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1911
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EDGAR ALLAN POE
UND DIE DEUTSCHE
ROMANTIK
INAUGURAL- DISSERTATION
ZUR ERLANGUNG DER DOKTORWÜRDE DER HOHEN
PHILOSOPHISCHEN FAKULTÄT DER UNIVERSITÄT
LEIPZIG
VORGELEGT VON
PAUL WACHT LER
AUS CHEMNITZ
BORNA-LEIPZIG
BUCHDRUCKEREI ROBERT NOSKE
1911
Angenommen von der I. Sektion auf Grund der Gutachten der Herren
Förster und Birch-Hirschfeld.
Leipzig, den 4, August 1911.
Der Procancellar,
Brandenburg.
MEINEN ELTERN
IN DANKBARKEIT GEWIDMET
INHALTSVERZEICHNIS
SEITE
EINLEITUNG 1
POES ÄUSSERER LEBENSGANG 2
ROMANTISCHES IN POES LEBEN UND WESEN .... 7
POES DENKART UND SEINE ANSCHAUUNGEN IN ÜBER-
EINSTIMMUNG MIT DER DEUTSCHEN ROMANTIK . . 18
POES NOVELLEN 43
EINTEILUNG DER NOVELLEN . . 43
PSEUDOWISSENSCHAFTLICHE ERZÄHLUNGEN 44
GEHEIMNISERZÄHLUNGEN 44
EIGENTLICHE ROMANTISCHE ERZÄHLUNGEN 47
MESMERIC REVELATION 47
THE FACTS IN THE GASE OF M. VALDEMAR 49
A TALE OF THE RAGGED MOUNTAINS 50
THE IMP OF THE PERVERSE 57
THE BLACK CAT 58
THE TELL-TALE HEART 63
BERENICE 66
WILLIAM WILSON 73
THE FALL OF THE HOUSE OF USHER 75
METZENGERSTEIN 79
THE OVAL PORTRAIT 80
THE MASQUE OF THE RED DEATH 82
THE PIT AND THE PENDULUM 83
THE CASK OF AMONTILLADO 84
LIGEIA, MORELLA, ELEONORA 86
THE ISLAND OF THE FAY 96
KLEINERE NOVELLEN 98
BON-BON 98
THE DEVIL IN THE BELFRY 99
THE SPECTACLES 100
THE SPHINX 101
WHY THE LITTLE FRENCHMAN WEARS HIB HAND IN A
SLING 101
THREE SUNDAYS IN A WEEK 102
A PREDICAMENT 102
HOP-FROG 103
ANMERKUNGEN 104
EINLEITUNG
Wenn wir im Leben und Werk eines Dichters romantische^)
Züge finden, so lassen sie sich in der Regel auf zweierlei Art
erklären : durch romantische Veranlagung oder durch Übernahme
der Eigentümlichkeiten anderer romantischer Dichter. Selten
werden wir es nur mit einem von beiden Umständen zu tun
haben, fast immer wird ihre Vereinigung vorliegen. So finden
wir bei den deutschen Romantikern sehr viele nahe Überein-
stimmungen, die man manchmal zwar als Entlehnungen nach-
weisen kann. Aber öfter gehen solche Übereinstimmungen auf
Ansichten und (^harakterzüge zurück, die aus gleicher Veranlagung
entsprungen sind oder einem ganzen Zeitabschnitt zukommen.
Die scheinbar klare Beeinflussung ist meist nur ein Anschlagen
gleich gestimmter Saiten.
In einer ähnlichen Lage dürften wir uns Edgar Allan Poe
gegenüber befinden. Es soll im folgenden versucht werden,
seinen Charakter, der wohl bei jedem Menschen bis zu einem
gewissen Grade auf Veranlagung beruht, seinen Lebenslauf, in
dem sich der Charakter spiegelt, und seine Anschauungen als
dem Charakter, dem Lebenslauf und der Anschauungsweise
deutscher Romantiker eng verwandt nachzuweisen. Wir werden
da auf merkwürdige Übereinstimmungen zwischen Poe und
manchen Vertretern der deutschen Romantik stoßen, Überein-
stimmungen, die sich mehren, weun wir die Novellen Poes in
die Untersuchung hereinziehen. Aber nirgends, außer wo die
Übernahme romantischer Gedanken oder Stoffe in unveränderter
oder sehr ähnlicher Gestalt vorliegt, soll ein bloß äußerliches
Abhängigkeitsverhältnis aufgestellt werden. Viel mehr Gewicht
ist darauf gelegt worden, eine tiefgehende innere Verwandtschaft
zwischen Poe und den deutschen Romantikern aufzudecken,
die nicht allein in stofflicher Entlehnung besteht.
Voraussetzung für etwaige Einwirkungen der deutschen
Romantik auf Poe ist selbstverständlich, daß er Werke deutscher
Roinantikor gekannt habe. Für die zu seiner Zeit vorhandenen
englischen Übersetzungen kann dies vorausgesetzt werden.
Das aber betrifft nur eine ziemlich beschränkte Zahl romantischer
Werke, die zu gering sein würde, um die Vornahme der vor-
liegenden Untersuchung zu rechtfertigen. Da aber von G. Gruener -)
der Beweis erbracht worden ist, daß Poe des Deutschen mächtig
gewesen sei, und da Poe nachweislich romantische Werke ge-
kannt hat, von denen zu seinen Zeiten keine Übersetzungen
vorlagen, 2) so brauchen wir keine Bedenken zu tragen, die Ge-
samtheit der romantischen Dichtwerke in den Kreis unserer
Untersuchung zu ziehen, und aus dieser Erwägung heraus sind
auch im folgenden die Werke so ziemlich aller deutschen
Romantiker von Bedeutung berücksichtigt worden.
Zunächst mögen die zum Verständnis des Lebens des Dichters
notwendigen Tatsachen angeführt werden.
POES AEUSSERER LEBENSGANG
Poe stammte aus einem ansehnlichen Geschlecht, das in ver-
schiedenen Ländern Europas gesessen hatte, in Irland, Schott-
land, England, wenn auch kein Grund zu der Annahme vorliegt,
die sich noch in neuen Biographien'^) findet, Poes Ahnen seien
die Le Poers oder de la Poers gewesen, eine uralte, normannische
Ritterfamilie, die von England nach Frankreich, von da nach
England, Wales und Irland zog. Feststehend ist nur, daß John
Poe, der Stammvater der Familie in Amerika, einige Jahre vor
der Revolution aus Irland nach Nordamerika auswanderte. Sein
Sohn war General David Poe, ein Veteran der Revolution, dessen
ältester Sohn David, der Vater des Dichters. David Poe war
ein begeisterter junger Mann von 25 Jahren, als er 1805 eine
junge englische Schauspielerin kennen lernte, Elizabeth Arnold.
Ihr zu Liebe wurde er Wanderschauspieler und heiratete sie.
Sie war ein Wesen von zarter, undinenhafter Schönheit mit
großen grauen Augen und reichem Lockenhaar, wie Edgar Poes
Frau Virginia eine Verkörperung des Ideals ätherischer Frauen-
schönheit, das uns aus seinen Werken entgegentritt. Das Paar
hatte drei Kinder, William Henry Leonhard, Edgar Allan *) und
Rose Mackenzie Poe, von denen "^ Edgar am 19. Januar 1809 das
liicht der Welt erblickte. Das unstete Leben der W^anderschau-
spieler rieb die Gesundheit seiner Eltern früh auf. Beide starben
an Schwindsucht, David Poe wahrscheinlich 1811, die Mutter
des Dichters im Dezember desselben Jahres. Die Kinder be-
fanden sich in den traurigsten Verhältnissen. Mitleidige Be-
sucher, die Hilfe bringen wollten, fanden sie in Lumpen ge-
hüllt, halbverhungert und in einer Art Betäubung. Eine alte
Frau nährte sie mit Brot, das sie in Branntwein tauchte, „to
keep them quiet and make them streng".^) So früh trat Poes
Erbfeind, der Alkohol, tätig in sein Leben. Dazu war er erb-
lich belastet. Sein Vater war kein Trunkenbold, aber ein
Alkoholiker, der an leichte, doch regelmäßige Exzesse gewöhnt
war. Alle seine Kinder mußten die Sünden des Vaters büßen.
Der älteste Sohn war begabt, aber ein Halbnarr, der dem
Alkohol ergeben war und jung nach einem verfehlten Leben
starb. Des Dichters Schwester, Rosalie Poe, war beinahe eine
Idiotin und starb 1874 im Armenhaus. Ja die ganze Poesche
Familie scheint einen Hang zum Trunk gehabt zu haben, was
aus einem Brief William Poes, Edgars zweitem Vetter, her-
vorgeht. 1843 schrieb William an den Dichter: „There is one
thing I am anxious to caution you against and which has been a
great eneni}' to our family, I hope, in yr case, however, it may
prove unnecessary, ,A too free use of the Bottle' !" ") Die ver-
waisten Kinder wurden von mitleidigen Familien aufgenommen,
Edgar von Mr. Allan, einem Richmonder Kaufmann in be-
scheidenen Verhältnissen, der später zu Reichtum gelangte.
1815 reiste die Familie nach England, wo sie 5 Jahre blieb.
In Stock- Xewington wurde der frühreife, hochbegabte Knabe in
die Schule geschickt, ein altertümliches Gebäude, das auf Edgar
tiefen Eindruck machte und das er in der Erzählung „William
Wilson" ') ausführlich beschrieben hat. Als die Allans 1820
nach Amerika zurückkehrten, wurde die begonnene gute Er-
ziehung von englischen Lehrern fortgesetzt, bis Edgar im Alter
von 17 Jahren auf die Universität von Virginia kam. Da
machte sich zuerst, unter wilden sorglosen Gefährten, sein
Hang zur Ausschweifung, zu Wein und Karten geltend, den er
aber mit der Gesellschaft seiner Zeit teilte.^) Doch war er
trotzdem kein Müßiggänger. In der Prüfung errang er Aus-
zeichnungen im Französischen und Lateinischen, und das war
das Höchste, was ein Student damals auf dieser Universität
erreichen konnte. Über den folgenden Jahren, 1827 — 1833,
ruht ein nur teilweise aufgehelltes Dunkel. Sicher ist, daß sich
Poe 1827 mit Mr. Allan überwarf, weil dieser Edgars hohe
Spielschulden aus der Universitätszeit nicht bezahlen wollte.
Weiter veröffentlichte er im gleichen Jahre seine erste Ge-
dichtsammlung „Tamerlane and Other Poems. By a Bostonian",
Gedichte, die er größtenteils in den Jahren 1821 bis 1822, also
_ 4 —
noch nicht dreizehnjährig, verfaßt hatte. Es war die Not, die
ihn zur Veröffentlichung zwang. Ferner ließ er sich 1827 als
Soldat für das Heer der Vereinigten Staaten unter dem Namen
Edgar A. Perry anwerben. Er führte sich ausgezeichnet, trank
nicht und wurde auch befördert. 1829 gab er den Dienst auf.
Damit sind, wenigstens was diese Jahre anbetrifft, die Gerüchte
über seine abenteuerliche Fahrt nach Griechenland, Rußland,
Frankreich, die französische Novelle, das französische Duell,
zerstreut. Nach seiner Soldatenzeit, 1829, veröffentlichte Poe
seine zweite Gedichtsammlung: „AI Aaraaf, Tamerlane and Minor
Poems. By Edgar A. Poe". 1830 trat er in die Militärakademie
in West Point ein, die er aber schon nach 5 Monaten verlassen
mußte. Seine schlechte Führung läßt die Absicht erkennen,
keineswegs auf der Akademie zu bleiben. Zu dieser Zeit war
er stets mißgelaunt. Seine Freundin, Mr. Allans erste Gattin,
war gestorben, und Allan hatte zum zweiten Male geheiratet.
Damit waren Poes Aussichten, Allan zu beerben, unsicher ge-
worden. Die Zucht auf der Akademie war sehr streng, und eine
freiere, die literarische, Laufbahn schien Poe offenbar erwünschter.
1831 veröffentlichte er seine dritte Gedichtsammlung, die im
Gegensatz zu den unreifen Jugendwerken schon viele seiner
Meisterstücke brachte. Nunmehr, März 1831 bis Sommer 1833,
beginnt die dunkle Zeit in Poes Leben. Entweder unternahm
er jetzt die Eeisen nach Europa, wozu er nach einem jüngst
entdeckten Brief ^) wirklich die Absicht hatte, oder er verbrachte
wenigstens das Jahr 1832 in Baltimore bei seiner Tante Maria
Clemm, wo er eine Liebschaft mit einem Mädchen hatte, die
sich aber bald zerschlug.^^) Die zweite Möglichkeit hat viel
Wahrscheinlichkeit für sich, jedenfalls mehr, als die Gerüchte
seiner Irrfahrten haben. Denn die Beschreibung, die das
Baltimorer ^Mädchen, Mary, von ihrem Geliebten gibt, ])aßt ge-
nau auf Poe. Gewiß ist erst wieder, daß er im Sommer 1838 bei
einem Preisbewerb des „Saturday Visitor" Erzählungen und
Gedichte einsandte, die die der andern Bewerber bei weitem
übertrafen. Im gleichen Jahre fand auch der endgültige Bruch
mit seinem Adoptivvater statt, den Poe durch unschönes Be-
nehmen verschuldet hatte. Er war nun ganz auf sich selbst
angewiesen. Um der äußersten Not abzuhelfen, bemühte er sich
um eine Stelle als literarischer Mitarbeiter an einer Zeitschrift.
Er wurde 1835 am „Southern Literary Messenger" in Rich-
mond erst für gelegentliche Beiträge, dann als Herausgeber an-
gestellt. Doch schon begann ihn sein Dämon wieder zu ver-
folgen. Im September 1835 schrieb ihm sein Freund Willis^^):
„No man is safe that drinks before breakfast. No man can
(lo so and attend to business properly'. Doch bekämpfte Poe
seine Neigung und unterlag ihr noch nicht. Zahlreiche Er-
zählungen und viele Artikel legen für seine Arbeitskraft in
seiner Zeit als Herausgeber des „Southei'n Literary Messenger"
Zeugnis ab. In Richmond auch führte Poe seine Cousine
Virginia Clemm heim. Sie war erst 14 Jahre alt und litt schon
an der Schwindsucht, der Krankheit, der Poes Eltern erlegen
waren und an der auch die Frauen seiner Erzählungen zugrunde
gehen. Nicht lange hatte Poe in Richmond Ruhe. Er gab
seine Stelle zum Bedauern der Besitzer des „Messenger" auf.
Wir finden ihn im Januar 1837 in New York, wo er unabhängige
lebte und vor allem an Erzählungen arbeitete. Im nächsten
Jahre bereits siedelte er nach Philadelphia über, wo er sechs
Jahre verblieb. Er bewohnte dort mit seiner Frau und ihrer
Mutter eine kleine Hütte, fern vom Zentrum der Stadt, inmitten
grüner Bäume, die die kranke Virginia liebte. Er lieferte Bei-
träge zu „Grahams Magazine", das infolge seiner Mitarbeit von
5000 auf 35 000 Abonnenten stieg, und zu vielen andern Zeit-
schriften. Außerdem trug er sich mit dem Plan, selbst ein
Magazin zu gründen. Der Plan scheiterte aber immer und
brachte Poe viel böse Stunden. Im April 1844 finden wir ihn
zum zweiten Male in New York. Die Hochflut seiner Er-
zählungen war verrauscht. Sein Hauptwerk war nunmehr die
Kritik, die ihren Höhepunkt in „The Literati of New York",
1846, erreichte. Diese Aufsätze erregten ungeheures Aufsehen.
Nie hatte Amerika vorher einen Kritiker besessen, der mit so
durchdringendem Verstände und so großer Unerschrockenheit,
aber auch unerschütterlicher Gerechtigkeit sein Urteil abgab.
Vor den „Literati", 1845, hatte Poe sein berühmtestes Gedicht
veröffentlicht, „The Raven", das sich in wenigen Tagen über
die ganzen Vereinigten Staaten verbreitete und auch in Europa
schnell bekannt wurde. Er hatte es in äußerst bedrängter Lage
verfaßt. Seine Frau und Mrs. Clemm, wie auch der Dichter
selbst, litten Hunger. 1845 auch fand die bedauernswerte Fehde
mit Longfellow statt, den Poe des literarischen Diebstahls an
seinen Werken beschuldigte, — grundlos, wie des öfteren be-
wiesen worden ist.^"^) Weiterhin war er an einer Zeitschrift
tätig, „The Broadway Journal", die schließlich in seinen Be-
sitz überging. Nur kurze Zeit konnte er sie halten: bis zum
Dezember 1845. Aber diese wenigen Monate waren bedeutungs-
voll, denn in ihnen druckte Poe fast alle seine Erzählungen und
Gedichte in seiner Zeitschrift und gab ihnen ihre letzte, voll-
kommenste Form.
Die Aufregung, die die „Literati of New York" erregten,
— 6 —
stieg auf den Gipfel, als der Artikel über Thomas Dünn Brown
— Pseudonym für Mr. English — erschien. English schrieb eine
verleumderische Schmähschrift gegen Poe, der ihn verklagte.
English wurde der Verleumdung überführt und mußte an Poe
eine bedeutende Entschädigungssumme zahlen. Damit richtete
dieser die kleine Hütte in Fordham ein, in der seine Frau
sterben sollte. Die bittere Armut, stete Sorgen und die schnell
fortschreitende Krankheit hatten das zarte junge Wesen auf-
gerieben. Im kalten Winter 1847 starb sie, erst 24 Jahre alt.
Freunde, die die Familie kurz vor Virginias Tod aufsuchten,
wußten von der tiefen Armut zu berichten, in der sie sich be-
fand. Poe wurde durch Virginias Tod in tiefe Verzweiflung
gestürzt. Sein von harter Entbehrung geschwächter Körper
— er hatte gehungert, um für die Kranke Arznei zu schaffen — ,
sein zerrütteter Geist konnten den Schlag nicht überwinden.
Er war ein gebrochener Mann. Nur weniges noch entfloß seiner
Feder, einige melancholische Gedichte und vor allem das philo-
sophische Werk „Eureka", 1848, das den Verfall seiner Geistes-
kräfte erkennen läßt. Dieser zeigt sich auch in seinen Heirats-
plänen und Anträgen, die man von diesem leidenschaftlichen
Liebhaber so kurz nach dem Tode der Geliebten nicht erwartet.
Wieder tauchte der unglückselige Plan auf, eine eigene Zeit-
schrift zu gründen. Um ihn zu verwirklichen, ging Poe auf eine
Vortragsreise, zunächst nach Richmond, darauf nach Baltimore.
Dort fand man ihn am 3. Oktober 1849 bewußtlos auf der Straße.
Das Dunkel, das über seinen letzten Stunden ruht, ist nicht ge-
lichtet worden. Vielleicht fiel er in die Hände gewissenloser
Wahlagenten, die ihn betrunken machten, vielleicht war er das
Opfer von Verbrechern; denn eine größere Geldsumme, die er
mit sich geführt hatte, war verschwunden. Man brachte ihn
in ein Hospital, wo er am 7. Oktober starb. Am folgenden Tag schon
wurde er begraben, nahe dem Grabe seines Großvaters, Generals
David Poe. Nur wenige Freunde folgten seinem Sarge. Kein
Stein bezeichnete sein Grab. Erst lange Jahre später, 1875,
errichtete man ein Grabmal, unter dem nun, vereint mit denen
Virginias, die irdischen Reste Edgar Allan Poes ruhen.
Nachdem wir diese wenigen wichtigen Tatsachen des äußeren
Lebensganges Poes festgelegt haben, können wir dazu schreiten,
auf sein Wesen und die Einzelheiten seines Lebens einzugehen und
das Romantische darin zutage zu fördern. Der Vergleich mit
romantischen Lebensläuften und Charakteren wird vielleicht ein
geeigneter Weg dazu sein.
— 7 —
ROMANTISCHES IN POES
WESEN UND LEBEN
Das typische Merkmal des romantischen Charakters liegt in
dem Schwanken zwischen Gefühl und Verstand, zwischen Natur
und Geist, in dem Hineinspielen des Bewußten in das Unbewußte,
wobei das Bewußte nie die Stärke des Unbewußten erreicht.
Man könnte somit auch sagen, die Romantik habe einen Zug
zum Weiblichen, denn das weibliche Geschlecht ist in höherem
Maße als das männliche den unbewußten Gefühlen und Trieben
unterworfen, hat aber auch mehr das Streben, das Unbewußte
bewußt zu machen. Wenn daher Poe die Romantik als weiblich
in ihrem innersten Wesen bezeichnet,^^) so bezeugt dies sein
gutes Verständnis für diese Art Poesie und beweist, daß er sie
eingehend gekannt hat.
Notgedrungen mußte das Schwanken im Wesen der Ro-
mantiker bestimmend auf ihr Leben einwirken und Züge er-
zeugen, die vielen gemeinsam waren. Der Trieb, sich vor dem
Leben in ihr Inneres zurückzuziehen, hatte zur Folge, daß sie
den Anforderungen, die die Welt an jeden stellt, nur schwer
oder überhaupt nicht genügen konnten. Wie Unmündige standen
sie dem tätigen Leben gegenüber. Daraus läßt sich erklären,
daß sie fast alle ohne Beruf blieben, oder wenn sie sich zu einer
festen Tätigkeit entschlossen, sie doch nicht durchführen konnten.
Diese Berufslosigkeit hing aber auch mit der Zwiespältigkeit des
romantischen Charakters zusammen, der vom Himmel nach der
Erde strebte und vom Irdischen wieder in die Höhe, ohne Be-
friedigung zu finden oder irgendwo heimisch zu sein.
Der Grundzug schon des romantischen Strebens, die Durch-
dringung des Gefühls durch den Verstand, findet sich bei Poe
in hoher Vollendung. Was sind seine romantischen Novellen
anders als die Verkörperung der Absicht des Dichters, über die
dunklen Triebe seines Innern Klarheit zu gewinnen! Sie zeigen,
wie sehr es seinem Verstände gelungen ist, die zartesten Emp-
findungen aufzuspüren und ans Licht zu ziehen, sie zeugen in
ihrer Vollendung aber auch von dem zerstörenden Kampfe in
Poes Innern, der getobt haben muß, ehe es ihm gelang, des
Unbewußten in ihm Herr zu werden.
Poe schien auch unfähig zu sein, einen andern Beruf aus-
zuüben als den eines Dichters. Soldat vermochte er nur zwei
Jahre zu sein, bloß fünf Monate auch auf der Kriegsakademie.
Die strenge Regelmäßigkeit des Dienstes, die Unterdrückung
jeder Individualität, das gänzliche Ausschalten des persönlichen
Gefühls mußten ihm im Innersten zuwider sein. Und wenn er
später mehrere Male längere Zeit als Leiter von Zeitschriften
oder als Mitarbeiter daran sich zu regelmäßiger Arbeit hergab,
so konnte ihn wohl dazu nur die Sorge um seine Frau zwingen,
der er mit leidenschaftlicher Liebe zugeneigt war. Um ihr
Leben sicherzustellen, war er auch bereit, eine Beamtenstelle
anzutreten, und gab sich viel Mühe, sie zu erhalten (1841)."}
Doch scheiterten seine Bestrebungen an der herrschenden
Günstlingswirtschaft. Es ist auch zweifelhaft, ob ihm eine feste
Stelle viel genützt haben würde, denn nur kurze Zeit ließen
ihm der Alkohol und seine Unstetigkeit Ruhe.
Die Berufslosigkeit der Romantiker und ihre zum Teil
wenigstens damit verknüpfte Heimatlosigkeit, das ihnen eigne
ewige Auf- und Abstürmen der Gedanken, das sie in den Augen-
blicken höchsten Glücks doch nie vollkommen glücklich sein
ließ, erregte in ihnen ein Gefühl des Unbefriedigtseins, eine
innere Leere, ja sogar das Bewußtsein persönlicher Wertlosig-
keit, wenn sie sich mit Menschen verglichen, die einen festen
Platz im Leben ausfüllten, Herren ihrer Leidenschaften wurden
und die, deren Schicksal sie an ihres gebunden hatten, glücklich
machten. Sie wühlten sich immer tiefer und tiefer in die Rätsel
des Daseins ein, vor allem in die Nachtseiten der Natur, die
sie schließlich mit ihren Schauern packte und nicht mehr los ließ.
Daher die stetige Ahnung von Unglück, das immer drohe und
hereinbräche, wenn man es am wenigsten vermute, daher ihre
leidende Stellung dem Leben gegenüber und die Ablehnung der
Verantwortung für ihre Taten. Die Stimmung, die die Schicksals-
tragödie kennzeichnet, finden wir auch oft im Leben der deutschen
Romantiker.
Etwaige Zweifel an dem Werte seines Berufs finden wir
bei Poe nicht. Im Gegenteil. Er wollte nie etwas anderes sein
als ein Dichter. Aber die Vorliebe für die Nachtseiten der
Natur war auch ihm eigen. Er konnte an ihr überhaupt nur
das sehen, was Grauen erregt, und darein versenkte er sich,
bis er den Rückweg nicht mehr fand. Immer sah er sich von
Schrecknissen umringt, immer ahnte er irgendein Unheil, auch
zu Zeiten, als es ihm verhältnismäßig gut ging. Er glaubte
zuletzt überhaupt nicht mehr an eine Änderung zum Guten. Als
1835 die Anstellung am „Southern Literary Messenger" Poe
aus seiner tiefen Armut emporhob und ihn aller Sorgen ums
Leben vorläufig ledig machte, schrieb er an seinen Freund
Kennedy folgenden Brief, der ein Abbild der Stimmungen ist,
— 9 —
die ihn Zeit seines Lebens verfolgten : „Dear Sir . . . Througfh
your influenae Mr. White has been induced to employ me in
assisting him with the editorial duties of bis magazine, at a
salary of 520 dollars per annuni. The Situation is agreeable to
me for many reasons, but, alas! it appears to me that nothing
can give me pleasure or the slightest gratification. Excuse me,
my dear Sir, if in this letter you find much incoherency. My
feelings at this moment are pitiable indeed. I am suffering under
a depression of spirits such as I have never feit before. I have
struggled in vain against the influence of this melancholy — you
will believe me when I say that I am still miserable in spite of
the great improvement in my circumstances. ... I am wretched,
and know not why. Console me — for you can. But let it be
quickly, or it will be too late . . . Convince me that it is worth
one's while, that it is at all necessary to live, and you will
prove yourself indeed my friend . . . You will not fail to see
that I am suffering under a depression of spirits which will ruin
me should it long be continued".^-^)
Es tritt darin der Zug deutlich hervor, den Lenau die
Gravitation nach dem Unglück nannte, ein unbewußtes Streben,
sich selbst unglücklich zu machen, sogar wenn man glücklich
sein könnte.
Wenn wir diese den romantischen Dichtern fast durchweg
zukommenden Eigentümlichkeiten bei Poe wiederfinden, so können
wir vermuten, auch im Lebenslauf und Charakter des einzelnen
Züge zu finden, die unserem Dichter nicht fremd sind. Eine
nähere Überprüfung der Lebensläufe der romantischen Dichter
bestätigt denn auch diese Annahme.^^)
Schon Tieck, dem ältesten und wohl auch kühlsten Ro-
mantiker, steht Poe nahe. Wir müssen nur den phäntasiereichen,
gegen seine Gefühle ringenden Tieck von dem im späteren Alter
trennen, dessen Empfinden erkaltet oder ganz abgestorben war.
In seinen jungen Jahren hatte Tieck Zeiten, wo die Schrecken
des Todes ihn packten, wo er glaubte, daß die letzte große
Vernichtung über ihn hereinbräche, wo scheußliche Visionen ihn
heimsuchten und seine erregte Phantasie sich von Gespenstern
umringt glaubte, die er leibhaftig auf sich zuschreiten sah. Er
fühlte sich dem Wahnsinn nahe. In solchen Stunden fluchte er
Gott und der Welt und verwünschte sein Dasein. Er warf die
Frage vor sich auf, welchen Zweck die Welt habe und welches
Recht, zu bestehen, doch fand er keine Antwort auf seine
Zweifel. All sein Suchen endete in tiefer Trostlosigkeit, er
spielte mit dem Gedanken des Selbstmords. Und nicht nur in
seiner Jugend, sondern auch in späteren Jahren suchten ihn
~ 10 —
solche trübe Gedanken heim, wenn auch selten. Wenn er im
„Blonden Eckbert", „15. November", „Runenberg", „Abdallah"
und anderen Erzählungen den Wahnsinn beschreibt, müssen wir
wohl glauben, daß er ihn bis zu einem gewissen Punkte in
seinem eignen Gehirn gespürt hatte, wie auch Poe die Studien
zu seinem krankhaften Menschen an sich selbst machen konnte.
Poe zeigt überhaupt in seiner Veranlagung ziemliche Ähn-
lichkeiten mit Tieck. Die Stimmungen aber, an denen dieser
iast nur in seinen Jugendjahren litt, suchten Poe sein ganzes
Leben lang heim. Wenn Tieck schon entsetzliche Visionen
hatte, so müssen sie doch vor den Bildern verbleichen, die Poe
träumte. Er erlebte das Furchtbarste, was eine raffinierte
Phantasie ersinnen kann, in sich selbst; die Martern, die der
satanische Haß der Jesuiten ausklügelte, die Qualen des schein-
tot Begrabenen, die quälenden Halluzinationen des Verfolgungs-
wahnsinns und des delirium tremens, nichts Schreckliches über-
haupt war ihm fremd. Im Übermaß der Leiden versuchte er,
sich selbst zu töten, ohne seine Absicht zu erreichen. Er
grübelte auch über die Rätsel des Daseins nach und kam zu
dem trüben Ergebnis, das Leben sei nichts als ein Drama. Die
Menschen seien die Schauspieler, die am Ende des Stücks von
einem blutigen Ungeheuer verschlungen würden, dem „Conqueror
Worm".^') — Mit Tieck teilte Poe auch die Kunst, die packende,
atemraubende Stimmung zu erzeugen.
Auch mit dem Wesen von Tiecks Freund Wackenroder zeigt
Poes Charakter einige Ähnlichkeit. Wackenroder war wie Poe
überempfindlich. Für die Dichtkunst und noch mehr für das
Genießen der Poesie geboren, stand er dem tätigen Leben ratlos
gegenüber. Es war ihm unmöglich, sich dem vorgeschriebenen
Berufe zu widmen, und darum zerfiel er mit seiner Familie.
Der Kummer darüber stürzte ihn in Schwermut, die sein Leben
aufzehrte. So zart war sein Empfinden, daß er sein Herz einer
Äolsharfe vergleichen konnte, in der sein Leben wie ein Sturm
wütete, bis die Saiten zersprängen, wie auch Poe sein leicht
erregbares Innere dem Herzen des Engels Israfel verglich, dessen
Herzensfibern eine Leyer waren.^^)
Mit dem bedeutendsten der Romantiker, Hardenberg, ver-
bindet Poe eine tief gegründete Wesensähnlichkeit, neben der
aber auch starke Unterschiede festzustellen sind. Das Leben
des sichergestellten, aus vornehmer Familie stammenden Novalis,
das einen geordneten Gang nahm, läßt keinen Vergleich mit der
wilden Regellosigkeit zu, mit der sich unsers Dichters Leben
abspielte. Erst als mit dem Tode Sophiens von Kühn, seiner
Braut, das Unglück auch über Novalis hereinbrach, treten Über-
— 11 —
einstimmungen zutag-e. Er versenkte sich tief in Gedanken an
den Tod, die lange Zeit den einzigen Inhalt seines Lebens aus-
machten, er faßte sogar den Plan, seiner Braut nur durch die
Kraft seines Willens nachzusterben. Aber der Tod war ihm ein
Freund, den er lieben mußte, die Nacht war ihm vertraut und
barg keine Schrecken für ihn. Er war unwillig, als das Leben
ihn allmählich immer stärker zu sich zurückzuziehen begann,
und wehrte sich dagegen. Nicht hemmend, sondern fördernd
wirkte das Vergraben in die Gedanken des Todes bei ihm. Die
,.Hymnen an die Nacht", die Frucht dieser Zeit, sind ein ganz
eigenartiges Werk, trotz der innigen Bekanntschaft mit der
Nacht und dem Dunkel des Grabes frei von allem Grauen und
Schrecken. Poe aber, auch in den langen Zeiten, als der Dämon
der Trunkenheit keine Gewalt über ihn hatte, richtete wie fest-
gebannt seine Blicke nur immer auf den Punkt, über den kein
Wissen Klarheit bringen kann:
„Deep iiito that darkness peering long remained theie, vvondering, fearing.
Doubting, dreaming dreams no mortal ever dared to dream before".^®)
Er sah den Tod nur mit seinen Schrecken, die er für so
furchtbar hielt, daß er meinte, die Gottheit habe es dem Menschen
mit Absicht verwehrt, in dies Gebiet einzudringen. Er konnte
keinen Friedhof sehen, ohne daß ihm Gedanken an die furcht-
baren Qualen der lebend Begrabenen kamen. Und es stand für
ihn außer Zweifel, daß viele nur scheintot wären, die man für
tot hielt. „The boundaries which divide life from death are at
best shadowy and vague. Who shall say where the one ends
and where the other begins? We know that there are diseases
in which occur total cessations of all the apparent functions of
vitality, and yet in which these cessations are merely sus-
pensions, properly so called. They are only temporary pauses
in the incomprehensible mechanism. A certain period elapses,
and some unseen mysterious principle again sets in motion the
magic pinions and the wizard wheels. The silver cord was not
for ever loosed, nor the golden bowl irreparably broken. But
where meantime was the soul ?" -^)
„Scarcely, in truth, is a graveyard encroached upon for
any purpose, to any great extent, that skeletons are not found
in postures which suggest the most fearful of suspicions." '-^)
Von solchen Schreckbildern, die ihm Stunden unaussprech-
licher Qualen bereiteten, konnte Poe nicht lassen. Er wußte
wohl, daß er dadurch sein Leben zerstöre und seine Schaffens-
kraft lähme, und wühlte sich doch immer tiefer in derartige
Vorstellungen hinein. Es war eine Art perverser Wollust, die
— 12 —
im Schmerz Befriedigung fand. Mit diesen Gefühlen war auch
Novalis vertraut. Er stellte sich vor, daß Krankheit und sogar
der Tod zu den menschlichen Vergnügungen gehöre und daß
vielleicht in dem Augenblick, in dem der Mensch die Krankheit
oder den Tod zu lieben anfange, die reizendste AVoUust in seinen
Armen liege.^^) Freilich sind dies bei Novalis nur bis zum
äußersten durchgeführte Vorstellungen. Denn mit gesunden
I^innen und starkem Verstand stand er im tätigen Leben, das
er sich nicht wie die meisten Romantiker und oft auch Poe durch
seine Phantasievorstellungen verbitterte.
Mit dem Schwaben Hölderlin hatte Poe die unendlich zarte
Gemütsveranlagung gemein. Der Zug nach unten, zum Unglück,
machte Hölderlin zum Leben unbrauchbar, das ihn auf Schritt
und Tritt beleidigte. Denn er hatte eine tiefe Scheu vor dem
Gewöhnlichen und Gemeinen, so daß er verletzt sich immer-
während in sich selbst zurückziehen mußte. Jede Beleidigung
ging ihm ins Herz, weil er alles viel zu schwer nahm.
Poe hat auch immer unter einer ganz ähnlichen Veranlagung
leiden müssen. Seine Seele war empfindlich, beweglich und
zart besaitet. Wo andre nur ein wenig erregt wurden, da war
er tief verwundet, mußte Todesqualen leiden, wo andre sich nur
ärgerten. Es ist wunderbar, daß das elastische Empfinden des
Dichters sich immer wieder hat aufrichten können und daß der
Zusammenbruch nicht eher gekommen ist.
Achims von Arnim Leben verlief zu regelmäßig, als daß
es zu Vergleichen mit Poes stürmischem Lebensgange Anlaß
geben könnte. Er blieb im allgemeinen von verderblichen
Leidenschaften frei. Nur ab und zu blitzte es in ihm auf wie
aus einem Vulkan, den man erloschen glaubt, plötzlich das
Feuer wieder hervorbricht. Dann erfaßte ihn der Gedanke von
der Lüge und Verächtlichkeit des Lebens, er fluchte dem
Schönen, das den Menschen verderbe, und der Liebe, die keinen
Frieden bringe. In der „Gräfin Dolores" finden wir die leiden-
schaftlichen Worte :
„Mögen alle Gläser springen, alle Lippen davor erblassen,
Ja ich will die Wahrheit singen, muß ich auch die Wahrheit hassen.
Warum die Schönheit so flüchtig ist, das will ich Euch verkünden:
Sie ist ein Gift, das um sich frißt, die Augen davon erblinden.
Warum die Liebe so töricht ist, das wül ich Euch verkünden:
Weil sie mit aller ihrer List sich selber nicht kann ergründen.
0 wohl uns, daß so viel Schönheit tot, daß wir sie nicht brauchen zu lieben,
0 weh uns, daß in der Tränennot mehr Glück als in der Überlegung*.'^')
Dieser Hang zur Selbstpeinigung ist auch ein Grundzug
in Poes Wesen, der durch sein ganzes Werk geht. Zuerst tritt
er in der Vorrede zur zweiten Ausgabe seiner Gedichte vom
— 13 —
Jahre 1831 zutage. Beim Lesen von Anakreons Versen fand
er, daß sich all seine Freuden in Qual, seine Unbefangenheit in
wilde Begier, sein Verstand in Liebe und sein Wein in Feuer
auflösten. Und noch jung und in Torheit versunken verliebte
er sich in die Melancholie und warf seine ganze irdische Ruhe
und Zufriedenheit hinweg. Reiner Genuß der Schönheit war
ihm versagt, denn wenn er sie anschaute, kam ihm sofort der
Gedanke, daß sie bald in Häßlichkeit untergehen müsse, das
schöne Bild des Lebens verknüpfte sich ihm mit der entgegen-
gesetzten Vorstellung der Zerstörung. So sagt er in „Berenice":
„How is it that from Beauty I have derived a type of unlove-
liness? from the covenant of peace a simile of sorrow? But
as in ethics evil is a consequence of good, so in fact, out of
joy is sorrow born. Either the memory of past bliss is the
anguish of to-day, or the agonies which are have their origin
in the ecstasies which might have been . . .",^*) oder an einer
andern Stelle : „That earnest mutual love, my own Monos, which
burned within our bosoms, how vainly did we flatter ourselves,
feeling happy in its upspringing that our happiness would streng-
then with its strength. Alas, as it grew, so grew in our hearts
the dread of that evil hour which was hurrying to separate
US for ever. Thus in time it became painful to love. Hate
would have been mercy then".^^)
Diese unglückliche Veranlagung rückt Poe auch Clemens
Brentano nahe, der dem Leben ratlos gegenüberstand und
auch nirgends Ruhe und nie eine Heimat fand. Auch er hatte
unter der Ungunst der Familienverhältnisse zu leiden. Mitten
unter Menschen wuchs der phantasiereiche Knabe doch einsam
auf. Einem Berufe oder Studium sich zu widmen war ihm un-
möglich, jede Tätigkeit überhaupt verhaßt außer der, über sich
nachzugrübeln. Niemals verließ ihn auch das Gefühl seines Un-
wertes, das ihn tief unglücklich machte. Sein Innneres war zer-
rissen. Er mußte frohe Weisen spielen, wenn Fieber ihm durch
Mark und Bein bebte, mußte die Freude besingen, wenn sein
einziger Wunsch war, im Grabe zu liegen. Auf Brentano auch
würden die Worte passen, die Poe in trüber Stimmung von sich
gesagt hat: „My life has been whim — Impulse — passion — a
longing for solitude — a scorn of all things present, and an
earnest desire for the future". Wenn aber beide Dichter unter
den stürmenden Bildern einer ungeheuren Phantasie litten
— Brentano war vielleicht der phantasiereichste deutsche
Dichter 2«) — , so unterschieden sie sich scharf dadurch, daß es
dem schwankenden, zerrütteten Brentano unmöglich war, die
Fülle seiner Bilder in scharf umrissener Darstellung wieder-
— 14 —
zugeben. Poes Energie aber ermöglichte es ihm fast immer,
den Strom seiner Vorstellungen zu hemmen und diese in feste^
künstlerisch vollendete Formen zu bringen. Daß Brentano wie^
Poe überhaupt so häufig selbstquälerischen Stimmungen unter-
worfen waren, lag gewiß zum Teil auch daran, daß ihnen der
Humor fehlte, der einzige Tröster in solchen Lagen, über den
E. Th. A. Hoffmann so reich verfügte, vielleicht der tiefste Ver-
wandte Poes in Wesen und Dichtung. Auch sein Lachen war
oft nur der „konvulsivische Krampf der inneren herzzerreißenden
Qual","^') und er wäre an dem quälenden Zwiespalt in seinem
Wesen, an den Schrecken seiner Visionen zugrunde gegangen,,
hätte er eben nicht die herzbefreiende Gabe seines Humors be-
sessen. Dieser freilich brach oft seltsam genug hervor und erging
sich in komischen Bocksprüngen, die manchem lächerlich dünken
mögen, der ihre innerste Ursache nicht kennt. Auch Poe besaß
Humor, den wilden amerikanischen Humor, dem später Mark
Twain in der Literatur reichen Ausdruck verlieh. Aber er brachte
ihm keine Befreiung, er kam ihm wohl nur in den wenigen
glücklichen Stunden, in denen er sich frei vom ewigen Drucke
fühlte, oder er mußte ihn mit Gewalt herbeirufen, wenn der
Geschmack der Leser oder der Kedakteure „verständliche" Er-
zählungen im Sinne von „Blackwood" verlangte. Poes Humor
bringt auch selten zum herzlichen Lachen. Er quält, ja es packt
uns oft ein Grauen, wenn wir die meist rauhen Spaße lesen,
und wir glauben hinter dem zum Lachen verzerrten Gesicht,
wie hinter der Larve des Harlekins, das wahre, von Gram und
Schmerz entstellte Antlitz des Dichters zu sehen.
