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im
PL ATON
GASTMAHL
Fünfte Auflage
Die deutsche Philosophie der
Gegenwart in Selbstdarstellungen
Herausgegeben von
Dr. Raymund Schmidt
Band I enthält: Paul Barth, Erich Becher, Hans Driesch, Karl
Joel, Alexius Meinong, Paul Natorp, Johannes Rehmke
Johannes Volkelt
Band II enthält: Erich Adickes, Clemens Baeumker, Jonas Cohn,.
Hans Cornelius, Karl Groos, Alois Hof 1er, Ernst Troeltsch,
Hans Vaihingen
Tadelloses weißes, holzfreies Papier! Jedem Beitrag
ist ein Bildnis des Verfassers beigegeben. Vornehmer
Geschenkband (graues Künstlerleinen, auf leuchten-
des Blau gestimmtes Überzugpapier mit rotem Schild)
Preis des Bandes geb. M. 100. — , in Halbpergament M. 125.—
Blne kurze Auslese aus vielen bisher vorliegenden ÄuBerung^en:
Zu der schönen Ausstattung des Buches kann man Ihnen wie zu dem ganzen Plan
aufrichtig gratulieren, und die Lektüre mehrerer wertvoller Beiträge überzeugte mich
wieder von der dringenden Wünschbarkeit, ja beinahe inneren Not-
wendigkeit des ganzen Unternehmens. Karl Joel.
Sie haben da ein sehr schönes und lehrreiches Werk geschaffen, wie es noch
keines gibt. Und alles ist so wohl geraten, die Ausstattung sowohl wie die Auf-
sätze selbst. Hans Driesch.
Ich beglückwünsche Sie lebhaft zu der Veröffentlichung. Inhalt und äußere Er-
scheinung sind gleich wertvoll. — Meinongs Sell^gtdarstellung ist nun, da er soeben
dahinschied, doppelt und zehnfach wertvoll geworden. Und als sein ältester
Freund darf ich wohl aussprechen, daß der Oedanke der Selbstdarstellungen den sonst
nur ungern von sich selber sprechenden Meinong wohltuend berührt und ihn zu einer
ganz besonders kraft- und wertvollen Zusammenfassung, gleichsam zum Ernten
seiner Lebensarbeit angeeifert hat. Alois Höfler.
•Der neue Gedanke, der nun, wo er verwirklicht vorliegt, so selbstverständlich
wirkt, ist der, die Philosophie der Gegenwart durch eine Sammlung von Selbst-
Charakteristiken ihrer verschiedenen Vertreter darzustellen. — Einmal ist das Werk
für alle Philosophie- Beflissenen unter der Studentenschaft sowie in den gebildeten
Kreisen ein unübertreffliches Orientierungsmaterial, indem es Ton, Schreibart,
Persönlichkeit und Grundgedanken der verschiedenen Philosophen vor Augen führt.
Zum zweiten wirkt es schöpferisch auf dem Gebiet der Philosophie selbst. So sind
die wundervollen Beiträge von Driesch und Natorp Zusammenfassungen von letzten
philosophischen Intentionen, die weit über den Wert der Historie hinaus ihre
selbständige Bedeutung behalten.«
Günther Murr im »Hamburgischen Korrespondent."
»Ist es nicht ein glänzender Gedanke, solche Galerie von Selbstbildnissen zä
sammeln? Den hat der treffliche Leipziger Gelehrte Raymund Schmidt gefaßt; die
Systeme werden von schön ausgeführten Porträten der Verfasser erfreulich illustriert :
nun sieht man sie leiblich wie geistig vor sich."
Julius Schultz im „Hamburger Fremdenblatt*.
VERLAG VON FELIX MEINER
AViV-gB-BEN-YBIUPA
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ii
7ar
PHILOSOPHEN- BIOGRAPHIEN
DAMASKIOS
Das Leben des Philosophen Isidoros
Wiederhergestellt, übersetzt und erklärt von R. Asmus.
XVI, 126, 58 und 30 S. M. 50.-, geb. M. 75.—
Wer eine so wichtige Quellenschrift aws der Zeit des untergehenden Hellenismus,
wie sie des Damaskios Leben des Philosophen Isidoros darstellt, dem allgemeinen
■Gebrauche zugänglich macht, hat damit sicher vielen zu Danke gearbeitet. Der Philo-
loge, der Historiker, der Archäologe werden das Werk mit gleichem Interesse in die
Hand nehmen; vorab werden der Philosophie Beflissene mit Spannung und Aufmerk-
samkeit die letzten Spuren des Silbergeäders verfolgen, mit dem sich der einst so
mächtige Grundstock der platonischen Intuition in andersgeartete Lagerungen verliert.
Wochenschrift für klassische Philologrie.
DIOGENES LAERTIUS
Leben und Meinungen berühmter Philosophen
Übersetzt und erläutert von Otto Apelt
1921. 2 Bände. Preis jedes Bandes M. 56.—, in
Halbleinen M. 75. — , in Halbpergament M. 90.—
FICHTE'S Leben
Von Fritz Medicus. Mit Porträt. IV, 176 S.
in Halbleinen M. 50.—
Ein Muster unbefangener und freier Würdigung, die bei aller Verehrung für den
großen Menschen und Denker sich das Recht des eigenen Urteils nicht nehmen läßt.
Das Buch ist eine tiefdringende und eigenartige Arbeit von erheblichem wissenschaft-
lichen Wert, mit der Medicus sein eigenes Buch über Fichte vom Jahre 1905 noch
übertroffen hat. Die Biographie wird auch dem, der die Literatur gut zu kennen
glaubt, manches Neue sagen. Sie ist bei aller Knappheit das vollständigste und zu-
verlässigste Bild von Fichtes Leben, das wir besitzen, und sie findet in ihrer herben
Schlichtheit die glücklichste Form, in der dieser nicht immer liebenswürdige, aber
stets imposante Cnarakter darzustellen ist. Sie gehört zu den wertvollsten Stücken
der gesamten Fichteliteratur. Logos.
NIETZSCHE
Sein Leben und sein Werk
Von Raoul Richter.
3. Aufl. 1917. VIII, 356 S. M. 50.—, Geschenkband M. 80.—
Ich habe selten ein Buch (und niemals eins über Nietzsche) mit soviel Freude
und Genuß gelesen, wie diese musterhaft klare, nirgends überschwengliche, doch
überall von wohltuender, liebevollster Wärme gleichsam durchleuchtete Arbeit, deren
letzter Abschnitt mit seiner sachlich historischen Bearbeitung der Lehre Nietzsches
voi bildlich beweist, wie bewundernde Verehrung für einen Großen und unbestechliche
kritische Besonnenheit zu vereinigen sind. Das Literarisclie Echo.
VERLAG VON FELIX MEINER IN LEIPZIG
SCHELLING
als Persönlichkeit. Briefe, Reden, Aufsätze
Herausgeg. von O. Braun. Mit Abb. der Jugendbüste Schellings.
282 S. In Ganzleinen M. 50.—
Der Herausgeber hat mit vorbildlichem Geschick und großem Qlück ausgewählt.
Fast jedes aufgenommene Zeugnis bietet einen neuen, besonderen Wesenszug der
PersönlichkeU Schellings, und auch die weniger sympathischen Züge, z. B. sein über-
starkes Selbstbewußtsein in der Jugend und seine Heftigkeit, sind nicht unterdrückt.
Beiträge zur Philosophie des deutschen Idealismus.
SPINOZA
Lebensbeschreibungen und Gespräche
Herausgegeben von Carl Gebhardt.
XI, 147 S. Mit Bild. M. 25.—; geb. M. 40.—,
in Halbpergament M. 60. —
Ein höchst dankenswertes Buch, das volle Anerkennung verdient. Spinoza gehört
zu den Philosophen, deren Lehre der Ergänzung durch das Bild des Menschen bedarf.
Deshalb verdienen die Lebensbeschreibungen Spinozas als ein Widerschein des großen
Menschen ein starkes Interesse. Zeitschrift für den deutschen Unterricht-
LOTZE, FECHNER, HELMHOLTZ, WUNDT
in „Die Begründer der modernen Psychologie"
Von Stanley Hall.
XXVIII, 392 S. M. 60.-, geb. M. 90.-
Ganz anders, als es bei uns bisher geschehen ist, faßt Stanley Hall die Geschichte
der modernen Psychologie an. Er wählt sich eine Reihe von Männern aus, die er
als die Führer auf den Wegen der modernen Psychologie ansieht, und beschreibt in
erzählendem Ton ihr Leben und ihre Lehre. Darstellung verknüpft sich mit behag-
licher Kritik, und allmählich entsteht so ein reiches Bild der Art wie sich zur großen
Freude Stanley Halls die Psychologie allmählich von der Philosophie vollständig los-
gelöst hat. Seinem positivistischen Geist ist es ein ästhetisches Vergnügen, diese
Loslösung zu beobachten, und mit heller Freude berichtet er davon.
Zeitschrift für pädagogische Psychologie.
WUNDT
Der Begründer der modernen Psychologie
Von Stanley Hall.
(S.-Abdr. aus dem vorigen.) Mit Bildnisradierung.
XVII, 158 S. Geb. M. 30.—
In diieser Schilderung der wissenschaftlichen Persönlichkeit des Nestors der deutschen
Philosophie erhalten wir endlich die Gesamtdarstellung von Wundts Werk, die un»
bisher fehlte. Besonders hervorzuheben ist die anschauliche Schreibweise des Ameri-
kaners, die die Lektüre für jedermann zum Genuß macht. Den vielen in Deutschland
und in der ganzen Welt verteilten unmittelbaren Schülern Wundt8 wird das Buch als
Führer durch das Lebenswerk ihres Lehrers unentbehrlich sein. Schulwart.
T>reise uom Tlfirit t922. — Preise freibfeldcnd.
Tilrs hochualutlge Austand gelten besondere feste Preise In fremder (Vährung.
VERLAG VON FELIX MEINER IN LEIPZIG
PLATONS
GASTMAHL
ÜBERTRAGEN UND EINGELEITET
VON
KURT HILDEBRANDT
FÜNFTE AUFLAGE
(DRITTE AUFLAGE DIESER ÜBERTRAGUNG)
DER PHILOSOPHISCHEN BIBLIOTHEK
BAND 81
LEIPZIG 1920 / VERLAG VON FELIX MEINER
^
I VELUT^i ^,^V0
I ARBOR I
Presented to the
LIBRARY ofthe
UNIVERSITY OF TORONTO
by
MIRIAM SCHNEID-OFSEYER
DR. JACOB SCHNEID
ADAM SCHNEID
Druck von Carl Marquart in Leipzig. A201.
Inhaltsübersicht.
Soite
Einleitung 1
Der Mythos 1
I Der Eros 21
Plato und Sokrates 35
Übersetzung 43
Anmerkungen 109
Literaturübersicht. Von Otto Apelt 127
Register 130
i
EINLEITUNO
Mitwelt und Nachwelt, die gern an Gestalten wunder-
gläubiger, dämmernder Zeiten ihren Glauben heften,
haben bisher noch nie einem Sohne des aufgeklärten^
bewußten Alters die mythische Krone der Göttlichkeit
in Jahrtausende währendem Einklang zuerkannt außer
dem Dichter des Gastmahl und Timäus, dem einzigen
Plato. Doch wer nach Gründen dieser Verehrung
fragt, dem schweigen die Bücher der Wissenschaft. Ihren
Zwecken gemäß müssen sie aus Piatons Werk ein begriff-
liches System spinnen, aber das Göttliche versagt sich
dem unfrommen Andrang. Nicht in Begriffen und Mei-
nungen, nein, in Plato selbst, wie er im Werk atmet und
glüht und leibhaft sich gestaltet, kann allein das Gött-
liche geschaut werden.
Plato hat nie eine wissenschaftliche Abhandlung gegeben,
immer hob er sein Gedachtes mit den im Lebendigen ver-
zweigten Wurzeln sorgsam aus. Aber man kann doch
sagen, in einer Gruppe seiner Dialoge liegt das Gewicht in
der philosophischen Untersuchung selbst; in der zweiten
Gruppe liegt das Gewicht in der Gesetzgebung für die
Menschheit (Staat, Gesetze) ; in der dritten Gruppe gibt er
Mythen. (Die Bedeutung dieses Wortes wird sich mit der
Einleitung von selbst entwickeln; weder das Religiöse
noch das Erfundene sind hier als wesentliche Bestandteile
angesehen). Die erste Gruppe ist am meisten in seiner
Zeit stecken geblieben, notwendigerweise, denn in dieser
Zeit kämpften noch die eben werdenden Begriffe mit
der überlieferten Sprache. Die Mythen sind ganz aus der
zeitlichen Verhaftung freigeworden, sie sind als in sich
ruhende Gebilde in die Ewigkeit übergegangen.
Das Gastmahl ist für Eine Form der Mythen >die reinste
Erfüllung : in ihm ist die momentane Wirklichkeit in die
Sphäre einer ewigen Wirklichkeit emporgehoben. Jedes
PUto, Gastmahl 1
2 Der Mythos
Wort schwingt in jener zauberischen Luft, jede Gebärde
steht in jenem Licht, die das nackte Leben ins höchste
Symbol verwandeln. Dieser Mythos ist plastischer und
heller als jedes begriffliche Denken, und so kann jede
weitere Erklärung als die, daß man nur sehn und fühlen,
inamer nur sinnlich anschauen, aber nie abstrahieren
soll, als überflüssig, ja unbescheiden gelten. Und doch
ist jene sinnliche Betrachtungsweise heute so wenig ge-
übt, daß ich den folgenden Versuch der Erklärung für
erlaubt halte.
Daß Plato das Gastmahl als Mythos aufgefaßt haben
wollte, ist im Vorspiel lebhaft genug gesagt. Das erste
Kapitel erzählt nur von der Gesellschaft, in der dieser
Mythos umgeht. Jemand hat etwas vom Gastmahl reden
hören, nun will er Genaues von Apollodor wissen. Die-
ser ist in der gleichen Weise neulich von Glaukon an-
gegangen, der hätte auch schon davon reden hören,
durch Phönix. Nun kann Apollodor gut berichten, weil
er es erst kürzlich erzählt hat; aber selbst teilgenommen,
hat er nicht am Gastmahl, er verdankt die Kunde davon
dem Aristodem; der war dabei.
Das Gastmahl liegt lange zurück, im Jahre 416. Jetzt,
8 Jahre danach spürt man die weiten Kreise, die jenes
Ereignis immer größer um sich zieht, wie ein in den
Teich geworfener Stein. Wir hören von Aristodem, dem
treuen Begleiter und Jünger, und wir sehen Apollodor,
der ähnlich wie jener damals, jetzt seit drei Jahren dem
Sokrates anhängt. Wir sehen diesen unbedingten Jünger
in seiner Berührung mit den äußersten Kreisen, jenen
Hörern, die nichts von der Sache selbst wissen und die
noch nur von einer gewissen Neugierde bewegt werden.
Früher war Apollodor gerade wie diese Freunde, dann
hat der Sokratische Geist der haltlosen Persönlichkeit
erst den festen Kern gegeben. Nun ist ihm alles schal
und lächerlich, was jene treiben. Er greift sie derb, aber
Der Mytho« 3
ohne Fanatismus an, und ihr Gegenspott prallt an der
Heiterkeit, an der Sicherheit des unbedingten Jüngers
ab. Mit diesem scherzhaften Gefecht wird dem folgenden
Mythos der Boden bereitet, denn wirklich ist diese Heiter-
keit ein leiser Vorklang des Apollinischen Geistes, in
dem nun die Welt sich spiegeln soll.
Dies Mittel, die Erzählung von der Begebenheit weit zu
trennen, ist bis in unsre Zeit vielfach angewandt, um die
Begebenheit in eine romantische dämmerige Ferne zu
rücken, die harte Wirklichkeit zu besänftigen. Plato be-
wirkte aber mit dem scheinbar gleichen Mittel das Gegen-
teil. Denn die spätere Erzählung ist so lebendig, daß wir
immittelbar teilnehmen ; das Vorspiel rückt die Begeben-
heit nicht in die Vergangenheit, sondern beweist ihre
fortdauernde Gegenwart. Apollodor hat sich nicht bei dem
Berichte beruhigt, sondern er hat sich jetzt von Sokrates
selbst die Einzelheiten bestätigen lassen; er ist ja jetzt
täglich mit ihm zusammen. So ist Sokrates nicht nur
Mittelpunkt jenes Festes vor 8 Jahren, sondern wir spüren
im Vorspiel selbst seine unmittelbare Nähe. Alles läuft
darauf hinaus, die Begebenheit so wirklich, die Gestalt
des Sokrates so leibhaft als möglich zu geben.
Die eigentliche Erzählung führt uns in einen ganz andern
Kreis empor. Wir sahen eben den Kreis der Wirkung
nach außen, die Gesinnung, die in der Verwirklichung
des Sokratischen Willens ihre Aufgabe sieht. Das Gast-
mahl spielt aber im Kreis der früheren Freunde des So-
krates, die er wohl überragt aber nicht ausfüllt; denen
er nicht nur gibt, sondern von denen er auch nimmt.
Agathon hat das große Spiel gewonnen, er hat mit seiner
Tragödie gesiegt. Gestern hat er hiit seinem Chore eine
große allgemeine Feier gegeben, heute gibt er dem Kreis
der erlesenen Freunde ein Gastmahl. Die Festfreude ist
angeregt und im Wachsen, aber dem gröberen Sinn ist
gestern Genüge geschehn, heute begegnen sich die Ge-
4 Der Mythos
ladenen im Triebe nach einer höheren Feier. Man hebt
den Zwang der Trinkregeln auf, schickt auch die Flöten-
spielerin nach Hause. Daß der Abend sich so reich und
schön entfaltet, ist nur durch ein glückliches Ineinander-
greifen der entgegengesetzten Charaktere möglich. Es
wäre nie möglich gewesen ohne einen so geschickten
Mittler wie Eryximachos, den Arzt. Er ist mäßig, vorsich-
tig, vom Rausch will er nichts wissen und seine Lehren
haben einen Hauch von Pedanterie. Aber er will auch
nie mehr scheinen als er ist, er ordnet sich ganz der
Sache unter imd schweigt bescheiden, wenn ein Höherer
redet. Er hat vom Arzt das Hilfsbereite, Vermittelnde,
aber nicht den behäbigen Skeptizismus. Durch seine Ver-
mittlung wird auch die Anregung gegeben, reihum über
den Eros eine Rede zu halten, und ohne sein Einspringen
im rechten Augenblick würde nachher der wilde Alki-
biades das Fest gesprengt haben.
Phädros beginnt mit der Lobpreisung. — Die modernen
Kritiker sind fast einig, daß seine Rede kläglich und un-
bedeutend sei. Sollte wirklich ein leerer Schwätzer der
Erste sein, dessen Rede ein Kreis von solchen Männern
über sich ergehen lassen muß ? Solche Fragen sind wich-
tig, denn solange man sich nicht in die Stimmung ein-
gefühlt hat, die zwischen den Gästen schwebt, kann man
den Ton, die feinere Bedeutung der Worte nicht auf-
fassen. Es ist gut, daß wir Phädros aus einem andern
Gespräch mit Sokrates kennen. Dort ist er der leicht
entflammte Junge, in Torheit und Vertrauen durch einen
berühmten Redner ganz in die Irre geführt und von So-
krates mit der lustigsten Ironie wieder auf den rechten
Weg geführt. Aber Sokrates läßt ihn zum einzigen Zeugen
seiner göttlichen Erweckung werden und er sagt ihm die
großen Worte : „Wir haben in einem mythischen Hym-
nos gehuldigt, schicklich und ehrfürchtig, dem Eros,
meinem Herrn und deinem!" — Phädros wird ein Typus
Der Mythos 5
der jungen Schüler des Sokrates sein, nicht ausgebildet,
aber bildsam. Es wäre unangenehm, ihn mit großem An
Spruch und tiefer Gelehrsamkeit reden zu hören. Seine
Haltung ist ganz die einer wohlgezogenen Jugend. Er ist
zu bescheiden, den Vorschlag zur Rede über den Eros
selbst zu machen, das überläßt er dem älteren Freunde.
Den späteren Reden folgt er mit dem größten Feuer;
denn als sich nachher störend ein Zwiegespräch des
Sokrates und Agathon abzweigt, unterbricht er es kühn
genug, aber in schicklichster Form, und erinnert an den
Beschluß der Runde.
I.REDE. Phädros schlägt den großen feierlichen Akkord
an : Chaos, — Gäa, — Eros. Hesiod und Parmenides wer-
den berufen. Für die Griechen mag die Rede sehr ein-
fach und natürlich gewesen sein, da sie ganz in der all-
gemeinen Erziehung der freien Knaben wurzelt. Aber
eben aus diesem Grunde, als Dokument dieser Vorstel-
lungen und damit als Grundlage alles folgenden ist die
Rede für uns eine notwendige Belehrung. Phädros redet
nicht vom Sentiment der Liebe, sondern vom Aktiven,
Männlichen, Starkeji. Eros ist ihm der Gott, der den Hel-
den Mut einbläst. Ein großer Gegensatz des Hellenischen
gegen uns hätte jedem Denkenden auffallen sollen. Unsre
Vorstellung von der echten Liebe ist doch die, daß sie
ein gegenseitiges Verhältnis anstrebt. Die einseitige Liebe
nennt man schlechthin eine unglückliche. Der Liebende
verlangt Gegenliebe von der gleichen Art, er fühlt sich ge-
schädigt und beleidigt, wenn ihm nicht in vollem Maße
zurückgezahlt wird. Wenn das auch nicht immer wirk-
lich gilt, so tut man doch allgemein, als ob es so wäre
und sein müsse, und man würde das Brautpaar tadeln,
das diese Fiktion nicht aufrecht erhielte. Diese Vor-
stellung scheint dem Griechen zu fehlen. Eros ist nicht
gegenseitiges Verhältnis, sondern einseitige Leidenschaft.
Die Töne des seelischen Verstehen, des Schenken und
ß Der Mythos
Nehmen, der Erlösung schlägt der junge Grieche nicht
an. Eros verlangt als Antwort nicht wieder Eros, son-
dern das weniger leidenschaftliche Gefühl der Agape.
(Vgl. Anm.) — Nun kommt in dieser Rede etwas Sonder-
bares heraus. Nur im Liebenden ist das Göttliche, Eros ;
er ist darum mehr als der Geliebte. Daß der Liebend©
sich opfert, ist rühmlich aber natürlich; wenn aber der
Geliebte für den Liebenden sich opfert, so ist das die
herrlichste Tat, von den Göttern am höchsten belohnt.
Es wird also ein Göttliches, das in allen Wesen wirkt
und ein höchstes seltenes ethisches Gut, .das aber nicht
göttlich ist, unterschieden. Hier ist eine Schwierigkeit,
die erst spät in der höheren Betrachtungsweise Diotimens
ihre Auflösung findet.
Der Eros des Phädros ist also sehr männlich, mehr auf
Tun und Wirken, als auf genießende Stimmung gerichtet.
Man könnte annehmen, Eros sei die Liebe des Mannes,
Agape die der Frau; das wäre aber ebenso falsch wie
einfach. Der Grieche denkt sehr sinnlich, aber er klebt
deswegen doch nicht an der stofflichen Gegebenheit.
Wenn er nach der höchsten Form des Menschen blickt,
so verwirrt ihm die Frage ob Mann ob Weib nicht den
Sinn, er sieht ein Urbild vor sich, an dem der Mann
überwiegend, die Frau doch aber auch teil hat. Wie
anders beim Römer, solange er noch nicht hellenisiert
ist. Auch der Römer hat heroische Frauen, aber sie
sind es gerade in ihrer harten, strengen Geschlechtsehre.
Bei den Griechen haben dagegen hervorragende Frauen
etwas Männliches, und die edelsten Männer etwas Weib-
liches. Diese wichtige Vorstellung wird sich später noch
entfalten, bei Phädros ist sie durch mythische Beispiele
einfach und sinnlich angedeutet. Denn eine so männliche
Art Liebe sein Eros auch ist, so kann er doch in einer
Frau wirken, und er kann auch im Manne zu etwas
Schwachem, Weibischem abarten. Phädros bringt drei
Der Mythos 7
Beispiele. 1. Alkestis, der heroische Eros der Frau. Hier
ist der Mann nur der Geliebte. 2. Orpheus, der Eros des
Mannes, aber zu weichlich, ohne Todesmut, und darum
von den Göttern bestraft. 3. Der Eros des Patroklos zu
Achilleus, das Urbild des heroischen Eros.
Wie eine Knospe enthält diese Rede die Gedanken der
folgenden in sich, nicht in Begriffen ausgewickelt, son-
dern in Bildern angedeutet. Der wohlgeratene Jüngling
ist in sich reiner, runder als die werdenden Männer.
Zur Weiterentwicklung ist keine andre Möglichkeit, als
daß nun die einzelnen Teile gesondert vorgenommen und
untersucht werden.
II. REDE. Pausanias nimmt mit Entschiedenheit diese
analytische Untersuchung auf. Er schränkt die Frage
ganz auf die Knabenliebe ein, dann scheidet er eine
edle und eine imedle Liebe. Die Knabenliebe, „die grie-
chische Liebe" liegt dem modernen Empfinden so fem,
daß wir diese heikle Frage, ohne die ein Verständnis des
Gastmahls nun einmal unmöglich ist, gesondert betrach-
ten wollen. Vorläufig wollen wir sie ganz ausschalten
und die Grundsätze des Pausanias auf das Verhältnis
von Marm und Weib übertragen. Dann wird offenbar,
daß Pausanias sehr hohe ethische Forderungen stellt.
Er sagt, es sei scheinbar widersprechend: Die Männer
ermutige man zu werben, man lache über sie, wenn sie
keinen Erfolg haben und beurteile sehr milde, was sie
aus Leidenschaft fehlen ; dagegen verlange man von dem
umworbenen Teil größte Sprödigkeit, und tadle, wenn er
dem andern entgegelnkommt. Pausanias nennt das sehr
gut einen Wettstreit, einen Agon in der Liebe : der eine
soll seine Tauglichkeit durch hartnäckiges Verfolgen, der
andre durch standhaftes Versagen beweisen. Diese Span-
nung zwischen den Geschlechtern wird ja auch bei uns
vielfach gefördert in einer durchaus gesunden Ethik,
wenn auch vielleicht dem offiziellen Kirchentum nicht
g Der Mythos
entsprechend. Weiter verlangt Pausanias eine strenge
Ehe. Man soll nicht Unentwickelte lieben, sondern erst
die geistig Gereiften, denn vorher kann man nicht sehen,
ob man zusammenpaßt. Ja es ist unedel, den Körper
mehr zu lieben als die Seele, denn die Blüte des Körpers
vergeht, und darum kann die auf sie begründete Liebe
nicht beständig sein. Man sieht, diese Forderungen sind
auch nach modernen Begriffen streng moralisch. Viel-
leicht allzu moralisch ? Darauf werden Aristophanes und
Sokrates antworten.
III. REDE. Pausanias ist bestimmt und erschöpfend, weil
er sich auf den engsten realen Begriff beschränkt. Der
gelehrte Eryximachos findet den richtigen Ausweg, um
dem Gespräch neue Gedanken, neue Möglichkeiten zu
öffnen: Er erweitert durch philosophische Begriffe das
Gebiet des Eros ins Unendliche. An die ethische Unter-
scheidung des Pausanias knüpft der Arzt dankbar an,
aber er begreift unter dem Eros die durchs Weltall wir-
kende Kraft, welche nicht nur die lebendigen Wesen
einander paart, sondern auch innerhalb des Leibes die
Verbindungen der Säfte und Triebe bestimmt. Und der
edle Eros mischt sie zur Gesundheit, der unedle zur
Krankheit. Dieselbe Kraft, die den Menschen ordnet,
regelt auch Jahreszeiten, Wetter und Ernte: Den Men-
schen und das Weltall leitet die gleiche Kraft. (Ein Ver-
gleich mit dem Willen Schopenhauers liegt sehr nahe.)
Die Gedanken sind so weit ausgedehnt, daß sie nicht zu
voller Klarheit reifen, aber man spürt die Nähe der Vor-
stellung von Mikrokosmos und Makrokosmos. Eryxima-
chos gibt die Anregung zu einer großartigen Behandlung
der Frage, die er doch selbst nicht durchführen kann,
denn wenn er auch Eros ins Unendliche ausdehnt, so
sieht doch auch er selbst mit Phädros verglichen teilhaft,
einseitig. Er denkt, aber er fühlt nicht sehr stark, und
darum bleibt sein Denken dünn, abstrakt. Er sagt von
Der Mythos 9
den abgeleiteten Wirkungen des Eros, aber nichts von
seinem Wesen aus.
IV. REDE. Diese drei Reden sind Vorbereitung, die fol
genden drei sind das große Spiel. Aristophanes beginnt.
Er spricht von der großen Leidenschaft. Aristophanes
lockert den Boden für seine Erzählung, indem er Eryxi-
machos angreift, nicht mit Gründen, sondern — sozu-
sagen — mimisch. Vorhin hat Eryximachos ihm ange-
raten, gewaltsames Niesen zu erregen, um sein Schluk-
ken zu vertreiben; Aristophanes hat es getan (hat also
schon die philosophische Rede des andern mit Gurgeln
und Niesen begleitet) und nun spottet er, daß der edle
imd sittsame Eros der Gesundheit ein so großes Getöse
und Gegurgel erheische. Dieser Spott trifft die Schwäche
des Eryximachos, der ein wenig pedantisch die ärztliche
Betrachtungsweise auf den Kosmos ausgedehnt hat.
Alles was Aristophanes sagen will, drückt er sinnlich
und heiter aus, aber er selbst mahnt mehrmals, den
glühenden Kern seiner Rede nicht zu verkennen, und er
fühlt das Recht, eine anspruchsvolle Einleitung zu geben.
Das erregende Moment der Gespräche: den Gedanken
des Phädros, daß die Dichter dem Eros keinen würdigen
Hymnos gesungen haben, nimmt er auf, aber er erhöht
ihn. Nicht Besingung, nein Kult und Tempel, eine Reli-
gion des Eros fordert er. Aristophanes will seine Lehre
vom Eros verkünden, die andern sollen sie weiterver-
breiten. Aristophanes sagt — zwar nicht so deutlich,
denn daran hindert ihn die Urbanität des Atheners —
aber er sagt es doch deutlich genug: Habt denn ihr,
Eryximachos und Pausanias, nie die Leidenschaft, die
Dynamis des Eros in euch erlebt?! Dann erzählt er mit
der heitersten Sinnlichkeit den Mythos von dem Urge-
schlecht der Menschen, von denen wir nur die Hälften
sind. So sinnlich er spricht, so spricht er doch nur von
der echten und ganzen Leidenschaft, nicht von der Be-
10 De^ Mythos
friedigung der unteren Triebe, dem naturalistischen Ge-
nuß. Und über das dunkle Seelische der Liebe wird-
nichts Tieferes gesagt werden als dies : „Denn es kann
doch wohl nicht die Gemeinschaft des Liebesgenusses
sein, deretwegen der eine dem andern sich so froh und
mit so großem Eifer vereint; sondern etwas Anderes will
offenbar die Seele der beiden, was sie nicht sagen kann,
aber in Zeichen verkündet sie ihr Wollen, und in Rät-
seln." Das klingt aus einer andern Welt doch zusammen
mit Hölderlin : „. . . und Winke sind von alters her die
Sprache der Götter."
Doch läßt Aristophanes das große Versprechen unerfüllt.
Er weist auf die Zeichen, aber er deutet sie nicht klar,
nicht hoch genug. Er fordert den Tempel, aber er baut
ihn nicht; er verheißt die Religion, aber er verkündet
sie nicht. Dies hohe Versprechen zu erfüllen, kann auch
nicht der Beruf des jungen Dichters Agathen sein.
Agathen und Sokrates sind übrig, und die Erwartung
des Wettstreites zwischen dem jetzt gefeierten Dichter
und dem berühmten Philosophen steigert die Spannung,
wie Eryximachos und Phädros merken lassen. Sokrates
und Agathen sind untereinander noch wenig bekannt,
da ist es nicht zu verwundem, daß Agathen dem großen
Manne gefallen möchte, und Sokrates den hervorragend
schönen und wohlbegabten Jüngling für sein Werk, für
seine Person gewinnen möchte. Agathen, noch im Sieges-
rausche, hascht mit zierlicher Gefallsucht eine Erwäh-
nung des Sokrates auf und unter dem Schein der Be-
scheidenheit sucht er ein größeres Lob hervorzulocken.
Wie schlecht kennt er Sokrates! Der hat ja vor nicht
langer Zeit, als von Lysis gesprochen wurde, ausein-
andergesetzt, wie töricht es sei, den Geliebten eitel zu
machen. Im Gegenteil, seine Mängel soll man ihm deut-
lich machen, ihm zeigen, wo er des älteren Führers be-
darf. Allerdings ist Agathon kein Schulknabe und So-
Der MytliüJi 11
krates ist ein urbaner Geist, darum antwortet er mit der
Maske der Schmeichelei und Bescheidenheit, aber der
kaum verhüllte Sinn ist doch der, daß Agathons Worte
nicht durchdacht und seine Bescheidenheit nicht ernst
sei. Der dialektische Trieb des Sokrates scheint zu sie-
gen, das Zwiegespräch ist im Gange. Was kümmert So-
krates, ob die andern statt des Lobes auf Eros einer
Untersuchung zuhören müssen und so um die Feier des
Abends betrogen werden, wenn er nur den schönen Jüng-
ling gewinnt! Da springt der junge Phädros rettend ein:
Agathon dürfe nicht weiter antworten, sonst sei es vor-
bei mit den Reden auf Eros.
V. REDE. In der Tat können die beiden letzten in Ver-
legenheit sein, wenn sie Neues und Höheres sagen wol-
len. Doch hat Aristophanes als einer geredet, der die
Leidenschaft zwar erlebt hat, nun aber kühl betrach-
tend darüber steht. So ziemt es dem Lustspieldichter,
von dem Aristophanes die kühle Betrachtungsweise, die
große Heiterkeit, ja bisweilen selbst ein Kömchen Skep-
tizismus in seiner Rede beibehalten hat. Anders steht
es dem Tragöden Agathon an vom Gemüt aus zu wirken,
selber erschüttert zu sein, um andre zu erschüttern. Er
sagt nicht so Kluges über die Liebe, aber er redet die
Sprache der Liebe, er singt einen Hymnos. Dieser Hym-
nos steht nicht fremd und unvermittelt im Ganzen, viel-
mehr lenkt Agathon mehr als Aristophanes in die logi-
sche Weiterentwicklung des Gespräches ein, ja, er hebt
auch in diesem Betracht die Gespräche auf eine neue
Stufe. Er sieht richtig das Wesentliche, worin alle frühe-
ren Gespräche übereinstimmen : Sie priesen die Wirkung
der Liebe, aber nicht Wesen, Gestalt, Gottheit der Liebe.
Dann beschreibt er dichterisch verklärend Gestalt und
Leben des Eros und besingt dithyrambisch begeistert
seine beseligende Gewalt.
Keiner kann sich der Süße dieser Rede verschließen, sie
12 Der Mythos
jubeln ihm zu und spenden das stolze Lob, der Jüngling
habe seiner selbst und des Gottes würdig gesprochen.
Nur Sokrates hat seine Bedenken.
Nicht umsonst fällt das Ende der Rede genau in die Mitte
des Werkes. Wirklich ist hier — die Berührung des Aga-
thon und Sokrates — die Achse des Ganzen. (Nicht daß
hier der Schwerpunkt der Lehre liegt, aber das Verständ-
nis der Stimmung, des lebendigen Hin und Her im Gast-
mahl hängt an diesem Punkt.)
Die meisten Erklärer hören aus Agathons Rede nur ein
„Wortgeklinger*. Manche geben ja zu, daß die Rede
schön sei, aber ein rechter Wissenschaftler sieht heute
in der Schönheit ein verdächtiges Symptom. Man hat
nicht nötig schön zu sein, wenn man nicht oberflächlich
ist. Ich muß zugeben, daß Zeller, ja auch Schleiermacher
Agathon unterschätzen, aber ich kann auch nicht ver-
schweigen, wie sehr dadurch das Ganze vergröbert und
seiner attischen Anmut beraubt wird. Die Verfehlung
kommt daher, daß die Erklärer — bei ihrer spezielleren
Aufgabe mit vollem Recht — die begrifflich klar ge-
setzten Gedanken herausspüren und allein bewerten.
Aber der Piatonismus wächst nicht logisch, sondern
lebendig, und so sind auch in Agathons Rede wichtige
Andeutungen, die aber nur in größerem Zusammenhange
entwickelt werden müßten. Nun darf man gewiß ein Ge-
wächs einmal bloß auf seine geöffneten Blüten hin be-
trachten, aber man darf nicht sagen, die Knospen seien
ästhetische Zutaten oder Spielereien. Das gilt für allen
Piatonismus, ganz besonders aber für das Gastmahl;
das Gastmahl will nicht begrifflich analysiert, es will
gefeiert sein, und einem strengen Asketen möchte der
Zugang schwerfallen.
Man muß sich also die Zeit nehmen, Agathon m seinem
Verhältnis zu Sokrates forschend auf seinen Wert wie
einen Menschen zu betrachten, von dem man nicht einen
Der Mythos 13
neuen Gedanken für sein Fach hören will, sondern mit
dem man in menschliche Beziehung treten möchte. Die
erste ganz flüchtige Bekanntschaft hat Sokrates schon
beim Besuch des Protagoras gemacht, und er erzählte
so von seinem Eindruck: „Auf den nächsten Polstern
um ihn (Prodikos) saßen Pausanias, und neben ihm ein
noch kaum halb erwachsener Jüngling von schöner und
edler Natur, wie ich glaube, von Gestalt aber gewiß sehr
schön; mich dünkt gehört zu haben, daß man ihn Aga-
thon nannte, und es sollte mich nicht wundern, wenn
er der Liebling des Pausanias wäre." Und man glaubt
wirklich, daß Sokrates jetzt diesen Jüngling mit zer-
störender Ironie verkleinert? Sokrates mag 50 Jahre
sein, wohl fast auf der Höhe seines Ruhmes. Alle erwar-
ten Hohes von ihm, niemand zweifelt, daß er größer ist
als Agathon, dieser selbst am wenigsten. Es wäre ein
unnötiger Aufwand, es wäre plump und ganz unattisch,
wenn Sokrates den Agathon lächerlich machen wollte.
Man bleibe doch im Bilde des Ganzen: Zur Ideee des
Abends wurde gemacht, Eros die seiner würdigen Hym-
nen zu singen, die ihm bis jetzt die Dichter vorenthalten
haben. Agathon ist der Hymnos gelungen, schön für alle
Zeiten. Sokrates nennt ihn schön, Aristophanes ist mit
den andern begeistert. Moderne Kritiker mögen ja klüger
sein, ich neide es ihnen nicht und möchte mich lieber an
die attische Tafelrunde halten. Der schien jedenfalls die
Aufgabe des Abends gelöst, das Fest konnte schließen.
VI. REDE. Sokrates kann also wirklich um die Fort-
setzung in Verlegenheit sein. Natürlich ist es ihm leicht,
von dem Gesagten etwas zu widerlegen und auch etwas
Neues dazu zu sagen. Aber heute will man ja nicht eine
seiner gewohnten philosophischen Untersuchungen von
ihm haben, sondern eine Lobpreisung, er soll die frohe
Feier noch steigern. Vorhin hat man ihn ja schon unter
brochen, als er mit seiner Methode anfing. So ist es wohl
14 I^CT Mythos
aufrichtig gemeint, wenn er zuerst gar nicht reden will ;
dann aber lenkt er ein und bittet, auf seine Weise reden
zu dürfen. Denn seine Begierde, die Wahrheit zu sagen,
ist groß.
Ein Sokrates kann nicht einfach anfügen und ergänzen.
Er muß zuerst alles einreißen, dann kann er viel von
dem ihm Gebotenen als Stoff benutzen und zusammen-
fügen und so von Grund aus einen neuen Bau aufführen.
Er darf es, weil er es kann, weil er größer ist als die
andern.
Nicht wenigen, die Agathons Hymnos lesen, wird die
Erinnerung an den Paulinischen im Korintherbrief auf-
tauchen. Freilich ist die Paulinische Liebe der Gegen-
satz der attischen. Die attische ist ohne Selbstsucht
nicht denkbar, sie ist männlicher Wille, Zeugungstrieb,
glühend und kalt. Die Liebe, die Paulus besingt, ist
selbstlos, hingebend, warm. Paulus kennt nur Agape,
nicht Eros. Auch Agathon bleibt Heide, Hellene, aber
sein Gegensatz zum Christentum ist nicht so hart, wie
der seiner Gäste. Er vermischt nämlich Agape und Eros.
Er verwechselt nicht eigentlich, wie Sokrates es etwas
zu hart ausdrückt. Liebendes und Geliebtes, sondern er
vermischt es; es ist weniger ein logischer Fehler, als
eine andre Fühlweise. Der Dichter denkt sich in die
Stimmung der beiden Liebenden hinein, des gegensei-
tigen Schenkens. Der gemeinsame Rausch, ein mysti-
sches Einswerden, hat vielleicht nicht im Bereich der
hellenischen Natur gelegen, jedenfalls gibt auch Agathon,
der sich dem nähert, nur eine Abart davon. Er gibt eine
recht seelische, stimmungsvolle Liebe, die dem „poeti-
schen" Bilde der Liebe in den Jahrzehnten vor und nach
1800 nahe kommt: Agathon ist Romantiker. Es ist ganz
übertrieben, ihn weibisch zu nennen, auch er sieht das
Tätige, Herrschende und Weise des Eros. Aber gegen-
über den so sehr männlichen Hellenen ist er allerdings
Der Mythos 16
etwas weichlich und es ist weiter dem Romantiker ganz
angemessen, daß seine Rhethorik vorwiegend musika-
lisch ist. (Musikalisch im Sinne des Verflüssigenden,
Stimmungmachenden). So mag das eine Beispiel des
Phädros vielleicht schon einen gewissen Gegensatz aus-
drücken: Orpheus wurde gestraft, weil er sich weich-
lich benahm, war er doch ein Lautenspieler.
