 11.
'^) So Julian p. 323, 33; Isidor hat Bachica.
'*) Isidor 1, 17, 12.
'^) Isidor 1, 17, 13. Von hier an fehlt das Stück bei Julian p. 323.
Zur Komposition des Wortes vgl. oben syllaba.
'«) Isidor 1, 17, 14. ") Isidor 1, 17, 15.
") Isidor 1, 17, 16. ") Isidor 1, 17, 17.
Erchanberts von Freising Donatkonimentar. 409
est incipit id est a hrevihus siUabis, et maior quouiam longq
preponuntur in ipso.
Peones ^^) ab inventore dicti.
Epitriti^^) vocati quod semper tres longas syllabas habe-
ant et uiiam brevem. JEpitriti supertrini vel supertertii eo quod
supier fertiam longam in aliqiio loco hrevis inveniattir^^).
Man sieht aus diesem letzten Abschnitt einen Umstand,
der ziemlich große Teile des ganzen Werkes betrifft, nämlich,
daß man es beim Kommentar zur Ars maior oft nicht mehr
mit einer Erklärung zu Donat, sondern mit einer gramma-
tischen Schrift zu tun hat, die fast ein Lehrgebäude der Ars
darstellt. Die Behandlung selbst ist sehr verschieden, doch
läßt sich deutlich das Streben nach Etymologie und Wort-
bedeutung erkennen, das den Erchanbert auch mehrmals dazu
führte, lateinische Worte ins Fränkische®^) zu übertragen,
vgl, fol. 64 b, 69 a, 85 b, s. Steinmeyer u. Sievers, Althoch-
deutsche Glossen 2, 100^^). Hierzu kommt die dem Zeitalter
eigentümliche Vorliebe für Griechisch, aber Erchanbert hat
es in dieser Sprache nicht weit gebracht, da er weder die
Formen richtig gibt, noch auch von richtiger Ableitung etwas
versteht. Hier wäre als Ausnahmefall zu erwähnen fol. 69 a
Nam grece fit verbum TOPEOrO et significat celo^^),
TOPEOfTEC celator, TOPEOrCIC celatum, TOPErMÄTdici-
tur celatura, Avelche Worte ihm wohl aus einem Lexikon zu-
geflossen sind. Gegen die ausführliche und gründliche Arbeit
eines Smaragd steht allerdings Erchanberts Werk sehr zurück,
aber mit den dürftigen Arbeiten von Paulus, Alchvine und
Hraban verglichen macht es sowohl an sich wie auch durch
die ziemlich ausgebreitete Literaturkenntnis seines Verfassers
einen nicht unbedeutenden Eindruck. Auffällig ist bei Erchan-
bert endlich der Mangel an Dichtercitaten, die nur ganz aus-
nahmsweise zugelassen werden und wohl sämmtlich den be-
nutzten Quellen entstammen. Irgend welchen Zusammenhang
mit einem zeitgenössischen Werke scheint der Donatkommentar
nicht zu haben, dagegen ist er für den Unterricht benutzt
worden, wie die deutschen Glossen in Monac. 19440 und
6414 und die lateinischen in Monac. 14846 erweisen.
Radebeul. M. Manitius.
80) Isidor 1, 17, 18. 81) Tsidor 1, 17, 19.
82) Mit diesem Wort schließt fol. 105 b das Werk mitten im Ab-
schnitt.
83) Wie das schon vor ihm Smaragd in seiner Grammatik getan hat.
8*) In unserer Handschrift fehlt fol. 85 b sorbillo "i" parum eorbeo
thiutisee sufu.
8*) Also richtiger als im Comm. Einsidl. bei Hagen, Anecd. Helv.
239, 22.
XVI.
Der erste punische Krieg.
In einem früheren Bande dieser Zeitschrift (N. F. XIV
S. 102 — 148) habe ich die Herkunft unserer Ueberlieferung
über den ersten panischen Krieg besprochen und die Zeit der
wichtigsten Ereignisse in ihm festzustellen versucht. Seitdem
sind, zum Teil in dieser Zeitschrift, verschiedene Aufsätze er-
schienen, deren Verfasser zu meinen Ergebnissen Stellung ge-
nommen und meine Aufstellungen bekämpft haben : Prospero
Varese, II calendario romano all' etä della prima guerra punica.
Roma 1902 (Studi di storia antica. Fase. III), dessen Chrono-
logie Beloch (Griech. Gesch. III 2 S. 213) und Schermann
(der erste punische Krieg im Lichte der Livianischen Tradition.
Tübingen 1905) angenommen haben; Ake Eliaeson, Ge-
schichte Sardiniens und Corsikas im 1. punischen Kriege. In.-
Diss. Upsala 1905; J. Lüterbacher, „Chronologische Fragen
zu Livius" (Philologus N. F. XVIII S. 137—41) und „Bei-
träge zu einer kritischen Geschichte des 1. punischen Kriegs"
(Philol. N.F. XX S. 398-426); 0. Leuze, Die Schlacht bei Pa-
normos (Phil. N. F. XX S. 135—152). Da ich die Einwände
gegen meine chronologischen Ansätze mehrfach nicht als be-
rechtigt anerkennen kann, so komme ich hiermit noch einmal
auf einige der strittigen Fragen zurück, doch kann ich von einer
Bekämpfung der von Varese aufgestellten Theorie absehen,
nachdem Lüterbacher ihre Unhaltbarkeit und die Unmöglich-
keit der sich aus ihr ergebenden Ansätze im einzelnen nach-
gewiesen hat.
Die Schuld an dem Kriege schiebt Philinos (Polyb. III
26, 3) den Römern zu, sie verstießen, als sie nach Messana
Friedrich Reuss, Der erste puniscbe Krieg. 411
übersetzten, gegen einen frühereu Vertrag, der den Römern
gebot, von Sizilien, den Karthagern, von Italien sich fernzu-
halten. Polyb. bestreitet das Vorhandensein eines solchen Ver-
trags, Avährend die römische Ueberlieferung ihn zwar aner-
kennt (Servins zu Verg. Aen. IV 628), aber durch die Kar-
thager damit brechen läßt, daß sie nach dem Tode des Pyrrhos
den Tarentinern eine Flotte zu Hilfe geschickt hätten (Liv.
per. 14; XXI 10, 5 u. 8). Daß man hier es mit einer nach-
träglichen Erfindung der Römer zu tun hat, bedarf kaum der
Erwähnung. Dio Cassius verteilt die Schuld auf beide Seiten :
„Die Römer werfen den Karthagern ihr Eingreifen in Tarent,
die Karthager den Römern ihr Bündnis mit Hiero vor", sieht
den wahren Grund aber in dem gegenseitigen Mißtrauen und
dem Verlangen nach dem Besitze des anderen (Dio Cass. 43 ;
Zonar. VIII 8). Eine Weiterbildung der römischen Tradition
nimmt Meltzer bei Orosius an : IV 3, 1 u. 2 Tarentini Pyrrhi
morte comperta .... Carthaginiensium auxilia per legatos
poscunt atque accipiunt. conserto proelio vicere Romani, in-
dessen Orosius stimmt hier wörtlich mit Zonaras VIII 6 über-
ein, der zunächst berichtet : KapXT^jOovcoug STcexaXeaavto, knel
xac xov IIuppov TS'ö'vavat £}i,a^ov, dann aber fortfährt : ol Kccp-
XT^Sovtoc 6ic. evaTCOvSot, xoiq Pwfxacots ÄusTrXeuaav. Die Nach-
richt von einem Kampfe zwischen Römern und Karthagern
vor Tarent muß einem Mißverständnisse des Orosius selbst
ihre Entstehung verdanken. Wie er zu solchen Mißverständ-
nissen kommt, dafür ist die Vergleichung von III 17, 1 mit
der hier benutzten Vorlage, Justin XI 14, 1 ff., lehrreich : Aus
der Angabe suadentibus ut pons Cydni fluminis interscinderetur,
legt Orosius sich zurecht: Darius .... Alexandro ab Aegypto
revertenti apud Tarsitm hello opponit. Hier wie an der oben
angeführten Stelle darf man seiner Mitteilung keine weitere
Beachtung schenken; anders steht es freilich mit seinen Wor-
ten in IV 5, 2 eo tempore Carthaginienses dato adversum Ro-
manos auxilio Tarentinis , cum a senatu per legatos argue-
rentur, turpissimam rupti foederis labern praesumpto accumu-
lavere peiurio, die uns mit einem neuen Zuge der von der
römischen Annalistik vertretenen Darstellung bekannt machen.
Während ich die Schlacht am Longanos dem Jahre 265
412 Friedrich Reuss,
zuweisen zu müssen glaubte, setzt Luterbacher sie ins Jahr
269 V. Chr. Diodor nennt zwar Hieron in seinem Schlacht-
berichte nicht weniger als 6 mal '^y.aiXeüz, aber „wenn Diodor
den Hiero schon in dem Berichte über die Schlacht ßaacXsu^
nennt, so ist er eben ungenau". Den Eindruck der Üngenauig-
keit macht indessen Diodors Bericht keineswegs (xov TiXrjaoov
Xocpov TÖv xaXoupLsvov ©wpaxa), auch berührt er sich aufs ge-
naueste mit den Angaben Polybs (z. B. XXII 13, 2 Tiapa tov
Aoixavov 7i;o-ca|ji6v — I 9, 7 ntpl xov Aoyyavov Tcoxafxov, 13, 5
6 axpaxrjyög st^wypTjO-rj — I 9, 8 xöv T^yepiovwv lyxpaxT]? yevo-
(j.£Vos ^a)yp''a) und geht auf eine gute griechische Vorlage
(Philinos) zurück. Dazu ist mit Luterbachers Erklärung
nichts gewonnen, es bleiben vielmehr die Schwierigkeiten, die
Mommsen bestimmt hatten, die Schlacht in spätere Zeit herab-
zurücken. Nach der Schlacht baten die Mamertiner die Rö-
mer und Karthager um Hilfe, der karthagische Feldherr eilte
aus Lipara herbei und besetzte die axpa von Messana. Damit
sind wir in die Anfänge des ersten punischen Krieges hinein-
geführt, und die Annahme eines Intervalls von 5 Jahren
zwischen Schlacht am Longanos und Beginn des Kriegs zwi-
schen Römern und Karthagern läßt sich durch nichts recht-
fertigen. Das hat Luterbacher erkannt und läßt daher die
Karthager der axpa wieder verlustig gehen: „Diese wurde
aber bald wieder entfernt, wie Diodor in einer Lücke erzählte
(TiaXtv dTcexaxeaxa^r^aav dg dacpaXetav xov £iprj|jL£vov xpoTiOv).
Nachdem also beiden die Unterwerfung Messanas mißlungen
Avar (aTiOTiETixwxoxss xf^c, Msaarjvrjj), verabredeten sich Hiero
und die Karthager zu gemeinsamer Bekämpfung der Mamer-
tiner". Die gleiche Lücke der Erzählung müßte sich auch
bei Polyb finden, denn auch er bringt nichts über eine Ent-
fernung der Karthager aus Messana in früherer Zeit, sondern
meldet nur ihre durch das Eingreifen der Römer herbeige-
fülirte Vertreibung aus der Stadt (I 11, 4). Luterbachers
Deutung der Worte Diodors ist nicht zu halten, die Mittei-
lung TidXiv (XTcexaxsaxa-ö'rjaav zlc, dacpaXsiav xov £iprj|ji£Vov xpo-
Tiov bezieht sich auf die Errettung der Stadt Messana aus
der Hand Hieros durch die Karthager (§ 7 xaxaXaßtov Tobq
Ma|jL£pxovou; [iilAovzai T^apaaodva: xy,v toXiv dv£7i£ca£ x. x. X,).
Der erste punische Krieg. 413
Dem entspricht auch die Fortsetzung der Diodorschen Erzäh-
lung in XXII 13, 9 6 5s Ispwv xaTaaTpaxryyrj^eii; 0t;6 xoö Oo''-
vtxo;, xrjv T.oA'.o^yJ.y.v äTüoyvGu; £7iavfjA-9-£v ei^ ^Supaxoaa;, Tiepcßov]-
Tov £ur^[j,£ptav 7i;£pi7i£Tioirj[j.£vo;. Der nächste Satz, der die Worte
d7i:07i£TtX(Dx6T£; xfjs MsaaTjVr^s enthält, schließt das Excerpt ab,
mit ihm greift der Excerptor in eine spätere Zeit über, in der
die Karthager Messana verloren hatten und mit Hiero ein
Bündnis abschlössen. Auf den Abschluß dieses Bündnisses
wird dann in dem anschließenden Excerpt Bezug genommen :
XXIII 1,2 ETTOtTjaavxo yap au[ji.[xaX''av („sie hatten nämlich
ein Bündnis abgeschlossen"). Auch Luterbacher ist es nicht
gelungen, die Schwierigkeit zu beseitigen, die darin liegt, daß
die Karthager etwa 5 Jahre lang im ungestörten Besitze
Messanas sich befanden, ich komme daher auf den von mir
vorgeschlagenen Ausweg zurück: Hiero hatte bereits vor der
Schlacht am Longanos in Syrakus den Titel König (Polyb
I 9, 6 äacfaXw? fjSrj xa xocxoc xtjV ä^'/rp otE^fjyev d. i. 269 vor
Chr.), nach der Schlacht (Diod. XXII 13, 9 Tisptßor^xov tm^-
{X£p:av 7:£p'.7i;£T:Gir|[j,£Vo?) gewann er zahlreiche Bundesgenossen
und wurde auch von ihnen als König anerkannt (Polyb I 9, 8
ßaaiÄEus uTio Tiavxwv TipoarjyopEu^Yj xwv au[Ji{xaxwv vgl. Zonar.
VIII 6 ^C7v£)ias Ä7;aar;? r^p^£ [xr/.poO).
Die Mamertiner mögen um 270 mit den Römern in Be-
ziehungen getreten sein (Zon. VIII 6), aber diese Beziehungen
waren vor der Hand nicht freundschaftlicher Natur, wie des
Zonaras Ausdruck b^oXo^(i'x Scsxpouaavxo (hinhalten, täuschen)
ergibt. Bei dem Bündnis der Römer mit Hiero (Zon. VIII 6
£(i)S 6 'Ilptov — auv£lX£v) und dem Verhältnis der Mamertiner
zu der Legion in Rhegion ist eine andere Voraussetzung so
gut wie ausgeschlossen. Erst als sie sich au die Römer mit
der Bitte um Hilfe gegen Hiero wandten, schlössen diese mit
ihnen ein foedus ab (Polyb III 26, 6), weshalb ihre Stadt bei
Florus II 2 als civitas foederata bezeichnet wird und sie socii
genannt werden. Damit löste sich die Freundschaft Hieros
mit dem römischen Volke. Dieses brachte aber den Mamer-
tinern nicht sofortige Hilfe, und so gelang es den Karthagern,
Hiero zu hintergehen und sich in den Besitz der Burg Mes-
sana zu setzen. Darnach erst wurde der Tribun Gaius Clau-
414 Friedrich R e u s s ,
dius abgesandt, und die karthagische Besatzung mußte wieder
aus der Stadt abziehen (Polyb a. a. 0. xa: (j,£xa taüia os.o-
[ihoic, eßoTj^Tjaav). Dies trieb Hiero auf die Seite der Kar-
thager, mit denen verbündet er sich zur Belagerung Messanas
entschloß. Zum Entsatz der Stadt wurde vom Senate der
Konsul Appius Claudius geschickt: periocha 16 contra quos
et Hieronem regem Syracusanorum auxilium Mamertinis feren-
dum senatus censuit, cum de ea re inter suadentes, ut id
fieret, dissuadentesque contentio fuisset (Florus a. a. 0. quam-
quam territaret novitas rei), Aurel. Victor 37 consul ad Ma-
mertinos liberandos missus est, quorum arcem Carthaginienses
et Hiero rex Syracusanorum obsidebant, Oros. IV 7, 1. Die
Dauer des Kriegs wird nach Liv. 31, 1, 3 und 30, 44, 1 u. 2
auf 23 Jahre angegeben (so Eutrop und Orosius). Diese
Berechnung will Luterbacher damit erklären, daß Livius den
Krieg nicht mit dem Uebergange des Konsuls nach Messana,
sondern mit der erst im Jahre 263 erfolgten förmlichen Kriegs-
erklärung begonnen habe. Abgesehen davon, daß von einer
solchen die Quellen nichts berichten, ist diese Annahme auch
an sich höchst unwahrscheinlich. Schon nach der Aufnahme
des Tribunen C. Claudius in Messana war den Römern das
Ultimatum gestellt worden, daß ihnen der Krieg erklärt würde,
wenn sie nicht bis zu einem bestimmten Tage aus Sizilien
abzögen (Zonar. VIII 9 ; Diod. XXIII 1,2 sav {XTj xyjv zcc/iovt]v
Ix T-^S SixsXcas a7:aXXaxTWVTao) ; trotz der vom Konsul noch
einmal aufgenommenen Verhandlungen (Diod. XXIII 1, 3, Po-
lyb. I 11, 10) hat man gewiß mit der Ausführung dieses Vor-
habens nicht noch ^2 — ^/^ Jahr gezögert, die förmliche Kriegs-
erklärung erfolgte vielmehr, als die Römer die Forderung der
Karthager und ihres Verbündeten Hiero abwiesen, worauf
diese die bei ihnen in Sold stehenden Italiker töteten und
Messana angriffen : Zonar. VIII 9 w; o' oux £7i£i>ovTO ol Pw-
{xa:o:, T0U5 xz (xia^o^opoövxas uap' auxGC? £^ TtaX:a? dcTOXXEtvav
y.ac x-(i Msaayjv^ 7ipoa£ßaXov. Wie 9, 19, 12 und 21, 10, 7
denkt auch Livius 31, 1, 3 nur an eine 24jährige Dauer des
Kriegs ; der zweite punische Krieg wurde nicht nach dem
17ten, sondern im 17ten Jahre beendet (30,44,2), und so
führen die 63 zwischen dem Bejjinn des Iten und dem Ab-
Der erste punische Krieg. 415
Schluß des 2ten puuischen Kriegs liegenden Jahre (31, 1, 3)
gleichfalls auf eine 24jährige Dauer des ersteren. Luterbacher
scheint mir hier durch Varese beeinflußt zu sein, der den
Krieg mit 263 v. Chr. beginnen läßt, um aus diesem Anfange
Polybs £Xo; TeaaapeaxacOExaxov (I 43, 3) zu erklären, wenn er
auch diesen Erklärungsversuch mit Recht verwirft.
Die Ereignisse des Jahres 264 übergehend bemerke ich
nur, daß Diodor (XXIII 3) gewiß nicht 'Eyeaxav, sondern
'ExsxXav (Polyb. I, 15,10) geschrieben hat, und daß wohl nur
ein Versehen der Ueberlieferung oder des Excerptors vorliegt.
Egesta schloß sich erst im nächsten Jahre den Römern an,
nicht gezwungen, sondern freiwillig (Zonar. VIII 10 und Diod.
XXIII 5). Die Mitteilung von dem Triumphe des Appius
Claudius bringt Eutrop nicht allein, sondern sie steht auch
bei Sil. Ital. VI 662 iustum ducebat triumphum. Auf das
Jahr 264 bezieht Luterbacher Plin. H. N. XVI 192 contra
Hieronem regem CCXX naves ejffectas diebus XLV tradit Piso,
doch kann nicht erst Plinius effectas irrtümlich vom Bau der
Schiffe verstanden haben, sondern schon Piso hat es so auf-
gefaßt, da ja die Notiz die Schnelligkeit des Flottenbaues
hervorzuheben bestimmt ist. Gegen die sonst angenommene
Beziehung auf den Flottenbau des Jahres 254 v. Chr. scheint
die Zahl der Tage zu sprechen, doch mögen sich die 45 Tage
vielleicht auf drei römische Monate verteilen und so Polybs
£7 Tp:[iYjVw (I 38, 6) rechtfertigen. In der Bestimmung der
Flotte hat Plinius allerdings geirrt, wenn er diese mit contra
Hieronem regem angibt.
Leider sind wir über das Jahr 263 sehr unorenügend unter-
richtet, Polyb berichtet sehr wenig und Diodors von Hause
aus eingehende Darstellung liegt uns nur in Bruchstücken
vor. Die Einnahme Catinas meldet außer Eutrop auch Plin.
VII 110 (anno urbis CCCCLXXXXI). Von einem Triumphe
des Konsuls M. Valerius, der auch den Beinamen Messala er-
hielt, berichten Eutrop und die Konsularfasten, und nach Plin.
XXXV 7 verherrlichte ein Gemälde in der Curie seinen Sieg
über Hiero und die Karthager. Wahrend Ihne und Schermann
diese Ueberlieferung verwerfen, läßt Luterbacher sie gelten,
doch mag vielleicht Plin. zu seiner Bemerkung: sed pace Messa-
416 FriedrichReuss,
larum dixisse liceat, etiam mentiri clarorum imagines (XXXV 2)
Grund gehabt haben.
Schwierig ist die zeitliche Anordnung der Diod. XXIII 9
erzählten Ereignisse. Luterbacher setzt den ersten Angriff auf
Mytistratos und die Wegnahme von Camarina und Henna in
das Jahr 261/60 v. Chr.; ersteres halte ich nicht für wahr-
scheinlich, setze vielmehr den Angriff ins Jahr 260/59, letz-
teres widerstreitet der Anordnung Diodors und Polybs. Der
Wegnahme Camarinas und Hennas geht bei Diodor die Nieder-
metzlung der Römer bei Therma voraus (Diod. XXIII 9, 4),
diese aber fand nach Polyb (I 24, 3 {xsxa xijv vaujjiaxtav) nach
der Seeschlacht von Mylä statt. Uebergangen ist Diod. XXIII
9, 4 vor xpiTov oe TioXiopxfjaavxes das Jahr 259/8, in dem nach
Polyb. I 24, 8 die Römer nichts Erwähnenswertes vollbrachten ;
alles, was von xpixov oe TzoXiopxrfsccvxeQ an bei Diodor folgt,
gehört ins Jahr 258, wie sich ans Polyb. I 24, 9 und Zonar.
VIII 11 ergibt. Polyb. hat I 24, 5 u. 6 die Ereignisse auf
Sardinien zusammengefaßt und ist schon beim Jahre 258 an-
gelangt. Eliaeson findet* den Grund dafür in der Verwechslung
der beiden Scipionen, die in zwei auf einander folgenden Jahren
(260 und 259 v. Chr.) Konsuln waren, doch handelt es sich
nicht um das Jahr 259, sondern 258. Unberechtigten An-
stoß nimmt er an xccq biaoiü^-eioac, vaO^ (Polyb. I 24, 5), da
Hannibal noch im Jahre 260 nach Karthago zurückkehrte.
Den Bericht des Zonaras über die Ereignisse auf Sardinien
und Corsika (VIII 11) mit Eliaeson auf Philinos zurückzu-
führen, verbietet der Vergleich von "/.sivTai 5' Iv ToJ TupaTjVLXw
TreXayet aXXrjXwv öXi'yov duexouaaL, 6? [xc'av ocuzäq uoppw^ev
e!vac Soxelv mit Florus II 2 Sardiniam annexamque ei Corsi-
cam, der auf gemeinsamen Ursprung schließen läßt. In das
Jahr 258/7 gehört ein Angriff des Konsuls A. Atilius Cala-
tinus auf die Insel Lipara (Polyb. I 24, 13 und Zonar. VIII 12),
gegen die sich auch die Konsuln des nächsten Jahres nach
Zonaras wandten.
Nach dem Siege bei Eknomos verlegten die Römer den
Kriegsschauplatz nach Afrika. Weil sie nach Zonar. c. 12 iv.
xffC, Meaar^vr^s ausliefen, so nimmt Meltzer an, sie seien dort-
hin zurückgegangen, um ihre Verluste wieder auszugleichen,
Der erste punische Krieg. 417
indessen wenn sie auoli nach Poljb. sich mit Lebensmitteln
frisch versehen und die genommenen feindlichen Schiffe wieder
hergestellt haben, so sind sie doch schwerlich nach Messana
zurückgegangen, sondern haben ihren Sieg für die Landung
in Afrika ausgenutzt. Die Unzuverlässigkeit und Erfindungs-
armut der römischen Geschichtschreibung gibt sich in der von
Zonaras und Valer. Maxim. VI 6, 2 mitgeteilten Erzählung
über die Gesandtschaft Hannos an die Römer kund, genau
derselbe Vorgang wird Diod. XXVII 12 aus dem zweiten pu-
nischen Kriege mitgeteilt : Ttävxwv ßowvxwv ajxuvaa^ac xou;
aaeßsis 6 2]%ot:(i)v oux e^rj oziy TipatTscv a zolq Kapj^r^oovtoci;
eyxaXoOaiv Zon. VIII 12 ßowvxwv tcvwv auXXaßeiv auiov . . .
„dv xoOxo TiocTjorixs" , sitüev, „oOoev ex: xpeixxoxjc, xwv Atßuwv
saeo'ö'e".
Die Niederlage von Tunes erlitten die Römer auch nach
Luterbachers Ausatz im Sommer 255, ließen aber die Flotte
unter M. Aemilius Paulus und Ser. Fulvius Paetinus nicht im
Frühjahr 254, sondern im Herbst 255 auslaufen. Er hält es
für unwahrscheinlich, daß die geringen Truppen in Clupea
sich fast ein Jahr lang gegen die karthagische Uebermacht
gehalten haben ohne ausgehungert zu werden, übersieht aber
dabei Polyb. I 36, 7 oca xe xr^v yevvacoxTjxa xac xy]v x6Xjj,av xwv
dvSpwv ouSa[xwg eXeiv 5uvd{jievo: xiXoc, dueaxrjaav x'^s TzoXiop-
xtas. Freilich sollen nach ebendemselben die Römer auf die
Nachricht von der Niederlage sofort daran gegangen sein, eine
Flotte auszurüsten und den in Clupea stehenden Rest des
römischen Heeres abzuholen, aber die Ausführung ihres Vor-
habens muß doch länger gedauert haben, als Luterbacher ver-
mutet. Zunächst mußte die Nachricht nach Rom gebracht
und die Flotte in seetüchtigen Stand gesetzt werden. Von
dieser Absicht erhielten die Karthager Meldung, als sie be-
reits von der Belagerung Clupeas Abstand genommen hatten,
und wurden dadurch bestimmt, ebenfalls neue Schiffe zu bauen
und Rüstungen zur See zu treffen. Beim hermäischen Vor-
gebirge kam es zum Zusammenstoß der Flotten. Wenn es
nun Polyb. I 36, 10 heißt, die römische Flotte sei xfjc, -ö-epeia;
dpxo[A£vrj; ausgelaufen, so wird man gewiß den Ausdruck wört-
lich und nicht von einem neuen Amtsjahr, sondern von einem
Pbilologus LXTIII (X. F. XXII), 3. 27
418 Friedrich Reuss,
neuen Kriegsjahr zu verstehen haben, eine Auffassung, die
auch für I 39, 1 durch Diodor XXIII 19, 1 gefordert wird.
Dies wird man um so mehr gelten lassen müssen, als man
sonst mit Luterbacher zu einer unhaltbaren Auffassung von
Polyb. I 37, 4 ixexa^ij yap enoioüvxo töv TiXoüv xfjs ^^pit^yoc, y.oi.1
xuvo; iniTolfi;, gezwungen ist. Polyb. soll bei diesen Worten
nicht, „wie er später zu tun pflegt", an den kosmischen Auf-
gang der Gestirne denken, sondern an den Aufgang bei Sonnen-
untergang, und der Seesturm soll in den Dezember 255 v. Chr.
fallen. Hätte der Geschichtschreiber diese Jahreszeit im Auge,
dann würde er die ouaic,, nicht die imxolri 'ßp^wvos erwähnen,
wie dies z. B. Diod. XIX 56, 5 geschieht (vgl. dazu meine
Auslassungen gegen Unger in Philol. XXXIX S. 106). Geben
die alten Schriftsteller zur Bezeichnung der Jahreszeiten den
Auf- und Untergang von Gestirnen an, so können sie dabei
doch nicht willkürlich verfahren, sondern müssen sich einem
ganz feststehenden Gebrauche anschließen, wenn ihre Angaben
nicht zweideutig und somit unzuverlässig sein sollen. Ihre
Kalenderangaben sind auf den Frühaufgang und Frühunter-
gang der Gestirne gestellt, und diesem Gebrauche entspricht
auch Polyb. II 16, 9 und IX 43, 4 xocxa dxfxrjV toO %-epouq and
xata xr]v xuvos eTitxoXrjv, III 54 xyjv xf^c, IlXecaoog Suatv und
x-^i; ob X^<^''"^Si IV 37, 2 xr^v xf^s nXeiaoog eticxoXy^v — xfi<; O-e-
pdocq ev:axa[X£vyj<;, V 1, 1; IX 18, 2. Daß der Schriftsteller
mit dieser für die Schiffahrt gefährlichen Zeit den Winter,
nicht den Sommer bezeichne, ist eine durch nichts gerecht-
fertigte Annahme, vgl. Soltau, Rom. Chronologie S. 74. Ent-
weder dürfte Luterbacher die Niederlage des Regulus nicht
in den August 255 rücken oder er müßte auch die Konse-
quenz daraus ziehen und den Aufgang des Orion und den um
diese Zeit eingetretenen Seesturm dem Jahre 254 zuweisen.
Weil die Karthager Hasdrubal nach Sizilien sandten, sollen
nach Luterbachers Ansicht die Konsuln des Jahres 255/4 dort
mit verlängertem imperium geblieben sein, dem steht Zon,
VIII 14 ol'xoL xcclq vaual xalc, TieptawO-scaats aTOTiXsuaav ent-
gegen. Ich kann mich daher auch nicht mit der Verteilung
der Aufgaben für das Jahr 254 einverstanden erklären: „Da
also die Konsuln den ganzen Sommer bei der Flotte bleiben.
Der erste puniscbe Krieg. 419
leiteten die Prokonsuln den Krieg zu Lande. " Von letzterem
ist in keinem Berichte die Rede, die Eroberung von Fanormos,
der wichtigste Erfolg im Landkriege, war das Werk der Kon-
suln (Polyb. I 38, 6 — 10). Die Konsuln des Jahres 255/4
feierten am 2. bezw. am 3. Januar 253 einen Triumph; diesen
späten Termin hielt ich für erklärlich bei der Annahme, daß
sie erst 254 ausgelaufen sind und nach dem Siege am her-
mäischen Vorgebirge die Römer in Clupea gerettet haben.
Ich finde sie auch jetzt noch wahrscheinlicher, als die Vor-
aussetzung Luterbachers : „Durch die glücklichen Erfolge des
Jahres 254 milder gestimmt, bewilligte der Senat jetzt den
Triumph."
Unmöglich ist es, die Katastrophe des Jahres 253/2 in
der Enge zwischen Afrika und Sizilien eintreten zu lassen.
Auf diese bezieht Luterbacher Polyb. I 39, 6 5ta uopou, weil
sie I 37, 1 oiapavxes tov uopov unter Tiopo^ zu verstehen ist.
Die Flotte war auf der Rückkehr von Panormos nach Rom
begriffen, als sie in einen heftigen Sturm geriet (Polyb. I 39, 6),
das spricht für die Nachricht des Orosius, daß die Flotte beim
Vorgebirge Palinurus auf Felsen getrieben und gescheitert sei.
Der Frage, welchem Jahre die Schlacht bei Panormos
angehört, ob 251 oder 250, hat 0. Leuze eine eigene Ab-
handlung gewidmet, in der er durch richtige Interpretation
der Worte Polybs eine Vermittlung zwischen den beiden An-
sätzen zu gewinnen sucht. Eine sichere Entscheidung läßt
sich schwer treffen, da manches für beide Ansätze und man-
ches gegen sie spricht; ich habe mich in meinem frühereu
Aufsatze für das Jahr 251 entschieden, ohne indessen die da-
bei vorliegenden Schwierigkeiten zu verhehlen. Den Sommer
250 scheint der Umstand auszuschließen, daß der Sieg noch
in das Amtsjahr des Metellus fiel (Diod. XXIII 21 Kaiy-iXiou
Toö üTiaxGu, Frontin, Florus, Eutropius, Orosius, Zonaras),
gegen den Sommer 251 erregt Bedenken, daß zur Zeit der
Schlacht der Konsul C. Furius Sizilien schon verlassen und
Polyb. schon der Zurüstung einer Flotte unter den Konsuln
des Jahres 250 gedacht hat (I 39, 15). Einen dieser beideu
Zeitpunkte glaubte man wählen zu müssen, da nach der Dar-
stellung Polybs der Kampf in die Zeit der Ernte zu fallen
27*
420 Friedrich Reuss,
scheint. Letzteres bestreitet Leuze und ermittelt durch eine
eigenartige Interpretation der Worte Polybs den letzten Monat
von Metellus Amtstätigkeit, den April 250, als Zeitpunkt des
römischen Siegs von Panormos. Polybs Worte lauten: I 40, 1
TÖv Ss KaixiXcov ev xw navopfjiq) Scatptßetv xo Xoctiöv [iipoz
iXovxot. xfj? axpaxia^, ßouXofJieoov ecpeSpeOaao xolc, xwv au[X|jiaX(i)v
•KO-pnolq ax[xa^ouar^g x-qc, auyxo|xto^5. Man hat bisher dx|j,a-
uo6ar]s xi]c, auyxofAiS"^!; kausal gefaßt, und diese Auffassung
wird gestützt durch § 5 cp^scpovxo? xgu^ xxpTzobq auxoO, über
die Leuze mehr spitzfindig, als einleuchtend bemerkt: „Diese
Handlungsw^eise scheint nur dann verständlich zu sein, wenn
das Getreide noch nicht zur Ernte reif war. Sonst hätten die
Punier es doch wohl eher selbst geschnitten und zur eigenen
Verproviantierung benutzt, zumal sie von Metellus gar nicht
belästigt wurden." Hasdrubal will es dem Feinde unmöglich
machen, sich mit Lebensmitteln zu versehen und verwüstet
daher alles Land bis an die Stadt Panormos, ein Ernten für
das eigene Heer hätte seine Kampfzwecke vereitelt und den
Feinden Gelegenheit zu einem Ueberfall geboten. Die von
Leuze gestellte Frage, warum die Punier nicht die Feldfrüchte,
wenn sie reif gewesen wären, zum eigenen Besten verwandt
hätten, müßte bei den alten Schriftstellern unzählige Male
gestellt werden. Warum vernichtete z. B. Agesipolis bei
Xenoph. Hell. V 3, 14 die Lebensmittel (scp^scps xov atxov) und
benutzte sie nicht zur eigenen Verproviantierung? Ebensowenig
trifft die Vermutung zu, Metellus würde, wenn er die Bundes-
genossen beim Einbringen der Ernte hätte schützen wollen,
nicht in der Stadt geblieben sein, sondern sein Heer in einzelnen
Abteilungen nach den Feldern der Bundesgenossen als Schutz-
wachen gesandt haben. Diese Praxis hat er gewiß auch geübt
gegen karthagische Streifscharen, die von Lilybäum aus die
Ernte der Bundesgenossen gefährdeten, aber sie versagte gegen-
über einem anrückenden feindlichen Heere, dem gegenüber
das römische Heer nicht im freien Felde zu erscheinen wagte,
sondern sich hinter den Mauern der Stadt hielt. Unter Ab-
lehnung der herkömmlichen Uebersetzung : „Da die Ernte im
vollen Gange war" legt Leuze dem Worte dx(j,aL£tv die Be-
deutung „an der Zeit sein", „fällig sein" unter und gibt dem
Der erste punische Krieg. 421
Genetiv absolutus die Geltung eines hypothetischen Temporal-
satzes: Hasdrubal erfuhr, daß Metellus mit dem Reste des
Heeres in Panormos sich aufhalte, in der Absicht, die Feld-
früchte der Bundesgenossen zu schützen, wenn die Ernte
fällig sei. Die Aufklärungstruppen Hasdrubals haben hier
ihre Schuldigkeit in vollstem Maß getan, wenn sie selbst die
für eine eintretende Voraussetzung gefaßten Pläne des feind-
lichen Führers ihrem Feldherrn zu melden wußten. Die für
dxjxat^etv geforderte Bedeutung erkennt Leuze auch sonst bei
Polyb., so XX 11 Ix: xfj; auvouaca^ ax[xa^ouarj; = da es noch
um die Zeit war, da die Abendtafel bei dem König zu sein
pflegte (Plut. Anton. 32 dx\iaZ,o{)aric, x-^s awoualaq), XXII 13
iriQ Travyjyupews axpiai^ouar^? , I 17, 9 dx(jiak^ouayj5 5s ific, toO
a^Tou auvaywyf]!;, III 100, 8 X'^s löpccq dx[JiaI^ouarj; npbc, xtjV auy-
xo|xt6i^v, sie trifft für keine der angeführten Stellen zu und
ist auch ausgeschlossen durch Verbindungen wie: r^ voaoc, d%-
(Jid^ec (Thuk. II 49), xoQ tioXsjxou dy.\i.oc.Z,ovxoq (Thuk. III 3, 1),
xoö ■ö'spous xac xoö ac'xou dx[j,d^ovxos (Thuk. II 19, 1 ; vgl.
III 1,1; IV 2, 1 ; V 3, 19, Xenoph. Hell. I 2, 4 ; Dion. Hai.
III 34), dx[xa^ouayji; x-^? vuxxo? (Herod. II 1, 12), dxjjia^ouayji;
xfic, Stacpopäc; (Plut, Nie. c. 11) u. a. Mit axiaat^ouarj? zi]C,
ouyxoiJtcS'^S wird durch eine bestimmte Zeitangabe das Bleiben
des Metellus motiviert, die Situation entspricht genau der in
V 95, 5 auvdTCXovxo; xoö •9'£p:a{XGü . . . 'Apaxo^ scpr^opeus x-^ xoO
oi'xou G\)yy.o\iiB'Q (vgl. IV 66, 7), bei Xenoph. Hell. VII 5, 14
aXXw? X£ xai a:xou auyxo[xiS"(j, Thuk. III 15, 2. So erweist sich
Lenzes Interpretation als unmöglich, und wir bleiben vor die
Alternative gestellt, ob wir uns für Juni 251 oder 250 ent-
scheiden sollen. Für ersteres hatte ich geltend gemacht Plin.
VIII 6 elephantos Italia primum vidit .... anno urbis 472,
Roma autem in triumpho Septem annis ad priorem annum ad-
ditis, eadem plurimos anno 502 victoria L. Metelli pontificis
in Sicilia de Poenis captos, doch hält Leuze mir entgegen:
„Die von Plinius gegebene Zahl ist nach der sogenannten
Katonischen Aera angesetzt, wie auch die Zahl 472 für die
Schlacht bei Heraklea". Manius Curius Dentatus (Eutrop.
II 14 primus Romae elephantos quatuor duxit, Senec. de brev.
vitae 13) hat sieben Jahre nach 472, d. i. 479 a. u. oder
422 Friedrich R e u s s ,
275/4 (A. CDLXXIIX . . . Febr.) triumpliiert, diese Angabe
ist auf die Varronische Aera berechnet ; dann kann aber für
das Jahr 472 nicht Katonische Aera vorausgesetzt und dies
nicht auf die Schlacht von Heraklea bezogen werden, da sonst
die Zahl Septem nicht passen würde, Italien hat die Elefanten
des Pyrrhus auch nicht zum ersten Male nach der Schlacht
von Heraklea gesehen, sondern bei der Ankunft des Pyrrhos
auf der Halbinsel. Hier ist Plinius insofern ungenau, als er
diese mit dem Beginn des tarentinischen Kriegs (472 a. u.,
d. i. 282 n. Chr.) gleichsetzt. Weder 472 noch 479 sind also
nach der Katonischen Aera. berechnet, man darf dies daher
auch nicht für die 3te Zeitangabe behaupten und muß anno
502 trotz Leuzes Einsprache mit victoria captos, nicht mit
vidit verbinden. Ob freilich die Zahl 502 richtig überliefert
oder 503 herzustellen ist, will ich nicht entscheiden, erstere
gibt ein zu frühes Datum an.
Schwierigkeiten bereiten Polybs Worte in I 39, 12 ol yap
Pü){X3cooi diaoaxf-eiar^c, cpYj|j,rjs ne.pl x^; ev xyj Acßuvj [i-ax^js, Sx: xa
■ö-rjpca xa; x£ xdE,eic, auxwv ScaaTiocaat xaJ touc, TcXstaxou^ 5ta-
^%-eipai xwv dvopwv, o'jxwg f^aav XKxacpoßoi xobc, eXecpavxa?, oiQ
enl ouo EVLOcuxo'j; xouc, e^fj^ xwv TzpoecprjjAsvwv xacpwv, TioXXaxtg
(ji£v £V x^ AcXußactxcSc X^P'^i '^-oIXcx.kk; o' ev xtj ^sXcvouvxca napa-
xaxx6[x£voi xolg izo'ktiiio'.q ev e^ xac xcevxe axaStocc, oux e-O-apprjaav
oudinoTE xaxap^a: zfic, [Jtax>]S ouo' et^ xoü^ ©[xaAou? xa-ö-oXou
auyxaxaß-^vai totiouc, oeotoxei; xr^v xwv eXecpavxwv £cpo6ov, zu
denen Lenze bemerkt: „Mit e^y]? xwv TipoetprjjJievwv xacpwv weist
Polj'bius auf das zuletzt von ihm behandelte Amtsjahr 501
Varr. zurück, nicht aber auf die Niederlage des Regulus, wie
Reuß meint. (Denn mit StaSo'ö-ecarjg ^>''fi\irjQ Tiepc xfic, ev x^
AißuTy |iaxvjc; wird nur der Grund für die Elefantenfurcht der
Römer angegeben, nicht der Anfangspunkt für die in § 12
genannten 2 Jahre.) Die . . . sich anschließenden zwei Jahre
sind die Amtsjahre 502 und 503". Die Römer sind schon
im Jahre 254 v. Chr. (500 a. u.) in den Besitz von Pa-
normos gelangt, Hasdrubal ist in dem gleichen Jahre mit
einem Heere und 140 Elefanten nach Sizilien geschickt worden,
schon für dieses Jahr muß man daher annehmen, daß die
Römer in der Gegend um Lilybäum oder Selinus 6 oder 5
Der erste punische Krieg. 423
Stadien weit den Feinden gegenüberstanden. Soll die Furcht
erst 2 Jalire nach der Niederlage des Regulus die Römer be-
fallen und abgehalten haben, in ebenem Gelände den Feinden
entgegenzutreten ? Nicht' zufrieden damit, schaltet Lenze auch
das Jahr 253 (501 a. u.) aus und rechnet nur die Jahre 502
und 503 a, u. An den Schluß des letzteren legt er die
Schlacht bei Panormos, die der Elefantenfurcht ein Ende
machte, und findet so die Angabe des Polybios aufs genaueste
zutreffend. Verständlicher ist die Deutung, die Luterbacher
Polybs Worten gegeben hat: „Polyb weiß nichts von den
Konsuln des Jahres 252/1, deshalb sind für ihn zwischen der
Ankunft des Hasdrubal in Sizilien und dem Konsulat des L.
Cäcilius und C. Furius nur zwei Jahre vergangen (statt drei)**,
aber in dem Exkurse, dem die angeführte Stelle gehört, nimmt
der Gescbichtschreiber auf die Ereignisse von 252 Rücksicht:
I 12, 13 öepfxav oh [jlcvov xoci AiTiapav eqeT:oliöpv.r^GC(.v £V toutoc?
xol;, yccipolc. Das natürlichste bleibt immerhin, als Ausgangs-
punkt Polybs, den er mit xöJv Ttpoecpvjptevwv xatpwv im Auge
hat, die unmittelbar vorher erwähnte [idyr^ ev x^ Aißuv] zu
nehmen, seit der die Römer nicht mehr im offenen Felde zu
erscheinen wagten. Meine beiden Erklärungen von ou' evcau-
X065 hält Leuze für unrichtig, weil bei ihnen eine unrichtige
Angabe Polybios vorgeworfen würde, indessen will dieser Ein-
wand bei dessen summarischem Berichte wenig bedeuten. Viel-
leicht ist auch ein Fehler der Ueberlieferung nicht ausge-
schlossen, durch welchen ursprüngliches S' mit Su' statt mit
xixxapac, wiedergegeben ist. Ein Zwischenraum von 4 Jahren
würde aus dem Sommer 255 in den Sommer 251 v. Chr.
führen.
Varese (S. 28) hält mir entgegen, daß in der Zeit, in
welcher ich den Konsul Furius von Sizilien abziehen ließei
dieser dort kaum angekommen sein könne. Der Konsul Aure-
lius Cotta, der nach Oros. IV 9, 13 allein von den Konsuln
des Jahres 252 in Sizilien Krieg geführt zu haben scheint,
feierte am 18. April 251 einen Triumph de Poenis et Siculis,
hat also vor Beendigung seines Amtsjahres die Insel verlassen
und die Fortsetzung des dortigen Kriegs seinen Nachfolgern
überlassen. Leuze kann schlechterdings keinen einleuchtenden
424 Friedrich Reuss,
Grund dafür finden, weshalb Furius schon im Sommer 251
mit der Hälfte des Heeres aus Sizilien wieder abgezogen sein
soll. Polyb. gibt uns allerdings dafür keinen Grund an, weil
er nur in einem kurzen Ueberblick den 24jährigen Krieg be-
handelt, liegt aber die Annahme außerhalb des Bereichs der
Möglichkeit, daß Furius, der nicht nach Rom zurückgekehrt
(so Zon. VHI 14 w? Tipbq ty^v TwfxrjV au^pev 6 ^oüpioq), son-
dern nach Italien abgerückt ist (Polyb. I 40, 1 tiuO"6[x£voi; töv
eva Twv atpaxrjywv |X£Ta xfj^ yj\iiatiac, 6uva(X£(i)s elc, xrjv 'IxaXiav
dnYilXdxTi'0!.i) gleich nach seiner Ankunft auf Sizilien die Wei-
sung erhalten hat, mit der Hälfte des Heeres die italische
Küste gegen Angriffe der karthagischen Flotte zu schützen?
Mit dem Jahre 251 scheint allerdings die Erwähnung
der Konsuln des Jahres 251 bei Polyb. I 39, 15 unvereinbar,
indessen wird hier (§ 9 — 15) nicht die Erzählung weiterge-
führt, sondern eine Darlegung der Gesamtlage gegeben, auf
die auch dann in I 41, 2 zurückgegriffen wird. Daß Polyb.
mit xaxaaxT^aavTes axpaxrjyou^ die Wahl, nicht den Amtsantritt
der Konsuln bezeichne, kann ich Leuze nicht zugeben und
verweise zu seiner Widerlegung auf I 52, 5 axpaxYjYOu? ^axa-
axT^aavxEs uapauxtoia xöv exepov auxwv £^£7r£|JL7iov. Den Anstoß,
den ich daran genommen habe, daß Polyb. I 39, 15 nur des
Baues von 50 Schiffen gedacht wird, während I 41, 3 die
Konsuln mit 200 Schiffen auslaufen, hält Leuze für unbe-
rechtigt, aber auch Luterbacher hält es für geboten, an der
ersten Stelle ey^axov vor 7i£Vxr]Xovxa einzusetzen.
Trotzdem ich so daran festhalte, daß der Sieg von Pa-
normos wahrscheinlich dem Jahre 251 angehört, will ich die
Möglichkeit der anderen Datierung, die Luterbacher annimmt,
nicht bestreiten. Wenn Frontin, Florus, Eutropius, Orosius,
Zonaras den Metellus als Konsul bezeichnen, so gehen sie
wahrscheinlich alle von derselben Vorlage (Livius) aus. Dieser
mag aber den Inhaber der prokonsularischen Gewalt miß-
bräuchlich noch Konsul genannt haben, wie dies häufig ge-
schieht, z. B. Cornel. Nep. Cato I 3, Livius 31,49; 36,83;
38, 35. Dasselbe darf erst recht bei Diodor oder seiner Quelle
angenommen werden, unterscheidet doch auch Polyb. vielfach
noch nicht die Titel der stellvertretenden Beamten, obwohl
Der eiste punische Krieg. 425
sich bei ihm Äv^uTiaxo^ (XXI 10,11) findet (L. Hahn, Progr.
d. neuen Gymnas. zu Nürnberg 1906, S. 29). Damit verliert
aber das Argument, welches hauptsächlich gegen das Jahr
250 ins Feld geführt wird, erheblich an Beweiskraft.
Seinen Triumph feierte Metellus im August 250, während
des diesem vorausliegenden Sommei's führte Regulus im Auf-
trage der Karthager Friedensverhandlungen in Rom. Den Be-
richt Diodors, daß man seiner verarmten Familie zwei vor-
nehme karthagische Gefangene übergeben habe, hält Luter-
bacher für erlogen. Dagegen spricht aber, daß diese Nach-
richt auch in die ältere römische Tradition aufgenommen
worden ist : Gellius VII 4, 1 Tuditanus autem somno diu pro-
hibitum (Diodor So' ajxsXscav ccüxbv exXeXooTisvac xo (^■^v) atque
ita vita privatum refert, idque ubi Romae cognitum est, no-
bilissimos Poenorum captivos liberis Regiili a senatu deditos
et ab his in armario muricibus praefixo destitutos eademque
insomnia cruciatos interisse, vgl. Zon. VIII 15 a Tiu^opisvoo —
avTaTioxxeovat. Später ist dieser Zug der Tradition beseitigt
worden, und so lesen wir Sallust Catil. I 51, 6 item bellis
Punicis Omnibus, cum saepe Carthaginienses in pace et per
inducias multa nefaria facinora fecissent, nunquam ipsi per
occasionem talia fecere: magis quid se dignum foret, quam
quid in illos fieri iure posset, quaerebant.
Wenn die römischen Schriftsteller auch darin einig sind,
dem Konsul Claudius Pulcher seinen Frevel gegen die heiligen
Hühner vorzuhalten, so begeht er doch nach den einen diesen
in Rom, nach den andern auf dem Meere. Zu den ersteren
gehört Livius : Serv. zu Vergil Aen. VI 198 eos in Tiberim
praecipitavit, periocha 19 contra auspicia profectus, vgl. Cic. de
divin. I 16, 29 cum vitio navigasset, die andere Version da-
gegen vertreten Sueton Tiber. 2 mari demersis, Florus II 2
ibi statim classe demersa, ubi ille pullos praecipitari iusserat,
Valer. Max. II 4, 3 abici in raare eos iussit. Die Darstellung
des Livius ist die ursprüngliche, aus ihr ist mißverständlich
die abweichende Erzählung entwickelt worden, worauf der
sonst gleichlautende Wortlaut schließen läßt, z. B. per. 19
qui contemptis auspiciis male pugnaverat, Eutrop contra au-
spicia pugnavit u. a. Diese Entstellung mag schon frühe in
426 Friedrich Reuss,
einem Auszug aus Livius vorgenommen sein und aus ihm auch
in Sueton übergegangen sein.
Daß Frontin I 5, 6 dieselbe Begebenheit erzählt, wie Zo-
nar. VIII 16, kann nicht bezweifelt werden, doch darf man
schwerlich mit Luterbacher C. Duilius als Führer des gegen
den Hafen von Hippo vorgehenden Greschwaders betrachten ;
näher liegt es, eine Entstellung des Namens aus Caecilius bei
Frontin vorauszusetzen.
Für die Schlacht bei den ägatischen Inseln gibt Eutrop
den 10. März als Datum an, doch glaubte ich aus verschie-
denen Gründen auf ein früheres, noch dem Jahre 242 v. Chr.
angehörendes Datum schließen zu müssen. Varese, der selbst
allerdings, wie Luterbacher nachgewiesen hat, hier zu ganz
verfehlten chronologischen Ansätzen gelangt ist, hält mir die
Worte des Zonaras entgegen: in e^oSco oüorjC, autw ttj; «PX"^?!
durch welche die Zeitangabe Eutrops Bestätigung fände. Die
Worte würden allerdings jeden Zweifel niederschlagen, wenn
sie sich auf die Zeit des Sieges bezögen, sie beziehen sich
aber auf die Zeit der Friedensverhandlungen zwischen Lu-
tatius Catulus und den Karthagern. Zwischen diesen und der
Schlacht hat aber eine Frist gelegen, die wir uns nicht all-
zu kurz vorstellen dürfen. Die Lage Karthagos war vor der
Niederlage eine verhältnismäßig günstige: Liv. 21, 41, 11
nunquam terra marique magis prosperae res nostrae visae sunt
quam ante consules L. Catulum et A. Postumium fuerunt, Zon.
VIII 17 tva ol Kap)(rjo6vc&c e^ xeXsiav dTcoyvwaLV xous Voi\i(x.io\)c,
Toö vauxr/toö xaxaaxyjawGcv , diese traf sie daher unerwartet
(Polyb. I 62, 1 aTrpoaooxTjxws), und sie waren deshalb anfangs
zur Fortsetzung des Kriegs gewillt (Polyb. 162, 2 ff.). Der
Krieg ist auch weitergeführt worden, es ist zu Kämpfen um
Eryx gekommen, wo Lutatius conserta piigna 2000 Karthager
getötet haben soll (Oros. IV 10,8, vgl. Liv. 21, 10, 7; 41,6;
28, 41, 5). Erst nach diesen Kämpfen werden Gesandte zu
Lutatius und darauf nach Rom geschickt (Oros. IV 11, 1). So-
lange irgend eine Hoffnung auf Sieg bestand, ließ Barkas, der
mit unbeschränkter Vollmacht ausgestattet war, nichts unver-
sucht und trat erst dann mit den Römern in Unterhandlungen,
als jede Aussicht auf Erfolg geschwunden war (Polyb. I 62,
Der erste punische Krieg. 427
4 n. 5), doch wies er auch jetzt noch jedes Ansinnen zurück,
das er mit seiner Soldatenehre für unvereinbar hielt (Diod.
XXIV 13).
Die Abtretung Sardiniens kann Livius nicht, wie Scher-
mann glaubt, unter die Friedensbedingungen aufgenommen
haben, dem widerstreitet aufs bestimmteste 21, 1, 5 Sardiniam
inter motum Africae fraude interceptam. Die Zeit, da die
Insel von den Karthagern abgetreten wurde, läßt sich aus
Florus feststellen : II 6 bellum Punicum post primum vix
quadriennii requies, ecce alterum bellum. Zwar hat Florus den
Krieg mit Hannibal im Sinn, doch können seine Worte nur
auf den Kampf um Sardinien bezogen werden, der demnach
im Jahre 237 v. Chr. auszubrechen drohte. Den gleichen
Zeitpunkt gewinnen wir aus Livius. Vor der Schlacht am
Ticinus erinnert Hannibal seine Veteranen an ihre zwanzig-
jährige Dienstzeit, d. i. 237/6—218/7 (Liv. 21, 43, 13, vgl.
41, 6), an einer anderen Stelle (21, 16, 5) dagegen wird diese
bis zum Falle Sagunts auf 23 Jahre berechnet. Livius rechnet
hier trotz des Zusatzes inter Hispanas gentes vom Ende des
1. punischen Kriegs bis zur Eroberung Sagunts, d. i.
241/40 — 219/8 v. Chr. Wir kommen also auch hier auf einen
Abstand von 4 Jahren zwischen 1. punischem Kriege und dem
Ausgange des Söldnerkriegs, Auf das Jahr 237/6 führt auch
Liv. 21, 40, 5 a quibus Stipendium per viginti annos exegistis
(237/6 — 218/7), denn damals scheint den Karthagern die Zah-
lungsfrist auf 20 Jahre verlängert worden zu sein (Lutevbacher
Phil. 18 S. 137 ff.). Man darf daher nicht mit Luterbacher be-
züglich der Dauer des letzteren der Polybianischen Textüber-
lieferung (I 88, 7 xpicc sxrj xat [t-fivac, xexxapa;) vor der Dio-
dorschen (XXV 6 xexxapa sxyj y.al [xfjva^ xsxxapa;) den Vor-
zug geben. Ich hatte zur Verteidigung der letzteren auf die
abgerundete Zahl des Livius (21, 2, 1 per quinque annos) hin-
gewiesen, doch will Luterbacher diesen Hinweis nicht gelten
lassen. Mit Liv. 22, 25, 12 biennii clades ist indessen nichts
gegen mich bewiesen, da es sich hier ohne Rücksicht auf Zeit-
dauer und Zeitabstand um die „Niederlagen der beiden letzten
Jahre", dort dagegen um die Zeitdauer des ganzen Kriegs
handelt. Der Ausbruch des Söldnerkriegs muß daher in die
erste Hälfte des Jahres 241/40 fallen, ein Umstand, der, wie
ich früher ausgeführt habe, gleichfalls nicht für die unbe-
dingte Zuverlässigkeit des von Eutrop übei'lieferten Datums
spricht.
Wesel. Friedrich Beuss.
XVII.
Karer und Leieger.
Zur Lösung des ethnologischen Problems, das uns die
kretisch-mykenische Kultur stellt, ist mehr als ein
Vorschlag gemacht, ohne eine allseitig befriedigende Lösung
zu bringen. In den großen Zusammenhang der Geschichte
des Orients hat neuerdings E. Meyer in der 2. Auflage des
I. Bandes seiner Geschichte des Altertums versucht, die ägäische
Welt einzureihen. Hier sollen nur Vorgänge innerhalb derselben
behandelt werden, um für religions- und sagengeschichtliche
Untersuchungen, in deren Verlauf wir in diese Aporien ge-
kommen sind, den Boden zu ebnen. Der Name der Karer
hat bisher für die minoische Periode der Insel Kreta eine
große Rolle gespielt: W. Dörpfeld^) spricht von karisch-lyki-
scher Kultur, ein Ausdruck, der schon fast zur Vulgata ge-
worden ist ; andere geben die sogenannte Inselkultur den
Karern und Lelegern, und selbst P. Kretschmer wagt in seiner
Einleitung zur Geschichte der griechischen Sprache zwischen
diesen beiden Völkern nicht zu scheiden, zumal da ihn nur
ihre Zugehörigkeit zur gleichen Rasse, ihre sprachliche Ver-
wandtschaft interessiert.
Ich will versuchen, speziell für Karer und Leieger an der
Hand des litterarischen Materials die griechische Tradition
festzustellen und diese durch archäologische Tatsachen zu
stützen. Eine Karte müßte die Verteilung der ungriechischen
Bevölkerung und ihre Wanderungen verdeutlichen. So viel
wird vielleicht jetzt schon deutlich werden, daß im 2. Jahr-
tausend eine Grenze zwischen Rhodos-Kleinasien einerseits
1) AM. 190.^. 258, 1907. 576. Am treffendsten hat Noack liomer.
Paläste 1903. 34 auf Lykien verwiesen.
Wolf A 1 y , Karer und Leleger. 429
und Kreta- Griechenland anderseits läuft, die erst um 1300
infolge einer großartigen Expansion Kretas gelegentlich über-
schritten wii'd. Aber was damals von Westen nach Osten vor-
drang, können nicht, wie man bisher glaubt, die Karer gewesen
sein, deren Mitwirkung innerhalb des ägäischen Kulturkreises
vor dem Ende der mykenischen Epoche so gut wie ausge-
schlossen ist.
Ich gehe von Kleinasien, von der Landschaft Karlen aus,
die ihren Namen von den Karern, ursprünglich *Kafipez {Hoff-
mann, griech. Dialekte III. 323) führt. Daß diese nächstver-
wandt mit den Lydern und Mysern sind, geht aus der Schil-
derung des Nation alheiligtums in Mylasa, die uns Herodot 1.
171 ff.-) giebt, klar hervor: Kultgenossen des Zeus Kariös
sind außer den Karern die genannten beiden Stämme „als
Brüder der Karer"; ausgeschlossen sind, außer allen andern
die Kaunier trotz ihrer karischen Sprache. Herodot, der die
Karer von den Inseln eingewandert sein läßt, hält die Kaunier
infolge dessen mit vollständiger Verkehrung der Tatsachen
für Autochthonen ; seiner bemerkenswert objektiven Bericht-
erstattung jedoch verdanken wir den Zusatz: sie selbst behaup-
ten aus Kreta zu stammen, was durch ihre merkwürdigen unkari-
schen Sitten bestätigt wird. Vielleicht hat sogar eine Stadt
Kaunos auf Kreta existiert (Steph. Byz. 370. 6), obgleich
diese Nachricht aus der Herodotstelle zurecht gemacht sein
kann. Urverwandtschaft der Karer mit den Lykiern, Kretern,
Kauniern, wie sie Kretschmer nachweist, wird durch den
Brauch von Mylasa nicht in Abrede gestellt, wie denn auch einem
Dorer das Betreten eines ionischen Heiligtums verwehrt war, vgl.
IG. 12. 5. 225, Herod. 5. 72 '). Aber jene 3 Stämme um-
schloß ein besonders enges Band der Blutsverwandtschaft; sie
treten als Einheit den verwandten Stämmen gegenüber. Man
wird es also gern glauben, daß Zeus Kariös nach Steph.
^) M u a 0 i 0 '. jJiEV v.ot.1 iV u 5 0 T a i [ietsoxt, (uj xaatYVTjXciai ioüat xolat
KapoJ . . . 6aoi Se Icivtcg aXXou sS-vsog, QjjLoyXwaao'. TOlac Kapal Eyevovxo,
TO'Jtoiai bh O'j jiixa. oi ds Ka'jvioi aOTd/_i)-ovcS SoxeIv ip-oi sioL • a'JxoL jievto!,
k% Kpr,xyj5 cpocol Eivai.
^) Esivcp Ao)p'.^ OL» M\i.iz — w gstv» Aay.E5a!,p.övi.E, TiiXiv X(üpe.i [ii^os
sJi&L l£ x6 ipöv • O'J yäp •SsiiiTöv AcüpisOa-. Tiaptsvai ivd-aOxa (auf die athe-
nische Akropolis).
430 Wolf Aly,
Byz. G29. 1 ^) auch in Torrhebos in Lydien verehrt wurde,
wo Kariös für den Sohn des Zeus und der Torrhebia galt.
Zeus Kariös wird vielfach mit dem Zeus von Labraun da
verwechselt, der, wie ein altkretischer Gott, wie Sozon in
Pisidien, ApoUon in Thyateira, Tennes auf Tenedos, Hephai-
stos im Mutterland und der bekannte hettitische Gott^) das
Doppelbeil führt. Schon die geographische Verbreitung des
Symbols lehrt, daß nichts lokalkarisches dahinter stecken
kann. Noch deutlicher spricht die Inschrift Le Bas voyage
arch. III 415^), wo Zeus Stratios, d. h. eben nach Herod. 5.
119^) der Gott von Labraunda, neben Zeus Kariös er-
scheint. Auch ein dritter Gott in Mylasa, Zeus Osogoa oder
auf griechisch Zenoposeidon ist fern zu halten. Dieser hat als
Meergott in dem Triton von Itanos und dem Zeus Skyllios
von Gortyn*^) wie der Gott mit Doppelbeil seine nächsten
Verwandten auf Kreta. Von Zeus Kariös wissen wir nur aus
Strabo 659^): Man erzählt, daß vor Alters ein Dorf da war,
Vaterstadt und Königsburg der Karer um Hekatomnos. Sonst
ist er, Aveil er Griechen von seinem Kult ausgeschlossen hat,
verschollen. Nicht einmal, daß er die Doppelaxt geführt hat,
wie man vielfach behauptet, wissen wir. Diese kommt viel-
mehr dem Zeus Stratios von Labraunda zu.
Wir entnehmen aus den Kulten von Mylasa, daß es in
Karlen neben den eigentlichen Karern eine ebenfalls nicht-
griechische Bevölkerung gab, deren religiöse Symbole nahe
Beziehungen vor allem zu Kreta verraten. Man könnte das
Verhältnis von Labraunda zu Mylasa mit dem von Amyklai
*) Hekataios? we^en der Form xaXsdjjisvov (Meineke).
°) Für Kreta cf. Burrows , the discoveries in Crete 2ö u. ö. für
Sozon Usener Götternamen 174 f., Apollon in Thyateira BMC.
Lydia 29. 3 fl„ Tennes BMC Troas 17 und Steph. Byz. 615. 22, He-
phäst auf dem Madrider Puteal, für die H e 1 1 i t e r E. Meyer GdA.
12 2, S. 633 ff.
^) Z. 14 0£Ojivyia-o'j cepECüg Aiög Kcxpioo ... 16 Aioy.Xs'ioug xoü IIoXu-
xXeixo'j cspEWg Aiöj Zxpaxiou xal "Hpag.
