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PLASTISCHE ANATOMIE
DES
MENSCHLICHEN KÖRPERS.
Em HANDBUCH
FÜR KUNSTLER UND KUNSTFREUNDE.
Von ..vH*'
J^tKOLLMANN, i^^-l ")VS.
O. Ö. PROFEf
S8SOR DER ANATOM» ZU BA8BL.
MIT ZAHLREICHEN ABBILDUNGEN IM TEXT"
LEIPZIG,
VERLAG VON VEIT & COMP.
1886.
IMEimm. STANFORD MMi\(^^^
Das Recht der Herausgabe von Übersetzungen vorbehalten.
Druck von Metzger & Wittig in Leipzig.
Vorwort
Wenn der Künstler den Bau des menschlichen Körpers kennen
lernen will, um die mechanische Grundlage der äußeren Erscheinung
zu begreifen, so muß er, wie ich glaube, denselben Weg wandeln, wie
der angehende Mediziner, nämlich mit dem Anfang anfangen. In der
Knochenlehre ühd in der Muskellehre liegt der Schatz von Kenntnissen,
der gehoben werden muß. Daß dies der richtige Weg sei, zeigen jene
Werke über plastische Anatomie, welche von Künstlern flir Künstler
hergestellt wurden. Solche Werke enthalten vorzugsweise die eben-
erwähnten beiden Abschnitte der Anatomie. Deshalb befaßt sich auch
das vorliegende Buch vorwiegend mit der Knochen- und Muskellehre.
Der Text ist nach dem Muster unserer Lehrbücher der syste-
matischen Anatomie so abgegliedert, wie dies eine schon alte Lehr-
methode als zweckmäßig erwiesen hat, eine Methode, die ich überdies
mehrere Jahre hindurch bei meinen Vorträgen über plastische Anatomie
an der Akademie der bildenden Künste zu München erprobt habe.
Die Knochenlehre nimmt naturgemäß einen verhältnismäßig großen
Teil des vorliegenden Werkes ein, denn sie enthält auch die Beschrei-
bung der Gelenke und ihrer Mechanik; das Knochengerüste ist eben
der Kern der menschlichen Gestalt. Die Muskellehre ist dagegen etwas
mehr zusammengedrängt; sollte sie manchem noch zu gedehnt erschei-
nen, so ist zu erwägen, daß es flir das Verständnis der Formen nicht
ausreicht, nur den Verlauf des Muskels anzugeben, sondern es muß
auch seine Form und die Form seiner Sehne beschrieben werden,
weil beide flir das Auge des Künstlers gleichzeitig, in der Kühe wie in
der Bewegung, auf zwei bewegliche Systeme, nämlich auf das Skelett
und auf die Haut, wirken.
Die Erfahrungen über den großen Einfluß der Sehne auf die For-
men sind hier zum erstenmale im ganzen Umfang gewürdigt worden.
Jede Abbildung zeigt dies durch die verschiedene Behandlung von
Fleisch und Sehne deutlich an. Figuren wie auf S. 208 und 385
erklären sich von selbst, auch ohne Text, und würden flir sich allein
genügen, wenn es sich in der Kunst nur um die Wiedergabe der einen
jy Vorwort.
ruhigen Stellung handelte. Die unendlich wechselvollen Formen werden
aber nur verständlich, wenn der Zusammenhang der gestaltenden Kräfte
erkannt ist und sich das Äußere als notwendiges Ergebnis der inein-
andergreifenden Teile darstellt.
Abschnitte über Eingeweide und Nerven wird man vollständig
vermissen und selbst von dem Gefäßsystem sind nur einige oberfläch-
liche Venengebiete berücksichtigt. Nicht alle dem Anatomen bedeu-
tungsvollen Teile des Körpers sind eben auch dem Künstler wichtig.
Die Beschreibung der Formen muß in der Anatomie an der ge-
raden, aufrechten Haltung des Körpers beginnen. Sie ist die Aus-
gangsstellung für jede Bewegung wie für jede Orientierung. Um aber
die Erklärung der Mechanik und einiger Phasen der Bewegung ab-
wechslungsreich zu gestalten, sind in den Text auch bewegte Figuren
aufgenommen worden. Besonders geeignet sind nach dieser Richtung der
Borghesische Fechter und die Skizzen Michelangelg's. Michel-
angelo ist am tiefsten in das Wesen der Formen eingedrungen, und
seine Zeichnungen sind für die Verwertung in der plastischen Anatomie
wie gemacht.
Um das unvermeidliche Einerlei der anatomischen Beschreibungen
dem Leser etwas angenehm zu machen, bin ich dem Beispiel eines
ausgezeichneten anatomischen Schriftstellers gefolgt, und habe, zwar
nur in kleiner Dosis, physiologische, historische und sprachliche Zugaben
in den Text gemischt. Die ersteren gehören streng genommen zur Sache,
die letzteren sind vielleicht Hilfsmittel, um maijche der abenteuerlichen
Namen im Gedächtnis zu behalten. Ich wenigstens, und mit mir viele,
haben diese Zuthaten in Hyetl's Werken stets mit wahrem Behagen
gelesen.
Jeder Versuchung, die Idee eines Kunstwerkes oder seine Aus-
führung prüfend zu beurteilen, habe ich widerstanden, weil das streng-
genommen nicht in das Gebiet der Anatomie hineingehört. Diese
Zurückhaltung mag wohl manchen überraschen, der unter plastischer
Anatomie statt einer Beschreibung der Muskeln und des Skelettes
eine kritische Prüfung von Kunstwerken versteht, allein ich bin der
Meinung, daß derartige Betrachtungen über das innere Wesen eines
Kunstwerkes in das Gebiet der Archäologie und der Kunstgeschichte
gehören.
Basel, im Dezember 1885.
Der Verfasser.
Inhalt.
Seite
Einleitung i
Aufgabe der plastischen Anatomie 3
Studium der plastischen Anatomie (Methode) 5
Geschichte der plastischen Anatomie und Bemerkungen über die Figuren
dieses Buches 9
Plastisch-anatomische Präparate 18
Erster Teil.
Erster Absehnltt. Das Skelett.
Allgemeine Bemerkunfi:en 24
Allgemeine Eigenschaften der Knochen 26
Verbindungen der Knochen 31
Naht. Knorpelfuge. Gelenk 31
Allgemeine Beschaffenheit eines Gelenkes 32
Gelenkformen. . 36
Das Kugelgelenk 36
Das Winkelgelenk 40
Zusammengesetzte Gelenke 43
Straffe Gelenke 45
Zweiter Abschnitt. Die Haut.
Die Haut 46
Farbe der Haut 47
'Unterschiede der Haut, bedingt durch das Geschlecht .... 49
Hautfalten • . . . . 53
Die Grübchen in der Haut und ihre Entstehung 58
Hautfalten an den Gelenken 63
Dritter Abschnitt. Die Haare.
Vierter Abschnitt. Spezielle Knochenlehre.
A. Der knöcherne Kopf (Schädel).
Allgemeine Eigenschaften des Schädels 73
Hirnschädel 74
Verbindungsarten der Schädelknochen 81
Gesichtsteil des Schädels 82
B. Beschreibung der einzelnen Schädelknochen.
Das Stirnbein . . , 92
Die Scheitelbeine 95
Das Hinterhauptsbein 95
Das Schläfenbein 96
Die Qesichtsknochen.
Das Oberkieferbein 97
Die Nasenbeine 100
Das Wangenbein 101
Der Unterkiefer 102
YI Inhalt.
Seit«
Das UnterMefergelenk und die Beweg^gen desselben 104
Zähne 105
Fttnfter Abschnitt. Knochen des Stammes.
1) Wirbel 118
Die Halswirbel und die Bewegung des Kopfes 115
Die Brustwirbel 118
Die Lendenwirbel 119
Das Kreuzbein 120
' Betrachtung der Wirbelsäule als Ganzes 121
Die Gelenke und Bänder der Wirbelsäule 122
Bewegungen der Wirbelsäule 125
2) Brustbein. 127
8) Die Eippen 130
Betrachtung des Brustkorbes als Ganzes 131
Die Bewegungen der Brust 134
Der Tod in seiner Wirkung auf die Form des Thorax 144
Sechster Abschnitt. Skelett der Gliedmaßen.
Das Skelett der oberen Gliedmafsen.
Der Schultergürtel 147
Das Schlüsselbein 147
Das Schulterblatt 148
Das Skelett der freien Extremität.
Der Oberarmknochen 152
Das Sehultergelenk, seine Bewegungen und diejenigen des Schulter-
gürtels . 155
' Die Knochen des Vorderarms 160
Die Elle 161
Die Speiche 162
Das Ellbogcngeleuk und der Einfluß seiner Bewegungen auf die
Form des Armes 163
Das Skelett der Hand 170
Die Handwurzel 170
Erste Reihe der Handwurzelkuochen • ... 170
Zweite Reihe der Handwurzelknochen 171
Die Mittelhandknochen 175
Die Knochen der Finger 176
Bewegungen der Hand und der Finger 177
Handgelenk 177
Beugung und Streckung der Hand 178
Ulnarflexion und Radialflexion . 179
Bewegungen zwischen der Mittelhand und den Fingern. . . . 181
Die Fingergelenke 184
Allgemeine Bemerkungen 185
Skelett der unteren Gliedmaüsien.
Der Beckengürtel 188
Das Hüftbein 189
Die Verbindung des Kreuzbeins mit dem Hüftknochen . . . . 192
Das Becken als Ganzes 193
Der Oberschenkelknochen 196
Das Hüftgelenk 199
Die Knochen des Unterschenkels 202
Das Kniegelenk 206
Das Skelett des Fußes 211
Die Fußwurzel 212
Die Knochen des Mittelfußes 215
Inhalt. YQ
Seite
Die Zehen 217
Die Gelenke des Fußes 219
Allgemeine Betrachtungen 221
Siebenter Abschnitt. Huskellehre.
Allgemeine Übersicht 225
Verschiedene Formen der Sehne 227
Verschiedene Formen des Muskelbauches 284
Eigenschaften des lebendigen Muskels u. einige Arten seiner Wirkung 236
Der winkelige Verlauf der Muskeln 242
Die Knochen als Hebel 245
Die Fascie 247
a. Der Zusammenhang der Fascie mit den Muskeln ...» 248
b. Die Fascie, eine Ursprungsstätte von Muskelbündeln . . 251
c. Die Zwischenmuskel bänder 251
d. Die Ringbänder und Kreuzbänder 252
Achter Abschnitt. Muskeln des Kopfes.
1. Muskeln des Antlitzes nnd des Schädeldaches 253
Muskeln in der Umgebung der Lidspalte 254
Muskeln in der Umgebung der Mundöfihung 258
Die Muskeln der Nase 268
Die Muskeln des äußeren Ohres und des Schädeldaches . . . 265
Muskeln des Unterkiefers (Kaumuskeln) 266
n. Das Ange 274
Der Augapfel 274
Äußere Umgebung des Auges 280
Hautfalten in der Umgebung der Lidspalte . . .* 283
Die Augenbrauen ~. 287
Die Haut der Lider 288
Die offene Lidspalte 290
Die Bindehaut des Auges 293
Die Augenmuskeln 294
m. Die Nase 297
IV. Das Ohr 302
V. Der Ausdruck der Gemütsbewegungen 308
Der Blick 312
Unterschied des Schlafenden und des Toten 318
Gebärdenspiel des Gesichtes 319
Neunter Abschnitt. Muskeln des Rumpfes.
L Die Anatomie des Halses 341
Zungenbein, Kehlkopf und Schilddrüse 342
Muskeln des Zungenbeins 347
Muskeln des Halses 348
Die vordere Region des Halses und die Scitenregionen .... 353
n. Muskeln der Brust 360
Gliedmaßenmuskeln der Brust 362
Muskeln des Thorax 369
in. Muskeln der Bauchwand 369
Vordere Bauchmuskeln 370
Hintere Bauchmuskeln 382
17. Muskeln des Eückens 382
Oberflächliche Muskelgruppe, welche die Gliedmaßenmuskeln des
Rückens umfaßt 383
Tief liege ade Muskelgruppe 390
Muskeln zwischen Hinterhaupt und den ersten Halswirbeln . . 395
YTTT Inhalt.
Seite
Zehnter Abschnitt. Muskeln der Oliedmaßen.
I. Mnskeln der oberen GliedmalÜBen 402
Die Muskeln der Schulter 402
Die Muskeln des Oberarmes 406
Die Muskeln des Vorderarmes . . ; 412
Die Muskeln der Hand . . * 423
Die Venen des Armes 430
n. Die Mnskeln der unteren Gliedmafsen 435
Die Muskeln der Hüfte 435
Die Muskeln des Oberschenkels . . • • 441
Die Muskeln des Unterschenkels 452
Die Muskeln des Fußes 460
Die Venen des Fußrückens und des Beines 465
Zweiter Teil.
Erster Abschnitt. Anatomie des Weibes 470
Merkmale des weiblichen Skelettes 471
Das Fettpolster 477
Zweiter Abschnitt. Anatomie des Kindes 48i
Proportion des Kindes von acht Monaten 482
Besondere Merkmale der einzelnen Körperabschnitte 487
Haut) Muskeln und Skelett des Kindes 490
Dritter Abschnitt. MechaniJc der Stellungen und der Orts-
bewegung 492
Der Schwerpunkt und das Stehen 492
Das Gehen 502
Das Laufeh 507
Das Sitzen 509
Yierter Abschnitt. Proportionslehre des menschlichen EOrpers 512
Die Proportion des Erwachsenen.
Die Proportion der Körperhöhe 513
Die Proportion der Körperbreite 520
Die Proportion der Körpertiefe 521
Die Proportion des Gesichtes 522
Kanones, denen ein anderer Modul zu Grunde liegt 525
MiCHELANQELO*s Kauou 526
Die Proportion des natürlichen Skelettes , 527
Die Proportion des menschlichen Körpers bei Anwendung des
Dezimalsystems 533
Fftnfter Abschnitt. Über Menschenrassen 537
Register 555
Druckfehler 563
ITaohweis zu den Abbildungen 564
Einleitung.
Kollmann, Plastische Anatomie.
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STANfOPD UNlVESa
300 PASILUR
PALO ALTO, CALIFl
4 Einleitung.
der Bewegung, bildet eine weitere Aufgabe, welche der Abschnitt
„Muskellehre" umfassen wird.
Diese beiden Hauptabschnitte bilden den umfangreichsten Teil
der plastischen Anatomie. Dabei ist es unerläßlich, die toten Teile
mit den lebendigen zu vergleichen. Modellstudien am Lebenden sind
fiir die Erklärung der äußeren Gestalt ebenso wichtig, wie die prüfende
Forschung mit Schere und Messer an der Leiche. Denn es handelt
sich in der Lehre von dem Bewegungsapparat des Organismus, wie
man die Kenntnis von Knochen und Muskebi auch genannt hat, nicht
bloß darum, das einzelne in seiner Erscheinung zu erfassen, sondern
die lebendige Form in ihrem reichen Wechsel zu verstehen.
Mit der Kenntnis des Bewegungsapparates jedoch ist an sich das
Gebiet der plastischen Anatomie nicht abgeschlossen.
Ln Innern des Rumpfes, in den beiden großen Höhlen, welche
als Brust- und Bauchhöhle bekannt sind, befinden sich große nnd um-
fangreiche Organe, welche den Zwecken des Lebens dienen. Eine Er-
örterung ihrer Foimen und ihrer Bedeutung ist notwendig, um den
Einfluß auf die äußere Erscheinung des Körpers zu verstehen. Weder
die Brust, noch der Unterleib haben stets dieselbe Gestalt. Ruhe
und Bewegung prägen dem Rumpfe ebenso deutliche Zeichen auf, wie
den Gliedern. Die Anatomie des Thorax: sein Aussehen während der
verschiedenen Phasen der Atmung, bei bedeutenden Anstrengungen,
bei den die Seele tief erregenden Affekten, oder endlich bei dem leb-
losen Körper wird erst verständlich, wenn die Thätigkeit der Lungen
bekannt ist.
Ein besonderes Kapitel soll ferner der Haut gewidmet sein, welche
wie ein durchsichtiger Schleier den menschlichen Körper bedeckt. Der
Muskelzug erzeugt auf ihr Spannungen und Falten, sie läßt bald Ge-
fäße, Muskelztige und Knochenkanten durchscheinen, oder verhüllt, je
nach Geschlecht und Alter, von den tieferliegenden Organen, was in
anderen Fällen klar zum Ausdruck kommt.
Für alle diese Erörterungen bildet der Körper des Mannes
den Ausgangspunkt.
Vertraut mit dessen Formen soll dann in weiterer Folge der
Körper des Weibes geschildert werden, soweit er in seinen Formen
abweichend ist.
Daran schließt sich naturgemäß eine kurze Betrachtung der
körperlichen Eigenschaften des Kindes und die Lehre von den Pro-
portionen.
Unser Gegenstand gliedert sich demnach in folgende Haupt-
abschnitte :
Stadiam der plastischen Anatomie.
I. Teil.
1. Übersicht der Formen des Skelettes,
2. Die Haut.
3. Die Knochenlehre.
4. Die Muskellehre.
II. Teil.
1. Die Anatomie des Weibes.
2. Die Anatomie des Kindes.
3. Die Mechanik der Stellungen und der Ortsbewegung.
4. Die Proportion des menschlichen Köi-pers.
II.
Studium der plastischen Anatomie (Methode).
In der darstellenden Kunst geht wie in den beschreibenden Natur-
wissenschaften alles Lernen und Begreifen mit der Beobachtung Hand
in Hand. Trotz aller Bücher muß man die Dinge leibhaftig vor sich
sehen. Sonst bleibt der Worte Sinn unverstanden, und das Buch
wie der Vortrag trotz erklärender Figuren von geringem Einfluß. Die
Formen des menschlichen Körpers aus Büchern allein lernen zu
wollen, wäre ebenso verkehrt, als wenn man die Tiere und Pflanzen
nur nach Beschreibungen und Photographien darstellen wollte. Die
Kunstakademien sollten deshalb im Besitz einer kleinen Sammlung
sein, welche ganze Skelette, dann die größeren Abteilungen des-
selben, wie Brustkorb, Schädel und Becken, femer die Knochen der
Extremitäten in verschiedenen Arten der Zusanmienstellung und in
genügender Zahl enthält. Eine solche Sammlung sollte in liberalster
Weise jedem Schüler ofi'en stehen. Die Technik in der Anfertigung
von Unterrichtsmaterial ist in hohem Grade entwickelt worden, und
hält mit den Anforderungen der vervollständigten Methoden gleichen
Schritt. Es fehlt auch nicht an guten Modellen für die Muskulatur des
menschlichen Körpers und diese sind selbst durch die besten Zeich-
nungen nicht zu ersetzen. In anderen Gebieten des akademischen
Unterrichts ist der Wert derselben Methode längst anerkannt. Überall
bestehen an den Kunstschulen Antikensäle, in welchen nach Abgüssen
Auge und Hand geübt werden. Die „Vorlagen** sind mit Recht ver-
lassen, und haben dem Abguß und dem Modell Platz gemacht.
Für den Unterricht in der plastischen Anatomie ist dasselbe
6 Einleitung.
Verfahren unerläßlich, soll die Kenntnis der Formen sich vertiefen.
Vorlesungen allein genügen nicht. Die besten Vorträge haben nur den
Wert von Ferngläsern, welche uns den fremden Gegenstand in die Nähe
rücken und deutlicher erkennen lassen, aber sie machen das eigene
Sehen nicht überflüssig. Es sollte also nach dem Skelett gezeichnet
werden und auch nach anatomischen Modellen, welche naturgetreue
Reproduktionen von Muskelpartien des menschlichen Körpers darstellen.
Die letzteren sollten in doppelter Zahl aufgestellt sein, und zwar ein-
mal in der weißen Farbe des Abgusses, damit keine falsche Licht-
wirkung irre führe, dann noch koloriert, um dasjenige, was als Muskel
sich wesentlich verschieden von der Sehne währeifd der Ruhe und
während der Bewegung verhält, deutlich vor Augen zu führen. Weiße
Abgüsse von Muskelpräparaten sind schwieriger zu deuten als gefärbte.
Denn an den ersteren ist nicht immer gleich zu erkennen, wo der
Muskel aufhört und die Sehne beginnt. Dagegen ist an den kolorierten
stets wahrnehmbar, wo Fleischmassen beginnen oder aufhören.^ Ohne
solche Hilfsmittel werden z. B. die Formen des Rückens und des
Unterleibes niemals klar werden, es sei denn, daß der Schüler an der
Leiche selbst Studien mache, was nicht an allen Orten ausführbar ist.
Der Schüler muß femer diese anatomischen Zeichnungen direkt mit
dem lebendigen Körper vergleichen, wenn sein guter Wille Erfolg
haben soll. Modellstudien am Lebenden müssen stets das anatomische
Studium begleiten, und zwar sowohl den Vortrag des Lehrers als die
Arbeit des Schülers. ^
Bei der Wahl der Modelle flir den anatomischen Unterricht ist wohl
zu berücksichtigen, daß man zu den Demonstrationen für die Knochen-
lehre magere Individuen wähle; fiir die Erläuterungen zur Muskellehre
dagegen kräftige Männer aussuche, solche mit dünner fettloser Haut,
gleichzeitig intelligent genug, um jene forcierten Bewegungen auszuführen,
welche die Konturen der Muskeln am schärfsten hervortreten lassen.
Der Fettwanst ist flir Muskelstudien gänzlich unbrauchbar. Es ist
ferner zu bedenken, dass nur höchst selten der ganze Körper gleich-
* Die Kgl. bayer. Akademie der Künste in München hat eine solche doppelte
Reihe von Abgüssen anfetellen lassen. Sie fanden dort s. Z. eine doppelte Ver-
wendung, als Unterrichtsmaterial bei den Vorlesungen und gleichzeitig als Vorlagen
für das anatomische Zeichnen.
* Bei meinen Vorträgen an der Akademie der bildenden Künste in München
habe ich stets dieses Verfahren festgehalten und befolge es auch in dem vorliegenden
Handbuch. Dasselbe Verfahren sollte ausgedehnte Anwendung finden sowohl bei
den Vorträgen über Knochen-, als bei denen über Muskellehre, dann ist zu hoffen,
daß die Erinnerung der vorausgeschickten anatomischen Details noch ^scli in dem
Gedächtnis sitzt und durch die Nutzanwendung, welche auf dem Fuß folgt, ver-
tieft werde.
Studium der plasüschen Anatomie. j
mäßig entwickelt ist; bald ist es nur der Oberkörper, während der
Unterkörper mangelhaft ist und umgekehrt. Hier ist für plastisch-
anatomische Zwecke geeignete Auswahl unerläßlich.
Der Künstler findet übrigens, abgesehen von der Gelegenheit im Akt-
saal, ein ganzes Museum für seine Studien — an dem eigenen Körper.
Er hat dabei den Vorteil, durch seinen Willen gerade jene Muskeln
in Spannung versetzen zu können, deren Verlauf seine Aufmerksamkeit
in Anspruch nimmt, was bei dem Modell erst nach langer Übung zu
erreichen ist. Ein Maler oder Bildhauer ist ferner kaum zu denken,
der nicht längere Zeit einen skelettierten Schädel sein Eigen genannt
hätte, und eine kleine Knochensammlung, in welcher wenigstens die
Hand und der Fuß vertreten sind. Diese Skelettteile sind leicht zu
beschaflfen.^
Diese flir die menschliche Anatomie vorgeschlagene Methode des
Studiums muß derjenige noch in mancher Hinsicht erweitem und ver-
tiefen, welcher die volle Freiheit in der Darstellung der menschlichen
Körper erreichen will. Er muß an der Leiche mit dem Messer dem
Zusammenhang der Teile folgen, also sezieren. Wem die Möglichkeit
gegeben ist, auf einem Seziersaal Hand anzulegen, der wird sich da-
durch erst den ganzen Erfolg seiner anatomischen Studien sichern.
Von verschiedenen Seiten her muß man sich also die Kenntnis
des menschlichen Körpers zusammentragen. Für das Studium der
Tiere existieren heute dieselben günstigen Bedingungen, wie einst
für den Menschen bei den Griechen. Die griechischen Schulen für
Künstler befanden sich in den Gymnasien; da wurde unter der
Aufsicht des Staates die körperliche Erziehung der männlichen Jugend
geleitet. Nackt erschien auf dem Spielplatz der junge Grieche zu den
Leibesübungen, nackt fanden sie sich zu den Wettspielen unter freiem
Hinunel ein. Die reife Jugend, die an den olympischen Spielen teil-
nahm, war verpflichtet, sich einer mehrmonatlichen Vorbereitung zu
unterwerfen. Die köi'perlich vollendetsten Menschen waren also un-
ausgesetzt vor den Augen der Künstler. Dort in den Gymnasien stu-
dierte man die Wendungen und Stellungen an den blühend fi-ischen Ge-
stalten und an dem Abdrucke, den die Ringer im Sande zurückgelassen
hatten. Unter solchen Umständen gelang es in Griechenland, die
ganze Schönheit der menschlichen Gestalt aufzufassen, und sie in
* Am Schluß dieses Abschnittes finden sich Firmen für osteologische Präparate
aufgeführt. Da man sich seilest aus den wortreichsten Beschreibungen der Knochen
kaum eine richtige Vorstellung von ihrer Gestalt bilden kann, so wird es zur un-
erläßlichen Bedingung, die einzelnen Knochen in natura vor Augen zu haben. Ab-
bildungen geben nur unvollkommenen Ersatz. Das Besehen der Knochen lehrt sie
besser kennen als das Lesen ihrt^r Beschreibungen.
lL»3cist<rr Vollendung den kommenden Jahrhnnderten zn staonender
BrTr2r.«ienin2 zu überlietem.
SmBäiL m 'ier L^i^^ uisesCirllt. Bei 4eiii AnbBek der roUenriet^n Fi;zami «ines
b«>c£3Hts%l!f>ii FieciifirTs. »>i»r eiiK^ LA*>kooo und der p^zgamieiiidebeii KniEtverke
VrtjTw T»*« kmm 'iftnLn zw^ii^In. i>bv«jhL so^Zffl ich vri&. kein*? dip^kcen Angaben
iiriVr 4iifip?nxi:«iirn ä&L IVr s«.4LEag«rSi>i?te Bi^wtri*. «laß 4e «ias Skrfc« in all
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LiffiCK: Wse «i^^ Alvn •ien T*>i ahjZi^bfliiec. Don üf sirühKicijZ mh^ptak. daß
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T3ii rar 'feni Ar<It> in I^tf»hi rin bri-caene» SkeLetc i=t- •>rS4rbrTik remAehc
E^Di'icirr. «isr zax Ziri: -^ Phuujls iebo?. hat man on in Gräbirm az£^cp:-S*n-
Htkc *r»äfciit «iffr Abbil»i:zi^ riner alten •jrciir:«?. in wrI«^bEr «fir. zn^'hifobijr
pTKtfCiir 'ffe Harri rir^^ v-r-r Um: «trheoirn SkrttTi» in v&^ >r Hv-^i-e* leijt.
-r-ihrfc»! rin fe-j?E»t?r •'^niLi- äl»r bei^ie- «eine Faekel «h^vin^. Wj^krüi^h ein
M*arcf^ ziL*i rief-=* Srin?»! «ier innizstrn VerbcniiTZE;r «i^r KrCknr.*^ niit «ier
Wer mit Hüte eines HAndbache* sich die Kenntcisse vie^ Skelettes
3:i'i «ier Muskeln enrerben will. >«jweit dies mit >*>IcLen: Hili-mittel
^be^rhiupt mo^zHch. der wird am schnellsten zum Ziel srelingen. wenn
rT ie Abbrldunzen nicht bloß betrachtet, sondern sie -^-r-r: näch-
zeioLnet und zu den wichtiarsten Punkten die entspreche^ien Xamen
hinrasetzt, Keses Kopieren s^»il st>L4nge lortgesetr: wer^Ien. bis mm
im stÄ^de ist. iuswen^üs: die einzelnen Teile nachzuzeichneiL. Ein s*:'k*hes
Verikhren fcknn m^n .^uswendidemen mit dem Stift- neuiTii. Wir
^erLilien un.* dabei zerade so. wie bei dem Auswen-üclrmen eines
"Teiü-iLre?. Man überschaut zuerst die Hauptp^jtftien :ind rrizt sich
Hazipcsatz fe- Hauptsatz ein. Man Tersucht «iann ^ekirzLtiich
rei weggelestem Buche sie wieder herzusagen . und weim zi:i- r.:oht
r'TTwkommen kann, sieht man in dem Teste wieder nach. >:■ rrlr: nan
auch mit dem Bleistift die anatomischen uzd die leNrnli^rn F.rzien
dem «jedichtzis ein.
Es wurde schon oben des Studiums an der Leiche i?riach:. Wäs
Mtftskd ist sein Ursprung und Verlauf, das Verhalte« ier SeL^en.
Stadiam der plastischen Anatomie. 9
der Bau der Gelenke, diese Grundvorstellungen sind für den Künstler die
allerwicbtigsten. Sie müssen an der Leiche gewonnen werden. Und ist
die Zergliederung des Menschen unmöglich, so zergliedere man Tiere.
Selbst das Bein eines Grasfrosches wird nach dieser Richtung hin
lehrreicher sein, als eine lange Beschreibung über das Wesen eines
Muskels, und die anatomische Zerlegung irgend eines Vierfüßlers auf
der Veterinärschule hilft mehr zu dem Verständnisse des lebendigen
Körpers, auch des Menschen, als ein dickes Buch. Übrigens bietet
sich überall in den Universitätsstädten Gelegenheit zu Studien an der
Leiche. Hoffentlich werden sie wieder ebenso eifrig betrieben werden,
wie einst zur Zeit der großen italienischen Kunstepoche.
Michelangelo soll zwölf Jahre lang Anatomie studiert haben. Er
hat viele Leichname seziert, und nicht nur von Menschen, sondern auch
von Tieren, vornehmlich von Pferden. „Da ist kein Tier, das er nicht
seziert hätte, und von der menschlichen Anatomie hatte er eine so
gute Kenntnis, wie kaum einer, der sein ganzes Leben nichts anderes
studiert hat." Er soll die Absicht gehabt haben, ein Werk über die
Bewegungen und die Formen des menschlichen Körpers, sowie eine
Osteologie herauszugeben, in welcher er eine von ihm durch lange
Praxis gewonnene Proportionslehre aufzustellen gedachte; die des
Albrecht Dübee habe ihm nicht gefallen, weil dieselbe nur von den
Maßen und Varietäten des Menschenkörpers handle, worüber sich keine
bestimmten Regeln aufstellen ließen und alle Figuren kerzengerade
stünden. (Vasari, G., Leben der ausgezeichnetsten Maler etc., übersetzt
von E. Forster. Stuttgart und Tübingen 1847. Bd. V. S. 417 u. flf.)
IIL
Geschichte der plastischen Anatomie und Bemerkungen
über die Figuren dieses Buches.
Es giebt eine große Reihe von Werken, welche sich ausschließlich
mit plastischer Anatomie beschäftigen und in der Absicht hergestellt
sind, die Künstler bei dem Studium des menschlichen Körpers zu
unterstützen. Faßt man nur diesen letzteren Gesichspunkt iixs Auge,
dann kommen mit Recht auch noch die Hand Zeichnungen in Betracht,
welche die anatomischen Studien hervori'agender Künstler bezeugen.
Wenn von Michelangelo, Rafael, Leonardo da Vinci u. a.
hiervon viele und belehrende Beweise auf die Nachwelt übergingen.
10
Einleitnag.
SO bilden iiuch diese Fragmente offenbar einen Beitrag zur Geschichte
der plastischen Aniitomie. Für den Kenner sind sie kleine, aber wei't-
volle Abhandlimgeii, mit dem Gi-iffel von einem Künstler für Künstler
geschrieben. Man könnte sie Essays nennen, über einen oder den
anderen Teil des Menschenkörpers , oft wohl flüchtig, aber mit er-
Mtaunlicher Tüchtigkeit hingeworfen, und höchst lehrreich.
Da existiert z. B, ein Blatt von Michelangelo, gestochen vou
Giovanni Fabbi (einem Kupferstecher zu Bologna): ein stehender Mann
i» '/, Ansicht, den Kopf im Profil. Die Haut ist nicht abgenommen,
die Muskeln ti'eten aber sehr deutlich hervor, das linke Hüftgelenk ist
durch einen Stern angedeutet. Rechts ein eingeteilter Maßstab für
die ganze Figur. Das Blatt ist wertvoll für dit Geschichte der pla-
stischen Anatomie, weil man neben dem Studium und der Auffassung
der Muskeln zugleich genauen Aufschluß darüber erhält, wie sich
BocNABOTTi die Proportionen des Kör]ierH dachte. Diese wichtige
2eiclmung ist in das vorliegende Buch aufgenommen worden. Femer
existiert von ihm eine Darstellung des Arms, des Rückens nebst der
linken Seite des Körpers u. a. m.
Li den 13 Bänden Leokakdo da Vinci's Handzeichnungen finden
sich (sieben) Tafeln mit anatomischen Abbildungen. Sie smd zu finden
in JoHX CHAMBEKi,ÄiNE'a original designs of the most celehrat«d masters
of the Bologuese, Roman, Florentine and Venetian schools. London
isi:i. fol.
Sehr bedeutend ist ferner die Zahl der bildlichen Darstellungen
anatomischer Teile des Menschenkörpers, welche von Künstlern lediglich
für die systematische Anatomie, d. h. für die von Anatomen veröffent-
lichten Atlanten hergestellt worden sind, welche aber von bleibendem
Werte für beide Gebiete sind. Ich erinnere nur an des Besnh. Sieofb.
Albiniis' (t 1770) berühmten Atlas, mit welchem die anatomische
Darstellung in die Epoche ilirer Vollendung tritt. Denn man begnügt
sich nicht mehr mit dem bloßen Abzeichnen des Gesehenen, sondern
ermittelt eist durch vielfache Vergleicbung die wahre Form, um sie dann
künstlerisch nachzubilden. Der Zeichner und Stecher der ALura'schen
Figuren, Jan WANDEL\EB(t Leiden 1759), Schüler von Folkema, G.v.i».
GouwEN und G. d. Laaaise, schuf so in dem Zusammenwirken mit
Albik ein Werk, das namentlich für die Skelette und die einzelnen
Knochen von unübertroffener Schönheit ist. Es vermag ein ganzes
osteologisclies Mnseum zu ersetzen. Mit feinem Gefüld hat der Künstler
auf den ersten 12 Tafeln, den Tabidae sceleti et niusculonim, arclii-
tektoniscbes und landschaftliches Beiwerk angebracht, um die Härte
des weißen Hintergrundes abzustufen. Daher scheinen auch in einer
Entfernung vou I — 1'/^ m, durch die hohle Haml gesehen, die Skelette
Geschichte der plastiachen Anatomie. 11
aus dem Bild herauszutreten. So entstand ursprünglich das Werk
eines Anatomen für die Anatomie. Der Gelehrte, der die strengsten An-
forderungen an die wissenschaftliche Wahrheit der Abbildungen stellte,
besaß aber genug Einsicht, um dem hervorragenden Künstler innerhalb
der technischen Darstellung volle Freiheit zu lassen. Daher kommt
es, daß Albinus' Tafeln unter Künstlern wie Anatomen stets zu den
heiTorragendsten Leistungen werden gezählt werden, und für beide
Gebiete von bleibendem Werte sind.
Es sollen hier nur einige jener Werke aufgeführt werden, welche
1. als Unterstützung der anatomischen Wissenschaft durch die
bildende Kunst, und
2. welche als ideale Nachbildung der anatomischen Mittelform
des Menschen in mehr künstlerischer Erkenntnis, aber mit
anatomischer Schärfe angesehen werden können.
Die letzteren fallen ausschließlich in das Gebiet der Kunstanatomie.
Sie folgten den besten, von der wissenschaftlichen Anatomie dargebotenen
Mustern, beschränkten sich aber auf die Bedürfhisse der Künstler, in-
dem alles ausgeschieden wurde, was diesen entweder nicht entsprach,
oder die Grenze überschritt.
Diese Aufzählung will durchaus nicht erschöpfend sein. Es ist
nur ein kurzer Umriß versucht, um den Weg zu dem Vergleich älterer
plastisch-anatomischer Arbeiten zu erleichtern. Die sicheren Linien,
mit denen die großen Maler und Bildhauer der Renaissance die Formen
des menschlichen Körpers darstellten, sind so lehrreich, daß sie ge-
sammelt den wertvollsten Atlas für das Studium der plastischen Ana-
tomie darstellen würden.
Es ist völlig in-ig, wenn man die Behauptung hört, diese Skizzen
seien mit mangelhafter anatomischer Kenntnis entworfen oder nach
einer Schablone hergestellt. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Das
Wissen von dem Bau der Muskeln ist überall ersichtlich, und ich
habe keinen der großen Künstler auf groben anatomischen Ungenauig-
keiten ertappt.
Was die Bewunderung für ihre Art der Wiedergabe menschlicher
Formen abgeschwächt hat, sind nicht Fehler in der Zeichnung, son-
dern eine andere Richtung des Geschmackes und der Auffassung.
Die heutige Kunst hat die entschiedene Tendenz, das Individuelle
treu nachzubilden. Dasselbe thaten zwar auch die Meister der Re-
naissance, sobald es sich um die Darstellung vom rein individuellen
handelte. Wo eine solche Forderung, wie bei dem Portrait oder
dem Genre, nicht gegeben war, griffen sie zur idealen Mittelform,
welche für den Lehrzweck vorzugsweise geeignet ist. Es würde den
\ 2 Einleitung.
Unterricht bis ins Maßlose komplizieren, wollte man nur individuelle,
treu nachgebildete Zeichnungen geben, mit all den Besonderheiten,
wie sie eben das einzelne Individuum charakterisieren. Dieses Verfahren
würde sogar beklagenswerte Irrtümer hervorrufen.
Der menschlichen Gestalt liegt eine konstante Proportion zu Grunde.
Alle Menschen erscheinen nach diesem allgemeinen Grundplan organisiert.
Die verschiedenen Menschenrassen weichen nur in geringerem Grade
von der Hauptregel ab. Wenn nun wir Europäer an den vollkommen
und normal entwickelten Kultuimenschen denken, so stellen wir uns
Leute von einem bestimmten Ebenmaß im Gesicht wie in dem ganzen
übrigen Körper vor. Dieser Normalmensch ist jedoch, das dürfen wir
nicht vergessen, eine Abstraktion. Von all den menschlichen Gestalten,
von den lebenden oder plastisch dargestellten, haben wir die nach unserer
Meinung besten körperlichen Eigenschaften in einem Gesamtbild ver-
einigt und alles häßliche oder unvollkommene daraus entfernt. Solche
Normalmenschen kommen in der Wirklichkeit nicht vor, dennoch hat
sie die Kunst stets dargestellt, die Antike, wie die Periode der Re-
naissance. —
Jeder dieser Noimalmenschen aus diesen großen Kunstperioden, hat
dabei etwas eigenartiges, i
Es entsteht nun die Frage, welchen dieser Normalmenschen soll
man als Vorbild für die plastische Anatomie wählen, jenen des
Michelangelo, der Antike oder neuerer Meister? Die Antwort wird
stets verschieden ausfallen, je nach Neigung und Geschmack. Ich habe
sowohl individuelle Erscheinungen berücksichtigt wie die Vorbilder der
Antike und der Renaissance. Von antiken Statuen berufe ich mich
am häufigsten auf die bekannte Figur des borghesischen Fechters,
und aus der Blütezeit der Renaissance wurde mit Vorliebe Michel-
angelo ins Auge gefaßt. Seine nackten Figuren zeigen die am besten
verstandenen Formen. Die Führung der Linien ist von einer Natur-
wahrheit, wie sie kaum einer nach ihm wieder in diesem Maße erreicht
hat. Die Konturen des lebenden Muskels bei allen nur denkbaren
Verschiebungen in der richtigen Form zu erkennen und darzustellen,
* Von den großen Meistern hatte jeder seinen eigenen Normal menschen. Wie
jeder seine eigenen Ideale nnd seine besonderen Vorstellungen vom Schönen be-
sitzt, so auch die schöpferischen Köpfe der klassischen Kunstperioden. Die Normal-
menschen des MicHELAXGELO siud andere als die ded Leonardo da Vinci oder des
Eafael. Alle männlichen Grestalten des ersteren haben etwas hünenhaftes, das
an Titanen erinnert. Selbst seine Frauengestalten haben etwas gewaltiges. Würde
irgend eine von dem Grab der Medicäer herabsteigen und auf uns zuschreiten, \^4r
träten erschrocken beiseite. Sie scheinen nicht der Liebe fähig; sie sind auch, wie
man schon wiederholt gesagt hat, lücht zum Verlieben.
Geschichte der plastischen Anatomie. 13
das erforderte neben der Macht des Könnens zugleich die ganze Tiefe
anatomischen Verständnisses. Und das trifft am vollkommensten nur
bei ihm zusammen. Wenn auch nichts darüber bekannt geworden
wäre, daß er zwölf Jahre teils in Florenz und teils in Rom neben
seiner künstlerischen Ausbildung den anatomischen Studien obgelegen
habe, und daß er mit dem berühmten Anatomen Bealdo Colombo
bekannt gewesen sei, seine nackten Figuren würden deutlich genug
davon erzählen. Die Überzeugung, daß für das Studium der Musku-
latur kräftig entwickelte Körper unerläßlich sind, bei denen alles
stark und deutlich gezeichnet ist, und leicht durch die Haut hindurch
bemerkbar ist,^ hat mich veranlaßt, die Muskeln überall kräftig darzu-
stellen. Wer einmal die vollen Muskeln und Muskelgruppen sich klar
machen konnte, der wird sie auch in dem abgeschwächten Grade
wieder erkennen. So wie man dem Anfänger im Lesen nicht Miniatur-
buchstaben vorlegt, sondern Riesenlettem, so darf man auch dem
Künstler nicht abgemagerte Schwächlinge zeigen, wenn er die Muskulatur
des Körpers verstehen soll. Lieber einen Grobschmied zum Modell
als einen Schneider.
Die letzten Zweifel über die Wahl der Vorbilder für die Muskel-
lehre schwinden gegenüber der Thatsache, daß die meisten Künstler,
welche plastisch-anatomische Zeichnungen veröffentlichten, mit kecker
Hand die Fülle der Natur zum Ausdruck brachten. Bei den Ab-
bildungen dieses Buches wurden überdies die einzelnen Muskeln so
dargestellt, wie sie sich im Leben und während der Bewegung ver-
halten, nicht wie sie an dem anatomischen Präparat schlaff herunter-
hängen. Um solche Abbildungen herzustellen, muß zu der Zergliede-
rung der Leiche noch das Studium am Lebenden hinzukommen.
Ich halte also dafür, daß man als Ausgangspunkt die volle kräftige
Muskulatur eines Mannes wählen müsse. Von hier ab bis zum ab-
gezehrten Greis oder bis zu den weichen Formen des Weibes wird der
Künstler seinen Weg dann selbst finden können. Wer ein Meister
ist, kann das Fortissimo und das Pianissimo in jeder Tonart spielen.
Wer den menschlichen Körper kennt, wird auch Schwächlinge malen
können, obwohl er nur die Anatomie an Athleten studiert hat.
Die für das vorliegende Buch ausgewählten Abbildungen stellen ent-
weder die Körper- und Skelettteile ruhender oder bewegter Menschen dar.
* Die anatomischen Zeichnungen Leonardo da Vincis sind, soweit ich sie kenne,
nach einer höchst abgemagerten Leiche dargestellt. Die ganz dünnen bandartigen
Schichten scheinen ihn auf den Grcdanken gebracht zu haben, die Muskeln des
Schultergürtels schematisch darzustellen. Die Muskeln eines abgemagerten Menschen
haben gegenüber denjenigen eines kräftigen etwas schematisches, sie sind wie der
Entwurf gegenüber der vollendeten Statue.
1 4 Einleitang.
Sie nur ruhenden zu entnehmen, wäre ebenso fehlerhaft gewesen, als
das Gegenteil. Die gerade, aufrechte Stellung des menschlichen
Körpers bildet tur jede Art der anatomischen Beschreibung den Aus-
gangspunkt. Der Verlauf der Muskeln, Sehnen und Knochen, die
Richtutig. die sie besitzen, und das was man ihre natürliche Lage
nennt, erhält Namen und Verständnis nur dadurch, daß in allen Lehr-
büchern von dieser Haltung aus die Erklärung der Teile beginnt
„Oben und unten/' ..vom und hinten" erlangen nur dadurch den
rechten Sinn, gerade so wie im gewöhnlichen Leben.
Von dieser ruhigen Haltung des Körpers aus beurteilen wir dann
auch in der Wissenschaft wie in der Kunst den Übergang zu der Be-
wegung und der damit verbundenen Änderungen der Form. So war
es denn geboten, in den vorliegenden Figuren ein gewisses Gleichgewicht
eintreten zu lassen zwischen der Zahl der ruhigen und der in Be-
wegung dargestellten Abbildungen des Menschen. Für die bewegten
Körper war es wünschenswert, eine allgemein bekannte Statue zu be-
nützen, deren anatomisch richtiger Aufbau gleichzeitig von allen an-
erkannt ist, und hierfür war keine mehr geeignet als der borghesische
Fechter. Überall an allen Akademien , Kunst- und Zeichnungs-
schulen wird dieses schöne Kunstwerk kopiert, als ein mit Recht be-
wundertes Bild eines in lebensvoller Bewegung unaufhaltsam weiter-
stürmenden. Jünglings. Dieses Werk des Agasias zeigt die Muskeln
mit erstaunlicher Naturwahrheit, man könnte dasselbe auch eine mit
dem Meisel geschriebene plastische Anatomie nennen. Diesem Umstand
verdankt der borghesische Fechter schon wiederholte anatomische Be-
arbeitungen, unter denen ich nur diejenige von Salvage, Le gladiateur
combattant, applicable aux beaux arts (22 Tafeln in folio max.). welche
1812 in Paris erschienen ist, erwähnen will. Die Teile des Skelettes
sind in die Konturen der Figur mit großem Verständnis eingezeichnet;
sie waren mir wertvolle Hilfsmittel für einzelne Darstellungen. Durch
den Vergleich mit der Statue hat man überall zu vielen Figuren dieses
Lehrbuches gleichzeitig ein vortreflfliches Modell zur Hand, und damit,
wie ich glaube, eine reiche Quelle der Belehrung.
Für einzelne wichtige Partien des Körpers konnten Stiche nach
gi'oßen Meistern verwendet werden, und die sicheren imd markigen
Linien z. B. Michelaxgelos sprechen laut genug füi- sich selbst.
Eine andere Zahl von Abbildungen sind nach anatomischen Prä-
paraten direkt von Herrn Kunstmaler Scheder in Basel gezeichnet, oder
nach denjenigen anatomischen Modellen entstanden, die HeiT Professor
Che. Roth unter meiner Leitung in München von dem Jahr 1864 — 68
modelliert hat. Unter diesen sind besonders die drei Figuren über
Geschichte der plastischen Anatomie. 15
die Maskulatur des Rumpfes zu nennen. Einige andere Figuren sind
dann von mir selbst mit Hilfe des Orthoskopes entworfen worden. Be-
kanntlich stellt das geometrische Bild eine durch parallele Ordi-
naten auf einer Ebene gebildete Projektion dar, giebt daher ein dem
Gegenstand vollständig entsprechendes Bild, soweit ein Körper über-
haupt auf einer Fläche eine wahrheitsgetreue Darstellung finden kann.
Diese geometrischen Zeichnungen können also auf volle Wahrheit An-
spruch machen. Sie sind durch die Methode ihrer Herstellung so ge-
nau, daß sie Messungen über Höhe und Breite gestatten, sobald die
Größe der Reduktion bekannt ist. Sie können ferner als Ginindlage
für Verkleinerung und Vergrößerung eines Teiles oder des Ganzen
verwendet werden, bieten also manche Vorteile, sobald es sich um
absolute Genauigkeit, und um proportionale Verhältnisse der ganzen
Gestalt oder einzelner Teile handelt. Mehrere Zeichnungen von Ske-
letten, welche diesen weitgehenden Ansprüchen genügen können, stan-
den mir durch die freundschaftlichen Beziehungen zu Herrn Professor
J. Ch. G. Lucae in Frankfurt a/M. für dieses Buch zur Verfügung. Ihm
verdankt die Wissenschaft und die Kunst die Auffindung einer durch-
schlagenden, einfachen Methode zur Herstellung exakt geometrischer
Zeichnungen. Von ihm stammen zwei wertvolle Werke über das
Skelett des menschlichen Körpei*s, deren Titel weiter unten aufgeführt
werden soll. Aus diesen Werken ist das Skelett des jungen Mannes
und der Torso eines 23 Jahre alten Mädchens kopiert, und unter
Angabe der Vergrößerung in das vorliegende Buch aufgenommen
worden.
Das Skelett des Mannes ist wohlproportioniert, und eignet sich
durch den beigefügten Maßstab der ganzen und halben Kopfhöhe auch
zu Studien über die Proportion. Dadurch, daß es eine bestimmte
Individualität repräsentiert, die mit geometrischer Treue entworfen ist,
sind direkte Messungen mit Zirkel und Maßstab an ihm ausführbar.
Jede beliebige Vergrößerung auf seiner Grundlage hergestellt, besitzt
dieselbe geometrische Treue der Proportionen wie das verkleinerte
Bild selbst. Nachdem die Abbildung des weiblichen Torso auf dieselbe
Weise entworfen ist, lassen sich beide direkt miteinander vergleichen
und gestatten so die Kontrolle mancher Unterschiede des Geschlechtes
mit dem Auge und mit dem Maßstab.
Das Mädchen besaß ein nur mäßiges Fettpolster, und deshalb etwas
markierte Formen, die aber doch fein waren. Es hatte eine Größe
von 156 cm und war ausgezeichnet durch ein besonders breites, also
echt weibliches Becken, an welchem die charakteristischen Unterschiede
mit dem männlichen Becken aufs schärfste hervortreten. Um die
orthogonalen Projektionen der Umrisse des Körpers und des dazu
16 Geschichte der plastischen Anatomie.
gehörigen Skelettes zu machen, wurden die Abgüsse des Körpers und
dann das Sklelett in der nämlichen Stellung nacheinander unter eine
horizontal gestellte Glastafel gelegt, und die Konturen vermittelst des
Orthoskopes gezogen.
So entstand auch von diesem weiblichen Torso eine streng geo-
metrische Abbildung, eine getreue Kopie der Körperumrisse und des
Skelettes.
Lehrbücher für plastische Anatomie sind schon in großer
Zahl veröffentlicht worden, so z. B. mit Benutzung des von dem be-
rühmten Anatomen Andreas Vesaliüs (t 1564) veröffentlichten großen
Werkes. Vesal ist der Begründer der neueren Anatomie, und wie in
dieser, wirkte er auch für die bildliche anatomische Darstellung reforma-
torisch. Er überwachte mit der größten Sorgfalt die Künstler, welche
nach seinen Präparaten arbeiteten. Seine Abbildungen sind mit großer
Wahrheit, mit Geschick und Geschmack, meistens nach kräftigen jugend-
lichen Körpern in freier kühner Zeichnung ausgefiihrt. Die Zeichnungen
werden einem Schüler Tizians, Joh. Stephan von Calcak (f 1546),
zugeschrieben, dessen Gemälde oft von denen seines Meisters schwer zu
unterscheiden waren. Dieses für Künstler berechnete Werk erschien in
Deutschland erst 1706. Der Titel der deutschen Ausgabe lautet:
Andreas Vbsalius Bruxellensis. — Zergliederung des Menschlichen
Cörpers. Auf Mahlerey und Bildhauerkunst gericht. Augspurg, ge-
druckt und verlegt durch Andbeas ]VLa.schenbaueb, 1706, Fol., 16 Bll. —
Eine zweite Autlage von demselben Verleger, 1723, Fol., 14 Bll.
Das folgende Werk: Heinr. Palmaz. Leveling, anatomische Er-
klärung der Original-Figuren von Andbeas Yesal, sammt einer An-
wendung der WiNSLOwischen Zergliederungslehre in 7 Büchern. Ingol-
stadt, bei A. Attenkofeb, 1783, Fol. 28 Bll. und 328 SS., enthält
dieselben Abbildungen wie das vorhergehende Werk mit kleineren
Zeichnungen. Der Titel des französischen Werkes lautet:
(RoGEBs DE PiLES et) Fbanqüis Tobtebat, Abr6g6 d'anatomie
accommod^ aux arts de peinture et de sculpture. Paris (1667) 1668.
Fol. Es ist die früheste für Künstler bestimmte Anatomie und ent-
hält zwölf von Tobtebat radierte Tafeln. Das Werk wurde später
noch einmal aufgelegt, ferner gibt es verkleinerte Nachstiche.
Am Schlüsse des 17. Jahrhunderts erschien ein anderes hervor-
ragendes Werk unter dem Titel:
Anatomia per uso et intelligenza del disegno ricercata etc. Opera
utilissima ä pittori e scultori et ad ogni altro studioso delle nobili
arti del disegno. Roma 1691. Fol. maj. 56 Kupferblätter. — Auf dieses
Werk haben vier hervorragende Männer ihre Kräfte verwendet. Der
Geschichte der plaBtiBchen Anatomie. 17
Zeichner war Chables Errard, der Direktor der französischen Akademie
in Rom, der Stecher wahrscheinlich FBANgois Andriot (BL^ndbriot).
Bernardino Genga, der Professor der Anatomie zu Bom, stellte die
Präparate her, und der päpstliche Leibarzt, (Jiov. Maria Lanoisi,
schrieb den Text. Die Tafeln sind sämtlich sowohl in anatomischer
als künstlerischer Hinsicht von vorzüglicher Ausführung, das Werk
noch jetzt brauchbar für den bildenden Künstler.
SöMMERiNG, S. Th., Tabula sceleti feminini juncta descriptione.
Frankfurt a/M. 1797. Fol.maj. 1 Kupfertafel und 1 Blattf. Text. Ent-
hält die künstlerische Darstellung eines weiblichen Skelettes.
Ich habe die Angaben der Litteratur, soweit sie für die plastische
Anatomie eine engere Beziehung haben, hier aufgenommen, denn die
Bücher sind Messer. Wer mit Büchern bekannt ist, hält das Heft
dieses Messers in der Faust.
Über die Ausdehnung und den Fleiß der anatomischen Studien giebt eine
Beihe von Kupferstichen einen lehrreichen Überblick, welche von Bonasone her-
stammen. Es sind 14 Tafeln in 8^ Männer in verschiedenen Stellungen des
Stehens imd Schreitens, deren Haut halb oder ganz entfernt ist, um die darunter-
liegende Muskelschichte zu zeigen. An einzelnen Tafeln trftgt der in lebendiger
Bewegung fortschreitende Mensch seine abgezogene Haut in den Händen. Herrlich
ist die Stellung von Nr. 334.
Chrisostomo Martinez wurde von seiner Vaterstadt Valencia mit Geld unter-
stützt, um eine anatomische Anweisung für Künstler zu schreiben, von der 20 Kupfer-
platten fertig geworden sein sollen. Dieser Fall ist an und für sich schon wert der
Mitteilung, denn man sieht daraus, wie vor 200 Jahren eine ganze Stadt dafür ein-
tritt, den Unterricht der Künstler durch litterarische Hilfsmittel zu unterstützen.
Unter den neueren Lehrbüchern und Atlanten sind zu nennen:
Harless, E., Lehrbuch der plastischen Anatomie. 2. Auflage, heraus-
gegeben von R. Hartmann. Mit Holzschnitten und lithogr. Tafeln.
Stuttgart.
Elfinger, A., Anatomie des Menschen. 27 lithographische Tafeln mit
Text. gr. 4. 2. Aufl. Wien.
Froriep, A., Anatomie für Künstler. Mit 39 Tafeln Abbildungen in
Holzschnitt, teilweise in Doppeldruck. Lex. 8^ Leipzig 1880.
DuvAL, M., Pr6cis d'anatomie k Tusage des artistes. Mit 77 Fig.
Paris 1882. 8».
Paü, J., Anatomie artistique 616mentaire du corps humaine. 7. Aufl.
Paris 1882. Mit 17 Tafeln. 8«.
Roth, Chr., Plastisch-anatomischer Atlas zum Studium des Modells
und der Antike. 24 Tafeln in Holzschnitt u. 10 Erklärungstafeln.
Fol. Stuttgart 1872.
Langer, C, Anatomie der äußeren Formen des menschlichen Köq)ers.
Mit 120 Holzschnitten. 8». Wien 1884.
KoujfA2(N, PlastiHche Anatomie. 2
1 g Einleitung.
Der Atlas von Ch. Roth gehört zu dem besten, was seit einer
Reihe von Jahren an plastisch-anatomischen Abbildungen erschienen ist.
Die Stellung der Muskeln ist an einer kräftigen und bewegten Figur
vorgeführt. Mit vollkommenem Verständnis sind die schwierigsten
Aufgaben gelöst, welche jeder zu überwinden hat, der das tote Präparat
des Seziersales in die Formen des lebendigen Menschen übersetzen
will. Roth hat neben einige seiner anatomischen Figuren andere
gestellt, die mit der Haut bedeckt sind. Dadurch giebt er dem Lernenden
ein vorti-effliches Hilfsmittel, durch direkten Vergleich zu prüfen, wie-
viel die Haut verdeckt, und w^ieviel dieselbe aber auch von den unter
ihr liegenden Schichten deutlich erkennen läßt. Die eine dieser Figuren,
der sogenannte Athlet, ist auch in Gips ausgeführt, und zwar sowohl
als Muskelfigur, wie als dazugehöriges Modell, also mit der Haut
bedeckt, von dem Künstler in den Handel gebracht worden. —
Für die Anatomie, und zwar für das Studium des Skelettes, sind
von besonderem Wert die beiden folgenden Werke:
LüCAE, J. Che. Gustav, Zur Anatomie des weiblichen Torso. 12 Tafeln
in geometrischen Aufrissen. Folio. Frankfurt a/M. 1868.
LüCAE, J. Chr. GusT., und Hermann Junker (Maler), Das Skelett
eines Mannes in statischen und mechanischen Verhältnissen. In
halber Größe. Frankfurt a/M. 1876.
Sie enthalten die schon erwähnten geometrischen Abbildungen
von den Skeletten eines gut geformten Mannes und eines wohlpropor-
tionierten Weibes. Das letztere Werk giebt den weiblichen Toi-so in
natürlicher Größe. In die Konturen des Rumpfes ist von drei ver-
schiedenen Seiten das Skelett hineiugezeichnet. Außerdem folgen noch
eine Menge wertvoller Figuren über einzelne Skelettteile des mensch-
lichen Körpers. Das zweite Werk stellt das Skelett eines wohlpro-
portionierten Mannes in halber Größe dar, von drei verschiedenen
Seiten. 1
Flastisch-anatomisohe Präparate
stellen neben den Büchern und Atlanten ein anderes wichtiges Hilfs-
mittel dar zum Studium der plastischen Anatomie. Abgesehen von
Naturabgüssen und dem oben erwähnten RoTH'schen Athleten existiert
eine Reihe von anatomischen Modellen über einzelne Partien des
^ Über geometrische Auüiahincn siehe:
Laxdzert: Welche Art bildlicher Darstellung braucht der Naturforscher? Archiv
für Anthropologie. Bd. II. 1867.
KiNKEUN, Friedrich : Zur Geschichte des geometriechen S^eichnens. Festschrift der
Deutschen anthropologischen Gesellschaft gewidmet. Frankfurt a. M. 1882.
Geschichte der plagÜBchen Anatomie.
19
menschlichen Körpers, die unter meiner Leitung früher in München
hergestellt wurden. Sie sind in mehreren Akademien im Gebrauch,
wie München, St. Petersburg, an der Kunstschule in Nürnberg und
Budapest, an der polytechnischen Schule in Aachen etc.
HatnralienhäBdler, welche Knochen -Präparate zum Studium der
plastischen Anatomie des Menschen in den Handel bringen.
Soim£]i)EB''S, Dr. Oskab, Lehrmittelanstalt in Leipzig:
Skelett gefaßt mit Stativ Jt 80.
„ vom Rind mit Stativ ^M 20.
Obere Extremität Ji 7.
Untere „ Ji 9.
Becken in Bändern ^^ 10.
Skelett in losem Zustande Jt 40. ^
Obere Extremität in losem Zustande
Untere Extremität in losem Zustande Jt 6.
Becken u. Kreuzbein in losem Zustande Jt 6.
Schädel ohne Schnitt J^ 10.
mit Horizontalschnitt Ji 11.
„ Horizontal- und Vertikal-
schnitt Ji Ib.
gesprengt M 17.50.
vom Kind Ji 6.
11
11
11
11
Die Knochen der Skelette sind mit Messingfedcm verbunden.
Tramond, Naturaliste, Rue de r^cole-de-mÄdecine, Nr. 9 Paris
hat ähnliche Preise:
Squelettes ariicules (m&le) 75— 1 60 Fr.
„ „ (female)75— 160 „
Totes enti^res articuUes avec une
coupe horizontale 20—25 Fr.
Tetes enti^res articulees avec leur
dents 20—25 Fr.
Mains ou pieds artictdes k mouvemcnts
7 Fr.
Membres sup^rieurs artieuUa^ Tepaule
comprise 15—20 Fr.
Membres införieurs artictdes y la hauche
comprise 15—20 Fr.
* Die Knochen sind nicht mit Messingfedem verbunden; für Künstler eignen
sich besser die oberen und unteren Extremitäten mit Chamieren versehen, an denen
die meisten Bewegungen ausführbar sind. Werden auf Verlangen hergestellt.
»>♦
Plastische Anatomie.
Erster TeiL
Erster Abschnitt.
Das Skelett.
Allgemeine Bemerkungen.
Das Skelett.
Das Skelett ist die feste Grundlage, um welche sich die Gestalt
des Menschen aufbaut. Die zahlreichen Stücke bilden ein Gerüste
von Balken und Sparren, dessen Grundform diejenige des Körpers ist.
Und das gilt filr den Menschen, wie für die ganze Schar der Wirbel-
tiere. Das Skelett liegt bei dem Menschen in den Wandungen des
Leibes allseitig von Weichteilen bedeckt, wenn auch nicht gleichmäßig
umhüllt. Dabei sind einzelne Teile vollständiger in ihren Umrissen
erkennbar, andere weniger. Der Schädel giebt z. B. in sichern Linien
die Gestalt des Hauptes wieder. Durch die Rippen, das Brustbein
und die zunächst liegenden Abschnitte des Amiskelettes, ist auch die
Form des Brustkorbes deutlich erkennbar. Der Hals enthält da-
gegen nur eine dünne Knochensäule aus sieben Wirbeln, die Lenden
sogar nur eine Reihe von fünf Wirbeln. Dieser Stützapparat bestimmt
gleichzeitig die Länge der menschlichen Gestalt. Der hohe Grad von
Festigkeit rührt zwar auschließlich von den Knochen her, doch finden
sich noch manche andere Bestandteile an ihnen. Wegen der unerläß-
lichen Beweglichkeit sind sie untereinander durch weiche Bindemittel
verbunden. Für das Verständnis der wechselnden Formen, welche
dieses an sich starre Gerüste darbieten kann, bedarf es einer beson-
deren Beachtung auch dieser Einzelheiten. So kommt es denn, daß
in dem Kapitel über das Skelett nicht ausschließlich nur die Knochen
abgehandelt werden, sondern gleichzeitig der Mechanismus der Ge-
lenke, durch welche es die verschiedenen Grade der Beweglichkeit
24 Enler A>jtcimitt.
eiMh. WähreDd also das Feste, das am meisten Widei^tandsiahige
oes uieiLSchlicbeD Korpers. die Knochen an sich, erläutert verden,
muß gleichzeitig das Augenmerk doch auch den Gelenken und der
durch Hie vermittelten Beweglichkeit des Skelettes zugewendet sein.
Wie es die Natur vermochte an der menschlichen Gestalt Festigkeit
ULd doch gleichzeitig einen außerordentlichen Grad von Beweglich-
keit zu erzielen, so muß auch die Erläuterung dahin zielen, den Ein-
blick in diese doppelte Leistung des ganzen Apparates zu vermitteln.
Es umfaßt also der folgende Abschnitt nicht allein die Knochen-
lehre. Osteoloffie. sondern auch die Lehre von den Gelenken,
Arthrologie. Die letztere enthalt die Erklärung, auf welche Weise
sich berührende Knochenenden verschieben , sich bewegen- Die
3Iechanik der Gelenke wird den Schlüssel bieten, die Form Ver-
änderungen des lel>enden Korpers auf bestimmte Regeln zurückzufahren.
Al>er auch dort, wo zur Sicherung tiefliegender Organe die Beweg-
lichkeit auf ein sehr geringes Maß zurückgeführt ist. oder wie an dem
Sctuulel nahezu vollständig fehlt, hilft die Kenntnis der zusammen-
setzenden Teile die Gestalten und ihre 3Ianuigfalligkeit begreifen.
Für die Zwecke des Künstlers wird das Skelett am besten in vier
Hauptabteilungen zerlegt, welche den bekannten Gliederungen des
Korpers entsprechen, nämlich in
1. das Skelett des Kopfes (Caput)^
2. .. ., des Stammes (Truncus),
3 der oberen Gliedmaßen 1 ,, , .,^,
, , rii- 1 o r Extremitäten.
4 der unteren Gliedmaßen j
Der Beschreibung dieser Teile liegt das natürliche Skelett (See-
Uton naturale) zu Grunde, wohl zu unterscheiden von dem künstlichen
(Hceleton artificialejj dessen Knochen nicht durch natürliche Bänder,
sondern durch lieliebig gewählte Ersatzmittel, wie Draht, Leder oder
Kautschukstreifen miteinander verbunden sind. Die geti'ockneten
Knochen lassen nichts mehr erkennen von den überraschenden Ein-
richtungen für den schnellen und sichern Gang der Gelenke. Der
glatte Knori>el ist bis zur Unkenntlichkeit verschrumpft oder durch
die Fäulnis, welche die Weichteile bis auf die letzten Spuren ent-
fenite, völlig beseitigt. Dieser bläulich-weiße Überzug, der durch die
sog. Gelenkschmiere so schlüpfrig erhalten wird, daß ohne den min-
desten Kraftyerlust und lautlos sich die Lage der Teile zu ändern
vermag, läßt sich ebenso, wie die Gestalt und die Anordnung der
Bänder nur an der Leiche beobachten oder an den in Weingeist auf-
l>ewahrten Präparaten anatomischer Museen. Dasselbe gilt von jenen
Knochenverbindungen, w^elche, wie die einzelnen Wirbel, durch breite
Bandmassen zusammenhängen, und die man im gewöhnlichen Leben
Du Skelett.
nicht als Gelenke zu bezeictuien pflegt,
obwohl sie nichts weniger als unbeweg-
lich sind.
Das Knochen material, das dem Künst-
ler in der Begel zur Vertilgung steht, giebt
also keine ganz richtige Vorstellung von
der natürlichen Beschaffenheit der einzelnen
Teile. Denn die Bänder und Knorpel sind
vertrocknet und bis zur Unkenntlichkeit
verschrumpft. Seit alters her scheint man
nach solchen Skeletten gezeichnet zu haben,
und so sehen wir denn die Knochenmänner
teilweise mit all' den Eigentümlichkeiten
des künstlichen Skelettes ausgerüstet. Alle
Bänder mit Ausnahme jener zwischen de«
einzelnen Wirkelkörpem fehlen, und selbst
diese sind so geschrumpft, daß die Stelle,
an der sonst das elastische Zwischenwir-
helband wie ein Polster aufsitzt, nicht
mehr völlig ausgefüllt ist, wie dies wäh-
rend des Lebens der Fall ist, sondern die
Ränder klaffend aus ein anders tehen. An
solchen Skelettbildem sitzen dann die Ge-
lenkkugeln frei in der Pfanne, and es fehlt
jede Verbindung durch Kapsel und Gelenk-
bänder.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß
eine solche Darstellung in hohem Grade
charakteristisch ist. Nur die Bewegung er-
innert an das Leben, aber an ein eigen-
artiges, uns fremdes — gefürchtetes Leben,
das jeder weichen, irdischen Hilfsmittel ent-
behren kann. Nur was der Fäulnis Wider-
stand leistet, was ihr Jahi-tausende trotzt,
erscheint belebt. Die Beschauer sind über-
dies daran gewöhnt, und niemand ver-
mißt die verbindenden filr das Leben un-
erläßlichen Zuthaten , auf die wir hier
erklärend eingehen müssen, um den Zu-
sammenhang der Teile zu begreifen. Ja
die Anatomen selbst machen von den ma-
cerierten und gänzlich von den Weichteilen
26 Enter AbflchniU.
befreiten Knochen, sowie den künstlichen Skeletten ausgedehnten Ge-
brauch, weil die charakteristischen Knochenformen am schärfeten dann
henortreten, wenn alle Weichteile und auch die Beinhaut entfernt sind.
Auch in diesem Handbuch sind sämtliche Skelette ohne Bänder dar-
gestellt, nur die mehr widerstandsfähigen Rippenknorpel, wie sie an
vorsichtig angefertigten natürlichen Präparaten stets erhalten sind,
fehlen nirgends, weil sie den Brustkorb aufbauen helfen, und als
Träger des Brustbeines einen festen Halt besitzen.
Es ist bemerkenswert, daß der Tod bei deutschen Malern erst
um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts als völlig maceriertes
Skelett in der bildenden Kunst erscheint. Das hängt offenbar mit dem
Erwachen anatomischer Studien an der Leiche zusammen. In Italien
ist dies in Übereinstimmung mit dem früheren Beginn dieser Studien
auch früher der Fall. Vor dieser Zeit, bei dem Fehlen ktlnstlich
zusammengesetzter Skelette, hat auch der Tod ein anderes Aus-
sehen. Er ist mumienhaft. Haut und Muskeln sind noch etwas vor-
handen, aber eingetrocknet und braun geworden,^ so wie vielleicht der
Verbrecher am Galgen oder auf dem Rad unter dem Einfluß der
Sommerhitze schließlich aussah. Bei den Griechen und Römern hat
dagegen das Skelett die scharfen und bestimmten Umrisse unserer
Darstellungen aus dem neunzehnten Jahrhundert.
Die Eigenschaften des natürlichen Skelettes, welche zu einem sehr
beträchtlichen Teile dem künstlichen fehlen, bedürfen einer kurzen Be-
schreibung.
Allgemeine Eigenschaften der Knochen.
Die Knochen sind mit AusnahnCie der Gelenkenden von einer
derben Haut überzogen, welche unter dem Namen der Beinhaut be-
kannt ist. Sie vermittelt die Blutzufuhr, und wird so zur Ernährerin
der unmittelbar unter ihr liegenden Knochenschichten, sie liefert das
Material zum Wachstum in die Dicke. Unter ihrem Einfluß können
also noch beim erwachsenen Menschen neue Schichten entstehen. Sie
vermittelt endlich die Verbindung der Sehnen mit den Knochen. Die
Beinhaut wird durch die Fäulnis zerstört. Sie fehlt also an den
Skeletten und Knochen unserer Sammlungen. Wer nur trocken auf-
bewahrte Knochen kennt, vermag sich schwer eine Vorstellung zu
machen, wie sich die Sehne mit der Beinhaut so innig verwebt, daß
bei gewaltsamen Zerrungen eher der Muskel entzwei reißt, oder
Knochensubstanz losgesprengt wird, ehe sich die Verbindimg mit der
Sehne löst. Man ist imstande, am macerierten Knochen die Stellen zu
* Wie z. B. auf Holbeins Totentanz.
Das Skelett. 27
erkennen, wo starke Muskeln mit ihren Sehnen sich an die Knochen-
fiächen befestigen. Der Knochen ist rauh, höckerig. Kleine Vorsprünge
und dazwischen liegende Furchen oder Gruben vergrößern die Ober-
fläche, um der Anheftung mehr Baum und damit eine größere Festig-
keit zu bieten. Solche Stellen haben sogar Namen erhalten. Die
Tuberositas humeri bezeichnet am Oberannknochen ein ovales rauhes
Feld, den Ansatz des Deltamuskels. Aus ähnlichen Gründen kann
eine Linie auf den Knochen durch den Ansatz oder den Ursprung
eines Muskels geschrieben werden. Die sogenannte Schläfenlinie am
Schädel, die selbst durch die Haut hindurch bemerkbar ist, und die
in ihrem vorderen Abschnitt die Breite der Stirn abgrenzt, hängt mit
dem Ursprung und der Stärke eines Kaumuskels zusammen. Aus dem
letzteren Grunde sind die Schläfenlinien bei Männem in der Regel
deutlicher ausgeprägt als bei Frauen und Kindern. Auf die äußere
Fläche des Hüftknochens zeichnen die Gesäßmuskeln ihre Ursprungs-
linien, die hintere Fläche des Oberschenkelknochens weist einen breiten
höckerigen Streifen auf, der nach oben und unten sich gabelig teilt.
Er verdankt seine Entstehung lediglich den starken Schenkelmuskeln,
die sich an ihm festsetzen oder von ihm entspringen. Die Anatomie
nennt ihn gegen allen Sprachgebrauch: die rauhe „Linie" des Ober-
schenkelknochens, Linea aspera femoris, obwohl sie gleichzeitig hin-
zusetzt, daß man an ihr einen äußeren und inneren Rand unter-
scheiden müsse.
Von der sog. Knochenlinie bis zum Knochenkamm (Crista), der
stark über die Fläche hervorragt, existieren Übergänge mancherlei
Art. Cristae heißen scharfe oder stumpfe, gerade oder geki'ümmte
Knochenleisten. Wer kennt nicht die vordere scharfe Kante an dem
Schienbein aus eigener schmerzlicher Erfahrung? Bei einem Stoß
gerät die Haut zwischen den harten Gegenstand und die „Crista
tibiae", welche in ihrem S förmigen Verlauf an jedem männlichen Beine
bis in die Nähe des Fußrückens zu sehen und zu fühlen ist. Ruht
der Ansatz der Muskeln auf niedrigem mit breiter Basis aufsitzendem
Knochenhügel, so wird der letztere als Höcker, Tiiber oder Pro-
tiiberantia, oder wenn er klein ist, auch wohl als Höckerchen, Tiiber-
culum, bezeichnet. Sitzen zwei solche Höcker nebeneinander, so
kommt es zwischen ihnen selbstverständlich zu einer Furche, so wie
zwischen zwei Bergen ein Thal liegt.- Von der Höhe der Hügel hängt
die Tiefe des Thaies ab, welches bald als Furche (Sulcus), bald als
Bucht (Sinus) u. s. w. bezeichnet wird. Die gelehrte Sprache tauft
dann eine solche Vertiefung wohl auch Sinus intertubercularis oder auch
Einschnitt, Incisura, ein Wort, das durch Wegfall der Endigung a
als „Incisur" germanisiert erscheint. Stachel, Spina^ heißt dem
^ I 111 u t>onirortutU.fl
Dorufbrt£aU>4
IGa Unli
Das Skelett. 29
strengen Wortlaut nach ein langer spitzer Fortsatz, aber man hat
dieselbe Bezeichnung auch für den lang gezogenen Knochenriff ge-
wählt, welcher auf der hinteren Fläche des Schulterblattes (siehe Fig. 2
Nr. 18a, b) vorkommt. Die deutsche Sprache bezeichnet ihn als Schulter-
gräte. (Besser wäre Schidtergrat, da man auch Rückgrat sagt, von
Grat d. i. Kante.) Es wird sich später zeigen, daß die Schultergräte
eine Sammelstelle für Muskelansätze und Muskelursprünge ist, und
mit der Stärke der Muskeln ebenfalls an Stärke zunimmt, wie denn
überhaupt alle ähnlichen Knochenstellen bei muskelstarken Männern
kräftiger entwickelt sind, als bei schwachen.
Es gilt als allgemeine Regel, zum Studium der Knochen vor-
zugsweise ein männliches Skelett zu wählen mit derben Knochen.
Die starken Muskeln modellieren einzelne Teile des Skelettes im
Laufe der Entwicklung, und man darf von großen Fortsätzen auf
starke Muskeln und umgekehrt schließen. Das zeigen die Wirbel
und zwar namentlich dann, wenn man das Skelett der Tiere in dieser
Hinsicht vergleicht. Solche vergleichende Studien sind dem Künstler
yne dem Anatomen ja an und für sich nahegelegt. Die Anatomie
hat durch diese vergleichende Prüfung schon längst die Überzeugung
gewonnen, daß den Wirbeltieren ein gemeinsamer Bauplan zu Grunde
liegt. Ist er auch bei den Fischen noch nicht so deutlich ausgeprägt,
so tritt er doch bei den Amphibien durch die vollständige Trennung
von Kopf, Rumpf und Gliedmaßen schon unverkennbar hervor, und
besonders dann, wenn das Skelett berücksichtigt wird. Da zieht die
Wirbelsäule als eine gegliederte Knochenreihe dem Rücken entlang,
und am Vorderbeine unterscheidet jeder Unbefangene den Ober- und
den Vorderarm mit der daran befestigten fünffingerigen Hand.
Dieses vergleichende Studium hat u. a. gelehrt, daß die Foii-
sätze an den Wirbeln mit der Zunahme der Muskulatur sich ver-
mehren oder vergrößern, und mit deren Abnahme sich zurückbilden.
Einer dieser Fortsätze, der Künstler besonders interessiert, ist der
Dornfortsatz (Processus spinosus).
Die Dornfortsätze bilden mit den benachbarten (ober- und unter-
halb) eine Reihe in der hinteren Mittellinie des Körpers. Während
der aufrechten Stellung sind allerdings nur einige als rundliche Höcker
bemerkbar, namentlich in der Gegend des siebenten Hals- und ersten
Brustwirbels (Fig. 2 Nr. 6a, 7a, ebenso die darunter liegenden Fig. 2
Nr. lOa, 20 a); aber sobald der Rücken sich krümmt, erscheint eine sehr
beträchtliche Zahl. Diese Dornfortsätze sind nun ebenso wie die an
den Wirbeln vorkommenden Querfortsätze (Fig. 2 Nr. 6b, 7b, 9b) aus-
schließlich Angriffspunkte für die Streck- und Drehmuskeln des Rückens.
Sie leisten den Dienst von Hebelarmen, an denen die Muskeln sowohl
30 Erster Abschnitt.
mit Ersparung von Kraft als von Zeit wirksam thätig werden. Solche
Fortsätze (Processus) giebt es an den Knochen in großer Zahl, und
alle jene, welche als Muskelfortsätze in obigem Sinne von Bedeutung sind,
wie die sog. Rollhügel am Oberschenkelbein (Fig. 2 Nr. I6b) oder der
Ellbogen sind für die äußeren Formen wichtig. Sie liegen oberflächlich
und sind durch die Haut hindurch zu erkennen, namentlich bei mageren
Menschen, während sie bei muskelstarken oder fetten mehr verborgen
sind, ja zum Teil sogar den Mittelpunkt von vertieften Flächen dar-
stellen können (z. B. der große Rollhügel bei Frauen). Es empfiehlt
sich also, für das Studium der Osteologie am Lebenden magere
Modelle zu verwenden.
An dem künstlichen Skelett, an welchem auch die Beinhaut
durch die Fäulnis zerstört ist, zeigt sich bei genauerer Betrachtung,
daß die Obei-fläche des Knochens nicht überall die gleiche Dichtigkeit
und das gleiche Aussehen hat. Die Mittelstücke der Röhrenknochen,
das Schädeldach und Teile des Skelettes, welche Höhlen zur Auf-
nahme der Organe bilden, erscheinen dem freien Auge von einem
dichten Gefüge (Substantia compacta) polierbar und ohne größere Lücken.
Die Enden der Röhrenknochen und die Wirbel sind dagegen von
kleinen und großen Gefäßlöchem durchbohrt, welche in ein aus sich
kreuzenden Blättchen bestehendes Labyrinth von markhaltigen Räumen
führen, welches man schwammige Substanz (Substantia spongiosa) nennt.
Jeder kennt sie von den Knochen her, die auf den Tisch kommen,
ebenso wie die Markhöhlen, welche auch bei dem Menschen zu finden
sind. Fließen nämlich die kleinen Räume der spongiösen Substanz in
dem Mittelstück eines Röhrenknochens zu einer größeren Höhle zu-
sammen, so heißt diese die Markhöhle, da auch bei dem Menschen
eine fettige Substanz in ihr abgelagert wird.
Knochen mit einer Markhöhle im Lmem heißen Röhrenknochen.
Ihre Enden sind stets umfänglicher als das Mittelstück, um für die
Gelenkflächen Raum zu gewinnen.
Das Knochenende kann einen Gelenkkopf (Caput articulare) dar-
stellen (Fig. 2 Nr. 19 a links, Gelenkkopf des Oberarmknochens), d. i. einen
mehr oder weniger kugligen Fortsatz , welcher gewöhnlich auf einem
engeren „Hals" (Collum) (Fig. 2 Nr. I6a u. 19) aufsitzt. Wird die Kugel-
form mehr in die Breite gezogen, so spricht man von einem (Gelenk-)
Knorren, von einer Rolle oder einem liegenden Cylinder u. s. w. Ver-
tiefungen für die Gelenkköpfe heißen Gelenkgruben, die entsprechenden
Gelenkebenen, und wenn sie sehr tief sind , wie am Hüftknochen zur
Aufnahme des Oberschenkelkopfes: Gelenkpfannen (Foveae articulares).
Dm Skelett.
31
Verbindungen der Knochen.
Naht. Knorpelftage. Gelenk.
Sie bieten alle möglichen Zwischengrade von der festen Ver-
wachsung bis zur freiesten Beweglichkeit. Die Natur hat um diese
Abstufungen zu erzielen, sehr verschiedene aber höchst eigenartige
Wege eingeschlagen, die in vielen Fällen an manche Werkzeuge und
Maschinen der Industrie erinnern.
Die festesten Knochenverbindungen sind die sog. Nähte, Suturae.
Zwei Knochenränder greifen mit ihren zackigen Rändern ineinander.
Fig. 3. Zwei europäische Schädel von oben.
a Langschädel, b Karzschädel.
1. Kreuznaht. 2. Scheitelnaht. 3. Lambdanaht.
Am bekanntesten sind die zackigen Nähte am Schädeldach (Fig. 3), deren
Verlauf bei Kahlköpfen durch die Haut hindurch bemerkbar ist. Kin
weiches aber doch sehr zähes Verbindungsmittel dient als Kitt, um
die sich berührenden Knochenränder aneinander zu heften. Diese
Nähte sowohl in der eben beschriebenen klassischen Form, welche an
die Verzahnungen bei der Holztechnik unserer Möbel erinnert, wie als
sog. Schuppennaht, Sutura squamosa, bei der sich die Ränder etwas
übereinanderschieben, kommen bei den Menschen nur zwischen den
einzelnen Schädelknochen vor.
«
In der Tierwelt finden sich Nähte auch zwischen anderen £[nocheir als den
Kopfknocheo , so z. B. zwischen den Platten des Rückenschildes der Schildkröten.
LANE UBRARy. STANFORD MN1\^^\V(
^Pl
32
Erater Abichnitt.
Mau hat deshalb ein Fragment einer solchen Platte von einer riesigen von
SchildkrSte eine Zeitlang iur den Schädelknochen eines präadamitischen Bie*
gehalten.
G^roße Festigkeit, aber gleichzeitig schon einen heätimmtt
örad von Bewegliclikeit zeigen die Knorpel- Fugen fSi/nc/iondri
neg). Größere Kaochenflächi
werden durch knorpelig
Scheiben und straffe I
der zusammcngehalteu.
Knorpels che iben besitzen
reichende Elastizität, um
Miniraum von Beweglichkeit i
gestatten. Diese Art der Vei
hindung gehört ausschließlid
der Wirbelsäule und dem Beckd
an. Da die in der Mittelebeq
des Leibes gelegenen unpai
Knochen das feste Stativ >
gesamten Skelettes zu
haben, so whd es verstRndlicJ
warum zwischen ihnen kein
leicht beweglicheu Gelenke, a
(lern feste Symphysen vorkc
iiu'u Hiilsaeu, Wiirum clastiscl
Knorpels che iben (Fig. 4 1
diesich zusammendrucken It
und, sobald der Druck nachl&f
wieder in frühere Form zurück*']
kehren, für diesen Zweck ver-J
wendet wurden. Die Reihe der Wirbel wird auf diese Weise
einer federnden Säule, welche oliue Anwendung von Muskelkraft wiedei
in ihre frühere Stellung zurückkehrt.
Von allen Knochenverbindungeu ist das eigentliche Gele
(ArticulatioJ die liiVufigste Form. Es besteht in der Verbindung zvei«
oder mehrerer Knocheu. welche durch fiberkuorpelte GelenkHächöltJ
atieiiianderstoßen und durch Bänder zwar zusammengehalten werds^j
aber derart, daü sie sich nach einer bestimmten Kegel bewegen k&nnei
Fig. 4. Fünf Lendenwirbel durch die
Zwischen Wirbel Bcbeiben verbunden im Profil.
1. Körper.
3. GelenkfortsäUe.
f). Uornforlsütie.
AU^eiuoIue BoHclintfeuIielt oüios Ueleiikcs.
Die Gelenkenden der Knochen sind mit Knorpel tiberzogen, d^
die Verschiebungen durch seine glatte Beschaffenheit erleichtert '
Du Skelett 83
durch seine Elastizität jeden Stoß abschwächt. Der bläalich-weiße
Knorpelilberzug ist nur an frischen Knochen zu sehen, et verschwindet
durch die Fäulnis, und deshalb ist die Ausdehnung der GelenkAächen
an den getrockneten Knochen viel schwerer zu erkennen.
Der Knorpel, io der Vulgäreprache „Knispel", findet in dem menitcKlichen
und tieiiBcfaen Körper eine sehr vielseitige Verwendung. Er verbindet mit einem
ijemlichen Orsd von Festigkeit eine hohe Elastizität Um sich von dieser hervor-
ragenden Eigenschaft zu überzeugen, bmucht man Dur sn das aus demselben Btoff
gebant« Ohr tn erinnern. Welche Anforderungen werden nicht in bozug auf
Festigkeit an das schaUIeiteade AnBHtzatQck dieses Sinneeorgana gestellt, und dank
Miner elastdschen Eigenschaften widersteht es selbst heftigem Zug, und kehrt sofort
wieder in seine nraprOngliche Form zurück. Abgesehen von der Bet«iligang des
Enorpeb an der Bildung des Ohrs und der Nase und der Gelenke findet er noch
Verwendung bei der Konstruktion des Brustkorbes, und ist gerade dort von nicht
geringem Einflufi auf die Leichtigkeit der Atembewegungen.
Die Kapsel (Ligamentum capsulare) ist ein aus derben
Fasern gewebter, schlaffer Sack. Sie erstreckt sich vom Umfang eines
i ScholterbSb«.
1 Obere Kapwlwuid.
Seitlicher Band
Fig. 5. Kapsel des Oberarmgelenks.
Gelenkkopfes zu der gegenüber liegenden Pfanne (Fig. 5 Kr. l, l', s). An
ihrer inneren Oberfläche ist sie von einer weichen, blutreichen Ifembran
ausgekleidet, welche beständig feucht ist und die sogenannte Greleuk-
schmiere (Synovia) absondert. Durch sie wird der ganze Binnenraam
des Gelenkes, die sogenannte Gelenkhöhle, beständig glatt erhalten.
Die Kapsel ist also nicht gespannt. Allein der Grad der Schlaff-
heit überschreitet im normalen Zustande niemals eine bestimmte Grenze.
Übermaß wäre hier ebenso gefährlich geworden wie Mangel. Die Sicher-
heit der Bewegungen hängt sogar zum Teil davon ab, daß in einer be-
stimmten Stellung des Gelenkes die Kapsel' sich spannt und hemmend
Kaujumi, PluUKhs AntUmla. 3
•
34 Erster Abschnitt.
eingreift. Aus diesem Grunde sind oft in die Kapseln noch starke
Bandmassen . eingewebt, um die Beweglichkeit am rechten Punkte
einzuschränken. Ihre Aufgabe besteht also auch darin, in den extremen
Stellungen die Trennung der Gelenkflächen zu verhindern, oder, wie
die Mechaniker sich ausdrücken, das „Abhebein" zu vermeiden. Ene
solche Wirkung der Kapsel und ihrer Bänder wird dann als „Band-
hemmung" bezeichnet. (Fig. 5 Nr. i ist der obere Teil der Kapsel ge-
spannt, während der untere Nr. i' in Falten gelegt ist.) So erfährt also
die Bewegungsfähigkeit bei einer bestimmten Stellung der sich berüh-
renden Knochen eine Beschränkung durch die Spannung der Kapsel.
Knochen vorsprünge in der Umgebung des Gelenkes können eben-
falls an einem bestimmten Punkte hemmend eingreifen. Solche Vor-
richtung wird als Knochenhemmung bezeichnet. Für die Bewegung
im Oberarmgelenk ist die Schulterhöhe (Fig. 3 Nr. 4) und der Knochen-
vorsprung bei Nr. 3 (Tubercubim majus) zusammen eine Knochen-
hemmung. Denn sobald die beiden Punkte Fig. 3 Nr. 3, 4 aneinander-
gerückt sind, beginnt die Hemmung. Jede weitere Bewegung in dem
Gelenk ist in der Richtung nach oben unmöglich.
Eine Hemmung kann endlich noch durch die Wirkung der Muskeln erzielt
werden, wenn sie wie Zügel der Bewegung ein Ziel setzen.
Hilfsbänder (Ligamenta auxiliaria oder accessoria) sind
derbe Stränge, welche zwischen den sich berührenden Knochen aus-
gespannt sind, um die Verbindung zu kräftigen oder die Beweglichkeit
einzuschränken.
Eine besondere Eigentümlichkeit gewisser Gelenke sind die so-
genannten Zwischenknorpel (Cartilagines interarticulares), Sie kom-
men nur in Gelenken mit sehr flachen Gelenkpfannen vor, um die
Formverschiedenheiten auszugleichen. Das ist besondei-s in dem Knie-
gelenk der Fall.
Wer mit dem Auge des Mechanikers die Konstruktion der Gelenke betrachtet,
mag wohl oft eine neidische Begung verspüren, wenn er die außerordentliche Leichtig-
keit der Bew^ungen und ihre Mannigfaltigkeit erwägt, da die Gelenke doch aus
verhältnismäßig leicht zerstörbaren Stoffen hergestellt sind. Er sieht glatt polierte
Flächen geräuschlos sich verschieben ; mit weisem Maß werden «lle Stellen durch
kleine Mengen eines durchsichtigen Saftes, der Gelenkschmiere, befeuchtet, um
jeden durch Reibung bedingten Kraftverlust so viel als möglich herabzusetzen. In
der That, der Beibungswiderstand ist gleich Null. Diese Gelenkschmiere fließt
ungeheißen zu, ist von der denkbar vortrefflichsten Zusammensetzung. Das öl,
womit die Gelenke der Maschinen glatt erhalten werden, wird schon nach kurzer
Zeit zäh und verharzt. — Überdies gebietet die Natur über Kräfte, deren Anwen-
dung der Mechanik wohl niemals gelingen wird, nämlich über die Adhäsion und
den Luftdruck. Sollen die Gelenkflächen unserer Maschinen beständig in gegen-
seitiger Berührung bleiben, so müssen sie, wie z. B. bei dem Winkelgelenk, durch
eine sogenannte Gelenkachse mitdnander verbunden werden. Bei den Gelenken
Das Skelett. 35
unseres Körpers spricht maD zwar von einer solchen, aber sie wird theoretisch an-
genommen, um durch ihre Richtung den Gang zu veranschaulichen. In Wirklich-
keit existiert sie nicht, und dennoch entfernen sich 'unter normalen Verhältnissen
die berührenden Flächen niemals voneinander. .Die Natur erreicht den Kontakt
der Qelenkflächen :
1. durch. den Luftdruck. Die Gelenkhöhlen sind luftleer, wie neben
anderen Belegen namentlich ihre Entstehung beweist. Arme imd Beine wachsen
an der Seite des Rumpfes allmählich hervor gleich Knospen. Der zuerst be-
merkbare, etwas platte Teil läßt die Anlage der Finger oder Zehen erkennen,
aber noch sind sie durch eine Haut untereinander verwachsen. Kurze Zeit darauf
folgt der Vorderarm; die Stelle des späteren Ellbogengelenkes ist schon erkennbar,
währ^d der Oberarm noch in der Tiefe des werdenden Organismus steckt. Jetzt
beginnt unter der allseitig geschlossenen Haut der Glieder an dem cylindrischen,
weiBen Knorpelstreif, der später durch die Aufnahme von Kalksalzen knochenhart
wird, die Bildung der Gelenke an bestimmten Punkten. In dem Knorpelstab
taucht eine querliegende, milchig getrübte Linie auf, diese nimmt zu, ihre mittlere
Zone verflüssigt sich und damit ist die Gelenkhöhle und sind die sich gegenüber-
liegenden Gelenkenden in ihrer einfachsten Form angelegt. Demnächst macht sich
auch schon die Kapsel als eine zarte Schichte bemerkbar, welche an der Grenze
des Gelenkspaltes erhalten blieb und mehr und mehr deutlich von einem Gelenk-
ende bis zu dem anderen hin überreicht. Fest verbunden mit dem jugendlichen
Knochen trägt sie schon die Eigenschaften in sich, welche das völlig reife Gebilde
erkennen läßt. Schon jetzt sind Bewegungen möglich und der Zug der noch
schwachen Muskeln erzielt kleine Verschiebungen. Ja, man nimmt mit gutem
Grunde an , daß er es sei , welcher teilweise die Gelenkenden zu cylindrischen
und kugelförmigen Flächen zuschleife. Ziehen die Muskeln z. B. ausschließlich
an zwei sich gegenüberliegenden Punkten des Gelenkes, so wird ein Winkelgelenk
entstehen müssen, bewegen sie aber den einen Knochen nach allen Seiten, so ist
die Bildung eines kugligen Gelenkkopfes unausbleiblich. Doch sei dem, wie immer,
aus dem ganzen Entwickelungsgang geht die wichtige Thatsache hervor, daß sich
die Gelenke im Innern der embryonalen Gliedmaßen entwickeln, wohin niemals
atmosphärische Luft dringt, weder vor, noch nach der Geburt Streng genommen
existiert also auch innerhalb der Gelenkkapsel niemals ein freier Raum , sondern
alle Teile berühren sich, aneinandergedrängt durch den Druck der äußern Luft.
Nachdem dieser Druck auf einen Quadratcentimeter Fläche ungefähr mit dem
Gewicht von 1 Kilogramm preßt, so erleidet eine Gelenkfläche von 20 Quadrat-
centimetem schon einen Druck von 20 Kilogrammen. Die Gebrüder WebeiC haben
an dem Hüftgelenk der Leiche bewiesen , daß der Schenkelkopf in seiner Pfanne
auch ohne Bänder und ohne Muskeln an seinem Platze bleibe, und daß der Luft-
druck vollkommen ausreiche, die Kugelflächen der Pfanne und des Schenkelkopfes
in gegenseitiger Berührung zu erhalten. Zu dieser überraschenden Leistung des
Luftdruckes kommt
2. die Adhäsion, das ist die Erscheinung, daß glatte Flächen aneinander
haften, sobald sich eine dünne Schichte Flüssigkeit zwischen denselben beflndet.
Sie lassen sich zwar verschieben, doch nicht abheben. Ganz dieselbe physikalische
Wirkung, wie hier das Wasser, hat zwischen den glatten Gelenkflächen die
Synovia. Wo immer kleine Unebenheiten sich auf dem Knorpelüberzug finden,
da ebnet sie dieselben, wirkt so im Sinne der Adhäsion und hilft den Zug über-
winden, mit welchem die Schwere des Beines (bei dem Erwachsenen etwas mehr
als 10 Kilo) den Kopf aus der Gelenkpfanne herauszuzerren strebt Luftdruck
3*
36 Erster Abschnitt.
und Adhäsion werden also in dem Organismus mit eminentem Vorteil Yerwendet,
weil sie wirksam sind, ohne auch nur den geringsten Kraftaufwand zu erfordern.
Sie äquilibrieren so Yollständig das Gewicht der Glieder, daß wir von ihm nicht
das geringste verspüren, daß die Beine in ihren Pfannen schwingen nach den Ge-
setzen eines freihangenden Pendels, und daß die ganze Krall der Muskeln fiir die
Bewegungen verwendbar bleibt. Zu diesen beiden unausgesetzt wirksamen Natur-
kräfben kommt überdies der Zug der über das Gelenk hinwegziehenden Muskeln.
Die Untersuchung lehit, daß ein großer Unterschied in dem
Grad der Beweglichkeit an den verschiedenen Gelenken existiert. In
manchen ist er so gering, daß er in dem gewöhnlichen Leben kaum
beachtet wird, z. B. in einzelnen Hand- und Fußgelenken. Von diesen
bis hinauf zu der freien Bewegung, deren der Arm fähig ist, giebt
es alle möglichen Zwischenstufen, welche von der Form der Gelenk-
flächen, der Richtung der Bänder u. s. w. abhängen.
Oelenkformen.
In einem aus Kapsel, Hilfsbändern und glatten Knochen bestehen-
den Gelenk hängt die Art der Bewegung von der Form der sich be-
rührenden Flächen ab. Man hat nun diese Form als Einteilimgs-
grund hauptsächlich benützt, und unterscheidet Gelenke mit kugel-
förmigen Flächen: Kugel- oder Nußgelenke, dann Gelenke mit
walzenförmigen Flächen: Winkelgelenke (Werk -Scharniere oder
Kniegelenke); zusammengesetzte Gelenke, in denen sich drei
oder mehrere Gelenkenden mit verschiedenen Rotationsflächen begegnen,
und endlich ebene oder straffe Gelenke. Diese beiden ersten
Formen sind so allgemein bekannt, daß wir bei ihrer Beschreibung
auf mechanische Hilfsmittel des täglichen Lebens zum Vergleich hin-
weisen können,
1. Das Kugelgelenk.
Das Kugelgelenk hat seinen Namen von dem kugelförmigen
Gelenkkopf erhalten, der in der Mechanik der Maschinen auf einer
schmalen Stange sitzt, wobei der größte Teil der Kugeloberfläche
für die Bewegung verwendbar bleibt. Der Gelenkkopf eines mensch-
lichen Gelenkes sitzt auf einer breiten Unterlage, denn die Knochen
nehmen gegen die Gelenkenden stets an Umfang zu. Unter Um-
ständen wird nur die Hälfte oder das Drittel einer Kugel verwendet.
Der Kugel entspricht dann die Pfanne (Äcetabulum), in der sich der
Kopf nach jeder Richtung verschieben läßt. Er ist, wie dies in mehr
präziser Fassung ausgedrückt wird, in jeder Stellung um eine senk-
rechte, auf die Pfanne gedachte Achse drehbar.
Oberer Band Vi
Vord. ob. Darmbeimtachel ■>
AaC. Fliehe de«S«hieDbeiD«i 2t
I iläil'Ifreiubeiniüge.
I Z«i«chenirirbel15dieT.
7 Kleiner Rollhögel.
K Spningbeiu.
n Kahnbein.
K Fertenbän.
Fig. 6. Knochen der unteren GliedmaBen.
38 Erster Abschnitt.
Das Hüftgelenk ist das größte, und seiner Form nach das reinste
Kugelgelenk des menschlichen Organismus. Der Gelenkkopf erscheint
auf den ersten Augenblick, namentlich im frischen Zustand nahezu
kugelrund. Zwei Drittel der Kugel sind in der That frei, das letzte
Drittel ist auf dem sog. Hals des Oberschenkelknochens festgewachsen
(Fig. 6 Nr. 23), der an das obere Ende in einem Winkel angesetzt ist.
Die knöcherne Pfanne, deren Rand durch einen aufgewachsenen Ring
knorpelähnlichen Gewebes (Labrum cartUagineum) noch mehr vertieft
wird, nimmt den Kopf so vollständig auf, daß an dem natürlichen Skelett
wenig von ihm zu sehen ist. Nur an dem künstlichen Skelett, an
welchem der innere Überzug der Pfanne und eben dieser aufgewachsene
Ring durch die Fäulnis zerstört sind, ragt ein Teil des Kopfes aus der
Pfanne hervor (Fig. 6). Da der knöcherne Pfannenrand nicht, wie dies
bei dem Nußgelenk der Mechanik der Fall sein muß, den Äquator
der Kugel überschreitet, so hat das menschliche Nußgelenk eine weit
größere Beweglichkeit als • irgend eines der Technik. Durch Übung
kann die Beweglichkeit aufifallend gesteigert werden. Am deutlichsten
zeigen das Versuche am 1 — 2 jährigem Kind, und stets überraschend
bei den fahrenden Gymnasten unserer Jahrmärkte, wenn sie ihr Bein
wie der Soldat Gewehr im Arm präsentieren, oder auf ihre rechtwinklig
vom Stamm ausgespreizten Beine hinstürzen. Wenn nicht jeder Mensch
sich diesen Grad von Kautschuk-Elastizität bewahrt, so rührt dies daher,
daß die Kapsel wie die umgebenden Muskeln einen Teil ihrer jugendlichen
Elastizität später verlieren und bei einem bestimmten Grad von Span-
nung schon Schmerz verursachen. Analysiert man unter völlig normalen
Zuständen des Gelenkes seine Beweglichkeit und nimmt die größte
Freiheit desselben bei einem Akrobaten zum Muster, so beträgt die
Hebung nach vor- und rückwärts 140^, beim gewöhnlichen Sterblichen
nur 86^, die Hebung seitwärts (Beinspreizen) 90^, das Drehen nach
innen und außen (Rotation) SP.« Werden diese Stellungen allmählich
ineinander übergeführt, dann beschreibt die Fußspitze einen Kreis, das
untrüglichste Merkmal eines Kugelgelenkes.
Eine im Prinzip ähnliche Konstruktion weist das Oberarmgelenk
(Articxdatio humeri) auf. Bei ihm ist zum Unterschied auch der die
Pfanne tragende Knochen, das Schulterblatt, beweglich. Hört aus
mechanischen Gründen die Bewegung im Oberarmgelenk auf, so kann
die Bewegung noch durch die Verschiebungen des ganzen Schulter-
blattes weitergeführt werden. Dadurch wird ein viel größerer Betrag
von Beweglichkeit erreicht als an dem Hüftgelenk, bei dem ja der
pfannentragende Knochen feststeht. Daß damit die Zahl der Form-
veränderungen am Oberkörper größer wird, als am unteren Ende
des Stammes ist klar. Wir werden bei der Anatomie des Armes
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40 Erster Abschnitt.
2. Winkelgelenk.
Eine andere Grelenkform, deren Beweglichkeit eine sehr cha-
rakteristische aber viel beschränktere ist, ist das Winkelgelenk,
für das man in der Anatomie den technischen Ausdruck Ginglymu*
verwendet, von gmglymos (griechisch) Thürangel. Innerhalb dieser
Knochenverbindung findet nur Offnen und Schließen statt, eine Bewe-
gung, wie sie unsere in Angeln hängenden Thüren aufweisen. Bei den
letzteren steckt ein Stahlcylinder „Dom" genannt, in einer „Büchse".
In den Winkelgelenken des Menschen und der Tiere ist ebenfalls der
Cylinder verwendet, der aber nicht senkrecht steht, sondern wie an
den Winkelgelenken der Dosen, Koffer u. s. w. horizontal liegt. Die
Pfanne besteht aus der Hälfte einer der Länge nach entwei geschnittenen
Büchse oder eines Hohlcylinders. Der Vollcylinder riiht in dem Hohl-
cylinder, festgehalten durch den Luftdruck und die Adhäsion und durch
den Zug der Muskeln. Um dem Gang des menschlichen Gelenkes
eine größere „Sicherung" zu geben, ist der querliegende Cylinder über-
dies mit einer tiefen Furche, und die Pfanne mit einer hierfür pas-
senden Leiste versehen oder umgekehrt. Das Ineinandergreifen dieser
Furchen und Leisten verhindert in Verbindung mit den Hilfsbändem
das Abgleiten.
Am reinsten erscheint diese Form in den Zehen- und Finger-
gelenken (Fig. 7 Nr. 18, 19, 20—21). Daran schließen sich an : das Kniegelenk,
das Fußgelenk, das Gelenk zwischen Atlas und Hinterhaupt u. a. m.
Der £iDfachheit wegen wurde nur von einem querliegenden Cylinder oder
einer Walze gesprochen, welche den Qelenkkopf darstellt Das Aussehen ent-
spricht nicht gerade immer der Vorstellung, die mit solchen Bezeichnungen ver-
bunden ist. Dies rührt davon £ier, daß die gewölbte Oelenkfläche, ungefähr so
wie bei dem Eln>ogengelenk , einen tiefen Einschnitt aufweist. Das so ein-
geschnittene Gtolenkende wird deshalb auch Bolle genannt. Alle diese und
ähnliche Ausdrücke sind eben von der Mechanik in die Anatomie allmählich
herübergenommen worden. Ahnlich wie an dem Ellbogengelenk verhält sich der
querliegende Cylinder an den Fingern. Auch hier existiert ein ziemlich tiefer
Einschnitt Bei dem Kniegelenk ist er so umfangreich geworden, daß die Walze
an der hinteren Fläche vollständig in zwei Teile getrennt ist, und nur an der
vorderen der Bezeichnung ,3olle" ncich einigermaßen entspricht. Auch die Grelenk-
pfanne ist weit Entfernt, dem alltäglichen Begriff einer solchen zu entsprechen.
Sie ist oft gering an Umfang und so flach, daß es schwer wird, sie zu erkennen,
wie z. B. an dem oberen Schienbeinende. Für die Ausgiebigkeit der Bewegung
war damit ein eminenter Vorteil erreicht. Größere Sicherheit der Führungsbahn
wurde durch die Einschnitte erreicht, denn in diese greifen vorspringende Leisten
ein, wie an dem Arm-Ellenbogengelenk oder den Fingergelenken Fig. 7, Nr. 18, 19.
Das seitliche Abgleiten wird einmal schon dadurch erschwert,, dann ^ber noch voll-
ständig gehemmt durch die einem jeden solchen Gelenk zukommenden Hilfsbänder
Fig. 7, Nr. 18, 33. Dieselben entspringen seitlich an der Rolle, und zwar an den
Das Skelett. 41
Enden ihrer Drehaxe, und setzen «ich an dem gegenüberliegenden Hände der
Gelenkpfanne an. Sie sind so beschaffen, daß sie einerseits die beiden Oelenk-
iiächen fest und dennoch beweglich aneinander heften, und andererseits ein seitliches
Ausweichen unmöglich machen. Seitenbänder an Fig. 7 Nr.« 14, 33.
Modifikationen des Winkelgelenkes sind: 1. Gelenke mit sattelförmiger
Gestaltung. Der Einschnitt in die ,,Bolle" ist tief aber flach, und die Seiten-
bänder sind nicht so straff gespannt, wie bei den reinen Winkelgelenken. Dadurch
werden auch seitliche Bewegungen möglich. Das schönste Beispiel für ein solches
Gelenk ist dasjenige zwischen Daumen und Handwurzel (Fig. 7 zwischen Nr. 12 u. 28).
2. Gelenke mit schraubenförmiger Gestaltung der Grelenkflächen.
Der Unterschied von dem Winkelgelenk beruht nur darin, daß die Führungs-
linien die Richtung wie bei einer Schraube haben. Die Ebene, in der die Bewegung
stattfindet, durchschneidet bei solchen Gelenken die Gelenkaxe nicht senkrecht wie
bei dem Winkelgelenk, sondern in schiefer Richtung. Sowohl bei Mensch als Tier
ist diese G«lenkform in großer Verbreitung zu finden, z. B. an dem Ellbogen und
dem Knie. Der Einfachheit halber werden jedoch hier alle diese Gelenke als ein-
fache Winkelgelenke aufgefaßt Wo immer wichtige Abänderungen vorkommen, da
soll an dem betreffenden Ort darauf hingewiesen werden.
Für eine eingehende Schilderung empfehlen sich wegen ihrer
oberflächlichen Lage die Winkelgelenke der Finger. Ein großer
Teil ihrer Eigenschaften läßt sich schon durch die Haut hindurch er-
kennen, namentlich an mageren Händen. Die genaue Kenntnis des
Mechanismus ist gleichzeitig ein wertvolles Hilfsmittel für das Ver-
ständnis des Kniegelenkes, das zwar nicht unwesentliche Abänderungen
aufweist, aber in der Hauptsache nach demselben Plane geformt ist.
Der Anatom versteht unter den Winkelgelenken der Finger nur jene
am Nagelglied und in der Mitte der Fingerlänge. Das Finger-
handgelenk (Ärticulatio metacarpo-phalangea) zwischen Mittelhand und
Fingerwurzel gehört zu der Reihe der Kugelgelenke. Denn wir
können solche nicht nur beugen und strecken, sondern auch spreizen,
ja wir können durch Überführen dieser Bewegungen ineinander, mit
der Spitze eines Fingers, am deutlichsten des Zeigefingers sogar
einen Kreis beschreiben. Bei den zwei letzten Fingergelenken, von
der Fingerwurzel aus gezählt, ist dagegen lediglich Beugung und
Streckung ermöglicht. Ein querliegender mit Knorpeln überzogener
Cylinder rollt auf einer entsprechend gehöhlten cylindrischen Pfanne.
Die Figur 7 Nr. I8, 19, 20—21, 31, 32 zeigt das Winkelgelenk nach Ent-
fernung der Kapsel in verschiedenen Stellungen. Die querliegende
in der Mitte durch eine sattelförmige Vertiefung eingeschnittene Rolle
Fig. 7 Nr. 18 sitzt auf einer schwach gehöhlten Pfanne Fig. 7 Nr. 19.
Aus ihrer Mitte erhebt sich eine stumpfe Leiste, welche ihre Führung
in dem Einschnitt an der Rolle findet (vgl. Fig. 7 Nr. 31, 32). Durch
das Ineinandergreifen von Leiste und Einschnitt wird die Gangart des
Gelenkes wesentlich gesichert. Denn diese teiden Flächen können
42
Enter Abschnitt
sich nur in einer und derselben Ebene verschieben wie die Flügel-
thüren, Kofferdeckel, wie die Branchen des Zirkels u. s. w. Eine
Gelenkkapsel, welche wie ein schlaffer Sack die aneinanderstoBenden
Knochen verbindet, gestattet volle Beweglichkeit, welche bei manchem
Menschen sogar zu einer Uberstreckung Miren kann, wobei der Finger-
räcken sicli höhlt, konkav wird, Hilfsbänder (Fig. 7 Nr. 17), welche
zu beiden Seiten des Gelenkes angebracht sind, und deren Änbeftungs-
punkte deutlich am centralen Knochenende als kleine Grübchen be-
merkbar sind, erhöhen die Festigkeit. Ohne solche Hilfsbänder würden
bei jedem stärkerem Zug oder Druck die glatten Flächen voneinander
abgleiten trotz der Adhäsion und des Luftdruckes.
GniDdphalange S-
Sehne and Bdnhant i
1 Msrkhohle dei Uitld
bandknocheDi
i Uitt«lhttadknodieD
« Kspael an der Hohl
hsudilicbe
j HautlUte äfe Uittel
hond Fingergelenka.
S flautfalt«»
Fig.l
Gclenkpfnnne s' 5 Mittelglieti.
SogittalBcbnitt des dritten MitteUumdknochens und Fingers, gebeugt
Den vollen Einblick in die Gestaltung eines solchen Gelenkes
gewährt ein Ljüigsschnitt durch die Mitte des Fingers, der Längsachse
folgend.
Der Gelenkkopf Fig. 8 Kr. 2" erscheint wie ein Halbkreis, die Pfanne
Fig. 8 Nr. 3' wie ein leicht gehöhltes Schüsselchen. Der KnorpelUberzog
wie ein Millimeter breiter Saum, der am stärksten auf der Mitte der
Pfanne und der !Rolle ist und nach dem Ende derselben allmählich
abninunt. Die obere und untere Kapselwand sind innen nicht völlig
glatt, sondern mit einem Wulst versehen (Fig. 8 Nr. 5), der in den Ge-
lenkraum vorspringt, und dem zum großen Teil die wichtige Aufgabe
zukommt, bei schneller Streckung die Kapsel vor der Einklemmung zu
schützen. Der Luftdruck preßt nicht allein die Gelenkffächen an-
einander, sondern avch die Gelenkkapsel und die äußere Haut fest
Das Skelett. 43
an den Knochen. Wo immer bei der Bewegung die Knochenenden
einen klaffenden Spalt freiwerden lassen, legt sich, getrieben von dem
Gewicht der auf uns lastenden Luftsäule die Gelenkkapsel und damit
die Haut hinein. Am leichtesten kann man sich von dieser über-
raschenden Erscheinung an dem Fingerhandgelenk überzeugen. Zieht
man den Finger stark an, so entfernen sich mit einem hörbaren Bjiall,
ähnlich dem Geräusch eines abgelassenen Gewehrschlosses, die Gelenk-
flächen voneinander. Der kleine Knall entsteht durch das Losreißen
der mittels der Gelenkschmiere adhärierenden Knochen. Gleichzeitig
sinkt die Haut in den klaffenden Spalt und bleibt solange, bis der
Zug nachläßt, und die Gelenkenden wieder in ihre frühere Stellung
zurückkehren. Dieser kleine mit der Kapsel verwachsene Höcker
(Fig. 6 Nr. 5) hat nun die Aufgabe, bei den Bewegungen die Haut
vor sich herzutreiben, und so ihre Einklemmung zu verhindern. Für
den Künstler ist dabei die Thatsache wichtig, daß die Haut sich
der Oberfläche des Gelenkes, soweit dies die Kapsel gestattet, genau
anschmiegt, und deshalb die tiefliegenden Gelenkformen für den
Kenner leicht bemerkbar werden. Die großen rotierenden G^lenk-
körper im Kniegelenk gewähren bei der Beugung einen ganz anderen
Anblick als in der gestreckten Lage, weil durch die Rotation eine
andere Stellung eintritt, und die Haut sich in den klaffenden Gelenk-
spalt unter dem Einfluß der obenerwähnten Naturkrafb hineinlegt.
Auch an dem Kniegelenk existiert jene Einrichtung an der inneren
Fläche der Gelenkkapsel, um sie vor der Einklemmung zu schützen. Der
Größe des Gelenkes entspricht die Größe der mit Fettlappen gefüllten
Höcker. In der Streckung ist für sie der Binnenraum des Gelenkes
viel zu klein, sie werden also gegen die Haut getrieben und bedingen
jene zwei leicht beweglichen Hügel, welche bald getrennt, bald als ein
querliegender Wulst sich bemerkbar machen. Wir werden darauf bei
der Anatomie des Kniegelenkes zurückkommen.
Noch aus anderen Gründen empfiehlt es sich, der physikalischen
Thatsache eingedenk zu sein, daß der menschliche Körper unter dem
Einfluß des Luftdruckes steht, der beständig die Oberfläche gegen die
tiefliegenden Organe andrückt. Die Form des Halses, der Brust und
des Unterleibes sind vom Luftdruck abhängig. Dies zeigt sich selbst
am toten Körper.
3. Zusammengesetzte Gelenke.
Li den zusammengesetzten Gelenken treffen sich drei oder
mehrere Gelenkenden mit verschiedenen Rotationsflächen. Der für
den Künstler wichtigste Fall dieser Art ist das Ellbogengelenk, in
44
Enter AbwbDltt.
welchem auf den Oberarmknochen zwei Yorderarmknochen treffen
(Fig. 9 u. 10). Jeder der letzteren besitzt eine andere BewegtmgBart
Die Elle stellt in ihrer Verbindung mit dem Arm ein Winkelgelenk
dar, die Speiche dagegen ein Kugelgelenk, das aber wegen der Be-
festigung durch Bänder hauptsächlich Drehbewegungen ausfuhrt. Die
drei Knochenenden sind von einer gemeinschaftlichen Kapsel om-
BcbloBsen (Fig. 10), was jedoch nicht bei allen Gelenken dieser Art un-
bedingt erforderlich ist In der Verbindung zwischen Atlas und dem
-G Nodu» ntedlalis.
Di« qaerliegande BoU^
welche die kookaTeFlache
dea E^bog«De Dmgiebt.
Ellbogen mit der
Gelenkfläche.
Froceam ooroDoidens.
Ansab dea Brachialii
iateraii«.
Du Köpfchea dee Radiua g
Gelenkfläche t d. Verbin-
dung mit dem Radius
AnMti des Bicepa
Fig. 0. Die Qelenkkörper des EUbogengelenkeA
zweiten Halswirbel ist z. B. die Stellung der Gelenkfläche an dem
Zabnfortsatze zu den übrigen so verschieden, daß drei getrennte
Kapseln existieren.
Stieag genommea ist die obige Aufstellung EusammengeBetEter Qe-
leoke veraltet, aber sie bst, den groSea Vorzag der VerständlicUeit. FOt
den, der sich eingehend mit der Mechanik befaßt, wird die Vorstellung freälJch
keine Schwierigkdt bieten, daß Dreh- und Winkelgetenke getreont und demnodL
von einer Kapsel umschlossen sein können, und man mag dann die Kategorien
der ersten Art von denjenigen der zweiten trennen. Allein dann steht man
vor einer neuen Schwierigkeit, die alle anatomischen ^nt^ungen flbrig lueen.
daß udi eben etwas der Einteilung nicht fQgen will, und das sind eben diese
gemiecliten oder Doppe1g;elenke.
4. Straffe Qelenke.
Die straffen Gelenke sind charakterisiert durch nur mäßig
gekrümmte oder sogar ganz ebene Geleoktlächen , deren Hilfsbänder
Gdenkkopf des Radini
lelenkflAdw fär di« Verbin- ,
dang mit dem Badios
Ug. aDDolare, du log. i
Kngbaod
Badiiu
Tomtt lapratraohteBriB.
t Die Bolle.
iDDcres KspselbfUld.
3 Frooeao« oonmoideni.
n AnMtnteU« de« Bioepi.
t UId».
U ZwiKhenknochentuad.
F^g. 10. Ellbogengelenk mit Bändern in natürlichem Zusammenhang.
SO fest gespannt sind, daß nur eine sehr geringe Verschiebung statt-
findet. Sie gehören ausschließlich einigen fiand- und Fußwurzelknochen
an. An der Fig. 7 existieren zwischen den Handwurzetknochen Hr.s— li,
dann zwischen diesen und den Hittelhandknochen Nr. 13 sogenannte
straffe Gelenke, von deren geringer Beweglichkeit jede lebendige Haud
Zeugnis ablegt.
46 Zweiter Abschnitt.
Zweiter Abschnitt.
Die Haut.
Die Haut.
Die Haut des menschlichen Körpers ist nicht nur eine Hülle, in
welcher der Körper steckt, sondern gleichzeitig ein Schleier, der den
Blick in die Tiefe dringen läßt, und dem Wissenden unendlich viel
von den dahinter liegenden Organen und ihrem Leben erzählt. Jugend,
Alter und Geschlecht, die Fülle der Gesundheit und die Schwäche der
Krankheit oder der Entbehrung drücken ihr femer einen unverkenn-
baren Stempel auf. Während sie dann im Leben von jenem Kolorit durch-
drungen ist, das gewöhnlich mit dem Ausdruck „Inkarnat" bezeichnet
wird, mit jener Fleischfarbe, die an verschiedenen Stellen von ver-
schiedener Stärke ist, prägt ihr der Tod jene „kalte" Blässe auf, so-
bald die Zirkulation des Blutes sich abschwächt.
Die Haut zeigt zwei Schichten, eine obere, gefäßlose und eine
untere, gefäßreiche.
Die gefäßreiche Schicht enthält zahlreiche Netze von Blutgefäßen,
welche feiner als das feinste Frauenhaar in einem sehr elastischen und
dehnbaren Fasergewebe eingebettet sind. Zwischen den Fasern sind
kleine Spalträume, welche untereinander zusammenhängen und im nor-
malen Zustande mit einer mäßigen Menge von Ernährungsfltissigkeit
erfüllt sind. Ferner ziehen die Nerven der Haut durch diese Schicht,
und kleine Drüsen, die Schweiß- und die Talgdrüsen, ebenso die Haar-
wurzeln sind in sie eingesenkt.
Diese untere Schicht heißt die Leder haut (Cutis).
Über dieser gefäßreichen Lederhaut liegt die gefäßlose Ober-
haut (Epidermis). Sie besteht aus mikroskopisch kleinen Bläschen,
Zellen, welche durch eine Kittsubstanz ziemlich fest miteinander ver-
kittet sind. Die obersten der Atmosphäre zugekehrten Lagen lösen
sich jedoch allmählich los und fallen als weißliche Schüppchen ab.
Diese Oberhaut ist schon bei dem Neugeborenen an verschiedenen
Stellen verschieden dick. An der Hand- und Fußsohle besteht sie aus
mehreren Lagen. Daß ihre Dicke an denselben Stellen beim Er-
wachsenen beträchtlich ist, und bei rauher Arbeit z. B. an der Hand
zu dicken Schwielen sich anhäuft; ist bekannt. Einem fiir die oberen
und unteren Gliedmaßen geltenden Gesetze zufolge ist die Haut an
Die Haut. 47
der Streckseite sämtlicher Gelenke derber und dicker^, an den Beuge-
seiten um so feiner und zarter, je tiefer gehöhlt diese sind. Sie wird
somit im Achselbug feiner als in der Ellbeuge, und in dieser wieder
dünner, als an der Beugeseite der Handwurzel sein.
Diese Oberhaut, ob dünn oder dick, löst sich nach Eintauchen in
kochend heißes Wasser am Lebenden wie an der Leiche in großen
Fetzen ab. Beim Lebenden erhebt sie sich durch Ansammlung einer
Flüssigkeit nach leichten Verbrennungen in Form einer Blase und zeigt
dadurch, daß man mit Recht auch von der Oberhaut, trotz der Zu-
sammensetzung der Zellen, dennoch als von einer zusammenhängenden
Schicht spricht.
Farbe der Haut.
Die beiden Schichten, die Oberhaut und die Lederhaut, be-
sitzen eine hervorragende Eigenschaft: sie sind durchsichtig. Die
Durchsichtigkeit zeigt sich vor allem darin, daß die in der Lederhaut
vorkommenden feinen Blutgefäße je nach der Dicke der Epidermis als
verschiedene Grade von Rot kenntlich werden. Die sog. Fleisch-
farbe, jener leichte Rosaton der Haut, rührt davon her. Die Röte der
Wangen bis zu dem intensiven Rot der Lippen sind weitere Abstu-
fungen, welche teils von der dünnen Beschaffenheit der Oberhaut, wie
an der Wange, teils von der größeren Menge der Gefäße auf einer
gegebenen Fläche abhängen (Lippen).
Man muß sich für das volle Verständnis dieser Thatsachen an das
optische Verhalten der Lichtstrahlen erinnern. Von denjenigen, welche
die Oberfläche der menschlichen Haut treffen, wird ein Teil unverändert
zurückgeworfen, ein anderer dringt aber in die Tiefe, trifft die mit
Blut gefüllte rote Gefäßschicht der Cutis-, es kehren nun auch rote
Strahlen zurück und gelangen gemischt mit den von der Oberfläche
reflektierten in unser Auge.
Dieser letztere Fall tritt in seiner Einfachheit nur bei den blonden
Individuen mit heller, weißer Haut ein. Bei Brünetten sowie bei den
farbigen Rassen erhalten die aus der Tiefe der Haut zurückkehrenden
Lichtstrahlen noch andere Farbenstrahlen beigemengt, je nach der
Art des Pigmentes.
Die tiefsten Lagen der Oberhaut, welche unmittelbar der Cutis
aufsitzen, enthalten nämlich bei den brünetten Europäern etwas braunes
oder braunrötliches Pigment. Die durch diese Schicht gedrungenen
* In der Lederfabrik von Meudon wurde zur Zeit der ersten französischen
Revolution die Haut von. Guillotinierten verarbeitet, um wohlfeiles Leder zu er-
zeugen. Das männliche Leder wurde in ^^consistance" besser befunden alsGemsenleder.
48 Zweiter Abschnitt.
und wi(jdor zurückkehrenden Strahlen sind farbig nach der Farbe des
Pigmentes und geben dem Teint einen gleichmäßigen Ton. welcher bei
gesunden Individuen europäischer biiinetter Rassen, von denen hier
zunächst die Rede, gelbrötlich ist. Die Haut erhält jene leuchtende
Kraft, jenen Goldton, welchen Tizian und mit ihm die yenezianische
Schule ganz besonders hervorgehoben hat.
.Teder scharfe Beobachter kennt aber nocb die beträchtlichen Ver-
schiedenheiten des Kolorits bei verschiedenen Brünetten und Blonden.
Bald hat der Grundton eine ganz schwache Zumischung von Blau, bald
von Grün. Und diese Farbennüancen können sich über die ganze
Haut erstrecken oder nur einzelne Bezirke betreffen. In der oben ge-
gebenen Erklärung von dem Inkarnat wurde der Gang der Licht-
strahlen so dargestellt, als ob sie durch die Zellschichten der Ober-
haut und die Faserlagen der Cutis, wie durch verschieden gefärbte
aber klare Flüssigkeiten hindurchgingen. Die beiden Abteilungen der
Haut sind aber in Wii'klichkeit durch die darin vorkommende Elr-
nährungsflüssigkeit und ihre spezifische, chemische Beschaffenheit leicht
getrübt. Diese Trübung ist der Grund, warum die zurückkehrenden
Lichtstrahlen bald einen mehi* bläulichen oder einen mehr grünlichen
Ton als Beimischung erhalten.
Alle diese Farben und Farbentöne sind abhängig von der Natur
der Unterlage und der Richtung, welche die durch die Oberhaut zu-
rückkehrenden Strahlen erhalten. Die Haut des Toten reflektiert
weniger Licht als die des Lebenden, weil sie undurchsichtiger gewor-
den ist. Die in den tiefen Schichten der Leder- und Oberhaut befind-
liche Ernähningsflüssigkeit trübt sich mit dem Erkalten des Körpers.
Wenn dann die Fäulnis ihre roten und blauen Flecken auf die Kör-
per der Entseelten malt, dann sind dies Vorgänge, welche auch nur
durch einen gewissen Grad von Durchsichtigkeit der Haut erkennbar
werden können. Sie deuten auf die zerstörende Arbeit der Zersetzung,
die in der Lederhaut beginnt und durch die Oberhaut hindurch f&r
unser Auge bemerkbar wird.
Als die plastische Kunst nach dem Stein griff, um ihren Werken
eine größere Dauer zu geben, da fand sie in dem Marmor ein Mate-
rial, das die Eigenschaft der Haut, die Durchsichtigkeit, bis zu einem
gewissen Grade besitzt. In die Oberfläche des Marmors, und in noch
höherem Grade in die des Alabasters dringen Lichtstrahlen ein und
durchleuchten ihn ähnlich wie die menschliche Haut. Man spricht wohl
deshalb von einer .,Wäi'me*' des Marmors. Könnte man ihn mit der
Farbe des Inkarnats versehen, ohne die Durchsichtigkeit zu zerstören,
so würde die Lebenswahrheit der Marmorstatuen täuschend wie jener
Die Haat. 49
aus Wachs. Der Gips, von dessen Oberfläche alle Strahlen reflektiert
werden, erscheint im Vergleich zu Wachs und Marmor „kalt."
Leichte Trübung der Medien verändert in höchst auffallender Weise die Farbe
des Lichtes. So ist die untergehende Sonne rot, weil ihr sonst weißes Licht durch
die mit Wasserdampf gesättigten Luftschichten hindurchgeht
Die Epidermis der Hohlhand zeichnet sich wie die an allen Beugeseiten der
Gliedmaßen in der Regel durch ihre Weichheit aus. Sie kann aber, wie die hornigen
Fäuste gewisser EUuid werker beweisen, sich bis auf mehrere Millimeter verdicken.
Dann bildet sie eine dicke Schichte von hornartiger Beschaffenheit und das Licht
kann nur in äußerst geringer Menge bis in die Lage der blutgefaßfuhrenden Leder-
haut dringen. Solche Stellen sind daher grauweiß — wie z. B. die Ferse. Selbst
bei dem Neger besitzt das Innere der Hand keine dunkle Färbung mehr.
Unterschiede der Haut bedingt dnreh das O^esehlceht.
Der auffallende Unterschied in der Haut der Geschlechter ist
durch mancherlei Ursachen bedingt. Bei dem Manne kommt die
größere Dicke, die stärkere Behaarung, ferner die intensivere Färbung
durch die Sonne in Betracht, endlich der größere Mangel an Fett, dessen
Reichtum den Formen des weiblichen Körpers die charakteristische
Rundung verleiht. Von diesen Unterschieden verlangt nur der zuletzt
erwähnte eine genauere Erörterung.
Das Fett liegt in kleine mikroskopische Bläschen, in Fettzellen
eingeschlossen, in dem sog. Unterhautgewebe. Die Haut sitzt nicht wie
ein Rock auf dem Köq^er, sondern ist durch eine Anzahl von Fasern,
die sog. Bindegewebsfasern , mit dem übrigen Körper verwachsen.
Diese bilden eine über den ganzen Körper fortlaufende Schicht, das
Unterhautbindegewebe oder subkutane Bindegewebe. Es ist gleich-
zeitig die breite Heerstraße, auf der die zahllosen Blutgefäße aus dem
Körper in die Haut dringen, auf der sie und die sog. Lymphgefäße
wieder in den Körper zurückkehren, auf welcher ferner die Haut-
nerven, welche das Tastgefühl und die Empfindung von Wärme, Kälte,
Druck u. s. w. vermitteln, zu der Cutis gelangen. Dieses subkutane
Bindegewebe ist mit Fettzellen durchsetzt, die in größere, schon für
das bloße Auge sichtbare Häufchen angesammelt, in den Maschen
des Bindegewebes aufgeschichtet liegen. Mehrere Fettklümpchen bil-
den ein Fettläppchen, welches von einer Bindegewebshaut umhüllt
wird. Diese Umhüllung gleicht mehr einem dichten Netz von ver-
schlungenen Fasern als einer Kapsel, ist also durchgängig flir Blut-
und Lymphgefäße; ebenso gehen zwischen den Fasern genug andere
Kommunikationswege zu den benachbarten Fettklümpchen und den
umgebenden Gebilden. Die Fettläppchen bilden in gesunden Tagen
eine fast ununterbrochene Lage. Dort wo sie in mäßiger Schicht
KOLLMANX, Plastische Anatomie. 4
50 Zweiter Abschnitt.
ausgebreitet sind, läßt die äußere Betrachtung kaum ahnen, daß
dennoch Millionen von Zellen ausgebreitet sind, welche nur bei aus-
zehrenden Krankheiten und b^im Hungertod völlig verschwinden.
Bei reichlicher Nahrung entwickeln sich die Fettläppchen in solcher
Masse, daß unter der Haut dicke Lager angehäuft werden, welche
Fettpolster (Panniculus adiposus) heißen. So spricht man denn
auch schon im gewöhnlichen Leben von Fett und weiß, daß es die
Geschmeidigkeit, Fülle und Rundung der Formen bedingt, wie sie
streng genommen nur die Frau oder Jungfrau schmücken dürfen und
die Kinder. Der Mann muß im Vergleich mit ihnen fettarm sein; die
starken Muskel- und Knochenlinien, welche bei der Frau durch das
Fett meist verhüllt oder doch bedeutend abgeschwächt werden, müssen
bei ihm klar und scharf hervortreten, soll sein Körper den Ausdruck
männlicher Kraft erkennen lassen.
Li der Menge des Fettpolsters liegt einer der charakteristischen
Unterschiede zwischen dem Weib und dem Mann. Unter sonst glei-
chen Umständen lagert der weibliche Organismus mehr Fett ab als der
männliche und nähert sich dadurch mehr dem des Kindes, dessen
Fettpolster ebenfalls sehr beträchtlich ist. Der StoflFverbrauch ist eben
bei dem Manne größer.
Von der eben gegebenen gleichmäßigen Ausbreitung der Fett-
schicht weichen einige Körperstellen bei beiden Geschlechtem ab. An
der Hand t6id Fußsohle- ist die Fettlage sehr beträchtlich, femer finden
sich in der Augenhöhle, in der Umgebung der Kaumuskeln und in
der Umgebung des Gesäßes Lager von oft ansehnlicher Mächtigkeit,
während selbst bei wohlgenährten IndiWduen in den Lidern, Ohr-
muscheln und in der Schädelhöhle kein Fett gefunden wird.
Das Fettpolster im Gesicht hat an der Innenfläche des Kau-
muskels (Masseter) u. a. die Aufgabe , dem unteren Teile auch des männ-
lichen Gesichtes jene Rundung zu geben, die weit entfemt von Fülle
gerade das Ebenmaß mit bedingt. Li der Umgebung des Schläfe-
moskels ober- und unterhalb des Jochbogens ist eine Fett-
anhäufong, welche selbst schmaler Kost verhältnismäßig lange wider-
steht. Schwindet sie, dann treten die Wangenknochen unangenehm
hervor, weil die Backe eingesunken ist. Der Jochbogen zieht dann wie
ein Grat gegen das Ohr hin zwischen zwei flachen Gmben (Fig. 11),
Ton denen die obere, die eigentliche Schläfengrube, tiefer ist als die
untere y welche dem Unterkiefer folgt und die Kinnbackengegend und
besonders die Kinnbackenwinkel nur allzu deutUch her>ortreten läßt.
Ans diesem einen Beispiel geht schon hervor, daß das Fett nicht
MiSBchließlieh unter der Haut vorkommt, sondern auch zwischen die
Die Haut.
51
Muskeln eindringt; es ließen sich noch mehrere Fälle dieser Art auf-
führen, allein nur zwei verdienen eine eingehende Besprechung.
Am Halse zieht sich bei gutgenährten Individuen das Fett auch
zwischen die Muskeln. Der Hals zeigt an der Seite zwei seichte Gruben,
das obere Halsdreieck (Trigonum colli superius, bei rückwärts gebeugtem
Kopf besonders deutlich) und das untere (Trigonum colli inferitis) über
dem Schlüsselbein. Das untere ist allgemein bekannt, es füllt sich bei
dem forcierten Ausatmen, und sinkt beträchtlich ein bei tiefem Ein-
atmen. Während der ruhigen Respiration bewahrt es einen mittleren
Stand. Wenn nun die Abmagerung kommt, die stete Begleiterin
der Entbehrung und des schwachen Greisenalters, dann wird diese
Schlüsselbeingrube tief, dann erhält sie jene Form, welche ihr die
Bezeichnung „unteres Halsdreieck" gegeben hat. Und der Grund liegt
nur darin, daß das zwischen den Muskeln, den Ge-
fäßen und Nerven befindliche Fett geschwunden ist.
Bei dem schönen Frauenhals ist die Schlüssel-
beingrube nur schwach bemerkbar, und die Grenze
gegen die Brust, nämlich das Schlüsselbein, ist
in dem Fettpolster verborgen. Schwindet seine
Fülle, dann hilft der vorspringende Knochen jene
scharfe Grenze des Halses herstellen, die nur dem
männlichen Körper zur Zierde gereicht.
Das Rumpfende ist durch einige Anhäufungen
des Fettpolsters ausgezeichnet, welche nach zwei
Gesichtspunkten zu trennen sind, in solche, welche
beiden Geschlechtem gemeinsam, und in solche,
welche vorzugsweise den weiblichen Körper cha-
rakterisieren. Bei jedem gesunden Menschen findet
sich in der Gesäßspalte und an dem unteren Rande des großen Gesäß-
muskels eine so bedeutende Ansammlung von Fett, daß sich die beiden
gerundeten Hinterbacken in der Mittellinie berühren und nach unten
durch eine quere Hautfurche von der hinteren Schenkelfläche sich ab-
setzen. Wie ansehnlich dieses Fettpolster ist, geht aus der Betrach-
tung der Form und des Verlaufes der großen Gesäßmuskeln hervor.
Obwohl ihre Ursprungsstelle am Steißbein sich nicht berührt und femer
die Richtung des unteren Randes sich von dem Steißbein gegen den
zunächst liegenden Teil des Oberschenkelknochens herabsenkt, ist
dennoch beim Lebenden die Gesäßspalte während des Stehens und
Gehens völlig geschlossen (Fig. 2).
Nur während des Sitzens öffnet sie sich, weil der Gesäßmuskel sich ver-
schiebt, und mit der Haut auch die ganze darunterliegende Fettmasse in eine
andere Lage bringt; sie bedeckt in dieser Stellung den Sitzknorren, auf dem
4*
Fig. 11. Alte Frau.
Jochbogen durch die
Haut hindurch deutlich
sichtbar, darüber die
durch Fettmangel ein-
gesunkene Schläfen-
grube.
52 Zweiter Abschnitt.
während des Sitzens die Last des Körpers ruht. Nachdem die Empfindlichkeit
des Fettes gleich Null ist, bildet der Fettklumpen auf dem Sitzknorren ein weiches
Polster, das diese Ruhelage selbst auf hartem Brett erträglich macht. Je mächtiger
diese Polsterung, um so länger läßt sich das Sitzen ohne Beschwerde anshalten.
Von welcher Bedeutung dieser wichtige und wenig gewürdigte Nutzen des Fette«
ist, geht am deutlichsten aus den Folgen des Fettmangels an dieser Stelle hervor.
Nach langer Krankheit werden selbst diese Massen auf ein ^iinimum reduziert und
den Kranken dadurch das Sitzen selbst mit angelehntem Rücken unerträglich ge-
macht; die Haut wird eben zwischen den harten Knochen und der Unterlage
schmerzhaft gepreßt, während sonst Millionen von Fettzellen den Druck über-
nehmen und verteilen.
Das Fett der Aftergegend steht im Zusammenhang mit anderen
Zügen des Fettpolsters, die sich unter den Gesäßmuskeln befinden
und bei den kräftigen Zusammenziehungen dei-selben verschoben wer-
den. Ruht der Körper fest auf einem Bein (Standbein) oder befindet
er sich in der Vorwärtsbewegung, so sind die Muskeln am Rumpf-
ende in starker Kontraktion und ist die Fleischmasse, namentlich des
großen Gesäßmuskels, stark gewölbt, aber schmäler als an dem Spiel-
bein, eine Form, welche zu einem beträchtlichen Teil von den Ver-
schiebungen des tiefer liegenden Fettpolsters abhängt.
Die eben besprochenen tiefliegenden Fettpolster kommen, wenn
auch in verschiedenem Umfang, bei beiden Geschlechtem vor. Die
seitliche Hüftgegend ist aber bei dem weiblichen Geschlecht durch
besonders große Fettmengen ausgezeichnet, welche die am übrigen
Körper vorkommende Schicht an Dicke und Umfang weit übertreflFen
und dem Manne in dieser Form und Ausdehnung fehlen. Der Über-
gang von der seitlichen Lenden- in die Hüftgegend geschieht näm-
lich bei dem Weib durch allmähliche Schwellung, während bei dem
Mann der obere Rand des Hüftbeins eine deutliche Grenzlinie bildet
Bei dem Weibe wird durch das Fettpolster nicht allein die Kontur
der Gesäßmuskeln so verhüllt, daß selbst das geübte Auge bei dem
Stehen vergebens nach den begrenzenden Linien sucht, auch die
Grenze zwischen Bauchwand und Hüftknochen schwindet seitlich unter
seinen beträchtlichen Schichten nahezu vollkommen. So wird die
Stelle, an der bei dem Manne der große Rollhügel bemerkbar ist,
bei der Frau unkenntlich und erscheint nur als breite und flache
Erhöhung. Die Vorderfläche des Rumpfendes, die untere Bauch-
grenze, wird zwar durch die Leistenfurche deutlich von der vorderen
Schenkelfläche abgesetzt wie bei dem Manne, allein die Fettschicht
nimmt bei dem weiblichen Körper doch beti-ächtlich an Mächtigkeit
zu, namentlich gegen die Schamgegend hin, um in dem Schamberg
(Mons Veneris) zunächst einen Abschluß zu finden. So heißt die durch
reichlichen Fetteinschluß gepolsterte Erhöhung, deren Form bei
Die Haut 53
gesunder Fülle dreieckig ist mit oberer Basis, während die Spitze
sich zwischen den Schenkeln verliert.
Hautfalten.
Die Falten der Haut, ihre Tiefe, ihr Schwung und ihre Häufig-
keit hängen wie bei einer Draperie von der Richtung des Zuges und
der Schwere des Stoffes ab. In der Jugend verhält sich aber die
Haut wie ein weicher elastischer Stoflf, an welchem die Wirkungen
eines Zuges oder Druckes, welcher Falten erzeugt hatte, fast spurlos
vorübergehen. Das kindliche Gesicht und das der Jugend ist glatt.
Erscheinen auch bei den Äußerungen der Freude und des Schmerzes
Falten: sobald der Gleichmut wiedergekehrt ist, sind auch sie wieder
geschwunden. Mit dem fortschreitenden Alter verliert sich diese über-
raschende Eigenschaft der Haut mehr und mehr. Der hohe Grad von
Elastizität nimmt allmählich ab und die häufige Wiederkehr derselben
Furchen führt endlich dahin, daß ihre Spuren beständig sichtbar bleiben.
So ist also der Vergleich mit einer Draperie nur in einer Hinsicht
zutreffend, paßt jedoch nicht mehr, sobald die hervorragende Eigen-
schaft der Elastizität in Betracht kommt.
Um die Bedeutung und die Entstehungsgesetze der Falten be-
greifen zu können, ist es notwendig, die Verbindung der Haut mit der
Unterlage zu besprechen. Es wurde schon hervorgehoben, daß sie
mit den darunterliegenden Weichteilen und Knochen durch Faser-
züge zahlreiche Verbindungen besitzt.
Abgesehen von den Gefäßen und Nerven sind es bald feinere, bald
dickere Fasern, welche dem Bindegewebe angehören. Allein trotz
dieser zahlreichen Verbindungen ist sie dennoch in hohem Grade ver-
schiebbar, staut sich bei Verkürzungen des Rumpfes vom auf, wäh-
rend sie sich am Rücken spannt und umgekehrt. Die bei Verkürzung
des Leibes und der Glieder entstehenden Wülste der Haut, die man
kurzweg Falten nennt, folgen dabei gewissen Regeln, welche einige
Beispiele am besten zeigen.
Beim Rückwärtsbeugen des Kopfes legt sich die Nackenhaut in
Querfalten. Zwischen dem Hinterhaupt und dem letzten Halswirbel
rücken sie dicht aneinander und verlieren sich allmählich auslaufend
an der Seite des Halses. — Bei dem starken Rückwärtsbeugen des
Rumpfes entstehen dicke Hautfalten am hinteren Ende des Brustkorbes,
denn die Haut des Rückens ist besonders dick und verschiebbar.
Beim Seitwärtsbiegen, wenn sich die Schulter dem Becken nähert,
schiebt sich die Haut ebenfalls in zwei dicken ausgedehnten Falten
aneinander, wie die umstehende Figur zeigt. Die eine Falte ist bedingt
54 Zweiter AbadiDitt.
durch die YerkQrzang des Brustkorbes (Fig. 12 St. i). dessen unterste
Bippen aneinander und nach der Bauchhöhle zu gedrängt werden,
während die andere (Fig. 12 Nr. 2) über den Hüftbeinkamm herab-
hängt. Der gewölbte breite Strang zwischen den beiden Furchen ent-
hält die Masse der stark verkürzten Bauchmuskeln. Alle diese Falten
mUssen plastisch oder malerisch als Falten der Haut, als Falten der
F^. 12. HAutfidten an der 8eit«iiflache des Rumpfes bd dem SeitwSrtsbi^eD.
Skizse nach A. Amdbianis Stich: Der Raub der SabineriDnen.
Draperie behandelt werden, ihre tiefste Stelle und ihr sanft aas-
laufendes Ende muß erkennbar sein.
Die Zahl, die Höhe und die Tiefe hängt von der Dicke der Haut.
des darunter befindlichen Fettpolsters und der Stärke der Beugung an
der betreffenden Stelle ab, Verhältnisse, die als selbstverständlich eine
genauere Beschreibung überflüssig machen. Nur einer Thatsache ist
dabei zu gedenken, daß selbst sehr beträchtliche (luerverlaufende Falten
niemals von den darunter liegenden Muskeln herrühren. Niemals bildet
Die Haut. 55
der breite Rückenmuskel oder der gemeinschaftliche Rückenstrecker,
selbst bei der forciertesten Rumpfbeuge nach hinten, eine Falte. Niemals
kommt irgend etwas dieser Art an den •Bauchmuskeln vor, obwohl bei
dem Sitzen mit gesenktem Oberkörper die günstigsten Bedingungen
hierfür existieren. Die Querfalten, welche bei einer schon mäßigen
Rumpfbeuge nach vorn, am Unterleib, zuerst am Nabel, auftreten und
dann sich gegen die Scham hin mehr und mehr aufstauen, endlich
auch oberhalb des Nabels auftauchen, sind ausschließlich Hautfalten,
welche je nach der Größe des Unterleibes und der Stärke des Fett-
polsters und der Bewegung unzählige Abstufungen darbieten. Aber in
einer Hinsicht ist ihr Auftreten geregelt: es sind immer Querfalten
zur Achse des Rumpfes, und ihi* Beginn, ihre tiefste Stelle ist in der
Mittellinie des Köi-pers, um sich nach außen allmählich zu verlieren.
Es giebt treffliche Beispiele in der Kunst, welche lehrreich sind fCn die Be-
handlung solcher Haatfalten am Kampf. Von dem berühmten Carton, den
Michelangelo zu einem Gemälde für den Saal der Signorie za Florenz zeichnete,
das aber nie ausgeführt wurde, ist noch eine einzige Gruppe durch einen Stich von
Marc Anton erhalten. An der Mittelfigur der badenden Soldaten sind die Falten
am Unterleib meisterhaft. Femer am Barberin sehen Faun (in der Glyptothek zu
München), an dem Torso des ruhenden Herkules (Vatikan zu Rom). Sowohl die
Skizze Fig. 13 als die eben angefahrten Beispiele betreffen jugendliche Körper. Wie
sehr das Alter die Falten häuft, ist an der Kreuzigung Petri von Rubens gut
illustriert
Sind hiermit die Falten in ihrer allgemeinsten Erscheinung her-
vorgehoben, wie sie bei der beträchtlichen Verschiebbarkeit der Haut
an den erwähnten Stellen sich entwickeln müssen, sobald irgend eine
Verkürzung die Endpunkte nähert, so kommen von dieser allgemeinen
Regel doch mehrfache Ausnahmen vor, welche darin ihren Grund
haben, daß die Haut nicht durchweg ein gleich elastischer Sack ist,
welcher an allen Stellen gleich verschiebbar seiner Unterlage aufliegt.
Die Haut hat mehrfach relativ feste Punkte. Sie finden sich dort,
wo das Skelett unmittelbar an die üntei-fläche der Haut anstößt. Es
entstehen dadurch Linien, Furchen, Rinnen, Grübchen, die in hohem
Grade regelmäßig, wesentlichen Einfluß auf bestimmt« Formen er-
halten. Solche Stellen eines festeren Zusammenhanges mit der Unter-
lage sind das Brustbein und der Hüftbeinkamm. Man braucht diese
Stellen nur zu nennen, um sofort eine ganze Reihe zutreflFender
Erinnerungsbilder wachzurufen. Mögen die Brustmuskeln sich noch
so mächtig entwickeln, oder die weiblichen Brüste noch so sehr an
Umfang zunehmen, immer bleibt die Fläche des Brustbeins zu er-
kennen: bei dem Manne als eine verhältnismäßig breite Straße zwischen
Hals- und Herzgrube (Fig. 14), bei der Frau als eine tiefe Furche, —
Busen (Sinus) — der die Brüste voneinander trennt.
56 Zweiter AbuhniU.
Ebenso bekannt ist die scharfe Grenze zwischen der Baucbwand
und der vorderen Sdienkelääche, bedingt durch die innige Verwacbsung
der Haut mit dem Leistenband (Ligamentum inguinale, Fig. 14 Nt. 13),
Charakteristisch ist ferner bei dem Manne die festere Verbindung der
Haut im Verlauf des oberen Hüftbeinrandes {Fig. 14 Nr. 20, 20'). Zu diesen
Stellen gesellt sich noch die sog. weiße Bauchlinie, die von der Magen-
grube an, der Mittellinie des Körpers folgend, bis gegen das Schambein
herabreicht (Fig. 14) und eine schmale Rinne von wechselnder Tiefe
E[ided.Bnutkorbei.
Falte zwuchenBnirt-
korb und Nabel.
i Falle, velch« mitder
dritten Zwischen-
sehne des geraden
Baachmnsbel* in
Znrammenhang
steht.
i >■
Fig 13 Hantfolten am Bauch beim Vitien mit vorgebeugtem Körper.
Sbzze nach emem Kupferstich on Marc Amton.
darstellt. Am Nabel (Fig. 14 Nr. 17) selbst ist die Verbindung der Hant
mit der tiefen Schicht sehr innig, ebenso an dem Schamberg.
Aus demselben Grunde bleibt selbst bei der schwellenden Bunctui^
kindlicher oder weiblicher Formen das Schlüsselbein stets als Grenze
zwischen Hals und Brust erkennbar, ebenso wie die Gegend hinter
dem Ohr.
Für die Kückeuääche kommt eine Linie am Hinterhaupt in Be-
tracht, welche Ton der Hinterohrgegend' der einen Seite zu derjenigen
der anderen Seiten im aufwärts konvexen Bogen zieht. Gegen sie
Die Haut. 57
staut sich die Haut des Nackens empor, wenn der Kopf nach rück-
wärts sinkt; femer der Dornfortsatz des siebenten Halswirbels, der
deutlich bei gerader Haltung zu bemerken ist und als ein wichtiger
Orientierungspunkt wiederholt Erwähnung finden wird; von da ab die
Mittellinie des Rückens entlang, bis zur Steißbeinspitze, die hinteren
Ränder der Hüftbeinkämme, oben die Schulterhöhen und endlich eine
Linie, welche von ihnen zum siebenten Halswirbel herüberzieht.
Die obere Fläche des SchlOsselbeines h&ngt wegen der großen Beweglichkeit
nicht so fest mit der Haut zusammen als die anderen obenerwähnten Knochen-
punkte. Doch ist immerhin die Verbindung zäh und unnachgiebig und verdient
Betonung. Auch die Kante der Schulterblattgräte ist zu erwähnen, obwohl auch
sie bei der großen Verschiebbarkeit des Schulterblattes nicht in erster Linie in
Betracht kommt
Hält man das oben Gesagte fest, so läßt sich das Auftreten von
Falten voraüsbestimmen. So sind sie z. B. am Unterleib bestimmt durch
den Druck, der auf die Haut von oben herab ausgeübt wird, während
dieselbe in dem Bereich der Schamgegend festgebannt ist. Der Vor-
gang ist dabei folgender: das untere Ende des Brustkorbes schiebt sich
beim Sitzen mit gekrümmten Rücken nach abwärts gegen den Hüftbein-
kamm und gleichzeitig nach rückwärts gegen die Wirbelsäule. Da-
durch wird die Haut gegen den Schambogen gedrängt und schiebt sich,
nachdem ein Ausweichen auf die vordere Seite des Schenkels nicht
stattfindet, in dem mittleren Abstand zwischen Nabel und Schoßbogen
zusanunen.
Fassen wir diejenigen Punkte und Linien noch einmal zusammen, an
denen dieVerbindung der Haut mit der Unterlage eine innigere ist, also
weniger verschiebbar, als in der Umgebung, so finden wir folgende:
1) Spitze des Warzenfortsatzes,
2) Vordere Mittellinie des Köi*pers vom oberen Ende des Brust-
beins bis zum Nabel,
3) Hüftbeinkamm, Scheükelbeuge und Schamberg als Abschnitte
einer fortlaufenden Linie für die untere Begrenzung des Rumpfes,
4) Schulterhöhe und Schlüsselbein an der Grenze zwischen Rumpf
und Hals.
Für die Rückenfläche kommt
1) die Umgegend des siebenten Halswirbels,
2) die Schultergräte,
3) die Mittellinie des Rückens und
4) die hinteren Ausläufer des Hüftbeinkammes und das Kreuzbein
in Betracht.
Mit gutem Grunde sollten hier auch die Falten des Gesichtes Berück-
sichtigung finden, allein sie werden gemeinschaftlich mit den Muskeln des Antlitzes
58 Zweiter Abschnitt.
erörtert werden. Nur soviel sei hier hen^orgehoben, daß sie denselben Bedingungen
folgen, wie jene der übrigen Körperhaut. In der Jugend gleicht die nahezu un-
begrenzte Elastizität jede vertiefte Linie, welche der Zug oder der Druck hervor^
gebracht, wieder aus. Mit der Reife beginnen einzelne Furchen bleibend zu werden,
um mehr und mehr an Tiefe und an Zahl zuzunehmen.
Die G^rttbehcn in dei" Haut und ihre Entstehung.
An verschiedenen Stellen des Körpers finden sich in der Haut
seichte Vertiefungen. Ein Teil derselben ist im Leben bekannt
unter dem Namen der Grübchen. Unter diesen sind wiederum die
bekanntesten diejenigen der Wange und des Kinns. Andere finden
sich an der äußeren Seite des Ellbogengelenkes und zwar ganz regel-
mäßig bei Frauen und Männern, Man spricht zwar nur von dem der
Frauen, gleichwohl sind es dieselben Ursachen, welche auch die nach
unten auslaufende Grube bei dem Manne hervorrufen. Bei den von
Fett gepolsterten Frauenhänden kommen fenier Grübchen an dem
Übergang des Mittelhandrückens zu den Fingern, an den sog. Knöcheln
vor. Dasselbe ist bei Kinderhänden ungefähr bis zum zweiten Jahre
der Fall, denn dann beginnt das Fett, das die erste Kindheit zeigte,
allmählich zu schwinden.
Zwei andere Grübchen finden sich bei Frauen am Rücken, und
zwar je eins auf dem Schulterblatt und an dem Rumpfende zwischen
Kreuzbein und hinterem Hüftbeinstachel. Bei dem Manne tritt die
Grubenform nicht rein hervor, weil das Fett nicht so gehäuft ist,
dafür erkennt das Auge an dem Schulterblatte einige anatomische
Linien, auf die bei der Muskellehre erklärend eingegangen werden
soll. Hier beschäftigen wir uns zunächst mit den Ursachen der eben
erwähnten Vertiefungen.
Es wurde schon erwähnt, daß die Haut mit dem übrigen Körper,
abgesehen von den Blutgefäßen und Nerven, durch zahlreiche Fasern
verbunden sei. An manchen Stellen ist die Geschlossenheit der Faser-
züge so bedeutend, daß sie selbst bei großer Zunahme des Fettpolsters
doch von der Fetttiberschwemmung verschont bleiben, während sich
dieselbe ungehindert in der Umgebung ausbreitet. Das ist regelmäßig
der Fall bei den Grübchen an der äußeren Seite des Ellbogengelenkes.
Dort ist die Haut mit der Unterlage so fest verwachsen, daß niemals
größere Fettanhäufungen stattfinden können, und bei jedem Alter und
Geschlecht der zufuhlende Finger sogleich auf zwei Knochenenden
greift, auf dasjenige des Oberarmes und der Speiche. Die Gelenk-
spalte dazwischen macht sich wie eine Vertiefung bemerkbar.
Dieselbe Ui'sache wiederholt sich an den Grübchen der Hand und
damit auch dieselbe Erscheinung. Wo die Haut über die Verbindung
Die Haut. 59
der Mittelhand mit den Fingern hinwegzieht, sind Faserstränge, welche
nur eine mäßige Anhäufung von Fett gestatten. Sobald die Ablage-
rung gi'ößere Dimensionen annimmt, kann dies nur in der Umgebung
geschehen; an den betrefifenden- Stellen halten die derben Faserbtindel
die Cutis an der Unterlage fest, und erzeugen dadurch die Vertiefun-
gen. Dieselbe Erklärung gilt für die Grübchen am Rücken und am
Kinn. Es läßt sich leicht denken, daß die feste Verbindung der Haut
nicht immer nur auf rundliche Punkte beschränkt bleibt, sondern auch,
andere Formen annimmt. Einige der schönsten und für die Gliede-
rung des Körpers bedeutungsvollsten Linien verdanken demselben Zu-
sammenhang zwischen Haut und Unterlage ihre Entstehung, nämlich
die vordere und hintere Mittellinie des Körpers, welche die symmetri-
schen Körperhälften, eine rechte und linke, andeutet.
Die Sy^nmetrie ist eine tiefgreifende und mit Ausnahme unbedeutender
Abweichungen vollständig, viel mehr, als man bei dem ersten Anblick vermuten
Bellte. Eine Ebene, welche man senkrecht durch die Scbeitellinie legt, trennt den
Körper in zwei Hälften, von denen die eine der anderen gleicht wie ein Spiegel-
bild. Jede Hälfte besitzt Auge und Ohr, symmetrisch sind nicht allein beim
Mensehen, auch durch die ganze Reihe der Wirbeltiere, die Extremitäten ; ja selbst
bis in das Innere greift . die Regelmäßigkeit des Baues durch ; die Lungen sind
paarig wie die Nieren. Andere Organe, welche dem Gesetz der Symmetrie zu
trotzen scheinen, waren ihm wenigstens in den frühesten Perioden der Entwickelung
unterworfen, wie die Nase, der Mund, und entfernten eich von diesem Typus erst
durch spätere Umwandlung. Die vordere Mittellinie ist die letzte Spur der einstigen
Verwachsung der beiden Körperhälften, welche vom Kücken her nach vom wuchsen.
ExS giebt also eine Zeit, in der bei dem ungeborenen Kind (Effihryo) der Blick
ungehindert in die noch offene Körperhöhle dringt. So lehrt uns die Entwickelungs-
geschichte jene Zeichen verstehen, welche die menschliche Gestalt aus den Tagen
des Werdens noch besitzt. Diese Verwachsung schreitet langsam von oben nach
abwärts fort, bisweilen gelingt sie nicht in der ganzen Ausdehnung. Irgend eine
Störung vermag den sonst regelmäßigen Gang zu unterbrechen, und die Längs-
spalte bleibt in größerer oder geringerer Ausdehnung offen. Allgemein bekannt
ist z. B. eine abnorme Spalte in der Oberlippe, die man Hasenmund oder Hasen-
scharte genannt hat. Erstreckt sich die Hemmung des natürlichen Wachstums
tiefer, klafit auch der zahntragende Teil des Oberkiefers und der harte Gaumen,
dann heißt der Defekt: Wolfsrachen.
Auch der Schädel entwickelt sich aus zwei symmetrischen Hälften. Von der
Mitte der Stirn bis zum Hinterhaupt zieht beim Neugeborenen eine noch un-
verknöcherte Linie dem Schädeldach entlang. I^st man sie, so lassen sich die
beiden Hälften öffnen wie die Schalen einer Muschel. Niemals verschwindet diese
Spur der symmetrischen Entwickelung vollkommen, eine Strecke weit bleibt sie
selbst während des späteren Jüchens noch erkennbar. So wird die Kenntnis der
Symmetrie und ihrer Entstehung ebenso wichtig für das volle Verständnis der
Form, wie die paarige Anwesenheit vieler Organe wertvoll für die Erhaltung des
Lebens. Bei manchen Lungenkrankheiten übernimmt die gesunde Lunge auch das
Geschäft der erkrankten. Sie erfüllt diese doppelte Aufgabe nicht selten mit
solcher Vollendung, daß der Betroflenc keine Ahnung hat von der großen Lebens-
CO Zweiter AlnrhnitL
gefahr, in der er »ich dndurcli bfrund, iliiU die eine Hilde des AtmungaapparatM
ihren Dicnxt einstellte, j^o cintl Fälle nit-ht selten, in denen jahrelang hiDdurch
die eine Niere die Auiwcheidung des Harns ohne Nachteil für den Organidniua bt-
sorgte, nachdem die iindere durch Kninkheit zerstört war.
Die vordere Mittol- oder LiiiigKlinie des Körpers tritt nicht in
der ganzen Äusdehiniiig mit gleicher Deutlichkeit hervor, obwohl »ich
die Simren von der Niisenwiirzel bis an das Rümpfende verfolgen lassen.
Im Gesiclit ist sie zwischen der Nasenspitze und der Mnndspalte
angedeutet. Dann folgt ein weiter Abstand und erst an der Brust
läÜt sich wieder ilire Spur erkennen.
Zwischen den Brnstmuskehi l.=iut\ bei dem Planne eine nach unteii
etwas breiter werdende Furche gerade herab, um in der sog. Herz-
grube zu endigen. Dann verstreicht sie etwas, um über dem Nabel
wieder deutlich zn werden und diuni von dieser einstigen Verbindungs-
stelle zwischen Jlutter und Kind bis gegen den Schamhügel erkenn-
bar zu sein (Fig. 14). In der Umgebung des Nabels ist sie oft sehr
tief, um dann albnUhlich nach oben und nnten auszulaufen. Ich be-
trachte es nicht als die Aufgabe dieses Lehrbuches , die zahllosea
Varianten bei dem Kinde und dem Erwachsenen, bei dem Mädcheu
und dem Knalien zu schildern, nachdem die Antike und die Werke
der Beuiussance hunderte der trefilichstcn Beispiele liefern, welche
Jedem zur Hand sinil. Ob der Kursier des Laokoon dabei in Betracht
kommt oder derjenige ii^end einer der Venusgestalten, nirgends wird
sich diese Linie vermissen lassen, welche bei Drehungen oder Bie-
gungen des Küii)erM gleicJizeitig folgt (/.. B. bei dem BorgUesi'schen
Fechter). Von der Halsgrube bis zu ihrem Ende über der Scham
wird bei ki-äftigen Männern ihre Deutlichkeit noch vergrößert durch
starke Muskeln , welche entweder in derselben Richtung verlaufen,
wie die geraden Bauchmuskeln (Fig. 14 Nr. 12 links und Kr. 10, 16', 10"
rechts), oder eine seitliche Richtung einschlagen, wie die großen Brust-
muskeln (Fig. 14 Nr. 1 u. 3). Es wiire jedoch falsch zu glauben, daß die
Muskeln an sich diese Lüngsliiiie oder Medianfurche hervorbrächten,
sie tragen nur dazu bei, ihre Deutlichkeit zu steigern. Bei der
Mittel&rche den ROckens kommt in allererster Reihe ebenfalls die
festere Yerbindung der Haut mit der Unterlage in Betracht. Diese
t vom Hintericopf bis auf das Kreuzbein herab. In ihrem
Ld«r Wirbel. Knocheuspangen , deren
Muskeln dienen, ivelcbe den
RtTTTirf "f"''T--Ti nud drehen. Die rundlichen Fleischstränge, denen
tii<> I ' " I' ik'imtut, laufen zu beiden Stilen dieser Mittelfurche
. viel dazu boi, dall sie bei voller Streckung
I Figg. 12 u. 13. Diese Thatsache «ird später
weitere Erklilnms finden, hier ist es nur liie Aut'galie. ilii'eii
Verhiut uii'l ilire Eigeii'idififlfii nu crkliln^u.
, Flg. 14. Die
(iLn-rkörpers uacli AIhihIiuio riiT Hüut- imd
Ft;tlschidit*n.
Am Hhiterbauiil i^»!, sie breit, um sich gegen ileu vii-iten Hals-
irbel hiD zuge'spitzt zu verlieren, uni Rückenteil, zwischen den
^ntterblütteni uml ihreu MusketmaBHeti wUlu-eud der Rnlie weui^
62 Zweiter Abschnitt.
bemerkbar, vertieft sie sich im Lendenteil beträchtlich. An einigen
Stellen ihres Verlaufes treten kleine rundliche Höcker hervor, das sind
die äußersten Enden der oben erwähnten Domfortsätze. Sie haben
verschiedene Größe und Richtung, und deshalb sind einige breit und
stärker hervortretend, vrie der siebente Halswirbel und seine nächsten
Nachbarn nach oben und unten. Mit der Eumpfbeuge nach vom
ändert sich das Verhalten der hinteren Längsfurche; sie verstreicht
und die Stacheln der Wirbel bohren sich gegen die darüber hinweg-
ziehende Haut. Bis zu welchem Grade dieser Ausdruck wörtlich zu-
triflft, zeigt die Betrachtung eines mageren Menschen während der
Rumpfbeuge nach vorn.
Li all diesen verschiedenen Stellungen gelingt der Nachweis, daß
die Haut im Verlaufe dieser Längslinie viel inniger mit der Unter-
lage verwachsen ist, als seitlich von ihr. Zum Beweis nur ein Beispiel.
Während der Körper sich zurückbiegt, entstehen mehrere Quer-
falten; allein sie laufen nicht quer wie Bänder, sondern ihre Mitte
liegt höher, weil die Haut an den Wirbelspitzen fester venvachsen ist
Die seitlichen Ausläufer der Falten sind leicht nach abwärts im
Bogen gekrümmt, denn dort ist die Haut weit mehr verschiebbar.
Wie bei einer Draperie die mittleren Teile in stärkeren Kurven sich
nach abwärts schwingen, so bei der Rumpfbeuge nach rückwärts.
Hier liegen die fixierten Punkte für die Haut einmal der Wirbelsäule
entlang und ferner an der ganzen Vorderseite des Körpers, der sich
ja in der Überstreckung befindet.
Neben diesen beiden Fixierungslinien der Haut in der Mittellinie,
an der vorderen und hinteren Rumpffläche ist noch eine dritte zu be-
sprechen, welche die Begrenzung des Rumpfendes mit sicherer Kontour
zeichnet. Sie zieht von dem vorderen oberen Darmbeinstachel in
einer sanften Bogenlinie herab zur oberen Grenze der Schamfuge
(Fig. 14 Nr. 13). Die Haut ist hier mit dem unteren Rande der Bauch-
muskeln, dem sogenannten Leistenband, verwachsen (Fig. 13). Hier
ist auch die Grenze des Leibes für Kind, fiir Mann und Weib und
selbst für den Fettwanst, der in der Haut des Unterleibes entsteht
und auf 2 — 10 cm Dicke anwachsen kann. Dehnt er sich auch sehr
beträchtlich aus, die zähen Fasern halten Widerstand, der allergarstigste
Bauch kann zwar darüber herabhängen, aber niemals wird er die
Furche an dem Leistenband zum Verschwinden bringen.^
^ Wie bei fetten Eandern, so kann auch bei dem überhängenden Baudi in
dieser Furche eine leichte Entzündung entstehen, die sog. Exkoriationen, deren Hei-
lung besondere BeimllfikWit erfordert Es ist übrigens die Zunahme des Fettbauches
nidit auH 'efcte in der Haut zuzuschreiben, sondern gleichzeitig
dem in d
Die Haut. 63
HautfiAlten an den Gelenken.
Wenn sich in dem Auftreten der Hautfalten und der Hautfurchen
aus der bisherigen Betrachtung eine unverkennbare Regelmäßigkeit er-
gab, so läßt sich voraussetzen, daß auch die Falten und die damit
verbundenen Furchen in der Nähe der Gelenke die Regelmäßigkeit
nicht vermissen lassen. In der That tragen diese Falten durch die
Beständigkeit ihres Vorkommens sehr viel bei, die Gliederung des
Organismus, namentlich an den Extremitäten zu bestimmen, und sie
werden von großer Bedeutung, um den Zusammenhang und die Be-
ziehungen der äußeren Formen zu den in der Tiefe liegenden Organen
verständlich zu machen.
Um die durch Gelenke bedingten Falten und die entsprechenden
Furchen in ihrer einfachsten Form zu untersuchen, bietet sich eine vor-
treffliche Gelegenheit an unserer eigenen Hand. An jedem Fingerglied
macht die Beugung an der Innenfläche der Gelenke die bekannten Ein-
schnitte, während auf dem Rücken, an den Fingerknöcheln die Haut ge-
spannt ist. Die Furchen an der Beugeseite verschwinden bei keiner Stel-
lung, sie sind schon bei dem Neugeborenen vorhanden. Die Regelmäßig-
keit, mit der dies immer an ein und derselben Stelle geschieht, rührt
von der innigeren Verwachsung mit den darunterliegenden Teilen her.
Aus demselben Grunde lagert sich auch an der Stelle der Faltung viel
weniger Fett ab, als in den dazwischen liegenden Strecken, welche an
zarten aber vollen Händen polsterartig sich erheben. Die Kerbe zwischen
dem Grundgliede (Fig. 15 Nr. 2) und dem mittleren (Fig. 15 Nr. 3) ent-
spricht in jeder Stellung genau der Trennungslinie der Gelenkfläche,
und würde, über die Seiten fortgesetzt, geradezu auf den höchsten
Punkt des Knöchels treffen. Bei der vordersten Gelenkfalte trifft dies
nicht zu, und die Spitze des gebogenen Zeigefingers erscheint von der
Seite betrachtet länger, weil die Enden der Falte etwas nach hinten
gerichtet auslaufen. In hohem (prrade kehi*t dieselbe Erscheinung an
der Verbindung der Finger und der Mittelhand wieder.
Die Haut der Hohlhand schiebt sich an den Fingern, von
dickem Fett gepolstert, weit vor, so daß in natürlicher Stellung, bei
welcher die Finger etwas gebeugt sind, -ein Wulst von dem Zeige-
finger in einer vierfach gebrochenen Linie bis zum kleinen Finger
hinüberzieht. Dieser Wulst ist die Veranlassung, daß die Länge
der Finger von der Hohlhand aus betrachtet geringer erscheint, als
vom Rücken her (Fig. 15 Nr. 7 die Furche, welche dem Mittelhand-
Fingergelenk entspricht). Man braucht die Lage dieser Kerbe nur
mit dem an der Rückenseite bei halber Beugung stark vorragenden
Kopfe des entsprechenden Mittelhandl)eins (Fig. 15 Nr. 1) zu vergleichen,
64
Zwdter Alwehnitt.
um einzuseheu, daß sie nicht dem üeleuke zwischen Finger uiul
HohlhancI entspricht.
Der Daumen besitzt, obwolil er nur zwei Glieder hat, dennocli
drei Kerben wie die Finger; die vordere filhrt in das erste Gelenk, die
hintere selu' tief und breit in das zweite Gelenk, die mittlere, dicht
an der obengenannten, ist bedingt durch eine Hautfalte, sie steht iu
keinem Zusammenhang mit einem Gelenk.
Eine wesentlich andere Form bieten die Falten und Kerben an
der Eiickenfläche der Finger. Die Haut ist beweglicher, leichter ver-
schiebbar und gleichsam länger, denn schon bei Kindern von sechs
Jahren ziehen quer über jedes mittlere Gelenk (Fig. 15 zwischen Nr-2o.5}
mindestens drei Falten, von denen die voi-dei-e nagelwärts geki'ümmt
Uarkhohle de* lUttel-
tiaadknocheiiL
Mittelhandknochen.
Orundphslange i
Sehne und Beinhaat 3
j Hautfalte dw Mittel-
hand Fingcrgelenkf^
II autfalten
Gelenkplanne i | Mittelglied
Fig. 15. SagittalschDitt des dntten Mittelhnndknocfaens und flngera gebei^
ist, die hintere armwarts, i\ Ihiend die mittlere gerade lauft ^ufifallend
stark an dein ersten Diumengelenk Mit dem zunehmenden Alter,
d. h. mit dem Veilust der Elastizität häufen sich die Falteu mehr
und mehr, und bilden eine Menge Varianten, deren individuelle Äh-
weicliungeii jeder Beschreibung si>otten. Nur zwei sollen hier erwähnt
werden. Erstens verdient ' die Thatsache Beachtung, daß durch die
Stellung der Falteu oft eine querovale, leicht vertiefte Ebene über der
Gelenkspalte entsteht, deren wulstige Ränder seitlich vorspringen. Es
wechselt dadurch die gewölbte Linie zwischen den Gelenkfurchen an
dem Rücken der Finger mit kleinen Flächen ab. Zweitens ist die
Gelenkkerbe an dem Nagelglied, ob einfach oder mehrfach, zumeist
armwärts geki-ünimt, weil nach dem Nagel hin die Haut fester mit
dem Untergrund verwachsen ist, so daß bei dem kräftigen Manu nogel-
. Die Haut. g5
wärts dort keine Verschiebung stattfindet. Hohes Alter ist auqh hier
mit unzähligen Falten geschmückt.
An den Gelenken zwischen den Fingern imd der Mittelhand
springen selbst bei der leichtesten Krümmung die Gelenkenden (Capitula,
Fig. 15 bei Nr. i) stark hervor und bedingen jene Erhebungen, welche
durch Thäler getrennt sind.
Diese ausführliche Beschreibung der Fingerhaut- und Gelenkfalten,
deren direkte Beobachtung so leicht ist, weil sie jeder an seiner
eigenen Hand beständig vor Augen hat, bietet gleichzeitig die Grund-
lage für das Verständnis aüderer Gelenkfalten.
An der Ellbeuge entsteht eine Furche bei der Beugung, die
immer tiefer und tiefer wird, je mehr sich Vorder- und Oberarm
nähern. In der Streckung zeigt die Haut selbst jugendlicher In-
dividuen deutliche Querfurchen oder Streifen, welche bei starker Beu-
gung alle in einer einzigen tiefen Falte verborgen werden (Fig. 12 S. 54).
Im Maximum der Beugung berühren sich die über die Ellbeuge weg-
laufenden Ober- und Vorderarmmuskeln und drängen zu beiden Seiten
die Haut hervor, wodurch sowohl an der inneren als äußeren Armseitc
ein beträ^chtlicher Vorsprung entsteht. Bei Frauen und Kindern wird
dabei der hohe Grad der Verschiebbarkeit des Fettes besonders
bemerkbar, denn die Zunahme der Breite rüBrt neben der Abplattung
der Muskeln des Vorderarmes auch teilweise von der Verdrängung des
Fettpolsters aus den aneinander gepreßten Hautfiächen her.
Auf der inneren Seite des Armes teilt sich die Furche bisweilen
gabelig, immer aber erscheint sie selbst bei mäßiger Beugung wie ein
tiefer Einschnitt, der die beiden Teile trennt.
An der Kniekehle sind die Verhältnisse ähnlich, weil das Knie-
gelenk dieselbe Winkelbewegung besitzt, wie das Ellbogengelenk. Die
Unterschiede beruhen in dem viel größeren Umfang der sich be-
rührenden Gelenkflächen und der bedeutenden Stärke der Muskidatur.
Demgemäß ist die Furche tiefer und der: Widst der bei starker Beu-
gung verschobenen Muskeln ansehnlicher (Fig. 16 bei *).
Dieselbe Einfachheit der Entstehung bieten noch jene Falten,
welche bei dem Ofihen des Unterkiefers und bei dem Senken des
Kopfes entstehen.
.Bei dem Offnen des Unterkiefers entsteht eine Kerbe dicht an
dem Kehlkopf gegen das Ohrläppchen hin, um sich auf halbem Wege
zu verlieren. Sie liegt. genau in derselben Richtung, welche bei gerader
Haltung die Grerizmarke zwischen Kopf und Hals bildet. Sinkt der
Baefer stark herab, so kommt es nur zu einer Vertiefung der schon
vorhandenen Furche.
Bei dem Beugen des Kopfes treten mehrere Falten auf, wenn bei
KoLLMAXK, Plastische Anatomie. 5
Zweiter Äbwümitt.
geschlossen em Mund sich die Kinnspitze fast bis zur BerOhrnng des
Brustbeinendes berabsenkt. Die dUnne Haut des Halses wird zo
niederen Falten zusammengeschoben, welche, vom Kehlkopf aus divergie-
rend, im Bogen nach rückwärts laufen und einerseits dem Hinterhaupt,
andererseits dem Dornfortsatz des siebenten Halswirbels zustreben.
Alle diese ebenerwSImten Ver&ndenm^n in den Formen lasaen sidi ab
Oelenk<eo betracbteD, entstanden unter dem EiniluS einer Beugung. Unter den-
selben Gesicbteponkt fallen mit gutem Grunde eelbet die Falten un Hals, obwohl
das Eiefergelenk nicht ausschliefilich den Mechanismus eines Winkelgelenkes zeigt
Aber wir können iui jetzt von den übrigen Bewegungsformen absehen.
Fig. 16. (letenkAircbe, von der Kniekehle ausgehend, bei stark gebeugtem Bein.
Skizze eiaea Titanen nach GciDO Beni (Stieh nsoh B. CokiOLAk).
Die Verschiebungen in den Gelenken fuhren zu Falten, deren
Grundform aus der besonderen Konstruktion des betreffenden Ge-
lenkes sich ergiebt. Wir haben zuerst den einfacheren Fall an jenen
Gelenken untersucht, welche man unter dem gemeinsamen Gesichts-
punkt der Winkel- oder Scharniergelenke zusammenfassen kann. Wir
kommen jetzt zu deh Falten, welche durch die Bewegungen in dCT
Umgebung eines Kugelgelenkes entstehen. Es sind vorzugsweise
drei Gelenke, welche einer genaueren Analyse unterwarfen werden
sollen: das Hüftgelenk, das Schultergelenk und das Drehgelenk des
Kopfes. Die Zahl derselben ist hiermit keineswegs erschöpft, allein
die übrigen sollen an anderer Stelle berücksichtigt werden.
Die Haat. 67
Bei dem von dicken Muskeln umhüllten Hüftgelenk ist die Be-
wegung und damit auch die Faltenbildung in der Haut verhältnis-
mäßig einfach. Zui* Bezeichnung der Bewegungsarten sollen jene
Ausdrücke verwendet werden, welche in der Tumsprache eingeführt
sind. Bei dem Beinheben kann der Oberschenkel in einen i*echten
Winkel mit dem Rumpf gebracht oder bis zu der Berührung mit
dem Unterleib heraufgezogen werden. Dabei sehen wir völlig davon
ab, ob der Unterschenkel gebeugt oder gestreckt ist. In der Regel
ist er aus mechanischen Gründen gebeugt, ja bei sehr starken Graden
des Aufhebens müssen die gewöhnlichen Sterblichen den Unterschenkel
stets beugen. Nur die bekannten Kautschukmänner machen hiervon
eine Ausnahme.
Die häufigste Stellung, bei welcher sich der Oberschenkel im
rechten Winkel zum Rumpf befindet, ist diejenige des Sitzeus. Die
Haut des Oberschenkels spannt sich an der Hinter- und faltet sich
an der Vorderfläche, und zwar entsteht unmittelbar unter der Leist^n-
linie eine Furche, die Hüftgelenk für che. Ist der Schenkel nur
wenig gebeugt (im Winkel von 20 Grad), dann ist die Furche noch
seicht. Ihr Beginn wird von der Scham verdeckt; an ihrem Seiten-
rand steigt sie dann herauf und folgt in einer Entfernung von 3 cm
der Leistenbeuge, um in der Mitte der vorderen SchÄikelfläche sich
in sanftem Bogen nach abwärts zu wenden. Sie endigt jedoch bald
und erreicht in dieser Stellung niemals die äußere Schenkelfläche.
Wird der Schenkel stärker gebeugt, so daß er einen Winkel von
45 — 50 Grad mit dem Rumpf bildet, wie beim Sitzen mit gestrecktem
Unterschenkel,, dann entsteht an der Stelle der vorerwähnten Furche
ein tiefer Einschnitt, weil die Haut des Oberschenkels sich gegen jene
des Rumpfes hinaufschiebt. Der Verlauf dieser Furche ist jetzt wesent-
lich anders. Sie steigt von der Scham steil in die Höhe, nähert sich
der Leistenlinie bis auf 1 cm und biegt dann nach außen und unten
ab, um schon nach kurzem Verlauf flach zu werden und sich zu ver-
lieren. Sitzt der Körper endlich mit gebeugtem Unterschenkel, dann
nähert sich die Hüftgelenkfurche in der Mitte der Leistenlinie so,
daß beide zusammenfließen. Durch die inneren Hälften dieser beiden
Linien wird der Mons Feneris nach unten und nach der Seite begrenzt.
Stärkere Grade der Beugung und die damit verbundenen Falten
und Einschnitte erklären sich nach dem Vorausgegangenen *von selbst.
Dagegen ist es bemerkenswert, daß bei stärkeren Graden der Beugung
der Oberschenkel verkürzt erscheint. Die Entfernung von der Leisten-
linie bis zu dem Ende des Oberschenkelknochens ist in der That kürzer
als beim Liegen oder Stehen, obwolü der Gelenkkopf in allen Stel-
lungen in seiner Pfanne ruht. Allein die Muskeln des Oberschenkels sind
6g Zweiter Abschnitt Die Haat
verkürzt durch das Aufheben, und die Haut ist in Falten gelegt. So
kommt es denn, daß der Oberschenkel in die Tiefe des Rumpfes wie
hineingesteckt ist und auf der vorderen Körperfläche mit scharfer
Kontur absetzt.
An dem Schultergelenk ist bei frei herabhängendem Arm ein
tiefer Einschnitt an der vorderen und hinteren Fläche der Achselbeuge
zu bemerken. Er wendet sich an der vorderen Seite etwas gegen das
Brustbein zu, um nach einem Verlauf von 2 cm zu endigen. Diese
Furche liegt höher als der untere Rand des großen Brustmuskels,
imd so scheint auch die Furche hier, wie beim Ejiie und Vorderarm,
in das Gelenk gleichsam einzuschneiden. An der hinteren Seite steigt
sie dagegen nicht so hoch hinauf. Dieses einfache Verhalten kom-
pliziert sich, wenn der Arm sich mehr der Brust nähert, zum Beispiel
auf die entgegengesetzte Körperhälfte hinübergreift. Da entstehen erst
zwei, dann drei kurze Furchen, welche nach aufwärts auseinander-
wfichen, nach abwärts sich in der ursprünglichen Gelenkfurche ver-
einigen, so daß die Figur y entsteht.
Auf der hinteren Seite wird beim Rückwärtsschwingen des Armes
die Furche zwischen dem Oberkörper lediglich tiefer, die begrenzenden
Hautfalten werden höher.
Durch die Bewegungen des Schulterblattes erfahrt die Bücken- und Bmst-
gegend sehr bedeutende Form Veränderungen, .allein da sie zimachst durch Ver-
schiebungen tief liegender Teile hervorgerufen sind, können die dabei vorkom-
menden Falten erst an einer späteren Stelle besprochen werden.
Die Drehungen des Kopfes veranlassen schon bei leichter Wen-
dung auf der seitlichen Halsääche die Ohrkieferfurche. Sie ist an
dem Kieferwinkel am tiefsten, um gegen die Mitte der vorderen Hals-
fläche aufzuhören. Gleichzeitig wird ein scharfer Beobachter eine
zweite Furche bemerken können, welche in einer Entfernung von
2Y2 — 3 cm dem Verlaufe der vorbeigehenden folgt, zwar weniger
hoch oben beginnt, dafür aber weiter herabreicht. Beide begrenzen
den vorderen und hinteren Rand des Kopfiiickers (Fig. 14 Nr. 24). Wird
die Wendung weiter getrieben, so vertiefen sich zunächst diese beiden
Furchen und rücken sich näher, es sinkt aber namentlich jene ein,
welche dem hinteren Rande des Kopfhickers entspricht. Beteiligt sich
bei einer solchen Bewegung auch die Halswirbelsäule durch eine leichte
Drehung, dann entstehen noch mehrere parallele Falten, namentlich^
wenn der Arm dabei nach vorwärts greift.
Dritter Abachnitt. Die Haare. 69
Dritter Atschnitt.
D i e H a a r e.
Haare sind ein Schmuck für jedes Alter und jedes Geschlecht;
wir bewundern die Schönheit ihrer Farbe und ihre Fülle. Beide
Eigenschaften haben schon seit der ältesten Zeit die Aufmerksamkeit
auf sich gezogen, und es ist kaum zu viel gesagt, wenn man behauptet,
daß die Kultur der Haare so alt sei wie die Menschheit. Nahezu alle
Naturvölker treiben einen gewissen Grad von Kultus mit ihrem Haar,
salben und färben und zieren das Haupthaar mit Perlen und Geschmeide,
und die „Wilden" sind doch das Spiegelbild, in welchem wir unsere ersten
Schritte auf dem schwierigen Weg zu edleren Sitten wiedererkennen.
Die klassische Kunst aller Zeiten hat vorzugsweise jenen Teil des
Haarschmuckes in den Bereich ihrer Darstellung gezogen, der auf dem
Kopf vorkommt oder als Bart das Gesicht des Mannes ziert. Selbst-
verständlich gehören hierzu auch die Augenbrauen und die Haare der
Lider, die Augenwimpern. Was sonst noch als „Haarkleid" den
menschlichen Körper bedeckt, sei es als kleine Wollhaare oder als
stärkere Haarfelder, wird meist mit gutem Grunde weggelassen, weil
es entweder zu derb sinnlich auf den Beschauer wirkt oder geradezu,
wie die Haare der Achselhöhle, unangenehme Vorstellungen hervorruft.
Die Haare (Pili) entsprießen der Haut als geschmeidige Horn-
faden, deren Erzeugung und Wachstum wie bei der Oberhaut und
den Nägeln von der beständigen Zufuhi* des ernährenden Säftestromes
abhängt. Vermindert dieser sich, wie in Schweren Krankheiten, dann
fallen die Haare aus, kehren jedoch wieder mit der vollen Wiederkehr
der Gesundheit. Hört die Zirkulation in den die Haare produzierenden
Hautstellen durch Verödung der Gefäße auf, so verschwinden die Haare
nach und nach; der Scheitel wird aus diesem Grunde oft haarlos und
die Haut umspannt glatt das gewölbte Dach. Jedes Haar steckt mit
der sogenannten Wurzel (Radix) in einer kleinen Tasche, der Cutisy
während der Schaft (Scapus) als freier Teil über die Oberfläche hervor-
ragt. Die kleine Haartasche besitzt eine sehr zierliche Organisation,
die sich besonders durch zwei Eigenschaften auszeichnet. In nächster
Nähe derselben liegen Talgdrüsen, welche ihr fettiges Sekret in die
Haartasche entleeren, wodurch das hervorwachsende Haar beölt wird.
Der Glanz der Haare beruht auf dieser Beölung durch Hauttalg. Viel-
gebrauchte Haarbürsten und Kämme sind deshalb immer fett. Wo die
Haare klein sind, wie am Körper, kommt der Überfluß dieses Fettes
YO Dritter Abschnitt.
der Haut zu gute, welche dadurch fettigen Glanz erhält. Das Wasser
läuft von ihr ab, wie von einem Wachstuch, und bleibt nur in großen
Tropfen hängen.
Die zweite Eigenschaft besteht in einem Zuzug von Muskelfasern,
welche sich in dem Grunde der Haartasche und nach der gefäßlosen
Oberhaut hin in dem dichten Gewebe der Cutis festsetzen. Sie sind
im stände,- die Haartasche samt ihrer Umgebung gegen die Hautober-
fläche emporzuheben. Dann erscheint das Haar auf der Mitte eines
kleinen Hügels, der mit dem Aufhören der Verkürzung dieses Muskels
wieder verschwindet. Diese kleinen Muskeln, die Haarbalgmuskeln
(Ärrectores pili), kommen überall vor, wo Haare zu finden sind, und
diese fejilen bekanntlich nur an der Handfläche und Fußsohle. Ziehen
sich diese kleinen Muskeln zusammen, so wird die ganze Haut mit
kleinen Erhebungen übersät. Dieser Vorgang heißt im Volksmund
Gänsehaut. Eine bekannte Empfindung von Kälte überläuft dabei
die Oberfläche des Körpers; sie wird blaß, denn die sich verkürzenden
Muskeln heben nicht allein die Haartasche in die Höhe, sondern
verhindern durch Zusammenziehen des in ihrem Bereich befindlichen
Gewebes teilweise den Zutritt des Blutes in die oberen Schichten
der Lederhaut.
Die Farbe der Haare durchläuft alle Nuancen vom Schneeweiß
bis Pechschwarz. Sie rührt im ersteren Fall von dem Fehlen des
Farbstoffes her, in letzterem Fall von einei: diffusen Färbung, welche
die kleinen Zellen und Zellenkerne erfiillt oder in mikroskopisch
kleinen Körnern durch den ganzen Haarschaft zerstreut ist. Daher
rührt der Grundton der Haare. Dazu kommt aber, daß dieser Grund-
ton durch sehr mannigfaltige Einflüsse geändert werden kann. Um
den auffallenden Wechsel der Färbung zu verstehen, muß man sich
daran erinnern, daß die Haare ebenso wie die Oberhaut und die Nägel
bis zu einem gewissen Grade durchsichtig sind, und zwar um so mehr,
je heller sie sind, femer, daß sie im stände sind, Wasser, Ole und
andere Substanzen in sich aufzunehmen und längere oder küi'zere Zeit
zurückzuhalten. Die beträchtliche Umänderung der Farbe nach der
Durchfeuchtung der Haare ist allgemein bekannt, und dies gilt nicht
allein von denen des Menschen, sondern auch von denen der Tiere. Daß
das Haar, so wenig wie Oberhaut und Nagel, nicht als ein abgestorbener
Ejektionsstoff der Haut angesehen werden könne, beweisen die mit
der Lebensthätigkeit der Haut übereinstimmenden und durch sie
bedingten Lebenszustände desselben. Aus dem Verhalten der Haare
ziehen Arzte, Haarkünstler #ind Laien ihre Urteile. Sie sind weich
und glänzend bei kräftiger, gesunder Beschaffenheit des Individuums,
trocken und spröde beim Verfall der Kräfte. Selbst kurz vorüber-
Die Haare. 71
gehende Störungen des Wohlbefindens können sich' in ihrem veränderten
Zustand abspiegeln. Das plötzliche, nach wenigen Stunden erfolgte
Ergrauen der Haare durch Verzweiflung oder durch die Schrecken
ängstigender Phantasmen im — Säufei-wahnsinn zeugt deutlich von
der lebendigen Thätigkeit im Haar.
Die Enden langer Haare sind in der Regel heller als ihr Anfang
in der Nähe der Kopfhaut. Sie verlieren, weiter vom Körper ent-
fernt, ihr natürliches Fett, ebenso die von der Haarwurzel aus in sie
übertretende Emährungsflüssigkeit. Es entstehen dann kleine Risse,
in welche Luft eindringt, wodurch die lichtreflektierende Kraft ver-
mehrt wird.
