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Full text of "Platonische Aufsätze. II. Die angebliche Platonische Schulbibliothek und die Testamente der Philosophen"

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881 


; 


881 


PLATONISCHE  AUFSÄTZE 


VON 


THEODOR  GOMPERZ, 

WIRKL.  MITGLIEDS  DER  KAIS.  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


ZUR  ZEITFOLGE  PLATONISCHER  SCHRIFTEN. 


LIBRARY 
ritt 


WIEN,  1887. 


IN  COMMISSION   BEI   CARL   GEROLD'«   SOHN 

BUCHHÄNDLER  DER  KAIS.  AKADEMIE  DER   WISSENSCHAFTEN. 


Aus  dem  Jahrgange  1887  der  Sitzungsberichte  der   phil.-hist.  Classe  der  kais.  Akademie 
der  Wissenschaften  (CXIV.  Bd.,  II.  Hft.  S.  741)  besonders  abgedruckt. 


Druck  von  Adolf  Holzhausen, 

k    k.  Hof-  und  Uiiivcrsitüts-Huchdriicker  in  Wien. 


d 


JJie  zum  Mindesten  ein  halbes  Jahrhundert  fruchtbaren 
Schaffens  umspannenden,  so  vielgestaltigen  und  widerspruchs- 
vollen Werke  Plato's  nach  der  Folge  ihrer  Abfassungszeit  an- 
ordnen zu  wollen  —  dies  ist  sicherlich  mehr  als  ein  blosses 
Verlangen  wohlberechtigter  Wissbegier.  Die  Lösung  des  heiss 
umstrittenen  Problemes  verheisst  uns  reichen  Gewinn.  Von  ihr 
erwarten  wir  die  schliessliche  Beseitigung  des  auf  diesem  Boden 
noch  immer  üppig  wuchernden  7  Discrepanzen  verhüllenden, 
äusserlichen  Einklang  erzwingenden,  harmonistischen  Bemühens; 
•  die  Sicherung  und  in  anderen  Fällen  die  Anbahnung  eines  völlig 
unbefangenen  und  eindringenden  Verständnisses  gar  vieler  dieser 
Schriften;  desgleichen  die  Beschaffung  eines  unverächtlichen 
Hilfsmittels  zur  Entscheidung  der  Echtheitsfrage  in  Ansehung 
des  angefochtenen  Theils  der  Sammlung;  ja  schliesslich  viel- 
leicht auch  die  Gewinnung  neuer  Einblicke  in  die  Entwicklungs- 
und Bethätigungsweise  schöpferischer  Geister  überhaupt. 

Allein  so  lockend  das  Ziel,  so  gewaltig  ist  das  Heer  der 
Schwierigkeiten,  welches  sich  seiner  Erreichung  hindernd  in 
den  Weg  stellt.  Sie  entspringen  insgesammt  der  schriftstelleri- 
schen Eigenart  Plato's,  und  zwar  zumeist  an  zwei  Punkten 
derselben.  Seine  Scheu  vor  der  Ueberlieferung  fertiger,  von 
ihrer  Gedankenwurzel  abgelöster  oder  ablösbarer  und  darum 
leicht  zu  leblosen  Dogmen  erstarrender  Ergebnisse  hat  ihn  die 
seiner  künstlerischen  Begabung  so  congeniale  Gesprächsform 
zugleich  endgiltig  wählen  und  sie  vielfach  in  einer  Weise  hand- 
le 


\ 24976 


4  Gomperz.  r742] 

Laben  lassen,  bei  welcher  das  Endziel  einer  verschlungenen 
und  wechselvollen  Erörterung  unausgesprochen,  ja  selbst  ein 
Zweifel  darüber  bestehen  bleibt,  ob  ein  solches  in  Wahrheit 
erreicht  ist  oder  nicht.  Daher  der  nicht  enden  wollende  Streit 
über  den  Lehrgehalt  so  vieler  Dialoge,  über  die  zwischen 
ihnen  obwaltenden  Uebereinstimmungen  und  Widersprüche  Be- 
ziehungen und  Anspielungen,  und  somit  auch  über  die  Reihen- 
folge ihres  Entstehens.  Dieselben  und  verwandte  Beweggründe 
(darunter  gewiss  auch  das  Widerstreben  gegen  die  Identificirung 
seiner  eigenen  wandelbaren  und  in  stetem  Flusse  begriffenen 
geistigen  Persönlichkeit  mit  irgend  einer  ihrer  Entwicklungs- 
phasen) haben  ihn  dazu  vermocht,  nicht  sich  selbst,  sondern 
seinen  verehrten  Meister  Sokrates  zum  Mittelpunkt  und  zur 
Hauptperson  der  meisten  Gespräche  zu  machen.  So  lange  nun 
die  Sokrates-Maske  sein  Antlitz  deckt,  ist  ihm  jeder  Ausblick 
auf  Personen,  Lehren,  Ereignisse  verwehrt,  die  jenseits  der 
Lebensgrenzen  seines  Meisters  gelegen  sind,  das  heisst  auf  Alles 
oder  nahezu  Alles,  was  in  die  Zeitgrenzen  seines  eigenen  schrift- 
stellerischen Wirkens  fällt.  Mitunter  freilich  lüftet  er  die  Maske, 
ein  paarmal  offen,  wie  in  übermüthiger  Laune  die  selbstgezogenen 
Schranken  durchbrechend;  häufiger  jedoch  in  verstohlener  und 
versteckter  Weise,  durch  Winke  und  Andeutungen,  welche  uns 
nicht  seltener  irrezuleiten  als  aufzuklären  geeignet  sind  und  die 
wir  —  was  das  Schlimmste  ist  —  sicherlich  ebenso  oft  dort, 
wo  sie  vorhanden  sind,  übersehen,  als  wir  sie  dort,  wo  sie  nicht 
vorhanden  sind,  zu  sehen  vermeinen. 

Nichts  begreiflicher,  als  dass  angesichts  dieser  Häufung 
von  Schwierigkeiten  die  Zahl  der  allgemein  anerkannten  Er- 
gebnisse verschwindend  klein,  jene  der  Meinungsverschieden- 
heiten überaus  gross  und  in  beständigem  Wachsen  begriffen 
ist,  nicht  minder,  dass  Worte  wie  , Chaos'  und  ,Verzweiflung' 
sich  den  Beurtheilern  dieser  Versuche  immer  häufiger  auf  die 
Lippen  drängen.  Wenn  ich  es  trotzdem  wage,  in  die  im  Laufe 
der  letzten  Jahre  mit  so  regem  Eifer  betriebenen  Studien  auch 
meinerseits  durch  einen  Beitrag  eingreifen  zu  wollen,  so  leitet 
mich  hierbei  vornehmlich  die  nachfolgende  Erwägung.  Es  <;il)t 
—  das  ist  meine  feststehende  Ueberzeugung  —  auf  diesem 
Gebiete  einen  Grundstock  zweifelloser  Wahrheiten. 
Diesen  aus  der  Masse  des  blos  mehr  oder  minder  Wahrschein 


[743]  Platonische  Aufsätze.  5 

liehen  auszusondern,  durch  strenge  Beweisführung  gleichwie 
durch  den  Hinweis  auf  bereits  vorgebrachte,  aber  nicht  nach 
Gebühr  gewürdigte  Argumente  zu  sichern  und  in  stetigem, 
behutsamem  Vorschreiten  zu  mehren  —  ein  anderes  Mittel  kenne 
ich  nicht,  um  aus  dem  Gewirr  einander  kreuzender  Einzelpfade 
endlich  in  die  breite  und  gefestigte  Bahn  continuirlicher  For- 
schung zu  gelangen.  Der  Arbeit  des  Wegebauers  geht  jene 
des  Feldmessers  voraus,  der  die  Richtpunkte  ermittelt  und 
absteckt,  welche  die  vollendete  Strasse  dereinst  wird  verbinden 
müssen.  Solch  einer  bescheidenen  Vorarbeit  sind  die  nach- 
folgenden Blätter  gewidmet. 

1.  Der  Dialog  Menon  bildet  einen  Knotenpunkt  platoni- 
scher Schriftstellerei.  Zunächst  verschlingen  sich  in  ihm  Fäden, 
die  aus  zwei  verschiedenen  Gesprächen  stammen  und  daher 
auch  diese  selbst  mit  einander  verknüpfen.  Die  Durchsichtigkeit 
des  wenig  umfangreichen  Dialogs  und  sein  vergleichsweiser 
Reichthuin  an  positivem  Lehrgehalt  machen  diese  Beziehungen 
zugleich  deutlich  erkennbar  und  fruchtbar  an  Folgerungen.  Zwei 
dieser  Fäden  reichen  aus  dem  Protagoras  herüber.  Es  sind 
die  hier  und  dort  verhandelten  Fragen:  1.  wie  kann  Tugend 
Erkenntniss  und  somit  lehrbar  sein,  da  wir  doch  keine"  Lehrer 
derselben  aufzuweisen  vermögen?  2.  wie  lässt  es  sich  unter 
derselben  Voraussetzung  erklären,  dass  treffliche  Staatsmänner 
ihre  Söhne  nicht  zu  gleicher  Trefflichkeit  heranbilden?  Die 
zweite  dieser  Aporien  erhält  hier  durch  die  Unterscheidung  der 
allein  zum  Lehren  befähigenden  ^wissenschaftlichen  Erkennt- 
niss* und  der  für  die  Praxis  vielfach  ausreichenden  ,richtigen 
Meinung'  ihre  Lösung.  Und  eben  hiedurch  wird,  da  es  ja 
baare  Thorheit  wäre,  ein  schon  gelöstes  Räthsel  den  Lesern 
von  Neuem  zur  Lösung  vorzulegen,  das  Zeitverhältniss  der  zwei 
Gespräche  (wie  schon  Schleiermacher  aufs  Beste  erkannt  hat) 
unwidersprechlich  festgestellt.  Im  engsten  Anscbluss  an  diese 
fundamentale  Unterscheidung  tritt  jene  glimpfliche  Beurtheilung 
athenischer  Staatslenker  auf,  die  zu  dem  giftigen  Hohn,  mit 
welchem  der  Gorgias  sie  überschüttet,  einen  so  denkwürdigen 
Gegensatz  bildet.  Einen  Gegensatz  überdies,  der  allezeit  be- 
merkt werden  musste  und  mithin,  da  nicht  die  Werke  eines 
Stümpers  vor  uns  liegen,  gewiss  auch  bemerkt  werden  sollte. 
Hier    wie    dort    werden    vier    athenische    Staatsmänner    ersten 


6  Gomperz.  r744l 

Ranges  genannt;    zwei   von   ihnen   sind   an    beiden  Orten    iden- 
tisch,   zwei    andere   wechseln   nach  dem  Bedarf  des  jeweiligen 
Zusammenhanges.     Dort  heisst   es   von   ihnen,    sie    haben   ,den 
Staat  lediglich  mit  Häfen,  Werften,  Mauern,  Tributen  und  der- 
gleichen Possen   mehr  angefüllt'  (Gorg.  519 a),   hier  müssen 
sie  sich  zwar  immer   noch    mit    dem    zweiten  Platz  hinter  den 
Philosophen    begnügen,    allein   den  Gegenständen  allgemeinster 
Verehrung  und  ihrem  gesammten  Wirken  wird  doch  nicht  mehr 
mit   wegwerfender  Verachtung    begegnet.     Was    darf  uns   das 
Wahrscheinlichere  dünken?     Dass  Plato  sein  etwaiges  Empor- 
steigen von  einer  massigen  Paradoxie  zu  einer  masslosen  und  das 
Fallenlassen  der  wohlerwogenen,  sorgsam  begründeten  Theorie, 
auf  der  jene  beruhte,    so   geflissentlich  hervorzuheben  bemüht 
war?     Oder    dass  er    dem  Leser   vernehmlich  genug  andeuten 
wollte,  er  habe  eine  ausschweifende,  die  stärksten  Empfindungen 
seiner  Landsleute  schwer  verletzende  Ansicht  endlich  zu  massigen 
und  einzuschränken  gelernt?  Sicherlich  das  letztere,  und  darum 
ist  der  Menon  jünger  nicht  nur  als  der  Protagoras,  sondern  auch 
als  der  Gorgias. 

Und  hier  möchte  ich  —  falls  mir  ein  Schritt  vom  Wege 
gestattet  ist  —  die  Vermuthung  aussprechen,  dass  diese 
^Ehrenrettung'  athenischer  Staatsmänner  geradezu  den  Kern- 
und  Quellpunkt  des  Menon  ausmacht.  Sie  bildet  das  Ende  des 
Dialogs,  und  mit  diesem  Eindruck  werden  wir  entlassen.  Auch 
erklärt  sich  von  hier  aus  der  Aufbau  des  ganzen  Gespräches. 
Für  die  Palinodie  des  Gorgias,  um  einen  kräftigen,  vielleicht 
überkräftigen  Ausdruck  zu  gebrauchen,  galt  es  eine  angemessene, 
das  Selbstgefühl  des  Autors  nach  Möglichkeit  schonende  Form 
zu  gewinnen.  Dazu  empfahl  sich  in  vorzüglicher  Weise  die 
Anknüpfung  an  jene  zweite  Aporie  des  Protagoras.  Freilich 
war  Plato's  Meinung  im  zuletzt  genannten  Dialoge  fast  sicher- 
lich dahin  gegangen,  dass  es  den  Staatsmännern  an  Weisheit 
gebreche  und  dass  die  vielfachen  Misserfolge  in  der  Erziehung 
ihrer  Kinder  dies  mit  beweisen  helfen.  Allein  er  hatte  doch  jene 
Meinung  dort  keineswegs  in  so  schroffer  und  unumwundener 
Weise  geäussert  wie  im  Gorgias,  vielmehr  die  Endentscheidung 
scheinbar  in  der  Schwebe  gelassen.  So  durfte  sich  denn  der 
kunstreiche,  niemals  um  eine  Auskunft  verlegene  Schriftsteller 
sehr  wohl  den  Anschein  geben,  auf  jene  als  eine  noch  ungelöst 


[745]  Platonische  Aufsätze.  7 

gebliebene  Frage  zurückzugreifen  —  darauf  zurückzugreifen 
in  einem  Gespräche,  dessen  Personen  als  gleichsam  hungernd 
nach  positiven  Lösungen,  als  müde  des  ewigen  Vexirspiels  und 
der  unablässigen  Mystificationen  überdrüssig  gewiss  nicht  ohne 
tiefen  Grund  erscheinen.  Denn  nicht  blos  an  den  historischen 
Sokrates  möchte  ich  bei  dem  berühmten  Zitteraal  -  Gleichniss 
(80a)  denken,  sondern  Plato  selbst  lässt  sich  —  an  der  Schwelle 
des  positiven  Theiles  jenes  Dialogs  —  von  seinen  Lesern  zu 
den  lange  vermissten  und  heiss  ersehnten  Darlegungen  drängen, 
welche  den  Rest  des  Werkes  in  so  dichter  Fülle  einnehmen. 
Ihrer  aller  Zielpunkt  aber  ist  jene  den  Staatsmännern  dar- 
gebrachte ^Ehrenerklärung*,  wenn  sie  gleich  (und  wann  wäre 
dies  bei  Plato  nicht  der  Fall?)  selbstständiger  Bedeutung  keines- 
wegs entbehren.  Das  glimpflichere  Urtheil  über  die  Politiker 
ruht  ja  auf  der  Unterscheidung  von  e*U<jtiJ[/.7J  und  opS?)  loqa,  den 
artbildenden  Unterschied  beider  Begriffe  (ihre  differentia)  macht 
der  alv.aq  \o^[G\i5q  aus  und  dieser  selbst  wird  (98 a)  auf  die 
Lehre  von  der  avaf/.VYjo'i?  aufgebaut.  Ist  damit  der  dem  Menon 
eigenthümliche  Lehrgehalt  nicht  so  gut  als  erschöpft? 

Doch  —  um  von  dieser  Abschweifung  zurückzukehren 
—  ich  habe  des  Einwandes  noch  nicht  gedacht,  dass  jene 
Ehrenerklärung*  nur  ironisch  gemeint  sei.  Bedarf  dieser 
unglückliche  Einfall  Schleiermacher's  einer  weitläufigen  Wider- 
legung? Ein  ironisch  gemeintes  Lob  muss  doch  vor  Allem 
ein  übertriebenes,  ein  überschwängliches  sein.  Welchem  zeit- 
genössischen, zumal  welchem  athenischen  Leser  konnte  die 
Stellung,  die  der  Menon  Athens  leitenden  Staatsmännern  hinter 
den  , Philosophen*,  das  heisst  hinter  Sokrates  und  seinen  Jüngern, 
anweist,  in  diesem  Licht  erscheinen?  ,Eine  gar  seltsame  Rang- 
folge*, so  mochten  neunundneunzig  unter  hundert  Lesern  aus- 
rufen, ,die  unseren  grossen  Männern  nichts  weniger  als  gerecht 
wird!*  Dass  sie  diesen  mehr  als  gerecht  wird,  dies  konnte 
selbst  der  hundertste  nicht  wähnen.  Wie  sollte  sich  da  ein 
Gedanke  an  Ironie  einstellen?  Oder  ward  ein  solcher  vielleicht 
durch  die  Persönlichkeit  der  Männer  nahegelegt,  welche  Plato 
diesmal  zu  Vertretern  der  Gattung  erkoren  hat?  Dieser  Punkt 
ist  einer  kurzen  Ueberlegung  werth.  Von  den  Viermännern, 
welche  der  platonische  Gorgias  so  erbarmungslos  verurtheilt  hat, 
kehren  zwei   unverändert  wieder:   Themistokles   und  Perikles ; 


ij  oro  p  er  z. 