Hoffmann war schon durch seine Abstammung auf die gleiche
Linie mit Poe gestellt: er stammte von einer hysterischen Mutter,
wie Poe von degenerierten Eltern. Auch die Vorliebe für den
Alkohol wie die äußerste Reizbarkeit durch dieses Gift scheint
in beiden Dichtern durch Veranlagung begründet zu sein. Sie
brauchten beide sehr wenig berauschende Getränke zu sich zu
nehmen, um in den Zustand erhöhter Stimmung zu kommen.
Aber der Zweck und die Art des Sichberauschens waren ganz
verschieden, wenn sich auch der Erfolg ähnelte. Hoffmann
machte ein Studium daraus, ja er sah es für eine Kunst an,
sich mit Absicht in den Zustand phantastischer Erregung zu
setzen. Und die Bilder strömten ihm, wenn er nur eine halbe
Flasche Wein getrunken hatte, in Scharen zu, die Gedanken
kamen in blendender Fülle geschossen, mit einem ganzen Brillant-
feuerwerk geistreicher Einfälle vermochte er den Kreis seiner
Serapionsbrüder zu unterhalten. Nach solchen Stunden ergoß
sich dann der Strom der Gedanken, lustiger oder ernster und
— 15 —
l^'raiisiger oder barocker Bilder in die Form von Dichtungen.
Fast alle seine Werke und darunter die, die dem Hoffmann-
Liebhaber die schönsten dünken, sind so entstanden.
Poe trank ganz anders. Nicht um des Genusses willen,
sondern um sich zu betäuben; in großen Schlucken goß er das
Getränk hinab, wenn er seine Anfälle hatte. Ihm war es gleich-
gültig, was er trank, wenn er nur trank. Und er tat es nicht,
um seine Phantasie zu steigern — die war reich genug, zu
reich meist, um in Schranken gehalten zu werden — , auch nicht,
um seine Träumereien und Visionen herbeizurufen oder zu stärken.
Das war ja eben die harte Strafe jeder Ausschreitung, daß die
geliebten Bilder, in denen er lebte, quälenden Angstvorstellungen
Platz machten und erst nach Wochen allmählich wiederkamen.
Schwerlich auch trank er, wie einer seiner Biographen an-
genommen hat,-^) um seine stürmende Einbildungskraft zu be-
ruhigen oder ganz auszuschalten und seine analj^tischen Fähig-
keiten dann in voller Stärke entfalten zu können. Die Annahme
ist aus dem gleichen Grunde unwahrscheinlich wie die, Poe habe
durch Stimulantien seine Phantasie anzuregen beabsichtigt. Seine
Begabung für die Analyse, die er so oft gezeigt hat, war zu
glänzend, als daß sie irgendeiner Nachhilfe bedurft hätte. Er
trank einfach, als ob er eine Pflicht erfüllte, stumm und wider-
strebend. Er trank ohne Absicht, unter einem unwiderstehlichen
Zwange, der in seiner Natur lag und von dem sich zu befreien
sein unablässiges Ringen und sein höchster Wunsch war. Wenn
^ber doch manchmal eine Absicht vorlag, so war es die, quälenden
Erinnerungen zu entgehen.-^) Der Rausch erfolgte schon nach
sehr kleinen Mengen Alkohol, die dem Durchschnittsmenschen nicht
schaden. „A glass made him tipsy. As to his being a habitual
<lruncard, he never was so long as I knew him",^^) sagte von
ihm eine Dame, die ihn von seiner Jugend bis zu seinem Ende
kannte, und einer seiner Biographen schrieb: „With a Single
glass of wine his whole nature was reversed, the demon became
uppermost, and, though none of the usual signs of intoxication
were visible, his will was palpably insane".^^) Er selbst gab zu,
daß er kein Vergnügen am Trinken habe: „I have absolutely no
pleasure in the stimulants in which I sometimes so madly
indulge. It has not been in the persuit of pleasure that I have
perilled life and reputation and reason. It has been in the
desperate attempt to escape from torturing memories".^®) Das
waren die Trinksitten Poes nicht nur in späteren Jahren, sondern
:schon in seiner Jugend. Ein Kamerad Poes auf der Universität
Virginia, Mr. Tucker, beschreibt den Hang des 17jährigen Jüng-
lings zum Alkohol folgendermaßen: „His passion for streng drinkr
— Io-
was even then of a most marked and peculiar character. He
would always seize the tempting glass, generally unmixed with
sugar or water — in fact, perfectly straight — . and without the
]east apparent pleasure, swallowed the contents, never pausing
until the last drops had passed his lips. One glass (the seize
is not stated) at a time was all that he could take; but it was
sufficient to rouse his whole nervous nature into a State of
strong excitement, which found vent in a continuous flow of wild,
fascinating talk that irresistibly enchanted every listener with
siren-like power".^^) Die unmittelbare Folge des Alkohols war
also bei Poe die gleiche wie bei Hoffmann: starke Erregung der
Phantasie. Aber bald folgten bei Poe heftige Schmerzen, denn
sein überempfindliches Nervensystem ließ sich nicht ungestraft
mißhandeln. Die dumpfen Zustände nach den Ausschreitungen
waren mit körperlichen und seelischen Qualen erfüllt, auch von
Erinnerungen an seine Halluzinationen, oft so seltsamen und
häßlichen, daß wir beinahe ratlos vor ihnen stehen. Sinnlose,
literarisch ganz und gar wertlose, nur den Arzt interessierende
Erzählungen, wie „The Angel of the Odd", „Loss of Breath",.
„Never Bet the Devil Your Head", und einige andere Erzählungen
dieser Art können wir uns nur in solchen Zeiten entstanden
denken. — Die eigenen Angaben Poes und die seiner Bekannten
über die Art und den Grund seiner Neigung zum Trinken wie
der Umstand, daß die in Eauschzuständen geschriebenen Werke
ihren Ursprung deutlich erkennen lassen und auch keineswegs
verleugnen, die analytischen Erzählungen aber nirgends auf die
Einwirkung des Alkohols hindeuten, werden genügen, die An-
nahme, Poe habe zur Steigerung seiner analytischen Fähigkeiten
getrunken, unwahrscheinlich zu machen. Denn wo er einen
krankhaften Zustand beschreibt, scheut er sich nie, die Ursache
dazu offen anzugeben.
Wie Hoffmann sich durch den Alkohol zugrunde richtete,
in bewußter Weise sein Leben verkürzte und dessen Inhalt da-
durch verdichtete, so ist auch Poes früher Tod der Einwirkung
der Berauschungsmittel zuzuschreiben. In den letzten Jahren
seines Lebens hatte er wiederholt Anfälle von delirium tremens
gehabt, deren einem er auch unterlag. Sein Widerstand gegen
den Alkohol hatte sich mehr und mehr vermindert, als der Tod
seiner Frau ihm den letzten Halt im Leben geraubt hatte.
Tief lasen Hoffmann und Poe in ihrem Innern und erkannten,,
daß in ihnen etwas von dem lag, was die Menschen Wahnsinn zu
nennen pflegten. „Einiger AVahnsinn", sagt Hoff mann, „einige
Narrheit ist so tief in der menschlichen Natur bedingt, daß man
diese gar nicht besser erkennen kann als durch sorgfältiges Studium
— 17 —
des Wahnsinnigen und Narren, die wir gar nicht in Tollhäusern
aufsuchen dürfen, sondern die uns täglich in den Weg laufen,
ja am besten durch das Studium unseres eignen Ichs, in dem
jener Niederschlag aus dem chemischen Prozeß des Lebens
genugsam vorhanden". -^^i
Poe sagte, daß man ihn als wahnsinnig bezeichne, und gab
auch zu, daß man ein gewisses Recht dazu habe. Aber was sei
Wahnsinn? Müsse man nicht den schärfsten Verstand, alles
Erhabene und Tiefe so nennen?"*) Poe suchte gerade in seiner
kranken Veranlagung seinen Stolz, die im Bunde mit seiner
gewaltigen Energie es ihm möglich machte, das Wort des Novalis
zu verwirklichen: „Selbst in Seelenkrankheiten kann der Mensch
außerhalb seiner selbst sein und beobachten und gegenexperi-
mentieren. Es ist freilich oft sehr schwer — den sensibelsten
am schwersten — , deren Hang überhaupt lebhaft und schnell
ist".^^) Poe hielt wie Hoff mann seine Gewalt über das dunkle
Zwischenreich zwischen Leben und Tod, seine Kenntnis des
Grenzgebiets des Bewußten und des Unbewußten für eine Gabe,
die zu besitzen ein Glück sei. „He who has never swooned"
— dies sind seine Worte — „is not he who linds stränge palaces
and wildly familiär faces in coals that glow; is not he who
beholds floating in mid-air the sad visions thaj; the many may
not view; is not he who pouders over the perfume of some novel
llower; is not he whose brain grows bc wildered with the meaning
of some musical cadence which has never before arrested his
attention."*^«)
Diese wenigen, aus dem Leben und Charakter einiger
Romantiker hervorgehobenen Züge lassen erkennen, in wie hohem
Maße die Persönlichkeit Poes romantisch genannt werden kann.
Es handelt sich darum bei ihm nicht um eine bewußte Ent-
wicklung zu einem erstrebten Ziel, das eben die romantische
Dichtkunst sein würde. Die Neigung zum Romantischen war
vielmehr in Poe begründet und brach immer wieder durch. Seine
eigentlichen Erzählungen sind romantisch. Und wenn er Werke
anderer Art, wie Abenteuer-, Lügen- oder Detektivgeschichten,
schrieb, so schimmert doch auch in diesen oft ein romantischer
Gedankengang hervor. Die Denkart und Anschauungen Poes
im ganzen als romantisch zu erweisen, soll nun im folgenden
versucht werden.
18
POES DENKART UND ANSCHAU-
UNGEN IN ÜBEREINSTIMMUNG
MIT DER DEUTSCHEN ROMANTIK
Man könnte sagen, daß, obwohl viele Erzählungen Poes in
Stoff und Stil durch und durch romantisch sind, doch die Art, wie
er sie streng nüchtern, kalt berechnend ausarbeitete, dem roman-
tischen Empfinden und Schaffen gerade entgegengesetzt gewesen
sei. Man hat sich gewöhnt zu meinen, die Romantiker hätten
sozusagen unbewußt, aus ihrem starken Gefühl allein heraus,
mit möglichster Ausschaltung strenger Planmäßigkeit und vorher-
gehender Berechnung, ihre Werke geschaffen. Damit erklärt
man das Unbestimmte, Zerfließende, auch Verworrene, was in
der Tat vielen ihrer Schriften ihre Eigentümlichkeit gibt. Es
mag daran manches Wahre sein, wenn man gewissen Vertretern
der romantischen Schule, vor allem den Spätromantikern, diesen
Vorwurf macht. Es ist aber zu bedenken, daß sie keine rhetorischen
Dichter waren, die keine neuen Begriffe in die Fesseln der
Sprache zu zwängen haben und mit ererbten Mitteln arbeiten
können. Sie schufen vielmehr eine ganz andre Welt, im Gegen-
satz teilweise zu der vorhandenen klassischen : die AVeit des Un-
bewußten, die man bisher vernachlässigt hatte. Um sie deutlich
zu machen, mußten sie neue Mittel finden, die Gefühlswelt auch
im Leser wachzurufen. Daher ihr Stammeln, ihr Ringen mit
der Sprache. Sie sagten sich nun von jeder Regel, die Form
und den Inhalt betreffend, los. Ihr erstes Gesetz war, daß die
Willkür des Dichters kein Gesetz über sich dulde. Jeden Gegen-
stand dürfe er behandeln, insofern dieser nur etwas Originales
in sich habe; die romantische Poesie sei schlechterdings uni-
versal. Und wie weit die Romantiker die Willkür in Form und
Inhalt trieben, zeigt sehr gut Friedrich Schlegels Romanfragment
„Lucinde".
Diese Ansichten wurden aber keineswegs von allen Roman-
tikern geteilt. Der bedeutendste unter ihnen, Hardenberg,
sprach es aus, daß das erste Genie, das sich selbst durch-
drang, hier den typischen Keim einer unendlichen Welt ge-
funden habe; es habe eine Entdeckung gemacht, welche die
merkwürdigste sein mußte, denn es beginne damit eine ganz
neue Epoche der Menschheit. Er hielt also das blinde, sich selbst
— 19 —
nicht bewußte und aus dem Innern allein fließende Schaffen für
Unvollkommenheit. Der Verstand müsse das Gefühl durch-
dringen, damit ein Vollkommenes entstehe. Das Genie, das
bewußt schaffe, leiste für immer das, was einem unbewußt
schaffenden nur in Augenblicken, und nur in den glücklichen,
gelinge. Verstand und Phantasie müßten unter eine Einheit ge-
bracht werden. Er sagt: „Der Sitz der eigentlichen Kunst ist
lediglich im Verstände. Dieser konstruiert nach einem eigen-
tümlichen Begriffe. Phantasie, Witz und Urteilskraft werden
von ihm nur requiriert . . .'"^'I und weiterhin: „Der Verstand ist
der Inbegriff der Talente. Die Vernunft setzt, die Phantasie
entwirft — der Verstand führt aus . . . — ",^^) Worte, die auf
Poes Art zu dichten buchstäblich anzuwenden sind. Novalis
brachte also zum Subjektivismus der Romantiker eine unter
ihnen noch nicht bekannte, neue Gesetzmäßigkeit, die auch die
Regelmäßigkeit zu ihrem Rechte kommen lassen wollte. So kann
es nicht wundernehmen, daß er, der sich eifrig mit den Wissen-
schaften beschäftigte, als die höchste die Mathematik pries,
womit er auf dem gleichen Standpunkte stand wie Poe.
Das Streben der Romantiker ging also dahin, das, was
unbewußt im Menschen schlummerte, ans Tageslicht zu ziehen.
,.Poesie ist Darstellung des Gemüts, der inneren Welt in ihrer
Gesamtheit." '^^) Darum beschäftigten sie sich so eifrig mit
den Leidenschaften und Krankheiten der menschlichen Seele
und wollten sie mit ihrem Wissen erfassen. In diesem Streben,
das stärkste Nerven erfordert, gingen sie meist zugrunde, denn
sie waren fast alle schwache Menschen. Mehr als einer mußte
seine Lust, den quälenden Zwiespalt zwischen Wollen und
Können zu überwinden, mit frühem Tode oder langem Wahn-
sinn büßen. Was aber keinem unter ihnen gelang, auch nicht
Novalis, der zu früh starb, um sein Ziel zu erreichen: die Ver-
einigung von Fühlen und Wissen, von subjektivistischem Künstler-
tum und wissenschaftlicher Phantasie, das vollbrachte Edgar
Allan Poe, den man in dieser Hinsicht als den vollkommensten
unter den Romantikern bezeichnen kann. Seine ganze Ver-
anlagung kam ihm darin entgegen. Er besaß eine ungeheure
Phantasie, war Visionär und hatte die seltene Gabe, kalt sein
eigenes Inneres beobachten zu können. Er sah den Wahnsinn,
die perversen Ideen und die Zwangsvorstellungen, die in ihm
wühlten, zerlegte ruhig, wie ein Anatom die menschlichen
Glieder, die Gefühle, die der Alkohol, das Morphium und andere
Berauschungsmittel in ihm erregten, und spann sie mit einer
Einbildungskraft, die keine Grenzen kannte und vor dem Un-
geheuren nicht zurückschreckte, bis zum äußersten aus. Mit
— 20 —
diesen Gaben nun verband sich ein durchdringender Verstand^
eine seltene Fähigkeit zur Analyse und ein unfehlbarer Blick
für die künstlerische Wirkung. Wie weit ihn auch seine Phan-
tasie führte, so verlor er doch nie den Überblick über das Ganze.
Selten ließ er sich zu Unklarheiten verleiten, die man viel
zahlreicher erwartet, denn bei allen Geistesgestörten gibt es ja
einen Punkt, bis zu dem sie ihres Verstandes sicher sind,
jenseits dessen aber alles im Nebel verschwimmt. Das eben
unterscheidet ihn von allen Roman tikeru, daß er die Fähigkeit
besaß, seinen Willen durchzuführen. Sie schufen zwar gute Er-
zählungsanfänge, aber selten eine gleichwertige Fortsetzung.
Alles zerflatterte bei ihnen ins Formlose, wodurch sie bald
ermüden mußten. Poe ist auch in seinen phantastischsten Er-
zählungen nie über die Grenzen der festen Kunstform hinaus-
gegangen.
Dies ist der Punkt, an den wir den Maßstab der künst-
lerischen Wertschätzung Poes im Vergleich zu den Romantikei'n
anlegen können. Sie waren assoziative Denker und Dichter. In
Fülle kamen ihnen die Einfälle und Anregungen geschossen,
durch die sie sich aber zu oft von dem festen Gang der Er-
zählung ablenken ließen. Wenn auch die Abschweifungen oft
Schönes bringen, so stören sie doch den regelmäßigen Lauf des
Dichtwerkes, verwirren, ermüden und verderben den künstlerischen
Gesamteindruck. Poe war andrer Natur. Er hatte das Ende
der Erzählung fertig im Kopfe und ließ es nie aus dem Auge.
Jeder Gedanke, ja jedes einzelne Wort erscheint darum für den
Gesamteindruck berechnet und war es auch. Es gibt bei ihm
keinen Stillstand und keine Abschweifung. Jeder Satz führt
auf dem geradesten Wege dem Ziele näher, der Stoff und die
Darstellung des Stoffes stehen in vollkommener Harmonie. Mit
anderen^ Worten: Der Stil seiner Werke ist vollendet. Wir
müssen ihn daher als einen größeren Künstler als einen jeden der
Romantiker ansehen, ja wir dürften ihn einen der bedeutendsten
überhaupt nennen, wenn nicht die Idiosynkrasie seines Denkens
dieses Lob einschränken würde. Seine Veranlagung zwang ihn
zur Einseitigkeit. Nur den kranken Menschen vermochte er zu
schildern, Grauen, Nacht und Tod waren die Gebiete, in denen
er herrschte. Aber „ein Kunstwerk mag wohl durch Nacht und
Grauen hindurchgehen, soll uns aber doch schließlich zum Lichte
führen, denn dazu ist der Künstler da, daß er den durch Zweifel
und Ratlosigkeit gemarterten Menschen die verworrene Er-
scheinung deutend löse".^«) Diese Forderung hat Poe nicht er-
füllen können. Er ergriff die Menschen und führte sie in die
tiefsten Schrecken hineiu, da aber verließ er sie. Mochte sich
— 21 —
ein jeder selbst aus der Irre herausfinden, denn Poe brachte
keine Befreiung.
Gemäß ihrer Hauptforderung: Kunst ist Darstellung de&
Innenlebens, mußten die Romantiker es verschmähen, das
Wunderbare, das ihren Werken stark anhaftet, von außen, alsa
durch abenteuerliche Handlung, in die Dichtung zu bringen.
„Nach innen geht der geheimnisvolle Weg. In uns oder nirgends
ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zu-
kunft."*^) In Übereinstimmung damit verlegt auch Poe das-
Wunderbare und die Erklärung daftir in die Tiefen der mensch-
lichen Seele, mit ihren unbewußten, meist auch unbekannten
Trieben verknüpft er das vom Verstände geleitete Leben und
erzeugt so seltsame Mißtöne. Er schildert den Streit zwischen
hysterischer Willenlosigkeit und besserem verstandesgemäßen
AV ollen, in dem die krankhafte Neigung die Überhand gewinnt.
Fixe Ideen, Grübelsucht, Wahnsinn, unmenschlicher Rachedurst,,
der Befriedigung noch Jahre nach der Beleidigung sucht, die
Qualen des bösen Gewissens treiben seine Menschen zu selt-
samen, oft sinnlosen Handlungen. Tiefes Versunkensein in sich
selbst, überreizte Sinne, die für Eindrücke aus andern Welten
empfänglich zu sein scheinen, unvergängliche Liebe entrücken
ihn der Erde und führen ihn dahin, wo das Wunderbare zum
Alltäglichen, das Alltägliche zum Wunderbaren wird. Diese
seine Grundmotive finden wir bei den deutschen Romantikern
meist schon behandelt, zum mindesten angeregt, wie später im
einzelnen auseinandergesetzt werden wird.
Im allgemeinen ist das Wunderbare und Entsetzenerregende
bei Poe auf die gleichen eigentümlichen Erscheinungen zurück-
zuführen, auf denen es auch bei den Romantikern, vor allem
bei Hoff mann, beruhte: die Annahme eines allgemeinen geistigen
Prinzips, das auf alle Menschen und unter ihnen wirkt, und das
Verschwimmen der Grenzen zwischen dem Innenleben des
Menschen und der äußeren Welt. AVie viele Romantiker, um
über diese Erscheinungen Klarheit zu gewinnen, mit Vorliebe
den Traum, den Wahnsinn und den tierischen Magnetismus
studierten, so hatte auch Poe ein tiefes Interesse für diese
Probleme. Dazu trat noch eine tiefe Sehnsucht, die Geheimnisse
des Todes und des Grabes kennen zu lernen, die ihm aber doch
andrerseits Entsetzen einflößten. Seitdem er, dem die Dunkel-
heit Furcht machte, als Knabe lange einsame Nächte, als „sie
traurig und kalt waren, als die Herbstregen fielen und der Wind
klagend über den Gräbern weinte",*^) an dem Grabe seiner
ersten mütterlichen Freundin, Mrs. Jane Stith Stannard, zu-
gebracht hatte, seitdem scheint sich ihm die Vorliebe für das
— 22 —
Grauen und die Nacht und die Nachtseiten der Seele unaus-
löschlich eingeprägt zu haben. Er schien auf Friedhöfen zu
leben und seine Nahrung aus den Gräbern zu saugen, er schien
die Toten zwingen zu können, ihm Eede zu stehen und ihm
ihre Schmerzen zu klagen, er sah die Gräber offen und die
Leichen im phosphorischen Lichte schimmern und viele, die die
Menschen für tot gehalten hatten, in fruchtlosem Ringen um
ihr Leben kämpfen und hörte ihr ergreifendes Wehegeschrei
zum Himmel schallen.*^) Sein Leben war erfüllt von Träumen
und ekstatischen Zuständen, in denen er die höchsten Wahrheiten
offenbart glaubte, wie in Traumzuständen viele Romantiker ihre
Menschen prophetische Zukunftsblicke tun ließen. Über sein
philosophisches Werk „Eureka", das nur reinste Wahrheit ent-
halten sollte, schrieb Poe: „To the few who love me and whom
I love — to those who feel rather than to those who think —
to the dreamers and those who put faith in dreams as in the
only realities — I offer this book of truths". Denen, die bei
Tage träumten, seien viel mehr Dinge bewußt als den nüch-
ternen Menschen, die nur bei Nacht träumten. „Thej" who dream
by day are cognisant of many things which escape those who
dream only by night. In their grey visions they obtain glimpses
of etcrnity, and thrill, in waking, to find that they have been
upon the verge of the great secret. In snatches they learn
something of the wisdom which is of good, and more of the mere
knowledge which is of evil. They penetrate, however rudderless
or compassless, into the vast ocean of the ,light ineffable', and
again, like the adventurers of the great Nubian geographer",
„agressi sunt mare tenebrarum, quid in eo esset exploraturi".**)
Und schließlich kam Poe dahin, daß seine Visionen ihm das tat-
sächliche Leben bedeuteten, während die Geschehnisse des wirk-
lichen Lebens wie graue Schemen eindruckslos an ihm vorüber-
zogen. „The realities of the world affected me as visions,
and as visions only, while the wild ideas of the land of dreams
became, in turn, not the material of my every-day existence,
but in every deed that existence utterly and solely in itself."*'i
Nur einen Schritt noch brauchte Poe weiterzugehen, und er war
am reinen Wahnsinn angelangt, dem gleichen Zustand, den
Hoff mann an seinem Einsiedler Serapion schildert, der „die Er-
kenntnis der Duplizität" verloren hatte, die Unterscheidung einer
inneren und einer äußern Welt, und der die Ereignisse, die er
nur geträumt hatte, als tatsächlich annahm. Poe sehnte sich
nach der Zeit, in der sein ganzes Leben den Träumen gleichen
würde^ die ihm auf Erden nur wenige Stunden beschieden waren,
wie Novalis, der das Leben im Geiste als das höchste pries,
— 23 —
wenn er sagte: „Die Außenwelt ist die Schattenwelt, sie wirft
ihre Schatten in das Lichtreich. Jetzt scheint es uns freilich
innerlich so dunkel, einsam, gestaltlos, aber wie ganz anders
wird es uns dünken, wenn diese Verfinsterung vorbei und der
Schattenkörper hinweggerückt ist. Wir werden mehr genießen
als je, denn unser Geist hat entbehrt ".^^) Auch Tieck ver-
kündete öfter das Traumleben als das wahre, z. B. im „William
Lovell" : „Die Träume sind vielleicht unsere höchste Philosophie,
die Schlüsse der Schwärmer sind für uns deswegen vielleicht
unverständlich und lückenvoll, weil wir es nicht begreifen, wie
in ihnen Vernunft und Gefühl vereinigt ist...",'*') oder im
„Phantasus" : „So könnte man denn wohl, unterbrach Theodor, aus
witziger Willkür mit der Wirklichkeit wie mit Träumen spielen
und die Geburten der Dunkelheit als das Rechte und Wahre
anerkennen wollen? — Tun denn so viele Menschen etwas
anderes? fragte Willibald. — Und tun sie denn so unrecht
daran? antwortete Ernst mit neuer Frage". '*^)
Man erkennt, in wie hohem Maße Poe die Eigenschaft, sich
vor dem tatsächlichen Leben ins Innere zurückzuziehen, mit
den Romantikern gemeinsam war.
Es kann nicht anders sein, als daß die Neigung, in Träumen
zu leben und Visionen gegen die Wirklichkeiten des Lebens
einzutauschen, nur in ganz besonderen Charakteren Platz greifen
wird. Es ist eben die Eigentümlichkeit des Romantikers, mit
emporgehobenem Blick durch die Welt zu wandeln, lustig und
heiter, wie Eichendorffs fahrende Schüler und Sänger, oder
trübe und selbstquälerisch, wie William Lovell oder Abdallah.
Der romantische Mensch ist zwiespältig, zwei Wesen wohnen
in ihm. Das eine strebt nach oben, das andere klammert sich
an der Erde fest. Immer suchen sich beide zu vereinigen und
kommen doch nie zusammen. Es fehlt ihnen die Kraft des
festen Zusammenhalts. Diese Schwäche war der Grund der
romaatischen Sehnsucht nach einem Unbestimmten, nach einer
geträumten Schönheit, die sie in weiter Ferne suchten, in heim-
lichen Wäldern oder wilden Gebirgen. Sie war der Grund, daß
sie ruhelos umher wanderten und nirgends heimisch waren, war
auch die Ursache, daß sie im Genuß keine Befriedigung fanden.
Denn im Genuß tauchte vor ihnen das Bild einer noch höheren
Schönheit auf, der sie nun nachjagten. Doch nirgends wurde
ihre Sehnsucht gestillt. Tieck sagt: „Im vollen Gefühle meines
Glücks, auf der höchsten Stufe meiner Begeisterung ergreift
mich kalt und gewaltsam eine Nüchternheit, eine dunkle Ahnung
— wie soll ich es dir beschreiben ? — wie ein feuchter nüchterner
Morgenwind auf der Spitze des Berges nach einer durchwachten
— 24 —
Nacht, wie das Auffahren nach einem schönen Traume in einem
engen trüben Zimmer".*^) Sie suchten, um der Seelenqual zu
entgehen, Befriedigung im Sinnenrausch, ohne sie zu finden.
Nur kurze Zeit machte der Wein sie ihre Schmerzen vergessen,
sie stießen bald die Frauen von sich. Ist es zu verwundern,
daß mancher dieser reizbaren, haltlosen Menschen sich von dem
Zwiespalt aufzehren ließ und früh zugrunde ging? Es wurde
auch fast keiner unter ihnen alt, und die wenigen, die länger
als 50 Jahre lebten, waren in der letzten Zeit ihres Lebens
ohne Bedeutung für die Dichtung. Ihr Schaffen fiel in die
Jugend, in die Jahre der heißen innerlichen Kämpfe, als das
Unbewußte gegen das Bewußte, der Geist gegen die Natur
rang und der Widerstreit sie oft dem Wahnsinn nahe brachte.
Da dem Wahnsinnigen aber die Schranken gefallen sind, an
denen die Eomantiker vergebens rüttelten, so fehlte es nicht an
Stimmen, die den Wahnsinn als einen höheren Zustand, als die
geistige Gesundheit ansahen. Deutlich geht dies aus Tiecks
Worten hervor: . . . „Wenige haben den raschen frechen Schritt
vorwärts getan, mit einem lauten Krach zerspringen die Ketten
hinter ihnen, sie stürzen unaufhaltsam vorwärts, sie sind dem
Blicke der Sterblichen entrückt. Das Geisterreich tut sich
ihnen auf, sie durchschauen die geheimen Gesetze der Natur,
ihr Sinn faßt das Ungedachte, in flammenden Ozeanen wühlt
ihr nimmermüder Geist, — sie stehen jenseits der sterblichen
Natur, sie sind im Menschengeschlechte untergegangen, — sie
sind der Gottheit näher gerückt, sie vergessen die Rückkehr zur
Erde — und der verschlossene Sinn brandmarkt mit kühner
Willkür ihre Weisheit Wahnsinn, ihre Entzückung Raserei ..." ''^)
In Poes Charakter sind alle die eben geschilderten Züge
vorhanden. Er lebte in Träumen, losgelöst von der Welt, an
die er doch gefesselt war und in der Reichtum zu gewinnen
sein glühender Wunsch war. Sein Inneres war zerrissen. Voll
Abscheu kehrte er sich von seiner Umgebung ab und strebte
dem Bild einer hohen Schönheit nach. Sie allein war seine heiße
Liebe, sie betete er an und suchte sie überall. Unstet durch-
wanderte er die Städte der Vereinigten Staaten und verweilte
nirgends lange. In der Nacht trieb es ihn von seinem Lager
empor und ruhelos und einsam streifte er umher. Nirgends aber
fand seine Sehnsucht Befriedigung. Sein von Natur aus leicht
erregbares Gemüt wurde immer reizbarer, der häufige Genuß
von Stimulantien brachte ihn dem Wahnsinn nahe. Und auch
er stellte ernstlich die Behauptung auf, daß Wahnsinn kein
untergeordneter Zustand sei. Im Gegenteil: „Men have called
me mad, but the question is not yet settled whether madness
— 25 —
is or is not the loftiest intelligence, whether much that is
glorious, whether all that is profound, does not spring froin
disease of thought, from moods of mind exalted at the expense
of the general intellect".^^) Allerdings ist dieser Wahnsinn
nicht so ganz der, den die Romantiker beschrieben, sondern
nur eine Apotheose der Idiosynkrasie von Poes Denken.
Poe wurde auch nicht alt. Im Anfang des vierten Jahr-
zehnts seines I^ebens hatte er den Höhepunkt seines dichteri-
schen Könnens erreicht. Was er von da ab schrieb, waren
meist Kritiken. Die wenigen Dichtwerke aber, die 1846 — 1849
entstanden, zeigen einen merklichen Verfall seiner geistigen
Fähigkeiten. Sein früher Tod, so beklagenswert er auch ist,
hat uns vielleicht doch nicht so viel geraubt, als man oft meint.
Stark beschäftigten die Romantiker die Wunder des Mes-
merismus oder tierischen Magnetismus. Fast alle studierten
diese Erscheinung, die ihnen zur Erklärung ihrer Annahme eines
allgemeinen geistigen Prinzips gute Beweise in die Hand lieferte,
und Hoffmann vor allem wurde nicht müde, das Thema hin und
her zu wenden. Auch Poe war von dem Vorhandensein eines
psychischen Prinzips fest überzeugt, durch das alle Menschen
in einer großen Verbindung ständen und das unabhängig von
Zeit und Raum wirke. Infolgedessen erkannte er auch das Vor-
handensein des tierischen Magnetismus, oder wie man damals
oft sagte, Mesmerismus, an, ja er ging mit seinen Folgerungen
aus diesem Phänomen viel weiter als seine Vorgänger.
Die Annahme des geistigen Prinzips stand mit der Welt-
anschauung der Romantiker im Zusammenhang. Die W^elt, so
sagten sie, ist ein einziges Ganzes, durch und durch mit Leben
erfüllt. Jedes Teilchen ist eine Welt im kleinen und hat die
Eigenschaften der großen Welt im entsprechenden Maße an
sich. Wenn aber alles mit Leben erfüllt ist, so muß es auch
Beziehungen zwischen allem geben, zwischen Organischem und
Anorganischem, zwischen der Erde und ihren Lebewesen und
zwischen diesen Lebewesen selbst. Zum Beweise dafür, daß
diese Beziehungen und damit die Einheit der Welt beständen,
wurde eben der tierische Magnetismus herangezogen, der die
Beziehungen zwischen den Teilen der Welt am deutlichsten
zeigte. Dem gleichen Zwecke mußte die romantische Ent-
wicklungslehre dienen.
Alles, so verkündeten die romantischen Philosophen, ist
aus dem großen Chaos hervorgegangen, in das Gott den Urkeim
einer jeden Art von Lebewesen in ihrer Vollkommenheit gelegt
hatte. Das höchste Lebewesen aber, der Mensch, ist noch
keineswegs auf dem Gipfel der Vollkommenheit angelangt, mit
— 26 —
der ihn Gott begabte, als er ihn schuf. Er hat im Lauf seiner
Entwicklung diese Vollkommenheit allmählich eingebüßt, und
seine Aufgabe ist es nun, sich zu dem ursprünglichen, höheren
Zustand wieder emporzuarbeiten. Es wird auch zweifellos eine
Zeit kommen, wo es eine noch vollkommenere Form seiner In-
dividualität geben wird, den Übermenschen, der vielleicht mit
vollkommen veränderten Sinneswerkzeugen ausgerüstet ist.
Individualität überhaupt ist das Ziel der natürlichen Entwick-
lung jeder Art. Sie ist nun die Vereinigung des Geistes mit
der Natur, höchste Individualität also, und damit Ziel und Be-
stimmung der Menschheit, innigste Durchdringung des Natür-
lichen durch das Geistige und nie Trennung beider. Auch
der Tod kann diese nicht herbeiführen. Er bewirkt im Gegen-
teil einen im Leben unerreichbaren Zusammenschluß von Geist
und Natur. Auch der Körper ist also unsterblich. Man stellte
sich nun die Leibesgestalt nach dem Tode verschieden vor,
meist so, daß die Form des irdischen Leibes beibehalten werde,
doch aus unendlich feinem Stoff bestehe. Die Sinne werden
bew^ahrt, werden aber sehr empfindlich und brauchen nicht an
Organe gebunden zu sein. Es kann vielmehr jeder Körperteil
AVerkzeug der Sinneswahrnehmung sein, was man auch an
Somnambulen beobachtete. Es werden uns darum im jenseitigen
Leben viel mehr Dinge offenbar sein, als wir jetzt infolge der
beschränkten Aufnahmefähigkeit unserer Sinne wahrnehmen
können, unser Bewußtsein wird also gesteigert, der Wert der
Persönlichkeit damit erhöht werden.
Der Glaube an die Einheit der Welt, die also von den
Romantikern aus dem tierischen Magnetismus und der Ent-
wicklungslehre bewiesen wurde, mußte notwendigerweise dahin
führen, den Menschen nicht für sich allein, als bloßes Individuum
aufzufassen, sondern ihn mit seiner irdischen Umgebung, ja
schließlich dem ganzen Weltall in Verbindung zu setzen, das
mit seinen Urelementen noch auf jeden einwirke. Der Mensch,
der sich aus dem Bewußtsein allein erklären läßt, ist kein
romantischer Mensch. Fremde, überirdische Einflüsse müssen
ebenso oder noch mehr in einem jeden tätig sein als der Ver-
stand. Er ist dem Klima, dem Einflüsse der Elemente und
Gestirne unterworfen. Und in der Tat beobachtete man Menschen
mit der Fähigkeit, gewisse Metalle und das Wasser zu fühlen,
wie es übrigens noch heute Rutengänger geben soll. Man
stellte ein Einwirken mancher Bäume und Pflanzen, des Mondes
und des Sternhimmels fest, nicht nur auf die Sinne, sondern vor
allem auf die seelischen Empfindungen, die Stimmung. Endlich
wies man auf deutliche Beziehungen zwischen Tier und Mensch
— 27 —
und den Menschen selbst hin. Wenn aber die g-esamte Natur
mit dem Innern des Menschen in Verbindung- steht, warum
nicht auch die Toten, deren Weiterleben nach dem irdischen
Tode von den meisten Romantikern angenommen wurde ! Nicht
wenige unter ihnen hielten in der Tat eine Einwirkung- Ab-
geschiedener auf den lebenden Menschen für denkbar.
Poes Anschauungen von der Welt und dem Menschen waren
ähnlich. Ihm stand es fest, daß die Welt aus einer Ureinheit
entstanden sei. Das Chaos habe sich in unendlich viele Welten
im kleinen gespalten, die aber wie die Urwelt mit Leben durch-
drungen seien und das Gefühl ihrer Zusammengehörigkeit nie
verloren hätten. Ein unendlich feiner, alles durchdringender
Stoff, der Weltäther, halte sie in ununterbrochener Verbindung.
Das Leben sei keineswegs auf die Tier- und Pflanzenwelt be-
schränkt. AVir irrten, wenn wir in törichter Selbstüberschätzung
annähmen, daß der Mensch für sich allein dastehe und in seiner
zeitlichen und zukünftigen Entwicklungsform eine größere
Wichtigkeit im Weltall habe als die Ackerkrume, der wir die
Seele aus einem sehr wenig tiefen Grunde absprächen: weil
wir das Gesetz ihres Seins und dessen lebendige Wirkung nicht
sähen. Er läßt daher die lebende mit der scheinbar toten
Natur in Verbindung treten. In einer Erzählung'-) verknüpft
er die grauen Steine eines Hauses mit dem Schicksal der Familie,
die es bewohnt, und läßt sie ein Leben für sich führen. Er
fühlt sich eins mit der ihn umgebenden Natur. So empfindet
er Unruhe und Schmerz bei der Betrachtung ihm nicht zu-
sagender Gegenden. Er sagt: „Grandeur in any of its moods,
but especially in that of extent, startles, excites — and then
fatigues, depresses. For the occasional scene nothing can be
better — for the con staut view nothing worse. And, in the
constant view, the most objectionable phase of grandeur is that
of extent ; the worst phase of extent that of distance. It is at
war with the sentiment and with the sense of seclusion —
the sentiment and sense which we seek to humour in ,retiring
to the country'. In looking from the summit of a mountain
we cannot help feeling abroad in the world. The heart-sick
avoid distant prospects as a pestilence".^^) Für Poe ist also
die Landschaft nichts als ein Spiegel für das Gefühl und die
Sinnlichkeit. Darin, vor allem in der Eigentümlichkeit, beim
Betrachten großer, offener Flächen Schmerz zu empfinden, zeigt
sich Poe in besonders enger Übereinstimmung mit Clemens
Brentano, der von sich sagte: „Kordelia war innig an mich ge-
fesselt und glücklich, da ich noch unfähiger meine Glut in
unbestimmte Sehnsucht ergoß, und doch wendete ich mich schon
3
— 28 —
leise zur Sinnlichkeit und konnte keine weite Aussicht ertragen . . ."
oder: „So wie ich geschlossene heimliche Gegenden liebte, so
war CS ihr höchstes Entzücken, von Bergen oder Türmen weit
hinauszusehen".^*)
Wenn je eine Landschaft auf Poe wirkte, so war es die
ernste, düstere Landschaft, nicht die heitere, vom Sonnenlicht
überstrahlte. „I love indeed, to regard the dark Valleys, and
the great rocks, and the waters that silently smile, and the
forests that sigh in uneasy slumbers, — and the proud watch-
ful mountains that look down upon, — all I love to regard
these as themselves but the colossal members of one vast
a n i m a t e and sentient whole — a whole whose form (that
of a sphere) is the most perfect and most inclusive of all;
whose path is among associate planets; whose meek hand-
maiden is the moon; whose mediate sovereign is the sun;
whose life is eternity; whose thought is that of a god;
whose enjoyment is knowledge; whose destinies are lost in
immensity; whose cognisance of ourselves is akin with
our own cognisance of the animalculae which infest the braiu,
a being which we regard in consequence as purely inanimate
and material, much in the same manner as these animalculae
must regard us."'^^) Poe ging also unbedenklich so weit, der
landschaftlichen Umgebung und damit der Welt ein gewisses
Gefühl, sogar persönliches Empfinden und das Vermögen, den
Menschen zu erkennen, zuzuschreiben. Er folgt darin den
Spuren Tiecks, Hoffmanns, Brentanos, Novalis' und anderer
Romantiker. Novalis hat den Gedanken sehr deutlich aus-
gesprochen: „Besondere Art von Seelen und Geistern, die Bäume,
Landschaften, Steine, Gemälde bewohnen. Eine Landschaft
muß man als Dryade und Oreade ansehen. Eine Landschaft
soll man fühlen wie einen Körper. Jede Landschaft ist ein
idealischer Körper für eine besondere Art des Geistes ..." ^^)
oder: „Die Natur ist eine Äolsharfe, sie ist ein musikalisches
Instrument, dessen Töne wie die Tasten höherer Saiten in uns
sind".")