Die Form des Haarschaftes ist wie seine Stärke den verschie-
densten Schwankungen unterworfen. Bei dem Europäer ist die Form
in der Regel etwas abgeplattet, so daß der Querschnitt des Haares
oval wird; in manchen Fällen ist freilich der Schaft vollkommen rund.
Dabei* kann er gerade sein und steif wie die Mähne eines Pferdes
nach abwärts fallen, zuweilen jedoch sind die Haare leicht gelockt, ja
selbst gekräuselt. Wollhaare, wie sie den Haarschmuck des Negers oder
des Papua auszeichnen, sind bei uns nur als seltene Ausnahme zu
verzeichnen. Sie haben bei den farbigen Naturvölkern, wie die Unter-
suchung gezeigt hat, einen nahezu platten, zu beiden Seiten zusammen-
gedrückten Schaft, der offenbar durch ungleiches Wachstum sich häufig
dreht und biegt. Seltsame eckige und kantige Formen des Haar-
schaftes produziert der Bart der Männer; die Haare erreichen hier
oft die Stärke der Spürhaare. Auch der Mensch fühlt die Bewegungen
eines feinen Körpers, welcher, ohne die Hautfläche zu berühren, bloß
übeV die Spitzen der Haare hinwegstreift.
Die Augenbrauen haben wie die Wimperhaare die Form
kurzer, leichtgekrümmter Nadeln, an denen sich am leichtesten durch
die Beobachtung der Beweis erbringen läßt, daß auch das Haarkleid
des Menschen einem ähnlichen, wenn auch nicht so regelmäßig er-
folgenden Wechsel unterliegt, wie dies bei den Tieren als „Hären"
bekannt ist.
Die Augenbrauen (Supercilia) bilden als buschig behaarte,
nach oben konvexe Bogen eine schöne Grenze zwischen Stirn- und
Augengegend. Sie erstrecken sich längs dem oberen Augenhöhlenrand
und beschatten bei starker Entwickelung das Auge. Die an der inneren
Hälfte befindlichen Partien wachsen bisweilen stärker und überragen
bürstenartig das Auge. Das ist namentlich in älteren Jahren der Fall.
Dabei erhalten sie ihre Farbe außerordentlich zähe, sie ergrauen zuletzt.
Die Wimperhaare (Cilia) sind kurze steife, im oberen Augenlide
nach oben, im unteren nach unten gekrümmte Haare von 6 — 8 mm
72 Dritter Abschnitt
Länge. Im oberen Augenlid sind sie länger als im unteren, und an
beiden in der Mitte der Ränder länger als gegen die Enden zu. An
der Bucht des inneren Augenlides fehlen sie.
Es wurde schon oben von einem Haarkleid des Menschen ge-
sprochen und ebenso hervorgehoben, daß es nur an einzelnen Partien
eine stärkere Entwickelung erlange, unter welchen wiederum die Kunst
die ihr entsprechende Auswahl treflfe. Bei dem Mann entwickelt sich
z. B. auf dem mittleren Abschnitt des Brustbeins ein« zottiger Haar-
wuchs, der sich oft seitlich ausbreitet, um eine wahre Bärenbrust zu
bilden. Bekanntlich erfährt bisweilen das Haarkleid an dem Unter-
leib, den Schultern und den Beinen ebenfalls eine beträchtliche Ent-
wickelung und selbst die klassische Kunst hat es nicht verschmäht,
diesen auffallenden Exzeß darzustellen, vorzugsweise dann, wenn es
sich darum handelte, den tierischen Ursprung des Satyrgeschlechtes
anzudeuten. Da findet man an Marmorstatuen die Behaarung der Brust.
Der Bauch ist namentlich in der Mittellinie mit zottigen Massen be-
setzt, und selbst die Schenkel sind damit geschmückt. Die Neuzeit,
welche so oft Veranlassung genommen hat, der alten Sage von ge-
schwänzten Menschen nachzuspüren, konnte wiederholt Individuen nach-
weisen, bei denen das Haarkleid am Kreuzbein besonders stark in
Form eines dreieckigen Feldes entwickelt war. Nachdem die ersten
Fälle dieser Art aus Griechenland bekannt geworden sind, hängt
vielleicht die Idee, zu äußerer Bezeichnung des Satyrs ein Schwänzchen
im Rücken anzubringen, mit alten Beobachtungen dieser Art zusammen.
Wie sich bisweilen das Haarkleid in monströser Art entwickeln kann, zei^
die Rundreise der russischen Bärenmenschen Andrian Jeflichjew und seines Sohnes
Feodor. Ihr ganzes Gesicht war von feinen 10 — 12 cm langen Seidenhaareif be-
deckt, wodurch eine täuschende Ähnlichkeit mit einem Seidenpinscher' entstand, wie
schon der Name andeutete, mit welchem der unternehmende Impresario diese Natur-
wunder der staunenden Welt vorführte. — Nicht allein das starke Geschlecht darf
sich solcher Ausschreitungen seiner Natur rühmen, auch das zarte Grcschlecht be-
sitzt bisweilen Repräsentantinnen, welche Schnurr- und Backenbart, oft sogar noch
eine behaarte Brust aufweisen. Ich erinnere an die hervorragendste Persönlich-
keit dieser Art, an Miss Julia Pastrana, bei der die stark vorspringenden Kiefer
in Verbindung mit der enormen Entwickelung des Haarkleides sogar zu der Ver-
mutung führten, in ihren Adern ströme neben Menschenblut auch noch dasjenige
eines Anthropoiden. Allein es ist zu bedenken, daß ein Haarkleid feinster Art bei
dem Embryo den ganzen Körper bedeckt, und daß eine Hypcrtrichosis leicht ent-
stehen könne durch exzessives Wachstum der schon vorhandenen Anlagen. Auf
solche Art erklärt sich femer ungezwungen der Haarbüschel am Eingang in den
Grehörgang. Diese Haare erhielten wohl wegen ihrer Steifheit den Namen Bocks-
haare (Hirci).^
^ Hirci heißen auch die Achselhaare. Die Römer nannten letztere püi alarum
und den Sklaven, welcher sie auszurupfen hatte, alipil'us; sie waren Feinde des
Vierter Absohnitt. Spezielle Knochenlehre. 73
Die in den Nasenöfinungen sichtbaren Haare (Vibrisaae) ragen zumeLst nach
abwärts gegen die Oberlippe und werden im Alter und überhaupt bei Männern
länger gefunden als bei Weibern. Es ist wohl* überflüssig, die Thatsache zu be-
tonen, daß der buschige Schmuck eines wohlbestelltcn Schnurrbartes und die üppige
Elntwickelung eines Vollbartes nur Attribute des starken Greschlechtes sind. Dabei
hat es die Natur überall verstanden, eine gewisse Ordnung diesen Hautauswüchsen
vorzuschreiben. Sie stehen in Linien, welche nie gerade, sondern gebogen und zwar
auf beiden Körperseiten symmetrisch verlaufen und zusammen jene Figuren bilden,
welche als Haarströme oder Haarwirbel bezeichnet werden. Diese sind um so
leichter zu verfolgen, als die Richtung der Haare nie senkrecht auf der Hautober-
fläche steht, sondern schief, weil die Haarwurzeln schief in der Cutis stecken.
Vierter Abschnitt.
Spezielle Knochenlehre.
A. Der knöcherne Koi3f (Schädel),
Allgemeine Elgensehaften des SehSdels.
Der Kopf ohne Fleisch, Haut und Haar, der Schädel (Cranium),
diese wahre Hauptsache der Osteologie, ist der Gegenstand der folgenden
Blätter. Der Schädel ist der Träger des Gehirns und der wichtigsten
Sinnesorgane, das Eingangsthor für Luft und Nahrung; er übertrifft alle
anderen Teile des Skelettes Jin Vollständigkeit und dadurch auch an
Mannigfaltigkeit des Baues. Vollständig: nahezu das ganze Haupt ist
durch seine Linien vorgezeichnet; mannigfaltig: mit wenigen Hilfs-
mitteln ist ein unendlicher Wechsel in der Form erreicht. Ist doch jedes
Individuum durch kleine Änderungen der Teile desselben charakterisiert.
Das Geschlecht prägt ihm seinen Typus auf, das Alter und die Basse.
Der Schädel ist aus 21 verschieden gestalteten Stücken zusammen-
gesetzt. Mit Ausnahme eines einzigen, des Unterkiefers, sind sie bei
unangenehmen Greruches, der sich nicht in dem Grade entwickehi kann, wenn die
Haare entfernt sind, welche wie ein Schwamm das Produkt der Achseldrüsen
aufepeichern. Die bekannte, nicht wohlriechende Atmosphäre des leckes ließ
auch den penetranten Genich des Achselschweißes als hircua benannt werden.
Ein schmutziger, unreinlicher Kerl erscheint im Plautus als hircua. Hircosus heißt
ein Mensch, welcher einen stark riirchcnden Achselschweiß absondert. Eine Uhnlichc
Bezeichnung fehlt im Deutschen, obwohl die Erscheinung häufig genug vorkommt,
trotz des übermangansauren Kali oder der Salicylsäure, die so vortreffliche Gegen-
mittel sind.
74
Vierter Abechnitt.
dem Erwachsenen fest und unbeweglich zusammengepaßt und so innig
verbunden, daß unter günstigen Umständen selbst Jahrtausende den
Zusammenhang nicht lösen.
Die zumeist breiten und flachen Knochen bilden die Wandungen
von Höhlen für die Au&ahme des Gehirns und der Sinnesorgane.
Der Schädel ist hohl.
a. HirnsohädeL
Die Form der Blmkapsel ist, von oben her betrachtet, in der
Draufsicht ein unverkennbares Oval, das aber bei den verschiedenen
Arten des Menschengeschlechtes, auch denen Europas, entweder mehr
kurz und gebaucht oder mehr lang und schmal ist. Schädel der
Fig. 17. Zwei europäische Schädel von oben.
a Langschädel, b Kursschädel.
1. Kreuznaht. 2. Scheitelnaht. 3. Lambdanaht.
ersteren Art nennt man Rund- oder Kur^köpfe (Brachycephalen)^
letztere Langschädel (Dolickocepk(\len). Der obere Teil heißt Schädel-
dach (Calvaria) im Gegensatz zu der Grundfläche (Basis). Die
einzelnen Regionen der Himkapsel werden ebenso wie an dem Kopf
des Lebenden als Stirn, als Scheitel, als Hinterhaupt und als
Schläfen unterschieden.
Das umfangreiche Gehirn liegt in einem großen Raum, den man
schlechtweg Schädelhöhle nennt (Cavum cranti). Die weite ovale E^apsel,
welche sich bis zur Stirn und bis zum Hinterhaupt erstreckt, wird von
dem Gehirn samt den Gefäßen und Hirnhäuten ausgefüllt.
Das Stirnbein (Os frontis)y leicht gewölbt, geht durch eine
ziemlich scharfe Krümmung in den Scheitel über. Durch die Kranz-
naht (Fig. 17 Nr. 1) schließt es sich an die Seitenwandbeine (Ossa
Speiielle Knochenlehre. 75
parietalia, Fig. 17 Nr. 2) an, welche das Hinterhauptsbein (Os occi-
pitis) zwischen sich fassen (ebenda Nr. 3).
Die oberen Augenhöhlenränder und der Nasenfortsatz bilden die
untere Stirngrenze. Während die weitgeöfiheten Augenhöhlen die
Knochenfläche der Stirn in ihrem Übergang zu dem Oberkiefer voll-
ständig unterbrechen, bleibt in der Mitte eine Verbindungsstraße,
um den Anschluß an die Nasenbeine und an den Oberkiefer zu ver-
mittein. Das Stirnbein hilft also den Nasenrücken bilden, wenn auch
nur eine kurze Strecke weit, die man als Nasenwurzel be-
zeichnet.
Die Form, in welcher dies geschieht, unterliegt vielem Wechsel,
nach Alter, Geschlecht und Rasse. Nach den herrschenden Anschau-
ungen unserer Zeit muß die Nasenwurzel bei dem kräftig entwickelten
Schädel des Mannes vertieft liegen. Alle früheren Abbildungen (z. B.
Fig. 12 S. 54) zeigen dieses Verhalten, welches dadurch entsteht, daß das
Stirnbein im Bereich der Augenbrauen, der Augenhöhlenränder und
namentlich an der Übergangsstelle zu dem Nasenrücken balkonartig
vorspringt. Diese Auftreibung heißt Nasenwulst; letzterer liegt in
gleicher Höhe mit den Augenhöhlenrändem, um dann sich rasch zu
verlieren und gegen die Nasenwurzel zurückzutreten, wo erst die Ver-
bindung mit den Nasenbeinen und den Nasenfortsätzen des Oberkiefer-
knochens stattfindet. Die gezackte Naht, welche an dieser Stelle
vorkommt, heißt Stirnnasennaht (Sutura naso-frontalis).
An den Figuren 18, 19 u. flf. ist dieses Verhalten mit vollkom-
mener Deutlichkeit zu sehen. Der tiefere Grund dieses Wulstes
über der Nasenwurzel bei dem Mann liegt in der Existenz von luft-
haltigen Räumen. Die beiden Knochenplatten des Stirnbeines weichen
nämlich auseinander und bilden gerade im Bereich der Glabella und
der Arcus superciliares die Stirnhöhlen (Sinus frontales), welche am
bedeutendsten sind. Sie erstrecken sich oft bis zu den Stimhöckern
hinauf und bis in die Wangenbeinfortsätze hinein. Stark vorragende
Arcus superciliares und ein vorspringender Nasenwulst lassen auf große
Geräumigkeit der Stirnhöhlen schließen.
Man hat die Stirnhöhlen die ganze Größe der Stimschuppe einnehmen gesehen,
was bei einigen Paehydennen (Schwein, Elefant) Regel ist. Die monströse Größe de«
Kopfes bei letzterem Tiere beruht einzig auf der enonnen Größe der Stirnhöhlen.
Die Kommunikation der Stirnhöhlen mit der Nasenhöhle, deren Schleimhaut sich
in die Stirnhöhle hinauf fortsetzt, erklärt den dumpfen Stimschmerz bei höheren
Graden von Schnupfen. Da die Sinus frontales durch Auseinander\^'eichen de«
Knochens entstehen, so kann die vordere Wand des Knochens brechen oder ein-
geschlagen werden ohne Eröffnung der ScliÄdelhöhle. Wird dabei gleichzeitig die
Haut verletzt, so kann die Luft beim Schneuzen aus der Wunde entweichen. Hyrtl
sah eine solche Verletzung an einem Stallknecht durch den Hu&chlag eines Pferdes.
IAHE LIBRm. STANFORD UHVe^Ti
76 Vierter Abschnitt
Die Wunde blieb lange 2feit offen. Wenn der Verletzte sich die Nase zuhielt, konnte
er mit der Stimfistel ein Wachslicht ausblasen. Ich habe einen jungen Mann ge-
sehen, dem die Kugel, in selbstmörderischer Absicht gegen den Kopf getrieben, nur
die vordere Wand der Stirnhöhlen durchschlug, ohne irgend welche Störung de«
Geh\ms zu verursachen. Sie wurde durch den harten Knochen plattgeschlagen und
später ohne Nachteil entfernt.
Die Stimhölilen und damit die Vertiefung der Nasenwurzel ent-
wickeln sich erst mit der Reife des Organismus. Sie treten zwar
schon im zweiten Lehensjahre als flache Buchten auf, wachsen aber
langsam und erreichen ihre volle Ausbildung erst mit der M^nnheit.
Deshalb wird mit Zunahme des Alters die ganze Erscheinung des
Profils markiger. Die charakteristischen Verschiedenheiten der Stim-
bildung eines und desselben Individuums in verschiedenen Lebensepochen
lassen sich an Statuen und Büsten und an chronologisch geordneten
Münzen von Regenten studieren, die ein hohes Alter erreichten, so
z. B. am schönsten an den Medaillen Ludwigs des Vierzehnten.
Bei den Griechen und auch bei den Römern, die sich ja von dem
griechischen Genius der Kunst leiten ließen, fehlt bei Idealstatuen die
Einsenkung an der Nasenwurzel. Den Übergang von der Nase zur Stirn
bildet eine gerade Linie. Man hat damit ein seltenes Vorkommen zur
Regel erhoben. Die sogenannte „griechische Nase" ist eine konventionelle
Form; nur während der Entwicklung des Menschen ist der Übergang
von der Stirn zur Nase flach. Das Festhalten dieser Bildung für die
unsterblichen Götter sollte den Statuen oflFenbar den Stempel der
ewigen Jugend aufdrücken helfen.
Exzessive Entwickelung des Nasenwulstes und der Arcus super-
ciliares beschattet die Nasenwurzel und die Augen. Diese treten tief
zurück, und der Ausdruck nicht allein des Lebenden, selbst des Schädels
erhält etwas Geschlossenes und Sicheres.
Für die Gesamtheit der Gesichtsform ist die Richtung des Stirn-
beines zu der Horizontallinie durchaus nicht gleichgültig; sie hat für
den Künstler entschieden physiognomischen Wert, wenn auch dieser
Gesichtswinkel für die Bestimmung der geistigen Begabung seine Be-
deutung verloren hat, seitdem sich herausstellte, daß er bei verschie-
denen Rassen gleich groß sein kann.
Eine hohe und senkrechte Stirn veredelt das Gesichtsprofil und wird
von den Physiognomiken! als ein Ausdrück vorwaltender intelle^ueller
Fähigkeiten genommen, während der Sprachgebrauch den Inbegriflf des
Gegenteils durch die Bezeichnung „Flachkopf" ausdrückt. Am
Apollo und Antinous ist der Gesichtswinkel selbst größer als 90^;
die anatomische Richtigkeit wurde wahrscheinlich auch hierin der
künstlerischen Idee der Ubermenschlichkeit aufgeopfert. Eine flache
Bpedell« Knocheolehre.
77
Stirn (le front fryant) galt Lavateb als ein Übles Omen ; Robespiesbs
hatte sie zwar, aber auch der königliche Philosoph von Sanssouci besaß
sie in noch aufiiallendereiii GFrade. Mbq kann sie auch künstlich er-
zeugen und damit alle Üblen Vorbedeutungen als eitlen Wahn ad
abturdum führen. Weder Mordlust noch Menschenverachtung ent-
stehen nach dieser kosmetischen Operation, die schon unsere Alt-
Torderen ge&bt.
Bei Frauen ist aus dem gleichen Grunde, wie bei dem Einde,
der Übei^ang von der Stirn zur Nase gemildert und bisweilen fehlt
jede E^nsenkung (griechisches Profil). Ein starker Nasenwulst und
Dntarkiefer
ünUrklcfer-
Kinoloeh.
Schädel eines EuropScn
1. Sümbein. 2. StiniglatM.
eine tief eingesetzte Nase geben dem weiblichen Eopf männliche Kraft,
die wir von ihin nicht verlangen.
Von der mittieren Schädelzone, dem Scheitel, grenzt sich zu
beiden Seiten die Schläfengegend (Planum temporale) ab, welcher das
Schläfenbein (Ot temporum,'Y'\%. 18 TSr.n), der große Eeilbeinflttgel
(Fig. 18 Kr. 12} und die von einer Bogenlinie umgrenzten Abschnitte
des Stirn- und Seitenwandbeines (Fig. 18 Nr. lO) angehören. Die Größe
und der Orad der Flachheit der Schläfe ist sehr großem Wechsel onter-
worfen. Dies gilt selbstverständUch auch von jeuer charakteristischen
Linie, der Schläfenlinie (Linea temporalis). Sie beginnt an der
Stirn, grenzt dort durch einen beträchtUchen Vorsprung, der gegen
das Wangenbein hingerichtet ist, die Stirnfläche seitlich ab und
78 Vierter Abschnitt.
wendet sich dann nach aufwärts, um einen Halbkreis zu beschreiben
(Fig. 19 Nr. 1).
Ihre Stärke und Ausdehnung steht im Verhältnis zu dem Schläfen-
muskel, der von ihr entspringt. Ist er groß und stark, so ist dasselbe
mit der Schläfenlinie der Fall, umgekehrt ist sie, sobald sie das
Stirnbein verläßt, nur schwer in dem weiteren Verlauf zu verfolgen.
Trotz dieses Wechsels in dem hinteren Abschnitt ihres Verlaufes
ist sie gerade am Stirnbein stets deutlich und hat auf die Gestalt
der Stirn wesentlichen Einfluß. Bei der Betrachtung eines Schädels
von vom übersieht man beide Linien, die der rechten und linken Seite,
und bemerkt, daß sie ungefähr P/g cm über den Augenhohlen sich
nähern, um dann im Ansteigen sich wieder allmählich voneinander
zu entfernen. Sie beschreiben also zwei nach außen konkave Bogen,
die an charakteristischen Köpfen durch die Haut hindurch deutlich
zu sehen sind. Bei guter Beleuchtung wii'd eine helle Bogenlinie die
Stirnfläche abtrennen. Bei starkem Haarwuchs wird sich ihr oberer
Teil bald dem Auge entziehen, der untere Abschnitt bleibt jedoch,
namentlich bei mageren Köpfen, deutlich erkennbar. Am kahlen,
haarlosen Scheitel läßt sie sich auf große Strecken verfolgen und
markiert auf diese Weise die Schläfenfläche deutlich gegenüber dem
gewölbten Scheitel.
Als Grenze des gewölbten Schädeldaches, abwärts gegen die Wange
imd die Ohrgegend hin, tritt eine horizontalverlaufende Ejiochen-
brücke auf, welche von dem Wangenbein freischwebend zu dem hin-
teren Ende der Schlä/enschuppe zieht, um dort mit breitem Ansatz
sich zu befestigen. Es ist dies der Jochbogen (Arcus zygomaticusj
Fig. 18 Nr. 13). Die beiden Jochbogen überbrücken also die Schläfen-
gruben, und stehen am Schädel wie horizontale Henkel an einem
Topfe. Unter ihnen ziehen die Schläfenmuskeln zu ihrem Ansatz am
Unterkiefer. Da nur der untere Rand des Jochbogens von dem Ur-
sprung eines Kaumuskels verdeckt wird, liegt die vordere Fläche
am Lebenden unmittelbar unter der Haut und läßt sich leicht auf
dem ganzen Weg durch den zufilhlenden Finger verfolgen, bis zu
der Stelle, wo der Bogen vor der Ohröflnung in die Fläche des
Schläfenbeines übergeht. Bei mageren Gesichtern ist der Verlauf
vom Wangenbein an direkt zu sehen, und die Grenze zwischen Schä-
del und Gesicht wird dui-ch die darüber- und daiiinterliegende Ver-
tiefung sofort bemerkbar. Das hintere Ende des Jochbogens liegt dicht
an dem ovalen Gehörloch, das in das Innere des Schläfenbeines, zu
der Trommelhöhle und dem Labyrinth, führt. Daran schließt sich der
Warzenfortsatz (Processus mastoideus, Fig. 19 Nr. G), nach seiner
SpeiitUe Knodtealdire.
79
Form 80 genannt. Er ist stark gewölbt; sein oberer Teil iet am
Lebenden hinter der Ohnnuscliel leicht fühlbar, während das untere
Ende in dem Ansatz eines krilfUgen Halsmuskels, des Eopfnickers,
Terboi^en ist (Fig. 14 Nr. 24).
Der Hinterhauptstachel (Protuberaatia ocdpitalig externa,
Fig. 19 Nr. 5} grenzt den oberen, nur von der Kopfhaut bedeckten
Teil des Schädela von dem durch den Ansatz der Nackenmuskulatur
verborgenen Teil ab. Die Grundflache, der Boden des Schädels
(Beuü) um&St die Strecke von dem Hinterhauptsstachel and der mit
ihm zusammenhängenden mittleren Hinterhauptslinie an (Linea nuchae
media, Fig. 20 zwischen Nr. s.u. 10) bis zu den Schneidezähnen, mit
Fig. le. Starker nnd lan^eatrcckter Schädel cinca Eathen. Die Scbädelkapsel
bell, der GosichtBteil »chraffierL
oder ohne Unterkiefer. In der Figur 20 wurde der Unterkiefer- weg-
gelassen, um die Erhöhungen und Vertiefungen besser sehen zu können.
Die großen und kleinen Löcher sind zunächst erwähnenswert,
dnrch welche das Gehirn seine zwölf Nervenpaare zu verschiedenen
Oi^anen aussendet oder die für seine Ernährung erforderlichen Blut-
gefäße empfängt. Die größte dieser Öffnungen in dem hinteren Drittel
der Schädelbasis, das große Hinterhauptsloch (Fig. 20 Nr.il), läßt
die Verbindung des Rückenmarkes mit dem Gehirn, das sogenannte ver-
längerte Mark, hindurchtreten. Zu beiden Seiten dieser großen Oflhung
sind konvexe 1 cm breite, im frischen Zustand mit Knorpel überzogene
Gelenkhöcker (Fig. 20 Nr. 13), welche auf entsprechend vertieften
Pfannen des ersten Halswirbels aufsitzen. In diesem Gelenk, dessen
Konstniktioii später noch besonders besprocheu werden soU,
und hebt sich der Schädel.
Von der gebogenen Zuhnreihe wird ein vertieftes Feld begreiwt,
der harte Gaumen (Palatiim durum, Fig. 20 Nr. i). Eine senkrechte
Naht trennt ihn in zwei Hälften. Zwischen den Schneidezähnen ist er
Bchmal, um sich hinten zu erweitern. Dort schließt er die Gsumen-
löcher (Clioanen) ab (Fig. 20 zwischen Xr. 5 n. 0), welche die Verbindung
zwisclien Nasenhöhle und Eachenrauni herstellen. Sie sind paarig toA
in der Mitte getrennt durch das Ptingscharbein {Vomer Sr. 5).
ganze Umgebung dient zum Ursprung von Gaumen- und Bachen
muskeln, welche beim Schlingen. Sprechen, Niesen n. s. w, eine 1
ragende Rolle spielen. Dasselbe ist der Fall mit einem 3 cm lange
Vorderas EDde 3
Gsnmen 1
Jochbogoi j.
Die Flügellb
Hüil«rtianii(abeiii »■
5 PBugMhu.
13 Grnodbem.
— — -k OelenliKrob*.
GiiffeUbrtsali.
I Warmlinie.
a Stachel □. miC(L
Flg. 20. Schfidel
Fortsatz, Griffelfortsatz (Procesgut siylotdeus, Fig. 20 Sr. T). der or-
sprünglicb beweglich mit der Scbfidelbasts verbunden ist, in späteren
Jahren jedoch fest mit ihr verwächst. Auch er dient als Ursprungs-
puukt von Muskeln. Wegen seiner zerbrechlichen Form ist der Griffel-
fortsatz nur an gut konservierten Cranien zu finden.
Hinter den Choanen liegt {am macerierten Schädel) das Gmnd-
bein, der basale Teil des Hinterhauptsbeines, offen da, Ni.ia.
seine Seit«nränder stößt das Felsenbein, ein Teil des Schläfenlx
Weiter nach außen liegen die Gruben für den Gelenkkopf des Unt<
kieferä (Sr. 4). Das hintere Ende des Jochbogens hilft sie b
Sperielle Knochenlehre. 81
Yerblndangrsarten der Sehildelknoclien.
Um die knöchernen Teile des Schädels fest miteinander zu ver-
binden, hat die Natur bei dem Erwachsenen verschiedene Verfahren
angewendet.
Am bemerkenswertesten fttr den Künstler sind die wahren Nähte
(SHtirae verae), auch Suturen genannt, tiefgezahnte Knochenränder,
weiche an folgenden Stellen vorkommen:
1. zwischen dem Stirnbein und den beiden Scheitelbeinen als
Kranz- oder Kronennaht (Sutura coronalis, Fig. 17);
2. zwischen den beiden Scheitelbeinen als Schcitelnaht (Suttira
interparietalis) ;
3. zwischen der Hinterhauptsschuppe und den hinteren Rändern
der beiden Scheitelbeine als Lambdanaht (Sutiira lamhdoidea), wegen
der Ähnlichkeit mit einem griechischen A so genannt;
4. zwischen dem Warzenteil des Schläfenbeines und der unteren
Seiten wand der Hinterhauptsschuppe als Warzennaht (Sutiira mastoidea,
Fig. 19 Nr. 4).
Bei Kahlköpfen, deren Scheitel zuweilen so glatt ist wie eine
Billardkugel , kann man die ersterwähnten drei Nähte häufig durch
die Schädeldecke hindurch erkennen.
Falsche Nähte sind jene Verbindungen, wobei die Knochen
sich dachziegelfiirmig übereinander schieben. Das ist z. B. zwischen
Schläfenschuppe und Scheitelbein der Fall (Fig. 1 9 zwischen Nr. i u. 3).
An der Schädelbasis bestehen feste Verbindungen anderer Art; die
einzelnen Knochen berühren sich in größeren Flächen. Während der
Jugend stellt hier, wie in den anderen Fällen, eine dünne Knorpel-
schicht den Zusammenhang her, später, mit der vollen Reife des Indi-
viduums, verschwindet dieser Kitt, indem Knochen an die Stelle tritt.
Bei dem neugeborenen Kinde fehlen die Suturen noch vollständig;
die Stellen, wo später eine so innige Vereinigung erfolgt, sind durch
Spalten getrennt, welche, abgesehen von der Haut, nur eine dehnbare
Membran überbrückt. Dieser Zustand währt an manchen Stellen
mehrere Jahre. Wenn der Schädel nicht mehr wächst, beginnen ein-
zelne Nähte zu verstreichen, einige, die bei dem Säugling vorhanden
waren, verschwinden vollständig. Zu letzteren gehört z. B. die Stirn-
naht, welche das Stirnbein vom Scheitel herab in zwei gleiche Hälftiui
teilte und es möglich machte, daß die Stirn sich in die Breite ent-
wickeln konnte. Bisweilen jedoch bleibt diese Naht während des ganzen
Lebens erhalten, also auch dann, wenn die P^ntwickelung des Gehirns
ihren Abschluß erreicht hat; manchmal läßt sich die Stirnnaht auch
KoLLMATCN, PlojitiRoho Anatomie. g
82 Vierter Abschnitt.
durch die Haut hindurch erkennen. Schädel mit persistenter Suhtra
frontalis nennt man im gewöhnlichen Leben „Kreuzköpfe". Umgekehrt
können Nähte auch frühzeitig verschmelzen. Geschieht dies, bevor
noch das Gehirn seine vollkommene Ausbildung erlangte, so bleibt
der Schädel abnorm klein, „mikrocephal". Der Gefährte einer solchen
Mikrocephalie ^ ist der Blödsinn.
Einseitige Verwachsung der Nähte bedingt Schiefheit des Kopfes mit und ohne
Hemmung geistiger Entwickelung. Da entstehen Turmköpfe oder kielförmig in
die Länge gestreckte Scheitel, ja sogar Sattelköpfe, die in der Gegend der Kranz-
naht vertieft sind. Dantes Schädel soll ein exquisiter Schiefschädel gewesen sein.
Höchst überraschend ist die Biegsamkeit der Schädelknochen im ersten Lebensjahre,
an der sich selbst die Mode vergreift. Nicht allein die Füße und die Leiber, auch
die Köpfe werden künstlich in eine andere Form gedrückt. Auf beiden Halbkugeln
der Erde tauchte der verrückte Einfall auf, dem Schädel eine künstliche Form zu
geben ; diese Umformung w^urde im Altertum geübt und ist noch heute in Schwung;
IIippoKRATEs und Herodot erzählen von ihr, und jüngst noch hat Virghow in TifliP
das Vorhandensein dieser Unsitte bestätigt gefunden. In alten Gräbern der Krim,
des Kaukasus, Ungarns, Schlesiens, am Rhein und in Frankreich sind künstlich
verbildete Schädel gefmiilen worden, als Beweise, daß um die Zeit der Völker-
wanderung dieser Brauch in Europa weit verbreitet war. Bald wurde der Tunn-
kopf beliebt; der Scliädel wurde künstlich durch einen Druck verband in die Höhe
getrieben, oder man suchte die Stirn so niederzudrücken, daß sie von den Augen-
brauen an nicht mehr senkrecht in die Höhe stieg, sondern in schiefer Ebene nach
rückwärts strebte. Das klassische Land für die Schädelverbildung ist unstreitig Ame-
rika in alter und neuer Zeit gewesen, nicht allein wegen der Häufigkeit, sondern
auch wegen der Verschiedenartigkeit der Prozedur und der Größe der erzielten Er-
folge. Keiner anderen Bevölkerung sind solclie Kompressionen der kindlichen Schädel
gelungen. Der Tunnkopf und der Breitschädel finden sich dort in wahrhaft er-
schreckender Vollendung und geben euien unwiderleglichen Beweis von dem hohen
Grad auch der physischen Insulte, die das Menschenhim zu ertragen im standeist'
Trotz all dieser wichtigen Eigenschaften ist die Schiidelkapsel
doch verhältnißmäßig einfach geformt: ein mehr oder weniger in die
Länge gezogenes Oval, nicht eben reich an abwechselnden Formen. Sie
erscheint auf den ersten Augenblick wie aus einem Guß, und erst bei
genauerer Betrachtung bietet sie einige sichere Orientierungspunkte.
b. Oesichtsteil des Schädels.
Der Gesichtsteil des Schädels zeigt eckige Linien, scharfe Vor-
sprünge un<l Vertiefungen. Ein Komplex mehrerer Höhlen ist durch
* mikros klein; kcpfiale Kopf.
' Ausführliches hierüber in folgenden, mit vortrefflichen Abbildungen ver-
sehenen Werken:
LsNHOSS^K, J. V., Die künstlichen Schjidclverbildungen. Mit 11 phototyj>ischen
Figuren auf 3 Tafeln u. 16 Figuren im Text. Hudapost 1878.
Meteb, A. B., Über künstlich deformierte Schädel und ül)er die Verbreitung der
Ritte der künstlichen Sclijideldeformierung. Mit 1 Tafel. Leipzig u. l)res<len 1881.
Spezielle Knochenlehre. 83
die Gesichtsknochen umrahmt, welche den Sinnesorganen zur Aufiiahme
dienen und die Vorhallen für die in die Leiheshöhlen eindringenden
Atmungs- und Verdauungsorgane bilden. Unter diesen ziehen die Augen-
höhlen stets zunächst die Aufmerksamkeit auf sich. Die tiefen Hohl-
pyramiden, welche bei jeder Beleuchtung durch einen Schlagschatten dunkel
hervortreten, bedingen den unheimlichen Ausdruck des „knöchernen Ant-
litzes". Sie sind außen begrenzt von einem Teil des Stirn- und Wangen-
beines (Fig. 18 Nr. 3u. 4), welche zusammen nicht allein einen starken
schützenden Vorsprung bilden, sondern gleichzeitig auch eine scharfe
Grenze zwischen Gesicht und den Schläfen; in der Mitte sind sie ge-
trennt durch den Nasenrücken, der am Schädel kurz ist; denn die Fäul-
nis zerstört die häutige Nase und ihre knorpligen Teile und legt dadurch
den Einblick in die Nasenhöhle frei, oder besser in die Nasenhöhlen.
Der birnförmige Eingang ( Apertur a pyriformis) führt in zwei, durch
die Nasenscheidewand (Septum narium) getrennte Räume, welche
auch nach hinten sich getrennt durch ovale Löcher (Choanen) öffnen.
Der breite Teil des Nasenhöhleneingangea ruht auf dem Boden der
Nasenhöhle, der schmale Teil sieht nach oben, die Ränder sind scharf
geschnitten, namentlich nach unten. Ein kurzer Knochenstachel, der
vordere Nasenstachel (Spina nasalvt anterior, Fig. 18), vereinigt die
unteren Ränder in der Mittellinie an derselben Stelle, an der die
Nasenscheidewand in der Gesichtshaut festsitzt.
Unterhalb des senkrecht gestellten, birnf()rmigen Loches, das in
die labyrinthisch verschlungenen Luftwege der Nasenhr)hlc fährt, liegt
die querliegende Mundspalte, welche am Schildel weit an der Seite
zurückreicht und dort vom aufsteigenden ünterkieferast (Fig. 18 Nr. tri)
begrenzt wird. Sind noch alle 32 Zähne erhalten, dann verkünden nur
die schmalen Spalten zwischen den Kronen und der Raum zwischen
dem letzten Mahlzahn und dem Rand des ünterkieferastes die Aus-
dehnung der dahinter liegenden Mundhöhle. Sie ist am Schädel selbst
bei geschlossenem Kiefer geräumig. Nach unten ist sie offen und
durch den weiten Bogen des Unterkiefers dringt der Blick ungehindert
in das Innere des Raumes, dessen Dach vom harten Gaumen, dessen
Seitenwände von dem zahntragenden Leisten des Oberkiefers (Procesms
alveolaris maxillae superiaris), von den Zähnen und von dem Unter-
kiefer gebildet werden.
Die knöcherne Umrahmung für die vier Höhlen des Gesichtes
hat von vom betrachtet die Gestalt eines Viereckes mit ungleichen
Seiten. Die obere Begrenzungslinio liegt über den Augenhöhlen.
Durch diese Linie wird der eigentliche Gesichtsschädel gegen den
Himschädel oder die Hirnkapscl abgegrenzt. Man hat viele Gründe,
eine solche Trennung festzuhalten, welche auf den ersten Augenblick
6*
84 Vierter Abschnitt.
von der Vorstellung abweicht, die man sich in der Kunst wie in dem
gewöhnlichen Leben von dem „Gesicht und also auch von dem (3e-
sichtsschädel" macht, denn man rechnet ja im täglichen Leben die Stirn
zum Gesicht. Ihr haarfreier Teil bestimmt wesentlich das Aussehen des
letzteren ; die bewegliche Haut glättet sich überdies oder legt sich durch
das Spiel der Muskeln in Falten und steht durch ihren verschiedenen
Spannungsgrad im Dienste der Mimik. Wie viel man von einem
Kopfe hält, den eine hohe und breite Stirn schmückt, weiß jeder.
Die Wissenschaft trotzt aber den geläufigen Vorstellungen des täglichen
Lebens, wenn es sich um fest erkannte Prinzipien handelt, und so ver-
fährt sie auch in diesem Falle. Gesichtsschädel ist ihr nur jener aus
14 Knochen bestehende Keil, der seine Basis von der Nasenwurzel
bis zum Kinn erstreckt, und dessen stumpfe Spitze in der Gegend des
großen Hinterhauptsloches liegt. Die Stellen, wo Himkapsel und Ge-
sichtsschädel zusammenhängen, liegen innerhalb zweier Ebenen, welche
von der Nasenwurzel (Fig. 19) gegen den vorderen Rand des Hinterhaupts-
loches hinabreichen. Die Ausdehnung des Gesichtsschädels ist in der
Fig. 19 schattiert.
Der vrissenschaftliche Boden, auf welchen wir uns hier stellen,
verlangt, daß von der Betrachtung des Gesichtsschädels, zunächst
wenigstens, die Stirn ausgeschlossen bleibe. Himschädel und Gesichts-
schädel haben in ihrer ersten Anlage und in ihrem weiteren Wachstum
einen gewissen Grad von Selbständigkeit. Der erstere ist schon viel
früher in seinen Hauptformen erkennbar als der letztere. Sodann
schreitet jeder dieser Teile unabhängig von dem anderen in seinem
Ausbau weiter. Eigenartige Gestaltungen können auf dem Gebiete
des einen sich entwickeln, ohne notwendig die Formen des anderen
zu beeinflussen. Der Himschädel kann sehr groß sein — eine mächtige
Stirn deutet auf reiche Entfaltung des Inhaltes — während das Ge-
sicht unverhältnismäßig klein ist. Aber auch das umgekehrte konmit
häufig genug vor, ein großes Gesicht, die Backenknochen und die zahn-
tragenden Teile von einem über das Maß hinausgehenden Umfang —
und darüber ein kleiner Hirnschädel mit niederer oder flach zurück-
weichender Stirn. In beiden Fällen wird der Eindruck auf den Be-
schauer ein sehr verschiedener sein. Dort kann er den Eindruck
geistiger Kraft, hier den roher, ungezügelter Genußsucht hervorrufen.
Selbst bei krankhaften Mißbildungen zeigt sich noch die Unabhängigkeit der
beiden Abschnitte. Im Bereich des Grcsichtsschädels können Hasenscharte und Wolfs-
rachen die ganze Gestalt des häutigen und knöchenien Antlitze» verkümmern, wäh-
rend der naheliegende Himschädel, namentlich die an der Basis befindlielien Teile,
nicht im geringsten von diesen Störungen ergriffen werden. Man hat umgekehrt
schon das Schädeldach samt dem Gehirn bei neugeborenen Kindern fehlen sehen,
und dennoch war das Gesicht regelmäßig entwickelt. Ich brauche kaum zu be-
Spezielle Knochenlehre. g5
merken, daß dieser Grad von Unabhängigkeit auch tieine Grenze hat, und daß es
genug Beispiele giebt, sowohl bei der normalen als bei der abnormen Plutwickelung,
welehc auch den engen Zusammenhang auf das schlagendste erkennen lassen.
Die Kenntnis der Massenvei-teilung des Gesichts- und Hirnschädels
giebt für Wissenscliaft wie Kunst wertvolle Aufschlüsse über das archi-
tektonische Prinzip in der Gestaltung des Kopfes.
Deckt man an einem Schädel jenen Teil, der das Geliirn um-
schließt, so bleibt von dem knöchernen Gerüst ein verhältnismäßig
kleiner Abschnitt übrig, der die Knochen des Gesichtes umfaßt. In
dem Übergewicht der menschlichen Himkapsel gegenüber <lem Gesichts-
schädel (Fig. 19) liegt der Vorzug des menschlichen Kopfes. An ihm
treten alle jene Teile, welche oben als knöcherner Rahmen für die
Höhlen der Sinnesorgane bezeichnet wurden, nahezu ganz unter die
Hirnkapsel zurück. Da der Hauptteil dieser Knochen, wie Ober-
und Unterkiefer, gleiclizeitig Itir das Geschäft des Kauens verwendet
wird, so wird das Massenverhältnis zwischen Hirn- und Gesichtsschädel
auch noch prägnanter dadurch ersichtlich, daß man den letzteren
als Kauapparat bezeichnet. Bei dem Menschen, namentlich dem der
weißen Rasse, nimmt letzterer einen sehr kleinen Raum ein, während er
schon bei den Alfen, selbst den menschenähnlichen Anthropoiden, den
Gehimschädel weit an Größe und Umfang übertriflFt. Der Mensch hat
im Verhältnis zur Hirnkapsel das kleinste Gesicht.
Sobald die vergleichend-anatomische Betrachtung für die Gestaltungs-
gesetze des Gesichtes hinzukommt, zeigt sich sofort der Wert dieser
Auffassung für die das Gesichtsskelett zusammensetzenden Teile. Die
Bewaffnung der Kiefer mit Schneide- und Mahlzähnen läßt die kräftigen
Formen der Knochen begreifen. Die Zähne mit ihren langen Wurzeln
bedürfen breiter und hoher Knochenleisten (der Zahnfortsätze), und der
Oberkiefer muß überdies feste Stützpunkte am Schädel gewinnen, damit
er durch den Druck des Kauens nicht von seiner Stelle geschoben werde.
In diesem Sinne gewinnt das Wangenbein ebenfalls seine mechanische
Bedeutung, es hindert das Ausweichen des Oberkiefers; gleichzeitig
dient es aber auch zum Ursprungspunkt eines starken Muskels, der
von seinem unteren Rand zum Winkel des Unterkiefers zieht und durch
seine Zusammenziehung die Kiefer aneinander preßt. Der Jochbogen
(Fig. 18 Nr. 13) endlich wird zu einem Strebepfeiler, der die Gewalt der
Kaumuskeln auf die hintere HiUfte des Hirnschädels übertragen hilft,
damit ihr Druck nicht ausschließlich gegen die vordere Schädelhälfte
wirke. Trotz dieser wichtigen mechanischen Aufgabe des Kauapparates,
dessen Gewalt einem Gewicht von 200 Kilo gleichkommen kann, nimmt
der Gesichtsschädel doch nur einen kleinen Raum ein.
Diese Stellung des Gesichtsschädels läßt sich durch Zahlen aus-
8() Vierter Absolmitt.
tlrüokon. Der ei*ste Versuch dieser Art wurde von dem Anatomen
r.vMPKH gomacht. Er zog eine Linie von der äußeren Oflfhung des
Uohörgangos bis zu der unteren Grenze der Nase und auf deren End-
punkt oino zwoito, die iTesichtslinie, welche von der Mittellinie der
Stirn aus dio vorige, die Nasenohrlinie, schneidet. Fig. 19, der
Winkol l\ dor Profilwinkel, den diese beiden Linien einschließen, ist
gt'uau bostinmibar und seine Größe giebt einen zahlenmäßigen Ausdruck
Ubor dio Stellung dos Gesichts- zum Himschädel. Ist die Süm gerade
rtUtstoigtMul und das Gosichtsskelett regelmäßig entwickelt, sodaß in voller
Harmonio dor Kauapparat nur eine mittlere Große und Ansdehnnng
ornMoht, wie boi dorn schön geformten Gresicht eines Europäers, dann
schwankt dor OAMPKR'scho Gesichtswinkel zwischen 80 und 85®. Schieben
sich alH>r durch oino kräftigere Entwickelung die Eliefer mehr nach vom,
ri\ckon sie gleichsam unter der Himkapsel hervor wie bei manchen
farbigt^n Monschonrasson, vor allem bei den Bewohnern Central- und
Südafrikas, dio durch dio Bezeichnung ..Xigritier'* von den nord-
afrikanischon IV^rlH^rxolkom unterschieden werden müssen, dann wird
dor IV^tilwinkol kleiner. Boi Tieren endlich, deren Eaoapparat schnauzen-
arlig vorspringt niü^^son die Linien immer näher aneinanderrücken und
daniil dio Winkol an Grvßo abnehmen.
Tm don Wort dor lolwnden Beihe vcm CxjfPKB'schen Cresichts-
wiukx'ln in da^ rvchto Licht cn stellen, sind auch Piofilwinkel der
wons^-'houähnlichon Affon anfi^^fahrt. danmier aoch deijenige des
i>\\riUa, oinos .\ffon. wclobor in der iirne?tea Zeil die Aufmerksamkeit
^n N>S!ono,ots hv^hon Gr^u^o in AT:>rir©c}i c^cOv-aoinrii hat.
l^:o cv^fc^hicv Ä^kiie okr5e> Ariir^^OLÄira i>s hinlänriich bekannt
5%o ix-^x^ svh aaci) ar. Ciä ScLiotC. ir-- «ir iiiB^rfc;'ngich ist. Aber
^ior^YKvk >si iia \\^?wioit it:; üä K'-; me Mfzöicbea dtr Schldelraom
5C:t\^* Vo^i oogfft ir^.«;!* kVdr. cox. wS^ rcskiLaneCiKcräcii von den rie-
s'^^Ni KaXÄ\)s:>Jrt>h:,. wvv .•**>! 5X ScoStc: Stti^a ö» ^behit^ciniiiies ent-
>A\:*,r^'%. IVr Soii>.^«rC s^>< i^,*££li i« u. ski crtier. als der des
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Spezielle Knochenldire. g7
Schädels erkennbar. Sie stehen zu einander in einem richtigen Größen-
verhältnis. Jedem Teil ist ein edles Maß von Ausdehnung angewiesen,
und man hat seit lange die Regel dadurch ausgedrückt, daß die Stirn-,
Nasen- und Kieferhöhe als drei gleiche Höhen bezeichnet wurden.
Bekanntlich bindet sich die Natur nicht sklavisch an diese Regel,
aber selbst die extremsten Formen innerhalb des Menschengeschlechtes
erreichen niemals auch nur annähernd jene wilde Bestie, deren Kiefer
fratzenartig selbst eine Karikatur des tierischen Stammbaumes dar-
stellen.
Die Ähnlichkeit des Gorillaschädels mit einem Negerschädel, dessen
Profil durch ein stark vorspringendes Kaugerüst ausgezeichnet ist, hat auf
die Vermutung gebracht, als stellten die anthropoiden AflFen eine direkte
Ubergangsstufe zu dem Menschen dar; allein dieser Schein trügt. Aller-
dings schiebt sich der Gesichtsschädel bei dem Neger beträchtlich nach
vorne, und es entwickelt sich dadui*ch jene Ei*scheinung, welche man
als Prognathismus bezeichnet hat: die Stirn tritt zurück, wird sogar
bei sehr charakteristischen Vertretern schiefgeneigt, „fliehend", und da-
durch wird das Vorspringen der Kieferteile um so beträchtlicher. Der
Neger wird dadurch etwas aflfenähnlich, „pithekoid", allein trotzdem
besteht zwischen ihm und den Anthropoiden eine gewaltige Kluft, und
es steht der Neger dem Europäer zweifellos viel näher als dem Affen;
denn der Hirnschädel ist nicht pithekoid, sondern menschlich entwickelt
und enthält ein Gehirn, das an Größe und Gewicht dem des Weißen
nahezu gleichkommt.
Der CAMPEB'sche Gesichtswinkel giebt also nur einen Maßstab fiir die
Entwicklung des Kauapparates, nicht fiir die der Größe der Intelligenz,
und die folgende Reihe von CAMPER'schen Gesichtswinkeln läßt nur er-
kennen, daß bei Individuen der Kultur- wie der Naturvölker die Schwan-
kungen sehr bedeutend sind und innerhalb hoher Zahlen sich bewegen,
sowie daß im Gegensatz hiezu die menschenähnlichen Affen wegen des
beträchtlichen Umfanges ihres Kauapparates kleine Winkel besitzen.
1. Alter Römer (Schädel aus der BLUMENBACH'schen Samm-
lung in Göttingen) 76^
2. Schädel aus einem alten Grabe . 77*^
3. Desgleichen 87<>
4. Schädel aus dem Bieler Pfahlbau 89^
5. Australneger 79.5^
6. Desgleichen . . . . • 82o
7. Ein männlicher Gorilla 50<>
8. Ein anderer Gorilla 44.5<*
9. Ein männlicher Orang-Utang 42^
10. „ „ Schimpanse 67^
88 Vierter Abadmitt.
DU'. Kluft z wuschen deu Aiithn>poideu und den Menschen tritt durch den
(^AUPRiuHihon (ii'ttU:\iitiwinki'\ cb<^n«^> «:liarf her\'or, ab durch irgend einen der aiidemi
(fttHu:htn- '>fl<:r I 'rofil Winkel , welche in der neur^ttm Zeit Anwendung finden. Man
darf nur nicht verjri.'swen, daß der Schimpan«e noch immer um lO* tiefer unter den
0<«ichtHwinkel rIeK nimiKchen Ritters oder di« alten EuropäeiB herabruckt, die pro*
^lather waren, al» d(T AuHtralue^er, und daß der Gorilla um 26* unter dem Spröß-
ling R/nnH Bteht, der, einnt vielleicht als Führer einer Legion am Niederrfaein auf-
tretend, als l'rüger alter Kultur und Macht jedenfalls im Vollbesitz ^iuer geuftigen
Kraft stand. Das sind beträchtliche Unterschiede, und man hat kein Recht, tk
^erin^er anzuschlagen, als sie in Wirklichkeit einmal sind.
Man hat frülier aus dem Ergebnis des CAMPEB'sehen Gesichts-
winkels bei dem Menschen aucli einen Schluß auf die Intelligenz ge-
zogen und gemeint, der kleinere Winkel bei anderen, namentlich den
farbigen Kassen, sei gleichzeitig ein sehr guter Wertmesser für den
(irad der geistigen Begabung. Aber diese Ansicht ist irrig, seitdem
wir wissen, daß auch unter der weißen Rasse Prognathie und zwar
zuweilen in extremen Graden vorkommt (ähnlich wie in den Nummern 1
u. 2 <ler obigen Talielle), ohne einen schwächenden Einfluß auf die geistige
Kraft auszuüben. Ferner ist zu erwägen, daß bei neugeborenen Kindern
der (yAMPEu'sche Gesichtswinkel 90^ und darüber beträgt, also bei dem
hilflos(;n und geistig völlig unentwickelten Kinde mehr, als bei dem
erwachs(?nen, selbständigen Wesen. Man käme auf diese Weise in
die bedenkliche Lage, den Säugling über den Mann stellen zu müssen.
Der Grund, warum sich der Schädel des Kindes durch einen günstigen
(it^sichtswinkel auszeichnet, liegt aber lediglich in der außerordentlichen
Kleinheit des unentwickelten Kaugerüstes im Vergleich mit dem in
seinem Wachstum schon weit vorgeschrittenen Hirnschädel. Das Ge-
sicht ist bei dem neugeborenen Kinde noch verkümmert. Es fehlen
die Zähne, also auch die langen Zahnwurzeln, damit aber auch die
Zahnfortsätzc am Ober- und Unterkiefer, welche ganz besonders zur
Verlängerung des Gesichtsschädels beitragen.
Schädel mit geradem Profil, bei denen von der senkrecht stehenden
Stirn die Gesichtsteile in wenig veränderter Richtung anschließen, nennt
man orthognath^ Die Orthognathie verleiht dem Gesicht den
Ausdruck (»dier Gestaltung. Die hohe Stirn, hinter der eine Welt von
(Tredanken Platz hat, und ihr senkrechtes Abfallen gegen das Gesicht
sind charakteristische Merkmale edler und geistig entwickelter Indi-
viduen. An den berühmtesten Meisterwerken hellenischer Kunst findet
man in der Kegel einen Gesichtswinkel von 90^, also höher als die
Natur ihn zumeist herstellt. ^ Bei Göttern und Halbgöttern steigt der-
* Von orthtis gt'nide, und gnathos Kinnbacken.
- Heim Apollo von IU'lvtil<*n* soll der CAHPEBäclie Gesichtswinkel 95** betragen.
Spenelle Knochenlehre. 89
selbe noch höher, wahrscheinlich um das Übermenschliche damit an-
zudeuten. Man begreift das Bestreben, dem Hinischädel das Über-
gewicht über die der Sinnlichkeit fröhnenden Werkzeuge des Kauens
und Riechens zu geben, denn er umschließt das Organ des Geistes,
und der Geist, als Summe der Intelligenz gedacht, ist gleichbedeutend
mit Macht. Bei solcher Betrachtung des Gesichts- und des Hiimschädels
läßt sich der Gegensatz zwischen menschlicher und tierischer Gestal-
tung des Hauptes wohl am besten verstehen.
Aber selbst innerhalb des Menschengeschlechtes hilft eine solche
Unterscheidung, die edlere Form des Antlitzes von der weniger edlen
zu trennen. Denn auch hier kommt in erster Linie das Gleichgewicht
der beiden Teile in Betracht, und selbst der unbefangene Beobachter
fühlt sehr bald die Störung, welche in einem Mißverhältnis dieser
Teile liegt. Vorspringen der Kiefer prägt den Stempel tierischer Ver-
wandtschaft hart ins Gesicht.
Am Schlüsse dieser allgemeinen Betrachtung angelangt, sollen
die gewonnenen Kenntnisse im Zusammenhang verglichen werden. Zu
diesem Zwecke sind zwei Schädel vei^schiedener europäischer Menscjhen-
rassen nebeneinander gestellt, welche schon seit der ältesten Besiedelung
unseres Kontinentes nebeneinander wohnen. Man findet solche For-
men in den Gräbern längst verrauschter Jahrhunderte und unter den
Lebenden von heute. Sie sind in ihren Haupt- oder Rassenmerkmalen
immer dieselben geblieben und bilden, vom Standpunkt der plastisch-
anatomischen Knochenlehre aus, streng genommen Gegensätze, wenn
auch im Leben beide Formen mit hellen Augen, hellen Haaren und
heller Haut und ebenso mit dunkeln Augen, dunkeln Haaren und
dunkler Haut vorkommen. Li allen Epochen der Kunst sind beide
Formen dargestellt worden, hinauf bis zu den Griechen und Römern,
freilich wurde zumeist diejenige Form gewählt, welche als euro-
päisches Langgesicht bezeichnet werden kann.
Die Fig. 21 stellt die Vorderansicht eines solchen Kuropäer-
schädels dar in halber Größe. Die Stellung ist die Horizontalebene,
welche in diesem Falle den unteren Rand der Augenhöhle und den
oberen Riind der Ohröffnung streift. So kommt es bei dieser Orien-
tierung, daß der Schädel seinen „Blick" ebenso in die Ferne richtet
wie ein Lebender, der in ruliiger Haltung den Kopf nach der Ebene
des Horizontes wendet. Die Zeichnung giebt alle Einzelheiten wieder,
sie ist also „Porträt" und ist mit dem Oi'thograi)hen hergestellt.
Der Schädel stammt von einem Mann mit hoher Nase, runden
Augenhöhleneingängen, welche wegen des schmalen Nasenrückens dicht
nebeneinander liegen, enganliegenden Wangenbeinen und Jochbogen,
die Stirn hoch, ebenso das Obergesicht. Alle diese Teile sind tadellos
80 Tii
gt'fonut. SchlJU'enlinie, Stimglatzc, Augeiilimueiibogen sind scharf
und flucli maßvoll. Dagegen ist das Unturgesicht, d. h. der uiiterhalli
des NaseDeinganges hegende Abschnitt des Oberkiefers und der Unl^-r-
kiefer, etwas in stark denn dje Zahuliutfeii Bind zu weit gebauclit,
wodurcli das LbinniiB dei oberen Tcili. abgesiLwatht wird. Dennoch
ist die Verwindtfithilt ditsei (nsRbtHforni mit jenor durch dais in
Fig. 24 vertretene Poitiat unierkennbar
Fig. 3t. Euni|iäischt.<s IvanggGBielit ii
(Geometrisches Uild.)
In einem auffallenden Gegensatz hierzu steht eine andere europäisd!
Sc-hildelfurra, deren Gesamteutwickelung iiiclit in die Höhe, sondern ]
die Breite gerichtet ist. Dasselbe ist mit dun Haupteigensctmften i
Gesichtes der Fall. Die Stini ist breit, die Augeiilifthlon sind von ob*
nach unten zusamnieagediilckt und daher länglich viereckig.
NasenrÜekeu ist kurz, breit und eingebogen, woraus am Lebenden i
Plattr oder Stumpliiaae hervorgeht, welche mannigfache Abstufoi
apAricIle Knoeb«nlehre.
fll
aufweisen kann. Ober- und Unterkiefer sind kurz, anrli die Ziltuie
folgen diesej- Regel; die Wangenbeine sind aliHtolieud und die Jncli-
Imgen ausgelegt, so daß sie bei der Betratlitung des Schädek von oben
über den Kontur des Umfanges vorspringen. Auch diese Schadelforni
kommt überall iu Kuropa vor, und jede anatomisclio Sammlung
vennag Exemplwe aufzuweisen. Man bugegnut lebenden Verti-etem
überall, bei beiden GeBchlecbtern , vom Norden bis zum Süden, mit
Euroiittischrs Kiinigi'-si
(GoomettiBche« Bild,)
Ireicheu Yurianten: das Gericht kann uämlicli offen und freundlich
oder fest und geschluasen ; die Nase kann klein mit breiter, nur
Srenig erhobener Nasenspitze und dabei plump oder keck aufgestülpt
hod xierlicli (Sttiinpfuä.sc-lien) sein.
Sobald alle Kigeuscliaften gleii'limäUig entwickelt sind, wie in Fig. 22,
Irerleilien die Weichteile, wie Nase, Mund, Wangcu, endlich der Mittcl-
flidit, die AiiguEi auch diesem Gesicht gewinuende Formen. Ka ist
tem kindlichen Antlitz am nächsten verwandt.
Vl«rMT AbBchniU.
IJ. Besr^lii-oibuns f'oi" oiiizelneii Schädel knoehon.
Das Stirnbein (Og frantix).
Hülie tirid Breite der Stirn hlingeii von der AnNdeljiiung rlea Stiru-
beiiis ab. Seine einzelnen Wülste, Hügel und Vertiefungen lielfeii jo
natih dem Grude der Entwickolung das Stimlieiu und dumit die Stirn
modellieren.
Das Stirnbein gleicht wie alle Deekknocheu des Sohädelti einer
flachen Schale, deren ausgehöhlter Teil dem Gohirii zugewendet, während
die Wölbung nach außen gekehH ist.
An dejn Augcnhöhlenrnjid wendet sich ein Teil des Knochens
riiich innen, um das Dach der Augenhöhle zu bilden (Fig. 23 Nr. lo).
Der Rand, welcher dadurch entsteht, ist der ubere Äugeiibrihleii-
raud (lUarga supraarftitalis , Fig. 23 Nr. 6), Nach außen geht jisder
Rand in einen atarken Fortsatz aus, iu den Jochfortsatü des Stirn-
beines (l'roeensun zi/ffitmaticitf onsis frutiHii, Fig. 23 Nr. 7), der sich mit
ilem Wangenbein verbindet.
In der tfitte zwischen den beiden Augenhöhlenrändoni senkt sidi die
ganze Masse des Stimheinea dick gewulstet, 2 — 3 cm breit herab nnd
endigt mit vielen Zacken: dem Nasonfortsatz des Stirnbeines (IW-
ctMii* nasalis, Fig. 23 Nr. 8 u. D), der zui' Verbindung mit den Nasenbeinen
Spcxielle Knochenlehre. 93
und dem Oberkiefer dient. Durch seine Bildung und die Art, wie sich
die Nasenknochen mit ihm verbinden, wird der Übergang zwisclien Stirn
und Nase mehr oder weniger scharf eingebogen, schmal oder breit.
Nach aufwärts wird der Stirnknochen abgeschlossen durch die
Kranznaht (Suhira ayronalis). Bei Kahlköpfen sieht man oft sehr
deutlich eine dieser Vereinigung entsprechende Furche quer über die
vordere Scheitelhälfte ziehen.
Die vordere Fläche des Stinibeins zeigt überdies die Stirn-
höcker (Tubera frarntalia^ Fig. 23 Nr. i), die Stirnglatze (Glahella^
Fig. 23 Nr. 5), die Augenbrauen bogen (Arcus mipercüiares , Fig. 23
Nr. 4), den Beginn der Schläfenlinie (Linea temporalüj Fig. 23 Nr. 5).
Die Stirnhöcker oder Stirn hügel sind stark gewölbte Stellen,
die wie flache Beulen zwischen Haargrenze und Augenhöhlenrand sich
befinden und ungefähr den Umfang eines Markstückes eiTeichen. Bei
breiter Stirn sind sie weiter auseinander gerückt als bei schmaler.
Sie entsprechen den Punkten der stärksten Krümmung jeder Stirnbein-
hälfte bei dem Neugeborenen. Der Grad ihrer Entwickelung ist sehr
verschieden. Bei manchen K(*)pfen sind sie sehr deutlich und auf den
ersten Blick durch die Haut erkennbar, bei anderen nur bei Betrachtung
von der Seite zu entdecken. Ist das erstere der Fall, so muß selbst-
verständlich das dazwischen befindliche Gebiet des Stirnbeines mehr
abgeflacht erscheinen. Diese Fläche geht nach oben breit gegen die
Haargrenze fort, nach unten versdmiälert sie sich und läuft zwischen
den Augenbrauenwülsten aus (Fig. 23 Nr. 5).
Die Augenbrauenbogen (Arms supi*rciUures) sind zwei komma-
förmige Erhabenheiten oder Wülste, welche ül)er den Augenhölden-
rändeni liegen (Fig. 23 Nr. 4), aber von dem Nasenfortsatz (Nr. 8) in
die Höhe steigend sich allmählich verlieren. Sie sind bisweilen von
stärkeren Gefäßlöchern durchzogen und fließen bei manchen Kr»pfen
in der Mitte ineinander, bei anderen sind sie mehr oder weniger ge-
trennt Der letztere Fall wurde in Fig. 23 dargestellt. Sie ent-
sprechen in ihrem Verlauf durchaus nicht der Richtung der Augenbrauen,
wie ihr Name vermuten läßt. Die letzteren decken sich vielmehr mit
dem Augenhöhlenrand, wie man sich leicht an seinem eigenen Kopfe
durch Zufühlen überzeugen kann.
Die kleine Fläche zwischen den Augenbrauenbogen, dicht über
der Nasenwurzel, heißt Stirnglatze ((ilahella). Dieser Name stammt
von glabeTj unbehaart, und l)edeutct die haarlose» Stelh» zwischen den
Augenbrauen. Sie kommt nur dann vor, wenn di(» Brauen nicht mit-
einander verwachsen sind. Von diesem Verhalten wurde dann die Be-
Zeichnung auch auf den Raum «zwischen den Aug<»nbrauenbogen an dem
knöchenien Stirnbein übertragen.
94 Vierter Abidinitt.
Die Schläfenlinie (Linea temporcdisj Fig. 23 Nr. 3), in der Ab-
bildung der Deutlichkeit wegen stark markiert , verweist durch ihren
Verlauf beiderseits einen Teil des Stirnbeines in die Schläfenflächc.
Für den Künstler kommt vorzugsweise die vordere Hälfte dieser einen
charakteristischen Linie in Betracht. In der neuesten Zeit ist man
zwar gewahr geworden, daß bisweilen zwei verschiedene Linien aus der
einen sich in dem weiteren Verlaufe entwickeln können, allein dieser
Umstand ist hier nicht von Bedeutung, wohl aber der, daß je nach
der Stärke des Schläfenmuskels die Hauptlinie nicht allein stärker ent-
wickelt ist, sondern auch höher hinaufsteigt gegen den ScheiteL
An der vorderen Fläche des Stirnbeins muß man zwei Abschnitte
scharf voneinander trennen: den Gesichtsteil, der senkrecht steht oder
nur wenig nach rückwärts geneigt, und der beim Lebenden dem haar-
freien Teil entspricht, und den Scheitelteil, der, von den Haaren be-
deckt, zum Scheitel gehört. Die Grenze zwischen beiden ist bei wohl-
charakterisiertem Knochenbau leicht zu finden, der Scheitelteil biegt
aus dem Kontur der Kreisfläche in deutlich erkennbarem Winkel in
die mehr senkrechte Stirnfläche über (Fig. 18). Vom Profil aus wird
man dies um so leichter bemerken, wenn man den Schädel so stellt, wie
er beim gerade aussehenden Menschen auf der Wirbelsäule sitzt, wobei
der obere Rand des Jochbogens horizontal läuft (Fig. 19).
Die obige Angabe bezüglich der Haargrenze trifft durchaus nicht immer zu.
Oft bleiben die Haare von ihr entfernt, in anderen Fällen überschreiten sie dieselbe,
und rufen so den Anschein einer niederen Stini hervor.
Die Mittellinie; des vertikalen Stirnteiles ist oft durch eine Furche auf der Glabella
und wtiittT hinauf durch eine Kante bezeichnet, welche zwischen den Stimliöckem
am stärksten ist. Die Furche unten und die Kante ol>en sind die Überbleibsel der
Sutura frontalis (S. 82), welche sicli beim ErwatOisencn zuweilen vollständig erhält
Jeder Knochen der Hinischale l)esteht aus zwei kompakten, durch Einschub schwam-
miger Knochenmasse getrennten Platten, deren äußere, dickere die gewöhnliehen
Merkmale glatter Knochen an sich trägt. An gewissen Gregenden des Scliädels
stehen die beiden Platten oft weit voneinander ab. Nicht immer ist der Zwischen-
raum von schwammig<?r Knochenmasse ausgefüllt, an mehreren Stellen entwickeln
sich Räume, die mit Luft gefüllt sind. Die luftlialtigen Stinihöhlen bilden sich
erst nach der Greburt; es mangelt deshalb der Kinderstim die Erhöhung über
der Nase.
Alle die obenerwähnten Einzelheiten können auf ein äußerst ge-
ringes Maß zurückgeführt sein oder so stark hervortreten, wie in der
gegebenen Abbildung Fig. 23, die übrigens die Entwickelung der Stirn-
höcker etwas zu sehr hervorhebt. Die Individualität bedingt eben
in der Modellierung des Stinibeines unendlichen Weclisel, ebenso wie
in der ganzen übrigen Gestalt. Dieses Fehlen der einen Merkmale
und das Überwiegen der anderen kann bedingt sein durch Geschlecht
und Alter, durch die Stärke der Knochen oder die Verschiedenheit
spezielle Knochenlehre. 95
der Unterarten des Menschengeschlechtes. Eine Besprechung dieser
Abänderungen ist überflüssig, weil die Betrachtung der nächsten Um-
gebung zahlreiche Beispiele und Abstufungen jeglicher Art liefert. Man
prüfe also Form, Höhe, Breite, die Entwickelung der Knochenhöcker,
der Schläfenlinie, den Zwischenraum zwischen den Augen, den Über-
gang der Stirn zur Nase, und den Nasenwulst.
Die Scheitelbeine (Ossa parietalia, Figg. 17 u. 19)
bilden vorzugsweise das Dach des Schädels. Ihre Vereinigung oben in der
Mittellinie des Schädels geschieht ebenso wie vorn mit dem Stirnbein und
hinten mit dem Hinterhauptsbein durch eine Zackennaht. Über die äußere
Fläche zieht im Bogen, der bei verschiedenen Menschen verschieden groß
ist, die Schläfenlinie, wodurch ein kleinerer Teil der Scheitelbeine von
dem oberen größeren scharf abgegrenzt wird; dieser beugt sich rasch
gegen die Schläfengrube herab und hilft die abgeflachte Schläfen-
gegend bilden (Fig. 19). Scheitelhöcker (Tuber parietale) nennt man
die Stelle der stärksten Krümmung. Auch sie stammen aus der kind-
lichen Periode. Sind diese Höcker besonders bedeutend entwickelt, so
daß dadurch der Schädel sehr breit wird, so entsteht der viereckige
Schädel (TSte carree).
Das Hinterhauptsbein (Os occipitis, Fig. 19 vonNr.2— 7)
schließt nach hinten das Schädeldach, bildet aber zugleich noch einen
großen Teil des Schädelginindes (Fig. 20 Nr. 9— 13). Bei knochenstarken
Männern jeder Rasse zieht quer über die äußere Fläche eine Leiste
und teilt den Knochen in eine obere Paiiie mit glatter Fläche und
in eine untere, die mit Wülsten und Furchen besät und überdies von
einer großen ovalen üff*nung durchbohrt ist, dem sogenannten großen
Loche (Fig. 20 Nr.ii).
Diese querlaufende Leiste, die Grenze der Hinterhaupts- und
Nackengegend, beschreibt eine nach aufwärts gerichtete Bogenlinie und
fuhrt den Namen Nackenlinie (Linea nuchae), Ungefiihr 2 cm über
und unter ihr läuft eine ähnliche Bogenlinie, aber kleiner, über den
Knochen; sie rührt unten vom Ansatz der Nackenmuskeln her.
Die Nackenlinie besitzt in der Mitte einen oft sehr entwickelten
stumpfen und etwas nach abwärts gekrümmten Höcker, den sogenannten
Hinterhauptsstachel (Protuberantiaoccipitalis externa). An ihm sowie
an der schwachen Leiste (Linea vermiana, Fig. 20 Nr. 9), welche sich
von ihm bis zum Hinterhauptsloch erstreckt, setzt sich ein Band fest,
das sogenannte Nackenband (Ligamenhim nuchae), um das Balancieren
des Schädels auf der Wirbelsäule zu erleichtem. Bei allen geweih-
96 Vierter Abschnitt.
tragenden Tieren wird dieses Band besonders stark, weil es die
Muskeln beim Festhalten des schweren Kopfes zu unterstützen hat.
Im gewöhnlichen Leben ist dieses Band, das beim Hornvieh schon vor
den Brustwirbeln beginnt und beim Stier handbreit wird, unter dem
Namen Haarwachs bekannt.
Die beiden Gelenkhöcker (Processus condt/loidei), links und rechts
vom großen Hinterhauptsloche (Fig. 20 Nr. 13), wurden samt ihrer Be-
deutung schon erwähnt.
Der Hinterschädel föllt bald steil ab, bald ist er nestartig ausgezogen. Beide
Formen kommen in Europa vor und hängen mit Rasseneigenschaften zusammen.
Die Phrenologie ist freilich der Meinung, in einem großen Hinterkopf sitze vorzug»-
weisi^ das Organ der Kinderliebe, weil der Affen- und Weiberkopf dort am
stärksten vorspringen soll. Dieser doppelte Irrtum >\'urde nicht geringer dadurch,
daß dort in nächst«r Nähe noch das Organ des Geschlechtstriebes einlogiert
wurde. Denn auch dieser Satz der Phrenologie ist grundfalsch wie so viele andere
ihrer angeblichen Wahrheiten.
Das Wespenbein (Os vespifortne) trägt diesen Namen wegen seiner eigen-
tümlichen Gestalt; es sieht nämlich, aus seiner vielseitigen Verbindung am Scbädel-
grunde vorsichtig herausgeschält, mit seinen breiten, nach beiden Seiten sym-
metrisch vom mittleren Teil auslaufenden Fortsätzen einer fliegenden Wespe gleich.
Der mittlere Teil, der Körper des Knochens, ist mit dem Grundbein verbunden
(Fig. 20 Nr. 12), vom hängt er teils mit dem Stirnbein, dann aber auch mit den
meisten Gesichtsknochen zusammen; seine Fortsätze helfen die Sehläfengmbe (Fig. 18
Nr. 12) und den Hintergrund der Augenhöhle bilden, sie tragen zur Bildung der liin-
tertm Nasenöffnungen — Choan(m — bei (Fig. 20 zwischen Nr. 5 u. 6) oder sind fiir die
B<^festigung von Kau- und Schlingmuskeln von Wichtigkeit.
Von den Verbindungen des Wespenbeins wollen wir nur noch jene mit dem
aus dünnen Knochenplättchen gebildeten Siebboin (Os ethmoideum) nennen, das
hoch oben in der Nasenhöhle der Träger jener feinen Schleimhaut ist, welche von
den Geruchsnerven durclizogon ist. Die von zahlreichen Ofihuugen durchbrochene
dünne Knochenplatte, die man unmittelbar über dem Ursprung der Nasenknocrhcu
von d(T Schädelhöhle aus bemerkt, ist die Grenze jenes verborgenen Knoclieiis
nach oben. Die Löcher dieser Platte — Siebplatte — dienen den feinen Fäden
des Geruchsuerven dazu, zu der Schleimhaut in den labyrinthischen Gängen des
Siebbeins zu gelangen.
Das Schläfenbein (Os temponim^ Fig. 19 Nr. 3)
besteht aus zwei Abteilungen, nämlich jener, welche die Seitenfläche
des Schädels verschließen hilft und deshalb sclmppen artig dünn geformt
ist, dem Schuppenteil des Schläfenbeines (Pars squamosa, Fig. 18
Nr. 11), und einem starken nahezu dreiseitigen Knochenstück, das am
Schä^lelgrund zwischen Hinterhaupts- und Wespenbein liegt, dem
Felsenteil (Pars petrosa). Der Felsenteil hat eine am Schädel
leicht sichtbare, schief nach hinten gestellte ovale Öffnung, die Öffnung
des knöchenien Gehörganges. An die knöcherne Umgebung dieser
Ohröffnung heftet sich der Ohrknorpel, durch dessen s(ihaufeli(>rmige
Spezielle Knochenlehre. 97
Gestali die Schallwellen in die Tiefe jenes Kanales geleitet werden,
der sowohl durch seinen merkwürdigen Inhalt (die Gehörknöchelchen:
Hammer, Ambos und Steigbügel, dann die Schnecke und das Labyrinth),
als durch seine physiologische Rolle unsere Bewunderung erweckt.
Die plastische Anatomie hat sich jedoch nur mit der äußeren
Fläche des Schläfenbeines zu beschäftigen, das fUr die Bildung des
Gesichtes wie fiir jene des Schädels von der größten Wichtigkeit ist.
An der Grenze zwischen Schuppen- und Felsenteil erhebt sich
mit breitem, durch die Gelenkgrube für den Unterkiefer (Fig. 19 Nr. 4)
geteilten Ursprung ein zwar dünner, aber doch sehr fester Fortsatz,
der Jochfortsatz des Schläfenbeines (Processus zygomaticus ossis
temporum)j der mit dem Wangenbein den Jochbogen, diese feste un-
verrückbare Grenze zwischen Gesicht und Schädel, bildet. Die Be-
deutung des Jochbogens für die Orientierung an dem Lebenden wurde
schon oben Seite 50 und 78 besprochen.
Hinter der OhröflFnung ist ein stumpfer zapfenartiger Fortsatz, der
Warzen fortsatz des Schläfenbeines (Processus ma^toideus, Fig. 26
Kr. 8). Seine gewölbte äußere Fläche ist leicht hinter dem Ohr zu
fühlen und bei großer Magerkeit ebenso wie sein stumpfes Ende auch
zu sehen. Der vom Brust- und Schlüsselbein aufsteigende Kopfnicker
setzt sich an dem Warzenfortsatz an.
Durch die tiefe Rinne an dem hintenai Umfang des Warzeufortsatzes geschützt
steigt eine Schlagader zum Hinterkopf. Von dem spitzen, nahezu 3 cm langen
GrifTelfortsatz (Processus styloideus, Fig. 20 Nr. Tj entspringen dünne Muskeln für
das Zungenbein und die Zunge.
Die Gesichtsknoehen.
Das Oberkieferbein (Maxilla, Fig. 26 Nr. 5)
ist der Hauptknochen des ganzen Gesichtes. Auf jeder Seite des letzte-
ren — also paarig — nimmt es durch seine Gestalt an der Bildung der
Nasen-, Augen- und MundhiUile teil ; sein mittlerer Teil, der sogenannte
Körper, umschließt beim Erwachsenen eine Höhle, die Oberkiefer-
liöhle, nach ihrem Entdecker auch Highmorshöhle (Antrum Hujhmori)
genannt; sie hängt mit der Nasenhöhle zusammen. Der Knochen ist
an seiner Vordertläche von dem Augenhöhlenrand abwärts durch eine
Grube vertieft, die Wangengrube (Fossa vialaris). Sie ist bald tief,
bald seicht, und dadurch ist die Modellierung sowohl des knöchernen als
des lebendigen Antlitzes äußerst verschieden. Bei den Langgesichtern,
die unter allen Bässen des Menschengeschlechtes so zahlreich vor-
kommen, ist diese Grube stets vorhanden und läßt sich bei mageren
Menschen leicht sehen. Dagegen ist sie bei der Basse, die ein breites
KoLLXAXN, Plastische Anatomie. 7
Gesiclit besitzt, äußerst Hacli, ja oft gar niclil erkennbar. Die 1
Wirkung auf das Gesiebt des Lebenden ist sehr auffollend, wie folget
Beispiele zeigen werden.
In Fig. 24, der Reproduktion eines von vas Dyck gezeichna(
Porträtes, ist durch Licht- und Schattenwirkung die ganze Form (
Wangenbeines auf das vollkommenste erkennbar. Sowohl der unt«
Rand ist mnrkitrt nU der vordere, der die Verbindung mit dem Ob(
A IS deii Mm cli n r K ipferst hkkbiDet
kiefer herstellt. Gerade dort deutet der tiefe ''chatten ui lie .
Wesenheit der Wangengmbe die sieb gegen den Rand dei Augeo-
liöhle hin erstreckt. Ganz anders zeigt sich dieb bei dem von Sciiai>ow
gezeichneten Kopf ein« s Chuiesen mit seinen schiefgeschlitzten Auges
und dem breiten Gesicht Das Wangenbein i«t anch sichtbar i
zwar sowohl sein uiiterei ils sein Augenhuhlenrand allein die .
deutimg einer Wangengrube fehlt hier, wie an allen Schädeln '
Mongolen, welche derselben Varietät angehören wie Fig. 25.
Spezielle Knochenlehre.
99
Die vordere Fläche des Oberkiefers geht allmählich in die konvexe
Seitenwand über, welche nach hinten stumpf endigt. Der größte Teil
seiner konkaven Innenwand trägt zur Bildung der Nasenhöhle bei.
Von all diesen Seiten seines sog. Körpers gehen Fortsätze aus; so
einer nach oben als:
Stirnfortsatz (Processus frontalis) zum Stirnbein. Er bildet die
Seitenwand der Nase und erstreckt sich soweit nach außen, daß durch
ihn ein Teil des inneren Augenhöhlenrandes gebildet wird. Der zweite
Fortsatz,
der Jochfortsatz (Processus zygomaticus maxillae), erhebt sich
von der Seitenwand und wendet sich nach auswärts, um das Wangen-
1 Schläfenlinie, Kontur derselben.
. a Kontur der Augenhöhle.
^ Jochbogen, Kontur desselben.
5 Wangenbein, Kontur desselben.
k Unterkieferwinkel.
5 Kinnhocker, linker.
Fig. 25. Porträt eines Mongolen, von Schadow gezeichnet
bein (Fig. 26 Nr. 4) zu erreichen, mit dem er durch eine Zacken-
naht zusammenhängt.
Ein dritter Fortsatz, der Zahnfortsatz (Processus dentalis, Fig. 26
Nr. 6), ist gerade nach abwärts gerichtet und trägt an seinem unteren
freien Rande bei normal gebauten Kiefern acht Zellen, in welchen
die Wurzeln der Zähne stecken. Sind die Wurzeln sehr stark, so
bauchen sie die vordere Wand etwas aus, wodurch eine fortlaufende
Reihe senkrecht stehender Wülste ^ entsteht.
Der Gaumen fortsatz (Processus palatinus, Fig. 20 Nr. i), der
vierte Fortsatz, ist eine horizontale Platte, welche, von der inneren
* Über die Entwickelung des Zahnfortsatzes — über sein Fehlen beim Kinde
und sein Verschwinden im Alter, siehe das Kapitel: Kind und Greis.
7* •
100 Vierter Abechnitt.
Fläche des Oberkieferbeines ausgehend, das Dach der Mundhöhle
bildet. So entsteht der harte Gaumen, der nach rückwärts noch
durch zwei ebenfalls paarige dünne Knochen, die Gaumenbeine,
vergrößert wird.
Nach vorn drängt sich am unteren Ende des Naseneinganges die
Knochenmasse in einer scharfen Zacke stachelförmig hervor und giebt
als Nasenstachel (Spinanasalis) sowohl am Schädel wie am lebendigen
Kopf einen festen Punkt für Messungen ab. Der Nasenstachel dient
der knorpligen Scheidewand mit zur Befestigung. Er ist beim Zu-
fuhlen leicht zu bemerken.
Ein Blick auf die Fig. 26 zeigt, daß der Naseneingang am Schädel
birnformig ist, weil die vorderen Ränder der Stimfortsätze des Ober-
kiefers stark ausgeschweift sind. Die glatten leichtgewölbten
Nasenbeine (Ossa nasalia),
welche den knöchernen Nasenrücken bilden, schließen den Nasenein-
gang nach dem Stirnbein zu ab. Jedes Nasenbein ist eine vierseitige
Platte, deren äußere Fläche von oben nach unten erst konkav,
dann konvex wird. Der untere Rand ist dünn und schief nach
außen verlängert, der obere ist breit und gezackt filr den Ansatz am
Stirnbein, der unter einem stumpfen Winkel geschehen, aber ebenso
wie die ganze Form sehr großen individuellen Schwankungen unterliegen
kann. Von der Größe der Nasenbeine, von dem Grad der Krümmung,
von der Richtung der Flächen und von den Stirnfortsätzen des Ober-
kiefers hängt die Gestalt der Nase ab. Bei vorstehenden, hohen
Nasen werden demgemäß diese Knochen bedeutend entwickelt sein,
während sie bei Stumpfnasen verkümmert sind. Ja bei Völkern mit
starken Plattnasen, Negern oder Australiern, sind die Nasenbeine oft
zu winzigen Knochenstückchen zusammengeschrumpft.
Die Öffnung an dem oberen Umfang der Kiefergrubc (Fig. 26 oberhalb Nr. 5)
ist die Mündung eines Kanales, der am Boden der Augenhöhle wieder zu sehen ist.
Ein Nerv aus dem Gehirn passiert diese Bahn, um empfindende Fasern zur Haut
der Oberlippe zu bringen. — Der Augenhöldenrand des Stimfortsatzes besitzt eine
Hohlkehle, die Thränen furche. Mit Hilfe des Thränenbeinehens entsteht näm-
lich ein Kanal, der Thränennasenkanal. Durch feine Röhren, deren Anfang am
Lidrande des inneren Augenwinkels leicht zu sehen ist, wird die das Auge be-
feuchtende Fltissigkeit nach der Nasenhöhle abgeleitet.
Das Wangenbein (Os malare, Fig. 26 Nr. 4)
erscheint von vom gesehen als eine vierseitige Platte. Die äußere
Fläche (lieser Platte vervollständigt das Gesicht, die innere erstreckt sich
in die Augenhöhle hinein. Der Übergang von der Wangenfläche zu
der Augenhöhlenfläche bildet den größten Teil des äußeren Augen-
Spezielle Knochenlehre. JQl
höhlenrandes. Dadurch, daß das Wangenbein die Verbindung zwischen
Oberkiefer, Stirn- und Schläfenbein darstellt, schließt es die mittlere
Gesichtsregion nach der Seite ab, und indem es sich mit dem Joch-
fortsatz des Schläfenbeines verbindet, bildet es jene feste Knochenbrücke,
unter der wohlgeschützt die Schläfengrube liegt.
Der nach dem Unterkiefer gerichtete Rand des Wangenbeines
ist rauh. An diesem rauhen Rande entspringt ein Kaumuskel, der
Masseter. Verfolgt man diesen Rand, wie er allmählich gegen die
Schläfengegend in die Höhe steigt, so gelangt man zum Jochfortsatz
und bemerkt die freilich schmale, aber zackige Verbindungsnaht (Fig. 26
bei Nr. 13) zwischen den Knochenfortsätzen des Wangen- und Schläfen-
beines.
Das Wangenbein ist in verschiedenem Grade gewölbt. Ragt ein
großer Teil nach vom, so wird das Gesicht dadurch breit — im um-
gekehrten Falle schmal.
Die höchste Wölbung, die man an der eigenen Wange deutlich
sehen und fühlen kann, heißt Wangenhöcker.
Die ganze Knochenplatte besitzt zahlreiche Varianten bei den ver-
schiedenen Varietäten des Menschengeschlechtes. Doch ist wohl zu
beachten, daß sowohl die Form des Oberkiefers als die Krümmung
des Jochbogens gleichzeitig abgeändert werden, sobald das Wangenbein
variiert. Als die edelste Fonn gilt allgemein ein schmales Gesicht, bei
dem die Wangenbeine und der Jochbogen eng an den Schädel gedrückt
sind. In einem vorzüglichen Grade besitzt diese Eigenschaft der in
Fig. 30 genau von vorn abgebildete Schädel mit schmalem Gesicht,
der einer Varietät angehört, die über ganz Europa zerstreut ist, und
die unverkennbar durch das längliche Gesichtsoval, die hohe schmale
Nase, die dünnen Lippen und die schmale hohe Stirn gezeichnet ist.
Sobald sich das Auge etwas daran gewöhnt hat, in dem Knochengerüste
die Form des Gesichtes wiederzuerkennen, tritt selbst an den fremd-
artigen umrissen jede der oben erwähnten Einzelnheiten deutlich her-
vor. Alles hilft mit, um den Gesichtsschädel hoch zu machen: die
weit geöffneten Augenhöhlen, der enge Naseneingang, nach oben be-
deckt von den Nasenbeinen, die wie ein hoher Giebel sich in einer
Kante treffen, femer die Schmalheit des Ober- und Unterkiefers, die
eng angedrückten Jochbogen und die schmale Stirn.
Die Gegensätze in der Gestaltung des Wangenbeines, des Oberkiefers
und des Jochbogens sind deutlich ausgeprägt in den Figuren 21 und 22;
bei Figur 21 treten die eng angedrückten Jochbogen und Wangenbeine
wenig hervor, bei Figur 22 sind die nämlichen Teile stark gebaucht.
Das Pflugscharbein oder kurz die Pflugschar (Vomer) ist ein Knochen,
der mit der senkrechten Platte des Siebbeins die knöcherne Scheidewand der Nase
TiMter Ähiehidit.
Iiildtl und bei iIit Bctraulitiing dea ScIiSdele von vom in dor NaiKtnöfiniin^ tiini
Vorscfmiii kommt. Er ist ein TrägRr der NaBeuBeliJeiuiliaiit. wie j^iui! oiii(Ki>illt(-i,
Knouheuplaltolien. die mwi NascnmuBclieln (Conehae) nennt.
Unterkiefer (ManMula, Fig. 27).
AlJe die bisher bespru dienen Knochen des Schädels sind fest mit-
einunder verbunden, der Unterkiefer allein ist beweglich und zwar
durch ein echtes Gelenk an der unteren Flüche des Felsenbeines.
Schon durch seine Beweglichkeit wird er zü einem der bedenluags-
voUsteu Kuochen des Gesichtes. Bei dem Sprechen, Kauen
der Mimik spielt er eine Hauptrolle. Er ist halbelliptisch gebog
Fig. 2«. Sthftdei eiues Euriniiiers v
1. älirubt^n. 2. StirngUtie.
der untere wulstige Rand stellt eine feste, überall durch die Haut hin-
durch fillUbare Grenze des Gesichtes dar.
Der obere Rand trägt IC Zähne. Hinter dem letzten Mahlzahn
steigt auf jeder Seite ein Fortsatz in die Höhe: die Aste des Unterkiefers
(Fig. 27 Nr, 2). Der mittlere bogenförmige Teil des Unterkiefers heißt im
Gegensatz zu den Asten der Körper (Pig. 27 Nr. i). Man kann sagen, der
Körper endige am Uuterkieferwinkel (Fig. 27 Nr. ii); dort geht der untere
Rand in den hinteren Hand über. Jeder Ast zerfällt oben durch einen
halbmoud form igen Ausschnitt, die Incisur, in zwei Fortsätze; der hintere
stumpfe trägt einen überknorpelten Geleukhöcker — es ist der Gelenk,
fortaatz des Unterkiefers (Procefstm condyloideiis , Fig. 27 Nt. 4)
der vordere läuft dreieckig in eine stumpfe Spitze aus. stellt eine
Spezielle Knochenlehre. 103
Insertion des Schläfenmuskels dienenden Knochenhacken dar und wird
deshalb Schläfenfortsatz (Processus temporalis, Fig. 27 Nr. 6) genannt ;
er ist bei dem Neugeborenen kaum bemerkbar. Die Sehne des Schläfen-
muskels umfaßt den Schläfenfortsatz, um den Unterkiefer mittels dieser
Hebelstange gegen die oberen Zahnreihen hinaufzuziehen.
Die Mitte des Unterkiefers, das Kinn (Menttan), fällt bald senk-
recht, bald schief nach vom herab (Fig. 27 Nr. 9). Entwickelt sich letz-
tere Eigenschaft besonders stark, so entsteht das stark vorspringende
Kinn, das den Hang zum Geiz und die Schlauheit ausdrücken soll,
besonders dann, wenn der Bogen des Unterkiefers gleichzeitig sehr eng
ist und dadurch hervortritt. Mephisto erscheint nach alter Eegel mit
spitzem Kinn dargestellt. Den Gegensatz bildet das zurückweichende
Kinn, bei dem die Richtung nach hinten (gegen die Nr. lo der Fig. 27)
abfällt. Bei solcher Form des Unterkiefers und des Kinns im besonderen
weicht die ganze Profillinie zurück, statt senkrecht von der Oberlippe
herabzusteigen; häufig kommt dabei gleichzeitig eine Verkürzung des
ganzen Unterkiefers vor. Die unteren Schneidezähne stehen bei normal
geschlossenem Mund hinter den oberen, andererseits kommt bei dem
voi'stehenden Kinn oft das umgekehrte vor, nämlich das Übergreifen
der unteren Schneidezähne. — Bei der breiten Gesichtsform Europas und
Asiens ist auch das Kinn breit. Statt eines rundlichen Höckers in
der Mitte (Tuberculum mentale) treten dann (oft 2 — 2Y2 cm voneinander
getrennt) zwei kleine auf. Durch das zwischen den beiden Kinnhöckeni
und den Wurzeln der Schneidezähne entstehende vierseitige Feld
erscheint das Kinn breit. Vom Kande dieses Feldes angefangen
laufen die Seitenteile sanft ansteigend nach rückwärts, werden etwas
niedriger, doch dafür um so dicker. In der Gegend des ersten Mahl-
zahnes (Fig. 27 Nr. 3) erhebt sich eine schief aufsteigende Leiste (Linea
obliqna), welche zum vorderen Rand des Unterkieferastes wird und
auf der Spitze des Schläfenfortsatzes endigt.
Unter dem zweiten Bac^kzahn findet sich regelmäßig ein ovales Ijoch, Kinn-
loch (Foramen mentale^ Fig. 27 in der Richtung zwischen Nr. 1 u. 9). Es ist der
Ausgang des Unterkieferkanales , der an der inneren Fläche der Aste beginnt.
In ihm verlaufen Nerven, welche teils zu d(>n Zahnwurzeln gehen, teils durch diese
Offnimg an die Unterlippe heraustreten.
Die Zahnwurzeln, welche in den Zahnzellen stecken, treiben wie
am Oberkiefer, so auch am Unterkiefer die vordere Knochenwand
etwas wulstig hervor. Dort, wo sich die schiefe Leiste (Fig. 27 Nr. 3)
entwickelt, wird eine Rinne bemerkbar, weil der ganze zahn tragende
Rand nach innen rückt und von dort aus gesehen balkonartig vorspringt.
An dem Unterkiefer ist auf den Winkel zu achten, den die Äste
bei dem Erwachsenen mit dem Körper bilden; dieser Winkel ist
104 Vierter Abschnitt.
nur etwas größer als ein rechter und daher scharf und bestimmt
Die Umgebung des Winkels ist mit starken Leisten und Eindrücken
versehen; außen sind es die Bündel von einem Kaumuskel (Meufeter),
innen jene von dem inneren Flügelmuskel, welche sich an demselben
festsetzen. Der sichelförmig gebogene Schläfenfortsatz (Fig. 27 Nr. 6) ist
meist von gleicher Höhe wie der Gelenkfortsatz (Fig. 27 Nr. 4).
Der Gelenk Fortsatz trägt einen elliptischen, flach gewölbteD Gelenk-
kopf, dessen längster Durchmesser quer gestellt ist. An der inneren
Seite ist das Köpfchen etwas ausgehöhlt, zuweilen auch rauh. Der
äußere Flügelmuskel, der wie der vorige vom Wespenbein kommt,
heftet sich in diesem Grübchen fest.
4 Gelenkhücker.
5 Incbur.
6 ScUärenfortMta.
Kinn g B-J
Unterer Kand 10 " '-- .<t " 11 Kieferwinkel.
Fig. 27. Unterkiefer von cJer Seite und etwas
Alle diese EigenBchoften gellen nur von dem Unt«rkiefci der Erwachsenen.
In der trüben Jugend und in dem hohen Alter sind viele Merkmale wesentlich
anders, wovon in den betreffenden Abacluiitten die Rede sein wird.
Das rnterklefergelenk and die Bewegangen In demselben.
Der Gelenkkopf (Fig. 27 Nr. 4) ruht in einer entsprechend aus-
gehöhlten Pfanne, die an dem Schädelgrund und zwar an dem Felsen-
teil des Schläfenbeines angebracht ist. Bezüglich der übrigen Eonstrulftion
gelten die allgemeinen Begeln, welche in dem Abschnitt über die Ge-
lenke mitgeteilt worden sind (Seite 33 u. ff.).
Als eigentümlich ist hervorzuheben, daß die Kapsel sehr weit ist
und einen vor der Gelenkpfanne liegenden Höcker (Tuherculum articu-
lare) mit in den Gelenkraum einschließt. Bei dem Olfnen des Mundes
wird der Gelenkkopf vorgeschoben, wobei er natürlich seine „Pfanne"
verläßt. Dieses Vor- und ZurUcknitschen kann man deutlich sehen
und mit aufgelegtem Finger fühlen.
Je weiter der Mund geöffnet wird, desto größer ist die Vorwärts-
bewegung des Gelenkkopfes. Bei dem Schließen kehrt er wieder an
seinen früheren Platz zurück, mit Ausnahme jener seltenen Fälle, in
denen er durch ein zu weites Aufreißen sich vor dem erwähnten
Spezielle Knoehenlehre. 105
Höcker anstemmt und nicht mehr zurilckkehren kann (sogenannte
Maulsperre; kommt bisweilen bei dem Gähnen vor oder auch bei dem
Anbeißen einer großen Birne am dicken Ende).
Die Bewegungen des Unterkiefers sind von dreierlei Art:
1. Offnen und Schließen (Schamierbewegung).
2. Gleiten nach rechts und links.
3. Gleiten nach vor- und rückwärts.
zahne.
Die Zähne des Menschen sind wie diejenigen der Tiere Werk-
zeuge zur Zertrümmerung der Nahrung. Sie gleichen Meißeln, wie
die Schneidezähne, Keilen, wie die Eckzähne, oder Stampfen, wie die
Backzähne. Jeder Zahn ragt nur mit seiner Krone in die Mund-
höhle hinein, der Hals ist von dem Zahnfleisch umschlossen, die
Wurzel steckt in einem Loch des Kiefers, der sog. Alveole, fest ein-
gekeilt, wie ein Nagel in der Wand. Die Wurzel ist umgeben von
einer dünnen Beinhaut, welche die Verbindung der Wurzeloberfläche
mit derjenigen der Alveole noch um so inniger macht. Die Zahnkrone
ist von dem Schmelz, auch Glasur oder Email genannt (Substantia
adamantina), überzogen, der entweder eine mehr gelbliche oder eine
mehr bläuliche Farbe aufweist. Der Schmelz ist die härteste Sub-
stanz, welche in dem tierischen Haushalt erzeugt wird.
Die Dicke der Schmelzschichtc menschlicher Zähne beträgt an den Kauflächen
1 mm Dicke, nimmt jedoch gegen den Zahnhals beständig ab, um endlich ganz auf-
zuhören und einer dünnen Schichte von Knochensubstanz Platz zu machen, welche
als Wurzelrinde (Crttsta ostotdes) oder als Cement die Oberfläc^he der Wurzel
überzieht
Die eigentliche Masse des Zahnes wird von dem Zahnbein oder Dentin
(Ehur) gebildet, welches eine Höhle umschließt, die Zahnhöhle. Von der Spitze
der Wurzel her fiihrt ein kleiner Kanal in das Innere, um Blutgefäßen und Nerven
den Zutritt zu jenem zähen Gewebe zu geben, das die Zahnhöhle ausfiillt und aus
bekannten Gründen in dem gt^wöhnlichen Leben als „Zahnnerv" bezeichnet wird.
Aus diesen einzelnen Teilen sind die verschiedensten Fonnen der Zähne gebaut.
Die Zähne zerfallen ihrer Gestalt nach in drei Hauptgruppen:
1) in die Schneidezähne (Bentes incisivi) mit meißelartig zu-
geschärften Kronen;
2) in die Eckzähne (Bentes angnlares), auch Hundezähne, mit
kegelförmig zugespitzten Kronen. Die Wurzeln sind besonders an den
Eckzähnen des Oberkiefers stark und lang und reichen bis gegen die un-
tere Wand der Augenhöhle hinauf, daher auch ihr Name „Augenzähne";
3) in die Stockzähne (iJentes molares) j ausgezeichnet durch ihre
behöckerten Kauflächen. Man unterscheidet die kleineren oder
108 Vi«
Vürdereu Backzähne (Bentes praemoiaren , Fig, 2" Nr. 8), zwei auf
jeder Seite, mit nur zwei stumpfen Höckeru, einem inneren und iiiuDer«ii.
und die eigentlicheu Malilzähne fiMiteic molares. Fig. 27 Nr, 7), welche
in dem Oberkiefer vier, in dem Unterkiefer fünf Höcker besitze»,
Ein gemeinschaftlicher Charakter aller Zahnkronen ist die Ah-
nahme gegen den Zahnhals hin. Deshalb berühren sich die breiten
Ränder gegen die KaufJäche zu, während gegen das Zahnfleisch I
Fig. 28. Schädel L'm«s Kweimyiiiitliclieii
Kindes vi>n vorn giraclipii uiicl wie
Fig. 29 u. 30 HO orieutiert, duB die Horl-
zuiitale durch das Sehlocli räeht.
Fig. 29. Suliädel nuca £Hthcii. Die Orin,.
tieningalinii? gi--lil dun'li die jiluilitierlF
Horinoutiilf wie \m iIpu Fijriiri-ii 28 u. 3ii
kleine Spalten freibleiben, in denen leicht Speisereste sich festsetzeu,
fllr deren Beseitigung seit alter Zeit ein kleines Insti-ument, der Zahn-
stocher, verwendet wird, den der Kulturfortschritt selbst auf die ge-
deckte Tafel stellt, während früher diese Operation nicht so driughch
erschien oder wenigatous nicht so autfalleud coram public« zu ge-
schehen pflegte.
Die oben genannten drei Hauptformen der Zähne zeigen i-egel-
mäßig noch weitere Formenunterschiede:
Die oberen Schneidezähne sind nicht alle unter sich gleich: aus-
nahmslos sind die inneren breiter als die äußeren. Sie sind hüufig
doppelt so breit als die vier unteren Schneidezähne, welche unt«
sich gläich groß sind.
Spesielle Knochenlehre. 107
In der obenstehenden Figur 26 ist dieser Größenunterschied
zwischen den inneren und äußeren Schneidezähnen des Oberkiefers
deutlich zu erkennen. Ebenso ist die Gleichmäßigkeit der unteren
Schneidezähne hinreichend bemerkbar.
Von den Eckzähnen wurde schon bemerkt, daß die oberen
stärker und länger sind, als die unteren. Die Kronen der Eckzähne
überragen im allgemeinen die der anderen Zähne nicht nur an Länge,
sondern treten auch noch aus der Reihe etwas heraus.
Fig. 30. Schädel eines alten Mannes.
Was die Mahlzähne betrifft, so ist die Krone des ersten großen
Mahlzahnes (Molar 1) überhaupt am größten, kleiner ist jene des
zweiten, am kleinsten die dritte. In der jüngsten Zeit will man
beobachtet haben, daß l)ei den Kulturmenschen der dritte Mahlzahn
oder der Weisheitszahn sehr oft in der Entwickelung wegen Raummangel
ausbleibe. Die Kiefer sollen immer kleiner werden, und man hat schon
berechnet, daß in nicht mehr allzu ferner Zeit den Europäern der Weis-
heitszahn abhanden gekommen sein werde. Wir wollen im Interesse un-
serer Nachkommen hoffen, daß diese Propheten falsch ge weissagt haben.
Die Zahl der bleibenden Zähne beträgt 32. Jeder Kiefer trägt 16.
Berücksichtigt man die Unterschiede, welche eben erwähnt wurden,
und setzt die Anfangsbuchstaben der lateinischen Benennungen vor
die Zahl der betreffenden Zahnart, so läßt sich sowohl fiir den Men-
schen als für die Tiere eine Zahnformel aufstellen, welche für die
bleibenden Zähne des Menschen aller Rassen folgendermaßen lautet:
t-^.c--.pm -.m ^=62.
108 Vierter Abschnitt.
Die unter dem Strich stehenden Zahlen betreffen die Zähne des
Unter-, die über dem Strich jene des Oberkiefers.
Diese bleibenden Zähne brechen vom 7. bis 20. Lebensjahr in
ziemlich bestimmter Reihenfolge hervor.
In dem kindlichen Alter wird ihre Stelle von 20 Milchzähnen
(Dentes lactei) eingenommen, welche sich von den bleibenden durch
geringere Größe unterscheiden. Unter diesen Milchzähnen sind die
8 Schneide- und 4 Eckzähne den bleibenden Zähnen der Erwachsenen
hinsichtlich der Gestalt ihrer Kronen ganz ähnlich. Die 8 Milch-
backenzähne folgen auf die Eckzähne und nehmen die Stellen der blei-
benden vorderen Stockzähne ein, von welchen sie später verdrängt werden.
Ihre Kronen gleichen denen der großen Mahlzähne der Erwachsenen.
Die Entwickelung des Gebisses ist auf die Form des Gesichts-
schädels von großem Einfluß. Schon das vollendete Milchgebiß hat
das ganze Antlitz des vierjährigen Kindes im Vergleich mit jenem des
einjährigen wesentlich geändert. Es ist nicht allein um die Zahn-
kronen länger geworden, sondern auch um die in den Zahnfortsätzen
des Ober- und Unterkiefers steckenden Zahnwurzeln, wie sich denn
überhaupt die Zahnfortsätze erst mit der Entwickelung der Zahnwurzeln
ausbilden.
Obwohl die Natur in den frühesten Perioden der Entwickelung
(schon um das Ende des zweiten Monates, also noch innerhalb des
Mutterleibes) mit der Anlage der Zähne beginnt, so wird sie doch
damit so spät fertig, daß erst im sechsten oder siebenten Monate
nach der Geburt die inneren Schneidezähne des Unterkiefers durch-
brechen, welchen bald jene des Oberkiefers folgen. Bei Neuge-
borenen sind zwar sämtliche Zähne bereits angelegt, aber nur die
Milchzähne sind schon so weit in der Entwickelung vorgeschritten,
daß sie die vordere Kieferwand aufblähen und so ihren Sitz verrathen
(Fig. 28). So gleicht der ganze Unterkiefer bis gegen den sechsten
Lebensmonat mehr einem gebogenen Stäbchen, das niedrig und rundlich
ist, und dessen kurze Fortsätze dicht an der Grundfläche des Schädels
sitzen und von dem Wangen- und Jochbein nahezu verdeckt werden.
An dem Oberkiefer ist die geringe Höhe Aicht minder auffallend.
Obwohl die sog. Zahnsäckchen auch äußerlich schon ziemlich stark
bemerkbar sind nach dem dritten Lebensmonat, so springt der Ober-
kiefer doch nur wenig über die Fläche des harten Gaumens hervor,
und die Höhe des Gesichtes ist außerordentlich gering im Vergleich
zu der mächtigen Entwickelung der Stirn in die Höhe und Breite
(Fig. 28). Das ganze Antlitz ist von oben nach unten wie zusammen-
gedrückt. Der eigentliche Kauapparat nimmt im Vergleich zu dem
Gesicht des Erwachsenen noch einen minimalen Teil ein.
Spezielle Knochenlehre.
109
Der bedeutende Einfluß der Zahnbewaffnung auf den ganzen Ge-
sicbtsschädel tritt am besten durch die obige Nebeneinanderstellung
der Fig. 28, 29 und 30 hervor.
Die drei Schädel sind in derjenigen Horizontalebene, welche
von der Mitte der Ohröffnung zu dem unteren Rand der Augenhöhle
(bei der Betrachtung von der Seite) läuft, gezeichnet und so eingereiht,
daß eine ideale, quere Achse durch die Mitte der Sehlöcher (Foramina
optica) gezogen wurde. Die Schädel sind auf die gleiche Größe re-
duziert. Man nimmt sofort wahr, daß, abgesehen von der Höhe der
Augenhöhlen und der Nase, die Zunahme des Gesichtes wesentlich auf
die Entwickelung der Zähne zu setzen ist. Die Zahnwurzeln be-
dürfen zu ihrer Befestigung eines beträchtlichen Raumes, der, von dem
Boden der Nasenhöhle (Fig. 29 c) aus gerechnet, die Anlage des Zahn-
fortsatzes an dem Oberkiefer bedingt, ebenso wie an dem Unterkiefer
m' •■<
Fig. 31. Gresicht einer 90jährigcn Frau Fig. 32. Dtiäselbc Gesicht von der Seite,
von vom.
ein ganzes Stockwerk auf den schon in Fig. 28 vorhandenen Knochen
gesetzt wird, um genügenden Platz für die Fächer zu schaffen, welche
die Zahnwurzeln umfassen sollen. Durch dieses Stockwerk wird die
Ecke des Unterkiefers (Fig. 29) mehr und mehr von der Schädelbasis
weggedrängt, und so entstehen allmählich die Unterkieferfortsätze,
welche bei dem Erwachsenen lang und steil in die Höhe steigen. Je
mehr die Zähne und damit die Muskeln thätig sind, desto massiger wird
der ganze Unterkiefer, und desto vorspringender werden die Winkel.
Alles dies schwindet in dem Greisenalter. Mit dem Verlust der
Zähne verlieren sich an dem Ober- und Unterkiefer die Alveolarfortsätze.
der Gaumen wird Hach wie bei dem Kind und der Unterkiefer zu einer
nur fingerdicken Spange zurückgebildet (Fig. 30); der Kieferwinkel
verliert seine scharf geprägte Form, und wird durch den Muskeldruck
stumpf gemacht. Der mittlere Teil des Bogens rückt dadurch soweit
nach vom, daß der Unterkiefer sich verlängert und den Oberkiefer
weit überragt.
110 Vierter Abschnitt. Spezielle Knochenlehre.
Bei dem Schluß des Mundes ist dies ganz besonders auffallend,
die Kinnspitze wird nach vom geschoben (Fig. 82), die Lippen geraten
zwischen die zahnlosen Kiefer und der Mund wird zu einer Spalte,
der jede Umsäumung durch rote Ränder fehlt (Fig. 31). Die beiden
Abbildungen zeigen übrigens noch nicht den höchsten Grad dieser
Verkürzung des unteren Gesichtsdrittels, denn die Form der Unter-
lippe zeigt deutlich, namentlich bei Fig. 32, daß noch ein Paar
Schneidezähne erhalten waren, welche ihr erfolgreich zur Stütze
dienten.
Das Gesicht wird also durch das Verschwinden der Zahnkronen
und der Zahnwurzeln wieder klein, d. h. wieder ähnlich demjenigen
des kindlichen Alters, und zwar ebenso wie in Fig. 30 vorzugsweise in
dem unteren Drittel, während die Stirn und der Schädel ihre
frühere Größe behalten.
Die Stellung und Eichtung der Zähne, welche in den vorhergehenden Be-
merkungen als die europäischem Schönheitssinn entsprechende Ausbildung des
Kauapparates dargestellt wurde, erfährt durch Natur und Kunst sehr bedeutende
Abweichungen. Bei Europäern sowohl, wie bei den Einwohnern anderer Kontinente
stehen die oberen Schneidezähne oft schief, so daß sie von den Läppen nicht mehr
bedeckt werden. Im höchsten Grade ist dies der Fall bei den schiefzähnigen MeU-
nesiem. Statt vier Schneidezähnen stecken bei ihnen in dem Oberkiefer oft nur die
zwei inneren, und diese sind dann durch Lücken von den anderen getrennt Bei den
Bcwohneni der Admiralitätsinseln finden sich neben der extrem schiefen Stellung gleich-
zeitig enorm vergrößerte Vorderzähne; sowohl die des Ober- als die des Unterkiefers
bilden eine Art von Kauplatten. Die Zahnkrone einzelner Schneidezähne mißt über
2 cm Länge und 1,5 bis 1,9 mm Breite und über 1 cm Dicke und stellen so wahre
Zahnimgeheuer, wenn mau menschlichen Maßstab anlegt, dar. (Miclücho-Macxay,
Über die großzälmigen Melanesier. Verhandlungen der Berliner anthropologischen
Gesellschaft in Zeitschrift f. Ethnologie. 1877. Sitz. v. 16. Dez. 1876. Mit Tafel
XXVI, auf welcher einige Porträts zu sehen sind.) — Bisweilen ist ein Teil der Zahn-
reihe doppelt, Melanchthon und Ludwig XIII. hatten z. B. 8 Schneidezähne im
Oberkiefer. Bei Herkules soll der Sage nach die ganze Zahnreihe doppelt ge-
wesen sein. Das Lehrbuch der Anatomie des Menschen von J. Htbtl, 15. Aiiflage,
Wien 1881, führt die wichtigsten Varietäten der Zähne auf.
Die Kunst feilt die Schneidezähne spitz zu (Neuholländer). Der Verlust der
Schneidezähne fällt unangenehm in die Augen, imd sie werden deshalb am häufigsten
duK'h künstliche Zähne ersetzt. Schon Martial geißelt den Betrug der Römerinnen
mit künstlichen Zähnen. Noch älter ist die Kunst, Zähne durch eine Plombe
vor dem gänzlichen Ruin zu schützen. Die ägyptischen Mumien sind Belege, daß
diese Seite der Zalinheilkundc schon im Altertum mit Erfolg geübt wurde.
Fünfter Abschnitt. Knochen des Stammes. Hl
Fünfter Abschnitt.
Knochen des Stammes.
Knoehen des Stammes.
Die knöchernen Teile der Brust und des Beckens. Die Wirbelsäule. Bewegungen der
Wirbelsäule. Bewegung des Brustkorbes. Der Tod und seine Wirkung auf die Form
des Thorax.
Die Enocheii des Stammes ordnen sich zu vier Gruppen. In dem
Hals und der Lende bilden sie eine kurze, aber bewegliche Säule, in
der Brust und Hüfte entstehen durch verschieden geformte Spangen
und Platten der Brustkorb (Thorax)^ und das Becken (Pelvis),^
Alle diese Abschnitte haben eine Art von Knochen gemeinsam,
nämlich die Wirbel (Vertebrae), Sie sind zu einer Beihe aneinander-
gefügt, welche sich von dem Kopf bis zu dem Kreuzbein ununter-
brochen erstreckt und als Wirbelsäule (Columna vertebralis) be-
zeichnet wird. Sie ist die Hauptstütze des Stammes, auf der oben
der Schädel balanciert.
Am vollendetsten springt der Charakter der Wirbelsäule als einer
gegliederten Kette bei Fischen und geschwänzten Amphibien in die
Augen. Bei den Vögeln und den Säugetieren wird dieses Bild durch
manche Zuthaten verdeckt; erst nach gänzlicher Isolierung wird die
gegliederte Säule deutlich erkennbar. Sieben Wirbel gehören bei
dem Menschen dem Halsteil des Stammes, zwölf dem Brustteil und
fünf dem Lendenteil an.
Bei Skeletten von jugendlichen Individuen laftsen sich sämtliche Wirbel,
33 an der Zahl, voneinander trennen, sobald der Knorpel, der sie vereinigt, durch
Fäulnis zerstört ist. Beim Mann dag<>gen sind 9 durch festen Knochenkitt unter-
einander verwachsen: fünf sind zum Kreuzbein geworden, das mit den Hüft-
knochen das Becken bildet, vier stellen das Steißbein dar, dajs spitze Ende der
* Thorax ist bei Homer eine Rüstung, welche die Brust und den Bauch be-
deckt. Bei Plato winl dieses Wort auf die Brust beschränkt.
' Nur in der plastischen Anatomie darf das Becken zu dem Stamm gerechnet
werden. In Wirklichkeit gehört es weit mehr zu der unteren Gliedmasse, ebenso
wie das Schulterblatt zu der oberen. Das zeigt sich in augenscheinlicher Weise bei
der Verkümmerung oder dem gänzlichen Mangel der Beine, namentlich ))ei den
Tieren. Dann unterliegt auch das Becken einer Eückbildung. So wird es bei den
Walfischen durch zwei sowohl unter sich, als auch von der Wirbelsäule ge-
trennten Knochen dargestellt, welche überdies nur rudimentäre Scham -Sitzbeine
vorstellen.
Fig. 33.
Obere Skeletthftlft« riitcs Hhiuk«,
von der Seite geseheu. ' , dtr
nat Größe.
eb Scheitelliiüe.
cd Ohr-Kuenatachel-Iiuie.
ef OberM Ende dea Bnutkocbt*.
efik ZvM Quadrate, welche mit dm
Reehleekeo
fgih dem Bniitkorb begrenieii.
TW liaie iwischea StelSbeinipitu
und oberem Band der Scbim-
fuge — RoriloiitalUnie.
D Domfortnltie der mrbel.
H Hüftbein.
O Ellbogen.
B— B" Die iwölf mppen.
Bh Groller Bollhügel.
Seh Schwerpnnktlinie.
" 1 Drehungipunkt dei KopTei.
" 4 t Linie lu der SchainbeinfugF,
de leigt mit der HorlaonUl»
TW den Neignn^vinkel dn
"11
I>> Erster Bmitwirbel.
IUI Dritter Lendenwirbel.
Vllb Siebenter Halswirbel.
K(M«heii dea StMnma.
113
Wirbelgftulc. M»d hat diese 9 Wirbel deshalb auch fAlsche Wirbel genannt. Die
abrifrpR 24 Wirbel lassen sich an der Leiche durch das Mcsaer dw Anatomen oder
durch (ins zwar langsamer, aber überall zerstörende Messer der Natur, die Zer-
Betzunp, vollständig trennen, und man nennt sie deshalb auch die wahren Wirbel.
Wie Vertebra mit verlere, so hängen die Wirbelbeine mit wirbeln (im Kreise
drehen) zusammen, und wir sprechen daher von Waaserwirbcln , Rauchwirbehi,
Haarwirbeln — Scheiteln, wo die Haare im Kreise stehen).
t Wirbel.
Jeder Wirbel stellt einen Ring oder einen niedrigen Cylinder dar,
dessen einzelne Ränder mit verschiedenen Auswüchsen versehen sind.
Gelenlcfortwti oben.
Gelenkfartratu nnteo.
i Gespaltener Domfartsati.
Fig. 34. Fünfter Halswirbel von oben und hinten.
Jeder Wirbel umgrenzt eine OflFnnng, das Wirbelloch (Foramen
vertebrale, Fig. 34 and 35 Nr. 3). Der nach seiner Lage vordere Teil
des Wirbels ist dick, und zu einer kurzen Säule, dem Körper
(Corptu vertebrae, Fig. 34 und 35 Nr. l), entwickelt. Jeder Wirbel-
körper besitzt vier Flächen — eine hintere konkave, die nach dem
i Qoerfertsati.
Querfortutxloch ;-
K Gelenlcfortaätze.
( Qespaltmcr Domfortssti.
Fig. ari. Fünfter Halswirbel
Wirbelloch hinsieht, eine vordere, nach der Leibeshöhle gekehrte —
sie ist von einer Seite zur anderen konvex, von oben nach uuten
konkav. Die letztere Form ist besonders ausgesprochen in dem Brust-
und Lendenabschnitt; dadurch sehen die entsprechenden Ränder des
Körpers aus wie von einem wulstigen schwach vorspringenden Band
umsäumt (Sanduhrform). Die obere und untere Fläche endlich ist
central etwas ausgehöhlt, damit die Yerbindungsmasse, der Zwischen-
knorpel (Cartilago mtervertebralit), um so fester hauten könne.
Der übrige Teil des Wirbels heißt Bogen (Arcus, Fig. 34—36 Nr. 2).
114
Fünfler Abschnitt.
Der Bogen entspringt niedrig vom oberen Rande des Körpers und schickt
sieben Fortsätze aus, welche entweder zur Verbindung der Wirbel
untereinander, Gelenkfortsätze (Fig. 34 — 36 Nr. 4), oder zum Ansatz
von Muskeln dienen, Muskelfortsätze (Fig. 36 Nr. 5 u. 6). Jeder weiß,
daß die Wirbelsäule einen bedeutenden Grad von Beweglichkeit besitzt
Jeder Wirbel kann sich nämlich mittels der Gelenke und der elastischen
Bänder auf seinen Nachbarn verschieben, sobald die Muskeln, welche
an ihnen befestigt sind, sich verkürzen. Drei Fortsätze sind filr
Muskelinsertionen bestimmt. Der eine ist unpaar und wächst von der
Mitte des Bogens nach hinten; es ist der fär den Künstler wichtigste:
der Dornfortsatz (Frocessns spinosus), weil er in der Mittellinie des
Rückens sehr häufig gesehen und stets gefühlt werden kann (Fig. 34—36
Nr. 6); die beiden anderen, die Querfortsätze (Processus transveni,
Fig. 34 — 36 Nr. 5), sind paarig, entspringen teils vom Bogen, teils vom
Obere Ripponpfanne Ob<»rer Gelenkfortsotz.
OlKTe Fläche des Körpers 3 7 ^
Körper 1
Bogen.
— i Querfortsatx.
"8 Querfortsatzpfaiine.
- fk' Unt. GelenkforUatx.
- € Domfortsatz.
Untere Fläche des Körpers 3' 7'
Untere Ripi>eni)fanne
Fig. 36. Brustwirbel im Profil.
Körper, und erstrecken sich kürzer oder länger seitwärts. Sie sind
an den Brustwirbeln zugleicli die Stützen der Rippen.
Die Gelenkfortsätze der Wirbel vermitteln die Beweglichkeit
zwischen den Bogen. Es giebt zwei obere und zwei untere (Processus
articulares superiores et inferiores^ Fig. 34 u. 35 Nr. 4), welche die Gelenk-
verbindung mit dem nächst liöheren und nächst tieferen Wirbel vermitteln.
Die erwähnten Eigentümlichkeiten eines Wirbels erleiden jedoch
nach der Stelle, die er einnimmt, beträchtliche Abänderungen. So
nimmt der Körper vom dritten Halswirbel bis zum letzten Lenden-
wirbel nach Höhe und Breite beständig zu, entsprechend- der Last,
welche die untersten Wirbel zu tragen haben. Auch die Form der
Körper ist nicht immer dieselbe. An den Halswirbeln ist sie würfel-
fönnig und die vordere Fläche mehr glatt; aber schon bei den oberen
Brustwirbeln tritt eine stärkere Wölbung auf, die bis zu den unteren
Brust- und Bauchwirbeln immer mehr zunimmt. (Vergleiche Fig. 34 — 36
Nr. i und gleichzeitig die Figur 83.)
KDoehen <l«i StsmiDcs.
115
a. Die Halswirbel und die Bewegung dea Kopfes.
Die Halswirbel (fertebrae colli), siebeu an der Zalil, bilden eine
kurze Säule, auf deren oberem Ende der Scbädel sitzt; sie ist nicbt
Tollkommen gerade, sondern nach vom etwas konvex, jedoch nicht so
stark, als die Konkavität des Nackens vermuten läßt, denn diese wird
zn einem großen Teil hervorgerufen durch die Kleinheit der oberen
Domfortsätze und das vorspringende Hinterhaupt (Fig. 33). Diese an
und fttr sich schon vorhandene Konkavität wird stärker, wenn sich
der Kopf rückwärts krümmt, wodurch die Kouvexität der Hals-
wirbelsäule vorne naturgemäß gesteigert wird.
Die Halswirbel sind leicht an ihren durchbohrten Querfortsätzen
(Fig. 34 und 35 Nr, a) zu unterscheiden; dieses Loch (Foramen tram-
Vordere« Ende
Gnumen
JochbogcD )
Ke FlOgtlfortüU« It
Hinlerhauplalwin W
Fig. 37. Sohädcl vo» unten gescht
verMarhtm) bildet an den ilbereinaodergetünnten Halswirbeln links und
rechts einen Kanal, durch den, vom sechsten Halswirbel angefangen,
eine starke Schlagader zumUehirn passiert, vor jedem Druck geschützt
durch die knöchernen Abteilungen ihrer Bahn.
Die Dornfortsätze sind mit Ausnahme des ersten gabelförmig
in zwei Zacken gespalten (Fig. 34 Nr. o), die am dritten und vierten
Halswirbet ungemein auseinanderweichen, weiter abwärts jedoch sich
wieder nähern , so daß der siebente Halswirbel einen rundlichen
Knopf trägt. Der Domfortsatz des sielienten Halbwirbels ist Überdies
weit länger als der der Qbrigen und ist deutlich als der höchste Punkt
des Nackens sichtbar. Zieht man von dieser Stelle eine gerade Linie
nach vorn, so trifft sie bei gerader Haltung 5 cm über dem Brustbein-
ausschnitt die Haut. Vei^leiche die Fig. 33 vrih.
110 Fünfler Abschnitt.
Der Kopf ist durch überraschend geformte Gelenke mit der Wirbel-
säule beweglich verbunden. Er selbst hat zu beiden Seiten des großen
Hinterhauptsloches zwei Gelenkhöcker (Processus condyloidei, Fig. 38
Nr. 13), die mit Knorpel überzogen sind, und durch eine Gelenkkapsel
auf entsprechend gehöhlten Pfannen des ersten Halswirbels aufsitzen.
Dieser erste Halswirbel (AÜas) hat wie der zweite, der Zahnwirbel
(Upistropheus) j eine von der oben beschriebenen gemeinsamen Form
abweichende Gestalt.
Der erste Halswirbel oder Atlas^ (Fig. 38) ist ein unregel-
mäßiger Eing, dem der Körper fast fehlt (Fig. 38 Nr. i), und der nur
einen verkümmerten Domfortsatz besitzt (Fig. 38 Nr. 2); an der Stelle,
wo die Querfortsätze entspringen, trägt er an seiner oberen Seite
zwei länglich schüsselformige, mit Knorpel überzogene Vertiefungen
(Fig. 38 Nr. 4), welche die Gelenkhöcker des Hinterhauptsbeines
aufnehmen und daher Hinterhauptspfannen heißen. An der unteren
Seite finden sich ein paar ähnliche Gelenkpfannen, aber viel flacher
und nahezu kreisrund. Sie nehmen die entsprechend konvex ge-
krümmten Gelenkflächen des zweiten Halswirbels, des Zahnwirbels
(Fig. 39 Nr. 4), auf. Dieser Wirbel besitzt einen deutlich geformten,
wenn auch noch kleinen Körper, der aber auf seiner oberen Fläche
durch einen zapfenförmigen Fortsatz, den sog. Zahn (Processus odan-
toideus, Fig. 39 Nr. i), ausgezeichnet ist. Der Domfortsatz (Fig. 39 Nr. 6)
des zweiten Halswirbels ist vollständig entwickelt und wie an den
meisten Halswirbeln gespalten. Seitlich befindet sich der durchbohrte
Querfortsatz (Fig. 39 Nr. 5).
Die Verbindung dieser beiden Halswirbel untereinander und mit
dem Hinterhaupte geschieht durch Kapseln und Bänder, wie bei jedem
anderen jfreien Gelenke, also nicht durch zähe Knorpelscheiben, welche
die übrigen Wirbel aneinanderheften.
Die Bewegungen des Kopfes geschehen auf zweierlei Weise: durch
Beugen und Strecken (Nicken), und Drehen nach rechts und links.
Diese Bewegungen geschehen also nicht in einem einzigen Gelenk,
sondern sind auf die zwei ersten Halswirbel so verteilt, daß die Nick-
bewegung zwischen Hinterhauptsbein und dem ersten, die Drehung
zwischen Atlas und dem zweiten Halswirbel erfolgt. Der mechanische
Vorgang ist dadurch folgender geworden:
Beugung und Streckung werden in dem Gelenk zwischen Hinter-
haupt und Atlas und bis zu einem Winkel von 45^ ausgeführt
Stärkere Beugebewegungen, wobei der Kopf vom bis auf die Brust
' Den ersten Halswirbel Atlas zu nennen, war ein poetischer Einfall; der
erste Anatom, welcher den Himmelsträger in die Anatomie einfiihrte, war Yesal.
Knochen dea StamiiMB. 1J7
oder rückwärts bis in den Nacken hinabsinkt, können nur durck die
Hitbewegung der ganzen Halswirbelsäule geschehen.
Die Drehung dea Kopfes nach rechts und links geschieht zwischen
Atlas und Zahnwirbel. Nimmt man die Stellung, bei welcher das Gre-
sicht gerade nach vorwärts gerichtet ist, als die Ausgangsstellung an,
Fig. 3S. Atlas von oben.
Bo vermag der Eopf zwischen den beiden ersten Wirbeln (Fig. 40
A n. E) nach jeder Seite 25 — 30<*, also zusammen 50 — 60" Drehung
auszufahren. Um den Gang dieser Bewegung zu sichern, ist zwischen
Atlas und Zahnwirbel > eine besondere Art der Führung hergestellt,
welche jede Unsicherheit und jede damit verbundene Gefahr fUr
das KUckeumark unmöglich macht. Der Zahn (Fig. 39 Nr. i] ruht
^ "JZnlirifortsat;!.
Ober« Gelenkfllche fc f^StttÜ^^^^l " '^^™ GelenkHäche.
QuerfortBstE i- ■■- J V^^^^J^ i Querfortaali.
Wirbdloch 3 '^^*\^"tlJ^ ' Boeeii
y^ * Oespaltener Domrortwti.
Pig. 39. Epistropheus von oben und hinten gesehen.
in einer geglätteten Aushöhlung des vorderen Atlaabogens (Fig. 38
Nr. 3) und ein starkes quergespanntes Band hält ihn in dieser Lage
fest. Andere Bänder gehen von seiner Spitze nach aufwärts zur
Mitte des vorderen Randes und an die Seiteoränder des großen
Hinterhanptsloches und sichern den Qang so vollständig, daß die
Bewegung des Schädels nach allen Richtungen rasch und sogar sehr
energisch ohne Gefahr ausgeAkhrt werden kann. Der Zahnfortsatz ist
die sichernde Achse, um die sich der Atlas mitsamt dem Schädel dreht.
' Der Name Epittropheut von str^hö, ich drehe, fUr den zweiten HftiBwirbel
ist gänEÜch falsch, weil nicht er aich dreht, Bondem der erstem dennoch darf der
alt hergebrachte und in allen Handbüchern vorkommende Ausdruck nicht ohne
weiteres beseitigt werden.
US
Fünfter Abadmitt.
Von welcher Bedeutung der sichere Gong sei, ersieht man sehr bald au <kii
Folgen, welche das Losreißen der Wirbel voneinander, die LuiatioD dea Zahnjort-
satzes durch starkes und plötzliches Niederdrücken dra Kopfes gegen die Brust, odn
ein Sturz nach sieh zieht Hoch ohcn an dem Rtlckenniark entspringen die wich-
tigsten Nerven für das Herz und die Lungen. Beißt nun der ZahnfbrtsatE ia
Atlas von seinen Bändern los, so treibt ihn die Gewalt in den RückeDmarkstraDg
hinein, dessen Zerstörung den sicheren, meist augenblicklichen Tod nach sich liehL
J. L. Petit hat behauptet, daÖ beim Tode durch Erhcnken eine Verrenkung des
Ob.Gelenka.d.At]Bs(Praane) 3 .
Obere Gelenkfllcbe des
EpistropheuB
Querfortsatc E
ZahoibrUatc
Querforts, d. beid. Witbd.
Bogen de* EpUtrapheua 1 C Bogen an Epistropheo*.
Fig. 40. Atlu und Drehwinkel.
A Alias. E Eiüatropheiu.
Zahnes nach hinten jedesmal eintrete, wenn, um die Dauer des Todeskampfes ta
kürzen, gleichzeitig an den FüBen gezogen, also zur Last des Körpers noch ria
bedeutendes Gewicht hinzugefügt wird, oder wenn sich der Henker, wie in Frank-
reich vor Eiufiihrung der Guillotine, auf die Schultern des Delinquenten schwinge
und dessen Kopf mit beiden Händen nach unten drttcke.
I>. Die Brustwirbel.
Die zwölf Brustwirbel sind die Träger der Rippen, jener
elastischen Spangeu, welche in Verbindung mit dem Brustbein den
Obere Bippenpfknne 1 I Oberer Gelenkrorlsalz.
Obere PtSche des Körpen 3
Unt. OetenkfoTtaatc.
Dornfortsatz.
Untere Flache da Körpers 3' 'V
Untere Rippeupfanne |
Fig. 41. Brustwirbel im Profil.
Brustkorb zusammensetzen. Jeder Brustwirbel besitzt deshalb an
seinem Körper zur Verbindung mit den Rippenköpfeu eine Uberknor-
pelte Gelenkfläche, die Bippenpfanne (Fossa costalü, Fig. 41 Nr. 7).
Knochen des Stamme«. 119
Je nach dem Stand der Rippe beteiligt sich an der Bildung der Pfianne
aucli noch der untere Bund des diirUberlicgenden Wirbels und die
zwischen beiden belindliche KiiorpeiRcheibe.
Die Querfortsätze (Fig. 41 Nr. 5) Kind nur an den oberen acht
Brustwirbeln lang und stark, bis zum zwölften werden sie immer
kleiner. Ihre Richtung gebt etwiiis nncli rückwärts. Auf den Spitzen
der Querfortsätze, und zwar an der Vorderseite, sitzt eine schwach
vertiefte, Überknorpelte Gelenk fluche, die Querfortsatzpfanne (Foi>»a
transv^rsalis, Fig. 41 Nr. e). Die hintere Fläche der Querfortsätze zeigt
eine Rauhigkeit, den Angriffspunkt für einzelne RUckenmuskeln. Die
Dornfortsätze stehen nur am Anfang und Ende der Brustwirbelsäule
gerade nach rückwärts, in der Mitte sind sie nach abwärts geneigt
(Fig. 4,1 Nr. e), so daß sie sich sogar dachziegelfbrmig decken.
c. Die Lendenwirbel.
Die Lendenwirbel haben einen mächtigen Körper und einen
starken Bogen, von welchem dicke Gelenkfortsätze mich oben und
■,l Gc^lenkforUätie.
i DurnrortaSUe.
Zwiachcnwirbflband ]
Zwiachrn Wirbel band I_^
Fig. 42. Fünf Lendenwirbel, diircli die ZwiachenwirbelDvIieilwn verbunden,
im Profil.
unten abgehen {Fig. 42 Nr. 3). Nicht minder stark sind die hohen
und langen Domfortsätze (Kig. 42 Nr. 5), welche wie .jene der Hals-
wirbel gerade nach rückwärts stehen und deshalb hei mageren Per-
sonen schon bei aufi-echter Stellung zu sehen bind; bei gekrümmtem
120 Fünfter Abflchnitt.
Rücken wird ihre ganze Reihe sichtbar. Im Gegensatz zu diesem kräf-
tigen Bau, wozu noch an der Grenze zwischen dem oberen Gelenkfort-
satz und dem Querfortsatz ein paar stumpfe Höcker zum Ansatz der
Rückenmuskeln kommen, sind die Querfortsätze schwach und machen
mehr den Eindruck verkümmerter Rippen.
d. Das Kreuzbein (Os sacrutn).
Diesen Namen tragen fünf im reifen Körper untereinander verwach-
sene Wirbel, Das obere breite Ende dieses Knochens schließt sich an
den letzten Lendenwirbel an, das untere verbindet sich mit dem schma-
len Steißbein. Mit seinen Seitenrändem sitzt das Kreuzbein wie ein-
gekeilt zwischen den beiden Hüftbeinen. Es ist dabei schaufeiförmig
gekrümmt; die hohle Fläche sieht nach dem Becken, wodurch dort
mehr Raum entsteht, und die gekrümmte kehrt sich nach hinten. Am
Lebenden verschwindet das Ende der hinteren Fläche mit dem Steiß-
bein in der Tiefe der Gesäßspalte. Über die Mitte der hinteren Fläche
läuft ein Kamm (Crista sacralis media), auf dem drei, oft auch vier
längliche Höcker deutlich hervorragen; es sind die Reste der Dom-
fortsätze, die auch am Lebenden wiederzufinden sind, obwohl Sehnen-
streifen und die darüberliegende Haut die Schärfe der Erscheinung
bedeutend mindern.
Der fünfte Höcker des letzten Ejreuzwirbels fehlt und statt dessen
findet sich ein Spalt, der bei manchen Menschen sich oft hoch hinauf
erstreckt; er heißt: Kreuzbeinausschnitt (Fig. 2 S. 28), und bezeichnet
das spaltförmige Ende des Wirbelkanales, das beim Lebenden durch
feste Bandmassen und Membranen dicht verschlossen ist.
Auch Reste von Querfortsätzen findet man als kleine Hügel am
Rande jener Löcher, welche das Kreuzbein so auffallend auszeichnen
(Fig. 2 S. 28 und Fig. 33 S. 113).
Diese Löcher führen in den Wirbelkanal, d. h. zunächst in den
Kreuzbeinkanal (Canalis sacralis). Ein Teil der vom Rückenmark
entspringenden Nervenäste liegt in ihm, verläßt aber durch diese
Oflfhungen den geschützten Ort, und die isolierten Stränge begeben sich
zur Haut und den Muskeln des Schenkels. Das Kreuzbein bietet eine
Menge von Verschiedenheiten dar, von denen hier jedoch nur der eine
wichtige Unterschied der beiden Geschlechter erwähnt werden soll: das
weibliche Kreuzbein ist breiter, kürzer und gerader als das männliche.
Das Ende des Kreuzbeins steht mit dem
Steißbein in Verbindung (Os coccygis), das, wie schon erwähnt,
aus vier verkümmerten Wirbeln besteht; die Ringform ist bei diesem
schwanzförmigen Wii'belanhauge völlig verschwunden, nur das erste
Knochen des Stammes. 121
Stück des Steißbeins hat noch Andeutungen von Querfortsätzen und
Gelenkfortsätzen. Die übrigen Wirbel sind zu rundlichen Knochen-
scheibchen zusammengeschrumpft.
Betrachtung der Wirbelsäule als Ganzes.
Die Wirbelsäule ist nicht gerade, sondern schlangenförmig ge-
krümmt, und zwar so,, daß der Halsteil nach vorn konvex ist, der
Brustt^il nach hinten, der Lendenteil wieder nach vom, das Kreuz-
bein mit dem Steißbein nach hinten (vergl. die Linie Seh Fig. 33).
Am Übergang des Lendenteils in das Kreuzbein ist ein am fünften
Lendenwirbel besonders hervorragender Punkt, den man Vorgebirge
(Promontorium) nennt. Die Krümmungen der Wirbelsäule ent-
wickeln sich erst deutlich mit dem Vermögen des Kindes aufrecht zu
stehen, bei Neugeborenen sind sie noch kaum sichtbar. Im höheren
Alter verliert die Wirbelsäule ihre eleganten Krümmungen, denn die
früher in hohem Grade elastischen Zwischenwirbelscheiben werden spröde.
Am frühesten zeigt sich diese Sprödigkeit an dem Brustabschnitt.
Die starke Krümmung des Rückens bleibt bei Leuten, welche sich
beim Arbeiten anhaltend über ihren Gegenstand beugen, auch während
der Ruhe; bei Greisen, deren Rücken in eine einzige Bogenki-ümmung
übergeht, fällt der Senkrücken, als Zeichen der Gebrechlichkeit, deut-
lich in die Augen; der Kopf sinkt alsdann gegen die Brust, und der
Blick ist zur Erde gerichtet.
Die Wirbelsäule durfte bei der aufrechten Stellung des Menschen
nicht vollkommen geradlinig geformt sein. Die nach bestimmten Regeln
angebrachten Krümmungen schwächen den Stoß, der wie beim Sprung
von unten auf wirkt, bedeutend ab, weil er größtenteils innerhalb
der Krümmungen durch die Steigerung derselben verloren geht. Bei
Tieren, deren Rumpf auf den vier Beinen ruht, sind deshalb die
Krümmungen viel geringer, ja bei manchen fehlen sie fast vollständig.
Die nach hinten konvexen Krümmungen vergrößern beim Menschen
überdies den Rauminhalt der vor ihnen liegenden Höhlen der Brust
und des Beckens. Die nach vorn konvexen Krümmungen der Wirbel-
säule werden durch die Gestalt der Zwischenwirbelscheiben bedingt.
Die leichte Seitenkruminung nach rechte, welche namentlich die Bnistwirbel-
säule zeigt, und die bei wenigen Menschen fehlt, sch(unt mit dem vorwaltenden Ge-
brauch des rechten Armes in Verbindung zu stehen.
Die Wirbelsäule heißt auch Rückgrat (Spina dorsi). Um den Namen Spifia
zu begründen, darf man nicht an Dorn oder Stachel denken, sondern an die Ein-
richtung eines römischen Zirkus, der durch eine lange, zwanzig Fuß breite und
sechs Fuß hohe Mauer, welche sich in der Mittellinie der Rennbahn, etwa über Drei-
viertel ihrer Länge hinzog, unvollkommen in zwei gleiche Teile geteilt wurde. An
122 Fünfter Abschnitt.
■
den beiden Enden dieser Mauer standen die Metae (Grenzsteine), um welche h«>nuii
die Wagen von der einen Hälfte des Zirkus in die andere uinlenkt<ni. Diese Mauer
hieß Spina. Da das Rückgrat den Rücken elMjnso in zwei gleiche Teile teilt, wie
die Si)ina den Zirkus, ging der Name auch auf das Rückgrat über.
Die einzelnen Glieder der Säule — die Wirbel — nehmen an
absoluter Größe bis zum Kreuzbein allmählich zu, vom Kreuzbein bis
zur Steißbeinspitze aber schnell ab. Die Breite der Wirbelkörper
wächst vom zweiten bis zum siebenten Halswirbel. Vom siebenten
Halswirbel bis zum vierten Brustwirbel nimmt die Breite wieder etwas
ab und steigt von nun an successive bis zur Basis des Kreuzbeins.
Die Höhe der einzelnen Wirbel, welche am Halssegmente fast gleich
ist, wächst bis zum letzten Lendenwirbel in steigender Progression.
Die größte Entfernung je zweier Dornfortsätze kommt am Hals-
segmente der Wirbelsäule vor wegen horizontaler Richtung und geringer
Dicke. Am Brustabschnitt lagern sich die Dornen vom dritten Wirbel an
übereinander. Trotz der Höhe der Wirbelkörper ist der Raum zwischen
den Dornfortsätzen der Lendenwirbel ebenso klein wie an dem Hals,
weil die Dornen sehr hoch sind (Fig. 33 D).
Das dachziegelförmige Ubereinanderschieben der mittleren Bmst-
wirbeldornen macht sie nur bei starker Rumpfbeuge bemerkbar, schützt
aber das Rückenmark gegen Hieb und Stich von hinten besser als
die Anordnung am Halse und an den Lenden.
Die Krümmungen der Wirbelsäule sind schwach im Hals und
Brustteil, stärker im Bauchteil des Mannes, am stärksten in dem des
Weibes. Es liegt hierin ein spezifischer Geschlechtsunterschied; die
Lendenaushöhlung an der Rückenseite des Rumpfes schön geformter
weiblicher Köiper ist stärker als diejenige der Männer. Messungen
haben diesen schon äußerlich sichtbaren Unterschied durch Zahlen
auf das schlagendste nachgewiesen. Vergleicht man die Rückseite der
Wirbelkörper, so ist dieselbe bei beiden Geschlechtern kürzer als die
Vorderseite, und zwar beim männlichen durchschnittlich um 3Y2> 1^^™
weiblichen um 9Y2Vo-
Das sind selbstverständlich Mittelzahlen, welche den charakteristischen
Typus erkennen lassen. Es ist aber nicht zu vergessen, daß dieser
Unterschied völlig schwinden kann. Die Krümmung männlicher Wirbel-
säulen kann so stark werden, daß sie derjenigen typisch weiblicher
nichts nachgiebt. Umgekehrt nähert sich die weibliche Wirbelsäule
nicht selten durch zu geringe Krümmung der männlichen.
e. Die Gelenke und Bänder der Wirbelsäule.
Die Verbindungen der Wirbel sind sehr kompliziert, um das Problem
ihrer Tragfähigkeit und gleichzeitigen Beweglichkeit zu lösen.
Knochen des SlainmeR. 123
Zwischen je zwei Wirbelköqiern finden sich zwei Arten von Ge-
lenken:
1) Die Zwischenwirbelscheiben (lAyamenta intervertehralia^
Fig. 42 u. 48 Nr. 2), breite ehistische Platten, deren Keni weich und gallert-
artig ist. Schon die Überlegung läßt voraussetzen, daß sie wie elastische
Massen komprimierbar und dehnbar sind (wie in Fig. 43) und nach dem
Aufhören des Zuges und Druckes wieder in ihren früheren Gleichgewichts-
zustand zurückkehren. Sie sind, mit Ausnahme des weichen Kerns, zu
diesem Zweck aus vielfach sich kreuzenden Fasern gewebt, die mit den
korrespondierenden Flächen der Wirbelkörper auf das festeste ver-
wachsen sind. Die Festigkeit steigert sich mit der Zunahme der
Bandtläche. Die Bandscheiben zwischen den Halswirbeln tragen an
50 Kilo, jene der Brustwirbelsäule an 75 Kilo, und um eine Lenden-
wirbelsäule zu zerreißen, soll das Gewicht von circa 100 Kilo erforder-
lich sein. Die Höhe der Scheiben ist nicht tiberall gleich, die knöcherne
Halssäule wird durch die Einscliiebung der Polstur um Y51 ^^^ Rücken-
säule um 7? ^^^ ^i® Lendensäule um Yg verlängert. Diese Zwischen-
wirbelscheiben stellen Gelenke einfachster Art, sog. „Halbgelenke" dar.
2) Wahre Gelenke mit Knorpelflächen und Gelenkkapseln und
Hilfsbändern zwischen den sich berührenden Gelenkfortsätzen der
einzelnen Wirbel (Fig. 42 und Fig. 43 Nr. 3).
Zu diesen Gelenken der Wirbelsäule kommen noch:
3) Die Zwischenbogenbänder (Ligamenta intercruralia). Sie
ftillen die Zwischenräume je zweier W^irbelbogen aus und bestehen aus
besonders organisieilen Bündeln, deren Elastizität bei dem Erheben
aus der Rumpfbeuge in Betracht kommt; sie helfen mit den Zwischcn-
wirbelbändern die Rumpfstrecke mühelos ausführen. Bei der Rumpf-
beuge nach vorwärts entfernen sich die Wirbelbogen, die Dornfort-
sätze rücken auseinander und die Spannung der Zwischenbogenbänder
steigert sich, je mehr der Körper sich krümmt; sobald jedoch der
Muskelzug nachläßt, springt die Wirbelsäule wie ein von dem Druck
befreiter elastischer Stab wieder in ihre frühere Lage zurück. Bei ge-
ringen Graden der Rumpfl)euge ist die Thätigkeit der Muskeln für die
darauffolgende Streckung nahezu gleich Null, die Streckung also ledig-
lich eine Wirkung der Elastizität der verschiedenen Bandmassen.
4) Die Bänder zwischen den Dornfortsätzen (Lifjamenta
inierspinalia) j vorzugsweise entwickelt zwischen den Dornfortsätzen
der Lendenwirbel. Sie fehlen an den Halswirbeln; dagegen er-
streckt sich vom siebenten Halswirbel bis zu dem Hinterhaupt (Linea
vermiana) ein besonderes elastisches Band, das Nackenband
124 Fünfter Abschnitt.
(Ligamentum nuchae),^ welches zwar schwach ist, aber immerhin sich
fühlen läßt, wenn man den Kopf nach vom beugt.
5) Bänder zwischen den Querfortsätzen (Ligamenta inter-
transversalia). Der Name sagt Alles.
Dazu kommen noch Bänder, welche auf der vorderen und hin-
teren Seite der Wirbelkörper entlang ziehen, und zwar ununter-
brochen von der Basis des Hinterhauptsbeines bis zu dem Kreuzbein.
Durch diese zahlreichen Bänder wird die Wirbelsäule erst zu
einer vollständigen Röhre, welche das Rückenmark und die Ursprünge
der Rückenmarksnerven einschließt; nur zwischen den Bogen bleiben
kleine Löcher für den Durchtritt der Nervenstämme. Die frisch aus
der Leiche geschnittene Wirbelsäule läßt nur sehr schwer die kom-
plizierte Zusammensetzung erkennen, erst die Fäulnis macht die
einzelnen Teile vollkommen kenntlich; alsdann bleiben zwischen zwei
Wirbelkörpem Spalten, wie sie die Fig. 33 Nr. iil sehr deutlich zwischen
den Lendenwirbeln zeigt, und die zerstörten Verbindungen zwischen
den Dorn- und Querfortsätzen lassen den Eindruck der gegliederten
Säule zu voller Geltung kommen.
Die Zusammendrückbarkeit der Zwischenwirbclscheiben erklärt es, warum der
menschliche Körper bei aufrechter Stellung kürzer ist, als bei horizontaler Rücken-
lage. Die Verkürzung kann bis zu 2 cm und darüber betragen. Die Abnahme
von 4—5 cm, welche jüngst ein Anatom an seinem eigenen Körper bestimmt hat,
verteilt sich auf das Hüft-Kniegelenk und die Fußhöhe. Während z. B. morgens
beim Erwachen im Liegen eine Körperlänge von 185 cm besteht, beträgt dieselbe
abends vor dem Schlafengehen im Stehen nur- 181, sinkt selbst auf 180 cm, von
dem Scheitel bis zur Sohle gemojssen. Bei dem Aufstehen aus der horizontalen Lage
nimmt die Länge sogleich um 2 cm ab, während der Rest die allmähliche Abnahme
im Laufe des Tages darstellt. Diese plötzliche Abnahme der Körpergröße beim
Aufstehen aus der horizontalen Lage und umgekehrt die Zunahme beim Niederlegen
hat mit den Zwischen wirbelbändem gar nichts zu thun, sondern kommt lediglich
auf Rechnung der Gelenkverbindungen der unteren Extremität Ich betone diese
Thatsache bezüglich der Proportionslehre und der Exaktheit der Angaben über die
Länge des Rumpfes und der Glieder. Die Zunahme der Körperlänge bei dem
Liegen erklärt die schon oft betonte Zunahme der Länge bei Leichen.
Bewegungen der Wirbelsäule.
Die elastischen Polster und die Bänder erlauben in Verbindung
mit den Gelenken folgende Bewegungsarten:
* Nucha stammt aus dem Arabischen. Es bedeutet Rückenmark, nicht
aber Nacken. Die Ähnlichkeit der Worte Nucha und Nacken verschuldete es,
daß es im medizinischen Latein, welches nicht zum reinsten gehört, für Nacken ge-
braucht wird (Luocatio nuchae).
Knochen des Stammes. 125
1) Drehung der Säule.
2) Seitwärtsbeugung oder Rumpfbeuge seitwärts, rechts und links.
3) Vor- und Rtickwärtsbeugen oder Rumpfbeuge vorwärts und
Rumpfstrecke. (Durch eine geschickte Überführung der drei Bewegungs-
formen ineinander kann auch „Rumptkreisen", wie es in der Turn-
sprache genannt wird, ausgeführt werden.)
Diese verschiedenen Bewegungen sind auf die ganze Länge der
Wirbelsäule verteilt Eine zu starke Krümmungsfähigkeit an einer
einzigen Stelle hätte das in dem Wirbel befindliche Rückenmark der
Gefahr eines Druckes ausgesetzt. Bei der Beurteilung der Bewegungs-
gröBe muß jedoch berücksichtigt werden, daß bei ihr die Bewegungen
zwischen Kopf und Atlas , ferner diejenigen zwischen dem Atlas und
dem Drehwirbel nach altem Herkommen nicht berücksichtigt werden,
daß es sich also streng genommen nur um den Betrag zwischen dem
dritten Hals- und dem letzten Lendenwirbel handelt. Die Abschätzung
der wirklichen Bewegungsgröße innerhalb der einzelnen Wirl)elab-
schnitte ist eine sehr schwere Aufgabe, welche sich mit voller Exakt-
heit nur an der Leiche ausführen läßt; denn bei dem Lebenden
ist weder die Bewegung des Kopfes vollständig auszuschließen, noch
jene der Hüft- und Sprunggelenke. Für unsere Zwecke genügen die
vorliegenden Erfahrungen.
Alle Bewegungen zusammengenommen erlauben eine Drehung des
freistehenden Körpers um volle 180^. Freilich gehört hierzu einige
Übung, dann aber ist die Drehung mit überraschender Präzision
ausführbar, wie die Kautschukmänner und die Clowns zeigen, welche
unter Beibehaltung der Frontstellung der Beine mit einem Ruck den
Körper um seine Achse so drehen, daß das Gesicht direkt nach hinten
gewendet ist. Die Torsion in dem Drehwirbelgelenk zwischen dem Atlas
und dem zweiten Halswirbel ergab in einem Fall hierfür ca. 58^,
die Drehung im Becken 73®, die der Wirbelsäule 47*^. Wenn in dem
folgenden von der „Drehung** der Wirbelsäule die Rede ist, handelt
es sich lediglich um diese letzte Torsionsfähigkeit.
Die Drehung der Wirbelsäule, die Rotierbarkeit, von dem dritten
Hals- bis zu dem letzten Lendenwirbel beträgt also nur 47®, und wird
vorzugsweise im Bereich der untersten Brustwirbel aufgeführt.
Die Rotierbarkeit beträgt dort, auf der kurzen Strecke zwischen dem
achten und zwölften Brustwirbel, allein schon ca. 28®. Viele Kunst-
werke bringen die Drehung des Oberkörpers gerade dort deutlich zum
Ausdruck.
Die Lendenwirbel besitzen keine Rotierbarkeit, aber eine sehr aus-
gesprochene Biegungsfähigkeit nach rechts und links. Mittels
derselben werden der iiiitoie Raiid der Brust und der iibere U»iid
des Beckens sicii nicht nur vollkommeii geuilhert, sondern sie künneii
auch aneinander vorbeigleiten; die Haiiplbeweglichkeit liegt also för
die Rumpfbeuge nach rechts und links in der Leiidengegeiid.
Ein vortreffliches Beispiel filr das eben Gesagte sind die folgenden
Figuren 43 u. 44, an welchen die starke Rumpfbeuge nach links uml
bei Fig. 44 gleichzeitig ein geringer Grad von Drehung bemerkbar
ist. Aji der Stelle, wo die Häutfalte in der Figur 44 mit I
Zwi!H.'heiiwirbe!tiaiid t—
GeipDkfnrtsHU
Ai Querforl
Zwincht'nH-irbelbanil 2,
t den Zwietheuwirbclachfiilicii der Seite e
»rker Seitwärtsbioguufr,
bezeichnet ist, wird deutlich erkennbar, wie das Brustkorbende e
innerhalb des HUftknochena befindet, -hineingedrängt dui-ch die GrB
der Seitwärtsheugong, Freilich ist gleichzeitig der Schenket in i
ner Pfanne aufwärts gedreht, wodurch sich bei Nr. 2 der Fig. •
die Haut der Lendengegend zu einer tiefen Falte einschlägt; din
Verschiebung hat jedoch mit der Seitwärtshewegung innerhalb
Wirbelsäule nichts zu thun.
Die Rnmpfbeuge nach vorn und die Kumpf^trecke gesclieltt
hiuiptsäcldich in dem Hals- und Lendenabschnitt. Drei Punkte sindq
dieser Hinsicht besonders ausgezeichnet, die Stelle zwischen den unt«
Knoctien dei Slammes.
127
Halswirbeln, zwischen dem elften Brust- und zweiten Lendenwirbel, und
zwischen dem vierten Lendenwirbel nnd dem Kreuzbein. Diese drei Ab-
schnitte lai^sen sich bei dem starken Zurückbiegen als einspringende
Winkel erkennen. Sie sind überdies dun-h ({uerliegende Hautfalten
Fig. 44. Rumpfbeuge nach links. Skizze nach A. Andrianis Stich:
Der Raub der Sabioerinnen.
markiert. Bei der Bumpfl)eugc nach vorn entspreclien sie den Stellen
der stärksten Knickung um Hals, am Brustkorbende und am Nabel.
Das Brustbein (Stemttm, Fig. 45 B B'— b*) ist ein langer Knochen,
der sich vom Ende des Halses bis zur Magengrube ei-streckt und in
der Mitte der vorderen Brustwand liegt. Die alten Anatomen ver-
glichen ihn mit einem kurzen römischen Schlachtscliwert, und daher
rühren die Namen Griff, Klinge und Spitze oder Schwertfortaatz zur
Bezeichnung seiner stets erkennbaren Abteilungen.
\}i'.T (jrifi 'Fig. 45 h^ i*t auf seiner Vorderfläche gewölbt, so daß
rlie S^iiUrnrähflf-r tiefer liegen aU die Kitte. Der obere Rand ist leicht
halhinond förmig äu*ge>/:bi:iitteL ^IncLmra *emUmkaruji diese seichte
Kinkerkung vird am I>:berideQ. besonders Ijeim Manne, znr tiefen
Ha)sgnjl>e darch die Schlüs^lbeine. welche -^ich zu beiden Seiten des
ol>ereri Randes darch Gelenke mit dem Bnisttjein rerbinden (Fig. -15 >s).
Die lieiden Schlu^sell^irmelenke «tehen schief nach aufwärts.
Die Stelle, wo der Griff in die Klinge (Fig. 45 Bj übei^eht. ist
durch eine Auftreibung der lieiden aneinanderstoßenden Enochenflächen
nicht nur am Skelett, sondern auch am Lebenden deutlich erkennbar.
Die Handhal>e. olien breit, ist an dieser Stelle ebenso schmal geworden
wie die Klinge.
Die Klinge (Fig. 45 B'— B^}. auch Körper des Brustbeins genannt,
wird in ihrem unteren Teil meist breiter ^ und endet abgerundet.
Ihre vordere Flache ist von einer Seite zur anderen vertieft, weil die
Kander sich etwas verdicken, um für den Ansatz der Sippen einen
festen Stützpunkt zu bieten. An sieben Stellen setzen sich Bippen
mittels der Kippenknorpel fest.
Die Spitze des Brustbeins (Processus ensiformis. Fig. 45 B') ent-
springt mit breitem Rande in gleicher Flucht mit der hinteren Fläche
des Brustbeins: da sie aus Knorpel besteht und nur die Hälfte so
dick ist als der Knrxrhen. setzt sie sich durch eine Vertiefung vom
vorderen Rande ab. die am Lebenden deutlich sieht- und fühlbar ist
und durch den An^^atz der 6. und 7. Rippe (Fig. 45 R 6 n. R 7) noch
vermehrt wird. Das Ende dieses ungefähr 6 cm langen Knorpels
steckt zwischen den Bauchmuskeln und läßt sich leicht auf- und nieder-
drücken.*
Was die Lage des Brustbeins im ganzen betriflük, so zeigt am
einfachsten die Betrachtung des Thorax im Profil (Fig. 33), daß ihm
das rubere Ende der Wirbelsäule viel näher liegt als das untere. Bei
dem hier dargestellten Skelett betrug die Entfernung der Torderen
Brustbeinfläche zum Donifortsatz des ersten Brustwirbels 23-2 cm,
in der Höhe des ersten Lendenwirbels 37 «2 cm. Dabei ändert das
Mittelstück die Richtung im Vergleich mit derjenigen des Griffes. Das
obere Ende des Brustbeins liegt femer in gleicher Höhe mit dem
unteren Rande des zweiten Brustwirbels, das Ende der Klinge mit dem
oberen Rande des elften Brustwirbels.
' In dem vorliegenden Falle nicht.
' Scrohiculus eardts, Scrobiculus das Diminutiv von Scrobia oder Scrobs,
weK'lK'8 im allgemeinen jede Grube bedeutet. Nur bei Leuten zu sehen, bei denen
der Schwertknorpel eine etwa« aufgebogene Spitze hat
¥ig. 45.
Skelett i'.iuos jungcu
Mftnnes, '/„ der nikt. Grilßo,
130 Fünfter Absohnitt
Die Rippen (Costae).
Die Rippen, zwölf an der Zahl, sind elastische Spangen, die von
den Brustwirbeln gegen das Brustbein im Bogen verlaufen. Nur die
sieben oberen setzen sich direkt an das Brustbein an, deshalb nenut
man sie auch wahre Rippen (Fig. 45 R*— R'), die übrigen heißen
falsche Rippen (Fig. 45 R"— R"). Drei der letzteren (die achte bis zehnte
Rippe) erreichen das Brustbein nicht mehr, besitzen aber wenigstens
eine mittelbare Stütze an ihm, denn sie verbinden sich mit dem un-
teren Rand der nächst oberen Rippe (Fig. 45 R**— R»°); die elfte und
zwölfte enden frei zwischen den Bauchmuskeln und heißen deshalb
auch „freie" Rippen.
Jede Rippe besteht aus zwei Teilen, der mehr nach hinten gelege-
nen knöchernen Spange, dem Rippenknochen, und einem vorderen,
knorpeligen Ansatzstück, dem Rippenknorpel; der hintere knöcherne
Teil ist der längere. Der Rippenknochen ist glatt und so befestigt,
daß die eine der Flächen nach außen gekehrt ist, die andere nach
innen; der obere Rand ist abgerundet, der untere im mittleren Teil
scharf gerandet; das hintere Ende trägt ein überknorpeltes Köpf eben
(Capittilum), das bei den zehn oberen Rippen auf einem rundlichen Hals
sitzt, der durch einen Höcker — Rippenhöcker — von dem breiten
Teil der Rippe an der hinteren Seite deutlich abgegrenzt ist.
Jede einzelne Rippe ist in doppeltem Sinne gekrümmt. Die
erste und auffallendste Krümmung ist jene, welche der Bnisthölile
zugekehrt ist; die Krümmung ist jedoch nicht überall gleich stark.
Der hintere Bogen ist stärker, und die Stelle, wo die Rippe sich nach
vorne wendet, ist außen durch eine scharfe Knickung deutlich sichtbar;
diese Knickung, der Rippenwinkel, wird noch dadurch besonders er-
höht, daß sich der lange Rückenmuskel mit einem Teil seiner Zacken
dort festsetzt. So weit letzteres der Fall ist, reicht der Rückenteil
des Brustkorbes im strengen Sinn; was jenseits liegt, gehört zur
Seitenwand. (Vergl. Fig. 2 S. 28.)
Die zweite Krümmung ist nach aufwärts gerichtet. Die Rippen
laufen nämlich nicht horizontal gegen das Brustbein nach vorne, son-
dern nach abwärts gesenkt (Fig. 33 und 45). Sic liegen mit dem
hinteren Knde höher, als mit dem vorderen; aber sie behalten diese
Richtung doch nicht in ihrer ganzen Länge bei, denn sonst könnte
ja schon die fünfte Rippe das Brustbein nicht mehr erreichen, sie
würde vielmehr frei zwischen den Bauchmuskeln endigen; dadurch
jedoch, daß die Rippen in ihrem vorderen Teil auch nach aufwärts ge-
krümmt sind, erreichen sieben direkt und drei davon wenigstens
mittelbar das Brustbein, die letzteren, indem sich ihre Knorpel an-
einander legen (Fig. 45 R^ R", R'^). Die Knoi-pel der wahren Rippen
Knochen des Stammes. 131
müssen also, um an dem verhältnismäßig kurzen Seitenrand des Brust-
beins ihre Anheftung zu finden, bedeutend gegen denselben in die Höhe
steigen. Von der dritten bis zui* siebenten Eippe geht der Knorpel
immer steiler nach aufwärts; bei der ftinften, sechsten und siebenten
Rippe beschreibt der Rippenknorpel geradezu einen nach oben oflFenen
Bogen, um das Brustbein zu erreichen, und ganz ebenso verhalten
sich die achte, neunte und zehnte Rippe, von denen sich immer die
eine an die vorhergehende anlehnt (an der Figur 45 sehr deutlich
zwischen K" u. K").
An der sechsten und zuweilen schon an der fünften Rippe findet man am
unteren Rande des Knorpels einen ungefähr 4 cm breiten, nach unten sich ver-
scliinfilemden Vortprung, welchem vom oberen Rande des folgenden Rippenkuorpels
ein ähnlich gestalteter, nur noch niedrigerer Vorsprung entgegenkommt; die Flächen,
welche aufeinander treffen, greifen wie Gelenkflächen (konkav, konvex) ineinander
ein. ¥!ß entsteht ein vollständiges Gelenk mit Hilfe von Kapsel und Bändern, ein
Rippenknorpelgelenk. Ahnliche Gelenke existieren auch zwischen den Knor-
peln der siebenten und achten und der achten und neunten Rippe (siehe Fig. 45).
An mageren Modellen sind diese letztc^rwähnten Rippenknorpelgelenke deutlich
zu sehen.
An der Verbindung des Rippenknorpi*ls mit dem Rippenknochen sind die sich
berührenden Enden verdickt und verbreitert, damit die Verbindung um so inniger
stattfinde, mit anderen Worten, diese Stellen machen in der Kontur der Rippe einen
Buckel und sind an jugendlichen Individuen, bei Knideni vom 2. Jahre bis zum 15.,
so lange das rasche Wachstum die Ablagerung von Fett unter der Haut verhindert,
dann bin mageren r^euten jtnlen Alters als eine Reihe von Knoten wiederzufinden,
die von der zweiten Rippe allmählich siutwärts, dann utwh rück wartet bis zur
zwölften Rippe zieht.
Eine weitere B(»obac'.htung der Rippen lehrt, daß die obersten Rippen, und
ganz besonders die erste, ihre Ränder nicht direkt nach oben und unt«n kehren, wie
die mittleren und unteren, sondern zugleich ntich innen und außen (Fig. 45, R*).
Aus der verschiedenen Länge der Rippen entsteht die eigenttim-
liehe Gestalt des Brustkorbes, oben eng, unten weit. Die obere OfJ-
nung ist begrenzt von der ersten Rippe, von der Handhabe des
Brustbeins und vom ersten Brustwirbel, und ausgeftUlt durch die
Eingeweide und Gefäße, die vom Hals zur Brusthöhle und umgekehrt
verlaufen (Luftröhre, Speiseröhre etc!.).
Die untere viel größere Öffnung (Fig. 45, B-, Linie ik xin») wird
vom letzten Brustwirbel, dem letzten Rippenpaare, den Knorpeln aller
falschen Rippen und dem Schwertfortsatz des Brustbeins umfaßt.
BetraehtunjB^ des Brustkorbes als Oanzes.
Der Brustkorb umschließt das Herz und die paarigen Lungen,
eine rechte und eine linke, ferner getrennt von diesen durch das
Zwerchfell einen Teil der Verdauungsorgane. Leber, Magen und Milz
9*
132 Fünftor Abschnitt.
finden noch in der weiten Wölbung Platz, welche unterhalb des Zwercli-
fells und umsäumt von den unteren fünf Rippen vorhanden ist. Wenn
also, wie in Fig. 33, der Brustkorb von der Seite gesehen in so großer
Ausdehnung — von dem Schlüsselbein an — sich nach abwärts erstreckt,
so darf man keineswegs voraussetzen, daß der ganze Raum von den
Lungen und dem Herz erfllUt sei. Das Zwerchfell erhebt sicli viel-
mehr hoch hinauf und schließt dabei die Bauchhöhle luftdicht vf»n
der Brusthöhle ab. Alle Gefäße und Verbindungskanäle sind durch ein
eigenartiges Gewebe gleichfalls luftdicht in jenen Löchern festgeheftet,
welche sie bei dem Übergang von der Brust zu dem Bauch passieren
müssen.
Der Biiistkorb verjüngt sich von unten nach oben; man nennt ihn
kegelförmig 1 gebaut. In der That spitzt er sich im Vergleich zu
seinem unteren Breitendurchmesser zu, und in der Nähe der Schlüssel-
beine ist der von der ersten Rippe, dem Brustbeinhandgriff und dem
ersten Brustwirbel begrenzte Zugang so eng geworden, daß nur die
Luft- und die Speiseröhre nebst einigen Gelaßen und Nerven in ihm
Platz finden (Fig. 33 und 45). Bei der Betrachtung des Lebenden
vermutet man eine solche Gestalt nicht. Die Breite der Schultern
läßt eher das Gegenteil erwaii:<^n. Die Täuschung rührt davon her,
daß an das obere Ende des Brustkorbes die beiden Arme angefügt
sind, deren Schultergerüste und deren dazu gehörige Muskeln die wahre
Gestalt des Rippenkastens verdecken.
Der geübte Blick findet jedoch bald die wirkliche Form, besonders
bei aufgehobenem Arm, heraus. In der Achselhöhle verschwindet z. B.
allmählich die seitliche Wölbung des Brustkorbes, um in der Nähe
des Halses zu endigen. Die beiden Gruben ober- und unterhalb des
Schlüsselbeins, die beim Manne sehr markiert sind, während die Fett-
lager der Frau diese Vertiefungen bis auf eine schwache Andeutung
auslullen und nur bei der eintretenden Magerkeit des hohen Alters
wieder hervortreten lassen, sind ebenfalls durch die kuppelfömiige
Gestalt des Bnistkorbes bedingt.
Was das untere Ende des Brustkorbes betrifft, so ist zu bemer-
ken, daß die zum Brustbein aufstrebenden Rippen einen Bogcniius-
schnitt bcgi'enzen, der am Lebenden leicht wiederzufinden ist. Dazu
empfehlen sich vor allem magere Menschen ; denn bei kräftigea sind
* Eiitöprecliend dicwjr Kof^<»lforin ist auch die Gestalt der Limgcn, d. h. oben
Hj)itz und unten bnüt. Deshalb spricht man von einer Lungenspitze und einer Luugcn-
basis. Bei <ler ruhigen 1ii*spiration d(>hnt sieh der Bnistkorb vorzugsweise in äiMueui
unt4»ren Teile aus, die Basis der Lunge wird sieh also el>enfall8 melir ausdehnen, ab
die Spitze, ja bei der ruhigen Atmung ist in Wirklichkeit die Schwellung der
Lungenspitze durch den Eintritt von Luft sehr gering.
Knochen des Stammea. 133
viele Einzelheiten durch die Bauchmuskeln hindurch nur sehr schwer
zu erkennen. Die heiden Bogenlinien, welche sich am Brustbeinende
treflen, sind begrenzt durch die Knorpel der siebenten bis zehnten
Rippe. Die elfte und zwölfte Rippe liegen zwischen den Bauch-
muskeln; ihi'e Enden werden besonders dann sichtbar, wenn der Rumpf
seitwärts geneigt wird. Als klassische Vorbilder zum Studium können
Laokoon und der Fechter genannt werden.
Was die übrige Gestalt des Brustkorbes betrifft, so muß man eine
vordere Fläche unterscheiden, eine hintere oder Rückenfläche, und
zwei Seitenflächen. Der Brustkorb ist von vom nach hinten plattge-
drückt. Am Skelett und bei mageren Menschen wird die vordere Fläche
durch zwei Linien begrenzt, welche vom Brust-Schlüsselbeiugelenk der
Verbindung zwischen Rippenknochen und -knorpel folgen.
Die Seitenflächen sind gekrümmt und zwar oben mehr als unten
und endigen hinten an jener idealen Linie, welche sämtliche Rippen-
winkel miteinander verbinden würde (Fig. 33).
Die hintere Wand ist durch die in die Brusthölde vorspringenden
Wirbelkörper stark eingebogen. Zu beiden Seiten der Dornfortsätze
.findet sich eine breite Rinne, welche durch das Ausbeugen der Rippen
nach hinten entsteht; die Grenze dieser Riime ist die ebenerwähnte
ideale Linie; denn von ihr aus wenden sich die Rippen im Bogen nach
vorwärts. Die beiden Rinnen werden durch die langen Rückenmuskeln
ausgefüllt, und dadurch entsteht jene breite Fläche, die dem Menschen
erlaubt, auf dem Rücken zu liegen, was die Tiere nicht können, da
sie keine Rückenfläche, sondern nur eine Rückenkante haben.
Diese Rückenfläche wird noch besonders dadurch vorteilhaft für
diese Lage gestaltet, daß die Schulterblätter wie ein paar Schilder
diese Fläche vergrößern.
Die eben beschriebene Gestalt des Brustkorbes ist jedoch mannig-
fachen Veränderungen unterworfen; sie hängt aufs Innigste mit der
Individualität zusammen. Die stark vorspringende, gewölbte ßiiist
ist ein nie fehlendes Zeichen eines kraftvollen gesunden Knochen-
baues, während ein schmaler, gerade abfallender oder gar geknickter
Thorax ein physisches Merkmal köq>erlicher Schwäche und ange-
bomen Siechtums abgiebt. Eine gewölbte Brust giebt der ganzen
Gestalt des Menschen den Anstrich physischer Vollkommenheit, um
nicht zu sagen Erhabenheit, wie dies bei den Götterstatuen der Alten
sich beobachten läßt, wo die Höhe der Brust absichtlich höher genom-
men wurde, als es bei Meiischen je möglich ist, wahrscheinlich um den
Eindruck des mehr tierischen Nachbars der Brust, des Unter-
leibes, zu schwächen. Es liegt ein tiefer Sinn in unserer Sprach-
weise, welche den Mut, die Kühnheit, die kriegerische Tapfer-
134 Fünfter Abachnitt.
keit in die kräftige Brust des Manues verlegt. Nemo feroci pectoroswr MarU.
Doch ist darin des Guten offenbar bisweilen zu viel geschehen. Die
breite Brust, welche an dem Antinous des Eapitols zu sehen ist, und
die auch bei anderen Figuren aus der Römerzeit vorkommt, ist eine
Übertreibung, und die schmalen Hüften fallen daneben unangenehm aut
Die Bewegang:en der Brust.
Der Thorax, der die Lungen und einen Teil der Baucheingeweide
umschließt, ist einer beträchtlichen Erweiterung fähig. Die damit ver-
bundenen Bewegungen sind zwar als solche einförmig, denn sie be-
stehen nur in einer Erweiterung und Verengenmg, allein die Grade
sind so mannigfaltig, daß der ganze Körper dadurch ein bestimmtes
Gepräge erhält. Ruhe und Arbeit, die Niedergeschlagenheit des
Trauernden und das Kraftgefühl des Glücklichen drücken sich in der
Form des Thorax deutlich aus. Dadurch steht er auch während der
verschiedenen Grade der Füllung oder Entleerung mit Luft im Dienste
der Mimik; ja selbst der Tod giebt ihm seine bestimmte Signatur.
Für die richtige Beurteilung aller Bewegungen dient das ruhige
Atmen als Ausgangspunkt. Bei dem Mann verharrt dabei der Tho-
rax äußerlich in vollkommener Ruhe, nur die Bauchwand hebt und
senkt sich, und zwar so, daß bei dem Einatmen sich der Unterleib
zwischen Brustbeinende imd Nabel wölbt und bei dem Ausathmen wieder
abflacht. Der Mechanismus der Atmung besteht bekanntlich darin, daß
bei der Einatmung oder Inspiration Luft durch die Luftröhre und
ihre Zweige dringt, während bei der Ausatmung oder Exspiration
eine ähnliche Menge wieder ausgetrieben wird. Die Menge der während
des ruhigen Einatmens aufgenommenen Luft beträgt ungefähr 500 cm,
also Ya Liter. Sie vermischt sich mit der in der Lunge schon vor-
handenen „Reserveluft". Nach einer ruhigen Einatmung enthalten die
beiden Lungen etwa 3000 — 3500 cm, also nach einer ruhigen Aus-
atmung noch immer 2500 — 3000 cm oder 27^ — 3 Liter. Während
des ruhigen Atmens wii'd also nur migefähr. Ye ^^^ Lungenluft dem
Wechsel unterworfen.
Neben dieser ruhigen Atmung giebt es aber auch ein tiefes oder
forciertes Atmen, bei dem der ganze Thorax sich hebt und senkt
Es kommt zu einer deutlichen Bewegung, die selbst durch die Kleidung
hindurch wahrnehmbar ist. Die Muskeln ziehen bei der tiefen Inspira-
tion die gesenkten Rippen samt dem Brustbein in die Höhe. Läßt der
Muskelzug nach, so kehrt das ganze Gerüste wieder in den früheren
Stand zurück, den es im Zustande der Ausatmung besaß; die Rippen
drehen sich dabei in ihren Gelenken an den Wirbelkörpeni und deren
Knochen des Stammes. 135
Querfoilsätzen, und es ist leicht einzusehen, wie schon eine geringe
RoUition in dem Gelenk an der Wirbelsäule ein ausgiebiges Steigen
des vorderen Rippenendes zur Folge haben wird. Die Rippen stellen
sich dabei aus ihrer geneigten Lage mehr horizontal. Das Heben und
Senken kann sehr rasch vor sich gehen; die gehobene Brust kann aber
auch im höchsten Stande der Einatmung durch den Willen eine Zeit
lang festgehalten werden. Das von den Rippen getragene Brustbein
folgt diesen Bewegungen.
Die Fonn Veränderungen bestehen 1) in einer Erweiterung in
allen Durchmessern. Das Brustbein wird durch die vereinigte
Wirkung der oberen Rippen gehoben. Diese Bewegung ist an den
unteren Rippen wegen ihres schrägeren Verlaufes viel beträchtlicher,
sie stellen sich mehi* horizontal, wobei der gerade Durclunesser des
Brustkorbes sich wesentlich vergrößert. Am besten ist dies an dem eige-
nen Körper zu verfolgen. Viel schwieriger ist schon die Zunahme nach
der Breite zu erkennen.. Hierzu bedarf es der Bestimmung der Durch-
messer des Thorax mit dem Tasterzirkel und dem Meßband. Bei starken
Männern beträgt der obere Brustumfang (dicht unter den Armen) 88 cm,
der untere in der Höhe des Schwertfortsatzes 82 cm, bei ruhiger und
mäßiger Ausatmung festgestellt. Die Abnahme der Maße bei aufgehobe-
nen oder gesenkt<in Armen macht dabei einen großen Unterschied wegen
der größeren oder geringeren Dicke der Bimst- und Schultermuskeln
in dem einen oder anderen Fall. — Bei wagrechter Stellung der Arme
und mäßiger Ausatmung beträgt der Umfang dicht unter den Brust-
warzen und den Schulterblättern 82 cm, ungefähr die halbe Körper-
länge, bei stärkster Einathmung 89 cm.
Der Brustbeinhandgriff geht bei tiefem Einatmen in die Höhe,
die Linie vom Kinn zu den beiden Schulterhöhen wird entsprechend
niedriger, und die mittlere Halsgrube sinkt bedeutend ein, in dem Maß,
als die Kopfnicker strangförmig vorspringen. An dem Kopfiiickor
wird femer in der Nähe des Brustkorbes die Schlüsselbein- und Brust-
beinportion gesondert kenntlich. Dabei wird das untere Ende der
Schilddrüse deutlich vorgedrängt.
Mit dem Aufsteigen des BrustbeinhandgriiTes steigt auch das
Schlüsselbein in die Höhe und rückt etwas nach hinten. Infolge
dieses Zuges am oberen Brustkorbende steigen auch die Brustwarzen
in die Höhe. In der seitlichen Rumpfgegend markieren sich die
Zacken des großen Sägemuskels. Die Begrenzungslinien der Weichen
strecken sich in die Länge, und die Grenze zwischen dem geraden
und dem äußeren schiefen Bauchmuskel (Fig. 14 zwischen Nr. ii und
Nr. 12) markiert sich durch Tieferwerden der Furche.
Bei der Betrachtung von vorn wird die ganze Skelettlücke an der
136 Fünfter Abschnitt.
vorderen Seite des Brustkorbes, d. h. der untere Rand des Thorax, in
weiterer Ausdehnung sichtbar, als dies jemals in der Ruhe der Fall ist:
die Spitze des Schwertknorpels, der Rand der zu dem Brustbeinende
aufsteigenden Rippenknorpel, selbst die Enden der freien Rippen,
welche zwischen den Bauchmuskeln stecken, treten hervor. An einem
mageren Modell, das gleichzeitig die Prozedur des tiefen Atemholens
versteht und den Atem dann einige Sekunden anzuhalten vermag, laßt
sich selbst die Verlaufsrichtung der einzelnen Rippen durch die Brust-
und Bauchmuskeln hindurch genau verfolgen.
Während der von knöchernen Spangen und der Wirbelsäule gebaute
Brustkorb bei der tiefen Einatmung an Umfang zunimmt, verklei-
nert sich 2) die Wölbung des Unterleibes, dieselbe sinkt ein, und
zwar imi so stärker, je mehr sich der Brustkorb erweitert (Fig. 14 S.61).
Das rührt davon her, daß in dem unteren Thoraxende jetzt ein größerer
Teil der verschiebbaren Baucheingeweide Platz findet. Sie werden mit
in die Höhe gezogen, weil sie in dem Brustkorb durch Vermittelung des
Zwerchfells und anderer Vorrichtungen aufgehängt sind. Dieses Ein-
ziehen des Unterleibes ist folgender Art: Dicht an dem unteren Ende
des Brustkorbes sinkt die Bauchwand gegen die Mittellinie und g^n
d^n Nabel hin tief ein. Unter dem Nabel ist die frühere Wölbung
weniger abgeplattet, denn die Hautspannung zwischen den vorderen
Darmbeinstacheln und der Leistengegend setzt, in Verbindung mit den
geraden Bauchmuskeln, dem allzu starken E^inziehen des Leibes in
diesem Bereich ein natürliches Hindernis entgegen. Vergleiche neben
dem Modell auch den Laokoon und den Fechter.
Bei dem starken Einatmen tritt mit zwingender Notwendigkeit
3) eine aufrechte Körperhaltung ein. Die Schulter hebt sich und
stellt sich mehr an die Seite des Rumpfes und etwas nach rückwärts, die
inneren Rander der Schulterblätter nähern sich, die Furche zwischen ihnen
wird also tiefer. Die Krümmung der Wirbelsäule im Hals und im Lenden-
toil wird stärker, herbeigeführt durch die kräftige Zusammenziehung der
Rückenstrecker, deren Bäuche sich als rundliche Stränge zu beiden Seiten
der lAMulenwirbelsäule m;irkieren. Bei dieser Stellungsänderung der
Schulterblätter hilft der Kappenmuskel ebenfalls mit, und je kräftiger
sein Bau, um so bedeutender ist seine Wölbung im Bereich des Rückens,
und um so mehr treten einzelne seiner Muskellinien hervor.
Die Formveränderungen des Thorax bestehen 4) in einer Ver-
enge ruup in allen Durchmessern bei der Ausatmung. Im normalen
Zustande kehrt dabei der Brustkorb in die Ausgangsstellung zurück
und nimmt jene Form an, welche er an dem ruhenden Menschen be-
sitzt. Kino Wsondore Beschreibung dieser Rückkehr zu der Ausgangs-
Htollung ist unnötig.
Knochen des Stammes. 137
Dagegen ist des großen mechanischen Widerstandes zu gedenken,
den der nach tiefer Einatmung mit Luft gefüllte Thorax dem Muskel-
druck oder dem Gewicht irgend einer Belastung entgegensetzt. Die
iu den Lungen enthaltene Luft ist, sobald die Stimmiitze im Kehlkopf,
geschlossen wird, in das Innere des Brustraumes festgebannt. Sie ist
ferner nicht trocken, sondern mit Wasserdampf gesättigt. Das alles
macht schon für sich den mit Luft gefüllten Brustkorb sehr widerstands-
fähig. Dazu kommt noch, daß die Rippen, das Brustbein, die Wirbel-
säule und die Verbindmig dieser Teile unter sich, ferner das zwischen
den Muskelwänden in den verschiedensten Richtungen hindurchziehende
feuchte Gewebe den Widerstand erheblich vermehren. So geschieht
es, daß nach einer tiefen Einatmung eine Kompression der Wände
unter natürlichen Umständen ausgeschlossen ist, so lange der Atem
angehalten wird.
Ein solcher, wenn auch nur vorübergehender Zustand erhöhter
Festigkeit des Thorax ist unerläßlich, soll eine größere Kraftan-
strengung ausführbar werden. Deshalb holt man tiefen Atem, sobald
irgend eine Last fortbewegt werden soll. Ohne daß jemals die Auf-
merksamkeit auf diesen Umstand gelenkt worden wäre, führt dennoch
jeder diese Füllung der Lungen aus, ehe er sich an die Arbeit macht.
Und dies ist eine so unerläßliche Notwendigkeit, daß sie mit unserem
ganzen Wesen auf das innigste zusammenhängt. Wir machen auch
dann eine tiefe Einatmung, sobald wir einen für uns wichtigen Ent-
schluß fassen, der schwer ausführbar scheint. Eine tiefe Inspiration
tritt ferner als Mitbewegung auf, wenn wir der vennehrten An-
strengung eines Menschen zusehen, der eine Last mit dem Aufwand
aller seiner Kraft hebt, besonders dann, wenn wir glauben, die Kraft
könnte nicht vollkommen ausreichen. Ja, wir schließen sogar die
Stimmritze und halten den Atem in der gefüllten Brust zurück, ge-
rade so, als ob wir selbst in dem Fall wären, die Last fortbewegen
zu müssen.
Es giebtin dem gewöhnlichen Leben unzählige Gelegenheit, die
Mechanik dieses Vorganges an sich selbst zu beobachten, und die Kunst
hat schon wiederholt den körperlichen Zustand tiefer Einatmung in
seinen einzelnen Phasen dai'gestellt.
Ist eine mit einem Ring versehene schwere Kugel mit dem rechten
Arm in die Höhe zu heben, so erfolgt vor dem Anfassen eine tiefe
Einatmung, und der Atem wird so lange angehalten, bis die Kugel
in der Gleichgewichtslage auf dem gestreckten Arm über den Kopf
emporgehoben ist. Dann erst kann eine Ausatmung ungehindert statt-
finden, ja in diesem letzten Abschnitt der Handlung ist im Vergleich
1 38 Fünfter AbwdmiU.
ZU der unniittelbar vorauHgegangeDen ÄDstrengung sogar ein gewi^»spr
Grad von Ruhe und Erholung möglich.
Das Autlieben der Kugel von dem Boden geschieht zunächst da-
durch, daß der gebeugte Kumpf durch die Sückenmuskeln allmählich
geradegestreckt und das Becken auf den Gelenkköpfen der Ober-
schenkelknochen emporgedreht wird. Während dieser Zeit hängt die
Kugel an dem gestreckten Arm, und würde die rechte Thoraxhälfte
zusammendrücken und nach der entgegengesetzten Seite hinüberschieben,
wenn nicht beide Lungen vollständig mit Luft gefbUt wären, und so
gleichzeitig der Wirkung des Zuges Widerstand leisteten. Noch viel mehr
springt der EinHuß eines solchen Gewichtes auf den Brustkorb in die
Augen, sobald man sich jenen Moment vergegenwärtigt, in welchem
die Kugel unter allmählicher Streckung des Armes über die Kopf-
höhe hinaufsteigt. Die Heber der Schulter und des Schulterblattes,
welche von den Rippen entspringen und die Kugel dadurch höher
heben, daß sie das Schulterblatt mitsamt dem daran hängenden Arm
drehen, bedürfen eines festen Ansatzpunktes, der unnachgiebig ist und
dem Gewicht des Armes und der daran hängenden Kugel Widerstand
leistet, welche zusammen ein Gewicht von mehr als 100 Kilogramm
ausmachen. Im Zustand der Ausatmung besitzt der Thorax diese
Resistenz nicht, erst nach tiefer Lispiration verhält er sich wie ein
Gewölbe, das von allen Seiten gestützt ist. Denn jene Brusthälfte,
auf welche die Last zunächst wirkt, wird abgesehen von der in ihrem
Inneren vorhandenen, mit Wasserdampf gesättigten Luft auch noch
gestützt von der ebenso gefüllten anderen Brusthälfte. ^
In einer überaus vollendeten Weise ist der Druck, von dem hier
die Rede ist, an der Figur des Laokoon zu sehen. Die beiden Arme
stemmen sich gegen die umschnürenden Windungen der Schlangen. Der
eine Arm, erhoben, sucht durch Strecken das Unheil abzuhalten, während
der andere in gesenkter Stellung die gleiche Aufgabe in veiünderter
Form auszuführen sucht.
Sieht man gänzlich ab von jeder psychischen Errpgung und be-
rücksichtigt man lediglich die Mechanik, so wird klar, daß beide Arme
ihren Stützpunkt an dem Brustkorb besitzen und sich gegen die erit-
* Ifit die Größe; dvr Ku^ol und die Stärke des Individuums in einem richtigen
Verhältni», so kann die; Kufi^el fjehoben werden, wälirend der entgegengtisetzte Ann
fi^estreckt ist. Immerhin ist auch hierfür nwh Übung erforderlich, d. h. die genügende
IntcmsiUit der Zusammenziehung, in der zweckmüßigsten Reihenfolge ausgeftihrt mit
Ausschluß aller nicht unbedingt notwendigen Mitbeweguiigen. Dann erscheint das
Üb(Twind<Mi der Last nicht als Qual, sonihTu als eine I^eistung vorhapdener aus-
reichender Kraft, ja so kann die I^wegung se^lbst graziös genaimt werden, sofern
Grazie == Anmut in j(»der Hewegimg liegt, die mit dem geringsten Aah^and von
Kraft ausgeführt wird.
Knuchen des Staniiut«. 139
setzlicke und verderbeubringendc Last anstemmen, die hier als Muskel-
kraft des Ungetüms auf den Brustkorb drückt. Denkt man «ich von
der Mitte der rechten Hand eine Linie nach dem Stützpunkt des Körpei-s
(Mitte des Sitzes), so hat man die Richtung, in welcher der Druck
von dem rechten Arm aus auf die rechte Brusthälfte wirkt. Die ideale
Mittellinie des Druckkegels von dem linken Arm aus ist gegen einen
Punkt gerichtet, der zwischen Brustbeinkörper und dem entsprechenden
Rückenwirbel liegt. Die Brust des mit dem Tode ringenden Laokoon
ist wie zwischen eine Schraube geklemmt, welche sich mit unerbitt-
licher Stetigkeit zusammenschnürt. Noch ist die Brust hoch gerüllt
mit Luft, noch hält sie Widerstand, noch ist der Atem festgehalten —
allein schon ist der Mund geöffnet, die Natur des Menschen fordert
das Ausatmen, und damit muß in dem nächsten Augenblick der Thorax
zusammensinken. Die Muskeln des Oberarmes verlieren dadurch ihre
Stützpunkte, sie werden in den Gelenken zusammengeknickt, und das
Drama eilt damit schnell seinem Abschluß entgegen, den das Aus-
einanderweichen der Lippen schon einleitet.
Während Laokoon ein vortreffliches Beispiel ist, nicht allein dafür,
wie die Brust und die Luft in ihr mittragen und mitheben, sondern
auch dafür, wann sie es thun, d. h. nur im Zustand der höchsten
Füllung der Lungen, wobei der Thorax weit ausgedehnt, der Unterleib
aber eingesunken ist, wird aitdererseits der Borghesische Fechter
ein ebenso lehrreiches Exempel dafftr, daß schon die Vorbereitung für
das überwinden einer Last oder der Entschluß zu einer kraftvollen
That dieselben Ansprüche an den Mechanismus der Respiration stellt.