Diese romantisch-musikalische Stimmung muß Sokrates
zerstören, wenn er überhaupt zu Worte kommen will.
Daher enthält sein Zwischengespräch mit Agathon etwas
Ironie (wenn auch nichts grob ironisch ist, und nicht
alles ironisch ist, was beim ersten Blick so scheinen
kann). Diese schwärmerische Stimmung, die das Wirk-
liche nicht wirklich sieht, alles Gestaltete flüssig macht,
muß Sokrates vernichten, dazu braucht er seine Ironie,
nicht um seine Überlegenheit über Agathon zu be-
weisen. Man kann hier schon ein Bild anwenden, das
Alkibiades nachher auf Sokrates anwendet. Auch Aga-
thon ist ein Schüler des Marsyas, der durch sein Spiel
bezaubert und erschüttert. Sokrates hat dieselbe und
größere Wirkung, aber nicht durch Musik, sondern durch
das klare, nackte Wort. Daß es nicht die schöne Aus-
drucksweise an sich, der gepflegte Gleichklang und
Wohlklang ist, den Sokrates mißbilligt, sondern nur das
Übertönen desselben, beweist die gehobene Sprache
des Schlusses seiner eignen Rede, die an die Agatho-
nische Redekunst erinnert. Den Ursprung dieser Rede-
kunst erkennt er in Gorgias, und es ist wieder zu be-
denken, daß er in Gorgias (und Protagoras) keine ver-
ächtlichen Gegner sieht; und das Stärkste, was er gegen
sie einzuwenden hätte, möchte wohl im Grunde sein,
daß sie ihm gerade die besten Jünglinge, die er selbst
braucht und liebt, wegnehmen. Er hat auch hier das
Recht, so zu denken, denn er erkennt sich in Wahrheit
als den Größeren.
16 Der Mythos
Dem gleichen Zwecke, der Zerstörung der musikalischen
Stimmung, aber zugleich auch der Grundlage des neuen
Baues dient die trockene Gründlichkeit, ja wohl absicht-
lich betonte Pedanterie, mit der Sokrates auf die Klärung
der Begriffe hinarbeitet. Man darf sich hier nicht täu-
schen lassen : Daß Agathons Beschreibung nicht so wider-
sinnig ist, wie es hier herauskommt, kann aus dem oben
Gesagten abgeleitet werden; daß aber Sokrates nach un-
söm Begriffen nicht sehr logisch verfährt, kann aus
seiner Rede leicht entnommen werden. Daraus kann
man schließen, daß für Sokrates die logische Beweis-
führung nicht das allerletzte Ziel ist. Er will die neue,
größere Idee vom Eros bringen. Man kann fast sagen, er
prägt mit seiner schwerfälligen Logik nur so recht
sinnenfällig ein, wie gründlich, gewissenhaft und sta-
tisch man arbeiten muß, wenn man etwas Neues Gei-
stiges aufbauen will. Ihm ist die Logik nur ein Mittel,
und ein kleiner Mangel daran ist ihm nicht gar so wich-
tig ; Urgrund und Ziel seines Wesens liegen anderswo.
Die Gegensätze, welche die mystischen Romantiker
gern in Eins verfließen lassen, sondert Sokrates aufs
Strengste : Das Liebende und das Geliebte. Es zeigt sich
schnell, wie fruchtbar Sokrates diese Definitionen ver-
wendet. Er folgert etwa so: Dem Eros selbst muß das
fehlen, was er liebt (denn Eros bedeutet ja nicht gern
haben, sondern begehren, streben). Weiter ist Eros die
Liebe zum Schönen, und auch zum Guten, denn das
Gute gehört ja zum Schönen. Darum ist Eros nicht voll-
kommen schön und gut, und darum ist er kein Gott.
Von hier an berichtet Sokrates die Lehre der Diotima.
Diotima geht wieder von trocknen Begriffen aus, daß
es zwischen Gut und Schlecht, Schön und Häßlich,
Weise und Töricht ein Mittleres gäbe. So trivial dies
als Gedanke scheint, so bedeutend ist es als Betrach-
tungsweise. Sokrates selbst mochte bisweilen zu sehr
Der Mythos 1 7
vom Begril'fe ausgegangen sein, die Welt hart in zwei
Teile geschnitten haben; jetzt lenkt Diotima den Blick
auf das Ganze, Lebendige, denn alles höhere Leben
kann nur in Kampf und Bindung von Gegensätzen ge-
schehen. Diotima steht wie Goethe auf der Höhe, von
der sie mit Liebe die Welt der Erscheinungen, und mit
Bescheidenheit die Seltenheit des Vollkommenen erkennt.
Eros ist also nicht Gott, nicht Sterbling: er ist ein
Dämon.
Es ist nicht leicht, diese neue Fassung gleich in ihrer
ganzen Wirkung zu verstehen. Auch Götter werden oft
Dämonen genannt, dann nämlich, wenn man vermeidet,
einen bestimmten Namen, eine bestimmte Gestalt anzu-
rufen. Das Dämonische ist etwa das noch nicht rein ge-
staltete, aber z\\t Gestaltung drängende Göttliche. Wir
denken wieder an Phädros' Anfang, aus dem Chaos mußte
als Erster Eros entstehen, demi er mußte sein, damit die
Götter sich gestalten konnten. Das Dämonische ist die
kosmische Kraft, die die beiden Hälften der Welt zusam-
menschließt, Gott und Mensch vereint ; es ist das Religiöse,
nicht im Sinn der Kirche, sondern als schöpferischer
Urgrund des Lebendig-Geistigen. Hier steht das große
Gesetz, nach dem Diotima die Menschheit scheidet : Wer
mit dem Göttlichen in Verkehr steht, der ist Dämonisch ;
wer nicht, der ist ein Banause, wenn er auch in einer
Einzelkunst weise ist. Dies Gesetz gilt noch in unsem
Tagen, und auch bei der Scheidung von echten Plato-
nikem und bloßen Spezialisten muß nach ihm verfahren
werden. Es scheint unmöglich bei diesem Begriff des
Dämons ihn uns sichtbar und plastisch zu machen, und
doch tut es Diotima, dadurch, daß sie nicht sein Aus-
sehen beschreibt, sondern seinen Mythos erzählt. Sie
erzählt, wie bei dem Geburtstagsfeste der Aphrodite
Armut vom Reichtum den Eros empfing. Nun ist frei-
lich ein andrer Eros da als jener zarte, schöne, selige
Piato, Gastmahl 9
18 Der Mythos
des Agathon. Nun ist er harter Natur, ein gewaltiger
Jäger, arm und reich, bald blühend, bald hinschwindend.
Diotima sieht das höchst Geistige höchst sinnlich, und
ihrer einfachen Kunst gelingt das Wunder: Aus der Un-
endlichkeit zurückgerufen steht Eros wieder da, in stets
wechselnder Gestalt doch immer der Eine.
Warum trägt Sokrates das Zwiegespräch im Einzelnen
vor, wie er in seinem früheren Irrtu^ eines Besseren
belehrt wurde ? Warum trägt er die Lehre nicht einfach
vor, wie er sie jetzt glaubt? Sokrates ist gütig gegen
Agathon, er deutet ihm an : „Laß dich nicht kränken in
deiner Freude an dir selbst, in deiner Begeisterung, die
vielleicht lieber das Schöne als das Wirkliche sieht. In
deinem Alter dachte ich wie du, heute kann ich dir
Größeres geben." Diotima bezeugt an dieser Stelle, daß
der Irrtum des Sokrates natürlich war — und das gilt
zugleich von Agathon.
Auffallend, fast unbegreiflich könnte scheinen, daß eine
Frau gleichsam in Person am Gastmahl beteiligt wird, ja
daß von ihr die oberste Verkündung ausgeht. Was ist
damit geschehn? — Die Reden vorher sind ganz aus
einer Welt der Männer gesprochen, also aus einer doch
teilhaften Welt, nun wird in Diotima erst die andre
Hälfte der Menschheit zugefügt, die Welt wieder rund
und vollkommen. Mit welcher Einschränkung diese
Schätzung des Weiblichen zu verstehen ist, wird später
aufgenommen werden. Wunderbar und doch wieder
natürlich-eiufach ist, daß gerade die Frau von einem
sehr männlichen, sehr strengen Eros spricht: Denn erst
sie darf von Zeugung und Frucht reden.
Eros liebt das Schöne. Diese Erklärung ist nicht weiter
zu zerlegen, Diotima geht deswegen vorwärts, indem sie
dies einem allgemeineren Begriffe unterstellt. Jeder
Mensch will glücklich werden ; das, durch dessen Besitz
wir glücklich werden, nennen wir das Gut, das Gute
Der Mythoi 1 9
(ohne jede moralische Färbung zu verstehn). In diesem
Sinne können wir nichts andres als das Gute lieben
Wir lieben es, das heißt, wir begehren es zu besitzen ;
und weiter heißt es, wir begehren es für die Ewigkeit
zu besitzen. Aus dem Gedanken der Ewigkeit, der Un-
sterblichkeit springt nun die Erklärimg des eigentlichen
Eros, der Liebe zum Schönen hervor. Denn Unsterblich-
keit besitzen die irdischen Wesen nur in der Fortpflan-
zung, und zeugen kann die Liebe nur im Schönen. Und
nun folgt die klassische Beschreibung des Eros in seinen
Werken, die nicht genug bewundert werden kann. Er-
klärt, versinnlicht werden kann sie nicht weiter, man
könnte sie nur Wort für Wort wiederholen. Das Ewige,
die zeugerische Leidenschaft und ihre Frucht, der dun-
kelste Trieb und die hellste Bewußtheit des Wollens,
Brunst der Tiere, geistige Zeugung der Denker und Ruhm-
sucht der Helden, zartes Genießen und hartes Sichopfern
— alles ist im einfachsten, rein und kalt betrachtetem
Bilde gefaßt. Nebenher sind die Gedanken einbezogen,
die heute den Stolz der Materialisten, und die den der
Idealisten machen.
Diotima erfüllt, was Aristophanes noch vermissen ließ.
Der fühlte glühend die Leiden und Rätsel, aber Diotima
deutet sie höher. Eros ist nicht Sehnsucht zur alten
Natur, sondern Unsterblichkeit, Zeugung des Neuen,
Höheren.
Aber sie ist nicht am Ende, in heiliger Feierlichkeit
enthüllt sie nun das Höchste, soweit es erlaubt ist. Dio-
tima ist Priesterin; jetzt redet nicht mehr die wissende
Frau, jetzt lehrt die Priesterin. Phädros forderte den
Hymnos, den hat Agathon gesungen; Aristophanes ver-
hieß den Kult, Diotima vollzieht ihn. Es sind die Eleusini-
schen Mysterien, denen die Priesterin ihre Unterweisung
gleichsetzt.
Die Stufen dieser Weihen, auf die sie anspielt, sind:
20 I>er Mythos
Katharsis, — Myesis, — Epoptika. So mag sie mit der
Katharsis, Reinigung, die anfängliche Reinigung der Be-
griffe meinen; mit der Myesis, Einweihung ins Geheim-
nis, mag sie die ETkennung und Deutung des Eros im
irdischen Geschehen meinen. Die Epoptika, die oberste
Weihe der Schauenden, in der die Geweihten nach der
Irrsal in Finsternis plötzlich das Eleusinische Licht und
die heiligsten Kuitbilder erblicken — diese Weihe setzt
sie gleich der höchsten Schau auf die Ewige Reine Schön-
heit, die Idee des Schönen. (Freilich muß man sich, um
die große Würde und Kühnheit dieser Gleichsetzung zu
begreifen, erinnern, daß die Eleusinien damals die großen
Mysterien Griechenlands sind, das Sakrament, durch das
jeder des Ewigen Lebens teilhaftig wird, die offenbare
Vorstufe des Katholizismus. Man mag, um die lebendige
Wirkung der Symbole nachzufühlen, bei der Katharsis
an die Taufe, bei der Myesis an Abendmahl und Vorfüh-
rung der Passion, bei den Epoptika an die Anbetung der
heiligsten Reliquien denken. — Daß Diotima das Ewige
Leben als natürliche und geistige Fortpflanzung deutet,
ist sehr zu beachten.) Nicht oft genug kann Diotima er-
innern, daß man auf Stufen aufsteigen muß, von der
Liebe zu Einem schönen Leibe zur Liebe der leiblichen
Schönheit an sich, der Schönheit der Seele, der Lebens-
führung und der Erkenntnisse. Nur wer ganz gefüllt ist
vom Irdischen, vom Sinnlichen darf sich ohne Gefahr
hinausbegeben aufs grenzenlose Meer der Schönheit; er
darf teilnehmen am mystischen Rausche, ohne sich zu
verlieren, er ist selig in der sonnenhaften reinen Schau
der Urformen, des schöpferischen Grundes und in der
Umarmung mit dem Ewig-Schönen erzeugt er wieder das
Schöne und Gute. Weiterer Erklärung bedarf dieser
Rausch der mystischen Erhebung nicht.
VII. REDE. So sehr Sokrates auf das Wirken drängt,
so scheint doch hier die höchste Erhebung und Selig-
Der Eros 21
keit im Schauen, nicht im Wirken zu liegen. Soll nuii
das Lob des Eros, die mystische Weihe in weltflüch-
liger Entrückung verklingen? So will es die hellenische
Lebenskraft nicht. Gewaltsam bricht das frohe und ge-
nießende Leben herein : Alkibiades. Wie vorhin die Aga-
thonische „Stimmung" von Sokrates aufgehoben wurde,
so geschieht es jetzt auch mit der Sokratischen durch die
laute und bunte Lust des Alkibiades. Alkibiades im dich-
ten Veilchenkranz und Bändern, an die Flötenspielerin
gelehnt in ein solches Gespräch einbrechend — ein Er-
eignis, das im geistigen Leben bis auf uns gewirkt hat.
Er beherrscht nun für eine Zeit den Abend; niemand
widersetzt sich dieser Lebensfülle, seinem Willen, den
er mit so graziöser Gebärde aufzuzwingen weiß. Es ist
Eryximachos zu danken, daß die Feier sich nicht schon
jetzt in ein unbändiges Zechen auflöst, sondern Alki-
biades den Kreis der Reden mit seiner vollendet. Drei
vorbereitende und drei große Reden sind berichtet, Alki-
biades schließt beide Kreise mit der siebenten zusam-
men. Er preist nicht Eros sondern Sokrates. Soll nun,
wie manche glauben, Sokrates und Eros gleichgesetzt
werden? Diotimens Beschreibung auf Sokrates gehen?
Dies ist nicht anders zu beantworten, als daß wir von
Anfang beginnend noch einmal nach dem Wesen des
Eros fragen und das Versäumte nachholend von der
Knabenliebe ausgehen.
Ungern erwähnt man in diesem Zusammenhange jene
pathologischen Abweichungen, die heute von berufenen
Forschem sehr eingehend untersucht wurden, und von
recht viel Unberufenen behaglich breitgetreten werden.
Man sollte vor oberflächlicher Betätigung, die möglichst
viel Erscheinungen unter sogenannte wissenschaftliche
Begriffe registriert, weniger Respekt haben. Zwei Tat-
22 Der Eroa
sachea sind unbestreitbar : Erstens iat der Geist und das
Gefühl im Gastmahl ausgesprochen männlich, von einer
V'erkehrung in den weiblichen Geschlechtscharakter kann
nirgends die Rede sein. Zweitens kana auch von der
andern pathologischen Form, dem unnatürlich gestei-
gerten Bedürfnis vieler Entarteten nach Piaffinement des
Genusses, im Gastmahl keine Rede sein. Auch in der
Knabenliebe ist der Geist ein strenger, ethischer. Vom
großen Tun ist viel, vom Genüsse seiir wenig die Rede.
Diese Tatsachen genügen, um die pathologische Betrach-
tung des Gastmahls als leichtfertigen medizinischen
Dilettantismus zu bezeichnen.
Unklar Denkende werden, wenn sie dies auch zugeben,
doch einwenden, Xenophon habe ja schon im Plato-
nischen Zeitalter die Knabenliebe als höchst unsittlich
verurteilt, sie sei also damals ähnlich beurteilt worden
wie heute. Das erste ist halbrichtig, das zweite ganz
falsch. Nämlich auch Xenophons Gastmahl des Kallias
ist auf der Grundlage aufgebaut, daß die Knabenliebe
ein großes und edles Gefühl ist, die echte erotische
Liebe, nicht die Liebe zu Sohn und Schüler. Man mache
doch bei Xenophon dieselbe Probe wie bei seinem Geg-
ner Pausanias, um zu finden, auch Xenophon betrachtet
die Knabenliebe kaum anders, als heute ein sitten-
strenger Mensch die Liebe zum Weibe außerhalb der
Ehe; das heißt, er achtet das erotische Gefühl hoch, er
tadelt nur die unsittlichen Konsequenzen. Heute be-
urteilen ja auch viele den Bruch der Sitte streng, viele
milde; aber kaum jemand sieht ihn als etwas Häßliches
und Gemeines an, denn niemand wundert sich, daß er
in den größten Dichtungen zur Schau gestellt wird, wäh-
rend man die Knabenliebe als etwas Abscheuliches zu-
deckt. Diesen „ästhetischen" Unterschied, um es schlecht
und modern zu sagen, macht der Grieche also nicht.
Dies muß man sich klar gemacht haben, um zu begrei-
Der Eros 88
fen, wie im Xenophontischen Gastmahl derselbe So
krates das Unsittliche der Knabenliebe sehr freimütig
tadelt mid doch selbst mit Kritobulos erotisch scherzt.
Jenen großen Unterschied der hellenischen Sinnlich-
keit von der modernen muß man als Grundtatsache hin-
nehmen, und es ist notwendig, sich da ein wenig hinein-
zudenken. Daß die Knabenliebe im ganzen aus der Ge-
nußsucht hervorgeht, ist schon abgewiesen. Es ist histo-
risch auch damit belegt, daß im genußfreudigen Home-
rischen Kreise nicht von ihr die Rede ist und sie auch
später im loniertum verurteilt wird. Es war offenbar
eine Steigerung des Harten, Männlichen, das Jagd- und
Kriegsleben, die Unterdrückung des Interesses am Weibe
bei dem Dorertum, was die erotischen Freundschaits-
bünde begünstigte. Wie hätte der Staat auch dem wer-
denden Jüngling einen besseren Lehrer geben können,
als den wenige Jahre älteren Freund. Die natürliche
Glut des Knaben für den Jüngling, der Stolz des Jüng-
lings, dem Knaben Vorbild und Lehrer zu sein, das
mußte freilich eine andre Frucht zeitigen, als mecha-
nischer Unterricht, das mußte jene stolze und beherrschte
Haltung, jenes Feuer erzeugen, durch das die Spartaner
für Hellas, ja für das Römische Reich die vornehmste
Gestalt des Menschen verwirklichten. Wie sehr diese
Tatsachen auch den Athenern bewußt sind, beweisen
die Reden des Phädros, Pausanias und Aristophanes.
Aristophanes zumal ist ein Anhänger der alten kriege-
rischen Erziehung, er sieht die Marathonkämpfer als
Vorbild, sozusagen als gute alte Zeit. Wenn man
moderne Moral als Maß benutzt, so sieht er aber trotz-
dem sehr frivol und unsittlich aus. Tatsächlich geht hier
vielen Modernen das Verständnis aus: Aristophanes ist
bald Sittenprediger, bald selber unmoralisch, also ist er
ein Heuchler. Das ist begrifflich, nicht leiblich gesehn,
denn Aristophanes liegt nichts daran, einen Moralbegriff
24 1^6^' Eros
zu rerwirkiichen, sondern er will ein bestimmtes Me.n-
schentum erziehen. In der Liebe zu Männern sieht er
den Ausdruck besonders starken männlichen Wesens,
den Ansporn großer Taten; in der Liebe zu Frauen mehr
die Genußsucht, die das Kriegerische beeinträchtigt. Der
moralische Reinheitsbegriff mag bei ihm nicht sonder-
lich entwickelt gewesen sein. Pausanias spricht noch
viel bestimmter von den großen ethischen Werten, die
er in der Kjiabenliebe sieht. Aber es ist kein Zweifel,
daß es in den Reden des Pausanias und Aristophanes
sich nicht um eine bloße erotische Freundschaft han-
delt, sondern um jenen sinnlichen Genuß, der von man-
chen Griechen gebilligt, von andern verdammt wurde.
Entschuldigen ist hier so töricht wie tadeln, man muß
die Sache sehen, wie sie ist. Wer seine moralisierenden
Triebe befriedigen will, der wird im sexuellen Leben der
Gegenwart sehr viel Interessantes finden und kann sich
eigentlich die Mühe der humanistischen Bildung er-
sparen. So überaus gleichgültig nun auch die zudring-
liche Frage nach Piatos Geschlechtsleben ist, so ist es
doch zum Verständnis der Knabenliebe wichtig genug
zu wissen, welche Stellung Plato in der öffentlichen
Lehre eingenommen hat. Es zeigt sich dabei, daß Plato
auf einem ähnlichen Standpunkt steht wie Xenophon.
In den früheren „Sokratischen" Dialogen wird ein leb-
haftes erotisches Gefühl vorausgesetzt (Charmides, Alki-
biades, Lysis). Ebenso im Gastmahl. Diotima berührt
die Frage nach jenem unsittlichen Genuß überhaupt
nicht, mit vollem Rechte, denn sie spricht von der
körperlich und geistig zeugenden Liebe. Aus der Er-
zählung des Alkibiades kann man entnehmen, daß So-
krates ihn mißbilligt, aber nicht etwas Abscheuliches
darin sieht, denn er weist die Werbung des Alkibiades
einfach zurück, ohne daß ihre Freundschaft dadurch
getrübt würde, ja er sagt nicht einmal ein Wort des
Der Eros 25
Tadels. Im Phädros glüht Platons Leidenschaft am stärk-
sten, vielleicht ist hier das sittliche Verbot gerade darum
so entschieden ausgedrückt. Doch wird den Fehlenden
eine milde Buße nach ihrem Tode verheißen, denn auch
sie „haben keinen geringen Siegespreis für ihre eroti-
sche Mania; denn im Finstern und unter der Erde ihre
Wanderimg zu machen gebührt nicht denen, die den
himmlischen Weg schon betreten haben." Wie die mei-
sten Ganzgroßen sieht Plato auch in den tierischen
Trieben das Göttliche, während die strengen Moralisten
nur mit bitterm Schmerz zugeben, daß bei unsrer Ent-
stehung der sündhafte sinnliche Reiz nicht fehlen kann.
— Im „Staat" ist natürlich wenig vom Gefühl, sondern
mehr vom Gesetz die Rede. Hier wird die erotische
Freundschaft gelobt, der Bruch der Sitte aber zieht den
strengen Vorwurf eines „unmusischen Mannes" zu. Als
Greis hat Plato vom erotischen Gefühl wenig gesprochen
und er verbietet in den Gesetzen den widernatürlichen
Verkehr noch strenger. Es ist höchst belehrend, damit
zu vergleichen, was der einundachzigjährige Goethe
über die griechische Liebe sagte: „Er entwickelte, wie
diese Verirrung eigentlich daher komme, daß nach rein
ästhetischem Maßstabe der Mann immer weit schöner,
vorzüglicher, vollendeter wie die Frau sei. Ein solches
einmal entstandenes Gefühl schwenke dann leicht ins
Tierische, Grobmaterielle hinüber. Die Knabenliebe sei
so alt wie die Menschheit, und man könne sagen, sie
liege in der Natur, ob sie gleich gegen die Natur sei."
Wie nun Goethe fortfährt und die Heiligkeit der Ehe
dagegen in Schutz nimmt, obgleich die Ehe eigentlich
unnatürlich wäre, aber im Interesse des gemeinen We-
sens so notwendig, daß an einigen unglücklichen Ehen
gar nichts läge — das ist dieselbe Gesinnung wie in Pla-
tons letztem Werk, den Gesetzen. (Goethe zu F. v. Müller.
7. IV. 1830.)
26 ^^^ Eros
Die Ehe ist ja die praktische Gegenfrage, ohne die man
die Knabenliebe nicht betrachten darf. In der Perikle-
ischen Zeit war die Stellung der Frau, wie sattsam
bekannt, recht untergeordnet; man heiratete der legi-
timen Nachkommen wegen und legte der Frau jede Be-
schränkung auf, um diese Legitimität zu sichern. Wir
stehen hier vor verwickelten Fragen, wo man sich
nicht zu einem unbedingten Für und Wider entscheiden
kann. Durch das ganze Gastmahl geht ein etwas ab-
schätziger Ton gegen die Ehe, es wird aber nicht die
notwendige Einrichtung der Ehe angegriffen, sondern
es werden nur jene Männer verächtlich gemacht, die
durch die Ehe ausgefüllt werden, die keinen Anteil am
Staate haben. Wie wird aber damals die eheliche Liebe,
das Gefühl bewertet? Es wird die Aphrodite Urania (die
Himmlische) und die Pandemos unterschieden. Zu wel-
cher gehört die eheliche Liebe? Pausanias rechnet sie
der Pandemos, andre der Urania zu. Urania ist der
höchste Ausdruck des Kosmos, der Trieb, das Höhere
zu erzeugen (vgl. Anm.). Darum hat der Kult ganz recht, j
der die Ehe dem Schutze dieser Göttin anvertraut. *
Aber Pausanias hat auch nicht Unrecht, denn die große
Mehrzahl der Ehen lebt von der Aphrodite Pandemos.
Einmal kann alles Banausische, nach Diotimas Begriff,
an der Aphrodite Urania keinen Anteil haben. Zweitens
sind viele Ehen die Folge der animalen sexuellen Genuß-
sucht, und auch diese fallen der Pandemos zu. Xeno-
phon beweist das sehr ergötzlich, weil sehr wider
Willen. Er gibt in seinem Gastmahl die Gesinnung des
Sokrates wohl richtig wieder, der gegen die grobsinn-
liche Knabenliebe der Pandemos die geistigere der
Urania aufruft. Dies gibt Xenophon also richtig wieder,
aber, wie der dazu erfundene Schluß beweist, ohne
rechtes Verständnis. Denn im Schluß kämpft er selber
gegen die Urania, und für die Pandemos der ehelichen
Der Eros 27
Liebe. Der Syrakusische Gaukler läßt vor den Gästen
ein junges Liebespaar seine ersten, leidenschaftlichen
aber noch schamhaften Liebkosungen tauschen. ,, Zu-
letzt, als die Gäste sahen, daß sie sich innig umarmten
und wie zum Brautlager hinausgingen, da schworen die
Junggesellen zu heiraten, die Ehemänner aber schwangen
sich auf ihre Pferde und ritten zu ihren Frauen." Daß
dies eine recht herzhafte Aufreizung zur Aphrodite
Pandemos ist, wird niemand bestreiten. Nur scheinbar
widerspricht diese Auffassung den Begriffen des Pau-
sanias, der in der Pandemos vor allem die Wahllosig-
keit erkennt. Denn auch die bei Xenophon erweckte
Liebe ist wahllos, wenn sie auch die Ehe will, sie rich-
tet sich gar nicht auf das erblickte Schöne, auf Zeu-
gung in diesem Schönen, sondern sie verlangt nur die
Befriedigung der Triebe an sich. Unter diesen Voraus-
setzungen glaube ich das Richtige zu treffen, wenn ich
Aphrodite Pandemos mit „bürgerliche Aphrodite" über-
setze. Die „gemeine Aphrodite", wie vielfach übersetzt
ist, ist nicht passend. Denn wenn man dies im Sinn
von allgemein faßt, so ist der Gegensatz zur Himm-
lischen, Kosmischen eher verwischt, als ausgedrückt.
Versteht man aber „gemein" mit dem Ton der morali-
schen Beschimpfung, so wäre das ganz ungriechisch,
denn auch sie ist eine Göttin. „Bürgerlich" vereinigt
die verschiedenen Bedeutungen : Man kann darunter das
Legitime, Staatserhaltende verstehen, und ihr dann die
eheliche Liebe zuweisen; man kann aber auch an das
Bürgerliche im Gegensatz zum Adligen und Heroischen,
an das Gemeinmenschliche im Gegensatz zum Himm-
lischen denken; und wir verstehen auch den etwas
abschätzigen Ton init dem Pausanias von den wahllosen
Bedürfnissen des Spießbürgers spricht.
Für den ganzen Sokratischen Kreis ist dieses wesent-
lich: Die Pandemos in der Knabenliebe wird keineswegs
28 I^er Eros
verkannt oder beschönigt; aber doch wird die Aphro-
dite Urania vornehmlich in der ICnabenliebe gesehen.
Es ist üblich zur Erklärung und Entschuldigung dafür
die geistige Leere der damaligen Ehe anzuführen. Viel-
leicht liegt da doch eine Verwechslung von Ursache und
Wirkung zugrunde, jedenfalls liegt hier nicht der Kern
der Erklärung. Die Knabenliebe ist ja gerade dorisch
und kann durch die Stellung der attischen Frau nicht
erzeugt sein. Bei Aristophanes ist es doch deutlich, daß
er gar nicht nach einer Vergeistigung der Liebe sucht,
sondern es ist seine Liebe für den kriegerischen Mann,
die ihm die Ehe im ungünstigen Lichte zeigt. Um in
dieser Gnmdlage deutlich zu sein: Xenophon begün-
stigt mehr die bürgerliche Ehe, Sokrates und Plato
mehr eine höhere Form, eine geistigere Liebe. Alle
drei sind einig in der Verurteilung der grobsinnlichen
Knabenliebe, aber im Gefühl sind sie alle drei trotzdem
von uns Modernen ganz verschieden : das erotische Ge-
fühl der Knabenliebe ist ihnen etwas Primäres, Natür-
liches, ja darüber hinaus etwas Göttliches. Eine Stelle
am Anfange von Xenophons Gastmahl ist nicht nur
hierfür beweisend, sondern auch so bildhaft für dies
Gefülil, daß ich sie hier nicht übergehen will. Der junge
Autolykos, den der reiche Gastgeber Kallias liebt, tritt
zusammen mit seinem Vater in die Gesellschaft ein.
„Wer aber wahrnahm, was geschah, der mußte urteilen,
daß die Schönheit etwas Königliches von Natur sei,
immer, aber besonders dann, wenn sie mit Scham und
Bescheidenheit verbunden ist, wie damals bei Auto-
lykos. Denn zueret, v/ie, wenn ein Licht aufleuchtet in
der Nacht, aller Augen gelenkt werden, so fesselte da-
mals die Schönheit des Autolykos aller Augen auf ihn;
dann, da sie ihn ansalm, blieb keiner in seiner Seele un-
bewegt. Die einen wurden schweigsam, die andern gaben
sich eine Haltung. Denn alle, die von einem Gott be-
Der Eros 29
sessen sind, bieten einen besondern Anblick dar. Sind
sie aber von andern Göttern besessen, so wird ihr Blick
wilder, die Stimme schrecklicher und alles gewaltsamer ;
welche aber von der Gottheit des maßvollen Eros gefüllt
sind, deren Augen sind freundlicher, ihre Stimme banfter
und ihre Haltung freier. So geschah es auch mit KaUias
unter der Wirkung des Gottes und diejenigen, die in die
Mysterien dieses Gottes geweiht waren, mußten ihn an-
schaun.
So nahmen sie schweigend das Mahl ein, als ob es ihnen
ein Größerer befohlen hätte."
Es ist bezeichnend, daß Xenophon von der Knabenliebe
schlicht, fast dichterisch redet, die Ehe aber durch die
w^enig edle Theaterwirkung des Gauklers empfiehlt. Um
nicht den Gedanken aufkommen z . lassen, daß es sich
um eine ästhetische Mode tändle, führe ich noch ein
Beispiel aus der Gegenwart an. Ich entnehme von Gom-
perz (Griechische Denker), der es in ähnlichem Zu-
sammenhange glücklich verwendet hat, ein Zitat von
Johann Georg Hahn, das die Äußerung eines heutigen
Albanesen wiedergibt : „Der Anblick eines schönen Kna-
ben ist reiner als Sonnenschein .... Es ist die höchste
und stärkste Leidenschaft, deren die Menschenbrust
fähig ist ... . Wenn der Geliebte unerwartet vor ihm
erscheint, so wechselt er die Farbe .... Er hat nur für
den Geliebten Augen und Ohren. Er wagt ihn nicht mit
der Hand zu berühren, küßt ihn nur auf die Stirn, singt
seine Verse ihm, niemals einem Weibe zu Ehren.** So
klingt heute noch Piatons Phädros nach, lebt noch die
Aphrodite Urania.
Xenophon und der Albanese reden eine sehr ähnliche
Sprache wie Goethe in dem oben angezogenen Gespräch.
Jene Begründung, daß der Mann „schöner, vorzüglicher,
vollendeter" sei als die Frau, wird im Reich der Faii-
demos viel, im Reich der Urania wenig Widerspruch
30 r>er Eros
i
finden. Und doch sind Sokrates und Plato keine Frauen-
feinde. Daß Diotima, die Frau, unter den Männern die
bedeutendste Rede hält, sagt alles. Aber wir wissen ja
auch aus andern Stellen, daß Sokrates und Plato die
gleictie Erziehung für Mann und Frau fordern, in der
Gymnastik, selbst im Kriege. Sie sehen in der Frau die-
selbe Art, aber ein geringeres Maß von Kräften. Schwer
vereinbare Widersprüche. — Es ist wieder daran zu
erinnern, der Grieche geht nicht von den Begriffen aus,
er erhitzt sich nicht um eine so plumpe Frage, ob man
sich für Mann oder Weib entscheiden soll. Er geht viel-
mehr von der lebendigen Idee der vollkommenen Men-
schen; dabei liegt immer der Ton auf dem Männlichen,
aber darum das Weibliche ausschließen wäre ja Ver-
armung. Die Göttergestalten spiegeln diese Ideen am
reinsten wieder. Unter ihnen herrscht immer Zeus. In
der strengeren Zeit neigen sich die weiblichen Götter
nach dem Männlichen, die herbe Artemis und die kluge
Athene. In der Platonischen Zeit kommt dazu, daß einige
Götter viel Weibliches zeigen, Dionysos besonders, aber
auch ApoUon. Natürlich kann dieser Weg schließlich
zu einer Verweichlichung des männlichen Typus führen,
aber ebenso so gewiß ist, daß in einer Glanzzeit das
Männliche auf der höchsten Stufe stand und durch die
Einbeziehung weiblicher Kräfte nur bereichert, nicht
geschwächt wurde : größtes männliches Feuer mit weib-
licher Anmut. Und diese Verschmelzung ist vielleicht
Athens köstliche Blüte.
Der Mann drückt das Göttliche, wenn er daran teil hat,
dichter, stärker, reiner aus als die Frau; aber auch die
Frau kann teilhaben am Göttlichen.
Von diesen tiefliegenden Gründen aus kann man viel-
leicht eher verstehen, was sonst unbegreiflich scheint:
Daß gerade in diesen Kreisen der sehr männlichen Liebe
die Geltung der Frau besonders hoch sein konnte. In
Der Ero8 31
keiner frauenverehrenden Zeit, auch nicht im Zeitalter
des Minnesangs spielt eine Frau im imiersten Wesen
und Geist eine so bedeutende, so ehrende Rolle wie
Diotima im Platonischen Kreise. Und in keinem grie-
chischen Staat war die Selbstständigkeit und Angesehen-
heit der Frauen größer als in Sparta. — Heute kann man
das kaum nachfühlen, weil man immer an soziale und
politische Rechte denkt. In Griechenland hatte im Staat
nur der mitzureden, der politisch, staatsbildend war.
Warum wundert man sich, daß die Frauen im staat-
lichen Leben keine Rolle spielten? Heute sieht man
allerdings den Zweck des Staates nicht mehr in den
staatsbildenden Menschen selbst, sondern in den Un-
staatlichen, Ungebildeten, Schwachen.
Doch kehren wir nach dieser nötigen Einschaltung über
attische Anschauung endlich zum Gastmahl zurück. In
Diotima ist der Wert der Frau, ihr Verhältnis ;Zum Gött-
lichen glänzend verbildlicht: Ihre Rede ist die höchste
geistige Leistung im Kreise der Männer. Aber auch Diotima
ist nicht frei von der griechischen Wertung des Mannes :
Sie sieht die große Liebe auch in der Ehe, dem Erzeugen
der Kinder; aber den Weg zum Höchsten sieht sie im
geistigen Zeugen, in der Knabenliebe. „Ihnen (den gei-
stigen Schöpfern) sind auch schon viele Heiligtümer
entstanden wegen solcher Kinder, wegen menschlicher
Kinder aber noch keinem." Diotima weist den Weg zum
Göttlichen, aber sie stellt es nicht in ihrer Person dar.
Das wird uns erst ganz bewußt in der folgenden Rede
des Alkibiades. Die ist als neue Leistung, als schöpfe-
risches Denken gar nicht bedeutend verglichen mit
Diotimens Rede, aber doch gibt er Großes : die Person-
32 Der Eros
lichkeit des Sokrates, Jetzt erst sehen wir das Göttliche
wirkend, wirklich vor uns: Sokrates selbst.
Sokrates strahlt ein neues Lebensgefühl aus, das er
selbst als philosophisch und zugleich als erotisch be-
zeichnet; es ist kein wissenschaftliches Interesse, son-
dern geistiger Eros. Wer das Erotische hier nur als
„künstlerische Metapher" begreift, dem ist nicht zu hel-
fen. Erst durch die Idee des lebendigen geistigen Reiches,
im Gegensatz ebenso zum politischen Staat wie zur ab-
strakten Wissenschaft ist das Gastmahl ganz verständ-
lich. Das Erotische, das Dämonische ist die Substanz
dieses Reiches und hier ist zu ahnen, warum Sokrates
aller Orten die Knabenliebe begünstigt. Wir berühren
hier aber auch eine Umwandlung, welche die Knaben-
liebe in ihrem Wesen erfahren hat. Sokrates hat seine
Gründe, es nicht offen zu sagen, aber Alkibiades stellt
es unverhüllt heraus. Er sagt: Sokrates stellt sich, als
ob er in die Jünglinge verliebt sei, und nachher zeigt
sich, daß Sokrates der Geliebte und sie die Verliebten
sind. Das trifft die Sache, und es wird nicht nur durch
die Erzählung des Alkibiades bewiesen, sondern auch
durch das folgende erotische Spiel zwischen Sokrates,
Agathon mid Alkibiades. Und damit sind zwei der
schwebenden Fragen beantwortet. Einmal kam es bei
Phädros seltsam heraus, daß der Liebende göttlich sei,
der Geliebte aber nicht. Jetzt sehen wir, daß doch der
Göttliche am meisten geliebt wird. Die zweite Frage war
die, ob Diotimens Schilderung des Eros den Sokrates
selbst meint. Jetzt sehen wir, wie gerade Alkibiades
diesem Bilde entspricht; in ihm, der sich dem Meister
zwar hingeben will, aber im Grunde der Seele sich doch
nicht hingibt, sondern jenen für sich gewinnen will, der
von Liebe und Selbstsucht zerrissen an der Schwelle
des neuen Reiches stehen bleibt, dilickt sich jenes Bild
mit «einer Pein und Härte, seinen Aufblühen und Hin-
Der Eros 33
schwinden am lebhaftesten aus. Die Feinde des Genius
haben diese Freundschaft gern mit ihrem billigen Spott
befleckt, aber in den seltenen Zeiten des erwachenden
Geistes, wenn im Kreise weniger Menschen eine neue
Welt knospend in die Wirkhchkeit trat, dann erkannten
die besten Jünglinge, um ihre Meister werbend, erschüt-
tert in Alkibiades ihr Bild. Schon Hamann will der Alki-
biades des sechs Jahre älteren Kant, er soll sein So-
krates sein. Aber bei Goethe ist es nicht mehr ein Bild,
sondern die entfaltete Leidenschaft. Der zweiundzwanzig-
jährige Goethe schreibt an den siebenundzwanzig jäh-
rigen Herder: „Mein ganzes Ich ist erschüttert
Apollo von Belvedere, warum zeigst du dich uns in
deiner Nacktheit, daß wir uns der unsrigen schämen
müssen. Spanische Tracht und Schminke 1 Herder, Her-
der, bleiben Sie mir, was Sie mir sind. Bin ich bestimmt,
Ihr Planet zu sein, so will ich's sein, es gern, es treu
sein. Ein freundlicher Mond der Erde. Aber das —
fühlen Sie's ganz — daß ich lieber Merkur sein wollte,
der letzte, der kleinste vielmehr unter siebnen, der sich
mit Ihnen mn Eine Sonne drehte, als der erste unter
fünfen, die um den Saturn ziehn.
Adieu, lieber Mann. Ich lasse Sie nicht I Jacob rang mit
dem Engel des Herrn. Und sollt* ich lahm darüber wer-
den! . . . ." Und ein halbes Jahr später schreibt er wie-
der an Herder: „. . . . ob ich mich von dem Dienste des
Götzenbildes, das Plato bemalt und verguldet, dem Xeno-
phon räuchert, zu der wahren Religion hinaufschwingen
kann, der statt des Heiligen ein großer Mensch erscheint,
den ich nur mit Liebenthusiasmus an meine Brust drücke,
und rufe : I\Iein Freund und mein Bruder 1 Und das mit
Zuversicht zu einem großen Menschen sagen zu dürfen !
— War' ich einen Tag und eine Nacht Alkibiades, und
dann wollt' ich sterben! — "
So will es Sokratee (der Sokrates des Gastmahls). So
Plato, Gastmahl 3
34 r>er Eros
hat er die griechische Liebe umgekehrt. Der Knabe
soll sich nicht lieben lassen, sondern umgekehrt den
Größeren lieben. Sokrates will, daß die Jünglinge in ihn
verliebt sind. Schon früher einmal hat er im Gespräch
mit Alkibiades scherzhaft auf diese Vertauschung der
Rollen angespielt; und hier finden wir auch etwas von
den dunkleren Gründen dieser Dinge. Sokrates bietet
sich dem Alkibiades zum Führer an; vom Gott hat er
erfahren, „daß deine Wiedergeburt durch keinen andern
als mich geschehen wird." Aber sein eigner Führer sei
eben jener, der Gott. So schließt sich diese Betrachtung :
Das Erotische ist des Sokrates Reich, und so ist auch er
eins von den Abbildern des Eros. Aber sein Eros ist auf
das Göttliche in seiner Gesamtheit gerichtet, auf eine
noch ungeborene Welt. Innerhalb der irdischen Kreise
ist Sokrates selbst das Göttliche als Gestalt; die Jünger
sind die Liebenden.