Es war weiterhin die See, die tiefen Eindruck auf Poe
machte. Wind und Wellen, das Meer in ruhiger Pracht und
schäumender Wut und das AVasser in seinen tausendfachen
Farbentönen hat keiner besser zu malen verstanden als er.
Das Wasser und der Wind auch waren für ihn mit Leben erfüllt.
Im Windhauch lebten für ihn Geister der Toten; er brachte
ihm Töne und Düfte aus einer anderen Welt. Aus dem Meeres-
schaum aber schuf er sich seine zarten, durchsichtigen Frauen-
gestalten, die unter den zugreifenden Händen in ein Nichts
— 29 —
zerstieben. Poe schrieb auch eine kleine Abhandlung: „Essay
on Furniture*', in der er — außer einem erlesenen Geschmack —
sein Verständnis dafür bekundete, daß zwischen dem Wesen
des Menschen und der Art, wie er seine Wohnung einrichtet,
ein inniger Zusammenhang besteht und daß die nächste Um-
gebung des Menschen, wie Möbel, Teppiche, das Licht, wiederum
bestimmend auf ihn einwirkt.
In gleich naher Verbindung wie mit seiner toten oder
richtiger scheinbar toten Umgebung stand er mit den Lebe-
wesen. Als der scheue und empfindsame, verwaiste Knabe ver-
gebens Liebe bei seinen Pflegeeltern und Kameraden suchte,
flüchtete er zu den Tieren, die er liebte und pflegte und die
die Spielgenossen seiner frühen Kindheit wurden. In der Er-
zählung ,.Arthur Gordon Pym" beschreibt er die Liebe zwischen
dem schiffbrüchigen Knaben und seinem treuen Hunde, in
,.The Black Cat" seine Zuneigung zu Hunden und Katzen. Da
sagt er das schöne Wort: „Es liegt etwas in der aufopfernden
und selbstlosen Liebe eines Tieres, das unmittelbar zum Herzen
dessen spricht, der oft Gelegenheit hat, die Armseligkeit und
Unbeständigkeit der Menschen in Treue und Freundschaft zu
erproben". ^^) Freunde Poes haben bezeugt, daß er eine un-
gemeine Zuneigung zu zarten Wesen, wie Blumen und Vögeln,
gehabt hat, und wie die Romantiker die Seele des Tieres in
seinem Auge sahen und ihnen eine unbekannte, dem Menschen
verlorene Welt daraus entgegenstrahlte, wie sie im Blick des
gequälten oder sterbenden Tieres Vorwürfe, Liebe und Haß,
Fragen, überhaupt tiefere, menschenähnliche Empfindungen zu
lesen glaubten, so war auch Poe für das Ursprüngliche und
zum Herzen Sprechende im Auge des Tieres empfänglich. In
„Metzengerstein" sagt er: „The young Metzengerstein turned
pale and shrank away from the rapid and searching expression
of his (sc. the horse's) earnest and human-looking eye".^^) Es
ist demnach verständlich, daß die Menschen, die Poe schildert,
aus dem Bewußtsein allein nicht zu erklären sind. Sie alle
stehen unter dem Einfluß fremder Mächte, gute und böse Dämonen
streiten in ihnen um die Herrschaft, Dämonen, die in der Seele
anderer Menschen wohnen, die aber auch nicht von dieser Welt
zu sein brauchen, die auf anderen Planeten wohnen und von da
aus uns zum Guten oder zum Bösen lenken können. Darum
kann kein Mensch sich ganz kennen lernen, wie auch Poe in
seinem Wesen nie recht zu Hause war, in dem nur immer die
Leidenschaften stritten, die sein Verstand niemals ganz über-
wältigen konnte. Denn das Weltall, das uns umfasse und mit
jedem Atom auf uns einwirke, sei viel zu gewaltig, als daß ein
3*
— 30 —
Hensch es in seiner Größe erfassen könnte. Er wäre dann Gott.
Es müsse aber unser höchstes Streben sein, diesem Ziele ent-
gegenzueilen. Wir müßten uns nicht als Individuen, auch nicht
nur als Bürger der Erde, sondern als Bewohner des Weitalls
ansehen: „An infinity of error makes its way into our philo-
sophy through Man's habit of considering himself a Citizen of a
World solely — of an individual planet — instead of at least
occasionally contemplating his position as cosmopolite proper —
as a denizen of a universe".^^)
Da nun Poe weiterhin das irdische Leben nur als Vorstufe
eines schöneren Daseins nach dem Tode ansah und da er an
eine Art fleischlicher Auferstehung glaubte, so war für ihn die
Möglichkeit gegeben, daß die, die die Erde verlassen hätten,
mit den Lebenden noch in Verbindung stehen könnten, wenn sie
auch nicht ein jeder höre und sehe. Er verwendet demgemäß
das Motiv der Geistererscheinung in seinen Erzählungen und
benutzt es geschickt zur Erzeugung des Entsetzens. Aber er
tut dies in viel bescheidenerer und feinerer Weise als die Mehr-
zahl der Romantiker, die oft Erscheinungen auftreten ließen,
um ein Verbrechen zu rächen oder bei denen Tote wegen einer
ungesühnten Freveltat keine Ruhe finden konnten. Poe blieb
mit den Toten, die er geliebt hatte, in steter Verbindung.
Wenn seine Träume ihn dem Irdischen entrückt hatten, dann
hörte er im Wehen des Windes die Seufzer seiner Leonora,.
Ströme heiligen Duftes fluteten über ihn hin. Er sah die
wesenlosen Schatten an sich vorübergleiten, hörte ihren leisen
Tritt und fühlte ihren geisterhaften Kuß auf seinen Lippen, wie
Novalis, der am Grabe seiner Sophie Visionen von ihr hatte
und mit ihr Zwiesprache hielt, wie Achim von Arnim, der in
den „Gleichen" sagt:
„Wer zweifelt noch, daß Seelen der Verstorbnen
Aus Grabestiefen können wiederkehren,
Um ein geliebt Geheimnis zu enthüllen?" ^^^j
wie Hoff mann in gewisser Beziehung, der in der Auf-
regung seiner Phantasie die Geister, die er beschworen hatte,
wirklich sah, ihrer nicht Herr zu werden vermochte und gegen
ihren Andrang zu Hülfe rief, wie schließlich Tieck, Kleist, die
Mehrzahl der Romantiker überhaupt.
Die Ansichten, die Poe von dem Zustande nach dem Tode
äußerte, verraten unverkennbar den Einfluß romantischer
Philosophen, Schellings insbesondere. In verschiedenen Ge-
sprächen,^2) ^ijg j^^^ kämm Novellen nennen kann, tritt folgen-
des zutage:
— 31 —
Der Tod selbst ist ein Punkt, über den wir keinesweg-s
im klaren sind. Die Grenzlinien, die das Leben vom Tode
trennen, sind bestenfalls schattenhaft und unbestimmt. Wer
könnte sagen, wo das eine aufhöre und das andere beginne?
Wenn aber das, was wir Tod nennen, eingetreten ist, so ist
unserm Sein damit kein Ende gesetzt, auch nicht unsrer Ent-
wicklung. Zunächst beginnt eine außerordentlich rege Sinneu-
tätigkeit, wobei die Wahrnehmung immer noch auf die gewöhn-
lichen Sinneswerkzeuge beschränkt ist. Die Romantiker waren
auf die Annahme gekommen, daß die Sinnesorgane verschärft
und außerdem so erweitert würden, daß schließlich der ganze
Körper für Reize empfänglich würde. Man könnte also mit
dem ganzen Körper sehen, hören, riechen und fühlen. Poe
ging nicht so weit, ließ dafür aber die Endwirkungen der
Sinnenreize ineinander verschwimmen. Durch die geschlosseneu
Augenlider dringen ungehemmt die Ströme der Lichtstrahlen,
bringen aber die Wirkung von Tönen hervor, die angenehm oder
häßlich klingen, je nach dem Aussehen oder der Gestalt des
Gegenstandes, auf den das Licht fällt, ob er hell oder dunkel,
gekrümmt oder eckig ist. Töne werden gehört, wie sie der
Mensch auch hört, doch schärfer; das Gefühl aber verändert
sich. Es ist trag und langsam in der Aufnahme des Reizes,
bewahrt diesen aber lange Zeit und empfindet ihn als körper-
lich wohltuend. Alle Empfindungen sind rein sinnlich. Das
Gehirn arbeitet die erhaltenen Eindrücke nicht mehr zu Vor-
stellungen um. Schmerz- und Lustgefühl sind noch vorhanden,
doch nicht in moralischer Hinsicht. Das Klagen und Schluchzen
am Sarge empfindet der Tote als getragene, schwermütige
Melodien, die über ihn strömenden Tränen durchbeben jede
Fiber des Körpers mit Lustgefühl, die Nacht wirkt auf ihn
wie eine in weiter Ferne tobende Brandung. Allmählich aber
steigt ein neuer Sinn in ihm auf: das Gefühl der Dauer, der
abstrakte Sinn für Zeit, ein geistiges pendelndes Pulsleren, das
in absoluter Gleichmäßigkeit erfolgt. Die übrigen Sinne aber
beginnen langsam abzusterben, bis das Eintreten der Verwesung
ihrer Tätigkeit ein Ende setzt, doch noch immer kein voll-
ständiges. Solange der Wurm noch Nahrung findet, ist noch ein
matter Abglanz des früheren sinnlichen Empfindens vorhanden,
neben dem vorherrschenden Bewußtsein des Daseins, das aber
auch langsam schwindet. Dann treten an seine Stelle auf ewig
die Autokraten Raum und Zeit (Place and Time). Doch ist dieses
höchste Dasein nicht immateriell. Poe scheint sich unter den
Unsterblichen Wesen vorgestellt zu haben mit noch immer
menschlicher Sinneswahrnehmung. Im Weltenraum schweben
— 32 —
sie umher, dessen Unendlichkeit nur den Zweck habe, stets
neue, nie versiegende Quellen zu eröffnen, an denen die Seele
ihren Durst nach Erkenntnis löschen könnte, der unstillbar sei
und den zu befriedigen ihr Tod sein würde. In der Ewigkeit
werden auch die wieder vereint, die der Tod auf der Erde
voneinander gerissen hatte und die sich in der Grabesstarre
nacheinander gesehnt hatten, die Harmonie der Sphären umgibt
auf ewig die Glücklichen.
Die Ähnlichkeit dieser Anschauungen mit denen der Roman-
tiker: Das Bewußtsein nach dem Tode wird erhöht, das Indi-
viduum durch Loslösen vom Irdischen, Zufälligen einer höheren
Erkenntnis entgegengeführt, womit eine Weiterentwicklung nach
dem Tode zugegeben ist — ist deutlich.
Aber sollten diese Darlegungen, die zum Teil doch ziemlich
unwahrscheinlich anmuten, wirklich ernstlich aufgefaßt werden
oder müssen wir auch die „prose-poems" als „hoaxes" auf-
fassen? Die Täuschung wäre dann allerdings in diesen Er-
zählungen vollkommen, deren Worte erhaben, in eintöniger
Pracht dahinrauschen, in Stil und Form an biblische Offenbarungen
erinnernd. Die Gedanken sind ernst und würdig, von allem Ir-
dischen abgelenkt und in die Betrachtung des Ewigen allein
versunken. Doch erscheint mir das gewiß, daß die Neigung zur
Täuschung, zum „hoax", eine viel größere Rolle in Poes Leben
und Werk gespielt hat, als allgemein angenommen wird, und daß
manches, was man sich nicht zu erklären weiß, ein Ausfluß
dieser Eigenschaft ist.
Und dann ist noch ein Umstand zu beachten: Die sinkende
Nacht bringt auf den Toten das Gefühl eines schweren Ge-
wichts hervor und verstärkt einen klagenden Ton, der schon
den ganzen Tag hörbar war und dem Widerhall einer fernen
Brandung gleicht.^^) Das Rauschen von Wassern ist aber ein
typisches Merkmal epileptischer Anfälle. Poe könnte also Er-
innerungen aus einem Krankheitsanfall mit wirklichen An-
schauungen vereint haben. Doch da eine genaue Ausscheidung
des Krankhaften aus Poes Werken noch nicht unternommen
worden ist, haben wir vorläufig noch die Erzählungen so, wie
sie vorliegen, anzusehen.
Auch eine Art Entwicklungslehre finden wir bei Poe, die
sich freilich von der der Romantiker trennt; aber so wie diese
aus ihrer Entwicklungslehre und aus dem den Menschen inne-
wohnenden Drang nach Vervollkommnung zur Annahme des
Übermenschen gelangt waren, so kam Poe auf seinem Wege
zum selben Ziel. Er stellte sich vor, die genealogischen Um-
wälzungen auf der Erde und damit die Entwicklung- der Lebe-
— 33 —
weit seien durch das Entstehen der Planeten bewirkt worden.
Der Sonnenball, sich verdichtend, habe auf seiner Oberfläche
eine sich allmählich verdickende Kruste gebildet, diese aber
dann abgestoßen. Die fortgeschleuderten Massen hätten sich zu
einem Planeten zusammengeballt, die neuauflodernde Glut der
Sonne aber hätte tief auf die Natur der Planeten, also auch der
Erde, gewirkt und gewaltige Umwälzungen geschaffen. Die
gesamte Lebewelt der einen Epoche sei vernichtet worden. Aus
ihren Trümmern aber sei, wie der Phönix aus der Asche, eine
neue höhere Generation entstanden. Und nun führt ihn seine
Phantasie fort ins Unendliche. Könnte nicht, sagt er, dieselbe
Erscheinung noch einmal oder mehrere Male eintreten? Könnte
nicht die Sonne einen neuen Weltkörper von sich schleudern,
daß alles, was jetzt auf der Erde lebe, der Vernichtung anheim-
falle, dann aber, im Feuer geläutert, zu neuem Leben auf höherer
und schließlich höchster Entwicklungsstufe erwache? Dann
könne es einen Menschen geben, der so hoch über dem jetzigen
stehe, wie dieser zurzeit über der Tierwelt, einen Menschen
mit ganz neuen körperlichen Organen und weit höherer Gewalt
des Geistes. Es ist dies der Übermensch der Romantiker in
seinem Wesen, freilich durch einen ganz andern Gedankengang
erschlossen, einen Gedankengang, der aber von der Wissenschaft
schon abgelehnt war, noch ehe ihn Poe äußerte. Er hätte aber
auf gleichem oder ähnlichem Wege wie die Romantiker zu
diesem Ergebnis kommen können. Denn auch er war überzeugt,
daß es vor langer Zeit einen Zustand gegeben habe, wo die
Menschen inniger mit der Natur lebten als jetzt und wo sie
vollkommen glücklich waren. Die Dichter aber hätten dies
allein erkannt und sehnten sich in dieses Paradies zurück. „And
these men — the poets — living and perishing amid the scorn
of the utilitarians — of rough pedants, who arrogated to themselves
a title which could have been properly applied only to the
scorned — these men, the poets, pondered piningly, yet not
unwisely, upon the ancient days when our wants were not more
simple than our enjoyments were keen — days when mii-th was a
Word unknown, so solemnly deep-toned was happiness — holy,
august and blissful days, when blue rivers ran undamned, between
hills unhewn, into far forest solitudes, primaeval, odorous, and
unexplored. Yet these noble exceptions from the general misrule
served but to strengthen it by Opposition. Alas! we had fallen
upon the most evil of all our evil days. The great movement . . .
went on: a diseased motion, moral and physical. Art — the
Arts — arose supreme, and once enthroned, cast chains upon the
intellect which had elevated them to power. Man, becauso he
— 84 —
could not but acknowledge the majesty of Nature, feil into childish
cxultation at his acquired and stiU-increasing dominion over
her elements. Even while he stalked a God in his own fancy,
au infautine imbecillity came over him . . ." ®*) Und so ent-
fernte sich der Mensch immer mehr von dem Ideal, das er einst
verkörpert hatte. Nur eins vielleicht würde die Menschheit retten
können: die Wiedererweckung- des Geschmacks. „It was now
that taste alone could have led us gently back to Beauty, to
Nature, and to Life." ^^) Das beste Mittel dafür wäre der Weg,
den Plato angab : Gymnastik für den Körper und Musik für die
Seele, Musik, die nicht nur die Harmonie von Zeit und Klang
(the harmonies of time and tune), sondern auch die poetische
Diktion, dichterisches Fühlen und Schaffen im weitesten Sinne
umfassen müsse.
Aber Poe hatte den Glauben an die Menschen verloren. Er
hielt sie so, wie sie jetzt sind, für unfähig, den ehemaligen hohen
Entwicklungszustand wieder zu gewinnen. Was die Romantiker
in ihrem zuversichtlichen Glauben an die Macht des menschlichen
Willens und die Unverrückbarkeit seiner Bestimmung dem leben-
den Menschen zu erreichen für möglich hielten, das konnte Poe
nur von einer neugeschaffenen Menschheit erwarten, die im Feuer
geläutert und wiedergeboren sein müßte.
Die Romantiker konnten in ihrem Streben, das Unbewußte
ans Tageslicht zu ziehen, den Menschen im Kampfe mit Leiden-
schaften oder unter dem Einflüsse der Umwelt darstellen. Starke
Triebe und dunkle Einwirkungen, besonders wenn sie lange
unbemerkt bleiben, sich aber dann in gewaltigem Ausbruche Luft
machen, erregen in uns Entsetzen und Mitleid, nicht mehr. Denn
sie liegen im menschlichen Herzen und können darum von einem
starken Willen bezwungen werden. Wenn aber die böse Gewalt
außerhalb der Welt gelegt wird, wenn es also das Schicksal ist,
das uns umherwirft oder uns vernichtet, ohne uns zu beachten,
so packt uns Grauen. Vorstellungen, daß es nutzlos sei, sich
sein Leben selbst zurechtlegen zu wollen, und daß der Mensch
keine Macht habe, dem Schicksal bestimmend gegenüberzutreten,
vielmehr ergeben dulden müsse, was über ihn verhängt sei,
hatte die dem Verfall entgegengehende Romantik gepflegt, deren
Vertreter in noch höherem Maße als ihre Vorgänger Menschen
waren, „die mehr gelebt wurden als lebten".*'^) Daraus hatte
sich die Schicksalstragödie entwickelt. Das Verhängnis scheint
hier an unbedeutende Umstände gebunden, an einen feststehen-
den Tag oder einen mit Blutschuld beladenen Dolch. Über das
ganze Stück ist eine Vorahnung von Unglück ausgebreitet, die
die Handelnden und den Leser nicht verläßt. Um Stimmung
— 35 —
zu erzeugen, spielt das Stück meist in der Nacht, bei stürmischem
Wetter und Donner und Blitz. Wenn die quälende Spannung*
ihren Höhepunkt erreicht hat, dann bricht endlich das Unglück
herein, nicht elementar, sondern längst erwartet, nicht über
einen Unschuldigen und darum doppelt tragisch wirkend, sondern
über einen alten Verbrecher, der die Strafe lange schon ver-
diente.
Ähnliche Gedanken scheinen wir in einigen Novellen Poes
zu linden.^') Doch ist von vornherein zu betonen, daß Poe von
dem, was den Werken der deutschen Schicksalstragiker ihr be-
sonderes, oft verspottetes Gepräge gibt, einen durchaus mäßigen
Gebrauch gemacht hat. Es ist ihm gelungen, das Grauen vor
dem unvermeidlichen Schicksal zu erzeugen, doch ohne den
Fluch der Lächerlichkeit auf sich zu laden. Die Novellen spielen
auch in der Nacht, Donner und Blitz und Sturm fehlen nicht.
Auch die Vorahnung eines Unglücks lastet auf dem Leser und
wird mit kluger Berechnung immer mehr genährt. Auch
Kleinigkeiten, wie der Schlag einer Uhr, müssen diesem Zwecke
dienen. Aber wir empünden nie ein Zuviel von diesen Zügen.
Poe hat sich auf das zur Hervorbringung des beabsichtigten
Eindrucks Notwendige zu beschränken gewußt.
Da das Streben der Romantiker, in ihren Werken und in
sich Wissen und Fühlen zu vereinen, nie erfüllt wurde, hatten
sie es immer mit etwas Unvollkommenem, darum auch Un-
harmonischem und Krankhaftem zu tun, das schließlich zu einem
Grundzug ihres Wesens wurde. Die mit dem Krankhaften ver-
bundene Zuneigung zu den Nachtseiten der Natur förderte selt-
same Eigenschaften in ihnen zutage, die in ihrem Leben und
ihren Werken sich zeigen. Totenliebe, Vampyrismus, sexuelle
Perversität und wollüstige Grausamkeit sind Vorwürfe, an die
sich vor den Romantikern selten ein Dichter gewagt hatte, die
aber von diesen mit Vorliebe behandelt wurden, eben weil sie
ihrem Wesen vertraut waren. Themata dieser Art haben zu
viel des Grauenhaften in sich und fanden zu viel Anklang in
seinem Charakter, als daß Poe nicht wenigstens eines davon
behandelt haben sollte. Die Erzählung von Berenice, der furcht-
baren Leichenschändung der Geliebten, ist von romantischen
Dichtern wohl an Scheußlichkeit übertroffen worden. Aber
keiner hat es wie Poe verstanden, die dunklen Triebe, die zu dem
Verbrechen führen, mit solcher Klarheit aus seinem Innern
heraus zu schildern.
In der Art, wie Poe sich zur Wissenschaft und Philosophie
in ihrem Verhältnis zur Kunst des Dichters stellt, steht er ganz
auf romantischem Boden. Der wissenschaftliche Wea- der For-
— 36 —
schung wurde zwar von den Romantikern hochgeschätzt, doch
allein als unvollkommen betrachtet. Auch die Divination sollte
zu ihrem Rechte kommen. Wissenschaft und Phantasie müßten
sich vereinigen, und wo der Verstand sich Grenzen gesetzt finde,
da solle die Phantasie des Dichters einsetzen, die vielleicht zum
Höchsten gelange. Bei Novalis linden wir ein Fragment, das
diese Vereinigung fordert: „Der Skeptiker, mein Freund, hat
so wenig wie der gemeine Empirismus das mindeste zur Er-
w^eiterung der Wissenschaft getan. Der Skeptiker verleidet
hfjchstens den Hypothetikern den Ort, wo sie stehen, macht
ihnen den Boden schwankend ; eine sonderbare Art, Fortschritte
zustande zu bringen : w^enigstens ein sehr indirektes Verdienst.
Der echte Hypothetiker ist kein andrer als der PJrfinder, dem
vor seiner Erfindung oft schon dunkel das ersehnte Land vor
Augen schwebt, der mit dem dunklen Bilde über der Beobachtung,
über dem Versuche schwebt und nur durch freie Vergleichung,
durch mannigfache Berührung und Reibung seiner Ideen mit
der Erfahrung endlich die Idee trifft, die sich negativ zur posi-
tiven Erfahrung verhält, daß beide dann auf immer zusammen-
hängen und ein neues und himmlisches Licht die zur Welt ge-
kommene Kraft umstrahlt". ^^) So dachten die meisten der
Romantiker und Naturphilosophen. Ihre Phantasie führte sie
zu Annahmen, für die die Wissenschaft erst viele Jahre s])äter
den Beweis der Möglichkeit erbringen konnte. Wir finden z.B.
in den „Kronen Wächtern" Arnims eine phantastische Erzählung
von der Verjüngung eines alten schwachen Mannes durch das
Blut eines kräftigen Knaben, die lange Zeit nur als Hirngespinst
betrachtet worden ist,^®) und doch hat die neueste Wissenschaft
bewiesen, daß eine sogen. Transfusion des Blutes auszuführen
ist. Arnim erzählt auch von einem Taucherboot, das große
Strecken unter dem Wasser zurücklegen kann. Er hat sogar
eine sinnreiche Maschinerie erdacht und Mittel zur Versorgung
mit Luft, die ganz modern ansprechen. '^*^)
Mit derartigen Ansichten über die Wissenschaft in ihrem
Verhältnis zur Dichtung ist Poe vertraut. Er wird nicht müde,
scharfen Spott über die auszugießen, die den Theoretikern kein
Vertrauen entgegenbringen und nur zwei Wege zur Wahrheit
anerkennen, den induktiven und den deduktiven. Er nennt ihre
Art zu forschen „the crawling System" und wirft ihnen vor, sie
achteten mehr auf den Weg zur Wahrheit als auf sie selbst.
Er behauptet, alle wahre Wissenschaft mache ihre bedeutenden
Fortschritte in Sprüngen, und die Geschichte biete den Beweis
dafür. „AmoDg a tribe of philosophers" — so lauten seine
Worte — „who pride themselves excessively upon matter-of-
— 37 —
fact, it is far too fashionable to sneer at all speculation under
the comprehensive sobriquet ,guess-work'. The point to be con-
^idered is, who gfuesses. In guessing, with Plato, we spend our
time to better purpose, now and then, tban in hearkening to a
(iemonstration by Alcmseon . . ." '^) und an anderer Stelle: „I need
not suggest to you that crawling, among varieties of locomotion,
is a very capital thing of its kind; but because the tortoise is
sure of foot, for this reason must we clip the wings of the
eagles?"''^) Sogar zu feindseligen Äußerungen gegen die wissen-
schaftliche Forschung läßt er sich hinreißen. ,.But in all ages
the great obstacles in Art have been opposed by the so-called
men of science."'^) Nach diesen Sätzen verfuhr er auch selbst.
Er suchte sich einen festen Punkt, in dem seine Phantasie fußen
konnte, und begann von da aus weite Streifzüge in das unend-
liche Land der Möglichkeiten. Sein philosophisches Werk
„Eureka" beruht einzig und allein auf der Annahme, die er für
nicht zu widerlegende Wahrheit ansah, daß die Welt aus einer
Einheit entstanden sei, dann sich in verschiedene Welten ge-
spalten habe und schließlich zur Einheit zurückkehren müsse^
was den großen Untergang bedeuten würde. Mit dieser einen
Annahme aber steht und fällt das ganze Werk. Aus der Tat-
sache, daß man einem Menschen, der im mesmerischen Zustande
liegt, seinen Willen aufzwingen kann, zieht er die Folgerung,
daß der, der einen Totkranken in magnetischen Zustand ver-
setze, diesen kraft seiner Energie zwingen könne, weiterzuleben.'*)
Damit setzt er den Menschen zum Herrn über Leben und Tod.
Die damals noch ziemlich junge Erfindung der Ballons regt ihn
zu prophetischen Zukunftsblicken an, die durch ihre Wahrheit
überraschen. Er schildert eine Reise nach dem Mond im Ballon,
wobei er zur Überwindung der mannigfachen Schwierigkeiten
viel Scharfsinn aufbietet.'^) Er weist auf Flugmaschinen hin,
die aus einer großen Tragfläche mit einem Steuer bestehen
sollten, von einer Schraube angetrieben würden und ihre An-
fangsgeschwindigkeit dadurch erhalten sollten, daß man sie von
einem Hügel herabgleiten ließe. Er hatte aber dazu wenig Ver-
trauen. Vorteilhafter erschien es ihm, lenkbare Luftschiffe zu
bauen, für die er eine lange spitze Form und Antrieb durch
eine Luftschraube vorschlug, die den Ballon mit großer Ge-
schwindigkeit auch gegen den Wind vorwärtstreiben sollte.'^)
Die Erzählungen dieser Art sind mit großer Ernsthaftigkeit
und vielem wissenschaftlichen Aufputz vorgetragen, um die Er-
kenntnis zu erschweren, daß sie eigentlich Lügengeschichten
sind. Man hat aber oft den Eindruck, daß der Dichter im
stillen selbst an manche seiner Sätze geglaubt habe. Er schreibt
— 38 —
auch keineswegs immer ^YisseIlschaftlicheIl Unsinn. In einem
Zwiegespräch zwischen den Seelen zweier Abgeschiedenen be-
schreibt Poe den Untergang der Erde durch einen Kometen,
dessen unendlich feiner, stark sauerstoffhaltiger Schweif die Erde
umhüllt und durchdringt. In einem Feuermeere, das von dem
Sauerstoff d^s Kometen erzeugt wird, findet die Menschheit
und alles Leben auf der Erde ein Ende.") Gesetzt den Fall
der Möglichkeit eines Zusammenstoßes der Erde mit einem
Kometen von der angenommenen Beschaffenheit, die auch nicht
außer dem Bereich der Wahrscheinlichkeit liegt, so muß man wohl
annehmen, daß die Endkatastrophe unter den gleichen Umständen
erfolgen wird, wie Poe sie geschildert hat.
Und schließlich finden wir bei Poe auch Andeutungen von
dem, was den Romantikern das Höchste war: der romantischen
Ironie. Doch wie schon sie den Begriff, den sie keineswegs er-
funden haben, sondern nur mit Vorliebe pflegten, nicht eng um-
grenzten, so müssen wir ihm auch bei Poe freien Spielraum
lassen. Wir können ihn aus seinem Wesen herauslesen, ohne
ihn aber ausgesprochen zu finden. Romantische Ironie war
vollendetes Künstlertum, absolute Gewalt über den Stoff, das
freie Schweben über der Materie, die von der Form verzehrt
werden soll. Der Dichter soll den Gegenstand der Darstellung
so vollkommen in der Hand haben, daß er aus ihm machen
kann, was er will. Mit der Gewalt über den Stoff geht die
Herrschaft über den Leser und Hörer Hand in Hand. Eben
führte ihn der Dichter hoch mit sich empor in luftige Gefilde
der Phantasie, um ihn im nächsten Augenblick auf die Erde
zurückzuwerfen, und gleich beginnt das Spiel des Zerstörens
und Aufbauens der Stimmung von neuem. Schon Baudelaire
kannte ähnliche Neigungen in Poe und wunderte sich darüber.
Er spricht von Poes glänzender Beredsamkeit und fährt fort '^) :
„Mais il arrivait parfois — on le dit du moins — que le poete,
se complaisant dans un caprice destructeur, rappelait brusque-
ment ses amis a la terre par un cynisme affligeant et demo-
lissait brutalement son oeuvre de spiritualite". Das Gleiche sagt
ein anderer Biograph in den Worten: „Suddenly starting from
a proposition, exactly and sharply defined, in terms of utmost
simplicity and clearness, he rejected the forms of customary
logic, and by a cristalline process of accretion, built up by
ocular demonstrations in forms of gloomiest and ghastliest
grandeur, or in those of the most airy and delicious beauty — so
minutely and distinctly, yet so rapidly, that the attention which
was yielded to him, was chained tili it stood among his wonder-
ful creations — tili he hiraself dissolved the spell, and brought
— 39 —
bis hearers back to common and base existence, by vulgär
fancies or exhibitions of the ignoblest passion".^^) Was ist dies
anderes als ein Spielen mit dem dichterischen Stoffe und mit
den Hörern, als die Überwindung der Schwere der Materie?
Es ist aber wahr, daß ein gut Teil Hohn und Verachtung mit
hereinspielt, auch eine Art Schamgefühl Poes, unter den tätigen
Geschäftsleuten seiner Umgebung nichts, gar nichts anderes zu
sein als nur ein Dichter. Wir vermissen die heitere Ironie, die be-
sonders Tieck spielen läßt, z. B. im „Gestiefelten Kater" oder
im „Prinz Zerbino". Tiecks Ironie spottet auch ein Weniges über
das Publikum, doch so, daß man ihm nicht böse sein kann. Die
Bitterkeit Poes hatte ihren Grund im zerrissenen Innern des
Dichters, in seinem Unglück und seiner oft verständnislosen
Umgebung. Aber er sprach es auch ruhig aus, daß der be-
deutende Dichter sein Werk in der Hand haben müsse. Er
wandte sich gegen den Ausspruch Hardenbergs: „Der Künstler
gehört dem AVerk und nicht das Werk dem Künstler".^'') „In
the band of the true artist", sagt Poe, „the theme, or ,work'y
is but a mass of clay, of which anything (within the compass
of the mass and quality of the clay) may be fashioned at will,
or according to the skill of the workman. The clay is, in fact,
the slave of the artist. It belongs to him. His genius, to be
sure, is manifested, verydistinctively, in thechoice of the clay".^^)
Unter dem gleichen Gesichtspunkte darf man vielleicht den merk-
würdigen Aufsatz: „The Philosophy of Composition"'^-) ansehen,
der oft zu falschen Schlüssen über Poe verleitet hat. Er gibt
darin die angebliche Entstehungsgeschichte seines Gedichts „The
Raven" an. Als ihm der Gedanke, ein Gedicht zu schreiben,
gekommen sei, habe er zuerst die zukünftige Länge des Gedichts
bestimmt. Um den Eindruck möglichst wirkungsvoll zu machen,
habe er dann beschlossen, den Refrain zu verwenden, und zwar
müßte dieser kurz und wohlklingend sein. So sei er auf das
„nevermore" gekommen. Und nun gibt Poe weiterhin Schritt
für Schritt eine Entstehungsgeschichte für das Gedicht. Hat
man es vorher gelesen und ist davon ergriffen gewesen, so ist
man von dem Aufsatz zweifellos enttäuscht. Man kann sich
nicht vorstellen, es sei mit seiner faszinierenden Schönheit und
seiner Macht der Sprache auf eine so nüchterne Art entstanden.
Es liegt mit Wahrscheinlichkeit eine Vision oder Halluzination
zugrunde, eine starke Erregung, die der Dichter aber nicht zu-
gibt. Es kommt ihm vor allem darauf an, seine vollkommene
Beherrschung des Stoffes zu zeigen. Als die Welt über sein
Gedicht in Staunen geriet, als man von der ergreifenden Musik
der Sprache und der unheimlichen Schicksalsstimme des Raben
— 40 —
-ergriffen ward, da packte ihn die Ironie. Höhnend zeigte er,
daß das, was man aus der Verzw^eiflung und dem schmerz-
bewegten Herzen des Dichters geboren glaubte, nur das Er-
gebnis kühler Berechnung sei und daß er nur mit Gefühlen ge-
spielt habe. Die er eben zu hoher Begeisterung entflammt hatte,
die ernüchterte er um so tiefer. Man kann sich nicht von dem
Eindrucke befreien, daß Poe, der Analyse und Berechnung
leidenschaftlich liebte, einen großen Teil der kalten Berechnungen
aus dem vollendeten Gedicht erst nachträglich herausgezogen
habe.
Daß Poe die Forderung : Loslösung vom Stof e, in glänzender
Weise erfüllt hat, ist dem Leser seiner meisterhaft angelegten
Novellen bewußt. Aber ebenso gewiß ist, daß es Stunden ge-
geben hat, wo er ein Sklave des Stoffes war, der ihn mit sich
fortriß. Es sind die Zeiten gemeint, als sich die Grundgedanken
zu seinen Werken in ihm bildeten und Visionen und Träume
seiner Herr waren. Aber sobald sie feste Gestalt bekommen
hatten und er die Feder in die Hand nahm, um sie nieder-
zuschreiben, da war er wieder Herr über sie und formte sie
nach seinem Belieben.
Den Schluß dieses Abschnittes sollen einige Worte über
die Ansichten Poes und der Romantiker über die Kunst bilden.
Daß die Romantiker einen Abscheu vor der Kunst hatten, die
irgendwelchen Nützlichkeitszwecken dienen sollte, ist bekannt.
Sie standen darum der nüchternen Aufklärung feindlich gegen-
über, über die sie ätzenden Spott ausgössen, zumeist Tieck. Er
schrieb eine kleine Erzählung: „Peter Lebrecht. Eine Geschichte
ohne Abenteuerlichkeiten", an die er die „moralische Tendenz"
anhing. Darin machte er sich darüber lustig, daß jetzt jedes
Dichtwerk eine Moral haben müsse. Nein, die Kunst solle
vielmehr ihren Zweck in sich tragen. Sie solle um ihrer selbst
willen und um ihrer Schönheit willen ausgeübt werden und den
Menschen über alles Gemeine erheben. „Es ist ein so göttlich
Streben der Menschen, zu schaffen, was von keinem gemeinen
Zweck und Nutzen verschlungen wird — was, unabhängig
von der Welt, in eignem Glänze ewig prangt — , was von
keinem Rade des großen Räderwerks getrieben wird und keines
wieder treibt. Keine Flamme des menschlichen Busens steigt
höher und gerader zum Himmel auf als die Kunst." ^^) Zwischen
den einzelnen Künsten wird kein Unterschied gemacht. Sie ver-
schwimmen ineinander. Der Romantiker denkt in Farben und
sieht in Tönen. Gemälde können ihm zu Bildwerken oder Ge-
dichten, Gedichte zu Musik, Säulen zu Bildern werden. Die
Künste stehen fast gleichberechtigt nebeneinander. Manchmal
— 41 —
wird Poesie als die höchste angesehen, doch öfter die Musik,
denn sie wirkt am tiefsten auf das Gemüt ein. Hoffmann,
Novalis, Tieck sind einstimmig' in ihrem Preise. Vor allem aber
erhebt sie Wackenroder, der von ihr sagt : „Keine Kunst schildert
die Empfindungen auf so künstliche, kühne, so dichterische, und
eben darum für kalte Gemüter so erzwungene Weise. Das Ver-
dichten der im wirklichen Leben verloren umherirrenden Gefühle
in mannigfaltige feste Massen ist das Wesen aller Dichtung; sie
trennt das Vereinte, vereint fest das Getrennte, und in den
engeren Grenzen schlagen höhere, empörtere Wellen. Und wo
sind die Grenzen und Sprünge schärfer, wo schlagen die Wellen
höher als in der Tonkunst ?"^^)
Poes Ansichten von der Kunst sind gleich hoch. Nicht
A\'ahrheit, nicht Leidenschaft, am wenigsten aber Moral ist ihr
Zweck. Die moralische Dichtung war ihm ein Dorn im Auge.
Er haßte, verachtete und verspottete sie, obwohl die Stimmung
und der Geschmack seiner Zeit sie forderte. Wie Tieck seinen
„Peter Lebrecht", so schrieb auch Poe seine moralische Geschichte :
..Never Bet the De\dl Your Head. A Tale with a Moral", ^'^j
die die puritanische Anschauung verhöhnt. Poe forderte als
einziges Ziel der Kunst die Darstellung der Schönheit. Es ist
gleichgültig, wo wir sie finden, ob in Gestalten oder in Tönen
oder Düften oder Gefühlen. Aber die einfache Wiedergabe
dessen, was wir als schön empfinden, ist noch bei weitem nicht
die Kunst. „He who shall simply sing, with however glowing
enthusiasm, or with however vivid a truth of description, of
the sighs, and sounds, and odours, and colours, and sentiments,
which greet him in common with all mankind — he, I say, has
yet failed to prove his divine title. There is still the something
in the distance which he has been unable to attain. We have still
a thirst unquenchable, to allay which he has not yet shown us
the crystall Springs. This thirst belongs to the immortality of
Man. It is at once a consequence and an indication of his
perennial existence. It is the desire of the moth for the star.