Nehmen wir an, es sei in dem Fechter ein Krieger dargestellt, der
mit dem rechten Arm bereit sein muß, den verderbenbringenden Stoß
zu flihren, während der linke mit dem Schild die drohende Gefahr
abzuhalten hat, so erheischen die Schnelligkeit wie die Kraft, daß
die Ursprungspunkte für die sämtlichen Schulter- und Brustmuskeln
unnachgiebig festgestellt seien, damit der Befehl zur Zusammen-
ziehung irgend einer Muskelgruppe, sei's, daß sie einen der Arme
nach vorn bewegen soll, sei's nach hinten oder wie immer, sofort auf
den Angriffspunkt übertragen werde. Es muß das Skelettgerüste des
Thorax durch Füllung mit Luft gleichsam hai-t gemacht sein, damit
nicht die Kontraktion der Muskeln die Rippen verschiebe und dadurch
Kraft vergeudet werde, sondern die Brust — unnachgiebig wie eine
Säule — nur eine Verschiebung des Armes gestatte. Aus diesem
Grunde ist bei dem Fechter während der höchsten Anspannung der
Kraft und der Energie auch die Brust hoch gehoben, der Unterleib
aus dem schon oben erwälmtcn Grunde eingesunken. Weil dieser
Zustand, wie alle Menschen aus eigener Erfalirung wissen, um* ganz
140 Fünfter Abflchnitt.
kurze Zeit währen kann, da der Organismus schon nach wenigeu
Sekunden eine neue Inspiration, also eine vorhergehende Kntleening
der Lungen fordert, so tritt, wenn auch nur vorübergehend, eine Ab-
nahme der Kraft mit physiologischer Notwendigkeit ein. Diese Vorstellung
erweckt in uns das Bewußtsein, bei diesen und ähnlichen Kunstwerken
wie bei wirklichen Situationen, daß der Augenblick der Entscheidung
unmittelbar bevorsteht. Sieg oder Tod stehen hart nebeneinander, und
diese Empfindung, bewußt oder unbewußt, steigert unser Interesse.
Abgesehen von allen anderen Mitteln, welche in dem hier gewählten
Beispiel auf uns wirken, ist die Füllung der Brust mit Luft eine jener
Hauptformen des Kunstwerkes, welche den Eindruck siegreicher SjüA
und schneller, zielbewußter Bewegung heiTorbringen.
Der große Gegensatz in dem Verhalten des Thorax tritt sehr an-
schaulich hervor in den ohne Andeutung einer besonderen Thätigkeit
ruhig stehenden Athletenbildern. Die Höhe der vorderen Brust-
fläche ist nur wenig verschieden von derjenigen des Unterleibes. In
dem sterbenden Fechter bringt es das Vorbeugen des Körpers mit
sich, daß die Brust sogar tiefer liegt, als der gewölbte Unterleib.
Übrigens darf man annehmen, daß hier die Brust ausgeatmet hat;
WiNCKELMANNs Bemerkung, man sehe deutlich, wie viel von der Sede
bereits entwichen, prägt sich auch in der Form des Thorax aus.
Die Mechanik der oben erörterten Bewegungen verlangt, daß die Ver-
bindung der sieben wahren Rippen mit dem Brustbein nicht absolut fest, sondern
ebenfalls durch einfache Gelenke hergestellt werde, und daß die Rippenknorpel
der falschen Rippen sich gleichfalls, wenn auch in geringem Grade aneinander ver-
schieben können (Rippenknorpelgelenke). So ist es durch die Einrichtung der Gelenke
möglich geworden, dem Brustkasten eine fiir das Atmen unerläßliche Bew^lich-
keit zu geben. Dadurch, daß sein Gerüste aus einzelnen Spangen besteht, die so-
wohl in ihrem knöchernen als besonders in ihrem knorpeligen Teil einen bedea-
tenden Grad von federnder Kraft besitzen, während die Zwischenrippenräume von
nach^ebigen Muskeln und Sehnen ausgefüllt sind, erreichte die Natur nicht nur
Ftujtigkcit, sondern gleichzeitig einen großen Grad von Elastizität Ohne diese
hitztere Eigenschaft: wäre das Atmungsgeschäft, sobald es durch die Arbeit eine
etwas stärkere Ausdehnung gewinnt, zu einer unerträglichen und erschöpfenden
ArheJl j;ewonlen; aber so ist die vermehrte Spannung des Brustkorbes sowie
di(^ Wiederkehr zur normalen Lage durch seine federnde Kraft vereinfacht und
erleichtert. Von welcher Bedeutung diese Eigenschaft sei, zeigt die ermüdende
Beschwerde tieferen Atmens beim Greise; denn der Rippenknochen ist wie alle
anderen Knochen spröde geworden, der Rippenknorpel hat seine Biegsamkeit ver-
loren, und die Rippenf^elenkc sind steif. Die Muskeln suchen mit übermäßiger
Anstreiij^uif? den starr gewordenen Brustkorb zu heben, eine Anstrengung, die bald
den Rest der schwachen Kraft zerstört, und in Kürze eine lähmende Ermüdung
\nt\ forciertem Atmt^n hervorruft. J
In d<T Elastizität de« Rippenkorbes liegt gleichzeitig ein mächtiger Schutz
(fi'gen die. Einwirkung zci'störender Gewalten, welche ohne diese Eigenschaft das
Knoohfn des Stummes. 141
Gerüste durch Druck oder Stoß zerstören würden. Die Balancierstange, an der
ein Jongleur seine Exerzitien macht, würde die Hrust des Athleten, der sie auf der
Brust trägt, ebenso sicher eindrücken, wie der Ainbos, der auf seiner Brust ruht
und durch Schmiedehämmer erschüttert wird, oder wie der Anprall der eisernen
Kugel, die er in die Luft schhuidert und mit vorgehaltener Brust auffängt. Die
Elastizität allein ist es, die solch gefährliches Spiel gestattet. Ohne sie würden die
Knochen zerbrci'hen.
Um bei solchen Anstrengungen dem Ausweichen der Ri])])en niu'h hinten
vorzubeugen, sind die zehn oberen Rippen durch die Rippenhöcker gegen die
Querfortsätze der Brustwirbel so gestellt, daß sie sich wie an ein Widerlager an-
stemmen.
Wie die Füllung der Brust mit Luft von wesentlichem Kiiifluß
auf die Bewegung der Arme ist, so hängt jene hinwiederum ab von der
Stellung der Arme. Aufheben der Anne wölbt die Brust, ebenso wie
das Zun\ckziehen der Schultor bei gerader Haltung. Ziehen sich näm-
lich die breiten Riickenmuskeln so zusammen, daß sich die Schulter-
blätter nähern, so tritt in demselben Augenblick die Brust heraus
und der Unterleib shikt ein. Die in ihrer Stellung festgehaltenen
Schulterblätter und Arme ziehen die zehn oberen Rippen samt dem
Brustbein in die Höhe, der Kaum in dem Thorax erweitert sich all-
seitig, und ein Teil der Baucheingeweido tindet unter dem erweiterten
Räume Platz, wodurch die Rundung des Unterleibes sich naturgemäß
veiTingert. Dasselbe ist der Fall bei dem Hochheben der Arme. Christus
am Kreuze, ebenso wie die beiden Schacher müssen also mit hoher
Brust und Hachem, etwas eingesunkenem Unterleib dargestellt werden.
Mit dem Herabsinken der Anne kehrt auch die Brust in ihre
Ausgangsstellung zurück.
Die Größe des Thorax an sich besitzt schon eine bestimmte
physiognomische Bedeutung, von der oben bereits vorübergehend die
Rede war. Nachdem gezeigt worden ist, daß der Brustkorb unter
dem Einfluß der Respiration bedeutender Bewegung fähig ist, und daß
damit auch Bewegungen an dem Unterleib verbunden sind, ist es am
Platz, darauf hinzuweisen, daß die Haltung des Rumpfes u. a. von
der Tiefe der Atemzüge abhängt, und daß sich damit die ganze Kr-
scheinung des menschlichen Wesens ändert.
Die in die Bnist geworfene Haltung imjioniert uns als der Ausdruck
willkürlicher Krafbanspaunungf die gekrümmte Wirbelsäule, bei der die
Brust einsinkt, macht dagegen den Eindruck nachlässiger Schlafflieit.
Und zwar mit Recht, denn zu ersterer gehöi-t mehr Anstrengung der
Muskeln. Die Wirbelsäule knickt bei SchlaflFlieit von selbst durch die
«
Last der Eingeweide, der Brust und des Bauches vornüber, was
durch die Anspannung der langen Streckmuskeln wieder aufgehoben
wird.
142 f^ünfler Abschnitt.
Uns allen ist es von klein auf anerzogen, sich „gerade zu halten^
d. h. die Brust herauszustrecken, den Unterleib und den Hals mit
dem Kopf zurückhalten. In höherem Grade noch wird diese ordonnanz-
mäßige Positur auf dem Wege des Exerzierreglements verbreitet. Diese
gerade Haltung ist aber nicht bloß schön, sie hat auch bestimmt«
Vorteile für die Gesundheit; denn der Raum für die Lungen wirf
bei der gestreckten Wirbelsäule durch die damit verbundene stärisere
Wölbung der Brust größer; die Lungen sind mehr mit Luft gefiillt
und können fi^eier atmen, als bei* der nachlässigen Haltung, die den
Brustkorb zusammendrückt.
Mit diesen beiden verschiedenen Haltungen des Rumpfes hanno-
niert auch der Gang, den man in dem einen Fall kräftig, sicher
nennen kann, während er in dem anderen schleppend ist.
Die successiven Stellungen der Beine beim Gehen zwingen uns, mit
dem einen Beine den Rumpf nach vorwärts zu schieben. Das eine Bein
befindet sich zu dem Ende zuletzt in äußerster Ausstreckung aller seiner
Gelenke, namentlich auch des Kniegelenkes, wogegen gleiclizeitig das
andere, auf dem der Oberkörper ruht, im Knie etwas eingeknickt ist
Streckt sich das eine Bein vollständig, namentlich auch in dem Knie-
gelenk, so ist damit die Bedingung eines kräftigen Ausschreitens ge-
geben, und der ganze Gang wird gleichzeitig elastisch, mühelos —
frisch erscheinen.
Wird dagegen das nachstemmende Bein im Knie nicht ganz aus-
gestreckt, sondern setzt es sich noch etwas gebeugt alsbald wieder unter
den nach vorn weiter getragenen Rumpf, so schleppt sich das andere
Bein mehr nach, und der Gang zeigt die nachlässige Manier, die man
täglich auf der Straße sehen kann. Der Mann mit dem buckligen ge-
krümraten Rücken schleift auch seine Beine nach, sonst die charak-
teristische Ei'scheinung des tief Ermüdeten und des Greises.
„Es ist der Geist, der sich den Körper baut."
Die Mechanik der Atmung wird vollzogen durch die Zugkraft der
Muskeln und die Elastizität der Lungen und des Brustkorbes. Wäh-
rend die Muskeln, ohne den Einfluß unseres Willens und unserer Auf-
merksamkeit, den Thorax z. B. bei dem tiefen Atemholen in die Höhe
heben, geschieht das Ausstoßen der Luft durch die natürliche Elastizität
der Lungen und des Brustkorbes. Beide kehren vermöge ihrer natür-
lichen Elastizität in die Ausgangslage zurück. Bei dem ruhigen oder dem
Abdominalatmen spielt das gewölbte Zwerchfell die Hauptrolle. Seine
Kui)pel flacht sich ab, die unteren Teile der Lungen erhalten vor-
zugsweise Raum und dehnen sich aus, während die in der Nähe des
Halses befindlichen Spitzen nur wenig Luft aufnehmen. So während
der ruhigen Haltung unter Tags und während des Schlafes. Bei dem
Knochen des Stamme«. 143
tiefen Atemzuge hebt sich dagegen der ganze Brustkorb, und die
Luiigen werden von der Spitze an bis herab zu den untersten Kändern
in erhöhtem Grade mit Luft geftUlt. Bei körperlichen Anstrengungen,
bei heftiger leidenschaftlicher Erregung findet immer tiefes, volles At-
men statt, und die starken Bewegungen der Brust, das Heben und
Senken kann man selbst durch die Kleidung hindurch wahrnehmen.
Bei angestrengter Atmung sind denn auch sehr viele Muskeln thätig,
und ihre Zusammenziehung läßt sich direkt am Lebenden nachweisen;
da arbeiten die Eopfnicker zu beiden Seiten des Halses und heben
Schlüssel- und Brustbein hinauf; der Kappenmuskel, der kleine Brust-
muskcl, die Strecker der Wirbelsäule (denn mit dem Strecken der
Wirbelsäule erheben sich auch die Rippen), endlich der große Säge-
muskel: alle ziehen mit ihren Zacken gleich ebensovielen Zugseilen
die einzelnen Rippen in die Höhe. Schon bei der strammen Haltung,
welche die Arme von ihrer nach vorn geschobenen Lage an die Seite
des Körpers zurückbringt, helfen die Muskeln den Thorax vergrößern
und folglich die Lunge mit ehieni größeren LufUjuantum erfllillen. Ks
ist bemerkenswert, daß der Brustkorb bei dem forcierten Atmen, wie
es die gute Haltung, viel Aufenthalt und Bewegung in freier Luft,
als Jagen, Turnen, Reiten u. s. w., mit sich bringen, nicht nur mo-
mentan an Raum gewinnt, sondern auch dauernd.
So kann die körperliche Erziehung durch ein weises Maß von
Anstrengungen die großen, an dem Brustkorb befindlichen Muskeln
üben und damit die Lungen und die Gesundheit steigern. Es giebt
Beweise genug dafür, daß selbst bei jungen Ijeuten von 18 — 20 .Fahren
der ganze Bau des Brustkorbes noch einer beträchtlichen Erweiterung
unter solchen Umständen fähig ist.
Die außerordentliche Beweglichkeit des Brustkorbes durch He-
ben und Senken tritt bei der sogenannten künstlichen Respiration
Scheintoter (Asphyktischer) in ein glänzendes Licht. Hat die Respi-
ration aufgeholt, besU^ht aber auch nur die geringste Hoflnung, das
Leben durch Zufuhr frischer Luft noch zu retten, so wird die
künstliche Respiration eingeleiU^t. Der Körper liegt auf einem
Tisch, ein kleines Kissen unter dem Kopf. Man faßt die beiden
Anne und führt sie in die Höhe. Sofort erhebt sich unter dem
EinHuß des Muskelzuges, wie bei dem Lebenden unter den gleichen
Umständen, die gesamte Brust, und die Luft dringt in die Lunge: es
erfolgt I^^natmung. Werden dann die Arme an die Seiten des
Körpers zurü(;kgeführt, so hört der Muskelzug auf, der Thorax jhikt
zusammen und die Lungen atmen aus. Dabei hört man die Luft
mit Geräusch durch den Kehlkopf in die Lungen ein- und aus-
streichen, und der Asphyktische scheint wie ein Lebender zu atmen.
144 Fünfter AtMchnitt
Dieses künstliche Atemholen bringt oft die erloschene Herzthätigkeit
wieder in den Gang. Das Herz liegt ja zwischen den beiden Lungen,
also im Gentium des Luftherdes, die Bewegung der Lungen be-
wegt auch Teile des Herzens, und dadurch entsteht ein Reiz, der
oft noch eine Stunde nach dem Stillstand der Atemzüge und des
Herzschlages die Bemühungen um Rückkehr des Lebens mit Erfolg
gekrönt hat. Der passive Zug selbst an den leblosen Muskeln vermag
die Mechanik der Atmung auch an dem Thorax Sclieintoter noch
wirksam zu machen.
Der Tod in seiner Wirkung auf die Form des Tlionx«
Mit dem Tode nimmt die Brust eine charakteristische Form an,
welche derjenigen nach einer tiefen Einatmung und bei Anhalten de«
Atems auf den ersten Blick sehr ähnlich ist; die Brust erscheint näm-
lich hoch und der Unterleib eingesunken, obwohl die Lungen in dem
ersten Fall übermäßig mit Luft gefüllt sind, in dem zweiten dagegen
die Atemluft entleert ist, und der Brustkorb in dem Zustand der Aus-
atmung still steht. Die nächste Erklärung dieses Widerspruchs liegt
darin, daß die Lungen selbst nach dem Tode noch eine beträchtliche
Menge Luft enthalten, die nicht entweichen kann, so lange der Brust-
korb unverletzt ist. Man schätzt die Menge der „Residualluft" auf 1 — 1 Y,
Liter. Die Lungen, zwei häutige elastische Säcke, sind nämlich in den
Brustkorb luftdicht eingefügt, und nur durch eine einzige Röhre, die
Luftrölue (Trachea) mit der Atmosphäre in Verbindung gesetzt. Durch
die Nase und den Mund ist zwar der Zutritt der Luft gleichfalls frei,
aber beide Wege führen immer nur in die eine Röhre. Diese Röhre
spaltet sich in zwei, in eine für die rechte und in eine für die linke
Lunge, und führt durch wiederholte Teilung in das dehnbare elastische
System von „Lungenbläschen", in welchen der Austausch der Respira-
tionsgase und die Verdunstung des Wassers stattfindet. Die lufthaltigen,
mit unzähligen Luftgängen und Blutgefäßen durchzogenen weichen Or-
gane verlassen niemals die Innenwand des Brustkorbes, sondern gleiten
stets in innigster Berührung mit den glatten Flächen auf und nieder. In
dem Brustkorb findet sich sonst nirgends freie Luft, und die Lungen-
säcke selbst sind ja bis auf das eine Zufuhn^ohr geschlossen. Er-
weitert sich der Brustkorb noch so sehr, die Lungen müssen ihm bis
an die äußerste Grenze folgen, und atmen wir aus, soweit es immer die
Elastizität der Rippen erlaubt, Lungenoberfiäche und Rippenwand blei-
ben doch stets in Kontakt, weil eben das Respirationsorgan luftdicht
eiugeftigt ist. Aus demselben Grunde können sich die Lungen nach
dem Tod nicht völlig entleeren, sondern es bleibt eine beträchtliche
Knochen den Stamme«. 145
Menge „Rßsidualluft" trotz der letzten Ausatmung im Innern der
Lungen zurück; der Brustkorb bleibt also teils wegen der noch mäßig
mit Luft gefüllten Lungen , teils wegen der Widerstandsfähigkeit
seiner Wandungen selbst im Tode verlmltnrsmäßig hoch und sieht
keineswegs zusammengesunken aus. Was durch das „Entweichen des
Atems" im Innern des Körpers an Raum gewonnen wurde, dient jetzt
zur Vergrößerung der Bauchhöhle. Das Zwerchfell steigt nämlich mit
der Verkleinerung der Ijungen beträchtlich in die Höhe im Vergleich
zu demjenigen Stand, den es während des Lebens inne hatte. Da-
durch nimmt der unterhalb des Zwerchfelles befindliche Raum an Aus-
dehnung zu; Leber, Magen und Milz rücken mit dem Zwerchfell, an dem
sie befestigt sind, herauf, und andere bewegliche Teile der Bauchhöhle
folgen nach, weil alle diese Organe untereinander zusammenhängen. Was
von ihnen noch unter den Rippen Platz findet, verringert den Umfang des
weichen Unterleibes, der infolgedessen einsinkt. Dadurch ist der Gegensatz
zwischen der Höhe der vorderen Brustfläche und derjenigen des Unter-
leibes auch im Tode vorhanden und scheint auf den ersten Augenblick
ebenso groß zu sein, wie nach einer forcierten Einatmung während
des Lebens. Der Unterschied liegt aber darin, daß in dem letzteren
Fall der Brustkorb tliatsächlich viel höher ist und der Uuttn-leib we-
niger tief eingesunken ist.
Die christliche Kunst hat in ihren Monumenten, wo es sich um die
Darstellung von Toten handelt, mit dieser Thatsache zu rechnen. Die
Beobachtung lehrt allerdings, daß dieser ästhetische Gegensatz zwischen
Brust und Bauch nur kurze Zeit nach dem Tode bestehen bleibt und bei
einer Verletzung des Thorax sofort verschwindet, weil dessen luftdichte
Beschaffenheit in diesem Falle zei'stört ist. Namentlich wird der (Gegensatz
durch die Fäulnisgase aufgehoben, welche sich in der Unterleibshölile ent-
wickeln und die Eingeweide und damit den Unterleib aufblähen ; die nach-
giebigen Bauchwandungen wölben sich dann hoch empor, während der
Brustkorb nur wenig in seiner Fonn verändert wird. Ehe noch die Zer-
setzung beginnt und die Fäulnisgase ilire die Form des Körpers entstel-
lende Wirkung ausüben, erscheinen als Vorboten grünlidiblaue Flecken
in der Haut und namentlich in der Haut d(jr Bauchwand. Während bis
zu jenem Zeitpunkte die Leiche das Aussehen eines Schlafendon vor-
täuschen kann, da die ästhetisch schönen Formen des Körpers noch
erhalten sind, wird mit dem Beginn der Zersetzung der Eindruck
ein anderer. Zu dem furchtbaren und zu dem erschütternden
Gefühl, das der Anblick des Toten hervorruft, kommt jetzt die ab-
stoßende Farbe und der ekelerregende Geruch der Verwesung. Wir
sehen ein, daß der Tote jetzt der Erde übergeben werden muß, und
daß wir uns von ihm trennen müssen, wäre er uns auch noch so teuer.
KOLLMANK, Plastiache AnAtomie, 10
146 Sechster AbechniU.
Wir ahnen die Gefahr, welche die Nähe einer Leiche uns bringt, denn
der Geruch, das über die Reinheit der Atmungsluft wachende Sinnes-
organ, warnt uns. Der Tiieb der Selbsterhaltung beginnt sich zu
regen, bewüßt oder unbewußt, und wir wenden uns ab.
Mit Recht hat die Archäologie den auf dem Rücken liegenden
Niobiden „sterbend** genannt: weder Brust noch Unterleib tragen Spüren
des Todes an sich. Dagegen ist Christus im Grab von Haks Holbeix
nicht nur als Toter dargestellt, sondern noch mehr, als eine in der
a
Zersetzung befindliche Leiche, an welcher Fäulnisflecken den Körper
bedecken und das gewaltigste Zerstörungsmittel der Natur, die 2Ier-
setzung, ihr Werk bereits begonnen hat.
Sechster Abschnitt.
Skelett der Gliedmaßen.
Li dem Bau des Skelettes bieten die oberen Gliedmaßen mit den
unteren manche wichtige Übereinstimmung. Beide haben ihren freien
Teil, der zu oberst durch einen, tiefer durch zwei Röhrenknochen ge-
stützt wird; an diese reihen sich in steigender Menge andere an, bis
die Fünfzahl der Finger und Zehen en-eicht ist. Alle Gliedmaßen haben
ferner einen besonderen Skelettabschnitt, der den freien Teil mit dem
Stamm in Verbindung setzt. Diese unter der Haut des Rumpfes ver-
borgenen Teile bilden den Gliedmaßengürtel. Für die oberen Glied-
maßen stellen sie den Brust- oder Schultergürtel dar, für die un-
teren den Beckengürtel.
Die oberen und unteren Gliedmaßen sind dem Rumpfe aufgelagert,
was sich für die oberen noch deutlich erhalten hat, an den unteren
dagegen nicht mehr erkennbar ist. Trotz dieser wichtigen Übereinstim-
mungen, deren volles Verständnis ein vergleichender Blick auf die Fig. 1
S. 25, Fig. 2 S. 28 und Fig. 45 S. 129 ergeben wird, sind die oberen
und unteren Gliedmaßen durch ihren Bau und ihre Funktion in hohem
Grade verschieden. Die Verschiedenheit ist notwendig durch die Be-
stimmung des Arms, zahlreichen Aufgaben zu dienen, die nur durch
ein großes Maß von Bewegliclikeit zu erfüllen sind, während das
Bein wesentlich zur Stütze des Körpers und zu dem Organ der Orts-
bewegung bestimmt ist.
Die Arme verdanken ihre außerordentliche Beweglichkeit dem ge-
ringen Zusammenhang mit den Knochen des Stammes. Jeder Arm
Skelett der GliedmaOen. 147
hängt nur an einer einzigen Stelle mit den Knocken des Stammes zu-
sammen und zwar an dem Brustbeinhandgriff durch das Schlüsselbein.
Daher stammt die große mechanische Bedeutung des letzteren. Dieser
einzige Verbindungsknochen hält wie ein Strebepfeiler die Schulter in
gehöriger Entfernung (Fig. 45 Nr. '«s und > 9, S. 129). Bricht das Schlüssel-
bein entzwei, so sinkt die Schulter und damit der ganze Arm herab,
und die freie Beweglichkeit ist zerstört. Das Schulterblatt selbst hat
gar keine. Knochenverbindung mit dem Stamm, sondern ist nur durch
Muskeln befestigt.
Die Verbindung des Beines mit den Knochen des Süimmes ist
durchaus verschieden von derjenigen des Armes. Im Interesse größerer
Festigkeit sind die beiden Hüftknochen nicht wie das Schulterblatt
beweglich, sondern durch Verwachsung mit dem Kreuzbein zu einem
vollständigen Knochenring vereinigt: zu dem Beckenring oder
Beckengürtel. Dieser Knochengürtel (Fig. 45 S. 129) gestattet dem
Bein nicht jenen hohen Grad von Beweglichkeit, wie sie der Arm be-
sitzt, giebt ihm dagegen den Vorzug gr()ßerer Sicherheit als Träger
der ganzen Last des Stammes.
Das Skelett der oberen Gliedmaßen.
Das Skelett jedes Arms besteht:
1) aus der Hälfte des Schultergürtels, nämlich dem Schlüssel-
bein und dem Schulterblatt der entsprechenden Seite;
2) aus dem Oberarmknochen;
3) aus den beiden Vorderarmknochen und
4) aus dem Knochengerüste der Hand.
Alle diese Teile sind durch (Tclenke beweglich miteinander ver-
bunden.
a) Der Sohulterg^rtel.
Das Schlüsselbein (Clatdada^ Fig. 4G Nr. l, 2 und 4)
ist ein M-förmig gekrümmter Knochen, dessen dickes Ende mit der Hand-
habe des Bnistbeins verbunden ist (Fig. 40 bei Nr. i u. 2), während das
al)geHachte Ende mit dem Schulterblatt zusammenhängt. Das Brustbein-
ende der Clavicula ist nahezu viereckig und mit einer sattelfiirraig
erhöhten Gelenkfläche versehen, deren eine Hälfte in der Gelenkpfanne
des Brustbeins sitzt (Fig. 46 Nr. i), während die andere Hälfte da-
rüber hinausragt. Der obere Rand des Brustbeins (Fig. 45 B -8 S. 129)
erhält dadurch eine vertiefte Lage, und die vordere Halsgrube, welche
unmittelbar über der Brustbeinhandhabe liegt, winl am Lebenden
10*
148 Sechster Abschnitt.
von drei Knochenenden begrenzt. Die Richtung des Schltisselbein-
gelenkes ist schief von oben nach unten und außen gerichtet.
Wird der Arm stark nach hinten gezogen , so entfernen sich die
Gelenkfiächen etwas voneinander und die Haut sinkt dazwischen
rinnenartig ein. Das Schulterblattende des Schlüsselbeines ist
von oben nach unten flachgedrückt und ebenfalls mit einer Gelenk-
fläche, für die Verbindung mit dem Akromion, versehen (Fig. 46 Nr. 4).
Der vordere Rand dieses Endstückes ist in einem sanilen Bogen aus-
geschnitten.
Das Mittelstück ist nach vorn konvex, aber dabei läßt es
deutlich eine vordere Fläche erkennen, die sich durch eine scharfe
gegen das Brustbein ansteigende Leiste von der oberen Fläche ab-
hebt. Diese Kante rührt von dem Ursprung des Brust- und des
Deltamuskels her.
Das Schlüsselbein liegt unmittelbar unter der Haut und bildet
die Grenze zwischen Hals und Brust, die deutlich sichtbar ist,
namentlich bei Männern. Bei den Frauen wird durch das Fett
der scharfe Kontur mehr verwischt, und nur die sanfte Biegung
deutet auf die darunterliegende Brücke zwischen Brustkorb und
Arm. Überdies ist bei Frauen das Schlüsselbein in seiner äußeren
Hälfte nicht so scharf gebogen, überhaupt nicht so scharfkantig,
wie bei dem Mann. Bei Leuten aus der arbeitenden Klasse ist es
dicker und kantiger. Auffallend sind die individuellen Schwankungen
seiner Form — von dem plumpen kaum leicht gebogenen Balken
bis zur schöngeschwungenen Knochenspange. Die Konstruktion des
Brustkorbes bringt es mit sich, daß das Schulterblattende mehr nach
außen und hinten gerichtet ist und daß es auf sehiem Weg die erste
Rippe kreuzt.
Das Schulterblatt (Scapula)
ist ein flacher dreieckiger Knochen, der wie ein Schild auf dem Rücken
liegt. Bei frei herabhängendem Arm sitzt das Schulterblatt mit seinem
innem, längsten Rande parallel zur Wirbelsäule, ca. 7 cm von den
'Dornfortsätzen entfernt, und erstreckt sich von der zweiten Rippe bis
zur achten Rippe herab.
Der äußere Rand (Rg. 47 Nr.c) ist verdickt, wulstig au%etrieben,
und steigt steil von dem unteren gerundeten Winkel des Schulterblattes
(Fig. 47 Nr. 6) in die Höhe. Der obere Rand, der mit dem inneren
einen scharfen Winkel, den oberen Schulterblattwinkel (Fig. 47
Nr. 7), bildet, fällt ziemlich steil gegen die Gelenkpfanne ab, welche
eiförmig so angebracht ist, daß ihre Fläche etwas nach vom und
8k«l«lt der GUedmaftan.
Akromialende
AkromioD a
HaoketilbrtBats la
Tubeicalam nujDB is
Tubtrcnlum
Aiuati d. Rockentak«.
Aontt d. BnutmiukelB
AnsaUd. DcItBmutkeU
Fan tiochleariB 1|l
Nodiu latenlii i^
C«[dtaluin hnineri Z3.
Kopfdioi dm BaUiu ni.
I Schlänelbdii.
Hrhlfinarlhrin
Körper d«a Bnutbeini
■dtl. die lUppe.
6 Anderer Rud.
Innerer Band.
n Unlerar Winkel.
Köpfchen der EHle
GriffeUbHMti der Elle
Handwnnel
2 Ende dei liadiui.
I tiriHelforlraU.
Mitlelhandknochen dea Damnenl.
Eral«s Dsuiuenglird.
Zweites Daumenglied.
;. 46. Dm Aiiiiakelett von vorne.
1
150 Sechffeer AbMdmitt.
aufwärts ragt. Dieser obere Rand würde bis zur Gelenkpfanne zu
verfolgen sein, wenn nicht gerade hart an der Pfanne ein platter,
starker, hackenförmig nach vom gekrümmter Muskelfortsatz ent-
spränge, wegen einer entfernten Ähnlichkeit mit einem Rabenschnabel
Rabenschnabelfortsatz (Processus coracoideus, Fig. 46 Nr. 10)^ ge-
nannt. Sein stumpfes Ende ist leicht unter dem Schulterblattende
des Schlüsselbeines als ein harter Knopf zu fiihlen. Hat man einmal
durch Zufühlen diese Stelle erkannt, so wird bei mageren Menschen
der Einfluß des Fortsatzes auf die Form der Schultergegend leicht zn
erkennen sein, gerade so wie beim muskelstarken Mann, dessen Delta-
muskel an der entsprechenden Stelle durch * den darunterliegenden
Knochen herausgedrängt ist.
An dem unteren Winkel (Fig. 47 Nr. 8), der breit und ge-
rundet ist, entspringt der große runde, etwas weiter oben und
außen der kleine runde Armmuskel. Bei schlechter Haltung hebt
sich dieser Winkel von der hinteren Thoraxwand stark ab und
ist wegen seiner Umhüllung mit Muskeln als ein rundlicher und
beweglicher Vorsprung leicht zu erkennen. Aber auch bei der stram-
men Haltung, wobei dieser Winkel an die Thoraxwand angediückt
wird, läßt er sich leicht entdecken. Man vergleiche an der Figur 2
S. 28 die verschiedenen Stellungen des Schulterblattes an dem Brust-
korb.
Die hintere Fläche des Schulterblattes wird von einem Kamm,
der Schultergräte (Spina scapulae)^, in zwei ungleiche Teile ge-
trennt. Diese Gräte entspringt an dem inneren Schulterblattrande
aus zwei Schenkeln, die ein sanft ansteigendes, kleines dreiseitiges
Feld begrenzen (Fig. 47 Nr. ir), das als leichte dreieckige Ver-
tiefung bei dem Mann und wegen des Fettpolsters nur als ein
seichtes Grübchen bei der Frau wiederzufinden ist. Die Schultergräte
zieht ([uer gegen die Gelenkpfanne und läuft allmählich nach oben
als ein breiter flachgedrückter Fortsatz wie ein Schutzdach über die
Gelenkpfanne hinaus fort. Der höchste Teil dieses Kammes heißt
Schulterhöhe (Akromioriy Fig. 47 Nr. 12). Unmittelbar über der weichen
Wölbung des Oberarms fiililt man das harte Akromion unter der
Haut. Sein höchster Punkt entspricht der Verbindung des Schlüssel-
beines mit dem Schulterblatt.
* Schultorhackcn oder Haekenfortsatz. (Processus eoraeoideus heißt raben-
ähnlicher Fortsatz; dieser Fortsatz sieht weder einem Raben, noch dem Schnabel
eines Raben gleich. Es giebt keine Raben mit hackenförmig gekrümmten Schnäbeln.)
' Spina seapulae Schultergrat oder Grat. Grat heißt im Ober- oder Nieder-
deutschen jede scharfe Kante eines Dinges (Grathobel, Gratbohrer, Grattier [Gemse,
weil sie auf hohen Grebirgskämmen sich aufhält]).
Bkdctt der OltadnuScn.
OhcTTT Winkel 7
Sohiiltergrät« 1 1
teeinn der (iriUe 11'
7 II Foasa BU|ira«|ilii.
Enilp dn RndiiiJi S ..
. (.IriffplfortimW I--
Hnndwunel S ■--.
MittelhiiiKlIcnocbeii dm Dnnmen.s 1
Entcs D&umvaKlied Dt' I
Kweiuw Dau meng li eil ,
Fig. 47. Das Annakelett
-4 gchtünelbein.
11 Akromioii.
U Gelenkkopf.
II Tuberculuiu m^i»
U An», d. DeltamuskelB.
.)■ Nodns lttl«r>lu.
CnpitulDin hnmeri.
Jl Knprchen dei Radini.
Proc. oorunoideiu.
Toberotitaa nidii.
.,jl OrnndphKltuigeii.
...V UlUeJphalangen.
'i-XT Endphalsngen.
152 Sechster AbMthnitt.
Das Akromioni ist mit stumpfeu Rändern versehen und seine
Spitze beugt sich nach vom über. Die Spitze allein und ein Teil des
Randes sind von vome zu sehen.
Der freie Rand der Schultergräte besitzt eine charakteristische
Form, die am besten aus den naturgetreuen Abbildungen zu ent-
nehmen ist. Er wird nach seinem Ursprung zunächst schmal, dann
breit, neigt sich dabei nach abwärts, wodurch endlich im letzten Ab-
schnitt die Fläche des Akromion mit der äußeren Fläche des Schulter-
blattes parallel liegt.
Die beiden durch den Kamm getrennten Flächen werden als
obere Schulterblattgrube (Fossa supraspinata , Fig. 47 Nr. 13) und
als untere Schulterblattgrube (Fossa infraspinataj Fig. 47 Nr. 14) be-
zeichnet. Sie werden durch Muskeln ausgefüllt. Sind diese sehr kräf-
tig, so liegt der Schulterblattkamm vertieft und ist nur als Furche
wahrzunehmen; sind die Muskeln dagegen schwach, so sieht man die
Zeichnung des Kammes selbst durch den Rock hindurch.
Die beiden Knochen, Schulterblatt und Schlüsselbein, bilden mit dem Brust-
bein, das ist aus den vorausgegangenen Beschreibungen ersichtlich, keinen ge-
schlossenen Ring, wie der Ausdruck Schultergürtel doch eigentlich erwarten
läßt. Der Gürtel ist nach hinten unvollständig und die inneren Schultcrbiattrftnder
stehen weit voneinander ab (siehe die Fig. 2 S. 28). Der an dem Skelett wdt-
klaffende Raum ist durch Muskeln ausgefüllt, welche den inneren Rand des Schulter-
blattes mit den Domfortsätzen der Wirbelsäule verbinden. Dadurch wird freilich
auch das Schulterskelett zu einem Gürtel, wie derjenige des Beckens, allein mit
dem Unterschiede, daß der freieren Beweglichkeit wegen die starre Verbindung
teilweise durch Muskeln ersetzt wurde.
Ein Schultergürtel, wie er eben von dem Menschen geschildert wurde, besteht
auch bei den höheren Tieren. Bei den Säugern und vor allem bei jenen, deren
vordere Gliedmaßen sich einer mannigfaltigen und freien Beweglichkeit erfreuen,
existiert ein breites Schulterblatt und gelangt die Clavicula zu starker f^twickelnng,
wie bei den menschenähnlichen Affen und den ihnen nahestehenden Gruppen. Die
fliegenden Säugetiere besitzen sogar ein großes Schlüsselbein. Reduziert wird es
bei den Fleischfressern (Katae), bei manchen fehlt es vollständig (wie bei dem
Bären und bei den Huftieren).
b) Das Skelett der freien Extremität
Der Oberarmknochen.
Das Armbein (IIumeni.s) läßt ein Mittelstück und zwei stärkere
Endstücke unterscheiden. Das Mittelstück ist nicht ganz gerade, son-
dern etwas nach vorwärts gekrümmt, die beiden Enden sind auf-
^ Akromion vom griech. akrOmion, entstanden aus akros, das äußerste, und
Omos, Schulter.
Saiatt der QUednuAcn.
Nodal Imtenüis JO.
Ellbogen ■-
-U Ctpituluni humeri,
-n KöpfchcD du Badiui.
7 Oberpr Winkel.
SchlünelbciD.
.t Scblönelbein.
-j Körperd. Bnuitb«iiu8«i(1.
•ixe emte Rlpp«.
17 Tuberculiini ininua.
18' Alw.ii.br.llÜGkeDiulu.
Ansuti <lcs Bruitmuskeli.
DoltwiiiMlcels.
Tuberodbu rndii.
Keprehen der Elle T.^
Oiiffdtortmtz der Elle II ..
Handwunel J-r.
Uitlclhuidkiioclien <1«t Fiiit.-er nn:
.S Ende de« Radiu*.
Grundphalaiii^ii H-:
MittelpbiJRii^ien sv:
PIudphnlitngcT) Sil'.
Fig. 48. Du Aimskelett von Aufien.
154 Sechster Abschnitt.
getrieben, doch jedes in anderer Art, das obere ist keulenfi>rmig und
birgt einen kugeligen Gelenkkopf, das untere ist breit und träj^
einen cylindrischen Gelenkkopf, der überdies quer liegt. Der ol)ere
Gelenkkopf, der in der Gelenkpfanne des Schulterblattes sitzt (Fig. 47
Nr. 15), ist nach innen zu durch eine seichte Furche von dem
übrigen Knochen getrennt, namentlich auch von zwei in der Nähe be-
tindlichen Höckern. Der größere Höcker (Ihiberculum majus,
Fig. 46 — 48 Nr. 16) ragt nach außen; an ihn befestigen sich mit starken
Sehnen die Muskeln der oberen und unteren Schulterl)lattgrube. Etwas
nach vorn und innen liegt der kleine Höcker (Thiberaäum mhnut,
Fig. 46 u. 48 Nr. 17), von dem vorigen durch deutliche Furche ge-
trennt, in der die Sehne des Biceps zu dem oberen Rand der Gelenk-
pfanne hinauf steigt (Fig. 51 Nr. 9). Sowohl vom großen als kleinen
Höcker sieht man Leisten nach abwärts verlaufen, welche Ansatzlinien
für bedeutende Muskeln sind.
Die Knochenleiste, welche vom großen Höcker herabkommt, heißt
Spina tuberaili majoris (Fig. 46 u. 48 Nr. 18) und wird von der Insertions-
sehne des großen Brustnmskels eingenommen. Sie fuhrt auf eine an
der äußeren Seite des Oberannknochens befindliche rauhe Stelle (Tn-
herositas humeri), die Insertion des Deltamuskels (Fig. 46 — 48 Nr. 19).
Die Knochenleiste, welche von dem kleinen Annbeinhöcker herab-
kommt (Spina tuberculi minoris, Fig. 46 u. 48 Nr. is'), dient dem
breiten Rückenmuskel zum Ansatz.
Unterhalb dieser rauhen Stelle wird das früher nahezu cylindrische
Mittelstück allmählich dreieckig. Die hintere Fläche wird durch zwei
Kanten, eine innere und äußere, von der vorderen Fläche getrennt.
Die äußere Kante endigt nach vom umbiegend auf einem stumpfen
Fortsatz, dem äußeren Knorren (Nodus lateralis, Fig. 46 — 48 Nr. 20),
von dessen Umfang die Muskeln der Streckseite des Vorderannes
entspringen. Die innere Kante verdickt sich ebenfalls zu einem Knor-
ren, dem inneren (Nodus medialis, Fig. 46 u. 47 Nr. 21), viel größer
als der äußere; seine rauhe VorderÜäche dient Beugern des Vorder-
arms zum Ursprung, während an seiner hinteren, platten und mit
einer seichten Furche versehenen Fläche der Ellbogeimerv gegen die
Hand hinabzieht. Stoß oder Druck an dieser Stelle auf den über
dem Knochen liegenden Nerven erzeugt das bekannte, zwar bald
vorübergehende, aber doch sehr heftige Prickeln in der Hand. Der
Volksmund nennt diese Stelle Mäuschen.
Der innere Knorren springt durch die Haut hei*vor und bildet
eine deutliche Ecke. Zwischen diesen beiden Höckern liegt die etwas
nach vorn gerichtete Gelenkfläche für die beiden Vorderarmknochen,
aus zwei Abteilungen bestehend; die nach innen liegende (zur Ver-
Skelett der OUadmaHeii.
155
bindung mit der Elle) heißt die Rolle (Troehlea, Fig. 46 Nr. 23), die
andere, nach auBen liegende, kleinere, das Köpfchen (Capänlum), zur
Verbindung mit der Speiche {Fig. 4li Nr. 23).
Die beiden Gelcnkflüelicn liefern nicht vollstAadi;; in eiiior liorizoiilnlcn Ebene,
Bondem die innere steht tiefer als die äuBcre. Die Neigung der Gelenkaehsc und
damit der ganiCD G«lenkflft<;lie des Vordi-ninnr^ Itedingt das Abstehen von der
SeitenflSche de« Körpers, und macbt, daB die Ijäugsaelise <ieii Olieraniitwines mit
der der Elle einen, wenn auch sehr stumpfen Wiukel nach auHwHrts hiidel, Fig. 55.
Diewr Winkel dient zur VergrtfBeninf; der Dn'hungen der Hand, seilet wenn aie
und der Vorderarm in ihren Gelenken nteif gehalieu werden; denn bei einer solehen
Anordnung niiiiwn auch Vorderami und Hand eine ausgiebige Drehung aiuführen,
M)bald der Ul^cnirmkiiochen sieh um seine AehRe dreht.
Über diesen beiden Gelenkköpfcn liegt sowohl an der vorderen
als hinteren Seite eine Grube, von denen die hintere — die Kllen-
bogengrube (Fossa trochlenri», Fig. 47 Nr. 24) — bei der Beugung
des Armes durch Haut und Muskeln hindurch bemerkbar wird.
Das Schultcrgelenk, seine Bewegungen und diejenigen des
SchultergUrtels.
Der Kopf dos Oberarmes bewegt sich auf seiner kloinen Pfanne
am Schulterblatt nach allen Seiten: ein Kugelgelenk mit viel größerem
Spielraum, als je die Mechanik zustande gebracht hat. Die tichlufie
t Schul lerhobe.
I Olierr Ka|Me1iT>iid.
Untergiitengrube (
tlnpr.d.Kapaelr-
Seitlicher Rand 5
Fig. 49. Kapiel des Oberarmgelenks.
Kapsel (Fig. 49) erlaubt, daß der Arm nach vor- und rückwärts
schwingt, zur Körperaclisc angezogen oder abgezogen wird, sich
nach rechts und links dreht, und das alles in jeder Stellung aus-
zufUbien vermag.
156 Sech
Die genaue Betrachtung ei^iebt folgendes: Der an dem Körper
herabhängende Arm, den wir uns in dem Yorderarmgelenk gesteift
denken, kann vom Rumpf soweit entfernt werden, daß der Arm in
einem rechten Winkel absteht. Man nennt diese Bewegung in der
Turnsprache: Seitwärtsheben, in der Anatomie Abztehung oder
Abduktion, und die Muskeln, welche diese Arbeit ausführen, die
„Abduktoren". Die entgegengesetzte Bewegung, bei welcher der seit-
wärts gehobene Arm wieder in die Ausgangsstellung zurückkehrt, heiflt
die Beiziehung oder Adduktion, und die Muskeln, durch deren
Wirkung dies geschieht, werden als „Adduktoren" bezeicbaet.
Der seitwärts gehobene Arm ist von dem Akromion bis zu der
KörptrdetSebalterblatl«« 5-
Pfanne 1 —
Unt. erschUfil« Kapwlw. 8—
Unpnuig und Aosatz der ICnpsel 4t
G' Kapael«p*ltr.d. Sehne.
Fig. 50. Schnitt dtuch das Obennngelenk.
Spitze des Zeigefingers gemessen kürzer, als der ruhig herabhängende
Arm. Die Verkürzung beträgt 2>/, — 3 cm oder '/g — Y? ^^^ Hand-
länge und wird durch die veränderte Lage des Gelenkkopfes in der
Pfanne bedingt. Kin Blick auf die Fig. 50 läßt erkennen, wie bei dem
frei herabhängenden Arm ein ansehidicher Teil des Oberarmkopfes
oberhalb der Pfanne nur von der Kapsel bedeckt ist. Hebt sich der
Arm, so kehrt sich dieses Verhältnis geradezu um; der bisher obere
Teil der Gelenkkugel tritt jetzt mit der Pfanne in Berührung, der
untere dagegen rückt heraus und spannt die bisher in Falten gellte
nntere Kapaelwand. Um diejenige Strecke, welche der Oberannkopf über
den eutsprechenden Pfannem-and zurücklegt, wird der Arm bei dem Ab-
ziehen verkürzt oder bei dem Anziehen, dem „Herabrollen", verlängert
Mit diesen Änderungen in dem Innern des Gelenkes gehen auch
SkeleU der Gliedmaßen. 157
äußere einher. Der große Höcker (Fig. 49 Nr. 3) nähert sich dem Rande
des Akromion hei der Abduktion und damit auch der Ansatz des
Deltamuskels; der ganze Muskel wird um die Strecke der Verschiebung
kürzer, aber auch dicker, und somit entsteht nicht bloß eine Ver-
kürzung des Armes bei dem Seitwärtsheben, sondern eine Änderung
aller Formen. Viele derselben werden erst in der Muskellehre ihre
Deutung linden.
Eine zweite Reihe von Bewegungen besteht in dem Arm heben
nach vor- und rückwärts; der ganze Ann schwingt dabei wie ein
Pendel hin und her. Dabei können die Achsen der Anne und des
Rumpfes in ihrem ui*s])rünglichen Parallelismus bleiben.
Bei der dritten Art der Bewegung dreht sich der ganze Arm um
seine Längsachse, und zwar entweder mit der Daumenseite nach
außen oder nach innen. Was in der Tunisprache Auswärtsdrehung
heißt, nennt die Anatomie Rollen nach auswärts oder Rotation
nach auswärts, die entgegengesetzte Bewegung Rotation nach innen,
und die entsprechenden Muskeln: Rollmuskeln oder Rotatoren.
Diese drei Bewegungsformen können in der verschiedensten Weise
miteinander kombiniert werden, so daß eine unendliche Anzahl von
Stellungen denkbar ist, ebenso wie die Anzahl der Radien des (ielenk-
kopfes am Oberarm, von dessen kugeliger Gestalt allein dieser Reich-
tum der Bewegungsarten abhängt, unendlich gn)ß ist.
Aber alle diese Bewegungen haben eine unüberschreitbai*e Grenze.
Die Kapsel ist allerdings scldafl", aber doch nicht in solchem Grade,
daß nicht an einem bestimmten Punkt z. B. des Seitwärtshebens eine
Spannung einträte, wodurch alle weiteren Bewegungen gehemmt sind.
Darin liegt die Erklärung, daß wir den Arm nicht höher als bis zu einem
rechten Winkel in seinem Gelenk seitwärts oder vorwärts aufhellen kön-
nen, wie die Fig. 50, einen Schnitt durch das Oberarmgelenk darstellend,
beweist; die obere Kapsel wand ist hier gespannt, die untere Kapselwand
in Falten gelegt. Sobald der Arm bis zu einem rechten Winkel im
Schultergelenk gehoben ist, verhält sit!h die Kapsel umgekehrt wie in
Fig. 50 dargestellt; bei weiter fortgesetzter Bewegung in demselben Sinne
würde die untere Kapselwand zerreißen und damit eine Luxation des
Armes eintreten. Dieser Gefahr b(»ugt die Beweglichkeit des Schulter-
blattes vor. Sobald die Kapsel sich spannt, kommt die Drehung des
Schulterblattes an die Reihe, um den Arm über einen Winkel von 90®
hinauf erheben zu lassen. Bei großen und gewaltsamen Anstrengungen
reicht jedoch die Kapsel nicht aus, um der Gefahr der Luxation er-
folgreichen Widei*stand zu leisten. Es kommt dann eine Vorrichtung
zur Verwendung, welche S. 84 als Knochenhemmung bezeichnet
wurde. Das Akromion, der Rabenschnabelfortsatz (Fig. 51 Nr. 3) und
158 a^iter AbMhnUt.
die zwischen ihnen ausgespannte Bandmasse {Fig. 51 Nr. 3', das Lii/a-
mentum acromio - claviculare) bilden zusammen ein starkes Oewölbe,
an das sich der verdickte Oberarmknochen austemmt, sobald die
Spannung der Kapsel den höchsten Funkt erreicht bat.
Jede weitere Bewegung ist dann in dem Inuem des Gelenkes
selbst unmöglich geworden, und damit die Eotierbarkeit des Schulter*
blattes an dem Kumpf eine nnerläßliche Einrichtung geworden. Wie
man bei dem Kenseben die Änderungen der Lage des Scliulterblattes
^ 8 Uolerer Winkel.
Fig. 51. Das Schulterblatt, von der Seite gcsehca.
leicht durch die Haut hindurch erkennen kann, so auch bei den Tieren,
z. B. bei unseren Haustieren; doch sind, entsprechend der Funktion
der vorderen Extremität als Stützorgan, die Bewegungen des Schalter-
btattes bei ihnen mehr beschränkt. Nur bei den Affen erreicht mit der
Freiheit der Armbewegungen auch die Vorschiebbarkeit des Schulter-
blattes einen hohen Grad, der demjenigen der menschlichen Anordnung
der Teile gleichkommt.
Die Freiheit der Bewegungen, die wir an dem Arm bewundem,
wird nur durch die Rotierbarkeit des Schulterblattes ennöglichL
Skelett der Gliedmaßen. 159
Das SchulterlJatt ist bekanutlich nur durch das Schlüsselbein mit dem
Stamme verbunden, sonst al)er völlig frei durch Muskeln an dem
Rücken aufgehängt. Durch den Zug der Muskeln kann es nach auf-
und aliwärts, nach ein- und auswärts, endlich nach vor- und rückwärts
vei"schoben werden.
Beim Auflieben des Armes bis zum Kopfe, .wie z. B. beim Schwur,
dreht sich das Schulterblatt um seinen oberen Winkel und der untere
rückt nach außen, so daß der vorher zur Wirbelsäule parallel ver-
laufende innere Rand schief steht (Fig. 2 S. 28 rechts). Kreuzen wir
die Arme über der Brust, so wird der Rücken breit, die Schulter-
blätter rücken vollständig an die Seite des Brustkorbes, aber so, daß
ihr unterer Winkel weiter außen steht als der obere und zugleich etwas
höher. Kreuzen wir die Arme auf dem Rücken, so nähern sich die
Schulterblätter mit dem innern Rande. Bei nachlässiger Stellung, in
welcher der Rücken leicht gekrümmt und der Kopf nach vorn herab-
sinkt, gleitet auch das Schulterblatt mit dem daran hängenden Arm
nach vorn und die Bmst wird schmal; bei der militärisch-strammen
Haltung dagegen ist das Schulterblatt und also auch die Schulter mehr
nach rückwärts gezogen, und die Wölbung der Brust giebt der ganzen
Erscheinung den Ausdruck der Kraft.
Bi'im Zucki'ii der AcliHolii »chicben sieh d'w. Schiiltorblättt*r bin über don Doni-
fort^atz doa oretoii Unistwirbel» in die* Höhe; die olx'ren Winkel der beiden Schulter-
blätter nähern Hieb dabei, während die unteren auseinanderweiehen. Der letzten»
UniHtand hat eine bedeutende Ilebunfc <ler Schulter zur Foljife. Da« Akroinion
und das daran bi»fe8tigtc S<;hlÜ8m^ÜN>in erheb4>n Hieb gleichfalls bedeutend, und
die äußi»re Halsgrube verti(ift sich, (»eschit^ht ditwe Hewe|?unjc mit größerer An-
stn^ngung, so tritt gleichzeitig eint^ Krümmung der Halswirbelsäule ein, Kopf und
Schult<^r werden sich genähert, wir stecken d(»n K<»j)t' zwis<*hen die Schult4'ni.
Dies(ni letzteren Umstand muß man wohl im Aug(^ halM>n, damit das Heb(>n der
S<rhult€r nicht überschätzt wcnle. Überläßt man dabei die Arme sich selbst, so
werden sie von der Rumpfwandung weggezogen. Heim Hückwärtsbewegen der
Schulti^rblätter hebt sich das Akromi(m um den Durchmi^sser des Oberannkopfes
in die Höhe.
Bei dem Rilckwärtsbewegen der Arme wird der untere Winkel
des Schulterblattes von der RückenÜilche des Körpers weggedrängt,
während die Pfannengegend des Schulterblattes durch die Muskehi
angedrückt ist. Das Abstehen des unteren Winkels rührt von der
cylindrischen Form des Brustkorbes und von dem stärkeren Anpressen
<ler Pfannengegend her.
Bisher wurde bei diesen Bewegungen das Schlüsselbein nidit
berücksichtigt. Es ist aber klar, daß sobald sich die Stellung des
Schulterblattes ändert, auch diejenige des Schlüsselbeines eine andere
werden muß. Am auffallendsten ist dies l)ei hoch erliobenem Arm,
wie z. B. beim Schwur. Das Schlüsselbein erhel)t sich dabei steil, wie
160 Sechster Abflchnitt
bei dem Zucken der Achseln, wodurch gleichzeitig die seitliche Halsgnibe
tief wird. Streckt sich der Arm wie zum Schutz nach vom, so folgt mit
der Schulter auch das äußere Ende des Schlüsselbeines; zieht der Ann
hinter sich eine Last nach, so geht auch die Richtung des Schlüssel-
beines mehr nach hinten, es dreht sich gleichzeitig, so daß seine Yor-
dere Kante mehr nach unten ragt.
Bei der Rückwärtsbewegung der Schulterblätter weicht das
Schlüsselbein mehr unter das Niveau der Haut zurück, die seitliche
Halsgrube verschwindet, dagegen wird das Brust-Schlüsselbeingelenk
mit allen Einzelheiten durch die Haut hindurch erkennbar. Nicht
allein die Gelenkspalte, auch die Gelenkränder des Brustbeines and
jene des Schlüsselbeines kommen deutlich zum Vorschein, sofern nicht
eine zu starke Fettschicht hi dem ünterhautgewebe die Erscheinung
der einzelnen Teile verhüllt, wie dies bei den vollen Formen der
Frauen als Regel auftritt.
Die Knochenverbindung des Arms mit dem Brustbein durch das
Schlüsselbein hat den Vorteil, daß gelegentlich der Arm als kräftige
Stütze für den Rumpf dienen kann, während für gewöhnlich der
Rumpf dem Arm zur Stütze dient. Wenn wir beim Stehen eine
Stuhllehne ergreifen oder uns beim Gehen auf eipen Stock stützen,
dann trägt der sich stemmende Arm zu einem nicht geringen Teil
durch das Schlüsselbein den Oberkörper. Durch den gegen den Boden
gestemmten Stock wird unser Arm thatsächlich zu einem dritten Bein,
welches den Oberkörper oben an der Achsel tragen hilft und dadurch
den beiden Beinen, die ihn am Becken tragen, ihre Arbeit und Last
erleichtert. Dasselbe ist der Fall, wenn der auf dem Boden Sitzende
den Oberkörper durch den seitlich von der Mittellinie entfernten Arm
unterstützt. Eine nur aus Muskeln bestehende Verbindung hätte
Stützen und Stemmen zum größten Teil unmöglich gemacht. Ein
Bruch des Schlüsselbeins ist der deutlichste Beweis hierfür.
Bei all diesen Thätigkeiten wird die Schulter höher gestellt, und
dadurch sowohl die Stellung des Schlüsselbeines als des Schulterblattes
geändert. Siehe den sterbenden Fechter.
Die Knochen des Vorderarms.
Der Vorderarm ist aus zwei Knochen gebildet, der Elle (Ulna) und
der Speiche (Kadiiat, Fig. 46 — 48). Deshalb liegt jeder derselben der
Oberfläche des Vorderarms näher, als der einfache Achsenknochen des
Oberarms. Die Speiche läßt sich in ihrer unteren Hälfte, die Elle
dagegen in ihrer ganzen Länge vom Ellbogen bis zu dem Knöchel an
der Kleinfingerseite der Hand deutlich fiilden und auch sehen. Der
Skelett (kr Gliwlmaßen. 161
größere der beiden Knochen ist die Klle, welche die Verl)indung des
Oberanns mit dem Vorderarm herstellt; der Bau der tiefen Gelenk-
pfanne zur Aufnahme der Rolle bringt es mit sich, daß ihre Bewe-
gungen ausschließlich die Beugung und Streckung vermitteln. Das
Gelenk der Elle mit dem Oberarmknochen ist ein Winkelgelenk. Die
Speiche hat eine ganz andere Gelenkverbindung mit dem Ol)erarm, und
ihre Konstruktion wird in erster Linie für die Bewegungen der Hand
von Wichtigkeit, denn die Hand wird nicht von der Elle, sondern von
der Speiche getragen; die Elle ist also die eigentliche Stütze des
Vorderarms und die Hand stützt sich auf die Speiche.
Aus dieser verschiedenen Aufgalie der beiden Knochen erklärt sich,
warum die Elle oben dick und unten dünn ist, während die Speiche,
welche durch ihre innige Gelenkverbindung mit der Hand wirksam wird,
umgekehrt unten bedeutend an Dicke zunimmt, oben dagegen dünn ist.
Die Elle, welche für die Sicherheit der Winkelbewegung die Rolle
des Oberarms umfaßt, reicht weiter hinauf, die Speiche djigegen
weiter herab, um sich mit den Handwurzelknochen zu verbinden. Nur
zwei Eigenschaften haben sie miteinander gemein. Beide sind leicht
S-förmig gekrümmt, so, daß zwischen ihnen ein länglicher Spalt frei
bleibt , der Zwischenknochenraum, der von einer sehnigen
Membran erfüllt ist; beide Knochen sind dreiseitig, die schärfste Kante
ist zugleich die Grenze des Zwischenknochenraumes und die Ursprungs-
stelle jener Zwischenknochenhaut, welche die Muskeln der vorderen
und hinteren Seite, die Beuger und Strecker der Hand, voneinander
trennt.
Die Elle (Ulna^).
Die Elle ist schlank und ^S-förmig gebogen, was sich ganz be-
sonders deutlich hinten in einer scharfen Kante ausprägt, welche in
einer schönen Krümmung von oben kommt und im unteren Drittel
allmählich verschwindet. Diese scharfe Kante läßt sich ebenso lci(;ht
durch die Kleidung hindurchfühlen wie jene des Schienbeines. Die
Konvexität der Krümmung ist oben nach außen lateral, unten nach
innen medial gerichtet. Die Gestalt des oberen P^ndes ist durch die
halbmondförmig ausgeschnittene Gelenkfläche (Fig. 52 Nr. 4, hwisura
xif/moides major) bedingt, welche mehr als die Hälfte der Rolle des
Oberarmbeins umfaßt. Damit der Gang des Gelenkes völlig gesichert
sei, ist die Rolle in ihrer Mitte etwas vertieft, der halbmondförmige
' Ulna ißt ein doppelsinnigos Wort. Wir üinhn as als Vonlerariii und als
EinK)genlx»in. Ja Ulna kommt auch als ein Längenmaß vor in der deutschen EHe,
d. i. der Abstand der Spitze des Mittelfinp-rs vom EUbogcui, ungefähr Va Meter.
KoLLMAKN, na8ll»che Anatomie. 1 1
162 Sechster Abschnitt
Ausschnitt an der Elle dagegen mit einem Kamm versehen , der so
die Führungslinie des Gelenkes darstellt.
Für die Bildung dieser Gelenkfläche mußte sich der Knochen
bedeutend ausladen; über seinen vorderen balkonai^tigen Vorsprung.
den Kronenfortsatz (Fig. 52 Nr. 5) zieht der innere Armmuskel, einer
der kräftigsten Beuger, zu seiner rauhen Ansatzstelle (Tuberositag länae,
Fig. 52 Nr. 8). Der an der Streckseite des Ellbogengelenkes vor-
springende Höcker, auf welchen wir den gebogenen Arm stützen, bil-
det die vorragendste und härteste Stelle des ganzen Ellbogens. Am
trockenen Knochen ein starker hackenförmig gekrümmter Fortsatz, er-
hielt er den Namen Olekranon^, wodurch er als eigentlicher Kopf der
Elle bezeichnet werden sollte. Die hintere Fläche des Ellbogens ist
lang gezogen, spitzwinklig, die Spitze geht in die hintere Kante über.
Die Seitenflächen sind zwar von Vorderarmmuskeln bedeckt, dennoch
sind sie ebenso scharf wie die Spitze namentlich bei gebeugtem Arm
zu sehen. Nur der halbmondförmige Ausschnitt (Incisura idgmoides
minor j Fig. 52 Nr. 7), der eine Gelenkpfamie für den seitlichen Um-
fang des Speichenköpfchens darstellt, ist gänzlich verborgen.
Das untere P^nde der Elle trägt ein überknorpeltes Köpfchen
(Capitulum, Fig. 47 und 48 Nr. V), das auf der Kleinfingerseite der Hand
als Handknöchel die Grenze zwischen Vorderarm und Hand bildet
Am hinteren Rande springt über dieses Köpfchen ein 4 mm langer
Fortsatz hervor, der Griff'elfortsatz (Frocess, styloideus, Fig. 47 und 48
Nr. VI) ; eine tiefe Furche trennt ihn von dem Köpfchen. In der tiefen
Furche gleitet die Sehne eines Vorderarmstreckers und an der Spitze
des Fortsatzes selbst entspringt ein Band der Handwurzel.
Die Speiche (Jiadius^),
Das obere Ende der Speiche, Köpfchen genannt (Fig. 52 Kr. 9),
trägt frei nach oben gekehrt eine tellerförmig vertiefte Gelenkfläche,
welche durch einen halsartigen Teil von dem Mittelstück abgesetzt ist.
Der Rand, der Träger dieser Gelenkfläche, ist an der der Elle gegen-
überliegenden Seite tiberknorpelt und ruht in dem kleinen halbmondför-
migen Ausschnitt der Elle (Fig. 52 Nr. 7). Unter dem H^ls befindet sich
ein rauher Höcker (Fig. 52 Nr. u) zur Anheftung des zweiköpfigen Arm-
muskels (Biceps brachii). Das untere Ende ist viel dicker und breiter
* tc8 olencs t6 krduon, gricch.
' Radius bezeichnet eigentlich nichtn anderes als etwas stabfürmip'» , wie i«
z. B. die S|>eiche eines Kades ist Diese Ähnlichkeit drückt der d(*utsche S}Kdchen-
knochen ganz bestimmt aus.
SkeleU der Gliedmaüen. 163
als das obere (Fig. 46 — 48 Nr. iii); es macht die eigentliche Knochen-
masse des Unterarms aus, denn die Elle ist zu einem nur fingerdicken
unregelmäßigen Cylinder reduziert. Die in einer Flucht mit dem
Handrücken liegende Knochenfläche der Speiche ist gewölbt, was durch
Haut und Sehnen hindurch namentlich bei der Beugung der Hand
bemerkbar wird. Wo an dem Handgelenk Elle und Speiche zusammen-
treffen, trägt letztere eine halbmondförmige Vertiefung, die mit Knorpel
ausgekleidet auf dem rundlichen Köpfchen der Speiche bei den Dreh-
bewegungen der Hand hin- und herrollt. An dem gegenüberliegenden
Knochenrande entwickelt sich ein stumpfer Fortsatz, der Grifl'elfortsatz
der Speiche (Processus styloideim radii, Fig. 46 u. 47 Nr. X), der die Ge-
lenkfläche überragt, und für die Bildung des Handgelenkes von wesent-
licher Bedeutung ist.
Das Ellbogengelenk und der Einfluß seiner Bewegungen
auf die Form des Arms.
Im Ellbogengelenk sind drei Knochen beweglich untereinander
verbunden, nämlich
1) die Elle mit dem 0))erarmknochen, das Ellenbogengelenk,
2) die Speiche mit dem Oberarmknochen, das Speichengelcnk,
3) die Elle und Speiche untereinander, das Ellen-Speichengelenk.
In Fig. 52 sind diese drei verschiedenen Verbindungen, aus ihrem
Zusammenhang gelöst, nebeneinander gestellt, in Fig. 53 dagegen in
ihrem gegenseitigen Kontakt, wie er durch den Luftdruck in der Kap-
sel sich naturgemäß gestaltet dargestellt. Um den Einblick in den
Mechanismus zu erleichtem, wurde ein Stück der vorderen Kapselwand
entfernt, wodurch die Knochen in ihrem Zusammenhang sichtbar wer-
den j denn die Kapsel umschließt sowohl die überknorpelten Gelenk-
enden, als auch die Gruben, welche als vordere Grube {Fossa supra-
trochlearis anterior, Fig. 53 Nr. 4) und als hintere (Fossa supra-
trocMearis posterior, Fig. 47 Nr. 24) bekannt sind.
Bei der Streckung des Arms umfaßt die P^lle den hinteren Um-
fang der Rolle des Oberarms (Fig. 53 Nr. 6), so daß bei der Betrach-
tung des Skelettes nur der vordere ümfting dieser Rolle sichtbar ist
(vergleiche auch Fig. 46). Das Köpfchen des Oberarms, das mit der
tellerförmigen Grube der Speiche sich beiilhrt, ist in größerem Umfange
sichtbar. Starke Bänder sind in die Kapsel eingewebt und kommen
als inneres und äußeres Kapselband (Fig. 53 Nr. 9u. lo) vor. Durch
die Verbindungsweise der Vorderarmknochen wird jedem eine besondere
Rolle in der Mechanik des Ellbogengelenkes übertragen. Die Elle
vollzieht innerhalb ihrer Verbindung mit dem Oberann (Fig. 52 zwischen
164
SecliHter Abwhnin.
Nr. 4 u. a) nur Beugung und Streckung, diese Verbindung stellt also ein
Wiiikelgelenk dar; die Speiche lÜhrt dagegen Drehbewegungen aus unj
zwar in jeder Stellung, in die nie bei den Bewegungen der Elle zun
Oberarm versetzt wird. Ua die Hand an der Speiche befestigt ist,
werden die Drehbewegungen der Speiche auf die Stellung der Hmd
übertragen, und dadurch bald der Handrücken nach aufwärts gewen-
det (Primutian), bald die Hnhlliand (Supiiuititm).
1) Ellbogengelcnk (jMicnlatio hrackin^tlnarU) heißt in der Aiiit-
Aul). Kuorrni >
<,'B|>itnluin hunipri '■
Cielciiklläulie f. il. Verbin- j
dapg mit di'iii Radius
AiiiiatE dvs BicejiH A—
Fig. 52. Die (ielcnkkurper des Ellbogetigelenki
toinie die Verbindung zwischen Kilo und Oberarm. In dem gewühii-
lichen Leben bezeichnet man mit Ellbogengelenk drei verschiedene
Gelenke. Wir heschäftigeu uns zunächst nur mit der einen ArticHlatio
brachio-HbuiTi» (Fig. 52 Nr. 4 u. fl). Der Klle ist in der Verbindung mit
ileui Oberarm die Hauptiiufgabe zugefallen. Die Streckung und Beu-
gung wird in diesem Gelenke ausgeführt, und zwar von der gestreck-
ten Lage ausgehend bis zu dem Punkt, wo die Muskulatur des Ober-
arms an diejenige des Vorderarms gepreßt wird, wobei die Haut und
das Fett seitlich ausweichen.
SkeleU der Gliedmaßen. 165
Die Beuguug wird schlicBIk-h Bowohl durch die SpiuimiDg ilcr hinteren Kapsct-
wuid und durch die Muaki^ln In der Elll>tugp, uls auch durch das Eingreift!!)
des Kronuafortsatzea (Fig. 53 Kr, 5) iu die vcirden; Gnibe dcH Obvruruikiioohuiia
[Flg. 4'd Nr, 4) gehemmt Bei forcierkT Beugung kuim ilalici der Druck Huf die in
der Ellbcügc verlaufende Arterie so gesteigert wenicn, daß dos GefiiB vollfltjin-
dig verachlüBsen und der Kreislauf in der Hand unterbrochen wird. Die Kennt-
nis dieser Erscheinung kann bisweilen wertvoll werden bei Blarkcu lltutungcn,
denn durch eine forcierte Beugung iHBt sich für kurze Keit der Blutverlust
aus Wunden der Hand unterdrilcken oder wenigsleuB in hohem Grade ab-
sehw&chen.
k^F My-B nie Rolle.
^^^^ESMH^F- i Kronenfbrlwti.
Geleokkopf dea Rading *-^^^^^^^K^W
Gelenkflicbeiw.RadiuBu.UIna T' -''W^^Bm
BiDgband b' X^'Wm » AnwlMtcUe d» Bicep«.
I^^^H a Zwischenknochenhuid.
Fig. 53. Ellb(^ngetettk mit Bändern.
Bei der Streckung greift der Ellbogen mit Heiiiem zugeKchärften
Räude in die hintere Onibe des Obcriirnis (Fig. 47 Nr. 24), um! <ler
Ellbogen würde sie bei forcierten Streckungen durchstoßen, wenn nicht
auch hier die Spannung der vorderen Kapselwand und diejenige der
bedeckenden Muskeln benimeud entgegenwirkten.
Die Grade der Streckung sind verscbieden. Bei ruhig herab-
hängendem Arm besteht noch kein vollkonimener Grad , obwohl wir
den Arm gemeinhin als gestreckt bezeichnen. Von dieser Haltung
aus ist noch immer eine kleine Bewegung innerhalb des Gelenkes
möglich; erat der vollkommen gestreckte Arm ist gerade. Bei man-
chem Menschen ist eine „Überstreckung" möglich, wobei die Achse des
Cber- und Unterarms nach hinten umknickt. Diese unschöne Form
der Streckung ist nur bei schlaffer Kapsel und grober Dehnbarkeit
166 Sechster AbsohniU.
der Muskeln ausfuhrbar. Wahrscheinlich ist dazu sogar die Anwesen-
heit eines Loches an der tiefsten Stelle der vorderen und lüntereü
Grube notwendig, wie ein solches bisweilen vorkommt.
Zur Vervollständigung der Kenntnisse über das Innere der Ge-
lenke tragen Durchschnitte in verschiedenen Eichtungen wesentlich bei.
Kinen Schnitt, senkrecht durch die Mitte des Ellbogengelenkes, zeigt
die Fig. 54, in welcher die Knochen sammt der Kapsel so dargestellt
sind, wie sie sich während der Beugung zu einander verhalten. Die
Elle umfaßt mit ihrem halbmondförmigen Ausschnitt die Bolle des
Oberarms (Fig. 54 Nr. 6), welche an dieser Stelle einen fast voUstän-
digen Kreis darstellt, denn in der vorderen und ebenso in der hin-
teren Grube ist der Knochen ungemein dünn, oft nur von Papierdicke.
Die hintere Grube wird bei der Beugung, wie in dem vorliegenden
Falle frei, denn der Ellbogen ist auf der Rolle mehr nach vorn
gerückt, und der Kronenfortsatz hat sich der vorderen Grube (Fig. 54
Nr. 9') genähert. Die vordere Kapselwand ist in eine Falte gelegt,
die hintere beginnt sich zu spannen. Die beiden mit Nr. 9 n. 9' be- *
zeichneten Giniben sind am Lebenden nicht leer, wie manche der
vorhergehenden Figuren vermuten lassen, sondern mit Fettpolstern
versehen, welche den Raum ausfüllen, der durch die Stellungsändenmgen
der Knochen innerhalb der Kapsel entsteht. Kehren die Knochen anf
ihren Platz zurück, so werden die Fettpolster wieder aus ihrer Lage
verdrängt. Diese Einrichtungen erleichtern oflfenbar die raschen und
sichern Verschiebungen aller sich berührenden Teile. Die eben ge-
schilderten Verhältnisse beziehen sich nur auf Vorgänge im Innern
des Gelenkes. Damit gehen aber auch Formveränderungen Hand in
Hand, welche auf das Äußere des Ellbogengelenkes von bedeutendem*
Einfluß sind.
Bei der gestreckten Lage steht die scharfe Ecke des Ellbogens
am Oberarm in gleicher Höhe mit dem inneren Oberarmknorren
und ist nur als kleiner Höcker durch die "Haut hindurch erkennbar.
Eine leichte Rötung der Haut bezeichnet in der Jugend die Stelle;
später kommen quere Falten hinzu, bei angestrengter körperlicher
Arbeit wird die Haut auch verdickt, ja sie kann sogar beutelförmig
bis zur Größe eines Taubeneies anschwellen, wenn in der Tiefe ent-
zündliche Reize eine bleibende Ausschwitzung hervorgerufen haben.
So bei Minenarbeiteni, welche in den schmalen Gängen der Bergwerke
sich die Ellbogen anstoßen.
Bei der Beugung rückt die Spitze des Ellbogens von ihrer erhöhten
Stellung herab, wie es die Fig. 54 erkennen läßt. Ohne daß sich die
berührenden Gelenkflächen voneinander entfernten oder die ideale
Achse des Gelenkes anders gestellt würde, muß dennoch die Spitze
Skelett der Gliedmaßen. 167
des Ellbogens sich tiefer stellen. Aus einem ähnlichen Grunde bleibt
auch die Achse, an der die Zeiger der Uhr befestigt sind, an ihrem
Platz, und dennoch verläßt die Spitze des Zeigers ihre Stelle und
beschreibt ihren Weg. Mit Recht wird behauptet, der Oberarm werde
durch die Beugung im Ellbogengelenk länger; denn die Ent-
fernung von dem Akromion bis zu der Spitze des Ellbogens nimmt in
Wirklichkeit zu, weil eben diese Spitze sich tiefer stellt. Die Ver-
längerung kann bei forcierter Beugung über 3 cm betragen. Der Ell-
bogen tiberragt in der Strecklage die Gelenkachse über Vj^ cm, er
befindet sich nahezu in gleicher Höhe mit der Spitze des inneren
Oberarmknorrens (Fig. 52 Nr. 6), und wir sind gewöhnt, den Ellbogen
als Grenze des Oberarms zu betrachten, gleichviel, wo sich auch die
Spitze des Olekranon befinde. Bei der Beugung wird also die hintere
Fläche des Oberarmknochens durch die Wanderung des Ellbogens
frei. Dadurch werden drei während der Streckung verdeckte Gebilde
durch die Haut erkennbar:
a. die hintere Grube (Fig. 54 No. 9) in Form einer seichten, aber
breiten Rinne,
b. der Einschnitt auf der Rolle des Oberarmkno(!hens (von vorn
zu sehen in B^ig. 22 bei Nr. 6),
c. die beiden vorspringenden Ränder der nämlichen Rolle.
Diese drei Formen sind durch die darüberhinziehende Haut und
die Muskeln zwar nur in abgeschwächtem Zustande, allein dennoch
deutlich erkennbar. Dazu kommen, was hier nochmals betont wird, die
Spitze des Ellbogens, dann der innere und der äußere Knorren des
Oberarms (Fig. 52 Nr. 6' u. lo*).
2) In dem Speichengelenk (Artiadatio brachio radialis) gleitet
die tellerförmige Vertiefung des Radiusköpfchens (Fig. 52 Nr. 9) auf
dem Köpfchen des Oberarms (Fig. 52 Nr. lo) und vermag hier vor allem
Drehbewegungen auszuführen; dieselben sind in jeder Stellung des
Ellbogengelenkes ausführbar. Ob der Arm gebeugt oder gestreckt ist,
die Drehungen in dem Speichengelenk verlieren nichts von ihrer
Selbständigkeit, denn der Mechanismus der Speiche ist wegen der Be-
festigung des sog. Ringbandes an der Elle vollkommen unabhängig,
wenn auch das Radiusköpfchen wie bei starker Beugung bis auf die
vordere Fläche des Köpfchens vom Oberann gerückt ist. Das Ringband
entspringt aus einer Grube hinter dem Oberarmköpfchen, und geht
nicht zur Speiche, sondern direkt zur Elle. Es ist so gefonnt, daß es
den überknorpelten Rand des Speichenköpfchens umgreift (Fig. 53 Nr. 9'),
ohne ihn bei seinen Drehungen zu hindern.
Um diese Rotationen ohne alle Reibung geschehen zu lassen,
existirt noch eine
168 Beduler AbachnitL
3) Geleiikverliiiiduug zwiücheti Elle und Speiche, die Jrtin-
latiii radifj-uhuirix, welche vuu dem mecliuiiischen Standpunkte au» iu
eine obere, .Irticulatia radüf-ulnaris stiperior, und eine untere, Artiadatw
radio-nlnaris itiferior, zerfällt. Die eretere befindet sich in dem Bereich
<les Ellbogens, ihr gehört der ttbcrkuuipclte Rand dea Speichen-
köpfchen» als Gelenkkopf (Fig. 52 Nr. li) und die kleine bolbmond-
förmige Gelenkpfanne (Fig. 52 Nr. 7), welche seitlich uii der Elle sitzt
und als laasiira xigmoidex minor bezeichnet wird, an. Die letztere be-
findet sich an dem unteren Ende der Vorderannkuocheii, besitzt eben-
l'alls eine überknorpelte Gelenkpfanne und einen entsprechenden Ge-
leiikkopf. Der Geleiikkopf wird aber, im Gegensatz zu der oberen
Gelenkverbindung, von der Elle und die Pfanne von der Speichf
■ gebildet.
Vordere Urul«. 9' » VE/
Vordere Kapeelwuid tj' '^"'^T ' a^B^ ' ^■"'^^ ürnt«.
^^^^3!j^BBn^^Kfl„ __..7 Kuorpelübenog.
^""^n^^S^HMh -i ADHati d(» TricepL
^5^^-— -S Ellbogen.
b'ig' 54. Durcbiichuitt durth dos Kliboguiigcleiik.
Durch die Einrichtung dreier Gelenke, de» Speichengeteiikes uuil
der eben erwähn teil beiden Gelenke, werden erat die Di-ehungen der
Hand ausführbar. Die Speiche dreht sich, sobald die entsprecheuden
Muskeln wirksam sind, um die feststehende Elle, und uachdem die
Hand au der Speiche befestigt ist, muß die erstere die Rotationen
mit ausführen; letztere sind um so ausgiebiger, weil die Speiche kein
gradliniger Knochen ist, sondern vom Hals angefangen sich der Art
krümmt, daß ihr unteres Ende seitlich von dem oberen steht. Infolge
dieser kaum beachteten Eigenschaft beschreibt die Hand einen an-
sehnlichen Kreisbogen. Verbindet sich diese Botatiou der Hand mit
deijenigen des Oberarms und des Schulterblattes, dann sind Rotationen
um 180" möglich. Bei diesen Rotationen der Speiche ändert sich die
ganze Gestalt des Vorderarmskelettes. Die bei ruhig herabhängendem
Arm hintereinander liegenden Knochen übei-schneiden sich und neh-
men eine andere Stellung zu einander ein. Bei der PronatioD der
Hand, wobei der Rücken nach oben gewendet ist, dreht sich die
Skdlett der GlieduialleD.
16d
Speiche und liberecliiieidet dns unteiG l^ndo der Elle. Statt einer
ausfllhrlicheu Besclireibuiig verweise icb auf die beiden Abbildungen
Fig. 55 u. 56, welche die Fixiiiation der Hand un einem linken Ann
Fif-. 55. PrijDHtinn cii-r Ilaiid
samt dem entsprechenden Scbultergfirtel und der entsprcdienden Ab-
teilung des Brustkorbes zeigen, mid zwjir stellt die Fig. 55 die Pro-
nution von vom dar. Das untere Ende der Elle kreuzt die Speiche
Fig. 51). I'ronation der Hand von liiiiten pt.itf
und verdeckt dieselbe; umgekehrt verschwindet bei der Ansicht de«
pronierten Vorderarms von hinten {Fig. 50) das untere Ende der
Speiche hinter dem Köpfchen der Elle. Dreht man in Gedanken die
170 Sechster AbBchnitt.
Speiche zurück, so daß der Daumen in ähnlichen Figuren nach auf-
wärts gerichtet wäre, so stünden die Enden beider Vorderarm knochen
übereinander, statt wie in diesem Falle hintereinander.
Die DrchiinffHgriiße dvs Radius betriipt 8Ür sich allein, wie nciiwti*m* mit
pn*oßor Genauigkeit iK^ntiniuit wurde, 150- 160 Grad. Dabei erfahrt tlie Haut ein«-
Versclüebung unrl Spannung, die sehief zur iJüigsachse Iierabläuft (Beacke und
FlCoel, Archiv für Anatomie und Physiologie. Anat Abt 1882). Gleichzeitij? ändert
»ich auch die Gestalt des Vorderarms; denn <ler l^adius ist ein »ebr geschwrifttT
Knochen, und bei stMuer Drehung führt jeder Abschnitt seines Verlaufes, aoi auf-
fallendstfni das ^geschweifte Mittelstüek, eine Kreisbeweirung au»- Nachdem di»*
Muskeln dejs Vorderanns ihn nicht bloß umgel)en, sondern auch von ihm cntHpringHiu
wird der bei ruhiger Haltung platte Vorderann sowohl bei der Sapination, «Li
namentlich auch bei der Pronation etwas gerunde.t. Die Verschiebung der KdocIm'd
ist in den Figuren 55 und 5(5 dargestellt
Das Skelett der Hand.
Die Hand gliedert sich in drei Abteilungen, in die Handwurzel
oder das Handgelenk, Carpus^ in die breite Mittelhand, Metacarjmty
und in die Finger, Üufiti, Die knöcherne Hand ist dabei wesentlich ver-
schieden von der mit den Weichtheilen bedeckten; denn das, was als
Mittelhand eine breite, bei ausgestrecktem Daumen fast viereckige Fläche
bildet, welche innen den eigentlichen Handteller darstellt, besteht an
dem skelettierten Endglied des Arms aus einem Fachwerk von ffinf
kleinen Röhrenknochen, welche am Handgelenk mit ihren verdickten
Enden dicht aneinander liegen, während sie gegen die Finger zu aus-
einanderweichen. Von dem Handrücken, noch Aehr von der Hohl-
hand aus gesehen, erscheinen die cylindrischen Finger scharf abgesetzt,
am Skelett sind sie dagegen die direkten Ausläufer der Mittelhaml-
knochen, und es sieht aus, als erstreckten sich die Finger bis zu der
Handwurzel hinauf. Dennoch ist auch am Skelett die Trennung zwischen
Mittelhand und Fingern nach Bau und Funktion unverkennbar.
Die Orientiening der Flächen und Ränder der Hand erfolgt von
der Stellung des frei herabhängenden Arms aus. Die Handwurzel liegt
also oben, die Finger unten, die Elle hinten, die Speiche vorn.
Die Handwurzel.
An die Vorderannknochen schließt sich die Handwurzel, der
Carjms an. Er besteht aus zwei Knochenreihen, die untereinander
liegen, wie dies die Fig. 57 erkennen läßt.
Erste Reihe der Handwurzelknochen.
In dieser Reihe liegen drei Knochen, die nach ihrer Lage zu
den Vorderarmknochen als Kadiale , als Z wisch en bei n, und als
Skelett der Gliedmaßen. 171
Ulnare^ bezeichnet werden. Diese Namen sind in Übereinstimmung
mit den gleichen bei den Tieren vorkommenden Knochen gewählt.
Früher wurden sie beim Menschen nach äußerlichen Almlichkeiten
bezeichnet.
Das Radiale (Naviculare, Kahnbein) ist der größte Knochen der
ersten Reihe; seine Hauptmasse liegt dem Radius gegenüber (Fig. 57
bei Nr. 8), der übrige Teil ragt weit gegen die Daumenseite der Hand
vor, um dort mit den Knochen der zweiten Reihe in Gelenkverbindung
zu gelangen.
Das Zwischenbein (Intermedium, Mondbein) ist, außerhalb des
Zusammenhanges betrachtet, halbmondförmig, daher sein Name. Es
ist so zwischen die beiden Nachbarn eingefügt, daß es die höchste
Lage in der ersten Reihe einnimmt. Es steht wie das vorige mit der
Speiche in Berührung.
Das Ulnare (Triquetnim, dreieckiges Bein) gleicht einer Pyramide,
deren Grundfläche dem Zwischenbein zugekehrt ist, während die Spitze
nach der Kleinfingerseite gerichtet ist. Das Ulnare liegt der End-
fläche der Ulna gegenüber. Seine Hohlhandfläche trägt ein erbsen-
großes Beinchen, das Erbsenbein (Fisifbrme), durch dessen Stellung
der verdickte Anfang des Kleinfingerballens bedingt ist. Mit Hilfe von
Gelenkkapseln und Verstärkungsbändem entsteht eine bewegliche Ver-
bindung zwischen der ersten Reihe der Handwurzelknochen und dem
Vorderarm, welche an Festigkeit nichts zu wünschen übrig läßt.
Zweite Reihe der Handwurzelknochen.
Die zweit« Reihe ist im Vergleich zu der ersten breiter und be-
steht aus vier Knochen, an welche unten die fiinf Mittelhandknochen
angefugt sind. Sie sind von sehr verschiedener Größe,
-Das Carpale 1, seiner Form nach als Trapezbein bezeichnet,
liegt an der Daumenseit<) der Hand, und trägt auf seiner größten,
sattelförmig gekrümmten Endfläche das Gelenk für den Daumen (siehe
Fig. 57 Nr. 12).
Das Carpale 2, das Trapezoidbein, ist klein, und zwischen das
Cai-pale 1 und 3 wie eingeklemmt. Die untere Gelenkfläche trägt auf
einer vorspringenden Kante den Mittelhandknochen des Zeigefingers,
* Nachdem hier ausschließlich von der Handwurzel die Rede ist, läßt man
der Kürz<i des Ausdnickes wegen die Worte Os carj)i in <ler Regel weg, spricht
also nur von einem Ulnart% Radiale u. s. w., eine Abkürzung, welche nur die
lateinische Sprache gestattet.
^^^V 1 72 Strohster Aberhnitt.
^^1
H der mit der eiiiüii Ecke seines venlicktcn
Knilns imili das Curp
V erreicht. (Kig. 57 Nr, u).
« S,«.liJ)r.
^^^H liriir<ilft.rt«)itc i t^/^K JfclB
l tS KiiiH'lipiiteiUE.
^^^1 vVrV^^^H
^. U Dickes Gc]«Dk«
^■- n UraptuiiE derK
^V - IB Prxniie der K]>
^^^ 1 1 Oa curpole U.
1^^^ li Os can>ale I-
^H "nrr-^^^siJKffJrR
^^Ä -_ n Mim
^H Mkm7w l"f
J^_-» Od.
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^i ^^ßwBm^
^^^H ■^L«£ii''^Hl
^^m- — 3» "*w
^P _„„-_=..v:::IJ(IIP^
Ä'«/'/((tM
■ Nagelgli«! ö £&■
■
^^^^ Fig. 57. Die kjilk'liL-nio
^^^H
SkeleU der Gliedmaßen. 173
Das Oarpale 3 (Kopfl)ein) ist der größte Knochen der Hand-
wurzel. Unten legt sich der Träger des Mittelfingers an, während der
Gelenkkopf in die Vertiefung des Zwischenbeins hinaufragt.
Dem Carpale 4 (Hackenbein) sind die Mittelhandknochen des
vierten und fünften Fingers angefügt. Das untere Knochenende ist
breit, das obere versclimälert, wobei es sich mit dem Carpale 3 in
die von der ersten Reihe gebildete pfannenartige Vertiefung hinein-
schmiegt.
Die zwei Reihen der Handwurzelkochen bilden zwei selbständige
Gelenke, die mit überknorpelten Gelenkflächen, mit Gelenkkapseln und
Gelenkbändern versehen sind.
Die erste Reihe der Handwiirzelktioclieii vcrhÄlt sich bei den TJcwe^ungeii der
Haud wie ein einziges Knoehenstück, das gelenkig mit den Vorderarm knoi'hen ver-
bunden ist, lind die zweite Rtuhe kann ebenso aufgi*faßt wonlen, stellt also seiner
Funktion nach el>enfalls ein einziges , auf der K(icks<:dte gc^wölbtes, und an der
Hohlhandfiäche gehöhltes Knochenstück dar. Starke liiinder heften die einzelnen
Knochen der ob<>ren und der unteren Reihe* der Quere nach so aneinander, daß
auch von einem kritischen Standpunkten aus diese reduzi(^rende Auffassung be-
rechtigt ist. Von der plastischen Anatomie ist am allerwenigsten ein Widerspnich
gegen diese Auffassung zu erwarten, da Inn unbefangener lieobachtung der Iland-
bewegungen des Lebenden niemand ein Doppelgelenk an dieser Stelle vennutet.
Wir selbst wenleii spater die Ixiiden Gelenke ebenfalls so l>eurteilen, als wilren sie
ein einziges Gelenk. In der Knochenleim» ist es jedoch nicht gcijtattet, die that-
sächliche Anonlnung der einzelnen Teile mit Stillschweigen zu übergehen, diMui sie
sind für das Verständnis der Formen unerläßlich.
In der Anatomie ist der Begriflf der Handwurzel scharf begrenzt;
man versteht darunter lediglich die Gelenkverbindung der sieben Hand-
wurzelknochen untereinander und mit dem Krbsenbeinchen. Allein
wir müssen das Gebiet nach oben ausdehnen, und auch die Enden
der Vorderarmknochen mit zur Betrachtung heranziehen.
Auf der Klein fingerscite wird die Handwurzel von dem Köpf-
chen der Elle und ihrem Griffelfortsatz üben-agt, die zusammen
wie eine Halbkugel die Haut hervorwölben. Diese beiden Theile sind
in vielen Abstufungen zu erkennen: bei ruhig herabhängender Hand
als ein rundlicher Hügel, bei starker Beugung breit, aber abgeflacht,
und bei der Uberstreckung etwas unter der sich aufstauenden Haut
verborgen, anders sind diese Formen an mageren, anders an fetten
Händen. Auf der Daumenseite bildet das verdickte Ende der
Speiche eine Anschwellung (Fig. 57 Nr. 24). Auch hier springt ein
Griffelfortsatz gegen das Gelenk vor, der tiefer herabreicht als
derjenige der Kleinfingerseite. An dieses aufgetriebene Ende des
Radius setzt sich die erste Reihe der Handwiirzelknochen fest.
Diese erste Reihe besitzt eine geringere Breite als die Enden
der Vorderarmknochen. Als notwendige Folge davon erscheint die
174 Httfhaur AUdmin.
HmiidwnnrA Tersfrhmiilert . d^r Kontur sinkt besonders an der Kleiu-
firi^^rvrite «tark ein. Am Skelett ist «lies zwar aach auf der Daumen-
•eite der Fall, wie die Figur 57 zeigt, allein an der lebenden Hand
wird diese Verv:hmalerung aufgefüllt von Sehnen, welche von dem
Vorderann zu dem Daumen ziehen. Jedoch giebt es Stellungen, l>ei
denen sich deutlich die Schmalheit der ersten Reihe auch auf der
Daumenseite bemerkbar macht. Streckt man die Finger ans. jedoch s<»,
daß die vier äußeren dicht aneinander liegen, während der Daumea
möglichst stark gespreizt wird, o<ler schlägt man die Finger ein und
streckt den Daumen allein, dann springen die zu ihm hinziehendeu
S^'hnen stark unter der Haut hervor, und die Verschmälerung der
erst^;n Reihe der Karjjalknochen wird in Form einer dreieckigen Grul)e
iK'inerkbar. welche die franzosischen Chirurgen als t€Aatiere bezeichnet
hallen.
In (hfT Tifrff dif^atr tabatiere verläuft die Speichenschlagider zu dem Zwiachen-
muin zwm:\urn den Mitt^rlhandknochen de^ Daumens and Zeigefingers, um die Hohl-
liand mit Jilut zu vf*r^}Tf^n. Ik'i U's»timmten Verletzungun wird die Schlagader an
tlumt-T St«.*lU; ihrfs4 Vf'rlaufhfi unterbunden. Eine leichte Andeutung der tabatiere ist
auch fKri ganz ruhiger Haltimg der Fland zu fsehen, und es macht keine Schwierig-
kf^U-n, ihren Alwtufungen zu folgen bid zu dem Grade, der bei der abgezehrten
Hand vorkommt.
Die zweite Reihe der Handwurzelknochen ladet sich stärker aus
als die erste, um den fünf Mittelhandknochen Raum zur Befestigung
zu geben. Das Carpale 3 und 4 bilden bei ihrer Größe einen Gelenk-
kopf, der in die stark gekiümmte Pfanne paßt, welche von der ersten
Reihe fiir die Aufnahme der zweiten gebildet wird (Fig. 57 bei Nr. 27).
Aber auch Carj)ale 1 und 2 sind mit dem Radiale beweglich ver-
bunden. Es entsteht dadurch ein sehr kompliziertes Gelenk, w^elches
die Form eines CO besitzt und bezüglich dessen ausfuhrlicher Beschrei-
bung auf die speciellen Handbücher der Anatomie verwiesen wird.
Die beiden Knochenreihen der Handwurzel sind gegen den Hand-
rücken hin gekrümmt, gegen die Holilhand zu bilden sie jedoch schon
«lurch diesen einen Umstand naturgemäß eine Hohlkehle, welche durch
besondere Knochenvorsprünge und durcli Bänder schließlich in einen
zwar kurzen, aber weiten Kanal verwandelt wird, durch den die Seh-
nen des Vorderarms zu den Fingern hinabziehen.
Die Hand ist an den beiden Vorderarmknochen in einer höchst aaf^illenden
Wtiiflc Ix'featigt, welche nur die genaue Untersuchung am Skelett vollkommen klar
Htellt. Streng genommen stvht sie mit der Speiche allein in direkter Grelcukverbiiidung,
mit der Elle in indirekter, nämlich durch einen Zwischeiiknorpcl. Das rührt daher.
daß «las untere Speichenende sich breit ausladet, und so zur Verbindung mehr Raum
bietet, als die nur fingerdicke Elle, welche überdies das Handgelenk nicht voll-
stilndig t!rreicht. Zu diesem ganz oberflächlichen Grund kommt dann der tiefere —
dkcleU der Gliedmaßen. 175
der mochanische, daß die Drohungen der Hand allein aii»fülirl>ar wurden durch die
vorzugsweise Befestigung an der Speiehe. - Auf der dorsalen , gewölhten Flächen
sind drei tiefe Rinnen für die Seimen der Daunienstreeker und des Zeigefinger-
strec^kers, begrenzt durch eine gnißere und eine kleinere Knochen leist«? (Fig. 57
Nr. 23). Die volare Fläche ist glatt und etwas gehöhlt. Die beiden Vordt'rann-
kn<K;hen reichen nicht gleich weit gegen die Handwurzel hinab, wie scrhon erwähnt
wurde. Die Elle ist kürzer als die Speiehe, was der zufühlende Finger deutlich
am Lebtmden feststellen kann. Auch für das Auge ist der Untei-schied leicht er-
kennbar. Der Abstand zwischen dem Köpfchen der Elle und der Handwurzel
wird au.Hgefüllt durch ein kleines Knorpelstückchen, dfw an der skelettierten Hand
fehlt, und nur im frischen Zustand o<ier an Weingeistprä parat<Mi nachweisbar ist.
Die Mittelhandknocheii.
Zwischen der Handwurzel und den Fingergliedern liegen fünf
Röhrenknochen, Metacarpalknochen (Ossa metacarpi), von denen der
erste, kürzeste und stärkste dem Daumen angehört; der zweite und
dritte sind bedeutend länger als der vorhergehende; der dritte über-
trifft jedoch den zweiten um 2 — 3 mm; der vierte ist wieder kürzer
als die vorigen, doch übertrifft er noch immer den fünften an Länge.
Wie an den größten Röhrenknochen wird' ein Mittelstück, und werden
die Endstücke unterschieden; auch an ihnen sind die letzteren breit
und das erstere verschmälert. Die schmalen Mittelstücke l)edingen
jene spaltförmigen Lücken der Zwischenknochenräume (hiterstitia
interossea, Fig. 57), die man an mageren Händen deutlich bemerkt.
Diese Lücken werden nach vorn weiter, weil die Mittelhandknochen
strahlenförmig auseinanderweichen. Das verdickte obere Ende der
Mittelhandknochen fügt sich als Basis der Handwurzel an, das untere
trägt auf seiner kugelförmigen Endfläche, auf dem Köpfchen (Cnpitii-
lum, Fig. 57 Nr. 14), die Gelenkpfanne des ersten Fingergliedes. Der
Knoi'pelüberzug des Gelenkköpfchens erstreckt sich bxjsonders weit in
die Hohlhandseite hinein; auf dem Rücken ist das Köpfchen deutlich
durch eine Rinne abgesetzt. Jenseits der Rinne entspringt die Gelenk-
kapsel, welche im Verhältnis zu ihrer Größe durch besondere Stärke
gegen die Hohlhand zu ausgezeichnet ist. Um den Seitenbändem der
Kapsel einen festen Ursprungspunkt zu geben, trägt das verbreiterte
Ende der Mittelhandknochen hart an der ebenerwähnten Rinne auf
der Rückenfläche zwei kleine Knochenhöckerchen, welche bei geschlos-
sener Hand und bei zarter Haut sichtbar werden können; dazu kom-
men femer Vertiefungen, welche in der Nähe der ebenerwähnten
Höckerchen demselben Zweck , der Befestigung der Seiten])änder,
dienen. Die Rückenfläche der Mittelhandknochen ist leicht gekrümmt,
oben kantig, unten breit. Der Mittelhandknochen des Daumens ist
nicht dreikantig, wie die übrigen, er ist vielmehr flachgedrückt.
176 Sechster AbschniU.
Der Daumen erfreut sich unter allen Fingern der freiesten B^
weglichkeit, indem seine Verbindung mit dem Carpale 1 ein Sattel-
gelenk darstellt, dessen schlaffe Kapsel durch vier Hilfsbänder ver-
stärkt wird. Man fühlt an der eigenen Hand die Stelle des Gelenke*
deutlich, wenn man mit dem Finger, entlang der Rückenfläche des
Mittelhandknochens, nach aufwärts fährt, bis man den Vorsprang an
der Basis des Knochens trifft, über welchem unmittelbar das Gelenk
folgt. Bei starker Beugung und Zuziehung des Daumens tritt der ge-
nannte Vorsprung auch sichtbar hervor.
Die Gelenke der übrigen Mittelhandknochen mit der zweiten
Handwurzelreihe sind sämtlich straffe Gelenke. Am meisten Beweg-
lichkeit besitzt noch jenes zwischen den Mittelhandknochcn des kleinen
Fingei^s und dem Hackenbein, wie man dies bei forcierten Beogf-
bewegungen des kleinen Fingers sehen kann.
Die Knochen der Finger (Phalaiu/es^).
Der Daumen hat zwei Glieder, die übrigen Finger drei, der<*n
Länge von hinten nach vorne abnimmt. Die erste Reihe ist die den
Mittelhandknochen zimächstliegende; man nennt sie auch die Grund-
phalange. Die zweite Reihe der Fingerglieder ist schmäler als die
vorhergehende Reihe, es sind die Mittelphalangon, die dritte, die
kleinste, trägt auf ihrem Rücken den Nagel, es sind die Nagelglieder
oder Kndphalangen. Die Fingerknochen sind alle nach demselben
Plane gebildet: nach dem Rücken gewölbt, nach der Hohlhand leicht
gebogen treflfen sich die Flächen in scharfen Rändern. Die Enden
sind stärker als das Mittelstück, und obgleich jede untere Phalange
im ganzen schmäler ist als die obere, so ragt doch das obere Ende
einer jeden um weniges über das untere Ende der nächst vorher-
gehenden hervor.
Die längsten Phalangen besitzt der dritte Finger, ihm folgt der
vierte, zweite, fünfte. Die Grundphalange des Daumens ist kürzer
als jene des fünften Fingers, aber noch einmal so stark. Das Nagel-
glied des Daumens übertrifi't in jeder Dimension dasjenige der übrigen
Finger.
Die Form der GelenkHächen an den Grundphalangen ist för die
Vereinigung mit den K(*)pfchen der Mittelhandknochen eine flach ver-
* Plialnnge^ ist eigentlich der Aristotelische Name für Fingerglieder. Er paßt
für sie ganz gut, da die Glieder eines Fingers in einer Reihe anfbinandcr folgen,
wie Reihen der Soldaten in der griechischen Phalanx. Per tropuin war es dami
niüglieh, dieses Wort auf jedes einz(;lne Fingerglied zu übertragen.
Skelett der Gliedmaßen. 177
tiefte überknorpelte Grube mit einem wulstigen Rand umgeben. Das
Gelenk ist also ein Kugelgelenk und die Bewegungen, soweit es die
Kapsel gestattet, nach allen Richtungen frei.
Die Länge der Finger nimmt vom Daumen und Kleinfinger gegen
den Mittelfinger zu. Bei den Frauen soll eine größere Länge des
Zeigefingers verbreitet sein, und dieses Verhalten entspricht einer
schöneren Formung der Hand; im allgemeinen ist das Längenverhältnis
des Zeigefingers (Index) zum vierten ein sehr wechselndes, was offenbar
mit Rassenverhältnissen zusammenhängt. Bei den anthropoiden Affen
ist der Index stets kürzer als der vierte Finger.
Bewegungen der Hand und der Finger.
Die Bewegungen der Hand betreffen:
1) Die Bewegungen der Hand als Ganzes, worunter hier alle jene
Stellungen zu verstehen sind, welche ihr gegeben werden können.
2) Die Bewegungen zwischen der Mittelhand und den Fingeni.
3) Die Bewegungen des Daumens.
4) Die Bewegungen der Finger für sich.
Handgelenk.
Die Bewegungen der Hand als Ganzes sind von dreierlei Art:
a. Beugung und Streckung, auch Dorsal- und Palmarflexion
genannt;
b. Beugung nach der Ulnarseite hin: Ulnarflexion, und Beu-
gung nach der Radialseite hin: Radialflexion;
c. Drehung der Hohlhand nach außen: Supination, und
Drehung nach innen: Pronation.
Die unter c. erwähnten Drehungen um eine senkrechte Achse
finden nicht direkt in dem Handgelenk statt. Soll die Hand supiniert
oder proniert werden, so wird das eigentliche Handgelenk nicht bewegt,
dagegen dreht sich der Radius um die senkrechte Achse sei-
nes Köpfchens, und die ganze Hand macht diese Dreh-
bewegungen mit. Vereinigt sich die Drehbewegung im Ellbogen-
gelenk mit jener des Oberarmes im Schultergelenk, so kann die flache
Hand nach ein- und auswärts um 180® herumgedreht werden, be-
schreibt also eine vollständige Kreislinie. Nachdem der Mechanismus
der Drehungen der Hand schon bei dem Ellbogengelenke eingehend
berücksichtigt wurde, handelt es sich hier nur um die unter a. und b.
aufgeführten Bewegungen.
KOLLMAKN, PlMtiBChe Anatoinle. 12
178 Sechster Abechnitt.
a) Beugung und Streckung der Hand.
Die Beuge- und Streckbewegung der Hand ist in einem Bogen
von 180^ gestattet. Geht man von der Stellung der Hand bei frri-
herabhängendem Arm aus, so besteht die Beugung bekanntlich in
einer Annäherung der Hohlhand an die Fläche des Vorderarmes, die
Streckung dagegen in der Bückkehr zu der Ausgangsstellung und in
der Weiterführung dieser Bewegung, so daß sich der Handrücken
dem Bücken des Vorderarmes nähert. In diese Bewegung von
einem Extrem der Stellung bis zu dem anderen teilen sich die beiden
in der Handwurzel vorkommenden Gelenke, welche bei der Beschreibong
des Skelettes geschildert wurden. Die Art, wie dieses geschieht, ist
ziemlich kompliziert und erfordert eine umständliche Beschreibung,
welche wir hier unterlassen, obwohl diese Bewegung fär die speziell
naturwissenschaftliche Anatomie ein eminentes Interesse besitzt^ Die
plastische Anatomie darf von einem anderen Gesichtspunkt aosgdieii,
nämlich von demjenigen der Form. Bei der unbefangenen Betraditong
der Bewegungen in dem Handgelenk setzt man hier^ wie an anderen
Stelleu, einen einheitlichen Gelenkmechanismus voraus. Bei der natur-
gemäßen Entwickelung der Sehnen, welche von dem Vorderarm zu der
Hand ziehen, und bei dem Fettpolster, das unter der Haut liegt, treten
nirgends Anzeichen von der Doppelnatur des Handgelenkes hervor.
Es ist deshalb gestattet, den ganzen Mechanismus einheitlich , d. h.
als ein einziges Gelenk, so wie es uns am Lebenden erscheint, aufzu-
fassen. Sämtliche Handwurzelknochen repräsentieren also für
uns physiologisch ein einziges Gelenk, mit Gelenkkapseln
und mit Gelenkbändern reich ausgestattet, dessen Gelenk-
kopf in der Pfanne der Vorderknochen ruht. Dieser Gelenkkopf
ist plattgedrückt und rollt bei der Beugung und Streckung auf seiner
Gelenkpfanne so, als ob eine Gelenkachse von der Daumen- nach der
Kleinfingerseite durchgesteckt wäre. Als Orientierungspunkte treten
unter der Haut vor allem das Köpfchen der Elle und der griffelformige
Fortsatz der Speiche hervor. Zwischen beiden wird bei mäßiger Ben-
^ In dieser Hinsicht wird auf die in der Vorrede genannten Lehrbücher der
systematischen Anatomie verwiesen. Für eine allgemeine Orientiening diene fol-
gendes: Wird die Beugung der Hand stärker ausgeführt, ak dieses der MechanismiB
des ersten Handgelenkes erlaubt, dann setzt dias zweite die Beweguig fort DieK
Einrichtung hat sich offenbar allmählich aus der Notwendigkeit eHfcwiekelt, einni
großen Grad von Beweglichkeit bei gleichzeitiger Festigkeit zu eireicfaen. Die Be-
we^^ng ist statt auf zwei GclenkHächen vielmehr auf vier verteilt worden, und ein
Stoß, der die Handwurzel trifft, wird durch die acht Handwarzelknochen in ebeiuo
viele verschiedene Richtungen fortgeführt und dadurch abgeschwächt.
SkeleU der Glie<f maßen. 179
guiig der Hand jederseits zunächst eine leichte Vertiefung bemerkbar
und in der Mitte zwischen ihnen eine leicht kugelige Wölbung. Die
letztere Form entspricht dem durch die Handwurzelknochen gebildeten
Gelenkkopf, dessen Handrückeniläche die Haut emporhebt; die Ver-
tiefungen lassen sich ebenfalls aus der Anwesenheit einer Gelenkkugel
erklälren und stellen eine naturgemäße Begleiterscheinung dar. Denn
wenn die von uns angenommene platte Kugel die Mitte der Haut
empordrückt, so müssen zu beiden Seiten Vertiefungen entstehen; diese
werden aber begrenzt durch die schon oben als Orientierungspunkte
erwähnten Enden der Vorderarmknochen. Die Vertiefung an der Klein-
fiugerseite ist dabei größer, weil die Elle nicht soweit gegen die Hand
herabreicht als die Speiche. Bei der Beugung wird ferner die Haut
des Handrückens naturgemäß gespannt und dii>jenige der Beuge-
seite in Falten gelegt. Die Hautfalten schieben sich eng anei-
nander, eine Eigentümlichkeit, welche sich aus dem schon in der
Einleitung S. 63 u. ff. gesagten leicht deuten läßt. Die Ausläufer
der Falten steigen an dem Daumen- und namentlich an dem Klein-
fiugerballen in die Höhe und tauchen an den Rändern des Handge-
lenkes auf. Eine der Falten an der Beugeseite existiert auch während
der Ruhe und verschwindet selbst nicht bei der Uberstreckung (Dorsal-
flexion). Sie ist lun so tiefer, je fetter der Vorderarm ist. Bei voll-
saftigen Kindern scheint es, als ob die Handwurzel mit einem Faden
eingeschnürt wäre.
Bei sehr forcierter Beugung und bei magerer Hand wird oft die
Gelenkspalte am Ende der Vorderarmknochen durch die Sehnen hin-
durch als leichte Einsenkung bemerkbar, und ebenso erscheint auf der
Mitte der Gelenkkugel eine Erhöhung, welche von dem Kopfe des
Kopfbeins (Carpale III) herrülirt.
b) Beugung nach der Ellenseite hin, IJlnarflexion, und Beu-
gung nach der Speichenseite hin, Radialflexion.
Die gerade herabhängende Hand kann in dem Gelenk nach der Ulna
oder dem Radius hin bewegt werden, zwei Bewegungsarten, welche man
auch als Beugung nach der Daumenseite oder als Beugung nach der
Kleinfingerseite bezeichnet hat. Die Stellungen der Hand zum Vorderarm
werden dadurch nicht nur vielseitiger, sondern auch schöner, denn die
lange gerade Linie, welche von dem Vorderarm herabzieht, erfährt da-
durch eine wohlthuende Ablenkung. Die Fig. 58 zeigt die Ablenkung
nach der Kleinfingerseite in einem leichten Grade ; die Achse des Vorder-
armes hat nämlich eine andere Richtung als diejenige der Hand. Denkt
man sich eine gerade Linie durch den Mittelfinger bis zur Handwurzel
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Skelett der GliedmaOen. 181
gezogen, so schneidet sie eine von dem Vorderarme herabkommende
unter einem spitzen Winkel. — Der Bewegungsumfang ist nicht nach
beiden Seiten hin gleich. Er ist größer für die Ulnarflexion; dorthin
kann die Bewegung so weit getrieben werden, bis der Mittelhandknochen
des Daumens in gleicher Flucht mit der Speiche liegt. An dem Klein-
fingerrande entsteht dabei eine Reihe kleiner Hautfalten, die sich zwischen
das Köpfchen der Elle und das hintere Ballenende des kleinen Fingers
zusammendrängen und das Köpfchen etwas verdecken. Auf der Dau-
menseite des Handgelenkes springt dabei der griffelförmige Fortsatz
der Speiche hervor.
Die Beugung nach der Daumenseite ist in einem geringeren Grade
ausführbar, als die entgegengesetzte. Die Hautfalten um die ol)ere
Grenze des Daumenballens sind deshalb auch nicht so tief und nicht
so zalilreich, dagegen springt jetzt auf der Kleinfingerseite das Köpfchen
der Elle und das verdickte basale Ende des fünften Mittelhandknochens
deutlich hervor.
Die Gelenkverbindung zwischen der Handwurzel und den Mittel-
handknochen setzt sich aus der unteren Reihe der Carpalknochen und
den Basen der Mittelhandknochen zusammen. Mit Ausnahme des Ge-
lenkes zwischen dem Carpale I und dem Daumen ist die Beweglich-
keit der übrigen Finger eine sehr geringe, denn die sich berührenden
Gelenkflächen sind fast plan. Die Beweglichkeit zwischen wenig ge-
krümmten Gelenkflächen ist aber gleich Null. Die Gelenkflächen der
vier Finger liegen in einer Reihe, die Gelenkfläche flir den Daumen
hat eine seitliche Stellung; deshalb besteht selbst bei ruhender Hand
ein weiter Raum zwischen dem Daumen und dem Zeigefinger.
Bewegungen zwischen der Mittelhand und den Fingern.
Das Offnen und Schließen der Hand wird durch eine Beuge- und
Streckbewegimg vollzogen , welche die Finger auf den sphärischen
Enden der Mittelhandknochen (in der Ärtiailatio metacarpth-phalangea)
ausführen. Die Streckung kann soweit getrieben werden , bis der
Rücken der Finger in gleicher Flucht mit dem Handrücken liegt.
Bei Menschen mit weichen Gelenkkapseln ist während der Beugung
der zweiten Phalange eine Uberstreckung der ersten Phalange möglich,
wobei der Rücken der Finger sich etwas dem Rücken der Mittelhand
nähert. Der Barockstil, der seinen Menschen stets so zierliche Atti-
tüden gab, machte von der Thatsache der Uberstreckung der Finger
den häufigsten Gebrauch. Wir begegnen übrigens der Uberstreckung
des kleinen Fingers fast allgemein und noch heutzutage bei unseren
Damen; sie fassen das Glas mit vier Fingern, während der kleine
182
S«cluter AbaohniU.
Finger leicht gebeugt sich in der Überstreckung befindet. Bei jedem
Menschen ist diese Uberstreckung möglich, sobald der Finger dabei g&
beugt ist, dagegen ist sie nur bei Auserwählten in der Streckung aui«-
tührbar.
Bei der Streckung der Finger in dem Gelenk zwischen Mittelbuiid
und der ersten Fhalange liegt das sphärische bnde der Mittelhand-
knochen mit dem anstuSenden Fingerknochen in einer Ebene, und nar
eine verdickte und leicht gerötete Hautstelle deutet deu Ort des Ge-
lenkes an. Ist die Hand voll, d h ist das Unterhautbmdegewebe mit
Fett gefüllt, wie bei Frauen und Kindern so kann bei gestreckter
Hand auch ein Grübchen die Stelle des Geleiiketi andeuten
Harkfaohle da UiU-
hHodknocheiii.
M itleUiaad kDodm.
Grundphaliuige i
Sehne uod Beinhaut B-
Gelenkkojif ]
Kapsel ^
I Kapael an der B«U-
j UautfiUle dea Ititlel.
hand Fmgtrgelta'kn.
lautTaltea
Gelenkpfanne l' f MitUlglied.
Fig. 5'J. Sagittalschnitt des dritten Mittethnndknochens und Fingere.
In der Beugung treten schon hei geringen Graden die Enden
der Mittelhandknochen als Höcker hervor. Die schüsselforraige Ge-
lenkttäche der Finger rückt auf dem sphärischen Gelenkköpfchen
tiefer hinab (siehe an der Figur 58 die drei äußeren Finger) und du
Gelenkköpfchen springt als „Knöchel" unter der Haut hervor, am
stärksten bei dem Schluß der Hand zur Faust. Die Öelenkpfanneu
der an die Köpfchen anstoßenden Fiugerglieder haben ihre größte Breite
in ({uerer Biclitung, und deshalb sieht man bisweilen, bei dOnner
Haut, auch ihren Beginn noch deutlich als eine Hervomigung und
den zwischen beiden Kiiden befindlichen Gelenkspalt als eine seichte
Biune (vergleiche die drei äußeren Finger an der Figur 58). Der
äußere Vorgang bei der Beugung und Streckung der Finger ist an
der lebenden Hand genau zu verfolgen, das Innere der Mechanik er-
geben Durchschnitte durch gefrorene Gliedmaßen. In der Figur 59 ist
SkeleU der Gliedmaßen. 183
der Mittelfinger samt dem anstoßenden Mittelhandknochen im Durch-
schnitt dargestellt. Der Gelenkkopf des Mitt^lhandknochens (Fig. 59
Nr. 1) erstreckt sich über das ganze freie Knochenende , soweit der
Knorpelüberzug, ein 1 Millimeter breiter Saum, reicht. Der Finger
ist in leichter Beugung dargestellt; die Gelenkpfanne des ersten Finger-
gliedes erscheint wie der Durchschnitt eines leicht gehöhlten Schüssel-
cheus und ist ebenfalls mit einem glatten Knorpelüberzug versehen.
Der Gelenkkopf hat einen viel größeren Umfang als die Pfanne, er
umfaßt einen Halbkreis, während die Pfanne höchstens die Ausdehnung
eines Quadranten erreicht. Der Finger gleitet, wie aus der Abbildung
hervorgeht, bei der Beugung von der oberen Abteilung des Gelenk-
kopfes auf die untere, wobei er an jeder beliebigen Stelle durch die
Muskeln festgehalten werden kann. Eine Gelenkkapsel umgiebt das
Gelenk von allen Seiten, weit genug, um den Bewegungen freien Spiel-
raum zu gestatten. In der Fig. 59 ist sie im Durchschnitt dargestellt
und sowohl an dem Handrücken als an der Hohlhandseite sichtbar.
Die letztere Abteilung der Kapsel ist sehr dick. Die vordere Kapsel-
wand ist innen nicht völlig glatt, sondern mit einem Fettwulst ver-
sehen, der in den Gelenkraum vorspringt, und dem die wichtige Aut-
gabe zukommt, bei schneller Streckung die Kapsel vor der Einklem-
mung zu schützen. Der Luftdruck preßt nämlich nicht allein die
Gtelenkilächen aneinander, sondern auch die Gelenkkapsel in die klaf-
fende Knochenspalte hinein. Am leichtesten kann man sich von dieser
überraschenden Erscheinung überzeugen, wenn ein Finger stark in
gerader Richtung angezogen wird. Mit einem hörbaren Knalle ent-
fernen sich bekanntlich die Gelenkflächen voneinander, und die Haut
sinkt in den so entstandenen klaffenden Spalt ein (vergleiche das
Kapitel über die allgemeine Beschaffenheit der Gelenke S. 32 u. ff.).
Eine zweite Bewegung zwischen Mittelhand und den Fingern ist
das Spreizen (Abduction) nebst dem darauffolgenden Schluß der Finger
(ÄdductUm), Es sind die in den Zwischenräumen der Mittelhandknochen
liegenden Muskeln (Fig. 58 Nr. 14), welche diese Bewegung ausführen.
Das Gelenk zwischen dem Mittelhandknochen des Daumens
und seiner freistehenden ersten Phalange ist ein reines Winkel-
gelenk, und verhält sich wie die Winkelgelenko der Finger, die in
dem folgenden Abschnitt besprochen werden.
Die HoblliandBeiten der Kapseln an den Mittelhand-Fingergelenken (Fig. 59
Kr. 6) werden durch dicke Knorpeliager verstärkt In der Mitte einzelner solcher
Knorpelplatten finden sich knöcherne Kerne eingewachsen, welche die Grestalf einer
balben Erbse oder des Samens der Sesampflanze haben und daher Scsambeine, Ossa
«esomoidlsa, beißen (im Altdeutschen Gleichbeine, von Gleich, d. i. Gelenk). Sie
•eilen mit ihrer glatten, überknorpelten Fläche in den Gelenkraum hinein. Hegel-
184 Sechster AbscboiU.
mäßig sind sie an der Volareeite der Gelenkkapsel zwischen Mittelhandkuochen und
erstem Gliede des Daumens zu finden. Sesamos, von welchem die Ossicula «eia-
moidea ihren Namen haben, ist ein arabisches Wort; Bauhin, ein Baseler Anatom
(1589 — 1614), stellte den Ausdruck wieder her, nachdem bis Vesal au88(*hlirßlifh
der Ausdruck Sesamina gebraucht wurde. Die Pflanze, welche wir ab» Sesanntm
orietUale Linne kennen, war ursprünglich in Ägypten imd Arabien zu Hause. Aoi'
Kleinasien, wohin sie als Genuß- und Heilpflanze kam, brachte sie den heimischtm
Namen mit; Galen machte auf die Ähnlichkeit dieser Samen mit gew^lsseu kleinfn
Knöchelchen bei den Tieren aufmerksam.
Die Fingergelcnke.
Die einzelnen Fiugergelenke sind wahre Winkelgelenke. Die Ge-
lenkenden der Phalangen sind immer etwas breiter und dicker, ak
ihre Mittelstücke, und deshalb die Fingergelenke die dicksten Teile
der Finger, wenn auch nicht für das Auge, so doch für das Geföhl.
An mageren Händen kann jedoch die Abnahme des Fett«s soweit
gehen, daß man durch die Spalten zwischen den aneinanderliegenden
Fingern hindurchsehen kann. Alle Fingergelenke besitzen Gelenk-
kapseln nebst zwei Bändern, welche aus den seitlichen Grübchen der
oberen Phalangen entspringen und am Seitenrande der nächstfolgenden
endigen. Der Gelenkkopf der Phalangen besteht aus einem querliegen-
den Cylinder, der durch eine sattelförmige Vertiefung zwei Gelenk-
höcker erhält (Fig. 58 Nr. 15). Die entsprechende cylindrisch gehöhlte
Pfanne weist zwei leichte Vertiefungen auf, welche durch eine stumpfe
Leiste getrennt werden (Fig. 57 Nr. 19). Durch das Ineinandergreifen
der Leiste auf der Pfanne und des Einschnittes an dem Gelenkcylinder
wird die Gangart des Gelenkes wesentlich gesichert. Die bei der
Beugung der Finger hervortretenden scharfen Ecken, die Knöchel,
lassen vom Rücken her die ebenbeschriebene Gestalt der Gelenkhocker
teilweise wieder erkennen, trotz der Bedeckung durch Haut, Kapsel
und Fingersehne. An dem Knöchel des ersten und zweiten Gliedes
ist die sattelförmige Vertiefung des querliegenden Gelenkcylinders stets
erkennbar von den zwei seitlichen Höckern des Cy linders überragt;
der nach der Kleinfingerseite zu gelegene Höcker ist bei dem Zeige-
und Mittelfinger etwas höher, bei dem vierten und fünften gleich.
Bei dem Daimien ist der Höcker der Daumenseite etwas höher.
An der Hohlhandseite der Finger ist die Fettlage unter der Haut
80 dick, daß nur die durch die Beugung hervorgebrachten Falten die
Stelle des Gelenkes anzeigen. In welcher Weise dies geschieht, wurde
schon oben Seite 64 und S. dargelegt, und ist in der Figur 59 wieder
ersichtlich.
Die Finger strecken sich in der Regel nur bis zu jenem Grade, der
ihnen das Aussehen gerader Finger giebt. Bisweilen strecken sie sich
Skelett der GliedmaBen. 185
auch stärker, und zwar ündet dann eine Überstreckung des Nagel -
gliedes statt, welches dabei in die Dorsalflexion übergeht; der Finger
erscheint dann in dem letzten Gelenk nach oben leicht eingeknickt und
die Spitze des Nagelgliedes geht in die Höhe, ungefähr bis zu jenem
Grade von Überstreckung, der bei jedem Menschen dann eiTeicht wird,
wenn das Nagelglied von unten her in die Höhe gedrückt wird. Der
Barockstil hat die nach oben gekrümmten Fingerenden an seinen
Nachbildungen zur Regel erhoben.
Allgemeine Bemerkungen.
Die oberen Extremitäten oder Brustglieder sind, nebst der
Zunge, die beweglichsten Teile des Körpers. Ihre Beweglichkeit gründet
sich auf ihre mehrfache Gliederung und auf ihre fast verschwenderische
Ausstattung mit Muskeln. Ein selbst wieder im hohen Grade beweg-
licher Knochen, das Schlüsselbein, vermittelt ihre Verbindung mit dem
Stamme. Die Pendelbewegungen der oberen Extremitäten korrigieren
die seitlichen Schwankungen des Leibes beim aufrechten Gange; der
Anstand bemüht sich zwar, sie beim gravitätischen Gange im Zaum
zu halten, ihre Notwendigkeit beim Laufe tritt dagegen unaufhaltsam
hervor. Die Wurfbewegung der Arme unterstützt die Vorwärtsbewe-
gung des Leibes beim Sprunge nicht minder als beim Laufe. Der
Verlust einer oberen Extremität ist ein weit größeres Unglück, als
jener einer unteren, welche nur als Stütze zu dienen hat, und an
deren Stelle ein hölzernes Bein im Grunde dasselbe leisten kann.
Angebomer Mangel oder frühzeitiger Verlust beider oberen Extremi-
täten lehrt die Krüppel, in den unteren Gliedmaßen Stellvertreterinnen
für die Leistungen der oberen zu finden. Der bekannte Thomas
ScHWEiKEB aus Hall im Schwabenland, dessen Andenken als Kalli-
graph durch Medaillen und Lobgedichte verewigt wurde, hatte keine
Hände. Der berühmte Maler Kittel wurde, nach Hochstbatbn,
ohne Hände geboren, in neuerer Zeit hat auch Dugobnet den Pinsel
mit den Zehen geführt.
Die beiden oberen Extremitäten »ind selten gleich lang, der Unterachied be-
trftgt einige Millimeter. Auch die Stärke, d. h. die Muskelentwickelung ist selten
auf beiden Seiten kongruent. Nicht der angestrengtere Gebrauch des rechten Arms,
wohl aber eine ursprüngliche Ungleichheit der Muskelmasse beider Extn^mitäten zu
Gunsten der rechten giebt der rechten Seite eine zuweilen aufiallende Prävaleuz
über die linke. Wir gebrauchen die rechte Extremität mehr als die linke, weil sie
die stärkere ist, nicht aber wird sie stärker, weil sie die gebrauchtere ist. Bei link-
händigen Menschen ist die linke Extremität von Natur aus stärker als die rechte
und deshalb bedienen sie sich derselben von der ersten Kindheit an trotz alles Zu-
redens und Strafens für diese vermeintliche unschickliche Angewöhnung.
186 Sechster Abschnitt.
Das Schlüsselbein durchzieht eine Körperregion, welche die
Schlüsselbeingegend heißt. Bei mageren Individuen läßt sich dauK
Schlüsselbein seiner ganzen Länge nach gut sehen ^ wohl auch bei
starker Vorwärtsbewegung der Schulter mit Daumen und Zeigefinger
umgreifen. Dieser schwach S-förmig gekrümmte Knochen ist so an-
gebracht, daß seine innere längere Hälfte nach vorn, seine äußere
kürzere nach hinten konvex gebogen ist. Über dem Schlüsselbein liegt
eine seichte Grube, die obere Schlüs selb ein grübe, Fossa nspradam'
(ndaris, unter ihm die nur bei fettarmen Individuen deutliche Fossa infra-
clavicularis. Diese beiden Gruben werden um so tiefer, je mehr die
Schulter nach vorn geführt wird. Das Schlüsselbein hebt sich hierbei
von den hinter ihm gelagerten Weichteilen auf, springt stÄrker vor und
vermehrt dadurch die Tiefe der beiden erwähnten Gruben. Der mecha-
nische Nutzen des Schlüsselbeins besteht darin, daß es die Schulter
nach außen drängt und dadurch das Oberarmgelenk in gebührender
Entfernung von der Thoraxwand erhält. Das Schlüsselbein ist nicht
bestimmt, die Schulter und den Arm zu tragen, das ist vielmehr die
Aufgabe jener Muskeln, welche an dem Rumpfskelett entspringen und
an dem Schultergürtel endigen.
Schulter, Oberarm und Vorderarm wurden nur der Hand wegen
geschaffen, deren Beweglichkeit und Verwendbarkeit durch ihre Be-
festigung an einer langen und mehrfach gegliederten Knochensäule
erheblich gewinnen muß. Das aus siebenundzwanzig Knochen be-
stehende und durch vierzig Muskeln bewegliche Skelett der Hand, in
welchem Festigkeit mit geschmeidiger und vielseitiger Beweglichkeit
sich auf die sinnreichste Weise kombiniert, bewährt sich fiir die roheste
Arbeit wie für die subtilsten Hantierungen im gleichen Grade geschickt,
und entspricht durch seinen wohlberechneten Mechanismus vollkonunen
jener geistigen Überlegenheit, durch welche der Mensch, das an natfür-
lichen Vertheidigungsmitteln ärmste Geschöpf, sich zum Beherrscher
der lebenden und toten Natur aufwirft.
Der Arm, Brachium, reicht in hängender Stellung bis zur Mitte
des Oberschenkels. Weiter herabhängende Arme haben dem Perser-
könig Artaxerxes zu dem Beinamen Longimanus, und einer russischen
Fürstenfamilie, deren Stammvater mit dieser Eigentümlichkeit behaftet
war, zu dem Namen Dolgoeuki verhelfen (Hybtl). Beim Neger soll
der Arm erheblich tiefer herabreichen, allein diese rassenanatomische
Behauptung wartet noch immer der sicheren Feststellung. Bei Rück-
gratsverkrümmungen fällt die größere relative Länge der Arme zum
Stamme auf, und nimmt mit dem Grade der Verkümmerung zu. Bei
raschen Körperbewegungen schwingen deshalb die Arme wie lange
Pendel hin und her. Bei gewissen Affen reicht der Arm selbst bis
SkeleU der GUedmaOen. 187
zur Ferse. Die Verlängerung betrifft dabei vorzugsweise die Vorder-
arme.
Die Hand führt ihren lateinischen Namen Manus von griechisch
fHäo tasten, ihren deutschen aber von dem alten han, so viel als haben.
Bei den römischen Dichtern heißt sie auch palma, das breite Ende
eines Ruders. Sie wird durch ihren Hautüberzug, besonders in der
Hohlhand (vola), mit hoher Emptindlichkeit ausgerüstet und erhebt
sich zur Bedeutung eines Tastorgans, welches nach allen Sichtungen
des Raumes beweglich, uns von der Ausdehnung der Materie und
ihren physikalischen Eigenschaften belehrt. Die ältesten Maßbestim-
mungen (ulna — Elle, apithama — Spanne j pollex — Zoll) sind der
Länge einzelner Haudabteilungen entnommen. Der jedem andern
Finger entgegenstellbare Daumen wirkt mit diesem wie eine Zange,
welche zum Fassen, Ergreifen und Befühlen kleiner Gegenstände
benutzt wird. Stammt doch das Wort Finger von Fangen ab, wie
uns die Jägersprache bezeugen kann, in welcher die Finger der Raub-
tiere Fänge heißen.
In dem langen, fi'eibeweglichen und stairken Daumen, Follex, von
poliere Ansehen haben, gelten, liegt der wichtigste Vorzug der Menschen-
hand. Der Daumen krümmt sich mit Kraft gegen die übrigen Finger
zur Faust (Fugnus Faustkampf, von pugnare kämpfen), die zum An-
fassen und Festhalten schwerer Gegenstände dient. Er leistet hierbei
soviel, wie die übrigen Finger zusammengenommen; er stellt das eine
Blatt einer Beißzange dar, deren anderes Blatt durch die vier übrigen
Finger gebildet wird. Eine Hand ohne Daumen hat ihren besten Teil
eingebüßt, denn sie dient nicht mehr zum Anpacken und Festhalten.
Juiiius Cäsar befahl, allen in üxellodunum^ gefangenen Galliern die
Daumen abzuhauen, weil er sie, so verstümmelt, als Krieger nicht
mehr zu flirchten hatte. Ahnliche Verstümmelungen von Kriegsge-
fangenen kamen auch bei den Hebräeni vor.
Die aus mehreren Knochen zusammengesetzte bogenförmige Hand-
wurzel unterliegt der Gefahr des Bruches weit weniger, als wenn ein
einziger gekrümmter Knochen ihre Stelle eingenommen hätte. Die
feste Verbindung der Mittelhand mit der Handwurzel macht das Stem-
men und Stützen mit den Händen möglich, und die Längenkrümmung
der einzelnen Metacarpusknochen , sowie ihre Nebeneinanderlegung in
einer gegen den Rücken der Hand konvexen Ebene erleichtert die
Aushöiüung der Hohlhand zum Poculum IHogenis,
Die große Beweglichkeit der Finger und die möglichen zahlreichen
Kombinationen ihrer Stellungen machen sie zu Vermittlei-n der Zeichen-
' Eine Stadt und Festung der Cadurci in Aiiuitanien an der Garonnc.
188 Sechster Abechnitt.
spräche. Wir bitten, beschwören, drohen und befehlen mit der Hand;
die tiefen Trennungsspalten zwischen je zwei Fingern erlauben das
Falten der Hände, und die nur im Winkel mögliche Beugung der zwei
letzten Phalangen giebt der geballten Faust eine Kraft, die einst statt
des Rechtes galt. Auch die Römer gebrauchten manus f&r Gewall
Die tausendfältigen Verrichtungen der Hände (Hantierungen), welche die Not-
wendigkeit diktiert und der Verstand raffiniert, werden nur durch den weise be-
rechneten Bau dieses Werkzeuges ausführbar. Wir können uns keine Vorrichtmig
denken, durch welche die mechanische Brauchbarkeit der Hand auf einen höhefn
Volikommenheitsgrad zu bringen gewesen wäre. Jede wie immer beschafiene Zu-
gabe würde eher hemmend als fördernd wirken. So ist z. B. ein sechster Finger
wahrlich keine Vollkommenheit der Hand, sonst würde der Besitzer desselben nicbt
wünschen, dieser Vollkommenheit quitt zu werden, und die Chirurgen würden aA
nicht dicnstfreundlichst beeilen, sie wegzuschneiden.
Die Knochen, welche die oberen Gliedmaßen des Menschen bilden, finden vir
wieder in der Flosse des Walfisches, in dem Vorderfuß der Schildkröte und im
Flügel des Vogels. Dieselben Knochen sind es, die, vollkommen ihrem Zwecke an-
gepaßt, in der Tatze des Löwen, wie des Bären gefunden werden; anders sind ne
umgewandelt im Vorderbein des Pferdes oder des Kamels, oder bei dem zum Klet-
tern und Graben lang beklauten Beinen des Faultieres. £ine vortrefFliche mit Ab-
bildungen illustrierte Anatomie und vergleichende Anatomie enthält das kleine, aber
lehrreiche Buch: Die menschliche Hand und ihre Eigenschaften von Sir Ckabub
Bell. Deutsch von Dr. H. Hauff. Stuttgart 1836.
Skelett der unteren O^lledmaßen.
Zu dem Skelett der unteren Gliedmaßen gehören:
1) der Beckengürtel,
2) der Oberschenkelknochen,
3) die beiden Unterschenkelknochen,
4) das Knochengerüste des Fußes.
a. Der BeckengürteL
Der Beckengürtel verbindet die unteren Gliedmaßen mit dem
Stamme. Es sind bei dem Erwachsenen drei Knochen, welche diesen
festen, aber unregelmäßig geformten Gürtel zusammensetzen, nämlich
jederseits das Hüftbein (Fig. 60 H) und hinten das Kreuzbein
(Fig. 60 Kr). Im Interesse der Festigkeit sind die beiden Hüftknochen
durch einen starken Bandapparat sowohl mit dem Kreuzbein als unter
sich vereinigt. Von dem Kreuzbein aus überträgt sich das Gtewicht
des Oberkörpers auf die Hüftknochen und von diesen auf die sänlen-
artigen Gliedmaßen durch Vermittelung der Hüftgelenkpfanne.
Skelett der GliedmaAen. 189
Das Hüftbein (Os coxae).
Das Hüftbein ist ein platter Knochen , der an der äußeren Fläche
eine tiefe Pfanne fUr den kugeligen Schenkelkopf besitzt. Es reicht an
dem Eumpf hoch gegen die Kippen hinauf und erstreckt sich tief
hinab unter die Pfanne. Der obere Abschnitt des Hüftknochens ist
breit, schaufelförmig, .der untere durchbrochen und zwar durch eine
große unregelmäßig ovale Öffnung, welche das verstopfte hoch (Foramen
obturatum) oder Hüftloch genannt wird. Dieser große und seltsam
geformte Knochen setzt sich in der Kindheit aus drei Teilen zusam-
men, deren verschiedene Benennung schon in den Gebrauch des täg-
lichen Lebens übergegangen ist. Den vor dem verstopftien Loch ge-
legenen Teil nennt man das Schambein, die hintere Abgrenzung des
Loches . bildet das Sitzbein; was noch übrig bleibt, ragt gegen den
Thorax in die Höhe und heißt Darmbein. Die Grenze aller drei
Teile geht mitten durch die Pfanne.
1) Das Darmbein (Os ilei) trägt auf der konkaven, der Leibes-
hohle zugewendeten Fläche Schlingen des Darmes, woraus sich seine
Bezeichnung genügend erklärt, die äußere Fläche ist mit den großen
Gesäßmuskeln bedeckt. Zwei dieser Muskeln zeichnen ihre ürsprungs-
linie auf die äußere Fläche: der kleinste Gesäßmuskel mit einer Linie,
welche bogenförmig, in der halben Höhe der äußeren Fläche, den
Rand der Gelenkpfanne umkreist (Fig. 63 Nr. 15), und der größte Ge-
säßmuskel mit einer kürzeren Linie, welche ein hinteres Stück des
Knochens in der Nähe des Kreuzbeins umkreist. Der obere Rand
des Hüftknochens begrenzt an dem lebenden Körper die Weichen und
wird dadurch zu einer wertvollen Orientierungslinie. Bekanntlich sinkt
unterhalb des Brustkorbes der Leib ein, um sich später wieder aus-
zuladen. Der Beckengürtel ist der Grund dieser Form, und der obere
Rand, der Hüftbeinkamm (Crista ilei), kommt deswegen am stärksten
zum Vorschein, weil sich der Gürtel nach oben schüsselformig aus-
ladet, und zwar stärker bei der Frau als bei dem Manne (vergl. die
Fig. 33 S. 1 1 1 und die Fig. 60).
Der Hüftbeinkamm ist breit; an ihm befestigen sich die drei
breiten Bauchmuskeln, welche von dem Brustkorb herabkommen mit
einem großen Teil ihrer Fasern und zwar an drei verschiedenen
Facetten, welche man als äußere, mittlere und innere Facette
oder Lippe zu unterscheiden pflegt. Vorne läuft der Kamm in eine
scharfe Ecke aus, welche vorderer Darmbeinstachel (Fig. 61 Nr. 20)
heißt. Hinten geht der Hüftbeinkamm ebenfalls in eine scharfe, aber
im Vergleich zu der vorderen umfangreichere Ecke über, der hintere
obere Darmbeinstachel genannt. Beide sind an dem Lebenden,
190 Skelett der Glfedmaßen.
freilich in sehr veränderter Form zu sehen, jedoch ist die Orientieruug
nicht schwer, sobald man, wie dies bei dem Studium der Kuochenlebre
unerläßlich ist, von mageren Modellen ausgeht und allmählich zo
muskelkräftigen Männern, dann erst zu Frauen und Kindern fort-
schreitet. Beide Darmbeinstacheln erscheinen bei Männern wegen des
Ansatzes starker Muskeln in der ganzen Umgebung als kleine Ver-
tiefungen von unregelmäßiger Form (Fig. 14 S. 61 Nr. 20), bei den
Frauen als Grübchen, weil die Haut auf der Kuppe der Darmbein-
stacheln fester angewachsen ist, und das ünterhautfettgewebe zwar
die Umgebung zu fällen vermag, an diesen Stellen aber ein in nor-
malen Verhältnissen unnachgiebiges Gewebe findet, wie dies schon in
dem Abschnitt über die Haut S. 49 erwähnt wurde.
Jeder dieser Darmbeinstacheln hat etwas tiefer einen Nachbar,
getrennt durch einen schwachen Ausschnitt. Der eine dieser tiefer
stehenden Höcker heißt vorderer unterer Darmbeinstachel,
wichtig als Ursprungsstelle fiir Muskeln, der andere hat die Bezeich-
nung hinterer unterer Darmbeinstachel erhalten.
2) Das Schambein (Os pubis) hat in der Anatomie eine größere
Ausdehnung als in der Vorstellung des täglichen Lebens. Es besteht
aus zwei starken dreikantigen Knochenspangen, welche das verstopfte
Loch umkreisen helfen. Die eine Spange liegt annähernd horizontal,
wenigstens mit einem Teile ihres Abschnittes, die andere senkt sich da-
gegen nach der Mittellinie des Körpers hin. Die Anordnung ist folgender
Art: Von den beiden oberen Darmbeinstacheln fällt der vordere Rand
des Beckengürtels bis zu einem Knochenhöcker, der den umfang der
Hüftgelenkpfanne bilden hilft, zunächst jäh ab. Dieser Darm- Scham-
höcker (Tuberculum ileo-pectineum) bildet das verdickte Anfangsstück
des horizontalen Schambeinastes (Fig. 60 Sa). Der horizontale
Ast erstreckt sich dann weiter gegen die Mitte zu und verbindet sich
mit demjenigen der entgegengesetzten Seite. Von nun an ändert er
seine Richtung und wendet sich nach abwärts, um den absteigenden
Schambeinast zu bilden. Die inneren Ränder der sich berührenden
Schambeine bilden die Scham- oder Schoßfuge. Eine mächtige
Faserknorpelschichte schließt die Knochenränder fest aneinander. Der
absteigende Schambeinast der linken und rechten Seite entsprechen
miteinander demjenigen Gebiet des Rumpfskelettes, das unter den
Laien als Schambein bekannt ist. Dieses mittlere Gebiet, die Schoß-
fuge, hat einen oberen breiten Rand, mit ein paar Knochenhöckem
zum Ansatz der geraden Bauchmuskeln versehen, und eine breite vor-
dere und hintere Fläche, Die vordere Fläche steht nicht senkrecht,
sondern ist schief nach hinten gerichtet (siehe Fig. 33 S. 112 t).
Unter der Haut entwickelt sich ein reiches Fettpolster; die dadurch
192 Scdirter Almdiiiitt.
entstehende Rundung, welche sich allmählich zwischen den Beinen
verliert, heißt Schamberg (Venushügel, ^f(ms veneris). Seine Form
ist bei gesunder Fülle eine dreieckige, mit oberer Basis und unterer
Spitze. — Die absteigendea Schambeinäste weichen unterhalb der
Schambeinfuge auseinander und bilden mit den aufsteigenden Sitzbein-
ästen den Schambogen, der bei dem Manne enger ist, als bei der
Frau.
3) Das Sitzbein (Os ischn) geht von dem hinteren Umfang der
Pfanne aus — dort liegt der massivere Teil; die übrigen Abschnitte,
dreikantig und schwächer, werden als absteigender Sitzbeinast
und als aufsteigender Sitzbeinast unterschieden. Sie verlaufen
der Art, daß sie das verstopfte Loch oder Hüftbeinloch von hinten
her umkreisen. Dort, wo die beiden Aste des Sitzbeins den Bogen
beschreiben, ist ihre hintere Fläche verdickt und bildet den Sitz-
höcker (Tuber ossis ischü, Fig. 60 Si), der durch Fettmassen gepolstert
ist und als Sitzfläche verwendet wird. Etwas höher hinauf befindet
sich an der Rückenfläche des aufsteigenden Astes die Ursprungsstelle
für die Beugemuskeln des Unterschenkels; sie wird überragt von einem
starken Knochenfortsatz, dem Sitzstachel (Spina osids ischii).
Die Verbindung des Kreuzbeins mit dem Hüftknochen.
Die Hüftknochen besitzen an dem dem Kreuzbein zugewendeten
breiten Rande die ausgedehntesten Mittel zu einer festen Yerbindong.
Die sich berührenden Oberflächen sind uneben; in die Vertiefungen
der einen greifen Erhebungen der anderen ein. Straffe Kapseln und
Verstärkungsbänder bringen mit anderen benachbarten Bändern eine
Verbindung zustande, welche dem heftigsten Stoß durch Sprung oder
Schlag widersteht. Unter diesen benachbarten Bändern sind auch
solche, welche den letzten Lendenwirbel auf besondere Art mit dem
Kreuzbein verbinden, und andere kraftvolle Bandmassen, welche das
Sitzbein mit dem Kreuz- und Steißbein in Zusammenhang setzen.
Die letzteren sind es, welche gleichzeitig den Raum des Beckens nach
unten begrenzen helfen. Sie sind: a) das Sitzknorren-Kreuzbein-
band (Ligamentum tuberoso-sacrum), welches am Sitzknorren entsteht
und nach oben läuft, um an dem hintern unteren Darmbeinstachel und
am Rande des Kreuz- und Steißbeins zu endigen; b) das Sitzstachel-
Kreuzbeinband (Ligamentum spinoso-sacrum), kürzer als das vorher-
gehende; es entspringt von dem Sitzstachel, kreuzt das vorerwähnte
Band, und zieht dann ebenfalls zu dem Seitenrande des letzten Kreuz-
wirbels und des Steißbeins. Durch die Kreuzung beider Bänder ent-
stehen zwei Löcher an dem hinteren Umfang des Beckens, welche als
großes und kleines Sitzbeinloch unterschieden werden. An dem
Skelett der Gliedmaßen. 193
natürlichen Skelett sind diese Bänder durch die Fäulnis und damit
auch die Löcher verschwunden und nur die Buchten an dem hinteren
Rande des Hüftbeinknochens erhalten, welche als großer und klei-
ner Sitzbein ausschnitt (Inclsura ifchiadica major und mhwr) be-
zeichnet werden. Ihre gemeinschaftliche Grenze stellt der Sitzstachel
dar. Durch den Wegfall der eben bescliriebenen Bänder wird das
Rümpfende des Skelettes von hinten her betrachtet ein weitklaffendes
mit großen und kleinen Ausschnitten versehenes Loch, in dessen Mitte
sich das Steißbein hinabsenkt (Fig. 2 S. 28).
Das Becken als Ganzes,
Das Becken flihrt seinen Namen von dem runden, oben weiten
Gefäß, dessen man sich zum Waschen der Hände und Füße schon im
Altertum bediente, und das lateinisch Velvis und griechisch Pelis hieß;
Diese Bezeichnung ist wenig zutreffend ftir das skelettierte Becken mit
seinen unregelmäßigen Rändern und seinen weiten Löchern, dagegen
entspricht der Name sehr gut demjenigen Raum, der in dem lebenden
Körper durch die das Becken umhüllenden Weichteile gebildet wird.
Offnet man an der Leiche den Unterleib, dann hat der Schlußteil des
Stammes eine große Ähnlichkeit mit einem tiefen Waschbecken, das
einen oberen weiten Umfang, das große Becken genannt, besitzt.
Seine Wände werden von den beiden Darmbeinen, von der Lenden-
wirbelsäule und von der muskulösen Bauchwand gebildet. Die Höhle des
großen Beckens dient zur Vergrößerung der Bauchhöhle und geht, sich
trichterförmig verengernd, in die Höhle des kleinen Beckens ü])er.
Das kleine Becken stellt eine nach unten vercnp^t<^ Höhle dar, deren hin-
tere lange Wand durch die konkave Kreuzbein- und Stcnßbeinflftche, deren vordere
und seitliche Wand durch die Schoßfuge und die djis verstopfte Loch umgcb(uiden
Äste des Scham- und Sitzbeins gebildet wird. Die Höhle de» kleinen Beckens ist
an dem Lebenden und der Leiche nach unten verschlossen durch Weichteile, welche
von den Ausführungskanäleu der Hamorgane, des Verdauungsrohres und der Gre-
schlechtsorgane durt-hsetzt werden. Der Übergang de« großen Beckens in daa
kleine, der sogen. Beckeneingang, wird durch eine scharf vorspringende Linie be-
zeichnet, welche sich von den beiden Dannbeinen bis auf den einspringenden
Kand des fünften Lendenwirbels, Promontorium genannt, verfolgen läßt. Diese
Grenze, welche filr die Geburtshilfe eine besondere Becleutung besitzt, heißt Linea
icrminalisy Grenzlinie.
Die Stellung des Beckens im Körper ist derart, daß die Ein-
gangsebene in das kleine Becken stark nach vorn gesenkt ersclieint.
In allen Skelettbildungen, welche bisher in dem Texte abgedruckt
sind, ist diese Stellung berücksichtigt worden. In der Fig. 60 ist die
wahre Stellung dadurch kenntlich, daß die Grenzlinie an dem Eingang
in das kleine Becken, sowie das Ki'euzbein in seiner ganzen Ausdeh-
KoLLMAMN, PlasUflche Anatomie. X3
194 Sech^r Abschnitt.
nung wahrnehmbar sind. Der horizontale Schambeinast erscheint dabei
etwas von oben gesehen, während die absteigenden Aste sich nur in
der Verkürzung bemerken lassen. In der Fig. 33 S. 112 ist das
Rumpfskelett von der Seite dargestellt; an ihm ist die Stellung des
Beckens noch vollkommener zu beurteilen, denn die Schoßfiige Qiid
der horizontal laufende Schambeinast lassen deutlich erkennen, datt
der Eingang in das kleine Becken schief zu der Horizontallinie vv
geneigt ist. Zieht man von dem vorspringeudsten Punkte des Pro-
montorium eine gerade Linie herab, bis sie die Horizontale schneidet,
so erhält man einen nach hinten offenen Winkel, der die Neigung des
Beckens anzeigt, und Neigungswinkel genannt wird.^
In dem Becken ist der Unterschied der Geschlechter am bestimm-
testen ausgesprochen. Kein Teil des Skelettes bietet so auffallende
und wegen ihrer Beziehungen zum Geburtsakt so wichtige sexuelle
Verschiedenheiten dar. Der anatomische Charakter des männlicben
Beckens liegt in dessen Enge und Höhe, das weibliche Becken cha-
rakterisiert sich dagegen vergleichungs weise durch Weite und Kürze.
Die Weite betrifft sowohl das große als das kleine Becken. Während
die Geburtshilfe sich mehr für die Raumverhältnisse des letzteren in-
teressiert, hat es die plastische Anatomie mit dem großen Becken zu
thun; denn seine schaufelartigen Flächen und vor allem die höchsten
Teile desselben, die Hüftbeinkämme, sind mehr nach außen gelegt.
Daher rührt zunächst die bedeutendere Wölbung der Hüfte bei dem
Weibe, welche so stark sein kann, daß der Beckengürtel den Schulter-
gürtel an Umfang übertrifft, was bei dem Manne umgekehrt ist (vergl
die Fig. 2 S. 28 u. Fig. 45 S. 129). Bei der Frau wird dieser Unter-
schied noch gesteigert durch eine stärkere Fettentwickelung nicht bloß
im allgemeinen, wie schon in der Einleitung erwähnt vnirde, sondern
im ganzen Bereich des Beckens. Dieses für den weiblichen Körper
charakteristische Fettpolster beginnt oberhalb des Hüftbeinkammes
und eiTstreckt sich bis gegen das Kniegelenk herab. Den stärksten
Umfang besitzt es jedoch in der seitlichen und hinteren Umgebung
* Dieser Neigungswuikel beträgt 60—64". Eine dritte Abbildung, an der sich
die Neigung des Beckens beurteilen läßt, ist die Fig. 1 S. 25, eine Darstellung des
ganzen Skelettes im Profil, ebenfialls, wie die übrigen, mit dem Orthographen dur-
gestellt* Auf den Figuren 1 und 33 ist die Horizontale vw gezogen, und cino
zweite Linie, welche nicht von der Höhe des letzten Jjcndenwirbcls , sondern von
einer tieferen Stelle herabkommt. Der daraus entstandene und nach hinten offene
Winkel ist deshalb um ca. 10° kleiner als der oben angegebene. Die Stellung des
B<;ckens ist jedoch unabhängig von dieser Linie und beträgt auch in diesen Ab-
bildungen 60^ Hat man einem skelcttierten Becken die eben angegebene Neigun*;
gegeben, so wird man finden, daß die Spitze des Steißbeins ungefähr 1*/, cm höher
liegt, als der untere Rand der Schambeinfuge.
SkeleU der Gli«doMi6cii.
ObenT Rand K
Vord. ob. DarmbeiDBtachel >■
Vord. ant. DanubeiDiMchel n
GroOer Kollhügel a
Schenkelhals U
Linea iDtertrochuitertta U
ÄuB. Nebenknurrun u'
ÄuBerer Koorrt^n r;
Widenbeiaköprciieii U-
1 tlüfl-Kreuibeigfuge.
t ZwJBchenwirbelläcber.
Kleiner Rollhügel,
A.D&. Fläche deiSchicnbeiiiea 27-
Knöchel U
^ B iSthenkelkuochen.
9 Palellenfliche.
■tu Innertr Knorren.
O SiAieDbeiiialachel.
U Votd. ächtenbeinfläehe.
H Schienbainkuitc.
Vi' Vonl. Schien bei nfliche.
U' Bchienbelnkante.
Fig. 61. Knochen der unteren OliednuiBen.
196 Sechflter Abechnitt
des Beckens. Die Antike hat in ihren edelsten Darstellungen weil»,
licher Schönheit diese Ausdehnung des Unterkörpers beträchtlich ge-
mäßigt; am meisten bei der Venus von MiLo, oflFenbar um den sinL-
liehen Eindruck abzuschwächen, den das Überwiegen dieser Partie auf
den Beschauer hervorbringt. Doch hat die Antike auch nicht ver-
schmäht, die Rundung dieser Partien zum Gegenstand der Plastik zu
machen. In der Venus Eallipygos hat sie sogar die von Fett stark
gefüllten Hinterbacken, die bei gesunden Personen schön gerundet siud.
durch den Meisel verewigt. Das Fettpolster kann bei Frauen in dieser
Gegend bekanntlich selbst unter normalen Verhältnissen eine enoryie
Ausdehnung erreichen {llottentottenveiius). Niemals erreicht bei dem
körperlich wohlgebildeten Manne das Gesäß eine mit dem weiUichen
Geschlecht übereinstimmende Fülle. Bei dem Mann ist wegen der nur
in mäßiger Tiefe liegenden starken Muskeln das Gesäß derb und prall
anzufühlen, unfaltbar, und die Hauptmassen der Muskeln sind durch
die Haut hindurch zu erkennen, sobald sich die Beine fest aufstellen.
Die Afterfurche ist bei dem Menschengeschlecht bis auf einen schma-
len Spalt geschlossen, und der After dadurch vollkommen verdeckt;
bei kräftigen männlichen Gestalten ist die Furche stets behaart ("//er-
kules melampygos)^ bei siechen und ausgemergelten Individuen dagegen
klaffend, wie bei den Tieren.
,,IIiatque turpis iutcr aridas nates
Podex, velut crudac bovis."
Der größere Umfang des weiblichen kleinen Beckens wird durch die
größere Breite des Kreuzbeins und durch die größere Ausdehnung der
übrigen Abschnitte, namentlich auch der horizontalen Schambeinäste,
bedingt. Die Pfannen und die Sitzknon-en stehen somit bei dem
Weibe mehr auseinander, und der Schoßbogen wird oflFener und weiter
sein müssen, als beim männlichen Geschlechte. Infolge der größereu
Weite stehen auch die Gelenkpfannen weiter auseinander als bei dem
Manne, hiermit ist eine größere Konvergenz der Oberschenkel-
knochen gegen das Knie hin verbunden.
Der Oberschenkelknochen (Femur),
An diesem längsten Knochen des Körpers ist das starke Mittel-
stück der ganzen Länge nach etwas nach vom gekrümmt und von
vorne betrachtet cylindrisch, hinten jedoch besitzt es eine rauhe
Linie (Fig. 62 Nr. i), die doppelt ist und zur Befestigung starker
Muskeln dient; nach oben und unten weicht die Linie auseinander und
ihre divergierenden Schenkel (Fig. 62 Nr. 7 u. 9) begrenzen rauhe Flächen.
An der oberen rauhen Fläche heftet sich u. a. der große Gesäßmuskel
Skdett der GliedmKBea.
I Urapr. d. m. G«aUm.
% Unpr. d. kl. OeiAIIm.
5 Pfannen rand.
( Gr. Rollbügel.
1 Rauhe Linie.
«I AtiD. Höcker.
■I i iplenkfläche.
tl Hand d. äuß. HSckera.
O Wilde nbelnköpfchen.
1^ /nischeDknochenraam.
Fig. 62. Skelett der unteren Gliedmaßen von hinten.
198 Sechster AbschniU.
fest; die untere, muldenförmig vertieft, und von starken Gefäßlöchera
durchsetzt, bildet die knöcherne Wand der Kniekehle.
Die mächtig entwickelten Enden des Schenkelknochens übertreffen
das Mittelstück bedeutend an Dicke. Das obere Ende trägt den
kugligen Kopf, der in der Pfanne des. Hüftbeins eingelenkt ist Er
sitzt nicht wie derjenige des Oberarmknochens direkt auf dem Schaft-
ende, sondern ist mittels eines verschmälerten Ansatzstückes, Schenkel-
hals genannt, in einem stumpfen Winkel zur Achse des Beines angesetzt
Der Hals entwickelt sich aus zwei mächtigen Knochenhöckem heraus,
die zum Ansatz von Muskeln dienen, welche das ganze Bein in der
Pfanne auswärts und einwärts drehen können. Aus diesem Grunde
heißen diese Knochenhöcker: Rollhügel. Der innere, der kleine
Rollhügel (Trochanter minor), liegt tiefer als der große Rollhügel
(Troclianter major , Fig. 61 u. 62). ^ Der letztere bildet einen wich-
tigen Orientierungspunkt für das Verständnis der Formen an dem
seitlichen Umfang des Beckens, denn seine äußere Fläche ist nicht
wie der kleine Rollhügel von Muskeln, sondern nur von einer Sehne
und der an dieser Stelle fettarmen Haut bedeckt.
Während mit Ausnahme des großen Rollhügels das ganze Hüft-
gelenk von Weichteilen bedeckt ist, wird das untere Ende des Knochens
entscheidend für die Formen des Kniegelenkes. Die Muskeln, welche
vom Oberschenkel herab zu dem Unterschenkel ziehen, gehen in der
Nähe des vorderen Gelenkumfanges in Sehneu über und lassen be-
sonders an der vorderen Seite alle Eigentümlichkeiten der Knochen
sowohl während der Ruhe als während der Bewegung durch die Hant
hindurch erkennen. Das Knieende des Oberschenkelknochens zeigt
zwei, vorne durch eine seichte, hinten durch eine tiefe Furche getrennte
Knorren, von denen der äußere Knorren (Condylus extemns^ Fig. 61
Nr. \\^) kürzer und schmäler ist, aber weiter nach vorne ragt, als der
innere Knorren (Condyhis internus^ Fig. 61 Nr. ii). Nur ein Teil
dieser starken Auftreibungen ist mit Knorpel überzogen; diese glatten
Gelenkflächen, welche auf den seichten Gelenkgruben des Schienbeins
ruhen, nehmen einen viel kleineren Raum ein, als man vermuten sollte.
An der vorderen Fläche, leicht vertieft beginnend, nehmen sie nur die
untere und einen Teil der hinteren Fläche ein. Hinten sind die
Knorren und so auch die glatten Gelenkkörper stark gekrümmt und
durch einen tiefen Einschnitt (Fossa intercondyloidea, Fig. 62) vöUig
getrennt. An der vorderen Seite reicht der Knorpel höher hinauf,
obwohl das Schienbein niemals, auch nicht in dem extremsten Grade
* Trochanter, von troehix4) griech., sich im Kreise drehen. Der Trochanter
major wird im Kreisbogen bewegt.
Skelett der Gliedmaßen. 199
der Streckung, diese Stelle erreichen wird. Dieser vordere Teil der
Gelenkiläclie ist denn auch für einen anderen Knochen bestimmt, näm-
lich für die Kniescheibe. Bei der Beugung und Streckung gleitet die
linsenförmige in die Sehne der Streckmuskeln eingewachsene Kniescheibe
an diesem vorderen Abschnitt der Gclenkfläche, dem Patellenein-
schnitt (Incisura patellaris, Fig. 64 Nr. 2), auf und nieder. Diese Gelenk-
bahn beschränkt sich jedoch nicht bloß auf jenen Teil, der mit Knorpel
überzogen ist, sondern reicht noch etwas höher hinauf, auf eine mulden-
förmige Vertiefung an der vorderen Seite, welche sich allmählich ver-
liert (Fig. 61 Nr. 9 u. Fig. 64 Nr. i). Diese ganze Mulde ist bei der
Beugung im Kniegelenk durch Haut und Sehnen hindurch wiederzu-
erkennen. Die größte Breite der Oberschenkelknorren fällt nicht mit
der Breite der überknorpelten Gelenkfiäche zusammen, sondern liegt
beträchtlich höher. Diese Punkte ragen so stark hervor, daß sie als
äußerer und innerer Nebenknorren (Epkondylus extemus und in-
termiSj vergl. die Figg. 61, 62 und 64) besonders bezeichnet werden.
Von ihnen entspringen starke Hilfsbänder für das Kniegelenk.
Die Nebenknorren könnten deshalb auch, im Gegensatz zu den eigentümlichen
mit Knorpel überzogenen Gelenkhöckern, Gelen kbandhöcker heißen; denn aus
naheliegenden mechanischen Gninden müssen sie die mit Knori)el bedeckten Ab-
schnitte ül>erragon, sonst wünlc^n die von den Nebenknorren entspringenden Bänder
l>ci je<ler Bewef^ung eine Reibung erleiden und dadurch einen beträchtlichen Knift-
verlust bedingen.
Das Hüftgelenk.
Die Verbindung der unteren Gliedmaßen mit dem Rumpf durch
eine Kapsel und durch Verstärkungsbänder stellt ein Kugelgelenk dar,
das wegen seiner Tiefe in der Mechanik als Nußgelcnk bezeichnet
wird. Der Kopf des Femur greift dabei in die Pfanne des Hüftbeins
so tief ein, daß mehr als die Hälfte der Kugel von der Pfanne um-
schlossen wird. Dieser letztere Umstand ist nur an dem frischen
Präparat, nicht an dem Skelett erkennbar. Die Fäulnis zerstört näm-
lich einen faserknorpeligen King, der dem Rand der Pfanne aufsitzt,
und der sich während des Lebens eng an den Gelenkkopf anschmiegt.
(Über dieses Nußgelenk vergl. S. 38.) In diesem Kugelgelenk sind
drei Arten von Bewegungen ausführbar.
1) Beinheben und Beinseuken. Es sind dies dieselben Be-
wegungen, welche in verschiedenem Grade beim Gehen, Laufen und
Springen auftreten. In der systematischen Anatomie nennt man dieses
Heben und Senken gewöhnlich Beugung und Streckung.
2) Abziehen und Anziehen des Beines; in der Turnsprache
heißen diese Bewegungen bezeichnender Beinspreizen und Beinschluß.
200 Sechster Abschnitt.
3) Rollen des Beines nach einwärts und Kolleu nach aus-
wärts; diese Drehbewegungen werden unter dem Ausdruck ,.Rotation-*
zusammengefaßt. Wird die Fußspitze nach auswärts gedreht, so Nieht
der innere Fußrand je nach dem Grade der Drehung mehr oder wo-
niger nach vom, ebenso die innere Ober- und Unterschenkelfläche.
Rollt dagegen der Schenkelkopf nach innen, so wird umgekehrt die
äußere Fläche des Beines teilweise zur vorderen , und die Fußspitze
stellt sich nach innen. Das Auswärtsrollen kann viel weiter getriel)eü
werden als die entgegengesetzte Bewegung, welche übrigens unschön
ist und den Eindruck der Verrenkung macht, sobald sie bis an die
äußerste Grenze weitergeführt wird.
Die Leichtigkeit, mit der alle diese Bewegungen, namentlich jene des Bein-
hebens und Beinsenkens, ausgeführt werden^ hängt mit den Einrichtungen zusammen,
welche in der Einleitung S. 34 u. ff. erörtert wurden. Durch die Verwendung drt
Luftdruckes und der Adhäsion schwingt bei dem natürlichen Gange sowohl bei dem
Menschen als bei den Tieren das unbelastete Bein nach den Gesetzen eines frvi-
hftngenden. Pendels; fiir diese Bewegung ist also keinerlei Muskelkraft erforderlich.
Auch das tote Bein schwingt, wenn der Körper in die entsprechende Lage gebracht
ist, ebenso wie während des Lebens; die Schwinf]^ungszeit beträgt ebensoviel, wie
diejenige eines Pendels von der Länge des Beines und von der ihm zukommenden
Massen Verteilung. Die Länge des natürlichen Sclurittes bei dem ruhigen Gang iiit
nicht Sache der Willkür, sondern die Folge eines physikalischen G^jsetzes, das die
Größe einer Schwingung abhängig macht von der Pendellänge. Je kürzer die
Beine, um so rascher werden sie dem Gesetze gemäß ihre Schwingungen vollenden.
Kleine Menschen macheu deshalb kurze, große Menschen lange Schritte, die Be-
wegungen des einen sind schnell und hurtig, diejenigen des anderen gravitätisch und
langsam. Ein kleiner Mensch und ein großer können nur sehr schwer Ann in
Arm zusammengehen, sondern werden bald aus dem Schritte? fallen. Aus demselben
Grunde stellt man im Militär die großen Leute in eine Reihe.
Bei den eben erwähnten .Bewegungsarten bleibt der Rumpf in
annähernd senkrechter Haltung, und nur der Schenkclkopf bewegt
sich in der Gelenkpfanne. Es kann aber auch der umgekehrte Fall
eintreten, in der Art, daß das Bein auf dem Boden stehen bleibt, der
ganze übrige Körper dagegen die Bewegungsarten der Beugung und
Streckung ausführt. Bei dem Bücken und dem darauffolgenden &-
lieben bleiben die Beine bekanntlich fest haften an dem Boden, da-
gegen rotiert das Becken samt dem Oberkörper auf dem Gelenkkopf.
Bei dem ruhigen Stehen, wobei die Last des Körpers vorzugsweise
auf einem Bein loiht, „Standbein", wählend das andere nur spielend
auf dem Boden steht, „Spielbein", oder eine andere bieliebige Stelluug
einnehmen kann, dreht sich die Hüftgelenkpfanne und mit ihr der
ganze Oberkörper auf dem Gelenkkopf etwas nach außen, so daß sich
Hüftbeinkamm und großer Rollhügel beträchtlich nähern, und das
Standbein von der Seite betrachtet kürzer ist, ak das andere. — Der
SktlsU dar Olt«diai£«.
Unpninjj; <1. kl. GfnGm. B
r. Gnmßni. ft-
JI. o. D.sloohel 0-
H. II. D.stacliel 9.
Hüft bei nansschnitl B-
KrcDibt^n N--
. Kulthügel tl
J Schifnheinitatdiel.
ua, 3ohi«lbeinflSrh(.
■'f Schien lid 11 bnnLc
ÄuQ. Schieiibrintlache.
— nin.Kpilbeinc.
B Mitti'iruakniH^hi'ii.
H l'lislnniccD.
Fig. 63. Skelett Jer unteren Glieilmtißeu von der Seite.
202 Sechster Abschnitt.
große Rollhügel deutet durch seine Stellung diejenige des gaiizeo
Beine? an. Da er sich in der Längsachse des Knochens befindet,
so wird er wie ein Zeiger die Bewegungen des Schenkelkopfes er-
kennen lassen. Bei dem Beinheben begiebt sich der Rollhügel nach
rückwärts, bei dem Beinsenken wieder nach vorwärts bis zu der Aus-
gangsstellung. Bei dem Spreizen liegt sein oberes Ende tief und
gräbt sich in das unter dem mittleren Gesäßmuskel befindliche Fett
hinein, dagegen tritt er unter der Haut hervor, wenn wir, wie oft beim
Sitzen, das Bein überschlagen.
Die Knochen des Unterschenkels.
Zwei Knochen bilden das Skelett des Unterschenkels: das Schien-
bein und das Wadenbein. Das Schienbein ist stark, und stellt den
auf der inneren Seite befindlichen Hauptknochen dar. Das Wadenbein
ist viermal dünner, liegt nach außen und etwas nach hinten. Beide
Knochen sind oben und unten durch straffe Gelenke fest miteinander
verbunden, im übrigen Teil ihres Verlaufes jedoch durch einen an-
sehnlichen Raum voneinander getrennt. Dieser Zwischenknochen-
raum ist oben weit, unten spitzt er sich mehr und mehr zu. An
dem Lebenden ist zwischen den sich gegenüberliegenden Knochenkan*
ten des Schien- und Wadenbeines eine derbe Zwischenknochenhaut
ausgespannt, welche die Muskeln der Beuge- und Streckseite ebenso
vollkommen trennt, wie dies eine ähnliche zwischen den beiden Vonler-
armknochen vorkommende Membran bewerkstelligt.
Dem Schienbein (Tihia^) kommt von den beiden Knochen des
Unterschenkels allein die Verbindung mit dem Oberschenkelknochen
zu. Es bildet die flachen Gelenkpfannen, auf welchen sich der Femur
mit seinen Gelenkknorren bewegt (Fig. 64). Die beiden nur wenig ver-
tieften Pfannen sind durch eine T£iV\iQh\xiig (Eminentia hvtercoiuhfloidfa)
getrennt, welche in zwei kleine Spitzen ausläuft, an deren Basis so-
wohl nach vom als nach hinten seichte Grübchen vorhanden sind.
Die umfangreichen Knon*en des Oberschenkels brauchen liir ihre Be-
wegungen notwendig eine breite Grundlage. Deshalb ist auch das
* Tibiay eine Pfeife mit einem Mundstück, welches zwischen die Lippen ge-
nommen wurde, und mit Löchern am Schaft hieß Tibia. Bevor man sich Pfii-
fon aas Holz, Hom, Elfenbein oder Metall zubereiten lernte, mußten die Röhren-
knochen der Tiere, insbesondere die langen Schi(5nbeine der Haussäugetiere, d(T
Hirsche etc. zu dieser Verwendung herhalten. Das deutsche Schienbein kann, da
dieser Knochen in seiner ganzen Länge durch die Haut hindurch gefühlt wird, vod
dem alten deutschen Wort Schin (englisch skin) = Haut (daher schinden und Schin-
der) gebildet worden sein, und wäre dann Hautboin.
Skelalt d*r Qüi
ptberc Emie Aas Sthieiibeüies wie ein Sätiletikiiiiut' f;sf'"i'*'. I'ipiliiii
lltclit gleiclifiinnig ;iiiH«t'liwleii. Ein lueiter Rjinii ( Uiir//ii in/hir/irnai-
1 Pnullcnflftchc
Fig. 64. Linkes Kniefrokiik, Kniivtehi-ibo uiiil Kiiji
7, IViigiing.
[. dahi) lAull wi« ein Gesims unterhalb der tiacheu (^elenhgruben hin; aber
[sach er ist unregelmäßig wie die gan/o Ausladung, und zwar wird
[der Rand vorne hreit und endigt auf der widstigen Verdickung eines
204 Sechster Abflchnitt.
dreieckigen Feldes; der verdickte Vorsprang heißt Schienbein-
stachel (Spina tibiae, Fig. 64 Nr. 13), er rührt von der Ansatzsehne der
stiirken Oberschenkelmuskeln her (Fig. 66). Das Mittelstück df->
Schienbeines stellt eine dreiseitige Säule dar, deren vordere scharff
Kante leicht S förmig gekrümmt ist und zwar in der oberen Hälftt*
des Knochens nach außen konkav, in der unteren entgegengesetzt nach
innen konkav. Die obere Krümmung rührt oflFenbar von dem Druck
jenes Fleischbauches her, der dem vorderen Schienbeinmuskel ange-
hört. Was von der Schienbeinkante nach innen unter der Haut liegt,
das ist die nach vom gerichtete vordere Schienbeinfläche; naci
außen von dieser Kante liegt die von Muskeki bedeckte äußere
Schienbeinfläche (Fig. 61). Das untere Ende des Schienbeines be-
sitzt eine vierseitige leicht gehöhlte Gelenkfläche, welche auf beiden
Seiten von den Knöcheln überragt wird. Nur der innere, kurze,
aber dicke Knöchel gehört dem Schienbein an, der äußere, lang aber
schmal, rührt von dem Wadenbein her.
Das Wadenbein (Fibula^ Perane) ist ebenso lang wie das Schien-
bein, aber erreicht den Oberschenkel nicht, sondern steht tiefer. Das obere
Ende trägt einen dreikantigen Knopf, der durch feste Bänder unbeweg-
lich mit dem Schienbein verbunden ist. Dasselbe ist der Fall mit dem
unteren EInde, das in den äußeren Knöchel ausläuft. Der obere knopf-
förmige Anfang des Wadenbeins, das Wadenbeinköpfchen (Capi-
hilum fibulae) ist durch die Haut hindurch zu erkennen, der anstoßende
Teil des unregelmäßig kantigen Mittelstückes ist jedoch auf eine lange
Strecke von den Wadenbeinmuskeln bedeckt. Diese lassen den Knochen
erst in dem letzten Drittel des Unterschenkels wieder dadurch unter
die Haut rücken, daß sich die Sehnen auf die Rückseite des Waden-
beines begeben, um erst von dort aus, also von dem hinteren Umfang
des Knöchels her, an den äußeren Fußrand zu gelangen. So kommt
es, daß das untere Ende des Wadenbeines in einer Länge von un-
gefähr S cm vom äußeren Knöchel angefangen aufwärts zn sehen ist.
Die Kniescheibe (Patella) ist ein herzförmiges Knochenstück,
dessen konvexe rauhe Fläche nach vom sieht, während die hintere
auf der schon beschriebenen Gelenkbahn des Oberschenkelknochens
ruht. Diese hintere Fläche der Kniescheibe ist mit Knorpel überzogen
und durch eine mittlere Erhebung in zwei Facetten geschieden, welche
wie der sattelförmige Einschnitt an dem Femur (Incisura patellaris,
Fig. 64 Nr. 2) geformt sind. Der obere Sand der Kniescheibe ist ge-
rundet, der untere in eine Spitze ausgezogen. Obwohl die Fasermassen
der Sehne der Schenkelmuskeln auf dem W^e nach dem Schienbeiu-
stachel dieses Kmxrhenstück so zwischen -sich fassen, daß nur die hin-
tere mit Knorpel überzogene Fläche frei bleibt, und überdies noch
SkoUtt dar OtMoulleii.
Bc derbe Haiit sii'b durüber binwegliigt, wo bloibotj demioi-b iilln
diu des Randes, ebetisu wio die vordoru Flärlie lok'bt kmiiUicb.
EnicKiheilwii IhI ,
KniisuheilH'iilHt. U
1
OI>«rHliu>kol-
knodian
.
Sehne.
"-.
K«i«el.
KnipKhdW.
i'
K»,«el.
1'
lliifBbMid,
i'
Fi>(t]Kjliili^r,
m-^
Sehue.
- » Euu>l <l. !^<'t>Jt<u
)ie8 ist besouders bei bestinunten Beugebewegungen der B'all, wöbe
1 äeltoe gespannl, die Hunt gedelmt und dadurch verdünnt wivd.
206 Sechster Abschnitt.
Das Kniegelenk.
Das Kniegelenk ist das größte Gelenk des meuschlichcu Körpern
und vereinigt in seinem Kapselraum die Knorren des Oberscbeukel-
knochens, das oberste Ende des Schienbeins und die Kniescheibe.
Die in ihm ausfahrbaren Bewegungen bestehen aus Beugung uud
Streckung und einem geringen Grade von Rotation. Die Gelenkfläthen
der Oberschenkelknorren sind ganz anders geformt, als die korrespon-
dierenden Flächen des Schienbeins. Auf den ersten Blick l)esteht
gar keine Kongruenz. Sie wird einigermaßen durch halbmondförmige
Bandscheiben hergestellt, die zwischen den Gelenkenden liegen and
auf das Schienbein beweglich befestigt sind. Die weite aber starke
Kapsel wird durch Hilfsbänder unterstützt, welche sowohl im äußeren
Umfange als im Innern des Gelenkes verlaufen. Es ist für das Ver-
ständnis des Gelenkmechanismus unerläßlich, diese einzelnen Teile zo
beschreiben.
In Fig. 64 Nr. 5 u. b^ sind die halbmondförmigen Band-
scheiben (Menisci) in der ganzen Ausdehnung von vorne zu sehen,
denn das Kniegelenk ist geöfiiiet, d. h. die Kapsel in dem ganzen Um-
fang abgetragen, die Kniescheibe mit ihr entfernt und der Ober-
schenkel in halber Beugung dargestellt. Diejenigen Abschnitte der
Oberschenkelknorren, welche bei der gestreckten Lage auf den ilachen
Pfannen ruhen, sehen also dem Beschauer direkt entgegen, und die
st^rk gewölbten hinteren Abschnitte der Gelenkknorren, welche in der
Streckung außerhalb jeder Berührung mit dem Schienbein nach rück-
wärts sehen (Fig. 62) sind infolge der halben Beugung jetzt in Be-
rührung mit den Gelenkpfannen des Schienbeins gebracht worden, S4i
wie dies auch im Leben der Fall ist.
Die Kreuzbänder liegen im Innern der Kapsel und erstrecken
sich von der Bucht zwischen den beiden Oberschenkelknorren hinab
zu kleinen Gruben, welche sich zwischen den beiden Gelenkpfannen
befinden. Das vordere Kreuzband (Kg. 64 Nr. ii) kommt von der
Innenwand des äußeren Knorrens und zieht nach vom, das hintere
(Fig. 64 Nr. 12) entspringt gegenüber dem vorhergehenden und zieht
umgekehrt in die hintere Grube.
Die Gelenkkapsel ist am Oberschenkel weit oberhalb der über-
knorpelten Flächen befestigt, sie reicht namentlich vome so hoch
empor, daß selbst nocli ein Teil des Schenkelknochens, der, nicht mehr
mit Knori)el überzogen, in den Gelenkraum fällt, dort wo die Linie
für die Nr. i der Fig. 64 angebracht ist. Es liegt diese Fläche schon
oberhalb des Patelleneinschnittes und hinter der Endsehno der Ober-
schenkelmuskeln (vergl. die Fig. 65 u. 66). An dem Schienbein ist
Skelett der GlicdmaOen. 207
die Kapsel unterhalb des vorKpringeiidcn Randes befestigt (Fig. 65
Nr. 8), ja sie steigt sogar an einer Stelle bis zu dem Schienenbein-
stachel lierab, denn die Sehne der Sehenkelnmskeln (Fig. 65 Nr. 2), die
sich an eben diesem Knochenpunkt festsetzt, ist auf eine lange Strecke
mit der Gelenkkapsel innig verbunden.
Zu diesen Eigenschaften der äußeren Kapselwand, welche mit
geringer Ausnahme (Kreuzbänder) durch die Haut hindurch erkennbar
sind, kommt noch eine an der Innentiäche vorhandene Kigentümlich-
keit, welche einen sehr großen Einfluß auf die Fonneii des Knie-
gelenkes ausübt, nämlich eine reichliche Fetteinlagerung. Die
innere glatte Kapselhaut entwickelt unterhalb der in die Gelenkhöhle
sehenden Kniescheibe Fettpolster (Plicae adijwsae), welche in die
Gelenkhöhle hineinragen, bei den Bewegungen der Knochen verschoben
werden und, wie sich denken läßt, bei der Beugung und Streckung
des Kniegelenkes sich sehr verschieden verhalten.
Die beiden Seitenbänder liegen außer der Kapsel und kommen
von den Gelenkknorren herab. Das innere Seitenband (Fig. 65 Nr. :>)
befestigt sich an dem Schienbein, das äußere an der äußeren Fläch(^
des Köpfchens der Fibula.
Wäreu beide Gelenkknorreii de» Obennchenkels Wiilzeiiötüekti mit cylindriwlier
Oberfläche, den?n Aclim^ durch die UrspningBHtellen beider St»it«!nbäiider geht, so
würden die Stntt^nbtlnder bi^i gebogenem und ^estreckti^m Zuntundti dt« Gelenken
di<»elbe Spannung haben, und eine Rotation des UnterHchenkels bei keiner dies(>r
Stellungen gestatten. Die Gelenkknomai sin<l jedoch Absi*hnitt<^ eintT Spirale, als
deren Endpunkte die luiehsten Stellen der Knorn?n an^i^eselu'n wt^nlen können. So
kommt es, daß die Seitenbänder nur bei gestrecktem Knie angespannt, bei ge-
bogenem dagegen erschlafft sind, wwiurch, im letztenMi Falle, ein Drehen des
Schienbeins um seine Achse möglich winl.
Der Mechanismus des Kniegelenkes läßt, wie schon erwähnt,
Beugung und Streckung ausfuhren, wobei die (ielenkknorren des Ober-
schenkels auf den halbmondförmigen Bandscheiben sich bewegen. Iku
dem letzten Akte der Streckung dreht sich dabei das Schienbein etwas
nach außen, während bei der Beugung eine geringe Drehung nach
innen erfolgt. Der gebeugte Unterschenkel weicht dadurch nach ein-
wärts von der Achse des Schenkelknochens ab, so daß in der Hocke
schließlich die Ferse auf dem Sitzknorren ruht. Diese Rottitionen
werden dadurch hervorgebracht, daß sich die Bandscheiben, diese be-
weglichen Pfannenteile, drehen. Eine weitere Folge dieser Drehung
ist die Einwärtsstellung der Fußspitze bei der Kniebeugung, wenn
der freischwebende Unterschenkel wie bei dem Lauf nach rückwärts
schwingt.
Bei den Bewegungen des Kniegelenkes kommen iiir das Auge in
erster Linie die Bewegungen der Kniescheibe in Betracht. Bei der
208
Seobiter AWhnitl.
ruliiguii SteUuiig steht die Kiiiestbüibe auf iliier Gelenkliahn, it<uii
Patellen eiiiachuitt (Fig. 04 Nr. 2 uud Fig. Ö5 Nr. 4). Die Kuicsdieibtu.
ränder sind wenig sichtbar, die Huut ist nicht gesp»niit. die nuten
Strecke der ijcheukelmuskelsehne zwischen der Knie^^cbeibe niid iah
Schicnbeinstachei , das Kniesclioibenband ( Ligarnrnhim pafrBan.
Fig. ö6 Nr. 12) genauut, ist nui- an seineui Anfang und seinem Enil«
Gtriul. Sulieukclin. L
AuQ. Sdiciikvim. i
WEMlcnb«iDm. i-
Zvlivtiatreuker r
Tonl.Schk'nbeinni.
Fig. 66. Kniegelenk mit den iu der Uingebuug befindlichuii Muskeln deal
Ober- und Unteradieukeb iiaeh Wegnahme der Iluiit.
deutlich zu sehen, in dem mittleren Abschnitt liegt dieses
etwas vertieft. An den Rändern des Kiiiescbeibeiibandes sind
rundliche Anschwellungen bemerkbar, welche von den im Tnoem |
Kapsel befindlichen Fettpolstern herrühren. Diese Polster werdei
der StrecJtlage gegen die vordere Kapselwaud gedriingt und wölbt
beiden Seiten der Sehne die Haut in Form von rundliKheii Anscha
lungen hervor. In Pig. (iö sind bei Nr. 4u. Nr, il diese durch 4
Skelett der Gliedmaßen.
209
Fettpolster bedingten Erhöhungen nach Abnahme der Haut zu sehen,
in Fig. 67 Nr. 3 sind sie vom Knie des Lebenden dargestellt. — Ab-,
gesehen von diesen mit der Gelenkkapsel in unmittelbarem Zusammen-
hang stehenden Formen sind ferner in der Strecklage durch die Haut
zu erkennen:
der innere Knorren des Oberschenkelknochens (Fig. 67 Nr. 8),
,, „ „ ,, Schienbeins (Fig. 67 Nr. 9); dazwischen
eine kleine Einsenkung, ebenfalls in der Fig. 67 bemerkbar, d. i.
die Stelle, wo sich der Gelenkspalt und in ihm die Bandscheibe befindet,
endlich das Köpfchen des Wadenbeines (Fig. 67 unter der Linie
Äuß. Schenkeln] . J
Kniescheibe ^—
Fettpolster 5---
Kniescheibenband %
Zehenstrecker 6^
Wadenbeinm. 6—
f Inn. Schenkelm.
S Inn. Knorren d. Schenkels.
9 Inn. Knorren d. Schienb.
-10 Wadenmuskel.
Fig. 67. Die Fonneu des Kniegelenkes. Nach Schadow.
Xr. 3). Bei mageren Individuen treten auch noch andere Einzeln-
heiten hervor: der äußere Knorren des Oberschenkels, derjenige des
Schienbeines und der dazwischen befindliche Gelenkspalt, doch alle
diese Teile nicht in jenem markierten Grade, wie auf der inneren
Seite, weil die Knorren der äußeren Seite weniger massig entwickelt
sind (vergl. die Figuren 66 u. 67).
Abgesehen von dieser soeben geschilderten ruhigen Strecklage des
Beines, welche ohne Muskelanstrengung bestehen kann, gibt es auch
eine forcierte Streckung des Beines, bei welcher alle Muskeln und
Sehnen gespannt sind. Dieser Moment vermehrter Kraftanstrengung
tritt ein, wenn wir uns fest gegen den Boden stemmen und alle Ge-
lenke durch Zusammenziehung der Muskeln steifen. Bei einer solchen
KoLLMAicN, PlastlBche Anatomie. 14
210 Sechster Abschnitt.
forcierten Streckung sind nun die Formen des Kniees und seiner Um-
gebung wesentlich andere als bei der ruhigen Streckstellung, und zwar
weisen sie folgende Einzelnheiten auf:
Die Kniescheibe stellt sich höher und niht auf der vorderen ver-
tieften Fläche des Schenkels, der Patellenfläche (Planum pateüart,
Fig. 64 bei Nr. i).
Das Kniescheibenband ist straflF gespannt, noch stärker als in
Fig. 65 Nr. 10 u. 11; es hebt sich von dem Schienbein ab und ist der
ganzen Länge nach zu sehen.
Die Fettpolster, welche im Innern des Kniegelenkes sich befinden,
werden durch die Spannung der Kapsel seitlich zusammengepreßt und
erscheinen kleiner, rundlicher und i)raller.
Die Fleischmassen der vorderen Schenkelmuskeln, welche den ver-
stärkten Zug an der Kniescheibe bewerkstelligen, treten im Vergleich
zu der ruhigen Streckstellung scharf hervor.
Die Thatsachc, daß die Kniescheibe bei forcierter Streckung ihre Balm Ter-
läßt und bis auf die Patellenfläche hinaufsteigt, ist leicht durch die Uutersiichaiig
des eigenen Kniegelenkes in gestreckter I^ge erweisbar. Es ist dabei gleichgültig,
ob der Körj)er in der aufrechten Stellung und im Gleichgewicht sich befinde, od«
ob ein Sitzender an dem ausgestreckten Bein den Versuch anstelle. In beideii
Fällen ruht die Kniescheibe noch auf dem Patelleneinschnitt Zieht sich jetit der
Unterschenkelstrecker zusammen, so schnellt die Kniescheibe in die Höhe bis auf die
Patellenfläche. Läßt der Zug nach, so kehrt sie auf ihren früheren Standort zurück
Der Grad der Verschiebung beträgt zwischen 2 — 2*/, cm, wobei uochmals zu be-
achten ist, daß die Kniescheibe ihre liöchste La^ nicht in der ruhigen Streckstellon;;
des Knies hat. sondern in der forcierten, d. h. in dem Maximum der ZusammeD-
Ziehung aller Streckmuskeln. In einer vollendeten Weise ist die Kniescheibe und dv
Kniescheibenban<l bei denÄgineten behandelt Es ist ein Zeichen feinster Beobachtung,
daß die verborgene Mechanik mit solcher Sachkenntnis zum Ausdruck gelangt i«t.
Die Formenveränderungen des Kniegelenkes bei der Beugung des
Beines erklären sich aus der Thatsache, daß das Schienbein seinen
Platz, den es während der Strecklage eingenommen, verläßt, und sich
nach hinten auf die stark gerundeten Gelenkhöcker der Oberschenkel-
knochen stellt, so wie dies aus der Fig. 64 zu erkennen ist^ an welcher
jedoch nur ein geringer Grad von Beugung dargestellt ist. Die Folgen
dieser Bewegung zeigen sich in einer Vergrößeining der Distanz zwischen
dem Schienbeinstachel und dem Patelleneinschnitt. Es entsteht da-
durch ein klaffender Spalt zwischen den Gelenkhöckem des Ober-
schenkelknochens und dem Schienbeinende, welcher groß genug ist,
um ein paar Finger hineinzulegen (vergl. die Fig. 64). Nachdem das
Kniescheibenband nicht dehnbar ist, muß die Kniescheibe bei der Beu-
gung ihre Stelle verlassen und herabrücken, wie sich denn auch die
Streckmuskeln zu diesem Zweck abspannen und dem Zug der Beuger
nachgebend verlängern. Ohne eine solche Abspannung der Strecker wäre
Skelett der Gliedmaßen. 211
der ganze Akt der Beugung unausführbar, denn während des Starr-
krampfes, in welchem alle Muskeln gleichmäßig stark gespannt sind,
oder während der Todesstarre, bei der sich die Muskeln in einem
ähnlichen Zustand befinden, ist jede Stellungsänderung des gestreckten
Beines unmöglich; nur wer willkürlich sämtliche Muskeln des Beines
in der Strecklage zusammenzieht, macht die Gelenke steif und die
Beine zu unbeweglichen Säulen. Die Streckmuskeln müssen also ab-
gespannt werden, dann erst kann die Kniescheibe dem sich nach rück-
wärts entfernenden Schienbein folgen und zunächst auf dem Patellen-
einschnitt des Oberschenkelknochens herabgleiten. Bei einer Winkel-
stellung des Beines von 35^ hat sie das untere Ende ihrer Bahn er-
reicht, und bildet den vorspringendsten Punkt des ICnies. Wird die
Bewegung noch weiter geführt, so verläßt die Kniescheibe den Patellen-
einschnitt vollständig und versinkt in dem klaffenden Spalt zwischen
den Knochenenden so, daß nur mehr ihre konvexe Fläche erkennbar ist.