') 'Eg Aäßpauv5a iz ^'-^S ^Tpaxiou Ipov.
*) So ist dieser sonst unbekannte Gott wohl zu deuten, vgl. S ky 1 -
1 a, die Tochter des Triton , Dionysos Skyllitas auf Cos inscr.
of Cos 37, und den mythischen Taucher S k y 1 1 i e s Herod. 8. 8. Für
Itanos vgl. Svoronos Num. de la Crete taf. 18 f.
*) 'laxopslxai Ss xcüiivj uKocpgai x6 rcaXaiöv, Txaxpig 8e xal ßaoiXeiov xwv
Kapwv xöv Txspi xw '£xaxö|iv(p.
Karer und Leleger. 431
zu Sparta vergleichen. Labraunda lag 12 Kilometer nördlich
von Mylasa nach den Bergen zu und war das ältere, von der
Urbevölkerung gepflegte Heiligtum, Diese Ureinwohner sind
Leleger gewesen.
Vorangestellt seien die Stellen der homerischen Epen, so
wenig auch positiv durch sie bewiesen wird. Die Lykier spielen
im Epos als Bundesgenossen der Troer eine große Rolle.
Und das ist nicht die einzige Beziehung zwischen der Troas
und dem Süden. Die Lyder werden gar nicht genannt, die Karer
und Myser im SchifFskatalog II. 2. 858 u. 8671°) und in der
notorisch jungen Dolonie 10. 428 ff. ^'), die Myser auch 13. 5,
14. 512 u. 24. 278 an jungen Stellen, endlich die Karer in einem
allerdings nicht datierbaren Grleichnis 4. 142 ^-) : wie wenn
ein Weib Elfenbein mit Purpur färbt, eine Meionierin oder
K a r e r i n . . . Nun gehört allerdings Ilias 4 zum alten
Bestand ; ich glaube aber nicht, daß eine so vereinzelte Stelle
und noch dazu ein Gleichnis, das sich leicht aus dem Zu-
sammenhang lösen läßt und sehr nach einem verschönenden
späteren Zusatz aussieht, viel für die Epoche der Karer be-
weist. Mit den Lelegern steht es allerdings nicht viel besser.
Auch sie stehen in der Dolonie 10. 429 (s. Anm. 11) und in den
jungen Versen der Theomachie 20. 96 ^^) ; und selbst die
Lokalisierung von Lelegern in Pedasos am Satnioeis (südliche
Troas) 21. 86^^) mag nicht zu viel Gewicht haben. Dem-
gegenüber weise ich darauf hin, daß sie nicht im Schiffskata-
log genannt werden, daß sie also damals kein historischer
Stamm gewesen sind, wie sie die Ilias in großer Zahl kennt.
Ja, wir dürfen den Lelegernamen dort gar nicht erwarten, da
^°) 858 Muaiüv ds . . . 867 NäaxY)g au Kapwv ■fjy-^aazo ßapßapocpwvwv,
c'i MiXrjTOv £}(°^ "I>9-ipwv t' Spog dxptxöcpuXXov MaiävSpou is paäg MuxäXyjg
x' alTceivä xdpyjva.
") IIpöc; |isv aXög Käpeg otal Ilaioveg dyxuXöxogot . . . xal AdXsyss
xal Kaüxcüvsg 5iot xs üsXaaYoi • upög 66[jißp7]s S' äXa^ov Aöx;ot MuaoL x'
") 'Sc S' Sie xig x' iXecpavxa yuwri cpoivixi [aiy/vifl Mr)ovlc -fjs K ä s i p a ,
Tiapy^iov £jji|i£vai tuuwv.
^3) "Eyx.£'-' x°''Xv.ei(i> A e X e y a g y.ai Tptöag ivaipsiv (bei Lyrnessos und
Pedasos).
^*) piivuv&äSiov ÖS [IS tir^xvjp ysivaxo Aao9-ÖY), O-uyaxvjp "AXxao yipovxog,
'AXxsü), 05 AeXeyöooi cfiXomxoXiiioiciv dväaaEi, Il7]5aaov aiTtr.eaoav Ixcuv iTti
Saxviösvxu
432 WolfAly,
dessen große geographische Verbreitung ihn zur Genüge als Sam-
melnamen ^^) erweist. Dieser kann jedoch die Karer nie mit-
umf'aßt haben, da die Leleger in Karien gerade im Gegensatz
zu diesen in ihrer Eigenart erkennbar sind. Erwähnung von
historischen Lelegern sind ganz selten, während die Karer seit
Archilochos frg. 24 B*, dem absolut ältesten Zeugnis ihrer Exi-
stenz ^^), als ein tapferes kraftvolles Volk immer mehr hervor-
treten, auch das schon ein Moment, das uns nötigt, beide Völker
scharf zu scheiden.
Am leichtesten ist dies in Karien selbst, wo Kallisthenes
bei Strabo 611^^) berichtet, es seien in Karien in der Gegend
südlich Mylasa 8 Städte der Leleger gewesen; 6 davon habe
Maussolos zu Halikarnaß vereinigt, außerdem seien es Suan-
gela und Myndos. In ganz Karien und in Milet seien Leleger-
Gräber und -Schanzen und Spuren ihrer Ansiedluugen; Strabo
kennt sie sogar bis nach Pisidien hinein (p. 570) ^^). Diese
Leleger setzt Philippos von Theangela^^) in seiner
Spezialschrift „Karer und Leleger" bei Athen. 271 B. den spar-
tanischen Heloten und thessalischen Penesten gleich: „Die
Karer gebrauchen Leleger als Sklaven seit Alters und jetzt
noch". Wie hoch der Leleger dort im Werte stand, läßt
eine merkwürdige Mitteilung bei Plutarch quaest. Gr. 46
p. 302 B^°) erkennen, der sie auffälliger Weise mit Minyern
'^) Vielleicht zunächst Stammesname , wie der der Hellenen, der
frühzeitig auf verwandte Stämme übertragen ist?
1®) Kai St) 'jiiy.oupog w^ is K ä p y.£xXy;ao[iai.
") 'Ev 5s xrj jisaoyaLCic twv 'AXixapvaaaecüv xä n iQ S a a a bn auxwv
(den Lelegern der Troas) ö'/o\ia.a%i^zx ^v nöXig, xal i] vöv x ^ P * H ■>] -
Saale; Xeysxai. $aal 8' iv aux'^ xal öxxw TidXsig (bvc^a&ai öto xwv
AsXsywv TTpöxepov eüavSprjaävxwv, waxe xal xrjs Kap ia. c, xaxaa^s^v xfjg
(isXpL M'Jv5ou xal BapyuXicüv • xal XY,g n (. o t 5 i a g a.noxe[iia^c(.i ■n.oXXfj'^.
"foxspov S' ä|ia xolc, Kapal oxpaxeuö^isvoi y.axsiisptaö-vjoav sie, 6Xyjv xtjv
'EXXäSa xal 7]cpaviaö-y] xö yt^oz ' xcöv d' oxxto uö^^ecov xäg %i MaüowXog
£15 p,tav xTjv 'AXixapvaaaöv auvvjYaYsv, (bg KaXXioO-evYjs ioxopsT. Souä-
ysXa 5e xxl MüvSov Siscp-JXags . . . 'Ev SXy; bk Kapiq. xal Iv Mi^xcp AeXs-
ycüv xäcpoi xal ipi>\i.a.xx xal t^vv) xaxoixuov Sslxvuxau Für Milet vgl.
Steph. Byz. 452. 9 nach Didyraos, für Megalopolis in Karien dens.
438. 9, 476. 7.
**) *aal S' aüx&ts (den Pisidiern) xwv AeXiyfüv auy'^a'^aiJ-tX*'^/^^^ xivag
x6 TiaAa'.öv, uXävyjxa^ ävO-pcLnoug xal aop,|j,£ivai 5iä xr,v öiioioxponiav aüxö9t.
'*) <I> l X t, 71 Ti 0 f ö 6eaYT^'*-^'J? ^"^ "^fp 7:epi Kapmv xalAeXe-
Y 0) V cr)'{-^pä.\i.\iot.xi (FHG IV 475) xaxaXsgag xoü? AaxsSaiiiOviwv EiXwxas
xal xo'jg BsxxaX'.xoüc; Tisveaxag xal Käpäg cprjoi xots AeXegiv (b^ olxsxaig
XpTioao&aL TiäXat xs xal vöv.
'") Atä xl T p a X X i a V 0 l xa&apx^pa xaXo'joi xöv opoßov xal ■/.pG)yxoi.i
Karer und Leleger. 433
zusammen nennt : Weshalb nennen die Trallianer die Kicher-
erbse xa^apTTjp und brauchen sie zumeist zur Reinigung und
Sühnung? Weil Leleger und Minyer sie einmal vor Alters
aus der Stadt vertrieben und das Land besetzt hielten. Später
kamen die Trallianer zurück, siegten und da sie die Leleger,
die weder gefallen noch geflohen , sondern an Mangel an
Lebensmitteln und Schwäche dageblieben waren, lebend oder tot
nichts achteten, machten sie ein Gesetz: Wer von den Trallianern
einen Minyer oder Leleger tötet, soll rein sein für einen Scheffel
Erbsen an die Verwandten des Getöteten. E. Rohde Psyche L
266. 1 bezieht das Gesetz auf die argivischen Vollbürger
von Tralles. Wer die Verhältnisse in Halikarnaß^*) kennt,
wird vermuten, daß die Bürger von Tralles zu einem guten
Teil Karer waren. Die Leleger waren Sklaven, denn es ist der
Gipfel der Mißachtung, ein Mord so zu behandeln. Es war
nichts als eine lächerliche Scheinbuße, trotz des ursprünglich
kathartischen Charakters der Kichererbse.
Auch außerhalb Kariens giebt es Leleger im westlichen
Kleinasien. P i s i d i e n ist schon genannt. Antandros
nennt Alkaios frg. 65 B *. Lelegerstadt, in Uebereinstimmung
mit den genannten Zeugnissen der Ilias. Auch Gargara ^^)
in der Troas wird bei Steph. Byz. 199. 1 so genannt. Hatten
wir in Karien Minyer neben den Lelegern, allerdings bei
einem verhältnismäßig späten Autor, so nennt Konon 41 nach
Ephoros aus Herodot 7. 42 dasselbe Antandros pelasgisch und
stützt sich dabei offenbar auf Ilias 2. 841, wo im troischen
Larisa Pelasger genannt sind. Diese drei Völker scheinen
sich also nahe zu stehen. Endlich sagt Pherekydes von Athen
bei Strabo 632^^), auf der Strecke Phokaia-Samos seien
von den Joniern Leleger vertrieben worden.
lidXiaxa ■r.pbc, xäg äqjoaicuoeis xal tobg xa-9-app,0'Jj ; ^ 6t: AeXeyEg xaL Mtvüat
TÖ TiaXatöv ^jeXäjavxsg aüxoüg xvjv mXiy y.al xy]v xcüpav xaxEix^ov, uoxepov
S' oi TpaXXLavo: "xaxsX&övxsg xaL xpaxv^aavxsg, öoot xwv AsXiytüv oü diz^-f^ä.-
pyjoav oüS' l^uyov, äXXä Si" a|j.r//^aviav ßiou xal aaS-dveiav uTtsXei^d-rjoav
a'JxdS-t, xo'Jxtüv ouSsva Xoyov s}(ovx£g oüxs ^oüvxcüv oüx' auoXXujxevcüv, vöiaov
efl-evxo x6v xxeövxxa MivJr^v -?) AeXsya TpaXX'.avöv xaS-apov efvat [jisStfivov
öpößcDv duoiiSTp-^^oavta xoic, oiv.sioic, xoO cpov£u9-ivxog.
2') Vgl. die Masse der ungriechischen Eigennamen in der Inschrift
CB 5727 = Dittenb. Syll.^ 11.
2-) räpyapa . . 'AXxiidcv 5e SvjXuxwg xyiv Täpyapov cpvjaiv. Iv f xa-
x(|)xouv AeXsyes. Das scheint also auch Alkman gesagt zu haben.
^') TaüxYjs ÖS (xf,s 'IwvixYjs napaXtag) cpyjal ^spex'JSyji; (FHG I 98)
Philologus LXVIII (N. F. XXII), 3. 28
434 WolfAly,
Soweit das kleinasiatische Festland. Beachtet man außer
den angeführten Zeugnissen noch die Tatsache, daß sich
Lydien seit etwa 700 nach Westen ausbreitet und augenschein-
lich die Küste, die es den Griechen abnimmt, vor diesen
nicht besessen hat, so ergiebt sich, daß Karer, Myser, Lyder
gegen Ende der mykenischen Epoche von Osten her einge-
brochen sind. Sie fanden bereits eine Bevölkerung vor, die
die Griechen den nicht griechischen Stämmen des Mutterlan-
des angeglichen haben und darum beide Teile Leleger nennen,
ein Name, der jedoch im äußersten Süden und Norden nie
im Gebrauch gewesen zu sein scheint, wie die Eteolcreter, die
Eteokarpathier und Lykier einerseits, die Pelasger und Tyr-
rhener andrerseits beweisen, die offenbar in denselben Zusam-
menhang gehören.
Komplizierter sind die Verhältnisse auf den griechischen
Inseln. Unser ältestes Zeugnis und zugleich dasjenige, das die
ganze augenblicklich herrschende Verwirrung angerichtet hat,
Herodot 1. 171 -*), setze ich wörtlich her, da es abgesehen
von einem kleinen Irrtum doch im wesentlichen richtig
ist : Die K a r e r sind auf das Festland gekommen von
TtpÖTspov, TTjV 5s i^fiz TiapaXiav ]xs'/^pi $ cü x a t a g xal X i o v xal ^ ä [jl o v,
%Z 'Ayy.aiog ^iP"/.£, AsJ.syaj. 'ExßAv^ö-f^vai ob äijLCfOTipous bnö löv 'Iwvwv
xal slg xa Xo'.Tidc p.epY) zf^c, Kapia? iy.Tieoatv. Für Chios vgl. Paus. 7. 4. 8.
nach Jon (FHG II 50), der dort Kreter und Karer kennt; wegen der
letzteren vgl. S. 437.
^*) Eiai Se Toüxcüv K ä p s g [Jisv ä,my\ie\oi. ig tyjv rjTrsipov ix xöv vi^-
otüv ■ TÖ Y^p ■mxXa.iby iö'mc, Mivw xaxrjxooi xal xaXeö[jisvot AsXs-
Y s g sT^ov xäg vT^oou? cpdpov [xsv ouSeva öttioxsXsovxss, 5aov xai ^y"^ Suva-
Tcs elp.1 (iTii) [laxpdxaxov sstxeoO-ai ccxo^ • oi Ss oxtüg Mivwg Ssoixo, en/.fj-
pouv ol xäg vsag" &xe Si] Mivco xe xaxeoxpajiiJievou y^l'' tioXXyjv xal euxu^sov-
xog x(p TioXeiiip, x6 Kapixöv f^v eS-vog XoYt|iü)xaxov xöv sO-vetov (x;rävxü)v
xaxä xo'jxöv Sjia xöv y^pö-jow ij.axp(|) [liX'.axa. xai ocpi xpi^ä i^zu pri\i az ex.
ifi^Bzo, xolo!. 0'. "EXXyjve; äy^pr^aoi.wxo • xai yäp iul xd xpävsa X ö cp o u g
entSsio^'at Käpej elat oi xaxaSs^avxsg xai lul xäg äaniSag xä a yj [x r^ t a
TioiEla&ai xai 5 x oc v a äontoi. o3xoi etat ot Ttoivjoäiievoi Tipcbxoi • xecüg Ss
äveu dxävwv icpöpsov xäg äoTitSag Ticcvxsg, ot:xep iwö'soav dantat xf^'^jo^a-)
XEXa^iwat oxuxlvoiot olvjxt^ovxeg uspl xoTai aOxsat xe xai xotat dptaxepolot
wiioioi 7:epixei}ievoi • |j.£xi Sl xoü; Kdpag x?^'''V ö^xspov noXXö Acoptstg xs
xai 'Iwveg igavdoxTjoav £x xöv vr^otüv, xai cjicü? I; xt]v Yjnetpov d;iixovxo.
Kaxd [lev 5y] Kdpag ouxcü K p ■^ x e g XsYouai y^veaS-at • ou ixevxot aOxol
YE 6[jLoXoYeouoi xoüxoiai ot Kdpeg, dXXd vojjiil^ouot aOxol Icüuxoüg efvai
aöxöx^ovag TjKsipwxag xai xq3 övöjiaxt xq) aüxq) alel 5'.axp£wp.£-
voug xcpnep vSv. Zuletzt völlig unzureichend besprochen von Ph. Kropp,
die minoisch-mykenische Kultur im Lichte der Ueberlieferung bei He-
rodot L. 1905, 13.
Karer und Leleger. 435
den Inseln ; denn vor Alters hatten sie als Untertanen des
Minos unter dem Namen Leleger die Inseln inne.
Sie zahlten aber keinen Zins, soweit ich durch möglichst
ausgedehnte Erkundigungen erfahren konnte, sondern bemann-
ten, so oft Minos es brauchte, dessen Schiffe. Da nun Minos
viel Land unterworfen hatte und im Kriege glücklich war,
war das karische (damals also lelegisch genannte) Volk
von allen Völkern bei weitem das angesehenste. Und sie
(die richtigen Karer) machten 3 Erfindungen, die die
Hellenen in Gebrauch nahmen ; denn die Karer waren es,
die zuerst zeigten, den Helmbusch auf die Helme zu
binden und auf die Schilde Schildzeichen zu machen,
und Handhaben haben sie zuerst an die Schilde gemacht.
Bis dahin trugen alle die Schilde, soweit sie Schilde zu ge-
brauchen pflegten, ohne Handhabe und steuerten sie mit
ledernen Tragriemen um Nacken und linke Schulter. Lange
Zeit nachher wurden die Karer von Dorern und Joniern von
den Inseln vertrieben und kamen so auf das Festland. Ueber
die Karer erzählen so die Kreter. Nicht jedoch stimmen die
Karer selbst mit diesen überein, sondern halten sich selbst
für alteingesessene Festlandsbewohner, und immer hätten sie
denselben Namen wie jetzt gehabt.
Soweit Herodot; und das Letztere ist unbedingt richtig,
da die Karer über sich selbst doch wohl am besten Bescheid
gewußt haben. Aber auch der erste Teil der Erzählung, das,
was die Kreter sagen, ist durchaus glaubwürdig, wenn wir
ihn auf die Leleger beziehn und von dem Versehen Herodots
absehen, diese mit den Karern zu identifizieren, wozu er ledig-
lich durch den Umstand veranlaßt wurde, daß beide, Karer
und Leleger in alter Zeit auf den griechischen Inseln bezeugt
sind. Seinen Irrtum haben die Späteren übernommen, wie
Thukydid. 1. 4, Philochoros bei Strabo 397, Steph. Byz. 272.
6, Ael. NA. 12. 30. Wir werden später sehen, daß sich das
Auftreten der Karer durch ihre sogenannten Erfindungen an
der Hand der Denkmäler datieren läßt; wenn sie vor den
Griechen auf den Inseln gesessen haben, so ist dieses unmög-
lich in minoischer Zeit der Fall gewesen. Leleger dagegen
haben wirklich auf den Inseln gesessen, wo sie durchweg als
28*
436 Wolf Aly,
Vertreter der mythischen Urzeit gelten, vergl. Fick vorgr.
Ortsn. 115. Ich wiederhole hier nur die Zeugnisse, in denen
Leleger ausdrücklich genannt sind, und sehe von den auf dem
Namenschatze beruhenden Kombinationen deshalb ab, weil da
allerdings karisch und lelegisch nicht reinlich zu scheiden ist.
Auf S a m 0 s und C h i o s kennt sie der schon genannte Phere-
kydes, Astypalaia (die Insel) heißt nach Steph. Byz. 140.
10 Mutter des Ankaios, des alten Lelegerkönigs von Samos,
auf Euboia endlich nennt sie Skymnos 571^^). Von den
Karern dagegen wissen wir nur folgendes. Thukydides 1. 8
giebt, nachdem er 1, 4 nach Herodot, dessen Werk er offen-
bar kennt, kurz über Minos und dessen Karer referiert hat,
den authentischen Fundbericht dessen, was sich 426 bei der
großen Reinigung der Insel Delos ergab ^"j : Es seien über
die Hälfte der ausgenommenen Gräber karische gewesen, die
man an der mitbegrabenen Waffenrüstung und der Bestattungs-
weise erkannt habe. Was das mit den Waffen auf sich hat,
ist schwer zu sagen; denn die oben erwähnten Erfindungen
der Karer können damit nicht gemeint sein, da sie zu Thu-
kydides Zeit schon längst von den meisten Griechen übernom-
men waren. Vielleicht meint Thukydides das, was Herodot
5. 112 von einem karischen Schildknappen erzählt, er habe
mit einem Sichelschwert SpsTiavo) gekämpft, derselben Waffe,
deren sich auch die karischen und lykischen Schiffe nach
Herodot 7. 92 — 93 bedient haben. Jedenfalls klingt der Be-
richt des Thukydides zuverlässig. Der Inhalt dieser Gräber,
der in einer großen Grube auf Rheneia gefunden ist, zeigt, was
für Leute diese Thukydideischen Karer gewesen sind. Leider
ist außer den kurzen Notizen im JHSt. 22. 47 noch nichts publi-
ziert. Die mit außerordentlicher Sorgfalt von Herrn Ephoros
Stavropulos wieder zusammengesetzten Gefäße befinden sich im
Museum von Mykonos und gehören dem melischen, rhodischen
'^^) npcüTou^ 5' SV auTY; (Euboia) cpaatv olxf;aat npb toO (iiyäSag auvoinoug
Ai.XBfOLg,.
■^) AVjXou yäp xaO-ÄtpoiisvT]?; unb 'A9-yjvoclü)v äv xcpSs tw uoXijJicp xotl
TÖv 9-yjx(T)v ävaipc9-£'.acov, Saai •^^aav xwv teS-'/Süitcüv Iv xv; vV^otp, UTtep y^ji'.oo
Käpeg ilyävrjaav, yvcüad-svisj zfi zz ay.Bu-Q twv dnXan guvxeS-aiJiiisvv; xai xcp
TpoTitp w V ' j V sTt ^ocTi-o'jat. Aus letzterem geht hervor, daß er wirk-
lich historische Karer meint. WHgen der Waffen vgl. den hettischea
Krieger mit Sichelschwert und Rundschild Perrot-Chipiez IV S. 741.
Karer und Leleger. 437
und früliattisclien Stile an. Die ältesten Gefäße, protomelische
und protorliodische, stehen dem geometrischen Stile sehr nahe
und erinnern etwa an die ältesten Münzen von Milet.
Aelter als geometrisch ist nichts ^'). So weist diese Nach-
richt die Karer deutlich in nachmykenische Zeit. Allerdings
ist es möglich, daß auf Rheneia nur ein Teil des Gräberinhalts
bisher gefunden ist ; auf Delos sind in der Tat kürzlich eine
ganze Menge mykenische Scherben zu Tage getreten. Wir
müssen also mit der Möglichkeit neuer Funde rechnen. Die
mykenischen Scherben auf Delos beweisen aber nichts, da diese
Insel, wie schon der lykisch-kretische Leto-Kult und die
kretische Britomartis zeigen, bereits in minoischer Zeit be-
siedelt war und ähnlich wie Melos und Thera unter kretisch-
lykischem Einfluß gestanden hat.
Die übrigen Nachrichten von den Karern sind zeitlos.
Abgesehen von S y m e und anderen Inseln, die unmittelbar
zu Karien gehören, hieß Astypalaia nach Steph. Byz,
140. 9 Pyrrha, „als die Karer sie inne hatten", Naxos
nach dems. 468. 8 von einem gleichnamigen Führer der Karer.
Auch Kos hieß nach Hellanikos bei Steph. 359. 15 Karis
und auf Samos gab es einen Berg Kariös CJG 2905, vgl.
Aristoteles bei Rose, A. Fs. p. 517. Die Stadt Karis auf Chios
nach Ephoros bei Athen. 105 D leitet allerdings Fick, Hattiden
u. Danub. 15 wohl mit Recht her von den xapios;, den See-
krebsen. Wenn Nikolaos Dam. bei Steph. Byz. 580. 1 als Be-
wohner von Skyros Pelasger und Karer nennt, so entnahm er
letztere aus Herodot, was übrigens bei den übrigen Zeugnissen
nicht ausgeschlossen ist. Auch folgende Kombination ist hier
kaum zu verw^enden. Wenn Steph. Byz. 331. 14 behauptet, bei
den Karern hieße Hermes Imbraraos, so ist zwar der Name der
Insel Imbros offenbar ein sehr nahestehendes Wort ; daß Karer
dort gesessen haben, beweist das nicht. Als besonders charak-
teristisch hebe ich hervor, daß die Karer, wo sie überhaupt
sicher bezeugt sind, nie in die mythische Urzeit verlegt werden.
Dazu stimmt nun, was uns Reicheis homerische
Waffen für die sogenannten Erfindungen der Karer gelehrt
^'') only one Mykenaean vase occurs and that of poor and late
style.
438 WolfAly,
haben. Es handelt sich um den Helmbusch, die Handhabe
des Schildes und das S c h i 1 d z e i c h e n. Der mykenische Helm
hatte zwar auch einen Busch, doch dieser ist von dem späteren
griechischen wesentlich verschieden imd kam, wie Reichel
Ab. 43 b und die Faustkämpfervase von Hagia Triada zeigen,
unmittelbar aus der Helrakappe hervor. Die Lophosröhre des
griechischen Helmes ist vor der Aristonothosvase nicht nach-
zuweisen (Reichel 99, 106, 110); wie aber ein karischer Krie-
ger ausgesehen hat , lehrt Plutarch Artax. 10, der berichtet,
die Perser hätten des Haarbuscbes wegen die Karer Hähne
genannt ^^). Das paßt eben so schlecht auf den mykenischen
Helm wie gut auf den griechischen mit der Lophosröhre.
Die Handhabe ist, wie Herodot ganz richtig sagt, an dem
großen mykenischen Schilde nicht vorhanden, sondern erst
am Rundschilde, der jünger als der große ist, nachzuweisen,
und zwar nicht vor dem 4. Firnißstil. Der Rundschild ist im
Osten zu Hause ^^) ; auch die Sardana, die wir seit Ramses IL
als ägyptische Söldner kennen und die ins westliche Klein-
asien gehören, führen ihn, während die westgriechischen Dorer
den homerischen Schild beibehalten haben, vgl. Handb. IV 1.
2. 304. Auch das Schildzeichen hat erst Sinn am Rund-
schild; es ist ein Zeichen verständnisloser Interpolation, wenn
der Verfasser von II. 11. 36 — 37 dem mykenischen Schilde
ein Schildzeichen gibt, wie Reichel 42 näher ausgeführt hat.
Auf die Karer also führte man eine sehr bedeutsame
Aenderung des Kriegswesens, die gegen Ende der mykenischen
Epoche eingetreten ist, zurück. Es liegt kein Grund vor, an
der Richtigkeit der Tradition zu zweifeln. Wir kennen wirk-
lich die Karer als Söldner in Hellas seit Archilochos, vgl.
auch Strabo 662^°) und sehen deutlich, wann und warum ^^)
sie nach Hellas gekommen sind. In diesem Zusammenhang
seien die noch fehlenden Zeugnisse aus dem Mutterlande und
^^) Kai yap aütoüc xoüg Käpaj äXEXxpudvas ol Ilepaai Sia •coüg Xöcpoug,
ofg v.oo\i.omi ICC xpccvYj, upGarjyopeuov.
»ö) Vgl. Heibig, österr. Jahreshefte XII 1905 S. 1, besonders S. 44,
der andere, wenig wahrscheinliche Gründe für das Fehlen des Rund-
schildes auf mykenischen Denkmälern anführt.
3°) Outot de (die Karer) xaO-' öXr^v inXavVj'S-TjTav iyjv 'EXXäSa tita&oü
OTpaTEÜovieg vgl. Anm. 37.
^') Vgl. auch ihr Auftreten als Seeräuber s. u. Eine geschlossene
Wanderung des Volkes ist es nicht gewesen.
Karer und Leleger. 439
den Kolonien angeführt , die deutlich zeigen , daß die Le-
leger durchaus der mythischen Zeit angehören , während
die Karer in historischer Zeit mit den Hellenen mehrfach in
enger Verbindung gestanden haben.
Die Leleger werden häufig in der allerältesten Sagen-
geschichte vieler griechischer Städte genannt. Unsere Quellen
sind verhältnismäßig gut, teils Reste des Heroenkultes teils
epische Tradition. In Sparta in der Gegend von Aphetai
hatte Lelex ein Heroon, wie Paus. 3. 12. 5 erzählt. Die
Nachricht giebt nicht viel aus; doch zeigt sie, daß man ein-
mal den Lelex als einen der Urväter gedacht hat, dessen
Grab man pflegte. Daher soll nun auch Lakedaimon Lelegia
geheißen haben Paus. 4. 1. 2, Lelex ist der älteste König,
älter als Amyklas und all die andern Paus. 3. 1. 1. Steph.
Byz. 407. 1. Auch Messenien wird von Paus. 4. 1. 2 nach-
träglich in diesen Zusammenhang gezogen, da es nach der
Schwiegertochter des Lelex benannt sein soll. Megarische
Leleger nennt Paus. 4. 36. 1. in Pylos. Solideren Boden
treffen wir erst in Megara, wo ein solches Ahnengrab am
Abhang der Burg Nisaia nach dem Meere zu lag Paus. 1.
44. 3 ^^). Lelex soll aus Aegypten gekommen sein Paus. 1,
39. 6. Das hängt offenbar zusammen mit dem in den Hiketiden
des Aischylos niedergelegten Sagenkreise und muß irgendwie auf
reeller Grundlage beruhen, da Aegypten nun einmal das alte
Kulturland ist, und die Beziehungen Megaras zu Kreta, einer
Station auf dem Wege dorthin, bekannt sind. Doch haftet
die Tradition, wie die Sage des Danaos zeigt, nicht an dem
Namen des Lelex ; man hat eine bekannte Sage auf den Orts-
heros übertragen. In denselben Kreis gehört noch Trozen,
wo allerdings nur Ovid met. 8. 567, 623 den Helden Lelex
kennt. Zu diesen Spuren muß die alte Bevölkerung von Arkadien
und der Kynuria in irgend welcher Beziehung stehen ; genaueres
ist nicht bekannt.
Dieser Peloponnesische Lelegerkreis ist von dem mittel-
griechischen zu trennen, der von Leukas bis nach Euboia
**) Kaxaßäai 5s sn zr^Q dxpoTtöXscüg (Nisaia) |iVYip,ä kau Tipög S-aXäaaij
AeXeyog, ov d'^tx&iiEvov ßaaoXeöaai Xifouaiy l§ AIyutixoü, naiSa Se elvat
IlooetScüvog xal AißÜYjg xfjS 'Eudcfou.
440 Wolf Aly,
reicht. Unser ältester Zeuge ist Hesiod Frg. 115 Rz'^). der
den L o k r o s Führer lelegischer Völker nennt. Alles Uebrige
verdanken wir den Politien des Aristoteles, aus denen Strabo
822 ^^) berichtet, die Leleger hätten besessen : den westlichen
Teil von Akarnanien und die Insel Leukas, Lokris
und B öo t i e n. Auf E u b o i a , das eng dazu gehört, kennen wir
sie schon. Wir sind nicht berechtigt, das alles für Konstruk-
tion zu halten. Denn wenn Aristoteles den Namen Leleger in
weiterem Umfange als andere gebraucht, so wird er dazu
seinen Grund gehabt haben ; Reste ungriechischer Stämme hat
es sicher in jenen entlegenen Gegenden gegeben. Vereinzelt
steht die Mitteilung bei Steph. Byz. 89, 1 ^^) nach Suidas,
Amyros östlich des boibeischen Sees sei lelegisch gewesen.
Niemand wird behaupten wollen, wir seien über die Aus-
dehnung der Leleger oder der Stämme, die diesen Namen ver-
dienen, vollständig orientiert. Doch zeigen die Angaben der
Alten deutlich, daß eine geschlossene einheitliche Urbevölke-
rung durch die von Norden her einbrechenden Griechenstämme
auseinandergesprengt und bei Seite gedrängt ist. Wir finden
sie daher vorwiegend in abseitsliegenden Winkeln Griechen-
lands, im äußersten Osten, im Westen, im Süden. Besonders
die Zersplitterung des lokrischen Stammes ist ein bleibendes
Denkmal, daß es Avirklich so gewesen ist, wie die griechische
Tradition lehrt. Ich meine natürlich mit der Südwanderung
der Griechen nicht die dorische Wanderung, sondern das
erste Vordringen griechischer Stämme, das an den Namen der
Achäer anknüpft, obgleich auch dieser nur als pars pro toto
verstanden werden darf. Damals also hat sich eine Schicht
griechischer Stämme über die lelegische Urbevölkerung gelegt.
Nach der dorischen Wanderung gibt es im Mutterland keine
") 'H TOI yäp Ao-Kpbc, A s X e y w v 7iYr;aato Xaöv, xo'jg |5ä ixoxe KpovCdrjc
Zeug ä90-tTa |j.T(§ea el5(b; Xextou; £x yatyjs dXsag Tidpe AsuxaXitüvi. Da-
nach Piin. NH 4. 27, für Physkos in Lokris auch Steph. Byz. 675. 10.
2*) 'Ev [lev yäp xfi 'Axapvävwv cfYjal (Aristoteles in der entspr.
Politie) TÖ jiev exetv aOx'^f Koup^^iaj, lö bk TipoasoTceptov AeXeyag, slza.
TyjXeßdaj. 'Ev Se x^ xwv AixwXcöv xoOs vöv A oy. p ob c, AeXeyas
xaXei • xaxaoy^eiv 5e y.al xy)v B o i ü) x l a v aüxo'jg cpyjotv • ö[j.oiü)g 5s v.ai sv
T-^ '0 71 0 u V X ( 0) V xal M e Y a p £ tu V. 'Ev 51 x-^ A e u x a S i cu v xai aOxöx-
5«vd xiva AeXeya övoiid^eu
'^) "Ajiupog TiöXic öeoaaXiag . . . SooiSag 5' sv xtxig YevsaXoyiatc 6xt
ouxot sxaXoövxo 'Eop5o£, öaxepov Se AeXeysg.
Karer und Leleger. 441
Leleger mehr ; sie sind aufgesogen, wie überhaupt eine dreifache
Schichtung nur ganz gelegentlich, z. B. in Lakedaimon, nach-
zuweisen ist.
Ganz anders ist das Bild, das uns die Ueberlieferung von
dem Verhältnis der Karer zu den Hellenen entwirft. Keine
Spur weist in heroische Zeit zurück, alles spricht für ein
intimes Zusammenleben seit frühhistorischer Zeit, eine Ver-
bindung, in der freilich die Hellenen allein das führende
und kulturbringende Element gewesen sind. In Athen
opferte die Familie des Isagoras nach Herod. 5. 66 ^'^) dem
Zeus Kariös; das kann nach dem, was wir von diesem Gotte
wissen, nur bedeuten, daß die Sippe aus Karlen stammte und
sich dessen noch erinnerte. Ein Karer ist auch jener Exeke-
stides, den Aristophanes in den Vögeln 764 verhöhnt. Auch
der Sklavenname Karion gehört hierher '"). Das Orakel vom
Ptoion konnte noch im Jahre 479 dem Abgesandten des
Mardonius, Mys von Euromus in Karlen, in seiner Mutter-
sprache Bescheid geben nach Herod. 8. 135^®); unsichere
Spuren scheinen nach Epidauros und H e r m i o n e zu
weisen ^^). Auch auf die Verbindung der Karer mit Phöniziern
bei Thuk. 1. 8 sei hingewiesen.
'*) Oüouat, Se oi ouyysvsls aÜToü (des Isagoras) All Kaptö).
3^) El 5s SoöXög ioTt y.al Kap wgnsp 'EgrjXsatiSyjg. Für Kapiwv vgl.
Pape-Benseler 624; bemerkenswert ist schol. Fiat. Lach. 187 B: Käpsg
yäp Soxoöot np&zoi iii.o9-ocfopy)oai, 69-ev xal elg itöXsfiov auxoüg upoitax-cov.
'EvTsO^)-EV yctp xal xo'j; |xtxpoüg oxpaTitöxag xtvsg K a p i (ü v a g
Tipoayjyöpsuov.
2*) . . , xal Txpöxaxs xöv Tcpöjiavxtv ßapßäpcp yXwaarj XP*^ • • • "^^"^ ^'^
Eöpcüjisa MOv sgapTxäaavxa ixap' aüxöv xyjv ecpspovxo SsXxov, xä Xey6\is\(x.
ÜTtö xou Txpocf rjxou Ypäcfeiv ig auxrjv, cpdvat 5s K a p i •)[) |iiv yX(baa'Q y^pöLv,
danach Paus. 9. 23. 6.
^^) Nicht hierher gehört die Burg K a r i a von Megara. Der
Name (bei Paus. 1. 40. 6, Steph. Byz. o59. 12) ist von König Kar ab-
geleitet, wie Kadmeia, Kekropia, Minoa. Sein Grab auf dem Wege
nach Korinth Paus. 1. 44. 6. Dieser selbst gehört wieder zusammen
mit dem Gott (Apollon) Kaplvog, dessen pyramidalen Stein im alten
Gymnasion von Megara Paus. 1. 44. 2 nennt. Mit dem Karneios (so
Wide Laken. Kulte S. 86) hat er nichts zu tun. Nach der Form seines
Fetisch steht er eher dem Agyieus nahe. Ueber das Suflfix-tvo; vgl.
Kret. ApoUonk. S. 21. Nun ist als Name des alten Gott-Königs die
Bezeichnung „der Karer " undenkbar. Viel eher möchte man Zeus Ka-
raios von Böotien heranziehen (vgl. Hesych, JG. 7. 3208, Kratin II 85
Meineke, wonach Photios lex. Käpiog Zeü? zu korrigieren ist. Dazu
die Eigennamen KaptXog in Selinunt JGA 57, Kapiwv im Kopai CB
bb6. 5 (nicht zu verwechseln mit dem Sklavennamen Cärio)?
442 Wolf Aly,
Endlich sind Karer auch in die Kolonien gekommen.
Am P o n t u s gab es einen Karerhafen *°), in Memphis
hießen die beiden Fremdenviertel nach Steph. Byz. 359. 20 u.
268. 9*^) Hellenikon und Karikon, ein Zeichen, daß, seit
überhaupt Fremde nach Aegypten hineingelassen wurden, Hel-
lenen und Karer Hand in Hand gegangen sind. So treten
beide zusammen auch als Söldner in ägyptischen Diensten bei
Herodot 3. 11 auf. Karer scheinen ebenso an den Söldner-
inschriften von Abu Simbel *^) beteiligt gewesen zu sein. Dazu
noch ein Punkt aus dem Privatleben : Herod. 5. 88 versichert
uns, die ionische Kleidung sei ursprünglich karisch gewesen.
Und auch die Stellung der Karer im griechischen Sprichwort
lehrt ein Zusammenleben in historischer Zeit, z. B.: Schlimm
sind die Lyder, schlimmer die Aegypter, am schlimmsten von
allen die Karer (als Seeräuber) oder: Den Karer karisch be-
handeln, etwa in dem Sinne: Auf einen groben Klotz gehört
ein grober Keil ^^).
Zum Schluß sei bemerkt, daß unbeirrt durch den von
Herodot verschuldeten Irrtum die antike Gelehrsamkeit bereits
das Richtige gesehen hat. Der Chronograph bei Diodor 5.
84 ■**) sagt, nachdem er die Thalossakratie des Minos vor dem
Danach ist Fick VO. 111 zu korrigieren: Nicht die Leleger erschie-
nen später als die Karer in Megara, vgl. Paus. 1. 39. 6, sondern vor
die Leleger setzte die Sage bereits den alten Gott-König Kar. Dies
ist übrigens die einzige Spur einer Lelegerwanderung.
Ebenso ist wohl über Aristoteles bei Strabo 374 zu urteilen: tj 5' 'Eui-
5ai}pog IxaXelxo 'EuL^apog • cpv;ot yäp 'ApiaxoxeXvjg xaiaa^slv auTY)v Kapag
üjoTisp v.(xX 'EpiiLovyjv. Die Quantität des a würde entscheiden. Wie soll
denn überhaupt 'Eirixocpog von dem Volksnamen der Karer abgeleitet
sein?
^") Kapöv Xt[jiYjV vgl. Pape-Benseler 620 , wegen des Namen vgl.
Kapwv äaxu am Taurus App. b. civ. 1. 97, Kapwv xü)|jLai in Babylonien
(Deportation) Diod. 19. 12. 1.
*') KaptxGv xöuog ISicci^cüv 4v Meiicp'.Si, ev9-a Kapeg clxT^oavte^ iTriyaii^as
Ttpög M£p,cpiTag 7iOLyjaäp.svoi KapojxejJicptxat, ix^TiS-rjoav — 'EAXvjvixöv vcal
•Kapixöv TOTiot dv Me[iq;t,§i.
^■^) Vgl. CB. 5261 a Anm. zu HsXsqog.
*^) AuSol TTOvyjpol, Seüxepoi 5' Aly'Juxtoi, -rpixot. 81 uävxwv Kapsg igw-
Xsaxaxoi und upög Kapa xapi^sif;, Stellen bei Pape-Benseler 620, wo
fälschlich hierher gezogen ist: 'Ev xapl 6|Jiiv 6 xiv5uvog „um nichts".
*■•) Msxä 51 XYjv Tpoia? äcXioaiv Käpsj aOgrjO-svxss era xö TiXelov iO-aXaxxo-
xpocxr^oav xaL xwv KuxXdScüv vrpwv "/.paxrjOavxeg xtvä; pisv IStq: xaxsaxov
xai xoüg £v auxalg xaxoixoOvxas Kpfjxag egeßaXov xiväg 5s xoiv^ |Ji£xä xöv
Tcposvoixoüvxtüv Kpr;X(Jöv xaxqjxrpav. uaxepov 5s xwv 'EXXt^vcüv aü^Y)9-evxtüv,
ouveßyj lä-z uXstouc; xwv KuxXdcScov ^-i^Qw^i olxio&Yjvai xal loüg ßapßäpoug Kä-
pag ig aüxcöv exjtEoelv.
Karer und Leleger. 443
Troika erwähnt hat: Nach der Einnahme von Troia
wuchsen die Karer gewaltig und herrschten zur See. Die
Kykladen eroberten sie und behielten sie teils selbst, nachdem
sie die dort wohnenden Kreter hinausgeworfen hatten, teils
bewohnten sie sie gemeinsam mit den alten kretischen Ein-
wohnern. Später als die Hellenen wuchsen, geschah es, daß
die meisten Kykladen besiedelt und die barbarischen Karer
hinausgeworfen wurden.^ Woher er diese Kenntnis geschöpft
hat, kann uns hier gleichgültig sein; jedenfalls hat er Recht.
Die Leleger nennt er Kreter, wie auch schon von E. Meyer her-
vorgehoben wurde, daß der Name der Leleger, wie die home-
rischen Zeugnisse zeigen, vei'hältnismäßig jung ist. Auch das
beweist; denn so lange ein lebendiges Zusammenleben griechi-
scher und nichtgriechischer Stämme bestand, wird man geneigt
gewesen sein, die Einzelstämme individuell zu bezeichnen. Das
ist Brauch im alten Epos. Mit der dorischen Wanderung hört
ihre selbständige Existenz auf. Man hat damals versucht, die
nichtgriechischen Elemente unter dem Namen Leleger zusam-
menzufassen, ohne daß derselbe durchgedrungen ist. Später
hat eine vollständige Vermengung mit Pelasgern, Tyrsenern,
Minyern und Kretern dazu geführt, mit diesem Namen nichts
anderes als eine bestimmte Art von Barbaren zu bezeichnen.
Wir besitzen in dieser Vermengung ein Anzeichen für die
ethnologische Zusammengehörigkeit der genannten Stämme.
Ich kehre zum Ausgangspunkt zurück. Obgleich Urver-
wandtschaft der Kreter und Leleger mit den „Kleinasiaten"
nicht geleugnet werden kann, ist doch die Verbindung früh-
zeitig unterbrochen. Nur Lykien, Labraunda, Troas, Tenedos
u. a. scheinen Reste des alten Bestandes zu sein. Die Grenze
ist noch heute erkennbar. Die kleinasiatische Lautverschiebung
von nth zu nd reicht bis nach Rhodos (Lindos, Kamyndos, Bry-
gindara), während sie auf Kreta unbekannt ist (vgl. Laby-
rinthes, Radamanthys, Pyranthos, Syrinthos, Berekynthos).
Und auch die archäologischen Tatsachen scheinen, bisher wenig-
stens, soweit aus den wenigen Funden geurteilt werden darf,
dafür zu sprechen; weder auf Rhodos noch in Milet ist bis-
her Altkretisches gefunden. Mit dem Zusammenbruch des
Hettiterreichs von ßoghazkiöi und der Einwanderung der
444 Wolf Aly, Karer und Leleger.
Phryger im Norden ist auch im Süden mit der Gründung von
Milet, Priene, Magnesia, Ephesos von Kreta aus die Grenze
überschritten ; damals muß auch der Vorstoß der Karer, Lyder,
Myser von Osten nach Westen stattgefunden haben ^^) , der
sich bis in historische Zeit fortsetzt. Nach dem Zusammen-
bruch des Minosreiches haben die Stürme der dorisch-ionischen
Wanderung die Grundlage für die eigentlich ionische Kultur
unter starken Einfluß des Orients geschaffen und die älteren
Beziehungen verdunkelt.
So teilt die kretische Religion nur die Anfänge mit
Kleinasien, das seine eigene sehr komplizierte Geschichte hat.
Für die weitere Entwicklung dürfen wir Material nur in
Hellas, Lykien, der Troas, auf den Inseln und gelegentlich
als älteste Schicht in Kleinasien erwarten. Unter diesem Ge-
sichtspunkt wäre eine Analyse der kleinasiatischen Kulte, vor
allem unter Benützung der Inschriften, sehr wünschenswert.
Auf Kreta werden leider die griechischen und römischen Denk-
mäler und Inschriften bisher den minoischen gegenüber ver-
nachlässigt, sodaß wir erst später auf mehr Material und mehr
Klarheit hoffen dürfen.
Freiburg i. B. Wolf Ali/.
") Aebnlich äußert sich bereits Dümmler AM 11. 45, vgl. auch
Thraemer Pergamos L. 1888 S. 356 ff.
Miscellen.
6. T5dt>y.
(Zu dem Schifferlied aus Oxyrhynchos)
NaOxac ßu'O-oxufAaxoSpojAOt
äXc'wv TpcTwves Ooaxwv,
xa: NecXöxac yX'JxuSpG|j,oc
xa yeXwvxa uXeovxsg u 6 a x 7] ,
5 XTjV auyxpcatv eiTiaxe cpi'XoL
neXdyouc, v.al Nei'Xou yovcfxou.
Diesen Sechszeiler haben Grenfell und Hunt, Oxyrli.
Pap. III Nr. 425 aus einem Papyrus des 2. oder 3. Jahrh.
n. Chr. ediert. Wilamowitz schreibt in den Gott. Gel. Anz.
1904, 670 \ einige Irrtümer der Herausgeber stillschweigend
korrigierend: „Ein merkwürdiges Liedchen der Nilschiffer, un-
versehrt erhalten, Versmaß ^^ — ^^ — | -- ^ ^ zum Schluß
- - ^ ^). Sinn 'Seeschiffer und Nilschiffer, zieht einmal eine
Parallele zwischen See und Nil', da konnten zahllose Verse
auf dieselbe Melodie improvisiert werden"^). Als Einleitung
zu einem poetischen Agon bezeichnet die Verse Crusius Philol.
66, 315.
Statt uSaxr] haben die Herausgeber (zuletzt Crönert, Rhein.
Mus. 64, 444 f.) üoaxa in den Text gesetzt. Aber auch diese
Stelle ist unversehrt : das zeigt die Metrik. Wir besitzen ein
umfangreicheres Lied des gleichen Maßes, den auf einem Pa-
pyrus des angehenden 4. Jahrh. ^) überlieferten christlichen
^) Ich lese lieber NsiXob. Für Verkürzungen unbetonter Silben
bietet der Amherst-Hymnus (Anm. 3) genügend Beispiele.
^) Die o'JyxpLatg spielt schon in das Prooimion hinein: aXtwv und
yXuy.ubp6\ioi sind im engsten Sinn zu fassen ; aus yciV'.\iou hört man
leicht ätpuyexoug zu TieXävouc; heraus; auch Tpiicüveg klingt wie Spott.
Es war wohl eine Art Trutzgesang eingeleitet.
ä) Amherst-Papyri ed. Grenfell and Hunt, 23 mit Tafel II; auch
in Cabrols Dictioniiaire d'archeol. ehret, et de liturgie I s. v. acro-
stiche mit Tafel und bei Wessely in der Patrologia orientalis IV 205.
446 Miscellen.
Taufhymnus, ein alphabetisches Akrostichon in Tristichen wie
dieses :
Jrpoüc, 6 Tia'ö'WV ivl tuttocs*)
tTcwv Ott vwxa Tcapexw
tva [xr] •9'avdTW TiepcKsarj^g).
Die etwa 70 erhaltenen Verschlüsse sind bis auf 10^ ■9'Eou par-
oxytonisch, die Schlußsilben fast alle lang^). Die gleichen Ge-
setze gelten für das Schifferlied ; somit ist uddzrj gesichert und
gleichzeitig erklärt, warum der Dichter, ein Mann aus dem
Volk, wie es scheint, die seltsame Form ^) hervorgeholt hat.
Nebenbei: durch die Identität des Metrums in diesen so ver-
schiedenartigen Dichtungen fällt Licht auf die Tatsache, daß
Areios seine religiösen Ideen in Müller-, Schiffer- und der-
gleichen Liedern verbreitet hat (Philostorgios 2, 2).
München. Patd Maas.
7. Zu Thuk. I, 24, 3.
Ta xeXeuxaca npb xoOSe xoö 7ioXe{i,ou 6 S^fios aöxwv (d. i.
xwv 'ETCioa|xvt(i)v) s^eoLW^e lobc, ouvaxou?, ol ok dTieX-S'övxes
fjiexd xü)V papßdpwv eXtj^ovxo xou; ev xrj nöXei xaxd xe yfjv xac
xaxa •9'dXaaaav. Krüger bemerkt: „dTcsXQovxes nach ihrer
Vertreibung; ineXd-oyxec, vermutete Haase Lucubr. p. 60".
Böhme-Widmann: „dTieXÖGVxe^ sc. ex xf^; TioXew? Tzpbc, xoü;
ßapßdpou^". Fr. Müller (Kommentar, Leipzig 1894) nimmt
„oi in eld- öv X B Q = ol cpeuyovxe?, die zu den Barbaren über-
gegangenen Vertriebenen". Classen-Steup: „ 1 7i eX^övxe^ mußte
mit Haase st. aneld-ovxec, der Hss. geschrieben werden; denn
der enge Zusammenhang des part. aor. mit dem vb. finitum
verlangt eine unmittelbare Einwirkung des erstem auf das
zweite (iXfjt^ovxo), die in dem Ueberfall (eTieXx^ovxe?), nicht
*) ETO TOUTots(?) Pap,: corr. G.-H., cf. 10^. IP. IT».
^) 3* Y'^lJ-°"' TjXu&ss ßaaiXf/og Pap.: lies ßaaiXewg, auch wegen der
Paenultima. Da 7^ . . . Xov nichts beweist, ist 5^ [iaxpö&ev die einzige
sichere Ausnahme. Länge der Schlußsilbe ist Regel bei Babrios, bei
einigen Anakreontikern (vgl. Crusius, Philo). 47, 23ti), streckenweise bei
Synesios, und, unter gleichzeitiger Vermeidung des Hiatus, in den
Anakreonteen der Tragopodagra 30 — 58. Durchgebende Paroxytonese
ist nach Babrios erst im 4. Jahrh. wieder bezeugt, doch läßt sich eine
Vorstufe, vermiedene Endbetonung, schon im 3. Jahrh. v. Chr. erkennen
(Hanssen, Rhein. Mus. 38, 220 ff.).
') mXd-{yi mag eingewirkt haben, Krumbacher erinnert mich an
neugr. SevSpyj.
Miscellen. 447
in dem Abzug (aueX^oviEi;) enthalten ist". Der in diesen
Erklärungen nicht gesuchte Gegensatz zu e^eoo'to^e (d. i. ex
xfiQ TioXeco;, sc. Ttpbc, xou? ßapßäpou«;, denn Tcpoaocxoöac auxT]v
(d. i. 'EucSafxvov) TauXavxLOt. ßapßapo^, h. es § 1 desselben Ka-
pitels) ist zweifellos — iTiaveX^-ovxzc, , wie, wenn zu ändern
wäre , geändert werden müßte , aber das überlieferte
d7ieX\)'6vT£; kann das ja mit und ohne in ol'xou heißen
(z. B. I, 92, 2 ol npea^eic, exatspcov aKfiXd-ov in oiy.o\) äveni-
xXrjxws; I, 95, 6 ol §e ala%-Q\i£yoi dnfjX9-ov; III, 4,4 7i£[ji,7toi)-
otv ic, xd? 'A^Yjvac; oi MuxcXrjvato: — , eC tiw? Tcetaeiav xd; vaü;
dixeXiJ-ecv) ; es gehört [Jiexd xwv ßapßdpwv zu beiden Verbalbe-
grilfen, und das umständliche ol de dneXd-ö^xec, dnb xöv ßap-
ßdpwv in ol'xoi) ptsxd xwv ßapßdpwv hXfiQovxo xou; ev xv) nöXei
— hat Thukydides gekürzt.
Leipzig. Johannes Baunack.
8. Zu Vergils Eclog. I 59. 60.
Die Verse Vergils Eclog. I 59. 60 las man bis in die
Mitte des vorigen Jahrhunderts immer so:
Ante leves ergo pascentur in aethere cervi
Et freta destituent nudos in litore pisces.
Die Lesart aethere bieten P. R.a. b. c. , Servius, Aldhelm, Probus
in Institut, artium (= H. Keil, Grammatici latini IV 149, 3)
und Priscianus (= M.Hertz, Grammat. lat. III 26, 11), während
Wakefield aus dem Codex Moretanus 4. aeqitore einsetzte, was
schon Gerda, Burmaun und Triller (()bservat. criticae p. 27)
vorgeschlagen hatten; aequore wurde dann durch H. Keil im
Philologus II (1847) S. 166 aus M. Valerius Probus nachge-
wiesen, [vgl. M. Valerii Probi Commentarius in Vergilii Buco-
lica et Georgica ed. H. Keil (1848) p. 5, 13] und seitdem
lesen an dieser Stelle aequore 0. Ribbeck, sowohl in seiner
großen Ausgabe (vgl. auch seine Prolegomena p. 165) als in
seiner Textausgabe, ferner Ladewig- Schaper, während sich
Ameis (Spicileg. explicat. Vergil. 1851 p. 3), Schenkel (Zeit-
schrift für Oesterreichische Gymnasien III 1852 S. 394), Wag-
ner (Lectiones Vergilianae im Supplementband zum Philologus I
1860 p. 311) und auch Forbiger (editio IV 1872) wiederum
mit den alten Gründen für Beibehaltung der Lesart aethere
aussprachen.
Ich möchte für die Lesart aequore eine Parallel-
stelle anführen , die ich bisher in keinem Kommentar zu
448 Miscellen.
Vergil gefunden habe, die aber m. E. entscheidend ist,
nämlich Archilochos bei Stobaios Florileg. CX 10 (=
Bergk P. Lyr. Graec* 74, 31):
}i,y]5' öxav SeXcprac ■8-^pec avxaiJie^jiwvTai vo\i6y
evaXwv v.oc'i acptv 'ö-aXiaar^g '}^yks.vzoi. 7.u{Jiata
cfiXtep' fjTtcipou yevrjtao, TOLac 5' i^ou -^ öpo? ^).
Diese Verse des Archilochos , die ebenso als diejenigen Ver-
gils die Unglaublichkeit oder Unmöglichkeit bezeichnen sollen,
scheinen mir geradezu das Vorbild für Vergil gewesen
zu sein, denn es entsprechen genau : hzX^Üvtc, des Archilochos
den pisces des Vergil, ■ö-V/pe?, jagdbares Wild, den cervi, YjTcet-
po? und opoc, dem in litore, und gewissermaßen als 4. Glied
der Gleichung nun auch vojjiö? lydXioc, und fjxeevca xu-
[iaxa dem in aequore Vergils!
Auch die Nachahmung dei- Vergilischen Verse durch
Nemesianus Eclog. I 75 :
Namque prius siccis phocae pascentur in arvis
Insuetusque freto vivet leo.
spricht entschieden für die Lesart aequore!
Gotha. Max Schneider.
^) So conjicierte G. Hermann (Elementa doctr. Metrie, p. 49) für
das handschriftliche xoloi S' vjSü t^ v Spog, das Schneidewin Delectus
poetarum II p. 189 , Meineke fStobaei Floril. IV 57, 10 und Bergk,
Poet. Lyr. Graec. ed. II (185::!) ed. III (1856) ed. IV (1882), auch in
seiner Anthologia Lyrica ed. I (1854). ed. II (1868), E. Buchholz, Antho-
logie aus d. Lyrikern d. Griechen I p. 89 im Texte beibehielten.
Valckenaer conjicierte: toIolv y/Soöv y' opoc, Fr. Jacobs (Animadversiones
in Epigr. Anthol. Graec. Brunkii I, p. I pag. 162j xolaiv -/iSiov 5" fjv Spog,
Emperius (nach der Mitteilung von Schneidewin im Philologus I (1846)
S. 34o) ToToL 6' oupoc y^tio'/. Schneidewin selbst vermutete (Ibycus Rheg.
p. 104) Toloiv ä.vo'x^-Q 8' öpof, 0. Schneider (Ztschft. für die Altertums-
wissenschaft 1840 S. 94) Tolai o' T/S-s' ^ öpog und Härtung tolai b" r]bowriw
öpog (sei. Süj), M. Schmidt (Rhein. Mus. N. F. V 1847 S. 623) xoiat 5'
Yj5uv3-(j ^iog (cf. Hesych. = äxpa- -/.opu'-f r^ • öpog )^aX£:iöv • xpYjiJLVÖi;). Bergk
edierte im Texte Poet. Lyr. Graec. ed. I (184.3) -cotc. 5' y^X'Jyiov Spog und
vermutete in der adnotatio critica zur ed. III xdiai 5' öXr^eiv öpos und
in der ed. IV Toig ö' dcSi;] S'Js'.v (SÖTcxeiv) opo^. Haupt nahm merkwürdi-
gerweise (s. dagegen Bergk P. L. G. ed. IV) an opof Anstoß und schlug
(Analecta im Hermes II 1867 S. 331) xotoi 5' ^ SOr, nipoc, vor. — Zur
Vermeidung des Hiatus zwischen yjSü und fj würde m. E. schon die
Aenderung xclai S' ■?( 5 o g f/ öpoj genügen.
Juni — Oktober 1909.
XVIII.
Griechischer Sprachbrauch.
(Vgl. Philologus LXV N. F. XIX S. 142 ff.)
18.
Eine Erklärung ist erforderlich für einen Passus der In-
schrift aus Kalaurea in Bechtels Sammlung der gr. Dialektin-
schriften 3380 Z. 12: xäc, oe siy.ovas xad-acpcc^ ttoisIv ev zki-
cpavsaTaxo). Die Schwierigkeiten für das Verständnis liegen in
£v £7t:cpavea~at(p. Sie werden gehoben, wie mir scheint, durch
den Vergleich zweier Philostratosstellen, vita Apollonii V 29
p. 96 syw yap tiXoutou yjtiyjö'ei^ ouoe £V |x £ c p a % i w tzoxs.
olb(x. und V. Ap. VII 11 p. 111 ^q \ikv 'HpaxXloug aipeati;, r^v
cprjat np65ty,og £v Ecp-z^ßco kliad-oci auTov ^). £V [leipayJM und
£v Ecprjßw sind adverbiale Bestimmungen von höchst eigentüm-
licher Art; ihre Parallele führt darauf, £v ETir^avEaraxw gleich
£Ki(f(x.viaxa.xa zu deuten. Nicht ganz gleichartig ist Oxyr.
Pap. III 478, 34, wo von einem Manne gesagt wird, er sei
gestorben h bmpexiaiy. Die Herausgeber erklären richtig
'im Alter von mehr als sechzig Jahren'; wörtlich 'unter den
Leuten, die über die sechzig hinausgelangen'. Der Plural be-
reitet auch unserem Verständnis keine Schwierigkeiten. Näher
liegt wieder ein anderer Fall. Ed. Schwartz hat gezeigt ^),
daß sich in der hellenistischen Gräzität ein Dativ Eauxw findet,
der offenbar den Sinn unseres 'allein' (vgl. unser 'für sich')
hat. Die Beispiele, die oben gegeben sind, scheinen mir nun
die Möglichkeit darzutun, diesen Begriff auch durch £v lautw
wiederzugeben (vgl. unser 'an sich'), und tatsächlich steht im
1) Wahrscheinlich auch V 33 p. 98 §v vem vgl. Fleckeisens Jahr-
bücher 1895 S. 255.
2) Index Lectionium Gott. 1905 S. 8 ff.
Philologus LXVIII (N. F. XXII), 4. 29
4.50 ^- Radeimacher,
Proömium des Buches Sirach : ou yap iao5uvap,£t; a u i a e v
i ocu Tolc, "Eßpaiaxc XeyciJLeva xac Sxav [lexBveyß'ri sii; exepav
yXwaaav. Ich möchte zweifehi, ob ev mit Recht getilgt werden
darf ^), und auf eine Verfluchung aus Karthago (Audollent
242, 16) verweisen, wo es heißt: opy.it^w oe töv d-eoy xöv xoO
Ssuxspou axepewjJiaxog ev eauxw xrjv 56va[A:v s/^ovxa. Die Ueber-
setzung: 'ich beschwöre dich, den Gott, der alleiniger Macht-
haber der zweiten Feste ist', gibt ohne Zweifel den besten
Sinn. Freilich muß zugestanden werden, daß auch eine andere
Auffassung von iv eauxw gegeben ist: 'der die Macht in sich
trägt', doch kommt man mit ihr zuletzt auf dasselbe hinaus.
Entscheidend ist Cornutus (S. 40, 10 Lang), weil er den Ge-
gensatz einführt: xtjv 5c' ötxXwv Soaxpiaiv ifißaXwv, Iva xs (=
Iva) xö yevvaiov xxi avSpelov auxoc xe ev eauxots xa: ys iiz
dXXrjXou5 xö otxecov xf^c, etpyjvr]; evaafjievcl^wau
19.
Oolvc^ 6 KoXocpwvtos TtotyjXT]? uepc Nt'vou Xeywv ev xw TxpwTcp
xwv 'Ia{xßü)v •
avYjp Ncvos xc? eyeveö-', ü)? eyw xXuw
'Aoauptot, oaxo; sc)(£ xP'^'^e^o'J tiovxov
xa: xaÄXa t:oXXov TiXeova Kaaiücou (l'au.jj.ou.
So Athenaeus 530 e nach der Ueberlieferung. Meineke
änderte um des Metrums willen xXuw in 'xouco (axouw), xpuacou
steht richtig in der Epitoma, endlich hat Moritz Haupt xac
xaXXa uoXXov durch xdXavxa uoXXw ersetzt, geleitet durch die
Umschreibung des Epitomators eixe xpua''ou xdXavxa txoXXw
TtXeova Kaaraou tjjd|x^ou. Damit ist ein richtiger Sinn und
guter Zusammenhang hergestellt, vielleicht aber zu Unrecht
eine sprachliche Besonderheit beseitigt. Der Epitomator, weil
er gewöhnliches Griechisch schrieb, konnte gar nichts anderes
geben als tioXXw uXeova. Dagegen ist die Ueberlieferung des
Verses txoXXov TiXeova, und das werden wir wohl zu respek-
tieren haben auf Grund einer Parallelstelle, die allbekannt ist ;
denn sie steht in der Antigone des Sophokles, gilt natürlich
der älteren Kritik als korrupt V. 86:
*) Schwartz, Index lectionum Gott. 1908 S. 22.
