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Full text of "Edgar Allan Poe und die deutsche Romantik"

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EDGAR  ALLAN  POE 

UND  DIE  DEUTSCHE 

ROMANTIK 


INAUGURAL- DISSERTATION 

ZUR  ERLANGUNG  DER  DOKTORWÜRDE  DER  HOHEN 
PHILOSOPHISCHEN    FAKULTÄT   DER   UNIVERSITÄT 

LEIPZIG 

VORGELEGT  VON 

PAUL  WACHT LER 

AUS  CHEMNITZ 


BORNA-LEIPZIG 

BUCHDRUCKEREI  ROBERT  NOSKE 
1911 


Angenommen  von  der  I.  Sektion  auf  Grund  der  Gutachten  der  Herren 

Förster  und  Birch-Hirschfeld. 

Leipzig,  den  4,  August  1911. 

Der  Procancellar, 

Brandenburg. 


MEINEN  ELTERN 

IN  DANKBARKEIT  GEWIDMET 


INHALTSVERZEICHNIS 

SEITE 

EINLEITUNG 1 

POES  ÄUSSERER  LEBENSGANG     2 

ROMANTISCHES  IN  POES  LEBEN  UND  WESEN     ....  7 
POES  DENKART  UND  SEINE  ANSCHAUUNGEN  IN  ÜBER- 
EINSTIMMUNG MIT  DER  DEUTSCHEN  ROMANTIK    .  .  18 
POES  NOVELLEN 43 

EINTEILUNG  DER  NOVELLEN     .    . 43 

PSEUDOWISSENSCHAFTLICHE  ERZÄHLUNGEN 44 

GEHEIMNISERZÄHLUNGEN 44 

EIGENTLICHE  ROMANTISCHE  ERZÄHLUNGEN 47 

MESMERIC  REVELATION 47 

THE  FACTS  IN  THE  GASE  OF  M.  VALDEMAR 49 

A  TALE  OF  THE  RAGGED  MOUNTAINS 50 

THE  IMP  OF  THE  PERVERSE 57 

THE  BLACK  CAT 58 

THE  TELL-TALE  HEART       63 

BERENICE 66 

WILLIAM  WILSON 73 

THE  FALL  OF  THE  HOUSE  OF  USHER 75 

METZENGERSTEIN 79 

THE  OVAL  PORTRAIT       80 

THE  MASQUE  OF  THE  RED  DEATH 82 

THE  PIT  AND  THE  PENDULUM 83 

THE  CASK  OF  AMONTILLADO 84 

LIGEIA,  MORELLA,  ELEONORA 86 

THE  ISLAND  OF  THE  FAY 96 

KLEINERE  NOVELLEN 98 

BON-BON 98 

THE  DEVIL  IN  THE  BELFRY 99 

THE  SPECTACLES 100 

THE  SPHINX 101 

WHY  THE  LITTLE  FRENCHMAN  WEARS  HIB  HAND  IN  A 

SLING 101 

THREE  SUNDAYS  IN  A  WEEK 102 

A  PREDICAMENT 102 

HOP-FROG 103 

ANMERKUNGEN 104 


EINLEITUNG 

Wenn  wir  im  Leben  und  Werk  eines  Dichters  romantische^) 
Züge  finden,  so  lassen  sie  sich  in  der  Regel  auf  zweierlei  Art 
erklären :  durch  romantische  Veranlagung  oder  durch  Übernahme 
der  Eigentümlichkeiten  anderer  romantischer  Dichter.  Selten 
werden  wir  es  nur  mit  einem  von  beiden  Umständen  zu  tun 
haben,  fast  immer  wird  ihre  Vereinigung  vorliegen.  So  finden 
wir  bei  den  deutschen  Romantikern  sehr  viele  nahe  Überein- 
stimmungen, die  man  manchmal  zwar  als  Entlehnungen  nach- 
weisen kann.  Aber  öfter  gehen  solche  Übereinstimmungen  auf 
Ansichten  und  (^harakterzüge  zurück,  die  aus  gleicher  Veranlagung 
entsprungen  sind  oder  einem  ganzen  Zeitabschnitt  zukommen. 
Die  scheinbar  klare  Beeinflussung  ist  meist  nur  ein  Anschlagen 
gleich  gestimmter  Saiten. 

In  einer  ähnlichen  Lage  dürften  wir  uns  Edgar  Allan  Poe 
gegenüber  befinden.  Es  soll  im  folgenden  versucht  werden, 
seinen  Charakter,  der  wohl  bei  jedem  Menschen  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  auf  Veranlagung  beruht,  seinen  Lebenslauf,  in 
dem  sich  der  Charakter  spiegelt,  und  seine  Anschauungen  als 
dem  Charakter,  dem  Lebenslauf  und  der  Anschauungsweise 
deutscher  Romantiker  eng  verwandt  nachzuweisen.  Wir  werden 
da  auf  merkwürdige  Übereinstimmungen  zwischen  Poe  und 
manchen  Vertretern  der  deutschen  Romantik  stoßen,  Überein- 
stimmungen, die  sich  mehren,  weun  wir  die  Novellen  Poes  in 
die  Untersuchung  hereinziehen.  Aber  nirgends,  außer  wo  die 
Übernahme  romantischer  Gedanken  oder  Stoffe  in  unveränderter 
oder  sehr  ähnlicher  Gestalt  vorliegt,  soll  ein  bloß  äußerliches 
Abhängigkeitsverhältnis  aufgestellt  werden.  Viel  mehr  Gewicht 
ist  darauf  gelegt  worden,  eine  tiefgehende  innere  Verwandtschaft 
zwischen  Poe  und  den  deutschen  Romantikern  aufzudecken, 
die  nicht  allein  in  stofflicher  Entlehnung  besteht. 

Voraussetzung  für  etwaige  Einwirkungen  der  deutschen 
Romantik  auf  Poe  ist  selbstverständlich,  daß  er  Werke  deutscher 
Roinantikor  gekannt  habe.     Für  die  zu  seiner  Zeit  vorhandenen 


englischen  Übersetzungen  kann  dies  vorausgesetzt  werden. 
Das  aber  betrifft  nur  eine  ziemlich  beschränkte  Zahl  romantischer 
Werke,  die  zu  gering  sein  würde,  um  die  Vornahme  der  vor- 
liegenden Untersuchung  zu  rechtfertigen.  Da  aber  von  G.  Gruener  -) 
der  Beweis  erbracht  worden  ist,  daß  Poe  des  Deutschen  mächtig 
gewesen  sei,  und  da  Poe  nachweislich  romantische  Werke  ge- 
kannt hat,  von  denen  zu  seinen  Zeiten  keine  Übersetzungen 
vorlagen,  2)  so  brauchen  wir  keine  Bedenken  zu  tragen,  die  Ge- 
samtheit der  romantischen  Dichtwerke  in  den  Kreis  unserer 
Untersuchung  zu  ziehen,  und  aus  dieser  Erwägung  heraus  sind 
auch  im  folgenden  die  Werke  so  ziemlich  aller  deutschen 
Romantiker  von  Bedeutung  berücksichtigt  worden. 

Zunächst  mögen  die  zum  Verständnis  des  Lebens  des  Dichters 
notwendigen  Tatsachen  angeführt  werden. 


POES  AEUSSERER  LEBENSGANG 

Poe  stammte  aus  einem  ansehnlichen  Geschlecht,  das  in  ver- 
schiedenen Ländern  Europas  gesessen  hatte,  in  Irland,  Schott- 
land, England,  wenn  auch  kein  Grund  zu  der  Annahme  vorliegt, 
die  sich  noch  in  neuen  Biographien'^)  findet,  Poes  Ahnen  seien 
die  Le  Poers  oder  de  la  Poers  gewesen,  eine  uralte,  normannische 
Ritterfamilie,  die  von  England  nach  Frankreich,  von  da  nach 
England,  Wales  und  Irland  zog.  Feststehend  ist  nur,  daß  John 
Poe,  der  Stammvater  der  Familie  in  Amerika,  einige  Jahre  vor 
der  Revolution  aus  Irland  nach  Nordamerika  auswanderte.  Sein 
Sohn  war  General  David  Poe,  ein  Veteran  der  Revolution,  dessen 
ältester  Sohn  David,  der  Vater  des  Dichters.  David  Poe  war 
ein  begeisterter  junger  Mann  von  25  Jahren,  als  er  1805  eine 
junge  englische  Schauspielerin  kennen  lernte,  Elizabeth  Arnold. 
Ihr  zu  Liebe  wurde  er  Wanderschauspieler  und  heiratete  sie. 
Sie  war  ein  Wesen  von  zarter,  undinenhafter  Schönheit  mit 
großen  grauen  Augen  und  reichem  Lockenhaar,  wie  Edgar  Poes 
Frau  Virginia  eine  Verkörperung  des  Ideals  ätherischer  Frauen- 
schönheit, das  uns  aus  seinen  Werken  entgegentritt.  Das  Paar 
hatte  drei  Kinder,  William  Henry  Leonhard,  Edgar  Allan  *)  und 
Rose  Mackenzie  Poe,  von  denen "^ Edgar  am  19.  Januar  1809  das 
liicht  der  Welt  erblickte.  Das  unstete  Leben  der  W^anderschau- 
spieler  rieb  die  Gesundheit  seiner  Eltern  früh  auf.  Beide  starben 
an  Schwindsucht,  David  Poe   wahrscheinlich   1811,    die  Mutter 


des  Dichters  im  Dezember  desselben  Jahres.  Die  Kinder  be- 
fanden sich  in  den  traurigsten  Verhältnissen.  Mitleidige  Be- 
sucher, die  Hilfe  bringen  wollten,  fanden  sie  in  Lumpen  ge- 
hüllt, halbverhungert  und  in  einer  Art  Betäubung.  Eine  alte 
Frau  nährte  sie  mit  Brot,  das  sie  in  Branntwein  tauchte,  „to 
keep  them  quiet  and  make  them  streng".^)  So  früh  trat  Poes 
Erbfeind,  der  Alkohol,  tätig  in  sein  Leben.  Dazu  war  er  erb- 
lich belastet.  Sein  Vater  war  kein  Trunkenbold,  aber  ein 
Alkoholiker,  der  an  leichte,  doch  regelmäßige  Exzesse  gewöhnt 
war.  Alle  seine  Kinder  mußten  die  Sünden  des  Vaters  büßen. 
Der  älteste  Sohn  war  begabt,  aber  ein  Halbnarr,  der  dem 
Alkohol  ergeben  war  und  jung  nach  einem  verfehlten  Leben 
starb.  Des  Dichters  Schwester,  Rosalie  Poe,  war  beinahe  eine 
Idiotin  und  starb  1874  im  Armenhaus.  Ja  die  ganze  Poesche 
Familie  scheint  einen  Hang  zum  Trunk  gehabt  zu  haben,  was 
aus  einem  Brief  William  Poes,  Edgars  zweitem  Vetter,  her- 
vorgeht. 1843  schrieb  William  an  den  Dichter:  „There  is  one 
thing  I  am  anxious  to  caution  you  against  and  which  has  been  a 
great  eneni}'  to  our  family,  I  hope,  in  yr  case,  however,  it  may 
prove  unnecessary,  ,A  too  free  use  of  the  Bottle' !"  ")  Die  ver- 
waisten Kinder  wurden  von  mitleidigen  Familien  aufgenommen, 
Edgar  von  Mr.  Allan,  einem  Richmonder  Kaufmann  in  be- 
scheidenen Verhältnissen,  der  später  zu  Reichtum  gelangte. 
1815  reiste  die  Familie  nach  England,  wo  sie  5  Jahre  blieb. 
In  Stock- Xewington  wurde  der  frühreife,  hochbegabte  Knabe  in 
die  Schule  geschickt,  ein  altertümliches  Gebäude,  das  auf  Edgar 
tiefen  Eindruck  machte  und  das  er  in  der  Erzählung  „William 
Wilson" ')  ausführlich  beschrieben  hat.  Als  die  Allans  1820 
nach  Amerika  zurückkehrten,  wurde  die  begonnene  gute  Er- 
ziehung von  englischen  Lehrern  fortgesetzt,  bis  Edgar  im  Alter 
von  17  Jahren  auf  die  Universität  von  Virginia  kam.  Da 
machte  sich  zuerst,  unter  wilden  sorglosen  Gefährten,  sein 
Hang  zur  Ausschweifung,  zu  Wein  und  Karten  geltend,  den  er 
aber  mit  der  Gesellschaft  seiner  Zeit  teilte.^)  Doch  war  er 
trotzdem  kein  Müßiggänger.  In  der  Prüfung  errang  er  Aus- 
zeichnungen im  Französischen  und  Lateinischen,  und  das  war 
das  Höchste,  was  ein  Student  damals  auf  dieser  Universität 
erreichen  konnte.  Über  den  folgenden  Jahren,  1827 — 1833, 
ruht  ein  nur  teilweise  aufgehelltes  Dunkel.  Sicher  ist,  daß  sich 
Poe  1827  mit  Mr.  Allan  überwarf,  weil  dieser  Edgars  hohe 
Spielschulden  aus  der  Universitätszeit  nicht  bezahlen  wollte. 
Weiter  veröffentlichte  er  im  gleichen  Jahre  seine  erste  Ge- 
dichtsammlung „Tamerlane  and  Other  Poems.  By  a  Bostonian", 
Gedichte,  die  er  größtenteils  in  den  Jahren  1821  bis  1822,  also 


_     4     — 

noch  nicht  dreizehnjährig,  verfaßt  hatte.  Es  war  die  Not,  die 
ihn  zur  Veröffentlichung  zwang.  Ferner  ließ  er  sich  1827  als 
Soldat  für  das  Heer  der  Vereinigten  Staaten  unter  dem  Namen 
Edgar  A.  Perry  anwerben.  Er  führte  sich  ausgezeichnet,  trank 
nicht  und  wurde  auch  befördert.  1829  gab  er  den  Dienst  auf. 
Damit  sind,  wenigstens  was  diese  Jahre  anbetrifft,  die  Gerüchte 
über  seine  abenteuerliche  Fahrt  nach  Griechenland,  Rußland, 
Frankreich,  die  französische  Novelle,  das  französische  Duell, 
zerstreut.  Nach  seiner  Soldatenzeit,  1829,  veröffentlichte  Poe 
seine  zweite  Gedichtsammlung:  „AI  Aaraaf,  Tamerlane  and  Minor 
Poems.  By  Edgar  A.  Poe".  1830  trat  er  in  die  Militärakademie 
in  West  Point  ein,  die  er  aber  schon  nach  5  Monaten  verlassen 
mußte.  Seine  schlechte  Führung  läßt  die  Absicht  erkennen, 
keineswegs  auf  der  Akademie  zu  bleiben.  Zu  dieser  Zeit  war 
er  stets  mißgelaunt.  Seine  Freundin,  Mr.  Allans  erste  Gattin, 
war  gestorben,  und  Allan  hatte  zum  zweiten  Male  geheiratet. 
Damit  waren  Poes  Aussichten,  Allan  zu  beerben,  unsicher  ge- 
worden. Die  Zucht  auf  der  Akademie  war  sehr  streng,  und  eine 
freiere,  die  literarische,  Laufbahn  schien  Poe  offenbar  erwünschter. 
1831  veröffentlichte  er  seine  dritte  Gedichtsammlung,  die  im 
Gegensatz  zu  den  unreifen  Jugendwerken  schon  viele  seiner 
Meisterstücke  brachte.  Nunmehr,  März  1831  bis  Sommer  1833, 
beginnt  die  dunkle  Zeit  in  Poes  Leben.  Entweder  unternahm 
er  jetzt  die  Eeisen  nach  Europa,  wozu  er  nach  einem  jüngst 
entdeckten  Brief  ^)  wirklich  die  Absicht  hatte,  oder  er  verbrachte 
wenigstens  das  Jahr  1832  in  Baltimore  bei  seiner  Tante  Maria 
Clemm,  wo  er  eine  Liebschaft  mit  einem  Mädchen  hatte,  die 
sich  aber  bald  zerschlug.^^)  Die  zweite  Möglichkeit  hat  viel 
Wahrscheinlichkeit  für  sich,  jedenfalls  mehr,  als  die  Gerüchte 
seiner  Irrfahrten  haben.  Denn  die  Beschreibung,  die  das 
Baltimorer  ^Mädchen,  Mary,  von  ihrem  Geliebten  gibt,  ])aßt  ge- 
nau auf  Poe.  Gewiß  ist  erst  wieder,  daß  er  im  Sommer  1838  bei 
einem  Preisbewerb  des  „Saturday  Visitor"  Erzählungen  und 
Gedichte  einsandte,  die  die  der  andern  Bewerber  bei  weitem 
übertrafen.  Im  gleichen  Jahre  fand  auch  der  endgültige  Bruch 
mit  seinem  Adoptivvater  statt,  den  Poe  durch  unschönes  Be- 
nehmen verschuldet  hatte.  Er  war  nun  ganz  auf  sich  selbst 
angewiesen.  Um  der  äußersten  Not  abzuhelfen,  bemühte  er  sich 
um  eine  Stelle  als  literarischer  Mitarbeiter  an  einer  Zeitschrift. 
Er  wurde  1835  am  „Southern  Literary  Messenger"  in  Rich- 
mond  erst  für  gelegentliche  Beiträge,  dann  als  Herausgeber  an- 
gestellt. Doch  schon  begann  ihn  sein  Dämon  wieder  zu  ver- 
folgen. Im  September  1835  schrieb  ihm  sein  Freund  Willis^^): 
„No  man  is   safe  that   drinks  before   breakfast.    No  man  can 


(lo  so  and  attend  to  business  properly'.  Doch  bekämpfte  Poe 
seine  Neigung  und  unterlag  ihr  noch  nicht.  Zahlreiche  Er- 
zählungen und  viele  Artikel  legen  für  seine  Arbeitskraft  in 
seiner  Zeit  als  Herausgeber  des  „Southei'n  Literary  Messenger" 
Zeugnis  ab.  In  Richmond  auch  führte  Poe  seine  Cousine 
Virginia  Clemm  heim.  Sie  war  erst  14  Jahre  alt  und  litt  schon 
an  der  Schwindsucht,  der  Krankheit,  der  Poes  Eltern  erlegen 
waren  und  an  der  auch  die  Frauen  seiner  Erzählungen  zugrunde 
gehen.  Nicht  lange  hatte  Poe  in  Richmond  Ruhe.  Er  gab 
seine  Stelle  zum  Bedauern  der  Besitzer  des  „Messenger"  auf. 
Wir  finden  ihn  im  Januar  1837  in  New  York,  wo  er  unabhängige 
lebte  und  vor  allem  an  Erzählungen  arbeitete.  Im  nächsten 
Jahre  bereits  siedelte  er  nach  Philadelphia  über,  wo  er  sechs 
Jahre  verblieb.  Er  bewohnte  dort  mit  seiner  Frau  und  ihrer 
Mutter  eine  kleine  Hütte,  fern  vom  Zentrum  der  Stadt,  inmitten 
grüner  Bäume,  die  die  kranke  Virginia  liebte.  Er  lieferte  Bei- 
träge zu  „Grahams  Magazine",  das  infolge  seiner  Mitarbeit  von 
5000  auf  35  000  Abonnenten  stieg,  und  zu  vielen  andern  Zeit- 
schriften. Außerdem  trug  er  sich  mit  dem  Plan,  selbst  ein 
Magazin  zu  gründen.  Der  Plan  scheiterte  aber  immer  und 
brachte  Poe  viel  böse  Stunden.  Im  April  1844  finden  wir  ihn 
zum  zweiten  Male  in  New  York.  Die  Hochflut  seiner  Er- 
zählungen war  verrauscht.  Sein  Hauptwerk  war  nunmehr  die 
Kritik,  die  ihren  Höhepunkt  in  „The  Literati  of  New  York", 
1846,  erreichte.  Diese  Aufsätze  erregten  ungeheures  Aufsehen. 
Nie  hatte  Amerika  vorher  einen  Kritiker  besessen,  der  mit  so 
durchdringendem  Verstände  und  so  großer  Unerschrockenheit, 
aber  auch  unerschütterlicher  Gerechtigkeit  sein  Urteil  abgab. 
Vor  den  „Literati",  1845,  hatte  Poe  sein  berühmtestes  Gedicht 
veröffentlicht,  „The  Raven",  das  sich  in  wenigen  Tagen  über 
die  ganzen  Vereinigten  Staaten  verbreitete  und  auch  in  Europa 
schnell  bekannt  wurde.  Er  hatte  es  in  äußerst  bedrängter  Lage 
verfaßt.  Seine  Frau  und  Mrs.  Clemm,  wie  auch  der  Dichter 
selbst,  litten  Hunger.  1845  auch  fand  die  bedauernswerte  Fehde 
mit  Longfellow  statt,  den  Poe  des  literarischen  Diebstahls  an 
seinen  Werken  beschuldigte,  —  grundlos,  wie  des  öfteren  be- 
wiesen worden  ist.^"^)  Weiterhin  war  er  an  einer  Zeitschrift 
tätig,  „The  Broadway  Journal",  die  schließlich  in  seinen  Be- 
sitz überging.  Nur  kurze  Zeit  konnte  er  sie  halten:  bis  zum 
Dezember  1845.  Aber  diese  wenigen  Monate  waren  bedeutungs- 
voll, denn  in  ihnen  druckte  Poe  fast  alle  seine  Erzählungen  und 
Gedichte  in  seiner  Zeitschrift  und  gab  ihnen  ihre  letzte,  voll- 
kommenste Form. 

Die  Aufregung,   die   die  „Literati  of  New  York"  erregten, 


—     6     — 

stieg  auf  den  Gipfel,  als  der  Artikel  über  Thomas  Dünn  Brown 

—  Pseudonym  für  Mr.  English  —  erschien.  English  schrieb  eine 
verleumderische  Schmähschrift  gegen  Poe,  der  ihn  verklagte. 
English  wurde  der  Verleumdung  überführt  und  mußte  an  Poe 
eine  bedeutende  Entschädigungssumme  zahlen.  Damit  richtete 
dieser  die  kleine  Hütte  in  Fordham  ein,  in  der  seine  Frau 
sterben  sollte.  Die  bittere  Armut,  stete  Sorgen  und  die  schnell 
fortschreitende  Krankheit  hatten  das  zarte  junge  Wesen  auf- 
gerieben. Im  kalten  Winter  1847  starb  sie,  erst  24  Jahre  alt. 
Freunde,  die  die  Familie  kurz  vor  Virginias  Tod  aufsuchten, 
wußten  von  der  tiefen  Armut  zu  berichten,  in  der  sie  sich  be- 
fand. Poe  wurde  durch  Virginias  Tod  in  tiefe  Verzweiflung 
gestürzt.     Sein  von  harter  Entbehrung    geschwächter    Körper 

—  er  hatte  gehungert,  um  für  die  Kranke  Arznei  zu  schaffen  — , 
sein  zerrütteter  Geist  konnten  den  Schlag  nicht  überwinden. 
Er  war  ein  gebrochener  Mann.  Nur  weniges  noch  entfloß  seiner 
Feder,  einige  melancholische  Gedichte  und  vor  allem  das  philo- 
sophische Werk  „Eureka",  1848,  das  den  Verfall  seiner  Geistes- 
kräfte erkennen  läßt.  Dieser  zeigt  sich  auch  in  seinen  Heirats- 
plänen und  Anträgen,  die  man  von  diesem  leidenschaftlichen 
Liebhaber  so  kurz  nach  dem  Tode  der  Geliebten  nicht  erwartet. 
Wieder  tauchte  der  unglückselige  Plan  auf,  eine  eigene  Zeit- 
schrift zu  gründen.  Um  ihn  zu  verwirklichen,  ging  Poe  auf  eine 
Vortragsreise,  zunächst  nach  Richmond,  darauf  nach  Baltimore. 
Dort  fand  man  ihn  am  3.  Oktober  1849  bewußtlos  auf  der  Straße. 
Das  Dunkel,  das  über  seinen  letzten  Stunden  ruht,  ist  nicht  ge- 
lichtet worden.  Vielleicht  fiel  er  in  die  Hände  gewissenloser 
Wahlagenten,  die  ihn  betrunken  machten,  vielleicht  war  er  das 
Opfer  von  Verbrechern;  denn  eine  größere  Geldsumme,  die  er 
mit  sich  geführt  hatte,  war  verschwunden.  Man  brachte  ihn 
in  ein  Hospital,  wo  er  am  7.  Oktober  starb.  Am  folgenden  Tag  schon 
wurde  er  begraben,  nahe  dem  Grabe  seines  Großvaters,  Generals 
David  Poe.  Nur  wenige  Freunde  folgten  seinem  Sarge.  Kein 
Stein  bezeichnete  sein  Grab.  Erst  lange  Jahre  später,  1875, 
errichtete  man  ein  Grabmal,  unter  dem  nun,  vereint  mit  denen 
Virginias,  die  irdischen  Reste  Edgar  Allan  Poes  ruhen. 

Nachdem  wir  diese  wenigen  wichtigen  Tatsachen  des  äußeren 
Lebensganges  Poes  festgelegt  haben,  können  wir  dazu  schreiten, 
auf  sein  Wesen  und  die  Einzelheiten  seines  Lebens  einzugehen  und 
das  Romantische  darin  zutage  zu  fördern.  Der  Vergleich  mit 
romantischen  Lebensläuften  und  Charakteren  wird  vielleicht  ein 
geeigneter  Weg  dazu  sein. 


—     7     — 


ROMANTISCHES  IN  POES 
WESEN  UND  LEBEN 

Das  typische  Merkmal  des  romantischen  Charakters  liegt  in 
dem  Schwanken  zwischen  Gefühl  und  Verstand,  zwischen  Natur 
und  Geist,  in  dem  Hineinspielen  des  Bewußten  in  das  Unbewußte, 
wobei  das  Bewußte  nie  die  Stärke  des  Unbewußten  erreicht. 
Man  könnte  somit  auch  sagen,  die  Romantik  habe  einen  Zug 
zum  Weiblichen,  denn  das  weibliche  Geschlecht  ist  in  höherem 
Maße  als  das  männliche  den  unbewußten  Gefühlen  und  Trieben 
unterworfen,  hat  aber  auch  mehr  das  Streben,  das  Unbewußte 
bewußt  zu  machen.  Wenn  daher  Poe  die  Romantik  als  weiblich 
in  ihrem  innersten  Wesen  bezeichnet,^^)  so  bezeugt  dies  sein 
gutes  Verständnis  für  diese  Art  Poesie  und  beweist,  daß  er  sie 
eingehend  gekannt  hat. 

Notgedrungen  mußte  das  Schwanken  im  Wesen  der  Ro- 
mantiker bestimmend  auf  ihr  Leben  einwirken  und  Züge  er- 
zeugen, die  vielen  gemeinsam  waren.  Der  Trieb,  sich  vor  dem 
Leben  in  ihr  Inneres  zurückzuziehen,  hatte  zur  Folge,  daß  sie 
den  Anforderungen,  die  die  Welt  an  jeden  stellt,  nur  schwer 
oder  überhaupt  nicht  genügen  konnten.  Wie  Unmündige  standen 
sie  dem  tätigen  Leben  gegenüber.  Daraus  läßt  sich  erklären, 
daß  sie  fast  alle  ohne  Beruf  blieben,  oder  wenn  sie  sich  zu  einer 
festen  Tätigkeit  entschlossen,  sie  doch  nicht  durchführen  konnten. 
Diese  Berufslosigkeit  hing  aber  auch  mit  der  Zwiespältigkeit  des 
romantischen  Charakters  zusammen,  der  vom  Himmel  nach  der 
Erde  strebte  und  vom  Irdischen  wieder  in  die  Höhe,  ohne  Be- 
friedigung zu  finden  oder  irgendwo  heimisch  zu  sein. 

Der  Grundzug  schon  des  romantischen  Strebens,  die  Durch- 
dringung des  Gefühls  durch  den  Verstand,  findet  sich  bei  Poe 
in  hoher  Vollendung.  Was  sind  seine  romantischen  Novellen 
anders  als  die  Verkörperung  der  Absicht  des  Dichters,  über  die 
dunklen  Triebe  seines  Innern  Klarheit  zu  gewinnen!  Sie  zeigen, 
wie  sehr  es  seinem  Verstände  gelungen  ist,  die  zartesten  Emp- 
findungen aufzuspüren  und  ans  Licht  zu  ziehen,  sie  zeugen  in 
ihrer  Vollendung  aber  auch  von  dem  zerstörenden  Kampfe  in 
Poes  Innern,  der  getobt  haben  muß,  ehe  es  ihm  gelang,  des 
Unbewußten  in  ihm  Herr  zu  werden. 

Poe  schien  auch  unfähig  zu  sein,  einen  andern  Beruf  aus- 
zuüben als  den  eines  Dichters.  Soldat  vermochte  er  nur  zwei 
Jahre  zu  sein,  bloß  fünf  Monate  auch  auf  der  Kriegsakademie. 


Die  strenge  Regelmäßigkeit  des  Dienstes,  die  Unterdrückung 
jeder  Individualität,  das  gänzliche  Ausschalten  des  persönlichen 
Gefühls  mußten  ihm  im  Innersten  zuwider  sein.  Und  wenn  er 
später  mehrere  Male  längere  Zeit  als  Leiter  von  Zeitschriften 
oder  als  Mitarbeiter  daran  sich  zu  regelmäßiger  Arbeit  hergab, 
so  konnte  ihn  wohl  dazu  nur  die  Sorge  um  seine  Frau  zwingen, 
der  er  mit  leidenschaftlicher  Liebe  zugeneigt  war.  Um  ihr 
Leben  sicherzustellen,  war  er  auch  bereit,  eine  Beamtenstelle 
anzutreten,  und  gab  sich  viel  Mühe,  sie  zu  erhalten  (1841)."} 
Doch  scheiterten  seine  Bestrebungen  an  der  herrschenden 
Günstlingswirtschaft.  Es  ist  auch  zweifelhaft,  ob  ihm  eine  feste 
Stelle  viel  genützt  haben  würde,  denn  nur  kurze  Zeit  ließen 
ihm  der  Alkohol  und  seine  Unstetigkeit  Ruhe. 

Die  Berufslosigkeit  der  Romantiker  und  ihre  zum  Teil 
wenigstens  damit  verknüpfte  Heimatlosigkeit,  das  ihnen  eigne 
ewige  Auf-  und  Abstürmen  der  Gedanken,  das  sie  in  den  Augen- 
blicken höchsten  Glücks  doch  nie  vollkommen  glücklich  sein 
ließ,  erregte  in  ihnen  ein  Gefühl  des  Unbefriedigtseins,  eine 
innere  Leere,  ja  sogar  das  Bewußtsein  persönlicher  Wertlosig- 
keit, wenn  sie  sich  mit  Menschen  verglichen,  die  einen  festen 
Platz  im  Leben  ausfüllten,  Herren  ihrer  Leidenschaften  wurden 
und  die,  deren  Schicksal  sie  an  ihres  gebunden  hatten,  glücklich 
machten.  Sie  wühlten  sich  immer  tiefer  und  tiefer  in  die  Rätsel 
des  Daseins  ein,  vor  allem  in  die  Nachtseiten  der  Natur,  die 
sie  schließlich  mit  ihren  Schauern  packte  und  nicht  mehr  los  ließ. 
Daher  die  stetige  Ahnung  von  Unglück,  das  immer  drohe  und 
hereinbräche,  wenn  man  es  am  wenigsten  vermute,  daher  ihre 
leidende  Stellung  dem  Leben  gegenüber  und  die  Ablehnung  der 
Verantwortung  für  ihre  Taten.  Die  Stimmung,  die  die  Schicksals- 
tragödie kennzeichnet,  finden  wir  auch  oft  im  Leben  der  deutschen 
Romantiker. 

Etwaige  Zweifel  an  dem  Werte  seines  Berufs  finden  wir 
bei  Poe  nicht.  Im  Gegenteil.  Er  wollte  nie  etwas  anderes  sein 
als  ein  Dichter.  Aber  die  Vorliebe  für  die  Nachtseiten  der 
Natur  war  auch  ihm  eigen.  Er  konnte  an  ihr  überhaupt  nur 
das  sehen,  was  Grauen  erregt,  und  darein  versenkte  er  sich, 
bis  er  den  Rückweg  nicht  mehr  fand.  Immer  sah  er  sich  von 
Schrecknissen  umringt,  immer  ahnte  er  irgendein  Unheil,  auch 
zu  Zeiten,  als  es  ihm  verhältnismäßig  gut  ging.  Er  glaubte 
zuletzt  überhaupt  nicht  mehr  an  eine  Änderung  zum  Guten.  Als 
1835  die  Anstellung  am  „Southern  Literary  Messenger"  Poe 
aus  seiner  tiefen  Armut  emporhob  und  ihn  aller  Sorgen  ums 
Leben  vorläufig  ledig  machte,  schrieb  er  an  seinen  Freund 
Kennedy  folgenden  Brief,   der   ein  Abbild  der  Stimmungen  ist, 


—     9     — 

die  ihn  Zeit  seines  Lebens  verfolgten :  „Dear  Sir  .  .  .  Througfh 
your  influenae  Mr.  White  has  been  induced  to  employ  me  in 
assisting  him  with  the  editorial  duties  of  bis  magazine,  at  a 
salary  of  520  dollars  per  annuni.  The  Situation  is  agreeable  to 
me  for  many  reasons,  but,  alas!  it  appears  to  me  that  nothing 
can  give  me  pleasure  or  the  slightest  gratification.  Excuse  me, 
my  dear  Sir,  if  in  this  letter  you  find  much  incoherency.  My 
feelings  at  this  moment  are  pitiable  indeed.  I  am  suffering  under 
a  depression  of  spirits  such  as  I  have  never  feit  before.  I  have 
struggled  in  vain  against  the  influence  of  this  melancholy  —  you 
will  believe  me  when  I  say  that  I  am  still  miserable  in  spite  of 
the  great  improvement  in  my  circumstances.  ...  I  am  wretched, 
and  know  not  why.  Console  me  —  for  you  can.  But  let  it  be 
quickly,  or  it  will  be  too  late  .  .  .  Convince  me  that  it  is  worth 
one's  while,  that  it  is  at  all  necessary  to  live,  and  you  will 
prove  yourself  indeed  my  friend  .  .  .  You  will  not  fail  to  see 
that  I  am  suffering  under  a  depression  of  spirits  which  will  ruin 
me  should  it  long  be  continued".^-^) 

Es  tritt  darin  der  Zug  deutlich  hervor,  den  Lenau  die 
Gravitation  nach  dem  Unglück  nannte,  ein  unbewußtes  Streben, 
sich  selbst  unglücklich  zu  machen,  sogar  wenn  man  glücklich 
sein  könnte. 

Wenn  wir  diese  den  romantischen  Dichtern  fast  durchweg 
zukommenden  Eigentümlichkeiten  bei  Poe  wiederfinden,  so  können 
wir  vermuten,  auch  im  Lebenslauf  und  Charakter  des  einzelnen 
Züge  zu  finden,  die  unserem  Dichter  nicht  fremd  sind.  Eine 
nähere  Überprüfung  der  Lebensläufe  der  romantischen  Dichter 
bestätigt  denn  auch  diese  Annahme.^^) 

Schon  Tieck,  dem  ältesten  und  wohl  auch  kühlsten  Ro- 
mantiker, steht  Poe  nahe.  Wir  müssen  nur  den  phäntasiereichen, 
gegen  seine  Gefühle  ringenden  Tieck  von  dem  im  späteren  Alter 
trennen,  dessen  Empfinden  erkaltet  oder  ganz  abgestorben  war. 
In  seinen  jungen  Jahren  hatte  Tieck  Zeiten,  wo  die  Schrecken 
des  Todes  ihn  packten,  wo  er  glaubte,  daß  die  letzte  große 
Vernichtung  über  ihn  hereinbräche,  wo  scheußliche  Visionen  ihn 
heimsuchten  und  seine  erregte  Phantasie  sich  von  Gespenstern 
umringt  glaubte,  die  er  leibhaftig  auf  sich  zuschreiten  sah.  Er 
fühlte  sich  dem  Wahnsinn  nahe.  In  solchen  Stunden  fluchte  er 
Gott  und  der  Welt  und  verwünschte  sein  Dasein.  Er  warf  die 
Frage  vor  sich  auf,  welchen  Zweck  die  Welt  habe  und  welches 
Recht,  zu  bestehen,  doch  fand  er  keine  Antwort  auf  seine 
Zweifel.  All  sein  Suchen  endete  in  tiefer  Trostlosigkeit,  er 
spielte  mit  dem  Gedanken  des  Selbstmords.  Und  nicht  nur  in 
seiner  Jugend,   sondern  auch  in  späteren  Jahren  suchten  ihn 


~     10    — 

solche  trübe  Gedanken  heim,  wenn  auch  selten.  Wenn  er  im 
„Blonden  Eckbert",  „15.  November",  „Runenberg",  „Abdallah" 
und  anderen  Erzählungen  den  Wahnsinn  beschreibt,  müssen  wir 
wohl  glauben,  daß  er  ihn  bis  zu  einem  gewissen  Punkte  in 
seinem  eignen  Gehirn  gespürt  hatte,  wie  auch  Poe  die  Studien 
zu  seinem  krankhaften  Menschen  an  sich  selbst  machen  konnte. 
Poe  zeigt  überhaupt  in  seiner  Veranlagung  ziemliche  Ähn- 
lichkeiten mit  Tieck.  Die  Stimmungen  aber,  an  denen  dieser 
iast  nur  in  seinen  Jugendjahren  litt,  suchten  Poe  sein  ganzes 
Leben  lang  heim.  Wenn  Tieck  schon  entsetzliche  Visionen 
hatte,  so  müssen  sie  doch  vor  den  Bildern  verbleichen,  die  Poe 
träumte.  Er  erlebte  das  Furchtbarste,  was  eine  raffinierte 
Phantasie  ersinnen  kann,  in  sich  selbst;  die  Martern,  die  der 
satanische  Haß  der  Jesuiten  ausklügelte,  die  Qualen  des  schein- 
tot Begrabenen,  die  quälenden  Halluzinationen  des  Verfolgungs- 
wahnsinns und  des  delirium  tremens,  nichts  Schreckliches  über- 
haupt war  ihm  fremd.  Im  Übermaß  der  Leiden  versuchte  er, 
sich  selbst  zu  töten,  ohne  seine  Absicht  zu  erreichen.  Er 
grübelte  auch  über  die  Rätsel  des  Daseins  nach  und  kam  zu 
dem  trüben  Ergebnis,  das  Leben  sei  nichts  als  ein  Drama.  Die 
Menschen  seien  die  Schauspieler,  die  am  Ende  des  Stücks  von 
einem  blutigen  Ungeheuer  verschlungen  würden,  dem  „Conqueror 
Worm".^')  —  Mit  Tieck  teilte  Poe  auch  die  Kunst,  die  packende, 
atemraubende  Stimmung  zu  erzeugen. 

Auch  mit  dem  Wesen  von  Tiecks  Freund  Wackenroder  zeigt 
Poes  Charakter  einige  Ähnlichkeit.  Wackenroder  war  wie  Poe 
überempfindlich.  Für  die  Dichtkunst  und  noch  mehr  für  das 
Genießen  der  Poesie  geboren,  stand  er  dem  tätigen  Leben  ratlos 
gegenüber.  Es  war  ihm  unmöglich,  sich  dem  vorgeschriebenen 
Berufe  zu  widmen,  und  darum  zerfiel  er  mit  seiner  Familie. 
Der  Kummer  darüber  stürzte  ihn  in  Schwermut,  die  sein  Leben 
aufzehrte.  So  zart  war  sein  Empfinden,  daß  er  sein  Herz  einer 
Äolsharfe  vergleichen  konnte,  in  der  sein  Leben  wie  ein  Sturm 
wütete,  bis  die  Saiten  zersprängen,  wie  auch  Poe  sein  leicht 
erregbares  Innere  dem  Herzen  des  Engels  Israfel  verglich,  dessen 
Herzensfibern  eine  Leyer  waren.^^) 

Mit  dem  bedeutendsten  der  Romantiker,  Hardenberg,  ver- 
bindet Poe  eine  tief  gegründete  Wesensähnlichkeit,  neben  der 
aber  auch  starke  Unterschiede  festzustellen  sind.  Das  Leben 
des  sichergestellten,  aus  vornehmer  Familie  stammenden  Novalis, 
das  einen  geordneten  Gang  nahm,  läßt  keinen  Vergleich  mit  der 
wilden  Regellosigkeit  zu,  mit  der  sich  unsers  Dichters  Leben 
abspielte.  Erst  als  mit  dem  Tode  Sophiens  von  Kühn,  seiner 
Braut,  das  Unglück  auch  über  Novalis  hereinbrach,  treten  Über- 


—   11   — 

einstimmungen  zutag-e.  Er  versenkte  sich  tief  in  Gedanken  an 
den  Tod,  die  lange  Zeit  den  einzigen  Inhalt  seines  Lebens  aus- 
machten, er  faßte  sogar  den  Plan,  seiner  Braut  nur  durch  die 
Kraft  seines  Willens  nachzusterben.  Aber  der  Tod  war  ihm  ein 
Freund,  den  er  lieben  mußte,  die  Nacht  war  ihm  vertraut  und 
barg  keine  Schrecken  für  ihn.  Er  war  unwillig,  als  das  Leben 
ihn  allmählich  immer  stärker  zu  sich  zurückzuziehen  begann, 
und  wehrte  sich  dagegen.  Nicht  hemmend,  sondern  fördernd 
wirkte  das  Vergraben  in  die  Gedanken  des  Todes  bei  ihm.  Die 
,.Hymnen  an  die  Nacht",  die  Frucht  dieser  Zeit,  sind  ein  ganz 
eigenartiges  Werk,  trotz  der  innigen  Bekanntschaft  mit  der 
Nacht  und  dem  Dunkel  des  Grabes  frei  von  allem  Grauen  und 
Schrecken.  Poe  aber,  auch  in  den  langen  Zeiten,  als  der  Dämon 
der  Trunkenheit  keine  Gewalt  über  ihn  hatte,  richtete  wie  fest- 
gebannt seine  Blicke  nur  immer  auf  den  Punkt,  über  den  kein 
Wissen  Klarheit  bringen  kann: 

„Deep  iiito  that  darkness  peering  long  remained  theie,  vvondering,  fearing. 
Doubting,  dreaming  dreams  no  mortal  ever  dared  to  dream  before".^®) 

Er  sah  den  Tod  nur  mit  seinen  Schrecken,  die  er  für  so 
furchtbar  hielt,  daß  er  meinte,  die  Gottheit  habe  es  dem  Menschen 
mit  Absicht  verwehrt,  in  dies  Gebiet  einzudringen.  Er  konnte 
keinen  Friedhof  sehen,  ohne  daß  ihm  Gedanken  an  die  furcht- 
baren Qualen  der  lebend  Begrabenen  kamen.  Und  es  stand  für 
ihn  außer  Zweifel,  daß  viele  nur  scheintot  wären,  die  man  für 
tot  hielt.  „The  boundaries  which  divide  life  from  death  are  at 
best  shadowy  and  vague.  Who  shall  say  where  the  one  ends 
and  where  the  other  begins?  We  know  that  there  are  diseases 
in  which  occur  total  cessations  of  all  the  apparent  functions  of 
vitality,  and  yet  in  which  these  cessations  are  merely  sus- 
pensions,  properly  so  called.  They  are  only  temporary  pauses 
in  the  incomprehensible  mechanism.  A  certain  period  elapses, 
and  some  unseen  mysterious  principle  again  sets  in  motion  the 
magic  pinions  and  the  wizard  wheels.  The  silver  cord  was  not 
for  ever  loosed,  nor  the  golden  bowl  irreparably  broken.  But 
where  meantime  was  the  soul  ?"  -^) 

„Scarcely,  in  truth,  is  a  graveyard  encroached  upon  for 
any  purpose,  to  any  great  extent,  that  skeletons  are  not  found 
in  postures  which  suggest  the  most  fearful  of  suspicions."  '-^) 

Von  solchen  Schreckbildern,  die  ihm  Stunden  unaussprech- 
licher Qualen  bereiteten,  konnte  Poe  nicht  lassen.  Er  wußte 
wohl,  daß  er  dadurch  sein  Leben  zerstöre  und  seine  Schaffens- 
kraft lähme,  und  wühlte  sich  doch  immer  tiefer  in  derartige 
Vorstellungen   hinein.    Es   war  eine  Art  perverser  Wollust,  die 


—     12     — 

im  Schmerz  Befriedigung  fand.  Mit  diesen  Gefühlen  war  auch 
Novalis  vertraut.  Er  stellte  sich  vor,  daß  Krankheit  und  sogar 
der  Tod  zu  den  menschlichen  Vergnügungen  gehöre  und  daß 
vielleicht  in  dem  Augenblick,  in  dem  der  Mensch  die  Krankheit 
oder  den  Tod  zu  lieben  anfange,  die  reizendste  AVoUust  in  seinen 
Armen  liege.^^)  Freilich  sind  dies  bei  Novalis  nur  bis  zum 
äußersten  durchgeführte  Vorstellungen.  Denn  mit  gesunden 
I^innen  und  starkem  Verstand  stand  er  im  tätigen  Leben,  das 
er  sich  nicht  wie  die  meisten  Romantiker  und  oft  auch  Poe  durch 
seine  Phantasievorstellungen  verbitterte. 

Mit  dem  Schwaben  Hölderlin  hatte  Poe  die  unendlich  zarte 
Gemütsveranlagung  gemein.  Der  Zug  nach  unten,  zum  Unglück, 
machte  Hölderlin  zum  Leben  unbrauchbar,  das  ihn  auf  Schritt 
und  Tritt  beleidigte.  Denn  er  hatte  eine  tiefe  Scheu  vor  dem 
Gewöhnlichen  und  Gemeinen,  so  daß  er  verletzt  sich  immer- 
während in  sich  selbst  zurückziehen  mußte.  Jede  Beleidigung 
ging  ihm  ins  Herz,  weil  er  alles  viel  zu  schwer  nahm. 

Poe  hat  auch  immer  unter  einer  ganz  ähnlichen  Veranlagung 
leiden  müssen.  Seine  Seele  war  empfindlich,  beweglich  und 
zart  besaitet.  Wo  andre  nur  ein  wenig  erregt  wurden,  da  war 
er  tief  verwundet,  mußte  Todesqualen  leiden,  wo  andre  sich  nur 
ärgerten.  Es  ist  wunderbar,  daß  das  elastische  Empfinden  des 
Dichters  sich  immer  wieder  hat  aufrichten  können  und  daß  der 
Zusammenbruch  nicht  eher  gekommen  ist. 

Achims  von  Arnim  Leben  verlief  zu  regelmäßig,  als  daß 
es  zu  Vergleichen  mit  Poes  stürmischem  Lebensgange  Anlaß 
geben  könnte.  Er  blieb  im  allgemeinen  von  verderblichen 
Leidenschaften  frei.  Nur  ab  und  zu  blitzte  es  in  ihm  auf  wie 
aus  einem  Vulkan,  den  man  erloschen  glaubt,  plötzlich  das 
Feuer  wieder  hervorbricht.  Dann  erfaßte  ihn  der  Gedanke  von 
der  Lüge  und  Verächtlichkeit  des  Lebens,  er  fluchte  dem 
Schönen,  das  den  Menschen  verderbe,  und  der  Liebe,  die  keinen 
Frieden  bringe.  In  der  „Gräfin  Dolores"  finden  wir  die  leiden- 
schaftlichen Worte : 

„Mögen  alle  Gläser  springen,  alle  Lippen  davor  erblassen, 
Ja  ich  will  die  Wahrheit  singen,  muß  ich  auch  die  Wahrheit  hassen. 
Warum  die  Schönheit  so  flüchtig  ist,  das  will  ich  Euch  verkünden: 
Sie  ist  ein  Gift,  das  um  sich  frißt,  die  Augen  davon  erblinden. 
Warum  die  Liebe  so  töricht  ist,  das  wül  ich  Euch  verkünden: 
Weil  sie  mit  aller  ihrer  List  sich  selber  nicht  kann  ergründen. 
0  wohl  uns,  daß  so  viel  Schönheit  tot,  daß  wir  sie  nicht  brauchen  zu  lieben, 
0  weh  uns,  daß  in  der  Tränennot  mehr  Glück  als  in  der  Überlegung*.'^') 

Dieser  Hang  zur  Selbstpeinigung  ist  auch  ein  Grundzug 
in  Poes  Wesen,  der  durch  sein  ganzes  Werk  geht.  Zuerst  tritt 
er  in   der  Vorrede   zur  zweiten  Ausgabe  seiner  Gedichte   vom 


—     13    — 

Jahre  1831  zutage.  Beim  Lesen  von  Anakreons  Versen  fand 
er,  daß  sich  all  seine  Freuden  in  Qual,  seine  Unbefangenheit  in 
wilde  Begier,  sein  Verstand  in  Liebe  und  sein  Wein  in  Feuer 
auflösten.  Und  noch  jung  und  in  Torheit  versunken  verliebte 
er  sich  in  die  Melancholie  und  warf  seine  ganze  irdische  Ruhe 
und  Zufriedenheit  hinweg.  Reiner  Genuß  der  Schönheit  war 
ihm  versagt,  denn  wenn  er  sie  anschaute,  kam  ihm  sofort  der 
Gedanke,  daß  sie  bald  in  Häßlichkeit  untergehen  müsse,  das 
schöne  Bild  des  Lebens  verknüpfte  sich  ihm  mit  der  entgegen- 
gesetzten Vorstellung  der  Zerstörung.  So  sagt  er  in  „Berenice": 
„How  is  it  that  from  Beauty  I  have  derived  a  type  of  unlove- 
liness?  from  the  covenant  of  peace  a  simile  of  sorrow?  But 
as  in  ethics  evil  is  a  consequence  of  good,  so  in  fact,  out  of 
joy  is  sorrow  born.  Either  the  memory  of  past  bliss  is  the 
anguish  of  to-day,  or  the  agonies  which  are  have  their  origin 
in  the  ecstasies  which  might  have  been  .  .  .",^*)  oder  an  einer 
andern  Stelle :  „That  earnest  mutual  love,  my  own  Monos,  which 
burned  within  our  bosoms,  how  vainly  did  we  flatter  ourselves, 
feeling  happy  in  its  upspringing  that  our  happiness  would  streng- 
then  with  its  strength.  Alas,  as  it  grew,  so  grew  in  our  hearts 
the  dread  of  that  evil  hour  which  was  hurrying  to  separate 
US  for  ever.  Thus  in  time  it  became  painful  to  love.  Hate 
would  have  been  mercy  then".^^) 

Diese  unglückliche  Veranlagung  rückt  Poe  auch  Clemens 
Brentano  nahe,  der  dem  Leben  ratlos  gegenüberstand  und 
auch  nirgends  Ruhe  und  nie  eine  Heimat  fand.  Auch  er  hatte 
unter  der  Ungunst  der  Familienverhältnisse  zu  leiden.  Mitten 
unter  Menschen  wuchs  der  phantasiereiche  Knabe  doch  einsam 
auf.  Einem  Berufe  oder  Studium  sich  zu  widmen  war  ihm  un- 
möglich, jede  Tätigkeit  überhaupt  verhaßt  außer  der,  über  sich 
nachzugrübeln.  Niemals  verließ  ihn  auch  das  Gefühl  seines  Un- 
wertes, das  ihn  tief  unglücklich  machte.  Sein  Innneres  war  zer- 
rissen. Er  mußte  frohe  Weisen  spielen,  wenn  Fieber  ihm  durch 
Mark  und  Bein  bebte,  mußte  die  Freude  besingen,  wenn  sein 
einziger  Wunsch  war,  im  Grabe  zu  liegen.  Auf  Brentano  auch 
würden  die  Worte  passen,  die  Poe  in  trüber  Stimmung  von  sich 
gesagt  hat:  „My  life  has  been  whim  —  Impulse  —  passion  —  a 
longing  for  solitude  —  a  scorn  of  all  things  present,  and  an 
earnest  desire  for  the  future".  Wenn  aber  beide  Dichter  unter 
den  stürmenden  Bildern  einer  ungeheuren  Phantasie  litten 
—  Brentano  war  vielleicht  der  phantasiereichste  deutsche 
Dichter 2«)  — ,  so  unterschieden  sie  sich  scharf  dadurch,  daß  es 
dem  schwankenden,  zerrütteten  Brentano  unmöglich  war,  die 
Fülle   seiner  Bilder  in   scharf  umrissener   Darstellung  wieder- 


—     14     — 

zugeben.  Poes  Energie  aber  ermöglichte  es  ihm  fast  immer, 
den  Strom  seiner  Vorstellungen  zu  hemmen  und  diese  in  feste^ 
künstlerisch  vollendete  Formen  zu  bringen.  Daß  Brentano  wie^ 
Poe  überhaupt  so  häufig  selbstquälerischen  Stimmungen  unter- 
worfen waren,  lag  gewiß  zum  Teil  auch  daran,  daß  ihnen  der 
Humor  fehlte,  der  einzige  Tröster  in  solchen  Lagen,  über  den 
E.  Th.  A.  Hoffmann  so  reich  verfügte,  vielleicht  der  tiefste  Ver- 
wandte Poes  in  Wesen  und  Dichtung.  Auch  sein  Lachen  war 
oft  nur  der  „konvulsivische  Krampf  der  inneren  herzzerreißenden 
Qual","^')  und  er  wäre  an  dem  quälenden  Zwiespalt  in  seinem 
Wesen,  an  den  Schrecken  seiner  Visionen  zugrunde  gegangen,, 
hätte  er  eben  nicht  die  herzbefreiende  Gabe  seines  Humors  be- 
sessen. Dieser  freilich  brach  oft  seltsam  genug  hervor  und  erging 
sich  in  komischen  Bocksprüngen,  die  manchem  lächerlich  dünken 
mögen,  der  ihre  innerste  Ursache  nicht  kennt.  Auch  Poe  besaß 
Humor,  den  wilden  amerikanischen  Humor,  dem  später  Mark 
Twain  in  der  Literatur  reichen  Ausdruck  verlieh.  Aber  er  brachte 
ihm  keine  Befreiung,  er  kam  ihm  wohl  nur  in  den  wenigen 
glücklichen  Stunden,  in  denen  er  sich  frei  vom  ewigen  Drucke 
fühlte,  oder  er  mußte  ihn  mit  Gewalt  herbeirufen,  wenn  der 
Geschmack  der  Leser  oder  der  Kedakteure  „verständliche"  Er- 
zählungen im  Sinne  von  „Blackwood"  verlangte.  Poes  Humor 
bringt  auch  selten  zum  herzlichen  Lachen.  Er  quält,  ja  es  packt 
uns  oft  ein  Grauen,  wenn  wir  die  meist  rauhen  Spaße  lesen, 
und  wir  glauben  hinter  dem  zum  Lachen  verzerrten  Gesicht, 
wie  hinter  der  Larve  des  Harlekins,  das  wahre,  von  Gram  und 
Schmerz  entstellte  Antlitz  des  Dichters  zu  sehen. 