Auch die Fettpolster (die Plicae adiposae) verschwinden in diesem Spalt
und entziehen sich vollständig dem Blick. Die Gelenkkapsel und die
Haut werden an die durch die veränderte Stellung des Schienbeines
unbedeckten, genmdeten Flächen der Oberschenkelknorren angepreßt;
infolgedessen rundet sich das ganze Knie. Durch die gespannte
Haut hindurch erkennt man:
den Patelleneinschnitt mit seinen scharfen Rändeni, von denen
der äußere höher ist als der innere,
die Patelleufläche (Fig. 64 Nr. i), d. i. die über dem Patellen-
einschnitt liegende muldenförmige Vertiefung' des Oberschenkelknochens,
u. a. auch an dem sterbenden Niobiden erkennbar,
die seitlichen Massen der Gelenkknorren des Schenkelknochens,
den Gelenkspalt,
die beiden Knorren des Schienbeins,
den breiten Rand unterhalb der Gelenkfläche des Schienbeines
(Margo infrofflenoidalis, Fig. 64 Nr. 6),
die dreieckige Fläche zwischen diesem Rande und dem Schienbein-
stachel (Fig. 64).
Bei der Beugung ändern auch die in der Strecklage scharf ge-
zeichneten Muskeln ihre Form, allein die Berücksichtigung dieser Ver-
hältnisse kann erst in der Muskellehre erfolgen.
Das Skelett des Fnfses.
An dem Skelett des Fußes unterscheiden wir:
die Fußwurzel (Tarsus),
den Mittelfuß (Metatarstis) und .
die Zehen (Digiti) mit ihren Phalangen.
212 Sechster Abachnitt
In dem Fußskelett wiederholt sich die von der Hand geschilderte
Gliederung, jfreilich mit wesentlichen Abänderungen. Die Knochen
der Fußwurzel, sieben an der Zahl, haben eine mächtigere Entfaltung
und zugleich eine andere Anordnung gegenüber denen der Handwunel
erfahren. Während dann der Mittelfuß weniger umgestaltet wurde,
sind die Zehen im Vergleich zu den Fingern verkümmert. Der Fuß
eignet sich durch seine robuste Festigkeit und seine stattliche Größe
vorzugsweise zum Piedestal des Körpers. Er bildet deshalb beim
Stehen einen rechten Winkel mit dem Unterschenkel, während die
Hand, auch wenn sie ruht, in der Verlängerung des Vorderarms liegt
Der Fuß muß zu der Körpergröße in einem richtigen Verhältnisse
stehen, um den Gesetzen der Schönheit zu entsprechen. Ein zu kleiner
Fuß macht bei dem Mann den Eindruck der Unsicherheit, um nicht
zu sagen der Unvollkommenheit. Wenn die Füße die Aufstellungs-
basis des Leibes abgeben, so sind große Füße jedenfalls anatomisch
vollkonamener als kleine. Die germanischen Volksstämme haben im
allgemeinen größere Füße als die romanischen. Wenn wir bei dem
weiblichen Geschlechte den Fuß auch dann bewundem, wenn er
zu klein ist und weit unter der durch die Proportion der Gestall
gegebenen Größe zurückbleibt, so huldigen wir auch darin einer
Mode, die für den kleinen Puppenfuß schwärmt. Die klassische
Periode der alten Kunst setzte stets den Körper auf richtig pro-
portionierte Füße, wo sie es nicht that, geschah es aus besonderen
Gründen.
Die Fußwurzel.
Von den drei anatomischen Formbestandteilen des Fußskelettes:
FußwurzeU, Mittelfuß und Zehen, ist die Fußwurzel der längste und
zugleich der stärkste. Sie mißt die Hälfte der Fußlänge. Die Fuß-
sohle heißt Planta pedis, und deshalb spricht und schreibt man von
einer Plantarfläche und von Plantarmuskeln, im Gegensatz zu denen
des Fußrückens, des Borsum pedis. Wie es kam, daß Pflanzen und
Fußsohlen denselben Namen, Plantae, fuhren, wurde noch nicht auf-
geklärt.
Der erste und höcFist gelegene Knochen der Fußwurzel, das
Sprungbein (Talus^ oder Astragalus, Fig. 68 Nr. 1 u. 2) ist allein mit
* Tarsus (tarsion, griech.) hieß ein aus parallelen Eisenstäbeh gebildeter Rost.
So wird CS erklärlieh, das der Name Tarsus auch auf die fünf parallelen Röhren-
knochen der Mittelhand angewendet werden konnte.
"" Talus oder Tessera heißt Würfel. Nur das Sprungbein der Säugetiere mit
gespaltenen und ungespaltenen Hufen hat die Gestalt eines Würfels. Das Sprung-
Slulctt der Gliedmakn.
213
dem Unterschenkel durcli dus Sprunggelenk verbunden. Er ist der
einzige Fuüwurzelknoclien, an welchem sich weder ein Muskel inseriert,
noch entspringt. Seine Bewegung im Sprunggelenk kann deshalb
immer nur eine mittelbare sein, welche ihm durch die Bew^ung des
ganzen Fußes Übertragen wird. Das Sprungbein trägt auf der oberen
Fläche eine gewölbte und zugleich hinten TCrschmälerte Gelenktläche
(Fig. 68 Nr. 1], welche sich etwas auf die Seitenflächen, der Reibung
mit den Knöcheln wegen fortsetzt. Vom sitzt an dem Sprungbein ein
abgerundeter Yorsprung {Taluskopf, Fig. 68 Kr. 2), dessen überknorpelte
Oberfläche in eine pfannenförmige Vertiefung des Kahnbeines (Fig. 68
Nr. -t) hineinpaßt.
3 Peraanbein.
H)U«lfaakiioch«D
Dritte Phulan
Fig. 68. Skelett (Ica Fußes v
oben gosehcii.
Das Fersenhein (Calcanem, Fig. 68 Kr. 3), der größte Knochen
der Fnßwurzel, liegt unter dem Sprungbein. Er ist länglich und über-
ragt dasselbe nach hinten beträchtlich mit einem gerundeten Vor-
sprung, dem Hacken, der die knöcherne Urundluge der mit Fett ge-
polsterten Ferse bildet. Er liegt nicht seiner ganzen Länge nach auf
der Fläche auf, sondei*» nur mit dem planturwärts vorspringenden
Ende. Sein vorderes Ende ragt eben soweit, wie dasjenige den Talus,
und bildet eine schräge Verbindungsfläche mit dem Würfelbein
(Fig. 68 Nr. 8).
bein der Schafe nnil Ziiigcii lUente, Bciner, wenn auch nicht ganz kuhiachcH tieatalt
wegen, in alter Zeit als Würfel. Daher n^h heule der Aiudruek knächeln xtatt
würfeln. Das mentcliliehe SpnniRbeln hat kptne Ähnlichkeit mit einem Würfel.
214 Sechster AbechnltL
An der oberen Fläche trägt das Fersenbein eine in drei Teile
zerlegte Gelenkfläche zur Verbindung mit der entsprechenden unteren
Gelenkfläche des Spiningbeinkörpers. Eine rauhe Vertiefung bildet
mit einer ähnlichen an der unteren Gegend des Sprungbeins die
Tarsalbucht; sie ist von einem starken Band durchzogen. Nach
einwärts von dieser rauhen Vertiefung überragt ein kurzer aber star-
ker, nach innen gerichteter Fortsatz (Susteräacvlum tali) die innere
Fläche des Knochens. Er dient dem nach innen überhängenden
Sprungbein zur Unterlage und bildet gleichzeitig eine Art Hohlkehle,
in welcher die Muskeln, Gefäße und Nerven vom Unterschenkel zam
Hohlfuß ziehen.
Das Kahnbein (Os naviculare, Fig. 68 Nr. 4) ist kurz, aber breit,
mit einer schüsseiförmigen Fläche versehen, in welche der Spmngbein-
kopf eingelenkt ist, während die gegenüberliegende Fläche gewölbt ist
An drei verschiedenen Facetten sind dort die drei Keilbeine befestigt
Das Kahnbein ragt mit einem stumpfen Höcker (Tuberositas ossis namcM-
laris) über die Linie des inneren Fußrandes hervor (Fig. 69), hinter
welchem eine Rinne verläuft. Das Kahnbein wird schwebend getragen,
berührt also niemals die Bodenfläche. So trägt es wie
die Keilbeine (Ossa tarsalia, Fig. 69 Nr. I II u. m) wesentlich zur
Wölbung des Fußrückens bei. Sie werden von dem inneren Faßrande
aus gezählt. Das erste oder innere Keilbein ist das größte. Die
stumpfe Schneide sieht gegen den Eücken des Fußes, somit die rauhe
Basis gegen die Fußsohle; diese Basis reicht ebensoweit herab wie
der Höcker des Kahnbeins (Fig. 69). Beide Knochen sind an dem
inneren Fußrande als ein einziger Höcker zu fühlen, weil sie anmittel-
bar aneinanderstoßen. Das zweite oder mittlere Keilbein ist das
kleinste von den dreien und kehrt seine Schneide nach der Plautar-
fläche, somit seine Basis nach oben, ebenso wie das dritte oder
äußere Keilbein, das etwas länger ist als das zweite. Die vorderen
Enden der drei Keilbeine tragen die ersten drei Mittelfußknochen,
denjenigen der großen Zehe und der beiden anstoßenden Zehen.
Das Würfelbein (Os cuboideum, Fig. 68 Nr. 8) liegt am äußereo
Fußrande, vor dem Fersenbein. Es gleicht nur sehr entfernt einem
Würfel, denn seine Flächen und Ränder sind sehr uneben. Die obere
Fläche fällt gegen den äußeren Fußrand ab, die untere ist tief aus-
gehöhlt (Sulcus ossis cuboidei) flir die Sehne des langen Wadonbein-
muskels, die äußere, ist die kleinste und verdiente mit mehr Recht
als äußerer Rand bezeichnet zu werden, denn die obere und untere
Fläche konvergieren und die von der unteren Fläche ei'^ilhnte Rinne
ist schon an der äußeren Fläclie bemerkbar. Die vordere Fläche besitzt
zwei Facetten für die Basis des vierten und fünften Mittelfußknochens.
tükelMT drt OlirfmaÜm,
Die Kmiflieu des Mittelfußes.
Der auf die Fußwurzel folgende Abschnitt des Fußes besteht aus
Jluf eine Queireihe bildenden Knochen, welche in einer von außen
ich innen konvexen Ebene nebeueinanderliegen (Fig. 69). Sie sind
irze Röhrenknochen, der Länge nach ein wenig aufwärts gebogen,
ZwischcnknocheDbaiiil 11
1 Scliienbeio.
m^. -
— £— ■* — '^ c
j. Zehe.
t N»gelglie<t.
Fiitiea vuu iaa
n uud etw
u voll oliei] geueh
Fig. fifl. Ski
üt einem schmäleren Mitteli^tUck, mit einem hinteren dicken und
inem vorderen kugelig geformten Ende. Sie teilen diose Eigenschaften
nit den Knochen der Mittelband. Der erste Mittelfußknocben.
fcer großen Zehe angehöiig, unterscheidet sich von ilen übrigen durch
[eine Kürze und Stärke. Au der unteren FlBche des überknorpelteii
COpfcheiis erhebt sich ein längsverlaufender Knmui, zu dessen beiden
leiten in suUclf&rmig gehßlillen Furchen die beiden Schiimbeiue
iegen. Der Mittelfußknocben der zweiten Zebe ist der längste.
216 Sechster Abicfanitt.
Der Mittelfußkiiochen der kleinen. Zehe zeichnet sich nebst seiner
schief von oben nach unten etwas zusammengedrückten Gestalt iio(h
durch einen Höcker aus (Fig. 68*), welcher am äußeren Fußrande über
das Wiirfelbein hinausragt, und durch die Haut leicht gefühlt werden
kann ; überdies zeigt auch eine leichte Wölbung des äußeren Fußrandes
deutlich die Stelle an, wo dieser Höcker unter der Haut verborgen ist
Bei magern Füßen wird sie zu einem Hügel ausgebaucht, auf dessen
Gipfel oft ein durch die Reibung mit dem Leder der Fußbekleidung
gebildetes Hühnerauge thront.
Die Mittelfußknochen bilden zugleich mit der Fußwurzel einen
Bogen, der in doppeltem Sinne gewölbt ist, einmal von hinten nach
vom (Fig. 69), wodurch der Hohlfuß entsteht. Wie ein aus Bausteinen
gefonntes Gewölbe berührt der Bogen nur mit seinem hinteren und
vorderen Ende den Bogen. Die Spannung .des Bogens ist veränderUch:
er flacht sich ab, wenn beim Stehen die Last des Körpers auf ihm
ruht, und nimmt die frühere Wölbung wieder an, sobald er von diesem
Gewicht, wie bei dem Sitzen, befreit wird. Gelenke und Bänder sind
der Grund dieser Elastizität des Fußskelettes.
Die Mittelfußknochen bilden überdies mit den anstoßenden Knochen
der Fußwurzel einen von außen nach innen konvexen Bogen.
Daher kommt es, daß der äußere Fußrand den Boden berührt,
und der Fußrücken gegen die Kleinzehenseite abfällt. Die Säume
zwischen den einzelnen Mittelfußknochen sind, ähnlich wie die-
jenigen zwischen den Mittelhandknochen, durch kurze Muskeln, die
Zwischenknochenmuskeln (Fig. 69 No. 16), ausgefüllt, welche für die
Bewegungen der Zehen dienen. An dem normalen Fuß sind des-
halb die Zwischenknochenräume ebensowenig bemerkbar, als dies an
der Hand der Fall ist. Nur ein hoher Grad von Abmagerung läßt
auch an dem Fuß die Zwisclienknochenräume erkennbar werden, und
die scharfen Kanten der Mittelfußknochen zum Vorschein kommen.
Blcilx.*nd(' Flachlu'it des Bogens, sei sie nun angeboren oder erworben, bedingt
den Plattfuß, der mit der ganzen unteren Fliiclic der Fußsohle auftritt. Schwer-
fjUliger Gang ^ind die zunächst benierk))aren Folgen eines mangelhaft geformten
Fußes. Plattfüßige Männer sinfl vom Infanteriedienst frei, weil boi jedem an-
strengenden Mannrlie das Gewicht des mit Tornister und Gewehr übertlio« belasteten
Kcirpers die ohnehin schwachen Bänder solchermaßen ausdehnt, daß notwendig
schmerzhafte Zern*ißungi*n der Haut eintreten. — Das Breiter- Und Längerwerden
des Fußes beim Auftreten wird durcli unsere harten Fußbekleidungen sehr ein-
gescluränkt. Ihnen venlanken wir die peinlichen und leider sehr allgtfmein go-
wonlenen „Iliihnenuigen**, welche sich an der äußeren Seiten der kleinen Zehe am
häufigsten vorfinden, weil diese durch die» Haut des Stiefelleders mehr zu leiden
hat, als alle anderen Zehenseiten.
Skelett der GUedmaßen. 217
Die Zehen.
Die Zehenglieder (Phalan/^es dujitorum pedüf) entsprechen durch
Zahl und Verbindung jenen der Finger, doch die Form ist wesentlich
verschieden. Sie sind einmal kürzer, oder wie man sich anatomisch
ausdrückt, zurückgebildet. An dem Fuß, dessen Bau auf Festigkeit
und Tragfähigkeit berechnet ist, wären fingerlange Zehen etwas sehr
überflüssiges gewesen. Die Zehen sind aber auch nicht gerade, wie
die Finger, sondern krallenartig gebogen, und zwar ist die erste
Zehenphalanx schief nach oben, die zweite fast horizontal, die dritte
schief nach unten gerichtet (Fig. 69). Es berührt somit weder die
erste noch die zweite Phalanx den Boden, sondern nur die dritte mit
ihrer kolbigen Spitze. Da der dicke Zehenballen an der Fußsohle drei
Viertel der Länge der ersten Phalanx von unten her deckt, so scheinen
die Zehen bei der Plantaransicht kürzer zu sein, als bei der Dorsal-
ansicht. Der nackte Fuß hinterläßt in nassem Sand zwei große und
fünf kleine Gruben. Die hintere große Gnibe ist rundlich und ent-
spricht dem Fersenhöcker. Die vordere ist querelliptisch und rührt
vom Zehenballen her. Vor dieser queren Grube sieht man noch fünf
kleinere, tiefe, als Abdiücke der fünf Zehenspitzen. Das fettreiche
Bindegewebe ist an der zweiten Zehenphalanx weit weniger entwickelt,
als an der ersten und letzten. Dieser Umstand dient auch ^ur Er-
klärung der ebenerwähnten Eigentümlichkeit, daß die Fettpolster des
Zehenballens und des letzten Zehengliedes sich berühren und die zweite
Phalanx bei unterer Ansicht der Zehe gar nicht gesehen werden kann.
Die große Zehe (Hallnx) hat nur zwei Phalangen, wie der
Daumen. Sie zeichnen sich durch ihre Breite und Stärke vor den
übrigen aus. Die große Zehe ist nicht gekrümmt, wie die anderen,
und sehr oft kürzer als die zweite, welche trotz der Kiilmmung dann
die erste oft um 3 — 4 Millimeter überragt. Die große Zehe ist an
allen Antiken kürzer, in den Tafeln von Vesal, Genga und Süe haben
wir dasselbe Verhältnis vor uns, welches P. Camper, ein großer ana-
tomischer Kunstrichter, für die Noim erklärt. Richtiger wäre gewesen,
die größere Länge der zweiten Zehe unbedingt für schöner zu erklären,
als das umgekehrte, weil eine bogenförmige Begrenzungslinie des Fußes
dem Auge gefälliger erscheint. Man kann den Satz nicht aufrecht er-
halten, daß die größere Länge der ersten Zehe eine Abnormität
darstelle, denn mindestens 30% ^^r Bevölkerung unserer Kultur-
länder haben die zweite Zehe kürzer als die erste. Unter diesen 30%
befinden sich Arme und Reiche, die sonst in jeder Hinsicht normal
beschaffen sind; man darf also aus der Verschiedenartigkeit des Vor-
kommens nur schließen, daß man es mit einer Rasseneigentümlichkeit
218 Sechster Abschnitt.
ZU thun habe. Dieselbe Deutung gilt fiir das Vorkommen gestreckter
Zehen. Die Zehenglieder liegen sehr häufig, wie die große Zehe, in
einer geraden Ebene, d. h. gestreckt nebeneinander und sind nicht
krallenförmig gebogen. Diese Foim ist unschön, aber nicht abnorm, und
wahrscheinlich ebenfalls als eine Easseneigentümlichkeit aufzufassen.
Die Gelenke des Fusses.
Die Gelenke des Fußes bestehen:
1) in der Verbindung des Fußes mit dem Unterschenkel;
2) in den Verbindungen innerhalb der Fußwurzel;
3) in den Verbindungen der Fußwurzel mit dem Mittelfuß;
4) in den Verbindungen des Mittelfußes mit den Zehen, und in den
Verbindungen der einzelnen Phalangen untereinander.
Die Verbindung der Fußwurzel mit dem Unterschenkel
bildet das Sprunggelenk, welches seinen deutschen Namen von jener
Bewegung erhielt, bei welcher dieses Gelenk seine größte Kraflanstren-
gung ausfuhrt — dem Sprunge. Die beiden Knöchel des Unterschenkels
fassen das Sprungbein gabelartig zwischen sich und zwar nur so
weit, wie dies die Figuren 61 und 69 andeuten. Von den beiden
Knöcheln ziehen starke mit einer Gelenkkapsel verwachsene Bänder
zu dem Sprung- und Fersenbein herab, und sichern eine Bewegung,
welche derjenigen eines Scharniergelenkes gleicht, dessen G^Ienkaxe
quer durch die beiden Knöchel und den Sprungbeinköri>er hindurch-
geht. Bei dem Stehen, d. h. bei jener mittleren Stellung des Gelenkes,
wo die Achse des Fußes mit der Achse des Unterschenkels einen
rechten Winkel bildet, steht der vordere breiteste, und der hintere
schmälste Rand der oberen Gelenkiiäche des Sprungbeines nicht mit
der unteren Gelenkfiäche des Schienbeines in Kontakt. Eirst beim
Senken der Fußspitze, bei dem Strecken des Fusses im Sprung-
gelenk, kommt der hintere schmale Eand dieser Gelenkiiäche und beim
Beugen der vordere breite Rand derselben mit der Schienbeingelenk-
fläche in Berührung. Letzteres wird nur dadurch möglich, daß der
äußere Knöchel sich etwas von seiner Lage am Schienbein entfernen
kann. Die natürliche Stellung des Fußes bei dem Stehen entspricht
der Dorsalflexion der Hand. Bei dem Heben der Fußspitze wird dieser
Zustand der Flexion gesteigert, der Fußrücken (Dorsum pedis) nähert
sich der vorderen Unterschenkelfläche und stellt sich in die Dorsal-
flexion. Senkt sich die Fußspitze, so entsteht die Plantarflexionf
welche jedoch nur innerhalb einer sehr mäßigen Grenze im Vergleich
zu jener der Hand ausgeführt werden kann.
Die unregelmässige Form der oberen Gelenkfläche des Sprung-
beines erlaubt in dem Sprunggelenk noch eine Drehbewegung um die
Skelett der Gliedmaßen. 219
senkrechte Achse, sobald bei dem Senken der Fußspitze die Unter-
scbenkelknochen auf dem hinteren schmalen Teil des Sprungbeines
aufruhen. Dann kann der ganze Fuß sich nach der Waden- oder
Schienbeinseite bewegen, was als Abduktion und Adduktion be-
zeichnet wird. Die Exkursionsfähigkeit beträgt jedoch nur 20®. Ein-
tlussreicher auf die Brauchbarkeit des Fußes ist eine dritte Bewegung
innerhalb der Fußwurzel, welche der Pronation und Supination der
Hand gleicht, und auch so genannt wird. Diese Bewegung leistet das
Gelenk zwischen Sprung- und Kahnbein (Fig 68 zwischen 2 und 4), und
dasjenige zwischen Sprung- und Fersenbein (Fig. 68 zwischen i und 3).
Durch die Supinationsbewegung wird der innere Fußrand gehoben,
durch die Pronation der äußere. Infolge der Supinationsbewegung
können beide Füße einen festen Körper umklammern, wie es beim
Emporklettern an einem Baumstamme oder Seile geschieht. — Die
übrigen Verbindungen der Fußwurzelknochen untereinander, wie jene
der drei Keilbeine und des Würfelbeines erfreuen sich nur einer ge-
ringen Beweglichkeit.
Die Bandverbindungen der Fußwurzelknochen untereinander müssen
bei dem Drucke, welchen der Fuß von oben her auszuhalten hat,
überhaupt sehr stark, und an der Sohlenseite stärker, als an der Rücken-
seite sein. Es ist ein sehr verwickelter Bandapparat, der in mehr-
fachen Schichten tibereinanderliegt und sich kreuzweise deckt. Nur
so war es möglich, auf eine Kuppel, welche Fußwurzel und Mittelfuß
miteinander bilden, die ganze Körperlast zu übertragen. Der Band-
apparat entspricht diesen Anforderungen in so vollkommener Weise,
daß nur eine mäßige Abflachung des Fußes eintritt. Diese Abmachung
erfolgt in zwei Richtungen, von vorn nach hinten und von aussen nach
innen, d. h. der Fuß wird beim Aufstemmen erstens länger und zweitens
breiter.
Wenn man auf die Fornivoräiidoningen dc8 Fußos ]m der Anfertigung iiii8«»rer
Fiifibekicidung, (Hier Iwi der AuBwahl derw^lben RückBicht nehmen i^ilrde, so blie])e
den beschuhten Menschen manclic Qual (>r8part. Der nach der Form des ^Oiobenen
Fußes ^wählte Stiefel winl 1>ei jedem Auftn>ten offenbar zu kUnn, und hat <Ue
Eitelkeit noch auf die Zusammendrückbarkeit des Fuik>s pcerei'lmet, so ist der FuU
in einem um so unnachgiebigeren Käüg eingeengt, je fester un<l dicker das Ltnler
ist. Enge Stiefel drücken deshalb vorzugsweisi^ lieim Gehen, weniger beim Sitzen,
und haben noch til)enlie8 den Nachteil, daß sie durch Hemmung der Zirkulation
die Fuß wärme herabsetzen und das so litstige Erfrit'ren der Füße im Winter fordern.
Winl der in ein enges Schuhwerk eingezwängte Fuß l)eim Gehen und Stehen länger,
so müssen sich seine Zehen stärker krümmen, die Streckseiten ihrer Gelenke nach
oben spitzig hervorspringen und der LieblingH.sitz für die so allgemeine Plage der
Hühneraugen wenlen. Kann der Fuß sich nicht der Breite nach abflachen, was bei
der so beliebten spitzigen Form der Stiefel eine reine Unmöglichkeit ist, so winl
sich eine Zehe über die andere legen um! jene Verkrüppelung des Fußes entstehen.
220 Sechster Abschnitt.
welche man nur mit Ekel neben der schönen Form von JPüßcn sehen kann, welche
nie das drückende Joch stupider Ilandwerksleute oder der Eitelkeit zu erlalden
hatten. Wie oft sieht man die große Zehe statt mit dem iimeren Fiißrand in pin»T
Richtung fortzulaufen, K-hräg nach außen abweichen, wodurch der Kopf des Mittrl-
fußknochens soweit nach innen vorragt, daß man die Sache für eine Vcrrenkunjr
halten möchte. Solchermaßen verkrüppelte Füße findet man auf den Bildern unserer
altdeutschen Meister fast regelmäßig, ein unverkennbarer Beleg, daß die Meiuch-
heit schon lange unter dem Drucke unzweckmäßig geformter Stiefel seufzt Trotz
mancher ehrenwerther Anstrengung sind wir im 19. Jahrhundert bei uns noch nicht
s*oweit gekommen, der gedankenlosen Mode durch ein wenig Anatomie etwaa Baisiio
beizubringen. Peter Camper hat es nicht unter seiner Würde gehalten, eine Ab-
handlung über die beste Form des Schuhes zu schreiben, welche fast in tUe
europäischen Sprachen übersetzt wurde. H. v. Meyer in Zürich versuchte eben-
falls in seiner interessanten Schrift: Die richtige Gestalt der Schuhe^ Zürich 1848,
eine Lehre zu geben, wie die Zweckmäßigkeit unserer Fußbekleidung mit den An-
forderungen der Eleganz vereint werden kann. Es hat dieses W^erkchen manche
Auflage; erlebt; in London wurden in wenig Wochen an 12000 Exemplare verkauft.
und dessen Wirkung war unverkennbar auf die Menschen und die Stiefel. Allein
die Welt vergißt gute Lehren selu* schnell, und so werden wir nächstens wieder
bei den langen aufwärts gekrümmten Schnabelschuhen angelangt sein. Die Fuß-
bekleidung der höheren Stände ist davon nicht mehr weit entfernt.
Die Verbindungen der Fußwurzel mit dem Mittelfuß zeigen
Gelenkkapseln und Hilfsbänder wie alle übrigen Verbindungen. Allein
die Gelenkflächen sind nur schwach gekrümmt, und die Beweglichkeit
ist dadurch sehr gering. Nur zwischen dem I. und V. Mittelfaßknochen
ist eine etwas größere Beweglichkeit gestattet.
Die Verbindungen zw^ischen dem Mittelfußknochen und den
Zehen und die Zehengelenke selbst wiederholen im wesentlichen die
bei der Hand geschilderten Einrichtungen. Die Gelenke zwischen den
Köpfchen der Mittelfußknochen Fig. 69 No. 7 und ?', und der Grundpha-
lange der Zehen sind ziemlich frei, und gestatten wie jene der Hand
nebst Beuge- und Streckbewegung auch Spreizen der Zehen, also
Abduktion und Adduktion. Die Gelenke der Zehenglieder unterein-
ander sind reine Winkelgelenke. An allen finden sich Kapseln mit
einem äußeren und inneren Seitenbande und einer unteren, stärkeren
Wand, in welcher am ersten Gelenk der großen Zehe zwei ansehnliche
Sesambeine eingewachsen sind (Fig, 69 No. 8), deren dem Gelenke zu-
gekehrte Flächen in die. sattelförmigen Furchen an der unteren Seite
des Kopfes (Metatarsus hallucis) einpassen.
Von dem inneren und zugleich größeren Sesambein der großen Zehe glaubten
Mystiker, daß dasselbe nicht wie die anderen Knochen verwese, sondern sich ab
Keim in der Erde erhalte, damit ans ihm, wie ans einem Samenkorn, der ganze
Mensch zum jüngsten Gericht wieder auferstehe. Die Talmudisten nannten diesen
„unzerbrechlichen, unverbrenubaren und überhaupt unzerstörbaren Knochen** 0«i-
cultnn Lus oder Lux. Diese Fabel ist alt und soll, wie ich bei Hyrtl lese. Tom
Rabbi Uschaia anno 210 nach Christus herstammen.
Skelett der Gliedmaßen. 221
Allgemeine Betrachtungen.
Das Hüftgelenk ist ein freies Gelenk, es gestattet Bewegung nach
jeder Richtung. Der Schenkelkopf sitzt auf dem Schenkelhals, der an
seiner Abgangsstelle vom Mittelsttick des Oberschenkelknochens seine
größte Stärke besitzt. Gegen den Kopf zu nimmt er an Dicke ab.
um unmittelbar vor seiner Einpflanzung in densell)en wieder etwas an
Umfang zuzunehmen. Der Hals des Schenkelbeines bildet mit dem
Mittelstücke einen Winkel, welcher sich beim Weibe mehr als beim
Manne einem rechten nähert. Die Größenabnahme des Winkels beim
Weibe beträgt nicht sehr viel, im ganzen nur zwischen 2 — 3^ allein diese
Abnahme genügt, um die größere Konvergenz der beiden Oberschenkel-
knochen gegen das Knie hin bei dem Weibe zu erklären. Schon
weiter oben wurde darauf hingewiesen, daß die Oberschenkelbeine gegen
das Knie hin konvergieren. Die Konvergenz überhaupt hängt ab von
der Größe des Winkels. Der in seiner Pfanne äquilibrierte Schenkel-
knochen verhält sich genau so, wie ein winklig gebogener Stab, der
an einem Ende aufgehängt ist. Sein unteres Ende kann niemals die-
selbe Richtung haben mit dem oberen, sondern weicht nach jener Seite
ab, nach welcher die Öffnung des Winkels gerichtet ist, beim Schenkel-
knochen also nach einwärts. Die Konvergenz der Oberschenkelknochen
erzielt einen mechanisch bedeutsamen Gewinn. Die Schwankungen des
Körpers beim Gehen sind dadurch beträchtlich abgeschwächt worden.
Damit wurden viele Muskelkräfte erspart, welche s(mst bei einer großen
Distanz der beiden Tragstützen des Leibes unerläßlich gewesen wären.
Von dem Kniegelenk an ändert sich die Richtung des Beines, und
die Unterschenkel laufen parallel zum Boden heral). An dem Skelett
des Beines Fig. 61 ist dieses Verhalten bei der Darstellung berück-
sichtigt worden und wohl zu erkennen. Eine geringe Verlängerung
des inneren Knorrens am Kniegelenk genügte, die Konvergenz der Unter-
schenkel zu verhüten, und sie zu zwingen, senkrecht nach der Unter-
lage hinabzustreben. Ohne diese Korrektion der Richtung würden die
Fersen bei dem Gehen beständig aneinander schlagen. — Auch bei der
besten Form des Beines entsteht durch Verschiedenheit in der Richtung
des Oberschenkels zum Unterschenkel eine Konkavität der Kniegegend
an der äußeren und eine Konvexität an der inneren Seite. Das innere
Seitenband der Kniegelenkkapsel (Fig. 65 No. 5) erhält dadurch eine
beträchtlich größere Aufgabe, als sie dem äußeren Seitenband zuge-
messen ist.
Wird das innere Seitenband durch Krankheit seiner Kraft und Stärke ver-
lustig, so kann e^ die inneren Knorren des Oberschenkels und des Schienbeins
nicht mehr in gehörigem Kontakt erhalten. Der Onick der Körperlast macht so-
222 Sechster Abschnitt.
dann, daß der nach «außen weit offene Winkel zwischen Obersehenkel und Schi»
bein kleiner wird, indem der Unterschenkel nach außen abweicht, und jene E«.
Stellung der Beine entsteht, welche in der Chiriurgie Genu valgtim heißt und die di:
Deutschen Knickebein, Ziegenbein, auch Knieenge und Bäckerbein nenn«.
Diese Deformität wäre also nur eine abnorme Steigerung der Winkelstellnng de«
Unterschenkels gegen den Oberschenkel; der innere Knorren des Obencfaenkd»
markiert sich stärker durch die Haut der inneren Kniegegend. Es kommt dem Ge-
fühle vor, als ob er vergrößert wäre. Sind beide Knie kuickebeinig, so bohr»
dieselben gegeneinander (X-Füße). Die dem Qenu vcUgum entgegengesetzte Ver-
krümmung des Kniees, l>ei welcher der Unterschenkel mit dem Oberschenkel eioei
nach innen offenen Winkel bildet, führt zu der Knieweite oder den Sibel-
beinen (Qenu carurn), welche seltener vorkommen als die Knickebeine. Die
Säbelbcine haben ihre Bedingung in angeborener oder erworbener ( rachitiBchen
Knochenverbiegung oder in krumm geheilten Beinbrüchen. Bei Reitern finden adi
oft mäßig krumme Säbelbeine, wahrscheinlich durch vermehrten Muskelzug bei dem
sog. Schluß entstanden.
Die Haut der vorderen Kniegegend ist wie diejenige an der hin-
teren Seite des Ellbogens dick, rauh anzufühlen und im gestreckten
Zustande des Gelenkes, sowie bei besonders stark gebrauchten Enieen
auf der Kniescheibe quer gefurcht. Das Gewebe der Haut zeigt sich
auf den Vorsprüngen der Knochen am Knie bei weitem nicht so fett-
reich, wie am Oberschenkel, weshalb das Knie um so schlanker er-
scheint je beleibter ein Individuum ist. Die Falten auf der Vorder-
seite des Kniees fehlen in der Jugend und die Haut legt sich glatt
über die Erhabenheiten und Vertiefmigen. Bei der Beugung wird
sie gespannt, verdünnt sich und läßt selbst unbedeutende Elinzeln-
heiten erkennen, die bei der Streckung durch Rückkehr der Haut zu
ihrer früheren Dicke wieder verschwinden. Zwischen Haut und Faseie
liegt ein ziemlich dickwandiger Schleimbeutel, welcher annähernd
den Umfang der Kniescheibie selbst hat, im gesunden Zustande einen
Tropfen Flüssigkeit enthält, sich dagegen infolge von Entzündungen
zur Größe eines Apfels und darüber ausdehnen kann.
Der Unterschenkel erstreckt sich von dem Schienbeinstachel bis
zu den Knöchehi herab. Er hat eine kegelförmige Gestalt, mit der
Spitze nach unten gekehrt. Während die starken Muskellager an der
hinteren Seite die Knochen vollständig verdecken, lassen sie vorne
wenigstens eine Fläche des Schienbeines samt ihrer Kante frei
Schon im unteren Drittel gehen die Muskeln allmählich in Siehnen
über, so daß die unteren Enden des Schien- und Wadenbeines und
die Knochen des Fußes mehr und mehr frei werden. Die hochliegende
Gruppe der Wadenmuskeln geht mit ihrer gemeinschaftlichen Endsehue,
der Achillessehne, an den Höcker des Fersenbeines und verdeckt
dadurch den an dem Skelett so stark nach rückwärts verlängerten
Knochen.
Skelett der Gliedmaßen. 223
Der Name Achillessehne schreibt sich wohl davon her, daß der griechische
Held, welchen die Mythe nur an dieser Stelle verwundbar sein ließ, an den Folgen
eines Pfeilschusses in die Ferse starb. Die Mutter des Achill, Thetis, tauchte
ihren Sohn auf den Ausspruch des Orakels in die Fluten des Styx, um ihn unver-
wundbar zu machen. Da sie das Knäblein bei dieser Funktion an der Ferse liielt,
so konnte das Wasser seine wunderthätige Wirkung nicht auch auf diese ausdehnen,
— sie blieb also verwundbar, und bekanntlich starb Achill au einer durch Paris
Gresehoß in die Ferse beigebrachten Wunde. Hippokrates hielt die Wunden und
Quetschungen der Achillessehne für tödlich. Der Glaube an die Gefährlichkeit der
Wunden der Achillessehne hat sich lange erhalten. In ihm liegt die Ursache, wanim
die Dorchschneidung dieser Sehne erst so spät in Aufiiahme kam, eine Operation,
durch welche andauernde und permanent gewordene Kontraktion und Steifheit des
Fußes, beim sogenannten Spitz- oder Pferdefuß, beseitigt wird. Heutzutage wird
diese Operation schon bei Säuglingen ausgeführt.
Zu beiden Seiten der Achillessehne fällt eine Hautgnibe auf, welche
dem Zwischenräume zwischen der Sehne und den Unterschenkelknochen
entspricht. Hobceb beschreibt umständlich, wie Achill an Hektors
Leiche hier die Riemen durchzog, um dieselbe an seinen Siegeswagen
zu befestigen und dreimal um Trojas Mauern zu schleifen:
Ter circum Iliacos raptaverat Hectora muros.
Der Fuß ist von dem Fußrücken aus betrachtet kürzer als die
Sohlenfläche, da er nur bis zum Sprunggelenk reicht, die Sohlenfläche
sich dagegen bis zum Fersenhöcker erstreckt. Die Gestalt des Fuß-
rückens ist von vom nach hinten konvex und von außen nach innen
konkav, sobald der Hohlfuß richtig geformt ist. Fehlt die Höhlung
der Sohle, wie bei dem Plattfuß, dann ist auch der Fußrücken kaum
von nennenswerter Höhe. — Der Fußrücken fühlt sich überall hart an,
da meist nur Sehnen zwischen Haut imd Knochen eingeschaltet sind.
Sie werden bei der Zusammenziehung der Muskeln bemerkbar. Nur
an seinem äußeren Bezirke fühlt man den prallen und elastischen
Bauch eines Muskels, des kurzen Zehenstreckers.
Der festere Teil des Fußes besteht aus der Fußwurzel und dem
Mittelfuße, der beweglichere und zum Tragen des Körpers nicht ge-
eignete, aus den Zehen. Beide zusammen stellen einen Hebel dar,
welcher nach Umständen bald als einarmiger, bald als zweiarmiger
gebraucht wird. Als zweiarmiger Hebel erscheint er, wenn man den
Fuß frei in die Luft hält und Beuge- und Streckbewegungen mit ihm
ausführt. Der Stützpunkt des Hebels liegt hierbei im Sprunggelenk,
der kürzere Arm wird durch den Fersenhöcker, der längere durch das
vor dem Sprunggelenk gelegene Stück des Fußes dargestellt. Als ein-
armiger Hebel wirkt er, wenn man sich auf die Ballen der Zehen (un-
richtig auf die Zehen) erhebt. Dann liegt der Stützpunkt des Hebels
an dem vorderen Ende desselben (Zehenballen), der Angriffispunkt der
224 Sechster Abschnitt Skelett der Gliedmafien.
Last befindet sich im Sprunggelenk, wo das Gewicht des Körpers mit-
tels des Schienbeines auf das Fußgerüst wirkt, und der Angriffspunkt
der bewegenden Kraft entspricht dem Fersenhöcker, als dem hintertii
Ende der Hebelstange, dort wo die Wadenmuskeln den Fersenhöcktr
und damit die ganze Körperlast in die Höhe ziehen.
Die Bestimmung der Zehen ist , beim Stehen . und Sclu-eiteii
sich wie elastische Druckfedern an den Boden anzudrücken und ^leiu
Stehen dadurch mehr Festigkeit und dem Gehen jene Sicherheit zn
geben, die auf der Elastizität des Schrittes beniht. Wir wären
ohne die Zehen nicht imstande, auf dem Ballen der Zehen stebenil
uns im ruhigen Gleichgewicht zu erhalten, und könnten uns nur durch
stetes Trippeln oder durch Kreuz- und Querschritte fortbewegen.
Wenn wir glauben, auf den Zehenspitzen zu gehen, so gehen wir
eigentlich nur auf den Köpfen der Metatarsusknochen, vorzüglich jener
der großen und der nächsten Zehe. Nur lange Übung vermag den
Körper auf das Nagelglied der großen Zehe zu erheben und auf ihm
sogar zu gehen, wie dies die Virtuosinnen des Balletkorps mit mehr
oder weniger Geschick zustande bringen. Damit ist der Gang jeder
Elastizität beraubt und wird steif, wie beim Gehen auf Stelzen.
Jede Bewegung, welche der Fuß am Unterschenkel ausftlhrt, kanu
der Unterschenkel ebenfalls am Fuße machen. Der Unterschenkel
beugt und streckt sich im Sprunggelenk gegen den Fuß beim Nieder-
kauern und Erheben, er dreht sich mittels des Sprungbeines am Kahn-
und Fersenbeine, um mit weit ausgespreizten Extremitäten zu stehen,
und der innere Knöchel dreht sjich um seine Gelenkfläche an dem
Sprungbein, wenn man, auf einem Fuße stehend, Drehbewegungen mit
dem Stamme macht.
Das Stehen mit parallelen Füßen, wobei die Zehenspitzen gerade
nach vorn gerichtet sind, ist das sicherste. Je weiter die Fußspitzen
sich nach außen wenden, desto schwerer und unsicherer wird das
Stehen. Der Bauer steht fester als der Soldat in der Parade. Eine
mäßige Entfernung der Füße voneinander ist zu einer festen Positur
unerläßlich.
Siebenter AbechniU. Mnskellehre. 225
Siebenter Abschnitt.
Muskellehre.
Allgfemelne Übersicht.
Das rote Fleisch des menschlichen Körpers ist die Quelle der
Bewegungen. Die Ortsveränderung sowohl der einzelnen Teile als des
ganzen Organismus ist nur möglich durch diese roten blutdurchströraten
Massen, welche fast das ganze Skelett umgeben und nur einzelne
Stellen als harte Unterlage der Haut bei Mensch wie Tier zum Vor-
schein kommen lassen.
Dieses rote Fleisch zerfällt in kleinere abgegrenzte Massen, die
sogenannten Muskeln, welche je nach den Körperstellen von verschie-
dener Form und Größe sind. Die einzelnen Muskeln besitzen eine
gewisse Unabhängigkeit von ihren Nachbarn und sind mit Hilfe des
Messers von ihnen trennbar, weil dünne Schichten eines lockeren Ge-
webes zwischen ihnen liegen. Blutgefäße und Nerven ziehen diesem
oft fetthaltigen Zwischengewebe entlang, um zu den Muskeln zu ge-
langen. Sind diese umgebenden Teile mit dem Messer vorsichtig und
von allen Seiten entfernt, der Muskel, wie man sich ausdrückt, von
seiner Umgebung lospräpariert, so stellt er in seinen einfachsten Formen
ein längliches spindelförmiges Organ dar, an dem man folgende Teile
unterscheidet:
1) einen mittleren, roten Abschnitt, den sog. Muskelbauch
(Fenter)y der aus fleischigen Fasern besteht (Fig. 68 Nr. 2). Er ist
durch einen Nervenstrang direkt mit dem Gehirn in Verbindung gesetzt.
2) die beiden verschmälerten Enden (Fig. 68 i u. 3), die weiß, atlas-
glänzend aus dem roten Muskelbauch hervorkommen, und als Sehnen
(Tendines) bezeichnet werden. Sie bestehen aus einem von dem roten
Fleisch gänzlich verschiedenen Material, dessen Gegensätze in Form und
Farbe und chemischer Zusammensetzung die denkbar größten sind. Das
Fleisch enthält Eiweiß, die Sehnen dagegen leimgebende Substanz. Ihre
Lebensäußerungen sind ebenso diametral verschieden. Der Muskel zieht
sich zusammen, verkürzt sich, schwillt dadurch an, und wird dabei
fest; die Sehne wird nur gespannt, sie kann sich weder verlängern noch
verkürzen; sie ist einem Seil vergleichbar, an dem der Muskel zieht,
wie das Pferd an dem Strang. Die Sehne ist mit der Beinhaut und
KOLLMANH, PlasUache Anaioiulo. 15
Siebenler Atachnttt.
mit dem Knochen so fest verwachsen, daß eher das EnocheiutfiGk t
der Ansatzstelle losreißt, als daß die Sehne sich loslöst. Die Sehie
Entreniuned.Ot-lpnk-
' nHisev.d.Oberfl. il.
Knnchens.
Fig. TU. ScIieiiDttitH'lic UiirHti'lluiig ciix'ä Miukt'U.
Miukellehre. 227
an den Enden des Muskels heißen wegen ihrer Lage End sehnen
(Tendines terminales)^ zur Unterscheidung von Zwischensehnen (Ten-
dmes nUermedii), die an einigen Muskeln in der Mitte angebracht sind.
Das einfache Bild eines Muskels (Fig. 70) gestattet gleichzeitig
die Erklärung einiger Ausdrücke, welche in der anatomischen Sprache
in ganz bestimmtem Sinne gebraucht werden.
Unsere Figur 70 stellt den Oberarmknochen und einen Vorderarm-
knochen in natürlicher Verbindung dar. Auf der vorderen Fläche
dieser durch ein Gelenk verbundenen Knochen befindet sich ein Muskel-
bauch, dessen Anfangs- und Endsehne mit den betreffenden Knochen
verwachsen sind. Man nennt nun:
Ursprung (Origo) eines Muskels (Fig. 70 Nr. i) die dem Kopf des
Menschen näherliegende Portion des Muskels, welche, die einfachste Art
der Wirkung angenommen, bei der Zusammenziehung in unveränderter
Stellung bleibt;
Ansatz (Insertio) ist die am entgegengesetzten Ende befindliche
Portion, welche bei der Zusammenziehung dem Ursprung genähert wird
(Fig. 70 Nr. 3);
Verlauf heißt der Weg, den der Muskel zwischen dem Ursprung
und dem Ansatz zurücklegt. Aber während diese Bezeichnungen die
Lage zu dem Körper in's Auge fassen, werden noch andere notwendig
für die einzelnen Abschnitte dieses Organes selbst. An jedem Muskel
heißt Kopf (Caput) der dem Ursprungspunkt zunächst liegende Teil,
Muskelbauch (Fenter), der mittlere fleischige Teil (Fig. 70 Nr. 2),
Schwanz (Cauda) das Ende des Muskels (Fig. 70 Nr. 5).
Von diesem klassischen Bild eines Muskels, das dazu dient, so-
wohl bei Mensch als Tier sich die Grundvorstellungen über das Wesen
dieses Organes anzueignen, giebt es jedoch sehr beträchtliche Ab-
weichungen. Nicht in dem Prinzip, denn Ursprung und Ansatz sind
überall vorhanden und stets ist dem Muskelbauch ein ganz bestimmter
Verlauf vorgeschrieben, sondern sowohl in der Form der Sehnen, wie
in derjenigen des Muskelbauches zeigen sich beträchtliche Verschieden-
heiten. Während viele dieser Formen für die Medizin von unter-
geordnetem Interesse sind, werden selbst unwesentliche Variationen
dieser Art von Bedeutung für die darstellende Kunst.
Yerschledene Formen der Sehne.
1) Die Sehnen finden sich nicht immer, wie in unserm Beispiel,
an beiden Enden des Muskelbauches von annähernd gleicher Länge,
sondern sie können an dem einen Ende kurz, an dem entgegengesetzten
lang sein. Das ist nahezu regelmäßig der Fall an dem Vorderarm
15»
228 Siebenter Afaflehnitt.
und dem Unterschenkel. Die Schmalheit des Hand- and Fußgelenkes
rührt lediglich davon her, daß die Fleischmassen an das entgegeoge-
setzte Ende des Skelettabschnittes, nämlich in die Nähe des Ellbogen-
mid des Kniegelenkes verlegt sind.
Bei Tieren ist die Verlegung der Muskelmassen oft bis zu einem sehr hohen Gnd
getrieben. Bei der Hirschfamilie sind die Muskeln dicht an den Rumpf hinaofgieMliobai,
und den langen, schmalen Knochen der Glieder entlang ziehen nur die Sehnen, an
auf die entfernt liegenden Inscrtionspunkte die Kraft der hoch oben am KOqwr
befindlichen Muskeln zu übertragen. Bei den langbeinigen Vögeln ist woU du
äußerste in dieser Hinsicht von der Natur geleistet würden.
Eine andere auffallende Versetzung der Sehnen besteht darin, daß sie
2) in die Mitte des Muskelbauches verlegt sind. Sie werden,
im Gegensatz zu den Endsehnen, also Zwischensehnen (Tenämt
intermedü). Der hervorragendste und fiir die plastische Anatomie
interessanteste Fall dieser Art findet sich an den geraden Bauch-
muskeln (Fig. 71 Nr. 16; 16'). Auf dem ganzen Verlauf, der bei einem
Menschen von 1.80 m nahezu Y4 der ganzen Höhe ausmacht, existiert
nur eine kurze Endsehne, dagegen finden sich auf der Strecke Ton
der Brust bis zu dem Nabel an drei Stellen quer in den Muskd
hineingelegte Zwischeiisehnen. Er zerfällt dadurch auf jeder Seite in
drei übereinander liegende Abteilungen, von denen jede ein selb-
ständiges Muskelsegment darstellt. Der unmittelbar an die Brust an-
stoßende Teil der Bauchwand wird dadurch wie aus viereckigen Stücken
mosaikartig zusammengesetzt. An dem borghesischen Fechter,
dem Laokoon und anderen Statuen sind diese Einzelheiten in sehr voll-
kommener Weise wiedergegeben. — Eine andere Form einer Zwischen-
sehne ist in dem Kapuzenmuskel in der Umgebung des 7. Halswirbel
zu finden. Sie hat die Gestalt eines Lindcnblattes, dessen Spitze nach
oben gerichtet ist. Solche Zwischensehnen sind an dem Lebenden wie
an dem Toten wegen des Unterschiedes zwischen der Dicke der Sehne
und derjenigen des Fleisches durch die Haut hindurch erkennbar.
Das Fleisch ist eben der bewegende, thätige Teil des Muskels, and
deshalb dick, voluminös; die Sehne ist nur der Strang, der die in dem
Muskel entstandene Kraft auf andere Stellen übeii;rägt, dem Trans-
missionsriemen einer Maschine vergleichbar. Der Biemen ist dünn,
während die Maschine umfangreich ist. Aber in unseim Fall kommt
noch ein Umstand hinzu, der mit dem Organismus zusammenhangt^
der Maschine in dieser Form aber fehlt. Bei der Thätigkeit des Mus-
kels schwillt das Fleisch an, es verdickt sich, weil es sich verkürzt,'
die Sehne bleibt dagegen unverändert. Während der Zusammen-
ziehung eines Muskels ist also der schon während der Buhe
vorhandene Niveauunterschied zwischen dem fleischigen und
Unigfln Teil gesteigert. Es ist deshalb für das geilbto Auge
^ht Bcbwer, selbst an dem Fragment eines KunstwerlcBs zu uiiter-
[lortioa il.Bnintiii.
Bcheiilen, id) die durgi^slellte Kigur in der Bewegung oder in der Bube
aufgefaßt war. Nfirlidem Übordies mit dem timd der Zusjinimen-
siehong dei" ücgeiisatz zwiatihen Floiscb uod Sehne sich vergröUert,
230 Siebenter Abedmitt.
läßt sich auch der Grad der Anstrengung bemessen, der zum Aus-
druck gebracht werden sollte. Diese Schärfe der Beurteilung haben
sich die Archäologen und Kunsthistoriker längst angeeignet. Die Ex-
treme zwischen Ruhe und Bewegung der Muskeln werden freilich auch
von jedem Gebildeten meist richtig beurteilt. Er hat ein „GefÄhl«
für das in dem besonderen Fall notwendige Maß der aufgewendeten
Kraft, denn sein eigener Körper ist ihm hierfür eine lehrreiche Schule
unbewußten Lernens. — Nur in ganz besonderen Fällen ist es erlaabt,
die Muskeln schon während der Ruhe des Körpers so umfangreich dar-
zustellen, als ob sie sich in voller Aktion befänden, nämlich dann, wenn
es sich um Kraftmenschen par excellence handelt, wie bei dem Far-
nesischen Herkules oder an dem Torso vom Belvedere, obwohl
zweifellos bei dem ersteren des Guten schon zuviel gethan ist. Vor
allem hat man sich dabei zu erinnern, daß in der Zusanunenziehnng
der Muskeln sehr verschiedene Grade existieren und daß die äußere
Erscheinung abhängt von der Größe des Fleischbauches und dem Grade
seiner Zusamnienziehung, oder anatomisch gesprochen von dem unter-
schied zwischen der Erhebung seiner Oberfläche über die-
jenige der tieferliegenden Sehne. Von dieser wichtigen und all-
gemeinen Regel giebt es keine Ausnahme. Scheinbare Abweichungen,
welche durch das Anspannen strangförmiger Sehnen entstehen,
z. B. an dem Vorderarm, dem Unterschenkel, dem Kniegelenk, sollen
später berücksichtigt werden.
Diese Regel von dem Niveauunterschied zwischen dem fleischigen Teil des
Muskels und einer nicht kontraktilen Umgebung bleibt selbst dann in voller Geltung,
wenn der Muskel ohne Vermittelung von Sehnen direkt von Knochenfläehen ent-
springt oder sich direkt an Knochenflächen ansetzt, wie folgendes Beißpiel zeigt
Der große Brustmuskel entspringt längs des ganzen Brustbeines (Fig. 71 Kr.ii
und von einem Teil des Schlüsselbeines (Fig. 71 Nr. 2) ohne Vermittelung einer aiclit-
baren Sehne direkt von Knochenflächen. Dennoch liegt, ebenso wie bei den Zwiachen-
sehncn der geraden Bauchmuskeln, die Ebene seiner Fleischmasche \ie\ höher als
die vordere Fläche des Brustbein(»s, die wie eine schmale Binne zwischen dem
Ursprung der beiderseitigen Brustmuskeln sichtbar wird. Das Fleisch an sich ve^
ursacht schon eine Erhöhung, gegenüber der Brustbeinfläche, die Zusammcnziehang
steigert dann dieselbe und vertieft die schon vorhandene Furche..
Es giebt femer
3) Breite und sehr ausgedehnte, dabei aber dünne Sehnen. Sie
heißen Aponeurosen. Sie sind auflfallend verschieden von den strang-
förmigen Sehnen, welche die Figur 70 als Beispiel zeigt. Sind näin-
lich Muskeln über gi'oße Flächen ausgedehnt, wie an den Seiten der
Bauchwand, so ist die Sehne ebenfalls breit und stellt ein Blatt von
kaum 1 mm Dicke dar, das die Formen der daiiinter liegenden Teile
deutlich erkennen läßt. In der Fig. 71 Nr. lo u. Nr. ii ist der rechte
äußere schiefe Bauchmuskel, so heißt er mit seinem ganzen
VsAelldire.
2S1
Namen, grSßtenteils sichtbar. Mit Nr. lo sind seine Ti«r oberen Ur-
Bprungszacken bezeichnet, welche von der filnften bis achten Bippe
entspringen. Sie sind, wie schon die SchrafiTur andeutet, fleischig,
ebenso wie sein unterer Teil, der mit Nr. ii bezeichnet ist. Von der
unteren Fleischecke bei Nr. ii zieht sich bis zu dem Brustkorb hinauf
eine gebrochene Linie, auf der der Fleischbauch des Muskels in eine
platte Sehne übei^eht, welche in der vorderen Mittellinie mit der-
jenige» des Widerparts von der anderen Körperhälfte sich durchkreuzt.
Diese dUnne Sehne bedeckt zwar den geraden Bauchmuskel (Fig. 71
Nr. 12), allein sie läßt seine ganze Form deutlich wiedererkennen. Es
beben sich sowohl die Ränder, als auch die Zwischensehnen deutlich
Oberarm 3
lim. Knomo i -
ßllflnitrecker d.IUod.
Pig. 72. I><T rcclitc Vonli-ninii dca borghritiBcliiiii Pcchtore
von liiiit^ii Kciti'limi.
ab, ein lehrreiches Beispiel, ibiß selbst tietliegeude Teile durch die
Aponeuroseu hindurch noch mit allen Einzelheiten erkennbar sind.
Ein Vergleich mit der linken Kürperhälltu , an der die Aponcurose
entfernt ist, zeigt den geraden Bau(^hmuskel unbedeckt {Fig 71 Nr. in,
Iß', 16") und läßt um so leichter die Form seines bedeckten Nachbars
von dem Ursprung bis zn dem Ansatz wiedererkennen.
4) Sehnen reichen als ,, sehnige Blätter", als „sehnige Mem-
branen" oder als sehnige Streifen von der Ursprungs- oder von
der Ansatzsehne her weit in den Muskelbancli hinein, so daß h-tüteier
entweder von der Sehne durchwachsen ist oder die Sehne an der einen
Seite weiter an dem Muskel in die Hohe ragt als an der anderen.
Die obenstehende Figur 72 veixegcnwärtigt bei Nr. ö den Verlauf eines
Streckers der Hand, der vom Oberarm entspringt und am Mittelhand-
282 Skbenter AbMlmitt
knochen des 5. Fingers endigt. Die Ansatzsehne erstreckt sich Zungen,
förmig und dabei sehr weit in den Muskelbauch hinein, während tob
beiden Seiten her die Fleischbündel an die Sehne herantreten.
Ohne Kenntnis dieses ebenerwähnten Verhaltens der Sehne xn
dem Muskelbauch bleiben die Formen des Vorderarmes, der Wadea-
beinmuskeln u. a. m. ein stetes Geheimnis. Man muß eingedenk sein,
daß in diesen Fällen die Sehne vertieft liegt im Vergleich zu dem
umgebenden Fleisch des Muskels, und daß sich der schon vorhandeiie
Höhenunterschied beträchtlich steigert, sobald das rote Fleisch in
Thätigkeit versetzt wird.
Von sehr eigenartigem Einfluß auf die Formen sind
5) die Sehnenplatten oder Sehnenzungen, welche einen Teil des
Muskelbauches bedecken.
Der Übergang der Ursprungssehne in den Muskelbauch geschieht
nicht immer in scharf abgegrenzter Weise, wie z. B. in Fig. 70, son-
dern die Sehne bedeckt oft mit glänzenden Fasern den Muskelbaacli
bis zur Mitte und darüber hinaus. Diese Ausbreitung der Sehnen-
fasem nimmt verschiedene Formen an, welche zungen- oder fächer-
artig sind und von den roten schwellenden Eändem der Maskeimasse
begrenzt werden. Ein paar Beispiele mögen das Gesagte näher er-
klären. An dem Spielbein eines Stehenden ist die Wade mit nnr
geringfügiger Abweichung rundlich selbst bei dem kräftigen Mann,
den wir hier wie bei allen Betrachtungen zunächst im Auge haben.
Sobald jedoch das Bein gegen den Boden gestemmt wird, oder wir
uns auf die Zehenballen erheben , wird die hintere Fläche der
Wade in einer ganz bestimmten Ausdehnung abgeflacht. Die Unter-
suchung lehrt nun folgendes: Jeder Kopf des Wadenmuskels (Fig. 74
Nr. 9 u. 9') ist birnfönnig, das spitze, dem Ursprung entsprechende Eiide
ist aufwärts, das gerundete abwärts gerichtet. Jeder Muskelbauch
entspringt an dem hinteren Umfang eines Gelenkhöckers des Ober-
schenkelbeines mit einer mächtigen Sehne, die sich fächerförmig über,
die äußere Fläche des Muskels ausbreitet und nur an zwei Stellen
das rote Fleisch hervortreten läßt, nämlich in der Mitte in Form eines
schmalen, ungefähr 3 — BYg^^^ langen Streifens, dort wo sich die beiden
Köpfe der Wadenmuskeln beiühren, und unten, wo der Muskelbauch
in die Ansatzsehne ill)ergeht. Diese Anordnung der Ursprungssehne
hat zur Folge, daß ganz im Gegensatz zu den bisher betrachteten
Fällen der durch die Zusammenzichung schwellende Muskel im Be-
reich der fächerartig ausgebreiteten Sehne abgeplattet wird.
An dieser Abplattung des Muskels läßt sich die Zusammenziehung
und der Grad derselben leicht erkennen.
Eine wirkungsvolle Sehnenplatte von großer Ausdehnung besitzt
der seitliche Kopf des UnterschetikelBtreckers (Vastus extemm, Fig. 74
Nr. 18). Ton seinem Ursprung hoch oben an dem Schenkelknochen
B Kurxi^r Strecker tl. Dlumeoi.
Hehncn der Dauinenn)iii>k«ln.
Fig. 73. Der rechte Arm d»« borghoaischcn Pechtcri. Enaelue Muskeln eiud
nicht atugefilhrt, doch ist die llautliiiic angegeben.
ist die breite Mnakclmaese, welche die gansie anßere Fläche des Ober-
schenkels fttr aidi allein herstellt, mit einer glämciiden Sehnenplatte
2S4 Siebenter AbecÜnitt.
•
bedeckt, welche fächerförmig auseinanderlaufend bis zu dem unteren
Viertel des Muskels hinabgelangt. Erst dort werdea die Fleischbündel
frei sichtbar und können während der Zusammenziehung ihr Belief
ungehindert zeigen. Dagegen ist der Muskel während der Zusammen*
Ziehung soweit er durch die Sehnenplatte bedeckt ist, unter ihrem
Druck zusammengepreßt. Daraus entspringt eine so charakteristische
Abplattung, daß sie keinem sorgfältigen Beobachter entgehen kann.
Ich verweise auch auf den borghesischen Fechter, linkes Bein.
an dem diese Formen mit erstaunlicher Sicherheit dargestellt sind.
Verschiedene Fonnen des Mnskelbauches.
Der Fleisch- oder Muskelbauch (Fenter), dessen typisches Urbfld
in der schematischen Figur 70 genauer beschrieben wurde, zeigt man-
nigfache Abweichungen, von denen folgende Erwähnung verdienen.
Es giebt:
1) Muskeln mit zwei, drei und mehreren Köpfen, die von
verschiedenen Stellen entspringen und zu einem Bauch sich Ter-
einigen: zweiköpfige Muskeln (Musculi bicipites), dreiköpfige (tri-
cipites), vierköpfige (quadricipites) u. s. w. In der Figur 73 Nr.i
ist der Deltamuskel entfernt und nur dessen Kontur sichtbar. Der
zweiköpfige Vorderarmbeuger wird dadurch in seinem ganzen
Verlaufe frei. Mit Nr.' 2 u. 2' sind seine beiden Ursprungsköpfe bezeichnet
die als schmale Sehnen vom Schulterblatt entspringen. Diese beiden
Köpfe vereinigen sich zu dem bekannten einfachen Muskelbauch, der
in der Figur wie am Lebenden den vorderen Umfang des Oberarms
bildet und bei Nr. 2" in eine sich allmählich verschmälemde Sehne
übergeht, die sich am oberen Speichenende befestigt. — Auf der-
selben Figur 73 ist bei Nr. 7 ein dreiköpfiger Muskel, der kleine
Brustmuskel, dargestellt. Er entspringt mit je jeiner Zacke von
der 3. 4. und 5. Rippe, setzt sich aber mit einer einzigen Sehne,
in die sich alle Muskelbäuche vereinigen, an der Spitze des Raben-
schnabelfortsatzes (Fig. 73 Nr. 8) fest.
Eine andere Art von Muskeln sind:
2) Muskeln, deren Bauch einfach ist, deren Schwanz (Cauda),
sich aber in mehrere an verschiedenen Stellen befestigte
Zipfel spaltet. Hierher gehören manche Beuger und Strecker der
Finger und Zehen (Fig. 75 Nr. 13 u. 13").
3) Breite Muskeln; sie sind glatt, und dienen sowohl zur Be-
wegung, als auch zur Umgrenzung von Hrihlen. Sie entspringen von laugen
Knochenrändern, Knochenlinien (Lmene, Cristae), wie der große Brust-
muskcl (Fig. 71 Nr. i, 2, 3,) oder wie der innere schiefe Bauch-
Moakellehre. 286
muskel (ebenda Nr. 15); oder sie entspringen endlich von einer Reihe
verschiedener Knochenpunkte mit getrennten Zacken, wodurch die Ur-
sprungslinie sägeförmig eingeschnitten ist. Der vordere Säge-
muskel, dessen Zacken auf der Fig. 71 bei Nr. 9 teilweise sichtbar
sind, ist das bekannteste Beispiel dieser Art.. Gleichfalls mit Zacken
entspringt der äußere schiefe Bauchmuskel (ebenda Nr. lo). Die
Insertionssehnen sind dann bisweilen ebenfalls breite Platten, welche,
wie schon weiter oben erwähnt, als Aponeurosen bezeichnet werden.
4) Ringförmige Muskeln (Musculi orbiculares). Die Muskel-
bündel durchflechten sich und stellen einen Ring dar, der jedoch nie-
mals völlig von ' den umgebenden Muskelzügen isoliert ist, sondern in
inniger Verbindung steht. Solche Ringmuskeln sind gar nicht oder
nur an einem einzigen Punkt an Knochen festgeheftet. Sie liegen an
den natürlichen Öffnungen der Köiperoberfläche, welche von ihnen ver-
engert oder ganz verschlossen werden können. Zwei derselben, der
Bingmuskel des Auges und des Mundes, werden später eingehend ge-
dchildert, weil sie bei dem Ausdruck der Gemütsbewegungen eine
wesentliche Rolle spielen.
Erwähnenswert sind ferner:
5) die Hautmuskeln; sie entspringen von tiefer liegenden festeren
Punkten, von Knochen, Knorpeln, ja selbst von dem Überzug anderer
Muskeln, um in der äußeren Haut sich anzuheften. Bei den höheren
Wirbeltieren und namentlich den Säugetieren (Igel, Pferd u. s. w.) von
großer Verbreitung, sind sie bei dem Menschen auf einige Gesichts-
muskeln (mimische Muskeln), auf einen Hautmuskel des Halses (Pia-
tygma) und auf den Hohlhandmuskel, der in die Sehnenbinde des
Handtellers übergeht, beschränkt.
Insofern größere oder gcrinpjcre FcHtigkeit des Ursprungs- und des Ansatzpunktes
einen Einteil ungHgrund abgiebt, seien hier noch erwähnt die kurzen Muskeln der
Wirbelsäule, welche bisweilen an den Sehnen der längeren entspringen, dann die
sog. Kegenwunnmuskeln der Ilohlhand und des Hohlfußes, welche von den Sehnen
der Beugemuskeln entspringen und in den Strecksehneii der Finger endigen. End-
lich die Fascienspanner, welche wegen ihrer besonderen Bedeutung für die
Formen der Glieder l)csonders besprochen werden sollen.
Muskeln mit zwei oder mehr Bäuchen (Mm. digastrici^ polygastrici)
beißen Muskeln, welche zwischen dem fleischigen Kopf und fleischigen Schwanz einen
mittleren aus Sehne besteluaiden Abschnitt In^sitzen. Es ist dies jene seltene Form,
welche in dem denkbar schärfsten Gegensatz zu der idealen Form (Fig. 70) steht.
Andere Muskeln von höchst aufüllligem Verhalti^n sind die Hohlniuskeln.
Der hervorragendste ITohlmuskel ist das Herz, dessen Hohlraum sich lieHtändig
wieder mit Blut füllt, sobald er durch die Zusammeiiziehung seiner muskulösen
Wände entleert wiu^e. Hier treibt die Kontraktion Flüssigkeit aus den Herzkammern
in eine Röhrenleitimg.
aess
286 Siebenter Abeehnitt
Eigenschaften des lebendigen Muskels nnd einige Arten
seiner Wirkung.
Das rote Fleisch eines Muskels ist keine einheitliche, gleichmäfiige
Masse, sondern besteht aus derben und feinen Muskelbündeln, die schoD
mit freiem Auge sichtbar sind, und zwar nicht bloß an dem anatomi-
schen Präparat, sondern selbst durch die Haut des Lebenden hindnrcL
Freilich sind es nur die gröberen Muskelbündel, welche man durch die
Haut hindurch sehen kann, aber diese sind oft auf große Strecken
ihres Verlaufes unverkennl)ar. Auf der Figur 71 zeigen mehrere Muskeln
diese Zusammensetzung aus Bündeln von vei^chiedener Dicke. Die
Bündel sind so umfangreich, daß es sich wolü begreifen läßt, wie sie
das Relief der Haut zu ändern vermögen. Sobald sic-.h z. B. der große
Brustmuskel (Fig. 71 Nr. l) oder der Deltamuskel (Fig. 71 Nr. 4) kräftig
zusammenziehen, treten durch die Haut hindui'ch die Bündel in Form
von daumenbreiten Strängen hervor. Diese Stränge enthalten ahcr
selbst wiederum eine beträchtliche Zahl feiner gerade noch mit fireiem
Auge erkennbarer Fasern, die Muskelfasern (Fihrae musculares)^ Von
dem gekochten Fleische unserer Haustiere her kennt wohl Jeder
diese Fleischfasern, die noch feiner sind als ein Frauenhaar. Frisch
und mit Hilfe der Mikroskope untersucht, besitzt jede eine dünne,
durchsichtige, in hohem Grade elastische Hülle, welche den Inhalt
durchschimmern läßt, jene merkwürdige Substanz, welche im lebendigen
Zustande die Fähigkeit })esitzt sich auf Reize zusammenzuziehen. Bei
den Säugetieren und dem Menschen ist dieses lebendige Eiweiß (Muskel-
plasma) leicht gelb getarbt. Die Masse der übereinanderliegenden
Fasern bedingt dadurch die charakteristische rote Farbe des Fleisches.
Die Hülle der Muskelfaser läuft au dem oberen und unteren Ende in ilie
feinen Sehncnladclien aus, welche nun nach längerem oder kürzerem
Verlauf an irgend einem Punkte sich festsetzen. Jede Muskelfaser steht
mit dem Rückenmark und dadurch mit dem Gehirn durch einen Nenen
in Verbindung und zwar durchbohrt der Nervenfaden die elastische
Hülle, und sein Inhalt vermischt sicli mit demjenigen der Muskelfaser,
(relangt nun duntli den Nervenfaden ein WiUensimpuls zu diesem Or- 1
gan, so zieht sich die Muskelfaser zusammen, sie verkürzt sich.
Werden viele Muskelfasern gleichzeitig von einem solch feuchten Blitz
unseres Willens getroffen, so ziehen sich alle zusammen, der ganze
Muskel verkürzt sich. Wie auf ein Kommando die ReiluMi eines Ba-
taillones sich schließen, so geschieht mit einem Schlag auf der ganzen
Linie gleichzeitig die Aktion im Lniern dieser lebendigen Fäden. Per
Mechanismus ist so vollendet, daß jeder Muskel tiir sich, oder ganze
Muskelgruppen gleichzeitig, oder abwechselnd, schnell oder langsam in
MoakeUehre. 237
Erregung versetzt werden können. Und je nacfi der Stärke des blitz-
ähnlichen Funkens ist die Zusammenziehung schwach oder schreitet durch
verschiedene Grade stufenweise hinauf bis zur Äußerung der höchsten
Elraft, deren die Faser fähig ist. Dabei ist ferner die Einrichtung getroflfen,
daß sofort mit dem Aufhören des Willensimpulses auch die Zusammen-
ziehung aufhört. Man drückt dies mit dem Worte ,, Erschlaffung" aus,
obwohl diese Bezeichnung nicht vollkommen zutreffend ist. Denn nie-
mals kommt in gesunden Tagen der Muskel in jenen Zustand, den wii*
im gewöhnlichen Leben als schlaff bezeichnen. Niemals faltet er sich,
oder hängt er an dem Knochen wie ein schlaffes Se'gel. Er befindet sich
stets in einem gewissen Grade natüi'licher Spannung, weil die Muskeln
alle etwas über ihre normale Länge hinaus gedehnt sind.
Aus diesen Erfahrungen, welche eine weit ausgi-eifende Unter-
suchung an dem lebendigen Muskel der Tiere festgestellt hat, lassen
sich viele wertvolle Schlüsse ziehen, von denen einige für die plastische
Anatomie, von Interesse sind.
Obenan steht der Satz, daß nur die rote Fleischmasse die
Kraft erzeugt, welche die Knochen in ihren Gelenken dreht
oder, wie bei den mimischen Muskeln, bestimmte Spannungszustände
der Haut hervorbringt.
Legt man die eine Hand auf den Oberarm, während der Vorder-
arm sich abwechselnd beugt und streckt, so wird bekanntlich die
Schwellung und Härte ftihlbar, welche mit der Beugung beginnt und
mit dem Aufhören derselben schwindet. Schwellung und Härte hängen
ab von der Zusammenziehung der Muskelbündel (Contraction)\ sie
bleibt beschränkt auf jenen Muskel, der von unserem Willen in Er-
regung versetzt wird, und geschieht mit einer Kraft, welche von der
Zahl der sich verkürzenden Muskelfasern abhängt. Mittels der Sehnen
wird nun diese Summe lebendiger Kraft auf die Knochen übertragen
und äußert sich durch eine Verschiebung in dem zwischen Ursprung
und Ansatz befindlichen Gelenk. Die Figur 70 dient zur Versinn-
lichung dieses Vorganges. An den in dem Ellbogengelenk beweglichen
Knochen ist der Muskel Nr. 2 mit seinen Sehnen so angebracht, daß
er seinen Weg über die verdickten Gelenkenden hinweg zu seinem
Ansatz bei Nr. 3 nehmen muß. Verkürzt sich nun das fieischige
Zwischenstück, dann müssen die Knochen notwendig ihre Stellung
ändern. Nachdem in diesem unserem Beispiel das Gelenk (Fig. 70
Nr. 5) ein Winkelgelenk ist und der Muskel auf der vorderen Seite
der Gelenkachse angreift, so wird der Vorderarm in der Richtung der
punktierten Linien bei 3 sich fortbewegen: der Arm wird also
gebeugt.
288 Siebenter Abedmitt.
Der fleischige Teil des Muskels ist, das sei nochmals wiederbolt, allem d«
Zusammenziebung fiüiig, kontraktil, die Sehne ist nur eine bequenae Einriebtoiig,
die Zugkraft des Muskels auf die Klnoeben zu übertragen. Oft fehlt sie denn andi.
und der Muskel ist dann direkt an die Beinbaut und an den Knochen befestigt Dk
Sehnen besitzen also keine Kontraktilität, und ihr eine solche Euzuschreiben, ist da
pbTsiologischcr Irrtum. Sie erschlaffen, wenn der Muskelbauch erschlafft, sie spsuKa
sieb, wenn er sich zusammenzieht, ihre ganze Aufgabe in der überraschenden Mw-hinik
der Bewegung ist ruhmlos, und der Ausdruck „ein sehniger Arm^' phjsiologiKli
betrachtet keine Schmeichelei. Auch der Nerv ist nicht der 'Erzeuger der Knft,
also ein „nerviger Arm" eine ebenso bedenkliche Phrase. Der Nerv ist nur des
Metalldraht vergleichbar, der von einem bestimmten Punkt aus den zündenden
Funken an die Pulvermme leitet, bei dessen Ankunft die Explosion erfolgt Dienr
Vergleich ist auch zutreffend für das Maß der Kraft, mit der die Zusammenziehnap
oder bei unserem Beispiel in der Fig. 70 zu bleiben, die Beugung erfolgt Wie
dort bei der Pulvermine die Wirkung der Explosion abhängt von der Menge da
entzündeten Pulvers, so bei. dem Arm die Kraft der Beugung von der Menge iml
der Dicke der in dem Fleisch enthaltenen Fasern. Auch in dem Muskel fiodel
eine Verbrennung statt, aber — sie zehrt ihn nicht auf. Darin liegt das Grebeinmii
des Organismus; die vorhandene Kraft kann zwar erschöpft werden, es tritt das da,
was wir Ermüdung nennen, allein bald ist eine neue Kraftanstrengung mögli^
wenn nach einer auch nur kurzen Ruhepause sich der Muskel wieder erholt hat
Er erhält aus dem Strom des ihm durch die Gefäße zugefQbrten Blutes neue belebeode
Substanzen: Sauerstoff und Eiweiß. Es ist schwer, sich von diesem beständigeo
Strom der Emährungsflüssigkcit eine genügende Vorstellung zu machen, und nur
wenige sind von der Notwendigkeit desselben überzeugt Im ganzen wäre es nim
gleichgültig, ob sich die Menschen darum bekümmerten, wenn nur die Muskeln lo
vollkommen gebaut wären, daß sie unter allen Umständen immer auf dem höchsten
Grad ihrer Leistimgsftlhigkeit verblieben; aber dem ist leider nicht so. Damit du
Fleisch rot, der Muskel kräftig bleibe, muß er nicht allein ernährt, sondern auch
geübt, d. h. zu häufigen Kontraktionen gezwungen werden. Muskeln, welche gehörig
gebraucht werden, behalten nicht nur ihre Stärke, sondern nehmen auch an Umfiuig;
und Leistungsfähigkeit zu bei den Menschen wie bei den Tieren. Das Gewebe hat
dann eine intensiv rote Farbe und ist fest. An einem gelähmten Arm ist der Muskel
degeneriert und hat an seiner wichtigsten. Substanz, an seinem Gehalt von Eiwinß
verloren. — Die wiederholten Zusammenziohungen machen den Muskel kräftig, wwl
der Kreislauf des Blutes während der Bewegung gesteigert und der Umschwunfr
der Säfte reger wird. Wie groß dieser Einfluß auf den ganzen Körper sein maß,
läßt sich daraus ermessen, daß die Organe für die Bewegimg, das Knochengerüst«
und die Muskulatur über 82% der Körpemiasse betragen. Bei dieser enormen
Menge von Muskeln und Knochen ist es (»iiilcuchtend , daß Bewegung fiär die Ge-
sundheit des Köq>er8 unerläßlich ist. Ohne Bewegung kein gedeihliches Ijcben.
Mit dem Ausdnick Beugung und Streckung ist die Wirkung oder
Funktion eines Muskels bezeichnet. Allgemein ausgedrückt lautet
der Satz: Jeder Muskel kann nur in einer seiner Achse ent-
sprechenden. Richtung Bewegung erzeugen. Ist diese aus-
geführt, so kann sie nur durch Kräfte, welche in dem entgegen-
gesetzten Sinne wirken, wieder aufgehoben werden. Sind es
Muskeln, welche das Gelenk in die Ausgangsstellung zui'ückfuhren, so
MoakeUehre. 289
heißen diese mit einem allgemeinen Ausdruck Gegenmuskeln (An-
tagonisten). Jede Drehungsachse in einem Gelenk besitzt zwei
Bich gegenüberstehende Muskeln oder Muskelgruppen. Sie
lösen sich in ihrer Thätigkeit ab und bewirken ein regelmäßiges Hin-
und Hergehen des Gelenkes, sobald sie sich abwechselnd zusammen-
ziehen. In unserer Fig. 70 ist der Gegenmuskel des Beugers durch
die punktierte Linie bei 4 angedeutet; die Linie beginnt am Oberarm-
knochen und endigt am Vorderarmknochen, und zwar an der vor-
springenden Ecke des Ellbogens bei Nr. 5, also hinter der Gelenkachse.
Am lebendigen Arm existiert ein Muskel, der ganz denselben Verlauf
hat, wie die in der Fig. 70 angegebene punktierte Linie. Verkürzt
er sich, nachdem der vor der Gelenkachse liegende Beuger sich zu-
sammengezogen hat, so erfolgt die Streckung.
Wegen der leichteren Übersicht wurde bisher nur von einem
einzigen Muskel vor und hinter der Gelenkachse gesprochen. Li Wirk-
lichkeit aber existieren stets mehrere verwandte Muskeln, die in engster
räumlicher Beziehung zueinander stehen und eine Haüptwirkung ge-
meinschaftlich haben. Zeichen dieser Verwandtschaft ist ein im wesent-
lichen gleicher Ursprung und Ansatz. Meist besitzen sie auch eine
schon von außen wahrnehmbare Abrundung und verraten so auf den
ersten Blick ihre Zusammengehörigkeit. Sie werden dann auch unter
dem Ausdruck einer Muskelgruppe zusammengefaßt, welche als Helfer
(Synergisten) bezeichnet zu werden pflegt. Aus den in den Gelenken
möglichen Bewegungsai*ten rührt folgende Bezeichnung solcher Grup-
pen her:
Beuger — Flexores.
Strecker — Extensores.
Anzieher — Adductores.
Abzieher — Abductores.
Dreher — Rotatores.
Aus den Ergebnissen über die Konstruktion der Gelenke und der
davon abhängigen Bewegungsformon ergiebt sich femer im Zusammen-
hang mit den Thatsachen über die Wirkung der Muskeln folgendes:
1) An dem Winkelgelenk kommen nur Beuger und Strecker vor.
2) An dem Kugelgelenk kommen vor: die Anzieher, sie liegen
näher der Mittelebene des Körpers (medial), die Abzieher, sie liegen
entfernter (lateral), und Roll mus kein für die Drehbewegungen, sie
umgeben das Gelenk von verschiedenen Seiten her.
3) Ziehen sich alle um ein Gelenk befestigten Muskeln gleichzeitig
und gleich stark zusammen, so bleibt das Gelenk in der Streckstelluug
stehen. So wird das Bein zu einer starren Säule und der Arm zu
einem festen Stab.
]
240 Siebenter AbMhnitt
Der Einblick in die Mechanik des Muskelsystems wird wesentUd
gefördert durch die Beachtung der Muskelgruppen, welche eine Haupt-
Wirkung gemeinschaftlich haben. Zwei Beispiele dieser Art mögen
hier Platz finden.
An erster Stelle sei die Gruppe der Unterschenkelstrecker aii%e-
flihrt, die sich zunächst hierftir eignet, w'eil der gemeinsame Angriffs*
punkt an dem Gelenk klar lokalisiert ist. Nahezu das ganze Fleisch
des Oberschenkels besteht von vorne und von der äußeren Seite her
aus vier Muskelbäuchen, von welchen drei am Lebenden durch die
Haut hindurch erkennbar sind, nämlich der gerade Schenkelmuskel,
der äußere Schenkelmuskel, welcher die Hälfte des Oberschenkel-
knochens umgreift, und der innere Schenkelmuskel (Fig. 66). Diese
di*ei mächtigen Muskeln (der vierte ist nicht sichtbar, weil er unter
den ebengenannten liegt) ^ bilden zusammen eine Muskelgruppe, deren
physiologische — lebendige — Thätigkeit sich auf ein und denselben
Punkt vereinigt. Aus ihnen kommt eine gemeinschaftliche Sehne her- *
vor, welche diä Kniescheibe von vom und den Seiten umfaßt und sich
dann bis zu dem Schienbeinstachel fortsetzt (Fig. 66 Nr. i, 2 nnd 9). Es
ist klar, daß diese Muskelgruppe die Streckung des Unterschenkelä
vollzieht, und daß alle ihre einzelnen Teile Helfer f&r die Ausföh-
rung dieser einen Wirkung sind. In gleicher Weise sind alle Strecker
des Fußes und der Zehen an der vorderen Seite des Unterschenkels
als Helfer oder Synergisten aufzufassen.
Als zweites Beispiel für die Wirkungsart der Muskelgru])pen mögen
solche Muskeln dienen, welche durch ihre Lage an einem Kugelgelenk,
z. B. (Icui Hüftgelenk, eine vielseitige Bewegung hervorbringen. Jene
Muskeln, welche die äußere Fläche des Hüftbeines bedecken (Fig. 74
Nr. 3, 14, 15), werden durch ihren Ansatz an dem großen RoUhügel zu
Abziehern des Beines, wie bei dem Beinspreizen, während auf der ent-
gegengesetzten Seite (Fig. 74 N. 4—6) die Zugki-äfte liegen, welche wirk-
sam werden, wenn es sich darum handelt, die Oberschenkel sich zu
nähern. Die Synergie ist hier wie in allen Fällen bedingt durch die
gleiche Lage zu der Gelenkachse.
Die Ausdrücke: Dreh- oder Rollinuskeln, Beuger und Streckor, bedürfen
iijich den Erörterungen in der Knochenlehre keineT 1>eiK)nderen Erklänuig, nur soviel £in
erwähnt, daß die KoHung des Beines im Hüftgelenk z. B. als Kotation nach innen be-
zeichnet wird, wenn da(hirch die Fußsi)itz<; sieh gegen die Mittellinie, also cinwärtö
wendet Die Antagonisten sind jene, wc^lehe die Rollung nach auswärts besorgen.
Die Gnippicrung der Muskeln um ein G(}lenk herum kann, ebenso wie ihn?
Wirkuiigsart, aus der Konfiguration der Gelenkcndeji und der sie zusainmcDhaltendcn
* Diew^ Gruppe kann auch als vollkommenes Bi'isjnel eines vierköpi^jren Muskels
gelten: \ierfacher Ursprung von w^ätiibliegenden Punkten, und dennoch gemein-
sanier Ansatz.
242 Siebenter Absehnitt.
Die Wirkung der Muskeln wurde bisher so aufgefaßt, als ob der dem Kopf
nähere Abschnitt stets fest und unbeweglich fixiert sei, während der entferuloe ilei
beweglich sei. Diese Wirkung kann jedoch geradezu in das Gregenteil veikekn
werden, in der Weise, daß der bisher als fix angenommene Ahiyhnitt ^
Körpers bewegt wird, und umgekehrt, der sonst bewegte als fixiert in seiner Stdlmi
verharrt. Der zweiköpfige Armmuskel (Bieeps brackii) beugt den Vofdezann geget
den Oberarm. Ist aber die Hand an einem Punkt fixiert, so beugt derselbe Moikcl
umgekehrt den Oberarm gegen den Vorderarm , und zieht in Verbindung mit der
Schultermuskulatur den ganzen Bumpf an die Hand heran.
Trotz der eben erwähnten auffallenden Umkehr des früheren festen Ponkta
in den beweglichen (des Punctum fixum in das Punctum mobile) erscheint dud
bisher in unseren Beispielen jeder Muskel nur mit einer einzigen Wirkung tw-
gestattet. Allein manche besitzen neben ihrer eigentlichen oder Haupt Wirkung
eine oft sehr deutlich ausgesprochene Nebenwirkung. Der Bieeps hraekii kam
wegen der eigentümlichen Konstruktion des Ellbogengelenkes nicht bloß den Vorda-
arm beugen, sondern auch die Hand auswärts drehen (supinieren), er besitst ako
eine zweifache Art der Wirkung. Es ist nicht notwendig, daß stets beide gleiduettig
zur Verwendung kommen. Ist die eine Art der Wirkung durch andere Kräfte g^
hemmt, der Arm z. B. durch die Strecker gesteift, dann dreht sich lediglich die Haod
nach außen. Ist dagegen die Supination der Hand gehemmt, so kommt umgekehrt
die andere Wirkung, die Beugung des Vorderarmes zur GreltUng.
Der winkelige Yerlanf der Muskeln.
Nicht alle Muskeln erreichen ihren Ansatzpunkt auf dem kürzesten
Weg, wie man aus den bisherigen Mitteilungen wohl vermuten kömite.
Manche sind zu sehr auffallenden Umwegen gezwungen, und eine Kennt-
nis der hervorragendsten Beispiele ist nicht allein ftlr das VerständiUB
der Mechanik unseres Körpers, sondern auch für das der Formen
wünschenswert.
Wenn Muskeln oder Sehnen die Richtung ändern, so entziehen
sie sich meist plötzlich unserm Blick, um an einer anderen ganz nn-
erwarteten Stelle zum Vorschein zu kommen. Es ist ferner einleuch-
tend, daß eine Eicht uugsänderung von der geraden und kürzesten
Linie bestimmte Vorrichtungen erheischt, damit die Muskeln oder ihre
Sehnen die angewiesene Bahn nicht verlassen können, und dennoch
beweglich seien. Der Organismus nimmt in solchen Fällen Bänder
oder vorspringende Knochenteile zu Hilfe, und formt Röhren, welche
zwar eine Verschiebung in der Richtung des Zuges gestatten, dagegen
jede andere Ortsveränderung beschi-änken.
Werden Sehnen durch feste Bandstreifen in einem Hohlwinkel
zurückgehalten, so heißt diese Anordnung „Bandrolle". Eine solche
findet sich u. a. an den Muskeln, welche von der vorderen Seite des
Unterschenkels zu dem Fußrticken und den Zehen hingehen. Die
Muskelbinde des Unterschenkels ist an dieser Stelle aus starken Fasern
24S
-weht, welche zwischen den beiden Knöcheln und den angrenzenden
ißwürzelknwhen kreuzweise sich durchflechten. In der Fig. 75 Nr. 5
bd nur jene festen Bandstreifen dargestellt, welche in der Anatomie
I Kreiizhand den FuBrückena bezeichnet werden. Die Sehnen,
uche über das Sprunggelenk laufen, würden sich bei jeder Spannung
I ihm emporheben, dadurch würde nicht allein die Kraft der Muskeln
-1 Z«l,enl....gpr.
! Sohifübeiii.
'3 V.Bphi»..bm.
i — S KrentlMinJ.
-t Kiiii<li»l.
1 Sehii.J.il(ihi(^ii-
FnBrüükcii.
"zum größten Teil anverwendbar, auch die guu^e Form des Fußes
würde plump. So mUssen denn, aUH mechanischen tiründeii, starke
kreuzweise durchflnebtene Bandstreifen die Sehnen auf dem FußgerUsle
festhalten. Dabtii ergiebt eine genauere Betrachtung, daß drei an der
iiiteren Fl^ichc des Kreuzbandes entspringende ScheidowiUide sich
wischen die Sehnen des vorderen Schienbeinniuskels (Fig. 75 Nr. 3), des
Broßzebenstreckers (Fig. 75 Nr. a] und des langen Zehenstreckers (Fig. 75
Wii) einschieben, und gesumlerte FiU'hcr bilden (Huhlcyliiider), in
244 Siebenter AbBohnitt
welchen die Sehnen geräuschlos auf- und niedergleiten. Würde dnicli
eine plötzliche forcierte Aktion ein Fach zersprengt, so schnellte die
Sehne aus ihrer Lage und wäre bleihend veirenkt.
Alle Fächer sind mit einer schleiinabsondcmdcn Membran geglättet, mi^
durch ihr selih'ipfrigefl Sekret die Reibung der Sehne vermindert Die unter den
Namen der Ül^erbeine bekannten Geschwülste an dem Hand- oder Fußrückcn äti
sehr oft abge^'hnürte Aussackungen dieser Sehne-iischeiden, welche prall mit SehLü
gefüllt sind. - - Für die Sehne de« St'hienbeinnniskels existiert eine etwas freiere ß^
wegung, doshalb sieht man sie bei bestimmten Stellungen (Dorsalflexion) tnd
des Kreuzbande« durch die Haut hindurch zu dem inneren Fiißrand ziehen. Dk
Hündel der Sehnen des langen Zehenstreckers wird bei derselben Stellung eben&Ik
etwas deutlich. Mau sieht es von dem Fußrücken sich abheben, und dadurch dn
Spann auf »ein<>r höchsten Stcille etwiu? kantig machen. Über und unter dem Rmt-
band luiren die (]uerziehenden Fiisermassen der Fascie allmiihlicli auf und erUabn
die Einsicht selbst in die feinsten Form(^ndetails vorzugsweise an magerte Föfin.
Bandrollen bestehen noch an anderen Stellen des Körpers, z. B. an
dem Handgelenk, bei dem abwechselnd das Rückenbaud, oder das-
jenige der Hohlhand als „Bandrolle*' verwendet wird. Dabei ist dss
Verhalten der Sehnen, namentlich an dem Handrücken, genau das-
selbe, wie das eben von dem Spann geschilderte. Die Sehnen sind
an dem Vorderarm bei einer bestimmten Stellung der Hand auf groBe
Strecken sichtbar, verschwinden aber dann unter der BaudroUe, nm
jenseits derselben, auf dem Handiücken, wieder zum Vorschein zn
kommen.
Schlägt sich ein Muskel oder eine Sehne um eine vorspringende
Knochenecke herum, so wird diese Stelle im Hinblick auf die Ablenkung
für einen winkeligen Verlauf als Knochenrolle bezeichnet. In sol-
chen Knochenrollen werden die Sehnen durch rinnenfönnige Vertie-
fungen und oft durch überbrückende Bandstreifen festgehalten, wenn
nicht andere Fixierungsmittel gegeben sind. — An dem hinteren um-
fang der Fußknöchel ist die Knochenrolle verwendet, um die Sehnen
aus der senkrechten Lage an dem Unterschenkel auf die horizontale
Fläche der Fußsohle überzuführen. Die Sehnen des hinteren Schien-
beinmuskels und des Zehenbeugers werden um die hintere Seite des
inneren Knöchels (Fig. 75 Nr. 7) herumgeführt und erscheinen nach
einer starken Knickung am inneren Fußrand wieder, um unter dem
Abzieher der großen Zehe (Fig. 75 Nr. 9) an ihren Anheftungspunkt zn
gelangen. Wieder sind es starke Bandstreifen, welche das Abgleiten
von der nur seicht eingeschnittenen Rinne an dem Knöchel verhüten.
An dem seitlichen Fußrand vermag jeder an seinem eigenen Fuß
die Vollendung der Knochenrolle während der Bewegung zu beobachten.
Die beiden Wadenbeinmuskelu kommen nämlich, das Wadenbein be-
deckend, vom Unterschenkel herab, und wenden sich (14 cm vom unteren
MoBkeUehre. 245
Band des Knöchels entfernt) nach der Hinterseite des Knöchels.
Die Sehnen verschwinden in der Knochenrinne, um nach einem
scharfen Winkel an dem seitlichen Fußrand wieder unter der Haut
als ein derber Strang sichtbar zu werden, der namentlich bei der
Streckung des Fußes deutlich zum Vorschein kommt. Um das Aus-
schlüpfen der beiden Sehnen aus der Furche des seitlichen Knöchels
zu verhüten, verdickt sich hier die Sehnenbinde des Unterschenkels
zu einem starken Haltbande, dem Schleuderband (Retinaculum)^ wel-
ches sich vom äußeren Knöchel zur äußeren Fläche des Fersenbeins
herabspannt.
Zwischen den beiden geschilderten Formen der Knochen- und
Bandrolle giebt es viele Abstufungen, die sich von selbst erklären.
So ist die RutschHäche l\ir die Kniescheibe in Hinsicht auf die Wir-
kung des Unterschenkelstreckers eine Knochenrolle, w^elche bei ge-
beugtem Bein unverkennbar ist. Die Kniescheibe selbst erscheint von
diesem Gesichtspunkt aus trotz ihrer Gclenkfläche nur als linsen-
förmige Sehnenverdickung, welche das Hin- und Hergleiten mit dem
geringsten Grad von Reibung erleichtert. Sie gehört in die Reihe der
sog. Sesambeine, wie solche noch an anderen Gelenken, wenn auch
unendlich kleiner, vorkommen. In ganz diesell)e Reihe gehören die
Vorrichtungen an der Untertläche der Finger und Zehen. Man nennt
sie zwar dort Sehnenscheiden (Faginue tendinum), aber ihre me-
chanische Bedeutung auch als Knochen und Bandrollen ist unverkennbar.
Die Knochen als HebeL
Die Mittel für die kraftvollen und schnellen Leistungen unseres
Körpers liegen abgesehen von den bisher erwähnten Eigenschaften
auch darin, daß die Knochen Hebel sind, deren bewegende Kraft in
dem Muskel, und deren Last in den Knochen liegt. In der Figur 70
stellt der Muskelbauch Nr. 2 die bewegende Kraft dar, die Elle ist in
diesem Falle der Hel)el und das Ellbogengelenk, Fig. 70 Nr. 5 der
Dreh- oder Stützpunkt. Die zu bewegende Last hängt an dem Vor-
derarm. Die Mehrzahl dieser Hebel ist einarmig, d. li. der Muskel
zieht auf derselben Seite, auf der sich die Last befindet. Meist liegt
der Angriffspunkt dem Gelenk sehr nahe, wie in unserem Beisi)iel der
Fig. 70, wodurch für das Heben schwerer Lasten freilich ein bedeuten-
derer Kraftaufwand nötig wird als im umgekehrten Falle, al)er die Be-
wegung geschieht dafür mit um so größerer Geschwindigkeit und die
Knochen werden in Wurfhebel oder Geschwindigkeitshebel ver-
wandelt. Um ein Beispiel zu geben, erinnere man sich an die Ge-
walt der verhältnismäßig kleinen Kaumuskeln. Kirschkerne und Hasel-
246 Siebenter AbMfanitt.
nüsse aufzubeißen erfordert ein Gewicht von 50 — 80 Kilo und um
einen Pfirsichkem zu zerdrücken, ist der Druck von 400 — 600 Kilo
erforderlich. Die Gesetze des einarmigen Hebels finden gerade aaf
den Wurfhebel des Unterkiefers ebenfalls ihre Anwendung. Je naher
die Last dem Angriffspunkte der bewegenden Kraft rückt, mit deito
geringerem Kraftaufwand wird sie überwunden. Darum beiBt nun
einen Apfel mit den Schneidezähnen an und knackt eine Nuß mit den
Mahlzähnen auf.
Bei diesen Wirkungen sind Knochenvorsprünge, FortsätM,
Dornen und Stacheln eine wertvolle Zugabe, um die Schnelligkeit der
Bewegung zu erhöhen, worauf schon in der Einleitung zu der Knochen-
lehre hingewiesen wurde. Denn je entfernter die Ansatzstelle des
Muskels von dem Gelenke, dem Mittelpunkte der Bewegung, desto
kräftiger wirkt der Muskel.
In demselben Sinne sind die Verdickungen der Knochen an
den Gelenken aufzufassen. Diese Auftreibungen sind für die KrafU
entfaltung von wesentlichem Vorteil. Der Muskel Nr. 2 in Fig. 70 setzt
sich, wie so viele andere, untei: ganz spitzem Winkel an den Knochen
bei Nr. 3 an. Die ideale Gelenkachse, welche durch einen hellen Ponkt
in der Rolle des Oberarmknochens angedeutet ist, hat vor nnd hinter
sich eine beträchtliche Aufbreibung, deren Ausdehnung die punktierte
Linie bei Nr. 5 abschätzen läßt. Der Armbeuger Fig 70 Nr. 2, weldier
über dieses verdickte Gelenkende hinwegläuft, findet dort einen wenn
auch nicht sehr beträchtlichen, doch immerhin wertvollen Stfltzpunkt
Die Dicke der Gelenkverbindungen korrigiert demnach wenigstens etwas
die ungünstige Zuglinie bei vollständig gestreckter Stellung. Diese
kleine Erhöhung ist schon imstande, den Knochen und damit die
zu bewegende Last aus der gestreckten Lage etwas in die Beugung
überzufuhren. Unter solchen Umständen ist es klar, daß alle Kno-
chenvorsprtinge, gerade wie Knochen- und Bandrollen die Kraft eines
Muskels auch steigern, wenn er über zwei oder mehrere Gelenke hin-
wegzieht. Nicht bloß für die eingelenkigen Muskeln wie in Figur 70
gilt das eben Gesagte, sondern auch für die mehrgelenkigen Mus-
keln, d. h. für jene, die ihr Verlauf über mehrere Gelenke hinweg-
fuhrt. Die Finger- und Zehenbeuger sind ganz hervorragende Bei-
spiele dieser Art. Um zu dem Nagelglied zu gelangen, ziehen sie alle
oft an vier und mehr Knochenverbindungen vorbei, und überall helfen
bei der Bewegung die verdickten Gelenkendeu als Knochenrollen mit
Zum Schlüsse gebe ich einige Regeln, welche die Physiologie bei
der Forschung über dn^ Wesen des Muskels entdeckt hat. Sie sind
so einfach, daß sie keiner weiteren Erklärung bedürfen.
MtukeUehre. 247
Ein Muskel, welcher zwißimal so dick ist als ein anderer, wird
zweimal mehr leisten können. Ein langer Muskel wird nicht kräftiger
sein als ein kurzer von gleicher Breite und Dicke.
Ein Muskel mit längsparalleler Faserung kann sich im Maximum
um Ye seiner Länge. zusammenziehen.
Besteht ein Muskel aus zwei, drei, vier Portionen, welche einen
gemeinschaftlichen Ansatzpunkt haben, so wird die Wirkung eine sehr
verschiedene sein, wenn alle Portionen in Thätigkeit geraten, oder nur
eine einzige.
•• •
Die angestrengte Thätigkeit eines Muskels zur Überwindung eines
großen Widerstandes ruft häufig eine ganze Reihe von Zusammen-
ziehungen anderer Miiskeln hervor, welche darauf gerichtet sind, dem
erstbewegten einen hinlänglich sicheren Ursprungspunkt zu gewähren.
Man nennt diese Bewegungen koordiniert. Es ist am nackten
Menschen leicht zu beobachten, wie alle Muskeln, welche am Schulter-
blatte sich festsetzen, eine kraftvolle Zusammenziehung ausführen, um
das Schulterblatt an den Rumpf zu fixieren, sobald der Biceps des
Oberarmes sich anschickt, ein großes Gewicht durch Beugen des Vorder-
armes aufzuheben. Würden die Schultermuskeln in diesem Falle un-
tbätig bleiben, so würde der Biceps das nicht fixierte Schulterblatt,
an welchem er entspringt, viel eher herab bewegen, als das schwer
zu hebende Gewicht hinauf. Um aber den Schultermuskeln selbst
feste Haltpunkte zu geben, erfolgt zuerst eine tiefe Einatmung, weil
die gefüllte Lunge einen Gegendruck ausübt auf den Brustkorb, von
welchem diese starken Muskeln ihrerseits entspringen.
Die Fasele.
Fascien oder Muskelbinden heißen dünne, hautähnliche Aus-
breitungen, welche das ganze Muskelsystem einhüllen. Die Fascien
sind aus glänzenden Fasern und Bündeln desselben Materiales gewebt,
das die Sehnen und Aponeurosen herstellt. Die Formen der darunter-
liegenden Muskeln sind durch diese Binden hindurch mit großer
Schärfe erkennbar. Das Interesse der' plastischen Anatomie beschränkt
sich dabei vorzugsweise auf die Muskelbinden an den Gliedern, weil
sie dort bestimmte Formen bedingen.
Die Fascien werden nach dem Ort ihres Vorkommens benannt.
Man unterscheidet: Fascien des Halses, der Brust, des Bauches
und des Rückens; dann Fascien des Armes und Fascien des
Beines. Die Fascien der Gliedmaßen gliedern sich endlich in solche
des Oberarmes, des Vorderarmes und der Hand. In ähnlicher
Weise wird die Fascie der unteren Gliedmaßen in diejenige des Ober-
248 Siebenter Absehnitt.
schenkeis, des Unterschenkels und des Fußes abgeteilt. Es giebt
endlich hoch- und tiefliegende Fascien. Als lehrreiches Beispiel sei
hier zunächst die Fascie des Armes beschrieben.
Wird an einem Arm die Haut samt der Fettschicht vorsichtig
entfernt, so kommt nicht unmittelbar das rote Fleisch oder die glän-
zende Sehne zum Vorschein, sondern eine durchsichtige, an einigen
Stellen 1 mm dicke Schichte, welche den darunterliegenden Organen
fest anliegt und die Fascie oder Muskelbinde genannt wird. Min
könnte sie mit einem enganliegenden Trikot vergleichen, und würde
manche Eigenschaften wieder finden, welche sie mit ihm gemein hat
vor allem den außerordentlichen Grad von Schmiegsamkeit, um den
Ausdruck Elastizität absichtlich zu vermeiden. Wie der Trikot sich
den an- und abschwellenden Formen des Körpers anschließt, ohne doch
Falten zu werfen, so auch diese Fascie. Ist der Arm gestreckt, so
ist sie eine enganliegende glatte Hiüle für den Biceps, und dennodi
folgt sie der Anschwellung dieses Muskels, mag er sich auch -auf die
doppelte Höhe erheben, und sie thut es, ohne den leisesten Widerstand
zu verursachen.
Eine weitere IJbereinstimmung liegt femer darin, daß beide, der
enganliegende Trikot, ebenso wie die Muskelbinde, nach irgend einem
Schnitt oder Riß sofort klaffen. Der Druck der Unterlage trägt daran
die Schuld. Bei dem Menschen sind die Muskeln so fest von der
Fascie umschnürt, daß sogar das Fleisch aus dem Spalt hervorquillt
Allein mit der Schmiegsamkeit und einem gewissen Druck auf die
darunterliegenden Gebilde hört die Übereinstimmung auf, und in allen
folgenden Eigenschaften ist die Fascie völlig verschieden: sie hängt
einerseits mit der Haut durch zahlreiche verbindende, dickere und
dünnere Bündel, durch Blutgefäße und Nerven zusammen, und anderer-
seits mit den Muskeln, Sehnen und Knochen. Dieser letztere drei-
fache Zusammenhang zeigt folgende Verhältnisse:
a. Der Zusammenhang der Fascie mit den Muskeln
besteht in kleinen Verbindungen mit dem die Muskeln umhüUenden
lockeren Bindegewebe, und in dem direkten Übergang von Muskel-
sehnen, sei es, daß Muskelfasern von der Fascie entspringen oder
in ihr endigen. In dem letzteren Fall kann die Fascie als eine
direkte Fortsetzung der Sehnen augesehen werden, ja sie ist oft sogar
geradezu ein Produkt derselben. Der Übergang einer Sehne oder
eines Teiles in die benachbarte Fascie ist dabei keineswegs zufallig,
ebenso wenig als der Ursprung von Muskelfasern in ihr. Solche tief-
greifende Verbindungen treten nur an ganz bestimmten Stellen au£
Ss ist einleuclitend , daß gerade dort Spannmigen eintreten mllsseu,
velche fUr die Formen nicht gleichgültig sein können. Ein paar Bei-
WölbDDg durch d. f-
Oberannkopr
Deltarnnskeleeke.
L. Suplnatoi.
'S L. SpelFhenitr. d. H
t K.Spdoheiurtr.d.H.
1 Tlngenttteker.
Tiefe Dau mea musk.
Handw unelbuid.
Fig. 7«. FuBcic^dcB Armes.
Spiele von dem Ansatz von Muskeln in Fascien mögen hier er-
wähnt werden.
250 Siebenter Abschnitt.
An der Beugeseite des Vorderarmes existiert ein langer MnskeL
der als Spanner der Hohlhandfascie wirkt, welche den Handteller über-
zieht. Man braucht bei gerade gestreckter Hand nur die Stelle ober-
halb des Handgelenkes zu betrachten, um eine strangförmige Sehne
hervortreten zu sehen, welche auf die dreieckige Vertiefung zwischen
Daumen und Kleinfingerballen zustrebt. Die Sehne ist die Fortsetzung
eines spindelförmigen Muskels, der hoch oben an dem inneren Gelenk-
knorren des Oberarmes entspringt. Während alle Sehnen der Beuge-
seite des Vorderarmes sich an die Knochen des Handgelenkes be-
festigen oder unter dem queren Handwurzelband hindurch zu den
Fingern ziehen, strahlt die Sehne des Hohlhandmuskels in die breite
Platte der Hohlhandfascie (Fascia palmaris) aus. Durch den Zng
des Hohlhandmuskels wird ihre Spannung vermehrt und dadurch die
Zirkulation im Innern der Hand vor Stauungen bei Druck geschätzt
Die hohe Lage der Sehne, die im gespannten Zustande sich mit den
Fingern fassen läßt, ist bedingt durch die oberflächliche Lage ihres
Ansatzes, und dies erklärt, warum gerade sie schon bei der einÜBU^en
Streckung der Hand, und von da an bei allen Übergängen zu der
Beugung in so auffallender Weise hervortritt. — In diesem Beispiel von
dem Zusammenhang zwischen Muskel und Fascie spielt eine lange Sehne
die Vermittlerin. In anderen Fällen geht aber das Fleisch direkt
in die Fascie über, und diese gehört so auf eine weite Strecke hin in
den Bereich des Muskels und vertritt dessen Sehne. An dem Ober-
schenkel existiert ein leicht sichtbarer und charakteristischer Muskel,
der diese Art der Endigung aufweist. Von dem vorderen oberen
Darmbeinstachel entspringend, wendet er sich nach der Seite (Fig. 71
Nr. 23), während ihm gegenüber von demselben Enochenpunkt aus ein
anderer nach innen abgeht (der Schneidermuskel Fig. 71 Nr. 22). In
dem Winkel, der durch diese divergierenden Richtungen entsteht, wird
der lange Kopf des Unterschenkelstreckers sichtbar. Während nun die
letzterwähnten Muskeln echte Skelettmuskeln darstellen, die von Knochen
entspringen und sich, über Gelenke hinwegschreitend, wieder an Knochen
befestigen, endigt der kräftige Muskel Fig. 71 Nr. 23 in der Fascie des
Oberschenkels. Er erhielt deshalb auch den Namen: Spanner der
Schenkelbinde (Tensor fasciae).
Die Fonnenverändenmg, welche dieser Muskel durch seine Kontraktion hervor-
bringt, erstreckt sich nicht nur auf seinen eigenen Muskelbauch, sondern noch weiter,
denn abge^hen von der Anschwellung seines Bauches (bei Fig. 71 Nr. 23) spannt sich
vorzugsweise durch ihn ein langer Streifen der Muskelbinde, der in manchen Fftllen
in die äußere Fläche des Vasttts extemtis einschneidet, immer jedoch bei dem
gestreckten Bein als ein derber fingerbreiter Strang unter der Haut an dem seitlichen
Umfang des Kniegelenkes bemerkbar wird; dieser Strang erreicht das Schienbein.
Inder systematischen Anatomie heißt dieser Strang: Hüft-Schienbeinband (Lig.
MoiA^eUehre. 251
Ueotibiale). Sein Verlauf täuscht bei forcierter Streckung des Beines einen Ansatz des
ftnBeren Schenkelmuskels am seitlichen Knorren des SchicnbeinoK vor. Bei plastischen
Darstellungen läßt sich deutlich nachweisen, daß er schon oft auch dafiir gehalten
wurde (Borghcsischer Pechtor). AbcT eine solche Verwecliselung ist nur dann
ein anatomischer Fehler an dem Kunstwerk, wenn die Stärke dieses Bandes über-
trieben wird.
Bei anderen Muskeln geht die Sehne nur teilweise in die Fascie
über, und dieser Teil ist je nach der Größe des Muskels verschieden.
Der große Gesäßmuskel inseriert sich mit einem ansehnlichen Teil
seiner unteren Bündel in die Fascie (Fig. 74 Nr. 15), so daß streng ge-
nommen die Muskelbinde der äußeren Schenkelfläche als eine direkte
Fortsetzung dieser gewaltigen Bewegungsmasse zu betrachten ist. Wenn
das Bein abgezogen, ,,gespreizt" wird, so wird es zu einem nicht ge-
ringen Teil durch den Zug an der Fascie seitwärts gezogen. An dem
Arm giebt der Biceps ein breites aber dünnes Sehnenblatt in die
Fascie des Vorderarmes ab, das über die Ellbogengrube hinweg gegen
die hintere Kante der Elle bis gegen die Mitte herab mit hell-
glänzenden Streifen zu verfolgen ist und als sehniger Muskel-
abschnitt (Lacertus fibrosus) bekannt ist.
b. Die Fascie eine Ursprungsstätte von Muskelbündeln.
Die Fascie ist oft eine Ursprungsstätte von Muskeln. Der
mittlere Gesäßmuskel entspringt von dem Hüftbein und gleichzeitig
von der starken Fascie, die ihn bedeckt. In diesen und ähnlichen
Fällen ist die Fascie ein Teil des Muskels selbst, dessen Fleischfasem
iü Sehnen verwandelt sind. Diese Erkenntnis ist die Frucht weit-
gehender vergleichender Untersuchungen, welche gezeigt haben, daß
die Fascien zu einem ansehnlichen Teil Fortsetzungen der Muskeln
sind, also zu ihnen gehören und mit den Sehnen in eine und dieselbe
Linie zu stellen sind.
c. Die Zwischenmuskelbänder (Ligamenta intermuscularia).
Die Verbindungen der Muskelbinden mit den Knochen
bestehen in derben Faserzügen, welche von der Beinhaut der Knochen
aufsteigen und sich mit den Fascien verbinden. Einige dieser Ver-
bindungen erhalten eine besondere Stärke und werden als Zwischen-
muskelbänder bezeichnet. Die Beuger und Strecker des Oberarmes
werden von solchen Streifen getrennt, wodurch ihre Grenzen auch
fllr das Auge schärfer erkennbar werden. — Die Gruppe der Beuger
an dem Oberschenkel wird gegen die Strecker hin nicht minder deut-
lich abgegrenzt und an vielen anderen Stellen dringen Bündel der
Fascie selbst zwischen die einzelneu Muskeln ein und isolieren sie
252 Achter Absdinitt
oder ihre Sehnen von den Nachbarn. So entstehen größere und kl«-
nere Fächer, welche als Muskelscheiden verschiedenen Umfanges für
die Zugrichtung von großem Einfluß werden.
Die Zwischenmuskelbäuder haben, gleichviel, ob sie sich bis ru der Beinhain
des Kuochens erstrecken oder mehr oder weniger tief ziiischen die Muskeln ein-
dringen, an den Gliedern einen langgestreckten Verlauf. ■
d. Die Ringbänder und Kreuzbänder.
Fasennassen der Fascien, die in querer Richtung durch glänzende
derbe Bündel verstärkt sind, erhalten den Namen Ringbänder (Ligft-
menta annularia), wie z. B. das Rückenband der Hand (T^iff- carpi dorsale,
Fig. 58 S. 180). An solchen Orten ist die wiederholte Verbindung der
Fascie mit den tiefliegenden Knochen besonders leicht nachzuweisen.
Eine andere Art dieser Bänder, mit der Modifikation, daß sich neben
den Ringfasern auch noch gekreuzte vorfinden, wurde weiter oben bei
der Erörterung der Bandrollen eingehend als Kreuzband (Ligamadim
cruciatum) des Fußrtickens (Fig. 75 Nr. 5) beschrieben. — An dem
inneren und äußeren Knöchel hilft die Fascie des Unterschenkels zur Her-
stellung von Röhren für den gesicherten Gang der Sehnen mit, die als
Schleuderbänder (Betinacula) beschrieben werden (Fig. 75 zwischen
Nr. 7 u. 8).
Achter Abschnitt.
Muskeln des Kopfes.
Ausdruck der Gemütsbewegungen und Anatomie
von Auge, Nase und Ohr.
Die Muskeln des Kopfes bedecken in sehr unregelmäßiger Schich-
tung das Skelett des Schädels. Da das Schädeldach keine beweg-
lichen Skelettteile besitzt, so können seine Muskeln nur mit der Haut
in Verbindung und imstande sein, die Kopfschwaiie zu bewegen.
Das Gesichtsskelett besitzt wenigstens einen beweglichen Knochen, den
Unterkiefer, an dem sich denn auch starke Muskeln befestigen, welche
vom Schädel herab kommen. Abgesehen von dieser einen letzt-
erwähnten Muskelgruppe befinden sich jedoch auf dem Gesichtsschädel
noch viele Muskeln, denen bedeutsame Aufgaben beim Sprechen, bei
der Aufiiahme der Nahrung, und bei dem Ausdruck der Gemüts-
bewegimgen, dem Mienenspiel, übertragen sind.
Muskeln dee Kopfes. 253
Wir betrachten zunächst die Muskeln des Antlitzes und die
Muskeln des Schädeldaches.
I. Muskeln dos Antlitzes und des Schädeldaches.
Die Antlitz- oder Gesichtsmuskeln liegen unmittelbar unter
der Haut und sind mit ihr an bestimmten Stellen verbunden, indem
sie ihren Ansatz in der Lederhaut selbst finden. Ziehen sie sich
zusammen, so müssen Verschiebungen und Spannungen der Haut ein-
treten. Der Ursj)rung der Muskeln findet an Knochenpunkten des
Kopfskelettes statt, nur ausnahmsweise geschieht dies nicht direkt,
sondern durch Vermittelung anderer dazwischenliegender Gewebsstränge
verscliiedener Art.
Die Antlitzmuskeln gruppieren sich um die natürlichen Off-
nungen des Gesichtes. Die beiden Augenöffnungen, die Nase und
der Mund sind ebensoviele Mittelpunkte für Muskeln, als sie Haupt-
punkte für die Foim des Gesichtes sind. Auch das Ohr ist hierher
zu rechnen, obwohl seine Muskeln ])ei dem Menschen sehr zurück-
gebihlet sind, während sie bei den Säugetieren eine starke Ausbil-
dung erreicht haben. Nur im Zusammenhang mit den eben erwähnten
Offnungen läßt sich die Anordnung der Antlitzmuskehi begreifen. Um
die in den Offnungen steckenden Sinnesorgane in ihrer Funktion zu
unterstützen oder um den Mund mit einer vielseitigen Beweglichkeit
auszurüsten, ist die Muskulatur des Antlitzes bei dem Menschen in
derjenigen Weise angeordnet, wie sie in den folgenden Hlättern ge-
schildert wird. Daß diese Muskulatur neben einer Fülle bedeutungs-
voller Funktionen auch noch im Dienste der Mimik steht, ist eine
Fähigkeit, welche streng genommen nicht in erster Linie in Betracht
kommt; denn alle Muskeln des ganzen Körpers stehen im Dienste
der Mimik, nicht bloß jene des Antlitzes. Die Muskeln des Armes,
der Hand, die Atemmuskeln des Brustkorbes u. s. w., selbst der ver-
borgenste aller Atemmuskehi, das Zwerchfell, macht davon keine Aus-
nahme. Bei der Darstellung der Muskulatur des Antlitzes muß also
die rein anatomische Gliedening zunächst berücksichtigt werden, sie
führt übrigens am schnellsten zu dem Überblick über die Mannigfaltig-
keit der bewegenden Kräfte.
Aus diesem Grunde werden zuerst berücksichtigt:
Die Muskeln in der Umgebung der Lidspalte,
die Muskeln in der Umgebung der Mundspalte,
die Muskeln der Nase,
die Muskeln des äußeren Ohres und des Schädeldaches, und
die Muskeln des Unterkiefers.
254 Aditer Abschiiitt.
Die Wirkung dieser Muskeln bei dem Ausdruck bestimmter
Gemütsbewegungen kann erst dann besprochen werden, nachdem
die Sinnesorgane: Auge, Nase- und Ohr erörtert worden
sind. Deshalb folgt in unmittelbarem Anschluß an die Muskulatur des
Kopfes die Beschreibung der ebengenannten Sinnesorgane.
Von den Muskeln des Halses wird ein Muskel: der Hautmuskel,
am zweckmäßigsten gleichzeitig an dieser Stelle abgehandelt werden.
Die Herkunft der in dem Gesicht sich ausbreitenden MuskelbQndel
bleibt ohne den Hinweis auf diesen Hautmuskel des Halses
(Fig. 78 Nr. 14) unverständlich. Man darf überdies annehmen, daß alle
Antlitzmuskeln von jenem Hautmuskel des Halses abzuleiten sind,
denn manche wichtigen Merkmale deuten auf eine solche Herkunft.
Dieser Hautmuskel nimmt eine ganz besondere Stellung zu den Ge-
sichtsmuskeln ein, welche schon daraus hervorgeht, daß er bis in das
Gesicht hinaufsteigt.
a. Muskeln in der Umgebung der Lidtpalte.
Der Bingmuskel des Auges (Musculus orbicularis oculi) dünn,
platt, scheibenförmig (Fig. 77 Nr. 2), unmittelbar unter der Haut lie-
gend, umgiebt die Lidspalte erst in engen, dann in immer weiteren
Bogen. Der Muskel entspringt schmal am inneren Augenwinkel vom
Thränenbein, vom Lidband und der nächsten knöchernen Grundlage.
Er hängt nach oben mit dem Stirnmuskel, nach außen mit dem kleineu
Jochbeinmuskel (Fig. 77 Nr. 20) dadurch zusammen, daß einige seiner
Fasern aus dem Kreise ausbrechen. Wirkung: Die auf den Lidern
liegende Portion vermittelt den Schluß der Augendeckel, die ent-
fernteren Bogenfasern dienen dazu, die Haut aus der Umgebung
zusammenzuschieben. Die gemeinschaftliche Thätigkeit der beiden
Abteilungen erzeugt jenen festen Verschluß, durch welchen zugleich
der Augapfel etwas nach rückwärts in die Augenhöhle gedrückt wird.
Der Muskel zeifällt also seiner Wirkung nach in zwei Abschnitte, in
denjenigen Abschnitt, der direkt den Lidern aufliegt, und in denjenigen,
der in immer weiteren Bogen die Lidspalte umkreist. Der erstere
heißt deshalb der Lidmuskel (Fig. 78 Nr. 2); er bildet eine sehr
dünne, blaßgefarbte Schichte, welche nur bei dem Schluß der Lider
in Wirksamkeit tritt; der andere Abschnitt, der in immer weiteren
Bogenliuien die Lidspalte umkreist (Fig. 78 Nr. i), ist dicker, lebhafter
gefärbt und besteht aus groben und leicht nachweisbaren Bündeln.
Dieser Abschnitt des Muskels ist nicht scharf abgegrenzt, sondern läßt
seine Bündel in benachbarte Muskeln der Stirn, des Jochbeins und
der Oberlippe ül)ergehen (Fig. 78 bei Nr. 3 u. 9).
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21 KqflnGker ^^^^|
K.pu»imua.k.l ^^^H
12 ZweiWuilugtr Unterki(fi.rmii»kel
^
M
256 Achter Absöhnitt
die Haut so auszeichnet, daß die durch Zusammenschieben enteUndcnen Filla
spurlos sich wieder glätten.
Der Stirnmuskel (Musculus frontalis, Fig. TTNr. 1) ist paarig, tnf
jeder Hälfte des Stirnbeines sitzt ein vollständiger, von der ander«
Seite unabhängiger Muskel. Er entspringt an der Nasenwurzel, doit
wo sich die Naht zwischen Nasen- und Oberkieferbein einer- und Stirn-
bein anderseits berühren, ferner von dem inneren Ende der Augen-
brauenbogen und vom oberen Rand der Augenhöhle. Er zieht sia
gegen den Stimhöcker in die Höhe und seine Bündel gehen in die
Sehnenhaube (Galea aponeurotica) über. Diese liegt unmittelbtr
unter der Haut des Kopfes, mit der Kopfschwarte fest verwachsen,
dagegen mit der eigentlichen Beinhaut des Schädels nur locker ler-
bunden. Wirkung: Die Zusammenziehungen des Muskels bewegen die
Kopfschwarte nach vom; dabei wird die Stimhaut in quere Falten ge-
legt und samt dem Augenbrauenbogen in die Höhe gezogen.
Diese Bemerkungen enthalten nur die allgemeinsten Angaben über
Verlauf und Wirkung dieses Muskels. Genauere Beobachtung ergiek
noch folgendes:
Der Muskel endigt nach oben nicht in einer geraden, sondern m
einer Bogenlinie (Fig. 77). Zwischen beiden Muskeln befindet sich also
ein dreieckiger muskelfreier Raum, der aber nicht bis zu der Nasenwurzd
herabreicht, denn die beiden Muskeln berühren sich eine Strecke weit
Daraus folgt, daß die Stirnhaut während der Zusammenziehung, der
Mitte eines jeden Muskels entsprechend, höher gehoben wird, als an
den Rändern. Die Stirnfalten beschreiben deshalb von einer Schläfe
zu der anderen nicht horizontal liegende Wülste, sondern doppelt ge-
krümmte, wie die nebenstehenden Zeichen andeuten c^^.
Der Zug des Muskels beschränkt sich nicht allein auf die Stim-
haut, sondern er setzt sich, wie schon erwähnt, auch auf die Augen-
brauen und die oberen Lider fort. Sie werden ebenfalls in die Höhe
gezogen, und zwar am höchsten an dem inneren Drittel ihres Verlaufes.
Dabei sind die Stirnfalten konzentrisch mit dem konvexen Augen-
brauenbogen. Alter, Geschlecht und Individualität bedingen zahlreiche
kleine Verschiedenheiten, welche die eigene Beobachtung leicht festzn-
stellen vermag. In der Jugend glätten sich die Falten wieder; allmählich
werden aber mit dem Verlust der Elastizität der Haut ihre Spuren
mehr und mehr erkennbar, und schließlich bilden die Falten, bleibend
geworden, die gefurchte Stim der Greise.
Der Augenbrauenrun zier (Äf. corrm/ator super cilü) entspringt
von dem inneren Ende des Augcnbraucnl)ogens und der dazwischen-
MiuIwId dea Ko])ffii.
267
liegendi'ii sclimaleii Fläche. Er ist bedeckt von dum iibereii Bündel
dea Riiigmunkels des Auges, gebt nacb iiiißen und sttzt sich in der
Haut der Aiigeulimue f».*st. Die Wirkung dei iM'idt-n Augcnbniueii-
runzlei' Kchiebt die Hiiut von den Seitüii dei Stini gegen die Mittel-
linie xuKiiinmon, woilureh jene Henkrecliten tiereii. über dei Ruiei)'
Wurzel üufsteigeuden Furcbeii enbitttheit, die bei Uiuin und düst<-ier
Gern tu HS ti in m Uli g so deutlich hervortreten, und enieii bleibenden phj-
sio^omiHcheii Charakter der Scliwemiut und des gestörten Seelen-
l) DninFilitcrrMunk.
13 Dreiuil.iiter tluHkel.
* Iliutmuakel.
yip 18 Hiulcelii dc8 Autlitxcti.
{Oberllwhliclie Sohlnht«.)
Iriedens abgclitn Ann diistin Uiundc uurde er vim einem Inin/öHiMcben
Gelehrten Mutete de h ilmilrur Muskel de^ .Sclimerzes, genannt.
Allein das sind nidit die ein/igtn V(.ranlisHUiigen, welohc diesen Muskel
erregen. Bei dem gm tum ang( oti engten .Sehen, bei dem «chai-fen
Beobachten, also l>ei gestiigertei Aufniurksamkeit, xielit er sich cben-
lallB zusammen DasselhL gt st lucht 1» i ernsten tiedanken, also z. B.
»ach bei einer traungeu l<rinnoiung Seine verschiedenen öiiannungs-
' Sie tragen ihren \amri) mit Itiinilit ila ml- uidit <iii' »rancn niii»-1u, Mudem
äe einkitder nähern, wiMlunli hkIi dii Haut dirStini in HUtikni'lite KHltt-n zu It^'ii
ganrungen wird
lANE W.r.m. STANFOra ".►MiVSiXSX
258 Achter Abschnitt
gnule begleiten den Schmerz, gleichgiltig ob physischen oder seelistheu.
Bei gieller Beleuchtung tritt sowohl er, wie der ihn bedeckende Ring,
muskel in Thätigkeit. — Die senkrecht stehenden Falten, welche
durch die Thätigkeit des Augenbrauenrunzlers entstehen, können 8— lu
betragen. Der Beginn der Falten liegt dicht an dem NasenrückeiL
ihr allmählich in die glatte Stirnhaut auslaufendes Ende oben. Dab«
zeigen sie nicht immer die ganz senkrechte Stellung, sondern leichter
Biegungen, und zwar um so stärker, je weiter sie nach außen liegen.
Die drei Muskeln, der Stimmuskel, der Ringmuskel des Auge»
und der Augeubrauenruuzler, bilden eine Gruppe, deren Zentrum d*»
Auge ist. Ihre Wirksamkeit steht in der innigsten Beziehung zn
derjenigen des Augapfels. In erster Reihe besteht ihre Aufgabe darin.
den ZutiuB des Lichtes entweder zu erleichtem, oder zu verhindern, üa>
Auge durch den hautigen Lidschlag zu befeuchten und es zu schützen.
Ein Muskel, der die Öffnung der Lidspalte in besonders henf.r-
ragender Weise beherrscht, entspringt in dem Hintergrund der Augen-
höhle. Er wird bei der Beschreibung des Augapfels aufgeluhrt werdeu.
b. Muikeln in der ümgelnuig der Miindöffiiiiiig.
Die Muskeln der Mundötfhung sind zahlreicher, als jene der Lid-
spalte. Die größere und vielseitigere Beweglichkeit der Lippen er-
fordert eine Muskulatur, die in größerem Maße gegliedert ist. Deunmh
herrscht die gleiche Ani*rdnung wie bei dem Auge in der Art, daß
ein Muskel die Mundspalte vern-ugert und verschließt, andere Muskel-
krätte dagegen die Spalte erweitern. Kein Tier besitzt eine so zu-
sammengesetzte Muskulatur der Mundspalte wie der Mensch. Da-
Maul der Tiere kann deshalb nie jene verschiedenen Formen anneh-
men, welche den Mund des Me::-«:hen zu einem so wichtigen Faktor
bei der Sprache und der Miene m^ichen. Die meisten dieser Muskeln
liejreu radientormis: um die Mui>i'"if!iune. e- sind die Krwciterer der
Mundöriuuui:. Nur eint-r ::rh: im Kreise herum, es ist der Schließmuskel.
Zuei-st sei aber ein HaUmiskel erwähnt, der seine Fasern bis in
das Antlitz sondot, und wie >v;h'r: aLeedeutet wurde, vielleicht als der
Vater sämtlicher An:l:^:!:ii;ske::: ir.i^eseh-rn werden darf:
IVr Haut muskel des Halses < M. .*nlM-ntaneus colli, Fig. T9
Nr. '.:, i: u. lo' i>t oiu diiv.VLer Muskel, drr unterhalb des Schlüssel-
beines und in der Schu'urjei:--:..: v - ,ier Fascie des Brust- und
Dokamuskols outsi^nr^::. •.::..: .■:: i-v. Se::eL:iaoheri des Halses schriij:
iii die Höhe >tei4::. l'-r M.>k-.. vers . lim-klert sich wegen diese*
Ncliräiien VorlautVs irwa^ :• l .Aiier: -: h. :e h"»her er steigt, dem-
Unikeln da Kopfis,
259
jenigen der Hiidei'eii Seite. Die mittlere Linie Aen Halsen ist also
anfangs von ihm nicht bedeckt, erst später l)erUhren nie sich am Kinn,
ja kreuzen sogar bisweilen ihre Bündel (Fig. 79 bei Nr. i). Am Unter-
kiefer setzt Hicli ein Teil der vorderen Fasern fest, die anderen ziehen
unter der Gesichtshaut bis xnm Mundwinkel, um mit den dort vor-
kommendeu Muskeln sich zu verbinden und in der Haut des Ge-
sichtes zu endigen. Dieser letztere Teil des Hautmuskcis gebort
alBo seinem Verlauf und seiner Wirkung nach zu den Gesichtsmuskeln.
Jochlirininijsk«]
Urclwitiger KinniDuskrl 1'
Kopftiieker links ID
B Schildknorpel.
KopfDickerKTubr la
Jene Muskeln des Antlitzes, welche von dem ZuHuU von ßilndeln des
Hautmuskels vorzugsweise abhängen, sind der dreiseitige Muskel
(Fig. 79 Nr. r) und der vierseitige Muskel des Unterkiefers
(Fig. 77 Nr. 10). Ein Zug von dünnen Bilndeln zeigt im Verlauf ilurch
das Gesicht eine große Selbstäniligkeit, wurde wohl deshalb auch mit
einem besonderen Namen belegt und als Lachmuskcl (Fig. 79 Nr. h,
hesser ausgeprägt in Fig. 78 Nr. a) in die Litteratnr cingefillirt. Die
Wirkung des Hautmuskels ist eine sehr komplizierte; soweit sie mit
. derjenigen der Antlitzmuskehi zusamnientiillt, soll sie später Berilck-
260 Achter AlMohnitt.
sichtigung finden; seine Wirkung am Halse soll ftlr den Abfloß dn
Blutes von dem Kopf nach der Brusthöhle zu von Vorteil sein.
Seine natürliche Spannung läßt sich bei alten Leuten sehr gut be-
obachten, bei denen der Hals abgemagert und das Fett ans dem
unterbau tgewebe und zwischen den Oi^anen verschwunden ist: dana
verursachen die vorderen Ränder des Muskels zwei stark vorspringeDde
Hautfalten, welche vom Kinn auseinanderweichend gegen das Brust-
bein herabziehen. Zwischen den Hautfalten liegt eine tiefe daumeü-
breite Binne, die in der Nähe des Kehlkopfes am tiefsten ist, weiter
unten jedoch allmählich verstreicht.
Der Hautmuskel des Halses ist der einzige Repräsentant der bei den Tieia
weit verbreiterten Gruppe von Uautmuskeln, durch welche Bewegungen guar
Hautregionen hervorgebracht werden können. Durch ähnliche Muskeln «chfitteh
die Pferde ihre Haut, um sich von Insekten zu befreien, die Hunde und liir
Katzen stellen ihre Rückeuhaare auf, die Igel ihre Stacheln u. s. w. Für die Ytt-
stünduis des ebenangegebenen Zusammenhanges der mimischen Muskeln mit da
Hautmuskel des Halses int das Verhalten desselben Muskels bei den Häugetieni
von hervorragender Bedeutung. Er besitzt in den verschiedenen Abteiinngen eiv
sehr verschiedene Verbreitung an Brust, Hals und Nacken. Weiteres liierflber ii
Geoenbaurs I^ehrbucli der Anatomie, S. 328.
Der Bing- oder Schließmuskel (M. orbiailaris oris seu sphinder
labiorum, Fig. 77 Nr. 8) liegt zwischen der äußeren Haut und der
Mundschleimhaut eingeschaltet, hängt aber mit ersterer inniger n-
sammcn. Trotz seiner Größe, er stellt einen verhältnismäßig breiten
und dicken Ring dar, besitzt er doch keineswegs jene Selbständigkeit
welche den Ursprung und Verlauf des Ringmuskels am Auge aus-
zeichnet, sondern ist der Hauptsache nach der Knotenpunkt, an dem
sämtliche Muskeln der seitlichen Gesichtsgcgeud zusammenlaufen. Und
zwar ist er die unmittelbare Portsetzung des Trompetermuskels und
der dreiseitigen Muskeln.
Der Trompetermuskel (M. huccinaUn-itisy ist die fleischige Grund-
lage der Wangen (Fig. 77 Nr. 22). Kr entspringt von der äußeren
Fläche des Oberkiefers und zwar von jenem Abschnitt, der die Zahn-
wurzeln bedeckt, dann vom Unterkiefer im Verlauf der äußeren schiefen
Linie. Andere Ursprungspunkte liegen noch weiter rückwärts, bedeckt
von dem äußeren Kaumuskel (Fig. 77 Nr. 21). Die zahlreichen Bündel
die durch eine rote Fleischfarbe ausgezeichnet sind, treten am Mund-
Winkel in die Lippen ein, durchkreuzen sich dort in der Weise, daB
die oberen in die Unterlippe, die unteren in die Oberlippe übeijehen.
und sich noch überdies eine Strecke weit mattenartig durchflechten.
» Bucca h(dßt die beim Blasen cnler Essen aufpcblähte Wange, daher b«
lateiniflchen KlaHsikem biiceo ebensogut Schwätzer als Vielfraß bedeutet.
Mtukeln des Kopfes. 261
ländlich ordnen sie sich zu parallelen Strängen, um der Mundspalte
eine Strecke weit zu folgen und dann in der Haut zu endigen.
Der dreiseitige Muskel des Unterkiefers (M, triangularis
maxillae inferiorut, Fig. 77 Nr. 9), platt, dreieckig, entspringt breit von
dem unteren Band und der äußeren Fläche und steigt, seine Fasern
zusammendrängend, gegen den Mundwinkel in die Höhe.
Der dreiseitige Muskel des Oberkiefers (3f. triangularis
maxillae guperiorüt,^ Fig. 77 Nr. 7 u. Fig. 78 Nr. 12) entspringt aus der
Oberkiefergrube, ist also von dem großen Jochbeinmuskel und dem vier-
seitigen Muskel der Oberlippe bedeckt, und' steigt zu dem Mundwinkel
herab, wo er dem vom Unterkiefer heraufkommenden begegnet und
seine sämtlichen Fasern dem Bin^muskel übergiebt. Es ge-
schieht dies folgendermaßen: Die beiden dreiseitigen Muskehi einer
Seite durchflechten sich am Mundwinkel in ziemlich inniger Weise
und erzeugen dadurch jenen derben und prallen Knoten, der bei
Lebenden wie bei Toten deutlich zu fühlen und bei manchen Men-
schen so stark entwickelt ist, daß er als kleiner Wulst sichtbar wird.
Aus diesem treten die Muskelbündel dann aus, um ebenso wie die
Bündel des Trompetermuskels der zirkulären Richtung zu folgen. Die
oberen ziehen in der Unterlippe ihren Weg, die unteren folgen dafbr
der Oberlippe, wie die nebenstehenden Linien dies andeuten >dIX>
und die größte Zahl gelangt bis auf die Mundhälfte der entgegen-
gesetzten Seite. Der Bingmuskel des Mundes ist also in Wirklichkeit
die unmittelbare Fortsetzung der Trompetermuskeln und der drei-
eckigen Muskeln.
Die Wirkung ist gleichwohl sehr mannigfaltig, es sei hier nur
daran erinnert, daß der Mund sich erweitert und die Ecken dabei '
gleichzeitig nach oben oder nach unten gestellt werden können, wie
bei dem Lachen und dem Weinen; daß überdies die eine Hälfte des
Gesichtes von der anderen unabhängig diesem Muskelspiel folgen kann,
bedarf nur der Elrwähnung. Endlich können sich die in den Lippen
verlaufenden Fasern selbständig zusammenziehen, wodurch der
Mund geschlossen, gespitzt, oder wie bei dem Saugen vorgestreckt
wird, und dies Alles, je nachdem die eine oder andere Fasergruppe
das Übergewicht erhält, die sich alle an dem Mundwinkel kreuzen.
Zu diesem zusammengesetzten Bingmuskel des Mundes stoßen:
Der große Jochbeinmuskel (Musculus zygomaticus majore Fig. 77
Nr. 19), länglich, ungefähr 8 mm breit, entspringt von der äußeren
^ Auch Aufheber des Mundwiukels oder Eekzahnmuskel (Levator
anguli ans s. caninus) genannt.
262 Achter Abschnitt.
Fläche des Jochbeines. Er steigt schräg zu dem Mundwinkel hemfc,
.endet gleichzeitig an der vorderen (Haut-) und hinteren (Schleimhaut-i
fläche und beteiligt sich nicht an der Bildung des RingmuRkels. Er
zieht, wie schon sein Verlauf andeutet, nach hinten und oben.
Der Lachmuskel (Risor, Fig. 78 Nr. 5), außerordentlich dün«.
dreieckig, ist eine selbständig gewordene Zacke des HautmuskeLs de^
Halses (Fig. 78 Nr. 6). Diese Muskelzacke steigt über den Rand de»
Unterkiefers in die Höhe, empfangt aber noch neue Fasern auf ihrem
Weg und zieht gegen den Mundwinkel hin, um in dessen Haut zs
endigen.
■
Der vierseitige Muskel der Oberlippe (M. qtiadratuM laio
superiorLs, Fig. 78 Nr. 10) platt, ungleich vierseitig, entspringt von den
unteren Augenhöhlenrand und senkt sich gegen die Oberlippe herab,
in deren Haut und Schleimhaut er endigt. Mit ihm hängt zusammtt
der kleine Jochbeinmuskel (M. zygomatiais minor j Fig. 78 Nr.nj.
der mehi' seitlich liegt. Er entspringt von dem Gesichtsende des Wanges*
beines, nimmt Bündel des Augenringmuskels (Fig. 78 Nr. 3) auf nod
geht auf die Oberlippe zu. Er ist nicht immer deutlich von dem OrW-
adaris oder dem großen Jochbeinmuskel getrennt.
Der Aufheber der Oberlippe und des Nasenflügels (M. Uta-
tor labii superioris alaeque nasi, Fig. 77 No. 4) liegt an der Seitenwand
der Nase, hängt oben mit dem Stirnmuskol zusammen, wird im Herab-
steigen breiter und spaltet sich in zwei Abteilungen: die eine geht n
jenem Rand des Nasenflügels, der aus der Tiefe der Wangenhaut empor-
steigt; die andere geht in die Haut der Oberlippe. Der Muskel vermag
die mittlere Partie der Oberlippe und gleichzeitig den Nasenflügel zu heben.
Man ist neiierdlugs genoigt, jen(? Muskeln, welche als Aufheber der Ober-
lippe und des T^asenflügels (Fig. 78 Nr. 9) als vierseitiger Muskel der
Oberlippe (Fip. 78 Nr. 10) und als kleiner Jochbeinniusk(;l (Fip. 78 Nr. U) p^
trennt aufjcjeführt wunlen, als einen einzigen Muskel unter dem Ausdruck: vier-
seitiger Muskel d(;r Oberlippe zusjunmenzufassen. Obwohl sieh Hchwerwiegende
anatomische Gründe für diese neu(?n^, vereinfachte Bezeichnung g(dt(*nd niachei
hissen, so empfiehlt es sich doch, die Selbständigkeit diest^r einzelnen Abteilung«
durch besondere Namen hier noch festzuhalten.
Diesen drei Muskeln, die als Teile einer zusammenhäiigendeD
Muskelplatte aufgefaßt werden können, steht gegenüber
der vierseitige Unterkiefermuskcl (J/. quadrahiit labii inferi-
oris). Die vierseitige Muskelspalte entspringt am Rande des Unter-
kiefers (Fig. 77 No. 10) zwichen Kinnhöcker und Kinnlorh und verliert
sich in der Unterlippe in der Weise, daß ein Teil der Fasern in der
Haut, ein anderer Teil den Ringmuskel durchbrechend, in die Schleim-
Muskeln <1ea Kopfbu.
263
I haut ausstrahlt. Es steht also immer die ganze Dicke der Lippe
I uutpr der Wirkung eines solchen Muskelansatzes. Wie die Fig. 77 an-
[ (lentet, ist er seitlich bedeckt von dem dreieckigen Muskel, der also
I entfernt werden muß, soll die vierseitige oder vielmehr die rhombische
I Gestalt klar zum Vorschein kommen. Zwischen den Bündeln des
I (^tadratiu brechen aus der Tiefe andere Muskelbündel hindurch, die als:
Kinnmnskel (M. mentali», Fig. 77 Nr. n) bezeichnet werden,
I Haupturspningsstätte ist das zwischen den Eckzähnen des Unterkiefers
I liegende Gebiet des knöchernen Kinns, die Endiguug liegt in der Haut
I des Kinns. Die Muskelbündel vermögen zweifellos die Haut der Kinn-
I gsgeud etwas zu heben. Bei dem Weinen sieht man die Bündel oft
I mkeii, wobei die Haut abwechselnd in kleineu Partien gehoben und
I dann wieder gegen den Knochen gepreßt wird. Er erzeugt wohl auch
i Grübchen im Kinn, doch achweben hierüber noch Zweifel.
Diesen Muskeln , welche eine außerordentliche Maunigt'altigkeit
I der Bewegung erraten lassen, die bei dem Sprechen, Singen, Saugen,
F Kanen, Trinken, Spucken, Pfeifen, Blasen u. s. w. in Verwendung
kommt, gesellt sich noch ein, der Lippe ausschließlich zukommondor
Magkel zu:
der gerade Lippenmuskel [M. Tectus tabiorum). Er gehört dem
ßwnUeil der beiden Lippen, in ihrer ganzen Breite an und setzt die
luBere Haut und die Schleimhaut durch schief nach innen aufsteigende
(1 in Verbindung. Die Bündel verHechten sich dabei mit den
r'Qden der vierseitigen Muskeln und spielen offenbar eine keineswegs
Ilawichtige Rolle, denn sie pressen den Lippenrand der Dicke nach
''"sammen und verlängern dadurch die Lippen.
o. Die HuBkeln der Nase.
Die Muskeln der Nase stellen eine dritte Muskelgnippe des Änt-
''tzes dar, welche aus verengenden und erweiternden Bündeln besteht,
^'eae Muskelgnippe wird einerseits durch die zur Nase verlaufenden
'*^tle anderer Gesichtsmuskeln, andererseits dui'ch solche Bündel dar-
S^stellt, welche dem Organ selbst angeboren.
Der Nasenmuskel (M. nasalü) bildet eine dünne, vom Ober-
'"«;fer in der Nähe der Schneidezähne entspringende Platte, die sich
"^fwärts auf die knorpelige, äußere Nase erstreckt. Die Ursprünge
''^s Muskels und ein Teil seines Verlaufes werden vom viereckigen
■lUskel der Oberlippe bedeckt. Teile dieses Muskels bilden den:
Zusammendrücker der Nase (M. compressor iiarium, Fig. 77
''■ri). Seine Bündel steigen über den Nasenflügel m die Höhe und
B **feiten sich fächerartig bis zu dem Nasenrücken aus.
264
Achter AtMdmilt.
Der Niederzieher des NaseDflögels ( heprrssar alae tun») bi
steht in einer Gruppe von Muskelbündelu , welche an iliejenigen ilnl
Zusamineudrückers der Nase sich auschlieBeii , aber nicht ;
Bücken der knorpeligen Nase ziehen, sondern zu ilem Knorpelrmidlfl
des Nasenflügels.
Der Niederzieher der Naseiischeidewand (Hf^iretmir ifüm
mobilU narium, Fig, 77 Nr. 6) besteht aus Fasern des ßingmuskeli' i
Mundes, welche an dem unteren Rande des Nasenacheid ewaudknori
endigen.
Der Pyramidenmuskel der Nase (M. piframidali» no»i, Fig. 77
Nr. 3) ist ein dünner Muskel, der von der Nasenwurzel bis zu der Mille
des Nasenrückens herabsteigt und sieh in dessen Haut verliert.
Zu diesen Muakeln der Nase kommt der schon bei der Muskiilutor
der Mundspalte erwähnte Aufheber der Oberlippe und des Nasen-
flügels (Fig, 77 Nr. 4). Die fiir den Nasenflügel bestimmte Portiau
endigt in der Haut des Nasenflügels. Auch dieser Muskel hängt lai*
demjenigen der Stirn zusammen.
Wie bei dem Mund, so machen sich auch bei der Nase zwei Arte""*
des Faserverlaufes bemerklich. Ein Zug von Muskelfasern folgt paniU^
den Kändem der Naaenöffuung, der andere steht senkrecht zu dieaeo
Die quer liegenden Fasern sollen die Nasentlügel zusammendrüf^
die übrigen die Erweiterung herbeiführen.
Der geringe umfang vieler fiir den Ausdruck der Gemütsbewe^ui^
wichtiger Muskeln erklärt sich daraus, daß sie nur geringe Spanimnj
der leicht verschiebbaren Haut hervorzubringen haben, daß also t
Last, welche durch ihre Zusammen ziehung in Bewegung gesetzt wei
soll, eine außerordentlich geringe ist.
Die Muskeln für die Bewegung der Lid- und der Mmidspalb«
hängen vielfach untereinander zusammen. Daher kommt «=*-i
daÖ in manchen Fällen die Grenzen und die Endigimg der eii^"
zelnen Komplexe in der Haut nicht vollkommen nachweisbar «in^^
Die individuellen Verschiedenheiten in der Größe und in der VeW-"
breitung der einzelnen Muskeln bedingen die individuellen Verschiedec^
betten eines bestimmten Gesichtsausdruckes. Lachen und Weiiteu i^V
bei allen Menschen in den Hauptmerkmalen zwar identisch ai»^
durch die tibereinstimmenden Spannungszustünde der Haut ciiai
risiert, aber es bestehen feine Unterschiede unter sonst gleicliheitUci
Bedingungen, die wahrscheinlich auf der Variation der kleinen (
sicbtsmuHkeln beruhen.
Muskeln des Kopfes. 265
d. Muskeln des änfseren Ohres und des Schädeldaches.
Das Ohr besitzt zwei verschiedene Muskclgruppen. Die eine
ist direkt der knorpeligen Ohrmuschel aufgelagert und sollte Teile
derselben bewegen; die andere sollte die Ohrmuschel als Ganzes
bewegen, allein beide Gruppen sind hierfür bei dem Menschen in
der Regel zu schwach entwickelt. Nur Robespiebre soll in einem
auffallenden Grade die Fähigkeit besessen haben, die Ohren willkür-
lich zu bewegen, ebenso der berühmte holländische Anatom Albin.
Hier ist zunächst nur von der letzterwähnten Muskelgruppe die
Rede. Sie entspringt vom Kopf und erhält am Knorpel des äußeren
Ohres ihren Ansatz. Da die Muskeln dieser Ginippe in ihrer Aus-
bildung zahlreichen Schwankungen unterworfen sind, so dürfen sie den
bei dem Menschengeschlecht verkümmerten Muskeln zugezählt werden.
Bei den meisten Säugetieren sind sie dagegen mächtig entfaltet. Das
Ohr unserer Haussäugetiere besitzt eine ganze Anzahl kräftig ent-
wickelter, die Ohrmuschel rings umgebender Muskeln, das Pferd allein
über 14, die unbedeutenden gar nicht mitgerechnet. Bei dem Men-
schen sind nur drei Muskeln nachzuweisen:
1) Der Vorwärtszieher des Ohres (M, attrahens auriadae),
ein platter, dünner Muskel, der auf der Schläfenfascie liegt und zum
vorderen Rand der Ohrenkrempe geht. Zuweilen schließt er sich mit
einigen Bündeln dem Stirnmuskel an.
2) Der Aufheber des Ohres (M. attolens auriailae) liegt über
dem Ohre, entspringt ausgebreitet von der Schläfenfascie und verläuft
sich verschmälemd zum Ohr herab, um an die hervorragendste Stelle
der dem Schädel zugekehrten Fläche des Ohrenknorpels sich zu
befestigen.
3) Der Rückwärtszieh er des Ohres (M, rehuihenx auricuUie),
liegt hinter dem Ohr, und wird bisweilen durch mehrere kurze aber
starke Bündel vorgestellt. Er entspringt vom Schläfenbein an der
Basis des Warzenfortsatzes oberhalb der Anheftungsstelle des Kopf-
nickers, und setzt sich an der konvexen Fläche der Ohrmuschel an.
Die Muskeln des Schädeldaches sind ihrer Wirkung nach
als Vorwärts- und Rückwärtszieher der Kopfschwaile zu bezeichnen.
Die ganze behaarte Kopfhaut ist beweglich, freilich ist bei dem Men-
sehen die Wirkung der Muskeln des Schädeldaches sehr abgeschwächt,
weil die eine Abteilung zu verkümmert ist, während die andre vor-
zugsweise in den Dienst eines Sinnesorganes, des Auges überging.
Allein die Beweglichkeit der Kopfschwarte ist im ganzen erhalten
266 , Achter Abschnitt.
geblieben. Wenn auch nur wenige Menschen imstande sind, sie durch
Muskelzusammenziehung zu verschieben, so ist dies doch durch den
Druck der Hand ausführbar, und zwar durch folgende AnordonDjE:
unter der behaarten Kopfhaut, aber sehr innig mit ihr verbunden
liegt eine düime, doch feste Aponeurose, welche von der Sehne d«
Muskeln des Schädeldaches herrührt. Nachdem sie sich der Form
des Schädels anschließt, hat diese Aponeurose den Namen Sühueo-
haube (Galea aptmeurotica) erhalten. Diese Sehnenhaube ist mit dtr
darunterliegenden Beinhaut des Schädeldaches nur sehr locker ver-
bunden; wenn sich also die Kopfschwarte bewegt, so verschiebt sich
diese samt der fest verwachsenen Sehnenhaube auf der Knochenham
des Hirnschädels. An den hinteren Rand der Sehneuhaube seUt
sich an:
der Hinterhiiuptsmuskcl, M. occipitalis. Er liegt an der seit-
lichen Hinterhauptsgegend und stellt nur eine dünne Muskellage dar.
Sein Ursj)rung ist an dem Hinterhauptsbein oberhalb der oberen
Nackenlinie und erstreckt sich bis gegen den Warzenfortsatz his.
Seine Fasern verlaufen schräg aufwärts, und gehen in die Sehnen-
haube mit glänzenden Selinenbttndeln über. Er zieUt die Sehnenhaube
und damit die Kopfschwarte nach rückwärts.
An dem vorderen Rande der Sehnenhaube ist der Stirnmuskel
befestigt, der schon bei der Aufzählung der Antlitzmiiskeln berück-
sichtigt wurde. Er ist in den Dienst des Auges gestellt und wurde als«,
wegen seines Einflusses auf die Haut der Stirn, vom Standpunkt der
plastischen Anatomie unter den Antlitzmuskeln aufgeführt.
e. Muskeln des Unterkiefers (Kaumuskeln).
Diese noch dem Kopf angehürige Muskclgruppe wird von Muskeln
gebildet, welche vom Schädel her, ihrer Aufgal)e entsprechend, zu dem
Unterkiefer ziehen, zu dessen Bewegung bei dem Kauge schallte sie in
erster Linie dienen. Zwei besitzen eine oberflächliche Lage, zwei
liegen tief verborgen.
Der äußere Kaumuskel (M. massetar, Fig. 77 Nr. -21) liegt unter-
halb des Jocli])ogens der äußeren Fläche des Unterkiefers an. Er ent-
springt mit einer derben Sehne von dem unteren Rande des Wangen-
beins und setzt sich am Kieferwinkel fest. Seine oberflächlichen Fasern
verlaufen also nicht gerade, sondern schräg von dem -Ursprung zu
ihrem Ansatzpunkt. Der Muskel ist selir stark und seine Mächtigkeit
ist durch die Haut hindurch zu erkennen, sofern nicht Fettschichten
der Clesichtshaut ihn allzusehr einhüllen. Es lassen sich die derben
m
I
Muskeln des Kopfes. 267
Züge seiner Muskelbündel und ihre schiefe Richtung namentlich wäh-
rend des Kauens deutlich verfolgen. Auch der vordere Rand des
Muskels hebt sich von der Fläche des Trompetermuskels unverkennbar
ab. Dagegen ist der hintere Rand unter normalen umständen durch
die Haut nicht bemerkbar, denn er wird von d«r großen Ohrspeichel-
drüse bedeckt. Wirkung: Zieht den Unterkiefer hinauf.
Der Miiskel besteht stn^ng geiioininen aus zwei Schichten, oiiuT äußeren und
inneren. In der vorausgegangenen Beschreibung ist die äußere Schichte erwähnt
worden, weil sie vorzugsweise die Fomi des Antlitzes beeinflußt. Die innere Schichte
entspringt weiter gegen die Ohröfihung hin von dem unteren Rande des Jochbogens ;
auch diese Schichte hat einen schiefen Verlauf. Ihr Ansatz ist vom Untcrkiefer-
winkel entfernt und mehr nach dem Körper des Knochens hin verlegt
Charakteristisch ist die äußere Fläche des Muskels bei den Zusammenziehungen
desselben. Es tritt nämlich hier jener Gregensatz der Sehne zu dem Fleisch, der in
den einleitenden Bemerkungen zur Muskellchre geschildert wurde, mit auffallender
Schärfe hervor. Der Muskel entspringt sehnig von dem Wangen b<»in, seine breite*,
platte Sehne setzt sich dann mit längeren und zipfelartigen Spitzen auf die Fleisch-
masse fort, so daß also nur am Kieferwinkel die strangartigen Bündel von
Muskelmasse völlig freiliegen. Diese sind es denn, welche oft bei dem Kauen
deutlich sichtbar werden, abge^^hen davon, daß der Muskel im ganzen sich ver-
dickt, und von der Unterlage sich abhebt Dtis alles ist nur bei Männern zu sehen,
deren Gesichtshaut dünn ist.
Wie alle Muskeln des Körpers, so kann auch der Kaumuskel eine Rolle bei
der Mimik spielen. Wenn im Zorn die Kiefer aneinander gepreßt werden, so er-
gänzen seine vortretenden Stränge und Ränder das Bild der Erregung. Am eigenen
Kopf ist s(nne Thätigkeit und diejtmige. des Schläfenmuskels auch d(>utlich zu fühlen,
sobald man während des festen Kieferschlusses den Finger auf die entsprechenden
Stellen legt
Der Schläfenmuskel {M. temporalig, Fig. 77 Nr. 17), ein
platter, der Schläfenfläche aufliegender Muskel, wird von einer
starken Fascie — der Schläfenfascie — bedeckt. Er entspringt
mit bogenförmigem sehnigem Rand von der oberen Schläfenlinie, von
der unteren Schläfenlinie stoßen Muskelfasern zu ihm, ebenso von der
Schläfenbeinrtäche und dem vorderen Rand der Schläfengrube. Alle
diese Fasern laufen konvergierend herab, und vereinigen sich in einer
kurzen starken Sehne, welche zum Kronenfortsatz des Unterkiefers
geht und ihn beinahe vollständig umgiebt. Wirkung: der Schläfen-
muskel zieht den Unterkiefer herauf.
An- seinem Verlauf ist ganz besonders bemerkenswert, daß er
unter dem Jochbogen (Fig. 77 Nr. 18) hindurchgeht. Der Muskel
ist jedoch nicht imstande, die Elufb zwischen der knöchernen Spange
und der Schläfe vollständig auszufüllen. Dort liegt noch Fett, das je
nach der Masse die Krümmung des Jochbogens bald deutlich durch
die Haut hindurch erkennen läßt (Fig. 80 und 82), bald bis zur Un-
268
Achter Absohnitt.
deutlichkeit einhüllt Doch wird die charakteristische Jochbogenlink,
welche die Schläfe von der seitlichen Wange trennt, dem Kenner dn
Knochenbaues nie völlig entgehen können und dem PortrUt niemils
fehlen dürfen. Wirkung: Zieht den Unterkiefer hinauf und zurQdL
Die Schläfenfascie ist an dem oberen Rand des Jochbogeiu
befestigt. Zwischen ihr und der Sehne des Schläfenmuskels liegt ein
leicht verschiebbares Fettpolster, das sich unter dem Jochbogen hin-
durch bis zur Wange und tief in die Schläfengrube hinab fortsetzt
Bei den Bewegungen des Unterkiefers wird dieses Fett auf- und ab-
geschoben; bei dem Öfliien des Mundes, wobei der Kronenfortsalz
herabrückt und der Schläfenmuskel durch Zug sich verdünnt, wird
der Raum für das Fettpolster größer, es versinkt also etwas in der
Schläfeugrube, die Fascie und die äußere Haut der Schläfe thun djis
nämliche, wodurch der Jochbogen deutlicher sichtbar wird. Wenn
Fig. 80. Gesicht einer 90jährigcn Frau Fig. 81. Dasselbe Geeicht von der Seite,
von vom.
umgekehrt der Mund durch die Hilfe des Schläfenmuskels geschlossen
und die Zälme des Ober- und Unterkiefers aneinandergepreßt werden,
so kehrt nicht allein der Kronenfortsatz wieder an seine frühere Stelle
zurück, wie in der Fig. 26 S. 102, sondern der Muskel verkürzt sich
im Vergleich zu der früheren Stellung des Unterkiefers und verdickt
sich gleichzeitig. Nunmehr wird der Raum für das Fettpolster zu eng,
und drängt die Fascie und die Haut über dem Jochbogen henor.
Das abwechselnde Heben und Senken der Schläfengegend ist bei dem
Offnen und Schließen des Mundes leicht festzustellen.
Die Stärke des Schläfenmuskels und die Größe des Fettpolsters
sind unzähligen Schwankungen unterworfen, ebenso wie die Größe
und Krümmung des Jochbogens. Alle diese einzelnen Teile tragen
zu der Charakteristik des Menschen bei, sie unterliegen zahllosen
Varianten, welche ihnen die Jugend, das Alter und die Rasse auf-
prägen. Wie sehr die starke Krümmung des Jochbogens, die Ver-
Hnikeln des Kophi. 26fi
tiefung Her Schläfen Hache und der Wangenfläche. die Form des Antlitzes
zn beeinflussen imstande ist. zeigt diis obenstehende Porträt einer
alten IlVau, Auch ihr Gesicht war einst voll und rund. Das Schwin-
den des Fettes und des Muskels im Alter machte die Schläfengegend
tu einer Grube einsinken und die sonst gewölbte Wange zu einer
Vertiefung.
Bei dem Mongolen, dessen von Schadow gezeichnetes Porträt in
Fig. 82 reproduziert wird, ist ebenfalls wie bei der alten Frau die
Schläfengmbe eingesunken und der äußere Kaumuskel vertieft. Allein
Fig. na.
Icillgllloil,
'" diesem Fall tragen weder Alter noch mangelhafte Ernährung die
*hald an diesen unschfinen Formen, sondern der rassenanatomische
Bau rtea Schädels. Die .Jofhbogen sind bei den Mongolen sehr stark
seitwärts ausgelegt.
Der äuBere Flügelmuskcl fjV, pterynoideim extermm) liegt wie
»ein Nachbar,
der innere Flügelmuskel (M. pteryijoideux intermis), in dem
»***iUii zwischen Unterkiefer und Schädelgmnd verborgen. Beide kom-
"^u von festen Knochenpunkten , und begeben sich an zwei verschie-
dene Stellen des Unterkiefers. Der äußere Flügelmuskel begiebt
*'*^Ii zu dem Gelenkfortsatz, und heftet sich teils an die Gelenkkapsel
^*>d teils an die unmittelbar unter dem Gelenkkopf betindliche ver-
^"Jite Stelle, die als Hala des Unterkiefers bezeichnet wird. Wir-
^"^Ig: er zieht den Unterkiefer vorwärts aus der Pfanne heraus auf
270 Achter Abschnitt.
den Gelenkhöcker. Der innere Fitigelmuskel setzt sich au in
inneren Fläche des Unterkiefers fest und zwar an dem ünterkiefer-
winkel gegenüber dem Ansatz des äußeren Kaumuskels. Seine Haupt-
wirkung besteht in dem Hinaufziehen des Unterkiefers, er vennai;
auch den äußeren in der Vorwärtsbewegung des Unterkiefers zu uut«"-
stützen, da er vor dem Kiefergelenk seinen Ursprung hat.
Die Wirkung der Gesichtsmuskeln wurde bereits mit einigen
Worten erw^ähnt, indem auf das Prinzip ihrer Anordnung um die tw-
schiedenen Oflnungen im Gesicht hingewiesen wurde. In erster Linie
hiindelt es sich, und das ist namentlich bei der Lidspalte ersichtlich,
um Offnen und Schließen der Spalten. Zu diesem Zweck existiert steh
ein mehr oder minder vollkommener Kreismuskel, der den Schluß der
Spalte herbeiführt. Hierbei sind zahlreiche Abstufungen möglich, in-
sofern das Schließen ungezwungen stattfindet, oder mit verstärkter
Kraft. Ist das letztere der Fall , dann wird die Haut durch den
Schließmuskel aus der Umgebung herbeigezogen und in Falten gelegt
wie das am deutlichsten bei dem verstärkten Lidscliluß der Fall ist
Der Augenbrauenrunzler ist von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet
lediglich ein Teil des Ringmuskels, der durch eine bestimmte Nerven-
bahn eine physiologisch größere Selbständigkeit erhielt, als sie sich
anatomisch nachweisen läßt. Soweit also die mit dem Messer und
der Pincette gewonnenen Resultate Aufschluß geben können, ist dieser
Augenbrauenrunzler allerdings nur ein Teil des Ringmuskels, alw
der hohe Grad seiner physiologischen Unabhängigkeit gestattet es, ihn
als einen liesonderen Muskel aufzuführen.
Zu einem sol(!hen Kreis von Muskelbündeln treten aus der Um-
gebung Muskelzüge, welche als Antagonisten die Schnürbeweguug der
Kreisfasern aufheben und eine Erweiterung der Spalte kerbeifiihren.
Um die Lidspalte herum ist dieses Prinzip auf den ersten Blick nicht
mit voller Klarheit ausgeprägt, doch ist es unschwer zu erkennen.
Als ein Erweiterer ganz hervorragender Art erscheint der Stimmuskel.
von dem viele Bündel geradezu in den Kreismuskel sich einsenken.
Während dies an dem oberen Umfange geschieht, brechen .aus dem
übrigen Kreis des Ringmuskels an verschiedenen Stellen Muskelbündel
aus, um gegen die Oberlippe, den Nasenrücken und den Mundwinkel
herabzuziehen (Fig. 77 u. 78). Hört also die Kontraktion des Ring-
muskels auf, so wird die Rückkehr zur Ausgangsstellung nicht nur
durch die Ruhelage des Schließmuskels herbeige fühi-t, sondern auch
durch die Spannung all der übrigen Muskelkräfte, welche aus der Cm-
gebuug nach dem Zentrum des Ringmuskels liinstreben. Sie alle
Muskeln des Kopfes. 271
t
übernehmen in einem solchen Falle die Rolle der Ei-weiterer, und
fbhren die Öffnung der Spalte herbei.
An der Mundspalte ist das Prinzip der öflnenden und schließen-
den Fasern noch durchsichtiger von der Natur ausgetiihrt. In den
Ringmuskel der Mundspalte dringen von allen Seiten Muskeln ein, so
daB jeder einzelne Abschnitt der Spalte unabhängig nach jeder belie-
bigen Richtung gezogen werden kann. Der Tronipetermuskel zieht
den Mundwinkel nach der Richtung des Ohres zu; kommt der Zug des
Jochbeinmuskels hinzu, so wird die Mundspalte nach rückwärts, aber
gleichzeitig nach aufwärts verlängert. Verbindet sich dagegen mit <ler
Wirkung des Trompetermuskels jene des dreieckigen Unterkiefermus-
kels, so wird die Mundspalte nach abwärts verlängert. Bekanntlich
sind die Muskeln der beiden Gesichtshälften unabhängig von einander,
und es kann sich also die Bewegung nur auf einer Gesichtshälfte, oder
gleichzeitig auf beiden abspielen.
Für die Bewegung des mittleren Abschnittes der Mundspalte kom-
men Fleischbündel sowohl vom Oberkiefer herab, als von dem Unter-
kiefer hinauf. Sie dringen durch die Bahnen des Ringmuskels hin-
durch und befestigen sich in der Haut, um bei der Zusammenziehung
die verengernde Wirkung des Ringmuskels aufzuhel)en. Der Ober-
kiefer entsendet seinen vierseitigen Aufheber der Oberlippe, wie der
Unterkiefer seinen vierseitigen Niederzieher, und beide sind auf
jeder Seite vorhanden.
Dieser Überblick über die Muskulatur der Mundspalte wird viel-
leicht dazu beitragen, den Reichtum der Bewegungen zu verstehen,
der in der Umgebung der Mundspalte unter dem Einfluß einer viel-
gegliederten Muskulatur stattfinden kann.
Dil» sämtlichen Muskeln des Antlitzes werden vom VII. Geliininervenpjuir,
de« Gesichtsnerven (Nervus facialis)^ versorgt
So wünscht^nswert oh auch erscheinen mag, jeden (dnzehien Muskelfasorzug in
ßezieliung auf Herkunft, DinieuHion, konstantes Vorkommen und Selbständigkeit
seiner Ner\'enbahnen zu studierten, so ist hier docli nicht der Ort, um einen Versuch
dieser Art zu machen, fiir den noch die strengen und auch auf di«? Tiere hinaus-
greifenden Untersuchung(ui fehlen. Dage^'n mögen folgende Iknncrkungen hier
Platz finden, um die Vorstellung von der mechanischen Anordnung der bewegenden
Kräfte im Antlitz zu erweitem.
Die Antlitzmuskeln verlaufen oft große Strecken in dem Fett
des UnterhautgewebeSy bis sie an ihren Bestimmungsort gelangen.
Das Fett spielt bei dem Verlauf eine nicht zu unterschätzende Rolle,
sie ist hier jedoch nicht die einzige. Das Fett hat im Gesicht auch
eine physiognomische Bedeutung, sein Überfluß und sein Mangel sind
von mächtigem Einfluß auf den geistigen Ausdruck an sich und nicht
minder auf den Ausdruck der Gemütsbewegungen. An manchen Stellen
des fietuchteB ist es in besonders dichten Ma^^si^ii zwischen den ZOgni
dei Wfingenlascie iiigehüiift Diese Waiigenfascie (Fa*na Interahij
liegt auf dem äußeren Kuumuskel und erstreckt sich, ilie OhrspeirJitJ-
diOse hedt^ckend bis ^uni Warzcnfortsatit des Schhifenbeines. Sie n-
streckt sich aber auch tiefer, Überzieht den Troui|ietermu8kel uüJ
folgt ihm hinter dem äußeren Kaumuskel /um Schädelgrund uiif-
1
steigend. Der Raum zwischen den derben Zügen dieser Fascie, al»"
hinter dem äußeren Kaumuskel, wird durch einen rundlichen Fett-
ioiollen ausgefüllt, der hei dem Kind noch eine sehr große AusdelmaniE
besitzt und doli wohl gleichzeitig eine Rolle als Sangpolster' «pi«!!-
Schwiiidet durch Krankheit oder Kutbehraug dieses Fettpolster. dÄU"
werden die Wangen hohl, d. h. der Abstand zwischen dem viini«!«"
Rand des äußeren Kiuunnskuls (Fig. 77 Nr. 21) und der Gesichtsfläd"*'
de» Trompetermuskels (Fig. 77 Nr. 22}, der sonst durch Fett gepoUtart
' ItiiiKK, H, Ein Sttugpolstpr der iiieiiBtliIif)n'
Archiv. Bd. fl7. im*. S. 5a7.
iWiiiiRp. Mil2Taf.iln. Vi»«"*"
Muskeln des Kopfes. 273
•
war, sinkt ein. Wie aus der Abbildung Fig. 78 bei Nr. 5 hervorgeht,
liegen zarte Bündel, die man als Laclimuskel bezeichnet, auf dem
Fettpolster der Wange; das Fettpolster kann also für den Muskel ein
Stützpunkt bei der Ausübung des Zuges werden. Es ist wohl nicht
zu viel behauptet, wenn man sagt, daß das Grübchen in der Wange
jugendliclier Gesichter in vielen Fällen von einer vermehrten Spannung
des Muskels durch die Wölbung des Fettpolstei-s herbeigeführt ist.
Vergegenwärtigt man sich den Vorgang des Lachens, wie es in der
Fig. 83 dargestellt ist, so muß sich folgende Reihe von Muskel-
wirkungen in der Wange abspielen. Der Trompetermuskel verkürzt
sich und zieht auf beiden Seiten, unterstützt von dem Jochbeinmuskel,
die Mundspalte in die Breite und etwas in die Höhe. Durch die Ver-
kürzung des Trompetermuskels wird aber der Raum, in welchem das
Fettpolster der Wange sich betin<let, verengt, das Fettpolster wird
also nach vorn gedrängt, während sich die ganze Haut der Wange
nach rückwärts und aufwärts staut, wie wir dies an der Fig. 83 und
an jedem jugendlichen und gutgenährten Gesicht sehen können. Es
ist nun sehr wahrscheinlich, daß unter solchen Umständen ein be-
stimmtes Bündel des Lachmuskels, durch das Fettpolster zu sehr ge-
dehnt, die Wangenhaut an der bestimmten Stelle stärker einzieht und
dadurch jenes Lach-Grübchcn hervorliringt. Der Beweis für diese Er-
klärung ist schwer zu führen, als Stütze läßt sich nur die Erfalirung
anflihren, daß löit dem Schwund des Fettes auch oft das Grübchen
schwindet.
Als Muskelnamcii wunleii für die Aiitlitzmuskclii dio anatomisclion Bezeich-
nungen beibehalten, Howeit die* möf^lieh war, ohne mit iler Tradition allzuH<>hr in
Widerspruch zu gerathen. Welche Hedenken geg(»n den Gebniuch physiologischer
Bezeichnungen 8pri»chen, zeigt die obige Analyse der Muskelwirkung bei dem
liehen. Der Lachinuskel (Fif^. 78 Nr. 5) wird wegen seines Namens wohl von
den meist<;n als der Ilauptmuskel b(»i diesiun (.Temütsausdruck angesehen, und df>ch
spielt er nur eine sehr untergeordnet<! Rolle. Der Trompetermuskel und der Joch-
beinmuskel sind von dem physiologischen Standpunkt aus wirksamere Lac.hmuskeln
als die Fortsetzung des Ilautmuskels des Ilalsi^s, w(4che diese ausschließende Be-
zeichnung erhalten hat. So wird om si(rh noch oft zeigen, daß eine ganze Anzald
von Antlitzniuskeln für das Zustandekommen enies Gemütsausdnickes gleichzeitig
mitwirkt. Ich halte es deshalb für unrichtig, an dieser Stelle lediglich die mi-
mische Bedeutung in den Vordergrund zu stellen, schon um deswillen, damit «iie
vergleichend-anatomische Seite der Betnichtung nicht abgeschnitten sei. Denn eint»
Menge von inneren Erregungen der Tiere werden mit denselben Mitteln, nämlich
durch versc^hiedenen Muskelzug auf die Haut, vollkomm(>n verständlich für uns aus-
gedrückt. Nachdem also die Fähigkeit, Zustand«^ dt^ (Tehirns durch dif; Mimik
auszudrücken, kein ausschließliches Vorrecht des Menschen ist, so scheint es mir
besser, vorzugsweise anatomische I^^zeichnungen anzuwenden.
KoLLXANN, Plastischn Anatomie. XK
Aohter AbsohnlU.
IL Bas Ange.
1
Das Auge, unter allen Sinnen deB Menacheii immer als das lieküt
Greschenk und als das wunderbiirste Erzeugnis der schafiendeu Natv-
kraft betrachtet, besteht aus den beiden Augäpfeln, welche Iwim Sehm
wie ein Organ zusammenwirken, und aus Hilfs- und Schutzappapsten.
welche fUr die normale Tliätigkeit, wie fUr die Schönheit des Au^
unerläßlich sind. Was wäre es ohne die )>ewegeiiden Muskel», «kr
ohne die schützenden Lider, was ohne die zahlreichen GefäBe, die es
e Aufheber rl. Litlea.
S Ob fterad Augm.
« Sebncrr,
Pig. I
Unt. ivhier. Augni.
Augeiihiililn mit dem Inhult, pnrallcl z
r K(-heiti:K>liciiC durchürliDitteu.
umgeben und samt dem Fett Rowolil physiologisch eine hervorntgemle
Rolle spielen, als auch im T)ienste seiner vielsagenden Sprache stelieo?
Wir werden zunächst den Augapfel hetiachten, dann die uragel>en-
den Teile,
a. Der Augapfel (Bnllim oaiU).
Der Augapfel hat die Gestalt eines Ellipsoids, an dessen vorderer
Seite ein kleines Kiigelscgment aufgesetzt ist, die durchsichtige Horn-
haut (Cornea). Die Krümmung der Hornhaut ist eine andere, als
die des übrigen Augapfels, eine Thatsache, die sich selbst bei ge-
schlossenen Lidern wahrnehmen lälit. Bei geschlossenen Lidern er-
scheint nämlich die Horhaut wie ein kleiner Hügel, der unter dem
Muskeln dos Kopfe». 275
oberen Augenlid mit den Bewegungen des Augapfels seine Stelle
wechselt. Dadurch ist der I^eweis geliefert, daß dieses Fenster des
Auges ttl)er die Ebene vorspringt. Wir werden auf die Sichtbarkeit
der Hornhautwrdbung durch die geschlossenen Lieder hindurch später
zurückkommen, dann, wenn es sich um den Ausdruck des Schlafes
und denjenigen des Todes in dem Antlitz handelt.
Während so ein kleiner Abschnitt des Augapfels durchsichtig ist,
damit die Lichtstrahlen in das Linere dringen können, ist der übrige
Abschnitt undurchsichtig, von weißer Farbe und heißt die weiße
Augen haut, auch kurz „das Weiße" (Sclera). Die Sclera hat unter
besonderen Umständen einen leichten Stich in's Blaue, seltener in's
Gelbe. Die letztere Färbung '\^ l)ei dem Kuropäer entweder ein
Zeichen von Gelbsucht oder von frühzeitigem Altern der weißen Augen-
haut; die bläuliche Farbe steht im Zusammenhang mit einer Verdün-
nung, wodurch das dahinter liegende schwarze Augenpigment die sonst
weiße, leuchtende Farbe selbst des jugendlichen Auges dämpft.
Die weiße Augenhaut, welche wegen ihrer Prallheit und ihres
derl)en Gefüges auch die anatomische Bezeichnung harte Haut er-
lialten hat, umschließt die zarten Teile dieses nach den optischen (-re-
setzen einer Dunkelkammer ((amera obsciira) gebauten Organes. Diese
Teile bestehen zunächst aus einer Anzahl ineinander geschachtelter
Häute, welche in dem von ihnen umschlossenen Kaum die optisch
wirksamen Massen, die Linse und den Glasköi*per enthalten. Die
staunenswerten Leistungen des kleinen Organes spielen sich also in
dem von der Sclera umschlossenen Räume ab, der mit dem Gehirn
durch den Sehnerven ni Verhindung gesetzt ist. Die Anordnung der
Teile im Innern des Augapfels ist dabei folgende:
Unter der harten Haut liegt eine zweite sehr gefäßreiche und
dunkel pigmentierte Haut, die Aderhaut des Auges (Chorioidea).
Dort, wo sie nach vorne an dem inneren Umfange des Hornhautrandes
iliren Anheftungspunkt erreicht, ist an sie eine senkrecht gestellte
Scheibe l>efestigt: die Regenbogenhaut oder Iris. Die Iris hat in
der Mitte ein nahezu kreisrundes Loch, das Seh loch oder die Pu-
pille^ [Vi^,, 85). Durch dieses Loch dringen die Lichtstrahlen in das
Linere des Auges, tretfen aber zunächst auf die Kristallinse (Fig. 84
Nr. 2). Sie hat <lie Form einer doppelt gewölbten Glaslinse, wie sie
in den Werkstätten unserer Optiker Verwendung linden. Sie ist so
durchsichtig, daß man bei gewöhnlicher Beleuchtung nichts von ihr
' Ihis verkleiiKTte Bild de« I^'HcliauerH, wolcho« yich im Auf^o (dnes zweiten
abspief^elt, ließ das Sehlo<'li, in w<'lc*lMMn di<*8<^8 Bildchen erscheint, Papilla nennen.
1>J18 Wort kommt von Pupa Mädchen, de8H<?n KoHeform Papilla, kleineji Miidchen,
heißt. In SiiddeutHchland heißt dieseH Bihlehen im Sehloch bei dem Volke: *8 Kindl.
18*
276 Achter AbuhiiltL
erkennt, sondern nur die dem dunkeln Hintergrund des AugnpfeU
eigeiitümliclie Schwäi'ze wahrnimmt. Sie niLt auf der vonleren ter-
tieften Fläche eines ebenso durchsichtigen Köi-pere , der den nodi
übrigen Biiinenraum jiuafüUt und Glaskörper {Fig. 83 Kr. i) genaust
wild. Hat der Lirhthilschel die Hornhaut, Kristalllin»e und Gla>.
körper durchsetzt, so trifTt er auf <lie dUnne membranartigr Aas-
breitung des Sehnerven, die Netzhaut (Uetina). Sie ist die tnnenl«
Lage der den Augapfel auskleidenden Hunte, welclie das cingedmn^ew
Liclit, und das im Auge entworfene Bild auffängt. Durch die Nerrtit-
fasem dos Sehnerven werden die so entstandenen Eindrücke nach dea
Geliirn geleitet und zum Bewußtsein gebracht.
Von <lieseii einzelnen Theilen de« Augapfels verlange» eiuige etva<
eingehendere Berücksichtigung.
3 Orbitalleil d. Lide«.
. O. LidlklU-.
Thränenkm-unkpl I
Kickhnot 5 •, « ^- Li-lf"!».
I I >rl)itall«il d. Lides,
t^g. 85. Aut.'c von vornt! gt.-sc}ieii.
Die Hornhaut mit ihrer glatten kugeligen Krümmung, und Jer
hinter ilir senkrecht zur Augeiiacliso liegende Vorhang, die Iris, I)^!reü-
zen miteinander einen kleinen Ranm, die vordere Augenkamiui-r
(Fig. 84 Nr. .t). In diesen mit farbloser Flüssigkeit gefüllten Kauin
dringen von allen Seiten Lichtstrahlen; auch unser eigener Blick kann
in ihn eindringen.
Auf der Hornhaut entsteht bekanntlich ein Lichtreflex. Er ver-
dankt seine Entstehung dem Unistande, daß trotz ihi-er Durchsichtig-
keit doch auch ein Teil de« auffallcndon Lichtes zurückgeworfen winl
Die Hornhaut verhält sich wie eine geknimmte Glasfläche, welche
den gröBten Teil der anffallendeu Lichtstnihlen hindurcliläöt. eineu
kleinen aber zurückwirft.
Jfidc Wasserflaa-k' entwirft von ileui (;i^>^'iiii)>erbofiii<lli<.'hcn Fonjiter ein v(t-
klciiicrtefi Itild und ho am-li Ana Augi-. Diivea Hiltlchün ist, wie die Uptik lehrt,
nufrecht. Din Optik klirt Htuit, daß dicai'i» Ki>i.r(,i'I Itild ftuoli so crefliriiic, «I» nt-
fs liintftr ilor Hjiii>)i:i'lndcii Flttclin Midi licfindit. Iki dum monsclilic-httii Aupe \il
Aldi nur mit großer Aufiiii'rkHiiinki>it fi'ntztwttflleii, lici iliiii wird es scheinbar dirvkr
von der Mpii-f^i-lndi-n ObiTtliieiio Aix OonK-a zurik'k|^>wi>rf<>ii. So wirft jcdur polieiti'
Mctallkiiopf Am ftnfrechtxtehi-nde Dild Am. i:egeniibrrliep^n<lcn GcgenistandcB zunick.
Muflkeln des Kopfes. 277
Der Lichtreliex auf der Hornhaut rührt also von derselben Licht-
quelle her, welche gleichzeitig ihre Strahlen auch in das Innere des
Augapfels sendet. Die Form und der Ort des Reflexes hängt von der
Stellung des Kopfes zu dem Lichte ab, ist also sehr wechselnd. Unter-
suchen wir den häufigsten Fall , unter welchem Porträte aufgefaßt
werden, so ist es derjenige des einheitlichen seitlichen Lichtes im
Atelier. Sitzt das Modell der Art, daß es ^/^ Licht empfängt, daim
erscheint in beiden Augen ein Lichtrefiex, aber von verschiedener
Größe. Jenes Auge, das dem Fenster zunächst ist, zeigt das eckige
Bild des Fensters in viel stärkerem Grade und in größerem Umfang,
als das andere, das von dem Licht nur gestreift wird. Bei Halblicht
kann der Keflex auf dem zweiten Auge völlig fehlen.
ft Orbitalteil des oberen Lides.
I
Obere Lidfulte.
2 Untere Lidfalte.
S' Orbitalteil des unteren Lides.
Fig. 86. Auge von der Seite gesehen.
Der Lichtrefiex beschränkt sich bei seitlich auffallendem Licht nicht
allein auf die Hornhaut, sondern erscheint, wenn auch abgedämpft und
verwischt, auf dem Weißen des Auges, dicht neben der Hornhaut, selbst-
verständlich an der konvexesten Stelle des kugligen Augapfels, welche
eben von dem Lichte noch getroffen wird. Nachdem sich die Wölbung
der Kugel in die Tiefe der Augenhöhle zurückzieht, erhält dieser Refiex
die Form eines spitzen Dreiecks mit verwaschenen Rändern, dessen
Spitze im Augenwinkel, dessen Basis an der Hornhaut liegt.
Noch ist eines zweiten abgeschwächten Lichtreflexes Erwähnung zu thun,
welcher auf dem Weißen des Auges dicht neben der Hornhaut, aber auf der von
dem Licht ahgekehrten, also der Schattenseite des Auges entsteht Auch er verdankt
seinen Ursprung der Wölbung des Augapfels, welche von dem seitlichen Lichte eben
noch etwas gestreift wird. — Die Hornhaut nimmt in vorgerückten Jahren stellen-
weise das Aussehen der weißen Augenhaut an und verliert etwas an Durchsichtig-
jLeit So in jener Altersmetamorphose, welche am Rande als Greisenbogen auf-
tritt. Er fkngt in der Regel am unteren Homhautrande als graue Trübung
unter der Form einer schmalen Mondsichel an. Später folgt eine ähnliche am
oberen Rande der Hornhaut nach. Beide fließen ^ bei fortschreitender Zunahme,
mit ihren Enden ineinander.
278 AchU;r Alwchnitt.
Die vordere Augenkaniniür (Fig. 84 Nr. 3) erstreckt sich voa
der hinteren Fläche der Hornhaut bis zur vorderen Fläche der h>
in einer Ausdelnmng von 3^/^ mm. Sie ist am lebenden und toteo
Auge zu sehen. An der Fig. 86 ist der Abstand zwischen der H«im.
haut und der Iris wohl ersichtlich.
Die Iris oder Regenbogenhaut fallt durch ilire B^arbe auf.
welche vom hellblau und blaugrau bis dunkelbraun wechselt. Blas.
grau und braun sind in Europa weit verbreitet, und geben Belege !ür
die Verschiedenartigkeit der die Bevölkerung zusammensetzenden
ßassenelemeute. Durch die Vermischung dieser verschiedenen einjre-
wanderten Rassen sind wie in der Gesichtsform so auch in den
Färbungen der Iris zahllose Abstufungen und Übergänge entstanden.
Der Iris ist die wichtige Rolle eines Lichtschirmes im Innern de^
Auges übertragen. Ihre zentrale Öffnung, die Pupille, erweitert aiül
verengert sich und zwar tritt das letztere ein bei der Liditfulie
des Tages, das erstere in der Dännnerung und in der Dunkelheit.
Dieser Vorgang, der sich ohne unser Bewußtsein und ohne unseren
Willen vollzieht , geschieht unter der sinnreichen Verkettung des
Sehnerven mit den Bewegungsnerven, welche die .in der Iris vor-
handenen Muskelbündel abwechselnd erregen. Ist die Lichtfülle groß,
so ziehen sich konzentrisch zur Pupille angebrachte MuskelbQndel
zusammen, welche als Ringmuskel der Pupille (Sphinr,ter pupillae^
bezeichnet werden, und mäßigen dadurch den Überschuß an Licht.
Herrscht dagegen Lichtmangel, so wirken radiärgestellt^ Züge einer
elastischen Substanz, welche ihren Ursprung an der Grenze zw^ischen
Hornhaut und Sclera haben, und mit ihrem Ansatz in die Bündel des
Ringmuskels eingreifen. So ist also das Sehloch von wechselnder
Größe und die Iris von verschiedener Breite. Erweiterte Pupillen
geben dem Auge etwas weiches, es gewinnt gleichsam an Tiefe und
fesselt den Beschauer durch das Fremdartige des Blickes. Die Frauen
im Orient träufeln sich Atropin ins Auge, das die Pupille erweitert.
Sie wollen in ihr Auge den seelenvollen Blick dauernd legen, der aus
den erweiterten Pupillen besonders deutlich das Glück der Liebe ver-
künden soll.
Die Netzhaut ist jene dünne membranartige Ausbreitung deN
Sehnerven, welche das im Auge entworfene optische Bild auftangt.
Die Fasern des Sehnerven strahlen dtu't in das regelmäßig angeord-
nete Mosaik feiner cyündrischer Stäbchen und Zapfen aus, welche dicht
aneinanderged rängt stehen und von denen jedes mit einer Nervenfaser
verbunden ist. Dieses Mosaik dei' Nervenelemente stellt, wie sich
durch bestimmte Versuche zeigen läßt, die eigentlich lichtempfindliche
Schichte der Netzhaut dar.
Muskeln des Kopfes. 279
Die Netzhaut besitzt eine Stelle, an der alle melir oder weniger
trttbcu Bestandteile ihres Baues bei Seite gedrängt sind. Selbst die
ernährenden Gefäße sind von dieser Stelle verbannt und dürfen nicht
in jenen Kreis eindringen, der etwas vertieft liegt und deshalb Netz-
hautgrube genannt wird. Diese kleine Grube ist die Stelle des
schärfsten Sehens und der feinsten Baunmnterscheidung. Die Ent-
stehung der Bilder beruht im Innern des Auges, wie in der Camera
obscura des Photographen bekanntlich darauf, daö die Lichtstrahlen,
die von einem leuchtenden Körper, dem Objektpunkt, ausgegangen sind,
durch die Linse so gebrochen und von ihrer früheren Richtung abge-
lenkt werden, daß hinter der Linse eine Durchkreuzung stattfindet,
und auf der empfindlichen Platte oder der Netzhaut ein verkleinertes
Bild entsteht. Jeder Zapfen der mosaikartig dichtbesetzten Netzhaut
unseres Auges wird nur von denjenigen Lichtstrahlen getroflien, welche
ein entsprechend kleines Flächenelement des leuchtenden Gegenstandes
aussendet. Die aus dem Zapfen entspringende Nervenfaser wird also
nur von dem Lichte dieses einen ents])rechenden Flächenelementes in
Erregung versetzt, und empfindet nur dieses, während diu'ch das Licht
benachbarter Punkte des Gesichtsfeldes andere Nervenfasern erregt
werden. Das Auge hat nun einen Vorzug vor den optischen Instru-
menten, z. B. der Camera des Photographen, daß es ein sehr großes
Gesichtsfeld hat, d. h. gleichzeitig einen sehr großen Kreis der Außen-
welt übersieht. Die Netzhaut nimmt freilich nur an einer einzigen
Stelle mit vollkommener Schärfe die Bilder wahr, nämlich in der Netz-
hautgrube. Auf allen übrigen Teilen werden die Bilder ungenau
gesehen, um so mehr, je weiter sie von dieser Grube entfernt sind.
So gleicht denn das Gesichtsbild, welches wir durch ein Auge erhalten,
einer Zeichnung, in welcher nur der mittlere Teil sehr fein und sauber
ausgeführt, die Umgebung aber nur grob skizziert ist. Allein wir
sehen ihn doch gleichzeitig im Zusammenhang mit seiner Umgebung,
und wir sehen von letzterer mindestens so viel, um auf jeden auf-
fallenden Gegenstand, namentlich aber auf jede Veränderung in diesem
Umkreise sogleich aufmerksam werden zu können, was Alles in einem
Femrohr nicht der Fall ist. Sind aber die Gegenstände zu klein, so
erkennen wir sie überhaupt nicht mit den Seitenteilen der Netzhaut.
Wcun hrk;h im blauen Raum vorloren
Ihr jubelnd Lied die Lerche Hingt,
so ist sie uns eben verloren, so lange es nicht gelingt, ihr Bild auf
die Netzhautgrube zu bringen. Dann erst erfassen wir sie mit unserem
Blick, dann erst nehmen wir sie wahr. Den Blick auf einen Gegen-
stand hinwenden heißt, also: das Auge so stellen, daß das Bild
jenes Gegenstandes sich auf der Stelle des deutlichsten Sehens
280 Achter Abschnitt.
abbildet. Dies nennt man auch direktes Sehen, indirektes d^
gegen, wenn wir mit den seitlichen Teilen der Netzhaut wahrnehmen.