Das ist die große Gesinnung, von der der letzte Teil des
Gastmahls sein Leben empfängt, jede Gebärde ist nur Ihr
Ausdruck. Immer wieder bekennt Alkibiades, daß So-
krates göttlich sei, göttlich selbst im Gegensatz zum
Göttersohn Achill. Diotima hat von der höchsten Weihe,
der Weihe der Schauenden gesprochen; des Alkibiades
einleitendes Wort : „Wer hier ungeweiht und unerzogen
ist, lege schwere Pforten vor seine Ohren" verkündet,
daß er nun endlich das Götterbild selbst entliüllen wird :
Sokrates selbst. Wie sehr ihm Göttliches, Philosophie
und die Person des Sokrates das gleiche Ding sind, das
entfährt ihm halb ungewollt. Als er erzählt, wie Sokrates
seinen Reiz verschmähte, da faßt ihn wieder die Qual
des von der Schlange Gebissenen. Man denkt, er meine
die Qual der abgewiesenen Liebe — und er meint sie
auch, aber er nennt nicht sie, sondern den Wahnsinn
und die bacchische Wut der Philosophie. So sehr ist
ihm Person des Sokrates und Philosophie Eins.
Plato uud Sokrates 35
So will es Sokrates, und vor unsern Augen spielt es sich
wieder ab. Der schöne Alkibiades, der berühmteste Mann
Athens, der wie nie ein andrer die Anwartschaft hatte,
König des klassischen Griechenland zu werden, liegt
beim Gastmahl auf der Mitte des einen Polsters. Neben
ihm auf der einen Seite Agathon, der gefeierte Dichter
und schöne Jüngling; auf der andern Seite Sokrates. In
Agathon scheint die Liebe zu Sokrates zu erwachen, in
Alkibiades flammt die alte wieder stärker auf. Höchst
lebendig wird jede Gebärde, in dieser Luft, in der sich
Götter ihrer Nacktheit nicht schämen. Alkibiades ist un-
treu im geistigen Reiche, er buhlt mit dem Athenischen
Demos. Sokrates sagt kein ernstes Wort, Edles geschieht
in reiner Heiterkeit, er tut scherzend mit Agathon schön.;,
und erregt offen die Eifersucht des Alkibiades. Dann,
als Alkibiades vor dem sehr gefährlichen Eros des So-
krates warnt, ruft er Agathon auf seine Seite herüber.
Alkibiades, der zugleich von Sokrates geliebt sein, Aga-
thon lieben wollte, liegt nun ausgeschlossen neben den
beiden.
Ich sehe das überlegene Lächeln meiner Kritiker, weil
ich so ganz dem naiven Realismus verfallen bin und
vom Gastmahl sprach nicht wie von einem Literatur-
Erzeugnis, sondern wie von einer wirklichen Begeben-
heit. Und doch bin ich im Recht, denn darum nannte
ich das Gastmahl einen Mythos ; es gehört zu den voll-
kommenen Werken, die keiner Erklärung ihrer Herkunft
und ihres Zieles bedürfen, jedes Wort hat durch den
Zusammenhang seine volle und ewige Wirklichkeit. Die
Einzelwissenschaften werden niemals nur irgend etwas
Wesentliches davon erklären, wie so etwas gemacht wird.
Aber umgekehrt müssen aus diesem Mythos die Einzel-
wissenschaften abgeleitet werden, das heißt, in diesem
3"»
36 Plato und Sokrates
Mythos ist gesagt, wie das Geistige entsteht. Das wird
man nicht zugeben, und beweisen läßt es sich allerdings
nicht anders, als durch Tun. Wer hier nicht eine ganz
andre Wirkung spürt, als die Vermehrung des Wissens,
wer nicht selbst den Willen gefühlt hat, sich zu solcher
Feier zu bekränzen, der mag ein Philosophie-Gelehrter
sein, ein Platoniker ist er nicht.
Die Frage, wie weit sich Plato für sein Werk der wirk-
lichen Einzelheiten bedient hat, hat hier keinen Raum.
Aber die Wechselwirkung des historischen Sokrates und
Plato, die im Platonischen Sokrates ihren Ausdruck
findet, ist selbst eine große Begebenheit, die ihre eigne
ewige Bedeutung in sich hat. Hierüber ist an einiges zu
erinnern, was auf das Gastmahl Bezug hat. In den frülie-
ren Dialogen ist Plato nicht weit von Sokrates entfernt
und die Übertragung der Gespräche auf jenen bedeutet
wohl, daß Plato bewußt im Sinne des Meisters weiter-
wirken will. Vielleicht kündigt sich schon im Gorgias
gerade in der Gewaltsamkeit des strengen Bekenntnisses
ein unterdrückter Zweifel an. Im Gastmahl ist die Ver-
wandlung geschehen, das Geschöpf wurde zum Schöpfer,
der Jünger zum Meister: Plato erkennt mit hohem
Selbstbewußtsein in sich den König des geistigen Reiches.
Die Kluft zwischen Sokrates und Plato ist nicht zu über-
brücken. Sokrates* Lebensgefühl hat keine unmittelbare
Beziehung zur politischen Wirksamkeit, es bleibt in der
allgemeinen Betrachtung. Sokrates erfüllt sehr streng
seine gesetzliche Pflicht, aber er lebt sein Leben neben
dem Staate her. In Plato ist eine große politische Leiden-
schaft; da er aber einsieht, daß Athen vom Abwege nicht
mehr umkehren kann, seine Lehre nicht verwirklichen
kann, so rührt er für Diesen Staat keinen Finger mehr.
Damit hat er den höchsten Sinn für die Realitäten be-
wiesen und er hat bewußt für das Menschentum mehr
getan, indem er das geistige Leben rein und ungemischt
Plato und Sokrate»«« 37
in seinem FLreise, der Akademie, bewahrte, als wenn er
durch Kompromisse den Fortschritt AtJiens für kurze
Zeit aufgehalten, sein höchstes Gut in zweckloser Be-
mühung verschleudert hätte. Wenn auch innerhalb des
Gastmahls der Unterschied von der reinen Sokratik mehr
im Ton, in der größeren Betrachtungsweise sich kund-
gibt, so ist doch der bestimmte Unterschied im Politischen
wenigstens angedeutet. Als Diotima von den geistigen
Schöpfern spricht, da legt sie die Betonung nicht auf die
Dichter und Künstler, sondern auf die Gesetzgeber;
Lykurgs Gesetze nennt sie die Retter Griechenlands.
Da reckt sich Plato auf, in dem damals die Bücher vom
Staat reifen, und der noch die Hoffnung hatte, der Soter
von Griechenland zu werden. Warum Plato trotzdem
nicht selber redend in den Dialogen auftritt, dafür wären
viele gute Gründe zu vermuten. Hier genügt die Tat-
sache, daß Plato die Gestalt seines Vorgängers so um-
bildet, wie es seinen eignen höheren Zwecken ange-
messen ist.
Diese Umwandlung ist auch in der bedeutenden Lehre
vom Daimonion mit größter Entschiedenheit ausgespro-
chen. Sokrates wußte, wie wenig wir wissen, er kannte
die sehr engen Grenzen des Rationalismus. Wo ihn nun
sein helles Wissen nicht leitete, da hörte er auf seinen
dunklen Instinkt. Er nannte den dunklen Trieb, der für
ihn nicht schöpferisch war, sondern ihn nur von Fehlem
zurückhielt, schlicht und groß sein Daimonion. Dies
füllte also nur die Lücke aus, die er notgedrungen in
seiner Erkenntnis zugestehen mußte. Diotima knüpft
daran an, aber sie erweitert das Dämonische unendlich.
Nun ist Eros, ist die Philosophie, ist das ganze Lebens-
gefühl des neuen Reiches dämonisch. Um die Richtung
dieser Bewegung zu begreifen, blicken wir auf den
Phädros. Ich halte es für ein großes Ergebnis der exakten
Forschung, daß der Phädros nun mit Bestimmtheit hin-
3S Plato and Sokrates
ter das Gastmahl gesetzt ist, der Phädros, den die Er-
klärer wegen seiner Streitsucht und seiner erotischen
Leidenschaft so gerne als erstes Jugendwerk des Plato,
aber sonst doch wenigstens vor das Gastmahl gesetzt
hätten. Im Phädros wird der extreme Rationalismus als
überflüssige Aufklärung verächtlich abgetan und alles
Große geschieht nur durch die göttliche Mania ! Es wäre
wohl befremdlich, eine so veränderte Lehre unvermit-
telt von Sokrates selbst, dem in Athen bekannten Lehrer,
vortragen zu lassen. Darum wird im Gastmahl die Lehre
als Eigentum Diotimens gegeben. Der Phädros geht zwei-
fach darüber hinaus: Sokrates redet selbst, aber vom
Gotte begeistert. In engem Zusammenhange mit dieser
Wandlung steht der hohe religiöse Ton. Sokrates be-
faßte sich mit der Religion vorsichtig und zweideutig,
sein Ton war schlicht, bürgerlich, ein wenig optimistisch,
mid ein wenig skeptisch. Plato gibt jetzt in aller Lust
am Leben die höchsten Dinge mit der feierlichen Weihe
der Mysten, mit dem Feuer des Propheten.
Dämonisch ist nun nicht mehr bloß negierend, es ist im
Gegenteil die zeugende Kraft, Eros. Zwar sollte längst
klar sein, aber bei der gegenwärtigen Verwässerung der
Ideen muß es noch deutlich gesagt werden : Es ist kind-
liche Eitelkeit, wenn man unter dem Platonischen Eros
die Personifikation des Wissenstriebes versteht und
glaubt, daß jede wissenschaftliche Detailarbeit durch
ihn geadelt sei. Es wäre Zeit, dies Mißverständnis aus
wissenschaftlichen Büchern zu streichen. Die erlebte
erotische Leidenschaft ist doch wohl nicht die Grund-
lage des Aufstiegs zur höchsten Erkenntnis, ^vie unsere
Bildungsanstalten sie verheißen und so ist wohl selbst
für unsre unphilosophische Zeit die Entscheidung nicht
zu undeutlich, daß Diotima nicht einmal, sondern
mehrmals mit Nachdruck feststellt, der einzige Weg zur
obersten Weihe führe durch die Liebe zu Einem schönen
Plato und Sokratea 39
Leibe, dann zu den schönen Leibern überhaupt. Doch
ist auch diese Frage nicht vollendet durchgeführt, wenn
wir den Phädros nicht kennen. Im Gastmahl ist gesagt,
daß Philosophie erotisch, Wissenschaft ohne Eros keine
Philosophie sei. Aber man kann zweifeln, wie weit
dieser Eros auf das Leibliche gerichtet bleibt, oder ein
Gefühl ist, das in mystischer Weise auf etwas Nicht-
Sinnliches gerichtet ist. Man könnte ja so weit gehen,
das erotische Spiel mit den Schülern sei nur ein Mittel
für andere Zwecke, Sokrates wolle nur seine ideellen
Zwecke fördern und es läge ihm nichts weder an den
Menschen noch an ihren Leidenschaften. Im Phädros bleibt
kein Zweifel, daß aus Plato selbst die große Leidenschaft
redet. Vielleicht hat Gomperz recht, daß hier die Leiden-
schaft für Dion ihren Ausdruck gefunden hat. (Wenn
nicht, so ist diese Vorstellung doch erklärend.) Das wäre
die Eudaimonia des Plato, daß sein Eros in Einem die
leibliche Erscheinung und die ewige Idee geliebt hätte,
denn von Dion durfte er hoffen, daß er das Platonische
Leben auf ein großes politisches Reich übertrüge. Wie
dem auch sei, die Glut des Phädros stammt nicht aus
dem reinen Denken, sie stammt aus dem sinnlich-über-
sinnlichen Erlebnis. Jetzt ist Eros nicht mehr bloß
Führer zur Schau, sondern die Schau selbst; nicht mehr
Dämon, sondern wieder der alte Gott. Was im Gastmahl
noch unsicher war, ist nun rein und einfach : Der Leib
ist wieder das A und 0 aller Dinge geworden, der Ewige
Ring wieder geschlossen. Im menschlichen Leibe er-
schaut Plato die überirdische Schönheit wieder, sie will
er wieder anbeten wie einen Gott. Die Idee der über-
geschlechtlichen Liebe ist gereift, der Grundton ange-
schlagen zu den großen Liebes-Gesängen des Dante,
Shakespeare, George.
40 Plato und Sokratet
Der große Ton, die kosmische Leidenschaft sind uu-
sokratisch. Trotzdem hat Plato hier auf der Wende mit
besonderer Liebe die Gestalt des Meisters teilweise auch
in ihren äußeren Schicksalen abgezeichnet. Es ist ganz
begreiflich, daß bei diesem allmählichen Vorgange der
Umwandlung des historischen Sokrates in den Plato-
nischen anfangs Züge erhalten sind, die wie eine leise
Kritik am Wesen des Vorgängers klingen. In der Apo-
logie hatte Plato den Aristophanes bitter angegriffen als
einen der mittelbaren Ankläger des Sokrates. Muß nicht
eine erstaunliche Wandlung vorgegangen sein, daß ihm
nun Aufnahme in dies Gastmahl gewährt ist, ja daß
Sokrates mit ihm den letzten Becher trinkt. Muß man
nicht schließen, wenn man die Rede des Aristophanes
bedenkt, Plato habe andeuten wollen, daß Sokrates doch
eines gefehlt: das verstehende Gefühl für eine große
sinnliche Leidenschaft ? — Und wie bürgerlich und breit
scherzt Sokrates im Xenophontischen Gastmahl über
sich selbst, seine Ehe, sein Zimmertumen und beson-
ders seine Häßlichkeit. Auch der Alkibiades des Plato
vergleicht ihn mit einem Silen, aber die Häßlichkeit wird
nicht ausgesprochen, das Übermütige im großen Sinne
gefaßt und vor allem das Göttliche ans Licht gestellt.
Gleichwohl mag auch hier ein kleiner Einwand gegen
den Mangel der schönen Gebärde im Äußeren versteckt
liegen, sich selbst würde Plato sicherlich lieber mit
Apollon verglichen gesehn haben, als mit Marsyas. —
Wie die Rede des Phädros die noch ungewisse Knospe
des Ganzen ist, so wird die Bewegung des Ganzen am
Schluß noch einmal in einem einfachen Bilde zusammen-
gefaßt. Wie die Rede über den Eros rechts herum ge-
kreist ist, so kreist zwischen den dreien, die am Morgen
allein noch wach sind : Agathon, Aristophanes und So-
krates eine große Schale Wein, — rechtsherum, was zu
bemerken der Dichter nicht unterläßt. — Sokrates' Ge-
Plato und Sokrate« 41
danken weilen noch in der Höhe, er beweist den Dich-
tern ihre Teilhaftigkeit, denn der rechte Mann müsse
Tragödie und Komödie zu dichten verstehen. Das ist
wieder Plato selbst, er ist jener rechte Mann. Das neue
Leben, das er in die Welt bringt, hat er anderswo die
wahre Tragödie, das heißt das festlich-große Spiel ge-
nannt. Und wemi Sokrates im Gastmahl die beiden durch
eine R.ede übertrifft, so setzt sich Plato durch das Gast-
mahl noch mehr über den Tragöden und Komöden (Aga-
thon und Aristophanes), denn diese würden wohl nicht
wenig drum gegeben haben, wenn diese Reden, die Plato
ihnen schenkt, ihr eigenes Werk gewesen wären. Plato
schlägt die Gegner auf deren eigenem Felde. Eros, der
Erreger des Wettkampfes, hat ihn zum Sieger in allen
Agonen gemacht, und nun bindet er die größte Fülle der
entgegengesetzten Ej*äfte in sich. Damit nichts fehle, da-
mit Sokrates auch im Agon der unteren Kräfte siege, so
bleibt er übrig, als die letzten beiden in Schlaf sinken.
Die Enthaltsamkeit des Eryximachos ist ein Mangel, die
gewohnte Enthaltsamkeit des Sokrates ein Überfluß an
Kraft. Und dieser Gedanke ist für Plato besonders wichtig,
eine ganze Reihe Stellen im Gastmahl deuten auf ihn.
Die Philosophie ist eine überströmende Lebenskraft, nicht
ein einseitiger Intellektualismus. Auch im vegetativen
Leben, in seiner unglaublichen Vitalität, ist Sokrates
jedem überlegen. Auf dem Feldzuge inPotidäa spottet er
der Anstrengungen, des bitteren Frostes in einer Weise,
daß die Soldaten glauben, er wolle sie verhöhnen. Und
dann steht er — ein Bild von mythischem Schimmer —
einen ganzen Tag und eine Nacht durch aufrecht da,
einsam philosophierend, bis die Sonne aufgeht, dann
betet er zur Sonne und geht fort. Sein geistiges Sein ist
nicht ein Gegensatz, nicht ein vom Leiblichen losgelöstes,
es ist vielmehr nur die edelste Blüte auf dem kräftigen
Stamme des leiblichen Lebens. Mit so mühsamem Sinnen
42 Plato und Sokrates
und Trachten bahnen wir uns wieder einen Weg zu dem
unmittelbaren sinnlichen Geschehen jener Zeit ; jenen war
es freilich gegeben, das alles anmutig mit der leichtesten
Gebärde zli sagen : Sokrates erhebt sich, nachdem er die
letzten zur Ruhe gebracht hat. Dann geht er ins Lykeion,
badet und bringt den ganzen Tag zu wie er es sonst tat.
Abends begibt er sich nach Haus znr Ruhe.
DAS GASTMAHL
•.1 APOLLODOR : Ich denke für eure Fragen nicht unvorbe-
172 reitet zu sein. Ich ging nämlich gerade neuhch von Hause
in die Stadt hinauf, von Phaleron aus ; da bemerkte mich
von hinten ein Bekannter und rief mich von weitem an
und scherzte im Anruf: ,,Phalereus, he, du Apollodor,
warte doch!" Ich blieb stehn und wartete. Und jener
sagte : „Apollodor, schon neulich suchte ich dich, da ich
dich ausfragen wollte über die Zusammenkunft von Aga-
thon und Sokrates und Alkibiades und der andern die
damals am Gastmahl teilnahmen, wegen der Reden über
die Liebe, welches ihr Inhalt war. Mir hat es ja schon ein
andrer erzählt, der es von Phönix, dem Sohn des Philip-
pos, gehört hatte; er sagte aber, du wüßtest es auch.
Aber der konnte nichts Genaues sagen; du also wirst mir
erzählen! Dir vor allen ist es ja gemäß, des Freundes
Worte zu verkünden. Zuvor aber sage mir : nahmst du
selbst an dieser Zusammenkunft teil oder nicht?" Und
ich sagte : Jener Erzähler scheint dir ja schon gar nichts
Genaues erzählt zu haben, wenn du glaubst die Zusam-
menkunft sei kürzlich gewesen, nach der du fragst, so
daß auch ich teilgenommen hätte? — Ja, ich glaubte.
— Und ich: Woher denn, Glaukon! Weißt du nicht,
daß Agathon seit vielen Jahren hier nicht gewohnt hat?
Daß ich aber mit Sokrates lebe und jeden Tag beeifert
bin zu wissen was er wohl sagt und tut, das sind noch
nicht drei Jahre. Vordem lief ich herum wie es sich traf,
173 glaubte etwas zu schaffen und war armseliger als irgend-
wer, nicht weniger als du heute, der du glaubst eher alles
andre tun zu müssen als zu philosophieren. — Spotte
nicht, sagte jener, sondern sage mir, wann jene Zusam-
menkunft stattfand. — Und ich antwortete : Wir waren
noch Knaben; damals als Agathon mit der ersten Tragö-
die gesiegt hatte, am Tage, nachdem er das Siegesfest ge-
44 Apollodor
feiert hatte, er selbst und seine Choreuten. — Also vor
sehr langer Zeit, sagte er, nicht wahr ? Aber wer hat's dir
erzählt? Etwa Sokrates selbst? — Nein, beim Zeus, sagte
ich; sondern der, welcher es auch dem Phönix erzählt
hat; Aristodem war's, jener kleine, barfüßige Kydathe-
naeer; er war bei der Zusammenkunft und war damals
am meisten von allen in Sokrates verliebt, wie ich glaube.
Aber auch Sokrates habe ich nach einigem gefragt, was
ich von jenem gehört hatte, und er hat es mir so be-
stätigt, wie jener es erzählte. — Warum erzählst du also
nicht schon ? sagte jener. Der Weg in die Stadt ist ganz
wie geschaffen im Gehen zu reden und zu hören. — So
gingen wir und redeten zugleich davon, daher bin ich
wie ich anfangs sagte nicht unvorbereitet. Wenn ihr es
nun auch zu hören verlangt, so muß ich es tun. Bin ich
doch auch sonst, wenn ich Reden über die Philosophie
selbst halte oder von andern höre, über die Maßen froh,
abgesehen davon, daß ich mich zu fördern glaube. Wenn
ich aber andre höre, zumal die von euch, die der Reichen
und Geschäftsmänner, dann werde ich selbst verdrieß-
lich und bemitleide euch Freunde, weil ihr glaubt etwas
zu tun, wo ihr nichts tut. Und nun meint ihr vielleicht ich
sei elend, und ich glaube ihr habt recht; ich dagegen
glaube es nicht von euch, sondern ich weiß es gewiß.**
DER FREUND: Immer bist du der gleiche, Apollodor;
immer schmähst du dich selbst und die andern, und ich
glaube, du hältst wirklich alle für armselig ausgenommen
Sokrates, dich selbst zuerst. Woher du den Beinamen er-
halten hast „der Sanfte** weiß ich nicht; denn im Reden
wenigstens bist du immer ein solcher: du wütest gegen
dich und die andern außer Sokrates.
APOLLODOR : Teuerster, es ist ja offenbar, daß ich be-
sessen werde und rase, da ich über mich selbst und euch
so denke 1
FREUND : Es hat keinen Wert, jetzt darüber zu streiten,
Apollodor 45
Apollodor. Aber worum wir dich baten, dem weiche nicht,
ans, sondern berichte, wie waren die Reden?
APOLLODOR : Sie waren etwa so : — nein, ich will lieber
174 von Anfang an, so wie es jener erzählt hat, es euch zu
c 2 erzählen versuchen. Also jener erzählte, es sei ihm
Sokrates begegnet, gebadet und mit Schuhen an den
Füßen, die er selten trug; und er habe jenen gefragt, wo-
hin er ginge, daß er sich so schön gemacht habe. Und der
habe geantwortet: Zum Mahle bei Agathon. Denn gestern
habe ich ihn verlassen bei der Siegesfeier, aus Scheu
vor der Menge. Ich sagte ihm aber zu, heute bei ihm zu
sein. Darum habe ich mich geschmückt, damit ich ein
Schöner zum Schönen gehe. Aber du, was meinst du
dazu: willst du nicht ungeladen zum Mahle kommen?
— Und ich sagte : Ganz wie du befiehlst. ' — Begleite mich
also, sagte jener, damit wir das Sprüchwort umdrehn und
vernichten, nämlich : „Zu der Guten Mahle kommen von
selbst die Guten." Homer scheint nämlich dies Sprüch-
wort nicht nur zu vernichten sondern auch seinen Scherz
damit zu treiben. Denn er dichtet den Agamemnon als
einen hervorragend guten Kriegsmann, den Menelaos als
weichlichen Lanzenschwinger, und als Agamemnon ein
Opfermahl richtet und speist, kommt ungeladen Menelaos
zum Schmause, er der Schlechtere zum Mahle des Besse-
ren. — Darauf habe er geantwortet: Doch fürchte ich,
ich werde vielleicht nicht nach deinem Wort, Sokrates,
sondern nach dem des Homer als ein Geringer zum
Schmause des weisen Mannes ungeladen kommen. Wie
wirst du midi also verteidigen, wenn du mich mitbringst?
Denn ich werde ja nicht zugeben, daß ich ungeladen
komme, sondern von dir geladen. — Zu zweien hinwan-
delnd des Weges, sagte jener, wollen wir ratschlagen,
was wir sagen werden. Also gelm wir! Unter «olchen Ge-
sprächen seien sie gegangen. Dann sei Sokrates über
irgend etwas bei sich nachsinnend auf dem Wege zurück-
46 ApoUodor
geblieben und wenn er auf ihn warten wollte, habe er ihn
geheißen weiter vorauszugehen. Als er aber zum Hause
des Agathon gelangt sei, habe er das Tor offen gefunden,
und da sei ihm etwas Lustiges geschehn. Es kam ihm
nämlich von drinnen sogleich ein Knabe entgegen und
führte ihn hin wo die andern lagen, die eben das Mahl
beginnen wollten. Kaum erblickte ihn Agathon, so sagte
er: Ah, Aristodeml wie schön, daß du kommst, mit uns
zu speisen I Kamst du einer andern Sache wegen, so ver-
schieb sie auf ein andermal; denn als ich dich gestern
suchte um dich einzuladen, konnte ich dich nicht finden.
Aber wieso bringst du uns Sokrates nicht mit? Und ich
— ich wende mich um und sehe nirgends Sokrates hin-
terher kommen. Ich sagte also, daß ich ja selbst mit So-
krates gekommen sei, von ihm selbst hierher zum Essen
geladen. — Da tatest du recht, sagte er. Aber wo ist
jener. — Er ging dicht hinter mir; ich wundre mich selbst i7i
wo er wohl sein mag. — Schau doch einmal nach, Knabe, J
sagte Agathon, und führe Sokrates herein ! Und du, Ari-
stodem, lege dich neben Eryximachos. Und der Ejiabe ci
wusch ihn, damit er sich niederlege. Ein andrer Knabe
kam und meldete, jener Sokrates sei in den Vorhof der
Nachbarn abgeschwenkt und stünde da und als er ihn
anrief, wollte er nicht hereinkommen. Du redest wunder-
lich, sagte Agathon; also ruf ihn nur und laß nicht ab.
Da habe er selbst gesagt : Auf keinen Fall, sondern laßt
ihn, denn das ist seine Gewohnheit, öfters bleibt er stehen,
wo es gerade ist, und da steht er. Ich glaube, er wird bald
kommen. Stört ihn also nicht, sondern laßt ihn. — Wenn
du meinst, soll es so geschehn, sagte Agathon. Uns an-
dere aber bewirtet, Knaben. Tragt auf, ganz was ihr wollt,
da euch kein Aufseher gesetzt ist, was ich nie und nir-
gends tue. Nun denkt euch also, ich und die andern hier
seien von euch zum Mahle geladen, sorgt für uns, damit
wir euch loben.
Apollodur 47
Danach hätten sie gespeist, Sokrates aber kam nicht.
Agathon habe oft den Auftrag gegeben Sokrates zu holen,
er jedoch habe es nicht zugelassen. Endlich sei er ge-
kommen, wie gewöhnlich nicht lange Zeit verweilend,
sondern als sie etwa in der Mitte des Mahles waren. Da
rief Agathon — er lag nämlich allein am Ende der Tafel:
Hierher, Sokrates, lege dich zu mir, damit ich auch von
der Weisheit genieße, die sich dir im Vorhof gestellt hat.
Offenbar hast du sie entdeckt und hältst sie, denn sonst
hättest du nicht abgelassen. Und Sokrates setzte sich
und sagte : Schön wäre es, Agathon, wenn die Weisheit
ein Ding wäre, das aus dem Volleren in den Leereren
von uns fließt, so oft wir einander berühren, wie das
Wasser in den Schalen durch den Wollfaden aus der
volleren in die leerere fließt. Denn wenn auch die Weis-
heit sich so verhält, so schätze ich den Platz neben dir
hoch ein, weil ich glaube von dir mit vieler und schöner
Weisheit angefüllt zu werden. Denn die meine dürfte wohl
gering sein und zweifelhaft, sie ist wie ein Traum ; deine
aber ist strahlend und greift mächtig um sich, da sie von
dir, der du jung bist, so gewaltig ausstrahlte und vor-
gestern offenbar wurde vor den Augen von mehr als
dreißig Tausenden der Hellenen. — Du Spötter, Sokrates 1
sagte Agathon. Diese Frage über die Weisheit wollen wir
später ausmachen, ich und du, Dionysos soll unser Rich-
ter sein. Jetzt aber wende dich zuerst dem Mahle zu. ^
•.4 Danach habe sich — erzählte er — Sokrates niedergelegt
17« und mit den andern gespeist; und als sie die Spende ver-
gossen, und dem Gotte gesungen und die übrigen Bräuche
erfüllt hatten, wandten sie sich dem Weine zu. Dann be-
gann Pausanias mit etwa diesen Worten : Gebt acht, Män-
ner, wie machen wir uns das Trinken möglichst leicht?!
Ich wenigstens sage euch, daß ich mich wirklich einiger-
maßen beschwert fühle vom gestrigen Trünke und einiger
Erholung bedarf; und ich glaube auch von euch die mei-
48 Apollcxior
sten; ihr war't ja gestern dabei. Überlegt also, wie wir am
leichtesten triiiken.DarauferwiderteAristophanes : Dahast
du recht gesprochen, Paiisaiiiais, auf allcWeise müssen wir
für eine gewisse Leichtigkeit des Zechens sorgen ; denn ich
gehöre auch zu denen, die gestern eingetaucht wurden.
Auf diese Worte sagte Eryximachos, des Akumenos Sohn :
Recht habt ihr! Doch von einem unter euch muß ich
noch hören, wie es mit seiner Ki-aft zum Trinken steht
— Agathon ! — Gar nicht, sagte der, auch ich bin nicht
bei Kraft. — Glück haben wir gehabt, scheint es, fuhr er
fort, ich und Aristodem und Phädros und diese hier,
wenn ihr, die stärksten Trinker jetzt verzichtet; denn wir
sind immer schwache ; Sokrates nehme ich aus, denn er
ist in beidem tüchtig, so daß er zufrieden ist, wie wir's
auch machen. Da es mir also scheint, keiner der Anwesen-
den sei begierig viel Wein zu trinken^ so möchte ich viel-
leicht, wenn ich über das AVesen der Betrunkenheit die
Wahrheit sage, nicht allzu lästig fallen. Ich glaube näm-
lich dies aus der Heilkunde klar erkannt zu haben, daß
für die Menschen der Rausch etwas Schweres ist. Und
weder würde ich selbst geneigt sein freiwillig drauflos
zu trinken noch würde ich einem andern dazu raten, zu-
mal wenn man noch vom Tage vorher berauscht ist. —
Aber gewiß, fiel Phädros der Myrrhinusier ein, ich bin
gewohnt dir zu folgen, besonders wenn du von der Heil-
kunde redest; diesmal aber auch die andera, wenn sie
wohl beraten sind. Darauf kamen alle überein die heu-
tige Zusammenkunft nicht auf den Rausch einzustellen,
sondern so nach Lust zu trinken.
Nachdem also dies für gut befunden ist, sagte Eryxi- a
machos, daß jeder trinkt soviel er will, aber nichts er-
zwungen wird, so schlage ich weiter vor die eben ein-
getretene Flötenspielerin sich empfehlen zu lassen, mag
sie sich selbst spielen oder wenn sie will, den Weibern
nebenan, daß wir den heutigen Tag mit Wechaelreden
ApoUodor 49
beisammen sind. Und mit welchen Reden, will ich euch
177 vorschlagen, wenn ihr wollt. Alle sagten, sie wollten es
und er solle vorschlagen. Darauf sagte Eryximachos : Ich
beginne die Rede mit der Melanippe des Euripides. Zwar
nicht von mir ist der Gedanke sondern von unserm Phä-
dros, den ich aussprechen will. Denn immer wieder sagt
Phädros unwillig zu mir : „Ist es nicht unerhört, Eryxi-
machos, daß den andern Göttern Hymnen und Danklieder
von den Dichtern gedichtet sind, dem Eros aber, dem so
großen, so mächtigen Gotte, kein einziger der Dichter, so
viele schon gelebt haben, jemals einen Lobgesang ge-
dichtet hat? Betrachte doch dagegen die wackeren So-
phisten, wie sie das Lob des Herakles und andrer schrift-
lich ausarbeiten, der vortreffliche Prodikos zum Bei-
spiel ; und das ist noch weniger zu verwundern, aber ich
bin bereits auf ein Buch gestoßen, in welchem das Salz
eine wundervolle Lobrede wegen des Nutzens erhielt,
und eine Menge solcher Dinge kann man gelobt und ge-
priesen finden. Sie haben also auf solche Dinge viel Eifer
verwandt, keiner der Menschen aber hat sich bis auf den
heutigen Tag erkühnt, den Eros würdig zu besingen, son-
dern so ist vernachlässigt der so große Gottl" Ich meine,
Phädros hat damit recht gesprochen. Ich begehre daher
zugleich diesem beizusteuern und gefällig zu sein, zu-
gleich scheint mir für uns Gegenwärtige die würdige
Stunde zu sein, den Gott zu schmücken. Wenn nun auch
ihr zustimmt, so hätten wir hinlänglichen Stoff für unsre
Reden. Ich denke, es sollte jeder von uns rechtsherum
eine Lobrede auf Eros sagen, so schön er nur irgend ver-
mag, Phädros solle anfangen da er obenan sitzt und weil
er auch der Vater dieses Gesprächs ist. — Niemand,
Eryximachos, wird gegen dich stimmen, sagte Sokrates.
Weder hätte ich etwas einzuwenden, da ich nichts andres
als die Dinge der Liebe verstehe, weder Agathen und Pau-
sanias, auch gewiß Aristophanes nicht, dessen ganzes
Plato, Gastmahl. 4
50 Phädros
Treiben um Dionysos und Aphrodite sich dreht, noch
irgendein andrer den ich hier sehe. Zwar sind wir be-
nachteiligt, die wir am unteren Ende liegen; aber wenn
die Vorredner angemessen und schön sprechen, so wollen
wir zufrieden sein. Also mit gutem Glück beginne Phä-
dros und preise den Eros. Und alle andern stimmten ein
und verlangten dasselbe wie Sokrates.
Zwar erinnerte sich Aristodem nicht an alles genau, was 17*
jeder von ihnen sagte, und ich wieder nicht an alles,
was jener sagte. Was aber und von wem es mir des Ge-
dächtnisses am meisten würdig schien, deren Rede will
ich euch einzeln sagen.
Er erzählte, wie gesagt, Phädros habe zuerst geredet und «.ß
er sei davon ausgegangen, ein großer Gott sei Eros und
zu bewundern bei Menschen und Göttern, in vielen Din-
gen, aber nicht zum wenigsten wegen seines Ursprunges.
Denn unter den Göttern am ältesten zu sein ist ruhmvoll.
Das aber ist bezeugt : Denn Eltern des Eros gibt es nicht,
kein Laie, kein Dichter nennt sie, sondern Hesiod sagt :
Zuerst wurde das Chaos, aber danach
„Breitbrüstige Gea, allen ewig sicherer Sitz
Und Eros."
Er sagt also, nach dem Chaos seien diese beiden gewor-
den, Gea und Eros. Parmenides sagt von seinem Ur-
sprung : „Zuerst von allen Göttern ersann sie den Eros.'*
Dem Hesiod stimmt auch Akusilaos bei. So stinamen
viele überein, Eros sei unter ihnen der älteste. Wie der
älteste, so ist er uns der größten Güter Urheber; ja, ich
wüßte kein größeres Gut zu nennen als schon dem Jüng-
ling ein wahrer Liebender und dem Liebenden ein
Liebling. Denn was die Menschen, die schön zu leben
trachten, ihr ganzes Leben leiten muß, das kann nicht
die Verwandtschaft ihnen, noch Ehren noch Reichtum
noch irgend andres so schön verleihen wie Eros. Was
meine ich damit? Die Scham vor dem Schändlichen, die
Phädrog 51
Ehrsucht zum Schönen. Denn ohne diese kann nicht Stadt,
nicht Einzelner große und schöne Werke wirken. Ich be-
haupte, wenn ein Mann welcher liebt bei etwas Schänd-
lichem betroffen wird oder wenn er aus Feigheit sich
etwas gefallen läßt, so schmerzt es ihn nicht so sehr, vom
Vater gesehn zu werden oder von einem Gefährten oder
von irgendeinem andern als vom Geliebten. Dasselbe sehn
wir an dem Geliebten, daß er sich ganz besonders vor
den Liebhabern schämt, wenn er bei irgend etwas Schänd-
lichem gesehn wird. Gäbe es also eine Möglichkeit, daß
eine Stadt oder Armee aus Liebenden und Geliebten be-
stünde, so würde niemand des Seinigen besser walten
als diese sich alles Häßlichen Enthaltenden und vorein-
173 ander Ehrsüchtigen; und gemeinsam kämpfend würden
solche siegen, auch wenn sie wenige sind, um es denn
zu sagen, über alle Menschen. Denn den Platz verlas-
send oder die Waffen hinwerfend vom Geliebten erblickt
zu werden, würde ein liebender Mann wohl weniger leicht
hinnehmen als von sämtlichen andern, und lieber als
das würde er oftmals sterben. Aber gar verlassen den
Liebling und dem Gefährdeten nicht helfen, so schlecht
ist keiner, den da nicht Eros selbst göttlich begeistert
zum Edeltum, so daß er ähnlich ist dem von Natur Adligen
und wahrhaftig, was Homer sagt, daß einigen der Heroen
der Gott Mut einblase, das gewährt Eros den Liebenden
C.7 als seine Gabe. Ja, auch zu sterben füreinander begehren
allein die Liebenden, nicht allein Männer sondern auch
die Frauen. Des Pelias Tochter Alkestis hat ein gültiges
Zeugnis abgelegt für dieses Wort vor den Hellenen ; sie
allein begehrte für ihren Gatten zu sterben, da ihm noch
Vater imd Mutter lebten ; diese übertraf sie so sehr in der
Liebe durch ihren Eros, daß sie dartat, jene seien dem
Sohne fremd und nur mit dem Namen angehörig. Und
als sie das getan hatte, schien sie eine so schöne Tat
nicht nur den Menschen sondern den Göttern getan zu
52 Phädros
haben ; und während doch viele Vieles und Schönes taten,
aber nur einigen wenigen diese Ehrengabe die Götter
verhehn, aus dem Hades die Seele wieder zu entlassen,
so entließen sie doch die Seele jener, ihre Tat bewun-
dernd. So ehren auch die Götter am meisten den Eifer
und die Tugend aus Liebe. Aber Orpheus des Oeagros
Sohn entließen sie ohne Erfolg aus dem Hades und zeig-
ten ihm einen Schatten des Weibes, um das er gekommen
war, sie selbst aber gaben sie nicht, weil er sich weich-
lich benahm, war er doch Lautenspieler, und nicht das
Herz hatte, für die Liebe zu sterben wie Alkestis, son-
dern mit List lebendig in den Hades einging. Dafür haben
sie ihm auch Strafe auferlegt und ließen ihn durch Wei-
ber sterben ; nicht wie Achill den Sohn der Thetis ehrten
sie ihn, den sie auf die Inseln der Seligen entrückten,
wxil er belehrt von der Mutter, daß er Hektor tötend
stürbe, ihn nicht tötend aber in die Heimat kehren und
bejahrt verscheiden würde, kühn war und wählte für den
Liebenden Patroklos rächend einzustehn und nicht nur
an seiner Stelle sondern sogar für den schon Gefallenen iw
zu sterben. Woher denn die Götter ihn höchlich be-
Vv^mderten und vor Allen ehrten, weil er den, der ihn
liebte, so sehr hoch achtete. Äschylos fabelt, wenn er
sagt, Achill sei in Patroklos verliebt gewesen, denn er
war schöner nicht nur als Patroklos sondern als alle Hel-
den, und noch bartlos, auch viel jünger, wie Homer sagt.
Ja, wahrlich, diese Tüchtigkeit um der Liebe willen ehren
am höchsten die Götter, mehr jedoch bewundern und
lieben und belohnen sie, wenn der Geliebte dem Lieben-
den, als wenn der Liebende dem Liebling anhängt. Gött-
licher nämlich ist der Liebende als der Geliebte, der Gott
ist ja in ihm. Deswegen ehrten sie auch den Achill mehr
als Alkestis und entrückten ihn auf die Inseln der Seligen.