[746] 


zwei  andere,  Miltiades  und  Kimon,  rnussten  weichen  —  der 
erstere,  weil  der  bedeutende  Vater  eines  bedeutenden  Sohnes 
nicht  in  einen  Zusammenhang  passte,  welcher  von  der  Frage 
ausgeht:  wie  kommt  ess  dass  hervorragende  Staatsmänner  nicht 
gleich  hervorragende  Söhne  zurücklassen?  Der  letztere,  wenn 
aus  keinem  •  anderen  Grunde,  so  doch  jedenfalls  darum,  weil 
es  der  Gipfel  schriftstellerischen  Ungeschicks  gewesen  wäre, 
durch  die  Nennung  auch  nur  des  Sohnes  an  jene  Ausnahme 
von  der  hier  behaupteten  Regel  zu  erinnern.  Wer  tritt  nun  in 
die  freigewordenen  Stellen?  Thukydides,  des  Melesias  Sohn, 
und  —  Aristides!  Dieser  eine  Name  entscheidet  endgiltig 
die  Frage,  die  uns  hier  beschäftigt,  wenn  es  anders  jemals 
eine  Frage  sein  konnte.  Und  er  würde  sie  auch  dann  ent- 
scheiden, wenn  nicht  Plato  selbst  durch  das  überquellend  warme 
Lob,  welches  er  sogar  im  staatsmännerfeindlichen  Gorgias  dem 
Sohne  des  Lysimachos  gespendet  hat  (526 b),  man  möchte  fast 
sagen  dafür  Sorge  getragen  hätte,  uns  jeden  Irrweg  zu  ver- 
sperren. Wer  noch  einen  Scrupel  hegt,  der  lese  die  gewundenen, 
den  Stempel  sichtlicher  Verlegenheit  tragenden  Sätze,  in  welchen 
Schleiermacher  den  Schwierigkeiten  auszubeugen  versucht,  die 
seiner  Auffassung  unserer  Stelle  aus  dem  Erscheinen  des  , Ge- 
rechten' im  Kreise  der  hier  beurtheilten  athenischen  Staats- 
männer erwachsen. 

Wäre  ich  nicht  ängstlich  darauf  bedacht,  diese  nur  auf 
feste  Grundlegung  abzielenden  Erörterungen  von  jeder  dem 
Meinungsstreit  neue  Nahrung  zuführenden  Zuthat  frei  zu  halten: 
nichts  wäre  leichter,  als  auf  die  verschiedenen  Stufen  in  Plato's 
Lebens-  und  Entwicklungsgang  hinzuweisen,  welchen  das  ver- 
änderte Verhältniss  zur  praktischen  Politik  entspricht,  wie  es 
im  Gorgias  und  wie  es  im  Menon  uns  entgegentritt.  Dort  Welt- 
flucht, herausfordernde  Abkehr  von  der  Wirklichkeit;  hier  das 
Bestreben,  der  letzteren  und  ihren  ruhmvollen  Vertretern  einiger* 
massen  gerecht  zu  werden.  Dort  eine  gähnende,  abgrundtiefe 
Kluft  zwischen  dem  Zukunftsideal  und  der  realen  Gegenwart: 
hier  das  Bemühen,  jene  Kluft  zwar  nicht  auszufüllen,  aber  doeli 
auch  nicht  als  völlig  unüberbrückbar  darzustellen.  Dort  ein 
hochfahrendes  Verschmähen  jeglichen  Compromisses;  hier  die 
Suche  nach  Surrogaten  —  ach !  sie  wird  sich  noch  oft  er 
neuen!  — 7  nach  Ersatzmitteln  der  so  schwer  und  so  selten  zu 


I  7  j  7  |  Platonische  Aufsätze.  9 

erreichenden  geistigen  und  sittlichen  Vollkommenheit.  Man 
kennt  die  Stimmung,  aus  welcher  der  Gorgias  geflossen  ist. 
Plato  gründet  seine  Schule,1  die  Brust  geschwellt  von  stolzen 
und,  da  keinerlei  Erfahrung  sie  einschränken  konnte,  wohl  auch 
von  masslosen  Hoffnungen,  —  vielfach  verspottet  ob  seines  uner- 
hörten, des  Sprösslings  edler  Ahnen  so  wenig  würdig  scheinen- 
den Beginnens,  —  verklagt  darob,  dass  er,  der  Reichbegabte,  die 
Arena  des  öffentlichen  Lebens  meide,  um  in  engen  Jüngercon- 
ventikeln  Begriffe  zu  spalten  und  Worte  zu  klauben  (Gorg.  485d): 
und  gegen  all'  den  Hohn  und  all'  die  Anklagen  der  Freunde 
und  Angehörigen  wohl  noch  mehr  als  der  Gegner  sich  mit 
unbeugsamem  Trotze  wappnend. 

Ein  paar  Jahre  sind  dahingegangen.  Die  junge  Schule 
gedeiht,  wenngleich  unter  Kämpfen.  Zu  des  Meisters  Füssen 
drängen  sich  hochstrebende  Jünglinge,  welche  hier  die  Waffen 
für  den  politischen  Parteistreit  zu  erwerben  trachten.  Die  Inter- 
essen der  neuen  Lehranstalt,  die  Anforderungen,  denen  sie  ge- 
nügen soll,  die  Fehden,  die  sie  zu  bestehen  hat,  knüpfen  ihren 
Leiter  mit  engeren  Banden  an  das  Leben.  Der  Vorwurf  der 
Weltentfremdung,  des  starren  Doctrinarismus  lässt  ihn  nicht  so 
gleichgiltig  wie  ehedem.  Sein  Selbstgefühl  ist  zugleich  sicherer 
und  massvoller  geworden  und  gewinnt  daher  minder  heftigen 
Ausdruck.  Auch  die  Behutsamkeit  ist  ihm  nicht  mehr  gänzlich 
fremd.  Denn  Nebenbuhler  erspähen  emsig  jede  Blosse,  die  er 
ihnen  bieton  mag.  Haben  wir  nicht  in  dieser  Phase  von  Plato's 
Geistesverfassung,  welcher  wieder  andere  und  sehr  verschiedene 
Phasen  folgen  sollten,  den  Boden  gefunden,  welchem  der  Menon  '2 
entspriessen  mochte  ?  Doch  ich  eile,  wieder  in  die  Bahn  ge- 
sicherter Beweisführung  zurückzulenken. 

2.  Mit  den  Fäden,  welche  von  Protagoras  und  Gorgias 
her  im  Menon    zusammenlaufen,    verknüpft    sich    ein    anderer, 


\  Vgl.  Schleiermacher  I,  2,   15—16;  Bonitz  34—35;  Grote  II,  143. 

2  Unserer  Auffassung  dieses  Dialogs  kommt  am  nächsten  jene  K.  Fr.  Her- 
mann's,  S.  484.  Auch  seine  Abhandlung  ,De  Piatonis  Menone'  enthält 
manche  zutreffende  Bemerkung ,  namentlich  p.  59 — 60.  Wer  übrigens 
Wesentliches  von  Unwesentlichem  scheiden  gelernt  hat,  der  wird  in 
dem  Scherzwort  von  den  , göttlichen  Männern'  (99 d)  eine  wenig  bedeu- 
tende Rückzugsplänkelei,  nicht  aber  einen  für  die  gesammte  Auffassung 
des  Gespräches  Mass  und  Richtung  gebenden  Wink  erkennen. 


10  Gomperz.  [748] 

der  vom  Menon  zum  Phädon  herabreicht.  Ich  meine  jene 
Rück  Verweisung  auf  die  Lehre  von  der  ,  Wiedererinnerung' 
und  ihre  Darlegung  im  Menon  (81afF.),  welche  uns  im  Phädon 
(72 e  ff.)  begegnet  —  eine  Kückverweisung,  welche  zumal  von 
Ueberweg  (289 — 290)  und  neuerlich  wieder  von  Siebeck  (228) 
so  trefflich  beleuchtet  worden  ist,  dass  jedes  weitere  Wort 
darüber  von  Uebernuss  wäre.  Mit  bestem  Fug  durfte  schon 
Schleiermacher  sagen,  Plato  berufe  sich  im  Phädon  auf  den 
Menon  , vielleicht  bestimmter  und  ausdrücklicher  als  irgend 
sonstwo  auf  ein  früheres  Werk'  (II,  3,  11). 
Darf  uns  somit  die  Folgeordnung : 
Protagoras.  .Gorgias 


Menon 


Phädon 
als  gegen  jede  Anfechtung  gesichert  gelten,  so  erscheint  ein 
weiterer  Fortschritt  zunächst  davon  abhängig,  ob  wir  irgend- 
welche andere  Dialoge  dem  Schlussglied  dieser  Kette  voran- 
zustellen berechtigt  sind.  Und  da  ist  es  denn  freilich  längst 
anerkannt,  bereits  von  Schleiermacher  angedeutet  und  von 
Bonitz  mit  gewohnter  siegreicher  Klarheit  nachgewiesen,  dass 
im  Phädon  ,kein  Beweis  für  die  Unsterblichkeit  der  Seele  von 
Piaton  anders  unternommen  wird  als  auf  Grund  der  Ideen- 
lehre' (307).  Da  aber  eben  diese  Lehre  im  Phädon  selbst 
erörtert  wird ,  so  musste  die  Frage ,  ob  Plato  seine  eigen- 
thümlichste  Doctrin  bereits  in  anderen  vor  der  Abfassung  dieses 
Dialogs  veröffentlichten  Schriften  dargelegt  habe,  darum  noch 
nicht  nothwendig  eine  ausnahmslos  bejahende  Beantwortung 
finden.  Und  sie  hat  sie  in  der  That  nicht  gefunden.  Viel- 
mehr haben  treffliche  Kenner  unseres  Philosophen  wie  Fritz 
Schultess l  und  nach  ihm  Wilhelm  Dittenberger,  desgleichen  (mit 
einer  geringen  Einschränkung)  Martin  Schanz   kein  Bedenken 

1  ,Kurz,  man  erkennt,  dass  die  ganze  Ideenlehre  dem  Verfasser  des  Phädon 
ein  jüngst  erst  zu  Stande  gekommenes  Lehrgebäude  ist,  dass  er  sie, 
ohne  irgend  eine  Bekanntschaft  vorauszusetzen,  seinen  Lesern  zum 
ersten  Male  vorträgt'  u.  s.  w.  (65) ;  Schanz  (442  ff.)  lässt  dem  Phädon 
von  allen  einschlägigen  Schifften  nur  das  Symposion,  Dittenberger  (386 
und  342)  selbst  dieses  nicht  vorangehen. 


[749]  Platonische  Aufsätze.  11 

getragen,  den  Phädon  an  die  Spitze  sämmtlicher  die  Ideenlehre 
behandelnden  Gespräche  zu  stellen.  Sie  hätten  dies  sicherlich 
unterlassen ,  wenn  sie  sich  rechtzeitig  zweier  hochwichtiger 
Stellen  dieses  Dialogs  erinnert  hätten,   nämlich   der  folgenden: 

*Ap'  oüv  outü)£  iyj,'.,  s<j>yj?  tjijuv,  u>  Ziy.y.ia-  d  \).kv  Soriv  ä  Opu- 
XoSfAev  disi,  xaXov  te  y.al  ayaöbv  x,at  rcaca  yj  ictauTYj  oucri'a,  x,as  im 
raÖTYjv  xa  ex  tg>v  aiffOrjsswv  roxvTa  ava^spojASv   /.ts.  (Phaedo,  76 d). 

'AXVj  vj  8'  8?,  ü>5e  Xe^w,  oüSev  xaivov,  dXX'  owusp  asi  stal  dXXors 
y.as  h  tw  icapeXityXuQ&n  Xö^w  oüosv  Trs-au^at  Xe^cov.  ep^öjxat  *fdp  oyj 
i-r/s'.pwv  cot  eicc3e(£äa6a(  "rijg  aiii'a«;  to  t$0£  o  TCSiupa'YfJi'dTeufji.ai ,  xat 
et\)A  TuaXiv  eV  exelv«  xä  TCoXuOpuXYjTa  xal  ap/o^a'.  die*  efceivwv,  utcoÖs- 
jasvoi;  elvat  Tt  xaXbv  auTo  xaö'  auib  y,at  dyaOov  y,ac  jJL£va  xal  xaXXa 
«dtofc'wci  (ib.  100b). 

Wenn  dies  keine  Rückbeziehungen  sind,  so  weiss  ich 
nicht,  was  man  unter  solchen  zu  verstehen  hat.  Es  sind  sonnen- 
klare Verweisungen  auf  früher  erfolgte  Darlegungen  der  Ideen- 
lehre; und  nur  so  erklärt  sich  ja  auch  das  rasche  Verständniss 
und  die  bereitwillige  Zustimmung,  welche  Sokrates  mit  seiner 
kurzen  Recapitulation  bei  Simmias  findet  (76 d — 77 a),  das  heisst 
doch,  welche  der  Autor  bei  seinen  Lesern  zu  rinden  mit  Zu- 
versicht erwarten  durfte!  Fragt  man  uns  aber,  worauf  jener 
Hinweis  ziele  und  welche  Dialoge  auf  Grund  desselben  dem 
Phädon  voranzustellen  seien ,  so  darf  unsere  Antwort  vorerst 
also  lauten. 

Die  Schriften,  welche  sich  mit  der  Ideenlehre  einlässlich 
genug  beschäftigen,  um  hier  überhaupt  in  Betracht  zu  kommen, 
sind  Phädros,  Symposion,  Republik,  Timäos,  Parmenides  und 
Sophistes.  Es  soll  die  Möglichkeit,  dass  die  zwei  zuletzt  ge- 
nannten Gespräche  gemeint  seien,  hier  nicht  erörtert  und  be- 
stritten werden.  Wohl  aber  ist  es  unmöglich,  dass  sie  —  ein- 
zeln oder  vereinigt  —  allein  gemeint  seien.  Denn  Werke, 
in  welchen  so  tiefgreifende  Einwürfe  gegen  die  Ideenlehre  er- 
scheinen und  nicht  minder  tiefgreifende,  auf  die  Hinwegräumung 
bereits  wahrgenommener  Schwierigkeiten  abzielende  Modifika- 
tionen derselben  erfolgen,  sind  sicherlich  nicht  eben  jene,  mittelst 
welcher  der  Urheber  dieser  Doctrin  sie  zuerst  bekannt  gemacht 
hat..  Geht  der  Parmenides  oder  der  Sophistes  oder  beide  dem 
Phädon  voraus,  so  geht  —  dies  wird  niemand  bezweifeln  — 
ihnen  selbst  wieder   eine   oder   mehrere   der    obgenannten   vier 


sssft 


12  Gomperz.  [750] 

Schriften  voraus.  Ueber  diese  gilt  es  daher,  gleichviel,  welche 
die  Stelle  jener  zwei  dialektischen  Dialoge  sein  möge,  eine 
Entscheidung  zu  treffen,  entweder  in  dem  Sinne,  dass  sie  ins- 
gesammt  oder  dass  ein  Theil  von  ihnen  dem  Phädon  vor- 
angehen. 