In der Beweglichkeit des Auges, welche uns erlaubt, schntU
hintereinander den Blick jedem einzelnen Teile des Gesichtafeldes tn-
zuwenden, liegt oiFenbar ein großer Teil der Bedeutung, welche dem
Auge als Mittel seelischen Ausdinicks zukommt. Die Bewegung des
Blickes ist eines der direktesten Zeichen für die Bewegung der Auf-
merksamkeit, und somit der Vorstellung im Geiste des Blickenden.
Die Sprache enthält genug Belege für die verschiedenen Formen, outer
denen der Blick einen Punkt genau fixiert: der Blick ruht wohlwollend
auf einem Gegenstand, oder vernichtend, zornig, wegwerfend, lieberoll
u. s. w., womit nur bestimmte Arten des Fixierens bezeichnet werden.
Nachdem hierbei nicht ausschließlich der Augapfel, sondern auch die
Umhüllungen in Betracht kommen, werden wir zunächst diese beschreiben.
b. Äufsere Umgebung des Auges.
Die Augenhöhle stellt eine liegende hohle Knochenpjrramide
von vierseitiger Gestalt dar. Beide Augenhöhlenpyramiden konver-
gieren mit ihren langen Achsen nach hinten. Die Grundfläche dieser
Pyramide ist der weit^eöffnete Eingang, der Augenhöhleneiugang,
die Spitze liegt in einer 4 mm großen runden ÖfiFhung, durch welche
der Sehnerv und die Augenschlagader in die Augenhöhle gelangen. Die
Ränder der offenen Gnmdfiäche der Pyramide werden von starkeu.
die Wände der Pyramide dagegen von schwachen Knochenpartien
gebildet. Der obere und äußere Rand des Augenhöhlenoinganges ist
massiver als die übrigen, da von diesen Richtungen her das Aug*
am meisten feindlichen Angriffen bloßgestellt ist. In der Knochen-
lehre wurde schon an verschiedenen Stellen dieser Knochenränder Er-
wälnmng gethan, namentlich wurde bei der Beschreibung des Stirn-
beines und des Wangenbeines auf manche Eigenschaft hingewiesen,
welche liir die Lagerung des Augapfels und seine nächste Umgebung
von Wert ist. Die Wände der Hohlpyramide zeigen, abgesehen von der
schon erwähnten Eintrittstelle des Sehnerven (Fig. 84 Nr. 4) und anderen
kleinen Offnungen für Blutgefäße und Nerven zwei klaiTende Spalten,
welche in der äußeren Wand sich befinden (vergleiche die Abbildungen
der Schädel auf S. 102 u. 106). Die obere Augenhöhlenspalte
fülirt in die Schädelhöhlo und dient zum Durchgang von Nerven für
die Augenmuskeln, den Augenapfel selbst und seine Umhüllungen, die
untere Augenhöhlenspalte führt an den Schädelgrund hinab in
die Nähe der Flügelfortsätze des Keilbeins und das seitliche Ende
der knöchernen Gaumenphitte , mit einem Worte in die Flügel-
gaumengrube. Durch diese untere Spalte Hießt vorzugsweise das
Muskeln des Kopfes. 281
Venenblut des Augapfels zu den tiefen Halsvenen ab. Die innere,
nach der Nasenseite befindliche Wand der Augenhöhle ist hinten von
einer papierdünnen Knochenplatte verschlossen, vorne wird sie etwas
stärker und umschließt das Thriinenbein. Das Thränenboin zeigt eine
senkrechte Leiste (Crista lacnjmalis), wodurch es in eine vordere
kleinere und hintere größere Abteilung geschieden wird. Krstere stellt
eine Rinne dar, welche mit einer ähnlichen Rinne an dem Stirnfortsatz
des Oberkiefers die Thränensackgrube vervollständigt, deren Fort-
setzung der absteigende Thränennasenkanal ist.
Die knöcherne Umrandung des Augenhöhleneinganges unterliegt
in Größe und Form manchen Verschiedenheiten; die größten Gegen-
sätze bestehen in folgendem: Der Eingang ist entweder rundlich,
weit aufgerissen, oder viereckig und von oben nach unten zusammen-
gedrückt, so daß der Augenhöhleneingang wie ein Parallelogramm mit
zwei langen und zwei kurzen Seiten gestaltet ist. Diese beiden
Gegensätze sind in den Figuren 21 u. 22 (S. 00 u. Ol) nach euro-
päischen Schädeln kopiert. Eine sorgfältige Umschau wird in jedem
Museum Schädel dieser Form aufweisen, bei deren genaueren Betrach-
tung sich ferner herausstellt, daß die (iestalt der Augenhöhle mit der des
ganzen übrigen Schädels in Übereinstimmung ist. Mit der zusammen-
gedrückten Form des Augenhöhleneinganges harmoniert die Breite des
ganzen Gesichtschädels, mit der eckigen Beschaftenhcit des Augenhöhlen-
randes die eckigen und scharfen Begnuizungslinien aller übrigen Teile.
Zum Untei-schied hiervon sind bei den Europäern mit runder Augen-
höhle die (lesichter schmal und lang, und die Knochenvorsprünge mehr
gemäßigt. — Hinter dem Augenliöhleneingang erweitert sich die Hohl-
pyramide der Augenhöhle; sie umschließt also einen größeren Raum,
als man bei dem Anblick des Randes von vorn vermuten sollte.
Eine Kugel, wie der Augapfel, kann eine Hohlpyramide von der
Größe der Augenhöhlen nicht ausfüllen. Es ist also in der Augen-
höhle hinreichend Platz vorhanden iVir vei*schiedene Nebenorgane. Viel
Raum nimmt u. a. die gewöhnliche Ausfüllungsnmsse, das Fett, ein
(Fig. 84 Nr. 7, 7', 7"). Dieses weiche elastische Polster, das auch den
hinteren Umfang des Augapfels umgiebt, ist nicht fest fixiert,
sondern einer wenn auch mäßigen Zunahme seines Volumens fähig,
wodurch es im ganzen sich ausdehnt und wieder zusammenzieht.
Unter solchen Umständen findet eine stärkere Füllung der Augenhöhle
sti4tt, wobei der Augapfel diesen Bewegungen des Fettes folgen muß.
Die Zunalmie des Fettvolumens und damit das Hervortreten des Aug-
apfels kann hervorgerufen werden:
l) durch starke Füllung der Gefäße, zumal der Venen, wie
dies namentlich bei verhindertem Abfluß des venösen Blutes vorkommt.
1
282 Achter Abschnitt
SO l)eim Zorn, der das Blut gegen den Kopf treibt. Es scliwcllea
nicht allein die Adern der Stini an (Zoniader), sondern das ganze
Gesicht rötet sich. Bei Blutandrang nach dem Kopf durch den Ge-
nuß geistiger Getränke geschieht etwas ähnliches. Stets ist am Kopf
des Erhängten diese Erscheinung zu beobachten. Die Augen treten
2) ferner hervor durch willkürliclie forcierte Öffnung der Lid-
spalte und zwar deshalb, weil der von vornher w^irkeude Liddmcl
vermindert wird. Das sind nicht die einzigen Ursachen, aber die fcr
den Künstler wichtigsten.
Auf jene krankhaftcu Ursachen kann hier nicht Bücksicht genommen werdifiL
welche die Augäpfel weiter als im normalen Zustande hervordrängen. Die «)p,
Glotzaugen, < )ch8enaug(»n u. s. w., wie sie populär genannt werden, gehören in di»
Gt^biet der krankhaften Störungen.
Wird das Fett durch Krankheiten oder durch Abmagerung to
beim Hunger aufgezehrt, so sinkt der Augapfel tief in die Holdt
zurück. Rings an dem knöchernen Augenhöhleurand entsteht danu
eine Vertiefung, die vorzugsweise am oberen Augenlide auffallt, weil
dieser Rand stärker hervorragt, als der untere. Die übliche Sprach-
weise nennt diese Erscheinung hohle Augen. Durch diese Vertie-
fung wird nicht nur der knöcherne Rand der Augenhöhle deutlich
sichtbar durch die Haut, sondern auch die Gestalt des Augapfels
wird in größerem Umfang bemerkbar. Im hohen Alter, wenn der
Schwund der Muskeln und des Fettes auch in der Umgebung des
Augapfels weitergreift, dann treten ebenfalls die knöchernen Ränder
liervor. „Hohle Augen" können auch entstehen durch Leerheit der
venösen Gefäße. In dem Fettpolster verlaufen zahlreiche Blutadern,
durch deren Entleerung die Umgebung des Augapfels einsinkt. Schwerer
Kummer, der die Zirkulation des Blutes verlangsamt, Schreck und
Angst, die ähnlich aber plötzlicher wirken, oder auch eine durch-
tanzte Nacht können diesell)e Erscheinung um das Auge hervorbringen.
Mit der verlangsamten Zirkulation des Blutes nimmt auch die Menge
der die Gewebslücken sonst strotzend füllenden Gewebsflüssigkeit ab.
und dann scheinen früher unsichtbare blaue Stränge, die schwach-
gefüllten tiefliegenden Venen, durch die feine Haut hindurch. Diese
lokalen Zeichen von Schwäche benutzt die Eitelkeit, um dem Auge einen
sclnnachtenden Ausdruck zu geben. Sie färbt die Lider etwas dunkel,
und sucht, wie im Orient, jenen Efl'ekt, den nur Schmerz oder Sehn-
sucht auf das Gesicht malen, durch aufgetragenes Schwarz zu erreichen.
Das Zurücktreten und Einsinken der Umgebung des Augapfels
tritt auch ein im Tod. Die venösen Gefäße entleeren sich, das
Fett, während des Lebens flüssig, erstarrt infolge der Abnahme der
Temperatur in seinen Zellen, zieht sich also auf ein kleines Volumen
Muskeln des Kopfes.
283
zusammen. Die Umgebung des Auges wird dadurch hohl, und die
Kiiüclicnränder treten scharf hervor. Die Art, wie dies geschieht, läßt
ganz bestimmte Falten erkennen, die näher zu beschreiben sind.
Die Lagerung des AugeB tritt uns in zwei extremen Fonnen entgegen,
nämlieh als tiefliegende und als flachliegende Augen. Die ,,tiefliegend(?n"
liegen nicht an und für eich tiefer in die Augenhöhle verwelkt, sondern die Gestalt
des Schüdels bedingt durch Vorspringen und Überhängen der Augenhöhlen-
r ander die tiefere Ljif^e; die Auf^en liegen wie in einem Verstwk, können sich
auch, des Vortretens der Stirn wegen, weniger weit öffiien als anden» und (erhalten
dadurch einen selbständigenMi und abgeschlossiMienni Charakter, welcher noch durch
■ 1 äehläfenlinie.
>.a Orbital furche.
" * Jochl>ogen.
5 Wangenbein.
—k Unterkieferwiukel.
5 Kinnhöcker.
Fig. 87. Porträt eines Mongolen, von Shadow gezeichnet.
eine dunklere Farbe der Iris vi^rniehrt werden kann. Sie kontrastieren geg<»n die
freier liegenden und weiter geöffneten Augen. Der feste Ausdruck wird noch da-
durch vermehrt, daß mit dem untenan Teile der Stini zugleich die Augenbrauen
mehr vortreten und dadurch bleibend einen Ausdruck geben, welchen die hoch-
liegenden Augen nur annähernd und voriibergehend durch Zusannnenzi(;hen und
Runzeln ihrer flacher liegenden und meist weniger auHgebild(»t4'n Augenbramm er-
n»iehen können. Tiefliegende Aug(;n haben etwas scharfes adlerartiges, während
flacher liegende Augen mehr den freundlicheren Eindruck der Milde zu geben
pflegen (Kinderaugen). — Sind wie bei langem Gesicht die Augen nicht nur relativ
einander näher gestielt, sondern auch wegen der allgem(>ineren seitlichen Verflatthung
der ganzen Kopfbildung absolut näher, so erhalten sie dadurch mi^hr den Ausdruck
des beobachtenden Fixierens.
1) Hautfalten in der Umgebung der Lidspalte.
Unter diesem Titel sollen jene Hautfalten beschrieben werden,
welche
1) den Augenhöhleneingang umkreisen, und
2) jene Hautfalten, welche den Lidern selbst angehören.
Aiditer AlMoluiitt.
Der Ki]o(.'Iienni.ii(i ilus Augen liiilileiieiiigaiigns ist bd ^
liehen Vollreifen OrganiHiaus durch die Haut hiudun
Weder der Augapfel noch seine Umhüllungen fiilleu di« Atigen
vollständig aus, stets bleibt hinreichender Spieli-aum zwischen i
und dem vorapringenden Band, wodurch sich die Grenzen kenn
abhebeu. Der inneren Peripherie des Augenhöhlunumfiuigm
nüuilich eine Furche, die Orliitiil- oder Äugenhölilenl'uifcho. n
9 dem Mänuliener K<ipfL'ralii.-likiLbinct.
einen oberen nnd einen unteren Halbkiois beschreibt. Sie enlsU
erster Linie durch den Luftdruck, der die Weichteile in die Aj
höhle liineindrückt. Nachdem der kußciierne Rand über die (
ebene vorragt, vfeichen die verachiehbarcn Teile des Auges
und an der ITbergangsstelle von dem Knocbenrand /u der HObld|
notwendig eine Falte entstehen.
Die einfache Skizze eines Mongolengesichtes zeigt deutlich,!
unter Orbitalfurche xu verstehen ist; sie ist bei dieser i
Muikrln de« KopfM.
285
Menschenrasse um so dciitlicliGr, weil die Ati^cnliniueii viel hüher
liegen als bei den ciiru|iäiHclieii Kitsseii. Hei a Fig. H7 zieht eine
Furche in weitem Umkreis um diuTjidiir, welche wenig tief und dcslmlh in
der Zeichnung nur <iurfh leichte Striclielung migedeutet ittt. Bei einem
Kuropiier denselhon Alters und desselben Kmülirungü/ustiindes int die
Furche nicht so klar, denn die Augenhriiuen sitzen tiefer, sie folgen
in der Kegel dem Umfiiiig des AugcnhiihloneingiLiiges uinl besonders
Kii) fl rstii likalniii t
iin dci Nnsenseite Nui ein Um taml wirkt günstig diiB gcrule doit
auch dei knöcherne Rimd dci Augenhohle samt di m N isenrllckLu
weit \orsprtngt und didunh die (hbitjilfurche suh doit \iriieft
während diis bei der phttui Nasenwurzel der Brcilgesichter nullt in
dem gleichen Grade moglith M Bu dim Liiiopiiei markiert denn
iiuth ein tieter bchntten den Hob« nuutersi hied zwischen dem Angcn
höhlenrund und den A^iithttilui \\ic die obeu Haliti dti Orbittil
furche an der Nasenscitt um stliksten bemerkbai ist, so aurh du
286
Achter Abschnitt.
untere Hälfte derselben, auch sie ist im Bereich des inneren Augn-
winkeis um leichtesten zu erkennen, und in ihrem Verlauf nach ab-
wärts und außen zu verfolgen. Obwohl ihre Erscheinungsform Dicht
so bestimmt ist, läßt sie sich dennoch in allen Lebensaltem aaf.
finden, wenn man erwägt, wie die Lider sich an die Wölbung iks
Augapfels anschmiegen, dann aber diese Richtung verlassen und üher
den Augenhöhlenrand hinweggleitend die Wangenhaut erreichen. Ab
dem eigenen Auge wird das Zuftihlen und die Kontrolle durch ddi
Spiegel sehr bald die richtige Unterscheidung lehren.
Die von van üyck radierten Porträts niederländischer Maler mi
in dieser Hinsicht sehr lehrreich, weil sie neben der allgemeinen Er-
scheinungsfoi-m der Umgebung des Augapfels gleichzeitig auch die
individuellen Verschiedenheiten hervortreten lassen.
A~.
^f l'
Fig. 90. Gesicht einer OOjährigeii Frau. Fig. 91. Gesieht eines alten Maiino».
Alter und Geschlecht bedingen auch an dieser Fonn des Aui-
litzes einen unendlichen Wechsel. In der Jugend ist die Orbital-
furche kaum angedeutet, dann wird sie mehr und mehr deuthch. mn
im Alter durch kleine Falten begleitet zu werden.
An der Hand der vorstehenden zwei einfachen Skizzen sollen die
Falten in der Umgebung des Augenhöhleneinganges im Groisenaffiti
etwas genauer betrachtet werden. Die Falten vermehren sich in (.
Art, daß sie konzentrisch um den Augenmittelpunkt in engeren un^
weiteren Bogen herumziehen. Die Bogen sind niemals volkMidetc
Kreise, sondern nur Abschnitte solcher. Sie sind an dem oberen
Augenlid etwas anders angeordnet als an dem unteren. Diese beiden
Teile sollen deshalb getrennt betrachtet werden.
Die obere Orbitalfurche hat in dem Alter wie in der Jugend
ihre tiefste Stelle gegen die Nasenseite hin, allein die Furche wiid durch
die Schlaffheit der Haut in eine überhängende oft sackartig verdickte
Falte verändert. Dies ist an dem Gesicht der alten Frau namentlich
an dem rechten Auge sehr deutlich ausgeprägt. Bei dem alt(Mi Manne
UuAelii dra Kopl^i.
2S7
tehlt diese Eigentümliclikeit, dagegen sind, der Mitte des oberen Ätigoii-
liöhlenraiides entlang, mehrere Falten sicbthar, welche sich gegen die
■Sfliläfen lungsam heralisenken.
Die untere Oi-bitalfurche beginnt in beiden Fällen hoch «ben
Jim innern Augenwinkel woM ausgeprägt und hält aich bis zur Häli'te
ilis Weges auf dem Rande der Augenhöhle. Dann geht sie steil her-
wJ>, und verliert sieh sehr bald auf der Gesichtshaut. Im Älter wird
(iurth wässerige Schwellung sciwohl der Lidhaut als der Haut der
iiäclislen Umgehung die Furche zunächst nasenwärta durch mehrere
Ueinere vermehrt. Eine Ergänzung dieser inneren Furchen ki.mmt
vnii dem äußeren Umfang des Augenbfihlenrandes herab; die ei^än-
zende Furche geht entweder iu die von der Nase herabkommenden
ilher, oder sie setzt sich eine kurze Strecke auf die Gesichtshaut fort.
An dem Auge des Toten verhält sich die Orliital furche anders
als an dem Auge des Lebenden, nicht nur deshalb, weil die Lider
1. A&rung aar Orbital furrhe.
•2. EqiIb denelbeo g^ea die St^hl&re.
3. Nasen- Win^nfBlte.
4. UnterkleFermnil.
lt. Kontur d« Ki
■htamaalte tlee toten Newton
gflBchlosseu sind, sondern weil durch das Erstarren des Fettes im
Inueru der Augenhöhle der Augapfel tiefer sinkt und der Luftdruck
iluich das Anpressen der Haut den Knochenrand schärfer hervortreten
liißt. Die Gesichtsmaske des toten Newton läßt die obere Hälfte
QPi' Orhitalfurche und einen Teil des äußeren Augenhöhlenrandes,
''er Ion dem Wangenhein hergestellt wird, wohl erkennen. Der Be-
ginn der Fui"che an der Nasenseite ist in Fig. 92 bei Nr. i zu sehen;
"uchiiem die Furche iliren Weg verfolgt hat. lauft sie bei Nr. 2 auf
''*f Schläfentiäche aus. Die untere Hälfte der Orhitalfurche ist
i'urJi eine Falte markiert, die hoch am inneren Augenwinkel beginnt
""'' au der Nasenseite herabzieht, um allmählich auf der Gesichts-
"^■he auszulaufen. Der übrige Teil des unteren Augenhöhlenrandes
"■' diirch eine kleine ßogenlinie augedeutet.
2) Die Augenbrauen (Superrilin).
Die obere A u ge uhöhlen gegen d zeigt den buschigen Hnarhogen der
'"(^t 11 brauen, ein Schmuck des menschliche]i .Antlitzes; sie bilden einen
288 Achter AbHchnitt.
malerischen Übergang von der gleichmäßigen Farbe der Stirn zu den
Wechsel, den die Farben des Auges, der Wangen und der Lippes in
das Gesicht der hellfarbigen Rassen bringen.
Die Augenbrauen beginnen über der Nasenwurzel mit breitem
buschigem Ansatz, streichen bogenförmig nach aufwärts gekrünimt
längs des oberen Augenhöhlenrandes hin und ei*strecken sich bis an
den Jochfortsatz des Stirnbeines, wobei sie allmählich an Starke
abnehmen. Sie bestehen aus dicken, kurzen, schräg nach aufien
gerichteten Haaren. Wie die Wimperhaare, haben auch sie nur ein
sehr beschränktes Wachstum, so daß ihre Länge fast stationär bleibt
Verschmolzung der Brauen in der Mittellinie über der Nase soll Härte
und Festigkeit des Charakters anzeigen. Man hält heute mit Becht
nichts mehr auf solche physiognomische Weissagung, soviel ist aber
richtig, daß verwachsene Brauen dem Gesicht einen charakteristiaoheD
starken Ausdruck geben, namentlich dann, wenn sie am inneren EDiie
länger sind oder gar in dichten Büscheln hervorstehen. In diesem Fallr
beschatten sie das Auge, wodurch der Blick etwas finsteres erhält. Die
nationalen und individuellen Verschiedenheiten sind zahllos. Im Orient
werden verwachsene Brauen für schön gehalten. Deshalb lassen Aiv
türkischen und arabischen Frauen den breiten schwarzen Strich, mit
welchem sie ihre Augenbrauen zu malen pflegen, quer über der Nasen-
wurzel zusammenlaufen.
3) Haut der Lider.
Von den Augenbrauen nach abwärts verfeinert sich die Haut, je
näher sie der Lids])alte rückt. Dasselbe ist von unten heniuf der
Fall; die Haut ist dabei in hohem Grade dehnbar. Geschmeidig und
glatt im jugendlichen Alter, faltet und runzelt sie sich in späteren
Jahren, nach ganz bestimmten Regeln, welche mit dem Verlauf der
Lider, des Augenhöhleneiiiganges und des Rhigmuskels des Auges
zusammenhängen. Diese letzteren Falten sind am zahlreichsten und
markiertesten am äußeren Augenwinkel, dort ist die Zusammenziehung
des Muskels am stärksten, da er keine Verbindung mit den darunter
liegenden Knochen hat. Die Richtung der Falten folgt dort den
Radien des Kreismuskels. Sie treten oft sehr früh dort auf als ein
Büschel von Hautfiilten, welcher vom äußeren Augenwinkel schief narh
außen und unten zur Schläfengegend zieht und dabei strahlenförmig
auseinanderweicht. „Krähenfüßchen'* nennen sie unsere scharfspähenden
Damen, crmv-feefs die Engländerinnen.
Die Beweglichkeit und Dehnbarkeit der Haut in der Augengegend
gestattet, daß man sie in hohe Falten aufzuheben vermag, denn das
darunter liegende Bindegewebe ist außerordentlich locker und dabei
Miukeln da Kopfes. 289
Ikommen fettlos. Die letztere Eigenschaft teilt es mir mit wenigen
Ürpenitelleu. Dieser liohe Grad der Verechiebbarkeit ist besonders
icbtig an einer Stelle, wo beständig das Heben und Senken der Lider
kit dem geringsten Widerstand zu geschehen und ein Teil der Lider
■ der Haut der Äugengegeiid zu verschwinden hat, damit der
ingapfel und vor allem die Hornhaut frei werde. Die mechanische
Bnriclitnng, mittels welcher dii.s obere Lid gehoben wird und sich
dabei teilweise unter die Haut schiebt, ist folgende: Die Grundlage
edes Augenlides bildet eine Knorpelplatte, der Lidknorpel, der ent-
iprecheDd der vorderen ÄugapfelÖäche gewölbt ist. Er verdickt sich
Sgen den freien Rand des Lides hin. Der Knorpel des oberen Lides
ftbertrifft jenen des unteren an Steifheit und Höhe, Beide sind an
den entspreciienden Äugeuhöhlenrand durch starke aehnenartige Faser»
befestigt. Um das obere Lid zu heben, kommt aus der Tiefe der
1 Orbitalteil des oberen Udes.
I Obere Udfalte.
t Uatere Odfilte.
W Orbitalteil dee unteren Lides.
Pig. 93, Auge von der Säle geBeheii.
Augenhöhle ein langer schmaler Muskel, der Aufheber des oberen
*'''ii6 (Levator palpebrae mtpeTioris, Fig. 84 Nr. 6) hervor, der unter
l Dach der Augenhöhle über den Augapfel hiuwegzieht und sich
hinten her mit einer platten, fachertorEoigeu ^hne an den oberen
id des Lidknorpels befestigt. Verkürzt er sich, s« muß der Lid-
Tpel an der VorderHäche des Augapfels in die Höhe gleiten und
^'1 Teil des Lides sich unter den anderen Teil wie unter eine Klappe
"' "ein schieben. Bei geöffnetem Auge besteht demnach Jedes Lid aus
'*^i Abteilungen, die bei genauerer anatomischer Untersuchung auch
"" Iimem verschieden sind. Der der Spalte zunächstliegende und
"^ch der Wölbung des Augapfels geformte Teil enthält die Knorpel-
P'^tte, ist derber als der andere, an dem freien itand mit Wimpern
''^»etzt, und heißt der Tarsalteil des Lides^ (Fig. 93).
j, ' Der Kuorpel der Auj;Ci;iilider heißt Titrsus. daht-r autli die Bezejtlinuug:
"^»»»•adknoipel.
1
290 Achter AbmshniU.
Der übrige Teil des Lides ist knorpellos, deckt den AugenböUfli.
eingang zu und wird Orbitalteil des Lides genannt. Die Hantiahc
welche durch das Ubereinanderschieben der beiden Lidabschnitte ent-
steht, heißt Lidfalte (Fig. 93) und zwar giebt es eine obere and eme
untere Falte dieser Art. Die untere Lidfalte ist seichter als die obere
und verliert sich allmählich nach außen; das untere Lid ist QberittVfi
niedriger als das obere.
An dem geöffneten Auge wird also der Tarsalteil des Lides tob
oben her teilweise bedeckt durch den Orbitalteil des Lides, wie ii
der Figur 93 Nr. 3 ersichtlich ist. Dieser Orbitalteil des Lides ist
in unseren Figuren ziemlich stark gewölbt; auch diese Form unter-
liegt manchem Wechsel. An dem jugendlichen Auge, das hier dtr-
gestellt ist, ist die Fülle des Organs so beträchtlich, daß der knl»-
cheme Eahmen der Augenhöhle kaum sichtbar ist, sondern die Haut
des Orbitalteiles sich mit der der Augenbrauen ohne auffallende Mo-
dellierung verbindet. Ist dieser Orbitalteil des Lides länger, als in der
Figur dargestellt, dann rückt der freie Band der Falte weiter über
den Tarsalteil herab und kann bei hochgradiger Schlaffheit selbst den
Wimperrand erreichen.
An dem unteren Lid existiert ebenfalls ein Orbitalteil, der durch
besonders zarte und dünne Haut ausgezeichnet ist. An ihm kano
man sehr oft die tiefliegenden Venen durch bläuliche Färbung ange-
deutet finden, namentlich gegen den inneren Augenwinkel hin.
Die Wirkung des Aufhebers des oberen Augenlides hat zur Folge,
daß in späteren Jahren am oberen Augenlid, und zwar zuerst im
Orbital-, dann im Tarsalteil, zahlreiche kleinere Falten entstehen,
welche dieselbe Richtung besitzen wie die Lidfalte. Dasselbe ist auch
an dem unteren Augendeckel der Fall, nur treten dort gleichzeitig
noch andere Falten auf, welche die vorerwähnten in schiefem Winkel
kreuzen. Diese Falten hängen mit den Verschiebungen der Wangeo-
haut gegen die äußeren Augenwinkel durch den Ringmuskel zu-
sammen, es sind dieselben, welche schon einmal unter dem Namen
Krähenfüßchen bezeichnet wurden.
4) Die offene Lidspalte (Rima palpebrarum).
Die freien glatten Ränder der offenen Querspälte begrenzen einen
mandelförmigen Raum, der verschiedene Größe besitzt. Große Augen
werden durch große Lidspalten bedingt, durch welche man einen
größeren Teil des Augapfels übersieht, und durch einen etwas größeren
Durchmesser der Hornhaut. Ich verweise auf folgende Messungen:
^r Miukeln des Kopfei. 291
^^Die Länge der Lidapalte beträgt bei Kindern unter einem Jahr
in der Regel 13—18 mm
In ilem aeehaten Jahre erreicht wie 22—23 „
U. „ „ ,. '■äf' 1. ■
Kv'i Erwachsenen „ ,. 27 — 33 „
Der Istzlere Fall ist jedoch »elten.
Die Hohe der Lidapalte sehwankt zwischen 7 — 11 mm.
Andere Angaben, die vorliegen, sind viel zu hoch.
Wenn wir von „großen, runden" Kinderaugen sprechen, bo sind dies Bolche,
1*) denen die Höhe der Lidapalte von der Lüuge unr 2'/, mal übertroffen wird.
Die Größe den Augea wird nicht von der Lidöüfhung allein, sondern auch von
Jcm Dnrelunesaer der Hornhaut besÜmmL Dieselbe beträgt bei Kindern in
irilheater Jugend 8—9,5 mm und steigt bei Erwachsenen bis auf 11 und 12,5 mm.
Die ZU kurz geschlitzte Lidspalte giebt dem Gesicht einen wenig au-
tptechenden Ausdnick, denn das Äuge erscheint zu klein. An dem
S OrbitalteU d. Udvs.
Nickh&ul i
Pig. 94. Auge
I iKulierzigen Auge der Kinder ist die Lidspalte im Verhältnis zu dem
Auge des Krwachsenen weiter geöffnet.
Die offene Lidspalte wurde mandelförmig genannt. Diese Be-
teichauDg ist im allgemeineu zutreflend, allein nur unter dem beach-
IsiBwerten Zusatz, daß sich die am weitesten gebogenen Stellen der
hidrinder nicht vellständig entsprechen. Die größte Höhe der Bie-
K^iig liegt bei dem oberen Lid nahe dem inneren Augenwinkel, bei dem
"i^teren dagegen mehr nach dem äußeren Augenwinkel hiiigerückt (Fig. 94).
I' Die Ränder der Lider sind l'/j mm breit, eben, die bedeckende
■ nitnne Haut hat ein feuchtes Ansehen und läßt die Farbe des Blutes
Bj^^haft durchschimmern. Das ist gleichzeitig die Strecke, auf der die
W^ Vergleich mit ihr trockene Haut der Wange sich allmählich ändert,
I ""' die Beschaffenheit der Sciüeimhaut auzunebmen, welche die hin-
*^ö Fläche der Lider überzieht und sich von dort aus umbiegt, um
■"ch die vordere Fläche des Augapfels zu überziehen.
Jeder Lidrand hat eine vordere und hintere Kante. An ersterer
Pfosaeu in 2 — 3 Reihen die Cilien oder Wimperhaare hervor,
292 Achter Abschnitt.
deren kurzer zugespitzter Schaft so gekrümmt ist, daß die im oberen
Augenlid nach oben, im unteren nach unten gekrümmt sind. Am
oberen sind sie länger als am unteren, und an beiden in der Miu«
der Ränder länger als gegen die Enden zu. An der Bucht des in-
neren Augenwinkels fehlen sie.^ An der hinteren Kante der Lider
stehen die punktförmigen Öffnungen einer Reihe kleiner Diüsen. die
Tarsaldrüsen der Lider genannt. Sie sind 4 — 6 mm lang und m die
Substanz des Augenlidknorpels zu 30 an der Zahl eingebettet Ihr
Produkt, fettähnlich, beölt den Lidrand, und verhindert das Über-
fließen der Thränen, so lange ihr Strom nicht zu reichlich in die
Lidspalte sich ergießt. Dieser beölte Rand vermag bekanntlich eine
ziemlich beträchtliche Menge von Thränenflüssigkeit zurückzuhalten.
Sie staut sich und haftet als eine dünne Schichte auf dem Vorder-
rand des unteren Lides. Es ist dies jener Moment, der buchstäblidi
richtig bezeichnet ist mit den Worten : das Auge schwimmt in Thräneo.
Bekanntlich ist das deutliche Sehen dabei unmöglich. Licht dringt
wohl ins Auge, aber die Bilder der Gegenstände sind verschwommen.
weil die vor der Cornea befindliche Flüssigkeitsschichte die Brechung
der Lichtstrahlen ändert. Dieser glänzende Thränenstreifen auf dem
unteren Lidrande, „der feuchte Blick'*, ist sowohl malerisch als plastisch
dargestellt worden. Im Alter ist das thränenfeuchte Auge auch ohne
Trauer an der Tagesordnung, und auch sonst kann es bei dem wein-
seligen Zecher erscheinen. Daß das blöde Auge des Schnaps^äute^
peimanent in Thränen schwimmt, wissen die Kenner des L^nheil^.
das der Alkohol täglich in der Welt anstellt, sehr genau.
Die Lidspalte bildet mit ihren l)eiden Enden die Augenwinkel,
von welchen der äußere spitzig zuläuft, der innere durch eine rund-
liche Bucht abgeschlossen ist. Am äußeren Winkel überschneidet die
Begrenzungslinie des oberen Lides jene des unteren; am inneren gehen
die Begrenzungslinien bogenfömig in einander über. Der Bogen ist
eng, und der Übergang in seine Kontur geschieht nicht allmählich,
sondern in einem stumpfen Winkel, der an dem unteren Augenlid
stärker ist und einen kleinen Höcker darstellt, auch etwas weiter gegen
die Cornea hingerückt ist, als der obere (in Fig. 94 etwas zu schwach
ausgeprägt, doch erkennbar).
Diese kiciucn, kaum benierkban'n tacken werden für die Ableitung der
Thränen nach diir Nase hin von großer Bedeutung. Auf ihnen befindet sich jf
eine kleine kreisrunde Öffnung:, der Anfang dvr Thränenkanälchcn. Die aus der
* Mehr nebenafichlioh, aber doch erwähnenswert ist die Thatsache, dafi feioe,
lange, diehtgestellte Wimper haare, indem sie dem sichtbaren Teile des AugapM.'t
eine reichere und zartere Umrahmung gewähren, einen milderen und freundÜcheu
Ausdruck des Auges befördern.
Miukeln des Kopfe». 293
irSnendrüsc abgesonderte Flüssigkeit wird über itie vordere Flüehe fies Augupfcls
}i die Rewegiingen der Lider gegen deai inueren Aiignijwinkel güdrfingt und
kill demon Burhl aus, welche dcBh&lb aueh den poetiei^hen Namen ThräncD-
■e« (Laeti» laeri/mtiTuml erhalten hat. Nur wenn die Thrüiien im Übersehiisae
I, verinng er sie nicht zu fassen und litBt nie Ober die Wangen ablaufen.
; gewiihnlivhcu Absundcnuigsmengen werden von den kleinen Mündungen der
ancnkanalchen Aufgesaugt und auf verborgenen Wegen uud dureh einen ainn-
nichen Hcchonisniua nach der Naee abgeführt.
Die Tiefe des inueren Augenwinkels birgt ein Heischrotes Höcker-
■ chen, die Thränenkarunkel (Fig. 94 Nr. 4), die sich nach der Seite
ler Cornea alliuählich abtlaclit, und in einen scbarfen 1 mm breiten
lud ausläuit. der mit seiner Konkavität nacb außen gerichtet ist.
Jieser kleine zierliche Rand (Fig. 94 Nr. s) bat von seiner Ähnlichkeit
mit der Mondsichel die Bezeichnung halbmondförmige Falte er-
ihalten. Sie ist eine Erinnerung an die Nick- oder Blinzhaut der Tiere,
Bitd wird auch mit dem Ausdruck Nickhautfalte benannt.
Die geschlossene Lidspalte stellt eine nach unten konvexe
liinie dar. Am inneren Augenwinkel zieht sie, etwas abgerundet, ei-st
e kleine Strecke horizontal, wird dann konvex, um nach Vollendung
ibrer Bahn wieder 3 — 4 mm horizontal weiter zu ziehen. Dabei ist
ihr Anfang am inneren Augenwinkel etwas verdickt auf Grund des
jenuideten Übergangs zwischen dem oberen und unteren Lid, wäh-
rend sie am äußeren Augenwinkel sehr spitz ausläuft.
6) Bindehaut des Auges (Conjunctiva aciili).
Es ist eine allgemeine En^cheinung am menschlichen und tierischen
Wrper, daS die äußere Haut an der Stelle der Körperöffnungen sich
"8 eine zarte durchsichtige Membran in die Körperhöhlen hinein
fcrtsetzt. So schlägt sich die äußere Haut , einer üblichen Aus-
^cksweiae zufolge, auch von der vorderen Fläche der Augenlider
hinteren um, überzieht diese, wendet sich dann gegen die Ober-
flicie des Augapfels, um dessen vordere Fläche zu überziehen. Die
Fortsetzung der äußeren Haut auf die hintere Fläche der Lider
JU^ auf das Auge nennt man Bindehaut des Auges, Bei diesem
l^rgaug wird sie immer durchsichtiger, so daß sie schließlich auf
""■ Oberääche des Augapfels für das freie Auge unsichtbar ist. Daß
** Cornea von einer 6 — 8 fachen Schichte feiner Zellen bedeckt iat,
MDt niemand, nur das Mikroskop liefert den unzweifelhaften Beleg.
•"886 Fortsetzung der Bindehaut auf die Hornhaut bleibt während
™ä Lebens völlig durchsichtig, der Lidschlag hält sie feucht, und von
aer Vorderen Augenkammer her kommt der auch fiir sie unerläßliche
''^älirungssaft. Nach dem Tod trübt sich diese durchsichtige Schichte,
294
da» Auge wird glanzlos, wie mit einem Schleier ühertogetk. An dv
Obertläcbe entsteht nur mehr ein schwacher Lichtreflex, ilaM Ab^ tä
„gebrochen". AJle diese Vorgänge spielen sich auf iler Honhint ji
verhältnismäßig kurzer Zeit ab. Die OberHäche des WeiBro , ife
Sclera, verändert sich zwar ebenfalls nach dem Tode, allein ihn- V«.
änderungen sind weniger auffallend. Nur der Geübt« wird »lir-
nehmen, daß auch sie an (jJlaJiz verloren hat. Unterdessen behält Jir
8 Aurheber d. LJd«.
5 Oll, genid. Aapa.
Fig, 95, Augenhöhle
Augapfel noch ftir mehrere Stunden seine pralle Beschaffenheit, sdlnt
dann, wenn das Auge halb offen steht, und das ÄustitKlmen j
Hurnhant ungehindert geschehen kann.
c. Die Augenmuskeln.
Während alle anderen Sinnesorgane die äußeren Kiudi
ruhend empfangen, kann das Auge durch seine Bewegungen di« ]
drücJie selbst aufnehmen und ergänzen.
Im Innern der Augenhöhle hnden »ich sieben Muskeln, i
sechs filr die Bewegung des Augapfels bestimmt sind, einer fÜrJ
Aufheben des oberen Augenlides.
Der kugelförmige Augapfel ist auf dem entsprechend ausgehöm
Fettpolster der Augenhöhle einer Bewegung fähig, ähnlich dem I
Mnakein des Kopfes. 295
lenkkopf in der Pfanne. Die Bewegungsfähigkeit erleidet nur eine
Beschränkung durch die Verbindungen des Augapfels mit der Um-
gebung und durch die Augenmuskeln selbst, in der Art, daß bei der
Wirkung des einen Muskels der Antagonist desselben wie ein Zügel
der Bewegung ein Ziel setzt. Schon aus diesem Umstände geht her-
vor, daß fbr die Augenmuskeln dieselben allgemeinen Regeln gelten,
welche weiter oben von dem Bau der Muskeln überhaupt, von dem Ur-
sprung, Verlauf, Ansatz und von der Art ihrer Thätigkeit aufgeführt wur-
den. Sie sind nur entsprechend dem Organ, das sie zu bewegen haben,
klein, denn die Last des Augapfels bedarf zu ihrer Bewegung keiner an-
sehnlichen Kräfte. So finden denn die sieben Muskeln neben dem Fett,
den Gefäßen und Nerven im Innern der Augenhöhle reichlichen Platz.
Fünf dieser den Augapfel bewegenden Muskeln entspringen im
Hintergrund der Augenhöhle rings um die Eintrittsöffnung des Seh-
nerven. Vier verlaufen geradlinig, indem sie von ihrem Ursprungspunkt
aas divergieren, und direkt nach vier verschiedenen Punkten des Aug-
apfels hinstreben, welche oben, unten, innen und außen liegen.
Sie heißen die geraden Augenmuskeln (Mm. recti), Sie setzen sich
an vier gegenüberliegenden Punkten der vorderen Augenhälfte an. Um
dorthin zu gelangen, überschreiten sie den Äquator der Kugel (Fig. 95)
und befestigen sich mit verbreiterten Sehnen in der derben Sclera,
nur 4 — 8 mm vom Homhautrand entfernt. Läßt man bei weitgeöff-
netem Lid das Auge stark nach außen drehen, so wird die Sehne des
inneren geraden Augenmuskels bei durchsichtiger Bindehaut erkennbar.
Nach dem Ansatzpunkt werden diese vier Muskeln durch fol-
gende Namen unterschieden:
1) Oberer gerader Augenmuskel, (Rectis superwr^ Fig. 95 No. 5),
2) Unterer „ „ „ iriferiar, Fig. 95 No. 10),
3) Innerer „ „ „ internus),
4) Äußerer „ „ „ extermu).
Zu diesen vier geraden Augenmuskeln kommen noch zwei andere,
die man wegen ihres Verlaufes die schiefen Augenmuskeln nennt.
Der eine vom Umfang des Sehnervenloches herkommende Muskel ist
der obere schiefe Augenmuskel (Obliquus oculi superior). Er ge-
langt auf einem seltsamen Umweg zum Augapfel, wodurch sich frei-
lich gleichzeitig seine Wirkungsart erklärt. Er zieht nämlich gegen
den oberen inneren Augenwinkel hin, geht dort in eine rundliche Sehne
über, welche durch eine knorpelige Rolle am Dach der Augenhöhle,
ähnlich derjenigen eines Flaschenzuges, aufgehängt ist. Die Sehne
dieses Muskelchens ändert jenseits der Rolle die Richtung und strebt
von dem Dach der Augenhöhle nach dem Augapfel hin, um dort auf
seiner hinteren Halbkugel mit der Sclera zu verwachsen. Seine Wir-
296 Achter Abschnitt
kung beruht in einer Drehung des Augapfels nach außen und obea.
Der zweite schiefe Muskel des Augapfels entspringt nicht in der Tiefe
der Augenhöhle, sondern vorn in der Nähe des Einganges nach der
Nase zu, und begiebt sich an die äußere Seite der hinteren Augapfel»
hälfte; er erscheint in der Fig. 95 unter Nr. 9 durchschnitten. Auch
er führt, wie sein Vorgänger eine Drehung des Augapfels aus, aber
nach der entgegengesetzten Richtung.
Die Übung hat uns sehr bald gelehrt, jeden einzelnen dieser
Muskeln für sich spielen zu lassen. Ohne Ahnung von ihrer Eristeoi.
gebrauchen wir sie und beherrschen ihre Wirkungen mit einer er-
staunlichen Sicherheit.
Die Augenbewegungen beteiligen sich an dem mimischen Ai»-
drucke des Gesichtes in so hervorragender Weise, daß sie allein schon
mehr von den inneren Bewegungen der Seele verraten können als das
ganze übrige Gesicht. So lebhaft ist ihre mimische Thätigkeit, daB «ie
selbst bei gesuchter Ruhe des Gesichtes die Seelenregungen offenbaren.
Die Bewegungen des Auges werden zu einer Sprache, oft lebhafter und b^
redter als alle Worte. Sie kann härter, schroffer und bestimmter sein, als all«" g«>
sprochene Bede, aber auch mit einer so ergreifenden Weichheit sich zu uns wendea
daß wir uns im Innersten erregt fühlen. Die Demut und Unterwürfigkeit sehligt
die Augen nieder. Deshalb nannte Cassebiüs den unteren geraden Augenmnakd
den Demutsmuskel (Mtiscuhts hurnilis), weil kein armer Teufel hoflärtig dran-
schaut. Der äußere gerade Augenmuskel wurde auch der Muskel der VeriiebtiT!,
Musculus amatarius, genannt, demi der verstohlene Seitenblick gilt einem geliebln
Wesen. — Es ist eine Gewohnheit jedes Trinkenden, beim Lieeren des Glases die
Augen auf dasselbe zu richten, welche Bewegung durch die beiden inneren geraden
Augenmuskeln vollzogen wird. Es wird von einem Anatomen berichtet, daß Me
ff barharis wuseuU hibitoriiy Trinkermuskeln, genannt werden. Wer diese Barbaren
sind, hat Casserius nicht gesagt Man kann nur vermuten, daß er die Deuteeb««
darunter meinte, welche, so oft sie mit den Bömerzügen nach Italien kamen, wie
einst die Gallier, durch ihre Ijeistungen im Essen und Trinken unter den nüchtemeD
Italienern Aufechen erregten. Daher dort noch aus jener Zeit das Sprichwort
kursiert: j^ahbiamo mangato et bevuto come duc Tedeschi!^^
III. Die Nase (Nasiis),
Die äußere Nase und ihre Eigenschaften bilden den Gegenstand
der folgenden Beschreibung. Die äußere Nase ist das Yorhans der
Nasenhöhle, die sich tief in den Gesichtsschädel mit ihren komph-
zierten Räumen hineinerstreckt und nach hinten in die Rachenhöhle
mündet. Man unterscheidet deshalb in der systematischen Anatomie die
im Gesicht hervorragende Nase von der innem Nase, die aus der Nasen-
höhle und der sie auskleidenden Schleimhaut, dem eigentlichen Sitz des
Geruchssinnes besteht. Die letztere findet hier keine Berücksichtigung.
Man unterscheidet an der äußeren Nase: 1) ihre Wurzel (an dem
UnAcIn des Ropfoa.
297
rnbeiu), 2) ihreu Rilukea (GiVliel des Naseiidaulies), '^) ihre Spitze
Biit größerer oder geringerer Abnindung, 4) ihre Seitenwand und
B) die beiden Flüge!. Letztere besitzen unter allen Teilen der Nase
die größte Beweglichkeit. Der obere, gegen die Nasenwurzel hin
liegende Teil besitzt eine knöcherne Grundlage, bestehend aus den
beiileu NaHenkniichen, welche sich an das Stinibein ansetzen, und aus
den Naaenlbrts ätzen der beiden Oberkieferknnchen, weicht! zu beiden
Seiten der Nasenbeine liegen und mit ihrem oberen Ende ebenfalls bis
an (las Stinibein reichen. Die Beschaffenheit dieser Knochen und ihre
gegenseitige Lagerung wui'de schon in der Knochenlehre beschrieben
id abgebildet. Dort ist auch der beträchtliche Wechsel erkennbar,
i Dreieckiger Kiinrpel.
t Dreieckiger Knorpel.
Vjlk & Flügel knon'el.
2 Flugelknorpel.
Fig 96 Die Nasenkuorpel vo
flem (he Naienbeine und die Naaenfortsätze des Oberkiefers unter-
*orfeu Bind Sie können mch steil erheben, und dadurch einen hoben
Bclunaleji Nasenrücken bilden wie in der Fig. 21, S. 9ü, oder sie stei-
fen nur wenig aus der Gesirhtatbene empor und stellen miteinander
einen platten und eingehngenen Nasenrücken her, der im Vergleich zu
der anderen Form kurz genannt werden muß, wie in Fig. 22 S. 91,
Die Vervullstaudigung dieser knöchernen Nase geschieht durch
Anzahl von Knorpeln, von denen der folgende dazu bestimmt ist,
len großen Nasenraum in zwei gesonderte Höhlen, eine rechte und
""ke tn trennen.
Der Scheidewandknorpel (Septum cartilaymeum) ist die Fort-
^taung der knöchernen Scheidewand, welche durch das Pttugscbar-
^"1 nnd die senkrechte Siebbeinplatte hergestellt wird. Nach hinten
K^gen den Rachen, und nach oben gegen den Schädelgnind , reicht
9
298 Aühtet Abtchaltt. 1
die knöcherne Naseuscheidewimd ; der vordere Äbschaitt wird dvt^
die knorpelige Platte ersetzt. Ihr bis iu die äoSere Nase vortreten-
der Teil endet abgerundet in einiger Entfernung von der Naaenapitie.
und geht auch nicht bis zum unteren Rande der die beiden Natcn-
löcher trennenden und bloß durch die Haut gebildeten Nasenscheide-
wand herab. Wenn man Daumen und Zeigefinger einer Band io
beide Nssenlöciier eiufilhrt und die nur von der Haut gebildtle
Scheidewand nach rechts und links biegt, fühlt man den freien Rind
des Scbeidewandknorpels ganz deutlich. Er steht in Verbindung mit
- 1! Dreieckiger Knorjiel.
Flngelkaon>cl 3
Fig. 97. Die Naat'nknorp*! von rtur Sdte gesehen.
dem dreieckigen Knorpel ("CorfiÄi^o triatu/ularis Fig. 96 Nr. 2 n.2'],
der an die unteren Enden der beiden Nasenbeine angelegt ist, nnd tob
vonie wie von der Seite aus wie eine direkte Verlilngerung derselben
aussieht. Man unterscheidet an ihm, sofern wohlgebildete europäische
Nasen mit hohem Bücken zur Untersuchung gelangen, zwei Seiten-
lappen, welche die seitliche Abdachung der Nase von den Nasenbeinen
an bis zu den NasenHügehi herab ergänzen (Fig. 96 Nr. 2' und Fig. 97
Nr. 2') und eine mittlere in der Flucht des knöchernen NasenrQckens
liegende Fläche. Diese mittlere Fläche ist niemals von großer Aus-
dehnung, verschmälert sich überdies gegen die Nasenspitze zu und
ikÄtin bei schmäieD Nasen sogiir vollständig schwiinleii; allein sobald
>ii, wenn auch von geringer Breite yorhaiideii, trägt sie dazu bei,
dHÜ der Nasenrücken iii ihrem Bereich eine deutlich erkennbare Fläche
darstellt, und mit scharfen Kanten in die Seitenteile abt^lllt. Die hin-
tere Fläche dieses dreieckigen Knorpels ist mit der knorpebgen Nasen-
i^eidewand verwachsen.
Die paarigen Nasenflügelknttrpel (Cartilat/iiies alaret, Fig. 90
Bod 97 Nr. 3) liegen in der Huut der Nasenflügel und sind maßgebend
ftr dejen Foiin. Vorn an der Nasenspitze hahen sie ihre große
schildförmige Ausbreitung, um sich dann hackenformig verschmälert
sowohl nach außeu den Nasenflügeln entlang fortzusetzen, als sich,
gegen die knorpelige Nasenscbeidewand nach innen umbiegend, an die-
selbe anzuschmiegen (Fig. 96 Nr. 3'). Die paarigen Naseutitlgelkuoq)el
bilden unter solchen Umständen die Umraudmig der Nasenlöcher, so-
weit nicht von innen her die Nasen Scheidewand dabei beteiligt ist.
Diese Knorpel zeigen an charakteristisch geformten Nasen scharf-
fesnhnittene Ecken und Kanten, wie sie auf den beiden Figuren S)6
luid 97 angedeutet sind. So geschieht die Umbiegung nach innen mit
einer, wenn auch nicht hajirscharfen Kante, wohl aber mit einer
deutlich an dem Präparat wie an dem Lebenden sichtbaren Knickung.
Sind die beiden Flügelknorpel vonie etwas weiter voneinander ent-
™rnt, so ist die zwischen ihnen vorhandene Fläche vom Bücken herab
'"8 Zu der Spitze unverkennbar. Dort geschieht danit die Umbiegung
"tir bei der Nase des Kindes und bei dem Stumpfnäschen des Mäd-
'■hetis geiiindet, bei reiferen Individuen ist eine scharfe Kante vor-
''ÄDileu, als Anfang eiuer dreieckigen Fläche, die nach unten gerichtet
ist (JTjg. 97^, Zwischen den vorderen Kanten der knorpeligen Seiten-
niigel liegt iu der Tiefe der vordere Rand der Nasenscbeidewand ver-
"Ofgen. Sie reicht, wie auch die Fig. 96 ergiebt, nicht ganz bis an
^^ Oberfläche; deshalb kann es vorkommen, daß vom Ende des drei-
^kigen Knorpels an eine seichte Rinne über die Nasenspitze herab-
^■cht, weil die Haut zwischen dem Flügelknorpel etwas einsinkt. Dies
''*Hn so weit gehen, daß ein 1 — 2 mm tiefer Einschnitt eine Art
^oppelnase zu stände bringt.
Der Rücken der Nasenspitze und ihre seitlichen Teile bis zum
****einn der Nasenflügel entsprechen zugleich der mächtigsten Entfal-
"lig dieser Flügelknorpel. Dort reichen sie am weitesten hinauf,
•^»"l ist also ihr Einfluß auf die Form des Nasenendes am bedeutend-
^^>i. Ihr nach oben genindeter Kontur- ist in der Regel durch die
^•**-Tjt hindurch nicht zu sehen, bisweilen ist er jedoch von dem drei-
^*^lcigen Knorpel deutlich abgesetzt. Wie viel von den Flügelknorpeln
'»■ch dem Nasenrücken zugewendet sein kann, läßt die Fig. 98 er-
1 lies Kopfes.
299
• >^K) Achter Abschnitt.
ifhf.n ,in drr in die Kontaren einer Xase mit gennleni BückrL *u
K'^Titiir^n '{f'.r Knorr»»*! einjrezeichnet sind.
fiPF llYt^rjans -ier vorderen Fläche des Nasenendes in die %*n-
lii'lif- W;ini!iinff ier Nd.-enriäj!el geschieht bei dem Manne durcb ea*
/ v;ir -r.iimpre ;ih»rr di>«:h deutliche Kante, die in der Fig. 9T ra
k»=!ni;riif.ri >r, Jr^n-eit* der Kante beginnt in dem Knorpel eine iLitk?
'jrnib*;. irr Anr-incr jener Furche, welche den Nasenriügel tol itt
^eirl;rKerl Vi-enHiw-he abhebt. Die übrige Form der Knorjielwant
wrlthe 'i#='m N.i.-enrfiiirel entlang zieht, ist in der Fig. 97 so <chirf
jrezei'^hner. liaü eine '^eitere Be-'^chreibung überflüssig erscheint. Zu
weiter»=Tr \ 'ir^niUr'ArAisnn^ d»rr anatomischen Beschreibung sei nur
erwihnr. .i.iß .jir ler2r*=-n Ankäufer dieser Knorpel bisweilen iu klei»
eckige Knorpelstücke zerfkllen, welche dum
durch Bandmasse untereinander zusammm-
hängen.
THe Obertläche aller Xasenknorpel wird
von der allgemeinen Decke überzi^en. welche
•iori.h fettloses Bindegewebe fest an die Unter-
lage anhängt, und nicht gefaltet werden kazu.
wa* d'.H'h auf der knöchernen Xase sehr leicht
r^ ire^chieht. Diese Haut der Nase ist reich ao
Talgdrüsen, deren größte Exemplare von 2 nun
Lange, in der Furche hinter dem Nasendägel
münden. Ihre Mündungen sind bisweilen so
^^^' '*" gr«>B. daß sie leicht mit freiem Auge zu sehen
•^ind. Ihre Größe nimmt mit der Mannheit
zu. wie -ich überh:iupt die Haut verdickt, und die sonst engen Netze
der Blutgefäße an Weite zunehmen.
Zahllij'ii ^iml die indivi.iu^rllen und Rassenverschiedenheiten der
\>ts^. Von der Na^e. deren Rücken ohne Kinbug und in einer Flucht
rnit der Stimebene herubläutt bi> zur Plattnase des Kalmücken, welche
-o wfrTjifir Vorragt, daß ^ie auf die bloßen Nasenlöcher reduziert zu
••ir. whf-int. liegt eine unendliche Mannigfaltigkeit von Ubei^ang*-
^''.rrfif'.ti. hh welcher '-ich alle Ab-^chnitte der Nase beteiligen.
l)ic -Dgeniiimte griechische Nase, deren Rücken in einer Flucht
../ 'i*r Srirnebene liegt, i^t «»tt'enbar eine Schöpfung der griechischen
F' -^-Nk. lind wurde tVir Götter. Göttinnen. Heroen und andere Personen
•r. höh^rn Rang kinistruiert. In Wirklichkeit kommt eine solche
';.. .ry^fMde Verbindung zwischen Nasenwurzel und Stirn nur sehr
' *' '. ';r. »ie war im Altertum keineswegs die Regel, wie die Por-
■f^i*r,',-un ;,ri« j»-fifr Zeit deutlich l^wei^en und überdies die Anatomie
'»A';f,i ,\t.j- n\\of] als der modernen Schädel darlegen kann. Per
Unikefai det Köpft*. 301
Atnrgemäße Ansatz von der Stirn und der Nase liegt bei dem Manu
lertieft. Der Gnind liegt in der Dickenzunahme des Stirnbeines und
Umeiittich. in der Entstehung der lufthaltigen Kilume, deren achon in
ist Knochenlehre gedacht wurde.
Es ist eine iür die Rasseiiaiiatumie bemerkenswerte Thataache,
'ia£ bei manchen Formen des Mensehengeschlechtes di« Nasenbeine
Ms mm Verschwinden zui-ilckgebildet werden. Legen sich dann gleich-
die Nasenfortsätze des Oberkiefers fiacb, statt sich steil zu er-
leben, so kommt es zu einem fast vollstäudigen Mangel der Nasen-
»nnel nnd des oberen Drittels der Naae. Unter den in den letzten
Jahren durch Zeutraleuiopa gefülirten Samojeden und Kalmücken be-
fanden sich einige Individuen, bei weh^hen nur die untere NaaenhüUte
vorbanden nnd selbst diese mangelhaft entwickelt war. Da bei uns
die Nase den vorragendsfen Teil des Gesiebtes darstellt, so fallen
«ns MiSverhaltnisse der erwähnten Art höcbst unangenehm auf. Der
teilweise oder vollkommene Verlust der Nase entstellt mehi- als ein
iteit größerer Formfehler eines anderen Gesichtsteiles. Nicht minder
itörend wirken die VerdickungeTi der Haut. Die monströse Ent^tel-
'Initg kann so weit gehen, daß die Nase bis auf das Kinn berabbängt.
Eine Beschreibung der Nasenspitze, der Richtung und Form der
Kueneffnung und anderer Merkmale kann hier unterbleiben, nachdem die-
<W aoffalleudo Organ, wie kein anderes, zur Beobachtuug herausfordert.
Die Pbvaiognomen haben «Icr Snse beguiicicrc AufniL-rkaamkeit gexeigt, und
€■ 0. Cabdh iDfint, die Nnae atä es, diirch weli^he der Charakter des menticblichen
e tun entschiede asten bezeicfaset werde. „t>ic Stumpbiaaen geben ein Zeichen
Vm är.liwSehe und geringer gelKtiger Individualität ab; dicke und etanypk Nasen
A ^wohnlich den vorwaltend materiellen mnnlichcn Charakter an. Die Ung-
RMnckti? Form wäre Ins^niidn mit einer intelligenten forschenden und produktiven
**'» eine* feinen Ginste» sinnig verbunden. Die magere lugespitzte Nase deutet
WW gewöhnlich aufseht Bchlimme Gemütsart; trockene Spiirkraft, Verneinen Jeder
Plnnercn GemUtsriehtung." Diese Probe geiBtreicben Katvns mag genügen. Man
OtBkt bm derlei Angaben immer an die -Wetterpropheten iui Kalendex; genau das-
telbe, nur mit ein bischen anderen Worten und dabei höchatens 50 Prozent Treffer.
1 int räch mindeBtens ebenso oft mit diesen Urteilen wie unaere Kalendcrm scher.
e EigeoBcbaftcn der Nwe drücken folgende bei dtin Alten gr^brSuc bliebe
„ongen aus; Nasiii »imu», Mupanase, - Xa«u^ ueipularis, Spitanase, —
-°**' aduneuB, Habichtsuase, — Nastiit iitctirpHs, f^atteluaae, nach Cicebo ein
••«ieu von Schani Wigkeit und Raubgier, wie Catilima eine gehabt haben soll, —
^•■M noBieamis. aufgestülpte Nase. — Das Wort NaaeweiBlidl und die echt
'^Oiacbe Bedensart: nanum nuütun habere (beBuhrilnklen Verstandes sein) Beugen,
'"'iie Bedeutung der Nase schon im Alterium als pbyeiognouiiBches Organ bei-
■*8t wurde.
Die freie Stellung der Nase setzt sie dem Ej^^ri^!reu, den Verwundungen, wohl
^ lißT totalen Abtrennung aus. Die Anna.len der Chirui^ie sind nicht ann an
abgehnnene Nasen wieder angeheüt wurden.
302
Aohtcr Aladmitt:
ÄuBerst selten steht die Nase vollkommen b
Hichtea. Am öftesten weicht sie nach linke ab.
vorkommende Sehicfnaae a
dem Ei^bnL
metrisch in der Mitte de* G^
Wblckbb ' studierte <Ue so tdbd;
a Schädeln, Totenmasken und Lebenden, und kommt
le Schiefheit der Nasenwurzel und ■ eine Schiefheit dct
Nasenspitze gebe, je nachdem die Asymmetrie in den Naseobeinen, oder aber ■
der NaseDscheidewftnd liegt. Weieiien beide Teile in ontgegengeaetrter Kchtnng »b.
so entsteht jene Iftcheriichc Form der Nase, weiche nach einer Seite gekrflmint im.
I'ür alle diese Abweichungen der Nase von dem geraden Vfege wird der Diwi
verantwortlich gemacht, welchen das Schlafen auf einer und derselben Körpcnab
verursacht.
IV. Das Ohr (Aurü).
Das äußerlich sichtbare Ohr ist nur ein Teil des GehSrorgin«.
dessen physiologisch wichtigster Abschnitt in der Tiefe des ScbideU
-t Ob.Sdienkdd.Q(|(HL
-1 Dreieckige Omht.
i Gegenlöate.
-i Hint. Schenk. d.OcgnL
S HoMheUiShle.
O^oüeiMfl dickt u d«
Obrleiste licgnid.
1 Gegeneoke.
t Ende der Qegea\ätu.
l
Dnt.Schenk.d.Gegenl.
Vord.Sehenkeid.Leist«
Oberer I^nschnitt
Unterm' EinBChniU u-
Kig. 9fl.
und zwar in dem Felsenbein verborgen liegt. Das Ohr stellt filr die
Schallleitung eine Art von Höhrrohr dar, welches die Schallwellen
föngt und nach innen leitet. Es besteht aus der Ohrmuschel und
einer nach innen gehenden Fortsetzung,, dem (Jehörgang, der in der
Tiefe durch das Trommelfell abgeschlossen ist. Das Ohr kehrt seine
Konvexität dem Schädel zu, seine Konkavität vom Schädel ab. Inner-
halb dieser Konkavität treten wallaiUge Erhebungen und dazwischen
Vertiefungen auf, welche der Rund der Muacliel umschließt.
Die ovale Ohrmuschel, welche den breiten Teil des Ovales nach
oben wendet, ist zum grüßten Teil von einem '/^ cm breiten umge-
' Wki/ker. U., Die Aaymrnefrien der Nase und des Nnst-nskelettes. Beitrip
zur Biologie. E[iic- F<'stBclirift. ie»2. H". S. 317. 7 Holzschnitt«.
MntkelD dt* Kopfot.
303
ktempten Rand eingefaßt, der Ohrleiste {Nelir, Fig. 99 Nr. i) heißt.
Diese Olirleiste entspringt vorn in halber Ohrhöhe, mit zwei Schen-
keln. Der vordere taucht aus der Wangenhaut auf, Fig. 99 Nr. 5',
der hintere Nr. 5 aus der Tiefe der Muschelgruhe. Die Olirleiste steigt
nun erst eiue Strecke von 1'/, — P/, cm in die Höhe und wendet sich
dann in einem stumpfen Winkel nach hinten. Dieser umgekrempte
Sand ist nicht Uherall gleich breit, und sein angewachsener Teil, der
in die hintere Fläche übergeht, ladet sich, namentlich an zwei Stellen
stärker aus: die eiue liegt nach vom von dem höchsten Punkt der
Ohrmuschel, die andere nach hinten, wo die gewölbte Begrenzungs-
PiK. 100. Fift. 101.
Zwei von Ribera f;cn. 1l SpANaoLETTO gi^zcichiu^to Ohren.
Aus dem K. Kupfcrstichknbiiii-t zu Milnclicn.
linie aufhört, und in gerader Kichtung nach ab- und vorwärts gegen
das Ohrläppchen sich wendet (Fig. 39 unterhalb der Nr. 3). In der NiVhe
des Ohrläppchens wird der Rand schmäler und läuft in eine einfache
Leiste aus, die bisweilen deutlich abgesetzt ist (Fig. 99 Nr. s"). Die
Grundlage, auf der die Haut des Ohres sitzt, ist ein elastischer Knorpel,
der aber nach der Entfernung der bedeckenden Schichte die Einzel iiheiten
der Ohrmuschel nur in der Hauptsache andeutet; die feinere Modellie*
rung liegt zu einem beträchtlichen Teil in dem Überzug. Es sind wr)hi
die beiden ürspruugsschenkel der Ohrleiste knorpelig vorhanden, ebenso
der umgekrempte obere Teil, allein gegen das Ohrläppchen hin wird der
Knorpelzusehends schmäler uud läuft schlieBlich in ein rundliches Stab-
304 Achter Abschnitt
eben aus. Verfolgt man dasselbe mit den Fingern nach abwärts, s<i Ufii
sieb deutlicb das Aufboren des festen Knorpelrandes^ der sog. Schvanz
der Knorpelleiste fiiblen und an der Haut die kleine Vertiefung er-
kennen, auf welcbe die Nr. 5" in unserer Figur hindeutet.
Von diesem umgekrempten Hand wird zunächst eine lürhebong
der Ohrmuschel umschlossen, welcbe den Namen Gegenleiste (Aut-
helix) erbalten bat. Am deutlichsten ist sie als ein praller WuUt
oberhalb des Ohrläppchens (Fig. 99 Nr. 4') ausgeprägt, der eine Strecke
weit in gleicher Richtung mit der Leiste in die Höhe steigt. Bald, nach
einem Verlauf von 1 Y^ cm, nimmt die Breite der Gegenleiste jedocb
beträchtlich zu (Fig. 99 Nr. 4) und spaltet sich in zwei Schenkel
(Fig. 99 Nr. 2 u. 2'). Der * eine wendet sich in scharfem Bogen nach
vom und verschwindet unter dem umgekrempten Rand der Leiste
(bei Nr. 2'), der andere wendet sich allmählich flacher werdend nach
aufwärts (Fig. 99 Nr. 2). Die beiden Schenkel der Gegenleiste iassa
eine dreieckige Grube (Fig. 99 Nr. 3) zwischen sich. Ihre Spitie
ist nach hinten, ihre breite, sich mehr und mehr vertiefende Holde
nach oben und vom gerichtet. Der eine untere Schenkel ist scharf
geschnitten und begrenzt mitsamt dem Anfang der Gegenleiste
(Fig. 99 Nr. 4') die tiefe Muschel höhle Nr. 6. Während der Eingang
in diesen vertieften Raum von der Gegenleiste her dem Blick völlig
frei liegt, sitzt an dem vorderen Umfang ein stumpfer Höcker mit
breiter Fläche aus der Haut aufsteigend, den mau Ecke (Fig. 99
Nr. 10) oder Bock (Tragus) heißt. Diese Ecke überragt, wie eine auf-
stehende Klappe den Anfang des äußeren Gebörganges von vom her.
und^ wird von der ihr gegenüberstehenden Gegenecke (Gegenlxick.
AntitTa(ßus, Fig. 99 Nr. 7) durch eineh tiefen gerundeten Einschnitt
getrennt, Nr. ii. Noch ist ein zweiter viel seichterer Einschnitt zu be-
achten, der zwischen der Ecke (Fig. 99 Nr. io)und dem vorderen Schenkel
der Leiste (Nr. n') existiert, für den man die Bezeichnung Obrritie
oder o])erer Kinschnitt (Scismrn aiiris, Fig. 99 Nr. 9) eingeführt hat
Die Haut des Obres ist mit der Unterlage, dem elastischen Ohr-
knorpel, fest verwachsen, namentlich im Bereich der obenerwähnteu
Erbebungen und Vertiefungen und ist fettlos. Am unteren Ende des
Obres verdickt sie sich aber, wird fettreich, und bildet das Ohrläpp-
chen, welches, wie die Ohrzierraten der Wilden beweisen, eine fast
unbegrenzte Ausdehnbarkeit besitzt.
l)it» liiiittTO FlÄ<*ho des Ohn>8 läßt die Vertiefungen und Erhabenheiten der
vonlereu Fläche, natürlich in unigekehrt<»r Form wieder erkennen. Die Richtung
der (Tef^eiileiflte b<»zeiolinet eine Einbiegung, die Stelle der Muschclhöhle eine «i-
selnilielie Krliabenheit. Je näher die hintere Olirfläche an den Kopf heranrückt,
desto mehr lockert sieh die Verbindung der Haut mit dem Ohrknorpel, und an
dem Übergang zu der Kopfhaut bild(*n Hie im Alter leicht erkennbare Falten.
Muakeln des Kopfes. 305
Die feste Unterlage für die seltsame Form des Ohres liefert bei
Mensch und Tier der elastische Ohrknorpel, der sich leicht biegen
l&Bt, und bei dem Aufhören des Druckes in seine frühere Lage sofort
zurückkehrt.
Die am Tragus sprossenden steifen Haare hielt man, wenn sie aus dem Ohre
wie Büschel herausstehen, für ein Attribut weibersüchtiger Männer, und nannte sie
deshalb Bockshaare, Hirci (von Hircusj der Bock, griechisch «- irägos), wodurch
die Ecke am Ohr zu ihrem sonst nicht zu erklärenden Namen gekommen sein mag.
Der Hautüberzug der Ohrmuschel verhält sich zu dem Ohrknorpel,
wie die Haut der Nase zu den einzelnen Knorpeln. Die Dünnheit
und der Gefäßreichtum läßt den Purpur der Schamröte sich auch über
die Ohren ergießen. Doch sind die Nerven des Ohres für dieses
Zeichen seelischer Vorgänge stärker reizbar als die der Nase, welche
sich meines Wissens weder bei der Scham noch der Verlegenheit
rötet, obwohl sie sonst bekanntlich für andere Schwankungen der
BlutftÜle ein prompter Gradmesser ist.
Schön geformte Ohren sind eine Zierde, und man verlangt von
ihnen^ daß die obenerwähnten Eigenschaften deutlich aber maßvoll
ausgeprägt seien, und daß sie nur ungefähr doppelt so lang seien,
als breit. Selbstverständlich ist das Ohr der Männer größer und
derber geformt, als das der Frauen. Ein großes Ohr ist nach Abisto-
teijEs ein Zeichen von starkem Gedächtnis. Die Griechen dachten
also anders darüber als wir, denen ein allzu großes Ohr einer gewissen
Ähnlichkeit wegen lächerlich vorkommt. Doch hört man auch bei
uns die Behauptung, ein großes Ohr sei ein Zeichen von bedeutender
physischer Kraft. — Die Ohren sollen nicht weit von dem Eopf^ ab-
stehen, sondern höchstens in einem Winkel von 15 — 20^ geneigt sein.
Gut geformte Ohren verlangen eine vollkommen entwickelte Leiste.
Fehlt dieser umgekrempte Rand, so ist dadurch jene unangenehme
Gestalt bedingt, welche unter dem Namen Stutzohr bekannt ist.
Man wollte hierin einen besonderen Hinweis auf boshafte Gemütsart
erkennen. Mephisto fehlt die Leiste teilweise und das Ohr zieht sich
nach hinten und oben sogar in eine spitze Ecke aus, vielleicht um
damit auch die spöttische Natur des stets verneinenden Geistes an-
zudeuten.
Größe und Umriß des Ohres wird von dem vielfach variierenden
Ohrläppchen beeinflußt, welches, wie es scheint, nur bei dem Men-
schen in dieser Form vorkommt. Ein Haupterfordemis seiner Gestalt
ist die Trennung von der Wangenhaut, d. h. zwischen dem untersten
Umfang des Läppchens und der Wange muß eine Spalte bestehen.
Ist dies nicht der Fall, und hebt sich das Läppchen nicht frei ab.
dann spricht man von einem angewachsenen Läppchen. ■ Ohren mit
KOLLMAMH, Plastische Anatomie. 20
306 Achter Abschnitt.
angewachseneu Läppchen sehen kurz und breit aus, während da.s im-
hängende Läppchen dazu beiträgt, das längliche Aussehen der Mnscbd
zu steigern.
Die Ohrmuschel steht mit ihrem Längsdurchmesser senkrecht u
dem Kopf. Eine leichte Neigung nach hinten kommt vor, dagegen isx
eine solche nach vorne sehr selten. Für die Bestimmung der Höhen*
läge hält man sich am besten an den Anfang des äußeren 6e«
hörganges, der in gleicher Höhe mit dem oberen Band des Xasen-
äügels liegt. Zieht mau etwas tiefer, nämlich vom freien Rande der
Nasen Scheidewand eine gerade Linie nach rückwärts in das vom Ohr-
läppchen bedeckte Grübchen unter dem äußeren Gehorgang, so tritt
diese Linie den unteren Rand des Läppchens.
Eine zweite Linie, welche man von dem äußeren Augenwinkel ab-
gehend in gerader Linie und parallel zu der vorerwähnten der Seiten-
fläche des Schädels entlang zieht, trifft das Ohr dort, wo sich die
Muschel von der Schläfe trennt. Die Ohren sitzen an ägyptischen
Statuen bisweilen zu hoch, z. B. au der in Turin befindlichen Bfiste
Ramses II, allein an anderen soll die Lage richtig sein, wie Li2CGa
angiebt. Man darf aus der fehlerhaften Stellung des Ohres an Sta-
tuen des Pharaonenlandes jedoch keineswegs schließen, daß auch die
Bewohner eine andere Lage der Ohrmuschel gehabt hätten, als die
umgebenden Völker. Die Untersuchung von Mumien, an denen nnter
einer dicken Pechschichte die Ohrmuschel ganz gut erhalten war,
widerspricht auf das entschiedenste einer solchen Annahme.
Das Ohrläppchen darf an einem gutgeformten Ohre niemals fehlen. Manclie
Völker stehen im Verdacht, in dieser Hinsicht mangelhaft oi^ganisiert zu sein. So
sollen die Nachkommen der Goten in den Pyrenäen und im westlichen Fiankrrich
dieses Schmuckes entbehren, eine Nachricht, über die jedenfalls eine Bestätigun;
wünschenswert wäre.
Es giebt lange und breite, rundliche und eckige, flache und aus-
gehöhlte Ohren. Die Zahl der individuellen Schwankungen ist sehr
groß, und manche mögen auch auf Rasseneigentümlichkeiten beruhen.
Oft liegen die Muscheln dem Kopfe auffallend stark an, was bei
Frauen von einem starken Anpressen durch die Kopfbedeckung her-
rühren kann. Lavatee legt der Gestalt der Ohrmuschel eine große
physiognomische Bedeutung bei. Kleine Ohren deuten ihm auf gei-
stige Energie; die Besitzer tief ausgearbeiteter Ohren sind der Lehre
und der Erkenntnis besonders zugänglich. Noch weiter geht ein an-
derer, der behauptet, keines der Organe am menschlichen Körper
verpflanze so die Ähnlichkeit des Vaters auf die Kinder, als die Ohr-
muschel. „Montre-moi ton oreille, je te dirai, qui tu es, d'oü tu viens,
et Oll tu vas.**
Muskeln des Kopfes. 307
Wegen der exponierten Lage der Ohrmuschel kommen nicht
selten Verletzungen vor, und unter ihnen Quetschungen durch Schlag
oder Fall. Das aus den zerrissenen Gefäßen austretende Blut sam-
melt sich zwischen Haut und Knorpel und bedingt nach vollendeter
Heilung ein sehr verändertes Aussehen dieses schallleitenden Ansatz-
stückes. Es sind Verunstaltungen, welche etwas ganz charakteristisches
an sich haben. Die Ohren sehen wie geschrumpft aus, die obere
Partie wie „zusammengebrochen" (ist sehr häufig bei Boxern). An an-
tiken Statuen von Faust- und Ringkämpfern, oder von einzelnen durch
ihre Kampflüchtigkeit besonders hervorragenden Halbgöttern, wie Her-
KUiiEs und PoLLUX, erscheint das Ohr geciuollen, die dreieckige Grube
ist verstrichen imd die Muschelhöhle dui-ch Verdickung der Haut bis
auf einen schmalen Zugang zum Gehörgange verengt. Diese Ohrform,
welche sich an Bildwerken von Faustkämpfern (Pankratiasten) vor-
findet, ist eine Folge von Insulten des Ohres, von Schlägen mit der
durch Kampfriemen bewehrten Faust; es ist tibereinstimmend mit dem
sogenannten Blutohr, das durch das Ziehen am Ohr noch heutzutage
entstehen kann.
In antiken Bildwerken sind die Ohren meist mit l)esonderer Sorg-
falt ausgebildet, und es wird l)ehauptet, die größere oder geringere
Durchbildung erlaube ein entscheidendes Urteil ül)er die Zeit der
Entstehung des Kunstwerkes.
Das Ohr l)esitzt außer den Muskeln, welches dasselbe als Ganzes be-
wegen, und welche schon bei den Gesichtsmuskeln erwähnt wurden (S. 265),
auch einige ihm eigentümliche, welche auf Veränderung seiner Form
abzielen.^ Sie sollen hier nur mit ihren Namen aufgeführt werden, denn
ich glaube, es ist nur selten gelungen, eine willkürliche Gestalt-
veränderung durch das Spiel dieser kleinen Muskelchen zu l)eobachten.
Diese Muskeln Hind folgende:
1) Der große Leistenmuokel (M. helicis major),
2) „ kleine Leistenmuskel (M, helicis minor).
3) „ Muskel der Ecke (M. tragicus).
4) „ „ „ Gegenecke (M. anti tragicus).
b) „ (piere Ohrennuiskel (M. transversu^ auriculac).
Die ersten vier stehen, wie schon ihr Name vermuten läßt, mit der Leiste, der
Ecke und Gkigcnecke und der vorderen Fläche dieser Teile in Beziehung, während
der quere Ohrmuskel auf der hinteren Fläche des Ohres sitzt.
Diese sämtlichen Muskeln finden sich bei den Säugetieren sowohl
kräftig ausgebildet als auch leistungsfähig, um die Form der Ohr-
muschel zu verändern.
^ Über Form- und Lageverhältnisse des Ohres handelt C. Lanier in den Mit-
teilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien XII. T)d. 1882 und in seiner
Anatomie der äußeren Formen. Wien 1884. 8^
2ü*
V. Dur Ausdrack der fiemQtsbrwrguu^ii.
Sobald die Seele bewegt wird, wird das menschliclie Antliti cü
lebendes Gemälde, auf dem die Leidenschaften mit ebenaonel Fei»-
heit als Energie wiedergegeben werden, auf dem jede Seelenbewepm
durch ein cliärakteristisches KenuzeicUen bemerkbar wird, de^wn )ek
hafter und stets bereiter Ausdruck dem Willen voraneilt, uns »enk
und durcb patbetisolie Zeichen die Bilder nnserer geheimsten Bm»
guDgen der Außenwelt wiedergiebt. Die Seele ist also die Quelle ■!»
Ausdruckes, sie läßt unwillkürlich die Muskeln spielen, and Ufit ü
dus Abbild unserer Leidenschaften auf das Qesicht malen.
Die Erörterung über jenes Muskelspiel schließt sieb am bfttta
an die Anatomie der Antlitzmuskeln und an die Anatomie des Av^
an, das der Mittelpunkt des Antlitzes ist. Wenn auch der guu
Körper an dem Ausdruck der Gemütsbewegungen teilminmt, bei da
Überschrift dieses Abschnittes deukt mau doch zunächst an dit» Atf.
litr, weil seine Muskeln, in so naher Verbindung mit den Gehimnenwi,
vor allem jene Spannungen der Haut hervorbringen, deren OesamlliM
wir mit dem Worte „Mimik" bezeichnen. Auf das Antlitz wradK
sich zuerst der Blick, wenn wir den Ausdruck der Gemütshewegmi^
an uns oder an unserer TJmgebimg studieren woÜeu.
Alle Äußerungen der Gemütsbewegungen geschehen ur-
sprünglich unbewußt und unwillkürlich. Das ist eine der wich.
tigsten Erkenntnisse, zu denen das Studium dieser Vorgänge goftüm
hat. Die Muskeln sind freilich die Diener unserer WillensimpuUe.
welche bewußt aus dem Linern des Gehirns heraus gegeben werden.
Aber die Muskeln folgen auch oft den Erregungen der empfind«nilcn
Abteilung des Nervensystems, ohne daß irgend ein Willenaimpals da-
bei im Spiele wäre. Die Tierexperimente haben dafür eine Fülle von
Beweisen gehefert; die zweckmäßigen Bewegungen der enthauptet«ii
Frösche sind in dieser Beziehung allgemein bekannt.
Ein seines Gehirns beraubtes Tier dieser Art wischt den Tropfiai
Säure, den man auf seine Haut bringt, mit dem Fuße ab. Li seinnn
Bückeumark ist also ein Mechanismus vorhauden, der darcb eincu
Reiz in Thätigkeit versetzt, eine Anzahl von Muskeln in geordoelPt
Beihenfolge so zur Zusammenziehung veranlaßt, daß das »Hmliclw
entsteht, als ob eine bewußte Empfindung den Befehl zu zweckmä-
ßigen Bewegungen gegeben hätte. Diese unbewußte, mechaniKJie
Leistung des Nervensystems bezeichnet man als Reflex. Damit vto
solcher stattfinde, ist notwendig: die Erregung eines sensibelD
Nerven; dann eine bestimmte Stelle in dem Zentralnerveusptem,
welche die EiTegung empfängt, das Reflexzentrum und ein nioto-
Mufkeln des Kopfes. 309
rischer Nerv, der von dem Zentrum zu den Muskeln hinfuhrt. Diese
ganze Bahn heißt Reflexbogen. Ihre Einrichtung ist von der
alleräußersten Feinheit der Konstruktion, und es ist schwer, sich eine
genügende Vorstellung davon zu machen. Der Vergleich mit einer
Telegraphenleitung zwischen zwei bestimmten Orten ist trotz des Um-
standes, daß das Telegraphenbüreau dem Reflexzentrum, die Drähte
den Nerven vergleichbar sind, doch nur ein sehr unvollkommenes
Beispiel, nicht als ob der Grad der mechanischen Komplikation nicht
hinreichend dadurch angedeutet wäre, sondern weil bei den Nerven-
Yorgängen, um die es sich hier handelt, das Bewußtsein ausgeschlossen
ist. Das ist aber gerade der wichtigste Punkt, auf den es bei dem
Stadium der Ausdrucksbewegungen ankommt.
Die Arten der Reflexe sind sehr zahlreich, es ist zweckmäßig
an dieser Stelle zwei derselben auseinander zu halten:
Der einfache Reflex ist dadurch charakterisiert, daß die
Erregung eines sensibeln Bezirkes die Bewegung von nur einem Mus-
kel oder doch nur von einer bestimmten Gruppe auslöst. So ent-
steht bei Berührung der Bindehaut des Auges Schluß der Lidspalte.
Der Reflexbogen ist einfach und kurz, die Erregung geht von der
gereizten Stelle aus nach dem Gehirn, und durch das Reflexzentrum
hindurch auf jene motorische Bahn, welche ausschließlich den Ring-
muskel des Auges innei*viert. Ein ähnlicher einfacher Reflex tritt
bei starkem Lichtreiz ein, der die Netzhaut des Auges z. B. bei dem
Leuchten eines Blitzes trifft. Diese beiden Bewegungen sind nicht
nur Beispiele einfacher Reflexe, sondern gleichzeitig Belege für die
Zweckmäßigkeit derselben. Denn der Lidschlag bei Berührung des
Augapfels dient dazu, die Schädlichkeit zu beseitigen, und der Schluß
des Lides bei dem Aufleuchten des Blitzes, die Reizung der Netz-
haut zu verhüten. Es ist für unsere Betrachtung gleichgültig, ob die
Zweckmäßigkeitslehre in allen Fällen zutrifft, oder ob andere Bedin-
gungen, wie der Kampf ums Dasein, die Notwendigkeit, eine passen-
dere Erklärung enthalten; zweifellos sind in vielen Fällen die Reflexe
von Nutzen, wenn sie auch in manchen anderen völlig zwecklos sind.
Die ausgebreiteten Reflexe sind eine andere Form, bei der
nach Erregung einer sensibeln Faser innerhalb großer und sogar
verschiedener Muskelgruppen Bewegungen komplizierter Art aus-
gelöst werden, welche nicht bloß den Charakter der Zweckmäßig-
keit, sondern auch den Schein der Absicht an sich tragen. Hierher
gehört das Niesen , Husten , das Zurückziehen der Arme und der
Beine bei unerwarteter Berührung, die Abwehr- und Fluchtbewe-
gungen u. s. w.
310 Achter AbschniU.
Diese Auseinandersetzung über Eeflexbewegungen sollte danot
vorbereiten, die mechanische Grundlage, auf welcher der Ausdrack der
Gemütsbewegungen beruht, in den Hauptumrissen zu schildern. Die
Gemütsbewegung ist freilich nicht direkt dem Reiz der Bindehaut oder
der Wirkung des Blitzes auf die Netzhaut vergleichbar. Sie ist ein
geheimnisvoller Zustand unseres Nervensystems, und zwar jener Sphäre,
die wir als Bewußtsein bezeichnen. Freude, Trauer, Zorn erzeugen
Vorstellungen, d. i. eine Kette von freudigen oder schmerzlichen Vor-
gängen in unseim Inneni. Sie dürfen mit Fug und Kecht durch den
Ausdruck „Bewegungen" bezeichnet werden, sie lassen sich nicht
denken^ ohne eine bestimmte Störung des Gleichgewichtszustandes
unserer Nervenmoleküle. Wenn eine Vorstellung oder, was gleichb^
deutend ist, ein Affekt unser Inneres bewegt, so entsteht jene Stim-
mung, welche die Gefühle von Freude und Schmerz und Zorn begleitet^
Dabei überschreiten jene geheimnisvollen Wellen der Bewegung die
Bahnen innerhalb der Schädelkapsel, und setzen sich unabhängig
von dem Willen in die motorischen Nervenfasern des Körpers f(Ät
Sie überfluten gleichsam die Ufer, und die Wellen erreichen entfernte,
an der Peripherie des Körpers liegende Gebiete. Diese in die Peri-
pherie getragenen Bewegungen werden schließlich als Muskelzug be-
merkbar, und stellen in ihrer Gesamtheit dasjenige dar, was Ausdrack
der Gemütsbewegungen genannt wird; der Zug bestimmter Muskel-
gruppen erzeugt Gel)ärdeu, und so werden die Muskeln die Dolmetscher
unserer inneren Regungen. Die Muskeln können wie bei der einfachen
Reflexbewegung, nur gering an Zahl, sich in Bewegung setzen, oder
harmonisch ineinandergreifend als ganze Gruppe zusammenwirken.
Die Erregung l)estimmter empfindender Nervengebiete des Gehirnes
springt in dem letzteren Falle auf weit ausgedehnte motorische Nerren-
bahnen über und veranlaßt eine Association zahlreicher Muskelgmppen.
So fälirt der Schreck oder die Freude gleichzeitig in verschiedene
Muskelnerven, und veranlaßt unbewußt Zuckungen die sich über den
ganzen Köri)er ausdehnen und l)ei dem Zoni können nach und nach
oder sofort alle Muskeln des ganzen Körpers in Aufregung geraten.
Es werden sich später noch Beispiele finden, welche zeigen, daß
nicht bloß die Muskeln, sondern auch die Gefäße, die Haut und
andere Organe im Dienste der Mimik stehen, allein dieser Zusammen-
hang mit den Gemütsbewegungen wird sich besser am Schluß dieser
Betrachtung anfügen lassen. Dort kann auch von einer Klassifikation
* Für eiue weitere Analyse der Gemütsbewegungen, nameutlich iu bezog anf
eine Trennung der Affekte und Triebe verweise ich auf Wundt, Grundzäge der
physiologischen Psychologie. Iueii)zig. V. Abschnitt. S. 820 u. ff.
Muskeln des Küi»fe8. 311
der Geberden die Eede sein, auf die wir zunächst verzichten, nachdem
es sich hier um keine systematische Auseinandersetzung dieses Gegen-
standes handelt, sondern lediglich um den Hinweis auf einige der wich-
tigsten Erscheinungen, welche für die Beobachtung von Vorteil sein
können. Das Werk von Ch. Daewin: Über den Ausdruck der Ge-
mütsbewegungen l)ei Mensch und Tier, deutsch von V. Caiius, enthält
unter den neueren Werken wohl die vielseitigste Eröi-terung dieses
Gegenstandes. Der Wert dieses ausgezeichneten Buches bleibt auch
dann unbestreitbar, wenn nicht alle Erkläningen, welche dort für die
Entstehung der Geberden gegeben werden, vor der Kritik bestehen sollten.
Darwin macht in selir Weloii Fallen die Gewohnheit, die von den Vor-
fahren ererbt wurde, zum Aiuigang8])unkt seiner Erörterungen, wie die Geberden
einst entstanden seien. Gewohnheit int einer der wichtig8t(?n aber auch der dun-
kelsten Begritte, und eine Theorie, die ihn zur Leuelite ninnnt, muß notwendig
mehr neue Rätsel scliaffen als hisen. Die Vererbung mag manclies Ixjgreiflich
machen, aber doch nicht alliw. Es giebt unmittelbares der Willkür ganz entzogene
Lebensäußenuigen, die wie die Schamröte bei der Verlegenheit oder der Gallen-
erguß beim Arger in das Dominium des sympathischen Nerven fallen. Wenn wir
nachts an irgend eine Verlegenheit des vorhergegangenen Tages uns erinnern, liegt
der ganze Leib wie auf Nesseln. Durch die Annahme, daß schon die Ur-Urgroß-
väter diese Wirkung auf die Schweißdrüsen und Hautnerven hatten, wird der
ganze Vorgang um kein Haar verständlicher. Gleichwohl sind alle von Darwin
mitgeteilten Beobachtungen über den Grad und die Ausdehnung des Errötens und
über die Gebänlen bei dem Schämen im höchsten Grade wertvoll und verlieren
nichts von ihrem hervorragenden Interesse.
Ohne irgend welche Kenntnis von dem komplizierten Vorgang in
unserm Nervensystem bei der Entstehung der Gebärden sind wir doch
alle durch die Beobachtung schon von frühester Jugend an zu geschickten
Physiognomiken! geworden. Wir deuten nicht allein den Ausdruck
der Freude oder des Schmerzes und vieler anderer Affekte vollkommen
zutreffend in ihren stärksten Graden, auch die leisesten Zuckungen
der Muskeln, welche nach der einen oder der anderen Eichtung aus-
schlagen, werden schon verstanden. Es ist dabei die Beobachtung der
Umgebung lehrreich, aber auch das Beschauen unserer eigenen Ge-
bärden bereichert die Erfahmng. Dabei wird die Sicherheit unseres
Urteils so groß, daß wir weder in der Beurteiliuig dieser starken Affekte
noch air der anderen, die als Wohlwollen, Freundlichkeit, oder Hohn
und Spott ihren weniger scharf ausgeprägten Ausdnick in das Gesicht
legen, jemals fehlen. Es hängt dies damit zusammen, daß der Aus-
druck der Gemütsbewegungen überall derselbe ist, mag die Heimat
und die Abstammung noch so verschieden sein. Wir können unsere
eigene Mimik als Maßstab benützen für diejenige der Mitmenschen.
Aus dieser Thatsache hat sich jene Kunst entwickelt, durch Mienen
und Gebärden die Affekte anderer Menschen auszudrücken.
312 Achter Abeduiitt
Mimische Künste sind nachahmende oder darstellende Künste, and g«bei
darauf aus, gewisse Individualitäten nach ihrer äußeren Erscheiniing zur Anschamng
zu bringen, bestehe sie nun in der Nachahmung körperlicher oder peychologisdier
Seiten. Die letztere wird ein Hauptmittel dramatischer Darstellmig. £« giebc
bekanntlich eine tragische, komische, oratorische Mimik. Der Künstler lauscht die
Zeichen der psychologischen Vorgänge in den äußeren Organen des Köipers. dv
Spiel der Seele, sich selbst und der Menschheit ab.
Eine Folge unserer Erfahrungen über den Ausdruck der Gemöts-
bewegungen ist der Wunsch, aus diesen Zeichen auch deu Charakter des
Menschen zu deuten. Die Versuche, zwischen dem Äußern des Menschen,
namentlich seinen Gesichtszügen und seinem Innern, gewisse Regeln der
Beziehung aufzufinden sind uralt, sie gründen sich auf die Wechselwir-
kung zwischen Geist und Körper. In den folgenden Erörterungen ist
jeder Versuch gänzlich ausgeschlossen, aus der Form des Antlitzes oder
eines konstanten Ausdruckes weissagende Regeln für die Kenntnis des
Charakters abzuleiten. Auch den Knochenbau oder andere Eigen-
schaften des Körpers werden wir nicht als bedeutungsvolle Symbole
des Charakters betrachten, wie dies im täglichen Leben so oft geschieht,
denn diese Dinge haben mit der Entwickelung des Geistes nichts zu
schaffen. Nur der allgemeine Satz ist unbestreitbar: in corpore sww,
mens sana — in einem gesunden Körper wohnt eine gesunde Seele.
Ob dabei der Schädeldurchmesser lang oder kurz, die Nase stampf
oder spitz ist, bleibt für die Entwickelung des Verstandes und des
Charakters völlig gleichgültig. Wie eine Physiognomik verfehlt vX,
welche auf solchen „Symbolen*^ sich aufbaut, so sind auch die Ter-
gleichungen menschlicher Züge mit denjenigen der Tiere völlig wert-
los, sobald man sich aus ganz oberiiächlichen Ähnlichkeiten für l)e-
rechtigt hält, auf eine Verwandtschaft des Temperamentes oder scuistiger
Eigenschaften zu schließen.
1) Der Blick.
Die Mimik des Blickes oder die Sprache der Augen ist am besten
bekannt, sie wird am meisten studiert, weil sie wichtig und leicht ver-
ständlich zugleich ist. Um dieselbe, soweit sie unwillkürlich, also ein
Reflex der Affekte ist, richtig zu beurteilen, sei liier zunächst be-
schrieben, wie der Blick, soweit er von dem Willen beherrscht
wird, beurteilt werden muß.
Die Richtung der Augen auf einen bestimmten Gegenstand heißt
gemeiniglich „der Blick**. Er wird durch die Augenmuskeln herbei-
geführt und geschieht bekanntlich immer in der Weise, daß sich beide
Augen zugleich dem zu 'betrachtenden Gegenstand zuwenden. Wir
können einen Gegenstand nur dann scharf sehen, wenn er im Ver-
einigungspunkt der verlängerten Augenachsen liegt. Ist dies
Mutkeln des Kopfes. 313
der Fall, dann „fixieren" wir. Schon früher wurde erwähnt, daß
es nur eine Stelle in der Netzhaut giebt, durch welche die darauf
entworfenen Bilder mit vollkommener Schärfe aufgefaßt werden können.
Diese kleine Stelle liegt an dem hinteren Ende der Sehachse, also in
der Mitte der Netzhaut. Je weiter ab von dieser Stelle, desto un-
deutlicher werden die Eindrücke, ohne jedoch vollkommen unkenntlich
zu sein. Dieser Einrichtung verdanken wir die Wahrnehmung von
Gegenständen, welche seitlich in den Bereich unserer Netzhaut ge-
langen, obwohl der Blick, d. h. die Stelle des schärfsten Sehens, direkt
nach vom gerichtet ist. Jene Gegenstände, deren Bilder die Seiten-
flächen der Netzhaut treffen, erscheinen aber unbestimmt; wenn wir
sie nach ihren Einzelnheiten kennen lernen wollen, muß der Blick, d. h.
die Stelle des schärfsten Sehens, auf sie gerichtet werden. Folgende
Thatsache ist für die Beurteilung des Blickes von großer Tragweite:
Die Stellung der Augenachsen ist verschieden nach der
Entfernung des Gegenstandes.
Ruht der Bück in unendlicher Ferne, so ist die Konvergenz der
Augenachsen so gering, daß wir sie als parallel gestellt erklären.
Wendet er sich über eine weite Ebene hinweg dem fernen Horizonte
zu, so ruhen die Augen in der horizontalen Ebene; sie sind weit ge-
öffnet, um das volle Licht unbegrenzt in das Innere dringen zu lassen.
Betrachten wir dagegen einen nahen Gegenstand, so drehen sich die
Augen und damit die Augenachsen nach innen, dem Zug der innern
geraden Muskeln folgend. Von dem Punkte des schärfsten Sehens
nach dem Gegenstand hin fortgesetzt gedacht^ schneiden sich,
wie der technische Ausdruck heißt, die beiden Augenachsen.
Der Grad der Konvergenz wird auch als „Neigung" be-
zeichnet. Dabei ist es gleichgültig, ob der Kopf gehoben oder gesenkt
ist, ob er sich gerade dem betrachteten Punkt gegenüber befindet,
der Blick also voll, oder ob er von der Seite her darauf gerichtet ist.
Bei einem normalsichtigen Auge können die Gegenstände zeitweise,
wie bei dem Lesen, bis auf 12 Zoll = 36 cm genähert werden.
Zwischen dem Blick nach dieser Entfernung und dem damit verbun-
denen starken Grade der Konvergenz der Augen, bis zu dem Blick in
die unendliche Feme, giebt es eine Reihe von Zwischenstellungen, die
wir an jedem Auge mit vollständiger Schärfe zu beurteilen verstehen,
bei dem Menschen, wie bei denjenigen Tieren, deren Augen eine dem
Menschen ähnliche Lage besitzen, wie Affen und Raubtiere. Bei
Wiederkäuern und Nagern, deren Augen mehr seitwärts am Kopfe
sitzen, ist die Unterscheidung beträchtlich schwieriger.
Für den Menschen, also im weitesten Sinn flir die ganze Men-
schengattung, ist unsere Übung in der Beurteilung des Blickes so ent-
314 Muskeln des Kopfes.
wickelt, daß wir die feinsten Änderungen wahrnehmen, obwohl sie nnp
Bruchteile eines Millimeters ausmachen. Jeder Mensch mit normaler
Sehweite soll eine von seiner Beschäftigungsweise, also von seinem
ganzen Gedankengang abhängige mittlere Stellung besitzen,
in welche die Augen immer wieder zurückkehren, so oft sie auch durch
die Aufmerksamkeit auf vorübergehende Erscheinungen abgelenkt werden
Diese mäßig große mittlere Augenstellung darzustellen, liegt ebenso
in der Willkür des Künstlers, als die Wahl der parallelen Stellung,
oder diejenige der stärksten Neigung der Augenachsen. Welche n
erwählen ist, hängt ab von der Situation, um deren Darstellung es
sich handelt, gleichviel ob sie der Wirklichkeit entsprechen soll oder
erfunden ist. Die Augenstellung ist dabei ein wichtiges Mittel, die
Persönlichkeit eines Menschen zu charaktersieren. Deshalb sind die
Profilansichten bei Porträts zu verwerfen, denn das bedeutungsvolle
der Augenstellung geht verloren.
Nach der Erörterung der durch den Willen bedingten Stellung der
Augen sollen einige Arten des Blickes besprochen werden, soweit sie
von Affekten abhängig sind und also unwillkürlich eintreten.
Sobald sich unsere Vorstellung mit Gedanken beschäftigt, die weit
abliegen von den Dingen der sichtbaren Umgebung, geht das Auge in
parallele Stellung über. Bei Gedanken über das Jenseits, über wissen-
schaftliche Probleme, über femabliegende Fragen der Vergangen-
heit oder der Zukunft, bei der Überlegung weitangelegter Pläne,
sei es im Interesse der Familie, des Staates, oder der eigenen Person,
ist der Blick mit paralleler Augenstellung fixiert wie auf einen
bestimmten Punkt in unendlicher oder wenigstens in sehr großer
Entfernung. Die parallele Augeustellung an sich kann also in einem
Poi-trät, sobald die Augen gleichzeitig in horizontaler Bichtuug
wie in die Ferne gerichtet dargestellt werden, auf bedeutende,
weitschauende, tiefgehende Gedanken hindeuten.
Sobald das Auge von der eben erwähnten Eichtung abweicht,
kann sofort seine Mimik eine andere Bedeutung gewinnen. Es ist eine
aus der täglichen Erfahrung abgeleitete Regel, daß sich bei der Be-
geisterung oder bei der Hoffnung, z. B. auf himmlischen Lohn, der
Blick nach oben richtet, aber bei paralleler Stellung der Augenachsen.
Der gesenkte Blick, dem die oberen Lider folgen, wodurch
weniger Licht in das Lmere des Auges dringt, steht zwar ebenfalls
mit einem nachdenkenden Geist in Verbindung, aber er steht in un-
willkürlichem Zusammenhang mit der Vorstellung der Entsagung
von so manchem, was teuer war. Auch die Verzweiflung starrt mit
parallelen Sehachsen vor sich hin, ebenso die Reue und die unbedingte
Ergebung in das unvermeidliche Schicksal.
Maskeln des Kopfes. 315
Wenden sich die parallel gestellten Sehachsen zur Seite, ent-
weder etwas gesenkt, oder in der Horizontalebene gelegen, so entsteht
der Blick des Zweifels, der in der Ferne die Entscheidung sucht.
Der Nachdenkende richtet den Blick mit gehobenem oberen Augenlide
ohne irgend eine Fixierung in die Fenie oder nach ob<?n; er will alle Zer-
streuung meiden dadurch, daß er, die Augen ins Leere oder Einförmige richtend,
aich daran hindert, irgend einen Gegenstand zu sehen, der etwa seine Aufmerksam-
keit ablenken könnte. — Für alle diese Fülle ist das Gemeinsame das Vermeiden
der Fixierung, sei es aus Absicht oder aus Indolenz; es giebt aber noch eine Reihe
von Arten des Blickes, bei welchen das Fehlen der Fixierung ebenfalls charak-
teristisch ist, bei welchen aber dieselbe nicht fehlt, weil sie vermieden wird, son-
dern weil sie nicht zustande kommen kann, wie bei dem „starren Blick ^' der
Hoffiiungslosigkeit und des Schmerzes. Bei der Hoffnungslosigkeit, in welcher alle
Energie schwindet, hat der Blick den Charakter der sclilaflfen Kühe und nüliert
sich auch in der häufig damit verbundenen Senkung des oberen Augenlids dem
schläfrigen Blick. Bei dem Schmerz, der Angst, der Verzweiflung aber, welche ja
alle mit heftiger Aufregung verbunden sind, hat die Starrheit des Blicke» den
Charakter einer knunpf haften Anstrengung aller das Auge bewegenden Muskeln.
Bei hohen Graden dieser Affekte erscheint das Auge deshalb mit weit geöffneter
Lidspalte festgestellt.
Die mittlere Stellung oder die mäßige Konvergenz der Augen-
achsen erfordert eine ganz bestimmte Thätigkeit der Augenmuskeln;
die Achsen schneiden sich in mäßiger Entfernung, beispielsweise von
6 — 10 m (wie in den Figuren 102 und 103). Der Willensimpuls
lenkt sie nach dem bestimmten Punkt, der „ins Auge gefaßt*' ruhig
und fest fixiert wird ; das volle Interesse konzentriert sich für den fixier-
ten Gegenstand. Sind wir seihst dieser Gegenstand, so werden wir
von dem Blick gefesselt, angezogen, gleichviel, ob er mit Ernst, Teil-
nahme oder mit Liebe auf uns ruht. Die Empfindung, welche dieser
Blick in uns weckt, ist zwar verschieden nach dem Ausdruck, der
in dem übrigen Gesicht der herrschende ist, aber die Grundbedingung
für unsere persönliche Beziehung zu dem Beschauenden liegt zunächst
darin, daß die Augenachsen uns treffen. Der erhöhte Eeiz, den Por-
träte ausüben, deren Blick auf den Beschauer gerichtet ist, liegt in
dieser ganz persönlichen Beziehung, welche sofort gegeben ist.
Die mittlere Augenstellung wurde hier nur insofern berücksich-
tigt, als sie durch einen Willensimpuls herbeigeführt ist. Sie ist von
dem Gesichtspunkt der plastischen Anatomie vor allem wichtig wegen
des Porträtes. Der ruhige Beobachter fixiert den Gegenstand seiner
Aufmerksamkeit mit sicherer Festhaltung der nötigen Augenstellung,
wobei das Objekt in einer senkrecht zum Gesichte stehenden Ebene
gleich weit von beiden Augen gelagert ist; der gerade, vorwärts ge-
richtete, in der entsprechenden Fixierung beharrende Blick charakte-
risiert also den unbefangenen aufmerksamen Beobachter. — Ein
anderes ist es mit dem befangenen Beobachter, weicher « i
bemerkt wissen will, daß er beobachtet. Auch er zeigt
ruhigeu fixierenden Blick, die Gesichtsfläche ist aber von dem Objd
der Beobachtung abgewendet, seitwärts gerichtet, je »ach den Ve»
nissen etwa auch noch mit Beimengung einer Richtimg nach »
oder nach nnt«n, ak ob sich der Beschauer einem anderen (
lera ZmkatzuDg nach e
I dem Müueliener Knpfetetichkabinet.
stand zugewendet hätte. Dieses Verhalten bat man auch wohl I
„lauernden" Blick bezeichnet.
Bei mittlerer Augenstelluug tragen die folgenden Arten des Blieb
die Zeichen der unwillkürlichen, also der Keilexbewegung entwed
vollständig oder nur teilweise an sich.
Wird eine Person fixiert, die der Fixierende als über sich s
anerkennt, so senkt er dabei in Anerkennung seiner untergeorC
oder abhängigen Stellung den Kopf und muß, um die Fixierung »
führen zu können, mit stark gehobenem oberen Augenlid die At^
If nikala dw KopfM.
317
btsprecheiul stark nacli oben riclilen. Das ht der Blick des Kindes,
I vertraueusvoU Bittenden, des demütig Dankenden, des Andächtigen
br dem Heiligenbilde, — die Auadnicksbewegiing, mit welcher der
Demütige oder Gebeugte zu dem höher Stehenden „Itinaufblickt",
lesseu Wohlwollen er voraUBsetzt oder gewinnen will. — Dieson
Brade entgegengesetzt ist die Fixierung nach unten mit erhobenem,
I Fig. 103
l'orträt eiuca Malers Ziiikntzimg nach e
13 dcni Müncbpncr Kiipfrr8tt(,hkHbiii( I
r Rikdieraiif;
}
m auch wohl etwas seitwärts gewendetem Koi)fe. Der Fixierende bezeugt
U dadurch, daß er sich höher fühlt, als die fixiert« Person. Es ist der
Blick des Hochmuts und der Verachtung. — Wie die verschiedenen
Arten der Fixierung den Augen einen bestimmten Ausdruck oder
,,Blick*' geben, so giebt auch die verschiedene Art, wie eine Fixie-
rung vermieden wird, ebenso verschiedene charakteristische Arten
des Blickes, nameutlicb anderen Personen gegenüber. Der Gede-
m&tigte oder Beschämte vermeidet die gegenüberstehende Person,
vor der er sich zu schenen hat, direkt zu fixiereu. Er ..kann ihr
318 Achter Abschnitt.
nicht in die Augen sehen". Er richtet deswegen ohne einen Zweck
der Fixierung die Augen nach unten, womit sich ein leichtes Senken
des oberen Augenlides und auch wohl des ganzen Kopfes zu yerbindet
pflegt. Fixiert er auch dabei vielleicht einen bestimmten Gegensttni
etwa seine Fingerspitzen, so erscheint dieses als ein mehr Zufälligem
denn das Charakteristische seines Blickes bleibt doch immer das Ver-
meiden der Fixierung der gegenüberstehenden Person. — Einen an-
deren Blick zeigt, wer dem ihm gegenüberstehenden ebenfalls nicht
in die Augen sishen darf, aber sich nicht gebeugt ftlhlt. Auch er
vermeidet die Fixierung des anderen, wendet aber die Augen seit-
wärts, zugleich etwa auch wohl einen beliebigen Fixienmgsponkt
suchend. Es ist der Blick des ungebeugten Trotzes , der sich aber
noch nicht bis zum Widerstände steigert; — es ist aber auch der
Blick eines Menschen, der einen anderen nicht ansehen darf, etwa aas
Furcht, sich durch seine Gebärden zu veiTaten oder mit Lachen her-
auszuplatzen. — Das Mienenspiel des übrigen Gesichtes muß hier
den Unterschied feststellen.
Die starke Neigung oder starke Konvergenz der Augen-
achsen ist notwendig für die Betrachtung ganz naher Objekte; die
Hand oder das Buch vor dem Gesicht treffen die nach innen gekehrten
Augen. In derselben Stellung befinden sie sich bei dem Schreibenden
und bei dem Geizigen, der in seinem Golde wühlt. Bei solchem Blick
nach abwärts ist immer gleichzeitig das obere Augenlid gesenkt.
Rückt der Gegenstand dicht vor die Augen, so kann die Konvergenz
bis zum Schielen fortschreiten. Der Zecher blickt auf den an den
Mund gesetzten Rand des Bechers und schielt wie derjenige, der seine
eigene Nasenspitze betrachtet.
Wir reihen hier aus praktischen Gründen die Charakteristik des
toten Auges an, obwohl sie weder in das Kapitel des Blickes noch in
dasjenige der Ausdrucksbewegung überhaupt gehört.
2) Unterschied des Schlafenden und des Toten.
Bei dem Schlafenden sind bekanntlich die Lider geschlossen, bei
dem Toten meist, jedoch nicht immer. Nehmen wir der leichteren Ver-
gleichung wegen an, das Auge des Toten sei geschlossen, so ist selbst-
verständlich, daß bei der ünsichtbarkeit des Augapfels in beiden
Fällen der wesentliche Unterschied nur in der Form liegen kann, mit
der die vordere Halbkugel des Augapfels, namentlich diejenige der
stärker geki'ümmten Hornhaut durch die Lider hindurch erkennbar
ist. Das entscheidende Merkmal bleibt der Ort des höchsten Lichtes
auf den geschlossenen Lideni. Im Schlaf rollt das Auge nach
Muskeln de^ Kopfes. 319
aufwärts, und verbirgt sich nach oben unter dem Augendeckel. Es
ist das lebendige Übergewicht des oberen geraden Augenmus-
kels, der die Kugel nach oben dreht. Gleichzeitig wird sie
durch den innem geraden Muskel etwas nach innen gestellt. Bei
Menschen, welche mit dem Schlafe kämpfen, läßt sich diese Bewegung
des Auges leicht beobachten. Das Licht des schlafenden Auges be-
findet sich demnach nach oben und innen, als ob seine Sehachsen
einen nahen Gegenstand fixierten. Bei dünnem Lid läßt sich die
Wölbung der Hornhaut deutlich sehen.
Das tote Auge ruht im Parallelismus der Sehachsen. Der
Tod überläßt die Augen der physikalischen Elastizität ihrer Muskeln,
welche vermöge ihrer Anheftungsweise und wegen des gleich starken
Zuges das Auge in der Horizontalebene des Kopfes einstellen. Bei
dem Toten befindet sich deshalb das höchste Licht dicht an dem
Lidspalt.
In den bisher betraclitcteu Fällen ist der lebendige Muskelzug Oiler der Tod
der sichere Beherrscher der Augenstellung. Allen bisher mitgeteilten Regeln spottet
das weintrunkene Auge. Infolge der Erschlaffung des Muskels sinkt das obere
Lid halb herab, die Augenachsen neigen sich stark gegeneinander, und erzeugen
durch diese Stellung Undeutlichkeit des Sehens. Durch dit^ Wirkung des Alkohols
ist der Einfluß des Willens auf die Zusanimenziehung der Muskeln des ganzen
Körpers unregelmäßig, er kommt verspätet an, oder die Zusammenziehung ist bald
nicht hinreichend kräftig, bald zu übermäßig. Air das, was die Physiologie als
Mnskelgefühl bezeichnet, ist in Unordnung geraten und der ganze Mechanismus
der Nerveuleitung ist alteriert. Deshalb die Unbchilflichkeit in dem gaiusen Mus-
kelsystem, die bekannte Unsicherheit des Ganges, sowie jeder anderen Bewegung.
Ahnlich willenlos, aber bei parallelen Sehachsen, ist das Auge bei völliger
Gedankenlosigkeit. In der Ohnmacht, in der die geistige Kraft gelähmt ist, starrt
der gläserne Blick bewegungslos in derselben Stellung ins Leere, während bei dem
ungebäudigten Lachen das Auge eine und dieselbe Zügellosigkeit der Bewegungen
ergreift, welche in den Gesichts- und Atcmmu.Hkeln herrscht. Die Bestimmtheit
des Blickes in der genauen Fixierung dessen, was gesehen werden soll, zeichnet
die Physiognomie des Mannes aus, der die Bestimmtheit des Handelns besitzt.
3) Oebärdenspiel des Oesichtes.
Der Ausdi'uck der Gemütsbewegungen im Antlitz gliedert sich
für die Beschreibung am besten nach den Hauptgruppen der Muskeln
in der Umgebung von Mund und Auge. Dabei lassen sich gleich-
zeitig die Kategorieen, welche in dem psychologischen Gegensatz der
Lust- und Unlustaffekte liegen, wenigstens zu einem ansehnlichen
Teil berücksichtigen. Wenn bei den Erörterungen des Gebärdenspieles
im Antlitz auch die Ausdrucksbewegungen des ganzen Körpers ange-
deutet werden, so geschieht es, um das Bild der verschiedenen Affekte
etwas abzurunden.
320 Achter Abachnitt.
Für die Deutung der Muskelzusammenziehungen des Antlitzes
ist folgendes zu berücksichtigen: Die Muskulatur der ganzen Um»
gebung des Auges kann zunächst nur zweierlei bewirken: den Zu-
gang des Lichtes zu dem Auge möglichst frei machen oder
denselben mäßigen, dämpfen und gänzlich absperren. Auf»
schlagen des oberen und Herabsinken des unteren Lides, Aufziehen
der Augenbrauen durch die Zusammenziehung des Stimmn«kek.
Glättung der Haut über der Nasenwurzel, parallele Augensteiluiig
zeichnen das nach Licht begierige Auge aus. Es will das volle Licht
eines ihn erfreuenden Gegenstandes aufnehmen. So öflhet stari[e>
Begehren die Lider, so ist bei allen angenehmen Eindrücken
das Auge offen, und die Stii*n geglättet. Das ist gleichzeitijr
der Grundzug der freudigen Stimmung. Nach dem Prinzip der
Association kehrt dieselbe ungezwungene leichte Spannung in der Um-
gebung des Mundes wieder. Der auf beiden Seiten gleich hoch, wenn
auch wenig hinaufgezogene Mundwinkel läßt die Thätigkeit der Heber
der Oberlippe und des Mundwinkels erkennen, jedoch so, daß nur
eine schwache Spur einer Dehnung in der Haut des Mundwinkels
entsteht. Dort macht sich ein mäßiger Druck bemerkbar, der Mund-
winkel geht empor und schiebt die leichter bewegliche Haut der Wange
gegen die etwas schwerer verschiebbare Portion in der Begion des
Wangenbeins.
Bei höheren Graden zieht sich der Mund horizontal in die Breite,
entweder nur auf der einen Seite oder auf beiden, wir sprechen danu
vom ..Lächeln".
Bei lauter Freude öftnet sich der Mund, so daß die Zähne leicht
sichtbar werden, oder es kommt zum Lachen, d. h. zu kurzen, schnell
folgenden Ausatmungsstößen durch die zu hellen Tönen gespannten
Stimmbänder. Dabei werden die Stimmbänder bald genähert, bald
voneinander entfernt und es entstehen charakteristische unartikulierte
Laute im Kehlkopf mit Erzittern des weichen Gaumens. Der Mund
wird mehr oder weniger leicht geöffnet, die Mundwinkel werden stark
nach hinten und ein wenig nach oben gezogen, ebenso w^ie die Ober-
lippe. Durch das Rückwärts- und Aufwärtsziehen der Mundwinkel
wird die Wangenhaut nach oben geschoben, es bilden sich hierdurch
Falten unter den Augen und an den äußeren Augenwinkeln, und
diese sind für Lachen und Lächeln äußerst charakteristisch. Das
Hinaufschiebeii der Wangenhaut bei dem Lachen häuft die Masse der
emporgedrängten Haut auf der vorderen Fläche des Wangenbeines
in der Nähe des unteren Augenhöhlenrandes an, diese Masse stant
sich und drängt die weiter oben liegende Partie gegen das untere
Augenlid, das in diesem Falle gehoben wird. Bei viel Fettanhäufang
Unikdn ilw KOjita.
321
. Gesicht kann die Lidspalle dmlurcli in sein- hnliem Grade \er-
mgei-t werileii. Durch tlieselbeii Ursachen wird offenbar auch der
sre Augenwinkel hfiliPr gestellt, unil dadurch ein Hauplzug des
»udigen Antlitzes bedingt.
Ein helles und glänzendes Ange ist für einen verguügteu Seelen-
^tand ehensn charakterisliscli wie die Zurilckziehung der Oberlippe
I'hütogiFiiibii',
mit doli dadurch iier vorgerufenen Falten. Der Turmclu-te Glanz dvr
Äugen ist wahrscheinlich eine Folge erhöhter Spannung und Wölbung
der Cornea, durch stärkere FllUung der GefAße im Innern des Auges
und des um den Augapfel betindlichcu Muskel- und Felltagers her-
beigeführt.
Bei ßbri^roßcr Frotidc kommt m uebro Jt-oi Lachen ta vorwlii eilen Pn Kwock-
li>sen Bewt^gnn^co. Am lebhaftesten und nueb ilurch keine kniiventbiiellen rönnen
beeinflußt ist der Ausdruck der Freude bei den Kindern. Ihr lautre liacheii, daa
ZusammenscLlagen der Händchen und du Iltipti-n «ind judum bukannL Dei den
Tieren gesrbjeht die ÄuSenuig der Freude durch alinlichc Mittt^l. Das Spriogeu
und Bellen des Hundes, wenn er mit seinem Homi ausgelion will. di<.- munleruit
322 • Achter Abschnitt.
Sprünge des Pferdes, wenn es auf ein offenes Feld gelassen wird, sind den ÄiiBe-
rungen des Vergnügens beim Kind völlig gleichwertig.
Bei freudiger Stimmung liält der Mensch seinen Körper aufrecbt
seinen Kopf erhoben, und die Bewegungen sind elastisch und von
vollkommener Freiheit. Die Farbe des Gesichtes ist erhöht, das Herz
schlägt voll und regelmäßig und unterhält eine beschleunigte Zi^
lation. Alle Säfte scheinen schneller durch den Körper zu eilen, tum!
der Zustand des Wohlbehagens erstreckt sich auf alle Organe. Dm
durch den vermehrten Blutzuiiuß gereizte Gehirn wirkt auf die gri.
stigen Fähigkeiten zurück; es ziehen lebendige Ideen schneller durcli
die Seele, und die Affekte werden wärmer. Dabwin giebt die A^lß^
rung eines Kindes, das, noch nicht ganz vier Jahre alt, gefragt wurde,
was es heiße in guter Stimmung sein. Darauf antwortete es: ,JD«
heißt lachen, schwatzen und küssen." Es dürfte schwierig sein, eine
richtigere und praktischere Definition zu geben.
Liebe, zärtliche Empfindungen und ähnliche Stimmungen
unseres Innern sind auf dieselben Mittel des Ausdruckes angewiesen,
und bedingen dieselben Erscheinungen in dem ganzen Körper. Vöo
der Freude hat die Liebe die Böte der Wangen, den Glanz d«
Augen, den vollen Puls und alle Zeichen der Heiterkeit und Fröh-
lichkeit in dem lächelnden Antlitz. Sie ist die Gemütsbewegung der
Lust mit vorwaltendem Streben, den geliebten Gegenstand beständig
gegenw^ärtig zu erhalten. Gleichviel ob die sinnliche Liebe, die der
Mutter, oder eine rein ästhetische Liebe, z. B. zu einem Kunstweit
in Betracht kommt, stets sind bei der Betrachtung desselben <iie
Augen offen und frei, die Stirn geglättet, um den vollen Lichteindruck
zu empfangen. Verschieden ist nur die Zeitdauer, nicht die Form
des Ausdruckes. AU' die eben angeführten Gemütszustände, so ver-
schiedene und feine Stufen auch denkbar sind, stimmen, was ihren
Ausdruck betrifft, darin überein, daß die Muskeln der oberen Gesicht>-
hälfte in eine Art der Spannung geraten, bei der das Auge frei und
offen daliegt. Die Änderungen in der unteren Gesichtshälfte folgen
mit zwingender Notwendigkeit demselben Rettex, der unwülkürhch
auch auf sie überspringt.
Verwandte Rettexbewegungeu zeigt
die Aufmerksamkeit: ein geöffnetes Auge und ein vollständig
erhobenes Lid. Sobald sich dieser Zustand etwas verschärft, ver-
bindet sich damit leichtes Erheben der Augenbraue. Allein die
Muskulatur des Mundes bleibt noch in vollkommener Ruhe.
Selbstverständlich wendet sich der Kopf dem betrachteten Gegenstand
zu. Es giebt jedoch eine Aufmerksamkeit, bei der das Gehörorgan
Muskeln des Kopfes. 323
eine größere Rolle spielt als das Auge. Dann wendet sich das Ohr
dem Redner zu, während die geöffneten Augen nach einer anderen
Richtung unverwandt gerichtet sind, als kämen die Schallwellen wie
strahlendes Licht auch zu ihm. Dieselbe Bewegung des Kopfes zeigt
der Horchende, er sucht dem Ohr durch das Anlegen der geöffneten
Hand an die Ohrmuschel alle Schallwellen zuzuführen. Die Augen
Bind weit geöffnet, und der ganze Körper ist nach der Seite vorgebeugt,
von der der Schall herkommt. Das Offnen der Augen wird, abge-
sehen von der unwillkürlichen Thätigkeit des Aufhebens des Lides
noch besonders durch die Zusammenziehung des Stirnmuskels herbei-
gefiihrt. Der französische Forscher Duchenne hat ihn deshalb Muskel
der Aufmerksamkeit (Muscle de Pattention) genannt. Allein mit diesem
Namen ist nur das erste Glied einer ganzen Reihe von Reflexen be-
zeichnet, bei denen der Aufheber der Stirn durch eine längere oder
kürzere Zusammenziehung beteiligt ist. Bei dem Erstaunen wie bei
der Verwunderung hebt sich unter seiner Wirkung ebenfalls die
Stirnhaut und legt sich in parallele Falten. Mit ihr heben sich die
Brauen, und die weitgeöffneten Augen zeichnen die sprachlose Ver-
wunderung des naiven Beschauers, dessen Blick lange Zeit unverwandt
auf dem neuen Gegenstande ruht. Die Überraschung, wodurch die
Wirkung eines unerwarteten Ereignisses auf unsern Geist bezeichnet
wird, drückt sich ebenfalls in verstärktem Öffnen der Augen mit
gleichzeitiger Zusanmienziehung des Stirnmuskels in eine Reihe von hori-
zontalen Falten aus; die ganze Ausdrucksbewegung ist intensiv, aber
von kurzer Dauer. Eine Steigerung der Gebärden besteht in dem
Öffnen des Mundes und dem Herabsinken des Unterkiefers. Endlich
kann der ganze Körper in Mitleidenschaft gezogen werden, er reckt
sich, die Hände werden erhoben, die Thätigkeit des Herzens wird be-
schleunigt, vermehrter Zufluß des Blutes nach dem Kopf stellt sich
ein, Erröten und sogar jener Zustand des Geistes, der als Verwirrung
bezeichnet wird.
Das weite Offenhaltoii der Augeu und des Mundes ist eine ganz allgemein für
die Überraschung o<ler das Erstaunen erkannte Ausdrucksform durch alle Men-
Bchenrassen hindunth bis zu den Völkern Australiens. Bemerkenswert ist, daß sehr
häufig mit dem Öffnen des Mundes ein kiurzer Laut gehört wird, der mit dem Ein-
atmen oder mit dem Ausatmen in Verbindung steht. Diese Laute können sehr
verschieden sein, namentlich diejenigen, welche bei der Ausatmung entstehen.
,Ha", „ho", „uih" kann man hören, dabei werden die Lippen vorgestreckt, ja
manche spitzen den Mund und lassen aus Überraschung einen pfeifenden Ton
hören. Die Hände spielen bei der Gebärde eine bedeutende Rolle. Die geöffneten
Handflächen »in^ »ach der Person hingekehrt, welche dies Gefühl verursacht, und
die ausgestreckten Finger sind gespreizt. Auf dem „Abendmahl** von Leonardo
DA Vinci halten zwei der Apostel ihre Hände halb erhoben und driicken dadurch
deutlich ihr Erstaunen aus.
21*
324 Achter Abschnitt
Überraschung mit der gleichzeitigen Wahrnehmung unmittelbarei
Gefahr bringt das Gefühl der Furclit hervor, dereu höchste Gnde
Schrecken und Entsetzen sind. Bei der Furcht werden zunächst die
Augen und der Mund weit geöffnet, dann die Augenbrauen erhoben
und all das ebenfalls mit großer Schnelligkeit. Die unbedeckten ood
vortretenden Augäpfel sind auf den Gegenstand des Schreckens fixiert
oder können auch ruhelos von der einen Seite zur anderen rolleiL Die
Gesichtszüge erhalten etwas Versteinei-tes, denn die Züge bleiben einige
Zeit stan*, das Gesicht ist überdies erblaßt, selbst die Lippen werden
weiß, welche sonst ihre Röte doch nur selten verlieren. Das Hen
zieht sich nämlich schnell und heftig zusammen, so daß es stark u
die Rippen pocht. Schon dieser Umstand stört die Zirkulation d«
Blutes, dazu kommt aber noch, daß wohl nebenbei das Nervenzentnim,
von dem aus die Gefäßnerven beeinflußt werden, eine Verengenmg
der kleinen Gefäße direkt herbeiführt. Infoge dieser Yermiuderte&
Blutzufulu: wird auch das Gehirn unvollständig mit dem ernährenden
Safte versorgt und kann in seiner Thätigkeit so gestöi"t werden, diB
Ohnmacht eintritt. Die ganze Reihe der die Furcht begleitenden Er-
scheinimgen zu beschreiben, wie „kalter Schweiß", Zittern der Lippen
und des Köi-pers, die besclüeunigte Atmung, die Trockenheit des
Mundes, heisere Stimme, oder gänzliches Versagen der Stimme u. s. v.
liegt nicht in dem Bereich unserer Aufgabe. Dagegen soll daran er-
innert werden, daß sich die Haare aufstellen und die Anne vorge-
streckt werden, als wollten sie eine Gefahr abwenden. In anderen
Fällen tritt eine plötzliche und unbezwingbare Neigung zur kopflosen
Flucht ein; und diese ist dann so stark, daß die tapfersten Manner
von einem panischen Schrecken^ ergriffen werden können.
Wenn die Furcht auf den höclisten Gipfel steigt, dann wird der Schrei de«
Entsetzens gehört, der Unterkiefer föllt uiclit herab, sondern wird durch Muskehi
herabgerissen. Der Mund hat die Mundwinkel stark nach abwärts gezogen. Dabei
beteiligt sich in ganz her^'orragendem Grade der Hautmoskcl des Halses. Die
Augen starren nach dem Gegenstand des Entsetzens hin, weit aufgerisseo. aber
die Stirn zeigt kräftige Zusammenziehung der Braucnrunzler. Der Körper ist in
dem Zustand äußerster Anspannung und alle Muskeln in einer momentanen ener-
gischen Zusammenziehung. Die Energie zeigt sich bei dem Herabziehen des Unter-
kiefers und in der kraftvollen Verkürzung des Hautmuskels, dessen vorderer Band
mit größter Deutlichkeit hervortritt.
Die Entstehung dieser Art der Ausdrucksbewegungen bei den
Affekten der Überraschung, der Furcht und des Entsetzens läßt sich
^ Panischer Schrecken, terreur panique , engl, j^atiie, ein plötzlicher aber
unnötiger oder ungegründeter Schrecken, als deren Urheber man im Altertum
den Pan, den Gott der Hirten und Herden betrachtete.
Muikeln des Kopfes. 325
nicht mehr in Einklang mit dpm Charakter bringen, welche die Ka-
tegorie der Lustalfekte begleiten. Daß unangenehme Überraschungen
und daß Furcht und Entsetzen mit weitgeöffneten Augen und weit-
geöffnetem Munde sich in unseren Gebärden widerspiegeln, also dem-
selben Mechanismus gehorchen, der das Auge dem Licht und den
angenehmen Eindrücken öffnet, ist schwer zu deuten. Es ist auch
durchaus zur Zeit unmöglich, die Zweckmäßigkeit dieser Gebärden
einzusehen. Besser reihen sich in dieser Hinsicht die Ausdrucksbewe-
gungen der Andacht an. Das geöffnete Auge ist nach oben gewendet,
als ob von dort her Licht in dasselbe überströmte. Es giebt übrigens
verschiedene Formen der Andacht. Die modernen abendländischen
Völker kehren das Gesicht nach dem Himmel und rollen die Aug-
äpfel nach oben, sodaß die Iris zu einem beträchtlichen Teil unter
dem Lid sich verbirgt. Diese Miene hängt wohl mit dem Glauben
zusammen, daß der Himmel über unseren Häuptern gelegen sei. Die
demütig knieende Stellung mit erhobenen und ineinander gelegten
Händen stammt vielleicht aus dem römischen Altertum. Sie war dort
die Stellung sklavischer Unterwürfigkeit, welche die vollständige Unter-
werfung dadurch beweist, daß sie die Hände dem Sieger zum Binden
darbietet. Es ist möglich, daß diese Gebärde in die moderne Religion
mit hinüber genommen wurde, um die heidnische Form der Andacht
zu vermeiden, denn der Römer betete in ganz anderer Weise. Der
Blick des antiken Beters erhob sich zwar auch zum Himmel, die
Hände waren jedoch nicht gefaltet, sondern die erhobenen Hände
zeigten die Flächen nach oben gewendet. — Eine andere Form der
Andacht hat der Muhamedaner. Er kniet, aber sitzt dabei auf seinen
Fersen, die Hände auf die vordere Schenkelfläche platt angelegt, oder
über die Brust gekreuzt. Diese F'ormen der Andacht sind von der
Menschheit erst allmählich entwickelt und erlernt worden; aus einer
ursprünglich gewollten Ausdrucksbewegung wurde eine reflektorische.
Bei vielen Naturvölkern ist nichts der Art zu finden, was wir mit dem
Ausdruck „Andacht" bezeichnen könnten.
Wie die Kultur Ausdrucksfonnen für den Affekt der Andacht
geschaffen hat, — und die Gebärden sind noch mannigfaltiger als
die beschriebenen — so bemächtigt sich oft der Wille ein-
zelner Bewegungen, sei es um sie für bestimmte Affekte zu verwenden,
sei es um einzelne Bewegungen zu unterdrücken. Der Kulturmensch
richtet den Ausdruck seiner Affekte nach den anderen, von denen
er sich beobachtet weiß, und sucht Gebärden und Mienen dieser
Rücksicht anzupassen. Er l^nit es nach und nach, gewisse Affekte
durch Unterdrückung der Reflexbewegungen zu verbergen, oder unter
Umständen andere, geradezu entgegengesetzte hervortreten zu
326 Achter Abschnitt.
lassen. Die Erziehung und die Überlegung sind hier von großem Ein-
fluß. Wer sich das nil admirari — nichts ist der Bewunderung wen
— zum Grundsatz gemacht hat, der vermag schließlich jedes Zeichen
des Erstaunens bei dem ersten Auftauchen zu unterdrücken^ and sein
Gesicht bewalu-t stets dieselbe kühle Ruhe. Er scheint gleichgültig,
selbst gelangweilt, ohne es in Wirklichkeit zu sein. Das konventioneDe
Lächeln in der Gesellschaft und die mancherlei Höflichkeitsgebäxden Bind
bald moderierte, bald übertriebene, bald willkürlich fingierte AuBe-
Hingen. Dieser Einfluß des Willens wird aber in der Eegel ohn-
mächtig, wenn die Gemütsbewegung zu hohen Graden anwächst Anch
gelingt es ihm meistens nur das Innere zu verschleiern, selten es ganz
zu verhüllen, da die imiere Bewegung mit der Macht einer Natur-
gewalt sich zu äußern strebt und dies unfehlbar thut, sobald die Ani-
merksamkeit auf das Ich erschlafiPt und die Stärke des Affektes den
zügelnden Einfluß des Willens durchbricht.
Die Umgebung des Auges hat, wie schon in der Muskellehre aus-
einandergesetzt wurde, die Fähigkeit, durch kürzeren oder längeren
Schluß der Lider das Licht fern zu halten und den Augapfel zn
schützen. Das Verfahren, das die Natur dabei einschlägt, ist folgendes:
Soll der Zufluß des Lichtes abgeschwächt werden, so senkt sich das
obere Lid, das untere steigt etwas in die Höhe. Soll grelles Licht
das dem Auge Schmerz verui'sacht, abgehalten werden, doch so daß
der Blick auf die Umgebung frei bleibt, so nähern sich nicht nur die
Lidränder, sondern der ganze ßingmuskel tritt in Aktion. Die
Haut aus der Umgebung des Augenhöhleneinganges zieht sich zu-
sammen, namentlich bethätigt sich dabei der Augenbrauenrunzler, wo-
durch das Auge von oben her beschattet wird. Dabei erscheinen
Längsfalten über der Nasenwurzel, welche die Wii'kung des Brauen-
runzlers besonders deutlich erkennen lassen; selbst die Haut vom
Rücken der Nase her und von der Umgebung des unteren Augen-
höhlenrandes hebt sich. Die Sehachsen konvergieren, ein Beweis, daß
nicht allein die äußeren Muskeln des Antlitzes erregt, sondern selbst
verborgene der Bewegung dienende Ei'äfte gleichzeitig in Thätigkeit
versetzt werden. Die ebengenannten Bewegungen sind durch Willens-
ei nfluß herbeigeführt.
In die nämlichen Spannungen geraten dieselben Muskeln un-
willkürlich bei Afi'ekten fi-eudloser, unangenehmer, trauriger oder
schmerzlicher Art. Der Kummer, die Sorge und die Scham schlagen
die Augen nieder, wie die Bescheidenheit, die nicht in den Vorder-
grund treten und nicht auffallen will und die den Blicken, die ihr be-
gegnen, entweichen möchte. In allen diesen Affekten, w^elche der großen
Muskeln des Kopfes. 327
Kategorie der Unlustaffekte angehören, verhält »ich das Auge und
verhält sich der Mund, als handelte es sich um die Abwehr von Schäd-
lichkeiten. Die beiden muskulösen Haupt^nippen des Antlitzes wirken,
wie unter dem nämlichen Kommando stehend, gleichzeitig zusammen
nach der längst bekannten Regel, daß Muskelzusammenziehungen nicht
immer auf die bewegten Gruppen beschränkt bleiben, sondern auch
unwillkürlich in anderen auftreten. Bei dem Heben schwerer Lasten
geraten u. a. auch die Antlitzmuskeln in Aufruhr, obwohl sie sich
völlig zwecklos bei dieser Anstrengung beteiligen.
Es giebt wenige Ausdrucksbewegungen, welche nur auf die Mus-
keln des Mundes beschränkt bleiben. Eine derselben ist die Ent-
schiedenheit. Der Mund ist geschlossen, die Lippen etwas aneinander
gepreßt, ebenso wie die Zähne. Es ist eine ganz zutreiFende Bemer-
kung Dabwin's, daß kein entschlossener Mensch einen offenstehenden
Mund zeige. Ein Mund nur mit wenig rotem Lippenrand hat den
Ausdruck der Entschiedenheit in gesteigertem Grad.
Die Miene des Trotzes begleitet ebenfalls ehi geschlossener Mund,
dabei folgen aber die äußeren Umhüllungen des Auges gleichzeitig
derselben Regel, auf die soeben hingewiesen wurde, sie schließen sich
nämlich in größerem oder geringerem Grad, wobei der Brauenrunzler in
Thätigkeit tritt. Trotz ist Widerstand, und schon der Entschluß hierzu
muß sich in diesen Muskelbündeln abspiegeln. Das Niederschlagen der
Augen, das Wegwenden des Blickes und des Kopfes stehen damit im
Einklang.
Derselben Regel unterliegen die Ausdnicksbewegungen der Schüch-
ternheit und der Scham. Das Auge deutet durch seine Bewegimg
die Empfindung der Unlust an. Der Blick wendet sich zur Erde, die
Lider folgen. Das „Niederschlagen der Augen^^ ist die treffende Be-
zeichnung fllr diese Gebärde. Dazu kommen eigentümliche verkehi*te
die innere Unruhe charakterisierende Bewegungen namentlich der Finger,
wie Zupfen an den Kleidern, Betrachten der Fingerspitzen, Kauen der
Nägel, dann auch Bewegungen der Zehen, der Fußspitzen oder der
Ferse (Bohren des Fußes an der Erde).
Der Schmerz mit seinen verschiedenen Variauten, sei er nun
physisch oder sei er als „Seelenschmerz^' reiner Affekt, hat einen Aus-
druck in der Umgebung des Auges, als ob es sich um Abhalten des
Lichtes handelte. Die Lider werden etwas geschlossen (an dem oberen
Lid ist dies vorzugsweise zu bemerken) und die Haut der Stirn legt
sich in Längsfalten. Diese Form der Muskelzusammenziehung spiegelt
sich auch in der Umgebung des Mundes. Er ist geschlossen, die Er-
weiterer verharren in vollkommener Ruhe, während der Ringmuskel
und seine den Mund schließenden Fasern in eine im Anfang mäßige
Anspannung versetzt sind. Mit der Zunahme des Schmerzes i
im Bereich des Auges stärkere Zusammenziehungen iles Aogmiljnafl
rtiuzlers bemerkbar, in der Umgebung des Mundes beginnt krut^
artiges Zucken, die dreiseitigen Muskeln des Mundwinkel», »päter u^
die vierseitigen Muskeln, ziehen sich zuanmmen, so wie es Iwi ^
Weinen der, Fall ist.
l'hotoprapliU
Die Flg. 1Ü5 , naLh einem kleinen Liditdruckbüde in Ca. '
win's Werk vergrößert, zeigt die übereinstimmendea Zusai
Ziehungen in der Umgebung des Auges und des Mundes sehr '
kommen. Der nach abwärts gerichtete Zug der Muskeln dos Moi
setzt sich, innerhiith der Haut fortwirkend, der Wange entlang i
oben fort, soduß selbst die äußeren Augenwinkel ihre Lage etwas 1
dem im Vergleich zu der mittleren Stellung. Vei-gleicht
aber mit derjenigen bei dem Ausdruck d^s Lachens, so stehen i
äußeren Augenwinkel offenbar tiefer. An der Fig. 105 ist die 1
hafte Zusammen Ziehung des Augeubrauenrunzlers besonders starlc •
gepräfft. Die jugendliche Haut der Stirn läßt es in diesem Fal
Muskeln des Kopfes. 329
keinen senkrechten Falten kommen, allein die Annäherung der Augen-
braneubogen, das Dickerwerden der Stirnhaut in ihrem Bereich ist als
eine Folge der Kontraktionen zu betrachten.. Wie sehr der pyramiden-
förmige Muskel sich beteiligt, beweist der Wulst an der Nasenwurzel.
Die Wirkung des MuskelzupreH im Gr«fiiicht des Moiischcn wird vertHihieden
aeiii bei fetten und bei magern. Kinder- und Frauengosichter zeiehncn sich be-
kanntlich durch den Mangel markierter Züge aus. Dieser Mang(d liegt nicht in
einer geringeren Erregbarkeit mler einer Monotonie der fjeistigen Stimmung, sondern
an den Mitteln, Nuancen des Gefiihlleben» \viederzusi)iegeln. Wegen des Fett-
reielitums bilden sich weniger Falten. A2)athie — Gleichgültigkeit ohne alle innere
Bewegung, — lA'idenschaftslosigkeit, den Vollgenuß inneren Behagens wird man
leichter mit fetten Gesichtern ausdnicken können als mit mageren. Fettgesicht<T
lassen auf körperlich«», und peistijre Ruhe Hchließi'n. Deswegen saprt Cäsar zu
Antonius:
,J^6t Miinner um mich sein von fettem Bau
Mit glatten Köpfen, welche ruhig schlafen;
Di»r Cassiiu* hat so hohlen Iluni^erblick,
Er denkt zu viel, die Leute sind g(?tahrlich.
Dergleichen Gei«t<T haben niemaln Ruh — — — — .•'
Sowohl bei physischem Schmerz als lK*i Ijciden di»r Seele kann es zum Er-
guß von Thränen kommen, wobei stets diesellien Erregungen d(»s Augenbrauen-
nmzlers mit denen des Kingmuskels bis zu dem Verschluß der Lider ertblpren;
Zuckungen in der Muskulatur des Mundes gehen damit Hand in Hand. Bei Kin-
dern springt die Erregung von der Umgebinig des Auges gleichz(?itig auf die Mus-
kulatur des Mundes über, die Mundwinkel zucken, werden nach abwärts gezogen,
die Unterlippe hebt sich in der Mitte, d. h. in dem Bereich der unteren Schneide-
zähne, in die Höhe und wird etwas vorgestreckt.
Diese Gebärde fftr den Schmerz erreicht eine weitere Entwickelung, sobald
jemand in lautes Weinen ausbricht Der Mund öifnet sich jetzt dadurch, daß die
Oberlippe in die Höhe gezogen winl, der Unterkiefer herabsinkt, und bei abwärts
gezogenen Mundwinkeln der erste weinende Ton während des Ausatmens langge-
zogen ausgestoßen wird. E*< ist erklärlich, daß durch den Lidschluß bei dem Weinen
die Oberlippe in die H<»he gezogen werden muß, denn der Ringmuskel des Mundes
hängt durch den kleinen Jochbeinmuskel sehr innig mit dem Kreismuskel des
Auges zusammen. Zieht dieser sich also ungewöhnlich stark zusammen, so winl
gleichzeitig die Oberlippe in die Höhe gezogen werden, denn der kleine tlochbein-
muskel besteht aus Fasern, welche aus <lem Kreismuskel des Auges ausbrechen.
Die Trauer zeigt in ihren Ausdrucksbewegungen eine nahe Ver-
wandtschaft mit dem Schmerz, aber sie hat bestimmte Merkmale, die
sie unterscheiden. Sie sollen hier aufgeführt werden, obwohl manche
dieser Einzelnheiten weder der Pinsel noch der Meisel geben kann.
Ist es doch die Aufgabe, hier den Ausdruck der AflFekte zu schildern,
zunächst unkekümmert darum, wie weit das künstlerische Bedüi-fnis
reicht. Bei der Trauer ist die Kraft der Muskeln beträchtlich herab-
gestimmt. Der Blick ist gesenkt, gerade so wie die Lider, die Augen-
330 Achter Abschnitt.
bewegung ist träge; nur flüchtig erheben sich die Augen ^ um einen
Gegenstand zu betrachten, sie kehren sofort zu ihrer früheren Stellung
zurück. Der einzige Muskel, der mit zäher Ausdauer seine Scboldig.
keit thut, ist der Augenbrauenrunzler, wodurch der Ernst noch gesto-
gei*t wird. Die übrigen Züge sind gänzlich in Buhe mit dem Charakter
der ErschlaflFung. Dies rührt davon her, daß bei deprimierender Ge-
mütsbewegung alle Vorgänge der Ernährung und des StofiwechseU
herabgesetzt sind. Das Schwächegefiihl ist vorherrschend, das Atmes
schwer, verlangsamt, der Herzschlag träge, der Blutumlauf gehemmt
deshalb die Muskeln erschlaift. Die ganze Ernährung leidet, der
Appetit ist gering oder gänzlich aufgehoben, das Gesicht deshalb
blaß, es herrscht Apathie imd jeder Entschluß fällt schwer. Die Er-
schlaffung der Gesichtsmuskeln und die verminderte Blutzofiihr lifk
das Gesicht „länger werden", ^ die Umgebung der Augen sinkt ein, die
Augen selbst sind in die Höhlen zurückgezogen und infolge spär-
licher Zirkulation trübe, es fehlt der Glanz, den das Glück ihnen
verleiht.
Die Trauer äußert sich auch in der Haltung des übrigen Körpers:
der Kopf sinkt gegen die Brust herab, der Oberkörper ist vorgebengt,
und die herabhängenden Arme suchen, bei dem Fehlen irgend eines
Stützpunktes, durch Übereinanderlegen der Hände oder Ineinander*
greifen der Finger irgend einen Halt zu gewinnen.
Die Beschreibung des Verhaltens der Augenbrauen bedarf noch
einer Erweiterung. Bei sehr hochgradigem Schmerz ziehen sich die
Augenbrauen bei manchen Menschen nach innen in die Höhe. (Vor-
trefflich ist diese Art der Stellung bei Laokoon erkennbar.) Dies
kommt wahrscheinlich dadurch zustande, daß in die Zusammenziehimg
der Augenbrauenrunzler der mittlere Teil der Stimmuskeln eingreift
Diese letzteren Bündel erheben durch ihre Zusammenziehnng die inneren
Ränder der Augenbrauen; dabei sind aber dennoch die Brauenrunzler
in voller Thätigkeit, rufen senkrechte Falten hervor und beschatten
das Auge, dessen Lider sich etwas senken. Duchenne giebt die Photo-
graphie eines Mannes, dessen Stirnmuskeln sich in der eben ange-
gebenen Weise zusammenziehen. 2 Der Ausdruck tiefen Leidens ist
unverkennbar. 3 Auffallend ist dabei, daß gleichzeitig in dem mittleren
* Von einer Person, welche eine böse Nachricht empfängt, sagt oian, daß^sie
ein langes Gesicht mache.
* Auch bei Dakwin Taf. II, Fig. 1.
^ Von Irrenärzten wird bei Melancholie diese Doppelwirkung auf die Htot
der Stirn als sehr häufig bezeichnet, und Darwin erwähnt, daß diese Auadrucks-
form des Grams allen Menschenrassen zukomme. Siehe die angdföhrten Beispiele
in seinem Werk auf S. 188 u. fF.
Miukdn des Kopfes. 331
Teil der Stini Quer falten entstehen. Die griechischen Bildhauer
waren offenbar mit dieser Ausdrucksform wohl vertraut, nur verlänger-
ten sie die queren Furchen über die ganze Stimbreite, vielleicht, wie
Dabwin meint, um die Wirkung zu steigern.
Zu den elementarsten En*egungen der menschlichen Seele gehören
neben Freude und Schmerz der Haß und der Zorn. Die Abnei-
gung, die erste Stufe des Hasses, hat schwer erkennbare Zeichen, es
sei denn, man halte das bezeichnende Wort selbst als die beste Schil-
derung dieses Gemütszustandes. Denn während „Zuneigung** das Hin-
neigen des Körpers nach dem Gegenstand des Gefallens ausdrückt,
eine Stellung, die wie eine Zwangsbewegung mit absoluter Regelmäßig-
keit aufritt, so besteht die Gebärde der „Abneigung" in dem Weg-
wenden dos Blickes, des Kopfes oder des ganzen Körpers. Die Sprache
drückt also durch ihi- Wort gleichzeitig am schärfsten die Äußerung
dieses seelischen Zustandes aus. Wir suchen von unserem Auge wie von
unserem Geist den unangenehmen sinnlichen Eindruck fenizuhalten. Der
Blick streift den Gegenstand kaum, und eine Person wird für uns „Luft",
wie ein modemer Ausdruck lautet, sie wird „geschnitten", was sagen will,
daß der Blick an der Erscheinung vorübergleitet, mit der Absicht, sie
nicht zu bemerken, obwohl sie sich in dem Gesichtskreis befindet. Mit
dem Wegwenden von einer Person, welche sonst unserer Beachtung
oder noch mehr unseres Mitgefühles wert wäre, ist die Abneigung
schon deutlich durch eine Gebärde des ganzen Körpers ausgedrückt.
Sie kann sich dabei gegen die Persönlichkeit richten oder nur gegen
ihi- Begehren. In beiden Fällen ist die Gebärde dieselbe. Die Aus-
drucksform giebt der Abneigung den Charakter der Geringschätzung
sobald mit dem teilweisen Schließen der Augenlider, dem Wegwenden
der Augen und des ganzen Körpers gleichzeitig das Erheben und das
Zurückwerten des Kopfes sich verbindet, eine Gebärde, welche die Er-
hebung über das Geringe, Niedrige ausdrückt. Die Gestalt streckt sich,
um an Höhe zu gewinnen. Während diese Gebärde nur vorübergehend
ist, wird sie, wenn dauernd, zu derjenigen des Stolzes.
Ein stolzer Mensch drückt sein Gefühl der Überlegenheit über
andere dadurch aus, daß er seinen Kopf und Körper auffallend auf-
recht hält. Er ist erhaben, und macht sich selbst so groß als mög-
lich, so daß man in übertragenem Sinn von ihm sagt, er sei von Stolz
geschwollen oder aufgebläht. Ein arroganter Mensch blickt auf an-
dere herunter, und läßt sich nur dazu herbei, sie mit gesenkten Lidern
anzusehen.
Während bei all' diesen stummen Äußerungen der den Geist be-
herrschenden Vorstellungen das Auge sich wegwendet, kommen gleich-
zeitig, wie schon erwähnt, Muskelwirkungen in der Umgebung des Aug-
332 Achter Abadmitt
apfels hinzu; das obere Lid senkt sich, und sobald nur etwas Groll
in die Empfindung sich mischt, ziehen sich die Augenbrauenninzlop
zusammen und breiten einen Schatten über das Auge aus. Diese Zu-
sammenziehung in der Umgebung der Lidspalte wird begleitet tob
einer ganz bestimmten Muskelwirkung im Bereich der Mundspalte.
Der Mund wird geschlossen, die Lippen pressen sich erst leicht, bri
erhöhten Graden stärker an die Zähne, die Unterlippe hebt »ich in
ihrem mittleren Teil höher, wodurch die Mundwinkel tiefer stehen and
eine Richtung nach abwärts erlangen. Es ist der „unangenehme Zog
um den Mund", den alle kennen. Man hat dieses Emporheben der
Unterlippe dem Kinnmuskel zugeschrieben. Auf diesen Muskel paßt
die von den alten Anatomen gewählte Bezeichnung „Muskeln des
Stolzes", Musculi superbL Das gleichzeitige Erweitem der Nasen-
löcher, wie es bei starker Ausatmung durch die Nase stattfindet, trägt
wesentlich dazu bei, den Ausdruck der Geringschätzung, des Hoch*
mutes unji des Stolzes zu erhöhen.
Bei air diesen Wirkungen in der Muskulatur des Mundes treten
an der Nasenlippenfurche , die von der Ansatzstelle des Nasenilügels
gegen die Mundwinkel zieht und die Lippen von der Wangengegend
trennt, Veränderungen auf, die in einem schwer zu beschreibenden
Herabziehen bestehen, wobei die dreiseitigen Muskeln des Unterkiefers
beteiligt sind. Damit spannt sich gleichzeitig die Haut zwischen Augen-
und Mundwinkel und alle diese Umstände zusammen machen den Ein-
druck, als sei das Gesicht verlängert.
Das Totalbild aller Vorgänge bei der leisen Regung der Gleich-
gültigkeit, der Geringschätzung ist also ähnlich demjenigen, das bei
dem Abschluß grellen, unangenehmen Lichtes (halber Schluß der Lider,
Zusammenziehen des Ringmuskels an Aug und Mund) auftritt.
Ohne die Mittelstufen zu berücksichtigen, wenden wir uns zur
Schilderung der Ausdrucksbewegung bei dem vollen leidenschaftlichen
Affekt des Zorns. Im Gesicht treten bei dem Zorn vier Muskel-
gebiete in Contraktionen. Die Augen heften sich auf den Gegenstand
des Zorns, als wollten sie ihn durchbohren, es sind die Augenmuskeln;
welche den Bulbus gleichsam festschrauben — „der stechende Blick**
ergiebt sich dadurch. Von den Muskeln in der Umgebung des Aug-
apfels zieht sich der Brauenrunzler stark zusammen, auch der Kreis-
muskel drängt seine Fasern mehr zusamnien. Die Lidspalte wird
rundlich. Der Mund wird durch seine Muskeln zusammengedrückt
und die Nasenflügel werden gehoben. Die Erregung springt auch auf
die Kaumuskeln über, die Kiefer werden aneinander gepreßt; die
Anschwellung des äußeren Kaumuskels ist in Form von einzelnen strang-
artig vortretenden Leisten seiner Muskelbündel und der Spannung
^r
Muskeln des Kopfes. 333
seines vorderen Bandes wahrzunehmen. Auch der Schläfenmuskel
schwillt an. Endlich wird die ganze Körpermuskulatur unwill-
kürlich in Erregung versetzt und der Mensch nimmt eine Stellung ein,
bereit zum Angriff oder zum Niederschlagen seines Gegners. Der Kopf
ist aufrecht, die Füße fest auf den Boden gestellt und in forcierter
Streckung. Die Arme sind entweder gleichfalls in forcierter Streckimg,
oder etwas gebeugt und dabei nach vorn gerichtet. Bei Europäern
werden gewöhnlich die Fäuste geballt. Die Haltung der Brust ist
dabei ganz charakteristisch, sie ist in einem weit stärkeren Grade mit
Luft gefüllt, als während der ruhigen Stimmung, sodaß der Thorax
erhoben ist. Voll aufgebläht trägt er wesentlich dazu bei, den Ein-
druck physischer Kraft zu steigeni. Aber nicht bestimmte Absicht
des Zornigen, so kraftvoll als möglich auszusehen trägt die Schuld,
warum sich die Lunge bis zu dem äußersten Grade mit Luft füllt, son-
dern ein Reflexmechanismus, der mit der Anspannung der Armmuskeln
sofort auch auf diejenigen der Respiration überspringt und die Lunge
zu einer stärkeren Füllung zwingt. Das Atemholen ist bei dem Zorn
ebenfalls affiziert, wie das Herz. Die Atemzüge sind tief und mit
Geräusch wird die Luft durch die weitgeöffneten Nasenlöcher geblasen,
oder sie fährt mit lautem Ton aus dem Mund, sobald sich die drohende
oder herausfordernde Rede dem Gegner zuwendet. Immer ist der
Herzschlag und die Zirkulation affiziert. Der Herzschlag ist vermehrt
und durch die starke Füllung der Lunge mit Luft oft die Rückkehr
des Blutes aus dem Kopf auf kurze Zeit gehemmt. Schon aus diesem
Grunde rötet sich das Gesicht, es „glüht vor Zorn". Eine solche
leidenschaftliche Erregung vermag das Herz so zu stacheln, daß es
sich in seiner Arbeit überstürzt. Die Schläge vermehren sich, es
kommt zu jener Erscheinung, die man als Herzklopfen bezeichnet. Dabei
sind die Zusammenziehungen zwar häufiger, allein weniger tief; weniger
Blut verläßt das zentrale Pumpwerk durch die Abflußröhren. Dazu
kommt bisweilen, herbeigeführt durch die Miterregung des sympathi-
schen Nervensystems, ein Gefäßkrampf in den Schlagadern, der ftlr
die Beobachtung zunächst im Gesicht erkennbar wird durch die Blässe,
die sich bis in die Lippen erstreckt. Der Eintritt der Blässe kann
früher oder später erfolgen, stets geht aber, wenn auch nur kurz, das
Botwerden voraus. Man kann leicht, wie Dabwin an seinen Kindern
vom sechsten Monat an, beobachten, daß das erste Symptom eines sich
nähernden leidenschaftlichen Anfalls das Einströmen des Blutes in
die Haut des Gesichtes und Kopfes ist. Die individuellen Eigenschaften
des Lidividuums bedingen eine Reihe von Unterschieden, die darin
liegen, daß bei dem einen die Dauer der Zomesröte sehr lange und
das Stadium der darauffolgenden Blässe nur sehr kurz ist, während
334 Achter Abschnitt.
die Zeitabschnitte in ihrer Dauer bei anderen sich gerade amgekefart
verhalten können. Gleichzeitig sind eine Reihe verschiedener Abstii>
fangen möglich, vne in dem Verhalten des Mundes, der Arme und
Hände. Beinahe von jedem, der über den Ausdruck geschrieben bat,
ist auf das Fletschen der Zähne in der Wut aufmerksam gemacht
worden. Was die Arme betrifft, so kann einer oder können beide Ell-
bogen eingestemmt sein; das Ballen der Fäuste ist zwar die für die
künstlerische Darstellung markierteste Form des Ausdruckes, allein nidit
die einzige. Bei vielen Menschen suchen die Finger nnd die Hände
nach einem Gegenstand, an welchem ein Teil der anfs äußerste er-
regten Muskelkraft sich zu entladen vermag. Finden endlich die
tastenden Bewegungen eine Falte des Gewandes, oder die Lehne eines
Stuhles u. s. w., so werden diese Gegenstände krampfhaft gefaßt and
gedrückt. Streitende Menschen sieht man sich beständig näher treten
mit vorgebeugtem Oberkörper und vorgestrecktem Kopf, während die
Anne mit heftigen Geberden die Voi*würfe begleiten u. s. w. Aber so
zahllos die Varianten auch sein mögen, das charakteristische Bild des
gesamten Ausdruckes bleibt dadurch unverändert. Es ist die Ennst,
welche für die beabsichtigte Darstellung einer Situation auch die
treflfendste Ausdrucksform findet und eine der vielen Abstufungen
herausgreift.
Bei den folgenden Affekten: Spott, Hohn, Verachtung, Ab-
scheu, Ekel kann eine sehr ausdrucksvolle Miene vorkommen, die
mit dem unbedeutenden Entblößen des Eckzahnes auf einer Seite des
Gesichtes inr Zusammenhange steht. Ob sich in den schwächsten Gra-
den dieser Affekte nun der Mund wirklich vollständig öffnet oder nur
verzieht, ist liir verschiedene Individuen verschieden, aber die Bewe-
gung ist höchst charakteristisch und gewinnt an Schärfe, sobald sie von
einer leichten kurzen Ausatmung begleitet ist, wobei die Lufl mit
einem schwach zischenden Geräusch durch die entsandene Lücke aus-
gestoßen wii-d. Dieselben Thätigkeiten wenden wir an, wenn wir einen
widrigen Geruch wahrnehmen, welchen wir von uns abzuhalten und
wegzutreiben suchen. Der Blick wendet sich bei all den erwähnten
Affekten dem Gegenstand des Affektes nur kurz und von der Seite her
zu und die Lider sind etwas geschlossen.
Dieselben Bewegungen treten ein, wenn unsere Empfindungen von
Verachtung beherrscht werden. Die halbgeschlossenen Lider und das
Wegwenden des Gesichtes soll vielleicht die Flucht andeuten, durch
die wir uns von dem Anblick des Verhaßten frei machen möchten.
Es ist jedoch schwer zu sagen, ob diese Absicht ursprüngUch die Ge-
bärde bestimmte oder die Absicht des Wegwerfens. Vielleicht darf
man aus dem sprachlichen Ausdruck auf das letztere schließen. Der
Muikeln des Kopfes. 335
bezeichnende Ausdruck sagt nämlich: Der wegwerfende Blick be-
gleite die Gebärde der Verachtung; der Verhaßte soll mit den Augen
gefaßt und weggeschleudert werden. Die vielsagende Bedeutung wird
dann durch Bewegungen des Mundes, der Nase, des Kopfes, der Hand
und des Körpers unterstützt. Die Bewegung der Hand ist die des
raschen Wegschleudems eines leichten, wertlosen Gegenstandes. Die
halbgeöffnete Hand dreht sich schnell nach außen, so daß jeder Gegen-
stand, der in ihr enthalten wäre, seitlich von unserem Weg fallen
würde. Dabei wendet sich gleichzeitig der Kopf seitlich, so daß wir
nicht einmal betrachten, wohin der weggeworfene Gegenstand fällt,
80 wenig Interesse besitzt er für uns.
Verwandt sind die Gebärden des Absehens, des Widerwillens
und des Ekels. Der Grundton ist dabei das unserm Wesen Feind-
liche, sei's unserm Geschmack oder Geruch Widerwärtige. Die Aus-
drucksbewegungen spielen sich also nach derselben allgemeinen Regel
ab, welche die Reflexe für Unlustaffekte beherrscht. Um die Augen
zieht sich die Haut unter der Wirkung des Ringmuskels zusammen,
und der Brauenrunzler legt mit einer schnellen Zuckung die Stini in
Längsfalten. Der Mund wird etwas geöffnet, als wollte man einen
widrigen Bissen herausfallen lassen oder herausschleudern. Dabei
werden die Lippen vorgestreckt, die Luft wird ausgestoßen mit einem
hörbaren dumpfen Ton, als reinigte man sich die Kehle, er erinnei-t
an die Silbe „uch*^ Die Oberlippe hebt sich dabei so heftig, daß die
Nase in die Höhe gehoben wird, und sich der Beginn der Nasenlippen-
furche stark vertieft. Der Oberkörper fährt zurück, uaf^ die Hände
erheben sich, als sollte mit der dachen Hand der Gegenstand weg-
gedrückt werden.
Die nämlichen Gebärden drücken auch den Abscheu vor irgend
einer widerwärtigen, verabscheuungswürdigen Handlung oder einer Per-
son aus, obwohl es sich dabei nicht um die Entfernung eines wider-
lichen Bissens handelt.
Eine Variante, die offenbar hohen mimischen Wert hat, weil sie
außerordentlich charakteristisch ist, besteht in dem Schiefziehen des
Mundes, wobei sich die Lippen etwas abheben, sich vorstrecken, wäh-
rend in der rundlichen Bucht der Eckzahn sichtbar wird. Das Ver-
ziehen der Zähne folgt stets einer uns unangenehmen Geschmacksempfin-
dung, man schneidet ein Gesicht, das denselben Ton aus der seitlich
verzerrten Mundspalte hervorkommen läßt. Die übrigen Vorgänge sind
vollkommen gleich mit den oben geschilderten.^
^ Ausspucken scheint ein allgemeiner Ausdruck der Verachtung oder des
Absehens zu sein, selbst die Australier spucken vor Abscheu auf die Erde, die
Neger und Abessinier thun dasselbe.
336 Achter Abschnitt.
Zweifel. Unentschiedenheit. Der Zweifel malt auf das 6^
sieht zunächst eine ähnliche Miene, wie jene des Nachdenkens, insofen
nämlich die Augenbrauen in die Höhe gezogen und die Stirn dud
die Wirkung des Stirnmuskels in Querfalten gelegt wird. Wir sek«
also wieder die allgemeine Kegel zum Durchbruch kommen, bei der sidi
das Auge öffnet, wenn es sich um Licht handelt. Der Zweifelnde hrfa.
det sich in einer Lage, die unklar ist imd die durch Helligkeit, sei sk
materiell, oder sei sie psychologisch durch gute Gründe herbeigef&bit
an Klarheit gewinnen und die Entscheidung, die der Zweifelnde sucfcu
erleichtern soll. Während aber in der oberen Gesichtshälft« die Sehn-
sucht nach Licht hervortritt, zeigt sich in der unteren Gesichtshalfte,
um den Mund, der entgegengesetzte Ausdruck; er ist geschlossen und
dabei sind die Mundwinkel nach abwärts gezogen, wie bei trauriga
Erregungen unserer Seele. Der Zweifel ist in der That das Hin- nod
Herschwanken zwischen zwei Empfindungen, die abwechselnd die Ober-
hand gewinnen, und dieser Widerstreit, hervorgerufen durch die WaU
zwischen zwei Möglichkeiten, spiegelt sich in den Gebärden des Ge-
sichtes. Dabei ist der Blick in paralleler Stellung der Augenachsen
entweder seitlich oder abwärts gerichtet, als erwarte das Auge ans
der Ferne Hilfe für eine Entscheidung. Die Haltung des Kopfes ist
etwas schief, er ist dabei leicht nach vorn geneigt und ändert die
Stellung bald nach rechts, bald nach links. Eine besonders charakte-
ristische Gebärde ist die des Achselzuckens, und zwar wird entweder
nur die eine bewegt, oder beide gleichzeitig. Wenn die Gebärde voll-
kommen angeführt wird, so wird der Arm im Ellbogengelenk gebeugt
und dabei an den Köi-per angedrückt, während die offenen Hände mit
gespreizten Fingern sich nach auswärts drehen, gleichsam bereit nur
Annahme oder zur Abwehr der Gabe oder der Zumutung. Diese
ganze Gruppe von Gebärden äußert sich in allen möglichen Graden,
indem die ganze Reihe der einzelnen Akte auftritt, oder nur ein un-
bedeutendes Seitwärtswenden der offenen Hände mit ausgespreizten
Fingern erfolgt. Daß es sich hier nicht um eine von komplizierten
Kulturverhältnissen erzeugte Gebärde handelt, sondern um eine durch
innere Organisation bedingte, geht daraus hervor, daß sie in derselben
Form auch bei Naturvölkern vorkommt, welche keinen Verkehr mit
Europäern hatten.
Diese Gebärde wird übrigens auch für nahe verwandte Empfin-
dungen gebraucht; so hilft sie die Unmöglichkeit ausdrücken, eine
verlangte Handlung auszufiihren, das Antlitz und der Körper ziehen
das Gewand der Unentschiedenheit an, obwohl schon der Entschluß
feststeht, „ich will es nicht thun"; dieselben Gebärden lehnen auch
die Verantwortung ab für einen Schritt, den ii-gend eine andere Person
Muskeln des Kopfes. 337
ausfährt, welchen wir aber nicht verhindern können. Sie begleiten
Bedensarten, wie „es war nicht meine Schuld", oder ,,er muß seinen
eigenen Gang gehen, ich kann ihn nicht aufhalten." Das Zucken mit
der Schulter drückt gleichfalls Geduld oder die Abwesenheit irgend
welcher Absicht zu widerstehen aus. Daher werden die Muskeln,
welche die Schultern erheben, zuweilen auch „Geduldmuskeln" genannt.
Die Außerungsformen der einzelnen Affekte zeigen, wie die vor-
ausgehende Beschreibung ergiebt, eine unbestreitbare Verwandtschaft
innerhalb bestimmter psychologischer Gruppen, die als Lust- und Un-
lustgeftlhle, als Begehrungen und Widerstrebungen einander gegenüber
stehen. Es unterliegt kaum einem Zweifel, daß diese Art der Glie-
derung zutreffend und für die Zwecke der plastischen Anatomie
belehrend ist. Gleichwohl giebt die Unterscheidung der Ausdrucks-
bewegungen nach ihrem symptomatischen ('harakter noch keinen genü-
genden Einblick in ihr Wesen, und man hat deshalb versucht, sie
nach ihrem unmittelbaren Ursprung in gewisse Gruppen zu sondern.
Diese Versuche sind höchst wertvoll, und für eine richtige Auffassung
des Ausdruckes der Gemütsbewegungen unerläßlich.
Innerhalb der großen Reihe der durch Affekte hervorgerufenen
Bewegungen unterscheidet man eine Gruppe, welche aus dem physio-
logischen Gesetz der Assoziation analoger Empfindung ent-
springt. Nach dieser allgemeinen Regel entsteht der Ausdruck des
Sauren und Süßen in den Muskeln des Mundes und d^ Zunge auf
die bloße Vorstellung dieser beiden Empfindungen hin genau ebenso,
wie er entstehen würde, wenn saure und süße Stoffe unsere Ge-
8chmacksner\'en direkt treffen. Diese Bewegungen haben sich so fest
mit den betreffenden Geschmacksempfindungen assoziiert, daß schon
die Vorstellung eines süßen Gerichtes genügt, um unfehlbar die näm-
lichen Bewegungen hervorzurufen. Die Beobachtung hat nun ermittelt,
daß alle jene Gemütsstimmungen, welche auch die Sprache mit „bitter"
oder „süß" bezeichnet, sich mit den entsprechenden mimischen Be-
wegungen des Mundes für das Bittere und Süsse kombinieren. Das
Prinzip der Assoziation beherrscht auch das Offnen und Schließen der
Nasenlöcher bei der Vorstellung angenehmer oder widerlicher Geruchs-
empfindungen, sowie das Offnen und Schließen der Lider bei Freude
oder Schmerz, als ob es sich dabei um Aufiiahme von Lichtstrahlen
oder um Schutz vor solchen handele.
Eine andere Reihe von Ausdrucksbewegungen der kompliziertesten
Art beruht auf dem Umstände, daß starke Gemütsbewegungen eine
plötzliche Lähmung zahlreicher Muskelgruppen zur Folge haben. Die
KoLUf Airx, Plastische Anatomie. 22
388 Achter Abschnitt.
Totenblässe der Angst, der Erguß der Thränen, der Galle, das Hen-
klopfen und die Ohnmacht erklären sich befriedigend ans dem Prin«
zip der direkten Inneryationsänderung innerhalb der Mechaink
unserer Nerven. Die Ausdrucksbewegungen dieser Art sind voll-
kommen der Herrschaft unseres Willens entzogen, und (kr
festeste Entschluß ist machtlos gegen ihr Hervorbrechen. Das Errdta
ist ebenfalls diesem Prinzip untergeordnet, gleichviel , ob es den Zorn
begleitet, oder ob es bei den mäßigeren Affekten der Scham und der
Verlegenheit auftritt.
Die innige Verkettung unseres gesamten Nervensystemes, freilich
innerhalb einer strengen Gliederung, hilft zu der Erklärung jener Ge-
bärden, die man unter dem Namen symbolische Bewegungen zu-
sammengefaßt hat, eine Bezeichnung, die zwar leicht Mißverständ-
nisse erzeugen kann, aber dennoch die innige, unbewußte Be-
ziehung der Bewegung zu unseren Sinnesvorstellungen ver-
ständlich ausdrückt. Die Gliedmaßen werden vor allem durch die
symbolischen Bewegungen zu einer Beteiligung bei dem Ausdruck
von Affekten mit fortgerissen. Einige Beispiele mögen diese Sym-
bolik erklären. Wenn wir mit Affekt von Personen und Dingen
sprechen, weisen wir unwillkürlich mit der Hand in jene Richtung, in
der sie sich befinden. In gleicher Weise bilden wir in affektvollem
Sprechen oder Denken Raum- und Zeitverhältnisse nach, indem wir
das Große und Kleine durch Erhebung und Senkung der Hand an-
deuten. In der Empörung über eine Beleidigung ballen wir die Faust
selbst dann, wenn der Beleidiger gar nicht anwesend ist und wir nicht
im mindesten die Absicht haben , * ihm persönlich zu Leibe zu gehen.
(Nach Darwins Ermittelungen scheint übrigens diese Gebärde nur bei
Völkern heimisch zu sein, welche mit den Fäusten zu kämpfen pflegen.]
Bei heftigem Zoni kann sich die nämliche Bewegung mit der Ent-
blößung der Zähne verbinden , als sollten auch diese zum Kampfe
verwendet werden (Zähuefletschen). Als Gegensatz zu dem aggressiven
Emporrecken des Halses, wie es dem Zorn und dem Mut entspricht,
erscheint das Achselzucken, eine ursprünglich vielleicht dem ängstlichen
Verbergen eigentümliche Gebärde, welche nunmehr Zweifel, Ungewiß-
heit und verwandte Gemütslagen bezeichnet. Symbolisch sind femer
die Gebärden der Bejahung und Verneinung. Bei der ersteren neigen
>vii' den Kopf vor einem fingierten Objekte, bei der letzteren wenden
wir uns mehrmals von demselben ab. Der Billardspieler will oft die
Richtung des Balles mit der Hand, dem Kopf oder dem ganzen Kör-
per bestimmen. Zuweilen kann man Personen sehen, welche, wenn sie
irgend etwas mit einer Scheere schneiden, ihre Kinnbacken in gleichem
Tempo mit den Scheerenblättern bewegen. Wenn Kinder schreiben
V -
Muakeln des Kopfes. 339
lernen, so drehen sie häufig, sowie sie ihre Finger bewegen, die Zunge
umher. Das Falten der Hände bei der Andacht gehört hierher. Der
ausgestreckte Zeigefinger wird gewöhnlich erhoben beim Verweisgeben
oder Warnen. Auch beim Nachdruck, den wir auf ein Wort legen,
wird er gewöhnlich mit Energie zum Boden gekehrt, um das Drin-
gende zu bezeichnen.
Der Arm wii*d vorwärts geworfen bei Ausübung des Ansehens
(beim Befehlen und dergleichen). Beide Arme werden weit ausgebreitet
bei der Bewunderung. Beide werden vorwärts (und oft aufwärts) ge-
halten beim Anflehen um Hilfe. Beide fallen plötzlich nieder bei dem
Fehlschlagen eines Planes oder bei plötzlicher Verlegenheit.
Kaum ist's möglich zu sagen, wie viel symbolische Bewegungen die
Hände anführen; der übrige Körper hilft zwar auch dem Reden-
den, die Hände aber sprechen selbst — sie fordern, geloben, rufen,
entlassen, drohen, bitten, verabscheuen. Freude, Traurigkeit,
Zweifel, Reue zeigen wir mit ihnen an. Der Grad der Ausstreckung
und die Stellung der Finger hängt von der Stimmung und Natur des
Sprechenden ab. Wenn der Sprechende ruhig und unbewegt ist, so
nehmen die Finger ihre verschiedenen Lagen und Richtungen ohne
Anstrengungen an. Wenn er aufgeregt ist, so werden die Finger mit
Kraft ausgestreckt oder zusammengezogen.
Öie Hand, an den Kopf gehalten, kann Schmerz oder Kummer, bisweilen
auch Überlegung: oder Nachsinnen anzeigen. Die Hand, vor das Auge gi^halten,
drückt Beschämung aus, in der bekannten Art an die Lippen gehalten: Still-
schweigen. Keine dieser Bewegungen ist von dem Willen beeinflußt, keine läßt
sich auf den Instinkt zurückführen, domi* sie sind völlig zwecklos, aber alle be-
weisen die unendliche Jjoichtigkeit, mit welcher die Gemütsbewegung weit über
die Grenzen des Antlitzes hinausiivirkcu kann. Die Physiologie bezeichnet diese
Erscheinung als Irradation. Das schreibende Kind wälzt seine Zunge im Munde
hin und her, weil die Erregung gleichzeitig die Bewegungsnerven des Armes und
der Zunge mitergreift. Die Erregung s<*hreitct oft zu den verschiedensten Zentren
für Muskelzusammenziehungen fort und veranlaßt eine Menge von zwecklosen Be-
wegungen, obwohl die Handlung an sich abgeschlossen und vollendet ist, wie bei
dem Billards])ieler, der den Gang der Billanlkugel durch völlig unzweckmäßige
Handlungen beeinflussen möchtA\ Alle diese Beispiele zeigen, daß der Zusammen-
hang selbst der entfemt4?sten Teile unseres Köqiers vermittels der Nervenfasern
in dem Zentralnervensystem ein außerordentlich inniger ist, und daß jeder äußere
Reiz, ebenso wie jede in unserm Geist auftauchende Vorstellung imstande ist, alle
Organe, selbst die verborgensten, in Mitleidenschaft zu ziehen. Wer mit dieser
Thatsache vertraut ist, und die Kompliziertheit der Konstruktion des Nervensyste-
mes vor Augen hat, in welchem „ein Faden tausend Verbindungen schlägt", imd
zwar bei allen höher organisierten Wesen, vermag sich wenigstens teilweise den
überraschenden Zusammenhang der Grebärden klar zu machen.
Während die Ausdrucksbewegungen, welche aus dem Prinzip der
Assoziation analoger Empfindung oder demjenigen der direkten In-
340 Achter Abschnitt.
nervationsänderung entspringen, dem Einfluß unseres Willens mit g^
ringer Ausnahme entzogen sind, kann der Wille über die s^'mbolitKrbei
Bewegungen eine bedeutende Herrschaft erlangen. Der Billardspieler
vermag die zwecklosen Bewegungen seines Körpers im Zaum zu halten,
der Zornige die sämtlichen symbolischen Bewegungen, welche den Körper
in En*egung versetzen, zu unterdrücken. Das laute Lachen der Kind«,
das zwecklose Klatschen dui'ch Aneinanderschlagen der Hände, dn
Springen und Tanzen, alle diese Ausbrüche der Freude, die wir u
ihnen und an Naturmenschen sehen, können durch den Einfloß des
Willens abgeschwächt werden, so daß nur noch vorübergehende Zeichet
davon bemerkbar sind, welche dem unbefangenen Beobachter leicht ent-
gehen können. Unser Geist besitzt also die bewundernswerte Fähig-
keit, in eine Eeihe von Reflexbewegungen hemmend einzugreifen.
Die Physiologie nimmt ein Zentrum für diese Fähigkeit in dem Gehin
an und bezeichnet dasselbe als Hemmungszentrum. Wie alle Fähig*
keiten unseres Geistes, so kann auch jene des Hemmungszentrums g^
steigert oder geschwächt werden. Wir müssen uns hier mit dieser
Andeutung begnügen, obwohl der Nachweis von der Existenz hem-
mender Kräfte sowohl für die Auffassung und richtige Beurteilung der
Ausdrucksbewegungen, als für die praktische Menschenkenntnis von
großer Wichtigkeit ist.
Von kaum geringerem Wert ist in ersterer Hinsicht die Erkennt-
nis, daß die Ausdrucksbewegungen bei allen Menschen auf dem Erden-
rund innerhalb geringer Schwankungen dieselben sind. Der Affekt
der Freude, des Schmerzes, des Hasses, des Zorns u. s. w. — sie
sprechen überall mit denselben Zeichen. Nui* ist dabei zu beachten,
daß der Ausdi-uck einer bestimmten EiTegung nicht bei allen Menschen
gleich deutlich ist. Er zeigt verschiedene Grade bei Kindern und
Erwachsenen, Frauen und Männern, Kranken und Gesunden. Das Kind
und der Naturmensch wird ähnlich wie das Tier durch die unmittel-
baren Eindrücke beherrscht. Je reicher die geistige Entwickelung sich
gestaltet, desto mannigfacher werden unsere Vorstellungen, und damit
werden auch die Affekte und ihr Ausdruck beeinflußt, aber in ihrem
Grundton nicht verändert, nur verschleiert.
Wer sich mit dem Ausdruck der Gemütsbewegungen beschäftigt,
dem wird endlich die Thatsache nicht entgehen, daß das Verhalten
gegen die Affekte und Begehrungen verschieden ist nach dem Tem-
perament. Zu starken Affekten neigt der Choleriker und Melancholiker,
zu schwachen der Sanguiniker und Phlegmatiker. Dabei macht sich
noch ein Unterschied in bezug auf die Schnelligkeit des Wechsels be-
merkbar. Die Melancholiker und Phlegmatiker halten den Affekt lauge
und zähe fest, schwelgen fort und fort in einer und derselben un-
Muskeln des Kopfes. 341
angeuehmen Vorstellung, immer neue gleich peinliche Gedanken wälzen
sich nach, es scheint kaum ein Entrinnen möglich; der Sanguiniker
und Choleriker ist dagegen stets zu raschem Umschlagen von einer
Stimmung in die andere bereit. Der Übergang vom Haß zur Liebe
wird ihm leicht, er kann ihn zehnmal in einer Stunde fertig bringen.
Auch diesen Grundton des Wesens im Porträt zum Ausdruck zu
bringen, ist Aufgabe der Kunst. Auch nach dieser Seite hin schehien
mir die Figuren 102 und 103 der Betrachtung weil;.
Zu den schon genamiten Wcrktni von Darwin und Wundt, in welchen zahl-
reiche Litteraturangaben, seien hier noch folgende Werke genannt:
Lavateb, Johann Caspar, Physiognoiniache Frjiginente zur Betörderung der
Menschenkenntnis etc. Leipzig und Winterthur 1775 in 4 Quartbänden. — Noch
heute wertvoll wegen der schönen Stiche.
Camper, Vorlesungen über die Weise, die verschiedenen I^eidenschaften auf
anBerm Gesichte darzustellen. Deutsch von SniAz G. Berlin \m Voß 1798.
4? mit 4 Kupfertafeln.
Französisch finden sich diesi; Vorlesungen im dritten Bande des folgenden
Werkes :
OeuvTcs d(^ P. Camper, qui ont pour objet lliistoire naturelle, la physiologie et
Fanatomie coniparee. Tom I— IN. Paris 1803. Text in 8^ Tafeln in Folio.
Bell, Cii., The Anatomy and philo8<jphy of expression as connwted with the
fine arts. 4. AuH. Ix>ndon 1847.
Duchenne, G. B., Mecanisme de la physiognomie humaine, ou Analj^se electro-
physiologrique de l'expression des passions. Mit Atlas. 1862. Kleine Ausgabe 1866.
Mit 9 Tafeln enthaltend 74 Photographien.
Derselbe, Physiologie der Bewegungen. Aus dem Französischen von
Dr. C. Wernicke. Mit 100 Abbildungen. Kassel und Berlin 1885.
In diesem Werke, das vorzugsweise für Arzte bestimmt ist, befindet sich ein
Abschnitt ..Bewegungen des Gesichtes", S. 625—663, in welchem interessante Mit-
teilungen über Wirkungen der Gesichtsmuskeln enthalten sind.
Nennter Abschnitt.
Muskeln des Rumpfes.
I. Die Anatomie des Halses.
Der Hals (Collum) bildet das Bindeglied zwischen Kopf und
Stamm und stellt eine kurze cylindrische Säule dar, deren knöcherne
Achse nicht in der Mitte, sondern der hinteren Halsgegend näher liegt.
Der Hals steigt breit aus dem Brustkasten hervor, um sich zu ver-
schmälem und an der Verbindung mit dem Kopf wieder an Umfang
342 Neunter Abschnitt.
zuzuiiehiueii. Neben der Wirbelsäule und den Muskeln, welche ent-
weder dem Halse angehören oder ihm entlang ziehend den Weg xm
Schädel nehmen, umschließt die Haut noch viele lebenswichtige Or-
gane, welche alle in der vorderen Halsregion sich befinden, kh er-
wähne nur die Herz-, Lungen- und Zwerchfellnerven, die großen Bl«.
gefäße, die Speiseröhre und vor allem den Kehlkopf. Das letztere
Organ ist samt seinen einzelnen Teilen, welche sich nach oben imd
unten anschließen, auf die Formen des Halses von dem allerweit-
gehendsten Einfluß.
Verfolgt man bei etwas gestrecktem Hals die Mittellinie desselben
vom Kinn bis zum oberen Rande des Brustbeins, so stößt man drei
Querfinger breit unter dem Kinn auf das Zungenbein. Unter di^
sem folgt eine bei Männern gut ausgeprägte und über den Kontor
vorspringende Ecke, der Adamsapfel, welcher von dem unter der
Haut liegenden Kehlkopf herrührt. Etwas tiefer liegt ein weicW
umfangreicher Wulst, der Schilddrüse angehörend; sie ist an schönen
Hälsen nur wenig sichtbar, fällt aber bei Dick- und Blähhälsen in
unschöner Weise auf. Unter diesem durch die Drüse hervorgebrachten
Wulst endet die mittlere Halsregion dicht über der Handhabe des
Brustbeins als untere Halsgrube oder Drosselgrube (Fossa
juffularis).
Zu dem Zungenbein und dem Kehlkopf stehen einige Muskeln in
direkter Beziehung, wodurch bei sonst ruhigem Hals Verschiebungen
sowohl dieser beiden eben erwähnten Teile, als anderer tiefliegender
Organe ausgeführt werden können. Diese Muskeln liegen mit geringer
Ausnahme verborgen, sind überdies entsprechend dem geringen Um-
fang der Organe, zu denen sie sich begeben, selbst wenig umfangreicL
Anders verhält es sich mit der übrigen Muskulatur des Halses^ welche
die Bewegungen des Kopfes auffuhrt. Sie ist für die Formen von
hoher Wichtigkeit.
Wir betrachten zunächst die in der Mittellinie des Halses liegen-
den Organe:
1) Zungenbein, Kehlkopf und Schilddrüse.
Das Zungenbein (Os hyoides, so genannt von seiner Ahnh'ch-
keit mit dem griechischen Buchstaben v, Fig. 106 Nr. 13) liegt an der
vorderen Seite des Halses und stützt die Zunge. Man imterscheidet
an ihm den Körper oder das Mittelstück und zwei Paar seitliche
Hönier. Das Mittelstück ist gekrümmt und ragt mit seiner Kon-
vexität, die in ihrer Ausdehnung eine Breite von 3 cm und eine Höhe
von 8 mm besitzt, nach vorn. Bei gewöhnlicher Haltung des Kopfes
Hndteln de* BnmpAi,
Igt da« Zungenbein hinter jei
iefer mit dem Hals liiltlrt.
1 Winkel vei-tieft. welchen dei- Unter-
■i rfk'kwarts K''lc'gteni Kopf wird es
Fii
%• '
MilskL'lii ilia Ku|)leB.
. SliRiinuiltcl.
. Hliigroaikel dn Aug«s.
, Der PynunWenrauakel der Ko«.
. Aafhcbvrd.Oberlippeu.deBNuenAÜgels,
>. ZiuatnmeDdrücker der Nbm.
I. Niedenieher der NasaDadieidewauü.
. Dreiseitiger Muike) der Oberlippe.
.. SchUeOiQDBkel des Mundes.
. Drdaeitiger Miukd der l'Dterlipj«,
I. Vierseitiger Muskel der CnUrlippe.
. Kinnrnnikel.
'. Zvd'biuchlger Ualerhiefenuuikel.
I. Zungenbein.
r. Liniler Rapäiieker.
I. ScliildknorpeluuswhDiti.
■. Schlüfcamustpl.
I. Jochbugau.
I. Großer Jodibeiniuiukel.
I. Kleiner JoohbeiniaiMkel.
. Änllerer KBoniuakel.
I, Tmu]>el«niiu>kel.
1. rnlerkieter.
1. Ko]>fiilcker.
I. Kapuicniniukei.
i, Aunieber dp> Scliult^rblutiei.
^mehr gegen die Haut gedt^ngt und dann erscheint sein Körper er-
kennbar ansgeprügt. Von dem Mittelstück des Knochens laufen in
344 Neunter Abschnitt.
derselben Art, wie bei dem obenerwähnten griechischen Bnchst&beii
die großen Hörner aus, welche länger, aber bedeutend dünner ih
das Mittelstück sind. Die kleinen Hörner, nur 5 mm groß, sind
am oberen Rande der Verbindungsstelle des Mittelstückes mit den
großen Hömei*n durch Gelenke angeheftet.
Die kleinen Hörner stehen durch ein Band, das Griffel-Zungenbeinb»!
mit dem Griffelfortsatz des Sehläfenbeines in Verbindung.
Der Kehlkopf (Larynx von dem griechischen Wort laniza,
schreien) stellt ein längliches aus Knorpelplatten bestehendes Käst-
chen vor, das oben an das Zungenbein befestigt ist, und unten in
unmittelbarem Zusammenhang mit der Luftröhre steht. In diesem
aus Knorpelplatten gebildeten Raum ist das vollkommenste aller mu-
sikalischen Instrumente angebracht, das die menschliche Stimme er-
zeugt mit ihrer Höhe und Tiefe und Stärke und all dem Wohllaut, der
nur sie auszeichnet. Anatomisch betrachtet stellt der Kehlkopf ein be-
wegliches hohles Gerüste dar, welches mit einer Fortsetzung der Eachen-
schleimhaut ausgekleidet ist und durch Schwingungen zweier an seiner
inneren Oberfläche befestigter elastischer Bänder, der Stimmbänder,
die Stimme hervorbringt. Physikalisch gesprochen gehört der Kehl-
kopf zu den sogenannten Zungenpfeifen mit doppelter membranöi?er
Zunge. Sein oberes Ende liegt- dicht an dem Zungenbein und ver-
rät sich bei dem Manne durch einen beweglichen eckigen Vorsprang
in der Mitte der vorderen Halsgegend, welcher den Namen des Adams-
apfels (Tomum adami) führt. Die obere Fläche des dreiseitigen Vor-
sprunges ist geteilt, deshalb erscheint sie vertieft, denn die Haut sinkt
in die Spalte ein. Je stärker der Vorsprung, desto deutlicher diese
Vertiefung: Schildknorpeleinschnitt (Incisura thyreoidea superioTj
Fig. 107 oberhalb Nr. 2) genannt. Die sichtbare Ecke ist nur ein klei-
ner Teil des Kehlkopfes, der Rest liegt verborgen zwischen Muskeln.
Die obere Fläche des Adamsapfels steigt schief hinauf, die vordere
Kante und die beiden Seitenflächen verschwinden schon nach kurzem
Verlauf in der Tiefe des Halses.
Das Gerüste des Kohlkopfes besteht aus folgenden Teilen:
a) dem Schildknorpel (Cartilago thyreoidea , von dem griechiflchen Wort
thyreosy Schild, hergeleitet). Er besteht aus zwei unter einem Winkel nach vorn
zusammenstoßenden Platten, deren oberer Rand mit dem der anderen Seite den
erwähnten Adamsapfel mit Schildknorpeleinschnitt bildet
b) Der Ringknorpel (Cartilago crivoidea von krücos Ring) liegt unter dem
Schildknorpel; er wird von den hinteren Rändern des Schildknorpels noch am£i0t
und durch Gelenke verbunden. Der Ringknorpel hat die Grestalt eines horizontAl
liegenden Siegelringes, dessen schmaler Reif nach vom, dessen Platte nach hinten
gerichtet ist Sein unterer Rand ist durch ein elastisches Band mit der Luflrölixe
verwachsen.