Griechischer Sprachbrauch. 451
oi'jjiot xaxauoa* ttoXXov £X'9'tü)v eaet
aiyöjaa.
Dabei steht fest, daß koXXö:; bei Sophokles noch einmal
begegnet Tracb. 1196; auch da bat man athetiert oder geän-
dert. Heute haben wir gelernt, die Jonisnien der Tragödie
mit anderen Augen anzusehen , und kein Vernünftiger wird
mehr die Richtigkeit der Ueberlieferung bezweifeln. Es bleibt
übrig, für die Sprache des Joniers Phoenix die Consequenz
zu ziehen.
Ich bringe eine andere Sache zur Besprechung, nur um
eine Frage zu tun ; denn volle Aufklärung kann erst eine ge-
naue Untersuchung der handschriftlichen Ueberlieferung in
allen verfügbaren Fällen geben. Im Oid. Coloneus V. 1132
weist der Blinde die Gemeinschaft mit Theseus ab unter der
Begründung: nGiC, a' av ad-liOQ ye^oic,
•ö-cyeiv •8'sXyjaacfJi' avopog, w x'.c, oux svc
xyjXcs xaxwv ^uvocxo^ ; oux eywye ae,
oöS' o5v saaw • xolc, yäp kinzeipoic, ^poxGi^
[iovoic, otov T£ auvraAacTiwpEöv xaSs.
Ist sjjnxetpoc richtig, so kann man darunter in der Tat
nur die Oidipustöchter verstehen, aber merkwürdig ist doch,
daß auf ein Wort, das ohne einen abhängigen Objekts-Genitiv
kaum existieren kann, ein Genitiv C^poxwj) folgt, der nichts
mit ihm zu tun hat; man wird ja ßpoxwv mit iJi&voti; zu ver-
binden haben. Und man wünschte einen anderen charakteri-
stischeren Gedanken : daß der Schuldlose mit dem Schuldigen
nichts gemein hat, daß Gleich und Gleich zusammengehören.
Hense hat demnach ejiTtfjpot^ für iiimipoic, einsetzen wollen,
meines Erachtens genau das, was wir brauchen. Es wäre
nach unserer Kenntnis der Dinge freilich wieder ein Jonis-
mus ; das braucht uns nicht abzuhalten, die Conjectur für
wahrscheinlich anzusehen. Zur Wortsippe gehören außer nr^p6c,
und Ttyjpöw noch avccTiyjpog, dvazcrjpca, dvarc/^pow, und so ist
denn in den Zusammenhang unserer Betrachtung eine Bemer-
kung zu ziehen, die Phrynichus macht Bekk. p. 9, 22 dvaTiTj-
p:a ocd toö v] trjv Trpwxrjv, ou oio: x-^^ sc occp^'oyyou w; ol d^cc-
■ö'EtS. Damit konkurriert eine alte Glosse, nach Suidas dva-
7T;y]poav' ouxw; 'Apcaxocpdvv]; IIXouxw, dagegen nach dem Anti-
29*
452 ^- Radermacher,
atticisten Bekk. p. 78,11 dvaTrecpiav "Apiaxocpavrjs IIXouki).
Leider hatte ich zu einer Controlle der gesamten Ueberliefe-
rung die notwendigen kritischen Ausgaben nicht zur Verfü-
gung, teils weil sie überhaupt nicht vorhanden sind, teils weil
sie auf der Münsteraner Bibliothek fehlten ; ich notiere aber
doch kurz folgendes. dvdnBipoc, statt dvccTirjpos haben alle
alten Handschriften Lucas 14, 13 und 14, 21 ; dvocTzzipia. schreibt
der alte Parisinus Aristoteles rhet. 1386 a, 11, desgleichen dvck-
Tzzipoc, der Marcianus, die älteste Handschrift der ersten Klasse,
bei Aristoteles bist. an. 9, 12, dvocueipix die beiden besten
Handschriften Arist. de part. an. 2, 17 (drcs'.piav P). Die Be-
lege werden sich wahrscheinlich leicht mehren lassen. Daß
r] allein richtig ist, kann gar nicht bezweifelt werden ; daß £t
sehr früh daneben auftrat, lehrt Phrynichus. Es scheint sich
hier in der Tat nicht um eine einfache Verschreibung zu han-
deln, sondern um die Umgestaltung eines Wortkörpers unter
dem Einfluß der Volksetymologie, so wie sich (isia^u in [xe-
xoEp wandelt unter der Einwirkung von 6^65, sßpal'xos in
d,8pacx6; (AudoUent Def. tab. 41 A 11, Wünsch, Zaubergerät
S. 35), weil (x^poc, vorschwebt. Natürlich sind es nur 'Un-
gebildete', bei denen dvdTtrjpo?; von avcstpo; beeinflußt wird.
Aber es wäre nach Lage der Dinge doch nicht wunderbar,
wenn die Sophokleshandschriften £|X7i£cpo; für e\nzripQC, schreiben.
Ich benutze die Gelegenheit, da von der Tragödie die
Rede ist, um aus Gründen eines fest formulierten Sprachge-
brauchs eine Textveränderung zu empfehlen, die Wecklein
freilich nicht einmal der Aufnahme unter die coniectnrae mi-
nus probabiles würdig erachtet hat ^). Ausgegangen sei von
einer Stelle des Aristophanes Nub. 1363 y.ä\ia [i.ö'kic, [xev, dX?.'
ö{x(ös yjvea/öjjLTjV d. h. es fiel mir schwer auszuhalten, ich tat
es aber doch. Sophokles formt den Gegensatz nicht so scharf;
auf das jJioXts verzichtet aber auch er nicht:
Antigone 1105 oi(xor (löXi; [xev, -xapSc'a? 0' kE,ioxoc\i!X,i
Philoktet 329 (I) Tcat Hocavioc, e^spw ' [JloXi? 5' ipw.
So drückt sich auch Euripides einmal aus Phoen. 1421 :
[iÖXlC, jJl£V, £^£T£lV£ 5' ZIC, '^Ttap ^CCpO?,
*) Ich hatte sie, freilich ohne Belege, vorgeschlagen Observationes
in Eurip, misc. 8 Anm. 2.
Griechischer Sprachbrauch. 453
aber in den Bacchen 882 hat er den vollen Gegensatz:
öp^iaiai jJLÖA'.;, üXa 6\nsic,
Tioaiöv TÖ •8'ccov ad-i'JOi.
Natürlich kann sich dieser Gegensatz auch anders kon-
struieren, so bei Alciphron ep. II 35, 3: £X^ ■^^'■^ ^^ ußpew?
avopa, oux excöaa [jlsv ö|iü)5 ck lyw, oder bei Plato Rep. X
607 A: ßca jjlsv öhw; 5e dTO/ovia:, oder Euripides Hei. 1232:
ypö'Hoc [ikv fjXÖEv, äXa' ö[i.(o; atvw xaoe und Cratinus in einem
Fragment des Trophonius : X^-P- ^'^i Moüaa, ypovia. \xkv r^xstc,
6[i(i)? S' T^X^s:. Endlich Pionius im Leben des Polycarp XXX :
y.7,1 of^ ^padiiüc (isv, <x)X 6[Jiw; xexpopisvw; aTzsxpovaxo.
Wenn es nun in den Schlußworten der euripideischen
Troades (1331) heißt:
tu) xaXatva tzoXic, ' c[i.(d; 0£ Tipdcpsps 7i6oa aöv £t:c
TcXdcxa? 'Axa-G)v,
so zeigen die vorangestellten Beispiele, daß iu diesen Worten
etwas in Unordnung sein muß, weil b\i.(j)C, des Gegensatzes
entbehrt. Die Anrede ist an Hekabe gerichtet, die in den
vorhergehenden Versen von sich gesagt hatte:
tw lij)
xpo[i£pa xpo[j.epa [jilXsa, cpspsx' £-
[xöv l'xvo? • :x' inl xaXa'.vav
Bo'jXeiov a[i£pav ß:ou.
Also eine alte Frau, der die Glieder zittern; schwerem
Los geht sie gezwungen entgegen. Sollte da nicht der Chor
passend zu ihr sagen: cw, xaXatva, {j.cX:; Ö|jlü); o£ Tcp6'4;£p£
Tücoa aöv £-c 7:Xaxa; 'Ax^iöv ? Auf das [isv, das andere Bei-
spiele nahelegen, wird man verzichten können, da es auch
Philoktet 329 fehlt 5).
'°) Unklar ist mir, warum Wecklein meine Bemerkuno' zu Androm.
404 ignoriert hat. So geringfügig die Sache vom Standpunkt des Con-
jecturalkritikers ist, so lehren die von mir angeführten Beispiele doch,
daß die Griechen in Wendungen wie ii Syj-a [loi ^y,v fjSO peinlich ver-
meiden, die betonte Form des Pronomens anzuwenden, selbst wenn ein
Gegensatz eingeführt wird. Das ist charakteristisch für das Ethos des
Volkes und verdient darum beachtet zu werden. Ich füge zu der Stel-
lensammlung (Observationes in Eur. misc. p. 11) hinzu Achilles Tatius
p. 118, 11 Hercher xi ydp jie xal gfjv ext, Ssl; Xenophon Ephesius I
14, 5 xi Y*? ^axi |ioi (sie) ^f^v ävsu ao'j (sie). — xi [lot, ^^v sagt der Kaiser
Marcus Antoninus.
454 ^- Rader mache r,
20.
Ein neues Gedicht des Antipatros ist Oxyrh. Pap. IV 662
Col. III veröffentlicht, dessen Anfang, von Wilamowitz ver-
bessert ^), lautet:
S'wXr;Vü)V dX6/o:; avxpr^'!a:v r|0£ xepaaia
xavo' 'Axpwpetxa Ilav: xa9-"/iy£[i.öv:
xac Tipotofiocv ÄXfifjXa xat auxGveov xoos xocTipou
Sspixa,
Ueberliefert ist unter anderem v.y.l T^ystiovi, danach in der
Behandlung nicht abzutrennen eine Inschrift bei Kaibel Inscr.
It. 1449
y.ti\).a.i AupriAio; 'Avxwvioc; 6 xal
ispsuc; xüjv Xc \)£wv Tiavxtov Tcpöxov BovaSir^?
eixa [jir^xpos %-t&v xa: Atovuaou xal T^y^l^'^'^'^S-
Hier hat Bloch '') Acovuaou ywa^y]Y£[Ji6vo; hergestellt. Man
könnte die Frage aufwerfen , ob nicht y.azvje\iövo<; auf dem
Steine steht und einfach verlesen ist. Ein Jonismus , im
Kultnamen festgehalten, wäre zuletzt nicht merkwürdiger, wie
ÄpxiYjxpd; in einem für alle Zeit feststehenden Titel. Natür-
lich sieht die Sache für das Antipatrosgedicht etwas anders
aus, weil die Dorismeu den Ton bestimmen. yjSe weist frei-
lich auf Mischung; vor allem schreibt der Dichter zwar xe-
pdcaxa 'Axpwpixa, aber T^yefxovL, nicht ay£[Ji6vt. xävo' ist nicht
überliefei-t. Ein sicheres Urteil ist nicht möglich, namentlich
deshalb, weil die Frage, ob es nicht einen Sondergott 'HY£[Ji(ji)V
gab, auf Grund der beiden Zeugnisse sehr wohl diskutierbar
wird; man vergleiche die 'Hysiiovrj (Usener, Göttern. 133 ff.)
und den deus ^wxTjp. Man müßte dann im Epigramm xwvSe
Ilav: nach dem Muster Bax/Y] d-zoxi und ähnlichem unmittelbar
verbinden.
Schwankende Aspiration bei 7.a-y]Y£ji,(i)V könnte auf der
Inschrift auch als ein Merkmal der Koine gelten, neuerdings
hat Crönert dafür reiche Belege gesammelt: Mem. Herculanensis
S. 150 ff. Ich trage nach aTivjau/aaa; Acta Philippi 66, oOx
äp(Jiöi^£t Martyr. Petri et Pauli 58, ZavxcTiTiT] Martyr. Petri 5. ucps-
xuixoXoyEü) Schol. Ar. Av. 181 ist nach dem Muster von a.(fzlrJ.-
•^) Göttinger Gel. Anz. 1904 S. 669.
') Philologus N. F. VI S. 582 ff.
Griechischer Sprachbrauch. 455
L,(Ji und ähnlichem sicher zu halten, xaiyjfjia^euaav kommt aus
Nechepso hinzu bei Vettius Valens S. 354, 2. xar/j[jia^£U|i£va
habe ich bei Dionys de antiquis orat. S. 7, 1 nach den Hand-
schriften hergestellt. Bei Heliodor Aeth. S. 193, 26 Bekker
war aus der Ueberlieferung xaxo^xexEuaeov wohl xaxtxeTsuaetv
zu entnehmen, xax' "Aorj erscheint auf Defixiouen Audollent
S. 36. Was nur handschriftliche Variante ist, wie sex' e^'^s
bei Asclepiodotus Tact. 2, 3 codd. ABC, läßt man besser bei-
seite. Ein Zweifel kann sein, ob bei Vettius Valens S. 35, 35
dTxaipw nicht vielmehr als aTxaipw gleich dcpacpö zu deuten
ist, das S. 36, 12 und öfter in gleichem Sinne erscheint.
Ich kehre nach dieser Abschweifung zurück zu Antipatros.
Merkwürdig ist in seinem Gedicht noch auxoveov (oder auxö
veov). Das kann mit alten Zusammensetzungen wie auxoTxaxwp,
auxo(xiQXü)p, auxaoeAcpos nicht verglichen werden, ebensowenig
mit echten Composita, wie auxoxeXsuy-os, auxoQ-dvaxoc. Es hat
nichts zu tun mit philosophischer Terminologie; von auxo xa-
X6v, dem Schönen an sich, führt keine unmittelbare Verbin-
dung zum auxö vsov oepfjta des Dichters. Doch haben Spätere,
wohl beeinflußt von der Ausdrucksweise der Philosophen, auxö
zu einem Begriff gesetzt, gewissermaßen um ihn in idealem
Sinne zu steigern, so Lucian, wenn er diall. meretr. 14, 4 von
einem ovo? auxö Xupci^wv spricht, Alciphron III 24, 2 mit auxö
axaTxaveüg sSoxouv, oder vielmehr auxoaxaTcaveu? eoöxouv, da
alle Handschriften so schreiben. Man mag byzantinisches au-
xoTtpaoxrj? vergleichen (Byz. Ztschr. 1904 S. 353). Ich ver-
stehe danach unter auxovsov ospjjia das 'Ideal eines frischen
Fells'.
Wien. L. Raclermacher.
XIX.
Spiritus asper und lenis in der Umschreibung
hebräischer Wörter.
Die Untersuchungen von H. Jacob söhn über die
Aspiration bei Homer (Philolof^as 67, 3, 4) veranlassen mich,
hier einen Punkt der biblischen Philologie zur Sprache zu
bringen, der noch lange nicht die Beachtung gefunden hat,
die ihm gebührt, die Aspiration und Psilose bei semitischen
Wörtern, besonders Eigennamen im griechischen Alten und
Neuen Testament.
F. A. Hort (1828—1892) behandelt in der Introduction,
die er der Ausgabe des griechischen Neuen Testaments bei-
gab, das er 1881 mit B. F. Westcott (1825—1901) nach
sorgfältigster Vorbereitung veröffentlichte, in § 405 — 416
„Breathings, Accents and other accessories of printiug". Nun
ist ganz richtig was er dort zunächst ausführt, daß die hand-
schriftliche Ueberlieferung in diesem Stück nicht in die Ent-
stehungszeit der neutestamentlichen Schriften hinaufreicht.
Unsere ältesten Handschriften sind schon durch mehrere Jahr-
hunderte davon getrennt und haben selber weder Akzente
noch Spiritus ; diese treten erst in späteren Jahrhunderten auf.
Ebenso richtig ist, daß er (§ 408) für die Eigennamen
auf die lateinische Uebersetzung als das älteste Zeugnis
hinweist, ob sie mit oder ohne H geschrieben werden. Er
wendet aber dagegen ein, dies Zeugnis sei evidently discon-
nected from the Palestinian pronunciation of Greek, the true
object of search. So kam er, mit seinem Mitarbeiter, zu dem
E b. Nestle, Spiritus asper u. lenis in d. ümschr. hebr. Wörter. 457
Entschluß, dem Hebräischen und Aramäischen zu folgen, und
Aleph und Ain durch lenis, He und Cheth durch asper, bei-
spielsweise also auch 'Eßpaco^ zu schreiben, und ebenso allen
mit Jod beginnenden Namen den Lenis zu geben. „No better
reason than the false association with lepoc, can be given for
hesitating to write 'lepsixca-, 'lepetxw, 'l£poa6Xo(i.a(-[i,£iTrj;),
'lepouaaXrjfx. "
Gegen dies Prinzip hätte ihn mißtrauisch machen sollen,
was er selbst unmittelbar darnach in § 409 hervorhebt, daß
in Gal. 2, 14 die besten Zeugen ou)^ louoaVxö)? bieten, und
ebenso an der einzigen Stelle des Alten Testaments, wo Ge-
legenheit zu Aspiration vor einem derartigen Namen sei, Su-
sanna 56, wiederum 3 von den 4 ältesten Handschriften ouy^
louooc. Daraus schien zu folgen, daß bei hebräischem Jehu-
(und Jeho-) the aspirate sound coalesced in pronunciation with
the semi-vowel. Danach sollten louSato? und alle Ableitungen
von louoac;, ebenso wie lo)poi\i und Iwaaccax den Asper haben ;
sie hätten aber verzichtet the common usage in diesem Stück
zu verlassen.
Dieser Grundsatz wurde von H. B. S w e t e übernommen
in seine Ausgabe des griechischen Alten Testaments (erste
Ausgabe 1887 I p. XIV):
„The breathings of proper names whether transliterated or
made to assume a Greek form, have been brought into con-
formity with the System adopted by Dr. Westcott and Dr.
Hort in their edition of the Greek New Testament.
Nicht die Namen, überhaupt nicht das semitische geht
an, aber von Interesse ist, was unmittelbar weiter mitgeteilt
wird:
The first band of B (= codex Vaticanus) has not been fol-
lowed in the very frequent use of ouyfji 5ou, nor on the
other haud in the almost equally common employment of
oujt before certain words which begin with an aspirated
vowel.
Noch einfacher löste de Lagarde das Dilemma in seiner
(unvollendeten) Ausgabe der Lucianischen Septuagintabearbei-
tung (1883): er ließ bei allen Namen, die nicht gräcisiert
458 Eb. Nestle,
sind, Spiritus und Akzente weg, von A5a[x und Eo£[x in 1.
Mose an bis zu Ea^rjp, A|xav und Aoap im Buch Esther.
Auch die neue große Cambridger Septuaginta von Broo-
ke-Maclean (T. 1 Genesis 1906), befolgt das System von
Westcott-Hort und S w e t e.
Nun habe ich zwar schon in meinen Septuagintastudien V
(Maulbronner Programm von 1907 Nr. 733) S. 7 f. an je einem
Beispiel für Akzente und Spiritus gezeigt, wie verkehrt das
ist; es scheint aber angezeigt, darauf zurückzukommen.
Hort, Westcott, Swete sind, wie ich, Theologen ; nun ist
fast gleichzeitig mit meinem Programm von philologi-
scher Seite R. Helbings Grammatik der Septuaginta er-
schienen, d. h. der erste die Laut- und Wortlehre behandelnde
Teil (Vorwort: Sept. 1907). „Lautlehre, Akzent und Spiritus"
ist der erste Abschnitt überschrieben, Akzent und Spiritus sind
auf S. 24 — 26 behandelt und im Abschnitt über die Tran-
skription der hebräischen Eigennamen wiederum S. 30 f. Ak-
zent und Spiritus. Was über die Akzente gesagt ist, lasse
ich unberücksichtigt, über die Spiritusfrage gibt diese Gram-
matik ganze 6 Zeilen ; sie lauten :
Schwierig ist ebenfalls die Spiritusfrage ; man liest z. B. bei
Swete 'Aßpaa(i, neben 'A^i\iektx^ obwohl beide Namen mit
K beginnen. Für naturgemäß halte ich es, wenn man um
Konsequenz zu bewirken, die Regel, die Westcott-Hort
für das N.T. vorschlagen , auch für die LXX übernimmt.
Wir setzen also für X und U den lenis, ebenso für anlau-
tendes % für n und n den Asper.
Das ist nun freilich kurz und bequem ; es ist ein hüb-
scher Zufall, daß meine Gegenthese als Beispiel eben den von
Üelbing angeführten Namen Abrahams wählte, den ich übri-
gens bei Swete, soweit ich kontrollierte , seinem System
entsprechend (s. o.) überall mit Lenis geschrieben finde. Auf
welcher Stelle Helbings Angabe beruht , weiß ich nicht.
Sollte bei Swete einmal der Asper stehen geblieben sein, so
ist das nur ein Versehen, aus der Druckvorlage. Warum trotz
beiderseitigem Aleph bei Abraham der Asper, bei Abimelech
der Lenis richtig ist, zeigte ich in meinem Programm: Der
Asper folgt aus dem in Sommers griechischen Lautstudien
Spiritus asper u. lenis in cl. Umschreibung hebräischer Wörter. 459
besprochenen griechischen Gesetz, daß Aspiration ans der Mitte
des Worts an den Anfang trete (vgl. dazu Kretzschmers
Anzeige BPh WS. 1906, 2). Dasselbe Gesetz erklärt die von
Westcott-Hort ganz richtig beobachtete, aber in ihrem
Grund nicht erkannte Tatsache, daß aus hebräischem Jehuda
griechisches (ou^) louSa wurde.
Dasselbe Gesetz erklärt uns auch, warum die älteste la-
teinische Umschreibung des Namens Jesus Hiesus neben Jhe-
sus ist. Siehe dazu Wordswort h -White zu Mt. 1, 1
in ihrem lat. N.T. mit dem Nachtrag auf S. 776, und meine
Bemerkung in Hastings, Dictionary of Christ and the
Gospels 1906, I, 860.
Hier in einer philologischen Zeitschrift darf ich wohl
auch an das Zeugnis ei'innern, das in Catulls 84stem Ge-
dicht zu dieser Frage vorliegt:
Chommoda dicebat, si quando commoda vellet
Dicere, et insidias Arrius hinsidias.
Et tunc mirifice sperabat se esse locutum,
Cum quantum poterat dixerat hinsidias.
Credo, sie mater, sie liber auonculus eins,
Sic maternus auos dixerat atque auia.
Hoc misso in Syriam requierant omnibus aures ;
Audibant eadem haec leniter et leviter.
Nee sibi postilla metuebant talia verba.
Cum subito affertur mmtius horribilis,
lonios fluctus, postquam illuc Arrius isset,
Jam non lonios esse, sed Hionios.
G. F r i e d r i c h in dem neuen Kommentar (Teubner 1908
S. 508) führt dazu die Stelle Quintilians an, die auf das Epi-
gramm Catulls Rücksicht nimmt, (1, 15, 19: cuius (des Buch-
staben H) ratio mutata cum temporibus est saepius. Parcis-
sime ea veteres usi etiam in vocalibus. cum 'oedos ircos'que
dicebant, diu deinde seruatum, ne consonantibus aspirarent,
ut 'Graccis' et in 'triumpis'; erupit brevi tempore nimius usus,
ut 'choronae, chenturiones, praechones' adhuc quibusdam in-
scriptionibus maneant, qua de re Catulli nobile epigramma est) ;
außerdem die Bemerkung des Nigidius Figulus bei Gell.
13, 6, 3: rusticus fit sermo si adspires perperam. Auf die
460 Eb. Nestle,
weiteren Zusammenhänge dieser sprachlichen Erscheinung ein-
zugehen, hatte Friedrich keine Veranlassung ; auch ich kann
sie hier nicht weiter verfolgen, möchte nur gegenüber der in
einer Grammatik doppelt unangebrachten diktatorischen Regel:
jwir setzen also für x und u den lenis, ebenso für anlauten-
des ■'", den Grundsatz betonen:
Erstes Erfordernis ist, die U e b e r li e f er un g, die bisher
fast vollständig vernachlässigt wurde , sorgfältig zu sammeln.
Dabei wird für das griechische A.T., der Codex Ambrosianus
A 147 infr. in erster Linie in Betracht kommen (F nach der
gewöhnlichen Bezeicbnung, dem IV/V. Jahrhundert zugewiesen),
von dem Swete sagt: The MS has not only a frequent and
varied punctuation, but Stands alone amongst early uncial
Codices in exliibiting breathings and accents
prima m a n u ^).
Bei den neutestamentlichen Handschriften wurde auf Ak-
zente und Spiritus von den Kollatoren bisher kaum geachtet.
Im Vaticanus sind sie spät, aber trotzdem lehrreich und nach
der Photographie leicht zu studieren ; andere Handschriften
müßten an Ort und Stelle untersucht werden.
Mit dem Ergebnis der biblischen Handschriften wäre das
aus den Werken von Philo, Josephus und ältesten Kirchen-
lehrern zu gewinnende zu vergleichen. Stimmt Philo und Jo-
sephus mit den biblischen Handschriften überein, dann ist die
Ueberlieferung um so sicherer. Nun vergleiche man in Niese s
Josepbus nur das Register:
"AßpaiJio? (p 1 e r u m q u e "A<^p(x.\Loq e x t a t , semel 'Aßpa-
|xr;S, raro 'Ajjpaa|ji).
Neben den griechischen Handschriften, haben, wie schon
*) Zehn Tage ehe diese vor mehr als Jahresfrist geschriebenen
Zeilen mir zur Korrektur zugingen, erhielt ich von Prof. Sickenberger
in Breslau folgende Karte (18. 10. 09): „Prof. Krumbacher erzählte mir
vor einigen Tagen in München, daß er die auch in Ihrer Einführung^
S. .53 stehende Notiz, daß die Akzente im ambros. Hexateuch von erster
Hand seien, eigens in Mailand kontrolliert habe. Es sei kein Zweifel,
daß sie von viel späterer Hand seien. Es gebe keine ünciale mit und
keine Minuskel ohne Akzente. In der Annahme, daß Sie diese Nach-
richt sehr interessieren wird, teile ich sie Ihnen mit". Ist das nicht
ein hübsches Beispiel, wie jede freundliche Privatmitteilung für die
OefFentlichkeit wertvoll werden kann? Hoöentlich erfahren wir bald
Genaueres!
Spiritus asper u. lenis in d. Umschreibung hebräischer Wörter. 461
Hort andeutete , besondern Wert die lateinischen, aber
nicht bloß die Bibelhandschriften , sondern insbesondere die
alphabetisch geordneten der Onomastica (vgl. Lagarde's
Ausgabe) und die alten Hymnen.
Last not least muß das Koptische und Syrische
verglichen werden. Wenn die koptische Schrift, die uns
im Jahr 95 n. Chr. erstmals entgegentritt, für den Hauchlaut
(Spiritus asper) ein eigenes Zeichen ausgebildet hat und dieses
vor Worten wie sXtzic, und loo^ verwendet, während sie sonst
im allgemeinen bei griechischen mit Spiritus asper beginnenden
Wörtern dem Schriftgebrauch ihrer Entstehungszeit entspre-
chend denselben nicht ausdrückt, und wenn gleichzeitig im
Lateinischen der Name Helpidius auftritt, so kann die Aspi-
ration eines solchen Wortes nicht besser bezeugt werden.
Welche Erkenntnisse durch die Vergewaltigung die mit
dem System Hort-Helbing der Ueberlieferung angetan wird,
ausgeschlossen werden, sei nur an 2 Beispielen erläutert.
Die Protestanten sind durch die auf das Hebräische zu-
rückgehende Bibelübersetzung Luthers an Hallelujah und Ho-
sianna gewöhnt , und so drucken Westcott-Hort auch
im Neuen Testament aXXrjXouta (Rev. 19, 1. 3. 4. 6). Glück-
licherweise blieben Tischendorf und B. Weiss hinsicht-
lich des Spiritus und Akzentes bei der alten Schreibung a,Xkr^-
Xoü'.cc und so bin ich durch das Majoritätsprinzip, dem meine
Ausgabe folgt, in diesem Fall davor bewahrt geblieben eine
meiner Ueberzeugung nach falsche Sache in den Text aufzu-
nehmen, und ist die richtige Schreibung mit lenis (sogar ohne
die Erwähnung der andern) auch in P r e u s c h e n 's neues
Wörterbuch übergegangen.
Bei Hosianna dagegen hatten schon die vorkritischen
Ausgaben, die bei AXXTjXouia einmütig noch den Lenis hatten,
den Spiritus asper , Erasmus sogar in 2 Worten w; avva ;
ebenso haben ihn Westcott-Hort und Weiß wieder-
hergestellt, obgleich Lachmann und Tischendorf ihn
in den Lenis verwandelt hatten. Hier bietet also nach dem
gleichen Majoritätsprinzip meine Ausgabe das nach meiner
Ueberzeugung falsche. Und daß der Spiritus asper falsch,
der lenis richtig ist, zeigt schon, ohne Berücksichtigung der
462 I^b. Nestle,
Ueberliefernng, eine kleine Erwägung. Es heißt ja im Grie-
chischen nicht mehr wie im Hebräischen wacavva (mit i), son-
dern wie im Aramäischen, oder an das Aramäische angenähert,
waavva (ohne i), und für das Aramäische ist ja eben das cha-
rakteristisch, daß es nicht wie das Hebräische ein Hiphil
(^Tsn), sondern ein Aphel Ct^uek) hat, das Wort also mit lenis
begann. Das bestätigt nun auch die lateinische Bibel.
Natürlich darf man dabei aber nicht nach der offiziellen Aus-
gabe von 1590/2 prüfen, sondern muß nach den Handschriften
bei Wordsworth-White sehen. Ein Blick in ihren vor-
trefflichen Index verborum genügt; führt derselbe doch neben
den Textstellen, wo das Wort vorkommt, auch die Stellen auf,
wo es in den Beigaben des Textes (Kapitularien u. s. w.) steht.
Nur in 2 Handschriften ist das h vorne, wie in 2 das i in
der Mitte eingedrungen. Daß gelegentlich auch in alten Hym-
nen Hosanna und Hosianna vorkommt, zeigt Blume's neue
Sammlung I p. 12. 13. Aber noch Hieronjmus, der doch
Hebräisch konnte, hat in seinem Liber- interpretationis hebrai-
corum nominum (S. 62 in Lagarde's Onomastica) Osanna sal-
fivica, quod graece dicitur awaov oy';. Keine der von Lagarde
verglichenen Handschriften weist ein H auf; ebenso S. 80
Alleluia laudate dominum, wo wiederum keine Handschrift
ein H hat.
So ist das von Westcott-Hort eingeführte und noch von
Helbing empfohlene Prinzip nicht bloß eine Vergewaltigung
der Ueberlieferung , sondern eine Verschlimmbesserung, die
uns um viel Material gebracht hat, das über Aussprache und
Betonung — von den Akzenten gilt das gleiche, wie das hier
über den Spiritus Ausgeführte — ■ richtigen und wichtigen
Aufschluß geboten hätte. Möchte sich jemand finden, der es
sammelt und verarbeitet ^).
Maulbronn. Eh. Nestle.
'■) Wenigstens in einer Anmerkung unter dem Text möchte ich
auf einen orthographischen Punkt aufmerksam machen, in dem gleich-
falls die gegenwärtige Strömung rückläufig zu werden verdient, das
ist die Nichtunterscheidung von i und j, u und v in den Drucken.
Spiritus asper u. lenis in d. Umschreibung hebräischer Wörter. 463
Nachdem einmal die Schrift zu dieser Unterscheidung vorgedrungen
ist, warum sie wieder aufheben? Man vergleiche: Im Griechischen
Neuen Testament laufen 2 Formen des Namens Maria neben einander
her, die Transkription des hebräischen Mirjam durch Maptä|ji, und die
gräcisierte flektierende Form Mapia, — iag, acc. — tav. Lateinisch druckt
man nun beidemal Mariam, statt Marjam und Mariam. Nehme ich
die Stadt des Priamus: wie einfach unterscheidet sich Troja als zwei-
silbig von Troia als dreisilbig! welche typographischen Künste muß
der Thesaurus aufbieten, um uns zu sagen, wo Achaia dreisilbig und
wo es viersilbig ist, während Achaja sofort die Dreisilbigkeit zeigen
würde! Oder bei u und v. Das Euangelium und die Stammmutter
aller Menschen druckt man jetzt gleichmäßig Ena, die Transkription
des Ulfilas in seiner Gotenbibel zeigt mir, daß er zwischen Euangelium
und Eua unterschieden hat. Wie bequem macht sich das, wenn ich
letzteren Namen Eva drucke. Doch auch dies wie das Obige nur zur
Erwägung, saluis melioribus.
Bei der Korrektur kann ich noch anführen, daß die Charlotten-
stiftung für Philologie auf den Leibniztag 1910 als Preisaufgabe aus-
schrieb, aus den litei'arischen Papyiü nachzuweisen, in welchen Fällen
die antiken Schreiber und Korrektoren die Prosodie bezeichnen , und
wie sie das tun. Ein ähnlicher Nachweis ist jetzt auch für Akzente
und Spiritus nötig und möglich.
XX.
Die Neujahrsfeier im römischen Kaiserreiche.
Von Alters her sahen die Römer den ersten März als Neu-
jahrstag an (Varro L. L. 6, 13. 33. Atta bei Serv. ad Verg.
Georg. 1, 43. Ovid. Fasti 1, 39; 3, 75. 135. 229, Lyd. De
mens. 3, 15), und dabei hätten sie es auch wohl gelassen,
wenn sie die öffentlichen und Privatacte nach der Jahreszahl
einer Aera und nicht nach den Namen der jeweiligen höchsten
Beamten datiert hätten. Solange nun der Amtsantritt dersel-
ben unbestimmt war, das Amtsjahr somit wechselte, konnte
die Concurrenz dieses und des Kalenderjahres noch nicht den
althergebrachten Neujahrstag verdrängen. Als aber vom Jahre
153 V. Chr. an die Consuln regelmäßig ihr Amt am 1. Januar
antraten (Fasti Praenest. zum 1. Jan. CIL I- p. 231. Liv.
Epit. 47), verband sich schon bald (Cic. De leg. 2, 21, 54) im
Bewußtsein des Volkes der Begriff des Jahres und seines An-
fangs mit dem Amtsjahre , und als vollends der Julianische
Kalender das Jahr mit dem 1. Januar begann, geriet das alte
Neujahr in Vergessenheit, und die Bekanntschaft mit ihm be-
schränkte sich auf die Kreise der Gelehrten. Wie dieser Vor-
gang ganz natürlich war, so verstand es sich von selbst, daß
allmählich das neue Neujahr im ganzen römischen Reiche ge-
feiert wurde. Libanius (In Calendas Vol. I p. 257 R) und
Ausonius (Gratiarum actio 7, 34) sagen ausdrücklich, daß der
1. Januar in allen unter der römischen Herrschaft stehenden
Ländern als Neujahrstag begangen wurde. Letzterer nennt
insbesondere Rom, Constantinopel, Antiochien, Carthago, Ale-
xandrien und Trier als Schauplätze der Festlichkeiten. Daß
daneben, namentlich im Oriente, noch die lokalen Kalender
A. Müller, Die Neujahrsfeier im römischen Kaiserreiche. 455
mit ihrem verschiedenen Neujahr (Mommsen, Staatsrecht III,
p. 707. 755) fortbestanden, lehrt z. B. Julian (Misop. p. 346 Sp.),
der zu Antiochien im Jahre 362 die Hupwv vou|ir]Vca, d. i. den
1. November (Paul.-Wiss. V, p. 1081), und im J. 363 die
Trayxocvo; eopxYj, d, i. den 1. Januar, feierte (vgl. Amm. Marc.
23, 1, 6).
Ueber die Neujahrsfeier in ältester und alter Zeit haben
wir abgesehen von ganz vereinzelten Notizen keine Nachrichten,
woraus indessen nicht zu schließen ist, daß der Jahreswechsel
in jenen Tagen ohne charakteristische Gebräuche geblieben sei.
Seit der Augusteischen Periode fließen die Quellen reichlicher
— besonders sind hier Ovids Fasten und Briefe aus dem Pon-
tus zu nennen — , jedoch handelt es sich in den ersten Jahrhun-
derten der Kaiserzeit im wesentlichen auch nur um gelegentliche
Bemerkungen der Schriftsteller. Erst aus dem vierten Jahr-
hundert besitzen wir eingehende Darstellungen der Festfeier.
Libanius, der beredte Anwalt des absterbenden Heidentums,
hat eine Rede de, y.odd'Jöxc, (Or. 9. Vol. I p. 256 ff. R) und
eine sxcppaac? xwv xaXavowv (Vol. IV p. 1053 ff. R) geschrie-
ben. Aber trotz seiner ausführlichen Darlegungen, die, ent-
sprechend dem heidnischen Standpunkte des Verfassers, die
Feier nur loben und preisen, würden wir nicht zu einem rich-
tigen Urteile über dieselbe gelangen, wenn nicht mehrere
Kirchenväter sich in besonderen Reden mit dem festum ca-
lendarum beschäftigten. Sie hatten dazu allen Grund. Schon
zu Tertullians Zeit, als es noch gefährlich war Christ zu sein,
das christliche Leben also noch in Blüte stand , gab es Ge-
meindemitsflieder, welche die heidnischen Festfeiern, nament-
lich die des Neujahrsfestes, nicht entbehren konnten (Tertull.
De idolol. 14). In weit höherem Maße war das der Fall, als
das Christentum zum Siege gelangt war und weite Kreise die
neue Religion nur äußerlich angenommen hatten. Damals
waren Rückfälle in heidnische Sitten am Neujahrstage gang
und gäbe, und mit heiligem Eifer predigten die Bischöfe gegen
die zum Teil höchst anstößigen Gebräuche. So verdanken wir
den Kirchenvätern genauere Kenntnis des Unfugs, der sich,
teilweise erst im Gegensatze zum Christentum, der ursprüng-
lich reineren Feier beigesellt hatte. Es kommen hier von
Philologus LXVUr (N. F. XXII), 4. 30
466 Albert Müller,
Grieclien in Betracht des Asterios, der um 400 Bischof von
Amaseia im Pontus war, Xoyos xair^yopcxö? 1f^c, eopxf^c, xwv
xaXavSwv (Homil. 4, p. 57 ff. ed. Rüben. 1615) und des Joh.
Chrysostomus um 390 in Antiochien gehaltener Aoyo; tcxXc,
xaXdcvSats (Homil. 23, Vol. I p. 262 ff. ed. Francof. 1698).
Von Lateinern sind zu nennen Augustinus, Sermo 198, De
calendis Januariis (Vol. XXXVIII p. 1024 ff. Migne), Ambro-
sius, Sermo 7 (Vol. XVII p. 617 f. M); Maximus, um 420 Bi-
schof von Turin, Sermo 16 (Vol. LVII p. 255 f. M), Petrus
Chrysologus, seit 433 Bischof von Ravenna, Sermo 155 (Vol.
LH p. 609 f. M) und die Pseudoaugustinischen Sermones 129
u. 130 (Vol. XXXIX p. 2001 u. 2003 M).
Aus diesen Quellen ergibt sich, daß das Neujahrsfest alle
Kreise der Bevölkerung, Hoch und Niedrig, den Kaiser wie
den Sklaven, berührte und eine politische, religiöse und ge-
sellige Seite hatte.
In erster er Beziehung war die Hauptfeierlichkeit der Amts-
anti'itt der Consules ordinarii, bei dem es folgendermaßen zu-
ging. In aller Frühe mußten nach alter Sitte Anspielen an-
gestellt werden. Aber schon in den letzten Zeiten der Repu-
blik war das Einholen derselben eine bloße Förmlichkeit ge-
worden. Regelmäßig wurde durch apparitores jedem der bei-
den Consuln in seine Wohnung gemeldet, es sei ein Blitz von
links her, also das auspicium Optimum, beobachtet (Dion. Hai.
2, 6. Cic. De div. 2, 35, 74. Mommsen Staatsrecht V p. 78).
Darauf legte der Consul die praetexta an (Liv. 21, 63, 10.
Ov. Fast. 1, 81). Im 2. Jahrhundert änderte sich die Tracht,
indem an die Stelle der praetexta die für die Triumphatoren
übliche ganzpurpurne toga picta trat, zu der dann auch die
tunica palmata gehörte. (Vgl. die Münzen des Antoninus
Pins aus seinem Consulatsjahre 140 bei Cohen II p. 286 n.
50 u. Tafel 13, und des Caesar Marcus aus dem Jahre 146
bei Eckhel VII, 46; vielleicht auch die Darstellung auf dem
Philopapposmonumente nach Köhler, Athen. Mitt. I, 126; He-
rod. 1, 16 erwähnt die evtaüato; Tiopcpupa). Diese kostbaren
Gewandstücke (abgeb. bei Baumeister, Denkm. fig. 1923) ent-
lehnte der Consul aus dem Tempelschatze des Capitolinischen
Juppiter (Vit. Alex. 40. Probi 7), Gordian I. war der erste,
Die Neujahrsfeier im römischen Kaiserreiche. 467
welcher ein eignes Costüm besaß (Vita 4) *). Ursprünglich
gehörten zu dieser Tracht weiße Schuhe (Lydus De mag. 1, 32) ;
in ganz später Zeit werden goldene erwähnt (Cassiod. Var,
6, 1, 6). In der Hand trug der Consul ein sceptrum, auf dessen
Spitze ein Adler augebracht war (Vit. Aurel. 13; Amm. Marc.
29, 2, 5; Prudentius adv. Symm. 1, 349).
Noch in der Morgenfrühe versammelten sich nun im Hause
des Consuls seine Freunde, um ihm ihre Glückwünsche darzu-
bringen (Ov. Ex Pento 4, 4, 27; 4, 9, 4. 11). Der Sitte ent-
sprechend wurden sie dazu aufgefordert. In der Provinz Bi-
thynien kam es vor, daß die Beamten beim Antritt ihres
Amtes wohl an tausend Personen einluden (Plin. Ep. 10, 116).
So weit werden die Consuln ihre Einladungen schwerlich aus-
gedehnt haben. Man lehnte dieselben nur aus ganz erheb-
lichen Gründen ab (Symmach. Ep. 5, 5; 6, 10. 36; 8, 21;
9, 112. 113; 10, 3). Nachdem jetzt die zwölf Lictoren einge-
treten waren (Ov. Fast. 1, 81) und die fasces erhoben hatten
(Verg. Aen. 7, 173), welche mit Lorbeer umwunden (Martial.
10, 10, 1) und in späterer Zeit auch mit den Beilen versehen
waren (Nov. Justin. 25, 5, 1), traten die Versammelten zum
Festzuge an, bei dem die Senatoren zu beiden Seiten des Con-
suls, die Ritter vor ihm hergingen (Ov. Ex Ponto 4, 9, 17).
Als der Festzug sich nach der Art des Triumphes gestaltet
hatte, ging der Consul nicht mehr zu Fuß, sondern fuhr, und
zwar, wenn er Kaiser war, mit vier Pferden (Eckhel VlII
p. 336) , oder er ließ sich in einer Sänfte tragen (Dio Cass.
60, 2. Symmach. Ep. 1, 101). Es ist anzunehmen, daß die
elfenbeinerne, reich mit Schnitzwerk verzierte, sella curulis
im Festzuge getragen wurde (Ov. Ex P. 4, 9, 26). Daß dieser
vom Hause des Consuls ausging, war durchaus Regel. Wenn
Galba sein Consulat im Jahre 33 vom Palatium aus antrat,
so beruhte das auf seiner Verwandtschaft mit der Livia (Plut.
Galba 3). Die sich drängende Menge der Zuschauer trug
weiße Kleider (Ov. F. 1, 80. Ex P. 4, 9, 21).
*) Wenn in späterer Zeit als consularisches Gewand häufig die
trabea genannt wird, so ist darunter bald das ganze, aus toga und
tunica bestehende, Costüm zu verstehen (Amm. Marcell. 23, 1, 1; 25,
10, 11; 26, 5, 6; 29, 2, 15; Cod. Theod. 8,11,4), bald nur die tunica
palmata (Ausonius Id. 4, 92 -. trabeam pictamque togam).
30*
468 Albert Müller,
In der spätem Kaiserzeit ließen die Consuln Geld unter
das Volk auswerfen, wodurch ein gewaltiges Getümmel ent-
stand, das Libanius (IV, p. 1054) anschaulich beschreibt.
Asterios (p. 57) wirft den Consuln diese auf Eitelkeit beruhende
Geldvergeudung eindringlich vor; derselben Meinung scheinen
die Kaiser Valentinian und Marcian gewesen zu sein. Sie ver-
boten im Jahre 452 (Cod. Just. 12, 3, 2) solche Verschwen-
dung und wiesen die Consuln an , vielmehr zur Restauration
der Aqu'aducte beizutragen. Justinian (Nov. 105, 2 § 1) hob
dieses Verbot auf und gestattete das Auswerfen kleiner Silber-
münzen, und dabei blieb es, bis Leo der Weise (888 — 911)
die fragliche, von Justinian selbstverständlich nur den consules
honorarii erteilte, Erlaubnis zurücknahm (Nov. Leon. 94).
Der Zug ging auf das Capitol 2) (Ov. F. 1, 79; Ex P.
4, 4, 29). Dort werden sich die Conducte der beiden Consuln
getroffen haben. Diese nahmen nun zum ersten Male auf dem
auf einem tribunal aufgestellten curulischen Sessel Platz (Ov.
F. 1, 82). Nachdem sodann die probatio der beiden Opfer-
tiere, die dem Juppiter (Tertull. De corona 12) im vorigen
Jahre für gnädige Behütung des Reiches gelobt waren, statt-
gefunden hatte (Tertull. Ad. nat. 1, 10), wurden die beiden
weißen, noch nie zur Arbeit gebrauchten, Stiere getötet (Ov.
F. 1, 83; Ex P. 4, 4, 31 f.), und zwar für jeden Consul einer
(Liv. 41, 14. 15; Ov. Ex P. 4, 9, 30), sowie für das nächste Jahr
das gleiche Opfer gelobt (Vit. Elag. 15). Auf dem vor dem
Tempel des capitolinischen Juppiter stehenden Altar brannte
ein Weihrauchopfer (Ov. F. 1, 75 f.). Vermutlich jetzt übten
die Consuln die einzige amtliche Tätigkeit aus, die sie in
später Zeit noch besaßen, die Freilassung von Sklaven (ülp.
Dig. 1, 10, 1; Amm. Marc. 22, 7, 1; Claudian. In IV. cons.
Honor. 612; id. In Eutrop. 1, 310; Cassiod. Var. 6, 1; Momm-
sen Staatsrecht 11^ p. 95 A. 3).
Es folgte die erste Senatssitzung des neuen Jahres (Ov.
Ex P. 4, 4, 35), in welcher der consul prior (Gellius N. A.
2, 15, 4; Mommsen Staatsr. P p. 38) den Vorsitz führte. Sie
begann etwa um Mittag (Vit. Elag. 15). In dieser schwuren
2) In christlicher Zeit in eine Kirche (Coripp. De laudib. Justini
4, 264 S. ).
Die Neujahrsfeier im römischen Kaiserreiche. 469
die Senatoren, die Verfügungen der früheren Kaiser und des
jeweiligen Staatsoberhauptes halten zu wollen (Dio Cass. 53, 28),
Tiberius ließ das anfangs nicht zu (Tac. Ann. 1, 72), später
aber schloß er sich der hergebrachten Sitte an und stieß sogar
den Apidius Merula aus dem Senate, weil er den Eid nicht
geleistet hatte (Tac. Ann. 4, 42) ; Nero warf die gleiche Un-
terlassung dem Thrasea Paetus vor (Tac. Ann. 16, 22). Die
Art der Eidesleistung war verschieden. Entweder schwur nur
einer der Senatoren, und die übrigen erklärten sich damit ein-
verstanden, oder jeder einzelne leistete den Eid (Dio Cass.
58, 17; 59, 13). Außer andern Verhandlungsgegenständen
hatte einer der neuen Consuln in seinem und seines Collegen
Namen dem Kaiser für ihre Ernennung zu danken (Ov. Ex P.
4, 4, 39; Piin. Paneg. 4. 90). Da diese Dankrede, wie die
des Plinius zeigt, sehr lang zu sein pflegte, dauerte die Sit-
zung bis spät hin, zumal neben allen andern Tractanden nach
einem früheren Senatsbeschlusse noch Reden des Augustus und
Tiberius verlesen wurden. Claudius schaffte daher in seinem
zweiten Consulate (42) diese Verlesung ab, indem er erklärte,
es genüge, wenn die fraglichen Reden auf eherne Tafeln einge-
graben würden (Dio Cass. 60, 10). Nach der Senatssitzung
begaben sich die Consuln, wiederum begleitet von Senatoren
und Freunden, nach Hause (Ov. Ex P. 4, 4, 41). Den Be-
schluß der Feier machte ein Festmahl, das in älterer Zeit der
Consul den Senatoren und Magistraten gab. Cicero (Tusc.
4, 2, 4) erwähnt die epulae magistratuum, und Plinius (N. H.
14, 15, 97) nennt die Weinsorten, die Caesar in seinem dritten
Consulate seinen Gästen vorgesetzt hatte. In der späteren
Kaiserzeit lud der Kaiser die höchsten Beamten und Senatoren
ein. Der Biograph des Pertinax (Vit. 6) erzählt, dieser Kaiser
habe das nach der Ermordung des Commodus getan, der sei-
nerseits diese Sitte nicht beobachtet hätte.
Denselben Eid wie die Senatoren hatten am Neujahrstage
die Beamten zu leisten. Schon im Jahre 45 v. Chr. wurde
geschworen, neben den Gesetzen auch die Verfügungen Caesars
zu beobachten (Appian. B. c. 2, 106) ; in gleicher Weise ver-
pflichteten sich die Triumvirn (Dio Cass. 47, 18). In der Fol-
gezeit schwur man auf die Verfügungen aller Cäsaren, die
470 Albert Müller,
nicht für ehrlos erklärt waren (Dio Cass. 47, 18), sowie auf
die bereits ergangenen der regierenden Kaiser (Dio 51,20);
später wurde die Verpflichtung auch auf die noch bevorstehen-
den Erlasse derselben ausgedehnt (Dio 57, 8). Auch dieser
Eid wurde entweder von jedem Beamten oder in jeder Kate-
gorie von einem geleistet, dem sich die übrigen anschlössen
(Dio 60, 35). Einige Kaiser, wie Tiberius (Dio 57, 8), Nero
(Tac. Ann. 13, 11) und Claudius (Dio 60, 10), ließen in ein-
zelnen Fällen den Eid auf ihre Acta nicht zu. Die Kaiser
selbst brauchten die Befolgung der Verfügungen ihrer Vor-
gänger nicht zu beschwören, haben den Eid aber mitunter
freiwillig geleistet, so Tiberius (Dio 57, 8) und Claudius (Dio
60, 25).
Auch das Militär hatte am 1. Januar seinem Kriegsherrn
jedesmal den Eid zu erneuern. Gleich nach Augustus' Tode
wurde das in Anregung gebracht, aber zunächst ohne Erfolg
(Tac. Ann. 1, 8). Im Jahre 69 war es jedoch bereits herge-
brachte Sitte (Tac. Eist. 1, 55; Suet Galba 16; Plut. Galba
22; Lydus de mens. 4, 4).
Von den für das Wohl des Staates am 1. Januar darge-
brachten Opfern und Gelübden läßt sich ein aus dieser Feier-
lichkeit erwachsener und auf den 3. Januar fallender Act nicht
trennen und muß ebenfalls zu den Neujahrsgebräuchen gerech-
net werden. Im Jahre 44 beschloß der Senat unter den über-
triebenen Caesar zuerkannten Ehren auch, daß alljährlich für
ihn gebetet werden sollte (Dio 44, 6). Nachdem Antonius
von Augustus besiegt war, bestimmte man (Dio 51, 19), die
Priester und Priesterinnen sollten diesen in ihre Gebete für
Senat und Volk einschließen. Um diese Gelübde für den
Kaiser nicht mit den am 1. Januar üblichen und dem Staate
geltenden zusammenfallen zu lassen, verlegte man sie auf einen
andern Tag. Im Jahre 27 n. Chr. fielen sie auf den 4. Ja-
nuar (CIL VI, 2024), im J. 38 auf den 3. Januar (CIL VI,
2028), und dabei ist es geblieben. Der 2. Januar war dazu
nicht geeignet, weil der erste Tag nach allen Kaienden ein
dies ater war (Liv. 6, 1, 12; Ov. F. 1, 58; Gell. N. A. 5, 7).
Bei diesen vota opferte der Consul im Triumphalgewande
(Mommsen Staatsrecht P p. 400 A. 2) einen weißen Stier (Ov.
Die Neujahrsfeier im römischen Kaiserreiche. 471
Ex P. 4, 9, 49). Der Tag wurde im ganzen Reiche festlich
begangen (Plin. Ep. 10, 35 f. ; 100 f.) und als Freudentag an-
gesehen. Als Aelius Verus am 1. Januar 138 gestorben war,
verbot der vota wegen Hadrian ihn zu betrauern (Vit. Hadr.
23). Im Jahre 399 gestatteten Arcadius und Honorius aus-
drücklich, an diesem Tage die Veranstaltung von Festessen,
nur sollten heidnische Opfer und Gebräuche vermieden werden
(Cod. Theod. 16, 10, 17). Im sechsten Jahrhundert erwähnt
Lydns (De mens. 4, 10) die ßoxa uoußXLxa, und noch im J.
692 lebte das Fest, vermutlich auch mit heidnischen Gebräu-
chen; denn das Concilium Trullanum von diesem Jahre ver-
bietet im 62. Canon den Christen xa XeyG[ji£va ßota zu feiern^).
Sowohl am 1. wie am 3. Januar wurden von allen Prie-
sterschaften Gebete gesprochen und Opfer dargebracht (vgl.
den S. 470 erwähnten Senatsbeschluß vom J. 30 v. Chr.). Ein
Opfer der Arvalbrüder für Neros zweites Consulat am 1. Ja-
nuar 57 s. CIL. VI, 2038. Ebenso hatten am 3. Januar
sämtliche PriestercoUegien (Dio 59, 3, 4) vota auszusprechen,
wie die Pontifices (Tac. Ann. 4, 17), die Augures und Septem-
viri (Plin. Ep. 10, 13) und die Arvalbrüder, welche an die-
sem Tage nach einem Gebete an Juppiter, Juno, Minerva und
die Salus publica dem Juppiter zwei Stiere, den Göttinnen
aber je zwei Kühe gelobten (CIL VI, 2059. 2065). Der Kaiser
Tacitus ließ einen Tempel mit den Statuen der guten Kaiser
bauen, denen am 1. und 3. Januar geopfert werden sollte
(Vit. Tac. 9). Später wurden alle diese Opfer verboten. Li-
banius (Vol. I p. 260 R) klagt, daß die blutigen und unbluti-
gen Opfer, die am Neujahrstage früher überall dargebracht
seien, infolge kaiserlichen Verbots aufgehört hätten.
Auch der häusliche Gottesdienst wird am 1. Januar nicht
ohne besondere Feier geblieben sein. In den Familien wurde
^) Nicht zu den Neu Jahrsgebräuchen sind am 1. Januar abgehaltene
Triumphe zu rechnen, wie der des L. Antonius vom J. 41 v. Chr. (Dio
48, 4) und der des Tiberius vom J. 7 v. Chr. (Dio 55, 8). In diesen
Fällen traten die betreffenden Feldherren ibr Consulat an und verban-
den mit dieser Feierlichkeit ihren Triumph. Ebensowenig gehören
hierher Fälle, in denen am 1. Januar Statuen der Kaiser dediciert wur-
den, wie das corpus corariorum magnariorum solatariorum, d. i, die Cor-
poration der Großhändler mit Sandalensohlen, im J. 287 den Kaisern
Diocletian und Maximian Statuen enthüllte (CIL VI, 1117).
472 Albert Müller,
stets an den Kaienden den Laren geopfert (Tibull. 1, 3, 33,
Prop, 4, 3, 58 f.); am Neujahrstage ging aber vermutlich dem
Larenopfer eine Spende au den Janus voraus. War es doch
allgemein üblich, bei Opferhandlungen den Anfang mit einem
Gebete an und einem Opfer für den Janus zu machen (Mar-
quardt Staatsverwaltung III p. 26 Anm. 5), und schloß die
Verehrung der Hausgötter nicht aus, daß man sich in ein-
zelnen Fällen an besonders vorgeschriebene Gottheiten wandte
(Marquardt 1. c. p. 128). Man spendete dabei wohl den für
den Janus auch sonst üblichen, aus Mehl und Salz bestehenden
(Ov. F. 1, 128) und Janual genannten (Festus p. 104 M),
Kuchen sowie Weihrauch und Wein (Ov. F. 1, 172). Die
eben erwähnte Klage des Libanius bezieht sich vermutlich auch
auf die häuslichen Opfer.
Hier möge noch bemerkt werden, daß am 1. Januar zwei
auf der Tiberinsel gelegene Tempel dediciert waren, und zwar
im J. 291 V. Chr. der des Aesculapius (Liv. Epit. 11. Ov. F. 1,
289 ff.) und im J. 194 v. Chr. der des Juppiter (Liv. 34, 53.
Ov. F. 1, 293). Im J. 7 v. Chr. weihte an demselben Tage
Tiberius als Consul die Kapelle der Livia ein und übernahm die
Herstellung des Concordiatempels (Dio 55, 8).
An den Jahreswechsel knüpften sich verschiedene super-
stitiöse Anschauungen, von denen wir einige anführen. Zu-
nächst solche, die in das Gebiet des Tagewählens gehören.
Man glaubte, wenn der 1. Januar mit den nundinae zusam-
menfiele, so sei in dem betreffenden Jahre Unglück zu erwar-
ten. Dieser Aberglaube hat sich vermutlich in der Zeit zwi-
schen 87 und 50 v. Chr. gebildet, wo mehrere Jahre, in denen
dieser Zusammenfall vorkam , Unglück brachten. Das Jahr
43 V. Chr. , in dem sich Unglück an Unglück reihte , schien
diese Auffassung besonders zu bestätigen. Daher traf man,
um für das Jahr 40, wo die nämliche Constellation zu erwar-
ten war, diese zu vermeiden, eine eigentümliche Maßregel.
Man schob in den Februar des vorausgehenden Jahres einen
außerordentlichen Schalttag ein und ließ dann im Januar des be-
treffenden Jahres einen Tag weg (Dio 48, 33. Unger Chrono-
logie § 93). Aehnlich ist folgendes, was wir bei Lydus (De
mens. 4, 10) lesen. Je nach dem Wochentage, auf den der
Die Neujahrsfeier im römischen Kaiserreiche. 473
1. Januar fiel, prophezeite man für den Verlauf des Jahres
Glück oder Unglück. War es der Sonntag, so waren Krieg,
Tod hoher Beamter und bürgerliche Unruhen zu erwarten.
Der Montag brachte Kindersterben und Teurung der Lebens-
mittel; der Dienstag Feuersbrünste und Seuchen, aber reiche
Ernte an Wein und Oel; der Mittwoch Sterben von Kindern
und im mittleren Lebensalter stehenden Frauen u. s. w. Chry-
sostomus (Hom. 23 p. 265) und Ambrosius (Sermo 7, p. 617)
warnen ihre Gemeinden eindringlich vor dem Tagewählen.
Aengstlich achtete man auf allerhand Vorkommnisse, in
denen man ein gutes oder schlimmes Vorzeichen zu erkennen
glaubte. Knisterten die auf den Altären brennenden Zweige
laut, so wurde auf ein glückliches Jahr geschlossen (Tib. 2, 5,
81. Ov. F. 1, 75). Widerwärtige Ereignisse am Neujahrstage
deutete man auf Unglück. Auf den Tod des Caligula bezog
man den Umstand, daß dem, beim Antritt seines vierten, in
sein Todesjahr fallenden, Consulates, geopferten Stiere die
Leber fehlte (Plin. N. H. 11, 189). Am 1. Januar des Jahres
68, in welchem Nero starb, fielen bei der Vorbereitung des
Opfers die Laren um, und dem Kaiser wurde ein Ring ge-
schenkt, dessen Stein eine Darstellung des Raubes der Proser-
pina zeigte. Gleich darauf am Tage der Vota konnten die
Schlüssel zum Capitol nur mit Mühe gefunden werden (Suet.
Nero 46). Weil Galba, als er am 1. Januar 69 opferte, der
Kranz vom Kopfe fiel und bei der Auspication die Hühner
wegflogen *), erwartete man sein Ende (Suet. Galba 18). Un-
glück ließ eine unter Commodus am 1. Januar plötzlich ein-
tretende Verfinsterung befürchten (Vit. Comm. 16). Komisch
wrirkt, was Dio (57, 18) zum Jahre 19 n. Chr. erzählt. Nor-
banus, der neue Consul dieses Jahres, war ein leidenschaft-
licher Tubabläser; es machte ihm daher Freude, das neue
Jahr und den Tag seines Amtsantritts mit Ausführung eines
Stückes zu begrüßen. Da nun die Tuba nicht nur im Kriege,
sondern auch bei Leichenbegängnissen (Pers, Sat. 3, 103 u.
Schol.) geblasen wurde, so geriet die bereits vor dem Hause
*) Dieses beim Amtsantritt der Consuln sonst nicht übliche auspi-
cium ex tripudiis scheint Galba als Inhaber des militärischen imperium
angewandt zu haben. Vgl. Mommsen Staatsrecht P p. 82 A. 2.
474 Albert Müller,
versammelte Menge in Schrecken und befürchtete einen wich-
tigen Todesfall. In der Tat starb am 10. Oktober Germa-
nicus.
Der uralte, schon von Xenophon (Mem. 1, 1, 4. 14) er-
wähnte, Aberglaube, nach dem man von den zuerst am Tage
gesehenen Vögeln sowie begegnenden Menschen und Tieren
auf Glück oder Unglück schloß, hatte besonders am 1. Januar
seine Geltung (Ov. F. 1, 180). Er dauerte noch in christlicher
Zeit fort. Die Bischöfe Maximus von Turin (Sermo 16 p. 258)
und Petrus Chrysologus von Ravenna (Sermo 18 p. 249), so-
wie Ps. Augustinus (Sermo 129 p. 2001) und das Concil von
Auxerre vom J. 590 (Can. 4) ermahnen die Gläubigen, da-
von abzulassen und lediglich auf Gott zu vertrauen.
Gebildete pflegten sich aus Homer und Vergil ein Orakel
zu holen, indem sie diese Bücher aufs geratewohl aufschlugen,
um den Vers, auf den ihr Auge zuerst fiel, als solches zu be-
nutzen (vgl. über die sortilegi Marquardt Staatsverwaltung III
p. 102). Die Christen bedienten sich statt der heidnischen
Dichter der Bibel, und so entstand der Gebrauch der sortes
sanctorum (seil, bibliorum), wogegen das eben erwähnte Con-
cil Einsprache erhob.
Andere Gebräuche sollten für das ganze Jahr gute Ge-
sundheit garantieren. Trank man am 1. Januar in aller Frühe
nüchtern ungemischten Wein, so bekam man im Laufe des
Jahres kein Podagra (Lydus De mens. 4, 8). Als Vorläufer
der im Mittelalter üblichen Johannisfeuer ist für uns besonders
interessant der Gebrauch , am Neujahrstage vor den Häusern
Feuer anzuzünden und zu überspringen. Diese auch an andern
Festen übliche Sitte (Ov. F. 4, 727. 781 f.), von der man sich
wegen der reinigenden Kraft des Feuers gute Gesundheit ver-
sprach, verbietet das Trullanische Concil vom J. 692 (Can. 65).
Grundsätzlich ließ man den Neujahrstag von Arbeit frei
(Libau. Vol. I p. 258). Wenn dennoch jeder die Hand an
sein tägliches Geschäft zu legen pflegte — so der Handwer-
ker (Ov. F. 1, 169) und der Landmann (Colum. R. r. 11, 2,
98) — , so war das keine ernste Arbeit, man wollte vielmehr
das Geschäft durch einen kurzen und glücklichen Anfang für
das ganze Jahr weihen. Ebenso verhielt es sich mit der
Die Neujahrsfeier im römischen Kaiserreiche. 475
Rechtsprechung. Im Prinzip wurde dieselbe am 1, Januar
nicht geübt (Ov. F. 1, 73 f.; Cod. Theod. 2, 8, 19; Liban. Vol.