Was  nun  das  Symposion  anlangt,  so  steht  es  mit  ihm  in 
gewissem  Masse  ähnlich  wie  mit  den  zwei  zuletzt  besprochenen 
Dialogen.  Es  setzt  zwar  nicht  gleich  diesen  eine  vorgängige 
Darstellung  der  Ideenlehre  voraus,  aber  es  kann  so  wenig  als 
diese  allein  gemeint  sein,  weil  in  ihm  nicht  von  der  Ideen- 
lehre in  der  hier  erforderten  Ausdehnung,  sondern  ausschliess- 
lich von  einer  Idee,  jener  des  Schönen  die  Rede  ist.  Vom 
Timäos  brauchen  wir  nicht  zu  sprechen,  da  ihm  unbestrittener 
Massen  die  Republik  voraufgeht  oder  (da  in  Betreff  des  zehnten 
Buches  ein,  wenngleich  haltloser  Zweifel  geäussert  worden  ist) 
doch  jedenfalls  die  Theile  der  Republik,  nämlich  die  Bücher 
V — VII,  die  uns  hier  allein  zu  kümmern  haben.  Somit  steht  der 
Schluss  unabweisbar  fest:  Dem  Phädon  geht  der  Phädros 
oder  die  Republik  oder  beide  voran.  Welche  der  beiden 
hiernach  allein  ernstlich  in  Frage  kommenden  Folgeordnungen: 
a)  Phädros,  Phädon,  Republik  (Timäos)  oder  b)  Phädros,  Re- 
publik (Timäos),  Phädon  —  denn  die  noch  übrig  bleibenden: 
c)  Republik  (Timäos),  Phädon,  Phädros  und  d)  Republik  (Ti- 
mäos), Phädros,  Phädon,  dürfen  wohl  aus  allgemein  bekannten 
und  anerkannten 'Gründen  vorerst  aus  dem  Spiele  bleiben  — 
die  richtige  ist,  soll  hier  nicht  entschieden  werden.  Die  Ent- 
scheidung wird  in  erster  Reihe  von  dem  Gewicht  abhängen, 
welches  man  einerseits  den  Rückbeziehungen  auf  den  Phädon, 
die  Schleiermacher  (III,  1,  395  —  396)  und  nach  ihm  viele 
Andere  in  der  Republik  X,  611  zu  erkennen  glaubten,  und 
andererseits  den  Argumenten  einräumt,  welche  August  Krolm 
(266  und  273)  und  Paul  Tannery  (p.  152)  gegen  diese  Anordnung 
ins  Feld  geführt  haben.1  Auch  andere  Elemente,  welche  zum 
Theil  noch  gar  nicht  in  die  Discussion  gezogen  wurden,  werden 
hiebei  eine  Rolle  spielen. 

1  Die  Möglichkeit,  dass  Phädon  nach  Repuhlik  Buch  V  VII,  aber  vor 
Buch  X  verfasst  sei,  braucht  uns,  da  sie  bisher  sidlist  nicht  von-  den 
Leugnern  der  Einheit  der  Republik  ins  Auge  gefasst  ward,  so  wenig  als 
die  oben  erwähnten   Möglichkeiten  c)  und  d)  ku  beschäftigen. 


[751]  Platonische  Aufsitze.  13 

Die  Wandlungen  in  Plato's  psychologischen  Lehren 
aber,  welche  diese  ganze  Streitfrage  veranlasst  haben,  werden 
schwerlich  den  Stoff  zu  ihrer  Schlichtung  liefern.  Denn  Ein- 
wendungen von  mindestens  beträchtlicher  Scheinbarkeit  lassen 
sich  gegen  jede  der  zwei  in  Frage  stehenden  Folgeordnungen 
erheben.  Das  Stärkste  was  sich  gegen  die  Schleierniacher'sche 
Anordnung  (a)  vorbringen  Hess,  war  dies,  dass  sie  zur  An- 
nahme eines  schwer  begreiflichen  Hin-  und  Herschwankens  in 
Plato's  Geiste  nöthige  durch  die  Folge:  Dreitheilung  der  Seele, 
Einheitlichkeit  derselben,  wieder  Dreitheilung  der  Seele.  Es 
scheint  aber  noch  nicht  bemerkt  zu  sein,  dass  eine  ganz 
gleichartige  Schwierigkeit  auch  der  anderen,  von  Ueberweg 
vorgeschlagenen,  Folgeordnung  (b)  innewohnt,  vermöge  der 
Succession  der  Lehren:  Unsterblichkeit  der  ganzen  Seele,  Un- 
sterblichkeit nur  eines  Seelentheils,  wieder  Unsterblichkeit  der 
ganzen  Seele.  Wo  sich  uns  ein  Ausweg  aus  diesem  Irrsal  zu 
öffnen  und  welche  die  richtige  Erklärung  jener  Oscillationen 
zu  sein  scheint  —  dies  bleibt  vielleicht  besser  unausgesprochen, 
bis  wir  in  Betreff  der  Reihenfolge  dieser  Dialoge  einen  festen 
Stamm  von  Beweisgründen  gewonnen  haben,  an  welchem  die 
diesbezüglichen  Wahrscheinlichkeits  -  Erwägungen  sich  empor- 
zuranken vermögen. 


Mich  mit  den  chronologischen  Sprachkriterien, 
welche  Dittenberger  und  nach  ihm  Schanz  ermittelt  haben, 
an  dieser  Stelle  vollständig  auseinanderzusetzen,  daran  hindert 
mich  der  Plan  meiner  Arbeit.  Müsste  ich  hiebei  doch  der  spä- 
teren Beweisführung  vorgreifend  Zeitbestimmungen  aufstellen, 
welche  vorerst  nur  den  Werth  beweisloser  Behauptungen  be- 
sässen.  Allein  wenn  nichts  Anderes,  so  muss  mich  doch  der 
Widerspruch,  in  welchem  ich  mich  betreffs  des  Zeitverhält- 
nisses zwischen  Phädon  und  Phädros  mit  den  Ergebnissen  jener 
Forscher  befinde,  daran  verhindern,  an  denselben  stillschweigend 
vorüberzugehen.  Und  zwar  ist  meine  Lage  hiebei  eine  selt- 
same. Ich  sehe  mich  genöthigt,  einzelne  Missbräuche  und  Fehl- 
anwendungen einer  Methode  abzuwehren,  deren  hohen  Werth 
ich  voll   und  freudig  anerkenne,  ja   von   deren  Mithilfe   ich 


14  Gomperz.  [752] 

die   wesentlichste   Förderung  bei   der   endgiltigen   Lösung    der 
hier  verhandelten  Probleme  erwarte. 

Wilhelm  Dittenberger  hat  in  seinem  epochemachenden 
Aufsatz  eine  Reihe  von  bedeutsamen  Thatsachen  festgestellt, 
deren  Tragweite  man  nicht  dadurch  vermindert,  dass  man, 
wie  dies  bedauerlicher  Weise  kein  Geringerer  als  Zeller 
(S.  216 — 219)  gethan  hat,  ausschliesslich  die  schwächste  Seite 
jener  Erörterungen  ins  Auge  fasst.  Als  solche  muss  uns 
nämlich  der  —  von  Dittenberger  selbst  nur  mit  weitreichenden 
Vorbehalten  (S.  335  —  336)  unternommene  —  Versuch  er- 
scheinen, aus  den  Frequenz- Verschiedenheiten  gewisser 
Partikeln  und  Partikel -Verbindungen  entscheidende  Schlüsse 
auf  die  Abfassungszeit  platonischer  Schriften  zu  ziehen.  Auch 
hier  freilich  thut  mehr  als  eine  Unterscheidung 
Noth.  Dass  die  Frequenz  jedes  beliebigen,  in  den  Schriften 
eines  Autors  vorkommenden  Wortes  oder  Wörtchens  eine 
ihren  Entstehungszeiten  entsprechende  auf-  oder  absteigende 
Reihe  bilden  sollte,  dies  von  vornherein  zu  erwarten  ist  nicht 
der  mindeste  Grund  vorhanden;  und  bedurfte  es,  um  das 
Eitle  solch  einer  Erwartung  zu  erweisen ,  nicht  erst  der  zu 
diesem  Behufe  unternommenen  weitläufigen  Zusammenstellungen 
Höfer's.  Etwas  Aehnliches  ist  aber  Dittenberger ,  gegen 
dessen  Methode  man  diese  Instanzen  ins  Feld  führt,  niemals 
in  den  Sinn  gekommen.  Sein  Ausgangspunkt  war  ein  völlig 
andersartiger.  Es  war  die  Wahrnehmung,  dass  das 
Wörtchen  \xr^  der  ältesten  attischen  Prosa  ganz  und 
gar  fremd  ist  und  nur  allmälig  reichere  Verwendung 
findet.  Da  war  denn  der  Gedanke,  Plato's  Schriften  darauf 
anzusehen ,  ob  die  seinem  Zeitalter  gemeinsame  Neuerung 
nicht  auch  in  ihrem  Bereiche  Phasen  des  Wachsthums  offen- 
bare, nicht  mehr  ein  verkehrter,  wohl  aber  verhiess  er  von 
vornherein  (so  lange  die  Häufigkeit  des  Gebrauches  allein 
in  Betracht  kam)  nichts  weniger  als  durchweg  befriedigende 
Ergebnisse.  Denn  den  allgemeinen  Ursachen  --  einer 
stilistischen  Neigung  des  Zeitalters  oder  auch  der  wachsenden 
Vorliebe  des  individuellen  Autors  —  standen  allzu  viele  sie 
einschränkende  oder  verdeckende  Sonderursaohen  :  Inhalt. 
Form,  Ton  der  einzelnen  Dialoge,  auch  Laune  und  Stimmung 
des    Schriftstellers,    gegenüber,    als    dass    man   die    «Tsleivn   zu 


[753]  Platonische  Aufsätze.  15 

reinem  und  sicherem  Zahlenausdruck  gelangen  zn  sehen  mit 
Zuversicht  erwarten  konnte.  Um  Vieles  günstiger  gestaltete 
sich  jedoch  das  Unternehmen  auf  Grund  der  weiteren 
Wahrnehmung,  dass  gewisse  Gebrauchsweisen  jener 
Partikel  einem  sehr  beträchtlichen  Theil  der  platoni- 
schen Gespräche  durchaus  abgehen.  Hier  konnte  mit 
weit  besserem  Recht  der  Versuch  gewagt  werden,  aus  dem 
mehr  oder  weniger  häufigen  Auftreten  dieser  im  Verlaufe  der 
Schriftstellerei  unseres  Autors  selbst  neu  gewonnenen  Ausdrucks- 
mittel chronologische  Schlüsse  zu  ziehen.  Denn  die  Vermuthung 
spricht  ja  in  der  That  dafür,  dass  eine  Sprachneuerung  sowohl 
im  Geiste  ihres  Urhebers  allmälig  tiefere  Wurzeln  schlage,  als 
auch  mit  Rücksicht  auf  den  derselben  ungewohnten  Leserkreis 
nur  stufenweise  zu  ausgedehnterer  Verwendung  gelange.  Allein 
auch  diese  Präsumtion  muss  sich  nicht  jedesmal  als  durch 
die  Thatsachen  gerechtfertigt  erweisen.  Ist  doch  Stetigkeit 
im  Wachsthum  einer  Sprachgewohnheit  zwar  die  Regel,  aber 
keineswegs  eine  ausnahmslose  Regel.  Bewusstes,  ja  planmässiges 
Wollen  kann  selbst  dort,  wo  man  es  am  wenigsten  voraus- 
setzt, das  blindwirkende  Walten  des  Geschmacks  und  der  An- 
gewöhnung durchkreuzen.  Ranke  erzählt  irgendwo,  er  habe 
einmal  seine  übermässige  Vorliebe  für  den  Gebrauch  einzelner 
Partikeln  wahrgenommen  und  diese  dann  eine  Zeit  lang  streng 
und  ängstlich  gemieden.  Aehnliches  konnte  auch  Plato  be- 
gegnen, bei  der  Erweiterung  seines  Sprachschatzes  noch  leichter 
als  bei  der  blossen  Anwendung  des  Altgewohnten  und  Altver- 
trauten. Wie  schwer  freilich  diese  und  verwandte  Möglich- 
keiten in  die  Wagschale  unseres  Urtheils  zu  fallen  haben 
und  inwieweit  sie  im  Verein  mit  den  anderweitigen,  oben  er- 
wähnten Fehlerquellen  die  Triftigkeit  auch  dieser  Schlussweise 
beeinträchtigen,  lässt  sich  schwerlich  von  vornherein  und  im 
Allgemeinen  in  bestimmter  Weise  feststellen. 

Ungleich  bedeutsamer  als  alle  Frequenz-Verschiedenheiten 
ist  jedoch  jene  oben  berührte  fundamentale  Thatsache  selbst, 
durch  deren  Ermittlung  Dittenberger  sich  ein  hervorragendes 
Verdienst  erworben  hat.  Ich  meine  das  vollständige  Fehlen 
dreier  Gebrauchsweisen  der  Partikel  jwjv  in  nahezu  einem 
vollen  Drittheil  alles  dessen,  was  Plato  .geschrieben  hat. 
Hierin    ein    blosses    Spiel     des    Zufalls    zu     erblicken,    davon 


16  Goraperz.  [754] 

kann  gar  Vieles  abmahnen.  Ausser  alle  dem  was  Dittenberger 
(insbesondere  S.  327  —  334)  ausgeführt  hat,  zunächst  auch 
der  Umstand,  dass  die  aus  der  Beachtung  jenes  Unter- 
schiedes entspringende  Haupt-Grupp  en- Scheidung  jene 
Untergruppen  unangetastet  lässt,  welche  Plato  selbst  als  solche 
bezeichnet  hat:  Theätet ,  Sophistes  und  Politikos  einer-,  Re- 
publik (sammt  Kleitophon),  Timäos  und  Kritias  andrerseits; 
kaum  weniger  die  Thatsache,  dass  die  rein-sokratischen  Dialoge 
sich  (mit  der  einen  Ausnahme  des  an  der  Grenzscheide  stehen- 
den Lysis)  auf  der  einen  Seite  jener  sprachlichen  Unter- 
scheidungslinie befinden,  desgleichen  die  sogenannten  dialekti- 
schen Gespräche  insgesammt  auf  der  anderen.  Den  Versuch 
aber,  dieses  Argument  dadurch  zu  Falle  zu  bringen,  dass 
man  einige  offenkundigermassen  auf  blossen  Coincidenzen  beru- 
hende, vermeintliche  Parallelerscheinungen  nachwies  (Freder- 
king,  S.  538  und  540),  hat  meines  Erachtens  seine  Kraft  nicht 
erschüttert,  sondern  nicht  unwesentlich  erhöht.  Vermochte  doch 
selbst  die  eifrigste  Suche  nach  derartigen  Pseudo-Sprachkriterien 
nichts  den  Dittenberger'schen  Nachweisen  irgend  annähernd 
quantitativ  oder  qualitativ  Gleichwerthiges  zu  Tage  zu  fördern. 

Weit  tiefgehender  sind  andere  Einwürfe ,  welche  gegen 
die  Dittenberger'schen  Resultate  theils  erhoben  worden  sind, 
theils  sich  erheben  lassen.  Sie  fassen  auf  der  Kleinheit 
mancher  hiebei  ins  Spiel  kommender  Zahlen,  auf  der  ungleich- 
massigen  Vertheilung  der  massgebenden  sprachlichen  That- 
sachen  und  auf  der  Abhängigkeit  jener  stilistischen  Besonder- 
heiten von  zum  Theil  klar  erkennbaren  Specialursachen.  Diese 
Einwürfe  sind  bis  zu  einem  gewissen  Punkte  wirklich  triftig, 
aber  sie  berühren,  wie  ich  meine,  nicht  das  von  jenem  Forscher 
erzielte  Hauptergebniss. 

Die  Zustimmungsformel  ti  (jlvjv;  (,wie  sonst?  wie  anders?'), 
die  mit  gutem  Grunde  in  diesen  sprachstatistischen  Unter- 
suchungen die  hervorragendste  Rolle  spielt  (s.  Dittenberger, 
S.  334),  fehlt  im  ersten  Buch  der  Republik  gänzlich;  die 
Formeln  ys  fjt^v  und  aXXa — jji^v  begegnen  darin  nur  je  einmal 
(332 c  und  348 c).  So  ruht  denn  die  Zuweisung  dieses  Buches 
an  die  zweite  Sprachperiode  Plato's  nur  auf  zwei  Sätzchen. 
Hätte  er  diese .  nicht  geschrieben  —  und  wer  möchte  wolil 
behaupten,   dass  er  sie  schreiben   musste?        so  stünde  dieses 


[755]  Platonische  Aufsätze.  17 

Buch,  wie  Frederking  (S.  536)  richtig  bemerkt  hat,  so  weit 
jene  Kriterien  in  Betracht  kommen,  auf  dem  Sprachniveau  der 
ersten  Periode  und  würde,  falls  es  eine  selbständige  Schrift 
wäre,  mit  demselben  Rechte  wie  etwa  der  gleich  umfangreiche 
Laches  dieser  zugewiesen.  Dies  kann  als  eine  ernste  Mahnung 
zur  Vorsicht  gelten  —  eine  Mahnung  freilich,  welcher  derjenige 
nicht  bedarf,  der  mit  der  erforderlichen  logischen  Schulung 
an  derartige  Untersuchungen  herantritt.  Denn  ein  solcher  weiss, 
dass  sprachstatistische  gleich  allen  anderen  statistischen,  d.  h. 
rein  empirischen  Ermittlungen  nicht  Gesetze  oder  Causal- 
verbindungen  irgendwelcher  Art  beweisen  können,  sondern 
nur  Präsumtionen  einerseits  und  Verificationen  andererseits 
schaffen  helfen,  und  dass  somit  die  aus  ihnen  hervorgehenden 
Ergebnisse  niemals  einen  absoluten  Werth  zu  beanspruchen 
berechtigt  sind.1  Er  weiss  ferner,  wie  trüglich  negative 
Kriterien  jeder  Art  sind,  und  endlich,  dass  grosse  Zahlen 
allein  im  Stande  sind,  auch  nur  jenen  Grad  von  Gewissheit  zu 
erzeugen,  welchen  aus  statistischen  Beobachtungen  fliessende 
Folgerungen  überhaupt  zu  gewähren  vermögen. 