Motkeln dei Rnni)ifn.
345
et Zwei Gießbecken- o<ler GicßkiuiiieMkn.irpfl I Carlilatfines aryUiemi-
deae von arylaimi. GieSbeckenl. Sie tiitzcn panrig auf dem hiiiten-ii olii^rcii Rande
des Rinp'knorpeU.
Diin-h (liMi vor den GicßbiTkcnknorpel und di'in Schildknorpel faefiiid liehen
Banm ziehen zwei Bttnder von eigenartiger KonKrruktton. Sie sind zwischen den beiden
erwtthnten Knorpeln m anegeepnnnt, daU sie einen Spalt oder eine Ritze zwinchen
■ii^ freila^een, welche die Atemritzo heißt. Die Ahniinf^iift strcieht durch die-
selbe in die Lungen ein nnd aua. Durch wuhlfacrcchnetcn Zug bestimmter Mus-
keln können diesie Bünder in 8Hlrkpri-m oiler gerinKcreiii Grude p-tipannt und durch
Dreisdtiser Kinnmuskel l'
Knpfhick«' llnka 10-
9eitl HttlBKmlie 12--^'
KopfD]ek«ri,rub« ];
Fif. 1U7. Hals
den auB der Lunge ausgetriebenen Luftatrom in Schwingungen versetzt werden.
Diese IScbwingaiigen verursachen den Tod der menschlichen Summe, dessen Höhe
und Tiefe von der Länge der Bänder und dem Grade ihrer Spannung abhfingt.
Die Luftröhre (Trachea) ist ein mehr als daumendickes steifes
Bohr, das die Verbindung zwischen dem Kehlkopf und den Lungen
herstellt. Das Änlangsstück der Luftröhre liegt nur wenig von der Ober-
fläche der Haut entfernt in der Höhe des 5. Halswirbels; je mehr sich
aber die Luftröhre dem Brustkorb nähert, desto mehr rUckt sie gegen
die Wirbelsäule hin, weil die Eintrittstelle ihrer Äste an dem hinteren '
346 Neunter Abschnitt.
Umfang der Lungen liegt. Nachdem sie als einfaches Rohr in den
Raum des Thorax gelangt ist, teilt sie sich hinter dem Bogen der
großen Körperschlagader zunächst in zwei Aste, deren jeder einer
Lunge angehört. Die Luftröhre besitzt eine quergeringelte Oberflldie,
welche von kleinen Knorpelringen herrührt, die in die Wand der
Röhre eingefügt sind, um sie unter allen Umständen weit und UaieBd
zu erhalten. An abgemagerten Individuen sind oft einige dieser
Knorpelringe sichtbar.
Obwohl der Eingang in den Kehlkopf und die Luftröhre durch eine beitf-
liche Klappe, den Kehldeckel, bei jedem Schlingakt zugedeckt wird, w
können doch bisweilen fremde Körper in den Kehlkopf und selbst tiefer lunib-
geratcn, z. B. Teile unserer Nahrung; sie rufen sofort einen heftigen Hosten \m-
vor. Was Rir den Magen ein Labsal ist, ist für die Lunge ein Greuel. In gii-
stigen Fällen schleudert denn auch der durch den Husten erzeugte Luftstarom da
Fremdling wieder heraus. Glatte Fremdkörper können oft wieder dadurch entfeat
werden, daß der Oberleib eine stark abschüssige Richtung erhält Der beiäkinte
Erbauer des Themsetunnels, Brünnel, hatte das Unglück, während er mit öim
Kinde spielend eine halbe Guinee in den Mund nalim, dieselbe zu verschlucken. Sie
gelangte in die Luftwege. Die ersten Chirurgen Londons entschlossen sich tarn
Luftröhrenschnitt Er wiurdc ohne Erfolg gemacht. Als man einen Monat spitcr
den Kranken so lagerte, daß sein Oberleib eine stark abschüssige Richtung hatte
und der Arzt mit der flachen Hand wiederholt auf den Rücken des Kranken edihi^
stellte sich Husten ein, welcher die Münze herauswarf. Die bei schweren Erknuh
kungen durch Diphtherie imd Croup drohende Erstickungsgefahr wird oft mit Er
folg durch den Luftröhrenschnitt beseitigt.
Die Schilddrüse (Glandula thyreoidea) besteht aus zwei seit-
lichen, durch ein schmales Mittelstück (Isthmus) verbundenen Lappen.
Das Mittelstück liegt auf den oberen Luftröhrenknorpeln auf, die
paarigen Seitenlappen umfassen die Luftröhre, und stoßen an die
großen Blutgefäße des Halses: die Halsschlagader (Carotis canh
munis) und die innere Dross.e lader (Vena jugularis interna). Die
Höhe des Isthmus beträgt ungefähr 2 cm, die Breite des ganzen
Organes 5 — 6 cm (mit dem Bandmaß seiner gekrümmten vorderen
Fläche entlang gemessen) und ebenso viel die Höhe der Seitenlappen.
Trotz dieses beträchtlichen TJmfanges ruft die Schilddrüse doch nur
eine leichte Verdickung des Halses hervor, die am meisten in der
Profillinie auffällt. Das Mittelstück ist eben dünn, verursacht also
nur eine geringe Volumenszunahme, die Seitenteile sind aber unter
den Kopfnicker in die Tiefe des Halses hineingeschoben.
Die Schilddrüse hat nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit einem
Schilde und sollte deshalb richtiger „Schildknorpeldrüse" genannt
werden, weil sie in der Nachbarschaft dieses Knorpels liegt. Die
Schilddrüse ist ungemein gefäßreich und wird von einer dünnen aber
festen Bindegewebsmembran umschlossen, welche das Organ in größere
Muskeln des Kampfes. 347
und kleinere Läppchen abteilt. Der große Gefäßreichtum macht ihre
Verwundungen sehr gefährlich, er ist so bedeutend, daß ihre Verwun-
dung bei Selbstmordversuchen tödlich werden kann, ohne daß die
großen Gefäßstämme des Halses verletzt wurden. Vergrößert sich die
Drüse und wird ihre Anschwellung bleibend, so spricht man von einem
Kropf. Die Drüse kann sich so bedeutend vergrößern, daß sie bis
zum oberen Rande des Brustbeines herabreicht, dabei kann die Ver-
größerung an einzelnen Stellen viel umfangreicher werden als an
anderen, wodurch die Unregelmäßigkeit der Kröpfe entsteht. Voll-
ständige Herausnahme der vergrößerten Kropfdrüse hatte schon wieder-
holt Blödsinn zur Folge.
2) MuBkeln des ZungenbeineB.
Diese Muskeln stehen anatomisch und physiologisch in gleich naher
Beziehung sowohl zu dem Unterkiefer als zu dem Zungenbein. Sie
können das Zungenbein mit samt daran befestigtem Kehlkopf in die
Höhe heben oder den Mund dadurch öffnen, daß sie den Unterkiefer
gegen das durch andere Muskeln befestigte Zungenbein herabziehen.
Der zweibäuchige Muskel des Unterkiefers (M. digastrictis
Fig. 106. Nr. 12) besitzt wie sein Name sagt zwei Muskelbäuche. Der
hintere Bauch entspringt an der inneren Fläche des Warzenfortsatzes
tief unter dem Kopfhicker, strebt schräg zu dem Zungenbein herab
und geht dabei in eine federkieldicke cylindrische Sehne über. Diese
Sehne ist an dem Zungenbein befestigt, endigt jedoch nicht an dem-
selben, sondern geht aufs Neue in einen Muskelbauch über, der sich in
einem Grübchen an der hinteren Wand des Kinnes anheftet. Der
Verlauf beschreibt also einen Winkel, dessen stumpfe Spitze am Zungen-
bein liegt. In dem Dreieck, das man das Unterkieferdreieck nennt,
liegt eine taubeneigroße Speicheldrüse, die Unterkieferdrüse (Glau"
dula submaxillaris in Fig. 106 dargestellt). Wirkung: Er zieht bei fest-
stehendem Zungenbein den Unterkiefer herab.
Der Griffel-Zungenbeinmuskel (M. stylohyoideus) ist ein
schlanker spindelförmiger Muskel, der von dem Griffelfortsatz des
Schläfenbeines entspringt und sich gleichfalls an dem großen Zungen-
beinhom befestigt.
Der Kiefer-Zungenbeinmuskel (M, mylohyoideus) nimmt seinen
Ursprung an der innem Fläche des Unterkiefers und stellt einen breiten
Muskel dar, dessen Fasern an dem Zungenbeinkörper endigen. Er hebt
das Zungenbein, wenn es herabgezogen war. Um ihn zu sehen, muss
der zweibäuchige Muskel des Unterkiefers entfernt werden. Der Muskel
hilft den Boden der Mundhöhle bilden. Höher liegt noch
348 Xeanter Abtchnitt.
der Kiniizungenbeinmuskel (Muitaibm geniohyoideHs)^ der du
Zungenbein nach vomärts zieht, dann folgen die Muskeln der Zonp,
welche sie zu all* den mannigfaltigen Bewegungen tauglich machen.
3) Die MuBkeln des Halset.
Die Muskulatur des Halses scheidet sich nach ihrer Lage nr
Wirbelsäule in zwei große Abschnitte:
1) in die hinter der Wirbelsäule im Nacken gelagerten Moskd*
massen. Sie werden als Nackenmuskeln bezeichnet und den Ma^^keln
des Rückens beigezählt, da sie eine Fortsetzung derselben darstellen;
sie werden auch mit ihnen beschrieben werden;
2) in die vor der Wirbelsäule liegenden Muskeln, die ausschließ-
lich als Halsmuskeln bezeichnet werden. Hier ist nur von den leti-
teren die Eede. Dabei ist daran zu erinnern, daß eine oberflächliche
dünne Muskelschichte, der Hautmuskel des Halses, schon bei den
Antlitzmuskeln erwähnt wurde. Allein auch die vor der Wirbelsäule
liegenden Muskeln werden der leichteren Übersicht wegen mit Nutzen
in eine oberflächliche und eine tiefe Schichte getrennt. Als unter-
scheidendes Merkmal gilt abgesehen von der Lage auch noch der Um-
stand, daß die tiefe Schichte eine große Anzahl von Befestigungs-
punkten an der Halswirbelsäule findet und von der obertiächlichen
Lage durch die vom Kopfe herabsteigenden Speise- und Luftwege so-
wie durch die großen Blutgefäßstämme getrennt ist.
a) Oberflächliche Schichte der Halsmuskeln.
Der Kopfnicker (M.nutator^ Fig. 108. Nr. 12 u. 12*), liegt an der
Seite des Halses und ist einer der bedeutendsten Muskeln fiir die Formen
dieser Körperregion. Er besteht aus einem langen Muskelstrang, der von
der vorderen Halsgrube zum Warzenfortsatz hinter das Ohr hinaufzieht.
Sein Ursprung ist in zwei Köpfe getrennt. Der innere entspringt an
der Vorderfläche des Brustbeines zunächst dem Schlüssel-Brustbein-
gelenk mit einer starken plattrunden Sehne, die am Muskelrand 4 — 6 cm
hoch hinaufreicht (Fig. 108 Nr. 12*). Der äußere Kopf nimmt den
zunächst liegenden Abschnitt des Schlüsselbeines ein. Dieser ür-
sprungskopf (Fig. 108 Nr. 12) ist 6 cm breit, seine Muskelfasern ziehen
steil in die Höhe und schieben sich dabei unter den inneren Kopf
hinein. Zwischen beiden Köpfen existiert ein Spalt, welcher sich durch
die Haut hindurch als längliche Grube namentlich während der Be-
wegung markiert. Seine Tiefe wechselt, je nachdem der äußere Kopf breit
oder sehmal ist. Die Trennnungsfurche dieser beiden Köpfe reicht bis-
* Xutator capitis = Kopfhicker. Da man nur mit dem Kopf nickt, venteht
sich bei XuMor der Zusatz capitis von selbst und kann wegbleiben.
Uukeln dei Eumpfea.
349
weilen hoch liinauf, so daß man namentlich bei dünner Haut den
ftoßeren und inneren Kopf eine große Strecke (6 — 8 cm lang) vonein-
ander unterscheiden kann. Der Muskel befestigt sich an dem breiten Teil
des Warzenfortsatzes mit der Hauptmasse seiner Fasern, die Übrigen
folgen der angrenzenden oberen Nuckeulinie. Fig. 108 Nr. i. Wirkung:
Zieht sich nur ein Kopfnicker zusammen, so dreht sich der Kopf; ziehen
sich beide zusammen, so hebt er den Kopf aus der gestreckten
Körperlage. Am auffallendsten tritt seine Wirkung hervor bei der
VateAiefenir 8
Bchildlcnorj
Brattmngeiibei um uek
3ohnll«rb1 ZDnguibc
Kopftiicker Sclilij
bcuportioa
Sdiulterb] Zaog.
KopblckET Bmsi
porboD
gr. Bnutmiuk.
Fig. 108. HaU im Profil iinth Entfernung <lc8 Hautmiukcls.
Drehung des Kopfes, wenn also nur der eine der beiden Muskeln
wirkt. Sein schiefer Verlauf wird dadurch gerade und der vordere
Band des Muskels springt stark vor. Dabei wird die vordere Eals-
gnibe zwischen den beiden Ursprungsköpfen sehi- deutlich.
Um die Bewcguiigcn der Kopfnkkcr vollkotnmen beurteilen za können, em-
pfiehlt es sich, einen bestimmten F&li eu anolyMcrcn. Der Kopf sei links gedreht,
dann ist der rechte Kopfnicker in seiner rollen Wirkung, d. h. verkürzt. Sein
olteres Ende, iiftmcntlich der vordere Eaud, tritt als starker Strang hinter dem Ohr
hervor, zieht zu dem Brnstbciu herab und ist fast senkrecht gerichtet; er springt
dabei so über die Haut hervor, daß man ihn mit den Fingern umgreifen kann.
Die vordere Hslsgrabe wird dadurch auf der rechten Seite vertieft. Der Kopfiiicker
der linken Seite ist während dieser Stellung durch die Drohung des Kopfes scbrau-
350 Neunter Abschnitt.
benfbnnig fast um den halben Umfang des Halses herumgewickelt. Wih-
rend durch den Zug des rechten Muskels der Warzenfortsatz und damit die redoi
Schädelhälfte nach vom gedreht wird, rückt der linke Warzenfortsatz nach Inmci
gegen die Schulter. Dadurch iivird auch die obere Hälfte des linken Kop&ickm
über die Reihe der Querfortsätze der Halswirbel weit nach hinten hernni|e*
führt Dabei liegt er platt und fest an die unter ihm liegenden Muskeln tu-
geschmiegt. Die Haut, die zwar niu: lose mit ihm verbunden ist, bentit dod
keinen so beträchtlichen Spielraum, daß sie von dieser Verschiebung des linket
Kopfnicken} nicht beeinflußt würde. Sie folgt ihm und bildet regelmäßig zwei Fal-
ten, von welchen die eine seinem vorderen, die andere seinem hinteren Rande io^L
Diese Falten zeichnen auf der Oberfläche der Haut den Weg, den der linke Kopf*
nicker in unserem Beispiel nimmt. Die Falten sind in der Mitte seines We^ an
stärksten^ um gc^n auf- und abwärts allmählich auszulaufen. Auf der entgegoh
gesetzten Seite ist der Verlauf des Muskels ob(>nfalls klarer gezeichnet, allfin dort
ist es die aktive Thätigkeit, welche seine Gestalt unter der Haut hervortreten lik
Bei aufrechter Haltung grenzen die beiden Kopfnicker ein Gebiet
ab, das mau die vordere Halsregion nennt. Diese bei dem Maim
scharf gezeichnete Region hat ihre Grenzen in den vorderen Eandern
der Kopfnicker, in dem Unterkiefer und in der Brustbeinhandhabe.
Am TJnterkieferrand ist die Region am breitesten, um nach unten mehr
und mehr sich zu verschmälern und in der vorderen Halsgrube ihr
vertieftes Ende zu finden. Bei dem Mann ist sie kielförmig abgedacht,
und beherbergt, wie schon envähnt, das Zungenbein, den Eehlkopi^
die Schilddrüse und die Luftröhre, die Speiseröhre und die großen n
dem Kopf aufsteigenden Blutgefäße. Die vordere Halsregion erfahrt
beträchtliche Andeiiingcn bei den vei-schiedenen Stellungen des Kopfe».
Sie ist in ihrer ganzen Ausdehnung sichtbar bei hochgehobenem Haupte.
Sowohl bei der Betrachtung von vorn als von der Seite ist zu be-
merken, wie sie oben den Unterkieferästen folgt und in Form einer
tiefen Furche, der Ohrkehlkopffurche, bis hinter das Ohr empor
steigt. Bei dem Senken des Hauptes kann die vordere Halsregiun
vollständig verdeckt werden, wenn das Kinn bis auf die Brust herab-
sinkt, d. h. der Unterkiefer auf dem oberen Rande des Brustbein-
handgrifi'es aufliegt. Einige Änderungen der vorderen Halsregion bei
den Seitwärtsbewegungen des Kopfes wurden schon oben (siehe die
kleingedruckte Note) beschrieben. Hier muß noch die Frage beant-
wortet werden: was geschehen für Vei-schiebungen an all' jenen Or-
ganen, welche in der kielförmig vorspringenden Mittellinie des Halses
liegen? Die Kiefer und alles was mit ihnen fest zusammenhängt,
müssen natürlich der Bewegung des Kopfes folgen. Dadurch ver-
liert die vordere Halsregion ihre Symmetrie und wird einseitig.
Ist z. B. der Kopf links gedreht, so breitet sich rechts die obere Ab-
teilung der Region weit aus, auf der anderen Seite wird sie zu einer
engen Spalte zusammengedrängt, in der sich die Haut aufstaut. Der
Muskeln des Rumpfes. 351
Kopf ist samt dem Zungenbein gedreht, während der Kehlkopf in
seiner Stellung nahezu unverändert bleibt.
Eb machen also nicht alle Organe des Halses die Drehbewegung des Kopfes
mit; die Grenze, an der die Torsion aufhört^ ist z\iischen dem Zungenbein und dem
Schildknorpel zu suchen. Während sich das Zungenbein auf seiner Stelle herum-
dreht, rührt sich der Kehlkopf kaum vom Fleck, und der Kiel des Adamsapfels
bleibt gerade nach vom gerichtet*
Bisher wurde bei der Beurteilung des Kopfnickers stets voraus-
gesetzt, daß der Kopf beweglich sei, das Schlüsselbein dagegen fest
stehe. Allein diese beiden Punkte können unter verschiedenen Um-
ständen ihre Rollen tauschen. Ist der Kopf durch die Nackenmuskeln,
welche an dem Hinterhaupt angreifen, fixiert, so wendet sich die Kraft
des Kopfnickers gegen das Schlüsselbein, um dasselbe samt dem
Brustbein und den Rippen zu heben. Dies geschieht bei Atmungs-
beschwerden, dem krampthaften Husten, überhaupt bei forcierter schneller
Einatmung. In dem Beginn einer solchen Einatmung, dem sog. Luft-
schnappen, ziehen sich der Kopfnicker und der Hautmuskel des Halses
schnell zusammen und beide werden auf einen Augenblick bemerkbar
und zwar alle ihre Fasern, sogar diejenigen, welcke von dem Haut-
muskel des Halses zu dem Mundwinkel in die Höhe ziehen. Daher
zuckt der Mundwinkel und wird nach abwärts gezogen.
Der Brustbein-Zungenbeinmuskel (ALstenw-hijoideiis Fig. 108
Nr. 10) liegt dicht neben der Mittellinie des Halses, hat bei ruhiger
Lage die Breite von ca. 2 cm und erstreckt sich von dem Brustbein
bis zum Zungenbein hinauf. Er entspringt an der hinteren Fläche
der Brustbeinhandhabe und des nahen Schlüsselbeinendes, ist doiii
von dem inneren Kopf des Kopfhickers bedeckt, während er weiter
oben nui' mehr von dem Hautmuskel überlageii; ist (Fig. 107 Nr. 3).
Er setzt sich an dem Mittelstück des Zungenbeins an. Zwischen
beiden Muskeln ragt oben der Kehlkopf vor, unten helfen sie zur Be-
grenzung der vorderen Halsgrube.
DerSchulterblatt-Zungeubeinmuskel(^J/.owir>.ÄyoiV/<?M*,Fig. 108
Nr. 11 u. ir) hat einen seltsamen Verlauf; er kommt fern von dem
Schulterblatt her, steigt also von der unteren Nackengegend herauf
bis zum Mittelstück des Zungenbeines. Er kreuzt dabei den Kopfnicker,
indem er hinter ihm seinen Weg an der Seite des Halses hinauf nimmt.
Dabei ist der Schulterblatt-Zungenbeinmuskel in der Regel zweibäuchig.
Der hintere Bauch entspringt vom oberen Rande des Schulterblattes
nahe der Gelenkpfanne, folgt dann eine Strecke weit dem Schlüssel-
bein, kommt dann unter dem vorderen Rande des Kapuzenmuskels
^ Henke, W. Zur Topographie der Bewegungen am Halse bei Drehungen «le^
Kopfes auf die Seite. Mit 4 Holz84>hnittcn.
352 Neunter Abschnitt.
(Fig. 108 Nr. 2') hervor, und durchzieht die seitliche Halsregion, ukim
er einen Winkel beschreibt. Die Halsfascie zwingt ihn za dieses
Verlauf. Hinter dem Kopfiiicker geht aus dem ebenbeschriebenai
Muskelbauche eine Zwischensehne hervor, aus welcher sich der zwwte
Bauch mit steilerem Verlaufe entwickelt. Dieser steigt nun zu seiner
Ansatzstelle an dem Zungenbein empor, welche seitlich von demBnisi-
bein-Zungenbeinmuskel sich befindet. Wirkung: Zieht das ZungeDbem
herab und gleichzeitig etwas nach hinten.
Hinter den beiden ebenerwähnten Muskeln liegen, zum gröfiten
Teile bedeckt:
Der Brust- Schildknorpelmuskel (M. stemo-thyreoideui). Er
entspringt hinter dem Brustbein-Zungenbeinmuskel von der hinteren
Fläche des Brustbeines und läuft die Schilddrüse bedeckend zum Schild-
knorpel des Kehlkopfes, um sich an der Seitenfläche desselben zu b^
festigen. Wirkung: zieht den Kehlkopf herab.
Der Schildknorpel-Zungenbeinmuskel (M. thyreO'hyoideui)in
streng genommen nur eine Fortsetzung des vorhergehenden, welche sich
bis zu dem großen Honi des Zungenbeines erstreckt.
b) Tiefliegende Schichte der Halsmuskeln.
Diese Schichte kommt erst nach Entfernung der oberflächlich liegen-
den Muskelschichte und der Weichteile des Halses zum Vorschein, wobei
sich zeigt, daß sie die vordere Fläche und die seitlichen Partien der
Halswirbelsäule bedeckt. Diese letztere Abteilung ei-streckt sich vcn
den Querfortsätzen der Halswirbel zu den oberen Bippen, ist von dem
tiefen Blatt der Halsfascie bedeckt, und der hintere Bauch des
Schulterblatt-Zungenbeinmuskels (Fig. 108 Nr. ii') zieht über sie hin-
weg. Es sind dies:
die drei Rippenhalter, bestehend aus dem vorderen Bippen*
halt er (3 f. scalenus antiais), dem mittleren Rippenhalter (^.V. jvö-
lenus medius), welcher den vorigen an Stärke und Länge übertnffL
und dem hinteren Rippenh alter (M, scalenus posticusjj dem klein-
sten von den dreien und häufig mit dem mittleren verwachsen.
Diese drei Muskeln zusammengenommen stellen eine dreiseitige,
von den Querfortsätzen der Halswirbel zu den zwei oberen Rippen
herabsteigende Muskelmasse dar; sie halten die Rippen und können
sie in die Höhe heben, jedoch nur dann, wenn zuvor der Kopf und
damit auch der Hals durch andere Muskeln fixiert ist. Unter solchen
Umständen entsprechen sie erst ihrem Namen als Rippenhalter und
Rippenheber. Sind aber die Rippen fixiert und der Hals beweglicL
so werden dieselben Rippenhalter den Hals drehen und seitwärts
Muakeln des Kämpfet. 353
beugen, wenn sie nur auf einer Seite thätig sind oder ihn vor-
wärts beugen, wenn sie gleichzeitig auf beiden Seiten wirken. Ihre
Znsammenziehungen bei dem forcierten Seitwärtsneigen des Kopfes
lassen sich direkt beobachten. — Auf der vorderen Fläche der Hals-
wirbelsäule liegt
der lange Halsmuskel (M.longus colli) j er bildet einen rundlichen
Strang, der von der Vorder- und Seitenfläche der drei obersten Brust-
nnd der zwei bis drei untersten Halswirbel entspringt und bis zum vorderen
Dmfang des Atlas in die Höhe steigt, um sich dort zu befestigen.
EIhe er den Atlas erreicht, giebt er an die übrigen Halswirbel mehrere
Zacken ab, wodurch seine Wirkung augenscheinlich zu derjenigen eines
Beugers der Halswirbelsäule wird. Nach außen von ihm liegt
der grosse vordere gerade Kopfmuskel (Musculus rectus capitis
anticus major) ^ etwas mächtiger als der vorerwähnte. Er deckt ihn
auch mit seinem inneren Rande, denn der Ursprung von den Querfort-
satzhöckem des dritten bis sechsten Halswirbels berührt direkt den Verlauf
seines Nachbars. Der aus diesen Ursprüngen hervorgehende Muskelbauch
erstreckt sich bis zu dem Grundbeiu des Schädels hinauf, wo er sich
befestigt. Er beugt den Kopf nach vorwärts und verdient also eben-
falls den Namen eines Kopfnickers.
4) Die vordere Region des Haltes und die Seitenregionen desselben.
Die Aufstellung scharf begrenzter Halsregionen, wodurch die Über-
sicht erleichtert wird, ist in der plastischen Anatomie nicht mit solchen
Schwierigkeiten verbunden wie in der beschreibenden oder in der
chirurgischen Anatomie. In der plastischen Anatomie ist der Aus-
gangspunkt für das Studium der kräftig entwickelte männliche Körper,
der bestimmte Regionen in großer Zahl feststellen läßt, denen es an
sicheren und leicht erkennbaren Grenzen durchaus nicht fehlt; ferner
handelt es sich hier lediglich um Klarlegung der Formen, also vor-
zugsweise um die oberflächlichen Schichten, und es liegt kein zwingen-
der Grund vor, diese Regionen durch alle Tiefen hindurch bis auf den
Knochen zu analysieren, wo die trennenden Linien mehr und mehr
verschwinden. Die plastische Anatomie faßt also auch an dem Hals
die oberflächlichen Formen in's Auge, und greift zunächst nach dem
Hals des wohlgebauten Mannes. Verständnisvolle Auswahl des Mo-
delles ist gerade hier die allererste Bedingung. An kurzen Hälsen
wohlbeleibter Individuen läßt sich kaum absehen, wo eine Region auf-
hört und die andere beginnt, und an den schönen Frauenhälsen sucht
man vergebens nach scharfen Grenzlinien. An einem kräftigen männ-
lichen Körper ist dagegen der Hals durch vier Flächen begrenzt:
KouMAjm, PUstische Anatomie. 23
354 Neunter Abschnitt.
Die vordere Halsregion, welche durch den Verlauf der beidei
Kopfnicker begrenzt wird, erstreckt sich vom Kinn bis zu der Hak-
grübe. Durch die Beweglichkeit des Kopfes und der Halswirbelsänk
kann sie, wie alle Seiten des Halses, verschiedene Gestalt annek-
men. In wie fern dies der Fall ist, wurde schon oben bei der B^
schi'eibung des Kopfnickers erwähnt. Die Haut zeigt bei dea
Senken des Kopfes in dieser Region Falten, die um so zahlreicher
werden, je stärker der Kopf gebeugt wird. Schon bei dem Ofii€n
des Mundes, wobei der Unterkiefer herabsinkt, ensteht eine Keri*
dicht über dem Kehlkopf, die sich bis gegen das Ohrläppchen hinzieht
Ist der Kopf bis an das Bioistbein herabgesunken, so wird die Hart
zu niederen Falten zusammengeschoben, welche im Bogen nach rück-
wärts laufen und einerseits dem Hinterhaupt, andererseits dem Dorn-
fortsatz des siebenten Halswirbels zustreben.
Die hintere Halsregion umfaßt diejenige Fläche, die man im
gewöhnlichen Leben Nacken nennt. Ihre Ausdehnung erstreckt sich
von dem Hinterhaupt bis zu dem siebenten Halswirbel, dessen Dorn-
fortsatz am meisten von allen Halswirbeln über die Nackenfläche her-
vorspringt. Die seitlichen Grenzen sind durch den Rand der Kapuzen-
muskeln gebildet (vergl. die Fig. 109). An dem Lebenden oder der
unversehrten Leiche eines Mannes kann man kaum im Zweifel sein,
wo die Seitenlinien des Nackens herablaufen, an dem Präparat ist
die Entscheidung schwieriger, weil Kopf- und Nackenursprung de>
Kapuzenmuskels nicht auf die hintere Halsregion beschränkt bleiben,
sondern in die seitliche Halsregion umbiegen, wie sich dies aus der
Fig. 108 Nr. 2 u. 2' und aus der Fig. 109 entnehmen läßt. Der Hai*
ist in beiden Figuren im Profil dargestellt, die hintere Profillinie zieht
dem Kapuzenmuskel entlang, dessen Muskelbündel die Nackenregion
verlassen, um auf die SeitenHäche des Halses überzugreifen und dort
an dem Akromion und dem akromialen Ende des Schlüsselbeins sicli
zu befestigen. Ist man mit dieser Thatsache vertraut, so bietet die
Beschreibung der seitlichen Halsregion und ihrer Veränderungeu bei
der Bewegung keinerlei Schwierigkeiten.
Die seitliche Halsregion erstreckt sich von dem hinteren
Rande des Kopfnickers bis zu derjenigen Linie, an der die Seitenfläche
in den Nacken umbiegt. Diese seitliche Halsregion hat eine vertiefte,
länglich vierseitige Grube aufzuweisen, welche zwischen dem eben-
erwähnten Rande des Kopfnickers und dem vorderen Rande des
Kapuzenmuskels liegt (Fig. 108 Nr. 2 u. 2' und Fig. 109). Die untere
Grenze wird von dem beweglichen Schlüsselbein dargestellt, die obere
von dem Hinterhaupt, doch verschmälert sich die vertiefte Fläche gegen
oben. Zwischen diesen Rändern kommen von der tiefen Halsfkscie
1 KehlUpfW— -
Ko[i(iiii.-ker n
BnutmaBkel i— J^^
Brumnuskcl I- ~^BS|
otgetnnakel U-<^
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t-S VII. HfliswirWl.
l -C KH]iiiEBiim,-Sdiue.
— 'S Deltiuiiiukel.
-U Unt-Grüipiiniuakel.
1 Br. Rüvkuiiaiuakel.
—I Br. Büffcm.-Sühin?.
10 Küvküiittrücker.
-M Hittl.CeiültiniukeL
— — -iM Ol. üeuUliiinake!.
-tt Gr. Bollhap-l.
t^'lirukelrucic.
l
^Hpsdeckt, die Züge jener Muskeln zu Tage, ^Yelche schon weiter ulieu
^Büs Rippenhalter heKchneben wiirilcii. ferner Teile des Aufhebera
K^^v*-?'''»«»^.
Die linltR Fliklie diw KuviJL-rs niit'Ii Abiiabtni^ der U»ut- und
Fettd'bit'htc und des Anßcivii »'hirfcii [taucliinUHkelB.
856 Neunter AbMhnitt.
des Schulterblattes und des Bauschmuskels. Alle diese Maskdii,
deren Verlauf bei der Anatomie der Nackenregion noch zu erwilmeii
sein wird, haben, wie in der Fig. 108 bei Nr. 3 n. 3' angedeutet ist,
einen sehr steilen V^lauf. Es bedarf dünner fettloser Haat bei
gleichzeitiger kräftiger Entwickelung der Muskulatur, um bei dn
gewöhnlichen Bewegungen des Halses etwas von diesen tiefliegenda
Muskelzügen zu sehen. Bei forcierter Seitwärtsbengnng und Drehng
des Halses oder bei krampfartigem Husten, wobei die Arme sich u
irgend einem Gegenstand. (Stuhlrand) festklammem, treten sie henor.
Mit wenig Schwierigkeiten läßt sich der SchiQterblatt-Zungenbeimiiiukd
auffinden, obwohl auch er von einem Blatt der HalsfBiscie und Ikber*
dies von dem Hautmuskel des Halses bedeckt ist. Dreht sich dir
Kopf z. B. nach links, während der gestreckte rechte Arm einen StnU
auf Brusthöhe emporhebt, so wird der Verlauf des hinteren Mmkd-
bauches durch die seitliche Halsgrube leicht sichbar.
Der vierseitige, vertiefte, von Muskeln begrenzte Baum der seit-
lichen Halsregion verändert seine Form bei verschiedenen Stellnngoi
des Kopfes. Wendet sich der Kopf, so wird die ganze seitliche Hals-
region der entgegengesetzten Seite breiter und tiefer als sie voiher
war, denn der Kopfnicker verläßt seinen früheren Platz und r&ckt
mit dem Warzenfortsatz nach vom. . Auf derjenigen Seite aber, nadi
welcher die Drehung des Kopfes stattfand, ist die Halsregion ver-
schmälert und der vertiefte Baum ist verschwunden. Der um die
Halswirbelsäule herumgelegte Kopfhicker hat sich mit seinem hinteren
Rande dem Kapuzenmuskel so genähert, daß statt der vierseitigen
Vertiefung nur eine Hautrinne bemerkbar ist, die wir samt ihren
Rändern eben mit dem Ausdruck „Hautfalte^^ bezeichnen. Das obere
Ende der seitlichen Halsregion bietet kein besonderes Interesse, da-
gegen das untere, das als
seitliche Halsgrube in der plastischen Anatomie noch be-
sondere Erwähnung verdient. Sobald der Arm seine Stellung zu dem
Rumpf verändert, erhält diese Grube eine andere Oestalt. In der
Fig. 107 läßt sich durch die SchrafiFur bei Nr. 12 eine leicht angedeutete
Vertiefung erkennen, die nach aufwärts sich allmählich verliert Ihre
untere Grenze ist das Schlüsselbein, ihre seitlichen Ränder, wie aas
dem vorhergehenden zu entnehmen, der Kop&icker und der Kapuzen-
muskel. Geht man von der ruhigen Haltung des männlichen Körpers
und der dadurch bedingten Ausdehnung der seitlichen Halsgrube ans,
so ist folgendes zu beachten:
Bei dem Zurückgreifen des Armes wird die Grube seichter, als
sie bei der natürlichen Stellung der oberen Gliedmaßen ist, weU das
Huikiln da Bampftt.
1. Sohlünelbdn.
2. DntenchlüMctbeiDgnibe. Spalt i
Delta- nnd BrnBUnuikel.
3. Akroniialciide da BcblütMlbdDc«.
4. Akromlon.
5. Delttmoikel.
6. Btreder dtn Oberannei.
7. SehneDfeld da Streoken,
B. EUbogcQ. S*. E&pfiih«D der EU«.
9. ÄDfbeber de* VonÜerarme«, un linken
nnd reäiten Atm.
B*. Spetobeutrcdter der Hand.
10. achvelloDg dei Bnutmnikeli vor dem
Übergang in uine Sriine.
11. LADgcT Btreeker derFlDKeT.
12. Eilenbeiwe t. langen Anfheber b^ienit.
13. Der mnde ProaUor.
14. StreckeiMhne.
15. Kniewdieibe.
16. Knieaebelbenband.
17. Spanner der Faade.
IB. OroBer GMiHmnikel.
19. Furche iw. d. Strecker- n. Bengergmppe.
20. Bengergmppe.
858 Neunter Abflchnitt.
Schlüsselbein an die tiefe Schichte der Halsmuskeln gepreßt wirf.
Wird der Arm vorgestreckt, so vertieft sich dagegen die seitliche
Halsgrube beträchtlich, weil die vordere Spange des Schultergürtda,
das Schlüsselbein, sich von dem Rumpf abhebt. Die Figur 110 zeigt
zwischen Nr. i u. 2 die seitliche Halsgrube auf der linken Seite b^
deutend vertieft, weil der linke Arm vorgreift. Ihre untere Grenze»
das Schlüsselbein, ist deutlich ausgeprägt, ebenso der vordere Rind
des Kapuzenmuskels, der, kräftigst entwickelt, an dem Akromialende
des Schlüsselbeines sich befestigt. —
Zwischen der äußersten Abflachung und Vertiefung der seithchen
Halsgrube giebt es zahlreiche Übergänge, die sich leicht von selbst
erklären. Bei hochgehobenem Arm verschwindet die seitliche Hak-
grube, ja selbst die Stelle, die sie einnahm, vollständig, denn der ganze
Schultergürtel kann sich soweit in die Höhe heben, bis das Schlüssd-
bein und der Deltamuskel die Seitenfläche des Halses berühren. Schon
in der Knochenlehre S. 159 wurde auf dieses Verhalten vorübergehend
hingewiesen, an dieser Stelle geschieht es noch einmal, weil die über-
raschenden Veränderungen der seitlichen Halsregion und namenäich
der seitlichen Halsgrube mit den Bewegungen des Schlüsselbeines zn-
sammenhängen.
Auf die Gestalt der seitlichen Halsgrube ist auch das forcierte
Atmen und alle Thätigkeiten, welche davon abhängen, von wesentlichem
Einfluß. Bei tiefer Einatmung sinkt die seitliche Halsgrube tief ein,
um mit dem Beginn der Ausatmung wieder auf ihren früheren Stand
zurückzukehren. Bei dem Singen und Schreien, wobei allmähliches
Ausströmen der in den Lungen enthaltenen Luft bei verengter Sümm-
ritze stattfindet, füllt sich die seitliche Halsgrube mehr und mehr, je
länger der Ton erschallt, um in demselben Augenblick, wo eine neue
Einatmung erfolgt, einer starken Einsenkung Pl^tz zu machen. Das
Verständnis dieser Formen bei Frauen und Kindern, bei denen sowohl
das Fettgewebe unter der Haut als dasjenige zwischen den Schichten
der Halsfascie so viel verschleiert, bietet keine Schwierigkeiten mehr,
sobald die anatomische Zergliederung und das Studium eines hierftr
tauglichen männlichen Modelies den wahren Grund all' der wechseln-
den Erscheinungen aufgedeckt hat.
Die seitliche Ilalsgrube spielt auch iu der systematischen Anatomie due gn>fie
Rolle. Man nennt sie dort obere Schlüsselbeingrubc (Fossa supraelariculariiL
Die Gmbe enthält nämlich, neben zahlreichen kleinen Blutgefäßen und Nerven, in ihrem
Grunde die Nervenstränge für sämtliche Muskeln des SchultergürteU und des Aimt.
Mit dem Armge flocht, Plexus brachialis genannt, verläuft eng verbanden die
große Schlüsselbeiuschlagader über die erste Rippe und gelangt so, bedeckt voo
dem großen und kleinen Brustmuskeln in die Achselhöhle. Yerwandiingen im
Bereich dieser Grube werden also stets besondere Gefahren mit sich bringen, and
Moikeln des Rumpfes. 359
Operationen wird dort nur derjenige mit Erfolg ausführen können, dem die ge-
naueste Kenntnis der Lage und des Verlaufes der einzelnen Organe zur Seite steht.
Die Haut ist an der seitlichen Halsregion verschiebbar, doch
nimmt die Verschiebbarkeit gegen den Kopf hin mehr und mehr
ab, und mit dem oberen Ende des Kapuzenmuskels und des Kopf-
nickers ist sie so innig verwachsen, daß das regelrechte Abnehmen,
das sog. Lospräparieren mit großen Schwierigkeiten verbunden ist und
besonderer Aufmerksamkeit und Übung bedarf. Diese innige Ver-
wachsung ist der Grund, daß sich die, bei der Seitwärtsneigung ent-
stehende Hautfalte an dem oberen Ende des Halses aufstaut.
Durch die Haut des Halses sehen Venen hindurch, von denen
eine durch den regelmäßigen Verlauf und durch ihre Größe aus-
gezeichnet ist, es ist dies die äußere Drosselader (Vena jugularis
externa), Sie liegt unter dem Hautmuskel des Halses und entsteht
aus oberflächlichen Zweigen, die vom Hinterhaupt und von der Ohr-
gegend herabkommen. Sie steigt steil über den Kopfnicker hinab und
begiebt sich in die seitliche. Halsgrube um zu dem Stamm der inneren
Drosselader zu gelangen, welche hinter dem Kopfnicker den Weg
zum Herzen nimmt. Bei dem Anhalten des Atems nach vorher-
gegangener tiefer Einatmung staut sich das Blut derart in den Venen
des Halses und Kopfes , daß auch die äußere Drosselader an-
schwillt und ihr Ursprung leicht festzustellen ist. Bei schweren An-
strengungen schwillt sie aus denselben Gründen an, weil dabei der
Atem angehalten wird. Mit gutem Grunde ist sie deshalb bei dem
Borghesischen Fechter und bei dem Laokoon von den antiken
Meistern angegeben. Wenn diese Ader bei dem Singen, Schreien
und dergl. hervortritt, so liegt der letzte Grund immer in dem zeit-
weise verhinderten Rückfluß des Blutes, wobei die Venen des Kopfes
und Halses anschwellen. Unter den ebenerwähnten Umständen treten
auch noch andere Venen, die unter der Haut liegen, zum Vorschein.
Dies ist der Fall mit
der vorderen Drosselvene (Vena ßigularis anterior), welche durch
den Zusammenfluß mehrerer Venen der Unterkinngegend entsteht und
von der Mitte des Halses entweder paarig oder unpaar herabsteigt,
um in der Tiefe der Drosseladergrube sich zu verlieren. Bei der
zarten Haut blonder Kinder und Frauen sehen überhaupt im Gesicht
wie in dem Bereich der vorderen und seitlichen Halsregion zahlreiche
Venen in Form von blauen oft untereinander zusa,mmenhängenden
Bahnen hindurch. Niemals bemerkt man im Nacken etwas der Art,
weil dort die Haut zu dick ist, und die Venen ähnlichen Kalibers zu
tief liegen, als daß sie noch durch die Haut hindurchscheinen könnten.
360 Neunter Abschnitt.
n. Muskeln der Brust.
Äußere Ansicht der vorderen und seitlichen Bmstgegend.
Als Brust erscheint y anatomisch aufgefaßt, eine Eörpetregioik.
welche sich von dem Schlüsselbein nach abwärts bis gegen die unteni
Rippen erstreckt. Dieser Abschnitt des Stammes scheidet sich h
eine vordere, seitliche und hintere Brustregion. Die vordere
Brustregion ist in der Mitte von einer schmalen Binne, der vorderes
Medianrinne, durchzogen. Sie ist durch die kräftige Entwickelmig
des großen Brustmuskels hervorgebracht, denn bei mageren Individnoi
verwandelt sie sich in das Gegenteil, in einen hochragenden StreUen.
Das Brustbein ist dann breit unter der Haut sichtbar und läßt den
Ansatz der Rippenknorpel deutlich erkennen, welche sonst durch die
Schichte des großen Brustmuskels bis auf schwache Spuren verdeckt
werden. Der ebenfalls nur nach der Abmagerung dentliche. qaen
Vorsprung an der Vereinigungsstelle der .Handhabe des Brustbeines
mit dem Körper desselben wurde schon in der Knochenlehre erwähnt
Eine leichte Vertiefung zeigt das Ende des Brustbeinkörpers und den
Beginn des Schwertknorpels an. Auf den Schwertknorpel folgt die.
schon dem Unterleib angehörige Magen- oder Herzgrube (Scrobkuhu
cordis. Vergl. die Fig. 110, an der die Rinne zwischen den beiden
Brustmuskeln vortreflFlich hervortritt, ebenso das Ende des Brustbeines,
das Ende des Schwertknorpels und dann die weiter abwärt« folgende
Magengrube). Durch die Medianrinne wird die vordere große Bru&tiiäche
in zwei kleinere, in eine rechte und linke abgeteilt. Kntbehmngen.
Krankheit und Alter können selbst den gewaltigsten Bnistmuskel. wie
in Fig. 110, vollkommen zerstören, so daß die Rippen zu zählen sind.
Freilich sind dann ebenfalls noch Flächen zu sehen, aber sie zeigen
eben nur die Rippen, welche in ihrer Kahlheit die Erinnerung an
des Lebens Notdurft hervorrufen. Diese beiden Brustflächen sind in
verschieden starkem Grade entwickelt in den Fig. 110 und 111 wohl
zu erkennen.
Die Brustwarzen samt dem Warzenhofe bilden etwas nach
außen gerichtete Kugelsegmente, deren Spitzen mit dem unteren Band
der vierten Rippe zusammenfallen. Sie liegen 10 — 12 cm von der
Mittellinie des Brustbeines entfernt.
Die Haut ist in der Mittellinie dünn und über dem Brustbein
wenig verschiebbar, seitwärts wird sie dicker und läßt sich in Falten
aufheben. Das Unterhaut-Bindegewebe zeichnet sich auf der Vorder-
fläche der Brust, besonders aber um die Brustdrüsen herum, durch
Unikeln da Rnmpfti. 361
ansehnlidien Fettgehalt aus, welcher jedoch auf dem Bmetbein fast
Tollkommen fehlt.
Die seitliche Bruatregion hat als vorderea Rand den Bmst-
maskel (Fig. 111 t)r geht nach anfirärts in die Achsetgrube und nach
unten in die Weichen allmählich und ohne bestimmte Grenze Über.
Die Rückenfläche der Brust ist durch die von Muskeln be-
deckten Schulterblätter ausgezeichnet, welche durch ihre verschiedenen
Stellungen die Formen des BUckens abwechdungsreich gestalten.
1 Eiid«d.Bnutkorbei.
2 Falte cwi•cbenBnu^
korb und Kabel.
3 Falte, welche mitder
dritten ZwiMhen*
aehne de« gerades
Bauchmnikels in
ZnBammenhoDg
iteht.
Fig 111 Die Vcrder und Siitenäachon der Bnut.
Skuze nach emom Knpferstidi von Habc Antoh.
Die oben erwähnten Flächen der Brust sind nicht anatomischen
Einteilungsgrundsätzen, soodem dem thatHächUchen Bau des knöchernen
Brustkorbes und seiner durch die Muskeln bedeckten Teile entnommen.
Je Tolleodeter der männliche Organismus geformt, nm so schärfer ist
die Qliederong der Brust in große Hauptflächen. Alle Kunstwerke,
von der Antike bis herauf zu uns haben diese Thatsache erkannt und
dat^estellt.
Die Muskulatur der Brust liegt in mehreren Schichten überein-
ander. Die tiefsten Schichten Rind ausschließlich dem Brustkorbe
362 NeunterAbschnitt.
eigen und füllen die Spalträume zwischen den einzelnen Rippen aas;
sie heißen Muskeln des Thorax. Die obertiächlichen Schichten ver-
lassen den Brustkorb, und setzen sich an den oberen Glied-
maßen fest; sie heißen deshalb auch Gliedmaßenmuskeln. Die
meisten derselben sind große mächtige Fleischmassen, welche in erster
Linie für die weitausgreifenden Bewegungen des Armes dienen. E^
ist dabei gleichgültig, ob sie sich direkt an dem Arm befestigen, oder
an einem Abschnitt des Schultergürtels, sei es des Schulterblattes oder
des Schlüsselbeines.
Die oberflächliche Muskellage wird von einer Fascie bedeckt, der
Brustfascie, welche von dem Unterleib heraufkommt und in iu
oberflächliche Blatt der Halsfascie übergeht.
1) Gliedmafsenmnskeln der Brust.
Der große Brustmuskel (31, pectoralis major ^ Fig. 112) be-
deckt den größten Teil der Vorderfläche der Brust. Er entspringt Tom
Schlüsselbein (Fig. 112 Nr. 2), von der ganzen Vorderfläche des Brust-
beines herab bis zu dem Ansatz des sechsten Rippenknorpels. Je näher
seine Ursprungsbündel gegen diese Rippenknorpel gelangen, desto
weiter entfernen sie sich von der Mittellinie des Brustbeines. Unter-
halb der sechsten Rippe gesellt sich noch eine platte Ursprungszacke
(Fig. 112 bei *), von der Aponeurose des äußeren schiefen Bauchmuskels
her, zu ihnen.
Alle diese Ursprungspartien ziehen zu dem Oberarmknochen, und
befestigen sich mit einer platten Sehne an der scharfen Knochenleiste.
welche von dem großen Höcker des Oberarmknochens herabkommt
Die Hauptmasse der Ansatzsehne wird von dem Deltamuskel über-
lagert. Der übrige Teil des Muskels ist nur von der Haut und der
Fascie bedeckt. Wirkung: Der Muskel zieht den Arm an den Körper
heran, wobei er sich verdickt. Bei aufgehobenem Arm ist er gedehnt
und verlängert, also auch dünner im Vergleich zu der Dicke, die er
bei der ruhigen Haltung der oberen Gliedmaßen besitzt.
Von dem Deltamuskel wird der große Brustmuskel durch eine
dreieckige, oben breite, unten spitzig verlaufende Spalte geschieden
(Fig. 112 bei Nr. 5, in Fig. 109 Nr. 3 sehr stark dargestellt), in wel-
cher Fett und eine Vene liegt. Diese Vene, das obere Ende der
Kopfvene des Armes, schimmert b/si Frauen bisweilen durch die
zarte Haut bläulich hindurch. Die Spalte verwandelt sich durch die
darüber hinziehende Haut und Fascie in eine kleine dreieckige Grube,
die Unterschlüsselbeingrube, welche bei verschiedenen Stellungen
Mtuktla des Rumpfea.
Fig. 112. Der groBc BrUHtiiiuskcl auf den Torao il<« ßorgheeischpa Fechters
gezeichnet
7. Gerader Bauchmnikel.
S. Vordere Begrenzungillnie des in Heren
•chiefeD Bmuchmuikels.
4. DelbUDOikcl. * Di« von der Scheide des geraden Bauch-
5. Untenehlünelbdngmbe. mnikela entapringende Zack« de« BroM-
6. Spalt i«. Bmitbein- u. Schlünelbrinporl. mnskeli.
364 Neunter Abschnitt.
des Armes an Deutlichkeit ab- und zunimmt. Michelakoelo bt
sie in der Skizze Fig. HO bei Nr. 2 scharf markiert.
Eine ähnliche dreieckige aber weniger tiefe Furche findet dck
zwischen dem Schlüsselbeinursprnng des Muskels und dem Brustbein-
urspning desselben (Fig. 112 Nr. 6), Dennoch kann man auch die«
Trennungsstelle der Ursprungsportionen wohl erkennen, und so findet
wir denn auch die Furche in den Figuren 110 und 111 angedeut^
Der große Brustmuskel bildet vorzugsweise die vordere Wand
der Achselhöhle, was am besten bei aufgehobenem Arm zu sehen i^.
Der seitliche, zur Achselhöhle aufsteigende Band ist dick^ er läßt sid
am Lebenden umgreifen und von seiner Unterlage abziehen, denn er
ist nur durch, lockeres Bindegewebe mit ihr verbunden, wie sich ja
überhaupt die Muskeln auf ihrer Unterlage verschieben und sich Ton
ihr entfernen. Bei bestimmten Bewegungen hebt sich der groBe
Brustmuskel von der knöchernen Wand des Brustkorbes sogar sehr
beträchtlich ab, z. B. bei dem Vorstrecken des Armes. Dabei wandert
die Achselhöhle ebenfalls mehr nach vom, denn mit dem vorgestreckten
Arme rückt auch das Schulterblatt, das die hintere Wand der Achsel-
höhle bildet, in eine andere Stellung. Bei kräftigen Männern ver-
dickt sich der seitlich zur Achselhöhle aufsteigende Band unmittelbar
vor dem Übergang in die Sehne. In der Fig. 110 ist diese Stelle fast
übermäßig ausgeprägt. Diese Anschwellung kann so beträchtlich sein,
daß sie den Anschein einer krankhaften Verdickung innerhalb der
Fleischmasse vortäuscht. Die Anschwellung rührt davon her, daß die
von der Brust herkommenden Fleischfasern sich an dieser Stelle zu-
sammendrängen; es staut sich gleichsam die Flut aller Fasern an
dieser einzigen Stelle, um gleichzeitig in die Ansatzsehne über-
zugehen.
Der seitliche zur Achselhöhle aufsteigende Muskelrand ist nicht
gerade, sondern leicht gebogen, denn die von dem Brustbeinende, von dem
sechsten Rippenknorpel und der Aponeurose des äußeren schiefen Bauch-
muskels aufsteigenden Muskelbündel schieben sich unter die von der
Mitte des Binistbeines kommenden hinein. Die von der Aponeurose
des äußeren schiefen Bauchmuskels aufsteigende Muskelzacke ist sehr
dünn und wird überdies von starken bogenfönnig verlaufenden Strängen
der Brustfascie so fest an die Vorderfläche des siebenten und achten
Rippenknorpels angedrückt, daß diese Ursprungszacke durch die Hant
hindurch nicht erkennbar ist. Deshalb Jiaben weder antike noch moderne
Künstler auf diesem Teil des Muskels Rücksicht genommen, sondern
die vordere Begrenzungslinie des großen Brustmuskels bogenförmig in
die seitliche übergeführt. (Siehe die Figuren 110 und 111.) Der An-
llmkeln dei Rmcpte. 366
tktz des großen BrustmuakeU wird erst nach Entfernung des Delta-
muskels sichtbar.
Von d«r Sehne du Bnutmiukels, die eine 6 cm breite, doppelt geachicbtete
Putte dantellt (Fig. 112 Nr.aJ, ist imter natürlichen UmsUnden nur ein kleines
f SchnlterblBlt-ZuDgeiilKliiiiiuakel
Akmmion 7
SchlÜMBlbcin.
Aufli.d.SdiQltbl.
Fig. 118. Der vordere Sagemuakel auf den Totbo de« Borgheiiachen Fechters
gaeMhnet. Das SchlUBselhdn ist durchgeschnitten ond dos Bchulterblatt nach der
Seile abgezogen dargestellt
dreieckiges Feld sichtbar, das durch seine vertiefte Lage auf&Ut, namentlich dann,
wenn der Muskel in Thätigkeit venetzt wird, der gestreckte Arm a. B. irgend eine
LAst gegen den Körper heranzieht. Da lAfit sich auch der acharf gespannte Band
der Sehne fühlen und umgreifen.
Der kleine Brustmuskel (M. peetoralU minor, Fig. 73 Nr.?) ent-
springt mit drei dünnen Sehnen an der dritten, vierten und Itlnften
Rippe. Die an diese Sehnen sich anschließenden Muskelportionen
366 Neunter Abschnitt
stellen, je höher sie steigen, desto mehr einen gemeinsamen Mnskd*
bauch her, der sich mit einer kurzen Endsehne an dem Hackenfortiats
des Schulterblattes befestigt. Wirkung: Zieht das Schulterblatt aod
damit den Schultergürtel herab. Der kleine Brustmuskel wird ?6b
dem großen bedeckt. Nur bei aufgehobenem Arm und bei dOimer
Haut kommt der äußere Rand des kleinen Brustmuskels ab ein
schmaler Streifen zum Vorschein.
Der kleine Brustmuskel heißt auch der kleine vordere SägemaBkeL
Häufig empfängt er eine Zacke von der sechsten Kippe, zuweilen auch noch TOi
der zweiten.
Der Schlüsselbeinmuskel (il£ ^^cfartW^ liegt verborgen zwiscbea
Schlüsselbein und erster Bippe.
Der vordere Sägemuskel (M. serratus anticug, Fig. 113) am-
greift die Seitenwand der Brust und entspringt mit neun Zacken von
der ersten bis zur achten Rippe. Die auffallende Art seines Ursprunges
verhalf ihm zu seinem Namen. Die oberen Zacken sind von doii
großen und kleinen Brust muskel bedeckt, nur die unteren sind frei
und durch die Haut hindurch sichtbar.
Aus den Urspi-ungszacken formt sich ein platter Muskelbauch.
der unter dem Schulterblatt nach hinten zieht, um sich an den inneren
Band des Schulterblattes anzusetzen. Um den Muskel in seinem
ganzen Verlauf übersehen zu können, muß der große und kleine Bnist-
muskel entfernt und das Schlüsselbein durchschnitten werden, damit
der Arm weit genug von dem Rumpf entfernt werden kann. Auf der
Brust des Borghesi scheu Fechters ist in Fig. 113 der Muskel so
dargestellt, wie er nach Abnahme der bedeckenden Schichten und nach
Dui'chschneidung des Schlüsselbeines an einer in ähnlicher Stellung
befindlichen Leiche zum Vorschein kommen würde. Die Zacken werden
von oben nach unten gezählt. Die erste Zacke entspringt von der
ersten Kippe, die zweite Zacke von der zweiten und einem zwischen
der ersten und zweiten Rippe ausgespannten Sehnenbogen. Die dritte
Zacke entspringt ebenfalls von der zweiten Rippe; diese drei Zacken
bilden di^ obere Portion des Muskels (Fig. 113 Nr. l). Die vierte Zacke
kommt von der dritten Rippe und so fort, bis die neunte Zacke
(Fig. 113 Nr. 2') die achte Rippe erreicht hat.
Für das Verständnis der Formen des Muskels verdienen folgende
Punkte besondere Beachtung:
1) Von der sechsten Rippe an nehmen die Zacken mehr und mehr
an Umfang ab. Die von der sechsten Rippe kommende Zacke ist
nach der ebenerwähnten Zählungsart die siebente in der Reihe; unter
ihi' liegen also noch zwei ; die neunte Zacke ist unter allen sichtbaren
Zacken die kleinste.
Muskeln des Rampfes. 367
2) Die Zacken liegen nicht in einer geraden , sondern in einer
Bogenlinie. Die siebente Zacke ragt am weitesten nach vom, die
achte und neunte ist schon ganz an die Seitenlinie des Brustkorbes
gerückt. ^
Die Fig. 114 ist in den Text gesetzt, um die unteren Zacken
des Sägemuskels in ihrem Verhalten zu dem seitlichen Rand des
Bmstmuskels und dem vorderen Bande des breitesten Rückenmuskels
beurteilen zu können. Durch die Linien der Nr. ii ist die siebente,
achte und neunte Zacke kennbar gemacht, die sechste Zacke ist zur
Hälfte von dem großen Brustmuskel bedeckt.
3) Die drei unteren Zacken, die siebente, achte und neunte, liegen
an dem Thorax tiefer als der untere Schulterblattwinkel hinabreicht.
Nachdem sich diese Zacken dicht zusammengedrängt an dem
unteren Schulterblattwinkel festsetzen, müssen sie, um dorthin zu ge-
langen, in die Höhe steigen. Obwohl sie auf dem Wege dorthin von
dem breitesten ßückenmuskel bedeckt werden, so ist doch der ganze Ver-
lauf gegen den unteren Schulterblattwinkel als eine ansehnliche Fläche
zu erkennen, welche den breitesten Rückenmuskel herausdrängt. Sehr
klar zu sehen bei dem Borghesischen Fechter, dem Laokoon
u. a. m.
4) Bei aufgehobenem Arm ist ein größerer Umfang des Säge-
muskels sichtbar, als bei dem an der Seite des Körpers herabhängen-
den Arm, In dem ersteren Falle steigt der seitliche Rand des Brust-
muskels wie überhaupt der ganze Muskel in die Höhe, der vordere
Rand des breitesten Rückenmuskels wird bei dem Erheben des Annes
gleichfalls dünn und weicht zurück, und dadurch wird die sechste
Zacke, die sonst nur halb sichtbar ist, in ihrem ganzen vorderen Um-
fange frei, und ebenso ist eine größere Strecke der letzten (neunten)
Zacke bemerkbar.
5) Der Ansatz der fieischreichen unteren Zacken zeigt am Leben-
den dicht an dem Schulterblattwinkel durch die Haut und den
breitesten Rückenmuskel hindurch ein längliches Grübchen. Es riihrt
teilweise davon her, daß sich dicht aus den vereinigten unteren Zacken
des Sägemuskels eine sonst untergeordnete kurze Sehne entwickelt,
wodurch die Masse des Fleisches abnimmt, und der Muskel an dieser
Stelle etwas von seinem früheren Umfang verliert.
Die Wirkung des Muskels besteht in einer Vorwärtsbewegung des
Schulterblattes, welche hauptsächlich an dem unteren Winkel stattfindet,
der vorzugsweise nach dieser Richtung beweglich ist, und an den sich
die meisten Bündel des Sägemuskels befestigen. Bei dem Aufheben
des Armes unterstützt der Sägemuskel dadurch die anderen Aufheber
in einer sehr wirksamen Weise, daß er den unteren Winkel des
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^^^H Fig. 114. Muskulatur dcE> Smi»m,^G
.. der Seite gwehen.
^^^H Schulterblattes nach vorwärts tUhii. Bei
dem Aufheben des An
^^^1 schwellea deshalb die sichtbaj-en Zacken des Sägemaskele betrichtf^|
^^^H, an, während sie bei dem Niedersinken de
Armes sich abflachen. ^|
MuBkeln des Rumpfes. 369
Damit der Sägemuskcl das Schulterblatt an dem Brustkorb mit Kraft fixieren
kann, müssen zunächst die Lungen durch Zurückhalten des Atoms gefüllt und da-
darch die Rippen festgestellt sein. Das ist eine unerläßliche Bedingung für einen
forderten Grebrauch der Gliedmaßenmuskeln. Hieraus wird es erklärlich, warum
Lähmung des Sfigemuskels die Kraft des Armes schwächt. ^ Alle bisher erwähnten
Muskeln der Brust haben bei verstärkter Einatmung die Bedeutung von In-
spirationsmuskeln. Man sieht deshalb Kinder, welche am Keuchhusten leiden,
oder Erwachsene, welche von Atemnot (Asthma) heimgesucht werden, unwill-
kürlich sich mit den Armen aufetemmen oder einen festen Körper umklammem,
um den Arm samt dem Schulterblatt zu einem fixen Punkt zu machen, damit die
Urepitbige der Muskeln den Brustkorb erweitem können, indem ihre Zacken das
Brustbein und die einzelnen Rippen in die Höhe heben. — Der Sägemuskel be-
sitst bisweilen eine zehnte Zacke, welche von der neunten Rippe entspringt Sie
liegt dann unter dem breitesten Rfiekenmuskel verborgen.
2) Muskeln des Thorax.
Die ausschließlich dem Thorax zukommenden Muskeln, welche
seine Wandung umgeben, entspringen teils von den Querfortsätzen
der Wirbel, teils von den Rippen selbst. Zu ihnen gehören: 1) Die
Zwischenrippenmuskeln (Mm. intercostales) , eine die Zwischen-
rippenräume einnehmende Muskulatur (siehe die Figur 11 3, an welcher
die von dem großen Sägemuskel nicht bedeckte Fläche des Thorax
die Zwischenrippenmuskeln erkennen läßt; sie liegen in zwei Schichten
übereinander). — 2) Die Aufheber der Rippen (Mm. levatores
castarum) sind platte, von den Querfortsätzen des letzten Halswirbels
und der Brustwirbel bis zu dem letzten Bnistwirbel herab entspringende
kurze Muskeln, welche wie die vorerwähnten von daraufliegenden Fleisch-
schichten bedeckt sind.
Zu dem System der Zwischenrippenmuskeln gehören noch die Querfortsutz-
muskeln, welche in dem Bereich der Hals Wirbelsäule und der Lenden Wirbelsäule
vorkommen. Alle Muskeln des Thorax im engereJi Sinne liegen so tief, daß sie
niemals in den wechselnden Formen des Körpers eine Rollo spielen, und ihre kurze
Aufzählung hier genügt.
III. Muskeln der Bauehwand.
Üie fleischig-häutigen Decken, welche die großem Lücke am Skelett
zwischen dem unteren Rande des Thorax und dem oberen Rande des
Beckens ausfUllen, werden gemeinhin als Bauch wand bezeichnet. Der
von der Bauchwand umgürtete Raum ist die Bauchhöhle, welche sich
nach abwärts in den Raum der Beckenhöhle fortsetzt. Da der untere
Rand des Thorax mit dem oberen Rande des Beckens nicht parallel
läuft, so muß die Länge der weichen Bauch wand an verschiedenen
Stellen des Bauches eine verschiedene sein. Zwischen dem Schwert-
knorpel und der Schamfuge hat die Bauchwand die größte Länge.
KoiutAim, Plastische Axuitomle. 24
Gerad. BHuahm. M
Inn. «Chief. Bsuchtii. U-
TeDs. Fudae U—
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Fig. in. Mnskulatiir iJ. s 'stomineB vou dor Seite gesehen.
Schulterblattes nach vorwärts führt. Bei dem Aufheben des ,
schwellea deshalb die sichtbaren Zacken des Sügemuskels beträchtli
an, während sie bei dem Niedersinken des Armes sieb abflacheu.
MuBkeln des Rumpfes. 369
Damit der Sägemuskel das Schulterblatt an dem Brustkorb mit Kraft fixieren
kann, müssen zunächst die Lungen durch Zurückhalten des Atems gefällt und da-
durch die Rippen festgestellt sein. Das ist eine unerläßliche Bedingung für einen
forcierten Gebrauch der Gliedmaßenmuskeln. Hieraus wird es erklärlich , warum
Lfthmung des Sägemuskels die Kraft des Armes schwächt ^ Alle bisher erwähnten
Muskeln der Brust haben bei verstärkter Einatmung die Bedeutung von In-
spirationsmuskeln. Man sieht deshalb Kinder, welche am Keuchhusten leiden,
oder Erwachsene, welche von Atemnot (Asthma) heimgesucht werden, unwill-
kürlich sich mit den Armen aufetemmen oder einen festen Körper umklammern,
um den Arm samt dem Schulterblatt zu einem fixen Pimkt zu machen, damit die
UraprÖBge der Muskeln den Brustkorb erweitem können, indem ihre Zacken das
Brustbein und die einzelnen Rippen in die Höhe heben. — Der Sägemuskel be-
ntst bisweilen eine zehnte Zacke, welche von der neunten Rippe entspringt Sie
li^ dann unter dem breitesten Rückenmuskel verborgen.
2) Muskeln des Thorax.
Die ausschließlich dem Thorax zukommenden Muskeln, welche
seine Wandung umgeben, entspringen teils von den Querfortsätzen
der Wirbel, teils von den Rippen selbst. Zix ihnen gehören: 1) Die
Zwischenrippenmuskeln (Mm. intercostales) , eine die Zwischen-
rippenräume einnehmende Muskulatur (siehe die Figur 11 8, an welcher
die von dem großen Sägemuskel nicht bedeckte Fläche des Thorax
die Zwischenrippenmuskeln erkennen läßt; sie liegen in zwei Schichten
übereinander). — 2) Die Aufheber der Rippen (Mm, levatores
coMtarum) sind platte, von den Querfortsätzen des letzten Halswirbels
und der Brustwirbel bis zu dem letzten Brustwirbel herab entspringende
kurze Muskeln, welche wie die vorerwähnten von daraufliegenden Fleisch-
schichten bedeckt sind.
Zu dem System der Zwischenrippenmuskeln gehören noch die Querfortsutz-
muskeln, welche in dem Bereich der Halswirbelsäule und der Lendenwirbelsäulc
vorkommen. Alle Muskeln des Thorax im engeren Sinne liegen so tief, daß sie
niemals in den wechselnden Formen des Körpers eine Rolle spielen, und ihre kurze
Anzahlung hier genügt
III. Muskeln der Bauehwand.
Üie fleischig-häutigen Decken, welche die große Lücke am Skelett
zwischen dem unteren Rande des Thorax und dem oberen Rande des
Beckens ausfUllen, werden gemeinhin als Bauchwand bezeichnet. Der
Yon der Bauchwand umgürtete Raum ist die Bauchhöhle, welche sich
nach abwärts in den Raum der Beckenhöhle fortsetzt. Da der untere
Rand des Thorax mit dem oberen Rande des Beckens nicht parallel
läuft, so muß die Länge der weichen Bauchwand an verschiedenen
Stellen des Bauches eine verschiedene sein. Zwischen dem Schwert-
knorpel und der Schamfuge hat die Bauchwand die größte Länge,
KoiuiAini, PlMtische Axuitomie. 24
^^ 3gg Neunler Abfobnitl.
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MuBkeln des Rumpfes. 369
Damit der Sägemuskcl das Schulterblatt an dem Brustkorb mit Kraft fmeren
kann, müssen zunächst die Lungen durch Zurückhalten des Atems gefüllt und da-
durch die Rippen festgestellt sein. Das ist eine unerläßliche Bedingung für einen
forderten Grebrauch der Gliedmaßenmuskeln. Hieraus wird es erklärlich, warum
lÜhmung des Sfigemuskels die Kraft des Armes schwächt — Alle bisher erwähnten
Muskeln der Brust haben bei verstärkter Einatmung die Bedeutung von In-
spirationsmuskeln. Man sieht deshalb Kinder, welche am Keuchhusten leiden,
oder Erwachsene, welche von Atemnot (Asthma) heimgesucht werden, unwill-
kürlich sich mit den Armen aufetemmen oder einen festen Körper umklammem,
um den Arm samt dem Schulterblatt zu einem fixen Punkt zu machen, damit die
Urepitbige der Muskeln den Brustkorb erweitem können, indem ihre Zacken das
Brustbein und die einzelnen Rippen in die Höhe heben. — Der Sägemuskel be-
ritst bisweilen eine zehnte Zacke, welche von der neunten Rippe entspringt Sie
liegt dann unter dem breitesten Rückenmuskel verborgen.
2) Muskeln des Thorax.
Die ausschließlich dem Thorax zukommenden Muskeln, welche
seine Wandung umgeben, entspringen teils von den Querfortsätzen
der Wirbel, teils von den Rippen selbst. Zu ihnen gehören: 1) Die
Zwischenrippenmuskeln (Mm, intercostales) , eine die Zwischen-
rippenräume einnehmende Muskulatur (siehe die Figur 113, an welcher
die von dem großen Sägemuskel nicht bedeckte Fläche des Thorax
die Zwischenrippenmuskeln erkennen läßt; sie liegen in zwei Schichten
übereinander). — 2) Die Aufheber der Rippen (Mm. levatores
costarum) sind platte, von den Querfortsätzen des letzten Halswirbels
und der Brustwirbel bis zu dem letzten Brustwirbel herab entspringende
kurze Muskeln, welche wie die vorerwähnten von daraufliegenden Fleisch-
schichten bedeckt sind.
Zu dem System der Zwischenrippenmuskeln gehören noch die Querfortsatz-
muskeln, welche in dem Bereich der Halswirbelsäule und der Lendenwirbelsttule
vorkommen. Alle Muskeln des Thorax im engercji Sinne liegen so tief, daß sie
niemals in den wechselnden Fonnen des Körpers eine Rolle spielen, und ihre kurze
Aufieählung hier genügt
III. Muskeln der Bauehwand.
Öie fleischig-häutigen Decken, welche die große Lücke am Skelett
zwischen dem unteren Rande des Thorax und dem oberen Rande des
Beckens ausfUllen, werden gemeinhin als Bauchwand bezeichnet. Der
von der Bauchwand umgürtete Raum ist die Bauchhöhle, welche sich
nach abwärts in den Raum der Beckenhöhle fortsetzt. Da der untere
Rand des Thorax mit dem oberen Rande des Beckens nicht parallel
läuft, so muß die Länge der weichen Bauchwand an verschiedenen
Stellen des Bauches eine verschiedene sein. Zwischen dem Schwert-
knorpel und der Schamfuge hat die Bauchwand die größte Länge.
KoiÄMAXV, PlMtische Axuitomle. 24
374 Neunter Abechnitt.
mehr erkennbar sind. Die Übergangslinie der Maskelbündel in die
Sehne erscheint also in dem unteren Abschnitt der Maskelplatte gerade
und zwar erstreckt sich diese gerade Linie von der fünften Zacke u
(von der Höhe des oberen Randes der achten Rippe) bis zu dem idr-
deren oberen Darmbeinstachel (vergl. die Fig. 116 bei Nr. 8). Je
weiter nach abwärts, desto stärker wird der Unterschied
zwischen dem Relief der Fleischplatte und der Sehne, and
der Niveauunterschied ist am stäi'ksten dort, wo die Mnskelb&ndel
eine stumpfe Ecke bildend vorspringen (etwas nach amfwftrU von den
vorderen oberen Darmbeinstachel, Fig. 115 Nr. ii).
Das Leistenband oder Poupart'sche Band (Fig. 115 Kr.iS)
hat drei Befestigungen an dem Hüftbein: 1) An dem vorderen obem
Darmbeinstachel, 2) am Beginn des horizontal laufenden Schambein-
astes, also in der Umgebung des Schenkelpfannenrandes, und 3) in der
Nähe der Schamfuge. Auf dieser dreifachen Befestigung beruht die
geringe Verschiebbarkeit des Leistenbandes und die geschwungene Ait
seines Verlaufes. Der geschwungene Verlauf (Fig. 116 Nr. lO) tritt
freilich nur an dem anatomischen Präparat in ganzer Schärfe henror
und wird durch die Haut etwas abgeschwächt, aber niemals stellt du
Leistenband jene steile und gestreckte Linie dar, welche so viele Sta-
tuen aus der Augusteischen Periode aufweisen.
Drei Centimet^r von der Schamfiige entfernt befindet sich in der Aponenrur
des äuBeren schiefen Bauchmuskels eine dreieckige schräge nach aufien and obrn
geschlitzte Öffnung, der Leistenring. Er ist die äußere Öffiiung eines Kaialnv.
der die ganze Dicke der Bauchwand schief durchsetzt, um nach eineni Verlanfe T«iii
4 cm in die Bauchhöhle einzumünden. Durch den Leistenkanal tritt bri dm
Männern der Samenstrang, hei den Weihern das runde Gebärmutterband aus di^
Bauchhöhle hervor.
Zwischen der achten (untersten) Zacke des äußeren schiefen Bauehmuskels und
dem breitesten Kückenmuskel, in dem Raum zwischen der letzten Rippe und dem
Hüftbeinkamm, zeigt sich eine kleine Lücke, an welcher man nach der Wegnahme
der Haut sofort auf eine tiefere Schichte der Bauchwand gelangt, w^elehe von den
inneren scliiefen Bauchmuskel gebildet wird. Diese Lücke ist länglich und bei ver-
schiedenen Männern verschieden groß. Diese Lücke hilft zur Modellierung der
Lendengegend, welche später besprochen werden soll, denn die Spalte zwischen den
beiden Muskeln bedingt elTie leichte Einseukung der Hant An dieser Stelle driii^
die Chirurgie in die Bauchhöhle ein, um die kranke Niere zu operieren oder gir
zu entfernen.
Der innere schiefe 3auchmuske\ (iW.obliquusabdUnmnismiermiSf
Fig. 115 Nr. 15) ist von dem äußeren schiefen Bauchmuskel vollständig
bedeckt. Das Interesse der plastischen Anatomie ist deshalb an diesem
tiefliegenden Muskel nicht sehr groß, dennoch verdienen einige That-
sachen Erwähnung. Der Ursprung findet von dem vorderen oberen
DaiTubeinstachel und der zuuäclist liegenden Partie des Leistenbandes
MoBkeln des Rampfes. 375
statt, und femer von der mittleren Lefze des Hüftbeiukammes (Fig. 115).
Der Verlauf der ansehnlichen Muskelplatte ist in ihrem hinteren
Abschnitt direkt nach aufwärts gegen den Brustkorb gerichtet; die
Muskelbündel des mittleren Abschnittes ziehen fächerförmig nach
innen und oben zur vorderen Bauch wand, die untersten, welche von
dem Leistenband entspringen, senken sich gegen den Leistenring hin.
Der Ansatz erfolgt, entsprechend dem radienf5rmig sio*h ausbreitenden
Verlauf, an verschiedenen Stellen: 1) an den drei letzten Rippen, 2) im
Bereich der weiBen Bauchlinie und zwar dadurch, dafi die noch übrige
Muskelplatte in eine breite Sehne übergeht, noch ehe sie den äußeren
Rand des geraden Bauchmuskels erreicht. Diese breite Sehne oder
Aponeurose zieht mit dem größten Teil ihrer Fasern über die Vorder-
fläche des geraden Bauchmuskels hinweg und verwebt sich in der
weißen Bauchlinie mit der Sehne der gegenüberliegenden Körperseite.
Bei diesem Verlauf erreicht die Sehne auch das vordere £nde des Brustkorbes,
und wo^ dieses der Fall ist, verwachsen ihre Fasern mit dem Überzug der Rippen-
knorpel. Diejenigen Abteilungen der Sehne, welche dicht an dem Leistenband ver-
laufen, verweben ihre Fasern mit denjenigen dieses Bandes. Von den dort herab-
ziebenden Muskelbilndeln brechen einige aus der den übrigen angewiesenen Bahn
ans und folgen dem Samenstrang, schlingenförmig denselben samt dem Hoden um-
greifend. Diese Muskelschlingen gelangen, eng dem Samenstrang anliegend, bis in
den Hodensack, und stellen in ihrer Gesamtheit den Hebemuskel des Hodens
(Musculus cremasler) dar. Durch die Zusammenziehung dieses Hcbemuskels, die
regelmäßig unter dem Einfluß der Kälte (z. B. beim Baden) erfolgt, wird der Hode
bis an das Leistenband in die Höhe gehoben. — Aus der Fig. 115 ist ersichtlich, daß
die Fleischbündel des inneren schiefen Bauchmuskels nicht alle gleich weit gegen
die Mittellinie des Körpers vordringen. Diejenigen, welche von dem vorderen
oberen Darmbeinstachel entspringen, sind die kürzesten, die übrigen länger, steigen
allmählich höher herab und höher hinauf, doch bleiben die Flcischbüudel von dem
geraden Bauchmuskel stets etwas entfernt und lassen für die Entstehung dor
breiten Sehne dadurch freien Spielraum.
An der Figur 115 ist der äußere schiefe Bauchmuskel der linken
Seite abgetragen, jedoch die Hautlinie angegeben, welche im Leben
den Kontur der Weichen bedingt. Der Abstand dieser in der Figur
gezeichneten Hautlinie von der Fläche des inneren schiefen Bauch-
muskels (bei Nr. 19), entspricht der Dicke der Fleischschichte des äußeren
schiefen Bauchmuskels, wenn der Rumpf, wie bei dem Stehen auf einem
Bein, etwas in dem Lendenteil seitlich zusammensinkt.
Der quere Bauchmuskel (M, transversus ahdominü) ist der
hinterste dieser dreifach übereinander liegenden Schichte. Er ent-
springt von der inneren Fläche der Knorpel der sechs unteren Rippen,
von den Querfortsätzen der Lendenwirbel und von dem inneren Rjind
des Darmbeinkammes. Seine Fasern haben eine horizontale Richtung
und die aus ihnen hervorgehende breite platte Sehne trifft, indem sie
376 Neunter Abadmltt.
hinter dem geraden Bauchmuskel zur weifien Linie zieht ^ mit der-
jenigen des queren Bauchmuskels der anderen Seite zusammen.
Gerade Bauchmuskeln.
Die geraden Bauchmuskeln (Mm. recti ahd&minis) sind ivä
kräftige Muskeln, welche dicht neben einander zu beiden Seiten der
weißen Linie sich befinden. An der Fig. 115 Nr. 12 ist der reche
noch bedeckt von der Sehne des äußeren schiefen Bauchmuskeh dv-
gestellt, an dem linken ist diese Sehne abgetragen so, daß sein g&iuer
Verlauf zu übersehen ist. Jeder Muskel entspringt mit drei gesoB-
derten fleischigen Zacken von der vorderen Fläche des fttüfben, sechsten
und siebenten Rippenknorpels. Seichte Furchen am Anfang des Maskel«
deuten den getrennten Ursprung an (Fig. 115 Nr. 16).
Der Muskelbauch wird vom Ursprung bis zum Rand des Brust-
korbes etwas schmäler, steigt dann in unveränderter Breite bis xor
Gegend des Nabels herab, und nimmt von da an gegen den AnsiU
an dem Becken wieder an Breite ab, doch an Dicke zu, um in eine
verhältnismäßig schmale Sehne sich fortzusetzen. Diese Sehne %A\,
3 cm oberhalb des Beckens platt aus dem Muskel herror und setit
sich vom Schambeinhöcker bis gegen die Schamfuge hin am Knocbe»
fest. Die innersten Sehnenfasem der beiden Muskeln gehen dort sach
kreuzweise ineinander über.
Was die Erscheinung dieser Muskeln am Lebenden schwer ver-
ständlich macht, ist der Umstand, daß sie keine Fasern besitzen,
welche ununterbrochen bis zum Ende des Muskels entlang verlaufen:
jeder derselben wird vielmehr durch drei Sehnenstreifen, In-
skriptionen, in vier Abschnitte geschieden. Der erste dieser
querliegenden Sehnenstreifen findet sich längs dem Rande des
Brustkorbes, der dritte in der Höhe des Nabels und der zweite
ungefähr in der Mitte zwischen diesen beiden. Durch die Eigen-
tümlichkeit im Bau der beiden Muskeln entstehen vom Nabel an nach
aufwärts sechs nahezu vierseitige, erhabene Felder, welche bei musku-
lösen Männern zwar schon während der Ruhe des Muskels etwas
hervortreten, während der Zusammenziehung jedoch genauer zu ver-
folgen sind.
Die Antike hat an einzelnen Figuren mit großer Meisterschaft diese Form d»
Muskels ausgedrückt (Borghesischer Fechter). Der Verlauf des obersteo SeluMD-
streifens, der sich zum großen Teil doch nicht vollständig dem Verlauf des siebes-
ten Kippenknorpels anschließt, ward freilich auch der Antike niemals völlig kkr.
und dort macht sich auch stets eine gewisse Unsicherheit bemerkbar. Es ist selbst
für den Geübten schwer, Muskelzacken, Sehnenstreifen, Rippenknorpel und den
Einfluß des Schwertknorpelfortsatzes vollständig auseinanderzuhalten. Nur dadurch
Mnakeln dea Rumpfea. 377
daß man die Muskeln während ihrer vollen Wirkung mit dem Aussehen in der
Ruhe vergleicht, werden die Einzelnheiten verständlich.
Besondere Merkmale der Inskriptionen. Ihr Verlauf ist zickzackförmig
auf- und absteigend. Der oberste Streifen beginnt am unteren Rand des Schwert-
knorpelfortsatzes (Fig. 114 Nr. 18), steigt etwas in die Höhe, folgt dann eine Strecke
weit dem Verlauf der siebenten Rippe, um dann wieder gegen den Zwisc'henraum
der sechsten zur siebenten in die Höhe zu steigen. Durch diesen Verlauf entsteht
zwischen dem seitlichen Rand des Schwertknorpels und dem Rand des Brustkorbes
eine seichte dreieckige Vertiefung, die auf der rechten Seite der Figur 115 au dem
mit der Aponeurose bedeckten Muskel deutlich sichtbar ist. Die Zahl dieser In-
skriptionen kann wechseln. So kommt bisweilen in der zwischen Nabel und Scham-
bein verlaufenden Strecke noch eine vierte Inskription vor, seltener ist das Fehlen
einer oder eines Paares der Inskriptionen. Die oben als dritte Inskription beschrie-
bene kann die in der Figur 115 gegebene Stelle einnehmen, oder etwas oberhalb
des Nabels den Muskel durchsetzen. Nach den von mir gewonnenen Erfahrungen
ist die abgebildete Anordnung die häufigste. Sollte das Auge es angenehmer em-
pfinden, daß die letzte Inskription oberhalb des Nabels bemerkbar sei, so ließe sich
anatomisch eine solche Versetzung wohl rechtfertigen. — Zwischen den beiden geraden
Bauchmuskeln, und zwar eingeschlossen in ihre Scheide, liegt oft dicht an der Scham-
fuge ein kleiner nur 8—10 cm langer, dreieckiger Muskel (M, pyramidaUs),
£r entspringt vor der Insertion des geraden Bauchmuskels imd verläuft neben der
'«reißen Bauchlinie aufwärts, unter Verschmälerung seines an und für sich schon
anansehnlichen Bauches. Er fehlt nicht selten, und dann nimmt die Insertion des
^raden Bauchmuskels eine größere Fläche ein.
Die geraden Bauchmuskeln sind von einer Scheide umschlossen,
welche von den platten Sehnen, den Aponeurosen der breiten Bauch-
muskeln, gebildet wird. Damit diese Aponeurosen ihren Vereinigungs-
punkt erreichen, müssen sie vor und hinter den geraden Bauchmuskeln
Yorbeilaufen. An der Stelle der Inskriptionen ist die Scheide fest
mit den Bauchmuskeln verwachsen und kann nur schwer mit dem
Messer gelöst werden.
Die geraden Bauchmuskeln sind an dem anatomischen Präparat
wie an .dem Lebenden seitlich durch eine breite, vertiefte Rinne von
der Fleischmasse der breiten Bauchmuskeln getrennt. Nach unten
gegen das Leistenband läuft die Rinne in eine breite Fläche aus, welche
sich nach der Schamgegend hin erstreckt.
Die Wirkung der Bauchmuskeln. Die Bauchmuskeln ver-
engern die Bauchhöhle und beugen den Rumpf. Werden nur die
breiten Bauchmuskeln einer Seite in Zusammenziehung versetzt, so
wird mit der Verengerung der betreffenden Seite gleichzeitig eine
Drehung des Rumpfes herbeigeführt. Von diesen komplizierten Wir-
kungsarten läßt sich folgendes Bild entwerfen.
Die Muskeln der Bauchwand sind imstande, durch ihre Zusammen-
ziehung auf die Eingeweide einen Druck auszuüben. Sie schnüren
mit oder ohne Mitwirkung des Zwerchfells den Inhalt der Unter-
378 Neantor AbMhnitt
leibshöhle zusammen. Man bezeichnet diesen Druck als ,,Bit^uk-
presse." Die für die Gestalt des Körpers nächste Folge einer «Milchen
Zusammenziehung der Bauchmuskeln besteht in einer Abilachung (i<f«>
Leibes. Dabei wird die Breite des Körpers in der Richtung der
Weichen größer, denn der Druck auf die verschiebbaren Gedine
wirkt wesentlich von vorn nach hinten; sie werden nach der 8riU
gedrängt und verursachen die Breitenzunahme des Run^fiBS m diner
Gegend. Während dieses Druckes senkt sich die Oberbauchj^fuJ,
welche während der Ruhe mehr gewölbt war, schief einw&rts gifign des
Nabel hin. Unter dem Nabel flacht sich der Bauchmuskel olvas ik
ohne daß er sich gerade einwärts zöge. An dem Bmstkocb ■■iWh!
sich dabei die Linie der zum Brustbein hinziehenden RippooloMtfcl,
an dem Unterieib die Furche zwischen den geraden und den wAktoi
Bauchmuskeln. Die weiße Linie verliert dagegen ihre Vertififimgi ■ Bei
einer großen Anzahl von physiologischen Vorgängen, bei dem
Schreien, bei der Bauchpresse, bei dem Erbrechen wird dieae
der Bauchwand von Bedeutung. — Eine andere Wirkung der
muskeln, namentlich der geraden Bauchmuskeln besteht in deM Her-
beiführen der Rumpfbeuge. Wenn die Muskeln beider KSr-
perhälften zusammenwirken, so wird die Wirbelsftale nach
vorn gebeugt und die einzelnen Muskeln tragen nm so Bielir
dazu bei, je näher sie der weißen Bauchlinie liegen* Die
Bauchmuskeln sind also die Antagonisten der Rflcken-
strecker, und die geraden Bauchmuskeln unter ihnen die stiikslen.
Am deutlichsten läßt sich dies konstatieren bei dem Versnchy am
der Rückenlage ohne Hilfe der Hände und bei gestreckten Fftfien sich
zu erheben. Da s])annen sich die beiden geraden Bauchmuskeln auf
das Äußerste, um den Brustkorb zu erheben, und ziehen als zrei
breite vorspringende Bänder zum Schambein herab. Man bemeikt
die einzelnen Ursprungszacken am filnften, sechsten und siebenten
Rippe iiknorpel sowie sämtliche Inskriptionen, welche bei der bedeu-
tenden Verkürzung des Muskels sich freilich sehr genähert sind. Je
resistenter der Inhalt der Bauchhöhle, um so mehr kommt die Zu-
sammenziehung der Bauchmuskeln den Bewegungen des Hebens zu gutr.
Deshalb ftlUt man instinktmäßig vor jeder Anstrengung durch eine
tiefe Inspiration die Lungen mit Luft, und drückt dadurch das Zwerch-
fell herab. Der Moment der höchsten Anstrengung der geraden Bauch-
muskeln während des erwähnten Hebens aus der Strecklage in die
Sitzlage ist auch der Zeitpunkt, um die durch die Inskriptionen ent-
standenen Muskelvierecke zu studieren. Dann lassen sich leicht die
einzelnen Formen in ruhigeren Stellungen verstehen. Einzelne Figuren
der Antike, wie z. B. der Farnesische Herkules, der Torso des
379
dvedere zeij^en die Oliederung der gemden BauohinuBkelii in einem
bheti Grade von Übertreibung, uamentlicli die ei-ste der beiden
iBiuinTiten; bei dem Burghesisclien Feehter und bei dem Luukoou
: Maß gebHiten. Bei d..>n nihii;i.>n Fit;mvii dor spät griechischen und
Fig. im. Iti^liU: K(>riH\rliitlt'tt^ i'uk
k. Medialer lUnd du (vphtrnSchalterhlMl«).
Jp. Medialer Rand de» UnitcD ScIiuIlcrbUttm.
. Der groBe rande .innmiukel.
: Der latPFRle Rand Ar* breitesten BücksD-
k ITnlerer Band d» 8ik((cinuil<rl>.
1 Der Mtisk«lbauEh im Ksmeiiwohaftliohcn
Kü ok Btialreokr n.
. Der latenle TvH Kiaes Dniiri
i(t<".
>'. Der mediale Tml seiaea Unpru
. D<-r fieraile Baachmiukvt.
. Die <irense iwliehen dem geradeq iioil
den) iiiOvrcii «chlefni Bauohmuikel.
I. VnrUerBt oberer Donnbdiutaebcl mit
dem Spanner der Siihenkvlbindp.
0. die Ijeinh-nbeiige.
IfiiniRchen Kpuche zeigt sich Hcbon eine sehr Ni'beumllsi'he Beliiindliiii^
lieser Muflkelp&rtien.
Die Baut-hmuskelu untersUltüen in selir kiäftiger Weise die
brehau^ des Rumpfes, sobald si« nicht gleiclizeitig wirken, sonileu"
pur die Muskeln iUt einen Soito in 'l'bätigkeit tiiud. ivülircnd die d(.'r
380 Keanter Abtehoitt.
anderen in der Ruhe verharren. Sie unterstützen unter solchen ro-
ständen jene an der Wirbelsäule angebrachten Kräfte, wodurch ni/a
allein von der Seite, sondern auch vom Rücken her die Beweinnkc
vollzogen wird. Liegt man auf dem Rücken and sucht sich mh
dem Oberkörper ohne Hilfe der Hände nach irgend einer der Seiten
hinüberzuwenden, so zeigen die schiefen Bauchmuskeln der entgefea-
gesetzten Seite die Einzelnheiten ihrer Formen auf das vollkonuneiistie.
Bei demselben Versuch läßt sich auch leicht erkennen, welchen Antd
die einzelnen Bauchmuskeln während dieser Bewegung haben. iHe
obersten Zacken des äußeren schiefen Bauchmuskels, deren wir 8cm«t
so selten ansichtig werden, treten deutlich hervor, sodaß seine ganze
Anatomie am Lebenden verständlich wird.
Bei einem am Kreuz hängenden Chiistus ist die WirbeLsäole gMieckt, die m-
gCHunkene Bauchwand iHt eine Folge des Todes der ans dem Brustkorb entwiekem
Luft; es ist also falsch, beim Gekreuzigten die Zacken des ObUquus abdomtmü ia
jener krampfhaften Kontraktion darzustellen, die nur zu hftufig beliebt wiid. DicKr
Muskel wurde stets mit Unrecht in der Aktion vorgeftlhrt Bei gestreckter lÜlriKl-
säule und gestreckten Beinen verhält er sich passiv. — Die Banchmnükeln vermflca
die Rumpfbeuge nicht allein dadurch zu erzwingen, daß sie den Oberkörper dnrdi
Zug an dem Brustkorb in die Höhe heben, sondern auch auf die entgegeogeBetd«
Art, dadurch, daß sie bei festruhendem Brustkorb das Becken and mit ihm
die Beine gegen den Oberkörper heraufziehen. Wenn der Jongleur ssf
dem Rücken liegend mit den Beinen eine Stange balanciert, so muß du Becka
soweit gedreht werden, daß die Beine in die Luft ragen können. Diese Dräiim^
des Beckens bringen die Bauchmuskeln dadurch zustande, daß sie bei dieser Anf-
gäbe ihren Angrif&punkt (Punctum mobile) an dem Schambein und an dem Haft-
beinkamm haben, daß also jetzt umgekehrt wie in dem vorhergehenden Falle der
Honst bewegliche Brustkorb fixiert ist (das Punchim fixum darstellt) und das (nh^t
stabile Becken nunmehr zur Bewegung gezwungen wird. — Die dreifach geschiditete
Bauchmuskulatur mit ihren Aponeurosen ist ein kräftiger Verschluß der Baochhöhk.
Obwohl nach innen noch zwei derbe Membranen folgen, die quere Bauchftscit-
(Fascia transversa) und das Bauchfell (Peritoneum), so sind damit doch nicht n\\^
Gefahren beseitigt, welche da« heftige Anpressen der Eingeweide gegen die Baucb-
wand mit sich brinp^; es können teilweise Zerreißungen der Muskel- und Sehneü-
M'hii'hten vorkommen. Die Stelle der früheren Vereinigung zwischen Mutter unJ
Kind ist der Nabel. Hier traten während der Entwicklungsperiode Blutgefäße ein
und aus, in welchen das ernährende Saft von der Mutter zu dem Kinde ströiiit»>.
und umgekehrt Nicht immer verwächst sogleich diese Pforte vollständig fest uuJ
so kann es geschehen, daß durch das Schreien des Kindes d. h. dureh Anpn:£M:L
des Darms gegen die vordere Bauchwand während des Schreiens, die Nabelpforr«'
von innen her wieder auseinander gezerrt wird, und eine Darmschlinge sich den
W(>g bis unti^r die Haut bahnt. Der „Nabelbruch^' macht sich dann als rundlielh*
Gi^schwulst bemerkbar. Ein ähnlicher Vorgang kann bei dem Manne dort »tan-
finden, wo die beiden Sameustränge die Bauchwandung durehsetzen. Die Hoden
entwickeln sich nämlich in der Bauchhöhle und steigen dureh den LieisteukacAl
um den sechsten Monat in den Hodensack hinab. Gefäße und Nerven sow'w
der Ausführungsgang der Samendrüse folgen nach und sind in jenen Strang ver-
einigt, den man Samenstrang nennt. Es existiert also eine Zeit während der
Muskeln des Rumpfes. 381
Ekitwickelung des Kindes, in der die Baachhöhle in direkter Kommunikation mit
dem Raum des Hodensackes steht Diesö Kommunikation, die trichterförmig an
der Innenfläche der Bauch wand beginnt, muß später aufhören, der Leistenkanal
maß sich verschließen, soll nicht bei einer Anstrengung ein Teil der Eingeweide
durch den Kanal in den Hodensa<^ hinabgedräckt werden. Dies geschieht auch
in der That; der Kanal schließt sich in den meisten Fällen hinter dem Hoden
uod läßt nur so viel Raum, als für den Verlauf des Samenstranges notwendig
iflt. In seltenen Fällen kommt der Verschluß des Kanales jedoch nicht zu-
stande, und dann besitzt oft schon das neugeborene Kind einen Leistenbruch,
oder eine Leistenhernie, d. h. in dem Hodensack finden sich ein paar Einge-
weideschlingen, welche durch den offenen Kanal herabgedrungen sind. Doch selbst
dann, wenn der Verschluß eingetreten ist, kann bei großen Anstrengungen die alte
Bahn wieder frei werden; die Verwachsungen lockern sich unter dem bohrenden
Druck der Eingeweide, und eine Darmschlinge macht sich in dem tiefer gelegenen
Hodensack Platz. Das ist der erworbene Leistenbruch im Gregensatz zu dem an-
geborenen. — Die Formen des Hodensackes sind abhängig von den in ihm befind-
liehen eiförmigen Drüsen und dem Zustande seiner Kontraktion. Unter der dünnen
fettlosen Haut sitzt eine Scnichte von Muskelfasern, die sich unter dem Einfluß der
Kälte und anderer Reize zusammenzieht, so daß die Haut die Drüsen fest um-
schließt Bei Hitze, Furcht oder Krankheiten tritt Erschlaffung des Hodensackes
ein« Die Antike hat bei ihren Darstellungen, soweit ich sie kenne, den Hodensack
zusammengezogen dargestellt; abgesehen von dem Zeichen physischer Kraft, das in
dieser strammen Zusammenziehung liegt, ist es auch edler, diesen Anhang unserer
tierischen Natur so reduziert als möglich darzustellen.
Die verschiedene sich kreuzende Fasenichtung der drei breiten Bauchmuskeln
leistet für die Festigkeit der Bauchwand die trefflichsten Dienste. Sie erinnert an
das Geflecht eines Rohrsessels, welches, wenn es hinlänglich stark und tragfähig
sein soll, niemals bloß aus parallelen Zügen bestehen darf.
Von der Stärke der Bauchmuskeln hängt es ab, wie viel oder
wie wenig von den Konturen des Hüftbeinkammes zu erkennen ist.
'Wie aus dem oben Gesagten hervorgeht, setzt sich der äußere schiefe
Bauchmuskel mit einem ansehnlichen Teil seiner unteren Fleischmasse
an der äußeren Lefze des Hüftbeinkammes fest, auch die zwei hinter
ihm folgenden Muskeln sind an dem Hüftbeinrande befestigt. Sind
nun diese drei Muskeln kräftig entwickelt, so gleicht der Hüftbein-
kamm einem starken Wulst, er ist mit Muskelmasse wie gepolstert,
welche sogar etwas über den Rand hinübergreift, weil die Fasern des
äußeren schiefen Bauchmuskels diesen Rand bei der Befestigung et-
was überschreiten. An antiken männlichen Figuren ist diese Über-
lagerung des Hüftbeinkammes durch Fleischbündel der Bauchmuskel
sehr stark ausgeprägt und schematisiert. Unterhalb dieses durch
Fleisch bedeckten Hüftbeinkammes zeigt sich ein ziemlich markierter
Einschnitt, von dem aus die äußere Hüftmuskulatur beginnt. An
der Fig. 116 ist das Verhalten der an dem Hüftbeinkamm ent-
springenden Muskelmasse gut erkennbar. Der überhängende dunkele
Rand der Baudimuskeln zeichnet dadurch die Linie des Hüftbein-
382 Neunter AbschniU.
kammes bis nach vorn, Fig. 116 Nr. 9, wo die helle Ecke den vordem
oberen Darmbeinstachel anzeigt. Es ist eine weit verbreitete Ansicbi,
die Haut bringe diesen überhängenden Rand hervor — dies ist falsch.
Bei unseren Modellen ist allerdings mitunter an diesen Stellen Fett
aufgehäuft, gerade so wie bei wohlgenährten Frauen, bei denen der
Hilftknochen ja nie sichtbar ist, aber bei dem Manne ist der Unterschied
zwischen Haut und Muskel deutlich genug für das mit Yerstandnii
prüfende Auge. Vor allem lehrt hier die Vergleichung zwischen
einem kräftigen, einem fetten und einem mageren Menschen schneD
das Richtige finden. Der zußihlende Finger ist ein nicht minder
sicherer Leiter. Greift man die Weichen an, während der Körper
sich gleichzeitig nach der nämlichen Seite neigt, so wird der praD
zusammengezogene Muskel deutlich gefühlt, die Haut dagegen, welche
dehnbar ist, läßt sich mit den Fingern fassen, und schiebt sich bei
starker Rumpfbeuge in irgend einer Richtung zu starken Wulstes
übereinander.
2) Hintere Banohmnskeln.
Obere und untere Bauchmuskeln.
. Diese Überschrift soll jene Muskeln umfassen, welche den mus-
kulösen Abschluß der Bauchhöhle vollenden.
x\ls hinterer Bauchmuskel ist der vierseitige Lendenmuskel
(M. quadratns lumbontm) aufzufassen, der den Raum zwischen der
letzten Rippe und dem Darnibeinkamme zur Seite der Lendeuwirbel-
säule einnimmt. Er entspringt am hinteren Abschnitt des Darmbein-
kammes und inseriert sich mit sehnigen Zacken an den Querfortsätzen
der vier oberen Lendenwirbel und mit einer breiten Sehne am unteren
Rande der zwölften Rippe. Der Muskel ist nui' von der Bauchhöhle
her zu sehen. Von hinten ist er durch die ganze Dicke der Streck-
muskeln der Wirbelsäule bedeckt.
Unter oberen Bauchmuskeln erscheint jener Muskelkomplex,
der als Zwerchfell, Diaphragma, die Bauchhöhle von der Brusthöhle
hermetisch trennt.
lY. Die Muskeln des Riiekens.
Die Rückenfiäche des Köq)ers wird im täglichen Sprachgebrauch
wie in der Sprache der Anatomie in den Nacken (hintere Halsgegend),
den eigentlichen Rücken (hintere Thoraxwand), die Lenden (hin-
tere Bauch wand) und das Kreuz (hintere Beckenwand) abgeteilt. Die
Nackengegend ist von oben nach unten leicht konkav, und unt^n
Muskeln des Rampfes. 883
•
durch den Yorsprung des siebenten Halsdornes vom Rücken abge-
grenzt. In dem Bereich der eigentlichen Rückengegend liegen die be-
weglichen Schulterblätter. Die hintere Thoraxwand ist dabei gewölbt,
während die Lenden eingebogen sind. Eine vertikale Rinne entspricht
in der Mittellinie des Rückens den Domfortsätzen der Lendenwirbel,
welche zwischen die fleischigen Bäuche der langen Rückenstrecker
▼ersenkt sind (Fig. 117). Die gewölbte Kreuzgegend wird am wenigsten
▼on Weichteilen bedeckt, und deshalb sind ihre Knochenformen leicht
durch die Haut hindurch zu erkennen.
Der Rücken wird von Muskelmassen bedeckt, welche in zwei ver-
schiedene Gruppen getrennt werden müssen, in eine oberflächliche,
und eine tiefliegende. Die oberflächliche Muskelgruppe wird aus
ilächenhaft ausgebreiteten Muskeln gebildet, welche sämtlich für die
Bewegung des Schulterblattes und des Armes verwendet werden.
Die tiefliegende Muskelgruppe besteht zumeist aus längsgerichteten
rundlichen Muskelsträngen, welche von dem Kreuzbein bis zu dem
Hinterhaupt sich erstrecken. Sie liegen in den zwei Furchen einge-
bettet, welche zwischen den Domfortsätzen sämtlicher Wirbel und dem
Rippenwinkel zu ihrer Aufnahme bereitgehalten sind. Sie sind
Strecker und Dreher der Wirbelsäule, und in dem ersteren Falle
die Antagonisten der Bauchmuskeln.
Die Haut des Rückens zeichnet sich durch ihre Dicke und Derb-
heit aus. Sie nimmt sehr leicht Fett auf, und bildet dann bei der
Streckung des Rumpfes starke Falten, deren Formen schon weiter
oben berücksichtigt wurden. Unter der Fettschichte liegt eine derbe
Fascie, die vom Nacken her in die Halsfascie, an der Schulter in jene
des Oberarms, und unten in die Brust- und Bauchfascie übergeht.
a) Oberfläohliohe Vuskelgrappe»
welche die Oiedmafsenmuskeln des Kückens omfiafst.
Der Kapuzenmuskel (M, cucuUaris, Fig. 117 Nr. 1—5) nimmt
den größten Teil des Rückens bis zur Lendengegend herab ein. Er
entspringt von der oberen Nackenlinie des Hinterhauptsbeines, von dem
Nackenband, den Domfortsätzeu aller Hals- und Brustwirbel, sowie
von den zwischen den Domfortsätzen ausgespannten Bändern. Von
diesem ausgedehnten Ursprung ziehen die starken Fleichbündel zur
Schulterblattgräte und dem naheliegenden Schlüsselbeinende. Wirkung:
Der Muskel zieht das Schulterblatt nach hinten, und hilft den Arm
heben, indem er das Schulterblatt dreht.
Durch die wechselnde Länge der Sehnenbündel entsteht sowohl
an der ausgedehnten Urspmngslinie, als an den Ansatzstellen folgende,
384 Neunter Abschnitt.
für die Formen bedeutungsvolle Anordnung: an dem. Schädel, des
Nackenband und an den oberen Halswirbeln ist die Ursprungs^dme
kurz, kaum erkennbar. Schon am ftlnften Halswirbel wird sie jedud
länger, namentlich im Bereich des siebenten Halswirbels und dn
ersten Brustwirbels, um an dem vierten Brustwirbel wieder kiin z«
werden. Durch diese wechselnde Länge der ürspningssehne entsteht
in der Umgebung des am meisten vorspringenden siebenten HaIv
wirbels ein lindenblattähnliches Sehnenfeld mit der Spitze nach auf-
wärts gerichtet (Fig. 117 bei Nr. 2). — Ein ähnliches Verhalten der
Sehne kehrt an dem unteren Ende des Muskels wieder, wo er lang-
sehnig von den Dornfortsätzen des elften und zwölften Brustwirbels
(Fig. 117 Nr. 3) entspringt. Diese Sehnenfelder erscheinen am Lebeo-
den kleiner als an dem anatomischen Präparat, wegen der darüber
hinziehenden Haut. Sie erscheinen femer als Vertiefungen und zw
um so bestimmter, je kräftiger der Muskel und je stärker die Zi-
sammenziehung seiner Bündel ist. FtLr den mit dem Unterschied
zwischen Muskel und Sehne nicht vertrauten Beobachter scheint es
bei der Betrachtung des Lebenden, als ob der Muskel an dieser Stelle
aufhöre, so bedeutend ist der Niveauunterschied zvnschen der Flidw
der Fleischmasse und derjenigen der Sehne.
Der Ansatz des Muskels zeigt die Eigentümlichkeit, daß er sidi
auf die beiden Knochen des Schultergürtels erstreckt. Die von
dem Hinterhaupt und den oberen Halswirbeln herabkonunenden Fleisch-
bündel verlassen dabei die Nackengegend, und biegen in die seitliche
Halsgegend um (Fig. 117 Nr. i),. wo sie sich an dem Akromialende
des Schlüsselbeines befestigen. Die abgerundete Kante dieser Um-
biegungsstelle bildet die Konturlinie des Nackens (Rg. 117 bei Nr. «).
Was von dem Muskel vor dieser Linie liegt, liegt in dem Gebiet der
seitlichen Halsgegend. (Vergleiche die Beschreibung und Abbildung
der seitlichen Halsgegend Seite 354 und die Figuren 108 u. 109.)
Diejenigen Fleischbündel, welche von den unteren Hals- und oberen
Brustwirbeln kommen, setzen sich au dem oberen Hand der Schulter-
gräte (Fig. 117 Nr. 5) und an dem Akromion mit kurzer Sehne fest
Die von den unteren Brustwirbeln kommenden inserieren sich mit
einer dreieckigen Sehne an dem Ursprung der Schultergräte (Fig. 117
Nr. 4). Dieses letzterwähnte dreieckige Sehnenfeld erscheint durch die
Haut hindurch als kleines Giübchen.
Die Konvergenz der Fleischbündel eines Kapuzeninuskels gegen den Schultei-
gürtel hin bedingt eine dreieckige Gestalt. Beide Kapuzenmufikelii bildfoi a-
sammen ein ungleichseitiges Viereck. Der lange, untere, spitzige Winkel diises
Vierecks, welcher den gleich zu erwähnenden bi-eiten Rückenmiiskel überUgfsl
ähnelt einer zurückgeschlagenen Mönchskappe, uud daher rührt sein Nam^. Der
Uodceln dn Bampfts. 3g5
Muskel endigt nii^ht sclleii am elften, zehnten oder einem noch höher gele^renen
Brasttrirbeldorn, zuweilen beidereeits verechieden. Der Ursprung nn ilem Hinter-
haupt bietet gleichfalls verschiedene Grade der Ausdehnnng.
XAr^^'I^V
Fig. 117. Rückenin uskulatiir des Stammen.
Der Muskel kann die äußere Hiüfte der Schultergräte, da«. Akro-
mion und das Schlüsselbein heben. Dabei dreht sich das Schulter-
blatt nm einen Punkt, der in der Gegend des oberen inneren Schulter-
blattwinkels liegt Bei dieser Drehung geht der untere Schulterblatt-
KoLUtun, pluIlMtic A
386 Neunter Abschnitt.
Winkel nach außen, der Körper des Schulterblattes, welcher die 6^
lenkpfanne trägt, nach oben, und der innere Schulterblattrand sielh
sich schief (vgl. die Fig. 117, an welcher der eine Arm gehoben und
die Drehung des Schulterblattes erkennbar ist).
Die Kapuzenmuskeln ziehen, wie schon erwähnt, auch die Amt
nach rückwärts, dadurch daß sie die beiden Schulterblätter der hinteren
Mittellinie des Rumpfes nähern. Je mehr die Schulterblätter nach
rückwärts gehen, um so dicker werden die Kapuzenmuskeln (Fig. ll^i,
so daß ihre Fleischmasse, schließlich hoch emporgewölbt, die Domfort-
sätze in einer tiefen Furche begräbt.
Die an dem anatomischen Präparat so leicht verständlichen Formen de» R»-
puzonmuskels werden durch das Zurückziehen der Schulterblätter fast bis zur Un-
kenntlichkeit entstellt. Sind sie sich soweit genähert , als es durch den Muskelz&ff
geschehen kann, dann existiert zwischen den inneren Schulterblatträndem nur eia
schmaler Spalt, der ebenso lang als diese Ränder und tief eingesenkt 'ist. Dh*
beiden Kapuzenmuskeln bilden im Bereich der Schulterblätter nunmehr nmdlidK
Wtilste, die nach oben auseinanderweichen (Fig. 119); das ist leicht erklärlich, siebe
finden sich in dem äußersten Grad der Yerkürzimg, weil die Ursprungs- und An-
satzpunkte sich ganz naheliegen. Das lindenblattähnliche Sehnenfeld in der Um-
gebung des siebenten Halswirbels liegt dann tief zwischen den angcschwolknm
Muskelbündeln, deren Grenzen schon bei mäßiger Anstrengung bemerkbar wenin.
Wirkt nur ein Eapuzenmuskel auf das Schulterblatt und den Arm, wie z. B.
bei dem Borghesischen Fechter, während der andere Arm nach vom gestreckt
und damit auch das Schulterblatt von seiner gewöhnlichen Stellung mehr an dp
Seitenfläche des Rumpfes gerückt ist, dann kommt in die Fläche des Kückens ein
sehr großer FormenwechseL
Die veränderte Stellung der Schultern ist so charakteristisch und tritt dimrk
den Mechanismus des Armgeleukes und der Muskeln mit solcher Natumotwendi)!-
keit ein, daß man von der Stellung der Schulterblätter au einer Sratuc auf d^
Stellung der fehlenden Arme schließen kann. Ein Anatom hat jüngst von die£«m
Gesichtspunkt aus die Venus von Milo einer erneuten Untersuchung unterworfen. ■
Der breites te Rückenmuskel (M.latissimus dorsiFig. 117 Nr. 7— 12)
hat unter allen Muskeln die größte Flächenausdehnung, denn er nimmt
den ganzen unteren Teil der Rückenfläche ein und erstreckt sich durch
die seitliche Rumpfgegend bis zu dem Oberarm. Er entspringt mit
dünner Sehne von den Dornfortsätzen der sechs bis sieben unteren
Brustwirbel. Dieser Teil seines Ursprunges ist von dem Kapuzen-
muskel bedeckt. Er entspringt femer von den Domfortsätzen aller
Lenden- und Kreuzwirbel. An den Lenden wird die Urspningssehne
um so breiter, je näher der Ursprung an das Kreuzbein hinabrückt.
Von dem Kreuzbein setzt sich der Ursprung auf den hinteren Teil
^ Hasse, C. Die Venus von Milo. Eine Untersuchung auf dem Grebiete Ar
Plastik und ein Versuch zur Wiederherstellung der Statue. Mit 4 Lichtdruck* and
4 lith. Tafeln. Jena. 1882.
388 Neunter Abfldmitt
von dem kleinen Höcker des Oberarmkopfes ausgeht. (Siehe Fig. 4t
Nr. 18' auf S. 149.) Wirkung: Bewegt den Arm nach hinten.
Der oberste Teil des Muskels, der unter dem Kapuzenmukd
hervorkommt, deckt bei dem Verlauf nach dem Arm hin den unteren
Winkel des Schulterblattes (Fig. 117 Nr. 7). Der obere Huskelnnd
ist so dick, daß er bei kräftigen Männern durch die Haut hindvdi
erkennbar ist {bei dem Borghesischen Fechter Fig. 120 Nr. vir.
Die Muskelbündel der unteren Abteilung haben einen steilen Yeiluf
und bedecken auf ihrem Weg über die seitliche Eumpfwand zu eines
großen Teil den Sägemuskel. An der Stelle, wo der Bückenmuskel über
den Sägemuskel hinwegzieht, entsteht eine Verdickung. Sie läßt dentlid
die Richtung erkennen, welche die unteren Bündel des Sägemnskels
gegen den Schulterblattwinkel hin nehmen (Fig. 117 Nr. 8, auch auf
Fig. 118 angedeutet). Indem der breiteste Kückenmuskel sich dem Arm
•nähert, zieht er dem äußeren Rand des Schulterblattes entlang und hilft
die hintere Wand der Achselhöhle bilden. Obwohl gerade dort durch
das Zusammendrängen der Muskelbtlndel die Fleischschichte beträcht-
lich an Dicke zunimmt, so ist doch noch die Form des darunter-
liegenden breiten runden Armmuskels erkennbar (Fig. 118 bei Nr.«*).
Nachdem der Muskel selbst dort, an der Stelle seiner größten Dichtig-
keit die tieferliegenden Teile noch erkennen läßt, kann es kaum über-
raschen, wenn in dem Bereich seiner breiten ürsprungssehne, in der
Lendengegend die Muskelmassen der Rückenstrecker (Fig. 117 Xr. 9, :o,
11 u. 12) mit voller Deutlichkeit erkennbar werden.
Die Endsehne des Muskels besteht in einem fünf Centimeter breiten glAnzenden
Streifen, der sich gleichmäßig aus dem Fleichbauch entwickelt und mit der Sehne
des großen runden Armmuskels (Fig. 118 Nr. 6) vereinigt, an dem Knochen be-
festigt ist. An dem Übergang in die Sehne verdünnt sich der Muskel, und der
dscdurch gewonnene Raum kommt der Achselhöhle zu gut. — Die Wirkmig des
breitesten Eückenmuskels gestaltet sich ebenso mannigfaltig wie jene des Bnut-
muskels, und hängt von der Stellung des Armes ab. Den aufgehobenen Arm hilft
er gemeinschaftlieh mit dem Brustmuskel herabziehen , den herabhängenden Ann
zieht er nach rückwärts. Sein Verlauf läßt sich am leichtesten erkennen, wenn der
bis zu einem rechten Winkel erhobene und gestreckte Arm einen Stab fiißt imd
ihn gegen die Diele drückt, als sollte sie durchbohrt werden. — Die Fig. 119
stellt den Muskel an dem aufgehobenen Arm des Borghesischen Fechters dir.
Die Ansatzsehne bei Nr. 7 ist um den Oberarmknochen in einer halben Tour hemm-
gewunden; denn durch die Drehung des Armes ist die Ansatzstelle soweit nach
oben gewendet, daß sie bei der Betrachtung des Rumpfes von der Seite und von
unten unsichtbar ist. Wird unter solchen Umständen der Arm herabgezogen, m
muß er gleichzeitig eine Rot«tion nach innen ausfuhren.
•
Nach Entfernung des Kapuzenmuskels und des breitesten Rücken-
muskels erscheint:
Der rautenförmige Muskel (M, rhomboides). Er entspringt
Uukda d«« Bumpfef.
Fig. 119. Eis nackter Krieger. Facaimile nach Mickelahoblo.
von den Domfortsäten der zwei unteren Halswirbel nnd der vier oberen
Brustwirbel und läuft schräg nach abwärts, um an dem inneren Rande
390 Neunter Abschnitt
des Schulterblattes zu endigen. Die Fleischbündel stellen eine nntoi.
förmige Platte dar. Wirkung: Bewegt das Schulterblatt aufvliti
gegen die Wirbelsäule. Von diesem Muskel wird bei dem Hochhebai
des Armes die untere Ecke sichtbar, welche vertieft zwischen dea
inneren Schulterblattrand, dem äußern Eand des Eapazenmoskek imd
dem oberen Band des breitesten Rückenmuskels (Fig. 117 Kr. 24) liegt
Der Aufheber des Schulterblattes (M.levator scapulae¥igA\i
Nr. 5) entspringt mit vier Köpfen von den hinteren Zacken der Qaerfnt-
sätze der vier oberen Halswirbel. Die vom Atlas entspringende Portion
ist die mächtigste. Die einzelnen Köpfe Toreinigen sich zu einem im-
gefähr zwei Finger breiten Muskelbauch, der hinter den Bippenhalten
zu dem oberen Winkel des Schulterblattes herabsteigt, um sich nit
kurzer Sehne an ihm zu befestigen. Wirkung: hebt das ScholterbUtt
Die Figur eines nackten Kriegers, der im Begriffe steht, sein
Schwert in die Scheide zu stecken, zeigt viele Linien, welche das Ter-
ständnis lebendiger und bewegter Formen erleichtem. Die beida
Schulterblätter mit ihren Muskeln treten stark hervor, das linke Sdml-
terblatt ist tiefer gestellt, weil der Körper sich nach links wendet imd
sich etwas seitwärts beugt; rechts ist das Schulterblatt höher gestdU^
weil auch der Arm erhoben ist. Die Krümmung der hinteren 3Gttd-
linie des Körpers zeigt den Grad der seitlichen Eumpfbenge an; sie
läuft auf das Kreuzbein aus. Die linke Thoraxhälfte ist bei solcher
Stellung verkürzt, die rechte ist dagegen verlängert, die Wölbung des
Brustkorbes gesteigert. Von dem Kapuzenmuskel ist das Sehnenield
in der Umgebung des siebenten Halswirbels (Fig. 119 Nr. i) deatlich
gekennzeichnet, femer seine unmittelbar nach beiden Seiten sich an-
schließenden starken Muskelbündel, welche nach dem Akromion hin-
ziehen, endlich ist der äußerö Rand desselben Muskels, und zwar auf
der linken Seite (Fig. 119 Nr. i') mit sicherer Linie angedeutet
b. Tiefliegende Muskelgmppe.
Nach Entfernung der hochliegenden Gruppe findet sich zunächst:
Der hintere obere sägeförmige Muskel (M. serratus pattkiu
superior), ein platter, dünner Muskel, der von dem rautenförmigen
bedeckt ist.
Er entspringt mit breiter dünner Sehne vom unteren Teile des Nackenbandea
und den Domen des siebenten Hals- und der zwei oder drei oberen BnutwirbeL
Ansatz mit vier fleischigen Zacken an die zweite bis fiinfte Hippe seitlich vom
Rippenwinkel. Wirkung: hebt die oberen Rippen. Weit entfernt von ihm Uegt:
Der hintere untere sägeförmige Muskel (M. serratus postieus
inferior). Er ist gleichfalls sehr dünn und wird von dem breitesten
Rückenmuskel vollständig bedeckt.
Muskeln des Rampfes. 391
Mittels einer dünneu Ursprungsseime kommt der Muskel von den Domen der
swei unteren Brustwirbel und der oberen Lendenwirbel her. Diese Sehne, deren
Ursprung mit der Rückenfascie sehr innig verwachsen ist, läuft in vier fleischigen
SSacken aus, welche schräg nach außen und oben ziehen, um sich an den vier
letzten Rippen zu befestigen. Wirkung: Zieht die vier letzten Rippen herab.
Diese beiden Muskeln sind wegen ihrer mangelhaften Entwicke-
lung von geringem Einfluß auf die Formen des Rückens. Es ist fest-
g^estellt, daß sie bei dem Menschen verkümmerte und getrennte Beste
einer bei den Nagern (Kaninchen) noch in voller Ausdehnung er-
haltenen Muskellage darstellen. — Anders verhält es sich mit der nun
folgenden Muskelschichte , die langgezogen sich von dem Kreuzbein
bis zum Schädel erstreckt. Nach Ursprung und Ansatz sowie auch
nach Verlauf der Bündel lassen sich mehrere übereinander liegende
Abschnitte unterscheiden , von denen sogar einzelne zu selbständigen
Muskeln werden, und verschiedene Wirkung ausüben. Wo wir dieser
Muskelmasse begegnen, sei es im Lenden-, Bücken- oder Halsteil,
überall sind aber ihre Bündel dennoch Teile eines und desselben
Systemes, das der leichteren Übersicht halber in einzelne Muskeln
zerlegt wird. Wir werden sie nach ihrem Werte für die Plastik der
Beihe nach aufführen. Diese Beihe entspricht, wenigstens der Haupt-
sache nach, auch der anatomischen Gliederung.
Der gemeinschaftliche Bückenstrecker (M. extensor dorsi
communis Fig. 120 Nr. 1—6) entspringt von der hinteren Fläche des
Kreuzbeines (bei Nr. i), von den Dornfortsätzen der Lendenwirbel (bei
Nr. 2) und dem hintersten Teile des Hüftbeines (bei Nr. 3). Dieser Ur-
sprung ist in der Tiefe fleischig, aber an der Oberfläche von einer
starken Sehne bedeckt, die sich kopfwärts bis zu dem zehnten Brust-
wirbel allmählich verjüngt, während seitlich der Muskelbauch (bei
Nr. 4), von keiner Sehne eingeengt, voll bemerkbar wird. An der
Fig. 120 ist auf der linken Seite der gemeinschaftliche Bückenstrecker
so dargestellt, wie er nach Wegnahme der Haut und der ihn be-
deckenden Muskelschichten bei einem Fechter in der Stellung des
Borghesischen zum Vorschein kommen würde, rechts sind die Kon-
turen der Muskeln angegeben, welche durch die Haut hindurch er-
kennbar sind, und zwar bei Nr. iv der ebenerwähnte sehnenfreie
Muskelbauch des Bückenstreckers, bei Nr. in eine äußere Portion, bei
Nr. n eine innere Portion seines Ursprunges.
Der Verlauf des Muskels erstreckt sich dem ganzen Bücken ent-
lang bis zu dem Hinterhaupt hinauf, wobei er sich an die hinteren
Enden der Bippen (Fig. 120 Nr. 5) und an die hintere Fläche der
Querfortsätze der Wirbel befestigt. Wirkung: die vereinigte Thätig-
keit aller Bündel streckt den gekrümmten Bücken und, auf einer Seite
392 Neunter Abschnitt.
wirkend , biegt dieser Muskel die Wirbelsäule nach der Seite (Rompf.
beuge nach rechts oder links). Li der auf der Fig. 120 abgebildeten
Stellung des Körpers verhindert der Muskel durch seinen Zug, dat
der Rumpf noch mehr nach vom sinke.
Der gemeinschaftliche Kückenstrecker zeigt sowohl an seinem Ur-
sprung, als in seinem Verlauf eine Längsspaltung. Die beschreibend«
Anatomie belegt die beiden Teilstücke mit verschiedenen Namen. Die
seitlich liegende Muskelportion heißt der Darmbein -Bippenmnskel.
die am nächsten der Mittellinie liegende Portion der längste Bücken-
muskel. Diese beiden Abteilungen haben, wie die Erfahrung lehrt
keine vollkommen übereinstimmende Wirkungsart, das geht sowohl
aus ihrem. Verlauf als aus ihrem Verhalten bei der Bewegung des
Rumpfes hervor. Bei dem ruhigen Vorwärtsschreiten ziehen sie sich
nicht gleichmäßig zusammen, sondern abwechselnd, und so kommt es,
daß diese beiden Hauptabteilungen ebenso durch die Haut des Leben-
den hindurch erkennbar sind, wie sie sich an der Lieiche mit dem
Messer nachweisen lassen. Li Fig. 117 bezeichnet Nr. ii den Dann-
bein-Bippenmuskel, und Nr. 12 den längsten Bückenmuskel.
Der Darmbein-Rippenmuskel M. ilco-costalis Fig. 120 Nr. 4-5) besteht tu
derjenigen Portion des gemeinschaftlichen Rückenstreckers, welche vom hinteren
Teile des Darmbeinkammes entspringt, und sich längs der Kippen aufwärts bis n
dem unteren Teil der Hals\i'irbelsäule erstreckt. Die an den untersten Rippen be
festigten Zacken sind breit und fleischig, die oberen werden nach und nach dfinner
und setzen sich mit deutlichen glänzenden Sehnen an den Rippenwiukeln und an
den Spitzen der Querfortsätze fest, hören jedoch am dritten, bisweilen schon am
vierten Halswirbel auf. Der Muskel würde trotz seiner anfänglichen Stärke nicht
ausreichen, um allen Rippen und. allen Querfortsätzen, an denen er vorbeizieht
eine Zacke, im Ganzen mehr als 30 Fleichbündel abzugeben. Dies wird nur da-
durch möglich, dass neue Ursprünge, sog. acccssorische Bündel, von den fünf
bis sieben unteren Rippen hinzukommen, und den Verlust von der inneren Seit^
her teilweise wieder ausgleichen, der durch Abgabe der Bündel an der äußeren Seite
erfolgt. Dennoch erschöj)ft sich nach und nach die Fleischmasse, und am dritten,
oft schon am vierten Halswir])el findet der Muskel sein Ende.
Der längste Rückenmuskel (M. lonyissimus dorsi in Fig. 117 bei Nr. 12
durch die Sehne des breitesten Rückoinnu8k(>ls hindurch erkennbar und Fig. 120
Nr. 1—3) hat einen ähnlichen Bau, wie der mit ihm durch Ursprung und Verlauf ver-
wandte Nachbar. Der FleLschbauch des längsten Rückenmuskels wird bauptBäehlidi
durch die vom Kreuzbein kommende Fleiwhiujisse vorgestellt. Dazu konunen
starke, von den Domfortsätzen der LendenwirlK^l kommende Ursprungssebnen. Am
Lenden- und Brustteil des Rückens besitzt der Muskel doppelte Ansätze, solche die
an die Querfortsätze, und andere, welche an die Rippen treten. Er gelangt bis zu
dem zweiten Halswirbel und bis zu dem Warzenfortsatz des Sehädels in die Hohe,
aber nur dadurch, daß auch ihm aecessorische Fleischbündel zugeführt werden,
welche mit langen Sehnen von den Querfortsätzen der Wirbel herkommen.
Zu dem System des gemeinschaftlichen Bückenstreckers gehört
noch eine Reihe von Muskeln, die kurz genannt werden sollen:
UiulMln dci Bump&«.
Der Baaschmuskel (M. splenäu) bildet eine der oberen Brust-
legion und dem Nacken zukommende Muskelschichte, von dem Kapuzeu-
Fig. 120. Der BorghesJBchc Fechter, linlu der gemeinschaftliche Räcken-
strecker da^;estellt, richte die Konturen der RückenmuHkeln.
. Unpnmg d. g. Rück«utrcckera ui
dem KreuibeiD.
, 2, 3. lingatei BückeniDusktl.
. Dannbein-EippeiiinaBkel,
■ Anntaacken so den Rippenniukela.
. Fortacisniig tum Nacken und Uiutcr-
II. I.ÄDggter Bückenmuskel.
III. DarmbeJD-Bippcnmuikel.
IV. MuBketbauch.
VI. Unt. Rand d. breit. Rücken miukels.
VII. Ob. Rand d. breitat. Rückenmusk.
VIII. Kapuienmuikel.
DC. Sägemodcel.
X. Hinterer Band des Deltamuskel».
394 Neonter Ab^hnitt
muskel, dem rautenförmigen Muskel, und dem hinteren oberen Sige-
muskel bedeckt. Der Bauschmuskel entspringt von den DomfortdUiea
der oberen sechs Brustwirbel und der anstoßenden Halswirbel; der
platte Muskelbauch steigt schräg nach aufwärts und spaltet sich in
zwei Portionen, von denen die eine sich an dem Hinterhauptsbein b»*
festigt und zwar an der oberen Nackenlinie gegen das Ohr zu, wik*
rend die andere an dem hinteren Bande des Warzenfortsatzes ihm
Ansatzpunkt findet. Wirkung: Die beiden Bauschmuskeln streckoi
den Kopf mit der Halswirbelsäule. Bei einseitiger Aktion wirkt der
Bauschmuskel auf die Drehbewegung des Kopfes.
Entfernt man den gemeinschaftlichen Bückenstrecker und den
Bauschmuskel, dann erscheinen Fleischbündel, die von Wirbeldomen
entspringen, und an solche sich inserieren, mit Überspringen minde-
stens eines Wirbels. Solche Bündel bilden einen zur Seite der Dom-
fortsätze verlaufenden Muskelbauch, aus welchem nach und nach die
Ansatzbündel sich ablösen. Am Brustteile der Wirbelsäule entstdit
so der Dornmuskel des Rückens (M, spirudis darsi). Eine gau
ähnliche Anordnung von Fleischbündeln kommt nach Ursprung und
Verlauf an den Domen der obersten Brustwirbel und der Halswirbel
vor. Die betreffende Reihe von Fleischbündeln heißt: Dornmuskel
des Nackens (M. spinalis cervicis).
Während diese Muskeln von Wirbeldomen zu Wirbeldomen ziehen,
verlaufen andere von den Querfortsätzen entspringend zu den Wirbel-
domen. Diese Muskeln ziehen der ganzen Wirbelsäule entlang. Man
unterscheidet einen Halbdornmuskel des Rückens (äL semtspinalu
dorsi) und einen Halbdornmuskel des Nackens (M, semispinahs
cervicis). Der letztere setzt sich bis zu dem Hinterhaupt fort, und
befestigt sich dort unterhalb der Nackenlinie. Dieser letzte dicht am
Schädel liegende Abschnitt ist durch eine Sehneninskription ausge-
zeichnet, welche mit den Inskriptionen des geraden Bauchmuskels viel
Ähnlichkeit hat.
Den Nachtrab dieses zahlreichen Heeres von langen Hücken-
muskeln bilden die kurzen. Sie liegen unmittelbar auf den Wirbeb,
und bilden kurze, fleischig sehnige Muskelkörper, welche entweder
zwischen je zwei Wirbeln sich wiederholen, oder einen Wirbel über-
springen. Sie ziehen wie die vorerwähnten von den Querfortsätzen
zu den Dornfortsätzen.
Der vielgeteilte Rückenmuskel (M. multifidus spinae) besteht
in einer Reihenfolge vieler kui-zer und schiefer Muskelbündel, welche
von den Gelenk- und Querfortsätzen unterer Wirbel zu den Dom-
fortsätzen oberer Wirbel hinziehen. Die letzte Schichte von Muskel-
Muikelii det Bnmpfe«. 395
bftndeln hat einen fast queren Verlauf. Sie ziehen von ihren Ur-
sprungspunkten, vom oberen Band der Querfortsätze zur Basis der
hoher gelegenen Domfortsätze, und werden als Drehmuskeln (Bo-
tatores) bezeichnet. Je mehr die Bichtung eines Bündels sich der
queren nähert, desto leichter wird seine Zusammenziehung eine
Drehung des darüber liegenden Wirbels auf dem darunterliegenden
bewirken. Abgesehen von einigen unbedeutenden Muskeln verdienen
noch Erwähnung:
0. Die Muskeln swiiohen Hinterhaupt und den ersten Halswirbeln.
Eine Gruppe kleiner, aber im Verhältnis zu ihrer geringen Länge
starker Muskeln lagert in der Tiefe des Nackens, und erstreckt sich
von den beiden ersten Halswirbeln zum Hinterhaupt. Für die Be-
wegung des Kopfes auf den beiden ersten Halswirbeln ist nämlich
eine eigene Muskulatur notwendig, weil nur sehr wenige der Bücken-
muskeln für die Bewegung des Kopfes direkt verwendbar sind.
Der große gerade Kopfmuskel (M, reclus capitis mcy'or), fünf Centimeter
lang, entspringt vom Dom des zweiten Halswirbels, überschreitet den Bogen des
Atlas, wird im Aufsteigen breiter, und setzt sich an der unteren Nackenlinie fest.
Wirkt beim Strecken des Kopfes.
Der kleine gerade Kopfmuskel (M, rectus capitis minor) geht von dem
hinteren Umfiemg des Atlas zu derselben Ansatzstelle wie der große, er unterstützt
ihn auch in seiner Wirkung.
Der seitliche gerade Kopfmuskel (M, rectus capitis lateralis) entspringt
von dem Querfortsatz des Atlas, und läuft gerade empor zum Hinterhauptsbein.
Der obere schiefe Kopfmuskel (M, obliqutis c-apitis superior) entspringt
von dem Querfortsatz des Atlas, und endigt schräge nach oben laufend an der
unteren Nackenlinie des Hinterhauptes nahe der Mittellinie. Auch er ist ein Strecker
des Kopfes.
Der untere schiefe Kopfmuskel (M. ohliquus capitis inferior) begiebt
sich vom Domfortsatz des zweiten Halswirbels nach oben zum Querfortsatz des
Atlas. Dreht den Atlas, und somit auch den Kopf, welcher vom Atlas ge-
tragen wird.
Die tiefe Schichte der Bückenmuskeln springt in der Lenden-
gegend jederseits als praller Strang so stark hervor , daß die Dorn-
fortsätze der Wirbel dadurch in eine vertiefte Linie versenkt er-
scheinen. (Vergl. die Fig. 117.) Bei der Bumpfbeuge wandelt sich
die Mittelfurche des Bückens in einen Kamm um, dessen einzelne
Zähne die im Belief vorspringenden Domfortsätze bilden. Die Ent-
fernung der Domfortsätze der Lendenwirbel von einander steigert
sich dabei ganz besonders, ebenso rücken die Domfortsätze der oberen
zwei Brustwirbel und der unteren Halswirbel beträchtlich auseinander.
396 Neunter Abuchiiitt.
Weniger auffallend ist die Erscheinung in dem übrigen Teil der Bnui.
Wirbelsäule wegen des dachziegelformigen Übereinanderliegens der
Dornfortsätze. Bei abgemagerten Menschen fehlt auch bei gestrecktes
Kücken wegen des Schwundes der Muskeln die Einne^ an deren Stelle
vielmehr die Reihe der Doinfortsätze vorspringt. Auf der Krenzbdn-
fläche kommen dann die rudimentären Dom- und Querfortsätze zun
Vorschein, und bei der gespannten Haut erscheint auch die Grenze
zwischen Wirbelsäule und Kreuzbein in Form eines leicht einsin-
genden Winkels. Die prallen Stränge des gemeinschaftlichen Bücken-
Streckers verlieren sich auf dem Weg gegen den Kopf hinauf. Die
Abnahme ihres Umfanges ist jedoch nicht so bedeutend, daß sie sidi
nicht doch durch die Fleichschichte des Kapuzenmuskels hindnrdi
erkennen ließen. Das Studium der Natur ist hier vor allem lehrreicli;
als Vorbereitung hierfür mögen die Figuren 117 und 119 dienen.
Michelangelo' s Skizze ist dabei wertvoll, weil die einzelnen Formen
wie mit Frakturschrift geschrieben sind. Fig. 119 Nr. 3 zeigt den
Muskelbauch des gemeinschaftlichen Rückenstreckers mit fester Linie
an, und ebenso seinen Verlauf nach aufwärts, der trotz des Kapnzen-
muskels, bei Nr. i', dennoch erkennbar bleibt.
Die derbe, prall anliegende Haut des Rückens und die gleichmäßige Ftibe
lassen am Lebenden den ganzen Verlauf dieser gewaltigen Streckmuskeln leiditer
beurteilen, als selbst ein anatomisches Präparat, an welchem die Haut and die
Kückenfascie entfernt ist. Dennoch ist auch in Fig. 117 der Zug des gemeinachtft-
liehen Streckmuskels nach aufwärts festzustellen und zu erkennen, welch groBtn
Einfluß auf die Formen selbst tiefliegende Muskelmasscn besitzen, und wie das Aag«
des Geübten imstande ist, durch Haut und Muskeln hindurch die untencheidendn
Merkmale aufzufinden. Auch dem Nacken entlang ist der Verlauf des Strecken
der Wirbelsäule zu verfolgen. Die Wölbung zu beiden Seiten des Naekenbaiidcs
rührt von ihm her, denn der Kapuzenmuskel besitzt in der Nähe des Hinterhauptes
nur eine geringe Dicke, läßt also die Massen des darunterliegenden Dom- und Halb-
dornmuskels und des Bauschmuskels verstehen, welche die Stärke des Nackens be-
dingen helfen.
Die Wirkung des gemeinschaftlichen Rückenstreckers wurde
schon kurz betont. Nachdem jetzt der komplizierte Verlauf seiner
hoch- und tiefliegenden Schichten bekannt ist, soll noch auf folgendes
aufmerksam gemacht werden. Während des Stehens und Gehen?
haben seine verschiedenen Portionen die Balance des Körpers
herzustellen. Es ist dies eine schwierige Aufgabe« denn an der
aus beweglichen Stücken zusammengesetzten Wirbelsäule hängt das
ganze Gewicht der Bauch- und Brusteingeweide und überdies das-
jenige der beiden Arme. Welchen Aufwand von E^raft und Übung
schon das Stehen erfordert, tritt bei den ersten Versuchen des Kindes
deutlich vor Augen. Kaum ist es frei hingestellt, so beginnen die
Schwankungen und besonders nach vorwärts, weil die Eingeweide nach
Muikeln des Rumpfes. 397
▼om von der Wirbelsäule liegen. Durch die Thätigkeit der Rücken-
strecker wird der Zug des Gewichtes nach vom zwar einige Zeit
überwunden, aber sehr bald tritt Ermüdung der noch wenig geübten
Rttckenstrecker ein und das Kind stürzt nach vorn auf die Händchen,
welche im Gefühl der Unsicherheit schon längst ausgestreckt wurden.
Bei den ersten Gehversuchen kehrt dieselbe Erscheinung wieder. Bei
jedem Schritt droht der Körper des Kindes nach vorne überzukippen
und nur eine kräftige Zusammenziehung der Rückenstrecker vermag
den drohenden Fall zu beseitigen. Erst nach vielen vergeblichen
Anstrengungen ist jenes Maß von Übung und Kraft eireicht, der
Schwerlinie des Rumpfes ihren Unterstützungspunkt zu geben und
dadurch das Gleichgewicht herzustellen. — Ahnliche Erscheinungen
kehren bei dem trunkenen. Zecher wieder. Der Alkohol hebt die Herr-
schaft des Willens über die Muskeln teilweise auf, sie ziehen sich ent-
weder verspätet oder zu stark zusammen, oder der Willensimpuls
springt auf andere Muskelgruppen über, deren Zusammenziehung zweck-
lose Bewegungen hervorruft. Auch die Rückenstrecker, welche den
einmal gelernten Dienst sonst mit großer Sicherheit und unbewußt voll-
bringen, künden den Gehorsam. Der Köri)er verliert das Gleich-
gewicht und droht nach vorne zu fallen. Dann beginnt jener seltsame
Wettlauf, um den nach vorn stürzenden Oberkörper wieder mit Hilfe
der Rückenstrecker in die Gleichgewichtslage zurückzubringen. Gelingt
dies nicht schon nach einigen Schritten, dann ist der endliche Fall
unausbleiblich, wenn nicht eine rettende Planke den weit vorgestreck-
ten Armen sich darbietet.
Bei der Seitwärtsbiegung des Rumpfes ist nicht allein der
gemeinschaftliche Rückenstrecker, sondern es sind auch die Bauch-
muskeln der betreffenden Seite beteiligt, Schulter und Hüfte rücken
sich näher, während sie sich auf der entgegengesetzten Seite entfernen.
Auf der eingeknickten Seite verkleinern sich auch die Zwischenrippen-
räume, die letzten drei Rippen schieben sich sogar unter den Hüft-
beinkamm hinein und die Haut staut sich auf, wie dies schon in
einem früheren Abschnitt (S. 53 u. ff.) erwähnt wurde. Auf der ent-
gegengesetzten Seite findet in jeder Hinsicht das Gegenteil statt. Hier
besteht Spannung der Haut, die Seite ist gewölbt, es markieren sich
alle Teile des Skelettes, auch die Muskelmassen des Rückenstreckers,
besonders deren äußerer Rand, denn der Rückenstrecker hat die
Aufgabe, die Rumpfbeuge zu überwachen, damit der Körper nicht
zusammenknicke. Er befindet sich also, obwohl verlängert, dennoch
in einem bestimmten Zustand der Kontraktion. Bei kräftigem Bau
modelliert sich seine ganze untere Partie. Wo unterer Rand des
Brustkorbes und oberer des Beckens sich von einander entfernen,
398 Neunter Abschnitt.
entsteht ferner als seitliche Begrenzung der Weichen eine schwid
nach innen konkaye Linie. Der größte Teil dieser ebenerwUmtea
Zeichen ist in der Fig. 119 zu erkennen, soweit sie überhaupt äofier-
lich bemerkbar sind. Die Verschiebungen der Bippen kann man an den
eigenen Körper durch ZufUhlen kontrollieren, und wer sich fftr das Ver-
halten der inneren Organe interessiert, den wird die einfache Uberiegimf
lehren, daß auf der gebeugten Seite die Lunge sich etwas entleeren und
die Eingeweide des Unterleibes sich beträchtlich verschieben mftssen.
Der gemeinschaftliche Bückenstrecker ist, wenn er einseitig viikt
in hohem Grade bei der Drehung des Bumpfes beteiligt. Seiae
tiefen Schichten, welche als Halbdommuskeln, als vielgeteilter Muskd
und als kurze Dreher in drei übereinanderliegenden Schichten von
den Querfortsätzen zu den Domfortsätzen höher gelegener Wirbel
hinziehen, bewirken die Torsion der Wirbelsäule. Sie betrigt
wie weiter oben (S. 125) schon ausgeführt wurde, 47^, wobei nur die
Botierbarkeit zwischen dem dritten Hals- bis zu dem letzten Lenden-
wirbel gerechnet ist, denn die Bewegungen des Kopfes und die Drehung
im Becken müssen abgerechnet werden, wenn es sich um die Wirkung
des gemeinschaftlichen Bückenstreckers und seiner tiefen Portionen
handelt. Der Hauptangriffspunkt derselben ist namentlich im Bereich
der untersten Brustwirbel; dort zwischen dem achten und
zwölften findet allein schon eine Botation um 28 Grade
statt. Der Best mit 19 Graden verteilt sich auf die übrigen Gelenl^e
bis zu dem zweiten Hals- und letzten Lendenwirbel. Nach einer
Torsion der Wirbelsäule rückt die Mittellinie des Brustbeines um
10 cm nach der Seite, während der Nabel keine Ortsveränderung zeigt.
Auch die vordere Halsgrube verschiebt sich um die halbe Halsbreit«
in gleichem Sinne wie das Brustbein. Auf der Seite der Drehung
überschneidet der äußere Kontur des großen Brustmuskels die Ann-
linie, die sonst geschweifte Linie der Weichen wird fast gerade, das
untere Ende des Brustkorbes wird undeutlich, während auf der ent-
gegengesetzten Seite das Ende deutlich hervortritt.
Vom Bücken her zeigt sich auf der Seite der Drehung eine leichte
Senkung des Schulterblattes, während der untere Winkel gleichzeitig
etwas absteht. Auf der entgegengesetzten Seite geht das Schulterblatt
allmählich in die Höhe.
Die Fig. 121 zeigt einen Mann, der über ein Hindernis hinweg-
steigt und sich dabei gleichzeitig nach rechts wendet. Die Mittellinie
der Brust, die Hautfalten, die Stellimg des Nabels und der äußere
Band des Brustkorbes (Fig. 121 Nr. lo) zeigen die bei der Torsion der
Wirbelsäule mit Notwendigkeit eintretenden Verschiebungen an der
vorderen Bumpffläche. —
Untkelii det Bnmpfln.
1. SehliuNlbein.
2. DutenchlOuelbeingnib«. Spalt iviuhen
Ddl4- UDd BnutiDiukel.
3. AkromiftleDde de* SehlünelbdDM.
4. Akromion.
5. Deltamnikel.
6. Strecker äe» Oberanoes.
7. Sehnenfeld des Strecken.
a. Ellbogen. S*. E5pfchen der Elle.
9. Ltmger SupinaCor, am linken und recb-
9*. Spdahenitrecker der Hand.
I. Schwellung des Brustmuskels vor dem
Überitang in leine SehDe.
. Langer Strecker der Finji^r.
I. Ellenbeuge v. langen Aufheber begrenit.
I. Der mnde Pronator.
I. Streekenehne.
i. Knieacheibe.
I. Knieacheibenbsnd.
'. Spanner der Faacie.
I, Groder Gesälintiakel.
•■ Furche iw. d. Strecker' u. Bengergruppe.
I. Beugergruppe.
400 Nennter Abschnitt Mnakdii des Kampfes.
Der gemeinschaftliche Rückenstrecker ist auch bei der Rumpf-
beuge nach rückwärts beteiligt, welche in einer Fortsetzung der
Streckbewegung über die gerade Haltung des Körpers hinaus bestell.
Deshalb bezeichnet man diese Art der Rumpfbeuge auch kurz als
„Uberstreckung". Die Zusammenziehung der langen Muskelmuse
zeigt sich als Verdickung bis zu dem Schulterblatt hinauf; allein das
Bild des verdickten Muskels wird verschleiert durch die gleichzeitige
Zusammenschiebung der Haut, und in höheren Graden der über-
Streckung durch die Entstehung von Hautfalten. Die Streckung der
Wirbelsäule ruft bekanntlich eine Mitbewegung in den GliedmtBeih
muskeln des Rückens nach sich; die Schulterblätter werden nad
lückwärts gezogen und durch die Einwärtsbewegung der ganzen Wirbd-
Säule und das Dickerwerden des Rttckenstreckers von der Thoru-
fläche weggedrängt, so daß die Furche zwischen den Schulterblättai
sich vertieft.
Je mehr die Überstreckung fortschreitet, um so stärker wird die Konkarilft
der Wirbelsäule, die in der höchsten Ausdehnung bei den sogenannten Schlanget-
menschen den Anschein der Knickung erhalten kann. Diese Steigerung der mtfr-
liehen Überstreckung wird jedoch noch durch andere Umstände ala nur dmdi d«
Wirkung der Kückenstrecker erzielt. Wenn die Schlangenmenschen dasjenige
fiihren, was in ihrer Sprache der „Bogen" heißt, dann wird der Hinterkopf
an den Nacken gelegt, und das Ende der Brustwirbelsäule (der 11. Brust wirbd)
knickt sich so ein, daß der Hinterkopf schließlich dicht unter dem Gesäß die Bflck-
Seite der Oberschenkel berührt; bei dieser Art Bewegung hat der Rückenstrecker
wegen der Annäherung seiner Ansatzpunkte die Fähigkeit der Zusammenziehmig
verloren. Der Oberköq)er fällt bei einem bestimmten Grad der Überstreekiaf
durch seine eigene Schwere herab und wird sodann im letzten Akt dnxdi die
Arme gegen die Oberschenkel herangezogen. Abgesehen von der nnbestmtbtrei
Dehnungsftihigkeit der Bänder, welche auf den Wirbelkörpem hcrablanfen. und
abgesehen von den dehnbaren Zwischenwirbelscheiben, kommt die passive Deh-
nung sämtlicher Muskeln an der Vorderseite des Rumpfes in Betracht
Wenn nicht jedem von uns die Ausfühnmg solcher „Bogen" gelingt, so liegt der
Grund in dem Widerstand, den die Antagonisten solchen forcierten Bewegungen
entgegensetzen. Diese „antagonistische Hemmung" kann durch Übung in veriiilt-
nismäßig kurzer Zeit tiberwunden werden.*
Die Haut des Kückens ist bisweilen mit einem starken Haarwuchs bedeckt
der besonders auf der Oberfläche der Schulterblätter beträchtlichen Umfang gewinnt
Allein es ist keine Stelle des Rückens vor übermäßigem Haaiw^uehs gfinzlich sicher.
Sind doch in der neuesten Zeit viele Fälle von ungewöhnlicher Behaarung in der
Kreuzbeingegend sowohl aus unseren Breiten, als auch aus Griechenland bekannt
geworden. Daß Fälle solcher Behaarung in der Phantasie der Alten sich za Bilden
geschwänzter Satyre gestalteten, ist wohl sehr naheliegend.
^ ViRCHow, Hans: Zur Frage der Schlangenmenschen. Sitzungsberichte der
Würzburger phys.-med. Gesellschaft. 1881.
Zehnter Abschnitt Muskeln der Gliedmaßen. 401
Zehnter Abschnitt.
Muskeln der Gliedmaßen.
Wie die oberen Gliedmaßen in dem Bau des Skelettes manche
wichtige Übereinstimmung mit den unteren aufweisen, so auch in der
Muskulatur. Die Untei'schiede der Funktion zwischen den Armen und
Beinen sind zwar bei dem Menschen am höchsten entwickelt: der
Arm ist ausschließlich zu einem Greiforgan geworden und die ganze
Muskulatur ist diesem Zweck angepaßt, das Bein dient dagegen ledig-
lich der Fortbewegung als ,, Gehwerkzeug", wie der klassisch gewordene
Ausdruck lautet, und ist deshalb sowohl in den Knochen wie in den
Muskeln stärker — dennoch erkennt man zwischen beiden Gliedmaßen
einen tiefen Grad der Verwandtschaft, den auch die Beobachtung der
bewegenden Kräfte überall erkennen läßt. Dort wie hier finden sich
Beuger und Strecker, Aufheber und ihre Antagonisten, und Muskeln,
welche in Übereinstimmimg mit der Konstruktion der Gelenke im
Stande sind, als Eotatoren die Gliedmaßen zu drehen. Obwohl der
Fuß eine große Verschiedenheit gegenüber der Hand besitzt, so sind
doch viele Teile seines muskulösen Baues von bemerkenswerter
Übereinstimmung. Die Zehenstrecker und die Zehenbeuger, die Mus-
keln ftir die große und ftir die kleine Zehe, endlich die Motoren für
die Grundphalangen (die Zwischenknochenmuskeln) sind, was ihre ana-
tomische Anordnung wie ihre physiologische Wirkung betrifft, so nahe
verwandt mit den Beugern und Streckern der Finger, mit den be-
wegenden Kräften des Daumens u. s. w., daß die Leistungen der
„FuBkünstler" sich daraus begreifen lassen.
lu der KiuK-henlelire (8. 185) wurde auf Maler hingewiesen, welche den Pinsel
mit den Zehen führten. In der neuesten Zeit ist (»in Fußkünstler bekannt geworden,
den angc»borener Mang(>l der Arme dazu vemnhißt hat, die Geschicklichkeit seiner
Beine zu entwickeln. Er versuchte von selbst dasjenige, was er andere mit den
Händen thun sah. mit den Fiiß<»n zu machen, bilde^i sich im Violinenspiel aus, und
lernte außenlem no<?h Comet ä piston. Für -die Vergleichung der oberen Gliedniaße
mit der unteren sind solche Menschen, deren Hände durch eine grausame Laune der
Natur verkümmert sind oder gänzlich fehlen, von dem allerh(>chsten Interesse. Denn
erst unter solchen rmstäud^ai gelingt es, den diirch unsere Kulturverhältnisse zu
unnatürlicher Kühe venlammten Apparat ausgebildet und wirksam zu sehen. Einen
Bericht über den Beinkünstler Untlian siehe bei Hans Virchow, Beiträge zur Kennt-
nis der IV»wegungcn d^'s ÄJenschen. Sitzungsbericht der i>hys.-med. Gesellschaft zu
Würzburg.
Kollmann, PlaAti»che Anatomio. 20
402 Zehnter Abschnitt.
I. Die Muskeln der oberen Gliedmaßen.
Ein Teil der die oberen Gliedmaßen bewegenden Muskeln bedeckt
die Brust- und Rückenfläche des Stammes , und wurde bei der Be-
schreibung jener Gegenden abgehandelt. Ein anderer Teil entsprinit
vom Schultergtirtel und setzt sich zum Arm fort, es sind dies die
Muskeln der Schulter. Zu dieser Gruppe gehören alle jene Mus-
keln, welche vom Schulterblatt und vom Schlüsselbein entspringen
und sich zu dem Oberarm begeben. Wieder andere Muskeln gehören
dem freien Arm an, und man unterscheidet sie der leichteren Über-
sicht wegen in solche, welche am Oberarm, am Vorderarm, und an
der Hand ihre Lage haben.
A. Die Muskeln der Schulter.
Diese bedecken das Schultergelenk, bedingen dadurch die Wölbung
der Schultergegend, und bedecken femer das Schulterblatt derart,
daß nur die Schultergräte mit dem Akromion von ihnen frei bleibl
Die Fascie setzt sich von der Brust, wie von dem Bücken her auf
die Schulter und ihre Muskeln fort und bildet eine Schichte, welche
den ganzen Arm überzieht, an den Rändern des großen Brustmuskels
und des breitesten iRückenmuskels in die Achselhöhle eintritt und
dort einerseits mit der Haut, andererseits mit den Gefäßen und
Nerven und Lymphdrüsen in Verbindung tritt. Einer der plastisch
bedeutendsten unter den Muskeln der Schulter ist der
Deltamuskel (M. deltoides Fig. 122 Nr. i). Er entspringt vom
unteren Band der Schultergräte, von dem äußeren Rand des Akro-
mion und vom unteren Band des Schlüsselbeines. Diese drei ver-
schiedenen XJrsprungspunkte markieren sich so deutlich im ganzen
Bau des Muskels, daß man sagen kann, er bestehe aus drei Ab-
teilungen. Starke Sehnenblätter gehen von der hinteren Ecke des Akro-
mion und von der Stelle des Schulterblatt-Schlüsselbeingelenkes in die
Tiefe der Muskelmasse und bedingen einschneidende Furchen. Bei
starken Männern treten schon bei mäßiger Anstrengung die starken
sich durcheinanderdrängenden Muskelbündel hervor, welche den Delta-
muskel vor vielen anderen auszeichnen. Die Bündel konvergieren ab-
wärts und setzen sich an die dreieckige rauhe Fläche an der Außen-
seite in der Mitte des Oberarms an. Wirkung: der Muskel hebt den
Oberarm.
Von dem Brustmuskel ist dieser Arinheber getrennt durch eine
tiefe Furche, die nach oben gegen das Schlüsselbein zu breiter wird.
Obwohl sie am Lebenden von Fett erfüllt ist, ist doch eine leichte
Hukeln du Gl[edm«D«D.
Vertiefung selbst bei wohlgenährteii IndiTidnen zu sehen, besonders
noch deswegen, «eil diese Furche mit der KrUmmung des SchlUssel-
Sehne ä<a Tricepi
U Lang. Abäeh. d. Daumens.
-]( Kun. Abtieb. d. Daameni.
-D HnndrockenlHUid.
.^ Sehne d. lang. DtameDstreck.
15 AiiMti d. Spelcbenitreck.
Fig. 122. Arm von der Seite geselieii. -
404 Zehnter Abschnitt.
beines nach hinten zusammenfällt. — Diejenigen Bündel des Delu-
muskels, welche von dem Anfang der Schultergräte kommen, ent-
springen langsehnig, eine Eigentümlichkeit, die sich dadurch nur-
kiert, daß der sonst gewulstete Band des Deltamuskels kurz vorder
Schultergräte aufzuhören schehit. Die starke Wölbung der Schuller
rührt nicht* ausschließlich vom Deltamuskel her, auch der darunter-
liegende Gelenkkopf des Oberarmknochens hat seinen Teil daran. Bei
schwächlicher Muskulatur, und im hohen Alter kann man wef^
Muskelschwund die ganze Form des Oberarmkopfes erkennen. Die
scharfe Ecke an dem vorderen Umfang des Deltamuskels (Fig. 122
bei *) rührt von der Spitze des darunter liegenden Hackenfortsatzes her.
Die hintere Fläche des Schulterblattes giebt drei Muskeln den
Ursprung, von denen zwei: der Untergrätengrubenrauskel und der
große runde Armmuskel, auf die Formen von Einfluß sind. Die Mus-
keln sind stark und äußerst wirksam, jedoch in großer Ausdehnunj;,
ja einer, der Obergrätengrubenmuskel, sogar ganz von Muskeln I>edec]a.
Der Obergrätcngrubcumuskel (M, supraspinatusj entspringt in in
Obergrätengrube, ist dieser Vertiefung entsprechend geformt und geht in eine rviid-
liehe Sehne über, welche unter dem Akromiou hinweg zum großen Höcker dicht aa
Gelenkkopf des Oberarms zieht. Dieser Muskel ist vom Kapiizenmuskel bedtirkL
seine Anschwellung beim Aufheben des Armes ^ird also nicht direkt bemerkt wenkt
können, sondern nur indirekt dadurch, daß sich der Kapuzenmiiskel etwas verdkkL
Wirkung: Hebt den Arm und unterstützt die Wirkung des Deltamuskels.
Der Untergräten grub enmuskel (M. infraspinatus Fig. 127
Nr. 2) füllt die Untergrätengrube aus, doch bedeckt er nicht voUstäiidi?
den unteren Winkel; der Muskel zieht schief nach aus- und aufwärts
um sich an dem großen Höcker des Oberaimknochens festzusetzeu.
Wirkung: rollt den Arm nach auswärts.
Ein Vergleich der beiden Untergrätengrubenmuskelii rechts und
links auf Fig. 117 zeigt, daß bei aufgehobenem Arm ein größerer
Teil sichtbar ist als bei gesenktem. Dies rühi-t djivon her. daß die
hintere Abteilung des Deltamuskels beim Aufheben des Armes siih
verkürzt und höher hinaufrückt, beim herabhängenden Arm dagegen
herunter gleitet und einen großen Teil des Untergrätengrubenmuskek
wieder verdeckt.
Die systematische Anatomie unterscheidet an dein UutergTätengTubenniUskH
einen rundlichen Strang als kleinen runden Armmuskcl (Ter es minor .
An Fig. 117 Nr. 20 ist dieser kleine Muskel zu erkennen. Er setzt sich an eiikt
Ix^sondercn Stelle des großen Oberarnihöckers fest. Nur bei sehr foreit*rteu Aa-
strenjxungen wird er sichtbar, und es map also diese vorübergehende Erwähnun;:
penüfren.
Von der äußeren Fläche des unteren Schulterblattwinkels uiid
von einem Teil des äußeren Randes entspringt der
r
t
I.
Mnskeln der Gliedmaßen. 405
Große runde Armmuskel (M, teres major Fig. 127 Nr. 3 und
Fig. 117 Nr. 17 u. 17'), ein im Verhältnis zu seiner Länge sehr dicker
Muskelstrang, der zum Oberarm hinaufzieht und sich mit einer flachen
breiten Sehne und in Verbindung mit dem breitesten Eückenmuskel
(an der Spina tuberculi minoris) festsetzt. Der Ursprung des großen
runden Armmuskels ist wie der ganze untere Schulterblattwinkel von
dem oberen Rand des breitesten Rückenmuskels bedeckt. Wirkung:
Niederziehen und Einwärtsrollen des Armes. Folgendes Verhalten
ist von großer Wichtigkeit für das Verständnis der Formen: der ünter-
grätengrubenmuskel zieht zum Oberarmkopf in die Höhe, der große
runde Armmuskel nach unten an die Grenze zwischen dem ersten und
zweiten Drittel des Oberarmknochens. Diese beiden Muskeln diver-
gieren also von ihrem Ursprungspunkt aus. Dadurch muß notwendig
ein gegen den -Oberarm hin sich erweiternder Spalt entstehen (Fig. 117
zwischen Nr. I7'u.i9). Aus der Tiefe dieses Spaltes kommt der lange
£opf des Vorderarmstreckers hervor (Fig. 117 Xr. 2i). Läßt man bei
ausgestrecktem Arm einen I72 ™ hohen Stab kräftig gegen die
Erde drücken, so treten der Spalt und der Verlauf des Vorderarm-
streckers, des Untergrätengrubenmuskels , der obere Rand des breite-
sten Rückenmuskels und der hintere Rand des Deltamuskels deutlich
hervor.
Dieselben Formen sind in der Fig. 127 am Rücken und rechten
Arm des Borghesischen Fechters gut zu sehen. Nr. 3 bezeichnet
den großen runden Armmuskel, über ihm bei Nr. 2 befindet sich
der Untergrätengrubenmuskel, zwischen Nr. 2 u. 3 der Spalt, aus welchem
der lange Kopf des Streckmuskels Nr. 8 hervorkommt. Der hintere
Rand des Deltamuskels Nr. 1 deckt den Verlauf von Nr. 2 u. 3 gegen
den Oberarmknochen hin, und der große runde Armmuskel selbst wird
seinerseits teilweise bedeckt von dem oberen Rande des breitesten
Rückenmuskels Nr. 4.
DaA Studium der Schulterblattmuskeln muß zuerst an <;ineHi kräftigen Modell
und bei aufgehobenem Arm begonnen werden, denn in solcher Stellung sind die Muskeln
am wenigsten bedeckt und überdies mit Ausnahme des großen runden Armmuskels
in Aktion. Der oben beschriebene Spalt, in den die Haut einsinkt, tritt am deut-
lichsten bei der eben erwähnten Prozedur mit dem Stab hervor. Sind erst l)ei for-
cierter Bewegung die einzelnen Formen verstanden, dann macht auch ihre Deutung
bei herabhängendem Arm keine Schwierigkeiten mehr.
Die eben beschriebenen Muskeln bedecken die hintere Fläche» des Schulter-
blattes. Auch die vordere Fläche ist von einem Muskel bedeckt, dem Unter-
schulterblattmuskel {M. subscapularis). Dieser kräftige Muskel nimmt
die vertiefte Schulterblattfläche ein, von der er bis auf je eine schmale, den
unteren und oberen Winkel abgrenzende Strecke entspringt Sein Ursprung ruft
auf dem Knochen oft die Entstehung kleiner Leisten hervor. P> setzt sich an dem
kleinen Höcker des Oberarmknochens fest. Wirkung: rollt den Ann einwärts.
406 Zehnter Abschnitt.
Durch die Zunahme seiner Dicke bei der Kontraktion wird das Schiilteri>Utt od
namentlich der untere Winkel desselben von der Rückenfläche weggedringt Bö
Turnern, welche Reck und Barren bevorzugen, wird die Muskulatur der obnto
Gliedmasse besonders stark. Die Schultermuskeln erreichen oft eine monströse Eat-
Wickelung und durch die Zunahme des Untergrätengrubenmuskels spring;! dai
Schulterblatt ungewöhnlich vor. Diese einseitige Zunahme ist nicht schön, aber fiir
das Studium der Muskelformen höchst lehrreich.
Der Ober- und Untergrätengrubenmuskel, ebenso der Unterschulterblattmojkri
geben bei ihrem Ansatz au den entsprechenden Knochenpunkten auch starke Sehnn-
bündel an die Kapsel des Schultergelenkes ab, und spannen sie dadurch bei OiRft
Zusammenziehungen.
B. Die Muskeln des Oherarmes.
Bei dem Manne ist der Oberarm ein plattgedrückter Cylinder, so
daß außen und innen Flächen entstehen, während er vom und hinten
mehr gerundet ist. Auf der innern Seite zieht eine Furche herab,
die Fortsetzung der Achselhöhle. Sie verläuft dem innern Rand des
Biceps, des zweibäuchigen Armmuskels entlang und heißt die innere
Bicepsfurche (Fig. 125). Schon bei einem leichten Druck machen sich
in ihr einzelne Stränge, die Armnerven, und die pulsierende Armschlag-
ader bemerkbar. In einer von der Fascie gebildeten Köhre ziehen
nämlich die Nerven und Schlagadern herab und die Venen hinaoü
Auf der äußeren Armseite ist eine ähnliche aber kürzere Furche, die
äußere Bicepsfurche. welche an der Anheftungsstelle des Delta-
muskels beginnt, um wie die andere in der Ellenbeuge auszulaufen.
Diese beiden Furchen verdanken, ebenso wie die platte Gestalt de^*
Oberarms, ihre Entstehung der kräftigen Entwickelung der Muskulatur
und dem Verhalten der Armfascie. Die letztere umschließt nicht
allein die Muskeln, sondern setzt sich im Bereich dieser Furchen l)i>
auf den Knochen fort, um mit dessen Beinhaut zu verwachsen. St»
entstehen zwei Fascienscheiden, welche die Gruppe der Beuger und
die Ginippe der Strecker voneinander trennen. Beide Gruppen werden
in ihrem obersten Abschnitt von dem großen Brustmuskel und dem
Deltamuskel bedeckt. Die starken bandähnlichen Blätter der Fascien-
scheiden, welche bis auf den Knochen eindringen, werden als inneres
und äußeres Zwischenmuskelband (Ligamentum intermusculart
internum und externum) bezeichnet. Sie dienen auch zum Ursprung
einiger Muskelbündel.
1) Vordere Muskeln des Oberarmes,
Der zweiköpfige Armmuskel (M, biceps brachii, auch kurz
Biceps genannt, Fig. 122 Nr. 2) hat zwei Ursprungsköpfe. Der innere
und kürzere kommt vom Hackeufoi-tsatz am Schulterblatt, er ist an-
Huikelo der OliedmkOcD.
fangs noch mit seinem Nachbar, dem Hackenmuskel, verwachsen; der
andere lange Kopf entspringt von dem oberen Rand der Gelenkpfanne.
DelUuntukel i
LsQg;« Sehne i. Bio. i
KncH Sehne d. Bic. t-
L. Streck. U-
lodieator b-
Jt liunifr SlrFcli«! d. Dauiueai.
U Sehnen der -Daumen mmkaln.
Fig. 123. Der icolitc Arm des Borgheaiachen Fechters. Einzelne Huskelo sind
nicht ausgeführt, doch ist ihre Hautlinie angegeben.
Die beiden Köpfe bilden einen länglichen Muskelbauch, der über der
Ellenbeage an Umfang rasch abnimmt und in eine rundliche Sehne
408 Zehnter AbschniH.
übergeht, die sich an dem Höcker des Radius festsetzt (Fig. 123 5r. i\
Vermöge des Ansatzes an dem beweglichen Radius kann der Moskd
nicht allein den Arm beugen, sondern vermag auch als Auswärtsdreher
der Hand, als Supinator zu wirken (siehe S. 164). Von dem inneren
Rand der Ansatzsehne geht, bevor sie in die Ellenbeuge tritt, ein
breites Sehnen band ab, das in die Kategorie der sehniggewordenen
Muskelabschnitte gehört. Dieser Fascikel (Lacertus fibroms) wendet
sich schräg nach innen (Fig. 124 Nr. 15), um die Fascie des Vorder-
arms zu verstärken. Im Zustand der Zusammenziehung bildet der
Biceps einen prallen Vorsprung, an dessen Rändern die Bieepsfurche
herabläuft.
Während der Zusammenzichung lassen sich an dem Biceps einige benierko»-
werte Eigentümlichkeiten beobachten. Schon bei einem mäßigen Grad der Anstren-
gung kann man die Trennungslinie zwischen beiden Ursprungsköpfen deutiieh w-
kennen. Bei gesteigerter Anstrengimg tritt im Bereich des kurzes Kopfes dort
wo er unter dem Pectoralis hervorkommt, eine Abplattung auf. Sie rührt davioi
her, daß die Sehne fächerförmig sich über den Muskelbauch fortsetzt. An dem
unteren Ende des Muskels kehrt dieselbe Erscheinung wieder, weil die Sehne sek
fächerförmig auch von der Oberfläche des Muskels her entwickelt.
Im Anfang einer starken Beugung wird an der Innern Seite des Vorderuiu
der fingerbreite Sehnenfaszikel bemerkbar. Bei kräftig entwickelten Vorderann-
muskeln bringt er auf dem runden Pronator eine rinnenartige Vertiefung
hervor. Sie ist um so tiefer, je kräftiger die Muskulatur und je stärker der Zog.
Der Hackenmuskel (M, coracobrachialis Fig. 124 Nr. 13) ent-
springt gemeinschaftlich mit dem kurzen Kopf des Biceps vom Hacken-
fortsatz, bildet einen schlanken, dem Biceps nach innen dicht an-
gelagerten Bauch, der sich an dem innern Rand des Oberarmknochens,
in der Mitte der Länge desselben festsetzt. Wirkung: hilft den Arm
heben, ist deshalb bei erhobenem Arm gespannt, und springt als
schmaler Strang an dem oberen Ende der Bieepsfurche hervor (Fig. 125
Nr. 3). Unter dem Biceps liegt:
Der innere Armmuskel (M, brachialis internus Fig. 122 und 123
Nr. 3). Mit seinem Ursprung umfaßt er gabelförmig den Ansatz des
Deltamuskels, verstärkt sich auf seinem Zuge nach abwärts durch
Muskelbündel sowohl von dem äußeren als inneren Zwischenmuskel-
band und geht über das Ellbogengelenk hinweg zur Rauhigkeit der
Ulna. Dieser Muskel überragt zu beiden Seiten den Biceps, und zwar
wird der äußere Rand am Lebenden unmittelbar unter dem Ansatz
des Deltamuskelns sichtbar, aber nur in einer Länge von unge-
fähr 10 cm, denn der nach außen, in dem unteren Drittel des
Vorderarmes entspringende lange Supinator (Fig. 122 No. e) verdeckt
den übrigen Teil; der innere Muskelrand tritt als ein schief nach
Muskeln der Güedmaßen. 409
der Ellenbeuge zustrebender 2 cm breiter und 10 cm langer Wulst
bei starker Beugung hervor (vergl. Fig. 124 No. 4).
2) Hintere Muskeln des Oberarmes.
Der dreiköpfige Vorderarmstrecker (M, triceps brachü, kurz
als Triceps bezeichnet, Fig. 122 Nr. 4 u. 4) setzt sich, wie schon der
Name andeutet, aus drei Köpfen zusammen, die sich am unteren
Drittel des Oberarmes vereinigen, um sich mit einer starken breiten
Sehne am Ellbogen zu befestigen. Der lange Kopf kommt vom
äußeren Rand des Schulterblattes dicht an der Gelenkpfanne mit
einer 5 cm langen Sehne, aus der sich rasch der beträchtliche
Muskelstrang entwickelt. Schon oben wurde erwähnt, wie dieser
Muskelkopf aus dem Spalt zwischen Untergrätengrubenmuskel und dem
großen runden Armmuskel hervorkomme. Die Sehne erstreckt sich
in einer dünnen Schichte über die Oberfläche dieses Kopfes herab
(Fig. 124 Nr. 1). Der äußere Kopf (Fig. 122 Nr. 4 u. 4') entspringt
längs einer Linie, welche von der Ansatzstelle des Untergrätengruben-
muskels bis gegen das untere Drittel des Oberarmes reicht. Die
Bündel laufen schräg herab, um die gemeinschaftliche Ansatzsehne
zu erreichen. Der innere Kopf, der kleinste, beginnt unter der An-
satzstelle des breitesten Rückenmuskels. AUch seine Bündel (Fig. 124
Nr. 2) haben einen schrägen Verlauf, und steuern auf die gemein-
schaftliche Ansatzsehne zu. Diese stellt ein in die Länge gezogenes
Fünfeck dar, dessen Spitze nach oben ragt. Bei dünner Haut wird
diese Sehne, namentlich während der Zusammenziehung des Muskels,
als eine vertiefte Fläche wahrgenommen. Sie wird noch besonders
dadurch deutlich, daß Fleischbündel des Triceps sie auf der inneren
und äußeren Seite bis zu dem Ellbogen herab begleiten (vergl. die
Figuren 122 und 124). Während die anatomische Zergliederung über
das wahre Verhalten der drei Köpfe und über ihren Ansatz keinen
Zweifel aufkommen läßt, scheint es bei der Betrachtung der Haut, als
ob nur zwei Köpfe vorhanden wären, die auseinander weichend sich
gegen die Ellbeuge wenden, während sie in Wirklichkeit nach dem
Ellbogen durch Vermittelung der Sehne hinziehen.
Zum Studium der schwerverstÄndlichen Form des Triceps empfiehlt sich auch,
als ein lehrreiches Modell, der Borghesische Fechter. Die Figuren 126 und 127
stellen den rechten Arm von hinten gesehen dar, und zwar zeigt Figur 126 die
äußeren Konturen und das Skelett, die Figur 127 die Muskeln. An der Figur 127
ist vorzugsweise der lange und der äußere Kopf zu sehen, von dem innem nur jenes
Muskelbändel, das die Ansatzsehne bis zu dem Ellbogen herabbegleitet. Berück-
sichtigt man den Umstand, daß der äußere Kopf ebenfalls starke Muskelbündel dem
äußeren Rand der Sehne entlang herabsendet, so erklärt sich jener seltsame Kontur
410 Zehnter AbMhnitt.
in Figur 126 Nr. 8 im Bereich des' Triceps. Die gabelig auseinaoderweidieidei
Linien bezeichnen den Beginn der Ansatzsehne und ihren Verlauf. (VerjßekW
auch die Skizze Michelanoelo's, Fig. 134 Nr. 13 und 14.)
Mit dem Triceps steht noch ein Muskel sowohl äußerlich als auA
bezüglich der Wirkung in innigstem Zusammenhang, obwohl er bereits
an dem Vorderarm liegt. Es ist
der Ellbogenmuskel (Anconaetts parvus, Fig. 122 Nr. ii). Er
entspringt von dem äußeren Knorren mit einer kurzen sich auch auf
die Oberfläche des Muskels fortsetzenden Sehne und endigt facher*
förmig ausgebreitet an dem Seitenrande des Ellbogens- Er ist stets
deutlich durch die Haut hindurch zu sehen. Die Wirkung des ED-
bogenmuskels besteht, wie diejenige des Triceps, in einer Streckunr
des Vorderarmes.
3) Die Achselhöhle (Axilld).
Die Achselhöhle stellt eine Hohlpyramide dar; die vordere Wan*i
wird durch den großen und kleinen BrustmuskeL die. hintere Wand
durch den vereinigten breitesten Rücken- und runden Armmuskel ge-
bildet; die innere Wand besteht aus der von dem großen Sägemuskel
bedeckten Rumpfwand, und die äußere aus dem Oberarm, der in
dieser Stelle den Biceps, den Hackenmuskel und den Triceps aufweist
Bei herabhängendem Arm berühren sich die Wände, und nur eine
scharfgezeichnete Furche zeigt auf der vorderen und hinteren Seite
die Stelle an, wo der Oberarm den Rumpf verläßt, um zum freien
Glied zu werden. Die Achselhöhle entsteht durch Kinsinken der
Haut zwischen die Ränder des breiten Rücken- und großen Bmst-
muskels, die Höhle vertieft sich, weil die Haut wie überall durch innige
Verbindung mit dei* enganliegenden Fascie folgen muß.
Tiefe und Gestalt der Achselhöhle sind nicht bei jeder Ann-
stellung gleich. Je weiter der Arm abgezogen, un^ endlich empor-
gehoben wird, desto mehr verflacht sie sich. Bei einer Erhebung des
Armes bis 60 Grad zeigt sich folgendes: die hintere Wand ist grOßer
als die vordere und zeigt abgesehen von den schon erwähnten Mos-
kein auch ihre Ansatzsehnen, hinter denen man auf das Fleisch des
üntergi-ätengrubenmuskels stößt. . Die vordere Wand läßt sich mit den
Fingern umfassen und von der Rumpfwand abheben. Folgt man
ihrem Rand, so trifft man auf die schaifkantige Ansatzsehne de>
großen Brustmuskels. Bei kräftigen Männern gehen die vorderen und
hinteren Ränder allmählich, in die Achselhöhle über, bei mageren
Menschen ist der Rand des großen Brustmuskels scharf gezeichnet.
Die Höhle ist dann auch tiefer, wegen des Fettmangels. Aus ihr
hervor kommt der Biceps und der Hackenmuskel und die Achsel-
1 dv GliednuAen.
höhle setzt sich direkt in die schmale innere Bic^nfurche fort
Wird der Ann his zu dem Kopf emporgehoben, so bleibt schlie&-
Hackeamiukel Ji
ScfaiwDfiucikel dn Bicep«
i Lang. Tiicepskopf.
t Inn. TrlcepBltopf.
3 ZwiwhmmaskelbaDd.
l InD. Armmiukel.
-^ Kund. Pronator.
c Idr. Knorren.
Speichenmiukel.
HohlhandiDUsIc«!.
-it IJuiTCH Hohlhnndband.
W Fingerlieuferwhn*n.
Fig. 124. Ann von innen geseh<
iich nur eine seichte Grube übrig, denn der Oherarmkopf drängt die
Haut vor.
412 Zehnter Abschnitt.
Die Haut der Achselhöhle ist dünn und zart, bei Brünetten dunkel pigmcutiat
im mftnnlichen Geschlechte stärker als im weiblichen behaart, äuBeret empfindlMk
gegen Kitzel, und reich mit Schweiß- und Talgdrüsen ausgestattet, deren Sekm d«
bekannte gelbliche Farbe und die Spuren in der Wäsche zurückläßt. Die Fett-
säuren des Schweißes (Essig-Butter-Propionsäure u. s. w.) sind zugleich die Unv^
seines spezifischen Geruches und des häufigen Entfärbens unecht gefärbter Kleidu^
stücke unter den Achseln, sowie des frühzeitigen Abnützens derselben an dieser SceUe.
Achsel heißt die Wölbung der Schulter, Achselhöhle die unter dieser Wolbu^
befindliche Uohlpyramide. Bei dem Beichtum der deutschen Sprache wird es niemaad
sonderbar finden, daß man Achselbänder, Achselzucken, Achselträger httt.
über die Achsel sieht, und etwas auf die leichte Achsel nimmt.
C. Die Muskeln des VorderamiB.
Die reiche Gliederung der Muskulatur des Vorderarms ist durch
die Funktion der Hand bedingt. Die einen Muskeln dienen zur Beu-
gung der Hand, der Finger, und zur Pronation, die anderen mr
Streckung und zur Supination. Scharf getrennt wie die Wirkung
der Muskeln ist auch ihr Ursprung und ihr Verlauf. Die Beuger und
die Pronatoren liegen in der Nähe des inneren Oberarmknorrens.
Die ersteren bilden auf diese Weise den inneren und hinteren üm&Dg
des Vorderarms (Fig. 125 Nr. 7, 8 u. 9), die letzteren bilden die auf der
äußeren Seite des Vorderarms liegende Fleischmasse (Fig. 125 Nr. 10—12).
Die Grenze der beiden Gruppen ist vorne in der EUenbenge; die
Grenze auf der Rückseite folgt der hinteren Kante der Elle, welche
ihrer ganzen Länge nach durch die Haut hindurch zu fühlen ist und
als eine Furche bemerkbar wird, die mit sanfter Biegung von dem O-
bogen gegen die Hand herabzieht. Die Muskeln bedecken den äußeren
Oberarmknorren so, daß nur seine hintere Fläche frei bleibt und über-
dies wegen der angehäuften Muskelmassen vertieft liegt (Fig. 122).
Bei Frauen und Kindern wird diese Vertiefung in ein rundes Grüb-
chen umgewandelt. Der an derselben Stelle piHfende Finger bemerkt
sowohl den Gelenkspalt zwischen Speichenköpfchen und Oberarm, als
auch den rundlichen Umfang des Radiusköpfchens während der Dreh-
bewegungen der Speiche. Der innere Oberarmknorren ist nach innen
und hinten nur von der Haut bedeckt und selbst durch die Kleider
zu fühlen.
Die Form des Arms am Handgelenk rührt davon her, daß nahezu
alle in der Nähe des Oberarms entspringenden Muskeln ihr Fleisch
verlieren und statt dessen lange strangförmige Sehnen zu den Ansatz-
punkten am Handgelenk oder den Fingeni senden. Diese Sehnen gehen
unter sehr starken Bändern hindurch zu ihrem Bestimmungsort und
zwar die Beuger der Finger unter dem Hohlhandband, die Strecker
unter dem Rückenband (Fig. 122 Xr. 17).
Maskeln der GliedmaOen. 413
1) Die Muskeln an der Beugefläche des Vorderarmes.
Sie sind in zwei übereinanderfolgendeu Abteilungen angeordnet,
von denen die oberflächliche unsere ganze Aufmerksamkeit verdient,
während die tiefere, wenn auch für die Mechanik der Bewegungen von
der allerhöchsten Wichtigkeit, für die Formen doch nur als Masse
wirkt. Die einzelnen Muskeln der oberflächlichen Schichte sind nicht
allein wegen ihrer oberflächlichen Lage deutlich zu sehen, sondern
auch wegen der Fascie, die jeden Muskel in ein besonderes Fach ein-
schließt. Sie ist an allen Al)bildungen der Armmuskulatur weg-
gelassen.
Die oberflächliche Schichte.
Zählt man die Muskeln von der Ellenbeuge ausgehend der Reihe
nach auf, wie sie sich nach dem inneren Knorren zu folgen, so ist
der erste:
der runde Pronator (Jf. pronator teres, Fig. 124 Nr. r>). Er
kommt vom inneren Knorren herab, geht schief nach außen und endigt
mit einer Sehne, welche sich um die Speiche herumschlägt und an
einer Rauhigkeit in ihrer Mitte feststeht. Wirkung: dreht die Speiche
und wendet die Hohlhand nach abwärts (proniert). Nebenwirkung:
Beugung des Vorderarmes.
Der innere Speichenmuskel (^f. radialis internus, Fig. 124 Nr. 7)
kommt von demselben Knochenpunkt und wächst zu einem spindel-
förmigen Muskelbauch aus. der etwas über der Mitte des Vorderarmes
in eine platt cylindrische Sehne übergeht. Ansatz: an der Vorder-
fläche des zweiten Mittelhandknochens. Er geht durch einen l)eson-
deren Sehnenkanal (Fig. 130 unterhalb Nr. 5), tief unter dem queren
Band der Hohlhand zu seinem Bestimmungsort. Wirkung: beugt die
Hand nach der Speichenseite hin.
Der lange Hohlhandmuskel (M, palmaris longiut, Fig. 124 und
1 25 Nr. 8), ein schlanker Muskelbauch, der an derselben Stelle wie die
ebengenannten entspringt, dann aber bald in eine lange dünne Sehne
übergeht, welche in die Hohlhandbinde ausläuft. Es ist jene Sehne,
die in der Mitte des Vorderarmes so auffallend vorspringt, sobald die
Hand gebeugt wird. (S. auch Fig. 130 Nr. 7.) Dieser Muskel zeigt
zahlreiche Abweichungen der Form, von denen nur das Vorkommen
eines zweiten Muskelbauches in der Nähe des Handgelenkes erwähnt
werden soll; er fehlt oft auf einer Seite, bisweilen sogar auf beiden.
Der innere Ellenmuskel (M. ulnaris internus, Fig. 124 und 125
Nr. 9) entspringt gemeinschaftlich mit den übrigen am inneren Knorren,
414 Zehnter Abschnitt.
femer an der Innenseite des Ellbogens und an den oberen dreiViertdn
der Elle. Die Sehne, welche sich aus seinem vorderen Bande entwickelt,
setzt sich am Erbsenbein fest. (Siehe auch Fig. 130 No. i9m.K.)
Dieser Muskel ist nicht so fleischreich, wie man auf den ersten Augen-
blick vermuten sollte. Ausgebreitet stellt er eine verhältnismiKg
dünne Schicht dar, welche die starke Fleischmasse der Fingerbeoger
bedeckt, denn diese sind es hauptsächlich, welche die VerbreiteroLg
des Armes oben, an der inneren Seite bedingen. Nach Entfemuog
dieses Muskels erscheint:
der oberflächliche Fingerbeuger (M,fexor diffitorum sublhmt/,
er hat gemeinschaftlichen Ursprung mit den vorigen. Gegen das Hand-
gelenk spaltet er sich in vier starke Sehnen, welche sich am Mittel-
glied der vier inneren Finger, vom Zeiger bis zum Kleinen, ansetzen.
Seine Sehnen werden oberhalb des Handgelenk teilweise sichtbar
(Fig. 130 Nr. 20).
Die tiefliegende Schichte.
Sie besteht aus dem
tiefliegenden Fingerbeuger (M. fiexor diffitorum profundiujf
ein ebenso ansehnlicher Muskel wie der vorige, der von der inneren
und vorderen Fläche der Elle und von dem Zwischenknochenbande
entspringt. Auch er spaltet sich in vier Sehnen. An dem ersten
oder Grundglied tritt jede Sehne durch einen Spalt in der Sehne des
oberflächlichen Fingerbeugers hindurch, um das Nagelglied zu erreichen.
Während also der oberflächliche Fingerbeuger das zweite Glied zn
beugen vermag, beugt der tiefe das Nagelglied.
Der lange Daumenbeuger (M. fiexor pollicis longus) kommt von
der vorderen Speichenfläche und dem Zwischenknochenbande; seine
starke runde Sehne geht bis zum Nagelglied des Daumens. Die Sehne
dieses Muskels, sowie die Sehnen aller Fingerbeuger gehen sämtlich
unter dem starken Hohlhandbande (Fig. 130 Nr. 23) hindurch. Während
dieses Verlaufes liegen sie dicht gedrängt aneinander, jenseits diver-
gieren sie. An der unteren Fläche der Fingerknochen finden sich
Sehnenscheiden (Fig. 130 Nr. i8), in welchen die Sehnen sicher hin-
und hergleiten.
Ganz in der Tiefe in der Nähe des Handgelenkes liegt dicht am
Knochen
der viereckige Pronator (M, pronator quadratus). Er kommt
von der Elle und setzt sich an der Speiche fest.
Muskeln der Gliedmaßen.
415
2) Muskeln an der Streckfläche des Vorderarms..
Sie sind Strecker der Hand oder der Finger und Auswärtsdreher.
Sie bilden an dem äußeren Knorren eine starke Muskelmasse, die
wesentlich dazu beiträgt, dem Vorderarm an dieser Stelle seine auf-
fallende Breite zu geben. (Vergleiche Fig. 125, an welcher die mit
Nr. 10 n. 11 bezeichnete Erhebung von der ebenerwähnten Muskelmasse
herrührt) Sie entspringen über und auf dem äußeren Knorren und
1. Biceps.
2. Tricepe.
3. Hackenmuskel.
4. Inn. Armmuakel.
Fig. 125.
5. Tricepasehne.
6. Inn. Knorren.
7. Fingerbeuger.
8. Hohlhandmuskel.
'' 8'. Denen Sehne.
9. Inn. Ellenmuikel.
10. Strecker.
12. L. DaumenmuBkeln.
unterhalb desselben am Vorderarm. Die fleischigen Stränge bedecken
die Speiche, ebenso das Zwischenknochenband und die Elle, über-
schreiten jedoch nicht die hintere Kante derselben, welche im Gegen-
teil der ganzen Länge nach zu sehen ist und zwar bei mageren Armen
als eine Kante, bei starken Armen als eine Furche. Diese Kante ist
auch in Fig. 127 zu sehen. Die schlanken Endsehnen verlaufen größten-
teils zum Handrücken, wobei das quere Band des Handrückens
(Fig. 122 Nr. 17), das aus einer Verstärkung der Fascie hervorgeht,
jeder Sehne Lage und Richtung anweist. Es existieren sechs Fächer,
welche den Sehnen zum Durchlaß dienen. Auch unter den Muskeln
ZehDier AbcehDitt.
an der Strecklläche des Vorderarmes giebt es eine oberflächlich« ut^
eine tiefe Schiebte.
Die oberflächlicbe Scbicbte.
Von der Ellenbeuge nach auBen und hinten fortschreiteDd. tbl^r^^
sich der Reihe nach:
SehulWrgrltc mit Aki
ÜDtergTätengrultt!
Rücken bcr.
der lange Suinnatur (Swpinatitr hiit/iif. Fig. 124 N>. i«); erkonuot
von iler Knochenkaiite über dem äußeren Knorren, Sein glatter
Fleisclibaucli geht in der Mitte des Vorderarmes in eine dfiune und
flache Sehne über, welche sich an dem äußeren Rand der Speiche
dicht Jin dem Gnfielfortsatz festsetzt.
I;^t dii.' Speirlip iiaeh i-hm'ürU gtilrelit. die Hnncl niso proniert, eo fnchnnt
der Mii»ki.>l in einer liidben St{iiniltuiir um <lon Kooehon liiTumgolegt. wi« da» dimh
MndtelB der OUadmaBm.
417
ut hindoTcb besonders an ihm, wie an Beinen Nat^hbani m Beben ist
129 Nr.9 und 9* Seite 421 sowohl an dein linken aU an dem rechten Ann.)
Lt von dieser Stellung aus als klüftiger Auswärtsdreher der Ilaitd. Indem
der Handteller nach oben gerichtet wird , wie bei dem Ilaiidauflialten
rtler, führte der Miiskel von alters her den nicht unpassenden Namen
ts paupentm a. mendteantimn d. h. Bettlcrmoskel. Nebenwirkung: Beugt
Fig. 127. Muskeln des Arme« von rilckwUrts gesehen.
3er lange Speichen Strecker der Handwurzel (/\f.extejuorcarpi
M ionfftu, Fig. 122 Nr. 7). Er entspringt unter dem vorigen vom
irmkiiochen; zwisclien oberem und mittlerem Drittel des Vorder-
1 geht er in eine flache Sehne Über, die auf der hinteren Fläche
peiche zur Hand herabläuft, um sich am zweiten Mittelhandknochen
war an der Basis desselben festzusetzen. Wirkung: Streckung und
itreckung (Dorsalflexion) der Hand (s. auch Fig. 131 Nr. 2i).