I p. 258). Damit scheint in Widerspruch zu stehen, daß Ovid
(F. 1, 165) die Frage auf wirft, warum der 1. Januar nicht
ohne Prozesse sei. Derselbe ist aber nur scheinbar; denn in der
Tat wurde nicht verhandelt, sondern der Prätor nahm zur Er-
öffnung seiner Tätigkeit nur die Klagen an (Lydus De mens.
4, 4. Mommsen Staatsrecht P p. 596).
Von einem schwer zu erklärenden Aberglauben berichten
die Pseudo-x\ugustinischen Sermonen 129 und 130 (p. 2001
u. 2003). Hier wird erzählt, daß man am 1. Januar nieman-
dem, weder seinem Nachbar, noch einem Fremden, Feuer von
seinem Herde oder sonst eine Gabe auf seine Bitte darreichte.
Sollte man von der Verringerung des Herdfeuers am Neu-
jahrstag eine dauernde Schädigung des Hauswesens im bevor-
stehenden Jahre befürchtet haben? Damit wäre aber die Ver-
weigerung sonstiger Gaben an bedürftige Bittsteller, die mit
der allgemein am Neujahrstage herrschenden Gebefreudigkeit
in Widerspruch steht, nicht erklärt. Daß übrigens dieser
Aberglaube noch im 8. Jahrhundert bestand, werden wir weiter
unten erwähnen.
Der Neujahrstag galt als laeta dies (Ov. F. 1, 87). Ueberall
sollte Freude herrschen. Selbst während der Proscriptionen
geboten die Triumvirn bei Todesstrafe, das Fest mit üblichem
Frohsinn zu feiern (Dio 47, 13). Hinrichtungen durften nicht
vollzogen werden; kamen sie dennoch vor, so galten sie als
böses Omen und wurden streng getadelt (Tac. Ann, 4, 68. 70;
Suet, Tib, 61; id, Claud, 29; Flor, 2,9, 17; Plut, Mar. 45),
Man pflegte sich im Verkehr nur Angenehmes und Liebes zu
sagen; laeta verba erwähnt Ovid (F, 1, 175) und laetas pre-
cationes Plinius (N. H. 28, 2, 22). Der neue Consul beglück-
Avünschte die Senatoren in der ersten Sitzung (Ov. Ex P, 4, 4.
37 f.) ; bei Begegnungen drückte man sich die Hand (Herod.
1, 16) und bekräftigte sein Wohlwollen durch einen Kuß
(Asterios p. 53), Aber mit Glückwünschen begnügte man sich
nicht, man sandte sich auch Geschenke. Diese Neujahrsgaben
nannte man strenae. Man führte dieses Wort auf eine Sabi-
nische Göttin Strenia zuräck (Augustin. Civ. D. 4, 11; Sym-
476 Albert Müller,
machus Ep. 10, 15; Lydus De mens. 4, 4), der man Einwir-
kung auf die Gesundheit zusclineb. Bei den Sabinern soll
nach Lydus (1, c.) die Gesundheit geradezu streua geheißen
haben. Der Zusammenhang mit strenuus liegt auf der Hand.
Der Sage nach hatte schon der König Tatius aus dem Haine
der Strenia Zweige eines „glücklichen Baumes" als Neujahrs-
geschenk erhalten (Symmach. Ep. 10, 15). Felices arbores
sind solche, deren Zweige bei religiösen Handlungen gebraucht
zu werden pflegten, namentlich der Lorbeer, der Oelbaum, die
Eiche und die Myrthe (Pauly-Wissowa HI p. 165). Vermut-
lich dachte man sich, Tatius habe Zweige vom Lorbeerbaum
bekommen, dem man nicht nur reinigende und sühnende (Plin.
N. H. 15, 30, 135), sondern auch gesundmachende Kraft (Herod.
1, 12) zuschrieb. Lydus (1. c.) sagt, man habe sich Lorbeer-
blätter geschenkt, denn dieses cpuTOV sei üyiaaxLXov (vgl. Böt-
tiger Kl. Sehr. I p. 396). Ferner erfreute man sich durch
süße Früchte, wie Datteln (Ov. F. 1, 185; Martial. 8, 33, 11 ;
13, 27) und Feigen (Ov. F. 1. c; Lydus De mens. 4, 5) sowie
andere Süßigkeiten (Ov. F. 1, 189) wie Honig (Ov. F. 1, 186)
und Kuchen (Lydus De mens. 4, 5). Man wollte damit den
Wunsch aussprechen, das ganze Jahr möge angenehm verlaufen
(Ov. F. 1, 187).
Lieber aber als diese Naturalien nahm man Geld (Ov. F.
1, 192). Ursprünglich gab man einen Aß, der sich besonders
zum Neujahrsgeschenk eignete, weil auf seiner Vorderseite der
Januskopf mit dem doppelten Gesichte und nicht selten mit
dem Glück verheißenden Lorbeer bekränzt abgebildet war (s.
Baumeister Denkmäler p. 712 und 964 sowie Figur 773 und
1158). Aber schon im ersten Jahrhundert der Kaiserzeit war
die alte Einfachheit verschwunden, und nur noch der arme
Client schenkte seinem Gönner diese geringe Münze (Martial.
8, 38, 12); an die Stelle des Kupfers war Gold getreten (Ov.
F. 1, 221), und dabei ist es geblieben. Noch im 6. Jahrhun-
dert erwähnt Lydus (De mens. 4, 5) die Spende von Gold-
stücken. Solche Geschenke erhielten auch die Lehrer am Neu-
jahrstage von ihren Schülern (TertuU. De idolol. 10; Liban.
Vol. I p. 260; Vol. IV p. 1055. Hieronym. ad Ephes. 6, 4.
Vol. XXVI p. 574 M). Daß die strenae als uotwenig ange-
Die Neujahrsfeier im römischen Kaiserreiche. 477
sehen wurden, zeigt Paulus (Dig. 26, 7, 12, 3), nach dem der
Vormund verpflichtet war , den Großeltern und Verwandten
seines Mündels solche zu schicken. Zu den strenae sind auch
die Geschenke zu rechnen, welche die Consuln ihren Freunden
als Dank für die Begrüßung und Begleitung beim Amtsantritte
zu widmen pflegten. Nach Plinius (Ep. 10, 116) erhielten in
Bithynien die zum Ehrentage der Beamten Eingeladenen einen
oder zwei Denare. Mäßig werden auch anfangs die Geschenke
der Consuln gewesen sein; als aber die Pracht des consulari-
schen Aufzugs zunahm, wurde es üblich entweder einen Soli-
dus, etwa 12 M, (Syram. Ep. 9, 134) oder eine silberne Schale
(Liban. Ep. 941) oder Diptycha zu spenden. Die Deckel dieser
Schreibtafeln (pugillares) waren oft mit Elfenbein oder edlen
Metallen verziert (Claudian. De consul. Stilich. 3, 347) und
zeigten neben dem Namen das Bild des Consuls sowie andere
Darstellungen , oft von Schauspielen , wie sie die Geber zu
veranstalten hatten (Tierkämpfe s. bei Baumeister Denkm.
p. 2107 Fig. 2356 und 2357). Einfacher (vgl. Martial. 14, 3.
4. 6. 7) dürften die pugillares gewesen sein, welche Seneca
zum Geschenke erhielt, und von denen er (Ep. 87) sagt, sie
machten ihm in Verbindung mit Feigen jeden Tag zum Neu-
jahr.
Zu erwähnen sind noch Lampen aus Ton, welche auf der
Fläche, die das zum Eingießen des Oels bestimmte Loch umgibt,
eine für das Neujahr passende Inschrift trugen. Es hat sich
eine Anzahl derselben erhalten. Die Inschrift lautet entweder
annum novum faustum felicem tibi (z. B. CIL XV, 6202),
oder statt tibi mit einem Namen, z. B. Joviano (CIL XV,
6205). Mehrfach haben sich auch Lampen gefunden mit der
Inschrift ann. n. f. f. mihi (z. B. CIL XV, 6201 a und b) oder
ann. n. f. f. mihi hie (z. B. CIL XV, 6197), wo der Zusatz
hie „in meinem Hause" bedeutet. Exemplare der beiden
letzten Arten waren wohl nicht Geschenke, sondern wurden
gekauft.
Wenn TibuU (3, 1) seiner Neaera am 1. März, dem alten
Neujahrstage, eine Rolle Gedichte schenkt, so liegt die An-
nahme nahe, daß Bücher auch am 1. Januar verschenkt
wurden. Jedenfalls schickte man sich zur reichlichen Aus-
478 Albert Müller,
stattung der Festtafel am Neujahrstage allerhand Producte
des Meeres und des Landes (Herod. 1, 16). Als vor dem
Christentume der Glanz der Saturnalien erloschen war, mag
auch manches von den Dingen, die Martial im 14. Buche als
Saturnaliengeschenke aufführt, am Neujahrstage gespendet
worden sein.
Im Laufe der Zeit scheint die Freudigkeit zum Geben
eher zu- als abgenommen zu haben. Libanius (Vol. I p. 257
und Vol. IV p. 1055) schildert die fröhliche Gebestimmung in
überschwenglicher Weise. VV^er sonst zusammenscharre, halte
am 1. Januar Geben für Gewinn. Das Fest lehre, nicht am
Gelde zu kleben. Die Geschenke wanderten von Stadt zu
Stadt, von Landsitz zu Landsitz und vom Lande in die Stadt
sowie umgekehrt. Man schicke sich Wildbret und Fleisch
von Haustieren für die Tafel. Alle Straßen seien voll von
Menschen und Lasttieren, welche die Geschenke brächten. Die
Kirchenväter gießen aber Wasser in den Wein. Nach Asterios
(p. 53 f.) wurden die Geschenke einerseits sicher erwartet,
andrerseits nur ungern gegeben (vgl. Augustin. Sermo 198, 3
p. 1025), und das erhaltene Geld wurde sofort wieder wegge-
schenkt ; es ging aus einer Hand in die andere, wie der Ball
beim Spiele, üebrigens gaben nicht nur die Reichen und
Hochgestellten den Niederen und Armen, sondern erhielten
auch von letzteren Geschenke. Der hohe Beamte beschenkte
seine Officialen, und diese ihren Vorgesetzten (Liban Vol. IV
p. 1054 f). Manche suchten auch durch Geschenke Vorteile
zu erreichen. So spendeten die Rennstallbesitzer mit voller
Hand den Dienern der Magistrate Gold, um sich für die von
den letzteren zu gebenden Spiele zu empfehlen. Dasselbe
taten auch Senatoren, um sich den Beamten angenehm zu
machen (Liban. 1. c.) Da die Kirchenväter die ganze Sitte
als heidnisch ansahen, verwarfen sie dieselbe entschieden,
nannten sie geradezu teuflisch (Ps. Aug. 129, p. 2001) und
empfahlen statt der strenae Almosen zu geben (Tertull. De
idolol. 14 ; Augustin. Serm. 198). Sie richteten aber mit ihrem
Widerspruch wenig aus. Noch das Concil zu Auxerre (can. 1)
sah sich veranlaßt im J. 590 die diabolicae strenae zu
verbieten.
Die Neujahrsfeier im römischen Kaiserreiche. 479
Für unsere Anschauungen höchst auffallend ist es, daß
man auch dem Kaiser am 1. Januar seine Huldigung in Gestalt
einer strena darbrachte. Schon Augustus forderte infolge eines
Traumgesichtes vom Volke eine solche Spende (Suet. Aug. 91).
Er nahm sie auf dem Capitol in Empfang, indem er den
Spendenden die hohle Hand hinhielt. Aus dem Ertrage ließ
er wertvolle Götterstatuen anfertigen und auf den Straßen
aufstellen (Suet. Aug. 57. Eine Statue des Vulcan Dessau
93 ; einen Altar des Mercur Dessau 92). Anfangs hatten die
Senatoren zusammengeschossen und dem Kaiser die Summe
überreicht, später aber händigten sie ihm einzeln ihre kleineren
oder größeren Geschenke ein (Dio 54, 35). Das wird sich
wohl bis tief in den Januar hinein erstreckt haben; denn Tibe-
rius, der sich dieser Sitte gegenüber zurückhaltend verhielt,
nahm die strena nur am 1. Januar entgegen und wies alle
Personen, welche am Neujahrstage nicht hatten zu ihm ge-
langen können und ihn nun im Laufe des Monats belästigten,
entschieden ab (Suet. Tib. 34). Er brachte auch wohl den
Festtag außerhalb Roms zu, um die strenae zu vermeiden
(Dio 57, 8). Caligula dagegen ließ bekannt machen, er werde
an den Kaienden die strenae in Empfang nehmen, und tat
dies im Vestibulum des Palatiums, wobei ihm Hoch und
Niedrig als Geber recht war (Suet. Cal. 42). Anders Claudius,
der sich die strenae verbat (Dio 60, 6.) Indessen dauerte die
Sitte fort. Es wurden sogar besondere Münzen zur Beglück-
wünschung des Kaisers hergestellt. Eckhel (VI p. 508) führt
eine Münze mit der Inschrift SPQR a. n. f. f. Hadriano an
sowie eine zweite (VII p. 11) mit SPQR a. n. f. f. optimo
principi Pio. Allmählich wurde aus der freiwilligen Spende
eine regelmäßige Abgabe. Im J. 384 brachte Symmachus
(Ep. 10, 15) — damals Praefectus Urbi, als welchem ihm die
gesamte militärische, administrative und jurisdictionelle Ge-
walt im Bezirk der Stadt Rom zustand (Mommsen, Staatsrecht
IP p. 1022) — den Kaisern Valentinian, Theodosius und
Arcadius je eine goldene Schale mit 5 solidi im Namen des
Senats und Volkes dar. Elf Jahre später wurde die strena
des Kaisers auf 72 solidi festgesetzt (Cod. Th. 7, 24, 1).
Selbst wenn die Kaiser abwesend waren, erhielten sie die
480 Albert Müller,
strenae, wie Sueton (Aug. 57) und Inschriften (Dessau 92. 93)
von Augustus bezeugen. Caligula war am I.Januar 40 wegen
plötzlichen Ablebens des designierten Collegen alleiniger Consul
und in Gallien abwesend. Da begab sich der Senat auf das
Capitol, vollzog die Opfer, warf sich vor dem im Tempel
stehenden Prachtsitze des Kaisers zu Boden und legte die
strena auf demselben nieder (Dio 59, 24).
Die Kaiser erwiderten aber auch die Neujahrsgeschenke.
Augustus gab nicht nur den Senatoren, sondern auch den
übrigen Bürgern wenigstens das Doppelte von dem, was er
empfangen hatte, zurück (Dio 54, 35). Tiberius beschenkte nur
diejenigen, welche ihm am 1. Januar die strena überreicht
hatten (Suet. Tib. 34). Ein Gelehrter in Trier hatte Gratian
eine solche gewidmet, aber keine Gegengabe erhalten. Da
bewirkte Ausonius, daß ihm sechs Goldstücke überwiesen
wurden (Auson. Ep. 18). Symmachus (Ep. 10, 7) erhielt im
J. 384 sogar im voraus eine strena, wofür er sich mit
schwülstigen Worten bedankte. Noch unter der Gothenherr-
schaft teilte derComes sacrarumlargitiouum reichliche Neujahrs-
geschenke aus (Cassiod. Var. 6, 7).
Eine eigentümliche Geschichte wird von Julian erzählt.
Dieser Kaiser wollte am 1. Januar 362 christliche Soldaten
durch Gewährung von strenae zum Abfall bewegen. Er ver-
sprach ihnen solche, verlangte aber, daß zuvor jeder Manu
ihm Weihrauch opfern sollte. Einige verweigerten dies sowie
die Annahme des Geschenkes, andere fügten sich, besannen
sich jedoch bald und erkannten, daß sie Christum verleugnet
hatten. In großer Unruhe begaben sie sich nun zum Kaiser,
warfen das Geld weg und forderten, er solle sie töten. Julian
wollte zunächst darauf eingehen, begnügte sich aber damit,
sie ins Exil zu schicken und ihr Vermögen einzuziehen
(Sozom. 5, 17; Gregor. Naz. Or. 1 in Julianum. Vol. I p. 84 f.
ed. Col. 1690; Landolf. ad Pauli Hist. Rom. Vol. II p. 336
Auct. antiqu.).
Wie der Herr, so der Diener. Dem Kaiser nachahmend
suchten die aus den hochgestellten Beamten gewählten Bot-
schafter, welche die Kunde von der Ernennung neuer Consuln
in die Provinzen zu bringen hatten (Vit. Hadr. 2) Geldgeschenke
Die Neujahrsfeiei' im römischen Kaiserreiche. 481
für ihre Nachrichten zu erpressen. Dem machten die Verord-
nungen C. Theod. 8, 11, 1 — 4 ein Ende. Freiwillige Gaben
der Reichen blieben gestattet. Auch die Provinzialstatthalter
forderten von den Curialen der Städte eine strena. Gegen diesen
Unfuty richtete sich eine Verfügung der Kaiser Leo und
Maiorianus vom J. 458 (Nov. Maior. 7, 1 § 12), die für jeden
Uebertretungsfall eine Strafe von 1 Pfund Gold festsetzte.
Von dem, was das Volk besonders im 4. und 5. Jahr-
hundert beim Jahreswechsel anstellte, können wir uns nach
Libauius und den Kirchenvätern einigermaßen ein Bild machen.
Es ist dabei zu beachten, daß man des Glaubens war, wie
man den ersten Tag des Jahres verlebe, so werde das ganze
Jahr verlaufen. Diese, schon von Ovid (F. 1,187 f.) ausge-
sprochene, Auffassung hielt sich noch nach dem Siege des
Christentums, und die Kirchenväter machen ihren Gemeinden
daraus einen ernsten Vorwurf (Chrysost. Hom. 23 p. 263. Ps.
August. Serm. 129 p. 2002). Auf diesem Boden erwuchsen
dann folgende Sitten und Gebräuche.
Selbstverständlich legte man Wert auf festliche Kleidung
(Liban. Vol. IV p. 1053). Wie seinen Körper, so schmückte
man auch sein Haus. Der alten Sitte, bei festlichen Gelegen-
heiten die Haustüren mit Girlanden zu verzieren (Juven. 6, 51.
79. 227), kam man am Neujahrstage nach; besonders verwandte
man dazu Lorbeerzweige, an die man Abends auch Laternen
hängte. Tertullian (ad Uxor. 2, 6) spricht von einer ianua
laureata et lucernata (vgl. denselben De idolol. 15 ; Liban.
Vol. IV p. 1054; Chrysost. Hom. 23 p. 260). In derselben Weise
schmückte man die Straßen, besonders den Marktplatz, mit
Kränzen, wobei auch die Beleuchtung nicht fehlte. Chrysosto-
mus (p. 263. 265) vergleicht die so geschmückte Stadt mit
einem aufgeputzten eitlen Weibe. Auch Räucherwerk wurde
auf den Straßen verbrannt (Tert. Apol. 35). Die Gewerbtrei-
benden legten in ihren Läden die Erzeugnisse ihrer Tätigkeit
aus und wetteiferten mit ihren Concurrenten (Chrysost. p. 263).
Den größten Wert legte man aber auf die Tafelfreuden.
Bei den Reichen gab es sybaritische Mahlzeiten, aber auch
bei den Armen war der Tisch besser, als gewöhnlich (Liban.
Vol. I p. 257). Es scheint, daß die Wohlhabenden die Be-
Philologus LXVIII (N. F. XXII), 4. 31
482 Albert Müller,
dürftigen mit Naturalien unterstützten; denn Libanius (Vol.
IV p. 1054) sagt, niemand sei so arm, daß er nicht ein
reiches Mahl bekäme. Der Landwirt genoß die Früchte seiner
Wirtschaft und die Ausbeute seines Jagdreviers; der Arbeiter
kaufte nach Kräften Lebensmittel (Liban. p. 1053). Vom
Kaiser Alexander Severus wird berichtet, er habe für gewöhn-
lich sehr einfach gespeist, aber am Neujahrstage einen Fasanen
verlangt (Vit. 37). Weit verbreitet war die Sitte, in der
Neujahrsnacht einen mit Speisen und Getränken reich besetzten
Tisch aufzustellen und zum Genuß einzuladen. Besonders
war das in Alexandrien üblich (Hieronym. in Jesaiam 65, 11.
Vol. XXIV p. 663 M) ; es geschah aber auch auf dem Lande
(Ps. August. S. 129 p. 2001). Da TertuUian einmal (Apolog.
35) von vicatim epulari spricht, so scheinen hie und da die
Nachbarn, vermutlich auf der Straße, gemeinschaftlich gegessen
zu haben.
Bei diesen nächtlichen Mahlzeiten ging es wüst zu. Es
herrschte arge Trunkenheit. Libanius (p. 1055) sagt, für viele
sei bei dem Feste die Hauptsache das Zechen; gar mancher
müsse am 1. Januar seinen Rausch ausschlafen. Auch in
den Kneipen herrschte wildes Treiben. Chrysostomus (p. 262),
Ambrosius (S. 7 p. 617) und Augustinus (S. 198, p. 1024)
klagen bitter darüber, zumal damit wildes Würfelspiel ver-
bunden war (Tertull. De idolol. 14). Als natürliche Folge
schloß sich an die Gelage nächtliches, von allerlei Unfug be-
gleitetes Umherschweifen. Schon TertuUian (Apol. 35) spricht
von catervatim cursitare. Libanius (p. 1054) erzählt, viele
brächten die Nacht mit Singen, Tanzen und Neckereien hin,
klopften an die Türen, sodaß die Hausbewohner nicht schlafen
könnten, und drängen sogar in die Werkstätten ein. Nächt-
liche Tänze erwähnt auch Chrysostomus (p. 262) und nennt
sie SiaßoXtxac iravvuxtSes (vgl. Ambros. S. 7). Es versteht sich
von selbst, daß dabei gottlose Scherze (Maximus Taur. S. 16
p. 258) vorkamen und liederliche Lieder gesungen wurden
(August. S. 198 p. 1024. 1025. 1026).
Am Neujahrstage selbst wurde viel Unfug auf den Straßen
der Städte verübt. Schon TertuUian (Apol. 35) spricht von
iniuriae und impudentiae. Asterios (p. 56) sagt, die Landleute
Die Neujahrsfeier im römischen Kaiserreiche. 483
scheuten sich am 1. Januar in die Stadt zu kommen; denn
sie wären dort der Verspottung, Mißhandlung und Beraubung
durch Trunkene preisgegeben. Gewiß war es unter diesen
Umständen selbst für die ruhigen Bürger unangenehm auszu-
gehen; aber diese waren auch im eigenen Hause vor Belästi-
gungen nicht sicher. Scharen von Taschenspielern und Sceni-
kern belagerten die Türen, namentlich die der verhaßten
Zöllner, bis ihnen Geld zugeworfen wurde. So trieben sie sich
von einer Tür zur andern bis zum Abend umher. Auch
Knaben liefen von Haus zu Haus und brachten kleine Ge-
schenke, insbesondere Aepfel, in die kleine silberne Nägel ge-
steckt waren, wofür sie natürlich das Doppelte wieder bekamen
(Aster, p. 55).
Sehr beliebt waren Umzüge in Verkleidungen. Die mili-
tärische Disciplin war damals so locker, daß selbst Soldaten
sich solche gestatten durften. Während sie Stütze und Schutz
der Regierung bilden sollten, verspotteten sie dieselbe. Sie
setzten einen aus ihrer Mitte als Kaiser auf einen Wagen,
umgaben ihn mit Trabanten und durchzogen die Straßen unter
Scherzen, wie sie der stupidus oder [itjipbc, 'f aXaxpoi; im Mimus
zu üben pflegte. Ferner costümierten sie sich mit langem
Chiton, Gürtung, Schuhwerk und Haarschmuck als Weiber,
ahmten das Spinnen nach und sprachen durch die Fistel
(Aster, p. 57). Wohl im Hinblick auf diese Ausschreitung
heißt es bei Fs. Augustin (S. 129 p. 2001), man dürfe sich
nicht darüber wundern, wenn Männern, die sich als Weiber
verkleideten, die militärische Tüchtigkeit verloren gehe. Dies
sind auch wohl die xwfjiwotac, von denen Chrysostomus (p. 263)
spricht.
Uebrigens war diese Art der Verkleidung in weiten
Kreisen üblich. Maximus von Turin (S. 16 p. 257) eifert
dagegen, ebenso die Ps. Augustinischen Sermonen 129 und
130 (p. 2001. 2003), und das Concil zu Auxerre vom Jahre
590 (can. 1) sowie das TruUanum vom J. 692 (can. 62) hatten
Veranlassung dieselbe zu verbieten. Aus ersterem Beschluß
erfahren wir ferner, daß diese Verkleidung mit dem Ausdruck
vetulam facere bezeichnet wurde (vgl. Ducange s. v. vetula),
und aus letzterem, daß auch Weiber männliche Kleidung
31*
484 Albert Müller,
anlegten. In gleicher Weise sprechen sich Maximus (1. c.)
und das eben erwähnte Trullanum (1. c.) gegen Maskie-
rung aus^).
Man war aber nicht damit zufrieden, menschliche Trachten
anzulegen, sondern hatte auch seine Freude daran, sich in
allerhand Tiere, Rinder, Schafe, reißende Bestien und Unge-
tüme, zu verkleiden. Besonders beliebt muß die Costümie-
rung als Hirsch gewesen sein; denn cervulum (oder cervulam)
facere wurde geradezu technischer Ausdruck für diese Art des
Neujahrsvergnügens (Ambros. in Ps. 41; Maximus 1. c. ; Petrus
Chrysol. S. 155, p. 611; Concil. Tolet. IV can. 10; Concil
von Auxerre can. 1).
Offenbaren Rückfall in das Heidentum zeigt eine in
Ravenna, wo sich im Volke sowohl wie in den höheren Ständen
noch manches Heidnische gehalten hatte, übliche Sitte, von
der Petrus Chrysologus (1. c. p. 609) berichtet. Man putzte
die im Hause verborgen gehaltenen (Hieronym. ad Jes. 57, 7.
Vol. XXW p. 572 M) Götterbilder mit wunderlichem Costüm
heraus und führte sie im Zuge durch die Straßen, wobei aller-
lei Scherz getrieben wurde, der den Zorn des Bischofs in
hohem Grade erregt. Wenn Chrysostomus (p. 263) von
5ai[JL0V£(; TiojJiTisuaavxei; km zfi(; dyopä^ spricht, so meint er
wohl eine andere Sitte, nach der sich die Menschen selbst in
Götter verkleideten und durch die Stadt zogen, indem sie
was von unzüchtigen Handlungen der Götter erzählt wird nach-
ahmten. Die Teilnehmer sagten zu ihrer Entschuldigung, das
sei kein Frevel an der christlichen Religion, sondern nur
Neujahrsfreude; aber von diesen Ausflüchten will Petrus
Chrysologus nichts wissen. Die Zuschauer scheinen den Teil-
nehmern am Zuge Speisen und Getränke gereicht zu haben,
was von kirchlicher Seite aufs äußerste mißbilligt wird (Ps.
Aug. 130 p. 2003).
Mit dem 1. Januar war das Kaiendenfest noch nicht zu
Ende. Auf den Lärm dieses Tages folgte am 2. Januar eine
stille häusliche Feier. Man blieb zu Hause, und wie an den
alten Saturnalien kam nun auch der Sklave zu seinem Rechte.
^) Interessant ist, daß hier in so später Zeit noch TipoowTceia >cw|jLixä
ii oaxupcxi 7] xpayix* genannt werden.
Die Neujahrsfeier im römischen Kaiserreiche. 485
Mit seinem Herrn betrieb er das Würfelspiel und erfreute
sich bei etwaigen Versäumnissen, selbst bei Trunkenheit,
der Straflosigkeit. Auch die Kinder hatten es gut ; der Päda-
goge sowohl wie der Lehrer, beide sonst so strenge, waren
heute voll Liebenswürdigkeit gegen ihre Zöglinge. Jedem
war ein freies Wort gestattet; alles atmete Frohsinn und
Freude. Am 3. Januar fanden hie und da von den Statt-
haltern gegebene Circusspiele statt, nach deren Beendigung
sich die Zuschauer zu Hause den Freuden der Tafel und des
Würfelspieles hingaben. Am 4, Januar endlich flaute die
Festfreude ab, und die Bevölkerung begab sich zögernd und
langsam an ihre gewohnte Arbeit (Liban. p. 1055 f.)
Die Kirche hat stets gegen die nach heidnischer Sitte
fortdauernde Neujahrsfeier protestiert. Chrysostomus (p. 265)
ermahnt die Gemeinde ernstlich, davon abzulassen, während
jener Umzüge zu Hause zu bleiben und das neue Jahr mit
frommem Danke gegen Gott zu beginnen. Augustin (S. 198
p, 1025) fordert auf, statt der strenae Almosen zu geben und
statt im Essen und Trinken zu schwelgen zu fasten oder sich
doch der größten Mäßigkeit zu befleißigen (vgl. August, in
Ps. 98,5; Vol. XXX VE p. 1261 M). Nach Hieronymus (ad
Gal. 4, 8 u. 9, Vol. XXVI, p. 403 M) aßen die ernsten
Christen am Neujahrstage ungesäuertes Brot. Bei Ps. Augu-
stinus (S. 130 p, 2003) lesen wir eine Aufforderung an alle
Christen mit Ausnahme der Kranken, zu fasten und für die
an heidnischer Sitte Festhaltenden zu beten. Weiter ging das
Concil von Tours im Jahre 567, das im 17, Canon für den
31. Dezember sowie für den 1. und 2. Januar allgemeines
Fasten verordnete. Das Concil von Toledo (633) begnügte sich
allerdings damit, im 11. Canon das Fleischessen am 1. Januar
zu verbieten. Ferner hoffte man Besserung von der im 6.
Jahrhundert erfolgten Einführung des festuni circumcisionis
und der Ansetzung desselben auf den 1. Januar. Dieses Fest
wurde im Gegensatze zu der schwelgerischen Neujahrsfeier zu
einem Bußtage ausgeprägt, an dem man in den Kirchen
Litaneien veranstaltete (Conc. Turon. 1. c.) und statt des Halle-
luja Trauergesänge anstimmte (Conc. Tolet. 1. c).
Daß die Kirche mit diesen Maßregeln wenig oder nichts
486 Albert Müller,
ausrichtete, zeigt ein Schreiben des Bonifatius an den Papst
Zacharias vom J. 745 (Ep. 49, 6. Vol. LXXXIX p. 747 M).
Der Apostel der Deutschen schreibt dem Papst mit edlem
Freimute, wenn Alemannen, Baiern oder Franken nach Rom
kämen und dort Dinge sähen, welche ihnen zu Hause verboten
seien, so glaubten sie, dieselben seien in der Metropole von
den Priestern gestattet, und machten dann den heimischen
Geistlichen Vorwürfe. So hätten sie in Rom neben der Peters-
kirche in der Neujahrsnacht auf der Straße Tänze nach heid-
nischer Weise gesehen und schandbare Lieder gehört. Nacht
und Tag sei geschlemmt und niemand habe aus seinem Hause
dem Nachbar Feuer geben, ein Werkzeug leihen oder über-
haupt eine Gefälligkeit erweisen wollen (vgl. oben p. 475).
Der Papst möge diese Gebräuche in Rom abschaffen.
Es erhellt hieraus, daß die fraglichen heidnischen Sitten
bei den germanischen Völkern Eingang gefunden hatten. In
der Tat wurden sie trotz der Bemühungen der Bischöfe und
der Concilien unentwegt festgehalten. Erst im 11. Jahr-
hundert scheint das Fest beim Volke in Vergessenheit geraten
zu sein. Dahingegen forderte nun der niedere Klerus nach-
drücklich ein frohes Neujahrsfest, und diesem Verlangen
konnte die Kirche nicht widerstehen. Bald gab sie zu, daß
jene weltlichen Lustbarkeiten an kirchliche Feste angegliedert
wurden. Nun wurde der Skandal groß. Das Heilige wurde
frech verspottet. Die einzelnen kirchlichen Stände feierten
ihre besonderen Feste, die Diakonen am Stephanstage (26. Dec),
die Priester am Johannistage (27. Dec), die Subdiakonen am
1. Januar oder auch am Epiphaniasfeste. Dazwischen fiel
noch auf den Tag Innocentium (28. Dec.) das Kinderfest. Bei
diesem ging es noch anständig zu. Ein zum Bischof gewählter
Schüler hielt die Messe ab, während welcher die übrigen
Knaben die besten Chorstühle besetzten und die Stiftsherren
sich mit den niedrigen Plätzen begnügen mußten. Dieses
Fest wurde im Jahre 1274 vom Salzburger Concil kirchlicher-
seits ausdrücklich gestattet. Erst im 16. Jahrhundert wurde
der Kinderbischof auf den britischen Inseln, in Frankreich und
Spanien sowie den protestantischen Gebieten Deutschlands ver-
boten. In Cöln hielt sich die Feier bis ins 17., in Reims und
Die Neujahrsfeier im römischen Kaiserreiche. 487
Mainz bis ins 18. Jahrhundert und wurde erst durch die fran-
zösische Revolution abgeschafft. Bei den übrigen Festen trieb
der Klerus den gröbsten Unfug. Wie es bei denselben zuging,
möge man aus den folgenden Notizen über das festum Hypo-
diaconorum oder Stultorum, entnehmen, welches wegen mut-
williger Nachahmung kirchlicher Gebräuche am berüchtigtsten
war. Hier mußte der erwählte Narrenbischof seinen Wählern
einen Schmaus geben, bei dem stark getrunken wurde. In
der Kirche erschienen die Kleriker in Tiermasken oder als
Weiber, Zuhälter oder Gaukler verkleidet und räucherten mit
Blutwurst oder altem Stiefelleder. Statt der Responsorien wur-
den schmutzige Lieder gesungen und statt der Hostie am Altar
fette Würste gegessen. Würfelspiel, Reigentänze und Prozes-
sionen schlössen sich an. Junge Leute zeigten sich im Adams-
costüm unter unanständigen Gebärden und Reden. Verbote
der Päpste und Concilien hatten keinen Erfolg. Auch eine
Encyklika der Pariser theologischen Fakultät vom Jahre 1444
wäre wohl vergeblich gewesen, wenn nicht König Karl VII,
im Jahre 1445 die weltlichen Behörden augewiesen hätte, die
Feste zu verbieten. Allmählich hörte der Unfug auf; in Eng-
land jedoch ist das Narrenfest noch im Jahre 1530 nachzu-
weisen (vgl. hiezu Ducange s. v, Calendae, IV p. 481 ff. und
Herzog Encyklop. s. v. Nari'enfest). Eine ernste kirchliche
Feier des Neujahrstages findet sich erst seit der Mitte des 16.
Jahrhunderts (Herzog s. v. Neujahrsfest).
Zum Schluß noch folgende Bemerkung. Unsere heutige
Neujahrsfeier weist die nämlichen Momente auf wie die römi-
sche. Zu dem feierlichen Amtsantritt der Consuln dürfen wir
mutatis mutandis die Feiern am Sitze des Kaisers, das große
Wecken, die Gratulationscour, den Gottesdienst im Schloß und
die Paroleausgabe in Parallele stellen. Den Opfern der Prie-
sterschaften entsprechen die Gottesdienste am Sylvesterabende
und Neujahrstage. Abergläubische Gebräuche zur Erforschung
der Zukunft werden in der Neujahrsnacht noch heute geübt.
Glückwünsche werden nicht nur mündlich ausgesprochen, in
ungezählten Tausenden gehen die Karten nach allen Himmels-
gegenden. Die in Frankreich noch heute üblichen strenae
fehlen auch bei uns nicht ganz. Festliche Veranstaltungen,
Mahlzeiten und Bälle, sind noch immer beliebt, und der nächt-
liche Unfug ist auch jetzt der Schrecken des ruhigen Bürgers.
Wir haben hier also wieder einen Beleg für den oft ausge-
sprochenen Satz, daß der Mensch in seinem Dichten und Trach-
ten stets der nämliche ist und die daraus hervorgehenden
Handlungen sich nur nach den Zeitverhältnissen und den je-
weilig zu Gebote stehenden Mitteln unterscheiden.
Hannover. Albert Müller.
XXI.
Herakles am Scheidewege.
I.
Die Epideixis dieses Titels, deren Umrisse uns Xenophon
(Mem. II, 1, 21—34 vgl. DFV- I 567 Nr. 1 u. 2) nach den
^Qpoa des Prodikos erhalten hat, ist eine moralische Allegorie.
Legt man die Form des Dreiweges zu Grunde, so läßt sich ihre
Szenerie in der nebenan ersichtlichen Weise schematisch darstel-
V , , len. Der Gott ist das Vorbild des
, /'^'AosTYi Jünglings, der sich bei dem Eintritte
^ / ♦ in das Mannesalter zum Guten oder
'HpaxX^s \^ xaxü) Bösen entscheiden muß. Xenophon
Kaxca j^ebt mit dem sie, i^ßyjv wpiiato offen-
bar in engem Anschlüsse an seine Quelle hervor, daß Herakles
als Ephebe in diese Lage kam. Das Alter, in dem der
Jüngling Selbständigkeit und Waffen erhielt, war der Beginn
des zwanzigsten Lebensjahres^) (Poll. III 105, vgl. Thal-
heim in Paulys Realenz. s. v. Ephebie). In diesem Zeitpunkte
legte der Ephebe den Waffeneid ab und opferte am nämlichen
Tage dem Herakles (Athen, XI p. 494 f).
Diese mit der Ephebie verbundenen Einrichtungen legen
den Gedanken nahe, daß Prodikos selbst schon in seiner Alle-
gorie die Beziehung des „Herakles am Scheidewege" zur
Ephebie voraussetzte. War doch diese im vierten Jahrhun-
derte bereits über ganz Hellas und auch über die Kolonien
verbreitet, namentlich aber in Kleinasien in Uebung, wo sie
in Inschriften die häufigste Erwähnung findet. Das für den
Epheben vorbildliche Verhalten des „Herakles am Scheidewege"
1) Die Jugend umfaßte also 19 Jahre, eine Frist, die sonst auch
als metonischer Zyklus bekannt ist.
Wolfgang Schultz, Herakles am Scheidewege. 489
wirft auch ein neues Licht auf die Bedeutung dieses Gottes
für das Gymnasion, dem er mit Hermes verbunden vorstand").
Einen dem von Prodikos ausgeführten ähnlichen Gedanken
über die Stellung des Jünglings zum Leben äußert Lactantius
VI 3: „dicmit enim humanae vitae cursum Y literae esse si-
milem, quod unus quisque hominum, cum primae adulescentiae
limen attigerit et in eum locum venerit .partes ubi se via
findit in ambas' haereat metabundus ac nesciat, in quam se
partem potius inclinet". Aber Lactantius bezieht sich nicht auf
Herakles ; denn er redet ganz allgemein vom Wege des mensch-
lichen Lebens. Ja, seine Allegorie geht über die des Prodikos
hinaus, da sie das Verhältnis zwischen Jugend, Tugend und
Laster nicht nur auf ein hiviimi, sondern auch auf einen dem
biviuni der Form nach entsprechenden Buchstaben bezog.
Hieraus ergiebt sich die Frage : Hat schon Prodikos das
Thema seiner Epideixis auf den Buchstaben Y (V?) bezogen vor-
gefunden und diese Form-Allegorie dem moralischen Lihalte
seiner Erzählung zu Liebe vernachlässigt, oder hat Lactantius
eine Fassung überliefert, die unter Benützung der Allegorie
des Prodikos eine Erweiterung des ursprünglichen Symbol-
bestandes darstellt ?
n.
Obwohl der Ausdruck in quam partem inclinet geradezu an
das Tzpoox)dv<x.i xri dpexri im Schol. Aristoph. nub. 361 (DFV^
I 567, 11) erinnert, redet doch Lactantius entschieden nicht
von einem Gotte, sondern von einem Buchstaben. Seine Vor-
lage, aus der auch der metrische Anklang partes ubi se via
findit in ambas stammen muß, kennen wir nicht, und aus dem
inclinet dürfen wir gewiß auch keine Schlüsse ziehen. Aehn-
lich wie Lactantius schildern einige dem Vergil zugeschriebene
Verse (Anth. Lat. H 416 Burm.) den Buchstaben :
„litera Pythagorae ^) discrimine secta bicorni
') Als weibliche Gottheiten sind die Musen und Athena zugeordnet
(Paus. I 30, 2). Die Musen entsprechen dem Hermes, Athena dem He-
rakles. Vgl. Minerva und Herkules bei den Etruskern (s. u. Anm. 5).
^) Ueber Pythagoras als Erfinder und Verbesserer der Buchstaben
vgl. Bekker Anecd. Gr. 784, 12 ff. u. 789, 9 f. Solche Ueberlieferungen
konnten durch Anknüpfen an die Säulen des Herakles (s. u. S. 494)
entstehen, ferner durch Weiterbildung der Pythagoraslegende selbst,
490 Wolfgang Schultz,
tumanae vitae speciem praeferre videtur.
nam via virtutis dextrum petit ardua callem
difficilemque aditum primum spectantibus offert,
sed requiem praebet fessis in vertice summo.
molle ostentat iter via lata, sed ultima meta
praecipitat captos volvitque per aspera saxa" etc.*)
Ausonius Technopaegfn. XIII 13 nennt ihn :
„Pythagorae bivium ramis pateo ambiguis Y"
und ähnlich Persius III 56:
„et tibi quae Samios deduxit litera ramos
surgentem dextris monstravit limite callem".
Endlich ist noch Martian. Cap. 102 zu vergleichen: „literam
quoque quam bivium mortalitatis asserere prudens Samius
aestimavit".
Ein Blick auf diesen Stand der Ueberlieferung zeigt, daß
sie ausschließlich römisch, resp. italisch ist. Hellenische
Traditionen gleichen Inhaltes finden sich nicht. Auch ist nur
von dem Samier Pythagoras, nicht aber von Herakles die Rede.
Nichts, scheint es, könnte hindern, diese auf italischen
Boden beschränkte Lehre, die mit der Allegorie des Prodikos
anscheinend nur den Gedanken an zwei gegensätzliche Pfade
des Lebens gemein hat, für ungeeignet zu halten, uns zu einer
vor Prodikos gelegenen Form der Allegorie empor zu führen.
Dies wäre zwar bequem gefolgert, aber falsch. Denn obgleich
die italischen Autoren, bei denen die Lehre vorkommt, späten
Zeiten angehören, finden vnr bildliche Darstellungen des „He-
rakles am Scheidewege" schon auf etruskischen Spie-
geln (Gerhard 155, 156), wobei Arete durch Minerva ersetzt,
also eine andere, uns sonst vom Paris-Urteile her (vgl. S. 498)
bekannte Form der Erzählung angenommen ist ^). Wegen die-
welche die Auffindung des Pythagoras durch Mnesarchos unter den
Lebensbaum verlegte.
*) W. H. Röscher wies mich darauf hin, daß Buchstaben von der
Form: V, Y, Y (s. Baumeister, Denkmäler I 52), wo der rechte Strich
fein und schräg, der andere dick und steil ist, gemeint zu sein scheinen.
^) Der etruskische Name der Kav.ia (voluptas?, durch Flügel und
Darreichuncr einer lanx satura als solche gekennzeichnet, vgl. Welcker,
Alte Denkmäler III 3 17) ist den Darstellungen nicht zu entnehmen.
Daß der Stil der Darstellung hellenisch ist . darf nicht gegen den
so augenscheinlich von dem allegorischen Gehalte der Erzählung des
Prodikos abweichenden Inhalt derselben in dem Sinne eingewendet
Herakles am Scheidewege. 491
ser Abweichung in der Auffassung ist auch ein Einfluß der
Epideixis des Prodikos oder ihrer allenfalls voi-handenen Vor-
bilder auf die etruskischen Darstellungen eben so ausgeschlossen
wie umgekehrt ein Einfluß etruskisclier Mythen auf die Er-
zählung des Sophisten unwahrscheinlich. Wohl aber scheint
die etruskische Auffassung, die an Stelle der abstrakten Be-
griff'e des Prodikos noch lebendige Gestalten des Mythos ent-
hält, eine ältere Form des Gedankens zu bieten.
Dieser ursprüngliche Charakter der etruskischen Ueber-
lieferung ist von großer Bedeutung. Selbst ihr Auftreten bei
Martianus Capella, der uns auch sonst wichtige Belege etrus-
kisclier Disziplin erhalten hat, kommt als Anzeichen für das
italische Wesen dieser „pythagoreischen" Lehre in Betracht.
Auch enthalten die angeführten Quellen noch deutlich my-
thische Züge, welche in der hellenischen Fassung des Prodikos
fehlen. Hierher gehört die Bezeichnung des Y als bicornis.
Dem Mythologen ist vom Hörne der Amaltheia her und vom
zweihörnigen Pan die Beziehung solcher „Hörner" zu Ober-
welt und Unterwelt geläufig *'). Noch wichtiger sind die rami
werden, als wäre seine italische Eigenart deshalb zweifelhaft, da er
sich ja nur hier so findet. Die Annäherung an das Parisurteil, na-
mentlich durch das Vorkommen Minervens, ist so offensichtlich, dabei
aber eine genaue Uebereinstimmung so zwanglos vermieden, daß ra.
E. eine echt etruskische Version des ursprünglichen Mythos hier ange-
nommen werden muß. Auch konnten die Etrusker eigene Mythenver-
sionen (vgl. z. B. bei Gerhard 181 und Text zur Erklärung des von Man-
chen als Tages gedeuteten Epeur {?), wo ein etruskischer Mythos in hel-
lenischem Gewände auftritt) gar nicht anders darstellen, als es hier ge-
schehen, da sie ja nur den hellenischen Stil hatten. Daß übrigens dieser
, fremde Einfluß" vielleicht doch anders als dies üblich ist, beurteilt
werden muß, ergibt sich allein daraus, daß die sich immer mehr bestä-
tigenden Nachrichten über den kleinasiatischen Ursprung der Etrusker
(resp. der Tyrrhener) schon von der Heimat her einen starken helleni-
schen Einschlag in der Kultur eines solchen Mischvolkes wahrscheinlich
machen. Wäre es bei unserer noch immer so mangelhaften Kenntnis der
etruskischen Altertümer gestattet, im Sinne von Brauns „Tages und die
heilige Hochzeit Minervens mit Herkules" an zu nehmen, daß der Wahl
die Vermählung mit Herkules folgte, dann hätte der weiter unten
bloßgelegte Zusammenhang Mnesarchos-Tarchon und Pythagoras-Tages,
da Sohn und Vater (Tages- Herakles) wesenseins sind, vielleicht noch
eine weitere Bedeutung. Doch soll diese Vermutung im Folgenden
nicht in Betracht gezogen werden.
*) Die orphische Theogonie (Abel, Orphica p. 202 fr. 123 v. 16 laüpta
5' äiicpoxepio&s 5üo xP'J'^sia xepaxa | dvxoXtY) xe Süoig xs, d-sröv obol oüpa-
vwjüvmv) bezieht z. B. die beiden Hörner des kosmisch gedeuteten Zeus
auf Aufgang und Untergang.
492 Wolfgang Schultz,
des Buchstabens. Sie beweisen, daß er selbst als Baum ge-
dacht wurde. Und da vom Lebenswege die Rede ist, haben
wir unzweifelhaft das Y als den zugehörigen Lebensbaum ^)
'') Vgl. unten (III) über Xsünv) als Lebensbaum, unter dem Tages-
Pythagoras gefunden wird. Die Gleicbsetzung des Buchstabens Y mit
diesem Baume scheint aber erst in späterer, das ursprüngliche Bild
nicht mehr verstehender Deutung und vielleicht auch unter dem Ein-
flüsse der besonderen Form V, dahin ausgelegt vrorden zu sein , daß
man an einen Baum(stamm) mit zwei Aesten (oder einen Gabelweg =
biviuni) dachte, den der Buchstabe von der Seite gesehen darstelle.
Aber die alte und älteste Auffassung vom Lebens- oder Weltenbaume,
die sich bei den meisten Völkern, die noch im Besitze dieser Mythen-
motive sind, auch unmittelbar bezeugt findet, schreibt dem I3aume
3 Aeste oder Wurzeln zu, so daß ihn also der Buchstabe von oben
(oder von unten) gesehen darstellen sollte und seine rami einander
gleich gelten mußten. Bei den Hellenen ist Hermes nach dem
ihm gewidmeten Homerischen Hymnus (v. 530) im Besitze einer
TpiuetyjXog (SäßSoj. Das TpiuixyjXov als Pflanzenname ist gleichwertig
mit dem xptcpuXXov (Nie. Thes. 522), dessen Gebrauch bei der Zube-
reitung des Opferfleiscbes Herodot I 132 den Persern zuschreibt. Deut-
licher finden wir noch bei den Germanen, daß drei Wurzeln
den Baum halten (z. B. Gylfaginning c. 15 bei Hugo Gering, Die Edda
S. 309) und selbst bei den Cechen entsprießen nach der Schilderung
der Libussasage bei Cosmas von Prag dem Stecken des Premisl 3 Zweige.
Mehr ähnliche Ueberlieferungen hier zu häufen, sehe ich keinen Anlaß.
Nur darauf sei noch hingewiesen, daß in einer breiten Schiebte von
Mythen auch 4 Zweige, 4 Bestandteile des Baumes, 4 Quellen unter
ihm usw. unterschieden werden, wo aber immer die 3 sich als ursprüng-
lich zu erkennen gibt. Auf die Gründe dieses Ersatzes einer älteren
3 durch eine 4 = 34-1 werde ich demnächst (1910) in den Mittei-
lungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien in einem Aufsatze
über „Gesetze der Zahlenverschiebung" näher eingehen. Endlich wären
mit diesen Zahlen für die Zweige des Baumes auch noch weitere,
mythische Ueberlieferungen von dem „ Zahlenbaume " selbst zu verglei-
chen , in denen auch die Zahlen der Blätter, Blüten, Früchte usw.
systematisch angegeben werden. Indem ich mir Ausführlicheres hier-
über für eine andere Gelegenheit vorbehalte, verweise ich nur Beispiels
halber auf die 9999 Feigen, welche in dem Scheffel Platz finden (Seher-
wettstreit des Mopsos und Kalchas, vgl. Mythol. Bibl. III 1 meine
„Rätsel aus dem hellenischen Kulturkreise" S. 140 f. Nr. 340), auf die
indische Zahlenwette zwischen Vahuka und Rtuparna im Nalaliede, auf
den insbesondere in ungarischen Märchen häufigen Baum mit 99 Blät-
tern usw., oder auch schließlich auf die germanische 9-Kraftwurz. All
das, so unvollständig es hier angeführt ist, zeigt doch hoffentlich schon
zur Genüge, daß systematische Zahlen allenthalben an den Welten-
und Lebens-Baum anknüpfen. An die zahlreichen Märchen, in denen
3 Brüder, von dem Baume, einer mit Inschriften versehenen Säule (man
denke an die Säulen des Herakles!), einem Ffahle, einer dreiseitigen
Pyramide oder in weiterer Verblassung selbst einem Steine ausgehend,
3 verschiedene Lebenspfade verfolgen, brauche ich wohl nur im Allge-
meinen zu erinnern. Sie erweisen neuerlich die mythische Zusammen-
gehörigkeit der Lebenswege und der Zweige des Lebensbaumes. Ja
häufig findet sich in diesen Erzählungen auch der Zug, daß der schwie-
rigste Pfad der kürzeste ist und allein zum Ziele führt. Also auch
Herakles am Scheidewege. 493
zu betrachten. Wie weit die Analogie ging, davon haben also
unsere Quellen noch Andeutungen erhalten.
III.
Welche Beziehung hat Pythagoras zu diesen Vorstel-
lungen ?
Darauf antwortet die Legende: Sein Vater Mnesarchos
war einer von den Tyrrhenern, welche Imbros, Skyros und
Lemnos bewohnten. Er fand den Pythagoras in Gestalt eines
neugeborenen Knaben unter einem Baume (Porph. V. Pyth. 10).
Der Baum war eine Weißpappel ^) (XeuxY]), von deren Thau
der Knabe ernährt wurde. Sie ist daher der in dieser Eigen-
schaft wohlbekannte Baum des Lebens. Ganz ähnlich fand
Tarchon beim Pflügen in einer Ackerfurche das grauhaarige
Tages-Kindlein, das die Doktrin der Etrusker offenbarte (Joh.
Lyd. de ostent. 3). Dieses der Tages- Sage entsprechende Stück
der Pythagoraslegende (vgL meinen Zusatz zu dem Artikel
Tages in Roschers mythol. Lexikon) zeigt deutlich, wieso man
dazu kommen konnte, ohne daß man sich je den Pythagoras
am Scheidewege gedacht hätte, ferner auch ohne daß er selber
den Buchstaben erfunden haben mußte (s. o. S. 489 Anm. 3),
das Y als litera pythagorica zu bezeichnen und auf den sami-
schen Seher zu beziehen. Es gehörte ja als ein die Form des
Lebensbaumes darstellendes Attribut eben so zu ihm wie etwa
zu Christos das Kreuzeszeichen T. Und das Alter dieser Sym-
bolik des Y wird man nur nach dem Alter jener Pythagoras-
die moralisierende Deutung scheint nicht Eigenthum des Prodikos zu
sein, sondern wird schon dem Mythos selber angehört haben. Stoff
hierzu siehe bei Reinhold Köhler, Kleinere Schriften I 537 ff.
®) Die Bezeichnung des Baumes als Weißpappel fällt auf. da der
weiße Baum sonst der des Todes ist, neben dem sich der Quell des
Vergessens befindet (so die weiße Cypresse des orphischen Goldplätt-
chens von Petelia v. 2 DFV I 480, 10 Nr. 17). Allem Anscheine nach
liegt hier eine Symbolik durch den Gegensatz vor (vgl. über Gegen-
satzsymbolik Lobeck Agl. 878 ff). G e m e i n t ist die Schwarzpappel
[a'ifeipoz). Uebrigens sind beide Bäume einander sehr ähnlich (Theophr.
de plant. III 14, 2 [laxpöxspov v-oü Xsiöxepov vj aiysipog), nur daß die Blät-
ter der Schwarzpappel auf der Rückseite nicht so silbern glänzen.
Trifft diese Vermutung zu, dann wurde Samos in dem delphischen
Orakel an Ankaios (Jambl. V. Pyth. 3) offenbar wieder aus euphemi-
stischen Gründen bloß OuXXäg genannt, obgleich es nach derselben Stelle
sonst Y^ iJL£Xä[icüuXXog hieß, woraus sich der richtige Name MeXaiiCfüXXag
mit Sicherheit ergibt.
494 Wolfgang Schultz,
legende schätzen können. Diese aber scheint eine lebendige
Wechselwirkung zwischen tyrrhenischer und hellenischer (un-
teritalisch-samischer) Sage voraus zu setzen und also einer
frühen, vielleicht vorpythagoreischen Zeit, an zu gehören.
IV.
Wodurch kam nun aber die Beziehung des Herakles zum
Zwei-(Drei-)Wege zu Stande ?
Auch hierauf kann nur dann geantwortet werden, wenn
man eine fernere, ebenfalls auf italischen Boden verweisende
Nachricht des lobas bei Plut. aet. Rom. 59 p. 278 E beachtet,
nach welcher Herakles das Gefolge des Euandros (nach Plut.
de gen. Socr. 7 p. 579 A „zur Zeit des Königs Proteus") die
Buchstaben lehrte. Damals aber schloß das Alphabet mit
Y , da 'PXYQ ausdrücklich jüngeren Erfindern zugeschrieben
werden. Die litera philosophica bezieht sich also gerade auf
diesen 'HpaxX-^s 6 cfiXöoo^ioq ö Asy6(j.£Vos Tupco? (Cedren. I 35).
Nach ihm haben die Säulen des Westens ihren Namen, den
an ihnen angebrachten Buchstaben sollen Pythagoras, Piaton,
ja selbst noch Apollonios von Tyana (Jambl. de myst. H 2,
Theophil, ad Autolyc. HI 2, Philostr. V. Apoll. V 5) ihre
Weisheit entnommen haben. Die Säulen selbst wurden als
^uvosapia oupavoö xac y^s betrachtet, die auf ihnen verzeich-
nete Weisheit verdankte dieser Herakles dem „Pbryger" Atlas
(Clem. Alex. Strom. I 15, p. 306), dem — freilich mit einer
Verwechslung des Landes (Libyen-Lydien : Phrygien) — die
Abfassung der Opuyia Ypa[Ji|Jiaxa zugeschrieben wurde.
Nicht also erst in Italien hätte Herakles als Erfinder der
mit Y endenden Buchstabenreihe gegolten, sondern es müßte
in Lydien zu einer Zeit, da die Tyrrhener eben erst ihre klein-
asiatischen Heimstätten verließen, geglaubt worden sein, daß
er die („Opuyta") Ypdi.\i\ia.ia mit Y abgeschlossen habe. Die
Gleichsetzung dieses lydischen Herakles mit dem baal phüo-
sopJius der tyrischen Phöniker macht jetzt begreiflich, wie
Herakles zu den Säulen von Gades kommt, sie erklärt das
Hereinspielen des Atlas, der zum Schlüsse als Nilo natus (Cic.
de nat. deor. III, 16) nach Aegypten versetzt und zur Beglau-
bigung falscher Opuyta ypäjjL{jiaxa benutzt wurde, sie läßt auch
Herakles am Scheidewege. 495
endHch verstehen, wieso man, als die Tyrrhener schon in
Etrurien saßen, den ihnen zugehörigen lydischen Herakles mit
dem arkadischen Euandros hellenischer Kolonisten und jenem
anderen Herakles in Zusammenhang brachte, der auch in den
Gründungssagen von Rom als Bezwinger des Cacus eine Rolle
spielt. Aber in die Heimat dieses Herakles weist es wieder,
wenn ein idäischer Daktyle seines Namens den Erfindern des
Hexameters zuzuzählen isf).
Die Beziehung des Gottes zur Symbolik des letzten von
ihm erfundenen Buchstabens^") muß noch vor der Auswanderung
der Tyrrhener auf kleinasiatischem Boden gegeben gewesen
sein. Dann hat es aber auch nichts Verwunderliches an sich,
daß sie einerseits auf etruskischen Spiegeln abgebildet, ander-
seits in der Epideixis des Prodikos literarisch erhalten ist.
Ja da Prodikos, wie wir sahen, die Einrichtung der Ephebie
voraus setzt, diese aber wohl kaum durch eine Laune der In-
schriftenfunde besonders stark für Kleinasien bezeugt ist, weist
auch dieser Zweig der Entwicklung den Weg zum Ursprünge.
Und noch die letzte Schwierigkeit, die darin liegt, daß das Y
sowohl Symbol des Scheideweges ist, an dem Herakles steht,
als auch des Lebensbaumes, unter dem Pythagoras gefunden
wurde, schwindet, wenn man sich die Charakteristik der Pytha-
goraslegende vor Augen hält. Denn die mythische Vorstellung
von einem Lebens- oder Welten-Baume, dessen Aeste (oder
Wurzeln) Innen- und Außenwelt (oder Ober- und Unterwelt)
mit einander verbinden, ist Gemeingut der Völker. Zu ihr
gehört auch der Gott, der unter diesem Baume zum Vorscheine
kommt, ja auch nach manchen Mythen schließlich auf ihm,
sich selber zum Opfer (Odin, Jesus), aufgehängt wird. Auf
das Alphabet gedeutet haben wir den ersten Teil dieses My-
thos in Y als litera pythagorica, den zweiten in T als signum
Christi vor uns. Denn der Mythos behält seine systematische
Konsequenz auch dann, wenn seine Teile ganz unabhängig von
einander auftreten. Man wird also den Gedanken der Pytha-
9) Verl. Diod. V 64 und Clem. Alex. 115. 7.3 p. 60 Dind.. sowie
Myth. Bibl. III 1 (Rätsel aus dem hellenischen Kulturkreise) S. 82 u. 83.
^°) Den Namen des Seth (n^) deutet jüdische Ueberlieferung dahin,
daß sein Träger ü und n, die beiden letzten Buchstaben des Alphabetes,
erfunden und hiervon seinen Namen erhalten habe.
49*6 Wolfgang Schultz,
goraslegende für sehr alt, den Namen des Pythagoras in ihr
für weit jünger zu halten haben. Die Weißpappel deutet ja
auf Herakles selbst hin, dem sie heilig war (vgl. Theoer. II 21).
Die Umgestaltung des Herakles-Tages zu Pythagoras konnte
erst auf italischem Boden und nur zu einer Zeit erfolgen, da
der systematische Zusammenhang zwischen dem „Kleinen unter
dem Lebensbaume" und dem „Herakles am Scheidewege" schon
vergessen war.
V.
Das bivium, mythisch richtiger trivium (s. o. S. 492
Anm. 7), entspricht seiner Form nach dem Y, durch des-
sen Erfindung Herakles die Buchstabenreihe abgeschlossen
hat. Mit der Erfindung dieses Buchstabens gelangt er zum
biviiim. Daraus folgt, daß auch die voran gehenden Jahre
seines Lebens den voran gehenden Buchstaben des Alphabetes
entsprechen müssen. In der Tat ist Herakles am Scheidewege
als Ephebe gerade zwanzig Jahre alt und Y der zwan-
zigste Buchstabe des Alphabetes. Also bezieht sich nicht
nur die Form des Buchstabens auf den Scheideweg, sondern
auch die ihm entsprechende Zahl auf das Alter des Gottes.
Auch pflegten die Pythagoreer, ofl'enbar im Banne dieser mit der
Einrichtung der Ephebie zusammen gebrachten Vorstellungen,
die Kindheit bis zum zwanzigsten Jahre zu rechnen und
dann in Abständen von je weiteren zwanzig Jahren noch
drei Lebensalter (Jüngling im Sinne von röm. juvenis, Mann,
Greis) hinzu zu fügen, so daß im Ganzen vier Lebensalter den
vier Jahreszeiten ^^) entsprachen (Diog. L. VIII 1, 7 vgl. W.
H. Röscher, Tessarakontaden etc. S. 74 und 76).
Die Verbindung zwischen der durch Y abgeschlossenen
Alphabetreihe mit der Lehre von der litera phüosopJäca hat
sich noch in ganz schlechten Quellen ziemlich rein und gerade
in der Form erhalten, welche nach dem Gesagten zu erwarten
ist. Die späte und klägliche Kunst der övo[xaTO[iavTta,
die auf einem, nicht eigentlich isopsephischen Systeme der
Buchstabenrechnung beruht (vgl. Hipp. ref. IV 13 ff), wird in
einem „Briefe des Pythagoras an Telauges" (Notices et extraits
") Hier herscht also schon die 4 vor. Ursprünglich rechnete man
nur nach 3 Jahreszeiten.
Herakles am Scheidewege. 497
des manuscrits de la Bibl. Nat. XXXI/2, p. 231 fif) damit be-
gründet, daß alle Buchstaben zu den drei Linien des Y, und
also zum Leben, dessen Weg diese Form habe, in Beziehung
stünden. Die 7 vocales, 8 mediae und 9 mutae sollen dem
ayaO-ö? Sac[Jiü)V, der Tzccibbc, -^lixia, und dem xaxöi; Sac[i(ov ent-
sprechen. So trostlos die weitere Durchführung des Gedankens
anmutet: er selbst ist, wie wir sehen, altpythagoreisch. Die
Gliederung des Alphabetes in cpwvT^evta, [ieaot (welche als „ Mitt-
ler" dem Logos entsprechen, vgl. meine Studien zur antiken
Kultur II und III, Altjonische Mystik, 325) und acpwva (Plut. Qu.
conv. IX 3, 1, cf. Piaton Phileb. 18 A fiF.) ist alt. Demnach zeigt
sich in unserer Stelle nur die Umgestaltung einer Tradition, die
das Y noch als letzten Buchstaben des Alphabetes betrach-
tete, in eine andere, für welche das Alphabet schon bis ß
reichte.
VI.
Ohne der Ueberprüfung der bisherigen Ergebnisse vor
zu greifen, glaube ich die Wichtigkeit des Gegenstandes nun-
mehr in folgenden Sätzen hervor heben zu dürfen:
1. „Herakles am Scheidewege" ist in seiner uns überkom-
menen Form bereits eine Alphabet-Allegorie, weiche
durch Aufpropfung von Ueberlieferungen über die Er-
findung des Alphabetes auf ältere Mythenformen ihren
eigenthümlichen Anstrich erhielt.