Noch  dringendere  Mahnungen  zur  Behutsamkeit  ertheilt 
uns  das  Symposion.  Denn  hier  erfahren  wir  nicht  nur,  wie 
nahe  die  Gefahr  liegt  auf  dem  in  Rede  stehenden  Wege  in 
die  Irre  zu  gehen,  sondern  wir  ersehen  daraus  auch,  dass 
derselbe  in  der  That  bereits  in  die  Irre  geführt  hat.  Die  Ver- 
bindung dtXXa — pu{v  begegnet  in  diesem  Gespräch  zweimal,  und 
dieses  zweimalige  Vorkommen  ist  nebst  dem  einmaligen  Auf- 
tauchen von  v£  <nf«v  der  alleinige  Grund,  weshalb  dasselbe 
Plato's  zweiter  Sprachperiode  zugetheilt  wird.  Nun  stehen  aber 
diese  beiden  Stellen  (202 d—e  und  206 e)  ganz  nahe  bei  einander, 
inmitten  eines  völlig  eigenartigen  Stückes  dieser  Schrift,  nämlich 
in  dem  ungemein  lebhaften  Wechselgespräch  zwischen  Sokrates 
und  Diotima,  d.  h.  in  der  einzigen  eigentlich  dialogischen 
Partie  des  Werkes,  welche  Hug  (S.  LIII)  sehr  treffend  einen 
platonischen  Dialog   innerhalb    des  Dialogs    genannt  hat.    Man 

1  Denn  wie  sollte  das  empirische  Gesetz  successiver  Erscheinungsreihen, 
welche  von  vielen,  an  Zahl  und  Stärke  wechselnden,  Ursachen  abhängen, 
etwas  Anderes  zum  Ausdruck  bringen  als  Tendenzen,  von  denen  nur 
der  Unverstand  die  Unverbrüchlichkeit  ausnahmsloser  Causa  1- 
verbin düngen  erwarten  oder  heischen  könnte? 

2 


18  Gomperz.  [756] 

sieht,  Plato  konnte  längst  im  Besitze  dieses  Ausdrncksmittels 
sein,  er  konnte  das  ganze  jGastmahl',  genau  so  wie  es  vor  uns 
liegt,  geschrieben  haben,  es  brauchte  nur  dieser  Dialog  im 
Dialoge  zu  fehlen  —  und  die  Merkzeichen  der  zweiten  Sprach- 
periode waren,  bis  auf  das  eine  -ys  jrr,v  (197 a),  geschwunden; 
das  Symposion  wäre  dann  (soweit  dieses  Kriterium  in  Betracht 
kommt)  dem  an  Umfang  gleichen  Protagoras  zeitlich  gleich- 
gestellt worden.  Freilich  hätten  sich  in  solchem  Falle  die  be- 
treffenden Forscher,  sobald  sie  über  ein  non  liquet  hinausgingen, 
eines  logischen  Fehlers  schuldig  gemacht;  denn  sie  durften  in 
einem  wesentlich  nicht-dialogischen  Werke  nicht  Wendungen 
erwarten,  die  nur  oder  fast  nur  dem  belebten  Wechselgespräch 
eigen  sind.  Eben  denselben  Fehler  haben  aber  Dittenberger 
und  Schanz  gerade  in  Betreff  des  Symposion  wirklich  begangen, 
indem  sie  aus  dem  Fehlen  der  dialogischen  Formel  xi  jj/r^v; 
die  Priorität  dieses  Werkes  vor  dem  Phädros  (mit  Unrecht, 
wie  schon  Frederking  sah,  S.  535,  A.  1)  erschliessen  zu  dürfen 
glaubten. 

Auch  die  nachfolgenden  Erwägungen  mögen  nicht  jeder 
Beachtung  unwerth  scheinen.  Die  Formel  xt  jjl^v  ;  dient  zur  Varii- 
rung  des  Ausdrucks  der  Zustimmung.  Das  Bedürfnis»  solcher 
Variirung  tritt  dort  am  stärksten  auf,  wo  lange  Reihen  bei- 
pflichtender Aeusserungen  einander  folgen.  Dies  findet  in  den 
lehrhaften  Dialogen  in  weit  höherem  Masse  statt  als  in  jenen, 
welche  das  Alterthum  agonistische  genannt  hat,  also  im 
Philebos,  Sophistes,  Politikos  ungleich  mehr  als  z.  B.  im  Prota- 
goras. Auch  fehlen  in  jenen  die  der  sprachlichen  Mannigfaltig- 
keit an  sich  förderlichen  qualitativen  Verschiedenheiten  der  Zu- 
stimmungsäusserung ,  wie  sie  durch  ein  erceveuo-e,  [AOft?  src&euoe, 
£gtoj  goc  tcuto  u.  s.  w.  im  Protagoras  und  Gorgias  zur  Anwendung 
gelangen.  Ferner  besitzt  diese  Formel  eine  Lebhaftigkeit,  welche 
den  dramatischen  Gesprächen  oder  Gesprächspartien  um 
Vieles  besser  ansteht  als  den  nacherzählten.  Beweis  dessen 
der  Umstand,  dass  in  der  Republik  32  Fällen  des  blossen  -;. 
pp;  nur  je  einer  von  xi  jJrtjv;  ift\  (410a)  und  v.  jrr,v;  rt  S'5$  (583a) 
gegenüberstehen.  Auch  ist  die  in  Frage  stehende  Formel  ein 
Ausdruck  nicht  nur  lebhafter,  sondern  auch  williger,  freudiger, 
rückhaltloser  Zustimmung,  wie  er  in  den  Schülergesprächen 
der  spätesten  Epoche,    aber  auch   in   solchen   wohl   am   Platze 


T7571  Platonische  Aufsätze.  19 

ist,  in  welchen  —  sie  mögen  nun  welcher  Zeit  immer  ange- 
hören —  der  Mitunterreder  die  unselbständige  Fügsamkeit 
eines  Phädros  besitzt.  Man  könnte  sich  versucht  fühlen,  in 
diesen  mehr  als  in  chronologischen  Unterschieden  die  Ursache 
des  Gebrauchs  und  Nichtgebrauchs  jener  Formel  zu  finden. 

Damit  habe  ich  den  Köcher  meiner  skeptischen  Ein- 
wendungen geleert.  Dieselben  sind  von  sehr  verschiedenem 
Gewicht;  allein  sie  treffen,  wie  ich  meine,  im  besten  Falle  nur 
die  Aussenwerke  der  Dittenberger'schen  Beweisführung,  nicht 
ihren  Mittelpunkt  und  Kern.  Zumal  die  zuletzt  angeregten  Ge- 
sichtspunkte sind  ergiebig  genug,  wo  es  gilt,  einzelne  Fehlan- 
wendungen (insonderheit  in  Betreff  der  aus  der  Partikel-Fre- 
quenz zu  ziehenden  Schlüsse)  hintan  zuhalten  und  uns  davor  zu 
bewahren,  die  Instanzen  blos  zu  zählen  anstatt  sie  auch  zu  wägen. 
Aber  das  grosse  Gesammtergebniss ,  die  Scheidung  zweier 
Hauptgruppen  wird  von  ihnen  nicht  berührt.  Den  zehn 
Fällen  von  ti  [xy]v;  welche  die  letzten  25  (Hermann'schen)  Seiten 
des  Phädros  enthalten,  steht  z.  B.  das  vollständige  Fehlen  dieser 
Verbindung  in  dem  durch  die  gleich  fügsame  Willfährigkeit  des 
Haupt-Mitunterredners  ausgezeichneten,  29  Seiten  zählenden 
Charmides  gegenüber.  Die  Form  der  Nacherzählung  wird  in 
diesem  Dialog  gleichwie  im  Phädon,  Euthydem  u.  s.  w.  häufig 
genug  durchbrochen,  um  dem  von  uns  erhobenen  Einwurf 
einen  grossen  Theil  seiner  Kraft  zu  rauben.  Und  warum  bietet 
der  zugleich  rein -dramatische  und  durchaus  lehrhafte  Menon 
mit  seinen  langen  Reihen  von  copoSpoc  y&,  wdvu  -/e,  iaxi  xauxa, 
s-fio-fc,  7Uöevu  ptiv  ouv,  [j.aXtcia  ye,  vai,  avocy^Y)  u.  s.  w.  kein  einziges 
Beispiel  jener  Formel?  Weshalb  der  Phädon  in  seinen  grossen 
dramatisch-dialogischen  Bestandtheilen  ?  Ja,  selbst  im  Gorgias 
fehlt  es  nicht  an  umfangreichen  Abschnitten,  wo  die  gehäuften 
vai,  avcrp%  ^w?  -yap  ou;  u.  s.  w.  solch  eine  Abwechslang  als 
sehr  erwünscht  erscheinen  Hessen.  Welcher  neckische  Zufall 
soll  es  endlich  gefügt  haben,  dass  der  langen  Reihe  dieser 
Schriften  auch  jene  zwei  anderen  ^v-Verbindungen  durchaus  ab- 
gehen, von  welchen  jeder  Bestandtheil  der  zweiten  Reihe, 
wenngleich  oft  nur  vereinzelte  Beispiele  aufweist? 

So  mag  denn  das  Urtheil  immerhin  in  Ansehung  eines 
oder  des  anderen  Gruppenglieds  schwanken,  die  Gruppen- 
scheidung   selbst   dürfte   aus   allen    Anfechtungen   unversehrt 


20  Gomperz.  [758] 

hervorgehen.  Denn  die  Bedenken,  welche  die  kleinen 
Zahlen  wachrufen,  widerlegen  die  grossen.  Ja,  die  ana- 
lytische Detailbetrachtung,  welche  wir  durch  die  obigen  Erör- 
terungen den  Plato -Forschern  empfehlen  wollten,  bietet  Mittel 
dar,  nicht  nur  um  Zweifel  zu  erregen,  sondern  auch  um  schon 
geweckte  Zweifel  zu  zerstreuen.  So  hilft  z.  B.  der  agonisti- 
sche  Charakter  eines  grossen  Theiles  des  ersten  Buchs  der 
Republik  (dort,  wo  Thrasymachos  der  Haupt-Mitunterredner  ist) 
das  vollständige  Fehlen  von  xi  fj^vj  erklären.  Die  Hauptsache 
aber  ist  und  bleibt  die  grosse  Zahl  und  Mannigfaltigkeit  der 
auf  beiden  Seiten  der  Sprachgrenze  befindlichen  Schriften.  Ich 
gehe  nicht  so  weit  zu  sagen,  dass  der  Zufall  hiedurch  voll- 
ständig und  unbedingt  eliminirt  ist.  Aber  in  sofern  kann  er 
sicherlich  als  ausgeschieden  gelten,  dass  die  Annahme  zeit- 
licher Trennung  der  beiden  sprachlich  geschiedenen  Gruppen 
den  Werth  einer  in  hohem  Masse  beachtenswerthen  Präsum- 
tion für  sich  in  Anspruch  nehmen  darf.  Daraus  erwächst  uns 
die  dringende  Aufforderung,  die  Consequenzen  jener  Annahme 
zu  ziehen  und  sie  mit  anderen  gewichtigen  Kriterien  zusammen- 
zuhalten. Dass  jene  Präsumtion  die  hieraus  entstehende  Probe, 
wie  wir  schon  gesehen  haben  und  noch  des  Weiteren  sehen 
werden,  im  Wesentlichen  siegreich  besteht,  —  dieser  Umstand 
lässt  sie  in  der  Scala  der  Wahrscheinlichkeiten  zu  einem  so 
hohen  Punkte  emporsteigen,  als  dies  bei  derartigen  Forschungen 
nur  irgend  zu  erwarten  ist. 

Oder  die  Untersuchung  mag  auch  —  man  verzeihe  die 
Breite  dieser  methodologischen  Erörterung  —  einen  theilweise 
umgekehrten  Weg  einschlagen.  Dass  die  rein  -  sokratischen 
Dialoge  einander  zeitlich  benachbart  sind ,  dass  dasselbe  von 
den  dialektischen  Gesprächen  gilt,  dass  die  ersteren  den 
letzteren  vorangehen:  von  diesen  und  ähnlichen  an  sich  wahr- 
scheinlichen Voraussetzungen  mag  die  Forschung  ihren  Aus- 
gang nehmen,  während  den  sprachstatistischen  Ermittlungen 
die  Aufgabe  zufällt,  welcher  die  Methodcnlehrc  den  Namen 
der  Verification  ertheilt  hat.  Diesem  schlagenden  Oon- 
sensus  von  einander  unabhängiger  Forschungsweisen  wird 
endlich  durch  zwei  weitere  Reihen  von  Thatsachen  eine  neue 
Beglaubigung  zutheil.  Einmal  dadurch,  dass  die  also  erwachsene 
Gruppenbildung  mit  den  von  Plato  selbsi   aufgestellten  unter- 


[759]  Platonische  Aufsätze.  21 

gruppen  (wie  schon  einmal  bemerkt)  nirgendwo  in  Widerstreit 
gerätli,  zweitens  durch  die  Gewinnung  einer  Anzahl  anderer,  von 
den  Gebrauchsweisen  der  Partikel  \rr^  völlig  unabhängiger,  aber 
mit  diesen  im  Grossen  und  Ganzen  in  erstaunlicher  Weise  parallel- 
gehender Sprachkriterien,  welche  in  erster  Reihe  von  Dittenberger 
selbst,  in  zweiter  von  Schanz  ermittelt  worden  sind.  Zumal  der 
von  Ersterem  als  II b  bezeichnete  Haupttheil  der  zweiten  Gruppe 
(wozu  nur  von  allem  Anfang  an  auch  Timäos  und  Kritias  zu 
zählen  waren)  ist  es,  der  hiedurch  einen,  meines  Erachtens,  jedem 
Angriff  trotzenden  Bestand  gewonnen  hat.  Auf  die  verhält- 
nissmässig  geringfügigen  Differenzen  zwischen  den  Ergeb- 
nissen dieser  zwei  Gelehrten  hier  einzugehen,  ist  nicht  meine 
Absicht.  Doch  kann  ich  nicht  umhin,  mein  Bedauern  darüber 
auszusprechen,  dass  Schanz  sich  an  mehreren  Stellen  seiner  so 
schätzenswerthen  Abhandlung  in  einer  Weise  ausgedrückt  hat, 
welche  einen  Mangel  an  methodischer  Strenge  bekundet  und 
sicherlich  zu  principiellen  Anfechtungen  dieser  ganzen  Unter- 
suchungsweise neuen  und  willkommenen  Anlass  bieten  wird. 
Ich  meine  Folgendes.  Dass  ein  Schriftsteller  nicht  alle  oder  viele 
seiner  Stileigenthümlichkeiten  an  einem  Tage  oder  mit  einem 
Schlage  wechseln  wird,  ist  selbstverständlich,  und  nur  die  Thor- 
heit  könnte  etwas  Anderes  erwarten.  Nichts  natürlicher  daher, 
als  dass  die  verschiedenen,  den  Uebergang  von  einer  Epoche  zur 
anderen  bezeichnenden  Sprachwandlungen  Plato's  nicht  durch- 
aus strenge  Gleichzeitigkeit  offenbaren.  Es  kann,  ja  es  muss 
geschehen,  dass  dasselbe  Werk  an  dem  Massstab  des  einen 
Sprachkriteriums  gemessen  noch  in  die  Periode  A  und  nach 
dem  Ausweis  eines  anderen  bereits  in  die  Periode  B  zu  fallen 
scheint.  Solch  eine  Schrift,  die  in  sprachlicher  Rücksicht  gleich- 
sam mit  einem  Fusse  in  der  vorangehenden  und  mit  dem  an- 
deren in  der  nachfolgenden  Phase  steht,  muss  selbstverständlich 
auch  ihrer  Abfassungszeit  nach  (falls  nicht  eine  Ueberarbeitung 
angenommen  werden  soll)  der  Grenzscheide  zweier  Epochen  an- 
gehören. Gelingt  es,  diese  ihre  Stellung  als  möglich  zu  er- 
weisen, so  geschieht  der  Geltung  jener  Sprachkriterien,  die 
in  diesem  einzelnen  Falle  mit  einander  in  Conflict  gerathen, 
keinerlei  Abbruch.  Tritt  an  die  Stelle  blosser  Möglichkeit  ein 
geringerer  oder  höherer  Grad  der  Wahrscheinlichkeit,  so 
erfährt  die  Autorität  der  bezüglichen  Kriterien  sogar   eine    dem 


22  Gomperz.  [760] 

entsprechende  Steigerung;  und  jene  Grenzwerke  erlangen  da- 
durch ,  dass  sie  gewissermassen  zu  Knoten  des  Zeitfadens 
werden ,  eine  hohe  methodische  Bedeutung.  Schlagen  aber 
alle  derartigen  Versuche  fehl,  so  muss  zwischen  den  einander 
widerstreitenden  Prüfmitteln  eine  Wahl  getroffen  und  das 
eine  der  beiden  nicht  nur  für  den  einzelnen  Fall ,  sondern 
überhaupt  verworfen  werden.  Es  scheint  undenkbar,  dass 
Schanz  sich  dieser  Einsicht  sollte  versehliessen  wollen.  Allein 
er  gibt  ihr  jedenfalls  keinen  Ausdruck;  ja,  manche  seiner 
Aeusserungen  klingen  so,  als  ob  er  die  besondere  Artung 
dieses  Problems  sich  noch  nicht  zu  deutlichem  Bewusstsein  ge- 
bracht hätte  und  es  für  statthaft  hielte,  zwei  Sprachkriterien, 
deren  Ergebnisse  sich  an  mehreren  Punkten  widersprechen,  ohne 
weiteres  neben  einander  zu  gebrauchen  und  sich  je  nach  Be- 
darf bald  des  einen  bald  des  anderen  zu  bedienen  (vgl.  S.  448 
bis  449  und  452). 