So behaupte ich denn, daß Eros unter Göttern der älteste
und geehrteste und zum Erwerbe der Tüchtigkeit und
Paiiaanias 53
Glückseligkeit den Menschen bestimmt sei, im Leben und
nach dem Tode.
c.i Ungefähr diese Rede — erzählte er — habe Phädros ge-
halten ; nach Phädros seien einige andre gekommen, deren
er sich nicht ganz erinnerte. Diese ließ er aus und be-
richtete die Rede des Pausanias. Dieser sagte : Ich glaube,
Phädros, man hat uns den Gegenstand nicht gut bestimmt,
da man einfach so vorschrieb, Eros zu preisen. Ja, wenn
Eros Einer wäre, nun aber ist er gar nicht Einer. Da er
nicht Einer ist, wäre es richtiger, vorher festzusetzen,
welchen man loben soll. Ich will also versuchen dies zu
berichtigen; zuerst will ich sagen, welchen Eros man
loben soll, danach ihn loben — des Gottes würdig. Wir
alle wissen ja, daß keine Aphrodite ohne Eros ist. Also
wenn sie Eine — wäre Eros Einer. Da es aber zwei sind,
müssen notwendig zwei Eroten sein. Sind es nicht sicher-
lich zwei Göttinnen? Die eine ist älter und mutterlos,
Uranos' Tochter, wir nennen sie auch Himmlische. Die
andere jünger, Zeus und Diones Tochter, wir nennen sie
auch Bürgerliche. So ist es notwendig und richtig, Eros,
den Begleiter der einen, bürgerlich zu nennen, den an-
dern himmlisch. Loben soll man zwar alle Götter, aber
was jedem der beiden bestimmt ist wollen wir sagen.
isi Denn so gilt es von jedem Tun : Das Getane ist von sich
aus weder schön noch häßlich. Wie das, was wir jetzt
tun. Trinken und Singen und Reden, wie davon nichts
an sich schön ist, sondern innerhalb des Tuns, wie es
getan wird, davon hängt es ab. Denn wenn es schön ge-
tan wird und richtig, wird es schön; wenn nicht richtig
wird es häßlich. So auch das Lieben, und nicht jeder
Eros ist schön und würdig gepriesen zu werden, sondern
nur der, welcher schön zu lieben reizt.
i«.9 Nun ist der der bürgerlichen Aphrodite wahrhaft bürger-
lich und setzt ins Werk was sich gerade bietet. Und dieser
ist es mit dem die schlechten unter den Menschen lieben
54 Paasanias
Es lieben solche erstlich nicht minder Frauen als Kna-
ben, dann mehr die Leiber als die Seelen derer, die sie
lieben, dann möglichst die geistlosen, weil sie nur stre-
ben, zum Ziel zu gelangen, unbekümmert ob schön oder
nicht. Daher kommt es, daß sie ausführen was sich ge-
rade bietet, ebenso das Gute wie das Gegenteil. Denn er
stammt ja von der Göttin, welche weit jünger ist als die
andre und in ihrer Entstehung an Weiblichem und Männ-
lichem teilhat. Der andere aber stammt von der Hinmi-
lischen, welche erstens am Weiblichen nicht teilhat soa-
dern am Männlichen allein; — und er ist der Eros zu
Knaben — , welche ferner älter ist, frei von Ausschwei-
fung ; daher sich zum Männlichen wendet, wen dieser Eros
anhaucht, indem er das von Natur Stärkere und mehr
Vernunft Enthaltende gern hat. Und man kann wohl auch
in der Knabenliebe selbst erkennen, welche rein von die-
sem Eros getrieben werden. Denn sie lieben nicht Kin-
der, sondern solche, die schon anfangen Vernunft zu
hegen. Das trifft etwa zusammen mit dem Keimen des
Bartes. Denn wer dann anfängt zu lieben, ist gerüstet —
glaube ich — das ganze Leben zusammen zu sein und
in Gemeinschaft zu leben, aber er wird jenen nicht be-
trügen, da er ihn im knabenhaften Unverstand ergriffen,
und lachend davon gehen und zu einem andern entlau-
fen. Es müßte ein Gesetz sein, nicht Kinder zu lieben,
damit nicht auf ein Ungewisses viel Eifer verschwendet
würde ; denn der Ausgang der Kinder ist noch ungewiß,
in welcher Schlechtigkeit oder Tüchtigkeit der Seele und
des Leibes sie enden werden. Die Guten geben sich selbst
freiwillig dies Gesetz. Man muß aber auch die Bürgerlich-
Verliebten dazu zwingen, wie wir sie auch möglichst
zwingen, die freigeborenen Frauen nicht zu lieben. Demi im
diese sind es, welche die Schande gebracht haben, so
daß manche zu sagen wagen, den Liebenden zu will-
fahren sei schimpflich. Sie sagen es mit dem Blick auf
Pau.sanias 55
jene, da sie deren Ungebühr und Unrecht sehen; denn
was nach Ordnung und Sitte geschieht, kann niemals mit
Recht Tadel tragen.
Zwar ist in den andern Städten die Sitte in der Liebe
leicht zu verstehen, denn sie ist einfach umgrenzt; aber
bei uns und in Lakedämon ist sie vieldeutig. Nämlich
in Elis und Böotien und wo sie nicht zu reden wissen
gilt einfach die Sitte, es sei schön den Verliebten zu will-
• fahren, und niemand ob jung ob alt würde es häßlich
nennen, damit sie — denke ich mir — keine Umstände
haben, wenn sie mit dem Wort die Jünglinge überreden
wollen, weil sie nicht reden können. In lonien und an
vielen andern Orten, wo sie im Gebiet der Barbaren leben,
gilt es als häßlich. Denn den Barbaren gilt dies und die
Liebe zur Weisheit und zur Körperbildung um der Ty-
rannis willen für häßlich. Und ich glaube auch, es för-
dert die Herrschenden nicht, wenn in den Untertanen
große Gesinnung entsteht, oder starke Freundschaft und
Gemeinschaft, welche ja vor allem die Liebe zu erzeugen
pflegt. Dies erfuhren auch unsere Tyrannen durch die
Tat: Aristogeitons Liebe und Harmodios' unwandelbare
Freundschaft vernichteten ihre Herrschaft. Wo also be-
stimmt ist, die Hingabe an die Liebenden sei häßlich, da
beruht es auf der Schlechtigkeit der Bestimmenden: auf
der Gewinnsucht der Herrschenden, auf der Feigheit der
Beherrschten. Wo es aber einfach als schön geachtet
wird, da geschieht es durch die Seelenträgheit der Be-
stimmenden
Die bei uns geltende Sitte ist viel schöner als diese und
«10 sie ist, wie ich sagte, nicht leicht zu verstehn Man muß
bedenken, daß es für schöner gilt, offen zu lieben als
heimlich, und vor allem die Edelsten und Besten, auch
wenn sie häßlicher als andre sind, und wie der Liebende
wunderbar von allen aufgemuntert wird, nicht wie einer
der Häßliches tut. Und ihn zu gewinnen gilt schön, ihn
56 Pausanias
nicht zu gewinnen häßlich. Die Sitte gestattet auch den
Verliebten zu beloben, wenn er bei seiner Werbung un-
gewöhnliche Dinge ins Werk setzt, die, wenn sie jemand
zu einem andern Zweck und mit irgendeinem Ziele außer
der Liebe zu tun wagte, ihm die größte Schande ein-isa
bringen würden. Denn wenn jemand mit dem Wunsche
von einem andern Geld zu erhalten oder ein hohes Amt
oder irgendeine Gewalt zu erreichen das tun wollte, was
die Verliebten ihren Geliebten gegenüber tun, mit Ge-
bärden und Gebeten sie anflehn, Eide schwören und vor
ihren Türen schlafen und Dienste dienen wollen wie
niemals ein Diener : Freunde und Feinde würden ihn hin-
dern seine Sache so zu betreiben, diese seine Streberei
und Niedrigkeit schmähn, jene ihn zurechtweisen und
sich seiner schämen. Den Liebenden aber, der dies alles
tut, geleitet Anmut, und die Sitte gewährt ihm, es ohne
Schande zu tun, weil er eine vollkommen schöne Sache
betreibe. Das Erstaunlichste aber ist, daß ihm allein, wie
man sagt, wenn er geschworen hat und den Eid bricht,
bei den Göttern Verzeihung ist; denn, sagen sie, ein
Liebeseid sei kein Eid.
So haben die Götter wie die Menschen dem Liebenden
jede Freiheit gewährt, wie unsere Sitte besagt. Danach
sollte man also glauben, es gelte in unsrer Stadt als etwas
Vollkommen-Schönes zu lieben und mit den Verliebten
Freundschaft zu schließen. Da aber die Väter denen die
geliebt werden Erzieher bestellen und nicht zulassen,
daß sie sich mit ihren Liebhabern unterhalten, und dem
Erzieher vor allem dies auftragen; die Altersgenossen
und Gefährten Vorwürfe machen, wenn sie sehen, daß
derartiges geschieht, und bei diesen Vorwürfen von den
Älteren nicht gehindert werden und nicht getadelt wer-
den, daß sie unrecht hätten, — wer dies dagegen be-
trachtet, müßte glauben, daß jenes bei uns im Gegenteil
als das Häßlichste gilt. Das verhält sich, glaube ich, so :
\ Pausanias 57
Es gibt nicht einlach, wie schon anfangs gesagt wurde,
ein Schön-Sein und Häßlich-Sein an und für sich, son-
dern schön getan ist es schön, häßlich getan häßlich. Nun
ist es häßlich, dem Schlechten und in schlechter Art zu
willfahren, schön einem Tüchtigen und in schöner Art.
Schlecht aber ist jener Bürgerlich-Liebende, der den
Leib mehr als die Seele liebt. Er ist, ja nicht beständig,
weil er ein nicht beständiges Ding liebt. Denn sobald die
Blüte des Leibes, die er ja liebte, schwindet, fliegt er
davon und macht viele Worte und Versprechungen zu-
schanden. Wer aber verliebt ist in das Wesen, welches
edel ist, beharrt sein lebelang, weil er mit dem Bestän-
iw digen verbunden ist. Unsere Sitte verlangt nun diese
aufs beste zu erproben, den einen gefällig zu sein, die
andern zu fliehn. Deswegen also fordert sie die einen
zum Verfolgen, die andern zum Entfliehn auf, indem sie
Wettkampf und Probe anstellt, zu welchen der Liebende
gehört und zu welchen der Geliebte. So gilt aus diesem
Grunde erstens das Schnell-sich-gewinnen-lassen für häß-
lich, damit Zeit gewonnen wird, die ja offenbar das Mei-
ste schön auf die Probe stellt ; ferner ist es häßlich, durch
Reichtum oder staatliche Macht gewonnen zu werden,
mag nun einer bei übler Behandlung sich beugen und
nicht standhalten, oder mag er nicht versclmiähn, daß
man ihn mit Geld oder staatlichen Maßnahmen unter-
stützt. Denn von diesen Dingen ist offenbar keines fest
und beständig, abgesehen davon, daß edle Freundschaft
aus ihnen nicht entspringt. Ein Weg bleibt nach miserer
Sitte übrig, wenn der Liebling dem Liebenden in schöner
Weise zuwillen sein will. Denn wie es für die Verliebten
nicht als Kriecherei und nicht als schimpflich galt, frei-
willig irgendwelchen Dienst den Lieblingen zu dienen,
so gilt uns die Sitte, daß jenen eine einzige freiwillige
Dienstbarkeit bleibt, die nicht schimpflich ist : das ist die
c.ii um der Tüchtigkeit willen. Bei uns bestimmt nämlich die
58 Pausanias
Sitte: wenn jemand einem andern dienen will, weil er
glaubt durch ihn in irgendeiner Weisheit oder in einem
andern Teil der Ttlchtigkeit besser zu werden, so gilt
diese Dienstwilligkeit nicht als häßlich und niedrig. Man
muß nun diese beiden Gesetze in eines verschmelzen,
das über die Knabenliebe und das über die Philosophie
und andere Tüchtigkeit, wenn sich ergeben soll, es sei
schön daß der Geliebte dem Liebenden zuwillen sei. Denn
wenn Liebender und Geliebter zusaromenkommen, jeder
mit seinem Gesetz : der eine, daß er mit Recht diene, wie
er auch immer dem ihm, freundlichen Geliebten diene, der
andre, daß er dagegen mit Recht überall dienstbar ist
dem, der ihn weise und gut macht, und der eine es dann
vermag, in Vernunft und der übrigen Tüchtigkeit zu för-
dern, der andre aber das Bedürfnis hat, Bildung und die
übrige Weisheit zu. gewinnen — dann also, wenn diese
beiden Gesetze in eines zusammenlaufen, dann allein
ereignet es sich, daß es schön ist, wenn der Geliebte dem
Liebenden willfährig ist, anders aber niemals. Und hier-
bei ist auch das Betrogenwerden nichts Schimpfliches;
aber jede andre Art bringt Schande, ob man betrogen
wird oder nicht. Denn wenn einer des Reichtums wegen is»
einem reichen Liebhaber sich hinzugeben glaubt i^id
keine Schätze bekommt, weil es sich zeigt, daß der Lieb-
haber arm ist, so ist es um nichts weniger schimpflich.
Denn ein solcher hat doch von sich bewiesen, daß er
des Geldes willen jedwedem jeden Dienst erweist, und
das ist nichts Schönes. Und aus demselben Grunde ist
dennoch die Täuschung schön, wenn man sich einem
Guten hinzugeben glaubt, um selbst durch die Freund-
schaft des Liebhabers besser zu werden, es sich aber
zeigt, daß jener schlecht ist und Tüchtigkeit nicht erwor-
ben hat. Denn dieser hat doch soviel an ihm liegt erwie-
sen, daß er um der Tüchtigkeit und des Besserwerdens
willen jedem in jeder Sache eifrig zugetan ist, das aber
Eryximachoi 59
ist unter allem das Schönste. So ist es überall schön, um
Tüchtigkeit sich hinzugeben. Dies ist der himmlischen
Göttin Eros, er selbst himixdisch und hoch zu würdigen
für Stadt und Einzelne, da er große Sorge auf die Tüch-
tigkeit zu wenden zwingt den Liebenden um seiner selbst
willen und den Geliebten. Die andern alle gehören der
andern, der Bürgerlichen. Dies spende ich dir, o Phä-
dros, sagte er, im Augenblick über den Eros.
Da Tansanias pausierte — denn so lehrten mich die So-
phisten mit Gleichklängen zu reden — hätte nach Ari-
stodems Erzählung Aristophanes reden sollen, es kam
ihn aber zufällig, infolge von Überfüllung oder eines an-
dern Grundes, ein Schlucken an und er war nicht ün-
stande zu reden sondern sagte — neben ihm lag nämlich
der Arzt Eryximachos — : Eryx imachos, es ist biUig, daß
du mein Schlucken beseitigst oder an meiner Stelle redest,
bis ich damit fertig bin. Und Eryximachos sagte : Dann
werde ich beides tun. Ich werde an deiner Stelle reden
und du, wenn es vorüber ist, an meiner. Während ich
rede wird dir, wenn du recht lange den Atem anhalten
willst, das Schlucken vergehn. Wenn nicht, so gurgle
mit Wasser. Wenn es aber sehr hartnäckig ist, so reize
mit irgend etwas die Nase und niese. Und wenn du das
ein- oder zweimal getan hast, wird es aufhören und
wenn es noch so stark ist. — Bitte zaudre nicht und rede,
sagte Aristophanes; ich will so tun.
«.12ES sagte Eryximachos : Mir scheint es notwendig zu sein,
nachdem Tansanias in seiner Rede zwar einen schönen
Anlauf nahm, sie aber nicht befriedigend zu Ende führte,
186 daß ich versuche, der Rede die Vollendung zu geben.
Die Unterscheidung in einen zweifachen Eros scheint
mir nämlich treffend zu sein. Aber ich glaube aus tmsrer
Kunst, der Heilkunde, erkannt zu haben, daß nicht allein
in den Seelen der Menschen der Eros zu den Schönen
ist, nein auch in vielen Dingen sonst und zu anderen:
60 Eryximachos
in den Leibern aller Tiere und in den Gewächsen der
Erde, ja, ich sage in allen Wesen, denn groß und wunder-
bar ist der Gott und er umspannt alles im menschlichen
und göttlichen Geschehn. Ich will von der Heilkunde aus
anfangen, damit wir meiner Kmist Ehre erweisen. Die
Natur des Leibes enthält also diesen zweifachen Eros;
denn das Gesunde und das Kranke des Leibes sind un-
zweifelhaft etwas Verschiedenes und Ungleiches, das Un-
gleiche begehrt und liebt Ungleiches ; ein andrer ist also
der Eros beim Gesunden, ein andrer beim Kranken. Es
ist schön, wie eben Pausanias sagte, den Guten unter
den Menschen zu willfahren, häßlich — den Zuchtlosen.
Ebenso ist es mit dem Leiblichen: dem zu willfahren,
was am Leibe gut ist und gesund, das ist schön und not-
wendig, und das nennen wir eben ärztlich ; beim schlech-
ten und krankhaften ist es falsch und dem muß man
widerstreben, wenn man sachkundig sein will. Die Heil-
kunde ist nämlich im wesentlichen die Erkenntnis der
Liebesregungen des Leibes zur Füllung und Leerung und
^ver hierin den schönen und den häßlichen Eros unter-
scheidet, der ist der Heilkundigste, und wer den Wandel
bewirkt, so daß man statt des einen Eros den andern
erwirbt und wer denen, welchen keine Liebe inne ist und
doch inne sein sollte, sie einzupflanzen versteht und
die innewohnende auszureißen, der wäre der rechte Mei-
ster. Denn er muß fähig sein zu bewirken, daß das Feind-
lichste im Leibe sich freund wird und einander hebt.
Das Feindlichste aber ist das Entgegengesetzte: Kaltes
und Warmes, Bittres und Süßes, Trocknes und Feuchtes
und alle derartigen Dinge. Ihnen verstand Asklepios,
unser Ahn, Eros und Eintracht einzupflanzen und da-
durch hat er, wie die Dichter erzählen und ich es glaube,
unsere Kunst begründet. Also wird die Heilkunst, wie
ich sagte, ganz von unserm Gölte gelenkt, ebenso auch
Turnkunst und Landbau. Vox\ der Musik ist es ja jedem is7
Eryxiiiiacbos« (> 1
klar, der nur ein wenig V^erniinft. daranwendei, daß sie
sich ebenso verhält; was vielleicht auch Heraklit sagen
will, wenn er auch nicht den rechten Ausdruck findet.
Er sagt nämlich: „Auseinanderstrebend strebt das Eine
in sich selbst zusammen, gleich wie die Fuge des Bogens
und der Lyra." Doch es ist ein großer Widersinn, zu sagen
die Fuge strebe auseinander oder sie bestehe im noch
Auscinanderstrebenden. Aber vielleicht wollte er sagen,
daß sie aus der Höhe und Tiefe entstanden sei, die vorher
auseinanderstrebend waren, danach durch die musische
Kunst geeinigt wurden. Denn in der noch auseinander-
strebenden Höhe und Tiefe wäre keine Fuge; Fuge näm-
lich ist Zusanmienklingen, Zusammenklingen ist Eini-
gung; Einigung ist aber unmöglich, solange etwas aus-
einanderstrebt. Und wieder kann unmöglich sich etwas
zusammenfügen, was auseinanderstrebt und nicht einig
ist. So ist auch der Rhythmus geworden aus Schnelle
und Langsamkeit, die vorher getrennt später sich einig-
ten. Wie dort die Heilkunde so gibt hier die Musik all die-
sen Dingen die Einigung, indem sie ihnen Liebe und Ein-
tracht untereinander einpflanzt. Und somit ist die Musik
für Fuge und Rhythmus die Kunde von den Liebesregun-
gen. Zwar in der Zusammensetzung von Fuge und von
Rhythmus ist es nicht schwierig, die Liebesregungen zu
beurteilen, und einen zweifachen Eros gibt es dabei
nicht. Allein wenn man vor den Menschen Rhythmus
und Fuge anwenden will, sei es schaffend, was Tondich-
tung genannt wird, sei es, indem man sich richtig der
vorhandenen Lieder und Maße bedient, was Schulung
genannt wird, dann ist es auch schwierig und heischt
einen guten Meister. Dann kehrt derselbe Satz wieder,
daß man den Edlen der Menschen sich ergeben muß —
damit die edler werden, die es noch nicht sind und deren
Liebe zu behüten, und das ist der schöne, der himm-
lische, Uraniens — der Muse — Eros. Aber den Polym-
62 Eryxiniacho«
niens, den Bürgerlichen soll man mit Vorsicht anregen,
wenn man ihn anregt, damit man seine Lust ernte, aber
keine Ausschweifung erzeuge, gerade wie es in unsrer
Kunst eine große Mühe ist, die auf die Kochkunst be-
zogenen Begierden richtig zu benutzen, so daß man ohne
Krankheit die Lust ernte.
In der Musik und Heilkunde und in allen Dingen, den
menschlichen und den göttlichen muß man, soweit es
vergönnt ist, auf den doppelten Eros acht geben, denn er iss
ist da; wie ja auch die Ordnung der Jahreszeiten voll istc 13
von diesen beiden; denn wenn zwischen dem, was ich
nannte, zwischen dem Warmen und Kalten, Trocknen
und Feuchten der edle Eros waltet und es durch ihn Fuge
und sinnvolle Mischung empfängt, dann kommt es und
bringt Fruchtbarkeit und Gesundheit den Menschen und
allen Tieren und Pflanzen, und tut kein Unrecht. Wenn
aber jener ausschweifende Eros in den Gezeiten des Jah-
res überhand nimmt, so verdirbt es viel und tut Unrecht.
Nämlich Seuchen pflegen daraus zu entstehn und viele
andre ähnliche Krankheiten unter Tieren und Pflanzen.
Auch Reif und Hagel und Mehltau entstehn dann aus
der Begehrlichkeit und Unordnung dieser Liebesregun-
gen gegeneinander, deren Kenntnis bezogen auf den Um-
lauf der Gestirne und die Jahreszeiten Himmelskunde
genannt wird. Ferner alle Opfer und was von der Seher-
kunst geordnet wird — dies ist der Umgang der Götter
mit den Menschen — ist für nichts andres als für die
Pflege und Heilung des Eros. Denn die Gottlosigkeit pflegt
zu entstehn, wenn einer nicht dem edlen Eros sich hin-
gibt und ihn nicht ehrt und würdigt in allem Tun, son-
dern dem andern Eros, sei es gegenüber den lebenden
Eltern, oder den gestorbenen, sei es gegenüber den Göt-
tern. Das eben gebührt der Seherkunst, die Eroten zu be-
obachten und zu heilen, und es ist die Seherkunst die
Meisterin der Freundschaft von Gott und Mensch, da-
Ari»topba ne« 63
durch daß sie das Erotische bei den Menschen versteht,
soweit es Recht und Gottlosigkeit umfaßt. So viele und
große, ja alle Gewalt zusammengefaßt besitzt der ganze
Eros; jener aber, der mit Besonnenheit und Gerechtigkeit
im Guten sich erweist bei uns und bei den Göttern, ge-
währt uns die Erfüllung jeden Glückes, daß wir verkehren
und Freund sein können untereinander und auch mit
denen, die größer sind als wir: den Göttern.
Vielleicht habe nun auch ich im Lobe des Eros vieles ver-
fi^äumt — gewiß nicht mit Willen. Wenn ich aber etwas
ausließ, ist es deine Sache, Aristophanes, es zu ergänzen.
Oder wenn du eine andre Weise im Sinne hast, den Gott
zu preisen, so preise; denn dein Schlucken hat ja auf-
gehört.
i»t Darauf habe Aristophanes das Wort genommen : Jawohl
hat es aufgehört, aber doch nicht eher, als bis ich ihm
mit Niesen beikam, so daß ich mich wundre, wie das
Edle des Leibes derartiges Getöse und Gegurgel begehrt,
wie das Niesen ist ; denn es hörte sofort auf, als ich ihm
mit Niesen beikam. — Und Eryximachos habe da gesagt :
Bester Aristophanes, bedenke, was du tustl Im Begriff
zu reden machst du mich lächerlich, und zwingst mich,
auf deine eigene Rede aufzupassen, ob du etwas Komi-
sches sagst, wo dir doch freigestanden hätte, in Frieden
zu reden. Und lachend sagte Aristophanes : Du hast recht,
Eryximachos, und es soll ungesagt sein, was ich sagte.
Also passe mir nicht auf, denn ich bin schon in Furcht um
das was ich sagen soll, zwar nicht, daß ich etwas Komi-
sches sage — denn das wäre ja Gewinn und gehörte ins
Reich unsrer Muse — sondern etwas Lächerliches. —
Du denkst zu entwischen, Aristophanes, nachdem du ge-
schossen; nein, strenge deinen Geist an und rede wie
einer, der Rechenschaft geben muß; vielleicht, wenn es
mir scheint, werde ich dich gleichwohl durchlassen.
«4 Freilich, Eryximachos, sagte Aristophanes, habe ich im
64 Aristophanes
Sinn anders zu reden als du und Pausanias getan. Mir
scheinen nänilich die Menschen die Gewalt des Eros
nicht erfahren zu haben, denn sie erfahrend würden sie
ihm die größten Heiligtümer bereiten und Altäre, und
die größten Opfer bringen, da doch jetzt hiervon nichts
geschieht für den, dem es vor allen geschehen soll. Ist
er doch den Menschen der Freundlichste von den Göt-
tern, denn er ist ihr Helfer und Arzt dafür, worin geheilt
zu werden dem Menschengeschlechte das höchste Glück
wäre. Nun will Ich versuchen, euch seine Gewalt zu er-
klären, Ihr aber werdet die Lehrer der andern sein.
Zuerst müßt ihr die menschliche Natur erkennen und
ihre Leiden. Früher war nämlich unsere Natur nicht die-
selbe wie jetzt, sondern andrer Art. Anfangs gab es bei
den Menschen drei Geschlechter, nicht wie jetzt zwei,
männlich und weiblich, sondern es gab dazu ein drittes,
welches diese beiden vereinte ; sein Name ist noch übrig,
es selbst verschwunden. Mannweiblich war damals das
Eine ; Gestalt und Name aus beidem : Männlich und Weib-
lich zusammengesetzt ; jetzt ist aber der Name ins Schimpf-
liche gewendet. Damals war die ganze Gestalt jedes Men-
schen rund, so daß Rücken und Flanken im Kreis standen ;
er hatte vier Hände und ebenso viele Beine, und zwei
Gesichter auf kreisrundem Nacken, ganz gleiche. Und 100
zu den zwei gegenübergestellten Gesichtern nur einen
Kopf, und vier Ohren, und zwei Schamteile, und alles
andre, wie man es sich hiernach vorstellen kann. Er
ging auch aufrecht wie jetzt, wohin er wollte;, wenn er
aber schnell laufen wollte, so bewegte er sich, so wie die
Radschlagenden die Beine nach oben herumwerfend einen
Kreis beschreiben, von seinen acht Gliedmaßen getragen
schnell im ICreise davon. Die Zahl und Beschaffenheit
dieser drei Geschlechter kam daher, daß das Männliche
ursprünglich von der Sonne stammte, das Weibliche von
der Erde, das Gemischte vom Monde, weil ja der Mond
Aristophane« ß5
an beiden teiJhat. Rund waren sie selbst und ihr Lauf,
weil sie ihren Eltern ähnlich waren. Sie waren nun ge-
waltig an Kraft und Stärke, und hatten eine große Gesin-
nung, ja, sie legten Hand an die Götter und was Homer
von Ephialtes und Otos sagt, bezieht sich auf jene, daß
sie es unternahmen, den Himmel zu ersteigen, um die
c.isGötter anzugreifen. Da ratschlagten Zeus und die andern
Götter, was sie tun sollten, und waren in Verlegenheit.
Denn es war nicht möglich, sie zu töten und w^ie die Gi-
ganten mit dem Donner zu erschlagen und ihr Geschlecht
zu vertilgen — dann wären ihnen ja auch die Ehren und
Heiligtümer bei den Menschen vertilgt worden — aber sie
konnten auch nicht den Frevel hingehn lassen. Endlich
hatte Zeus etwas ersonnen und er sagte : Ich glaube ein
Mittel zu haben, wie die Menschen bestehn und doch
von ihrer Zügellosigkeit ablassen, indem sie schwächer
werden. Jetzt durchschneide ich sie nämlich, jeden in
zwei Teile, und so wie sie schwächer werden, werden sie
uns auch nützlicher sein, weil sie ja an Zahl mehr ge-
worden sind; und sie werden aufrecht auf zwei Beinen
schreiten. Wenn sie sich aber weiter erfrechen und nicht
Ruhe halten, werde ich sie, sprach er, noch einmal ent-
zwei schneiden, so daß sie sich auf einem Bein fortbe-
wegen wie beim Sackhüpfen. Dies gesagt zerschnitt er
die Menschen in zwei Hälften, wie man Birnen zerschnei-
det um sie einzumachen, oder wie man Eier mit einem
Haare zerschneidet. Und immer wenn er einen zerschnit-
ten hatte, hieß er den Apollo ihm das Gesicht und den
halben Hals nach der Schnittfläche herumdrehen, damit
der Mensch seine Zerschneidung betrachtend sittsamer sei
und hieß ihn das übrige verheilen. Jener drehte das Gesicht
herum, zog von allen Seiten die Haut über das was jetzt
Bauch heißt zusammen wie einen geschnürten Geldbeutel
und band es zu einer Mündung mitten auf dem Bauche
mab, die man jetzt Nabel nennt. Glättete dann die vielen
Plato. OastmabJ 5
66 Aristopliaues
Falten aus und fügte die Brust zusammen mit einem
Werkzeug, wie es die Schuster haben, um über dem Lei-
sten die Falten des Leders zu glätten; nur einige ließ er
übrig, ein Denkzeichen des alten Zustandes zu sein.
Nachdem nun so die Natur entzweigeschnitten war, ging
sehnsüchtig jede Hälfte ihrer andern Hälfte nach und
indem sie sich mit den Armen umschlangen und sich zu-
sammenflochten voll Begierde zusammenzuwachsen, star-
ben sie aus Hunger und gänzlicher Untätigkeit, weil sie
nichts getrennt voneinander tun wollten. Und wenn eine
der Hälften starb, die andere übrig blieb, so suchte die
gebliebene wieder eine andre und verflocht sich mit ihr,
ob sie nun die Hälfte eines ganzen Weibes traf — die
wir jetzt ein Weib nennen — oder die eines Mannes ; und
so gingen sie zugrunde. Da erbarmte sich Zeus und er-
fand ein anderes Mittel : er versetzte ihre Schamteile nach
vorn. Denn bisher hatten sie diese außen, und sie be-
fruchteten und zeugten nicht ineinander sondern in die
Erde wie die Cicaden. So versetzte er sie nun nach vom
und machte, daß sie ineinander zeugten, das Männliche
im Weiblichen; deswegen damit in der Umarmung ein
Mann, wenn er mit einem Weibe zusammenkonmit, zeugt
und Nachkommenschaft entsteht ; wenn aber Männliches
mit Männlichem, ihnen wenigstens Sättigung würde aus
der Vereinigung und sie sich beruhigten und zum Werke
wendeten und auf das andere Leben bedacht seien.
Solange schon ist die Liebe zueinander den Menschen
eingepflanzt, vereinend die ursprüngliche Natur, stre-
bend aus zweien Eins zu machen und die Natur zu hei-
len, die menschliche. Daher ist jeder von uns das Gegen c.ic|
stück eines Menschen, weil wir wie die Schollen aus
einem in zweie geschnitten wurden. Ewig sucht jeder
sein Gegenstück. Alle Männer, welche ein Stück von dem
gemischten Geschlecht sind, das damals mannweiblich
hieß, lieben das Weib ; die Ehebrecher entstammen die-
Aristophanes 6 7
sem Geschlecht, und die Frauen, die den Mann lieben
und ehebrecherisch sind, entstammen auch diesem Ge-
schlecht. Und alle Frauen, die Stücke eines Weibes sind,
richten den Sinn nicht sehr auf die Männer, sondern hal-
ten sich mehr an die Frauen, und diesem Geschlecht ent-
stammen die Buhlerinnen. Alle, die Stücke des männ-
lichen sind, folgen dem Männlichen und als lüiaben lie-
ben sie, weil sie ja Teile vom Männlichen sind, die Män-
192 ner, und sind froh wenn sie bei den Männern liegen und
sie umarmen ; und diese sind die besten unter den Kna-
ben und Jünglingen, weil sie von Natur die mannhaf-
testen sind. Manche sagen, sie seien schamlos, aber das
ist Lüge; denn sie tun nicht aus Schamlosigkeit so, son-
dern aus Mut und Mannheit und Männlichkeit : das ihnen
Ähnliche haben sie gern. Das ist sicher bewiesen : Denn
diese allein landen, wenn sie zu Männern gereift sind,
im Staatsleben. Nachdem sie erwachsen sind lieben sie
Knaben und auf Ehe und Kindererzeugung lenken sie
nicht von Natur den Sinn, sondern sie werden durch das
Gesetz genötigt; sie selbst wären zufrieden miteinander
it ehelos zu leben. Immerdar muß ein solcher Knaben und
Freunde lieben, weil er immer das Verwandte gern hat.
Wenn nun ein Knabenfreund oder jeder andre auf seine
eigene Hälfte selbst trifft, dann werden sie wunderbar
erschüttert von Freundschaft und Vertrautheit und Liebe,
und wollen voneinander nicht lassen, auch nicht einen
Augenblick. Diese sind es auch, die gemeinsam das ganze
Leben zubringen und nicht einmal zu sagen wüßten, was
sie voneinander haben wollen. Denn es kann doch wohl
nicht die Gemeinschaft des Liebesgenusses sein, deret-
wegen der eine dem andern sich so froh und mit so
großem Eifer vereint; sondern etwas andres will offen-
bar die Seele der beiden, was sie nicht sagen kann, aber
in Zeichen verkündet sie ihr Wollen, und in Rätseln.
Und wenn, da sie beisammenliegen, Hephäst zu ihnen
68 Aristophaneg
träte, sein Werkzeug in der Hand, und fragte : Was ist es,
ihr Menschen, was ihr voneinander haben wollt? Und
sie wüßten es nicht und er fragte wieder: Begehrt ihr
wohl dies, so sehr als möglich in Eins zusammenzugehn,
so daß ihr Tag und Nacht voneinander nicht ablaßt?
Denn w^enn ihr das begehrt, so will ich euch in Eins zu-
sammenschmelzen und -schweißen, so daß ihr, die zweie,
Einer geworden seid und solange ihr lebt, als Einer beide
gemeinsam lebt, und wenn ihr gestorben seid, auch dort
im Hades Einer statt zweie seid, gemeinsam im Tode?
Wohlan, seht, ob ihr das erstrebt und euch diese Erfül-
lung zufrieden macht ! — Wir wissen, das hörend würde
nicht einer nein sagen oder einen andern Wunsch ver-
raten, sondern würde meinen, genau das gehört zuhaben,
was er von je begehrte: Vereint und verschweißt mit
dem Geliebten aus zweien Einer zu werden. Daran ist
schuld, daß unsere ursprüngliche Natur so war und wir
ganz waren. Nun trägt die Begierde und Jagd nach der
Ganzheit den Namen Eros.
Früher waren wir also Ein Wesen; jetzt aber sind winsa
für unser Unrecht vom Gotte auseinandergetrieben, gleich-
wie die Arkader von den Lakedämoniern. Darum ist zu
fürchten, wenn wir nicht sittsam gegen die Götter sind,
daß wir noch einmal gespalten werden und herumwan-
deln wie die Menschen auf den Grabreliefs über die Nase
weg durchgesägt, geteilt wie ein Würfel. Aber aus die-
sem Grunde muß jeder jeden ermuntern, die Götter zu
ehren, damit wir diesem entgehn, jenes erlangen, wozu
Eros uns Führer und Feldherr ist. Ihm soll niemand zu-
wider handeln; es handelt aber zuwider, wer sich die
Götter zu Feinden macht. Denn wenn wir dem Gotte
freund und vertraut sind, werden wir den zu uns ge-
hörigen Liebling ausfindig machen und gewinnen, was
heute wenigen gelingt. Daß nur nicht Eryximachos aus
Spott mir unterlege, ich meine Tansanias und Agathon;
ApoUodor 69
vielleicht sind sie ja solche und sind beide von männ-
licher Natur. Ich aber sage es von allen, iMännern und
Frauen, daß auf solche Weise unser Geschlecht glück-
lich werde, wenn wir die Liebe vollenden und jeder den
ihm eignen Geliebten gewinnt, rilckkehrend zur alten
Natur. Wenn dies das Beste ist, so muß von dem jetzt
Bestehenden das Beste sein, was ihm am nächsten kommt,
das ist : einen Geliebten finden, der nach unserm Sinne
geartet ist. Und w^enn wir dem Gott singen wollen, der
dieses wirkt, so gebührt es dem Eros zu singen, welcher
in der Gegenwart uns am meisten hilft und uns zum Ver-
wandten führt, für die Zukunft aber uns die größten Hoff-
nungen schenkt, wenn wir die Götter verehren, daß er
■: uns in die uralte Natur zurückversetze und uns heile,
uns selig und glücklich mache.
Dies, mein Eryximachos, sagte er, ist meine Rede vom
Eros ; anders als deine. Wie ich dich schon bat, verspotte
sie nicht, damit war auch die übrigen hören, was jeder
sagt; vielmehr die beiden, denn Agathon und Sokrates
sind übrig.
«17 Ja, ich will dir folgen, sagte Eryximachos, denn deine
R.ede klang mir erfreulich. Und wenn ich nicht wüßte,
daß Sokrates und Agathon gewaltig sind in den Dingen
der Liebe, so hätte ich große Furcht, daß, sie um Ge-
danken in Verlegenheit kämen, weil so viel und so viel-
seitig gesprochen wurde; aber nun bin ich dennoch ge-
trost. Darauf habe Sokrates gesagt : Ja du, Eryximachos,
194 hast schön gestritten; wenn du aber noch wärst, wo ich
bin, oder vielmehr wo ich sein werde, wenn auch Aga-
thon gesprochen hat, dann würdest du schon große Angst
haben und dich gerade so fühlen, wie ich mich jetzt fühle.
— Du willst mir einen Zaubertrank geben, Sokrates,
sagte Agathon, damit ich außer Fassung gerate in dem
Wahn, die Hörerschaft setze große Erwartung auf eine
gute Rede von mir. — Und Sokrates antwortete : Da
70 Agathon
müßte ich doch vergeßlich sein, wenn ich glaubte du
würdest wegen uns paar Menschen außer Fassung ge-
raten, da ich deine Sicherheit und große Gesinnung sah,
als du mit deinen Schauspielern die Bühne bestiegst,
einer so großen Hörerschaft ins Auge blicktest und, im
Begriff deine Dichtung zur Schau zu stellen, nicht im
mindesten verwirrt warst. — Wie denn, Sokrates ? habe
Agathon erwidert, glaubst du denn, ich sei so voll vom
Theater, daß ich nicht wüßte, wer Verstand hat, fürchtet
sich mehr vor wenigen Klugen als vor vielen Toren ? —
Allerdings wäre es nicht schön von mir, sagte Sokrates,
wenn ich dir etwas Plumpes zutraute. Ich weiß ja, wenn du
welchen begegnetest, die du für weise hältst, so würdest
du dich mehr um sie, als um die vielen sorgen. Wir aber
sind vielleicht gar nicht solche, denn wir waren ja auch
dabei und gehörten zu den vielen ? Wenn du nun andern
Weisen begegnetest, so würdest du dich wohl vor ihnen
schämen, wenn du das Gefühl hättest, etwas Häßliches
zu tun? Oder wie denkst du? — Du hast recht, sagte
jener. — Vor den Vielen aber würdest du dich nicht
schämen, wenn du etwas Häßliches zu tun glaubst? Da
fiel Phädros ein und sagte: Lieber Agathon, wenn du
Sokrates Antwort gibst, so wird er sich gar nicht mehr
darum kümmern, was mit uns hier geschieht, wenn er
nur einen allein zur Zwiesprache hat, und gar einen,'
Schönen ! Ich höre ja gerne den Zwiegesprächen des So-
krates zu, ich bin aber gezwungen dem Eros für die ,
Preisung zu sorgen und von einem jeden unter euch die
Rede einzufordern. Die beiden sollen dem Gotte zollen,
und danach miteinander reden. — Ja, recht so, Phädros,
sagte Agathon, und nichts hindert mich an meiner Rede ;
denn mit Sokrates kann ich noch oft Gespräche führen.
Ich will zuvor sagen, wie ich zu reden habe, danach c.i»
reden. Denn mir scheint, alle die vorher sprachen, besin-
gen nicht den Gott sondern preisen dieMenschen glücklich
Agathon 7 j
um der Güter willen, die sie dem Gotte danken. Wie aber
i9fc der geartet ist, der solches schenkt, hat keiner gesagt.
Es gibt nur einen richtigen Gang für jedes Lob in jeder
Sache : zu entwickeln, wie er ist und was er wirkt, von
dem die Rede ist. So ziemt uns auch den Eros zu preisen,
zuerst ihn, wie er ist, danach seine Gaben. Nun behaupte
ich, daß alle Götter glückselig sind, aber Eros, wenn es
erlaubt und nicht vermessen ist so zu sprechen, der
Glückseligste von allen, er, der der Schönste und Beste
ist. So aber ist er der Schönste: Erstlich weil er der
Jüngste der Götter ist, Phädros. Ein sicheres Zeugnis gibt
er selbst dafür, flüchtig das Alter fliehend, welches doch
selber schnell ist; wenigstens schneller als wir wünschen
ereilt es uns. Eros haßt es aus tiefstem Herzen und nicht
von fernher mag er mit ihm umgehn; aber den Jüng-
lingen ist er immer gleich und vereint, denn jenes alte
Wort hat recht, daß Ähnliches Ähnlichem immer zu-
strebt. Ich stimme in vielem dem Phädros bei, aber darin
stimme ich nicht bei, daß Eros früher sei als Kronos und
Japetos, ich aber sage der Jüngste sei er der Götter und
ewig jung, und die alten Taten der Götter, die Hesiod
und Parmenides erzählen, geschahn durch Ananke und
nicht durch Eros, wenn jene wahr erzählt haben. Denn
nicht wären Entmannungen und Fesseln und viel andre
Gewalttaten gegeneinander ihnen beschieden gewesen,
wäre Eros unter ihnen gewesen, sondern Freundschaft
und Friede, wie gegenwärtig, seitdem Eros König der
Götter ist.
Jugendlich also ist er, dann aber auch zart. Eines Dich-
ters wie Homer bedarf es, um eines Gottes Zartheit sicht-
bar zu machen. Homer sagt von Ate, sie sei eine Göttin
und zart; ihre Füße wenigstens nennt er zart und sagt:
„Ihre Füße sind zart denn sie berühret den Grund nicht,
Sondern über die Häupter der Männer nimmt sie die
Schritte."
7 2 Agathon
Schön und deutlich, denke ich, beweist er damit ihre
Zartheit, daß sie nicht über Hartes schreitet sondern
über Weiches. Ebenso wollen wir auch von Eros bewei-
sen, daß er zart ist. Denn er schreitet nicht auf der Erde
und nicht auf den Köpfen, die doch nicht sonderlich
weich sind, sondern in den weichesten aller Dinge wan-
delt und wohnt er. Denn in Wesenheit und Seele der
Götter und Menschen nimmt er Wohnung, und auch Kiicht
der Reihe nach in allen Seelen, sondern wo er einer
von harter Wesenheit begegnet, geht er vorüber, wo aber
einer weichen, da zieht er ein. Da er mit Fuß und Leib
immer die weichsten der weichen Dinge berührt, muß er
selbst der Zarteste sein.