It is no mere appreciation of the Beauty before us, but a wild
effort to reach the Beauty above. Inspired by an ecstatic prescience
of the glories beyond the grave, we struggle by multiform
combinations among the things and thoughts of Time to attain
a portion of that loveliness whose very Clements perhaps apper-
tain to eternity alone. And thus when by Poetry, or when by
Music, the most entrancing of Poetic moods, we find ourselves
melt into tears, we weep then, not . . . through excess of pleasure,
but through a certain, petulant, impatient sorrow at our inability
to grasp now, wholly, here on earth, at once and for ever,
— 42 —
those divine and rapturous joys of which throiigh the poem, or
through the music, we attain to but brief and indeterminate
glimpses."^^)
Poe war also Künstler um der Kunst willen, ein Verehrer
der Schönheit, die aber auf Erden vollkommen darzustellen ihm
unmöglich dünkte. Erst in einem andern Leben sei dies Ziel
zu erreichen. Auch die Romantiker hatten diese Vergeblichkeit
des Ringens nach der Schönheit eingesehen und sich mit der
Hoffnung künftiger Vollendung bescheiden müssen. Wacken-
roder, der am meisten unter dem Zwiespalt von Wollen und
Können litt, sprach seinen Schmerz darüber in den Worten
aus: „Wenn alle die innern Schwingungen unserer Herzens-
fibern — die zitternden der Freude, die stürmenden des Ent-
zückens, die hochklopfenden Pulse verzehrender Anbetung — ,
wenn alle die Sprache der Worte als das Grab der innern
Herzenswut mit einem Ausruf zersprengen : — dann gehen sie
unter fremdem Himmel, in den Schwingungen holdseliger Harfen-
saiten, wie in einem jenseitigen Leben in verklärter Schönheit
hervor und feiern als Engelgestalten ihre Auferstehung".^')
Was ist aber diese von den Fesseln der Sprache befreite Poesie
anderes als Musik? Diese verehrte auch Poe tief. Obwohl er
an „The Power of Words"^^) glaubte, die Allmacht des Wortes,
die es ihm möglich mache, alle Gedanken, die er je gehabt habe,
mit Worten auszudrücken, zu gewissen Zeiten sogar die un-
endlich feinen Phantasien und Gefühle, „the shadows of shadows'V*^)
die in seiner Seele entständen, wenn die Grenzen des Wachens
mit denen der Traumwelt verschwämmen, so hielt er doch nicht
die Dichtkunst für die höchste Kunst, so tief sie auch in die
Seele eindringe. Auch ihm lag der Gipfel der poetischen Schön-
heit in der Musik. „It is in Music perhaps that the soul most
nearly attains the great end for which, when inspired by the
Poetie Sentiment, it struggies — the creation of Supernal
Beauty. It may be, indeed, that here this sublime end is, now
and then, attained in fact. We are often made to feel, with a
shivering delight, that from an earthly harp are stricken notes
which cannot have been unf amiliar to the angels."^*^)
Vom Übergehen der Künste ineinander ist bei Poe nichts
zu finden. Er betrachtete sie alle als Zweige eines Stammes
und dem einen Zweck unterworfen : der Erhebung der Seele zum
Schönen — doch ohne sie vereinen zu wollen. Nur Musik und
Dichtkunst erscheinen bei ihm nicht deutlich geschieden. Er
pries die alten Barden und Minnesänger glücklich, daß sie die
Dichtkunst mit der Tonkunst vereinen konnten. Er legte auch
sehr hohen Wert auf die musikalische Wirkung seiner Gedichte.
— 43 —
Sie haben manchmal einen ruhig dahinströmenden, öfter einen
schmerzbewegten, aufwühlenden Tonfall. Wie Wellen von Tönen
fluten sie vorüber. Wenn Poe Dichtungen vortrug, so sagt man,
er habe sie fast gesungen.
Nachdem also versucht worden ist, Poes Grundanschauungen
und Wesen als romantisch darzustellen, kommen wir zur Be-
sprechung seiner Novellen, die oft Gelegenheit geben werden,
die gewonnenen Urteile über Poe zu vertiefen oder ihn sogar
in stofflicher Abhängigkeit von einzelnen Romantikern zu zeigen.
POES ERZAEHLUNGEN
Ehe man an eine Betrachtung des ziemlich umfangreichen
Stoffes im einzelnen gehen kann, macht es sich nötig, ihn im
ganzen zu überblicken und zu ordnen. Es läßt sich etwa folgende
Einteilung der Novellen treffen ^^):
1. pseudowissenschaftliche Erzählungen, dasheißt
solche, die den Lügen- und Abenteuergeschichten Swifts
und Defoes ungefähr entsprechen, aber mit einer größeren
Fülle wissenschaftlicher Beitaten verbrämt sind;
2. Geheimniserzählungen. Schwierige Fragen werden
durch glänzenden Scharfsinn gelöst. Krirainalfälle und Ge-
heimschriften sind die Ausgangspunkte der Untersuchung;
3. die eigentlich romantischen Erzählungen Poes, die
einen Gemütszustand, Leidenschaften, Mesmerismus u. a.
zum Gegenstand haben;
4. untergeordnete Erzählungen. Sie bringen die Aus-
führung eines komischen Einfalls, einer Anregung, die Poe
irgendwoher empfangen hatte, eine kleine Satire, oft auch
nur die nackten Bilder eines Krankheitszustandes und
ähnliches.
Es ist selbstverständlich, daß sich bei dieser wie bei jeder
schematischen Einteilung Härten nicht umgehen lassen. Bei
mancher Erzählung muß man schwanken, welcher Unterabteilung
sie einzureihen ist oder ob man sie überhaupt in eine bestimmte
Klasse bringen kann. Z. B. sind die „prose-poems" „The Power
of Words", „The Colloquy of Monos and Una", „The Conver-
sation of Eiros and Charmion" einerseits kaum Novellen zu
nennen, denn sie haben so gut wie keine Handlung. Sie wären
4
— 44 —
vielleicht als Essays zu bezeichnen. Andrerseits ist man im
Zweifel, ob man sie nicht, wie auch „Mesmeric Revelation" und
„The Facts in the Gase of M. Waldemar", unter die pseudo-
wissenschaftlichen Erzählungen stellen muß. Die Einteilung
soll eben nur einer Übersicht über den ausgedehnten Stoff dienen.
Die Erzählungen der ersten Gruppe lassen keinen Einfluß
der Romantiker erkennen. Es liegt dies in ihrer Natur als
Lügen- und Abenteuergeschichten, die mehr eine spannende,
straff aufgebaute und nie ruhende Handlung als eingehende
Charakterzeichnung oder Darlegung des Innenlebens verlangen.
Einzig das romantische Streben tritt zutage, der langsam vor-
wärts schreitenden Wissenschaft mit Phantasie und dichterischer
Divination zu Hilfe zu kommen und ihr neue Wege zu weisen.
Wenig romantischen Einfluß lassen auch die Erzählungen der
zweiten Klasse erkennen. Es sind glänzende, äußerst scharf-
sinnige Novellen, die von einer außerordentlichen Befähigung
Poes für die Analyse zeugen. Sein Denken erscheint so metho-
disch und klar geregelt, daß man auf den Gedanken kommt, er
habe den Traum des Novalis verwirklicht, man könne vielleicht
mittels eines dem Schachspiel ähnlichen Spiels Gedanken zu-
stande bringen.^^) An die Spitze der Erzählung „The Mui^ders
in the Rue Morgue" schrieb Poe das stolze Wort : „ What song
the Syrens sang, or what name Achilles assumed when he hid
himself among women, although puzzling questions, are not
beyond all conjecture".^*) Aus den unbedeutendsten Umständen,
die der Aufmerksamkeit aller andern entgingen, zog er seine
unfehlbaren Schlüsse. Er sagt: „Truth is not always in a w^ell.
In fact, as regards the more important knowledge, I do believe
that she is unvariably superficial. The truth lies not in the
Valleys where we seek her, but upon the mountain-tops where
she is found. The modes and sources of this kind of error are
well typified in the contemplation of the heavenly bodies. To
look at a star by glances — to view it in a side-long way, by
turning towards it the exterior portions of the rctina (more
susceptible of feeble impressions of light than the interior) is to
behold the star distinctly — is to have the best appreciation
of its lustre — a lustre which grows dim in proportion as we
turn our vision fully upon it. By undue profundity we perplex
and enfeable thought; and it is possible to make even Venus
herseif vanish from the firmament by a scrutiny too sustained,
too concentrated, or too direct".^^) Es ist dies ein Gedanken-
gang, den wir ähnlich auch in den Fragmenten Hardenbergs
ausgedrückt finden : „Vielleicht habe ich meine glücklichen Ideen
— 45 —
dem Umstände zu danken, daß ich einen Eindruck nicht voll-
kommen gegliedert und durchgängig bestimmt empfange, sondern
durchdringend in einem Punkte, unbestimmt und absolut fähig".*®)
Tieck scheint dieselbe Beobachtung gemacht zu haben, wenn er
sagt: „Ich glaube, daß durch das starre Hinschauen das Auge
ebenso geblendet werde wie durch ein irres Herumfahren von
einem Punkte zum andern".^")
Die Schlüsse Poes sind also aus Begleiterscheinungen ge-
zogen, die dem Unbefangenen nebensächlich und Zufall dünken
müssen, ihm aber das Wichtigste waren. Es gab im strengen
Sinne für ihn gar keinen Zufall. Zum mindesten waren ihm
-Zufälle kein Hindernis in seinen Folgerungen, er zog sie viel-
mehr in seine Berechnungen und entdeckte in ihnen eine gewisse
Regelmäßigkeit. Folgende Stellen mögen dies deutlich machen:
„Not the least usual error, in investigations such as this,
is the limiting of inquiry to the immediate, with total disregard
of the collateral or circumstantial events. It is the malpractice
of the Courts to confine evidence and discussion to the bounds
of apparent relevancy. Yet experience has shown, and a true
philosophy will always show, that a vast, perhaps the larger
portion of trath, arises of the seemingly irrelevant. It is through
the spirit of the principle, if not precisely through its letter,
that modern science has resolved to calculate upon the un-
forescen. — It is no longer philosophical to base upon what has
been a vision of what is to be. Accident is admitted as a por-
tion of the substructure. We make chance a matter of absolute
calculation. We subject the unlooked for and unimagined to
the mathematical formulae of the schools".^^) Oder:
„Coincidences, in general, are great stumbling-blocks in the
way of that class of thinkers who have been educated to know
nothing of the theory of probabilities — that theory to which
the most glorious objects of human research are indebted for
the most glorious of illustration".®®) Und schließlich:
„There are few persons even among the calmest thinkers,
who have not occasionally been startled into a vague yet thrilling
half-credence in the supernatural, by coincidences of so seem-
ingly marvellous a character that, as mere coincidences, the
intellect has been anable to receive them. That sentiments are
seldom thoroughly stifled unless by reference to the doctrine
of Chance, or as it is technically termed, the Calculus of
Probabilities. Now this Calculus is in its essence purely mathe-
matical; and thus we have the anomaly of the most rigidly
exact in science applied to the shadow and spirituality of the
most intangible in speculation".^^^)
4*
— 46 —
Es ist wiederum in den Fragmenten des Novalis, daß wir
ähnliche Gedanken ausgesprochen finden, einem Werke, das
wir um so mehr heranziehen dürfen, als Poe eine der Kriminal-
erzählungen, „The Mystery of Marie Roget", mit einem Frag-
mente Hardenbergs überschrieben hat und auch anderweits eine
nähere Kenntnis der Fragmentensammlung verrät.^^^) An dieser
Stelle können folgende Aufzeichnungen Hardenbergs zum Ver-
gleiche dienen: „Erhebung des Zufälligen zum Wesentlichen,,
des Willkürlichen zum Fato, z. ß. in der Astrologie die Folge-
rungen aus den willkürlichen Namen der Planeten und Stern-
bilder".^«-)
„Wer rechten Sinn für den Zufall hat, der kann alles Zu-
fällige zur Bestimmung eines unbekannten Zufalls benutzen ; er
kann das Schicksal mit gleichem Glück in den Stellungen der
Gestirne als in Sandkörnern, Vogelflug und Figuren finden. •'^«=^)
„Auch der Zufall ist nicht unergründlich, er hat seine
Regelmäßigkeit."^*^^)
Das Fragment, das Poe als Motto über die schon genannte
Erzählung gesetzt hat, hat einen ähnlichen Inhalt. Man könnte
also mit gutem Grunde annehmen, Poe sei durch das Studium
der „Fragmente" zu Gedanken über die Macht des Zufalls und
indirekt dadurch zu seineu Geheimniserzählungen angeregt worden.
Will man nicht so weit gehen, so ist doch die Übereinstimmung
zwischen Novalis und Poe in dieser Hinsicht nicht zu leugnen.
Es mag noch darauf hingewiesen werden, daß die Haupt-
person in den Kriminalnovellen, die Poe Mr. Auguste Dupin
nennt, eine eigentümliche Gewohnheit hat, die auch dem Majorats-
herrn in Achims von Arnim gleichlautender Erzählung ^*^^) eigen
ist. Dieser schläft gewöhnlich bei Tag und steht erst, wenn
die Sonne im Sinken ist, aus dem Bette auf. Wenn alles schläft,
erleuchtet er sein Zimmer tageshell, um seine Bücher und Hand-
schriften zu durchlaufen und sein Tagebuch fortzuführen. In
ähnlicher Weise ist Mr. Dupin in die Nacht verliebt. Bei Tag
verschließt er fest alle Fenster, daß kein Lichtstrahl eindringen
kann und liest und träumt bei Kerzenschein, nachts über streift
er in den schwach erleuchteten Straßen umher und setzt seine
Träumereien fort. — Doch ist dies w^ahrscheinlich nur eine zu-
fällige äußere Ähnlichkeit.
Überraschende Übereinstimmungen aber in der Fähigkeit zu
analytischen Schlüssen und der Kunst, aus kleinsten Anzeichen
die Geschehnisse folgerichtig rückwärts wieder aufzubauen, finden
wir, wenn wir Poes Geheimniserzählungen mit Hauffs Märchen:
„Abner, der Jude, der nichts gesehen hat'V«^) vergleichen.
Abner und Dupin zeigen gleichen Scharfsinn und verblüffen durch
— 47 —
ihre Schlüsse. Doch ist ein grundsätzlicher Unterschied zwischen
Hauffs und Poes Erzählungen vorhanden: Während der Jude
Abner seine Analyse auf den Raum, auf die Umgebung des
Menschen beschränkt, zergliedert Dupin die feinsten Regungen
<ler Seele, geht also psychologisch vor.
Die dritte Gruppe der Novellen Poes enthält die eigentlich
romantischen Erzählungen Poes, Erzählungen voller Geheimnisse
und Schrecken. Da sie eine ziemliche Anzahl umfassen — ca. 30 — ,
kann nur von den bedeutenden eine nähere Inhaltsangabe ge-
bracht werden.
Betrachten wir zunächst die Erzählungen, die sich mit den
Erscheinungen des Mesmerismus beschäftigen. Es sind dies:
1. MESMERIC REVELATION
2. THE FACTS IN THE GASE OF M. VALDEMAR
3. A TALE OF THE RAGGED MOUNTAINS
In der ersten Erzählung ^^') legt Poe dar, daß er von dem
Vorhandensein des tierischen Magnetismus fest überzeugt sei.
Er gibt an, das Werk des Franzosen Cousin über den Mes-
merismus studiert zu haben, und scheint auch Kenntnis von
anderen Arbeiten über den gleichen Gegenstand gehabt zu haben.
Der Inhalt der Erzählung ist ein Gespräch zwischen dem
Magnetiseur und dem Magnetisierten über metaphysische Gegen-
stände. Poe betrachtet den somnambulen Zustand, das Hell-
sehen, als einen höheren Zustand. Gewöhnlich nimmt man an,
daß der Magnetisierte so vollständig unter dem geistigen Ein-
flüsse des Magnetiseurs stehe, daß er nur mit dessen Gedanken
denken könne, daß mithin auch seine Anschauungen nicht über
i\en Gedankenkreis des Magnetiseurs hinausreichen könnten.
Wenn aber Poe den Kranken Äußerungen über Gott, den Zu-
stand nach dem Tode und die letzten Zusammenhänge des Welt-
alls tun läßt, so geht er weit darüber hinaus. Er setzt ihn in
unmittelbaren Zusammenhang mit der Welt und ist damit bei
der romantischen Anschauung angelangt, die den Menschen als
ein Glied des Universums ansieht, mit dem er unauflöslich ver-
knüpft sei. Die Unvollkommenheit und Willenslosigkeit des
gewöhnlichen magnetischen Zustandes ist aufgehoben, es ist ein
höheres, ekstatisches Hellsehen, das die Kraft verleiht, in den
tiefsten Zusammenhang der Dinge zu blicken.
Im einzelnen gleichen die Anschauungen Poes über den
Magnetismus, wie er sie in diesen Erzählungen ausspricht, denen,
die wir bei den Romantikern, größtenteils bei Hoffmann, finden,
und auch denen Mesmers selbst. Die äußeren Sinne sind un-
tätig, das Empfindungsvermögen ist aber ungemein geschärft
— 48 —
und von den Sinneswerkzeugen unabhängig*. Hoffmann sagt von
einer Somnambule: „Sie las einen Brief, den er ihr auf die
Herzgrube legte . . .'V^^) und anderswo: „Denke einmal, liebe
Adelgunde, ich träume jetzt oft, ich könnte mit geschlossenen
Augen, als sei mir ein anderer Sinn aufgegangen, Farben er-
kennen, Metalle unterscheiden, lesen usw., sobald es nur Alban
(sc. der Magnetiseur) verlange ".^^^) Die Erklärung dafür suchten
die Romantiker in der Annahme eines inneren Körpers, des
Astralleibes, der unmittelbar mit der Natur in Verbindung stände,
dessen AVahrnehmungen aber im wachen Zustande von den sinn-
lichen Wahrnehmungen übertäubt würden. Der Astralleib sei
der unsterbliche Teil des Menschen. — Äußerungen Poes lassen
erkennen, daß seine Anschauungen sehr ähnlich waren. Als
man am Schlüsse des Gesprächs den magnetischen Zustand auf-
hebt, stirbt der Kranke ganz plötzlich und fällt in wenigen
Augenblicken in einen Zustand von Starrheit, wie er gewöhnlich
erst längere Zeit nach dem Tode einzutreten pflegt. Poe deutet
darauf hin, daß der irdische Tod schon eingetreten war, als der
Hellsehende noch sprach. „Had the sleep-waker, indeed, during
the latter portion of his discourse been adressing me from out
the region of the shadows?"^^^) Das Sprechen nach dem leib-
lichen Tode ist nur daraus zu erklären, daß Poe in der Tat
einen Astralleib annahm, was auch aus folgenden Worten deutlich
hervorgeht: „There are two bodies — the rudimcntal and the com-
plete, corresponding with the two conditions of the worm and
the butterfly. What we call „death" is but the painful metamor-
phosis. Our present incarnation is progressive, preparatory,.
temporary. Our future is perfected, ultimate, immortal".^^^) ..When
I am entranced the senses of my rudimental life are in abeyance^
and I perceive external things directly, without organs, through
a medium which I shall employ in the ultimate, unorganised
life.""^)
Den Gedanken, Schlaf wach ende als Weissager darzustellen^
finden wir schon bei Hoffmann verwertet, und zwar im „Kater
Murr". Dort versetzt ein Italiener, Severino, ein Mädchen,.
Chiara, in sehr tiefen magnetischen Zustand, in dem ein pro-
phetischer Geist in ihr aufglüht.^^^j ijjj.g wahrhafte Weissagungs-
gabe bringt dem Italiener unendlichen Zulauf und Gewinn. Wie
verschieden ist die Ausführung des Gedankens! Bei Hoffmann
ist es ein Taschenspieler, der um des Gewinnes willen ein Kind
seinem Willen unterwirft, sind es Neugierige, die müßige Fragen
stellen. Bei Poe sehen wir ernste Männer. Um ihren Wissens-
durst zu befriedigen und Fragen aufzuklären, die vor dem Hell-
sehenden wohl offen daliegen, deren Lösung aber mit der Ekstase
— 49 —
verschwunden ist, wird diese künstlich herbeigerufen. Poe hat
also das Problem von einem höheren Standpunkte aus be-
trachtet.
Weiter ausgebildet ist die Idee, die die vorige Novelle
schloß, in der zweiten Erzählung: „THE FACTS IN THE GASE
OF M. VALDEMAR".^^^) Ein Kranker wird kurze Zeit, ehe der
Tod eintreten muß, in magnetischen Zustand versetzt und einfach
dadurch, daß man diesen nicht aufhebt, scheinbar am Leben
erhalten. Scheinbar! Denn man ist sich nicht ganz klar darüber^
ob der Magnetisierte wirklich tot ist oder noch lebt. Auf Fragen
gibt er zunächst an, daß er schlafe, dann, daß er noch schlafe,,
aber im Sterben liege, bis plötzlich eine starke Änderung in
seinem Aussehen eintritt. Er nimmt ganz das Aussehen eines
Toten an, die Farbe weicht aus seinen Wangen, der Unterkiefer
klappt herunter. Als aber wieder die Frage, ob er noch schlafe,
an ihn gestellt wird, antwortet er, doch mit ganz veränderter,
schriller, hohler und gebrochener Stimme: „Yes — no; — I have
been sleeping — and now — now — I am dead".^^"*) Er spricht
mit Tönen, die aus weiter Ferne zu kommen scheinen, ohne die
geöffneten Kiefer zu bewegen. Nur die Zunge zittert stark.
— Im gleichen Zustande bleibt der Körper sieben Monate! Als
man nach dieser Zeit wiederum eine Frage an ihn richtet, bricht
zum zweiten Male die seltsame Stimme aus dem starren Munde
hervor: „For God's sake! — quick — quick! put me to sleep
— or quick! — waken me! — quick! I say you that I am
dead".^'-^) Und als man nun schnell den magnetischen Zustand
aufhebt, da, unter Ausrufungen: dead! dead! schrumpft in weniger
Zeit als einer Minute der Körper unter den Händen der Ärzte
zusammen. Auf dem Bette lag eine beinahe flüssige Masse
häßlicher, widriger Verwesung.
Über die Möglichkeit der Erzählung, die das Abscheulichste
enthält, was Poe geschrieben hat, ist es wohl unnötig, zu sprechen.
Zur damaligen Zeit ergingen aber viele Fragen an den Ver-
fasser, ob der Fall in der Tat vorgelegen habe. Er hat selbst
gesagt, die Erzählung sei reine Erfindung. ^^^) Sie dürfte demnach
als „hoax" aufzufassen sein. Daß Poe an die Möglichkeit der
Durchführung dieses oder eines weniger übertriebenen Falles
geglaubt hat, ist nicht zu erweisen, aber unwahrscheinlich.
Einige besondere Punkte sind hervorzuheben. Die Stimme
des Magnetisierten tönt wie aus weiter Ferne, sie hat einen
ganz anderen Klang als im gewöhnlichen Zustand. Es soll wieder
darauf hingewiesen werden, daß zwei Wesen im Menschen
wohnen, das eine, innere, uns unsichtbar und nur im Schlafe
zutage tretend. Vielleicht soll auch die Änderung der Stimme
— 50 —
ein Zeichen dafür sein, daß der äußere sich schon vom inneren
Leib getrennt hat und im Totenreiche weilt.
So weit war keiner der Romantiker gegangen. Sie waren
auch der Meinung, daß im Somnambulen und Schlafwachenden
ein anderes Wesen die Vorherrschaft über den sinnlichen Leib
gewonnen habe, und ließen darum die Somnambulen mit ver-
änderter Stimme sprechen. Hoffmann z. B. sagt: „Die somnam-
bule Dame fing an, zu reden, aber mit ganz verändertem, seltsam
und, wie ich gestehen muß, über die Maßen wohlklingendem
Organ . . .'V^') ^^^ ^^ anderer Stelle spricht er von ..der ins
Herz dringenden, das Innerste erfassenden Geisterstimme"^^^)
der Somnambule. Aber es soll immer nur auf die Doppelnatur
im Menschen hingewiesen werden und daß es der innere Mensch
ist, der aus dem Somnambulen spricht. Nie wird er von dem
meist nur im Schlafe liegenden, niemals leblosen äußeren Menschen
getrennt.
Auf die Spitze getrieben ist der Gedanke, durch Magnetismus
ein Leben künstlich zu erhalten, in der dritten Erzählung der
Gruppe: „A TALE OF THE RAGGED MOUNTAINS".^^^^)
Der Erzähler lernte in den Ragged Mountains einen Herrn
Bedloe kennen, einen Mann von eigentümlicher Erscheinung.
Er war sehr lang, dünn und hatte große runde Augen, die im
Augenblick der Erregung äußerst hell funkelten, gewöhnlich
aber den erloschenen Augen eines Menschen glichen, der schon
lange im Grabe gelegen hat. Bedloe hatte zum ständigen Be-
gleiter einen Arzt, Dr. Templeton, der auf die Lehren Mesmers
schwur, Bedloe nur magnetisch behandelte und mit ihm in
stetigem „Rapport" stand. Bedloe hatte die Angewohnheit, früh
etwas Morphium zu sich zu nehmen, dann allein auf eine nahe
Hügelkette zu gehen und den Vormittag da zu verträumen.
Eines Tages blieb er sehr lange aus und kam erst am Abend
heim, ungewöhnlich erregt. Er berichtete, daß er am Vormittag
in eine einsame, ihm noch fremde Schlucht gekommen sei, in
der ihm seltsame Abenteuer zugestoßen wären. Er habe fremde
Menschen, Hyänen, Palmen gesehen und sei schließlich in eine
Stadt gekommen, die ganz morgenländischen Charakter getragen
und in der ein wilder Kampf getobt hätte. Er habe daran teil-
genommen, sei aber von einem schwarzen Giftpfeil von der
Form einer Schlange getroffen worden und gestorben. Lange
habe er nur das Gefühl des Nichtseins und der Finsternis gehabt,
mit dem Bewußtsein des Todes. Dann aber sei ein heftiger
Stoß wie ein elektrischer Schlag durch seine Seele gefahren.
Das Gefühl der Elastizität und des Lichtes sei wiedergekommen.
Das Licht habe er nicht gesehen, sondern gefühlt. Schließlich
— 51 —
sei er aufgestanden. Unter ihm habe sein Körper gelegen, ge-
schwollen und entstellt. Er hätte keine körperliche, sichtbare,
hör- oder fühlbare Erscheinung gehabt, auch keinen Willen.
Eine fremde Gewalt habe ihn bewegt und den Weg zurück-
getrieben. Am Anfang der Schlucht habe er wieder das Gefühl
wie von einem elektrischen Schlag gehabt, und das Gefühl des
Gewichtes, Willens und Stoffes sei ihm zurückgekommen. Er
sei wieder geworden, was er vorher gewesen wäre, und sei
schnell heimgegangen, könnte aber jetzt noch nicht glauben, daß
er nur geträumt habe. So lebhaft seien seine Vorstellungen
gewesen. Hier liel Dr. Templeton ein, es sei in der Tat kein
Traum gewesen, doch sei schwierig, zu sagen, was es in Wirklich-
keit gewesen sei. Darauf zeigte er ein kleines Bild vor, das
Bedloe tief erschreckte. Es trug getreu seine Züge. Das Bild,
fuhr der Arzt fort, stelle seinen Freund Oldeb dar, der vor
30 Jahren in der indischen Stadt Benares im Kampfe gegen Ein-
geborene durch einen schwarzen Giftpfeil von der Form einer
Schlange gefallen sei. Er habe alles versucht, den Tod von
ihm abzuwenden. Die Einzelheiten des Kampfes und die
Schilderung der Stadt, die Bedloe berichtet habe, glichen genau
den Tatsachen. Bedloe habe eine Vision gehabt, denn zur selben
Zeit, wo er träumte, hätte er — Dr. Templeton — die Er-
zählung niedergeschrieben, die Bedloe vorgetragen hätte. Dabei
wies er die frisch geschriebenen Blätter vor. — Eine Woche
darauf las der Erzähler, daß Dr. Templeton den Tod seines
Freundes Bedlo anzeigte, der einem Zufall zum Opfer gefallen
sei. Unter Blutegeln habe sich ein giftiger Egel befunden, dessen
Biß Bedlo getötet habe. Der Egel sei schwarz gewesen und
habe die Form und Bewegung einer Schlange gehabt. Und wie
der Erzähler Bedlo — ohne e — las, da durchfuhr es ihn, daß
Bedlo nichts sei als die Umkehrung von Oldeb.
Es ist zweifellos, daß die Erzählung im Kern auf eine Vision
Poes zurückgeht. Er deutet auch selbst darauf hin, wenn er
sagt, daß Bedloe jeden Morgen Morphium nimmt. Dazu paßt
eine nervös gesteigerte Aufmerksamkeit an allem Umgebenden,
die f^e an Bedloe beschreibt, passen ferner die Vorstellungen
von wilden Tieren, fremden Menschen, blutigen Kämpfen und
Schlachtenlärm, auch das Gefühl der Körperlosigkeit, während
die Architekturvorstellungen, die z. B. auch Coleridge hatte, mehr
dem Einfluß des Opiums zugeschrieben werden. Doch ist die
Frage nach der x4.rt des Rausches, in dem das Bild entstand,
für uns unwichtig. Wenn wir auch als feststehend annehmen,
daß Poe um eine Vision als Kern die Personen und mesmerischen
Erscheinungen nur als Beiwerk aus zweiter Hand angereiht hat.
— 52 —
teils um das dunkle Bild zu klären, teils um es noch geheimnis-
Toller zu machen, so haben wir doch die Erzählung- als Ganzes
anzusehen und zu würdigen.
Sie ist im Grunde eine Weiterbildung des führenden Ge-
dankens in der vorigen Novelle. Obwohl es nirgends deutlich
ausgesprochen wird, drängt sich doch die Vermutung auf, daß
Bedloe, ehe der Tod durch das Pfeilgift eintrat, von Dr. Templeton
magnetisiert und künstlich dadurch am Leben erhalten wurde.
So unsinnig uns heute auch die Annahme erscheinen muß, deuten
doch der Name Oldeb-Bedlo, das Bild, der zweite Tod darauf
hin. Der Tod besonders. Nach dem Bericht des Bedloe hatte
ihn ein vergifteter Pfeil aus schwarzem Holz, wie eine Schlange
geringelt, getötet. Der endgültige Tod aber erfolgt durch einen
giftigen Blutegel, der sich von den gewöhnlichen durch eine
eigentümliche schlangenähnliche Bewegung und die schwarze
Farbe unterscheidet. Es ist dies eine so augenfällige Überein-
stimmung zwischen dem Pfeil und dem Blutegel, daß man die
zweite Todesnachricht nur als Vorwand und als Verhüllung der
Ursachen des ersten Todes ansehen muß. Und dann bleibt keine
andere Annahme übrig, als daß wie in „The Facts in the Gase of
M. Valdemar" der Verfall durch die Aufhebung des mesmerischen
i^ustandes eingetreten ist. Ja Poe sucht sogar im Leser den
Eindruck zu erwecken, als sei Bedloe in dem Kampfe wirklich
gestorben. Dies geht aus der Beschreibung des Äußeren und der
Empfindungen Bedloes hervor, als der Pfeil ihn verwundet hat.
Die Verwirrung des Lesers soll damit wohl auf die Spitze ge-
trieben werden.
Die deutschen Romantiker haben derartige Ansichten über
die Macht des Mesmerismus nicht geäußert. Auch sie haben
zwar Menschen geschildert, die mit einem Magnetiseur so voll-
kommen in Rapport standien, daß ihr Dasein schließlich von
diesem abhing. Hoffmann hat in mehreren Erzählungen die
Frage aufgerollt. Er läßt den Magnetiseur so großen Einfluß
auf einen Magnetisierten ausüben, daß er imstande ist, diesen
zu töten oder wenigstens in Gefahr des Lebens zu bringen.
Im „Unheimlichen Gast-'^^o) ^yendet ein italienischer Graf'^ein
Mädchen von ihrem Bräutigam ab und läßt sie am Altar am
Herzschlag sterben; im „öden Haus" ^2^) fällt ein junger Mann
durch den magnetischen Einfluß einer Wahnsinnigen in schwere
Krankheit, die ihn dem Tode nahe bringt. Die vollständige
Abhängigkeit von einem fremden Menschen ist weiter im „Magne-
tiseur*' geschildert, wo ein Mädchen, Marie, sagt: „Zuweilen
muß ich plötzlich an Alban denken; er steht vor mir, und
ich versinke nach und nach in einen träumerischen Zustand,
— 53 —
dessen letzter Gedanke, in dem mein Bewußtsein untergeht^
mir fremde Ideen bringt, welche mit besonderem, ich möchte
sagen golden glühendem Leben mich durchstrahlen, und ich
weiß, daß Alban diese göttlichen Ideen in mir denkt, denn er
ist dann selbst in meinem Sein wie der höhere belebende Funke^
und entfernt er sich, was nur geistig geschehen kann, da die
körperliche Entfernung gleichgültig ist, so ist alles erstorben". ^^2)
Und schließlich geht auch sie am Nervenschlag zugrunde. — Der
Magnetiseur Alban hat die Absicht, Marien ganz in sein Selbst
zu ziehen, ihre ganze Existenz, ihr Sein so mit dem Seinigen
zu verweben, „daß die Trennung sie vernichten muß".^^^) Man
sieht also, Hoffmann schrieb dem Mesmerismus so viel Gewalt
zu, daß man mit seiner Hilfe einen Menschen töten könne, ohne
aber die Frage, ob die gleiche Macht einen Sterbenden am Leben
zu erhalten vermöge, nur zu streifen. Ihre Möglichkeit oder
sie auch nur zu denken, lag in zu weiter Ferne.
Der von den Romantikern oft ausgeführte Gedanke von
innigen geistigen Beziehungen mußte zu ähnlichen Visionen
führen, wie sie Poe in „A Tale of the Ragged Mountains"
schilderte. Ein Beispiel dafür liegt in Hoffmanns Erzählung
,.Das Gelübde" vor.^^"*) Ein Mädchen hat die Vision ihres Ge-
liebten. Sie sieht ihn in der Schlacht, läßt sich mit ihm von
einem Feldprediger trauen und sieht ihn wieder in die Schlacht
ziehen und fallen. Wochen später eintreffende Nachrichten lassen
erkennen, daß das Mädchen nur die Tatsachen geschaut hatte.
Hier kann auch die Vision des Grafen vom Strahl und Käthchens
in Heinrichs v. Kleist „Käthchen von Heilbronn" angeführt
werden. Sie beide, durch unbewußten magnetischen Einfluß
verbunden, sind in der Sylvesternacht durch eine weite Entfernung
getrennt. Schwerkrank liegt der Graf in seinem Schlosse nieder,
glaubt aber, bei Käthchen in der Kammer zu sein, sieht sie und
hört sie sprechen. Käthchen befindet sich in ihrer Kammer in
Heilbronn, wo sie den Grafen vor sich stehen sieht und mit
ihm spricht und ihm mit denselben Worten Rede und Antwort
steht, als der Graf träumt.^-^)
Wenn es auch ausgeschlossen scheint, daß die Vision des
Bedlo aus Anregungen von solchen Schilderungen entstanden
sei — denn es liegt wohl eine wirkliche Vision zugrunde — , so
ist doch der Gedanke nicht ohne weiteres abzulehnen, daß der
Aufbau der Erzählung von romantischen Einflüssen nicht frei
sei. Wir haben eine Vision Poes, nicht als Erzählung, sondern
als Vision eines andern und durch magnetische Einflüsse erklärt.
Des Morphiums wird nur nebenbei Erwähnung getan. In allen
andern Fällen aber gibt Poe mit rauher Offenheit die Gründe
— 54 —
seiner Visionen zu, meist llauschzustände.^-^) Eben diese Ver-
hüllung der Vision in das Gewand ,des Mesmerismus läßt An-
regungen von Hoffmann nicht ausgeschlossen erscheinen. Bei
diesem finden wir auch eine ähnliche Schilderung der Vorstellung,
aus seinem Körper herauszufahren, und zwar im „Hund Berganza",
der sagt^-'): „Als ich wieder zur Besinnung kam, lag ich an
der Erde; ich konnte keine Pfote mehr regen. Es war, als
müsse ich aus meinem eignen Körper herausfahren; zuweilen
sah ich mich als ein zweiter Berganza daliegen, und das war
ich wieder selbst, und der Berganza, der den andern unter den
Fäusten der Hexen sah, Avar ich auch".
Schneidet man in noch höherem Maße als bisher das äußere,
verwirrende Beiwerk weg und sucht den Kern der Erzählung,
so scheint sie in die Reihe derer zu gehören, die eine lange
Unterbrechung des Lebens und plötzliches Erwachen daraus oder
ein Zwischenleben in vollkommen veränderter Gestalt zum Inhalt
haben. Es sind meist Sagen oder Märchen und gehen häufig
auf Mythen zurück. Ohne auf Mythen, wie den von Brünhild,
oder Sagen, wie die vom Rotbart, irgendwie einzugehen, sollen
nur einige der von den Brüdern Grimm gesammelten Volks-
märchen zum Vergleich herangezogen werden. Denn es ist
wenigstens die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß Poe die
Märchensammlung in der Hand gehabt habe. Von der großen
Zahl von Volksmärchen mit ähnlicher Grundlage könnten an-
geführt werden: „Die sieben Raben", „Von dem Machandelboora",
„Dornröschen", „Der Bärenhäuter", „Frau Holle", die die be-
kanntesten sind. Nähere Verwandtschaft noch als diese Märchen
hat mit unserer Erzählung Hauffs Märchen vom „Zwerg Nase",
der lange Jahre bei einer alten Hexe zubringt, die ihm aber
nur kurze Zeit dünken.^ -^)
Aber auch unter den eigentlichen romantischen Novellen
können wir auf ein Urbild unserer Erzählung stoßen, das frei-
lich nur eine schwache Ähnlichkeit mit ihr aufzuweisen hat:
„Klein Zaches genannt Zinnober" ^^^) von Hoff mann.
Klein Zaches lebt so, wie er der Welt erscheint, nur durch
die Kraft einer Fee, wie Bedloe durch die Gewalt des Arztes.
Er führt wie dieser ein zweites Leben gewissermaßen, das mit
dem Aufhören der fremden Einwirkung zugrunde geht. Freilich
sind die Unterschiede zwischen beiden Erzählungen zu groß, als
daß man einen wirklichen Einfluß von „Klein Zaches" auf
„A Tale of the Ragged Mountains" vermuten könnte. Sie sind nur
als Glieder einer Gruppe von Erzählungen mit ähnlichen Grund-
lagen anzusehen. Aber in „Klein Zaches" haben wir ein Kapitel,
das unserer Erzähluno- schon bedeutend näher kommt, das „von
— 55 —
der unbekannten Völkerschaft, die der Gelehrte Ptolemäus
Philadelphus auf seinen Reisen entdeckte". Ptolemäus Phila-
delphus pflegte tags zu ruhen und des Nachts zu reisen. Auf
einer seiner Fahrten war er im Wagen eingeschlafen, wurde
aber plötzlich durch einen Stoß auf den Boden geschleudert. Es
war heller Tag. Vor sich sah er die Türme einer großen Stadt,
auf die er zuging. Vor den Toren begegneten ihm Leute von
solch wunderlichem Aussehen und Wesen, daß er „sich erstaunt
die Augen rieb, um zu erforschen, ob er wirklich wache oder
ob nicht vielleicht ein toller neckhafter Spuk ihn in ein fremdes
Land versetzte". ^^^) Es ergibt sich aber, daß er an die Uni-
versitätsstadt Kerepes gekommen war und daß die wunderlichen
Fremdlinge Studenten waren.
Der ähnliche Zug, daß Ptolemäus wie Bedloe sich plötzlich
in ein fremdes Land oder in einen andern Erdteil versetzt linden,
ist unverkennbar.
Als Mittelglied zwischen „Klein Zaches" und „A Tale of
the Ragged Mountains" ist die Novelle „Rip Van Winkle" ^^*)
aus Washington Irvings „Sketchbook" anzusehen. Wir haben
hier den gleichen Grundzug wie in den Sagen vom Rotbart,
und wenn wir annehmen, Poe habe diese nicht gekannt, so ist
diese Vermutung bei den Werken Irvings ausgeschlossen.^-^'^)
Außer der Grundidee, auf die wiederum einzugehen wohl un-
nötig ist, zeigen sich Ähnlichkeiten im einzelneu. Rip Van Winkle
und Bedloe stoßen in ihnen längst bekannter Gegend plötzlich
auf Schluchten, die sie noch nie gesehen haben, und erleben in
einer Gegend, deren Zugang die Schlucht bildet, seltsame Aben-
teuer. Sogar die Schilderung der Schluchten ist ähnlich, und
wenn Irving sagt: „Passing through the ravine, they came to
a hollow, like a smaÜ amphitheater, surrounded by perpendicular
precipices, over the brink of which impending trees shot their
branches, so that you only caught glimpses of the azure sky
and the bright evening cloud", so könnte diese Schilderung
ebensogut in Poes Erzählung stehen, so gleichartig ist der
Eindruck tiefster Einsamkeit und Verlassenheit, den beide Dichter
beabsichtigen und erzielen.
Es ist an dieser Stelle so hohes Gewicht auf die Beziehungen
zwischen Poes und Irvings Novelle gelegt worden, weil Irving*
unverkennbar unter dem Einflüsse der deutschen Literatur stand.
Poe hat aber die Werke Irvings gut gekannt und oft stark
benutzt, wodurch die deutsche Dichtung einen indirekten Ein-
fluß auf ihn ausübte.
Wenn wir nun noch einen Blick über die mesmerischen
Erzählungen Poes im ganzen werfen und sie mit den romantischen
— 56 —
Erzählungen gleichen Inhalts vergleichen, so ergibt sich die
Ähnlichkeit der Absicht und der Wirkung. Die Absicht war
hier wie dort, durch die unsichtbaren Kräfte des Magnetismus
Wunderbares zu vollbringen. Die Wirkung ist selten anders als
tragisch. Kleist allein läßt die Beziehungen zwischen Käthchen
von Heilbronn und dem Grafen vom Strahl einen glücklichen
Ausgang nehmen. Bei Hoffmann endet keine der hierher ge-
hörenden Erzählungen gut. Tod, zum mindesten schwere Krank-
heit sind das Ende. Das gleiche finden wir bei Poe. Die be-
treffenden Novellen nehmen ein unerwartetes, grauenhaftes Ende
und wirken tief, noch stärker als z. B. Hoffmanns Erzählungen
über Magnetismus. Dieser verwendet Zauberspiegel, wunder-
tätige Pokale, magnetische Bäume und Bilder und ähnliche
Mittel. Dies stört, macht den unbefangenen Leser verdrießlich
und raubt ihm oft den Glauben an die Möglichkeit des Erzählten.