Doch  es  dürfte  angemessen  und  an  der  Zeit  sein,  die 
beiden  Hauptreihen,  wie  sie  sich  nach  den  von  mir  ergänzten 
Untersuchungen  Dittenberger's  auf  Grund  der  drei  massgeben- 
den (Ji^v-Verbindungen  darstellen,  dem  Leser  vorzulegen.  Und 
zwar  wähle  ich  hiefür  die  alphabetische  Anordnung. 


[761] 


Platonische  Aufsätze. 


23 


Gesammt- 

Umfang  nach 

it  pfa 

T£  FW 

aXXa — 

zahl   der 
Beispiele 

Seiten  der 
Hermann'schen 

von  {ir;v 

Ausgabe 

I  *,AtcoAoywc     .   .  . 

— 

— 

— 

1 

33 

Top^iaq  

— 

— 

— 

24 

116 

Eü968yj[/.os    .   .   . 

— 

— 

— 

12 

45 

Euöucppwv  .... 

— 

— 

— 

2 

23 

Thmac  sXaxxwv  . 

— 

— 

— 

5 

20 

Kpav'jXoq  .... 

— 

— 

— 

18 

79 

KpiTWV 

— 

— 

— 

— 

17 

Aay^; 

— 

— 

— 

7 

32 

*Mev£§evos    .   .   . 

— 

— 

— 

1 

19 

Mevwv 

— 

— 

— 

10 

46 

Ilpwiayopa;     .    . 

— 

__ 

— 

5 

63 

<I>a'3(i)v 

— 

— 

20 

79 

XapixßYj?  .... 
II    6eafor)Toq    .   .   . 

.    — 

— 

— 

7 

29 

112 

601 

13 

1 

1 

38 

101 

*KXeiTO<piov 

— 

— 

1 

2 

6 

*KptTia?  .   . 

— 

1 

— 

2 

19 

Auati;1   .   . 

1 

— 

4 

12 

24 

Nofxct     .   . 

48 

24 

2 

166 

417 

Hap[j(,£Vi§Yj<; 

6 

5 

2 

81 

50 

Ho/aTSia   . 

34 

2 

11 

158 

318 

[IoXtTtx6(; . 

20 

8 

3 

75 

83 

Lö^ionj?   . 

12 

5 

2 

72 

82 

Sujjwuoariov 

— 

1 

2 

15 

62 

*Tt[j.c«o<; .   . 

— 

6 

— 

9 

88 

<I>ai8po<;    . 

11 

1 

1 

24 

68 

$i>vY]ßb<;   . 

26 

7 

2 

78 

87 

171 

61 

31 

732 

1405 

Gesamii 

atzahl 

263 

Auf  dao  eine  —   von  Dittenberger  übersehene  —  xl  fin^v;  im  Lysis  (219  e) 
hat  mich  Otto  Apelt  in  Weimar  freundlichst  aufmerksam  gemacht. 


24  Gomperz.  [762] 

Mit  einem  Sternchen  habe  ich  diejenigen  Schriften  be- 
zeichnet ,  welche  Dittenberger  von  der  Untersuchung  auszu- 
schliessen ,  ich  in  diese  mit  einzubeziehen  als  angemessen 
erachtet  habe.  Von  ,  Apologie,  Tiinäus  und  Kritias'  hat  nämlich 
jener  Forscher  darum  ^abgesehen,  weil  in  ihnen  das  dialogische 
Element  so  zurücktritt,  dass  das  Vorkommen  der  in  Rede 
stehenden  Partikelverbindungen,  welche  theils  ausschliesslich, 
theils  vorwiegend  in  der  Wechselrede  ihre  Stelle  haben,  der 
Natur  der  Sache  nach  ein  ganz  sporadisches  sein  muss  und  nach 
keiner  Seite  zu  sicheren  Schlüssen  berechtigt'.  (S.  326 — 327, 
Anm.  2).  Dieses  Verfahren  mochte  sich  bei  der  Abfassung 
jenes  grundlegenden  Aufsatzes  bis  zu  einem  gewissen  Masse 
empfehlen,  wenn  sich  gleich  der  Doppeleinwand  nicht  völlig 
abweisen  lässt,  dass  die  eine  der  drei  Verbindungen  —  76  |rr,v 

—  mit  dem  dialogischen  Elemente  wenig  zu  thun  hat,  und 
dass  die  individualisirende  Behandlung,  sobald  sie  einmal 
überhaupt  beliebt  ward,  auch  auf  andere  Stücke,  in  welchen 
die  zusammenhängende  Darlegung  über  die  Wechselrede  über- 
wiegt (vor  Allem  auf  das  Symposion),  hätte  ausgedehnt  werden 
können.  Doch  wie  dem  auch  sei;  jetzt,  wo  es  die  erzielten 
Ergebnisse  zu  überprüfen,  gegen  Einwendungen  zu  sichern 
und  ins  Feinere  auszuarbeiten  gilt,  scheint  jene  Ausschliessung 
jedenfalls  nicht  mehr  am  Platze  zu  sein.  Wenn  die  Apologie, 
deren  Abfassungszeit  unmöglich  um  viele  Jahre  von  der  Hin- 
richtung des  Sokrates  entfernt  sein  kann,  auch  nur  ein  Bei- 
spiel jener  drei  Verbindungen  aufwiese,  so  stünde  es  schlimm 
um  die  These,  dass  Plato  zur  Zeit,  da  er  die  Schriftengruppe  I 
verfasste,  deren  Glieder  entweder  insgesammt  oder  doch 
sicherlich  zum  allergrössten  Theil  der  Apologie  nachfolgten, 
die  fraglichen  Verbindungen  seinem  Sprachschatz  noch  nicht  ein- 
verleibt hatte.  In  Wahrheit  begegnet  uns  in  der  Apologie  jjiyjv 
nur  als  Betheuerungsformel  (yj  ptvjv),  und  zwar  blos  einmal  (22*) 

—  nebenbei  ein  in  quantitativer  und  qualitativer  (s.  Ditten- 
berger, S.  329)  Rücksicht  höchst  beachtenswerthes  Vorkomm- 
niss,  welches  im  Verein  mit  der  vollständigen  Abwesenheit  der 
Partikel  im  nächstverwandten  Kriton  gar  viel  zu  denken  gibt. 
Wenn  andererseits  die  der  Republik  nachfolgenden  und  somit 
in  die  zweite  Sprachschicht  eingebetteten  Werke  Timäos  und 
Kritias    gar    kein   Beispiel    einer   jener    drei    Verbindungen 


[763]  Platonische  Aufsätze.  25 

enthielten,  so  wäre  auch  dies  nicht  wohl  mit  der  Annahme  zu 
vereinigen,  dass  die  zweite  Sprachphase  im  Wesentlichen  mit 
einer  zweiten  Zeitperiode  zusammenfällt.  Der  nicht-dialogische 
Charakter  der  beiden  Schriften  lässt  freilich  die  Anwendung 
weder  von  t(  fjwjv;  noch  von  aXXa — \j:rtv  voraussehen;  ja  die  zum 
grossen  Theil  nicht  einmal  argumentative,  sondern  expositorische 
und  (namentlich  im  Kritias)  beschreibende  Darstellung  stellt  uns 
von  vornherein  eine  nur  geringe  Häufigkeit  der  Partikel  über- 
haupt in  Aussicht;  allein  das  sechsmalige  Vorkommen  von 
Ys  jjl-^v  (20d,  41 b,  53b,  63e,  72d,  77d),  gleichwie  das  einmalige 
Auftreten  von  y.at  jjlt^v  (19 a)  nebst  dem  zweimaligen  8oy,eT  jxtqv 
und  TCpoöujAYjTsov  fjufiv  (20 d,  87 b)  im  Timäos,  denen  im  Kritias 
ein  y£  \ufjp  (108 b)  und  ein  xauxbv  \j:r,v  (ebendort)  gegenübersteht, 
ist  nach  keiner  Richtung  hin  geeignet,  unser  Befremden  zu 
erregen.  Dass  die  Gesammtfrequenz  der  Partikel  in  den  beiden 
engverbundenen  Schriften  durch  fast  genau  dieselbe  Zahl  be- 
zeichnet wird,  nämlich  9'7  (Timäos)  und  9'5  (Kritias),  mag  im 
Vorübergehen  angemerkt  werden.  Aehnlich  Laches  (4-5)  und 
Charmides  (44).  Vgl.  S.  764,  Anm.  1. 

Den  Menexenos  und  Kleitophon  endlich  habe  ich  in 
das  Untersuchungsmaterial  mit  aufgenommen,  weil  mir  ihre 
Echtheit  ausser  jedem  Zweifel  zu  stehen  scheint,  und  freue 
ich  mich,  nunmehr  auch  auf  Diels'  gewichtiges  Votum  und  seine 
mit  der  Grote'schen  (III,  10 — 11)  durchaus  übereinstimmende 
Auffassung  des  erstgenannten  Gesprächs  verweisen  zu  können 
(S.  21 — 22).  Im  Uebrigen  gilt  es  hier  nur  zu  constatiren,  dass 
diese  Schrift,  die  durch  ihren  überwiegend  rhetorischen,  nicht- 
dialogischen Charakter  noch  mehr  als  das  Symposion  eine  Aus- 
nahmsstellung einnimmt,  kein  Merkmal  der  zweiten  Periode  auf- 
weist, sondern  mit  ihrem  einmaligen  xai  jr^v  (234 c)  und  —  wenn 
wir  ausnahms-  und  aushilfsweise  mit  dem  vorerst  noch  so  noth- 
wendigen  Vorbehalt  auch  die  Schanz'schen  Kriterien  herbeiziehen 
dürfen  —  ihrem  sechsmaligen  toi  ovti  (237 c,  239%  244 a,  247 d, 
247 e  [bis],  welchem  kein  ovtwc;  gegenüber,  wohl  aber  ein  aLkrßü<z 
[237 e]  ohne  ein  uq  &krß(oq  zur  Seite  steht)  bis  auf  Weiteres  der 
ersten  Sprachphase  einzureihen  ist.  Das  kleine  Kleitophon- 
Fragment  hingegen,  welches  der  Republik  so  nahe  steht,  besitzt  an 
aXV  afoxpov  l^v  (407a,  neben  einem  oü  ^rjv,  410e),  wenn  nicht 
auch  an  övtoj:  (409 e)  in  der  That  Merkzeichen  der  zweiten  Phase, 


26  Gomperz.  [764] 

Wer  das  Gesarnnitmaterial ,  wie  unsere  Tabelle  es  zur 
Darstellung  bringt,  überblickt,  der  dürfte  finden,  dass,  was  wir 
über  die  annähernde  Eliminirung  des  Zufalls  in  Betreff  der 
Gesammtgruppen  (nicht  jedes  einzelnen  ihrer  Glieder)  bemerkt 
haben,  die  Grenzen  der  Wahrheit  jedenfalls  nicht  überschreitet, 
wahrscheinlich  aber  hinter  denselben  nicht  unbeträchtlich  zurück- 
bleibt. Schwerlich  lässt  sich,  angesichts  der  grossen  Zahl  und 
Mannigfaltigkeit  der  in  jeder  der  zwei  Gruppen  enthaltenen 
Schriften,  für  das  vollständige  Fehlen  jener  drei  ^v- Verbin- 
dungen in  I  und  dem  fast  durchgängig  vereinigten  Auftreten 
derselben  in  II  ein  anderer  Grund  ersichtlich  machen  als  Nicht- 
vertrautheit  mit  ihnen  im  ersten,  Vertrautheit  mit  ihnen  im 
zweiten  Falle.  Aber  auch  die  Frequenz- Steigerung  der 
Partikel  jj.vp  überhaupt  in  II  (mit  I  verglichen)  ist  allzu  an- 
sehnlich und  allzu  gleichmässig  wahrnehmbar,  um  sich  dem  Ein- 
fluss  von  Sonderursachen  allein  füglich  zuschreiben  zu  lassen. 
Fassen  wir  die  Total-Ziffern  ins  Auge,  so  steht  dem  Gesammt- 
Frequenz  -  Quotienten  5'3  in  I  die  Zahl  1'9  in  II  gegenüber 
(d.  h.  in  der  Gruppe  I  als  Ganzes  genommen  entfällt  ein  p.^v 
auf  5*3  Hermann'sche  Seiten,  in  II  schon  auf  19).  Und  dieses 
Verhältniss  wird  nicht  wesentlich  verändert,  wenn  wir  die 
exceptionellen,  d.  h.  vom  jeweiligen  Mittel  sich  weit  ent- 
fernenden Stücke  (Kriton,  Apologie,  Euthyphron,  Protagoras, 
Menexenos  in  I,  Timäos,  Kritias  und  Symposion  in  II)  aus 
der  Rechnung  ausschliessen.  Dann  werden  die  Zahlen  5*3 
und  1*9  durch  43  und  1*7  ersetzt.  Ferner:  das  Frequenz- 
Maximum  der  zweiten  Reihe  beträgt  mehr  als  das  Sechs- 
fache des  Frequenz  -  Maximums  der  ersten  Reihe  (nämlich 
06  Parmenides  l  gegenüber  von  3'7  Euthydemos).  Ja  dieses 
letztere  erreicht  —  sobald  wir  nur  jene  drei,  vom  Mittelmass, 
und  zwar  aus  klar  erkennbaren  Gründen,  am  meisten  ab- 
weichenden Stücke  der  zweiten  Reihe  ausschliessen  —  nickt 
einmal  die  Höhe  des  Frequenz-Minimums  derselben.  Wird  doch 
dieses  Minimum  durch  3*0  (Kleitophon)  und  dem  zunächst  durch 


Oder  es  sei  auch,  da  die  —  meines  Eraehtens  freilich  völlig  grund- 
losen —  Anfechtungen  der  Echtheit,  dieses  Dialogs  noch  immer  nicht 
verstummt  sind,  statt  seiner  der  Sophistes  und  Politikos  oder  der  diesen 
genau  gleichstehende  Philebos  mit  1*1  namhaft  gemacht.  Man  sieht.  d.-is< 
seihst  dann   das  Multiplnm   noch   immer  ein   ansehnliches  bleibt. 


[765]  Platonische  Aufsätze.  27 

2*8  (Phädros),  jenes  Maximum  aber,  wie  wir  soeben  sahen,  durch 
den  Quotienten  3*7  bezeichnet.  Endlich:  die  Frequenz -Zu- 
nahme in  II  erweist  sich  selbst  dann  als  eine  erhebliche, 
wenn  wir  den  Zuwachs  ganz  und  gar  ausser  Acht  lassen, 
welcher  aus  der  Anwendung  der  drei  neuen  Partikel- 
verbindungen entsprungen  ist.  Denn  dann  bleiben  469 
Fälle  auf  1405  Seiten  übrig  und  der  Gesammt-Frequenz-Quotient 
wird  durch  die  Zahl  2*9  bezeichnet.  Schliesslich  und  letztlich  ist 
es  vielleicht  auch  nicht  nutzlos,  daran  zu  erinnern,  dass  der 
Frequenz  -  Quotient  in  den  acht  Normalschriften  der  ersten 
Gruppe  zwischen  3-7  und  4*8  (Gorgias),  in  den  zehn  Normal- 
schriften der  zweiten  Gruppe  zwischen  06  (Parmenides  und 
dem  zunächst  11  Sophistes,  Politikos,  Philebos)  und  3,  be- 
ziehungsweise 2*8  schwankt.  Hiebei  scheint  die  Enge  der 
jeweiligen  Oscillationsgrenzen  vielleicht  mehr  als  alles 
Andere  auf  das  Vorwalten  allgemeiner  Ursachen  hinzuweisen, 
welche  in  diesem  Falle  kaum  etwas  Anderes  sein  können  als 
die  Sprachgewohnheiten  verschiedener  Epochen  des  schrift- 
stellerischen Schaffens. 