Der Jüngste ist er und Zarteste, dazu auch geschmeidig m'
von Gestalt. Denn er würde nicht überall sich herum-
winden können noch heimlich in die Seele eintreten und
heimlich scheiden, wenn er ungelenk Aväre. Seiner eben-
mäßigen und geschmeidigen Form großes Zeichen ist
seine edle Haltung, die unbestritten vor allen Eros aus-
zeichnet. Denn Krieg ist immer zwischen Eros und Halt-
losigkeit. Seiner Farbe Schönheit zeigt das Leben des
Gottes unter Blüten, denn in Leib oder Seele oder was es
sei, die blütenlos oder abgeblüht sind, läßt sich nicht
nieder Eros, wo aber ein Ort schön blüht und duftet, da
sitzt er nieder und verharrt.
Über die Schönheit des Gottes mag dies genug sein, wie-o.i?
wohl noch vieles zu sagen bliebe. Jetztist von der Tüch-
tigkeit des Eros zu sagen, und das Größte zwar: daß
Eros unrecht weder tut noch leidet, weder gegen Götter
noch von Göttern, weder gegen Menschen noch von Men-
schen, denn nicht leidet er durch Gewalt, wenn er etwas
leidet, denn Gewalt berührt den Eros nicht. Noch bedient
er sich ihrer. Denn willig sind alle dem Eros in allem
zu Diensten; was man aber willig dem Wilhgen zuge-
steht, das erklären die Gesetze, die Könige des Staates,
für gerecht.
Nächst der Rechtlichkeit hat er am meisten Teil an der
Besonnenlieit. Gilt doch als ßesonaenheit das Beherr-
schen der Lüste und Begierden; keine Lust aber ist stär-
ker als Eros. Sind sie denn schwächer, so werden sie
von Eros beherrscht, der aber herrscht, herrschend über
Lüste und Begierden ist Eros besonnen vor allen.
Und dem Mute des Eros hält selbst Ares nicht stand.
Denn es zwingt nicht Ares den Eros, sondern Eros den
Ares, der Eros zu Aphrodite, wie überliefert ist. Stärker
als der Bezwungene ist der Bezwingende. Wer den Mutig-
sten überwindet ist wohl von allen der Mutigste.
Nun ist gesprochen über des Gottes Rechtlichkeit und
Besonnenheit und Mut, es bleibt die Weisheit. Wir müs-
sen uns bemühn auch hierin nicht zu versagen. Und
erstlich — damit auch ich unsere Kunst ehre, wie Eryxi-
machos die seine : Ein Dichter ist der Gott so weise, daß
er auch andre zu Dichtern macht. Jeder nämlich wird
Dichter, wenn er auch zuvor unmusisch wai^ den Eros
anfaßt. Darin gebührt uns ein Zeugnis zu sehn, daß Eros
ein tüchtiger Schöpfer in der ganzen musischen Schöp-
fung ist. Denn was einer nicht hat und nicht weiß, das
97 kann er auch dem andern nicht geben und ihn nicht
lehren. Und gar die Schöpfung aller Kreaturen — wer
könnte wohl widersprechen, daß es des Eros Weisheit
sei, durch die alle Kreaturen werden und wachsen ? Und
von der Meisterschaft in den Künsten — wissen wir nicht,
wessen Lehrer dieser Gott geworden, der ging in Ruhm
und Glanz dahin, wen aber Eros nicht anfaßte, der in
Dunkelheit. Bogenschießen und Heilkunst und Weissa-
gung erfand Apollon von Begierde und Liebe geführt, so
daß auch dieser Schüler des Eros ist, wie die Musen in
der Musik, Hephaist in der Schmiedekunst, Athene in der
Webkunst, und Zeus in der Lenkung der Götter und ^ilen-
schen. Woher denn das Leben der Götter geordnet wurde,
als unter ihnen Eros geworden war, der Eros der Schön-
heit offenbar; denn in Häßlichkeit ist Eros nicht. Vordem
7 4 , Agathon
geschah, wie ich schon sagte, nach der Überlieferung
vieles Furchtbare unter den. Göttern, weil Ananke regierte.
Nachdem aber unser Gott entsprossen war, entstanden
aus der Liebe zum Schönen alle Güter für Götter und
Menschen.
So scheint mir, o Phädros, Eros zuerst selber der Schön-
ste und Beste zu sein, dann aber dasselbe auch den an-
dern zu verleihn. Dafür taucht mir ein Vers auf, daß die-
ser es ist, welcher bewirkt:
„Frieden unter den Menschen, dem Meere heitere Glätte,
Ruhe von Winden, den Stürmen ein Lager und Schlunmier
in Sorge."
Und uns entledigt er der Fremdheit und füllt uns mit
Vertrautheit, anordnend alle solche Einungen unter uns,
bei Festen, bei Tänzen, bei Opferfeiern die Führung
übernehmend.
Mildheit gewährend, doch Wildheit zerstörend.
Verschwenderisch mit Wohlwollen, kargend mit Übel-
wollen,
Huldvoll den Guten, geschaut von Weisen, geliebt von
Göttern,
Geneidet von Dürftigen, gewonnen von Glücklichen,
Der Fülle, der Feinheit, der Wonne, der Anmut, des
Reizes, der Sehnsucht Vater,
Sorgend um Gute, sorglos um Schlechte,
In Plagen und Zagen, in Sehnen und Sinnen der beste
Lenkende und Leitende, Helfende und Heilende,
Aller Götter und Menschen Zier,
Schönster und bester Führer, dem jeglicher Mann folgen
muß schön lobsingend in den schönen Hymnos einstim-
mend, den singend er bezaubert aller Götter und Men-
schen Sinn.
Diese Rede, o Phädros, sei von mir dem Gotte darge-
bracht; sie enthält an Spiel und an schicklichem Ernat
soviel in meiner Kraft steht.
ApoUodor 7 5
«.•oAristodera erzählte, als Agathon gesprochen hatte, hät-
iMteii ihm alle Gäste zugejubelt, wie würdig seiner selbst
und des Gottes der Jüngling geredet habe. Nun habe So-
krates den Eryximachos angesehen und gesagt: Wie
denkst du jetzt, du Sohn des Akumenos? Hab' ich in un-
nötiger Not mich geängstigt und habe ich nicht vorhin
geweissagt, als ich sagte, daß Agathon wundervoll reden
und ich in Verlegenheit kommen würde? — Das eine,
sagte Eryximachos, scheinst du allerdings geweissagt zu
haben, daß Agathon schön reden würde ; daß du aber in
Verlegenheit kommst, glaube ich nicht. — Und wie, du
Beseligter, sagte Sokrates, sollte ich nicht verlegen sein,
ich oder welcher andere es sei, der reden soll, nachdem
eine so schöne und reiche Rede gesprochen ist? Und
wenn auch das andere nicht ganz so wmidervoll war,
wer sollte am Schlüsse die Schönheit der Worte und
Sätze vernehmen, ohne begeistert zu sein? Und da mir
zum Bewußtsein kam, daß ich nicht fähig sei, auch nur
annähernd etwas so Schönes zu sagen, wäre ich beinahe
aus Scham davongelaufen, wenn ich nur gewußt wohin.
Denn an Gorgias erinnerte mich die Rede, so daß mir
wirklich zumute war wie bei Homer; ich fürchtete Aga-
thon würde mir des Gorgias Haupt des redegewaltigen
in seiner Rede gegen meine Rede schwingen und mich
selbst zum wortlosen Stein machen. Und dann merkte
ich wohl, wie lächerlich ich war, als ich mit euch
ausmachte, der Reihe nach den Eros zu preisen, und ich
sagte, ich sei gewaltig in Dingen der Liebe, da ich doch
überhaupt nichts davon verstehe, wie man etwas preisen
muß. Ich glaubte in meiner Einfalt, man müsse die Wahr-
heit sagen über jedes zu Preisende und das sei gegeben,
und daraus dann das Schönste auswählen und so schick-
lich wie möglich aufbauen. Und sehr groß dachte ich
davon, wie schön ich reden würde, da ich ja die Wahr-
heit von dem Dinge, das ich zu loben hatte, wußte. Aber
7 o Sokrates
darin besteht, wie es scheint, gar nicht, ein Ding schön
zu loben, sondern darin, der Sache so Großes und Schönes
wie möglich beizulegen, ob es sich nun so verhält oder
nicht; wenn es aber falsch sein sollte, läge nichts daran.
Es war also anscheinend verabredet, daß jeder von uns
nicht den Eros preise, sondern so tue, als ob er ihn preise.
Deswegen glaube ich bewegt ihr jedes Wort und verleiht
es dem Eros und sagt, so sei er und solcher Dinge Ursache, im
damit er so schön und gut wie möglich erscheine. Offen-
bar für die Nichtkennenden; für die Wissenden doch
wohl nicht. Und schön klingt und erhaben dies Lob. Aber
ich kannte ja diese Art der Preisrede nicht, und unwis-
send kam ich mit euch überein, wenn die Reihe an mich
käme, zu reden. „Die Zunge also hat versprochen, nicht
das Herz." Es fahre dahin I Denn ich will nicht weiter
auf diese Art preisen, ja ich könnte es gar nicht. Wahr-
lich nicht! Aber die Wahrheit, wenn ihr mögt, will ich
nach meiner Art sagen, nicht wie eure Reden, damit ich
nicht Gelächter verdiene. Also, Phädros, bedenke, ob es
auch solcher Rede bedarf, über Eros die Wahrheit gesagt
zu hören, mit Ausdrücken und solcher Folge der Sätze,
wie sie mir gerade beikomnien. Phädros und die anderen
hätten nun gefordert, er solle reden, so wie er glaube,
daß man reden müsse. — Aber, Phädros, habe er gesagt,
gestatte mir, den Agathon etwas weniges zu fragen, da-
mit ich mich mit ihm einige und erst dann rede. — Ja,
ich gestatte es, sagte Phädros, also frage.
Darauf begann Sokrates etwa so: Aber wirklich schön,o.2i
mein lieber Agathon, scheinst du mir die Rede damit ein-
geleitet zu haben, daß man zuerst zeigen müsse, wie
Eros selbst geartet ist, danach seine Werke. Diesen An-
fang bewundere ich sehr. Nun vorwärts ! Sage mir über
Eros, nachdem du ja im übrigen schön und prächtig ge-
schildert hast, wie er ist, auch dieses: Muß der Eros
Liebe jemandes sein oder nicht? Ich frage nicht, ob er
Sokrales 77
Iviebe von einer Mutter oder von einem Vater ist — denn
es wäre lächerlich zu fragen, ob Eros Mutter- oder Vater-
liebe ist — sondern wie wenn ich dasselbe vom Vater
fragte, ob er jemandes Vater ist oder nicht? Du würdest
doch wohl sagen, wenn da recht antworten willst, daß
der Vater Vater eines Sohnes oder einer Tochter ist,
nicht wahr? — Gewiß, sagte Agathon. — Und die Mutter
nicht ebenso ? — Auch dies bejahte er. — Aber antworte
mir noch ein wenig mehr, sagte Sokrates, damit du besser
verstehst, was ich will. Wenn ich fragen wijrde, wie aber ?
Ist einer als Bruder jemandes Bruder oder nicht? —
Jener sagte : ja. — Nicht eines Bruders oder einer Schwe-
ster? — Er stimmte zu. — Versuche dasselbe auch vom
Eros zu sagen. Ist Eros Liebe zu nichts oder zu etwas?
200 - - Gewiß zu etwas. — Das ist es, sagte Sokrates, das
halte fest in deinem Gedächtnis : zu etwas. Das aber sage
noch, ob Eros das, wozu er Liebe ist, begehrt oder nicht?
— Er tut es, antwortete er. — Begehrt und liebt er das,
was er begehrt und liebt, dann, wenn er's besitzt, oder
wenn er es nicht besitzt? — Wenn er es nicht besitzt,
augenscheinlich, antwortete er. — Prüfe statt des Augen-
scheins, sagte Sokrates, ob so die Notwendigkeit: Das
Begehrende begehre, wessen es bedürftig ist und begehre
nicht, wenn es nicht bedürftig ist. Denn mir, Agathon,
scheint es so ganz offenbare Notwendigkeit zu sein. Wie
dir? — Auch mir scheint es, sagte er. — Schön. Könnte
also jemand, der groß ist, groß sein wollen, oder der
stark ist, stark? — Unmöglich nach unserem Ergebnis.
Denn man würde dessen nicht bedürftig sein, was man
ist. — Du hast recht, sagte Sokrates. Denn wenn ein Star-
ker stark sein wollte und ein Schneller schnell und ein
Gesunder gesund — denn vielleicht könnte hierin und
in allen anderen Dingen jemand meinen, auch die, welche
so sind und solches haben, begehren noch das, was sie
haben — damit wir nicht etwa irre gehn, sage ich dies.
78 Sokrates
Diese müssen ja, wenn du aufmerkst, Agathon, notwen-
dig das alles gegenwärtig haben, was sie eben haben, ob
sie wollen oder nicht. Und wer könnte das wohl begeh-
ren ? Wenn aber jemand sagte, ich, der gesund bin, will
gesund sein und ich, der reich bin, will reich sein, und
ich begehre das, was ich habe, so würden wir ihm sagen :
Du Mensch, der du Reichtum besitzest und Gesundheit
und Kraft, willst diese auch für die Zukunft besitzen,
denn jetzt im Augenblicke hast du sie ja, ob du willst
oder nicht. Nun überlege ! Wenn du sagst : „Ich begehre
etwas, was ich habe" ob du nicht dies meinst : „Ich will
das, was ich gegenwärtig habe, auch in Zukunft haben."
Würde er das zugeben ? — Agathon bejahte es. — Darauf
sagte Sokrates : Wenn man also für die Zukunft sich ge-
sichert wünscht, was man gegenwärtig hat, heißt dann
das nicht jenes lieben, was einem noch nicht bereitet ist
und man noch nicht hat? — Gewiß, sagte er. — Also
dieser und jeder andere Begehrende begehrt das noch
nicht Bereitete und das Nichtvorhandene; und was er
nicht hat und nicht selbst ist und wessen er bedürftig ist,
das sind die Dinge, worauf die Begierde und die Liebe
gerichtet ist? — Ja, sagte er. — Vorwärts, sagte Sokrates,
fassen wir beide das Ergebnis zusammen ! Nicht wahr,
erstens ist Eros Liebe zu etwas, dann zu dem, woran er
Mangel leidet? — Jawohl. — Hierzu erinnere dich, was m
du in deiner Rede sagtest, die Liebe zu was Eros sei?
Wenn du willst, werde ich dich erinnern. Ich' glaube
nämlich, du sagtest etwa so : Den Göttern sei das Dasein
durch den Eros zum Schönen geordnet worden, denn
zum Häßlichen gäbe es keinen Eros. Sprachst du nicht
etwa so? — Ja, so sprach ich, sagte Agathon. — Und
das hast du verständig gesagt, mein Freund, sagte So-
krates; und wenn es richtig ist, so wäre Eros Liebe zur
Schönheit, zur Häßlichkeit nicht. — Er stimmte bei. —
War nicht festgesetzt, was man bedarf und nicht hat,
Sokratee — Diotima 79
das liebt man? — Jawohl. — Es bedarf also und hat
nicht Eros die Schönheit. — Notwendig, sagte er. —
Wie aber? Meinst du also, was der Schönheit bedarf und
sie durchaus nicht besitzt, sei schön ? — Unmöglich. —
Kannst du also noch zugeben, Eros sei schön, wenn dies
sich so verhält? — Und Agathon sagte darauf: Sokrates,
mir ahnt, daß ich nichts von dem weiß, was ich vorhin
redete. — Und hast doch schön geredet, Agathon, sagte
er. Aber noch ein Kleines sage: Scheint dir das Gute
nicht auch schön zu sein ? — Ja. — Wenn also Eros des
Schönen bedürftig und das Gute schön ist, so wäre er auch
des Guten bedürftig ? — Ich könnte dir nicht widerspre-
chen, Sokrates, sondern so soll es gelten, wie du sagst.
— Vielmehr der Wahrheit kannst du nicht widersprechen,
geliebter Agathon, denn dem Sokrates widersprechen ist
nicht schwer.
«,22 Von dir will ich nun endlich ablassen; aber die Rede
über den Eros, die ich einst hörte von Diotima, einer
Frau aus Mantinea, welche hierin und in vielem andern
weise war und den Athenern, als sie gegen die Pest
opferten, zehn Jahre Aufschub der Krankheit bewirkte,
welche denn auch mich die Dinge der Liebe lehrte, —
die Rede also, die jene mir sagte, will ich versuchen,
euch wiederzugeben, von dem ausgehend, worin ich
mich mit Agathon einigte; ich selbst von mir aus, so
gut ich vermag.
Wir müssen, Agathon, wie du auch erklärtest, zuerst ihn
selbst beschreiben, wie er ist, der Eros und wie geartet,
danach seine Werke. Es scheint mir am leichtesten zu
sein, ihn so zu beschreiben wie damals die Mantineerin
mich befragend es tat. Denn ungefähr das gleiche halte
auch ich zu ihr gesagt, wie jetzt zu mir Agathon, daß
Eros ein großer Gott wäre und zu den Schönen gehöre.
Sie widerlegte mich mit den gleichen Gründen, wie ich
diesen hier, daß er nach meinen eigenen Worten weder
80 Sokrates — Diotima
schön wäre noch gut. Und ich sagte : Wie meinst du das,
Diotima, haßlich also ist Eros und schlecht? — Und sie:
Lästere nicht! Oder glaubst du, was nicht schön ist, das
sei notwendig häßlich? — Ja, gewiß. — Oder auch was
nicht weise, das töricht? Oder hast du nicht bemerkt,
daß etwas ist zwischen Weisheit und Torheit? — Was
ist es denn ? — Das Richtig-Vorstellen, ohne doch Gründe
dafür geben zu können, sagte sie, weißt du nicht, daß das
weder Erkennen ist, denn wie könnte eine grundlose
Sache Erkenntnis sein — noch Torheit, denn was zum
W^irklichen stimmt, wie kann das Torheit sein? Ein sol-
ches also ist das Richtig-Vorstellen mitten zwischen Er-
kenntnis und Torheit. — Du hast recht, sagte ich. —
Fordere also nicht, was nicht schön ist, sei häßlich und
was nicht gut ist, sei schlecht. Und so glaube auch nicht,
daß Eros, wenn du selbst zugibst, er sei nicht gut und
nicht schön, darum schon häßlich und schlecht sein
müsse, sondern etwas zwischen beiden. — Aber doch
sagte ich, sind alle einig, er sei ein großer Gott. — Sprichst
du von allen Nichtwissenden, fragte sie, oder auch den
Wissenden ? — Nun, von allen, sagte ich. — Und lachend
sprach sie : Und wie, Sokrates, würde wohl zugegeben,
er sei ein großer Gott, von denen, die sagen, er sei über-
haupt kein Gott? — Wer sind diese? fragte ich. — Einer
du, eine ich. — Und ich fragte wieder: Wie meinst du
dies ? Und sie : Ganz einfach 1 Sage mir doch, ob du nicht
annimmst, alle Götter seien glückselig und schön, oder
wolltest du dich erkühnen zu sagen, einer der Götter
sei nicht schön und glückselig? — Beim Zeus, nein, ich
nicht. — Und nennst du nicht glückselig, die das Gute
und Schöne besitzen? — Freilich. — Aber du hast doch
zugegeben, daß Eros aus Mangel des Guten und Schönen
eben das begehre, dessen er ermangele. — Ich habe es ja
zugegeben. — Wie also wäre Gott, der am Schönen und
Guten nicht Teil hat? — Gar nicht, wie es scheint. —
202
i
Sokrates — Diotima gl
Siehst du nun, daß auch du Eros nicht für Gott
hältst?
«5. 23 Was also, sprach ich, wäre der Eros? Sterblich? — Kei-
neswegs. — Aber was dann? — Wie vorher, sagte sie,
mitten zwischen Sterblichem und Unsterblichem. — Was
also, Diotima? — Ein großer Dämon, o Sokrates, denn
alles Dämonische ist mitten zwischen Gott und Sterb-
ling. — Welche Kraft hat es? fragte ich. — Zu verkün-
den und zu überbringen Göttern was von Menschen und
Menschen was von Göttern kommt. Von den Einen Ge-
bete und Opfer, von den Anderen Aufträge und Antwor-
ten auf die Opfer. In der Mitte von beiden ist es erfüllend,
so daß das All selbst in sich selbst gebunden ist. Durch
dies Dämonische geht auch Weissagung und die Kunst
203 der Priester in den Opfern und den Weihen und den Ge-
sängen und in aller Wahrsagung und Bezauberung. Gott
verkehrt nicht mit Menschen, sondern durch dies ist der
ganze Umgang und das Gespräch Göttern mit Menschen
im Wachen und im Schlafe. Und der in diesen Dingen
Weise ist ein dämonischer Mann. Wer aber in etwas
anderem weise ist, in irgend Künsten und Handwerken,
ein Banause. Dieser Dämonen sind viele und mannig-
fache, einer von ihnen ist auch der Eros.
Wer ist sein Vater, sagte ich, und seine Mutter? — Das
ist langwierig zu erzählen, sprach sie, doch werde ich*s
dir sagen. Als nämlich Aphrodite geboren wurde, schmau-
sten die Götter und unter den übrigen auch Reichtum
der Sohn der Klugheit. Als sie aber gespeist hatten, kam
am etwas zu erbetteln, da es doch festlich herging, Armut
herbei und blieb an der Pforte. Trunken vom Nektar, —
Wein gab es ja noch nicht — ging Reichtum in den Garten
des Zeus und war schwer und fiel in Schlaf. Armut nun
ergriff der Gedanke, wegen ihrer Dürftigkeit sich ein Kind
vom Reichtum erzeugen zu lassen. Sie legte sich zu ihm
und empfing den Eros. Daher auch Eros Aphroditens Be-
Plato, Gastmahl 6
32 Sokrates — Diotima
gleiter und Diener wurde, erzeugt bei der Feier ihrer Ge-
burt und zugleich weil er von Natur verliebt ist in das
Schöne und Aphrodite schön ist. Als Sohn von Reichtum
und Armut ist Eros in solches Geschick gestellt: Erst-
lich bedürftig ist er immer und viel fehlt, daß er zart sei
und schön, wie die Vielen glauben, sondern hart und
rauh und barfuß und heimatlos, immer am Boden lagernd
und ohne Decke, vor Türen und auf Straßen im Freien
schlafend, da er die Natur der Mutter hat, immer der Be-
dürftigkeit Genoß. Wie der Vater hingegen stellt er den
Schönen und Guten nach, tapfer und verwegen und eifrig,
gewaltiger Jäger, allezeit Ränke schmiedend und nach
Erkenntnis begierig und erfinderisch, Weisheit suchend
sein ganzes Leben, gewaltiger Zauberer, Giftkundiger
und Sophist, und weder als Unsterblicher ist er geartet
noch als Sterblicher, sondern bald blüht er denselben
Tag und lebt, wenn es ihm wohl geht, bald aber stirbt er
hin. Und wieder lebt er auf durch des Vaters Natur, und
das Erworbene zerfließt ihm immer, so daß Eros weder
jemals arm ist noch reich und in der Mitte ist von Weis-
heit und Torheit. Denn so verhält es sich: Keiner der
Götter sucht die Weisheit oder begehrt weise zu werden,
denn er ist es. Und auch wenn ein anderer weise, sucht ao4
er nicht Weisheit. Aber auch die Toren suchen nicht
Weisheit und begehren nicht, weise zu werden. Das eben
ist ja das Schwere in der Torheit, daß sie ohne schön
und gut oder vernünftig zu sein, sich selbst genug dünkt.
Und wer nicht glaubt, bedürftig zu sein, der begehrt auch
nicht, wessen er nicht zu ermangeln glaubt. — Welches
also sind die Weisheitsuchenden, Diotima, wenn nicht
die Weisen und nicht die Toren? — Auch einem Kinde,
sagte sie, wäre das schon klar, die zwischen diesen bei-
den, deren auch Eros einer ist. Die Weisheit gehört näm-
lich zu den schönsten Dingen, Eros aber ist Liebe zum
Schönen, so daß Eros notwendig weisheitsuchend ist,
Soki-fttM — Diotiroii 83
weisheitsuchend aber ist er mitten zwischen weise und
töricht. Ursache ist auch hiervon seine Abstammung, denn
er stammt von weisem und gabenreichem Vater und von
unweiser und unbegabter Mutter. Das also ist die diesem
Dämon eigene Natur, lieber Sokrates. Was du aber glaub-
test, daß Eros sei, ist nicht verwunderlich. Du glaubtest
aber, wie ich aus deinen Worten entnehme, das Geliebte
sei Eros, nicht das Liebende. Deswegen glaube ich, schien
dir Eros vollkommen schön. Denn das Liebenswerte ist
das wirklich Schöne und Zarte und Vollkommene und
Selige. Das Liebende aber hat eine andere Gestalt, so wie
ich sie beschrieb.
«.24 Und ich sagte: Ja, so soll es gelten, Freundin, denn du
redest schön. Wenn aber Eros so geartet ist, welchen
Nutzen bringt er den Menschen ? — Dies will ich weiter
dich zu lehren versuchen, Sokrates, sagte sie. Denn so
ist die Art und so die Geburt des Eros; er liebt also das
Schöne, wie du sagst. Wenn aber jemand uns fragte : Was
liebt Eros am Schönen, Sokrates und Diotima? Und so
will ich noch deutlicher fragen : Wer das Schöne liebt,
was liebt er? — Und ich sagte: Daß es ihm werde. —
Aber diese Antwort fordert folgende Frage : Was geschieht
jenem, dem das Schöne wird? — Ich entgegnete, daß
ich auf diese Frage keine Antwort zur Hand habe. —
Aber, sagte sie, wenn jemand statt des Schönen das Gute
einsetzte und fragte : Sprich, Sokrates, wer das Gute
liebt, was liebt er? — Daß es ihm werde, sagte ich. —
Und was geschieht jenem, dem das Gute wird? — Das
habe ich leichter zu beantworten, sagte ich : daß er glück-.
205 lieh sein wird. — Denn, sagte sie, durch den Besitz des
Guten sind die Glücklichen glücklich. Und weiter zu fra-
gen bedarf's nicht, weshalb denn der glücklich sein will,
der es will, sondern die Beantwortung scheint vollendet
zu sein. — Du hast recht, sagte ich. — Dieser Wille und
diese Liebe, glaubst du, daß sie allen Menschen gemein
6*
34 Sokratei — Diotima
sind, und wollen alle iminer das Gute haben? Oder wie
meinst du? — Ja so, antwortete ich, sie seien allen ge-
mein. — Warum aber, Sokrates, sagen wir nicht, daß
.alle lieben, wenn alle dasselbe lieben und immerfort,
sondern sagen, die einen lieben, die anderen lieben nicht?
— Das wundert mich selbst. — Nein, wundere dich
nicht; denn indem wir von der Liebe eine Form heraus-
nehmen, geben wir dieser den Namen des Ganzen:
„Liebe** ; für andere Formen aber brauchen wir andere
Namen. — Wie denn etwa? fragte ich. — Etwa so: du
weißt, daß es vielerlei Schöpfung gibt, denn für den Über-
gang aus dem Nichtsein ins Sein ist jedesmal Schöpfung
die Ursache, daher auch in allen Künsten die Werke
Schöpfungen sind und alle ihre Meister Schöpfer. — Du
hast recht. — Aber doch weißt du, sagte sje, sie werden
nicht Schöpfer genannt, sondern haben andere Namen,
und aus aller Schöpfung wird ein Teil getrennt, der der
musischen und metrischen Kunst, und mit dem Namen
des Ganzen benannt. Denn dies allein wird Schöpfung
genannt und welche diesen Teil der Schöpfung haben,
Schöpfer. — Du hast recht, sagte ich. — Ebenso auch
bei der Liebe. Das Gemeinsame ist alle Begierde nach
dem Guten und dem Glücklichsein, für jeden die größte
und listenreiche Liebe. Aber die sich in vielfacher ande-
rer Weise ihr zuwenden, zum Gelderwerb oder zur Leibes-
übung oder zur Philosophie, von denen sagt man nicht,
sie lieben oder sind Verliebte ; die aber auf eine bestimmte
Form ausgehen und eifern, tragen den Namen des Gan-
«zen, Liebe und Lieben und Verliebte. — Du hast wohl
recht, sagte ich. — Nun besagt eine Lehre, daß diejeni-
gen, welche ihre eigene Hälfte suchen, lieben. Meine
Lehre aber sagt, weder zur Hälfte gibt es Liebe, noch
zum Ganzen, wenn es nicht, mein Freund, zugleich ein
Gutes ist, denn die Menschen sind ja bereit ihre eigenen
Hände und Füße abschneiden zu lassen, wenn sie ihnen
Sükrates — Diotima 85
schädlich zu sein scheinen, denn sie alle, glaube ich,
hängen nicht am Eigenen, wenn man nicht das Gute ver
aoo wandt nennt und eigen, aber das Schlechte fremd. So
gibt es nichts anderes, was Menschen lieben als das
Gute, oder glaubst du doch? — Bei Gott, ich nicht. —
Soll man nun einfach sagen, daß die Menschen das Gute
lieben ? — Ja, sagte ich. — Wie denn ? Müssen wir nicht
zusetzen, daß sie das Gute zu besitzen begehren? — Das
müssen wir. — Und weiter 1 sagte sie, auch nicht allein
besitzen, sondern dazu immer besitzen? — Auch dies
muß dazu gefügt werden. — Also zusammengefaßt, sagte
sie, heißt nun die Liebe, daß man das Gute für immer
besitzen will. — Ganz wahr ist, sagte ich, was du sprichst.
•.25 Wenn aber immer die Liebe hierauf geht, sagte sie, wie
und in welchem Tun muß der Eifer und die Leidenschaft
ihm folgen, damit man sie Liebe benennt? Welches Wir-
ken mag dies wohl sein, kannst du es sagen? — Dann
würde ich ja dich, Diotima, nicht bewundern in der Weis-
heit und zu dir kommen, um eben dies zu lernen. —
Wohlan, ich will es dir sagen. Es ist nämlich ein Zeugen
im Schönen, sei es im Leibe, sei es in der Seele. — Man
bedarf der Seherkunst für den Sinn deiner Worte, sj)rach
ich, und ich begreife nicht. — So will ich deutlicher
sagen, — nämlich brünstig sind alle Menschen, Sokrates,
an Leib und an Seele, und wenn sie in ihr Alter gekom-
men sind, so begehrt unsere Natur zu erzeugen. Doch
im Häßlichen vermag sie nicht zu zeugen, aber im Schö-
nen. Denn des Mannes und Weibes Gemeinschaft ist
Zeugung. Dieser Vorgang aber ist göttlich und dies ist
im sterblichen Wesen das Unsterbliche : die Befruchtung
und die Geburt. Im Unharmonischen kann Das unmöglich
geschehen. Unharmonisch aber ist das Häßliche mit allem
Göttlichen, das Schöne harmonisch. Moira also und
Eileithyia für die Erzeugung ist die Schöne. Deswegen:
Wenn das Reifende einem Schönen naht, so wird e« hei-
86 Sokrates — Diotima
ter und von Freude durchströmt und es zeugt und
gebiert. Wenn es aber dem Häßlichen naht, so zieht es
feich unwillig und trauernd in sich zurück und wendet
sich ab und sinkt zusammen und zeugt nicht, sondern
behält und trägt schAver seine Bürde. Daher wird im Rei-
fenden und. schon Geschwellten so vieler Eifer um das
Schöne, weil es dem, der es besitzt, von großen Wehen
befreit. Denn die Liebe, Sokrates, gilt nicht dem Schönen,
wie du glaubst. — Aber wem denn? — Der Zeugung und
dem Gebären im Schönen. — So mag es sein, sagte ich.
— Und sie: Sicherlich. — Waram denn nun der Zeu-
gung? — Weil das Ewige und Unsterbliche im Sterb-
lichen die Zeugung ist. Mit dem Guten aber Unsterblich-
keit zu begehren, ist notwendig, wenn wir doch fanden,
daß Liebe das Gute für immer zu besitzen trachtet. Not- ao?
wendig ist nach dieser Lehre, daß die Liebe auch nach
der Unsterblichkeit trachtet.
Dies alles lehrte sie mich, wenn sie über die Dinge derc.2«
Liebe redete, und einmal fragte sie : Was glaubst du, So-
krates, sei die Ursache dieser Liebe und der Begierde?
Oder merkst du nicht, wie gewaltig alle Tiere ergriffen
werden, wenn sie begierig sind zu zeugen, die da kriechen
und fliegen ? Krank erscheinen sie alle und verliebt, zu-
erst wenn sie sich miteinander verbinden, dann beim
Aufziehn der Brut. Und für diese sind die Schwächsten
gegen die Stärksten zu kämpfen bereit und für sie zu
sterben, und sie lassen sich vom Hunger quälen, um jene
zu ernähren und tun auch sonst alles. Bei den Menschen
könnte man glauben, sie täten es aus Überlegung. Aber
die Tiere, welche Ursache macht, daß sie sich so verliebt
gebärden ? Kannst du sie nennen ? — Und wieder sagte
ich, daß ich es nicht wüßte. — Sie aber sprach : Meinst
denn du, du wirst jemals stark sein in Dingen der Liebe,
wenn dir dies nicht bewußt ist? — Aber deswegen, Dio-
tima — eben sagte ich's schon — bin ich ja zu dir ge-
I
Sokrate« — Diotima 87
kommen, weil ich es weiß, daß ich der Lehrer bedarf.
So sage mir auch hiervon den Grimd und von dem ande-
ren, was die Liebe angeht. — Wenn du nun überzeugt
bist, die Liebe gelte von Natur jenem, über das wir oft
übereinkamen, so wundere dich nicht. Denn hier strebt
aus demselben Grunde wie dort die sterbliche Natur so-
weit möglich ewig zu sein und unsterblich. Sie vermag
es allein durch diese Zeugung, weil sie immer ein ande-
res Junges anstatt des Alten zurückläßt. Denn man sagt
ja auch, daß jedes einzelne der Lebewesen lebe und das-
selbe bleibe, wie einer auch von Kindheit an derselbe
genannt wird, bis er alt geworden ist, und wird gleich-
wohl immer derselbe genannt, da er doch niemals das-
selbe in sich enthält, sondern immer neu wird und das
andere verliert, an Haaren und Fleisch, Knochen und
Blut und am gesamten Körper, und das nicht nur am
Leibe, sondern auch an der Seele: Die Denkweise, die
Sitten, Meinungen, Begierden, Lüste, Schmerzen, Ängste,
dies alles bleibt in keinem jemals dasselbe, sondern das
eine entsteht, das andere verschwindet. Noch viel wun-
■'ios derlicher als dies ist, daß auch die Kenntnisse nicht nur
die einen entstehen, die andern verschwinden, und wir
niemals in unseren Kenntnissen dieselben sind, sondern
auch jeder einzelnen Kenntnis dasselbe geschieht. Denn
was man Nachsinnen nennt, geschieht weil die Kenntnis
entweicht. Vergessen ist nämlich Ausgehn der Kenntnis.
Nachsinnen aber bildet eine neue Erinnerung statt der
fortgegangenen und erhält die Erkenntnis, so daß sie die-
selbe zu sein scheint. So wird auf diese Weise alles
Sterbliche erhalten, nicht dadurch, daß es in jeder Be-
ziehung immer dasselbe bleibt wie das Göttliche, son-
dern indem das Verschwindende und Alternde ein ande-
res Neues von der Art wie es selbst war, zurückläßt.
Durch diese Einrichtung, Sokrates, hat Sterbliches an
der Unsterblichkeit teil, der Leib und alles übrige; nie-
88 Sokrates' — Diotima
mals durch eine andere. Wundere dich also nicht, daß
ein jedes von Natur das von ihm Entsprossene ehrt; denn
der Unsterblichkeit zuliebe ist jedem dieser Eifer und
der Eros eigen.
Und als ich die Rede gehört hatte, war ich verwundert 0.27
und sagte: Ja, du weiseste Diotima, verhält sich das
wahrhaft so ? — Und sie sagte wie die vollendeten Lehrer
der Weisheit: Du sollst es begreifen, o Sokrates. Wenn
du die Ehrsucht der Menschen betrachten willst, so wür-
dest du dich wohl über ihre Unvernunft wundern, wenn
du das, was ich gesagt habe, nicht im Sinne hast und
bedenkst, wie gewaltig sie die Liebe beherrscht berühmt
zu werden und für immer einen unsterblichen Namen zu
erwerben. Und dafür sind sie bereit, sich in allen Ge-
fahren zu gefährden mehr als für ihre Kinder, ihren Be-
sitz zu verbrauchen und jede Mühsal zu erdulden und
dafüi' zu sterben. Denn meinst du, Alkestis sei für Admet
gestorben oder Achilleus dem Patroklos in den Tod ge-
folgt, oder euer Kodros voraus für das Königtum der
Kinder gestorben, wenn sie nicht geglaubt hätten, un-
sterbliches Gedenken ihrer Tüchtigkeit werde um sie
sein, welches wir nun auch bewahren? Nein, weit ent-
fernt, sondern ich glaube, für unsterbliche Tugend und
solchen hochklingenden Namen tun alle alles, um so
mehr je edler sie sind, denn das Unsterbliche lieben sie.
Welche nun leiblich reif sind, die wenden sich mehr
den Frauen zu, und hier sind sie verliebt, durch Kinder-
zeugen erwerben sie sich Unsterblichkeit und Andenken
und Glückseligkeit, wie sie glauben, für alle folgende Zeit. 209
Welche aber in der Seele — denn es gibt solche, die in
den Seelen noch mehr zeugen als in. den Leibern, was
der Seele zu zeugen und zu empfangen gemäß ist; was
also ist gemäß? Erkenntnis und die übrige Tüchtigkeit,
deren Erzeuger auch die Dichter sind und unter den
Sokrates — Diotima 89
Künstlern die, welche erfinderisch genannt werden kön
nen. Weitaus die größte und schönste Erkenntnis ist die
für die Ordnung der Städte und Haushaltungen, die den
Namen hat : Besonnenheit und Gerechtigkeit. Wenn einem
nun von Jugend an dies in der Seele reift, da er göttlich
ist und er, da seine Zeit kommt, nunmehr zu befruchten
und zu zeugen begehrt, schweift dieser umher — nicht
wahr? — und sucht das Schöne indem erzeugen könnte;
denn im Häßlichen wird er niemals zeugen. Zu den
schönen Leibern fühlt er sich mehr hingezogen als zu
den häßlichen, wenn er trächtig ist und wenn er dabei
auf eine schöne und edle und wohlgewachsene Seele
trifft, so fühlt er sich heftig hingezogen zur Vereinigung
dieser zwei; und zu diesem Menschen ist er sogleich
voll von Reden über Tüchtigkeit und über das was Not
ist, damit ein Mann gut sei und wonach man streben muß
und bemüht sich, ihn zu erziehn. Denn, glaube ich, in-
dem er den Schönen anfaßt und mit ihm umgeht, zeugt
und gebiert er, womit er längst trächtig ist. Und anwesend
und abwesend daran denkend zieht er gemeinschaftlich
mit jenem das Erzeugte auf, so daß sie viel engere Ge-
meinschaft als die durch Kinder miteinander haben und
festere Freundschaft, weil sie durch schönere und un-
sterblichere Kinder miteinander verbunden sind. Und
jeder würde sich lieber solche Kinder geboren sehen als
die menschlichen, wenn er auf Homer schaut und Hesiod
und die anderen tüchtigen Dichter, sie beneidend, daß
sie solche Kinder zurücklassen, die ihnen unsterblichen
Ruhm und Gedächtnis bereiten, da sie ja selbst so sind;
und wenn du willst wie Lykurgos Kinder zurückließ in
Lakedämon, zu Rettern von Lakedämon und, um es zu
sagen, von Hellas. Geehrt ist bei euch auch Solon in der
Erzeugung der Gesetze und viele andere Männer ander-
wärts bei Hellenen und Barbaren, viele und schöne Werke
90 Sokrates — Diotima
offenbarend, mancherlei Tugend erzeugend; ihnen sind
auch schon viele Heiligtümer entstanden wegen solcher
Kinder, wegen menschlicher Kinder aber noch keinem.