2. Die staatliche Einrichtung der Ephebie scheint eine den
4 Jahreszeiten entsprechende Anordnung von 4 Lebens-
altern zu je 20 Jahren voraus gesetzt zu haben und
wurde alsdann mit der zahlensymbolischen Betrachtung
der Buchstabenreihe zusammen gebracht.
3. Die Geschichte der lifera pythagorica vel philosophica
gewährt Einblick in einen bisher dunkel gebliebenen,
tyrrhenisch beeinflußten Teil der Pythagoraslegende.
4. Der in den Buchstaben Y hinein gelegte, aber schon
längst dem Mythos geläufige Zusammenhang zwischen
Lebensweg und Lebensbaum ist in der besonderen Form,
in der er zwischen den Ueberlieferungen von der litera
pythagorica und denen, in welchen die Allegorie des
Prodikos fußt, vermittelt, geeignet, ein neues Glied in
Philologus LXVIII (N. F. XXII), i. 32
498 Wolfgang Schultz,
der Kette zu bilden, welche die italischen Etrusker und
kleinasiatischen Lyder verbindet ^^),
Weitere Untersuchungen hätten nun fest zu stellen: 1. den
älteren, noch nicht durch symbolistische und allegorisierende
Bestrebungen umgestalteten Mythos von „Herakles am Schei-
dewege", 2. die Ursachen, weshalb Y, obgleich es dem Laut-
werte und auch der Form des y (Vau) der semitischen Alpha-
bete entspricht, hinter n, den Schlußbuchstaben der Alphabet-
reihe, gestellt wurde. — Beide Aufgaben zu erledigen, würde
den hier gesteckten Rahmen weit überschreiten; die Lösung
der ersten obliegt der vergleichenden Mythenforschung, die der
zweiten müßte einen genauen Einblick in den Sinn der geord-
neten Buchstabenreihe und in die Geschichte der Buchstaben-
symbole voraus setzen. Nur um es nicht dem schon Darge-
legten an jedem Hintergrunde mangeln zu lassen, will ich aber
doch wenigstens Andeutungen nach beiden Richtungen hin
versuchen.
Das Wesentliche an der Erzählung von „Herakles am
Scheidewege '' ist die Wahl, aber gewiss nicht der Name Herak-
les, da ja Herakles überhaupt keine einheitliche Mythenfigur
ist (vgl. z. B. Georg Hüsing, Die iranische Ueberlieferung und
das arische System S. 153 f.). Also gehört auch Paris hierher,
der zwischen 3 Göttinnen zu wählen hat und ebenso die Schaar
der Erzählungen vom Schönheitswettstreite (Hüsing a. a. 0.
S. 212). Der Apfel, den Paris der Erwählten zuwirft, stammt
doch wohl vom Baume, Im weiteren Sinne sind dann über-
haupt noch die „Trita "-Erzählungen heran zu ziehen, in denen
einer der 3 (Schmiede) Brüder von 3 Jungfrauen sich eine durch
den Raub ihres Gefieders erwählt. Neben der 3-Brüderform
kommt aber auch in den Erzählungen vom Perseustypus die
2-Brüderform vor. Da stoßen die beiden Brüder ihre Messer
in einen Baum am Scheidewege. Eben so geläufig ist dem
3-Brüdermärchen der Dreiweg, wo ein Baum steht, oder Weg-
weiser (die Aeste des Baumes?) sind, oder eine Inschrift sich
") Vgl. Carl Thulin, Die Götter des Martianus Capella, Gießen 1906
S. 3, F. Hommel, Ein neues Bindeglied zwischen Etrurien und Klein-
asien (Memnon I 87 f.), Derselbe. Ein zweites neues Bindeglied etc.
(ebenda I 211 f.).
Herakles am Scheidewege. 499
befindet. Zu dem Baume an dem Dreiwege gehören aber stets
auch drei Göttinnen, die Nornen, Parzen, Hören (vgl. den
Buchtitel des Prodikos !), oder welche Namen sie sonst in dem
jeweiligen Mythensysteme führen mögen. Hinweise auf diese
Stoffe gab ich schon oben Anm. 7. Hier hat also die ver-
gleichende Mythenforschung einzusetzen.
Den Buchstaben Y in dem westseraitischen Alphabete leitet
F. Hommel in seinem Grundrisse der Geogr. u. Gesch. d. alten
Orients (I. v. Müllers Handbuch d. klass. Altertwsch. HI 1/1)
S. 9y f. von dem Symbole des Zwillingdrachens ab und ord-
net ihm das Tierkreiszeichen der Zwillinge zu. In solcher
Bedeutung steht der Buchstabe in der ersten Hälfte der
Reihe und ihm entspricht hellenisches f (Digamma). Die
Reihe selbst schließt mit n, das als T (Kreuz) in verwandtem
Sinne Signum Christi wie Y litera pytliagorica ist. Nun ist es
eine, auch sonst zu beobachtende Erscheinung, daß Zeichen,
welche in die Alphabetreihe erst ganz neu, oder in veränder-
ter Bedeutung von neuem, Aufnahme fanden, stets hinter jenes
Zeichen der schon vorliegenden Reihe gestellt wurden, zu dem
sie den Alphabetredaktoren der betreffenden Zeit systemgerecht
zu gehören schienen. Mithin wäre zu untersuchen, wie Y zu
einem, dem des T (als Kreuzeszeichen) verwandten Sinne kom-
men konnte. In meinem Aufsatze „Das Hakenkreuz als Grund-
zeichen des westsemitischen Alphabetes" im Memnon III 2 hoffe
ich nun einige Beziehungen dargestellt zu haben, welche zur
Beantwortung der hier aufgeworfenen Frage verwertet werden
könnten. Doch muß ich mich, da verwickelte Verhältnisse zu
Grunde liegen, wenigstens für diesmal, mit solch allgemeinem
Hinweise begnügen.
Zusammenhänge und Fragen dieser Art führen in Wälder,
Avelche erst zu einem sehr geringen Teile urbar gemacht sind.
Die vorliegende Untersuchung hingegen wollte bloß jenen
Teil dieses Stoffes, der schon symbolistisch und allegorisierend
umgebildet ist, ins Auge fassen. Auch solche Umbildungen
und Misbildungen haben ihr kulturgeschichtliches Interesse.
Wien. Wolfgang Schultz,
32 =
XXII.
Die Bruchstücke des Anonymus Jamblichi.
Nach den ziemlich eingehenden Ausführungen Joels^) und
der noch weit gründlicheren und ergebnisreicheren kritisch-
exegetischen Studie Töpfers^) könnte es überflüssig erscheinen,
über den uns von dem genialen Spürsinn und sicheren Sprach-
gefühl eines Friedrich Blaß bescherten Anonymus Jamblichi
ein Weiteres zu schreiben. Wenn freilich Töpfers Programm
ohne Kenntnis von Joels Darlegungen geschrieben zu sein scheint
und die neueste Veröffentlichung über unsern Autor ^) wieder
auf Töpfers gediegene Arbeit nicht den geringsten Bezug nimmt,
so sollte von vornherein auf Dank rechnen können, wer sich
zum Ziele setzt die ganze einschlägige Literatur zu berück-
sichtigen. Zudem gehen in einigen wichtigen Punkten die
Ansichten noch recht weit auseinander. Zum Belege hiefür
brauche ich nur darauf hinzuweisen, daß die einen in einem
Sophisten, andere in einem Kyniker den Verfasser der Bruch-
stücke sehen. Allerdings will ich nicht unterlassen, schon an
dieser Stelle der skeptischen Ansicht Ausdruck zu geben
daß eine positive Lösung der Verfasserfrage ebensowenig zu
erwarten sein dürfte wie bei der pseudoxenophontischen 'Aö-rj-
vatwv TToXcTEia*). Aber eine eingehende Prüfung aller vorge-
*) Der echte und der Xenophontische Sokrates, Berlin 1901, II
S. 673 ff.
-) Die sogenannten Fragmente des Sophisten Antiphon bei Jam-
blichos, Progr. Aman 1902.
^) Stanislaus Schneider in den Wiener Studien 26, S. 14 ff. Hier
sei bemerkt, daß mein Aufsatz bereits im Januar 1908 abgeschlossen
wurde.
*) Dieselbe Ansicht spricht Diels im II. Bd. seiner Fragm. der Vor-
sokr. 1907, S. 629 Anm. aus, der mir erst nach Abschluß meiner Ab-
handlung zugänglich wurde.
K. Bitterauf, Die Bruchstücke des Anonymus Jamblichi. 501
tragenen Ansichten läßt sich nicht umgehen, mag sie auch
nur zu einem negativen Ergebnis führen, und eine solche
Kritik fördert immerhin mehr, als wenn neuere Vertreter der
Antiphonhypothese den Joeischen Standpunkt ganz ignorieren.
Bei der Verschiedenheit der hervorgetretenen Ansichten ebenso
geboten und als eine der notwendigen Voraussetzungen für
die Entscheidung der Verfasserfrage noch dringlicher ist eine
Untersuchung des ethisch-politischen Standpunktes und der
Gesamtauffassung des Anonymus sowie eine Darlegung seines
Verhältnisses zu andern Schriftstellern des ausgehenden fünften
und beginnenden vierten Jahrhunderts. Oder ist es nicht ver-
wunderlich, daß ein und derselbe Autor diesem als Individua-
list gilt, jenem aber als Vertreter der Interessen der Gemein-
schaft erscheint ? ^).
Versuchen wir uns also zunächst über den politischen
Standpunkt des Anonymus Rechenschaft zu geben!
Schon im zweiten Fragment p. 96i — 978 (Pistelli), in
dem der Verfasser den Gedanken ausführt, daß nur unaus-
gesetzte Übung von Jugend auf einen dauernden Ruhm verbürgt
und Neid und Mißgunst ferne hält, wird offenbar eine demo-
kratische Gesellschaft vorausgesetzt. Deutlicher noch tritt
die persönliche Anschauung des Anonymus im dritten Bruch-
stück p. 97i6 — 98i2 hervor. Ein wichtiges Merkmal des Guten
ist sein Nutzen. Der apiaxoq ist daher 6 kasigzoic, wcpeXtjio?
wv. Ein solcher größter „Wohltäter der Menschheit" ist nur,
wer Gesetze und Recht verteidigt (ec loic, '</ö[i.oi<; xs xac xw
Scxaccp ETrixoupoirj). Bei diesen Ausführungen schwebt dem
Verfasser doch augenscheinlich der demokratische Rechtsstaat,
der kräftigen Individualitäten den weitesten Spielraum läßt,
als Normal Verfassung vor. Aber diese Auffassung, daß die
Förderung des Rechtes und das Eintreten für die Gesetze die
rechte dpexYj darstelle, war für eine vorgeschrittene Richtung
der sogenannten Sophistik bereits ein überwundener Standpunkt.
Vermöge einer gründlichen „Umwertung der Begriffe" war
für sie Wurzel der apexYj die uXeovs^ia und Ziel xö xpato?
*) Für die Anregung zu dieser Studie spreche ich auch an dieser
Stelle Herrn Professor Dr. Karst meinen verbindlichsten Dank aus.
502 Karl Bitte rauf,
xb inl zfi TiXeovs^t'a^), Mit diesen Vertretern des Rechtes des
Stärkeren, der Machttheorie oder Herrenmoral, die den Ge-
horsam gegen die Gesetze als Feigheit verlachten, setzt sich
der Anonymus im sechsten'') Bruchstück p, IOO5 — lOle aus-
einander. Ein staatliches Zusammenleben hat nur dann Sinn,
wenn es die Segnungen gesetzlicher Ordnung vermittelt ; denn
ein Gemeinschaftsleben in gesetzlosem Zustand wäre noch un-
erträglicher als das Sonderleben in der Zeit des rohen Urzu-
stands. Die ungesetzliche Willkürherrschaft eines einzelnen
Übermenschen aber hätte nicht einmal Aussicht auf Erfolg:
er würde schließlich doch von den „Allzuvielen" und ihrer
„Sklavenmoral" überwunden und beseitigt werden. — Im letzten
und größten Bruchstück p. 101 u — 104u, das sich inhaltlich
eng an das vorhergehende anschließt, legt der Verfasser aus-
führlich die Segnungen der suvojAia und weniger eingehend
die schlimmen Folgen der &yo\i.ia, dar ; nur die Bekämpfung
der Tyrannis, der schlimmsten ßXaßyj der avo|ita, führt zu einem
längeren Worterguß des Sophisten, der nicht mehr von nüch-
tern kühler Berechnung, sondern von verhaltener Leidenschaft
eingegeben zu sein scheint. Wer sich über den Ursprung der
Tyrannis anders zu denken erlaubt als er, erhält das Epithe-
ton eines Toren. Nur in der dvojJiia und nXeovzE,ia ist der
Ursprung der Tyrannis zu suchen. Da es nämlich für die
Menschen unmöglich ist ohne Gesetze und Recht zu leben, so
geht der Schutz der Gesetze und des Rechtes auf einen ein-
zigen über, £7i£iSav aTiavxe? eizl xaxtav xpaTicDvxat oder xoü
v6[iOu £^ü)ad'£VX05 xoü xip tcXtjS'SC au[xcp£povxos. Er kann sich
nur dadurch zum Herrscher aufwerfen, daß er die geschwun-
denen v6|jioi und StXT] in ihr Recht einsetzt^). Daraus ergibt
sich klar der unausgesprochene Schluß, daß die Erhaltung
der Herrschaft der vc[iot und der Sixyj der Grundpfeiler der
Demokratie ist. Dementsprechend bemerken wir nirgends auch
«) Diels, Fragm. der Vorsokr. 2. Aufl. 1907 II S. 632, hat die be-
zeichnende Stelle p. 100 b— ePist., die er in der ersten Auflage mit Un-
recht übergangen hatte, jetzt auch in den Text aufgenommen.
') = fr. E bei Blaß, De Antiphonte sophista auctore, Kiel 1889.
*) Durch diese Feststellung des Zusammenhangs glaube ich Töpfers
Übersetzung von ixXeXo'.n&xa xaO-iaxas 'bewirkt er ihr Schwinden' als
unrichtig dargetan zu haben.
Die Bruchstücke des Anonymus Jamblichi. 503
nur die leiseste prinzipielle Opposition ^egen die bestehende
athenische Demokratie '').
Gehen wir nun daran, die ethischen Wurzeln dieser
Gesinnung bloßzulegen, so kann die rein utilitarische
Begründung des Sixatov im dritten Bruchstück p. 97i6 — 98i2,
die schon aus der oben citierten Definition des oipioxoq, hervor-
geht, auf griechischem Boden in keiner Weise auffallen. In
naiver Weise tritt der Utilitarismus zutage bei dem Zugeständ-
nis, daß die cptXocjJUXt'a ganz verzeihlich wäre, wenn nicht bei
einer Verlängerung des Lebens mit einem y^/pas xaxtov öv und
dem doch unausbleiblichen Tode zu rechnen wäre (p. OQiglf.)-
Schwieriger scheint die Frage zu beantworten, ob der Verfasser
sich von den Interessen des Individuums oder von denen der
Allgemeinheit leiten läßt. Nach Gomperz^") wird in unsern
Bruchstücken „ das Individuum ganz in den Dienst der Gesamt-
heit gestellt", ja er scheut nicht zurück vor der starken Ver-
allgemeinerung, die Sophisten hätten unmöglich antisoziale
Lehren verkünden, eher hypersoziale Doktrinen predigen kön-
nen. Ebenso behauptet sein Schüler Töpfer ^^), für den Ano-
nymus bilde die Gesellschaft den Ausgangspunkt der Unter-
suchung, er habe die offenkundige Absicht, vom Glück und
Gedeihen des Staates auch das Glück des einzelnen abhängig
zu machen ^^). Nehmen wir nun den griechischen Text zur
Hand um zunächst den Eingang der verschiedenen Abschnitte
9) Wenn Schneider a. a. 0. S. 24 von einer altdemokratischen Rich-
tung spricht, die, auf Solon und Kleisthenes zurückgehend, in dem So-
phisten Antiphon (dieser ist auch für Schneider der Verfasser unserer
Bruchstücke), Euripides und Herodot ihren Anwalt, Dichter und Ge-
schichtschreiber hatte, so gefällt er sich in einer unbewiesenen, unhi-
storischen Konstruktion. Nicht minder leere Worte, als wenn er dem
Anonj'mus einen 'doktrinären und einseitigen Demokratismus' zuschreibt,
sind es, wenn Schneider die 'quietistische anpayiAoaüvr)' des Anonymus
der 'geschäftigen Tatlust (!) der Athener' eotgegensetzt. Im einzelnen
kann ich auf Schneiders hier und an andern Stellen hervortretende
falsche Auffassungen nicht eingehen.
'«) Griechische Denker I S. 350.
") a. a. 0. S. 42 und 47.
*^) Wenn Pöhlmann (Geschichte des antiken Kommunismus und
Sozialismus I 167*) unseren Anonymus der idealistischen Suzialphilo-
sophie zuweist, die er dem extremen Individualismus gegenüberstellt,
und die Bekämpfung der ,Pleonexie' als charakteristisch für diese
Richtung hervorhebt , habe ich auch von meinem Standpunkt keinen
Einwand zu erheben.
504 Karl Bitterauf,
auf unsere Frage hin anzusehen, so lesen wir p. 95i2ff. : ws
yap aTiXw^ eiTrecv, o xc av xc? S'ö-eX'ir] e^epyaoaa^ac so xeXos xö
ßeXxtaxov, ex xwvSe o!6v xe stvat xaxspyaaaa^ac. 96i ff.:
e^ ou av xt? ßouXvjxat 56^av Tiapa xo:? av-ö-pwTiot? Xaßetv
xac xoioöToc, cpatvea'B'ac oco? av •^, auxcxa oti vio^ xe ap^aad-at
xxX, 97 16 ff. : oxav xcg öpex'ö-ecs xcvos xouxcov xaxepyaaa|jievoi;
e X 113 aüxö eic, xeXo?, . . . xouiw de, dyaö-a xat vö(a,c|jia xaxa-
Xp•^a^^at See. 98]7: xac {jiy]v eyxpaxeaxaxöv ye Set etvat Tidvxa
dvopa §Lacpep6vxü)s • xoioüxoc, b' av [xdXiaxa, et x 1 1; ^^) xwv XP^-
[jtdxwv xpetaawv et'r] xxX. 98i8f. : xat Tiept tptXotpu/Jag oe wSe
dcv xt$ Treta^etrj xxX. Wen nicht bereits diese in der Aus-
drucksweise doch recht individualistische Darstellung über-
zeugt, der möge mit mir die Richtigkeit der Gomperz-Töpfer-
schen Auffassung noch am Inhalte prüfen. Sind wir nicht ge-
nötigt deren Auslegung zuzustimmen, wenn wir an die Forderung
des xolQ vojxots xe xat x(j) Stxatcp ETitxoupetv, an die Gleichung 6
dptaxos = 6 TtXetaxotg ü)cpeXt(xoc;, an die breite Darlegung der Seg-
nungen der euvo^ca denken? Ich meine freilich, man kann eine
Forderung stellen, die den Interessen des Staates auf das beste
dient, und kann dabei trotzdem lediglich vom wohlverstandenen
eigenen Interesse geleitet sein. Wenn auch gelegentlich eine Be-
merkung fällt wie die von Recht und Gesetzen als „ einigendem
Kitt '^) der Staaten und Menschen " (xd; xeTioXet? xat xobc, dvö-pw-
Tioug auvotxtt^ov xat auvexov p. 98io), so kann uns das doch nicht
darüber hinwegtäuschen, daß nicht das Wohl des Staates den
Ausgangspunkt für die Ausführungen des Sophisten bildet,
sondern das Glück des Individuums. Ich verweise zunächst
auf p. 97i6ff., besonders 9725 ff. Der Verfasser ist bei seinem
Hauptthema, der Betätigung der dpexYj r] aufiuaaa angelangt.
Nachdem festgestellt ist, daß jede dpexi^ nur zu sittlich und
gesetzlich einwandfreien Zwecken (et? dya^d xat v6}At[jia) ge-
braucht werden soll, wird das Problem aufgeworfen : Wie
kann derjenige, der nach der Tüchtigkeit im weitesten Um-
fange strebt, sich in Wort oder Tat als Tüchtigster erweisen?
*') Diels hat das überlieferte xtg auch in der zweiten Aufl. nicht in
den Text aufgenommen, sondern schreibt unter Anlehnung an Kießlings
Konjektur ■(eItj), sT xig nur slri, sl. Vgl. a. a. O. II 631, 27.
'*)_Hier und im folgenden mache ich gelegentlich von der Töpfer-
schen Übersetzung Gebrauch.
Die Bruchstücke des Anonymus Jamblichi. 505
Die Freigebigkeit wird als ungeeignet für diesen Zweck be-
zeichnet, weil man „notwendigerweise seinen Vorzug wieder
einbüßt in dem Augenblick, wo man die Mittel hiezu erwirbt",
und weil ferner die Mittel immer nur allzu früh wieder aus-
gehen, nicht zu vergessen die Ssuiepa xaxta, daß man dabei
selbst aus der besitzenden Klasse in die besitzlose gerät. Ein
Wohltäter ohne eigenen Nachteil, auv dpex'^, und mit uner-
schöpflichem Quell des Reichtums kann man nur sein, „wenn
man den Gesetzen und dem Recht seinen Arm leiht". Mit
diesem hier deutlich hervortretenden individualistischen ütili-
tarismus steht die Anschauung des Sophisten von der Ent-
stehung und Aufgabe des Staates p. lOOgff. im Einklang. Da
das xaö-' sva i^fjV für die Menschen unerträglich war, schlössen
sie sich zusammen und schufen sin Gemeinschaftsleben und
für dieses eine Kultur. Der Staat ist also das Mittel zur Be-
friedigung der individuellen Lebenszwecke wie bei Protagoras,
Demokritosund Antiphon^^). Die Voraussetzung für den Be-
stand dieses Notproduktes, das der Staat darstellt, ist die Herr-
schaft von Recht und Gesetz, die, wie wir oben sahen, das Glück
der TiXelQZOi verbürgen. Von der Bedeutung der Mehrheit ist
auch unser Sophist durchdrungen. Wenn nun gegen die Masse
der einzelne sich nicht auf die Dauer behaupten kann, nicht
einmal einer, der axpwtog xöv XP^xa ävoooq xe xac ixTza%-y]<;
xod UTxepcpuY]!; xoiX aoajxavxivo^ x6 X£ aw(xa xai xy]V 4"^XV
(p. lOOigfiP.) wäre, so gilt es eben die Einzelinteressen mit
denen der Mehrheit in Einklang zu bringen. Nicht schwer
fällt dies bei der optimistischen Auffassung von der Gleichartig-
keit der Individuen und von der Harmonie der Individualin-
teressen, die offenbar der Anonymus teilte. Die Interessen
der Mehrheit müssen also für den einzelnen bestimmend sein,
weil er dadurch auch seine Interessen am besten fördert. Von
diesem Standpunkt aus betrachtet stellen Recht und Gesetz
nur eine Summierung der Einzelinteressen dar und wollen
nicht etwa besondere Interessen der staatlichen Gemeinschaft
gegenüber dem Individuum schützen. Wenn daher der Ver-
*^) Ich werde hierauf später in anderem Zusammenhange noch zu-
rückkommen. Vgl. Karst, Geschichte des Hellenistischen Zeitalters,
Leipz. 1901, I S. 42 ff.
506 Karl Bitterauf,
fasser p. 101i2ff. so warm für die euvojXLa eintritt, läßt er sich
nur scheinbar von der Rücksicht auf das Wohl des Staates
und der Gesellschaft leiten ^^). In der Praxis wirkt diese Lehre
freilich sozial ; aber in der Ableitung und Begründung der
Anschauung des Anonymus haben Gomperz und Töpfer un-
recht 1').
Wenn ich oben sagte, daß sich der Verfasser ohne Vor-
behalt auf den Boden der bestehenden athenischen Demokratie
stelle, so muß ich hier allerdings kurz darauf hinweisen, welche
Kluft diese individualistische Staatstheorie von der noch im
Zeitalter des Perikles herrschenden Auffassung der athenischen
Demokratie trennt, für die nur das Interesse des Ganzen aus-
schlaggebend war, einer Auffassung, der bekanntlich Thuky-
dides ^^) in der Leichenrede des Perikles ein literarisches Denk-
mal gesetzt hat.
Nachdem wir uns über die leitenden Gesichtspunkte unserer
Bruchstücke Rechenschaft gegeben haben, wollen wir im fol-
genden ihre Beziehungen zu anderen Werken
und Autoren des ausgehenden fünften und beginnenden
vierten Jahrhunderts prüfen, wobei auch auf die Verfasser-
frage Streiflichter fallen mögen ^^).
Am wenigsten Raum beansprucht die Besprechung des
Verhältnisses zu dem Rhetor und Sophisten Gorgias. Wäh-
rend Blaß Gorgias als Verfasser gerade deshalb ausschließt,
weil die „figurae Gorgianae" fast ganz fehlen, betont Joel
stark den gorgianisch-rhetorischen Charakter unserer Bruch-
ig) Daß dieses letzte Fragment nur 'gleichsam die Nutzanwendung
der im vorhergehenden entwickelten Lehren' enthalte, gibt Töpfer auf
S. 25 selbst zu.
^') Auch Pöhlmann könnte ich nicht beistimmen, wenn er die auf
die ganze Richtung der Sozialphilosophie gemünzten Sätze wie die fol-
genden auch auf den Anonymus angewendet wissen wollte: a. a. 0.
S. 161 : „Über die egoistischen sollen soziale Beweggründe die Herr-
schaft gewinnen, vor allem die sittliche Hingabe an die höchste Ge-
meinschaft, an den Staat". S. 163: „lieber die Ansprüche des Egois-
mus der Individuen und Klassen erhebt sich die Idee des Staates als
einer Macht, welche ihre eigenen sittlich-vernünftigen Zwecke verfolgt,
welche als die der Gesamtheit aller immanente Einheit die Gerechtig-
keit gegen alle zu verwirklichen hat".
»8) Besonders in H 40, 2.
^*) Erschöpfend können und wollen diese Ausführungen natürlich
nicht sein.
Die Bruchstücke des Anonymus Jamblichi. 507
stücke und hebt besonders die Vorliebe für Antithesen hervor.
Mag aber auch der Stil gorgianische Elemente enthalten,
der Inhalt zeigt jedenfalls gar keine Übereinstimmung mit
den Fragmenten des Georgias und Sorof^") bemerkt mit Recht,
daß schon die geringschätzige Äußerung über die Rhetorik
p. 9626 ff. ^^) genüge, um die Autorschaft eines Gorgias un-
möglich zu machen. In welcher Schrift des Gorgias sollten
denn auch diese Fragmente gestanden haben?
Deutlich dagegen sind die Berührungen mit Demokri-
tos. Bei diesem finden wir den individualistischen Utilitaris-
mus in der ganzen Ethik Avieder, vergleiche z. B. Fragm. 276 --),
die Mahnung die Individualinteressen denen der Allgemeinheit
zum eigenen Besten unterzuordnen in Fr. 252^^) und 248^*),
das Lob der 6|Ji6voca in Fr. 250^^) und 252 und die Torheit
des Verlangens nach langem Leben im Fr. 201 ^^). Werm
Demokritos im Fr. 251-^) für die Demokratie eintritt, so steht
dazu Fr. 267 ^^) (cpuaec xö ägyzv^ (y.v.r\iov tö xpeaaovi) in einem
gewissen Widerspruch. Die Anerkennung des Naturrechts
des Stärkeren braucht aber Demokritos nicht zu hindern aus
utilitarischen Gründen die Vorzüge der Demokratie hervorzu-
heben. Denn „wenn niemand den anderen schädigte, würden
die Gesetze nichts dagegen haben, daß jeder nach eigenem
Belieben lebte" ^a).
Nun hat nicht bloß Diels bereits in der ersten Auflage
kurz bemerkt, daß unseren Bruchstücken dem Inhalte nach
die Abderiten Protagoras und Demokrit am nächsten stün-
den^"), sondern das nämliche ergibt sich auch schon aus den
^'') Nomos und Physis in Xenophons Anabasis, Herrn. 34, S. 582.
21) Der Anonymus spricht von einer bloßen Wortkunst (tex'^v) xaxä
^öyous) im Unterschied von der apsxrj riiic, iE, sp^wv tioXXöv ouvioxaxat.
22) = 180 N. = Stob. flor. IV 76, 15 M. Ich citiere immer nach
Diels i. Bd. 2. Aufl. 1906.
23) = 134 N. = Stob. IV 43, 43.
2*) = 139 N. = Stob. IV 43, 33.
26) = 136 N. = Stob. IV 43, 40.
2«) = 94 N. = Stob. III 3, 75.
2') = 147 N. = Stob. IV 43, 42.
28) = 142 N. = Stob. IV 47, 19.
29) Fr. 245 D. = 140 N. = Stob. III 38, 53.
30) Aus dieser Bemerkung las Schneider eine 'Hypothese von De-
mokrits Autorschaft' heraus und hielt es für notwendig zur Wider-
legung dieser Hypothese auf die Verschiedenheit in der Bewertung der
508 Karl Bitterauf,
Ausführungen Kärsts^^). Folgen wir also der hier gefunde-
nen zweiten Spur und prüfen das Verhältnis des Anonymus
zu dem älteren Abderiten! An den Prometheusmythos im
Platonischen Dialoge Protagoras erinnert auffallend An.
Jambl. p. 100 9 ff. d yap ecpuaav xxX. Ich erblicke in dem
berühmten Mythos nicht eine freie Erfindung Piatons, nicht
lediglich eine „verfeinerte Art der Zerrbildnerei ", die „den
nachgeahmten Autor in seinen Vorzügen erreicht und über-
bietet, während sie zugleich dessen Schwächen stark hervor-
treten läßt und ohne Zweifel tibertreibt" und kann der An-
sicht nicht beipflichten, daß hier „über einen Grundstock un-
klarer und widerspruchsvoller Gedanken eine durch hohe
oratorische Vorzüge und durch eine Fülle von Geist und
Leben ausgezeichnete glänzende Hülle gebreitet" werde, wobei
„jener Grundstock und diese Hülle gleich sehr Piatons eigenes
Werk" seien ^2). Vielmehr halte ich es mit denen, die den Mythos
für eine in der Hauptsache authentische Nachahmung ansehen,
da sonst der Polemik Piatons das notwendige Substrat und
der rechte Sinn fehlte ■^^). Die , archaisierende" Färbung wie
auch die mythologische Einkleidung muß Protagoras zweck-
mäßig erschienen sein um gemäßigte politische Anschauungen
zu verbreiten, während er freilich darauf verzichtete seine
letzte Überzeugung deutlich auszusprechen. Ehe ich zu einem
Vergleich der Darstellung des Protagoreischen Mythos und
des Anonymus übergehe, möchte ich auf ein Analogon zu der
Bezeichnung des Stocacov als eines zdc, xs. toXecs xac zobg dv-
d-ptjiuouc, ouvocxlJ^ov xa: auv£)(ov hinweisen, das sich in dem
Mythos p. 322 c findet, wo als Folge der Verteilung von Stxrj
und (xiBtjjc, die Entstehung von TioXewv x6a[xoi xe xai Seafxoc,
cpcXtae auvaywyc/t angeführt wird. Im sechsten Bruchstück
des Anonymus nun wie in dem Protagoreischen Mythos wird
Naturfähigkeiten und der Dauer der Erziehung bei An. Jambl. p. 96,
23 ff. und Dem. Fr. 183 hinzuweisen, eine ganz überflüssige Polemik,
auf die ich nicht einzugehen brauche. In der zweiten Aufl. II 629
spricht Diels sich ausführlicher und deutlicher aus.
3') a. a. 0. I S. 44 ff.
32) Gomperz a. a. 0. II S. 251 f.
33) Dümmler, Akademika, Gießen 1889, S. 256, Prolegomena zu
Piatons Staat und der Piaton. und Aristot. Staatslehre, Basel 1891,
S. 37, Karst a. a. 0. I S. 41, Zeller P S. 1001 u. a.
Die Bruchstücke des Anonymus Jamblichi. 5()9
an den Anfang der Entwicklung des Menschengeschlechts ein
gemeinschaftsloses Dasein gestellt: Dem xa^ eva ^fjv des
Anonymus entspricht das auopaorjv otxetv des Protagoras.
Während aber Protagoras schon in dieser Entwicklungsstufe der
Menschheit infolge des durch Prometheus erhaltenen Anteils
am göttlichen Feuer und der evce/voc; oo'fia. des Hephaistos
und der Athena die Entfaltung materieller und geistiger Kul-
tur annimmt, indem er die Menschen feste Niederlassungen
gründen, Kleidung erfinden, Getreide bauen und Religion und
Sprache ausbilden läßt^*), dachte sich der Anonymus diese
erste Stufe lediglich als tierisch rohen Urzustand ^^). Auch
die Menschen des Protagoras jedoch wurden der erlangten
Kultur noch nicht froh, weil sie sich der wilden Tiere nicht
erwehren konnten: Es fehlte ihnen ja die von Zeus gehütete
Staatskunst, von der die Kriegskunst ein Teil ist. Deshalb
vereinigten sie sich zur Erhaltung des Lebens gegen die ihnen
an Stärke überlegenen Tiere und gründeten Städte. Erreichte
auch diese notgedrungene Vereinigung, die ein Nebeneinander-
leben, noch kein Zusammenleben bewirkte, ihren nächsten
Zweck, so stellte sich doch der neue, bedenklichere Übelstand
ein, daß jetzt die Menschen selbst feindlich aneinander ge-
rieten ^^), so daß ihnen bald in erneuter Zerstreuung der Un-
tergang drohte. Da greift Zeus selbst ein und ermöglicht
durch Verleihung der ocidüc, und Stxr], die Hermes den Men-
schen bringt, die Gründung des Rechtsstaates^^). Diese Un-
terscheidung eines ersten, mißlungenen Vereinigungsversuches
und eines zweiten, dauerhaften Zusammenschlusses findet sich
^*) Piaton selbst dagegen setzt diese Kultur nicht vor die Ent-
stehung des Staates, sondern läßt die Staatsgründung gerade durch
die y^ptioi. herbeiführen, durch die Notwendigkeit die Bedürfnisse der
Nahrung, Wohnung und Kleidung zu befriedigen; cf. Politeia II 11,
p. 369 b.
^=) Vergleiche den &y)pLtt)Syjs ßiog des Kritias Fr. 25 und des Eurip.
Hiket. V. 202.
^®) Es galt eben damals nur das Recht des Stärkeren. Vgl. auch
Rehm, Gesch. der Staatsrechtwissenschaft 1896 S. 15.
'^) Indem der Platonische Protagoras die Verteilung der alSws und
SixYj an alle Menschen gleichmäßig vornehmen läßt, macht er der athe-
nischen Demokratie eine höfliche Verbeugung, sieht sich aber infolge
dieser auch für einen oberflächlichen Beobachter der Wirklichkeit un-
haltbaren Annahme dann zu der weiteren, wenig glücklichen Erfindung
genötigt, daß es Menschen gebe, die eines Anteils an diesen Gütern
nicht fähig sind.
510 Karl Bitte rauf,
bei dem Anonymus nicht ; er spricht nur von einer einmaligen
Vereinigung im Drange der Not und weist erst diesem Ent-
wickelungsstadium die Ausbildung einer Zivilisation zu. Aber
in begrifflicher Scheidung scheint bei dem Anonymus noch
die Erinnerung an die Entwickelungsstufen des Protagoras
vorzuliegen: Anon. p. 113 ff. auv dXXrjXocg ob dvM auxobc. xac
dvofjita oiaix&od-cci oi>x olöv xs (^asc^w ydp auxolg Ci^[icav ouxw
yiyvsaO-ac Ixsivtjg x^e >taxa eva ScatxTj^) entspricht Prot. p. 322 b:
YjSc'xouv dXXrjXou? .... waxe TiaXtv axeoavvufjLSVot Scscp'ö-scpovxo.
Die Protagoreische Verleihung der Biy.ri und atSw; klingt an
bei Anon. p. lOOisff. : Sca xauxa^ xocvuv dvdyxa; xov xe v6|j,ov
otac x6 Scxatov sixßaacXeueiv xot? dvO-pwTiois xac oö5a(x|j |Ji£xa-
ax'^vac dv auxd.
Ueber den Akt der Staatsgrtindung selbst spricht sich weder
Protagoras noch der Anonymus näher aus. Denken wir uns aber
die mythische Einkleidung weg, da ja Protagoras in religiösen
Dingen ausgesprochenem Agnostizismus huldigte ^''^), so kann es
kaum zweifelhaft sein, daß sich Protagoras die Entstehung
des Staates ganz so wie die Vertreter der Vertragstheorie dachte.
Rehm ^^) bezeichnet allerdings die Protagoreische Auffassung
lediglich als Vereinigungstheorie, da wir keine Anhaltspunkte
dafür hätten, daß Protagoras auch den entstandenen Staat
als Vertragsverhältnis betrachtet habe, und da Aristoteles**')
nicht Protagoras, sondern Lykophron, einen Schüler des Gorgias,
als denjenigen Sophisten anführe, welcher das Gesetz als einen
„Bürgen der gegenseitigen Rechte"*^), somit als eine Art
Vertrag bezeichnet habe. Ist diesem Einwand auch eine ge-
wisse Berechtigung nicht zu versagen, — ein zwingender Be-
weis gegen die Richtigkeit meiner Auffassung ist das Schweigen
des Stagiriten nicht — , so halte ich doch an meiner Behaup-
tung fest, daß die Protagoreische Anschauung bereits die wesent-
lichsten Elemente der Vertragstheorie enthält. Fanden wir doch
im Prometheusmythos nicht bloß die Annahme eines gemein-
schaftslosen Daseins, sondern zunächst auch eine erste Ver-
^^) Vgl. Fr. 4 = Diog. Laert. IX 51 : uspl p,£v S-ecöv oüx sxw oüd''
ü)g slalv 01)9-' 6)c, oüx slalv xxX.
39) a. a. 0. S. 15.
^») Polit. III p. 1281 a.
Die Bruchstücke des Anonymue Jamblichi. 511
einigung, die durch vernünftige Berechnung des Nutzens der
einzelnen Individuen, nämlich des Schutzes gegen die wilden
Tiere, herbeigeführt war, also eine Vereinigung durch Satzung.
Genau nach Analogie dieses ersten Versuches ist die zweite
gelungene Gründung einer staatlichen Gemeinschaft zu denken.
Nach den schlechten Erfahrungen in der Zeit des Faustrechtes
schlössen sich wiederum aus freien Stücken, vielleicht geleitet
durch kluge Männer'*^), die einzelnen zu einer neuen Gemein-
schaft zusammen, diesmal aber unter der Voraussetzung, daß
einer die Rechte des andern achte, wiederum eine Vereinigung
durch Satzung, durch Vertrag. Nur so können wir die Lücke
ausfüllen, die hier in dem Mythos zutage tritt. Denn auch
otxr] und aiSw; wirken mehr negativ als positiv: sie schützen
Person und Eigentum der Individuen und ermöglichen so ein
friedliches Nebeneinanderleben ohne doch ein wirkliches Zu-
sammenleben, eine wirkliche Lebensgemeinschaft zu bewirken.
Vom Standpunkt des individualistischen Utilitarisraus aus ge-
nügen auch biv.ri und afSw? nicht, um mit Sicherheit auf die
wünschenswerte gegenseitige Unterstützung, auf ein Zusammen-
arbeiten für gemeinsame Zwecke ohne deutliche Erkenntnis
der Nützlichkeit für jeden einzilnen rechnen zu lassen. Und
doch soll im Protagoreischen Mjthos ein solches Gemeinschafts-
leben begründet werden. Ergänzen wir also jene Lücke in
dem Mythos aus dem Geist I'rotagoreischer Anschauung, —
so können wir sie nur ausfüllen durch den Gesellschaftsvertrag
mit der vereinbarten Leistung auf Gegenseitigkeit. Daß bei
Protagoras die Ansätze zur Vertragstheorie vorliegen, darauf
hat schon Karst ^^) hingewiesen. Sollte jedoch nicht Protagoras
selbst, von dem wir ja leider allzu wenig Verbürgtes besitzen,
der Begründer der Vertragsthecrie gewesen sein, wenn sie doch
notwendig auf dem Boden deaokratischer Anschauung sowohl
wie eines individualistischen ITtilitarismus erwuchs **) ? Oder
wäre der Gedanke der Vertragstheorie eher einem kleineren
*«) Vgl. Dümmler, Proleg. S. 28.
") Vgl. a. a. O. S. 42 f. und 50.
**) Sophistischen Ursprungs ist die Vertragstheorie auch nach Piaton
Polit. II358e. Unklar ist mir, varum Kirchmann Philos. Bibl. Bd. 80,
S. 66 nur des Thrasymachos Definition des Sixaiov als sophistisch gel-
ten läßt.
512 Karl Bitte rauf,
Geiste als Protagoras zuzutrauen ^^) ? Angenommen aber,
Protagoras selbst habe das Wort Vertrag noch nicht gebraucht;
zugegeben, er habe, was auch mir wahrscheinlich ist, noch
nicht alle Konsequenzen der Vertragstheorie gezogen, seine
Auffassung von der Entstehung und Aufgabe des Staates
ist es sicherlich, die wir bei dem Anonymus wieder-
finden. Das zeigt schon der Wortlaut der Stelle p. lOOgflF.,
von der wir Bruchstücke bereits angeführt haben : d yap
scpuaav [xsv ol av^pcoKOi dSuvaxoc xaO-' eva J^'^v, auvfjXO-ov
bk. Tzpbc, dXkrikoMC, t^ dvayxyj el'xovte?, Tiötaoc oe yj I^wy]
auxot; suprjxat y.a.1 zcc xeyyri\ii.ix~x upbc, auiYJv, aüv aXXriXoiq te
etvat abxobc, y.od ävo\ilcc oiotixäGd-oci oöy^ olov xe {\idZ,iü
yap auxot? ^rj[icav ouxw yiyvza^ixi £xe''v7js xyjs xaxa eva ocacxYjs),
oia, xauxa^ xoc'vuv xa? dvayxag xov xs vojjtov xac xö
otxatov e[xßaacX£U£tv xotg dvaJ-pwTio:? xac ouSa[x^ [Asxaax'^vac
av auxd. cpoact yap la/upa evSeSea-O-at xaOxa. Auch Rehm weist
auf das nahe Verhältnis zwischen dem großen und kleinen
Sophisten hin, indem er seiner Auffassung entsprechend die
nähere Verwandtschaft des Ausdi'ucks auvspxeaö-a: auv dXXyjXots
mit dem Protagoreischen ä^po'X,ead-M gegenüber dem Platoni-
schen auv^sa^ac betont. Andere aber haben die letzten Worte
p. 100 18 : cpuaet yäp xxX. zu einem seltsamen Mißverständnis
geführt. Verleitet dieser Säte Töpfer*^) den Staat des
Anonymus mit allzu kühnem Ausdruck ein Naturprodukt
zu heißen, obwohl er selbst bald darauf'*'') den Sophisten
einen „so eifrigen Verfechte^ der Satzung" nennt *^), so
__ . I
*^) Nach Dilthey, Einleitung in die Geisteswissenschaften, Leipz.
1883, S. 278 war Prot, selbst nicht 1er Kopf die Konsequenzen seines
Relativismus zu entwickeln. Die Entstehung der Vertragstheorie wird
der zweiten Sophistengeneration zugewiesen. Kaum mit Recht; denn
hier ist die Vertragstheorie bereits eine Verbindung mit der Macht-
theorie eingegangen. j
*«) a. a. 0. S. 18. ") a. a. 0. S. 20.
**) Auch Töpfers Uebersetzung von cpövai mit 'von Natur aus sein'
kann ich nicht billigen. Da er Ävdyxyj mit Naturgesetz wiedergibt,
was ich freilich ebensowenig für glücklich halte, scheint er Natur im
objektiven Sinn zu verstehen; und doch müßte dann gerade xö xa8-'
£va ^fjv oder rj xaxä Iva Siat-ca als Naturzustand bezeichnet werden.
Aber auch die Beziehung auf die menschliche Natur würde mich nicht
befriedigen; denn nichts deutet darauf hin, daß der Anonymus gleich
Piaton die Entstehung des Staates lediglich mit der Natur des Men-
schen begründen und etwa den von Protagoras in den Vordergrund
gestellten Schutz gegen die wilden Tiere ausschließen wollte. Viel-
Die Bruchstücke des Anonymus Jamblichi. 513
erklärt vollends Blaß, für den Anonymus sei der sophi-
stische Gregensatz von vö{xos und cpuac? aufgehoben. Sicher
ist die Entgegenstellung dieser Begriffe für die Hauptrichtung
der Sophistik bezeichnend ; daß sie jedoch allgemein so-
phistisch ist, müßte immerhin erst bewiesen werden. Andrer-
seits dürfte freilich auch Dümmlers Behauptung*^) kaum
stichhaltig sein, daß Protagoras jenen Gegensatz auf ethisch-
politische Probleme noch nicht anwandte, sondern nur erst für
die Erkenntnistheorie im Sinne von objektiv und subjektiv
gebrauchte und das StxaLov noch als cpuaec ov auffaßte ^^).
Eines jedoch ist gewiß: Sobald Protagoras und der Anonymus
jene Schlagworte auf den Staat anwandten, mußten sie sich
selbstverständlich zur Nomostheorie bekennen ^^). Das brauchte
sie aber nicht abzuhalten, die bestehenden staatlichen und
rechtlichen Verhältnisse „in weitem Umfange für naturberech-
tigt" anzusehen und gelten zu lassen; anders kann ich das
cpuaec ta)(upa evSeSeaS-ac xaöxa des Anonymus nicht verstehen.
Im übrigen ist es ja in keiner Weise auffallend, daß der
Anonymus ebensowenig wie Protagoras selbst alle Folgerungen
der Nomostheorie zieht ; er denkt hier eben gar nicht an den
Gegensatz von vojjlo? und gebraucht daher auch cpuat? nicht in
jenem prägnanten Sinn.
Von den wenigen sicheren Fragmenten des Protagoras er-
innert das den Anecd. Par. nepl 'l7zno\idixo\i I 171, 31 ^^) ent-
nommene dritte Dielssche mit den Worten ,cpua£(i)(; xaJ aaxifj-
a£(i)s ocSaaxaXta Belza.'.' und ,&Kb veoxrjTO? bk <xp^cc\xivo\ic, Sei
(jtav^avetv' auffallend an das erste Bruchstück des Anonymus
p. 95 12 ff. ^^), wo sich der Verfasser als Tugendlehrer und so-
mit als Sophisten zu erkennen gibt, indem er hier Natur-
mehr hat cpOvai hier wie so oft den Sinn von einfachem Sein. Vgl.
auch Rahm a. a. 0. S. 15.
") Akad. S. 254.
=") Dümmler gibt selbst zu, Protagoras habe wahrscheinlich ein-
gesehen, daß die Konvention in Sitte und Gesetz eine große Rolle spielt.
5') Klar und deutlich bezeichnet der jüngere Abderite die Ge-
setze als noiTi-ä; vgl. Diog. L. IX 45. Die Begriffe Natur und Satzung
stellte aber wahrscheinlich zuerst Hippias von Elis einander gegen-
über, cf. Plat. Prot. p. .337 c ff. Vgl. hierüber Karst a. a. 0. I 47.
62) ed. Bohler, Sophistae Protrept. fr., Lips. 1903, p. 46, 5.
53) Herr Prof. Karst hatte die Güte mich darauf aufmerksam zu
machen, daß schon ü. von Wilamowitz-Möllendorff auf diese Über-
einstimmung hinwies. Vgl. Arist. und Athen I 174.
Philologus LXVIII (N. F. XXII), 4. 33
514 Karl Bitterauf,
anläge^ Streben nach dem Schönen und Guten und flei-
ßiges Lernen von frühester Jugend an als
Vorbedingungen der dpeti^ darlegt, und an das zweite p. 96 1 ff.,
wo die Notwendigkeit jener dritten Vorbedingung, der tpiXo-
Tcovc'a, ausführlich begründet wird, indem der Verfasser, zum
Teil mit feiner psychologischer Beobachtung, zeigt, daß nur
unausgesetzte Übung von Jugend auf (aOtcxa Sei veov xe
ap^oca^ai) dauernden Ruhm verbürgt und Neid und Miß-
gunst fern hält ^*).
Ein überraschender Einwand gegen die Identität des hi-
storischen und Platonischen Protagoras, die wir für den Mythos
voraussetzten, ist von Joel erhoben worden. Nach dessen
Ansicht bekämpft Piaton auch im Protagoras im wesent-
lichen seinen Gegner Antisthenes. Die Möglichkeit
dieser Maske an sich darf man nicht leugnen ; denn Antisthe-
nes war Piaton in der Tat so verhaßt, daß er die Sophisten-
maske bei seiner Bekämpfung nicht missen mochte, wie
Dümmler an einer mir nicht mehr erinnerlichen Stelle bemerkt.
Ebenso hat Dümmler bereits darauf hingewiesen, daß der
Protagoras des gleichnamigen Platonischen Dialogs einige Züge
von Antisthenes trage. Es heißt aber denn doch den Zweck
des Platonischen Dialogs gänzlich verkennen, wenn man in
Protagoras lediglich eine Maske für Antisthenes sieht. Da
die Gründe, die Joel für seine Hypothese vorbringt, wenig
beweiskräftig sind, so daß sie meines Wissens niemand über-
zeugt haben, darf ich mir wohl eine eingehende Widerlegung
sparen. Wie kann man überhaupt „den kunstreichen Pro-
pheten der Volksmeinung" ^^) mit dem Verächter der demo-
kratischen Anschauung ^^) identifizieren wollen ! Die Gleichung
Protagoras = Antisthenes ist aber deshalb für unsere Unter-
suchung wichtig, weil sie von Joel benutzt wurde um aus ihr
die weitere Gleichung Anonymus Jamblichi = Antisthenes abzu-
^*) Mit unzureichenden Gründen polemisiert Schneider gegen Diels
und Wilamowitz. Er ist auch dei jedenfalls falschen Meinung, Diels
stütze seine 'Hypothese der Vei'fasserschaft des Protagoras' (!) lediglich
auf die eben besprochene Übereinstimmung.
^*) Wiih. Eckert, Dialektischer Scherz in den früheren Gesprächen
Piatons, Progr. Schwabach 1907, S. 99.
5») Vgl. Diog. Laert. VI 8.
Die Bruchstücke des Anonymus Jamblichi. 515
leiten. In der Tat lassen sich aus sicheren Fragmenten des
Antisthenes Stellen beibringen, die an Gedanken unseres Ano-
nymus anklingen, z. B. erinnert die Hochschätzung der cpüac^
und cpiXoTiovta des Diogenes in Fr. 80 Mull. ^'') an An. p. 95 ic ff.,
Fr. 58 ^^) jrjv 8k apexrjv twv epywv ecvat (xi^te Xoywv TiXetatwv
Seofjievyjv' an An. p. 96 26 ff. Trotz dieser Anklänge ist jedoch
jedem Vorurteilslosen von vornherein klar, daß ein Kyniker
der Verfasser unserer Fragmente gar nicht gewesen sein kann.
Wer wüßte nicht, daß der Kyniker nach dSo^ca strebt, den
ßuhm aber als ein xaxov ansieht ^^), denn ihm ist ja die in-
dividuelle Sittlichkeit auiapxyj; Tcpö^ £u§at(Jiovtav, während doch
der Anonymus p. 96 i ff. die Notwendigkeit dauernden Ruhmes
begründet und eine Anweisung gibt, wie man ihn erlangt?
Der Kyniker ist Kosmopolit und will von Politik wenig wissen,
wofür z. B. die hübsche Anekdote bei Stob. Floril. 45, 28 ^°)
bezeichnend ist, — der Anonymus schreibt eine Unterweisung
zum Erwerb staatsbürgerlicher Tüchtigkeit. Soweit aber der
Kyniker an politischen Fragen Anteil nimmt, huldigt er der
monarchischen Richtung (Antisthenes pries bekanntlich Hera-
kles als wahren Monarchen), — der Anonymus hält es mit
der athenischen Demokratie. Der Kyniker erkennt nur das
Sittengesetz, nicht ol xecfAsvoc v6\ioi als Richter an '^^), der
Anonymus weiß nichts von höherer Sittlichkeit, sondern em-
pfiehlt bloße Legalität.
Diese Gegenüberstellung dürfte genügen um die Unhalt-
barkeit der Antistheneshypothese darzutun.
Unter den Anhängern des Sokrates möchte den
Verfasser auch Sorof^-) suchen, der unsere Bruchstücke als
Vorlage für Thuk. III 82—83, Plat. Gorg. p. 482 c und Xe-
noph. Anab. II 6, 16 — 29 betrachtet, damit aber doch wohl
zuviel behauptet ^^). Da er jedoch jene Vermutung nur bei-
läufig und ohne Beweis vorbringt, wäre eine ausdrückliche
") = Dio Chrys. or. VIII p. 275 Reisk.
58) = Diog. L. VI 11—12. 69) Fj.. 55 = Diog. L. VI 11.
^") = Fr. 89 M.: 'AvTio^EVTjg spcDxvjO-sLg, n&c, dtv uq upoaeX9-oi noXi-
T£iq:, eins' xaö-dcusp nupt, 1x751s Xtav ^YY^S» i-'va [i-^ '^o'^S) V-"'}'^^ nöppco, üva
(iVj piywarjz.
«1) Fr. 58 = Diog, L. VI 11 und Fr. 66 = Arist. Pol. III 13 p. 1284 a.
«'-) a. a. 0. S. 581 ff.
'=^) Vgl. auch H. Gomperz, Archiv für Phiios. IX 126.
33*
516 Karl Bitterauf,
Widerlegung nicht am Platze. Im Grunde wird Sorof nur
das alte, von Piaton genährte Vorurteil geleitet haben, das
der Sophistik lediglich destruktive Tendenzen zuspricht. In
Wirklichkeit gehörte unser Anonymus eben derjenigen Rich-
tung der Sophistik an, welche Piaton auch positiv vorarbei-
tete und die Staatslehre ausbildete.
Daß der Verfasser ein Sophist war, hat schon der
glückliche Entdecker unserer Bruchstücke vermutet. Weniger
glücklich jedoch war er in der Namengebung. Friedrich Blaß
stellte bekanntlich in dem Kieler Festprogramm vom Jahre
1889 die Hypothese auf, daß der Sophist Antiphon
der Autor sei, und stützte diese Annahme durch sprachliche
und stilistische Beobachtungen, die aber wenig beweiskräftig
waren, wie schon Joel hervorhob und Töpfer neuerdings be-
stätigte^*). Während diese Hypothese bei Gomperz^^) An-
klang fand und bei Karst ^^) und Pöhlmann ^'^) keinem Wider-
spruch begegnete, ist Töpfers eindringender Untersuchung der
Nachweis vollkommen gelungen, daß der Anonymus „in sei-
nen Darstellungsmitteln geradezu das Widerspiel" zu Antiphon
ist^^). Übrigens hätte Töpfer besser getan bei der Verglei-
chung des sprachlichen Materials Blaß darin nicht zu folgen,
daß er auch aus strittigen Fragmenten schöpfte. Dann hätte
sich ihm zu allem andern noch die Tatsache ergeben, daß von den
drei charakteristischen Wörtern, die Blaß als beiden Schrift-
stellern gemeinsam hervorhebt (cpiXoypyjjjiaxelv, £7:c9'U[ir][ja und
mit zweifelhaftem Rechte ^^) euyXwaaca), kein einziges in siche-
ren Fragmenten des Sophisten Antiphon steht.
Weniger einverstanden bin ich mit Töpfers inhaltlicher
Untersuchung, bei der tiefgehende Widersprüche und Gegen-
sätze zutage gefördert werden, die einer unbefangenen Prüfung
nicht standhalten. Zuerst legt Töpfer den Finger auf den
*■*) Auch Wilamowitz widersprach a. a. 0., wenn auch aus andern
Gründen. Daß er der Antiphonhypothese zugestimmt habe , ist ein
Irrtum Rehms a. a. 0. S. 14.
«5) a. a. 0. I 350. 464. ««) a. a. 0. I 43 f.
«') a. a. 0. I 166').
«8) Töpfer a. a. 0. S. 37. Seinem Urteil hat sich auch Diels II
629 Anm. angeschlossen.
®®) Ich war bereits zu einem ähnlichen Resultate gelangt, als mir
Töpfers Programm bekannt wurde.
Die Bruchstücke des Anonymus Jamblichi. 517
bei Antiphon in Fr. 51 (= 132 B) und 49 (Diels; = 131 B)
hervortretenden Pessimismus; für den Anonymus sei das Leben
nur da traurig, wo die avo{ita ihr Szepter schwinge (p. 102 26 ff-)-
Indessen wird hier Ungleiches verglichen. Wo die antiken
Schriftsteller auf Familienverhältnisse zu sprechen kommen,
sind die meisten von ihnen Pessimisten, auch der Anonymus
würde wohl keine Ausnahme machen. Andrerseits steht an
jener Stelle des Anon. nichts, was der Verfasser der '0[i6vota
nicht billigen könnte. — Wenn der Anon. p. 97 2? von der
finanziellen Unterstützung des Nächsten gering zu denken
scheint, während sie Antiphon im Fr. 58 empfiehlt (= 129 ß),
so erklärt sich diese Verschiedenheit aus dem Gesichtspunkt,
unter dem der Anon. an jener Stelle schreibt. Er will die
xaxc'ac des Reichtums gegenüber der aujJLT^aaa dpexY] darlegen
und spricht deshalb von der bei fortgesetzter Freigebigkeit
schließlich unbedingt eintretenden Mittellosigkeit, während er
p. 101 27 das ETitxoupeta^at ex xwv eöxuxouvxwv als selbstver-
ständliche Folge der eijvo|Jica hervorhebt. Der Verfasser der
'Ojxovoca aber hätte kaum etwas einzuwenden gehabt gegen
die Anschauung des Anonymus, daß einer der beste Wohl-
täter ist, „wenn er den Gesetzen und dem Rechte seinen Arm
leiht". Töpfer sucht durch eine Rekonstruktion des Gedanken-
gangs der 'OfAovota aus den erhaltenen Fragmenten zu er-
weisen, daß dem Verfasser Antiphon als wahre £u5at[A0Vca
gilt „uns eins zu fühlen mit der Gottheit, mit denen, die un-
serm Herzen nahe stehen und endlich mit uns selbst", daß
Wilamowitz mit Unrecht den Altruismus als Grundidee der
'OfAOvoca bezeichnet und daß das zwanzigste Kapitel des Jam-
blichos unmöglich aus der '0[ji6voca geschöpft sein kann. Er
bemerkt nämlich gleich Gomperz mit Recht gegen Blaß, daß
unsere Fragmente ein und derselben Schrift angehört haben
müssen und daß Blaß sie richtiger ganz der '0[JL6vota als der
'AXrj{)-£ta zugewiesen hätte. Was nun den angeblichen „prin-
zipiellen Unterschied des Standpunktes" betrifi't, „von dem
aus beide der Frage der euoaifAOVta näher zu treten suchen",
indem für Antiphon das Individuum, für den Anonymus die
Gesellschaft „der Ausgangspunkt zur Untersuchung dieses
Problems " sein soll, so glaube ich oben gezeigt zu haben, daß
518 Karl Bitterauf,
statt eines prinzipiellen Unterschiedes vielmehr prinzipielle
Übereinstimmung festzustellen ist, da der Anonymus gleich
Antiphon auf dem Boden des individualistischen Utilitarismus
steht. Gemeinsam ist beiden auch die Grundanschauung, daß
die eö5at[xovLa des einzelnen nur innerhalb eines geordneten
Gemeinschaftslebens erreicht werden kann, dvap^ta^ S' ouSsv
Y-axio-i dvd-pwTioi? (Ant. Fr. 61 = 135 B), und daß der Weg
zu diesem Ziele durch die TiatSeuats gezeigt werden muß (Ant.
Fr. 60 = 134 B).
Bereits ein Jahr vor Töpfer hatte Joel die weit über das
Ziel hinausschießende Behauptung aufgestellt, die Geistesrich-
tung, die aus den Bruchstücken des Anonymus spreche, sei
der Antiphons möglichst unähnlich und beider Gedanken ließen
jede Berührung vermissen. Wenn z. B. der Anonymus p. 103 21
die dvofjica bekämpft, aus der die fluchwürdige Tyrannis er-
stehe, so ist das, meint Joel, noch nicht dasselbe, ja vielleicht
das Umgekehrte, als wenn Antiphon in Fr. 61 (= 135 B) Ge-
horsam fordert um vor allem die dvap/^ca zu vermeiden. In-
dessen sollte miin einen Gegensatz zwischen dem Verfasser
der 'Ojxovoca und dem Lobredner der euvofica weniger vorschnell
konstruieren; denn abgesehen davon, daß die Tyrannis nur
eine der schlimmen Folgen der dvo{i(a ist, von denen der
Anonymus spricht, sind die geschilderten Zustände, welche
die Tyrannis verursachen, nichts anderes als Anarchie. Und
diese wollen doch beide verhüten; auch der Anonymus be-
kämpft sie nicht lediglich als Nährboden der Tyrannis, son-
dern äußert schon p. 100 13 deutlich genug seine Meinung
dahin : auv aXX-f\koic, 5e e!vat aOtoüs xod dvo|i,fa Stattäa^at oOx
olö^ TE. Künstlich hineingetragen wird von Joel auch ein
Widerspruch zwischen Anon. p. 101 19, wo dieser betont, daß
infolge der durch die tootis bewirkten Geldzirkulation auch
wenig Geld ausreiche, und Antiphon (Fr. 54 = 128 B), wo
die Ausleihung des Geldes auf Zins empfohlen wird. Wenn
auch der Gedankenzusammenhang ganz verschieden ist, so
teilen doch beide Autoren die Ansicht, daß es nutzlos sei tote
Kapitalien anzuhäufen. Die unnütze Thesaurierung und die
Unterbindung der Geldzirkulation wird als schädliche Folge
der dvofxta hervorgehoben bei Anon. p. 103 a.
Die Bruchstücke des Anonymus Jamblichi. 519
Deutlicher ist die Verschiedenheit der Äußerungen über
die Dauer des Lebens. Im Fr. 20 (= 133 B) spricht Anti-
phon von dem Leben als „einer kurz bemessenen Spanne Zeit,
wohin der Mensch vom Schicksal als Posten gestellt ist, um
nach Ablauf einer verschwindenden Frist seinen Platz der
Ablösung zu räumen"^"). Man muß daher dieses „Eintags-
fliegendasein" (Fr. 50 und 49) möglichst ausnützen, lehrt uns
Fr. 53 a (= 127 B) ; denn „es ist unmöglich das Leben wieder
aufzustellen wie ein Brettspiel" (Fr. 52 = 106 B). Der Ano-
nymus aber bezeichnet p. 99 23 eine Verlängerung des Lebens
mit Rücksicht auf die Beschwerden des Alters und den doch
unvermeidlichen Tod als nicht wünschenswert. — Ebenso ist
Töpfer zuzugeben, daß die Empfehlung der Ehelosigkeit in
Antiphons Fr. 49 nicht gut zu den von dem Anonymus vor-
getragenen Lehren paßt. Bemerkenswert ist es jedenfalls,
daß von Familie und Ehe bei dem Anonymus mit keinem
Worte die Rede ist, — doch auch ein Zeichen seines Indivi-
dualismus ! — Als Argument gegen Antiphons Verfasserschaft
ließe sich auch die Verurteilung der 7T;Xeov£^ca durch den
Anonymus p. 101 5 verwerten, da diese ein schwacher Punkt
in Antiphons eigenem Leben war^^). — Auf der anderen Seite
haben Anklänge wie die von Blaß hervorgehobene, aber doch
nur oberflächliche Übereinstimmung zwischen Antiphons Er-
örterung über die awcppoauvyj im Fr. 58 und der Mahnung
zur lyotpaista bei Anon. p. 98 17'^^) oder die Bemerkungen über
den Wert der Zeit bei Antiphon Fr. 77 (= 137 B) und Anon.
p. 95 21 kein Gewicht ^^). Sicher ist auch die von Schneider
betonte Schätzung des Schlafes bei Anon. p. 102 8 für Anti-
phons Verfasserschaft nicht beweiskräftig, wenngleich dieser
nepl xpcasw; övetpwv schrieb, ein damals kaum ganz seltenes
Thema '^) ; noch weniger der von Blaß durch gewaltsame Kon-
jektur von £1 Tou? v6[ious xe <([jL£YaXou; ayot) xxa. fürEÜtocg
v6|xots x£ xac xm Scxac'tp eutxoupot'iri geschaffene Anklang von
Anon. p. 989 und Antiphon Fr. 44").