Hoffmann  war  schon  durch  seine  Abstammung  auf  die  gleiche 
Linie  mit  Poe  gestellt:  er  stammte  von  einer  hysterischen  Mutter, 
wie  Poe  von  degenerierten  Eltern.  Auch  die  Vorliebe  für  den 
Alkohol  wie  die  äußerste  Reizbarkeit  durch  dieses  Gift  scheint 
in  beiden  Dichtern  durch  Veranlagung  begründet  zu  sein.  Sie 
brauchten  beide  sehr  wenig  berauschende  Getränke  zu  sich  zu 
nehmen,  um  in  den  Zustand  erhöhter  Stimmung  zu  kommen. 
Aber  der  Zweck  und  die  Art  des  Sichberauschens  waren  ganz 
verschieden,  wenn  sich  auch  der  Erfolg  ähnelte.  Hoffmann 
machte  ein  Studium  daraus,  ja  er  sah  es  für  eine  Kunst  an, 
sich  mit  Absicht  in  den  Zustand  phantastischer  Erregung  zu 
setzen.  Und  die  Bilder  strömten  ihm,  wenn  er  nur  eine  halbe 
Flasche  Wein  getrunken  hatte,  in  Scharen  zu,  die  Gedanken 
kamen  in  blendender  Fülle  geschossen,  mit  einem  ganzen  Brillant- 
feuerwerk geistreicher  Einfälle  vermochte  er  den  Kreis  seiner 
Serapionsbrüder  zu  unterhalten.  Nach  solchen  Stunden  ergoß 
sich  dann  der  Strom  der  Gedanken,  lustiger  oder  ernster  und 


—     15     — 

l^'raiisiger  oder  barocker  Bilder  in  die  Form  von  Dichtungen. 
Fast  alle  seine  Werke  und  darunter  die,  die  dem  Hoffmann- 
Liebhaber  die  schönsten  dünken,  sind  so  entstanden. 

Poe  trank  ganz  anders.  Nicht  um  des  Genusses  willen, 
sondern  um  sich  zu  betäuben;  in  großen  Schlucken  goß  er  das 
Getränk  hinab,  wenn  er  seine  Anfälle  hatte.  Ihm  war  es  gleich- 
gültig, was  er  trank,  wenn  er  nur  trank.  Und  er  tat  es  nicht, 
um  seine  Phantasie  zu  steigern  —  die  war  reich  genug,  zu 
reich  meist,  um  in  Schranken  gehalten  zu  werden  — ,  auch  nicht, 
um  seine  Träumereien  und  Visionen  herbeizurufen  oder  zu  stärken. 
Das  war  ja  eben  die  harte  Strafe  jeder  Ausschreitung,  daß  die 
geliebten  Bilder,  in  denen  er  lebte,  quälenden  Angstvorstellungen 
Platz  machten  und  erst  nach  Wochen  allmählich  wiederkamen. 
Schwerlich  auch  trank  er,  wie  einer  seiner  Biographen  an- 
genommen hat,-^)  um  seine  stürmende  Einbildungskraft  zu  be- 
ruhigen oder  ganz  auszuschalten  und  seine  analj^tischen  Fähig- 
keiten dann  in  voller  Stärke  entfalten  zu  können.  Die  Annahme 
ist  aus  dem  gleichen  Grunde  unwahrscheinlich  wie  die,  Poe  habe 
durch  Stimulantien  seine  Phantasie  anzuregen  beabsichtigt.  Seine 
Begabung  für  die  Analyse,  die  er  so  oft  gezeigt  hat,  war  zu 
glänzend,  als  daß  sie  irgendeiner  Nachhilfe  bedurft  hätte.  Er 
trank  einfach,  als  ob  er  eine  Pflicht  erfüllte,  stumm  und  wider- 
strebend. Er  trank  ohne  Absicht,  unter  einem  unwiderstehlichen 
Zwange,  der  in  seiner  Natur  lag  und  von  dem  sich  zu  befreien 
sein  unablässiges  Ringen  und  sein  höchster  Wunsch  war.  Wenn 
^ber  doch  manchmal  eine  Absicht  vorlag,  so  war  es  die,  quälenden 
Erinnerungen  zu  entgehen.-^)  Der  Rausch  erfolgte  schon  nach 
sehr  kleinen  Mengen  Alkohol,  die  dem  Durchschnittsmenschen  nicht 
schaden.  „A  glass  made  him  tipsy.  As  to  his  being  a  habitual 
<lruncard,  he  never  was  so  long  as  I  knew  him",^^)  sagte  von 
ihm  eine  Dame,  die  ihn  von  seiner  Jugend  bis  zu  seinem  Ende 
kannte,  und  einer  seiner  Biographen  schrieb:  „With  a  Single 
glass  of  wine  his  whole  nature  was  reversed,  the  demon  became 
uppermost,  and,  though  none  of  the  usual  signs  of  intoxication 
were  visible,  his  will  was  palpably  insane".^^)  Er  selbst  gab  zu, 
daß  er  kein  Vergnügen  am  Trinken  habe:  „I  have  absolutely  no 
pleasure  in  the  stimulants  in  which  I  sometimes  so  madly 
indulge.  It  has  not  been  in  the  persuit  of  pleasure  that  I  have 
perilled  life  and  reputation  and  reason.  It  has  been  in  the 
desperate  attempt  to  escape  from  torturing  memories".^®)  Das 
waren  die  Trinksitten  Poes  nicht  nur  in  späteren  Jahren,  sondern 
:schon  in  seiner  Jugend.  Ein  Kamerad  Poes  auf  der  Universität 
Virginia,  Mr.  Tucker,  beschreibt  den  Hang  des  17jährigen  Jüng- 
lings zum  Alkohol  folgendermaßen:  „His  passion  for  streng  drinkr 


—  Io- 
was even  then  of  a  most  marked  and  peculiar  character.  He 
would  always  seize  the  tempting  glass,  generally  unmixed  with 
sugar  or  water  —  in  fact,  perfectly  straight  — .  and  without  the 
]east  apparent  pleasure,  swallowed  the  contents,  never  pausing 
until  the  last  drops  had  passed  his  lips.  One  glass  (the  seize 
is  not  stated)  at  a  time  was  all  that  he  could  take;  but  it  was 
sufficient  to  rouse  his  whole  nervous  nature  into  a  State  of 
strong  excitement,  which  found  vent  in  a  continuous  flow  of  wild, 
fascinating  talk  that  irresistibly  enchanted  every  listener  with 
siren-like  power".^^)  Die  unmittelbare  Folge  des  Alkohols  war 
also  bei  Poe  die  gleiche  wie  bei  Hoffmann:  starke  Erregung  der 
Phantasie.  Aber  bald  folgten  bei  Poe  heftige  Schmerzen,  denn 
sein  überempfindliches  Nervensystem  ließ  sich  nicht  ungestraft 
mißhandeln.  Die  dumpfen  Zustände  nach  den  Ausschreitungen 
waren  mit  körperlichen  und  seelischen  Qualen  erfüllt,  auch  von 
Erinnerungen  an  seine  Halluzinationen,  oft  so  seltsamen  und 
häßlichen,  daß  wir  beinahe  ratlos  vor  ihnen  stehen.  Sinnlose, 
literarisch  ganz  und  gar  wertlose,  nur  den  Arzt  interessierende 
Erzählungen,  wie  „The  Angel  of  the  Odd",  „Loss  of  Breath",. 
„Never  Bet  the  Devil  Your  Head",  und  einige  andere  Erzählungen 
dieser  Art  können  wir  uns  nur  in  solchen  Zeiten  entstanden 
denken.  —  Die  eigenen  Angaben  Poes  und  die  seiner  Bekannten 
über  die  Art  und  den  Grund  seiner  Neigung  zum  Trinken  wie 
der  Umstand,  daß  die  in  Eauschzuständen  geschriebenen  Werke 
ihren  Ursprung  deutlich  erkennen  lassen  und  auch  keineswegs 
verleugnen,  die  analytischen  Erzählungen  aber  nirgends  auf  die 
Einwirkung  des  Alkohols  hindeuten,  werden  genügen,  die  An- 
nahme, Poe  habe  zur  Steigerung  seiner  analytischen  Fähigkeiten 
getrunken,  unwahrscheinlich  zu  machen.  Denn  wo  er  einen 
krankhaften  Zustand  beschreibt,  scheut  er  sich  nie,  die  Ursache 
dazu  offen  anzugeben. 

Wie  Hoffmann  sich  durch  den  Alkohol  zugrunde  richtete, 
in  bewußter  Weise  sein  Leben  verkürzte  und  dessen  Inhalt  da- 
durch verdichtete,  so  ist  auch  Poes  früher  Tod  der  Einwirkung 
der  Berauschungsmittel  zuzuschreiben.  In  den  letzten  Jahren 
seines  Lebens  hatte  er  wiederholt  Anfälle  von  delirium  tremens 
gehabt,  deren  einem  er  auch  unterlag.  Sein  Widerstand  gegen 
den  Alkohol  hatte  sich  mehr  und  mehr  vermindert,  als  der  Tod 
seiner  Frau  ihm  den  letzten  Halt  im  Leben  geraubt  hatte. 

Tief  lasen  Hoffmann  und  Poe  in  ihrem  Innern  und  erkannten,, 
daß  in  ihnen  etwas  von  dem  lag,  was  die  Menschen  Wahnsinn  zu 
nennen  pflegten.  „Einiger  AVahnsinn",  sagt  Hoff  mann,  „einige 
Narrheit  ist  so  tief  in  der  menschlichen  Natur  bedingt,  daß  man 
diese  gar  nicht  besser  erkennen  kann  als  durch  sorgfältiges  Studium 


—     17     — 

des  Wahnsinnigen  und  Narren,  die  wir  gar  nicht  in  Tollhäusern 
aufsuchen  dürfen,  sondern  die  uns  täglich  in  den  Weg  laufen, 
ja  am  besten  durch  das  Studium  unseres  eignen  Ichs,  in  dem 
jener  Niederschlag  aus  dem  chemischen  Prozeß  des  Lebens 
genugsam  vorhanden". -^^i 

Poe  sagte,  daß  man  ihn  als  wahnsinnig  bezeichne,  und  gab 
auch  zu,  daß  man  ein  gewisses  Recht  dazu  habe.  Aber  was  sei 
Wahnsinn?  Müsse  man  nicht  den  schärfsten  Verstand,  alles 
Erhabene  und  Tiefe  so  nennen?"*)  Poe  suchte  gerade  in  seiner 
kranken  Veranlagung  seinen  Stolz,  die  im  Bunde  mit  seiner 
gewaltigen  Energie  es  ihm  möglich  machte,  das  Wort  des  Novalis 
zu  verwirklichen:  „Selbst  in  Seelenkrankheiten  kann  der  Mensch 
außerhalb  seiner  selbst  sein  und  beobachten  und  gegenexperi- 
mentieren. Es  ist  freilich  oft  sehr  schwer  —  den  sensibelsten 
am  schwersten  — ,  deren  Hang  überhaupt  lebhaft  und  schnell 
ist".^^)  Poe  hielt  wie  Hoff  mann  seine  Gewalt  über  das  dunkle 
Zwischenreich  zwischen  Leben  und  Tod,  seine  Kenntnis  des 
Grenzgebiets  des  Bewußten  und  des  Unbewußten  für  eine  Gabe, 
die  zu  besitzen  ein  Glück  sei.  „He  who  has  never  swooned" 
—  dies  sind  seine  Worte  —  „is  not  he  who  linds  stränge  palaces 
and  wildly  familiär  faces  in  coals  that  glow;  is  not  he  who 
beholds  floating  in  mid-air  the  sad  visions  thaj;  the  many  may 
not  view;  is  not  he  who  pouders  over  the  perfume  of  some  novel 
llower;  is  not  he  whose  brain  grows  bc wildered  with  the  meaning 
of  some  musical  cadence  which  has  never  before  arrested  his 
attention."*^«) 

Diese  wenigen,  aus  dem  Leben  und  Charakter  einiger 
Romantiker  hervorgehobenen  Züge  lassen  erkennen,  in  wie  hohem 
Maße  die  Persönlichkeit  Poes  romantisch  genannt  werden  kann. 
Es  handelt  sich  darum  bei  ihm  nicht  um  eine  bewußte  Ent- 
wicklung zu  einem  erstrebten  Ziel,  das  eben  die  romantische 
Dichtkunst  sein  würde.  Die  Neigung  zum  Romantischen  war 
vielmehr  in  Poe  begründet  und  brach  immer  wieder  durch.  Seine 
eigentlichen  Erzählungen  sind  romantisch.  Und  wenn  er  Werke 
anderer  Art,  wie  Abenteuer-,  Lügen-  oder  Detektivgeschichten, 
schrieb,  so  schimmert  doch  auch  in  diesen  oft  ein  romantischer 
Gedankengang  hervor.  Die  Denkart  und  Anschauungen  Poes 
im  ganzen  als  romantisch  zu  erweisen,  soll  nun  im  folgenden 
versucht  werden. 


18 


POES  DENKART  UND  ANSCHAU- 
UNGEN IN  ÜBEREINSTIMMUNG 
MIT  DER  DEUTSCHEN  ROMANTIK 

Man  könnte  sagen,  daß,  obwohl  viele  Erzählungen  Poes  in 
Stoff  und  Stil  durch  und  durch  romantisch  sind,  doch  die  Art,  wie 
er  sie  streng  nüchtern,  kalt  berechnend  ausarbeitete,  dem  roman- 
tischen Empfinden  und  Schaffen  gerade  entgegengesetzt  gewesen 
sei.  Man  hat  sich  gewöhnt  zu  meinen,  die  Romantiker  hätten 
sozusagen  unbewußt,  aus  ihrem  starken  Gefühl  allein  heraus, 
mit  möglichster  Ausschaltung  strenger  Planmäßigkeit  und  vorher- 
gehender Berechnung,  ihre  Werke  geschaffen.  Damit  erklärt 
man  das  Unbestimmte,  Zerfließende,  auch  Verworrene,  was  in 
der  Tat  vielen  ihrer  Schriften  ihre  Eigentümlichkeit  gibt.  Es 
mag  daran  manches  Wahre  sein,  wenn  man  gewissen  Vertretern 
der  romantischen  Schule,  vor  allem  den  Spätromantikern,  diesen 
Vorwurf  macht.  Es  ist  aber  zu  bedenken,  daß  sie  keine  rhetorischen 
Dichter  waren,  die  keine  neuen  Begriffe  in  die  Fesseln  der 
Sprache  zu  zwängen  haben  und  mit  ererbten  Mitteln  arbeiten 
können.  Sie  schufen  vielmehr  eine  ganz  andre  Welt,  im  Gegen- 
satz teilweise  zu  der  vorhandenen  klassischen :  die  AVeit  des  Un- 
bewußten, die  man  bisher  vernachlässigt  hatte.  Um  sie  deutlich 
zu  machen,  mußten  sie  neue  Mittel  finden,  die  Gefühlswelt  auch 
im  Leser  wachzurufen.  Daher  ihr  Stammeln,  ihr  Ringen  mit 
der  Sprache.  Sie  sagten  sich  nun  von  jeder  Regel,  die  Form 
und  den  Inhalt  betreffend,  los.  Ihr  erstes  Gesetz  war,  daß  die 
Willkür  des  Dichters  kein  Gesetz  über  sich  dulde.  Jeden  Gegen- 
stand dürfe  er  behandeln,  insofern  dieser  nur  etwas  Originales 
in  sich  habe;  die  romantische  Poesie  sei  schlechterdings  uni- 
versal. Und  wie  weit  die  Romantiker  die  Willkür  in  Form  und 
Inhalt  trieben,  zeigt  sehr  gut  Friedrich  Schlegels  Romanfragment 
„Lucinde". 

Diese  Ansichten  wurden  aber  keineswegs  von  allen  Roman- 
tikern geteilt.  Der  bedeutendste  unter  ihnen,  Hardenberg, 
sprach  es  aus,  daß  das  erste  Genie,  das  sich  selbst  durch- 
drang, hier  den  typischen  Keim  einer  unendlichen  Welt  ge- 
funden habe;  es  habe  eine  Entdeckung  gemacht,  welche  die 
merkwürdigste  sein  mußte,  denn  es  beginne  damit  eine  ganz 
neue  Epoche  der  Menschheit.    Er  hielt  also  das  blinde,  sich  selbst 


—     19     — 

nicht  bewußte  und  aus  dem  Innern  allein  fließende  Schaffen  für 
Unvollkommenheit.  Der  Verstand  müsse  das  Gefühl  durch- 
dringen, damit  ein  Vollkommenes  entstehe.  Das  Genie,  das 
bewußt  schaffe,  leiste  für  immer  das,  was  einem  unbewußt 
schaffenden  nur  in  Augenblicken,  und  nur  in  den  glücklichen, 
gelinge.  Verstand  und  Phantasie  müßten  unter  eine  Einheit  ge- 
bracht werden.  Er  sagt:  „Der  Sitz  der  eigentlichen  Kunst  ist 
lediglich  im  Verstände.  Dieser  konstruiert  nach  einem  eigen- 
tümlichen Begriffe.  Phantasie,  Witz  und  Urteilskraft  werden 
von  ihm  nur  requiriert  .  .  .'"^'I  und  weiterhin:  „Der  Verstand  ist 
der  Inbegriff  der  Talente.  Die  Vernunft  setzt,  die  Phantasie 
entwirft  —  der  Verstand  führt  aus  .  .  .  —  ",^^)  Worte,  die  auf 
Poes  Art  zu  dichten  buchstäblich  anzuwenden  sind.  Novalis 
brachte  also  zum  Subjektivismus  der  Romantiker  eine  unter 
ihnen  noch  nicht  bekannte,  neue  Gesetzmäßigkeit,  die  auch  die 
Regelmäßigkeit  zu  ihrem  Rechte  kommen  lassen  wollte.  So  kann 
es  nicht  wundernehmen,  daß  er,  der  sich  eifrig  mit  den  Wissen- 
schaften beschäftigte,  als  die  höchste  die  Mathematik  pries, 
womit  er  auf  dem  gleichen  Standpunkte  stand  wie  Poe. 

Das  Streben  der  Romantiker  ging  also  dahin,  das,  was 
unbewußt  im  Menschen  schlummerte,  ans  Tageslicht  zu  ziehen. 
,.Poesie  ist  Darstellung  des  Gemüts,  der  inneren  Welt  in  ihrer 
Gesamtheit." '^^)  Darum  beschäftigten  sie  sich  so  eifrig  mit 
den  Leidenschaften  und  Krankheiten  der  menschlichen  Seele 
und  wollten  sie  mit  ihrem  Wissen  erfassen.  In  diesem  Streben, 
das  stärkste  Nerven  erfordert,  gingen  sie  meist  zugrunde,  denn 
sie  waren  fast  alle  schwache  Menschen.  Mehr  als  einer  mußte 
seine  Lust,  den  quälenden  Zwiespalt  zwischen  Wollen  und 
Können  zu  überwinden,  mit  frühem  Tode  oder  langem  Wahn- 
sinn büßen.  Was  aber  keinem  unter  ihnen  gelang,  auch  nicht 
Novalis,  der  zu  früh  starb,  um  sein  Ziel  zu  erreichen:  die  Ver- 
einigung von  Fühlen  und  Wissen,  von  subjektivistischem  Künstler- 
tum  und  wissenschaftlicher  Phantasie,  das  vollbrachte  Edgar 
Allan  Poe,  den  man  in  dieser  Hinsicht  als  den  vollkommensten 
unter  den  Romantikern  bezeichnen  kann.  Seine  ganze  Ver- 
anlagung kam  ihm  darin  entgegen.  Er  besaß  eine  ungeheure 
Phantasie,  war  Visionär  und  hatte  die  seltene  Gabe,  kalt  sein 
eigenes  Inneres  beobachten  zu  können.  Er  sah  den  Wahnsinn, 
die  perversen  Ideen  und  die  Zwangsvorstellungen,  die  in  ihm 
wühlten,  zerlegte  ruhig,  wie  ein  Anatom  die  menschlichen 
Glieder,  die  Gefühle,  die  der  Alkohol,  das  Morphium  und  andere 
Berauschungsmittel  in  ihm  erregten,  und  spann  sie  mit  einer 
Einbildungskraft,  die  keine  Grenzen  kannte  und  vor  dem  Un- 
geheuren  nicht  zurückschreckte,   bis   zum   äußersten   aus.     Mit 


—     20     — 

diesen  Gaben  nun  verband  sich  ein  durchdringender  Verstand^ 
eine  seltene  Fähigkeit  zur  Analyse  und  ein  unfehlbarer  Blick 
für  die  künstlerische  Wirkung.  Wie  weit  ihn  auch  seine  Phan- 
tasie führte,  so  verlor  er  doch  nie  den  Überblick  über  das  Ganze. 
Selten  ließ  er  sich  zu  Unklarheiten  verleiten,  die  man  viel 
zahlreicher  erwartet,  denn  bei  allen  Geistesgestörten  gibt  es  ja 
einen  Punkt,  bis  zu  dem  sie  ihres  Verstandes  sicher  sind, 
jenseits  dessen  aber  alles  im  Nebel  verschwimmt.  Das  eben 
unterscheidet  ihn  von  allen  Roman tikeru,  daß  er  die  Fähigkeit 
besaß,  seinen  Willen  durchzuführen.  Sie  schufen  zwar  gute  Er- 
zählungsanfänge, aber  selten  eine  gleichwertige  Fortsetzung. 
Alles  zerflatterte  bei  ihnen  ins  Formlose,  wodurch  sie  bald 
ermüden  mußten.  Poe  ist  auch  in  seinen  phantastischsten  Er- 
zählungen nie  über  die  Grenzen  der  festen  Kunstform  hinaus- 
gegangen. 

Dies  ist  der  Punkt,  an  den  wir  den  Maßstab  der  künst- 
lerischen Wertschätzung  Poes  im  Vergleich  zu  den  Romantikei'n 
anlegen  können.  Sie  waren  assoziative  Denker  und  Dichter.  In 
Fülle  kamen  ihnen  die  Einfälle  und  Anregungen  geschossen, 
durch  die  sie  sich  aber  zu  oft  von  dem  festen  Gang  der  Er- 
zählung ablenken  ließen.  Wenn  auch  die  Abschweifungen  oft 
Schönes  bringen,  so  stören  sie  doch  den  regelmäßigen  Lauf  des 
Dichtwerkes,  verwirren,  ermüden  und  verderben  den  künstlerischen 
Gesamteindruck.  Poe  war  andrer  Natur.  Er  hatte  das  Ende 
der  Erzählung  fertig  im  Kopfe  und  ließ  es  nie  aus  dem  Auge. 
Jeder  Gedanke,  ja  jedes  einzelne  Wort  erscheint  darum  für  den 
Gesamteindruck  berechnet  und  war  es  auch.  Es  gibt  bei  ihm 
keinen  Stillstand  und  keine  Abschweifung.  Jeder  Satz  führt 
auf  dem  geradesten  Wege  dem  Ziele  näher,  der  Stoff  und  die 
Darstellung  des  Stoffes  stehen  in  vollkommener  Harmonie.  Mit 
anderen^  Worten:  Der  Stil  seiner  Werke  ist  vollendet.  Wir 
müssen  ihn  daher  als  einen  größeren  Künstler  als  einen  jeden  der 
Romantiker  ansehen,  ja  wir  dürften  ihn  einen  der  bedeutendsten 
überhaupt  nennen,  wenn  nicht  die  Idiosynkrasie  seines  Denkens 
dieses  Lob  einschränken  würde.  Seine  Veranlagung  zwang  ihn 
zur  Einseitigkeit.  Nur  den  kranken  Menschen  vermochte  er  zu 
schildern,  Grauen,  Nacht  und  Tod  waren  die  Gebiete,  in  denen 
er  herrschte.  Aber  „ein  Kunstwerk  mag  wohl  durch  Nacht  und 
Grauen  hindurchgehen,  soll  uns  aber  doch  schließlich  zum  Lichte 
führen,  denn  dazu  ist  der  Künstler  da,  daß  er  den  durch  Zweifel 
und  Ratlosigkeit  gemarterten  Menschen  die  verworrene  Er- 
scheinung deutend  löse".^«)  Diese  Forderung  hat  Poe  nicht  er- 
füllen können.  Er  ergriff  die  Menschen  und  führte  sie  in  die 
tiefsten  Schrecken  hineiu,   da  aber  verließ  er  sie.    Mochte  sich 


—     21     — 

ein  jeder  selbst  aus  der  Irre  herausfinden,  denn  Poe  brachte 
keine  Befreiung. 

Gemäß  ihrer  Hauptforderung:  Kunst  ist  Darstellung  de& 
Innenlebens,  mußten  die  Romantiker  es  verschmähen,  das 
Wunderbare,  das  ihren  Werken  stark  anhaftet,  von  außen,  alsa 
durch  abenteuerliche  Handlung,  in  die  Dichtung  zu  bringen. 
„Nach  innen  geht  der  geheimnisvolle  Weg.  In  uns  oder  nirgends 
ist  die  Ewigkeit  mit  ihren  Welten,  die  Vergangenheit  und  Zu- 
kunft."*^) In  Übereinstimmung  damit  verlegt  auch  Poe  das- 
Wunderbare  und  die  Erklärung  daftir  in  die  Tiefen  der  mensch- 
lichen Seele,  mit  ihren  unbewußten,  meist  auch  unbekannten 
Trieben  verknüpft  er  das  vom  Verstände  geleitete  Leben  und 
erzeugt  so  seltsame  Mißtöne.  Er  schildert  den  Streit  zwischen 
hysterischer  Willenlosigkeit  und  besserem  verstandesgemäßen 
AV ollen,  in  dem  die  krankhafte  Neigung  die  Überhand  gewinnt. 
Fixe  Ideen,  Grübelsucht,  Wahnsinn,  unmenschlicher  Rachedurst,, 
der  Befriedigung  noch  Jahre  nach  der  Beleidigung  sucht,  die 
Qualen  des  bösen  Gewissens  treiben  seine  Menschen  zu  selt- 
samen, oft  sinnlosen  Handlungen.  Tiefes  Versunkensein  in  sich 
selbst,  überreizte  Sinne,  die  für  Eindrücke  aus  andern  Welten 
empfänglich  zu  sein  scheinen,  unvergängliche  Liebe  entrücken 
ihn  der  Erde  und  führen  ihn  dahin,  wo  das  Wunderbare  zum 
Alltäglichen,  das  Alltägliche  zum  Wunderbaren  wird.  Diese 
seine  Grundmotive  finden  wir  bei  den  deutschen  Romantikern 
meist  schon  behandelt,  zum  mindesten  angeregt,  wie  später  im 
einzelnen  auseinandergesetzt  werden  wird. 

Im  allgemeinen  ist  das  Wunderbare  und  Entsetzenerregende 
bei  Poe  auf  die  gleichen  eigentümlichen  Erscheinungen  zurück- 
zuführen, auf  denen  es  auch  bei  den  Romantikern,  vor  allem 
bei  Hoff  mann,  beruhte:  die  Annahme  eines  allgemeinen  geistigen 
Prinzips,  das  auf  alle  Menschen  und  unter  ihnen  wirkt,  und  das 
Verschwimmen  der  Grenzen  zwischen  dem  Innenleben  des 
Menschen  und  der  äußeren  Welt.  AVie  viele  Romantiker,  um 
über  diese  Erscheinungen  Klarheit  zu  gewinnen,  mit  Vorliebe 
den  Traum,  den  Wahnsinn  und  den  tierischen  Magnetismus 
studierten,  so  hatte  auch  Poe  ein  tiefes  Interesse  für  diese 
Probleme.  Dazu  trat  noch  eine  tiefe  Sehnsucht,  die  Geheimnisse 
des  Todes  und  des  Grabes  kennen  zu  lernen,  die  ihm  aber  doch 
andrerseits  Entsetzen  einflößten.  Seitdem  er,  dem  die  Dunkel- 
heit Furcht  machte,  als  Knabe  lange  einsame  Nächte,  als  „sie 
traurig  und  kalt  waren,  als  die  Herbstregen  fielen  und  der  Wind 
klagend  über  den  Gräbern  weinte",*^)  an  dem  Grabe  seiner 
ersten  mütterlichen  Freundin,  Mrs.  Jane  Stith  Stannard,  zu- 
gebracht hatte,  seitdem   scheint  sich   ihm    die  Vorliebe  für  das 


—     22     — 

Grauen  und  die  Nacht  und  die  Nachtseiten  der  Seele  unaus- 
löschlich eingeprägt  zu  haben.  Er  schien  auf  Friedhöfen  zu 
leben  und  seine  Nahrung  aus  den  Gräbern  zu  saugen,  er  schien 
die  Toten  zwingen  zu  können,  ihm  Eede  zu  stehen  und  ihm 
ihre  Schmerzen  zu  klagen,  er  sah  die  Gräber  offen  und  die 
Leichen  im  phosphorischen  Lichte  schimmern  und  viele,  die  die 
Menschen  für  tot  gehalten  hatten,  in  fruchtlosem  Ringen  um 
ihr  Leben  kämpfen  und  hörte  ihr  ergreifendes  Wehegeschrei 
zum  Himmel  schallen.*^)  Sein  Leben  war  erfüllt  von  Träumen 
und  ekstatischen  Zuständen,  in  denen  er  die  höchsten  Wahrheiten 
offenbart  glaubte,  wie  in  Traumzuständen  viele  Romantiker  ihre 
Menschen  prophetische  Zukunftsblicke  tun  ließen.  Über  sein 
philosophisches  Werk  „Eureka",  das  nur  reinste  Wahrheit  ent- 
halten sollte,  schrieb  Poe:  „To  the  few  who  love  me  and  whom 
I  love  —  to  those  who  feel  rather  than  to  those  who  think  — 
to  the  dreamers  and  those  who  put  faith  in  dreams  as  in  the 
only  realities  —  I  offer  this  book  of  truths".  Denen,  die  bei 
Tage  träumten,  seien  viel  mehr  Dinge  bewußt  als  den  nüch- 
ternen Menschen,  die  nur  bei  Nacht  träumten.  „Thej"  who  dream 
by  day  are  cognisant  of  many  things  which  escape  those  who 
dream  only  by  night.  In  their  grey  visions  they  obtain  glimpses 
of  etcrnity,  and  thrill,  in  waking,  to  find  that  they  have  been 
upon  the  verge  of  the  great  secret.  In  snatches  they  learn 
something  of  the  wisdom  which  is  of  good,  and  more  of  the  mere 
knowledge  which  is  of  evil.  They  penetrate,  however  rudderless 
or  compassless,  into  the  vast  ocean  of  the  ,light  ineffable',  and 
again,  like  the  adventurers  of  the  great  Nubian  geographer", 
„agressi  sunt  mare  tenebrarum,  quid  in  eo  esset  exploraturi".**) 
Und  schließlich  kam  Poe  dahin,  daß  seine  Visionen  ihm  das  tat- 
sächliche Leben  bedeuteten,  während  die  Geschehnisse  des  wirk- 
lichen Lebens  wie  graue  Schemen  eindruckslos  an  ihm  vorüber- 
zogen. „The  realities  of  the  world  affected  me  as  visions, 
and  as  visions  only,  while  the  wild  ideas  of  the  land  of  dreams 
became,  in  turn,  not  the  material  of  my  every-day  existence, 
but  in  every  deed  that  existence  utterly  and  solely  in  itself."*'i 
Nur  einen  Schritt  noch  brauchte  Poe  weiterzugehen,  und  er  war 
am  reinen  Wahnsinn  angelangt,  dem  gleichen  Zustand,  den 
Hoff  mann  an  seinem  Einsiedler  Serapion  schildert,  der  „die  Er- 
kenntnis der  Duplizität"  verloren  hatte,  die  Unterscheidung  einer 
inneren  und  einer  äußern  Welt,  und  der  die  Ereignisse,  die  er 
nur  geträumt  hatte,  als  tatsächlich  annahm.  Poe  sehnte  sich 
nach  der  Zeit,  in  der  sein  ganzes  Leben  den  Träumen  gleichen 
würde^  die  ihm  auf  Erden  nur  wenige  Stunden  beschieden  waren, 
wie   Novalis,   der  das   Leben  im   Geiste  als  das  höchste  pries, 


—     23     — 

wenn  er  sagte:  „Die  Außenwelt  ist  die  Schattenwelt,  sie  wirft 
ihre  Schatten  in  das  Lichtreich.  Jetzt  scheint  es  uns  freilich 
innerlich  so  dunkel,  einsam,  gestaltlos,  aber  wie  ganz  anders 
wird  es  uns  dünken,  wenn  diese  Verfinsterung  vorbei  und  der 
Schattenkörper  hinweggerückt  ist.  Wir  werden  mehr  genießen 
als  je,  denn  unser  Geist  hat  entbehrt ".^^)  Auch  Tieck  ver- 
kündete öfter  das  Traumleben  als  das  wahre,  z.  B.  im  „William 
Lovell" :  „Die  Träume  sind  vielleicht  unsere  höchste  Philosophie, 
die  Schlüsse  der  Schwärmer  sind  für  uns  deswegen  vielleicht 
unverständlich  und  lückenvoll,  weil  wir  es  nicht  begreifen,  wie 
in  ihnen  Vernunft  und  Gefühl  vereinigt  ist...",'*')  oder  im 
„Phantasus"  :  „So  könnte  man  denn  wohl,  unterbrach  Theodor,  aus 
witziger  Willkür  mit  der  Wirklichkeit  wie  mit  Träumen  spielen 
und  die  Geburten  der  Dunkelheit  als  das  Rechte  und  Wahre 
anerkennen  wollen?  —  Tun  denn  so  viele  Menschen  etwas 
anderes?  fragte  Willibald.  —  Und  tun  sie  denn  so  unrecht 
daran?  antwortete  Ernst  mit  neuer  Frage". '*^) 

Man  erkennt,  in  wie  hohem  Maße  Poe  die  Eigenschaft,  sich 
vor  dem  tatsächlichen  Leben  ins  Innere  zurückzuziehen,  mit 
den  Romantikern  gemeinsam  war. 

Es  kann  nicht  anders  sein,  als  daß  die  Neigung,  in  Träumen 
zu  leben  und  Visionen  gegen  die  Wirklichkeiten  des  Lebens 
einzutauschen,  nur  in  ganz  besonderen  Charakteren  Platz  greifen 
wird.  Es  ist  eben  die  Eigentümlichkeit  des  Romantikers,  mit 
emporgehobenem  Blick  durch  die  Welt  zu  wandeln,  lustig  und 
heiter,  wie  Eichendorffs  fahrende  Schüler  und  Sänger,  oder 
trübe  und  selbstquälerisch,  wie  William  Lovell  oder  Abdallah. 
Der  romantische  Mensch  ist  zwiespältig,  zwei  Wesen  wohnen 
in  ihm.  Das  eine  strebt  nach  oben,  das  andere  klammert  sich 
an  der  Erde  fest.  Immer  suchen  sich  beide  zu  vereinigen  und 
kommen  doch  nie  zusammen.  Es  fehlt  ihnen  die  Kraft  des 
festen  Zusammenhalts.  Diese  Schwäche  war  der  Grund  der 
romaatischen  Sehnsucht  nach  einem  Unbestimmten,  nach  einer 
geträumten  Schönheit,  die  sie  in  weiter  Ferne  suchten,  in  heim- 
lichen Wäldern  oder  wilden  Gebirgen.  Sie  war  der  Grund,  daß 
sie  ruhelos  umher  wanderten  und  nirgends  heimisch  waren,  war 
auch  die  Ursache,  daß  sie  im  Genuß  keine  Befriedigung  fanden. 
Denn  im  Genuß  tauchte  vor  ihnen  das  Bild  einer  noch  höheren 
Schönheit  auf,  der  sie  nun  nachjagten.  Doch  nirgends  wurde 
ihre  Sehnsucht  gestillt.  Tieck  sagt:  „Im  vollen  Gefühle  meines 
Glücks,  auf  der  höchsten  Stufe  meiner  Begeisterung  ergreift 
mich  kalt  und  gewaltsam  eine  Nüchternheit,  eine  dunkle  Ahnung 
—  wie  soll  ich  es  dir  beschreiben  ?  —  wie  ein  feuchter  nüchterner 
Morgenwind  auf  der  Spitze  des  Berges  nach  einer  durchwachten 


—     24     — 

Nacht,  wie  das  Auffahren  nach  einem  schönen  Traume  in  einem 
engen  trüben  Zimmer".*^)  Sie  suchten,  um  der  Seelenqual  zu 
entgehen,  Befriedigung  im  Sinnenrausch,  ohne  sie  zu  finden. 
Nur  kurze  Zeit  machte  der  Wein  sie  ihre  Schmerzen  vergessen, 
sie  stießen  bald  die  Frauen  von  sich.  Ist  es  zu  verwundern, 
daß  mancher  dieser  reizbaren,  haltlosen  Menschen  sich  von  dem 
Zwiespalt  aufzehren  ließ  und  früh  zugrunde  ging?  Es  wurde 
auch  fast  keiner  unter  ihnen  alt,  und  die  wenigen,  die  länger 
als  50  Jahre  lebten,  waren  in  der  letzten  Zeit  ihres  Lebens 
ohne  Bedeutung  für  die  Dichtung.  Ihr  Schaffen  fiel  in  die 
Jugend,  in  die  Jahre  der  heißen  innerlichen  Kämpfe,  als  das 
Unbewußte  gegen  das  Bewußte,  der  Geist  gegen  die  Natur 
rang  und  der  Widerstreit  sie  oft  dem  Wahnsinn  nahe  brachte. 
Da  dem  Wahnsinnigen  aber  die  Schranken  gefallen  sind,  an 
denen  die  Eomantiker  vergebens  rüttelten,  so  fehlte  es  nicht  an 
Stimmen,  die  den  Wahnsinn  als  einen  höheren  Zustand,  als  die 
geistige  Gesundheit  ansahen.  Deutlich  geht  dies  aus  Tiecks 
Worten  hervor:  .  .  .  „Wenige  haben  den  raschen  frechen  Schritt 
vorwärts  getan,  mit  einem  lauten  Krach  zerspringen  die  Ketten 
hinter  ihnen,  sie  stürzen  unaufhaltsam  vorwärts,  sie  sind  dem 
Blicke  der  Sterblichen  entrückt.  Das  Geisterreich  tut  sich 
ihnen  auf,  sie  durchschauen  die  geheimen  Gesetze  der  Natur, 
ihr  Sinn  faßt  das  Ungedachte,  in  flammenden  Ozeanen  wühlt 
ihr  nimmermüder  Geist,  —  sie  stehen  jenseits  der  sterblichen 
Natur,  sie  sind  im  Menschengeschlechte  untergegangen,  —  sie 
sind  der  Gottheit  näher  gerückt,  sie  vergessen  die  Rückkehr  zur 
Erde  —  und  der  verschlossene  Sinn  brandmarkt  mit  kühner 
Willkür  ihre  Weisheit  Wahnsinn,  ihre  Entzückung  Raserei ..."  ''^) 
In  Poes  Charakter  sind  alle  die  eben  geschilderten  Züge 
vorhanden.  Er  lebte  in  Träumen,  losgelöst  von  der  Welt,  an 
die  er  doch  gefesselt  war  und  in  der  Reichtum  zu  gewinnen 
sein  glühender  Wunsch  war.  Sein  Inneres  war  zerrissen.  Voll 
Abscheu  kehrte  er  sich  von  seiner  Umgebung  ab  und  strebte 
dem  Bild  einer  hohen  Schönheit  nach.  Sie  allein  war  seine  heiße 
Liebe,  sie  betete  er  an  und  suchte  sie  überall.  Unstet  durch- 
wanderte er  die  Städte  der  Vereinigten  Staaten  und  verweilte 
nirgends  lange.  In  der  Nacht  trieb  es  ihn  von  seinem  Lager 
empor  und  ruhelos  und  einsam  streifte  er  umher.  Nirgends  aber 
fand  seine  Sehnsucht  Befriedigung.  Sein  von  Natur  aus  leicht 
erregbares  Gemüt  wurde  immer  reizbarer,  der  häufige  Genuß 
von  Stimulantien  brachte  ihn  dem  Wahnsinn  nahe.  Und  auch 
er  stellte  ernstlich  die  Behauptung  auf,  daß  Wahnsinn  kein 
untergeordneter  Zustand  sei.  Im  Gegenteil:  „Men  have  called 
me  mad,  but  the  question   is   not  yet  settled  whether  madness 


—     25     — 

is  or  is  not  the  loftiest  intelligence,  whether  much  that  is 
glorious,  whether  all  that  is  profound,  does  not  spring  froin 
disease  of  thought,  from  moods  of  mind  exalted  at  the  expense 
of  the  general  intellect".^^)  Allerdings  ist  dieser  Wahnsinn 
nicht  so  ganz  der,  den  die  Romantiker  beschrieben,  sondern 
nur  eine  Apotheose  der  Idiosynkrasie  von  Poes  Denken. 

Poe  wurde  auch  nicht  alt.  Im  Anfang  des  vierten  Jahr- 
zehnts seines  I^ebens  hatte  er  den  Höhepunkt  seines  dichteri- 
schen Könnens  erreicht.  Was  er  von  da  ab  schrieb,  waren 
meist  Kritiken.  Die  wenigen  Dichtwerke  aber,  die  1846 — 1849 
entstanden,  zeigen  einen  merklichen  Verfall  seiner  geistigen 
Fähigkeiten.  Sein  früher  Tod,  so  beklagenswert  er  auch  ist, 
hat  uns  vielleicht  doch  nicht  so  viel  geraubt,  als  man  oft  meint. 

Stark  beschäftigten  die  Romantiker  die  Wunder  des  Mes- 
merismus  oder  tierischen  Magnetismus.  Fast  alle  studierten 
diese  Erscheinung,  die  ihnen  zur  Erklärung  ihrer  Annahme  eines 
allgemeinen  geistigen  Prinzips  gute  Beweise  in  die  Hand  lieferte, 
und  Hoffmann  vor  allem  wurde  nicht  müde,  das  Thema  hin  und 
her  zu  wenden.  Auch  Poe  war  von  dem  Vorhandensein  eines 
psychischen  Prinzips  fest  überzeugt,  durch  das  alle  Menschen 
in  einer  großen  Verbindung  ständen  und  das  unabhängig  von 
Zeit  und  Raum  wirke.  Infolgedessen  erkannte  er  auch  das  Vor- 
handensein des  tierischen  Magnetismus,  oder  wie  man  damals 
oft  sagte,  Mesmerismus,  an,  ja  er  ging  mit  seinen  Folgerungen 
aus  diesem  Phänomen  viel  weiter  als  seine  Vorgänger. 

Die  Annahme  des  geistigen  Prinzips  stand  mit  der  Welt- 
anschauung der  Romantiker  im  Zusammenhang.  Die  W^elt,  so 
sagten  sie,  ist  ein  einziges  Ganzes,  durch  und  durch  mit  Leben 
erfüllt.  Jedes  Teilchen  ist  eine  Welt  im  kleinen  und  hat  die 
Eigenschaften  der  großen  Welt  im  entsprechenden  Maße  an 
sich.  Wenn  aber  alles  mit  Leben  erfüllt  ist,  so  muß  es  auch 
Beziehungen  zwischen  allem  geben,  zwischen  Organischem  und 
Anorganischem,  zwischen  der  Erde  und  ihren  Lebewesen  und 
zwischen  diesen  Lebewesen  selbst.  Zum  Beweise  dafür,  daß 
diese  Beziehungen  und  damit  die  Einheit  der  Welt  beständen, 
wurde  eben  der  tierische  Magnetismus  herangezogen,  der  die 
Beziehungen  zwischen  den  Teilen  der  Welt  am  deutlichsten 
zeigte.  Dem  gleichen  Zwecke  mußte  die  romantische  Ent- 
wicklungslehre dienen. 

Alles,  so  verkündeten  die  romantischen  Philosophen,  ist 
aus  dem  großen  Chaos  hervorgegangen,  in  das  Gott  den  Urkeim 
einer  jeden  Art  von  Lebewesen  in  ihrer  Vollkommenheit  gelegt 
hatte.  Das  höchste  Lebewesen  aber,  der  Mensch,  ist  noch 
keineswegs  auf  dem  Gipfel  der  Vollkommenheit  angelangt,   mit 


—     26     — 

der  ihn  Gott  begabte,  als  er  ihn  schuf.  Er  hat  im  Lauf  seiner 
Entwicklung  diese  Vollkommenheit  allmählich  eingebüßt,  und 
seine  Aufgabe  ist  es  nun,  sich  zu  dem  ursprünglichen,  höheren 
Zustand  wieder  emporzuarbeiten.  Es  wird  auch  zweifellos  eine 
Zeit  kommen,  wo  es  eine  noch  vollkommenere  Form  seiner  In- 
dividualität geben  wird,  den  Übermenschen,  der  vielleicht  mit 
vollkommen  veränderten  Sinneswerkzeugen  ausgerüstet  ist. 
Individualität  überhaupt  ist  das  Ziel  der  natürlichen  Entwick- 
lung jeder  Art.  Sie  ist  nun  die  Vereinigung  des  Geistes  mit 
der  Natur,  höchste  Individualität  also,  und  damit  Ziel  und  Be- 
stimmung der  Menschheit,  innigste  Durchdringung  des  Natür- 
lichen durch  das  Geistige  und  nie  Trennung  beider.  Auch 
der  Tod  kann  diese  nicht  herbeiführen.  Er  bewirkt  im  Gegen- 
teil einen  im  Leben  unerreichbaren  Zusammenschluß  von  Geist 
und  Natur.  Auch  der  Körper  ist  also  unsterblich.  Man  stellte 
sich  nun  die  Leibesgestalt  nach  dem  Tode  verschieden  vor, 
meist  so,  daß  die  Form  des  irdischen  Leibes  beibehalten  werde, 
doch  aus  unendlich  feinem  Stoff  bestehe.  Die  Sinne  werden 
bew^ahrt,  werden  aber  sehr  empfindlich  und  brauchen  nicht  an 
Organe  gebunden  zu  sein.  Es  kann  vielmehr  jeder  Körperteil 
AVerkzeug  der  Sinneswahrnehmung  sein,  was  man  auch  an 
Somnambulen  beobachtete.  Es  werden  uns  darum  im  jenseitigen 
Leben  viel  mehr  Dinge  offenbar  sein,  als  wir  jetzt  infolge  der 
beschränkten  Aufnahmefähigkeit  unserer  Sinne  wahrnehmen 
können,  unser  Bewußtsein  wird  also  gesteigert,  der  Wert  der 
Persönlichkeit  damit  erhöht  werden. 

Der  Glaube  an  die  Einheit  der  Welt,  die  also  von  den 
Romantikern  aus  dem  tierischen  Magnetismus  und  der  Ent- 
wicklungslehre bewiesen  wurde,  mußte  notwendigerweise  dahin 
führen,  den  Menschen  nicht  für  sich  allein,  als  bloßes  Individuum 
aufzufassen,  sondern  ihn  mit  seiner  irdischen  Umgebung,  ja 
schließlich  dem  ganzen  Weltall  in  Verbindung  zu  setzen,  das 
mit  seinen  Urelementen  noch  auf  jeden  einwirke.  Der  Mensch, 
der  sich  aus  dem  Bewußtsein  allein  erklären  läßt,  ist  kein 
romantischer  Mensch.  Fremde,  überirdische  Einflüsse  müssen 
ebenso  oder  noch  mehr  in  einem  jeden  tätig  sein  als  der  Ver- 
stand. Er  ist  dem  Klima,  dem  Einflüsse  der  Elemente  und 
Gestirne  unterworfen.  Und  in  der  Tat  beobachtete  man  Menschen 
mit  der  Fähigkeit,  gewisse  Metalle  und  das  Wasser  zu  fühlen, 
wie  es  übrigens  noch  heute  Rutengänger  geben  soll.  Man 
stellte  ein  Einwirken  mancher  Bäume  und  Pflanzen,  des  Mondes 
und  des  Sternhimmels  fest,  nicht  nur  auf  die  Sinne,  sondern  vor 
allem  auf  die  seelischen  Empfindungen,  die  Stimmung.  Endlich 
wies  man  auf  deutliche  Beziehungen  zwischen  Tier  und  Mensch 


—     27     — 

und  den  Menschen  selbst  hin.  Wenn  aber  die  g-esamte  Natur 
mit  dem  Innern  des  Menschen  in  Verbindung-  steht,  warum 
nicht  auch  die  Toten,  deren  Weiterleben  nach  dem  irdischen 
Tode  von  den  meisten  Romantikern  angenommen  wurde !  Nicht 
wenige  unter  ihnen  hielten  in  der  Tat  eine  Einwirkung-  Ab- 
geschiedener auf  den  lebenden  Menschen  für  denkbar. 

Poes  Anschauungen  von  der  Welt  und  dem  Menschen  waren 
ähnlich.  Ihm  stand  es  fest,  daß  die  Welt  aus  einer  Ureinheit 
entstanden  sei.  Das  Chaos  habe  sich  in  unendlich  viele  Welten 
im  kleinen  gespalten,  die  aber  wie  die  Urwelt  mit  Leben  durch- 
drungen seien  und  das  Gefühl  ihrer  Zusammengehörigkeit  nie 
verloren  hätten.  Ein  unendlich  feiner,  alles  durchdringender 
Stoff,  der  Weltäther,  halte  sie  in  ununterbrochener  Verbindung. 
Das  Leben  sei  keineswegs  auf  die  Tier-  und  Pflanzenwelt  be- 
schränkt. AVir  irrten,  wenn  wir  in  törichter  Selbstüberschätzung 
annähmen,  daß  der  Mensch  für  sich  allein  dastehe  und  in  seiner 
zeitlichen  und  zukünftigen  Entwicklungsform  eine  größere 
Wichtigkeit  im  Weltall  habe  als  die  Ackerkrume,  der  wir  die 
Seele  aus  einem  sehr  wenig  tiefen  Grunde  absprächen:  weil 
wir  das  Gesetz  ihres  Seins  und  dessen  lebendige  Wirkung  nicht 
sähen.  Er  läßt  daher  die  lebende  mit  der  scheinbar  toten 
Natur  in  Verbindung  treten.  In  einer  Erzählung'-)  verknüpft 
er  die  grauen  Steine  eines  Hauses  mit  dem  Schicksal  der  Familie, 
die  es  bewohnt,  und  läßt  sie  ein  Leben  für  sich  führen.  Er 
fühlt  sich  eins  mit  der  ihn  umgebenden  Natur.  So  empfindet 
er  Unruhe  und  Schmerz  bei  der  Betrachtung  ihm  nicht  zu- 
sagender Gegenden.  Er  sagt:  „Grandeur  in  any  of  its  moods, 
but  especially  in  that  of  extent,  startles,  excites  —  and  then 
fatigues,  depresses.  For  the  occasional  scene  nothing  can  be 
better  —  for  the  con staut  view  nothing  worse.  And,  in  the 
constant  view,  the  most  objectionable  phase  of  grandeur  is  that 
of  extent ;  the  worst  phase  of  extent  that  of  distance.  It  is  at 
war  with  the  sentiment  and  with  the  sense  of  seclusion  — 
the  sentiment  and  sense  which  we  seek  to  humour  in  ,retiring 
to  the  country'.  In  looking  from  the  summit  of  a  mountain 
we  cannot  help  feeling  abroad  in  the  world.  The  heart-sick 
avoid  distant  prospects  as  a  pestilence".^^)  Für  Poe  ist  also 
die  Landschaft  nichts  als  ein  Spiegel  für  das  Gefühl  und  die 
Sinnlichkeit.  Darin,  vor  allem  in  der  Eigentümlichkeit,  beim 
Betrachten  großer,  offener  Flächen  Schmerz  zu  empfinden,  zeigt 
sich  Poe  in  besonders  enger  Übereinstimmung  mit  Clemens 
Brentano,  der  von  sich  sagte:  „Kordelia  war  innig  an  mich  ge- 
fesselt und  glücklich,  da  ich  noch  unfähiger  meine  Glut  in 
unbestimmte  Sehnsucht  ergoß,  und  doch  wendete  ich  mich  schon 

3 


—     28     — 

leise  zur  Sinnlichkeit  und  konnte  keine  weite  Aussicht  ertragen . . ." 
oder:  „So  wie  ich  geschlossene  heimliche  Gegenden  liebte,  so 
war  CS  ihr  höchstes  Entzücken,  von  Bergen  oder  Türmen  weit 
hinauszusehen".^*) 

Wenn  je  eine  Landschaft  auf  Poe  wirkte,  so  war  es  die 
ernste,  düstere  Landschaft,  nicht  die  heitere,  vom  Sonnenlicht 
überstrahlte.  „I  love  indeed,  to  regard  the  dark  Valleys,  and 
the  great  rocks,  and  the  waters  that  silently  smile,  and  the 
forests  that  sigh  in  uneasy  slumbers,  —  and  the  proud  watch- 
ful  mountains  that  look  down  upon,  —  all  I  love  to  regard 
these  as  themselves  but  the  colossal  members  of  one  vast 
a n i m a t e  and  sentient  whole  —  a  whole  whose  form  (that 
of  a  sphere)  is  the  most  perfect  and  most  inclusive  of  all; 
whose  path  is  among  associate  planets;  whose  meek  hand- 
maiden  is  the  moon;  whose  mediate  sovereign  is  the  sun; 
whose  life  is  eternity;  whose  thought  is  that  of  a  god; 
whose  enjoyment  is  knowledge;  whose  destinies  are  lost  in 
immensity;  whose  cognisance  of  ourselves  is  akin  with 
our  own  cognisance  of  the  animalculae  which  infest  the  braiu, 
a  being  which  we  regard  in  consequence  as  purely  inanimate 
and  material,  much  in  the  same  manner  as  these  animalculae 
must  regard  us."'^^)  Poe  ging  also  unbedenklich  so  weit,  der 
landschaftlichen  Umgebung  und  damit  der  Welt  ein  gewisses 
Gefühl,  sogar  persönliches  Empfinden  und  das  Vermögen,  den 
Menschen  zu  erkennen,  zuzuschreiben.  Er  folgt  darin  den 
Spuren  Tiecks,  Hoffmanns,  Brentanos,  Novalis'  und  anderer 
Romantiker.  Novalis  hat  den  Gedanken  sehr  deutlich  aus- 
gesprochen: „Besondere  Art  von  Seelen  und  Geistern,  die  Bäume, 
Landschaften,  Steine,  Gemälde  bewohnen.  Eine  Landschaft 
muß  man  als  Dryade  und  Oreade  ansehen.  Eine  Landschaft 
soll  man  fühlen  wie  einen  Körper.  Jede  Landschaft  ist  ein 
idealischer  Körper  für  eine  besondere  Art  des  Geistes  ..."  ^^) 
oder:  „Die  Natur  ist  eine  Äolsharfe,  sie  ist  ein  musikalisches 
Instrument,  dessen  Töne  wie  die  Tasten  höherer  Saiten  in  uns 
sind".") 