Soweit kannst vielleicht auch du, Sokrates, in den Ge-c.21
heimdienst der Liebe geweiht werden ; ob du aber reif 210
bist für die letzte Schau und oberste Weihe, um deret-
willen ja dieses alles nur die rechte Vorbereitung ist,
weiß ich nicht. Ich, fuhr sie fort, will nun davon sagen
und werde es an Eifer nicht fehlen lassen. Versuche du
zu folgen, wenn du es vermagst. Denn wer in der rechten
Weise dieser Sache nachgeht, der muß jung beginnen
den schönen Leibern nachzugehen, und zuerst wenn der
Geführte richtig geführt wird, Einen schönen Leib lieben
und in ihm schöne Worte zeugen, dann aber erkennen,
daß die Schönheit in irgendeinem Leibe der im anderen
Leibe verschwistert ist, und wenn man die schöne Ge-
stalt an sich verfolgen muß, es sinnlos wäre, nicht
die Schönheit in allen Leibern für ein und dasselbe zu
halten. Dies erfahrend zeigt er sich in alle schönen Lei-
ber verliebt und wird nachlassen. Einen allzusehr zu
lieben, indem er das für gering und klein hält. Aber da-
nach wird er die Schönheit in den Seelen für verehrungs-
würdiger halten als die im Leibe, und wenn einer, der
an Seele löblich ist, nur geringe Blüte hat, so ist es ihm
genug, und er liebt und sorgt um ihn und er erzeugt und
sucht solche Gedanken, welche die Jünglinge tüchtiger
machen, um ihn zu zwingen, daß er auch in der Lebens-
führung und in dem Gesetze das Schöne erschaue und
wahrnehme, dies alles sei mit sich selbst verwandt und
damit er überzeugt sei, das Schöne des Leibes sei
wenig. Von der Lebensführung muß er zu den Erkennt-
nissen wandeln, damit er auch der Erkenntnisse Schön-
heit erblickt. Und da er das Schöne schon in der Vielheit
erschaut, wird er ihm nicht mehr bei Einem dienen, ge-
mein und kleinlich denkend — wie ein Sklave die Schön-
Sokrate« — Diotima 91
heit eines Knäbleins oder eines Mannes oder einer ein-
zigen Beschcäftigung pflegend — sondern auf's weite
Meer des Schönen sich begebend und ausschauend, viele
und schöne Worte, prächtige, gebären und Gedanken in
überfließender Liebe zur Weisheit, bis er hierin gekräf-
tigt und gewachsen Eine Erkenntnis erblickt, jene ein-
zige, welche zu diesem Schönen gehört. Mühe dich,
sagte sie, mir deinen Sinn zu öffnen, so sehr du ver-
magst. Denn wer bis hierher für die Liebe erzogen wor-
e.2oden ist, indem er das Schöne in richtiger Folge betrach-
tet, der wird plötzlich in den Dingen der Liebe zum Ziel
gelangend, ein Wunderbares, im Wesen Schönes er-
blicken, eben jenes selbst, o Sokrates, deswillen auch
211 alle früheren Mühsale waren: zuerst ewig seiend und
weder werdend noch vergehend, weder wachsend noch
abnehmend, weiter nicht hierin schön hierin häßlich,
und nicht bald ja bald nein, auch nicht in dieser Be-
ziehung schön in jener häßlich, auch nicht dort schön
dort häßlich, wie für die einen schön die anderen häß-
lich ; und wieder wird sich das Schöne ihm nicht offen-
baren wie ein Antlitz oder Hände oder etwas anderes,
was dem Leibe angehört, auch nicht als ein Wort oder
eine Erkenntnis, auch nicht als in etwas anderm ent-
halten, in der Kreatur oder auf Erden oder im Himmel
oder in irgend etwas, sondern als ein mit sich selbst für
sich selbst ewig eingestaltiges Sein. Aber alles andere
Schöne hat an jenem auf irgendeine Weise derart Teil,
daß wenn dies andere entsteht und vergeht jenes weder
zunimmt noch abnimmt und auch sonst nichts erleidet.
Wenn aber einer von diesem andern aufsteigend durch
die echte Liebe zu Knaben jenes Schöne zu schauen be-
ginnt, dann berührt er fast das Ziel. Denn dies heißt rich-
tig zum Erotischen gehen oder geführt werden, daß man
von diesen schönen Dingen beginnend jenes Schönen
wegen immer hinaufsteige, gleichsam auf Stufen stei-
92 Sokrates — Diotima
gend, von einem zu zweien und von zweien zu allen
schönen Leibern und von den schönen Leibern zur schö-
nen Lebensführung und von der schönen Lebensführung
zu den schönen Erkenntnissen, bis man von den Er-
kenntnissen endlich zu jener Erkenntnis gelangt, welche
die Erkenntnis von nichts anderem als jenem Schönen
selbst ist und man am Ende jenes Selbst, welches schön
ist, erkenne. Und hier, wenn irgendwo, o lieber Sokrates,
sagte der Gast aus Mantinea, ist das Leben dem Men-
schen lebenswert, wo er das Schöne selbst schaut. Das,
wenn du es jemals schaust, dir nicht scheinen wird wie
Gold und Gewänder und die schönen Knaben und Jüng-
linge, bei deren Anblick du erschüttert bist und gewillt
bist — du und viele andere — die Lieblinge zu sehen
und immer mit ihnen zusammen zu sein und wenn es
möglich wäre nicht zu essen, nicht zu trinken, sondern
allein zu schauen und zusammen zu sein. Was aber sollen
wir gar glauben, wenn einer das Schöne selbst sonnen-
haft rein ungemischt sehen dürfte, aber nicht gefüllt mit
menschlichem Fleische und Farben und vielem anderen
sterblichen Tand, sondern das Göttliche Schön in seiner
Eingestalt zu erschauen vermöchte — glaubst du wohl,
es könnte gering sein das Leben eines Menschen, der 212
dorthin blickt und jenes anschaut und mit ihm zusam-
men ist? Oder ist dir nicht bewußt: dort allein ist ihm
bestimmt, blickend mit dem Auge, von dem das Schöne
sich erblicken läßt, nicht Schattenbilder der Tüchtigkeit
zu gebären, weil er nicht ein Schattenbild umarmt, son-
dern wahre Tüchtigkeit, weil er das Wahre umarmt?
Wer aber wahre Tüchtigkeit gebiert und ernährt, dem ist
vergönnt ein Götterfreund zu werden, und wenn irgend-
ein Mensch darf er unsterblich sein.
Das war es, Phädros und ihr anderen, was Diotima sagte ;
gewonnen bin ich und als Gewonnener versuche ich
auch die anderen zu gewinnen dafür, daß man für dieses
Apollodor 93
Gut wohl nicht leicht der menschlichen Natur einen bes-
seren Helfer fände als Eros. Ich behaupte deswegen,
jedermann müsse den Eros ehren, und ich selbst ehre
alles Erotische und übe es sonderlich und empfehle es
den anderen. Auch lobsinge ich jetzt und immer der Ge-
walt und Kühnheit des Eros soviel an mir ist.
Diese Rede nimm, o Phädros, wenn du willst, als einen
Lobgesang, gesprochen auf Eros, wo nicht, benenne sie
wie und wonach du sie am liebsten nennst.
9.30 Als Sokrates so gesprochen, hätten die andern ihn ge-
lobt, nur Aristophanes habe etwas erwidern wollen, weil
Sokrates in seiner Rede auf ihn angespielt hatte; da
plötzlich sei mit vielem Getöse an das Hoftor gepocht
wie von Festschwärmern und der Ton einer Flöten-
bläserin sei zu hören gewesen. Agathon habe gesagt:
Knaben, seht ihr nicht nach ? Und wenn es einer ist, der
zu uns gehört, so ladet ihn ein; wenn nicht, so sagt, daß
wir nicht trinken, sondern schon ruhen. Und wenig spä-
ter habe man des Alkibiades Stimme im Hofe gehört; er
war sehr berauscht und schrie laut, er frug wo Agathon
sei und befahl, ihn zu Agathon zu führen. Sie führten
also ihn und die Flötenbläserin an seinem Arme und
einige aus seinem Gefolge herein. Und er blieb an der
Tür stehen, bekränzt mit einem dichten Kranze von Efeu
und Veilchen und trug auf dem Haupte viele Bänder und-
sagte: Ihr Männer, seid gegrüßt! Nehmt ihr einen sehr
heftig Trunkenen als Mitzecher auf oder müssen wir
gehn, nachdem wir nur Agathon mit ßändern geschmückt
haben? Denn dazu sind wir gekommen. Gestern war es
mir nämlich nicht möglich zu kommen; nun bin ich da
mit den Bändern auf dem Haupte, damit ich von meinem
Haupte das Haupt des Weisesten und Schönsten — denn
als solchen rufe ich ihn aus — mit Bändern schmücke.
Werdet ihr mich also verlachen als einen Trunkenen?
Ich aber — wenn ihr auch lacht — weiß dennoch, daß ich
94 Apollodor
Wahres sage. Aber sagt mir auf der Stelle, soll ich dar- in
aufhin hinein oder nicht?! Trinkt ihr mit oder nicht?!
— Da jauchzten ihm alle zu und hießen ihn eintreten
und sich niederlegen und Agathon lud ihn ein. Und der
kam heran, geführt von den Leuten, und indem er zu-
gleich die Bänder abnahm, um jenen zu schmücken, hatte
er sie zuerst vor den Augen, so daß er Sokrates nicht
sah, aber er setzte sich neben Agathon nieder zwischen
Sokrates und jenen; Sokrates war nämlich abgerückt,
damit er sich setzen konnte. Als er sich gesetzt hatte,
umarmte er Agathon und wand ihm Bänder um. Nun
sagte Agathon: Löst Alkibiadas die Schuhe, Knaben, da,-
mit er sich als Dritter niederlege. — Recht, sagte Alki-
biades, aber wer ist unser dritter Zechgenoss ? Und in-
dem er sich zugleich umwandte, sah er den Sokrates —
ihn erblickend sprang er auf und rief: 0 Herakles! Was
war das?! Sokrates, Du hier!? Mich zu belauern lagst
du wieder hier, wie du gewöhnt warst plötzlich zu erschei-
nen, wo ich dich am wenigsten vermute; und wozu bist
du jetzt da? Und was liegst du wieder hier und nicht
beim Aristophanes oder sonst irgendeinem, der komisch
ist und sein will, sondern hast es fein gesponnen, daß
du neben dem Schönsten hierdrinnen liegst?! — Und
Sokrates sagte: Agathon, sieh zu, ob du mir beistehst;
macht mir doch die Liebe zu diesem Menschen nicht
wenig zu schaffen. Denn seit der Zeit, daß ich mich in
jenen verliebte, ist mir nicht Einen Schönen anzuschauen
mehr gestattet noch mit ihm zu reden, sonst verübt er
aus Eifersucht und Neid unglaubliche Dinge und schmäht
mich und legt beinahe Hand an mich. Gib also acht,
daß er nicht auch jetzt etwas anstellt, sondern versöhne
uns, oder wenn er Gewalt anwenden will, so steh mir bei,
denn ich habe große Angst vor seiner Raserei und Eifer-
sucht. — Nein, keine Versöhnung zwischen mir und dirl
sagte Alkibiades. Aber dafür sollst du mir ein andermal
^VpoUodor 95
büßea. Doch jetzt, Agathori, gib mir von den Bändern
zurück, damit ich auch diebom hier das wunderbare
Haupt umwinde und er mich nicht tadelt, daß ich dich
schmückte, ihn aber, der nicht wie du allein gestern son-
dern immer in Worten alle Menschen besiegt, danach
nicht schmückte. Zugleich nahm er von den Bändern,
umwand sie dem Sokrates und legte sich hin.
c 3iAls er sich gelegt hatte, sagte er: Wohlan, ihr Männer 1
Ihr scheint mir ja nüchtern ! Das müßt ihr nicht, sondern
trinken! Denn so haben wir es verabredet. Also er-
nenne ich zum Herrn der Tafel, bis ihr hinreichend ge-
trunken habt, mich selbst. Aber Agathon soll ein großes
Gefäß bringen, wenn eins da ist. Nein, nicht nötig 1
Schnell, Knabe, bringe das Kühlgefäß dort, sagte er, denn
214 er sah eins, das mehr als acht Becher faßte. Als dies
gefüllt war, trank er selbst es zuerst aus, dann befahl er
dem Sokrates einzuschenken und sagte dazu : Gegen So-
krates, ihr Männer, hilft mir keine List, denn soviel einer
verlangt, trinkt er aus und ist gleichwohl nie trunken.
Sokrates also trank, als der Knabe eingeschenkt hatte.
Doch Eryximachos sagte: Alkibiades, wie wollen wir*s
nun machen ? Wollen wir nur trinken ohne zu reden und
zu singen, sondern kunstlos wie die Durstigen trinken?
Und Alkibiades antwortete: 0 Eryximachos, du bester
Sohn des besten und verständigsten Vaters, sei gegrüßt I
— Sei's auch du, sagte Eryximachos. Aber was machen
wir? — Was du befiehlst. Dir muß man gehorchen.
„Kommt doch ein Mann der Heilkunst vielen andern an
Wert gleich." Also bestimme was du willst! — Höre also,
sagte Eryximachos, wir hatten beschlossen, bevor du
kamst, daß rechts herum jeder der Reihe nach über Eros
das Schönste, was er vermöchte, sagen müsse und ihn
preisen. Wir andern alle haben nun gesprochen. Jetzt
kommt es dir zu, da du ausgetrunken und nicht geredet
hast, zu reden und danach dem Sokrates aufzugeben was
96 Alkibiade«
du willst und dieser dem Nachbarn rechts und so die
anderen weiter. — Ja, Eryximachos, sagte Alkibiades,
schön gesprochen, daß aber ein trunkener Mann seine
R.eden neben die der Nüchternen stelle, wäre wohl nicht
billig. Und läßt du dir, du Verklärter, von Sokrates das ein-
reden, was er eben sagte ? Oder weißt du nicht, daß alles
umgekehrt ist, wie er es sagte ? Denn wenn ich in seiner
Gegenwart einen andern als ihn lobe, Gott oder Mensch,
so wird er Hand an mich legen. — Lästre nicht, sagte
Sokrates. — Wahrlich beim Poseidon ! sagte Alkibiades,
sage nichts dawider I Denn ich würde keinen anderen
loben, wenn du dabei bist. — Aber so tue es, wenn du
willst, sagte Eryximachos; lobe den Sokrates. — Wie
sagst du? erwiderte Alkibiades; meinst du, ich soll,
Eryximachos ? Soll ich den Mann anfallen und vor euren
Augen Rache nehmen? — Dul sagte Sokrates, was hast
du im Sinn? Willst du mich zum Spott loben, oder was
willst du tun ? — Die Wahrheit sagen ; gib acht, ob du es
zugibst. — Aber gewiß, gab er zur Antwort, gebe ich die
Wahrheit zu und verlange, daß man sie sagt. — Was
zaudre ich? sagte Alkibiades. Du aber mache es so : wenn
ich die Unwahrheit sage, unterbrich mich mitten in der
Rede, wenn du willst, und sage, daß ich es lüge, — denn
absichtlich werde ich nichts lügen. Doch wenn ich aus ais
dem Gedächtnis etwas durcheinander rede, so wundere
dich nicht, denn in meinem Zustande ist es nicht leicht
deine Wunderlichkeit gehörig und in richtiger Folge zu
schildern.
Sokrates zu preisen, ihr Männer, werde ich durch Gleich- csa
nisse versuchen. Er wird dann vielleicht glauben zum
Gespött, aber um der Wahrheit willen wird das Gleich-
nis« sein, nicht des Spottes. Ich behaupte nämlich,
am ähnlichsten sei er jenen sitzenden Silenen in den
Werkstätten, welche die Bildhauer mit Syrinx und Flöte
in der Hand darstellen, und wenn man sie öffnet, so
Alkibiade« 97
zeigt sich, daß sie im Innern Götterbilder enthalten. Und
wieder behaupte ich er gleiche dem Satyr Marsyas.
Daß du diesen an Gestalt ähnlich bist, Sokrates, wirst
du wohl selbst nicht bestreiten, wie du ihnen aber auch
sonst gleichst, höre weiter. Hochmütig bist du, oder nicht?
Denn wenn du leugnest, stelle ich Zeugen. Oder etwa
nicht Flötenspieler? Ein weit wundersamerer als jener I
Denn mittels Instrumenten bezauberte jener mit der Ge-
walt seines Mundes die Menschen und auch jetzt noch,
wenn einer nach seiner Weise Flöte spielt. Denn was
Olympos spielte, rechne ich Marsyas zu, der es lehrte.
Ob nun ein tüchtiger Flötenspieler spielt oder auch eine
schlechte Flötenspielerin, sein Werk ist es, das über-
wältigt und offenbart, wen nach den Göttern und den
Weihen verlangt, dadurch daß es selbst göttlich ist. Du
aber übertriffst jenen nur darin, daß du ohne Instrument
mit nackten Worten ganz dasselbe vollbringst. Von uns
wenigstens liegt keinem irgend etwas daran — um das
zu sagen — wenn wir von irgendeinem andern und selbst
einem sehr tüchtigen Redner andere Worte hören. Wenn
aber einer dich hört oder einen andern deine Worte sagen
hört, wenn der Redende auch sehr gering ist, ob nun
ein Weib oder ein Mann zuhört oder ein Knabe, so sind
wir erschüttert und überwältigt. Ich wenigstens, ihr Män-
ner, würde, wenn ich nicht vollständig berauscht er-
scheinen würde, euch sagen und beschwören was ich
selbst von seinen Reden erlitt und auch jetzt noch er-
leide. Denn wenn ich sie höre, klopft mir das Herz viel
stärker als den Korybantischen Tänzern, und Tränen wer-
den mir von seinen Reden entpreßt. Ich sehe aber auch,
daß die anderen in Menge dasselbe erleiden. Wenn ich
hingegen Perikles und andere tüchtige Redner hörte, so
fand ich, daß sie gut reden; solches aber erlitt ich nie
und nicht wurde mir die Seele erschüttert und betrübt,
wie einem, der geknechtet wird ; aber von diesem Marsyas
Plato, Oattnuihl 7
98 Alkibiadei
hier wurde ich oft so zugerichtet, daß ich glaubte, ich »i«
könne nicht leben, da ich so bin, wie ich bin. Und du
wirst nicht sagen, Sokrates, das sei nicht wahr. Ja ich
weiß auch jetzt noch, wenn ich meine Ohren preisgeben
wollte, so würde ich nicht stark genug sein, sondern das-
selbe erleiden; denn er zwingt mich einzugestehen, daß
mir noch vieles fehlt und ich doch mich selbst vernach-
lässige, aber Athens Geschäfte betreibe. Also gewaltsam
wie vor den Sirenen die Ohren zuhaltend strebe ich zu
entkommen, damit ich nicht, bis ich ein alter Mann bin,
bei ihm sitze. Denn er ist der einzige Mensch, von dem
ich erfuhr, was wohl niemand in mir vermutet : daß ich
mich vor jemandem schäme; vor ihm allein schäme ich
mich. Ist mir doch bewußt, daß ich ihm nicht widerspre-
chen kann: es sei nicht Not zu tun, was er fordert; daß
ich aber dann, wenn ich fort bin, dem Ruhm bei den
Vielen unterliege. Ich entlaufe ihm also und fliehe und
wenn ich ihn sehe, schäme ich mich des Eingestandenen.
Und oftmals würde ich gern sehen, er weile nicht mehr
unter den Menschen; wenn das aber geschähe, weiß ich
wohl, w^ürde ich noch viel betrübter sein; so daß ich
nicht weiß, was anfangen mit diesem Menschen !
Durch sein Flötenspiel haben ich und viele andere sol-c,s2
ches erlitten, von diesem Satyr. Aber vernehmt von mir,
wie ähnlich er denen ist, mit welchen ich ihn verglich
und wie wunderbar seine Geweilt ist. Täuscht euch nicht,
keiner von euch kennt ihn. Aber ich will ihn enthüllen,
da ich begonnen habe. Ihr seht ja, daß Sokrates in die
Schönen verliebt ist und immer um sie herum ist und
durch sie ergriffen wird; und wieder gibt er sich die Hal-
tung, als ob er alles verkennt und nichts weiß. Ist das
nicht silenenhaft? Sicherlich. Denn das ist nur seine
äußere Umhüllung, wie beim ausgehöhlten Silen. Aber
innen, wenn man ihn öffnet, was glaubt ihr, ihr Männer
und Freunde, wie er strotzt von Vernunft. Wisset, daß
Alkibiades 99
es ihn gar nicht kümmert, ob einer achön ist, sondern
er achtet das so gering, wie wohl niemand glauben würde,
noch ob einer reich, noch ob er einen andern der von
der Menge verhimmelten Vorzüge hat. Er erachtet näm-
lich alle diese Güter für wertlos und uns selbst für nichts,
sagt es aber nicht, sondern treibt seine Ironie und sein
Spiel das ganze Leben hindurch mit den Menschen. Ob
aber jemand die Götterbilder seines Innern gesehn hat,
wenn er ernst und aufgeschlossen war, weiß ich nicht.
Ich aber habe sie einm/al gesehen, und mir schienen sie
17 so göttlich und golden zu sein und vollendet schön und
wunderbar, daß ich glaubte sogleich tun zu müssen, was
Sokrates auch fordere. Da ich glaubte, daß er um meine
Jugendblüte eifere, hielt ich das für einen großen Fund
und ein wunderbares Glück, weil mir nun offenstünde,
wenn ich dem Sokrates gefällig wäre, alles zu hören,
was er wüßte; denn ich bildete mir auf meine Blüte
wunderw^eviel ein. Mit solchen Gedanken schickte ich
einmal den Begleiter fort, da ich vordem nicht ohne Be-
gleiter bei ihm zu sein gewöhnt war, und war allein mit
ihm zusammen. Doch ich muß euch die ganze Wahrheit
sagen. Also wendet mir euren Sinn zu und wenn ich
lüge, so widersprich mir, Sokrates. Wir waren also zu-
sammen, ihr Männer, beide allein und ich glaubte, er würde
mit mir sogleich reden wie ein Liebender zum Liebling in
Einsamkeit redet, und war freudig. Aber gar nichts davon
geschah, sondern er verbrachte wie gewöhnlich den
ganzen Tag im Gespräch mit mir, und dann ging er fort.
Darauf lud ich ihn ein zu gemeinsamen Leibesübungen,
und übte mit ihm, um dadurch etwas zu erreichen. Er
übte also und rang oft mit mir ohne daß jemand' zu-
gegen war ; und was brauch ich es zu sagen : nichts er-
reichte ich damit. Da ich aber auch damit nichts gewann,
so glaubte ich, ich müsse dem Manne stärker zusetzen
und nicht ablassen, da ich es einmal unternommen hätte,
100 Alkibiades
sondern ich wollte erfahren, wie die Sache stünde. Ich
lud ihn also ein mit mir zu speisen und stellte ihm ge-
radezu nach wie ein Liebender dem Liebling. Auch dies
nahm er nicht sogleich an, aber nach einiger Zeit willigte
er ein. Als er zum ersten Mal gekommen war, wollte er
gleich nach der Mahlzeit fortgehen, und da schämte ich
mich und ließ ihn gehen. Aber beim zweiten Versuch
sprach ich mit ihm nachdem er gespeist hatte bis tief
in die Nacht hinein, und als er gehen wollte, schützte ich
vor, daß es spät sei und nötigte ihn zu bleiben. Er legte
sich also zur Ruhe auf das Polster, das neben dem mei-
nen stand und auf welchem er auch gespeist hatte, und
kein anderer schlief in dem Gemach als wir. Und bis zu
diesen Worten kann man gut die Sache jedermann er-
zählen. Das Weitere aber würdet ihr nicht von mir ver-
nommen haben, wenn nicht erstlich nach dem Sprich-
wort der Wein mit Kindern oder ohne Kinder wahrhaftig
wäre, dann aber es mir auch ungerecht schiene des So-
krates stolzes Tun zu verschweigen, wo ich ihn zu loben
habe. Und noch faßt mich der Schmerz des von der
Schlange Gebissenen. Denn mt-m sagt, wenn einer das
erlitten hat, so will er keinem erzählen wie es war, außer
denen, die selbst gebissen sind, weil diese allein es ver-
stehen und verzeihen, wenn man ohne Scheu alles tut si8
und redet unter der Qual. Ich bin nun schmerzlicher ge-
bissen und da, wo der Biß am schmerzlichsten ist — am
Herzen oder der Seele oder wie es zu nennen ist, bin
ich geschlagen und gebissen von den Worten der Philo-
sophie, welche wilder als Nattern festhalten, wenn sie
eine junge und nicht stumpfe Seele gefaßt haben und
machen, daß sie wer weiß ^vas tut und sagtl Und ich
sehe euch wieder an, ihr Phädros', ihr Agathons, Eryxi-
machosse, Pausaniasse, Aristodeme und ihr Aristopha-
nesse, — Sokrates selbst brauche ich nicht zu nennen
und wieviele andere, denn ihr seid alle geeint im Wahn-
Alkibiadei 101
sinn und in der bacchischen Wut der Philosophie. Darum
höret alle I Denn ihr werdet verstehen, was damals getan
wurde und jetzt gesagt wird. Ihr Diener aber und wer
sonst ungeweiht und unerzogen ist, legt schwere Pforten
vor eure Ohren!
• 54 Als nun die Lampe erloschen war, ihr Männer, und die
Sklaven draußen waren, schien es mir nötig mich vor
ihm nicht zu zieren, sondern frei zu sagen, wie ich dachte.
Ich stieß ihn an und sagte: Sokrates schläfst du? —
Nein doch^ erwiderte er. — Weißt du wohl, was ich im
Sinn habe ? — Was denn schon, sagte er. — Ich glaube
du liebst mich und bist der einzige, der dessen würdig
ist und es sieht aus als zauderst du mit mir davon zu
reden. Mit mir steht es aber so: für sehr unverständig
würde ich es halten, dir nicht auch hierin gefällig zu sein
oder auch wenn du etwas anderes bedürftest von mei-
nem Besitz oder von dem meiner Freunde; denn nichts
ist mir wächtiger als daß ich so tüchtig wie möglich
werde, und ich glaube, daß es dafür keinen stärkeren
Helfer gibt als dich. Wenn ich einem solchen Manne nicht
gefällig wäre, würde ich mich vor den Vernünftigen weit
mehr schämen, als vor den Vielen und Unvernünftigen,
wenn ich ihm gefällig wäre. — Darauf sagte dieser sehr
ironisch und so recht nach seiner Art und Gewohnheit :
Mein lieber Alkibiades, du scheinst mir wirklich nicht
dumm zu sein, wenn das etwa wahr ist, was du übe»
mich sagst, und eine Kraft in mir ist, durch welche dn
besser würdest; eine unerklärliche Schönheit sähest du
in mir und eine von deiner Wohlgestalt gar sehr ver-
schiedene. Wenn du in dieser Erkenntnis mit mir in Ge-
meinschaft zu treten und Schönheit gegen Schönheit aus-
zutauschen versuchst, so gedenkst du mich nicht wenig
zu übervorteilen, sondern versuchst statt des Scheines
die Wahrheit des Schönen zu erwerben und denkst wirk-
st« lieh Gold gegen Kupfer einzutauschen. Aber, du Entrück-
102 Alkibiades
ter, sieh besser hin, ob du dich nicht täuschst und ich
doch nichts bin; denn der Blick unseres Verstandes be-
ginnt erst scharf zu sehen, wenn der unserer Augen an
Schärfe nachzulassen anfängt; du aber bist davon noch
weit entfernt. — Ich hörte es und sagte: Bei mir liegt
es so und es ist nichts anders gesagt, als ich gesonnen
bin; so beschließe nun du selbst, was du dir und mir
das Beste glaubst. — Ja, sagte er, da hast du recht ge-
sprochen; denn in Zukunft wollen wir beschließen und
tun, was uns beiden hierin und in andern Dingen das
Beste zu sein scheint. — Ich, als ich das gehört und ge-
sagt und wie Pfeile entsandt hatte, nahm an er sei ver-
wundet, und stand auf und ließ ihn weiter nichts sagen,
warf meinen eigenen Mantel über ihn — denn es war
Winter — legte mich unter seinen Mantel und schlang
meine Arme um diesen wahrhaft Dämonischen und Wun-
derbaren, und lag so die ganze Nacht. Und auch hier,
Sokrates, wirst du wieder nicht sagen, daß ich lüge.
Und da ich dies alles tat, blieb dieser mir so sehr über-
legen und verachtete und verlachte meine Blüte und war
hochmütig; und doch glaubte ich, an diesem sei etwas,
ihr Richter; denn Richter seid ihr über den Hochmut
des Sokrates. Denn wißt wohl, bei Göttern, bei Göttinnen,
nicht anders stand ich auf, nachdem ich mit Sokrates
geschlafen hatte, als wenn ich beim Vater oder älteren
Bruder geschlafen hätte.
Was meint ihr, wie mir damals zumute gewesen sei, da es»
ich glaubte beschimpft zu sein und doch seine Natur,
Beherrschtheit und Männlichkeit bewunderte, und ich
einen solchen Mann gefunden hatte, wie ich ihn niemals
zu finden geglaubt hätte an Vernunft und Kraft? Daher
ich nicht hatte, wie ich ihm zürnen und mich seinem
Umgang entziehen konnte, noch fand ich Mittel ihn mir
gefügig zu machen. Denn ich wußte wohl, gegen Geld sei
er viel unverwundbarer überall als Ajas gegen Eisen, und
Alkibiadw 1 08
worin ich glaubte, daß er allein zu fangen sei, war er
entwischt. So war ich ratlos, und geknechtet von diesem
Manne wie keiner je von einem andern wandelte ich
umher
Das war alles früher geschehen, und später machten wir
beide den Feldzug gegen Potidäa mit und wir gehörten
zu einer Tischgenossenschaft. Erstlich übertraf er in den
Anstrengungen nicht nur mich, sondern auch alle andern.
MO Wenn wir, wie es im Felde geschieht, abgeschlossen
waren und hungern mußten, so waren die andern nichts
gegen ihn an Widerstandsfähigkeit. Bei den Gelagen hin-
gegen war er einzig fähig zu genießen, und besonders im
Trinken, obschon er es nicht wünschte, nahm er es mit
jedem auf, wenn man ihn nötigte, und was von allem das
Seltsamste ist, kein Mensch hat jemals Sokrates trunken
gesehen. Hierfür wird euch, glaube ich, gleich wieder der
Beweis gegeben werden. Und auch im Ertragen des Win-
terfrostes — denn dort sind die Winter sehr hart — ver-
richtete er Wunder; besonders einmal, als der denkbar
schärfste Frost war, und die andern entweder gar nicht
ausgingen oder, wenn es einer doch tat, sie sich wunder-
wieviel überzogen und Sandalen unterbanden und die
Füße in Filz und Schafpelz einwickelten, ging dieser
gleichwohl mit einem kurzen Mantel, wie er ihn auch
sonst gewöhnlich trug; und mit bloßen Füßen ging er
leichter durch das Eis als die andern mit Sandalen. Die
Soldaten aber blickten ihn scheel an, ob er sie verhöhnen
wolle.
«seUnd dieses wäre dieses.
„Doch wie er das getan und bestanden der tapfere Krie-
ger" einmal auf jenem Feldzuge ist wert zu hören. Er
stand nämlich in Gedanken versunken bei Tagesgrauen
da und grübelte über etwas, und da es ihm nicht gelang,
ging er nicht fort, sondern blieb forschend stehen; und
es war schon Mittag und die Leute bemerkten es und
104 Alkibiadet
wunderten sich und einer sagte zum andern, daß Sokra-
tes seit Morgengrauen dastünde und über etwas nach-
sänne. Schließlich als es Abend war brachten einige
lonier nach dem Essen ihre Lagerdecken heraus — es
war nämlich damals Sommer — teils um im Kühlen zu
schlafen, teils um aufzupassen, ob er auch die Nacht
stehen bleiben würde. Er aber blieb stehen bis das Mor-
genrot kam und die Sonne aufging. Dann betete er zur
Sonne und ging fort.
Wollt ihr aber auch aus den Schlachten — denn es ist
billig, ihm auch das zu entrichten. Nämlich während der
Schlacht, nach welcher mir die Feldherren den Preis
gaben, hat mich kein andrer von den Männern gerettet
als er, der mich Verwundeten nicht verlassen wollte,
sondern meine Waffen und mich selbst in Sicherheit
brachte. Und ich verlangte damals auch, Sokrates, daß
die Feldherren dir den Preis gäben ; auch hierin wirst du
mich nicht tadeln und nicht sagen, daß ich lüge. Aber
da die Feldherren meine Vornehmheit ansahen und mir
den Preis geben wollten, da warst du selbst noch eifriger
als die Feldherren, daß ich ihn erhielt und nicht du.
Doch weiter, ihr Männer, lohnte es sich gewiß, den So- iai
krates zu schauen, als das Heer fliehend von Delion ab-
zog. Ich war nämlich zu Pferd dabei, er aber in schwerer
Rüstung zu Fuß. Er ging zusammen mit Laches zurück,
als das Volk schon zerstreut war. Ich begegne ihnen und
sobald ich sie sehe, rede ich ihnen Mut zu und sage, daß
ich sie hiebt verlassen würde. Und da konnte ich Sokra-
tes noch schöner betrachten als in Potidäa — ich selbst
war ja weniger gefährdet, weil ich zu Pferd war — erstens
wie sehr er den Laches durch Gefaßtheit überragte und
dann schien er mir dort ganz wie in deinem Verse, Aristo-
phanes, dort grade wie hier seinen Weg zu gehen, „schrei-
tend wie ein Pfau und seine Augen rollend" indem er
ruhig nach Freund und Feind umblickte, so daß jeder
Alkibiade« 106
schon von weitem deutlich erkennen konnte, daß dieser
Mann sich sehr kraftvoll verteidigen würde, wenn ihn
jemand anrührte. Deshalb zog er auch ungefährdet ab,
er und sein Begleiter, denn im Kriege werden fast nie
die angerührt, die sich so halten, sondern man verfolgt
die andern, die Hals über Kopf fliehen.
Nun wäre noch vieles andere an Sokrates zu loben und
Wunderbares. Aber bei den anderen Lebensformen körmte
man wohl auch von einem andern das Gleiche sagen, daß
er aber keinem der Menschen ähnlich ist, weder unter
den Alten noch unter. den Heutigen, das ist der höchsten
Bewunderung wert. Denn wie Achill war, könnte man
Brasidas und andere vergleichen und mit Perikles da-
gegen Nestor und Antenor und so noch andere. Und in
ähnlicher Weise kann man für die übrigen Vergleiche
finden. Wie aber dieser Mensch in seiner Rätselhaftigkeit
geworden ist, er selbst und seine Worte, dafür kann man
nicht annähernd einen ähnlichen finden, weder von den
Heutigen noch von den Alten, es sei denn daß man ihn,
wie ich es sagte, nicht mit Menschen vergleicht, sondern
mit den Silenen und Satyrn, ihn und seine Worte. —
*.87Doch das vergaß ich ja vorhin zu sagen, daß auch seine
Reden jenen aufzuschließenden Silenen ganz ähnlich
sind ! Denn wenn einer den Reden des Sokrates zuhören
will, so erscheinen sie ihm wohl zuerst komisch, mit sol-
chen Worten und Benennungen sind sie außen umhüllt,
wie mit dem Fell eines übermütigen Satyrs. Denn er
spricht von Lasteseln und von Schmieden und Schustern
und Gerbern und scheint immer mit demselben dasselbe
zu sagen, so daß jeder unwissende und geistlose Mensch
M2 seine Reden verlachen muß. Wenn aber einer sie geöff-
net sieht und in sie eindringt, so wird er zuerst finden,
daß diese Worte allein Vernunft in sich bergen, dann
aber, daß sie ganz göttlich sind und die meisten Bilder
des Edeltums enthalten und das meiste, ja alles umspan-
1 06 Aiwllodor
nen, was dem zu suchen ziemt, def schön und gut wer-
den will.
Das ist, ihr Männer, was ich zu Sokrates' Preise sage,
doch auch, was ich tadele, denn ich mischte hei und
sagte wie hochmütig er mich behandelte. Wahrlich nicht
an mir allein hat er das getan, sondern auch an Charmi-
des, Glaukons Sohn und Euthydemos, Diokles Sohn und
sehr vielen andern, welche er betrügt, als wäre er der
Verliebte, dann aber selbst der Liebling wird anstatt des
Verliebten. Was ich auch für dich sage, Agathon, damit
du nicht von diesem betrogen wirst, sondern durch unsere
Leiden wissend auf deiner Hut bist und nicht nach dem
Sprichwort wie ein Kind durch Schaden klug wirst.
Als Alkibiades so gesprochen hatte, sei über seine Offen- r«
herzigkeit ein Gelächter ausgebrochen, weil er immer
noch in Sokrates verliebt schien. Nun habe Sokrates ge-
sagt : Du scheinst mir nüchtern zu sein, Alkibiades, denn
sonst hättest du dich nicht so zierlich im Kreise herum-
gedreht und das zu verbergen gesucht, weswegen du dies
alles gesagt hast, indem du es wie nebensächlich an den
Schluß setztest; als ob du nicht alles deswegen gesagt
hättest, um mich und Agathon zu entzwein. Du glaubst
ja ich müsse dich lieben und niemand sonst, und Agathon
müsse von dir geliebt werden und von niemand sonst.
Aber du bliebst nicht verborgen, sondern dein Silenen-
und Satyrdrama wurde durchschaut. Aber, lieber Aga-
thon, es soll ihm nichts helfen, sorge du nur, daß mich und
dich niemand entzweit. Und Agathon antwortete: Wirk-
lich, Sokrates, du wirst recht haben. Das schließe ich
daraus, daß er sich zwischen mich und dich legte, um
uns zu trennen. Das soll ihm nun gar nichts helfen, son-
dern ich komme und lege mich neben dich I • — Ja, sagte
Sokrates, lege dich hier auf meine Seite. — 0 Zeus,
sagte Alkibiades, was dulde ich wieder von diesem Men-
schen ! Überall glaubt er, müsse er über mich triumphie-
ApoUodoi 10 V
renl Aber wenn schon nicht anders, du Wunderbarer, so
laß wenigstens zwischen uns Agathon sich legen. — Aber
unmöglich, sagte Sokrates, denn du hast mich gelobt und
ich muß wieder den rechten Nachbarn loben. Wenn nun
Agathon nach dir kommt, so müßte er ja noch einmal
mich loben anstatt von mir gelobt zu werden. Also laß
ans gut sein, du Dämonischer, und neide dem Jungen nicht,
von mir gelobt zu werden, begehre ich doch gar sehr ihn
zu preisen. — Wehe, wehe, Alkibiades, rief Agathon, es
ist keine Möglichkeit, daß ich hier bleibe, sondern vor
allem muß ich den Platz wechseln, damit ich von Sokra-
tes gelobt werde. — Das ist es ja, so sind wir es gewohnt,
sagte Alkibiades, wenn Sokrates da ist, kann kein ande-
rer von den Schönen etwas haben. Und jetzt, wie ge-
schickt und glaubhaft er begründete, daß dieser gerade
neben ihm liegen muß !
csjSo sei Agathon also aufgestanden, um sich neben Sokrates
zu legen. Plötzlich seien aber eine große Menge Fest-
schwärmer an das Tor gekommen und fanden es offen,
da zufällig jemand hinausgehen wollte. Und so kamen
sie geradenwegs zu ihnen herein und legten sich nieder.
Alles sei voll von Lärm gewesen und man wurde ohne
jede Ordnung gezwungen, sehr viel Wein zu trinken. Nun
seien Eryximachos und Phädros und einige andere hinaus
und fortgegangen, so erzählte Aristodem. Ihn selbst habe
der Schlaf überkommen und er habe sehr lange geschla-
fen, weil die Nächte damals lang waren; gegen Morgen
sei er aufgewacht, als die Hähne krähten; erwacht sah
er, daß die anderen teils schliefen, teils gegangen waren.
Aber Agathon und Aristophanes und Sokrates waren
allein noch wach und tranken aus einer großen Schale
rechts herum. Sokrates führte ein Gespräch mit ihnen.
Aristodem sagte, er könne sich nicht an das ganze Ge-
spräch erinnern, denn er sei ja nicht von Anfang an ge-
folgt und sei auch nebenher etwas eingenickt. Aber die
108 Apollodor
Hauptsache sei doch gewesen, daß Sokrates sie zwang
einzugestehen, derselbe Mann müsse Komödie und Tra-
gödie zu dichten verstehn und der rechte Tragödiendich-
ter sei auch Komödiendichter. Sie gaben es zu, aber sie
folgten nicht sehr, weil sie schläfrig wurden; und zuerst
sei Aristophanes eingeschlafen, dann als es schon Tag
wurde, Agathon. Nun sei Sokrates, da er jene zur Ruhe
gebracht hatte, aufgestanden und gegangen und er selbst
sei ihm wie gewöhnlich gefolgt. Er ging ins Lykeion,
badete und brachte den ganzen Tag zu wie er es sonst
tat und als er so getan begab er ^ich abends nach Haus
zur Ruhe.
AiNMEßKUNGEN
ZUR EINLEITUNG. Ich bin mir jeden Bedenkens bewußt, das man
einer Erklärung eines so bildhaften vollkommenen Werket entgegen-
setzen kann. Doch kann ich mich auf Plato selbst berufen, der im Phä-
dros das Unglück alles Geschriebenen vorausgesehen hat, wie es sich
auch an seinen Werken erfüllen sollte. So glaube ich nicht zu dreist
zu sein, wenn ich hoffe, manches, was durch die veränderte Denk-
weise der Zeitalter nur trübe und undeutlich gesehn wird, wieder
heller und lebendig zu machen. Wer an der geistigen Bewegung unsrcT
Zeit teilhat, der wird bald spüren, ein wie großer Lehrer Plato für
uns sein kann, die zerspaltenen Kräfte wieder zur Einheit zu binden,
und aus solchem Verhältnis wird sich ein anderes Bild entwickeln als
aus der Betrachtung des Philosophen nur als eines Gliedes in der Ge-
schichte der Begriffswelt. So wird man in der Einleitung oft einen
Gegensatz zu den heute vertretenen Auffassungen spüren, aber keines-
wegs ist eine Polemik von mir beabsichtigt Ich will nicht die vorhan-
denen Auffassungen um eine neue vermehren, sondern denen helfen,
die Plato selbst suchen. In diesem_ W^unsche, nicht etwa zum Zwecke
einer Kritik oder auch nur einer Übersicht über das Wichtigste, füge
ich für die Anfangenden einige Hinweise bei.
Das Beste über Plato hat wohl Goethe gesagt; freilich sind es sehr
zerstreute und seltene Bemerkungen, die nicht im einzelnen erklären,
sondern nur die Gipfelhöhe bezeichnen. Schleiermacher sah Vieles
and Großes, aber die unglückliche Idee, die W^erke zu einem vorbe-
dachten System anzuordnen, mußte ihn vom W^ege abführen, und
seiner theoretischen Artung mußte die mächtig wirkende und gestal-
tende Person Piatos im letzten Sinne verborgen bleiben. Aus dem
letzteren Grunde mußte auch Schopenhauer der große Wille des Mei-
sters verborgen bleiben, über die Idee hat er dagegen höchst wert-
volle Gedanken gegeben.