Poe aber verzichtet auf sämtliche Kunstgriffe und läßt die
nackten Tatsachen durch ihre Unbegreiflichkeit und Ungeheuer-
lichkeit wirken. Es sind nicht schwache, scheue Mädchen oder
fremden Einflüssen leicht zugängliche, phantasiereiche Jünglinge,
sondern Männer, die er dem magnetischen Einflüsse unterwirft,
zwar kranke oder dem Tode nahe, doch ganze Männer. Hoff-
manns Magnetiseure tragen schon äußerlich den Stempel von
etwas Außerordentlichem. Es sind gewöhnlich mephistophelische
Gestalten, groß und schlank, mit scharf gekrümmter Nase und
brennend schwarzen Augen und rabenschwarzem Haar. Nichts
von derartigem Aufputz verwendet Poe. In „Mesmeric Reve-
lation" und „The Facts in the Gase of M. Valdemar" wird der
Magnetiseur überhaupt nicht beschrieben, in „A Tale of the
Eagged Mountains" unterscheidet sich Dr. Templeton in gar
nichts von einem gewöhnlichen Menschen. Aber gerade dadurch,
daß Poe jede äußerliche Aufmachung verschmähte, hat er viel
seiner starken Wirkung erzielt. Wir haben so die merkwürdige
Tatsache zu verzeichnen, daß Hoffmanns Erzählungen, die im
Ernste geschrieben waren, vielfach nur ein skeptisches Lächeln
hervorriefen, während Poes Novellen, die bestimmt Lügen-
geschichten sind, von vielen als Tatsachen angesehen wurden.
Wir kommen nun im folgenden auf Poes ureigenstes Ge-
biet, zu Erzählungen voll von fixen Ideen, hysterischer Willens-
losigkeit, grausamen Trieben, unvergänglicher Liebe. Es sind
Novellen, die Poe mit seinem Herzblute geschrieben hat und
die sein Bestes enthalten; es ist „eine einzige Kette von wilden,
zusammenhanglosen, unmotivierten Schrecknissen, eine krampf-
hafte Häufung des Furchtbarsten, und dieses Furchtbare war
erlebt!^' 133)
— 57 —
Es sollen zuerst zwei Erzählungen besprochen werden, die
,.thc imp of the perverse" erörtern, den Dämon des Bösen.
Unter dem Geist des Bösen versteht Poe die Neigung-, das
Böse zu tun, weil es böse ist, weil man erkannt hat, wie
schlimme Folgen es nach sich zieht, weil es verboten ist. Es
ist das Gefühl, das jeder hat, der in einen Abgrund hinabsieht
und den ein rasendes Begehren treibt, sich hinabzustürzen, ob-
wohl er weiß, daß es sein Tod ist. Es ist die Freude am Ver-
derblichen, für die wir vergebens nach einer Ursache suchen
und die jedem Menschen innezuwohnen scheint. Es ist der
Trieb, die Gesetze zu übertreten, nicht weil man Vorteil von
der tlbertretung hat oder weil sie ung-erecht sind, sondern weil
man weiß, daß sie gut sind. Nur der Charakterfeste kann den
Trieb überwinden, den Grübler und Überempfindlichen reißt er
mit sich fort. Und weil Poe so überaus zart besaitet und
nervös war, kannte er den Geist des Bösen so g*ut. Er hatte
seine Macht so oft an sich erfahren müssen. Er wußte wohl
von dem zerstörenden Einfluß des Alkohols und anderer Reiz-
mittel auf seinen Körper und Geist, er hatte nicht den kleinsten
Genuß davon und trank als Barbar, er wußte auch, daß nach
jeder Ausschreitung die heftigsten Schmerzen folgten, und konnte
doch nicht der Versuchung widerstehen. Gerade in den Augen-
blicken, als sein Leben eine Wendung zum Bessern nehmen
sollte und er am meisten nötig hatte, sich nüchtern zu halten,
gerade da war es ihm unmöglich, seinem bessern Wissen und
Wollen zu folgen. Denn wenn der Gedanke des Bösen einmal
aufgetaucht war, da wich er nicht wieder, sondern faßte in dem
Grübler immer festern Fuß, bis endlich die gemarterte Natur
nachgab und das Unheil seinen Lauf nahm. In jeder der
folgenden Erzählungen haben wir in der Hauptperson ein ge-
treues Abbild des Dichters.
In „THE IMP OF THE PERVERSE" i^*) sehen wir zwei
Freunde, die sich lieben, bis der eine den andern ermordet, um
ihn zu beerben. Der Plan, monatelang kalt erwogen, war so
sicher angelegt, daß jede Entdeckung, sogar der geringste Ver-
dacht, außer dem Bereich der Möglichkeit lag;. Der Mörder
erbte des Toten Besitz und schwelgte in dem Gefühle unbedingter
Sicherheit, bis endlich dieses Gefühl ihn zu peinigen anfing, weil
es ihn nie verließ, wie eine Melodie, die wir immer hören, uns
quält, und wenn sie noch so schön klingt. Und wenn er sich
seiner Sicherheit freute, so pflegte er immer leise zu sich zu
sagen: „Ich bin sicher!" Eines Tages murmelte er wieder im
Gehen gewohnheitsmäßig die Worte vor sich hin: „Ich bin
sicher!" und fuhr unbewußt fort: „Ich bin sicher, ich bin sicher,
— 58 —
ja wenn ich nicht so töricht bin, ein offnes Bekenntnis ab-
zulegen". Kaum aber waren ihm seine Worte zum Bewußtsein
gekommen, als ein kalter Schauer ihm durchs Herz fuhr. Er
wußte, daß er unfähig war, diesen Gedanken zu vertreiben,
wußte, daß die Idee, sich selbst anzuzeigen, ihn unablässig
peinigen und verfolgen würde, bis er der Qual durch die Be-
friedigung des selbstzerstörerischen Gedankens ein Ende machen
würde. Er rannte, um nicht zu Gedanken zu kommen, schrie,
um die Stimme zu übertäuben, die lauter und lauter in seinen
Ohren klang, bis er das Bekenntnis herausschrie. Dann erst
wurde es ruhig in ihm, als man ihn zum Gefängnis führte.
Es versteht sich, daß es keineswegs Keue war, was den
Verbrecher zum Geständnis brachte. Es war nur der perverse
Gedanke, der nicht wich, sobald er einmal aufgetaucht war.
Die andere Erzählung „THE BLACK CAT"!^^-^) ^^^ ^|g^
gleichen Gedanken zur Grundlage. Ein Mann findet viel Ge-
fallen an Tieren. Er hat unter andern auch einen schönen
Kater, Pluto. Seine Tiere liebt und pflegt er, bis er sich dem
Alkohol ergibt. Da findet eine Veränderung in ihm statt. Er
beginnt die Tiere zu quälen. Als er im Rausche Pluto miß-
handelt, verwundet ihn das gereizte Tier. Höllische Wut packt
ihn und er schneidet Pluto mit kalter Überlegung ein Auge
aus. Nüchtern empfindet er wohl Mitleid mit ihm, auch eine
Art Grauen vor seiner Grausamkeit, doch ist dies Gefühl weit
von Reue entfernt. Ja er fängt sogar an, die Katze, die ihn
nun flieht, mehr und mehr zu hassen; der Haß wächst, bis er
in „the spirit of Perverseness" übergeht. Eines Morgens er-
greift er sie und hängt sie an einen Baum, während die Tränen
aus seinen Augen stürzen und er die bitterste Reue über seine
Tat empfindet; „hung it be cause I knew that it had loved me,
and because I feit it had given me no reason of offence ; hung
it because I knew that in so doing I was committing a sin".^-^^)
In der nächsten Woche geht sein Haus in Flammen auf. — Eine
längere Zeit verfließt, die Tat wird vergessen, und der Mann
findet eine ganz ähnliche Katze. Kaum aber hat er sie im
Hause, als er auch sie zu hassen beginnt, je mehr sie an ihm
hängt, und ihr doch nichts zu tun wagt, aus Furcht vor ihr.
Er grübelt sich immer mehr in böse Gedanken hinein, in einen
blinden Haß gegen jedermann und die ganze Welt. Auf einem
Gang in den Keller hindert ihn die Katze durch ihre Lieb-
kosungen am Gehen. In blinder Wut hebt er die Axt, um sie
zu töten ; als seine Frau, die ihm gefolgt war, ihm in den Arm
fällt, erschlägt er sie im Zorn. — Nach dem Morde faßt er ohne
die geringsten Gewissensbisse den Plan, die Tat zu verbergen.
— 59 —
Er erwägt tausend Möglichkeiten, bis es ihm am sichersten
scheint, die Frau im Keller einzumauern. Er tut dies so gut,
daß nicht die kleinste Spur zu entdecken ist. Als er dann die
Katze sucht, um sie zu töten, ist sie verschwunden. Nun erst
atmet er wieder frei. Seine quälenden Gedanken sind gewichen,
er kann wieder ruhig schlafen.
Die Polizei, die die vermißte Frau im Hause sucht, tindet
keine Spur von ihr. Mit stiller Fieude über seine Sicherheit
begleitet der Mann die Polizisten in den Keller. Gerade als sie
diesen wieder verlassen wollen, da packt ihn ein unwidersteh-
liches Gelüsten zu sprechen. Der Geist des Bösen erfaßt ihn,
und er sagt, ohne zu wissen warum: „Gentlemen, I delight to have
allayed your suspicions. I wish you all health, and a little more
courtesy. By— the — by, gentlemen, this — this is a very well —
constructed house. These walls — are you going, gentlemen ? —
these walls are solidly put together ..." ^-"j und dabei schlägt
er gerade an die Stelle, hinter der seine Frau eingemauert steht.
Ein gellender, langgezogener Schrei antw^ortet ihm. Man
bricht die Mauer auf und sieht den halbverwesten Leichnam.
Auf dem Kopfe steht mit glühenden Augen die Katze, die er
mit eingemauert hatte.
Unter den Werken der Romantiker werden wir vergebens
nach einem solchen suchen. Sie kannten aber sehr wohl den
Geist des Bösen; das Verlangen, sich selbst zu quälen oder
gar zu vernichten, die Lust zum Bösen um des Bösen willen
lag ja in ihrer Natur. Novalis sagt z. B. in den Fragmenten:
„Hang des Menschen, oft ein offenbar Schädliches zu ergreifen,
oft par depit sich mutwillig zu verderben. Es ist noch Äuße-
rung der Freiheit". ^^^) Also auch er nahm diesen Trieb, der
viel Ähnlichkeit mit Poes „imp of the perverse" hat, als ein-
geboren an, als noch aus der Zeit stammend, als der Mensch
Herr über die ganze Natur und sich selbst war. Aber ihn in
das praktische Leben zu übertragen, lag ihm fern. — Bei Achim
von Arnim finden wir eine Stelle, die auf den gleichen Punkt
hinzudeuten scheint. Sie lautet:
„Wohl ist ein Teufel in der Menschen Willen,
Ein stiller Wahnsinn den Verstand umlauert".^'*)
Die Lust, beim Hinabsehen in Abgründe sich hinunter-
zustürzen, beschreibt Tieck : „Es ist eine schöne Aussicht von hier
oben ; wenn man aber so hoch steht, muß man sich in acht
nehmen, daß man nicht die Lust bekömmt, hinunter zu springen ;
die Höhe des Absturzes lockt das Gemüt". ^*^) In Tieck scheint
überhaupt eine Neigung zu dem gewohnt zu haben, was Poe
unter „Perverseness" meint. Er war in seiner Jugend nicht
— 60 —
frei von selbstquälerischen Gedanken, die ihn oft dem Wahn-
sinn nahe brachten. Seine wilde Phantasie spiegelte ihm Greuel-
taten vor, vor denen er im wachen Zustande zitterte. Wie Poe
lebte er in steter Angst, unbewußt einmal zum Verbrecher zu
werden. Er hatte oft Gedanken des Selbstmords, um Ruhe vor
dem Dämon in sich zu haben. Wie tief das Böse in ihm
wurzelte, geht aus den Worten hervor: „Aus meinen Kinder-
tagen fallen mir manche Tage ein, wo ich unaufhörlich etwas
Gräuliches und Entsetzliches denken mußte, wo ich statt meiner
stillen Gebete Gott mit den gräßlichsten Flüchen lästerte und
darüber weinte und ich es doch nicht unterlassen konnte, wo es
mich unaufhörlich drängte, meine Gespielen zu ermorden, und
ich mich oft schlafen legte, bloß um es nicht zu tun. Damals
war ich gewiß unschuldig und unverdorben, und doch war diese
Entsetzlichkeit in mir einheimisch — was war es denn nur,
das mich trieb und mit gräßlicher Hand in meinem Herzen
wühlte ? Mein Willen und meine Empfindung sträubte sich da-
gegen und doch gewährte mir dieser Zustand wieder innige
Wollust ".^*^) Lovell brauchte diese Gedanken nur in die Tat
umzusetzen, und leibhaftig hätten wir eine der Gestalten aus
Poes Erzählungen vor uns stehen. Das ist eben der Unter-
schied, daß die deutschen Romantiker wohl auch solchen bösen
Gedanken nachhingen, sie aber selten in die Tat umsetzten,
während der „imp of the perverse" so oft in Poes Leben ein-
gegriffen hat.
Im Grunde ist es meist nicht so sehr der Geist des Bösen
selbst, der in Poes Erzählungen zum Unglück führt. Er ist nur der
Ausgangspunkt, der Anstoß, der aber in einem schwachen Gemüt
zur fixen Idee und dann unwiderstehlich wird. Solche fixen
Ideen nun haben wir bei den Romantikern in mannigfacher Dar-
stellung. Hoff mann behandelt den Entwurf mehrfach, zuerst in
der Erzählung „Das steinerne Herz", dann in „Meister Johannes
Wacht" und in „Meister Martin, der Küfner, und seine Gesellen".
Die AVahnideen in den drei genannten Erzählungen sind ziemlich
harmlos und haben nichts mit denen in Poes betreffenden
Novellen gemein, als daß sie eben fixe Ideen sind. Aber Hoff-
mann hat sie auch in ihrer verderblichen Wirkung darzustellen
gewußt und Erzählungen daraus geschaffen, die in höherem
Maße Poeschen Charakter tragen, wie „Das Fräulein von Scuderie",
„Die Jesuiterkirche in G." und vor allem die Novelle „Der
Sandmann".
Im „Fräulein von Scuderie" ^^^) sehen wir, wie der Gold-
schmied Cardillac eine zehrende Leidenschaft zu edlen Steinen
hat, die er zu Geschmeiden verarbeitet hat. Wenn er eine
— 61 —
Arbeit abliefert, so ergreift ihn bald eine innere Unruhe, die
von Stunde zu Stunde wächst. Mit allen seinen Kräften sucht
m- zu widerstehen, doch weichen die Qualen der rasenden Be-
gierde nicht eher, als bis er den Schmuck wieder in Händen
hat. Um dies zu erreichen, häuft er Mord auf Mord. Es ist
nicht Geiz, was ihn dazu treibt, es ist die unerklärliche An-
ziehung* der Gesteine und die Freude an ihrem Glitzern und
Gleißen. Er weiß genau, welche Sündenschuld er auf sich lädt
und sucht die Verbrechen zu meiden. Vergebens! Wie in
.,The Black Cat" und „The Imp of the Perverse" der Mörder
erst ßuhe findet, als er dem dunkeln Drängen in sich ganz
nachgegeben hat, wie er nicht die geringste Reue fühlt, so auch
Cardillac. Er sagt: „Eben hatte ich einem Herrn vom Hofe
einen reichen Schmuck abgeliefert, der, ich weiß es, einer Opern-
sängerin bestimmt war. Die Todesfolter blieb nicht
aus, — das Gespenst hing sich an meine Schritte —
der lispelnde Satan an mein Ohr... In blutigen Angst-
schweiß gebadet, wälzte ich mich schlaflos auf dem Lager. Ich
seh' im Geist den Menschen zu der Tänzerin schleichen mit
meinem Schmuck. Voller Wut springe ich auf . . . fort ... Er
kommt, ich falle über ihn her, er schreit auf; doch von hinten
festgepackt, stoße ich ihm den Dolch ins Herz — der Schmuck
ist mein! — Dies getan, fühle ich eine Ruhe, eine Zu-
friedenheit in meiner Seele wie sonst niemals. Das
Gespenst ist verschwunden, dieStimme des Satans
schwieg. Nun wußte ich, was mein böser Stern wollte; ich
mußte ihm nachgeben oder untergehen". Die auffallende Ähn-
lichkeit des Gemütszustandes von Poes Kranken und Hoffmanns
Goldschmied Cardillac liegt zutage.
Die beste Schilderung des Gefühls, daß fremde Mächte in
uns böse Gedanken erzeugen und nicht ruhen lassen, hat Hoff-
mann im „Sandmann" gegeben. Der Student Nathaniel hat von
der Kindheit her eine unangenehme Erinnerung an den Advokaten
Coppelius, der ihm als der Sandmann beschrieben worden war,
der den Kindern die Augen aussticht. Dieser Coppelius hatte
den Tod des Vaters Nathaniels verschuldet und dessen ganze
Familie ins Unglück gebracht. Nathaniel nun ist der Über-
zeugung, der Advokat würde noch öfter feindselig in sein Leben
treten. Er glaubt fest, ihn unter Verkleidungen in seiner Nähe
zu sehen, und glaubt seine Verfolgung zu spüren. Von Natur
äußerst reizbar, verfällt er zunächst in ein schweres Nerven-
fieber und schließlich in Wahnsinn, in dem er sich selbst tötet.
Hoffmanns Art, Wahnideen zu beschreiben, gleicht öfters der
Poes. Beide Dichter nehmen ihren Ausgangspunkt meist in
— 62 —
einem Gedanken, von dem man von vornherein überzeugt
ist, daß er falsch ist oder zu einem Unglück führen muß. Poe
hat aber seine fixen Ideen besser gewählt als Hoffmann. Welche
seltsame Tragik liegt darin, den Verbrecher gegen die Stimme
seines Innern ringen zu sehen und doch nicht eher Euhe zu
finden, als bis er sich selbst dem Schafott überliefert hat. Wir
stehen ratlos vor dem selbstzerstörerischen Verlangen, das den
Mörder treibt, die Polizisten, die sich nach erfolglosem Suchen
entfernen, zurückzuhalten. Wir fühlen, wie die Worte, die er
herausstammelt, ohne zu wissen, was er spricht, ihn dem Ver-
derben immer näher bringen, fühlen aber auch, daß er so
sprechen muß und daß er nicht anders kann als gegen die Stelle
gerade zu schlagen, hinter der seine Frau eingemauert steht.
Wir schauern, zu lesen, daß der Mystiker Egäus nichts von
seiner Braut begehrt als nur ihre Zähne, diese aber mit so
rasendem Verlangen, daß er sogar Berenices Leiche schändet.^l^i
Wenn Hoffmann seinen Goldschmied Cardillac in seiner Gier
nach Edelsteinen zum Mörder werden, den Maler Berthold in-
folge einer törichten Vorstellung Frau und Kind in den Tod
treiben und Nathaniel durch quälende schreckhafte Erinnerungen
im Wahnsinn enden läßt, so erregt er in höherem Maße Mitleid
als Grauen. In der Wahl des Stoffes also zeigt sich Poe über-
legen. Die Ausführung des Gedankens ist bei beiden Dichtern
ähnlich. Vor allem im „Sandmann" und „Fräulein von Scuderie"
ist es Hoffmann gut gelungen, den Kampf gegen die Wahn-
ideen darzustellen. Doch scheint er auch in der Durch-
führung seinen Meister in Poe gefunden zu haben. Nirgends
als vielleicht annähernd im „Sandmann" ist es ihm wie Poe gelungen,,
die tiefe Einsamkeit zu schildern, in der der Kranke lebt. Für
diesen gibt es bei Poe nichts als seine fixe Idee, nur seinen
Gedankenkreis, in den er sich eingesponnen hat. Die Umwelt
scheint für ihn nicht da zu sein. Und dies erhöht gerade den
Eindruck des Grauens, den Kranken in seiner ausschließlichen
Beschränkung auf sein Inneres und deshalb ohne Hilfe dem
Unglück zutreiben zu sehen.
Übrigens ist es nicht Hoffmann allein, der Poes Vorläufer
in der Behandlung der fixen Idee gewesen ist, die sogar im
Leben manches Kom antikers eine Kolle spielte. So hatte der
Schicksalstragiker Zacharias Werner, der durch eine hysterische
Mutter erblich belastet war, die fixe Idee, er sei ein Aus-
erwählter des Herrn. Er hielt sich für einen Heiligen, Pro-
pheten, Ja für Christus selbst. Man könnte auch in Heinrichs
von Kleist „Michael Kohlhaas" ^'^■^) eine gewisse Verwandtschaft
zu unsrer Art von Erzählungen finden. Denn obwohl Kohlhaas
— 63 —
nur sein Kecht verfolgt und ursprünglich mit vollen Verstandes-
kräften handelt, tritt doch allmählich in ihm eine gewisse
Änderung ein. Der Gedanke, daß er um jeden Preis recht
haben müsse, geht ihm so in Fleisch und Blut über, daß er das
Wohlergehen von Weib und Kind und seine Stellung in der
Gesellschaft für nichts im Vergleich dazu achtet und blindlings
und starr seinen Weg verfolgt. Fixe Ideen, die auf Größen-
wahn hindeuten, nehmen ihn gefangen. Er nennt sich in Man-
daten den Statthalter Michaels, des Erzengels, und glaubt sich
zum Beherrscher der Welt berufen. In der gleichen Erzählung
ist die Wahnidee des Kurfürsten von Sachsen beschrieben, der
glaubt, daß Kohlhaas mit einem Zettel, den er an dem Hals
trägt und der die Weissagung einer Zigeunerin enthält, die
Kunde des Schicksals des kurfürstlichen Hauses habe. Sein
ganzes Sinnen und Trachten geht darauf, den Zettel in seine
Gewalt zu bekommen, und als kein Mittel ihn zum Ziele bringt,
fällt er in schwere Krankheit.
Der Unterschied zwischen Kleists und Poes Kranken ist
in die Augen springend: daß sie in Kleists Erzählungen die
fixen Ideen gar nicht als solche erkennen und darum nicht, oder
so gut wie nicht, dagegen ankämpfen. Auch hat Kleist ihre
Folgen nicht so erschütternd dargestellt als Poe. Überhaupt
kann bei diesen Erzählungen nicht behauptet werden, daß Poe
für sie auch nur Anregungen von Hoff mann und Kleist erhalten
habe, da nahe Übereinstimmungen fehlen. Es genügt darum,
auf die Gleichartigkeit der Ideen hinzuweisen.
In die Gruppe der eben behandelten Erzählungen gehören
zum Teil auch „The Teil-Tale Heart" und „Berenice".
Im „GESCHWÄTZIGEN HERZ"^*^) ermordet ein junger
Mann einen Greis, mit dem er zusammenwohnt. Nicht um seines
Reichtums willen, noch wegen einer Beleidigung. Nein, der
alte Mann hatte ein erblindetes Auge, das blaßblau, von einer
Haut überzogen, dem Auge eines Geiers glich. Wenn der junge
Mann es sah, rann es kalt durch sein Blut, Qual und Wut
packten ihn und er beschloß ganz allmählich, den alten Mann
zu ermorden, um sich von dem Auge zu befreien. Mit unend-
licher Vorsicht ging er zu Werke. Er erstickte den alten Mann,
indem er das Bett auf ihn stürzte, und lauschte, wie das Herz
erst noch laut, dann immer leiser und leiser schlug. Dann ver-
barg er den Leichnam zwischen den Dielen. Keine Spur war
aufzufinden. Und nun, wo das verhaßte Geierauge weg war,
konnte er wieder frei aufatmen. Seit langem schlief er zum
ersten Male wieder ruhig.
Als der alte Mann vermißt wurde, kam die Polizei, um
— 64 —
das Haus zu durchsuchen. Im Triumph seiner Sicherheit führte
der Mörder sie durch alle Räume, zuletzt in des alten Mannes
Zimmer. In einem Anfall perverser Stimmung brachte er Stühle
dahin und ließ die Polizisten sich niedersetzen. Seinen Stuhl
setzte er gerade auf die Stelle, unter der der Leichnam lag. Wäh-
rend der angeregten Unterhaltung hörte er plötzlich ein dumpfes
Geräusch, ein Klingen in den Ohren, das immer lauter wurde
und schließlich in ein deutliches halbersticktes Klopfen über-
ging. Es war genau wie das Klopfen des Herzens des alten
Mannes, dem er in der vergangenen Nacht so lange gelauscht
hatte. Aus Angst, daß die Polizisten das Geräusch hören könnten,
sprach er lauter, aufgeregter. Er ging auf und ab mit schweren
Tritten, stieß den Stuhl auf die Diele. Umsonst ! Das Klopfen
ließ sich nicht übertönen. Und die Männer schwatzten und
lachten. Hörten sie wirklich nichts ? Oder hatten sie es schon
lange gehört und wollten ihn nur peinigen? Doch alles war
besser als diese tödliche Angst. Er konnte schließlich das
heuchlerische Lächeln der Männer nicht länger ertragen und
schrie wütend heraus: Schurken! Heuchelt nicht länger! Ich
gestehe die Tat — reißt die Dielen auf — hier, hier! — es ist
das Klopfen seines verwünschten Herzens!
Aus einem Umstände also, der ganz unbedeutend erscheint
und in gar keinem Verhältnis zur Größe des Verbrechens steht,
entspringt die Tat. Nur ein äußerst reizbarer Mensch, wie Poe
einer war, kann von so einer Kleinigkeit derart erregt werden.
Er beginnt die Erzählung mit den Worten: „True! nervous,
very, very dreadfully nervous I had been and am; but why will
you say that I am mad ?" In diesen wenigen Worten liegt die
Erklärung zum Ganzen. Wenn sich in ein solch krankhaftes
Gemüt die Abneigung gegen irgend etwas einbohrt, so kann es
nur in der Zerstörung des Feindlichen Ruhe finden. Der Ge-
danke wird übermächtig und unwiderstehlich. Der Verbrecher
sagt: „It is impossible to say how first the idea entereu my
brain, but, once conceived, it haunted me day and night". In
dieser Hinsicht also ist die Erzählung mit den romantischen
Erzählungen in Verbindung zu setzen, die fixe Ideen behandeln
und gehört zu „The Black Cat" und „The Imp of the Perverse".
Während aber in diesen beiden das Gewissen nicht in die
Handlung eingreift, ist ihm im „Geschwätzigen Herz" die ent-
scheidende Rolle zuerteilt. Es läßt dem Verbrecher keine Ruhe,,
bis er die Tat offenbart hat. Die Ursachen zum Geständnis
sind so geringfügig, daß wir sie eigentlich gar nicht als un-
mittelbare Veranlassung dazu empfinden, sondern diese im Ge-
wissen allein zu suchen haben. Wir werden darin an das
— 65 —
Märchen erinnert: „Die klare Sonne bringt es an den Tag"/*^')
(las Adelbert v. Chaniissö zu dem Gedicht: „Die Sonne bringt es
an den Tag" benutzte, noch mehr aber an des gleichen Dichters
Verserzählung: „Das Auge'V*') wo Chamisso wie Poe die Tat-
sache benutzt hat, daß es manche Verbrecher immer wieder an
den Schauplatz ihrer Untat zurücktreibt. In „The Black Cat"
schlägt der Mörder gerade an die Stelle, wo er seine Frau ein-
gemauert hat, in „The Teil-Tale Heart'' führt er die Polizisten
in das Zimmer des Gemordeten, hält sie dort auf und setzt seinen
Stuhl dorthin, wo der Leichnam des alten Mannes liegt, wie es
das Weib in Chamissos „Das Auge" an den Ort ihrer Tat zurück-
zieht. Und in den letzten zwei Erzählungen sieht mau keinen
Grund, der zum Geständnis nötigt, als das Gewissen. Das
Klopfen des Herzens tönt nur in den Ohren des Mörders, der
aber die Ursache der Sinneswahrnehmung nach außen verlegt
und infolgedessen glaubt, auch andere müßten vernehmen, was
er hört. In Hoffmanns „Elixieren des Teufels" findet sich eine
ähnliche Stelle. Der Mörder Medardus, aus dem Gefängnisse
entlassen, spricht mit einem Arzte, da . . . „leise — leise schien
ich in jenem Augenblick . . . jenes Klopfen des gespenstigen
Unholds aus dem Kerker zu hören. Vergebens suchte ich das
Grausen zu bekämpfen, welches mich ergriff. Der Arzt schien
so wenig das Klopfen als meinen inneren Kampf zu bemerken.
Er fuhr fort: „Was? — Hat der Mönch Ihnen gestanden, daß
auch Victorin durch seine Hand fiel?" — „Ja . . . Fluch dem
wahnsinnigen Brudermörder!" — Stärker klopfte es und stöhnte
und ächzte ; ein feines Lachen, das durch die Stube pfiff, klang
wie „Medardus — Medardus — hi — hi — hi — hilf!" Der
Arzt, ohne das zu bemerken, fuhr fort: „Ein besonderes Ge-
heimnis scheint noch auf Franzescos Herkunft zu ruhen . . ."
Mit einem entsetzlichen Schlage, daß die Angeln zusammen-
krachten, sprang die Tür auf, ein schneidendes Gelächter gellte
herein. — „Ho — ho — ho — ho, Brüderlein", schrie ich
wahnsinnig auf, „hoho — hierher! . . ." Der Leibarzt faßte
mich in die Arme und rief: „Was ist das? — Sie sind krank.
— Fort, fort, zu Bette".^^^)
Die Stelle ist ausführlich gebracht worden, weil sie der in
„The Teil-Tale Heart" ziemlich ähnlich ist. Die Mörder hören
die Stimme oder den Herzschlag ihres Opfers, die sie schon
vorher genau so gehört hatten, in Gegenwart Fremder, die
nichts vernehmen. Die Gewissensqualen, die dadurch wach-
gerufen werden, treiben sie zum Wahnsinn oder Geständnis.
Beispiele ähnlicher Halluzinationen lassen sich auch ])ei
klassischen Autoren finden. Wenn wir davon absehen, auf
— 66 —
welche Sinne die Halluzination wirkt, so können uns die Geister-
erscheinungen bei Shakespeare zum Vergleich dienen : der Geist
Banquos, der Macbeth, der Cäsars, der Brutus erscheint und
die beide nur den Mördern selbst sichtbar sind. Auch die Ge-
schichte liefert analoge Fälle, von denen der des Bessus sehr
interessant ist und unserer Erzählung nahekommt. Bessus soll,
wie Plutarch erzählt, während eines tollen Gelages plötzlich
aufgesprungen sein und ein paar junge Schwalben in einem
nahen Neste getötet haben, weil er aus ihrem Zwitschern Vor-
würfe über seine Tat heraushörte.^*^)
Es ließen sich zweifellos noch weitere Beispiele dafür er-
mitteln, daß Halluzinationen der Art dichterisch behandelt
worden sind. Sie hervorzuheben und hier anzuführen liegt aber
außerhalb des Rahmens dieser Arbeit.
Die letzte Erzählung Poes endlich, in der wir die fixe Idee
behandelt finden, ist in hohem Grade romantisch zu nennen.
Es ist „BERENICE".iöO) jy^^ Mystiker Egäus — wiederum nur
Poe selbst — stammt aus einer Familie von Visionären. Seine
Erinnerungen knüpfen an das Stammschloß seiner Väter an,
vor allem an die Bibliothek, unter deren Büchern er seine
Knabenzeit verbrachte und die Jahre des Jünglingsalters ver-
träumte. Allmählich brachte seine Lebensweise eine seltsame
Veränderung in ihm hervor : die Tatsachen des Lebens berührten
ihn nur als Visionen, während die wilden Gedanken aus dem
Reich seiner Träume den einzigen Inhalt seines Lebens aus-
machten. — Mit Berenice, seiner schönen Cousine, wuchs er
auf. Solange sie in ihrer Jugendschönheit prangte, lebte er
ruhig neben ihr hin, als aber eine tückische Krankheit sie
plötzlich zu entstellen begann, faßte er Liebe zu ihr, und sie
verlobten sich. Die Krankheit der Berenice bestand in einem
allmählichen körperlichen Vergehen und epileptischen Anfällen,
aus denen sie manchmal erst nach geraumer Zeit erwachte.
Egäus aber litt unter einer Art Geistesstörung, die sich in einer
ungemessenen Steigerung der Aufmerksamkeit äußerte, einem
tiefen Interesse an den gleichgültigsten Dingen. Die Schilde-
rung Poes von diesem Zustande ist klassisch. Er sagt:
„To muse for long unwearied hours, with my attention riveted
to some frivolous device on the margin or in the typography
of a book; to becorae absorbed, for the better part of a summer's
day, in a quaint shadow falling aslant upon the tapistry or upon
the floor; to lose myself, for an entire night, in watching the
steady flame of a lamp, or the embers of a fire; to dream away
whole days over the perfume of a flower; to repeat monotonously
some common word, until the sound, by dint of frequent repe-
— 67 —
tition, ceased to convey any idea whatever to the mind; to lose
all sense of motion or physical existence, by means of absolute
bodily quiescence long and obstinately persevered in: such were
a few of the most common and least pernicious vagaries induced
by a condition of the mental faculties, not, indeed, altogether
unparalleled, but certainly bidding defiance to anything like
analysis or explanation". Doch merkwürdigerweise beschäftigten
ihn seine Träumereien wenig mit dem Unglück seiner Verlobten.
Oft aber grübelte er über die Gründe nach, die die seltsame
Veränderung ihrer Gestalt bewirkten. In den Tagen ihrer
Schönheit hatte er sie nie geliebt. Wenn sie an ihm vorüber-
ging, sah er sie nicht lebend, sondern als die Berenice eines
Traumes, nicht als irdisches Wesen, sondern als die Abstraktion
eines solchen, nicht als einen Gegenstand zu lieben, sondern ein
Objekt zur Analyse. Denn seine Leidenschaften kamen stets
aus dem Verstände und nie aus dem Herzen.
Die Zeit der Hochzeit nahte. Als an einem Winternach-
mittag Egäus in tiefe Träume versunken in der Bibliothek saß
und sich allein glaubte, sah er plötzlich Berenice vor sich stehen,
abgemagert, beinahe fleischlos. Sie lächelte ihn an und ent-
blößte zwei Reihen glänzender, weißer Zähne. Wie eine Vision
verschwand sie wieder. Doch die Zähne, die weißen Zähne
standen noch vor den Augen des Egäus. Immer und immer sah
er nur sie, und es ergriff ihn schließlich ein wahnsinniges Be-
gehren, sie zu besitzen. Er fühlte, daß nur ihr Besitz ihm
wieder Ruhe geben und ihn zur Vernunft zurückbringen könne.
Der Abend zog heran, die Nacht verging, der Tag und
eine andere Nacht kamen, und immer noch saß Egäus be-
wegungslos in der Bibliothek, in Gedanken an die Zähne ver-
sunken. Da schlug lautes Weinen an sein Ohr: Berenice war
plötzlich gestorben, ihr Grab war schon bereitet.
Und wieder fand er sich in der Bibliothek sitzen. Er schien
aus einem wirren Traum erwacht zu sein. Er wußte, daß es
Mitternacht war und daß seit dem Abend Berenice im Grabe
lag. Doch von der Zwischenzeit wußte er nichts. Aber er hatte
das Gefühl von etwas Grauenhaftem, er hörte eine weibliche
Stimme in seinen Ohren gellen und ahnte eine schreckliche Tat.
Auf dem Tische lag eine Schachtel mit ärztlichen Instrumenten ;
doch wie kam sie hierher? Vor ihm lag ein Buch aufgeschlagen.
Er las die Worte des Dichters Ebn Zaiiat: Dicebant mihi sodales,
si sepulchrum amicae visitarem, curas meas aliquantulum fore
levatas. Die Haare sträubten sich ihm beim Lesen, das Blut
in seinen Adern schien zu Eis zu gerinnen. Doch warum? Da
kam mit entsetzter Miene ein Diener. Stammelnd erzählte er,
— 68- —
wie man wilde Schreie aus der Gegend des Grabes Berenices
gehört habe, wie man das Grab erbrochen und darin eine ent-
stellte, blutige, noch lebende Gestalt gefunden habe. Dann wies
der Diener auf die Kleider des Egäus. Sie zeigten die Spuren
frischer Erde. Seine Hände wiesen Eindrücke wie von mensch-
lichen Nägeln auf. An der Wand lehnte ein Spaten. Mit einem
Schrei sprang Egäus zu der Schachtel. Sie glitt ihm aus den
Händen und klirrend fielen zahnärztliche Instrumente heraus,
untermischt mit 32 elfenbeinweißen Zähnen.
Wohl nirgends lindet man die Grübelsucht, das Versenken
in sich selbst so meisterhaft beschrieben wie hier. In diesem
Schwelgen in Gefühlen, die das wirkliche Leben ersetzen
müssen, zeigt sich Egäus als durchaus romantischer Mensch in
höchster Steigerung. Seine Gedanken werden in ihm zu fixen
Ideen, die ihn verfolgen, bis er ihnen nachgegeben hat. In
dieser Hinsicht zeigt er sich als Verwandter der Helden in den
drei letzten Erzählungen. Doch damit ist sein Charakter noch
nicht erschöpft. Für die anderen Seiten seines Wesens müssen
wir die Erklärung in dem Motto über der Erzählung suchen:
„Dicebant mihi sodales, si sepulchrum amicae visitarem, curas
meas aliquantulum fore levatas", und dieses Wort deutet auf
eine seit uralten Zeiten bekannte, von den Romantikern aber
mit Vorliebe behandelte Leidenschaft hin, die Totenliebe und
die Leichenschändung^^^) und die zerstörende Macht der Liebe.
Den Griechen schon war dieses Laster bekannt. Clemens
von Alexandrien behauptete, daß die von Argos und Lakonien
nicht bloß der Aphrodite Peribasia, sondern auch der Tym])o-
rychos dienten, worunter er die Lust an frischen Leichen ver-
stand, die den ägyptischen Paraschisten bekannt war. Thersites
wirft dies auch dem Achilleus in bezug auf Penthesilca vor.'^-)
Montaigne berichtet von Periander, dem Tyrannen von Korinth,
daß er seiner toten Gemahlin noch beiwohnte.^^^) Herodes soll
nach einer talmudischen Erzählung sieben Jahre mit der Leiche
seiner Gemahlin Mariamne geschlafen haben.^^*) In den Märchen
von 1001 Nacht, die Poe höchstwahrscheinlich gekannt hat/^^)
hören wir von Ghülen, die an einsamen Orten, besonders in
Ruinen und auf Friedhöfen hausen und sich von Leichen nähren.
Sie können aber auch menschliche Gestalt annehmen, in der sie
einzelnen Reisenden auflauern und sie in ihre Gewalt bringen.^^^)
Das ganze Mittelalter hindurch gehen Sagen und Erzählungen
über fleischlichen Verkehr Lebender mit Toten im Volke umher.
Ein norddeutsche Sage berichtet von einem weiblichen Werwolf,
der des Nachts Leichen ausgräbt und frißt.^") In den Volks-
liedern, die Arnim und Brentano in „Des Knaben Wunderhorn"
-- 69 —
gesammelt haben, finden sich drei entsprechende Gedichte:
„Der Pfalzgraf",^^^) „Das nasse Grabhemd" ^^«) und „Der Vor-
wirt".^^^) Im ersten vermählt sich ein Pfalzgraf mit seiner als
Jungfrau gestorbenen Braut im Grabe, in den beiden anderen
kehrt eine zum zweiten Mal verheiratete Frau zu ihrem ersten
Mann ins Grab zurück, als der zweite sie schlecht behandelt
Ob Poe aus solchen Andeutungen und kurzen Berichten
irgendwelche Anregung geschöpft hat, ist nicht zu entscheiden,
aber sehr zweifelhaft. Doch da Poe eine gute klassische
Bildung besaß, ist die Möglichkeit immerhin nicht ausgeschlossen.
Darum sind die vorliegenden Beispiele der Vollständigkeit wegen
angeführt worden.
Der romantischen Erzählungen von Nekrophilie sind nicht
wenige. Der Eomantik war ja die Verbindung von Liebe und
Tod, von Blut und Wollust eigen. Nicht nur in den Werken
der Komantiker tritt dies zutage, sondern auch in ihrem Leben.
In einem Briefe an Karoline v. Günderode schreibt Brentano:
„Öffne alle Adern deines weißen Leibes, daß ich das heiße
schäumende Blut aus tausend wonnigen Springbrunnen spritze,
so will ich dich sehen und trinken aus den tausend Quellen,
trinken, bis ich berauscht bin und deinen Tod mit jauchzender
Raserei beweinen kann".^''*^)
Häufiger finden wir diesen Zug in romantischen Werken.
Novalis in seiner Sehnsucht nach der gestorbenen Braut singt
in den „Hymnen an die Nacht":
„0! sauge, Geliebter, gewaltig mich an,
Daß ich entschlummern und lieben kann.