Es  war  weiterhin  die  See,  die  tiefen  Eindruck  auf  Poe 
machte.  Wind  und  Wellen,  das  Meer  in  ruhiger  Pracht  und 
schäumender  Wut  und  das  AVasser  in  seinen  tausendfachen 
Farbentönen  hat  keiner  besser  zu  malen  verstanden  als  er. 
Das  Wasser  und  der  Wind  auch  waren  für  ihn  mit  Leben  erfüllt. 
Im  Windhauch  lebten  für  ihn  Geister  der  Toten;  er  brachte 
ihm  Töne  und  Düfte  aus  einer  anderen  Welt.  Aus  dem  Meeres- 
schaum aber  schuf  er  sich  seine  zarten,  durchsichtigen  Frauen- 
gestalten,   die  unter   den   zugreifenden  Händen  in   ein  Nichts 


—     29     — 

zerstieben.  Poe  schrieb  auch  eine  kleine  Abhandlung:  „Essay 
on  Furniture*',  in  der  er  —  außer  einem  erlesenen  Geschmack  — 
sein  Verständnis  dafür  bekundete,  daß  zwischen  dem  Wesen 
des  Menschen  und  der  Art,  wie  er  seine  Wohnung  einrichtet, 
ein  inniger  Zusammenhang  besteht  und  daß  die  nächste  Um- 
gebung des  Menschen,  wie  Möbel,  Teppiche,  das  Licht,  wiederum 
bestimmend  auf  ihn  einwirkt. 

In  gleich  naher  Verbindung  wie  mit  seiner  toten  oder 
richtiger  scheinbar  toten  Umgebung  stand  er  mit  den  Lebe- 
wesen. Als  der  scheue  und  empfindsame,  verwaiste  Knabe  ver- 
gebens Liebe  bei  seinen  Pflegeeltern  und  Kameraden  suchte, 
flüchtete  er  zu  den  Tieren,  die  er  liebte  und  pflegte  und  die 
die  Spielgenossen  seiner  frühen  Kindheit  wurden.  In  der  Er- 
zählung ,.Arthur  Gordon  Pym"  beschreibt  er  die  Liebe  zwischen 
dem  schiffbrüchigen  Knaben  und  seinem  treuen  Hunde,  in 
,.The  Black  Cat"  seine  Zuneigung  zu  Hunden  und  Katzen.  Da 
sagt  er  das  schöne  Wort:  „Es  liegt  etwas  in  der  aufopfernden 
und  selbstlosen  Liebe  eines  Tieres,  das  unmittelbar  zum  Herzen 
dessen  spricht,  der  oft  Gelegenheit  hat,  die  Armseligkeit  und 
Unbeständigkeit  der  Menschen  in  Treue  und  Freundschaft  zu 
erproben". ^^)  Freunde  Poes  haben  bezeugt,  daß  er  eine  un- 
gemeine Zuneigung  zu  zarten  Wesen,  wie  Blumen  und  Vögeln, 
gehabt  hat,  und  wie  die  Romantiker  die  Seele  des  Tieres  in 
seinem  Auge  sahen  und  ihnen  eine  unbekannte,  dem  Menschen 
verlorene  Welt  daraus  entgegenstrahlte,  wie  sie  im  Blick  des 
gequälten  oder  sterbenden  Tieres  Vorwürfe,  Liebe  und  Haß, 
Fragen,  überhaupt  tiefere,  menschenähnliche  Empfindungen  zu 
lesen  glaubten,  so  war  auch  Poe  für  das  Ursprüngliche  und 
zum  Herzen  Sprechende  im  Auge  des  Tieres  empfänglich.  In 
„Metzengerstein"  sagt  er:  „The  young  Metzengerstein  turned 
pale  and  shrank  away  from  the  rapid  and  searching  expression 
of  his  (sc.  the  horse's)  earnest  and  human-looking  eye".^^)  Es 
ist  demnach  verständlich,  daß  die  Menschen,  die  Poe  schildert, 
aus  dem  Bewußtsein  allein  nicht  zu  erklären  sind.  Sie  alle 
stehen  unter  dem  Einfluß  fremder  Mächte,  gute  und  böse  Dämonen 
streiten  in  ihnen  um  die  Herrschaft,  Dämonen,  die  in  der  Seele 
anderer  Menschen  wohnen,  die  aber  auch  nicht  von  dieser  Welt 
zu  sein  brauchen,  die  auf  anderen  Planeten  wohnen  und  von  da 
aus  uns  zum  Guten  oder  zum  Bösen  lenken  können.  Darum 
kann  kein  Mensch  sich  ganz  kennen  lernen,  wie  auch  Poe  in 
seinem  Wesen  nie  recht  zu  Hause  war,  in  dem  nur  immer  die 
Leidenschaften  stritten,  die  sein  Verstand  niemals  ganz  über- 
wältigen konnte.  Denn  das  Weltall,  das  uns  umfasse  und  mit 
jedem  Atom  auf  uns  einwirke,  sei  viel  zu  gewaltig,  als  daß  ein 

3* 


—     30    — 

Hensch  es  in  seiner  Größe  erfassen  könnte.  Er  wäre  dann  Gott. 
Es  müsse  aber  unser  höchstes  Streben  sein,  diesem  Ziele  ent- 
gegenzueilen. Wir  müßten  uns  nicht  als  Individuen,  auch  nicht 
nur  als  Bürger  der  Erde,  sondern  als  Bewohner  des  Weitalls 
ansehen:  „An  infinity  of  error  makes  its  way  into  our  philo- 
sophy  through  Man's  habit  of  considering  himself  a  Citizen  of  a 
World  solely  —  of  an  individual  planet  —  instead  of  at  least 
occasionally  contemplating  his  position  as  cosmopolite  proper  — 
as  a  denizen  of  a  universe".^^) 

Da  nun  Poe  weiterhin  das  irdische  Leben  nur  als  Vorstufe 
eines  schöneren  Daseins  nach  dem  Tode  ansah  und  da  er  an 
eine  Art  fleischlicher  Auferstehung  glaubte,  so  war  für  ihn  die 
Möglichkeit  gegeben,  daß  die,  die  die  Erde  verlassen  hätten, 
mit  den  Lebenden  noch  in  Verbindung  stehen  könnten,  wenn  sie 
auch  nicht  ein  jeder  höre  und  sehe.  Er  verwendet  demgemäß 
das  Motiv  der  Geistererscheinung  in  seinen  Erzählungen  und 
benutzt  es  geschickt  zur  Erzeugung  des  Entsetzens.  Aber  er 
tut  dies  in  viel  bescheidenerer  und  feinerer  Weise  als  die  Mehr- 
zahl der  Romantiker,  die  oft  Erscheinungen  auftreten  ließen, 
um  ein  Verbrechen  zu  rächen  oder  bei  denen  Tote  wegen  einer 
ungesühnten  Freveltat  keine  Ruhe  finden  konnten.  Poe  blieb 
mit  den  Toten,  die  er  geliebt  hatte,  in  steter  Verbindung. 
Wenn  seine  Träume  ihn  dem  Irdischen  entrückt  hatten,  dann 
hörte  er  im  Wehen  des  Windes  die  Seufzer  seiner  Leonora,. 
Ströme  heiligen  Duftes  fluteten  über  ihn  hin.  Er  sah  die 
wesenlosen  Schatten  an  sich  vorübergleiten,  hörte  ihren  leisen 
Tritt  und  fühlte  ihren  geisterhaften  Kuß  auf  seinen  Lippen,  wie 
Novalis,  der  am  Grabe  seiner  Sophie  Visionen  von  ihr  hatte 
und  mit  ihr  Zwiesprache  hielt,  wie  Achim  von  Arnim,  der  in 
den  „Gleichen"  sagt: 

„Wer  zweifelt  noch,  daß  Seelen  der  Verstorbnen 
Aus  Grabestiefen  können  wiederkehren, 
Um  ein  geliebt  Geheimnis  zu  enthüllen?"  ^^^j 

wie  Hoff  mann  in  gewisser  Beziehung,  der  in  der  Auf- 
regung seiner  Phantasie  die  Geister,  die  er  beschworen  hatte, 
wirklich  sah,  ihrer  nicht  Herr  zu  werden  vermochte  und  gegen 
ihren  Andrang  zu  Hülfe  rief,  wie  schließlich  Tieck,  Kleist,  die 
Mehrzahl  der  Romantiker  überhaupt. 

Die  Ansichten,  die  Poe  von  dem  Zustande  nach  dem  Tode 
äußerte,  verraten  unverkennbar  den  Einfluß  romantischer 
Philosophen,  Schellings  insbesondere.  In  verschiedenen  Ge- 
sprächen,^2)  ^ijg  j^^^  kämm  Novellen  nennen  kann,  tritt  folgen- 
des zutage: 


—    31    — 

Der  Tod  selbst  ist  ein  Punkt,  über  den  wir  keinesweg-s 
im  klaren  sind.  Die  Grenzlinien,  die  das  Leben  vom  Tode 
trennen,  sind  bestenfalls  schattenhaft  und  unbestimmt.  Wer 
könnte  sagen,  wo  das  eine  aufhöre  und  das  andere  beginne? 
Wenn  aber  das,  was  wir  Tod  nennen,  eingetreten  ist,  so  ist 
unserm  Sein  damit  kein  Ende  gesetzt,  auch  nicht  unsrer  Ent- 
wicklung. Zunächst  beginnt  eine  außerordentlich  rege  Sinneu- 
tätigkeit,  wobei  die  Wahrnehmung  immer  noch  auf  die  gewöhn- 
lichen Sinneswerkzeuge  beschränkt  ist.  Die  Romantiker  waren 
auf  die  Annahme  gekommen,  daß  die  Sinnesorgane  verschärft 
und  außerdem  so  erweitert  würden,  daß  schließlich  der  ganze 
Körper  für  Reize  empfänglich  würde.  Man  könnte  also  mit 
dem  ganzen  Körper  sehen,  hören,  riechen  und  fühlen.  Poe 
ging  nicht  so  weit,  ließ  dafür  aber  die  Endwirkungen  der 
Sinnenreize  ineinander  verschwimmen.  Durch  die  geschlosseneu 
Augenlider  dringen  ungehemmt  die  Ströme  der  Lichtstrahlen, 
bringen  aber  die  Wirkung  von  Tönen  hervor,  die  angenehm  oder 
häßlich  klingen,  je  nach  dem  Aussehen  oder  der  Gestalt  des 
Gegenstandes,  auf  den  das  Licht  fällt,  ob  er  hell  oder  dunkel, 
gekrümmt  oder  eckig  ist.  Töne  werden  gehört,  wie  sie  der 
Mensch  auch  hört,  doch  schärfer;  das  Gefühl  aber  verändert 
sich.  Es  ist  trag  und  langsam  in  der  Aufnahme  des  Reizes, 
bewahrt  diesen  aber  lange  Zeit  und  empfindet  ihn  als  körper- 
lich wohltuend.  Alle  Empfindungen  sind  rein  sinnlich.  Das 
Gehirn  arbeitet  die  erhaltenen  Eindrücke  nicht  mehr  zu  Vor- 
stellungen um.  Schmerz-  und  Lustgefühl  sind  noch  vorhanden, 
doch  nicht  in  moralischer  Hinsicht.  Das  Klagen  und  Schluchzen 
am  Sarge  empfindet  der  Tote  als  getragene,  schwermütige 
Melodien,  die  über  ihn  strömenden  Tränen  durchbeben  jede 
Fiber  des  Körpers  mit  Lustgefühl,  die  Nacht  wirkt  auf  ihn 
wie  eine  in  weiter  Ferne  tobende  Brandung.  Allmählich  aber 
steigt  ein  neuer  Sinn  in  ihm  auf:  das  Gefühl  der  Dauer,  der 
abstrakte  Sinn  für  Zeit,  ein  geistiges  pendelndes  Pulsleren,  das 
in  absoluter  Gleichmäßigkeit  erfolgt.  Die  übrigen  Sinne  aber 
beginnen  langsam  abzusterben,  bis  das  Eintreten  der  Verwesung 
ihrer  Tätigkeit  ein  Ende  setzt,  doch  noch  immer  kein  voll- 
ständiges. Solange  der  Wurm  noch  Nahrung  findet,  ist  noch  ein 
matter  Abglanz  des  früheren  sinnlichen  Empfindens  vorhanden, 
neben  dem  vorherrschenden  Bewußtsein  des  Daseins,  das  aber 
auch  langsam  schwindet.  Dann  treten  an  seine  Stelle  auf  ewig 
die  Autokraten  Raum  und  Zeit  (Place  and  Time).  Doch  ist  dieses 
höchste  Dasein  nicht  immateriell.  Poe  scheint  sich  unter  den 
Unsterblichen  Wesen  vorgestellt  zu  haben  mit  noch  immer 
menschlicher  Sinneswahrnehmung.     Im    Weltenraum    schweben 


—     32    — 

sie  umher,  dessen  Unendlichkeit  nur  den  Zweck  habe,  stets 
neue,  nie  versiegende  Quellen  zu  eröffnen,  an  denen  die  Seele 
ihren  Durst  nach  Erkenntnis  löschen  könnte,  der  unstillbar  sei 
und  den  zu  befriedigen  ihr  Tod  sein  würde.  In  der  Ewigkeit 
werden  auch  die  wieder  vereint,  die  der  Tod  auf  der  Erde 
voneinander  gerissen  hatte  und  die  sich  in  der  Grabesstarre 
nacheinander  gesehnt  hatten,  die  Harmonie  der  Sphären  umgibt 
auf  ewig  die  Glücklichen. 

Die  Ähnlichkeit  dieser  Anschauungen  mit  denen  der  Roman- 
tiker: Das  Bewußtsein  nach  dem  Tode  wird  erhöht,  das  Indi- 
viduum durch  Loslösen  vom  Irdischen,  Zufälligen  einer  höheren 
Erkenntnis  entgegengeführt,  womit  eine  Weiterentwicklung  nach 
dem  Tode  zugegeben  ist  —  ist  deutlich. 

Aber  sollten  diese  Darlegungen,  die  zum  Teil  doch  ziemlich 
unwahrscheinlich  anmuten,  wirklich  ernstlich  aufgefaßt  werden 
oder  müssen  wir  auch  die  „prose-poems"  als  „hoaxes"  auf- 
fassen? Die  Täuschung  wäre  dann  allerdings  in  diesen  Er- 
zählungen vollkommen,  deren  Worte  erhaben,  in  eintöniger 
Pracht  dahinrauschen,  in  Stil  und  Form  an  biblische  Offenbarungen 
erinnernd.  Die  Gedanken  sind  ernst  und  würdig,  von  allem  Ir- 
dischen abgelenkt  und  in  die  Betrachtung  des  Ewigen  allein 
versunken.  Doch  erscheint  mir  das  gewiß,  daß  die  Neigung  zur 
Täuschung,  zum  „hoax",  eine  viel  größere  Rolle  in  Poes  Leben 
und  Werk  gespielt  hat,  als  allgemein  angenommen  wird,  und  daß 
manches,  was  man  sich  nicht  zu  erklären  weiß,  ein  Ausfluß 
dieser  Eigenschaft  ist. 

Und  dann  ist  noch  ein  Umstand  zu  beachten:  Die  sinkende 
Nacht  bringt  auf  den  Toten  das  Gefühl  eines  schweren  Ge- 
wichts hervor  und  verstärkt  einen  klagenden  Ton,  der  schon 
den  ganzen  Tag  hörbar  war  und  dem  Widerhall  einer  fernen 
Brandung  gleicht.^^)  Das  Rauschen  von  Wassern  ist  aber  ein 
typisches  Merkmal  epileptischer  Anfälle.  Poe  könnte  also  Er- 
innerungen aus  einem  Krankheitsanfall  mit  wirklichen  An- 
schauungen vereint  haben.  Doch  da  eine  genaue  Ausscheidung 
des  Krankhaften  aus  Poes  Werken  noch  nicht  unternommen 
worden  ist,  haben  wir  vorläufig  noch  die  Erzählungen  so,  wie 
sie  vorliegen,  anzusehen. 

Auch  eine  Art  Entwicklungslehre  finden  wir  bei  Poe,  die 
sich  freilich  von  der  der  Romantiker  trennt;  aber  so  wie  diese 
aus  ihrer  Entwicklungslehre  und  aus  dem  den  Menschen  inne- 
wohnenden Drang  nach  Vervollkommnung  zur  Annahme  des 
Übermenschen  gelangt  waren,  so  kam  Poe  auf  seinem  Wege 
zum  selben  Ziel.  Er  stellte  sich  vor,  die  genealogischen  Um- 
wälzungen auf  der  Erde  und  damit  die  Entwicklung-  der  Lebe- 


—     33     — 

weit  seien  durch  das  Entstehen  der  Planeten  bewirkt  worden. 
Der  Sonnenball,  sich  verdichtend,  habe  auf  seiner  Oberfläche 
eine  sich  allmählich  verdickende  Kruste  gebildet,  diese  aber 
dann  abgestoßen.  Die  fortgeschleuderten  Massen  hätten  sich  zu 
einem  Planeten  zusammengeballt,  die  neuauflodernde  Glut  der 
Sonne  aber  hätte  tief  auf  die  Natur  der  Planeten,  also  auch  der 
Erde,  gewirkt  und  gewaltige  Umwälzungen  geschaffen.  Die 
gesamte  Lebewelt  der  einen  Epoche  sei  vernichtet  worden.  Aus 
ihren  Trümmern  aber  sei,  wie  der  Phönix  aus  der  Asche,  eine 
neue  höhere  Generation  entstanden.  Und  nun  führt  ihn  seine 
Phantasie  fort  ins  Unendliche.  Könnte  nicht,  sagt  er,  dieselbe 
Erscheinung  noch  einmal  oder  mehrere  Male  eintreten?  Könnte 
nicht  die  Sonne  einen  neuen  Weltkörper  von  sich  schleudern, 
daß  alles,  was  jetzt  auf  der  Erde  lebe,  der  Vernichtung  anheim- 
falle, dann  aber,  im  Feuer  geläutert,  zu  neuem  Leben  auf  höherer 
und  schließlich  höchster  Entwicklungsstufe  erwache?  Dann 
könne  es  einen  Menschen  geben,  der  so  hoch  über  dem  jetzigen 
stehe,  wie  dieser  zurzeit  über  der  Tierwelt,  einen  Menschen 
mit  ganz  neuen  körperlichen  Organen  und  weit  höherer  Gewalt 
des  Geistes.  Es  ist  dies  der  Übermensch  der  Romantiker  in 
seinem  Wesen,  freilich  durch  einen  ganz  andern  Gedankengang 
erschlossen,  einen  Gedankengang,  der  aber  von  der  Wissenschaft 
schon  abgelehnt  war,  noch  ehe  ihn  Poe  äußerte.  Er  hätte  aber 
auf  gleichem  oder  ähnlichem  Wege  wie  die  Romantiker  zu 
diesem  Ergebnis  kommen  können.  Denn  auch  er  war  überzeugt, 
daß  es  vor  langer  Zeit  einen  Zustand  gegeben  habe,  wo  die 
Menschen  inniger  mit  der  Natur  lebten  als  jetzt  und  wo  sie 
vollkommen  glücklich  waren.  Die  Dichter  aber  hätten  dies 
allein  erkannt  und  sehnten  sich  in  dieses  Paradies  zurück.  „And 
these  men  —  the  poets  —  living  and  perishing  amid  the  scorn 
of  the  utilitarians  —  of  rough  pedants,  who  arrogated  to  themselves 
a  title  which  could  have  been  properly  applied  only  to  the 
scorned  —  these  men,  the  poets,  pondered  piningly,  yet  not 
unwisely,  upon  the  ancient  days  when  our  wants  were  not  more 
simple  than  our  enjoyments  were  keen  —  days  when  mii-th  was  a 
Word  unknown,  so  solemnly  deep-toned  was  happiness  —  holy, 
august  and  blissful  days,  when  blue  rivers  ran  undamned,  between 
hills  unhewn,  into  far  forest  solitudes,  primaeval,  odorous,  and 
unexplored.  Yet  these  noble  exceptions  from  the  general  misrule 
served  but  to  strengthen  it  by  Opposition.  Alas!  we  had  fallen 
upon  the  most  evil  of  all  our  evil  days.  The  great  movement  . . . 
went  on:  a  diseased  motion,  moral  and  physical.  Art  —  the 
Arts  —  arose  supreme,  and  once  enthroned,  cast  chains  upon  the 
intellect  which  had  elevated  them  to  power.    Man,  becauso  he 


—     84     — 

could  not  but  acknowledge  the  majesty  of  Nature,  feil  into  childish 
cxultation  at  his  acquired  and  stiU-increasing  dominion  over 
her  elements.  Even  while  he  stalked  a  God  in  his  own  fancy, 
au  infautine  imbecillity  came  over  him  .  .  ."  ®*)  Und  so  ent- 
fernte sich  der  Mensch  immer  mehr  von  dem  Ideal,  das  er  einst 
verkörpert  hatte.  Nur  eins  vielleicht  würde  die  Menschheit  retten 
können:  die  Wiedererweckung-  des  Geschmacks.  „It  was  now 
that  taste  alone  could  have  led  us  gently  back  to  Beauty,  to 
Nature,  and  to  Life."  ^^)  Das  beste  Mittel  dafür  wäre  der  Weg, 
den  Plato  angab :  Gymnastik  für  den  Körper  und  Musik  für  die 
Seele,  Musik,  die  nicht  nur  die  Harmonie  von  Zeit  und  Klang 
(the  harmonies  of  time  and  tune),  sondern  auch  die  poetische 
Diktion,  dichterisches  Fühlen  und  Schaffen  im  weitesten  Sinne 
umfassen  müsse. 

Aber  Poe  hatte  den  Glauben  an  die  Menschen  verloren.  Er 
hielt  sie  so,  wie  sie  jetzt  sind,  für  unfähig,  den  ehemaligen  hohen 
Entwicklungszustand  wieder  zu  gewinnen.  Was  die  Romantiker 
in  ihrem  zuversichtlichen  Glauben  an  die  Macht  des  menschlichen 
Willens  und  die  Unverrückbarkeit  seiner  Bestimmung  dem  leben- 
den Menschen  zu  erreichen  für  möglich  hielten,  das  konnte  Poe 
nur  von  einer  neugeschaffenen  Menschheit  erwarten,  die  im  Feuer 
geläutert  und  wiedergeboren  sein  müßte. 

Die  Romantiker  konnten  in  ihrem  Streben,  das  Unbewußte 
ans  Tageslicht  zu  ziehen,  den  Menschen  im  Kampfe  mit  Leiden- 
schaften oder  unter  dem  Einflüsse  der  Umwelt  darstellen.  Starke 
Triebe  und  dunkle  Einwirkungen,  besonders  wenn  sie  lange 
unbemerkt  bleiben,  sich  aber  dann  in  gewaltigem  Ausbruche  Luft 
machen,  erregen  in  uns  Entsetzen  und  Mitleid,  nicht  mehr.  Denn 
sie  liegen  im  menschlichen  Herzen  und  können  darum  von  einem 
starken  Willen  bezwungen  werden.  Wenn  aber  die  böse  Gewalt 
außerhalb  der  Welt  gelegt  wird,  wenn  es  also  das  Schicksal  ist, 
das  uns  umherwirft  oder  uns  vernichtet,  ohne  uns  zu  beachten, 
so  packt  uns  Grauen.  Vorstellungen,  daß  es  nutzlos  sei,  sich 
sein  Leben  selbst  zurechtlegen  zu  wollen,  und  daß  der  Mensch 
keine  Macht  habe,  dem  Schicksal  bestimmend  gegenüberzutreten, 
vielmehr  ergeben  dulden  müsse,  was  über  ihn  verhängt  sei, 
hatte  die  dem  Verfall  entgegengehende  Romantik  gepflegt,  deren 
Vertreter  in  noch  höherem  Maße  als  ihre  Vorgänger  Menschen 
waren,  „die  mehr  gelebt  wurden  als  lebten".*'^)  Daraus  hatte 
sich  die  Schicksalstragödie  entwickelt.  Das  Verhängnis  scheint 
hier  an  unbedeutende  Umstände  gebunden,  an  einen  feststehen- 
den Tag  oder  einen  mit  Blutschuld  beladenen  Dolch.  Über  das 
ganze  Stück  ist  eine  Vorahnung  von  Unglück  ausgebreitet,  die 
die  Handelnden  und   den   Leser  nicht  verläßt.     Um  Stimmung 


—    35    — 

zu  erzeugen,  spielt  das  Stück  meist  in  der  Nacht,  bei  stürmischem 
Wetter  und  Donner  und  Blitz.  Wenn  die  quälende  Spannung* 
ihren  Höhepunkt  erreicht  hat,  dann  bricht  endlich  das  Unglück 
herein,  nicht  elementar,  sondern  längst  erwartet,  nicht  über 
einen  Unschuldigen  und  darum  doppelt  tragisch  wirkend,  sondern 
über  einen  alten  Verbrecher,  der  die  Strafe  lange  schon  ver- 
diente. 

Ähnliche  Gedanken  scheinen  wir  in  einigen  Novellen  Poes 
zu  linden.^')  Doch  ist  von  vornherein  zu  betonen,  daß  Poe  von 
dem,  was  den  Werken  der  deutschen  Schicksalstragiker  ihr  be- 
sonderes, oft  verspottetes  Gepräge  gibt,  einen  durchaus  mäßigen 
Gebrauch  gemacht  hat.  Es  ist  ihm  gelungen,  das  Grauen  vor 
dem  unvermeidlichen  Schicksal  zu  erzeugen,  doch  ohne  den 
Fluch  der  Lächerlichkeit  auf  sich  zu  laden.  Die  Novellen  spielen 
auch  in  der  Nacht,  Donner  und  Blitz  und  Sturm  fehlen  nicht. 
Auch  die  Vorahnung  eines  Unglücks  lastet  auf  dem  Leser  und 
wird  mit  kluger  Berechnung  immer  mehr  genährt.  Auch 
Kleinigkeiten,  wie  der  Schlag  einer  Uhr,  müssen  diesem  Zwecke 
dienen.  Aber  wir  empünden  nie  ein  Zuviel  von  diesen  Zügen. 
Poe  hat  sich  auf  das  zur  Hervorbringung  des  beabsichtigten 
Eindrucks  Notwendige  zu  beschränken  gewußt. 

Da  das  Streben  der  Romantiker,  in  ihren  Werken  und  in 
sich  Wissen  und  Fühlen  zu  vereinen,  nie  erfüllt  wurde,  hatten 
sie  es  immer  mit  etwas  Unvollkommenem,  darum  auch  Un- 
harmonischem und  Krankhaftem  zu  tun,  das  schließlich  zu  einem 
Grundzug  ihres  Wesens  wurde.  Die  mit  dem  Krankhaften  ver- 
bundene Zuneigung  zu  den  Nachtseiten  der  Natur  förderte  selt- 
same Eigenschaften  in  ihnen  zutage,  die  in  ihrem  Leben  und 
ihren  Werken  sich  zeigen.  Totenliebe,  Vampyrismus,  sexuelle 
Perversität  und  wollüstige  Grausamkeit  sind  Vorwürfe,  an  die 
sich  vor  den  Romantikern  selten  ein  Dichter  gewagt  hatte,  die 
aber  von  diesen  mit  Vorliebe  behandelt  wurden,  eben  weil  sie 
ihrem  Wesen  vertraut  waren.  Themata  dieser  Art  haben  zu 
viel  des  Grauenhaften  in  sich  und  fanden  zu  viel  Anklang  in 
seinem  Charakter,  als  daß  Poe  nicht  wenigstens  eines  davon 
behandelt  haben  sollte.  Die  Erzählung  von  Berenice,  der  furcht- 
baren Leichenschändung  der  Geliebten,  ist  von  romantischen 
Dichtern  wohl  an  Scheußlichkeit  übertroffen  worden.  Aber 
keiner  hat  es  wie  Poe  verstanden,  die  dunklen  Triebe,  die  zu  dem 
Verbrechen  führen,  mit  solcher  Klarheit  aus  seinem  Innern 
heraus  zu  schildern. 

In  der  Art,  wie  Poe  sich  zur  Wissenschaft  und  Philosophie 
in  ihrem  Verhältnis  zur  Kunst  des  Dichters  stellt,  steht  er  ganz 
auf  romantischem  Boden.    Der  wissenschaftliche  Wea-  der  For- 


—     36     — 

schung  wurde  zwar  von  den  Romantikern  hochgeschätzt,  doch 
allein  als  unvollkommen  betrachtet.  Auch  die  Divination  sollte 
zu  ihrem  Rechte  kommen.  Wissenschaft  und  Phantasie  müßten 
sich  vereinigen,  und  wo  der  Verstand  sich  Grenzen  gesetzt  finde, 
da  solle  die  Phantasie  des  Dichters  einsetzen,  die  vielleicht  zum 
Höchsten  gelange.  Bei  Novalis  linden  wir  ein  Fragment,  das 
diese  Vereinigung  fordert:  „Der  Skeptiker,  mein  Freund,  hat 
so  wenig  wie  der  gemeine  Empirismus  das  mindeste  zur  Er- 
w^eiterung  der  Wissenschaft  getan.  Der  Skeptiker  verleidet 
hfjchstens  den  Hypothetikern  den  Ort,  wo  sie  stehen,  macht 
ihnen  den  Boden  schwankend ;  eine  sonderbare  Art,  Fortschritte 
zustande  zu  bringen :  w^enigstens  ein  sehr  indirektes  Verdienst. 
Der  echte  Hypothetiker  ist  kein  andrer  als  der  PJrfinder,  dem 
vor  seiner  Erfindung  oft  schon  dunkel  das  ersehnte  Land  vor 
Augen  schwebt,  der  mit  dem  dunklen  Bilde  über  der  Beobachtung, 
über  dem  Versuche  schwebt  und  nur  durch  freie  Vergleichung, 
durch  mannigfache  Berührung  und  Reibung  seiner  Ideen  mit 
der  Erfahrung  endlich  die  Idee  trifft,  die  sich  negativ  zur  posi- 
tiven Erfahrung  verhält,  daß  beide  dann  auf  immer  zusammen- 
hängen und  ein  neues  und  himmlisches  Licht  die  zur  Welt  ge- 
kommene Kraft  umstrahlt". ^^)  So  dachten  die  meisten  der 
Romantiker  und  Naturphilosophen.  Ihre  Phantasie  führte  sie 
zu  Annahmen,  für  die  die  Wissenschaft  erst  viele  Jahre  s])äter 
den  Beweis  der  Möglichkeit  erbringen  konnte.  Wir  finden  z.B. 
in  den  „Kronen Wächtern"  Arnims  eine  phantastische  Erzählung 
von  der  Verjüngung  eines  alten  schwachen  Mannes  durch  das 
Blut  eines  kräftigen  Knaben,  die  lange  Zeit  nur  als  Hirngespinst 
betrachtet  worden  ist,^®)  und  doch  hat  die  neueste  Wissenschaft 
bewiesen,  daß  eine  sogen.  Transfusion  des  Blutes  auszuführen 
ist.  Arnim  erzählt  auch  von  einem  Taucherboot,  das  große 
Strecken  unter  dem  Wasser  zurücklegen  kann.  Er  hat  sogar 
eine  sinnreiche  Maschinerie  erdacht  und  Mittel  zur  Versorgung 
mit  Luft,  die  ganz  modern  ansprechen. '^*^) 

Mit  derartigen  Ansichten  über  die  Wissenschaft  in  ihrem 
Verhältnis  zur  Dichtung  ist  Poe  vertraut.  Er  wird  nicht  müde, 
scharfen  Spott  über  die  auszugießen,  die  den  Theoretikern  kein 
Vertrauen  entgegenbringen  und  nur  zwei  Wege  zur  Wahrheit 
anerkennen,  den  induktiven  und  den  deduktiven.  Er  nennt  ihre 
Art  zu  forschen  „the  crawling  System"  und  wirft  ihnen  vor,  sie 
achteten  mehr  auf  den  Weg  zur  Wahrheit  als  auf  sie  selbst. 
Er  behauptet,  alle  wahre  Wissenschaft  mache  ihre  bedeutenden 
Fortschritte  in  Sprüngen,  und  die  Geschichte  biete  den  Beweis 
dafür.  „AmoDg  a  tribe  of  philosophers"  —  so  lauten  seine 
Worte   —    „who  pride   themselves  excessively  upon   matter-of- 


—     37     — 

fact,  it  is  far  too  fashionable  to  sneer  at   all  speculation  under 
the  comprehensive  sobriquet  ,guess-work'.   The  point  to  be  con- 
^idered  is,  who  gfuesses.    In  guessing,  with  Plato,  we  spend  our 
time  to  better  purpose,  now  and  then,  tban  in  hearkening  to  a 
(iemonstration  by  Alcmseon  .  .  ."  '^)  und  an  anderer  Stelle:  „I  need 
not  suggest  to  you  that  crawling,  among  varieties  of  locomotion, 
is   a  very  capital  thing  of  its  kind;  but  because  the  tortoise  is 
sure  of   foot,   for  this   reason  must  we   clip   the  wings    of   the 
eagles?"''^)   Sogar  zu  feindseligen  Äußerungen  gegen  die  wissen- 
schaftliche Forschung  läßt  er  sich  hinreißen.     ,.But  in   all  ages 
the  great  obstacles  in  Art  have  been  opposed   by  the  so-called 
men  of  science."'^)    Nach  diesen  Sätzen  verfuhr  er  auch  selbst. 
Er  suchte  sich  einen  festen  Punkt,  in  dem  seine  Phantasie  fußen 
konnte,  und  begann  von  da  aus  weite  Streifzüge  in  das  unend- 
liche   Land     der    Möglichkeiten.      Sein    philosophisches    Werk 
„Eureka"  beruht  einzig  und  allein  auf  der  Annahme,  die  er  für 
nicht  zu  widerlegende  Wahrheit  ansah,  daß  die  Welt  aus  einer 
Einheit  entstanden   sei,   dann  sich  in  verschiedene  Welten  ge- 
spalten habe   und   schließlich   zur  Einheit  zurückkehren   müsse^ 
was  den  großen  Untergang  bedeuten  würde.     Mit  dieser  einen 
Annahme  aber  steht  und  fällt  das  ganze  Werk.     Aus   der  Tat- 
sache, daß  man  einem  Menschen,  der  im  mesmerischen  Zustande 
liegt,   seinen  Willen  aufzwingen   kann,  zieht  er  die  Folgerung, 
daß  der,   der   einen   Totkranken   in    magnetischen  Zustand  ver- 
setze, diesen  kraft  seiner  Energie  zwingen  könne,  weiterzuleben.'*) 
Damit  setzt  er  den  Menschen  zum  Herrn  über  Leben  und  Tod. 
Die  damals  noch  ziemlich  junge  Erfindung  der  Ballons  regt  ihn 
zu  prophetischen  Zukunftsblicken  an,   die   durch   ihre  Wahrheit 
überraschen.    Er  schildert  eine  Reise  nach  dem  Mond  im  Ballon, 
wobei   er   zur  Überwindung  der  mannigfachen   Schwierigkeiten 
viel  Scharfsinn   aufbietet.'^)     Er  weist  auf  Flugmaschinen  hin, 
die    aus    einer   großen    Tragfläche    mit    einem   Steuer  bestehen 
sollten,   von   einer  Schraube  angetrieben  würden   und  ihre  An- 
fangsgeschwindigkeit dadurch  erhalten  sollten,  daß  man  sie  von 
einem  Hügel  herabgleiten  ließe.    Er  hatte  aber  dazu  wenig  Ver- 
trauen.  Vorteilhafter  erschien   es  ihm,   lenkbare  Luftschiffe   zu 
bauen,   für  die   er   eine  lange   spitze  Form  und   Antrieb   durch 
eine   Luftschraube   vorschlug,   die   den   Ballon   mit  großer   Ge- 
schwindigkeit auch   gegen   den  Wind  vorwärtstreiben   sollte.'^) 
Die  Erzählungen  dieser  Art  sind  mit  großer  Ernsthaftigkeit 
und  vielem  wissenschaftlichen  Aufputz  vorgetragen,  um  die  Er- 
kenntnis zu    erschweren,   daß    sie    eigentlich    Lügengeschichten 
sind.    Man    hat   aber   oft   den   Eindruck,    daß  der  Dichter  im 
stillen  selbst  an  manche  seiner  Sätze  geglaubt  habe.   Er  schreibt 


—     38     — 

auch  keineswegs  immer  ^YisseIlschaftlicheIl  Unsinn.  In  einem 
Zwiegespräch  zwischen  den  Seelen  zweier  Abgeschiedenen  be- 
schreibt Poe  den  Untergang  der  Erde  durch  einen  Kometen, 
dessen  unendlich  feiner,  stark  sauerstoffhaltiger  Schweif  die  Erde 
umhüllt  und  durchdringt.  In  einem  Feuermeere,  das  von  dem 
Sauerstoff  d^s  Kometen  erzeugt  wird,  findet  die  Menschheit 
und  alles  Leben  auf  der  Erde  ein  Ende.")  Gesetzt  den  Fall 
der  Möglichkeit  eines  Zusammenstoßes  der  Erde  mit  einem 
Kometen  von  der  angenommenen  Beschaffenheit,  die  auch  nicht 
außer  dem  Bereich  der  Wahrscheinlichkeit  liegt,  so  muß  man  wohl 
annehmen,  daß  die  Endkatastrophe  unter  den  gleichen  Umständen 
erfolgen  wird,  wie  Poe  sie  geschildert  hat. 

Und  schließlich  finden  wir  bei  Poe  auch  Andeutungen  von 
dem,  was  den  Romantikern  das  Höchste  war:  der  romantischen 
Ironie.  Doch  wie  schon  sie  den  Begriff,  den  sie  keineswegs  er- 
funden haben,  sondern  nur  mit  Vorliebe  pflegten,  nicht  eng  um- 
grenzten, so  müssen  wir  ihm  auch  bei  Poe  freien  Spielraum 
lassen.  Wir  können  ihn  aus  seinem  Wesen  herauslesen,  ohne 
ihn  aber  ausgesprochen  zu  finden.  Romantische  Ironie  war 
vollendetes  Künstlertum,  absolute  Gewalt  über  den  Stoff,  das 
freie  Schweben  über  der  Materie,  die  von  der  Form  verzehrt 
werden  soll.  Der  Dichter  soll  den  Gegenstand  der  Darstellung 
so  vollkommen  in  der  Hand  haben,  daß  er  aus  ihm  machen 
kann,  was  er  will.  Mit  der  Gewalt  über  den  Stoff  geht  die 
Herrschaft  über  den  Leser  und  Hörer  Hand  in  Hand.  Eben 
führte  ihn  der  Dichter  hoch  mit  sich  empor  in  luftige  Gefilde 
der  Phantasie,  um  ihn  im  nächsten  Augenblick  auf  die  Erde 
zurückzuwerfen,  und  gleich  beginnt  das  Spiel  des  Zerstörens 
und  Aufbauens  der  Stimmung  von  neuem.  Schon  Baudelaire 
kannte  ähnliche  Neigungen  in  Poe  und  wunderte  sich  darüber. 
Er  spricht  von  Poes  glänzender  Beredsamkeit  und  fährt  fort  '^) : 
„Mais  il  arrivait  parfois  —  on  le  dit  du  moins  —  que  le  poete, 
se  complaisant  dans  un  caprice  destructeur,  rappelait  brusque- 
ment  ses  amis  a  la  terre  par  un  cynisme  affligeant  et  demo- 
lissait  brutalement  son  oeuvre  de  spiritualite".  Das  Gleiche  sagt 
ein  anderer  Biograph  in  den  Worten:  „Suddenly  starting  from 
a  proposition,  exactly  and  sharply  defined,  in  terms  of  utmost 
simplicity  and  clearness,  he  rejected  the  forms  of  customary 
logic,  and  by  a  cristalline  process  of  accretion,  built  up  by 
ocular  demonstrations  in  forms  of  gloomiest  and  ghastliest 
grandeur,  or  in  those  of  the  most  airy  and  delicious  beauty — so 
minutely  and  distinctly,  yet  so  rapidly,  that  the  attention  which 
was  yielded  to  him,  was  chained  tili  it  stood  among  his  wonder- 
ful  creations  —  tili  he    hiraself  dissolved  the  spell,  and  brought 


—     39     — 

bis  hearers  back  to  common  and  base  existence,  by  vulgär 
fancies  or  exhibitions  of  the  ignoblest  passion".^^)  Was  ist  dies 
anderes  als  ein  Spielen  mit  dem  dichterischen  Stoffe  und  mit 
den  Hörern,  als  die  Überwindung  der  Schwere  der  Materie? 
Es  ist  aber  wahr,  daß  ein  gut  Teil  Hohn  und  Verachtung  mit 
hereinspielt,  auch  eine  Art  Schamgefühl  Poes,  unter  den  tätigen 
Geschäftsleuten  seiner  Umgebung  nichts,  gar  nichts  anderes  zu 
sein  als  nur  ein  Dichter.  Wir  vermissen  die  heitere  Ironie,  die  be- 
sonders Tieck  spielen  läßt,  z.  B.  im  „Gestiefelten  Kater"  oder 
im  „Prinz  Zerbino".  Tiecks  Ironie  spottet  auch  ein  Weniges  über 
das  Publikum,  doch  so,  daß  man  ihm  nicht  böse  sein  kann.  Die 
Bitterkeit  Poes  hatte  ihren  Grund  im  zerrissenen  Innern  des 
Dichters,  in  seinem  Unglück  und  seiner  oft  verständnislosen 
Umgebung.  Aber  er  sprach  es  auch  ruhig  aus,  daß  der  be- 
deutende Dichter  sein  Werk  in  der  Hand  haben  müsse.  Er 
wandte  sich  gegen  den  Ausspruch  Hardenbergs:  „Der  Künstler 
gehört  dem  AVerk  und  nicht  das  Werk  dem  Künstler".^'')  „In 
the  band  of  the  true  artist",  sagt  Poe,  „the  theme,  or  ,work'y 
is  but  a  mass  of  clay,  of  which  anything  (within  the  compass 
of  the  mass  and  quality  of  the  clay)  may  be  fashioned  at  will, 
or  according  to  the  skill  of  the  workman.  The  clay  is,  in  fact, 
the  slave  of  the  artist.  It  belongs  to  him.  His  genius,  to  be 
sure,  is  manifested,  verydistinctively,  in  thechoice  of  the  clay".^^) 
Unter  dem  gleichen  Gesichtspunkte  darf  man  vielleicht  den  merk- 
würdigen Aufsatz:  „The  Philosophy  of  Composition"'^-)  ansehen, 
der  oft  zu  falschen  Schlüssen  über  Poe  verleitet  hat.  Er  gibt 
darin  die  angebliche  Entstehungsgeschichte  seines  Gedichts  „The 
Raven"  an.  Als  ihm  der  Gedanke,  ein  Gedicht  zu  schreiben, 
gekommen  sei,  habe  er  zuerst  die  zukünftige  Länge  des  Gedichts 
bestimmt.  Um  den  Eindruck  möglichst  wirkungsvoll  zu  machen, 
habe  er  dann  beschlossen,  den  Refrain  zu  verwenden,  und  zwar 
müßte  dieser  kurz  und  wohlklingend  sein.  So  sei  er  auf  das 
„nevermore"  gekommen.  Und  nun  gibt  Poe  weiterhin  Schritt 
für  Schritt  eine  Entstehungsgeschichte  für  das  Gedicht.  Hat 
man  es  vorher  gelesen  und  ist  davon  ergriffen  gewesen,  so  ist 
man  von  dem  Aufsatz  zweifellos  enttäuscht.  Man  kann  sich 
nicht  vorstellen,  es  sei  mit  seiner  faszinierenden  Schönheit  und 
seiner  Macht  der  Sprache  auf  eine  so  nüchterne  Art  entstanden. 
Es  liegt  mit  Wahrscheinlichkeit  eine  Vision  oder  Halluzination 
zugrunde,  eine  starke  Erregung,  die  der  Dichter  aber  nicht  zu- 
gibt. Es  kommt  ihm  vor  allem  darauf  an,  seine  vollkommene 
Beherrschung  des  Stoffes  zu  zeigen.  Als  die  Welt  über  sein 
Gedicht  in  Staunen  geriet,  als  man  von  der  ergreifenden  Musik 
der  Sprache  und  der  unheimlichen  Schicksalsstimme  des  Raben 


—     40     — 

-ergriffen  ward,  da  packte  ihn  die  Ironie.  Höhnend  zeigte  er, 
daß  das,  was  man  aus  der  Verzw^eiflung  und  dem  schmerz- 
bewegten Herzen  des  Dichters  geboren  glaubte,  nur  das  Er- 
gebnis kühler  Berechnung  sei  und  daß  er  nur  mit  Gefühlen  ge- 
spielt habe.  Die  er  eben  zu  hoher  Begeisterung  entflammt  hatte, 
die  ernüchterte  er  um  so  tiefer.  Man  kann  sich  nicht  von  dem 
Eindrucke  befreien,  daß  Poe,  der  Analyse  und  Berechnung 
leidenschaftlich  liebte,  einen  großen  Teil  der  kalten  Berechnungen 
aus  dem  vollendeten  Gedicht  erst  nachträglich  herausgezogen 
habe. 

Daß  Poe  die  Forderung :  Loslösung  vom  Stof  e,  in  glänzender 
Weise  erfüllt  hat,  ist  dem  Leser  seiner  meisterhaft  angelegten 
Novellen  bewußt.  Aber  ebenso  gewiß  ist,  daß  es  Stunden  ge- 
geben hat,  wo  er  ein  Sklave  des  Stoffes  war,  der  ihn  mit  sich 
fortriß.  Es  sind  die  Zeiten  gemeint,  als  sich  die  Grundgedanken 
zu  seinen  Werken  in  ihm  bildeten  und  Visionen  und  Träume 
seiner  Herr  waren.  Aber  sobald  sie  feste  Gestalt  bekommen 
hatten  und  er  die  Feder  in  die  Hand  nahm,  um  sie  nieder- 
zuschreiben, da  war  er  wieder  Herr  über  sie  und  formte  sie 
nach  seinem  Belieben. 

Den  Schluß  dieses  Abschnittes  sollen  einige  Worte  über 
die  Ansichten  Poes  und  der  Romantiker  über  die  Kunst  bilden. 
Daß  die  Romantiker  einen  Abscheu  vor  der  Kunst  hatten,  die 
irgendwelchen  Nützlichkeitszwecken  dienen  sollte,  ist  bekannt. 
Sie  standen  darum  der  nüchternen  Aufklärung  feindlich  gegen- 
über, über  die  sie  ätzenden  Spott  ausgössen,  zumeist  Tieck.  Er 
schrieb  eine  kleine  Erzählung:  „Peter  Lebrecht.  Eine  Geschichte 
ohne  Abenteuerlichkeiten",  an  die  er  die  „moralische  Tendenz" 
anhing.  Darin  machte  er  sich  darüber  lustig,  daß  jetzt  jedes 
Dichtwerk  eine  Moral  haben  müsse.  Nein,  die  Kunst  solle 
vielmehr  ihren  Zweck  in  sich  tragen.  Sie  solle  um  ihrer  selbst 
willen  und  um  ihrer  Schönheit  willen  ausgeübt  werden  und  den 
Menschen  über  alles  Gemeine  erheben.  „Es  ist  ein  so  göttlich 
Streben  der  Menschen,  zu  schaffen,  was  von  keinem  gemeinen 
Zweck  und  Nutzen  verschlungen  wird  —  was,  unabhängig 
von  der  Welt,  in  eignem  Glänze  ewig  prangt  — ,  was  von 
keinem  Rade  des  großen  Räderwerks  getrieben  wird  und  keines 
wieder  treibt.  Keine  Flamme  des  menschlichen  Busens  steigt 
höher  und  gerader  zum  Himmel  auf  als  die  Kunst."  ^^)  Zwischen 
den  einzelnen  Künsten  wird  kein  Unterschied  gemacht.  Sie  ver- 
schwimmen ineinander.  Der  Romantiker  denkt  in  Farben  und 
sieht  in  Tönen.  Gemälde  können  ihm  zu  Bildwerken  oder  Ge- 
dichten, Gedichte  zu  Musik,  Säulen  zu  Bildern  werden.  Die 
Künste  stehen  fast  gleichberechtigt   nebeneinander.    Manchmal 


—     41     — 

wird  Poesie  als  die  höchste  angesehen,  doch  öfter  die  Musik, 
denn  sie  wirkt  am  tiefsten  auf  das  Gemüt  ein.  Hoffmann, 
Novalis,  Tieck  sind  einstimmig'  in  ihrem  Preise.  Vor  allem  aber 
erhebt  sie  Wackenroder,  der  von  ihr  sagt :  „Keine  Kunst  schildert 
die  Empfindungen  auf  so  künstliche,  kühne,  so  dichterische,  und 
eben  darum  für  kalte  Gemüter  so  erzwungene  Weise.  Das  Ver- 
dichten der  im  wirklichen  Leben  verloren  umherirrenden  Gefühle 
in  mannigfaltige  feste  Massen  ist  das  Wesen  aller  Dichtung;  sie 
trennt  das  Vereinte,  vereint  fest  das  Getrennte,  und  in  den 
engeren  Grenzen  schlagen  höhere,  empörtere  Wellen.  Und  wo 
sind  die  Grenzen  und  Sprünge  schärfer,  wo  schlagen  die  Wellen 
höher  als  in  der  Tonkunst  ?"^^) 

Poes  Ansichten  von  der  Kunst  sind  gleich  hoch.  Nicht 
A\'ahrheit,  nicht  Leidenschaft,  am  wenigsten  aber  Moral  ist  ihr 
Zweck.  Die  moralische  Dichtung  war  ihm  ein  Dorn  im  Auge. 
Er  haßte,  verachtete  und  verspottete  sie,  obwohl  die  Stimmung 
und  der  Geschmack  seiner  Zeit  sie  forderte.  Wie  Tieck  seinen 
„Peter  Lebrecht",  so  schrieb  auch  Poe  seine  moralische  Geschichte : 
..Never  Bet  the  De\dl  Your  Head.  A  Tale  with  a  Moral", ^'^j 
die  die  puritanische  Anschauung  verhöhnt.  Poe  forderte  als 
einziges  Ziel  der  Kunst  die  Darstellung  der  Schönheit.  Es  ist 
gleichgültig,  wo  wir  sie  finden,  ob  in  Gestalten  oder  in  Tönen 
oder  Düften  oder  Gefühlen.  Aber  die  einfache  Wiedergabe 
dessen,  was  wir  als  schön  empfinden,  ist  noch  bei  weitem  nicht 
die  Kunst.  „He  who  shall  simply  sing,  with  however  glowing 
enthusiasm,  or  with  however  vivid  a  truth  of  description,  of 
the  sighs,  and  sounds,  and  odours,  and  colours,  and  sentiments, 
which  greet  him  in  common  with  all  mankind  —  he,  I  say,  has 
yet  failed  to  prove  his  divine  title.  There  is  still  the  something 
in  the  distance  which  he  has  been  unable  to  attain.  We  have  still 
a  thirst  unquenchable,  to  allay  which  he  has  not  yet  shown  us 
the  crystall  Springs.  This  thirst  belongs  to  the  immortality  of 
Man.  It  is  at  once  a  consequence  and  an  indication  of  his 
perennial  existence.  It  is  the  desire  of  the  moth  for  the  star. 
It  is  no  mere  appreciation  of  the  Beauty  before  us,  but  a  wild 
effort  to  reach  the  Beauty  above.  Inspired  by  an  ecstatic  prescience 
of  the  glories  beyond  the  grave,  we  struggle  by  multiform 
combinations  among  the  things  and  thoughts  of  Time  to  attain 
a  portion  of  that  loveliness  whose  very  Clements  perhaps  apper- 
tain  to  eternity  alone.  And  thus  when  by  Poetry,  or  when  by 
Music,  the  most  entrancing  of  Poetic  moods,  we  find  ourselves 
melt  into  tears,  we  weep  then,  not . . .  through  excess  of  pleasure, 
but  through  a  certain,  petulant,  impatient  sorrow  at  our  inability 
to  grasp  now,   wholly,   here   on   earth,   at  once   and   for    ever, 


—     42     — 

those  divine  and  rapturous  joys  of  which  throiigh  the  poem,  or 
through  the  music,  we  attain  to  but  brief  and  indeterminate 
glimpses."^^) 

Poe  war  also  Künstler  um  der  Kunst  willen,  ein  Verehrer 
der  Schönheit,  die  aber  auf  Erden  vollkommen  darzustellen  ihm 
unmöglich  dünkte.  Erst  in  einem  andern  Leben  sei  dies  Ziel 
zu  erreichen.  Auch  die  Romantiker  hatten  diese  Vergeblichkeit 
des  Ringens  nach  der  Schönheit  eingesehen  und  sich  mit  der 
Hoffnung  künftiger  Vollendung  bescheiden  müssen.  Wacken- 
roder,  der  am  meisten  unter  dem  Zwiespalt  von  Wollen  und 
Können  litt,  sprach  seinen  Schmerz  darüber  in  den  Worten 
aus:  „Wenn  alle  die  innern  Schwingungen  unserer  Herzens- 
fibern —  die  zitternden  der  Freude,  die  stürmenden  des  Ent- 
zückens, die  hochklopfenden  Pulse  verzehrender  Anbetung  — , 
wenn  alle  die  Sprache  der  Worte  als  das  Grab  der  innern 
Herzenswut  mit  einem  Ausruf  zersprengen :  —  dann  gehen  sie 
unter  fremdem  Himmel,  in  den  Schwingungen  holdseliger  Harfen- 
saiten, wie  in  einem  jenseitigen  Leben  in  verklärter  Schönheit 
hervor  und  feiern  als  Engelgestalten  ihre  Auferstehung".^') 
Was  ist  aber  diese  von  den  Fesseln  der  Sprache  befreite  Poesie 
anderes  als  Musik?  Diese  verehrte  auch  Poe  tief.  Obwohl  er 
an  „The  Power  of  Words"^^)  glaubte,  die  Allmacht  des  Wortes, 
die  es  ihm  möglich  mache,  alle  Gedanken,  die  er  je  gehabt  habe, 
mit  Worten  auszudrücken,  zu  gewissen  Zeiten  sogar  die  un- 
endlich feinen  Phantasien  und  Gefühle,  „the  shadows  of  shadows'V*^) 
die  in  seiner  Seele  entständen,  wenn  die  Grenzen  des  Wachens 
mit  denen  der  Traumwelt  verschwämmen,  so  hielt  er  doch  nicht 
die  Dichtkunst  für  die  höchste  Kunst,  so  tief  sie  auch  in  die 
Seele  eindringe.  Auch  ihm  lag  der  Gipfel  der  poetischen  Schön- 
heit in  der  Musik.  „It  is  in  Music  perhaps  that  the  soul  most 
nearly  attains  the  great  end  for  which,  when  inspired  by  the 
Poetie  Sentiment,  it  struggies  —  the  creation  of  Supernal 
Beauty.  It  may  be,  indeed,  that  here  this  sublime  end  is,  now 
and  then,  attained  in  fact.  We  are  often  made  to  feel,  with  a 
shivering  delight,  that  from  an  earthly  harp  are  stricken  notes 
which  cannot  have  been  unf amiliar  to  the  angels."^*^) 

Vom  Übergehen  der  Künste  ineinander  ist  bei  Poe  nichts 
zu  finden.  Er  betrachtete  sie  alle  als  Zweige  eines  Stammes 
und  dem  einen  Zweck  unterworfen :  der  Erhebung  der  Seele  zum 
Schönen  —  doch  ohne  sie  vereinen  zu  wollen.  Nur  Musik  und 
Dichtkunst  erscheinen  bei  ihm  nicht  deutlich  geschieden.  Er 
pries  die  alten  Barden  und  Minnesänger  glücklich,  daß  sie  die 
Dichtkunst  mit  der  Tonkunst  vereinen  konnten.  Er  legte  auch 
sehr  hohen  Wert  auf  die  musikalische  Wirkung  seiner  Gedichte. 