An Nietzsche möchte sich zuerst wenden, wer lebendigen Geist in
den überlieferten Heiligtümern sucht, aber er wird in ihm nicht den
Lehrer des Piatonismus finden. Plato ist ihm \iel zu nahe, als daß
er betrachtend und gerecht über ihn lehren kann: er ringt mit seinem
Schatten sein lebelang. Aber auch bei den heftigsten Angriffen —
oder gerade bei ihnen — soll man sich erinnern, daß er mit Stolz
so offen über jenen seine Meinung sagt, denn er fühlt — er braucht
selbst diesen Ausdruck — Piatons Blut in seinen Adern rollen. Ihre
Aufgabe im großen geistigen Geschehen war so nahe verv.-andt, und
doch kann man fast sagen, daß ihre Wegrichtung die entgegengesetzte
war. Dies Ähnlichsein und Entgegengesetztsein muß man nachfühlen,
um das so außerordentlich schwankende Verhältnis zu verstehen.
Der großartige Anspruch Piatons begeistert Nietzsche und verdrießt
ihn je nach seinen seelischen Umständen.
Eine allmähliche „Entwicklung" dieses Gegensatzes darf man nicht
suchen. Die gegenwendige Beurteilung Piatons ist Nietzsches Persön-
lichkeit notwendiger Teil und hat mit den sogenannten „Perioden"
nichts zu tun. Der Pfortenser bekennt das Symposion als seine Lieb-
110 Anm erklingen
lingsdichtung und noch der Autor des Willens zur Macht fühlt Plato
als geheimen Maßstab. „Im Theages Piatos steht es geschrieben:
, Jeder von uns möchte Herr womöglich aller Menschen sein, am
liebsten Gott.' Diese Gesinnung muß wieder da sein." Aber schon
dem Freunde Wagners war Sokrates der Fluch der hellenischen Kultur,
Ursache des Verfalles, und seitdem gilt ihm Plato, ..das schönste
Gewächs des Altertums", „der Göttliche" als kranK, von Sokrates ver-
dorben. (Richard Wagner und Cosima versuchen mit aller Vorsicht
ihn von dieser Richtung abzulenken.)
Wenn Nietzsche Piatons metaphysische Dogmen angreift, so wäre
seine Autorität hierbei erst zu prüfen; wenn er j?n inm den Vorläufer
des Christentums, den jenseitsgläubigen Moralisten, den abstrakten
Dialektiker, den Sozialisten sieht, so können an dieser Stelle solche
Bedenken uns nicht beunruhigen, denn gerade im Gastmahl schweigen
diese zweifelhaften Regungen. Was man sonst auch sagen möge, hier
im Gastmahl nimmt Plato liebend an der leiblichen irdischen Fülle
teil und haucht ihr seine Seele ein, ohne sie im Geistigen verflüch-
tigen zu lassen, hier wenn irgendwo gilt Goethes schönes Wort : „Plato
verhält sich zu der Welt wie ein seliger Geist, dem es beliebt, einige
Zeit auf ihr zu herbergen . . ." (Mat. z. Gesch. d. Farbenlehre.) Es
scheint mir nicht immer beachtet, wie wenig die „Platonischen
Dogmen" im Gastmahl Geltung haben. Der Mensch hat teil an der
Unsterblichkeit durch Fortpflanzung! Von einer persönlichen Un-
sterblichkeit ist keine Rede. [Daraus darf man nicht schließen, daß
Diotimens Lehre nicht Platonisch ist. Von der Unsterblichkeit der
Seele wird abgesehen, sie wird nicht verneint. Wer kann sich an-
maßen, zu wissen, ob Plato von dieser Unsterblichkeit fest überzeugt
war? Er hielt den Glauben für schön, aber er kannte den Zweifel. Es
war seiner würdig, im Gastmahl ganz leiblich, ohne diesen Dualismus
auszukommen. Allerdings findet sich ein Hinweis auf die Unsterb-
lichkeit, wenn man mit der ursprünglichen Lesart 208 B adavaxor statt
äövraxor liest, was manches für sich hat. Aber braucht das Unsterb-
liche eine f^rjxavrj um an der Unsterblichkeit teilzuhaben und ver-
liert nicht eigentlich der Eros Diotimens den Sinn, wenn die Unsterb-
lichkeit auch so gesichert ist?!] So muß es sehr auffallen, daß Nietzsche
für die Platonische Lehre das Gastmahl überhaupt nicht heranzieht,
für die Persönlichkeit findet sich folgende Stelle: Plato „sagt mit einer
Unschuld, zu der man Grieche sein muß und nicht , Christ', daß es
gar keine Platonische Philosophie geben würde, wenn es nicht so
schöne Jünglinge in Athen gäbe: deren Anblick sei es erst, was die
Seele des Philosophen in einen erotischen Taumel versetze und ihr
keine Ruhe lasse, bis sie den Samen aller hohen Dinge in ein so
schönes Erdreich hinab gesenkt habe." Dies gegen die Gelehrten-
verlegenheit, die den philosophischen Eros Piatons zu einer bloßen
Metapher verflacht
Nach dem Erscheinen dieser Übertragung ist der IIL Band der Philt>
logica erschienen. Trotz des reichen Materials über Plato bestätigen
sie nur den Eindruck aus den eigentlichen Werken Nietzsches. Unter
ADmerkungon {{{
lajigeu Besprechungen der übrigen Werke finden sich über das Gast-
mahl nur wenige Zeilen. (Darunter zu meiner Genugtuung der Satz,
der das Motto meines Unternehmens sein konnte: „Ganz falsch zu
glauben, daß Plato damit verschiedene verkehrte Richtungen habe
darstellen wollen : es sind alles philosophische koyoi und alle wahr,
mit immer neuen Seiten der Wahrheit.*') Bei der Darstellung der
Lehre wird aber wieder das Gastmahl außer acht gelassen. Woran
liegt das? Warum hat Nietzsche, so entgegen seiner Methode, das
Wesen Piatons mehr in den spczialistischen Untersuchungen, als in
dem vollsten, lebendigen und mythischen Ausdruck gesucht? —
Vielleicht hätte man von Rohde das Platobuch erwarten sollen. Er las
ein Kolleg über das Gastmahl. In der „Psyche" ist Schönes und
Tiefes über den Piatonismus gesagt, aber was Plato uns heute be-
deutet, ist nicht gesagt. — Jakob Burckhardt fehlte das Organ für
Platonische Philosophie.
Wenn ich so im Jahre 1912 beim Erscheinen dieser Übersetzung in
Verlegenheit war, auf eine hinlängliche Darstellung der Gestalt
Piatons hinweisen zu können, so darf ich heute das Buch eines mir
damals noch unbekannten Freundes nennen: „Piaton, Seine Gestalt"
von Heinrich Friedemann. Blätter für die Kunst. Berlin 1914. Eine
schönere Rechtfertigung meiner Übertragung konnte ich mir nicht
wünschen, als daß sie auf die Entstehung dieses Buches nicht ganz
ohne Einfluß blieb. Friedemann sieht nicht in historischer Enge, son-
dern auf dem Grunde des All die gewaltigen Umrisse des Heroen sich
abzeichnen, und so sehr er alle subjektiven Konstruktionen ver-
meidet und jede Behauptung ausführlich mit Dialogstellen belegt
und erläutert, so fühlen wir doch, daß er an der einmaligen Er-
scheinung nicht haftet. Seine Sicht der alten Gegebenheiten wird von
einer neuen Lichtquelle gespeist. Wir sehen in ihm «nicht den rück-
gewandten Gelehrten, wir ahnen und ehren in ihm den Adler, der
der neuen Reichsgründung, dem lebendigen Heros voraufflog. — Die
Hoffnung auf den" weiteren Ausbau dieser Entwürfe hat das Schick-
sal versagt. Ihm galt als Wesentliches an Sokrates, der Mitte der
Platonischen Religion, das Zusammenstimmen von Wort und Tat —
und damit sein Tod. „Was wäre Sokrates ohne seinen TodI" Ihm
selbst fehlte diese Frömmigkeit nicht, und als ob sie das äußere Ge-
schehen begierig erwarte, bot er sich in der Begeisterung eines
Hölderlinischen Jünglings dem Weltkriege dar. In einer der wenigen
Schlachten, die in klassischer Bildhaftigkeit neben den großen Schlach-
ten alter Geschichte nicht verbleicht, die ganz die Züge des Genius
trägt, der die Masse zwingt, in der Winterschlacht in Masuren ist er
gefallen. —
Dies über die Wertbestimmung, über das Suchen der Idee. Wer zu-
sammenhängende Belehrung über das Tatsächliche sucht, wird
Zellers „Geschichte der griechischen Philosophie*' und Gomperz
„Griechische Denker" benutzen. Emerson kann uns heute nicht
viel geben. Pater, der uns dichterisch reine Bilder der Antike
schenkte, zeigt sich im „Plato und Piatonismus" der Aufgabe nicht
112 Amnerkung'er:
gewachsen, wie aus dem unglücklichen Einfall, Plato als Essayisten
zu behandeln, folgt. Wüidelbands populärem „Plato" fehlt die
heroische Kraft. Ritter gibt eine ausführliche und kritische Zu-
sammenstellung ohne tiefere Deutung.
Natorp geht in „Piatos Ideenlehre" nicht von Piatons Persönlichkeit,
sondern von methodischem Idealismus aus. Da liegt Natorps leben-
diger Kern, und er zieht Plato in dies System hinein. Manches, was
für Plato wesentlich ist, erscheint ihm darum als bloße Verunreini-
gung der Lehre. Seine Auffassimg der Idee halte ich nicht für ganz
richtig, aber wer dies Problem zu ergründen sucht, wird diese tiefe
und gründliche Arbeit mit großem Gewinn lesen. Sie ist auf Friede-
manns Auffassung der Idee von Einfluß gewesen.
Von Walter Tritsch ist eine wertvolle und anregende Dissertation:
„Das künstlerische Element in der Platonischen Philosophie" er-
schienen- (Jena 1917.)
Heute ist jeder, der die unbedingte, dogmatische Anbetung der „Wissen-
schaftlichkeit" nicht mitmacht, in Gefahr, als Feind dieser voraus-
setzungslosen Unfehlbarkeit zu gelten. Wer die tieferen Grundlagen
kennen will, auf denen dies Buch ruht, den verweise ich auf das
„Jahrbuch für die geistige Bewegung" (bei v. Holten, Berlin) in seiner
Gesamtheit, femer auf Friedrich Wolters „Herrschaft und Dienst"
(ebenda). In einer spezialistischen Wissenschaft, die sich von allen
lebendigen Quellen abschneidet, müssen schließlich die Kräfte ver-
trocknen, aber eine Gefahr kann nur dann entstehn, wenn eine so ab-
gelöste Wissenschaft das Leben in seiner Gesamtheit l^eherrschen will.
Im Jahrbuch 1910 (vgl. oben) habe ich nicht tdie Wissenschaft, son-
dern die anti-griechische Gesinnung angegriffen (Hellas und Wilamo-
witz). Es wäre sinnlos, die Achtung vor einer auf das Sichere be-
schränkten Wissenschaft zu untergraben, nur soll man doch zugeben,
daß sie eben dieser Beschränkung wegen unserm Leben nicht alles
geben kann. Wenn man aber eine allgemeine Tendenz aus meiner Arbeit
herauslesen will, so kann sie nur auf der Gegenseite liegen : Gegen das
Ästheten tum, Literatentum, Geschmäcklertum. (Darin fühle ich mich
ganz einig mit Wilamowitz.) Nichts ist giftiger als ein solcher blasser
Ästhet, der abgestumpft von allen raffinierten Reizungen nun die Plato-
nische Prosa als letzten ästhetischen Reiz genießt. Wer in Plato nicht
das strenge Gebot zur Formung des Lebens ehrt, ist ein Feind Piatos.
inzwischen ist der „Plato" von Wilamowitz erschienen. Die Ironie des
Schicksals hat gewollt, daß Nietzsche, dessen schönstes Werk der junge
Wilamowitz verständnislos angriff, nun mit den eben (S. 111) zitierten
drei Zeilen seines Nachlasses die beiden das Gastmahl betreffenden Kapitel
des alten W. fortblast. W. beweist nur, zu welcher flachen Deutimg
man kommen muß, wenn man alle Gäste und Diotima dazu schul-
meistern wül. Auch sonst sagt uns das umfangreiche Werk nichts
über Platonf Wesen und Gestalt.
Zu S. 1. Plato als göttlich. Ich erinnere nur an Aristoteles, Frührenaia-
sance, Raffael, Goothe, Schopenhauer, Nietzsche.
S. 1. Die erste und dritte Gmppo ist nicht rein zu sondern, weil Plato
meist Mythen mit philosophischen Untersuchungen wechseln läßl. Die
AnmerkiiTiQ:en j j 3
großen Mythen sind enthaJIeu in: Apologie, Gastmahl, Phädros, Phfl-
don, Tirnäus, Kritias.
S.3. Demnach halte ich Zellers Bemerkung „es dürfte kaum auszu-
mitteln sein, warum uns Plato die Erzählung aus zweiter Hand mit-
teilen läßt" für zu skeptisch.
S. 5. Man traut seinen Augen nicht, wenn man in Zellers Erläuterungen
zum Gastmahl liest, daß Phädros „ein schwacher und urteilsloser
junger Mann" sei, „der seine erotische Begeisterung in geckenhafter
Weise zur Schau trägt".
S. 6. Agape ist die gütige, selbstlose Liebe, Freundschaft, Hoch-
schätzung, das Gewähren, nicht das Begehren. Dies Substantiv findet
sich nicht bei Plato, wohl aber das Verbum. Im ähnlichen Sinne werden
(piXia, xagii^sadai gebraucht, letzteres darum interessant, weil das Neu-
testamentliche Agape mit Caritas gleichgesetzt wird.
S. 7. Es folgen noch andre Reden auf Phädros, die aber vom Er-
zähler nicht überliefert sind. Auch das soll doch wohl heißen, daß
Phädros als Typus anzusehen ist.
S. 10. Zeller hat den hohen künstlerischen Wert dieser Aristophanischen
Erzählung mit Nachdruck und Wärme gepriesen. Gomperz kann ich
darin nicht recht geben, daß die Rede des Aristophanes (und ebenso
des Agathon) ein Ruhepunkt im Ganzen sei. — Daß dieser Mythos von
Plato erfunden ist, ist sehr wahrscheinlich. Den Anlaß oder wenig-
stens den Anknüpfungspunkt dürfte wohl Lysistrate v. 115/16 bilden.
S. 10. Daß Sokrates und Agathon sich wenig kennen, vgl. Kap. 3.
S, 12. Furtwängler fühlte richtiger als Schleiermacher u. Zeller. Vgl.
Anm. zum Titelbild.
S. 14. „Der Paulinische Hymnos" I. Korinther 13. Es ist bemerkenswert,
daß Paulus im folgenden Kapitel für das klare Wort im Gegensatz zum
ekstatischen Zungenreden eintritt, es ist also ein ähnlicher Gegensatz
wie zwischen Sokrates und Agathon, freilich ein sehr viel gröberer,
man möchte sagen barbarischer Gegensatz, wo es sich in Athen um
sehr feine Unterschiede handelt. Auch in der Stellung zur Ehe kann
man bei Paulus und Plato eine Parallele finden, eine gewisse Abnei-
gung, weil beiden die Ehe als ein Hemmnis im Dienste des Geistigen
Reiches gilt. Im Wesen ist aber der große Gegensatz zwischen Pauli-
nischer Agape und Platonischem Eros: Paulus will die Masse ge^
winnen, vertröstet sie aufs Jenseits, ist sinnenfeindlich; Plato will
das Schöne in voller Reinheit und Sinnlichkeit verwirklichen, im Dies-
seits, und er betrachtet die Masse als feindliche Gewalt,
S. 16. In der Logik des Sokrates findet sich folgende Ungenauigkeit :
Alles Gute ist schön. (201 C.) Wir lieben nur das Gute. (206 A.) Wir
lieben nicht eigentlich das Schöne. (206 E.) Dieser scheinbare Wider-
spruch läßt sich lösen, aber diese Art beweist doch, daß der Gedanke
nicht logisch, mathematisch erzeugt wird, sondern in einer tieferen
Form da ist und dann logisch gekleidet wird.
S. 16. Gut und Schön sind bei Plato keine festumgrenzten Begriffe und
ihre veränderliche Bedeutung könnte nur durch einen Vergleich in
allen Werken umschrieben werden. Hier genügt es, daß eine Unter-
pia t.o, Gastmahl 8
114 Anmerkungen
Scheidung zwischen „ästhetischer und moralischer Wdtanschauung"
in unserm Sinne dem Griechen jener Zeit nicht möglich war; die Ab-
straktion jener Zeit war noch nicht fortgeschritten genug, um einen
so gedankenlosen Unsinn zu entwickeln. Dem Griechen ist auch das
Wissen des Handwerkers Weisheit, auch die Kraft des Muskels Güte
(Tüchtigkeit), auch das Sittliche Schönheit.
S. 21, Ich erinnere nur an Hölderlin, C.F.Meyer, Feuerbach.
S. 21/22. Ich nehme für diese Stelle das fachmännische Urteil um so
lieber für mich in Anspruch, als ich dadurch die Mißdeutung abweise,
daß ich die exakt wissenschaftliche Methode zugunsten einer ästhe-
tischen Betrachtungsweise (oder mit welchem plumpen Schlagwort
man sonst meine Stellung treffen will) angreife. Ich bemühe mich
nur um ein echtes Verstehen der Sache selbst und lasse denen ihren
Dünkel, die mit gelehrter Miene ihre termini technici an Dinge, von
denen sie im Grunde nichts wissen, anhängen.
S. 23. Es gibt Gelehrte, welche nachweisen, ein wie klägliches Fiasko
die spartanische Erziehung erlitten habe. Selbst wenn man nicht die
ungeheure Bedeutung für das Menschentum (allein Olympia!) in Be-
tracht zieht, sondern nur die tatsächliche politische Macht durch
eine Reihe von Jahrhunderten, die dieser kleine Stamm gehabt hat,
bis er sich in seiner Aufgabe verbraucht hatte, so bleibt immer noch
genug. Man vergißt bei einem Vergleiche mit Rom immer, daß Rom
überhaupt keine Rasse bedeutet; von Anfang an nahm es fremde
Rassen auf und auch die römischen Kaiser waren zum kleineren Teil
Römer. Wer aber die Ausbildung des Menschen an sich meint, den
sollte man doch fragen, an welchem Maße er die Dorier bemißt.
S. 26. Pandemos und Urania. Vgl. Anm. zu S. 53.
S. 26. Für uns ist das Gebot der Aphrodite Urania als Gesetz der Ehe
wohl im Zarathustra am schärfsten formuliert : „Nicht nur fort sollst
du dich pflanzen, sondern hinauf I Dazu helfe dir der Garten der Ehe 1"
(Von Kind und Ehe.) Die Fragen Geschlechtsleben und Ehe sind heute
in Europa unendlich verwickelter und brüchiger als damals in Athen.
Selbst wenn wir vom plumpen Naturalismus der Liebe, wie er immer
in schlaffen Zeitaltern herrschen muß, nicht reden, so bleibt doch
auch bei den meisten höheren Menschen eine ganz sonderbare
Mischung der asketisch-christlichen Verurteilung des Sinnlichen und
einer romantischen, poetischen Verklärung desselben völlig unaus-
geglichen und sinnlos zurück. Ich kann darum keinen besseren Rat
zur Vorbereitung für diese Fragen im Gastmahl geben, als den: „Re-
alität und Gesetzlichkeit im Geschlechtsleben" von Marie Luise
Enckendorff (Leipzig 1910) zu lesen. Mit großer Sicherheit sind in
diesem Buche die Fragen offen gestellt, die Begriffe gereinigt, mit
tiefer Liebe ist alles Lebendige wieder auf das Kosmische, das Gött-
liche verwiesen. Vieles was in ihm von Suchen und Wünschen an-
geregt ist, mag dem Tieferdringenden gerade im Gastmahl beantwortet
erscheinen. Um so lieber erwähne ich dies Buch, als dadurch zugleich
jener Einwand gegen Plato widerlegt wird, er habe der Diotima eine
ganz unweibliche Betrachtungsweise beigelegt. Denn auch bei Marie
Anmerkungen I j^^
Luise Enckendorff sehen wir aus einer rein weiblichen Fühlweiae
eine Betrachtung von ganz männlichem Geist hervorwachsen. (Es
scheint mir, daß Marie Luise Enckendorff in dem andern Buche „Vom
Sein und vom Haben der Seele" dem Tone Diotimens, der ruhigen
Betrachtung des natürlichen Wachsens, noch näher ist.)
Es ist eine wenig begründete Befürchtung, daß durch solchen Aus-
tausch die Grenzen der Geschlechter verwischt werden. Diotima ist
klug und weise, doch ist in ihr nicht die Hingabe des Apollodor, die
Leidenschaft des Alkibiades für den irdischen Meister. Ihr Verhältnis
zum Göttlichen bleibt mehr fühlend und betrachtend, als empfangend,
zeugend, gestaltend.
S. 29. Ich verweise für die ganze Frage der Männerliebe noch auf
Herder, Ideen z. P. d. G. d. M. XIII, 4. und führe einige Sätze aus dem
Kapitel an: „. . . Nie hat ein Zweig schönere Früchte getragen als
der kleine Öl-, Epheu- und Fichtenzweig, der die griechischen Sieger
kränzte. Er machte die Jünglinge schön, gesund, munter; .... was
endlich das schätzbarste ist, er gründete in ihrem Gemüt jenen Ge-
schmack für Männerumgang und Männerfreundschaft, der die Grie-
chen ausnehmend unterscheidet. Nicht war das Weib in Griechenland
der ganze Kampfpreis des Lebens, auf den es ein Jüngling anlegte,
.... die Gedanken edler Jünglinge gingen auf etwas Höheres hin-
aus: das Band der Freundschaft, das sie unter sich oder mit erfah-
renen Männern knüpften, zog sie in eine Schule, die ihnen eine
Aspasia schwerlich gewähren konnte. Daher in mehreren Staaten die
männliche Liebe der Griechen mit jener Nacheiferung, jenem Unter-
richt, jener Dauer und Aufopferung begleitet, deren Empfindungen
und Folgen wir im Plato beinahe wie den Roman aus einem fremden
Planeten lesen Wie uns nun die Freundschaft der Jugend die
süßeste, und keine Empfindung dauernder ist als die Liebe derer, mit
denen wir uns in den schönsten Jahren unserer erwachenden Kräfte
auf einer Laufbahn der Vollkommenheit übten, so war den Grie-
chen diese Laufbahn in ihren Gymnasien .... öffentlich bestimmt."
Und über den unsittlichen Mißbrauch: „. . . allein auch dieser Miß-
brauch lag leider im Charakter der Nation, deren warme Einbildungs-
kraft, deren fast wahnsinnige Liebe für alles Schöne, in welches sie
den höchsten Genuß der Götter setzten, Unordnungen solcher Art un-
umgänglich machte."
Goethe hat, durch dies Kapitel Herders vorbereitet, in Rom die Wirk-
lichkeit gesehn, wo Herder in der Literatur blieb. Ich entnehme aus
einem Brief an Carl August (Rom, 29, XII. 87) folgende bedeutende
Stelle: „Nach diesem Beitrag zur statistischen Kenntnis des Landes
werden Sie urteilen, wie knapp unsre Zustände sein müssen, und
werden ein sonderbar Phänomen begreifen, das ich nirgends so stark
als hier gesehen habe, es ist die Liebe der Männer untereinander.
Vorausgesetzt, daß sie selten bis zum höchsten Grad der Sinnlichkeit
getrieben wird, sondern sich in den mittlem Regionen der Neigung
und Leidenschaft verweilt, so kann ich sagen, daß ich die schönsten
Erscheinungen davon, welche wir nur aus griechischen Überliefe.
8*
116 Anmerkungen
rungen haben (S. Herders Ideen) hier mit eignen Augen sehen und
als ein aufmerksamer Naturforscher das Physische und Moralische
davon beobachten konnte. Es ist eine Materie, von der sich kaum
reden, geschweige schreiben läßt, sie sei also zu künftigen Unter-
haltungen aufgespart."
Gegen diejenigen, die jenen männlichen Eros möglichst als eine
Besonderheit des Platonischen Kreises behandeln wollen, mögen
nur wenige Tatsachen erinnert sein. Der Mythos des Ganymed hat
schon bald nach der Homerischen Zeit erotische Bedeutung. Wich-
tiger ist noch der Kult : Das größte spartanische Fest gilt Hyakinthos,
dem Liebling Apolls. Man opfert Eros in Sparta, auf Kreta, nachdem
die schönsten Bürger in Schlachtordnung gestellt sind. Das Gym-
nasium von Samos ist ihm geweiht, in Athen steht sein Bild vor
dem Gymnasium usf. Also sieht das Gesamthellentum gerade wie
Plato den edelsten Eros in der männlichen Liebe. Jene extreme
Richtung (Pausanias), die den Eros zur Frau nicht gelten lassen
will, ist gerade im Gastmahl sonnenhaft klar bekämpft. Nach alledem
ist zu sagen: der moderne Begriff des „Platonischen Eros*' ist
gerade so sinnlos wie der entgegengesetzte der „Platonischen Liebe".
S. 30. Diese Tendenz, im Manne auch etwas Weibliches und im Weibe
das Männliche zu erziehn, ist gerade in jenen Epochen groß, wo man
ein erhöhtes Menschentum als höchsten Zweck des Menschen ansah;
man erinnerte sich neben Mann und Weib wieder der reinen Idee
Mensch (Renaissance. Goethe.) Dagegen ist in jenen Zeiten, die sich
ihrer realen Zwecke als oberstes Ideal rühmen, eine besonders scharfe
Sonderung der Geschlechter natürlich. Der Mann soll Geld oder
Macht verdienen, kann gar nicht trocken, unmusisch, fachspezia-
1 istisch genug sein, die Frau kaum genug naiv, genießend, ätherisch,
blumenhaft. Freilich muß diese Trennung, von der man eine gesunde
Spannung zwischen den Geschlechtern erhofft, in ihrer Übertreibung
dahin führen, daß die geistige Gemeinschaft aufgehoben ist. Dem Mann
ist alles Leben materiell, er hat keine Zeit zum Geistigen, oder sein
Geistiges wird ganz abstrakt; die Frau ist ausgehungert, fühlt sich
von der Welt abgeschnitten. Dann ist der rächende Umschlag unaus-
bleiblich. Wenn der Mann geistig und lebendig der Frau nichts geben
kann, ist es natürlich, daß sie flirtet und den Mann arbeiten läßt,
oder wenn ihr das nicht genügt, die Berufstätigkeit des Mannes nach-
ahmt, und wenn das verhindert wird, megärenhaft in dem vom Manne
gebauten Staate wütet.
S. 31. „Knabenliebe." Es ist daran zu erinnern, daß die Frau und
Priesterin ausdrücklich für das Höhersteigen die Knabenliebc fordert.
211. B.
S. 33. Kant. Hamann. — Vgl. Anm. zu S. 40.
S. 34. Alcibiades primus, Schluß und 124. „Wiedergeburt" ist nicht
genau, trifft aber den Sinn immerhin besser als das zu farblose
„Ruhm." Ich sehe keine überzeugenden Gründe gegen, aber sehr
wesentliche für die Echtheit dieses Gespräches.
S. 37. Ich verweise für diesen Begriff des Geistigen Reiches auf Fried
Aumerkuugfen 1 \ 7
rieh Wolters „Herrschaft und Dienst" und auf den Aufsatz „Gestalt"
desselben Verfassers im „Jahrbuch für die geistige Rewe^ung" 1011
(vgl. S. 111).
S. 38. Stellung des Pliädros. Da die Gegengründe subjektiver Natur
sind, und die exakte Sprachvergleichung die Nachstellung des Phär
dros bestimmt, so kann die Frage wohl als entschieden gelten. Ich
verweise auf Ritter: Plato (München 1910).
S. 38. Dämonisch. Goethe hat sich besonders im Jahre 1831 viel mit
diesem Betriff beschäftigt. Man vergleiche die Gespräche mit Ecker-
mann 2. fll, 8. III, 30. III, 20. VI. Ebenso 1828, 11. III.
S. 38. Wilamowitz hat 1911 in einem Vortrage (von dem mir nur ein
kurzer Bericht vorhegt) ausgeführt, daß Plato die Rede der Diotima
nicht als Ausdruck seiner wissenschaftlichen Überzeugung betrachtet
wissen will, Offenbarungen mögen noch so Großes und Schönes ent-
halten, Wahrheit werde nur in wissenschaftlicher Dialektik gefunden.
— Es scheint mir nicht sehr glücklich, Plato auf eine „wissenschaft-
liche", also doch teilhafte Überzeugung, festzulegen. An Urphäno-
mene soll man nicht mit konventionellen Scheidungen wie Wissen-
schaft und Poesie herangehen. Jedenfalls verkündet Diotima die
Platonische Wahrheit (was die moderne wissenschaftliche Überzeu-
gung nicht immer von sich rühmen darf). Man muß schon das
ganze Gastmahl, besonders aber die Stellen 199 B und 212 B auf den
Kopf stellen; und es scheint nicht einmal mehr nötig, noch auf die
Mania des „Phädros" und die Tatsache, daß dieser Dialog auf das
Gastmahl folgt, .-^u verweisen, um Wilamowitz zu widerlegen. Das
Beste an solcher gewaltsamen Umdeutung ist das merkliche Gefühl,
daß man sich vor Plato zu rechtfertigen habe.
S. 39. Die Platonische Idee der übergeschlechtlichen Liebe. Wem die
angedeuteten Beziehungen nicht verständlich smd, der möge lesen:
Dante, Fegefeuer, XXX. und XXXI. Gesang; Shakespeare, Sonnette
(etwa XVIII. und XXX.); George, der siebente Ring.
Neben diesen Dichtungen, deren Fühlweise klassisch ist, ist an Werke
von mehr romantischer Färbung zu erinnern, den Schluß des Faust
und Bettinens Briefwechsel mit Goethe.
S. 40. Die Trennung des Plato von Sokrates mag man gern mit der
allgemeinen geistigen Entwicklung in der späten Zeit vergleichen.
Mit einem solchen Vergleich soll selbstverständlich nicht die Persön-
lichkeit getroffen werden, sondern weiter nichts, als die Parallele der
großen Bedingungen. Kants Stellung hat eine Ähnlichkeit mit der des
Sokrates, das Größere des Piatonismus mag mit Hamann, Herder,.
Goethe bezeichnet werden. Hamanns eignen Vergleich habe ich oben
schon angeführt. Nun führe ich noch einen Brief von Kant an Ha-
mann an (zitiert nach Karl Vorländer, Kants Leben, Leipzig, bei
Felix Memer, 1911), ,,. . . ich bitte mir Ihre Meinung in einigen Zeilen
aus; aber womöglich in der Sprache der Menschen. Denn ich armer
Erdensohn bin zu der Göttersprache der anschauenden Vernunft gar
nicht organisiert. Was man mir aus den gemeinen Begriffen nach
logischer Regel vorbuchstabieren kann, das erreiche ich wohl." (1774. j
118 Anjnerkungen
Hätte Sokrates nicht ähnlich sprechen, können, wenn er den Phädros ge-
hört hätte, wenn er, der Schöpfer des Begriffes seinen Schüler von Mania.
und den göttlichen Gesichten der Seele hätte schwärmen hören?
S. 42. Vielleicht wird jemand sagen, meine Einleitung sei eine ästhe-
tische Betrachtung und habe mit Philosophie nichts zu tun. Ich meine
aber, der wird eine Grundlage der Philosophie gewonnen haben, der
das Gastmahl nicht in irgendeiner „Auffassung", sondern als 'leben-
diges, weiter wachsendes Gebilde in sich aufgenommen hat. Es
herrscht ja heute die Tendenz, aus der Philosophie eine Art Zentral-
bureau für alle Wissenschaften zu machen. Dann muß man ans Plato
herausklauben, was anderswo besser gesagt ist und den Gelehrten
Plato vom Künstler Plato säuberlich trennen. Plato ist aber nie das
oder das, er ist in jedem Worte Plato. 'Piatos Philosophie ist nicht
der oberste Schaum der Erkenntnis, sondern ganze Welt, wirkende
und erkennende Welt zugleich.
ZUM GASTMAHL. Ich folge in der Hauptsache der Ausgabe von
C. F. Hermann. Ich danke an dieser Stelle dem Freunde Wilhelm
Andreae, dem Platoforscher, für manchen Rat bezüglich der Les-
arten. — Schleiermachers Übersetzung scheint mir nicht deutsch
genug, Kassners gar zu wenig Platonisch. Mit diesen Grenzen wäre
mein Ziel angedeutet. Schleiermachers Übersetzung ist immer noch
sehr zu verehren und wie er habe ich nach unbedingter Treue ge-
strebt. Freilich glaube ich, daß man durch genaueste Wiedergabe
jeder kleinen Partikel einen ganz fremden Ton hineinbringt, schlep-
pend, unlebendig wird. Man muß nicht nur die Worte, sondern auch
den Tonfall, die Länge der Satzteile beachten. Um griechisch© Verbal-
formen mit ihren feinen Nuancen wiederzugeben, müßte man schwer-
fälhge Umschreibungen machen, dann findet der Grammatiker seine
Nuancen wieder, aber der Ton ist zerstört. Die indirekte Rede klingt
griechisch ganz anders als deutsch, die einfachen Infinitive kommen
der lebhaften Präsens-Erzählung nahe. Plato ist in der Verwendung
der indirekten Rede selbst nicht konsequent. So glaubte ich, ein
Recht zu haben, bisweilen etwas abzuweichen, um die Nähe und
Feme der Erzählung im ganzen um so genauer nachzuahmen. — Vor
allem habe ich aber vermieden, alles was dem modernen Empfinden
näher liegt, besonders zu unterstreichen, „künstlerische" Glanzlichter
aufzusetzen. Ich möchte zu Plato führen, nicht Plato dem modernen
Geschmacke anpassen. Kassners Übersetzungen mögen ihr Ver-
dienst haben. Er hat sich aber gerade im Gastmahl von einem
lyrischen „stimmungsvollen" Ton verführen lassen und darüber
das Gestaltete, Mythische verloren. Die Übersetzung ist recht für
den, der eine schöne Lektüre sucht, sie ist aber zu salopp für den,
dem es ernsthaft um Plato zu tun ist. Von andern Übersetzungen er-
wähne ich noch die Lemgo-Übersetzung (Meyersche Buchhandlung
1783). Sie kommt zwar an Plato bei weitem 'nicht heran, gibt aber
einen äußerst lebendigen Ton der Zeit ihrer Entstehung. Eduard
Zellers Übersetzung (Marburg 1857) hat gegenüber Schleiermachers
•chon den Vorzug eines besseren Deutsch, einer Befreiung von zu
Anmerkuugej) 1 1 9
sklavischer Silbonwiedergabe. Lehrs (Leipzig 1869) ist in Ton und
Satzbildung ebenfalls im ganzen sehr deutsch, bringt aber anderer-
seits eine unerträgliche Beimischung von Fremdworten. Die neueste
Übersetzung von Emil Müller scheint mir gegenüber den älteren eine
gewisse Verflauung zu bedeuten. Zwei Ausgaben nenne ich noch, die aus
äußeren Gründen dem jungen Menschen am leichtesten zugänglich sind
und nur daher eine besondere Bedeutung haben. Die eine ist die von
Oberbreyer, welcher die Schleiermachersche Übersetzung wiedergibt,
aber durch widerliche Anmerkungen beschmutzt. Die zweite ist die
von Prantl. Dieser macht seine eigene lederne Schulübersetzung durch
Anmerkungen, aus welchen unverhohlen der Haß gegen die Attische
Kultur spricht, nicht eben genießbarer.
Zu S. 43. „ApoUodor". Er tritt auch im Phädon auf, ähnlich wie
Kriton hängt er mehr einfach -menschlich als philosophisch an So-
krates. Er ist es, der am heftigsten schluchzt, als Sokrates stirbt.
S.43. „Glaukon". Er ist nicht identisch mit einer Person gleichen
Namens in andern Dialogen.
8.43. Agathon, der tiagische Dichter, ist um 445 geboren; Aristo-
phanes hat ihn einmal parodiert, dagegen erwähnt er ihn in den Frö-
schen als „tüchtigen Dichter". Der im Gastmahl gefeierte Sieg des
Agathon mit seiner Tragödie fällt ins Jahr 416. In diesem Jahre spielt
also das Gastmahl. — Agathon ging später an den Hof des Königs
Archelaos von Mazedonien. Aus dem Zusammenhange ist anzuneli-
men, daß dieses Gespräch zwischen ApoUodor und Glaukon etwa für
409 anzunehmen ist, denn 408 verläßt Alkibiades für immer Athen
und diese Tatsache ist im Einleitungs-Gespräch nicht vorausgesetzt.
S. 44. Kydathen heißt die südliche Region von Athen.
S. 45. Das Wortspiel geht in der Übersetzung verloren. „Der Guten"
ist gleichlautend mit Agathon. — Betreffend die übliche Spielerei mit
Homer-Zitaten vgl. Rias: II. 408, III. 179, XVII. 588.
S. 46. „Knabe" bedeutet hier natürlich Sklave, aber aus dem folgen-
den Worte Agathons geht ja deutlich hervor, daß dieser Ausdruck
hier zu plump wäre.
S. 48. Akumenos ist ein berühmter Arzt. Von Eryximachos ist ander-
weitig auch nicht mehr bekannt, als daß er ein Arzt ist.
S. 49. „Kein einziger der Dichter". Derselbe Gedanke bei Euripides,
Ilippoly tos 535. Man könnte diesen beiden Antigone, 781 entgegenhalten.
S. 49. „Nichts anderes als die Dinge der Liebe". Vgl. Lysis 204, Phä-
dros 249. Anklänge auch im Charmides, Protagoras, Gorgias.
S. 50. Hesiod. Theogonie 116.
S. 51. „Armee aus Liebenden." Dieser Gedanke wurde verwirklicht
in der heiligen Schar des Pelopidas.
S. 52. Achill. Die Entrückung auf die Inseln der Seligen entspricht
bekanntlich nicht der Odyssee, auch die erotische Deutung fehlt bei
Homer; ob sie bei Äschylos enthalten war, ist nicht bekannt.
S. 52. „Tüchtigkeit". Arete ist unübersetzbar. Tugend im Sinne von
Tüchtigkeit enthält etwas von dem Begriff. Man denkt heute aber zu
sehr an das Negative, an eine tugendsame Jungfrau. Die sehr aktive,
1 20 Anmerkungeii
ganz männliche Arete ist dem diametral entgegengesetzt. Güte enthält,
auch etwas von dem Begriff, aber nur, wenn sie nicht seelisch gefaßt
ist, sondern in dem Sinne der guten Qualität eines Materials. Dem
Worte Tüchtigkeit fehlt bei uns allerdings der Gedanke, daß sie das
oberste Gut überhaupt bedeute. Indessen ist doch von Goethe das
Wort vollkommen im Sinne der Arete gebraucht, nämlich als er von
Shakespeare (S. und kein Ende) sagt: „Die Wahrheit und Tüchtigkeit
seines Lebens ist die große Base, worauf sie (seine Werke) ruhen."
S. 53. Pandemos und Urania. Die scharfe Tremmng dieser beiden Göt-
tinnen ist im ursprünglichen Glauben nicht begründet; es handelt
sich vielmehr um zwei Kultnamen derselben Göttin. Pandemos bezieht
sich möglicherweise auf einen Kult, der bei der Vereinigung von ver-
schiedenen Demen zur Stadt Athen eingesetzt wurde. Trotzdem ist in
der Platonischen Zeit diese Scheidung des Pausanias schon fest über-
liefert. Solon hat der Aphrodite Pandemos, um die Ehe zu schützen,
ein öffentliches Haus von Hetären errichtet, dessen Besuch die Sitte
den Ehemännern verbot. Als Phidias in seiner Kunst die Vorstellung
von der Göttin ins Erhabene steigerte, knüpfte er an den alten Namen
der Urania an (sein Standbild der Aphrodite Urania in Olympia).
Damit ist die Differenzierung der himmlischen und der bürgerlichen
Göttin geschehen. Vgl. auch Einleitung.
Die Differenzierung zweier entsprechender Eroten ist wohl des Pau-
sanias Erfindung, wenn auch schon Pindar die Mehrzahl der Eroten
annimmt. — Pausanias' Rede scheint im Kern historisch. (Vgl. Xeno-
phon, Gastmahl.)
S. 55. Aristogeiton. Die Ermordung des Hipparch. Historiker wenden
gern und mit Recht ein, daß die Ermordung nicht unmittelbar die
Freiheit zur Folge hatte, aber in tieferem Sinne haben die Athener
doch wohl recht, dies Freundespaar als Symbol der Freiheit zu be-
trachten, denn in ihrer Tat kommt die Leidenschaft und der Stolz einer
hochgesinnten Jugend zur Erscheinung und diese Gesinnung ist doch
wohl die wirkliche Ursache der Befreiung Athens wie später Thebens.
S. 61. „Fuge des Bogens und der Lyra". Harmonie sagt im modernen
Gebrauch etwas zu wenig, sie bedeutet mehr Zusammenklingen als
das Festgefügtsein des Entgegengesetzten. In dieser Anwendung des
Wortes Fuge folge ich Friedrich Wolters (vgl. oben). Zeller sagt ähn-
lich: Gefüge.
Diese Worte des Heraklit gelten meist als kaum verständlich. Dein-
hard hat folgende geistreiche Deutung gegeben (zitiert nach Jung,
Piatos Gastmahl) : Bogen und Leier bilden zusammen eine Harmonie,
nämlich als Symbol der gymnastischen und musischen Erziehung. Als
Erklärung fügt er die Verse des Horaz an:
quondam cithara taceiitem
suscitat Musam neque semper arcum
tendit Apollo.