Ich fühle des Todes verjüngende Flut,
In Balsam und Äther verwandelt mein Blut.
Ich lebe bei Tage voll Glauben und Mut
Und sterbe die Nächte in heiliger Glut".^«')
Klarer tritt seine Ansicht in folgenden Fragmenten hervor:
„Es ist sonderbar, daß der eigentliche Grund der Grausam-
keit Wollust ist*'.^^2) ^^über die Sehnsucht nach fleischlicher
Berührung, die Geschlechtslust, das Wohlgefallen an nackenden
Menschenleibern. Sollt' es ein versteckter Appetit nach Menschen-
fleisch sein?"^*^^) — Tieck betrachtet die Grausamkeit als ein-
gebornen Bestandteil der menschlichen Seele. „In einem ge-
heimnisvollen Gelüste, aus Furcht, Grauen und Mitleid gemischt,
greift die Seele zum Schrecklichen und sättigt ihren furchtbaren
Hunger an Gebilden von Blut und Mord; Grausamkeit, Mord-
lust, die in der Brust des Menschen schlafen, werden von ihren
Ketten gelöst, und in der Erhabenheit triumphiert die wilde
Natur, rot von Blut, in Schauder und Graus. Und dieser Trieb,
— 70 —
der den Menschen in der Wirklichkeit wie in der Poesie hoch,
über sich selbst hinausreißt, ist innigst mit jener schmelzenden
Wollust verwandt, ist wohl derselbe magische Wunsch, zu schaffen
und zu vernichten, in der höchsten Liebe zu verderben und in
der Blutgier mit den feinsten Herzensfibern zu schwelgen. "^^'*)
Die jüngeren deutschen Romantiker haben das Thema öfter
behandelt. Achim von Arnim erwähnt, daß sich Protea mit dem
toten Ikarus vermählt habe, den der Sturz aus der Höhe ums
Leben gebracht hatte,^^'') und im „Markgraf Carl Philipp von
Brandenburg" läßt er Katharina sich zu dem toten Helden ge-
sellen, der ihr zum Gemahl bestimmt war.^^^) Sogar für Hoff-
mann hatte die Tatsache, daß sich Menschen zu Toten hin-
gezogen fühlen können, etwas Grausiges, und er hat nur eine
Erzählung darüber geschrieben: „Vampyrismus".^^^) Der Fluch
einer schändlichen Mutter zwingt ein junges Weib zu einer ent-
setzlichen Neigung für Leichen. Die Szene, wo ihr Gatte ihr
unbemerkt zum Kirchhof folgt und sieht, wie sie, unter häß-
lichen, halbnackten, alten Weibern kauernd, einen Toten — nicht
mißhandelt oder schändet — nein, in ekler Gier davon zehrt,
gehört unter das Furchtbarste, was uns Hoffmann überliefert hat.
Den besten Ausdruck für die zerstörende Macht der Liebe
hat unter den Romantikern Heinrich v. Kleist gefunden und in
„Penthesilea" dargestellt.
Die Amazonenkönigin Penthesilea glaubt sich von Achill,
den sie liebt, beleidigt. Um sich an ihm zu rächen, tötet sie
ihn, als er sich ihr unbewaffnet naht, hetzt die Hunde auf ihn
und wütet selbst mit Bissen an seinem Körper:
„Den Zahn schlägt sie in seine weiße Brust,
Sie und die Hunde, die wetteifernden".^*'^)
Der Trieb, zu töten, was sie liebt, in Blut zu lieben, liegt
tief in ihr. Man erkennt es aus ihren Worten :
„Küßt ich ihn tot?
So war es ein Versehen. Küsse, Bisse,
Das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt.
Kann schon das eine für das andre greifen ".^''^)
In „Die Marquise von 0." schändet ein Offizier die Mar-
quise, die in tiefer Ohnmacht liegt und die er für tot hält. Ein
Kind ist die Frucht der Tat.^'T
Es ist bekannt, daß Zacharias Werner den Gedanken der
Totenliebe bis zum Ekelerregenden gesteigert hat. In seinem
„Lied der Liebe" ^'^) steigt ein Ritter zu seiner Geliebten ins
Grab und wohnt ihr bei. Aus der Verbindung mit der Toten
entspringt ein Kind . . .! Der Anfang des Gedichts packt
mächtig und weckt die Stimmung der ,.Berenice".
— 71 —
„Wer schleicht mit der Fackel um Mitternacht
Zum frisch geschütteten Grabe?
Wer wühlt das Grab auf, wer wälzt den Stein?
Wer stürzet ins offene Grab hinein
Zum schlummernden Mädchen im Grabe?
Der Ritter ist es, sie senkten ihm ein
Des Lebens köstlichste Habe".
Ein andrer der Schicksalstragiker, Müllner, beschreibt die
Grausamkeit der Liebe, die das Geliebte durch die Stärke des
Gefühls vernichtet. Er sagt:
„Unglücklicher, du bist, wie ich, verloren !
Du lerntest hassen, die dich hat geboren:
Das ist der Liebe fürchterliches Zeichen —
Der Liebe, die dem Sturm ist zu vergleichen,
Der wild den Baum herausreißt aus der Erde,
Daß er ein Raub der nahen Flamme werde". ^'-)
Und in der „Schuld" findet sich die Stelle:
„Und der Gatte meiner Wahl / kommt mir wie ein
Raubtier vor, / das mich liebt und mich zerfleischt".^'^)
Endlich mögen noch einige Gedichte Heinrich Heines er-
wähnt werden, den wir noch einigermaßen unter die Romantiker
rechnen dürfen. Er wußte, daß die Liebe mit dem Tode ge-
paart ist und sang von ihr als einer Sphinx, die den Geliebten
mit dem Munde küßt und mit den Tatzen zerfleischt.
„Die Nachtigall sang: 0 schöne Sphinx!
0 Liebe, was soll es bedeuten,
Daß du vernichtest mit Todesqual
All deine Seligkeiten ?"i'^)
Der Totenliebe tut er mehrfach Erwähnung. Es kommen
zwei Gedichte in Betracht, in deren einem ein Franziskaner zu
sich aus dem Grabe die Leiche der schönsten Frau beschwört.^ ''^)
In dem andern, „Helena", ruft der Dichter Helena aus dem
Grabe herbei. Die unersättliche Tote trinkt ihm aber den
Atem aus.^'^)
Da wir das Thema so oft und in den verschiedensten
Zeiten behandelt finden, liegt die Vermutung nahe, daß gleiche
Fälle sich im Leben tatsächlich ereigneten und Anlaß zu der-
artigen Dichtungen gaben. Dem ist auch so. Pitaval erzählt
in den ,,Causes celebres", wie ein junger Mann, der bei einem
Mädchen die Totenwache hält, von ihrer Schönheit ergriffen wird
und sich an ihr vergeht.^"') Als er nach Jahren in die Gegend
zurückkommt, erfährt er zu seinem Erstaunen, daß das Mädchen
aus dem Scheintod erwacht ist und einem Kind das Leben ge-
schenkt hat. Eine gleiche Geschichte von der Schändung einer
Scheintoten und der unerklärlichen Geburt eines Kindes lesen
— 72 —
wir in den „Cent Nouvelles Nouvelles" der Madame de Gomez.^'^)
Und ganz nahe kommt „Berenice" der Fall des Sergeanten
FranQois ßertrand in Paris, der in den vierziger Jahren des
18. Jahrhunderts auf den Friedhöfen Leichen ausgrub und ent-
setzlich verstümmelte. Bei ihm spielte das erotische Moment
gar keine RoUe.^'^)
Ziehen wir nun aus dem umfangreichen angesammelten
Stoffe das Fazit. Es ist zunächst ein negatives. Denn wir
können in keinem Falle den strikten Beweis erbringen, daß
irgendeines der vorliegenden Dichtwerke oder einer der Fälle
Poe Anregungen geliefert hätte. Die dazu nötigen nahen Über-
einstimmungen fehlen. Der auffallende Unterschied aber zwischen
„Berenice" und den erwähnten romantischen Dichtwerken, daß
diese fast ausnahmslos erotischen Charakter tragen, „ Berenice ''
aber davon frei ist, wäre kein Grund, sie zu trennen. Denn
durch die ganze Dichtung Poes weht ein kühler, keuscher Zug.
Seine Frauengestalten sind nicht Wesen mit empfänglichen
menschlichen Sinnen, sondern nur Verkörperungen eines hohen,
geistigen Ideals. Seine Leidenschaften kamen nicht aus dem
Gemüte, sondern aus dem Verstände. Der sexuelle Sinnenrausch
der Romantiker ist bei Poe durch und durch vergeistigt.
Wenn wir aber annehmen, daß Poe von solchen wie den
genannten romantischen Werken Anregungen empfangen habe,
so wird einerseits vor allen Kleists „Penthesilea" heranzuziehen
sein. Wir müssen nur vom Grund der Verstümmlung des Ge-
liebten absehen. Penthesilea hat alle Beherrschung, sogar das
Bewußtsein ihres Tuns verloren. Sie starrt vor sich hin, spricht
unverständliche Worte, ist überhaupt ganz geistesabwesend, so
sehr hat die Leidenschaft sie in der Gewalt. Sie ist entsetzt,
als sie den entstellten Körper Achills sieht und will Rache für
die Tat nehmen. Zu ihrem Grauen muß sie schließlich erfahren,
daß sie es war, die Achill getötet und zerfleischt hat.
Der Geisteszustand der Penthesilea ist also der gleiche wie
der des Egäus, der auch so stark von der Leidenschaft ergriffen
ist, daß nur sie ihn beherrscht. Er auch begeht das Verbrechen
in bewußtlosem Zustande, wie von einer bösen Macht getrieben,
und wird von der enthüllten Wahrheit niedergeschmettert.
Andrerseits ist Hoffmanns Novelle „Vampyrismus" zu be-
rücksichtigen, in der die Gräfin lange gegen die verderbliche
Neigung ringt, ihrer aber doch nicht Herr zu werden vermag.
Der innere Zwang ist stärker als ihr Wille. Wenn diese Er-
zählung dadurch und durch den Umstand, daß sie keine erotischen
Elemente enthält, „Berenice"' naherückt, so ist doch auch hervor-
— 73 —
zuheben, daß es nicht ein bestimmter Toter ist, zu dem die
Gräfin Leidenschaft empfindet, sondern jede beliebige Leiche.
Die Neigung Poes, einen Gedanken oder ein Gefühl fort-
zuführen, bis die Steigerung einen Höhepunkt erreicht, den man
vorher keineswegs vermuten konnte, zeigt sich auch in der
biographischen Erzählung „WILLIAM WILSON".i80) p^^ j^ßt
die mahnende Stimme des Gewissens solchen Abscheu in Wilson
erregen, daß er es schließlich tötet. Das Gewissen ist als Doppel-
gänger Wilsons aufgefaßt. Die Einkleidung in das Gewand der
Allegorie, so wie Poe sie verwendet, ist romantisch. Allegorien,
aus denen man eine Wahrheit zur Belehrung herausziehen sollte,
liat es von jeher gegeben, auch vor der Eomantik Eine der-
artige Allegorie ist aber nach den Ansichten der Romantiker
kein Kunstwerk. Sie wollten nicht die nackte Erscheinung an
sich darstellen, sondern den Geist, der sie durchdringt und der
ihr eigner Geist ist, und dazu hielten sie die Allegorie für ge-
eignet. Unter dem gleichen Gesichtspunkte werden wir Poes
Allegorien anzusehen haben. Unter ihnen verbergen sich Ideen,
die er wegen ihrer Schönheit oder Seltsamkeit der Darstellung
w^ert hielt. Nicht aber dürfen wir aus ihnen eine Moral heraus-
zulesen suchen. Ein näheres Eingehen auf ,. William Wilson"
wird dies deutlich machen.
William Wilson hat auf der Schule einen Kameraden, der
ihm in jeder Beziehung sehr ähnlich ist. Er ist von gleicher
Gestalt, gleichaltrig und hat sogar den gleichen Namen. Während
W^ilson aber alle seine Kameraden vollständig beherrscht, will
ihm dies bei seinem Doppelgänger nicht gelingen, und unterwirft
dieser sich doch, so gibt er Wilson zu verstehen, daß dieser
eigentlich im Unrecht ist. Seine Stimme ist ein leises, durch-
dringendes Flüstern. Er kennt die empfindlichen Stellen Wilsons
genau und weiß ihn gerade da zu packen. Er gibt ihm ver-
stohlen Ratschläge, die Wilson haßt und doch als gut anerkenoen
muß. Aber gerade darum befolgt er sie nicht. Allmählich be-
ginnt er seinen Doppelgänger zu hassen und ihm zuwider-
zuhandeln. Schließlich verläßt er die Schule und geht zur
Universität, wo er sich einem zügellosen Leben hingibt und vor
ehrlosen Handlungen nicht zurückschreckt. Doch als sein ge-
treues Ebenbild taucht bei jeder unrechten Tat der andre Wilson
auf und hindert die Ausführung. Der Haß Wilsons wächst ins
ungeheure. Als er zum Karneval in Rom ein AVeib verführen
will und wieder das durchdringende Flüstern neben sich hört,
überwältigt ihn der Zorn. Er zieht seinen Feind in ein Neben-
zimmer und stößt ihn im Zweikampf nieder. Doch als er den
'Sterbenden scharf ansieht, bemerkt er, wie er ihm bis ins
— 74 —
kleinste gleicht, wie sein Spiegelbild. Er hört seine Stimme,
nun aber nicht mehr flüsternd, sondern laut: „You have con-
quered and 1 yield. Yet, henceforward art thou also dead — dead
to the World, to Heaven, and to Hope! In me didst thou exist —
and, in my death, see by this image, which is thine own, how
utterly thou hast murdered thyself".
Poe deutet selbst auf die Lösung der Allegorie in dem
Motto :
What say of if? What says Conscience grim,
That spectre in my path?
Es ist eine packende Gewissensgeschichte, die Poe aus seinem
Innern herausgelesen hat. Er fühlte, wie weit der Alkohol und aus-
schweifendes Leben den Menschen entwürdigen können, so weit,
daß er imstande ist, sein Gewissen zu töten, und er hatte wohl
wirklich Angst, in einem Anfalle von Trunkenheit sein besseres
Ich zu vernichten.
Poe soll seine Idee aus der Erzählung eines gewissen
Boaden: „The Man with Two Lives"^^^) genommmen haben.
Wie dem auch sei, jedenfalls ist die Idee des doppelten Ichs
sehr alt und verbreitet. Es mag nur an das berühmteste Bei-
spiel der Gattung erinnert werden: Goethes Faust, in dem
Mephistopheles die böse Seite Fausts verkörpert. Im Märchen
auch ist oft der Doppelgänger zu finden. Das bekannteste ist
wohl das von den zwei Brüdern, die sogar von der Frau des
einen nicht unterschieden werden können. Die große Ähnlich-
keit zweier Freunde finden wir ebenso in dem altfranzösischen
Volksepos „Ami und Amile". Aber die Gleichsetzung des zweiten
Ichs mit dem Gewissen ist eine Änderung der gewöhnlichen
Vorstellung und nicht häufig. In Hoffmanns „Elixieren des
Teufels" ^*^-) können wir ab und zu den unheimlichen Doppel-
gänger des Medardus als die Stimme des Gewissens auffassen.
Sein gebrochenes, wahnwitziges Stammeln und Kichern und
grelles Lachen erinnert an das durchdringende Wispern Wilsons.
Die gleiche Unmöglichkeit, der Stimme seines Gewissens zu
entgehen, beschreibt Hoffmann in „Der unheimliche Gast".^^-')
Da aber in dieser Novelle die Personifizierung des Gewissens
fehlt und außerdem spukhafte magnetische Einflüsse auftreten,
werden wir Teilen aus „Die Elixiere des Teufels" größere Ähn-
lichkeit mit „William Wilson" zuschreiben müssen.
Die hier auftretende, von den Komantikern mit Vorliebe ge-
pflegte Vorstellung, daß der Mensch nicht in sich allein zu Hause
ist und daß mehr als der Verstand innere Triebe und außer welt-
liche Mächte sein Leben führen und sein Handeln bestimmen,
— 75 —
finden wir in noch stärkerer Ausbildung in der Erzählung :
„THE FALL OF THE HOUSE OF USHER".^-)
Roderick Usher wohnt mit seiner Schwester Madeline in
einem uralten Herrensitze, der mit dem Schicksal der Familie
verknüpft zu sein scheint. Die grauen verwitterten Steine des
Schlosses scheinen Leben zu besitzen, und es deucht dem Be-
schauer, als ob von einem Teich vor dem Hause eine eigne
dumpfe Atmosphäre emporsteige, über dem Schlosse sich lagere
und es von der Umgebung trenne, so daß es ein Leben für sich
führe. Usher ist ein kranker, äußerst reizbarer Mensch:
„Son cceur est un luth suspendu;
Sitot qu'on le touche il resonne".
Seine Sinne sind außerordentlich geschärft, er kann nur
ungewürzte Speisen genießen, nur gewisse Kleider tragen. Der
]3uft aller Blumen ist ihm verhaßt, sogar schwaches Licht
schmerzt seine Augen, und nur die Töne von Saiteninstrumenten
sind seinem Ohr erträglich. Dazu hat er eine unerklärliche
Furcht vor kommendem Unglück, nicht vor dem Unglück selbst,
sondern seiner Folge: dem Schrecken. Immer mehr umgarnt
ihn wie eine Schlange die Furcht — vor der Furcht. Ein
Grund dafür ist auch die seltsame Krankheit seiner Schwester,
die langsam hinwelkt, ohne daß man ihr Hilfe bringen kann.
Sie leidet dazu an epileptischen Anfällen, deren einer ihren Tod
herbeiführt. In einem nahen Grabgewölbe wird sie beigesetzt.
Schon nach kurzer Zeit wird es ihrem Bruder klar, daß sie
lebend begraben ist. Sein überscharfes Ohr hört deutlich ihr
Ringen im Sarge. Ruhelos irrt er im Schlosse umher und wagt
doch nicht, ihr zu Hilfe zu kommen, hat auch nicht den Mut,
nur ein Wort zu sagen, bis nach einer Woche, in einer stürmischen
Nacht, die Lady Madeline sich befreit, das Tor des Gewölbes
aufbricht, in ihrem blutbefleckten Leichenhemd zum Zimmer
ihres Bruders emporwankt und dem Entsetzten in die Arme sinkt
Tot fallen beide nieder. Und als im Grauen alles aus dem
Hause flieht, spaltet sich das Schloß und begräbt unter sich die
letzten derer aus dem Hause Usher.
Die Erzählung, meisterhaft aufgebaut, nimmt den Hörer
magisch gefangen und versetzt ihn mehr und mehr in eine
quälende Spannung. Über ihr lagert die Stimmung der Schicksals-
tragödie- Stets erwartet man mit Roderick Usher, daß ein Un-
glück hereinbricht, und als es kommt, packt es doch mit starker
Gewalt. Die Umgebung, das alte Schloß, ist nicht tot. Alles^
die Steine, der Teich, sogar die Luft sind mit Leben erfüllt.
Die ganze Umwelt und die Natur stehen im Dienste des Schick-
6
— 76 —
sals. Die Elemente werden zu Hilfe gerufen, Blitz und Donner
und Sturm und Regen fügen sich harmonisch in den Gang der
Ereignisse. Das Zusammenleben der beseelten und der toten
Welt und das Wesen Ushers machen die Erzählung zu der am
meisten romantischen, die Poe geschrieben hat.
Sich selbst wiederum zeichnet er in Usher, diesem hyper-
nervösen Menschen, dem Psychopathen der schwersten Art,
dessen Beschreibung bis in kleine Einzelheiten mit Poes äußerem
Aussehen und seiner Veranlagung zusammentrifft. Wir sehen
den Tasso der Goetheschen Dichtung mit seinem tiefen Innen-
leben und seiner Empfindsamkeit vor uns, wir sehen auch
Hyperion, den Sklaven seiner Gefühle, dessen Schicksalslied:
„Doch uns ist gegeben / Auf keiner Stätte zu ruhn,
Es schwinden, es fallen / Die leidenden Menschen
Blindlings von einer / Stunde zur andern,
Wie Wasser von Klippe / Zu Klippe geworfen,
Jahrlang ins Ungewisse hinab" ^**)
sich an Usher erfüllt.
Achim V. Arnim hat ein ähnliches Werk geschaffen: „Die
Majoratsherren" }^^) Der Majoratsherr ist ein phantastischer junger
Mann, der die wirkliche Welt nur so sieht, wie sie sich in seiner
Einbildung spiegelt. Ein dunkles Geheimnis ruht über seinem
Leben und drückt ihn, der ohnehin schon ohne Energie ist, zu
bleierner Untätigkeit nieder. Nächte durch sitzt er über seinen
Handschriften und seinem Tagebuch. Er spielt auf der Mandoline
und singt dazu schwermütige Lieder. Aber er sieht und hört, was
anderen Menschen entgeht. Er hört den Pistolenschuß, der nur
in der Einbildung der gegenüberwohnenden geisteski^anken
Esther existiert, die er von seinem Fenster aus beobachtet. Er
durchschaut die verborgenen Fäden, die ihn mit diesem ver-
meintlichen Judenmädchen verbinden. Sie ist in Wahrheit die
verstoßene Tochter der Frau, die für seine Mutter gilt, und er
ist an ihrer Stelle untergeschoben, also der unrechtmäßige
Majoratsherr. Er fühlt aber nicht die Kraft in sich, den
Fehler seiner Eltern gutzumachen. Er sieht auch, wie das alte
Judenweib Vasthi die nur scheintote Esther erwürgt, er sieht
ihren Todeskampf und kommt ihr doch nicht zu Hilfe. Erst
als alles Leben aus Esther entwichen ist, eilt er an ihre Bahre
und stirbt.
Die Majoratsherren in Arnims und Poes Erzählungen sind einer
Art: bis zum äußersten empfindlich, reizbar, phantastisch und
energielos. Wie Eoderick Usher ein so feines Gehör hat, daß
er schon die erste schwache Bewegung seiner Schwester im
Sarge hört, so besitzt auch der Majoratsherr Arnims außer-
— 77 —
•ordentlich scharfe Sinne, vor allem ein sehr feines Gehör. Wie
<lieser seine melancholischen Gesänge auf der Gitarre begleitet,
so singt üsher phantastische Lieder zu den Tönen desselben
Instruments. Usher hat Furcht vor den grauen Steinen seines
Herrenhauses, die er mit seinem Schicksal verknüpft glaubt, und
auch der Majoratsherr fühlt Grauen vor den großen Steinen
seines Majorats, die ihm mit Hunger und Kummer zusammen-
gemauert scheinen. Und auffallend ist vor allem die Überein-
stimmung darin, daß beide wissen, daß ein geliebtes Wesen
nicht tot ist, wie man glaubt, sondern nur scheintot. In ihre
Hand ist es gegeben, Madeline und Esther zum Leben zurück-
zuführen. Aber beide lassen die Gelegenheit zur Rettung vor-
übergehen, nur aus Mangel an Energie. Und beide schließlich
finden mit der Geliebten den Tod.
Sollte man wirklich annehmen können, daß Poes Erzählung
ganz unabhängig von Arnims Novelle geblieben sei und daß es
sich wie so oft auch in diesem Falle nur um eine eigentümliche
Übereinstimmung der Motive handle, die in der gleichen Ge-
mütsstimmung und Veranlagung der Dichter begründet wäre?
Die Ähnlichkeiten sind zu auffallend, um diese Annahme zu-
zulassen. Außerdem sind noch einige weitere Übereinstimmungen
zwischen Erzählungen Poes und Arnims nachzuweisen, so daß
die Mutmaßung, Poe habe Anregungen von Arnim empfangen,
nicht fern liegt. Was nur Möglichkeit ist, sobald ein einzelner
Fall von Übereinstimmung der Motive vorliegt, wird zur Wahr-
scheinlichkeit, wenn die Beispiele sich mehren.
Es lassen sich auch Beziehungen zwischen Poes Novelle
und Hoffmanns „Das Majorat" ^^^) nachweisen. Schon die Namen
stimmen überein. Bei Hoffmann heißt der Majoratsherr Roderich,
bei Poe Roderick Usher. Vor allem aber ist es das Schloß, das
uns an das house of Usher erinnert. Es liegt in öder, rauher
Gegend. Das finstre Gebäude nährt die Erinnerung an alte
Freveltaten. Geisterhaft und mürrisch schleichen wie in Ushers
Herrensitz in diesem Majorat die Diener umher. In die Steine
scheinen Geister gebannt, die leicht hervorkommen und von den
Verbrechen berichten, deren Schauplatz das Schloß war. An-
schaulich ist das Leben, das den Steinen innezuwohnen scheint,
in den Worten geschildert: „Es ging fort durch lange, hoch-
gewölbto Korridore, Franzens flackerndes Licht warf einen
wunderlichen Schein in die dicke Finsternis. Säulen, Kapitaler
und bunte Bogen zeigten sich oft wie in den Lüften schwebend,
riesengroß schritten unsere Schatten neben uns her, und die
seltsamen Gebilde an den Wänden, über die sie hinweg schlüpften,
schienen zu zittern und zu schwanken, und ihre Stimmen
6*
— 78 —
wisperten in den dröhnenden Nachhall unserer Tritte hinein:
Weckt uns nicht, weckt uns nicht, uns tolles Zaubervolk, das
hier in den alten Steinen schläft". ^^^) Wenn also auch nicht
die Steine des Schlosses wie die des house of Usher mit dem
Schicksal der Familie eins sind, so sind sie doch anscheinend
belebt. Auch ist das Unglück der Familie immer an das Schloß
gebunden. Endlich nimmt in Hoffmanns wie in Poes Erzählung
das Geschlecht der Majoratsherren ein jähes Ende.
Das Eingehen auf die Erzählungen Arnims und Hoffmanns
wird deutlich gemacht haben, daß Poe in „The Fall of the House
of Usher" den Spuren der Romantiker eng gefolgt ist. Einer-
seits ist die Handlung der in Arnims Erzählung ähnlich und
sind Züge aus Hoffmann übernommen ^\'orden, andererseits sind
die Anschauungen und der Charakter Roderick Ushers durchaus
romantisch. Er schreibt den Pflanzen und sogar den Steinen
Gefühl und Einfluß auf die Menschen zu. Seine Lieblingslektüre
sind romantische, geheimnisvolle Bücher, darunter Tiecks „Reise
ins Blaue hinein", seine melancholischen Weisen strömen einen
unbestimmten Zauber aus und erregen zu seltsam schmerzlichen
Stimmungen. Vor allem tritt aber seine romantische Veranlagung
in seinen Gemälden zutage. „From the paintings over which
his elaborate fancy brooded, and which grew, touch by touch,
into vaguenesses at which I shuddered the more thrillingly, be-
cause I shuddered knowing not why; — from these paintings
(vivid as their images now are before me) I would in vain En-
deavour to educe more than a small portion which should lie
within the compass of merely written words. By the utter sim-
plicity, by the nakedness of his designs, he arrested and overawed
attention. If ever mortal painted an idea that mortal was Roderick
Usher. For me at least — in the circumstances then arround-
ing me — there arose of the pure abstractions which the
hypochondriac contrived to throw upon the canvas an intensity
of intolerable awe, no shadow of which feit I ever yet in the
contemplation of the certainly glowing yet too concrete reveries
of Fuseli." 1«')
Der Zug der romantischen Malerei, die Gegenstände nicht
um ihrer selbst willen darzustellen, sondern des Geistes, der
Stimmung wegen, die sie aushauchen, geht klar daraus hervor.
Man merkt auch, daß Züge der gotischen Romantik in „The
Fall of the House of Usher" auftreten. Das graue düstere Schloß^
mit seinen unglücklichen Insassen, die langen finsteren Korridore,
das kupferne Grabgewölbe, in dem die scheintote Lady Madeline
um ihr Leben kämpft, auch die einsame, trostlose Lage des
Herrensitzes könnten aus einem der Schauerromane der Ana
~ 79 —
Radcliffe oder Maturins genommen sein. Doch hat sich Poe von
den rohen Auswüchsen der gotischen Romantik freigehalten.
Während in dieser die Schlösser in den Vordergrund traten und
oft eine größere Bedeutung als die Menschen hatten, ist bei
Poe die Bedeutung der Umwelt auf ihr rechtes Maß beschränkt.
Ihre Bedeutung geht eben nur auf die romantische Idee zurück,
daß die Natur, die uns tot scheint, beseelt und mit tausend
Fasern mit unserem Leben verknüpft sei und bestimmend auf
<3s einwirke. Den gleichen Gedanken treffen wir in zwei andern
Novellen Poes: „Metzengerstein" und „The Oval Portrait", Einzel-
züge davon in „Ligeia".
In „METZENGERSTEIN" i««) sehen wir zwei seit alter Zeit
verfeindete Familien, Berlifitzing und Metzengerstein, die erste
dem Aussterben nahe. Der junge Metzengerstein legt in teuf-
lischem Haß Feuer an das Schloß Berlifitzing. Im Brande geht
der alte Graf mit seinem Schlosse zugrunde. Währenddessen
sitzt Metzengerstein in seinem Zimmer, dessen Tapete Szenen
aus der Geschichte der feindlichen Familien darstellt. Zu seinem
Entsetzen scheint das Bild eines gigantischen Rosses, dessen
Reiter, ein Berlifitzing, unter dem Schwerte eines Metzenger-
stein stirbt, Leben anzunehmen und ihn zu l)etrachten. Als er
das Zimmer verläßt, bringen ihm Roßknechte ein riesiges wildes
Pferd, das er als das Ebenbild dessen in der Tapete erkennt.
Dieses aber ist verschwunden. Metzengerstein bestimmt das
Pferd, vor dessen ernstem, beinahe menschlichem Blick die Leute
zurückschrecken, zu seinem eignen Gebrauch und sucht seinei-
Wildheit Herr zu werden. Bei einem Feuer aber in seinem
Schlosse reißt das Pferd seinen Reiter mit sich fort in die
Flammen, die sich augenblicklich beruhigen. Eine dicke Rauche
wölke steigt aus dem Brandherd empor und lagert sich über den
Trümmern in der Gestalt eines gewaltigen Rosses.
Die Erzählung ist nur verständlich, wenn man den Glauben
^n die Seelenwanderung zur Erklärung heranzieht. Die Seele
des alten Berlifitzing fährt in die Gestalt des Rosses, um nach
seinem menschlichen Tode noch Rache an Metzengerstein nehmen
^u können. Es ist aber eine besondere Richtung dieses Glaubens
dargestellt, nämlich daß die Seele nur ein einziges Mal in einem
fühlbaren Körper wohne, im übrigen aber ein Pferd, Hund, sogar
-ein Mensch nur das ungreifbare Ebenbild dieser Wesen sei.
Es kann sich auch keiner der Diener besinnen, das Roß nur
berührt zu haben.
Daß in der erregten Phantasie sich die tote Umwelt belebt,
ihat vor allem Hoffmann häufig beschrieben. In ,.Der goldene
Topf" hält der phantasievolle Student Anseimus den bronzenen
— 80 —
Türklopfer des Archivarius Lindhorst für den Kopf eines alten
Apfelweibes, der ihn höhnisch angrinst und mit häßlichen
Schimpfreden vertreibt,^^^) in „Der Sängerkrieg auf der Wart-
burg" ^®®) beleben sich in der Hand Klingsohrs wunderliche
Wurzeln, daß sie wie fremde, unheimliche Kreaturen anzuschauen
sind, die mit Fäden und Ästen wie mit Armen und Beinen
zappeln, aus denen auch oft ein kleines, verzerrtes Menschen-
antlitz hervorzuckt und auf häßliche Weise grinst und lacht.
Der Rat Krespel hält seine Geige für lebendig und hört sie in
wunderlicher Weise zu sich sprechen. Beim Tode seiner Tochter
Antonie zerbricht die Geige, der das Mädchen oft gelauscht
hatte.^^^) Tieck läßt im „Ritter Blaubart" die Gestalten einer
Tapete lebendig werden, auf den erstaunten Ritter zugehen und
ihn feierlichen Schritts umwandeln. Am nächsten Tage aber
sind sie in ihre alten Plätze zurückgekehrt.^^"^) Heine erzählt,
wie sich in dem Schlosse Blay jede Nacht ein toller Zauberspuk
erhebt:
„In dem Schlosse Blay allnächtlich / Gibt's ein Rauschen, Knistern, Beben^
Die Figuren der Tapete / Fangen plötzlich an zu leben.
Troubadour und Dame schütteln / Die verschlafnen Schattenglieder,
Treten aus der Wand und wandeln / Durch die Säle auf und nieder". ^^^)
Wenn wir von dem Gedanken der Seelen Wanderung ab-
sehen, so scheint es, als ob unter den erwähnten Beispielen die
Szene aus Tiecks „Ritter Blaubart" die größte Ähnlichkeit mit
„Metzengerstein" habe. Hoffmann sieht die Umwelt wohl lebendig,
erblickt aber in den belebten Dingen niemals das, was sie sind.
Aus dem Türklopfer wird der Kopf eines Apfelweibes, aus der
Klingelschnur eine Schlange. Es könnte aber ebensogut etwas
anderes daraus werden, was gerade vorher die Phantasie des
Dichters beschäftigt hatte. Bei Tieck aber wie bei Poe wird
einem Gegenstand nur Leben eingehaucht, ohne ihn sonstwie
zu verändern. Das gleiche ist auch in Heines Gedicht der
Fall. Es soll aber nicht ernstlich zum Vergleich herangezogen
werden, weil die Möglichkeit, Poe habe Heines Werke gekannt,
in zu weiter Ferne liegt.
Die Erzählung von den feindlichen Familien erinnert an
zwei romantische Werke : Heinrichs v. Kleist „Familie Schroffen-
stein",^^*) die deutsche Bearbeitung des Romeo und Julia-Themas
und Achims v. Arnim „Die Gleichen". ^^^) In beiden Werken
vernichten sich wie bei Poe zwei Familien durch blinden, ererbten
Haß.
Der Zug, daß sich für den Dichter die tote Umwelt belebt,
tritt auch in „THE OVAL PORTRAIT" ^^^) auf. Wir sind nach
Italien versetzt, in ein altes, düsteres Schloß, „which have so long
— 81 —
frowDed among the Apenines, not less in fact than in the faucy
of Mrs. Radcliffe". Ein im Fieber liegender Reisender, der in
dem Schlosse Zuflucht gefunden hat, nimmt eine zu starke Dosis
Opium, um seine Schmerzen zu lindern. Die Wirkung, eine
ins Unendliche gesteigerte Phantasie und Aufmerksamkeit für
die Umwelt, bleibt nicht aus. Als seine Blicke auf ein ovales
Porträt fallen, das einen Mädchenkopf darstellt, wird er wunder-
bar dadurch angeregt. Zufällig findet sich eine Darstellung
der Geschichte des Bildes, und der Kranke liest, daß es das
einst schöne, junge Weib eines Malers darstelle, der in der
Begeisterung für seine Kunst lange Wochen an dem Bilde malte.
Er sah nicht oder wollte nicht sehen, wie das Weib immer
mehr verging in dem Maße, als sein Werk Leben gewann. Als
er die letzte Hand daran legte, da deuchte es ihm, als sei das
Bild lebend geworden. „He becamo tremulous and very pallid,
and aghast, and crying with a loud voice: ,This is indeed IJfe
itself!' turned suddenly to regard his beloved: — she was dead".
Die Erzählung ist die ausschließliche Darstellung des Gefühls,
das einen Teil der vorigen Novelle einnahm: daß ein Bild uns
wie mit lebenden Augen ansieht oder daß die Gestalten daraus
hervorzutreten scheinen. Die phantasievollen Romantiker waren
damit vertraut. Sie sahen nicht die tote Leinwand, sondern das
Leben, das in den Gestalten darauf pulsiert hatte. Sie belebten
jedes Bild mit den Schöpfungen ihrer Einbildungskraft imd
lasen daraus, was andern Menschen verborgen blieb. Hoffmann
war dieser Zug besonders eigen. Er läßt einen jungen Maler
sagen, der das Bild seiner Geliebten gemalt hatte: „Als ich
Rosas Bild vollendet, ward es in meinem Innern ruhig, und oft
war freilich auf ganz wunderliche Art mir zu Mute, als sei
Rosa nun das Bild, das Bild aber die wirkliche Rosa geworden".^^')
Daß von so phantastischem Betrachten eines Bildes bis dahin,
einen ganzen Roman daraus zu lesen, nur ein Schritt war. liegt
auf der Hand. Hoffmann wiederum ist es, der dieser Neigung
besonders oft huldigte. Eine ziemliche Zahl seiner Erzählungen
sind durch Bilder angeregt worden, wie „Die Fermate", „Der
Artushof", „Doge und Dogaressa", „Meister Martin, der Küfner,
und seine Gesellen", „Prinzessin Brambilla", vielleicht auch die
„Elixiere des Teufels".
Poes Erzählung erweckt auch den Eindruck, als ob sie
nach einem Gemälde geschaffen sei und einfach die Gedanken
darstelle, die des Dichters Phantasie ihm beim Betrachten eines
lebenswahr gemalten Mädchenbildes vorgegaukelt hätte. Er
deutet ja auch ziemlich unverhüllt darauf hin, wenn er den
Reisenden durch Opium in einen Zustand hoher phantastischer
— 82 —
Erregung kommen läßt. Daß dieser einen Katalog der Bilder
und darin die Geschichte des Frauenkopfes findet, ist nur eine
ziemlich ungeschickte und durchsichtige Verhüllung der Tat-
sachen.
„THE MASQUE OF THE RED DEATH" ^^«) führt uns in
ein mit unerhörter, orientalischer Pracht ausgestattetes Schloß,
in das sich der Prinz Prospero mit seinem Hofstaat vor der
roten Pest, die in seinem Volke haust, zurückgezogen hat
und Monate in schwelgerischen Festen verbringt. Zu einem
Maskenfeste hat man eine lange Flucht von Zimmern phantastisch
ausgeschmückt, das letzte in den Farben des roten Todes,
schwarz und rot. Um Mitternacht hält durch diese Räume die
Pest in einem grausigen Maskenkleid, das einem schwarzen
Grabgewande gleicht und mit roten Blutflecken besprenkelt ist,
ihren Einzug in das Schloß und rafft den Fürsten mit seinem
Gefolge dahin.
Die Beschreibung des prächtigen Schlosses mit den langen
Fluchten seiner Zimmer, gewaltigen Mauern und Eisentoren
erinnert wiederum an die Schilderungen der gotischen Romantik.
Die Stimmung aber, die erst ausgelassen lustig ist, allmählich
aber ohne Grund einem Gefühl drückender Angst weicht und
in die Gewißheit eines unentrinnbaren Unheils übergeht, führt
uns in die drückende, von Entsetzen geschwängerte Atmosphäre
der Schicksalstragödie und der Tieckschen Märchen. Im letzten
Zimmer, dem schwarzen und roten, das den roten Tod verhöhnt,
steht eine riesige Elfenbeinuhr. Wenn sie mit lauttönendem,
tiefem, wohlklingendem Schlag die Stunde verkündet, so durch-
fährt Entsetzen die Gesellschaft. Die Musik schweigt, und die
Tänzer stehen still. Die Fröhlichsten werden bleich, und die
Alten und Gesetzten legen die Hand über die Augen wie in
unklarer Träumerei. Eine ferne, bekannte, doch vergessene
Stimme scheint sie zu rufen. Dann aber lächelt man über sich
und wird wieder fröhlich und wird doch nach jeder Stunde von
den gleichen Schauern ergriffen, bis mit den Schlägen der
Mitternachtsstunde das Entsetzen seinen Höhepunkt erreicht und
mit dem Hereinbrechen der Pest seine Berechtigung erhält.
Die unheilahnende Stimmung wird dadurch verstärkt, daß
wir, wie in der Schicksalstragödie, keinen Grund dazu haben.
Sie liegt in der Luft. Der wohlklingende Schlag einer Uhr hat
gewiß nichts Schreckliches an sich und erregt doch Grauen.
Grade dieses Unbegreifliche und Unv/ahrschein liehe aber bringt
die tiefe Wirkung hervor. Wir werden im unklaren darüber
gelassen, wie die Pest in das Schloß eindringen kann. Es war
seit Monaten von jeder Berührung mit der Umwelt dicht ab-
— 83 —
geschlossen, die Eisentore waren nie geöffnet worden, über die
hohen Mauern konnte kein Mensch gelangen, und doch sehen
wir den roten Tod seinen Einzug halten. Wir müssen die
JStrafe als vom Schicksal verhängt auffassen und glauben, daß
sie von einer höheren als menschlichen Macht ausgehe. Der
Geist der Schicksalstragödie — der vornehmen, nicht der aus-
gearteten — ist nicht zu verkennen'.
Es mag noch erwähnt werden, daß der Prinz Prospero mit
dem Zauberer Prosper Albanus in Hoffmanns „Klein Zaches, ge-
nannt Zinnober" ^'^^) ziemlich gleichen Namen führt. Da wir die
genannte Erzählung schon mit einem Werke Poes in Verbindung
setzen konnten, da weiterhin auch dieser Prosper Albanus über
ein sehr prächtiges Schloß verfügt und da wir endlich fest-
stellen konnten, daß Poes Erzählung „The Fall of the House
of Usher" und Hoffmanns ,. Majorat" gleiche Namen für die
Majoratsherren haben, so ist diesem scheinbar geringfügigen
Umstände vielleicht einige Bedeutung zuzuschreiben.