■">) Töpfer a. a. 0. S. 42.
") Vgl. Joel a. a. 0. S. 677. ") jogi ebenda.
'3) Töpfer erklärt diese Anklänge aus dem zeitlichen Nebeneinan-
der der Verfasser. Vgl. a. a. 0. S. 43.
'*) Vgl. Töpfer ebenda. '*) = Fr. 99 B.
520 Karl Bitterauf,
Wir können also das Ergebnis der letzten Untersuchung
kurz dahin zusammenfassen, daß die inhaltlichen Berührungen
zwischen beiden Autoren nicht so schlagend sind um mit Not-
wendigkeit auf denselben Verfasser hinzuweisen, obwohl ich
eine prinzipielle Verschiedenheit des Standpunktes auch nicht
zugebe, daß aber die formellen Unterschiede allein schon ge-
nügen um Antiphons Verfasserschaft sehr unwahrscheinlich,
wenn nicht unmöglich zu machen.
Von den andern Anhängern der Antiphonhypothese hat
nur Schneider neue Gründe ins Feld geführt. Er hat gleich
Töpfer die stilistische Verschiedenheit von uspl 6\iovoi(xc, und
den Bruchstücken bei Jamblichos bemerkt. Um nun diese
Bruchstücke trotzdem dem Sophisten Antiphon zuschreiben zu
können, den er seltsamerweise gar mit dem gleichnamigen
Tragiker identifiziert, spricht er ihm kurzerhand die Schrift
Tcspc öjxovotas ab und weist sie dem Redner Antiphon zu, ein
verzweifeltes Mittel, über dessen Berechtigung ich nicht zu
diskutieren brauche. Zur Charakteristik der verwegenen Schlüsse
Schneiders erwähne ich beiläufig noch, daß nach seiner Ver-
mutung der Anonymus, der meines Erachtens doch wohl nicht
zufällig die Götter so ganz aus dem Spiele läßt, der dionysischen
Religion nicht abhold war; denn seine £uvo[ita und St'xyj seien
nur „ blasse Abschwächungen der bakchischen Personifikationen
und des chthonischen Geschwisterpaares Eunomia und Dike".
Für so fromm hätte ich in der Tat den Sophisten nicht ge-
halten.
Ist demnach das negative Fazit der vorausgehenden Unter-
suchungen, wie nicht anders zu erwarten war, ein Ignoramus
in der Verfasserfrage, so waren sie, wie ich hoffe, doch nicht
ganz ohne positiven Gewinn. Dahin rechne ich den Nachweis
einer ziemlich weitgehenden Übereinstimmung zwischen dem
Anonymus und dem Protagoreischen Prometheusmythos. Soviel
dürfte sich aus meiner Darlegung doch für jeden Unbefange-
nen ergeben haben, daß es sich in dem Mythos, mag er mehr
oder weniger authentisch sein, nicht einfach um einen
„Grundstock unklarer und widerspruchsvoller Gedanken" han-
delt, über die Piaton eine durch Form und Inhalt gleich aus-
gezeichnete glänzende Hülle gebreitet hat, und daß jener
Die Bruchstücke des Anonymus Jamblichi. 521
Grundstock und diese Hülle nicht gleich sehr Piatons eige-
nes Werk sind. Die grundlegenden Gedanken des Mythos
sind durchaus nicht so unklar und widerspruchsvoll, daß man
in ihnen eine wenn auch verfeinerte „Zerrbildnerei" Piatons
zu sehen braucht, sondern sie sind jedenfalls eines Protagoras
nicht unwürdig ^'*). Eine freie Schöpfung Piatons aber erblicke
ich in ihnen nicht bloß deshalb nicht, weil Piatons karikierende
Kunst viel treffender und wirksamer in der Verwertung
des Mythos sich zeigt, wenn dieser nicht von ihm erfunden
ist, sondern auch, weil sie der Anschauung des Anonymus
näher stehen als Piatons eigener.
Ein Analogon zu d em Prometheu smythos bietet
die radikale „Umwertung aller Werte" in Piatons Gorgias p.
482 c — 486 d, besonders in 484 a, dann in p. 488 f und 492 c, wo
Kallikles das Recht des Stärkeren verficht, in der Politeia II
p. 359a, wo Thrasymachos der Vertreter der „Raubtiermoral"
ist, und in den Nomoi X p. 890 a, wo das ocxacoxaxov ganz
im Sinne der Machttheorie als ö xi xic, dv vcxa ßcal^6[X£vos
und der xata cpuacv öpd-bc, ßto? als xpatoüvia t^-^v xwv äXX(jiV
y.al \iri SouXsuovxa exipoiai xaxa vofxov erläutert wird. Daß
Piaton auch hier nicht frei erfand, sondern sich auf Theorien
bezog, die in der Literatur hervorgetreten waren ^^), zeigen
nicht allein Stellen wie Eurip. Hik. v. 509 f. und v. 524 f.,
wo Eteokles die individualistische Herrenmoral zum Ausdruck
bringt oder Thuk. V 85 ff., wo die athenischen Gesandten
den Meliern gegenüber das brutale Recht des Stärkeren
geltend machen'^), sondern auch Anon. Jambl. p. lOOef: xö
■'*) Steinhart a. a. 0. bezeichnet den Mythus sogar als Piatons ganz
würdig und hält ihn deshalb für zu gut für Protagoras. Nach Zeller
I* 100 1.
'') Diese Ansicht fand ich nachträglich auch schon bei Pöhlmann
a. a. O. I 151') ausgesprochen, der auch auf Eurip. Jon v. 621 ff. ver-
weist.
'*) Dümmler (Proleg. S. 161—172) hat wahrscheinlich gemacht, daß
Euripides in den Hiketiden, wohl auch in den Phoinissen und im Ore-
stes V. 917 ff. von einem sozialpolitischen Traktat angeregt wurde, der
den Rechtsstaat feierte und den politischen Standpunkt durch das Vor-
bild der Weltordnung motivierte. Bauer (Forschungen zur Griech.
Gesch. S. 242) mißverstand ihn dahin, daß er diese Prosavorlage mit
dem Anonymus Jamblichi identifiziere.
Euripides spricht auch in den Troad. v. 1169 von einer iaö^eog
xupavvig.
522 K. Bitterauf, Die Bruchstücke des Anonymus Jamblichi.
xpaxo? ib ini x'q uXeove^ia -^'(ä.ad'a.i apetrjv ecvat, xö de töv
v6{i(i)v uTiaxouetv SetXcav, sowie seine Ausführungen über den
Übermenschen p. lOOisff. und 1046 ff. Die Art übrigens,
wie der Anonymus auf die Machttheorie zu sprechen kommt,
verrät klar genug, daß er nicht der erste ist, der sie in der
Literatur zu Wort kommen läßt, wenn auch nur um sie zu
bekämpfen'^). Unsere Bruchstücke stehen eben am Ende
einer regen politischen Debatte, die in zahlreichen Flugschriften
geführt worden sein mag®"). Trotz des Schiffbruches nun,
den die Lehre vom Recht des Stärkeren im praktischen Leben
erlitten hatte, behauptete sie offenbar dank der avSps^ aocpot,
ibidixal T£ xac uot7jTac, die sie vertraten, als Theorie soviel
Gewicht, daß kleine und große Geister sich ein halbes Jahr-
hundert lang oder 'länger ihre Bekämpfung angelegen sein
ließen.
Würzburg. Karl Bitterauf.
'^) Auch Dümmler äußert in den Proleg. S. 19 Anm. 1, jene Pro-
savorlage müsse bereits auf speziellere Untersuchungen eingegangen
sein und der Anonymus archaisiere, indem er die Resultate eingehender
Erörterungen im Offenbarungsstil der Physiologen vorbringe.
*") Vgl. auch Dümmler Proleg. S. 26.
XXIII.
Ueber zwei Horazsteilen.
1. c. II 7.
Tecum Philippos et celerem fugam
Sensi relicta non hene parmula.
Seit Lessings Rettungen des Horaz ist unter den Aus-
legern die Ansicht weit verbreitet, daß die Worte 'relicta non
bene parmula' nur eine Redewendung seien, die der Dichter
„nach berühmten Mustern" gebraucht habe. So sagt Kieß-
ling zu der Stelle: „relicta non bene parmula meint nicht
einen Vorgang der Wirklichkeit — führten denn die Tribunen
einen Schild? — sondern malt die Flucht des Poeten mit
einem symbolischen Zug aus ; denn nach dem Vorgange seiner
drei großen lyrischen Vorbilder, des Archilochos, Alkaios und
Anakreon muß auch der Poet Horaz seinen Schild verloren
haben." Aehnlich äußert sich Aly (Horaz, sein Leben und
seine Werke S, 5): „Die Tribunen trugen ebensowenig einen
Schild wie heute die Offiziere ein Gewehr. " Auch Menge (die
Oden und Epoden des Horaz) bezweifelt, daß die Militärtri-
bunen einen Schild führten, und Schütz in seinem Kommentar
zu Horaz nimmt wenigstens die Möglichkeit einer „plastischen
Darstellung" der Flucht des Dichters in diesen Worten an.
Im entgegengesetzten Sinne äußert sich, soviel ich sehe,
von den neueren Erklärern nur Lucian Müller z. d. St.: „Ich
kenne das Dienstreglement des römisches Heeres jener Zeit
nicht, halte es aber für undenkbar, daß die tribuni militum,
auch wo sie sich, wie oft genug der Fall war, mitten im
Kampfgewühl befanden, niemals einen Schild, das einfachste
Mittel der Verteidigung, benutzt haben sollten." Als Beleg
524 Albert Ruppersberg,
führt L. Müller eine Stelle aus Ennius (ann. 450) an, welche
lautet :
Undique conveniunt velut imber tela tribuno,
Configunt parniam, tinnit hastilibus umbo.
Diese Stelle würde entscheidend sein, wenn sie nicht eben
auch eine Dichterstelle wäre und wenn nicht Macrobius (sat.
VI, 3, 3) erwähnte, daß Ennius hier den Bericht des Homer
von der Bedrängnis des Aias (IL XVI 102 if.) nachgeahmt habe.
Indes sind die Verse des Eunius, wie L. Müller mit Recht be-
merkt, von einer genauen Uebertragung weit entfernt, und
der Dichter konnte unmöglich dem Tribunen Caelius einen
Schild leihen, wenn ein solcher für tribuni unerhört und schimpf-
lich gewesen wäre. Aber die Stelle ist doch vielleicht für
manche nicht überzeugend genug, und ich halte es deshalb
der Mühe wert, einige weitere Zeugnisse für den Schild der
römischen Offiziere vorzulegen.
1. Liv. XXV 16, 15 ff, : 'Gracchus (proconsul) cum licto-
ribus ac turma equitum e castris profectus duce hospite in
insidias praecipitatur'. — § 18: 'paludamento circa laevum
bracchium intorto — nam ne scuta quidem secum extulerant
— in hostis impetum fecit'. Danach war die Bewehrung der
Offiziere mit einem Schild,, wenn es zum Kampfe ging, die
Regel; denn es wird hier als etwas Außergewöhnliches hervor-
gehoben, daß die Umgebung des Feldherrn und dieser selbst
keinen Schild trug.
2. Caes. B. G. II 25, 2 : (Caesar) 'scuto ab novissimis uni
militi detracto, quod ipse eo sine scuto venerat, in primam
aciem processit'. Der Zusatz 'quod — venerat' wäre unnötig,
wenn die römischen Offiziere keinen Schild getragen hätten.
3. Cicero ad fam. X 30 ; 'Interim video me esse inter An-
tonianos Antoniumque post me esse aliquanto, repente equum
immisi ad eam legionem tironum, quae veniebat ex castris,
scuto reiecto\ Hier führt der Legat Galba einen Schild, den
er bei der Flucht auf den Rücken schiebt.
4. Daß die römischen Offiziere sich auch im Frieden in
der Handhabung des Schildes übten, entnehmen wir aus Am-
mianus Marcellinus XXI 2 : 'Cum apud Parisios adhuc Caesar
Julianus quatiens scutum variis motibus exerceretur in campo,
üeber zwei Horazstellen. 525
axiculis, qnibns erat compaginatus, in vanum excussis ansa
remanserat sola'.
Diese schriftlichen Zeugnisse lassen sich durch bildliche
noch verstärken. Auf der Scheide des sogenannten Schwertes
des Tiberius erscheint der thronende Imperator auf einen Schild
gestützt mit der Aufschrift 'Felicitas Tiberi', und auf der
Gemma Augustea ruhen die Füße des Kaisers auf einem Schild.
Sollte man in diesen Darstellungen dem Schilde nur eine de-
korative Bedeutung beimessen, so verweise ich auf die bekannte
Münze des Augustus (Cohen Nr. 42), wo die beiden Enkel des
Kaisers als principes iuventutis mit Schild und Speer darge-
stellt sind. Das wertvollste Zeugnis aber ist der berühmte
Pariser Cameo, welcher die Verherrlichung des Julisch-Clau-
dischen Hauses zum Gegenstand hat. Vor dem thronenden
Tiberius steht der jugendliche Germanicus in kriegerischer
Rüstung, am linken Arme den Schild tragend, und sogar dem
hinter ihm stehenden kleinen Gaius Caligula, der ebenfalls
gerüstet ist, fehlt diese Schutzwaffe nicht. Auch die in dem
oberen Teile des Bildes, der Apotheose des Augustus, nach
oben schwebende Kriegergestalt, die man als Drusus zu be-
zeichnen pflegt, ist mit einem Schilde ausgestattet. Auf den
Münzbildern der Kaiser ist nur selten ein Schild sichtbar, wie
es bei den Brustbildern natürlich ist. In der ersten, über-
wiegend friedlichen Periode der Kaiserzeit kam übrigens der
oberste Kriegsherr nur selten in die Lage, sich mit Schild
und Schwert rüsten zu müssen, und die Münztypen spiegeln
ja die Zeitgeschichte wieder. Als aber seit der Wende des
dritten Jahrhunderts der Schutz der Reichsgrenzen eine Haupt-
aufgabe der Caesaren wurde, ließen sich diese auch auf Münzen
mit dem Schilde darstellen. Den Anfang machte, soviel ich
sehe, der kriegerische Septimius Severus (Coh. 312); ihm
folgte sein gleichgearteter Sohn Antoninus Caracalla (Coh. 410).
Von den späteren Kaisern nenne ich besonders den streitbaren
Probus (Coh. 464, 668, 669, 730, 797) und Diocletians Mitregenten
Maximianus (Coh. 405). Das Elfeubeindiptychon von Aosta
(Hertzberg, Gesch. d. röm. Kaiserreichs S. 851) zeigt den Kaiser
Honorius mit dem Schilde, und „den letzten Römer" Aetius
526 Albert Rui^persberg,
sehen wir auf dem berühmten Diptychon der Galla Placidia
auf seinen Schild gestützt.
Daraus geht hervor, daß der Schild zu der Feldausrüstung
der römischen Offiziere gehörte und somit auch der Tribun
Q. Horatius Flaccus bei Philippi einen Schild führte. Es liegt
also kein Grund vor, daran zu zweifeln, daß Horaz seinen
Schild bei Philippi wirklich verloren hat, und er mochte sich
bei dem Gedanken au diesen Verlust mit seinen berühmten
Vorbildern trösten. Für die Würdigung des Horaz ist dieser
Zug nicht gerade von Bedeutung, da die Tatsache seiner Flucht
trotz Lessings Rettung unbestritten bleibt und wohl nur wenige
es dem 23 jährigen Jüngling verdenken werden, daß er unter
dem Drucke eines übermächtigen Verhängnisses den Mut ver-
lor. Aber man wird hoffentlich nun aufhören, den Worten des
Dichters einen erkünstelten Sinn unterzuschieben.
2. c. II 18, 38 ff.
'Hie levare functum
pauperem laboribus
vocatus atque non vocatus audit.'
Dies ist eine verzT;\^eifelte Stelle, an der alle Interpreta-
tionskunst bisher gescheitert ist. Die Schwierigkeit beruht
einmal in dem Infinitiv levare, der von vocatus abhängen soll
(:=: ut levet), anderseits in dem non vocatus vor audit. Gibt
man sich auch mit diesem freien Gebrauch des Infinitivs, der
nicht ohne Beispiel ist, zufrieden, so bleibt der letztere An-
stoß doch unbeseitigt und unerträglich. Wie kann Orcus
oder der Tod den Armen hören, wenn er nicht gerufen ist?
Das ist ein Widersinn und nicht, wie Kießling meint, ein
pikanter Gegensatz. Die Stelle aus Thukydides (I 118), welche
in den Kommentaren als Analogon angeführt zu werden pflegt,
paßt nicht. Denn wenn es dort heißt: Auxbc, ('AtcöAXwv) scpy]
^uXX^ti^eaO-at xac 7iapaxaXo6|JievOi; xa: iJxXrjxo;, so fehlt eben
das, was bei Horaz anstößig ist, die Zusammenstellung 'non
vocatus audit'. Jedes Erhören setzt ein Rufen voraus, wenn
dies auch nur im Herzen geschieht. Auch die Bemerkungen
von Wilamowitz zu Eurip. Her. 1106, auf die Herr Prof. Dr.
Brinkmann in Bonn mich aufmerksam zu machen die Güte
Ueber zwei Horazstellen. 527
hatte, können hier nicht helfen. Lucian Müller hilft sich mit der
Annahme eines Oxymoron und führt carm. III 7, 21 an: 'nam
scopulis surdior Icari voces audit adhuc integer'. Nun, hier
liegt ein wirkliches Oxymoron vor, aber die Stelle ist mit der
unserigen nicht zu vergleichen. Man kann wohl taub sein
oder sich taub stellen, wenn man gerufen wird, aber mau kann
nicht hören, wenn man nicht gerufen wird.
Oskar Jäger bespricht in seiner Schrift „Homer und
Horaz im Gymnasialunterricht" (S. 167) auch unsere Stelle
und glaubt mit einer Interpunktion hinter levare helfen zu
können, das er als infinitivus historicus faßt. Dadurch wird
aber nichts gebessert: bei levare vermissen wir dann das Ob-
jekt; der infinitivus historicus steht ganz auffallend zwischen
den Praesentia 'coercet' und 'audit', und das Hauptärgernis
'non vocatus audit' bleibt bestehen.
Von dieser Erklärung zeigt sich denn auch P. Cauer in
seiner Besprechung des Jäger'schen Buches (Monatsschrift für
höhere Schulen 1905, 8. Heft S. 418) nicht befriedigt. Nach
Cauers Ansicht verschwindet der Anstoß wirklich, sobald man
'atque non vocatus' in Parenthese setzt, d. h. als einen Zusatz
versteht, der erst im Augenblicke des Sprechens sich einstellt:
„Er hält den stolzen Tantalus und sein Geschlecht gefesselt,
er gibt, zur Erleichterung nach überstandenen Mühen, dem
Armen, der ihn ruft — und wer ihn nicht ruft — Gehör".
Auch mit dieser Annahme ist meiner Ansicht nach nichts ge-
holfen. Man tut dem Dichter, der die Forderung 'nonum
prematur in annum' aufgestellt hat, keinen Gefallen, wenn
man annimmt, er habe in einem seiner Gedichte im letzten
Augenblick etwas Unlogisches gesagt und dieses übereilte
Elaborat schleunigst auf den Markt geworfen.
Da der Stelle mit inneren Mitteln nicht beizukommen ist,
so halte ich eine kleine Operation für notwendig. Lesen wir
statt 'audit' mit leichter Aenderung 'audet', so ist alle Schwierig-
keit gehoben : levare wird Objekt zu audet, und non vocatus
fügt sich nun aufs beste ein. Ich fasse audet in der oft vor-
kommenden Bedeutung: „er gewinnt es über sich, es beliebt
ihm, er hat Lust", und berufe mich dafür auf den Thesaurus
linguae latinae, wo s. v. audeo bemerkt ist: 'verbi vis primi-
528 Albert Ruppersberg, Ueber zwei Horazstellen.
tiva (seil, avendi) hie illic pellueere videtur, ubi magis ad
voluntatem et animum quam ad periculum et fortitudinem
refertur' (= cupere, velle, dignari). Diese Bedeutung tritt be-
sonders in der Wendung si audes oder sodes, aber aueh an
manchen anderen Stellen hervor, z. B. luven. VII 206: nil
praeter gelidas ausae conferre cicutas. Ovid. metam. II 718
nee longius audet abire spemque suam motis avidus circum-
volat alis, er mag sieh nieht weiter entfernen, sondern um-
kreist gierig seine erhoffte Beute mit bewegten Schwingen,
vgl. Trueul. 425: Non audes aliquid mihi dare munusculi?
Pseud. 1322: non audes, quaeso, aliquam partem mihi gra-
tiam facere de argento ? — Mit dieser Aenderung erhält die
Stelle einen guten Sinn: „Der Tod ist den Reichen und
Mächtigen gegenüber unerbittlich, aber dem Armen naht er
gern als Erlöser von seinen Mühen, mag er gerufen werden
oder nieht. Das 'audet' gewinnt seine rechte Bedeutung gegen-
über der ünzugänglichkeit des Charon bei dem Bestechungs-
versuch des Prometheus und ähnliehen Künsten des Tantalus
und der Tantaliden. Die leichte Aenderung von audit zu audet
wird annehmbar erscheinen, wenn man sieht, daß in V. 36
desselben Gedichtes ein Teil der Handschriften statt 'revexit'
die Lesart 'revixit' bietet. Die immerhin seltenere Bedeutung,
in welcher der Dichter hier das Wort andere braucht, und
das vorhergehende vocatus mag die Aenderung des ursprüng-
lichen 'audet' in 'audit' herbeigeführt haben. Wenn W. S.
Teuffei sagt, die Konjekturalkritik bei Horaz sei nur da be-
rechtigt, wo die Handschriften Unmögliches bieten, so behaupte
ich, daß hier ein solcher Fall vorliegt.
Saarbrücken. Albert Ruppersberg.
XXIV.
Das Verhältnis des Lucretius Carus zur Musik.
In der dreizeiligen Hieronymosnotiz i), der einzigen, dazu
unverbindlichen Nachricht über Lukrez' Leben, wird niemand
Aufschlüsse über die musikalische Begabung des Lukretius
suchen. Dann greift man ^Yohl nach bedeutsamen Urteilen
über sein künstlerisches Können, in dem mancher die musi-
kalische Empfindung eng eingeschlossen sucht: Urteile der
Zeitgenossen und der Gelehrten. Das älteste: Ciceros oft zitiertes
Wort über Lukrez '''), ist in seiner textlichen Unsicherheit ein
perfider Proteus: je nach der Lesart absprechend oder aner-
kennend ; in ersterem Sinne aufgefaßt hat es neben Qnintili-
ans recht vorsichtig gehaltener Aeußerung wohl auch manches
spätere Urteil mitbestimmt, von denen nur Th. Bergks 'in-
genio maximus, arte rudis^ Hervorhebung verdient. In schar-
fem Gegensatz betonte Lachmann die Formkunst des Dichters,
bekannter wurde und wirkte Th. Mommsens ^) Wort von dem
zähflüssigen Gold in den Versen des Lukrez, und wessen Blick
gern über den engeren Hing philologischer Wertung hinausgeht,
der findet unter den Bewunderern des Lukrez einen Moliere und
Goethe. Das bei ihm dargestellte Naturwissen konnte in der
1) Hieronymus z. J. 94: 2, 133 Seh.
2) Vgl. M. Schanz, Geschichte d. röm. Litt. I, 13G Anm. Th. Bergk
(opusc. 1, 428) wollte an der Stelle des Cicerobriefes (ad Quint. fr. 2, 9, 3)
statt der gebräuchl. Lesart non multis ingenii luminibus, multae tarnen
artis vielmehr mult. ing. 1., 71071 multae artis lesen. Nach Schanz a. a. 0.
hätte Lachmann diese Konjektur gebilligt; im Kommentar (S. 18 und
auch S. 62) weist aber Lachmann Bergks Lesart wie auch dessen Urteil
über die Kunst des Lukrez zurück und rechtfertigt (S. 62) das 7wn
multis luminibus ing. mit der Vermutung, Cicero habe das moralische
Element bei Lukrez vermißt.
^) Schon in der ersten Ausgabe der Römisch. Geschichte. 1856.
1, 505.
Philologus LXVIII (X. F. XXII) 4. 34
530 Karl H a r t m a n n ,
Gassendizeit eines Moliere, schärfer noch in der Humboldära
Goethes mir als unbefriedigendes Stückwerk gelten: es war
also der Mann, seine Sprache, seine Kunst, die solche Geister
zu ihm zog. Aber es gilt hier nicht in die Poetik des Lukrez
einzudringen, Vorzüge und Schwächen abzuwägen; der Phy-
siologe und Musikfreund Th. Billroth hat uns gelehrt, unter
den musikalischen Leuten verschiedene Arten zu unterscheiden.
Mancher hat für die strengere Theorie der Tonkunst wenig
Sinn, vielleicht gar keine Kunde von ihr, ersetzt aber diesen
Mangel durch starke musikalische Empfindung, Zu diesen
Leuten etwa möchten wir Lukrez gezählt sehen. Ueber die
schwierige Frage, was ein TibuU oder Lukrez von der Musik
eigentlich verstanden haben, können wir Aufschlüsse ja nicht
mehr erhoffen, aber eine Beobachtung machen wir bei Lukrez :
es tritt eine bedeutsame Reihe von Stellen hervor, in denen
des Dichters Gedanken, bisweilen vom Stoff geführt, öfters
von unbewußtem Zug geleitet, sich mit der vielgestuften Ton-
welt auffallend ernstlich beschäftigen, vom Vogelpfiff bis zur
vox humana, von der Pauke bis zur Orgel: alle möglichen
Skalen und Probleme führt ihn seine Phantasie.
Solche Töne wird man vielleicht schon im Proömium
suchen. Die einst der Renaissance so teure Hymne des Ein-
gangs feiert Frau Venus', der Lenzgöttin, Einzug auf der tau-
enden Flur. Dann pulst ihr Hauch, noch ehe er die andere
belebte Schöpfung trifft, vor allem in der kleinen Brust des
Vogels „und er singt ein süßes Hoffen".
aeriae primum volucres te, diva tuumque
significant initum, perculsae corda tua vi. (I, 12.)
Und nun schwirren die kleinen und großen gefiederten Sänger
durch alle Gesänge, zu Beobachtung und Gleichnis vielen
Stoff bietend. Der Vogel ^ als erster Lehrer *) des musik be-
dürftigen Urmenschen, der von ihm die Kunst des Pfeifens
lernt, perlender Vogellaut beim Sonnenaufgang^), Vogellieder
im sonnendurchleuchteten Hain und an der Quelle*^): und
wenn es sich um Beispiele für die Modulation (auch für Lu-
krez ein sympathischer Punkt) handelt, dann rückt der Vogel
*) V, 1377 (Bernays.). ') II, 144. «) II, 145/46.
Das Verhältnis des Lucretius Carus zur Musik. 531
an die bedeutsam gewählte letzte Stelle '^) ; der Hund hat
etwa ein halbdutzend verschiedener Situationstöne, auch das
Pferd verrät mehrere, am auffallendsten aber spricht sich dies
in der Vogelwelt aus. Diesmal benützt er das Raubzeug,
Rabe, Tauchervogel und Habicht um selbst an diesen nicht
sehr stimmbegabten Vögeln die große Verschiedenheit in den
Tönen, je nachdem sie sich um Beute zanken, dem Opfer
nachjagen oder den Wetterpropheten spielen, klarzumachen
(longe alias alio iaciunt in tempore voces.) Dann hören wir
öfters des Kranichs^) gellen Schrei zu abfälligem Vergleich
neben die melodischen Töne des Schwans gehalten. Der ty-
pische Kranichruf tönt freilich schon im hesiodischen Bauern-
kalender: bedeutet der Schwanenruf auch nur eine Entlehnung
aus der bekannten alten Sage vom singenden Vogel des
Apollo? Müllenhof ") wies in seinem 1. Kapitel der Deutschen
Altertumskunde auf den auch in der antiken Litteratur eine
Rolle spielenden Unterschied zwischen dem meist stumm sich
präsentierenden Teichschwan und den eigentümlich melodischen,
Griechen und Römern aus der Naturbeobachtung vertrauten
Fagottönen des Singschwans hin: als Beispiel für gute Klang-
nachmalung findet sich bei ihm unter andern der Lukrezvers:
oris ex Heliconis cum liquidum tollunt lugubri voce c[uerellam ^°).
Vielleicht aber findet sich beides: Einfluß der Sage und eigne
Beobachtung hier bei Lukrez zusammen: den Eindruck der
Anlehnung hat man bei mehreren Stellen ^^) und es übt ja
die Schwanensage auf einen musikalischen Dichter Reiz genug
ans : wüßten wir Sicheres über ein Verweilen des Lukrez auf
griechischem Boden, so müßte uns die Stelle aus manchem
Grund wertvoll erscheinen, so aber läßt sich zur Zeit die
Frage, wie weit Anlehnung, wie weit Beobachtung die Feder
geführt hat, nicht entscheidend lösen. An den starken natür-
lichen Schwanenton denkt man am liebsten an jener Stelle ^^^^
an welcher Lukrez vergleichend daneben das harmlose Zwit-
schern der Schwalbe rückt: Epikur ist der Schwan, er selbst
^) V, 1060—85. «) IV, 179 u. 907/8. «) D. Alt. I, 7.
»0) IV, 545. ") II, 505, III. 6.
") in, 6 u. 7 vgl. Heinze, T. Lucr. Car. lib. III. Com. S. 49. Dazu
0. Keller, Tiere des klass. Alt. 308 u. 315.
34*
532 Karl Hartmann,
das Schwälbchen. Die bescheidene Einschätzung des Schwal-
bengezwitschers entspricht uuserm Gefühl und scheidet sich
von der bekannten Ueberschätzung, die der Schwalbenlaut da-
mals und mehr noch später, auch in der antiken Poesie erfuhr.
Wie wohl in der Sage Prokne mit Philomela flattert, so stellte
man sie im Gesang gelegentlich einander gleich: sein gesundes
Tongefühl bewahrt vielleicht Lukrez vor solcher Irrung.
Auch der Wind als Tonerreger wirkt stark auf seine
Phantasie. Sein stilles, klagendes Säuseln im Schilfrohr mag
den Urmenschen, wie Lukrez ^^) aus eigner Meinung oder einen
ihm sympathischen Gedanken entlehnend, ausführt, zum Rohr
geleitet und ihn veranlaßt haben, die erste Rohrflöte zu
schnitzen. Aber sein starkes Wehen steigert sich an anderm
Ort^*) zum tosenden Orkan: lautes Rezitieren läßt sofort die
starke Tonmalerei erkennen, eine elementar sich steigernde
Schallwelle, die nach dem perfurit acri cum fremitu als höch-
ster Spannung in das Nachfühlen des schon verbrausenden,
nur aus der Ferne noch grollenden Orkans hinüberführt,
Principio venti vis verberat incita pontum
ingentisque ruit navis et nubila difl'ert
interdum rapido percurrens turbine campos
arboribus magnis sternit montisque supreraos
silvifragis vexat flabris : ita perfurit acri
cum fremitu saevitque minaci murmure ventus.
Neben solch gewaltigen Tonwellen bleibt auch der neckische
Laut, den der Wind hervorruft, wenn er Wäsche am Seil
(suspensam vestem) peitscht oder gar sich fängt im großen
Zelttuch, das über dem Theater ausgespannt liegt, da und
dort Lappen reißt und die komischsten Pfeif- und Heultöne
hervorruft ^^), nicht unbeobachtet.
Interessanter muß aber der Luftstrom erscheinen, wenn
er von der Menschenstimme zu aller möglichen Tonschattie-
rung und verstärkt noch in den Instrumenten zu fesselnder
Wirkung benutzt wird. „Die Stimme ist ein Körper i**)", be-
lehrt uns der antike Helmholtz, und wie uns dieser die Vokale
messen gelehrt hat, so wirbelt sie Lukrez in virtuosem Wech-
") V, 1380 flF. ") I, 271.
»5) VI, 109-114. 1«) IV, 524 ff.
Das Verhältnis des Lucretius Carus zur Musik. 533
seltaiiz seines Yerses an uns vorüber: mobilis articulat ver-
borum daedala lingua^"). Ihn fesselt auch die schöne Stentor-
stiiuuje des Herolds, dessen Kuf ein ganzes versammeltes Volk
zum Schweigen bringt. An anderer Stelle ^^), die sich hier am
besten einfügt, führt er uns zu den Urvölkern, wie sie sich
die Nachtwache mit Liedern kürzen, zum Wechselgesang den
ersten Grund legen.
Die einzelne Menschenstimme bleibt bestimmte Monotonie:
wie reizvoll aber, wenn sie vielfach an Felswänden sich bricht.
Statt trockner Vorführung : „ Was versteht die Naturforschung
unter einem Echo?" bekommen wir ein hübsches Bildchen
aus Lukrez' Leben ^'J). In den Bergen, es wird ja wohl drüben
am Nemisee sein, zieht der Dichter mit den Freunden: man
verläuft sich, sucht einander, ärgert und freut sich über das
neckende sechs- und siebenfache Echo an den felsigen Wän-
den. Und da gleitet der Gedanke hinüber zum Mythos des
Volks, das vom „panischen" Schrecken nicht lassen will, das
Nymphen und Satyrn „Echo" spielen und von melodischen
Geisterklängen die Bergflur erschallen läßt: Ideo iactant mira-
cula ! Eine bewegliche Klage, aber seltsam — avo es sich
um kurze Abfertigung des Köhlerglaubens handeln sollte, ent-
wickelt sich ein zehnzeiliges klang- und farbenfrohes Bild:
Saitenspiel und süße Weisen , wie sie nur der Flöte eigen :
tibia quas fundit digitis pulsata canentum. Und waren es
vorher Satyrn- und Frauenstimmen, so tönt jetzt über alles
heraus des Pan göttliches Syrinxsolo. Seine beweglichen Lip-
pen gleiten so flink über die Pfeifenenden und mit dem
guten Recht des Flötisten schüttelt er beim forciert raschen
Atemholen seine Locken und die kokett darin drapierten Zir-
belnüsse. — Einfacher spielt sich das bei den Urmenschen-")
ab: auf dem Anger, am liebsten nach tüchtiger Mahlzeit, blies
der Bursch die Flöte: die anderen legten sich vergnügt ins
Gras, lauschten und schauten träumend in die Baumwipfel
und den blauen Himmel hinein.
Ein psychologisch ähnlicher Gang, Avie beim ,Faunenorch-
ester' fesselt uns bei seinem Hinweis auf den Kybelekult-^). Sein
>') IV, 549, dann 561. '«) V, 1403 u. 4.
19) IV, 568-593, besond. 573—78.
i«») V, 13fc2 flP. ^') II, 600 S. besd. 618—20.
534 Karl Hartmann,
orgiastisch wüstes Treiben verdient im Sinne bewußter Auf-
klärung entschiedene Abwehr : longe sunt tarnen a vera ratione
repulsa; aber wenn sie nun im religiösen Heerlager ihr Or-
chester stimmen, dann formt sich wiederum ein feines Bild. Wie
trefflich ist in den drei Worten tympana tenta tonänt der
Paukenton und ßythmus gemalt! In den dumpfen Klang der
Handpauken, den gellen Cymbalton mischt sich der nerven-
erregende süße Ton der Flöte und dröhnender Hörnerklang.
Welcher Abstand zwischen dieser dämonischen Tonmischung
und dem einfachen und doch so starken, markigen Klang der
Hirten tuba^^), deren Schall sich am Felsen stärkt und bricht:
depresso graviter sub murmure mugit
Et reboat raucum regio cita barbara bombum.
Auch vom Saitenspiel weiß Lukrez gern zu berichten. Auf den
bösen Unterschied zwischen den qualvollen Quitsch tönen einer
arbeitenden Säge^^) und den flüssigen Melodien, wie sie kundige
Finger dem Saiteninstrument entlocken, macht er humoristisch
aufmerksam; die Saiten, die er hier die „sprechenden" nennt,
rühmt er anderswo^*) als „künstevolle" (daedalacarmina chor-
dis). Wie mußten ihn erst künstlerische größere Darbie-
tungen fesseln, ob sie auf der rauschenden Bühne oder von
den symphoniaci eines vornehmen Hauses geboten wurden.
So ist es gewiß ein Stück Selbstbeobachtung, wenn er als
Beispiel für Traumvorstellung und Halbschlummer -^) uns aus-
malt, wie der Hörer, der prächtige Bühnenbilder (scenai varios
decores) in sich aufnahm, der die flüssigen Melodien der Sai-
teninstrumente in sich aufsog, das deutlich noch vor seinen
Sinnen zu haben wähnt. Griff Lukrez vielleicht auch in die
Rüstkammer von Harmonielehre und Kontrapunkt, wie Goethe
in jenem heute totgehetzten Wort von der Weltgeschichte als
einer „Fuge, in der die Stimmen der Völker nach einander
einsetzen?" Auf diesem Boden hatte die hellenische Philo-
sophie schon vorgearbeitet: das Wörtchen „Harmonie" stellt
sich ja sogar zur rechten Zeit ein, wenn über die Seele ein
Wort zu sasen ist. Auch Lukrez braucht das Wort harmonia
22) IV, 54B. 23) n, 410. 24) n, 505.
25) IV, 959 ff. besd. 975—980.
Das Verhältnis des Lucretius Cavus zur Musik. 535
in den vierzig Versen^*') seiner Seelen definition melirnials;
sobald er dann nach Plus und Minus die Seele genügend fixiert
zu haben vermeint, macht er kein Hehl daraus, daß ihm, ge-
rade ihm als denkenden Musikfreund, die Unverbindlichkeit
dieses übertragenen BegriflFs „Harmonie" nicht entgeht. „Stellen
wir jetzt den Harmoniebegriff den Musikern, die ihn wohl
einst vom hohen Helikon beschert bekamen, mit Dank zurück. "
Und nun verrät er, daß ihm auch die Wortgeschichte des
technischen Musikausdruckes ,harmonia' beschäftigt hat; als
Dichter sprach er eben vom Helikon, er fügt aber bei, daß
der Begriff doch wohl aus anderen Gebieten (dem „Fügen"
und „Fugen" des Handwerks) entlehnt und von praktischen
Musikern in ihre Theorie aufgenommen sein wird.
In der Einleitung sprachen wir auch von der Orgel, die
zu Lukrez reichen Orchester gehöre: die Stelle verdient, selbst
wenn diese Anschauung zu berichtigen bleibt, schon wegen
der engen Zugehörigkeit zu dem gestellten Thema, besondere
Beachtung. Bei der Ausführung der These: das Menschenge-
schlecht ists nichts Ewiges, hat vielmehr historische Anfänge,
benützt Lukrez als merkwürdigen Beleg den Gedanken, es
könnten sonst doch nicht immer wieder neue Erfindungen ge-
macht werden-^).
qua re etiam quaedam nunc artes expoliuntur
nunc etiam augescunt: nunc addita navigiis sunt
multa, modo or(iy.nici mclicos peperere sonores.
Als Beispiel für das expoliri ist wohl die anschließende Er-
wähnung einer Verbesserung in der Schiffsbautechnik zu
deuten, als Beispiel für eine neue, merkwürdige Bereiche-
rung (augescunt artes) soll das: modo organici melicos pe-
perere sonores gelten. Ohne künstlich nunc und modo auf
Lukrez engere Zeit zu deuten (ist doch tatsächlich die Orgel
eine weit ältere Erfindung), erwartet man an dieser Stelle ge-
wiß eine bedeutsame, Aufsehen erregende Erfindung, denkt
am liebsten an ein modisches Instrument, das als Beispiel für
Menschenwitz und Kunst gelten durfte. Pauke und Hörn
z. B. sind ja höchst einfache Dinge, schon im uralten Ky-
2») III, 94—135 dazu Heinze a. a. 0. 62 u. 66/67.
") V, 332.
536 ^- H art mann, Das Verhältnis Lucretius Carus zur Musik,
belekulfc benützt, die Erfindung der tibia geht nach Liikrez
selbst auf die ürvölker zurück, die Pboebea carmina des Sai-
tenspiels sind so viel älter als Homer : mit diesen und anderen
Instrumenten konnte er weder seine These stützen, noch das
augescunt artes illustrieren. Gerade für das Rom des Lukrez
aber war die Einbürgerung der Orgel ein Aufsehen erregen-
des Ereignis -^), ihre komplizierte Mechanik ein Triumph der
Technik verbundener Künste: da war Hebel und Zug, für die
Lukrez auch sonst Sinn verrät (IV, 900 — 904) sie durfte wohl
als Bereicherung der Künste bezeichnet werden. Ist or-
ganicus an dieser Stelle der Orgelbauer, dann ist diese und
nicht die bekannte Cicerostelle ^^) das erste Zeugnis für die
Orgel in der römischen Litteratur.
Ob nun hier die Orgel oder ein anderes Instrument ge-
meint ist: Lukrez hat sich in seinem Liede als musikalisch
empfindenden Menschen für jeden, der Sinn für Klangmalung
und Verständnis für die magische Anziehung, die die Tonwelt
auf solcherlei Künstler ausübt, bekannt und bei dem gänz-
lichen Mangel an sicheren Einzelzügen, aus denen das Leben
dieses merkwürdigen Mannes für uns Inhalt gewinnen könnte,
muß uns willkommen sein, was nur ein wenig den Schleier
lüftet. Das romantische Herz, das so oft aus den Versen
spricht, scheint im Widerstreit mit dem lehrhaft aufklärenden
Zug zu liegen : es wurzeln doch beide im gleichen Grund, in
seinem starken Naturgefühl. Lukrez reiht sich auch nach
dieser Seite gut zu mancher Gestalt der französischen Auf-
klärung, neben einen Saint-Pierre, und den, der größer ist,
als beide, neben J. J. Rousseau. Auch den starken Zug zur
Tonwelt teilt Lukrez mit ihm.
Bayreuth. Karl Hartmann.
*8) Zur Geschichte der Or^el außer H. Degering, Die Orgel : Mün-
ster: Coppenrath jetzt auch R. Hildebrand: Rhet. Hydraulik: Phil.
LXV, H. 3. S. 426 ff.
29) Tuscul. in, 18, 43.
XXV.
Zu Apuleius' Novelle vom Tode der Charite.
In Apuleius' Metamorphosen 1, VIII c. 1 — 14 findet sich
folgende Erzählunsf :
Tlirasyllus, ein reicher aber lasterhafter Jüngling (c. 1),
verliebt sich in ein schönes Mädchen aus der Nachbarstadt,
namens Charite. Wie er nun den jungen Tlepolemus sich
vorgezogen sieht, beginnt er auf Rache zu sinnen. Charite
wird am Tage ihrer Hochzeit von Räubern entführt; Thrasyllus
benutzt die Gelegenheit ihrer Befreiung durch Tlepolemus,
um sich ihr und ihrer Familie zu nähern (2). Seine Leiden-
schaft wächst (3). Während er eines Tages zusammen mit
dem jungen Ehemanne an einer Rehjagd teilnimmt, stoßen sie
unversehens auf einen mächtigen Eber (4) ; der heimtückische
Thrasyllus veranlaßt seinen Gefährten, das erschrockene Jagd-
gefolge zu verlassen und in Gemeinschaft mit ihm das fliehende
Tier zu Pferde anzugreifen. Tlepolemus wirft seinen Spieß
zuerst und verwundet den Eber am Rücken, doch Thrasyllus
bringt durch einen Lanzenstich sein Pferd zu Falle, worauf
der zu Boden geschleuderte Mann vom Eber zerfleischt und
von seinem Nebenbuhler, den er vergebens um Hilfe anfleht,
durch einen zweiten Lanzenstoß vollends getötet wird. Nach-
dem er nun auch den Eber mit leichter Mühe unschädlich
gemacht hat (5), wirft sich Thrasyllus über den toten Tlepo-
lemus und spielt vor dem herankommenden Gefolge den ver-
zweifelten Freund. Charite, auf das Gerücht vom Tode ihres
Gatten durch einen Eber herbeigeeilt, verliert an seiner Leiche
die Besinnung und gibt beinahe ihren Geist auf. Nach dem
Begräbnis (6) sucht Thrasyllus die verzweifelte Witwe zu
trösten und redet ihr ihre Selbstmordgedanken aus (sie will
538 Walter Anderson,
sicli zu Tode hungern). Sie bringt nun ihre Zeit mit der
Verehrung der Bilder ihres Mannes zu, die ihn als Liber dar-
stellen (7); dennoch wagt es Thrasyllus, endlich einen Heirats-
antrag an sie zu richten, welcher aber bei ihr nur eine neue
Ohnmacht zur Folge hat. Obgleich den wahren Sachverhalt
ahnend, bittet sie den Thrasyllus um Bedenkzeit. Unterdessen
erscheint ihr Tlepolemus im Traum ^) und warnt sie vor seinem
Mörder, indem er ihr alle Umstände seines Todes erzählt ; jede
andere Heirat stellt er ihr frei (8). Erwacht, beschließt
Charite ihn zu rächen. Sie erklärt dem Thrasyllus, nach Ab-
lauf des Trauerjahres sei sie bereit sein Weib zu werden (9).
Auf weitere Bitten willigt sie unterdessen in eine geheime
Verbindung mit ihm (10). Nachts wird er von ihrer treuen
Amme -) in ihr Schlafgemach eingeführt. Charite selbst hält
sich noch verborgen, und auf ihr Geheiß betäubt die Amme
ihn mit einem Schlaftrunk. Hierauf kommt Charite hervor
und sticht dem Mörder ihres Gemahls (11) nach einer langen
Deklamation (12) mit einer Haarnadel beide Augen aus. Dann
ergreift sie Tlepolemus' Schwert, eilt zu seinem Grabmal (13)
und tötet sich vor dem zusammengeströmten Volk, nachdem
sie alles der Reihe nach erzählt hat. Thrasyllus, von Reue
und Verzweiflung geplagt, schließt sich im gemeinsamen Grab-
mal der Liebenden ein und hungert sich hier zu Tode (14).
Die oben wiedergegebene Erzählung stellt ein in sich ab-
geschlossenes Ganzes dar und hängt mit dem übrigen Roman,
insonderheit auch mit der Geschichte von dem Raube und der
Befreiung der Charite (Met. IV 23—27. VI 25— VII 14), nur
sehr lose zusammen; während letztere sich, wennschon in kür-
zerer Gestalt und ohne die Namen der Helden, im Aouxco^ iq
"Ovo; wiederfindet (c. 22 — 27), ist erstere darin durch die
kurze Notiz vertreten, die Neuvermählten wären bei einem
Spaziergange am Meeresufer von der hereinbrechenden Flut
überrascht worden und darin ertrunken (c. 34). Demgemäß
*) Dieses Motiv kommt noch in einer anderen Novelle des Apuleius
vor: Metam. IX 31 ; Metam. II 29 gibt ein von den Toten Auferweckter
seinen Mörder an.
^) Ueber diese Amme und ihr Verhältnis zu den Typen der antiken
Komödie (und Tragödie) s. B. W. W a r n e c k e , Nabljudenija nad drevne-
rimakoj komedijej: k istorii tipov, Kasan 1905 (russisch), p. 148 sq.
Zu Apuleius' Novelle vom Tode der Cliarite. 539
wird die Erzählung vom Tode der Charite allgemein für einen
von Apuleius zu seiner Vorlage (ob dies nun die Metamorphosen
des Lukios von Patrai waren, oder der pseudolukianische Onos)
gemachten Zusatz gehalten : so von Kohde, Goldbacher, Bür-
ger^). Letzterer polemisiert insbesondere gegen die von Maaß*)
verfochtene Annahme eines engen Zusammenhanges zwischen
1. IV23— 26. VIII— 12 und Villi— 14, was nach dessen Mei-
nung alles von Apuleius erfunden (doch vgl. unten) und seinem
Vorbilde eingefügt, hierauf aber von „Lukian" verstümmelt
sein soll.
Was nun den Charakter unserer Erzählung anbetrifft, so
vyird sie von Rohde in seinem bekannten Aufsatz'*) für eines
der eklatantesten Beispiele der antiken pathetisch-tragischen
Liebesnovelle erklärt; gleich dem gesamten Erzählungsstoff
des Apuleius glaubt er sie „unbedenklich aus griechischer
Quelle herleiten zu dürfen". Er fährt fort: „Dieser im Cha-
rakter und Ton vielfach an düstere italienische Rachenovellen
erinnernden Erzählung darf man ein nicht ganz unbeträcht-
liches Alter darum zutrauen, weil eine sehr ähnliche Geschichte
von einer Gallierin Kamma, bei Plutarch zweimal erzählt, auf
ein gemeinsames älteres Vorbild zurückschließen läßt."
Der Inhalt der p 1 u t a r c h i s c h e n Erzählung, wie wir
sie übereinstimmend in Mulier. virtut. s. Ka|ji[xa und Amator. 22^)
vorfinden, ist folgender. Der galatische Tetrarch Sinorix ver-
liebt sich in die schöne und tugendhafte Frau seines Ver-
wandten Sinatos, eines anderen Tetrarchen; diese Frau ist
Friesterin der Artemis und trägt den Namen Kamma. Sinorix
ermordet durch List (SoXw) seinen Nebenbuhler und beginnt
nach einiger Zeit um dessen W^itwe zu freien. Seinen Bitten
und den Vorstellungen ihrer Verwandten nachgebend, willigt
Kamma endlich in die Heirat, indem sie scheinbar dem Mör-
der ihres Gatten die Tat vergibt, die er ja doch nur aus Liebe
zu ihr begangen habe. Sie bestellt ihn in den Tempel der
3) Cf. C. Bürger, De Lucio Patrensi (diss.), Berol. 1887. p. 44-49.
*) Im index schol. Gryphiswald. 1886/87 p. XIV Anm. 2.
5) E. Rohde, Ueber griechische Novellendichtung und ihren Zu-
sammenhang mit dem Orient, Verhandl. der 30. Philologenvers. (1875)
p. 68 = Der griech. Rom.^ p. 590.
6) ed. ßernardakis II p. 234—236. IV p. 452 sq.
540 Walter Anderson,
Artemis, wo sie der Göttin einen vergifteten Trank opfert:
sie selbst trinkt die Hälfte desselben aus und gibt die andere
dem ahnungslosen Sinorix zu trinken ; hierauf verkündet sie
ihm den Sachverhalt und erklärt, nur um der Rache willen
habe sie ihren Gatten bisher überlebt. Sie stirbt frohen Muts,
nachdem Sinorix ihr im Tode vorausgegangen ist.
Der Charakter dieser Erzählung ist nicht ganz leicht zu
bestimmen : Rohde hält sie scheinbar für eine mit fremdlän-
dischen Namen aufgeputzte Novelle griechischen Ursprungs:
es könnte ja aber auch eine echte galatische Sage sein. Was
ihr Verhältnis zu der apuleianischen Novelle betrifft, so ist
die Aebnlichkeit schlagend und der ganze Unterschied liegt,
abgesehen von den mangelnden Details und der historischen
Färbung im eigentümlichen Gifttrank motiv und in dem Um-
stände, daß der Witwe die Tat des Mörders offenbar von
Anfang an bekannt ist. Doch ist die Aebnlichkeit, wie wir
sehen werden, noch nicht zwingend genug, um auf jeden Fall
einen genetischen Zusammenhang annehmen zu müssen; ist
aber ein solcher vorhanden, so haben wir die Wahl zwischen
der Rohdeschen Hypothese einer verlorenen gemeinsamen Quelle
und der Annahme einer umarbeitenden Entlehnung der plu-
tarchischen Erzählung durch Apuleius: letztere wird ihm gleich
den übrigen Schriften Plutarchs sicher bekannt gewesen sein.
Rohde bemerkt ferner'): „Diese Plutarchische Erzählung
ist übrigens offenbar das Vorbild für Ariostos Bericht von
Tanacro, Olindro und Drusilla : Orlando f u r i o s o c.
XXXVn st. 51—75." In der Tat genügt schon ein flüch-
tiger Vergleich, um die Entlehnung festzustellen; insbesondere
das charakteristische Giftmotiv wirkt entscheidend (die Stelle
des Opfertranks vertritt bei Ariost geweihter Wein). Doch ist
hervorzuheben, daß der Mord des Olindro da Lungavilla (Sinatos)
hier zugleich mit dem Raube seiner Gattin durch Tanacro-
Sinorix vor sich geht, daß diese sich dem Letzteren durch den
Sprung in einen Abgrund zu entziehen sucht, und daß sich
die Vergiftungsszene am Grabmal des Ermordeten abspielt^).
') 1. 1. Anm. 1.
*) Die beiden letzteren Züge (welche bei Plutarch fehlen) könnten
vielleicht aus Apul. Met. VIII 7. 13 entlehnt sein. Diese Annahme wird
Zu Apuleius' Novelle vom Tode der Charite. 541
— Ein interessantes Zeugnis für die Aehnlichkeit der pliitar-
chischen Erzählung mit der apuleianischen haben wir in der
Aeußerung eines französischen Uebersetzers des Ariost, M. A.
Mazuy, welcher, mit der ersteren unbekannt, die Geschichte
der Drusilla aus letzterer herleitet, dabei freilich seinem Dichter
große Selbständigkeit zugestehend: „la presque totalite des
details lui appartiennent: le fond du recit est seul imite de
l'Ane-d'Or«»).
Das Charite-Ivamma-Thema kehrt aber, wenn auch mit
ein paar weiteren Abweichungen, so doch noch sehr deutlich
erkennbar, noch in anderen Erzählungen wieder: so besonders
im kaukasisch-tatarischen Märchen „ Die un-
treue Gattin und die treue Braut" ^°). Durch den Verrat eines
Weibes an ihrem Gemahl^ ^) empört, befahl einst Schah Abbasl.
seinem Großkhan (d. i. Großvezier), alle Weiber in seinem
Lande auszurotten^-); auf den Rat seines hundertjährigen
Vaters ließ dieser den Befehl unausgeführt. Um den erzürnten
Schah zu besänftigen, erzählt ihm der Greis folgenden Vor-
fall aus seinem eigenen Leben. Vor vielen Jahren diente er
dem Vater des Schahs als Anführer von neununddreißig an-
deren Helden. Nun begab es sich, daß eines Morgens einer
derselben auf unerklärliche Weise ermordet gefunden wurde;
dies wiederholte sich nun jeden Tag, und schließlich war nur
dadurch ermöglicht, daß, wie schon Mazuy (s. u.) nachgewiesen hat,
die zweite Hälfte der Geschichte der Gabrina in canto XXI 13 — 66
wirklich aus Met. X 25 — 28 stammt; dagegen ist Mazuya Herleitung
der ersten Hälfte desselben Berichts aus Met. X 2 — 5 ungenügend be-
gründet (Rol. Für. II p. 183— 18.S).
^) Roland Furieux, nouvelle traduction (Paris 1889), t. III p. 216 sq.
*") Sbornik materialov dlja opisanija mestnostej i plemen Kavkaza
XXI, 2, p. 12 — 17 (aus der Stadt Kazach im Gouv. Jeliaavetpol).
") Der Ehemann hatte sich trotz Todesdi'ohungen geweigert seine
Gattin zu verlassen; letztere ließ sich durch die Aussicht Frau des
Schahs zu werden verleiten, ihren Mann zu ermorden. Das Thema
kommt auch z. B. in den slavischen Salomonslegenden vor: s. Ale-
xand. Veselovskij, Slavjanskija skazanija o Solomone i Kitovrase
i zapadnyja legendy o Morolfe i Merline, St. Pet. 1872, p. 86sq.; vgl.
Iv. Franko, Apokrify i legendy I (LemlDerg 1896). p. 285 sq. 288, etc.
— Ein Motiv des kaukasischen Märchens (die Vervielfältigung des vom
Schah an der Haustür gemachten blutigen Handabdrucks) erinnert an
Ali Baba.
'^) Wie sonst in Märchen der Befehl (oder die Sitte) alle Greise
auszurotten vorkommt: vgl. Reinh. Köhler, Kl. Sehr. II p. 324 — 327,
und G. PoHvka, Zs. d. Vereins f. Volksk. 8,25—29. 19,456.
542 Walter Anderson,
der Anführer selbst — er hieß Samed — übrig. In der vier-
zigsten Nacht hört er an der Hanstür seinen Namen rufen ;
er geht hinaus, legt aber zuvor auf Rat seiner Frau seine
Rüstung an und besteigt sein Pferd. Draußen befiehlt ihm
ein unbekannter Reiter zu folgen; Samed tut dies, versucht
aber aus Furcht für sein Leben dreimal den Unbekannten zu
töten, bis letzterer ihn vom Sattel reißt und ihn am Boden
zu zerschmettern droht. Sie kommen in einen finsteren Wald;
in der Ferne schimmert ein Licht. Der Fremdling steigt vom
Pferde und geht allein in dieser Richtung fort, um, wie er
sagt, mit seinem Feinde und dessen Heer zu kämpfen. Nach
einiger Zeit kommt er wieder mit einem riesigen Menschen-
haupt in den Händen. Er reitet nun mit Samed zu einem
einsamen Grabe; hier zerschmettert er jenes Haupt am
hölzernen Grabdenkmal und spricht, zum Grabe gewandt :
„Lieber Bräutigam ! Dies ist das Haupt des Bösewichts,
der dich verräterisch umgebracht hat". Hier-
auf stürzt er — oder sie — sich in ihren
Dolch und sagt zu Samed: „Ich bin die Braut
des Helden, der in diesem feuchten Grabe
ruht. Der Mann, dessen Schädel ich zerschlagen habe, ist
sein Mörder. Er wollte mich heiraten, aber
ich bin meinem ersten Bräutigam nicht un-
treu geworden; um seinetwillen habe ich
seinen Feind getötet und sterbe jetzt selber."
Dann bittet sie Samed, er solle sie beerdigen; seine Kame-
raden habe sie nur getötet, weil sie ihr ohne Rüstung ent-
gegengekommen seien (dadurch haben sie die Vorschriften
des Rittertums verletzt). Hierauf stirbt sie. — Als Schah
Abbas sich nun überzeugt hatte, daß es auch tugendhafte
Weiber auf Erden gibt, zog er seinen Befehl zurück.
Die Uebereinstimmung des Märchens mit den beiden an-
tiken Erzählungen geht aus den oben gesperrt gedruckten
Stellen hervor ; es verdient hervorgehoben zu werden, daß die
Rahmengeschichte ihm denselben Charakter verleiht, welchen
die Erzählung von der Kamma bei Plutarch hat; es ist ein
Beispiel der yuvacxwv apexai. — Leider ist der für uns wich-
tigste Teil des Märchens sehr kurz erzählt und ganz von
Zu Apuleius' Novelle vom Tode der Cbavite. 543
fremden Elementen überwuchert: der Rahmenerzählunf?, der
Geschichte der untreuen Gattin und dem Abenteuer des Saraed
(letzteres dient nur dazu, um den mannweiblichen Charakter
der Heldin hervorzustreichen) ^•^). — Die Abweichung von
Plutarch (und Apuleius) liegt hauptsächlich darin, daß die
Heldin hier nicht die Frau, sondern die Braut des Toten ist
und daß sie zur Gewalt statt zur List greift.
Sehr stark unterscheidet sich dagegen von beiden klassi-
schen Erzählungen die tschetschenische Version des-
selben kaukasischen Märchens, „Ljal-Sulta" ^*). Der Titelheld
schlägt die Hand einer verliebten Prinzessin aus, die um seinet-
willen durch ihren erzürnten Vater beinahe das Leben verloren
hat'^). Ljal-Sulta ist nämlich durch die Untreue seiner ersten
Gattin") zum Weiberfeinde gemacht worden; doch gelingt es
dem Nagaierfürsten Batercha ihn durch Erzählung eines seiner
Erlebnisse umzustimmen. Bei einem Zusammentreffen mit
einem Riesen hatte Batercha alle seine fünf Brüder verloren ^')
und nun den Schwur getan, alle ihm begegnenden Menschen
zu morden, um dadurch gewissermaßen seine Brüder zu rächen.
Doch schon den ersten, einen schönen Jüngling, verschonte
er aus Mitleid und schloß mit ihm sogar einen Freundschafts-
bund. Hierauf ritten sie zu einem Turme, wo der Unbekannte
ohne Baterchas Hilfe vierzig Helden niedermetzelte: es waren
dies die Mörder seines Bruders. Dann ritten beide zusammen
nach dem Hause des Unbekannten; letzterer ging hinein und
ließ seinen Gefährten lanse vergebens draußen warten. Als
*') Es verdient bemerkt iu werden, daß dieses Märchen gleich sehr
vielen anderen kaukasischen starke Anklänge an das Heldenepos auf-
weist.
'*) Sbornik svedenij o kavkazskich gorcach IV, 2, p. 8 — 15. (Auf-
geschrieben im Aul Fortaut.)
*°) Der Vater ließ sie in ein Faß stecken und in den Fluß werfen. —
Genaue Parallelen zur Rahmengeschichte sind mir nicht bekannt.
•«) Die Erzählung davon steht in nahen Beziehungen zur Geschichte
des jungen Königs der schwarzen Inseln aus 1001 Nacht (bei Galland
Ausg. Paris 1774 I p. 125—137); sie ist auch sonst noch im Kaukasus
bekannt: vgl. Sbornik materialov u. s. w. XXXV, 2, p. 112 — 130.
*') Was Batercha darüber erzählt, ist eine Variante des Poly-
phemmärchens, welch letzteres im Kaukasus sehr verbreitet ist: 0.
H a c k m a n , Die Polyphemsage in der Volksüberlieferung, Helsingf.
1904, p. 94—99 Nr. 110 — 117 (p. 98 sq. Nr. 116 ist unser Märchen), vgl.
noch Sbornik materialov XXII, 3, 13—16. XXXII, 2, 16-26 u. s.w.
544 Walter Anderson,
dieser endlich ins Haus trat, fand er ihn mit einem Dolche
erstochen neben einem verwesenden Leichnam (nämlich dem
seines Bruders). Batercha nahm dem Unbekannten die Mütze
vom Kopf, und Haarflechten wurden darunter sichtbar. „Es
gibt böse Weiber, es gibt aber auch gute'-, schließt er seine
Erzählung.
Das Kammathema ist in diesem Märchen kaum noch zu
erkennen. Die Rahmengeschichte weist nicht denselben In-
halt, wohl aber dieselbe Tendenz auf, wie diejenige des tata-
rischen Märchens. — Die Uebereinstimmung des letzteren mit
den antiken Erzählungen könnte leicht zur Annahme einer
genetischen Verwandtschaft verlocken, doch wird sich diese
nur dann irgend wahrscheinlich machen lassen, wenn man
beweist, daß die tatarische Version der Urform des Märchens
näher steht, als die tschetschenische. Zwei Versionen genügen
aber nicht, um diese Urform rekonstruieren zu können, und
weitere Varianten sind mir weder aus dem Kaukasus noch
sonstwoher bekannt ^^). Danach bleibt (des Gedankens kann
ich mich nicht erwehren) wenigstens die Möglichkeit offen,
daß auch die Uebereinstimmung zwischen Apuleius und Plu-
tarch einen ebenso zufälligen Charakter trägt ^''), wie dies
hinsichtlich des tatarischen Märchens wahrscheinlich ist.
*
Fassen wir nun den Inhalt der Charitenovelle folgender-
maßen zusammen : Ein junger Ehemann wird von einem ver-
räterischen Freunde auf der Jagd vom Gefolge fortgelockt und
hinterrücks durch einen Lanzenstoß ermordet. Der Mörder
verheimlicht seine Tat und spielt vor der Gattin des Toten,
welche bei der Schreckensnachricht in Ohnmacht gefallen ist,
den teilnehmenden Freund. Die verzweifelte Frau wünscht
sich den Tod: sie durchschaut aber den Täter, wird in ihrem
Verdacht durch ein Wunder bestärkt und beschließt nun zu
leben, um sich an dem Mörder zu rächen. Um ihr Ziel zu
erreichen, willigt sie sogar in eine neue Heirat und läßt ihren
*^) Auch der bekannte slaviscbe Märchenforscher J. P o 1 i v k a ,
der im Närodopisny Sbornik Ceskoslov. II p. 105 Nr. 3 den Inhalt des
tatarischen Märchens kurz wiedergibt, führt keine Parallelen dazu an.