Diese Erklärung ist gewiß schön, aber wohl zu geistreich, um glaub-
haft zu sein. Wie weit ist Heraklit von Horaz entfernt I Die gymna-
stische Erziehung hat wenig mit dem Bogen, und Heraklit wenig mit
Anmerkung-en 1 2 1
dor gymnastischen Bildung zu tun. Das te xcu, auf das sich D. bo-
sonders stützt, fehlt in einer andern Überlieferung, die in Diels Frag-
menten der Vor-lSokratiker als gültig angegeben ist. Es mulj also bei
der alten Auffassung, Fuge des Bogens und Fuge der Leier bleiben,
der alten und, wie ich glaube, tieferen Auffassung. Denn wo wäre
ein tieferes Sinnbild der entgegengesetzten und doch sich nicht auf-
hebenden, sondern zu ganz neuer Wirkung gebundenen Kräfte, als
Bogen und Sehne, die den Pfeil in die Ferne schnellen. (Freilich ist
einer materialistisch-energetischen Zeit ein einfaches Summieren
gleichgerichteter Kräfte leichter verständlich als die schöpferische
Synthese entgegengesetzter Kräfte). Dieser Sinn des Spruches, der
eben nichts mit dem Musikalischen zu tun hat, springt mit dem Worte
Fuge viel deutlicher heraus als mit dem Worte Harmonie. Allerdings
muß ich zugeben, daß hierdurch das Mißverständnis des Eryxiraachos
noch etwas krasser erscheint.
S. 61. Polymnia. Daß Eryximachos an Stelle der Aphrodite die Musen
setzt, ist begreiflich, weil er ja nicht vom Geschlechtlichen spricht.
Diese Auffassung der Namen der Musen ist willkürlich. Daß Plato die
Polymnia, die Muse der vielen Lieder, der Pandemos parallel setzt,
ist aus seinen Ansichten über die Musik leicht zu verstehen. — Die
Ausdehnung des Begriffes Eros auf die Gesamtkraft der W^elt erinnert
etwas an Empedokles.
S 64 Der folgende Mythos ist wahrscheinlich von Plato erfunden. —
Der Vergleich der Geschlechter mit den Gestirnen kommt im Deut-
schen nicht so glücklich heraus, weil bei uns perverserweise die
Sonne weiblich und der Mond männlich ist (im Alt-Hochdeutschen ist
meist die Sonne männlich, der Mond weiblich).
S. 65. „Sackhüpfen". Wettspiel beim Dionysos-Fest; man hüpfte mit
einem Bein aui einem eingeölten Weinschlauch.
S. 66. Zikaden. Die Zikaden zeugen natürlich nicht in den Boden, son-
dern sie legen nur ihre Eier mit dem Legestachel in den Boden hinein.
Genauer wäre also der Vergleich mit Fröschen und Fischen gewesen,
die erst die bereits abgesetzten Eier befruchten. Aber mit den Zikaden
verbindet sich die mythische Vorstellung der Autochthonie, des Erd-
geborenen.
S. 66. „Gegenstück", eigentlich Symbol. Gastfreunde zerbrachen beim
Scheiden einen Würfel, damit sie und ihre Nachkommen sich an den
Bruchstücken erkennen konnten.
S. 67. „Buhlerinnen". Manche meinen, es seien Tribaden gemeint unö
in der Tat wäre dann der Sinn viel einfacher. Aber auch mit der ux
sprünglichen Bedeutung Buhlerin gibt es Sinn. Aristophanes meint —
natürlich in scherzhafter Übertreibung: Die Männlichen brechen ihre
Ehe nicht, weil sie keinen Trieb zum Weibe haben; die Mannweib-
lichen haben immer den Trieb, die Ehe zu brechen; die Weiblichen
brauchen die Ehe nicht und gerade darum machen sie aus der Liebe
zu Männern ein Gewerbe; ein Gegenstück zur ersten Gruppe, den
Männlichen, die ohne Trieb zum Weibe doch aus staatlicher Rück-
siebt die Ehe schließen.
122 Anmerkungen
S. 68. „Gleich wie die Arkader". Diese Stelle spielt in der Geschichte
der zeitlichen Bestimmung des Dialogs eine große Rolle. Im allge-
meinen bezieht man sie auf das Jahr 385/84. Die Spartaner hoben
Mantinea auf und siedelten die Einwohner zerstreut an. 371 stellt
Epaminondas die Stadt her. Also begeht Plato einen Anachronismus,
da das Gespräch ja viel früher gedacht ist. Er muß aber den Dialog
zwischen 85 und 71 geschrieben haben. Zeller ninmit an, bald nach
85, als das Ereignis noch im frischen Gedächtnis war. Lehrs meint
dagegen: lange nachher, weil dann der Anachronismus weniger kraß
sei. Wilamowitz bezieht die Erwähnung auf die Aufhebung des arka-
dischen Bundes 418, wogegen Räder erinnert, daß der Ausdruck öiq)-
xia^fuv nicht dazu paßt.
S. 71. Ananke. Die Notwendigkeit, der innere und der äußere Zwang.
Schon frühzeitig als Göttin gedacht, ähnlich den Moiren, aber nicht
wie sie kultisch verehrt — Hesiod, Theogonie. Von Parmenides ist eine
entsprechende Stelle nicht bekannt.
S. 71. „Ate". Göttin der Verblendung. (II. XIX, 92.)
S. 73. „Eros besonnen vor allen". Man kann hier zweifeln, ob es sich
um einen scherzhaft-sophistischen Schluß handelt, oder ob an die
Wahrheit gedacht ist, daß der Liebe zur Erreichung ihrer Zwecke die
erstaunlichste Unterdrückung anderer Leidenschaften gelingt.
S. 73. „Schöpfung". Dies Wort gibt das griechische Poiesis gut wieder,
wobei allerdings die eine Differenz etwas stört, daß Schöpfung erst
in zweiter Linie, Poiesis in erster Linie das Spezielle, nämlich die
Dichtung bedeutet.
§. 74. Die Herkunft der Verse „Frieden unter den Menschen" ist nicht b^
kannt; vielleicht bedeuten sie kein »Zitat, so^ndern einen Einfall Agathons.
S. 74. Agathen ist der erste, der den Gott als Gestalt zu geben versucht.
Es scheint nicht überflüssig, über die bildhafte Vorstellung des Eros
in jener Zeit einige Andeutungen zu geben, da heute selbst hervor-
ragende Gelehrte solche Fragen etwas lässig behandeln und sich jenen
Eros als einen lustigen, schalkhaften Buben vorstellen. Man muß
aber für jene Zeit die Alexandrinischen flatternden Putten mit Pfeil
und Bogen strengstens abweisen. Allerdings wird Eros auch auf den
attischen Vasenbildern oft klein dargestellt, aber nicht in kindlichen
Proportionen, sondern als verkleinerte Gestalt, schwebend, nach Art der
entweichenden Seelen. Viel wichtiger sind für uns die Bilder des
strengen Stils im Anfang des 5. Jahrhunderts, wenn Eros allein, nicht alsl
Nebenfigur gezeichnet ist; dann ist er der anmutig-herbe Jüngling mit
Blumen, Lyra, Bändern. (Titelbild.) — Ein besonderes Glück für uns
ist die Erhaltung des herrlichen Reliefs am Thron des Priesters im
Dionysos-Theater zu Athen. Eros hat hier Kampfhähne in der Hand,
eine Verherrlichung des Agons, die zu der harten und unchristlichen
Auffassung des Plato so schön paßt. — Wie fern dem Platonischen
Eros noch der Bogen liegt, geht aus Diotimens Vergleich des Eros
mit einem Jäger hervor, denn hier wird nicht von Pfeil, sondern
von Netzen gesprochen. Allerdings ist in der Platonischen Zeit die
Verwandlung des Eros schon vorbereitet, es scheint, daß Euripides den
Anmerkangen 123
Aiisfoß gab. Bei Praxiteles ist der Bogen schon da, aber er bildpl
noch ganz den schönen Jüngling und er muß wohl (wenn wir aus
dem Genius von Centocelle im Vatikan und einem erhaltenen Epi-
gramm schließen dürfen) dem Bilde des Agathon sehr nahe gekommen
sein. — Erst Lysipp (oder Skopas ?) bringen den Übergang zum bogen-
spannenden Kinde.
S. 75. Des Gorgias Haupt; vgl. Homer Od. XI, 634.
„Fürchtend, es sende mir jetzo die strenge Persephoneia
Tief aus der Nacht die Schreckengestalt des Gorgonischen Unholds,
Floh ich eilend von dannen "
Es ist bekannt, daß der Anblick des Hauptes der Gorgo (Medusa) ver-
steinert. Das Wortspiel kommt im Deutschen weniger zur Geltung;
im Original klingen die Genitive von Gorgias und Gorgo ähnlich.
Natürlich ist es Sokrates weniger um den Wortwitz als um das Bild
zu tun; denn wirklich mochte er sich fast gelähmt fühlen von dieser
musikalischen Stimmung, die alle bezaubert.
Gorgias aus Leontinoi (Sizilien) ist neben Prodikos das Haupt der
Sophistenschule; er ist philosophisch weniger bedeutend als dieser,
aber der Meister einer glänzenden Rhetorik. 427 wird er als Ge-
sandter nach Athen geschickt, wo er nicht nur politisch, sondern
auch als Lehrer der Rhetorik einen günstigen Boden findet. Mehi'mals
kehrt er später dorthin zurück. Für die Frage Sokrates — Agathon im
Gastmahl ist Piatos Urteil über Gorgias von Bedeutung. Im Dialog
Gorgias ist er durchaus nicht verächtlich behandelt, das Lächerliche
fällt ganz auf den dazwischengeschobenen Schüler Polos. Gorgias be-
kundet Interesse an der Weitelführung des Dialogs, in welchem er
Sokrates die Führung überläßt. Daraus geht hervor, daß Plato den
hochberühmten Sophisten nicht für sehr eitel oder geistig leer hält.
S. 76. „Die Zunge also". Hippolytos 617.
S. 79. Diotima. Wir wissen von ihr nichts anderes, als was im .Gast-
mahl enthalten ist; Vasenbilder, die sie zugleich mit Sokrates zeigen,
beziehen sich also wohl ebenfalls hierauf.
S. 80. Doxa, der wichtige und nicht unwandelbare Platonische Begriff.
Er begreift die empirische Wissenschaft in sich. Die Übersetzung „Vor-
stellung" gibt ihn besser wieder als „Meinen". Meinen enthält nicht
das sinnliche Element. Wer von Goethe die richtige Vorstellung (in
weitem Sinne) hat, kann daraus die richtige Meinung ableiten. Wer
aber nur die richtige Meinung hat, Goethe sei ein großer Dichter, hat
im Grunde nichts.
S.SO.Amathia bedeutet 1. Falsche Vorstellung. 2. Nichtwissen. 3. Die
Eigenschaft Dummheit. Dies alles läßt sich mit dem ebenfalls mehr-
deutigen „Torheit" wiedergeben.
S. 81 . Dämonisch, vgl. Einleitung.
S.81. „Reichtum" ist hier nicht im Sinne des Geldes, sondern von allem
lebendigen Reichtum zu verstehen, mit seinen Folgen: Macht, Mittel,
Erfolge. — Auch dieser Mythos ist wohl von Plato erfunden.
S. 83 Glücklich, Eudaimon. Plato ist also ein so überzeugter Eudai-
cnom'st, daß er hier überhaupt keine Frage gelten läßt. Es dürft© auch
124 Anmerkungen
schwer fallen, an Stelle des Eudämonismus ein anderes lebendiges
Prinzip zu setzen. Etwas ganz anderes ist es mit dem Hedonismus,
den man freilich mit jenem vermischt, Eudaimon ist nicht zu über-
setzen. Es liegt in ihm die Erfüllung der inneren Bestimmung. Man
muß hierbei nicht an die flüchtige Lust, sondern an den Daimon, die
unwandelbare Persönlichkeit denken. Goethe hat in den orphischen
ürworten diesen Begriff in seiner Größe gefaßt,
S. 84. Schöpfung, vgl. Anmerkung zu S. 73.
S. 84. „Eine Lehre", bezieht sich auf die Rede des Aristophanes.
S. 85. „Zeugen und gebären". Hier in seinem tiefen lebendigen Sinne
als fast identisch genonmaen_, wofür die griechische Sprache mit ihren
doppeldeutigen Ausdrücken die natürliche Vorbedingung gibt. Ich
glaube, daß auch dies ein bedeutsamer Beweis für das ist, was ich
oben über die Scheidung und Vermischung der Geschlechter gesagt habe.
S. 85. Moira, die Göttin des Schicksals. Ihr Begriff ist dem der Ananke
verwandt, aber sie wird kultisch verehrt. (Ananke wird bisweilen als
Mutter der Moiren bezeichnet). Eileithyia ist die geburtshelfende
Göttin, teils als besondere Göttin verehrt, teils der Artemis oder
andern Göttinnen gleichgesetzt. — Zur Ergänzung des Früheren kann
noch gesagt werden, daß Aphrodite Urania in Athen auch als die Älteste
der Moiren aufgefaßt wurde und als solche Heiligtum und Kult besaß.
B. Schmidt gibt im „Volksleben der Neugriechen" an, daß heute noch
Frauen, die schwanger werden wollen, an einem Felsen in der Nähe
der Kallirrhoe sich reiben und die Moiren anrufen. Diese Stelle ist
nicht weit von dem eben erwähnten Heiligtum. (Ich kann augenblick-
lich nicht angeben, von wo ich diese Notiz übernommen habe.) Offen-
bar kommt der Moira mehr die Erzeugung, die Pflanzung des künf-
tigen Geschicks zu, der Eileithyia nur der Geburtsvorgang als solcher.
S. 87. „Nachsinnen". Diese Vorstellung erinnert an die Lehre im Me-
non, daß alles Lernen nur ein Wiedererinnern des vor der Geburt
Gelernten ist. Aber die Ausdrücke und auch der Zusammenhang ver-
bieten, diese Stelle wirklich auf jene Lehre zu beziehen, denn die
VViedererinnerung bedeutet Seelenwanderung, Ewigkeit der Einzel-
seele, und hier ist ja gerade davon die Rede, daß man nur durch
Zeugung weiterlebt.
S. 90. „Letzte Schau". Niemand wird verkennen, daß hier von der
Ideenlehre die Rede ist; es würde aber nötig sein, die Ideenlehre im
großen aufzurollen, wenn wir diese Fra^e hier verfolgen wollen.
S. 92. „Schattenbild." Eidolon, Schatten in der Unterwelt, Truggestalt,
Götzenbild. Bei Plato Abbild im Gegensatz zur Idee, Urbild. — Viel-
leicht liegt hier eine Erinnerung an Ixion zugrunde, der statt der Hera
ein Wolkenbild umarmte und mit ihm die Kentauern zeugte.
S. 95. „Acht Becher". Ich finde die Maße verschieden angegeben, sie
betragen zusammen wahrscheinlich etwa zwei Liter, wobei zu be-
denken ist, daß der Wein mit etwa zwei Teilen Wasser verdünnt ist.
S. 95. Der Hexameter : IL XI, 514.
S. 96. Silen, Satyr. Marsyas wird meist als Silen bezeichnet und so
könnte es scheinen, als ob Plato diese Worte willkürlich vermischt
Anmerknng'eii ^05
gebraiichl. Aber die Frage liegt anders und sehr kompliziert. Silenen
sind ursprünglich pferdeähnliche Wesen, Begleiter der phrygischen
Kybelo, dann auch in Nordgriechenland des Dionysos. Als Sölme die-
ser Silenen gelten in Nordgriechcnland die Satyrn. Nun findet iü
Athen bei der Entstehung der Tragödie und des Satyrspiels eine merk-
würdige Vermischung statt (vgl. Wilamowitz, Einleitung in die griechi-
sche Tragödie). Diese tragischen Spiele entwickeln sich nämlich aus
den Bockschören des Peloponnes, den Dithyramben, die Böcke sind
dem Pan nachgebildet, Panisken (oder Pan nach ihnen umgestaltet?).
Diese gehen aber nicht in das attische Satyrspiel über. Hier bleibt der
Silen und der Satyr. Der Silen wird zum alten, dickbäuchigen, wein-
seligen Trinker; der Satyr ist jünger, nicht mißgestaltet, seine Tierheit
nur durch die gespitzte Ohrmust:hel und durch den kleinen Schweif
angezeigt. Wenn man dies weiß, so erscheint es ganz natürlich, daß
Plato den Marsyas als Satyr und nicht als Silen bezeichnet. Dagegen
ist es ein späteres Mißverständnis, wenn man infolge der Vermischung
dieser Begriffe den Marsyas als Panisken, d. h. als Bocksgestalt bildet.
Auch in die moderne Kunst ist ja der Satyr in der Bocksgestalt des
arkadischen Panisken übergegangen. Dies hat aber mit der Vorstel-
lung des Plato nichts mehr zu tun.
S. 97. Flötenspiel. Auch diese Stelle ist für Piatos Vorstellung von der
Musik bezeichnend. Die berauschende Gewalt der Musik erkennt er
an, ja er betrachtet sie als etwas Göttliches. Aber er selbst schreibt
sich die viel größere Kraft zu, dieselbe Wirkung mit dem nackten
Wort zu erreichen. Es wiederholt sich hier also der Mythos von
Apollo und Marsyas auf einer höheren Stufe.
S. 103. Feldzug gegen Potidäa (auf der Halbinsel Chalkidike). 432.
S. 103. „In Gedanken versunken". Eine ähnliche, wenn auch weniger
lange Versonnenheit ist schon im Anfang des Gastmahls erzählt. So
wird durch die gegenseitige Unterstützung der Berichte der Eindruck
der Wahrheit erhöht. Wahrscheinlich hat Plato diese Zustände des
Sokrates hier so betont, weil er in ihnen einen Ausdruck des
Dämonischen sieht.
S. 104. Schlacht bei Delion. 424. Schwere Niederlage durch Theben.
Laches ist als Feldherr bekannt, ist aber an dieser Schlacht als Ge-
meiner beteiligt.
S. 104. Vers des Aristophanes. Wolken, 360. Plato bricht dem Verse
die Spitze ab, indem er den Vorwurf leerer Eitelkeit in ein hohes Lob
der Tapferkeit verwandelt. — Die Wolken mit ihren recht schweren
Angriffen auf Sokrates werden 423 aufgeführt. Das Stück fiel durch.
414 folgt noch eine harmlose Bemerkung in den Vögeln, ebenso 405
in den Fröschen. Über das persönliche Verhältnis von Sokrates und
Aristophanes ist sonst nichts bekannt. Daß die Wolken mittelbar zur
Hinrichtung des Sokrates beigetragen haben, ist weder zu beweisen
noch auszuschließen.
S. 105. Brasidas. Der Held und Feldherr von Sparta. Daß der Vergleich
während des peloponnesischen Krieges einen Spartaner betrifft, ist
für Alkibiades und Plato bezeichnend (vielleicht richtet Plato auch
126 Aum erklingen
damit eine Spitz© gegen Lysander, der jenen an äußeren Erfolgen so
sehr übertrifft und auch wirklich göttliche Verehrung genoß). — Diese
Stelle ist auch ein lebhafter Ausdruck dafür, wie lebendig, d. h. weder
literarisch noch romantisch Plato die Homerische Dichtung aufge-
nommen hat, und andererseits mit wie hohem Selbstgefühl er die
Gegenwart an den Homerischen Helden bemißt.
S. 105. Fell eines Satyrs. Ich scheine hier der Anmerkung zu S.96 zu
widersprechen, wenn ich hier Fell Und nicht Haut übersetze. Aber
offenbar springt Alkibiades hier von den mythischen Wesen auf die
Schauspieler über, sei es, daß er sie als pferdeartige Silenen ver-
kleidet denkt, sei es, daß er an jene denkt, die (wie ein Überrest der
Entstehung des Satyrspiels aus den Bockschören) ein Bocksfell um-
geworfen haben. Die so unvermittelt hervorspringenden Bilder sind
der Redeweise des trunkenen Alkibiades recht angemessen, sie wir-
ken nach seinen sehr ernsten Worten selbst wie ein Satyrspiel und
geben so in doppelter Beziehung dem Sokrates den Anlaß zu seinem
folgenden Scherz.
S. 107. „Wehe", lov, Agathon, der Tragöde, Wendet den in der Tragödie
üblichen Ausruf des Schmerzes an. Allerdings ist derselbe Laut auch
bisweilen Ausdruck der Freude; mir scheint hier aber der Scherz viel
feiner, wenn Agathon seinen Liebhaber und zugleich Nebenbuhler
ironisch-pathetisch bemitleidet, als wenn er gar zu kindhaft seine
Freude über die Verheißung des Sokrates ausdrückt.
ANMERKUNG ZUM TITELBILD DER VORZUGSAÜSGARE.
Die Abbildung ist (wenig verkleinert) mit Genehmigung des Verlages
von Guttentag (Berlin) aus der IV. Lieferung von Benndorf: Griechi-
sche und Siziiische Vasenbilder entnommen. — Die Lekythos, der das
Original angehört, stammt aus Gela und befindet sich heute in der
Sammlung Navarra in Terranova. Die Figur ist rot auf schwarzem
Grunde, mit hellbrauner Innenzeichnung. (Bull. d. inst. 1867. p.231.) Sie
trägt den Stil des reifen Archaismus. Benndorf sagt über das Bild:
„ . . . . sehr fein und streng ausgeführt und überrascht durch eine
Größe der Auffassung, welche unter den zahlreichen im Grundgedanken
sich berührenden oder deckenden Darstellungen kaum ihresgleichen
finden dürfte. In mächtiger jugendlicher Gestalt mit schön gelocktem
umbundenen Haar schwebt Eros in den Lüften leyerspielend nicht be-
ziehungslos im unendlichen Raum, sondern durch Ohr und Auge
wahrgenommen als himmlische Erscheinung, im Begriff, sich auf die
Erde herabzulassen."
Mit Genugtuung finde ich, daß Furtwängler (Eros in der Vasenmalerei.
München 1875. — S. 15) bei diesem Eros, den er „das schönste, ja
großartige Produkt dieser Art" nennt, an Agathons Rede im Platoni-
schen Gastmahl gedacht hat.
Literaturübersicht.
Von Otto Apelt.
Gastmahl.
Von Ausgaben nenne ich außer den Gesamtausgaben von
Bekker, K. F. Hermann, den Zürichern, Stallbaum, Schanz und
I. Burnet folgende Einzelausgaben:
F. A. Wolf, mit kritischen und erklärenden Anmerkungen, Lpi;.
1782, mit Zusätzen eines Ungenannten. Lpz. 1828.
F. Ast. Landshut 1809.
P. A. Reynders. Groningen 1825.
L. J. Rückert. Lpz. 1829.
A. Hommel. Lpz. 1834.
Griechisch und deutsch mit erklärenden Anmerkungen 2. Aufl.
Lpz. 1853 bei Engelmann.
0. Jahn, Bonn 1864.
G. F. Rettig, mit Kommentar. 2 Bde. Halle 1875. 1876.
C.Schmelzer, mit erklärenden Anmerkungen. Berlin 1882.
A. Hug, mit umfassender Einleitung und Erklärung. 2. Aufl.
Lpz. 1884.
Von Übersetzungen nenne ich außer den Gesamtübersetzun-
gen von Schleiermacher, von H. Müller, von der Metzlerschen, Lan-
genscheidtsehen und Diederichsschen Sammlung die Einzelübersetzun-
gen von F. Ast (Jena 1817), von E. Zeller (Marburg 1857), von
K. Lehrs (Lpz. 1870).
Zur Erläuterung.
Alberti, E. Ztschr. f. Philos. und phil. Kritik N. F. 51 (1867), 29ff.,
169 ff.
Boeckh, A. De siraultate Piatonis et Xenophont. Kleine Sehr. IV
p. Iff., Vir p. 585 f.
Brede, Die Ethik des pl. Symposion. Eckernförde 1870.
Crain, P. De ratione quae inter Phaedrum Symposiumque inter-
cedat. Diss. Jena 1905.
Creuzer. F. Über Pls. Sjmp. in „Zur Gesch. der gr. u. röm. Lit.*'
Lpz. 1847. p. 107—162.
128 Literaturübersicht.
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lesungen. Jena 1869.
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und Symp. Prg. Birkeafeld 1882. 18 S.
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Hartmann, H. L. Chronologia Symp. PI. Prg. 1798. 30 p. 4*.
Hartmann, H. L. Prolusio de raytho Aristoph. in Symp. PI. Prg.
1799. 14 p. 40.
Hartmann, H. L. Prolusio de mytho Socr. in Symp. PI. Prg.
1803. 15 p. 4°.
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gen 1888. 99 p.
Zimmermann, L. C. Ausführliche Erklärung des pl. Gastm. Prg.
Darmstadt 1830. 15 p. 4^
Plato, Gastmahl. 9
130
REGISTEE
(a bedeutet Anmerkung, die folgcude Zahl bezieht sich auf die Zahlen am Kopf
jeder Anmerkung. Die anderen Zahlen bedeuten die Seiten ; soweit sie sich auf di«
Einleitung beziehen, sind sie eingeklammerte
Abfassung'szeit des Gastmahls a68.
Achill 52. 88. 105.
Admet 88.
Agamemnon 45.
Agape [5. 6. 14]. a 6.
Agathon. Zuerst 48. [10—13.] a 43.
Ag-on [41].
A. in der Liebe [7J.
(Wettkampf) 57.
Ajas 102.
Akumenos 48.
Akusilaos 50.
Alexandrinische Eroten a74.
Alkestis 51. 88.
Alkibiades. Zuerst 43. [21. 32—36].
(Dialoge) 34. a34.
Ananke 71. 74.
Antenor 105.
Aphrodite 50. 73. 81.
A. Urania u. Pandemos 53. [26 —
29]. a26. a53. a85.
ApoUo 65. 73. [33]. a61.
ApoUodor. Zuerst 43. [2J. a43.
Archelaos a43.
Ares 78.
Arete [Tüchtigkeit] 57. 92. a52.
Arkader 68.
Aristodem. Zuerst 44.
Aristogeiton 55.
Aristophanes. Zuerst 47. Zitat 104.
[8 u. f. 23. 40.] a 7. a 104.
Armee aus Liebenden und Ge-
liebten 51.
Äschylos 52.
Asklepios 60.
Ate 71.
Athene 73.
Autolykos [28].
Banause 81.
Bänder [Tänien]. 93—95.
Barbaren 55.
Benndorf. Anm. zum Titelbild.
Böotien 55.
Brasidas 105.
Brunst 85. 86. 89.
Burckhardt [111].
Chaos 50.
Charmides 106.
Cikaden 66.
Dämonisch 81. 102. [17.37.38]. a38.
Deinhard a61.
Delion 104.
Diokles 106.
Dion [89].
Dione 53.
Dionysos 47. 50.
Diotima. Zuerst 79. [18. 31].
Dorier a23.
Doxa [Vorstellen] 80. a. 80.
Ehe 54 u. E. 67. [26—29. 31]. a 80.
Ehebrecher 66.
Eileithyia 85.
Elis 55.
Emerson [110].
Enckendorff a26.
Ephialtes 65.
Erinnern 87.
Eros.
E. und Agape [5. 6].
E. ein Dämon 81. 83. [17].
E. in der Dichtung 49.
Doppelnatur des E. 82.
E. zum Göttlichen [32. 34].
Kardinaltugenden des E. 72 — 73.
E. eine kosmische Kraft 60 — 62.
Kult des E. 64. [9]. a29.
E. in der bildenden Kuiist a 74.
E. die Leidenschaft [9]. 67. 68.
Mythologie des E. 50. 71.
Objekt des E. 77.
E. zur Seele 89. 90.
E. bei Tieren 86.
Unvollkomraenheit des E. 78.
Kegifltor
131
Eros.
Zeugung des E. 81.
Eryximachos. Zuerst 46. [4. 8 u. f.]
Eudaimonia 83. a 88.
Euripides 49, a 74.
Citat 76.
Euthydemos 106.
Flötenspieler 48. 93. 97.
Fortpflanzung (und Unsterblich-
keit) 85—90.
Frauen s. u. Weibliches.
Fuge 61.
Furtwängler a 12. Anm. zum Titel-
bild.
Ganymed a29.
Gea 50.
Geistige Kindschaft 89—92.
Gesetz für die Liebe in verschiede-
nen Staaten 54 — 56.
Giganten 65.
Glaukon 43.
Glaukon [Vater des Charmides] 106.
Glück [Eudaimonia] 83.
Gomperz [29. 39. 111]. a7.
Gorgias 75. [15]. a 75.
Gorgo 75.
Göthe [25. 33. 109]. a 29. a 52
a83.
Gutes und Schönes 79. 83. [16]. a 16
Hades 52. 68.
Hahn (Johann Georg [29].
Hamann [33]. a40.
Harmodios 55.
Harmonie a61.
Heilkunde 60.
Hektor 52.
Hephäst 67. 73.
Herakles 49.
Heraklit 61. a61.
Herder [33], a29.
Hesiod 50. 71. 89.
Himmelskunde 62.
Hipparch a55.
Homer 45. 52. 65. 71. 75. 89. 95.
al05.
Horaz a61.
Hyakinthos a29.
Jahrbuch für die geistige Bewe-
gung [112].
Japetos 71.
Ideeulehre 91. 92. [20J.
Indirekte Rede [118].
Insel der Seligen 52.
lonien 55.
Kant [33]. a40.
Kassner [118].
Knabenüebe 54. [21 u. f.]. a29.
Albanesen [29].
K. und Philosophie 57—58.
K. und Staatsleben 67.
Goethe [25]. a29.
Herder a29.
Kodros 88.
Komödie 108. [41].
Kritobulos [23].
Kriton a43.
Kronos 71
Kydathen a44.
Laches 104.
Lakedäraon 55. 68. 89. a28.
Lautenspieler 52. [15].
Lehrs [119].
Lemgo-Übersetzung [118],
Lobrede 75—76.
Logik [16]. a 16.
Lykeion 108.
Lykurg 89.
Lysipp a74.
Mannweibliches Geschlecht 64.
Mantinea 79.
Mantik s. u. Seherkunde.
Marsyas 97.
Menelaos 45.
Moira 85. a85.
MüUer, Emü [119].
Musen 73.
Musik 61. 84. [15]. a97.
Mysterien [Geheimdienst] 90. [19.
20].
Mystische Schau 90—92.
Mythen. Gastmahl [1 u. f. 35].
Zweiteilung der Menschen 64 u. f.
Erzeugung des Eros 81.
132
Register
Natorp [112].
Nestor 105.
Nietzsche [119]. a26.
Öagros 52.
Olympos 97.
Orpheus 52.
Otos 65.
Panisken a83.
Parmenides 50. 7L
Pater [lllj.
Patroklos 52. 88.
Paulus [14]. al4.
Pausanias. Zuerst 47. [7 u. f.].
Pelias 51.
Perikles 97. 105.
Phädros. Zuerst 48. [4. 5 u. f.].
ODialog) [25]. a38. a40.
Philippos 43.
Phönix 48.
Polymnia 61.
Potidäa 108.
Praxiteles a74.
Prodikos 49. [13].
Protagoras [13].
Rausch 48. 93.
Rhythmus 61.
Ritter [112]. a38.
Rohde [lllj.
Romantik [14].
Ruhmsucht 88.
Satyrdrama 106.
Satyren 97. a96.
Schlangenbiß 100.
Schöpfung (Poiesis) 73. 84.
Schleiermacher [12. 119. US].
Seherkunde 62. 81.
Silenen 96. a96.
Sirenen 98.
Sitt^.n der Liebe 54—59.
Sklaven [Knaben] 46 s 46
Sokrates.
Zuerst 43. [6 u. f.]. Versonnen-
heit 45—46. 108. a 103. Iro-
nie [15].
KnabenUebe 94. 96. 99. 107. [32].
S. nie berauscht 95. 103.
Vergleich mit Marsyas 97. 98.
„ „ Satyr 105.
„ „ Silenen 96. 98.
105.
S. und Plato [36 u. f.].
Selon 89.
Sophisten 49. 59. [15]. 89.
Sophokles a. 49.
Staat [86. 37]. (Dialog) [25].
Symbolen (Gegenstück) 66. a66.
Theater 47. 70.
Thetis 52.
Tragödie 108. [41].
Tyrannis 55.
Übersetzung [118].
Unsterblichkeit 85. 90.
Urania (s. auch Aphrodite) 61.
Uranos 53.
Vorstellen (Doxa) 80.
Vasenbilder a74. Anm. zum Titel-
bild.
Das Weibliche [6. 18. 30—31]. a30.
Weisheit. Überleitung der Weis-
heit auf andere 47.
Weissagung 81.
Wiedererinnern a87.
Wilamowitz [112]. a 38. a96.
Windelband [112].
Wolters [112]. a37.
Xenophon [22. 26. 29. 40].
Zeller [12. 111. 118]. a3. a5. alO
Zeus 53. 65. 73. 81.
Zikaden 66 a66
Katalog
DER
PHILOSOPHISCHEN
BIBLIOTHEK
Die Philosophische Bibliothek ist ein wirklich wundervolles In-
strument der Forschung und der Kultur, um das alle Nationen^ in
denen der Geschmack an den tiefsten Problemen des Geistes vorhanden
oder im Erwachen ist. Deutschland beneiden müssen.
La Cultura (Rom).
Inhaltsübersicht.
SeHc
Nummernverzeichnis der Philosopliisclien Bibliottiei( II
I. Aipliabetisches Verzeichnis der Philosophischen Bibliothek 1—20
II. Lehrbücher der Philosophischen Bibliothek 21
III. Taschenausgaben der Philosophischen Bibliothek . . . 22/23
IV. Wissen und Forschen. Schriften zur Einführung i.d. Philosophie 24
V. Neuere philosophische Einzelwerke 25—31
VI. Philosophische Zeltfragen 32
Liste von Sortimentsfirmen IV
Die in diesem Verzeichnis angegebenen Preise sind freibleibend. — Bei Lieferung
ins Ausland ist jeder deutsche Buchhändler verpflichtet, die Preise gemäß der , »Ver-
kaufsordnung für das Ausland" in fremde Währung umzurechnen.
Leipzig, 30. September 1921. FELIX MEINF.R.
Postscheck Leipzig 9886.
Ausgabe September 1921.
f»
Nummern üb ersieht der
Philosophischen BibliotheK**.
y
y
Bd. Bd Bd.
1—5, 7—13. Aristoteles. 97. Orotius. 125.
19. Bacon (vergr.). 98. Krause. 126.
20. Berkeley. 99. Bolzano. 127—132.
21. Bruno. 100. Thomas v. Aquin. 133—135.
M— 24. Cicero. 102. Berkeley. 136—139.
25. Condillac (verirr.). 103. Schiller. 140.
2«— 29. Descartes. 104. Schelling. 141|142.
31i33. Orotius (vergr.). 107/108. Leibniz. 143.
38/34. Hegel. 109. Goethe. 144.
35/36. Hume. 110/111, Shaftesbury. 146.
37—52. Kant. 112. Herder. 146.
53/54. DiogenesLafirtius. 113. Cohenz.Kr.d.r.V. 147/148.
55. Brentano. 114. Hegel. 149.
56/57. Hegel. 115. Witasek (S. 22). 150/153.
65—66. Kirchraaitn. 116. Kaiser Julian. 154
68. U Mettri«. 117. Schleiermacher. 155.
69—71. Leibniz. 119. Lessing. 156.
75-79. Locke. 120. Fichte-Schleier- 157/158.
80—83. Plato. macher-Steffens. 159/160.
84/85. Schleiermacher. 121. Lessing. 161/162.
86/88. Scotus Eriugena. 122. Wolff. 171.
89/90. Sextus Empiricus. 123. Humboldt. 172/182.
91—96. Spinoza. 124 Hegel.
Die Nummern der alten Zählung 6, 14—18, 53-64, 72—74, 77^8, 97—101 enthielten
Erläuterungen Kirchmanns, die jetzt allgemein als gänzlich veraltet angesehen werden
und durch die Neubearbeitungen überflüssig geworden sind. Diese Erläuterungshcffe
wurden deshalb aus der «Philosophischen Bibliothek" ausgeschieden. Die so frei-
gewordenen Nummern werden allmählich neubesetzt.
Damaskios.
Kants Leben.
Fichte.
Schelling.
Schleiermacher
D'Alembert.
Lotze.
Berkeley.
Hegel.
Plato.
Herbart.
Plato.
Berkeley.
Plato.
Ficinus.
Comte.
Berkeley.
Hobbes.
Plato.
Leibniz.
Hegel.
Plato.
Mit dem Erscheinen dieses Kataloges verlieren alle früher ge-
maditen Preisangaben ihre Gültigkeit. Die Preise des vorliegenden
Verzeichnisses werden bis 31. 12. 21 nach Möglichkeit aufrecht-
erhalten werden.
Teuerungsaufschfag. Mit meinen hauptsächlichsten Abnehmern
im Gebiet des Deutschen Reiches habe ich als Mitglied der „Arbeits-
gemeinschaft wissenschaftlicher Verleger« ein Abkommen getroffen, wo-
nach diese Firmen sich verpflichtet haben, auf meine Verkaufspreise
Teuerungsaufschläge nicht mehr zu erheben.
Ausstattung. Nachdem ich bis zum Jahre 1919 daran festgehalten
hatte, nur holzfreies Papier zu verwenden, zwang mich die starke
Teuerung jenes Jahres dazu, von dem Grundsatze abzugehen, um er-
trägliche Vj^rkaufspreise beibehalten zu können. Lediglich für die Gesamt-
ausgaben im Rahmen der „Philosophischen Bibliothek" wurden kleine
Auflagen auf holzfreiem Papier hergestellt, die aber einzeln nicht abge-
geben werden können. Nachdem neuerdings die Anforderungen an die
Ausstattung wieder gewachsen sind, gehe ich, trotz der großen damit ver-
knüpften Opferwiederdazuüber, durchweg auf holzfreiem Papier
zu arucken, so daß die künftigen Neuauflagen und Neuausgaben wieder
die Vorkriegsausstattung zeigen werden. Bei den Einbänden habeich
bei der Philosophischen Bibliothek immer am Halbleinenbande fest-
gehalten. Ich beabsichtige, jetzt wenigstens die stärkeren Bände wieder in
Ganzleinen binden zu lassen. Neben diesem einfacheren Einbände habe
ich bei einer Reihe von Werken und insbesondere bei den Gesamt-
ausgaben einen verwöhnteren Ansprüchen genügenden Einband hei
gestellt, bei dem neben Verwendung bester Materialien, insbesondere au!
eine lebhaftere FarbigkeitWert gelegt wurde, ohne dabei die einem wissen-
schaMfWWMtfnie gezogciitn (jr«i/en zu um iMurmen. Mit Lcinen-
rücken und l.cincnfckt'ii verbinden sich einfache farbige oder modern-
gemusterte Überzugpapicre und farbige Titel- und Rückcnschilder zu
einem ansprechenden Ganzen. Diese Ausstattung pflege ich ins-
besondere auch bei den in Abteilung 5 verzeichneten neueren Werken
lebender Autoren, bei denen die während des Krieges teilweise ein-
geführten Pappbände jetzt nicht mehr hergestellt werden.
Die Preise der älteren Verlagswerke mußten neuerdings nochmals
etwas erhöht werden. Werke, bei denen die Vorräte zu linde gehen,
können nicht gut billiger abgegeben werden, als zu den Selbstkosten
eines Neudruckes. So unwillkommen mir die Erhöhung der Preise
im Hinblick auf die gesunkene Kaufkraft , der hau pl sächlichsten
Abnehmer ist, so bleibt doch zu bedenken, daß unmöglich verlangt
werden kann, daß Werke, deren Herstellung s. Zt. in Goldmark
bezahlt vioirde, jetzt für den gleichen Nominalbetrag in Papier-
mark abgegeben werden sollen, deren Kaufwert vom Reichsminister
Dr. Wirth mit lÖ Pfg. bemessen wurde, seitdem aber noch weiter zu-
rückgegangen ist. Die Preise der Bände der Philosophischen Bibliothek
betrugen vor dem Kriege zwischen 15 und 30 Pfg. pro Druckbogen,
während der Durchschnittspreis jetzt immerhin erst 75 Pfg. bis M. 1.50
beträgt. Der Verleger muß aus dem Verkauf der älteren Bestände
wenigstens so viel erlösen, daß er daraus die Kosten der neuen Auf-
lagen und einer mäßigen Erweiterung seiner Verlagstätigkeit bestreiten
kann. Tut er das nicht, so ist die Folge, daß das in seinem Betriebe
angelegte Kapital sich in kurzer Frist verflüchtigt und so nicht nur
er selbst, sondern mittelbar auch die Nation schwere wirtschaftliche
Nachteile erleidet.
Bei Lieferung ins hochvalutige Ausland treten für meine
Verlagswerke Preise in der entsprechenden Landeswährung in Kraft.
Diese Preise errechnen sich im allgemeinen nach folgendem Schlüssel:
100 Papiermark = (Dänemark) 25 Kronen = (Frank-
reich) 50 Franken ^ (Großbritannien und Kolonien)
20 Schilling = (Holland) 12.50 Gulden = (Italien) 60 Lire
= Gapan) 4 U. S. Dollar = (Nordamerika) 4 Dollar ==»
^Norwegen) 25 Kronen «= (Schweden) 20 Kronen =
(Schweiz) 25 Franken = (Spanien) 25 Peseta. (Nach
Südamerika 100 '^/o Aufschlag auf den deutschen Preis.)
Diese Umrechnung soll der ständigen Spannung zwischen dem
Inlandskauf wert der Mark und ihrer Bewertung am Devisenmarkt
Rechnung tragen. Die Bücher im Ausland sind trotzdem noch billig
genug. Beispielsweise kostete im Jahre 1913 Berkeley, Abhandlung
2 Goldrnark od. 2,60 Schweizer Franken, dasselbe Werk heute 9 Papier-
mark oder 1,80 Franken, Man kann also kaum behaupten, daß die
Verbreitung deutscher Wissenschaft durch die Höhe der Auslands-
preise beeinträchtigt werde, zumal auch bei den Neutralen und Sieger-
staaten die Bücher gegen früher auf etwa den doppelten Preis gestiegen
sind. Würde die Auslands -Verkaufsordnung wegen der zeitweise so
lebhaft betriebenen Agitation einer kleinen Gruppe aufgehoben werden,
50 /ürde der Verzicht auf den Valuta-Mehrerlös den deutschen wissen-
schaftlichen Verleger zwingen, seine (mit Rücksicht auf diese Mehr-
einnahmen niedriggehaltenen) Inlandspreise nochmals um mindestens
25 — SO^'o zu erhöhen.
LEiPziG, 30. Sept. 1921 Felix Meiner