—     43     — 

Sie  haben  manchmal  einen  ruhig  dahinströmenden,  öfter  einen 
schmerzbewegten,  aufwühlenden  Tonfall.  Wie  Wellen  von  Tönen 
fluten  sie  vorüber.  Wenn  Poe  Dichtungen  vortrug,  so  sagt  man, 
er  habe  sie  fast  gesungen. 

Nachdem  also  versucht  worden  ist,  Poes  Grundanschauungen 
und  Wesen  als  romantisch  darzustellen,  kommen  wir  zur  Be- 
sprechung seiner  Novellen,  die  oft  Gelegenheit  geben  werden, 
die  gewonnenen  Urteile  über  Poe  zu  vertiefen  oder  ihn  sogar 
in  stofflicher  Abhängigkeit  von  einzelnen  Romantikern  zu  zeigen. 


POES  ERZAEHLUNGEN 

Ehe  man  an  eine  Betrachtung  des  ziemlich  umfangreichen 
Stoffes  im  einzelnen  gehen  kann,  macht  es  sich  nötig,  ihn  im 
ganzen  zu  überblicken  und  zu  ordnen.  Es  läßt  sich  etwa  folgende 
Einteilung  der  Novellen  treffen  ^^): 

1.  pseudowissenschaftliche  Erzählungen,  dasheißt 
solche,  die  den  Lügen-  und  Abenteuergeschichten  Swifts 
und  Defoes  ungefähr  entsprechen,  aber  mit  einer  größeren 
Fülle  wissenschaftlicher  Beitaten  verbrämt  sind; 

2.  Geheimniserzählungen.  Schwierige  Fragen  werden 
durch  glänzenden  Scharfsinn  gelöst.  Krirainalfälle  und  Ge- 
heimschriften sind  die  Ausgangspunkte  der  Untersuchung; 

3.  die  eigentlich  romantischen  Erzählungen  Poes,  die 
einen  Gemütszustand,  Leidenschaften,  Mesmerismus  u.  a. 
zum  Gegenstand  haben; 

4.  untergeordnete  Erzählungen.  Sie  bringen  die  Aus- 
führung eines  komischen  Einfalls,  einer  Anregung,  die  Poe 
irgendwoher  empfangen  hatte,  eine  kleine  Satire,  oft  auch 
nur  die  nackten  Bilder  eines  Krankheitszustandes  und 
ähnliches. 

Es  ist  selbstverständlich,  daß  sich  bei  dieser  wie  bei  jeder 
schematischen  Einteilung  Härten  nicht  umgehen  lassen.  Bei 
mancher  Erzählung  muß  man  schwanken,  welcher  Unterabteilung 
sie  einzureihen  ist  oder  ob  man  sie  überhaupt  in  eine  bestimmte 
Klasse  bringen  kann.  Z.  B.  sind  die  „prose-poems"  „The  Power 
of  Words",  „The  Colloquy  of  Monos  and  Una",  „The  Conver- 
sation  of  Eiros  and  Charmion"  einerseits  kaum  Novellen  zu 
nennen,  denn  sie  haben  so  gut  wie  keine  Handlung.     Sie  wären 

4 


—     44     — 

vielleicht  als  Essays  zu  bezeichnen.  Andrerseits  ist  man  im 
Zweifel,  ob  man  sie  nicht,  wie  auch  „Mesmeric  Revelation"  und 
„The  Facts  in  the  Gase  of  M.  Waldemar",  unter  die  pseudo- 
wissenschaftlichen Erzählungen  stellen  muß.  Die  Einteilung 
soll  eben  nur  einer  Übersicht  über  den  ausgedehnten  Stoff  dienen. 

Die  Erzählungen  der  ersten  Gruppe  lassen  keinen  Einfluß 
der  Romantiker  erkennen.  Es  liegt  dies  in  ihrer  Natur  als 
Lügen-  und  Abenteuergeschichten,  die  mehr  eine  spannende, 
straff  aufgebaute  und  nie  ruhende  Handlung  als  eingehende 
Charakterzeichnung  oder  Darlegung  des  Innenlebens  verlangen. 
Einzig  das  romantische  Streben  tritt  zutage,  der  langsam  vor- 
wärts schreitenden  Wissenschaft  mit  Phantasie  und  dichterischer 
Divination  zu  Hilfe  zu  kommen  und  ihr  neue  Wege  zu  weisen. 
Wenig  romantischen  Einfluß  lassen  auch  die  Erzählungen  der 
zweiten  Klasse  erkennen.  Es  sind  glänzende,  äußerst  scharf- 
sinnige Novellen,  die  von  einer  außerordentlichen  Befähigung 
Poes  für  die  Analyse  zeugen.  Sein  Denken  erscheint  so  metho- 
disch und  klar  geregelt,  daß  man  auf  den  Gedanken  kommt,  er 
habe  den  Traum  des  Novalis  verwirklicht,  man  könne  vielleicht 
mittels  eines  dem  Schachspiel  ähnlichen  Spiels  Gedanken  zu- 
stande bringen.^^)  An  die  Spitze  der  Erzählung  „The  Mui^ders 
in  the  Rue  Morgue"  schrieb  Poe  das  stolze  Wort :  „  What  song 
the  Syrens  sang,  or  what  name  Achilles  assumed  when  he  hid 
himself  among  women,  although  puzzling  questions,  are  not 
beyond  all  conjecture".^*)  Aus  den  unbedeutendsten  Umständen, 
die  der  Aufmerksamkeit  aller  andern  entgingen,  zog  er  seine 
unfehlbaren  Schlüsse.  Er  sagt:  „Truth  is  not  always  in  a  w^ell. 
In  fact,  as  regards  the  more  important  knowledge,  I  do  believe 
that  she  is  unvariably  superficial.  The  truth  lies  not  in  the 
Valleys  where  we  seek  her,  but  upon  the  mountain-tops  where 
she  is  found.  The  modes  and  sources  of  this  kind  of  error  are 
well  typified  in  the  contemplation  of  the  heavenly  bodies.  To 
look  at  a  star  by  glances  —  to  view  it  in  a  side-long  way,  by 
turning  towards  it  the  exterior  portions  of  the  rctina  (more 
susceptible  of  feeble  impressions  of  light  than  the  interior)  is  to 
behold  the  star  distinctly  —  is  to  have  the  best  appreciation 
of  its  lustre  —  a  lustre  which  grows  dim  in  proportion  as  we 
turn  our  vision  fully  upon  it.  By  undue  profundity  we  perplex 
and  enfeable  thought;  and  it  is  possible  to  make  even  Venus 
herseif  vanish  from  the  firmament  by  a  scrutiny  too  sustained, 
too  concentrated,  or  too  direct".^^)  Es  ist  dies  ein  Gedanken- 
gang, den  wir  ähnlich  auch  in  den  Fragmenten  Hardenbergs 
ausgedrückt  finden :  „Vielleicht  habe  ich  meine  glücklichen  Ideen 


—    45    — 

dem  Umstände  zu  danken,  daß  ich  einen  Eindruck  nicht  voll- 
kommen gegliedert  und  durchgängig  bestimmt  empfange,  sondern 
durchdringend  in  einem  Punkte,  unbestimmt  und  absolut  fähig".*®) 
Tieck  scheint  dieselbe  Beobachtung  gemacht  zu  haben,  wenn  er 
sagt:  „Ich  glaube,  daß  durch  das  starre  Hinschauen  das  Auge 
ebenso  geblendet  werde  wie  durch  ein  irres  Herumfahren  von 
einem  Punkte  zum  andern".^") 

Die  Schlüsse  Poes  sind  also  aus  Begleiterscheinungen  ge- 
zogen, die  dem  Unbefangenen  nebensächlich  und  Zufall  dünken 
müssen,  ihm  aber  das  Wichtigste  waren.  Es  gab  im  strengen 
Sinne  für  ihn  gar  keinen  Zufall.  Zum  mindesten  waren  ihm 
-Zufälle  kein  Hindernis  in  seinen  Folgerungen,  er  zog  sie  viel- 
mehr in  seine  Berechnungen  und  entdeckte  in  ihnen  eine  gewisse 
Regelmäßigkeit.    Folgende  Stellen  mögen  dies  deutlich  machen: 

„Not  the  least  usual  error,  in  investigations  such  as  this, 
is  the  limiting  of  inquiry  to  the  immediate,  with  total  disregard 
of  the  collateral  or  circumstantial  events.  It  is  the  malpractice 
of  the  Courts  to  confine  evidence  and  discussion  to  the  bounds 
of  apparent  relevancy.  Yet  experience  has  shown,  and  a  true 
philosophy  will  always  show,  that  a  vast,  perhaps  the  larger 
portion  of  trath,  arises  of  the  seemingly  irrelevant.  It  is  through 
the  spirit  of  the  principle,  if  not  precisely  through  its  letter, 
that  modern  science  has  resolved  to  calculate  upon  the  un- 
forescen.  —  It  is  no  longer  philosophical  to  base  upon  what  has 
been  a  vision  of  what  is  to  be.  Accident  is  admitted  as  a  por- 
tion of  the  substructure.  We  make  chance  a  matter  of  absolute 
calculation.  We  subject  the  unlooked  for  and  unimagined  to 
the  mathematical  formulae  of  the  schools".^^)     Oder: 

„Coincidences,  in  general,  are  great  stumbling-blocks  in  the 
way  of  that  class  of  thinkers  who  have  been  educated  to  know 
nothing  of  the  theory  of  probabilities  —  that  theory  to  which 
the  most  glorious  objects  of  human  research  are  indebted  for 
the  most  glorious  of  illustration".®®)    Und  schließlich: 

„There  are  few  persons  even  among  the  calmest  thinkers, 
who  have  not  occasionally  been  startled  into  a  vague  yet  thrilling 
half-credence  in  the  supernatural,  by  coincidences  of  so  seem- 
ingly marvellous  a  character  that,  as  mere  coincidences,  the 
intellect  has  been  anable  to  receive  them.  That  sentiments  are 
seldom  thoroughly  stifled  unless  by  reference  to  the  doctrine 
of  Chance,  or  as  it  is  technically  termed,  the  Calculus  of 
Probabilities.  Now  this  Calculus  is  in  its  essence  purely  mathe- 
matical; and  thus  we  have  the  anomaly  of  the  most  rigidly 
exact  in  science  applied  to  the  shadow  and  spirituality  of  the 
most  intangible  in  speculation".^^^) 

4* 


—     46     — 

Es  ist  wiederum  in  den  Fragmenten  des  Novalis,  daß  wir 
ähnliche  Gedanken  ausgesprochen  finden,  einem  Werke,  das 
wir  um  so  mehr  heranziehen  dürfen,  als  Poe  eine  der  Kriminal- 
erzählungen, „The  Mystery  of  Marie  Roget",  mit  einem  Frag- 
mente Hardenbergs  überschrieben  hat  und  auch  anderweits  eine 
nähere  Kenntnis  der  Fragmentensammlung  verrät.^^^)  An  dieser 
Stelle  können  folgende  Aufzeichnungen  Hardenbergs  zum  Ver- 
gleiche dienen:  „Erhebung  des  Zufälligen  zum  Wesentlichen,, 
des  Willkürlichen  zum  Fato,  z.  ß.  in  der  Astrologie  die  Folge- 
rungen aus  den  willkürlichen  Namen  der  Planeten  und  Stern- 
bilder".^«-) 

„Wer  rechten  Sinn  für  den  Zufall  hat,  der  kann  alles  Zu- 
fällige zur  Bestimmung  eines  unbekannten  Zufalls  benutzen ;  er 
kann  das  Schicksal  mit  gleichem  Glück  in  den  Stellungen  der 
Gestirne  als  in  Sandkörnern,  Vogelflug  und  Figuren  finden.  •'^«=^) 

„Auch  der  Zufall  ist  nicht  unergründlich,  er  hat  seine 
Regelmäßigkeit."^*^^) 

Das  Fragment,  das  Poe  als  Motto  über  die  schon  genannte 
Erzählung  gesetzt  hat,  hat  einen  ähnlichen  Inhalt.  Man  könnte 
also  mit  gutem  Grunde  annehmen,  Poe  sei  durch  das  Studium 
der  „Fragmente"  zu  Gedanken  über  die  Macht  des  Zufalls  und 
indirekt  dadurch  zu  seineu  Geheimniserzählungen  angeregt  worden. 
Will  man  nicht  so  weit  gehen,  so  ist  doch  die  Übereinstimmung 
zwischen  Novalis   und  Poe  in  dieser  Hinsicht  nicht  zu  leugnen. 

Es  mag  noch  darauf  hingewiesen  werden,  daß  die  Haupt- 
person in  den  Kriminalnovellen,  die  Poe  Mr.  Auguste  Dupin 
nennt,  eine  eigentümliche  Gewohnheit  hat,  die  auch  dem  Majorats- 
herrn in  Achims  von  Arnim  gleichlautender  Erzählung ^*^^)  eigen 
ist.  Dieser  schläft  gewöhnlich  bei  Tag  und  steht  erst,  wenn 
die  Sonne  im  Sinken  ist,  aus  dem  Bette  auf.  Wenn  alles  schläft, 
erleuchtet  er  sein  Zimmer  tageshell,  um  seine  Bücher  und  Hand- 
schriften zu  durchlaufen  und  sein  Tagebuch  fortzuführen.  In 
ähnlicher  Weise  ist  Mr.  Dupin  in  die  Nacht  verliebt.  Bei  Tag 
verschließt  er  fest  alle  Fenster,  daß  kein  Lichtstrahl  eindringen 
kann  und  liest  und  träumt  bei  Kerzenschein,  nachts  über  streift 
er  in  den  schwach  erleuchteten  Straßen  umher  und  setzt  seine 
Träumereien  fort.  —  Doch  ist  dies  w^ahrscheinlich  nur  eine  zu- 
fällige äußere  Ähnlichkeit. 

Überraschende  Übereinstimmungen  aber  in  der  Fähigkeit  zu 
analytischen  Schlüssen  und  der  Kunst,  aus  kleinsten  Anzeichen 
die  Geschehnisse  folgerichtig  rückwärts  wieder  aufzubauen,  finden 
wir,  wenn  wir  Poes  Geheimniserzählungen  mit  Hauffs  Märchen: 
„Abner,  der  Jude,  der  nichts  gesehen  hat'V«^)  vergleichen. 
Abner  und  Dupin  zeigen  gleichen  Scharfsinn  und  verblüffen  durch 


—     47     — 

ihre  Schlüsse.  Doch  ist  ein  grundsätzlicher  Unterschied  zwischen 
Hauffs  und  Poes  Erzählungen  vorhanden:  Während  der  Jude 
Abner  seine  Analyse  auf  den  Raum,  auf  die  Umgebung  des 
Menschen  beschränkt,  zergliedert  Dupin  die  feinsten  Regungen 
<ler  Seele,  geht  also  psychologisch  vor. 

Die  dritte  Gruppe  der  Novellen  Poes  enthält  die  eigentlich 
romantischen  Erzählungen  Poes,  Erzählungen  voller  Geheimnisse 
und  Schrecken.  Da  sie  eine  ziemliche  Anzahl  umfassen  —  ca.  30  — , 
kann  nur  von  den  bedeutenden  eine  nähere  Inhaltsangabe  ge- 
bracht werden. 

Betrachten  wir  zunächst  die  Erzählungen,  die  sich  mit  den 
Erscheinungen  des  Mesmerismus  beschäftigen.    Es  sind  dies: 

1.  MESMERIC  REVELATION 

2.  THE  FACTS  IN  THE  GASE  OF  M.  VALDEMAR 

3.  A  TALE  OF  THE  RAGGED  MOUNTAINS 

In  der  ersten  Erzählung  ^^')  legt  Poe  dar,  daß  er  von  dem 
Vorhandensein  des  tierischen  Magnetismus  fest  überzeugt  sei. 
Er  gibt  an,  das  Werk  des  Franzosen  Cousin  über  den  Mes- 
merismus studiert  zu  haben,  und  scheint  auch  Kenntnis  von 
anderen  Arbeiten  über  den  gleichen  Gegenstand  gehabt  zu  haben. 
Der  Inhalt  der  Erzählung  ist  ein  Gespräch  zwischen  dem 
Magnetiseur  und  dem  Magnetisierten  über  metaphysische  Gegen- 
stände. Poe  betrachtet  den  somnambulen  Zustand,  das  Hell- 
sehen, als  einen  höheren  Zustand.  Gewöhnlich  nimmt  man  an, 
daß  der  Magnetisierte  so  vollständig  unter  dem  geistigen  Ein- 
flüsse des  Magnetiseurs  stehe,  daß  er  nur  mit  dessen  Gedanken 
denken  könne,  daß  mithin  auch  seine  Anschauungen  nicht  über 
i\en  Gedankenkreis  des  Magnetiseurs  hinausreichen  könnten. 
Wenn  aber  Poe  den  Kranken  Äußerungen  über  Gott,  den  Zu- 
stand nach  dem  Tode  und  die  letzten  Zusammenhänge  des  Welt- 
alls tun  läßt,  so  geht  er  weit  darüber  hinaus.  Er  setzt  ihn  in 
unmittelbaren  Zusammenhang  mit  der  Welt  und  ist  damit  bei 
der  romantischen  Anschauung  angelangt,  die  den  Menschen  als 
ein  Glied  des  Universums  ansieht,  mit  dem  er  unauflöslich  ver- 
knüpft sei.  Die  Unvollkommenheit  und  Willenslosigkeit  des 
gewöhnlichen  magnetischen  Zustandes  ist  aufgehoben,  es  ist  ein 
höheres,  ekstatisches  Hellsehen,  das  die  Kraft  verleiht,  in  den 
tiefsten  Zusammenhang  der  Dinge  zu  blicken. 

Im  einzelnen  gleichen  die  Anschauungen  Poes  über  den 
Magnetismus,  wie  er  sie  in  diesen  Erzählungen  ausspricht,  denen, 
die  wir  bei  den  Romantikern,  größtenteils  bei  Hoffmann,  finden, 
und  auch  denen  Mesmers  selbst.  Die  äußeren  Sinne  sind  un- 
tätig,  das   Empfindungsvermögen    ist   aber  ungemein   geschärft 


—     48     — 

und  von  den  Sinneswerkzeugen  unabhängig*.  Hoffmann  sagt  von 
einer  Somnambule:  „Sie  las  einen  Brief,  den  er  ihr  auf  die 
Herzgrube  legte  .  .  .'V^^)  und  anderswo:  „Denke  einmal,  liebe 
Adelgunde,  ich  träume  jetzt  oft,  ich  könnte  mit  geschlossenen 
Augen,  als  sei  mir  ein  anderer  Sinn  aufgegangen,  Farben  er- 
kennen, Metalle  unterscheiden,  lesen  usw.,  sobald  es  nur  Alban 
(sc.  der  Magnetiseur)  verlange ".^^^)  Die  Erklärung  dafür  suchten 
die  Romantiker  in  der  Annahme  eines  inneren  Körpers,  des 
Astralleibes,  der  unmittelbar  mit  der  Natur  in  Verbindung  stände, 
dessen  AVahrnehmungen  aber  im  wachen  Zustande  von  den  sinn- 
lichen Wahrnehmungen  übertäubt  würden.  Der  Astralleib  sei 
der  unsterbliche  Teil  des  Menschen.  —  Äußerungen  Poes  lassen 
erkennen,  daß  seine  Anschauungen  sehr  ähnlich  waren.  Als 
man  am  Schlüsse  des  Gesprächs  den  magnetischen  Zustand  auf- 
hebt, stirbt  der  Kranke  ganz  plötzlich  und  fällt  in  wenigen 
Augenblicken  in  einen  Zustand  von  Starrheit,  wie  er  gewöhnlich 
erst  längere  Zeit  nach  dem  Tode  einzutreten  pflegt.  Poe  deutet 
darauf  hin,  daß  der  irdische  Tod  schon  eingetreten  war,  als  der 
Hellsehende  noch  sprach.  „Had  the  sleep-waker,  indeed,  during 
the  latter  portion  of  his  discourse  been  adressing  me  from  out 
the  region  of  the  shadows?"^^^)  Das  Sprechen  nach  dem  leib- 
lichen Tode  ist  nur  daraus  zu  erklären,  daß  Poe  in  der  Tat 
einen  Astralleib  annahm,  was  auch  aus  folgenden  Worten  deutlich 
hervorgeht:  „There  are  two  bodies  —  the  rudimcntal  and  the  com- 
plete,  corresponding  with  the  two  conditions  of  the  worm  and 
the  butterfly.  What  we  call  „death"  is  but  the  painful  metamor- 
phosis.  Our  present  incarnation  is  progressive,  preparatory,. 
temporary.  Our  future  is  perfected,  ultimate,  immortal".^^^)  ..When 
I  am  entranced  the  senses  of  my  rudimental  life  are  in  abeyance^ 
and  I  perceive  external  things  directly,  without  organs,  through 
a  medium  which  I  shall  employ  in  the  ultimate,  unorganised 
life.""^) 

Den  Gedanken,  Schlaf  wach  ende  als  Weissager  darzustellen^ 
finden  wir  schon  bei  Hoffmann  verwertet,  und  zwar  im  „Kater 
Murr".  Dort  versetzt  ein  Italiener,  Severino,  ein  Mädchen,. 
Chiara,  in  sehr  tiefen  magnetischen  Zustand,  in  dem  ein  pro- 
phetischer Geist  in  ihr  aufglüht.^^^j  ijjj.g  wahrhafte  Weissagungs- 
gabe bringt  dem  Italiener  unendlichen  Zulauf  und  Gewinn.  Wie 
verschieden  ist  die  Ausführung  des  Gedankens!  Bei  Hoffmann 
ist  es  ein  Taschenspieler,  der  um  des  Gewinnes  willen  ein  Kind 
seinem  Willen  unterwirft,  sind  es  Neugierige,  die  müßige  Fragen 
stellen.  Bei  Poe  sehen  wir  ernste  Männer.  Um  ihren  Wissens- 
durst zu  befriedigen  und  Fragen  aufzuklären,  die  vor  dem  Hell- 
sehenden wohl  offen  daliegen,  deren  Lösung  aber  mit  der  Ekstase 


—     49     — 

verschwunden  ist,  wird  diese  künstlich  herbeigerufen.  Poe  hat 
also  das  Problem  von  einem  höheren  Standpunkte  aus  be- 
trachtet. 

Weiter  ausgebildet  ist  die  Idee,  die  die  vorige  Novelle 
schloß,  in  der  zweiten  Erzählung:  „THE  FACTS  IN  THE  GASE 
OF  M.  VALDEMAR".^^^)  Ein  Kranker  wird  kurze  Zeit,  ehe  der 
Tod  eintreten  muß,  in  magnetischen  Zustand  versetzt  und  einfach 
dadurch,  daß  man  diesen  nicht  aufhebt,  scheinbar  am  Leben 
erhalten.  Scheinbar!  Denn  man  ist  sich  nicht  ganz  klar  darüber^ 
ob  der  Magnetisierte  wirklich  tot  ist  oder  noch  lebt.  Auf  Fragen 
gibt  er  zunächst  an,  daß  er  schlafe,  dann,  daß  er  noch  schlafe,, 
aber  im  Sterben  liege,  bis  plötzlich  eine  starke  Änderung  in 
seinem  Aussehen  eintritt.  Er  nimmt  ganz  das  Aussehen  eines 
Toten  an,  die  Farbe  weicht  aus  seinen  Wangen,  der  Unterkiefer 
klappt  herunter.  Als  aber  wieder  die  Frage,  ob  er  noch  schlafe, 
an  ihn  gestellt  wird,  antwortet  er,  doch  mit  ganz  veränderter, 
schriller,  hohler  und  gebrochener  Stimme:  „Yes  —  no;  —  I  have 
been  sleeping  —  and  now  —  now  —  I  am  dead".^^"*)  Er  spricht 
mit  Tönen,  die  aus  weiter  Ferne  zu  kommen  scheinen,  ohne  die 
geöffneten    Kiefer   zu   bewegen.     Nur   die   Zunge  zittert   stark. 

—  Im  gleichen  Zustande  bleibt  der  Körper  sieben  Monate!  Als 
man  nach  dieser  Zeit  wiederum  eine  Frage  an  ihn  richtet,  bricht 
zum  zweiten  Male  die  seltsame  Stimme  aus  dem  starren  Munde 
hervor:  „For  God's  sake!  —  quick  —  quick!   put  me  to    sleep 

—  or  quick!  —  waken  me!  —  quick!  I  say  you  that  I  am 
dead".^'-^)  Und  als  man  nun  schnell  den  magnetischen  Zustand 
aufhebt,  da,  unter  Ausrufungen:  dead!  dead!  schrumpft  in  weniger 
Zeit  als  einer  Minute  der  Körper  unter  den  Händen  der  Ärzte 
zusammen.  Auf  dem  Bette  lag  eine  beinahe  flüssige  Masse 
häßlicher,  widriger  Verwesung. 

Über  die  Möglichkeit  der  Erzählung,  die  das  Abscheulichste 
enthält,  was  Poe  geschrieben  hat,  ist  es  wohl  unnötig,  zu  sprechen. 
Zur  damaligen  Zeit  ergingen  aber  viele  Fragen  an  den  Ver- 
fasser, ob  der  Fall  in  der  Tat  vorgelegen  habe.  Er  hat  selbst 
gesagt,  die  Erzählung  sei  reine  Erfindung. ^^^)  Sie  dürfte  demnach 
als  „hoax"  aufzufassen  sein.  Daß  Poe  an  die  Möglichkeit  der 
Durchführung  dieses  oder  eines  weniger  übertriebenen  Falles 
geglaubt  hat,  ist  nicht  zu  erweisen,  aber  unwahrscheinlich. 

Einige  besondere  Punkte  sind  hervorzuheben.  Die  Stimme 
des  Magnetisierten  tönt  wie  aus  weiter  Ferne,  sie  hat  einen 
ganz  anderen  Klang  als  im  gewöhnlichen  Zustand.  Es  soll  wieder 
darauf  hingewiesen  werden,  daß  zwei  Wesen  im  Menschen 
wohnen,  das  eine,  innere,  uns  unsichtbar  und  nur  im  Schlafe 
zutage  tretend.    Vielleicht   soll  auch  die  Änderung   der  Stimme 


—    50    — 

ein  Zeichen  dafür  sein,  daß  der  äußere  sich  schon  vom  inneren 
Leib  getrennt  hat  und  im  Totenreiche  weilt. 

So  weit  war  keiner  der  Romantiker  gegangen.  Sie  waren 
auch  der  Meinung,  daß  im  Somnambulen  und  Schlafwachenden 
ein  anderes  Wesen  die  Vorherrschaft  über  den  sinnlichen  Leib 
gewonnen  habe,  und  ließen  darum  die  Somnambulen  mit  ver- 
änderter Stimme  sprechen.  Hoffmann  z.  B.  sagt:  „Die  somnam- 
bule Dame  fing  an,  zu  reden,  aber  mit  ganz  verändertem,  seltsam 
und,  wie  ich  gestehen  muß,  über  die  Maßen  wohlklingendem 
Organ  .  .  .'V^')  ^^^  ^^  anderer  Stelle  spricht  er  von  ..der  ins 
Herz  dringenden,  das  Innerste  erfassenden  Geisterstimme"^^^) 
der  Somnambule.  Aber  es  soll  immer  nur  auf  die  Doppelnatur 
im  Menschen  hingewiesen  werden  und  daß  es  der  innere  Mensch 
ist,  der  aus  dem  Somnambulen  spricht.  Nie  wird  er  von  dem 
meist  nur  im  Schlafe  liegenden,  niemals  leblosen  äußeren  Menschen 
getrennt. 

Auf  die  Spitze  getrieben  ist  der  Gedanke,  durch  Magnetismus 
ein  Leben  künstlich  zu  erhalten,  in  der  dritten  Erzählung  der 
Gruppe:  „A  TALE  OF  THE  RAGGED  MOUNTAINS".^^^^) 

Der  Erzähler  lernte  in  den  Ragged  Mountains  einen  Herrn 
Bedloe  kennen,  einen  Mann  von  eigentümlicher  Erscheinung. 
Er  war  sehr  lang,  dünn  und  hatte  große  runde  Augen,  die  im 
Augenblick  der  Erregung  äußerst  hell  funkelten,  gewöhnlich 
aber  den  erloschenen  Augen  eines  Menschen  glichen,  der  schon 
lange  im  Grabe  gelegen  hat.  Bedloe  hatte  zum  ständigen  Be- 
gleiter einen  Arzt,  Dr.  Templeton,  der  auf  die  Lehren  Mesmers 
schwur,  Bedloe  nur  magnetisch  behandelte  und  mit  ihm  in 
stetigem  „Rapport"  stand.  Bedloe  hatte  die  Angewohnheit,  früh 
etwas  Morphium  zu  sich  zu  nehmen,  dann  allein  auf  eine  nahe 
Hügelkette  zu  gehen  und  den  Vormittag  da  zu  verträumen. 
Eines  Tages  blieb  er  sehr  lange  aus  und  kam  erst  am  Abend 
heim,  ungewöhnlich  erregt.  Er  berichtete,  daß  er  am  Vormittag 
in  eine  einsame,  ihm  noch  fremde  Schlucht  gekommen  sei,  in 
der  ihm  seltsame  Abenteuer  zugestoßen  wären.  Er  habe  fremde 
Menschen,  Hyänen,  Palmen  gesehen  und  sei  schließlich  in  eine 
Stadt  gekommen,  die  ganz  morgenländischen  Charakter  getragen 
und  in  der  ein  wilder  Kampf  getobt  hätte.  Er  habe  daran  teil- 
genommen, sei  aber  von  einem  schwarzen  Giftpfeil  von  der 
Form  einer  Schlange  getroffen  worden  und  gestorben.  Lange 
habe  er  nur  das  Gefühl  des  Nichtseins  und  der  Finsternis  gehabt, 
mit  dem  Bewußtsein  des  Todes.  Dann  aber  sei  ein  heftiger 
Stoß  wie  ein  elektrischer  Schlag  durch  seine  Seele  gefahren. 
Das  Gefühl  der  Elastizität  und  des  Lichtes  sei  wiedergekommen. 
Das  Licht  habe  er  nicht  gesehen,   sondern  gefühlt.     Schließlich 


—    51    — 

sei  er  aufgestanden.  Unter  ihm  habe  sein  Körper  gelegen,  ge- 
schwollen und  entstellt.  Er  hätte  keine  körperliche,  sichtbare, 
hör-  oder  fühlbare  Erscheinung  gehabt,  auch  keinen  Willen. 
Eine  fremde  Gewalt  habe  ihn  bewegt  und  den  Weg  zurück- 
getrieben. Am  Anfang  der  Schlucht  habe  er  wieder  das  Gefühl 
wie  von  einem  elektrischen  Schlag  gehabt,  und  das  Gefühl  des 
Gewichtes,  Willens  und  Stoffes  sei  ihm  zurückgekommen.  Er 
sei  wieder  geworden,  was  er  vorher  gewesen  wäre,  und  sei 
schnell  heimgegangen,  könnte  aber  jetzt  noch  nicht  glauben,  daß 
er  nur  geträumt  habe.  So  lebhaft  seien  seine  Vorstellungen 
gewesen.  Hier  liel  Dr.  Templeton  ein,  es  sei  in  der  Tat  kein 
Traum  gewesen,  doch  sei  schwierig,  zu  sagen,  was  es  in  Wirklich- 
keit gewesen  sei.  Darauf  zeigte  er  ein  kleines  Bild  vor,  das 
Bedloe  tief  erschreckte.  Es  trug  getreu  seine  Züge.  Das  Bild, 
fuhr  der  Arzt  fort,  stelle  seinen  Freund  Oldeb  dar,  der  vor 
30  Jahren  in  der  indischen  Stadt  Benares  im  Kampfe  gegen  Ein- 
geborene durch  einen  schwarzen  Giftpfeil  von  der  Form  einer 
Schlange  gefallen  sei.  Er  habe  alles  versucht,  den  Tod  von 
ihm  abzuwenden.  Die  Einzelheiten  des  Kampfes  und  die 
Schilderung  der  Stadt,  die  Bedloe  berichtet  habe,  glichen  genau 
den  Tatsachen.  Bedloe  habe  eine  Vision  gehabt,  denn  zur  selben 
Zeit,  wo  er  träumte,  hätte  er  —  Dr.  Templeton  —  die  Er- 
zählung niedergeschrieben,  die  Bedloe  vorgetragen  hätte.  Dabei 
wies  er  die  frisch  geschriebenen  Blätter  vor.  —  Eine  Woche 
darauf  las  der  Erzähler,  daß  Dr.  Templeton  den  Tod  seines 
Freundes  Bedlo  anzeigte,  der  einem  Zufall  zum  Opfer  gefallen 
sei.  Unter  Blutegeln  habe  sich  ein  giftiger  Egel  befunden,  dessen 
Biß  Bedlo  getötet  habe.  Der  Egel  sei  schwarz  gewesen  und 
habe  die  Form  und  Bewegung  einer  Schlange  gehabt.  Und  wie 
der  Erzähler  Bedlo  —  ohne  e  —  las,  da  durchfuhr  es  ihn,  daß 
Bedlo  nichts  sei  als  die  Umkehrung  von  Oldeb. 

Es  ist  zweifellos,  daß  die  Erzählung  im  Kern  auf  eine  Vision 
Poes  zurückgeht.  Er  deutet  auch  selbst  darauf  hin,  wenn  er 
sagt,  daß  Bedloe  jeden  Morgen  Morphium  nimmt.  Dazu  paßt 
eine  nervös  gesteigerte  Aufmerksamkeit  an  allem  Umgebenden, 
die  f^e  an  Bedloe  beschreibt,  passen  ferner  die  Vorstellungen 
von  wilden  Tieren,  fremden  Menschen,  blutigen  Kämpfen  und 
Schlachtenlärm,  auch  das  Gefühl  der  Körperlosigkeit,  während 
die  Architekturvorstellungen,  die  z.  B.  auch  Coleridge  hatte,  mehr 
dem  Einfluß  des  Opiums  zugeschrieben  werden.  Doch  ist  die 
Frage  nach  der  x4.rt  des  Rausches,  in  dem  das  Bild  entstand, 
für  uns  unwichtig.  Wenn  wir  auch  als  feststehend  annehmen, 
daß  Poe  um  eine  Vision  als  Kern  die  Personen  und  mesmerischen 
Erscheinungen  nur  als  Beiwerk  aus  zweiter  Hand  angereiht  hat. 


—     52     — 

teils  um  das  dunkle  Bild  zu  klären,  teils  um  es  noch  geheimnis- 
Toller  zu  machen,  so  haben  wir  doch  die  Erzählung-  als  Ganzes 
anzusehen  und  zu  würdigen. 

Sie  ist  im  Grunde  eine  Weiterbildung  des  führenden  Ge- 
dankens in  der  vorigen  Novelle.  Obwohl  es  nirgends  deutlich 
ausgesprochen  wird,  drängt  sich  doch  die  Vermutung  auf,  daß 
Bedloe,  ehe  der  Tod  durch  das  Pfeilgift  eintrat,  von  Dr.  Templeton 
magnetisiert  und  künstlich  dadurch  am  Leben  erhalten  wurde. 
So  unsinnig  uns  heute  auch  die  Annahme  erscheinen  muß,  deuten 
doch  der  Name  Oldeb-Bedlo,  das  Bild,  der  zweite  Tod  darauf 
hin.  Der  Tod  besonders.  Nach  dem  Bericht  des  Bedloe  hatte 
ihn  ein  vergifteter  Pfeil  aus  schwarzem  Holz,  wie  eine  Schlange 
geringelt,  getötet.  Der  endgültige  Tod  aber  erfolgt  durch  einen 
giftigen  Blutegel,  der  sich  von  den  gewöhnlichen  durch  eine 
eigentümliche  schlangenähnliche  Bewegung  und  die  schwarze 
Farbe  unterscheidet.  Es  ist  dies  eine  so  augenfällige  Überein- 
stimmung zwischen  dem  Pfeil  und  dem  Blutegel,  daß  man  die 
zweite  Todesnachricht  nur  als  Vorwand  und  als  Verhüllung  der 
Ursachen  des  ersten  Todes  ansehen  muß.  Und  dann  bleibt  keine 
andere  Annahme  übrig,  als  daß  wie  in  „The  Facts  in  the  Gase  of 
M.  Valdemar"  der  Verfall  durch  die  Aufhebung  des  mesmerischen 
i^ustandes  eingetreten  ist.  Ja  Poe  sucht  sogar  im  Leser  den 
Eindruck  zu  erwecken,  als  sei  Bedloe  in  dem  Kampfe  wirklich 
gestorben.  Dies  geht  aus  der  Beschreibung  des  Äußeren  und  der 
Empfindungen  Bedloes  hervor,  als  der  Pfeil  ihn  verwundet  hat. 
Die  Verwirrung  des  Lesers  soll  damit  wohl  auf  die  Spitze  ge- 
trieben werden. 

Die  deutschen  Romantiker  haben  derartige  Ansichten  über 
die  Macht  des  Mesmerismus  nicht  geäußert.  Auch  sie  haben 
zwar  Menschen  geschildert,  die  mit  einem  Magnetiseur  so  voll- 
kommen in  Rapport  standien,  daß  ihr  Dasein  schließlich  von 
diesem  abhing.  Hoffmann  hat  in  mehreren  Erzählungen  die 
Frage  aufgerollt.  Er  läßt  den  Magnetiseur  so  großen  Einfluß 
auf  einen  Magnetisierten  ausüben,  daß  er  imstande  ist,  diesen 
zu  töten  oder  wenigstens  in  Gefahr  des  Lebens  zu  bringen. 
Im  „Unheimlichen  Gast-'^^o)  ^yendet  ein  italienischer  Graf'^ein 
Mädchen  von  ihrem  Bräutigam  ab  und  läßt  sie  am  Altar  am 
Herzschlag  sterben;  im  „öden  Haus"  ^2^)  fällt  ein  junger  Mann 
durch  den  magnetischen  Einfluß  einer  Wahnsinnigen  in  schwere 
Krankheit,  die  ihn  dem  Tode  nahe  bringt.  Die  vollständige 
Abhängigkeit  von  einem  fremden  Menschen  ist  weiter  im  „Magne- 
tiseur*' geschildert,  wo  ein  Mädchen,  Marie,  sagt:  „Zuweilen 
muß  ich  plötzlich  an  Alban  denken;  er  steht  vor  mir,  und 
ich  versinke   nach   und  nach   in   einen  träumerischen  Zustand, 


—     53     — 

dessen  letzter  Gedanke,  in  dem  mein  Bewußtsein  untergeht^ 
mir  fremde  Ideen  bringt,  welche  mit  besonderem,  ich  möchte 
sagen  golden  glühendem  Leben  mich  durchstrahlen,  und  ich 
weiß,  daß  Alban  diese  göttlichen  Ideen  in  mir  denkt,  denn  er 
ist  dann  selbst  in  meinem  Sein  wie  der  höhere  belebende  Funke^ 
und  entfernt  er  sich,  was  nur  geistig  geschehen  kann,  da  die 
körperliche  Entfernung  gleichgültig  ist,  so  ist  alles  erstorben". ^^2) 
Und  schließlich  geht  auch  sie  am  Nervenschlag  zugrunde.  —  Der 
Magnetiseur  Alban  hat  die  Absicht,  Marien  ganz  in  sein  Selbst 
zu  ziehen,  ihre  ganze  Existenz,  ihr  Sein  so  mit  dem  Seinigen 
zu  verweben,  „daß  die  Trennung  sie  vernichten  muß".^^^)  Man 
sieht  also,  Hoffmann  schrieb  dem  Mesmerismus  so  viel  Gewalt 
zu,  daß  man  mit  seiner  Hilfe  einen  Menschen  töten  könne,  ohne 
aber  die  Frage,  ob  die  gleiche  Macht  einen  Sterbenden  am  Leben 
zu  erhalten  vermöge,  nur  zu  streifen.  Ihre  Möglichkeit  oder 
sie  auch  nur  zu  denken,  lag  in  zu  weiter  Ferne. 

Der  von  den  Romantikern  oft  ausgeführte  Gedanke  von 
innigen  geistigen  Beziehungen  mußte  zu  ähnlichen  Visionen 
führen,  wie  sie  Poe  in  „A  Tale  of  the  Ragged  Mountains" 
schilderte.  Ein  Beispiel  dafür  liegt  in  Hoffmanns  Erzählung 
,.Das  Gelübde"  vor.^^"*)  Ein  Mädchen  hat  die  Vision  ihres  Ge- 
liebten. Sie  sieht  ihn  in  der  Schlacht,  läßt  sich  mit  ihm  von 
einem  Feldprediger  trauen  und  sieht  ihn  wieder  in  die  Schlacht 
ziehen  und  fallen.  Wochen  später  eintreffende  Nachrichten  lassen 
erkennen,  daß  das  Mädchen  nur  die  Tatsachen  geschaut  hatte. 
Hier  kann  auch  die  Vision  des  Grafen  vom  Strahl  und  Käthchens 
in  Heinrichs  v.  Kleist  „Käthchen  von  Heilbronn"  angeführt 
werden.  Sie  beide,  durch  unbewußten  magnetischen  Einfluß 
verbunden,  sind  in  der  Sylvesternacht  durch  eine  weite  Entfernung 
getrennt.  Schwerkrank  liegt  der  Graf  in  seinem  Schlosse  nieder, 
glaubt  aber,  bei  Käthchen  in  der  Kammer  zu  sein,  sieht  sie  und 
hört  sie  sprechen.  Käthchen  befindet  sich  in  ihrer  Kammer  in 
Heilbronn,  wo  sie  den  Grafen  vor  sich  stehen  sieht  und  mit 
ihm  spricht  und  ihm  mit  denselben  Worten  Rede  und  Antwort 
steht,  als  der  Graf  träumt.^-^) 

Wenn  es  auch  ausgeschlossen  scheint,  daß  die  Vision  des 
Bedlo  aus  Anregungen  von  solchen  Schilderungen  entstanden 
sei  —  denn  es  liegt  wohl  eine  wirkliche  Vision  zugrunde  — ,  so 
ist  doch  der  Gedanke  nicht  ohne  weiteres  abzulehnen,  daß  der 
Aufbau  der  Erzählung  von  romantischen  Einflüssen  nicht  frei 
sei.  Wir  haben  eine  Vision  Poes,  nicht  als  Erzählung,  sondern 
als  Vision  eines  andern  und  durch  magnetische  Einflüsse  erklärt. 
Des  Morphiums  wird  nur  nebenbei  Erwähnung  getan.  In  allen 
andern  Fällen   aber  gibt  Poe  mit  rauher  Offenheit  die  Gründe 


—     54     — 

seiner  Visionen  zu,  meist  llauschzustände.^-^)  Eben  diese  Ver- 
hüllung der  Vision  in  das  Gewand  ,des  Mesmerismus  läßt  An- 
regungen von  Hoffmann  nicht  ausgeschlossen  erscheinen.  Bei 
diesem  finden  wir  auch  eine  ähnliche  Schilderung  der  Vorstellung, 
aus  seinem  Körper  herauszufahren,  und  zwar  im  „Hund  Berganza", 
der  sagt^-'):  „Als  ich  wieder  zur  Besinnung  kam,  lag  ich  an 
der  Erde;  ich  konnte  keine  Pfote  mehr  regen.  Es  war,  als 
müsse  ich  aus  meinem  eignen  Körper  herausfahren;  zuweilen 
sah  ich  mich  als  ein  zweiter  Berganza  daliegen,  und  das  war 
ich  wieder  selbst,  und  der  Berganza,  der  den  andern  unter  den 
Fäusten  der  Hexen  sah,  Avar  ich  auch". 

Schneidet  man  in  noch  höherem  Maße  als  bisher  das  äußere, 
verwirrende  Beiwerk  weg  und  sucht  den  Kern  der  Erzählung, 
so  scheint  sie  in  die  Reihe  derer  zu  gehören,  die  eine  lange 
Unterbrechung  des  Lebens  und  plötzliches  Erwachen  daraus  oder 
ein  Zwischenleben  in  vollkommen  veränderter  Gestalt  zum  Inhalt 
haben.  Es  sind  meist  Sagen  oder  Märchen  und  gehen  häufig 
auf  Mythen  zurück.  Ohne  auf  Mythen,  wie  den  von  Brünhild, 
oder  Sagen,  wie  die  vom  Rotbart,  irgendwie  einzugehen,  sollen 
nur  einige  der  von  den  Brüdern  Grimm  gesammelten  Volks- 
märchen zum  Vergleich  herangezogen  werden.  Denn  es  ist 
wenigstens  die  Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen,  daß  Poe  die 
Märchensammlung  in  der  Hand  gehabt  habe.  Von  der  großen 
Zahl  von  Volksmärchen  mit  ähnlicher  Grundlage  könnten  an- 
geführt werden:  „Die  sieben  Raben",  „Von  dem  Machandelboora", 
„Dornröschen",  „Der  Bärenhäuter",  „Frau  Holle",  die  die  be- 
kanntesten sind.  Nähere  Verwandtschaft  noch  als  diese  Märchen 
hat  mit  unserer  Erzählung  Hauffs  Märchen  vom  „Zwerg  Nase", 
der  lange  Jahre  bei  einer  alten  Hexe  zubringt,  die  ihm  aber 
nur  kurze  Zeit  dünken.^ -^) 

Aber  auch  unter  den  eigentlichen  romantischen  Novellen 
können  wir  auf  ein  Urbild  unserer  Erzählung  stoßen,  das  frei- 
lich nur  eine  schwache  Ähnlichkeit  mit  ihr  aufzuweisen  hat: 
„Klein  Zaches  genannt  Zinnober"  ^^^)  von  Hoff  mann. 

Klein  Zaches  lebt  so,  wie  er  der  Welt  erscheint,  nur  durch 
die  Kraft  einer  Fee,  wie  Bedloe  durch  die  Gewalt  des  Arztes. 
Er  führt  wie  dieser  ein  zweites  Leben  gewissermaßen,  das  mit 
dem  Aufhören  der  fremden  Einwirkung  zugrunde  geht.  Freilich 
sind  die  Unterschiede  zwischen  beiden  Erzählungen  zu  groß,  als 
daß  man  einen  wirklichen  Einfluß  von  „Klein  Zaches"  auf 
„A  Tale  of  the  Ragged  Mountains"  vermuten  könnte.  Sie  sind  nur 
als  Glieder  einer  Gruppe  von  Erzählungen  mit  ähnlichen  Grund- 
lagen anzusehen.  Aber  in  „Klein  Zaches"  haben  wir  ein  Kapitel, 
das  unserer  Erzähluno-  schon  bedeutend  näher  kommt,  das  „von 


—    55    — 

der  unbekannten  Völkerschaft,  die  der  Gelehrte  Ptolemäus 
Philadelphus  auf  seinen  Reisen  entdeckte".  Ptolemäus  Phila- 
delphus  pflegte  tags  zu  ruhen  und  des  Nachts  zu  reisen.  Auf 
einer  seiner  Fahrten  war  er  im  Wagen  eingeschlafen,  wurde 
aber  plötzlich  durch  einen  Stoß  auf  den  Boden  geschleudert.  Es 
war  heller  Tag.  Vor  sich  sah  er  die  Türme  einer  großen  Stadt, 
auf  die  er  zuging.  Vor  den  Toren  begegneten  ihm  Leute  von 
solch  wunderlichem  Aussehen  und  Wesen,  daß  er  „sich  erstaunt 
die  Augen  rieb,  um  zu  erforschen,  ob  er  wirklich  wache  oder 
ob  nicht  vielleicht  ein  toller  neckhafter  Spuk  ihn  in  ein  fremdes 
Land  versetzte". ^^^)  Es  ergibt  sich  aber,  daß  er  an  die  Uni- 
versitätsstadt Kerepes  gekommen  war  und  daß  die  wunderlichen 
Fremdlinge  Studenten  waren. 

Der  ähnliche  Zug,  daß  Ptolemäus  wie  Bedloe  sich  plötzlich 
in  ein  fremdes  Land  oder  in  einen  andern  Erdteil  versetzt  linden, 
ist  unverkennbar. 

Als  Mittelglied  zwischen  „Klein  Zaches"  und  „A  Tale  of 
the  Ragged  Mountains"  ist  die  Novelle  „Rip  Van  Winkle"  ^^*) 
aus  Washington  Irvings  „Sketchbook"  anzusehen.  Wir  haben 
hier  den  gleichen  Grundzug  wie  in  den  Sagen  vom  Rotbart, 
und  wenn  wir  annehmen,  Poe  habe  diese  nicht  gekannt,  so  ist 
diese  Vermutung  bei  den  Werken  Irvings  ausgeschlossen.^-^'^) 
Außer  der  Grundidee,  auf  die  wiederum  einzugehen  wohl  un- 
nötig ist,  zeigen  sich  Ähnlichkeiten  im  einzelneu.  Rip  Van  Winkle 
und  Bedloe  stoßen  in  ihnen  längst  bekannter  Gegend  plötzlich 
auf  Schluchten,  die  sie  noch  nie  gesehen  haben,  und  erleben  in 
einer  Gegend,  deren  Zugang  die  Schlucht  bildet,  seltsame  Aben- 
teuer. Sogar  die  Schilderung  der  Schluchten  ist  ähnlich,  und 
wenn  Irving  sagt:  „Passing  through  the  ravine,  they  came  to 
a  hollow,  like  a  smaÜ  amphitheater,  surrounded  by  perpendicular 
precipices,  over  the  brink  of  which  impending  trees  shot  their 
branches,  so  that  you  only  caught  glimpses  of  the  azure  sky 
and  the  bright  evening  cloud",  so  könnte  diese  Schilderung 
ebensogut  in  Poes  Erzählung  stehen,  so  gleichartig  ist  der 
Eindruck  tiefster  Einsamkeit  und  Verlassenheit,  den  beide  Dichter 
beabsichtigen  und  erzielen. 

Es  ist  an  dieser  Stelle  so  hohes  Gewicht  auf  die  Beziehungen 
zwischen  Poes  und  Irvings  Novelle  gelegt  worden,  weil  Irving* 
unverkennbar  unter  dem  Einflüsse  der  deutschen  Literatur  stand. 
Poe  hat  aber  die  Werke  Irvings  gut  gekannt  und  oft  stark 
benutzt,  wodurch  die  deutsche  Dichtung  einen  indirekten  Ein- 
fluß auf  ihn  ausübte. 