Somit  darf  es  uns  als  in  hohem  Masse  wahrscheinlich 
gelten,  dass  die  zwei  von  Dittenberger  nachgewiesenen  Sprach- 
phasen Plato's  im  Grossen  und  Ganzen  in  der  That  zwei  Zeit- 
phasen entsprechen.  Die  Erhebung  hochgradiger  Wahrschein- 
lichkeit zur  Gewissheit  kann  sich  aber  freilich  nur  aus  der 
weiteren  Erörterung  und  Feststellung  der  sachlichen  Entschei- 
dungsgründe ergeben.  Hier  will  ich  vorläufig  lediglich  meine 
Ueberzeugung  dahin  aussprechen,  dass  die  erforderliche  Ueber- 
einstimmung  in  Wahrheit  vorhanden  ist  —  bis  auf  eine  ge- 
wichtige Ausnahme.  Dem  Phädros  weisen  die  Sachkrite- 
rien eine  andere  Stellung  an  als  die  Sprachkriterien. 
Haben  uns  doch  die  ersteren  bereits  die  volle  Gewissheit  gegeben, 
dass  der  Phädon  diesem  Dialoge  nicht  vorangeht,  sondern 
nachfolgt.  Desgleichen  erscheint  es  aus  mehr  als  einem  Grunde 
gewiss,  dass  dasselbe  mit  dem  Euthydemos  der  Fall  ist.  Denn 
an  Spengel's  (S.  36  ff..)  diesbezüglichen  Ermittlungen  (an  welche 
ich  Dittenberger  schon  1883  brieflich  erinnert  habe)  zu  rütteln 
scheint  unmöglich,  um  so  mehr,  als  die  von  Ueberweg  (S.  278) 
hervorgehobene,  in  diesem  Dialog  erfolgende  technische  Anwen- 
dung des  Wortes  Dialektik,  welches  im  Phädros  noch  der  Er- 


28  Gomperz.  [766] 

klärung  bedürftig  schien,  unterstützend  hinzutritt.  Das  letztere 
Argument  gilt  auch  für  den  Kratylos,  während  die  Grote'sche, 
bisher  unwiderlegte,  neuerlich  auch  von  Diels  vorgebrachte  und 
mir  als  zweifellos  richtig  geltende  Ansicht  von  den  Beweggründen^ 
welche  die  Abfassung  des  Menexenos  veranlasst  haben,  mit 
der  Priorität  auch  dieses  Gespräches  vor  dem  Phädros  unver- 
einbar ist.  Das  Symposion  will  ich  lieber  nicht  herbeiziehen, 
da  ich  einerseits  es  zwar  für  höchst  wahrscheinlich,  aber  nicht 
für  streng  bewiesen  erachte,  dass  der  Phädros  ihm  voranging, 
andererseits  die  von  Dittenberger  für  das  umgekehrte  Ver- 
hältniss  geltend  gemachten  sprachstatistischen  Gründe  sich  nicht 
als  zutreffend  erwiesen,  Schanzens  in  gleicher  Richtung  verwer- 
thete  Kriterien  aber  uns,  wie  bemerkt,  noch  nicht  als  vorbehaltlos 
annehmbar  erscheinen.1  Es  genügt,  dass  man  jenen  Widerstreit 
zwischen  Sach-  und  Sprachkriterien  auch  nur  in  Betreff  der 
Stellung  des  Phädros  zu  den  vier  vorgenannten  Schriften  oder 
(falls  man  auch  vom  Menexenos  lieber  absieht)  doch  zu  drei 
derselben  als  thatsächlich  vorhanden  anerkenne,  um  sich  vor  die 
entscheidungsschwere  Frage  gestellt  zu  sehen:  sollen  die  Sprach- 
kriterien gar  nichts  gelten?  Genauer  gesprochen:  darf  man  es 
für  glaubhaft  halten,  dass  Plato  sich  im  Besitz  jener  drei  vielbe- 
sprochenen Partikel- Verbindungen,  zumal  von  xi  jjuflvj  befand,  als 
er  den  Phädros  schrieb,  und  dass  er  trotzdem  von  ihnen  —  die  in 
einer  langen  Reihe  von  zum  grüssten  Theil  nachweislich  späten 
Schriften  eine  so  grosse  Rolle  spielen,  —  bei  der  Abfassung  des 
Euthydein,  des  Kratylos  und  des  Phädon,  die  zu  ihrer  An- 
wendung reiche  Gelegenheit  boten,  keinerlei  Gebrauch  gemacht 
hat?  Oder  vielmehr,  um  die  Fragestellung  noch  schärfer  und 
bestimmter  zuzuspitzen,  was  darf  uns  als  das  minder  Unwahr- 
scheinliche gelten:  dass  Plato  dies  gethan  hat  oder  dass  uns 
—  der  einzige  Ausweg,  der  sich  sonst  aus  diesem  Wirrsal  auf- 
thut  —  der  Phädros  in  zweiter  Bearbeitung  vorliegt? 
Ich  entscheide  mich  unbedenklich  für  die  letztere  Alternative, 
obgleich  ich  vielfachen  und  lebhaften  Widerspruches  gewärtig 


Diese  Suspension  des  Urtheils  dürfte  um  so  angemessener  sein,  als 
Schanz  im  Schlusssatz  seiner  Abhandlung  auf  , weiteres  Material', 
welches  ihm  ,zur  Verfügung  steht',  hingewiesen  und  dessen  Verarbeitung 
in,  hoffentlich  nahe,  Aussicht  gestellt  hat. 


[767]  Platonische  Aufsätze.  29 

bin.  Doch  mag  man  immerhin  über  das  Wagniss  dieser  Muth- 
massung  zetern.  Mit  Fug  darf  dies  nur  derjenige  thun,  dem 
es  gelungen  ist,  der  Gesammtheit  der  in  Frage  kommenden 
Thatsachen  in  allseitig  befriedigenderer  Weise  gerecht  zu  wer- 
den, nicht  Jene,  die  sich  der  Notwendigkeit  einer  vereinzelten 
kühneren  Vermuthung  blos  dadurch  zu  entziehen  vermögen, 
dass  sie  einen  ansehnlichen  Theil  der  Elemente  des  zu  lösenden 
Problems  willkürlich  ignoriren  —  sei  es,  dass  sie  vor  unbe- 
quemen Facten  und  Folgerungen  einfach  das  Auge  verschliessen, 
sei  es,  dass  sie  dieselben  mit  polternden  Kraftworten  hinweg- 
zuschelten  bemüht  sind.  Der  Sieg  wird  auf  diesem  gleichwie 
auf  jedem  anderen  Forschungsgebiete  schliesslich  der  Ansicht 
verbleiben,  welche  mit  einem  Maximum  von  vollbewiesenen 
Sätzen  ein  Minimum  an  sich  kaum  erweisbarer,  aber  zur  Ver- 
vollständigung des  Causal-Netzes  nicht  zu  entbehrender  An- 
nahmen verbindet. 


Literatur. 


Boiiitz  (Hermann),  Platonische  Studien,  3.  Auflage.  Berlin,  1886. 

Diels  (Hermann),  Ueber  das  dritte  Buch  der  aristotelischen  Rhetorik. 
Aus  den  Abhandlungen  der  k.  preuss.  Akademie  der  Wissenschaften. 
Berlin,  1886. 

Dittenberger  (Wilhelm),  Sprachliche  Kriterien  für  die  Chronologie  der 
platonischen  Dialoge.  Hermes  XVI,  321  ff.  Berlin,  1881. 

Frederking  (Arthur),  Sprachliche  Kriterien  für  die  Chronologie  der  pla- 
tonischen Dialoge.  Fleckeisen's  Jahrbücher.  Leipzig,  1882,  534  ft. 

Grote  (George),  Plato  and  the  other  companions  of  Socrates.  London,  1865. 

Hermann  (Karl  Friedrich),  Geschichte  und  System  der  platonischen  Philo- 
sophie. Erster  (einziger)  Band.  Leipzig,  1839. 
—  De   Piatonis   Menone,    Marburger   Universitäts-Programm    1837;    wieder 
abgedruckt   im    6.    Supplementband    der    Jahn'schen    Jahrbücher    für 
Philologie  und  Pädagogik.  Leipzig,    1840,  S.  51  ff. 

Höfer  (Hermann),  De  particulis  Platonicis.  Bonn,  1882. 

Hug  (Arnold),  Platon's  Symposion.  Leipzig,  1876. 

Krohn  (August),  Der  platonische  Staat.  Halle,  1876. 

Schanz  (Martin),  Zur  Entwicklung  des  platonischen  Stils.  Hermes  XXI, 
439  ff.  Berlin,   1886. 

Schleiermacher  (Friedrich),  Platon's  Werke.  3.  Auflage.  Berlin,  1855 
bis  1861. 


30  Gomperz.   Platonische  Aufsätze.  [768] 

Schultess  (Fritz),  Platonische  Forschungen.  Bonn,  1875. 

Siebeck  (Hermann),  Zur  Chronologie  der  platonischen  Dialoge.  Fleckeisen's 

Jahrbücher.  Leipzig,  1885,  226  ff. 
Spengel  (Leonhard),   Isokrates   und  Piaton.    Aus  den  Abhandlungen  der  k. 

bayer.  Akademie  der  Wissenschaften.    München,  1855. 
Tann  er  y  (Paul),   L'Education   platonicienne,    Revue   philosophique.   Paris, 

1881  (August-Heft). 
Ueberweg   (Friedrich),    Untersuchungen    über   die   Echtheit   und   Zeitfolge 

platonischer  Schriften.  Wien,   1861. 
Zell  er   (Eduard),    Ueber    die   Unterscheidung    einer   doppelten   Gestalt   der 

Ideenlehre    in    den    platonischen    Schriften.     Sitzungsberichte    der   k. 

preuss.  Akademie  der  Wissenschaften.    Berlin,  1887,  197  ff. 


Ausgegeben  am  31.  October  1887. 


*  v.  .-*?.•*.•• 


Ausgegeben  am  31.  October  1887. 


SITZUNGSBERICHTE 


DER 


KAIS.  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN  IN  WIEN 

PHILOSOPHISCH  -  HISTORISCHE  CLASSE. 


BAND   CXLI. 


VII. 

PLATONISCHE  AUFSÄTZE. 

II. 

DIE  ANGEBLICHE  PLATONISCHE  SCHULBIBLIOTHEK 
UND  DIE  TESTAMENTE  DER  PHILOSOPHEN. 

VON 

THEODOR  GOMPERZ, 

WIRKL.  MITGLIEÜE  DER  KAIS.  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


WIEN,    1899. 

IN    COMMISSION    BEI   CARL    GEEOLD'S   SOHN 

BUCHHÄNDLER  DER  KAIS.  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


SITZUNGSBERICHTE 


DER 


KAIS.  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN  IN  WIEN 

PHILOSOPHISCH -HISTORISCHE  CLASSE. 


BAND   CXLI. 


VII. 

PLATONISCHE  AUFSÄTZE. 

II. 

DIE  ANGEBLICHE  PLATONISCHE  SCHULBIBLIOTHEK 
UND  DIE  TESTAMENTE  DER  PHILOSOPHEN. 

VON 

THEODOR  GOMPERZ, 

WIRKL.  MITGLIEDE  DER  KAIS.  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


RARY 
TM 
ÜN1VEI  NOIS. 


WIEN,  1899. 

IN    COMMISSION    BEI    CARL    GEROLD'S    SOHN 

BUCHHÄNDLER  DER  KAIS.  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


Druck  von  Adolf  Holzhausen, 
k.  und  k.  Hot-  und  Univcisit-its-Hnclxhueki'r  in  Wien. 


Der  gegenwärtige  Aufsatz  bedeutet  die  Abtragung  einer 
alten  Schuld.  Als  der  Verfasser  im  Sommer  1867  sich  als 
Privatdocent  habilitierte ,  wählte  er  zum  Gegenstand  seines 
Probevortrags  eben  das  Thema ,  welches  hier  behandelt  wird, 
die  Frage  nach  dem  Bestände  einer  platonischen  Schulbibliothek. 
Da  ich  die  damals  erzielten  Ergebnisse  jüngst  anderwärts  kurz 
zu  verzeichnen  genöthigt  war  (Griechische  Denker  II  221  f.),  so 
ziemt  es  sich,  die  Gründe ,  die  mein  Urtheil  bestimmt  haben, 
gleichzeitig  den  nachprüfenden  Mitforschern  vorzulegen. 

Den  Anlass  zu  jener  Erörterung  gab  das  1865  veröffent- 
lichte Werk  George  Grote's  ,Plato  und  die  anderen  Gefährten 
des  Sokrates',  beziehentlich  das  ,Der  platonische  Kanon'  be- 
titelte Capitel,  welches  von  dem  Vorhandensein  solch  einer 
Bibliothek  als  von  einer  feststehenden  Thatsache  handelt 
(I  I32ff.7  insbesondere  135,  144  f.,  147,  152,  154).  Grote  hat 
bekanntlich  an  der  Echtheit  sämmtlicher  uns  aus  dem  Alter- 
thum  als  platonisch  überlieferten  Schriften  festgehalten.  Er 
glaubte  der  immer  grössere  Verhältnisse  annehmenden  Skepsis 
einen  unangreifbaren  Wall  entgegensetzen  zu  sollen.  Dass 
diese  skeptische  Bewegung  ins  Ungemessene  wachsen  würde, 
hat  er  mit  Recht  erwartet.  Ist  doch  in  dem  Jahre,  das  der 
Veröffentlichung    seines   Werkes   folgte,    das   Buch   erschienen, 

Sitzungsber.  d.  ptril.-hist.  Cl.  CXLI.  Bd.  7.  Abb.  1 


2  VII.  Abhandlung:     GomperZ. 

welches  ihren  Höhepunkt  bezeichnet :  Schaarschmidt's  ,Die 
Sammlung  der  platonischen  Schriften,  zur  Scheidung  der  echten 
von  den  unechten  untersucht',  worin  nur  mehr  ein  Vierttheil  von 
Piaton' s  Schriften  als  unzweifelhaft  echt  anerkannt  wurde.  Diesen 
und  verwandten  Abenteuerlichkeiten  stand  auch  ich  so  fern  wie 
Grote.  Auch  mir  wäre  es  in  hohem  Mass  erwünscht  gewesen, 
dem  Umsichgreifen  der  hyperkritischen  Seuche  endgiltig  ein 
Ziel  setzen  zu  können.  Ich  unterzog  darum  die  Grote'sche 
Aufstellung  sofort  einer  sorgsamen  Prüfung  und  wurde,  trotz 
des  lebhaften  Wunsches,,  sie  als  haltbar  zu  erkennen,  von  ihrer 
Unnahbarkeit  überzeugt.  Nicht  nur  dass  Grote  es  an  jedem 
Versuch  einer  positiven  Beweisführung  fehlen  Hess.  Die  innere 
Wahrscheinlichkeit,  dass  die  platonische  Lehranstalt  Platon's 
Werke  in  authentischen  Exemplaren  oder  vielmehr  die  Original- 
handschriften des  Meisters  besass,  dass  die  Bibliothekare  von 
Alexandrien  und  Pergamon  zur  Zeit  der  Gründung  dieser 
grossen  Büchersammlungen  sich  hier  über  das,  was  aus  Platon's 
Feder  geflossen  war,  den  zuverlässigsten  Bescheid  holen  konnten, 
und  dass  die  Ausgabe,  welche  der  alexandrinische  Bibliothekar 
Aristophanes  von  Byzanz  um  200  v.  Chr.  G.  veranstaltete, 
auf  eben  dieser  unantastbaren  Grundlage  ruhte  —  die  innere 
Wahrscheinlichkeit,  sagen  wir,  all  dieser  Annahmen  schien  ihm 
so  gross,  dass  er  sie  einer  Bestätigung  durch  überlieferte  That- 
sachen  nicht  bedürftig  glaubte.  Zu  diesem  Mangel  an  posi- 
tiven Indicien  gesellten  sich  dem  Nachprüfenden  gar  bald  Gegen- 
indicien  von  unverächtlicher  Beweiskraft. 