418 z^i
Der kurze Speichenstrecker der Handwurzel (M. e
carpi radialis brevis, Fig. 122 Nr. 8) entspringt vom äußeren Knorren
und geht im unteren Drittel des Vorderarmes in eine platte Seime
über, die sich am Mittelhandknochen des Mittelfingers festsetzt. Wir-
kung: Streckung und Überatreckung der Hand. (Siehe auch Fig. 131
Nr. 16.) Die drei eben beschriebenen Muskebi bilden bei gestrecktam
Arm jene Muskelmasse, deren äußerer Rand an den gemeinschaft-
lichen Fingerstrecker (Fig. 122 Nr. 9) grenzt, deren innerer Band die
EllenbogeiJgrube abschließt. Bei starker Beugung des Vorderarmes hebt
der innere, von dem langen Supinat^)r gebildete Rand (Fig. 124Nr. le)
die Haut in einer scharfen Falte in die Höhe.
Seitlich von diesen Muskeln kommt unter dem äußeren Knorren
ein allmählich anschwellender Strang hervor:
Der gemeinschaftliche Fingerstrecker (M. exteiuor diffilonan
eommiiHis, Fig. 122 Nr. o). Er entspringt vom äußeren Knorren; in
der Mitte des Vorderarmes entwickeln sich aus dem Fleisch in der
Regel fünf Sehnen, die unter dem RUckenband der Hand hindurch-
Ueteii, am Handrücken auseinanderweichen und sich an die vier Finger
verbreiten, so daß der kleine Finger zwei Sehnen erhält {Fig. 122
Nr. 18). Die Sehnen erstrecken sich bis auf die RückeuMäche des
Nikgelgliedes.
Den Ranm von dem äußeren Rand des gemeinschaftlichen Finger-
streckers, bis zu der unter der Haut fühlbaren Kante der Ulna,
welche Beuger und Strecker von einander scheidet, nimmt
der Ellenstrecker der Hand ein (M. txtewmr carpi ulnarit,
Fig. 128 Nr. 6). Er hat mit dem vorigen den nämlichen Ursprang;
der spindelförmige Muskel schickt seine Sehne am inneren Rand des
Elteiiköpfcliens entlang durch ein besonderes Fach des Rückenbaudes
zum Mittelhandknochen des kleinen Fingers (Fig. 131 Nr. u). Hoch
oben stößt der Ellenstrecker der Hand an den Ellbogeumuskel (Fig. 126
Nr, 5), der als ein Teil des Triceps schon weiter oben beschiielieu
rde.
Tiefe Schichte.
I
Die nun zu beschreibenden Muskeln entspringen von der
und der benachbarten Strecke der Zwischenknocbonhaut.
Der knrae Rupiiiator IM. suptruitor Irepia, Pig. 123 Sr.iii) liegt tirf vw-
bor^n unter ilcai laugeu Supinator und dum Bpeioheiiatreckür. Er entBpriii(i;t vod
dein Süßeren Knorren und von dem Riij(,'biiiid der Spciclie, uuirnÜt d«u ub^vn T«il
der Speiehe, nnd befentifct aich an ihr<;r innert-ii Flüche. Wirknnn:
Speiche and danu't die Iliind in die Supinutir»!.
iinc: [>n!kl if^M
Hiukdit der Gliednitilen.
419
Die drei folgeudeii Muskeln sind für die Bewegung des Daumens
bestimmt, durchbreciieii die oberflächliclie Schichte zwischen den
Spoicheastreckern (Fig. 122 Nr. 7 u. 8} und dem gemeinschaftlichen
Fingerstrecker (dieselbe Figur Nr. u). Sie drängen sich aus der Tiefe
I henror und kreuzen dann die Bichtung der oberdächlicheu Schiebte.
Der lange Abzieher des Daumens (M. ndductar pollicis longus,
\ Fig. 122 Nr. 13) entspringt von der äußeren Fläche der Elle, von dem
Zwischenknochenband und von der Speiche unterhalb des Ansatzes des
I kurzen Supinator. Seine Sehne zieht dicht an derjenigen des kurzen
Oberarm ktiocheu S-
Nodua intemiia i—
Köpfchen der EUe )
-5 EllliogemiiiiBkel.
EllpiiBtJ-Gcker d.Hancl.
Pig. 128. Di'r Vonlerurin von hipt^-ii.
Daumen Streckers schief zum Daumen und befestigt sich an der Basis
seines Mittelhandknochens (vergl. auch Fig. 131 Nr. la). Wirkung:
entfernt den Daumen von den übrigen Fingern.
Der kurze Strecker des Daumens (M. extensor poilicis brevis,
Fig. 122 Nr. 14) liegt an der äußeren Seite (Ellenseite) des vorigen,
mit welchem er gleichen Ursprung und Verlauf hat, seine Sehne geht
jedoch bis zur Eückenfläche des Nagelgliedes. Bei sehr kräftigen, sowie
bei sehr abgezehrten Armen lebender Menschen sieht man, während
die Finger gespreizt werden, den schiefen Verlauf der dicht anein-
anderliegenden Sehnen beider Muskeln am unteren Knde der Speichen-
seite des Vorderarmes deutlich durch die Haut hindurch markiert.
Der lauge Strecker des Daumens (M. exlenxnr pollicis lotu/us,
Fig. 123 Nr. 13) nimmt seineu Ursprung neben dem vorigen von dem
420 Zehnter AbMhnitt.
Zwischenknochenband und von der Elle. Er wird bis in die Slke
des Handgelenkes von dem gemeinschaftlichen Fingerstrecker bedeckt
geht durch das dritte Fach des queren Handwurzelbandes (die beiden
ersten gingen durch das erste Fach), kreuzt die Sehnen der beiden
Speichenstrecker wie seine Nachbarn, und verschmilzt auf der Rflckea-
Seite des Mittelhandknochens mit der Sehne des kurzen Strecken.
Streckt und spreizt man den Daumen, so sieht man zwiBchen da
Sehne des langen Daumenstreckers und den Sehnen seiner beidci
Nebenmänner einen Spalt, der sich nach oben etwas erweitert Die
drei Sehnen erscheinen durch die Haut hindurch nur als zwei Selmei-
stränge.
Der eigene Strecker des Zeigefingers (M. ihdieaior) liegt an derEDa-
Seite des vorigen und bedeckt ihn zum Teil, entspringt von der Elle und w-
schmilzt am Handrücken mit der vom gemeinschaftlichen Fingeratrecker abgegebnci
Strecksehne des Zeigefingers.
3) Die Ellenbeuge.
Der Oberarm vnrd gegen den Ellbogen zu breiter und flacher.
Die Muskeln, die dort auftreten, sind im rechten Winkel zu der senk-
rechten Durchschnittsebene des Oberarmes geordnet (Fig. 125). Der
Grund liegt in der Gegenwart zweier Vorderarmknochen welche
für ihre Gelenkverbindung weitausgelegte Gelenkknorren bniuchtes.
Damit erhielt die reiche Muskulatur des Vorderarmes Ursprungspunkte.
welche in einer anderen Richtung zu der Achse des Annes gestellt sini
Zu der Abflachung trägt femer das Sehnigwerden der Beuger uivi
Strecker des "Oberarmes in der Nähe des EUbogengeleiikes bei. Aa*
all diesen Umständen ergiebt sich an der Beugefläche des V(»nier-
armes eine dreieckige Grube, welche allseitig von Muskeln begrenzt
ist. Die Grube ist seicht, ja bei forcierter Streckung flacht sie sich
so ab, daß nur eine leichte Andeutung von ihr zu bemerken ist; nadi
Entfernung der Haut, des Fettes und der Fascie erscheint sie durch
Muskelzüge in voller Deutlichkeit begrenzt (Fig. 124).
In die Mitte der Ellenbeuge ragt der vom Oberarm herab-
kommende Muskelbauch des Biceps. Seitwärts wird die Ellenbeoge
begrenzt von den gegen die Hand konvergierenden Mnskelmassen.
welche die Beuger (Fig. 125 Nr. 7—9) und die Strecker (Fig. 125
Nr. 10—12) enthalten. In die seichte Vertiefung zwischen diesen
Muskelgruppen mündet die äußere und innere Bicepsfurche. Durch
die Ellenbeuge ziehen Venen, die seit Alters zur Aderlässe verwendet
wui'den; die dünne Haut der Ellenbeuge läßt sie mit voller Deutlich-
keit erkennen. Bis zu der halben Höhe der inneren Bicepsfurdie
zieht die Vena basilica, welche wie die übrigien die Stärice eines
1. Schlüiselbein.
2. UDtencfalÜBselMngrube, Spalt iwUchen
Delt»- und Brastmaikel.
3. AkromUlende dca Schlüaselbeina.
4. Akromion.
5. Deltuniukel.
6. Strecker des Obenumes,
7. Sehnenfeld de> Strecken.
6. EUbogeo. 8*. Köprefaen der Elle.
9. Langer Snfanator, am linken nod reoh-
tea Arm,
9*. Sptiebenatreolur der Hand.
<. Schwellnng des BrustmuBkela vor dem
Übergang in «eine Sehne.
. Langer Stredier der Finger.
I. Ellenbeuge t. langen Anffaeber hegteotX.
;. Der runde Tronator,
. Stniokeraehne.
I. KoieBchdbe.
). Knleacheibenband.
'. Tenaor FsMäae.
:. OroBer Qo&IImiukel.
'. Fnrebe iw. d. Strecker- a. Beugeignippe.
'. Bengergnipii«.
422 Zehnter Abschnitt.
Bleistiftes hat. Sie bringt das Blut von der Kleinfingerseüe dn
Handrückens herauf. In sie mündet in der Ellenbeuge, über den
Sehnenfaszikel des Biceps (Fig. 124 Nr. 15) hinweglaufend, eine in in
Regel kurze aber weite Vene, die Medianvene, welche als V«-
bindungsast der Kopfvene von der äußeren Begrenzung der Ellen-
beuge herkommt.
Bei forcierter Beugung des Armes bis zu einem Winkel tm
70— 80^ wechselt die Ellenbeuge ihr Aussehen in folgender Weise: du
Bicepssehne erhebt sich aus ihr und bildet einen rundlichen Strang,
den man mit Daumen und Zeigefinger umgreifen kann. Der Band
des langen Supinator springt hoch über die Beugergruppe hervor, ond
zeigt dabei seine Nebenwirkung als Armbeuger. Die Beugergruppe
(Fig. 124 Nr. 7—9) zeigt an ihrem oberen Ende die Wirkung des
Sehnenfaszikels des Biceps (Fig. 124 Nr. 15), der bei der Beugung des
Armes angespannt wird, und in den runden Pronator und den Speichen-
muskel eine muldenförmige Rinne drückt, die von der Ellenbeoge
schräg nach der Elle hinüber zieht. Die Ellenbeuge geht in eine
seichte Rinne über, welche auf dem Vorderarm herabläuft. Sie stellt
die Grenze zwischen der Gruppe der Beuger und Strecker dar; die
Rinne reicht bis in die Nähe der Hand, und läßt an Deutlichkeit
nichts zu wünschen übrig (Fig. 124 zwischen dem Speichenmuskel
Nr. 7 und dem langen Supinator Fig. 125). Diese Rinne, die Supi-
natorfurche, bildet die uuüberschreitbare Grenze, über welche kein
Beuger und kein Strecker des Vorderarmes hinübergreifen kann, aus
mechanischen Ursachen, welche ihre Wirkung beherrschen. Nur die
oberflächlichen Hautvenen ziehen über diese Rinne in die Höhe, mo
die Medianvene zu erreichen.
Auf die Form der Ellenbeuge haben Pronation und Supinatiuu
einen ebenso bedeutenden Einfluß, wie auf die Gestalt des ganzeu
Vorderarmes. Die veränderte Stellung der Elle und Speiche wurde
schon in der Knochenlehre ausführlich geschildert. Die Verschiehong
der Muskeln in der Haut besteht nun an einem Vorderarm, dessen
Hand in Pronationsstellung sich befindet, darin, daß der lauge Snpi-
nator nicht gerade herab zieht, wie in Fig. 124 Nr. 16, sondern eine
halbe Spiraltour beschreibt, deren Größe von der Stärke der Proiia-
tion abhängt. In der Fig. 129 (ein Facsimile nach Michjelangeui)
befindet sich links die Hand in mäßiger Pronation, der lange Supi-
nator Nr. 9 zieht schräg herab, als endigte er in der Hohlhand, und
sein innerer Rand nähert sich demjenigen des runden Pronator nnd
des inneren S])eichenmuskels. Die Supinatorfurche, welche au dem
gestreckten Vorderarm gerade herabzieht, bekommt ebenfalls eine
andere Richtung, sie wird gegen die Elle hin vei-schoben. Das ist an
Muskeln der Gliedmaßen. 423
dem rechten Arm der Figur 129 ebenfalls deutlich erkennbar, obwohl
das Verhalten der Muskeln durch eine ganz andere Bewegung hervor-
gerufen ist. Links ist die freischwebende Hand proniert, rechts
dagegen der ganze Arm an der festgestemmten Hand rotiert.
Die Wirkung auf die Form des Vorderarmes ist in beiden Fällen
dieselbe: der lange Supinator Fig. 129 Nr. 0 und die Speichenstrocker
laufen nicht gerade, sondern schief herab, die Supinatorfurche zwischen
der Beuger- und Streckergruppe des Vorderarmes ist ebenfalls nach
innen abgelenkt, wie dies links der Fall, dennoch ist der Grund der
nämlichen Muskelverschiebungen durchaus verschieden.
Die verschiedene Stellung der beiden Arme ist gleichzeitig ein
lehrreiches Beispiel, wie der fixe Punkt der Muskelgruppen an den
beweglichen Punkt verlegt werden kann. An dem linken Arm der
Fig. 129 ist die Hand der bewegliche Punkt (Punctum mobile), an dem
rechten Arm ist dagegen die Hand der fixe Punkt {Punctum fixum)
geworden.
D. Die Muskeln der Hand.
Zu der reichen Muskulatur, mit der der Vorderarm die Hand
versorgt, kommt noch diejenige des Handtellers hinzu. Die Hand be-
sitzt auf ihr entspringende und endigende Muskeln, welche die Leistungs-
fähigkeit des Greiforganes wesentlich erhöhen und die Formen mit be-
stimmen. So besteht der Daumenballen aus Muskeln, welche den Um-
fang des polsterföiTnigen Vorsprunges bedingen, und der Kleinfingerballen
hat eine ähnliche reiche Unterlage. Die dazwischen liegende Fläche,
die eigentliche Hohlhand gestaltet sich dadurch zu einer Vertiefung,
in der die Sehnen der Beuger zu ihren Ansatzpunkten ziehen. In der
Hohlhand finden sich ebenfalls Muskeln, welche für die Bewegung der
Finger in Anspioich genommen werden. An dem Handrücken sind
die Formen weniger mannigfaltig, weil die für die Greifbewegung not-
wendige Muskulatur in den Handteller verlegt ist.
Unter der Haut dehnt sich die Fascie aus. Auf dem Handrücken
beteiligt sie sich an der Bildung des queren Rückenbandes und geht
dann in eine dünne Schichte über, welche sich bis auf die Finger-
rücken fortsetzt. Die unter ihr liegenden Sehnen der Fingerstrecker
sind deshalb mit aller Schärfe zu sehen. Die Fascie der Hohl-
hand ist viel stärker, sie nimmt die Sehne des langen Hohlhand-
muskels in sich auf (Fig. 130 Nr. 7) und schickt starke bandartige
Fortsetzungen bis zu den Fingern. Andere Teile der Fascie um-
hüllen die Muskeln; selbst die verborgensten unter ihnen entgehen
nicht der Umhüllung, ebensowenig wie die vorbeiziehenden Sehnen.
424 Zehnter AbBchnitt.
Auf dieser Hohlhandfascie entspringt ein Hautmuskely der kurze
Hohlhandmuskel (M. palmaris brevis^ Fig. 130 Nr. 24). E> bestdii
aus einer Anzahl paralleler Bündel, welche quer zur Längsrichtang
der Hand liegen. Sein Ursprung liegt dicht an der Grenze d«
Daunienballens. Seine Endigung ist in der Haut des Eleinfinger-
ballens. Wirkung: er wölbt durch Einziehen der Haut den Klein-
fingerballen. Bei energischem Beugen der Finger wird der Kinflntt
des Muskels auf die Haut dadurch sichtbar, daß eine Reihe kleiner
Grübchen seinen Zug auf die Haut bezeichnen.
1) Muskeln des Daumenballens.
Der kurze Abzieher des Daumens (M, abductor pollicis brerU^
Fig. 130 Nr. 11) entspringt vom queren Handwurzelband und Tom
Vorsprung des Radiale und bildet einen ansehnlichen Muskelbaach,
der mit einer kurzen Endsehne zu dem Seitenrand der Grundphalange
geht. Wirkung: zieht den Daumen ab.
Der kurze Beuger (M. fexus pollicis brevis) liegt dem kurzen
Abzieher gegen die Hohlhand hin dicht an. Er besieht aus zwei
Portionen, zwischen denen die Sehne des langen Beugers (Fig. 130
Nr. 13) zu dem Nagelglied vordringt.
Die eine der Portionen des kurzen Beugers entspringt vom queren Hand-
wurzelband, die andere kommt aus der Tiefe der Hohlhand. Ihr Ansatz findet
an den beiden Sesambeinchen des ersten Daumengelenkes statt. Der Mnakel ist
vielen Schwankungen seiner Größe unterworfen.
Der Gegensteller des Daumens (M, opponens pollicis, Fig. 130
Nr. 10) wird von den beiden vorerwähnten bedeckt. Ursprung am
queren Handwurzelband und am Carpale I, Ansatz an der ganzen
Länge des seitlichen Rundes des Mittelhandknochens . des Daumens.
Wirkung: bewegt den Daumen gegen die Hohlhand und bringt ihn in
Gegenstellung zu den übrigen Fingern.
Der Zuzieher des Daumens (M, adductor pollicisy Fig. 130
Nr. 12) liegt tief im Grunde der Hohlliand, an seinem Ursprung bedeckt
von den Sehnen der Fingerbeuger. Er entspringt breit vom Mittel-
handknochen des Mittelfingers und von Bändern der Handwurzel.
Seine Bündel drängen sich auf ihrem Verlauf zu dem Daumen melir
und mehr zusammen und endigen schließlich zugespitzt an dem inneren
Sesambein des ersten Daumengelenkes. Der freie Rand jener Haut-
falte, welche sich spannt, wenn der Daumen stark abgezogen wird,
schließt den Rand dieses dreieckigen Muskels ein. Wirkung: er zieht
den Daumen an.
Miuheln der GliedmaSen.
M Oberfl. Fin(!et-
. a ErbBGnWill.
L\ » llMhdn,.
WmÜ^\ " * ingerbeuger
J^BÄ IS Muskeln d»
^>^|" Kldnßnger-
nK^
jj Sehne e.
MittelgUed.
\^
g Gelenkhöcker
d Gnindph»-
^•^
^
svhe Zciotiuung.)
lußäclic der Haud. iGeomebi
2) Muskeln des Kleinfingerballetis.
Der Abzieher des kleinen Fingers (M abductor lU^iti qmnti,
Fig. 130 Nr. 25) entspringt vun dem Erbsenbein Nr. 22 und geht zur
426 Zehnter Absohnitt.
Ellenfiäche des ersten Gliedes des kleinen Fingers und teilweise aocfa
zum Rücken desselben. Wirkung: zieht den kleinen Finger ab.
Der kurze Beuger (M, flescus digiÜ brevis) liegt weiter gegen die H«ihl-
hand zu, cntspruigt größtenteils vom queren Handwurzelband und geht wie dfr
vorige an dieselbe Stelle des Kleinfingers. Beugt den kleinen Finger.
Der Gegensteller des kleinen Fingers (M. opponens digiH quinii) ent-
springt, bedeckt von dem kurzen Beuger, ipehr gegen die Mitte des Handtelloi n
und ebenfalls mit dem überwiegenden Teil seiner Bündel von dem quem Haiid-
wurzelband. Er zieht schräg zum Mittelhandknochen des kleinen Fingers, an dewa
Ellenrand er sich der ganzen I^nge nach festsetzt, in derselben Art, wie der Gtp%-
steiler des Daumens. Bei dem Spreizen der Finger bebt sich , vom Racken Wr
>>etrachtet, der Abzieher des kleinen Fingers durch die Verkürzniig seiner Fum
deutlich ab und läßt den Rand des Mittelhandknochcns wobl erkennen.
Schließt sich die Hand oder umgreift sie irgend einen G^en-
stand mit Kraft, dann werden diese kleinen Muskeln herausgedrängt
80 daß sich der Eleinfingerrand stärker vorwölbt als bei gestreckten
Fingern. Dasselbe ist bei dem Anstemmen der Hand auf eine platte
Unterlage der Fall, wobei auch die Wölbung schwindet, welche der
Handrücken während der ruhigen Haltung und noch mehr bei ge-
schlossener Hand aufweist.
3) Muskeln der Hohlhand.
Einige sind für die plastische Anatomie insofern interessant, als
sie auf dem Handrücken zum Vorschein kommen.
Die Zwischenknochenmuskeln füllen die Räume zwischen den
Mittelhandknochen aus und liegen in zwei dichten Lagen übereinander.
Die inneren Zwischenknochenmuskeln sind nur von der Hohl-
hand aus, nach Entfernung der darüber hinwegziehenden Sehnen, Ar-
terien und Venen aufzufinden. Die äußeren Zwischenknochen-
muskeln, von der ßückenflächc der Hand her sichtbar (Fig. 131
Nr. 14 u. 14'), sind zweiköpfig und entspringen von den gegeneinander-
gekehrten Rändern je zweier Mittelhandknochen. Der erste ist der
mächtigste, er befindet sich in dem Kaum zwischen dem Mittelhand-
knochen des Daumens und des Zeigefingers (siehe Fig. 131 Nr. 14');
er gellt zur Speichenseito der Grundphalange des Zeigefingers, teil-
weise auch zu dessen Rückensehne; der zweite setzt sich in ähn-
licher Weise an der Speichenseite des Mittelfingers an, der dritte
an der Ellenseite desselben Fingers und der vierte an der Ellenseite
des Ringfingers (Fig. 131 Nr. 14). Der Mittelfinger empfangt somit
zwei äußere Zwischenknochenmuskeln.
Diese Muskeln (vier äußere und drei innere) wirken auf die
(jrrundphalanx der vier Finger, und zwar so, daß die äußeren Zwischen-
Muskeln der Gliedniiißeii. 427
knochenmuskeln die Finger spreizen, die inneren dagegen als Anta-
gonisten vdrken und den Fingerscliluß herbeiführen. Dabei hat jede
Gruppe noch eine Nebenwirkung: die vier äußeren strecken gleicli-
zeitig die Finger, die inneren beugen dieselben. Am deutlichsten von
den vier äußeren Zwischenknochenmuskeln ist der erste durch die
Haut hindurch zu erkennen. Spreizt man die gestreckten Finger und
namentlich Daumen und Zeigefinger, so erscheinen vom Handrücken
aus die beiden Ursprungsköpfe vollkommen deutlich, der eine, welcher
dem Mittelhandknochen des Zeigefingers entlang läuft, der andere, der
breit von dem Mittelhandknochen des Daumens entspringt und auf
seinem Weg gegen die Grundphalange des Zeigefingers sich allmählich
verschmälert.
Die Sp u l wu r m in u ekeln (Mm. lumbrieales, Fig. 130 Nr. IT) heißen so wegen
ihrer langen drehrunden Fonn, die sie mit Eingcweidewünnem gemein haben. Sie
entspringen in der Hohlhand von den Sehnen des tiefen Fingerbeugers. An der
Speichenseite jedes der vier Finger treten sie zu der Kückensehne der Finger. Sic
beugen die Finger au der Grundphalange.
Aus der Beschreibung der Zwischenknochen — und der Spul-
^wurmmuskeln geht hervor, daß die Sehne auf der Rückenftäche der
Finger einen sehr zusammengesetzten Bau erhält, denn sie wird aus
dem Zufluß der ebengenannten Muskelsehnen und den Sehnen des
langen Streckers hergestellt, der von dem Vorderarm herabkommt.
Der Zeigefinger auf Fig. 131 giebt ein Bild der Rücken sehne
der Finger überhaupt. Bei Nr. 17 kommt von dem Vorderarm
die Strecksehne des Zeigefingers; diejenige des gemeinschaftlichen
Streckers, welche für diesen Finger bestimmt ist, wurde abgetragen
und bei Nr. 17 sieht man ihren Querschnitt. Zu diesen beiden Sehnen
stoßen die Sehnen des äußeren und inneren Zwischenmuskels und
eines Spulwurmmuskels. Dadurch entsteht ein dreieckiges Sehnen-
blatt, aus dem im weiteren Verlauf filr jedes Glied die Ansatzbündel
so geliefert werden, daß die Sehne dennoch ansehnlich stark das
Nagelglied erreicht. — Man sollte erwarten, daß die Rückensehnen der
Finger, die auf dem höchsten Punkt des Knöchels liegen, bei der
Beugung von diesen rundlichen Voraprüngen abgleiten. Dies geschieht
jedoch nicht, weil die Sehnen der kleinen Muskeln, welche in der
Hohlhand liegen, heraufkommen und mit der Rückensehne verwachsen.
Eine geringe seitliche Verschiebung wird jedoch nicht gänzlich ausge-
schlossen, wie man beim Ballen der Faust besonders an der Streck-
sehne des Zeigefingers sehen kann, welche 3 — 4 mm weit nach der
Daumenseite rückt.
Eine intei'cssaute Bewe^lichkeitsbescliränkung des vierten Fingers ündet in Fol-
gendem ihre Erklärung. Wenn man eine FiMist macht, so kann jeder Finger einzeln
428 Zehnter AbBchnitt
wieder vbllkommen gerade ausgestreckt werden, während die übrigen gebogen bkibn.
Nur der Ringfinger läßt sich nicht vollkommen gegen den Handrücken etnckin.
Die yolbtändige Streckung desselben gelingt erst, wenn seine beiden Nachbarn. W
Mittel- und Ohrfinger, zugleich ausgestreckt werden. Die Streckaebnc des Ring-
fingers hängt nämlich mit den Strecksehnen des Mittel- und Ohrfingers durch fihn^
Zwischenbänder zusammen, welche, wenn Mittel- und Ohrfinger gebeugt sind, äie
Strecksehne des Ringfingers so festhalten, daß nur die halbe Streckung xiutaiide-
kommen kann. Diese Zwischenbänder fehlen nie. Ihre Ricbtung ist keine qoen;.
sondern von der Strecksehne des Ringfingers schief nach ab- und scitwärta, zu 4ii
Nachbarschncn hingehend.
Die Hohlhand enthält zum Schutz der in ihr verlaufenden GefiBe
und Nerven ein derbes Fettpolster, das die Hohlhandfascie bedeckt
Werden die Finger ausgestreckt, so springen zwischen den ZOgea
dieser Fascie dicht vor dem Anfang der Finger kleine Fetthtigel her-
vor, welche in der Chiromantie einst eine wichtige Rolle spielten« Die
Wahrsager glaubten in diesen Hügeln und in den Furchen der Hohl-
hand die Schicksale des Menschen geschrieben zu sehen. Sie stützten
sich dabei auf die Worte der Schrift: et erit signum in mann tiuu
„und es wird em Zeichen in deiner Hand sein". Ein Teil die«er
Linien hängt mit Gelenken zusammen, ein anderer entsteht durch Zu-
sammendrängen der Haut bei dem Schluß der Hand.
Die konstantesten dieser Linien sind:
1) Die Monatslinie (Linea merisalis), sie fängt in der Nähe des
kleinen Fingers an, verläuft durch den Handteller mit oberer Kon-
vexität und endigt zwischen Zeige- und Mittelfinger. Sie entspricht
den Gelenken zwischen den Köpfchen der letzten drei Mittelhand-
knochen und den ersten Fingergliedern.
2) Die Kopflinic (JAnea cephalica) geht quer dui'ch die Flach-
hand. Sie beginnt oberhalb des Zeigefingers, erreicht jedoch den
Kleinfingerrand der Hand nicht immer. Nur an ihrem Ursprung liegt
sie mit einem Gelenk, mit dem Mittelliandfingergelenk, in gleicher
Höhe, wie man bei der Beugung des Zeigefingers gut sehen kann.
3) Die Lebenslinie (Linea vitalis) umgreift das Dickfleisch des
Daumens und fällt mit der Ursprungsgrenze des Anziehers des Dau-
mens zusammen.
Die Oberhaut der Hohl band zeichnet sich, wie an allen Beuge-
seiten der Gliedmaßen durch ihre Zartheit aus, besonders an ge-
schonten Händen. Sie kann sich aber, wie die hornigen Fäuste ge-
wisser Handwerker beweisen, bis auf zwei Linien verdicken.
Die Gestalt der Hand richtet sich überhaupt viel nach ihrem
Gebrauche, welcher an ihr, sowie an den Finger bleibende Sparen
zurückläßt. So wird die Hand l)reit, steif und zugleich schwielig bei
K Kixtt. Sptrivlionslr.
n StreoV. <l. Zv'igtt.
n Abi. il. Iiftum,
-- U I^Dg. 9i«ieh.>
Btrtcker.
10 Ciupftle II.
10 Kura. Spei-
Rhenatr.
IT Strmk. il.Zdgef.
480 Zehnter Abflchnitt.
allen schwer arbeitenden Handwerksleuten. Mne permanente Bengiae
der Finger findet sich infolge der Verhärtung des subkutanen Bindt-
gewebes bei Holzhauern und Zimmerleuten. Die zerstochene Ober-
haut am Daumen und Zeigefinger der linken Hand macht den
Schneider kenntlich, und die schwielenartige Verdickung am ersten
Glied des Zeigefingers und am Daumen zeichnet den Tischler xmi
rührt vom Gebrauche des Hobels her.
E. Die Venen des Arms.
Die hochliegenden oder Hautvenen (lenae mihcutaneae) scheinen sk
blaue Stränge durch die Haut des Armes hindurch. Diese Venen
springen je nach der Blutf&Ue stärker oder schwächer über die Fläche
hervor. Sie liegen zwischen Haut und Fascie in der Fettschichte»
und ihre Deutlichkeit hängt also auch von dem Fettreichtum ab. Bei
Kindern und fettleibigen Personen ist deshalb wenig von ihnen n
sehen, dagegen werden sie um so deutlicher, je geringer das Fett-
polster wird. Die Venen hängen in ihren gröberen Verzweigungen viel-
fach untereinander zusammen und bilden auf diese Weise Venennetze.
Neben den hochliegenden Venen giebt es auch tiefliegende
Venen des Armes, welche sich genau an den Verlauf der Arm-
schlagader halten, und zwar in der Weise, daß sie von zwei Venen
begleitet wird. Auch diese bilden untereinander Netze und hängen
durch Verbindungsäste mit den oberflächlichen Hautvenen zusammen.
Das Blut kann demnach durch zwei verschiedene Bahnen nach dem
Herzen zuiiickkehren, oder wenn innerhall) des oberflächlichen Rohren-
systems ein Hindernis für den Rückfluß besteht, durch das tiefe seinen
Weg nehmen oder umgekehrt. Von dieser Möglichkeit wird denn auch
der ausgiebigste Gebrauch gemacht. So oft sich die Muskeln, sei e>
des Armes oder des Beines, zusammenziehen, drücken sie die dünn-
wandigen Venen zusammen und verhindern so den Rückfluß durch die
tiefen Abzugsröhren. An dem Arm füllen sich dann die Hautvenen
strotzend, sobald durch das Schließen der Hand zur Faust die Mus-
kulatur des Vorderarms sich zusammenzieht. Die bei der Bewegung
des Körj)ers stattfindenden Zusammenziehungen der Muskeln werden,
wie daraus hervorgeht, ein wichtiges Hilfsmittel fiir die Bewegung des
Blutes, namentlich in den Gliedmaßen; denn in ihnen muß das Blut,
den allmächtigen Gesetzen der Schwere entgegen, von unten nach auf-
wärts strömen und bedarf dringend der helfenden Wirkung der Mus-
keln. Um den Rückfluß des I^lutes noch mehr zu unterstützen, sind
im Innern der nach dem Herzen aufsteigenden Venen Klappen oder
Taschen Ventile angel)racht, welche sich in der Richtung des Stromes
öffnen, dagegen einen Küektiuß des Blutes verhindern.
Muskeln der Gliechnaflen. 431
Die Länge des Blutstroxnes und seine der Schwere entgegengesetzte Richtung
machen die Venen zu einem häufigen Sitz der Erkrankung. Die rankenförnugen
Krümmungen, welche der Verlauf der Hautvenen so oft am Rein aufweist, unter
dem Namen der Krampfadern bekannt, erklären sich aus statischen Verhält-
nissen. Idt der Kückfluß des Blutci«, wie in den letzten Monaten der Schwanger-
Bcbaft gehemmt, so entstehen durch den Blutilruck Ausbuchtungen und Erweiterungen
des Venenrohres; diese bedingen, wenn die erweiterten Stellen zahlreicher sind,
den Anschein schlangenförmiger Krümmungen und führen bei längerer Dauer der
Krankheit eine Verdickung des Gefäßrohres herbei. Durch die Verdickung der
Wände erscheinen die Krampfadem wie harte, tiefblaue Stränge über die Haut
her>'or(|uellend. Diese Krampfadem sind jedoch keine ausschließliche Plage der
Frauen. Sie kommen auch bei Männern vor; so bei Handwerkern, welche bei
ihrer Arbeit in aufrechter Körperstellung während des ganzen Tages verharren.
Die Wurzeln der Armvenen liegen in der Hand, von denen haupt-
sächlich jene des Handrückens in Betracht kommen, denn der Hohl-
hand fehlen die sichtbaren oberflächlichen Venen. Die Venen des
Handrückens nehmen ihren Anfang von der Fingerspitze aus zwei
Asten, welche die Nagelwurzel umgreifen (Fig. 132 Nr. i). Das aus
der Vereinigung entstandene Stämmchen steigt am Finger in die
Höhe, nimmt aber sofort neue Zuflüsse auf, welche teilweise von der
Hohlhandfläche der Finger heraufkommen.
Schon am mittleren Fingergelenk sind die Venen stark vermehrt.
Durch die Beugungen und Streckungen gezwungen, wenden sie sich
zu den Rändern des Gelenkes, dorthin, wo die geringste Spannung ein-
tritt, um oberhalb des Gelenkes sich wieder durch ein Verbindungsrohr
zu vereinigen. So kann es kommen, daß unmittelbar um das Gelenk
zwischen dem Grund- und Mittelglied ein venöser Kreis, allerdings von
keineswegs regelmäßiger Form entsteht.
Die Venenschlingen um das Gelenk zwischen dem Mittelglie<l und der Gnind-
phalangi^ fehlen auch })isw<^ilen, dann zi(^hen die Stännnchen gleichmäßig über das
Gelenk hinauf. Inmier ist dabei eine Abweichung seitlich, um das Gelenk herum,
nachzuweisen, so daß bei starker Biegung die Blutströme auch den günstigen
Seitenweg benutzen können.
Die jetzt umfangreicher gewordenen Venenströme ziehen dann
gegen den Knöchel fort, seitlich je einer oder zwei, also wechselnd
an Zahl, sich teilend und wieder vereinigend, um gegen das Ende
des obersten Fingergliedcs sich in einen Venenbogen der Finger
(Arais dufitalis veiiosus, Fig. 132 Nr. 2) zu ergießen. Dieser Venen-
bogen stellt ein Hauptstromgebiet des nach dem Vorderarm rück-
laufenden Blutes dar; denn in diesen Bogen ergießen sich nicht nur
die Venen des Fingerriickens, sondern münden auch stets jene Venen-
röhren , die von der Hohlhandfläche kommen , Zwischen knöchel-
venen (t'enae intercnpihtlnres, Fig. 182 Nr.3) genannt. Aus all diesen
Veueubahnen zusumniengeuommeu entstehen endlich die Mittelhand-
MW£ LIBRARY. STMlTOTi mmVSS^
432 Zehnter AlMchnltt.
venen (Fenae metacarpeae, Fig. 132 Nr. 4), jene oberflächlichen dick«
■ Venenstämme des Handrückens, welche vorzüglich zwei HauptrichtunjKi
nehmen: die eine nach der Kleinfingerseite hin, es ist die Jena salra.
teUa (Fig. 132 Nr. 4), die andere nach der Daumenseite zu, ist dit
Kopfvene des Daumens (Fena cephalica poUicis, Fig. 132 NY 5).
Mit dieser Schilderung ist nur die Hauptrichtung der Ströme aaf
dem Handrücken angedeutet, weil es sich um diese zunächst handelt.
Für das Verständnis der zahlreichen Variationen ist folgendes zu
beachten.
An der Hand des Neugeborenen kommt von jedem Zwischeo-
knochenraum eine Mittelhandvene. Zu diesen vier Stämmen der
Zwischenknochenräume kommen noch zwei Band venen von der Speichen-
und Ellenseite der Hand. Von den letzteren, welche unbedeutend sind,
wird hier nicht weiter die Rede sein, dagegen verdienen die ersteren
eine eingehende Betrachtung. Diese vier Stämme sind zuerst von
gleicher Stärke und laufen nebeneinander an dem Handrücken in die
Höhe. Durch Verbindungsröhren sind sie ebenfalls schon von der
allerfrühesten Zeit der Entstehung her miteinander in Zusammen-
hang. Der Handrücken ist also bedeckt von einem reichen Venen-
netz. Aber schon während der nächsten Jahre treten einige dieser
Bahnen zurück, während andere sich vergrößern. Das ^Endresultat
gleicht in der Regel der Fig. 132. Die Hauptmasse des Blutes aus
der Kleinfin^erseite ergießt sich dann in ein weites Rohr, die Fma
salvatella Fig. 132 Nr. 4, das im Bogen über das Handgelenk zum
Vorderarm zieht. Die anderen jetzt nahezu nutzlos gewordenen Venen-
netze sinken zu dünnen und unbedeutenden Röhren herab. Die Blnt-
menge, welche aus dem Daumen und dem Zeigefinger zurückkehrt,
bildet einen besonderen Strom, die Kopfvene des Daumens (Fenn
cephalica pollicis^ Fig. 132 Nr. 5), die auf der Daumenseite der Hand
in die Höhe strebt.
Die Verschiedenheit der Ridituntj: erscheint vollkonunen zweckmäßig, wenn
man erwägt, daß für die an der Daumenseit^; gelcfrenen Venenquellen der Wi»jr hi«
zur Kleinfingerpeite auf zu vi(^le Widerstände stoßen und es deshalb gfrinjr^iv
mechanische Schwierif^keiten venirsachen wünle, das Blut direkt über den HäikI-
rücken durch Röhren hinaufzuheben.
Die Stelle, wo die Kopfvene aus der Vereinigung der Zeigefinger-
vene (Fig. 132 Nr. 3 links) und der Djiumenvene entsteht, ist in der
Mitte zwischen dem Griftelfortsatz der Speiche und dem Handwurzel-
Daumengelenk auf den Sehnen des langen Abziehers. Von diesem
Punkt aus steigt die Vene weiter in die Höhe und vereinigt sich
10 cm über dem Handgelenk mit der von der Kleinfingerseite her-
kommenden Jena mlvatella.
MDikeln der OIi«dm*Sea.
Bei der Untersuchung dieser Veue am Lebenden darf man nicht übersehen,
d&ß hier nur von den Hauptbahnen die R^tlc ist, und daß nebenbei noch kleinere
Vena ulvatclln.
3 Zwiftchm- Knöchel -
t^. 132. Die tiautvenen des llandrückenB.
ZwcigTuhrcn, alle iiiituiiiiuuler dun-)i Si^itciiäKtt^ verbunden, an dem DaumcnTand in
die Hiihe strebi-n. Einige divuer SeitenHtrcimn Hiebt man unter der duruiiuiclitigen
Haut von der HoblImndHilcliu den DaninenballeiiB lierkommi'U, verstärkt durch Zu-
lug von dem Hftndleller.
KoLLHAHif, PlutlKh« Anilomle. 28
484 Zehnter Abnhiiitt.
Es wurde schon oben erwähnt, daß die Natur sich nicht immer
dieselben Bohren aus dem Yorhandenen Netz aussucht , durch die sie
hauptsächlich das Blut nach oben leitet, sondern bald diese, bald jene
bevorzugt. Der individuellen Gestaltung ist auch darin ein weiter
Spielraum gegeben. Ist doch oft die Form dieses Venennetzes bei
einem und demselben Individuum verschieden. ^
An dem Arm unterscheidet man folgende Hautvenen:
1) Die Kopfvene (Vena cephalica) führt das von dem Daumen
und Zeigefinger kommende Blut an dem Vorder- und Oberarm in die
Höhe, steigt am Seitenrand des Supinator und dann an der EUbenge
hinauf, erreicht die äußere Bicepsfurche und gelangt so in den tie&t
Spalt zwischen dem großen Brustmuskel und dem Deltamuskel, wo die
Eopfvene Gelegenheit findet, sich in die große Achselvene zu enüeeren.
Auf dem Wege dorthin nimmt sie, namentlich in dem Bereich de»
Vorderarmes, zahlreiche kleinere und größere Stämmchen auC
2) Die Vena basüica (ein deutscher Name fehlt für diese Vene.
und bei dem Ausdruck innere Armvene liegt die Gefahr eines Mis»
Verständnisses allzu nahe) ist die Fortsetzung der Vena salvatella,
welche von der Kleinfingerseite des Handrückens aufsteigt. An derEUen-
seite erhält sie Aste von dem Bücken des Vorderarmes und erreicht,
beträchtlich an Umfang, die innere Bicepsfurche, in der sie vier finger-
breit über dem inneren Knorren die Fascie durchbricht, um in die
tiefe Armvene einzumünden. Die Vena basilica hat also einen weit kür-
zeren Verlauf als die Kopfvene, welche bis an das Schlüsselbein
hinaufgelangt.
Zwischen den beiden größeren Venenstämmen des Vorderarmes
verlaufen noch kleinere Längsstämmchen, welche sich bald in die
Vena basilica, bald in die Kopfvene ergießen, und zwar geschieht dies
vorzugsweise in der Nähe der Ellenbeuge unter doppelter Form:
1) entweder zieht ein Verbindungsast schräg durch die Ellenbenge
von der Kopfvene nach der Vena basilica hinüber. Dieser einfache
und kurze Venenstamm wird Vena mediana genannt, oder
2) eine lange Hautvene der inneren Vorderarmseite teilt sich
etwas unterhalb der Ellenbeuge in zwei Zweige, deren einer zu der
Kopfvene hinüberzieht, deren anderer in die Vena basilica mündet.
Für die Vornahme der Aderlässe pflegt man stets die Vena
mediana zu wählen. Ist die von dem Vorderarm herkommende Haut-
* „Die Venen der menschlichen Hand". Von Braune und Trübioee. Mit
4 Tafeln in pliotogr. Lichtdruck. Leipzig 1873. 4°. Das Werk enthält die neuest«
Ergebnisse anatomischer Forschung über dieses Kapitel.
Muakeln der QlicdmaHen. 435
vene in zwei Zweige gespalten, so wählt man den zu der Vena basilica
ziehenden, weil er voluminöser ist und oberflächlicher liegt.
II. Die Muskeln der unteren Gliedmaßen.
Die Muskehl der unteren Gliedmaßen lassen vier Hauptabteilungen
unterscheiden, welche den Abteilungen des Skelettes entsprechen: Mus-
keln der Hüfte, des Ober-, des Unterschenkels und des Fußes.
Diese ganze Muskulatur ist wie diejenige des Armes von einer
Fascie bedeckt, welche eine gesclilossene Scheide bildet. Auch sie
wird der leichteren Übersicht wegen in eine Oberschenkelfascie,
in eine Unterschenkelfascie und in eine Fascie des Fußes ab-
geteilt. Jede dieser Abteilungen sendet Fortsetzungen zwischen ein-
zelne Muskeln, wodurch oft vollständige Muskelscheiden entstehen,
welche die Verlaufsrichtung und die Wirkung der in ihnen enthaltenen
Muskeln bestimmen. Wie an dem Arm, so erhält auch die Fascie
des Beines Verstärkungen durch Muskelsehnen und dient ihrerseits
Muskelbündeln als Ursprungsstelle. So durchdringen sich die beiden
Organe auf das innigste, und ihre Beziehungen werden von dem
auffallendsten Einfluß auf die Formen. Das ist namentlich auch dort
der Fall, wo breite Fortsetzungen der Fascie in die Tiefe bis auf
den Knochen dringen, mit ihm verwachsen und dadurch Zwischen -
muskelbänder veranlassen, welche als tiefe Rinnen durch die Haut
hindurch erkennbar sind.
Die Haut ist auf der Vorder- und Innenseite des Beines dünn,
auf der äußeren und hinteren derb und mit Haaren besetzt, das Unter-
hautfettgewebe bei normalen Männern so mäßig, daß die Muskellinien
deutlich erkennbar sind, nur am Gesäß wird es reichlich, um die Um-
gebung des Sitzbeines zu polstern. In dem Unterhautfettgewebe ver-
laufen wie an dem Arm die oberflächlichen oder Hautvenen, die
ihre Wurzeln in den Venen des Fußes besitzen.
a. Die Muskeln der Hüfte.
Es gehören zu den Hüftmuskeln nur jene, welche die äußere und
innere Fläche des Hüftbeines einnehmen und an dem oberen Ende des
Schenkels endigen. Viele der vom Hüftbein entspringenden Muskeln
gehen weiter am Schenkel herab, überspringen sogar das Kniegelenk,
um an dem Unterschenkel anzugreifen. Sie werden aus diesem Giamde
nicht zu den Hüftmuskehi gezählt, sondern bei den Muskeln des Ober-
schenkels beschrieben werden.
2b*
436 Zehnter Abedmitt.
1) Äußere Muskeln der Hüfte.
Sie liegen in mehreren Schichten übereinander. Von rQckwän«
nach vorwärts gezählt sind in der oberflächlichen Schichte folgende :
Der große Gesäßmuskel (Glutaeus magnus von glout6s Hinter-
backe Fig. 133 Nr. 3) ist ein mächtiger, aus groben Bündeln zu-
sammengesetzter Muskel, die bei der Zusammenziehung wie daumen-
breite Stränge unter der Haut vorspringen. Er ist die Grundlage der
Hinterbacke. Ursprung: kurzsehnig von einer kleinen Fläche des
Darmbeines dicht über dem hinteren oberen Darmbeinstachel, dun
von dem Kreuz- und Steißbein und von dem Sitzknorren — KreQ^
beinband. Verlauf: gegen den großen BoUhügel hinab, wobei diejenigen
Bündel, welche vom Kreuzbein und den tiefer liegenden Urspnugs-
punkten herabkommen, sich an der rauhen Linie des Oberschenkel-
knochens befestigen (Fig. 133 Nr. 15'). Diejenigen Muskelbündel, welche
von dem Darmbein herabkommen, gehen, bevor sie den großen Koll-
hügel erreichen, in eine starke, bis zwei mm dicke Sebne über (Fig. 133
Nr. 15), welche unterhalb des Bollhügels in die Schenkel faseie über-
geht. Der Muskel setzt sich also nur zur Hälfte am Knochen fest, die
andere Hälfte strahlt in die Fascie aus, welche die äußere Schenkel-
fläche bedeckt. Bei der Beurteilung seiner Wirkung ist dies wohl zn
beachten. Er hebt das Bein nach hinten, eine kräftige Nebenwirkung
liegt in dem Beinspreizen. Wie alle Muskeln, welche ein Gelenk um-
geben, hilft er ferner zur Befestigung der Knochenverbindung. Sü
sieht man ihn denn an dem Standbein in kräftiger Zusammenziehong.
wobei seine Sehne, welche in weitem Bogen den oberen Rand des
Rollhügels umzieht, vertieft liegt, während seine Muskelfasern im Ver-
gleich zu der Lage, die sie während der Ruhe besitzen, hoch erhoben
sind. Dieser Unterschied in der Form des Muskels läßt sich vergleichen
mit dem Aussehen des Deltamuskels während der Ruhe und während
der Bewegung, mit dem er sonst in mancher Hinsicht überein-
stimmt. Die Fonnen des Gesäßmuskels werden durch die Haut und das
Fett, sowohl während der Ruhe als während der Bewegung wesent-
lich alteriert. Das Fett füllt die Gesäßspalte so, daß sie bei ge-
sunden Menschen während des Stehens niemals klaffend offen steht,
wie bei den Tieren, sondern geschlossen, den After vollkonmieu
verdeckt. Es füllt ferner den Raum zwischen dem unteren Rand des
Muskels aus, so daß der Rand der Hinterbacke nicht wie in dem
anatomischen Präparat (Fig. 133) schief gegen den Oberschenkel-
knochen herabläuft, sondern durch die Gesäßfalte sich quer von der
hinteren Schenkeitiäche absetzt (Fig. 134).
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Fig. 133. Muskelu des
BeiuM V
n. lliritfli prwlii'li.
Die Veränderung
der
Form
durch
im besten die Skizze
Mi
UELANOBLu'a
(Fig. 134 Nr. 0): iif o^ere
_
_
JHk^.^^H
438 Zehnter Abschnitt.
Muskelhälfte, die vertieft liegende Sehne, welche namentlich huks diie
Wölbung des großen Rollhügels noch erkennen läßt, die konvexe (it-
säßfalte und der Ansatz der unteren Hälfte des Glutaeos an der
rauhen Linie des Schenkelknochens (Fig. 134 Nr. s), all das ist mit
starken Zügen, mit vollstem Verständnis der anatomischen Gmudlafsr
hingeworfen. Auch der Borghesische Fechter eignet sich vortreff-
lich zum Vergleich, um dann am lebenden Modell die Formen kUr
zu erkennen.
I^ei aufrechter Stellung decken die unteren Bündel des großen 6e»ftßiuib4fk
den Sitzknorren. Beim Niedersitzen gleiten nie auf die Seite und dann ruht ^
Last des Kör|)ers direkt auf dem Knochen und dem Fettpolster. Der vorderp Biwi
des großen Gesäßmuskels ist während der Ruhe nicht leicht zu sehen, weil doit
seine Bündel schmäler werden und auf die Fascie des mittleren Gesäßmuskels Sbir-
greifen; denn wie an dem ganzen Bein die Fascie sehr stark ist, so ist sie o^ todi
auf den vom Hüft- und Kreuzbein entspringenden Muskeln. Unter der Sehne d«
großen GeMßmuskels, die über den Rollhügel hinwegzieht, liegt ein Schleimbeotel
der die sich berührenden Flächen der Sehne und des Knochens glättet, damit jeder
Kraftverlust durch die Reibung während der Zusammenziehung des Muskels ii»l
der damit verbundenen Verschiebung vermieden werde.
Der mittlere Gesäßmuskel (jV, glutaeus mediusy Fig. 133 Sr.i4)
entspringt von der äußeren Fläche des Darmbeines bis zu dem vor-
deren Darmbeinstachel und reicht bis an den oberen Rand des Knochens
in die Höhe. Eine Portion seines hinteren ümfanges wird von dem
großen Gesäßmuskel bedeckt und über seine ganze freie Fläche zieht
eine derbe Fascie hinweg, von deren Innenfläche ebenfalls Muskel-
bündel auf ihn übergehen. Der Ansatz erfolgt mittels einer platten
Sehne, welche den oberen Rand des großen Rollhügels umfaßt und
auf dessen vorderem Rande sich fortsetzt. Es bleibt also die äußere
Fläche des großen Rollhügels von Muskelbündeln unbedeckt, nur die
Sehne des großen Gesäßmuskels geht über ihn hinweg. Das er-
klärt die Deutlichkeit des Rollhügels, welche freilich verschiedene
Grade aufweist. Bei abgemagerten Individuen ragt er wie ein breiter
Hügel hervor, bei kräftigen Männern ist er zwischen die umgebenden
Muskelmassen versenkt, bei den Frauen deutet nur eine leichte
Schwellung seine Nähe an, und selbst dieses schwache Zeichen geht
oft in dem Fett unter oder verwandelt sich gar in eine seichte Mulde.
Wirkung: der Muskel sj)reizt das Bein. Seine Form ist sehr gut
erkennbar in Fig. 134 Nr. 5. Nach vom grenzt der mittlere Gesäß-
muskel an den
Spanner der Schenkelfascie, in den Figuren der Kurze
halber mit seinem lateinischen Namen Tensor fasciae bezeichnet
(Fig. 135 Nr. 2); er entspringt mit einer 2 cm langen Sehne von dem
vorderen oberen Darmbeinstachel. Schon nach kurzem Verlauf nimmt
Muskeln der Oliedmafien. 489
er bedeutend an Umfang zu und entwickelt einen ansehnlichen Bauch,
der im ruhenden Zustand eine Länge von 20 cm und eine Breite von
6 — 8 cm besitzt. Sein Verlauf geht schräg nach außen, sein Ansatz
geschieht durch Übergang aller seiner Sehnenfasern in die Fascie.
Zieht er sich zusammen, so wird die Schenkelfascie gespannt; nach
dieser Wirkung erhielt er semen Namen. Dieser Muskel führt der
Schenkelfascie eine ansehnliche Menge von Sehnenfasem zu, welche
sich eine große Strecke weit noch deutlich nachweisen lassen, so-
wohl an der Leiche wie an dem Lebenden. Bei forcierter Streck-
stellung spannt sich ein fingerbreiter Strang herab bis zu dem
äußeren Knorren des Schienbeines. In der Anatomie wird dieser ge-
spannte Strang als Hüftschienbeinband (Ligamentum üeo^tibiale) be-
zeichnet, und der an der Insertionsstelle mehr als fingerdicke Wulst
ist schon von Agasias an seinem Fechter scharf . dargestellt. Auf
der Fig. 134 Nr. 7 ist der hintere Rand des Tensor fasdae kennt-
lich; in der Stärke, wie ihn Michelanqelg angegeben, ist er oft zu
finden.
Der schmale Ureprung des Tensor fasdae erklärt sich bei der Betrachtung
seiner Rückseite, dort befindet sich eine derbe platte Sehne, die den Ursprung von
dem Knochen vermittelt Bei dem Heben des Beines nach vorwärts verkürzt sich
der Muskel sehr stark, sein Muskelbauch wird dabei breit und legt sich über den
vorderen Rand des mittleren Gesäßmuskels. Die Betrachtung der eben beschriebenen
B^on des Hüftbeines muß zuerst an einem mageren Menschen angestellt werden,
dessen schwache Muskeln den großen Rollhügel wie eine breite Geschwulst hervor-
treten lassen. Je kräftiger die Muskulatur entwickelt ist, desto schwieriger ist für
den Anfänger die Orientierung, weil der Knochenvorsprung tiefer liegt als die ihn
umgebenden Fleischmassen. Die oberflächliche Muskellage deckt noch eine Reihe
anderer Muskeln, welche von dem Hüftbein kommen und an dem Rollhügel oder
seiner nächsten Umgebung sich befestigen:
Der kleinste Gesäßmuskel ( Glutaeus minimus, Fig. 137 Nr. i); er hilft das
Bein spreizen.
An ihn reiht sich der birnförmige Muskel (M, pyriformü, Fig. 137 Nr. 3),
der das große Hüftbeinloch ausfüllt.
Der innere Hüftlochmuskel (M, obturator internus), der das Hüftbein-
loch von innen her bedeckt, samt seinen zwei kleinen Nebenköpfen.
Der viereckige Schenkelmuskel (M, quadratus femoris, Fig. 137 Nr. 6),
der breit und kurz zwischen der äußeren Fläche des Sitzknorrens und der rauhen
Linie dicht am Rollhügel ausgespannt ist Alle diese Muskeln bilden die tiefe
Schichte der äußeren Hüftbeinmuskeln. Die drei zuletzt erwähnten sind mit
dem äußeren llüftlochmuskel (M, obturator extemus) Auswärtsroller
des Beines.
Die innere, schaufelförmige Fläche des Hüftbeines ist eben-
falls wie die äußere von kräftigen Muskeln bedeckt, welche dadurch
auf die Formen des freistehenden Beines von Einfluß werden, daß
sie die Leibeshöhle verlassen. Unter dem Leistenband, zwischen dem
Zehnter AbKhiüU.
Fig. 134. Niw-kter Krifger von Michfj^hqelo. Facsimile.
Torderen oberen Barmbeinstacliel und dem Anfang des horizontalen
3c)iiimbeinastes verlassen sie ihre, nur nach EröffnuDg der Bauchhöhle
Muikeln der Gliedmaßen. 441
sichtbare Bahn, um sich mit einer gemeinschaftlichen Sehne an dem
kleinen Rollhügel zu befestigen. Es ist ein ansehnlicher Muskelbauch,
der sich unter dem Leistenband hindurchschiebt (Fig. 135 Nr. 17) und
80 jene Fülle bedingt, welche den vorderen Rand des Hüftbeines be-
deckt. Das Leistenband wird, je nach dem Umfang des Muskelbauches,
entweder mehr gewölbt oder mehr gesenkt gegen die vordere Schenkel-
'fläche zu dem Schambein herüberziehen.
Der große Lendeumuskel (M. lumbalis mc^nus, auch M, psoas) entspringt
von den vier oberen Lendenwirbeln und dem zwölften Brustwirliel dort, wo diese
in die Bauchhöhle hereinragen.
Der Darinbeinmuskel (M. iliacus) nimmt die schalenförmig vertiefte innere
Fläche des Darmbeines ein, von der er entspringt. Gegen das Leisteuband hin
schieben sich seine Bündel mehr und melir zusammen, legen sich an diejenigen des
M, humbalisy um mit ihm die Bauchliöhle zu verlassen (Fig. 135 Nr. 17) und, wie
schon erwähnt, an den kleinen Kollhügel sich zu befestigen. Beinheben ist ihre
Hauptwirkung. Ist das Bein fixiert, so beugen sie den Kumpf in Verbindung mit
den geraden Bauchmuskeln; Überdies sind sie imstande, das Bein nach auswärts
zu rollen.
b. Die Muskeln des Oberschenkels.
Diese starken Muskeln umhüllen den Schenkelknochen oben voll-
ständig; unten bekommen seine Knorren eine oberflächliche Lage und
sind durch die Haut hindurch erkennbar. Die Muskeln dienen teils
der Bewegung des Oberschenkels und endigen also dann an ihm,
teils erstrecken sie sich, über das Kniegelenk hinwegziehend, an den
Unterschenkel, um als Beuger und Strecker zu wirken. Die Muskeln
lassen sich in drei Gruppen sondern: in eine vordere, hintere und
innere oder mediale.
1) Vordere Muskeln des Oberschenkels.
Die innere Begrenzung dieser kraftvollen und umfangreichen
Muskelmasse bildet der Schneidermuskel (M, sartoriusj Fig. 135
Nr. 19, Fig. 136 Nr. 3). Ursprung: vom Darmbein dicht unter dem
vorderen oberen Darmbeinstachel. Während der Tensor fasciae sich
schräg auswärts wendet (Fig. 135 Nx. 2), läuft der Schneidermuskel
schräg über den vorderen Umfang des Schenkels nach unten an die
Innenseite des Kniegelenkes und setzt sich mit einer platten Sehne
am oberen Ende der freiliegenden Schienbeinfläche an. Er hat eine
Länge von mehr als 60 cm und eine Breite von 4 cm in der Streck-
lage. Wirkung: hilft bei der Beugung des Unterschenkels. Sein Ver-
lauf, der deutlich erkennbar ist, sobald man bei gebeugtem Unter-
442 Zehnter AbMhDitt.
Schenkel das Bein nach vorn hebt und etwas nach außen wendet
stellt zugleich die Grenzlinie dar zwischen den Streckern des Unter-
schenkels und den Zuziehem. Die einen liege» nach aufien von ihm,
die anderen nach innen. Die tiefe Furche, welche an der vorderen
Seite des Schenkels durch die vom Scham- und Sitzbein kommenden
starken Zuzieher (Fig. 135 Nr. is, 20 u. 21) entsteht, füllt der Sartoria*
teilweise aus.
Die irrige Vorstellung, daß dieser lange dünne Muskel die schwere LmI da
einen Beines über das andere lege, wie die Schneider bei der Arbeit zu \km
pflegen, verleitete einen alten Anatomen (Spigeuus) demselben den allgcmrin und
ausschließlich gebrauchten Namen Schneidermuskel beizulegen.
Der vierköpfige Uuterschenkelstrecker (Extensor cruru qwh
driceps, Fig. 135 Nr. 4, 5 u. 20) besteht aus vier großen selbständig«
Portionen, von denen jedoch nur drei nach Entfernung von Haut und
Schenkelfascie sichtbar werden. Von diesen drei Köpfen läuft d«
gerade Schenkelmuskel (M. rectus femoris, auch kurz Rectus ge-
nannt) als ein ca. 6 cm breiter Strang auf der Mitte des Schenkels
zum Knie herab (Fig. 135 Nr. 4u. 4'). Er entspringt von dem vorderen
unteren Darmbeinstachel und von dem oberen Umfang des zunächst
liegenden Pfannenrandes. Sein Ursprung ist aber durch den des
Schneidermuskels und dea Tensor fasciae (Fig. 185) verdeckt. Erst nach-
dem diese auseinandergewichen, wird sein oberes Ende frei. An dieser
Stelle befindet sich am Lebenden ein kleines Grübchen, das Schenkel-
grübchen ^ (siehe das linke Bein des Borghesischen Fechters, die bei-
den Beine des Merkur und des tanzenden Faunes). Der Anfang des
Muskelbauclies ist bedeckt von einer blattähnlich geformten Sehne, die
10 cm weit herabreicht (Fig. 135 Nr. 4). Der Muskelbauch ist während
der Ruhe abgeplattet; 10cm über der Kniescheibe beginnt seine starke
Sehne, die geradenwegs nach abwärts zieht (Fig. 135 Nr. 6). & liegt
nicht direkt auf dem Schenkelknochen, sondern auf einer kräftigen
und mit Sehne bedeckten Fleischplatte, welche mit zu dem Unter-
schenkelstrecker gehört und als Schenkelmuskel (M. cruralis) be-
zeichnet wird.
Der Schenkelknochen hat bekanntlich eine ansehnliche Krümmung
nach vorn. Schon darum wird der Kontur des geraden Schenkel-
muskels im Profil eine langgestreckte Kurve aufweisen. Dazu komm:
noch, daß zwei Muskellagen sich übereinander befinden. — Sobald man
das Bein bei gebeugtem Knie hebt, zieht der Rectus mit besonderer
Kraft, weil er an dem Becken entspringt; seine langgestreckte Kurre
^ Fossette fcmorairc. Gekdv, Anatomie des formes ext^rieurs. Pans 1821».
KbiIuId ilrr (}|icdn»in«n.
443 ^M
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Tensor Fasciuc I ~i|r/l
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i) atrackir ii. gr. Aon«. ^^^h
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Bpringt dann noch stärker hervor. (Siehe
iLuch rlaa rechte Beiu des ^H
Borgheflischeu Fechters Fig.
laii Nr. 4.)
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444 Zehnter Abeohnitt
Nach außen von dem geraden Schenkelmuskel liegt:
der äußere Schenkelmuskel (M, vastus extemus, oder lattndU,
Fig. 135 Nr. 5), der umfangreichste der vier Köpfe,* denn er macht nibe-
zu ein Drittel der Oberschenkelmuskulatur aus; er entspringt sehnig,
dicht an dem großen RoUhügel und der seitlichen Lippe der rauhen
Linie. Seine Fleischmassen ziehen schräg nach abwärts in der Sidk.
tuug nach der Kniescheibe. Für die Form ist beachtenswert, dil
der Muskel von einem derben Sehnenblatt bedeckt ist, das von den
großen Rollhtigel herab sich über zwei Drittel seines Umfanges aov
dehnt. Die Länge dieses Sehnenfeldes beträgt über 20 cm und die
Länge der ganzen Fleischplatte bis zu der Kniescheibe ungefähr 35cm
(Fig. 137 Nr. 19). Sobald der Muskel bei forcierter Streckstellnng »ich
spannt, entsteht in dem ganzen Bereich des Sehnenblattes eine deut-
lich erkennbare Fläche an dem früher gewölbten Oberschenkel. Nad
hinten ist dieser äußere Schenkelmuskel durch eine tiefe Furche töb
den Beugemuskeln getrennt (Fig. 133 zwischen Nr. 17 u. 18, an der
Skizze MiCHELAOGELo's Fig. 134 bei Nr. lo); der vordere Rand d«
äußeren Scheukelmuskels liegt dem Rectus dicht an.
Der innere Schenkelmuskel (AL vastus intemtts oder mediaiu,
Fig. 135 Nr. 20' und Fig. 136 Nr. 5) kommt von der inneren Lippe
der rauhen Linie und zieht um den inneren umfang des Schenkd-
knochens gegen die Kniescheibe hin, an die er näher heranrückt, ah
der äußere. Gleichzeitig nimmt sein Umfang nach unten mehr und
mehr zu, was aber nicht auf einer Vermehrung seiner Muskelbündd
beruht, sondern auf dem Dickerwerden des Knochens. Der Schneider-
muskel verdeckt seineu Ursprung.
Die Endsehnen aller vier Köpfe vereinigen sich an der Knie-
scheibe und umfassen ihre vordere Fläche, ihren oberen und seitlichen
Rand. Von der Kniescheibe aus setzen sie sich fort, um zum gröBten
Teil an dem Schienbeinstachel ihren Ansatz zu finden (F^g. 135
Nr. 24). Bei den Zusammenziehungen dieses vierfachen Muskels folgt
das Schienbein der Bewegung der Kniescheibe und der Unterschenkel
wird gerade ausgestreckt.
Das iinttTo Endo des inneren Kopfes des Scheukelmiiskels weist biBwexlen ein»»
seiehte P^insehnürun^ auf, welche 4 cm über seinem unteren Rand und parallel mit
demselben von dem Schneidermuskel her gegen den oberen Rand der Kniescheibe
zieht. Sie zeif^t sich nur })ei forcierter Streckstellung und fehlt in der Ruhe. Ein
starker Ftiserzug in der Schenkelfascie ist die Ursache. — Der innere Kopf Ii£c
ferner bei forcierter Streckstellnng deutlich zwei Flächen erkennen , eine mediilf.
die unter dem Schneidermuskel verschwindet, und jene, welche nach vom gewendef
' Diese vier Muskeln werden auch als Vasfi bezeichnet, von rtutus, on-
geheuer. Der Vastus externns ist in der That eine gewaltige FleiBchmawe.
Muskeln der GliedmaOen. 445
in der Fig. 185 Nr. 30 hauptsächlich sichtbar ist Die Herkunft der medial ge-
stellten Fläche erklärt sich aus der Untersuchung des Muskels. Die von der inneren
Lappe der rauhen Linie entspringenden Fleischmassen sind nämlich von einer glän-
zenden Sehne bedeckt, welche hinter dem Schneidermuskel aufsteigt und sich dann
allmählich verliert , wobei jedoch <lurch eine scharfe Grenzlinie der Beginn der
vorderen von sehnenfreien Muskelbündeln gebildeten Portion bezeichnet wird. Diese
Linie folgt ca. 2 cm entfernt dem vorderen Rande des Schneidermuskels.
Bei forcierten Bewegungen , u. a. auch bei der Sitzhocke, kommt es auf der
äußeren Schenkclf lache zur Bildung einer Längsrinne, welche von dem großen
Rollhügel über mehr als die Hälfte dos äußeren Schenkelmuakels herabläuft. Diese
Furche rührt von derjenigen Sehne de^ großen Gesäßmuskels her, welche in die
Schcnkelfascie übergeht.
2) Muskeln an der inneren Fläche des Oberschenkels.
Sie erstrecken sich von der Schambeingegend zu dem Ober-
schenkelknochen und füllen den Raum, der an dem Skelett zwischen
diesen Knochenpunkten übrig bleibt, so vollständig aus, daß bei ge-
schlossenen Schenkeln keine Lücke bleibt. Diese Muskelgruppe voll-
zieht als Hauptwirkung den Schluß der Beine, das heißt, sie nähert
die gespreizten Schenkel. Die Muskeln sind also auch imstande,
das Festhalten an dem zwischen den Schenkeln befindlichen Pferde-
sattel zu unterstützen, und daher führen sie den Namen „R^iter-
muskeln" (Fig. 139 Nr. 3).
Der schlanke Muskel (M. gracilis, Fig. 136, Nr. 18) ist der ober-
flächlichste und wie schon sein Name richtig andeutet, nicht dick
dafür aber lang. Er entspringt an der Schamfuge, dicht neben der Rute,
läuft an der inneren Schenkeltiäche herab und setzt sich, gemeinschaft-
lich mit dem Schneidermuskel, an der freien Fläche des Schienbeines
fest, gelangt also über das Kniegelenk hinab bis zum Unterschenkel.
Von vorne ist nur die obere Hälfte seines Verlaufes sichtbar;
denn er kommt hinter den Schneidermuskel zu liegen, sobald sich
die beiden Muskeln auf ihrem Wege zu dem gemeinschaftlichen An-
satzpunkte begegnen. Auch seine lange Endsehne liegt hinter der-
jenigen des Schneidermuskels. Sein Ursprung ist plattsehnig, voll-
kommen sagittal gestellt, und dieselbe Richtung behält auch der
Fleischbauch. Deshalb erscheint er von vorn bei forciertem Zuziehen
des Beines nur als ein schmaler Streifen.
Der lange Zuzieher (Adductor longus, Fig. 138 Nr. 6) entspringt
dicht neben dem vorigen gegen den oberen Rand des Schambeines
hin mit einer starken runden Sehne, nimmt im Herabsteigen an Breite
zu und heftet sich an das mittlere Drittel des Oberschenkels.
Die Figur 138 läßt die ürsprungsstelle deutlich werden, die
Zunahme nach abwärts, den Ort des Ansatzes und die Thatsache, daß
446
Z«bnt«r Abfohnitt.
nur sein vorderer Raod direkt nach der vorderen Schenkelfläche
wendet ist, daß nur er auf das Relief der Formen einen bervorragi
den EinHuß üben kann. Seine äußere Fläche ist schief gestellt,
die Schattierung erkennen läßt, und folglich sein hinterer Rand gej
die Hintcrtiäche des Schenkels gewendet. Dieselbe Richtung besit:
auch die folgenden Muskeln und daher rührt jene Rinne
großen Gefäße und der Schneidermuskel Platz finden.
Der kurze Zuzieher (Adductor lirevis, Fig. 138 Nr. 4) entspi
tiefer als der vorige, nämlich vom Beginn des absteigenden Schi
beinastes und gebt an das obere Ende des Schenkelknochens.
Der Kammmuskel (Af. pectinmn, Fig. 135 Nr. is) entspringt tod
dem Schambeinkamm, ist länglich viereckig, stark, deckt die obere
Hälfte des vorigen und setzt sich mit einem breiten Sehnenrand unter»
halb des kleinen GollhUgels fest. I
Auf der Fig. 1.18 wurde drr Kammmuskel weggelassen, damit tini so dea^
livher der dnhiutcr litigende große Zusielier dargcDtclIt werden kimote, der durch
aeinen beileutendeu Umfa:ig eiucii beträchtlichen Teil der ganzen Oriipi« auanudiL
Der große Zuzieher (Adductor maf/nu!:, Fig. 138 Nr. 3 a. 3) liegt
hinter den letztgenannten und besteht der Hauptsache nach aus einer
dreieckigen Fleiscliplatte, welche zwischen dem Becken und dem Schenkel-
bein ausgespannt ist. Er entspringt breit vom absteigenden Schanb-
bein und läuft demselben entlang weiterscbreitend bis zum Sitzl
höcker hin. Er befestigt sich dann mit einem langen sehnigen
Ton dem kleinen Rollhügel an. bis zum inneren Schenkelknorreu her«h.
Nicht allein an Ausdehunng, auch an Masse übertrifft er alle zu-
sammengenommen; dennoch wird von ihm nur sein innerer Rand in
der oberen Schenkelhälfte sichtbar, auch dieser nur teilweise; denn
vom Schambein abwärts ist der schlanke Muskel und der innere
Schenkelmuskel sein Vormann und weiter unter deckt ihn der Schnei-
dermuskel.
Das linke Bein des Borghesischen Fechters ist im Hüftgeli
nach auswärts gedreht, folgÜch kommt in der Abbildung desselben,
Figur 138, ein Teil der inneren Fläche des großen Zuziehers zum
Vorschein und die Figur zeigt mehr von dem Rand, als sonst von
vorne bemerkbar wird.
In der Ruhe ist von einzelnen Reitermnskeln nichts za
merken, sie erscheinen stets als eine Masse an der inneren Schenk)
Hache (Fig. 139 Nr. 3). Bei forciertem Zuziehen ist dagegen leicht
schlanke Muskel und der lauge Zuzicher zu erkennen.
Da die Reitermaskeln die kräftige .AmilLhoruitg derBeiue, wie bei dem Seh«
Bchlufi des Reitern volbsiehen, »o intiß bri dem Studium ihrer Formen n
du Bein ent geaprebit und daun der Versuch gemacht werden, ea wieder
icham^^—
■zbein^H
nei-
ienkfl
Unikels der GliedmaOen.
Inn. 8cii«nkelm. I-
InO. Sdienkelm. S--
fi Langer Anaieher.
U (iroQer Anzieher.
■ffllalljseho. Mu«k.
— aSi'lilanker MiLitk.
Vonl. Schienbm. y
Vord. Schienbfl.
»Sütlcuiierbsiid.
Abrieh er d. gr. Zehe.
Fig. 136. Ituthtta B«i
Wfilirend glpicliieiög der innere Fußrauil an dem Boden Widerstand findet. Eben-
I ebersiclitlicb wi>rden die Einztilnheiteu, wenn man stellend das eine Bein über
U andere Bchlttgt, ftber auf hallwui Wege innetiält. Denn dann entfalten die
448
Beitermnskeln gleichzeitig räne ihrer NebenwirknngeD , ^ic hebe» das Bein nach
vorwIlrtB and deheD ee dann aber da» andere hinüber. Diese Beweg-ung ivt i
so belehrender, sobald der UntcTEehenkel dabei in halber Beu^iitig ist, (
apringt gleichaeitig der Schneide rinusk''] hervor und aeheidet wie ein Dumm t
Strecker und die Züricher.
3) Muskeln an der hinteren Peripherie des Oberschenkels. '
Sie geben »ilmtlich, drei an der Zahl, von dem hinteren Umfu
des Sitzhöckers zu dein Unterschenkel, den sie beugen. Sie sind ob«
zu einem nrinesdickeu .Strang vereinigt, unten weichen sie auseinandei
um die Seitenränder der Kniekelde zu bilden, Die Form der BeugeiW
gruppe am Lebenden ist in Fig. 134 Nr. ii sehr gut dargestellt.
Der halbsehnige Muskel ("J/. «emry«n(//no*üs, Fig. 133 Nr. 5). S«ilH
Länge beträgt mehr als 40 cm, wovon die Hälfte der atrangformigen Sehsi
angehört, die aus dem nberfläcldich liegenden Muskelhuuch hervorgebü
daher kommt auch sein Name. Der Muskel entspringt mit einer kurzs^
Sehne und mit seinem Nachbar verwachsen von dem Sitzhöcker, steig
an der inneren Seite der Beugergnippe herab und schickt seine Sehdl
hinter derjenigen des schlanken Muskels zur freien Fläche des Schiei
heiiies. Die Sehne setzt sich verweht mit den Endsebnen des schlanki
and des Schneidermuskels unter dem inneren Knorren (est, wobei (
noch Sehnenbündel in die Fascie des Unterschenkels abgiebt.-
dera Beugen des Unterschenkels, also auch bei dem Aufstellen dos
Beines auf einen Stuhl, springt die Sehne am schärfsten hervor und
bildet in einer Ausdeiinung von 14 cm den inneren Jland dfll^
Kniekehle.
Gegenüber, auf der äußeren Seit« liegt
der zweiköpfige Schenkelrausket (M. bicepi femo
kurz Bieeps genannt, Fig. 133 Nr, 17). An seinem Ursprung mite
-vorigen verwachsen, trennt sich die Fleischmasse des Bieeps bald '
derjenigen des Nachbars, nimmt schnell an Umfang zu und schw
zn einem beträchtlichen Unskelbauch an, der im Henibsteigeo
der rauhen Linie neuen Zuwachs erhält dui'ch deu k-uizen Knpfdd
Bieeps. Die Sehne befestigt sich an dem Wadenheiiiknpfchen. Dni
diesen Ansatz wird der äußere Rand der Kniekehle hergestellt^ 1
Die Zusammensetzung des Muskels aus zwei nach ihrem Urapni
getrennten und in der Form verschiedenen Abteilungen verändert t
geläufige Bild eines Muskelansatzes. Der lauge vom Sitzknoi
herabkoramende Kopf geht c». 14 cm über dem Wadenbeinküpfcfaen
in eine starke Sehne über, an die, von der rauhen Linie her, der
kurze Kopf sieb befestigt; die Mwskelbündel steigen zu beiden Seit«
der Sehne tief herab, ja die letzten erreichen sogar noch das Wai
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Fig. 137. MuBkeln df» ».■i.ioh i
^^^^^^H
^^^^^^^^1
450 Zehnter Abschnitt.
beiüköpfchen. Der Ansatz des Biceps wird deshalb in der Streck«
Stellung einen breiten mit einer Hohlkehle versehenen Strang du-
stellen, der bei forcierter Zusammenziehung der Muskulatur die ebw
erwähnten Einzelnheiten genau erkennen läßt. Bei der Beugung ändert
sich das Bild; bei der Annäherung des Wadenbeinköpfchens an da
Sitzknorren hebt sich nämlich der Muskel von seiner Unterlage ib.
der hinterste Rand springt vor und bildet einen von der Haut be-
deckten Grat, der breiter und kürzer als der des gegenüberliegenden
halbsehnigen Muskels die Kniekehle begrenzt.
Der halbhäutige Muskel (M. gemimembranosus, Fig. 133 Sr. c«)
liegt zum größten Teil bedeckt von den beiden vorigen, zwischen den
halbsehnigen, dem schlanken Muskel und dem großen Anzieher. Nv
seine Ränder sind sichtbar. Ursprung am Sitzknorren, Ansatz an dem
inneren Schienbeinhöcker, bedeckt von dem Ursprung des Waden-
muskels. Der Muskelbauch bildet einen Halbkanal, in welchem der
Halbsehnige liegt. Da die breite Ursprungssehne an der äoBena
Seite bis zur Mitte des Oberschenkels herabreicht, gelangt auch da»
Fleisch bis in die Kniekehle herab und bildet eine rundliche Ver-
dickung, welche plötzlich mit einem scharfen Absatz, wie abgeschuitten.
aufhört, weil sich die Muskelbündel nach innen wenden, um die
Insertionssehne zu erreichen. Diese Verdickung bedingt eine cha-
rakteristische, nach abwärts konvexe Linie in der Kniekehle, die sowoU
in der Streckung als in der Beugung zu sehen ist (Fig. 141 Nr.:].
in der letzteren Haltung freilich viel deutlicher (auch an dem Borghe-
sischen Fechter und bei dem Krieger von MiCHEiiAXGEiiO rechts unter
der Nr. 11 Fig. 134).
Die ganze Gruppe der Beuger des Unterschenkels ist auf der
äußeren Seite durch eine tiefe Furche von derjenigen der Strecker ge-
trennt, auf welche schon öfter, namentlich bei der Anatomie des äußeren
Schenkelmuskels, hingewiesen wurde (siehe überdies Fig. 134 Xr. :.
und Fig. 137). An der inneren Schenkelfläche ist die Grenze zwischen
den Beugern und den Reitermuskeln nur bei mäßiger Beugung mit
kräftiger Anspannung aufzufinden (Fig. 134 Nr. 12). — Bei der Be-
urteilung der Wirkung der Beuger ist wohl zu beachten, daß sie nicht
allein den Unterschenkel beugen, sondern umgekehrt den Sitzknonvn
auch herabziehen können; ist nämlich der Rumpf nach vom üWr-
gebeugt, so richtet ihr Zug das Becken und damit den Körper aui
Dio Kniekehle ist bei gestrecktem Bein eine gewölbte Fläche und nur
während der Beugung eine Grube, welche den Namen Kniekehle verdient Dir*
Muskeln, welche ihre Seitenwände bilden, spannen sich während der ZusammfJi-
ziehung an und erheben sich von den Knochen. Deshalb hat sie bei halb gebei^rtes.
Bein die Fonn eines tiefen unregelmäßigen Dreieck«, dessen Spitze nach ahn
gerichtet ist.
Unikeln der GliadmaOen.
451
Die Haut der KDiekchle ist dflnn, die Haut äea (vorderen Umfange« des)
Knieea dagegen dkk und die Oberhaut oA ecliwiülig. Die Verdickung kfinn sich
(Ubei leiclit bis iiir Veranstaltung der Form stoigem. Überall wo die Haut über
Gelenke von großer Beweglicbkeit hinweggleitet, finden flicli unter ihr Schleim-
beutel, kleine abgesehloaaene Säcke, die glatte Flächen beeitEen, am die Keibnog
IroQ. OM&Omuakel.
n AuO, Bcheakelmaskel.
^hcr des OberachenkelB (Beiternmakelnj.
der Hant auf den Knochen vorsprilngen zu vermindern- Ein solcher Schleimbcutel
findet sich in der Haut auf der KnicBcheibe. Durch viplea Hcrumrutscheu auf den
Kiiicen oder dun'h Anstoßen kann sich die Haut und kann sich dieser Schleim-
bcutel entzünden. Eb cntutelit dann in seinem Hohlraum oft ein wässeriger Erguß,
der die Haut gesch wulstartig eniporwölbcn und eine bleibende Verunstaltung bervor-
rnfen kann. In anderen Fällen iitt die Haut faltig, weil durch die aiihaltuDde
Zerrung bei dem Kniebeugen die Elaatizitüt verloren geht und die Haut bei auf-
rechter Stellung nun in Qucrfaltcn susammengeschoben ist
29'
452 Zehnter Abschnitt
c. Die Muskeln des ünterflchenkels.
Die Muskeln des Unterschenkels sind am oberen Abschnitt y<,i
starkem Umfang, die Fleischmasscn liegen wie bei dem Vordenrnn
am Ursprung; der Ansatz ist dagegen verschmälert, weil lange Sehnen
aus den Muskelbäuchen hervorgehen ; diese Sehnen bedingen die gegen
das Sprunggelenk zu sich verjüngende Gestalt des Unterschenkel*.
Die an der Hinterfläche mächtiger entwickelten Muskelmasseu be-
zeichnet man als Wade. Die Muskulatur des Unterschenkels ist
durch eine geringere Anzahl von Muskeln hergestellt im Vergleich mit
dem Vorderarm, was der geminderten Mannigfaltigkeit der Bewegungen
des Fußes entspricht. Die Muskeln zerfallen in drei Gruppen, in
vordere, seitliche und hintere Muskeln.
1) Vordere Muskeln des Unterschenkels.
Sie sind sämtlich lange Muskeln, welche die innere Fläche de*
Schienbeines, die vordere Schienbeinkante, femer den inneren und
äußeren Knöchel und die anstoßende Partie des Wadenbeines unbe-
deckt lassen. Keiner dieser Muskeln entspringt am Oberschenkel,
alle kommen sie vielmehr von den Knochen des Unterschenkels her.
deshalb ist das Kniegelenk von vorn in allen Teilen dem Blicke zu-
gänglich. Sie setzen über das Sprunggelenk hinweg und schicken ihre
Sehnen teils zu den Mittelfußknochen, teils zu den Zehen. Zwischen
der vorderen Schienbeinkante und dem Wadenbein liegen oben nur
zwei Muskeln. Von innen nach außen gehend findet sich zunächst
der vordere Schienbeinmuskel (M. tibialis ajiticus, Fig. 135 Xr. 12):
er ist der stärkste von den beiden, entspringt von dem äußeren
Knorren, der äußeren Fläche des Schienbeines und dem Zwischen-
knochenbande. In dem unteren Drittel des Unterschenkels verwandelt
er sich in eine starke Sehne, die über das untere Ende des Schien-
beines und über das Sprunggelenk weg schi'äg nach innen läuft, um
am ersten Keilbein (Os tarsale I) und an dem Mittelfußknochen der
großen Zehe zu endigen.
Die Fonn des Muskelbauches ist spindelförmig, sein innerer Rand
steigt über die vordere Kante des Schienbeines hinüber, der entgegen-
gesetzte drängt den benachbarten Zehenstrecker hart an da.s Waden-
bein. Das Schienbein zeigt deutlich die Spuren des vorderen Schien-
beinmuskels; denn die Schienbeinkante ist lediglich durch seine
Gewalt von ihrer geraden Richtung abgelenkt. Wirkung: er hebt die
Fußspitze (Dorsalflexion) und den inneren Fußrand, eine Bewegung,
die als Supination bezeichnet wird, weil dabei die Fußsohle nach
oben gekehrt wiid.
Hmkoln der GliedmaBcD.
Fig. 139. Stehender Mann von MicRELAVaCLo. Facsimile,
454 Zehnter Abschnitt.
Der lange Strecker der Zehen (M. extensar digiiorum bmgu^,
Fig. 135 Nr. 11) entspringt wie der vorige von dem äußeren Sdiien-
beinknorren, dem Zwischenknochenband , dazu aber noch weiter rn
dem Köpfchen und der vorderen Kante des Wadenbeines. Er komat
nur mit einem schmalen Streifen seines Muskelbauches in der oberes
Hälfte des Unterschenkels zum Vorschein, seine Hauptmasse steckt
in der Tiefe, vergraben unter dem starken Nachbar zur Linken. Je
weiter herab, desto mehr wird von ihm sichtbar, weil der vordoe
Schienbeinmuskel sich verschmälert. Die an seinem medialen Bande
befindliche Sehne teilt sich schon über dem Sprunggelenk in ftof
platte Sehnenschnüre, die, vier an der Zahl, nach den vier äuBerai
Zehen ziehen (Fig. 135 Nr. ii'), während eine auf der Bückenfläcfae
des fünften Mittelfußknochens zurückbleibt (vergleiche auch Fig. 142 Sr.iS).
unmittelbar über dem Sprunggelenk wird zwischen den beiden
erwähnten Muskeln
der lange Strecker der großen Zehe (M. extensar haUmat
hngusy Fig. 135 Nr. 31) sichtbar, der zwischen dem vorderen Schien-
beinmuskel und dem gemeinschaftlichen Zehenstrecker entspringt, oben
jedoch völlig von ihnen verdeckt wird; erst über dem Sprunggelenk
kommt die starke Sehne zum Vorschein, welche zu dem zweiten Glied
der großen Zehe geht (vergleiche Fig. 142 Nr. 4 und ii).
2) Seitliche Muskeln des Unterschenkels.
Sie bedecken das Wadenbein, von dem sie entspringen, doch so,
daß das untere Viertel des Knochens frei bleibt. Durch die Haut
hindurch erscheinen sie als eine einzige Muskelmasse, welche der
Längsrichtung des Wadenbeines folgt.
Der lauge Wadenbeinmuskel (M. peronaeus longusj Fig. 137
Nr. 13) entspringt von dem Wadenbeinköpfchen und deni Wadenbein
entlang bis zum letzten Viertel des Knochens. Die platte aber dicke
Sehne gleitet auf die hintere Fläche des Wadenbeines und dann in
der Furche an dem hinteren Rande des Knöchels zu dem Fersenbein:
hinter dem Höcker des Würfelbeines gelangt sie dann auf die Foß-
sohle^ kommt bis an den inneren Fußrand und endigt am ersten Keil-
bein und an dem ersten und zweiten Mittelfußknochen. Wirkung:
hebt den äußeren Fußrand und bewirkt die als Pronation bezeichnete
Bewegung des Fußes.
Der kurze Wadenbeinmuskel (M, peroncLeus brevisj Fig. 137
Nr. 13) entspringt von der unteren Hälfte des Wadenbeines, wobei nnr
die vordere Längsreihe seiner Muskelbündel unbedeckt zum Vorschein
Muskeln der Gliedmaßen. 455
kommt. Wie sein stärkerer Vormann wendet auch er sich an der-
selben Stelle auf den hinteren Rand des äußeren Knöchels, seine
Sehne nimmt dieselbe Richtung, befestigt sich aber an dem rauhen
Vorsprung des fünften Mittelfußknochens. Wirkung: derjenigen des
langen Wadenbeinmuskels ähnlich.
Die eben geschilderten Muskeln prägen sich in sehr verschiedener Weise aus,
je nach der Höhe, in der wir sie untersuchen. Hebt ein kräftiger Mann den
ftoßcren Fußrand, so hat man oben, in der Nähe des Knices, von der freien
Schienbeinfläche nach außen gehend, zuerst den spindelförmigen Muskelbauch des
vorderen Schienbeinmuskels, dann folgt ein nur 1 cm breiter Strang, durch eine
Furche von dem Nachbar getrennt Dieser Strang rührt von der schmalen vorderen
Fläche des gemeinschaftlichen Zehenstreckers her. Unmittelbar daran erscheint der
obere fleischige Teil des langen Wadenmuskels. — Von der Mitte des Unter-
schenkels bis zu dem Sprunggelenk herab folgen sich, nach demselben Verfahren
aufgezählt: 1) der sehmale Teil des vorderen Schienbeinmuskels, 2) der jetzt breite
Zehenstrecker, an dem sich bei Bewegung der Zehen schon das Spiel der einzelnen
Fleischportionen und der dazu gehörigen Sehnenstränge erkennen läßt, 8) zwischen
den beiden ebenerwähnten die Strecksehne der großen Zehe, 4) anstoßend an den
langen Zehenstrecker die beiden Wadcnbeimuskeln als ein längsgetcilter Strang;
die Sehne des langen Wadenbeinmuskels liegt nämlich zwischen zwei Fleisch-
wülsten, von denen der hintere dem langen, der vordere dem kurzen Wadenbein-
muskel angehört. Von Knochen wird unter der Haut die freie Schienbeinfläche
sichtbar, je nach der Stärke der Muskulatur vertieft liegend; von dem Waden-
bein ist unmittelbar über dem äußeren Knöchel eine schmale Knochenfläche von
10 cm Länge sieht- und fühlbar, welche nach oben verschmälert zwischen dem
langen Zehenstrecker und dem langen Wadenbeinmuskel frei wird.
3) Die Muskeln an der hinteren Seite des Unterschenkels.
Sie zerfallen durch ein zwischen sie eingeschobenes starkes Blatt
der Unterschenkelfascie in eine hohliegende und eine tiefliegende
Schichte. Die oberflächliche Schichte bildet den Bauch der Wade.
Der Zwillingswadenmuskel (M. gemellus surae, Fig. 140 Nr. 9
u. 9*) entspringt mit zwei Köpfen, welche aus der Tiefe der Kniekehle
hervorkommen, denn sie nehmen unmittelbar über den beiden Knorren
des Oberschenkels ihren Anfang. Daher rührt auch der die beiden
Köpfe trennende Spalt, der jedoch bald verschwindet, weil sie rasch
an Umfang zunehmen, um die bekannten Fleichmassen der Wade zu
bilden. Der äußere Kopf ist schwächer und reicht nicht so weit herab
wie der innere. Beide Köpfe sind an der freien Fläche mit einer schim-
mernden Fortsetzung ihrer Ursprungssehne bedeckt, welche auf jedem
Kopf fächerartig nach unten an Umfang zunimmt (siehe auch die Fig. 136
u. 137). Die unter diesem Sehnenblatt hervorkommenden Muskelbündel
sitzen durch einen halbmondförmigen, nach unten konvexen Fleisch-
wulst auf der Ansatzsehne auf. Es ist für die Form beachtenswert^
Hfiftbeinkauiiii 1 ^^
Krcuibein ! WR
Gr. Ci^ällDiiiHkel S - W^
Schlanker Muskel <i
HnlWhniKW M. 6
HalblmutiKer M. *
Halbhäatiger M. (■-'--:'_
Wttdeniu. link. Knpf n--
Schollenmuskel »-
AchllleMehue O--
Sehne d. Ii. Sthiunliejutn. 13 —
lim. Knöchel B -
IS Srhiip tl. Gr. Ot
» (ir. Rnllhn^l.
ff Bicel«.
a lüfl. S.-Iienk«lniiuk.
a Kuiekehle.
II Bicep«.
M Unijningii. WadtDmiuk.
a Wad«iib«iaköprchet).
II' H'micnni. recht Kopf.
lg. WiulcjibeiniiiiHkrl.
Kure. WatlcntnintDOskcl.
~ n ÄuB. Knüflhel.
- H Sehleuderlmnd.
Fig. UO. Moskeln des Beine« von hinten geaebcii
(täß die ürsprungsBehne jene Bündel des Zwitlingsmui^lieU unLodcokl
läßt, welche aus der Tiefe der Kuiekelile au&teigeu. Sie sind bei dem
MnAeln der QUedmaOcn.
457
Zehenstand leicht wieder za finden, wie denn überhaupt während der
Bewegung die erwähnten Eigenschaften des Muskels unverkennbar sind
(vergleiche den Ursprung des Muskels in Fig. 137).
Der Scholle nmuskeli (M. noleim) hilft durch seine Masse
daa dicke Wadenfleisch bilden; er kommt vom hinteren Umfang des
Wadenbeinköpfchens und der oberen Hälfte des Wadenbeines, dem
Schienbein, dann noch von der Kniekehlenlinie (Linea poplUea) und
der hinteren Eante des Schienbeines bis herab zur halben Höhe,
Die Fleischuiasse des Muskels erstreckt sich also von dem Waden-
hein bis zu dem Schienbein und überragt dabei die beiden Köpfe
des Zwillingsmuskels (Fig. 140 Nr. lo Schienheinuraprung, Nr. lo' Waden-
beinurspiTing, Fig. 136 Nr. 21 Sthienbeinnraprung, Fig. 137 Nr. u Waden-
beinursprung). Die starke breite Sehne, in welche diese Muskelbündel
übergehen, vereinigt sich mit derjenigen der Zwillingsmuskeln, und so
bilden beide miteinander die Achillessehne, welche am Höcker des
Fersenbeines, um sog. Hacken ihr Ende findet.
Diese beiden Muskeln zusammengenommen stellen also dasjenige
dar, was man die Wade nennt, grundverschieden während der Ruhe
und während der Bewegung. Es giebt wenig Köi-perstellen, an welchen
dieser Gegensatz so auf den ersten BÜck deutlich ist, und sich der
EinHuß der Sehne auf die Form des Muskels für daa Verständnis so
belelu^end darlegen läßt. In der Ruhe ist die Wade gerundet, in der
Bewegung treten Flächen, Kanten und Winkel von einer außerordentr
liehen Schärfe der Linien hervor, die sich beim Zehenstand an jeder
Wade erkennen lassen. Unter der Wade verjüngt sich die hintere
Fläche des Unterschenkels plötzlich und erhält die Form eines Drei-
eckes, das seine Spitze an der Ferse hat und dessen Seitenränder
dem Schollenmuskel angehören.
Der Lange WudenmuskEil (M, plantaris), der noch mit Eil Aicaet Bchiclitc ge-
hört, iat ein kraftloHer Hilfamuskel der beiden vorausgeg&ngenen, zu denen er sich
beiläufig wie dur Bindfadcu aum Ankcrtan verhalt. Nur beim Tiger und Leopurd
kommt er dem Zwillingsmuakel un Starke (;leicL und verhilft diesen Tieren zu der
außerordentlichen Kraft des SpmngeR.
Die tiefliegende Schichte enthält vier Muskeln, die unter
den vorher erwähnten an der inneren Seite des Unterschenkels zum
Vorschein kommen und, umschlossen von einem Blatt der Unter-
schenkelfascie , durch die Haut hindurch wie ein einziger Muskel er-
scheinen. Sie wirken als Antagonisten der an der vorderen Seite
') Der Schollenmuskel entlehnt «einen Namen aua der Zoologie, indem seine
Uüiglich ovale Form an jene der Scholle, <:incs in den europäischen Meeren häufigen
FiBChea (PleuroTteetes »olea Ltsst), erinnert
458 Zehnter Aheohnitt
liegenden Strecker. Ihre Sehnen gehen um den hinteren Raud d«
inneren Knöchels zum Hohlfuß.
Der hintere Schien beinmuskel (M. tihialis posticiis) Hej^ dicht an fin^
langen Beuger der Zehen (M. flexar digitorum lofigits), der an der hintmii
Fläche des Schienbeines entspringt (Fig. 136 Nr. 22). Die Sehnen der beiden Mif-
keln decken sich; sie wenden sich dann an der inneren Seite de» Sprungbeina
zur Fußsohle. Zwisc^hen dem Knöchel und dem Abzieher der grofien Zehe nu\ at
eine kurze Strecke zu scheu (vergleiche die Fig. 142 Nr. i u. 7), um sich ilann für <Wb
übrigen Verlauf dem Blick zu entziehen. Der hintere Schienbeinmiiakel «rtrt »¥\
vorzugsweise an die Knochen des inneren Fußrandes (Kahnbein, die Futtwurzei-
knochen I— IV, femer den zweiten und dritten Mittelfußknochen) an. r>er Un?-
Beuger der Zehen verhält sieh wie der Beuger der Finger, geht also zu den w
äußeren Zehen, um an dem letzten Zehengliede zu endigen.
Der lange Beuger der großen Zehe (M, flexar hallucis longua) irt «W
stärkste der tiefliegenden Schichte. Er entspringt von dem Wadonliein und i«chiekt
seine Sehne wie die übrigeu um die innere Seite des Sprungbeines, aber tlwu
weiter rückwärts, in die Tiefe des Hohlfußes, wo sie, verborgen zwischen koTD»
Muskeln, bis zu dem Nagelglied der großen Zehe gelangt
4) Die Kniekehle.
Mit der Kenntnis der Wadenmuskeln läßt sich das Bild der Knie-
kehle jetzt vervollständigen; früher wurde nur der obere Abschnitt
derselben erwähnt. Der untere Abschnitt prägt sich an einem stehen-
den Bein, auf der Haut, in folgender Weise aus: an dem lateralen
Rand kommt der Biceps zum Vorschein (Fig. 141 Nr. 7); auf dem
medialen Rand die Sehne des halbsehnigen Muskel (Fig. 141 Xr. i;.,
welche unmittelbar an dem inneren Urspnmgskopfe des Zwillinj:-!-
wadenmuskels liegt. Der dicke Strang der zwischen Nr. i u. j der
Figur 141 liegt, besteht aus dem Ende des Schneidermuskels und
den Sehnen des schlanken Muskels, des Halbhäutigen und des grußen
Zuziehers. Sie haben den inneren Knorren des Oberschenkelknochens
und den inneren Knoiren des Schienbeines als feste Grundlage. l>ie
untere Grenze der Kniekehle wird durch eine schwache gebogene
Hautfalte hergestellt (Fig. 141 Nr. 8), welche auf derjenigen Stelle li»^?t.
wo die Köpfe der Zwilliugswadenmuskeln aus der Tiefe der Kniekehle
hervortreten. Der Raum, der nach anatomischer Präparation, nach
Entfernung der Haut und der Fascie als „Kniekehle'^ zum Vorschein
kommt, ist rhcmibisch (siehe Fig. 140). Er schließt, in viel Fett ver-
senkt, die großen (lefäße und Nerven ein, welche zu dem Untei'schenkel
und dem Fuße ziehen. Oberflächlich unter der Haut liegt das End-
stück der kleinen Rosenader, dann folgt die Kniekehlenfascie, eine
Fortsetzung der Schenkellascie, und unter ilir der Hauptn ervenstamm
(Fortsetzung des ischiadischen Nerven), dann die große Kniekehlen-
vene und endlich auf der Gelenkkapsel, also im Hintergrund der
MuBkeln der QliedmiAeo.
459
Höhle, die Kniekehlenschlagader, die Fortsetzung der Schenkelschlag-
ader. Trotz dieser tiefen Lage der Kniekehlenschlagader kann man
doch an sich selbst die Kraft der in ihr eingeschlossene Blutwelle
beobachten. Wenn man die Beine übereinander schlägt, beginnt
die Spitze des freischwebenden Fußes isochronisch mit den Puls-
schlägen zu hüpfen, sobald der Druck der Kniescheibe die Knie-
kehlenarterie trifft.
Linie d. halbsehn. Muskels 1.
Innerer Knorren 2
Zweiköpfiger Wadenmuskel
Innerer Knöchel
5 Halshäutiger Muskel.
V- — -^Äußerer Knorren.
— V- J Biceps.
* Hautfalte.
3 Äußerer Knöchel.
Fig. 141. Formen des Unterschenkels von hinten gesehen, nach Sohadow.
Die Wade läuft in einen rundlichen, gegen die Knöchel allmählich
sich verjüngenden Strang aus, der unter der Haut deutlich bemerkbar
ist, weil zu beiden Seiten eine seichte Vertiefung herabläuft. In der
inneren Furche ist die Haut besonders dünn und zart, die durch-
scheinenden Blutadern sind ein unverkennbares Zeichen hierfür. Dieser
rundliche Strang tritt stärker hervor, sobald der Körper auf die Zehen
gestellt wird; er ist die Fortsetzung des Wadenmuskels, die unter
dem Namen der Achillessehne bekannt ist.
460 Zehnter AbschniU.
Während des Gehens wird die Last des Körpers abwechsehid Tot
einem Fuß auf den anderen tibertragen. Jeder derselben hat während
des Schreitens abwechselnd das ganze Gewicht zu tragen, woraus sich
der dem Menschen zukommende ansehnliche Umfang der Waden-
muskeln erklärt. Die Aflfenwade ist deshalb gering, weil die Tiere
vorzugsweise auf allen Vieren gehen.
Auch bei den Menschen ist die Stärke der Wade bekanntlich sehr veivchicdi«
und ihre Schwäche bei rleiu Neger sprichwörtlich. Man hat darin einen Hinvfv
auf besonders nahe Verwandtschaft mit dem Affen erkennen wollen. Offenbar mn
Unrecht: denn es kommen schlechte Wahlen auch hei Eurc^pücm vor omi nru
auch bei solchen, deren Gesicht edle Formen aufweist Es ist also die Muprl-
haftigkeit der Wade durchaus kein ausschließliches Rasaenmerkmal der Volk«
(Central- und Südafrikas. Schon wiederholt haben die kühnen Reisenden in <!«&
letzten Jahren berichtet, daß mitten in dem dunkeln Kontinent männliche Kiirp«
von einer Schönheit zu finden seien, die als Modelle zu einem schwarzen Aiitiii'>»
dienen könnten, und von den Uloveweibem (Senegambien) wird miti^teilt *, sie war-
den den schönsten tVjiueu der kaukasischen Hasse gleichen, wenn »ie nicht Khvtn
wären und keine Wollhaare hätten. Die gerade Nase, die senkrecht im Ki«fe
steckenden Zähne, der kleine Mund, das zierliche Ohr, eine tadellose Büste vM
selbstverständlich auch p^itp^eformte Waden schmücken diese hochgewacluwiei
Gkistalten. Das Alles ist ein puter Beweis für den obigen Satz, weil diese schwtizda
Schönheiten aus jenem Teil Afrikas stammen, der sonst auaschließlich die Uaee4-
sche Negerrasse mit dem erschreckenden Prognatismus beherbergen soll.
d. Sie Muskeln des FuTses.
Die Muskulatur des Fußes ist ausschließlich für die Bewegung
der Zeheu l)estimmt, wobei in allen wesentlichen Punkten eine Über-
einstimmung mit den Muskeln der Hand erkennbar ist. — Die Muskeln
scheiden sich in Muskeln des Fußrückens und in Muskeln der S(»hlen-
fläche. Die ersteren stellen eine einzige dünne Schichte dar, welche
duroll die von dem Unterschenkel herabkommenden Sehnen gekreuzt
wird, und über die eine Fortsetzung der Schenkelfascie hin wegzieht.
Die letzteren sind in bedeutender Anzahl vorhanden und zugleich m
ähnlicher Weise wie diejenigen der Hand angeordnet, insofern als «ie
mit aller Schärfe in Muskeln der großen Zehe, in Muskeln der kleinen
Zehe und in Muskeln der Sohlenmitte gesondert sind. Unter ihnen
wird der Fuß von einer derben Fascie (Fascia plantaris) bedeckt
welche am Fersenbein beginnt und sich durch den Hohlfuß bis n
den Zehen erstreckt. Sie nimmt vorzugsweise die Mitte der Sohlen-
Häche ein, zu beiden Seiten treten die von einer dünnen Fascie be-
^ DE RociiEBRUNE, Etudcs morpliologiqucs, pbysiologiques et pathologiqne« fsr
l;i femmc ot renfiint dans la race Oulove. Revue d' Anthropologie T. IV 1881.
fjisc. 2 S. 2G0. Mit einer Tafel, das Uloveweib in ganzer Figur.
Muskeln der Gliedmaßen. 461
deckten Muskelmassen des äußeren und inneren Fußrandes hervor.
Zwischen Haut und Fascie liegt eine Fettschichte, die den Druck
der Körperlast gegen die harte Unterlage so gleichmäßig über die
Sohlenfiäche verteilt, daß unter normalen Umständen die zahlreichen
Nerven vor schmerzlicher Empfindung gesichert sind.
Die Fascie des Unterschenkels erhält in der Höhe des Sprung-
gelenkes bedeutende Verstärkungen. Es treten in ihr zunächst (^ucre
Züge auf, welche von der Schienbeinkante zu der Wadenbeinkaute
ziehen (Fig. 135 Nr. 15) und als vorderes Ringband (Ligamentum anmi-
lare anterius) bezeichnet werden. Etwas tiefer treten neue Bündel
auf, die kreuzweise übereinander wegziehen, sich durchtiechten und
mit den daninter liegenden Knochen in Verbindung treten. Auf diese
Weise entsteht ein festes Band, das, künstlich abgegrenzt, die in
Fig. 142 Nr. 5 dargestellte Form eines s(*hiefliegenden Kreuzes besitzt
und als Kreuzband (Liffamentum cruciatum) benannt ist. Unter ihm
ziehen die Sehnen der vorderen Unterschenkelmuskeln zu ihren End-
punkten, jede in einen besonderen Kanal eingeschlossen. Von innen
nach außen gehend folgen sich:
1) Die Sehne des vorderen Schienbcinmuskels (Fig. 142 Nr. 3 u. 3').
2) Die Sehne des langen Großzehenstreckers (Nr. 4).
3) Die Sehne des gemeinschaftlichen Zehenstreckers (Nr. 13).
Durch dieses Band werden die Sehnen auf dem Rücken des Fußes
zurückgehalten. 1 Während der Ruhe ist ihr Verlauf kaum bemerkbar,
nur die Sehne des vorderen Schienbeinmuskels bildet eine scharfe
Grenze zwischen der inneren und oberen Fläche des Fußes. Hebt
sich aber der Fuß und bewegen sich die Zehen, dann tritt eine Sehne
nach der anderen deutlich hervor. Obwohl das Kreuzband eine
außerordentliche Stärke besitzt, so hebt sich doch bei jeder Anspannung
die der Sehne entsprechende Abteilung des Bandes etwas von der
knöchernen Unterlage empor und so erscheint der ganze Weg er-
kennbar, den die Sehnen zurücklegen. Man sieht leicht ein, wie sehr
die darstellende Kunst es in der Gewalt hat, Ruhe oder Bewegung
durch solch kleine Umstände unverkennbar auszudrücken. Ein
schwebender Fuß zeigt keinerlei Unruhe in diesen Strängen des Fuß-
rtickens, während ein stehender durch die verschiedenen Grade der
Anspannung eine ganze Stufenreihe von Kraftanstrengungen anzudeu-
ten vermag. Von ganz besonderer Wirkung kann dabei das Verhalten
des langen Zehenstreckers werden. Dieser Muskel spaltet
sich schon am Unterschenkel in f\inf Sehnen. In ehi einziges Bündel
vereinigt (Fig. 142 Nr. 13) ziehen sie dann durch die fllr sie bestimmte
1 i>
Übor das Kreuzband als Bandrolle siehe die Einleitung in die Muskellelirc Ö. 242.
462
Zehnter Abuhnltt.
Sehnenscheide, um fächerartig auf dem FuÜrücken ausfiinander
(Fig. 142 Nr, la' u, 13'). Vier Stränge gehen zu den vier üußsren l
einer wendet sich zu dem Klein?ehenrand des Faßes, nie nni i^
Höcker des entaprechenden Mittelfußkuochenfi zu endigen.
Sehneu gitid bei dem Heben der Zehen sichtbar.
Wadenbfin u
Langer ZehcnntrwLir O
~^ e^bne A. GroBa
Fig. U2. Dei- Fuß nach EiiIfurniiTig itor Haut iiud Faacie von tlem Fat
1) Muskeln des Fußrückens.
Der kurze Strecker der Zehen (M. extentor diffitona» i
läuft auf dem Fußrücken von hinten nach vorn, aber scugleich |
die große Zehe gerichtet, und ist dabei größtenteils von den i
des langen Zehensl reckers bedeckt (Fig. 142 Nf. 14). Er entsjM
von der oberen Fläche des Fersenbeines dicht hinter dem WDrfclll|
ist dort am schmiilHten aber auch am dicksten und an jedem i
liehen Fuß leicht zu linden als eine Hache Erhebung, welche die |
hervorwöibt. Bei dem Burgbesischeu Fechter ist der Mmk<
Miukeln der Gliedmaßen. 463
tadellos dargestellt, dagegen an manchen neueren Werken mehr als Ge-
schwulst behandelt. Das charakteristische der Form liegt darin, daß der
Muskelbauch unmittelbar an seinem Beginn am höchsten ist und sich
verjüngend nach vorn, aber gleichzeitig auch nach innen, unter die
Sehnen des langen Streckers schiebt. Er spaltet sich dabei in vier
kleine platte Muskelbäuche, aus denen ebensoviele Sehnen hervorgehen.
Der am meisten nach oben liegende Bauch ist der stärkste, schickt
seine Sehne zu der großen Zehe und wird deshalb auch als kurzer
Großzehenstrecker bezeichnet. Die drei Übrigen Muskelbäuche
gehen zu der zweiten, dritten und vieiien Zehe, die kleine geht leer
aus. Die Sehnen des kurzen Streckers kreuzen unter solchen um-
ständen diejenigen des langen und legen sich in der Nähe des vor-
deren Endes der Mittelfußknochen an den seitlichen Rand der anderen
an (Fig. 142 Nr. ii u. 14'). Alle die erwähnten Einzelnheiten sind durch
die Haut hindurch bei Bewegungen der Zehen zu sehen.
Die äußeren Zwischenknochenmuskeln (Mm, interossei extenii,
Fig. 143 Nr. 16), nach Abnahme der sie bedeckenden Fascie darge-
stellt, füllen die Spalten zwischen den Mittelfußknochen aus und ent-
springen von den gegeneinander gerichteten Flächen. Die Muskeln ver-
halten sich wie jene an der Hand, nur mit dem Unterschied, daß
nicht die Mittelzehe, sowie der Mittelfinger die Richtung der Muskeln
bestimmt hat, sondern die zweite Zehe. Sie erhält demnach zwei
äußere Zwischenknochenmuskeln, dann folgt die dritte und vierte Zehe
mit je einem. Sie spreizen die Zehen. In der Tiefe des Hohlfußes
verlaufen die drei inneren Zwischenknochenmuskeln, welche wie
jene der Hand die Annäherung der gespreizten Zehen an die zweite
besorgen.
2) Muskeln an der Sohlenfläche des Fußes.
Längs des inneren Fußrandes finden sich die für die Bewegung
der großen Zehe bestimmten Muskeln. Am meisten macht sich unter
ihnen bemerkbar
der Abzieher der großen Zehe (OV. ahductor hallucis lonffus,
Fig. 142 Nr. 9); er entspringt mit einem kräftigen Muskelbauch von
der inneren Fläche des Fersenbeines, vom Kahnbein, dem ersten Keil-
bein und dem Mittelfußknochen der großen Zehe selbst, also von einer
Reihe von festen Punkten. Die Fascie giebt ebenfalls Muskelbündeln
den Ursprung. Alle setzen sich an einer starken Sehne fest, welche
bis in die Mitte des Muskelbauches hineinreicht (Fig. 142) und an
dem ersten Gliede der großen Zehe endigt. Während dieser Abzieher
der großen Zehe dem ganzen Innenrande des Fußes entlaug zieht,
liegen verltorgen an der Fußsohle noch zwei andere Kuokeln,
für die Bewegung der großen Zehe verwendet Hind, nämUrh;
der kürzt) Beuger der großen Zehe, and
der Zuzieher der großen Zehe.
Wegfn ihrer verborgenen Loge kOiinen wir auf Binii ein;
Beschreibung ihres Verlaufes verzichten, nur der Sehne dos Uii||l
1 iJt. ZAt.
e%g. MS. Skulrtt ii« FnSca ron 'autai und etwas vou oben f
Bpugora der groöen Zehe sei grdarht, velcbc hinter dtim inni
KmVliet tu den Hohlfaß zieht und zwischen den Bändeln dea
Brngers zum letzten GÜi-d der gnißen Zehe gelaugt.
Läugs des äußerrn Fußrandes bgerl die Muskulfttor i
kleiuiru Zi-he. Sie besieht:
Aas den Abzieher der kleinen Zehe, pUttmndUdi;
Anwesenheit ist duThaos nicht ^eicfagültig &r die Fonn. Er t
"^5
MnBkeln der Gliedmaßen. 465
aus einer hinteren Abteilung, welche von dem Fersenbein kommt und
aus einer vorderen, welche von dem Höcker des fünften Mittelfuß-
knochens an beträchtlich anschwillt. Diese letztere ist von bestimmen-
dem Einfluß auf den Kontur des Vorderfußes, der eine konvexe Linie
lediglich durch ihn erhält.
Der Beuger der kleinen Zehe ist ein kleiner und unbedeutender
Muskel.
Jede der Muskelgruppen für die große und kleine Zehe wird durch
eine besondere Umhüllung der Fascie begrenzt, die in ihrer ganzen
Deutlichkeit freilich erst nach Entfernung der Haut und des Fettes
hervortritt, von der man jedoch auch an dem lebenden Fuß wenig-
stens schwache Andeutungen in Form von zwei seichten Furchen
wahrnimmt, welche von dem Hohlfuß aus divergierend nach vom
ziehen. Diese Furchen heißen in der beschreibenden Anatomie innere
und äußere Sohlenfurche (Sulcus plantaris internus et extemns).
Zwischen den kurzen Muskeln der großen und kleinen Zehe
findet sich
der kurze Zehenbeuger (Flexor digitorum brevis). Er ent-
springt von dem Fersenbein und teilt sich für die dreigliederigen Zehen
in vier fleischige später sehnige Portionen, die sich ähnlich verhalten
wie der oberflächliche Fingerbeuger an der Hand. Auf dem kurzen
Zehenbeuger verläuft die Sehne des langen Zehenbeugers und liegen
noch einige andere Muskeln, wie die Spulwurmmuskeln, die schon er-
wähnten inneren Zwischenknochenmuskeln, endlich ein zweiter mus-
kulöser Kopf des langen Zehenbeugers, von deren Beschreibung wir
hier Abstand nehmen können.
e. Die Venen des FoTsrnokens und des Beines.
Von den Venen des Beines verdienen diejenigen des Fußrückens
die nächste Aufmerksamkeit; denn sie enthalten die ersten sichtbaren
Ströme des zurückkehrenden Blutes. Diese müssen also auch der
Ausgangspunkt der Erörterung sein. Nebenbei sei bemerkt, daß frei-
lich damit nur der in die Augen fallende Teil dieser Bahnen berück-
sichtigt wird, nämlich die oberflächlichen oder Hautvenen; die
tiefliegenden bieten für die plastische Anatomie kein Interesse.
Die Hautvenen liegen auf der Fascie (Fig. 144) und verlaufen
in dem Fett und den lockeren Fasern, welche die Verbindung mit
der Lederhaut herstellen. Sie führen das Blut von den Zehenspitzen
aus der Haut und dem Fett zurück. Ihr Verhalten an den Zehen
ist ähnlich demjenigen an den Fingern. Sie nehmen ihren Anfang
KOLUfAMN, Plastische Anatomie. 30
466 Zehnter Absclmitt.
an der Zehenspitze'; an den Gelenken entstehen Venenschlingen, ood
dann gelangen die kleinen Venenströme gegen das oberste Zehengliei
Diese Grefäße (Fig. 144 Nr. 8) nehmen dann Venen auf, die tod der
unteren Fläche der Zehen aufsteigen. Aus ihrem Zusammenflnß ent-
steht eine starke Bogenvene mit einer nach den Zehen gerichtHn ^
Konvexität. Sie enthält den Ursprung der beiden Hauptstämme:
der großen Rosenader, Vena saphena magna, und
der kleinen Bosenader, Vena saphena parva.
Die große Bosenader (Fig. 144 Nr. ?), an ihrer Bildnngsstittt
bereits 5 mm dick, steigt dem inneren EVißrand folgend gegen den
Knöchel in die Höhe, nimmt die Bandvenen der großen Zehe sowie
Hautvenen von der Fußsohle (Fig. 144 Nr. 6) auf und kurz vor der Be-
rührung mit dem Kreuzband starke Röhren, welche von der inneren
Fläche der Ferse zu ihr in die Höhe steigen (Fig. 144 Nr. 3); des-
gleichen Verbindungsäste zwischen den tiefen Rückenvenen (Kr. 3;;.
Die große Rosenader nimmt dann ihren Weg hinauf zum Unter-
schenkel, wendet sich über die freie Fläche des Schienbeines aHmählidi
schief ansteigend zu dem inneren Knorren des Oberschenkels, folgt dem
Schneidermuskel bis dicht unter das Leistenband und dringt in dem
von dem Schneidermuskel und dem langen Zuzieher begrenzten Winkel
durch ein besonderes Loch der Schenkelfascie zu der tiefen
Schenkelblutader (Vena cruralis).
Auf diesem Weg erhält die große Rosenader Zuflüsse, die anf
der vorderen und inneren Seite des Unter- und Oberschenkels weite
Netze bildeten. Kurz vor der Einmündungsstelle an dem Leistenbog
münden noch kleinere Venen von der Schamgegend und der be-
nachbarten Bauchfläche in sie ein, namentlich eine größere ober-
flächliche Bauch vene (Vena epiffastrica superficialis), die an dem
Laokoon und dem Borghesischen Fechter dargestellt ist An
der Einmündungsstelle in die Schenkelvene hat die große Rosenader
bei mäßiger Füllung eine Dicke von 8 mm.
Die kleine Rosenader, 5 mm dick, entspringt ebenfalls ans
der starken Bogenvene des Fußrückens (Fig. 144 Nr. lo*), sie strebt
aber dem Kleinzehenrand entlang dem äußeren Knöchel zu und geht
hinter ihm an den Rand der Achillessehne. Steil ansteigend folgt sie
ihr eine Strecke von 10 — 15 cm, lenkt dann in die Mitte der Wade,
läuft durch die Furche zwischen den Köpfen des ZwillingsmnsleU
bis zu der Kniekehle, um dort in die Kniekehlenvene einzumünden.
Das Ende der kleinen Rosenader ist nicht immer deutlich am Lebenden
zu verfolgen, weil die Rinne zwischen den beiden Köpfen des Zwillings-
muskels zu tief wird und derbe Stränge der Muskelbinde sie bisweilen
(decken. Diigegcn ist ihi' Aofatig um hü klurer gdzeicbnet: ibru Zu-
jsse von flem iltiBcR-ii Kniicliel und von der üuBltcii Seite des
-I Gr. Rnmiimler.
Kun.ZpliciuU. n
Fig. m. Die Vinien des FuBrlli-ki-ua.
I Feraeiibeiiifs her. Loiclit sind ferner die zahlreichen Verhin düngen
mit der großen Roaeuader zu verl'.dgeii, die xii dem inneren Rimde
.der Wade iu die Höbe ateigen, uder die atrömo. welche von dem
468 Zehnter Abschnitt
äußeren Rande herkommen. Auch die kleine Rosenader erbäh
herabsteigende Venen. Eine von ihnen ist besonders groß ^fnif
feinoro-poplitea) , sie steigt auf den Beugern des Oberschenkels hemb.
Au dem Oberschenkel und an dem Unterschenkel werden darrh
die Muskelgi'uppen ganz bestimmte Flächen hergestellt, welche
gegeneinander gerichtet sind. Auf der vorderen Seite des Oberschenkel
ist es die Gruppe der Zuzieher, die von dem Schambein herabkommeud
eine dreieckige Fläche darstellt, deren längste Seite dem Schneider-
muskel folgt. Die obere Grenze dieser Fläche wird, durch das Leisten-
band, die innere durch den gerundeten Kontur der inneren Schenkel-
Häche gegeben (Fig. 135). Gegen diese ausgedehnte Fläche i<%t jene
der Unterschenkelstrecker gestellt, soweit sie der vorderen Schenkel-
Hache angehört. Um diese Flächen in ihrer vollen Deutlichkeit zu «^ehen.
ist es am besten, den Oberschenkel bei gebeugtem Bein nach vorn n
heben. An dem gestreckten Bein des Borghesischen Fechters, an
dem Torso vom Belvedere. am Laokoon und in Fig. 139 Xr. 2i.5
sind diese ebenerwähnten MuskeLSächen vortrefflich dargestellt.
Die äußere Fläche des großen Gesäßmuskels ist gegen jene des
äußeren Schenkelmuskels gerichtet, wie das die Skizze SIichelaxgelo's
vFii:. 134 zwischen 6 u. 9) erkennen läßt. Bei verschiedenen Stellungen
wenion diese Flächen größer oder kleiner, sie verschieben sich, da ja
Muskeln es sind, welche sie bilden. Dabei zeigen sich aus demselben
Grunde vUe stärksteu Unierschieiie zwischen Ruhe und Bewegung in allen
denkbaren Abstufungen. Sie girben Anhaltspunkte für die Beurteilung
sowv»hl vies Kunstwerkes als der Fragmente und gestatten in letzterer
Hiusioht wertvolle RiiofcschIi:'s>e auf «i:i.s innere Wesen der Dar>tellunc.
tWtrAohtc: ciJLz .len Obtrsch-rniel h^i kriftisen Männern, so ist
OS er- Aub:, v.;:i eir.cr ^irrscir.g pr.s::ij.:i';*.:i'rL Fnu «iess^rlben zu sprechen.
S^':-.o vor.'Ur^ K.ü.tc ii-rii: l-=zi ZT-'.:iZ!i:e- R«ei:tu> entlang: an sir
<.l-."v-;i: >:;b. v.-: '. t-Ittv "iz : iiitrr- F-l^h-f in UL-i hinten ist es die
IvM^ivr^ruy*-.:. '*-:'.:h-' L-e " i inzr:: iz : jLii^n konmi^rnden steiltii
y.Ä.*-' '• -r-::-.;:. Tis rir L-e liz^-r^r F-ivii-f Zr-^igte gilt natürlich
•u" •• V. ■.:.- .'-■^äJf'ir;l'r i::gT:.izg'fz. ":> zi irzi Animg •i'ifr Kniekehle.
V -: r^c :^-'j:;.:-vr/ iz-i i- ST^r'.'i-r ':*r-^^r.Zr:L mit liem Lei^tt-n-
V.v' ;!. .:■ ; .:-v>c :.^*: .-7*i'ir. L.r Lfi-:-: . x:i : -r -.-i^r Lei^tr-nkehlf.
*,•::■ Kj."i': i. :<*:< V'^.-v.v:< "::'':-Tr: -: J: z-^-z-ztl -i-ri. kl«eiii»rn Ri»nLiigt'I
:\ : ^ "'1 • -r. y::: i-.-i ■: irz Ir.-tciiirlseL ausarefiilit. lieren
V- >v .: V : . -^L" ; ^■,- ■. ; - ^- ■'"":_-.■ ^ : : : f z N .un- :: 3 i ": i-zz. unigen. Ine Leisten-
j:"i:i. -«,!: -rv:!: _•: ^" wt::i .--rriiT m«: ^'-■•--II -tlz- ii-r S.- Lenkt [schlag-
Muskeln der Gliedinaßen. 469
ader und die Scheukelvene, welche unter dem Leistenband aus der
Leibeshöhle heraus oder in die Leibeshöhle hineinziehen. Man kann
von dieser Grube aus die Hand in die Bauchhöhle einführen, wenn
das Fett und die Gefäße entfernt sind.
Wie wohlthätig anatomische Kenntnisse auch dem Nichtarzte sein können, be-
weist folgender Fall. Ein Prager Student schnitt sich auf einem Spaziergange
einen Weidenstock zu. Um ihn zu schälen, zog er ihn unter der Schneide eines
Taschenmessers durch, welches er an den Schenkel stemmte. Einer seiner Ge-
fährten stieß ihn an, das Messer fuhr in den Schenkel, schnitt die Schenkebchlag-
ader durch, und bi»vor Hilfe kam, war er eine verblutete Leiche. Ein Fingerdruck
auf den horizontalen Schambeinast hätte ihn wahrscheinlich gerettet
Am Unterschenkel ist schon während der Ruhe, aber noch mehr
während der Bewegung eine dreiseitige prismatische Gestaltung unver-
kennbar. In der Schienbeinkante treffen sich zwei Flächen, die äußere
und innere; sie schließen sich durch die Fläche der Wadenmuskeln.
Die vordere Kante dieser prismatischen Säule ist als Schienbeinkante
jedem bekannt. Hier sei unter Hinweis auf ihre besondere Beschrei-
bung und Darstellung in der Knochenlehre nur folgendes bemerkt:
ihr Anfang unmittelbar unter dem Schienbeinstachel ist zwar durch
den vorderen Schienbeinmuskel verdeckt, dafür springt aber dessen
medialer Eand hervor. Dieser Rand und der übrige Teil der Schien-
beinkante bedingen mit der Sehne des ebengenannten Muskels die
S förmige Biegung, welche an der Vorderfiäche des Unterschenkels die
geschwungene Linie hervorruft; unter dem Fettpolster der weiblichen
Formen verschwindet sie freilich nahezu vollkommen. Die schmälste
Stelle des Unterschenkels liegt unmittelbar über den Knöcheln, welche
den Beginn des Fußes bezeichnen.
Z^sveiter TeiL
Erster Abschnitt
Anatomie des Weibes.
Die Anatomie des Weibes beschreibt die unterscheidenden Merk-
male im Vergleich mit dem Manne. Die physiologische Rolle, welche
dem Weibe von der Schöpfung zugewiesen ist, bedingt die Andenmg
einzelner Organe; dadurch erhält nicht nur die ganze Gestalt ein cha-
rakteristisches Gepräge, auch die geistige Sphäre wird beeinfloSt Die
körperlichen Eigenschaften sind schon oft zutreffend geschildert worden;
ich beschränke mich daher auf eine kurze Charakteristik, die nur die
wichtigsten Merkmale hervorhebt, welche sich jedem aufmerksamen Be-
obachter von selbst aufdrängen.
Die Frau ist kleiner, zailer, aber auch weicher, schwungvoller in
den Formen, an Brüsten, Hüften, Sdienkeln und Waden. Keine Linie
verläuft bei ihr kurz, scharf eckig; alle schwellen oder wölben sich in
weichen Bogen. Der Hals erscheint wegen des geringeren Umfanges länger
und schlanker als der des Mannes. Der Hals und die gerundeten Schul-
tern sind in geschwungenen Linien miteinander verbunden, während
bei dem Mann der Hals mehr rechtwinklig an den viereckigeren Schultern
sitzt. Der schlankere, schmälere Oberkörper erscheint durch die er-
nährenden Brüste reich und weich. Die Mitte des Körpers, das Becken,
ist breit entwickelt; die starken Sitzteile könnte man als zum Gegen-
gewicht gegen den befruchtenden Leib bestimmt erklären. Der Schwer-
punkt wird dadurch mehr nach unten verlegt. Die Beine sind kürzer
als beim Mann, namentlich vom Knie abwärts. Durch die Schwellung
der vollen Schenkel zu den breiten Hüften, und durch die Stellang
des Gelenkkopfes zu der Achse des Schenkelknochens ist die Richtung
der Oberschenkel nach der Mittellinie stärker konvergent, sie machen
dadurch nicht den geraden, festen Eindruck. Das Haar ist weicher.
Anatomie des Weibes. 471
die Haut zarter, durchscheinender. Alle Formen sind mehr durch die
Fettbildung überkleidet und zueinander vermittelt, wodurch der weiche
Schwung der Linien entsteht, während Alles, Muskeln, Sehnen, Adern,
Knochen, beim Mann unverhüllter zu Tage tritt.
An diese allgemeinen Bemerkungen reihen sich die folgenden An-
gaben über Unterschiede in den Formeu des Knochensystemes an.
1) Merkmale des weiblichen Skelettes.
Alle Knochen sind schwächer, mit weniger vorspringenden Ecken
und Fortsätzen. Auch die Bänder sind entsprechend dünner. Dabei
ist jedoch stets zu erwägen, daß alle Formen vorhanden sind, und
nichts Wesentliches fehlt, nur jene Merkmale sind gemindert, welche
durch vermehrte Muskelstärke und Muskelarbeit an den Knochen des
Mannes bedingt werden. Tritt die Frau aus dem bei den europäischen
Völkern gewohnten Kreis von mäßiger Muskelarbeit heraus, wird sie
Lastträgerin, oder vollbringt sie wie bei manchen Naturvölkern die
schwere Feldarbeit, während der Mann sich um Jagd und Handel
kümmert, dann erhalten die Knochen Yorsprünge und Kanten, wie
bei Männern. Die Verschiedenheit der Lebensweise prägt sich also
auch an dem Knochen deutlich aus. Der Unterschied kann so groß
werden wie zwischen den Knochen wilder und zahmer (domestizierter)
Tier-Rassen , und die Entscheidung , ob man in einem bestimmten
Falle den Schädel eines Mannes oder eines Weibes vor sich habe, in
•
hohem Grrade erschweren, ja sogar unmöglich machen. In der Mehr-
zahl der Fälle ist freilich der Unterschied unverkennbar.
Die feinere Modellierung des weiblichen Skelettes geht jedoch
niemals bis zur Unterdrückung der Bassenmerkmale, namentlich nicht
an dem Schädel. Es wurde schon wiederholt erwähnt, daß wir in
Europa die Abkömmlinge mehrerer Menschenrassen besitzen, die im
Gesicht durch zwei extreme Formen charakterisiert sind. Die eine
dieser fiasseu besitzt ein schmales, langes Gesicht, mit hoher gerader
Nase und eng anliegenden Jochbogen, die andere ein kurzes und
breites Gesicht mit eingedrücktem Nasenrücken und weit ausgelegten
Jochbogen. Diese beiden rassenanatomischen Gegensätze treten mit
voller Klarheit auch an dem weiblichen Schädel hervor, und keine
%er sonst so einflußreichen Lebensbedingungen ist imstande, daran
etwas zu ändern. Durch Fett können die Merkmale verschleiert, aber
nie ganz unterdrückt werden. Das Stumpfnäschen und die hohen
Wangenhöcker sind unverkennbare Bassenmerkmale, ebenso ererbt
von den Vorfahren, wie die gerade Nase und die anliegenden Wangen-
beine. Die Kreuzung der Bässen, die seit Jahrtausenden sich vollzieht,
472 Zweiter Teil. Enter AbechnitA.
rüttelt diese Merkzeichen sehr oft durcheinander. Eine kurze Xa^t
kann dadurch in ein langes Gesicht, oder umgekehrt eine lange Na^e
in ein kurzes Gesicht kommen, aber niemals schwächt die zartere
Entwickelung des weiblichen Organismus die Formen so ab, daß I»«
Abkömmlingen der lang- und schmalgesichtigen Rasse die weiblkbe
Form des Antlitzes ein Stumpfnäschen erhielte, wie dies schon b^
hauptet worden ist. Wenn also nachstehend die Unterschiede de*
weiblichen Körpers im allgemeinen besprochen werden, so gilt duoh
als oberster Grundsatz, daß die Rassenmerkmale von dtrr
sexuellen Variabilität verschont bleiben.^
Im einzelnen finden sich an dem Schädel folgende Verschieden-
heiten: Der weibliche Schädel ist leichter und von geringerem Kubik-
inhalt als der männliche, wie die folgende Übersicht zeigt:
Schädcliuhalt in KubikcentimpttrxL
Mittel: Minimum: Maximum:
100 männliche Schädel einer I^ndbevölkeninp: 1503 1260 1780
100 weihliche Schädel ebendaher 1335 1100 16S3
Differenz 168 160 97
Diese Verschiedenheit des Kubikinhaltes des Himschädels ist
äußerlich von einzelnen Merkmalen begleitet, welche die Stirn und
den Scheitel betrefifen. Die Stirn ist beim Weibe schmaler und
niedriger, steigt jedoch im Vergleich zu der Stirn des Mannes mehr
senkrecht auf. Die Biegung, mit der sie sich, von der Profillinie aus
gesehen, zu dem Scheitel wendet, ist »stärker als bei dem Manne, da-
gegen verläuft der ganze Scheitel flacher. Dieses Verhalten tritt
namentlich in der Profilansicht charakteristisch hervor, allein aueh
von vorn ist dieser Gegensatz zwischen männlicher und weiblicher
Stirn- und Scheitelform, namentlich an dem Übergang beider, wohl zu
erkennen. Der Gesichtschädel (von der Nasenwurzel bis zu dem
Kinn gerechnet) ist in Übereinstimmung mit den gracileren Formen
absolut und relativ kleiner als derjenige des Mannes. Trotz der Große
der männlichen Hirnkapsel erscheint doch jene der Frau im Verhält-
nis zu dem Antlitz umfangreicher, weil der Mann einen stärkeren
Kauapparat hat, der mehr in die Augen springt (vgl. die Figuren 145
und 146), was mit seinem stärkeren Begehren übereinstimmt. Die
* Die oberste Regel ist ohne Ausnahme und wird selbst nicht durchbrochoi
durch jene seltsamen Frauen, die schon die Römer mit dem Nameu virago bezeich-
net haben, zu deutsch ein ,, männliches Frauenzimmer,'* „Mannweib,** gemeinhin
wohl auch weiblicher Dragoner genannt. So heißen jene Weiber, welche sitwohl in
ihrem Äußeren als in ihrer Denkart den Männern ähneln.
• Ranke, J. Die Schädel der altbayorischen Landbevölkerung in: Beiträge rar
Anthropologie und Urgeschichte Bayerns. München 1878. Auch separat erschienen.
Anatomie des Weibes. 473
Frauen sind auch genügsamer in Speise und Trank; beim Gastmahl
über Gebühr zu essen und zu trinken, ist männliche Tugend. Bei der
Frau ist die Nasen- und Mundhöhle im Verhältnis kleiner als die
gleichen Räume des Mannes, was wir begreitiich tindeu, dagegen scheint
die überraschende Behauptung, die Augenhcihleneingänge seien im Ver-
hältnis bei den Frauen größer als bei dem Slanne, noch weiterer Be-
stätigung bedürftig. Dagegen ist die Thatsache unbestreitbar, daß
ein mäßiger Grad von Prognathie bei Frauen häutiger vorkommt,
als bei Männern.
Der BruBtkorb ist bei der Frau kürzer und enger und das
Brustbein kleiner als dasjenige des Mannes. Mit dem geringeren
Umfang der Lungen stimmt auch das geringere Atmungsbedürfnis
tiberein, welches dem Weib den längeren Aufenthalt in geschlossenen
Räumen erträglich macht, während der Maim schon durch sein stär-
keres Atmungsbedürfuis in das Gewühl des thätigen Lebens getrieben
wird. Die Rippen sind kürzer, dünner und nicht so stark gekrümmt,
ihre Richtung ist schiefer nach abwärts, es müssen also die schrägen
Rippen sich mehr heben, sie müssen beim Atmen einen größeren Bo-
gen beschreiben, um das nötige Quantum Luft aufzunehmen. Der
Brustkorb der Frau ist im oberen Abschnitte etwas weiter als der
männliche; die oberen Rippen des Weibes zeigen auch stärkere At-
mungsbewegungen als die des Mannes, weil bei ihnen die oberen
Lungenlappen stärker entwickelt sind und mehr Luft in sich aufnehmen,
als die des Mannes. Deshalb erscheinen die Atmungsbewegungen beim
Weibe stärker und der weibliche Busen wogt selbst bei geringen An-
strengungen. Sie ertragen leichter eine Schuürbrust, welche die untere
Thoraxpartie einengt, als die Männer, die gerade jenen Teil des Brust-
korbes beim stärkeren Atmen zumeist ausdehnen, sie empfinden we-
niger Atemnot bei Geschwülsten im Unterleib oder der Bauchwasser-
sucht, weil durch die größere Entwickelung der oberen Lungenlappen
schon dafür gesorgt wurde, daß während der Schwangerschaft die an
und für sich beschwerliche Vergrößerung und Füllung des Unterleibes
nicht noch durch Atemnot unerträglich werde.
Die Frau besitzt einen etwas längeren Unterleib als der Mann.
Das wird von allen Beobachtern angegeben, auch die Darstellungen
der Antike stimmen damit überein, und selbst die Figuren 145 — 146
sind ein deutlicher Beleg hierfür, allein die Thatsache hängt offenbar
von sehr verschiedenen Umständen ab. Das untere Ende des Brust-
beins liegt bei dem Weib höher, und damit auch die Herzgioibe;
dann kommt die geringe Höhe des Beckens in Betracht und endlich
der Umstand, daß die unteren Rippen bei der Frau kleinere Bögen-
segmente beschreiben und mehr gesenkt sind, als jene des Mannes
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476 Zweiter Teil. Enter Abschnitt.
und in den Bauchmuskeln und dem Fett sich dem Blick völUg ent-
ziehen. So kommt es, daß schließlich bei der gleichzeitig starken
Ausladung des Beckens das Ende des Brustkorbes bei der Fran nicht
durch die Haut bemerkbar ist und daß wegen der hohen Lage der
Herzgrube der Leib länger erscheint, als dies in Wirklichkeit der Fall
ist. Umgekehrt ist das Thoraxende des Mannes wegen der groBen
Weite besonders deutlich, und dem hohen und schmalen Beckea
gerade von vorn betrachtet mehr genähert.
Das Becken bietet die auffallendsten sexuellen Merkmale.
Es ist bei der Frau in allen seinen Teilen weit, namentlich sind die
schaufelartigen Darmbeine weit ausgelegt. Daher rührt die beden-
tendere Wölbung der Hüfte, welche so stark sein kann, daß der Becken-
gürtel den Schultergürtel an Breite übertrifft. An dem größeren Umfang
des weiblichen Beckens beteiligt sich auch das Kreuzbein, das breiter
und kürzer und mehr nach hinten gerichtet ist. Die Sitzbeine sind
weiter von einander entfernt und laden sich aus. Dadurch wird der
Schambogen {Arcus ossium pubis Fig. 145 e) weit, während er bei
dem Mann, (Fig. 146 Nr. 6) im Vergleich dazu eng ist.
Um den Grad der bisher erwähnten Merkmale beurteilen zu
können, sind die Figuren 145 — 148 so einander gegenüber gestellt,
daß die Ansicht des weiblichen Skelettes mit der des männlichen direkt
vergleichbar ist und zwar sowohl von vorn als von hinten. Bei der
Betrachtung von vorn wird die Verschiedenheit der Stimbildung, die
geringere Größe des Gesichtschädels, die durchaus andere Gestalt des
Brustkorbes und des Beckens sehr gut ersichtlich. Bei der Betrach-
tung von rückwärts sind zwar nur die charakteristischen Merkmale
des Brustkorbes und des Beckens der Beurteilung zugänglich, aber
gerade hier treten die oben erwähnten Formen, die als sexuelle Varia-
bilität bekannt sind, mit größter Schärfe heiTor.
Die unteren Gliedmafsen zeigen eine andere Richtung der Achsen
bei der Frau als bei dem Mann. Wegen der größeren Breite des
Beckens stehen die Hüftgelenkpfannen weiter auseinander. Eine
natürliche Folge davon ist eine stärkere Ausladung der großen R(ill-
hügel. Auch dies bestätigt sich bei der Betrachtung unserer Figuren.
Um dennoch die Schwankungen des Körpers beim Gehen, welche eine
so beträchtliche Entfernung der Stützpunkte mit sich bringt, zu ver-
mindern, ist der Winkel zwischen dem Hals und dem Mittelstück des
Oberschenkelknochens kleiner als bei dem Mann. Eine geringe Ab-
nahme des Winkels genügt schon, um die größere Konvergenz der Ober-
schenkel gegen das Knie hin bei der Frau herbeizuführen.
Anatomie des Weibes. 477
Als letzter Punkt, den die Knochenlehre mit genügender Sicher-
heit festgestellt hat, ist die Kürze des Unterschenkels zu nennen, die
bis zu 5 cm Unterschied betragen kann.
Die folgende Tabelle giebt die Vergleicliung einiger Teile des Skelettes. Sie
gründet sich auf Mittelzahlcn in Centimetern, an mehreren wohlgebildeten Skeletten
gewonnen, von welchen die männlichen eine Hohe von 162—172, die weiblichen
eine Höhe von 151—162 cm hatten.*
Länge der Skelettteile. Männlich. Weiblich.
Höhe des Kopfes 14 13
LÄnge der Wirbelsäule 70 68
„ des Brustbeins 18 16
„ „ Oberarm knochens . . . 32 30
„ der Elle 26 23
„ „ Speiche 24 22
,, des Oberschenkelknochens . 55 43
„ „ Schienbeines 39 34
Aus diesen Unterschieden des Skelettes erklären sich manche der
Hauptformen der lebenden Frau. Was noch sonst der Erwähnung
hier wert ist, betrifft
2) das Fettpolster.
Viele Eigenschaften des Fettpolsters wurden schon in dem Ab-
schnitt über die Haut erwähnt. Hier sei auf die beträchtliche Füllung
der Haut mit Fett nochmals hingewiesen, das in der Umgebung des
Beckens alle scharfen Knochenformen verhüllt, und ' sich eine beträcht-
liche Strecke an dem Unterleib hinauf und an dem Oberschenkel hinab
erstreckt. Der äußere Kontur des Schenkels beschreibt eine konvexe
Linie, die nur bei forcierter Streckstellung an dem großen Rollhügel
endigt. Bei ruhiger Haltung erstreckt sich der Kontur mit geringer
Unterbrechung hinauf bis zu der Lendengegend. (Vergleiche die vor-
trefiFlichen Konturzeichnungen in Albbecht Dükee's Proportionslehre).
Wie in der Umgebung des Beckens, so sind auch an dem übrigen
Körper alle Teile durch Fett überkleidet, welche bei dem Manne
scharfe und eckige Formen aufweisen. Auch auf das Knie erstreckt
sich das Fett, die Kniescheibe bildet nur eine rundliche Erhabenheit.
Die Fettpolster im Innern des Kniegelenkes sind so stark, daß sie in
der ruhigen Streckstellung das Kniescheibenband verdecken. Nur in
der Beugung werden einige Teile deutlicher, weil die Fettpolster dann
in der Tiefe des Gelenkes versinken. Auch am Unterschenkel ist die
Haut so mit Fett gepolstert, daß man kaum mehr als eine schwache
Andeutung der bei dem Manne so deutlichen vorderen Schienbeinfläche
und ihrer Formen wiederfinden wird.
^ Kbause, W. Handbuch der menschlichen Anatomie. Hannover 1879.
|r Skelett eil
Kg. »8.
Skelett eines jungen
Mannes,
j der nat Größe,
ab Sahdtelhähe.
cd Horiüontale durch äU
Ebene d. Hinterhaupl«-
öffo
ef Lin.. .-.^.„„ ,„.„
SchDJ terblattwiD kein.
gh KnlTernung der beiden
äch I DskI beinenden .
ik Horizontale durcb den
10. Rippen knorpcl.
Im HoriiontalB durch den
vord. unl. Damibeinst.
HO Hor[Rontaieetna«uQt«r-
halb der i. Kopfhöhe.
to Eopfböhe von dem tTn-
terkieTerrand bin ab.
El Elle.
H HüllhriD.
E Kreuibein.
O Ellbogen.
Q Querfort«, d. Lenden».
R Rippen.
Rh OroDer RollhGgel.
Sa" Sehanibein.
Seh ScheiHlinie.
Si Sitibein.
Drehungspunktd. Ober-
arnikopfes.
I b Enter Bruatwirbel.
XU ZwöllW Eruatwirbel.
I Enter lendenwii-hel,
lli landen Wirbel.
V Lendenwirbel.
480 Zweiter Teil. Erster AlMchiiitt
An dem Hals und an der Brust wie an dem Rücken wiederlkolt
sich dieselbe Erscheinung. Die kantigen Formen des männlicbea
Halses sind verschwunden, und der Adamsapfel nur als eine leichte
Erhöhung bemerkbar. Er ist viel kleiner als der männliche, auch die
Luftröhre ist enger als bei dem Manne, zwei Eigenschaften, weldie
die Weichheit und Höhe der weiblichen Stimme genügend erkläreu.
Um die beträchtliche Änderung der Formen sich zu vergegeo-
wärtigen, welche lediglich der Überzug von Fett, der sich über die
Muskeln hinweg legt, herbeiführt, genügt ein Blick auf die Abbildimg
Fig. 125, welche den Arm eines Mannes darstellt, oder auf den nackten
Krieger Fig. 134, Skizzen, welche die eckigen und starken Formen de»
Mannes deutlich wiedergeben , die wir an ihm bewundem , während
sie uns an der Frau abstoßend erscheinen würden. Setzt man in Ge-
danken neben den in Fig. 125 dargestellten Arm die Linien eines
Frauenarms, so wird der Grad der sexuellen Variabilität vollkomniea
deutlich sein. Die Anordnung, der Bau und deshalb die Mechanik der
Muskeln und Gelenke ist dieselbe, das Fett aber erhält die Bedeutimg
eines sexuellen Merkmales, das alle harten Formen mit seinem weichen
Schleier überzieht, der mehr ahnen als sehen lässt.
Die BrüBte liegen auf dem großen Brustmuskel und sind mit
ihm durch derbes Gewebe verbunden. Die ernährenden Schlagaden
treten von hinten her in die Drüse ein und stammen zu einem großen
Teil aus dem Innern des Brustraumes, die Venen dagegen sammeln
sicli sowolil in der Tiefe der Drüse als auch an ihrer Oberfläche.
Audi die Brüste haben also Hautvenen, die namentlich während des
Stillens erkennbar sind, weil zu dieser Zeit mehr Blut das Organ
durchströmt. Die Befestigung auf dem großen Brust muskel zwii;gt
die Brüste, seinen Bewegungen zu folgen. Nähern sich die Arme,
so nähern sich auch die Brüste , hebt sich der Arm , wobei der
Muskel, lang und gedehnt, sich über einen großen Raum ausbreitet
so liebt sich die Brust mit ihm, umgekehrt senkt sie sich mit dem
Arm, und entfernt sich von der Mittellinie, wenn sich derselbe nach
rückwärts wendet. Die Verschiebungen sind nicht sehr bedeutend,
weil die Brüste auf dem Urspningsgebiet des Muskels liegen, alw
doch groß genug, um beachtet zu werden. Bei der verwundeten Am^i-
Zone auf dem Kapitol ist auf der Seite des erhobenen Arms der Höhen-
unterschied in der Lage der Brüste sehr wohl berücksichtigt. Bei der
niilesi sehen Venus steht die linke Brust höher, was auf eine hohe
Haltung des fehlenden Armes hinweist.
Die Brüste der weißen Rassen sind im jungfi'äulichen Zustande
halbkngelig, bei den farbigen Rassen ist dies nicht immer der Fall.
Die zalilreidicii Photographien von Mädchen und Frauen aus Afrika
Anatomie des Kindes. 481
und den Inseln des indischen Ozeans zeigen nicht immer , aber doch
oft genug Brüste, welche mehr in die Länge gezogen und zuge-
spitzt sind. Die alten wie die neuen Bewohnerinnen des Nillandes
scheinen in weitaus überwiegender Menge^ ebenso wie diejenigen In-
diens die halbkugeligen Brüste zu besitzen, denn weder die Darstel-
lungen der Sphynxe und anderer himmlischen Wesen, noch die Dar-
stellungen irdischer Schönheiten lassen spitze Brüste erkennen.
Die Grösse der Brüste unterliegt zahllosen Verschiedenheiten.
Klein, prall und halbkugelig um den Eintritt der Geschlechtsreife,
beginnen sie bei Schwangeren zu strotzen und werden hängend durch
die Schwere. Bei alten Frauen werden sie nach dem Verlust des
Fettes schlaff, knotig und faltig. Durch ihr eigenes Gewicht und
durch absichtliches Ziehen können sie so lang werden, daß die Weiber
der Indianer sie über oder unter der Schulter ihren Säuglingen reichen
können, welche sie auf <lem Bücken tragen. Bei den Römern galten
große Brüste fiir keine Schönheit. Unter den europäischen Frauen
sollen die Portugiesinnen die größten, die Casti lianerinnen die kleinsten
Brüste haben. Nach Rubkns nackten weiblichen Figuren zu schließen,
dürften die Niederländerinneu im Luxus der Brüste mit den Portugie-
sinnen wetteifern. Was den Brüsten ihre Größe und Rundung ver-
leiht; ist nicht allein das drüsige Organ, sondern auch das Fett, das
die Drüse bedeckt und zwischen die Hauptlappen der Drüse eindringt.
Das Fett ist es, das der aus mehreren Lappen bestehenden und des-
halb unebenen Brustdrüse die glatte Halbkugelform giebt. An der
Warze und ihrem Hof findet sich niemals Fett.
Zweiter Abschnitt,
Anatomie des Kindes.
Der Reiz des kindlichen Körpers liegt in den weichen gerundeten
Formen und in der unvollkommenen Entwickelung der Glieder, die zu
kurz, im Mißverhältnis stehen zu dem großen Rumpf, an dem der
Kopf überwiegt. Der Kopf ist so bedeutend ausgebildet, daß im An-
fang die Muskeln noch nicht stark genug sind, die schwere Last zu
tragen. An dem Kopf selbst ist es wieder der Himschädel, der das
Maß überschreitet. Die Menge des Gehirns bedingt eine gewölbte,
vorragende Stirn, der aber noch die Augenbrauenbogen und die Stim-
glatze des Erwachsenen fehlen; nur die Stimhöcker sind deutlich und
KOLLMAMNy Plastische Anatomie. 81
482 Zweiter TeU. Zweiter Absdinitt.
zeigen die Mittelpunkte des fortschreitenden Wachstums, ünterlulb
der Stii'n sitzt das kleine, unentwickelte Gesicht mit der kleinen Ntie
und dem kleinen Mund, der bei dem Fehlen aller Zähne noch nidt
imstande ist, feste Nahrung aufzunehmen. Von den SinnesoiiganeD in
das Auge allen anderen in der Entwickelung vorausgeeilt. Wähnod
das Tastvermögen, das Gehör; der Geruch und der Geschmack em m
Empfangen von Eindrücken thätig sind , wirkt schon das Auge in die
Feme. Groß und vertrauensvoll leuchtet es aus den weitgeöfihetci
Lidern, begierig nach Licht und Liebe. — Die Rührung, mit der wir
Kinder betrachten, entspringt aus dem Eindruck der Hilfsbedürftigkeh,
den sie auf unseren Geist machen. Kein Wesen der Schöpfung bedarf
der PHege so lange als das Kind. Dazu kommt noch das Interesse,
weil wir in jedem Kind eine Periode unseres Lebens vor uns sehen,
von der die eigene Erinnerung nichts aufbewahrt hat.
Die Eigenschaften des kindlichen Körpers sollen zunächst mh
Maßstab und Zirkel fest-gestellt werden, damit die weitere Erörte-
rung an bestimmte Angaben anknüpfen könne. Aus dem Eindee-
alter sei das Kind von acht Monaten gewählt, das eben imstande ist
mit einiger Sicherheit zu stehen.
1) Proportionen des Kindes von acht Monaten.
Das Kind besitzt in dem Verhältnis der einzelnen Abschnitte:
Kopf, Rumpf und Gliedmaßen sein besonderes Gepräge und ist nich
einfach nur eine verkleinerte Ausgabe des Ei'wachsenen.
Der Kopf ist im Verhältnis zu dem ganzen Körper doppelt ?o
groß bei dem Kinde gegenüber dem Erwachsenen, und zwar nach jeder
Dimension, also auch nach derjenigen der Höhe. Als Maßstab kommt
die Höhe des Kopfes in Betracht, von dem Scheitel bis zum Kinn, und
projiziert auf eine senkrechte Linie, wie in der Fig. 149 Nr. i.
Die Totalhöhe eines Kindes beträgt 4^/2, genau 4 • 6 Kopfhöhen
„ „ „ Erwachsenen 8 Kopfhöhen.
Nach einer anderen Methode der Bestimmung, wobei die Körper-
höhe in 100 gleiche Teile geteilt wird und die vielleicht größere Ge-
nauigkeit jedoch nicht gleiche praktische Verwendbarkeit besitzt, betragt
die Kopfhöhe des Kindes .... 22 Teile
„ „ „ Erwachsenen . . 13 „
Die Kopfhöhe des Kindes beträgt also auch nach diesem Ergebnis
der Messung nahezu Y4 der ganzen Körperhöhe!
Dieses Überwiegen des Kopfes deutet bereits die spätere Macki
des in der Schädelhöhle ruhenden Gehirns erkennbar an und ruft bei
dem Beschauer auch diesen Eindruck hervor. Wie die übennäBi^
Anatomie des Kindes. 483
langen Beine des Füllens die siegreiche Schnelligkeit des erwachsenen
Tieres ahnen lassen, oder die Branke des jungen Löwen, die so schwer,
daB das Tier sie anfangs' kaum zu bewegen vermag, schon die spätere
Sjrafb des Königs der Tiere andeutet, so zeigt schon der Kopf des
Kindes das Werkzeug des Geistes, das die Welt erobert. An den
Figuren 149 und 150 ist dieses Überwiegen des Kopfes gut erkenn-
bar, vielleicht am vollständigsten in Fig. 150, weil die Breite des
Körpers nicht auf den Beschauer wirkt, wie in Fig. 149, und die
auf die Brust gelegte Hand die Aufmerksamkeit nicht stört.
Der Kopf des Kindes ist nicht nur in der Länge, sondern auch
nach der Breite bedeutend entwickelt. Der Querdurchmesser ist im
Verhältnis zu dem Querdurchmesser des Körpers doppelt so groß als
der Kopf des Erwachsenen. Auch hierin sind also die Proportionen
von Kind und Mann gänzlich verschieden. Bei dem achtmonatlichen
Knaben ist der Körper in der Höhe des Oberarmgelenkes nur um die
Hälfte breiter als der Kopf. Auf den Figuren 149 und 150 rahmen
zwei gerade Linien den kindlichen, aufrecht stehenden Körper ein, und
es ist leicht ersichtlich, wie wenig der Durchmesser des Kopfes den-
jenigen des Oberkörpers überwiegt. Bei dem Erwachsenen beträgt der
Durchmesser des Körpers in der Höhe des Schultergelcnkes das Drei-
fache des Querdurchmessers seines Schädels.
Der Kopf ist femer ebenso breit wie die Weichengegend und wie
der Querdurchmesser der Beckengegend (Fig. 151). Die drei Ansichten
Fig. 149 — 151 zeigen, wie die Größe des Kopfes fast alle Dimensionen
des kindlichen Rumpfes beherrscht. So ist die Länge des Schädels
(gemessen von der Stirn bis zu dem vorragendsten Punkte des Hinter-
hauptes) größer als die Tiefe des Brustkorbes und des Beckens
(Fig. 150).
Die Proportion des kindlichen Sumpfes ist folgender Art:
Bei gerader Stellung, wie in den Figuren 149 — 151, beträgt die
Länge des Rumpfes, vom unteren Rande des Kinns aus gemessen,
weniger als zwei Kopfhöhen, bei dem Erwachsenen beträgt dieselbe
Entfernung drei volle Kopf höhen. Die Fig. 149 bestimmt mit der
Nr. 3 die Entfernung der dritten Kopfhöhe, von dem Scheitel des Kindes
aus gemessen. Diese Linie fällt noch unterhalb das Schambein. Die
oberhalb der horizontalen Nr. 3 gezogenen Linie entspricht der wahren
Länge des Rumpfes. Genau ausgedrückt beträgt dieselbe nur P/?
Kopflängen.
Die Beine des Kindes sind im Vergleich mit denen des Er-
wachsenen außerordentlich kurz, sie sind in der Entwickelung noch
sehr zurück im achten Monat; dieser Zustand erhält sich lange und
gleicht sich erst allmählich aus. Bei dem achtmonatlichen Kinde
sr
484
Zweiter Teil. Zweiter Abedmitt
beträgt die Länge der Beine ly, — IY7 Eopfhöhen, gemessen Ton da
nnt^ren Bande des Schambeins bis zur Grundfläche. (Vergl. die Fig
149 — 151, Entfernung der Horizontalen über Nr. 3 bis zu der Grundlinie
Bei dem Erwachsenen beträgt dieselbe Entfernung 4 Kopfhöhen.
Wegen der kurzen Oberschenkelknochen reichen die Armchei
obwohl sie auch noch unvollkommen entwickelt sind , dennoch h\s i
Kopfhöhe
Kopfhohe
Körpermitte
Rümpfende
Kopf hohe
Kopfhöhe
1 KopfbölMr.
Kopfböb«.
m Körpermine.
...: KunipfeDd«.
-15 Kopf höhe.
l4. Kopf höhe.
Fig. 149. Kind von vorne. Fig. 150. Kind von der Seite,
nach Si'iiADOW.
der Mitte des Oberschenkels herab, wie bei dem Erwachsenen, l
Länge der Arme steht also noch in einem Mißverhältnis zu der Hö
des ganzen Körpei-s. aber namentlich zu derjenigen der Beine, der
Unterschenkel noch viel zu kurz sind.
Der große Gegensatz der kindlichen Formen zu denen des 1:
wachsenen spiegelt sich auch noch in der Lage der Körper miti
Aofttomie des Kindes.
485
Bei dem achtmonatiichen Kinde geht die Horizontale, welche die Total-
höhe in zwei gleiche Hälften teilt, dicht unterhalb des Nabels quer
durch den Körper (Figg. 149 — 151m). Bei dem Erwachsenen von
acht Kopflängen liegt die Körpermitte an dem unteren Rande des
Schambeins.
Diese Angabe zeigt auf das deutlichste, wie sehr die Proportionen
Kopfhöhe.
Kopfhöhe.
Körpermitte.
Rampfende,
Kopf hohe.
Kopfhöhe.
Fig. 150. Kind vom Rücken,
nach ScHADOw.
des Kindes von denen des Erwachsenen abweichen. Der Unterschied
in der Lage der Körpermitte darf als der Gesamtausdruck der kind-
lichen Formen angesehen werden.
Zu weiterer Ergänzung des Gesagten giebt die folgende T$.belle
die Proportionen eines acht Monate alten Kindes, die ganze Höhe in
100 Teile geteilt. Dieses Verfiethren wird von manchen Forschern auf
486 Zweiter Teil. Zwdter Abichnitt.
dem Gebiete der Proportionslehre vorgezogen, in der Uberzengimg,
daß die erhaltenen Maße eine größere Genauigkeit besäßen, allein tob
den Künstlern wird das dem Körper selbst entnommene HaB mit
größerer Vorliebe in Anwendung gebracht.
Beträgt die ganze Höhe des Kindes 100,0 Teile.
dann treffen auf: <
den Kopf 22,0 „ i
Vom Scheitel bis zur Schamfdge 60,0 „
Von der Schamfuge bis zur Erde 40,0 „
„ „ „ „ „ Kniescheibe .... 16,0 „
Länge des Unterschenkels 24,0 „
Vom Scheitel bis zum Nabel 48,0 „
„ Nabel bis zur Fußsohle 52,0 „
Länge des Halses 2,0 „
Von der Schul terhöhc bis zur Spitze des Mittelfingers 40,0 „
Bei einem Kind von 70 cm Höhe beträgt die Länge der Beine
von dem unteren Rand des Schambeins gemessen nur 28 cm,
der Oberkörper vom Scheitel bis zum Schambein . . 42 „
Sowohl aus dem Ergebnis dieser Berechnung, als aus der mit der
Kopf höhe angestellten Untersuchung des kindlichen Körpers geht her-
vor, daß die Mitte des kindlichen Körpers im achten Monat noch dicht
am Nabel liegt. Der Körper steht also in einem Kreis, dessen Badiu
vom Nabel aus die halbe Höhe beträgt. Mit dem fortschreitenden
Alter rückt der Mittelpunkt der Körperhöhe immer weiter gegen die
Schamfuge hinab, bis er im 21. Jahr an dem oberen Rand oder auch
tiefer, an dem unteren Rand, angekommen ist. Will man die Körper-
höhe des Erwachsenen in einen Kreis einschließen, so muß der eine
Schenkel des Ziiicels in die Schamfuge eingesetzt werden.
Der griechische Kanon nimmt an, daß die Körpermitte des Erwachsenen an dem
unteren Kand der Schamfuge liege. Das ist nicht ganz korrekt, allein die an sich
wichtige Korrektur, welche die Körpermitto des Krwachsenen auf den oberen Rand
des Schambeins vorlegt, ist für die praktischen Ziele, die wir hier verfolgi^n, ^-on
untergeordneter l^deutung.
Es sind nur die Proportionen eines achtmonatlichen Knaben hier
beschi'ieben worden, in der Überzeugung, daß dieses Alter besonders
charakteristisch l)ezüglich der Proportionen ist und für den Künstler
eine gute (rrundlagc bildet, um seine Erfahmngen an der Hand der
mitgeteilten Thatsachen zu erweitern, sobald er sich zunächst dieses
Bild mit allen Einzelnheiten in das Gedächtnis geprägt hat.
Eine Proportionslehre, die sich auf alle Entwickelungsstufen er-
streckt, vom neugeborenen Knaben bis zum reifen Mann, findet sich
künstlerisch vortreftiich illustriert in dem schon erwähnten Werke tod
Anatomie des Kindes. 487
SoHADOW. Die wissenschaftliche Seite des Wachstums und der davon
abhängigen Proportionen erörtern Welckee^ und Lihabzik. ^
3) Besondere Merkmale der einzelnen KOrperabsehnitte.
Der Kopf des Kindes zeigt eine auffallende Verkümmerung des
Gesichtsschädels im anatomischen Sinn, also in demjenigen Teile, der
zwischen der Nasenwurzel und dem Kinn liegt. Es rührt dies von
dem Fehlen der Zähne her; das Kind hat in der Regel bei seiner
Geburt keine Zähne. Die Keime stecken noch in der Tiefe der Zahn-
säckchen und werden erst nach und nach mit den Kronen hervor-
geschoben. Die Milchzahnkeime nehmen den Raum der Kiefer zu
weitaus dem größten Teile ein. Ein Blick auf die Figg. 153 und 154
zeigt den bedeutenden Unterschied in der Konfiguration der Gesichts-
knochen bei dem Kind und dem Erwachsenen. Die beiden Schädel
sind mit dem Orthoskop gezeichnet, stellen also geometrische Auf-
nahmen dar. Sie sind femer in der Horizontalen aufgestellt, welche
den unteren Augenhöhlenrand mit dem oberen Rand des Gehörorganes
verbindet. Beide Schädel sind in gleicher Höhe orientiert mittels
einer Linie, welche quer durch die Spitze der Augenhöhlenpyramide
zieht. So wird es deutlich, wie unfertig bei dem Kinde Ober- und
Unterkiefer sind, und wie sie trotz der bedeutenden Größe des kind-
lichen Kopfes dennoch die am meisten zurückgebliebenen Teile
darstellen. Der kleine, von oben nach unten zusammengepreßte Ge-
sichtschädel verliert zwar dieses Aussehen etwas an dem lebenden
Kinde, weil die Weichteile an den Seiten der Wange und am Kinn
das Antlitz verlängern, denn sowohl der Kontur der Wange als jener
des Kinns treten beträchtlich über die Knochengrenze des Unterkiefers
herab; dennoch bleibt die Kleinheit des Gesichtes im Vergleich zu der
Höhe der Hirnkapsel anfallend (Fig. 152 und 153), und nichts vermag den
Charakter des kindlichen Antlitzes zu zerstören. Die Fig. 154 zeigt
die Gestalt der vollentwickelten Gesichtsknochen , die nur der Zähne
wegen solchen Umfang erreichen. Der Körper des Oberkiefers, die
Nase und die Zahnfortsätze sind stark vergrößert und der Unterkiefer
des Erwachsenen ist im Vergleich zu demjenigen des Kindes, in der
Höhe der Zähne wegen vervierfacht. Sind die Zähne ausgefallen, so
sinkt im Greisenalter das Verhältnis des Himschädels zu demjenigen
' H. Welckbr, Untersuchungen über Wachstum und Bau des menschlichen
Schädels. Leipzig 1862. 4".
' Fb. Liharzik,' Die Geseztc des Wachstumes und der Bau des Menschen.
Die Proportionslehre aller menschlichen Körperteile für jedes Alter und für beide
Geschlechter. Mit 8 Tabellen und 9 lith. Tafeku Wien 1862. Folio.
f —I
488
Zweiter Teil. Zweiter Abtehnitt.
des Gesichtes wieder zu dem Verhältnis kindlicher Formen herab (sicIk
die Figuren Seite 106 und 107). Mit der Kleinheit des kindlicki
Oberkiefers stehen die Nasenbeine und die kleine Nase, die eioei
eingebogenen Bücken besitzt, im Finklang.
Die Augen sind für das kleine Gesicht des Kindes verhältöE
mäßig groß, und die Lidspalte ist im Vergleich zu derjenigen d<
Erwachsenen weiter geöffnet. Das Kind fixiert die Gegenstände, weW
seine Aufinerksamkeit fesseln, lange und sie werden nicht so sehne
verlassen. Das volle runde Antlitz ist glatt und leidenschaftslos, •
hat den Mangel markierter Züge mit dem Gesicht der Knaben n
der Mädchen gemein, deshalb ist das „Treffen" mit Schwierigkeit
verbunden.
Fig. 152. Kopf eines achtmonatlichen Kindes,
nach ScHADOw.
Der Rumpf ist vor allem unten bedeutender entvrickelt,
Erscheinung, welche ganz im Gegensatz zu der Rumpfform
Mannes steht, bei dem gerade die Brust die Hauptmasse
stellt und der Unterleib als ein ihr untergeordneter Nachbar ii
Augen fällt. Der Bauch des Kindes besitzt einen großen Un
ist beträchtlich nach vom gewölbt und tief herabgesenkt, so dal
oberhalb der Scham eine deutliche Falte bildet (Fig. 149 ii. 150)
Brust ist schmal, kurz, doch keineswegs platt, sondern gewölbt. A
der unvollkommenen Entwickelung der unteren Grliedmaßen is
Becken noch wenig ausgebildet, die Schaufeln der Hüftbeine sine
nicht ausgelegt, sondern steigen steil in die Höhe.
Die Größe dos Unterleibes steht in Zusammonhang mit der vorgesch
Ausbildung der Verdau ungsorganc, insbesondere der Leber. Dort, \vo <Hesci
sitzt, hoch oben an der fünften Rippe, beginnt schon die Aii»ladiiii^ auf Kos
Brust, deren lufthaltige Lungen noch gering an Umfang sind. W»i« ihnen i
fang abgeht, ersetzen sie aber durch eine größere Zahl von Atemzügen.
ADatomte du Kind«*. 489
Der Rucken des Kindes ist platt, die Schulterblätter und die
Muskeln sind noch klein und schwach, und die Wirbelsäule noch nicht
wie die des Erwachsenen mit bestimmten Krümmungen versehen,
sondern gerade. Die Umprägung der geraden kindlichen Wirbelsäule
beginnt im dritten Monat (die Figuren 150 n. 151 drücken dieses Ver-
halten des Rückens gut aus), um erst ganz allmählich durch den Ein-
fluß der aufrechten Haltung des Rumpfes die charakteristischen
Biegungen zu erhalten.
Der Hals des Kindes wird erst hier erwähnt, weil er bei der
^ 15S. Schttdel uince iweimonatlicheii
ndet ron vorn geiwlii'u und wie Fig. 152
orieDtiert, daß die llorizonlulc durch
das Sehloch gezogen ist
Fig. 154. Schädel eines erwachsenen Mannet,
Die t.)rientierung»linie geht durch die punk-
tierte Gerade zwischen den Nummern 4 und &
links, und den Buchstaben b und c rccbta.
Betrachtung von vorne zu fehlen scheint. Kr ist so kurz, daß er auch
bei der Betrachtung von der Seite nur eine sehr geringe Ausdehnung
besitzt, 1 — IVi t^ni Höhe. Sinkt gar das Köpfchen etwas tiefer, wie
dies gewöhnlich der Fall ist, denn nur in seltenen t^ällen ist die Hal-
tung des Kopfes so wie in der Abbildung, dann besteht statt des
Halses nur eine tiefe Hautrinne, die wie mit dem Faden eingeschnürt
erscheint. In Übereinstimmung mit der Kürze des Halses ist auch
der Kehlkopf und die Schilddrüse klein, doch das sind für die äußeren
Formen mehr nebensächliche Dinge, wichtig ist für den Künstler der
Umstand, daß dem nengebomen Kind und hinauf bis zu dem achten
Monat ein Hals fast fehlt in der Form, wie ihn der Erwachsene besitzt.
490 Zweiter Teil. Zweiter AlMoimllt.
Die Arme des Kindes sind, wie die Betrachtung der Figuren uni
die MesHUiig ergiebt, ebenso Ung als die Beine. Diese ÜbeFeinstim-
mnug Tcrliert sich erat allmählich. Noch bei Kindern von sechs Jahren
ist ihre Länge sehr beträchtlich, und zeigt sich namentlich während
des Laufens, wobei sich ja die Knie etwas beugen. Dann pendeln
die langen Äi-me vor und zurück, und die kleinen Burscheu mit
ihren großen Bäuchlein erhalten in ihren Bewegungen etwas höchst
Komisches.
Die Beine des Kindes sind nahezu um ein Drittel zu kurz, und tragen
so dazu bei, dem Oberkörper das Übergewicht zu sichern. Die mangel-
hafte Entwickelung der Beine betrifft nicht allein den Oberschenkel,
sondern auch den Unterschenkel. Bei der Darstellung von Kindern
muß selbstverständlich dieses Mißverhältnis zwischen Körper- und
Beiulänge vor allem mit zum Ausdruck kommen, ebenso wie dtusjenige
von Himschädel und Gesichtschädel, soll der Beschauer deu Eindruck
kindlicher Formen erhalten. — Die Umgestaltung der Formen erfolgt
erst mit der Reife des Individuums. Bis dahin walten die schlanken,
hageren Knabenformen vor, welche im HöhenmaBe genügend gediehen,
aber in der Breite noch vieles nachzuholen haben. Die Jungen be-
sitzen lange Arme und Beine, erst mit dem Eintritte der Reife ent-
falten sich Brust und Blicken, dann erst gewinneu die Lungen ihr
YollmaS und erweitem sich mehr, als je früher.
3) Haut, Huskeln nnd Skelett des Kindes.
Von der Haut des Kindes verdienen hier vor allem die Zartheit 1
und die Durchsichtigkeit der Oberhaut Erwähnung. Die tiefen Ge- ]
fäße scheinen hindurch und das Kolorit erhält durch die Reinheit der |
in der Tiefe strömenden Säfte eine Wärme, die nur die Jugend be-1
sitzt, und die sich bei Mädchen liluger erhält als bei Knaben. ,
Die Elastizität ist der Haut des Kindes im höchsten Grade eigen; siel
wird freilich unterstützt durch das überall reichlich angesammelt« Fett,"|
So kommt es, daß entstandene Falteu spurlos wieder verstreichen. I
Magert das Kind ab, dann schwindet mit dem Fett der hohe Grad j
von Elastizität, und selbst Kinder bekommen dann ein faltenreiches^
Gesicht. Wie bei dem Erwachsenen , so lassen die körperlichvo
Schmerzen auch bei dem Kinde sofort die Spuren in dem Antlitz be-
merken, auch bei ihm kommt die Blässe der Entbehrung und die
Röthe des Wohlbehagens sehr schnell zum Ausdrucke, und die Äugen ,
und ihre Umgebung zeigen zuerst die eingetretenen Veränderungen. I
Sie werden glänzend, oder matt, und die ganze Umgebung ist ent- 1
weder gefüllt oder tief eingesunken. Beim abgezehrten Kiudo werden 1
I
Automl« dH KlndM. 491
ebeufalls die Augeiihölileniilndei- und die Wangenliöcker bemerkbar
und die scharfen Winkel des Unterkiefera.
Die Hautfaltca an den Gelenken, die oft der Art sind, daß sie
von einem eingesciiiitirten Fadi'n herzurühren scheinen, werden durch
das Unterhiiutfettgewebe bedingt. Einige derselben sind an den Fi-
guren 149 — 151 angedeutet. An den Fingern kunn die Fettiinhäufung
oft 80 stark werden, daß sie das Bengeu erachwert.
Die Bnwtdrüae der neugeborenen Knaben ist ebenso groß, wie diejenige der
nengeborenen Müdchen , untl bleibt es niieh noch lange. Sie entwickelt eich eagai
eine Zeitlang in gleiuhcm Schritt, dann FerkUmmert die, läBt jedoch eelbet in reifen
Jahren noch Überreste zurück. Erat im hübem Alter bleibt von ihr nichts Qbrig
oIb der Ort, wo sie war. N ich tede«t« weniger hat auch diese Begel ihre AuBnahmeu,
nnd CS sind von glaubwürdigen Beobachtern FSllc bekannt gemocht worden, daß
auch Münncr Ammen abgeben können. Mit dieser Entwickelung einer wahren
milchgebenden Itrust beim münnliuben Geschlecht ist die scheinbare ÜberemUhning
(Btfpertrophie) der Bmat nicht 3tt verwechseln, welche durch Wnehernng de« Unter-
hautfettgewebes vorgespiegelt wini. Man hat bei einem 45jährigen Mann Brüste
gesehen, die wie Kfirbisse berabhingcn, und deren eine 40 eni i^.) Lauge besafi.
Die Muskeln sind alle vorhanden, allein noch unvollkommen
entwickelt und noch nicht der Herrschaft des Willens unterworfen.
Nur einige folgen schon dem äußern Reiz in korrekter Weise, so
der Ringmuskel des Auges. Bei dem Eindringen von Licht, das &a
die Netzhaut des Neugeborenen noch ein Greuel ist, achließen sich
sofort die Lider. — Bei der Berülirung der Mutterbruat machen die
Lippen und die Zunge sofort die komplizierten Saugbewegungen, und
ebenso sind Beuger und Strecker des Rumpfes und der Glieder schon
lauge vor der Geburt der Zusammen zieh ung fähig; allein die Entwicke-
lung des übrigen Muskelsystems ist noch so weit zurück, daß Monate
vergehen, bis das Kind die ersten Gehversuche zu machen imstande ist.
Dabei ziehen sich die Muskeln sehr unvollkommen, bald zu stark, bald
zu schwach zusammen und die ITiätigkeit einer jeden Muskelgruppe
ist vou vielen unzweckmäßigen Mitbewegungen begleitet. In der
Abbildung des Kindes vou rückwärts (Fig. 151) sind die großen Ge-
säßmuskeln bei dem einfachen Stehen iu voller Thätigkeit dargestellt,
Bei dem Erwachsenen, der es gelernt hat, seinen Körper im Gleich-
gewicht zu tragen, geschieht das Stehen mit einer sehr geringen
Muskelarbeit, und eine Zusammenziehung der großen Gesäßmuskeln
tritt nur ganz vorübergehend auf. In voller Leistungsfähigkeit sind
dagegen schon sehr früh jene Muskeln des Kindes, welche im Gebiet
des Kreislaufes und der Ernährungsorgaue thätig sind. Das Herz
schlägt schon seit den frühesten Tagen der Entwickelung regelmäßig
und voll; die gesamte Muskulatur des Darmes übernimmt nach der
Geburt die ihr zukommende Rolle , ebenso wie die Respirations-
492 Zweiter TeU. Dritter Abedmitt
muskeln, welche sofort ihren Dienst antreten, um ihn ohne Unter-
brechung fortzuführen.
Das Skelett des kindlichen Körpers hat, mit Ausnahme dem-
jenigen des Kopfes, wenig Einfluß auf die äußeren Formen. Ea ent-
hält zwar alle einzelnen Teile, allein viele sind noch YoIlkom]ne&
knorpelig und andere erst in der Yerknöcherung begriffen. Die Bohren.
knochen geben, wie bei dem Erwachsenen, Ursprungs- und Ansatzpunkte
für die Muskeln, aber die vorspringenden und scharf gezeichneten
Muskelleisten fehlen noch, und im Innern bestehen die langen Knochen
aus drei durch Knorpel getrennten Stücken. Erst mit der Toikn
Reife des Individuums verwachsen diese einzelnen Abteilungen feet
und untrennbar miteinander. Bei dem geringen Durchmesser der
Knochen reicht oft schon die Schwere des Körpers hin, um sie bd
den ersten Gehversuchen zu krümmen und einen mäßigen Gnd
von Säbelbeinen zu erzeugen. Leidet vollends die Emährong der
Kinder, dann wird der regelmäßige Gang der Yerknöcherung gestdrt
und führt jene Verkrümmungen der Beine herbei, die aus geraden
Säulen für die Stütze des kindlichen Körpers vielmehr zu bogen-
förmigen Spangen geworden sind, die nur einen wackelnden Gang ge-
statten. Doch besitzt die Natur manche geheimnisvoll aus dem Innen
des Organismus wirkende Kraft, und so verschwinden oft in späteren
Tagen durch bessere Ernährung diese Zeichen früherer Entbehrung.
Dritter Abschnitt.
Mechanik der Stellungen und der
Ortsbewegung.
a« Der Schwerpunkt und das Stehen«
Bei der Mechanik unserer Bewegungen gilt vor allem der Satz,
daß es sich um die Leistung einer Arbeit handelt, wobei der Mensch
nicht fremde Massen bewegt, sondern seine eigene. Selbst zu der
aufrechten Stellung bedarf es schon einer gewissen Muskelthätigkeit.
Handelt es sich doch bei dem Stehen darum, das Gewicht des Körpers
von 70 — 75 kg im Gleichgewicht zu erhalten. Es ist dabei notwen-
dig, daß der Schwerpunkt des Körpers unterstützt sei, das heißt, daß
die sogenannte Schwerlinie, die Senkrechte, welche durch den Schwer-
punkt des Körpers geht, in den Bereich seiner Unterstützungsfläche
Mechanik der Stellungen und der Ortobew^^g. 493
üedle. Gleichzeitig ist es aber auch nötig, daß der Körper durch
Muskelaktion aufrecht erhalten werde; denn eine Leiche, wenn man
sie auch so aufstellt, daß ihr Schwerpunkt unterstützt ist, fällt zu-
sammen, weil ihre Gelenke nachgeben. Die Gelenke, welche zunächst
in Betracht kommen, sind das Sprunggelenk, das Kniegelenk, das Hüft-
gelenk; dann müssen aber auch der Kopf und die Wirbelsäule durch
Muskelaktion in ihrer Lage erhalten werden.
Auf diesen leichtbeweglichen und glatten Gelenken müssen wir
also den Körper bei dem aufrechten Stehen derart durch Muskeln fest-
halten, daß beim Stehen auf den beiden Füßen die Schwerlinie zwischen
die beiden Füße fällt, wie in den Figg. 155 und 156. In der Fig. 155
ist das Skelett eines aufrecht stehenden Menschen gezeichnet; die
Linie Sch entspricht der Schwerlinie. Sie geht durch die Scheitelfläche
(Sagittalebene) des Körpers und trifft den Boden an einer Stelle, die
gleichweit von der Stützfläche der beiden Füße entfernt ist. Bei dem
Kinde, das es eben so weit gebracht hat, einige Augenblicke zu stehen,
muß die Schwerpunktlinie (Fig. 156) genau dieselbe Richtung haben
wie bei der vorhererwähnten Figur. Unser Blick ist durch die eigenen
Erfahrungen in dieser Hinsicht so geschärft, daß die geringste Ab-
lenkung dieser Linie an irgend einem Körper sofort unsere Aufmerk-
samkeit erregt und unsere Gedanken beschäftigt. Denn das Gesetz,
daß ein Körper nur dann in der Gleichgewichtslage sich befinde, wenn
seine Schwerlinie senkrecht steht, gilt nicht allein Hlr den Menschen,
sondern fbr alle Körper. Sobald eine Säule oder ein Turm nicht
senkrecht zu der Schwerlinie aufgestellt ist, haben wir sofort das
Urteil einer falschen Gleichgewichtslage fertig.
Der Schwerpunkt des aufrecht stehenden menschlichen Körpers
befindet sich zwischen dem ersten und zweiten Krouzwirbel, in dem
Durchkreuzungspunkt der Linie Sch und im Fig. 155. Wir ergreifen
selbst unter ungünstigen Umständen die entsprechenden Mittel, diesen
schwankenden Punkt zu unterstützen. Kein unbewußter Wille hat
uns zum Erlernen dieser schwierigen Kunst getrieben, die Notwendig-
keit, die harte Lehrmeisterin, zwang uns alle, mit Unyerdrossen-
heit dieselben mühsamen Studien immer wieder zu beginnen, bis
wir die genügende Fertigkeit erreicht. Freilich ist die Erinnerung
an diese erste schmerzliche Zeit des Lernens längst verschwunden.
Nur dann, wenn wir ein Kind betrachten, das den schüchternen
Versuch macht sich zu erheben, sehen wir, wie in einem Spiegelbild,
wieder die eigenen Anstrengungen vor uns und erkennen die Schwie-
rigkeit jener Aufgaben , die wir schon im zarten Alter lösen muß-
ten. Welch' langer Übung bedarf es nicht, um auf einer ebenen
Fläche einfach zu stehen! Welches Schwanken, das in jedem Augen-
Zwriter TeU. Dritter Atadmitt.
blick die G«fahr nahe legt. luA
vor- oder rUckwärts zd rtörm.
Und dieser Versuch wird ioA
erst dann gemacht, nachdem du
Kind schon lange an GeiftUa
sich gflflbt hatte, vom Stuhl na
Tisch und wieder zun Stuhl ^
wandert und oft mit dem BOrken
gegen die Wand gestellt worden
war. Die Gefahr des Falles tritt
immer ein, sobald der Schwer-
punkt nicht genflgeud untertttQtzl
int. So lange das Kind noch tiiclit
gelernt hat, die Gelenke hinnd-
chend zu steifen und seine Udb-
kelu so zu Iteherrschen , daß der
aus dem Gleichgewicht geraleoe
Schwerpunkt schnell durch den
Muskelzug an seine frühere Stelle
L zurtlckgefllhrt wird, oder darth
eine andere Position der Beine
auch in seiner neuen Lage ba-
lanciert werden kann, erfolgt nach
dem allmächtigen Gesetz der
Schwere der Fall zum Bo<len. die
nicht ujiterstiitzte Masse des K"r-
pers fallt zur Erde. Dunh viele
mililungene Versuche lernt da?
Kind endlich die beiden aus meh-
reren beweglichen Stückeu be-
stehenden Pfeiler, welche die Last
des kleinen Körpers stötzen. ge-
nügend zu steifen. Es müssen alle
zwischen dem Rumpf und den
Zeben liegenden Gelenke hinrei-
chend fixiert werden, um das \\h
gleiteu der Gelenkflächen, das
Zusiinimenknic^ken der Beine lo
verbimlem. Die Willensimpulse
milsAcn erst einen hohen Gnid
von Sicherheit und Genauigkeit
eneicht hahen , um dieser For-
Mechanik der Stellungen und der Ortobewegang.
495
demng zu genügen. Erst dann, wenn die Herrschaft über die
Muskeln erreicht ist, vermag das Kind sicher seine Eörperlast zu
balancieren. Erwägt man die Beweglichkeit der Wirbelsäule und
die leicht« Verschiebbarkeit der Gelenke, erwägt man femer, wie
unzählige Versuche notwendig sind für das kleine unerfahrene Wesen,
80 schwebt vor unserem Geist ein, wenn auch unvollständiges Bild
Kopfhöhe.
Kopfhöhe.
Körpermitte.
Rumpfende.
Kopfhöhe.
* Kopf höhe.
Fig. 156. Kind vom Kücken,
nach 80HADOW.
von der enormen Schwierigkeit dieser Aufgabe. Sie ist den viorHlßigen
Tieren um vieles erleichtert; denn dort hängt ja die Last des Körpers
an vier Säulen. Bei dem Menschen ist der Schwerpunkt am un-
sichersten unterstützt, und es besteht eine sehr geringe Bürgscliafb
tUr ein längeres Verbleiben in solcher Gleichgewichtslage. Man nennt
deshalb diese leicht verschiebbare Gleichgewichtslage „labiles (rleich-
gewicht" (von UihUvtj was leicht fallt). Die Schwierigkeit des Ver-
496 Zweiter Teil. Dritter AbechniU.
harrens in der Gleichgewichtslage bei dem Stehen kann sich anch der
Erwachsene wieder vergegenwärtigen , sobald er versacht, anf einer
nur etwas schwankenden Unterlage, z. B. einem Schwebebauin. zu
stehen. Dann befinden sich alle, denen auf ebener Unterlage nicht
die geringsten Schwierigkeiten sich bieten, in der größten Gefahr, jeden
Augenblick die Herrschaft über die Masse ihres Körpers zu verlieren.
Bei dem Stehen auf den zwei unmittelbar voreinandergesetzten Beinen
nehmen wir auf dem Balken eine Stellung ein, die wir froher nicht
geübt; wenn auch die hinreichende Steifung der Glieder gelingt, so
sind doch die Muskeln nicht imstande, die Lageverändeningen des
Schwerpunktes durch eine entsprechende Zugkraft völlig zu beherr-
schen. Sobald nun der Körper nicht mehr zur Achse des Schwebe-
balkens senkrecht steht, beginnt er zu fallen. Auf dem Wege der Er-
fahrung haben wir gelernt, noch mit anderen Mitteln als denen des
Muskelzuges das Gleichgewicht des Körpers unter solchen Umständen
wiederherzustellen. Wir haben unbewußt einen Schatz von Kennt-
nissen gesammelt, welchen wir praktisch verwerten, ohne jemals dar-
über nachzudenken. Wir machen in einem solchen Falle den ent-
sprechenden Gebrauch von den Armen, wenn wir bald den einen, bald
den andern erheben, um dadurch den Schwerpunkt wieder in die ünter-
stützungslinie zurückzubringen; es erhebt sich immer der Arm gegen-
über jener Seite, nach der das Gewicht der Masse zu fallen droht
Aus demselben Grunde benutzt der Seiltänzer die Balancierstanire.
nach demselben Gesetze ändert der menschliche Körper in allen Fällen,
in denen er auf irgend einer Seite belastet wird, seine Haltung nach
der unbelasteten Seite.
Wird z. B. eine Last in der linken Hand getragen, so neigt sich der
Rumpf nach der entgegengesetzten Seite und wird gleichzeitig auch der
Ann horizontal ausgestreckt; durch das Seitwärtsbeugen des Kumpfes
wird die Schwerpunktslinie nach der entgegengesetzten Seite verlegt
und damit ist das Gewicht balanciert. Hängt die Last vom, so muß
man sich verhältnismäßig zurückbeugen; liegt sie auf dem Rücken, so
muß der Körper entsprechend vorgebeugt werden. Dabei hat beständig
das eine Bein die Last zu unterstützen. Die gerade Haltung des
Körpers ist dagegen nicht verändert, wenn eine Last auf dem Kopf
getragen wird, also in der verlängerten Linie der Körperachse. Un-^ere
Erfahrung, fälschlich „Gefühl" genannt, hat das Urteil über die Rich-
tigkeit und Notwendigkeit der Bcwegimgen über die veränderte Lage
des Schwerpunktes so vollkommen entwickelt, daß jeder Fehler der
darstellenden Kunst von uns sofort erkannt wird. Die unerbittlichen
Regeln eines fallenden Körpers zeigen uns in demselben Augenblick,
wo der Schwerpunkt desselben nicht mehr unterstützt ist, schon das
MM^aoik der BtellanKfln und der OrisbcwrguDg. 497
endliche Schicksal. Strauchelt jemand, so kennen wir die drohende Ge-
fahr, Qoch ehe der Sturz vollendet ist. Es sind dies Abstraktionen, gebaut
auf unsere eigenen Erlebnisse. An der Skizze Fig. 157 erkennt jeder so-
fort, daß es sich hier um einen Menschen handelt, der das Gleichge-
wicht verloren und rückwärts, unaufhaltsam zu Boden stürzt. Seihst das
emporgestreckte Bein, das nach derselben Kegel, wie die Balancierstange,
der Last des Korpers noch das Gleichgewicht halten sollte, kann nichts
mehr nützen, weil die Masse des Oborköipers zu groß ist. — Dies sind
jedoch sehr komplizieiie Fälle, welche unsere Erfahrung zu beurteilen
Fig. 157. Skiu« eines EtUrzt-iKlrn Titanea nach Qi'ido Brni (SUch nach B. C011101.AH).
hat. Erinnern wir uns an einfache Bilder, z. B. an die verschiedenen
Stellungen, welche eine Grappe fröhlicher Genossen zeigt, die unter
einem schattigen Baum gelagert ausruhen. Der eine sitzt an der Erde
und hat sich gegen den Baumstamm gelehnt, der andere stützt den
Oberkörper auf den wie eine Säule gestreckten Arm, und ein dritter
benutzt dieselbe Säule nur zur Hälfte und legt das Haupt in die
Hohlhand. Die Absicht aller dieser Stellungen ist, den Schweqtunkt
zu unterstutzen. Dort hilft der Baumstamm das Gewicht des ange-
lehnten Körpers tragen, und hier übernimmt es der Ann, den Rumpf
vor dem Sinken zu bewahren. Betrachten wir die Darstellung einer
solchen Gruppe auf einem Gemälde, so regt sich sofort der kritischo
498 Zweiter Teil. Dritter Abflohnitt.
Geist, wenn dem Künstler das Natürliche der Stellungen auch nur b
einem Punkte mißlang.