Wenn  wir  nun  noch  einen  Blick  über  die  mesmerischen 
Erzählungen  Poes  im  ganzen  werfen  und  sie  mit  den  romantischen 


—     56     — 

Erzählungen  gleichen  Inhalts  vergleichen,  so  ergibt  sich  die 
Ähnlichkeit  der  Absicht  und  der  Wirkung.  Die  Absicht  war 
hier  wie  dort,  durch  die  unsichtbaren  Kräfte  des  Magnetismus 
Wunderbares  zu  vollbringen.  Die  Wirkung  ist  selten  anders  als 
tragisch.  Kleist  allein  läßt  die  Beziehungen  zwischen  Käthchen 
von  Heilbronn  und  dem  Grafen  vom  Strahl  einen  glücklichen 
Ausgang  nehmen.  Bei  Hoffmann  endet  keine  der  hierher  ge- 
hörenden Erzählungen  gut.  Tod,  zum  mindesten  schwere  Krank- 
heit sind  das  Ende.  Das  gleiche  finden  wir  bei  Poe.  Die  be- 
treffenden Novellen  nehmen  ein  unerwartetes,  grauenhaftes  Ende 
und  wirken  tief,  noch  stärker  als  z.  B.  Hoffmanns  Erzählungen 
über  Magnetismus.  Dieser  verwendet  Zauberspiegel,  wunder- 
tätige Pokale,  magnetische  Bäume  und  Bilder  und  ähnliche 
Mittel.  Dies  stört,  macht  den  unbefangenen  Leser  verdrießlich 
und  raubt  ihm  oft  den  Glauben  an  die  Möglichkeit  des  Erzählten. 
Poe  aber  verzichtet  auf  sämtliche  Kunstgriffe  und  läßt  die 
nackten  Tatsachen  durch  ihre  Unbegreiflichkeit  und  Ungeheuer- 
lichkeit wirken.  Es  sind  nicht  schwache,  scheue  Mädchen  oder 
fremden  Einflüssen  leicht  zugängliche,  phantasiereiche  Jünglinge, 
sondern  Männer,  die  er  dem  magnetischen  Einflüsse  unterwirft, 
zwar  kranke  oder  dem  Tode  nahe,  doch  ganze  Männer.  Hoff- 
manns Magnetiseure  tragen  schon  äußerlich  den  Stempel  von 
etwas  Außerordentlichem.  Es  sind  gewöhnlich  mephistophelische 
Gestalten,  groß  und  schlank,  mit  scharf  gekrümmter  Nase  und 
brennend  schwarzen  Augen  und  rabenschwarzem  Haar.  Nichts 
von  derartigem  Aufputz  verwendet  Poe.  In  „Mesmeric  Reve- 
lation"  und  „The  Facts  in  the  Gase  of  M.  Valdemar"  wird  der 
Magnetiseur  überhaupt  nicht  beschrieben,  in  „A  Tale  of  the 
Eagged  Mountains"  unterscheidet  sich  Dr.  Templeton  in  gar 
nichts  von  einem  gewöhnlichen  Menschen.  Aber  gerade  dadurch, 
daß  Poe  jede  äußerliche  Aufmachung  verschmähte,  hat  er  viel 
seiner  starken  Wirkung  erzielt.  Wir  haben  so  die  merkwürdige 
Tatsache  zu  verzeichnen,  daß  Hoffmanns  Erzählungen,  die  im 
Ernste  geschrieben  waren,  vielfach  nur  ein  skeptisches  Lächeln 
hervorriefen,  während  Poes  Novellen,  die  bestimmt  Lügen- 
geschichten sind,  von  vielen  als  Tatsachen  angesehen  wurden. 
Wir  kommen  nun  im  folgenden  auf  Poes  ureigenstes  Ge- 
biet, zu  Erzählungen  voll  von  fixen  Ideen,  hysterischer  Willens- 
losigkeit,  grausamen  Trieben,  unvergänglicher  Liebe.  Es  sind 
Novellen,  die  Poe  mit  seinem  Herzblute  geschrieben  hat  und 
die  sein  Bestes  enthalten;  es  ist  „eine  einzige  Kette  von  wilden, 
zusammenhanglosen,  unmotivierten  Schrecknissen,  eine  krampf- 
hafte Häufung  des  Furchtbarsten,  und  dieses  Furchtbare  war 
erlebt!^' 133) 


—     57     — 

Es  sollen  zuerst  zwei  Erzählungen  besprochen  werden,  die 
,.thc  imp  of  the  perverse"  erörtern,  den  Dämon  des  Bösen. 

Unter  dem  Geist  des  Bösen  versteht  Poe  die  Neigung-,  das 
Böse  zu  tun,  weil  es  böse  ist,  weil  man  erkannt  hat,  wie 
schlimme  Folgen  es  nach  sich  zieht,  weil  es  verboten  ist.  Es 
ist  das  Gefühl,  das  jeder  hat,  der  in  einen  Abgrund  hinabsieht 
und  den  ein  rasendes  Begehren  treibt,  sich  hinabzustürzen,  ob- 
wohl er  weiß,  daß  es  sein  Tod  ist.  Es  ist  die  Freude  am  Ver- 
derblichen, für  die  wir  vergebens  nach  einer  Ursache  suchen 
und  die  jedem  Menschen  innezuwohnen  scheint.  Es  ist  der 
Trieb,  die  Gesetze  zu  übertreten,  nicht  weil  man  Vorteil  von 
der  tlbertretung  hat  oder  weil  sie  ung-erecht  sind,  sondern  weil 
man  weiß,  daß  sie  gut  sind.  Nur  der  Charakterfeste  kann  den 
Trieb  überwinden,  den  Grübler  und  Überempfindlichen  reißt  er 
mit  sich  fort.  Und  weil  Poe  so  überaus  zart  besaitet  und 
nervös  war,  kannte  er  den  Geist  des  Bösen  so  g*ut.  Er  hatte 
seine  Macht  so  oft  an  sich  erfahren  müssen.  Er  wußte  wohl 
von  dem  zerstörenden  Einfluß  des  Alkohols  und  anderer  Reiz- 
mittel auf  seinen  Körper  und  Geist,  er  hatte  nicht  den  kleinsten 
Genuß  davon  und  trank  als  Barbar,  er  wußte  auch,  daß  nach 
jeder  Ausschreitung  die  heftigsten  Schmerzen  folgten,  und  konnte 
doch  nicht  der  Versuchung  widerstehen.  Gerade  in  den  Augen- 
blicken, als  sein  Leben  eine  Wendung  zum  Bessern  nehmen 
sollte  und  er  am  meisten  nötig  hatte,  sich  nüchtern  zu  halten, 
gerade  da  war  es  ihm  unmöglich,  seinem  bessern  Wissen  und 
Wollen  zu  folgen.  Denn  wenn  der  Gedanke  des  Bösen  einmal 
aufgetaucht  war,  da  wich  er  nicht  wieder,  sondern  faßte  in  dem 
Grübler  immer  festern  Fuß,  bis  endlich  die  gemarterte  Natur 
nachgab  und  das  Unheil  seinen  Lauf  nahm.  In  jeder  der 
folgenden  Erzählungen  haben  wir  in  der  Hauptperson  ein  ge- 
treues Abbild  des  Dichters. 

In  „THE  IMP  OF  THE  PERVERSE"  i^*)  sehen  wir  zwei 
Freunde,  die  sich  lieben,  bis  der  eine  den  andern  ermordet,  um 
ihn  zu  beerben.  Der  Plan,  monatelang  kalt  erwogen,  war  so 
sicher  angelegt,  daß  jede  Entdeckung,  sogar  der  geringste  Ver- 
dacht, außer  dem  Bereich  der  Möglichkeit  lag;.  Der  Mörder 
erbte  des  Toten  Besitz  und  schwelgte  in  dem  Gefühle  unbedingter 
Sicherheit,  bis  endlich  dieses  Gefühl  ihn  zu  peinigen  anfing,  weil 
es  ihn  nie  verließ,  wie  eine  Melodie,  die  wir  immer  hören,  uns 
quält,  und  wenn  sie  noch  so  schön  klingt.  Und  wenn  er  sich 
seiner  Sicherheit  freute,  so  pflegte  er  immer  leise  zu  sich  zu 
sagen:  „Ich  bin  sicher!"  Eines  Tages  murmelte  er  wieder  im 
Gehen  gewohnheitsmäßig  die  Worte  vor  sich  hin:  „Ich  bin 
sicher!"  und  fuhr  unbewußt  fort:  „Ich  bin  sicher,  ich  bin  sicher, 


—    58    — 

ja  wenn  ich  nicht  so  töricht  bin,  ein  offnes  Bekenntnis  ab- 
zulegen". Kaum  aber  waren  ihm  seine  Worte  zum  Bewußtsein 
gekommen,  als  ein  kalter  Schauer  ihm  durchs  Herz  fuhr.  Er 
wußte,  daß  er  unfähig  war,  diesen  Gedanken  zu  vertreiben, 
wußte,  daß  die  Idee,  sich  selbst  anzuzeigen,  ihn  unablässig 
peinigen  und  verfolgen  würde,  bis  er  der  Qual  durch  die  Be- 
friedigung des  selbstzerstörerischen  Gedankens  ein  Ende  machen 
würde.  Er  rannte,  um  nicht  zu  Gedanken  zu  kommen,  schrie, 
um  die  Stimme  zu  übertäuben,  die  lauter  und  lauter  in  seinen 
Ohren  klang,  bis  er  das  Bekenntnis  herausschrie.  Dann  erst 
wurde  es  ruhig  in  ihm,  als  man  ihn  zum  Gefängnis  führte. 

Es  versteht  sich,  daß  es  keineswegs  Keue  war,  was  den 
Verbrecher  zum  Geständnis  brachte.  Es  war  nur  der  perverse 
Gedanke,  der  nicht  wich,  sobald  er  einmal  aufgetaucht  war. 

Die    andere   Erzählung    „THE   BLACK   CAT"!^^-^)   ^^^   ^|g^ 
gleichen   Gedanken  zur  Grundlage.    Ein  Mann  findet  viel  Ge- 
fallen  an   Tieren.    Er  hat    unter   andern    auch    einen    schönen 
Kater,  Pluto.    Seine  Tiere  liebt  und  pflegt  er,  bis  er  sich  dem 
Alkohol  ergibt.    Da  findet   eine  Veränderung  in  ihm  statt.    Er 
beginnt  die  Tiere   zu   quälen.    Als   er  im   Rausche  Pluto   miß- 
handelt, verwundet  ihn  das  gereizte  Tier.    Höllische  Wut  packt 
ihn   und   er  schneidet  Pluto  mit  kalter   Überlegung   ein   Auge 
aus.    Nüchtern   empfindet  er  wohl  Mitleid   mit  ihm,   auch   eine 
Art  Grauen  vor  seiner  Grausamkeit,  doch  ist  dies  Gefühl   weit 
von  Reue  entfernt.    Ja  er  fängt   sogar   an,   die  Katze,   die  ihn 
nun  flieht,  mehr  und   mehr  zu  hassen;   der  Haß  wächst,   bis  er 
in  „the  spirit  of  Perverseness"   übergeht.    Eines  Morgens   er- 
greift er  sie  und  hängt  sie  an  einen  Baum,  während  die  Tränen 
aus  seinen  Augen  stürzen  und  er  die  bitterste  Reue  über  seine 
Tat  empfindet;  „hung  it  be cause  I  knew  that  it  had  loved  me, 
and  because  I  feit  it  had  given  me  no  reason  of  offence ;  hung 
it  because  I  knew  that  in  so  doing  I  was  committing  a  sin".^-^^) 
In  der  nächsten  Woche  geht  sein  Haus  in  Flammen  auf.  —  Eine 
längere  Zeit  verfließt,   die  Tat  wird   vergessen,  und   der  Mann 
findet  eine   ganz   ähnliche  Katze.     Kaum   aber  hat   er   sie  im 
Hause,  als  er  auch  sie  zu  hassen  beginnt,  je  mehr  sie   an  ihm 
hängt,   und  ihr  doch  nichts   zu  tun  wagt,   aus  Furcht   vor    ihr. 
Er  grübelt  sich  immer  mehr  in  böse  Gedanken  hinein,  in  einen 
blinden  Haß  gegen  jedermann  und  die  ganze  Welt.    Auf  einem 
Gang  in   den  Keller  hindert  ihn   die  Katze   durch    ihre   Lieb- 
kosungen am  Gehen.    In  blinder  Wut  hebt  er  die  Axt,  um  sie 
zu  töten ;  als  seine  Frau,  die  ihm  gefolgt  war,  ihm  in  den  Arm 
fällt,  erschlägt  er  sie  im  Zorn.  —  Nach  dem  Morde  faßt  er  ohne 
die  geringsten  Gewissensbisse  den  Plan,  die  Tat  zu  verbergen. 


—    59    — 

Er  erwägt  tausend  Möglichkeiten,  bis  es  ihm  am  sichersten 
scheint,  die  Frau  im  Keller  einzumauern.  Er  tut  dies  so  gut, 
daß  nicht  die  kleinste  Spur  zu  entdecken  ist.  Als  er  dann  die 
Katze  sucht,  um  sie  zu  töten,  ist  sie  verschwunden.  Nun  erst 
atmet  er  wieder  frei.  Seine  quälenden  Gedanken  sind  gewichen, 
er  kann  wieder  ruhig  schlafen. 

Die  Polizei,  die  die  vermißte  Frau  im  Hause  sucht,  tindet 
keine  Spur  von  ihr.  Mit  stiller  Fieude  über  seine  Sicherheit 
begleitet  der  Mann  die  Polizisten  in  den  Keller.  Gerade  als  sie 
diesen  wieder  verlassen  wollen,  da  packt  ihn  ein  unwidersteh- 
liches Gelüsten  zu  sprechen.  Der  Geist  des  Bösen  erfaßt  ihn, 
und  er  sagt,  ohne  zu  wissen  warum:  „Gentlemen,  I  delight  to  have 
allayed  your  suspicions.  I  wish  you  all  health,  and  a  little  more 
courtesy.  By— the — by,  gentlemen,  this — this  is  a  very  well  — 
constructed  house.  These  walls  —  are  you  going,  gentlemen  ?  — 
these  walls  are  solidly  put  together  ..."  ^-"j  und  dabei  schlägt 
er  gerade  an  die  Stelle,  hinter  der  seine  Frau  eingemauert  steht. 
Ein  gellender,  langgezogener  Schrei  antw^ortet  ihm.  Man 
bricht  die  Mauer  auf  und  sieht  den  halbverwesten  Leichnam. 
Auf  dem  Kopfe  steht  mit  glühenden  Augen  die  Katze,  die  er 
mit  eingemauert  hatte. 

Unter  den  Werken  der  Romantiker  werden  wir  vergebens 
nach  einem  solchen  suchen.  Sie  kannten  aber  sehr  wohl  den 
Geist  des  Bösen;  das  Verlangen,  sich  selbst  zu  quälen  oder 
gar  zu  vernichten,  die  Lust  zum  Bösen  um  des  Bösen  willen 
lag  ja  in  ihrer  Natur.  Novalis  sagt  z.  B.  in  den  Fragmenten: 
„Hang  des  Menschen,  oft  ein  offenbar  Schädliches  zu  ergreifen, 
oft  par  depit  sich  mutwillig  zu  verderben.  Es  ist  noch  Äuße- 
rung der  Freiheit". ^^^)  Also  auch  er  nahm  diesen  Trieb,  der 
viel  Ähnlichkeit  mit  Poes  „imp  of  the  perverse"  hat,  als  ein- 
geboren an,  als  noch  aus  der  Zeit  stammend,  als  der  Mensch 
Herr  über  die  ganze  Natur  und  sich  selbst  war.  Aber  ihn  in 
das  praktische  Leben  zu  übertragen,  lag  ihm  fern.  —  Bei  Achim 
von  Arnim  finden  wir  eine  Stelle,  die  auf  den  gleichen  Punkt 
hinzudeuten  scheint.     Sie  lautet: 

„Wohl  ist  ein  Teufel  in  der  Menschen  Willen, 
Ein  stiller  Wahnsinn  den  Verstand  umlauert".^'*) 

Die  Lust,  beim  Hinabsehen  in  Abgründe  sich  hinunter- 
zustürzen, beschreibt  Tieck :  „Es  ist  eine  schöne  Aussicht  von  hier 
oben ;  wenn  man  aber  so  hoch  steht,  muß  man  sich  in  acht 
nehmen,  daß  man  nicht  die  Lust  bekömmt,  hinunter  zu  springen ; 
die  Höhe  des  Absturzes  lockt  das  Gemüt". ^*^)  In  Tieck  scheint 
überhaupt  eine  Neigung  zu  dem  gewohnt  zu  haben,  was  Poe 
unter  „Perverseness"    meint.    Er   war  in   seiner  Jugend   nicht 


—     60     — 

frei  von  selbstquälerischen  Gedanken,  die  ihn  oft  dem  Wahn- 
sinn nahe  brachten.  Seine  wilde  Phantasie  spiegelte  ihm  Greuel- 
taten vor,  vor  denen  er  im  wachen  Zustande  zitterte.  Wie  Poe 
lebte  er  in  steter  Angst,  unbewußt  einmal  zum  Verbrecher  zu 
werden.  Er  hatte  oft  Gedanken  des  Selbstmords,  um  Ruhe  vor 
dem  Dämon  in  sich  zu  haben.  Wie  tief  das  Böse  in  ihm 
wurzelte,  geht  aus  den  Worten  hervor:  „Aus  meinen  Kinder- 
tagen fallen  mir  manche  Tage  ein,  wo  ich  unaufhörlich  etwas 
Gräuliches  und  Entsetzliches  denken  mußte,  wo  ich  statt  meiner 
stillen  Gebete  Gott  mit  den  gräßlichsten  Flüchen  lästerte  und 
darüber  weinte  und  ich  es  doch  nicht  unterlassen  konnte,  wo  es 
mich  unaufhörlich  drängte,  meine  Gespielen  zu  ermorden,  und 
ich  mich  oft  schlafen  legte,  bloß  um  es  nicht  zu  tun.  Damals 
war  ich  gewiß  unschuldig  und  unverdorben,  und  doch  war  diese 
Entsetzlichkeit  in  mir  einheimisch  —  was  war  es  denn  nur, 
das  mich  trieb  und  mit  gräßlicher  Hand  in  meinem  Herzen 
wühlte  ?  Mein  Willen  und  meine  Empfindung  sträubte  sich  da- 
gegen und  doch  gewährte  mir  dieser  Zustand  wieder  innige 
Wollust ".^*^)  Lovell  brauchte  diese  Gedanken  nur  in  die  Tat 
umzusetzen,  und  leibhaftig  hätten  wir  eine  der  Gestalten  aus 
Poes  Erzählungen  vor  uns  stehen.  Das  ist  eben  der  Unter- 
schied, daß  die  deutschen  Romantiker  wohl  auch  solchen  bösen 
Gedanken  nachhingen,  sie  aber  selten  in  die  Tat  umsetzten, 
während  der  „imp  of  the  perverse"  so  oft  in  Poes  Leben  ein- 
gegriffen hat. 

Im  Grunde  ist  es  meist  nicht  so  sehr  der  Geist  des  Bösen 
selbst,  der  in  Poes  Erzählungen  zum  Unglück  führt.  Er  ist  nur  der 
Ausgangspunkt,  der  Anstoß,  der  aber  in  einem  schwachen  Gemüt 
zur  fixen  Idee  und  dann  unwiderstehlich  wird.  Solche  fixen 
Ideen  nun  haben  wir  bei  den  Romantikern  in  mannigfacher  Dar- 
stellung. Hoff  mann  behandelt  den  Entwurf  mehrfach,  zuerst  in 
der  Erzählung  „Das  steinerne  Herz",  dann  in  „Meister  Johannes 
Wacht"  und  in  „Meister  Martin,  der  Küfner,  und  seine  Gesellen". 
Die  AVahnideen  in  den  drei  genannten  Erzählungen  sind  ziemlich 
harmlos  und  haben  nichts  mit  denen  in  Poes  betreffenden 
Novellen  gemein,  als  daß  sie  eben  fixe  Ideen  sind.  Aber  Hoff- 
mann hat  sie  auch  in  ihrer  verderblichen  Wirkung  darzustellen 
gewußt  und  Erzählungen  daraus  geschaffen,  die  in  höherem 
Maße  Poeschen  Charakter  tragen,  wie  „Das  Fräulein  von  Scuderie", 
„Die  Jesuiterkirche  in  G."  und  vor  allem  die  Novelle  „Der 
Sandmann". 

Im  „Fräulein  von  Scuderie"  ^^^)  sehen  wir,  wie  der  Gold- 
schmied Cardillac  eine  zehrende  Leidenschaft  zu  edlen  Steinen 
hat,    die   er    zu  Geschmeiden    verarbeitet  hat.    Wenn   er  eine 


—     61     — 

Arbeit  abliefert,  so  ergreift  ihn  bald  eine  innere  Unruhe,  die 
von  Stunde  zu  Stunde  wächst.  Mit  allen  seinen  Kräften  sucht 
m-  zu  widerstehen,  doch  weichen  die  Qualen  der  rasenden  Be- 
gierde nicht  eher,  als  bis  er  den  Schmuck  wieder  in  Händen 
hat.  Um  dies  zu  erreichen,  häuft  er  Mord  auf  Mord.  Es  ist 
nicht  Geiz,  was  ihn  dazu  treibt,  es  ist  die  unerklärliche  An- 
ziehung* der  Gesteine  und  die  Freude  an  ihrem  Glitzern  und 
Gleißen.  Er  weiß  genau,  welche  Sündenschuld  er  auf  sich  lädt 
und  sucht  die  Verbrechen  zu  meiden.  Vergebens!  Wie  in 
.,The  Black  Cat"  und  „The  Imp  of  the  Perverse"  der  Mörder 
erst  ßuhe  findet,  als  er  dem  dunkeln  Drängen  in  sich  ganz 
nachgegeben  hat,  wie  er  nicht  die  geringste  Reue  fühlt,  so  auch 
Cardillac.  Er  sagt:  „Eben  hatte  ich  einem  Herrn  vom  Hofe 
einen  reichen  Schmuck  abgeliefert,  der,  ich  weiß  es,  einer  Opern- 
sängerin bestimmt  war.  Die  Todesfolter  blieb  nicht 
aus,  —  das  Gespenst  hing  sich  an  meine  Schritte  — 
der  lispelnde  Satan  an  mein  Ohr...  In  blutigen  Angst- 
schweiß gebadet,  wälzte  ich  mich  schlaflos  auf  dem  Lager.  Ich 
seh'  im  Geist  den  Menschen  zu  der  Tänzerin  schleichen  mit 
meinem  Schmuck.  Voller  Wut  springe  ich  auf .  .  .  fort  ...  Er 
kommt,  ich  falle  über  ihn  her,  er  schreit  auf;  doch  von  hinten 
festgepackt,  stoße  ich  ihm  den  Dolch  ins  Herz  —  der  Schmuck 
ist  mein!  —  Dies  getan,  fühle  ich  eine  Ruhe,  eine  Zu- 
friedenheit in  meiner  Seele  wie  sonst  niemals.  Das 
Gespenst  ist  verschwunden,  dieStimme  des  Satans 
schwieg.  Nun  wußte  ich,  was  mein  böser  Stern  wollte;  ich 
mußte  ihm  nachgeben  oder  untergehen".  Die  auffallende  Ähn- 
lichkeit des  Gemütszustandes  von  Poes  Kranken  und  Hoffmanns 
Goldschmied  Cardillac  liegt  zutage. 

Die  beste  Schilderung  des  Gefühls,  daß  fremde  Mächte  in 
uns  böse  Gedanken  erzeugen  und  nicht  ruhen  lassen,  hat  Hoff- 
mann im  „Sandmann"  gegeben.  Der  Student  Nathaniel  hat  von 
der  Kindheit  her  eine  unangenehme  Erinnerung  an  den  Advokaten 
Coppelius,  der  ihm  als  der  Sandmann  beschrieben  worden  war, 
der  den  Kindern  die  Augen  aussticht.  Dieser  Coppelius  hatte 
den  Tod  des  Vaters  Nathaniels  verschuldet  und  dessen  ganze 
Familie  ins  Unglück  gebracht.  Nathaniel  nun  ist  der  Über- 
zeugung, der  Advokat  würde  noch  öfter  feindselig  in  sein  Leben 
treten.  Er  glaubt  fest,  ihn  unter  Verkleidungen  in  seiner  Nähe 
zu  sehen,  und  glaubt  seine  Verfolgung  zu  spüren.  Von  Natur 
äußerst  reizbar,  verfällt  er  zunächst  in  ein  schweres  Nerven- 
fieber und  schließlich  in  Wahnsinn,   in  dem  er  sich  selbst  tötet. 

Hoffmanns  Art,  Wahnideen  zu  beschreiben,  gleicht  öfters  der 
Poes.     Beide   Dichter  nehmen  ihren   Ausgangspunkt    meist  in 


—     62     — 

einem  Gedanken,  von  dem  man  von  vornherein  überzeugt 
ist,  daß  er  falsch  ist  oder  zu  einem  Unglück  führen  muß.  Poe 
hat  aber  seine  fixen  Ideen  besser  gewählt  als  Hoffmann.  Welche 
seltsame  Tragik  liegt  darin,  den  Verbrecher  gegen  die  Stimme 
seines  Innern  ringen  zu  sehen  und  doch  nicht  eher  Euhe  zu 
finden,  als  bis  er  sich  selbst  dem  Schafott  überliefert  hat.  Wir 
stehen  ratlos  vor  dem  selbstzerstörerischen  Verlangen,  das  den 
Mörder  treibt,  die  Polizisten,  die  sich  nach  erfolglosem  Suchen 
entfernen,  zurückzuhalten.  Wir  fühlen,  wie  die  Worte,  die  er 
herausstammelt,  ohne  zu  wissen,  was  er  spricht,  ihn  dem  Ver- 
derben immer  näher  bringen,  fühlen  aber  auch,  daß  er  so 
sprechen  muß  und  daß  er  nicht  anders  kann  als  gegen  die  Stelle 
gerade  zu  schlagen,  hinter  der  seine  Frau  eingemauert  steht. 
Wir  schauern,  zu  lesen,  daß  der  Mystiker  Egäus  nichts  von 
seiner  Braut  begehrt  als  nur  ihre  Zähne,  diese  aber  mit  so 
rasendem  Verlangen,  daß  er  sogar  Berenices  Leiche  schändet.^l^i 
Wenn  Hoffmann  seinen  Goldschmied  Cardillac  in  seiner  Gier 
nach  Edelsteinen  zum  Mörder  werden,  den  Maler  Berthold  in- 
folge einer  törichten  Vorstellung  Frau  und  Kind  in  den  Tod 
treiben  und  Nathaniel  durch  quälende  schreckhafte  Erinnerungen 
im  Wahnsinn  enden  läßt,  so  erregt  er  in  höherem  Maße  Mitleid 
als  Grauen.  In  der  Wahl  des  Stoffes  also  zeigt  sich  Poe  über- 
legen. Die  Ausführung  des  Gedankens  ist  bei  beiden  Dichtern 
ähnlich.  Vor  allem  im  „Sandmann"  und  „Fräulein  von  Scuderie" 
ist  es  Hoffmann  gut  gelungen,  den  Kampf  gegen  die  Wahn- 
ideen darzustellen.  Doch  scheint  er  auch  in  der  Durch- 
führung seinen  Meister  in  Poe  gefunden  zu  haben.  Nirgends 
als  vielleicht  annähernd  im  „Sandmann"  ist  es  ihm  wie  Poe  gelungen,, 
die  tiefe  Einsamkeit  zu  schildern,  in  der  der  Kranke  lebt.  Für 
diesen  gibt  es  bei  Poe  nichts  als  seine  fixe  Idee,  nur  seinen 
Gedankenkreis,  in  den  er  sich  eingesponnen  hat.  Die  Umwelt 
scheint  für  ihn  nicht  da  zu  sein.  Und  dies  erhöht  gerade  den 
Eindruck  des  Grauens,  den  Kranken  in  seiner  ausschließlichen 
Beschränkung  auf  sein  Inneres  und  deshalb  ohne  Hilfe  dem 
Unglück  zutreiben  zu  sehen. 

Übrigens  ist  es  nicht  Hoffmann  allein,  der  Poes  Vorläufer 
in  der  Behandlung  der  fixen  Idee  gewesen  ist,  die  sogar  im 
Leben  manches  Kom antikers  eine  Kolle  spielte.  So  hatte  der 
Schicksalstragiker  Zacharias  Werner,  der  durch  eine  hysterische 
Mutter  erblich  belastet  war,  die  fixe  Idee,  er  sei  ein  Aus- 
erwählter des  Herrn.  Er  hielt  sich  für  einen  Heiligen,  Pro- 
pheten, Ja  für  Christus  selbst.  Man  könnte  auch  in  Heinrichs 
von  Kleist  „Michael  Kohlhaas"  ^'^■^)  eine  gewisse  Verwandtschaft 
zu  unsrer  Art  von  Erzählungen  finden.     Denn  obwohl  Kohlhaas 


—     63     — 

nur  sein  Kecht  verfolgt  und  ursprünglich  mit  vollen  Verstandes- 
kräften handelt,  tritt  doch  allmählich  in  ihm  eine  gewisse 
Änderung  ein.  Der  Gedanke,  daß  er  um  jeden  Preis  recht 
haben  müsse,  geht  ihm  so  in  Fleisch  und  Blut  über,  daß  er  das 
Wohlergehen  von  Weib  und  Kind  und  seine  Stellung  in  der 
Gesellschaft  für  nichts  im  Vergleich  dazu  achtet  und  blindlings 
und  starr  seinen  Weg  verfolgt.  Fixe  Ideen,  die  auf  Größen- 
wahn hindeuten,  nehmen  ihn  gefangen.  Er  nennt  sich  in  Man- 
daten den  Statthalter  Michaels,  des  Erzengels,  und  glaubt  sich 
zum  Beherrscher  der  Welt  berufen.  In  der  gleichen  Erzählung 
ist  die  Wahnidee  des  Kurfürsten  von  Sachsen  beschrieben,  der 
glaubt,  daß  Kohlhaas  mit  einem  Zettel,  den  er  an  dem  Hals 
trägt  und  der  die  Weissagung  einer  Zigeunerin  enthält,  die 
Kunde  des  Schicksals  des  kurfürstlichen  Hauses  habe.  Sein 
ganzes  Sinnen  und  Trachten  geht  darauf,  den  Zettel  in  seine 
Gewalt  zu  bekommen,  und  als  kein  Mittel  ihn  zum  Ziele  bringt, 
fällt  er  in  schwere  Krankheit. 

Der  Unterschied  zwischen  Kleists  und  Poes  Kranken  ist 
in  die  Augen  springend:  daß  sie  in  Kleists  Erzählungen  die 
fixen  Ideen  gar  nicht  als  solche  erkennen  und  darum  nicht,  oder 
so  gut  wie  nicht,  dagegen  ankämpfen.  Auch  hat  Kleist  ihre 
Folgen  nicht  so  erschütternd  dargestellt  als  Poe.  Überhaupt 
kann  bei  diesen  Erzählungen  nicht  behauptet  werden,  daß  Poe 
für  sie  auch  nur  Anregungen  von  Hoff  mann  und  Kleist  erhalten 
habe,  da  nahe  Übereinstimmungen  fehlen.  Es  genügt  darum, 
auf  die  Gleichartigkeit  der  Ideen  hinzuweisen. 

In  die  Gruppe  der  eben  behandelten  Erzählungen  gehören 
zum  Teil  auch  „The  Teil-Tale  Heart"  und  „Berenice". 

Im  „GESCHWÄTZIGEN  HERZ"^*^)  ermordet  ein  junger 
Mann  einen  Greis,  mit  dem  er  zusammenwohnt.  Nicht  um  seines 
Reichtums  willen,  noch  wegen  einer  Beleidigung.  Nein,  der 
alte  Mann  hatte  ein  erblindetes  Auge,  das  blaßblau,  von  einer 
Haut  überzogen,  dem  Auge  eines  Geiers  glich.  Wenn  der  junge 
Mann  es  sah,  rann  es  kalt  durch  sein  Blut,  Qual  und  Wut 
packten  ihn  und  er  beschloß  ganz  allmählich,  den  alten  Mann 
zu  ermorden,  um  sich  von  dem  Auge  zu  befreien.  Mit  unend- 
licher Vorsicht  ging  er  zu  Werke.  Er  erstickte  den  alten  Mann, 
indem  er  das  Bett  auf  ihn  stürzte,  und  lauschte,  wie  das  Herz 
erst  noch  laut,  dann  immer  leiser  und  leiser  schlug.  Dann  ver- 
barg er  den  Leichnam  zwischen  den  Dielen.  Keine  Spur  war 
aufzufinden.  Und  nun,  wo  das  verhaßte  Geierauge  weg  war, 
konnte  er  wieder  frei  aufatmen.  Seit  langem  schlief  er  zum 
ersten  Male  wieder  ruhig. 

Als   der   alte  Mann   vermißt  wurde,   kam   die   Polizei,   um 


—     64     — 

das  Haus  zu  durchsuchen.  Im  Triumph  seiner  Sicherheit  führte 
der  Mörder  sie  durch  alle  Räume,  zuletzt  in  des  alten  Mannes 
Zimmer.  In  einem  Anfall  perverser  Stimmung  brachte  er  Stühle 
dahin  und  ließ  die  Polizisten  sich  niedersetzen.  Seinen  Stuhl 
setzte  er  gerade  auf  die  Stelle,  unter  der  der  Leichnam  lag.  Wäh- 
rend der  angeregten  Unterhaltung  hörte  er  plötzlich  ein  dumpfes 
Geräusch,  ein  Klingen  in  den  Ohren,  das  immer  lauter  wurde 
und  schließlich  in  ein  deutliches  halbersticktes  Klopfen  über- 
ging. Es  war  genau  wie  das  Klopfen  des  Herzens  des  alten 
Mannes,  dem  er  in  der  vergangenen  Nacht  so  lange  gelauscht 
hatte.  Aus  Angst,  daß  die  Polizisten  das  Geräusch  hören  könnten, 
sprach  er  lauter,  aufgeregter.  Er  ging  auf  und  ab  mit  schweren 
Tritten,  stieß  den  Stuhl  auf  die  Diele.  Umsonst !  Das  Klopfen 
ließ  sich  nicht  übertönen.  Und  die  Männer  schwatzten  und 
lachten.  Hörten  sie  wirklich  nichts  ?  Oder  hatten  sie  es  schon 
lange  gehört  und  wollten  ihn  nur  peinigen?  Doch  alles  war 
besser  als  diese  tödliche  Angst.  Er  konnte  schließlich  das 
heuchlerische  Lächeln  der  Männer  nicht  länger  ertragen  und 
schrie  wütend  heraus:  Schurken!  Heuchelt  nicht  länger!  Ich 
gestehe  die  Tat  —  reißt  die  Dielen  auf  —  hier,  hier!  —  es  ist 
das  Klopfen  seines  verwünschten  Herzens! 

Aus  einem  Umstände  also,  der  ganz  unbedeutend  erscheint 
und  in  gar  keinem  Verhältnis  zur  Größe  des  Verbrechens  steht, 
entspringt  die  Tat.  Nur  ein  äußerst  reizbarer  Mensch,  wie  Poe 
einer  war,  kann  von  so  einer  Kleinigkeit  derart  erregt  werden. 
Er  beginnt  die  Erzählung  mit  den  Worten:  „True!  nervous, 
very,  very  dreadfully  nervous  I  had  been  and  am;  but  why  will 
you  say  that  I  am  mad  ?"  In  diesen  wenigen  Worten  liegt  die 
Erklärung  zum  Ganzen.  Wenn  sich  in  ein  solch  krankhaftes 
Gemüt  die  Abneigung  gegen  irgend  etwas  einbohrt,  so  kann  es 
nur  in  der  Zerstörung  des  Feindlichen  Ruhe  finden.  Der  Ge- 
danke wird  übermächtig  und  unwiderstehlich.  Der  Verbrecher 
sagt:  „It  is  impossible  to  say  how  first  the  idea  entereu  my 
brain,  but,  once  conceived,  it  haunted  me  day  and  night".  In 
dieser  Hinsicht  also  ist  die  Erzählung  mit  den  romantischen 
Erzählungen  in  Verbindung  zu  setzen,  die  fixe  Ideen  behandeln 
und  gehört  zu  „The  Black  Cat"  und  „The  Imp  of  the  Perverse". 
Während  aber  in  diesen  beiden  das  Gewissen  nicht  in  die 
Handlung  eingreift,  ist  ihm  im  „Geschwätzigen  Herz"  die  ent- 
scheidende Rolle  zuerteilt.  Es  läßt  dem  Verbrecher  keine  Ruhe,, 
bis  er  die  Tat  offenbart  hat.  Die  Ursachen  zum  Geständnis 
sind  so  geringfügig,  daß  wir  sie  eigentlich  gar  nicht  als  un- 
mittelbare Veranlassung  dazu  empfinden,  sondern  diese  im  Ge- 
wissen   allein    zu    suchen   haben.     Wir   werden    darin    an    das 


—    65    — 

Märchen  erinnert:  „Die  klare  Sonne  bringt  es  an  den  Tag"/*^') 
(las  Adelbert  v.  Chaniissö  zu  dem  Gedicht:  „Die  Sonne  bringt  es 
an  den  Tag"  benutzte,  noch  mehr  aber  an  des  gleichen  Dichters 
Verserzählung:  „Das  Auge'V*')  wo  Chamisso  wie  Poe  die  Tat- 
sache benutzt  hat,  daß  es  manche  Verbrecher  immer  wieder  an 
den  Schauplatz  ihrer  Untat  zurücktreibt.  In  „The  Black  Cat" 
schlägt  der  Mörder  gerade  an  die  Stelle,  wo  er  seine  Frau  ein- 
gemauert hat,  in  „The  Teil-Tale  Heart''  führt  er  die  Polizisten 
in  das  Zimmer  des  Gemordeten,  hält  sie  dort  auf  und  setzt  seinen 
Stuhl  dorthin,  wo  der  Leichnam  des  alten  Mannes  liegt,  wie  es 
das  Weib  in  Chamissos  „Das  Auge"  an  den  Ort  ihrer  Tat  zurück- 
zieht. Und  in  den  letzten  zwei  Erzählungen  sieht  mau  keinen 
Grund,  der  zum  Geständnis  nötigt,  als  das  Gewissen.  Das 
Klopfen  des  Herzens  tönt  nur  in  den  Ohren  des  Mörders,  der 
aber  die  Ursache  der  Sinneswahrnehmung  nach  außen  verlegt 
und  infolgedessen  glaubt,  auch  andere  müßten  vernehmen,  was 
er  hört.  In  Hoffmanns  „Elixieren  des  Teufels"  findet  sich  eine 
ähnliche  Stelle.  Der  Mörder  Medardus,  aus  dem  Gefängnisse 
entlassen,  spricht  mit  einem  Arzte,  da  .  .  .  „leise  —  leise  schien 
ich  in  jenem  Augenblick  .  .  .  jenes  Klopfen  des  gespenstigen 
Unholds  aus  dem  Kerker  zu  hören.  Vergebens  suchte  ich  das 
Grausen  zu  bekämpfen,  welches  mich  ergriff.  Der  Arzt  schien 
so  wenig  das  Klopfen  als  meinen  inneren  Kampf  zu  bemerken. 
Er  fuhr  fort:  „Was?  —  Hat  der  Mönch  Ihnen  gestanden,  daß 
auch  Victorin  durch  seine  Hand  fiel?"  —  „Ja  .  .  .  Fluch  dem 
wahnsinnigen  Brudermörder!"  —  Stärker  klopfte  es  und  stöhnte 
und  ächzte ;  ein  feines  Lachen,  das  durch  die  Stube  pfiff,  klang 
wie  „Medardus  —  Medardus  —  hi  —  hi  —  hi  —  hilf!"  Der 
Arzt,  ohne  das  zu  bemerken,  fuhr  fort:  „Ein  besonderes  Ge- 
heimnis scheint  noch  auf  Franzescos  Herkunft  zu  ruhen  .  .  ." 
Mit  einem  entsetzlichen  Schlage,  daß  die  Angeln  zusammen- 
krachten, sprang  die  Tür  auf,  ein  schneidendes  Gelächter  gellte 
herein.  —  „Ho  —  ho  —  ho  —  ho,  Brüderlein",  schrie  ich 
wahnsinnig  auf,  „hoho  —  hierher!  .  .  ."  Der  Leibarzt  faßte 
mich  in  die  Arme  und  rief:  „Was  ist  das?  —  Sie  sind  krank. 
—  Fort,  fort,  zu  Bette".^^^) 

Die  Stelle  ist  ausführlich  gebracht  worden,  weil  sie  der  in 
„The  Teil-Tale  Heart"  ziemlich  ähnlich  ist.  Die  Mörder  hören 
die  Stimme  oder  den  Herzschlag  ihres  Opfers,  die  sie  schon 
vorher  genau  so  gehört  hatten,  in  Gegenwart  Fremder,  die 
nichts  vernehmen.  Die  Gewissensqualen,  die  dadurch  wach- 
gerufen werden,  treiben  sie  zum  Wahnsinn  oder  Geständnis. 

Beispiele  ähnlicher  Halluzinationen  lassen  sich  auch  ])ei 
klassischen    Autoren    finden.     Wenn   wir    davon    absehen,    auf 


—     66     — 

welche  Sinne  die  Halluzination  wirkt,  so  können  uns  die  Geister- 
erscheinungen bei  Shakespeare  zum  Vergleich  dienen :  der  Geist 
Banquos,  der  Macbeth,  der  Cäsars,  der  Brutus  erscheint  und 
die  beide  nur  den  Mördern  selbst  sichtbar  sind.  Auch  die  Ge- 
schichte liefert  analoge  Fälle,  von  denen  der  des  Bessus  sehr 
interessant  ist  und  unserer  Erzählung  nahekommt.  Bessus  soll, 
wie  Plutarch  erzählt,  während  eines  tollen  Gelages  plötzlich 
aufgesprungen  sein  und  ein  paar  junge  Schwalben  in  einem 
nahen  Neste  getötet  haben,  weil  er  aus  ihrem  Zwitschern  Vor- 
würfe über  seine  Tat  heraushörte.^*^) 

Es  ließen  sich  zweifellos  noch  weitere  Beispiele  dafür  er- 
mitteln, daß  Halluzinationen  der  Art  dichterisch  behandelt 
worden  sind.  Sie  hervorzuheben  und  hier  anzuführen  liegt  aber 
außerhalb  des  Rahmens  dieser  Arbeit. 

Die  letzte  Erzählung  Poes  endlich,  in  der  wir  die  fixe  Idee 
behandelt  finden,  ist  in  hohem  Grade  romantisch  zu  nennen. 
Es  ist  „BERENICE".iöO)  jy^^  Mystiker  Egäus  —  wiederum  nur 
Poe  selbst  —  stammt  aus  einer  Familie  von  Visionären.  Seine 
Erinnerungen  knüpfen  an  das  Stammschloß  seiner  Väter  an, 
vor  allem  an  die  Bibliothek,  unter  deren  Büchern  er  seine 
Knabenzeit  verbrachte  und  die  Jahre  des  Jünglingsalters  ver- 
träumte. Allmählich  brachte  seine  Lebensweise  eine  seltsame 
Veränderung  in  ihm  hervor :  die  Tatsachen  des  Lebens  berührten 
ihn  nur  als  Visionen,  während  die  wilden  Gedanken  aus  dem 
Reich  seiner  Träume  den  einzigen  Inhalt  seines  Lebens  aus- 
machten. —  Mit  Berenice,  seiner  schönen  Cousine,  wuchs  er 
auf.  Solange  sie  in  ihrer  Jugendschönheit  prangte,  lebte  er 
ruhig  neben  ihr  hin,  als  aber  eine  tückische  Krankheit  sie 
plötzlich  zu  entstellen  begann,  faßte  er  Liebe  zu  ihr,  und  sie 
verlobten  sich.  Die  Krankheit  der  Berenice  bestand  in  einem 
allmählichen  körperlichen  Vergehen  und  epileptischen  Anfällen, 
aus  denen  sie  manchmal  erst  nach  geraumer  Zeit  erwachte. 
Egäus  aber  litt  unter  einer  Art  Geistesstörung,  die  sich  in  einer 
ungemessenen  Steigerung  der  Aufmerksamkeit  äußerte,  einem 
tiefen  Interesse  an  den  gleichgültigsten  Dingen.  Die  Schilde- 
rung Poes  von  diesem  Zustande  ist  klassisch.  Er  sagt: 
„To  muse  for  long  unwearied  hours,  with  my  attention  riveted 
to  some  frivolous  device  on  the  margin  or  in  the  typography 
of  a  book;  to  becorae  absorbed,  for  the  better  part  of  a  summer's 
day,  in  a  quaint  shadow  falling  aslant  upon  the  tapistry  or  upon 
the  floor;  to  lose  myself,  for  an  entire  night,  in  watching  the 
steady  flame  of  a  lamp,  or  the  embers  of  a  fire;  to  dream  away 
whole  days  over  the  perfume  of  a  flower;  to  repeat  monotonously 
some  common  word,  until  the  sound,  by  dint  of  frequent  repe- 


—     67     — 

tition,  ceased  to  convey  any  idea  whatever  to  the  mind;  to  lose 
all  sense  of  motion  or  physical  existence,  by  means  of  absolute 
bodily  quiescence  long  and  obstinately  persevered  in:  such  were 
a  few  of  the  most  common  and  least  pernicious  vagaries  induced 
by  a  condition  of  the  mental  faculties,  not,  indeed,  altogether 
unparalleled,  but  certainly  bidding  defiance  to  anything  like 
analysis  or  explanation".  Doch  merkwürdigerweise  beschäftigten 
ihn  seine  Träumereien  wenig  mit  dem  Unglück  seiner  Verlobten. 
Oft  aber  grübelte  er  über  die  Gründe  nach,  die  die  seltsame 
Veränderung  ihrer  Gestalt  bewirkten.  In  den  Tagen  ihrer 
Schönheit  hatte  er  sie  nie  geliebt.  Wenn  sie  an  ihm  vorüber- 
ging, sah  er  sie  nicht  lebend,  sondern  als  die  Berenice  eines 
Traumes,  nicht  als  irdisches  Wesen,  sondern  als  die  Abstraktion 
eines  solchen,  nicht  als  einen  Gegenstand  zu  lieben,  sondern  ein 
Objekt  zur  Analyse.  Denn  seine  Leidenschaften  kamen  stets 
aus  dem  Verstände  und  nie  aus  dem  Herzen. 

Die  Zeit  der  Hochzeit  nahte.  Als  an  einem  Winternach- 
mittag Egäus  in  tiefe  Träume  versunken  in  der  Bibliothek  saß 
und  sich  allein  glaubte,  sah  er  plötzlich  Berenice  vor  sich  stehen, 
abgemagert,  beinahe  fleischlos.  Sie  lächelte  ihn  an  und  ent- 
blößte zwei  Reihen  glänzender,  weißer  Zähne.  Wie  eine  Vision 
verschwand  sie  wieder.  Doch  die  Zähne,  die  weißen  Zähne 
standen  noch  vor  den  Augen  des  Egäus.  Immer  und  immer  sah 
er  nur  sie,  und  es  ergriff  ihn  schließlich  ein  wahnsinniges  Be- 
gehren, sie  zu  besitzen.  Er  fühlte,  daß  nur  ihr  Besitz  ihm 
wieder  Ruhe  geben  und  ihn  zur  Vernunft  zurückbringen  könne. 

Der  Abend  zog  heran,  die  Nacht  verging,  der  Tag  und 
eine  andere  Nacht  kamen,  und  immer  noch  saß  Egäus  be- 
wegungslos in  der  Bibliothek,  in  Gedanken  an  die  Zähne  ver- 
sunken. Da  schlug  lautes  Weinen  an  sein  Ohr:  Berenice  war 
plötzlich  gestorben,  ihr  Grab  war  schon  bereitet. 

Und  wieder  fand  er  sich  in  der  Bibliothek  sitzen.  Er  schien 
aus  einem  wirren  Traum  erwacht  zu  sein.  Er  wußte,  daß  es 
Mitternacht  war  und  daß  seit  dem  Abend  Berenice  im  Grabe 
lag.  Doch  von  der  Zwischenzeit  wußte  er  nichts.  Aber  er  hatte 
das  Gefühl  von  etwas  Grauenhaftem,  er  hörte  eine  weibliche 
Stimme  in  seinen  Ohren  gellen  und  ahnte  eine  schreckliche  Tat. 
Auf  dem  Tische  lag  eine  Schachtel  mit  ärztlichen  Instrumenten ; 
doch  wie  kam  sie  hierher?  Vor  ihm  lag  ein  Buch  aufgeschlagen. 
Er  las  die  Worte  des  Dichters  Ebn  Zaiiat:  Dicebant  mihi  sodales, 
si  sepulchrum  amicae  visitarem,  curas  meas  aliquantulum  fore 
levatas.  Die  Haare  sträubten  sich  ihm  beim  Lesen,  das  Blut 
in  seinen  Adern  schien  zu  Eis  zu  gerinnen.  Doch  warum?  Da 
kam  mit  entsetzter  Miene  ein  Diener.     Stammelnd  erzählte  er, 


—     68-    — 

wie  man  wilde  Schreie  aus  der  Gegend  des  Grabes  Berenices 
gehört  habe,  wie  man  das  Grab  erbrochen  und  darin  eine  ent- 
stellte, blutige,  noch  lebende  Gestalt  gefunden  habe.  Dann  wies 
der  Diener  auf  die  Kleider  des  Egäus.  Sie  zeigten  die  Spuren 
frischer  Erde.  Seine  Hände  wiesen  Eindrücke  wie  von  mensch- 
lichen Nägeln  auf.  An  der  Wand  lehnte  ein  Spaten.  Mit  einem 
Schrei  sprang  Egäus  zu  der  Schachtel.  Sie  glitt  ihm  aus  den 
Händen  und  klirrend  fielen  zahnärztliche  Instrumente  heraus, 
untermischt  mit  32  elfenbeinweißen  Zähnen. 

Wohl  nirgends  lindet  man  die  Grübelsucht,  das  Versenken 
in  sich  selbst  so  meisterhaft  beschrieben  wie  hier.  In  diesem 
Schwelgen  in  Gefühlen,  die  das  wirkliche  Leben  ersetzen 
müssen,  zeigt  sich  Egäus  als  durchaus  romantischer  Mensch  in 
höchster  Steigerung.  Seine  Gedanken  werden  in  ihm  zu  fixen 
Ideen,  die  ihn  verfolgen,  bis  er  ihnen  nachgegeben  hat.  In 
dieser  Hinsicht  zeigt  er  sich  als  Verwandter  der  Helden  in  den 
drei  letzten  Erzählungen.  Doch  damit  ist  sein  Charakter  noch 
nicht  erschöpft.  Für  die  anderen  Seiten  seines  Wesens  müssen 
wir  die  Erklärung  in  dem  Motto  über  der  Erzählung  suchen: 
„Dicebant  mihi  sodales,  si  sepulchrum  amicae  visitarem,  curas 
meas  aliquantulum  fore  levatas",  und  dieses  Wort  deutet  auf 
eine  seit  uralten  Zeiten  bekannte,  von  den  Romantikern  aber 
mit  Vorliebe  behandelte  Leidenschaft  hin,  die  Totenliebe  und 
die  Leichenschändung^^^)  und  die  zerstörende  Macht  der  Liebe. 

Den  Griechen  schon  war  dieses  Laster  bekannt.  Clemens 
von  Alexandrien  behauptete,  daß  die  von  Argos  und  Lakonien 
nicht  bloß  der  Aphrodite  Peribasia,  sondern  auch  der  Tym])o- 
rychos  dienten,  worunter  er  die  Lust  an  frischen  Leichen  ver- 
stand, die  den  ägyptischen  Paraschisten  bekannt  war.  Thersites 
wirft  dies  auch  dem  Achilleus  in  bezug  auf  Penthesilca  vor.'^-) 
Montaigne  berichtet  von  Periander,  dem  Tyrannen  von  Korinth, 
daß  er  seiner  toten  Gemahlin  noch  beiwohnte.^^^)  Herodes  soll 
nach  einer  talmudischen  Erzählung  sieben  Jahre  mit  der  Leiche 
seiner  Gemahlin  Mariamne  geschlafen  haben.^^*)  In  den  Märchen 
von  1001  Nacht,  die  Poe  höchstwahrscheinlich  gekannt  hat/^^) 
hören  wir  von  Ghülen,  die  an  einsamen  Orten,  besonders  in 
Ruinen  und  auf  Friedhöfen  hausen  und  sich  von  Leichen  nähren. 
Sie  können  aber  auch  menschliche  Gestalt  annehmen,  in  der  sie 
einzelnen  Reisenden  auflauern  und  sie  in  ihre  Gewalt  bringen.^^^) 
Das  ganze  Mittelalter  hindurch  gehen  Sagen  und  Erzählungen 
über  fleischlichen  Verkehr  Lebender  mit  Toten  im  Volke  umher. 
Ein  norddeutsche  Sage  berichtet  von  einem  weiblichen  Werwolf, 
der  des  Nachts  Leichen  ausgräbt  und  frißt.^")  In  den  Volks- 
liedern, die  Arnim  und  Brentano  in  „Des  Knaben  Wunderhorn" 


--     69     — 

gesammelt  haben,  finden  sich  drei  entsprechende  Gedichte: 
„Der  Pfalzgraf",^^^)  „Das  nasse  Grabhemd"  ^^«)  und  „Der  Vor- 
wirt".^^^)  Im  ersten  vermählt  sich  ein  Pfalzgraf  mit  seiner  als 
Jungfrau  gestorbenen  Braut  im  Grabe,  in  den  beiden  anderen 
kehrt  eine  zum  zweiten  Mal  verheiratete  Frau  zu  ihrem  ersten 
Mann  ins  Grab  zurück,  als  der  zweite  sie  schlecht  behandelt 

Ob  Poe  aus  solchen  Andeutungen  und  kurzen  Berichten 
irgendwelche  Anregung  geschöpft  hat,  ist  nicht  zu  entscheiden, 
aber  sehr  zweifelhaft.  Doch  da  Poe  eine  gute  klassische 
Bildung  besaß,  ist  die  Möglichkeit  immerhin  nicht  ausgeschlossen. 
Darum  sind  die  vorliegenden  Beispiele  der  Vollständigkeit  wegen 
angeführt  worden. 