1.  Die  aristotelische  Schule  ward  nach  dem  Vorbild  der 
platonischen  errichtet.  Hätte  es  in  dieser  eine  Schulbibliothek 
gegeben,  wie  unwahrscheinlich,  dass  in  jener  eine  solche  ge- 
fehlt hätte !  Sie  hat  aber  gefehlt.  Darüber  besitzen  wir  authen- 
tische Kunde.  Wir  wissen,  dass  Theophrast  seine  Werke 
und  zugleich  mit  ihnen  die  Werke  seines  Vorgängers,  des 
Schulstifters  Aristoteles,  nicht  einer  Schulbibliothek,  sondern 
seinem  Mitschüler  und  Freunde  Neleus,  der  zu  Skepsis  in  der 
Landschaft  Troas  zuhause  war,  letztwillig  hinterlassen  hat. 
Das  bei  Laertius  Diogenes  erhaltene  Testament  lässt  nicht 
dem  Schatten  eines  Zweifels  Raum.  Strabon's  bekannte  Er- 
zählung (XIII  G08f.)  über  das  Schicksal  dieser  Büchcrsammlung 
und  ihre  Ergänzung  durcli  Plutarch  (Sulla  c.  20)  soll  uns  hier 


Platonische  Aufsätze.  II.  3 

nicht  beschäftigen.  Wie  viel  oder  wie  wenig  von  aristotelischen 
Schriften  vor  der  Wiederauffindung  jener  Bücherei  des  Neleus 
und  ihrer  schliesslichen  Bearbeitung  durch  den  Grammatiker 
Tyrannion  in  anderen  Abschriften  vorhanden  und  im  Umlauf 
war,  soll  uns  hier  ebenso  wenig  kümmern.  Mag  immerhin 
Strabon's  Bericht  an  einiger  Uebertreibung  leiden:  dass  die 
Gesammtheit  der  aristotelischen  Werke  vor  jenem  Zeitpunkt 
kein  Gemeinbesitz  der  griechisch-römischen  Gelehrtenwelt  war, 
steht  ausser  aller  Frage,  so  wenig  wir  auch  Derartiges  von 
vornherein  vermuthet  hätten,  so  überraschend  es  auch  wirkt, 
das  Schicksal  der  Werke  eines  grundlegenden  Denkers  und 
Schulhauptes  in  so  hohem  Grade  von  äusseren  Zufällen  bedingt 
zu  sehen.  Grote  hat  sich  mit  der  Schwierigkeit,  welche  dieser 
Parallelfall  seiner  Hypothese  bereitet,  nicht  auseinandergesetzt. 
Allein,  dass  hier  eine  Schwierigkeit  vorliegt,  scheint  er  em- 
pfunden zu  haben,  und  er  begegnet  ihr  mit  der  beiläufig  hin- 
geworfenen Bemerkung:  Theophrast  , glaubte  sich  berechtigt* 
(,thinking  himself  entitled*  a.  a.  O.  I  138),  über  die  Werke  des 
Aristoteles  wie  über  einen  Privatbesitz  zu  verfügen. 

Es  ist  nach  unserer  Ansicht  nicht  der  mindeste  Zweifel 
daran  gestattet,  dass  Theophrast  sich  nur  zu  dem  berechtigt 
glaubte,  wozu  er  thatsächlich  berechtigt  war.  Dafür  gibt  es, 
abgesehen  von  der  gewichtigen  Präsumtion,  die  uns  der  ehren- 
werthe  Charakter  des  Mannes  liefert,  zwei  vollgiltige  Beweise. 
Kaum  zwei  Besitzthümer  stehen  einander  so  nahe  wie  Bücher 
und  Landkarten.  Die  letzteren,  die  in  der  Schule  befindlich 
waren,  belässt  Theophrast  in  derselben  und  veranlasst  ihre 
Aufbewahrung  in  einer  bestimmten  Oertlichkeit,  in  der  ,unteren 
Halle*,  in  der  sie  wohl  an  den  Wänden  befestigt  werden  sollten 
(Laert.  Diog.  V  51).  Diese  Unterrichtsmittel  gehörten  zur  Lehr- 
anstalt, und  Theophrast  hat  sie  ihr  nicht  entzogen,  als  er  die 
Anstalt  jenen  Zehnmännern  vermachte,  die  er  beschwört,  alle 
, Mitphilosophierenden*  an  der  Nutzniessung  derselben  theil- 
nehmen  zu  lassen.  Von  den  Büchern  handelt  er  als  von  einem 
Bestandtheil  seines  durch  keinerlei  moralische  Verpflichtungen 
eingeschränkten  Privateigenthums,  unmittelbar  nachdem  er  über 
ein  in  Stagira  befindliches,  ihm  gehöriges  Grundstück  verfügt 
und  es  gleichfalls  einem  Privatfreunde  Kallinos  vermacht  hat. 
Das  zweite  Argument  liefern  die  gleichartigen,  auf  Bücherbesitz 

l* 


4  VII.  Abhandlung:     Gomperz. 

bezüglichen  Bestimmungen,  die  wir  in  anderen  Philosophen- 
Testamenten  vorfinden,  und  von  denen  späterhin  noch  die  Rede 
sein  soll.  Zu  allem  Uebernuss  findet  der  gewissenhafte,  das 
Sonderinteresse  der  Individuen  und  das  Gesammtinteresse  der 
Schule  strenge  scheidende  Sinn  desselben  Testators  in  den  nach- 
drücklichen Warnungen  vor  privater  Aneignung  dessen,  was 
allen  gehören  soll,  und  in  der  dringenden  Aufforderung,  unter 
keinen  Umständen  und  unter  keinerlei  Vorwand,  wie  etwa  dem 
längerer  Abwesenheit  von  der  Bildungsstätte,  diese  der  gemein- 
samen Benützung  zu  entziehen  und  zu  einem  Monopol  Einzelner 
zu  machen,  den  kräftigsten  Ausdruck. 

2.  Laertius  Diogenes  berichtet  uns  (III  66)  von  einer  kriti- 
schen Ausgabe  der  Werke  Platon's,  in  der  man  mit  höchster  Wahr- 
scheinlichkeit eben  die  von  dem  Grammatiker  und  Bibliothekar 
Aristophanes  von  Byzanz  veranstaltete  Edition  erkannt  hat. 
Die  Beschaffenheit  dieser  Ausgabe  lässt  sich  nicht  mit  der  An- 
nahme vereinigen,  dass  es  damals  zu  Athen  ein  Exemplar  der 
platonischen  Schriften  gab,  welches  im  Besitz  der  Schule  selbst 
war  und  daher  einen  Text  von  unbedingter  Authenticität  ent- 
hielt. Denn  wir  erfahren  von  mannigfachen  kritischen  Zeichen, 
die  genau  wie  bei  den  homerischen  Gedichten  und  den  Werken 
anderer  Autoren  so  auch  bei  diesem  Texte  in  Verwendung 
kamen.  Die  wagrechte  Linie  (6ßsX6<;)  diente  zur  Bezeichnung 
der  Athetese,  d.  h.  der  Ausschaltung  einer  als  interpoliert  gel- 
tenden Stelle;  der  mit  Punkten  versehene  Doppelstrich  (Situayj 
7i£pi£STtYyivYj)  wurde  verwendet,  um  conjecturale  Aenderungen 
ersichtlich  zu  machen,  und  der  mit  Punkten  versehene  wage- 
rechte Strich  (ofieXoq  TOEptsGTrfptivoq)  sollte  vor  ,willkürlichen  Athe- 
tesen'  warnen  (ycpbq  xac,  eiy.aiouq  aOexiqcsti;). 

All  das,  zumal  die  zwei  zuletzt  angeführten  Zeichen,  deutet 
sonnenklar  auf  einen  Text  hin,  der,  wie  so  viele  andere  Texte 
des  Alterthums,  auf  mannigfachen  Handschriften  von  ungleichem 
Werthe  beruhte,  der  die  kritische  Arbeit  der  Philologen  wieder- 
holt und  mit  wechselndem  Ergebnis  in  Anspruch  genommen 
hatte.  (Die  ersten  zwei  Zeichen  kehren  in  gleichartiger  Ver- 
wendung mehrfach  wieder,  vgl.  Suetonius  de  viris  inlustribus  ed. 
Reifferscheid  p.  137  sqq.)  Wäre  Platon's  Original -Exemplar  oder 
auch  nur  eine  unter  der  Aufsicht  der  Schulhäupter  daraus  ge- 
wonnene Copie  am  Sitz  der  Schule   selbst  vorhanden  gewesen, 


Platonische  Aufsätze.  II.  Ö 

dann  hätte  es  all  dieser  Vorkehrungen,  all  dieser  kritischen 
Anstalten  nicht  bedurft.  Man  hätte  aus  Alexandrien  einfach 
eine  Anzahl  verlässlicher  Schreiber  nach  Athen  entsandt,  und 
diese  hätten  in  der  Lehranstalt  selbst  eine  Abschrift  genommen, 
deren  Vertrauenswürdigkeit  keiner  Anfechtung  unterlag;  man 
wäre,  kurz  gesagt,  in  nicht  wesentlich  anderer  Art  vorgegangen, 
als  wie  man  von  Alexandrien  aus  mit  dem  auf  Veranlassung 
des  Lykurgos  verfertigten  Staatsexemplar  der  drei  grossen 
Tragiker  verfahren  ist.  Der  Warnung  vor  Verunstaltungen, 
welche  der  Text  bis  dahin  in  uncontrolierten  Exemplaren  er- 
fuhr, hätte  es  vielleicht  immer  noch  bedürfen  können;  aber  die 
Art  dieser  Warnungen  hätte  es  wohl  erkennen  lassen  müssen, 
dass  der  Text  nunmehr  auf  dem  festen  Grunde  einer  unantast- 
baren Ueberlieferung  stand,  was  der  Ausgabe  ein  von  ihrer  hier 
geschilderten  Gestalt  sehr  verschiedenes  Ansehen  gegeben  hätte. 

Ein  Vorkommnis  mag  unerwartet,  unwahrscheinlich  oder 
auch  von  vornherein  unglaubhaft  sein;  dennoch  muss  es  sich, 
sobald  seine  Thatsächlichkeit  über  jeden  Zweifel  hinaus  fest- 
gestellt ist,  in  den  Zusammenhang  der  Dinge  einfügen  und, 
falls  uns  dieser  ausreichend  bekannt  ist,  aus  ihm  erklären 
lassen.     Die  letztere  Voraussetzung  trifft  in  unserem  Falle  zu. 

Warum  haben  —  so  fragt  man  sich  nicht  ohne  berech- 
tigte Verwunderung  —  die  Häupter  der  Philosophenschulen 
ihre  Werke  nicht  einfach  auf  diese  vererbt?  Die  Antwort  er- 
theilt  uns  ein  Blick  auf  die  Art,  in  welcher  die  Schulvorstände 
bestellt  wurden.  Es  geschah  dies,  soweit  unsere  Nachrichten 
reichen,  in  vierfacher  Weise: 

1.  durch  Uebergabe  der  Lehranstalt  bei  Lebzeiten, 

2.  durch  letztwillige  Anordnung  oder  eine  gleichwerthige 
nichttestamentarische  Verfügung, 

3.  durch  die  Wahl  aus  letztwillig  bestimmten  Zehn- 
männern, 

4.  durch  freie  unmittelbare  Wahl  der  Schulgenossen. 
Von  jeder   dieser  Bestellungsarten   kennen   wir  Beispiele, 

und  ebenso  kennen  wir  Beispiele  der  Vererbung  der  Bücher 
des  scheidenden  Schulhauptes.  Die  Durchmusterung  dieser  Bei- 
spiele wird  uns  zeigen,  in  welchen  Instanzen  beides  Hand  in 
Hand  ging,  und  in  welchen  das  nicht  der  Fall  war  und,  wie 
wir  vorgreifend  bemerken  dürfen,    nicht  der  Fall  sein  konnte. 


6  VII.  Abhandlung:     Gomperz. 

1.  Die  Uebergabe  der  Lehranstalt  bei  Lebzeiten  des  Vor- 
standes an  einen  andern  ist  ein  völlig  singuläres  Vorkommnis. 
Der  Akademiker  Lakydes  wird  uns  in  diesem  Betracht  allein 
genannt  (Laert.  Diog.  IV  60:  xal  \xövoq  twv  am  ai&voc,  '(wv  Tuap- 
sOor/.s  ty]v  ayoXYjv  TirjXexXet  xai  Euavöpw  toiq  <J>G>y.a£Üci).  Da  uns  das 
Testament  des  Lakydes  nicht  erhalten  ist,  so  fehlt  uns  über 
die  Vererbung  seiner  Bücher  jegliche  Kunde. 

2.  Zwischen  diesem  und  dem  ersten  Fall  besteht  die 
engste  Verwandtschaft,  und  nicht  in  jeder  Instanz  lässt  sich 
zwischen  beiden  eine  scharfe  Grenzlinie  ziehen.  Hat  Aristoteles, 
als  er  ein  Jahr  vor  seinem  Tode,  um  dem  gegen  ihn  anhängig 
gemachten  Asebie-Processe  zu  entgehen,  Athen  verliess  und 
sich  nach  Chalkis  zurückzog,  die  Lehranstalt  dem  Theophrast 
übergeben?  Ohne  Zweifel.  Allein  es  ist  sehr  wahrscheinlich, 
dass  er  schon  vorher  diesen  seinen  Lieblingsschüler  zu  seinem 
Nachfolger  bestimmt  hat,  so  dass  dessen  Schulvorstehung  gleich 
sehr  gesichert  war,  mochte  nun  Aristoteles  seine  Tage  zu  Athen 
oder  anderwärts  beschliessen.  Piaton  hat  seinen  Neffen  Speusipp 
zum  Nachfolger  eingesetzt,  wobei  es  wieder  unentschieden 
bleibt,  ob  diese  Verfügung  erst  nach  seinem  Tode  in  Wirk- 
samkeit treten  sollte,  oder  ob  er  etwa  im  höchsten  Greisenalter 
die  Verwaltung  der  Anstalt  bereits  dem  nahen  Verwandten 
übergeben  hat. 

Nur  in  zwei  Fällen  kennen  wir  den  Wortlaut  einer  der- 
artigen testamentarischen  Verfügung:  bei  Epikur  und  bei  dem 
Peripatetiker  Straton.  Epikur  beruft  sich  im  Eingang  seines 
Testamentes  auf  eine  im  Staatsarchiv  aufbewahrte  Schenkungs- 
urkunde, vermöge  deren  er  sein  Gesammtvermögen  dem  Amy- 
nomachos  und  Timokrates  zugedacht  hat,  , unter  der  Be- 
dingung, dass  sie  den  Garten  sammt  allem  Zubehör  dein 
Hermarchos  und  denen,  die  mit  ihm  Philosophie  treiben,  und 
desgleichen  jenen,  welche  Hermarchos  als  wissenschaftliche 
Nachfolger  hinterlassen  wird',  zur  Verfügung  halten.  Er  be- 
stellt somit  Hermarchos  zum  Schulhaupt  und  verewigt  zugleich 
durch  die  hier  angeführte  und  noch  weitere  nachfolgende  ] Be- 
stimmungen diesen,  man  möchte  sagen  monarchischen  Be- 
stellungsmodus des  Schulhauptes  (Laert.  Diog.  X  16ff.).  Im 
besten  Einklang  damit  steht  es,  dass  Epikur  auch  seine  ganze 
Bücherei  (die  selbstverfassten  Werke   offenbar   ebensowohl  wie 


Platonische  Aufsätze.  II.  7 

jene  fremder  Verfasser)  dein  Hermarchos  hinterlässt:  Soüvat  Ss 
(eine  der  vielen  den  Universalerben  auferlegten  Verpflichtungen) 
-ua  ßißXi'a  Ta  u^ap/ovia  ^jaw  Tuavca  'Ep^apyto.  Es  kann  keinem  ernst- 
lichen Zweifel  unterliegen,  dass  Hermarchos  die  Bücher,  durch 
seine  eigenen  Schriften  und  Erwerbungen  vermehrt,  in  gleicher 
Weise  seinem  Nachfolger  und  diese  den  ihrigen  hinterlassen 
haben.  In  der  epikureischen  Schule  dürfen  wir  demgemäss  den 
Bestand  einer  wahrhaften  Schulbibliothek  mit  Fug  voraussetzen, 
zwar  nicht  als  Eigenthum  der  Schule  selbst  —  wenigstens 
nicht  in  alter  Zeit  —  wohl  aber  als  Eigenthum  der  in  ununter- 
brochener Folge  von  den  jedesmaligen  Vorgängern  ernannten 
Schulhäupter.  Dazu  stimmt  es,  dass  wir  innerhalb  dieser 
Schule  Veranstaltungen  kennen,  welche  die  sichere  Bewahrung 
literarischen  Materials ,  desgleichen  eine  sammelnde  und  ord- 
nende Thätigkeit  kennen,  die  anderen  Schulen  abging.  Ich 
denke  hierbei  an  die  nach  Jahrgängen  geordnete  Briefsammlung 
der  vornehmsten  Schulmitglieder  (vgl.  ,Ein  Brief  Epikur's  an 
ein  Kind'  Hermes  V,  386),  auch  an  die  Vermerke  in  hercu- 
lanischen  Exemplaren  von  Epikur's  Hauptwerk,  welche  die 
Abfassungszeit  der  einzelnen  Bücher  von  yiuepc  <p6<jsü><;c  bekunden. 
Ausnahmsweise  begegnet  eine  Vererbung  der  Lehranstalt  auch 
innerhalb  der  peripatetischen  Schule,  nämlich,  wie  schon  be- 
merkt, bei  Straton,  und  wieder  ist  mit  ihr  die  Vererbung  der 
Bücher  verbunden,  jedoch  mit  einem  bedeutsamen  Vorbehalt. 
In  seinem  Testamente  nämlich  lesen  wir  (bei  Laert.  Diog.  V  62): 
Y.axa.'kd'Kby  §£  tyjv  pt.lv  ScaTpißvjV  Auxtovc  .  .  .  y.atGihd'Kii)  S'auTG)  y,a!  toc 
ßißXi'a  Tuavua,  tuXyjv  wv  aöxot  ^e^pd^a^ev  — .  Auf  diesen  Vor- 
behalt werden  wir  alsbald  zurückkommen. 