— Doch Vf?]. unseren Nachtrag.
") Freilich neige auch ich mich eher der gegenteiligen Annahme zu.
Zu Apuleius' Novelle vom Tode der Charite. 545
Haß niemand merken ; durch List bringt sie ihren Feind end-
lich in ihre Gewalt und rächt sich eigenhändig blutig an ihm.
Hierauf erleidet sie selbst den Tod.
Was wir jetzt vor uns haben, ist in großen Zügen der
Inhalt der zweiten Hälfte des Nibelungenliedes. Bei
genauerem Zusehen lassen sich auch noch andere Ueberein-
stimmungen, freilich aber noch mehr Unterschiede feststellen.
Einiges davon sei hier aufgeführt.
Charite bangt um Tlepolemus' Leben, nee enmi Charite
maritiim simm qicaerere patiehatur bcstias armatas deute vel
cornu (c. 4); vgl. damit den Abschied Siegfrieds von Kriem-
hild im Nibelungenl. 86 1 — 868 (Lachm.): freilich ist Kriera-
hild von bösen Träumen geängstigt worden. — Die beabsich-
tigte Rehjagd verwandelt sich in eine Saujagd (c, 4). Nach
Nib. v. 854, 2 ist die Jagd der Helden gegen Bären und
Schweine, nach v. 859, 3.4 gegen Schweine, Bären und
Wisende gerichtet; sivei wildiu stvhi spielen in Kriemhilds
Traum eine Rolle (v. 864, 2). Siegfried tötet unter anderem
einen großen Eber (881. 882), wie Tlepolemus einen solchen
verwundet (c. 5). — Stark abweichend ist die Schilderung,
wie Hagen Siegfried entwaffnet und von seinem Gefolge ent-
fernt (913 — 921, vgl. c. 5). — Statt des einen Speerwurfs
in den Nibelungen haben wir bei Apuleius zwei Lanzenstiche
(c. 5, s. die Inhaltsübersicht) ; gegenüber c. 5 per femiis dex-
ierum dimisit lanceam vgl. den Todesstoß v. 922, 2 er schoz
in durch das criuze und v. 923, 1 den gvr im gen dem herzen
stehen er dö lie. — Zu dem dolor simulatus des Thrasyllus
(c. 6. 7) vgl. die Klagen Günthers um Siegfried (v. 933, 1.
982, 3). — C. 6 manus suae cidpam hestiae dahat : so schreiben
Siegfrieds Mörder seinen Tod Räubern zu v. 941, 3. 4. 986, 4.
— Die Ohnmacht der Charite (c 6): vgl. die zweimalige Ohn-
macht Kriemhilds 950. 1010. — Wie Tlepolemus' Begräbnis
toto feralem ponipam prosequente popido stattfindet (c. 6), wird
auch Siegfried mit großer Pracht beerdigt (989 — 1011, vgl.
bes. 995). — Die Trostlosigkeit der Heldin (c. 6—9): Nibel.
T. 990, 4. 1668. — Ein Selbstmordversuch, wie Ap. Met.
VIII 7, fehlt in den Nibelungen; doch bringt Kriemhild an
Siegfrieds Leiche drei Tage und drei Nächte an ezzen und an
Philologus LXVIII (N. F. XXII), i. '65
546 Walter Anderson,
irivJceJi wachend zn (v. 997, 1. 999, 1, vgl. c. 7 inedia misera) ; sie
selbst sagt darüber : tva^ oh got gehiidet daz mich ouch nimet
der tot? so wcere tvol verendet mm armer Kriemhilde not (v.
997, 3. 4). — Mit der wunderbaren Erscheinung des Tlepole-
mus c. 8 könnte man die Bahrrechtszene 984—986 vergleichen;
in beiden Fällen ahnt die Witwe schon früher, wer der wahre
Mörder ist (VIII 8, cf. v. 951, 4). — Der Racheentschluß (c. 9):
Nibel. 1195 sqq. 1331 sqq. — • Der scheinbaren Versöhnung
mit dem Feinde in der Kammasage entspricht in den Nibe-
lungen (außer v. 1334,2. 3 u. a.) bes. v. 1442,3: Hagnen hin
ich wccge. — Die an den Mörder gerichtete verräterische Ein-
ladung (c. 10) : Nib. 1355 sqq. — Kriemhild tötet Hagen mit
dem Schwerte ihres Gatten (Nib. 2309. 2310), wie Charite sich
mit demselben das Leben nimmt (c. 13. 14). — Die Freude
über die gelungene Rache (c. 13) : v. 2291, 3. — Der Selbst-
mord fehlt.
Als wir oben den Inhalt der apuleianischen Novelle kurz
zusammenfaßten, ließen wir absichtlich ein sehr wichtiges
Motiv weg, weil es eben in den Nibelungen fehlt : die Liebe
des Mörders zur Gattin seines Opfers, und damit die Veran-
lassung zum Morde. Dafür finden wir hier zwei andere Mo-
tive wieder, die wir in der sonst genau übereinstimmenden
tatarischen Erzählung vermißt haben : die Heldin ist Gattin
(nicht Braut oder Schwester) des Ermordeten, und ihre Rache
vollbringt sie nicht mit Gewalt, sondern mit List (nur ist
letztere natürlich nicht die gleiche, wie bei Apuleius oder
Plutarch). — Es verdient hervorgehoben zu werden, daß die
Kriemhildsage als Ganzes den beiden antiken Erzählungen
zwar ferner steht, als die tatarische Variante des kaukasischen
Märchens , aber beträchtlich näher, als dessen
tschetschenische Variante.
Nichts liegt mir ferner, als einen genetischen Zusammen-
hang der Nibelungensage mit der Charitenovelle (sei es nun
Urverwandtschaft, oder gar Entlehnung) behaupten zu wollen.
Ich beabsichtigte nur ein Beispiel dafür zu geben, wie ähn-
lich — selbst in Einzelheiten — die Erzeugnisse sein können,
welche die menschliche Phantasie zu verschiedenen Zeiten und
an verschiedenen Orten hervorbringt. Solche zufällige Ueber-
Zu Apuleius' Novelle vom Tode der Charite. 547
einstiirimungen können aber leicht zur unbegründeten Annahme
von Sagenverwandtschaften verführen ; hat doch auf diese
Weise ein namhafter pohlischer Philologe unlängst nicht
nur den Partonopeus de Blois, sondern auch den Schwanen-
ritter und selbst den Huon de Bordeaux für direkte Entleh-
nungen aus Apuleius' Amor und Psyche erklärt. —
Es bleibt uns jetzt noch die von Maaß aufgestellte und
von Bürger adoptierte Hypothese zu erwähnen übrig, die No-
velle des Apuleius sei eine Kontamination der euripideischen
Fassung der Protesilaossage mit der von Herodot
I 34 — 45 erzählten Atyslegende^"). Die üebereinstim-
mungen mit letzterer sind ziemlich oberflächlich : sie beschränken
sich darauf, daß auf einer Eberjagd ein junger Ehemann
durch den Speerwurf eines Jagdgefährten umkommt (und zwar
bei Herodot aus Zufall), und daß der reuige Mörder sich am
Grabe des Toten das Leben nimmt. Mit mehr Recht betont Maaß
die Aehnlichkeit mit der Protesilaossage : „ utramque enim Laoda-
miam et Chariten novam nuptam interempto marito mortui
imagine delectari, utrique coniugis umbram apparere, ut nova
matrimonia impediret, utramque fidem servaturam mortem sibi
consciscere"^^). Insbesondere die imagines defundi, quas ad
Jiabitum dei Liberi formaverat (Ap. Met, VHI 7) sind hier
charakteristisch -2). Die Entlehnung einzelner Motive aus-
Euripides ist für unsere Erzählung nicht unwahrscheinlich,,
aber eine eigentliche Kontamination beider erwähnten Sagen
und ihre Ergänzung durch den Kontaminator sind wir, im
Hinblick auf die Erzählung Plutarchs, nicht gezwungen an-
zunehmen.
20) Maaß p. IX— XV; Bürger p. 47sq. — Die Hypothese stützt
sich besonders auf Ap. Met. IV 26 sie ad instar Atyis yel Protesilai
dispestae dinturbataeque nuptiae. Doch ist Atyis nur Kiesslingsche Kon-
jektur für das handschriftliche attidis; Beroaldus las Äthracidis, wie
er auch für Protesilai Pirithoi einsetzte. Die Deutung wird dadurch
erschwert, daß die betr. Stelle sich auf die Entführung der Charite
durch Räuber bezieht. Vgl. Bürger p. 48 ^ und Hildebrands
Ausg. ad loc. — Auch W. Kling er, SkazoCnyje motivy v istorii
Herodota, Kiew 1903, p. 195 sq. leitet die Charitenovelle (wie es scheint,
von Maaß unabhängig) aus der Atyslegende ab.
21) Bürger p. 47 (nach Maaß p. XI sq.).
22) Ueber den bakchischen Charakter des Kults, den Laodameia
mit dem Bilde des Protesilaos treibt, vgl. M. Mayer, Hermes 20 (1885),
p. 114. 123 sqq., und Maaß p. X sq. — S. auch Türks Artikel , Pro-
tesilaos" in Roschers Lexikon.
35*
548 Walter Anderson,
Nachtrag.
Seitdem ich den vorliegenden Aufsatz abgeschlossen habe, sind mir
noch zwei weitere Fassungen des oben besprochenen kaukasischen
Märchens zugänglich geworden, welche beide von armenischen Er-
zählern stammen:
a. F. Macler, Revue des tradit. popul. 18 (1903), p. 506—516
Nr. 1 „Histoire des trois femmes" (der armen. Urtext ist von Arsene
in der Pariser Zeitschrift Anahit, Mai 1902, p. 107 — 112 veröftentlicht
worden). — Die Rahmengeschichte (Befehl des Königs von Ax-menien
alle Weiber in seinem Lande auszurotten) stimmt aufs genaueste zur
tatarischen Variante; nicht ganz so gut die Erzählung von der untreuen
Gattin (letztere tötet hier auf Verlangen ihres Liebhabers ihren Gemahl
und ihren fünfzehnjährigen Sohn, so daß es dem Liebhaber selbst
schließlich vor ihrer Verworfenheit graut). Auch die Geschichte, welche
der Vater des Ministers dem König erzählt, stimmt mit der tatarischen
Variante überein : Einst diente er dem Vater des Königs als Anführer
von 39 anderen Athleten; in 37 aufeinanderfolgenden Nächten ver-
schwanden fast alle seine Kameraden auf eine unerklärliche Weise. In
der nächsten Nacht hört der Anführer jemand an seine Tür pochen;
er geht hinaus, nachdem er zuvor auf den Rat seiner Frau seine voll-
ständige Rüstung angelegt hat. Ein junger schöner Reiter befiehlt
ihm zu folgen; unterwegs drückt der Athlet auf den Unbekannten zwei
Pfeile ab, doch scheint dieser seinen Angriff kaum zu beachten. Nach
mehreren Wochen kommen sie zu einer einsamen Kapelle, wo der Un-
bekannte absteigt und betet. Sie reiten weiter; es vergehen noch
einige Wochen, und endlich erreichen sie nachts eine in den Bergen
gelegene Höhle. Der Unbekannte begibt sich allein dorthin, der Ath-
let hört WafFengeräusch aus der Höhle schallen, und nach mehreren
Stunden kommt der Unbekannte leichtverwundet wieder hervor, Sie
reiten zur Kapelle zurück und treten beide hinein; der Athlet erblickt
vor sich einen Sarg mit dem einbalsamierten Leichnam eines Jünglings.
Der Unbekannte entledigt sich aller seiner Kleider, und es erweist sich,
daß er in Wirklichkeit ein junges Mädchen ist. Das Mädchen ver-
langt vom Athleten, er solle es enthaupten und in dem Sarge des
jungen Mannes bestatten; hierauf erzählt sie ihm ihre Geschichte.
„Le cadavre etait celui d'un jeune prince, fils d'un roi, qui avait ete
fiance ä la jeune fiUe, sept ans auparavant. La jeune hero'ine etait aussi
la fille d'un roi eloigne, et les habitants de la caverne etaient les sept
fils d'un autre roi avec leurs serviteurs. II y avait sept ans que la
jeune princesse etait fiancee, lorsque l'aine des sept freres voulut l'e-
pouser. De lä une guerre eclata entre les trois royaumes .... Enfin
les deux rois allies finissent par rester victorieux; mais le fiance de la
jeune fille meurt. Celle-ci, veuve avant d'avoir ete epouse, jure de ne
pas se marier. Le roi, pere des sept fils, est chasse de son tröne, et
les sept freres s'en vont avec leurs serviteurs dans un pays eloigne.
C'etait cette caverne qui leiir servait de residence, et ils vivaient de
brigandage. Apres avoir jure de ne pas se marier . . . la jeune princesse se
jura aussi ä elle-meme de venger son fiance. Elle s'habilla en homme . . .
et se mit ä courir le monde ä la recherche des sept freres." Die
Prinzessin wird vom Athleten getötet und bestattet. — Der König von
Armenien zieht seinen barbarischen Befehl gegen die Weiber zurück.
b. F. Mac 1er, Contes armeniens, Paris 1905, p. 114—119 Nr. 15
„Le bijoutier et sa femme" (armen. Urtext bei Karekin Servants-
tiants, Hamov Hodov, Konstantinop. 1884, p. 213). — Die Rahmen-
erzählung und die Geschichte der untreuen Gattin stimmen vollständig
Zu Apuleius' Novelle vom Tode der Charite. 549
mit der tatarischen Fassun» überein. Etwas abweichend ist der Ein-
gang der Geschichte, welche vom Vater des Veziers erzählt wird: Einst
verirrte er sich auf einer Jagd und begegnete dabei einem unbekann-
ten Reiter, welchen er angritf, doch ohne Erfolg : der Reiter zog ihn
auf sein Pferd hinüber und band ihn vorn an seinem eigenen Sattel
fest. Darauf reitet er mit ihm auf einen Friedhof, wo sich zwei offene
Gräber befinden. In der Nähe des Friedhofs befindet sich ein Palast;
der Unbekannte ersteigt dessen Mauer und wirft nach einiger Zeit von
oben einen enthaupteten Leichnam herab, welchen er hierauf zum Friedhof
schleift und hier mit Hilfe seines Gefangenen in dem einen der beiden
Gräber verscharrt. Dann erzählt er dem Vater des Veziers seine eigene
Geschichte: „Je suis une femme. J'aimais beaucoup mon mari. Mais
ce mauvais prince m'avait remarquee: il tua mon mari, espe'rant que
je l'epouserais. J'ai jure sur l'amour de mon mari de me venger en
tuant se miserable et en ensevelissant sa tete sous les pieds de mon
mari, puis de me tuer moi-meme pour etre enterree aupres de mon
epoux. Pour l'amour de Dieu, enterre-moi ici et raconte k tout le
monde ce que tu viens d'entendre". Hierauf tötet sie sich seibat. —
Der Herausgeber des ersten armenischen Märchens, Arsene (Pseu-
donym?), erklärt in einer besonderen Anmerkung (R. d.tr. pop. 18, p. 516):
,Ce conte se retrouve dans la litterature turque. On l'a assimile a un
evenement qui s'est passe du temps du sultan Mahmoud II. Mais il
est facile de voir qu'il n'est pas de date aussi recente et qu'il ne porte
nullement le cachet musulman . . . Comme j'ai entendu conter litte-
ralement par des paysans armeniens l'^histoire des trois femmes" dans
la plaine de Tsiraph etc. (es werden verschiedene Orte Armeniens auf-
gezählt) . . . je n'ai aucun doute sur l'origine armenienne de ce conte".
Durch den Inhalt dieser Anmerkung angeregt, wandte ich mich erst
an Herrn Prof. F. Macler, dann an die bekannten Folkloristen Herrn
Emm. Cosquin und Herrn Prof. V. Chauvin, doch erinnerte sich keiner
von ihnen Aveder einer türkischen, noch einer weiteren kaukasischen
Variante des betreiFenden Märchens begegnet zu sein.
Für eine wirkliche Rekonstruktion der Urform unseres Märchens
genügen zwar die uns jetzt bekannten vier Varianten (tat. tschetsch.
arm. a. b.) fast ebenso wenig wie die zwei schon früher behandelten,
doch lassen sich einige Vermutungen über diese Urform schon jetzt aufstel-
len. So gehörte zu derselben offenbar die Rahmenerzählung (tat. arm. a b.),
sowie wahrscheinlicherweise auch die Geschichte der untreuen Gattin
(tat. arm. b., vgl. auch a.) und die Erzählung vom Abenteuer des
Vaters des Veziers und von seinen ermordeten Kameraden (vgl. bes.
tat. arm. a.). Die Rächerin des Toten war in der Urform wohl nicht
seine Schwester (tschetsch.), sondern seine Braut (tat. arm. a.) oder
Gattin (arm. b.. vgl. Apul. Plut. Nibel.) ; das Motiv des Mordes wird
ursprünglich die Liebe des Mörders zur Erwählten seines Opfers ge-
wesen sein (tat. arm. a. b., vgl. Apul. Plut.).
Oben haben wir bemerkt, daß eine genetische Verwandtschaft des
kaukasischen Märchens mit den beiden antiken Erzählungen sich nur
dann irgend wahrscheinlich machen ließe, wenn man beweisen könnte,
daß die tatarische Variante die Urform desselben besser wiedergebe,
als die tschetschenische. DieseBedingung scheint sich nun
in der Tat erfüllen zu wollen, denn die beiden neuen arme-
nischen Varianten schließen sich durchaus an die tatarische an, und
wenn wir den Worten des Herrn Arsene Glauben schenken wollen,
so können wir dasselbe auch von den übrigen Varianten annehmen,
welche er an den verschiedenen von ihm aufgezählten Orten Armeniens
gehört hat.
Kasan. Walter Anderson.
XXVI.
Glossen aus Cassius Felix.
In seinem Werke „der Vokalisraus des Vulgärlateins"
(Leipzig 1866 ff.) sagt Scliuchardt in der Einleitung S. 4: „die
Benützung der alten Glossarien ist äußerst erschwert, indem
mittelalterliche und neuere Konjekturenschmiede die Dunkel-
heit altertümlicher, gemeiner und barbarischer Wörter, welche
die alten Glossatoren zu lichten suchten, oft bis zur ündurch-
dringlichkeit verdichtet haben". Wer sich je einmal ein-
gehender mit Glossen beschäftigte, wird auch heute noch trotz
der glänzenden Arbeiten auf diesem Gebiete^), wie sie beson-
ders G. Götz lieferte, dieser Ansicht beipflichten müssen. Die
Behauptung ist nicht zu gewagt, daß unter den gegebenen
Verhältnissen Glossenkritik, das Wort im weitesten Sinne
genommen, mit zu den schwierigsten Problemen der Philologie
gehört. Gerade aber dieser Umstand verleiht den Unter-
suchungen auf diesem weiten, fast alle philologischen Diszi-
plinen umfassenden Felde einen gewissen Reiz und sichert
eine — wohlwollende Beurteilung.
Wollen wir Ordnung in den „Wust der Glossen" bringen,
so ist der erste und beste Weg hiezu, die Quellen der Glossa-
rien aufzusuchen und ihnen nachzuspüren. Vielfach ist dies
geschehen, noch lange aber nicht hinreichend, besonders noch
nicht bei denjenigen antiken Autoren, deren Studium immer noch
auf einen kleinen Kreis beschränkt ist: bei den medizinischen
1) Vgl. u. a. P. Weßner, Bericht über die Erscheinunoren auf
dem Gebiete der lat. Grammatiker mit Einschluß der Scholienliteratur
und Glossographie für 1901 — 1907 in Bursian's Jahresber. über die Fort-
achritte d. kl. Altertumswiss. Jahrg. 36 Bd. 139 (1908) S. 195—206.
Persönlich fühle ich mich für manchen wertvollen Rat Hr. Dr. W.
B a n n i e r , Mitarbeiter am Thes. ling. Lat., zum Danke verpflichtet.
Otto Probst, Glossen aus Cassius Felix. 55 1
und naturwissenschaftlichen. Sehr erschwert allerdings wird
die Arbeit, weil wir zu einer ganzen IJeihe dieser Fachschrift-
steller keine genügenden Ausgaben haben. Für Cassius
Felix, dessen Fortleben in den Glossen im nachstehenden
gezeigt wird, trifft dieser Vorwurf nicht zu. Daß die Schrift
dieses afrikanischen Arztes mit ihren zahlreichen Erklärungen
griechischer Bezeichnungen für die Glossatoren eine reiche
Fundgrube abgab, war wohl von vornherein anzunehmen; doch
konnte V. Rose, der Herausgeber der „medicina" des C. F.,
hiefür keine Belege erbringen, weil die Sammlung der Glossen
erst viele Jahre nach Erscheinen der Rose'schen Ausgabe (1879)
bequem zugänglich gemacht wurde.
Ganz besonders auffällig ist das Abhängigkeitsverhältnis
eines Teiles der Hermenenmata cod. Vatic. 1260 saec. X (im
Corp. Gloss. ed. Götz vol. IlT p. 549 sqq.) von dem Werkchen
des C. F. Diese vatikanische Handschrift enthält unter an-
derem (vgl, Götz 1. c. p. XXXV) eine Reihe von medizinisch-
botanischen Glossen und in einem Abschnitte (bei Götz 1. c.
pars IV p. 596 sqq.) eine ganze Anzahl von Interpretamenten
zu medizinischen Termini, Krankheitsnamen u. ä., die wegen
ihrer manchmal geradezu verblüffenden Aehnlichkeit mit dem
Texte des C. F. nur aus diesem stammen können. Zwei aus-
führlicher behandelte Beispiele mögen die Richtigkeit dieser
Annahme erhärten!
Bei C. F. liest man cap. 14 p. 21,6: labia hiantia sive
crispata chile caterrogota (caterrogata codd.) vocant und in
dem angeführten Glossar (Gloss. Hl) p, 602,35 laviancia'ter
rogiata; hiezu p. 599, 12 cilica terrogi. Es folgt dann cata
elenfanciosus ohne Erklärung. Natürlich gehört cata noch zu
terrogi [c]ata. Ohne weiteres ist klar, daß die eigentlich zu-
sammengehörigen Glossen von einem gedankenlosen Glossator
getrennt wurden und so die reinste Proteusgestalt annahmen.
„Falsches Trennen und Zusammenschreiben der Wörter ist
ein charakteristisches Merkmal der Glossen. " Aufgelöst lauten
sie einfach: „labia hiantia • <(ca)terrogota (sc. chile)" und „chile.
caterrogota" (= X^-^^ xaTeppw^ota).
Oder wenn Gloss. III p. 603, 36 lautet : „officidata aqua
cum naturali colore", so ist an diesem Rätselwort „officidata*
552 Otto Probst,
jede Silbe ein Rätsel. Diese Glosse gehört eben zu jenen
vielen, deren „genauen Wortlaut wir nur dann feststellen kön-
nen, wenn wir ihre Quellen kennen". Mit Konjekturen und
Emendationen läßt sich so einem Worte nicht beikommen.
Der größten einer unter den Philologen, Buecheler, machte
den Vorschlag „oxidiata" zu schreiben — gewiß eine beach-
tenswerte Verbesserung, aber durch die Konstatierung der
Quelle, aus der die Glosse stammt, hinfällig. Aphäresen,
VerSchreibungen, Vokaländerungen ^) u. dergl. verleihen eben
dem bekanntesten Worte recht häufig eine kaum wieder er-
kennbare Gestalt und Form. Wer glaubte, daß „officidata"
nichts anderes ist als <(aut)>ofye idata (== adtocpuf] vdxxa)?
Beleg C. F. cap. 46 p. 120,11: utendum etiam aquis calidis
naturali calore plantatis, nam Graeci autofye idata (ä offies
data cod. p) vocant. Ist aber die Quelle entdeckt, so korri-
gieren sich gewisse Mängel in der üeberlieferung der Glossen
von selbst. So wird auch bei dem gewählten Beispiele das an
sich unverfängliche Interpretament „cum naturali colore" rich-
tiggestellt durch den bei C. F. gesicherten Text, der zutref-
fender „calore" wiedergibt.
Im folgenden werden die einzelnen Parallelstellen angegeben ohne
weitere Erklärungen; wo eine Erläuterung unumgänglich schien, ist sie
auf das Notwendigste beschränkt. Ausdrücklich betont sei , daß es
nicht in der Absicht dieser Arbeit liegen kann, das Handschriftenver-
hältnis zwischen CF und den einschlägigen Glossen darzutun. Dazu
müßten vor allem die Beziehunj^ren der CF-Codices unter sich — Rose
kannte nur drei, über den vierten, einen cod. Vatic, berichtet kurz
Köhler in „Handschriften röm. Mediziner" (Hermes 18 S. 392 ff.) —
gründlich untersucht werden. In vereinzelten Fällen jedoch läßt sich
eine Berücksichtigung der handschriftlichen Varianten nicht umgehen,
weil es des öfteren nicht unwahrscheinlich scheint, daß der Glossator
und die eine oder andere der CF-handschriften'), besonders der S. Gal-
lenercodex {g; saec. XI) den gleichen Archetypus zur Vorlage hatten.
Ob diese Annahme zu einem beweiskräftigen Resultate führt, wird eine
spätere Untersuchung zeigen.
^) Vertauschungen und Verwechslungen von c und t, u und b, i
und e etc. sind bekanntlich in allen, besonders aber in Glossenhand-
schriften so häufig, daß eine regelmäßige Schreibung zu den Ausnahmen
gehört. Für sprachliche Schlüsse ist daher größte Vorsicht bei Ausbeu-
tung der Glossen nötig; denn „das Lautliche derjenigen Glossen, welche
lat. Wörter in die fremde Sprache oder umgekehrt übersetzen, ist nur
zufälliger Nebenumstand " (Schuchardt a. a. 0.).
^) Zur Abkürzung der codd. siehe Roses Ausgabe p. VIII.
Glossen aus Cassius Felix.
553
Gloss. III
p. 596, 10 a] rania: ersipela
minor milio sinülis in ciite. cf. p.
600,23 erpinas: aranea*).
p. 596, 11 abile (habile Götz):
pletoricum cf. p. 604, 24 pletorum :
corpus suci planus (!)
p. 597, 6 acoras : icar ^) (Ixwp
Götz) cf. p. 598, 35 < a) coras : ti-
neas capitis.
p. 597, 10 aqua timentis: ydro-
pici.
p. 597,13 attonia^): debilitas
visicae, quae urinam continere non
potest.
p. 597, 15 alfus melenis: ma-
culae nigrae.
p. 597, 18 aederion (cxSöpiov?
Götz; atherion = atheroma Bue-
eheler) -. caracteras cf. p. 598, 28
caracteras. macularum in vultu
mulierum ostensum et cf. p. 605, 29
Stigmata: aederion.
p. 597, 19 apostema: collectio
vel vulneratio ex malis humoribus.
p. 597, 20 <(di)aquilon fasci-
mentum.
p. 597, 22 agrocordanas : ver-
rucas.
Cass. Fei.
cap. 25 p. 42, 5 sqq. araneas
Graeci a serpenrlo qnod herpin (her-
penas g) dicunt herpetas dicunt
.... est et aliud genus herpetis
(herpentis gp) . . . si quidem in
superficie cutis pustulas minutas mi-
lio siiniles ostendit, quam Latini
araneam verrinam (ranea vermia
c) vocant. in curationibus autera
similiter ut erysipelata superius cu-
rabis.
cap. 88 p. 84, 16 et plethoricum
corpus habuerint aegrotantes, quod
nos latino sermone abundahüe (ha-
bile gp) dicimus sive multitudine
suci plenum.
cap. 2 p. 10, 6 tineas capitis
Graeci achoras vocaverunt. emer-
gunt frequenter in corio capitis eqs.
cap. 57 p. 166, 9 bydrofobici
. . . i. e. aquam timentes.
cap. 46 p. 117, 1 si vero atonia
fuerit vesicae i. e. debilitas, subito
urinae egerendae delectationem pa-
tiuntur.
cap. 9 p. 16, 7 maculas nigras
Graeci alpbus melaenas vocant.
cap. 13 p. 20, 15 Stigmata di-
cuntur characteres nominati, quos
militantium manus vel feminarum'')
Maurarum vultiis ostendit. tollun-
tur vero periculose medicamento
discoriatorio quod Graeci ecdorion
(sie g) vopant.
cap. 18 p. 25, 20 collectiones
Graeci apostemata vocant.
cf. cap. 38 p. 85, 11 cerotarium
ex diaquilon (sie g) confectum.
cap. 12 p. 19, 17 secundum
Graecos tres differentias habere
Verrucae ostenduntur, nam dicun-
tur acrochordones (acrocordanas
9)-- ■
*) Ueber das wiederholte Vorkommen ein und derselben Glosse, oft
in verschiedener Schreibung, in ein und demselben Glossar, vgl. P r o -
kowskij. Zum Thes gloss. emend. von G. Götz im Archiv f. lat.
Lexicogr. 15 (1908) S. 125.
^) icar ist natürlich hier nichts anderes als i(n) cor(io); dagegen
bleibt p. 601, 38 icar: tibel {cf. p. 606, 3-2) nach wie vor rätselhaft.
Oder sollte etwa „in corio tubercula" zu lesen sein?
*) cf. Carl Theander, AA glossarum commentarioli (üpsaliae
1907) p 31 und CF. cap. 42 p. 102, 21.
') Vgl. hiezu Tertull. de cult. fem. 6.
554
Otto Probst,
p. 597, 25 asmaticus: calor
pectoris vel suspiriosus cf. p. 605, 26
suspiriosi qui cum labore alenant
(= anhelant ; hanelant a).
p. 597, 26 agresian. i. tempe-
rantia temporis.
p. 597,29 antracas: carbuneu-
lus.
p. 597, 30 alfus leucus : macu-
las albas.
p. 597, 33 anadrom : matricia
ascensio.
p. 597, 34 acinestafile: garga-
rion cf. p. 600, 26 epiclosis : uva
et p. 601, 32 gargarion: epiclosis *).
p. 597, 36 apoferasis (apofere-
sis a ; ditocpöpyjatg Götz) : secundatio
(z= secunda detractrio sanguinis).
p. 597, 38 anhelitum : qui de
aliena laborant. cf. p. 603, 29 or-
totnpnia: anhelitum.
p. 597, 45 alumen lipari : alu-
cap. 41 p. 93, 20 asmatici di-
cuntur latino sermone anhelosi vel
suspiriosi.
cap. 6 p. 13, 12 cantabries emer-
git frequenter ex . . . intemperan-
tia corporis quam Graeci acrasian
vocant.
cap. 22 p. 37, 15 carbunculi
quos Graeci anthraces vocant.
cap. 8 p. 15, 4 maculas albas
Graeci alphus leucas vocaverunt.
cap. 77 p. 188, 18 ad matricis
adscensum (adscensü c) . . . quem
Graeci anadromen (anadroiii p) di-
cunt.
cap. 35 p. 75, 9 si ttva fuerit
rotunda in similitudinem acinae,
stafyle (stafile gp) a Graecis apel-
latur, quam nos uvam dicimus ....
identidem si grossa vel vastior fu-
cerit . . . gargareon appellatur.
cap. 36 p. 79, 7 ut secundam
detractionem facias, quam epafe-
resin (sie g, apoforasim c, epafa-
rasin p) vocant. cf. cap. 24 p. 40, 15.
cap. 43 p. 106, 5 spleneticis et
orthopnoicis i. e. is (his p) qui ab
splene anhelitum patiuntur.
cap. 48 p. 125, 14 aluminis li-
8) Vgl. 0. Probst, 'Eu'.yXcüoais in Glotta 2 (1909) S. 112. Auf
Niedermanns in der gleichen Zeitschrift S. 169 erschienene Ab-
lehnung meines Vorschlages in der Glosse GGL III 597,2 anaprosis .i.
tortionis vel rugitus inter cutem et ipiclo letzteres Wort als kni.-
YXü)<^aai3a)> zu lesen, habe'ich kurz folgendes zu erwidern: das im gleichen
Glossar öfter mit uva interpretierte epiclo gab und giebt mir das Recht
meinen Vorschlag aufrecht zu erhalten. Daran ändert auch nichts,
daß Niedermann der Ansicht ist, tortionis „Krämpfe" werde speziell
vom Grimmen gesagt und rugitus bedeute „Knurren, Kollern im Leibe".
Ich habe ja diese Bedeutung nie bestritten. Aber daß Mediziner diese
Wörter auch anders gebrauchten, dafür zwei Belege: Oribas. syn. 5, 15
(ed. Bussemaker-Daremberg tom. VI p. 54) de fragoso rugitum faucium
eqs. und Hippocr. progn. 11 (ed. Kühlewein, Hermes 25) qui ex prae-
cordiis sunt dohres et tortiones oris? Wenn Niedermann ferner meint,
ich hätte die Glosse GGL III 600, 38 epido: inter ventrem et umbilicum
übersehen, so trifft das nicht zu. Denn ich habe für dieses epido eine
Erklärung schon längst gefunden, nämlich epido ^ et peritonaeon.
Als Beweis für die Richtigkeit dieser Auflösung führe ich die Leseart
des cod. c zu CF cap 51 p. 131,7 an, woselbst et pitonea überliefert
ist. Und hätte mich die Erwägung, daß ipiclo besser mit epiclo als
mit epido — paläographisch ist natürlich beides möglich — in Zusam-
menhang zu bringen ist, nicht zu meinem Vorschlage gebracht, so
hätte ich den schönsten Beleg für die Verbindung inter cutem et epido
gefunden gehabt. Was Niedermann sonst noch anführt, ist zu proble-
matisch als daß darauf hier näher eingegangen werden könnte.
Glossen aus Cassius Felix.
men liquidns cf. p. 602, 43 lipari :
alumen liquidus.
p. 598, 23 colfus»): sinus cf.
p. 605, 25 sinus : ulcus [et p, 6U6, 47
ulcus : petigines altitudines pesti-
feras].
p. 598, 28 ciradas: glandiolae
quae circa collum et in inguinibus
nasci solent.
p. 598, 29 cacoetis : parotidas *")
aliae curabiles.
p. 598, 32 cacoquemia: fialtis")
[cf. p. 601, 8 fialtis, quae in cibo
vexantur pro indigestione vel cru-
datione ciborum. i. incortione].
p. 598, 42 colicus : dolor inte-
stini maioris.
p. 599, 5 croniotis : morbus re-
gius sine febre cf. p 601, 35") et
p. 603,6 inorbo regium: ictericum
et p. 603, 35 oxitis : ictoricus cum
febre.
p. 599, 35 diabitis : acceptum
potum qui atatim per urinam reiec-
tant.
p. 599, 37 devilitatio : capillo-
rum defluxio vel aliis membris.
p. 599,43 diatoncilidanon: me-
dicamen ex hirundinibus factum.
pari i. e. liquidi -^ singulas et se-
mis.
cap. 19 p. 28,9 pendigines sive
sinus üraeci colpus (colfus g, col-
foajj) vocaverunt. contingunt fre-
quenter quotiens uleera vel aposte-
mata . . . mala positione sanata
(fuerint).
cf. cap. 26 p. 43, 6.
cap. 17 p, 24, 6 parotides . . .
eveniunt frequenter in aegritudini-
bus malignis quas Graeci cacoe-
thes appellant.
cf. cap. 42 p. 100, 8 cacoqui-
miam (g).
cap. 51 p. 130, 19 est autem
colica passio tumor cum ingenti
dolore totius ipaius intestini.
cap. 49 p. 128, 14 icterici di-
cuntur morbo regio laborantes . . .
et sunt ictericorum distantiae duae,
una cum febricula et appellatur a
Graecis oxites {sie c) i. e. acuta,
altera sine febre diuturna, quae
appellatur cbronites (croniotes p).
cap. 46 p. 116, 10 diabetes, si-
quidem mox potione accepta per
urinales vias . . . descendat. (reiec-
tatio ist häufig bei CF.)
cap. 4 p. 11,21 defluxio capil-
lorum contingit ex debilitate (de-
bilitatione c) corporis.
cap. 37 p. 82, 20 inlinimentum,
quod appellant dia ton chelidonon
i. e. ex hirundinibus.
®) Vgl. zur Schreibung „colfus" Gröber, Archiv f. lat. Lexicogr.
7 (1902) S. 522.
1») Vgl. C. Theander a. a. 0. S. 55.
") Wo mag diese Stelle wohl her sein? Vergleicht man Oribas.
syn. 2 (ed. Bussemaker-Daremberg tom. VI p. 205) oder Cael. Aur.
chron. 1, 3, 54, so ist nirgends die Aehnlichkeit so groß, daß die Glosse
aus den genannten Autoren sein könnte oder müßte. Ob CF nicht
auch ein Kapitel über den „IcfiäXxTjs" (Alpdrücken) geschrieben hatte?
An etlichen Stellen macht es den Eindruck, als ob vom Texte des afri-
kanischen Arztes manches verloren ging. Einen strikten Beweis für
diese Vermutung kann ich allerdings vorerst noch nicht erbringen ; aber
vielleicht gelingt es mir doch noch. Man vergl. nur cap. 3 p 11,
cap. 69 und 70 p. 168, die im Verhältnis zu den übrigen durchaus den
Verdacht der ünvollständigkeit rechtfertigen.
*^) Wegen der in dieser Glosse vorkommenden Schreibung erugino-
sus = auruginosus vgl. Niedermann, Contributions a la critique
et ä l'explication des gloses latines (Neuchätel 1905) p. 25.
556
Otto Probst,
p. 599, 46 dipsnia ortopniae
{siehe oben untei- anhelitum).
p. 599, 48 deseruntas : linuntas.
p. 599,53 diacrisma: illinimen-
tum,
p. 600, 2 deacarto medicam.
p. 600, 6 edropicus: inflatus
edropicorum cauaae sunt III eqs.
p. 600,11 edram: podicem.
p. 600,12 evisnomem: prori-
ginem.
p. 600, 13 elmingus: lumbricus
longus in homine.
p. 600, 18 emotoicus: qui san-
guinem reici[un]t.
p. 600, 19 enema .i. eiectio.
p. 600, 22 epelemsia: subita
insensatio et cadens cum spuma-
tione et rapto membrorum.
p. 600, 27 enprostotonus : men-
tum qui pectus habet infixum.
p. 600,28 eotropas: ragadas.
p. 600, 31 empiema encatalem-
p. 600, 33 ersipela: ignisacer
[cf. p. 601,43 ignis acer: epulatio'^)
pustularuni circa cutem].
p. 600, 49 egilopas : fistola se-
cus oculun nata cf. p. 606, 23
(lis)tolas .i. aegilopas ei p. 598, 21
cademopie: fistula et p. 605, 5 si-
ringias: cademopia.
p. 601, 15 fitiriasis: cantabriem.
cap. 41 p. 94, 1 dypsnia a Grae-
cis dicitur i. e. difficultas respira-
tionis et orthopnia aliter dicitur.
cap. 45 p. 113, 11 calculosi quos
lithiontas vocant et minctus diffi-
cultate laborantibus, quos dysurun-
tas vocant.
cap. 35 p. 76, 21 diachrisma
. . . i. e. inlinimentum. cap. 37
p. 82. 20.
cap. 22 p. 38, 14 dia cbartu
(diacartu g) medicamentura.
cf. cap. 76.
cap. 74 p. 178. 5 in sessu, quem
Graeci edran (edram p) vocant,
diversa podicis vitia efficinntur.
cap. 16 p. 23, 2 pruriginem
omnem Graeci cnesmonen vocant.
cap. 72 p. 172, 17 lumbrici
quos Graeci elminthas dicunt.
cap. 39 p. 85, 17 emoptyicos
(emotoicos p) Latini sanguinem
spuentes appellant cf. ib. p. 86, 2.
cap. 51 p. 132, 25 enema i. e.
iniectio.
cap. 71 p. 168, 16 est autem
epilepsia (epilensia cp) subitus cor-
poris casus cum spumatione et
raptu membrorum efFectus.
cap. 28 p. 84, 2 emprosthoto-
no8 . . . ut etiam mentum fixum
pectori videatur.
cap 74 p. 179, 1 ad condylo-
mata et ragadas , , ., quas Graeci
ectropas (hec tropas c, ecpas p) vo-
cant.
cap. 21 p. 32, 20 empyemata
dicuntur collectiones sive aposte-
mata occulta atque visu carentia
vel absconsa . . . : nam Graeci en
catacalypsi (en catalypsin gp) vo-
cant.
cap. 24 p 40, 6 ignis sacer
(acer g) . . . a. Graecis erysipelas
(erisipilas codd.) appellatiir.
cap. 20 p. 32, 11 ad universas
fistulas vel ante oculum aegilopas
(egilopas cp). cap. 20 p. 30,6 fistu-
las Graeci syringas appellant.
cap. 6 p. 13, 10 cantabriem
Graeci pityriasin vocant.
*^) Vgl. hiezu Einar Löfstedt, Kritische Miszellen in Eranos 7
p. 10.
Glossen aus Cassius Felix.
557
p. 601, 21 fitisis : ulceratio pul-
monum vel toracis cf. p. H06, 27
tisica passio : vulneratio pulmonis
cum defluxione corporis.
p. 601,36 ichinieda: pernionis
cf. p. 604, 7 pernionis: aiticulo-
rum dolor vel digitorum.
p. 602, 14 idima: iniiatio in
facie aquosa.
p. 602, 15 ilius: tumor vel im-
plicatio sentinarum.
p. e02, 16 idrolio: aqua cum
oleo c/. p. 602, 21 idrolion: vinum
cum oleo mixtum.
p. 602, 31 lienteria eqs. ; cf. p.
600, 8 elienteria etc.
p. 602, o3 lipidasmin squamo-
sa (= lipidas: (scab)iem squamo-
8a(m))cf. p. 605, 34 squamosa Sca-
bies: —
p. 602, 36 liptusmia: lassitudo.
p. 602, 38 licinas : zernas ")
cf. p. 607, 6 zernas : derbitas.
p. 603, 1 melancolicus : inun-
datio ni&dinum fellis.
p. 603, 11 massuminon: masti-
gaturium.
p. 603,38 ozenas: mala habi-
tudo in naribus; cf. p. 601, 24 fe-
tor: pessimus odor et p. 604, 22
polipum ozenas.
p. 603, 44 oxalmen : acetum et
sal mixtum.
p. 604, 3 poliesmus: pluriraum
et habundanter fluor sanguinis cum
largo cursu.
p. 604,4 pissada .i. sciada.
cap. 40 p. 90, 8 est autem
pthisica passio ulceratio pulmonis
et thoracis cum defluxione corporis.
cap. 10 p. 18, 3 Latini pernio-
nes . . . Graeci vero chimetla di-
cunt eqs.
cap. 75 p. 179, 11 antiqui seu
veteres medici dicunt esse ideraa,
quod nos aquosam inflationem di-
cimus.
cap. 51 p. 131, 15 ileos . . .
molesta cum . . . omnium intesti-
norum tumore distentio cum tor-
tione.
cap. 54 p. 140, 15 ex ydrelaeo
(idroleo c) calido i. e. ex aqua ca-
lida et oleo admixto modico sale
cf. cap. 65 p. 158, 25.
cap. 48 p. 124, 19.
cap. 15 p. 21, 17 scabiem
squamosam dicimus, siquidem cor-
ticosas squamulas in cute osten-
dunt, quas Graeci lepidas vocant.
cf. cap. 21 p. 33, 14 cum in-
genti animi defectu quem lipothy-
miam vocant.
cap. 11 p. 19, 2 impetigines,
quas Graeci lichenas vocant, La-
tini vulgo zernas appellant.
cap. 9 p. 16, 11 ex melancho-
lico (1. 13 melancolicum^j) humore
efficiuntur i. e. ex nigri fellis red-
undantia.
cap. 32 p. 64, 5 apoflegmatis-
mum raasticatoriuni . . . adhibere,
quem Graeci masomenon vocant.
cap. 31 p. 62, 15 polypum et
ozenas , quas nos fetores narium
dicimus.
cap. 20 p. 30, 22 in aceto salso
. . . quod Graeci oxalmen vocant.
cap. 6 p. 14, 1 si aetate iave-
nes fuerint patientes et secundum
naturara plurimo sanguine abunda-
verint, quos Graeci polyemos (po-
lieöis c) vocant.
cap. 53 p. 137, 13 ad ischiadi-
cam et psiadicam (ad aciaticam et
psiaticam c ; ad sciada et paiada
index p).
1*) Vgl. W. Heraeus, Archiv 14 (1906) S. 119.
558
Otto Probst,
p. 604, 45 ragadas: diversa
vitia ani maxime in sanguinis flu-
p. 605. 6 stranguiria quae par-
vas cum dolore per urinam guttas
emittunt.
p. 605, 13 scotomatice graece
girus dicitur . i . vertigines nigras
patiuntur et cadunt '").
p. 605, 16 sclero duria(= scle-
ro(sin): duri(ti)ain) cf. p. 605, 27
scirosis: duritia sine dolore.
p. 605, 18 siadica eqs.
p. 605, 22 scerobeta : tussis sic-
p. 605, 40 scuria: per quam in
totum denegatur urina.
p. 606, 8 scruas: unde glando-
lae nascLintur.
p. 606, 16 structio litargicus.
p. 606, 17 sincopen: cardiacus.
p. 606, 28 terarizos: dentium
dolor.
p. 606, 29 trasin : peduculuB.
p. 606, 31 trociscus: rotulus.
p. 606, 38 tonotica (! sc. epi-
thima): confortatoria [vel sitim tol-
len dam].
p. 606, 41 tarmicum : sternu-
tatio naris.
cap. 74 p. 178, 6 diversa po-
dicis vitia . . . ut sunt ragades.
( Wegen des Ausdruckes in sangui-
nis fluxum vgl. 2. B. cap. 82 p.
193, 8).
cap. 46 p. 115, 15 stranguiria
i. e. urinae paulatim per guttas
exchisio (vgl. cap. 48 p. 122, 12
rasuras cum gutta sanguinis emit-
tunt).
cap. 71 p. 171, 14 trociscus
<conveniens^ scotomaticis i. e. qui
subito ante oculos tenebras pati-
untur et spiritu inflatis epilepticis.
cap. 43 p. 108, 13 ad duritiam
splenis vel saxietatem, quamGraeci
scirrosin (sclirosin j)) dicunt.
cf. cap. 52 et 53.
cap. 34 p. 72, 4 tussis arida
{sie c, sicca p) a Graecis xerobeches
appellatur.
cap. 46 p. 115, 13 ischuria (scu-
ria cp) i. e. ex toto urinae absti-
nentia.
cap. 26 p. 42, 2.
cap. 63 p. 156, 12 sternutatio
spissa ex euforbio vel struthio . , .
excitat lethargicos.
cap. 64 p. 157, 3 aliquanti . . .
hanc passionem {sc. cardiacam) sjn-
copen appellaverunt.
cap. 32 p. 63, 18 efficiuntur
dentium dolores . . ., ut etiam ipsi
dentes cavernentur, maxime ille
maiores vel molares, qui quattuor
radicibus fixi esse noscuntur, quos
Graeci tetrarizus {sie c, tetrarizos
p) vocant.
cap. 3 p. 11, 14 pediculosa (pe-
duculosa g) passio . . . quam Graeci
ptbiriasin (pyasin g; ptiriasin p)
vocant.
cap. 32 p. 64, 8 rotulas finge»,
quas Graeci trociscos vocant.
cf. cap. 42 p. 97, 6 epithima
tonoticon ... i. e. confortatorium.
cap. 71 p. 171,6 ptarmico me-
dicamento i. e. sternutatorio nares
. . . apoflegmatizabis.
'") Diese Glosse zeigt deutlich die Arbeitsweise der Glossatoren;
denn das Interpretament graece giriis dicitur bezieht sich auf trociscus
(vgl. p. 601,30 girus: circulus und den Beleg aus CF zu p. 606, 31)
und hat mit der Krankheitserklärung selbst nichts zu tun.
Glossen aus Cassius Felix. 559
p. 606, 43 topicis: localibus cap. 31 p. 63,8 topicis medi-
propriis. camentis i. e. localibus proprie
ipsis in locis uteris.
p. 607,3 vitriola: dragantus. cap. 11 p, 19,10 trociscus li-
chenicos . . . i-ecipit . . . chalcanthi,
lepidos aeraminis etc. {supra verba
leg. 'Aev-p" scripsit i. vitriolum!) '*).
Mehr als ein weitschweifiger Kommentar sprechen die in
Parallele gesetzten Beispiele für das Abhängigkeitsverhältnis
des behandelten Glossarteiles vom Texte des C. F, Mit dieser
Konstatierung ist der Zweck der vorliegenden Arbeit erreicht.
Zum Schlüsse sei nur noch bemerkt, daß absichtlich
alle Stellen unberücksichtigt blieben, für die Belege aus an-
deren Medizinern und besonders aus Isidor leicht zu erbringen
sind ^'^). Z. B. ist die Quelle der Glosse „chronia (p. 598,37):
veteris causa<(e) " ein Excerpt aus dem in den Glossen oft ver-
wendeten Cael. Aur. (ed. Daremberg in Janus 2 p. 479) : veteres
vero causae, quae cronia graece dicuntur. Selbstverständlich
bleibt noch eine ganze Reihe von Wörtern bis auf weiteres,
wenn nicht für immer, unerklärt. Das ist eben das Mißliche
bei Quellenuntersuchungen zu den Glossen, daß der Suchende
so äußerst selten zu einem vollauf befriedigenden, endgültig
abschließenden Resultate kommt — at voluisse sat est,
Bamberg. Otto Frohst.
^*) Diese im Text sich findende Interlinearglosse ist für das Verhältnis,
in dem die CF. und Glossenhandschriften stehen, von besonderer Wich-
tigkeit.
'') Zu den ganz wenigen Stellen, die möglicherweise nicht aus
Medizinern stammen, möchte ich rechnen p. 604, 14 pranton : virga
viralis (c/". p. 606, 51 veretrum: pranton). „Pranton" scheint doch nichts
anderes zu sein als TxapO-evia oder Tiap&dvtov : veretrum, virgiualia (was
der Abschreiber virga viralis auflöste).
XXVII.
Noch einmal de Divinatione.
Daß Cicero's Hauptquellen in den zwei Büchern de divi-
natione Posidonius, Clitomachus und Pauaetius gewesen sind,
wird heute nicht mehr in Zweifel gezogen.
Freilich ist eine ganz andere Ansicht von Hoyer geäußert
worden im Rh. Mus. LIII pag. 54 ff. (anno 1896) doch werden
seine Willkürlichkeiten kaum haltbar erscheinen nach meiner
Widerlegung. (Qtiaestiones ad Ciceronis de divinatione libros
diios pertinentes. S. 29 und 38 anno 1906).
Es sind aber keineswegs alle darüber einig, welche Par-
tieen im ersten Buche Cicero dem Posidonius verdankt. So
behauptet Schiebe {de fontibus librorum Ciceronis qui sunt
de divinatione Q.nno \^lh)^ es seien neben Posidonius im ersten
Buche auch Clitomachus, Cratippus und Panaetius von Cicero
benutzt worden, während Hartfelder die Ansicht geltend
macht (die Quellen von Cicero's zwei Büchern de
divinatione anno 1875) daß neben Posidonius nur Cratippus
im Hb. I Quelle war — abgesehen natürlich von römischen
Schriftstellern.
Nun möchte es allerdings nicht angebracht erscheinen
mich abermals über diesem Punkte zu verbreiten, da ich
schoninmeiner obengenannten Dissertation nachgewiesen habe,
oder wenigstens nachzuweisen erstrebt habe, daß Clitomachus und
Panaetius nur im zweiten Buche benutzt, die Cratippeischen
Lehrsätze aber (I 70 und 71) von Cieero ebenso dem Posido-
nius entnommen sind, obgleich M. Pohlenz dieses verneint
(Berl. Phil. Wochenschr. 18. Jan. 1908). Es scheint mir aber
erstens eine Tatsache bisher außer Acht gelassen zu sein,
welche eine weitere Stütze für meine Hypothese bildet. So-
D. Heeringa, Noch einmal de Divinatione. 561
dann ist von Sander (Quaestiones de Ciceronis lihris quos
scripsit de Divinatione 1908) eine teilweise neue Ansicht auf-
gestellt worden, ohne die Arbeiten von Hoyer und mir zu
berücksichtigen. Er schließt sich in vielen Punkten an
Schiebe an.
Die Tatsache, welche bisher außer Acht gelassen war, ist
folgende.
Bekanntlich wird die bei Cicero de div. I 81 an Aristo-
teles geübte Kritik von allen Untersuchern dem Posidonius
zugesprochen. Man stellt sich also die Sache so vor, daß Po-
sidonius den Aristoteles selbst nachgeschlagen habe und seine
(Pos.) Meinung über Aristoteles sei von Cic. ohne weiteres
ins Lateinische übersetzt: ego aidem haud scio an nee cardi-
acis tribuendnm hoe sit nee phreneticis ; animi enim integri
non vitiosi est corporis divinatio. Daß dies von Posidonius
herrührt, ist gewiß (vgl. I 60 ff.). Allein Aristoteles selbst war
nicht seine Vorlage als er dies schrieb. Man lese nur Aristo-
teles problem. Sect. XXX 1 : oöev S^ßuXXai xac BaxcSe^ xac ol
ev8-£oo ycvovxac Tiavxe; öxav [xt] voayjixaxc yevwvxat, aXXd
«puacx^ xpaaet. Die Einwendung non vitiosi est corporis divi-
natio 181 hat also keinen Sinn. Wir müssen demnach schließen,
daß Posidonius einen Peripatetiker benutzte, der Aristoteles
als Quelle hatte. Man könnte nun freilich sagen, es sei dieser
Peripatetiker eben Dicaearchus gewesen (vgl. I 5), Cratippus
aber sei 170, 71 ohne Zweifel benutzt, da Cicero selbst dessen
Worte anführe ratio est qua Cratippus noster uti solet und
diese Ansicht erscheint auch beim ersten Anblick richtig.
Doch möchte ich zwei Einwendungen machen.
Erstens, was hätte Cicero veranlaßt, diese Cratippeische
ratio anzuwenden, statt den Posidonius wie sonst zu excerpieren.
Zweitens ist es unmöglich, daß Cratippus (oder auch
Dicaearchus) dies so gesagt hat, wie Cic. I 70, 71 behauptet.
Es wird ja die ganze Divination verteidigt, während Dicae-
archus und Cratippus nur die soninia und furor verteidigt
haben (I 5). Wenn wir aber annehmen, daß Cratippus von
Posidonius und dieser von Cicero benutzt ist, so stimmt
alles. Dies aber ist an sich schon wahrscheinlich, weil Dicae-
archus und Cratippus I 5 erwähnt werden und wir keinen
Philologus LXVIII (N. F. XXII), 4. 36
562 ^- Heei-inga,
Grund haben zu vermuten, daß der Name des Cratippus von
Cicero eingefügt worden sei. Die praefatio von Buch I rührt
ohne Zweifel von Posid. her.
Wir können in dieser Weise auch erklären, warum die
divinatio artificiosa I 70, 71 nicht bestritten wird, wenngleich
Cratippus angeführt ist. Hatte doch Posidonius allen Grund,
diesen negativen Teil der Cratippeischen ratio zu beseitigen.
Ich glaube also noch, daß in lib. I die Peripatetica samt
und sonders dem Posidonius zu verdanken sind (vgl. auch
meine Diss. p, 13). Schiebe und Hartfelder meinten die fünf
Bücher des Posidonius usp: jxavTcxyis seien Cicero's Haupt-
quelle im ersten Buche de div. Ja, Schiebe wies sogar die
Reste einer fünfteiligen Disposition nach, wie ich glaubte
mit Unrecht. In dieser Hinsicht (daß nämlich von Spuren
einer fünfteiligen Disposition nicht die Rede sein kann) hat
M. Poblenz a. a. 0. mir beigestimmt, daß aber die fünf Bü-
cher TTspc [Jiavxcx'^i; (Schiebe, Hartfelder) oder vielmehr Posi-
donius' Werk TTspl ■ö-söv (Heeringa) Cicero's Hauptquelle ge-
wesen sind, sei ohne weiteren Daten nicht zu ermitteln.
Bisher waren alle üntersucher darüber indessen einig
(soviel ich weiß), daß die Unordnung im ersten Buche der
großen Eile des Cicero zuzuschreiben sei. Für diese Unord-
nung aber führt Sander in seiner Dissertation einen ganz
andern Grund an. Seines Erachtens verhält sich die Sache
folgendermaßen :
Cicero starb ohne de divinatione herausgegeben zu haben.
Ein Anonymus fand das Werkchen in Cicero's schriftlichem
Nachlaß, mit vielen Randbemerkungen versehen. Der Anony-
mus gab es heraus, indem er viele Randbemerkungen an irri-
ger Stelle einfügte. Daher rubren die vielen Ungleichheiten.
Mit dieser Hypothese vei'knüpft Sander eine andre. Cicero
habe ursprünglich beabsichtigt, ein Buch de divinatione zu
schreiben. Dies ist aber unbedingt zurückzuweisen, da Cicero
de fato 1 angibt, warum er eben zwei Bücher de divi-
natione verfaßte. — Diese letzte Hypothese spielt nun zwar
in Sanders Doktorarbeit keine überwiegende Rolle, der Ano-
nymus aber und die annotationes in margine wollen ihm nicht
aus dem Sinn.
Noch einmal de Divinatione. 553
Schauen wir nun mal diese Hypothese an und fragen wir,
was sie leistet.
Wenn Cicero starb, ohne de divinatione herauszugeben,
aber ein Anonymus dasselbe tat, ohne Sachkenntnis und Sorg-
falt, so mülaten wir viele Ungleichheiten im Werke erwarten.
Wir finden auch welche. Allein daß deren so viele sind als
S. zu finden meint, möchte ich bestreiten. Es folgt aus seiner
Hypothese auch nur im Allgemeinen, dai wir Ungleichheiten
finden werden. Daß wir aber eben diese und keine andere
Verstöße gegen die Form sehen, erklärt sie durchaus nicht.
Somit erscheint sie ungenügend, den vorliegenden Tatbestand
zu erhellen. Nun nimmt S. folgerichtig an, quoque (I 124)
sei nicht coniecturä zu verbessern, sondern rühre von Cicero
her; der Zusammenhang stimme aber nicht wegen der Re-
zension des Anonymus und weil Cicero es noch nicht vollendet
hatte. (Sand. p. 20 deinde usque cett.) Auch will ich gern
eingestehen, daß die Argumentation p. 32 {deinde maiori
usw.) seiner Annahme Vorschub leistet. Aber viele vermeint-
liche Ungleichheiten scheinen mir nur in der Phantasie des
Urhebers dieser Hypothese zu bestehen.
So behauptet Sander p. 6, daß die Worte discedo parum-
per a sonmiis ad qiiae mox revertar an irriger Stelle stehen,
weil das zunächst Vorhergehende keinen Traum enthält und
wegen der folgenden Worte haec de Indis et Magis. redea-
mus ad somnia. Das zunächst Vorhergehende enthält zwar
keinen Traum aber divinatio appropinquante morte, die nach
Posidonius dem Traume eng verwandt war (I 63). Die Wahr-
sagung nach Alexanders Geburt gehört aber zur divinatio
artificiosa, daher stehen die Worte discedo parumper usw.
am Platze. Mit Unrecht will Sander mit Frenzel haec de In-
dis et Magis nach dem Anfang des § 47 versetzen, denn auch
in § 46 ist von Magi die Rede.
Des weiteren behauptet Sander mit Unrecht, daß Cic. die
Beispiele aus dem alltäglichen Leben vergessen habe (p. 8 und
9). Wir lesen ja Träume von Feldherren 39—51, Philosophen
52 — 53, Dichtern 54 und 56, da offenbar § 55 eine Einlage
aus Caelius' Epitome von Brutus ist. Das Beispiel der Arca-
des familiäres ist der vita communis entlehnt.
36*
564 •^- H e e r i n g a ,
Auch mag es kein Wunder nehmen, daß 55 dasExcerpt
aus Caelius ein wenig fremd scheint ; sagt doch Cic. minore
labore fiunt d. h. seine philosophische Werke (ad Att. 12. 52. 3).
Welche Schwierigkeit der Vers II 12 bietet (Sanderp. 10),
leuchtet mir nicht ein. Nachdem Carneades logisch ausein-
andergesetzt hat, wie jede Wissenschaft ein Gebiet haben
muß, einen locus ac materia, womit sie sich beschäftigt, wird
nachgewiesen, daß die Divination ein solches nicht zeigen
kann. Diese beiden Hälften der Beweisführung werden von dem
griechischen Verse und der beliebten Trias guhernator, medi-
cus, Imperator (vgl. de div I 24. 112 II 12. 16. 123 de nat.
deor. II 12 III 15 de off. I 60) aneinander gefügt, zwar mehr
rhetorisch als logisch. Aber Cic. sagt ja de off. 13, daß Be-
redsamkeit und Philosophie zwei verschiedene Stilgattungen
seien und er nennt die Philosophie ein quietum disputandi
genus. Wo wir also nur ein logisches Band vermissen, haben
wir noch nicht das Recht, an einer Stelle Anstoß zu nehmen.
Sanders Worte neque enim düucide Cicero loquüur (p. 11)
kann ich daher nicht unterschreiben.
Außerdem hat 5t e»im nichts Anstößliches, wie Sander
meint (p. 11 in fine et q. s.) Man lese den Text laut und
man wird finden, daß iaceat necesse est omnis eorum sollertia
ohne Schwierigkeit vom Hörer aus dem Vorhergehenden im
Gedanken eingefügt wird.
Ich sehe auch nicht ein, warum totum omnino —
iocandi locus aus dem Texte gestrichen werden soll. Denn
etiam esse inrisum ist deutlich genug. Cicero macht sich
zwar lustig über das fatum, während er die Divination hätte
verspotten sollen, gesetzt, die Stoische Lehre vom fatum wäre
richtig. Aber ist es nicht begreiflich, da Cicero (19) sagt
anile fati nomen ipsum? Wenn er nun auch (22) über das
Nutzlose der Divination spricht, in 24 sagt er doch voltis...
omnia fato und am Ende des § 24 deutet er wieder an, daß
die Divination und das Fatum schwerlich zu reimen seien.
Daß Cic. hier eine Randbemerkung geschrieben hat, vom
Anonymus im Texte aufgenommen, kann ich Herrn Sander
daher nicht beipflichten (Sand. p. 13 init. ^).
'yirrtümlich ist bei Sander S. 13 Reg. 19 v. 0. abgedruckt auspi-
dum est; es soll heißen aus'piciuvi Jiabemus.
Noch einmal de Divinatione. 565
Sodann kann ich keine ineptia (Sand. p. 14 R. 16 v. o.)
sehen in II 43. Cic nennt das fidmen das optmnuni auspi-
dum der Römer. Der Leser konnte unschwer auf den Ge-
danken geraten, daß Cicero die Auspicien im allgemeinen zu
besprechen anfing. Daher sagt er ausdrücklich, daß er nur
über fulmina handle. — Warum S. (p. 15) Anstoß nimmt an
igitur (II 43) und was er anstatt erwartet, begreife ich nicht.
Auch II 49 — 52 (Sand. p. 15) müssen wir Spuren von
Randbemerkungen sehen. Das alberne Märchen des Tages ist
ja so ungeschickt eingeschaltet und 53 (in fine) lesen wir
mmc ad ostenta vcniamus, während doch Cicero schon 49
über die ostenta gehandelt hat und cap. 23 (in § 50) mit
den Worten sed quid plura andeutet, er habe die ostenta end-
gültig besprochen. — Man soll aber Ciceros Worte nicht allzu
sehr pressen ! Sed quid plura ist nur eine rhetorische Phrase.
Verla tantum afero quihus ahundo sagt Cicero im ange-
führten Briefe an Atticus. Des Aveiteren scheinen mir 50 — 54
genügend die ostenta zu unterbrechen, so daß er sagen kann
nunc ad ostenta veniamus. Allerdings, etwas hatte Cic. schon
über ostenta gesagt, aber sehr wenig. Nur der partus tnidae
war erwähnt. Dann fällt es ihm ein, daß die inventio fehle
(vgl. meine Diss. S. 37). Darauf fügt Cic. römische Beispiele
ein, wie er es beliebt. Endlich ad ostenta veniamus. Zwei
Rezensionen kann ich hier nicht sehen (Sand. p. 16 R. 15 v. u.).