Der  romantischen  Erzählungen  von  Nekrophilie  sind  nicht 
wenige.  Der  Eomantik  war  ja  die  Verbindung  von  Liebe  und 
Tod,  von  Blut  und  Wollust  eigen.  Nicht  nur  in  den  Werken 
der  Komantiker  tritt  dies  zutage,  sondern  auch  in  ihrem  Leben. 
In  einem  Briefe  an  Karoline  v.  Günderode  schreibt  Brentano: 
„Öffne  alle  Adern  deines  weißen  Leibes,  daß  ich  das  heiße 
schäumende  Blut  aus  tausend  wonnigen  Springbrunnen  spritze, 
so  will  ich  dich  sehen  und  trinken  aus  den  tausend  Quellen, 
trinken,  bis  ich  berauscht  bin  und  deinen  Tod  mit  jauchzender 
Raserei  beweinen  kann".^''*^) 

Häufiger  finden  wir  diesen  Zug  in  romantischen  Werken. 
Novalis  in  seiner  Sehnsucht  nach  der  gestorbenen  Braut  singt 
in  den  „Hymnen  an  die  Nacht": 

„0!  sauge,  Geliebter,  gewaltig  mich  an, 
Daß  ich  entschlummern  und  lieben  kann. 
Ich  fühle  des  Todes  verjüngende  Flut, 
In  Balsam  und  Äther  verwandelt  mein  Blut. 
Ich  lebe  bei  Tage  voll  Glauben  und  Mut 
Und  sterbe  die  Nächte  in  heiliger  Glut".^«') 

Klarer  tritt  seine  Ansicht  in  folgenden  Fragmenten  hervor: 

„Es  ist  sonderbar,  daß  der  eigentliche  Grund  der  Grausam- 
keit Wollust  ist*'.^^2)  ^^über  die  Sehnsucht  nach  fleischlicher 
Berührung,  die  Geschlechtslust,  das  Wohlgefallen  an  nackenden 
Menschenleibern.  Sollt'  es  ein  versteckter  Appetit  nach  Menschen- 
fleisch sein?"^*^^)  —  Tieck  betrachtet  die  Grausamkeit  als  ein- 
gebornen  Bestandteil  der  menschlichen  Seele.  „In  einem  ge- 
heimnisvollen Gelüste,  aus  Furcht,  Grauen  und  Mitleid  gemischt, 
greift  die  Seele  zum  Schrecklichen  und  sättigt  ihren  furchtbaren 
Hunger  an  Gebilden  von  Blut  und  Mord;  Grausamkeit,  Mord- 
lust, die  in  der  Brust  des  Menschen  schlafen,  werden  von  ihren 
Ketten  gelöst,  und  in  der  Erhabenheit  triumphiert  die  wilde 
Natur,  rot  von  Blut,  in  Schauder  und  Graus.    Und  dieser  Trieb, 


—     70     — 

der  den  Menschen  in  der  Wirklichkeit  wie  in  der  Poesie  hoch, 
über  sich  selbst  hinausreißt,  ist  innigst  mit  jener  schmelzenden 
Wollust  verwandt,  ist  wohl  derselbe  magische  Wunsch,  zu  schaffen 
und  zu  vernichten,  in  der  höchsten  Liebe  zu  verderben  und  in 
der  Blutgier  mit  den  feinsten  Herzensfibern  zu  schwelgen. "^^'*) 

Die  jüngeren  deutschen  Romantiker  haben  das  Thema  öfter 
behandelt.  Achim  von  Arnim  erwähnt,  daß  sich  Protea  mit  dem 
toten  Ikarus  vermählt  habe,  den  der  Sturz  aus  der  Höhe  ums 
Leben  gebracht  hatte,^^'')  und  im  „Markgraf  Carl  Philipp  von 
Brandenburg"  läßt  er  Katharina  sich  zu  dem  toten  Helden  ge- 
sellen, der  ihr  zum  Gemahl  bestimmt  war.^^^)  Sogar  für  Hoff- 
mann  hatte  die  Tatsache,  daß  sich  Menschen  zu  Toten  hin- 
gezogen fühlen  können,  etwas  Grausiges,  und  er  hat  nur  eine 
Erzählung  darüber  geschrieben:  „Vampyrismus".^^^)  Der  Fluch 
einer  schändlichen  Mutter  zwingt  ein  junges  Weib  zu  einer  ent- 
setzlichen Neigung  für  Leichen.  Die  Szene,  wo  ihr  Gatte  ihr 
unbemerkt  zum  Kirchhof  folgt  und  sieht,  wie  sie,  unter  häß- 
lichen, halbnackten,  alten  Weibern  kauernd,  einen  Toten  —  nicht 
mißhandelt  oder  schändet  —  nein,  in  ekler  Gier  davon  zehrt, 
gehört  unter  das  Furchtbarste,  was  uns  Hoffmann  überliefert  hat. 

Den  besten  Ausdruck  für  die  zerstörende  Macht  der  Liebe 
hat  unter  den  Romantikern  Heinrich  v.  Kleist  gefunden  und  in 
„Penthesilea"  dargestellt. 

Die  Amazonenkönigin  Penthesilea  glaubt  sich  von  Achill, 
den  sie  liebt,  beleidigt.  Um  sich  an  ihm  zu  rächen,  tötet  sie 
ihn,  als  er  sich  ihr  unbewaffnet  naht,  hetzt  die  Hunde  auf  ihn 
und  wütet  selbst  mit  Bissen  an  seinem  Körper: 

„Den  Zahn  schlägt  sie  in  seine  weiße  Brust, 
Sie  und  die  Hunde,  die  wetteifernden".^*'^) 

Der  Trieb,  zu  töten,  was  sie  liebt,  in  Blut  zu  lieben,  liegt 
tief  in  ihr.    Man  erkennt  es  aus  ihren  Worten : 

„Küßt  ich  ihn  tot? 

So  war  es  ein  Versehen.     Küsse,  Bisse, 

Das  reimt  sich,  und  wer  recht  von  Herzen  liebt. 

Kann  schon  das  eine  für  das  andre  greifen ".^''^) 

In  „Die  Marquise  von  0."  schändet  ein  Offizier  die  Mar- 
quise,  die  in  tiefer  Ohnmacht  liegt  und  die  er  für  tot  hält.  Ein 
Kind  ist  die  Frucht  der  Tat.^'T 

Es  ist  bekannt,  daß  Zacharias  Werner  den  Gedanken  der 
Totenliebe  bis  zum  Ekelerregenden  gesteigert  hat.  In  seinem 
„Lied  der  Liebe"  ^'^)  steigt  ein  Ritter  zu  seiner  Geliebten  ins 
Grab  und  wohnt  ihr  bei.  Aus  der  Verbindung  mit  der  Toten 
entspringt  ein  Kind  .  .  .!  Der  Anfang  des  Gedichts  packt 
mächtig  und  weckt  die  Stimmung  der  ,.Berenice". 


—     71    — 

„Wer  schleicht  mit  der  Fackel  um  Mitternacht 

Zum  frisch  geschütteten  Grabe? 

Wer  wühlt  das  Grab  auf,  wer  wälzt  den  Stein? 

Wer  stürzet  ins  offene  Grab  hinein 

Zum  schlummernden  Mädchen  im  Grabe? 

Der  Ritter  ist  es,  sie  senkten  ihm  ein 

Des  Lebens  köstlichste  Habe". 

Ein  andrer  der  Schicksalstragiker,  Müllner,  beschreibt  die 
Grausamkeit  der  Liebe,  die  das  Geliebte  durch  die  Stärke  des 
Gefühls  vernichtet.     Er  sagt: 

„Unglücklicher,  du  bist,  wie  ich,  verloren ! 
Du  lerntest  hassen,  die  dich  hat  geboren: 
Das  ist  der  Liebe  fürchterliches  Zeichen  — 
Der  Liebe,  die  dem  Sturm  ist  zu  vergleichen, 
Der  wild  den  Baum  herausreißt  aus  der  Erde, 
Daß  er  ein  Raub  der  nahen  Flamme  werde". ^'-) 

Und  in  der  „Schuld"  findet  sich  die  Stelle: 

„Und  der  Gatte  meiner  Wahl  /  kommt  mir  wie  ein 
Raubtier  vor,  /  das  mich  liebt  und  mich  zerfleischt".^'^) 

Endlich  mögen  noch  einige  Gedichte  Heinrich  Heines  er- 
wähnt werden,  den  wir  noch  einigermaßen  unter  die  Romantiker 
rechnen  dürfen.  Er  wußte,  daß  die  Liebe  mit  dem  Tode  ge- 
paart ist  und  sang  von  ihr  als  einer  Sphinx,  die  den  Geliebten 
mit  dem  Munde  küßt  und  mit  den  Tatzen  zerfleischt. 

„Die  Nachtigall  sang:  0  schöne  Sphinx! 
0  Liebe,  was  soll  es  bedeuten, 
Daß  du  vernichtest  mit  Todesqual 
All  deine  Seligkeiten  ?"i'^) 

Der  Totenliebe  tut  er  mehrfach  Erwähnung.  Es  kommen 
zwei  Gedichte  in  Betracht,  in  deren  einem  ein  Franziskaner  zu 
sich  aus  dem  Grabe  die  Leiche  der  schönsten  Frau  beschwört.^ ''^) 
In  dem  andern,  „Helena",  ruft  der  Dichter  Helena  aus  dem 
Grabe  herbei.  Die  unersättliche  Tote  trinkt  ihm  aber  den 
Atem  aus.^'^) 

Da  wir  das  Thema  so  oft  und  in  den  verschiedensten 
Zeiten  behandelt  finden,  liegt  die  Vermutung  nahe,  daß  gleiche 
Fälle  sich  im  Leben  tatsächlich  ereigneten  und  Anlaß  zu  der- 
artigen Dichtungen  gaben.  Dem  ist  auch  so.  Pitaval  erzählt 
in  den  ,,Causes  celebres",  wie  ein  junger  Mann,  der  bei  einem 
Mädchen  die  Totenwache  hält,  von  ihrer  Schönheit  ergriffen  wird 
und  sich  an  ihr  vergeht.^"')  Als  er  nach  Jahren  in  die  Gegend 
zurückkommt,  erfährt  er  zu  seinem  Erstaunen,  daß  das  Mädchen 
aus  dem  Scheintod  erwacht  ist  und  einem  Kind  das  Leben  ge- 
schenkt hat.  Eine  gleiche  Geschichte  von  der  Schändung  einer 
Scheintoten  und   der  unerklärlichen  Geburt   eines  Kindes  lesen 


—     72     — 

wir  in  den  „Cent  Nouvelles  Nouvelles"  der  Madame  de  Gomez.^'^) 
Und  ganz  nahe  kommt  „Berenice"  der  Fall  des  Sergeanten 
FranQois  ßertrand  in  Paris,  der  in  den  vierziger  Jahren  des 
18.  Jahrhunderts  auf  den  Friedhöfen  Leichen  ausgrub  und  ent- 
setzlich verstümmelte.  Bei  ihm  spielte  das  erotische  Moment 
gar  keine  RoUe.^'^) 

Ziehen  wir  nun  aus  dem  umfangreichen  angesammelten 
Stoffe  das  Fazit.  Es  ist  zunächst  ein  negatives.  Denn  wir 
können  in  keinem  Falle  den  strikten  Beweis  erbringen,  daß 
irgendeines  der  vorliegenden  Dichtwerke  oder  einer  der  Fälle 
Poe  Anregungen  geliefert  hätte.  Die  dazu  nötigen  nahen  Über- 
einstimmungen fehlen.  Der  auffallende  Unterschied  aber  zwischen 
„Berenice"  und  den  erwähnten  romantischen  Dichtwerken,  daß 
diese  fast  ausnahmslos  erotischen  Charakter  tragen,  „ Berenice '' 
aber  davon  frei  ist,  wäre  kein  Grund,  sie  zu  trennen.  Denn 
durch  die  ganze  Dichtung  Poes  weht  ein  kühler,  keuscher  Zug. 
Seine  Frauengestalten  sind  nicht  Wesen  mit  empfänglichen 
menschlichen  Sinnen,  sondern  nur  Verkörperungen  eines  hohen, 
geistigen  Ideals.  Seine  Leidenschaften  kamen  nicht  aus  dem 
Gemüte,  sondern  aus  dem  Verstände.  Der  sexuelle  Sinnenrausch 
der  Romantiker  ist  bei  Poe  durch  und  durch  vergeistigt. 

Wenn  wir  aber  annehmen,  daß  Poe  von  solchen  wie  den 
genannten  romantischen  Werken  Anregungen  empfangen  habe, 
so  wird  einerseits  vor  allen  Kleists  „Penthesilea"  heranzuziehen 
sein.  Wir  müssen  nur  vom  Grund  der  Verstümmlung  des  Ge- 
liebten absehen.  Penthesilea  hat  alle  Beherrschung,  sogar  das 
Bewußtsein  ihres  Tuns  verloren.  Sie  starrt  vor  sich  hin,  spricht 
unverständliche  Worte,  ist  überhaupt  ganz  geistesabwesend,  so 
sehr  hat  die  Leidenschaft  sie  in  der  Gewalt.  Sie  ist  entsetzt, 
als  sie  den  entstellten  Körper  Achills  sieht  und  will  Rache  für 
die  Tat  nehmen.  Zu  ihrem  Grauen  muß  sie  schließlich  erfahren, 
daß  sie  es  war,  die  Achill  getötet  und  zerfleischt  hat. 

Der  Geisteszustand  der  Penthesilea  ist  also  der  gleiche  wie 
der  des  Egäus,  der  auch  so  stark  von  der  Leidenschaft  ergriffen 
ist,  daß  nur  sie  ihn  beherrscht.  Er  auch  begeht  das  Verbrechen 
in  bewußtlosem  Zustande,  wie  von  einer  bösen  Macht  getrieben, 
und  wird  von  der  enthüllten  Wahrheit  niedergeschmettert. 

Andrerseits  ist  Hoffmanns  Novelle  „Vampyrismus"  zu  be- 
rücksichtigen, in  der  die  Gräfin  lange  gegen  die  verderbliche 
Neigung  ringt,  ihrer  aber  doch  nicht  Herr  zu  werden  vermag. 
Der  innere  Zwang  ist  stärker  als  ihr  Wille.  Wenn  diese  Er- 
zählung dadurch  und  durch  den  Umstand,  daß  sie  keine  erotischen 
Elemente  enthält,  „Berenice"'  naherückt,  so  ist  doch  auch  hervor- 


—     73     — 

zuheben,  daß  es  nicht  ein  bestimmter  Toter  ist,  zu  dem  die 
Gräfin  Leidenschaft  empfindet,   sondern  jede  beliebige  Leiche. 

Die  Neigung  Poes,  einen  Gedanken  oder  ein  Gefühl  fort- 
zuführen, bis  die  Steigerung  einen  Höhepunkt  erreicht,  den  man 
vorher  keineswegs  vermuten  konnte,  zeigt  sich  auch  in  der 
biographischen  Erzählung  „WILLIAM  WILSON".i80)  p^^  j^ßt 
die  mahnende  Stimme  des  Gewissens  solchen  Abscheu  in  Wilson 
erregen,  daß  er  es  schließlich  tötet.  Das  Gewissen  ist  als  Doppel- 
gänger Wilsons  aufgefaßt.  Die  Einkleidung  in  das  Gewand  der 
Allegorie,  so  wie  Poe  sie  verwendet,  ist  romantisch.  Allegorien, 
aus  denen  man  eine  Wahrheit  zur  Belehrung  herausziehen  sollte, 
liat  es  von  jeher  gegeben,  auch  vor  der  Eomantik  Eine  der- 
artige Allegorie  ist  aber  nach  den  Ansichten  der  Romantiker 
kein  Kunstwerk.  Sie  wollten  nicht  die  nackte  Erscheinung  an 
sich  darstellen,  sondern  den  Geist,  der  sie  durchdringt  und  der 
ihr  eigner  Geist  ist,  und  dazu  hielten  sie  die  Allegorie  für  ge- 
eignet. Unter  dem  gleichen  Gesichtspunkte  werden  wir  Poes 
Allegorien  anzusehen  haben.  Unter  ihnen  verbergen  sich  Ideen, 
die  er  wegen  ihrer  Schönheit  oder  Seltsamkeit  der  Darstellung 
w^ert  hielt.  Nicht  aber  dürfen  wir  aus  ihnen  eine  Moral  heraus- 
zulesen suchen.  Ein  näheres  Eingehen  auf  ,. William  Wilson" 
wird  dies  deutlich  machen. 

William  Wilson  hat  auf  der  Schule  einen  Kameraden,  der 
ihm  in  jeder  Beziehung  sehr  ähnlich  ist.  Er  ist  von  gleicher 
Gestalt,  gleichaltrig  und  hat  sogar  den  gleichen  Namen.  Während 
W^ilson  aber  alle  seine  Kameraden  vollständig  beherrscht,  will 
ihm  dies  bei  seinem  Doppelgänger  nicht  gelingen,  und  unterwirft 
dieser  sich  doch,  so  gibt  er  Wilson  zu  verstehen,  daß  dieser 
eigentlich  im  Unrecht  ist.  Seine  Stimme  ist  ein  leises,  durch- 
dringendes Flüstern.  Er  kennt  die  empfindlichen  Stellen  Wilsons 
genau  und  weiß  ihn  gerade  da  zu  packen.  Er  gibt  ihm  ver- 
stohlen Ratschläge,  die  Wilson  haßt  und  doch  als  gut  anerkenoen 
muß.  Aber  gerade  darum  befolgt  er  sie  nicht.  Allmählich  be- 
ginnt er  seinen  Doppelgänger  zu  hassen  und  ihm  zuwider- 
zuhandeln. Schließlich  verläßt  er  die  Schule  und  geht  zur 
Universität,  wo  er  sich  einem  zügellosen  Leben  hingibt  und  vor 
ehrlosen  Handlungen  nicht  zurückschreckt.  Doch  als  sein  ge- 
treues Ebenbild  taucht  bei  jeder  unrechten  Tat  der  andre  Wilson 
auf  und  hindert  die  Ausführung.  Der  Haß  Wilsons  wächst  ins 
ungeheure.  Als  er  zum  Karneval  in  Rom  ein  AVeib  verführen 
will  und  wieder  das  durchdringende  Flüstern  neben  sich  hört, 
überwältigt  ihn  der  Zorn.  Er  zieht  seinen  Feind  in  ein  Neben- 
zimmer und  stößt  ihn  im  Zweikampf  nieder.  Doch  als  er  den 
'Sterbenden    scharf    ansieht,    bemerkt    er,    wie    er  ihm    bis   ins 


—     74     — 

kleinste  gleicht,  wie  sein  Spiegelbild.  Er  hört  seine  Stimme, 
nun  aber  nicht  mehr  flüsternd,  sondern  laut:  „You  have  con- 
quered  and  1  yield.  Yet,  henceforward  art  thou  also  dead — dead 
to  the  World,  to  Heaven,  and  to  Hope!  In  me  didst  thou  exist  — 
and,  in  my  death,  see  by  this  image,  which  is  thine  own,  how 
utterly  thou  hast  murdered  thyself". 

Poe  deutet  selbst  auf  die  Lösung  der  Allegorie  in  dem 
Motto : 

What  say  of  if?  What  says  Conscience  grim, 
That  spectre  in  my  path? 

Es  ist  eine  packende  Gewissensgeschichte,  die  Poe  aus  seinem 
Innern  herausgelesen  hat.  Er  fühlte,  wie  weit  der  Alkohol  und  aus- 
schweifendes Leben  den  Menschen  entwürdigen  können,  so  weit, 
daß  er  imstande  ist,  sein  Gewissen  zu  töten,  und  er  hatte  wohl 
wirklich  Angst,  in  einem  Anfalle  von  Trunkenheit  sein  besseres 
Ich  zu  vernichten. 

Poe  soll  seine  Idee  aus  der  Erzählung  eines  gewissen 
Boaden:  „The  Man  with  Two  Lives"^^^)  genommmen  haben. 
Wie  dem  auch  sei,  jedenfalls  ist  die  Idee  des  doppelten  Ichs 
sehr  alt  und  verbreitet.  Es  mag  nur  an  das  berühmteste  Bei- 
spiel der  Gattung  erinnert  werden:  Goethes  Faust,  in  dem 
Mephistopheles  die  böse  Seite  Fausts  verkörpert.  Im  Märchen 
auch  ist  oft  der  Doppelgänger  zu  finden.  Das  bekannteste  ist 
wohl  das  von  den  zwei  Brüdern,  die  sogar  von  der  Frau  des 
einen  nicht  unterschieden  werden  können.  Die  große  Ähnlich- 
keit zweier  Freunde  finden  wir  ebenso  in  dem  altfranzösischen 
Volksepos  „Ami  und  Amile".  Aber  die  Gleichsetzung  des  zweiten 
Ichs  mit  dem  Gewissen  ist  eine  Änderung  der  gewöhnlichen 
Vorstellung  und  nicht  häufig.  In  Hoffmanns  „Elixieren  des 
Teufels"  ^*^-)  können  wir  ab  und  zu  den  unheimlichen  Doppel- 
gänger des  Medardus  als  die  Stimme  des  Gewissens  auffassen. 
Sein  gebrochenes,  wahnwitziges  Stammeln  und  Kichern  und 
grelles  Lachen  erinnert  an  das  durchdringende  Wispern  Wilsons. 
Die  gleiche  Unmöglichkeit,  der  Stimme  seines  Gewissens  zu 
entgehen,  beschreibt  Hoffmann  in  „Der  unheimliche  Gast".^^-') 
Da  aber  in  dieser  Novelle  die  Personifizierung  des  Gewissens 
fehlt  und  außerdem  spukhafte  magnetische  Einflüsse  auftreten, 
werden  wir  Teilen  aus  „Die  Elixiere  des  Teufels"  größere  Ähn- 
lichkeit mit  „William  Wilson"  zuschreiben  müssen. 

Die  hier  auftretende,  von  den  Komantikern  mit  Vorliebe  ge- 
pflegte Vorstellung,  daß  der  Mensch  nicht  in  sich  allein  zu  Hause 
ist  und  daß  mehr  als  der  Verstand  innere  Triebe  und  außer  welt- 
liche Mächte  sein  Leben  führen   und   sein  Handeln   bestimmen, 


—     75     — 

finden   wir   in    noch   stärkerer   Ausbildung    in    der   Erzählung : 
„THE  FALL  OF  THE  HOUSE  OF  USHER".^-) 

Roderick  Usher  wohnt  mit  seiner  Schwester  Madeline  in 
einem  uralten  Herrensitze,  der  mit  dem  Schicksal  der  Familie 
verknüpft  zu  sein  scheint.  Die  grauen  verwitterten  Steine  des 
Schlosses  scheinen  Leben  zu  besitzen,  und  es  deucht  dem  Be- 
schauer, als  ob  von  einem  Teich  vor  dem  Hause  eine  eigne 
dumpfe  Atmosphäre  emporsteige,  über  dem  Schlosse  sich  lagere 
und  es  von  der  Umgebung  trenne,  so  daß  es  ein  Leben  für  sich 
führe.    Usher  ist  ein  kranker,  äußerst  reizbarer  Mensch: 

„Son  cceur  est  un  luth  suspendu; 
Sitot  qu'on  le  touche  il  resonne". 

Seine  Sinne  sind  außerordentlich  geschärft,  er  kann  nur 
ungewürzte  Speisen  genießen,  nur  gewisse  Kleider  tragen.  Der 
]3uft  aller  Blumen  ist  ihm  verhaßt,  sogar  schwaches  Licht 
schmerzt  seine  Augen,  und  nur  die  Töne  von  Saiteninstrumenten 
sind  seinem  Ohr  erträglich.  Dazu  hat  er  eine  unerklärliche 
Furcht  vor  kommendem  Unglück,  nicht  vor  dem  Unglück  selbst, 
sondern  seiner  Folge:  dem  Schrecken.  Immer  mehr  umgarnt 
ihn  wie  eine  Schlange  die  Furcht  —  vor  der  Furcht.  Ein 
Grund  dafür  ist  auch  die  seltsame  Krankheit  seiner  Schwester, 
die  langsam  hinwelkt,  ohne  daß  man  ihr  Hilfe  bringen  kann. 
Sie  leidet  dazu  an  epileptischen  Anfällen,  deren  einer  ihren  Tod 
herbeiführt.  In  einem  nahen  Grabgewölbe  wird  sie  beigesetzt. 
Schon  nach  kurzer  Zeit  wird  es  ihrem  Bruder  klar,  daß  sie 
lebend  begraben  ist.  Sein  überscharfes  Ohr  hört  deutlich  ihr 
Ringen  im  Sarge.  Ruhelos  irrt  er  im  Schlosse  umher  und  wagt 
doch  nicht,  ihr  zu  Hilfe  zu  kommen,  hat  auch  nicht  den  Mut, 
nur  ein  Wort  zu  sagen,  bis  nach  einer  Woche,  in  einer  stürmischen 
Nacht,  die  Lady  Madeline  sich  befreit,  das  Tor  des  Gewölbes 
aufbricht,  in  ihrem  blutbefleckten  Leichenhemd  zum  Zimmer 
ihres  Bruders  emporwankt  und  dem  Entsetzten  in  die  Arme  sinkt 
Tot  fallen  beide  nieder.  Und  als  im  Grauen  alles  aus  dem 
Hause  flieht,  spaltet  sich  das  Schloß  und  begräbt  unter  sich  die 
letzten  derer  aus  dem  Hause  Usher. 

Die  Erzählung,  meisterhaft  aufgebaut,  nimmt  den  Hörer 
magisch  gefangen  und  versetzt  ihn  mehr  und  mehr  in  eine 
quälende  Spannung.  Über  ihr  lagert  die  Stimmung  der  Schicksals- 
tragödie-  Stets  erwartet  man  mit  Roderick  Usher,  daß  ein  Un- 
glück hereinbricht,  und  als  es  kommt,  packt  es  doch  mit  starker 
Gewalt.  Die  Umgebung,  das  alte  Schloß,  ist  nicht  tot.  Alles^ 
die  Steine,  der  Teich,  sogar  die  Luft  sind  mit  Leben  erfüllt. 
Die  ganze  Umwelt  und  die  Natur  stehen  im  Dienste  des  Schick- 

6 


—     76     — 

sals.  Die  Elemente  werden  zu  Hilfe  gerufen,  Blitz  und  Donner 
und  Sturm  und  Regen  fügen  sich  harmonisch  in  den  Gang  der 
Ereignisse.  Das  Zusammenleben  der  beseelten  und  der  toten 
Welt  und  das  Wesen  Ushers  machen  die  Erzählung  zu  der  am 
meisten  romantischen,  die  Poe  geschrieben  hat. 

Sich  selbst  wiederum  zeichnet  er  in  Usher,  diesem  hyper- 
nervösen Menschen,  dem  Psychopathen  der  schwersten  Art, 
dessen  Beschreibung  bis  in  kleine  Einzelheiten  mit  Poes  äußerem 
Aussehen  und  seiner  Veranlagung  zusammentrifft.  Wir  sehen 
den  Tasso  der  Goetheschen  Dichtung  mit  seinem  tiefen  Innen- 
leben und  seiner  Empfindsamkeit  vor  uns,  wir  sehen  auch 
Hyperion,   den  Sklaven   seiner  Gefühle,   dessen  Schicksalslied: 

„Doch  uns  ist  gegeben  /  Auf  keiner  Stätte  zu  ruhn, 
Es  schwinden,  es  fallen  /  Die  leidenden  Menschen 
Blindlings  von  einer  /  Stunde  zur  andern, 
Wie  Wasser  von  Klippe  /  Zu  Klippe  geworfen, 
Jahrlang  ins  Ungewisse  hinab"  ^**) 

sich  an  Usher  erfüllt. 

Achim  V.  Arnim  hat  ein  ähnliches  Werk  geschaffen:  „Die 
Majoratsherren"  }^^)  Der  Majoratsherr  ist  ein  phantastischer  junger 
Mann,  der  die  wirkliche  Welt  nur  so  sieht,  wie  sie  sich  in  seiner 
Einbildung  spiegelt.  Ein  dunkles  Geheimnis  ruht  über  seinem 
Leben  und  drückt  ihn,  der  ohnehin  schon  ohne  Energie  ist,  zu 
bleierner  Untätigkeit  nieder.  Nächte  durch  sitzt  er  über  seinen 
Handschriften  und  seinem  Tagebuch.  Er  spielt  auf  der  Mandoline 
und  singt  dazu  schwermütige  Lieder.  Aber  er  sieht  und  hört,  was 
anderen  Menschen  entgeht.  Er  hört  den  Pistolenschuß,  der  nur 
in  der  Einbildung  der  gegenüberwohnenden  geisteski^anken 
Esther  existiert,  die  er  von  seinem  Fenster  aus  beobachtet.  Er 
durchschaut  die  verborgenen  Fäden,  die  ihn  mit  diesem  ver- 
meintlichen Judenmädchen  verbinden.  Sie  ist  in  Wahrheit  die 
verstoßene  Tochter  der  Frau,  die  für  seine  Mutter  gilt,  und  er 
ist  an  ihrer  Stelle  untergeschoben,  also  der  unrechtmäßige 
Majoratsherr.  Er  fühlt  aber  nicht  die  Kraft  in  sich,  den 
Fehler  seiner  Eltern  gutzumachen.  Er  sieht  auch,  wie  das  alte 
Judenweib  Vasthi  die  nur  scheintote  Esther  erwürgt,  er  sieht 
ihren  Todeskampf  und  kommt  ihr  doch  nicht  zu  Hilfe.  Erst 
als  alles  Leben  aus  Esther  entwichen  ist,  eilt  er  an  ihre  Bahre 
und  stirbt. 

Die  Majoratsherren  in  Arnims  und  Poes  Erzählungen  sind  einer 
Art:  bis  zum  äußersten  empfindlich,  reizbar,  phantastisch  und 
energielos.  Wie  Eoderick  Usher  ein  so  feines  Gehör  hat,  daß 
er  schon  die  erste  schwache  Bewegung  seiner  Schwester  im 
Sarge    hört,    so    besitzt    auch    der   Majoratsherr  Arnims  außer- 


—     77     — 

•ordentlich  scharfe  Sinne,  vor  allem  ein  sehr  feines  Gehör.  Wie 
<lieser  seine  melancholischen  Gesänge  auf  der  Gitarre  begleitet, 
so  singt  üsher  phantastische  Lieder  zu  den  Tönen  desselben 
Instruments.  Usher  hat  Furcht  vor  den  grauen  Steinen  seines 
Herrenhauses,  die  er  mit  seinem  Schicksal  verknüpft  glaubt,  und 
auch  der  Majoratsherr  fühlt  Grauen  vor  den  großen  Steinen 
seines  Majorats,  die  ihm  mit  Hunger  und  Kummer  zusammen- 
gemauert scheinen.  Und  auffallend  ist  vor  allem  die  Überein- 
stimmung darin,  daß  beide  wissen,  daß  ein  geliebtes  Wesen 
nicht  tot  ist,  wie  man  glaubt,  sondern  nur  scheintot.  In  ihre 
Hand  ist  es  gegeben,  Madeline  und  Esther  zum  Leben  zurück- 
zuführen. Aber  beide  lassen  die  Gelegenheit  zur  Rettung  vor- 
übergehen, nur  aus  Mangel  an  Energie.  Und  beide  schließlich 
finden  mit  der  Geliebten  den  Tod. 

Sollte  man  wirklich  annehmen  können,  daß  Poes  Erzählung 
ganz  unabhängig  von  Arnims  Novelle  geblieben  sei  und  daß  es 
sich  wie  so  oft  auch  in  diesem  Falle  nur  um  eine  eigentümliche 
Übereinstimmung  der  Motive  handle,  die  in  der  gleichen  Ge- 
mütsstimmung und  Veranlagung  der  Dichter  begründet  wäre? 
Die  Ähnlichkeiten  sind  zu  auffallend,  um  diese  Annahme  zu- 
zulassen. Außerdem  sind  noch  einige  weitere  Übereinstimmungen 
zwischen  Erzählungen  Poes  und  Arnims  nachzuweisen,  so  daß 
die  Mutmaßung,  Poe  habe  Anregungen  von  Arnim  empfangen, 
nicht  fern  liegt.  Was  nur  Möglichkeit  ist,  sobald  ein  einzelner 
Fall  von  Übereinstimmung  der  Motive  vorliegt,  wird  zur  Wahr- 
scheinlichkeit, wenn  die  Beispiele  sich  mehren. 

Es  lassen  sich  auch  Beziehungen  zwischen  Poes  Novelle 
und  Hoffmanns  „Das  Majorat"  ^^^)  nachweisen.  Schon  die  Namen 
stimmen  überein.  Bei  Hoffmann  heißt  der  Majoratsherr  Roderich, 
bei  Poe  Roderick  Usher.  Vor  allem  aber  ist  es  das  Schloß,  das 
uns  an  das  house  of  Usher  erinnert.  Es  liegt  in  öder,  rauher 
Gegend.  Das  finstre  Gebäude  nährt  die  Erinnerung  an  alte 
Freveltaten.  Geisterhaft  und  mürrisch  schleichen  wie  in  Ushers 
Herrensitz  in  diesem  Majorat  die  Diener  umher.  In  die  Steine 
scheinen  Geister  gebannt,  die  leicht  hervorkommen  und  von  den 
Verbrechen  berichten,  deren  Schauplatz  das  Schloß  war.  An- 
schaulich ist  das  Leben,  das  den  Steinen  innezuwohnen  scheint, 
in  den  Worten  geschildert:  „Es  ging  fort  durch  lange,  hoch- 
gewölbto  Korridore,  Franzens  flackerndes  Licht  warf  einen 
wunderlichen  Schein  in  die  dicke  Finsternis.  Säulen,  Kapitaler 
und  bunte  Bogen  zeigten  sich  oft  wie  in  den  Lüften  schwebend, 
riesengroß  schritten  unsere  Schatten  neben  uns  her,  und  die 
seltsamen  Gebilde  an  den  Wänden,  über  die  sie  hinweg  schlüpften, 
schienen    zu    zittern    und    zu    schwanken,    und    ihre   Stimmen 

6* 


—     78     — 

wisperten  in  den  dröhnenden  Nachhall  unserer  Tritte  hinein: 
Weckt  uns  nicht,  weckt  uns  nicht,  uns  tolles  Zaubervolk,  das 
hier  in  den  alten  Steinen  schläft". ^^^)  Wenn  also  auch  nicht 
die  Steine  des  Schlosses  wie  die  des  house  of  Usher  mit  dem 
Schicksal  der  Familie  eins  sind,  so  sind  sie  doch  anscheinend 
belebt.  Auch  ist  das  Unglück  der  Familie  immer  an  das  Schloß 
gebunden.  Endlich  nimmt  in  Hoffmanns  wie  in  Poes  Erzählung 
das  Geschlecht  der  Majoratsherren  ein  jähes  Ende. 

Das  Eingehen  auf  die  Erzählungen  Arnims  und  Hoffmanns 
wird  deutlich  gemacht  haben,  daß  Poe  in  „The  Fall  of  the  House 
of  Usher"  den  Spuren  der  Romantiker  eng  gefolgt  ist.  Einer- 
seits ist  die  Handlung  der  in  Arnims  Erzählung  ähnlich  und 
sind  Züge  aus  Hoffmann  übernommen  ^\'orden,  andererseits  sind 
die  Anschauungen  und  der  Charakter  Roderick  Ushers  durchaus 
romantisch.  Er  schreibt  den  Pflanzen  und  sogar  den  Steinen 
Gefühl  und  Einfluß  auf  die  Menschen  zu.  Seine  Lieblingslektüre 
sind  romantische,  geheimnisvolle  Bücher,  darunter  Tiecks  „Reise 
ins  Blaue  hinein",  seine  melancholischen  Weisen  strömen  einen 
unbestimmten  Zauber  aus  und  erregen  zu  seltsam  schmerzlichen 
Stimmungen.  Vor  allem  tritt  aber  seine  romantische  Veranlagung 
in  seinen  Gemälden  zutage.  „From  the  paintings  over  which 
his  elaborate  fancy  brooded,  and  which  grew,  touch  by  touch, 
into  vaguenesses  at  which  I  shuddered  the  more  thrillingly,  be- 
cause  I  shuddered  knowing  not  why;  —  from  these  paintings 
(vivid  as  their  images  now  are  before  me)  I  would  in  vain  En- 
deavour to  educe  more  than  a  small  portion  which  should  lie 
within  the  compass  of  merely  written  words.  By  the  utter  sim- 
plicity,  by  the  nakedness  of  his  designs,  he  arrested  and  overawed 
attention.  If  ever  mortal  painted  an  idea  that  mortal  was  Roderick 
Usher.  For  me  at  least  —  in  the  circumstances  then  arround- 
ing  me  —  there  arose  of  the  pure  abstractions  which  the 
hypochondriac  contrived  to  throw  upon  the  canvas  an  intensity 
of  intolerable  awe,  no  shadow  of  which  feit  I  ever  yet  in  the 
contemplation  of  the  certainly  glowing  yet  too  concrete  reveries 
of  Fuseli."  1«') 

Der  Zug  der  romantischen  Malerei,  die  Gegenstände  nicht 
um  ihrer  selbst  willen  darzustellen,  sondern  des  Geistes,  der 
Stimmung  wegen,  die  sie  aushauchen,  geht  klar  daraus  hervor. 

Man  merkt  auch,  daß  Züge  der  gotischen  Romantik  in  „The 
Fall  of  the  House  of  Usher"  auftreten.  Das  graue  düstere  Schloß^ 
mit  seinen  unglücklichen  Insassen,  die  langen  finsteren  Korridore, 
das  kupferne  Grabgewölbe,  in  dem  die  scheintote  Lady  Madeline 
um  ihr  Leben  kämpft,  auch  die  einsame,  trostlose  Lage  des 
Herrensitzes  könnten   aus    einem   der   Schauerromane   der  Ana 


~     79     — 

Radcliffe  oder  Maturins  genommen  sein.  Doch  hat  sich  Poe  von 
den  rohen  Auswüchsen  der  gotischen  Romantik  freigehalten. 
Während  in  dieser  die  Schlösser  in  den  Vordergrund  traten  und 
oft  eine  größere  Bedeutung  als  die  Menschen  hatten,  ist  bei 
Poe  die  Bedeutung  der  Umwelt  auf  ihr  rechtes  Maß  beschränkt. 
Ihre  Bedeutung  geht  eben  nur  auf  die  romantische  Idee  zurück, 
daß  die  Natur,  die  uns  tot  scheint,  beseelt  und  mit  tausend 
Fasern  mit  unserem  Leben  verknüpft  sei  und  bestimmend  auf 
<3s  einwirke.  Den  gleichen  Gedanken  treffen  wir  in  zwei  andern 
Novellen  Poes:  „Metzengerstein"  und  „The  Oval  Portrait",  Einzel- 
züge davon  in  „Ligeia". 

In  „METZENGERSTEIN"  i««)  sehen  wir  zwei  seit  alter  Zeit 
verfeindete  Familien,  Berlifitzing  und  Metzengerstein,  die  erste 
dem  Aussterben  nahe.  Der  junge  Metzengerstein  legt  in  teuf- 
lischem Haß  Feuer  an  das  Schloß  Berlifitzing.  Im  Brande  geht 
der  alte  Graf  mit  seinem  Schlosse  zugrunde.  Währenddessen 
sitzt  Metzengerstein  in  seinem  Zimmer,  dessen  Tapete  Szenen 
aus  der  Geschichte  der  feindlichen  Familien  darstellt.  Zu  seinem 
Entsetzen  scheint  das  Bild  eines  gigantischen  Rosses,  dessen 
Reiter,  ein  Berlifitzing,  unter  dem  Schwerte  eines  Metzenger- 
stein stirbt,  Leben  anzunehmen  und  ihn  zu  l)etrachten.  Als  er 
das  Zimmer  verläßt,  bringen  ihm  Roßknechte  ein  riesiges  wildes 
Pferd,  das  er  als  das  Ebenbild  dessen  in  der  Tapete  erkennt. 
Dieses  aber  ist  verschwunden.  Metzengerstein  bestimmt  das 
Pferd,  vor  dessen  ernstem,  beinahe  menschlichem  Blick  die  Leute 
zurückschrecken,  zu  seinem  eignen  Gebrauch  und  sucht  seinei- 
Wildheit  Herr  zu  werden.  Bei  einem  Feuer  aber  in  seinem 
Schlosse  reißt  das  Pferd  seinen  Reiter  mit  sich  fort  in  die 
Flammen,  die  sich  augenblicklich  beruhigen.  Eine  dicke  Rauche 
wölke  steigt  aus  dem  Brandherd  empor  und  lagert  sich  über  den 
Trümmern  in  der  Gestalt  eines  gewaltigen  Rosses. 

Die  Erzählung  ist  nur  verständlich,  wenn  man  den  Glauben 
^n  die  Seelenwanderung  zur  Erklärung  heranzieht.  Die  Seele 
des  alten  Berlifitzing  fährt  in  die  Gestalt  des  Rosses,  um  nach 
seinem  menschlichen  Tode  noch  Rache  an  Metzengerstein  nehmen 
^u  können.  Es  ist  aber  eine  besondere  Richtung  dieses  Glaubens 
dargestellt,  nämlich  daß  die  Seele  nur  ein  einziges  Mal  in  einem 
fühlbaren  Körper  wohne,  im  übrigen  aber  ein  Pferd,  Hund,  sogar 
-ein  Mensch  nur  das  ungreifbare  Ebenbild  dieser  Wesen  sei. 
Es  kann  sich  auch  keiner  der  Diener  besinnen,  das  Roß  nur 
berührt  zu  haben. 

Daß  in  der  erregten  Phantasie  sich  die  tote  Umwelt  belebt, 
ihat  vor  allem  Hoffmann  häufig  beschrieben.  In  ,.Der  goldene 
Topf"  hält  der  phantasievolle  Student  Anseimus  den  bronzenen 


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Türklopfer  des  Archivarius  Lindhorst  für  den  Kopf  eines  alten 
Apfelweibes,  der  ihn  höhnisch  angrinst  und  mit  häßlichen 
Schimpfreden  vertreibt,^^^)  in  „Der  Sängerkrieg  auf  der  Wart- 
burg" ^®®)  beleben  sich  in  der  Hand  Klingsohrs  wunderliche 
Wurzeln,  daß  sie  wie  fremde,  unheimliche  Kreaturen  anzuschauen 
sind,  die  mit  Fäden  und  Ästen  wie  mit  Armen  und  Beinen 
zappeln,  aus  denen  auch  oft  ein  kleines,  verzerrtes  Menschen- 
antlitz hervorzuckt  und  auf  häßliche  Weise  grinst  und  lacht. 
Der  Rat  Krespel  hält  seine  Geige  für  lebendig  und  hört  sie  in 
wunderlicher  Weise  zu  sich  sprechen.  Beim  Tode  seiner  Tochter 
Antonie  zerbricht  die  Geige,  der  das  Mädchen  oft  gelauscht 
hatte.^^^)  Tieck  läßt  im  „Ritter  Blaubart"  die  Gestalten  einer 
Tapete  lebendig  werden,  auf  den  erstaunten  Ritter  zugehen  und 
ihn  feierlichen  Schritts  umwandeln.  Am  nächsten  Tage  aber 
sind  sie  in  ihre  alten  Plätze  zurückgekehrt.^^"^)  Heine  erzählt, 
wie  sich  in  dem  Schlosse  Blay  jede  Nacht  ein  toller  Zauberspuk 
erhebt: 

„In  dem  Schlosse  Blay  allnächtlich  /  Gibt's  ein  Rauschen,  Knistern,  Beben^ 
Die  Figuren  der  Tapete  /  Fangen  plötzlich  an  zu  leben. 
Troubadour  und  Dame  schütteln  /  Die  verschlafnen  Schattenglieder, 
Treten  aus  der  Wand  und  wandeln  /  Durch  die  Säle  auf  und  nieder". ^^^) 

Wenn  wir  von  dem  Gedanken  der  Seelen  Wanderung  ab- 
sehen, so  scheint  es,  als  ob  unter  den  erwähnten  Beispielen  die 
Szene  aus  Tiecks  „Ritter  Blaubart"  die  größte  Ähnlichkeit  mit 
„Metzengerstein"  habe.  Hoffmann  sieht  die  Umwelt  wohl  lebendig, 
erblickt  aber  in  den  belebten  Dingen  niemals  das,  was  sie  sind. 
Aus  dem  Türklopfer  wird  der  Kopf  eines  Apfelweibes,  aus  der 
Klingelschnur  eine  Schlange.  Es  könnte  aber  ebensogut  etwas 
anderes  daraus  werden,  was  gerade  vorher  die  Phantasie  des 
Dichters  beschäftigt  hatte.  Bei  Tieck  aber  wie  bei  Poe  wird 
einem  Gegenstand  nur  Leben  eingehaucht,  ohne  ihn  sonstwie 
zu  verändern.  Das  gleiche  ist  auch  in  Heines  Gedicht  der 
Fall.  Es  soll  aber  nicht  ernstlich  zum  Vergleich  herangezogen 
werden,  weil  die  Möglichkeit,  Poe  habe  Heines  Werke  gekannt, 
in  zu  weiter  Ferne  liegt. 

Die  Erzählung  von  den  feindlichen  Familien  erinnert  an 
zwei  romantische  Werke :  Heinrichs  v.  Kleist  „Familie  Schroffen- 
stein",^^*)  die  deutsche  Bearbeitung  des  Romeo  und  Julia-Themas 
und  Achims  v.  Arnim  „Die  Gleichen". ^^^)  In  beiden  Werken 
vernichten  sich  wie  bei  Poe  zwei  Familien  durch  blinden,  ererbten 
Haß. 

Der  Zug,  daß  sich  für  den  Dichter  die  tote  Umwelt  belebt, 
tritt  auch  in  „THE  OVAL  PORTRAIT"  ^^^)  auf.  Wir  sind  nach 
Italien  versetzt,  in  ein  altes,  düsteres  Schloß,  „which  have  so  long 


—     81     — 

frowDed  among  the  Apenines,  not  less  in  fact  than  in  the  faucy 
of  Mrs.  Radcliffe".  Ein  im  Fieber  liegender  Reisender,  der  in 
dem  Schlosse  Zuflucht  gefunden  hat,  nimmt  eine  zu  starke  Dosis 
Opium,  um  seine  Schmerzen  zu  lindern.  Die  Wirkung,  eine 
ins  Unendliche  gesteigerte  Phantasie  und  Aufmerksamkeit  für 
die  Umwelt,  bleibt  nicht  aus.  Als  seine  Blicke  auf  ein  ovales 
Porträt  fallen,  das  einen  Mädchenkopf  darstellt,  wird  er  wunder- 
bar dadurch  angeregt.  Zufällig  findet  sich  eine  Darstellung 
der  Geschichte  des  Bildes,  und  der  Kranke  liest,  daß  es  das 
einst  schöne,  junge  Weib  eines  Malers  darstelle,  der  in  der 
Begeisterung  für  seine  Kunst  lange  Wochen  an  dem  Bilde  malte. 
Er  sah  nicht  oder  wollte  nicht  sehen,  wie  das  Weib  immer 
mehr  verging  in  dem  Maße,  als  sein  Werk  Leben  gewann.  Als 
er  die  letzte  Hand  daran  legte,  da  deuchte  es  ihm,  als  sei  das 
Bild  lebend  geworden.  „He  becamo  tremulous  and  very  pallid, 
and  aghast,  and  crying  with  a  loud  voice:  ,This  is  indeed  IJfe 
itself!'  turned  suddenly  to  regard  his  beloved:  —  she  was  dead". 

Die  Erzählung  ist  die  ausschließliche  Darstellung  des  Gefühls, 
das  einen  Teil  der  vorigen  Novelle  einnahm:  daß  ein  Bild  uns 
wie  mit  lebenden  Augen  ansieht  oder  daß  die  Gestalten  daraus 
hervorzutreten  scheinen.  Die  phantasievollen  Romantiker  waren 
damit  vertraut.  Sie  sahen  nicht  die  tote  Leinwand,  sondern  das 
Leben,  das  in  den  Gestalten  darauf  pulsiert  hatte.  Sie  belebten 
jedes  Bild  mit  den  Schöpfungen  ihrer  Einbildungskraft  imd 
lasen  daraus,  was  andern  Menschen  verborgen  blieb.  Hoffmann 
war  dieser  Zug  besonders  eigen.  Er  läßt  einen  jungen  Maler 
sagen,  der  das  Bild  seiner  Geliebten  gemalt  hatte:  „Als  ich 
Rosas  Bild  vollendet,  ward  es  in  meinem  Innern  ruhig,  und  oft 
war  freilich  auf  ganz  wunderliche  Art  mir  zu  Mute,  als  sei 
Rosa  nun  das  Bild,  das  Bild  aber  die  wirkliche  Rosa  geworden".^^') 
Daß  von  so  phantastischem  Betrachten  eines  Bildes  bis  dahin, 
einen  ganzen  Roman  daraus  zu  lesen,  nur  ein  Schritt  war.  liegt 
auf  der  Hand.  Hoffmann  wiederum  ist  es,  der  dieser  Neigung 
besonders  oft  huldigte.  Eine  ziemliche  Zahl  seiner  Erzählungen 
sind  durch  Bilder  angeregt  worden,  wie  „Die  Fermate",  „Der 
Artushof",  „Doge  und  Dogaressa",  „Meister  Martin,  der  Küfner, 
und  seine  Gesellen",  „Prinzessin  Brambilla",  vielleicht  auch  die 
„Elixiere  des  Teufels". 

Poes  Erzählung  erweckt  auch  den  Eindruck,  als  ob  sie 
nach  einem  Gemälde  geschaffen  sei  und  einfach  die  Gedanken 
darstelle,  die  des  Dichters  Phantasie  ihm  beim  Betrachten  eines 
lebenswahr  gemalten  Mädchenbildes  vorgegaukelt  hätte.  Er 
deutet  ja  auch  ziemlich  unverhüllt  darauf  hin,  wenn  er  den 
Reisenden   durch   Opium  in  einen  Zustand  hoher  phantastischer 


—     82     — 

Erregung  kommen  läßt.  Daß  dieser  einen  Katalog  der  Bilder 
und  darin  die  Geschichte  des  Frauenkopfes  findet,  ist  nur  eine 
ziemlich  ungeschickte  und  durchsichtige  Verhüllung  der  Tat- 
sachen. 

„THE  MASQUE  OF  THE  RED  DEATH"  ^^«)  führt  uns  in 
ein  mit  unerhörter,  orientalischer  Pracht  ausgestattetes  Schloß, 
in  das  sich  der  Prinz  Prospero  mit  seinem  Hofstaat  vor  der 
roten  Pest,  die  in  seinem  Volke  haust,  zurückgezogen  hat 
und  Monate  in  schwelgerischen  Festen  verbringt.  Zu  einem 
Maskenfeste  hat  man  eine  lange  Flucht  von  Zimmern  phantastisch 
ausgeschmückt,  das  letzte  in  den  Farben  des  roten  Todes, 
schwarz  und  rot.  Um  Mitternacht  hält  durch  diese  Räume  die 
Pest  in  einem  grausigen  Maskenkleid,  das  einem  schwarzen 
Grabgewande  gleicht  und  mit  roten  Blutflecken  besprenkelt  ist, 
ihren  Einzug  in  das  Schloß  und  rafft  den  Fürsten  mit  seinem 
Gefolge  dahin. 

Die  Beschreibung  des  prächtigen  Schlosses  mit  den  langen 
Fluchten  seiner  Zimmer,  gewaltigen  Mauern  und  Eisentoren 
erinnert  wiederum  an  die  Schilderungen  der  gotischen  Romantik. 
Die  Stimmung  aber,  die  erst  ausgelassen  lustig  ist,  allmählich 
aber  ohne  Grund  einem  Gefühl  drückender  Angst  weicht  und 
in  die  Gewißheit  eines  unentrinnbaren  Unheils  übergeht,  führt 
uns  in  die  drückende,  von  Entsetzen  geschwängerte  Atmosphäre 
der  Schicksalstragödie  und  der  Tieckschen  Märchen.  Im  letzten 
Zimmer,  dem  schwarzen  und  roten,  das  den  roten  Tod  verhöhnt, 
steht  eine  riesige  Elfenbeinuhr.  Wenn  sie  mit  lauttönendem, 
tiefem,  wohlklingendem  Schlag  die  Stunde  verkündet,  so  durch- 
fährt Entsetzen  die  Gesellschaft.  Die  Musik  schweigt,  und  die 
Tänzer  stehen  still.  Die  Fröhlichsten  werden  bleich,  und  die 
Alten  und  Gesetzten  legen  die  Hand  über  die  Augen  wie  in 
unklarer  Träumerei.  Eine  ferne,  bekannte,  doch  vergessene 
Stimme  scheint  sie  zu  rufen.  Dann  aber  lächelt  man  über  sich 
und  wird  wieder  fröhlich  und  wird  doch  nach  jeder  Stunde  von 
den  gleichen  Schauern  ergriffen,  bis  mit  den  Schlägen  der 
Mitternachtsstunde  das  Entsetzen  seinen  Höhepunkt  erreicht  und 
mit  dem  Hereinbrechen  der  Pest  seine  Berechtigung  erhält. 