Der Schwerpunkt erleidet bei jeder Änderung der iStellong eine
Verschiebung. Wir können uns ein deutliches Bild dieser LageTer-
änderung an dem Schwanken eines Kahnes machen , sobald der d^rin
Sitzende die Stellung ändert. Wer hätte sich nicht schon darüber
gefreut, wenn der leichten Neigung des eigenen Körpers im Augenblick
der ganze Nachen folgt und bald der eine, bald der andere Rand bU
an den Spiegel der blauen Fläche niedertaucht. Das leicht bewegliche
Element gestattet dieses ungefährliche Spiel, weil es doch wieder an
allen Stellen den schwankenden Kahn stützt; aber bei der Bewegung
des Menschen auf festem Boden, wenn hier der Schwerpunkt aus seiner
Gleichgewichtslage gestoßen wird, so kann er nur durch eine rasche,
zweckentsprechende Unterstützung vor dem gänzlichen Falle bewahrt
werden. Bis zu welchem Grade von Geschicklichkeit wir es hierin
schon als Knaben gebracht, zeigt die Schnelligkeit, womit der un-
erwartete Stoß durch ein paar Sprünge pariert wird, der plötzlich
unseren ganzen Körper aus dem Gleichgewicht geschleudert hatte.
Aber es bedarf nicht des Hinweises auf solch außerordentliche Leistungen;
üben wir doch die Verlegung des Schwerpunktes bei jedem Wechseln
des Beines während des ruhigen Stehens! Stellen wir uns auf das
eine, während das andere als sogenanntes Spielbein nur leicht auf
dem Boden ruht, so zeigt sich deutlich, wie bei der Entlastung (le>
Einen eine Korrektion in der Stellung des Rumpfes notwendig winl.
Wir bewegen den Körper im Hüftgelenk und den Lendenwirbeln seit-
wärts und zwar ungefähr um 20 cm, gerade soviel als notwendig ist,
um durch die Seitwärtsneigung den Schwerpunkt senkrecht über das
unterstützende Fußgelenk zu bringen.
Dasjenige Bein, auf dem nunmehr der Körper steht, heißt Stand-
bein. Die Figur 158 zeigt jene Stellung, wie zahllose andere aus der
alten und neuen Zeit, bei denen der Mensch auf einem Bein steht,
um das andere unterdessen ausruhen zu lassen. Die Seitwärtsneigung
des Rumpfes und die Verschiebung im Hüftgelenk ist in dieser Skizie
meisterhaft dargestellt. In solcher Stellung fallt also die Schwerlinie
in die Sohle des Standbeines, während das andere, das Spielbein, nicht
mehr zur Unterstützung des Köq)ers dient und frei ist für die Be-
wegung. Solange die Schwerlinie zwischen die beiden Füße fallt, kann
man kein Bein vom Boden aufheben, denn sobald dies geschieht,
würde der Schwerpunkt nicht mehr unterstützt sein, und der Mensch
würde nach der betreffenden Seite hinüberfallen. Wenn aber der Kör-
per soweit auf die eine Seite herübergebracht ist, wie in Fig. 158, dann
ist das eine Bein frei und vermag verschiedene Verwendung erfahren.
Mechanik der 8tellaiig«ii und der Oriahtwtgaag.
Fig. 158. Stehender Mann von MiCHBLANaBLo. Facstmile.
500
r Teil. Driitcr Alwchnitt.
Das Gefällige jeder Eörperatellung (die absichtlich fÖr 1
btigtimmte auägeiionimen] liegt in der anacheinenden Leichtigkeit, i
der sie verändert werden kann. Daher ist in der stehenden Fig. 15
die Stellung gefällig, denn das Gewicht des Kärper^^ wird hanptsäcii«
lieh von einem Fiiüe getragen, während der andere so gestellt ist, i
er das Standheiu leicht ablösen kann.
Die Art des Stellung hat auch mimischen Wert, Di« fet
Stellung der Beine zeigt Mut «iler Trotz, Das Vorti-eten deute
auf Verlangen oder Angriff. Das Zurückziehen zeigt Abscheu o
Furcht , das Kuiemi Demut , Unterwerfung. Tn den heftigsten '
mQtsbewegungeu rücken Hand und Fuß auf derselben oder der ent^l
gegeu gesetzten Seite, zusammen vor. Die Leidenschaften, die ans|
zum Gegenstände hinziehen, wie Liebe, Verlangen, Zorn, Rachl
veranlassen dieses Vorrücken zugleich mit Kopf und Leib. D«
Borghesische Fechter ist auch in dieser Beziehung lehrrdch,
zeigt das Vorrücken von Kopf und Leib, wobei jedoch die einandorfl
entgegengesetzten Gliedmaßen ausgreifen, nämlich der linke Arm nndj
das rechte Bein, Dabei ist das rechte Beiti unter die Schwei^fl
llnie des vorgestreckten Rum|)fes gestellt; ohne diese Position er«]
hielte der Beschauer den Kindruck des Stürzens. Bei der Fig. I59>fl
wird ein völlig unbefangener Beschauer, der sich zunächst an die ImhJ
kannte Figur nicht erinnert, die Vorstellung erhalten, als i
nach vom fallende Figur hier dargestellt. Denn nach allen nnBcre
Erfahi-ungen muß ein in solcher Lage befindlicher Oberkörper ;
Erde stürzen. Erst dann, wenn man die durch Linien angegebeni
Bichtnng der Beine ins Auge faUt, fiUlt diese Vermutung fort, d
es wird sofort einleuchtend, daß das vordere Bein den Rumpf un
stützt. Bei dem Fechter ist dabei die Figur in dem Moment <
gestellt, in welchem das Gewicht des Körpers von einem Bein j
tragen wird, während das andere so gestellt ist, daß es leicht ablösei
kann. Wir wissen , daß jetzt im nächsten Moment das Standbi
sich strecken und dann das andere zu einem weiteren Schritt i
vorwärts schwingen kann. Das macht uns den Eindruck leii:
Beweglichkeit und der vorgebeugte Oberkörper denjenigen des V<w
wärtsstürmens.
Li einem direkten Gegensatz zu dem inneren Wesen des
greifenden Fechters steht die Figur 160, die eines fliehenden MannOl
Auch sein Kfirper ist vorgebeugt, auch der Schwerpunkt seines 1
bedarf der Unterstützung, denn der recht« Ami, der offenbar Halt an
einem breiten festen Gegenstand hat, kann den fallenden Körper nicht
mehr stützen, weil Band und Vorderarm weit hinter der Sohwerlinie _
des Oberkörpers sich befinden. Der röchle Arm hilft vielmehr
Mediitiiik der Stelluninn und der Ortabewc^ng.
r große Itrustinuskt-I auf (ipn Torso (ips Borghesischen Peditcrs
guKuirhuet.
1. BruMbeiniHirtion den BriutiuuskeU.
2. BchlÜBKlbeinjiorCioD iea Bntstniuakcla.
3. AnuUaebne.
4. DelhuuD^kel.
5. Unterechlii««e1bein grübe.
e. Spalt xw. Broslbein- ii, Si-liIiisAclIipiiipur
7. Gerader Bauvhinuakrl.
ä. Vordere Be^^reaiungBlinie des änBereo
Bchiefeu Bnuchmiigkels.
* Die von der Scheide des geruden Bauuh-
niuskcl» enlKi'riugende Zllcke des Brust-
oiugkcta.
502 Zweiter Teil. Dritter Abschnitt.
Körper nach vom stoßen, der linke, ausgestreckt, hat noch kein«!
Halt, hilft sogar durch sein Gewicht, den Oberkörper in derM;llj«i
Richtung fortzuziehen. Auch das linke Bein drückt den Korper
fort, allein ehe es den Boden verläßt, muß das rechte den Unler-
stützungspunkt gefunden haben. Das setzen wir nach allen Re-
geln der Bewegung des. Menschen voraus. Schon ist der Fuß nuch
abwärts gesenkt und aus der Stütze der linken Hand, die durch den
Druck verbreitert ist, ziehen wir den Schluß, daß die Grundflidie
für das Aufsetzen des rechten Fußes nicht mehr fem ist. All du,
was hier aus einer langen Erörterung über die Stellung der einzelnen
Glieder hervorgeht, nimmt das Auge sofort wahr, und unser Geist
verkündet uns das Urteil, daß hier ein schwieriges Problem, die Dar-
stellung eines fliehenden Mannes, zufiriedenstellend gelöst ist. Wir
finden die Stellung leicht und natürlich, weil die Verteilung der Massen
des Körpers nicht gegen die Gesetze der Schwerkraft verstößt und
dabei ein hoher Grad von Leichtigkeit zum Ausdruck kommt. Wenn
wir überdies sofort wissen, daß die Flucht eilig ist, wobei der Eörp^
nach der Seite gewendet ist und der Blick nach rückwärts, obwohl
an der Figur der Kopf fehlt, so ist es unsere Erfahrung, welche au»
dieser Stellung des Körpers, d. i. aus der in der Stellung liegenden Mi-
mik, die Geschichte des Vorganges abliest.
b« Grehen«
Die Erkenntnis der Thatsaclie vom Schwerpunkt des menschlichen
Körpers und seiner Unterstützung nach mechanischen Prinzipien
läßt vermuten, daß bei dem Gehen dieselben Grundsätze ihre Geltung
finden. Denn der natürliche Gang hat die Aufgabe zu er-
füllen, den Rumpf, d. i. ein Gewicht, in einem bestimmten Abstand
von dem Boden mit gleichförmiger Geschwindigkeit fortzubewegen.
Wenn, wie bei dem Stehen, die Scliwerlinie nicht mehr zwischen beide
Füße, sondern in die Sohle eines Fußes fällt, in das Standbein, so
kann man das Spielbein aufheben. Wenn nun der Körper sich so-
weit nach vorn neigt, daß die Schwerlinie vor den Fuß fällt, so wird
sie nicht mehr unterstützt sein und man kommt in die Gefahr, vorn-
über zu fallen, wenn nicht das Spielbein in diesem Augenblicke vom
Boden gelöst wird. Ist dies geschehen, so schwingt es, da es im Hüft-
gelenke frei beweglich ist, nach vorwärts. Sobald es dann den Boden
erreicht hat, ist damit ein neuer Stützpunkt gewonnen; man ist nach
vorwärts gefallen, aber zum Glück auf die eigenen Füße oder viel-
mehr auf das neue Standbein. Jetzt macht man das Bein, welches
früher Spielbein war, zum Standbein. Neigt man aufs neue den Körper
HMhanik der SMllungea und der Ortabewegung.
1. SchlJUHlbein.
2. UnlencblrinelbeingTulM, Spalt iiirüchen
Delta- und Brnstmuikel.
3. Akromitdende d«i SchliuKlbeinca.
4. Akromion.
5. Deltamoakel.
6. Strecker des Oberarmea.
7. Behnenfbld des Strtckera.
8. Ellbc^ni. 8*. KöpfcheD der Ell«.
Q. Langer Sapiaalor, am liuken und rech-
9*. Spriehenitrtdier der Hund.
I. Schwellung des Bnutmuakel« *or- dem
Übergang in aeine Sehne.
.. Langer Stmker der Finger.
!. EHenbeuge *. langen Supinator begrenit.
l. Der runde Pronator.
;. SCreckeraehne.
i. Knieichdbe.
1. EDieacheibenband.
'. Tenwir Fasdae.
I. OroOer GeaäQmaikel.
I. Furche iw. d. Strecker- D. Bengergjnppe.
504 Zweiter Teil. Dritter Abschnitt.
nach vorn, und läßt das andere Bein nach vorwärts schwingen, setzt
CS dann auf, so ist ein neuer Stützpunkt gewonnen u. s. w. Das 6efa«i
ist also gewissermaßen ein fortwährendes Fallen nach vorn, was immer
dadurch verhindert wird, daß das vorwärts schwingende Bein einen
neuen Stützpunkt herstellt.
Dabei wird der ganze Rumpf gleichzeitig auch in die Höhe gedrückt,
er und mit ihm der Schwerpunkt beschreiben einen leichten Bogen nach
oben, und zwar ebenso hoch als der Fuß durch seine Streckung die Kör|)er-
last emporgedrückt hatte; dann aber beginnt dieselbe wieder nach vorae
hinabzusinken. Von jenem Augenblick an, in welchem die Erhebnng
geschah, übernimmt das Standbein gleichzeitig die Balance des ganza
Körpers. So wiederholt sich derselbe Vorgang während der ganzen Dauer
der Bewegung. Die Arbeit der Beine ist also abwechselnd immer
dieselbe. Während das eine sich gegen den unnachgiebigen Bodeb
stemmt und unterstützt, schwingt das andere freihängend, um in den
rechten Augenblick die Last auf seine Schultern zu laden und sie wiede
sicher eine kleine Strecke weiter zu befördern. Die Zergliederung dei
Vorganges läßt die Kraftleistung der Beine sehr bedeutend erscheinau
wenn man bedenkt, daß immer nur eines die Fortbewegung der Last
auszufuhren hat. Wenn trotzdem die Ermüdung beim natürlicben
Gang erst sehr spät eintritt, und wir das Gehen lange Zeit hindnid
ertragen, so erklärt sich dies einmal durch die Ruhe, welcher die
Beine abwechselnd hingegeben sind, indem das jedesmal schwingende
Glied von der Luft getragen ohne Muskelanstrengung bewegt wird
und dann aus dem Umstand, daß die Muskulatur der Beine ganz
außerordentlich günstig für die Fortbewegung der Körperlast gebaut
ist. Ein zweistündiges Stehen bei der Parade strengt mehr an. ak
ein doppelt so langer Marsch, weil die Beine niemals so vollkommen
entlastet werden. Das Kommando „rührt euch**, wobei die Trnppc
sich bequem stellt und das eine Bein etwas von der Last befreit, ge-
währt keine so vollkommene Erholung, als jene Rulie während de*
Gehens, welche durch die Teilung der Arbeit bedingt ist.
Alle, denen die Kontrolle dieser veränderten Richtung am Rumpfe
während des eigenen Ganges schwer fällt, mögen sich erinnern, wie
schwierig es ist, Ann in Arm zu gehen, wenn nicht dabei gleichzeitig
Schritt gehalten wird. Denn dann begegnen sich stets die regel-
mäßigen Schwankungen des Rumpfes und die Schultern stoßen an-
einander. Ganz anders, wenn im Tempo die gleichen Beine belastet
werden, dann bewegt sich der Rumpf in beiden Körpern gleichzeitig
nach rechts und nach links, je nachdem das rechte oder das linke Bern
gerade in Thätigkeit ist. Am vollendetsten kann man sich von den
einzelnen Tempi des Ganges, dem Erheben des Körpers und den ab-
Mechanik der Stellungen und der Orttfbewegung. 505
wechselnden Lageveränderungen des Schwerpunktes nach rechts und
links, an einem vorbeimarschierenden Bataillon tiberzeugen. Bei dem
gleichen Tempo und dem gleichen Schritt sieht man die Spitzen der
Bajonette und der Helme der ganzen Schar, abwechselnd nach rechts
und links sich bewegen, je nachdem das rechte oder linke Bein in
Thätigkeit ist.
Die gerade Haltung des Körpers ist bei dem ruhigen Gange nicht
wesentlich verändert, aber sie wird sofort eine andere auf der schiefen
Ebene, weil dadurch der Schwerpunkt verschoben wird. Denn ist der
Boden geneigt, so steht der Schwerpunkt unter dem Einfluß zweier
Kräfte. Die eine drückt ihn gegen die Erde, die andere sucht ihn
längs jener Ebene herabzutreiben. Schreiten wir bergauf oder berg-
ab, so müssen wir den Körper stark neigen, so daß die Schwerlinie
vor oder hinter das stehende Bein fällt.
Die Treppe ist nur eine andere Form der schiefen Ebene, von
Stufe zu Stufe durch eine horizontale Fläche unterbrochen. Steigt
man Treppen rasch hinauf und herab, so muß der Körper in eine
ähnliche Stellung gebracht werden, wie bei dem Gehen auf der schiefen
Ebene eines Berges. Nur dann wird sich dieses Gesetz in der Er-
scheinung des Schreitenden nicht vollständig scharf ausprägen, wenn
er langsam oder gravitätisch hinanschreitet. In diesem Falle hebt
man bei jeder Stufe den Körper durch das Strecken des mit gebogenen
Gelenken aufgestützten Beines. ''Ruht der Fuß auf der nächst höheren
Stufe, so kann der Rumpf erst dann gehoben werden, wenn der
Schwerpunkt senkrecht über den höhergestellten Fuß gebracht ist.
Eine der auffallendsten Erscheinungen, welche durch die Unter-
suchung des Ganges zu Tage gefördert wurde, ist die, daß das un-
belastete Bein nach den Gesetzen eines freihängenden Pendels an dem
emporgehobenen Rumpfe nach vorn schwingt, und daß keinerlei Muskel-
ki'aft für diese Bewegung erforderlich ist. Durch das Erheben erhält
das in der Hüftpfanne befestigte Bein Raum, die Pendelschwingung
nach vorne auszuführen. Gleichzeitig wird die Länge desselben durch
eine Beugung im Kniegelenke in geringem Maße verkürzt. Der Be-
weis nun, daß die Schwingungen des Beines in die Reihe der Pendel-
schwingungen gehören, liegt zunächst darin, daß die Schwingungszeit
des lebenden und toten Beines genau übereinstimmt, und zwar gerade
soviel beträgt, als die eines Pendels von der Länge desselben und der
ihm zukommenden Massenverteilung. Die Länge des natürlichen
Schrittes bei dem ruhigen Gange ist demnach nicht Sache der Willkür,
sondern die Folge eines physikalischen Gesetzes, das die Größe einer
Schwingung abhängig macht von der Pendellänge. Je kürzer die
Beine, desto rascher die Schwingungen (siehe S. 200). Dies alles
506 Zweiter Teil. Dritter Abschnitt.
gilt jedoch nur für den ruhigen Gang. Sobald die Schwingungen dei
Fußpendels beschleunigt werden sollen, müssen sie durch Muskel-
kräfte unterstützt werden und daraus erklärt sich, warum schnelles
Gehen mehr ermüdet als langsames.
Die Gangarten der Menschen sind bekanntlich individuellen Ver-
schiedenheiten unterworfen. Sie wechseln nicht nur bezüglich des
Tempo, sondern auch bezüglich der Haltung des Kumpfes und der
Bewegungsart der Beine innerhalb bestimmter Grenzen. So hat s. R
bei sehr fetten Leuten der Gang etwas Schwankendes, andere geben
ihm dadurch, daß sie die Beine möglichst wenig beugen und strecken
und dabei doch weite Schritte machen, etwas Gravitätisches, wieder
andere beugen die Knie sehr stark, wodurch der Gang nachlassig er-
scheint. Und was die Haltung des Sumpfes betrifft, so ist von Ein-
fluß, ob dieser vor- oder rückwärts geneigt getragen wird, ob er un-
nötige Schwankungen in derselben Richtung ausführt oder nach den
Seiten. Die Erscheinungen all dieser Verschiedenheiten prägt sich
unserem Auge und der Schall der verschiedenen Tempi unserem Ohr
ein und ebenso sicher, wie wir Freunde an dem Tone ihrer Summe
erkennen, vermögen wir es auch an dem Geräusch ihrer Gangart
Zu dem Gehen ist das geringste Maß von Muskelanstrengong
nötig, wenn man in seiner natürlichen, durch die Länge der Beine be-
dingten Schrittdauer geht. Das ist der Grund, warum man die Soldaten
bei großen Märschen nicht in gleichem Tempo gehen läßt; sie würden
sonst viel früher ermüden, weil sie größere Muskelanstrengungen brau-
chen. Wenn jeder nach seiner natürlichen Schrittdauer marschiert,
so geht der Marsch mit geringer Muskelanstrengung, einfach nach
den Peudelgesetzen von statten. Immerhin verzehrt diese Bewegung
einen ansehnlichen Teil des in den Muskeln der Beine vorhandenen
Kräftevorrates, und endlich tritt doch Ermüdung ein. Man begreift
dies, wenn man die Last berücksichtigt, welche bei dem Gehen fort-
bewegt wird. Die bei einfachem Gehen auf horizontalem Wege voll-
brachte Arbeit eines Menschen von 70 kg Körperge¥richt beläuft sich
für eine Stunde Weges auf 25 000 Kilogrammmeter, in acht Stunden
werden somit 200 000 Kilogi*ammmeter durch die Beine bewältigt
Der menschliche Organismus ist eine Bewegungs- und Kraftmaßclmie, die sieb
in betreff ihrer Leistungen z. B. im Fortbcwegen und Heben von Liasten voll-
kommen mit den Maschinen unserer Mechanik, vor allem mit den Dampfinaschinea
vergleichen läßt. Die kontraktile Substanz der Muskeln repräsentirt die Kraft, die
Knochen mit ihren Gelenkverbindungen repräsentieren die Maschine, durch welche
die Arbeit des Menschen geschieht. Die Arbeit eines Menschen wird ebenso be-
zeichnet, wie die irgend einer Maschine. Man hat als Einheit der Arbeitsgroße das
Kilogrammmeter angenommen, d. h. diejenige Arbeit, welche 1 kg in einer Sekunde
1 m hoch zu heben vermag. Nimmt man eine Arbeit von acht Stunden an, eine
Mechanik der Stellungen und der Ortabewegung. 507
Thätigkeit, welche das arbeitende Individuum ohne Nachteil für seine Gesundheit
ertragen kann, so crgiebt sich, daß der Mensch von 70 k Schwere eine I^eistung
am Goppel in runder Summe von 200 000 Kilogramm meter zu vollbringen vermag.
Es ist dies eine bedeutende Arbeit, die sich unter günstigen Umständen (z. B. am
Tretrad bei einer Steigung von 24*^) auf 345 000 kg steigern läßt, d. h. in acht
Stunden vermag also ein Mann ein Kilogramm auf eine Höhe von 345 000 m zu
heben. Diese enorme Leistung im letzteren Falle ist besonders dadurch möglich,
daß die menschlichen Beine für das Gehen ganz außerordentlich zweckmäßig ein-
gerichtet sind, und die Vortrefflichkeit ihrer Konstruktion hilft in ganz hervorragender
Weise, um ein solch' überraschendes Resultat zu erzielen. Um sich von der Größe
der Arbeit während des Bergsteigens einen l^egriff zu machen, wobei lediglich durch
die Kontraktion der Muskeln, und zwar vorzugsweise derjenigen der Beine, ein
Gewicht von 70 kg Körper einen Berg von 2000 m hinaufgetragen wird, so diene
die Angabe, daß damit in sechs Stunden eine Leistung von 1 40 000 Kilogrammmeter
erzielt wurde. Sie würde auf das Doppelte steigen, wenn eine Last, die dem Körper-
gewicht gleich wäre, auf dem Rücken emporgetragen würde.
In den letzten Jahren ist die Frage der Muskelbewegung des Menschen in ein
neues Licht gestellt worden. Aus der Lehre von der Unzerstörbarkeit der Kraft
wissen wir, daß bei mechanischer I^istimg unserer Muskeln ein Verschwinden von
Wärme aus dem Kcirper stattfinden muß. Helmiioltz hat gezeigt, daß der mensch-
liche Leib im Lichte einer zur Ver^valldlung von Wanne bestimmten Maschine be-
trachtet, die beste je konstruierte Msischine weit übertrifft. Von der durch die Ver-
brennung der Nahrungsmittel abgegebenen Gesamtwärme kann ein Mensch in Form
wirklicher Arbeit den ftinften Teil nutzbar machen, während es noch niemals ge-
langen ist, eine Dampfmaschine zu konstruieren, die mehr als Vo ^^r Kraft des
unter dem Kessel verbrannten Brennmaterials nutzbar machen konnte. Die Muskeln
des menschlichen Körpers sind aber nicht nur Mittel für die äußere Arbeit. Der
Leib hat beständig noch eine Masse innerer Arbeiten zu verrichten, um das Leben
zu erhalten. So muß z. B. das Blut in Zirkulation erhalten und durch Lunge und
GefUße getrieben werden ; Brust und Zwerchfell müssen sich heben zum Zwecke des
Atmens; die Verdauung muß fortgeführt und der Leib aufrecht erhalten werden
und alles dieses verbraucht Kraft. Man hat erkannt, daß das Herz in 24 Stunden
eine Arbeit verrichtet, welche gleichkommt dem Heben eines Zentners Gewicht zu
der Höhe von 1276 m. Die Arbeit des Atmens ist geschätzt worden als ungefähr
gleich dem Heben des nämlichen Gewichtes zu der Höhe von 200 m. Die Summe
der übrigen Arbeit innerhalb des menschlichen Körpers, welche jeden Tag, auch
ohne das Zuthun unseres Willens vollzogen wird , hat man bis jetzt noch nicht ge-
schätzt, allein, es ist ganz augenfiillig, daß die Arbeitssumme selbst des Trägsten
eine sehr große ist.
c. Das Laufen.
Bei dem Laufen wird der Körper vom Boden abgeschnellt durch
einen Stoß, der von der plötzlichen Streckung des vorher ge-
beugten Beines herrührt. Der Körper wird aber auch gleichzeitig
fortgetragen, denn das sich streckende Bein schnellt den Körper nicht
allein in die Höhe, sondern wirft ihn auch nach vom. Das abwech-
selnde Emporschnellen des Körpers und die forcierte durch Muskel-
aktion unterstützte Pendelbewegung durch die Beine geschieht mit
508 Zweiter Teil. DriUer Abschnitt.
solcher Geschwindigkeit, daß beim Laufen der Körper einen Moment
in der Luft schwebt. Die Kunst wählt selten dieses Moment, um das
Laufen zu charakterisieren, sondern jenes, in welchem das eine Bein
mit dem Boden in Berührung ist, während das andere seine Schwingung
beginnt, also hinter dem Rumpf in der Luft schwebt.
Die Schnelligkeit des Laufens wird bei der Darstellung dadurcb
angedeutet, daß der Abstand des Sumpfes vom Boden geringer ist
als bei dem Gehen. Bei leichtem Trab befindet sich das springende
wie das pendelnde Bein viel weniger in der Beugung, als bei schnel-
lem Lauf, also wird in dem einen Fall der Körper weniger tiel
herabsinken als in dem anderen. Nicht allein die Schnelligkeit dei
Laufes ist aber verschieden, sondern auch die Art desselben. Diente
hängt hauptsächlich davon ab, wie der Fuß aufgesetzt wird. Setzt
man nur den Zehenballen auf (Zehenlauf), so wird der Lauf sehr
leicht erscheinen; wird jedoch der ganze Fuß aufgesetzt, so erscheint
die Bewegung schwerfälliger. Femer ist der Eillauf von dem Sprung-
lauf zu unterscheiden. Bei dem einen ist die SchneUigkeit, bei dem
anderen die Wurfbewegung größer.
Die Erklärung des Gehens wie des Laufens wird in den nächsten
Jaliren sich vervollständigen und vertiefen lassen. Man ist eben
damit beschäftigt, mit Hilfe der sogenannten Momentaufiiahme die
vei-schiedenen Gangarten des Menschen und der Tiere auf photo-
grapliischem Wege zu fixieren, und darf auf eine Menge interessanter
Ergebnisse gefaßt sein.
d. Das Sitzen.
Unter Sitzen versteht man jene Gleichgewichtslage, bei welcher
der Körper auf den Sitzhöckern seine Unterstützung findet, auf denen
eine nach allen Seiten wiegende Bewegung stattfinden kann. Es giebt
vielerlei Ai'ten des Sitzens; wir gehen zunächst von der mittleren
Sitzlage aus, bei welcher der Körper gerade und frei sitzt, und die
Beine im rechten Winkel gebeugt vor der Bank ruhen. Unter solchen
Umständen fällt die Scliwerlinie in eine Linie zwischen den beiden
Sitzhöckeru. Die Muskeln der unteren Gliedmaßen sind erschlafft,
der gestreckte Rumpf wird durch Zusammenziehungen der an ihm
befestigten Muskeln balanciert. Das Hintenüberfallen wird durch die
inneren Hüftmuskeln und den geraden Schenkelmuskel verhütet, das
Vornüberfallen durch den starken Rückenstrecker. Der große Gesäß-
muskel gleitet beim Niedersitzen von den Sitzhöckem, die er beim
Stehen bedeckt, seitlich ab, so daß die Last des Rumpfes auf den
mit einem Fettpolster versehenen Sitzknorren ruht. Die Haut- und
Mechanik der Stellungen und der Ortsbewegung. 509
Fettmasse wird samt dem Gesäßmuskel seitlich herausgedrückt und
die hintere Fläche des Oberschenkels wird breit. Ist die Unterlage
hart, so entsteht nach einiger Zeit ein unbehagliches Gefühl in der
Haut des Gesäßes, welche zwischen den Knochen und die harte Unter-
lage durch das Körpergewicht gepreßt wird. Also auch hier kommt
das Körpergewicht in Betracht, ebenso wie sein Schwerpunkt, der sich
jetzt dicht am neunten Brustwirbel befindet. Das Sitzen ist bekannt-
lich keine Ruhelage für den ganzen Körper, sondern nur vorzugsweise
für die Beine, denn die Muskeln des Rumpfes befinden sich stets in
einer gewissen Spannung, wenn sie auch nicht sehr groß ist. Nach
längerem Sitzen ermüden darum auch die Muskeln an dem Rumpf,
und wir suchen nach Erleichterung, nach einer anderen Art des Sitzens.
Die Aufgabe, den Körper beim Sitzen zu halten, ist keine so geringe, wenn
man erwägt, daß die Wirbelsäule gegliedert ist, also einen hohen Grad von Beweg-
lichkeit besitzt und daß das Becken mit einem Kugelgelenk von vortrefflichster
Konstruktion auf dem Schenkclknochen ruht An der Wirbelsäule zieht überdies
das ganze Gewicht der Arme, fenier der Kopf und sämtliche in Brust und Bauch-
höhle eingeschlossenen Eingeweide. Würde dieses Gewicht ungehindert wirken
können, so sänke es so weit, bis das Maximum der Krümmimg dieser beweglichen
Säule erreicht wäre. Der nächst beste Versuch am eigenen Körper kann uns über-
zeugen, daß, sobald wir die Muskeln des Rückens abspannen, der Rumpf die ge-
bückt€ Haltung annimmt. Zweifler, welche die kräftige Mitwirkung der Rumpf-
muskeln für das aufrechte Hitzen leugnen, mögen sich an die Schwankungen erin-
nern, welche der Oberkörper eines Schlafenden, der auf einem Sitze ohne Rücklehnc
ruht, beständig zeigt. Die Herrschaft über die Muskeln ist im Schlafe herabges(»tzt
und mit dem Aufhören des Wille ns-Impulses sinkt die Masse bald nach vorne, bald
nach der Seite; wenn der Schlaf tief geworden ist, stürzt sie endlich zur Erde,
ist er weniger tief, dann entstehen im rechten Augenblick noch Reflexbewegungen,
welche den Schweq)unkt in eine günstige Lage zurückführen. Kräftige Personen
sitzen gerade, schwache und ermüdete stützen den Oberkörper auf die Arme und
ein Zeichen höchster Kraftlosigkeit ist es, wenn der Sitzende in sich
zusammensinkt.
Die vordere Sitzlage ist jene Art des Sitzens, bei der der
Körper vorgebeugt ist, wobei er sich entweder mittels der Arme auf
einen Tisch stemmt oder wenn dies nicht möglich ist, sich auf einen
Oberschenkel stützt. Dabei geht die Schwerlinie vor den Sitzknorren
herab. Der Sitzende nimmt also noch die Arme zu Hilfe, um durch
sie den Rumpf tragen zu lassen und die Muskeln zu entlasten. Wir
sehen deshalb, daß der am Tisch Sitzende bald den einen, bald den
andern Arm auflegt, sich mit der Brust anlehnt, mit den Händen den
Rand des Sitzes faßt, um den Rückenmuskeln wenigstens für einige
Zeit ihre Last abzunehmen. Bekannt ist jene Haltung, bei welcher
die Ellbogen auf den Tisch gestemmt und der Kopf in die hohle Hand
gelegt wird. Kinder entdecken von selbst diese Stellung und sie ist
bei ihnen so häufig zu sehen, daß sie geradezu charakteristisch ist.
510
Zwnter Teil. Dritter Abnihiiitt.
Auf dem berühmten Werke Eaphael's , der Sixtinischen Madonu.
Htemmt einer jener Engel am Fuße des Bildes seine Hand gegen du
Köpfchen und in den lieblichen Darstellungen von Kindern anderer
Meister giebt es viele Varianten ein und derselben Erscheinung. Nicht
Laune treibt daa Kind dazu, Kopf und Rumpf zu stützen, sonilen
die Ermüdung der Kückenmuskeln, welche durch die Schwere des
Rumpfes bedingt ist.
I Ende d. Bnutkortn.
Pal te EwiadiaiBn»
korb imd NibcL
1 FkII«, w«ldie mitdH
dritten Zvucbca-
sehne dcaj^mlt*
naachidiukck io
ZusanimeDhug
stellt.
Fig. 1.
Kiipfersticli von Mabc Anton.
Eine andere Form der vorderen Sitzlage ist möglich durch Anf-
stcmmcn des Armes auf den Oberschenkel, wie sie die Fig. 161
darstellt. Der Rumpf ist in geringem Maß vornüber gebeugt, weil
das rechte Bein so Iiocli gestellt ist, daß es den rechten Ellbogen
leicht erreicht. Der Körper ist gleichzeitig nach rechts geneigt, weil
eben der rechte Arm das rechte Beiu zur Stütze sucht. Das linke
Bein ist gestreckt, ihm ist weniger Last übertragen, die Hauptmas-e
des Gewichtes i'uht vielmehr auf dem rechten Sitzhöcker.
Die hintere Sitzlage ist durch das Niedergehen der SchwerUnie
hinter die Sitzhücker charakterisiert. Das Hintcnüberfallen wird ver-
Mechanik der Stellungen und der Ortsbewegung. 511
hindert durch Anlehnen. So liegt man in einem Armstuhl mit ge-
neigter Bücklehne, die Beine gestreckt; sie stützen sich auf den
Boden, um im Falle des Abrutschens zum Stemmen parat zu sein,
oder sie sind übereinander gelegt.
Die Bewegungen des menschUchen Körpers bieten einen rei-
chen Wechsel und spielen sich vor unseren Augen in unendlichen
Verschiedenheiten ab. Es sei nur an den Tanz erinnert, der bei
den Europäern, wie so vieles, der Mode unterworfen ist. Im Beginn
dieses Jahrhunderts hebte man die graziösen und gemessenen Schritte,
jetzt wird ein lebhafteres Tempo beliebt und zahllos sind die Varianten
bei den Naturvölkern. Bei dem Tanz bewegt sich der Körper frei.
Es giebt aber noch eine sehr große Reihe von Bewegungen, wobei
der Körper sich in einem Kampf mit mechanischen Widerständen be-
findet: wie das Tragen, das Heben, das Niederlassen, das Ziehen,
das Drücken von Lasten. Dazu kommen Bewegungen, welche man
mit dem Namen Hieb, Stoß und Wurf bezeichnet. Endlich hat sich
die ideale Kunst noch eine Aufgabe gestellt, welche von der Natur
nicht gelöst ist, nämlich fliegende und schwebende Gestalten zu bilden,
auf welche, wenn man sie sich als existierend vorstellt, entweder
die Schwere keine Kraft mehr ausübt, oder welchen ein Bewegungs-
apparat (Flügel) angedichtet ist.
Wir müssen uns mit dieser Andeutung begnügen, und verweisen
auf Habless und H. v. Meter, welche diese Bewegungsarten und die
dabei in Betracht kommenden Schwerpunktsfragen berücksichtigt haben,
und auf einige neuere Schriften, welche den Weg zeigen, auf dem wir
neue und unerwartete Aufschlüsse erlangen werden.
Habless a. a. 0. III. Buch. H. v. Meyer, die Statik und Mechanik des mensch-
lichen Knochengerüstes. Leipzig 1873. Mit 43 Figuren in Holzschnitt
L. Olivier, La Photographie du mouvcment Revue scientifique 23 Dec. 1882.
Nr. 26. Mit Photogravur-Bildem des Pferdes im Trab, im Schritt und im Sprung;
eines Vogels (Möve); femer, eines Mannes, der läuft, und eines andern, der über
ein Hindernis hinwegspringt.
Marey, la machine animale. Bibliothöque scientif. internationale G. Bailu^re et
Cie. 1873.
J. D. B. Stillmann, The Horse in Motion as shown by instantaneous Photo-
graphy with a study on animal Mcchanics. Boston. James R. Osgood & Co. 1882. 4°.
127 Seiten mit 107 Tafeln.
512 Zweiter Teil. Vierter Abechnitt.
Vierter Abschnitt.
Proportionslehre des menschlichen
Körpers.
Das Wort Proportion bedeutet Ebenmaß, und die Lehre über
den zahlenmäßigen Nachweis eines solchen Ebenmaßes heißt die Ptch
portionslehre. Mit Hilfe eines Grundmaßes, des Modul ^, wird die
Norm (d. h. die normale Länge und Breite) des menschlichen Eörpen
und seiner Teile festgestellt. Die Regel, welche man aus diesen Stadien
für den praktischen Gebrauch entwirft, hat man Kanon* genannt
Die Proportionslehre hat ein doppeltes Ziel. Sie sucht die rela-
tiven und absoluten Maße, welchen die ganze Gestalt und deren ein-
zelne Glieder innerhalb verhältnismäßig enger Grenzen unterworfen
sind, darzulegen. In diesem Sinne verfolgt sie ein wissenschaftliches
Problem und bleibt nicht allein bei dem Menschen stehen, sondern
erstreckt ihre forschende Thätigkeit auch auf die Tiere, die Pflanzen,
selbst auf leblose Erscheinungen, wie den Kristall, oder die Schöpfungöi
der Architektur.
Abgesehen von dieser streng wissenschaftlichen Aufgabe verfolgt
sie aber auch das rein praktische Ziel, einfache Regeln all' denen dar-
zubieten, welche menschliche oder andere Körper künstlerisch gestallen
wollen.
Die folgenden Angaben sind nur von diesem letzten Gesichts-
punkt aus gemacht. Um die zahlreichen Anstrengungen nach der wissen-
schaftlichen Seite der Proportionslelu*e hin beurteilen zu können, finden
sich an dem Schluß dieses Abschnittes einige der namhaftesten Werke
citiert.
Praktische Bedürfnisse waren es, welche die Proportionslehre des
menschlichen Körpers geschaffen haben. Schon bei den Ägypten],
die ja das Nilland mit Statuen überschüttet haben, stellte sich das
Bedürfnis heraus, für die Herstellung ihrer menschlichen Bildwerke
^ Modul vom lateinischen Modulus, ein Maß, Maßstab; daher Model, in der
Bedeutung als Gießform. Auch Modell kommt auf dem Umweg durch das italienische
Wort modclh von dem lateinischen Wort. Ebendaher modellieren, modeln.
- Kanon griechisch Kanon heißt die Regel, Richtschnur, Ordimngsvonjchrift
auch Kirchengesetz und Verzeichnis d(*r heiligen Schriften. Daher kanonische
Bücher, kanonisches Recht, und Kanoniker, wie die Domherren bisweilen heißen.
PropoiÜonalehre des mensohlicheo Körpen. 513
nach einer bestimmten Begel zu arbeiten. Bei den Griechen hat
PoLYKLET von Sjkone den sog. Lanzenträger (Doryphorus) hergestellt,
welcher den griechischen Künstlern zur Zeit des Pebikles und
noch lange später der Kanon für ihre Schöpfungen gewesen sein
soll. Diesem Künstler zu Ehren gab Schadow, der kenntnisreiche
Direktor der Berliner Akademie der bildenden Künste, seinem großen
Werk: „Von den Maßen des Menschen nach Geschlecht und Alter"
den Titel ,,Polyklef'.
Nach den Angaben eines römischen Architekten aus der Augustei-
schen Zeit, des Vitruvius Pollio, betrachteten schon die Griechen den
menschlichen Körper achtmal höher als das Haupt. Andere Künstler
und Forscher auf dem Gebiet der Proportionslehre haben eine andere
ISinheit angenommen, so Leonbatista Albebti die Fußlänge, Jobibert
die Nase, Gaeüs die Rückgratslänge des Neugeborenen. Der Maßstab,
mit dem man mißt, ist aber an sich völlig gleichgültig. Mit jedem
solchen Modulus können die Dimensionen aller Körperteile entworfen
werden. Man kann den gewählten Modulus wieder in kleinere gleich-
heitliche Teile gliedern, und so den Kanon noch melir verschärfen.
Wenn in den folgenden Blättern die Kopfhöhe als Modul verwendet
wird, so geschieht es, weil sie als ein von der Figur selbst gegebenes
Maß manche Vorteile bietet. Auch haben sich gerade dieser Maß-
einheit unzählige Künstler bedient und unter diesen kein geringerer
als LiOKABDO DA ViNCi, SO daß auch ein historischer Grund für die
Beibehaltung dieser Maßeinheit spricht. Überdies kann die Propor-
tionslehre in der Praxis keine andere Aufgabe erfüllen, als die Künstler
vor groben Fehlern zu schützen. Man muß sich in der Praxis mit
einigen wertvollen Angaben begnügen, denn die Figuren stehen nicht
alle kerzengerade auf der Leinwand, oder auf dem Postament, und
alle unsere Studien über die Proportionen beziehen sich nur und
können sich nur auf die senkrechte Haltung beziehen. Dazu kommt
noch, daß die Angaben über die Meßpunkte wegen der Beweglichkeit
des Körpers und der verborgenen Lage der Knochen stets etwas
schwankendes haben und nur eine relative Genauigkeit erreichbar ist.
So scheint es mir denn wohl gerechtfertigt, an dem historischen Modul
der Kopfhöhe festzuhalten.
A. Die Proportion des Erwachsenen.
1) Die Proportion der Körperhöhe.
Der Körper eines ausgewachsenen, normal gebauten Menschen,
Mann oder Weib, kann bei aufrechter Stellung auf acht Kopfhöhen
angenommen werden.
KOLLMAMN, PUiilscbe Anatomie. 83
Zirdtet Tdl. Tioter Abadiattt.
Als EopffaOb» gilt die Entferniing tod
dem höchsteD Punkt des Scheitels bis nm
Kinn, projiziert auf eine senkrechte Linie
wie in der Fig. 1S2 Nr. i. Dieser HaßsUli
ist an zwei in aufrechter Haltung gegebena
Abbildungen des Menschen angelegt, <lk
eine zeigt diesen Modul auf die Seit«iu-
sicbt, die andere Fig. 163 auf die Vorder-
ansicht übertragen. Der Modul der Kopf-
höbe trifft in beiden Figuren korregpoo-
dierende Punkte:
Die erste Eopfhöhe endigt an dem
Kinn.
Die zweite Eopfhöhe trifft die Brust-
warzen, doch nur dann, wenn der Blick und
der Kopf horizontal gerichtet sind.
Die dritte Kopfhöhe trifft drei Qner-
Snger oberhalb des Nabels.
Die vierte Kopfhöhe geht durch du
Schambeim.
Die fünfte Kopfltdhe schneidet den
Oberschenkel an dem unteren , äußerlich
sichtbaren Ende der Heitermuskeln, oder an
der Übergangsstelle des Schiieidermuskds
auf die innere Schenkeldäcbe.
Die sechste Kopfböhe geht durch die
Schieubeinstacheln.
Die siebente Kopfhöhe geht durch
den Unterschenkel drei Querfinger unterhalb
des innern Kopfes des Zwillingswudenmuskeh.
Die achte Kopfhöhe erstreckt sich tob
Nr. T bis zu der Grundfläche.
Um die Knochenpunkte kennen zu ler-
nen, welche dieser Modul berQhrt, ist in die
linke Körperhälfte der Vorderansicht das
Skelett eingezeichnet. Es ergiebt sich fol-
gendes :
Die erste Kopfhöhe trifft auf die Grenze
zwischen dem vierten und fünften Halswirbel.
(Vergleiche auch die Figuren 166 und !6J.)
Die zweite Kopfhöhe trifft auf das
Brustende der vierten Rippe.
ProportioulehTe des mcntdiliclieii K5rp«n.
Die dritte Kopfhöhe trifft
auf die Verbindung des zweiten
Lendenwirbels mit dem dritten.
Die vierte Kopfhöhe
schneidet die Oberschenkel-
knochen dicht unterhalb des
-großen Rollhögels und des un-
teren Randes der Schanifuge.
Die fünfte Kopfhöhe geht
durch den Oberschenkelknochen,
ohne einen charakteristischen
Knochenpunkt zu treffen.
Die sechste Kopfhöbe
schneidet den durch die Haut
sieht- und fühlbaren Schien-
beinstachel.
Die siebente Kopf höhe
schneidet die Unterschenkel-
knochen, ohne ein von außen
kennbares Merkmal zu treffen.
Die achte Kopfhöhe iällt
mit der StützHäche des Körpers
' zusammen.
Das Hauptergebnis der An-
wendung unseres Moduls an die
menschliche Gestalt gipfelt in
folgenden Sätzen.
Die ganze Körperhöhe
wird durch eine Linie an
dem unteren Band der Scham-
fuge halbiert. Was darüber,
heißt: überhöhe, was darunter,
heißt: Unterhöhe des Körpers.
Die Oberhöhe ist die
Entfernung vom Scheitel zum
Schambein bei ' horizontaler
Richtung des Kopfes und um-
faßt vier Kopfböhen. Die
Unterhöhe oder die Höhe
der Beine betrtlgt von dem
516 Zweiter Teil. Vierter Abfldmitt.
unteren Rand der Schamfiige bis zu der Gtundfläche ebenfalls Tier
Höhen des Modul.
Kopf, Hals und Brust entsprechen Y^ der Körperhöhe
(vergleiche die Figuren), denn sie messen zusammen zwei Kopfbohen
= Ys = Vi ^^ Körperhöhe.
Die Entfernung von den Brustwarzen bis zu den Schamteilen.
d. i. bis zu dem Spaltrand zwischen den Schenkeln , beträgt Y^ der
Körperhöhe = zwei Kopfhöhen.
Vom Schenkelspalt bis zu dem Schienbeinstachel sind zwei
Kopfhöhen enthalten = V4 der Körperhöhe, und ebensoviel
#
beträgt die Entfernung des Schienbeinstachels von der
Grundfläche.
Die auf die zweite Kopfhöhe gezogene Horizontale (Figg. 162
u. 163 Nr. 2) trifft an dem frei herabhängenden Arm den Ansatz
des Deltamuskels.
Von dem Ansatz des Deltamuskels bis zu dem Spalt des
Ellbogengelenks erstreckt sich eine Kopfhöhe: Figg. 162 u. 1(>3
Nr. 3.
Von dem Ellbogengelenk bis zu dem Handgelenk beträgt
die Entfernung eine Kopfhöhe.
Die Entfernung von dem Ansatz des Deltamuskels bis zum Hand-
gelenk beträgt also zwei Kopfhöhen. Das Handgelenk liegt bei dem
frei herabhängenden Arm in gleicher Höhe mit dem unteren Raud
der Schamfuge. Rechnet man die Länge der gestreckten Hand
hinzu, so erreicht dieselbe die Mitte des Oberschenkels.
Während die bis jetzt angegebenen Maße fiir die ganze Körper-
höhe den praktischen Anforderungen in mancher Hinsicht genügende
Sicherheit gewähren, zeigen sich doch einige Schwierigkeiten, um mit
demselben Maß, in ebenso sicherer Weise die Länge des Armes zu
bestimmen. An einer Figur, bei welcher der Arm herabhängt, ist die
Anwendung unseres Modul noch verhältnismäßig einfach. Sobald je-
doch irgend eine bewegte Stellung zu untersuchen ist, wird die An-
wendung wesentlich erschwert. Bei einer Beugung des Armes bleibt
nur eines dieser beiden Maße verhältnismäßig sicher, nämlich dasjenige
für die Länge des Vorderarmes. Stets läßt sich mit ziemlicher Ge-
nauigkeit durch die Kopfliöhe die richtige Proportion des Vorderarmes
kontrollieren, weil vom Handwurzelgelenk bis zum Ellbogengelenk keine
Verschiebungen stattfinden. Schwieriger ist die genaue Prüfung des
Abstandes vom Deltamuskel abwärts, weil die Beugung d. i. die Ver-
schiebung des Ellbogens auf der Streckfläche des Armes, und die Ver-
kürzung der Muskeln auf der Beugefläche das Urteil über die Länge
des Oberarmes erschweren. Immerhin wiid die Benutzung dieses Maß-
Propoiüonslehre des menschlichen Körpen. 517
Stabes einen erheblichen Vorteil gewähren, sobald man sich an die
Konstruktion des Ellbogengelenkes und an die scheinbare Verlängerung
des Oberarms bei der Beugung erinnert.
Mit Hilfe des eben für den erwachsenen Menschen gegebenen
Kanon lassen sich nicht allein Entwürfe vor der endgültigen Vollendung
prüfen, sondern der nämliche Kanon kann schon bei der Konzeption
eines Entwurfes mit großem Vorteil Anwendung finden.
1. Beispiel. Bei einer Kolossal figur von 4 m inuB nach unserem Kanon die
Oberhöhe und die Unterhöhe je 2 m betragen. Die Kopfhöhe wird V» ™> ebenso-
viel der Vorderarm und der Unterschenkel betragen müssen. Von der Brustwarze
bis zum Schenkelspalt beträgt die Entfernung 1 m, denn der Kanon verlangt zwei
Kopfhöhen.
2. Beispiel. Anwendung des Kanon auf eine Figur von 1.76 m Körperhöhe
(mittlere Größe eines Mannes). Man teile diese Zahl mit 8, weil die Kopfhöhe
achtmal in der Körperhöhe enthalten ist, dann ergiebt sich:
Kopfhöhe 22 cm
Vom Scheitel zur Brustwarze 44 „
„ „ zum Schambein ^8 „
„ „ „ Schienbeinstachel 132 „
Unterlänge 88 „
Unterschenkel bis zur Grundfläche ^^ n
Vom Ellbogengelenk zur Handwurzel 22 „
Vom Ansatz des Deltamuskels bis zum Ellbogengelenk 22 „
Allgemeine Kegel für die Anwendung des Kanon von
acht Kopf höhen. Man teile in die Körperhöhe, deren Zahl gleichviel
ob in Metern oder Centimetern oder Millimetern gegeben sei, mit der
Ziffer acht. Die gefundene Zahl giebt die Kopfhöhe, die Länge des
Oberarmes, des Vorderarmes; mit 4 multipliziert wird die Zahl für die
Oberhöhe und die Unterhöhe erhalten. Mit 5 multipliziert ergiebt sich
die Entfernung von der Scheitelhöhe bis zum unteren Ende der Reiter-
muskeln, dort wo ihre Kontur unter dem Schneidermuskel verschwindet;
mit 6 multipliziert, findet sich die Zahl für die Entfernung der Scheitel-
höhe von dem Schienbeinstachel u. s. w.
Für manche Bedürfnisse ist die Kopfhöhe ein zu großer Modul.
Um weitergehenden Wünschen zu entsprechen, hat man dieses Grund-
maß in fünf Teile geteilt. (Siehe die punktierten Linien zwischen
den ausgezogenen an den Figg. 162 u. 163.) Diese kleinere Einheit
ist in jeder proportionierten menschlichen Figur 5 X ^ ==* '^^ ™*^
enthalten. Der Abstand zwischen zwei punktierten Linien entspricht
also Y40 der Körperlänge.
Für die Proportionen des Kopfes ergiebt sich folgendes: Die Ent-
fernung, der Scheitelhöhe bis zur Haargrenze beträgt Y40 der Körper-
höhe oder Ye ^^^ Kopfhöhe.
518 Zweiter Teil. Vierter AbschniU.
Die Höhe des ganzen Gesichtes von der Haargrenze (Knunmiing
des Stirnbeins zum Scheitel) bis zu dem Kinn beträgt Y5 der Kopfhöhe.
Die Länge des Gesichtsschädels von dem oberen Augenhöhlen-
rand gemessen bis zu dem Kinn beträgt '/s ^^^ Kopf höhe , von der
Lippenspalte bis zum Kinn Y5 der Kopf höhe. (Vergleiche die Fig. 163.)
Aus der Vergleichung der ganzen Gesichtshöhe = ^/s der Kopt
höhe mit der Hand zeigt sich, daß ihre Länge ebenfalls */^ beträgt
Die Annahme ist schon unendlich alt, daß Handlänge und Gesichte-
höhe einander gleich sind.
Nachdem das Gnindmaß, mit dem die Proportion des menachlichen Körpen
gesucht wird, gleichgültig ist, läßt sich mit dem gleichen Erfolg auch die Gtachti'
länge, oder die Handlänge als Modul benutzen.
Jtuin de Ärphe y ViUafräne^ aus einer nach Spanien übergesiedelten deatKlm
Künstlerfamilie Namens Arfe, nahm fiir seine Figuren, fär Männer und Weiber,
zehn Gesichtslängen als Maß des ganzen Körpers an. Durch Abgrafen
der Figuren 162 und 163 mit dem Zirkel wird man sich überzeugen, daB waA
eine Proportionslehre, welche auf diesem Modul fußt, vollkommen brauchbar ist
Wendet man diesen verkleinerten Modul von Y40 Körperlänge zur
Verschärfung des Kanon an, so empfiehlt es sich, nicht nur horizon-
tale Dimensionen von dieser Länge auf die menschliche Gestalt auf-
zutragen, sondern auch longitudinale Dimensionen. Dies ist in Fig. 163
zwischen Nr. 1 u. 2, also zwischen Kinn und Brustwarze (von der Figur
aus links), geschehen.
Die Methode mit diesem verkleinerten Modul zu arbeiten, ist
vollständig die nämliche, wie jene mit dem großen Modul. Die Prüfung
einer Figur auf ihr Ebenmaß geschieht dadurch, daß sie zunächst in
acht Theile entsprechend den acht Kopfhöhen zerlegt und dann dieser
Hauptkanon noch vervollständigt wird durch die Zerlegung jedes
Abschnittes in fünf kleinere. Die in den Abbildungen gegebene
Vorder- und Seitenansicht des Körpers gestattet eine solche weiter-
gehende Prüfung. Nach den bereits gegebenen Beispielen genügt dieser
Hinweis auf die Verwendbarkeit der beiden Abbildungen Fig. 162
u. 163 für die Prüfung des Ebenmaßes mit Hilfe des verkleinerten
Modul.
Diese Abbildungen können auch als Grundlage für jede belie-
bige Vergrößerung dienen, überträgt man die Hauptpunkte des
Kanon auf eine senkrechte Linie, die je nach Bedürfnis 2 mal oder
X mal größer ist, als die Abbildung, so lassen sich sofort die acht
Hauptpunkte des Kanon mit dem Zirkel an diese Linie übertragen.
Beispiel: es sei eine Figur aufzubauen, zehnmal so groß, wie
der vorliegende Kanon, so handelte es sich um ein Gerüste, von lü
X Länge des Kanon. Der Modul entspräche für diese Statue 10 X
Propoiüonftlehre des menschlichen Körpers. 519
der Kopfhöhe unserer Abbildung. Ist diese Länge auf einen Maßstab
übertragen, so können alle Hauptpunkte: Höhe der Brustwarze, des
Nabels, des Schambeins, des Ober- und Unterschenkels aufgetragen
werden. Für ein Thonmodell lassen sich auf diese Weise sofort sichere
Angaben für das Gerüste machen.
Auch für eine sitzende Figur, sei sie zu Pferd oder auf einer
anderen Unterlage gedacht, ist der in den Abbildungen gegebene
Kanon verwendbar. Der Mensch ruht bei der sitzenden Haltung vor-
zugsweise auf den beiden Sitzhöckem; die Höhe des Sitzenden beträgt
also von der SitzHäche bis zu dem Scheitel etwas mehr als die halbe
Körperlänge oder vier Kopfhöhen unseres Kanon. (Vergleiche die Figg.
162 u. 163.) Die Anwendung des Kanon kann nun so geschehen,
daß die Oberlänge in vier gleiche Teile geteilt wird. Man erhält da-
durch nicht allein die Kopf höhe, die Höhe der Brustwarze, die Ent-
fernung des Nabels u. s. w., sondern noch mehrfache Anhaltspunkte,
sobald die Teilung noch weiter getrieben wird, und die so erhaltenen
Hauptentfernungen aufs Neue übereinstimmend mit dem Kanon in
weitere fUnf Teile zerlegt und mit der Vorder- und Seitenansicht der
Figuren verglichen werden.
Mit Hilfe des griechischen oder jedes anderen Kanon läßt sich
für jeden einzelnen Fall folgende Art der Vergrößerung bequem her-
stellen :
Man konstruiert auf einer Leinwand oder an der Wand des Ateliers
ein für allemal eine senkrechte Linie A. B. von 2 — 4 m Höhe und
teilt sie in acht Teile. Jeder solche Teil entspricht einer Kopfhöhe
des Kanon, und diese Einteilung bezeichnet man mit den ent-
sprechenden Zahlen. Von den einzelnen Punkten zieht man gegen
die in großer Entfernung auf der gleichen Wand angeklebte Kgur,
sei es Fig. 162 oder 163, konvergierende Linien. Die senkrechte
Linie der Figuren, die wir mit a b bezeichnen wollen, muß parallel
sein zu der großen Linie A B. Zieht man in dem Raum zwischen
beiden Linien A B und a b mehrere Parallelen, so sind mit einem
Schlag, je nach der Distanz der Linien, die Kanones fiir Figuren
von Yi m bis 4 m in beliebiger Menge gegeben.
Dieses Verfahren ist längst bekannt und wegen seiner außerordent-
lichen Einfachheit überall anwendbar, aber dennoch wenig im Gebrauch.
Bei der Herstellung des Thonmodelles für Statuen macht es nach diesen An-
gaben keine Schwierigkeiten, die Richtigkeit der Uauptproportionen zu prüfen. Es
ließe sich dadurch leicht der so häufige Fehler vermeiden, daß der Oberkörper zu
kurz ausfällt. An vielen Statuen der Neuzeit wiederholt sich die Sünde gegen diese
einfachste und augenfiälligste Regel der Proportionslehre wie eine erbliche Krank-
heit. Der Oberkörper ist zu kurz, und dadurch gewinnt es den Anschein , als ob
die bedeutenden Männer der Vergangenheit an einer Verkümmerung der Wirbel-
520
Zmil«! TeU. Vierter AbMimlU.
süiiIp g>'litli?n hätt«n. Die Rcid^ scheinen aus dem wisichen Rauch hprvnrziikDmn
statt in dem festen Knoehengürtel des Beckens ihren Anfang zu nehmen. l>aB M
Figuren, die auf einem Postament sti-hen, also von unli'n gesehen werden, die
Oberhnhe überdies grüBer »ein muS als diu Ünti.<rhöhe, ist bekannt, »Hein diei
Verlängerung darf nicht auf Kosten der Beine geschehen.
Die Länge der Beine beti-ägt vier Kopfhöhen, wenn als Aasgangs< 1
ptiukt illr die Mefsimg der untere Rand der Scbumfaeinfugc oder das 1
untere Ende des großen Rollhügel» angeDummen wird. (Siehe die Figg.
162 n. IBft.) Streng genommen entspricht die Schamfuge nicht dem j
Anfang der Beine, äuh den anatomischen Erörterungen und aus dem
Anblick der Figuren geht hervor, daß der Anfang der Beine höher '
liegt, und zwar äußerlich bestimmt wird durch den sog, Leistenbug, |
der dem PouPABx'schen Bande entsprechend vom vorderen oberen
Darmbein Stachel zur Scham zieht. Am Skelett bestimmt das obere '
ICnde des Schenkelbeines, also der Gelenkkopf des Femur oder genauer 1
der Drehungspunkt der Gelenkkugel, die wahre Grenze. Wenn einmal
wie in dem vorliegenden Fall die Kopfhöhe als Maß gelten soll,
bleibt nichts anderes übrig, als selbst im Widerspruch mit der iii
tomischen Thatsache, lediglich aus praktischen Gründen die Länge J
der Beine von deu in den Figuren bezeichneten Punkten beginnen zu
lasReu. Bei jedem anderen Kanon giebt es ähnliche Schwierigkeiten.
Die Länge der Hand von dem Uundgelenk bis zur Spitze de« 1
ausgestreckten Mittelfingers beträgt vier Teile des kleinen Modul oder I
*/^ der Kopfhöhe oder ebensoviel wie die Gesichtslänge. {Vergleiche 1
die Figiiren 162 u. 163.)
Die Länge der Fußsohle beträgt eine Kopl'höhe und '/(„ der 1
Körperhöhe dazu.
Die Länge dee FuBrilckens ist gleich einer Uundläuge oder 1
vier Teile des kleinen Modul. (Vergl. die Figg. 162 u. 163.)
2) Proportion der Körperbreite.
Die Breite des Körpers ist an dem Kanon von acht Kopflängen j
(Fig. 163) ebenfalls verzeichnet; nach diesem Beispiel können
ähnlicher Weise die nämlichen Dimensionen an jeder anderen Figur I
festgestellt werden.
Mit Hilfe des kleinen Modul = '/»n "^er Körperlänge und de« ]
großen Modul = i/^ der Körperlänge läßt sich folgendes nachweisen; I
Die Breite des Oberkörpers zwischen den vorragendstei
Punkten des Deltamuskels beträgt zwei große und zwei kleine I
Modul, oder zwei Kopfhöhen und */^^ der Köriterhöhe dazu, wenn der 1
Maßstab der Quere nach an den Körper gelegt wird. Siebe die Fig. 163^]
an welcher auf der Linie Nr. 2 fortlaufende Punkte angebracht tiiud. |
Proportionslehre des menschUcheD Körpers. 521
Die Distanz zwischen zwei solchen Punkten entspricht wie dies schon
aus früheren Angaben hervorgeht, Vs ^^^ Kopf höhe oder ^/^q der
Körperlänge.
Die Breite des Brustkorbes in der Höhe der Brustwarze be-
trägt bei erhobenem Arm ^/^^ der Körperhöhe (Fig. 163), d. h. die
Breite jeder Thoraxhälfte beträgt Ys der Kopfhöhe oder soviel als die
Gesichtshöhe oder, wie die früheren Angaben zeigten, soviel wie eine
Handlänge. Man kann also mit anderen Worten sagen, die Breite des
Brustkorbes in der Höhe der Brustwarze betrage bei erhobenem Arm
zwei Handlängen.
Die Breite zwischen den entferntesten Punkten der beiden
Akromien beträgt zwei Kopfhöhen, den Maßstab der Quere nach an
den Körper gelegt.
Die Breite zwischen den vorderen oberen Darmbeinstachel beträgt
Ys der Körperhöhe = eine Kopfhöhe.
Die Breite zwischen der größten Entfernung der Hüftbeinränder
(Fig. 163 zwischen 3 u. 4 bei dem Zeichen c) beträgt y^^ der Körper-
länge oder eine Kopfhöhe und 2/40 ^^^ Körperlänge dazu. Die Breite
zwischen den Hüften ist also nach dem griechischen Kanon um Y^^
der Körperlänge schmaler als der Brustkorb in der Höhe der Brustwarze.
Die Dicke des Oberschenkels beträgt in der Vorderansicht
Ys der Kopfhöhe, d. i. soviel als eine Gesichtshöhe, oder eine Handlänge.
Die Dicke der Wade beträgt in der Vorderansicht Ys ^^^
Kopfhöhe oder so viel als die Entferirung von dem Oberaugenhöhlen-
rand bis zu dem Kinn.
Die Breite des Fußes im Bereich des Zehenballens beträgt
Y40 der Körperhöhe oder die Länge des Mittelfingers vom Knöchel
bis zur Nagelspitze.
3) Proportion der Körpertiefe.
Was die Tiefe des Körpers betrifft, so giebt der Kanon mehr-
fache Anhaltspunkte.
Die Entfernung des Brustbeins von den Spitzen der Dorn-
fortsätze beträgt bei mäßiger Einatmung eine Kopf höhe und Y40 der
Körperhöhe dazu. (Vergleiche Fig. 162.)
Die Entfernung von dem vorderen Rand des Schambeins bis zum
höchsten Punkt des Gefäßes beträgt ebenfalls eine Kopf höhe und Y*
der Körperhöhe dazu. (Vergleiche die Fig. 162 bei Nr. 4, wobei jedoch
zu bemerken, daß die Rundung des Gesäßes offenbar etwas zu stark
gebaucht wurde.)
522 Zweiter Teil. Vierter AlMehnitt.
Andere Tiefendimensionen des Körpers lassen sich ohne Schwierig,
keit mit dem Zirkel an der Figur bestimmen.
4) Die Proportion des Oesichtes«
Die Schwierigkeiten, welche die Darstellung eines proportionierten
Kopfes von der Vorderansicht aus begleiten, haben schon seit lange (U-
hin geführt, an dem Gesicht, das ja die kompliziertesten Formen be-
sitzt, einzelne horizontal übereinanderliegende Regionen zu unterscheiden.
Am bekanntesten ist die Einteilung in drei gleich hohe Zonen, wobei
die Proportionslehre annimmt, daß die Höhe der Stirn, der Nase and
des Untergesichtes einander gleich sind, wenn das Gesicht ebenmäßig
gebaut ist. Es giebt nun in )Virklichkeit Menschen, an denen diese
Voraussetzung vollkommen erfiillt wird, bei denen die Weich teile des
Gesichtes ein solch' proportionales Verhältnis zu einander ergeben.
In allen Zeichnungsschulen werden dem Anfänger Vorlagen geboten,
welche von dieser Annahme aus entworfen sind, denn auch die Antike
hat dieselbe Proportion gelehrt und an ihren Schöpfungen durchge-
führt. Wir setzen deshalb die Kenntnis dieser Linien voraus und
gedenken, den Verlauf der Zonen an dem normalen Schädel zu ver-
folgen, der die Grundlage für die Weichteile bildet. Nicht allein der
mit Weichteilen bedeckte Kopf läßt die gleiche Länge der obener-
wähnten Zonen erkennen, es giebt auch Schädel, an denen sich die
vollkommene Reinheit dieser Proportionen nachweisen läßt. Der Nach-
weis der Gliederung an dem Sjchädel selbst bietet überdies manche
andere Vorteile. Es steigert sich die Schärfe der Orientierung, durch
die Kanten und Vorsprünge, und die Beurteilung der großen Unter-
schiede zwischen den Proportionen des kindlichen Gesichtes und den-
jenigen des Greisenantlitzes tritt erst dann klar hervor, wenn der
Anteil der einzelnen Gesichtsknochen an den oben beschriebenen Ab-
teilungen des Gesichtes deutlich erkannt ist.
Die Gliederung des Gesichtes in drei gleich große Zonen ftr
Stirn, Nase und Untergesicht trifft bei einem normalen Schädel, der
so gestellt ist, als ob das in den Augenhöhlen sitzende Auge den
Blick horizontal richten würde (Fig. 164), auf folgende Teile:
Die oberste Zone oder die Stirnzone (Fig. 164 zwischen a u. b)
umfaßt die Gesichtsfiäche des Stinibeins (der Scheitelteil ist ausge-
schlossen). Ihr Ende findet sie an der Grenze der Stimnasennaht
Das ist eine sichere Linie, die bei den Schädelmessungen, und in der
Anatomie überhaupt, als die Begrenzung des Stirnbeines und zwar
mit Recht betrachtet wird. Von dieser Linie aus wird sowohl beim
en Kopf, als bei dem Schädel der Beginn der Nase gerechnet.
Propaitioiui«hre dei meiuchlichpn Körpera.
523
dort, an der StimnaseiinHht, ist die Nasenwurzel iliirch eine seichte
Vertiefung markiert. In der Stirnzone liegen noch die oberen Bänder
der Augenhöhlen und die Brauenbogen und seitlich in gleicher Höhe
mit der Stirnnasennaht auch die Stirn-Wangenbeinnaht.
In der zweiten Zone (Fig. 16-1 zwischen b u. c) liegt der gröBte
Teil der Augenhöhle, das Wangenbein, der .Twchbogen, die Nasenbeine
und der Naseneingang. Die zwei letzteren Teile bilden zusammen
am Schädel die Nasenlänge. Am Lebenden ist nie bei geraden Nasen
etwas länger, wegen der Dicke der Haut und einer leichten Verlän-
gerung der Nase II Scheidewand und der Nasenspitze nach abwärts. Die
Knaihant %.
SrhliUealiiik }--
Gr. Keilbeinflüg. j—
ScbläfFDbein ^
StimfbrtraU dm
Wrageobeinaa
Jochbogen ( —
Wangen hein r .-
WarzenfortnatE »- -
Unt«rkiererwink.ii -
Fig. 16J. l^hädcl cineH FJithi
untere Grenze dieser Zone (Fig. 104 Linie c) geht durch den Nascn-
stachel und durch die Unterkieferäste nahe dem .Jochbogen.
Die unterste Zone erstreckt sich von dem Nasenstachel bis zu
dem Kinnrand (Fig. 164 zwischen c und d), umfaßt den Zahnfortsatz
des Oberkiefers, den Zahnfortsatz des Unterkiefers, die beiden Zahn-
reihen, dazwischen die Mundspalte und den Körper des Unterkiefers.
Die Mundspalto liegt nicht in der Mitte der Zone, sondern höher,
wegen der beträchtlichen Höhe des Unterkiefers in der Kinngegend.
' Die FifTiir ll>4 stellt iVm auf '/) 6r'>ßc reduzierte Abbildung ciniw maiiiiliuhrn
Svhftdi'lH iIhf, iltT von Innpfin, Bchmaluin Geeicht uud hoher Naw, vi>lik<iiniiu>ii
richtig proportiiniiert war. Die Abbildung int mit dem Orthoehop hergestellt, und
wie die Abbildungen der Skelette, geometrisch richtige Nachbildungen des Originales.
524 Zweiter TeU. Vierter Abschnitt.
Mit dem Verlust der Zähne im Greisenalter erfahrt die unterste
Zone sehr bedeutende Veränderungen, welche in der Knochenlehrt
S. 108 ausführlich geschildert wurden. Die Zone wird beträchtlich
niedriger, uud damit ist die eben geschilderte Proportion fÄr dis
Greisenantlitz zerstört.
Schädel von solcher Regelmäßigkeit, wie sie die Proportionslehre
verlangt, sind nicht allzuhäutig in unseren anatomischen Sammlungen.
Die Thatsache, daß bei der europäischen Bevölkerung die Vertreter
zweier ganz verschiedener Gesichtsformen in denselben Gebieten mit-
einander leben, und sich miteinander kreuzen, bedingt den großen
Wechsel der Gesichtsformen und der Proportionen der drei Haupt-
abschnitte. Infolge der Kreuzung kann die Stumpfnase, die zu der
Rasse mit kurzem und breitem Gesicht gehört, in das Antlitz der
schmalgesichtigen Rasse gelangen, oder umgekehrt. Und das kaon
mit jedem einzelnen Abschnitt geschehen, mit dem Unterkiefer, mit
den Augen, mit der Stirn u. s. w. Das Resultat der Kreuzung zweier
Formen ist nicht einer chemischen, sondern einer mechanischen
Mischung vergleichbar. Unter solchen Umständen ist aber das Eben-
maß gestört, und es läßt sich begreifen, daß ein aus dem Leben heraus-
gegriffener Fall sehr beträchtlich von dem Schema abweichen kann.
Je nach Rasse oder Individualität tritt der eine oder andere Teil aus
dem durch die Durchschnittsgröße gegebenen Rahmen heraus, ver-
größert oder verkleinert sich. Oft schwankt die unterste Zone. Das
hängt in der Regel mit der Bewaffnung der Kiefer zusammen, die
Zahnkronen stehen z. B. nicht senkrecht, sondern schief, so daß die
Lippen schon bei leichtem Offnen die Zahnreihen in weiter Ausdehnung
hervortreten lassen. Es entsteht so eine europäische Prognathie
(vorstehendes Kiefergerüst). In anderen Fällen geht die Entwicke-
lung mehr in die Breite. Die Zahnreihen des Unter- und Oberkiefers
beschreiben einen weiten Bogen, die Knochen, welche dieselben tragen,
sind stark entwickelt, und dadurch erhält der unterste Abschnitt des
Gesichtes eine Wucht, welche zu der Entwickelung der übrigen tie-
sichtsknocheu in einem Mißverhältnis steht. Doch auch der mittlere
Abschnitt kann eine große Unabhängigkeit zeigen, wodurch die Höhe
desselben entweder hinter dem normalen Maß zurückbleibt, oder das-
selbe überschreitet; selbst die Stini, die oberste Zone, ist indivi-
duellen und Rassenänderungen ausgesetzt. Bei der Niedrigkeit
des Hiruschädels , der Chamaecephalie, ist die Stirn niedrig,
weil der Scheitel abgeflacht und wie von oben plattgedrückt ist
Diese eigenartige Schädelform ist von R. Virchow in ihrer ethno-
logischen Bedeutung erkannt worden. Sie kommt am häufigsten im
Bereich der früheren friesischen Lande vor. Nachdem diese Form in
Proportionslehre des menschlichen Korper«. 525
hohem Grade charakteristisch ist, konnte sie auch den scharfbeobach-
tenden niederländischen Maleni nicht entgehen. An Porträten begegnet
man zuweilen niedrigen Stirnen und flachem Scheitel, welche aus dem
Rahmen der oben angeführten Proportionen heraustreten. Solche
Köpfe entsprechen nicht den idealen Proportionen, sind aber von emi-
nenter Bedeutung für die Beurteilung der charakteristischen Formen
eines Kopfes.^
5) Kanones, denen ein anderer Modul zu Grunde liegt.
Ein Blick auf die nach dem griechischen Kanon entworfenen Fi-
guren 162 u. 163 lehrt, daß ihre Proportion eine ganz brauchbare ist,
aber doch nicht mehr. Ein lebendiger Mensch dieser Art hätte etwas
plumpes, namentlich wenn er wie Fig. 163 geformt wäre, und man würde
wünschen, daß er etwas länger und freier aussähe. Das ist der Unterschied
zwischen einer mit Hilfe des Kanon konstruierten, und einer auf Grund-
lage des Kanon frei entworfenen und mit künstlerischer Kraft gestalteten
Menschenfigur. Man hat offenbar gemeint, es ließe sich nicht allein
ein Kanon entdecken, der einen guten Maßstab für die Kenntnis der
menschlichen Figur abgäbe, sondern auch einen Kanon, der mehr
leistete, der die Konstruktion eines Kunstwerkes gestattete. Die letztere
Voraussetzung ist ein Irrtum; wo die praktische Brauchbarkeit irgend
eines Kanon aufhört, hat die künstlerisch schöpferische Thätigkeit
erst zu beginnen. Die Maße für eine richtig proportionierte Figur
kann nach den obigen Regeln jeder auf das Papier oder die Leinwand
werfen, eine künstlerisch vollendete Figur daraus zu machen, das wird
nur dem Künstler gelingen. In Paris soll man aus einer Schlosser-
werkstätte die Drahtgestelle beziehen, welche, nach einem bestimmten
Kanon und in verschiedenen Größen hergestellt, in dem Modelliei*saal
der Pariser Akademie Verwendung finden. Ich weiß nicht, ob etwas
Ahnliches auch schon anderwärts im Brauch ist, ich fände dieses Ver-
fahren für Lehrer und Lernende gleich vorteilhaft, denn es ersparte
Zeit und Mühe und verunglückte Proportionen.
Man hat sich, wie mir scheint, die Leistungsfähigkeit eines Kanon
nicht immer mit vollkommener Ofienheit eingestanden, und die Schwie-
rigkeiten nur zu oft in dem Modul gesucht; daraus erklärt sich die
Jagd nach immer neuen Grundmaßen, ohne daß damit für den Lehr-
zweck mehr erreicht worden wäre. Vor lauter Proportionsschlüsseln
traute man keinem recht. Bei ruhiger Prüfung wird man jedoch zu-
gestehen müssen, daß jeder Kanon vor groben Fehlern schützt. Wenn
* Der für das Gehini notwendige Raum wird an Schädeln solcher Form durch
eine größere Lauge kompensiert.
526 Zweiter Tdl. Vierter Abschnitt.
überhaupt nur gemessen wird, mit welchem der verschie-
denen Proportionsschlüssel ist völlig gleichgültig. Hier kann
man dein Geschmack und der Laune den freiesten Spielraum gestatten.
Hat doch jeder bedeutende Künstler sich seinen eigenen Kanon l>e-
wußt oder unbewußt gemacht, und seit Albbecht Dürer sein be-
rühmtes Werk von der menschlichen Proportion veröflFentlicht hat, ist
es sonnenklar, daß jeder Modul seine Berechtigung in einem beson-
deren Fall haben kann. Werden Menschen mit 67, Kopfhöhen kon-
struiert, so sind sie eben klein und gedrungen, solche von acht and
darüber sind groß und schlank, so wie sie ja auch im Leben sind.
Der griechische Kanon, wie jeder andere, ist eine durch Rechnung ge-
fundene Abstraktion, die Menschen dagegen sind Individuen, groß und
klein, dünn und dick, fett und mager aus der freien Werkstätte der
Natur hervorgegangen. Dieser Wechsel ist ein großes Glück, wie
einförmig wären Männer und Weiber, wenn alle nach dem Muster
eines Kanon geformt wären. Um diese Freiheit innerhalb der Regel
zu zeigen, ist eine Skizze MiCHEiiANGELo's in den Text eingeHigt
Fig. 165, und die Abbildung eines Skelettes, Fig. 166, das von einem
wohlproportionierten Manne stammt.
6) Michelangelo^s Kanon.
Michelangelo teilte die Totalhöhe auch in acht Kopfhohen, wie
aus dem von Giovanni Fabri gestochenen Blatt hervorgeht, allein M.
nahm offenbar neben der Kopfhöhe auch noch die Nasenhöhe nh
kleineren Modul zu Hilfe. Bei nur acht Kopflängen waren die Menschen
offenbar nicht nach seinem Geschmack. So schob er an der Stelle,
wo in dem griechischen Kanon die Mitte des Körpers liegt, also an
dem unteren Rand des Schambeins eine Nasenlänge ein. Dieses Maß.
dessen Ausdehnung aus dem Original hervorgeht 1, macht die Beine
länger und hebt den Rumpf etwas höher. Dann setzte M. zu den vier
unteren Kopfhöheu auch noch die Entfernung von dem äußeren
Knöchel bis zu der Fußsohle hinzu, welche etwas mehr als eine halbe
Nasenlänge beträgt. Auch die Oberhöhe erhielt noch eine kleine Zu-
that, welche zwar durch den Zirkel nicht direkt nachzuweisen ist.
allein sie steckt in dem Körper, was deutlich wird, wenn man erwägt,
daß der Mann auf einem Beine steht. (Diese Stellung macht die
Körperhöhe um ungefähr 2 cm niedriger.) Dazu kam noch die Ent-
fernung der Nasenwurzel bis zum Scheitel. Durch all* das bekommt die
ganze Figur etwas hohes, reckenliaftes, sie wird zu einer Heldengestalt.
^ Von C. SoHMiDT, in seiner „Proportionalehre des menschlichen Körpern"
Tiibiiifi:en lh82. nach dem Urigiiial reproduziert.
nvportioaulehre de* menteUkbeii K3rpen.
^^v^-.
Kopfhöhf '=t
fböhe ii
\
M
Kopf hShe 1
Ä
KopfhBhe S
\?^
Kopfliöh. <
'7
; (j
KopfhÖhe T
■ \
Kopfli^l.^ 1
/
Fig. lea. MicHBLAMUEi^'s Kadod. FkCMlltile.
528 Zwdtei Teil. Vlertn AbadudO.
was man von dem in der Fig. 162 dargestellten Mann nicht bebaupt
wii'd. Wie viel davon dem Griffel Micuelanoelo'h zukommt and wie'
viel den 8'/, Kopflängen ist schwer iiuseinanderzuhalten. Uns genUgt,
duü selbst dieser gewaltige Meister gemessen und mit den Proportionen
der lueuHchlichen Gestalt sich ernstlich beschäftigt hat. Auf dem
Kiw^simile Fig. 165 wnirde der von Michelanoeui an den Rand gezeiob-
nete MaUstub weggelassen, und nur acht Koi>fhfihen aufgetragen, weil
der Modul Michelamoelo's durchaus nicht so eiulach zu durchschauen,
ist,' Die Unterhöhe bei dem Fticsimile beginnt an der Wurzel di
Gliedes, also nahe dem oberen Scham bei nrand, zum Unterschied
der Fig. 163, wo die Unterlänge an dem unteren Schambeinrand b»-]
ginnt. Bei sonst gleicher Länge erscbenit der Kumpf, namentlicl
auch der Hals länger, nilenhar wegen der geringeren Kürperbrcite.
7) Die Proportion einet natürlichen Skelettes.
Die Proportion eines wohlgebauten Menschen darf nicht allein
nach Schöpfungen der Kunst gelehrt werden, sondern muß sich auch
direkt an dem einzelnen Individuum, das ja ein Repräsentant der
Spezies ist, zeigen lassen.
Alle bisher betrachteten Kanones sind, wie schon einmal hervor-
gehoben, Abstraktionen, stellen gleichsam den Mittelmenschen dar,
der alle schönen körperlichen Eigenschaften des menschlichen
Schopfes in seiner Gestalt vereinigt. Allein nicht alle Menschen aioAl
nach diesem Schema gebaut, die einzelneu Teile variieren innerhall
einer bestimmten Grenze, eine Eigenschaft, welche man als Variabilität'
bezeichnet hat.
Es giebt drei vi?rechiedeae Abetufuugen dieser interessanten ]^geiiBc!iaft i
mennchlichon Orgauienitu;
1) die V&riabilitat der Individuen (indiriiluclle VaiiabiliUttl. Die Hft-1
woliiutr tiima Lnudua iietsb bis zu de niin einer F^amilie miilI in den HauptmcrlunKlwl
einander gleidi, in uutergeordneten Merkmalen vurw-'hiedeu.
2) die BeEuelle Variabilität. Dii.' Ucxtlileebter luitcrscheidcn sieb in b«-|
atinimteii Merkmalen, und daher rtllirt der Unterachied des Maiiiiua von dtr Fn
' in buKUg auf viele Eigeiiscluiften. bis auf die Miuikebi imd Kiiocbeu liiuab.
' Der Kanon Midhei.anueu>'s (plattet eine duppelte Deutung. Man vriÜ nidtl
genau, gehl er von der Geaiebtaliöhc oder der Kopfliübe aus. Kevlils £tuli-t «
im Ürigiiia) ein Ma&ttab in acht gleiche Teile geteilt. Er reicht nicht au» i
HtCMELANuBLo setxt Hn dem Kikichel und au der Scham je eine, und an dem Ku{
Doeh zwei NosenlllngL-n an. DhB er Naaeulüagen auch als Modul beuät«! bat, z
ein kleiner Maßstab Unks, und so kommen ungefähr 2S Naaeulllngen henuia, will
C. ScHMioT angiebt; aber wie weit das eiue oder ilas andere HaÜ alu der Aiugai^^l
punkt KU betraehten Ut, UBr aii-h iiii'hl bestiuiinl en (scheid ei i . ohne neue Aulädckl
uuiigeu iiue BiuNAK-jT-n'« NuililuÜ.
■h-
eil
i
I Protwrtioädran dti mmschlidiai KBipeis. 529
3) Die Variahilititt der MenBchpiiraBfien; sie ist der Grund der körper-
lichen Unterechiede zwiechen den Weißeji, 8cbwar/en und Kiipfiirfiirbencn und an-
deren Menschenrassen.
Die ersten zwei Sorten von VaiiabilitSt existieren auch in der Funktion der
verboi^nsten Organe wie des Gehirns. Die ViiriabilitÜt des Dcnketts und Wollens
besteht zwischen den Individuen wie zwiscbeD den Geechlechtem. Ob auch die
Kassen in dieser Hinsicht andere organisiert sind, ist schon oft behauptet worden,
, doch noch keineswegs über allen Zweifel erhaben.
Die Natur ist und sei stets die LehrmeL^terin und deshiill) sind
in den Text mit dem Orthosliop gezeichnete, also geometrisch richtige
Figuren aufgenommen worden, welche die Messung mit Zirkel und
Maßstab gestatten, und ttlr jede beliebige VergröBerung brauchbar
sind, weil sie eben keine perspektivischen Bilder, sondern geometrische
sind (Fig. 166 — 169). Sobald es sich darum handelt, die Proportions-
lehre praktisch verwendbar auseinanderzusetzen, ist die aufrechte,
gerade Haltung die Grundstellung, von der man auszugehen hat. Um
für Messungen die allseitigste Anwendung zu gestatten, sind drei
£örperaQsichten in den Text aufgenommen, und zwar die Ansicht
eines männlichen Skelettes von vom, von der Seite und von hinten.
Dieser, nach kompetentem Urteil wohlgebaute Mann besitzt nun
nicht acht Kopfhöhen, sondern nur 77b ^^^ zwar ergiebt die Kontrolle,
daä seine Beine zu kurz sind. Um dem griechischen Kanon zu
entsprechen, müßten die Beine um y^^ seiner Hohe länger sein- Der
Mann hatte also im Leben im Vergleich zu dem Oberkörper etwas
zu kurze Beine. Um dem Kanon Michelangelo's und anderer neuerer
Meister zu entsprechen, welche die Körpermitte auf den oberen Rand
versetzen, müßte er Beine haben, die um Ö^/s Centimeter länger sind.
Die Kürze der Beine ist in diesem Fall eine wertvolle Thatsache; sie
lehrt, daß individuelle Variabilität einen, wenn auch für das Auge
nicht sofort auffallenden . aber für die Messung wohl nachweisbaren
Grad von Abwechslung in die menschlichen Formen bringt.
Die Figuren 166 — 169 sind durch senkrechte und horizontale
Linien in Quadrate geteilt, welche mit dem Höhenmaß des Hirn-
schädels, d. i. vom vorderen Anfang des Hinterhauptsloches bis zum
Scheitel, entworfen sind.
Das Quadrat Fig. 166 nnd 167 abcd ist entstanden aus dsr Höhe des Hirn-
BchftdeU oder der Sehädelbiihe, gemessen von dem vorderen UmFang des Uiuter-
liaupteloches bis zum höchsten Pnnkt des Scheitels (siebe Fig. 167j.
Man nimmt sehr oft an, die Brette den MetuchenschädeU sei ebenso grofi als
eöne Höhe, aber due trlfit durchaus nicht immer zu, und auch nicht in dem vor-
liegenden Falle, denn das mit der Schttdelhübe konstruierte Quadrat schneidet, wie
die Figuren /eigen, ein nicht nnbetrSchtliches Stück der Schädelbreite ab-
XOLLKA», FlHliMhe AnalDIntC, 34
Zwdter T«l. Vierter Aladmitt.
Die Sebädelhöhe kann mau auch bei der
Vorderansicht des Skelettes und des Leben-
den messen , denn bei horizontaler Haltung
des Kopfes erstreckt sich die Schädelhuhe bii
zum Nasenstachel. Fig. 167 «. 168 h4
Das Skelett mißt UV« solcher Scbi-
delhöben oder Schädelquadrate, welche anf
der Scheitellinie (Linie Seh aller drei FignreD)
aufgetragen sind.
Die erste Schädelhöhe reicht his n
dem Nasenstachel, Fig. 166 — 168 cd.
Die zweite Schädelhöhe reicht his zn
dem Schlüsselbein, Fig. 166— 168 «f.
Die dritte Schädelhöhe reicht bis unter
die Brustwarze, Fig. 168 R'.
'' Die vierte Schädelhöbe reicht bis ni
dem Brustkorbende, Fig. 167 und 168 iK.
Die ftinfte Schädelhöhe erreicht die
Mitte des Hüftheines, Fig. 166— 168lm.
Die sechste^ Schädelböhe reicht bis
unter den grollen BollhUget, Fig. 166 — 168 no.
Die siebente Scbädelhöhe reicht bis
nahe zu dem Ende der Reitermuskeln.
Die achte Schädelhöhe reicht his nahe
zu dem oberen Bande der Kniescheibe.
Die neunte Schädelhöbe reicht bis
unter den Scbienbeinstacbel,
Die zehnte Scbädelhöhe trifft keinen
für die OrientieiTing brauchbaren Punkt
Die elfte Schädelhöhe gebt durch den
inneren Knöchel.
Der Rest reicht von dort bis zu der
Grund ebene.
Die Breitendimensionen des männlichen
Körpers lassen sich durch zwei Linien be-
grenzen, welche in der Entfernmig einer
halben Kopfliöbe {Fig. 167 et oder da) zu
beiden Seiten der Schädelquadrate ange-
' Von hier ab sind die Grenzen der SchädelhöbeD
nicht mehr durch Quadrate, sondern durch einfachr
Zeichen angegeben.
Fig. 187.
Obere Skelctthälfte eines Mannes,
von der Seite gesehen. '|^ der
aaX. Größe. Geometrische« Bild.
cb S<üieit«IUme.
cd Ohr-Naaenstachel-Unie.
ef Zireite SchMelhöhe.
efik Zwei Quadrat«, welche mit den
Rech lecken
fgih den Bruatkorb begrenieii.
ik Vierte Schndeihahe.
Im Fünfte SchädelhShe.
DO Sechste Schädelhöbe.
VW Linie EwiscbeD SCeißheiniipitze
und oberem Rand der Seham-
fuge — Horizontal liaie.
D Dorafortträtie der Wirbel.
H Uüftbeia.
O Ellbogen.
R— K" IKe Ewölf Rippen.
Rh GroQer Rollhügel.
Soh Schwerpunktlinie.
Xl Drehungapiinkt des Kopfei.
«3 UotercB Ende der Ilalawirbel-
■>4v Linie lU der Schambeinftige,
Ae leigt mit der Horizontalen
T ir den Neigungswiukel des
xiO DrehungKpimkt des Obererm-
■11 DrehuugBpunkt de» Ellbogen-
Ib Er«t«r Brustwirbel.
IUI Dritter Lendenwirbel.
VII» Siebenter Halswirbel.
Zweiter Teil. Vierter Abn^DfU.
bracht sind. Dadurch ergebei
sich die Linien gn u. ho, Fig. 168,
welche mit ihren Längsseiteo &
Grenzen des Rumpfes umziehen.
Fflr die Bestimmung der T»
fendurchmesser der Brust mufi ene
halbe Schädelhöbe an die der
Scheitellinie entlang Terlaufeodt
Kette der Quadrate nach Jon
angefügt werden. Dann entsteht
wie in Pig. 166 u. 167 ein großei
Quadrat egkh, das die Ausdebnang
des Brustkorbes angiebt
Die Tiefe des Beckens ent-
spricht einer SchädelhShe, dem
Fig. 167 TW ist gleich einer Schi-
delhöhe. Wie die Betrachtang
ergiebt, ist diese Angabe nicbt
ganz genau richtig, denn die Wöl-
^p bung des Kreuzbeines fällt etwu
El außerhalb der Linie mD, aUeiD
dieser Fehler wird dadurch etvu
ausgeglichen, daß die Linie i*
vor der Schamfuge herabsteigt.
Das Becken ist nicht
so tief als der Brustkorb.
Diese Thatsache ergiebt sich ans
der seitlichen Betrachtung anf
das entschiedenste. In dieser
Hinsicht ist der Kanon Fig. 16ä
nicht vollkommen korrekt , die
Brust ist zu schmal und zo
wenig gewölbt. Michelaxoblo's
Skizze (Fig. 165) ist in dieser
Beziehung naturgetreu.
LüCA£, mit desseu Erlaubnis
diese Figuren in das vorliegende
Werk aufgenommen sind, hat die
Schädelhöhe als Modul verwen-
det, jedoch ist auch die Kopfhöhe
angegeben (s.dieFigg. 166 — 169 m).
Mit Hilfe dieses Modul und eines
FroportioMtehre dea menadiliahan KÖipen.
Zirkels läBt eich leicht feststellen,
daß die Kopfhöhe nicht achtmal
ic dem Körper enthalten ist, son-
dern nur T'/g mal, wie schon oben
angegeben wurde. Durch Striche
mit einem Rotstift lassen »ich
sämmtliche Figuren leicht nach
dem griechischen Kanon und nach
Kopf höhen einteilen , sobald die
Kopfhöhen mit Hilfe eines Zirkels
auf die Scheitellinie eingetragen
sind.
8) Die Proportionen dei mensch-
lichen Sörpen bei Anwendung des
SezimaliyatemB.
Man hat allen Proportions-
lehren , welche auf einem der
menschlichen Figur entnommenen
Maßstäbe beruhen , den Vor-
wurf gemacht, dieselben seien
unzweckmäßig und schwer an-
wendbar. Das Dezimalsystem habe
große Vorteile voraus, denn es sei
in jeder Beziehung brauchbarer
und vor allem viel genauer. Bei
der individuellen Variabilität des
Ueuschen halte ich die letztere
Behauptung für einen Irrtum,
dagegen muß zugegeben werden,
daß bei der allgemeinen Verbrei-
tung des Metermaßes die Anwen-
dung des gleichen Zahlenprinzipes
auf die Proportionslehre große
Vorteile bieten kann. In den fol-
genden Zeilen sind also die Pro-
portionen des menschlichen Körpers
auch auf Grund des Dezimal-
systems in Kürze dargelegt.
Die Angaben des belgischen
Gelehrten Qdetelet stützen sich
534 Zweiter Teil. Vierter Abschnitt.
auf die Untersuchungen an Grenadieren eines belgischen Regimentes.
Diesem Regiment gehörten Leute von tadellosem Wüchse an. Die Körper-
hohe jedes einzelnen wurde in 1000 Teile geteilt^ und nun zonichst
die Durchschnittsmaße der Höhe und Breite der einzelnen Teile fest-
gestellt. In gleicher Weise wurden die Statuen der Antike untersucht
und auf diese Weise Resultate erzielt, welche mit dem oben gege-
benen natürlichen Kanon aus der Kopfhöhe gut übereinstimmen, mit
Ausnahme des schon erwähnten Punktes, daß nämlich die wahre
Körpermitte oberhalb des Schambeines, nahe seinem Rande, und
nicht unterhalb des Schambeins liegt.
Die untenfolgende Tabelle ist auf diese Weise gewonnen; sie giebt
die Proportionen nach der Einteilung der Körperhöhe in 1000 Teile.
In allen Fällen, in denen von dieser Tabelle Gebrauch gemacht werden
soll, muß die zu kontrollierende Figur in 1000 Teile oder, wenn die«
zu mühsam, in 100 Teile geteilt werden. In dem letzteren Fall, Ein-
teilung in 100 Teile, beträgt:
Die Oberhöhe vom Scheitel bis zum oberen Rand der Scham-
fuge 52,5.
Die Unterhöhe vom oberen Rand der Schamfuge bis zur Fuß-
sohle 47,5.
Die Kopf höhe 13,5 u. s.w.
Das weitere ergiebt die Tabelle.
Durchschnitt»maßo DurctuehnitUmafie
Teile des Körpers der Bolgier griechi»cber SUtoca
Totalhöhe 100,0 Teile 100,0 TtnW
Kopf 13,5 „ 13,0 ..
Vom Scheitel bis zu den Schlüsselbeinen .... 17,2 „ 16.7 ,.
Vom Scheitel bis zur Schamfuge =» 01)erhoho des
Stammes 52,5 .. 51,8 ..
Von der Schamfuge bis zur Erde = Unterliohe . 47,5 ., 4js,2 ..
Von der Schamfuge bis zur Kniescheibe 19,5 „ 20,3 ,.
Von der Kniescheibe bis zur Erde 28,0 .. 27,9 ..
Höhe des Knöcliels 5,1 ., 4,8
Länge des Fußes 15,4 ,. 14,9 ..
Länge des Armes von der Sehulterhöhe bis zum
Handgelenk 34,1
Länge der Hand 10,4
Von der Schultcrliöhe bis zur Spitze des Mittelfingers 44,5
Vom Kopf des Oberarmbeines bis zum Einbug beim
Beugen des Ellbogens 16,7
Von der Spitze des Ein)ogens bis zur Hand . . . 14,1
Von der Fußsohle bi.s Ende der herabhängenden Hand 38,1
Von der Fußsole bis zu den Brustwarzen 74,2
^ ., ., „ Achselhöhlen 76,3 „ —
»> V V .. ,, der Halsgrube = Schulterhöhe 82,7 ,,
7» V M „ „ dem Kehlkopf 85,4 „ —
*»
, ,
,.
,»
•»
'»
.♦
Proportionalehre des menschlichen Köipen. 535
Das Dezimalmaß hat den Vorzug einer besonders leichten Ver-
wendbarkeit. Irgend welche Reduktion ist unnötig. Die Zahlen bleiben
stets dieselben, ob es sich um die Herstellung eines nur spannhohen
Figürchens oder um diejenige einer Kolossalstatue handelt.
Eine Vergleichung der auf diesem Wege gefundenen Proportionen
mit den weiter oben angegebenen zeigt, daß die Ergebnisse beider in
den wichtigsten Punkten übereinstimmen.
Bei einer Figur von acht Kopflängen endigt nach dem griechischen
Kanon die Oberhöhe am unteren Rande des Schambeines. Bei den
Belgiern und den griechischen Statuen beträgt nach Qüetelet die
Höhe von dem Scheitel bis zum oberen Rand der Schamfuge etwas
mehr als 50,0 (genau zwischen 51,8 — 52,5) Teile, von der Schamfuge
bis zur Erde 48,2 — 47,5. Es handelt sich also um Unterschiede von
2 — 27, Teile oder bei einer Totalhöhe der Figur von 1 m um 2 — 2 Y, mm.
Dieser Unterschied ist bei einer wissenschaftlichen Untersuchung der
Wachstumsgesetze sehr beachtenswert. Ob auch bei der künstlerischen
Darstellung des Menschen, mögen die Künstler entscheiden.
Sehr groß ist die Übereinstimmung beider Methoden bezüglich
der Kopfhöhe. Diejenige der griechischen Statuen beträgt nach Qüe-
TELET 13,0, gleich dem achten Teil der Totalhöhe, bei seinen Belgiern
giebt er eine Kopfhöhe von 13,5 an.
Aus Lihab2ik's Angaben und Messungen der neuesten Zeit, die
höchst sorgfältig durchgeführt wurden, läßt sich der Beweis führen,
daß die Oberhöhe des Körpers, vom Scheitel bis zum oberen Rand
der Schamfuge angenommen, gleich ist der Unterlänge, gemessen von
demselben Punkt aus bis zu der Fußsohle. Hier liegt also wieder
eine kleine Differenz der Angaben vor; LiHABiUK hat Österreicher
gemessen, und es ist sehr wohl möglich, daß Rassenunterschiede bei
diesen kleinen Zahlendififerenzen in's Spiel kommen.
Es ist femer zu bemerken, daß bei allen Messungen am
Lebenden nur ein relativer Grad von Genauigkeit zu erreichen ist.
Die Ausmessung hat sehr große Schwierigkeiten, denn wegen des
sanften Überganges aller Konturen ist es äußerst schwierig, immer
genau an demselben Ort das Meßinstrument anzusetzen. Das gilt
selbst von der Anwendung des goldenen Schnittes auf den mensch-
lichen Körper, welche durch Zeising in einer weitgreifenden und
fruchtbringenden Weise geschehen ist.
Hier ist der Platz, um noch mit einem Wort der Klafterlänge
zu gedenken.
Nach allgemeiner Annahme entspricht die Klafter länge (von der
Spitze des einen Mittelfingers bis zur Spitze des anderen quer über
die Brust) der ganzen aufrechten Höhe des menschlichen Körpers.
536 Zweiter Teil. Vierter Abschnitt. Proportionaiehre des mensdilichen Korpen.
Im Oroßen ist dieser Satz für Erwachsene richtig. Jedoch maB
man stets nur gut gewachsene und völlig entwickelte Individuen in
Auge behalten. Bei genauerem Zusehen zeigt sich, daß jedoch aack
hier Verschiedenheiten vorkommen und Unterschiede der Gesamthöhe
zur Klafterlänge y welche bis zu 6 cm gehen können; es kann dabei
die Elafterlänge bedeutender als die Gesamthöhe sein und umgekehrt
Aus diesem Überblick über die Proportionslehre geht auf das
klarste hervor, daß wir eine große Auswahl sehr guter Methoden be>
sitzen y welche die praktische Anwendung irgend eines Kanon höchst
empfehlenswert machen. Die vielen Methoden bestätigen den alten
Rat: Practica multiplex, zu deutsch: Es führen viele Wege nach Born.
Als Hauptregel gilt vor allem: miß, miß Groß und Klein, miß oft!!
Dürer, Albrecht: Von der menschlichen Proportion. In Latein und in Hoch-
deutsch zu Nürnberg gedruckt im Jähr 1527. Das Werk wurde in alle Sprachen
übersetzt. Die Holländische Ausgabe erschien 1622 in Amheim.
LiHARiiK, Franz: a. a. 0.
Derselbe: 12 Gipsmodelle en miniature, männliche Individuen in verschie-
denem Lebensalter vom mehrjährigen Knaben bis zum Erwachsenen darstellend.
Derselbe: 12 Gipsmodelle en miniature, Weibliche Individuen in verBchi^
denem Lebensalter vom Neugeborenen bis zum erwachsenen Mädchen darstelleiuL
ScHADOw, Gottfried: Polyklet oder von den Maßen des Mensehen nach dem
Greschlechtc und Alter mit Angabe der wirklichen Naturgröße und Abhandlang von
dem Unterschiede der Gesichtszüge und Kopfbildung der Völker des Erdbodens
Berlin 1834. 2 Teile. Text 4*^ und 2 Teile eines Atlas in fol. max. mit Welen litho-
graphierten Tafeln.
Schmidt, C. (Professor an der Kimstschule zu Stuttgart): Projwrtionsl ihre des
menschlichen Körpers. Tübinge^i 1882. Schkidt nimmt als Maßstab die Finger-
breite und findet 83 Fingerbreiten. Er stimmt mit Michelangelo überein über die
28 Nasenlängen der menschlichen Gestalt und verfeinert nun den Maßstab. Eine
Nasenhöhe entspräche also 3 Fingerbreiten, und er teilt dem Oberkörper 40, den
Beinen 43 solcher Teile zu.
Zeising, Dr. A.: Neue Lehre von den Proportionen des menschlichen Körp<7B.
Derselbe: Die Unterschiede in den Proportionen der Racentypen. Vierordt's
Archiv für physiologische Heilkunde. 1856.
Derselbe: Über die Metamorphosen in den Verhältnissen der menschlichen Ge-
stalt von der Geburt bis zur Vollendung des Längenwachstums. Mit 10 Tabellen,
2 graphischen Darstellungen imd 1 Tafel mit Zeichnungen von 9 menschlichen Fi-
guren. Verhandlungen der kaiserl. Leopold - Carolinischen Akademie der Natur-
forscher. Vol. XXVI. p. II.
Ffinfter AbcchDitt Über Menachenmaen. 537
Fünfter Abschnitt
■ ■
Über Menschenrassen.
In diesem Abschnitte sollen die in Centraleuropa vorhandenen
Menschenrassen^ nach ihren Eigenschaften an dem Gesicht und an
dem Schädel beschrieben werden. Das Gesicht ist sowohl für die
Kunst wie für die Wissenschaft von der Abstammung des Menschen
und der Verwandtschaft der Rassen untereinander viel wichtiger als die
Himkapsel. Auf die Beschreibung der europäischen Gesichts formen
ist aus diesem Grunde besonderer Nachdruck gelegt. Die Porträte
von Menschen anderer Kontinente sind dem Text mit eingefügt worden,
um die Merkmale der Europäer um so schärfer hervortreten zu lassen.
Die Rassenanatomie berücksichtigt alle Merkmale, sowohl diejenigen
der Weichteile, als diejenigen der Knochen, und zwar sowohl an Kopf
und Rumpf, als auch an den Gliedmaßen. Der widerstandsfähigste Apparat
des Körpers, das Skelett hat am meisten schon wegen seiner Dauerhaftig-
keit die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Kann man die Lebenden
nicht zur Stelle schaffen, so gelingt es wenigstens mit ihren Knochen.
Unter allen Teilen des Skelettes ist es dann wieder der Schädel, der
am meisten Rassenmerkmale von allen übrigen Knochen erkennen
läßt, weil er am vollkommensten die Formen des Hauptes wiedergiebt,
wie dies im einzelnen die Osteologie in den vorhergehenden Blättern
gezeigt hat.
Eine Vergleichung europäischer Schädel untereinander hat nun
ergeben, daß die Hirnkapsel dreierlei Formen aufweist, sie ist lang,
mittellang oder kurz. Dies wurde mit Hilfe genauer Methoden
nachgewiesen; die extremsten Formen sind aber auch mit freiem Auge
zu unterscheiden.
Der Langschädel (Dolichocephalus , der Dolichocephale
Fig. 170 a) ist gestreckt, die Hirnkapsel gleichsam walzenförmig, an
der Schläfen- und der Scheitelgegend wenig gebaucht. Die vordere
Begrenzungslinie entspricht der Stirn, über welche bei der horizon-
talen Aufstellung des Schädels nur die vorspringenden Nasenbeine
etwas hinausragen. Die seitlichen Ecken an der Stirn rühren von dem
^ Die Kenntnis fremder Rassen ist in den letzten Jahren durch die zahlreichen
Beisebeschreibungen wesentlich gefördert worden, besonders auch durch die Schau-
stellungen, welche Vertreter von Naturvölkern aller Art in Europa zur Beobachtung
brachten.
538
Zureiter Teil. Fünfter Abeehnitt
scharfen und geknickten Übergang der Stirnfläche in die Schlifen-
fläche her. Das Hinterhaupt ist ausgezogen, und springt dadurch weh
über die Nackenfläche des Halses hervor, was besonders dann deutlich
wird, wenn man einen Menschen, der solche Schädelform besitzt, lon
der Seite betrachtet.
Der Kurzschädel (Brachycephalus, der Brachycephale
Fig. 170 b) hat an Breite, was ihm an Länge abgeht. Die Breite
beginnt unmittelbar hinter der Stirn, die Schläfen sind also schoo
gebaucht, die größte Breite liegt aber in der Gegend der Scheitel-
höcker und des Warzenfortsatzes; das Hinterhaupt ist kurz und ge-
rundet, und betrachtet man eine solche Form der Himkapsel am
T)
Fig. 170. Zwei europäische Schädel von oben.
a. LaDgschädel, b. Kurzschädel.
1. Kreuznaht. 2. Scheitelnaht. 3. Lambdanaht.
Lebenden, dann fällt das Hinterhaupt rasch ab, denn der Scheitel be-
schreibt nur eine kurze Linie und senkt sich sofort zu der Nackeu-
ebene hinab. Die drei Figuren 171, 172, 173 sind geeignet, die
außerordentliche Verschiedenheit der Schädelform am Lebenden zu
beweisen. Der eine Kopf, Fig. 171, ist kurz, der Scheitel steigt von
der Stirn zu ansehnlicher Höhe empor, der höchste Punkt liegt etwas
hinter der Ohröflfnung. Von da an beschreibt der Scheitel eine kurze
Strecke, auf der er sich allmählich nach abwärts senkt, um dann steil
den Hinterkopf entlang bis zu dem Nacken herabzusteigen. An dem
kurzgeschorenen Haupt zeigt eine leichte Einsenkung den Beginn der
Hinterhauptschuppe an, und die überhängende Stirn verursacht eine
tief eingesetzte Nase, wodurch die Grenze zwischen Gesicht- und
Hirnschädel scharf zum Ausdruck kommt. Bei der Betrachtung des
nämlichen Kopfes von vorne, Fig. 172, steigt der Scheitel beträchtlich
in die Höhe.
OWrl
539
Die Figuren 171 a. 172 stamnicn aas einer Abhandlung von Dr. Lanobbruis,
tlber dio heutigen Bewohner PiklttstinBa. Nach der Gruppierung der Völker auf
Omnd ihrer Sprache gehört der Grundstock der Bevölkerung PaläBtiuae und der
angrenzenden Länder zu dem nemiüschen Völkerkomplei. Ob wir die Semiten auf
Grund ihrer raeaenanatoniischen Merkmale zu den EnropBcm oder zu den
AsiaCen rechnen railMcn, ist noch nicht entschieden. Gleichwohl wurde diese»
Portrfit hierher gesetzt, weil es der Anforderung einer raasenanatomischen Ab-
bildung entspricht und als Beispiel eines Brachyccphalen alle Zeichen der Schädel-
bildung, vortrefflich ausgeprägt, an sich trügt Um den Anforderungen degenigen
Wissenschaft lu entsprechen, welehe die Klassifikation des Menschengeschlechtes
Fig. 171.
SD, Fellache (Bauer) ans
ein Brach^cephale.
Fig. 178.
>, Fellache (Bauer) aus
dn Bnohyoephale.
auf Grund der körperlichen Merkmale anstrebt, ist e», abgesehen von der
Messung der Schadclform, auch notwendig, genaue Porträte eo profil und en &ce
zu besitzen, wobei der Kopf in der horizontalen Ebene getragen wird und der
Blick in die Feme gerichtet ist Nur unter solchen Umständen lassen sich die
beiden Ansichten gut vergleichen. Das Porträt dieses Mannes aus Palästina
ist nach den an Ort und Stelle von Dr. Lanobrbins aufgenommenen Photographien
durch einen Künstler mit der Lupe auf Holz gezeichnet worden, und wird also
auch weit gehenden Ansprüchen insofern gerecht, als die sicher gezogenen Linien
Porträltreue wiedergeben. Sollte die Basscnanatomie zu dem Ergebnis gelangen,
daB die Semiten nicht den europäischen Menschenrassen beigezählt werden dürfen,
ebenso wie sie von dem Standpunkt der Bprachenkunde mit Recht einer anderen
Gruppe zugeteilt werden, so könnte dennoch die Form dieses HimscbädeU hier als
ein Beispiel für Brachycephalie überhaupt seine Stelle beibehalten.
540 Zweiter Teil. Fünfter Abschnitt.
Der Sokrateskopf (Fig. 173) zeigt die Form eines Langschädels.
Die gerade aufsteigende Stirn biegt in einen langgezogenen Scheitel
um, der, im Gegensatz zu der Form der Eurzschädel, in der Sprache
der Kraniologie „gestreckt" heißt. Das Hinterhaupt ist weit ausge-
zogen und überragt die Nackenlinie sehr beträchtlich. Es ist dies
wegen der Haare leider nicht mit jener Schärfe zu sehen, wie es
wünschenswert wäre, allein der Unterschied zwischen dem Hinterkopf
des SoKBATES und dem des brachycephalen Mannes ist nicht zu Ter-
kennen, weil eben beide sehr charakteristische Vertreter der lang- und
kurzköpfigen Hirnschädel sind. Kurzköpfe, wie jene der Fellachen, oder
Langköpfe, wie jener des Sokbates, sind heute noch unter den Lebenden
zu finden, jedes anatomische Museum kann solche Exemplare auf-
weisen. Die Naturtreue des sokratischen Himschädels ist wohl kaum
in Zweifel zu ziehen, denn der Künstler hat sicherlich nicht nur das
Gesicht, sondern auch den Scheitel als charakteristisches Zeichen der
Individualität kopiert.
Köpfe mit einer mittellangen Hirnkapsel lassen sich nur durch
Vergleichung mit Lang- und Kurzschädeln bestimmen, überdies be-
darf es genauer Messungen , will man sie sicher klassifizieren.
Da die Beschreibung dieses Verfahrens in das Gebiet der Kranio-
metrie, der Schädelmeßkunst, gehört, verweisen wir auf die Fachzeit-
schriften, von denen am Schluß dieses Abschnittes einige aufgeführt
werden.
Zu diesen Rassenmerkmalen am Himschädel kommen die viel
wichtigeren Rassenmerkmale des Gesichtschädels. An jede der drei
Himschädelformen kann sich entweder ein Breitgesicht oder ein Lang-
gesicht anschließen. Die Rassenmerkmale an dem europäischen Lang-
und Kurzgesicht wurden im allgemeinen schon in der Knochenlehre
berührt, hier sollen sie in dem neuen Zusammenhang noch einmal
aufgezählt werden, und zwar ausgehend von dem Knochen.
Bei den Langgesichtern herrschen in allen einzelnen Teilen
des Gesichtsschädels die Höhendimensionen vor. Der Oberkieferknochen
ist hoch geformt, seitlich etwas zusammengedrückt; der die Zähne
tragende Abschnitt, sowie der zu der Stirn hinaufragende Fortsatz
sind laug. In dem Zahnfortsatz stecken längliche Zähne, namentlich
ist dies an den Schneidezähnen zu bemerken. Die Nasenbeine sind
gerade und in einem spitzen Winkel gegeneinander gestellt. In der-
selben Neigung reihen sich auch die Stirnfortsätze des Oberkiefers
an die Nasenbeine an, wodurch der Nasenrücken erst seine Höhe und
Schmalheit erhält. Eine notwendige Folge der schmalen hohen Nase
ist geringe Distanz der Augenhöhlen und damit der Augen selbst
Die Länge und die steile Stellung der Nasenfortsätze des Oberkiefers
Ober UuuohennMeD. 541
bringt es ferner mit sich, daß der Eingang der knöchernen Naae hoch'
bimförmig erscheint. Der Joch Fortsatz des Oberkiefers ist kurz,
das Wangenbein wendet nur einen sehr kleinen Teil seiner Fläche
nach vorn zu, der größere Teil ist an die Seitenfläche des Gesichtes
gestellt. Die Jochbogen sind angelegt und durch die Haut hindurch
nur hei magerem Antlitz zu sehen; bei der gewöhnlichen Fülle läßt
eine leicht erhabene Linie den in der Tiefe der Haut liegenden Joch-
bogen Terraten. Die Form des Unterkiefers steht mit der Höhe und
Schmalheit des Gesichtes im Einklang, damit die Zahnreihen sich
treffen, muß der Bogen des Unterkiefer-Körpers enge sein.
Zu diesen Merkmalen des langen Gesichtsschädels kommen runde,
hoch angerissene Atigenhöhleneiiigänge. Auch sie folgen der all-
gemeinen Regel, nach welcher in dem Langgesicht die Höheiidimensionen
vorherrschen.
Fig. 118. Ein dolichocephaler Mann
(SoKKATis). Kojda Dich Schaiww,
Die Figur 174 stellt den Schädel eines Bolchen Langgesichtes
dar, an welchem die eheuerwähnten Eigenschaften gut ausgeprägt sind.
Auf einen Gesichtschädel solcher Art legen sich Muskeln, Fett und
Haut, ohne irgend eines der charakteristischen Merkmale zu verdecken.
Niemals wird unter normalen Umständen diese durch die Knochen ge-
gebene Grundform verwischt. Um ihre Merkmale zu studieren, darf
man aber nur zu dem Schädel des Erwachsenen greifen, nicht zu dem-
jenigen des Kindes und des Greises. Bei dem Greis tritt durch das Aus-
fallen der Zähne und durch den darauffolgenden Schwund der Zahnfort-
sätze des Ober- und Unterkiefers eine starke Verkürzung der Gesichts-
höhe ein, und bei dem Kind ist die Proportion des Gesichtes aller
Kassen kurz und breit aus den schon weiter oben erörterten Grilnden,
and Überdies die Nase eingebogen.
Von den die Knochen bedeckenden Weichteilen der langgesich-
tigen Europäer ist folgendes zu bemerken. Die Komplexion, so beißt
542 Zweiter Teil. Fünfter Abschiiitt.
die Gesamtheit der Merkmale aii den Äugen, den Haaren iiikI der B
kämmt in zwei Arten vor, uämüchals dunkle Komplexion, mil'lu
Augen, dunklen Haaren und dunkler Haut, und als helle EomplexioH
mit helleu Augen, hellen Haaren und holkT Haut. Man Ijciteicbnet i
eine als brünette, die andere als die blonde Unterrasse dei' Kuropäer. (
gleich es noch nicht möglich geworden ist, einen Uuterachied an dem S3cel(j
Fig. 174. Eriropäiscln:s Liiiifrgi wicht
{Oeönie[r[sche» £
des Schädels zwischen diesen beiden Formen der europäischen Mensel
nachzuweisen, so ist es doch zweifellos. daB die Verschiedenheil <
Knmplexiun au ein sehr altes Erbstück erinnert. Die Regel miittigkoifl
mit der diese EigenRchaften schon bei Kindern hervortreten, und i
Ausdauer mit der sie selbst bei der Kreuzung blonder und brUnet
Individuen wieder zum Vorschein kommen, beweist, duß dieüe Merl
male vun unseren Vorfahren schon seit uralter Zeit erworben worden sioi
Bei der wiederholten KrPUKUiip von Individuen verwhiiHli-ncr Kriinpln:
werden diuse Merkmale achÜuBliuh duKlieinaiidrr j^Türlolt, anil timu 6n(kl I
Hüllt des brünetten mit hellou Augen xusauiniengetlvllt iinil umgekptirt; allein
■obalii ebli invci Individuen i;leiclicr Kumplciiun «uBummttnfiRdt^u, kuiiitiil in der
B^rel die reine Koinplexioii wieder >nm Vorsehein.
Von anderen Organen des GcBichtsscliädela sei nur noch die Nase
berücksichtigt. Sie vtiriiert wie alle Organe des menschlichen Kfirpers
iimerhalb gewisser Grenzen. Kb wurde die Nuse bisher ulsgeri\de bezeich-
net, womit niu- die Grundform bezeichnet werden eollte. Der Nasen-
rücken steigt vim der etwas eingesetzten Nftsenwnr7el (wie bei Fig. 171}
Fig. 1"5. EuropHiseln» Kurifti-si
(GtarnttriKh» Bild.1
Eine
gerade oder leicht gewölbt herab, aber niemiils eingobogen.
Wfilbung des Nasenrückens kommt an der Stelle vor, wn die
Nasenbeine an den Nttsenknorpel stoUen (in einem geringen Grade hei
Fig. 171), Ist diese Krümmung der Nase stark, so daß die Nasen-
spitze »ich etwas nach abwärts senkt, dann sprechen wir von einer
Ädlernas«. Der Exceß dieser an sich milnnlich schönen Form ist
die krumme Nase, die hakenartig mit der Spitze stark nach abwärts
gesenkt ist und ein Attribut derjenigen Gesichtsform ist, die wir als
Bocksgüsichl i)C<;eichuen (Mephisln).
544 Zweiter Teil. Fünfter Abiehnitt.
Das Alter entstellt den Körper überhaupt, und entstellt aach die
namentlich ist es die Haut der Nase, die sieh seltsam verdickt und filrbt Der
Mann, dessen Gesicht (in Fig. 176) von einer plumpen Nase entstellt ist, hat ae
erst in späteren Jahren erhalten. Auch sein Antlitz war einst mit einer geiadea
europäischen Nase versehen. Erst im Alter hat der untere Teil der Nase tetw
unförmliche Grestalt angenommen, wie ja der knorpelige Teil und seine Haot et
sind, welche die mißlichen Veränderungen erleiden. In diesem Fall, wie in allei
ähnlichen Fällen, liegt also kein Bassenmerkmal vor, sondern ein Zeichen io-
dividueller Veränderung.
Bei den europäischen Menschenrassen mit kurzem Gesichts-
Schädel (Fig. 175) treten folgende Eigenschaften auf : Der Hauptknocheo
des Gesichtes, der Oberkiefer, ist kurz in allen seinen Teilen : der Nasen-
fortsatz, wie der Körper und wie der die Zähne tragende Zahnfortsatz.
Was ihnen an Höhe abgeht, ersetzten sie durch Breite, denn der
Jochfortsatz ragt seitlich weit hinaus weiter als bei der Rasse der
Fig. 176. Gesicht eines alten Mannes.
Langgesichter. Es ist jedoch nicht allein die Kürze des Oberkiefers,
welche dabei in Betracht kommt, sondern auch die eigenartige Stel-
lung der Flächen. Die Nasenfortsätze stehen nicht steil in das Stirn-
bein eingefügt, wie bei den Langgesichtern, sondern sie kehren ihre
Fläche zu einem großen Teile nach vorn, die Nasenbeine müssen ihnen
folgen und bilden also nur einen verhältnismäßig niedrigen Nasen-
rücken, der überdies eingebogen ist. Was den Nasenbeinen an Länge
abgeht, ersetzen sie durch Breite, und so wird der Nasenrücken nicht
nur eingebogen, sondern auch breit. (Fig. 175.) Damit ändert sich
auch die Form des Naseneinganges; er wird weit und „viereckig*'. Die
Nasenfortsätze des Oberkiefers und die Nasenbeine drängen durch ihre
flache Lage mit Hilfe des entsprechend breiten Ansatzes an dem Stirn-
bein die Augenhöhlen beträchtlich auseinander, viel mehr als dies bei
den Langgesichtern der Fall ist, die Augenachsen stehen also ebenfalls
weiter auseinander. Die Wangenbeine rücken, gezwungen durch die
größere Ausdehnung der Jochfortsätze, weiter von der Mittellinie des
über Mengchenraasen. 545
Gesichtes ab, aber sie selbst haben auch eine Krümmung ihrer äußeren
Fläche, wodurch oft die eine Hälfte nach dem Gesicht und die andere
nach der Schläfenfläche des Kopfes gerichtet ist, entgegengesetzt zu
der Form der Wangenbeine bei den Langgesichtern. Der Jochbogen
ist stark ausgelegt, und setzt mit weitem Bogen über die Schläfen-
grübe hinweg. In Übereinstimmung mit diesen Rassenmerkmalen ist
die niedrige Form des Augenhöhleneinganges, der, länglich viereckig,
in vollkommener Übereinstimmung zu der Form des Kurzgesichtes
steht (Fig. 175). Der Unterkiefer hat sich ebenfalls dem gedrungenen
Gesichtsskelett angepaßt, er ist niedrig, weit, selbst die Zähne stimmen
mit der gedrungenen Gestalt aller Teile überein, denn die Kronen
sind kurz und cylindrisch im Vergleich mit denen der Langgesichter.
Besonders deutlich ist der Gegensatz an den Schneidezähnen.
Die Weich teile, welche sich über die Knochen des Gesichtes
hinweglegen, sind nur imstande, die Linien der Knochen zu mäßigen,
nicht aber den Charakter des Kurzgesichtes zu unterdrücken. Der
Nasenrücken bleibt eingebogen, und die knorpelige Nase ist wie die
knöcherne kurz. Die Spitze ragt in die Höhe, so daß die Nasenlöcher
und die Nasenscheidewand freier liegen, als bei den Langgesichtem.
Die abstehenden Wangenbeine bedingen ein mehr breites Gesicht, in
welches die etwas erhöhten Wangenhöcker eine wohlthuende Abwechs-
lung bringen.
Die Figur 173, Sokrateskopf von der Seite gesehen, zeigt ein
Kurzgesicht unter einem Langschädel. Verhindern auch Bart und
Profilzeichnung die volle Betrachtung aller Einzelnheiten, so ist doch
ersichtlich, daß die Gesichtsform kurz ist, denn die Unterlippe, welche
unter dem Schnurrbart zum Vorschein kommt, steht so hoch, daß
die Vermutung, der Unterkiefer sei ebenfalls niedrig, gewiß berechtigt
ist. Die Nase ist kurz, ihr Rücken eingebogen, die Spitze nach auf-
wärts gewendet, genug Zeichen, daß dieser gewaltige Ritter vom Geist,
dessen philosophische Gedanken ihn Jahrtausende überlebt haben, das
Antlitz eines Abkömmlinges einer europäischen Rasse besaß, die heute
wie damals über ganz Europa verbreitet war. Ist es vom rassen-
anatomischen Standpunkte aus schon wichtig, eine Bestätigung dafür
zu haben, daß es in Griechenland nicht lauter Leute mit griechischer
Nasenform gab, so ist noch besonders beruhigend, daß die höchste
Weisheit auch hinter einer Stirn thronen kann, die über einer Stumpf-
nase ihren Sitz aufgeschlagen hat. Die Thätigkeit des Gehirns ist übri-
gens nicht nur unabhängig von der Gestalt des Gesichtsschädels, sie ist
auch unabhängig von der Form des Himschädels. Ob Dolicho- oder
Meso- oder Brachycephal, das Gehirn, denkt mit gleicher Kraft, wenn
es nur groß genug ist und hinreichenden Raum besitzt. Was bei
KOLUfAinr, Plastische Anatomie. 35
546 Zweiter Teil. Fünfter Abechnitt.
den Kurzköpfen an Länge dem Hirnschädel abgeht , ersetzt er eben
durch Breite und Höhe. — Dieselben Kurzgesichter, wie sie der Sokrates-
kopf aufweist, kommen unter der europäischen Menschheit ebenfalls
mit zwei verschiedenen Komplexionen versehen vor, nämlich als brü-
nette und als blonde Komplexion.
Aus den obigen Mitteilungen ergiebt sich, daß über Europa die
Abkömmlinge mehrerer Menschenrassen verbreitet sind, die wir nach
ihren Merkmalen im Gesicht und am Schädel unterscheiden. In
erster Linie helfen zu einer Klassifizierung die Rassenmerkmale des
Knochens, in zweiter Linie diejenigen der Farbe der Augen, der Haare
und der Haut. Es ist hier nicht die Aufgabe, eine solche Klassi6-
kation durchzuführen, sondern lediglich daran zu erinnern, daß unter
den Bewohnern aller Kulturstaaten, und zwar aller Orten, diese ver-
schiedenen Formen zu finden sind. Die Angabe von dem Vorkommen
mehrerer Rassen in Europa mag wohl bei manchem Beobachter auf
Widerspruch stoßen, denn man hat stets vorausgesetzt, daß die Unter-
schiede zwischen Rassen viel tiefer greifen müßten, als dies bei dem
„Kaukasier" der Fall ist. Allein was früher als eine große alles um-
fassende Einheit erschien, löst sich bei genauerem Zusehen doch in
eine bestimmte Anzahl von Formen auf, die ihre Merkmale regelmäßig
auf ihre Nachkommen vererben. In dieser Vererbungsfähigkeit gewisser
Merkmale, die immer auftauchen, die selbst unter ungünstigen Um-
ständen mit gleicher Zähigkeit immer wiederkehren, die der Zeit, dem
Wechsel des Klimas, dem Wechsel der Nahrung widerstehen, liegt
für die klassifizierende Anthropologie die Veranlassung, von Unter-
arten, von Rassen und von Unterrassen zu sprechen. Andere werden
vielleicht andere Namen für die einzelnen Formen wünschen und an
die Stelle setzen, allein damit werden nur die Begrifife eine Andernng
erfahren, nicht aber die Merkmale, welche in den europäischen Ab-
kömmlingen der Menschenspezies wie in denen anderer Kontinente
unzerstörbar, stets aufs Neue sich verjüngen. Brünette und blonde
Individuen mit langem und breitem Gesicht, und beide Formen sei es
mit langem, mittellangem oder kurzem Hirnschädel verbunden, sind
in ganz Europa verbreitet samt ihren zahlreichen Mischlingen. Es
mag schwierig sein, in einem bestimmten Fall den Grad der Rassen-
reinheit des Individuums festzustellen, stets lassen sich aber wenigstens
einige der oben angegebenen Merkmale nicht bloß in den Weichteilen,
sondern auch im Skelett des Hauptes auffinden. Und diese sind es,
welche nicht minder wie Farbe der Augen, der Haare und der Haut
für den Künstler die Individualität kennzeichnen. — Wo wir hinkom-
men mit dem Spaten, da sind immer schon Lang- und Breitgesichter.
Aus einer solchen zufällig zusammengetroffenen Gesellschaft haben
über Menichenrassen. 547
sich allmählich die Horden, die Stämme, die Völker, kurz die großen
und die kleinen ethnischen Einheiten entwickelt. Sie hatten Zeit da-
zu, denn es liegt eine unendlich lange Periode hinter uns. Es ist
also kaum zu hoffen, daß irgendwo in Europa noch ein Volk existiere,
das sich reiner Abstammung in der Weise rühmen kann, daß sämt-
liche Glieder einer und der nämlichen Rasse angehören. Für Europa
und Asien ist eine solche Hoffnung wohl ausgeschlossen. Wenn schon
Wogulen und Baschkiren und Meschtscheräken aus verschie-
denen Rassen zusammengewürfelt sind, dann werden wohl auch die
Thäler des Kaukasus keine reinen ungemischten Volksstämme mehr
beherbergen, jene Thäler, in welche sich die Flut der Menschheit
zuerst ergoß, als sie von Asien her gegen Europa auf ihrer Wan-
derung vordrang. Daß in dem alten Europa selbst das letzte Dorf
schon mit den Abkömmlingen von Blonden und Brünetten gefüllt ist,
das hat die große Statistik über die Farbe der Augen, der Haare und
der Haut an den Schulkindern gezeigt, welche auf die Anregung
R. ViKCHOw's^ in Deutschland, Belgien, Osterreich und der Schweiz
durchgeführt wurde.
Über alle diese Gebiete breiten sich, wie diese Statistik gezeigt
hat, die Abkömmlinge europäischer Rassen aus, die sich in zwei große
Gruppen, in die Blonden und Brünetten, gliedern. Dieses Ergebnis
bestätigt die Untersuchung an den Schädeln, überall finden wir
Lang- und Kurzschädel, Lang- und Breitgesichter, sowohl unter den
Lebenden wie unter den seit Jahrhunderten und Jahrtausenden Ver-
storbenen. Die Menschenschädel der Pfahlbau-Bevölkerung oder der
fränkisch-allemannischen Periode sind identisch mit denen von heute.
Die centraleuropäischen Menschenrassen sind in der Form der Schädel-
kapsel und in derjenigen ihres Antlitzes immer schon fertig, wohl-
geformt, wo immer wir sie finden, sie haben sich körperlich nicht
geändert. Sprachen, Sitten und Staatsformen und Völkemamen haben
gewechselt, die Rassen sind immer dieselben geblieben in bezug auf
die anatomischen Eigenschaften ihres Körpers.
Die Statistik der Schädelformen und der Farbe der Augen, der
Haare und der Haut hat also bewiesen, daß die verschiedenen oben-
geschilderten Rassen über ganz Europa verbreitet sind, sie hat aber
ferner noch gezeigt, daß ihre Verbreitung keine gleichmäßige ist, dort
sind mehr von diesen, hier mehr von jenen Unter-Rassen vorhanden.
* Die General -Übereicht über diese Statistik wird wahrscheinlich noch in
diesem Jahre in dem Archiv für Anthropologie, Braunschweig, Vieweg & Sohn,
mit mehreren Karten illustriert erscheinen. Kürzere Mitteilungen sind schon wieder-
holt von R. ViRCHOW in den Sitzungsberichten der deutschen anthropologischen
Gesellschaft veröflTentlicht und durch die Tagespresse verbreitet worden.
35*
548 Zvelter Tül. Fönftor AbaeluiiU.
So herrschen im Norden mehr die blonden Rassen mit ihren Misch-
lingen vor, im Süden mehr die brünetten.'
Für die Beurteilang der Rassenreinheit und der Rassenkrenznng
giebt die schon erwähnte Statistik über die Augen-, Haar- und Haut-
&irbe ebenfalls wertvolle Aufklärung. Von dem rein blonden Typus
existiert in Mitteleuropa ViVo- ■*■"' ^^^ brünetten Typus fallen etwas
mehr als »/e %• Mehr als die Hälfte aller Menschen sind also Misch-
linge, entstanden aus der Kreuzung zwischen Blonden und Brünetten.
Selbstverständlich steigen nnd fallen auch hier in den verschiedenen
Gebieten mit der Ab- oder Zunahme der reinen Formen die Zahlen
der Mischlinge. Bei diesen statistischen Erhebungen wurde Beiubeil
oder Mischung eines Individuums nach Merkmalen bestimmt, welche in
den Weicbteilen liegen, es läßt sich aber zeigen, daß die Vermischung
der europäischen Rassen auch die Rasseneigenschaften der Knochen
durcheinandenüttelt. Dann kommt eine lange Nase mit hohem Rücken
in ein Kurzgesicht, oder umgekehrt in das Langgesicht eine kurze
Nase. Die Wangenbeine treten vor und die Jochbogen stehen in einem
Langgesicht weit ab, statt eng anzuliegen, oder das entgegengesetzte
findet in einem Kurzgesicht statt, kurz das Massenverhältnis der ein-
zelnen Teile zu einander ist zerstört, die Proportion ist durchbrochen,
die ein Antlitz harmonisch macht. Bei farbigen Rassen ist die natürliche
Prüportion der einzelnen Abteilungen des Gesichtsschädels, oder die Pro-
portion des Gesichtsscbädels zu dem Himschädel an sich schon gestört
Darin liegt das Fremdartige der Erscheinung, das sich jedem geübten
' Die Verteilnng ist folgende;
Btonda BrOnelle MbeUlage
In Deutschland .... 31,80 14,05 M,15
„ Osterreich 19,79 23,1t 68,04
„ der Schweii .... 11,10 25,70 63,20
über Menachenranen.
549
Beobachter auch dann aufdrängt, wenn er nur die gebleichten Schädel
vor sich hat. Eine solche Verschiebung des Gleichgewichts zwischen
Hirnschädel und Gesichtschädel ist in einem auffallenden Grade bei
der Prognathie zu beobachten. Ihr Wesen wurde, soweit dies bei
dem heutigen Stande unserer Kenntnisse gestattet ist, mit Hilfe des
CAMPEB'chen Gesichtswinkels am Schädel bestimmt. (Siehe Seite 87.)
Am Lebenden wirken die vorgeschobenen Kiefer noch weit stärker,
weil die Weichteile das Vortreten der Kauwerkzeuge noch steigern.
Bei dem Negergesicht ist dies wegen der kleinen Nase und den ver-
S^r^^)^%\
Fig. 178. Neger von Mozambique.
dickten Lippen so auffallend, daß die Größe der Stirn und des
Schädels dem Beschauer fast gar nicht mehr auffällt, und er nur große
Kauwerkzeuge vor seinen Augen sieht. An Zeichnungen ist dies nicht
in dem Grade auffallend, wie in der Natur, doch geben die Figuren
177 und 178 eine gute Vorstellung von dem Mißverhältnis der ein-
zelnen Organe untereinander und mit denjenigen des Europäers. Bei
dem Knaben aus Dar für zeigt die Profillinie, welche von der Stirn
senkrecht nach abwärts zieht, die beträchtliche Prognathie, welche
durch die gewulsteten Lippen noch gesteigert wird. Der Mittelpunkt
der ganzen Prognathie, der vorgestreckte und gewulstete Mund wirkt
um so mächtiger, weil gleichzeitig die Nase so sehr verkümmert ist.
Der Nasenrücken ist tief eingebogen und breit, erhebt sich aus der
Ebene des Gesichtes nur sehr wenig, und das Nasenende ist nur
schwach erhoben, dehnt sich dagegen in die Quere aus, so daß die
Nasenöfihungen dieselbe Richtung einschlagen müssen. Was oben an
060
Zwetor Tdl. FüdAct AfaKhnitt.
der Nase fehlt, wird unten durch vermehrte Breite in durchaus nuTor>
teilhafter Weise ersetzt, und dient nur dazu, den £indruck der Prognathie
zu vergrößern statt ihn abzuschwächen. Bei dem Neger von Mo-
zambique ist die Prognathie des Gesichtsskelettes ebenso stark wie
bei dem Euabeo aus Darfur, und doch wirkt sie etwas weni^r.
weil der Naseniilcken nicht so stark abgeplattet ist.
In Europa kommt ebenfalls Prognathie vor, sie ist nicht so
selten, wie es den Anschein hat, und zwar erscheint sie sowohl bei
Lang' als Kurzgesichtern. Bei den letzteren kann sie oft sehr aus-
gesprochene Eigenschaften erhalten, sobald wegen der schiefstehenden
HtzA-EL-XiUR, Beduine, Palästina.
Zähne die Lippen etwas kurz sind und der Nasenrücken breit und
niedrig ist. Bei den Langgesichtem erscheint sie wegen des hohen
Nasenrückens sehr gemäßigt. Mag jedoch die Prognathie bei Europäern
einen noch so bedeutenden Grad erreichen, und die Messung am Skelett
CAMPER'sche Gesichtswinkel ergeben, welche seihst unter diejenigen der
Australier hinabgehen, niemals wird der Ausdruck der Prognathie am
lebenden Europäer dieselbe Wirkung auf den Beschauer hervorbringen,
wie die Prognathie bei Negern oder Malayen. ' Es fehlt die Verküm-
merung der Nase und die Schwellung der Lippen.
' Eh darf hier iiioht iiuerwähDt bicibea, daß sowohl unter den Negern i
uoter den klalajen PhysiguoDiien mit geradem Profil, also ohne Prognatbie, v
Ober HaludieiilUKiL 551
Unser Äuge ist für die feinsten Unterschiede empfindlich, durch
welche dae Gleichgewicht der einzelnen Teile gestört wird. Die Fi-
guren 179a. 180 stellen ein und denselben Mann* von vorne und tod der
Seite dar. Die ganze Form des Antlitzes von der Fig. 179 ist markig
und edel, und könnte fllr den Eopf eines Apostels kaum besser ge-
funden werden. Was noch mehr, die Silhouette macht den vollen Ein-
druck, als ob sie von einen europäischen Mann stamme. Bei der
Betrachtung von vorne wird die Vermuthung auf europäische Ab-
Hau-bl-Nihb, Beduine, Palästina.
stammung wesentlich modifiziert, denn der Mund hat etwas Fremd-
artiges, die verdickte gewulstete Unterlippe deutet auf andere Heimat.
Dieses im ganzen wenig hervortretende Zeichen hat hier den Wert
eines sekundären Rassenmerkmales, das das Gleichgewicht der Teile,
wie wir es von dem europäischen Antlitz her gewöhnt sind, etwas, wenn
auch in geringem Grade abändert. Diesem Eindruck folgt der Schluß
sofort nach, daß wir es mit einer fremden Basse zu thun haben.
Wie in Europa, so giebt es auch in Asien Lang- und Eurzgesichter,
kommcD, welche dann europäischen Menschen gleichen, freilich die Haut und die
Haare des Siegern besitzen.
■ Hau EL NiMR, Führer einer kleinen Keiteischar im Os^ordan lande. Ana
Dr. P. Lanoerhans' Abhandlung über die heutigen Bewohner des heiligen Landes.
Archiv fiirAnthropolußie 1873. Bd. VI. S. 45 und 202. Die Porträts sind vom Maler
Lims nach Photographien mit der Lupe auf Holz gezeichnet in ','ie natÜrL Größe.
553
Zweiter Teil. Fünfter Abaehnitt.
die an langen, mittellangen und kurzen Hirnkapseln sitzen. Dennoch
sind die Rassen beider Kontinente wesentlich voneinander verschiedeiL
Wenn auch von gleicher Abkunft, und übereinstimmend in den Haupt-
merkmalen, die sie von dem gemeinsamen Stammvater ererbt haben, so
sind sie doch jetzt durch sogenannte sekundäre Bassenzeichen wohl
charakterisiert und zwar sowohl für das Auge, wie ftir den Maßstab. Es
sind also die nämlichen Grundformen hier wie dort, der unterschied liegt
aber darin, daß sowohl die Langgesichter als die Breitgesichter im Ver-
gleich mit denen Europas eine exzessive Form erreichen. Was bei Ela-
ropäeni noch maßvoll ausgeprägt ist, wie z. B. ausgelegte Jochbogen,
"" 1 Schläfen linie.
* Kontur der Augenhöhle.
* Jochbogen.
5 Wangenbein.
— k Unterkieferwinkel.
5 Kinnhöcker.
Fig. 181. Porträt eines Mongolen, von Schadow gezeichnet.
hervortretende Wangenbeine, eingedrückte Nase, breites Untergesicht,
erscheint dort fast bis zum Übermaß gesteigert. Der Nasenrücken
scheint zu fehlen, wenigstens ist äußerlich nichts von ihm zu bemerken
als der Platz fiir die Nasenbeine, die Wangenbeine springen kantig
hervor und stellen die höchsten Punkte des Obergesichtes dar.
In den Figuren 181 und 182 sind zwei Porträts zu sehen, welche
Asiaten mit Kurzgesichtern darstellen. Was uns, den Europäern, an
diesen Asiaten auffallt, ist die Größe des Kauapparates, dem die
Hirnkapsel untergeordnet scheint, obwohl dies bei genauerer Betrach-
tung nicht in jenem Grade und jedenfalls nicht in physiologischer
Hinsicht, bezüglich des Inhaltes^, der Fall ist. Die beiden Figuren
* Die Chinesen haben ein großes und reiches Staatswesen entwickelt, Dichter,
Philosophen, Politiker ersten Hanges zeiclmen dieses Volk aus, also die physio-
logische Thätigkcit des Gehirns bleibt auch hier von einer stärkeren Entwicklang
des Kauapparates unberührt.
Ober Hensehenraven. 553
ergänzen sich, denn an der Fig. 182 ist durch die Wendung des Kopfee
die SeiteuacBicht der Wangen noch etwas mehr gestattet, als dies bei
Fig. 181 möglich ist. Die große Ma^se des Kauapparates wird durch
nichts in dem übrigen Gesicht 'gemäßigt. Der Nasenrücken fehlt ganz,
das Ende der Nase mit den Nasenöffnungen ist klein, der Oberkiefer und
namentlich der Unterkiefer samt den Muskeln mächtiger als bei Euro*
päem und die Lippen dicker und großer aln bei uns. Dazu kommt
die kleine schiefgestellte Lidspalte; das Äuge wird durch die Lider in
einem weit höheren Grade zugedeckt, als bei uns, es verliert dadurch
etwas von dem beherrschenden Ausdruck, den es bei der weißen Rasse
besitzt. Um die Größe des Gesichtes gegenüber dem Himachädel
noch in unvorteilhafter Weise zu steigeru, sind die Äugenbrauen an
die Stirn hinaufgerUckt, während sie bei uns auf dem Augenhöhlen-
rand sitzen. Diese scharfe Linie bestimmt aber bei dem Beschauer
Fig. le2. Portrat des Kalmückou Feodob,
d«r sich selbst gezeichnet hat, und uiil«r den Kunstfreund cd durch die in Kapfer
gegebenen Zeiehnnngen von den Broniethilren des Lokedzo Ghibsbti sich einen
gutt'ii Namen gemacht bat. . Bchadow (Polyklet).
das Urteil Über die Größe des Antlitzes, denn von dort herab bis
zum Kinn erscheint uns Alles als „Gesicht", wenn auch nicht im
anatomischen Sinn, aber in dem der Auffassung des täglichen Lebens.
In Asien kommen aber unter den Dämlichen Völkern, die man
in der Ethnologie gemeinhin unter dem Namen der Mongolen zusammen-
faßt, auch Individuen mit langem Gesicht, also mit langer Nase, an-
liegenden Jochbogen, mäßig vorspringenden Wangenbeinen und eng ge-
formtem Unterkiefer vor. Diese Langgesichter unter den Chinesen sind
bezüglich der Hauptmerkmale ebenfalls gleich denjenigen Europas geformt.
Die Verschiedenheit in der Gesichts- und Schädelform, welcha dennoch
unverkennbar das mongolische Langgesicht von dem europäischen aus-
zeichnet, liegt in der Übertreibung der sekundären Rassenmerkmale.
Ihre hohen und schmalen Adlernasen sind schnabelförmig nach abwärts
gebogen, das Untergesicht ist schmäler und länger als bei uns, die
554 Zweiter Teil. Fünfter Abschnitt.
Haut hat einen anderen gelben Ton als der unserer südlichen Brü-
netten ist, und die schwarzen Haare sind mähnenartig. So entsu-ht
trotz der Übereinstimmung der Grundform dennoch eine Verschieden-
heit durch die sekundären Bassenmerkmale.
Die Rassenanatomie kommt, sobald sie die einzelnen Indivi-
duen untersucht, und die Eigenschaften derselben gewissenhaft dar-
stellt und registriert, zu dem gleichen Resultat, daß überall die Ver-
treter der Hauptgrundformen des Gesichtes und der Schädel zu tinden
sind, und daß kein Volk nur aus Abkömmlingen einer einzigen Menschen-
rasse besteht, wie man zumeist angenommen hat. Die Begriffe von
Nation und Rasse sind vermischt worden, und so hielt man Franzosen.
Italiener, Deutsche und Engländer, jedes dieser Völker für eine Ton
den übrigen verschiedene Rasse oder Unterrasse, der nach und nach
unter dem Einfluß des Klimas, des Bodens, der Nahrung und der
Lebensgewohnheiten immer schärfere Merkmale angezüchtet worden
wären, bis schließlich jedes dieser Völker ein körperlich apartes na-
tionales Gepräge erhalten hätte. Die statistische Behandlung der
Rassenanatomie, welche mit großen Zahlen operiert und die Körper-
form wie diejenige des Schädels und des Gesichtes aus dem mittleren
Durchschnitt herausrechnet, hat dieser irrigen Meinung auch ein
wissenschaftliches Gewand gegeben. Sobald die Untersuchung jedoch
die Individuen ins Auge faßt, und diese vergleichend nebeneinander
stellt, ergiebt sich ein Resultat, das der ebenerwähnten Auffassung
direkt widerspricht. Die Völker sind aus rassenanatomisch ver-
schiedenen Individuen zusammengesetzt, die wir, trotz Jahrtausend
langer Kreuzung, immer noch hier und dort rein auffinden. Ihre
Merkmale sehen wir in der Nachbildung des Künstlers, der das
individuelle giebt, statt der Schablone, der bei seinen Schöpfungen
sich daran erinnert, daß es nicht bloß Menschen in Europa mit Adler-
nasen, sondern auch solche mit kurzen, aufgestülpten Nasen giebt.
und daß in Spanien auch blaue Augen und blonde Haare und helle
Haut vorkommen, wie umgekehrt in Deutschland brünette Komplexionen
mit südlicher Tiefe des Kolorites.
His und RüTiMEYER, Crania helvctica. Basel und Genf 1804. 4*^. — J. Koll-
mann, Beiträge zu einer Kraniologie der europäischen Völker. Archiv fiir Anthro-
pologie. Bd. XIII. u. XIV. DieAutochthonen Amerikas, Zeitschrift für Ethnologie. 1883.
— J. Ranke, Die Schädel der altbayerischen Landbevölkerung. Beitr. z. Anthrop. u.
Urgesch. Bayerns. Bd. V. 1883. — R. Virchow, Beiträge zur physischen Anthropologie
der Deutschen mit besonderer Berücksichtigung der Friesen. Abhandl. der königl.
Akad. der Wissensch. zu Berlin. 1876.
Register.
A
Abdominalatmen 142.
Abduktion 156.
Abneigung 331.
Abscheu 334, 335.
Abplattung der Muskeln 65.
Abzieher d. kleinen Fingers
425.
— der ^ßen Zehe 463.
— der kleinen Zehe 464.
— kurzer d. Daumens 424.
— langer d. Daumens 419.
Abziehen und Anziehen des
Beines 199.
Acetabulum 36.
Achillessehne 222, 459.
Adamsapfel 342, 344.
Adduktion 156.
Adductor brevis 446.
— longus 445.
— magnus 446.
Aderhaut des Auges 275.
Adhäsion 35.
Adlernase 543.
Aste des Unterkiefers 102.
Akromion 152.
Alveolarfortsätze 109.
Alveole 105.
Anconacus parvus 410.
Andacht 325.
Ansatzder Muskeln 227, 249.
Ansatz der Rippen 128.
Antlitzmuskeln 253.
Anthelix 304.
Antitragus 304.
Anthropoiden 85.
Antinous 76.
Apertura pyriformis 83.
Apollo 76.
Aponeurosen 230.
Arcus digitalis venosus 431.
— superciliares 75, 93.
— zygomaticus 78.
Armmuskel, großer runder
405.
— innerer 408.
— kleiner runder 404.
— zweiköpfiger 406.
Arrectores pili 70.
Arthrologie 24.
Articulatio brachio radialis
167.
— brachio ulnaris 164.
— humeri 32, 38.
— metacarpo-phalangea41.
Association der Empfindung
337.
Astragalus 212.
Atemritze 345.
Atlas 116.
Atmen, forciertes 134.
Aufheben der Arme 141.
Aufheber des Nasenflügels
264.
— des oberen Lides 289.
— der Oberlippe und des
Nasenflügels 262.
— des Ohres 265.
— der Rippen 369.
— des Schulterblattes 390.
Aufmerksamkeit 322.
Augapfel 274.
Auge 274.
Augenbrauen 71.
Augenbrauenbogen 93.
Augenhaut, weiße 275.
Augenhöhle 83, 280, 282.
Augenhöhlenfurche 284.
Augenhöhlenrand, ober. 92.
Augenhöhlenspalte , obere
280.
— untere 280.
Augenkammer, vordere 276,
278.
Augenlid, oberes 72.
— unteres 72.
Augenmuskeln 295.
Augenbrauenr unzler 256.
Augenstellung , parallele
314.
Ausatmung 137.
Auswärtsroller des Beines
439.
B
Backzähne 105.
Balance des Körpers 396.
Balancieren des Schädels 95.
Bandrolle 242.
Bandscheiben , halbmond-
förmige 206.
Bart 71.
Basis des Schädels 74.
Baucheingeweide 141.
Bauchhöhle 132.
Bauchmuskel, äußerer schie-
fer 135, 371.
— gerader 376.
— innerer schiefer 374.
— querer 375.
Bauchpresse 378.
Bauch vene, oberflächliche
466.
Bauschmuskel 393.
Bänder, strafie 32.
Bänderder Wirbelsäule 123,
124.
Becken 120, 138, 193, 476.
Beckengürtel 188.
Behaarung der Brust 72.
Beine des Kindes 483. 490.
Beinheben und Beinsenken
199.
Bestimmung der Höhenlage
des Ohres 306.
Beuger des Arms 406.
— des Beines 448.
— der Hand 413.
— der Finger 414.
— des Fufes 458.
— der kleinen Zehe 465.
— kurzer 426.
— des kleinen Fingers 414.
— kurzer des Daumens 424.
— kurzer der großen Zehe
464.
— langer der großen Zehe
458.
— langer der Zehen 458.
Beugung im Ellbogengelenk
167.
Bewegungen der Brust 134.
Bewegung des Kopfes 115,
116.
Bewefi^ungen der Wirbel-
säule 114, 1^4.
556
Register.
Bewegungen im Unterkie-
fergelenk 104.
Bewegungen, symbolische
338.
Bieeps 406.
Bicepsfurche, innere 406.
— äußere 406.
Bindegewebe , subkutanes
49.
Bindehaut des Auges 293.
Blätter, sehnige 281.
Blick 312.
Blick des Zweifels 315.
— gesenkter 314.
— wegwerfender 335.
Blödsinn 82.
Bock 304.
Bogenvene 466.
Brachycephalen 74, 538.
Breite des Oberkörpers s.
Proportion.
Brust 133, 134, 141, 360.
Brustbein 127, 130, 132,
135, 137, 141.
Brustbein — Zungenbein-
muskel 351.
Brustglieder 185.
Brusthöhle 132.
Brustkorb 111, 118, 131,
132, 473.
Brustmuskel, großer 362.
— kleiner 365.
Brustregion, vordere, seit-
liche und hintere 60, 360.
Brust - Schildknorpelmuskel
352.
Brustumfang 135.
Brustwarzen 135, 360.
Brustwirbel 118, 131.
Brüste 480.
Bucht 27.
Busen 55.
c
Calcaneus 213.
Calvaria 74.
CAMPERScher Gesichtswin-
kel 86, 87, 88.
Canalis sacralis 120.
Carpale I, 171.
— II, 171.
— III, 173.
— IV, 173.
Capitulum der Elle 162.
— des Oberarms 155.
— des Mittel handknochcns
175.
— der Rippe 130.
— des Wadenbeines 204.
Caput articulare 30.
Carotis communis 346.
Cartilagines alares 299.
— arytaenoideae 345.
Cartilagines interarticulares
34.
Cartilago cricoidea 344.
— intervertebralis 113.
— thyreoidea 344.
— trlangularis 298.
Chamaecephalie 524.
Choanen 80, 83.
Chorioidea 275.
Cilien 291.
Clavicula 147.
Cornea 274.
Conjunctiva oculi 293.
Crista 27.
— lacrymalis 281.
— sacralis media 120.
Crusta ostoides 105.
Cutis 46, 49, 69.
D
Dach der Augenhöhle 92.
Darmbein 189.
Darmbeinmuskel 441.
Darmbein - Rippenmuskel
392.
Darmbeinstachel 189, 190.
Darm-Schambeinhöck. 190.
Daumen 64.
Daumenbeuger, langer 414.
Daumengelenk 64.
Deltamuskel 402.
Dentin 105.
Depressor alae nasi 264.
— septi mobiiis narium 264.
Diaphragma 382.
Dolichocephalen 74, 537.
Dornfortsatz 29, 60, 62, 114,
119.
Dornmuskel des Nackens
und des Rückens 394.
Dorsalflexion 177.
Drehmuskeln d. Kopfes 395.
Drehung des freistehenden
Körpers 125.
— des Rumpfes 379, 398.
— der Wirbelsäule 125,398.
Dreh Wirbel 118.
Drosselader, äußere 359.
— innere 346, 359.
Drosselgrube 342.
Drosselvene, vordere 359.
E
Ecke am Ohr 304.
Eckel 334.
Eckzähne 105, 107.
Eillauf .^^08.
Einatmung, tiefe 136, 137.
Einziehen des Unterleibes
136.
Ellbogcngclenk 43, 45, 164.
Ellbogengrube 155.
Ellbogeniiiuskel 410.
EUe 44, 161.
Ellenbeuge 65, 420.
Ellenmuskel, innerer iXX
Ellenstrecker der Hand 418.
Email 105.
£lmpiindungen,zärtliche321
Endphalangen 176.
Endsehnen 227.
Entsetzen 324.
Entschiedenheit 327.
Epicondylus extemus und
internus 199.
Epidermis 46.
Epistropheus 116, 117.
Ergrauen der Ha&re 71.
Erstaunen 323.
Exspiration 134.
Extensor cruris
442.
Farbe der Haare 70.
Farbe der Haat 47.
Fascia buccalis 272.
— palmaris 250.
— plantaris 460.
Fascie 247, 248. 460.
— des Fußes 435.
— der Hohlhand 250. 423w
Felsenbein 80.
Felsenteil d. SchlAfenbeinei
96. 104.
Fersenbein 213.
Festigkeit des Thorax 137.
Fettanhäufungen 58.
Fett des Unterhautgewebes
271.
Fettläppchen 49.
Fettpolster 50, 52, 207, 477.
Fibula 204.
Fingerbeuger 414.
Fingergelenke 184.
Fingerhandgelenk 41.
Fingerstrecker 418.
Fixicrungslinien d. Haut 62.
Flachkopf 76.
Fleischfarbe 47.
Fleischstränge, rundliche 60.
Flügelgaumengrube 280.
Fitigelmuskel 104. 269.
Foramen mentale 103.
— obturatum 189.
— transversarium 115.
— vertebrale 113.
Form des Haarschaftes 71.
Form Veränderungen de»
Thorax 136.
Fortsätze der Knochen 30.
Fossa costalis 118.
— infraclavicularis 186.
— infraspinata 152.
— supraspinata 152.
— jugularis 342.
malaris 97.
^^Bupraclavicularis 186,358.
'-^ supratrochlearis anterior
168.
— — posterior 163.
Foveae ardcularcs 30.
Furcht 324.
Galca aponeurotica 256, 266.
Gang, natürlicher 502.
Gaumen 80, 100.
Gänsehaut 70.
Gebärdenspiel des Gesich-
tes 319.
G^uld 337.
Gefäße 132, 281.
Gefäßlöchcr 93.
Gefühl der Überlegenheit
331.
G-egenecke des Ohres 304.
Gegcnleiste 304.
Gegcnsteller des Daumens
424.
Gegensteller des kleinen
Fingers 426.
Gehen 502.
Gehörgang 302.
Gehörioch, ovales 78.
Gelenke 24, 31, 32, 36, 43,
102, 123.
Gelenke, zusammengesetzte
44.
— straffe 45.
Gelenkenden 65.
Gelenke und Bänder der
Wirbelsäule 122.
Gelenkfortsätze 114, 119,
123.
Gelenkfurche 64.
Gelenkhöcker 79, 96, 116.
Gelenkkapsel 33, 206.
Gelenkkerbe 64.
Gelenkkopf 30, 104.
Gelenkpfanne 30, 67, 104.
Gelenkschmiere 33.
Gelenkspalte 64.
Geringschätzung 331.
Gesä£nuskeln 51, 251, 436.
438, 439.
Gcsääspalte 120.
Geschwindigkeitshebel 245.
Gesichtsformen 537.
Gesichtsknochen 83, 97.
Gesichtschädel 82, 83, 84.
— kurzer 544.
Gesichtsmuskeln 253.
Gkwebe, feuchtes 137.
Gießbeckenknorpel 345.
Ginglymus 40.
Glabella 75.
Glandula submaxillaris 347.
*- thyreoidea 346.
(jlanz der Haare 69.
Glaskörper 276.
Gliedmaßengürtel 146.
Gliedmaßenmuskeln 362.
Gleichgewicht, labiles 495.
Gorilla 86.
Gorillaschädel 87.
(Treisengesicht 109.
(»reuze des Gesichtes 102.
Griffelfortsatz des Schädels
80.
— der Elle 162.
— der Speiche 163.
Griffel - Zungenbeinmuskel
|- 347.
Großzehenstrecker, kurzer
463.
Grübchen in der Haut 58.
Grube d. Oberarmknochens,
hintere 163.
— vordere 163.
Gruben ober- und unterhalb
des Schlüsselbeins 132.
Grundbein 80.
Grundphalange der Finger
176.
Grundzug der freudigen
Stimmung 320.
H
Haare 69.
Haarbalgmuskcln 70.
Haarwachs 96.
Hackenmuskel 408.
Halbdommuskel 394.
! Halbgelenke 123.
jHals 30, 105, 341.
Hals des Kindes 489.
Halsdreieck, oberes 51.
— unteres 51.
Halsgrube 55, 60, 128, 135,
342, 356.
Halsmuskel, langer 353.
Halsmuskeln 348.
Halsregion 350. 354.
Halsschlagader 346.
Halswirbel 115, 123.
Halswirbel, der siebente 62.
Halswirbelsäule 68.
Hand 402.
Handknöchel 162.
Handwurzelknochen 170.
Hauptwirkung der Muskeln
242.
Haut 46, 66, 490.
Hautfalten 53, 57, 63, 64.
Haut des Toten 48.
Hautmuskel 235, 254, 258,
348.
Hautvenen 435, 465.
Haß 331.
Helix 803.
Hemmungscentrum 840.
Herz 131.
Herzgrube 55, 60, 370.
Highmorshöhle 97.
Hilfsbänder 34.
Hinterhaupt 74, 123.
Hinterhauptsbein 75, 95.
Hiuterhauptsloch, großes 79.
Hinter ha uptsmuskel 266.
Hinterhauptstachel 79, 95.
Hirnhäute 74.
Himkapsel 74, 84, 85.
Himschädel 74, 88, 529.
Hohlhandmuskel , kurzer
424.
— langer 413.
Hohlmuskcln 235.
Hohn 334.
Hornhaut 274, 276.
Hüftbein 52, 120, 189,439.
Hüftgegend 52.
Hüftgelenk 38, 66, 67.
Hüftgelenkfurche 67.
Hüftloch 189.
Hüftlochmuskel , äußerer
439.
— innerer 439.
Hüftschienbeinband 439.
Inspirationsmuskeln 369.
Intermcdium 171.
; Interstitia interossea 175.
Jochbeinmuskel, großer 261.
— kleiner 262.
Jochbogen 50, 78, 85, 94.
Jochfortsatz 92, 97, 99, 101.
Irradiation 339.
Iris 275, 278.
Incisur 102.
Incisura ischiadica 193.
— patellaris 199.
— scmilunaris 128.
— thyreoidea 344.
Innervationsänderung 338.
Insertio 227.
Insertion des Schläfenmus-
kels 103.
Inskriptionen 376.
Inspiration 134, 138.
Kahlköpfe 81.
Kahnbein 214.
Kammmuskel 446.
Kanon 512.
Kanon, griechischer 529.
Kanon Michelangelo^s 526.
Kauapparat 85, 88.
Kaumuskel 50, 78, 101, 104,
266.
Kapuzenmuskel 883.
Kehldeckel 846.
Kehlkopf 65. 344.
558
Register.
Keilbeine des Fußes 214.
Kinnzungenbeinmuskel 348.
Kiefer- Zungenbeinmuskel
347.
Kinn 58, 103.
Kinnloch 103.
Kinnmuskel 263.
Klafterlänge 535.
Kniegelenk 36, 206, 207.
Kniekehle 65, 448, 450.
Knochenkamm 27.
Knochen des Stammes 111.
Knochenrolle 244.
Knorpel 32, 38.
Knorpelfuge 31, 32.
Knorpelscheiben, elastische
32.
Knöchel der Finger 63, 182.
Komplexion 541.
Konkavitätdes Nackens 115.
Kopf, dessen Bewegung 60,
68, 116.
Kopf höhe 513.
Kopflinie 428.
Kopfmuskeln 395.
Kopfoicker 68, 97, 135, 348.
Kopfvene 422, 432, 434.
Körperhaltung, aufrechte
136.
Körperhöhe 515.
Körperstellung 500.
Krampfadern 431.
Kranznaht 74, 81, 93.
Kreuz 382.
Kreuzband des Fußrückens
243, 252, 461.
Kreuzbänder 206.
Krcuzbeiu 60, 72, 120, 188.
Kreuzbciuausschnitt 120.
Kreuzkoufe 82.
Kreuznaht 31, 74.
Kristall linse 275.
Kronennaht 81.
Krümmungen der Wirbel-
säuh- 121, 122, 136.
Kugelgelenk 36, 38, 66.
Kurzgesicht, europäisches
91, 543.
Kurzschädel 31, 74, 538.
Langschädcl 31, 74, 537.
Labyrinth 78.
Lacertus iibrosus 251.
LachmuHkel 259, 262, 273.
Lambdanaht 31, 74, bl.
Langgesicht, europäisches
89, 90, 97, 542.
Lar}nix 344.
Längsfurclio, hintere 62.
Lauf, schneller 508.
Laufen 507.
Lebenslinie 428.
Leber 131.
Lederhaut 46, 253.
Leistenband 62, 371, 374.
Leistenbug 370.
Leistenfurche 52.
Leistengegend 370.
Leistengrube oder Leisten-
kehle 468.
Leistenlinie 67.
Lenden 382.
Lendenaushöhlung 122.
Lendengegend 52, 370.
Lendenmuskel, großer 441.
— vierseitiger 382.
Lendenwirbel 119, 120, 125.
126.
Levator palpebrae superioris
289.
Lichtreflex 276.
Lidfalte, obere und untere
290.
Lidknorpel 289.
Lidmuskel 254.
Lidspalte 290.
Ligamenta accessoria 34.
— annularia 252.
— auxilaria 34.
— intercruralia 123.
— interspinalia 123.
— intertransversalia 124.
— intervertebralia 123.
Ligamentum capsulare 33.
— cruciatum 252, 461.
— ileotibiale 439.
— intermusculare 406.
— nuchae 95, 124.
— patcUare 208.
— Poupartii 371.
— tuberoso-sacrum 192.
— spinoso-sacrum 192.
Linea alba 371.
— cephalica 428.
— mensalis 428.
— nuchae 95.
— tcraporalis 77, 93, 94.
— obliqua 103.
— vermiana 95, 123.
— vitalis 428.
Lippeumuskel, gerader 263.
Luftdruck 35.
Luftrohre 132, 345.
Lungen 131.
M
Magen 131.
Magengrube 370.
Mandibula 102.
Margo supraorbitalis 92.
Markhöhlo 30.
Masseter 50, 101, 104.
Maulsperre 105.
Maxilla 97.
Mechanik der Atmung 142.
Medianvene 422.
Menschenraasen 537.
Membranen, sehnige 231.
Menisci 206.
Metacarpalknochen 175.
Mikrocephalie 82.
Milchzähne 108.
Milz IBl.
Mitbewegung 137.
Mittelbaacbgegend 370.
Mittelfiirche des Kückens 60.
Mittelfnßknochen 215.
Mittelhandknocben 175.
Mittelhandvenen 432.
Mittellinie, vordere 60.
Mittelphalange 176.
Modul 512.
Monatslinie 428.
Mons Veneris 52, 67, 192.
Mundhöhle 83.
Musculus abductor digiti
V 425.
— abductor ballucis longos
463.
— abductor pollicis longns
419.
— abductor pollicis brevis
424.
— attolens auriculae 265.
— attrahcns auriculae 265.
— biceps brachii 406.
— biceps femoris 448.
— brachialis internus 408.
— buccinatorius 260.
— comprossor narium 263.
— coracobrachialis 408.
— corrugator su]>ercilii 256.
— cruralis 442.
— cucullaris 383.
— deltoides 402.
— digastricus des Unter-
kiefers 347.
— extensor carpi radialis
longus 417.
— — brevis 418.
— extensor carpi ulnaris
418.
— extensor digitonim brevis
462.
— extensor digitorum com-
munis 418.
— extensordigitorumlontrus
454.
— extensor dorsi communis
391.
— extensor hallucis longus
454.
— extensor pollicis brevis
419.
— ext. poll. longus 419.
— flexor digitorum longus
458.
— flexor hallucis longus 458.
Register.
559
Musculus flexor digitorum
profundus 414.
— fl. dig. sublimis 414.
— flexor pollicis longus 414.
— flexor digiti brevis 426.
— flexor pollicis brevis 424.
— frontalis 256.
— gemellus surae 455.
— geniohydoideus 348.
— glutaeus magnus 436.
— glutaeus medius 438.
— gracilis 445.
— infraspinatus 404.
— - ileo-costalis 392.
— iliacus 441.
— indicator 420.
Musculi intercostales 369.
— interossci externi 463.
Musculus latissimus dorsi
386.
— levator labii supcrioris
alaeque nasi 262.
Musculi levatores costarum
369.
Musculus levator scapulae
390.
— longissimus dorsi 392.
— longus colli 353.
— lumbalis magnus 441.
Musculi lumbricxiles 427.
— Masseter 266.
Musculus mentalis 263.
— multifldus Spinae 394.
— mylohyoideus 347.
— nasalis 263.
— nutator 348.
— obliquus abdominis ex-
temus 371.
— obli({uus abdominis in-
ternus 374.
— obliquus capitis inferior
395.
— o. c. superior 395.
— obturator extemus 439.
— obturator internus 439.
-- occipitalis 266.
— omo-hyoideuH 351.
— Opponent digiti quinti
426.
— opponens pollicis 424.
— orbicularis oculi 254.
— orbicularis oris 260.
— palmaris brevis 424.
— palmaris longus 413.
— pectineus 446.
— pectoralis major 362.
— pectoralis minor 365.
— peronaeus brevis 454.
— peronaeus longus 464.
-- plantaris 457.
— - Pronator quadratus 414.
— Pronator teres 413. .
— pterygoideusextemua269;
Musculus pterygoideus inter-
nus 269.
— pyramidalis 377.
— P3nramidalis nasi 264.
— pyrifonnis 439.
— quadratus femoris 439.
— quadratus labii superioris
262.
— quadratus labii inferioris
262.
— quadratus lumborum 382.
— radialis internus 413.
Musculi recti des Auges 295.
— recti des Unterleibes 376.
Musculus rectus capitis an-
ticus major 353.
— rectus capitis lateralis
395.
— r. c. major 395.
— r. c. minor 395.
— rectus des Beines 442.
— rectus der Lippen 263.
— retrahens auriculae 265.
— rhomboides 388.
— sartorius 441.
— scalenus anticus 352.
— scalenus nicdius 352.
— scalenus posticus 352.
— semimembranosus 450.
— semispinalis cervicis 394.
— semisp. dorsi 394.
— semitendinosus 448.
— serratus anticus 366.
— serratus posticus superior
390.
— serratus posticus inferior
390.
— soleus 457.
— spinalis cervicis 394.
— spinalis dorsi 394.
I — splenius 393.
I — sterno-hyoideus 351.
i — stemo-thyreoideus 352.
— stylohyoideus 347.
— subscapularis 405.
— subclavius 366.
— subcutaneus colli 258.
— supinator brevis 418.
— supraspinatus 404.
— temporalis 267.
— teres major 405.
— teres minor 404.
— thyreohyoideus 352.
— tibialis anticus 452.
— tibialis posticus 458.
— transversus abdominis
375.
— triangularis maxillae in-
ferioris 261.
— triangularis maxillae
superioris 261.
— triceps brachii 409.
— ulnaris internus 413.
Musculus vastus extemus
oder lateralis 444.
— vastus internus oder me-
dialis 444.
— zygomaticus major 261.
— z. minor 262.
Muskelabschnitt , sehniger
251.
Muskelbauch 225, 227.
Muskelbinden 247.
Muskel, bimförmiger 439.
— dreieckiger 377.
— dreiseitiger des Ober-
kiefers 261.
— dreiseitiger des Unter-
kiefers 259, 261.
Muskelfortsätze 114.
Muskelgruppe , oberfläch-
liche 383.
— tiefliegende 383.
Muskel, halbhäutiger 450.
— halbsehniger 448.
— hint<Ter oberer sägeför-
miger 390.
— hint. unterer sägef. 390.
Muskelinsertionen 114.
Muskeln des Schädeldaches
265.
— des Thorax 362.
— der Schulter 402.
— eingelenkige 246.
— mehrgelenkige 246.
Muskel, rautenförmiger 388.
Muskeln, ringförmige 235.
Muskelscheiden 252, 435.
Muskel, schlanker 445.
— vierseitiger der Ober-
lippe 262.
— vierseitiger des Unter-
kiefers 259.
— zwei bäuchiger des Unter-
kiefers 347.
Muskeln, zwei-, drei- und
vierköpfige 284.
— des Auges 294.
— der Bauchwand 369.
— der Brust 860.
— des Kopfes 253.
— der Mundöffnung 259.
— der Nase 263.
— des Unterkiefers 267.
— des Halses 348.
— des Ohres 307.
— der oberen Gliedmaßen
401.
— der unteren Gliedmaßen
485.
— des Rumpfes 341.
— des Rückens 382.
N
Nacken 382.
Nackenband 95, 123.
560
Register.
Nackenhaut 53.
Nackenlinie 95.
Nagelglied 64, 69, 70, 176.
Naht 31.
Naht, gezackte 75.
Nase, äußere 296.
NascDbeine 100.
Naseneingang 83, 90, 541.
Nasenflögelknorpel, paarige
299.
Nasenfortsatz d. Stirnbeines
92.
Nase, griechische 76.
Nase, krumme 543.
Nasenhöhle 80.
Nasenmuscheln 102.
Nasenmuskel 263.
Nasenohrlinie 86.
Nasenrücken , knöcherner
100.
Nasenscheidewand 83.
Nasenstachel 83, 100.
Nasenwulst 75, 76.
Nasenwurzel 75.
Naturalienhändler 19.
Naviculare 171.
Nähte, falsche 81.
Nähte, wahre 81.
Nebenwirkung d. Muskeln
242.
Negerschädel 87.
Neigung der Augenachsen
313, 318.
Neigungswinkel d. Beckens
194.
Nerven 132.
Nervenäste 120.
Netzhaut 276, 278.
Nickhautfalte 293.
Niederzieher des Nasen-
flügels 264.
— der Nasenscheidewand
264.
Nigritier 86.
Nodus lateralis 154.
— medialis 154.
Norm 512.
Nußgelenk 199.
0
Oberarm 65, 402.
Oberanngelenk 38.
Oberarmknochen 147, 152.
Oberbauchgegend 370.
Obergräteugrube s. Schul-
terblattgrube.
Obergrätengrubenm uskel
404.
Oberhaut 46, 69, 70, 428.
Oberhöhe 515, 534.
Oberkiefer 109.
Oberkieferbein 97.
Oberkieferhöhle 97.
Oberschenkelfascie 435.
Oberschenkelknochen 138.
Öiihung des knöchernen
. .. Gehörganges 96.
Öffiien des Mundes 104.
Öffnung, forcierte, der Lid-
spalte 282.
Ohrkehlkopffurche 350.
Ohrkieferfurche 68.
Ohrknorpel 96.
Ohrläppchen 65, 305.
Ohrleiste 303.
Ohrmuschel 302.
Ohrritze 304.
Orbitalfurche 284.
Orbitalfurche, obere 286.
— untere 287.
Orbitalteil des Lides 290.
Origo 227.
Orthognathie 88.
Os coccygis 120.
— coxae 189.
— cuboideum 214.
— ethmoideum 96.
— froutis 74.
— hyoides 342.
— ilei 189.
— intcrmedium 170, 171.
— ischii 192.
— malare 100.
— naviculare 214.
— occipitis 75, 95.
— pubis 190.
— sacrum 120.
— temporum 77, 96.
— vespiforme 96.
Ossa metacarpi 175.
— nasalia 100.
— parietalia 74, 95.
— tar8alia 214.
Osteologie 24, 30, 73.
Palatum durum 80.
Panniculus adiposus 50.
Paukratiasten-Ohr 307.
Patella 204.
Patelleneinschnitt 199.
Pelvis 111.
Perone 204.
Phalanges 176.
Phalanges digitorum 176,
217.
Pigment 47.
Plastisch -anatomische Prä-
parate 18.
Plicae adiposae 207.
Pomum adami 344.
PoüPABTSches Band 371,
374.
Pflugscharbein 80, 101.
Processus 30.
Processus alveolariii mazil-
lae superioritf HS.
— artieulares superiore» ft
inferiores 114.
— condyloidei 96, 116.
— condyloideus 102.
— coracoideus 150.
— dentalis 99.
— ensiformis 12».
— frontalis 99.
— mastoideus 78, 97.
— nasalis 92.
— odontoideus 116.
— palatinus 99.
— spinosus 29, 114.
— styloideus 80.
— transversi 114.
— z7gomaticusniaxillae9d.
— zygomaticus oasis frontL$
92.
— zygomaticu.** a-^Ls tem-
porum 97.
Profil 76.
Profil gerades 88.
Profillinie lOH.
Profilwinkel 8«.
Prognathie, europäische 524.
Prognathismus 87.
Promontorium 121.
Pronation 177, 454.
Pronator, runder 413.
— viereckiger 414.
Proportionslehre de« Er-
wachsenen 512.
— de.s Kindes 482, 484.
Protuberantia 27.
— occipitali.s externa 79. \Kk
Punctum fixum 380.
— mobile 380.
Pupille 275.
Pvramidenmuskcl der Nase
264.
<i
Querfalten im Nacken 53.
— am Rücken 62.
Querfortsatzmuskeln 369.
Querfortsätze 29. 114, lly.
Querfortsätze , durchlx »hrtp
115, 116.
Quorfortsatzpfaune 119.
K
Rabenschnabelfortsatz 1 50.
Rachenraum 80.
Radiale 171.
Radialflexion 177.
Rand, unterer d. Thorax 136.
Räume, lufthaltige 75.
Rectus 442.
Reflex 308, 309.
Reflexbogen 309.
Reflexcentrum 308.
Regenbogenhaut 275, 27 S.
H«itcrmu£ikeln 415.
Kespiratiou 139.
BeBpiration, kÜDstliche 143,
RetiDa 276.
K<:(LuacLiliim 245, 252.
Kingbiuid lÜT, 353, 461.
Eiagknorpel HU.
Killen iiskel den ÄiigeB 2b*.
— des Munde» 260.
ItiDgmuHketderI'uptlle2Te.
Rippen 1.10, 132. 137, 141.
Rippenbalter 352.
Kippenhocker 130,
Kippenknochen 1311.
Kippenknorpcl ISO, 136.
Rippenknorpelgelenk 131.
Ripiwopfanne HS.
Rippenwinkel 130, 133.
Rii<or 262.
RuhrcnknochcD 30.
Rolle 40, 1G5.
Rollliitgel, kleiner u. großer
I9S.
RoBcnader, groBe 466.
- klein.
466.
Koüitoren 157, 395.
Rumpf 483, 488.
Rumpfbeuge 62, 123, 126,
127, 395, 400.
KiLiiiptVtnvke 126.
Kiiekendiii'hc 13.3, 361, 382.
Rücken, (gekrümmter 119.
Rückgrat 121.
Ktiekenmark 120.
Rti(^ke»^ILl«kel . breitester
396.
~ UngBter 3M2.
— vielgetcilter 394.
Rilckenmuskdn 119, 133.
Rüekenschne derPinger427.
KackeuMtrecker gemcin-
sehftfltieher 391.
Räi^kw&rtswhwiiigen des
Arne« BS.
RüokwiirtsziuhiT des Ohre» 1
Schädeldach 74, 78, 95.
SfhÄdelgriind 9:>, 104,
Schädelhöhe 529, 530.
Sehftdelhehle 14.
Stliftdel, weiblicher 472.
Schadelknoclicn — ihre Ver-
bind ung»arten 81.
Scheide wandknorpel 100,
297,
Scheitel 69, 74, 77.
Scheitel beino 95.
Schcitelhöcker 95.
Soheitalnaht 31, 74, 61.
SchenkelblutAder, tiefe 466.
ächenkeUäscie 498,
SchenkelmuBkel 442, 444.
— viereckiger 439.
— zweiköpfiger 448.
Schienbein 202.
Schien boinmuskel, hinterer
456.
— vorderer 452.
Scbienbeinatoche! 204.
gchilddrflsc S4e.
Schildknorpel 34*.
Sehläfc 74, 77, 95.
Wchläfcnbein 77, 96.
-fascie 268.
— uTiibc .M», 95, 101.
— liiiii' 77, 78, !l3, 94, 95.
--n)ii:.k.'l 1». 267.
Si-bk'imbeutel 451.
Sehleudcrband 245, 252.
Kch]ü«aelbein 51, 132, 135,
47
SchlÜBKelbeiDgelanke 128.
Scbliiiwelbeiiigrnbe 51, 186,
35Ö.
."^fblilsHcibcinmiiskel 366.
Schuieh 105.
Schnv
E 327.
Schneiderrnuaket 441,
äehollenmoskel 457.
Schrecken 324.
Schulterblätter 136,
Sagemuskel, vonlerer 966.
Satyrgesehlecht 72.
Saugpolster der Wange 272.
ijcapula 148.
Seeleton arlificalc 24.
Seeleton naturale 24,
S,-iS8l
s 304.
Sciera 275.
Schambein 190.
Schaniberg 52, 192.
Scham bogen 192.
Schamgegend 370.
Scham- od. Scho&fiige 19(
Schädel 73, 80, 95, 115.
KOLLHANH, FlotüKhe AdbI
SehulterblattgTubc 152.
Si:hult4!rlilattwinkel 148.
Schulterblatt Zungenbein-
muskel 3,')l.
Schultergelenk 66, 68, 155.
Schultergräte 150,
i SchultTj^rtel 146.
j Schuppennaht 31.
' Schwanz deti MuKkclB 227.
! Schwerlinie 492.
' SchwciiiLinkf 493.
I Sehloch 275.
, Sehnenhaube 256, 26i
I Sehnenaeheiden 245.
I Seitenbänder 207.
, Senkrücken 121.
Septum cartilagineum 297.
' Septum narium 83,
, Sennenhaube 256.
, Secieren 7.
Siebbein 96.
Sinnesorgane 74, 83.
' Sinus 27, 55.
I Sinus frontaleti 75.
'Sitzbein 189, 192.
I Sitzbeinaiisscliniti 193.
Sitzbeinloch 192,
Sitzen 508.
I Sitzhöcker 192.
j SiUknorren- Kreuzbeinband
I 192.
i Sitzlage 509, 510.
Sitxfltachel 192,
Sitzstachcl - Krenzbeinband
193.
Skelett 23, 24, 73, 129, 492.
Skelett der oberen Glied-
uiilBcu 140.
Skelett der unteren Glied-
maßen 188.
Solilcafurclie 465.
Sokrateskopf 545,
Spanner der Schenkelbinde
I 250, r.w.
, SpcichcuHf'ik 167.
' Speiclu-imiiiskcl 418.
! Speiehcnstreckcr 417, 418,
Speiseröhre 132,
I Spielbein 498.
I Spbincter pupillae 278.
Spina 27.
I Spina doni 121.
I Spina naaalia 83, 100.
Ispina ossis ischii 192.
Spina Bcapulae 150.
Spina tibiac 204.
Spitze des Scbwertknorpels
136.
Spott 334,
Sprungbein 212.
Sprunggeleuk 2IH.
, Spmnglanf 508.
Spulwurmmuskeiu 427.
Standbein 498.
I Stehen 492.
Stellung der Augen StS.
— des Reckens 193.
Steißbein 120.
Stemum 127.
Stimmbänder 344.
Stimmritze 137.
Stirn 74, 76, 84.
Stirnbein 74, 77, 92, 100, 102.
StJmglatze 77, 93, 10?.
Stimhöeker 93, 94.
Stirnhöhlen 75, 76.
,Stimnaht 8t.
Stimm uskel 256,
36
562
Register.
Stimnascnnaht 75.
Stolz 331.
Stürzen 497.
Strecker d. Zeigefingers 420.
— des Daumens 419.
— knrzer der Zehen 462.
— der großen Zehe 454.
— langer der Zehen 454.
Streckmuskeln 29, 141.
Streifen, sehnige 231.
Stutzohr 305.
Substantia spongiosa 30.
Substanz, schwammige 30.
Sulcus plantaris 465.
Supercilia 71, 287.
Supination 177, 452.
Supinatorfurche 422.
Supinator, kurzer 418.
— langer 416.
Sutura coronalis 81, 93.
— frontalis, persistente 82.
— interpariotalis 81.
— lambdoidea 81.
— mastoidea 81.
— naso-frontalis 75.
— squamosa 31.
Suturae verae 81.
Suturen 81.
Symmetrie 59.
Synovia 33.
Synchondroscs 32.
Symphysen 32.
T
Talgdrüsen 69.
Talus 212.
Tarsalteil des Lides 289.
Tendines 225, 228.
Tendines intermedii 227.
— terminales 227.
Tensor fasciae 250, 438.
Tete carn^e 95.
Thorax 111, 134, 141.
Thoraxmuskclu 369.
Thränenfurche 100.
Thränenkarunkel 293.
Thränennasenkanal 281.
Thränensackgrube 281.
Tibia 202.
Tod 144, 145, 318.
Torsion d. Wirbelsäule 398.
Trab, leichter 508.
Trachea 345.
Tragus 304.
Trauer 329.
Triceps 409.
Trigonum colli inflerius 51.
— colli superius 51.
Triquetrum 171.
Trochanter minor 198.
— major 198.
Trochlea 155.
Trommelhöhle 78.
Trompetermuskel 260.
Trotz 327.
Tuber 27.
— ossis ischii 1^2.
— parietale 95.
Tubera frontalia 98.
Tuberculum 27.
— articulare 104.
— ileo-pectineum 190.
— majus 154.
— minus 154.
— mentale 103.
u
Ulna 161.
Ulnare 171.
Ulnarflexion 177.
Überraschung 323.
Überstreckung 62.
Umänderung der Farbe 70.
Unentschiedenheit 336.
UnlustaHekte 327.
Unterbauchgegend 370.
Untergrätengrubenmuskel
404.
Unterhöhe 515, 534.
Unterleib 141, 473.
Unterhautbindegewebe 49.
Unterkiefer 65, 80, 102,
541, 545.
Unterkieferast 83.
— drüse 347.
— fortsätze 109.
— gelenk 104.
— muskel, vierseitiger 262.
Unterschenkel 67, 469.
Unterschenkelfascie 435.
—Strecker, vierköpfiger 442
! Unterschlüsselbeingrube
362.
Unterschulterblattmuskel
405.
Ursprung des Muskels 227.
Urspriinge der Rücken-
marksnerven 124.
V
Vaginae tendinum 245.
Variabilität 528, 529.
Vena basilica 420, 434.
— cephalica poUicis 432,434.
— cruralis 466.
— epigastrica superficialis
466.
— femoropoplitea 468.
— jugularis anterior 359.
— jugularis externa 359.
— jugularis interna 346.
— mediana 434.
— salvatella 432.
Venae intercapitulares 431.
Venae metacurpae 432.
Venenbogen d. Finger 431.
Venennetze 430.
Venen, tiefliegende de« Ar-
mes 430.
Venter 225, 227.
Venushügel 192.
Verachtung 334.
Verdauungsorgane 83, 131.
Vergrößerung von Figuren
518.
Verlauf des Muskels 227.
Verschiebbarkeit d. Fettes
65.
Verstopftes Loch 189.
Vertebrae 111, 113.
Vertebrae colli 115.
Verwunderung 323.
Vomer 80, 101.
Vorderarm 65, 160, 402.
Vorderarmknochen 147.
Vorderarmstrecker , drei-
köpfiger 409.
Vorgebirge 121.
Vorspringen d. Kiefer 8i».
Vorwärtszieher d. Ohres 2fi5.
w
Wade 452.
Wadenbein 202.
Wadenb3inköpfchen 204.
Wadenbeinmuskel , kurzer
454.
— langer 454.
Wadenmuskel, langer 4.');.
Wange 58.
Wangenbein 50, 85, 92, !*T,
100, 101.
Wangenfascie 272.
Waugengrube 97, 98.
■ Wangenhöcker 101.
Warzenfortsatz 78, 97.
Warzeunaht 81.
Weichen 135.
Weiße des Auges 27.'>.
Wespenbein 96, 104.
Widerwillen 335.
Willenseinfluß 326.
Wimperhaare 71, 291.
Wiukelgelenke 30, 40, 44,
66.
Wirkung der Muskeln 23«.
Wirbel 111, 113, ll.V lls,
119.
Wirbelanhang, schwaiizffir-
miger 120.
Wirbelkörper 133.
Wirbelloch 113.
Wirbelsäule 111, 121, 137,
141.
Wirkung der Muskeln 239.
Wölbung der Brust 141.
Würfelbein 214.
Wurfhebel 245.
Register.
563
Z
Zackennaht 95, 99.
Zahnbein 105.
Zahnfortsatz 99, 117.
ZahnhalB 106.
Zahnwirbel 116, 117.
Zahnwurzeln 103, 109.
Zähne 105, 109.
Zehenbeuger, kurzer 465.
Zehenglieder 217.
Zehenlauf 508.
Zehenstrecker, langer 461.
Zehe, zweite 468.
Zonen des Gesichtes 522, 523.
Zorn 331.
Zungenbein 342.
Zurückziehen der Schulter
141.
Zusammendriicker der Nase
, 263.
1 Zuzieher des Daumens 424.
Zuzieher d. großen Zehe 464.
' Zuzicher des Oberschenkels
1 445, 446.
! Zweifel 336.
i Zwerchfell 132, 382.
Zwillingswadenmuskel 455.
Zwischenbein 170, 171.
, Zwischenbogenbändor 123.
Zwischenknöchel venen 481.
Zwischenknochenmuskeln,
äuß(>re 463.
— innere 426.
Zwischenknochenräume
175.
Zwischenknorpel 34, 113.
Zwischenmuskelband 251,
406, 435.
Z wischenrippenm iiskeln
369.
Zwischeuaehnen 227, 228.
Zwischenwirbelscheiben
121, 123.
SinnstOreiide Drnekfehler.
Seite 101 in der 18. Zeile von unten lies Flg. 29 statt Fig. 30.
V4 uat. Grösse statt *'g.
113
3. ,
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oben
11
128
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15. ,
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4. ,
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11
339
17. ,
J 11
unten
11
428
2. ,
1 1*
11
11
11
*»
'S*
trochlearis.
\\ uftt. Grösse
sapra trochlearis
Yorderarmknochen st. Vorderknochen.
V4 nat. Grösse statt Vg.
¥ig. 84 statt Fig. 83.
Irradiation statt Irradation.
Fingreru statt Finger.
Nachweis zn den Abbildangen.
Einige der Abbildungen sind aus anderen Werken entlehnt Die Heikunft
ist größtenteils im Text oder in der Einleitung angegeben. Die Skelett%aicii
(von Lucas) wurden in einer durch das Format des Buches bedingten Vcrkleinening,
aber sonst unverändert, aufgenommen. Die ganzen Skelettfiguren 1, 115, 166, 168,
169 sind nahezu in %, die halben Skclettfiguren 2, 33, 45, 60, 145, 146, 147, 148
und 167 nahezu in ^l^ natürlicher Größe hergestellt. Diese Größenangabe ist aucb
dann giltig, wenn sich, wie bei den Figuren 33, 45 und 60, irrtümlicher Weise eine
andere Zahl (Vg statt ^j^ findet.
Die Figuren 72, 73, 112, 113, 118, 120, 126, 127, 136, 137, 138, 162, 163 sind
Teile von Figuren aus dem Werke von Salvage „Z/c gladiateur comhattant\ jedoch
ist die Darstellung der Muskeln und Knochen durch Herrn Kunstmaler Fr. Schideb
in Basel auf Grund anatomischer Präparate wesentlich geändert worden.
Die Figuren 78, 79, 84 und 108 sind mit unwesentlicher Abänderung Hexle'«
Grundriß der Anatomie, die Figur 144 Nuhn's topographisch - anatomischem Athui
und die Figuren 85, 86, 96, 97 und 98 Sömering's Werk über die Sinnesorgane ent-
nommen.
Einige Figuren (3, 7, 19, 21, 22, 28, 29, 30, 130, 174 und 175) sind von mir
mit dem Orthoskop gezeichnet, jedoch wurden auch zwei dieser Figuren, 7 und 130,
sowie sämtliche hier nicht aufgeführten Figuren nach sorgfältigem Studium der Natur
von Herrn Schi der mit der Feder gezeichnet und durch die x^iographisohe Anstalt
von E. Singer in Leipzig auf Holz übertragen.
Die Handzeichnung Michelanoelo's, der nackte Krieger Fig. 119 S. 389, findet
sich in dem Münchener Kupferstichkabinet; eine genaue Kopie wurde mir zur Be-
nutzung freundliclist überlassen. Die Fig. 110 S. 357 stammt aus dem Prachtwerk
von Seroux d'Aoincoürt „Histoire de lart par les monuments^^ Tom. VI pl. ITs.
u, mlDICAu libwv ;
S(«.FOHD UNIVtßSin
3O0 MSUUR ,
pdLO AUU, CAUFORW»
1
S26 Kolljnann, Jxiliuc K.E-
K75 Plastische AnEtande.
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