Ganz anders geartet ist die Erzählung „THE PIT AND
THE PENDULUM".!«'^) Ein von der Inquisition in Toledo Ver-
urteilter wird in einen Unstern Kerker geworfen, in dessen Mitte
sich eine tiefe Grube befindet. Als er der Gefahr hinein-
zustürzen entgeht, fesselt man ihn auf eine Bahre, über der ein
an der Unterseite haarscharf geschliffenes Pendel schwingt, das
sich ganz langsam, viele Tage lang, herabsenkt und ihn zu zer-
sägen droht. Als er sich auch aus dieser Lage zu befreien
weiß, werden die beweglichen, mit scheußlichen Fratzen be-
deckten Eisenwände des Kerkers zur Rotglut erhitzt und zu-
sammengeschoben, um das Opfer in die Grube zu drängen. Im
Augenblick der höchsten Not kommt die Befreiung in der Person
des Generals Lasalle, der die Inquisition aufhebt.
Die Vorstellung der beispiellosen Martern scheint aus einem
Krankheitszustand des Dichters genommen zu sein, den die
Fallsucht oder der Alkohol bei ihm herbeiführte. Dafür spricht
die Beschreibung eines solchen Zustands, die er am Anfang der
Erzählung gibt. Aber er hat die Gefühle des Gefolterten, die
auch seine waren, auf so peinliche Weise zergliedert, daß man
annehmen möchte, er habe das kühne Wort Hardenbergs in die
Tat umgesetzt: „Das willkürlichste Vorurteil ist, daß dem
Menschen das Vermögen, außer sich zu sein, mit Bewußtsein
jenseits der Sinne zu sein, versagt sei. Ohne dies wäre er nicht
Weltbürger, er wäre ein Tier. Freilich ist die Besonnenheit,
Sichselbstempfindung, in diesem Zustande sehr schwer, da er
so unaufhörlich, so notwendig mit dem Wechsel unserer Zustände
verbunden ist . . ."^*^^*) Wie fein sich Poe selbst in den Augen-
— 84 —
blicken der stärksten Erregung beobachtete, geht aus der Be-
merkung hervor, daß in seinem Gehirn, das vor Schmerz unfähig
war zu denken, plötzlich ein Gedanke an Eettung auftauchte,
aber blitzschnell wieder verschwand. Erst im Augenblicke der
höchsten Gefahr kommt ihm mit der kalten Ruhe der Ver-
zweiflung die Erinnerung daran zurück, so daß er Schritte zu
seiner Eettung tun kann. Auch für diese Beobachtung finden
wir ein Analogen in den Fragmenten von Novalis ^*^^): „Im
höchsten Schmerz tritt zuweilen eine Paralysis der Empfindsam-
keit ein. Die Seele zersetzt sich. Daher der tödliche Frost,
die freie Denkkraft, der schmetternde, unaufhörliche Witz dieser
Art von Verzweiflung. Keine Neigung ist mehr vorhanden; der
Mensch steht wie eine verderbliche Macht allein".
Die Geschichte einer andern furchtbaren, aber persönlichen
Rache finden wir in „THE CASK OF AMONTILLADO".202)
Ein Mann ist von einem andern, Fortunato, beleidigt worden.
Er beschließt, sich zu rächen. Er bleibt freundlich wie zuvor
und wartet Monate, ja vielleicht Jahre lang auf eine Gelegen-
heit zur Rache, die sich endlich in einem Karneval bietet. Er
führt seinen Feind in seinen Weinkeller, alte Katakomben, um
sein Urteil über ein Faß Amontillado zu hören. In einem Ge-
wölbe, das von Salpeter dampft, fesselt er ihn an die Wand
einer Nische und mauert dann langsam deren Öffnung zu. Er
weidet sich an den verzweifelten Schreien seines Opfers, das in
Wahnsinn verfällt.
Die Erzählung ist in einem kalten, man möchte sagen,
grausamen Ton geschrieben, ohne Mitleid erwecken zu wollen.
Die Beleidigung ist nie genannt, aber man kommt auf den Ver-
dacht, daß sie recht geringfügig gewesen sei und in gar keinem
Verhältnis zu der unmenschlichen Rache stehe. Das Opfer wird
aus dem lustigen Treiben des Karnevals heraus in den Tod ge-
rissen. Es faßt das Vorgehen seines Feindes, von dessen Haß
es nichts weiß, als einen Scherz auf und kann die entsetzliche
Wahrheit nicht begreifen. Wir empfinden am Ende das
schneidende Lachen und das Aufbrüllen des Wahnsinns als Er-
lösung von einer unerträglichen Qual.
Unersättlichen Rachedurst hat auch Heinrich v. Kleist in
der „Hermannsschlacht" ''*^^) dargestellt. Der römische Legat
Ventidius hat Thusnelda eine Locke geraubt. Sie hätte ihm
verziehen, denn sie glaubt, es sei aus Liebe zu ihr geschehen.
Als sie aber erfährt, Ventidius habe die Locke nach Rom zur
Kaiserin Livia geschickt und ihr das ganze Haupthaar Thus-
neldas versprochen, sobald Cheruskia erobert sei, packt sie
furchtbarer Zorn. Sie lockt Ventidius unter dem Vorwand eines
— 85 —
Stelldicheins in einen Bärenzwinger, und als er sie zu umarmen
glaubt, läßt sie ihn von einer hungrigen Bärin zerreißen und
verhöhnt ihn mit Spottreden.
Die Beleidigung war schwer, aber die Rache trotzdem sehr
grausam. Man empfindet Mitleid mit Ventidius über den gräß-
lichen Hohn Thusneldas, ja man atmet sogar auf, als die Bärin
die Klauen in seine Brust schlägt und der Qual ein Ende macht,
so wie man auch in „The Cask of Amontillado" das Eintreten
des Wahnsinns bei dem Verurteilten als Erleichterung fühlt.
Aber doch wird uns Thusnelda immer sympathisch berühren.
Sie war in ihrer Liebe gekränkt und von Hermann in den
höchsten Zorn hineingetrieben. Und nach der Befriedigung
ihrer Rache löst sich die zu hoch gesteigerte Spannung durch
eine tiefe Ohnmacht aus. Wir fühlen in ihr menschliche Züge
und bewahren ihr darum unsere Teilnahme.
In Poes Erzählung aber erscheint der Rächer seiner Ehre
wie aus Stein so hart. Keinen menschlichen Zug finden wir an
ihm, er verrichtet seine Rache wie ein Geschäft oder wie eine
kalte Pflicht. Eine Regung des Mitleids taucht am Ende der
Erzählung auf, wird aber gleich wieder zerstört. Als es scheint,
daß Fortunato tot ist, sagt der Erzähler: „My heart grew sick
— aber er fährt fort — on account of the dampness of the
catacombs". Die Erzählung schließt mit den Worten, die man
einem, den man liebte, ins Grab nachruft: „In pace requiescat!''
Man würde sie als Hohn empfinden, wenn nicht gerade das
Ende der Erzählung ganz in einem ernsten Ton gehalten wäre.
Vielleicht sollen sie den Eindruck hervorrufen, daß der Rächer
noch nicht alle Zuneigung zu Fortunato verloren habe, daß ihm
aber seine Rache höher als sein Empfinden stehe.
Die Erzählung ist in eine eisige Atmosphäre gehüllt, die
mit den giftigen Salpeterdünsten der Katakomben geschwängert
scheint. Sie löst eine Menge Empfindungen aus, die nicht mit
Worten ausgedrückt sind, sondern zwischen den Zeilen zu
schweben scheinen. Poe zeigt sich darin als Meister in der
romantischen Kunst des Unendlichen, die ein Thema nie ganz
ergründet, sondern stets irgend etwas zu ahnen übrigläßt. Er
regt Gefühle an, ohne sie zu erschöpfen, und läßt dem Empfinden
des Lesers weiten Spielraum. Dadurch ist es ihm auch in dieser
Erzählung gelungen, was er in „The Fall of the House of
Usher", „Berenice", „Ligeia" in noch höherem Maße erreicht
hat: eine Stimmung zu erzeugen, die noch lange über das Ende
der Erzählung hinaus nachzittert. Sie gleicht der im Tieckschen
Märchen. Aber er hat sie noch dunkler gefärbt und weiter
verflüchtigt. Ein wichtiges Hilfsmittel dafür war sein der Sache
— 86 —
wunderbar angepaßter Stil, den er an den Werken Bulwers und
D'Israelis heranbildete. In dem Streben nach Stimmung frei-
lich — und diese mußten seine Vorwürfe ihrer Natur wegen
haben — scheint sie ihm öfters zur Hauptsache geworden zu
sein. Seine Originalität litt darunter, die schon durch die Art
seiner Krankheit und die durch diese hervorgerufenen Zwangs-
vorstellungen beschränkt war. Es kam ihm nicht darauf an,
er war vielleicht sogar genötigt, ein und denselben Stoff
mehrere Male zu behandeln, wie in ,.The Imp of the Perverse",
„The Black Cat", „The Teil-Tale Heart" den Gedanken der Perver-
sität, den der Umschlingung eines Menschen durch die Furcht
in „The Fall of the House of Usher" und „The Pit and the
Pendulum" oder den der Geschichte seiner Liebe in der Gruppe
„Ligeia", „Eleonora", „Morella", die jetzt behandelt werden soll.
In „LIGEIA" ^^^) lernt der Erzähler Ligeia in einem Schlosse
am Rhein kennen. Er weiß nicht ihren Familiennamen, noch
ihre Familie, noch ihre Vergangenheit. Aber ihre klassische
Schönheit, die Güte ihres Herzens und ihr gewaltiges Wissen,
das seines bei weitem übersteigt, ziehen ihn zu ihr hin. Sie
heiraten und treiben gemeinschaftlich tiefe Studien. Allmäh-
lich aber beginnt Ligeia hinzusiechen und stirbt nach langem
Todeskampfe. Ihre letzten Worte sind: „Man doth not yield
him to the angels, nor unto death utterly, save only through the
weakness of his feeble will". — Der verzweifelte Gatte verläßt
sein Schloß am Rhein und zieht nach England. Dort kauft er
in einer wilden Gegend ein finsteres, außen halb verfallenes
Schloß, das er mit orientalischem Luxus ausstattet. Um seinem
Schmerz zu entgehen, gewöhnt er sich an den Gebrauch des
Opiums, das seine Willensstärke bricht. In einem Anfall von
Geistesgestörtheit führt er die blonde, blauäugige Lady Rowena
Trevanion of Tremaine zum Altar, ohne sie zu lieben. Bald
sogar lernt er sie tief hassen, je mehr er an Ligeia zurückdenkt.
Nicht lange lebt er mit ihr in einem hohen Turmzimmer, hinter
dessen Tapeten der Wind rauscht und sie bewegt, daß die Figuren
darauf belebt scheinen. Rowena fällt in eine schwere Krank-
heit. In ihren Fieberphantasien spricht sie von Bewegungen
und Tönen in- und außerhalb des Turmzimmers, die den andern
verborgen bleiben. Als eine Nacht ihr Gatte bei ihr wacht,
scheint sie besonders erregt. Er eilt durch das Zimmer, um
ihr stärkenden W^ein zu holen. Da fühlt er, wie etwas Fühl-
bares, doch Unsichtbares an ihm vorübergleitet, er bemerkt auch
einen unendlich schwachen Schatten auf dem Fußboden. Als
er der Lady den Becher reicht, hört er einen leichten Tritt auf
dem Teppich und sieht aus der Luft drei oder vier klare,
— 87 ~
purpurrote Tropfen in den Wein fallen. Vom Augenblick an ver-
schlechtert sich das Befinden der Lady, und drei Tage darauf
hält im gleichen Zimmer ihr Gatte bei ihr die Totenwacht.
Von einer starken Dosis Opium erregt, gehen seine Gedanken
hin und her und verweilen schließlich beim Andenken an Ligeia.
Da hört er an der Bahre einen tiefen Seufzer. Entsetzt be-
merkt er Kegungen des Lebens in Rowena. Doch seine Be-
mühungen, sie ins Leben zurückzurufen, scheitern, und bald
fällt sie in einen Zustand größerer Starrheit als zuvor. Er aber
versinkt wiederum in Gedanken an Ligeia, bis ihn ein neues
Aufflackern des Lebens in Rowena emporschreckt. Und noch
drei- oder viermal wiederholt sich das schreckliche Schauspiel^
und jedesmal trägt das Zurücksinken in die tödliche Starre mehr
die Merkmale eines Kampfes, und jedesmal zeigt der Körper
in höherem Maße die Anzeichen des Verfalls. Gegen Morgen
endlich kehrt noch einmal das Leben mit besonderer Kraft^zu-
rück. Die Lady richtet sich auf, erhebt sich vom Lager und
geht mit geschlossenen Augen und unsicheren Schritten auf ihren
Gemahl zu. Entsetzt starrt dieser die Erscheinung an : war sia
seit ihrer Krankheit höher gewachsen? Vor seinem Griff fällt
das Kopftuch : rabenschwarzes Haar wallt zu ihren Seiten herab.
Da öffnet sie langsam ihre Augen und nun . . . „Here then, at
least", I schrieked aloud, „can I never, can I never be misstaken^.
— these are the füll, and the black, and the wild eyes — of
my lost love — of the Lady — of the Lady Ligeia".
Es mögen sich gleich die beiden andern verwandten Er-
zählungen anschließen.
,.MORELLA",205) ^.Ligeia" zeitlich vorangehend, hat die
größte Ähnlichkeit mit dieser Erzählung. Auch hier lernt der
Erzähler Morella durch Zufall kennen. Ohne sie recht zu lieben,
heiratet er sie. Ihre Bildung ist umfassend. Die Studien, die
sie gemeinsam treiben, erstrecken sich vor allem auf deutsche
Philosophie: „The wild Pantheism of Fichte, . . . and above
all, the doctrines of Identity as urged by Schelling" beschäftigen
sie sehr. Doch bald beginnt eine Krankheit Morella allmählich
hinzuraffen, und ihr Gemahl, der seine Zuneigung zu ihr ganz
verloren hat, wünscht ihren Tod herbei. Auf ihrem Sterbebett
verheißt sie ihm eine Zukunft voller Schmerzen. Ihr Kind, ein
Mädchen, das sie ihm im Tode geschenkt hat, wächst sehr
schnell und wird seiner Mutter außerordentlich ähnlich. Manch-
mal erschrickt ihr Vater vor ihrer vollkommenen Gleichheit mit
Morella. Oft äußert sie Gedanken, wie sie nur das reife Weib
haben kann; von ihren Lippen fallen Lehren, die eine lange
Erfahrung- voraussetzen; ihr sich schnell entwickelnder Geist
— 88 —
hat die gleichen Neigungen für mystische Philosophie wie der
Morellas, deren Namen mit ihrem Tode gestorben zu sein
scheint. — Das Mädchen hat noch keinen Namen. Als sie ge-
tauft werden soll, da fallen ihrem Vater am Taufbecken viele
Namen ein, doch ein Dämon drängt ihm auf die Frage des
Priesters die Antwort auf die Zunge: Sie soll Morella heißen.
Im Augenblick färben sich des Mädchens Wangen mit den Farben
des Todes und mit den Worten „Ich bin hier" stürzt sie zu
Boden. Bald stirbt sie, ihr Vater trägt sie selbst in das Grab-
gewölbe seiner Familie, und er lacht bitter auf, als er keine
Spur von der ersten Morella in dem Sarge findet, in den er
nun die zweite legt.
Zarter und versöhnlicher ist „ELEONORA".^^«) Eleonora
wohnt mit ihrem Vetter in einem wunderbaren Tale, einsam,
fern vom Getümmel der Welt. Mit ihrer Liebe geht ihnen das
Gefühl für die Schönheit der Natur auf. Doch bald ergreift eine
tückische Krankheit Eleonora. In ihrer Sterbestunde läßt sie
ihren Geliebten schwören, nie eine andere als sie zu lieben, sie
aber verspricht ihm, immer bei ihm zu bleiben. — Nach ihrem
Tode verschwindet dem Verlassenen die Schönheit der Natur,
die mit seiner Liebe emporgeblüht war, die Welt wird ihm ver-
haßt und trüb. Aber die Versprechen Eleonoras sind nicht ver-
gessen. Er hört das Schwingen der Weihrauchbecken der Engel,
Ströme heiligen Duftes fluten durch das Tal, der Wind trägt
ihm leise Seufzer zu und einmal wird er aus tiefem Schlaf durch
einen geisterhaften Kuß emporgeweckt. Doch schließlich peinigt
ihn das Tal mit seinen Erinnerungen an Eleonora, und er zieht
in die Welt. Da lernt er die schöne Ermengarde kennen. Mit
tiefer männlicher Zuneigung liebt er sie, und wenn er in ihre
tiefen Augen sieht, so denkt er nur an diese — und an Eleonora.
Er heiratet, ohne den Fluch zu fürchten, den er heraufbeschworen
hat. Und noch einmal hört er die alte vertraute Stimme in
der Nacht. Sie bringt ihm Verzeihung, aus Gründen, die ihm
erst in der anderen Welt offenbar werden sollen.
Man hat viel zur Erklärung dieser Erzählungen versucht.
Sie sollten einfach die Darstellung eines Gefühls sein, das man
manchmal beim Anblick eines fremden Menschen hat, nämlich
daß man ihn früher schon einmal irgendwo gesehen oder gehört
habe.'^^') Aber man kann nicht annehmen, daß Poe eine so große
Menge von Schönheit um diesen doch alltäglichen Gedanken an-
gehäuft habe. Weit näher kommen wir der Wahrheit in einem
Aufsatze in „The University of Toronto Quaterly^' über Edgar Allan
Poe.^^^) Unter Berufung auf „William Wilson", eine Novelle,
die unzweifelhaft eine Allegorie sei, möchte der Verfasser auch
— 89 —
„Ligeia" so ansehen. Wie in „William Wilson" das Gewissen
durch eine Person dargestellt würde, die ein von ihrem Doppel-
gänger getrenntes, selbständiges Leben führe, so sei auch Ligeia
nur die Verkörperung eines Gedankens, des der Schönheit. „Can
we be wrong in conjecturing that Ligeia, the distinct individual
and the hero's one love, represents an idea, and is the symbol
of that aetherial beauty the author himself adored?" Der Ver-
fasser führt den Gedanken dann weiter aus, teilweise offenbar
zu weit, wenn er sagt: „In the unremembered first meeting, in
her allcomprehending knowledge, in the mind music of her
voice, in the unsolved mystery of her eyes, Ligeia is a true
picture of ,Beauty as an idea'. The Lady Rowena might
symbolize the perverted taste, whose existence in the mind was
terminated in that long meditation on his first, pure love. The
ruddy drops are potent destillations from the life-essence of
the unperceived spirit, who thus replaces Rowena in his vision".
Dieser Gedankengang würde vielleicht auf „Ligeia" an-
zuwenden sein, wenn auch festzustellen ist, daß Zügen, die nichts
als phantastisches Beiwerk sind, die jenseits der Vernunft, in
wilden Opiumträumen, ihre Geburtsstunde liegen haben, eine
übertriebene Wichtigkeit beigelegt worden ist. Wer würde in
den roten Tropfen, die flimmernd vor den Augen des Visionärs
tanzen, „destillations from the life-essence of the unperceived
spirit'' suchen dürfen! Wo haben wir in Poes Leben die Zeit
zu suchen, als er einem falschen Ideal nachjagte und dem
„perverted taste" huldigte? Morella ist 1835 entstanden, als
Poe eine Reihe wunderbarer Gedichte geschrieben hatte und
Erzählungen von ihm bekannt waren, die sich, wie „Berenice",
seinen bedeutendsten an die Seite stellen können. „Ligeia"
w^urde 1838 veröffentlicht, im gleichen Jahre wie „The Fall of
the House of Usher" und „William Wilson", und „Eleonora"
1842, als Poe noch auf dem Höhepunkt seines Schaffens stand.
Wenn aber die Abwendung von Ligeia das Übergehen des
Dichters zu einem verdorbenen Geschmack bedeuten soll, so
müssen wir eine entsprechende Tatsache in seinem Leben finden;
denn er ist ein Dichter, der nur sich selbst schreibt. Sie ist
aber nicht festzustellen. Und weiterhin würde die Anwendung
der Erklärung in dieser Form auf „Morella" unmöglich sein.
Poe hat aber selbst gesagt, daß „Ligeia" und „Morella" ein
Gedanke zugrunde liege. Der betreffende Brief enthält außerdem
manches, was uns zum Verständnis der vorliegenden Novellen
förderlich sein kann. Poe schreibt:
„Touching ,Ligeia' you are right — allright — throughout.
The gradual perception of the fact that Ligeia lives again in
— 90 —
the person of Rowena is a far loftier and more thrilling idea
than the one I have embodied. It offers, in ray opinion, the
widest possible scope to my Imagination — it mig'ht be rendered
even sublime. And this idea was mine — had I never written
before I should have adopted it — but there is ,Morella'. Do yoii
remember there the gradual conviction on the part of the parent
that the spirit of the first Morella tenants the person of the
second? It was necessary, since ,Morella' was written, to
modify ,Ligeia'. I was forced to be content with a sudden half-
consciousness, on the part of the narrator, that Ligeia stood before
him. One point I have not fully carried out — I should have
intimated that the will did not perfect its intention — there
should have been a relapse — a final one — and Ligeia (who
had only succeeded in so much as to convey an idea of the
truth to the narrator) should be at lenght entombed as Rowena —
the bodily alterations having gradually faded away".'^^^)
Also „Morella" wie „Ligeia" sollen den Gedanken behandeln,
daß eine zweite Geliebte des Dichters allmählich in die Gestalt
der ersten, gestorbenen, übergeht. Wir müssen die letzte Er-
klärung dafür im Leben des Dichters suchen. Schon die Be-
schreibung seiner Frauen führt uns darauf hin. Sie sind alle
eines Wesens, überaus zart, äthei'isch, mögen sie Ligeia, Morella,
Eleonora, Berenice oder Madeline of Usher heißen. Sie gehen
an einer tückischen Krankheit zugrunde, gegen die es keine
Rettung gibt. Wir erkennen in ihnen Virginia Clemm, aus
deren Bildnis uns auch die tiefen, unergründlichen Augen der
Lady Ligeia entgegenleuchten, die lange gegen eine zehrende
Krankheit, die Schwindsucht, ringen mui^te und deren Jahre
währender Todeskampf Poe unaussprechliche Qualen bereitete.
Sie war die einzige, die er wirklich liebte, ihr Wesen war es
auch im Grunde, das ihn nach ihrem Tode zu anderen Frauen
trieb. AVenn sich Lady Rowena vor seinen Augen in Ligeia
verwandelt, so erkennt er, daß er nur Ligeia in Rowena geliebt
hat; wenn allmählich Morella das Wesen und die Züge ihrer
Mutter annimmt, so wird er sich bewußt, daß er nur einmal
geliebt hat und lieben wird und daß sich ihm in jedem weib-
lichen Wesen, das ihm Zuneigung einflößt, der Gegenstand seiner
einen Liebe verkörpert. Und wenn schließlich Eleonora ihm
Verzeihung für seine vermeintliche Untreue zusagt, so tut sie
es, weil sie weiß, was dem Geliebten noch unbewußt ist: daß
er Eleonora in Ermengarde sieht. Dem widerspricht scheinbar
der Umstand, daß „Morella" 1835, „Ligeia" 1838 und „Eleonora"
1842 entstanden sind, Virginia aber erst 1847 starb. Doch Virginia
litt schon als Kind an der Schwindsucht, ihr früher Tod war
— 91 —
vorauszusehen, und Poe hat ihn wirklich geahnt. Denn es kann
kein Zweifel bestehen, daß er in seinen Frauengestalten immer
und immer nur das Bild Virginias gezeichnet hat. Er las so
tief in seinem Innern, daß er wußte, er würde unter den ge-
gebenen Umständen gar nicht anders handeln können, als er in
diesen Erzählungen schreibt. Ein merkwürdiger Zufall scheint
es, aber ist es keineswegs, daß Poe nach Virginias Tod vSich
wirklich anderen Frauen zuwandte und dadurch seine Frauen-
novellen, die wir sicherlich als prophetische Zukunftsblicke an-
sehen dürfen, zur Wahrheit gemacht hat. Die chronologischen
Ungenauigkeiten bestehen also nur zum Schein.
Um den Grundgedanken der Erzählungen häuft sich nun
eine wirre Fülle phantastischer Züge. Daß Poe das Bild Virginias
veredelt und schließlich zu seinem Schönheitsideal emporgehoben
hat, ist ersichtlich. Doch wo gäbe es einen Dichter oder nur
einen wahrhaft Liebenden, der die Geliebte nicht mit den
schönsten Farben malte, die ihm zur Verfügung stehen! Aber
wenn Poe Morella aus ihrem Grabe verschwinden und leiblich
in die Gestalt ihrer Tochter übergehen läßt, so geht er damit
über die Grenzen des Faßbaren hinaus. Die Absicht, den ein-
fachen Grundgedanken zu verhüllen, tritt da klar hervor. Dem
gleichen Zweck auch müssen wir den tödlichen Schreck der
zweiten Morella zuschreiben, als sie den ihr bis dahin un-
bekannten Namen ihrer Mutter hört. In „Ligeia" vollends be-
gegnen wir auf Schritt und Tritt phantastischen, rein visionären
Vorstellungen. Die Tapeten rauschen in dem Zimmer wie von
Geisterhänden bewegt, fühlbar und hörbar gehen die Ab-
geschiedenen umher, unsichtbar, und werfen doch einen Schatten.
Wir müssen den Ursprung solcher Bilder in den Opiumträumen
des Dichters suchen, auf die er auch immer hinweist. Wir
möchten sie aber nicht entbehren, denn sie gerade bewirken
den Zauber und das Grauen, die über den Erzählungen aus-
gebreitet liegen.
Philosophisch-mystische Ansichten und Erörterungen Poes
bilden weiterhin einen wichtigen Bestandteil zur Erklärung dieser
Novellen. Über „Ligeia" ist als Motto gesetzt: „And the will
therein lieth, which dieth not. Who knoweth the mysteries of
the will, with its vigour? For God is but a great will per-
forming all things by nature of its intentness. Man doth not
yield himself to the angels, nor unto death utterly, save only
through the weakness of his feeble will", Worte, die auch die
sterbende Ligeia selbst ausspricht. Die Identitätslehre Schellings
wird erwähnt, auch „the wild Pantheism of Fichte", doch ohne
daß Poe über Andeutungen hinausginge. Die Tdentitätslehre
— 92 —
uun fand im Ich die Identität von Subjektivem und Objektivem,
von Geist und Natur, in der Welt aber nur ein Streben, diese
Identität zu verwirklichen. Erreicht werde sie nur im Genie-
produkt. Wahrheit und Schönheit — das war der innerste Kern
der Lehre — wurden schließlich von Schelling- gleichgesetzt,
die Grenzen von Philosophie und Kunst verschwammen und
Reflexion und Produktion wurden eins. Von diesen Begriffen
nun ist bei Poe wenig zu finden. Er drückt seine Ansicht von
dem, was er unter „the doctrines of Identity" versteht, folgender-
maßen aus: „That identity which is termed personal, Mr. Locke,
I think, truly defines to consist in the saneness of a rational
being. And since by person we understand an intelligent essence
having reason, and since there is a consciousness which always
accompanies thinking, it is this which makes us all to be that
which we call ourselves, thereby distinguishing us from other
beings that think. and giving us our personal identity".^^^) Und
dann spielt der Begriff bei Poe sofort ins Mystische hinüber.
Ihn interessiert besonders die Frage, ob die persönliche Identität
mit dem Tode verloren werde oder nicht. „But the principium
individuationis, the notion of that identity which at death is or
is not lost for ever, was to me, at all times, a consideration
of intense interest."^^^) Die Antwort auf diese Frage lautete
ihm dahin, daß der Tod keinen Verlust der persönlichen Identität
nach sich ziehe, wie aus unseren Erzählungen hervorgeht.
„Morella" enthält am meisten von diesen Gedanken, mehr
noch wahrscheinlich als Autobiographisches. Denn obwohl wir
nach der äußeren Beschreibung Morellas wieder Poes Ideal von
Weiblichkeit in ihr erkennen, das sich in Virginia verkörperte,
so war doch beider Verhältnis stets ein anderes. Er hat sie
immer geliebt und war nie fähig, sie zu hassen oder ihren Tod
herbeizuwünschen. Die Illustration seiner Identitätsiehre über-
wiegt das Autobiographische. „Ligeia" enthält davon viel mehr.
J3ie tiefe Liebe zu Ligeia und die Verzweiflung des Geliebten
nach ihrem Tode ist unverkennbar die Schilderung wirklicher
Empfindungen Poes. Das philosophische Moment, daß es nur
der Wille sei, der Tod oder Leben beherrsche, tritt im Ver-
gleich zu „Morella" stark zurück. Und „Eleonora" ist ganz
frei davon. Es ist die reine Darstellung von Poes und Virginias
Liebe. Die Entwicklung in diesen Novellen geht also dahin,
daß die abstrakten philosophischen Zutaten immer mehr weichen
und dem rein Menschlichen Platz machen. Das immer offener
und deutlicher hervortretende wahre Verhältnis zwischen Poe
und Virginia Clemm läßt keine andere Annahme übrig, als daß
— 93 —
Poe unter mannigfachen Verhüllungen nur seine Ansichten und
Oefühle über die Liebe niedergelegt hat.
Von Fichteschen Sätzen ist auch wenig zu spüren, trotz
Poes Hinweis auf sein Studium dieses Philosophen. Wir dürfen
solche Andeutungen nie zu ernst nehmen, denn er liebte, durch
sie den Schein größerer Gelehrsamkeit vorzutäuschen. Fichtes
Grundgedanke, daß das einzige, was wirklich existiere, nur
unser Ich sei, sofern es handle, daß aus dem Handeln des Ichs
die Welt entstehe, die mithin nur eine Spiegelung unsres Ichs
sei, daß am reinsten sich unser Geist im freien sittlichen Wollen
zeige, ist nicht ohne weiteres in unsern Erzählungen aufzufinden.
Wir müssen die Hardenbergschen Fassungen der Lehren Fichtes
zu Hilfe rufen. Novalis hat besonders in den Fragmenten viele
Gedanken Fichtes in zugespitzter, ab und zu paradoxer Form
niedergelegt und öfters weitergeführt. Für Novalis gab es
keine Grenzen zwischen dem Diesseits und dem Jenseits,
wie auch Poe die Geisterwelt schon immer offenbar gewesen
war. Die Erkenntnis, daß die Überzeugung auf Wunderwahr-
beit beruhe und daß in den höchsten Bewußtseinsmomenten
die Gedanken sich in Gesetze, die Wünsche sich in Erfüllungen
verwandeln, ^^M führte ihn zu der Annahme, daß der denkende
und wollende Mensch über den Körper und die Außenwelt all-
mächtig sei. Wenn nun Poe die geheimnisvolle Verbindung
zwischen Lebenden und Abgeschiedenen beschreibt und den
Willen des Menschen zum Herrn über Leben und Tod setzt, so
fühlen wir innige Übereinstimmung mit Novalis und folgenden
Bemerkungen dieses Dichters: „Die Geisterwelt ist uns in der
Tat aufgeschlossen, sie ist immer offenbar ".^^^) — „Ist es nicht
genug, zu wissen, daß wir noch in diesem Leben einen Flug
zu beginnen fähig sind, den der Tod, statt ihn zu unterbrechen,
vielmehr beschleunigt, da dessen Fortsetzung einzig und allein
von der unwandelbaren Richtung unsres freien Willens ab-
hängt?" 2^^) — „Kunst, unsern Willen total zu realisieren. Wir
müssen den Körper wie die Seele in unsre Gewalt bekommen.
Der Körper ist das Werkzeug zur Bildung und Modifikation der
Welt . . ."2^^) — „Fichtes Ausführung seiner Idee ist wohl der
beste Beweis des Idealismus. Was ich will, das kann ich. Bei
dem Menschen ist kein Ding unmöglich. "^^^)
Auch in Hardenbergs „Heinrich von Ofterdingen" ^i«) und
vor allem in seinem Leben selbst finden wir ganz ähnliche An-
sichten und Erfahrungen, wie sie in „Ligeia" niedergelegt
sind. Novalis glaubte, durch die Kraft seines Willens seine
Araut, Sophie von Kühn, am Leben erhalten zu können. Seine
Bbsicht mußte mißlingen, denn er hatte nicht bedacht, daß sich
— 94 —
ihr unbewußter Wille dem Tode zuwandte. Als Sophie ge-
storben war, beschloß er, allein durch die Kraft seines Willens
ihr nachzusterben, ohne seinen Entschluß freilich durchführen
zu können. Das Leben, dem er schon entsagt hatte, zog ihn
zu sich zurück. Er faßte eine zweite tiefe Liebe, zu Julie
von Charpentier. Aber es war kein Unterschied zwischen
Sophie und Julie, er liebte in Julie Sophie, beide gingen ihm
in eins über. „Bing bemerkte von Novalis, daß er nicht die
Person seiner Braut allein geliebt habe, sondern in ihr die Ver-
körperung der Schönheit überhaupt". „Es ist die unendliche
Idee der Liebe, Spinozas und Zinsendorfs Liebe, die sich durch
ihn realisieren soll."^^') Deutlich erhellt dies aus dem Roman-
fragment „Heinrich von Ofterdingen", in dem der Dichter seine
Lebensgeschichte niederlegte. Im ersten Teile dieses Romans
lernt Heinrich auf einer Reise Mathilde, die Tochter Klingsohrs,
kennen. Beide lieben und verloben sich. Doch ein jäher Tod
rafft Mathilde hinweg. Heinrich begibt sich auf Wanderungen,
verzweifelnd und innerlich gebrochen. Der zweite, nur flüchtig
angedeutete Teil des Romans läßt Heinrich planlos umherirren.
Er hat eine Vision seiner Geliebten, die ihn zu Cyane weist^
der Tochter des Grafen von Hohenzollern. Lange Irrfahrten
Ofterdingens sollten folgen, die mit seiner Rückkehr und dem
Sängerkrieg auf der Wartburg endeten. Nach dem Sänger-
krieg sollte Heinrich der Verklärung entgegengehen. Mit
Cyane kommt er in das Land der blauen Blume. Diese ist
Mathilde. Er befreit sie von dem Zauber, doch geht sie ihm
wieder verloren. Aus Schmerz darüber erstarrt er zu Stein.
Nach mehreren Verwandlungen, in denen Cyane und Mathilde
immer mehr verschwinden, wird er schließlich mit Mathilde ver-
eint. Doch Mathilde ist Cyane, Cyane ist Mathilde.
Wir sehen, daß in den Grundzügen der „Heinrich von
Ofterdingen" geradezu ein Gegenstück zu „Ligeia" und „Morella"
ist. Da schon in den frühesten Jahren seiner Dichtung Poe
seine Kenntnis der deutschen Literatur verrät, ^^^) da ferner die
Handlung in Deutschland beginnt und der Einfluß Schellings
und Fichtes nicht zu bestreiten ist, so wäre es nicht gewagt,
eine Beeinflussung Poes durch Novalis auch in seiner Betrachtung
der Liebe anzunehmen. Der Gedanke soll nicht abgelehnt, doch
größeres Gewicht auf die bloße Übereinstimmung der Motive
und die sehr ähnlichen Züge in beider Dichter Leben gelegt
werden.
Es ist auch bekannt, daß Hoffmanns Frauengestalten, mit
Ausnahme von Euphemie in den „Elixieren des Teufels", alle
die Züge seiner ßamberger Geliebten tragen. — Gerard de
— 95 —
Nerval glaubte, daß die Seele aus einem Körper in den andern
übergehen könne. In seiner Jugend war er einmal von heftiger
Liebe zu einer gewissen Adrienne ergriffen gewesen, die er
nur einmal gesehen hatte, die ihm aber von da an in allen
Frauen entgegentrat, zu denen er Zuneigung hatte. Arvede
Barine sagt von ihm: Gerard de Nerval ne revit jamais Adrienne
et la chercha toujours ... On eut beau lui dire . . . qu'elle avait
pris le volle, puis qu'elle etait morte, il persistait ä la deviner
dans les femmes que le hasard plagait sur sa route. C'etait eile
Sans etre eile, c'etait eile transmigree dans un corps nouveau
et reconnaissable ä quelque detail tel que la nuance des cheveux
ou le timbre de la voix. II fut amoureux d' Adrienne toute sa
vie et uniquement, mais d' Adrienne sous des noms et des
costumes differents . . ." -^^)
In der Novelle „Mogens" des dänischen Romantikers Jens
Peter Jacobsen liegt ein gleicher Fall vor. Mogens' erste Braut
Kamilla stirbt in einer Feuersbrunst, Mogens ist verzweifelt
über ihren Tod, der in ihm die Ehrfurcht vor der Vorsehung
vernichtet. Doch lange Jahre später lernt er ein anderes
Mädchen, Thora, kennen und lieben. Doch seine Liebe zu Thora
ist nur die Fortsetzung seiner Liebe zu Kamilla.
Es ist wahrscheinlich, daß die Literaturgeschichte noch
mehr Beispiele solcher seltsamen Liebe bieten wird, die dar-
zulegen aber tiefere Kenntnisse erfordern, als dem Verfasser zur
Verfügung stehen. Es genügen auch schon die Beispiele Harden-
bergs, Hoffmanns, Gerards de Nerval und Jacobsens, um zu
zeigen, daß Poe mit seiner Auffassung der Liebe nicht allein
steht.
Aber wir müssen gestehen, daß vollständige Klarheit über
diese Auffassung zu gewinnen schwer ist. Die duftigen, elfen-
gleichen Frauengestalten, die ihren Zauberreigen um uns
schlingen, zerfließen in ein Nichts, wenn man sie fassen will.
Ihre Eigenschaften sind so ungewöhnlich, daß sich doch der
Gedanke aufdrängt, sie seien nicht nur das verschönerte Abbild
Virginia Clemms, sondern in eben so hohem Grade die Ver-
körperung einer Idee: der der vergeistigten Schönheit, die der
Dichter liebte. Dazu würde ein Selbstgeständnis Poes passen,
das uns einen Blick in sein Inneres eröffnet. Er sagt: „In the
Strange anomaly of my existence, feelings with me had never
been of the heart, and my passions always were of the mind".-^®)
Dann wäre es in der Tat nicht das Wesen von Fleisch und
Blut gewesen, das er liebte, sondern nur die Verkörperung
seines eignen Gedankens, die Abstraktion, das Objekt der Ana-
lyse oder der Gegenstand zum Nachdenken. Aber dem wider-
— 96 —
spricht die tiefe Liebe, mit der Poe an seiner Frau hing und die aus
seinen Briefen, den Zeugnissen seiner Freunde und seiner Ver-
zweiflung nach Virginias Tode hervorgeht, dem widerspricht die
wirkliche Leidenschaft, die er zu zwei anderen Frauen in den letzten
Jahren seines Lebens faßte, endlich auch die wunderbare Schilde-
rung der Naturschönheiten in „Eleonore", die nur dem Lieben-
den aufblühen und mit der Geliebten zugleich sterben. Und da
wir nun einmal die treue Wiedergabe Virginia Clemms in Poes
Frauengestalten erkannt haben, so dürfen wir aus seinen Frauen-
novellen die Geschichte seiner Liebe und seines Lebens heraus-
lesen, die er mit dem Lichte seiner Dichtung verklärt und zur
Allegorie emporgehoben hat. Wir sind durch diese Annahme
auch in den Stand gesetzt, die späten Heiratspläne des Dichters,
die man als Untreue und als ärgerlich ansah, unter einem
günstigeren Lichte zu betrachten.
Schließlich liegt uns unter den Erzählungen Poes von Be-
deutung, die hier betrachtet werden sollen, noch eine vor, die
zwar geringen Umfangs ist, aber doch Wichtiges zur Beurteilung
von Poes Kunst enthält: „The Island of the Fay".
In „THE ISLAND OF THE FAY"22i) sieht der Dichter eine
kleine runde Insel, von reichem Grün überwuchert, die in einem
spiegelnden ruhigen Strome ruht. So unmerklich heben sich
ihre Ufer aus dem Wasser empor, daß man kaum sieht, wo
das eine anfängt und das andere aufhört:
„So blended bank and shadow there
That each seemed peiidulous in air".
Die eine Seite der Insel glüht im Purpur der untergehenden
Sonne. Aus dem leuchtenden Rasen heben sich glänzende schlanke
Bäume, schöne Blumen wuchern im Grase, alles atmet Leben
und Freude. Doch die andre Seite der Insel ist in schwärzesten
Schatten gehüllt und von lautlosem Dunkel durchdrungen. Die
Bäume sind düster und scheinen in Trauerkleider gehüllt, sie
gemahnen an Todesschmerzen und frühes Sterben. Das Gras
hat die tiefe Färbung der Zypresse, die Halme lassen ihre
Spitzen tief zur Erde herniederhängen. Kleine Hügel erheben
sich aus dem Grase, von Rosmarin überwachsen. Sie erwecken
im Beschauer den Anschein von Gräbern. Und wie die Bäume
ihre Schatten schwer auf das Wasser werfen und sich darin
zu begraben scheinen, da deucht es ihm, als ob sich die
Schatten von den Stämmen loslösten und vom Wasser ver-
schlungen würden. Immer neue Schatten fallen ab, immer
schwächer werden die Stämme und immer dunkler der Strom.