Die  unheilahnende  Stimmung  wird  dadurch  verstärkt,  daß 
wir,  wie  in  der  Schicksalstragödie,  keinen  Grund  dazu  haben. 
Sie  liegt  in  der  Luft.  Der  wohlklingende  Schlag  einer  Uhr  hat 
gewiß  nichts  Schreckliches  an  sich  und  erregt  doch  Grauen. 
Grade  dieses  Unbegreifliche  und  Unv/ahrschein liehe  aber  bringt 
die  tiefe  Wirkung  hervor.  Wir  werden  im  unklaren  darüber 
gelassen,  wie  die  Pest  in  das  Schloß  eindringen  kann.  Es  war 
seit  Monaten  von  jeder  Berührung  mit  der  Umwelt  dicht  ab- 


—     83     — 

geschlossen,  die  Eisentore  waren  nie  geöffnet  worden,  über  die 
hohen  Mauern  konnte  kein  Mensch  gelangen,  und  doch  sehen 
wir  den  roten  Tod  seinen  Einzug  halten.  Wir  müssen  die 
JStrafe  als  vom  Schicksal  verhängt  auffassen  und  glauben,  daß 
sie  von  einer  höheren  als  menschlichen  Macht  ausgehe.  Der 
Geist  der  Schicksalstragödie  —  der  vornehmen,  nicht  der  aus- 
gearteten —  ist  nicht  zu  verkennen'. 

Es  mag  noch  erwähnt  werden,  daß  der  Prinz  Prospero  mit 
dem  Zauberer  Prosper  Albanus  in  Hoffmanns  „Klein  Zaches,  ge- 
nannt Zinnober"  ^'^^)  ziemlich  gleichen  Namen  führt.  Da  wir  die 
genannte  Erzählung  schon  mit  einem  Werke  Poes  in  Verbindung 
setzen  konnten,  da  weiterhin  auch  dieser  Prosper  Albanus  über 
ein  sehr  prächtiges  Schloß  verfügt  und  da  wir  endlich  fest- 
stellen konnten,  daß  Poes  Erzählung  „The  Fall  of  the  House 
of  Usher"  und  Hoffmanns  ,. Majorat"  gleiche  Namen  für  die 
Majoratsherren  haben,  so  ist  diesem  scheinbar  geringfügigen 
Umstände  vielleicht  einige  Bedeutung  zuzuschreiben. 

Ganz  anders  geartet  ist  die  Erzählung  „THE  PIT  AND 
THE  PENDULUM".!«'^)  Ein  von  der  Inquisition  in  Toledo  Ver- 
urteilter wird  in  einen  Unstern  Kerker  geworfen,  in  dessen  Mitte 
sich  eine  tiefe  Grube  befindet.  Als  er  der  Gefahr  hinein- 
zustürzen entgeht,  fesselt  man  ihn  auf  eine  Bahre,  über  der  ein 
an  der  Unterseite  haarscharf  geschliffenes  Pendel  schwingt,  das 
sich  ganz  langsam,  viele  Tage  lang,  herabsenkt  und  ihn  zu  zer- 
sägen droht.  Als  er  sich  auch  aus  dieser  Lage  zu  befreien 
weiß,  werden  die  beweglichen,  mit  scheußlichen  Fratzen  be- 
deckten Eisenwände  des  Kerkers  zur  Rotglut  erhitzt  und  zu- 
sammengeschoben, um  das  Opfer  in  die  Grube  zu  drängen.  Im 
Augenblick  der  höchsten  Not  kommt  die  Befreiung  in  der  Person 
des  Generals  Lasalle,  der  die  Inquisition  aufhebt. 

Die  Vorstellung  der  beispiellosen  Martern  scheint  aus  einem 
Krankheitszustand  des  Dichters  genommen  zu  sein,  den  die 
Fallsucht  oder  der  Alkohol  bei  ihm  herbeiführte.  Dafür  spricht 
die  Beschreibung  eines  solchen  Zustands,  die  er  am  Anfang  der 
Erzählung  gibt.  Aber  er  hat  die  Gefühle  des  Gefolterten,  die 
auch  seine  waren,  auf  so  peinliche  Weise  zergliedert,  daß  man 
annehmen  möchte,  er  habe  das  kühne  Wort  Hardenbergs  in  die 
Tat  umgesetzt:  „Das  willkürlichste  Vorurteil  ist,  daß  dem 
Menschen  das  Vermögen,  außer  sich  zu  sein,  mit  Bewußtsein 
jenseits  der  Sinne  zu  sein,  versagt  sei.  Ohne  dies  wäre  er  nicht 
Weltbürger,  er  wäre  ein  Tier.  Freilich  ist  die  Besonnenheit, 
Sichselbstempfindung,  in  diesem  Zustande  sehr  schwer,  da  er 
so  unaufhörlich,  so  notwendig  mit  dem  Wechsel  unserer  Zustände 
verbunden  ist . .  ."^*^^*)    Wie  fein  sich  Poe  selbst  in   den  Augen- 


—     84     — 

blicken  der  stärksten  Erregung  beobachtete,  geht  aus  der  Be- 
merkung hervor,  daß  in  seinem  Gehirn,  das  vor  Schmerz  unfähig 
war  zu  denken,  plötzlich  ein  Gedanke  an  Eettung  auftauchte, 
aber  blitzschnell  wieder  verschwand.  Erst  im  Augenblicke  der 
höchsten  Gefahr  kommt  ihm  mit  der  kalten  Ruhe  der  Ver- 
zweiflung die  Erinnerung  daran  zurück,  so  daß  er  Schritte  zu 
seiner  Eettung  tun  kann.  Auch  für  diese  Beobachtung  finden 
wir  ein  Analogen  in  den  Fragmenten  von  Novalis ^*^^):  „Im 
höchsten  Schmerz  tritt  zuweilen  eine  Paralysis  der  Empfindsam- 
keit ein.  Die  Seele  zersetzt  sich.  Daher  der  tödliche  Frost, 
die  freie  Denkkraft,  der  schmetternde,  unaufhörliche  Witz  dieser 
Art  von  Verzweiflung.  Keine  Neigung  ist  mehr  vorhanden;  der 
Mensch  steht  wie  eine  verderbliche  Macht  allein". 

Die  Geschichte  einer  andern  furchtbaren,  aber  persönlichen 
Rache  finden  wir  in  „THE  CASK  OF  AMONTILLADO".202) 
Ein  Mann  ist  von  einem  andern,  Fortunato,  beleidigt  worden. 
Er  beschließt,  sich  zu  rächen.  Er  bleibt  freundlich  wie  zuvor 
und  wartet  Monate,  ja  vielleicht  Jahre  lang  auf  eine  Gelegen- 
heit zur  Rache,  die  sich  endlich  in  einem  Karneval  bietet.  Er 
führt  seinen  Feind  in  seinen  Weinkeller,  alte  Katakomben,  um 
sein  Urteil  über  ein  Faß  Amontillado  zu  hören.  In  einem  Ge- 
wölbe, das  von  Salpeter  dampft,  fesselt  er  ihn  an  die  Wand 
einer  Nische  und  mauert  dann  langsam  deren  Öffnung  zu.  Er 
weidet  sich  an  den  verzweifelten  Schreien  seines  Opfers,  das  in 
Wahnsinn  verfällt. 

Die  Erzählung  ist  in  einem  kalten,  man  möchte  sagen, 
grausamen  Ton  geschrieben,  ohne  Mitleid  erwecken  zu  wollen. 
Die  Beleidigung  ist  nie  genannt,  aber  man  kommt  auf  den  Ver- 
dacht, daß  sie  recht  geringfügig  gewesen  sei  und  in  gar  keinem 
Verhältnis  zu  der  unmenschlichen  Rache  stehe.  Das  Opfer  wird 
aus  dem  lustigen  Treiben  des  Karnevals  heraus  in  den  Tod  ge- 
rissen. Es  faßt  das  Vorgehen  seines  Feindes,  von  dessen  Haß 
es  nichts  weiß,  als  einen  Scherz  auf  und  kann  die  entsetzliche 
Wahrheit  nicht  begreifen.  Wir  empfinden  am  Ende  das 
schneidende  Lachen  und  das  Aufbrüllen  des  Wahnsinns  als  Er- 
lösung von  einer  unerträglichen  Qual. 

Unersättlichen  Rachedurst  hat  auch  Heinrich  v.  Kleist  in 
der  „Hermannsschlacht"  ''*^^)  dargestellt.  Der  römische  Legat 
Ventidius  hat  Thusnelda  eine  Locke  geraubt.  Sie  hätte  ihm 
verziehen,  denn  sie  glaubt,  es  sei  aus  Liebe  zu  ihr  geschehen. 
Als  sie  aber  erfährt,  Ventidius  habe  die  Locke  nach  Rom  zur 
Kaiserin  Livia  geschickt  und  ihr  das  ganze  Haupthaar  Thus- 
neldas  versprochen,  sobald  Cheruskia  erobert  sei,  packt  sie 
furchtbarer  Zorn.     Sie  lockt  Ventidius  unter  dem  Vorwand  eines 


—     85     — 

Stelldicheins  in  einen  Bärenzwinger,  und  als  er  sie  zu  umarmen 
glaubt,  läßt  sie  ihn  von  einer  hungrigen  Bärin  zerreißen  und 
verhöhnt  ihn  mit  Spottreden. 

Die  Beleidigung  war  schwer,  aber  die  Rache  trotzdem  sehr 
grausam.  Man  empfindet  Mitleid  mit  Ventidius  über  den  gräß- 
lichen Hohn  Thusneldas,  ja  man  atmet  sogar  auf,  als  die  Bärin 
die  Klauen  in  seine  Brust  schlägt  und  der  Qual  ein  Ende  macht, 
so  wie  man  auch  in  „The  Cask  of  Amontillado"  das  Eintreten 
des  Wahnsinns  bei  dem  Verurteilten  als  Erleichterung  fühlt. 

Aber  doch  wird  uns  Thusnelda  immer  sympathisch  berühren. 
Sie  war  in  ihrer  Liebe  gekränkt  und  von  Hermann  in  den 
höchsten  Zorn  hineingetrieben.  Und  nach  der  Befriedigung 
ihrer  Rache  löst  sich  die  zu  hoch  gesteigerte  Spannung  durch 
eine  tiefe  Ohnmacht  aus.  Wir  fühlen  in  ihr  menschliche  Züge 
und  bewahren  ihr  darum  unsere  Teilnahme. 

In  Poes  Erzählung  aber  erscheint  der  Rächer  seiner  Ehre 
wie  aus  Stein  so  hart.  Keinen  menschlichen  Zug  finden  wir  an 
ihm,  er  verrichtet  seine  Rache  wie  ein  Geschäft  oder  wie  eine 
kalte  Pflicht.  Eine  Regung  des  Mitleids  taucht  am  Ende  der 
Erzählung  auf,  wird  aber  gleich  wieder  zerstört.  Als  es  scheint, 
daß  Fortunato  tot  ist,  sagt  der  Erzähler:  „My  heart  grew  sick 
—  aber  er  fährt  fort  —  on  account  of  the  dampness  of  the 
catacombs".  Die  Erzählung  schließt  mit  den  Worten,  die  man 
einem,  den  man  liebte,  ins  Grab  nachruft:  „In  pace  requiescat!'' 
Man  würde  sie  als  Hohn  empfinden,  wenn  nicht  gerade  das 
Ende  der  Erzählung  ganz  in  einem  ernsten  Ton  gehalten  wäre. 
Vielleicht  sollen  sie  den  Eindruck  hervorrufen,  daß  der  Rächer 
noch  nicht  alle  Zuneigung  zu  Fortunato  verloren  habe,  daß  ihm 
aber  seine  Rache  höher  als  sein  Empfinden  stehe. 

Die  Erzählung  ist  in  eine  eisige  Atmosphäre  gehüllt,  die 
mit  den  giftigen  Salpeterdünsten  der  Katakomben  geschwängert 
scheint.  Sie  löst  eine  Menge  Empfindungen  aus,  die  nicht  mit 
Worten  ausgedrückt  sind,  sondern  zwischen  den  Zeilen  zu 
schweben  scheinen.  Poe  zeigt  sich  darin  als  Meister  in  der 
romantischen  Kunst  des  Unendlichen,  die  ein  Thema  nie  ganz 
ergründet,  sondern  stets  irgend  etwas  zu  ahnen  übrigläßt.  Er 
regt  Gefühle  an,  ohne  sie  zu  erschöpfen,  und  läßt  dem  Empfinden 
des  Lesers  weiten  Spielraum.  Dadurch  ist  es  ihm  auch  in  dieser 
Erzählung  gelungen,  was  er  in  „The  Fall  of  the  House  of 
Usher",  „Berenice",  „Ligeia"  in  noch  höherem  Maße  erreicht 
hat:  eine  Stimmung  zu  erzeugen,  die  noch  lange  über  das  Ende 
der  Erzählung  hinaus  nachzittert.  Sie  gleicht  der  im  Tieckschen 
Märchen.  Aber  er  hat  sie  noch  dunkler  gefärbt  und  weiter 
verflüchtigt.    Ein  wichtiges  Hilfsmittel  dafür  war  sein  der  Sache 


—     86     — 

wunderbar  angepaßter  Stil,  den  er  an  den  Werken  Bulwers  und 
D'Israelis  heranbildete.  In  dem  Streben  nach  Stimmung  frei- 
lich —  und  diese  mußten  seine  Vorwürfe  ihrer  Natur  wegen 
haben  —  scheint  sie  ihm  öfters  zur  Hauptsache  geworden  zu 
sein.  Seine  Originalität  litt  darunter,  die  schon  durch  die  Art 
seiner  Krankheit  und  die  durch  diese  hervorgerufenen  Zwangs- 
vorstellungen beschränkt  war.  Es  kam  ihm  nicht  darauf  an, 
er  war  vielleicht  sogar  genötigt,  ein  und  denselben  Stoff 
mehrere  Male  zu  behandeln,  wie  in  ,.The  Imp  of  the  Perverse", 
„The  Black  Cat",  „The  Teil-Tale  Heart"  den  Gedanken  der  Perver- 
sität, den  der  Umschlingung  eines  Menschen  durch  die  Furcht 
in  „The  Fall  of  the  House  of  Usher"  und  „The  Pit  and  the 
Pendulum"  oder  den  der  Geschichte  seiner  Liebe  in  der  Gruppe 
„Ligeia",  „Eleonora",  „Morella",  die  jetzt  behandelt  werden  soll. 
In  „LIGEIA"  ^^^)  lernt  der  Erzähler  Ligeia  in  einem  Schlosse 
am  Rhein  kennen.  Er  weiß  nicht  ihren  Familiennamen,  noch 
ihre  Familie,  noch  ihre  Vergangenheit.  Aber  ihre  klassische 
Schönheit,  die  Güte  ihres  Herzens  und  ihr  gewaltiges  Wissen, 
das  seines  bei  weitem  übersteigt,  ziehen  ihn  zu  ihr  hin.  Sie 
heiraten  und  treiben  gemeinschaftlich  tiefe  Studien.  Allmäh- 
lich aber  beginnt  Ligeia  hinzusiechen  und  stirbt  nach  langem 
Todeskampfe.  Ihre  letzten  Worte  sind:  „Man  doth  not  yield 
him  to  the  angels,  nor  unto  death  utterly,  save  only  through  the 
weakness  of  his  feeble  will".  —  Der  verzweifelte  Gatte  verläßt 
sein  Schloß  am  Rhein  und  zieht  nach  England.  Dort  kauft  er 
in  einer  wilden  Gegend  ein  finsteres,  außen  halb  verfallenes 
Schloß,  das  er  mit  orientalischem  Luxus  ausstattet.  Um  seinem 
Schmerz  zu  entgehen,  gewöhnt  er  sich  an  den  Gebrauch  des 
Opiums,  das  seine  Willensstärke  bricht.  In  einem  Anfall  von 
Geistesgestörtheit  führt  er  die  blonde,  blauäugige  Lady  Rowena 
Trevanion  of  Tremaine  zum  Altar,  ohne  sie  zu  lieben.  Bald 
sogar  lernt  er  sie  tief  hassen,  je  mehr  er  an  Ligeia  zurückdenkt. 
Nicht  lange  lebt  er  mit  ihr  in  einem  hohen  Turmzimmer,  hinter 
dessen  Tapeten  der  Wind  rauscht  und  sie  bewegt,  daß  die  Figuren 
darauf  belebt  scheinen.  Rowena  fällt  in  eine  schwere  Krank- 
heit. In  ihren  Fieberphantasien  spricht  sie  von  Bewegungen 
und  Tönen  in-  und  außerhalb  des  Turmzimmers,  die  den  andern 
verborgen  bleiben.  Als  eine  Nacht  ihr  Gatte  bei  ihr  wacht, 
scheint  sie  besonders  erregt.  Er  eilt  durch  das  Zimmer,  um 
ihr  stärkenden  W^ein  zu  holen.  Da  fühlt  er,  wie  etwas  Fühl- 
bares, doch  Unsichtbares  an  ihm  vorübergleitet,  er  bemerkt  auch 
einen  unendlich  schwachen  Schatten  auf  dem  Fußboden.  Als 
er  der  Lady  den  Becher  reicht,  hört  er  einen  leichten  Tritt  auf 
dem  Teppich   und    sieht   aus   der  Luft    drei    oder   vier   klare, 


—    87    ~ 

purpurrote  Tropfen  in  den  Wein  fallen.  Vom  Augenblick  an  ver- 
schlechtert sich  das  Befinden  der  Lady,  und  drei  Tage  darauf 
hält  im  gleichen  Zimmer  ihr  Gatte  bei  ihr  die  Totenwacht. 
Von  einer  starken  Dosis  Opium  erregt,  gehen  seine  Gedanken 
hin  und  her  und  verweilen  schließlich  beim  Andenken  an  Ligeia. 
Da  hört  er  an  der  Bahre  einen  tiefen  Seufzer.  Entsetzt  be- 
merkt er  Kegungen  des  Lebens  in  Rowena.  Doch  seine  Be- 
mühungen, sie  ins  Leben  zurückzurufen,  scheitern,  und  bald 
fällt  sie  in  einen  Zustand  größerer  Starrheit  als  zuvor.  Er  aber 
versinkt  wiederum  in  Gedanken  an  Ligeia,  bis  ihn  ein  neues 
Aufflackern  des  Lebens  in  Rowena  emporschreckt.  Und  noch 
drei-  oder  viermal  wiederholt  sich  das  schreckliche  Schauspiel^ 
und  jedesmal  trägt  das  Zurücksinken  in  die  tödliche  Starre  mehr 
die  Merkmale  eines  Kampfes,  und  jedesmal  zeigt  der  Körper 
in  höherem  Maße  die  Anzeichen  des  Verfalls.  Gegen  Morgen 
endlich  kehrt  noch  einmal  das  Leben  mit  besonderer  Kraft^zu- 
rück.  Die  Lady  richtet  sich  auf,  erhebt  sich  vom  Lager  und 
geht  mit  geschlossenen  Augen  und  unsicheren  Schritten  auf  ihren 
Gemahl  zu.  Entsetzt  starrt  dieser  die  Erscheinung  an :  war  sia 
seit  ihrer  Krankheit  höher  gewachsen?  Vor  seinem  Griff  fällt 
das  Kopftuch :  rabenschwarzes  Haar  wallt  zu  ihren  Seiten  herab. 
Da  öffnet  sie  langsam  ihre  Augen  und  nun  . . .  „Here  then,  at 
least",  I  schrieked  aloud,  „can  I  never,  can  I  never  be  misstaken^. 
—  these  are  the  füll,  and  the  black,  and  the  wild  eyes  —  of 
my  lost  love  —  of  the  Lady  —  of  the  Lady  Ligeia". 

Es  mögen  sich  gleich  die  beiden  andern  verwandten  Er- 
zählungen anschließen. 

,.MORELLA",205)  ^.Ligeia"  zeitlich  vorangehend,  hat  die 
größte  Ähnlichkeit  mit  dieser  Erzählung.  Auch  hier  lernt  der 
Erzähler  Morella  durch  Zufall  kennen.  Ohne  sie  recht  zu  lieben, 
heiratet  er  sie.  Ihre  Bildung  ist  umfassend.  Die  Studien,  die 
sie  gemeinsam  treiben,  erstrecken  sich  vor  allem  auf  deutsche 
Philosophie:  „The  wild  Pantheism  of  Fichte,  .  .  .  and  above 
all,  the  doctrines  of  Identity  as  urged  by  Schelling"  beschäftigen 
sie  sehr.  Doch  bald  beginnt  eine  Krankheit  Morella  allmählich 
hinzuraffen,  und  ihr  Gemahl,  der  seine  Zuneigung  zu  ihr  ganz 
verloren  hat,  wünscht  ihren  Tod  herbei.  Auf  ihrem  Sterbebett 
verheißt  sie  ihm  eine  Zukunft  voller  Schmerzen.  Ihr  Kind,  ein 
Mädchen,  das  sie  ihm  im  Tode  geschenkt  hat,  wächst  sehr 
schnell  und  wird  seiner  Mutter  außerordentlich  ähnlich.  Manch- 
mal erschrickt  ihr  Vater  vor  ihrer  vollkommenen  Gleichheit  mit 
Morella.  Oft  äußert  sie  Gedanken,  wie  sie  nur  das  reife  Weib 
haben  kann;  von  ihren  Lippen  fallen  Lehren,  die  eine  lange 
Erfahrung-  voraussetzen;   ihr   sich   schnell   entwickelnder   Geist 


—    88    — 

hat  die  gleichen  Neigungen  für  mystische  Philosophie  wie  der 
Morellas,  deren  Namen  mit  ihrem  Tode  gestorben  zu  sein 
scheint.  —  Das  Mädchen  hat  noch  keinen  Namen.  Als  sie  ge- 
tauft werden  soll,  da  fallen  ihrem  Vater  am  Taufbecken  viele 
Namen  ein,  doch  ein  Dämon  drängt  ihm  auf  die  Frage  des 
Priesters  die  Antwort  auf  die  Zunge:  Sie  soll  Morella  heißen. 
Im  Augenblick  färben  sich  des  Mädchens  Wangen  mit  den  Farben 
des  Todes  und  mit  den  Worten  „Ich  bin  hier"  stürzt  sie  zu 
Boden.  Bald  stirbt  sie,  ihr  Vater  trägt  sie  selbst  in  das  Grab- 
gewölbe seiner  Familie,  und  er  lacht  bitter  auf,  als  er  keine 
Spur  von  der  ersten  Morella  in  dem  Sarge  findet,  in  den  er 
nun  die  zweite  legt. 

Zarter  und  versöhnlicher  ist  „ELEONORA".^^«)  Eleonora 
wohnt  mit  ihrem  Vetter  in  einem  wunderbaren  Tale,  einsam, 
fern  vom  Getümmel  der  Welt.  Mit  ihrer  Liebe  geht  ihnen  das 
Gefühl  für  die  Schönheit  der  Natur  auf.  Doch  bald  ergreift  eine 
tückische  Krankheit  Eleonora.  In  ihrer  Sterbestunde  läßt  sie 
ihren  Geliebten  schwören,  nie  eine  andere  als  sie  zu  lieben,  sie 
aber  verspricht  ihm,  immer  bei  ihm  zu  bleiben.  —  Nach  ihrem 
Tode  verschwindet  dem  Verlassenen  die  Schönheit  der  Natur, 
die  mit  seiner  Liebe  emporgeblüht  war,  die  Welt  wird  ihm  ver- 
haßt und  trüb.  Aber  die  Versprechen  Eleonoras  sind  nicht  ver- 
gessen. Er  hört  das  Schwingen  der  Weihrauchbecken  der  Engel, 
Ströme  heiligen  Duftes  fluten  durch  das  Tal,  der  Wind  trägt 
ihm  leise  Seufzer  zu  und  einmal  wird  er  aus  tiefem  Schlaf  durch 
einen  geisterhaften  Kuß  emporgeweckt.  Doch  schließlich  peinigt 
ihn  das  Tal  mit  seinen  Erinnerungen  an  Eleonora,  und  er  zieht 
in  die  Welt.  Da  lernt  er  die  schöne  Ermengarde  kennen.  Mit 
tiefer  männlicher  Zuneigung  liebt  er  sie,  und  wenn  er  in  ihre 
tiefen  Augen  sieht,  so  denkt  er  nur  an  diese  —  und  an  Eleonora. 
Er  heiratet,  ohne  den  Fluch  zu  fürchten,  den  er  heraufbeschworen 
hat.  Und  noch  einmal  hört  er  die  alte  vertraute  Stimme  in 
der  Nacht.  Sie  bringt  ihm  Verzeihung,  aus  Gründen,  die  ihm 
erst  in  der  anderen  Welt  offenbar  werden  sollen. 

Man  hat  viel  zur  Erklärung  dieser  Erzählungen  versucht. 
Sie  sollten  einfach  die  Darstellung  eines  Gefühls  sein,  das  man 
manchmal  beim  Anblick  eines  fremden  Menschen  hat,  nämlich 
daß  man  ihn  früher  schon  einmal  irgendwo  gesehen  oder  gehört 
habe.'^^')  Aber  man  kann  nicht  annehmen,  daß  Poe  eine  so  große 
Menge  von  Schönheit  um  diesen  doch  alltäglichen  Gedanken  an- 
gehäuft habe.  Weit  näher  kommen  wir  der  Wahrheit  in  einem 
Aufsatze  in  „The  University  of  Toronto  Quaterly^'  über  Edgar  Allan 
Poe.^^^)  Unter  Berufung  auf  „William  Wilson",  eine  Novelle, 
die  unzweifelhaft  eine  Allegorie  sei,  möchte  der  Verfasser  auch 


—     89     — 

„Ligeia"  so  ansehen.  Wie  in  „William  Wilson"  das  Gewissen 
durch  eine  Person  dargestellt  würde,  die  ein  von  ihrem  Doppel- 
gänger getrenntes,  selbständiges  Leben  führe,  so  sei  auch  Ligeia 
nur  die  Verkörperung  eines  Gedankens,  des  der  Schönheit.  „Can 
we  be  wrong  in  conjecturing  that  Ligeia,  the  distinct  individual 
and  the  hero's  one  love,  represents  an  idea,  and  is  the  symbol 
of  that  aetherial  beauty  the  author  himself  adored?"  Der  Ver- 
fasser führt  den  Gedanken  dann  weiter  aus,  teilweise  offenbar 
zu  weit,  wenn  er  sagt:  „In  the  unremembered  first  meeting,  in 
her  allcomprehending  knowledge,  in  the  mind  music  of  her 
voice,  in  the  unsolved  mystery  of  her  eyes,  Ligeia  is  a  true 
picture  of  ,Beauty  as  an  idea'.  The  Lady  Rowena  might 
symbolize  the  perverted  taste,  whose  existence  in  the  mind  was 
terminated  in  that  long  meditation  on  his  first,  pure  love.  The 
ruddy  drops  are  potent  destillations  from  the  life-essence  of 
the  unperceived  spirit,  who  thus  replaces  Rowena  in  his  vision". 

Dieser  Gedankengang  würde  vielleicht  auf  „Ligeia"  an- 
zuwenden sein,  wenn  auch  festzustellen  ist,  daß  Zügen,  die  nichts 
als  phantastisches  Beiwerk  sind,  die  jenseits  der  Vernunft,  in 
wilden  Opiumträumen,  ihre  Geburtsstunde  liegen  haben,  eine 
übertriebene  Wichtigkeit  beigelegt  worden  ist.  Wer  würde  in 
den  roten  Tropfen,  die  flimmernd  vor  den  Augen  des  Visionärs 
tanzen,  „destillations  from  the  life-essence  of  the  unperceived 
spirit''  suchen  dürfen!  Wo  haben  wir  in  Poes  Leben  die  Zeit 
zu  suchen,  als  er  einem  falschen  Ideal  nachjagte  und  dem 
„perverted  taste"  huldigte?  Morella  ist  1835  entstanden,  als 
Poe  eine  Reihe  wunderbarer  Gedichte  geschrieben  hatte  und 
Erzählungen  von  ihm  bekannt  waren,  die  sich,  wie  „Berenice", 
seinen  bedeutendsten  an  die  Seite  stellen  können.  „Ligeia" 
w^urde  1838  veröffentlicht,  im  gleichen  Jahre  wie  „The  Fall  of 
the  House  of  Usher"  und  „William  Wilson",  und  „Eleonora" 
1842,  als  Poe  noch  auf  dem  Höhepunkt  seines  Schaffens  stand. 
Wenn  aber  die  Abwendung  von  Ligeia  das  Übergehen  des 
Dichters  zu  einem  verdorbenen  Geschmack  bedeuten  soll,  so 
müssen  wir  eine  entsprechende  Tatsache  in  seinem  Leben  finden; 
denn  er  ist  ein  Dichter,  der  nur  sich  selbst  schreibt.  Sie  ist 
aber  nicht  festzustellen.  Und  weiterhin  würde  die  Anwendung 
der  Erklärung  in  dieser  Form  auf  „Morella"  unmöglich  sein. 
Poe  hat  aber  selbst  gesagt,  daß  „Ligeia"  und  „Morella"  ein 
Gedanke  zugrunde  liege.  Der  betreffende  Brief  enthält  außerdem 
manches,  was  uns  zum  Verständnis  der  vorliegenden  Novellen 
förderlich  sein  kann.     Poe  schreibt: 

„Touching  ,Ligeia'  you  are  right  —  allright  —  throughout. 
The  gradual  perception  of  the  fact  that  Ligeia  lives   again  in 


—     90    — 

the  person  of  Rowena  is  a  far  loftier  and  more  thrilling  idea 
than  the  one  I  have  embodied.  It  offers,  in  ray  opinion,  the 
widest  possible  scope  to  my  Imagination  —  it  mig'ht  be  rendered 
even  sublime.  And  this  idea  was  mine  —  had  I  never  written 
before  I  should  have  adopted  it  —  but  there  is  ,Morella'.  Do  yoii 
remember  there  the  gradual  conviction  on  the  part  of  the  parent 
that  the  spirit  of  the  first  Morella  tenants  the  person  of  the 
second?  It  was  necessary,  since  ,Morella'  was  written,  to 
modify  ,Ligeia'.  I  was  forced  to  be  content  with  a  sudden  half- 
consciousness,  on  the  part  of  the  narrator,  that  Ligeia  stood  before 
him.  One  point  I  have  not  fully  carried  out  —  I  should  have 
intimated  that  the  will  did  not  perfect  its  intention  —  there 
should  have  been  a  relapse  —  a  final  one  —  and  Ligeia  (who 
had  only  succeeded  in  so  much  as  to  convey  an  idea  of  the 
truth  to  the  narrator)  should  be  at  lenght  entombed  as  Rowena  — 
the  bodily  alterations  having  gradually  faded  away".'^^^) 

Also  „Morella"  wie  „Ligeia"  sollen  den  Gedanken  behandeln, 
daß  eine  zweite  Geliebte  des  Dichters  allmählich  in  die  Gestalt 
der  ersten,  gestorbenen,  übergeht.  Wir  müssen  die  letzte  Er- 
klärung dafür  im  Leben  des  Dichters  suchen.  Schon  die  Be- 
schreibung seiner  Frauen  führt  uns  darauf  hin.  Sie  sind  alle 
eines  Wesens,  überaus  zart,  äthei'isch,  mögen  sie  Ligeia,  Morella, 
Eleonora,  Berenice  oder  Madeline  of  Usher  heißen.  Sie  gehen 
an  einer  tückischen  Krankheit  zugrunde,  gegen  die  es  keine 
Rettung  gibt.  Wir  erkennen  in  ihnen  Virginia  Clemm,  aus 
deren  Bildnis  uns  auch  die  tiefen,  unergründlichen  Augen  der 
Lady  Ligeia  entgegenleuchten,  die  lange  gegen  eine  zehrende 
Krankheit,  die  Schwindsucht,  ringen  mui^te  und  deren  Jahre 
währender  Todeskampf  Poe  unaussprechliche  Qualen  bereitete. 
Sie  war  die  einzige,  die  er  wirklich  liebte,  ihr  Wesen  war  es 
auch  im  Grunde,  das  ihn  nach  ihrem  Tode  zu  anderen  Frauen 
trieb.  AVenn  sich  Lady  Rowena  vor  seinen  Augen  in  Ligeia 
verwandelt,  so  erkennt  er,  daß  er  nur  Ligeia  in  Rowena  geliebt 
hat;  wenn  allmählich  Morella  das  Wesen  und  die  Züge  ihrer 
Mutter  annimmt,  so  wird  er  sich  bewußt,  daß  er  nur  einmal 
geliebt  hat  und  lieben  wird  und  daß  sich  ihm  in  jedem  weib- 
lichen Wesen,  das  ihm  Zuneigung  einflößt,  der  Gegenstand  seiner 
einen  Liebe  verkörpert.  Und  wenn  schließlich  Eleonora  ihm 
Verzeihung  für  seine  vermeintliche  Untreue  zusagt,  so  tut  sie 
es,  weil  sie  weiß,  was  dem  Geliebten  noch  unbewußt  ist:  daß 
er  Eleonora  in  Ermengarde  sieht.  Dem  widerspricht  scheinbar 
der  Umstand,  daß  „Morella"  1835,  „Ligeia"  1838  und  „Eleonora" 
1842  entstanden  sind,  Virginia  aber  erst  1847  starb.  Doch  Virginia 
litt   schon   als  Kind   an  der  Schwindsucht,  ihr  früher  Tod  war 


—     91     — 

vorauszusehen,  und  Poe  hat  ihn  wirklich  geahnt.  Denn  es  kann 
kein  Zweifel  bestehen,  daß  er  in  seinen  Frauengestalten  immer 
und  immer  nur  das  Bild  Virginias  gezeichnet  hat.  Er  las  so 
tief  in  seinem  Innern,  daß  er  wußte,  er  würde  unter  den  ge- 
gebenen Umständen  gar  nicht  anders  handeln  können,  als  er  in 
diesen  Erzählungen  schreibt.  Ein  merkwürdiger  Zufall  scheint 
es,  aber  ist  es  keineswegs,  daß  Poe  nach  Virginias  Tod  vSich 
wirklich  anderen  Frauen  zuwandte  und  dadurch  seine  Frauen- 
novellen, die  wir  sicherlich  als  prophetische  Zukunftsblicke  an- 
sehen dürfen,  zur  Wahrheit  gemacht  hat.  Die  chronologischen 
Ungenauigkeiten  bestehen  also  nur  zum  Schein. 

Um  den  Grundgedanken  der  Erzählungen  häuft  sich  nun 
eine  wirre  Fülle  phantastischer  Züge.  Daß  Poe  das  Bild  Virginias 
veredelt  und  schließlich  zu  seinem  Schönheitsideal  emporgehoben 
hat,  ist  ersichtlich.  Doch  wo  gäbe  es  einen  Dichter  oder  nur 
einen  wahrhaft  Liebenden,  der  die  Geliebte  nicht  mit  den 
schönsten  Farben  malte,  die  ihm  zur  Verfügung  stehen!  Aber 
wenn  Poe  Morella  aus  ihrem  Grabe  verschwinden  und  leiblich 
in  die  Gestalt  ihrer  Tochter  übergehen  läßt,  so  geht  er  damit 
über  die  Grenzen  des  Faßbaren  hinaus.  Die  Absicht,  den  ein- 
fachen Grundgedanken  zu  verhüllen,  tritt  da  klar  hervor.  Dem 
gleichen  Zweck  auch  müssen  wir  den  tödlichen  Schreck  der 
zweiten  Morella  zuschreiben,  als  sie  den  ihr  bis  dahin  un- 
bekannten Namen  ihrer  Mutter  hört.  In  „Ligeia"  vollends  be- 
gegnen wir  auf  Schritt  und  Tritt  phantastischen,  rein  visionären 
Vorstellungen.  Die  Tapeten  rauschen  in  dem  Zimmer  wie  von 
Geisterhänden  bewegt,  fühlbar  und  hörbar  gehen  die  Ab- 
geschiedenen umher,  unsichtbar,  und  werfen  doch  einen  Schatten. 
Wir  müssen  den  Ursprung  solcher  Bilder  in  den  Opiumträumen 
des  Dichters  suchen,  auf  die  er  auch  immer  hinweist.  Wir 
möchten  sie  aber  nicht  entbehren,  denn  sie  gerade  bewirken 
den  Zauber  und  das  Grauen,  die  über  den  Erzählungen  aus- 
gebreitet liegen. 

Philosophisch-mystische  Ansichten  und  Erörterungen  Poes 
bilden  weiterhin  einen  wichtigen  Bestandteil  zur  Erklärung  dieser 
Novellen.  Über  „Ligeia"  ist  als  Motto  gesetzt:  „And  the  will 
therein  lieth,  which  dieth  not.  Who  knoweth  the  mysteries  of 
the  will,  with  its  vigour?  For  God  is  but  a  great  will  per- 
forming  all  things  by  nature  of  its  intentness.  Man  doth  not 
yield  himself  to  the  angels,  nor  unto  death  utterly,  save  only 
through  the  weakness  of  his  feeble  will",  Worte,  die  auch  die 
sterbende  Ligeia  selbst  ausspricht.  Die  Identitätslehre  Schellings 
wird  erwähnt,  auch  „the  wild  Pantheism  of  Fichte",  doch  ohne 
daß   Poe    über  Andeutungen    hinausginge.     Die  Tdentitätslehre 


—    92    — 

uun  fand  im  Ich  die  Identität  von  Subjektivem  und  Objektivem, 
von  Geist  und  Natur,  in  der  Welt  aber  nur  ein  Streben,  diese 
Identität  zu  verwirklichen.  Erreicht  werde  sie  nur  im  Genie- 
produkt. Wahrheit  und  Schönheit  —  das  war  der  innerste  Kern 
der  Lehre  —  wurden  schließlich  von  Schelling-  gleichgesetzt, 
die  Grenzen  von  Philosophie  und  Kunst  verschwammen  und 
Reflexion  und  Produktion  wurden  eins.  Von  diesen  Begriffen 
nun  ist  bei  Poe  wenig  zu  finden.  Er  drückt  seine  Ansicht  von 
dem,  was  er  unter  „the  doctrines  of  Identity"  versteht,  folgender- 
maßen aus:  „That  identity  which  is  termed  personal,  Mr.  Locke, 
I  think,  truly  defines  to  consist  in  the  saneness  of  a  rational 
being.  And  since  by  person  we  understand  an  intelligent  essence 
having  reason,  and  since  there  is  a  consciousness  which  always 
accompanies  thinking,  it  is  this  which  makes  us  all  to  be  that 
which  we  call  ourselves,  thereby  distinguishing  us  from  other 
beings  that  think.  and  giving  us  our  personal  identity".^^^)  Und 
dann  spielt  der  Begriff  bei  Poe  sofort  ins  Mystische  hinüber. 
Ihn  interessiert  besonders  die  Frage,  ob  die  persönliche  Identität 
mit  dem  Tode  verloren  werde  oder  nicht.  „But  the  principium 
individuationis,  the  notion  of  that  identity  which  at  death  is  or 
is  not  lost  for  ever,  was  to  me,  at  all  times,  a  consideration 
of  intense  interest."^^^)  Die  Antwort  auf  diese  Frage  lautete 
ihm  dahin,  daß  der  Tod  keinen  Verlust  der  persönlichen  Identität 
nach  sich  ziehe,  wie  aus  unseren  Erzählungen  hervorgeht. 

„Morella"  enthält  am  meisten  von  diesen  Gedanken,  mehr 
noch  wahrscheinlich  als  Autobiographisches.  Denn  obwohl  wir 
nach  der  äußeren  Beschreibung  Morellas  wieder  Poes  Ideal  von 
Weiblichkeit  in  ihr  erkennen,  das  sich  in  Virginia  verkörperte, 
so  war  doch  beider  Verhältnis  stets  ein  anderes.  Er  hat  sie 
immer  geliebt  und  war  nie  fähig,  sie  zu  hassen  oder  ihren  Tod 
herbeizuwünschen.  Die  Illustration  seiner  Identitätsiehre  über- 
wiegt das  Autobiographische.  „Ligeia"  enthält  davon  viel  mehr. 
J3ie  tiefe  Liebe  zu  Ligeia  und  die  Verzweiflung  des  Geliebten 
nach  ihrem  Tode  ist  unverkennbar  die  Schilderung  wirklicher 
Empfindungen  Poes.  Das  philosophische  Moment,  daß  es  nur 
der  Wille  sei,  der  Tod  oder  Leben  beherrsche,  tritt  im  Ver- 
gleich zu  „Morella"  stark  zurück.  Und  „Eleonora"  ist  ganz 
frei  davon.  Es  ist  die  reine  Darstellung  von  Poes  und  Virginias 
Liebe.  Die  Entwicklung  in  diesen  Novellen  geht  also  dahin, 
daß  die  abstrakten  philosophischen  Zutaten  immer  mehr  weichen 
und  dem  rein  Menschlichen  Platz  machen.  Das  immer  offener 
und  deutlicher  hervortretende  wahre  Verhältnis  zwischen  Poe 
und  Virginia  Clemm  läßt  keine  andere  Annahme  übrig,  als  daß 


—    93    — 

Poe  unter  mannigfachen  Verhüllungen  nur  seine  Ansichten  und 
Oefühle  über  die  Liebe  niedergelegt  hat. 

Von  Fichteschen  Sätzen  ist  auch  wenig  zu  spüren,  trotz 
Poes  Hinweis  auf  sein  Studium  dieses  Philosophen.  Wir  dürfen 
solche  Andeutungen  nie  zu  ernst  nehmen,  denn  er  liebte,  durch 
sie  den  Schein  größerer  Gelehrsamkeit  vorzutäuschen.  Fichtes 
Grundgedanke,  daß  das  einzige,  was  wirklich  existiere,  nur 
unser  Ich  sei,  sofern  es  handle,  daß  aus  dem  Handeln  des  Ichs 
die  Welt  entstehe,  die  mithin  nur  eine  Spiegelung  unsres  Ichs 
sei,  daß  am  reinsten  sich  unser  Geist  im  freien  sittlichen  Wollen 
zeige,  ist  nicht  ohne  weiteres  in  unsern  Erzählungen  aufzufinden. 
Wir  müssen  die  Hardenbergschen  Fassungen  der  Lehren  Fichtes 
zu  Hilfe  rufen.  Novalis  hat  besonders  in  den  Fragmenten  viele 
Gedanken  Fichtes  in  zugespitzter,  ab  und  zu  paradoxer  Form 
niedergelegt  und  öfters  weitergeführt.  Für  Novalis  gab  es 
keine  Grenzen  zwischen  dem  Diesseits  und  dem  Jenseits, 
wie  auch  Poe  die  Geisterwelt  schon  immer  offenbar  gewesen 
war.  Die  Erkenntnis,  daß  die  Überzeugung  auf  Wunderwahr- 
beit  beruhe  und  daß  in  den  höchsten  Bewußtseinsmomenten 
die  Gedanken  sich  in  Gesetze,  die  Wünsche  sich  in  Erfüllungen 
verwandeln, ^^M  führte  ihn  zu  der  Annahme,  daß  der  denkende 
und  wollende  Mensch  über  den  Körper  und  die  Außenwelt  all- 
mächtig sei.  Wenn  nun  Poe  die  geheimnisvolle  Verbindung 
zwischen  Lebenden  und  Abgeschiedenen  beschreibt  und  den 
Willen  des  Menschen  zum  Herrn  über  Leben  und  Tod  setzt,  so 
fühlen  wir  innige  Übereinstimmung  mit  Novalis  und  folgenden 
Bemerkungen  dieses  Dichters:  „Die  Geisterwelt  ist  uns  in  der 
Tat  aufgeschlossen,  sie  ist  immer  offenbar ".^^^)  —  „Ist  es  nicht 
genug,  zu  wissen,  daß  wir  noch  in  diesem  Leben  einen  Flug 
zu  beginnen  fähig  sind,  den  der  Tod,  statt  ihn  zu  unterbrechen, 
vielmehr  beschleunigt,  da  dessen  Fortsetzung  einzig  und  allein 
von  der  unwandelbaren  Richtung  unsres  freien  Willens  ab- 
hängt?" 2^^)  —  „Kunst,  unsern  Willen  total  zu  realisieren.  Wir 
müssen  den  Körper  wie  die  Seele  in  unsre  Gewalt  bekommen. 
Der  Körper  ist  das  Werkzeug  zur  Bildung  und  Modifikation  der 
Welt  .  .  ."2^^)  —  „Fichtes  Ausführung  seiner  Idee  ist  wohl  der 
beste  Beweis  des  Idealismus.  Was  ich  will,  das  kann  ich.  Bei 
dem  Menschen  ist  kein  Ding  unmöglich. "^^^) 

Auch  in  Hardenbergs  „Heinrich  von  Ofterdingen"  ^i«)  und 
vor  allem  in  seinem  Leben  selbst  finden  wir  ganz  ähnliche  An- 
sichten und  Erfahrungen,  wie  sie  in  „Ligeia"  niedergelegt 
sind.  Novalis  glaubte,  durch  die  Kraft  seines  Willens  seine 
Araut,  Sophie  von  Kühn,  am  Leben  erhalten  zu  können.  Seine 
Bbsicht  mußte  mißlingen,  denn  er  hatte  nicht  bedacht,  daß  sich 


—    94    — 

ihr  unbewußter  Wille  dem  Tode  zuwandte.  Als  Sophie  ge- 
storben war,  beschloß  er,  allein  durch  die  Kraft  seines  Willens 
ihr  nachzusterben,  ohne  seinen  Entschluß  freilich  durchführen 
zu  können.  Das  Leben,  dem  er  schon  entsagt  hatte,  zog  ihn 
zu  sich  zurück.  Er  faßte  eine  zweite  tiefe  Liebe,  zu  Julie 
von  Charpentier.  Aber  es  war  kein  Unterschied  zwischen 
Sophie  und  Julie,  er  liebte  in  Julie  Sophie,  beide  gingen  ihm 
in  eins  über.  „Bing  bemerkte  von  Novalis,  daß  er  nicht  die 
Person  seiner  Braut  allein  geliebt  habe,  sondern  in  ihr  die  Ver- 
körperung der  Schönheit  überhaupt".  „Es  ist  die  unendliche 
Idee  der  Liebe,  Spinozas  und  Zinsendorfs  Liebe,  die  sich  durch 
ihn  realisieren  soll."^^')  Deutlich  erhellt  dies  aus  dem  Roman- 
fragment „Heinrich  von  Ofterdingen",  in  dem  der  Dichter  seine 
Lebensgeschichte  niederlegte.  Im  ersten  Teile  dieses  Romans 
lernt  Heinrich  auf  einer  Reise  Mathilde,  die  Tochter  Klingsohrs, 
kennen.  Beide  lieben  und  verloben  sich.  Doch  ein  jäher  Tod 
rafft  Mathilde  hinweg.  Heinrich  begibt  sich  auf  Wanderungen, 
verzweifelnd  und  innerlich  gebrochen.  Der  zweite,  nur  flüchtig 
angedeutete  Teil  des  Romans  läßt  Heinrich  planlos  umherirren. 
Er  hat  eine  Vision  seiner  Geliebten,  die  ihn  zu  Cyane  weist^ 
der  Tochter  des  Grafen  von  Hohenzollern.  Lange  Irrfahrten 
Ofterdingens  sollten  folgen,  die  mit  seiner  Rückkehr  und  dem 
Sängerkrieg  auf  der  Wartburg  endeten.  Nach  dem  Sänger- 
krieg sollte  Heinrich  der  Verklärung  entgegengehen.  Mit 
Cyane  kommt  er  in  das  Land  der  blauen  Blume.  Diese  ist 
Mathilde.  Er  befreit  sie  von  dem  Zauber,  doch  geht  sie  ihm 
wieder  verloren.  Aus  Schmerz  darüber  erstarrt  er  zu  Stein. 
Nach  mehreren  Verwandlungen,  in  denen  Cyane  und  Mathilde 
immer  mehr  verschwinden,  wird  er  schließlich  mit  Mathilde  ver- 
eint.    Doch  Mathilde  ist  Cyane,  Cyane  ist  Mathilde. 

Wir  sehen,  daß  in  den  Grundzügen  der  „Heinrich  von 
Ofterdingen"  geradezu  ein  Gegenstück  zu  „Ligeia"  und  „Morella" 
ist.  Da  schon  in  den  frühesten  Jahren  seiner  Dichtung  Poe 
seine  Kenntnis  der  deutschen  Literatur  verrät, ^^^)  da  ferner  die 
Handlung  in  Deutschland  beginnt  und  der  Einfluß  Schellings 
und  Fichtes  nicht  zu  bestreiten  ist,  so  wäre  es  nicht  gewagt, 
eine  Beeinflussung  Poes  durch  Novalis  auch  in  seiner  Betrachtung 
der  Liebe  anzunehmen.  Der  Gedanke  soll  nicht  abgelehnt,  doch 
größeres  Gewicht  auf  die  bloße  Übereinstimmung  der  Motive 
und  die  sehr  ähnlichen  Züge  in  beider  Dichter  Leben  gelegt 
werden. 

Es  ist  auch  bekannt,  daß  Hoffmanns  Frauengestalten,  mit 
Ausnahme  von  Euphemie  in  den  „Elixieren  des  Teufels",  alle 
die   Züge    seiner   ßamberger   Geliebten   tragen.  —  Gerard   de 


—     95     — 

Nerval  glaubte,  daß  die  Seele  aus  einem  Körper  in  den  andern 
übergehen  könne.  In  seiner  Jugend  war  er  einmal  von  heftiger 
Liebe  zu  einer  gewissen  Adrienne  ergriffen  gewesen,  die  er 
nur  einmal  gesehen  hatte,  die  ihm  aber  von  da  an  in  allen 
Frauen  entgegentrat,  zu  denen  er  Zuneigung  hatte.  Arvede 
Barine  sagt  von  ihm:  Gerard  de  Nerval  ne  revit  jamais  Adrienne 
et  la  chercha  toujours  ...  On  eut  beau  lui  dire  .  . .  qu'elle  avait 
pris  le  volle,  puis  qu'elle  etait  morte,  il  persistait  ä  la  deviner 
dans  les  femmes  que  le  hasard  plagait  sur  sa  route.  C'etait  eile 
Sans  etre  eile,  c'etait  eile  transmigree  dans  un  corps  nouveau 
et  reconnaissable  ä  quelque  detail  tel  que  la  nuance  des  cheveux 
ou  le  timbre  de  la  voix.  II  fut  amoureux  d' Adrienne  toute  sa 
vie  et  uniquement,  mais  d' Adrienne  sous  des  noms  et  des 
costumes  differents  .  .  ."  -^^) 

In  der  Novelle  „Mogens"  des  dänischen  Romantikers  Jens 
Peter  Jacobsen  liegt  ein  gleicher  Fall  vor.  Mogens'  erste  Braut 
Kamilla  stirbt  in  einer  Feuersbrunst,  Mogens  ist  verzweifelt 
über  ihren  Tod,  der  in  ihm  die  Ehrfurcht  vor  der  Vorsehung 
vernichtet.  Doch  lange  Jahre  später  lernt  er  ein  anderes 
Mädchen,  Thora,  kennen  und  lieben.  Doch  seine  Liebe  zu  Thora 
ist  nur  die  Fortsetzung  seiner  Liebe  zu  Kamilla. 

Es  ist  wahrscheinlich,  daß  die  Literaturgeschichte  noch 
mehr  Beispiele  solcher  seltsamen  Liebe  bieten  wird,  die  dar- 
zulegen aber  tiefere  Kenntnisse  erfordern,  als  dem  Verfasser  zur 
Verfügung  stehen.  Es  genügen  auch  schon  die  Beispiele  Harden- 
bergs, Hoffmanns,  Gerards  de  Nerval  und  Jacobsens,  um  zu 
zeigen,  daß  Poe  mit  seiner  Auffassung  der  Liebe  nicht  allein 
steht. 

Aber  wir  müssen  gestehen,  daß  vollständige  Klarheit  über 
diese  Auffassung  zu  gewinnen  schwer  ist.  Die  duftigen,  elfen- 
gleichen Frauengestalten,  die  ihren  Zauberreigen  um  uns 
schlingen,  zerfließen  in  ein  Nichts,  wenn  man  sie  fassen  will. 
Ihre  Eigenschaften  sind  so  ungewöhnlich,  daß  sich  doch  der 
Gedanke  aufdrängt,  sie  seien  nicht  nur  das  verschönerte  Abbild 
Virginia  Clemms,  sondern  in  eben  so  hohem  Grade  die  Ver- 
körperung einer  Idee:  der  der  vergeistigten  Schönheit,  die  der 
Dichter  liebte.  Dazu  würde  ein  Selbstgeständnis  Poes  passen, 
das  uns  einen  Blick  in  sein  Inneres  eröffnet.  Er  sagt:  „In  the 
Strange  anomaly  of  my  existence,  feelings  with  me  had  never 
been  of  the  heart,  and  my  passions  always  were  of  the  mind".-^®) 
Dann  wäre  es  in  der  Tat  nicht  das  Wesen  von  Fleisch  und 
Blut  gewesen,  das  er  liebte,  sondern  nur  die  Verkörperung 
seines  eignen  Gedankens,  die  Abstraktion,  das  Objekt  der  Ana- 
lyse oder  der  Gegenstand  zum  Nachdenken.     Aber  dem  wider- 


—    96    — 

spricht  die  tiefe  Liebe,  mit  der  Poe  an  seiner  Frau  hing  und  die  aus 
seinen  Briefen,  den  Zeugnissen  seiner  Freunde  und  seiner  Ver- 
zweiflung nach  Virginias  Tode  hervorgeht,  dem  widerspricht  die 
wirkliche  Leidenschaft,  die  er  zu  zwei  anderen  Frauen  in  den  letzten 
Jahren  seines  Lebens  faßte,  endlich  auch  die  wunderbare  Schilde- 
rung der  Naturschönheiten  in  „Eleonore",  die  nur  dem  Lieben- 
den aufblühen  und  mit  der  Geliebten  zugleich  sterben.  Und  da 
wir  nun  einmal  die  treue  Wiedergabe  Virginia  Clemms  in  Poes 
Frauengestalten  erkannt  haben,  so  dürfen  wir  aus  seinen  Frauen- 
novellen die  Geschichte  seiner  Liebe  und  seines  Lebens  heraus- 
lesen, die  er  mit  dem  Lichte  seiner  Dichtung  verklärt  und  zur 
Allegorie  emporgehoben  hat.  Wir  sind  durch  diese  Annahme 
auch  in  den  Stand  gesetzt,  die  späten  Heiratspläne  des  Dichters, 
die  man  als  Untreue  und  als  ärgerlich  ansah,  unter  einem 
günstigeren  Lichte  zu  betrachten. 