3.  Die  Wahl  des  Nachfolgers  aus  Zehnmännern,  die  der 
Vorgänger  designirt,  scheint  innerhalb  der  peripatetischen  Schule 
der,  wie  wir  soeben  sahen,  nicht  ausnahmslose,  aber  doch  weit- 
aus überwiegende  Besteilungsmodus  gewesen  zu  sein.  Wenig- 
stens erscheint  er  zweimal,  im  Testament  des  Theophrast  und 
in  jenem  des  Lykon,  während,  vom  Schulstifter  abgesehen, 
dessen  Verfügungsrecht  überall  der  Natur  der  Sache  gemäss 
ein  unumschränktes  war,  nur  eine  Ausnahme,  eben  bei  Straton, 
begegnet.  In  beiden  Fällen  fehlt  die  Vererbung  an  den  — 
eventuellen  —  Schulnachfolger.  Theophrast  vermacht  seine 
Bücher,  wie  schon  oben  bemerkt  ward,  einem  Privatfreunde  (toc 


ö  VII.  Abhandlung:     Gomperz. 

hh  ßtßXfa  TiccvTa  Nvfiäi  Laert.  Diog.  V  52),  Lykon  hinterlässt  seine 
bereits  publicierten  Schriften  seinem  Freigelassenen  Chares,  die 
noch  unveröffentlichten  einem  jener  Zehnmänner,  dem  ihm  augen- 
scheinlich hierfür  als  am  meisten  geeignet  geltenden  Kallinos, 
,zum  Behuf  sorgfältiger  Herausgabe'  (Laert.  Diog.  V  73:  ia& 
XapYjxa  a<pfy|ju  £A£ÖÖ£pov  .  .  .  xal  Suo  y^äq  auxw  Sicwfj.c  y,al  Tapia  ßtßAi'a 
xa  av£Yvwqj.£va '  toc  §'  avs^Soxa  KaAAiva)  8tuo)<;  £7UfJL£AÖ?  auia  £X§io). 
Also  hier  eine  Scheidung  innerhalb  der  eigenen  Werke ,  wie 
wir  bei  Straton  eine  solche  zwischen  eigenen  und  fremden 
fanden. 

4.  Die  Wahl  des  Schulhauptes  durch  die  Jungen  Leute' 
war  innerhalb  der  platonischen  Schule  die  Regel,  und  zwar 
fand  diese  Wahl  mittelst  geheimer  Abstimmung  statt;  sie  er- 
folgte bisweilen  mit  knapper  Mehrheit;  nicht  immer  gab  die 
wissenschaftliche  oder  persönliche  Bedeutung  den  Ausschlag, 
auch  Höflichkeitsrücksichten  gegen  ein  bejahrtes  Schulmitglied 
haben  gelegentlich  mitgespielt.  Ueber  all  das  sind  wir  nunmehr 
durch  die  reichen  Details,  welche  der  herculanensische  Papyrus 
1021  anlässlich  der  Erwählung  des  Xenokrates  und  des  Arke- 
silaos  enthält,  eingehend  unterrichtet.  In  keinem  dieser  Fälle 
findet  eine  Vererbung  der  Bücher  an  den  Schulnachfolger  statt. 
Und  wir  dürfen  sofort  hinzufügen :  sie  konnte  nicht  stattfinden. 
Das  Ergebnis  der  Wahl  liess  sich  ganz  und  gar  nicht  voraus- 
sehen; es  war  durch  zufällige  Umstände,  wie  die  zeitweilige 
Abwesenheit  eines  angesehenen  Schulmitgliedes,  bedingt;  der 
Wahlkampf  war  ein  heftiger;  der  schliessliche  Sieger  liess  an- 
dere Mitbewerber  nur  um  wenige  Stimmen  hinter  sich;  die 
geheime  Abstimmung  endlich  liess  das  Wahlergebnis  noch  we- 
niger vorhersehen,  als  es  sonst  möglich  gewesen  wäre.  Man 
erwäge  die  nachfolgende  gar  bedeutsame  Schilderung  der  Wahl, 
aus  welcher  Xenokrates  als  Sieger  hervorging:  oi  he  vsavuntot 
d/Y5©o©op7]<javT£c  öq-zic,  auxwv  ifjppfaeTat,  EevoKpaT/jv  sTXovto  tov  KaX- 
/vpoviov,  'Apt<7TOT£Aouc  [X£v  gctto 8 £§ Yj [/. y) x 6 x o <;  £i?  May.s8ov(av,  Äfeve- 
oyj[j.ou  §£  tou  Iluppafou  xal  ,Hpay.Xe(Sou  tou  'HpaxA^oTOu  ^ap'  iXfyjtc 
<brty ouq  r^xr/Ö^vitov.  6  \xh  ouv  'MpayXeßriq  dw^pev  de,  tov  IIovtov.  5 
c£  Mevior^xoq  £T£pov  rcepte&O  *ai  8taTpißv)v  fcOTeoxsufltearo  (Col.  7. 
Vgl.  ,Die  Akademie  und  ihr  vermeintlicher  Philomacedonismus', 
Wiener  Studien  1882).  Nicht  minder  die  Erwähnung  des  Vor- 
gangs,   der  sich  vor  der  Erwählung   des  Arkesilaos   abspielte: 


Platonische  Aufsätze.  II.  9 

Ziov.zy-izzj    i'A'/Locr^y.'r.oz    xjto),    cv    oix    tb    icpeffßÖTöCTOV    ovxa   Tupo- 

Thut  es  noth,  aus  diesen  Darlegungen  die  Summe  zu 
ziehen?  Die  Vererbung  der  Bücher  an  den  Schulnach- 
folger geht  mit  der  Vererbung  der  Schulvorstehung 
Hand  in  Hand.  Aristoteles  hat  Theophrast  zu  seinem  Nach- 
folger bestellt.  Was  Wunder,  dass  er  ihm  auch  seinen  ganzen  Be- 
sitz an  Büchern,  an  eigenen  wie  an  fremden,  hinterliess.  Nicht 
anders  steht  es  um  Epikur  und  Hermarch  und  wohl  auch  um 
Piaton  und  Speusipp.  Wenn  gelegentlich  einmal  ein  anderer  als 
ein  Schulstifter  das  Lehramt  vererbt,  da  begleitet  den  ausnahms- 
weisen  Vorgang  auch  die  ausnahmsweise  Büchervererbung,  dann 
aber  nicht  ohne  Vorbehalt,  weil  eben  die  Gewohnheit,  die  selbst- 
verfassten  Werke  theils  um  ihres  pecuniären  Werthes  willen, 
theils  im  Hinblick  auf  die  besonderen  Eigenschaften,  welche 
ihre  Herausgabe  erforderte,  bestimmten  Privatpersonen  zu  ver- 
machen, bereits  die  herrschende  geworden  war.  Und  da  ergibt 
sich  denn  auch  naturgemäss  die  Trennung  der  publicierten 
von  den  Nachlassschriften,  indem  es  bei  den  ersteren  mehr 
auf  ein  dem  Erben  zugedachtes  Benefiz  abgesehen  war,  bei  den 
letzteren  eine  verantwortungsvolle  kritische  Aufgabe  in  Frage 
kam.  Völlig  beispiellos  und,  wie  nunmehr  jedermann  begreift, 
geradezu  unmöglich  war  eine  letztwillige  Verfügung,  welche 
jenes  Benefiz  und  diese  Aufgabe  demjenigen  zuwies,  der  in 
einem  bestrittenen  und  von  mannigfachen  Zufälligkeiten  be- 
dingten Wahlkampf  als  Sieger  aus  der  Urne  hervorgehen 
würde.  Diesem  Unbekannten  sein  in  jeder  Rücksicht  werth- 
vollstes  und  wichtigstes  Besitzthum  von  vornherein  zuzusprechen 
—  das  lag  jedem  Schulhaupt  des  Alterthums  ebenso  ferne,  wie 
es  jedem  Denker  und  Schriftsteller  zu  allen  Zeiten  ferngelegen 
ist.  Und  darum  hat  es  in  den  Schulen,  die  nicht  wie  die 
epikureische  eine  gleichsam  monarchische  Verfassung  besassen, 
keine  Schulbibliotheken  gegeben,  am  allerwenigsten  solche, 
welche  die  Original-Handschriften  der  Werke  der  Schulhäupter 
enthielten. 

Möge  niemand  einwenden,  dass  die  Vererbung  des  be- 
deutungsvollsten Besitzes  zwar  nicht  füglich  an  den  unbe- 
kannten künftigen  Schulvorstand,  wohl  aber  an  die  Schule 
selbst   erfolgen    konnte.     Das    würde    voraussetzen ,    dass    die 

Sitzungsber.  d.  phil.-hist.  Cl.  CXLI.  Bd.  7.  Abh.  2 


10  VII.  Abhandlung  :    Gomperz. 

Philosophenschule  ein  Rechtssubject,  eine  juristische  Person  ge- 
wesen ist,  dass  sie  Corporationsrechte  besessen  hat.  Das  trifft 
für  eine  späte  Zeit  zu,  in  welcher  (etwa  erst  unter  der 
Herrschaft  des  römischen  Rechtes?)  die  Philosophenschulen,  sei 
es  in  der  Rechtsform  der  societas,  sei  es  in  jener  der  univer- 
sitas,  Vermögen  besassen,  Schenkungen  empfangen  und  Erb- 
schaften antreten  konnten.  In  der  Epoche,  die  uns  hier  be- 
schäftigt, war  das  erweislichermassen  nicht  der  Fall.  Das 
lehren  die  Philosophen-Testamente  mit  sonnenklarer  Deutlich- 
keit und  unwiderleglicher  Sicherheit.  Diesen  Schluss  haben  aus 
ihnen  auch  die  wenigen  Juristen  gezogen,  die  sich  bisher  mit 
dem  Gegenstand  beschäftigt  haben.  Vgl.  C.  Gr.  Bruns,  Kleinere 
Schriften  (Weimar  1882)  II,  S.  218,  220,  225,  236.1  Desgleichen 
Dareste  im  Recueil  des  inscriptions  juridiques  grecques,  2.  Serie, 
1.  Fascikel  (Paris  1898):  cependant,  un  College  de  philosophes 
ne  pouvait  etre  assimile  legalement  a  une  corporation  reli- 
gieuse,  quoique  groupe  autour  d'un  temple  ou  d'un  musee,  und 
dazu  Anmerkung  3:  l'organisation  du  culte  et  des  fetes  etait 
bien  analogue  a  celle  des  communautes  religieuses,  mais  la 
personnalite  juridique  faisait  defaut.  Wenn  schon  im 
Alterthum  Harpokration  s.  v.  'Op-fsöWcc;  unter  Verweisung  auf 
Theophrast's  Testament  das  Gegentheil  behauptet,  so  wird  ihm 
p.  115  vollkommen  richtig  erwidert:  mais  il  n'y  a  pas  un  mot 
de  cela  dans  le  testament  de  Theophraste,  dont  le  texte  prouve 
precisement  que  le  Lycee  n'etait  pas  personne  civile. 
Die  äusserste  Annäherung,  aber  doch  nur  eine  Annäherung  an 
den  Begriff  eines  Zweckvermögens  findet  sich  in  den  (von  uns 
zum  Theil  angeführten)  Bestimmungen  des  Testamentes  Epi- 
kur's,  welche  das  Eigenthum  an  Haus  und  Garten  nicht  mehr 
blos  moralischen,  sondern  rechtlichen,  auf  die  Nutzniessung  be- 
züglichen Beschränkungen  unterwerfen.  Darum  heisst  jenes 
Eigenthum  a.  a.  O.  mit  Recht:  une  propriete  qui  se  trouve 
ainsi  grevee  d'un  droit  d'usage  fideicommissaire. 


1  Minder  klar  und  consequent  erscheinen  Bruns1  Aeusserungen  über  die 
Vererbung  der  Bücher  S.  217,  226  und  231.  Diesen  Punkt  scheint  jener 
Gelehrte  nicht  in  ausreichendem  Masse  erwog-en  zu  baben. 


Platonische  Aufsätze.  II.  1 1 

Hier  mag  dieser  kleine  Aufsatz  ?chliessen,  dem  vielleicht 
ein  andermal  eine  Erörterung  des  Testamentes  Platon's  nach- 
folgen soll.  Würde  ich  diese  hier  unmittelbar  anschliessend  so 
möchte  der  falsche  Schein  entstehen,  als  ob  die  beiden  Fragen 
mit  einander  in  einem  engeren  Zusammenhang  stehen,  als  es 
in  Wirklichkeit  der  Fall  ist;  und  die  Unsicherheit,  die  einer 
Hypothese  über  die  ursprüngliche  Textgestalt  jenes  Schrift- 
stückes anhaftet,  könnte  leicht  ihren  Schatten  auf  Ergebnisse 
werfen,  die  mir  von  solcher  Ungewissheit  frei  zu  sein  scheinen. 


Ausgegeben  am  25.  Juli  1899. 


Gitlbauer,  Michael:  Die  drei  Systeme  der  griechischen  Tachy- 
graphie.  Mit  4  Tafeln.  4°.  1894.    1  fl.  80  kr.  =  3  M.  60  Pf. 

Gomperz,  Theodor:  Neue  Bemerkungen  über  den  ältesten  Entwurf 
einer  griechischen  Kurzschrift.  8°.   1895.    25  kr.  =  50  Pf. 

—  Beiträge   zur   Kritik   und  Erklärung   griechischer   Schrift- 
steller. V.  8°.  1895.  25  kr.  =  50  Pf. 

VI.  8°.  1898.  40  kr.  =  80  Pf. 

—  Zu  Aristoteles'  Poetik.  II.  8°.  1896.  35  kr.  =  70  Pf. 
III.  8°.  1896.                                    55  kr.  =  1  M.  10  Pf. 

Marx,  Friedrich :   Ein  Stück  unabhängiger  Poesie   des  Plautus. 

8°.  1899.  40  kr.  =  80  Pf. 

Müller,  Johann :  Kritische  Studien  zu  den  Naturales  Quaestiones 

Senecas.  8°.  1894.  40  kr.  =  80  Pf. 

—  Kritische  Studien  zu  den  Briefen  Senecas.  8°.   1897. 

45  kr.  =  90  Pf. 
Reiter,  Dr.  Siegfried:  Drei-  und  vierzeitige  Längen  bei  Euripides. 
8°.  1893.  80  kr.  =  1  M.  60  Pf. 

Usener,  H. :  Der  Stoff  des  griechischen  Epos.  8°.  1&97. 

75  kr.  =  1  M.  50  Pf. 
Wessely,  Dr.  C. :  Neue  griechische  Zauberpapyri.  4°.  1893. 

2  fl.  50  kr.  =  5  M. 

—  Ein  System  altgriechischer  Tachygraphie.  4°.  1895. 

1  fl.  75  kf.  =  3  M.  50  Pf. 


Zu  den  beigefügten  Preisen  durch  Carl  Gerold's  Sohn.  Buchhand- 
lung der  kais.  Akademie  der  Wissenschaften  (Wien,  I.,  Barbar: 
zu  beziehen. 


DEMCO 

PAMPHLET  BINDER 

Tan    Pressb~ard 


UNIVERSITY  OF  ILLINOIS-URBANA 


II 


3  0112  028108717