Und weiter träumt der Dichter, als sei die Insel eine letzte
Zufluchtsstätte gütiger Feen, der letzten, die noch lebten, als
— 97 —
ruhten unter den grünen Hügeln andre, die langsam hinweg-
starben wie die Bäume, deren Schatten der Strom verschlingt.
Er sieht eine Fee in einem kleinen Kahn, deren Gestalt, als
sie von den zitternden Sonnenstrahlen umspielt wird, ihm ein
Sinnbild der Freude erscheint. Doch als sie in den Schatten
hineingleitet, sieht er sie von Schmerz entstellt. Langsam
kommt sie um die Insel herum, in ihrer Fahrt sieht er den
Kreislauf eines Jahres ihres Lebens. Ein Jahr nun ist sie dem
Tode näher, denn als sie in das Dunkel kam, fiel ihr Schatten
von ihr und w^urde von den Fluten verschlungen, die noch
schwärzer wurden. Wieder und wieder erscheint die Fee, ihre
Gestalt verkündet immer mehr Schmerz und wird immer undeut-
licher. Und als die Sonne ganz versinkt, da fährt die Fee zum
letzten Male in die Region des Schattens, aus der sie nicht
wieder hervorkommt.
Man braucht sich die Beschreibung nur in Farben gesetzt
zu denken, in tiefe, glühende Farben, und man sieht eines
der schwermütigen, von fremdartigem Zauber übergossenen,
weltentrückten Bilder des vollendeten romantischen Malers,
Böcklins, vor sich. Man sieht nicht die nackte Natur, so
wie sie ist, sondern erblickt sie unter einem ganz persön-
lichen Gesichtspunkte, durch und durch von dem Geiste des
Beschauers erfüllt. Deutlich genug tritt des Dichters Geist
hervor. Aus einer Landschaft, die andern sonnenbestrahlt ent-
gegenscheint, sieht er nur die Schatten heraus, die er zum
tiefsten Schwarz verdichtet. Man vergleiche eine Landschafts-
])eschreibung Hoffmanns, der doch ein Gesinnungsverwandter
Poes war, mit der ..Feeninsel". Im „Goldnen Topf" finden wir
ein Bild, das unter äußerlich ziemlich entsprechenden Be-
dingungen gesehen ist.^'-^^) Ein Hollunderbusch, den die letzten
Strahlen der Abendsonne bescheinen. Unter ihm liegt der
Student Anselmus. Wenn der Abendwind in den Zweigen des
Baumes spielt und die Sonne glitzernde Lichter auf die Blätter
zeichnet, so dünkt es ihm, als kosten Vöglein in den Zweigen,
die kleinen Fittiche im mutwilligen Hin- und Herfiattern rührend.
Er hört Flüstern und Lispeln, es ist ihm, als ertönten die
Blüten wie Kristallglöckchen. Und das Gelispel und Geklingel
wird ihm zu leisen, halbverwehten, seltsamen Worten, die in
grünem Gold erglänzende Schlänglein sprechen. Sie wickeln
sich um die Zweige und strecken die Köpfchen der Abendsonne
entgegen, sie schlüpfen und kosen auf und nieder durch die
Blätter und Zweige, und wie sie sich so schnell rühren, da ist
es, als streue der Hollunderbusch tausend funkelnde Smaragde
durch seine dunklen Blätter.
— 98 —
Man sieht, daß bei beiden Dichtern das, was sie in der
Natur sehen, nur Wiedergabe ihrer eignen Gefühle und Gedanken
ist. Sie verwandeln sie nach Belieben und beleben sie mit den
Gestalten ihrer Phantasie. Je nach ihrer Stimmung sehen sie
die Umwelt in verschiedenem Lichte, aber Poe sieht -sie nur
im dunkelsten.
Betrachten wir schließlich noch im großen und ganzen die
kleinen Erzählungen Poes. Da sie meist von wenig Bedeutung
sind, werden sie nicht durchgehend, sondern nur so weit heran-
gezogen, als sie romantische Züge erkennen lassen. Wir haben
z. B. eine Erzählung „BON-BON",^23) ^jj^g künstlerischen Wert
und wahrscheinlich aus einem Alkoholrausch stammend, aber
darum bemerkenswert, weil sie (1835 veröffentlicht) den früh-
zeitigen Einfluß Hoffmanns erkennen läßt. Bon-Bon ist ein
„ Restaura teur" von ungewöhnlichen Fähigkeiten. Nicht nur,
daß er auf Küche und Keller sehr viel hält, nein, er ist auch
ein tiefer Philosoph, der vor allem auf die „verteufelte" -'*)
deutsche Philosophie viel Mühe verwendet. An einem Abend
kommt der Teufel zu dem betrunkenen Bon-Bon und führt mit
ihm ein tiefgelehrtes Gespräch, das damit endet, daß der Wein
den Restaurateur überwältigt. Bon-Bon hat eine besondere Art
zu trinken. Es heißt von ihm: — „Yet in the indulgence of a
propensity (nämlich zur Flasche) so truly classical it is to be
supposed that the restaurateur would lose sight of that intuitive
discrimination which was want to characterise, at one and the
same time, his essais and his Omelettes. In his seclusions the
Vin de Bourgogne had its allotted hour, and there were appro-
priate moments for the Cotes du Rhone. With him Sauterne
was to Medoc what Catullus was to Homer. He would sport
with a syllogism in sipping St. Peray, but unravel an argument
over Glos de Vougeot, and upset a theory in a torrent of Cham-
bcrtiu. Well had it been if the same quick sense of propriety
had attended him in the peddling propensity to which I have
formerly alluded — but this was by no means the case. Indeed,
to say the truth, that trait of mind in the philosophic Bon-Bon
did begin at length to assume a character of a stränge in-
tensity and mysticism, and appeared deeply tinctured with the
diablerie of his favourite German studies". -2*)
Bon-Bon zeigt in dieser Art zu trinken viel Ähnlichkeit mit
Hoffmann. Auch dieser trieb das Trinken als eine Kunst, es
hatte seine Regeln und wurde nicht wahllos verrichtet. „Sollte
es wirklich geraten sein", sagt er, „dem inneren Phantasierade
Geistiges aufzugießen — w^elches ich doch meine, da es dem
Künstler nächst dem Schwünge der Ideen eine gewisse Behag-
— 99 —
lichkeit, ja Fröhlichkeit gibt, die die Arbeit erleichtert — , so
könnte man ordentlich rücksichtlich der Getränke gewisse Prin-
zipien aufstellen. So würde ich z. B. bei der Kirchenmusik alte
Rhein- und Franzweine, bei der ernsten Oper sehr feinen
Burgunder, bei der komischen Oper Champagner, bei Chansonetten
italienische feurige Weine, bei einer höchst romantischen Kom-
position, wie die des Don Juan ist, aber ein mäßiges Glas von
eben dem von Salamander und Erdgeist erzeugten Getränk an-
raten. Doch lasse ich jedem seine individuelle Meinung." '^^^)
Die Übereinstimmung beider Stellen aus „Bon-Bon" und den
„Phantasiestücken" im Gedankengang ist ersichtlich. Dazu
kommt, daß Poe mit einer so raffinierten Art zu trinken gar
nicht vertraut war, wie des öfteren erwähnt worden ist. Er
trank, wie schon Baudelaire sagte, als Barbar und nicht als
Feinschmecker. Eine besondere Vorliebe scheint er für Kirsch-
wasser gehabt zu haben, was wohl auch kaum als Zeichen für
einen ausgebildeten Geschmack gelten darf. Da er nun auch
in dieser Erzählung auf seine deutschen Studien hinweist, da sie
im gleichen Jahre entstanden ist wie „Morella", wo unverkenn-
bare Einwirkungen deutscher Philosophie zutage treten und da
endlich die Szenerie und der Ton des Ganzen dem Charakter
Hoffmannscher Schilderungen ähneln, brauchen wir kaum Be-
denken zu tragen, für die Erzählung den Einfluß Hol¥manns
anzunehmen.
Ausgeschlossen erscheint jeder Zweifel, daß Poe Gedanken
Hoffmanns übernommen habe, in „THE DEVIL IN THE BELFRY".^-^«)
Poe verspottet darin offenbar die peinliche Pünktlichkeit der
Holländer, die er an den Einwohnern des Dorfes Vondervotteimittiss
schildert. Jedes Haus im Dorfe hat seine Uhr, sämtliche Zier-
raten in den Zimmern sind Uhren oder haben deren Gestalt,
jedes Kind besitzt eine Taschenuhr, sogar Katzen und Schweine
tragen Uhren, die an ihren Schwänzen hängen. Vor jedem
Hause aber sitzt der Hausherr, die Uhr in der Hand, und ver-
gleicht sie mit der Kirchturmuhr. Plötzlich aber bricht der
Teufel in das Dorf ein, als es gerade zwölf Uhr schlagen will.
Er dreht dem Türmer den Hals um und läßt alle Uhren drei-
zehn schlagen. Das Dorf gerät in Verzweiflung.
Bei Hoffmann nun finden wir einen wunderlichen Entwurf,
von Arvede Barine mitgeteilt. Es ist ein Traum folgenden
Inhalts : „Reve. La police enleve toutes les horloges publiques
et confisque toutes les montres, parce qu'on veut confisquer le
temps. La police meme ne reflechit pas qu'elle meme n'existe
que dans le temps". -^')
Die Vorstellungen sind so eigentümlicher Art, daß man sich
— 100 —
schwer denken kann, sie seien in zwei Köpfen unabhängig von-
einander entstanden. Gewiß sind die Entwürfe Hoffmanns und
Poes nicht gleich, zeigen aber zweifellos bedeutende Ähnlich-
keiten. Es soll die Verwirrung beschrieben werden, die eine
Störung oder Aufhebung der Zeit verursacht. Die Erzählung
Poes ist mit deutschen Worten durchsetzt und die Sprache teil-
weise ein durch deutsche Aussprache verstümmeltes Englisch.
Auch dies deutet darauf hin, daß die Idee aus deutscher Quelle
und dann natürlich von Hoffmann stammt.
Hoffmannsche Züge überhaupt sind in den kleinen Novellen
Poes häufig anzutreffen, die öfters nur die weitere Ausführung
eines Einfalls oder einer Anregung sind. Dieser Art ist „THE
SPECTACLES".228) Die ganze Erzählung ist darauf aufgebaut,
daß der Held kurzsichtig ist, seine Großmutter infolgedessen,
die er nicht kennt, für ein schönes junges Mädchen ansieht und
sie um ihre Hand bittet. Als er aber nach der Hochzeit die
erste Bitte seiner jungen Frau erfüllt, nämlich eine Brille auf-
zusetzen, sieht er plötzlich ihre Häßlichkeit und bekommt einen
Tobsuchtsanfall.
Solcher wundertätigen Brillen tut Hoffmann oft Erwähnung.
In „Klein Zaches" gibt der Zauberer Prosper Albanus seinem
Schützling ein geschliffenes Glas, durch das er die verborgenen
goldnen Haare auf dem Kopfe Zinnobers sehen und dann den
Zauber brechen kann;^-^) in der gleichen Erzählung findet sich
die Stelle : „Das Stiftsfräulein von Rosenschön trat zu Dr. Prosper
Albanus ein. Von seltsamer Ahnung ergriffen, nahm dieser sein
Rohr und ließ die funkelnden Strahlen des Knopfes auf die
Dame fallen. Da war es, als zuckten rauschend Blitze um sie
her, und sie stand da im weißen, durchsichtigen Gewände,
glänzende Li])ellenflügel an den Schultern, weiße und rote Rosen
durch das Haar geflochten "."•^^) Im „Meister Floh" setzt dieser
dem Helden der Erzählung ein mikroskopisches, geschliffenes
Glas ins Auge, vermöge dessen er die wahren Gedanken der
Menschen sieht und nicht mehr betrogen werden kann.-^^i Im
„Sandmann" verkauft der Wetterglashändler Coppola dem
Studenten Nathaniel ein kleines Perspektiv. Als Xathaniel dieses
auf das gegenüberliegende Fenster richtet, durch das er schon
oft ein Mädchen, Olympia, beobachtet hat, sieht er sie in merk-
würdiger Klarheit. Ihr Blick, der ihm vorher tot und starr
geschienen hatte, belebt sich ihm auf wunderbare Weise. Es
ist ihm, als gingen feuchte Mondesstrahlen von ihren Augen
aus, als flammten lebendiger und immer lebendiger ihre Blicke.-'^-)
Endlich können wir noch die „Prinzessin Brambilla" zum Ver-
gleiche heranziehen. Der Schauspieler Giglio sieht durch eine
— 101 —
besondere Brille nach einem Palaste. Da scheinen ihm die
Mauern zu Kristall zu werden, und er sieht durch sie ins Innere
des Hauses hinein.-"^)
Daß sich der bei Hoff mann so häufige Gedanke, durch eine
Brille oder ein Glas eine wunderbare Wirkung zu erzielen, auch
bei Poe wiederfindet, ist zum mindesten auffällig. Die nahe-
liegende Vermutung, es liege in dieser Hinsicht eine Einwirkung
Hoffmanns auf Poe vor, wird noch dadurch verstärkt, daß sich
die Idee in „Klein Zaches" und „Der Sandmann" findet, zwei
Erzählungen, die auch sonst in Poes Werk wiederkehrende Züge
enthalten.
Weiterhin könnte die Erzählung „THE SPHINX"-^^^) mit einer
Erzählung Hoffmanns zusammengebracht werden: „Haimato-
chare",'^^"') um die sich zwei Freunde streiten und töten. Sie
heißt „die schöne Insulanerin", und bis zum Schlüsse der Er-
zählung wird der Glaube genährt, sie sei ein Mädchen, aber sie
ist nur ein seltenes Insekt. In „The Sphinx" sieht der Er-
zähler, der vor der Cholera geflohen ist und in steter Angst vor
der Seuche lebt, ein riesenhaftes Ungeheuer von einem Berge
herabsteigen. Es hat einen mächtigen Kopf mit einem langen
Rüssel und an dessen Ende ein Maul, größer als der Körper
eines Elefanten. Neben dem Maule springen gewaltige Hauer
hervor, an dem starken, dicht behaarten Körper sitzen zwei
Paar Flügel, die mit glitzernden Metallplatten bedeckt und durch
eine Kette verbunden sind. Die Brust zeigt das scharf um-
rissene Bild eines Totenkopfs. Und als das Untier seine weiten
Kiefer öffnet und laute klagende Schreie erschallen läßt, da
übermannt den Beschauer das Grausen, und er sinkt in Ohn-
macht. Als ihm später das Ungeheuer noch einmal erscheint, tritt
zutage, daß es ein Insekt ist, das ganz nahe vor seinen Augen
an einem Faden am Fenster auf- und abklettert und das man wohl
schon als den bekannten Totenkopfschwärmer erkannt hat.
Erst am Schlüsse der Erzählung also wird in „The Sphinx"
wie in „Haimatochare" die Täuschung aufgehoben, daß es sich
um ein Ungeheuer oder ein schönes Mädchen handle, das in
Wahrheit ein Insekt ist.
„WHY THE LITTLE FRENCHMAN WEARS HIS HAND IN
A SLING",23^) eine in abscheulichem Jargon geschriebene Er-
zählung, hat zum alleinigen Inhalt eine Idee, die wir bei Achim
V. Arnim als Episode wiederfinden. In Poes Novelle bewerben
sich zwei Liebhaber um eine Witwe. Als diese die Bewerber
bei sich empfängt und zu ihren Seiten auf ein Sofa setzen läßt,
glaubt jeder, hinter ihrem Rücken ihre Hand gefaßt zu haben
und zu drücken, doch haben sie ihre eignen Hände ergriffen.
— 102 —
In Achims v. Arnim „Owen Tudor" findet sich eine entsprechende
Anektode. In einem flnstern Reisewagen unterhält sich eine
Gesellschaft mit Geschichten. Die Erzählerin sitzt zwischen
zwei Eeisenden, von denen jeder ihre Hand zu halten glaubt.^'")
Man kann natürlich nicht sagen, daß eine Anregung Poes durch
Arnim vorliege, denn solche humoristische Gedanken entstehen
leicht überall, während die Idee, ein Insekt als Mensch oder
Ungeheuer einzuführen, sich nicht so leicht unabhängig in ver-
schiedenen Köpfen bilden dürfte.
Unter den noch verbleibenden Erzählungen Poes ist eine
bemerkenswert, die den Namen führt: „THREE SUNDAYS IN
A WEEK".238) 2wei Reisende umfahren in entgegengesetzter
Richtung die Erde, wobei der eine einen Tag gewinnt, der andre
einen verliert. Poe soll die Anregung dazu aus einer Stelle bei
Herrsch el geschöpft haben, die er phantastisch umwandelte. -•^^)
Aber er hat den Gedanken keinesw^egs zum ersten Male
dichterisch behandelt. Bereits 10 Jahre, ehe er seine Erzählung
veröffentlichte, hat ein Gedicht Chamissos vorgelegen: „Das
Dampfroß", in dem es heißt:
„Schnell!. Schnell, mein Schmied! Wer die Erde umkreist
Von Ost nach West, wie die Schule beweist,
Der kommt, das hat er von seiner Müh',
Ans Ziel um einen Tag zu früh".-^")
Es ist zweifelhaft, ob Poe Chamisso überhaupt gekannt hat.
Wiederum soll keine Beeinflussung behauptet, sondern nur die
Übereinstimmung der Vorwürfe betont werden.
Einen absonderlichen Charakter trägt: „A PREDIG A-
MENT".24i) ;^jiss Zenobia, eine Journalistin, die in einer vorher-
gehenden Satire „How to Write a Blackwood Article"-*^) den
Rat erhalten hat, nur Selbsterlebtes zu beschreiben, steigt auf
einen Turm und sieht durch ein Loch im Zifferblatt über die
Stadt Edinburg. Doch der Uhrzeiger schneidet ihr dabei den
Kopf ab. Sie beschreibt ihre Gefühle bei diesem Vorgang. Am
Ende wird der Kopf vom Halse getrennt, rollt auf die Straße
hinab und führt mit dem Rest der Miss ein Zwiegespräch. Der
Neger, der sie auf den Turm begleitet hat, flieht entsetzt bei
hrem Anblick. Ihr Hündchen aber, mit dem sie zu reden pflegt,
st von einer Ratte aufgefressen worden. Doch seine Seele sitzt
n einer Ecke und zitiert einige pathetische Verse aus Schiller.
Die Erzählung bietet viel Anklänge an Bekanntes. Man denkt
an die „Fortsetzung der Geschichte des Königs Jünan" in
1001 Nacht, wo der Weise Hakim sich vor dem Könige den
Kopf abschlagen läßt, worauf der Kopf mit dem Könige weiter
spricht.-''^) Man denkt an mehrere deutsche Volksmärchen, in
— 103 —
denen abgeschlagene Körperteile das Leben behalten und sogar
sprechen. Das bekannteste davon ist „Der Herr Gevatter". 2*^)
Daß Tiere die Sprache besitzen, ist ein im Märchen so häufiger
Zug, daß Beispiele dafür anzuführen unnötig ist. Weniger häufig
ist diese Eigentümlichkeit in der Novelle. Man wird an das Zwie-
gespräch der Hunde Szipio und Berganza in den Novellen des Cer-
vantes erinnert, '-'^^) auch an einige Werke der deutschen Romantik,
die aber die Einwirkung des Cervantes nicht verleugnen, wie
Tiecks „Der gestiefelte Kater" oder „Prinz Zerbino oder die Reise
nach dem guten Geschmack", Hoffmanns „Kater Murr" oder
„Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza"
und schließlich Hauffs „Der Affe als Mensch".
Als letzte Erzählung ist „HOP-FROG"'-*«) zu besprechen.
Hop-Frog ist der mißwachsene Narr eines Königs. Er hat ganz
kurze Beine, aber gewaltige Arme, daß er schwer gehen, aber
mit großer Leichtigkeit an Bäumen und Seilen emporklettern kann.
Er hängt sehr an einem zarten kleinen Mädchen, mit dem zu-
sammen er als Kriegsbeute an den Hof geschickt war. Gegen
Wein ist er so empfindlich, daß ein Becher ihn nahezu wahn-
sinnig macht. Eines Tages zwingt ihn der König trotz seiner
inständigen Bitten, einen großen Becher Wein zu trinken. Das
Mädchen, das für den Zwerg bittet, mißhandet er roh. Um sich
zu rächen, schlägt dieser dem König und seinen Ministern vor,
zu einem Maskenfest als Orang-Utangs zu erscheinen. Als sie
den Vorschlag annehmen, teert er sie und belegt sie mit dicken
Schichten Flachs. Zu dem Fest lockt er sie in eine Falle,
zündet sie an, läßt sie elendiglich verbrennen und entflieht mit
dem Mädchen.
In der gegen den Alkohol überaus empfindlichen Natur
Hop-Frogs hat Poe seine eigne Reizbarkeit gegen dieses Gift
beschrieben. Doch ist dies der einzige Zug, den er mit dem
Zwerg gemein hat. Dessen Mißgestalt erinnert an den
Wechselbalg in Hoffmanns „Klein Zaches, genannt Zinnober",
oder an die häßlichen Zwerggestalten in Märchen, von denen
als Beispiel „Rumpelstilzchen""^^") genannt sei. Größere Über-
einstimmung des Äußeren finden wir zwischen Hop-Frog und dem
Zwerg in Walter Scotts Roman „The Black Dwarf".^^^)
Die Erzählung selbst, der Bericht der unmenschlichen Rache,
der „Hop-Frog" der bereits erwähnten Novelle „The Cask of
Amontillado" naherückt, deutet wiederum auf Kleists „Hermann-
schlacht", aber ohne das erotische Moment dieses Dramas zu
führen. Auch besteht eine gewisse Ähnlichkeit zwischen „Hop-
Frog" und einem Werke der französischen Romantik, Victor
Hugos „Le Roi s'amuse"' (1832).
104
ANMERKUNGEN
^) „Romantiker" bezeichnet immer die deutsche Dichtergruppe ungefähr
von den Brüdern Schlegel bis zum Emporkommen des Jungen Deutschlands,
„romantisch" immer die Eigentümlichkeiten dieser Gruppe allein.
-) G. Gruener, Poes Knowledge of German. Modern Philology, Chicago
and Leipzig 1904, II, 125—140; The Influence of E. T. A. Hoffmann on
Edgar Allan Poe by Palmer Cobb. Kap. III.
3) Karl Hans Strobl, Worte Poes, Minden i. Westf. 1906 (?), S. 10.
*) Der Taufname war Edgar Allan, nicht nur Edgar, wie die meisten
Biographen schreiben, die angeben, Poe habe seinem Taufnamen Edgar den
Namen Allan hinzugefügt, um seine Zugehörigkeit zur Familie seines Pflege-
vaters Mr. Allan zu bezeichnen. Vgl. darüber James A. Harrison, Life and
Letters of Edgar Allan Poe, New York 1903, 2 vol., I, 3.ff. Dieses Werk
ist im folgenden immer als James A. Harrison zitiert.
^) James A. Harrison I, 10.
^) James A. Harrison II, 146.
') The Works of Edgar Allan Poe. Edited by H. John Ingram.
Edinburgh 1874/75, 4 vol., I, 333ff. Diese Ausgabe wird im fol-
genden immer nur zitiert als E.A.Poe, Works.
^) James A. Harrison I, 60.
^) James A. Harrison II, 449.
^^) James A. Harrison I, 96.
") James A. Harrison I, 117.
1'-^) Spielhagen, Aus meiner Studienmappe 2. Aufl., Berlin 1891.
^^) Poe, Works I, 331 : „romance" and „womanliness" seem to me
convertible terms.
^^) James A. Harrison II, 17.
^^i James A. Harrison II, 17.
^ö) Verfasser hat sich hierbei bei allgemeinen Fragen zumeist gehalten
an Rudolf Haym, Die romantische Schule, Berlin 1870; Ricarda Huch, Blüte-
zeit der Romantik, Leipzig 1901; Ricarda Huch, Ausbreitung und Verfall
der Romantik, Leipzig 1902.
1') Poe, Works I, 377.
^^) Poe, Works 111,59: „And the Angel Israfel, whose heartstrings
are a lute, and who has the sweetest voice of all God's creatures.
19) Poe, Works III, 2.
2«) Poe, Works I, 237.
21) Poe, Works I, 242.
22) Novalis' sämtliche Werke, herausg. von Carl Meißner, Florenz
und Leipzig, 4 Bde., III S. 281. Diese Ausgabe wird im folgenden
immer zitiert als Novalis, Werke.
23) Achims v. Arnim Werke, herausg. von Bettina v. Arnim. Einleitung
von W. Grimm, Berlin 1833—1836, 22 Bde., XIIX S. 63. Diese Ausgabe
wird im folgenden immer zitiert als Arnim, Werke.
2^) Poe, Works I, 355.
25) Poe, Works I, 194.
26) Vogt und Koch, Geschichte der deutschen Literatur 1904 II, 336.
2') E. T. A. Hoffmann, Gesammelte Schriften 1871 VI, 258.
28) Hans Strobl, Worte Poes S. 43ff.
29) N. P. Willis, E. A. Poe, Home Journal 1849, October 13.
2«) James A. Harrison I, 98.
— 105 —
^^) James A. Harrison I, 182.
•^^) James A. Harrison 1, 40.
3=^j E. T. A. Hoffmann, Hempelsche Ausgabe IV, 14.
^») E. A. Poe, Works I, 364.
-^) Novalis, Werke HI, 244.
^^6) E. A. Poe. Work I, 201.
«•') Novalis, Werke IV, 410.
■^ Novalis, Werke III, 52.
■^^) Novalis, Werke III, 27.
^0) Ricarda Huch, Blütezeit der Romantik S. 328.
^') Novalis, Werke HI, 292.
^-) Poe, Works I, 19: Memoir von Ingram.
*3) Poe, Works I, 237 ff.
14) Poe, Works I, 365.
4^) Poe, Works I, 356.
^6) Novalis, Werke III, 292.
*') L. Tieck, Schriften, Berlin 1828 (20 Bde.), VI, 348.
48) L. Tieck, Schriften, Berlin 1828 (20 Bde.), IV, 96.
4») L. Tieck, Schriften, Berlin 1828 (20 Bde.), VI, 128.
•■^o) L. Tieck, Schriften, Berlin 1828 (20 Bde.), VI, 153.
">') Poe, Works I, 364.
52) Poe, Works I, 179 ff.
s=*) Poe, Works I, 314 ff.
••4) Godwi. herausg. von Dr. Anselm Ruest. 1887, S. 115, 118.
^5) Poe, Works I, 274.
'^«) Novalis, Werke IV, 383.
•-) Novalis, Werke IV, 379.
'>^) Poe, Works I. 169.
^") Poe, Works I, 401.
«<>) Poe, Works III, 420.
*^) Achim v. Arnim. Werke X, 151.
«-) Poe, Works H, 194ff., 204ff.
«^) Poe, Works II, 200.
«4) Poe. Works H, 196.
«•') Poe, Works II, 197.
•^6) Ricarda Huch, Ausbreitung und Verfall der Romantik, Leipzig 1902,
S. 231
6') Poe, Works I, 179 ff,, I, 251 ff.
*^8) Novalis, Werke III, 79.
ö9) Achim V. Arnim, Werke III, 176 ff.
"0) Achim V. Arnim, Werke II, 31 ff.
'1) Poe, Works HI, 167.
'2) Poe. Works HI, 95.
'3) Poe, Works II, 523.
^4) Poe. Works I, 116 ff.
'•^) Poe, Works I, 39 ff.
'«) Poe, Works I, 94 ff.
") Poe, Works II. 204 ff.
■'S) Charles Baudelaire, Oeuvres completes, Paris 1869, V, 25.
^9) E. A. Poe, Works, ed. by Stedman and Woodberry, X, 239.
80) Novalis, Werke III. 26.
81) Poe, Works III, 357.
82) Poe, Works III, 266 ff.
8-) Tieck und Wackenroder, Deutsche Nationalbibliothek, herausg. von
J. Minor, S. 76.
— 106 —
^^) Tieck und Wackenroder, Deutsche Nationalbibliothek, herausg. von
J. Minor, S. 72.
•») Poe, Works II. 32411.
««) Poe. Works III, 203.
*■') Tieck und Wackenroder, Deutsche Nationalbibliothek, herausg. von
J. Minor, S. 70.
«8) Poe, Works II, 189.
«») Poe. Works III, 380.
^) Poe, Works III, 204.
»^) vgl. The University of Toronto Quaterly 1895 II, 266.
•'^) Die Daten beziehen sich auf das Jahr der ersten Veröffentlichung.
»=^1 Novahs. Werke III, 129.
«^) Poe, Works I. 404.
^'') Poe, Works I, 420.
»«) Novalis, Werke IV, 416.
»'I L. Tieck, Schriften, Berlin 1828 (20 Bde.), IV, 51.
««) Poe, Works I, 471.
8») Poe, Works I, 430.
iw») Poe, Works I, 442.
'0') Poe, Works I, 442, II, 228, III, 357 u. a.
102) Novalis, Werke IV, 285.
10«) Novalis. Werke III, 130.
10^) Novalis, Werke III, 131.
10^) Achim v. Arnim, Werke II, 209.
lo*"') Hauffs W^erke, herausg. von Max Drescher 1908. Goldne Klassiker-
bibliothek I, 192 ff.
10') Poe, Works I, 116.
108) Hoffmann, Werke, Hempelsche Ausgabe II, 14.
10») Hoff mann, W^erke, Hempelsche Ausgabe VI. 36.
110) Poe. Works I, 126.
111) Poe. Works I, 123.
i'2) Hoffmann, Werke, Hempelsche Ausgabe XI, 176ff.
113) Poe, Works I, 127 ff.
11*) Poe. Works I, 134.
11'') Poe, Works I, 136.
11«) Poe, Works III, 407, 456.
11') Hoffmann, Werke, Hempelsche Ausgabe II, 14.
1") Hoff mann, Werke, Hempelsche Ausgabe XI, 176 ff.
11«) Poe, Works II, 222 ff. Vgl. dazu : The Influence of E. T. A. Hoff-
mann on the Tales of Edgar Allan Poe, by Palmer Cobb. 1908, Chapter V.
120) Hoffmann, Gesammelte Schriften 1871 HI, 92ff.
121) Hoff mann. Gesammelte Schriften 1871 V, 139 ff.
122) Hoffmann, Gesammelte Schriften 1871 VII, 177.
12«) Hoff mann. Gesammelte Schriften 1871 VII, 184.
12^) Hoffmann, Gesammelte Schriften 1871 V, 263.
i2-') Heinrich v. Kleist, Tempelausgabe II, 57, 58, 110.
12«) Poe. Works II, 278, 356, 401, 509, 535, I. 168 ff., 200ff., 279 ff.,
371 ff.
12') Hoffmann, Werke, Hempelsche Ausgabe V, 96.
12«) Hauffs Werke, Goldne Klassikerbibüothek I, 164 ff.
12«) Hoffmann, Gesammelte Schriften 1871 IX, Iff.
130) Hoffmann. Gesammelte Schriften 1871 IX. 17.
i»i) The Sketch-Book of Geoffrey Crayon, Gent, Newyork, 1869 S.44ff.
i''2) Sprenger, Über die Quelle von W. Irvings Rip Van Winkle, Pro-
gramm, Northeim 1901.
— 107 —
i'3) K. F. van Vleuteu, E. A. Poe, Zukunft, Berlin 1903. XXXXIV, 181
bis 190.
'"■') Poe, Works 1.266 ff.
1"^) Poe. Works 1, 168 ff.
»"«) Poe, Works 1, 171.
»") Poe, Works I. 177.
1^«) Novalis, Werke IV, 231.
^29) Achim V. Arnim, Werke XVIII, 295.
'*<>) L. Tieck, Schriften 1828 V, 139.
'^') L. Tieck, Schriften 1828 VI, 348.
**-) Hoff mann, Werke, Hempelsche Ausgabe II, 210 ff.
1^3) Poe, Works 1,355 ff.
'*') Poe, Works I, 297 ff.
^*^) Heinrich v. Kleist, Werke, Tempelausgabe IV, 1 ff.
^^^) Brüder Grimm, Kinder- und Hausmärchen Nr. 15.
'*'') Gubitz' Gesellschafter 1827 Nr. 49.
^^^) Hoffmann, Werke, Hempelsche Ausgabe X, 40.
^^^) Dr. R. Hennig, Das Wesen der Halluzinationen, Gartenlaube 1909
Nr. 45.
''''') Poe, Works I, 355 ff.
^•^^) Stephan Hock, Die Vampyrsagen und ihre Verwendung in der
deutschen Literatur. Forschungen zur neueren Literaturgeschichte, herausg.
von F. Munker, Berlin 1896 ff., Bd. 17.
'■'-) Germania XXXIII, 248.
^■'''') Montaigne, Essais III, 153.
^''^) Zeitschrift des Vereins für Volkskunde II, 299.
i-') Poe spricht oft von Ghülen (Works III, 8, 10, 12, 29 usw.), von
Houris (111,59) und hat eine Erzählung verfaßt: „THE THOUSAND AND
SECOND TALE OF SHEHERAZADE" (I,216ff.).
^■'^) 1001 Nacht. Aus dem Arabischen übertragen von Max Henning,
Leipzi<? 1895, I, 50ff.
^••') Am Urquell I, 16.
''-^) Achim v. Arnim, Werke XH, 263.
'''^) Achim v. Arnim, Werke XIV, 96,
^"") Ludwig Geiger, Karoline von Günderode und ihre Freunde 1895
S. 108ff: vgl. dazu Euphorien U, 414 ff.
1«') Novalis, Werke 1,91.
'^•'} Novalis, Werke 111,283.
^«») Novalis, Werke IV, 327.
^^) Tieck, Gesammelte Schriften 1828 XIIX, 60.
^<^^) Achim v. Arnim, Werke XV. 162.
^««) Achim V. Arnim, Werke XX, 106.
^*") Hoffmann, Werke, Hempelsche Ausgabe XIV.
le«) Heinrich v. Kleist, Werke, Tempelausgabe III, 300.
'<^^) Heinrich v. Kleist, Werke, Tempelausgabe III, 319.
"'"'^) Heinrich v. Kleist, Werke, Tempelausgabe IV, 126 ff.
^''^) Zacharias Werner, Ausgewählte Schriften, herausg. von seineu
Freunden, Grimma 1814 11,77.
1'-) Müllner, Dramatische Werke 1828 III, 160.
i'2) Müllner, „Die Schuld" Akt. 1 Szene 9.
^'^) Heinrich Heine, Werke, Tempelklassiker I, 10.
^'"'') Heinrich Heine, Werke, Tempelklassiker I, 296.
^'*5) Heinrich Heine, Werke, Tempelklassiker I, 328.
1") Vierteljahrsschrift für Literaturgeschichte III, 483.
8
— 108 —
"*) Cent Nouvelles Nouvelles, De Madame de Gomez. A la Have 1739,
XIX,184ff.
^^^) Der Vampyr in den Pariser Friedhöfen. Ein höchst interessanter
Kriminalfall der neuesten Zeit: zunächst für Psychologen und Ärzte. Aus
dem Französischen der „Gazette des Tribunaux", Stuttgart. Scheible, 1849.
1^0) Poe, Works 1,333 ff.; vgl. The Influence of E. T. A. Hoff manu
on Edgar Allan Poe by Palmer Cobb. S. 31 ff.
^^^) Boaden, „The Man with two Lives", Boston 1829; vgl. Stedman
and Woodberrys Ausgabe der Werke Poes IV, 295.
**2) Hoffmann, Werke, Hempelsche Ausgabe X, 40.
^^^) Hoff mann, Werke, Hempelsche Ausgabe III, 117.
^»4) Hölderlin. Werke, herausg. von Berthold Litzmann, 1897 I, 172.
^^^) Hoffmann, Gesammelte Schriften 1871 V. 172 ff.
^«•^) Hoffmann. Gesammelte Schriften 1871 V, 177.
1»') Poe, Works 1, 187.
^«8) Poe, Works 1,394 ff.
^^^) Hoffmann, Werke, Hempelsche Ausgabe VI, 66.
^^^) Hoffmann, Werke, Hempelsche Ausgabe II, 56.
*«^) Hoff mann. Gesammelte Schriften 1871 II, 35, 39.
i«2) Tieck, Gesammelte Schriften 1828. IX, 170.
1««) L. Tieck, Schriften 1828 IX, 170.
^^*) Heinrich v. Kleist, Werke, Tempelklassiker II.
^^^) Achim V. Arnim, Werke X.
1»«) Poe, Works I, 279 ff.
^»') Hoffmann, Gesammelte Schriften 1871 II, 242.
1»«) Poe, Works I, 251.
i''^) Poe, Works 1,200 ff.
200) Novalis, Werke III, 117.
-Ol) Novalis, Werke III, 292.
•^0^) Poe, Works I, 258 ff.
-0=^) Heinrich v. Kleist, Werke, Tempelklassiker III, 145 ff.
20*) Poe, Works I, 371'ff.
20-^) Poe, Works 1,388 ff.
••^oö) Poe, Works 1,364 ff.
-0^) Revue des deux mondcs, LXVHe annee, tome CXLII 1897, 336
bis 373, 552-591.
2<'») The University of Toronto Quaterly 1895 II, 260 ff.
20») James A. Harrison II, 52.
■''') Poe, Works I, 389.
2") Novalis, Werke HI, 117.
21-) Novalis, Werke III, 127.
-''') Novalis, Werke III, 163 oder IV, 245.
-1*) Novalis, Werke HI, 119.
•-^•^) Novalis, Werke III, 101.
21«) Novalis, Werke II, 1 ff, II, 209 ff.
21-) Novalis, Werke I, LXXI (Einleitung).
21«) In „AI Aaraaf " 1829 (Works III, 66) ist Goethe im Originaltext
zitiert; Bon -Bon 1835 (Works II, 401 ff.) verrät die deutliche Einwirkung
Hoffmanns.
21») Revue des deux mondes, Sept., Okt. 1897, S. 794 ff.
220) Poe, Works I, 359.
221) Poe, Works I, 273 ff.
22-^) Hoffmann, Gesammelte Schriften 1871 VII, 193.
223) Poe, Works II, 401 ff.
22*) Hinweis auf E. Th. A. Hoffmann ?
109 —
"^"') Hoff mann. Werke, Hempelsche Ausgabe V, 56.
22«) Poe, Works II, 299 ff.
227) Revue des deux mondes, Sept., Okt. 1897, S. 794. Hoffmanns
Tage- und Entwurf bücher waren mir nicht zugänglich, da im Privatbesitz
befindlich. Ob früher Entwürfe Hoffmanns veröffentlicht worden sind,
gelang mir nicht festzustellen.
Poe, Works II, 234 ff.
Hoffmann, Gesammelte Schriften 1872 IX, 84.
Hoff mann, Gesammelte Schriften 1872 IX, 65.
Hoffmann, Gesammelte Schriften 1872 X, 167.
Hoffmann, Gesammelte Schriften 1872 V, 29.
Hoffmann, Gesammelte Schriften 1872 IX, 123.
Poe, Works II, 351 ff.
Hoffmann, Gesammelte Schriften 1871 XII, 141 ff.
Poe, Works II, 294 ff.
Achim V. Arnim, Werke II, 304.
Poe, Works II, 292 ff.
Poe, Works, edited by Stedman and Woodberry 1895 IV. 295.
Adelbert v. Chamisso, Gedichte 1831.
Poe, Works II, 471 ff.
Poe, Works II, 460-470.
1001 Nacht. Aus dem Arabischen übertragen von Max Henning,
1895, I, 51.
Brüder Grimm, Kinder- und Hausmärchen Nr. 42.
Cervantes, übersetzt von Soltau. III, 208.
Poe, Works H, 374 ff.
Grimm, Kinder- und Hausmärchen Nr. 55.
Walter Scott, Works , Centenary Edition ; Waverley, Novels VI,
224 ff.
Leipzig
Spezialdruckerei für DLseertationen, Robert Noske, Borna-Leipzig.
LEBENSLAUF
Ich, Paul Richard Wächtler, ev. luth., wurde geboren am
29. April 1887 in Chemnitz. Bis zum 12. Lebensjahr besuchte
ich die Volksschule, darauf das Realgymnasium meiner Heimats-
stadt, das ich 1907 mit dem Reifezeugnis verließ. Ich bezog nun
die Universität I^eipzig, um das Studium der germanischen und
romanischen Philologie zu betreiben. Ich besuchte Vorlesungen,
Seminare und Proseminare der Herren Professoren und Lektoren
Bai'th, Birch-Hirschfeld, Cohen, Deutschbein, Förster, Heinze,
Hirt, Holz, Sievers, Volkelt, Weigand und Wülker. Allen diesen
meinen Lehrern bin ich zu Dank verpflichtet, insbesondere
Herrn Professor Förster, der liebenswürdigerweise mir Ratschläge
für diese Arbeit hat zukommen lassen.
fttR^t^^'