Schließlich  liegt  uns  unter  den  Erzählungen  Poes  von  Be- 
deutung, die  hier  betrachtet  werden  sollen,  noch  eine  vor,  die 
zwar  geringen  Umfangs  ist,  aber  doch  Wichtiges  zur  Beurteilung 
von  Poes  Kunst  enthält:  „The  Island  of  the  Fay". 

In  „THE  ISLAND  OF  THE  FAY"22i)  sieht  der  Dichter  eine 
kleine  runde  Insel,  von  reichem  Grün  überwuchert,  die  in  einem 
spiegelnden  ruhigen  Strome  ruht.  So  unmerklich  heben  sich 
ihre  Ufer  aus  dem  Wasser  empor,  daß  man  kaum  sieht,  wo 
das  eine  anfängt  und  das  andere  aufhört: 

„So  blended  bank  and  shadow  there 
That  each  seemed  peiidulous  in  air". 

Die  eine  Seite  der  Insel  glüht  im  Purpur  der  untergehenden 
Sonne.  Aus  dem  leuchtenden  Rasen  heben  sich  glänzende  schlanke 
Bäume,  schöne  Blumen  wuchern  im  Grase,  alles  atmet  Leben 
und  Freude.  Doch  die  andre  Seite  der  Insel  ist  in  schwärzesten 
Schatten  gehüllt  und  von  lautlosem  Dunkel  durchdrungen.  Die 
Bäume  sind  düster  und  scheinen  in  Trauerkleider  gehüllt,  sie 
gemahnen  an  Todesschmerzen  und  frühes  Sterben.  Das  Gras 
hat  die  tiefe  Färbung  der  Zypresse,  die  Halme  lassen  ihre 
Spitzen  tief  zur  Erde  herniederhängen.  Kleine  Hügel  erheben 
sich  aus  dem  Grase,  von  Rosmarin  überwachsen.  Sie  erwecken 
im  Beschauer  den  Anschein  von  Gräbern.  Und  wie  die  Bäume 
ihre  Schatten  schwer  auf  das  Wasser  werfen  und  sich  darin 
zu  begraben  scheinen,  da  deucht  es  ihm,  als  ob  sich  die 
Schatten  von  den  Stämmen  loslösten  und  vom  Wasser  ver- 
schlungen würden.  Immer  neue  Schatten  fallen  ab,  immer 
schwächer  werden  die  Stämme  und  immer  dunkler  der  Strom. 
Und  weiter  träumt  der  Dichter,  als  sei  die  Insel  eine  letzte 
Zufluchtsstätte   gütiger  Feen,   der  letzten,   die  noch  lebten,  als 


—     97     — 

ruhten  unter  den  grünen  Hügeln  andre,  die  langsam  hinweg- 
starben wie  die  Bäume,  deren  Schatten  der  Strom  verschlingt. 
Er  sieht  eine  Fee  in  einem  kleinen  Kahn,  deren  Gestalt,  als 
sie  von  den  zitternden  Sonnenstrahlen  umspielt  wird,  ihm  ein 
Sinnbild  der  Freude  erscheint.  Doch  als  sie  in  den  Schatten 
hineingleitet,  sieht  er  sie  von  Schmerz  entstellt.  Langsam 
kommt  sie  um  die  Insel  herum,  in  ihrer  Fahrt  sieht  er  den 
Kreislauf  eines  Jahres  ihres  Lebens.  Ein  Jahr  nun  ist  sie  dem 
Tode  näher,  denn  als  sie  in  das  Dunkel  kam,  fiel  ihr  Schatten 
von  ihr  und  w^urde  von  den  Fluten  verschlungen,  die  noch 
schwärzer  wurden.  Wieder  und  wieder  erscheint  die  Fee,  ihre 
Gestalt  verkündet  immer  mehr  Schmerz  und  wird  immer  undeut- 
licher. Und  als  die  Sonne  ganz  versinkt,  da  fährt  die  Fee  zum 
letzten  Male  in  die  Region  des  Schattens,  aus  der  sie  nicht 
wieder  hervorkommt. 

Man  braucht  sich  die  Beschreibung  nur  in  Farben  gesetzt 
zu  denken,  in  tiefe,  glühende  Farben,  und  man  sieht  eines 
der  schwermütigen,  von  fremdartigem  Zauber  übergossenen, 
weltentrückten  Bilder  des  vollendeten  romantischen  Malers, 
Böcklins,  vor  sich.  Man  sieht  nicht  die  nackte  Natur,  so 
wie  sie  ist,  sondern  erblickt  sie  unter  einem  ganz  persön- 
lichen Gesichtspunkte,  durch  und  durch  von  dem  Geiste  des 
Beschauers  erfüllt.  Deutlich  genug  tritt  des  Dichters  Geist 
hervor.  Aus  einer  Landschaft,  die  andern  sonnenbestrahlt  ent- 
gegenscheint, sieht  er  nur  die  Schatten  heraus,  die  er  zum 
tiefsten  Schwarz  verdichtet.  Man  vergleiche  eine  Landschafts- 
])eschreibung  Hoffmanns,  der  doch  ein  Gesinnungsverwandter 
Poes  war,  mit  der  ..Feeninsel".  Im  „Goldnen  Topf"  finden  wir 
ein  Bild,  das  unter  äußerlich  ziemlich  entsprechenden  Be- 
dingungen gesehen  ist.^'-^^)  Ein  Hollunderbusch,  den  die  letzten 
Strahlen  der  Abendsonne  bescheinen.  Unter  ihm  liegt  der 
Student  Anselmus.  Wenn  der  Abendwind  in  den  Zweigen  des 
Baumes  spielt  und  die  Sonne  glitzernde  Lichter  auf  die  Blätter 
zeichnet,  so  dünkt  es  ihm,  als  kosten  Vöglein  in  den  Zweigen, 
die  kleinen  Fittiche  im  mutwilligen  Hin-  und  Herfiattern  rührend. 
Er  hört  Flüstern  und  Lispeln,  es  ist  ihm,  als  ertönten  die 
Blüten  wie  Kristallglöckchen.  Und  das  Gelispel  und  Geklingel 
wird  ihm  zu  leisen,  halbverwehten,  seltsamen  Worten,  die  in 
grünem  Gold  erglänzende  Schlänglein  sprechen.  Sie  wickeln 
sich  um  die  Zweige  und  strecken  die  Köpfchen  der  Abendsonne 
entgegen,  sie  schlüpfen  und  kosen  auf  und  nieder  durch  die 
Blätter  und  Zweige,  und  wie  sie  sich  so  schnell  rühren,  da  ist 
es,  als  streue  der  Hollunderbusch  tausend  funkelnde  Smaragde 
durch  seine  dunklen  Blätter. 


—     98     — 

Man  sieht,  daß  bei  beiden  Dichtern  das,  was  sie  in  der 
Natur  sehen,  nur  Wiedergabe  ihrer  eignen  Gefühle  und  Gedanken 
ist.  Sie  verwandeln  sie  nach  Belieben  und  beleben  sie  mit  den 
Gestalten  ihrer  Phantasie.  Je  nach  ihrer  Stimmung  sehen  sie 
die  Umwelt  in  verschiedenem  Lichte,  aber  Poe  sieht  -sie  nur 
im  dunkelsten. 

Betrachten  wir  schließlich  noch  im  großen  und  ganzen  die 
kleinen  Erzählungen  Poes.  Da  sie  meist  von  wenig  Bedeutung 
sind,  werden  sie  nicht  durchgehend,  sondern  nur  so  weit  heran- 
gezogen, als  sie  romantische  Züge  erkennen  lassen.  Wir  haben 
z.  B.  eine  Erzählung  „BON-BON",^23)  ^jj^g  künstlerischen  Wert 
und  wahrscheinlich  aus  einem  Alkoholrausch  stammend,  aber 
darum  bemerkenswert,  weil  sie  (1835  veröffentlicht)  den  früh- 
zeitigen Einfluß  Hoffmanns  erkennen  läßt.  Bon-Bon  ist  ein 
„ Restaura teur"  von  ungewöhnlichen  Fähigkeiten.  Nicht  nur, 
daß  er  auf  Küche  und  Keller  sehr  viel  hält,  nein,  er  ist  auch 
ein  tiefer  Philosoph,  der  vor  allem  auf  die  „verteufelte"  -'*) 
deutsche  Philosophie  viel  Mühe  verwendet.  An  einem  Abend 
kommt  der  Teufel  zu  dem  betrunkenen  Bon-Bon  und  führt  mit 
ihm  ein  tiefgelehrtes  Gespräch,  das  damit  endet,  daß  der  Wein 
den  Restaurateur  überwältigt.  Bon-Bon  hat  eine  besondere  Art 
zu  trinken.  Es  heißt  von  ihm:  —  „Yet  in  the  indulgence  of  a 
propensity  (nämlich  zur  Flasche)  so  truly  classical  it  is  to  be 
supposed  that  the  restaurateur  would  lose  sight  of  that  intuitive 
discrimination  which  was  want  to  characterise,  at  one  and  the 
same  time,  his  essais  and  his  Omelettes.  In  his  seclusions  the 
Vin  de  Bourgogne  had  its  allotted  hour,  and  there  were  appro- 
priate  moments  for  the  Cotes  du  Rhone.  With  him  Sauterne 
was  to  Medoc  what  Catullus  was  to  Homer.  He  would  sport 
with  a  syllogism  in  sipping  St.  Peray,  but  unravel  an  argument 
over  Glos  de  Vougeot,  and  upset  a  theory  in  a  torrent  of  Cham- 
bcrtiu.  Well  had  it  been  if  the  same  quick  sense  of  propriety 
had  attended  him  in  the  peddling  propensity  to  which  I  have 
formerly  alluded  —  but  this  was  by  no  means  the  case.  Indeed, 
to  say  the  truth,  that  trait  of  mind  in  the  philosophic  Bon-Bon 
did  begin  at  length  to  assume  a  character  of  a  stränge  in- 
tensity  and  mysticism,  and  appeared  deeply  tinctured  with  the 
diablerie  of  his  favourite  German  studies". -2*) 

Bon-Bon  zeigt  in  dieser  Art  zu  trinken  viel  Ähnlichkeit  mit 
Hoffmann.  Auch  dieser  trieb  das  Trinken  als  eine  Kunst,  es 
hatte  seine  Regeln  und  wurde  nicht  wahllos  verrichtet.  „Sollte 
es  wirklich  geraten  sein",  sagt  er,  „dem  inneren  Phantasierade 
Geistiges  aufzugießen  —  w^elches  ich  doch  meine,  da  es  dem 
Künstler  nächst  dem  Schwünge  der  Ideen  eine  gewisse  Behag- 


—    99    — 

lichkeit,  ja  Fröhlichkeit  gibt,  die  die  Arbeit  erleichtert  — ,  so 
könnte  man  ordentlich  rücksichtlich  der  Getränke  gewisse  Prin- 
zipien aufstellen.  So  würde  ich  z.  B.  bei  der  Kirchenmusik  alte 
Rhein-  und  Franzweine,  bei  der  ernsten  Oper  sehr  feinen 
Burgunder,  bei  der  komischen  Oper  Champagner,  bei  Chansonetten 
italienische  feurige  Weine,  bei  einer  höchst  romantischen  Kom- 
position, wie  die  des  Don  Juan  ist,  aber  ein  mäßiges  Glas  von 
eben  dem  von  Salamander  und  Erdgeist  erzeugten  Getränk  an- 
raten. Doch  lasse  ich  jedem  seine  individuelle  Meinung." '^^^) 
Die  Übereinstimmung  beider  Stellen  aus  „Bon-Bon"  und  den 
„Phantasiestücken"  im  Gedankengang  ist  ersichtlich.  Dazu 
kommt,  daß  Poe  mit  einer  so  raffinierten  Art  zu  trinken  gar 
nicht  vertraut  war,  wie  des  öfteren  erwähnt  worden  ist.  Er 
trank,  wie  schon  Baudelaire  sagte,  als  Barbar  und  nicht  als 
Feinschmecker.  Eine  besondere  Vorliebe  scheint  er  für  Kirsch- 
wasser gehabt  zu  haben,  was  wohl  auch  kaum  als  Zeichen  für 
einen  ausgebildeten  Geschmack  gelten  darf.  Da  er  nun  auch 
in  dieser  Erzählung  auf  seine  deutschen  Studien  hinweist,  da  sie 
im  gleichen  Jahre  entstanden  ist  wie  „Morella",  wo  unverkenn- 
bare Einwirkungen  deutscher  Philosophie  zutage  treten  und  da 
endlich  die  Szenerie  und  der  Ton  des  Ganzen  dem  Charakter 
Hoffmannscher  Schilderungen  ähneln,  brauchen  wir  kaum  Be- 
denken zu  tragen,  für  die  Erzählung  den  Einfluß  Hol¥manns 
anzunehmen. 

Ausgeschlossen  erscheint  jeder  Zweifel,  daß  Poe  Gedanken 
Hoffmanns  übernommen  habe,  in  „THE  DEVIL  IN  THE  BELFRY".^-^«) 
Poe  verspottet  darin  offenbar  die  peinliche  Pünktlichkeit  der 
Holländer,  die  er  an  den  Einwohnern  des  Dorfes  Vondervotteimittiss 
schildert.  Jedes  Haus  im  Dorfe  hat  seine  Uhr,  sämtliche  Zier- 
raten in  den  Zimmern  sind  Uhren  oder  haben  deren  Gestalt, 
jedes  Kind  besitzt  eine  Taschenuhr,  sogar  Katzen  und  Schweine 
tragen  Uhren,  die  an  ihren  Schwänzen  hängen.  Vor  jedem 
Hause  aber  sitzt  der  Hausherr,  die  Uhr  in  der  Hand,  und  ver- 
gleicht sie  mit  der  Kirchturmuhr.  Plötzlich  aber  bricht  der 
Teufel  in  das  Dorf  ein,  als  es  gerade  zwölf  Uhr  schlagen  will. 
Er  dreht  dem  Türmer  den  Hals  um  und  läßt  alle  Uhren  drei- 
zehn schlagen.     Das  Dorf  gerät  in  Verzweiflung. 

Bei  Hoffmann  nun  finden  wir  einen  wunderlichen  Entwurf, 
von  Arvede  Barine  mitgeteilt.  Es  ist  ein  Traum  folgenden 
Inhalts :  „Reve.  La  police  enleve  toutes  les  horloges  publiques 
et  confisque  toutes  les  montres,  parce  qu'on  veut  confisquer  le 
temps.  La  police  meme  ne  reflechit  pas  qu'elle  meme  n'existe 
que  dans  le  temps". -^') 

Die  Vorstellungen  sind  so  eigentümlicher  Art,  daß  man  sich 


—     100    — 

schwer  denken  kann,  sie  seien  in  zwei  Köpfen  unabhängig  von- 
einander entstanden.  Gewiß  sind  die  Entwürfe  Hoffmanns  und 
Poes  nicht  gleich,  zeigen  aber  zweifellos  bedeutende  Ähnlich- 
keiten. Es  soll  die  Verwirrung  beschrieben  werden,  die  eine 
Störung  oder  Aufhebung  der  Zeit  verursacht.  Die  Erzählung 
Poes  ist  mit  deutschen  Worten  durchsetzt  und  die  Sprache  teil- 
weise ein  durch  deutsche  Aussprache  verstümmeltes  Englisch. 
Auch  dies  deutet  darauf  hin,  daß  die  Idee  aus  deutscher  Quelle 
und  dann  natürlich  von  Hoffmann  stammt. 

Hoffmannsche  Züge  überhaupt  sind  in  den  kleinen  Novellen 
Poes  häufig  anzutreffen,  die  öfters  nur  die  weitere  Ausführung 
eines  Einfalls  oder  einer  Anregung  sind.  Dieser  Art  ist  „THE 
SPECTACLES".228)  Die  ganze  Erzählung  ist  darauf  aufgebaut, 
daß  der  Held  kurzsichtig  ist,  seine  Großmutter  infolgedessen, 
die  er  nicht  kennt,  für  ein  schönes  junges  Mädchen  ansieht  und 
sie  um  ihre  Hand  bittet.  Als  er  aber  nach  der  Hochzeit  die 
erste  Bitte  seiner  jungen  Frau  erfüllt,  nämlich  eine  Brille  auf- 
zusetzen, sieht  er  plötzlich  ihre  Häßlichkeit  und  bekommt  einen 
Tobsuchtsanfall. 

Solcher  wundertätigen  Brillen  tut  Hoffmann  oft  Erwähnung. 
In  „Klein  Zaches"  gibt  der  Zauberer  Prosper  Albanus  seinem 
Schützling  ein  geschliffenes  Glas,  durch  das  er  die  verborgenen 
goldnen  Haare  auf  dem  Kopfe  Zinnobers  sehen  und  dann  den 
Zauber  brechen  kann;^-^)  in  der  gleichen  Erzählung  findet  sich 
die  Stelle :  „Das  Stiftsfräulein  von  Rosenschön  trat  zu  Dr.  Prosper 
Albanus  ein.  Von  seltsamer  Ahnung  ergriffen,  nahm  dieser  sein 
Rohr  und  ließ  die  funkelnden  Strahlen  des  Knopfes  auf  die 
Dame  fallen.  Da  war  es,  als  zuckten  rauschend  Blitze  um  sie 
her,  und  sie  stand  da  im  weißen,  durchsichtigen  Gewände, 
glänzende  Li])ellenflügel  an  den  Schultern,  weiße  und  rote  Rosen 
durch  das  Haar  geflochten "."•^^)  Im  „Meister  Floh"  setzt  dieser 
dem  Helden  der  Erzählung  ein  mikroskopisches,  geschliffenes 
Glas  ins  Auge,  vermöge  dessen  er  die  wahren  Gedanken  der 
Menschen  sieht  und  nicht  mehr  betrogen  werden  kann.-^^i  Im 
„Sandmann"  verkauft  der  Wetterglashändler  Coppola  dem 
Studenten  Nathaniel  ein  kleines  Perspektiv.  Als  Xathaniel  dieses 
auf  das  gegenüberliegende  Fenster  richtet,  durch  das  er  schon 
oft  ein  Mädchen,  Olympia,  beobachtet  hat,  sieht  er  sie  in  merk- 
würdiger Klarheit.  Ihr  Blick,  der  ihm  vorher  tot  und  starr 
geschienen  hatte,  belebt  sich  ihm  auf  wunderbare  Weise.  Es 
ist  ihm,  als  gingen  feuchte  Mondesstrahlen  von  ihren  Augen 
aus,  als  flammten  lebendiger  und  immer  lebendiger  ihre  Blicke.-'^-) 
Endlich  können  wir  noch  die  „Prinzessin  Brambilla"  zum  Ver- 
gleiche heranziehen.     Der  Schauspieler  Giglio   sieht  durch  eine 


—     101     — 

besondere  Brille  nach  einem  Palaste.  Da  scheinen  ihm  die 
Mauern  zu  Kristall  zu  werden,  und  er  sieht  durch  sie  ins  Innere 
des  Hauses  hinein.-"^) 

Daß  sich  der  bei  Hoff  mann  so  häufige  Gedanke,  durch  eine 
Brille  oder  ein  Glas  eine  wunderbare  Wirkung  zu  erzielen,  auch 
bei  Poe  wiederfindet,  ist  zum  mindesten  auffällig.  Die  nahe- 
liegende Vermutung,  es  liege  in  dieser  Hinsicht  eine  Einwirkung 
Hoffmanns  auf  Poe  vor,  wird  noch  dadurch  verstärkt,  daß  sich 
die  Idee  in  „Klein  Zaches"  und  „Der  Sandmann"  findet,  zwei 
Erzählungen,  die  auch  sonst  in  Poes  Werk  wiederkehrende  Züge 
enthalten. 

Weiterhin  könnte  die  Erzählung  „THE  SPHINX"-^^^)  mit  einer 
Erzählung  Hoffmanns  zusammengebracht  werden:  „Haimato- 
chare",'^^"')  um  die  sich  zwei  Freunde  streiten  und  töten.  Sie 
heißt  „die  schöne  Insulanerin",  und  bis  zum  Schlüsse  der  Er- 
zählung wird  der  Glaube  genährt,  sie  sei  ein  Mädchen,  aber  sie 
ist  nur  ein  seltenes  Insekt.  In  „The  Sphinx"  sieht  der  Er- 
zähler, der  vor  der  Cholera  geflohen  ist  und  in  steter  Angst  vor 
der  Seuche  lebt,  ein  riesenhaftes  Ungeheuer  von  einem  Berge 
herabsteigen.  Es  hat  einen  mächtigen  Kopf  mit  einem  langen 
Rüssel  und  an  dessen  Ende  ein  Maul,  größer  als  der  Körper 
eines  Elefanten.  Neben  dem  Maule  springen  gewaltige  Hauer 
hervor,  an  dem  starken,  dicht  behaarten  Körper  sitzen  zwei 
Paar  Flügel,  die  mit  glitzernden  Metallplatten  bedeckt  und  durch 
eine  Kette  verbunden  sind.  Die  Brust  zeigt  das  scharf  um- 
rissene  Bild  eines  Totenkopfs.  Und  als  das  Untier  seine  weiten 
Kiefer  öffnet  und  laute  klagende  Schreie  erschallen  läßt,  da 
übermannt  den  Beschauer  das  Grausen,  und  er  sinkt  in  Ohn- 
macht. Als  ihm  später  das  Ungeheuer  noch  einmal  erscheint,  tritt 
zutage,  daß  es  ein  Insekt  ist,  das  ganz  nahe  vor  seinen  Augen 
an  einem  Faden  am  Fenster  auf-  und  abklettert  und  das  man  wohl 
schon  als  den  bekannten  Totenkopfschwärmer  erkannt  hat. 

Erst  am  Schlüsse  der  Erzählung  also  wird  in  „The  Sphinx" 
wie  in  „Haimatochare"  die  Täuschung  aufgehoben,  daß  es  sich 
um  ein  Ungeheuer  oder  ein  schönes  Mädchen  handle,  das  in 
Wahrheit  ein  Insekt  ist. 

„WHY  THE  LITTLE  FRENCHMAN  WEARS  HIS  HAND  IN 
A  SLING",23^)  eine  in  abscheulichem  Jargon  geschriebene  Er- 
zählung, hat  zum  alleinigen  Inhalt  eine  Idee,  die  wir  bei  Achim 
V.  Arnim  als  Episode  wiederfinden.  In  Poes  Novelle  bewerben 
sich  zwei  Liebhaber  um  eine  Witwe.  Als  diese  die  Bewerber 
bei  sich  empfängt  und  zu  ihren  Seiten  auf  ein  Sofa  setzen  läßt, 
glaubt  jeder,  hinter  ihrem  Rücken  ihre  Hand  gefaßt  zu  haben 
und  zu  drücken,   doch   haben  sie  ihre   eignen  Hände   ergriffen. 


—     102     — 

In  Achims  v.  Arnim  „Owen  Tudor"  findet  sich  eine  entsprechende 
Anektode.  In  einem  flnstern  Reisewagen  unterhält  sich  eine 
Gesellschaft  mit  Geschichten.  Die  Erzählerin  sitzt  zwischen 
zwei  Eeisenden,  von  denen  jeder  ihre  Hand  zu  halten  glaubt.^'") 
Man  kann  natürlich  nicht  sagen,  daß  eine  Anregung  Poes  durch 
Arnim  vorliege,  denn  solche  humoristische  Gedanken  entstehen 
leicht  überall,  während  die  Idee,  ein  Insekt  als  Mensch  oder 
Ungeheuer  einzuführen,  sich  nicht  so  leicht  unabhängig  in  ver- 
schiedenen Köpfen  bilden  dürfte. 

Unter  den  noch  verbleibenden  Erzählungen  Poes  ist  eine 
bemerkenswert,  die  den  Namen  führt:  „THREE  SUNDAYS  IN 
A  WEEK".238)  2wei  Reisende  umfahren  in  entgegengesetzter 
Richtung  die  Erde,  wobei  der  eine  einen  Tag  gewinnt,  der  andre 
einen  verliert.  Poe  soll  die  Anregung  dazu  aus  einer  Stelle  bei 
Herrsch el  geschöpft  haben,  die  er  phantastisch  umwandelte. -•^^) 
Aber  er  hat  den  Gedanken  keinesw^egs  zum  ersten  Male 
dichterisch  behandelt.  Bereits  10  Jahre,  ehe  er  seine  Erzählung 
veröffentlichte,  hat  ein  Gedicht  Chamissos  vorgelegen:  „Das 
Dampfroß",  in  dem  es  heißt: 

„Schnell!.  Schnell,  mein  Schmied!  Wer  die  Erde  umkreist 
Von  Ost  nach  West,  wie  die  Schule  beweist, 
Der  kommt,  das  hat  er  von  seiner  Müh', 
Ans  Ziel  um  einen  Tag  zu  früh".-^") 

Es  ist  zweifelhaft,  ob  Poe  Chamisso  überhaupt  gekannt  hat. 
Wiederum  soll  keine  Beeinflussung  behauptet,  sondern  nur  die 
Übereinstimmung  der  Vorwürfe  betont  werden. 

Einen  absonderlichen  Charakter  trägt:  „A  PREDIG  A- 
MENT".24i)  ;^jiss  Zenobia,  eine  Journalistin,  die  in  einer  vorher- 
gehenden Satire  „How  to  Write  a  Blackwood  Article"-*^)  den 
Rat  erhalten  hat,  nur  Selbsterlebtes  zu  beschreiben,  steigt  auf 
einen  Turm  und  sieht  durch  ein  Loch  im  Zifferblatt  über  die 
Stadt  Edinburg.  Doch  der  Uhrzeiger  schneidet  ihr  dabei  den 
Kopf  ab.  Sie  beschreibt  ihre  Gefühle  bei  diesem  Vorgang.  Am 
Ende  wird  der  Kopf  vom  Halse  getrennt,  rollt  auf  die  Straße 
hinab  und  führt  mit  dem  Rest  der  Miss  ein  Zwiegespräch.  Der 
Neger,  der  sie  auf  den  Turm  begleitet  hat,  flieht  entsetzt  bei 
hrem  Anblick.  Ihr  Hündchen  aber,  mit  dem  sie  zu  reden  pflegt, 
st  von  einer  Ratte  aufgefressen  worden.  Doch  seine  Seele  sitzt 
n  einer  Ecke  und  zitiert  einige  pathetische  Verse  aus  Schiller. 

Die  Erzählung  bietet  viel  Anklänge  an  Bekanntes.  Man  denkt 
an  die  „Fortsetzung  der  Geschichte  des  Königs  Jünan"  in 
1001  Nacht,  wo  der  Weise  Hakim  sich  vor  dem  Könige  den 
Kopf  abschlagen  läßt,  worauf  der  Kopf  mit  dem  Könige  weiter 
spricht.-''^)     Man  denkt  an  mehrere   deutsche  Volksmärchen,   in 


—     103     — 

denen  abgeschlagene  Körperteile  das  Leben  behalten  und  sogar 
sprechen.  Das  bekannteste  davon  ist  „Der  Herr  Gevatter". 2*^) 
Daß  Tiere  die  Sprache  besitzen,  ist  ein  im  Märchen  so  häufiger 
Zug,  daß  Beispiele  dafür  anzuführen  unnötig  ist.  Weniger  häufig 
ist  diese  Eigentümlichkeit  in  der  Novelle.  Man  wird  an  das  Zwie- 
gespräch der  Hunde  Szipio  und  Berganza  in  den  Novellen  des  Cer- 
vantes erinnert, '-'^^)  auch  an  einige  Werke  der  deutschen  Romantik, 
die  aber  die  Einwirkung  des  Cervantes  nicht  verleugnen,  wie 
Tiecks  „Der  gestiefelte  Kater"  oder  „Prinz  Zerbino  oder  die  Reise 
nach  dem  guten  Geschmack",  Hoffmanns  „Kater  Murr"  oder 
„Nachricht  von  den  neuesten  Schicksalen  des  Hundes  Berganza" 
und  schließlich  Hauffs  „Der  Affe  als  Mensch". 

Als  letzte  Erzählung  ist  „HOP-FROG"'-*«)  zu  besprechen. 
Hop-Frog  ist  der  mißwachsene  Narr  eines  Königs.  Er  hat  ganz 
kurze  Beine,  aber  gewaltige  Arme,  daß  er  schwer  gehen,  aber 
mit  großer  Leichtigkeit  an  Bäumen  und  Seilen  emporklettern  kann. 
Er  hängt  sehr  an  einem  zarten  kleinen  Mädchen,  mit  dem  zu- 
sammen er  als  Kriegsbeute  an  den  Hof  geschickt  war.  Gegen 
Wein  ist  er  so  empfindlich,  daß  ein  Becher  ihn  nahezu  wahn- 
sinnig macht.  Eines  Tages  zwingt  ihn  der  König  trotz  seiner 
inständigen  Bitten,  einen  großen  Becher  Wein  zu  trinken.  Das 
Mädchen,  das  für  den  Zwerg  bittet,  mißhandet  er  roh.  Um  sich 
zu  rächen,  schlägt  dieser  dem  König  und  seinen  Ministern  vor, 
zu  einem  Maskenfest  als  Orang-Utangs  zu  erscheinen.  Als  sie 
den  Vorschlag  annehmen,  teert  er  sie  und  belegt  sie  mit  dicken 
Schichten  Flachs.  Zu  dem  Fest  lockt  er  sie  in  eine  Falle, 
zündet  sie  an,  läßt  sie  elendiglich  verbrennen  und  entflieht  mit 
dem  Mädchen. 

In  der  gegen  den  Alkohol  überaus  empfindlichen  Natur 
Hop-Frogs  hat  Poe  seine  eigne  Reizbarkeit  gegen  dieses  Gift 
beschrieben.  Doch  ist  dies  der  einzige  Zug,  den  er  mit  dem 
Zwerg  gemein  hat.  Dessen  Mißgestalt  erinnert  an  den 
Wechselbalg  in  Hoffmanns  „Klein  Zaches,  genannt  Zinnober", 
oder  an  die  häßlichen  Zwerggestalten  in  Märchen,  von  denen 
als  Beispiel  „Rumpelstilzchen""^^")  genannt  sei.  Größere  Über- 
einstimmung des  Äußeren  finden  wir  zwischen  Hop-Frog  und  dem 
Zwerg  in  Walter  Scotts  Roman  „The  Black  Dwarf".^^^) 

Die  Erzählung  selbst,  der  Bericht  der  unmenschlichen  Rache, 
der  „Hop-Frog"  der  bereits  erwähnten  Novelle  „The  Cask  of 
Amontillado"  naherückt,  deutet  wiederum  auf  Kleists  „Hermann- 
schlacht", aber  ohne  das  erotische  Moment  dieses  Dramas  zu 
führen.  Auch  besteht  eine  gewisse  Ähnlichkeit  zwischen  „Hop- 
Frog"  und  einem  Werke  der  französischen  Romantik,  Victor 
Hugos  „Le  Roi  s'amuse"'  (1832). 


104 


ANMERKUNGEN 


^)  „Romantiker"  bezeichnet  immer  die  deutsche  Dichtergruppe  ungefähr 
von  den  Brüdern  Schlegel  bis  zum  Emporkommen  des  Jungen  Deutschlands, 
„romantisch"  immer  die  Eigentümlichkeiten  dieser  Gruppe  allein. 

-)  G.  Gruener,  Poes  Knowledge  of  German.  Modern  Philology,  Chicago 
and  Leipzig  1904,  II,  125—140;  The  Influence  of  E.  T.  A.  Hoffmann  on 
Edgar  Allan  Poe  by  Palmer  Cobb.  Kap.  III. 

3)  Karl  Hans  Strobl,  Worte  Poes,  Minden  i.  Westf.  1906  (?),  S.  10. 

*)  Der  Taufname  war  Edgar  Allan,  nicht  nur  Edgar,  wie  die  meisten 
Biographen  schreiben,  die  angeben,  Poe  habe  seinem  Taufnamen  Edgar  den 
Namen  Allan  hinzugefügt,  um  seine  Zugehörigkeit  zur  Familie  seines  Pflege- 
vaters Mr.  Allan  zu  bezeichnen.  Vgl.  darüber  James  A.  Harrison,  Life  and 
Letters  of  Edgar  Allan  Poe,  New  York  1903,  2  vol.,  I,  3.ff.  Dieses  Werk 
ist  im  folgenden  immer  als  James  A.  Harrison  zitiert. 

^)  James  A.  Harrison  I,  10. 

^)  James  A.  Harrison  II,  146. 

')  The  Works  of  Edgar  Allan  Poe.  Edited  by  H.  John  Ingram. 
Edinburgh  1874/75,  4  vol.,  I,  333ff.  Diese  Ausgabe  wird  im  fol- 
genden immer  nur  zitiert  als  E.A.Poe,  Works. 

^)  James  A.  Harrison  I,  60. 

^)  James  A.  Harrison  II,  449. 

^^)  James  A.  Harrison  I,  96. 

")  James  A.  Harrison  I,  117. 

1'-^)  Spielhagen,  Aus  meiner  Studienmappe  2.  Aufl.,  Berlin  1891. 

^^)  Poe,  Works  I,  331 :  „romance"  and  „womanliness"  seem  to  me 
convertible  terms. 

^^)  James  A.  Harrison  II,  17. 

^^i  James  A.  Harrison  II,  17. 

^ö)  Verfasser  hat  sich  hierbei  bei  allgemeinen  Fragen  zumeist  gehalten 
an  Rudolf  Haym,  Die  romantische  Schule,  Berlin  1870;  Ricarda  Huch,  Blüte- 
zeit der  Romantik,  Leipzig  1901;  Ricarda  Huch,  Ausbreitung  und  Verfall 
der  Romantik,  Leipzig  1902. 

1')  Poe,  Works  I,  377. 

^^)  Poe,  Works  111,59:  „And  the  Angel  Israfel,  whose  heartstrings 
are  a  lute,  and  who  has  the  sweetest  voice  of  all  God's  creatures. 

19)  Poe,  Works  III,  2. 

2«)  Poe,  Works  I,  237. 

21)  Poe,  Works  I,  242. 

22)  Novalis'  sämtliche  Werke,  herausg.  von  Carl  Meißner,  Florenz 
und  Leipzig,  4  Bde.,  III  S.  281.  Diese  Ausgabe  wird  im  folgenden 
immer  zitiert  als  Novalis,  Werke. 

23)  Achims  v.  Arnim  Werke,  herausg.  von  Bettina  v.  Arnim.  Einleitung 
von  W.  Grimm,  Berlin  1833—1836,  22  Bde.,  XIIX  S.  63.  Diese  Ausgabe 
wird  im  folgenden  immer  zitiert  als  Arnim,  Werke. 

2^)  Poe,  Works  I,  355. 

25)  Poe,  Works  I,  194. 

26)  Vogt  und  Koch,  Geschichte  der  deutschen  Literatur  1904  II,  336. 
2')  E.  T.  A.  Hoffmann,  Gesammelte  Schriften  1871  VI,  258. 

28)  Hans  Strobl,  Worte  Poes  S.  43ff. 

29)  N.  P.  Willis,  E.  A.  Poe,  Home  Journal  1849,  October  13. 
2«)  James  A.  Harrison  I,  98. 


—     105    — 

^^)  James  A.  Harrison  I,  182. 
•^^)  James  A.  Harrison  1,  40. 

3=^j  E.  T.  A.  Hoffmann,  Hempelsche  Ausgabe  IV,  14. 
^»)  E.  A.  Poe,  Works  I,  364. 
-^)  Novalis,  Werke  HI,  244. 
^^6)  E.  A.  Poe.  Work  I,  201. 
«•')  Novalis,  Werke  IV,  410. 
■^  Novalis,  Werke  III,  52. 
■^^)  Novalis,  Werke  III,  27. 

^0)  Ricarda  Huch,  Blütezeit  der  Romantik  S.  328. 
^')  Novalis,  Werke  HI,  292. 
^-)  Poe,  Works  I,  19:  Memoir  von  Ingram. 
*3)  Poe,  Works  I,  237  ff. 
14)  Poe,  Works  I,  365. 
4^)  Poe,  Works  I,  356. 
^6)  Novalis,  Werke  III,  292. 

*')  L.  Tieck,  Schriften,  Berlin  1828  (20  Bde.),  VI,  348. 
48)  L.  Tieck,  Schriften,  Berlin  1828  (20  Bde.),  IV,  96. 
4»)  L.  Tieck,  Schriften,  Berlin  1828  (20  Bde.),  VI,  128. 
•■^o)  L.  Tieck,  Schriften,  Berlin  1828  (20  Bde.),  VI,  153. 
">')  Poe,  Works  I,  364. 
52)  Poe,  Works  I,  179  ff. 
s=*)  Poe,  Works  I,  314  ff. 

••4)  Godwi.  herausg.  von  Dr.  Anselm  Ruest.  1887,  S.  115,  118. 
^5)  Poe,  Works  I,  274. 
'^«)  Novalis,  Werke  IV,  383. 
•-)  Novalis,  Werke  IV,  379. 
'>^)  Poe,  Works  I.  169. 
^")  Poe,  Works  I,  401. 
«<>)  Poe,  Works  III,  420. 
*^)  Achim  v.  Arnim.  Werke  X,  151. 
«-)  Poe,  Works  H,  194ff.,  204ff. 
«^)  Poe,  Works  II,  200. 
«4)  Poe.  Works  H,  196. 
«•')  Poe,  Works  II,  197. 

•^6)  Ricarda  Huch,  Ausbreitung  und  Verfall  der  Romantik,  Leipzig  1902, 
S.  231 

6')  Poe,  Works  I,  179  ff,,  I,  251  ff. 

*^8)  Novalis,  Werke  III,  79. 

ö9)  Achim  V.  Arnim,  Werke  III,  176  ff. 

"0)  Achim  V.  Arnim,  Werke  II,  31  ff. 

'1)  Poe,  Works  HI,  167. 

'2)  Poe.  Works  HI,  95. 

'3)  Poe,  Works  II,  523. 

^4)  Poe.  Works  I,  116  ff. 

'•^)  Poe,  Works  I,  39 ff. 

'«)  Poe,  Works  I,  94  ff. 

")  Poe,  Works  II.  204  ff. 

■'S)  Charles  Baudelaire,  Oeuvres  completes,  Paris  1869,  V,  25. 

^9)  E.  A.  Poe,  Works,  ed.  by  Stedman  and  Woodberry,  X,  239. 

80)  Novalis,  Werke  III.  26. 

81)  Poe,  Works  III,  357. 

82)  Poe,  Works  III,  266  ff. 

8-)  Tieck  und  Wackenroder,  Deutsche  Nationalbibliothek,  herausg.  von 
J.  Minor,  S.  76. 


—     106    — 

^^)  Tieck  und  Wackenroder,  Deutsche  Nationalbibliothek,  herausg.  von 
J.  Minor,  S.  72. 

•»)  Poe,  Works  II.  32411. 

««)  Poe.  Works  III,  203. 

*■')  Tieck  und  Wackenroder,  Deutsche  Nationalbibliothek,  herausg.  von 
J.  Minor,  S.  70. 

«8)  Poe,  Works  II,  189. 

«»)  Poe.  Works  III,  380. 

^)  Poe,  Works  III,  204. 

»^)  vgl.  The  University  of  Toronto  Quaterly  1895  II,  266. 

•'^)  Die  Daten  beziehen  sich  auf  das  Jahr  der  ersten  Veröffentlichung. 

»=^1  Novahs.  Werke  III,  129. 

«^)  Poe,  Works  I.  404. 

^'')  Poe,  Works  I,  420. 

»«)  Novalis,  Werke  IV,  416. 

»'I  L.  Tieck,  Schriften,  Berlin  1828  (20  Bde.),  IV,  51. 

««)  Poe,  Works  I,  471. 

8»)  Poe,  Works  I,  430. 
iw»)  Poe,  Works  I,  442. 
'0')  Poe,  Works  I,  442,  II,  228,  III,  357  u.  a. 
102)  Novalis,  Werke  IV,  285. 
10«)  Novalis.  Werke  III,  130. 
10^)  Novalis,  Werke  III,  131. 
10^)  Achim  v.  Arnim,  Werke  II,  209. 

lo*"')  Hauffs  W^erke,  herausg.  von  Max  Drescher  1908.  Goldne  Klassiker- 
bibliothek I,  192  ff. 

10')  Poe,  Works  I,  116. 

108)  Hoffmann,  Werke,  Hempelsche  Ausgabe  II,  14. 

10»)  Hoff  mann,  W^erke,  Hempelsche  Ausgabe  VI.  36. 

110)  Poe.  Works  I,  126. 

111)  Poe.  Works  I,  123. 

i'2)  Hoffmann,  Werke,  Hempelsche  Ausgabe  XI,  176ff. 

113)  Poe,  Works  I,  127  ff. 

11*)  Poe.  Works  I,  134. 

11'')  Poe,  Works  I,  136. 

11«)  Poe,  Works  III,  407,  456. 

11')  Hoffmann,  Werke,  Hempelsche  Ausgabe  II,  14. 

1")  Hoff  mann,  Werke,  Hempelsche  Ausgabe  XI,  176  ff. 

11«)  Poe,  Works  II,  222  ff.  Vgl.  dazu  :  The  Influence  of  E.  T.  A.  Hoff- 
mann on  the  Tales  of  Edgar  Allan  Poe,  by  Palmer  Cobb.  1908,  Chapter  V. 

120)  Hoffmann,  Gesammelte  Schriften  1871  HI,  92ff. 

121)  Hoff  mann.  Gesammelte  Schriften  1871  V,  139  ff. 

122)  Hoffmann,  Gesammelte  Schriften  1871  VII,  177. 
12«)  Hoff  mann.  Gesammelte  Schriften  1871  VII,  184. 
12^)  Hoffmann,  Gesammelte  Schriften  1871  V,  263. 
i2-')  Heinrich  v.  Kleist,  Tempelausgabe  II,  57,  58,  110. 

12«)  Poe.  Works  II,  278,  356,  401,  509,  535,  I.  168 ff.,  200ff.,  279 ff., 
371  ff. 

12')  Hoffmann,  Werke,  Hempelsche  Ausgabe  V,  96. 

12«)  Hauffs  Werke,  Goldne  Klassikerbibüothek  I,  164  ff. 

12«)  Hoffmann,  Gesammelte  Schriften  1871  IX,  Iff. 

130)  Hoffmann.  Gesammelte  Schriften  1871  IX.  17. 

i»i)  The  Sketch-Book  of  Geoffrey  Crayon,  Gent,  Newyork,  1869  S.44ff. 

i''2)  Sprenger,  Über  die  Quelle  von  W.  Irvings  Rip  Van  Winkle,  Pro- 
gramm, Northeim  1901. 


—     107    — 

i'3)  K.  F.  van  Vleuteu,  E.  A.  Poe,  Zukunft,  Berlin  1903.  XXXXIV,  181 
bis  190. 

'"■')  Poe,  Works  1.266  ff. 

1"^)  Poe.  Works  1,  168 ff. 

»"«)  Poe,  Works  1, 171. 

»")  Poe,  Works  I.  177. 

1^«)  Novalis,  Werke  IV,  231. 

^29)  Achim  V.  Arnim,  Werke  XVIII,  295. 

'*<>)  L.  Tieck,  Schriften  1828  V,  139. 

'^')  L.  Tieck,  Schriften  1828  VI,  348. 

**-)  Hoff  mann,  Werke,  Hempelsche  Ausgabe  II,  210  ff. 

1^3)  Poe,  Works  1,355  ff. 

'*')  Poe,  Works  I,  297  ff. 

^*^)  Heinrich  v.  Kleist,  Werke,  Tempelausgabe  IV,  1  ff. 

^^^)  Brüder  Grimm,  Kinder-  und  Hausmärchen  Nr.  15. 

'*'')  Gubitz'  Gesellschafter  1827  Nr.  49. 

^^^)  Hoffmann,  Werke,  Hempelsche  Ausgabe  X,  40. 

^^^)  Dr.  R.  Hennig,  Das  Wesen  der  Halluzinationen,  Gartenlaube  1909 
Nr.  45. 

''''')  Poe,  Works  I,  355  ff. 

^•^^)  Stephan  Hock,  Die  Vampyrsagen  und  ihre  Verwendung  in  der 
deutschen  Literatur.  Forschungen  zur  neueren  Literaturgeschichte,  herausg. 
von  F.  Munker,  Berlin  1896  ff.,  Bd.  17. 

'■'-)  Germania  XXXIII,  248. 

^■'''')  Montaigne,  Essais  III,  153. 

^''^)  Zeitschrift  des  Vereins  für  Volkskunde  II,  299. 

i-')  Poe  spricht  oft  von  Ghülen  (Works  III,  8, 10, 12,  29  usw.),  von 
Houris  (111,59)  und  hat  eine  Erzählung  verfaßt:  „THE  THOUSAND  AND 
SECOND  TALE  OF  SHEHERAZADE"  (I,216ff.). 

^■'^)  1001  Nacht.  Aus  dem  Arabischen  übertragen  von  Max  Henning, 
Leipzi<?  1895,  I,  50ff. 

^••')  Am  Urquell  I,  16. 

''-^)  Achim  v.  Arnim,  Werke  XH,  263. 

'''^)  Achim  v.  Arnim,  Werke  XIV,  96, 

^"")  Ludwig  Geiger,  Karoline  von  Günderode  und  ihre  Freunde  1895 
S.  108ff:  vgl.  dazu  Euphorien  U,  414 ff. 

1«')  Novalis,  Werke  1,91. 

'^•'}  Novalis,  Werke  111,283. 

^«»)  Novalis,  Werke  IV,  327. 

^^)  Tieck,  Gesammelte  Schriften   1828  XIIX,  60. 

^<^^)  Achim  v.  Arnim,  Werke  XV.  162. 

^««)  Achim  V.  Arnim,  Werke  XX,  106. 

^*")  Hoffmann,  Werke,  Hempelsche  Ausgabe  XIV. 

le«)  Heinrich  v.  Kleist,  Werke,  Tempelausgabe  III,  300. 

'<^^)  Heinrich  v.  Kleist,  Werke,  Tempelausgabe  III,  319. 

"'"'^)  Heinrich  v.  Kleist,  Werke,  Tempelausgabe  IV,  126 ff. 

^''^)  Zacharias  Werner,  Ausgewählte  Schriften,  herausg.  von  seineu 
Freunden,  Grimma  1814  11,77. 

1'-)  Müllner,  Dramatische  Werke  1828  III,  160. 

i'2)  Müllner,  „Die  Schuld"  Akt.  1  Szene  9. 

^'^)  Heinrich  Heine,  Werke,  Tempelklassiker  I,  10. 

^'"'')  Heinrich  Heine,  Werke,  Tempelklassiker  I,  296. 

^'*5)  Heinrich  Heine,  Werke,  Tempelklassiker  I,  328. 

1")  Vierteljahrsschrift  für  Literaturgeschichte  III,  483. 

8 


—     108     — 

"*)  Cent  Nouvelles  Nouvelles,  De  Madame  de  Gomez.  A  la  Have  1739, 
XIX,184ff. 

^^^)  Der  Vampyr  in  den  Pariser  Friedhöfen.  Ein  höchst  interessanter 
Kriminalfall  der  neuesten  Zeit:  zunächst  für  Psychologen  und  Ärzte.  Aus 
dem  Französischen  der  „Gazette  des  Tribunaux",  Stuttgart.  Scheible,  1849. 

1^0)  Poe,  Works  1,333  ff.;  vgl.  The  Influence  of  E.  T.  A.  Hoff  manu 
on  Edgar  Allan  Poe  by  Palmer  Cobb.  S.  31  ff. 

^^^)  Boaden,  „The  Man  with  two  Lives",  Boston  1829;  vgl.  Stedman 
and  Woodberrys  Ausgabe  der  Werke  Poes  IV,  295. 

**2)  Hoffmann,  Werke,  Hempelsche  Ausgabe  X,  40. 

^^^)  Hoff  mann,  Werke,  Hempelsche  Ausgabe  III,  117. 

^»4)  Hölderlin.  Werke,  herausg.  von  Berthold  Litzmann,  1897  I,  172. 

^^^)  Hoffmann,  Gesammelte  Schriften  1871  V.  172  ff. 

^«•^)  Hoffmann.  Gesammelte  Schriften  1871  V,  177. 

1»')  Poe,  Works  1, 187. 

^«8)  Poe,  Works  1,394  ff. 

^^^)  Hoffmann,  Werke,  Hempelsche  Ausgabe  VI,  66. 

^^^)  Hoffmann,  Werke,  Hempelsche  Ausgabe  II,  56. 

*«^)  Hoff  mann.  Gesammelte  Schriften  1871  II,  35,  39. 

i«2)  Tieck,  Gesammelte  Schriften  1828.  IX,  170. 

1««)  L.  Tieck,  Schriften  1828  IX,  170. 

^^*)  Heinrich  v.  Kleist,  Werke,  Tempelklassiker  II. 

^^^)  Achim  V.  Arnim,  Werke  X. 

1»«)  Poe,  Works  I,  279  ff. 

^»')  Hoffmann,  Gesammelte  Schriften  1871  II,  242. 

1»«)  Poe,  Works  I,  251. 

i''^)  Poe,  Works  1,200  ff. 

200)  Novalis,  Werke  III,  117. 

-Ol)  Novalis,  Werke  III,  292. 

•^0^)  Poe,  Works  I,  258  ff. 

-0=^)  Heinrich  v.  Kleist,  Werke,  Tempelklassiker  III,  145  ff. 

20*)  Poe,  Works  I,  371'ff. 

20-^)  Poe,  Works  1,388  ff. 

••^oö)  Poe,  Works  1,364  ff. 

-0^)  Revue  des  deux  mondcs,  LXVHe  annee,  tome  CXLII  1897,  336 
bis  373,  552-591. 

2<'»)  The  University  of  Toronto  Quaterly  1895  II,  260  ff. 

20»)  James  A.  Harrison  II,  52. 

■''')  Poe,  Works  I,  389. 

2")  Novalis,  Werke  HI,  117. 

21-)  Novalis,  Werke  III,  127. 

-''')  Novalis,  Werke  III,  163  oder  IV,  245. 

-1*)  Novalis,  Werke  HI,  119. 

•-^•^)  Novalis,  Werke  III,  101. 

21«)  Novalis,  Werke  II,  1  ff,  II,  209 ff. 

21-)  Novalis,  Werke  I,  LXXI  (Einleitung). 

21«)  In  „AI  Aaraaf "  1829  (Works  III,  66)  ist  Goethe  im  Originaltext 
zitiert;  Bon -Bon  1835  (Works  II,  401  ff.)  verrät  die  deutliche  Einwirkung 
Hoffmanns. 

21»)  Revue  des  deux  mondes,  Sept.,  Okt.  1897,  S.  794  ff. 

220)  Poe,  Works  I,  359. 

221)  Poe,  Works  I,  273  ff. 

22-^)  Hoffmann,  Gesammelte  Schriften  1871  VII,  193. 

223)  Poe,  Works  II,  401  ff. 

22*)  Hinweis  auf  E.  Th.  A.  Hoffmann  ? 


109    — 


"^"')  Hoff  mann.  Werke,  Hempelsche  Ausgabe  V,  56. 
22«)  Poe,  Works  II,  299  ff. 

227)  Revue  des  deux  mondes,  Sept.,  Okt.  1897,  S.  794.  Hoffmanns 
Tage-  und  Entwurf bücher  waren  mir  nicht  zugänglich,  da  im  Privatbesitz 
befindlich.  Ob  früher  Entwürfe  Hoffmanns  veröffentlicht  worden  sind, 
gelang  mir  nicht  festzustellen. 

Poe,  Works  II,  234  ff. 

Hoffmann,  Gesammelte  Schriften  1872  IX,  84. 

Hoff  mann,  Gesammelte  Schriften  1872  IX,  65. 

Hoffmann,  Gesammelte  Schriften  1872  X,  167. 

Hoffmann,  Gesammelte  Schriften  1872  V,  29. 

Hoffmann,  Gesammelte  Schriften  1872  IX,  123. 

Poe,  Works  II,  351  ff. 

Hoffmann,  Gesammelte  Schriften  1871  XII,  141  ff. 

Poe,  Works  II,  294  ff. 

Achim  V.  Arnim,  Werke  II,  304. 

Poe,  Works  II,  292  ff. 

Poe,  Works,  edited  by  Stedman  and  Woodberry  1895  IV.  295. 

Adelbert  v.  Chamisso,  Gedichte  1831. 

Poe,  Works  II,  471  ff. 

Poe,  Works  II,  460-470. 

1001  Nacht.    Aus  dem  Arabischen  übertragen  von  Max  Henning, 
1895,  I,  51. 

Brüder  Grimm,  Kinder-  und  Hausmärchen  Nr.  42. 

Cervantes,  übersetzt  von  Soltau.  III,  208. 

Poe,  Works  H,  374  ff. 

Grimm,  Kinder-  und  Hausmärchen  Nr.  55. 

Walter  Scott,   Works ,   Centenary  Edition ;   Waverley,  Novels  VI, 
224  ff. 


Leipzig 


Spezialdruckerei  für  DLseertationen,  Robert  Noske,  Borna-Leipzig. 


LEBENSLAUF 

Ich,  Paul  Richard  Wächtler,  ev.  luth.,  wurde  geboren  am 
29.  April  1887  in  Chemnitz.  Bis  zum  12.  Lebensjahr  besuchte 
ich  die  Volksschule,  darauf  das  Realgymnasium  meiner  Heimats- 
stadt, das  ich  1907  mit  dem  Reifezeugnis  verließ.  Ich  bezog  nun 
die  Universität  I^eipzig,  um  das  Studium  der  germanischen  und 
romanischen  Philologie  zu  betreiben.  Ich  besuchte  Vorlesungen, 
Seminare  und  Proseminare  der  Herren  Professoren  und  Lektoren 
Bai'th,  Birch-Hirschfeld,  Cohen,  Deutschbein,  Förster,  Heinze, 
Hirt,  Holz,  Sievers,  Volkelt,  Weigand  und  Wülker.  Allen  diesen 
meinen  Lehrern  bin  ich  zu  Dank  verpflichtet,  insbesondere 
Herrn  Professor  Förster,  der  liebenswürdigerweise  mir  Ratschläge 
für  diese  Arbeit  hat  zukommen  lassen. 


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