— Die Stelle II 55 scheint S. nicht sorgfältig gelesen zu
haben (p. 17). Sonst hätte er quas auteni res ganz in der
Ordnung gefunden.
Nicht glücklich scheint mir ferner seine Annahme, daß
II 120, 121 die 3 Sätze, welche mit quodsi anfangen, drei
Entwürfe seien, aus denen Cic. später einen gewählt haben
würde. Denn was soll die aliena sententia dazwischen? —
Nebenbei sei bemerkt, daß S. (p. 21) die Definition, welche
Chrysippus von der Divination gab, falsch verstanden hat.
Denn S. behauptet, daß in dieser Definition omnia fortuito
fieri conceditur (p. 22). Ohne weiteres leuchtet schon ein, daß
jeder, der über res fortuitae spricht, wahrscheinlich auch res
non fortuitae annehmen wird. Ueberdies sagt Cic. defato 39 und
41, daß Chrysippus mehrere genera causarum unterschied.
566 D- Heeringa,
Dies sind indessen nur einzelne Behauptungen, welche ich
bestreite. Wichtiger aber scheint es mir, einen Fehler gegen
die Methode aufzudecken, welcher, wenn ich nicht irre, von
S. begangen ist.
Sander meint nämlich, daß eine Partie im ersten Buche
nicht von Posidonius herrühren kann, wenn, was darin gesagt
wird, schon von Clitomachus (d. h. Cic. de div. lib. II) wider-
legt war (p, 42 sive verum est quod Schichius contendit sive
falsum^ ratiocinationem 1 71 e Posidonio non esse eo prohatur,
quod accuratissime ab adversariis divinationis refutata est).
— Zweitens behauptet er, daß, wo Ungleichheiten vorkommen
diese entweder absichtlich von Cicero verursacht sind, damit die
2 Bücher an einander anschließen konnten, oder aber, es gab
keine Absicht von selten des Cicero und er war nur zu früh ge-
storben, um die letzte Hand anzulegen. Zwar finden wir
dieses nicht ausdrücklich ausgesprochen, aber er wendet nun
dieses, dann jenes Prinzip zur Erklärung an.
Man betrachte nnn die Tatsachen. Cic. de div. II 117
widerlegt Clitomachus einen Satz des Chrysippus evanuisse . . .
vetustate vim loci eins, unde anlielitus ille terrae fieret^ quo
Fythia meiite incitata oracla ederet. Hat etwa Posidonius nach
Clitomachus' Auseinandersetzung diesen Satz aufgegeben?
Mit nichten. Wir lesen 138: potest vis illa terrae quae men-
tem Pt/thiae divino adflatu concitahat evanuisse vetustate, ut
quosdam evanuisse et exaruisse amnes aut in aliuni cursum
contortos et deflexos videmus. Sed, id vis, acciderit, magna;
enim quaestio est. Und Clit. hatte die Albernheit des Glaubens
doch so deutlich dargetan! Das gleiche Verhältnis, wie wir
zwischen 138 und II 117 festgestellt haben, besteht zwischen
I 9 und II 13. Es war Posidonius eben gleichgiltig, wie man
sich die Sache zurechtlegen wollte, wenn man nur glaubte
(vgl. meine Diss. p. 39 ff.). Er nahm es mit der Logik nicht
so genau und fand die Aenderungen, welche er wegen der
Akademiker im stoischen System angebracht hatte, geringfügig:
cum antiquissimam sententiam tum omnium populorum et gen-
tium covsensti comprohatam sequor (I 1 1). Also wenn Clito-
machus dem Chrysippus oder Antipater ^) zufügte : muta defi-
2) Vgl. Hartfelder p. 19, 20.
Noch einmal de Divinatione. 567
nitionrm (II 19) und wenn wir sehen, daß die Definition,
welche Cicero 1 9 aus Posidonius schöpft, anders ist als die
ältere stoische Definition, so ist diese Aenderung absichtlich
von Posidonius angebracht und zwar wegen des Vorwurfes des
Akademikers Clitoraachus. Auch ist es wohl erlaubt zu
schließen, daß Posidonius diese Aenderung im ganzen konse-
quent durchgeführt hat und er in diesem Falle nichts schrei-
ben konnte, was seiner eigenen Meinung zuwieder lief, daß
er also nicht auch die ältere Definition irgendwo gegeben hat.
Im ganzen konsequent, sagte ich, denn wie es sich mit der
Konsequenz verhält, sehen wir aus I 79 {dii) qui qiiidcm ipsi
se nohis non offeriint und 64 qnod ipsi di cum dormientihus
conloquantur. Posidonius glaubte an die Wahrheit der Religion
und Divination und man soll sich immer vergegenwärtigen
jenes no)i quaero cur, quouiam quid eveniat intellego 1 15, wenn
man seine Gedanken rekonstruieren will. Man vergleiche die
seltsamen Argumente 1 118 und seinen Unwillen über das urguere
des Carneades (1 12). Wenn Sander meint, daß Posidonius nur
oder auch in erster Linie von logischen Gründen geleitet
wurde, so ist er offenbar im Unrecht. Posidonius war vor allem
gläubiger Stoiker.
Und so hoch er den Chrysippus schätzte, so hat er auch
ohne Zweifel Beispiele aus ihm entlehnt. Sander behauptet,
daß Posidonius dies nicht getan haben kann, weil Clitomachus
es gerügt hatte. Aber Cicero sagt de off. 1 159 ea Posidonius
collegit permidta (d. h. exempla foeda communitatis), vgl.
Sander p. 36 sqq.
Außerdem ist schon bemerkt worden (Hartfelder), daß
Cic selbst II 35 aussagt, daß Posidonius den Chrysippus und
Antipater kopiert hat. Wenn Sander mit Schiebe behaupten
will, daß dieser Name von Cic. eingefügt ist, so hat er damit
Recht; Posidonius hat 1118 auch potest dux esse vis quae-
dam sentiens. Ist das aber, was man nach Sander erwarten
muß?
Was nun den andern Punkt anbelangt, so hat Sander,
weil er sich an Schiebe anschloß, angenommen, daß Cic. ab-
sichtlich Buch I nach Buch II zurecht machte und hierauf
auch ziemlich viel Mühe verwendet hat. (vgl. das Beispiel der
568 D. Heeringa, Noch einmal de Divinatione.
Arcades, das aus Clitom. stammen soll.) Es befremdet sehr,
daß er (p. 42 R, 9. v. u.) sagt: Miror tarnen Ciceronem Pa-
naetium hoc loco aon nomware (II 100 — 109) quem appella-
verit II 88 et 97 ubi de astrologia disptttat, quam disputatio-
nem e Fanaetio sumptam esse constat. Sed sive verum est
quod Schichius contendit sive falsum cett. Es mutet eigen-
tümlich an, daß Sander sich keine eigene Meinung erlaubt
über die Frage, ob Panaetius II 100 — 109 Quelle des Cicero
war, doch läßt sich dagegen nicht viel sagen.
Da S. aber aus eigenen Studien zur Annahme geführt
war, daß Cicero gestorben sei ohne selbst de div. herauszu-
geben, geriet er in ein verhängnisvolles Dilemma. Eine
Stelle ist z. B. unvollendet hinterlassen, weil Cic. zu früh
starb. Eine andere ist absichtlich von Cicero geändert, wie
das Beispiel der Arcades nach S. eingeschaltet ist. Warum
aber im anderen Fall nicht auch Absicht von Cicero im Spiel
ist, ist nicht klar.
Fragen wir nun, was S. zur Anonymus-Hypothese ge-
bracht hat. Dies lesen wir p. 1 — 6. S. weist nach, daß die
Worte nunc quoniam de re pidjlica consuli coepti sunius
(II 1) hinzielen auf Berichte aus Rom nach Caesars Tod. Aber
wenn er dann behauptet, daß ein Bericht der Rheginer ge-
kommen sei, eben in dem Augenblicke, als Cic. im Begriff war,
den letzten Satz des ersten Buches zu vollenden, so daß dieser
Satz unvollendet blieb — da wird dem Zufall wohl zu viel
zugemutet. Daß Cicero's politische Gedanken für de divina-
tione nicht günstig waren, mag richtig sein.
S. sieht, daß I 132 und II 8 einander ähnlich sind. Er
macht ferner darauf aufmerksam, daß dem zweiten Buche eine
Vorrede angefügt ist, während in diesem zweiten Buche das
Gespräch fortgesetzt wird, welches im ersten angefangen war.
Dies sei aber nirgends sonst der Fall in den philosophischen
Werken des Cicero.
Wie dies noch eine Stütze für seine Hypothese sein kann,
sehe ich nicht. Vielleicht soll damit auch viehnehr jene andere
Annahme begründet werden, daß Cic. ursprünglich ein Buch
zu schreiben beabsichtigte, was aber wegen de fato 1 nicht
anzunehmen ist.
Die Anonymus-Hypothese aber ist überflüssig, sie bietet
wenig zur Erklärung der gegebenen Ungleichheiten. Diese
sind auch aus der Eile des Cicero erklärlich. Daß aber Cic.
eilig schrieb, steht fest, und diese Tatsache hat als Erklä-
rungsprinzip den Vorrang vor einer Annahme die nichts mehr
erklärt. Eben darum finde ich Sanders Hypothese überflüssig.
Utrecht. D. Heeringa.
Miscellen.
9. Zwei attische Dekrete.
Die zwei attischen Dekrete, die hier vorgelegt werden,
habe ich im Frühling 1909 im Epigraphischen Museum zu
Athen abgeschrieben. Die Veröffentlichung hat mir der Ephoros
des Museums, Dr. B. Leonardos gütigst gestattet.
I.
Stück einer Stele aus blau-grauem Marmor, oben und
rechts Rand erhalten, übrigens gebrochen; 0,32h; 0,18b;
0,09 d; B-H 0,007; Z-A 0,007. Der Stein ist nach dem Mu-
seumsinventar (N. 375) bei den Ausgrabungen des deutschen
Instituts (wohl am Westabhange der Akropolis) gefunden. Die
Schrift, die stoichedon angeordnet ist, weist auf die erste Hälfte
des 3. Jahrb. hin.
'Eixc Het^iS'iQiJiou äpypv]-coc, ZKi T[f]?]
'Avxtyovcoo?? evaxrjg 7i]puxav£(a[c],
fjC ]ou 2]ouvc£[ij-]
c, £ypa[A[jiax£U£v 'EXacpJr^ßoAcwvo^ x-
£xpaoL {Ji£x' £txaSa;, £]xx£i xac eiv.-
ooxBi xfj? 7ipuxav£ia[? • ixxXrja^a x-
upt'a- xü)v Trpoeopwv £7i]£'|rj'^tt^£v Ka-
'ETtc]ywr^[cpJiaiog xa-
l au|Jt7rpc£opot' eSo^sJv x£i pouXtl
10 [xac xü): Sr^fitof Mvrja:£]pyo; Mvrja([o-]
"U 'A'O-JXOVcÜ; £t7l£V • £7l]£C&Y] Ol doXUV-
6[jioo Ol zkI I[s.l^'lbr^\l]zl> ap^ovxo;
£7i£[i£XYj^rjaav xf^; Ti:o]|jiTifjS v.al zr];,
%'uoiac, xGii AaxXr]7iL(I)]o xac xfji; xoa-
[jifja£ü)S X7]S xpa:;£^r;]^ xac x'^; Tiavv-
uycoo; xaXw; xal cpt]Xo[x](|jiwc, ÄyaiS--
£c vjy^ti, dedö'/ß'ai xe]i p[o]uÄ[£:], xo[ij-]
'c, TipodSpou;, Ol av Xa/Jwo[i]v [Trp]o£§p-
£U£cv £v xGii ori\).vöi, di] x[rj]v npwxrjv
20 [ixxXr^a'av xp7j(j.axc]7a: 7r£p[: xoux-
ü)v, Yvcü[j,yjv 0£ ^u{jißaX]X£a^at [x'^g ßo]-
uXt]? X. X. X.
570 Miscellen.
Unsere Inschrift ist ein Ehrendekret für die Astynomen,
die sich um eine Pompe verdient gemacht hatten. Nach dem
Datum zu urteilen, hatte diese in der ersten Hälfte des Ela-
phebolion stattgefunden. Es läge am nächsten an die Großen
Dionysien zu denken, aber xwt Aiovjaw]: füllt die Lücke nicht
aus. Da wir nun wissen, daß am 8. El, auch dem Asklepios
eine Pompe veranstaltet wurde (vgl. Pfuhl, De Ath. ponipis
S. 73) und Xü)L ^AoxXrjTciwJc genau paßt, halte ich diese Er-
gänzung für sicher. Wenn es außerdem der Fürsorge der
Astynomen um die Großen Dionysien hier gedacht gewesen
wäre, wäre ja auch eine Erwähnung der Agone zu erwarten.
Ueber die Form der lenzlichen Asklepieen, von der man früher
nichts wußte, haben wir jetzt bestimmtere Angaben aus un-
serem Dekret, und es bestätigt sich, was schon Pfuhl (a. 0.)
bemerkt hatte, daß diese Feier nicht mit den Dionysien zu-
sammenhing, sondern als ein für sich abgeschlossenes Fest
betrachtet wurde. Worin die polizeiliche Fürsorge für die
Pompen bestand, sehen wir aus anderen Inschriften wie II ^'
192c und IP 314 c. Den Namen des Antragstellers unseres
Dekrets (Z. 10—11) habe ich nach P. A. 10 272 ergänzt, der
somit ein Vorfahren wäre.
Wegen der Datierung der Inschrift noch einige Worte.
Gegen eine Verlegung der Inschrift in die Jahre vor 307/6
spricht sowohl der Schriftcharakter wie auch der Umstand,
daß keiner von den Archonten zwischen 318/7 — 307/6, für
welche wir den Schreiber nicht kennen, sich in die Lücke
hinein ergänzen läßt (vgl. die Zusammenstellung in meinen
De institut. ath. post Äristot. aet. com. S. 11 f.). Die In-
schrift ist also, wie auch der Schriftcharakter bezeugt, ins
3. Jahrh. zu verweisen, und zwar kommen nur die Jahre,
in welchen die Leontis den Schreiber besetzte, in Betracht.
Nun könnte das Dekret sowohl in die Zeit der 12 wie in
die der 13 Phylen gehören, denn Z. 5 könnte man sowohl
T[£Tpa5i |jiet' eixaoa?] wie T[£xdpie'. bxa^svou] ergänzen.
Da aber die Schrift besser auf ein früheres Datum paßt und
außerdem kein Archou der Jahre 225 — 200, die für Leontis
in Anspruch genommen sind, auf unser Dekret paßt (vgl.
Z. 1 u. 12), möchte ich es für gesichert erachten, daß die
Inschrift vor der Errichtung der Ptolemais zu setzen ist, was
auch am besten mit der Schrift übereinstimmt. Nach der
Archontenordnung, die Ferguson [The Priests of Asklepios)
und Kirchner (vgl. Berliner Philoloq. Wochenschrift 1906,
981) aufgestellt haben, läßt sich zwar keiner von den Archonten
der Jahre der Leontis in unseres Dekret hineinpassen. Da-
gegen stimmt Kolbes {I)ie attischen Archonten S. 39) Zuwei-
sung der Leontis dem Jahre des Peithidemos (266/5) aufs beste
Miscellen. 571
mit unserem Dekret zusammen. Wir haben dann T[erpao'.
[ist' eixaoac] zu ergänzen. Es ergibt sich also, daü das Jahr
ein Gemeinjahr war, wie wir es auch vom Jahre des Peithi-
demos wissen (II 332). Nicht immer stimmt nämlich zur
Zeit der 12 Stämme in Gemeinjahren das Monatsdatum mit
dem Prytanietage genau überein. Ad. Schmidt {Gr. Chron.
S. 583) hat nachgewiesen, daß zunächst jeder Prytanie 29
Tage zufielen und die 6 Ueberschuütage so verteilt wurden,
dai3 sie den graden oder ungraden Prytanien zukamen oder
den 6 ersten oder 6 letzten oder den 3 ersten und 3 letzten.
Nach demselben Gelehrten wurde der Schalttag der 355tägi-
gen Jahre den anderen angeschlossen oder extra unter den
Prytanien verloost. Wenn wir das Jahr des Peithidemos aus
II 332 und dieser Inschrift nun prüfen, so geht es hervor,
daß das Jahr 355tägig war, daß der Schalttag einem von
den Monaten vor Elaphebolion zugeteilt war und daß die 3
ersten Prytanien 30 Tage hatten, die 5 folgenden 29. Dann
haben die 4 letzten 30 Tage gehabt.
IL
Stele von pentelischem Marmor mit Bekrönung, rechts
und unten Bruch: 0,40h; 0.22b; 0,118d; B—H 0,007 ; Z— A
0,004 (Inv.-Num. 387). Die Schrift II 487 ganz ähnlich
("/2 1. Jahrh.). Da die Buchstaben nicht stoichedon ange-
ordnet sind, ist die Zahl der Buchstaben in dem erhaltenen
Teile verschieden in verschiedenen Zeilen.
'ErcetOT] oi 7iputave:c zfiz O[ov£cooc ol knl AtoxXeou; ap/ov-J
xoq, dTiocpacvouatv xfji [3ouX[':^l töv xafxiav, 6v sIaovxo e^ £au-]
Twv Necxavopa 'Apx£[iü)v[os OuXaatov xa? -ö-uaia? xeöuxsva:
xa; £7rc-]
ßaXXouaai; xolq 7rpuTav[£aiv bnep X£ x"^? ßouXf]; otac xoO Sifj[iou
xac]
eirt|JLS(irjXTja9-ac xaXü)[; xac cpcXoxt'ixw; xwv dXXwv, wv xa^'f)-
xov ^v,]
xac ocd xaOxa 7iapa[xaXoöac xyjv ßouXrjV eTzr/iüpfioM lauxocs
noiii^ocad-xi au-]
Toö ypaTiT^? eix6v[o5 dvaS-eacv ev oirXwc £7it/puawc £v]
xö)t ßouX£uxy]ptü)[c • dyaO-yjc '^'^"/Ji'-i 5z56yß-ci: xy;c ßouXfjc]
e7iacv£aac xöv xa(i:[av, 8v sl'Xovxo £^ iauxwv N£cxd-]
10 vopa 'Apx£^ü)vo; Ou[Xdacov xac axEcpavwaat auxöv 5^aXXou]
ax£'^dvü)C, WC udxpcöv £[axcv ax£cpavö)aac xo'j? dyadouc xwv dv-}
Spwv, £ucx£7(ji)p7ia8[ac Se xac zolc, T^puxdvEacv tiocy)-]
aaa9-ac auxoO rrjv x[7jc ecxdvo; dvd9'£a:v, £v wc acxoövxac x67t:ü)c,]
e/ouaav xrjv £7i:'.Y[pa'-P>lv xyjv5£ • oc TipuxdvEcs XTj; OcvecSo; xac]
ol decacxoc ol ekI Aco[xX£Ou; äpyovxoq, Nscxdvo-]
pa 'Apx£jAü)vo$ ^u[Xdacov cpcXoxc[xias evexa zi]q et-}
572 Miscellen.
q eauToui; dv£9"/3x[av • dvaypatjjat Se xoSe xö t}^rjcpca{ia löv
Ypafxiia.]
xea TÖv xaxa 7xpu[xav£cav st? oxyjXtjv XL-S-t'vrjv xat ax-^oat ev]
Xü)i ßouX£uxrjp:[o)i, Iva xouxwv auvx£Xou|Ji£vcov cpaivrjxat]
20 [t} ßouJAy] xt[iw[aa* xxX.
Diese Inschrift gehört zu den Beschlüssen zur Ehre der
Prytanen und deren Beamten, von welchen eine ganze Anzahl
schon bekannt ist. Eine Zusammenstellung dieser Dekrete
gibt Wilhelm, Äth. Mitt. 21, 435 und Urli. dram. Auff.
S. 211 f. Hinzugekommen sind die von Kirchner, Klio VIII,
487, und die von mir, Äth. Mitt. 1909, 62, mitgeteilte
Inschrift. Sowohl nach der Schrift wie nach der Abfas-
sung zu urteilen (vgl. Francotte, Leg. ath. sur les dist.
hon. S. 28) gehört die obige Inschrift eng mit II 487 zu-
sammen und läßt sich auch mit deren Hilfe ergänzen. Umge-
kehrt zeigt unsere Inschrift, daß in II 487 Z. 13 ev xw ßou-
XeuxTjptü) zu ergänzen ist. Die Datierung läßt sich nur ungefähr
ermitteln, da der Archon nicht sicher ist. Ich habe Aio[xX£Ous]
ergänzt und halte es für wahrscheinlich, daß das Dekret in
das Jahr des AcoxX-^? MeXtxsu? gehört (40/39; vgl. Kolbe,
Ätt. Ärch. S. 141), weil II 487 gerade in dieselbe Zeit zu
verlegen ist (vgl. Kolbe a. 0. S. 148).
Helsingfors. J. Sundwall.
10. Astrologisches in der griechisch-orthodoxen
Liturgie ?
In einem prächtigen Aufsätze^) hat Fr. Boll jüngst auch
einen im Catal. cod. Graec. astrol. IV, S. 99 von Cumout heraus-
gegebenen merkwürdigen Text behandelt^), in welchem die
Wochentage den sieben Planeten abgesprochen und Christus und
Angehörigen der christlichen Kirche geweiht werden, üeber
die Zeit, welcher diese Ausführungen angehören, scheint nichts
bekannt zu sein. Höchst auffällig aber sind die noch nicht
erkannten nahen Berührungen dieses astrologischen Textes
mit der Parakletike, dem heute noch in der orthodoxen
Kirche gebräuchlichsten Litnrgiebuche, das die an den einzel-
nen Wochentagen zu singenden Lieder, nach den acht Kirchen-
tönen geordnet, enthält^). In der folgenden Gegenüberstellung
finden sich hinter unseren Namen der Wochentage in der
*) Die Erforschung der antiken Astrologie : Neue Jahrb. f. d. klass.
Altertum 21 (08) 103—26.
•') 1. c. p. 109.
^) Vgl. meine Ausführungen: Byz. Zeitschr. 17 (07) 2.
Miscellen.
573
Sonntag :
Montag :
Dienstag:
Planeten •
Helioa
Selene
Ares
Mittwoch : Hermes
Donnerstag: Zeus
Freitag :
Samstag:
2xaup6g
'AuöoToXoi
Aphrodite ösotoxoc öSupopievr] 8iä
xoü uEoü aiaopcoaiv
Kronos
ersten Reihe die Namen der Planeten, in der zwei-
ten die christlichen Entsprechungen nach dem
astrologischen Texte, in der dritten die in der Parakletike
verzeichneten Kanones (acht- bezw. neunteilige Hymnen).
Catal. cod. Graec. astr. t, i i j.i
IV QU' X araKietiiKe :
. . Sixaioaüvr) Xpiaxoü xoö xavdveg ävaox(xai|xoi (auf
^eofll Christus).
oi (XYyeXoi xavdveg xföv dcaw|iäxü)v.
npdöpo|j.og xav&vs5 elg xöv npööpo-
|10V.
xavdvcg oxaupci)ai|iot.
xavöve; xwv dTCoaxöXcov.
xavdvsg axaupwotpLOt u.
xavdveg zriz Oeoxöxou.
. . xöv üaxepa "Jjfiwv xal xavovsg elg (Jtdpxopas xal
0-eöv £x£xsi')0|iev UTisp xot|iYj9-£vxa? u. xavö-
xwv TipoaTCsXO-dvTWv na.- veg v£xp(üoi|j[,oi (elg xot-
xeptüv xaL dSsXcpöv (lYjO-evxaj).
Es erhebt sich nun die Frage: Ist der Aufbau der Para-
kletike von solchen astrologischen Voraussetzungen bedingt,
wie sie uns in dem bei dieser Annahme zeitlich vor der Ent-
stehung der Parakletike anzusetzenden astrologischen Text
entgegentreten; leben also Reste der heidnischen Astrologie
in christlichem Gewände heute noch in der orthodoxen Kirche
fort? Oder ist die Parakletike die Quelle der Ausführungen
unseres astrologischen Textes, dessen Entstehung dann
frühestens in das S.Jahrhundert zu setzen wäre? Nun scheint
mir sicher zu sein, daß die letztere Frage zu bejahen ist,
der astrologische Text als Vorlage für die Parakletike also
nicht in Betracht kommt. Für die Untersuchung der religions-
geschichtlich interessanten Zusammenhänge zwischen heid-
nischer und christlicher Benennung der Wochentage (z. B.
Aphrodite — Theotokos) kommt also unser Text wohl nicht
in Betracht.
W.
Schweinfurt .
Weyh.
11. Zu Demokritos xspi £50-t)jj.t7j(;.
In der gelehrten und scharfsinnigen Abhandlung über
Plutarchs Schrift ntpi eud-oiiiac, (Beilage zum Jahresbericht der
Landesschule Pforta, 1908, Progr. Nr. 320) lenkt G. Siefert
die Aufmerksamkeit vor allem auf das Demokritfragment :
Töv euö-uixslaö-a: [xsXXovta XP^ M ^"^XXoc Tipyjaaetv p-r^xe fScrj
pYjxe ^uv^ M-V^i '^'^^' ^^ Tipaaarj, UTilp ie ouvapcv (xtpeio^oci trjv
ewuToü xac cpuatv (Frg. 3 Diels, 163 Natorp). Treffend be-
zeichnet er dieses Fragment als den landläufigsten aller de-
mokritischen Aussprüche, als die Quintessenz aller Lebensregeln
574 Miscellen.
des großen Abderiten. Verbindet man damit die Worte xa
o' eXXecTiovxa xocl bmppälXovxa, cpcXei [leyaXa; xcvYjatag epiTioietv
x^j <\)^yri (Frg. 191 Diels, 52 Natorp), die offenbar die weitere
Ausführung des ersten Satzes sind, so erhält man, wie Siefert
zeigt, ein Ganzes, die Ankündigung der Lehre von der [Ji£xp:6xrj?
und au[jifi£xp{r], die Grundlage der Ethik des Aristoteles. Die
beiden Sätze bildeten allem Anschein nach den Anfang der
Schrift Ttspc suÖ'Uijlivj;. Das erste moralphilosophische Prosa-
buch der Griechen war auch in glänzender, poetisch schwung-
voller Sprache verfaßt. Es ist, wie Siefert sagt, das älteste
Denkmal der Ae^t? dpo\ieviq und xax£axpa[x[ji£vyj.
Zu der gerechten Würdigung dieser Vorzüge will es nur
nicht recht stimmen, wenn man in den Eingangsworten derechten
Schrift Ti£p: £uO-u[xcr;; auf die unglückliche Wendung stößt:
xöv £ud'U[jL£oa9'ac [jiEXXovxa /pYj |xy) tioXXoc 7iprjaa£iv (jnfjX£ loi'Q [xyjxe
^uv^ {JtYjX£, aaa' av Tipaaay], bnip x£ Suvajjtov atpElaö-ac xyjv
ewuxoö xa: cpuoLV. Um wohlgemut zu leben, soll man nicht
vielgeschäftig sein und nicht über seine eigene Kraft und
Natur hinausgehen. Der Sinn des Satzes ist klar. Aber daß
dieses Hinausgehen über die eigene Kraft mit aipEiod-ai wieder-
gegeben sein soll, ist doch sehr sonderbar. Die mediale Be-
deutung des Wortes ist: annehmen, wählen, vorziehen, sich
erlauben, sich entschließen, auch wagen, unternehmen. Be-
kannt sind Verbindungen wie 'AX£^avSpoi) a£^X£U£LV iXo\iiyo\),
yajXEtv ziq £Xc[ji£V05, xaXAOip'.a Seltivelv £Xg[X£vou; av£u tiovou
usw. Da ist atp£ca^at das lateinische animum inducere (vgl.
Stein zu Herod. 5, 22). Diels übersetzt acp£laOao mit 'streben'.
Aber dieses acp£ta^ac, das hier völlig absolut zwischen uTr£p
S6va[xcv und xtjV äwuxoü für sich allein steht, ist zu matt, zu
abstrakt, zu gezwungen, als daß es den Gedanken der Ueber-
hebung zum Ausdruck bringen könnte. Alpeiob-ai UTi£p 56va[xiv
XYjv Eauxoö ist gestammeltes Griechisch. Was Demokrit sagen
wollte, ersieht man aus dem kräftigen, konkreten Ausdruck
in dem zweiten Satze : xa o' elXeinovxa, xat öuspßaXXovxa
^iltl |ji£yaXa; y.ivrjaias e[m:o'.elv xr; ^^u/jj. In einer epikureischen
Nachahmung der beiden demokritischen Sätze heißt es sogar:
ouO£V oüiwg £U^U[Jifa5 tioitjxlxgv, (1)5 x6 [ay] tzoXXoc updaasiv |xr]0£
SuaxöXoc? £Tir/£tp£tv urfik uapa Suvafxiv xc ^ iäZ,e a %- ai xyjv
eauxoö. Travxa yap xaüxa xapa/a^ ivKoiel xfj cp6a£t (Siefert S. 8).
Demnach dürfte das unglückliche atp£ia\)aL auf einem Ver-
sehen beruhen, und der ursprüngliche Wortlaut des ersten
Satzes der Schrift Ticpc Eu^O-uficY]? der sein : xov £U\)-u[A£iaifaL
jjieXXovxa ypri [jiy] uoXXa 7rpYjaa£cv (jltqxe ibiiQ [xt^xe ^uv^ l^-^'^s,
aaa' äv upaaay;, uiiip x£ o6va(xtv oclpead'oci xyjV iwuxoO v.od
cpuacv.
Es verhält sich mit dieser Stelle ähnlich, wie mit den
Miscellen. 575
Anfangsworten der Schrift des Protagoras Tiep: ^ewv, wo man
auch gewohnt ist, IJept [lev ^eöv oux eyw stSevat (st. eiiiEiv)
008' (ü; eiatv oud-' oic, oux etoov zitiert zu lesen, obgleich Cicero
übersetzt: nihil habeo dicere, und Zeller: Von den Göttern
habe (vermag) ich nichts zu sagen, weder dati sie sind,
noch daih sie nicht sind (Grundrii.? S. 83).
Jena. K. LincJce.
12. Zum Pariser Zauberpapyrus
der bibl. nat. suppl. gr. 574.
Wesselys Ausgabe des sog. Pariser Zauberbuches ^)
gibt über Herkunft und Gestalt des Papyrus nur kurz Auf-
schluß: er wird beschrieben als ein „Codex, der 27,3 cm hoch,
14,8 cm breit war. Gegenwärtig sind die Blätter einzeln ge-
heftet". Die ganz ungenaue Größenangabe hat W. selbst in
seineu Nachträgen'-) berichtigt. Nach dem „Catalogue d'nne
collection d'antiquites egyptiennes par M. Fran^ois Lenor-
mant", einem reichhaltigen Auktionskatalog ^) der collection
d' Anastasi ist der Papyrus in Theben gefunden worden:
»M. Anastasi, dans ses fouilles ä Thebes avait decouvert la
hibliotheqtie (Tun gnosüque egyptien du second siede". Ein
anderer Teil dieser Bibliothek — die Pariser collection ent-
hielt gegen sechzig Papyri ! — war mit der ersten Anastasi-
Sammlung nach Leiden gekommen, darunter „le fameux
texte magique en ecriture demotique et deux petits papyrus
grecs plies en forme de livres": zu diesen gehört pap. mus.
Lugd. Bat. J. 395 (Leemans W, vgl. Dieterich Abraxas
S. 168 ff), ein Buch von 7 Doppelblättern, das zwei Schnüre
oben und unten geschlossen haben. Auch unser Pap. wird
unter Nr. 1073'*) beschrieben als „ manuscrit sur feuilles de
papyrus pliees en livres, formant 33 feuillets ecrits de deux
cötes". Tatsächlich faßt das Buch aber 36 „feuillets"; da 2
Blätter, 16 recto, verso und 36 r, v gar nicht und 1 nur we-
nig beschrieben ist (auf dem verso), so rechnete Leu ormant
diese Blätter offenbar nicht zum Papyrus. Aus dem ganzen
Passus geht ferner hervor, daß man schon damals den Papy-
rus als eine Schicht von 33 (bzw. 36) E i n z e 1 b 1 ä 1 1 e r n kannte.
') Denkschriften der k . Akad. d. Wiss. XXXVI (Wien 1888) S. 28 ff.
*) Zu den griechischen Papyri des Louvre und der Bibliotheque
nationale, Jahresber. Hernais 1888/89 S. 18 f.
3) Paris, Maulde et Renou 18-57 (invent. de la bibl. nat. V 44, 695).
Sein ebenso interessantes Gegenstück ist der „Catalogue de la collec-
tion egyptienne de M i m a u t 1837 par Dubois".
*) Die Identität beweist schon rein äußerlich die Nummer 1073 des
Katalogs . die noch heute auf toi. I recto des Pap. aufgeklebt ist. Als
Anastasi Nr. 1073 ist er auch in der Bibl. nat. katalogisiert.
576 Miscellea.
Das war natürlich die ursprüngliche Form des Buches nicht;
denn von „Büchern", die aus übereinandergelegten, unzusam-
menhängenden Blättern bestanden, wissen wir nichts. Papy-
rusbücher in Codex form dagegen kennen wir. Anregend und
scharfsinnig hat über einzelne gehandelt G. A. Gerbard in
Deißmanns Septuagintapapyri S. 3 ff. Er beschreibt hier
einen Heidelberger Papyruscodex, der sich aus 4 Faszikeln,
„Lagen", zusammensetzt; das erhaltene Doppelblatt einer
Quiniomitte konnte ihm einen sicheren Anhaltspunkt geben.
Naturgemäß bestehen umfangreiche Bücher häufig aus mehreren
Lagen, docb gibt es „eine nicht ganz unbeträchtliche Minder-
zahl alter Codices, die nur eine einzige Lage darstellen. Ge-
rade Papyruscodices sind so hergestellt worden, obwohl doch
der Papyrus weniger widerstandsfähig ist als das Pergament.
Sie gehören dem vierten Jahrhundert an, also einer verhält-
nismäßig frühen Zeit" ^). Da der Papyrus der bibl. nat. in
einzelne Blätter zerlegt ist, die jetzt — unbequem genug —
in ein Buch eingeklebt sind, läßt sich auf diese Weise nicht
ermitteln, welchem Codextypus er angehört. Ein günstiger
Zufall hilft hier auf die richtige Spur. Als ich im Oktober
1908 den Papyrus für eine Neuausgabe kollationierte — was
mir durch Omonts Güte ermöglicht wurde: der Papyrus ge-
hört zu den reserves der bibl. nat. — , bemerkte ich, daß
auf Blatt 6 verso, das eines langen Zauberschemas wegen,
abweichend vom sonstigen Gebrauche des Schreibers, der
Längsseite nach beschrieben ist, der Buchstabenreihe der ersten
Zeile (vgl. pap. Lond. 46, 338 f., 121, 594, pap. Mim. 60)
ia£wßacpp£V£[J.ouvo^iXapLxpccpta£u ihr zugehöriges anagramma-
tisches Stück fehlt. Es schien, als habe der Schreiber
das Blatt von der Rectoseite aus beschnitten, ohne zu bemer-
ken, daß er von der Versoseite eine halbe Zeile wegnahm.
Ursprünglich hatte ich das Fehlen der Halbzeile einem Fehler der
photographischen Aufnahme, die A. Dieterich hatte fertigen
lassen, zugeschrieben, da es Wessely völlig übergeht und die
Zeile stillschweigend aus den folgenden gleichen Zeilen
— denen jeweils der erste und letzte Buchstabe wegge-
nommen werden soll! — ergänzt. Doch entdeckte ich beim
Weiterkollationieren auf Blatt 31 r, das inhaltlich mit Blatt
6 gar nichts zu tun hat, hart am Innenrande, unten, eine
Buchstabenreihe, die sich bei scharfem Zusehen als das ana-
grammatische Bild jeuer Halbzeile auf fol. 6v ergab. Zu-
nächst war mir unklar, wie es auf ein so entlegenes Blatt geraten
könne. Auch Omont und A. Holder, denen ich die Beobachtung
mitteilte, wußten keine Erklärung. Da machte mich G. A. Ger-
^) Schubart, das Buch bei den Griechen und Römern (Reimer
1907) S. 117.
Miscellen. 577
har d iu Heidelberg auf die Septuagintapapyri und andere Papy-
ruscodices aufmerksam: wie diese, bestand der Papyrus aus Dop-
pelblätteru, die aufeinandergelegt, in der Mitte gebrochen
und dann fortlaufend auf beiden Seiten beschrieben wurden:
das Bild unserer gewöhnlichen Schreibhefte, nur daß hier die
Zahl der Blätter geringer, dort bis zu 18 Doppelblättern, 72
Seiten, angewachsen ist. Folio 6 v und 31 r bildeten demnach
die obere Fläche eines Doppelblattes, 6 r und 31 v die untere
des gleichen. Ueber und unter diesem Blatte lagen die übrigen
Doppelblätter in einer Lage, so daß je ein lolium bildeten
7—30 (=7 r : 30 v— 7 v : 30 r), 8—29, 9—28 u. s. w. Alle
diese Halbblätter links und rechts der Buchmitte haben in-
haltlich miteinander nichts zu tun, da ja erst sämtliche Seiten
der linken Buchhälfte beschrieben werden. Nur das zu oberst
liegende Blatt, die Mitte des ganzen Buches, hängt auch in-
haltlich, nicht nur stofflich in sich zusammen: hier fol. 18 v
bis 19 r, denn von 18 v ging der Schreiber sofort zu 19 r über,
um von nun an die rechte Hälfte des Buches zu beschreiben.
Unterhalb von fol. 6 und 31, des sechsten Doppelblattes, ge-
hören zusammen fol. 5 — 32, 4 — 33 u. s. w. bis 1 — 36. Folio
1 r, also das oben aufliegende Blatt des geschlossenen Buches,
ist nicht beschrieben, 1 v, die Innenseite, nur mit wenigen
koptischen Zeilen, die ich fast als Schreibübung oder miß-
lungenen Versuch auffassen möchte, das zugehörige Blatt 26 r
und V ist ebenfalls unbeschrieben. Aber mit Blatt 35 v en-
digt der Text nicht, der Schluß fehlt offenbar. Wo blieb er
und warum findet er sich nicht auf dem folgenden Blatt 36r?
Erinnert man sich, daß der Leidener Papyrus W als „Ein-
band" primitiver Art einfach ein unbeschriebenes derbes Doppel-
blatt hat, so wird man das auch hier anwenden dürfen ^) : dieses
erste und letzte Blatt des Par. Pap. ist tatsächlich grobfaserig
und stark genug, um als Einband gedient zu haben. Die
Fortsetzung aber von fol. 35 v, also etwa 35*rv war wohl ein
Einzelblatt, das eingeklebt oder auch nur eingelegt wurde
und so verloren ging, schon bevor die Mitte des Papja-us
brach und ihn in die 36 Einzelblätter trennte, in denen er
uns jetzt vorliegt.
Heidelberg. K. Preisendans.
®) Nachträglich erfuhr ich aus den Akten des Rijke Museum van
Oudheden zu Leiden, daß die drei erwähnten Papyri von Anastasy als
Gratifikation für den Käufer seiner Sammlung ausgesetzt waren
(lettre de Mr. Jean d'Anastasy ä Mess. Tosizza, le 18 mars 1828);
darüber ausführlicher in meiner Ausgabe.
Phüologua LXVIII (N. F. XXII), 4. 37
578 Miscellen.
13. Zu Lykophrons Nachleben.
In Wilhelm von Christs Handbuch der griechischen Litte-
raturgeschichte findet sich am Schlüsse des Abschnitts über
Lykophrons Alexandra folgender Satz, der seinen Platz durch
alle Auflagen bis zur neuesten (S. 561) behauptet hat: „In
neuerer Zeit hat ihm (näml. dem Gedicht) Jos. Scaliger die Ehre
einer Uebersetzung erwiesen (1584) und hat es Reinhard in
der Prophezeihung vom Untergang Magdeburgs nachgeahmt".
Ohne Zweifel ist hier die 'Nachahmung von Lykophrons
Cassandra' gemeint, die 'zu mehrerer Empfehlung des griechi-
schen Originals' der damalige collega tertius und spätere Con-
rector der sächsischen Fürsten- und Landesschule zu Grimma,
der Magister Heinrich Gottfried Reichard ^), seiner Ausgabe
des Lykophrontextes vom Jahre 1788 zufügte, und von der
der Verleger nach einer Mitteilung in der 'Vorerinnerung'
eine Anzahl Exemplare besonders abdrucken ließ. Mir liegt
sowohl die Ausgabe Reichards, als auch ein Separatabzug der
'Nachahmung' vor, der bis auf die Verlegernotiz auf dem
Vorsatzblatt und eine unbedeutende Differenz in der Seiten-
zähluiig genau mit dem Druck in der Ausgabe übereinstimmt.
Hier, wie dort geht dem Gedicht, welches die Vision 'der
magdeburgischen Jungfrau' kurz vor der Eroberung der Stadt
im Jahre 1631 enthält, die schon erwähnte 'Vorerinnerung'
voraus, die unterzeichnet ist:
'G**, den 1. Jan. 1788. |^^ jj q j^,
Diese Buchstaben können nur den Editor Mag. Heinrich
Gottfr. Reichard bezeichnen, welcher zugleich der Dichter der
Prophezeihung sein wird, die auf Grund ihres Inhaltes nach
1779 entstanden sein muß. So sind auch die Buchstaben
ganz richtig in Schweigers Handbuch der classischen Biblio-
graphie I S. 200 b aufgelöst, während ich in der letzten Auf-
lage von Engelmanns Bibliotheca scriptorum classicorum I
S. 497/8 nicht nur diesen Sonderabzug nicht aufgeführt finde,
sondern auch noch Potters zweite Ausgabe Lykophrons von 1702
und Leopold Sebastianis römischen Druck von 1803 vermisse.
Ein weiterer Irrtum Christs in dem oben ausgeschriebe-
nen Satze sei noch rasch berichtigt: Joseph Scaligers Ueber-
setzung erscheint nicht erst 1584, sondern schon in dem
Lykophrontext, der 1566 in Basel bei Oporinus und Perna
erschienen ist, neben der Uebersetzung von Guilelmus Canterus.
Hamburg. JB. A. Müller.
') Vgl. über ihn den Artikel von R. Hoche in der AUg. Deutschen
Biographie XXVII (1888) 624/5.
Miscelleii. 579
14. Vetulam facere und die dies vetulae.
Albert Müller zitiert oben (S. 483) aus Du Gange die Wen-
dung vetulam facere und bezieht sie auf den Neujahrsbrauch,
in der Vermummung eines alten Weibes umherzuziehen. Dieser
Brauch würde wohl an die Vorstellung des Altjahres als altes
Weib anknüpfen, für die H. Usener in dem bekannten Aufsatz
über italische Mythen (Rhein. Mus. XXX 194 ff.) ein reiches
Material zusammengestellt hat. Leider sind die von Du Gange
zitierten Stellen nicht ganz eindeutig, und die Ansicht älterer
Gelehrten, daß hier vetula für vitula eingetreten sei, wird auch
von den neusten Herausgebern des Lexikons empfohlen; be-
deutsam ist vor allem die von ihnen (VIII, 498 H.-F.) beige-
brachte Stelle aus Theodor. Hb. poenit. ed. Thorp. 27, 19: 'Si
quis in Kai. lan. in cervulo aut vetula vadit, id est in ferarum
habitu se communicant et vestiuntur pellibuspecudum et assumunt
capita bestiarum: qui vero taliter in ferinas species se transfor-
mant, tres annos poeniteant'. Hier ist in der Erklärung, die das
vetulam facere mit umfaßt, nur von Tiermasken die Rede. Cer-
vuluni oder cervulani facere ward bei Du Gange in einem be-
sondern Artikel behandelt und aus spätlateinischen Quellen be-
legt. Altgriechischer Brauch gibt dafür Analogien; so hören wir
von den Bukoliasten, deren Gratulationslied erhalten ist, daß
sie^ als Komasten der Artemis, Hirschhörner auf dem Kopf
trugen (xepaxa sXacptov Tcpox£ia9a:, Theoer. ed. Ahrens vol. II
p. 5). Von hieraus wird man weiter kommen können. Sicher
scheint jene Deutung von vcttdam facere demnach nicht. Wenn
aber aus Abulfeda p. 102 ed. lo. Graev, eine Notiz zitiert wird,
nach der der 26. Februar principiim äierum vetulae est,
eosque esse Septem, so ist vetula in diesem Zusammenhang
kaum mißzuverstehen — möge man nur bessere und ältere
Belege bringen. Hier würden wir auf den März als Jahres-
anfang kommen und dürften in der vetula die Genossin des
Mamnrius Veturins vermuten, die alte Änfia Ferenna, die
H. Usener uns als Jahresgöttin verstehn gelehrt hat.
Vielleicht geben die obigen Zeilen einem Kenner des
Spät- und Mittellatein die Anregung, diese Fragen im neuen
Jahr {fausta laetaque ominamur) einmal wirklich zu unter-
suchen.
München. 0. Crusius.
September — Dezember 1909.
Register.
I. StelleiiTerzeiclmis.
Alciphr. Ep. II 35, 3
Apul. Met. 8 c. 1—14
Aristoph. Nub. 1363
— Pax 150; 180
188
190; 195; 206
211
362; 867
376
405; 406; 414
429
447
457; 496
522; 548; 603
— Plut. 1098
1118; 1122
1123; 1127; 1129
1131; 1132
1134; 1137
1140
1147
1153
Athenaeus 450 e
Cass. Fei. 14 (p. 21, 6)
46 (p. 120, 11)
CatuU. 84
Cic. Divin. 1, 70; 71
1,81
1, 124
2, 117
2, 118
— Epist. ad Quint. fratr.
Democrit. uepl £u9-up.CYjs
Diels (163 Natorp)
453
Democrit. fr. 191 Diels (52 Nat.
)574
537 ff.
Diod. 23, 3
415
452
Eurip. Bacch. 882
453
353
— Hei. 1232
453
358; 354
— Troad. 1381
453
354
Gloss. III p. 599, 12
551
355
— III p. 602, 35
551
356
— III p. 603, 36
551
857
Horat. Carm. 2, 7, 9—10
523
359
2, 18, 38 ff.
526
361
Mart. Spect. 21
88
862
— Epigr. 1, 67
91
363
3, 58, 12
319
364
4, 25, 5
95
344
4, 58
96
345
5, 24, 11
97
346
5, 38
98
347
5, 78
100
848
6, 14
101
349
6, 58, 1 ; 2
102
350
7, 73
106
351
8, 51
107
450
9, 61, 5
111
551
12, 21
112
552
12, 32
116
459
13, 65
117
562
Pion. vita Polycarp. c. 30
453
561
Plat. Rep. 10, 607 A
453
563
Plut. Mulier. virtute 22
539
566
Soph. Antij?. 1105
452
567
- Oed. Col. 1132
451
2,9,3
— Philoct. 329
452
529 Anm.
Thucyd. 1, 24, 3
446
fr. 3
Verg. Eclog. 1, 59; 60
447
573
Xenoph. Memor. 2, 1, 21—34
488
Register.
581
II. Sachliches.
Aberglaube am Neujahrstage p.
475.
Accius bei Prise, p. 17; 23; 26.
Acta Imperatorum Romanorum p.
271 ti'.; Ueberlieferung p. 274;
Hauptgattungen p. 278 ; Ver-
öffentlichung und Sammlungen
p. 283 ; Merkmale p. 285 ; Chro-
nologische Tabellen p. 310.
Aegatische Inseln, Schlacht p. 426.
Aelius bei Prise, p. 27.
Aemilius vgl. Asper.
Afranius bei Prise, p. 18.
Agrippa, Weltkarte p. 318.
Aiax, Name der Priesterkönige v.
Olba in Kilikien p. 168 Anm.
Albinus bei Prise, p. 9; 25.
Alfius Avitus bei Prise, p. 8 ff.
Allegorie des Prodikos p. 488 ff.
Alphabet-AUi^govie p. 497.
Amtsantritt der Konsuln am 1. Ja-
nuar p. 464.
Andronicus vgl. Livius.
Anonymus ad Herennium bei Prise.
p. 24; 27.
— lamblichi p. 500 ff.
Antias vgl. Valerius.
Antipater, Cael. bei Prise, p. 19.
Antiphon der Anonymus lamblichi
p. 516.
Aphthonius p. 11.
Appius Claudius p. 1; 16.
Apuleiiis bei Prise, p. 2; 17; No-
velle vom Tode der Charite p.
537 ff. ; Charitenovelle eine Kon-
tamination der Protesilaossage
des Euripides mit der Atysle-
gende des Herodot p. 547.
AristopJianes, der von ihm geschil-
derte Merkur p. 344 ff.
Aristoteles und die Vorsokratiker
p. 368 ff.
Arruntius Celsus bei Prise, p. 5 ff.
— Claudius p. 7.
Asellio vgl. Sempronius.
Asinius PoUio bei Prise, p. 19;
22; 27.
Asnionius p. 13.
Aem. Asper bei Prise, p, 2; 3.
Astrologisches in der griechisch-
orthodoxen Liturgie p. 572.
Astynomen, Ehrendekrete p. 570.
Atacinus vgl. Varro.
Ateius bei Prise, p. 27.
Atta bei Prise, p. 18.
Attische Dekrete p. 569.
Atyslegende des Herodot p. 547.
Aufidius Chius bei Prise, p. 28.
Aiifustius bei t'risc. p. 27.
Aureliiis bei Prise, p. 22.
Ausonius p. 11 ; 12.
Auspicianische Strophe p. 157.
Avienus p. 11 ; 12.
Avitus vgl. Alfius.
Bassins vgl. Caesius.
Berufsstände mit ihren Pflichten
und Rechten im Idealstaate Pia-
tos p. 236.
Berytius vgl. Probus.
Besitzlosigkeit der zwei ersten Klas-
sen im Idealstaate Piatos p. 236.
Bobiensia, Beiträge zu Ciceroscho-
lien p. 71 ff.
Briefe, Erlasse der Kaiser p. 281 ;
288.
Caecilius bei Prise, p. 18.
Caelius vgl. Antipa,ter.
lul. Caesar bei Prise, j). 19; 26;
27.
lul. Caesar Strabo bei Prise, p. 17 ;
21.
Luc. Caesar bei Prise, p. 27.
Caesius Bassus bei Prise, p. 26.
Calpurnius Piso bei Prise, p. 19.
Lic. Calvus bei Prise, p. 26.
Cannutius bei Prise, p. 22.
Caper bei Prise, p. 28 ff.
Cassinis Hemina bei Prise, p. 19 ;
23.
Cassius Severus bei Prise, p. 23.
Cato bei Prise, p. 18; 21.
Catull bei Prise, p. 26.
Celsus vgl. Arruntius.
Censorinus bei Prise, p. 14ff. ; 27.
Charitenovelle p. 537 ff. ; eine Kon-
tamination der Protesilaossage
des Euripides und der Atysle-
gende des Herodot p. 547.
Chius vgl. Aufidius.
Chronologische Tabellen der Acta
Imperatorum Romanorum id. 310.
C7m6a-Chumba p. 172.
Cicero bei Prise, p. 20 ; 24 ; 26 ;
27 ; Quellen der Divinatio p. 560;
Divinatio von einem Anonymus
herausgegeben p. 562; Wider-
582
Register.
legung p. 563 if. ; Bobiensia, Bei-
träge zu Ciceroscholien p. 71 ff.
Cinna bei Prise, p. 25.
Claudius vgl. Appius; Arruntius;
Quadrigarius.
Clitomachus, Quelle zu Ciceros Di-
vinatio p. 560.
Cornelncs vgl. Nepos; Severus.
Cornificius bei Prise, p. 27.
L. Crassus bei Prise, p. 21.
Cratippus, Quelle zu Ciceros Divi-
natio p. 560.
Cuba p. 173.
Curio bei Prise, p. 22.
Decreta p. 282; Datierung eines
Dekrets p. 304.
Demokritos, Berührungen mit dem
Anonymus lamblichi p. 307.
Dicaearchus, Quelle zu Cieeros Di-
vinatio p. 561 ff.
Donatianus bei Prise, p. 22.
JDonatus bei Prise, p. 27 ; Donat-
kommentar von Erchanbert v.
Freisingen p. 396 fi'.
Edikt p. 286.
Ehrendekret für die Astynomen p.
570; für die Prytanen u. deren
Beamten p. 572.
Eigentümlichkeiten des platonischen
Ötaatsentwurfs p. 235.
Ennius bei Prise, p. 16; 25; 26.
Kphehe p. 488.
Epistida, Erlaß der Kaiser p. 281.
Epitheta des Merkur p. 367.
Erchanbert v. Freisingen p.396ff. ;
Quellen p. 400 ff.
Eros, Bedeutung und Gebrauch
p. 52 ff.
Erziehung im Idealstaate Piatos
p. 230.
Etruskische Spiegel mit der Dar-
stellung des Herkules am Scheide-
■wege p. 4U0.
Euripides, Protesilaossage p. 547.
Fahius Maximus bei Prise, p. 19.
Familienlosigkeit im Idealstaate Pia-
p. 236.
C. Fannius bei Prise, p. 19; 22.
Feier am 2. Januar p. 484.
Fenestella bei Prise, p. 21.
Flaccus vgl. Verrius.
Formeln in den Edikten u. Briefen
der Kaiser Augustus bis Hadrian
p. 271 ff.
Frau Hütt-Sage p. 170.
Gaius bei Prise, p. 3.
Gallienus p. 11.
Gannius bei Prise, p. 17.
Gargilius Martialis p. 11.
Gebete am 1. und 3. Januar p.471.
Gebräuche am Neu jahrstage p.474ff'.
Gellius bei Prise, p. 1 ; 2; 19.
Gleichstellung von Mann u. Weib
in Rechten und Pflichten im
Idealstaat p. 236.
Glossen aus Cassius Felix p. 550 ff.
Glückwünsche am Neujahrstage ]3.
475.
Gordianus I und II p. 11.
Gottesdienst am 1. Januar p. 471.
Gracchus bei Prise, p. 17; 21.
Häuserschmuck am Neujahrstage
p. 481.
Häuslicher Gottesdienst am Neu-
jahrstage p. 471.
iZe/?cMesc7i-orientalischer Einfluß in
Rom p. 272.
Hemina vgl. Cassius.
Herkules am Scheideweg p. 488 ff.
Herodot, Atyslegende p. 547.
Horatius bei Prise, p. 26.
Hortensius bei Prise, p. 25.
Hosiius bei Prise, p. 25.
Hütt-Sage p. 170.
i und j in der latein. Orthographie
p. 462 Anm.
Jahresivechsel p. 472.
lamblichi Anonymus p. 500 ff. ; Be-
rührungen mit Demokritos p. 507.
1. Januar Neujahrstag p. 464;
Amtsantritt der Konsuln p. 464;
Feier am 2. Januar p. 484.
Idealstaat Piatos p. 229 ff.
Intitulatio, .'Adresse u. Gruß p. 290.
Johannesfeier p. 474.
luba bei Prise, p. 13.
Julius vgl. Cäsar ; Romanus ; Va-
lerius.
luvenal bei Prise, p. 26.
Kadmos, der Koer p. 321.
Kammanovelle p. 539.
Karer und Leleger p. 428 ff.
ÄflHfcast'scÄ-tatarisehes Märchen,
Uebei-einstimmung mit der Cha-
rite-Kammanovelle p. 541; 548.
Kleidung am Neujahrstage p. 481.
Konsuln, Amtsantritt am 1. Ja-
nuar p. 464.
K%iha-Kybele p. 118 ff.; 161 ff. ; 174.
Laberius bei Prise, p. 18.
Labys, Eunuch, Erfinder des yvwöi
asaoxdv p. 215.
Laevius bei Prise, p. 26.
Lato, Lutona p. 183 Anm.
Register
588
Lehenshaum p. 492 Anm. ; 493 ff.
LeJeger und Karer p. 428 ff.
Licinius vgl. Calvus ; Macer.
litera philosophica p. 494 ff.
Livius Andronicus bei Prise, p. 1 ;
16; 25.
Livius bei Prise, p. 19 ff.
Logos der Diotima in Piatos Gast-
mahl p. 52 tt\
Longanos, Schlacht p. 44 f.
Lucanus bei Prise, p. 25 ; 26.
Lucilius bei Prise, p. 26.
Lucius vgl. Cäsar,
Lucretius bei Prise, p. 26; Lucre-
tius Verhältnis zur Musik p. 529 ff.
Ljal-SuUa p. 543.
Li/kophron, zu dessen Nachleben
p. 578.
L. 3Iacer bei Prise, p. 19; 27.
mandata principis p. 282.
Marius Maximus, Quelle der scrip.
bist. Aug. p. 10.
Marsns bei Prise, p. 26.
Blaiiial bei Prise, p. 26.
1. Mars als Neujahrstag p. 464.
Maximinus iunior p. 11.
Maximus vgl. Fabius; Valerius.
G. Memmius bei Prise, p. 22.
Merkur, von Aristophanes geschil-
dert p. 344 ff.; 367; Epitheta
p. 367.
Metellus Numidicus bei Prise, p. 21.
Mummius bei Prise, p. 18.
MythograpJiiscIies p. 152 ff.
Naevius bei Prise, p. 16; 25.
Namatianus vgl. Rutilius.
Cornelius Nepos bei Prise, p. 19.
NeujaJirsfeier im röm. Reiche p.
464 ff. ; von Arbeit frei p. 474 ;
Geschenke p. 475 ff.
Nibelungenlied, Vergleich mit der
Charitenovelle p. 545.
Nigidius Figulus bei Prise, p. 26.
Nisus bei Prise, p. 27.
Novius bei Prise, p. 18.
Numerianus p, 11.
Olympius Nemesianus p. 12.
Orbilius bei Prise, p. 27.
Orgel in der röm. Literatur p. 535 ff.
Ovid bei Prise, p. 26.
Pacuvius bei Prise, p. 12.
Palaemon vgl. Remmius.
Panaetius, Quelle zu Ciceros Di-
vinatio p. 560 ff.
Panormus, Schlacht p. 419.
Parakletike p. 573.
Pariser Zauberpapyrus p. 575.
Paterculus vgl. Velleius.
Paidus, Jurist p. 11.
Peleus, Hochzeit p. 125.
Persius bei Prise, p. 26.
Pessinunt p. 125.
Petronius bei Prise, p. 3; 26.
Philosophen, Herrschaft derselben
im Idealstaat Piatos p. 235.
Piso vgl. Calpurnius.
Plato, Logos der Diotima in Piatos
Gastmalil p. 52ff. ; politische
(irundanschauungen p. 229 ff. ;
Eigentümlichkeiten des plato-
nischen Staatsentwurfs p. 235;
Protagoras, Berührungen mit
dem Anonymus lamblichi p.
508 ff.; Platonica p. 332; Piatos
Mienen p. 334 ff. ; Porträtbüste
p. 336 ff. ; Epist. XIH unecht
p. 332; Tod p. 333.
Plautus bei Prise, p. 17; 18.
Plinius bei Prise, p. 27 u. Anm.
Plutardis Erzählung von Kammas
Tode Vorbild für Ariosts Be-
richt von Tanacro, Oiindro und
Drusilla p. 540 ff.
Politischer Standpunkt des Ano-
nymus lamblichi p. 501 ff.
Pollio vgl. Asinius.
A. Pornpeius bei Prise, p. 22.
Pompeius vgl. Trogus.
Pomponius Secundus bei Prise, p.
17; 18.
Posidonius, Quelle zu Ciceros Di-
vinatio p. 560 ff.
Priscianus, Beiträge zur Ueberlie-
ferungsgeschichte der röm. Lite-
ratur p. 1.
Probus Berytius bei Prise, p. 27.
Propertius bei Prise, p. 26.
Protagoras, Berührungen mit dem
Anonymus lamblichi p. 508 ff.
Protesilaossage bei Euripides p. 547.
Puhlilius bei Prise, p. 18.
Punischer Krieg, erster p. 410 ff.
P^/^/ifl^^oraslegende p. 493 ff.
Claud. Quadrigarius bei Prise, p.
11; 19.
Quincunx im röm. Heere p. 200 ff.
Quintilian bei Prise, p. 27.
Bemmius Palaemon bei Prise, p. 27.
Eemus p. 154.
Reskript, Briefform p. 281.
lul. Romanus p. 11.
Twp.o; u. Remus p. 154.
Rutilius Namatianus p. 11.
Sacerdos p. 11.
584
Register.
Scaurus vgl. Terentius.
Schifferlied aus Oxyrhynchos p. 445.
Schild, Feldausrüstung des röm.
Offiziers p. 523 ff.
SchlussprotokoU p. 304.
Sejnprunius Asellio bei Prise, p. 19.
Seneca bei Prise, p. 17.
Corn. Severus bei Prise, p. 25.
Severus vgl. Cassius.
Sienna bei Prise, p. 19.
Sklaverei im Idealstaate Piatos
p. 238.
Spiritus asper und lenis in der
Umschreibung hebräischer Wör-
ter p. 456 ff.
Sprachgebrauch in den Briefen der
Kaiser p. 308.
Staberius bei Prise, p. 27.
Statins bei Prise, p. 25; 26.
Strassenunfug am Neujahrstage p.
482.
Suhscriptiones p. 282.
Sueton bei Prise, p. 9 ; 27.
Sulla bei Prise, p. 19.
Tacitus, Kaiser p. 11.
Tafelfreuden am Neujahrstage p.
481 ff.
Taube, Symbol der semitischen
Muttergöttin p. 183.
Teukros, Name der Priesterkönige
von Olba in Kiiikien p. 108 Anm.
Terentianus bei Prise, p. 3.
Terentius bei Prise, p. 17; 18.
dvansLpia
(xväTieipog statt &vä7i:Yjpog
'Ao-cäp-cY]
AaiivajjLevöüg
AsXcpixä fpd\i.\ia.iix 210
AwiaäxYjp
s!JL7r£t.pog für siinr^pog
Iv STcicfavsa-cäxcp
'Ecpsaia yP<^1J'!J''*'^oc
Zi^i|i(|i)rjv73
"Hßyj
Ka|jiäpa
Kc|lßY)
KüßeXov
XeönY]
jieyapov
Terentius Scaurus bei Prise, p. 8.
Ticidas bei Prise, p. 26.
Titinius bei Prise, p. 18.
Traianus, Kaiser, bei Prise, p. 21.
Trogus Pompeius bei Prise, p. 21.
Trophon, Fragm. p. 453.
Turpilius bei Prise, p. 18. »
u und v in der latein. Orthogra-
phie p. 462 Anm.
Ulpian bei Prise, p. 3 ff.
Umzüge in Verkleidungen am Neu-
jahrstage p. 4J53.
Unsterblichkeit p. 56 ff.
Valerius Antias bei Prise, p. 19.
Valerius Maximus bei Prise, p. 18 ;
21.
lul. Valerius p. 12; 14.
Varro bei Prise, p. 25 ; 26 ; 28.
Varro vgl. Visellius.
Velleius Paterculus bei Prise, p. 21.
Vergilius bei Prise, p. 25 ff.
Verkleidungen am Neujahrstage
p. 483.
Verrius Flaccus bei Prise, p. 27.
Marius Victorinus p. 11.
C. Visellius Varro bei Prise, p. 22.
Vorsokratiker p. 368 ff.
Weisspappel p. 493.
Weltbaum p. 492 Anm. ; 493 ft'.
Wochentage mit den betreffenden
Planeten p. 573.
Zauherpapyrus p. 575.
Zeus Kariös p. 480.
194 Anm.
450
194
185
187
489 ff.
444
186
185
199
461; 462
496
185
3 579
579
302
117
496
483 ; 579
[. Wörter
verzeichuis.
461
('O)pela
170
TToXXöv mit Komparativ
452
Tsia
452
SsXf^vrj
161
Tiaiiou
220
r
ff.; 224 ff-.
uSäTV]
169 ff.
Xaaßoö
451; 452
Xaiiäp
449
Xaußäp
210 ff.
(baiävva
190
bivium
172
Camera
185
cervulum (. . lam) facer
170
dies vetulae
165 ff.
narratio
493
rarus
169 ff.
trivium
189
vetulam facere
452; 453
PA Philologus
3
P5
Bd. 63
PLEASE DO NOT REMOVE
CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET
UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY
*/ -\^
i^^^^'^y
=M.*
^L*^-